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HARVARD COLLEGE
LIBRARY
FROM THB FUND OP
CHARLES MINOT
CLASSOFifaS
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ENGLISCHE HANDELSPOLITIK
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ENGLISCHE
HANDELSPOLITIK
GEGEN ENDE DES MITTELALTERS
MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG
DES ZEITALTERS DER
BEIDEN ERSTEN TUDORS HEINRICH VII. UND HEINRICH VIII.
GEKRÖNTE PREISSCHRIFT
VON
Dr. GEORG SCHANZ,
A. O. PROFE88OR DER 8TAATSW13SRK8CHAFTEK
IN ERLANGEN.
ERSTER BAND.
DARSTELLUNG.
^LEIPZIG,
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT.
1881.
f^T
HARVARD COLLEGE LIBRMtf
AUG241883
Das Uebersetzungsrecht ist vorbehalten.
Vorrede.
Vorliegendes Werk wurde durch eine Preisfrage veran-
lasst, welche von der Beneke'schen Stiftung in Göttingen im
Jahre 1876 gegeben wurde; dieselbe verlangte:
„Eine Darstellung der englischen Handelspolitik im Zeit-
alter Heinrichs VIII. aus den Parlamentsverhandlungen, den
Statuten, aus der im Druck zugänglichen, besonders auch das
Ausland betreffenden Correspondenz und einigen «in Betracht
kommenden Abhandlungen der Zeit.u
Dem Publicum daif nicht vorenthalten werden, dass das
Thema und seine Fassung von dem um die englische Geschichte
so hochverdienten Professor R. Pauli herrührt.
Die philosophische Facultät erkannte am 11. März 1879
meiner Arbeit den ersten Preis zu. (Nachrichten von der Königl.
Gesellschaft der Wissenschaften und der G. A. Universität zu
Göttingen 1879 Nr. 5). In Folge meiner Habilitation in Mar-
burg und Berufung nach Erlangen musste leider die Heraus-
gabe der beiden Bände bis jetzt verschoben werden.
Die Arbeit hat im Wesentlichen diejenige Gestalt beibe-
halten, in der sie der hohen philosophischen Facultät in Göt-
tingen vorgelegen ist. Wie schon der Titel andeutet, geht sie
— VI -
über den Rahmen der Preisaufgabe hinaus. Die Notwendig-
keit einer Erweiterung stellte sich im Laufe der Forschung
gebieterisch ein. Es musste, wenn volle Klarheit gewonnen
werden sollte, im I. Abschnitt bei der Darlegung der handels-
politischen Beziehungen Englands zum Ausland noch die Re-
gierungszeit Heinrichs VII. vollständig in den Kreis der Unter-
suchung gezogen und die vor den Tudors liegende Periode
wenigstens skizzenhaft behandelt werden. Dagegen schien es
räthlich, in den die Organisation des englischen Handels und
vorwiegend die innern Verkehrsverhältnisse betreffenden Par-
tien des H. Abschnittes alle Zeitepochen bis Mitte des 16. Jahr-
hunderts möglichst gleichmässig zu berücksichtigen. In dieser
Weise Hess sich der ganze Entwicklungsgang erkennen und
ermessen, welchen Antheil die beiden ersten Tudors an dem-
selben hatten. Handelspolitik wurde in weitem Sinne aufge-
fasst und deshalb allen Institutionen und Vorgängen Rechnung
getragen, welche auf die Ausbildung des englischen Verkehrs
von bedeutenderem Einfluss waren.
Stets war ich bestrebt, auf die Quellen zurückzugehen; mit
den Nachweisen glaubte ich nicht kargen zu sollen. Der
wissenschaftliche Werth des Werkes dürfte dadurch wesentlich
erhöht worden sein. Soweit Zeit und Kräfte es gestatteten,
benutzte ich auch ungedruckte Urkunden. Ausgedehnte archi-
valische Studien in England, den Niederlanden und Deutsch-
land liegen der Arbeit zu Grunde. Ein Theil des Materials
wird dem Leser im 2. Band vorgeführt.
So hoffe ich, dass das vorliegende Werk ein nicht ganz
unwerther Beitrag zur Geschichte der Handelspolitik und
wirthschaftlichen Entwicklung Englands überhaupt sein dürfte.
— vn -
Zwar ist bei der dominirenden Stellung, zu welcher der eng-
lische Handel nnd die englische Industrie in der Neuzeit sich
emporgeschwungen haben, das Interesse mehr auf die modernen
Verhältnisse gerichtet; um aber die gegenwärtige Entfaltung
zu verstehen, müssen ihre Wurzeln durch Betrachtung ent-
legener Zeiten aufgedeckt werden. Sollte es mir gelungen
sein, eine solche Grundlage, auf der weiter gebaut werden
kann, zu schaffen, so wäre der Zweck, der mir vorschwebte,
erreicht.
Es erübrigt mir noch, meinen Dank allen denen auszu-
sprechen, die mich bei meinen Untersuchungen unterstützten,
vor Allem Lord Calthorpe. der mir in liebenswürdigster und
gastfreundlichster Weise die Benutzung seines werthvollen
Privatarchivs gestattete, sodann dem Herrn Oberbürgermeister
Dr. Becker in Köln und dem Vorsitzenden Bürgermeister Dr.
Curtius in Lübeck, welche mir zahlreiche auf die Verhandlungen
der Hansen mit den Engländern bezügliche Documente über-
liessen, um sie in dem Herrn Dr. Könnecke unterstellten Mar-
burger Staatsarchive zu vergleichen, ferner dem hansischen Ge-
schichtsverein, von dem mir in zuvorkommenster Weise die
Einsichtnahme einiger von Herrn Professor D. Schäfer in Jena
herauszugebenden Urkunden erlaubt wurde. Soweit ich mich
in der Darstellung auf diese beziehen konnte, citirte ich das
betreffende Document mit Angabe des Archivs, aus dem dasselbe
stammte, und dem Zusatz „Hanserec. ed. Schäfer".
Wie den Genannten bin ich zu Dank verpflichtet den
belgischen Archivaren Gachard und Piot in Brüssel, G6nard
in Antwerpen, Gilliodts van Sevem in Brügge, M. Dhoop und
Bussher in Gent; dieselben erleichterten mir meine Recherchen
- VIII -
in jeder Weise. Einige werthvolle Mittheilungen, die ich im
2. Bande benutzte, liess mir der rühmlichst bekannte Forscher
englischer Preisgeschichte Thorold Rogers in Oxford zukommen,
und für den Druck einer portugiesischen Urkunde konnte ich
mir den Rath des Privatdocenten Dr. C. v. Reinhardstoettner
erholen. Beiden Herren sage ich hiemit meinen Dank.
Erlangen, den 4. Dezember 1880.
Georg Schanz.
Inhaltsübersicht.
I. Abschnitt.
S. 1-324.
Erstes Capitel. Die Handelsbeziehungen zwischen
England und den Niederlanden . . . . s. 3— liö.
Gründe für die frühzeitige Anbahnung eines Verkehrs 3. —
Rechtliche Ordnung desselben 5. — Uebersiedlung der Merchant
adventurers von Brügge nach Antwerpen 7. — Die Privilegien der
Engländer in Brabant und Hotland 8. — Der Warenverkehr
zwischen England und den Niederlanden gegen Ende des 15. Jahr-
hunderte 11.
Heinrich TU. (1485 — 1509) S. 14-37.
Heinrichs VH. Ziele. Günstige Gestaltung der burgundischen
Politik 14. — Erste Versuche, die Handelsverhaltnisse zu regeln
15. — Zweijähriger Bruch 17. «— Magnus Intercursus 18. — Ver-
gleich desselben mit früheren Handelsverträgen 21. — Die Tag-
fahrten von 1497, 1498, 1499 und ihr Resultat 22. — Erfolg der
Merchant adventurers in Antwerpen 25. — Brügges Lage und sein '
Verhältni88 zu den englischen Kaufleuten 26. — Neuer Bruch
zwischen England und den Niederlanden 1505. 28. — Friedliche
Wendung 29. — Der Handelsvertrag von 1506. 30. — Seine Be-
deutung für die englische und niederländische Tuchindustrie 31. —
Zustand der letzteren 32. — Unwille der Niederländer 33. — Auf-
schub der Vertragsratification. Philipps Tod 34. — Folgen daraus
für den Handel 35. — Neue provisorische Bestimmungen 36. —
Heinrichs VU. letzte Pläne 37.
Heinrich VIII. (1509— 47) S. 37— 110.
1. Periode (1509— 20) S. 37 — 58.
Situation beim Regierungsantritt Heinrichs VIEL 37. — Ver-
haltnifls Englands und der Niederlande zu Frankreich 38. — Be-
drückung der englischen Kaufleute in den Niederlanden 39. —
Ziel der Handelspolitik Heinrichs VIII. hinsichtlich der Nieder-
lande 39. — Resultatlosigkeit der Unterhandlungen von 1512 und
bedrohliche Lage 40. — Neuer Congress 1515. 41. — Debatten
über den Vertrag von 1506. 42. — Pläne in Betreff Brügges 44. —
— X -
Kein Fortschritt auf der Tagfahrt 46. — Endliche Wendung zu
Gunsten Englands. Giltigkeit des Vertrags von 1506 für 5 «fahre
48. — Conferenz zur Erledigung noch schwebender Einzelbeschwer-
den 49. — Erweiterung der Privilegien von Seite Antwerpens und
Bergens op Zoom 51. — Aufschwung des englischen Handels 58.
2. Periode (1520 — 80) S. 58— 76.
Neuer Congress vor Ablauf des Vertragsquinquenniums. Gunstige
politische Situation für England 54. — Umgestaltung des HandeLs-
tractats im englischen Sinn 55. — Die englischen Handelsinteressen
vor und bei Ausbruch des Krieges gegen Frankreich 56. — Störung
der Geldverbältnisse t>8. — Entfremdung zwischen England und
den Niederlanden nach der Schlacht von Paria 60. — Ablauf des
Quinquenniums des Handelsvertrags. Unterredung Heinrichs Vm.
mit dem niederländischen Gesandten über die commerciellen Fra-
gen 62. — Rücksichtnahme der niederländischen Regierung auf die
englischen Handelsinteressen 64. — Französisch - englische Allianz
gegen Carl V. 65. — Verlegung des Marktes nach Calais. Privi-
legien der Engländer in Frankreich 66. — Repressalien der nieder-
ländischen Städte 67. — Aufleben der niederländischen Tuch-
industrie 68. — Allseitige Abneigung gegen den Markt' in Calais
69. — Unwille des englischen Volks Ober den Abbruch des Ver-
kehrs mit den Niederlanden 70. — Krisis in England 71. — Wol-
seys Zurückweichen vor der Volksstimme 72. — Waffenstillstand
78. — Resultat der darauffolgenden Messen 74. — Der Intercursus
auf dem Congress zu Cambrai 75. "i
8. Periode (1580-40) S. 76-86.
Blick auf die vorangegangene Epoche und den Zustand des
Handels 76. — Uebernahme der Staatsleitung durch Th. Cromwell
77. — Wachsende Opposition der niederländischen Schutzzöllner.
Vertragsverletzungen 77. — Ziel der kaiserlichen Regierung. J Vor-
bereitungen zu einer neuen Tagfahrt 78. — Verlauf derselben 79. —
Abbruch der Verhandlungen 81. — Zeitgenössische Denkschriften
über den englisch-niederländischen Verkehr 82. — Besorgnisse und
Entgegenkommen der niederländischen Regierung 84. — Privilegien
der Merchant adventurers in Antwerpen 85. Neue Störungen und
Gefahren 86.
4. Periode (1540— 47) S. 86— 106.
Gleichstellung der Fremden mit den Einheimischen im Zoll und
die Schiffahrteacte in England 86. — Entrüstung und Repressalien
der Niederländer 87. — Notenwechsel 88. — Verschärfung des
Zwistes 89. — Congress 90. — Abermalige Bestreitung des Ver-
trags von 1506 durch die Niederländer 91. — Ultimatum der eng-
lischen Gesandten 92. — Verlegung der Verhandlungen an den
spanischen Hof. Heinrichs VIII. Rückzug und seine Bedeutung
98. — Neuer Ausfuhrzoll in den Niederlanden. Stellung der eng-
lischen Regierung und Merchant adventurers dazu 95. — Verhand-
lungen darüber 96. — Vergebliche Bemühungen des englischen Ge-
sandten Garne 97. — Verschiedene Auffassung beider Regierungen
über den Handel im Krieg 98. — Beschlagnahmungen 99. — Gegen-
seitige Aufhebung derselben. Congress zu Gravelingen, bzw. Ca-
lais 100. — Beschwerden und Absichten der Niederländer 101. —
Repliken und Gegenklagen der Engländer 102. — Vertagung des
Congresses. Nochmaliger Versuch der Niederländer, die privilegirte
Stellung der englischen Kauf leute zu Fall zu bringen 108. - Neue
Klagen. Schwankender Zustand beim Tode Heinrichs VIII. 105. —
Die Merchant adventurers und im Antwerpen Jahr 1548. Die
weitere Entwicklung der Handelsbeziehungen 106.
Rückblick S. 107—110.
- XI -
Zweites Capitel. England und die italienischen
Republiken mit besonderer Berücksichtigung Ve-
nedigs S. 111—171.
I. Ursprang der italienischen Handelsbeziehungen zu England
111. — Bedeutung der Italiener für die englischen Könige und den
* englischen Handel 112. — Suprematie der Florentiner Verlust
derselben unter Eduard III. 118. — Genua im Vortheil gegenüber
Florenz 113. — Genuas commercielle Wichtigkeit für England
nach dem Libell of Englishe Policye 115. — Eifersucht zwischen
Engländern und Genuesen. Genuas politische Allianzen mit Eng-
land 115. — - Hervortreten Venedigs im italienisch-englischen Ver-
kehr 117. — II. Alter des directen Handels zwischen Venedig und
England 117. — Förderung der venetianischen Fahrten nach Eng-
land durch Eduard HI. 119. — Begünstigungen Richards II. und
Heinrichs IV. 120. — Reaction gegen die Venetianer im englischen
Volk 122. — Feindschaft des Hauses York 123. — III. Organisation
der venetianischen Fahrten nach England 124. — Waarenverkehr
127. — Tatzen des venetianischen Handels für England im 15. Jahr-
hundert 129.
Heinrich VII. (1485-1509). ..... S. 130— 142.
Haltung des Königs gegenüber den Venetianern 130. — Aus-
bruch eines handelspolitischen Streites 131. — Vorgehen der Ve-
netianer gegen die englische Schiffahrt im Mittelmeer 132. —
Wachsthum des englischen Activhandels nach den Mittelmeer-
gebieten. Das Consulat zu Pisa 133. — Heinrichs VII. Plan, Pisa
zum südlichen Stapelplatz der englischen Wolle zu machen. Treff-
lichkeit des Ortes für diesen Zweck 134. — Der Schrecken der
Venetianer über dieses Project und ihre Schritte 135. — Hein-
richs VH. Handelsvertrag mit Florenz 136. — Neue Massregeln
der Venetianer 138. — Vereitelung der Pläne des Königs 139. —
Englische Repressalie durch Parlamentsacte 7 Hen. VII. c. 7 140. —
Concession Heinrichs VII. 141. — Verpflichtung der Venetianer,
des niederländisch - englischen Zwischenhandels sich zu enthalten.
Ziele Heinrichs VII. 142.
Heinrieh VIII. (1509—47) S. 142—171.
1. Periode (1509—30) S. 142-157.
' Politische Lage Venedigs 143. — Unterbrechung der Galeeren-
fahrten Folgen für Venedig und England 144. — Anstrengungen
Venedigs behufs Wiederaufnahme der Handelsexpeditionen 146. —
Seb. Giustinians vergebliches Bemühen, die Weinzollfrage mitWolsey
zu regeln 148. — Erneuerung des Grundbriefs und der Licenzen
149. — Ankunft und Auszeichnung der Galeeren durch den König.
Stimmung im Volk 150. — Wolseys Klage über das Missverhält-
niss der venetianischen Ein- und Ausfuhr 152. — Geschenke der
Venetianer an Wolsey. Enttäuschte Hoffnungen 153. — Guter Ver-
lauf der zweiten und traurige Schicksale der dritten Galeerenfahrt
154. — Neue Unterbrechung 157.
2. Periode (1530—47) S. 157— 168.
Erwartungen in Folge von Wolseys Fall 158. — Venedigs
Sinken und Folgen für seinen nordischen Handel 158. — Crom-
wells Sorge für das englische Consulatswesen im Mittelmeer 159. —
Absendung einer neuen Galeere. Unwille der Londoner Weber
160. — Hindernisse in Betreff des Wollexports und des venetiani-
schen Handels überhaupt 161. — Vorstellung der Signorie 162. —
- XII -
Hartnäckigkeit der englischen Regierung. Gründe 168. — Unter-
handlungen mit Mafio Bernardo wegen eines ihm zu verleihenden
Wollexportmonopols. Vereitlung des Plans 164. — Entgegen-
kommendere Haltung der englischen Regierung 165. — Einstellung
der Galeerenfahrten und Verfall des venetianischen Handels nach
England 166.
Rückblick S. 168—171.
Drittes Capitel. England und die Hansen, s. 172—24»;.
Vergleich der englisch-venetianischen Handelsbeziehungen mit
den englisch-hansischen 172. — Die ersten deutschen Verbindungen
mit England 173. — Köln und Lübeck; West- und Ostsee 173. —
Aufgehen der Sonderhansen in der Hansa Alemanniens 174. —
Die den Hansen günstige Politik der Plantagenets und die hansi-
schen Privilegien 174. — Feindliche Momente. Gespannter Zustand
im 15. Jahrhundert 176. — Wendung unter Eduard IV. Utrechter
Vertrag und seine Bedeutung 177. — Beginnende Schwäche des
hansischen Bundes 179. — Folgen für die englische Politik 182. —
Heinrich VII. (1485-1509) S. 182— 201.
Des Königs feindselige Gesinnung. Klagen der Hansen 18$. —
Benehmen der englischen Stadtbehörden 186. — Heinrichs VII.
Wunsch nach einem Congress. Seine Annäherung an die Dänen.
Verfolgung der Hansen 187. — Die Tagfahrt zu Antwerpen 1491.
Situation 188. — Resultat der Tagfahrt 189. — Mehrmalige Ver-
längerung des Provisoriums 189. — Die Verhandlungen! in Ant-
werpen 1497. 191. — Neue Tagfahrt im Jahre 1498 und ihr Ver-
lauf 193. — Erhaltung des Status quo 197. — Scheinbares Ent-
gegenkommen Heinrichs VH. im Jahre 1504. 198. — Unbefriedigender
Zustand für die Hansen 200.
Heinrich VIII. (1509-47) S. 201-227.
Gunst des Königs und Oberhauses; feindselige Stimmung der
Gemeinen 201. — Erbitterung im Volk. Grössere Strenge der
englischen Regierung 202. — Conferenz zu Brügge 1515. htolzes
Auftreten der Engländer. Gang der Verhandlungen 204. — Be-
urtheilung der Lage durch die Hansen. Spinellys Aeusserung
über dieselben 211. — Neuer Congress 1521 und sein Verlauf 212. —
Befürchtungen des Londoner Contors 218. — Neue Schwierigkeiten
219. — Umschwung. Notwendigkeit eines politischen Zusammen-
gehens der Engländer mit den Hansen. Die dänische Frage 220. —
Verhandlungen Heinrichs VIU. mit Lübeck und Hamburg 221. —
Ausgang des dänisch - lübeckschen Streites 222. — Folgerungen
daraus für England 223. — Bedrohliche Lage der Hansen 224. —
Gründe, weshalb Heinrich V1H. die Hansen nicht preisgab 225. —
Verlust der Privilegien unter Eduard VL und Elisabeth 227.
England und Dan zig . . . , S. 228—244.
I. Danzigs besondere Stellung 228. — Dasselbe als Ziel eng-
lischer Niederlassung 229. — Sein Waarenverkehr 230. — Der be-
deutende Handel der Engländer nach Danzig im 14. Jahrhundert
231. — Die Beschränkung der englischen Kaufleute 232. — Der
Utrechter Friede 233. —II. Heinrichs VII. Eingreifen. Spannung
zwischen Hüll und Danzig 233. — Die Danziger Frage auf dem
Congress zu Antwerpen von 1491. 234. - Resultat für die Eng-
länder 237. — Heinrichs Ml. Sonder vertrag mit Riga 238. -
Folgen für Danzig 239. - Die Tagfahrt zu Brügge 1499. Hart-
- xni -
näckigkeit Danzigs 240. — III. 'Wendung in Riga 241. — Un-
zufriedenheit der Engländer mit Danzig während der Regierungs-
zeit Heinrichs VIII. Schritte der englischen Regierung 242. —
Rückblick S. 244-246.
Viertes Capitel. England und die skandinavischen
Reiche ; s. 247—267.
Bedeutung der skandinavischen Reiche für England. Früher
Handel der Engländer dahin 247. — Wettbewerb der Deutschen
248. — Uebergewicht der Hansen 249. — Zähigkeit der Engländer
250. — Die Erhebung Bergens zum einzigen Stapelplatz 251. —
Der Handel der Engländer nach Island und seine Geschichte 252. —
Dänemarks Wunsch nach einer Allianz mit Heinrich VII. 256. —
Handelsvertrag von 1490. 257. — Beschwerden der Dänen über
die Engländer in Island 259. — Heinrichs VIII. entgegenkom-
mende Haltung. Vorschläge Christians II. in Bezug auf die beider-
seitigen Handelsverhältnisse 261. — Unterhandlungen 262. — Ne-
gatives Resultat Ordnung in Island. Neuer Versuch, Heinrich VIII.
auf dänische Seite zu ziehen 263. — Plan einer Verpfandung Is-
lands. Begünstigung Christians II. durch Heinrich VIII 264. —
Anerkennung Friedrichs I. Freundliche Behandlung der Engländer.
Neue Störungen in Island und im Sund 265. — Fortdauernde Be-
vorzugung der englischen Kaufleute. Freundschaft beider Reiche
unter Eduard VI. 266. — Blick auf die Handelsbeziehungen zwischen
England und Schweden 267.
Fünftes Capitel. England und Spanien, s. 268— 282.
Die Anfange eines regelmässigen Verkehrs zwischen Spanien
und)England 268. — Besondere Bedeutung der Politik Eduards IV.
für die englischen Handelsbeziehungen zu Spanien 269. — Art der
Waaren. Grösse des Umsatzes 270. — Heinrichs VII. Freund-
schaft mit Ferdinand. Neue Regelung der Handelsverhältnisse.
Ueberlistung der Spanier 272. — Vergebliche Gegenvorstellung
273. — Heinrichs VII. sophistische Begründung der höheren Zölle
274. — Endliche Beseitigung der den spanischen Kaufleuten schäd-
lichen Vertragsclausel. Folgen für den spanischen Handel 274. —
Die englische und spanische Schiffahrtsacte 275. — Gewährung
gegenseitiger Exemption 276. — Widerstand des castilischen Raths.
Spanische Beurtheilung des Verkehrs mit England 276. — Ver-
hältnisse in der ersten Zeit der Regierung Heinrichs VIII. 277. —
Festere Begründung des englischen Handels nach Spanien. Die
Freiheiten der englischen Kauf leute in San Lucar de Barrameda
278." — Schwierigkeiten im übrigen Spanien. Anerkennung des
englischen CotJaulats durch Carl V. 280. — Die Beziehungen in
der letzten Regierungszeit Heinrichs VIII. 281. — Rückblick 281.
Sechstes Capitel. England und Portugal, s. 283—290.
Armuth Portugals im Mittelalter. Seine Waaren. Beginn des
Verkehrs mit England 283. — Handelsbeziehungen und Verträge
im 14. Jahrhundert 284. — Bedeutende Privilegien der Engländer
in Portugal während des 15. Jahrhunderts 286. — Wendung der
handelspolitischen Stellung Portugals 287. — Folgen für die Eng-
- XIV —
linder. Fortdauernde Freundschaft mit England 288. — Wünsche
Englands in Betreff des portugiesisch -indischen Handels 289. —
Abschliessendes Urtheil 289.
Siebentes Capitel. England und Frankreich.
S. 291-309.
Der Verkehr Englands mit dem nordöstlichen Frankreich
291. — Gegensätzliche Verhältnisse in der Bretagne 293. — Bre-
tonische Producte nnd Manufacte 294. — Blühender Verkehr in
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 295. — Die Bretagne ver-
liert 1491 ihre Selbständigkeit. Einfluss dieser Thatsache 296. —
Politische und commercielle Gründe für die ersten Handels-
beziehungen zwischen England und Südfrankreich 297. — Privi-
legien der südfranzösischen Kaufleute in England 298. — Verkehrs-
artikel 299. — Vereinigung von Gascogne nnd Guienne mit dem
französischen Reiche. Folgen daraus für die commerdellen Be-
ziehungen zu England 800. — Besserung der Lage unter Eduard IV.
301. — Handelspolitische Erfolge Heinrichs VII. 301. — Erhaltung
des Status quo unter Heinrich V HL 304. — Der Verkehr Englands
mit dem innern Frankreich 304. — Uebereinkommen beider Staaten
in Betreff der Fischerei 305. — Verhandlungen und Verträge zur
Sicherheit des Seeverkehrs unter! Heinrich VII. nnd VHI. 305. —
Rückblick 308.
Achtes Capitel. Englands Handelsbeziehungen zu
Irland und Schottland s. 310—313.
Momente, welche die cbmmerciellen Beziehungen beeinflussten
310. — Zustand Irlands beim Ausgang des Mittelalters 310. —
Eingreifen der Tudors 311. — Zustand des irisch-englischen Han-
dels. Warenverkehr von und nach Irland 311. — Sonstige han-
delspolitische Fragen 311. — Vergleich Schottlands mit Irland
312. — Geringer Verkehr zwischen Schottland und England 313.
Neuntes Capitel. Die Stellung der beiden ersten
Tudors zu den Entdeckungen . . . . s. 318—323.
Zusammenhang der Entdeckungen mit den handelspolitischen
Fragen 314. — Columbus und seine Beziehungen zu England 314.—
Niederlassung der Familie Cabot in Bristol. Entdeckungsversuche
John Cabots 315. — Patent Heinrichs VII. von 1496. Die Cabots
betreten das amerikanische Festland 316. — - Ein neues Patent und
Heinrichs VII. Unterstützung. Des Königs Enttäuschung. Seb. Ca-
bots Abreise nach Spanien. Eifer der Bristoler 317. — Auf-
forderung an Heinrich VHL, den Entdeckungen seine Aufmerksam-
keit zuzuwenden 319. — Wolseys vergeblicher Versuch, Seb. Cabot
wieder zu gewinnen 319. — Denkschrift Robert Thornes 320. —
Englische Expedition von 1528 und ihr Misslingen 321. — Der
englische Handel nach Guinea und Brasilien 321. — Höre und
die englische Colonie auf Cap Breton und Newfoundland 322. —
Schlussurtheil 322.
- XV -
IL Abschnitt.
S. 825—670.
Erstes Capltel. Die Stapelkauf leute und Herchant o
adventurers s. 327—351.
Energie des englischen Handelsstandes. Ausdehnung des eng-
lischen Activhandels 327. — Berühmte englische Kaufleute 328. —
Anfange der Stapeleinrichtung 329. — Zwecke des Stapels 330. —
Unfähigkeit des Stapels, dem englischen Handel neue Wege zu
öffnen. Sein indirecter Einfluss 331. — Die Merchant adventurers
und ihre Aufgabe 332. — Quellen ihrer Geschichte 333. — An-
gaben über die Zeit ihrer Entstehung 336. — Zusammenhang der
Merchant adventurers mit der Stapelgesellschaft 337. — Die Charte
von 1407. 339. — Anfanglich loser Zusammenhang der Merchant
adventurers 339. — Hervortreten derselben unter Heinrich VH.
340. — Majorisirungsversuche der Londoner 341. — Vereitelung
der Schliessung der Compagnie 342. — Stärkung ihrer Executiv-
gewalt 343. — Streit der M. a. mit den Staplern. Seine Ursache
§44. — Sein Verlauf zur Zeit Heinrichs VI. 345. — Der Process
unter Heinrich VII. 345. — Wiederausbruch des Streites. Stellung-
nahme Heinrichs VIU. 346. — Die häufigen Gesetzentwürfe in Be-
treff der M. a. 347. — Beurtheilung der Politik der beiden ersten
Tudors gegenüber den M. a. 348. — Die wachsende Macht des
Eaunnannsstandes 349.
Zweites Capltel. Die Schiffahrtspolitik, s. 352-378.
Wichtigkeit einer eigenen Flotte für den englischen Handel
352. — Stellung des Staates zur Flotte 853. — Die Ansprüche
der englischen Herrscher in Bezug auf die umliegenden Meere
354. — Einzelne Beispiele einer Fürsorge der englischen Könige
für die Flotte 355. — Rückgang der englischen Marine. Gründe
355. — Passive Haltung Eduards III. und anfangs auch Richards H.
357. — Schiffahrtsschutz in andern Ländern 358. — Die gesetz-
geberischen Versuche und Vorschläge unter Richard II. und Hein-
rich IV. 359. — Heinrichs V. Eifer für eine Staatsflotte 363. —
. Vefcftll der letzteren »ur Zeit Heinrichs Vi. 3Ü4. — Mahnung"* eines
Patrioten im Libell of Englishe Policye 365. — Ungenügender
Zustand vor den Tudors 367. — Heinrichs VII. Navigationsacte
von 1485, ihre Erneuerung und Erweiterung 1489 368. — Bau von
Kriegsschiffen 369. — Heinrichs VIIL Licenzen 370. — Vorstellung
der Commoners und Gesetz gegen die Licenzen 371. — - Die Ausführung
der Statuten 371. — Verstärkte Fürsorge für die Flotte seit 1531
371. — Bestätigung der früheren Gesetze. Geringer Erfolg 372. —
Die Acte von 1540 372. — Organisation der Seemannschaft unter
Heinrich VIU. 374. — Die Hebung der Staatsflotte 375. — Schluss-
betrachtung 377.
Drittes Capltel. Das englische Fremdenrecht.
S. 379-483.
I. Periode (750— 1272). — Recfitsanschauung des Mittelalters
in Betreff der Fremden 379. — Ermöglichung des Verkehrs der
Fremden 379. — Interessen der Grossen 381. — Johanns Erlass
von 1200 und die Magna Charta 381. — Verschiedene Interpreta-
tion derselben 382. — Städtische Auffassung. Beispiele 383. —
— XVI —
Zuspitzung der Frage unter Heinrich III. 3S6. — Begehrlichkeit
der Städter 387. — Kluges Verhalten einiger Fremden 388. —
II. Periode (1272—1377). — Eduards I. anfangliche Stellung zu
der Fremdenfrage 388. — Des Königs indirecte Förderung der
Fremden 389. — Streit zwischen den Gascognern und Londonern
390. — Die Freiheiten der Gascogner, ihre Erweiterung und Aus-
dehnung auf alle fremden Kaufleute in der Charta mercatoria
391. — Die Fremdenfrage unter Eduard IL 393. — Eduards III.
anfängliche Zugeständnisse an die Londoner 395. — Missbrauch
derselben durch die Städter. Zurückuahme der städtischen Rechte
896. — Sonstige Begünstigung der Fremden 397. — Gegenströmung.
Eduard III. gibt einen Theil der Freiheiten zurück 398. —
III. Periode (1377—1461). — Erfolg der Städter unter Richard II.
400. — Wechselvoller Kampf mit schliesslichem Sieg der Bürger
400. — Heinrichs IV. Wohlwollen gegenüber den Städtern 402. —
Klagen über London 403. — Compromissgesetz. Unzufriedenheit
der Londoner 404. — Wiederherstellung und Anerkennung des
Gästerechts 404. — Schwierigkeit der Durchführung des Fremden-
rechts 405. — Angriff auf das Zusammenwohnen der Fremden
405. — Die Zurückhaltung der Regierung. Wachsende Erbitterung
im Volk 407. — Stellung des Verfassers des Libell of Englishe
Policye zur Fremdenfrage 409. — Ein rigoroses Gesetz 409. üm-
fehung desselben. Fortwährende Anfeindungen der Fremden 411. —
iesteuerung derselben 412. — IV. Periode (1461—1547). —
Eduards IV. Fremdenpolitik 418. — Die in England lebenden
fremden Handwerker 414. — Das Fremdengesetz Richards III. 414.—
Die städtischen Rechte und der veränderte Verkehr 416. — Zer-
bröckelung der städtischen Freiheiten unter Heinrich VU. 417. —
Petition der Londoner Bürger an den Magistrat 418. — Die Ga-
leymen. London erkauft seine alten Rechte um hohen Preis 419. —
Formelle Bestätigung derselben durch Heinrich VI II. 420. — Fort-
schreitende Zersetzung der städtischen Rechte 420. — Erfolglosig-
keit einer bezüglichen Bill 421 — Bedrohliche Stimmung wegen
der fremden Gewerbsleute in England. Der Makler Lincoln und
der Prediger Dr. Beale 422. — Aufstände 424. — Darauf erfolgen-
des Gesetz. Klage der Londoner über seine Umgehung. Traurige
Lage der englischen Schuhmacher 425. — Enquete. Decret der
Sternkammer 426. — Die Erhebung dieses Erlasses zum Gesetz.
Abermalige Umgehung. Neues Statut 427. — Mangelhafte Aus-
führung 428. — Verhalten der Regierung Heinrichs VIII. gegen
die fremden Kauf leute 429. — Verhalten der Städter 430. — Rück-
bück 432.
Viertes Capitel. Der Industriesckutz . . s. 434— 480.
Streben nach Unabhängigkeit im Gewerbe 434. — Tuch-
industrie. Reichthum an Rohmaterial 434. — Stand der engli-
schen Tuchmacberei im frühen Mittelalter 435. — Günstige Mo-
mente für ihre Entwicklung 435. — Simon v. Montforts Verbot
der fremden Tücher 436. — Unmöglichkeit, die Schutzpolitik auf-
recht zu erhalten 436. — Kriegspolitische Ein- und Ausfuhrverbote
und ihr Einfluss 437. - Die Beförderung der englischen Tuch-
manufactur durch Eduard III. 438. - Massregeln unter Heinrich VI.
440. — Hohe Woll-, niedrige Tuchzölle 441. — Kampf der engli-
schen Tuchindustrie mit der niederländischen in der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts und sein Verlauf 441. — Ausdehnung der
englischen Tuchindustrie 445. — Ein Pamphlet in Betreff der Woll-
ausfuhr und englischen Tucbmanufactur 446. — Gesetze nach dieser
Richtung 447. — Ihre Fortbildung durch Heinrich VII. 449. —
— XVII -
Die Statuten Heinrichs VIII. in Betreff des Wollverkaufe 450. —
Der Schutz für die Norfolker Industrie. Seine Unwirksamkeit
451. — Strenge Durchführung des Gesetzes in Betreff der ver-
botenen Ausiuhr ungerauhter, ungeschorner und ungewalkter
Tücher 452. — Bekämpfung dieses Statuts durch die Merchant
adventurers und Hansen 452. — Abschwachung der Acte 458. —
Gesetz in Betreff des Verkaufe der breiten weissen Wolltücher an
Fremde 454. — Schutzgesetze für andere Industriezweige: Horn-
arbeiter und Schuhmacher 455; — Seidenarbeiter 456; — Leinen-
industrie 457; — Kurzwaarenindu8trie 457; — Kappen- und Hut-
macher, Zinngiesser, Buchbinder und Buchdrucker 459 ; — Kriegs-
materialien 460. — Charakter der Industrieschutzgesetzgebung 462. —
Umsichgreifen der Schutzidee gegen Ende des 15. Jahrhunderts
463. — - Gründe. Politische Momente 463. — Zunitsystem. De-
placirung der Industrie 464. — Agrarumwälzung 465. — Ruf nach
Arbeit 468. — Wirthschaftsprogramm Heinrichs VII. 469. — Stim-
men über den Werth und die Notwendigkeit der einheimischen
Arbeit unter Heinrich VIII. 470. — Die Motive zu dem Gesetz
behufs Einbürgerung der Leinenindustrie 475. — Die praktische
Gestaltung der gesteckten Ziele 476. — Keime des Mercantil-
systems 478.
Fünftes Capltel. Die Geld- und Mflnzpolltik.
S. 481—540.
Geringer Edelmetallvorrath im Mittelalter 481. — Angaben
über England 483. — Geld- und Gesammtvermögen Englands zur
Zeit Heinrichs V1IL 485. — Steigerungsfähigkeit der Geldcirculation
in England 487. — Ursachen, welche den englischen Geldbestand
fortwährend schwächten 488. — Die Geldbeschaffung durch den
einheimischen Minenbau 492. — Geldzufiuss durch den Handel.
Wechselstellen an der Grenze 494. — Zwang gegen die Woll-
exporteure, Silber zurückzubringen. Veranlassung dieser Bestim-
mung 495. — Vergebliche Klagen. Erweiterung des Systems.
Münzanstalt zu Calais( 496. . — Vorschlage der Stapelbehörde, um
den Geldzufiuss zu sichern 497. — Beibehaltung der bisherigen
Gesetze 498. — Nachahmung durch die schottische Begierung „
499. — Abnehmende Thätigkeit der Münzanstalt .in Calais. Gründe
499. —(Neugestaltung und Verschärfung des bisherigen Zufuhr-
system8t502. — Opposition der Stapler 502. — Letzte unbedeu-
tende Versuche 504. — Neue Methoden der Regulirung des Geld-
zuflusses unter Heinrich VIII. 505. — Beurtheilung der früheren
Massregeln 505. — Verbot der Geldausfuhr 506. — Concessionen
507. — Einfluss der Kriege Eduards III. auf den Geldexport 508. —
Gemeinschaftliche Goldmünze für die Niederlande und England
508. — Fortdauer des Geldexports 510. — Parlamentarische Unter-
suchung über die Geldnoth unter Richard II. 511. — Fortbildung
der Gesetze über die Geldausfuhr unter Richard II. und Hein-
rich IV. 512. — Vorschläge der Gemeinen, um den beim Ausbruch
des französischen Krieges unter Heinrich V. bevorstehenden Geld-
export zu vermindern 514. — Goldausfuhr zur Zeit Heinrichs VI.
Massregeln dagegen 515. — Neue Vorschläge des Parlaments zur
Erhaltung des Geldvorraths .516. — Die Gesetze Eduards IV. und
Heinrichs VII. 516. — Die Frage des Geldexports unter Hein-
rich Vül. 518. — Das Wechselbriefamt 519. -— Beschränkung der
Wachselfreiheit 522. — Wiederherstellung der letzteren 523. —
Beurtheilung der Geldausfahrpolitik 523. — Schwierigkeiten im
Mittelalter in Betreff eines guten Münzwesens 525. — Frühzeitige
Centralisation im englischen Münzwesen 526. — Einfluss des Par-
— XVIII —
laments 527. — Münzbeschneidung und Münzfälschung 527. —
Fehlen einer eigentlichen Scheidemünze 528. — Einfuhr fremden
schlechten Geldes. Massregeln in Betreff derselben 528. — Die
Münzverschlechterungen 530. — Heinrichs VII. Münzpolitik 531. —
Die Münzverhältnisse und Münzpolitik mit ihren Folgen unter
Heinrich VIII. 534.
v/ Sechstes Capitel. Die Credltpolitik . . s. 541—564.
Sicherstellung der Creditsumme. Schuldbücher 541. — Eva-
sionen der Schuldner. Asyle 544. — Gesetze Heinrichs VI IL
545. — Politik in Bezug auf die Creditvergütung 547. — Die
Juden und ihre Rolle in England 548. — Ihre Vertreibung 550. —
Die italienischen Gelddarleiher 551. — Die Gerichtsbarkeit in
Wucherfragen 552. — Vorgehen Londons gegen den Wucher.
Königliche Ordonnanz 553. — Gewünschte Ausdehnung derselben
auf das ganze Land 554. — Bestrafung derer, welche den König
bewuchert hatten. Folgen für den Credit des Königs 555. —
.Neue Bemühungen, dem Wucher zu begegnen 555. — Concessionen
der canonistischen Lehre 557. — Ausdehnung des Greditverkehrs
558. — Heinrichs VII. Wuchergesetze 559. — Neue Wucherpolitik
unter Heinrich VIII. 560. — Protest dagegen 561. — Ihr Sieg
unter Elisabeth 562. — Rückblick 563.
Siebentes Capitel. Fürsorge für die Verkehrswege.
S. 565—575.
Englische Gesetzgebung in Bezug auf Wegen- und Brückenbau
565. — Schwerfälligkeit der Organisation 566. — Einiger Fortschritt
unter Heinrich VIII. und seinen Nachfolgern auf dem Thron 566. —
Wichtigkeit der Wasserstrassen für den englischen Verkehr 568. —
Kampf gegen die Schiffahrtshindernisse in den Flüssen 568. —
Neue Art der Flussverunreinigung. Anregung dieser Frage durch
Strode. Folgen für ihn 571. — Statuten gegen die Zinnbergwerks-
besitzer unter Th. Cromwell 572. — Gesetze wegen Versandung
der Themse, Severn und Exe 573. — Heinrichs VIII. Fürsorge für
die Seehäfen 574.
Achtes Capitel. Mass und Gewicht. Güte der Waaren.
S. 576-619.
Schwierigkeiten bei der Ordnung des Mass- und Gewichts-
wesens 576. — Erste Versuche in England, dasselbe einheitlich zu
regeln 577. — Stellung der Magna Charta zur Frage 578. — Hein-
richs III. und Eduards I. Eifer 579. — Gesetzgebung bis Eduard IV.
579. — Zustand beim Regierungsantritt Heinrichs VII. Neuordnung
unter ihm 581. — Heinrich VlII. 583. - Gründe, weshalb die
mittelalterliche Gesetzgebung für die Qualität und Grösse der
Waaren sich interessirte 583. — Bedeutung der gewerblichen Orga-
nisation für die Frage. Vergleich deutscher, französischer, eng-
lischer Verhältnisse 584. — Localaufsicht und Reichsgesetzgebung
586. — Aelteste Verordnung in Bezug auf die Tücher. Ihr Miss-
erfolg 586. — Die Magna Charta. Langes Schweigen der Gesetz-
gebung 587. — Zusammenhang des fiscalischen Interesses mit der
Beaufsichtigung der Tücher 587. Eduards 111. gesetzgeberische
Versuche 5ö8. — Verschiedenheit der in Frage kommenden Inter-
essen 589. — Schwankender Charakter der Gesetzgebung unter
Richard IL 590. — Verwirrung. Die Broad Cloths. 592. — Er-
— XIX —
oente Energie unter Eduard IV. 592. — Die Controle über die
Worsteds 595. — 'Wachsen der Arheitstheilung in der Tuch-
Industrie und damit der betrügerischen Manipulationen 596. —
Gesetz Richards III. 597. — Edm. Dudleys Auslassung über die Auf-
rechthaltung der Waarengüte. Neues Statut unter Heinrich VIII.
598. — Eingreifen der Gesetzgebung in Betreif der Worsteds, frem-
der Barchente, neuer Farbmaterialien, fremden Leinens 599. — Ein-
flöße der Agrarum wälzung 601. — Neues Gesetz in Betreff der
Tücher 602. — Opposition gegen dasselbe 603. — Modifidrung
desselben 604. — Schwierigkeiten und Aufgabe hinsichtlich der
Tuchgüte in Folge der Deplacirung der Tuchindustrie 604. —
Kampf zwischen Stadt und Land 606. — Erhaltung der Waaren-
güte als Vorwand zur Einschränkung unbequemer Concurrenz
607. — Beispiele 608. — Controle zu Gunsten der Consumenten
612. — Ueberwachung der Gold- und Silberwaaren 618. — Be-
sinne' 616.
Neuntes Capitel. Die Preispolitik . . s. 620—670.
Veranlassung zur Preisregelung. Verschiedene Beurtheilung
des Binnen- und Aussenhandels 620. — Vor- und Aufkauf 621. —
Eingreifen in die Preisgestaltung bei den Lebensmitteln. Allgemeine Or-
ganisation der Lebensmittelpolizei 622. — Der Fischhande 1624. —
Der Fleischverkauf und die Fleischtaxe 630. — Regelung des Brod-
preises 637. — Getreidehandelspolitik 638. — Die Preispolitik in
Betreff der Weine 642. — Preispolitik bei den Gewerbsproducten
und sonstigen Artikeln, die in England eingeführt oder im Lande
verfertigt wurden 651. — Preispolitik bei den Stapelartikeln und
den Tüchern 656. — Die Lohntaxen 659. — Resume' 667.
Schlussbetraehtung S. 671—676.
Anhang s. 677—684.
1. Excurs über die angebliche Fahrt Seb. Cabots im Jahre
1517. 677. — 2. Nachträge zum neunten Capitel des zweiten Ab-
schnittes 680.
I. ABSCHNITT.
Beb ans, Engl. Handelspolitik. I.
Erstes Capitel.
Die Handelsbeziehungen zwischen England und
den Niederlanden.
Seit frühester Zeit bestanden zwischen den Niederlanden
und England die regsten Beziehungen. Die beiden Gebiete
waren durch ihre Lage einander sehr nahe gerückt, indem
nur ein schmaler Meeresann sie trennte. Die beiden Völker
bargen zudem stammverwandte Elemente in sich, und ihre
ältesten socialen Einrichtungen und Gewohnheiten deckten
sich vielfach; namentlich kam bei beiden das Gildewesen zur
Entfaltung. Fortgesetzte Wanderungen hielten das Gefühl
der Zusammengehörigkeit aufrecht. Kein Jahrhundert ver-
ging, ohne dass grössere Massen von Flamändern in Folge
von Ueberschwemmungen und politischen Unruhen, oder ge-
trieben von der Sucht nach grösserem Gewinn den heimat-
lichen Boden verliessen und der britischen Insel sich zu-
wandten. Hatten einst angelsächsische Missionäre den Nieder-
ländern die erste Kunde vom Christenthum gebracht und bei
ihnen den Sinn für Wissenschaft gepflegt, so wurden später
vlämische Colonisten die Lehrer der Engländer im Ackerbau
und besonders im Gewerbe.
Sehr viel rascher als England hatten sich die Niederlande
seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts entwickelt; besonders
auf industriellem Gebiet waren sie ersterem weit voraus.
England "erhob sich nur langsam aus der Barbarei und be-
wegte sich lange im Geleise des ungefügigen ackerbautreiben-
den Lehnsstaates. Die Industrie war schwach ausgebildet,
der Handel vorwiegend in Händen fremder Kaufleute. Die
Niederlande, namentlich Flandern, waren dagegen schon im
13. Jahrhundert reich an blühenden Städten, dicht bevölkert,
voll der besten Gewerbs- und Luxuszweige und im Besitz
— 4 —
eines imposanten Weltmarktes1). Nur die Mittelmeergebiete,
vornehmlich Italien, konnten sich mit ihnen messen.
Diese Verschiedenheit der Entwicklung war für die Handels-
beziehungen der beiden Nachbarländer ausschlaggebend. Sie
bedurften einander. Die flandrische Industrie war auf den
Reichthum Englands an Rohproducten hingewiesen, vor Allem
die ausgedehnte Tuchmanufactur konnte die gute englische
Wolle nicht entbehren. Die Engländer dagegen waren im
Stand, das bei ihnen erwachende Luxusbedürfniss auf dem
niederländischen Markt zu befriedigen.
Die beiderseitige Abhängigkeit war jedoch keine ganz
gleiche. Die -Engländer konnten allezeit, zwar nicht ohne
empfindliche Störung, aber doch ohne ernstliche Gefährdung
der Existenz auf ihrem Eiland sich genügen lassen, die Massen
der flandrischen Weber und sonstigen Industriellen dagegen
starben Hungere, wenn sie nicht die englischen Rohproductö
zur Verarbeitung erhielten. Treffend sagt deshalb ein eng-
lischer Politiker des 15. Jahrhundeiis:
Was hat der Flemming denn (wie er auch flache!)
Als etwas wen'ges Krapp und Qäm'sche Tuche?
Durch unsere Wolle nur, die sie verweben,
Können die Städte dort bestehen und leben.
Sie müs8ten sonst von ihrem Wohlstand scheiden
Verhungern — oder Händel mit uns meiden8).
Die Flamänder waren sich dieser Situation auch wohl be-
wusst. Im Jahre 1338 sprachen sie es z. B. offen dem fran-
zösischen König gegenüber aus8).
Selbstverständlich wirkte diese Lage auch auf die all-
gemeine Staatspolitik zurück. Hier kam aber ein Factor hin-
zu, der wiederum England auf die Niederlande hinwies. Die
englischen Könige des Mittelalters konnten der politischen
Freundschaft mit ihnen nicht entrathen, soweit es sich um die
Wahrung englischer Interessen und Ansprüche gegenüber
Frankreich handelte. Um ihre Besitzungen daselbst zu er-
*) Vgl. Frensdorff, Aus belgischen Städten und Stadtrechten in
den Hansischen Geschichtsblättern 1878. S. 39 fg.; Warnkoenig, Flan-
drische Staats- und Rechtsgeschichte I. S. 317 fg.; Kervyn de Letten-
hove, Histoire de Flandre 1847, 1855; Beaucourt, Brugsche Koop-
handel; Henne, Histoire du regne de Charles - Quint en Belgique 1859.
Bd. 5. S. 259 fg. E. van Bruyssel, Histoire du commerce et de la
marine en Belgique 1861. I.
*) The Libell of Englishe Po Heye 1436, herausgegeben und
übersetzt von W. Hertzberg. Leipzig 1878. Vers 120—5.
8) Vray est que des Francois nous viennent bleds, mais il convient
avoir de guoi acheter et paier; et muy de bled, a denier dolent celui qui
ne Pa. Mais d'Engleterre nous viennent laines et grands prouffitz pour
avoir les vivres et tenir grands 6taz, et du pais de Haynau nous venroit
assez bleds nous a eux d'aecord. Varenbergh, Histoire des relations
diplomatiques entre le comte de Flandre et l'Angleterre au moyen äge.
Bruxelles 1874. S. 11.
— 5 —
halten oder um gleich als Könige Frankreichs aufzutreten,
war die Stellung Flanderns und Brabants immer von grosser
Bedeutung. Namentlich kam die des ersteren in Betracht.
Die Grafschaft Flandern war theilweise durch feudale Bande
an Frankreich geknüpft, und es musste das Hauptziel der
englischen Politik sein, gerade sie von Frankreich zu trennen,
um ein passendes Operationsfeld gegen den Feind zu ge-
winnen !).
So begegneten sich die Interessen der vlämischen Städte
mit den englischen Wünschen. Die Könige von England
kargten nicht, wenn es galt, durch Privilegien die Freund-
schaft der Flandrer zu erwerben. Heinrich III., Eduard I.
und Eduard ni. gaben mit vollen Händen *), und diese reichen
Begünstigungen namentlich von Seite des Letzteren, der zudem
eine Niederländerin, die edle Philippa von Hennegau, zur
Gattin hatte, waren geeignet, die Freundschaft zwischen den
flandrischen Städten und dem Inselreich fester zu begründen. Die
Flamänder waren nicht weniger liberal, um die englischen Kauf-
leute herbeizuziehen3) und traten gerne auf Seite Englands,
wenn sie zwischen dem Rufe des Lehnsherrn und den locken-
den Verheissungen seines Gegners zu wählen hatten. Am
besten entsprach ihren Interessen eine neutrale Stellung, weil
sie dann keine Opfer zu bringen brauchten und den Handel
nach Frankreich und England fortsetzen konnten. Nicht selten
glückte es den Städten, diese Neutralität sich zu sichern4);
eventuell aber scheuten sie sich auch nicht, England offenen
Beistand zu leisten; sie schlössen selbständig yiit den eng-
lischen Königen Handels- und politische Verträge ab, zwangen
ihre eigenen Herrscher, die französische Gesinnung zu ver-
läugnen, und schritten zur Gewalt, wenn diese ihren Vor-
stellungen sich nicht fügen wollten. In solcher Weise wurde
nicht nur das Aufgehen dieser Gebiete in Frankreich verhin-
dert, sondern es konnte sich auch der englisch-niederländische
Verkehr entwickeln und die internationalen Grundsätze
herausbilden, die zu seinem Gedeihen nothwendig waren.
Die Geschichte dieser beiderseitigen Regelung des Handels
zu verfolgen, liegt ausserhalb unserer Aufgabe. Der Gang war
x) Der erste politische Vertrag dieser Art zwischen Flandern und
England ist datirt vom 17. Mai 1101, dem am 10. März 1103 ein zweiter
folgte. Rymer, Foedera I. S. 1, 4. (Ich citire, wenn nicht anders be-
merkt ist, nach der Londoner Originalausgabe von 1704/85). Die handels-
polttische'Bedeutung der im Text skizzirten Situation wurde bereits von
dem Secretar der Merchant adventurers Wheeler in seinem Treatise of
commerce etc. Middelburgh 1601. S. 33,34 richtig gewürdigt.
«) Varenbergh a. a. O. S. 151 fg., 156 fg., 309 fg.
~ Vgl z. B. Varenbergh a. a. 0. S. 394, 447.
Varenbergh a. a. 0. S. 130, 260, 282 u. s. w.
3
— 6 —
aber der gewöhnliehe. In der allerersten Zeit rausste jeder
einzelne Kaufmann sich das Recht des Handels erkaufen1),
später erwarben sich ganze Städte2) und 'Landestheile einen
Geleitsbrief. Die Grafschaften Flandern und Hennegau er-
hielten z. B. am 3. Dec. 1237 die erste allgemeine Licenz,
nach England zu handeln gegen Zahlung von 400 Mark8).
Gleichzeitig wurden einzelnen Städten noch weitere Privilegien
verliehen4). Da ihre Concurrenten dann nicht ruhten, bis
auch sie derselben theilhaftig geworden, pflanzten sich die
Freiheiten immer weiter fort.
Am besten wurden solche Rechte erlangt und gesichert,
wenn energische und klug operirende Handelsgesellschaften
die Sache in die Hand nahmen. Das war hier der Fall. Von
Seite der Niederlande war besonders thätig die vlämische
Hanse zu London 6), die englischen Interessen dagegen wurden
vertreten von den Staplern, später und vorwiegend von den
Merchant adventurers 6).
Diese Corporationen hatten den wesentlichsten Antheil an
der Ausbilduug der rechtlichen Basis für den beiderseitigen
Handel im 13. und 14. Jahrhundert. Die damals geschaffenen
Grundzüge blieben auch im 15. und 16. Jahrhundert erhalten.
Merkwürdig aber ist, dass diese rechtliche Basis in einem
Vertragsverhältniss zum Ausdruck kam, das hinsichtlich des
mittelalterlichen Englands in diesem Umfang ziemlich isolirt
dasteht. Der gewöhnliche Gang im Mittelalter war der, dass
jeder Herrscher einseitig dem anderen Lande Handelsprivi-
legien ertheilte. In Verträgen pflegte man meist nur zu sti-
puliren, dass die beiderseitigen Kaufleute frei handeln dürften,
d. h. zur Ausübung des Handels im fremden Gebiet nicht erst
Licenzen zu erwerben brauchten. Hier machte man aber
ziemlich früh eine grosse Zahl von Bestimmungen allgemeiner
mehr völkerrechtlicher Art zum Gegenstand des Vertrages,
*) Zahlreiche Beispiele hiefür bei Wauters, Table chronologique
des chartes et diplömes imprimes concernant l'histoire de la Belgique 1866 fg.
namentlich Bd. IV.
*) So räumte Johann ganzen Städten das Recht des Handels 1199
und 1208 ein. Varenbergh a. a. 0. S. 91, 98.
") Varenbergh a. a. 0. S. 131.
4) So zuerst von Heinrich III. 1232 den Kaufleuten von Ypern
(Diegerick, Inventaire des archives d'Ypre I. S. 47, 64); 1237 und 1259
denen von Gent (Di eri ex, Mömoires sur la ville de Gand I. S. 148, 149);
1260 denen von Brügge (Gilliodts-van Severen, Archives de la ville
de Bruges I. Serie. T. I. Nr.6); 1261 denen vonDouai (Varenbergh a.a.O.
S. 136). Unter den Eduards wurden diese Freiheiten bestätigt, und die Pri-
vilegien auch auf andere Städte ausgedehnt; so erhielten gewisse Rechte
1338/39 die Kaufleute von Leau, Brüssel, Diest, Tienen, Mecheln, Löwen
(Rymer V. S. 80; Piot, Inventaires des diverses archives de la Belgique
1879 Nr. 35. S. 12.)
c) Ueber diese sieh Varenbergh a. a. 0. S. 146 fg.
°) Sieh unten Abschnitt II. Cap. 1.
— 7 —
ohne aber sich und den Municipalitäten zu verwehren, inner-
halb dieses Rahmens noch besondere Privilegien zu gestatten.
Das 15. Jahrhundert, in welchem die zersplitterten Theile
der Niederlande unter dem burgundischen Scepter in der
Hauptsache geeinigt waren und deshalb mehr ebenbürtig
England sich gegenüberstellen konnten, baute den Handels-
vertrag oder sogenannten Intercursus im Einzelnen aus. Die
Bestimmungen des Magnus Intercursus von 1496 können als
typisch gelten *). Jeder Fortschritt im Vertrag kam fast immer
beiden Theilen zu Gute.
Ganz anders war es aber mit den localen Privilegien
gegangen. Wohl hatte auch hier das 15. Jahrhundert ent-
scheidende Wendungen hervorgerufen, aber mehr und mehr
einseitiger Natur. Die vlämische Hanse verschwindet noch in
der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, den niederländischen
Kaufleuten werden englischerseits die früheren Zollbegünsti-
gungen mehr und mehr verkümmert2), dieselben sehen sich
successive in die Stellung der nichtprivilegirten Fremden
zurückgedrängt; die Merchant adventurers dagegen beginnen
erst recht um diese Zeit ihr stolzes Haupt zu erheben,
aber nicht in Flandern, sondern in Brabant3). Die innige
Freundschaft zwischen den flandrischen Städten und eng-
lischen Kaufleuten löste sich im 15. Jahrhundert rasch, als
England sich nicht begnügte, die Wolle zu liefern, und nicht
mehr seinen Stolz darin sah, dass Flandern ihm seine kost-
baren Kleider webte, sondern darin, dass seine eigenen Tücher
einen Weltruf erlangten und die flandrischen auf dem Brügge'-
schen Markte aus dem Felde schlugen. Es entbrannte ein
harter commercieller Kampf darob4), die Bedrückungen der
englischen Kaufleute in Flandern mehrten sich von Tag zu
Tag, bis ein grosser Theil es vorzog, Brügge zu verlassen und
Dach dem burgundischen Osten und Norden sich zu wenden.
Zuerst begaben sich diese scheidenden Merchant adventurers
nach Middelburg; da dasselbe aber sehr ungesund war, und
Antwerpen ausserordentliche Privilegien verhiess, so folgten sie
*) Vgl. die wichtigsten Artikel desselben S. 13 fg.
*) Die Verleihung der Privilegien, welche früher Dinant besass, an
die Kaufleute von Middelburc am 9. Nov. 1477 (Rymer XI. S. 729) und
die Gleichstellung der Kaufleute von Hecheln mit denen der deutschen
Hansa am 13. März 1480 (Gachard, Collection de documents inedits conc.
Phistoire de la Belgique II. 45) müssen als vereinzelte Ausnahmefälle gelten.
Recht markant wird die den Niederländern ungünstige Wendung veran-
schaulicht durch die Denk- u. Beschwerdeschrift, welche Antwerpener Kauf-
leute 1485 dem Erzherzog Maximilian übergeben Hessen. Urk. Beil. 4.
R) Wie wenig die Merchant adventurers im 15. Jahrhundert mit Flan-
dern zu thun hatten, zeigt auch der Urkundenstock, den sie beim Tode
Heinrichs VIII. besassen. In dem Verzeichniss dieser Documenta wird der
englischen Privilegien in Flandern nur einmal gedacht Urk.Beil.l33.§31.
*) Vgl. Abschn. II. Cap. 4.
_ 8 —
1444 dem Rufe1) und legten so den Grund zu der künftigen
Grösse Antwerpens, die im 16. Jahrhundert alle Welt in Er-
staunen versetzen sollte2).
Was Antwerpen schon Ende des 13. und am Anfang des
14. Jahrhunderts angestrebt hatte, nämlich Brügge den Handel
zu entreissen , gelang jetzt nach Verfluss von fast zwei Jahr-
hunderten. Aus dem frühzeitigen Versuch Antwerpens aber, die
Kaufleute in seine Mauern zu ziehen, erklärt sich, weshalb
die Privilegien der Engländer in Antwerpen bis ins Jahr 1286 3)
oder noch weiter 4) zurückgingen. Zwar waren diese Freiheiten
nicht bloss auf die Engländer beschränkt, aber die letzteren
werden doch besonders in den Privilegienverleihungen genannt5),
und es wird angedeutet, dass man gerade auf ihr Kommen den
grössten Werth lege. Sicherlich begannen auch damals eng-
lische Kaufleute nach Antwerpen zu handeln, wie die gewählten
Rechte von 1305 6) und 1315 7) beweisen. Hätten sich die
Venetianer, die um jene Zeit in der Wahl zwTschen beiden
Stapelplätzen schwankten8), für Antwerpen entschieden, und
hätten die Brabanter schon damals den Missbräuchen der
zeeländisch - holländischen Zollherrn, welche die Mündung der
s) Wheeler, A treatise of commerce etc. S. 16.
2) Sieh die merkwürdige, wenn auch übertriebene Schilderung über
diesen Umschwung bei Wheeler a. a. 0. S. 18, wo behauptet wird, dass
zur Zeit der Uebersiedelung keine 4 Kaufleute in Antwerpen und selbst
diese keine „adventurers to the sea" gewesen seien. Ueber Antwerpens
Bedeutung und Glanz im 16. Jahrhundert vgl. besonders Henne, Histoire
du regne de Charles-Quint en Belgique 1859. Bd. 5. S. 265 fg.
■) ürk. Beil. 133. § 27.
*) ürk. Beil. 134.
5) So heisst es in den Privilegien von 1305: omnes et singuli merca-
tores regni Anglie necnon cuiuscumque regni seu terre.
6) Dieser Privilegienbrief ist publicirt in Mertens en Torf, Ge-
schiedenis van Antwerpen Bd. II. S. 543; ein Auszug davon findet sich
bei Verachter, Inventaire des chartes et Privileges cons. aux archives de
la ville d'Anvers 1860. S. 23 und in Papebrochii Annales Antverpienses
ed. Mertens et Buschmann 1. S. 65, 66.
7) Sieh ürk. Beil. 133 § 18. Die Urkunde von 1315 stimmt wört-
lich mit der von 1305 überein, ohne dass sie sich ausdrücklich als eine Neu-
bestätigung zu erkennen gibt. Es ist möglich, dass schon 1286 dieselben
Rechte ganz oder theil weise verliehen wurden. ImBr.M. Cotton Mscrs.
Tiberius D. fo. 21 findet sich ein englischer Auszug der Privilegien. Der-
selbe theilt die ersten 21 Artikel dem Jahre 1286, die letzten 17 dem Jahre
1315 zu. In Antwerpen überzeugte ich mich aber, dass die Verleihung von
1315 und 1305 die 21 und 1? Artikel zusammen enthält. Nichtsdestoweniger
mag der erwähnte englische Auszug richtig andeuten, dass zu den 21 Ar-
tikeln des Jahres 1286 im Jahre 1305 17 neue kamen, welche 38 Artikel
aber von da an als ein Ganzes galten. Die Antwerpener Annalisten am
Anfang des 17. Jahrhunderts hielten die Privilegien von 1305 für die
ältesten. „Gramayus stire se ait, quod primas cum Anglis pactiones Ant-
verpia concepit anno 1305;" Papebrochii Annales Antverpienses ed.
Mertens et Buschmann I. S. 65.
8) He yd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter 1879 IL
S. 709.
— 9 —
Scheide bewachten, ernstlich vorbeugen können1), so hätte
leicht noch im 14. Jahrhundert die Ablenkung des Handels-
verkehrs von Brügge eintreten können. So aber mussten die
Engländer wohl oder übel der Attractionskraft Brügges, wo
nun einmal der Weltmarkt war, folgen ; der Verkehr mit Ant-
werpen blieb ein kleiner, aber er erlitt doch keine vollstän-
dige Unterbrechung. Mit Anfang des 15. Jahrhunderts hob
er sich, die Merchant adventurers hatten 1407 bereits ein l
Haus erhalten2). Seitdem vollzog sich ein langsames, aber
andauerndes Uebersiedeln der englischen Kaufleute von Brügge ,
nach Antwerpen. Jede Störung und Bedrückung in ersterein,
die politischen Verwicklungen, an denen Flandern so reich war,
die seit 1432 beginnende3) und von da ab rasch zunehmende
Verschlechterung des Zwins, gaben dieser Bewegung neue Nah-
rung 4). Man darf sich jedenfalls den Vorgang nicht als einen
einmaligen, definitiven denken. Um 1430 aber war der Verkehr
der Engländer mit Antwerpen schon so stark, dass die in
Brügge noch zurückgebliebenen Kaufleute auf Veranlassung
der Bürger von Brügge und Gent beim königl. Rath ein Ver-
bot des Besuchs der Brabanter Messen verlangten 5). 1442/44
scheint die Uebersiedelung am masfeenhaftesten eingetreten zu
sein6). Aus den nun folgenden commerciellen Verhandlungen
geht auch klar hervor, dass von da ab der Schwerpunkt des
englisch-niederländfcchen Handels in Antwerpen lag.
Die Freiheiten der Engländer wurden 1446 und 1450 von
der Stadt und dem Herzog ganz neu geordnet 7) und erhielten
die Gestalt, welche sie im Wesentlichen während der letzten
Hälfte des 15. Jahrhunderts und während der ganzen Re-
gierungszeit Heinrichs VIII. sich bewahrten.
Von grosser Wichtigkeit war namentlich der erwähnte
Freiheitsbrief des Herzogs von Burgund vom 6. August 1446.
In diesem stellte der Letztere auf Grund eines Conflicts
zwischen den Engländern lind seinen Zollbeamten 8) die Rechte
der Engländer fest, die sie fortan in Antwerpen gemessen
— 1_
') Papebrochii Annales Antverpienses ed. Hertens et Buschmann
I. S. 419.
*) ürk. Beil. 133. § 19.
") Belege bei Gilliodts van Severen, Inventaire des archives de
la ville de Bruges T. V. S. 11 Nr. 984.
*) Sieh auch Kervyn de Letten ho ve,Hi8toire deFlandreVI.S.79fg.
*j Sieh die Petition bei Nicolas, Proceedings and Ordiriances of
the Privy Concil IV. S. 55 ; derselbe wurde statt gegeben.
•) rapebrochii -Ann. Antverp. ed. Mertens et Buschmann I. S.414.
') SiehUrk.Beil. 2 sowie die Noten zuürk. Beil. 23; ferner Pape-
brochii Anna! es Antverpienses ed. Mertens et Buschmann. 1. 8. 446 u. 447.
*) Ueber die bezüglichen Verhandlungen bind reiche Materialien im
Antwerpener Stadtarchiv vorhanden, besonders in den Vol. betitelt: Engel-
sche Natie 1304—1453 und Engeische Coopluvden 1304—1564.
Ausserdem vgl. Compte rendu des seances de la commission royale d'histoire
belgique. 3. Serie T. 3. S. 178 fg.
— 10 .—
sollten. Dieser Brief wurde so sehr als Gnradbrief betrachtet,
dass noch unter Heinrich VIII. auf ihn in dieser Eigenschaft
recurrirt wurde *). Sein wesentlicher Inhalt bezieht sich auf
Beseitigung aller Zweifel in Betreff der Zölle, die im Vergleich
zu denen der übrigen Fremden jedenfalls massig gestellt waren,
ausserdem bezwecken seine Bestimmungen überhaupt eine
liberale Zollbehandlung und eine rasche und gut geordnete
Rechtspflege *). Aber auch die nebenhergehende besondere Ver-
einbarung zwischen der Stadtbehörde und den englischen Kauf-
leuten war für die Beziehungen beider grundlegend. Die Ant-
werpener, welche fort und fort bestrebt waren, den englischen
Handel in ihrer Stadt festzuhalten, und hierin von den burgundi-
schen Herzögen damals kräftig unterstützt wurden 3), erweiter-
ten bald darauf noch die Rechte der Engländer*), und Ihrem
liberalen Beispiele folgten Angesichts des Erfolgs andere be-
nachbarte Städte wie Bergen op Zoom5) und Middelburg 6),
auch die holländischen Grafen 7) wetteiferten in der Begünstig-
ung der Engländer und vollendeten so die Verrttckung des
englischen Handels vom Westen nach dem Osten. Fast ganz
trat Antwerpen in die frühere Rolle Brügges ein, als letzteres
') Als Frankreich 1528 die Engländer zu gewinnen suchte, wollte es
ihnen die gleichen Rechte gewähren, die sie in deu Niederlanden besassen.
Bei dieser Gelegenheit wurden ausdrücklich die Privilegien von 1446 als die
wichtigsten erwähnt. Wheeler hebt diese gleichfalls ganz besonders hervor
S. 17. Nach ihm scheint es auch, als ob in diesem Jahr die Merchant ad-
venturers die alte Börse und den Court of Lier von der Stadt erhielten.
2) Sieh die einzelnen Artikel Urk. Beil. 2.
9) Als z. B. die Engländer die St. Bavon's Messe 1450 anderswo als
in Antwerpen halten wollten, duldete eß der Herzog Philipp nicht; Ver-
ächter, Inventaire des archives d'Anvers S. 128.
*) Vgl. besonders die Uebereinkunft zwischen der Stadt und den Eng-
ländern im Jahre 1474; Papebrochii Annales Antverpienses ed. Mertens
et Buschmann. 1J. S. 149, 150 und Urk. Beil. 133. 8 38 u. 39.
6) Vgl. Urk. Beil. 133. § 24, 25, 32, 41 insbes. aber in Urk. Beil. 3.
das Privileg von 1470, das sich auf das des Herzogs von Burgund vom 6. Au-
gust und das der Stadt Antwerpen vom 12. Aug. 1446 gründet. «
6) Urk. Beil. 133. § 42.
7) Für die ältesten Handelsbeziehungen Hollands und Englands ist
sehr werthvoll Oorkondenbook van Holland en Zeeland uit ge-
geven van wege de kon. Akademie van Wetenschappen I Afdeeling tot het
einde van het hollandsche huis bewerkt door M* van den Bergh. I Deel
1866. Der Graf Floris war besonders auf die Kräftigung des Handels
zwischen Holland und England bedacht (Rymer 11. S. 62). Unter den
holländischen Städten hatte Dortrecht frühe Beziehungen mit England und
erhielt auch von Edward 111. 1313 Vorrechte und schon vorher einmal sogar
das englische Stapel (Rymer Hl. S. 358). Eine Urkunde über die Regelung
der Einfuhr englischer Laken nach Zieriksee durch den Grafen Wilhelm V.
von Holland v. 8. Mai 1347 hat kürzlich E. Höhlbaum publicirt in den
Hans. Geschieh tsbl. 1877. S. 133. Ueber die engl. Privilegien, welche
1413 ertheilt und von Johann 1421 bestätigt wurden, vide Urk. Beil. 133
$20 und Urk. Beil. 1. Ein weiteres Privileg von 1435 ist in Urk. BeiL 133
fc 23 erwähnt, wahrscheinlich war dies nur eine Bestätigung des früheren,
wie das auch bei dem vom 14. Oct. 1491 § 43 genannten der Fall ist.
- 11 —
in einen politischen Streit mit seinem Fürsten, dem Erzherzog
Maximilian, sich verwickelte (1482), der die Zerstörung des
Hafens Sluis und eine starke Verwüstung Flanderns während
des fast 10jährigen Kriegs zur Folge hatte. Diejenigen Eng-
länder, die bisher die Verbindung mit Brügge noch unterhalten
hatten, gaben sie nun auch auf, und ihrem Beispiel folgten die
übrigen3Tationen. Besonders wichtig war, dass auch die Por-
tugiesen nach Auffindung des Seewegs Antwerpen zum Stapel-
platz für ihre aus Indien bezogenen Specereien wählten *).
Was den Waaren verkehr der zwischen England und
den Niederlanden gegen Ende des 15. Jahrhunderts Statt hatte,
anlangt, so ist es natürlich unmöglich, denselben genau zu
bestimmen.
Unter den englischen Ausfuhrartikeln nahm die Wolle noch
einen hervorragenden Platz ein 2). Sie wurde den Niederländern im
Stapel zu Calais angeboten. Schaf- und Kaninchenfelle, Blei,
Zinn, feiner Häute, aber nicht mehr unbearbeitet, sondern
bereits gegerbt, sodann Bier, Käse, Butter und andere Lebens-
mittel, Talg, auch Malvasier Wein, den die Engländer eifrig
von Candia holten, italienischer und spanischer Saffran, Ala-
bastersteine bildeten Gegenstände der englischen Einfuhr in die
Niederlande3). Alle diese letztgenannten Artikel konnten an
Werth sich nicht mit dem Tuch, das die Engländer nach Ant-
werpen brachten, messen. Dasselbe bildete im Gegensatze zur
Zeit Brügge'schen Flors den Mittelpunkt des englischen directen
Imports nach den Niederlanden. Zu Ausgang des 15. Jahr-
hunderts betrug die Zahl dör in das seit 4. Nov. 1497 von
Bergen op Zoom nach Antwerpen verlegte Brabanter Tuch-
stapel gebrachten englischen Tücher jährlich ungefähr 20 000 ,
also c. 30 % der gesammten englischen Tuchausfuhr4), später,
namentlich unter Heinrich VIH. dürfte der Gesammtexport
von englischen Tüchern nach den Niederlanden zwischen
30—40000 Stück sich bewegt haben6). Die von den Eng-
*) Guicciardini, Descrittione dei paesi bassi S. 84. Ein portu-
giesischer Handelsconsul war seit 1490 in Antwerpen; Mertens en Torfs,
Gescbiedenis van Antwerpen III. S. 320. Sieh ferner Gachard, Collection
de documents inedits conceraant l'histoire de la Belgique II. S. 25 u. 26.
*) Vgl. B<L II. S. 15, 16 u. 78 fg.
•) Wheeler a. a. 0. S. 25 und Guicciardini, Descrittione dei
paesi bassi S. 119 fg.
4) Nach einem im Brüsseler Staatsarchiv vorhandenen Zollregister
(Chambre des Comptes No. 23250 und 23 251) wurden vom 5. Oct.
1497 bis 26. Oct. 1498 13207 li. 16 sh 10 d und vom 14. Nov. 1498 bis
4. Mai 1499 3387 li. 1 s. 6 d. an Tuchzoll vereinnahmt. Da in Folge des
am 8. Nov. 1497 in Antwerpen publicirten Decrets der frühere St Andreas-
golden vom Stück Tuch auf „twee scellinge gro. Vläm. dats 12 sh. in munten
des rekenen" herabgesetzt worden war, so ergeben sich durch Berechnung
fiir die Zeit vom 5. Oct. 1497 bis 26. Oct. 1498 22013 Stück Tuch, für die
Zeit Tom 14. Nov. 1498 bis 4. Mai 1499 5645 Stück.
*) In Folge der vollständigen Aufhebung des Andreasguldens, der
— 12 —
ländern selbst verladenen Tücher1) kamen fast alle auf den
Antwerpener Markt. Weil ein so grosser Theil der englischen
Tücher nach den Niederlanden ging und da erst wieder an
Fremde abgesetzt wurde, erhielten sie vielfach selbst den
Namen „flandrische Tücher- *). Auf zwei Messen wurde dieser
Verkehr hauptsächlich abgewickelt, nämlich auf der Pfingst-
und Oktobermesse 3). Der reiche Erlös aus all diesen Artikeln
wurde theils in baarem Gelde zurückgebracht , theils auf den
Ankauf von Waaren, die aus allen Ländern der Welt zu Ant-
werpen aufgestapelt waren, verwendet; letzteres nahm um so
mehr überhand, je schwieriger und unmöglicher es ward, die
grosse Masse, welche Eugland jährlich auf den Markt warf,
dauernd mit Edelmetall zu zahlen, ferner je mehr der Sinn
für einen edlen Luxus in England selbst zur Herrschaft kam,
und je mehr der kaufmännische Geist sich entwickelte und
das doppelte Geschäft des Ver- und Einkaufs vortheilhafter
fand als das einfache4).
Die Zahl der gekauften Waaren ist, wie der Secretär
der Merchant adventurers Wheeler schon sagt5), unendlich.
Unter den nach England gebrachten Artikeln nieder-
Befreiung vom Antwerpener Tuchstapel (1499) und der grossen Steigerung
der Tuchproduction.
l) lieber ihre Menge unter Heinrich VIII. vgL Zollregister No. V.
Bd. II. S.86fg. Die Schätzung Guicciardini's, wonach der Import englischer
Tücher nach den Niederlanden um 1568 mehr als 200000 Stuck mit einem
Werthe von 1 200000 £ betragen habe, muss als Übertrieben gelten; dagegen
verdient die Angabe Wheeler's Glauben, der in seinem Treatise of commerce
S. 25 sagt, dass jährlich 60 000 weisse Tücher im Werthe von 600000 &,
ausserdem noch gefärbte Tücher aller Art, kurze und lange „Kersies, bayes,
cottons, northern dossens" und andere, im Ganzen nochmal 40000 Tücher
im Werth von 400 000 £\ von den Merchant adventurers jährlich ausgeführt
worden seien.
s) „Beside the abundant meat there groweth in England great quantitv
of wool, the finest of all the world, whereof the kerseys and broad-
cloths of London are made; and all the fine cloths, which called
panni diffandra, are also English cloths wrong named by reason of
the mart at Antwerp in Flanders, where these cloths are most commonly
bought and sold" ; Wi 1 1. T h o m as, The Pilgrim, a Dialogue on the Life and
Actions of the King Henry the Eighth 1546; ed by Froude. London
1861. 8. 7.
-n) Selten kamen die Engländer zur Ostermesse, zu der des hl. Remigius
fast nie. Ob eine von diesen Messen besucht werden sollte, entschieden die
Vorstände der Merchant adventurers, und diese Hessen sich bei ihren Ent-
schlüssen davon leiten, ob noch viel unverkaufte Tücher vorhanden waren.
Hierüber und über die zwischen 1515 — 1588 unternommenen Fahrten ge-
währen interessante Aufschlüsse Lansdown Mscrs. 170. fo. 138 im B.M.
*) Wie sehr dieser Umschwung gefühlt, in gewissen Kreisen aber als
ungünstige Neuerung beurtheilt wurde, davon geben Stimmen aus dem
16. Jahrhundert Zeugniss. Vgl. Pauli, Drei volkswirtschaftliche Denk-
schriften aus der Zeit Heinrich's VIII. von England. 23. Bd. der Abh. der
kgl. Ges. d. W. z. Göttingen. 1878. S. 16, 34 u. s. w. Danach hätten erst
unter Eduard IV. die Londoner angefangen, fremde Waaren zu importiren(?)
6) A treatise of commerce etc. 1601. S. 25 fg.
— is-
ländischen Ursprungs wurden von ihm x) aufgeführt : Tapeten,
weisser Faden, grobes Garn (inkle), Leinentuch aller Art,
Kammertücher („cambrickes"), feine Leinwand („lawnes"),
Steifleinwand („buckrams"), Krapp. Ausserdem kauften die Eng-
länder in den Niederlanden Juwelen, Geschmeide, Queck-
silber, verarbeitete Seide, gold- und silbergewirktes Tuch,
Serges, Kamelot, Baumwolle, Gewürze, Droguen, Zucker,
Weine, Salz2), Kümmel, Galläpfel, grosse Quantitäten Hopfen,
Glas, Salzfische, Kurzwaaren aller Art, in sehr beträchtlicher
Menge Waffen, Munition und Haushaltungsgegenstände 3).
Als die wichtigsten Massenartikel, die man von den Nie-
derlanden bezog, wurden zur Zeit Heinrichs V11I. betrachtet4)
Tuch, Sayes, Barchent, Kamelot, kölnischer Hanf oder Faden,
Krapp, Mandeln, Korinthen, Nägel, Zucker, Eisen, Pflaumen
und Datteln, Pfeffer, Hopfen, Brasilienholz5).
Die jährliche Einfuhr an Leinentuch aus Flandern wird
auf .100 000 Mark und auf 2 3 des gesammten Leinenimports
geschätzt 6). Der Gesammtverkehr zwischen England und Ant-
werpen belief sich nach Guicciardini in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts jährlich auf 12 Millionen Thaler (äcus (Tor) 7,)
nach Marino Cavallo (1551) dagegen nur auf 800 000 Ducaten 8).
Jedenfalls gewährten aber die Antwerpener Messen nicht ein
Dritttheil des gewöhnlichen Vortheils, wenn die Engländer
den Verkehr einstellten 9).
') a. a. 0. S. 28. Ueber den Sitz der einzelnen niederländischen
Industriezweige im 16. Jahrhundert vgl. Henne, Regne de Charles - Quint
Bd. 5. S. 288 fg., vanBruyssel, Histoire du commerce et de la marine
enBelgiqne 1861/64. II. S. 290— 292 und Altmeyer, Histoire des Relations
commerciales de Pays-Bas avec le Nord de l'Europe. Bruxelles. 1840, S. 67.
*) Libell of Englishe Policye Vers 110—15. In der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts (c. 1569) ist der Bezug von Salz aus den Nieder-
landen die Regel gewesen, vgl. den Brief von de la Mothes bei Burgon,
Life of Th. Gresham IL S. 323.
') Sieh auch Henne. Regne de Charles-Quint en Belgique Bd. 5. S. 283 fg.
4) Dies muss man daraus schliessen, dass in der Parlamentsacte 32.
Henry VIIL c. 14 (The mayntenance of the navy) für die Ballen, Tonnen,
Fasser etc. gerade dieser Waaren gesetzlich die Fracht festgestellt wird.
6) In Betreff der Waaren, auf welche sich der englisch-niederländische
Verkehr gründete, ist auch noch zu vergleichen der Zolltarif in Urk. Beil. 4.
*) Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 76. 1 Mark = 13 sh 4 d.
7) Henne, Histoire du regne de Charles-Quint Bd. 5. S. 278.
Um sich eine Vorstellung machen zu können von dem Antheil, den
dieser Verkehr am niederländischen Gesammthandel hatte, so sei erwähnt,
dass der Werth der niederländischen Totalausfuhr vom 10. Febr. 1543
bis 10. Febr. 1544 36577837 CaroJsgulden — 771792360 Francs und der
des gesammten Warenumschlags in Antwerpen 1662500000 Gulden be-
trag. Henne, a. a. 0. S. 283; de Reiffenberg, Memoire sur le com-
merce des Pays-Bas au XV« et au XV1° siecle.
*) Er gehätzt die englische Einfuhr nach Antwerpen auf 300000, die
Ausfuhr auf 500 000 Ducaten. Alb er i, Relazioni. Ser.I. Vol. IL S. 202, 203.
*) Vincenzo Quirini an die Signorie, 1. Juli 1505; Calendar to Eng-
lisa Affairs ezisting in Venice and in other Libraries of Northern Italy.
— 14 -
Die Engländer errichteten 1515 in Antwerpen sich eine
eigene Börse und vermochten dieselbe selbst noch Jahre lang
aufrecht zu erhalten, als 1531 die neue allgemeine Börse er-
öffnet wurde1).
Henrich m (1485-1509.)
In der Handelspolitik Heinrichs \IL gegenüber den Nieder-
landen sind zwei allgemeine Phasen deutlich unterscheidbar. In
der ersten sucht er überhaupt wieder dem Handel, der in der
Folge der Rosenkriege sehr darniederlag, Leben zu geben. Er
begnügt sich deshalb, die alten Vertragsbestimmungen in der
Hauptsache zu erhalten. Später, als er fest auf dem Throne
sass und Ordnung im Reich und im Canal geschaffen, fasste
er die Ausdehnung des Handels ins Auge.
Von besonderem Vortheile war für Heinrich VII die schon
unter Eduard IV. eingetretene Wendung der burgundischen
Politik. Die Abneigung gegen England war ein Erbthejl des
Hauses Burgund, und wurde diese auch in Folge anderer
Interessen von einzelnen Trägern zeitweise überwunden, so war
diese Freundschaft doch immer nur eine künstliche, auf alle
Fälle hatte man einen starken Nachbarn, der zart behandelt
werden musste. Das änderte sich, als die Erbtochter Maria
sich mit Maximilian von Oesterreich vermählte und damit alle
Hoifnungen Frankreichs auf die künftige Besitznahme dieser
Gebietsteile vernichtete. , Buvgund war zum Zwecke seiner
Selbständigkeit auf einen Rückhalt angewiesen und fand diesen
naturgemäss an England. Die politische Lage dieser Zeit
bildet somit das Gegenstück zu der des Mittelalters. Damals
suchte England die politische Freundschaft Flanderns, jetzt
Burgund die Englands. In dieser Situation war Burgund
auch durchaus nicht engherzig, und schloss gerne Freundschaft,
gleichviel ob die weisse oder rothe Rose auf dem Throne
prangte.
Als Heinrich VII. den Thron erobert hatte, trat sogleich
die Frage des niederländischen Verkehrs an ihn heran. Wäh-
rend der heftigen Kämpfe im Innern Englands hatten die Nieder-
länder den Versuch gemacht, die seit einigen Decennien ein-
getretene *) Zollerhöhung rückgängig zu machen und ähnlich, wie
Edited by Rawdon Brown. Vol. I. No. 846. Ueber Einzelheiten des
Waarenverkehrs sind auch die Geschäftsbriefe der Kaufleate zu vergleichen,
soweit solche publicirt sind. Vgl. z. B. Ellis, Original letters. Ser. IL
Vol. H. S. 173
3) Henne, Regne de Charles-Quint en Belgique. Bd. 5. S. 319.
%) C. 1423; wenigstens wurde in diesem Jahre auch ein ernster Ver-
such gemacht, die Hansen dem Tonnen- und Pfundgeld der Fremden zu
unterwerfen. Nicolas, Proceedings and Ordinances ofthe Privy Council Hl.
S. 110, 111, 112, 117.
■- 15 —
die Hansen, den Genuss des geringen Zolltarifs sich zu sichern.
Richard III. hatte sich ihren Forderungen nicht abhold ge-
zeigt, wenn schon er nicht definitiv, sondern nur provisorisch
und nur theilweise den Niederländern die geringen Zölle der
Deutschen in England zugestand *). Heinrich VII. war keines-
wegs geneigt, den Niederlanden gegenüber auf die hohen Zölle
zu verzichten. Gleich nach Richards III. Tode kehrten sich
die "englischen Zollbeamten nicht mehr an die Zusage des ge-
stürzten Königs. Zwar versprach auf die Beschwerde des Erz-
herzogs Maximilian Heinrich VII-, die Abmachungen Richards III.
halten zu wollen, aber factisch verlangte man trotzdem die
neuen Zölle, so dass die Antwerpener Kaufleute lieber auf den
Kauf englischer Waaren verzichteten, um kein Präjudiz zu
schaffen 2). Der englische König war aber ernstlich bestrebt,
seinen Unterthanen wieder die Aufnahme des Verkehrs zu er-
möglichen. Er drang deshalb auf die Einhaltung der all-
gemeinen Bestimmungen des Intercufsus und verlangte beson-
ders Unterdrückung der Seeräubereien, welche in Folge des
Krieges eingerissen waren5); dagegen wollte er offenbar keine
Zollnachlässe gewähren. Die Folge war, dass der ganze Cha-
rakter der commerciellen Vertragsregelung ein schwankender
war. Man verschob öfter die diesbezüglichen Verhandlungen 4)
und begnügte sich mit einer Verlängerung des Intercursus von
1478 auf kürzere Zeiträume 5). Selbst der Allianzvertrag, den
Maximilian am 14. Febr. 1489 zur Abwehr der französischen
Ansprüche mit Heinrich VII. abschloss6), änderte an diesem
Zustand' wenig.
Es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, dass die
niederländischen Kaufleute während dieser Zeit in England
die gewöhnlichen' Fremdenzölle zahlen mussten. Bei der
damaligen politischen Situation durfte die niederländische
Regierung kaum hoffen, eine ihr günstige Interpretation des
Handelsvertrags durchsetzen zu können. Heinrich VII. erzielte
sogar in den Niederlanden noch einige Vortheile für seine
Unterthanen, und zwar da, wo in der letzten Zeit die eng-
lischen Kaufleute wenig Entgegenkommen gefunden hatten,
nämlich in Flandern. Als Ypern, Brügge und Gent von
Maximilian hart bedrängt wurden, lebte die mittelalterlich-
traditionelle Politik wieder auf, wonach diese drei Städte und
Englands Könige immer gemeinsame Sache machten und sich
') ürk. Beil. 4. Art. 24 fg. Rymer XII. S. 248. Art. 6.
*) ürk. Beil. 4. Art 31 fg.
-) Letters and Papers illustrative of the reigns of Richard III. and
j VII. ed. Gairdner Vol. I. S. 26; II, S. 21. 25. 49. 53.
4) ürk. Beil. 4. Art 34.
8) So z. B. am 2. Jan. 1487 für 1 Jahr. Rymer XII. S. 320.
6) Rymer XII. S. 359 fg.
— 16 -
gegenseitig unterstützten. Noch Eduard IV. stand mit den
vlämischen Communen auf so freundlichem Fuss, dass er ihnen
selbst seine Thronbesteigung anzeigte1). Auch jetzt setzten
sie ihre Hoffnung auf den englischen Herrscher. Brügge hatte
1486 die Einfuhr und das Zurichten der englischen Tücher
auf ein Jahr gestattet2), um Heinrich VII. sich günstig zu
stimmen. Am 19. Juli 1488 baten sie ihn, in ihrem Streit
gegen den deutschen Kaiser nicht diesem Hilfe zu leisten, sondern
gegen ihn Partei zu nehmen ; sofort ergriff Heinrich VII. diese
günstige Gelegenheit, schickte einen Gesandten und Hess er-
klären, dass er keineswegs verpflichtet sei, den Kaiser oder
römischen König zu begünstigen, dass er das Unglück Flan-
derns sehr bedauere, namentlich mit Rücksicht auf die Jugend
des Erzherzogs und die alten Handelsbeziehungen, die zwischen
Flandern und England bestanden hätten3). Selbstverständlich
dachte Heinrich VII. nicht im Entferntesten daran, die Städte
in materieller Hinsicht zu unterstützen, unterhandelte er doch
gleichzeitig mit Maximilian wegen eines Freundschaftsvertrags 4),
aber indem er sich den Schein gab, als werde er ihren Wün-
schen willfahren, brachte er es dahin, dass sie am 3. April
1489 einen Separathandelsvertrag mit ihm abschlössen, der
41/» Jahr, nämlich bis zur Volljährigkeit Philipps des Schönen
dauern sollte. Zwar bewegte sich dieser Vertrag hauptsächlich
nur in dem Rahmen des Intercursus von 1478 und gewährte
auch nicht, wie Heinrich VII. gewünscht hätte, die ungehinderte
Einfuhr englischer Tücher5), aber es war schon die Sicherung
des sonstigen englischen Handels nach Flandern ein nicht zu
unterschätzender Gewinn. Einige Bestimmungen des Inter-
cursus von 1478 wurden übrigens zu Gunsten der englischen
Interessen abgeändert, namentlich galt dies von der Ausfuhr
von Edelmetall, worauf Heinrich VII. grossen Werth legte.
Während 1478 den englischen Kaufleuten nur die Durchfuhr
von Gold- und Silberbarren unter gewissen Cautelen gestattet
war, durften jetzt dieselben auch innerhalb Flanderns solche
ankaufen, wenn sie zum Transport nach England und nicht
anderswohin bestimmt waren. Im Uebrigen versprach man
sich gegenseitig die Rechte der meistbegünstigten Nation und
die Freiheiten, welche vor 60 Jahren bestanden hatten. Die
Fragen aber, bei welchen es sich um Concessionen von Seiten
1) Gilliodts van Severen, Inventaire des archives de la ville de
Bruges T. V. S. 431. Nr. 1087. Sieh jedoch auch unten Abschn. II. Cap. 4.
2) Br. M. Cotton Msc. Galba B. XL fo. 11.
3) Diegerick, Inventaire analytique et chron. des chartes et doc. de
la ville d'Ypre IV. S. 151. Nr. 1198.
*) Rymer XII. S. 350 fg.
6) Vgl. hierüber auch Prudent van Duyse et Edmond de
Busscher, Inventaire analytique des chartres et documents appartenant
aux archives de la ville de Gand 1867. Nr. 764.
— 17 —
Englands bandelte, wie die Beschwerde der Niederländer, dass
die Wollpaekete in Galais nicht die Qualität enthielten, mit
welchen sie im Stapel ausgezeichnet seien, sowie die Differen-
zen hinsichtlich der Zölle wurden auf eine andere Tagfahrt
verschoben, die am 20. Juni stattfinden sollte, aber kaum
zu Stande kam1).
Aus Allem ersieht man, dass der englische Handel, der
durch die Rosenkriege, so sehr gelitten, wenigstens wieder
lebensfähig gemacht worden war, wenn auch die Neuordnung
zunächst nur einen provisorischen Character hatte. Immerhin
war der Zustand für die Engländer erträglich; die nieder-
ländische Regierung vermied jegliche Bedrückung des englischen
Kaufmanns und nahm ausdrücklich diesen aus, wenn neue
Auflagen und Zölle eingeführt wurden *). Gegen etwaige Ver-
letzungen der von den Städten, namentlich von Antwerpen,
ertheilten Privilegien vermochten sich die Merchant adventurers
allein zu sctyltzen*). Leider sah sich aber Heinrich VII. ge-
zwungen, selbst die nothdtirftig geknüpften Beziehungen wieder
zu unterbrechen.
Margaretha; die Gattin des verstorbenen Karls des Kühnen
stammte aus dem Hause York und lieh ihren Beistand dem
Prätendenten Perkin Warbeck. In Folge davon hob Heinrith
allen Verkehr mit den Niederlanden auf4), verlegte das Stapel
für englisches Tuch, Zinn, Garn, Ledör u. s. w. nach Calais *),
und vertrieb die Flamänder aus England.
Die Antwort von Philipp dem Schönen blieb nicht aus6),
und mehr als 2 Jahre lang seufzten die beiden Völker unter
diesem Ausschluss der Handelsbeziehungen. Die Merchant
adventurers hielten sich im Ganzen wacker 7), allein der Still-
stand des Absatzes hatte die Entlassung einer Menge Arbeiter
zur Folge; die Stimmung wurde in England eine sehr gereizte,
*) Ein genauer Auszug der Urkunde findet sich in dem erwähnten
Inventaire de Gand No. 772, ein Abdruck von dem in Brügge befindlichen
Original beiGilliodts van Severen, Inventaire des archives de Bruges
T. TL S 316 fg.
*) ürk. Beil. 133. § 45 u. 46.
*) So legte am 8. Sept 1491 ihr Gouverneur mit Erfolg Protest gegen
die Besteuerung der englischen Häuser und Waarenlager ein. Antwerpener
Stadtarchiv. Toi. betitelt: Engeische Coopluyden 1304—1564 fo. 174.
4) 18. September 1493. Gairdner, Letters and Papers illustrative
of the reigns of Richard III. and Henry VII. Toi. II. S. 374.
*) Die Messen sollten dauern vom 15. April bis 15. Juli und vom
15. September bis 15. December. Proclamation v. 4. April 9 Hen. TU.
(Copie im Kölner Stadtarchiv unter den Originalbriefen).
•) Philipp verbot die Einfuhr englischer Tücher am 8. April 1494 und
drang auf strenge Beobachtung des Verbots am 18 Januar 1495. ürk Beil. 5 u. 6.
7) »The merchant adventurers, being a strong Company at that time,
and well underset whith rieh men, did hold out bravely, taking off the
commoditie8 o the kingdom, though they lay dead upon their hands for
vant of vent" Bacon v. Terulam m kennett, history of England.
London 1*706. I. S. 617.
Scham, Engl Handelspolitik. I. 2
— 18 -
and als die Osterlinge nach wie vor die niederländischen
Waaren nach England brachten und die englischen Artikel
exportirten, überhaupt fast das ganze Geschäft an sich zogen ' ),
stieg die Erbitterung unter den Londoner Gesellen so weit,
das* sie den Stahlhof plünderten2;. Noch schwerer litten
wohl die Niederländer, da sie der englischen Rohstoffe ent-
behrten, die Fischerei in englischen Gewässern nicht ausüben
konnten und zur See von den Engländern sehr verfolgt 3) wurden.
Auf die Bitten der flandrischen Kaufleute bot endlich der
Erzherzog die Hand zum Vergleich. Indem er vor Allem dem
Wunsche Heinrichs VII. keinen Feind Englands in sein Reich
aufnehmen zu wollen, willfahrte, war der Boden für die handels-
politischen Unterhandlungen geebnet. Am 24. Februar 1496
kam der Intercursus zu Stande, der mit unendlichem Jubel be-
grüsst, sogar mit dem Namen magnus belegt wurde und in der
Folgezeit so oft den Gegenstand von Verhandlungen bildete4).
Die wesentlichen Bestimmungen desselben sind folgende:
1. Der Handel ist frei, d. h. er ist weder an das Er-
forderniss einer Licenz noch an das eines Passes ge-
bunden (Art. 1 u. 10).
2. Alle Arten von Waaren können Gegenstand des Han-
dels sein, auch Edelsteine, Wolle und Lebensmittel,
selbst Waffen und Pferde. Für die ein- und ausge-
') Zu Anfang verbot das hansische Contor zu London, nach Calais
zu handeln, indem es für die Privilegien in den Niederlanden fürchtete.
Das Verbot wurde aber vielfach missachtet, namentlich von den Kölnern
(Urk. Beil. 86). Im März 1495 versuchten die letztern beim König wenigstens
die Oeffnung des Hafens Kampen oder Groningen zu erwirken, erhielten aber
vom Kanzler den Bescheid: woert sake, dat wy (sc. Kölner) to Campen
segelen wolden, dat wy dan mit den van Lunden tracteren solden; dat
welke uns nycht profytfixt duchte to synde, umb dat uns so danen uploip
Seschien was unde vaste ander gebrecke, die wy darinne besorgeden (Brief
es Contors an den Magistrat von Köln v. 8. April 1495. Kölner
Stadtarchiv).
*) The restreint made by the king sore greved and hindered the
merchauntes , beynge adventurers. For they by Force of thys commaunde-
ment had no occupiynge to beare their charges and Supporte their conty-
nuaunce and credyte. And yet one thinge sore nyppea their hartes; for
the Easterlynges, whiche were at libertie, brought into the realme such
wares, as they were wont and accustomed to do, and so terved tj>eir
customers throughe out the whole realme. By reason wherof the masters,
beyng destitute of sale and commutacion, neither reteyned so many covenaunt
servauntes and apprentices. as they before were accustomed and in espe-
ciall mercers, haberdasshers and clotheworkers, nor yet gave to their ser-
vaunts so great stipende and salarie, as before that restreynte they used
to do etc. Hall, Chronicle S. 467. Ueber den Angriff auf den Stahlhof
vgl. auch Urk. Beil. 87.
a) Vgl. Gairdner a. a. 0. II. S 58.
A) I>er Austausch der Urkunden hatte, nach einer Notiz von L e f e b v r e,
Histoire generale et particuliere de la viUe de Calais 1766. II. S. 204 zu
sehlieesen, im Mai 1496 in der Kirche von Notre Dame zu Calais Statt
gefunden.
— 19 —
führten Waaren sind die Zölle zu entrichten, welche
seit Langem (50 Jahren) üblich sind. Bei eintreten-
dem Mangel darf die Ausfuhr von Lebensmitteln
verboten werden. Die Kaufleute dürfen Waaren so-
wohl einheimischer als fremder Abkunft ein- und
ausführen (Art. 11).
3. Die Kauf- und Seeleute können Waffen tragen zur
Vertheidigung ihrer Schiffe, auch dieselben in ihre
Wohnungen an's Land bringen, sollen aber nicht be-
waffnet einhergehen (Art. 12); persönlicher Schutz
wird allen Handeltreibenden garantirt (Art. 13).
4. Wie der Handel, so ist auch die Seefischerei frei, und
für die Fischer nicht erforderlich, vorerst ein Sicher-
heitsgeleit sich zu erwirken (Art. 14).
5. Jeder Theil verspricht, die Unterthanen des andern
Theils in seinen Häfen und seinem Gebiete gegen
Piraten und feindliche Schiffe zu schützen, auch solchen
nicht zu gestatten, dass sie etwa gemachten Raub
oder gekaperte Schiffe daselbst verkaufen (Art. 15).
Jeder Contrahent bindet sich, ein bestimmtes Ver-
fahren einzuhalten, wenn Waaren geraubt worden
sind (Art. 16).
6. Zur Verhinderung der Seeräuberei soll jeder Schiffs-
herr beim Auslaufen seines Schiffs gezwungen werden,
den doppelten Werth von Schiff und Ladung a]£ Caution
zu hinterlegen (Art. 17).
7. Befindet sich ein von einem Fremden gekapertes
Schiff im Hafen eines der beiden Vertragsschliessenden,
so soll der eine Theil gleichzeitig mit dem andern für
Bückgabe des Schiffes sorgen, jedoch auf Kosten des
Geschädigten (Art. 19).
8. Schiffe sollen im Nothfalle auf der See sich gegenseitig
mit Lebensmitteln beistehen, aber in solcher Lage
Bezahlung für das Erhaltene leisten (Art. 18).
9. Handels- wie Kriegsschiffe dürfen in allen Häfeb und
Seeplätzen Anker werfen, ganz wie die Unterthanen
des Landesherrn (Art. 22).
10. Durch Sturm in einen Hafen getriebene Schiffe dürfen
frei und unverletzt wieder abziehen (Art. 21).
11. Im Falle des Schiffbruchs müssen die geretteten Güter
ein Jahr und einen Tag aufbewahrt und den Eigen-
tümern auf Verlangen gegen Erstattung der er-
wachsenen Kosten zurückgestellt werden l) (Art 24).
12. Den Schiffen, die vom Orient kommen2), sollen in
x) Eß ist also nicht nöthig, dass ein lebendes Wesen (Weib, Katze,
Hand oder Hahn) darin gefunden werde.
*) Partibus orientalibus ; jedenfalls sind die Venetianer und Genuesen
damit gemeint.
2*
— 20 —
keinem der beiden Länder Hindernisse in den Weg
gelegt werden, es sei denn, dass die Seefahrer und
Kaufleute einem Volke angehören, das mit einem der
Contrahenten verfeindet ist (Art. 20).
13. Es ist unstatthaft, in das Gebiet des Vertragsschlies-
senden Waaren einzuführen, welche aus dem Lande
eines Feindes stammen (Art. 23).
14. Die Kaufleute dürfen eigene Lagerhäuser besitzen und
sollen überhaupt alle ihre bisherigen Privilegien und
Immunitäten ungestört gemessen. Jeder Contrahent
verspricht, dieselben in seinem Lande so freundlich
zu behandeln, als die Angehörigen irgend einer frem-
den Nation (Art. 25).
15. Die Zollcontroleure sollen in höflicher Weise ihres
Amtes walten, nicht die Kisten, Fässer oder Packete
erbrechen. Wurden einzelne Stücke ordnungsmässig
geöffnet, so ist der Sucher verpflichtet, auch beim
Wiederverschluss anwesend zu bleiben. Die Zollbe-
amten sollen namentlich auch nicht den Eigentümer
zwingen, seine Waaren ihnen zu verkaufen oder zur
Disposition zu stellen (Art. 26).
16. Verdächtige Schuldner müssen auf Antrags des Gläu-
bigers zur Zahlung einer Caution angehalten werden
(Art. 27).
17. Bei verübtem Schaden oder geschehener Gewaltthat
soll sich der benachteiligte Theil nicht durch Be-
schlagnehmung oder Ausgabe von Caperbriefen *)
schadlos halten, sondern die Sache erst vor den
Fürsten des Uebelthäters bringen. (Art. 28.) Die
bereits ausgegebenen Kaperbriefe werden widerrufen
(Art. 29).
18. Nur gesetzliche und von Alters her gebräuchliche
und bekannte Gewichte dürfen in beiden Ländern
gebraucht werden (Art. 32).
10. Den Engländern ist erlaubt, Gold- und Silberbarren
von andern Ländern durch die Niederlande zu führen
und nach England zu bringen; sie müssen aber Cer-
tificate von den Beamten der Länder bringen, wo sie
diese Barren gekauft oder sonstwie gesetzlich erwor-
ben haben (Art. 31).
20. Das Betreten der Feste Sluis in Flandern ist den Eng-
ländern verboten; doch soll bei vorkommender Un-
kenntniss Einzelner nicht hart verfahren werden
(Art. 30).
') Ueber diesen Gegenstand vgl. Märten s, les armateurs, les prises
et surtout les reprises Göttingen 1795 und auch Carl Wilb. Pau14>
Lübecks Mangelet und Caperwesen (in den Kriegsjahren mit Danemark
1510-1511 Lübeck 1875. §. 52 fg.
- 21 -
21, Ueberhaupt hebt vertragswidriges Handeln von Seite
einzelner Kaufleute die Gültigkeit des Vertrags nicht
auf (Art. 34) 1).
Vollkommen klar ist, dass die Anerkennung dieser allge-
meinen völkerrechtlichen Sätze vor Allem nöthig war, wenn
man Handel treiben wollte8).
Eine wesentlich neue Grundlage wurde aber durch diesen
Vertrag nicht -geschaffen, auch gewährte er den Niederländern
keine besonderen Vortheile, wie man vielfach behauptet hat.
Bei näherer Prüfung stellt sich dieser Magnus Intercursus
vielmehr im Wesentlichen als eine etwas modificirte Neu-
redaction althergebrachter Rechte und gegenseitig eingehaltener
Gewohnheiten dar. Der Fortschritt, den dieser Vertrag gegen-
über seinem Vorgänger anbahnt *), kann kaum grösser genannt
werden, als derjenige, der 14Z8 gegenüber dem Intercursus
von 1468 und 1446 erzielt worden war4), und seine Aus-
zeichnung ist wohl hauptsächlich der langen Unterbrechung
des Handels zuzuschreiben, während welcher man erst den
Werth dieses kostbaren Kleinods einsehen lernte und seine
Grösse rückhaltlos anerkannte5).
Wegen des generellen Characters musste der Intercursus
alle Specialfragen ausscheiden. Solche waren hauptsächlich
bezüglich des Stapels in Menge vorhanden ; wegen der hierüber
bestehenden Streitigkeiten sollte auf einer künftigen Tagfahrt
Beschluss gefasst werden. (Art. 33.) Im darauffolgenden Jahre
ernannten auch die beiden Souveräne ihre Unterhändler6).
^Rymer XII. S. 580 fg.
*) Vgl. seine Beurtheilung bei Hugo Grotius, De mare libero.
Leyden 1633. S. 215.
*) Ein Fortschritt war es, dass für beiderseitige Unterthanen über-
haupt, und also nicht wie bisher blos für die Kaufleute und Pilger, eine
Art allgemeiner Freizügigkeit ausgesprochen ward. Ganz oder theilweise
Neues enthalten die Artikel 17, 18, 26. 28, 29, 32, 34. Auch wurden die
Artikel (1 — 10), welche auf die politische Allianz sich bezogen, gleich mit
in den vertrag aufgenommen und damit schon äusserlich die Unzertrenn-
lichkeit der Freundschaft und des Handels zu erkennen gegeben.
4) So war im Vertrag von 1446 noch nicht wie 1478 der Handel mit
Waffen und Munition gestattet, noch nicht wegen erlittener Beschädigungen
hinlänglich vorgesorgt, die Behandlung der Schuldverhältnisse und die Ge-
richtsbarkeit nicht gehörig geordnet, die Durchfuhr von Geld nicht erlaubt,
eine anständige liberale Zollabfertigung nicht zugesichert, noch nicht der
Verkehr auf allen Strassen eingeräumt und ähnliches mehr. Rymer XI.
S. 140: XII. S. 67; XII. S. 605. Zum Vergleich kann auch, um nicht
über das 15. Jahrhundert hinauszugehen, herbeigezogen werden der Ver-
trag von 1408, abgedruckt bei Varenbergh. Relations diplomatiques
S. 548—72: „Copie van de vrede tusschen Viaenderen ende Inghelandt
ghemaect int jaer XII Ifc acht ende dat voor een jaer."
*) Ausser dem Vertrag ist auch Urk. Beil. 133 § 47 u. 48 zu ver-
gleichen.
•) Der Erzherzoff am 26. Februar (R y m er XII. S. 648), und Heinrich VH.
am 1. März 1497. (Verachter, Inventaire des anciennes chartes et pri-
— 22 —
Aber nicht die Wollfrage, sondern die Verletzung des eben
geschlossenen Vertrags bildete den Gegenstand der Verhandlung.
Der Erzherzog hatte nämlich angeordnet, dass man fttr jedes
Stück Tuch einen sogenannten Andreasgulden Zoll erlegen1)
und selbstverständlich brachten die englischen Gommissäre den
Weisungen ihres Herrn zufolge diesen Punkt zuerst zur Sprache.
Ihre Bemühungen hatten auch den erwünschten Erfolg. Die
neuen Abgaben wurden zurückgenommen und dem 'englischen
Tuch wieder der niederländische Markt mit Ausnahme Flan-
derns vollständig eröffnet. Der Erzherzog räumte gleichzeitig
Heinrich VII. das Recht ein, alle früheren, mit den Nieder-
landen! geschlossenen Verträge aufzuheben, wenn dieser oder
ein anderer Zoll neu auferlegt werde2). Die Anliegen der
burgundischen Vertreter wurden aber vorläufig auf eine bessere
Zeit verschoben. Ein dieserhalb zu Brügge im April 1498 ge-
haltener Congress verlief resultatlos, weil die Niederländer den
Stapelzoll für Wolle um 1 Mark (13 s. 4 d) ermässigt wissen
wollten, die Engländer aber, wie es scheint, mit der ihnen ge-
botenen Compensation nämlich einem Nachlass von 2 sh für
jedes Stück englischen Tuchs3) sich nicht zufrieden gaben.
Die Verhandlungen sollten drei Monate später wieder auf-
genommen werden. Thatsächlich kam man aber erst im fol-
genden Jahre, nach langen und schweren Debatten zur Einigung.
Die über dieselben noch erhaltene, leider aber sehr ver-
stümmelte Correspondenz 4) lässt deutlich erkennen, wie eigent-
lich hier erst die mercantilen Gegensätze auf einander stiessen,
mit welcher Umsicht und Festigkeit aber zugleich Hein-
rich VII. die von ihm in's Auge gefassten Vortheile ver-
treten liess5).
Um seinen Wünschen den gehörigen Nachdruck zu geben,
hatte er die englischen Kaufleute veranlasst, vom nieder-
ländischen Markte sich zurückzuziehen und in Galais ihre
vileges et autres documents conserväs aux archives d'Anvers 1193—1856.
Alivers 1860. S. 183; Rymer XII. S. 654.
*) Der spanische Gesandte De Puebla erzählt in einem Briefe an
Ferdinand und Isabella, dass diese Zollerhöhung auf der letzten Messe zu
Antwerpen stattgefunden habe, und dass die Engländer glaubten, der
König habe dieser Massregel zugestimmt. (Bergenroth, Cal I. 143.
11. Juli 1496). Wie wenig dieser Verdacht begründet war, zeigt Heinrichs VTL
Brief vom 21. Juni 1496, wo er einen energischen Protest gegen dies
vertragswidrige Verfahren erlässt Gairdner, a. a. 0. II. 5. 69—72.
Ueber die unfreundliche Behandlung der Englander, welche ßich weigerten,
den Zoll zu zahlen, sieh ebenda. VgL ferner ürk. Beil. 88.
*) 7. Juli 1497. Rymer XU. 8. 654 fc.
s) Sieh oben S. 11 Note 4.
*) ürk. Beil. 8-13.
5) Rymer XII. S. 713.
— 23 -
Messe zu halten1). Zeitweilig machte er sogar Miene zum
förmlichen Kriege*).
Bei den Verhandlungen stand die Tuchfrage wieder für
die Engländer im Vordergrunde. Es galt den protectionisti-
schen Bestrebungen der Niederländer fest entgegen zu treten
und den englischen Tüchern den Markt offen zu halten. Zwei
Wünsche setzte er denn auch durch; der Zoll von 1 fl. für
das eingefühlte englische Tuch wurde erlassen, auch für den
Fall, dass die Käufer anderer Nation angehörten (Art. 5) ; ferner
willfahrte man seinem Verlangen nach Beseitigung der Ver-
ordnung, dass alle Tücher ausschliesslich in Antwerpen und
Brügge gestapelt , sowie daselbst neu gesiegelt werden sollten
(Art. b). Fortan durften die englischen Tücher in alle nieder-
ländischen Städte geführt werden. Dagegen weigerten sich
die Niederländer, seiner Forderung zu entsprechen, dass den
Unterthanen des Erzherzogs ausdrücklich die Befiigniss einge-
räumt würde, englische Tücher zu tragen oder solche nach der
Elle zu verkaufen. Die Commissäre des Erzherzogs stellten
den völligen Ruin der einheimischen Tuchmacherei in Aussicht,
wenn man dies Zugeständniss machen würde 3). So blieben die
Engländer vom eigentlichen niederländischen Consum ausge-
schlossen und mussten sich auf Befriedigung des Bedarfs der
Fremden beschränken, wenn nicht, wie wahrscheinlich, in der Aus-
führung dieser Bestimmungen ziemlich liberal verfahren wurde.
Zu einer derartigen Annahme ist man durchaus berechtigt.
Der Artikel 6 machte schon eine wirksame Controle unmög-
lich. Nach Aufhebung des Stapelzwangs für englisches Tuch
war der Detailverkauf und die Einbürgerung der englischen
Fabricate kaum hintanzuhalten. Die niederländische Regierung
selbst, welche so sehr sich weigerte, im Vertrag den Detaii-
verkauf und das Tragen englischer Tücher zu gestatten, hatte
dies aus freiem Antrieb wenigstens für die geringwerthigen
Tücher aus Irland, Schottland und sonstwoher4) schon im
Jahre 1497 (17. Nov.) wieder gestattet, weil diese. Tücher für
die ärmsten Bevölkerungsclassen unentbehrlich waren. In
Antwerpen endlich verhielt man sich auch bei den andern
Tüchern gegenüber den bestehenden Verordnungen ausser-
*) Dieses Befehls geschieht Erwähnung in einem Briefe Heinrichs VII.
an Margaretha v.Mai 1507. Gairdner, a.a.0.1. S.329. Es ist unzweifelhaft,
dass Heinrich VII. die Idee hatte, den englischen Tuchmarkt ganz nach
Calais zu ziehen und dadurch sowohl diese Stadt zu heben, als auch den ,
Schwierigkeiten mit den Niederländern aus dem Wege zu gehen. Daher
die wiederholten Versuche, dieses Project zu verwirklichen.
2) Vgl. den Brief Raimondo di Sonimo's an Ludovico Sforza, Herzog
von Mailand vom 17. November 1498. Brown, Cal. I. 776.
*) ürk. Beil. 9 und 11.
*) „Ycrscbe mantels, mantellaken, kerseyt d'Ecosse, chivir, ghewreven
laekenen, stockbreeden". Placcaerden van VI an deren. I. S. 592.
— 24 -
ordentlich lax, so zwar, dass die englischen Commissäre die
dort bestehende Uebung als einen Berechtigungsgrund für ihr
Begehren anführen konnten 1).
Den zweitwichtigsten Punkt bildete die Wollfrage 2). Hier
mussten die Niederländer mit einem Nachlass von Vi Mark
per Sack sich begnügen und selbst auf diesen verzichten, wenn
eine verheerende Seuche unter den Schafen in England aus-
brechen sollte, auch war die Vergünstigung nur auf 12 Jahre
gewährt (Art. l)s). Dagegen kam man ihren Wünschen ent-
gegen in Betreff einer sorgfältigen und gewissenhaften Ver-
packung (Art. 2.)4).
Eine dritte Frage von Belang bezog sich auf die Geld-
zahlung, beziehungsweise Geldausfuhr. Heinrich VII. wollte
möglichste Freiheit in derselben von den Niederländern ge-
währt wissen. Er erreichte auch, dass die Stapler Geld und
verarbeitetes Gold und Silber ausführen durften, verlangte aber
vergeblich, dass auch die Ausfuhr von Barrenmetall gewährt
werde. Die Niederländer meinten, die Engländer könnten sich
mit der ersterwähnten Concession zufrieden geben, sei doch
ihnen nicht einmal so viel in England erlaubt5). Hinsichtlich
der Durchfuhr von Gold- und Silberbarren blieb es bei der
Bestimmung des Magnus Intercursus (Art. 31), cl. h. sie war
gestattet.
Ferner wurde bestimmt, dass der Voi-stand der englischen
Kaufleute (Court Maister) keine Preistaxe festsetzen dürfe, viel-
mehr die Engländer sowohl auf den Messen als zu anderen
Zeiten in Antwerpen und Brügge nach freier Vereinbarung mit
denVerkäufem handeln könnten (Art.8) 6). Auch sollte die engli-
sche Nation nicht durch Gesetz den Handel mit bestimmten Per-
sonen oder Städten verbieten, wenn ihre Angehörigen nicht
durch diese beschädigt oder misshandelt worden waren (Art. 9).
Die übrigen Bestimmungen sind vorwiegend rechtlicher Natur 7).
») Urk. Beil. 14.
*j In Betreff dieser sind auch die früheren Verhandlungen zu verglei-
chen, besonders die vom Jahre 1478. Die Flamänder erlangten damals
die Beseitigung der Preistaxe für Wolle, bemühten sich aber vergeblich
durchzusetzen, dasssie nicht mehr zu je 2 Säcken neuer Wolle auch
Sack alte nehmen müssten. Ryraer XII. S. 76.
8) Vgl. auch ürk. Beil. No. 11.
<) Urk.-Beil. 12, 13.
8) Ürk.-Beil. 8.
°) Dies war schon 1478 durch Artikel 17 statuirt.
7) Solche waren auch im Vertrage von 1478. So z. B. wurde damals
festgesetzt, dass der Gläubiger den Eid des Schuldners als einziges Beweib -
mittel ablehnen darf. Rymer XIL S.76. Die bezüglichen Artikel unseres
Vertrages bestimmen: 1) Moratorien und die Ausgaben von „Breven" und
sogen. -KynkerneUys" sind unstatthaft (Art. 1). 2) Klagen wegen verdor-
bener Wolle können nur geltend gemacht werden, wenn dieser Verderb
innerhalb dreier Monate nach dem Kauf eintritt; ist dies der Fall,
so müssen die Stapelbehörden in 20 Tagen Recht sprechen, sonst gilt
— 25 —
Mit Ausnahme des Artikels 1 hatte der Vertrag a£uf Lebens-
zeit der Contrahirenden zu gelten1).
Zieht man eine Bilanz der Vortheile, welche die beiden
Länder einander abgerungen, so kann es keinem Zweifel
unterliegen, dass die grösseren auf Seite Englands lagen, und
dass Heinrich VII. hier bereits den ersten Schritt gethan hatte,
um dem englischen Handel in den Niederlanden ein grösseres
Operationsfeld zu schaffen. Er war auch über den Ausgang
der Verhandlungen so erfreut, dass er aus Anlass dieses Ver-
trags für die Cathedrale zu Antwerpen ein Glasgemälde fertigen
Hess, auf welchem er und seine Frau knieend und betend dar-
gestellt sind2).
Hand in Hand mit ihrem König waren die Merchant
adventurers thätig. Sie nöthigten die Antwerpener, nicht nur
die ihnen früher gewährten Rechte und Freiheiten zu bestä-
tigen, sondern erlangten auch neue. Sie verschafften sich Sitz
und Stimme im Zollhaus, in dem fortan drei hervorragende
Kaufleute gemeinsam mit den Zöllnern die Verordnungen fin-
den Erahnen und die Krahnenarbeiter erliessen. Ebenso wur-
den sie von der Accise für ihren Wein und anderes Getränke
befreit, das Scheide.- und Heringsgeld ihnen erlassen, die Be-
strafung Aller für Schulden Einzelner als unstatthaft er-
klärt8).
So zufrieden gestellt, kehrten die Engländer, wieder nach
Antwerpen zurück, und allgemein war die Freude und der
Jubel bei ihrem mit grosser Feier veranstalteten Einzug4).
Die Merchant adventurers konnten sich auch in der aller-
nächsten Zeit nicht wegen Mangels an Entgegenkommen von
Seite der niederländischen Städte beklagen. Erhielten sie
ihre Wünsche nicht befriedigt, so verbot ihr Vorstand den
der Kaufvertrag für aufgelöst Eine Berufang ist nur an den König oder
dessen Bevollmächtigte möglich (Art 3). 3) Wird Mangels Zahlung oder
wegen Nichteinhaltung des Contracts gegen den Schuldner Klage erhoben
und das Vorhandensein des Contracts erwiesen, so muss der Richter
sofort das Urtheil fallen, es sei denn, dass der Schuldner eine gesetzliche
Exception geltend macht; in letzterem Fall muss dieser die fragliche
Summe deponiren und dem Gläubiger einhändigen, der Richter aber die
Sache in 6 oder 9 Monaten entscheiden (Art 10). 4) Bei Vergehen ist nur
der Schuldige haftbar (Art. 11). 5) In den Niederlanden sterbende Eng-
länder stehen nicht ausserhalb des Gesetzes, ihr Vermögen muss an die
Verwandten gelangen (Art. 12).
') Heinrich VII gab am 18. Mai 1499 den Befehl zur Proclamation des
Vertrags. Gairdner a. a. 0. II. S. 377.
*) Das Glasfenster wurde 1503 im Antwerpener Dom angebracht und
ist heute noch erhalten.
*) ürk. Beil. 133. § 51. Am 11. Juni 1502 wurde befohlen, dass alle
früher von den Engländern benutzten Waarengewölbe und Kaufhallen in
der Wollstrasse definitiv zu räumen und diesen wieder zur Verfügung zu
stellen seien. (Antw. St A. Het oudt Register van diversche mandementen.)
4) Hall, Chronicle **. 483 sagt: The English men resorted again
into the Archedukes dominions and were receaved into Andwarp with
generali procession, so glad was the toune of their retumyng, whiene was
— 26 —
Handel mit Antwerpen , und wenn auch darauf Repressalien
erfolgten, so gelangte man doch immer bald zu einer Verstän-
digung, bei der die Engländer Sieger blieben1).
Freilich kam diesen dabei sehr zustatten, dass nicht nur
Middelburg mit Antwerpen und Bergen theilweise in Concur-
renz trat ') , sondern dass seit einiger Zeit ernstlich versucht
wurde, dem weiteren Verfall Brügge's vorzubeugen. Antwer-
pen musste Alles aufbieten, um die Kaufleute so fest an sich
zu ketten, dass sieK eventuell selbst einem Befehl, nach Brügge
zurtickzukehi-en, trotzten. In der That hatte man solche Man-
date erlassen. 1494 wurden die spanischen Kaufleute auf-
gefordert, in Brügge ihren Aufenthalt zu nehmen3); für
spanische Wolle war Brügge ohnehin noch immer jler Stapel-
platz 4). 1498 wagte Erzherzog Philipp einen kühneren Schritt.
Er war persönlich in Brügge gewesen und hatte sich durch
den Augenschein überzeugt, dass die Stadt dem vollen Ruin
entgegengehe 5). Er befahl, dass fortan alle fremden Kaufleute,
die im Lande wohnten, in Brügge sich aufhalten und dahin
ihre Waaren führen sollten, und verbot ihnen, anderswo ihre
Waaren zu verkaufen. Nur die grossen Freimärkte von Ant-
werpen , Bergen op Zoom und andern Städten sollten eine
Ausnahme machen. Auf ihnen blieb der Verkauf für die
Dauer der Messen gestattet. Feiner bestimmte Philipp auf
Bitten der Stadt, dass alle Fremden, welche nach Brügge
kämen, während sechs Jahre nicht wegen Schulden, die ausser-
halb des fcandes contrahirt worden wären, verfolgt werden
dürften 6). Also selbst vor einem so bedenklichen Mittel schrak
man nicht zurück, um nur wieder einen festen Kein fremder
Kaufleute nach Brügge zu ziehen.
Es scheint nicht, als ob man in dieser Weise eine auch
nur vorübergehende Besserung hervorrief. Die Aufmerksam-
keit lenkte sich deshalb auf andere Massregeln. Die eine
ging dahin, den Zwin wieder in schiffbaren Zustand zu ver-
setzen7). Eine Commission wurde ernannt, welche eine sorg-
fältige Untersuchung anstellte und einen umfassenden Regu-
lirungsplan entwarf. Ypern, Gent und Lefranc erhoben zwar
Widerspruch, fanden dasProject zu kostspielig und unwirksam,
Philipp aber beschloss, nachdem er persönlich die Pläne und
die Terrainverhältnisse in Augenschein genommen, die Aus-
by their absence sore hindered and empoverished at the time, that this
unitie and concorde was made.
*) Vgl. Urk. Beil. 16-18, 133 § 53.
«) Sieh auch ürk. Beil. 133 § 55.
°) Kervyn de Lettenhove, Histoire de Flandre VI. S. 79.
4) Henne, Histoire du regne de Charles-Quint en Belgique T. V. S.
271 und Placcaertboecken van Vlanderen III. S. 969.
6) „en voye de totalle ruyne et dalier du tout ä neant." Diegerick,
Inventaire des archives d'Ypre T. IV. S. 276. No. 1329.
«) a. a. 0. No. 1328.
7) 13. April 1501 a. a. 0. T. V. S. 3. No. 1361.
— 27 —
führang. Es unterliegt keinem Zweifel, dass thatsächlich an's
Werk gegangen wurde. Nur macht es den Eindruck, als ob
die Regulirungsarbeiten viel zu langsam voranschritten *), viel-
leicht auch wegen der mangelnden Beiträge der verarmten
flandrischen Städte nicht ganz so ausgeführt wurden, wie
man es geplant. Mit jedem Jahr, das darüber verfloss, musste
aber die Wahrscheinlichkeit , wieder einigermassen den alten
Glanz zurück zu erlangen, geringer werden.
Von ganz besonderer Bedeutung war endlich eine Ver-
ordnung, durch welche Brügge zum Stapelplatz für englische
Tücher in Flandern erhoben wurde2). Die letzteren waren
trotz früherer Verbote in Brügge, sicher wenigstens seit 1470,
und ebenso aller Wahrscheinlichkeit nach in anderen flandri-
schen Städten zugelassen worden, nur durften sie nicht per
Elle verkauft, überhaupt gar nicht ohne Verpackung vorge-
funden werden; sie mussten also genau in dem Zustande blei-
ben, in welchem sie England verlassen hatten; eine Zuberei-
tung der englischen Tücher in den Niederlanden war nicht
gestattet; sie durften auch nicht von Bewohnern Flanderns
getragen werden ; sie berührten nur flandrisches Terrain , um
von da in die Hände Fremder zu gelangen. An diesem Zu-
stande etwas zu ändern, dazu konnte man sich nicht entschlies-
sen: denn allenthalben lag in den flandrischen Städten die
Tuchindustrie darnieder; wo man hinblickte, zeigte sich ein
trostloses Bild. Mit der Erhebung Brügge's zum flandrischen
Stapelplatz für englisches Tuch war auch keineswegs eine
Concession an die Engländer beabsichtigt. In der Verleihungs-
urkunde werden ausdrücklich die Beschränkungen, denen die
englischen Tücher unterworfen sind , hervorgehoben. Das
Stapel war sogar ganz zweckentsprechend, eine scharfe Con-
trole zu üben , während man gleichzeitig auf diese Weise
die englischen Kaufleute* zwingen zu können vermeinte , in
Brügge_wieder zu residiren. Freilich dürften diese wenig
Neigung verspürt haben', diesem Zwange sich zu fügen. Es
ist wahrscheinlich, dass in Folge dieser Stapeleinrichtung der
englische Handel noch mehr in Antwerpen sich concentrirte,
wo man auf eine milde Praxis in der Tuchfrage rechnen
konnte und von wo aus sich das englische Tuch wohl auch in
Flandern einschmuggeln Hess.
So sicher nun all diese Massregeln für die Engländer
nichts Verlockendes haben konnten , so lag doch darin ein
Factor, mit dem die Brabanter rechnen mussten. Die Mög-
lichkeit, dass man in Flandern zu liberaleren Concessionen
*) Noch 1510 ernennt Margaretha Commissäre für die Arbeiten, a. a.
0. Nene Pläne legte 1546 Lancelot Blondeel vor, wonach Brügge durch
einen Canal mit dem Meer bei Heyst verbunden werden sollte. (Brügger
Stadtarchiv.)
*) 28. 8ept 1501. Urk. Beil. 15.
— 28 —
sich herbeilassen, oder dass die Regierung noch weitere
Schritte thun werde, war keineswegs ausgeschlossen. Antwer-
pen und Bergen waren auch klug genug, um dies zu be-
greifen und ihre Interessen mit denen der Engländer möglichst
zu verbinden.
Die künftigen Aussichten schienen somit für die Engländer
ganz gut zu sein. Der Intercursus von 1496 wurde am 19.
Juni lß02 zu Antwerpen von den beiderseitigen Bevollmäch-
tigten erneuert und ein neuer Freundschaftsvertrag zwischen
Maximilian und Heinrich VII. geschlossen1). Dennoch sollte
das freundliche Verhältniss nicht lange andauern. Wie so oft,
war wohl auch jetzt wieder die ständige Furcht des Königs
vor politischen Verräthern der Hauptanlass. Der Graf von
Suffolk, der sich in den Niederlanden aufhielt, galt als ver-
dächtig. Heinrich VII. wünschte seiner habhaft zu werden,
und da die Niederländer hierzu die Hand zu bieten nicht
sehr bereit waren, so trat eine Spannung ein, die sofort auf
die commerciellen Beziehungen sich übertrug. Im Jahre 1504
wurden Klagen wegen neuer Abgaben und wegen Vertrags-
verletzungen, welche die Engländer sich zu Schulden kommen
Hessen, erhoben. Den Berichten des venetianischen Gesandten
zufolge scheint Heinrich VH. zu Calais auf alle Waaren, die
von England nach Flandern gingen, einen neuen Zoll gelegt
zu haben, welcher von Philipp mit einem Retorsionszoll beant-
wortet wurde '). Die zur Bereinigung dieses Streites ernannten
Comraissäre3) richteten nichts aus. Das Verhältniss wurde immer
unerquicklicher. Die englischen Kaufleute verliessen wieder Ant-
werpen und begaben sich nach Calais, wo Heinrich VH. einen
Freimarkt mit einer in jedem Vierteljahr abzuhaltenden 40tägi-
gen Messe errichtet hatte4). Der Handel zwischen England
») Rymer XIIL S. 6 fg.
*) Vincenzo Quirini an die Signorie. Gent 29. November 1505.
Brown's Cal. I. 860.
") Rymer XIII. S. 105.
4) 15. Jan. 1505. Gair dner a. a. 0. II. S.379. Mit dem Freimarkt scheint
Heinrich VII. diesmal keinen Misserfolg gehabt zu haben, sonst hätte doch
wohl sein Biograph Bern. Andreas Tholos. das Lob nicht in so über-
schwenglicher Weise spenden können. Er sagt beim Jahr 1504/5 vom
Flandriae commeatus: Quid dicam de commeatu illo Flandriae sapienti
consilio intermisso, cujus rei gratia semel et jam secundo nobilis ad regem
nostrum legatio venit? Quanta Drudentia, quanta sagacitate, quantove
consilio suae reipublicae prudentissimus rex noster prospexitl Quod nulli
antea hujus regni principes praestare potuerunt, quominus nundlnae apud
HIob in suos ubus quotannis observarentur, hie unus rex effecit, ut Calisii
forum ejusmodi non suis tantum, sed eunetis nationibus pateret. 0 im-
mensam tanti regia prüden tiaml 0 eximiam in subditos benevolentiani !
0 maximam denique im omnes exteras eentes mansuetudinem ; qui tot
commoda, tot libertates tantaque praesidia suopte ingenio comparavit.
Enimvero illustrissimi regia Castellae Philippi pace ac venia dixenm, tot
retro imperatores, tot duces, tot principes suis populis nunquam talia pro-
— 29 —
und den Niederlanden wurde völlig gesperrt1), die gegen das
Verbot eingeführten Waaren beschlagnahmt2). Die nieder-
ländischerseits geschickten Gesandtschaften 8) vermochten nichts
auszurichten, da Heinrich VII. die Beseitigung des Retorsions-
zolles verlangte, aber keineswegs die von ihm selbst auferlegten
Abgaben aufheben wollte4). Die Niederländer und Antwerpe-
ner wurden von der Stockung des Handels sehr empfindlich
beröhrt und die Regierung sah sich genöthigt, in ihrer Geld-
noth den Import von 10000 englischen Tüchern gegen be-
trächtliche Licen^ebühren zuzulassen5).
Eine friedliche Wendung trat erst ein, als im Jahre 1506
Philipp, der zugleich König von Spanien geworden und als
solcher ein Bündniss mit Heinrich VII. gegen Ferdinand von
Aragonien zu erlangen suchte, auf seiner Reise nach Spanien
an die englische Küste verschlagen wurde und so Gelegenheit
zu einer persönlichen Zusammenkunft mit dem englischen König
fand6).
Heinrich VH. in seiner nüchternen Weise nützte diese
Conjunctur nach Kräften aus. Er war aber in der glücklichen
Lage, nicht blos seine im Grunde doch trügerische Freund-
schaft in» die Wagschale werfen zu können, sondern er sah
sich auch noch in anderer Weise unterstützt. Die Brügge'sche
Frage spielte herein. Philipp der Schöne war, wie oben her-
vorgehoben worden, dem Verfall der Stadt gegenüber nicht
gleichgültig und sicherlich von vornherein zu Concessionen
geneigt, wenn die englischen Kaufleute nach dem ehemaligen
xorarunt. Nee Marcellos, nee Curiones, nee Fabios, nee Caesar es, nee
Alexandras quamvis mtüta pro suis gesserint, huic nostro conferam. Hie
enim solus regni sui solis pacis artibus, sine gladio sive sanguine, tanta
emolumenta paravit, ut merito pater patriae a eunetis ac rex paeificus
totam per orbem nominetur. Historia regis Henrici VIL a Bern. Andrea
Tholosate conscripta. Edit. by J. Gairdner S. 83.
x) Vincenzo Quinni an die Signorie. Antwerpen 1. Juli 1505. Brown,
Cal. I 846.
*) 5. August 1505. Brown , Cal. I. 860.
*) So wird eine solche erwähnt, welche Philipp schickte und die meh-
rere Monate vergeblich unterhandelte '(Brown, Cal. I 648); am 12. Juli
ging auf des Kaisers Wunsch Hermarch aus Köln zu diesem Zwecke nach
England (Brown, Cal. I. 848) und im September 1505 reisten Croy de
Sempy und der Präsident von Mecheln Sauvage nach London, um ein
Einverständniss zu erzielen (Brown, Cal. I. 855). die letzteren hatten
eine grosse Zahl von Sachverständigen bei sich. Ueber einige Vorgänge
in ihren Verhandlungen sind wir unterrichtet. Die Niederländer verlangten
hauptsächlich die Abschaffung der Abgaben „Ancragia, Balliaga, Skavagia,
Grakaiga, Paccaiga, Grondaga, Hedmony, Coquetmony ;a vgl Ürk.
Beil. 69, 70.
4) VincQuirini an die Signorie. Gent 29. Nov. 1505. Brown, Cal. I. 860.
*) V.Quirini an die Signorie. Antwerpen 19. Juli 1505. Brown, Call. 849.
•) Fischer, Geschichte der auswärtigen Politik und Diplomatie im
RdFormationazeitalter 1485 — 1556 S. 49; damit ist zu vgL Gacnard, Col-
lection des voyages des souverains desPays-Bas. T.I. Bruxelles 1876. S. 498 fg.
— 30 —
Handelsemporium zurückkehren wollten. Der Zeitpunkt zu
einem solchen Versuch war besonders günstig, weil die eng-
lischen Kaufleute ihren Verkehr mit Antwerpen abgebrochen
hatten und ihre Messen in Calais hielten. Unter den nieder-
ländischen Vertretern nahm sich Pierre Anchemont der Brügger
Interessen an l). Nichts liess er unversucht , um die Gründe
der Kaufleute3) zu entkräften, den Rath und besonders den
König selbst für diese Sache zu gewinnen. Aber auch die
Leute von Antwerpen, Bergen op Zoom und Middelburg waren
nicht unthätig 3). sondern verstanden es trefflieh, ihren Interessen
Geltung zu verschaffen. Heinrich VII. machte in geschickter
Weise den Brüggern einige Hoffnung 4) , band sich aber nicht
im Mindesten die Hände, schützte zunächst den Widerstand
der Kaufleute vor6) und erklärte, die Frage erst definitiv
lösen zu können , wenn der Vertrag abgeschlossen sei 6). In-
dem er diese verschiedenen Strömungen benutzte, war er im
Stande, die meisten seiner Wünsche durchzusetzen. Ein Han-
delsvertrag wurde vereinbart, der ziemlich einseitiger Na-
tur war7).
Die Handelstractate , welche die beiden Contrahenten
früher geschlossen, wurden, insoweit sie dem gegenwärtigen
nicht widersprachen, bestätigt (Art. 1), alle unrechtmässigen
Abgaben aufgehoben (Art. 2) 8) und als schuldige Zölle die des
Intercursus magnus festgesetzt (Art. 6). Die Engländer spe-
ciell sollten in Antwerpen nur die in dem Philipp'schen Privi-
leg vom Jahre 1446 specificirten Abgaben erlegen9) und
x) Eine Copie seines Berichtes hierüber an den Stadtmagistrat von
Brügge, datirt London 18. April 1506, ist im Brügger Stadtarchiv erhalten.*
9) Als solche führen sie an 1) „le mauvais port, qu'ils ne peuvent
bonnemenl arriver sinon en £te ou en plaine lune", 2) das Verbot, Tücher
im Detail zu verkaufen, 3) die Vexationen von Gent, Ypern und anderen
Städten, 4) hohes Tonnengeld und grosse Maklergebühren, 5) in Antwerpen
und Bergen bequeme Landung und die Sicherheit, jederzeit Käufer daselbst
zu finden, a. a. 0.
") Sie machen „grands poursuites öftres et pr&entations". a. a. O.
*j „Monsieur le Secretaire, mon ami. «Tay pieca sceu que le Roy, mon
bon nls, vostre maistre ayme cördialement sa bonne ville de Bruges, et
tant pour ceste cause comme pour la bonte, et douceur dicelle, aussy que
les habitans se monstrent enciins envers moy, je Tay en singulier amour
et recommandacion plus que nulle des aultres villes de par dela." a a. O.
5) „Les marchands de mon royaume fönt encore quelques difficultes
et surtout me requierent liberte* et qu'ils ne soient constrains d'aler senon
ou ils pourront mieulx trouver leur prouffit et commodite". a. a. 0.
6) „Je ne leur (sc. Brugeois) puis bonnement faire response finale
jusques a ce que ladite conclusion soit prinse". a. a. 0.
7)Rymer XIII. S.132 fg.
8) Komisch ist der Beisatz, dass die Kaufleute nur diejenigen Zölle
zahlen sollen, welche ab origine mundi (!) bestanden.
*) Sieh den Zolltarif in Urk. Beil. 2. § 1. Wahrscheinlich fixirt der
Artikel 5 des neuen Vertrags nur klar und deutlich, was der M*J.
will, der nämlich sagt, dass die Zölle, welche vor 50 Jahren (also 1446)
— 81 —
deshalb fortan befreit sein vom sogenannten Sewesschezoll oder
Zoll von Zeeland, vom Hound Zoll, wenn sie nach Antwerpen,
und vom Brabanter Zoll, wenn sie nach Bergen und Middel-
burg führen. Der Zoll von Zeeland sollte auch nicht von ihnen
erhoben werden, wenn sie nach Brügge sich begäben (Alt 5).
Wichtige Concessionen waren hinsichtlich der englischen Tücher
eingeräumt. Der Grossverkauf englischer Tücher in Brügge
wurde auch im Vertrag zugelassen1), und Beschlagnahmungen
wegen früher in Brügge erlassener Verordnungen für unstatt-
haft erklärt. Den englischen Kaufleuten wird das Recht ge-
währt, im ganzen Gebiete Philipps — - Flandern ausgenommen
— ihre Tücher auszuschneiden oder weiter verarbeiten zu
lassen (Art. 4), ebenso soll in den erwähnten Gebieten den
Niederländern der Ausschnitt oder Gebrauch englischer
Tücher nicht verwehrt, die. letzteren überhaupt nicht verboten,
auch keinerlei Lasten den Verkäufern englischer Tücher auf-
gebürdet werden (Art. 7). Die Zölle für englische Tücher
sind die nämlichen, wenn fremde Kaufleute dieselben im-
portiren, und participiren somit diese, soweit es diesen Ar-
tikel betrifft,, an den Zollprivilegien der Engländer (Art. 8).
Sollte der jeweilige Herrscher der Niederlande eine Zollände-
rung eintreten lassen oder sonstige Lasten auferlegen wollen,
so ist er verpflichtet, vor Jahresfrist dies zur Eenntniss der
englischen Kaufleute zu bringen, damit diese ihre Geschäfte
abwickeln und vom niederländischen Markt sich zurückziehen
können (Art 7). Endlich um alle Zweifel in Betreff der Zölle
zu beseitigen und willkürliche Erpressungen der Zollbeamten
zu verhindern, soll an den Zollhäusern von London, Brügge,
Antwerpen, Bergen und Middelburg der Zolltarif angeheftet
werden (Art. 16).
bestanden, für die Engländer in Anwendung kommen sollen. Es ist also
möglich, dass damit rechtlich gar nichts Neues verliehen wurde; jedenfalls
wurde aber thatsachlich Neues verliehen, indem die Niederländer die
Engländer ganz ebenso wie ihre eigenen Unterthanen fortwährend neuen
Abgaben unterworfen hatten. Zur Beseitigung des Zeeland- und Hound-ZoUes
war übrigens Philipp bereits 11. October 1504 durch einen Ausspruch des
grossen Kaths von Malines ermächtigt worden, worin es heisst, dass er die
gewöhnlichen Zölle aufheben könne, et ce de toutes navieres, denräes et
marchandises qu'elles soient, de quelle part qu'elles viennent, appartenans a
narchans non francs, que en allant, venant, montant. descendant et passant,
ou touchants aucun de cours d'eau et strooms aessusdicts la Honte et
autres". Bruyssel, Histoire du commerce en Beldque II. 8. 245, der sich
auf Smallegange Cron. van Zeeland, lste deel 2. book S. 165 stützt.
') Obwohl man dies schon lange thatsachlich gestattete (sieh oben S. 27),
so war die ausdrückliche Aufnahme der Bestimmung in den Vertrag doch
nicht gleichgültig; denn nach dem Intercursus war die Einfuhr aller Waaren
zwar erlaubt, aber immer exceptis statutis et ordinationibus locorum in
Omnibus semper salvis. Vor dem Vertrag konnte Brügge oder Flandern
mr sich jederzeit die Einfuhr verbieten. Dem war jetzt vorgebeugt.
— 32 —
Für alle diese Rechte erhielten die Niederländer so gut
wie Nichts, nämlich eine genaue Classificirung der Wollsorten l)
(Art. 14) und die Erlaubniss, Proben aus den Wollsäcken im
Stapel zu Calais nehmen zu dürfen, wobei jedoch die Kosten
der Wiederverpackung ihnen zufielen, wenn die Packung eine
ordnungsmässige war (Art. 15) *). In den Zöllen waren die
Engländer wohl sogar günstiger gestellt als die Niederländer
selbst, da diese die den Engländern erlassenen Zölle, wie den
Zeelandszoll , aller Vermuthung nach zahlen mussten; ferner
konnten fortan die englischen Kaufleute die Niederlande mit
ihren Tüchern überschwemmen und die daselbst ohnehin schon
längere Zeit leidende Tuchindustrie zum grossen Theil ver-
nichten.
Man muss sich nur die Lage der letzteren vergegenwär-
wärtigen, um die volle Bedeutung der Philippschen Concessio-
nen zu verstehen. Die Hauptblüthe der flandrischen Weberei
war längst vorüber. Seit den Tagen Philipps von Artevelde
war die Tuchindustrie in ziemlich raschem Tempo zurückge-
gangen. Die innere Unruhe und die französisch - englischen
Kriege hatten das Gewerbe schwer geschädigt Gegen Ende
des 15. Jahrhunderts bot die flandrische Manufactur im Vergleich
zu früher einen traurigen Anblick dar. Gent, obwohl noch in
verhältnissmässig guter Situation, hatte für die Tuchmacherei
lange nicht mehr die Bedeutung wie etwa im 14. Jahrhundert3).
Brügges Glanz war ganz verblasst , die Handelswelt hatte sei-
nen Mauern den Rücken gekehrt und die Industriellen waren
weggezogen, so dass die Stadt von der man übertreibend
erzählt, dass sie Ende des 18. Jahrhunderts 40000 Webstühle
hatte, jetzt das Bürgerrecht gegen eine Kleinigkeit anbot,
um Gewerbtreibende wieder heranzuziehen *). Ypern war voll-
ständig verfallen. Während es noch 1408 eine Bevölkerung
von 80 — 100 000 Seelen und 3—4000 Tuchmanufacturen
a) Die Sorten sind nach ihrem Ursprungsort benannt; als solche er-
scheinen „Lempster, Marche , Cotteswold, Berkshire, in venis Cotteswold,
Lindesay, Kesten, Rutland, Holand, Lowe Lindesey, Northholand, Norfolk,
Kent, Lindesey Marsne". Fast alle diese sind dann noch einmal in bonae
und medioeres unterschieden. Im Ganzen waren es 29 Sorten. In demselben
Artikel wird erwähnt, dass früher 36—38 Sorten im Handel üblich gewesen
seien, in der letzten Zeit aber nur 10 oder 12, indem die Kaufleute die
schlechtere Wolle unter die bessere mischten und auf solche Weise sich
bereicherten.
*) Die übrigen Artikel enthalten meist nur Wiederholungen aus frohe-
ren; so ist Art 9, 10 und 11 identisch mit Art 8, 9 und 10 vom Vertr.
1499, Art 12 mit 31 des M. J., Art 13 mit 26 des M. J. Der Art. 3
bestimmt, dass wegen der Zölle oder Beschlagnahmungen früher erlassene
Statuten oder gefällte Urtheile nicht zur Ausführung gelangen sollen.
") Vgl. Huyttens, Recherches sur les corporations gantoises notam-
ment sur Celles des tisserands es des foulons 1861.
4) Henne, iHistoire du regne de Charles -Quint en Belgjque Bd. 5.
S. 272.
— 33 —
besass, standen 1474 V» der Häuser leer, und waren 1486 nur
mehr 5 — 6000 Einwohner und die winzige Zahl von 25—30
Tuchgeschäften vorhanden *). Nur auf dem Lande und in den
kleinen Städten, wo die Commun^llasten geringe waren, konnte
die Tuchindustrie noch eine schwache Existenz fristen. In
Brabant war die Situation besser. Einzelne Städte hatten eine
blühende Manufactur namentlich in feinen Geweben. Zieht
man Mittel- und geringere Sorten in Betracht, so war auch
hier die Weberei im Rückgang begriffen *), namentlich in den
kleineren Städten war die Tuchindustrie erdrückt worden.
In Lgau z. B., das früher eine nicht unbedeutende Zahl von
Tuchgeschäften besass, waren sie so vollständig verschwunden,
«lass die Stadtbehörde vier fremden Handwerkern die günstig-
sten Bedingungen stellte, wenn sie in Löau sich ansiedeln und
das Gewerbe wieder treiben wollten3).
Wenn man die bedenkliche, erschütterte Lage der nieder-
ländischen Tuchmacherei in Verbindung mit dem auf dem
Volke lastenden Steuerdruck berücksichtigt, so findet man es
begreiflich, dass in den Niederlanden die schutzzöllnerische
Richtung vorherrschte. Man wird auch verstehen, dass der
Unwille des Volkes ein allgemeiner sein musste, als der von
Philipp mit Heinrich VII. abgeschlossene Vertrag bekannt
wurde, um so mehr, als England keinerlei Gegenconcessionen
gemacht, keinen Schritt von seinem eigenen protectionistischen
System zurückgewichen war.
Die öffentliche Meinung verlieh deshalb diesem Tractat
zum Unterschied vom Intercursus magnus den Namen des Inter-
cursus malus*).
x) Näheres hierüber bei Diegerick, Inventaire des archives de la
vffie d'Ypre T. DL S. 121-, IV. S. 23, 121, 301; V. S. 242, 289, 305.
*) Sieh auch Henne a. a. 0. S. 289.
■) Piot, Inventairea des diverses archives de la Belgique. 1879. S. 9,
48. Nr. 2, 126, 129.
4j, Die vorgeführten Momente genügen, um den Unwillen des nieder-
länd. Volkes zu erklären, und es ist nicht nöthig, sich nach andern
Erklärungen umzusehen. Sehr anfechtbar dürfte jedenfalls die in der
Literatur verbreitete Ansicht sein, als ob durch diesen Vertrag den Nieder-
ländern die freie Fischerei an den Küsten und Meeren Englands entzogen
worden sei. Der Ursprung dieser Meinung ist wohl bei Bacon zu suchen.
Er hat geradezu den ominösen Namen des Vertrages davon abgeleitet, that
the free-fishing of the Dutch upon the coasts and seas of England, granted
in the treaty of undecimo, was not by this treaty confirmed, all articles,
that confirm former treaties being precisely and warily limited and confirmed
• to matter of commerce only and not otherwise. (Bacon, Historv of Henry
VII. bei Kennet L S. G34.) Ihm folgten die späteren Schriftsteller, so
namentlich Anderson, der wie gewöhnlich noch andere Unrichtigkeiten ein-
schiebt (siehe deutsche Rigaer Ausgabe 1775 III. S.440), Macpherson II.
$.28 und diesen wieder alle übrigen, so auch noch Henne, Histoire du regne
de Charles-Quint en Belgique 1858 I. S. 88. und Bruyssel, Histoire du
commerce et de la marine en Belgique 1861 II S.245. Die Ansicht Bacons
halte ich deshalb für unrichtig, weil durch Artikel 1 alle früheren Handels-
?chanz, Engl. Handelspolitik. T. 3
- 34 —
Aber auch die niederländische Regierung selbst hatte
keine rechte Freude an dem im Augenblick der Noth dem
König Philipp abgepressten Vertrag und ergriff gerne eine
Gelegenheit, denselben wieder aus der Welt zu schaffen. Ja
man muss bezweifeln, ob Philipp selbst ernstlich seine Inkraft-
setzung beabsichtigte, jedenfalls wollte er erst Früchte von
Heinrich's Freundschaft sehen. Vorsichtiger Weise hatte er die
Ratification des Handelsvertrages in England nicht vollzogen,
ebenso nicht die der Urkunde, welche das Versprechen der
mit dem englischen Hause geplanten Verschwägerung enthielt,
sondern nur die des Freundschaftsvertrages. Die vereinbarten
Termine zur Ratification und Auswechslung der Documente1)
hielt Philipp nicht ein, sondern bat durch seinen Kanzler drei-
mal um Aufschub, und schliesslich griff man, als damit anstän-
diger Weise nicht mehr fortgefahren werden konnte, zu dem
Mittel der Missverständnisse2). Die Lage war dadurch sehr
ernst geworden, und die Kaufleute wurden so beunruhigt, dass
de Chifcvres Philipp dringend bat, den Vertrag zu ratificiren,
damit man ihn übergeben könne , wenn aus der Verweigerung
ein grösseres Uebel drohe8).
Da starb inmitten all dieser Verhandlungen Philipp und
gab durch seinen Tod einen geeigneten Anlass, den noch nicht
recht zu Leben gelangten Tractat zu beseitigen. Sofort er-
klärten die Flamänder den Vertrag für null und nichtig;
derselbe sei, wie sie sagten, nicht ratificirt und erlösche des-
vertrage, soweit sie nicht den Bestimmungen des Vertrags von 1506 wider-
sprechen, bestätigt wurden; damit war auch der Magnus Intercursus, auf
den man zudem in mehreren Artikeln sich beruft (vgl. Art. 6\ bestätigt;
der Art. 14 des M. I. erlaubt beiderseitig die freie Fischerei, und es ist
schwer denkbar, dass dieser Artikel, der einen integrirenden Bestandtheil
des M. I. bildet, von der allgemeinen Bestätigung nicht mit umfasst wor-
den sei.
1) Der Artikel 18 bestimmte, dass die Ratification in drei Monaten
erfolgen müsse. Zufolge eines Privatabkommens sollte der Handelsvertrag
vor dem 31. Juli ausgewechselt werden. Die Bestätigung des Heirathsver-
trags setzte Heinrich noch durch.
2) Vgl. die über diese Verhältnisse entstandene Correspondenz vom 20.
Juli und 12. August 1506 bei Gairdner, Letters and Papers etc. II.
S. 153—164; und Gachard, Lettres inddites de Maximilien S. 305—7.
*) Nous sommes bien erapeschez de ce que nous escrivez de Pentre-
cours, car comme nous vous avons adverty, nous avons pieca escrit audit
seigneur roy d'Angleterre que ä la requeste de vos marchands nous vous
avions advertis de leurs difficultäs et que sur ce attendions brief avoir
response de vous, et vous verrez aussy par ses lettres ce qu'il nous en
escrit, parquoy apres y avoir pense et veu que toujours ledit entrecours se
peut rappeler en le signifiant ung an devant, ferez bien de nous envoyer
la connrmation dudit entrecours signee de vostre main, et nous ne le
deüvrerons point, si ce n'est qu'il faudra qu'il soit pour eviter ung plus
grand mal. Brief von de Chievres an Philipp den Schönen vom 16. Aug
1506. Lettres du roy Louis XII. et du cardinal George d* Am-
boise. Brusselle 1712. IL 8. 76.
— 35 -
halb mit dem Tode des Fürsten x). Der unerquickliche Zustand,
wie er unmittelbar nach 1498 sich zu entwickeln begonnen
hatte, mit allen Zollerhöhungen und sonstigen Bedrückungen
war die sofortige Folge. Die Messen wurden in Calais fort-
gehalten *;, und der directe Verkehr zwischen England und den
Niederlanden blieb ganz unterbrochen.
Die diplomatische Kunst Heinrichs VII. schien somit
nur negative Erfolge erzielt zu haben. Doch er verzagte
nicht, er wusste nur zu gut, dass die Niederlande nicht auf
die Länge der Zeit ohne die englischen Kaufleute bestehen
können, und wollen. Als Frankreich und Geldern eine feind-
selige Stellung gegenüber den Niederlanden einnahmen, so war
Gelegenheit zu einer Annäherung und Aussicht auf eine end-
liche Lösung der commerciellen Fragen gegeben.
In einem an Heinrich VH. gerichteten Brief gab Marga-
retha gleichzeitig mit dem Wunsch nach Herstellung der
Freundschaft auch der Bitte Ausdruck, dass der Verkehr
wieder eröffnet werde. Bezeichnend genug erwähnt sie aber
gar nicht des 1506 geschlossenen Tractats, sondern wünschte die
Ermöglichung des Handels auf Grund des intercursus magnus.
So leichten Kaufs gab aber Heinrich VII. seine Wünsche
nicht auf. War er doch seinem Ziele schon einmal so nahe
gewesen! Sollte er jetzt zugeben, dass er wirklich sich ver-
geblich gemüht? Nur Eines durfte er sich nicht verhehlen,
nämlich die volle Unmöglichkeit, den ganzen Umfang seiner
früheren Forderungen erfüllt zu sehen. Er handelte dem ent-
sprechend. Er befahl sofort den englischen Kaufleuten die
Pfragstmesse, obwohl ihre Abhaltung bereits für Calais publi-
cirt war, in den Niederlanden zu halten und auf Grund des
Vertrages von 1496 den Handel wieder anzuknüpfen *). Gleich-
l) Vgl. den Brief von Knight und Tregonwell an Hacket aus Anlass
der commerciellen Verhandlungen im Juni 1532. State Papers VII. S. 376
Heinrich VII. suchte nach dem Tode Philipp's die Ratification noch zu
erlangen, naturlich vergeblich Mit unverholenem Unmuth schrieb er 1507:
Xeantmoins encoires dempuis ce, a este fait, conclu et passe ung nouveau
entrecours entre les commis et depputez du feu roy vostre dit frere et les
nostres chacun en vertu de leurs commissions et povoirs, le jour et terme
ordonne et appoincte pour lentreschange des lettres patentes de confir-
macion et ratimcacion dune part et daultre; encoires de la parte de dela riens
na este tenu, fourny, ne accombly, ja soit ce que de la nostre nous avons
este tousjours prestz de fournir a ce que nous avyons promis et accorde,
ainsi que le vous avons signiffie par aultres noz lettres. Gairdner
a. a 0. L S. 327.
s) Dies geht aus dem Briefe Heinrichs VII. an Margaretha von Savoyen
(Mai 1507) hervor. Gairdner a. a. 0. I. S. 327 fg.
8) Gairdner. a. a. 0. I. S. 327 fg ; sieh ferner den Brief Heinrich's
an den Lord Berghes a. a. 0. I. No. t>l. Heinrich VII. behauptet, die
englischen Kaufleute hätten nur widerwillig diesem seinem Befehle ge-
horcht. 14. Juni 1507 gab der König den Merchant adventurers • das
Recht, ganz wie früher nach den Niederlanden handeln zu dürfen. Record
Office Pat. 22. H. 7. pr. 3. m. 8 und Br. M. Sloane's Mscrs. 4618 No.72.
— 36 —
zeitig unterliess er aber nicht, „für das Wohl und die Sicher-
heit der englischen Kaufleute und ihrer Waaren" einen Entwurf
an die Regentin zu schicken , der, wie er schreibt, ihm ver-
nünftig zu sein scheine.
In der That legte er hierbei eine ausserordentlich grosse
Mässigung an den Tag. Das ganze Document enthielt nur
fünf Artikel, und auch diese sollten nur von provisorischer
Dauer sein, d. h. in Kraft bleiben, bis die beiden Fürsten
Neues vereinbart haben würden. Der erste Artikel anerkennt
den freien Verkehr nach Massgabe des Intercursus vom 24.
Februar 1496. Der zweite enthält im Wesentlichen die Zoll-
privilegien, welche den Engländern durch Artikel 5 des Ver-
trages von 1506 eingeräumt worden waren1). Der dritte
besagt, dass die Niederländer die Zölle nach Massgabe des
M. J. zu zahlen haben. Im vierten Artikel versprachen die
Contrahenten , während der Dauer des Provisoriums keine
neuen Abgaben oder Zölle verlangen zu wollen. Im fünften
endlich sicherte man sich gegenseitig dieSistirung derDecrete
und Urtheile, die gegen Kaufleute wegen Zölle oder Beschlag-
nahmungen erlassen* und gefällt worden waren, zu2).
Die Privilegien in Betreff der Tücher hatte somit Hein-
rich VII. vollständig preisgegeben, und ebenso wurde derVor-
theile, welche der Vertrag von 1499 gewährt hatte3), nicht
mehr gedacht. Die niederländische Kegierung machte ange-
sichts dieser Concessionen und des provisorischen Characters
keine Schwierigkeiten, sondern stimmte dem Entwürfe bei.
Der Wunsch des Königs, Margaretha möge das Schriftstück
innerhalb 14 Tagen unterschrieben und gesiegelt zurückschicken,
ging fast buchstäblich in Erfüllung. Die Unterzeichnung er-
folgte am 7. Juni 1507.
Trotz der Nachgiebigkeit, welche in dem Vertrag sich
kundgiebt, darf man die Bedeutung desselben nicht unter-
schätzen. Heinrich VII. hat durch ihn seinen Unterthanen die
geringen Zölle, wie sie in der Mitte des 15. Jahrhunderts be-
standen, erhalten und alle Unsicherheit hinsichtlich dieses
Rechts beseitigt, und es kann keinem Zweifel unterliegen,
dass diese Klarstellung von ausserordentlichem Werthe war.
Wenn die ausdrückliche Anerkennung der übrigen Rechte
nicht erfolgte, so muss man einmal bedenken, dass damit noch
M Sie sind also vom Zeelandzoll und Houndzoll frei, in Antwerpen
vom Brabanter Zoll, aber sie sind nicht frei vom Zeelandzoll in Brügge
und Middelburg; das Privileg war gegenüber dem Vertrag von 1506 schärfer
gefasst; die Befreiung vom Zeelandzoll in Brügge büssten die Eng-
länder ein.
s) Rymer XIII. S. 168.
•aj Der Vertrag von 1499 hatte laut Artikel 13 nur bis zum Tode
eines der Contrahenten zu gelten, war somit nach dem Tode Philipp's
erloschen. Ich fand nirgends eine Notiz von seiner Wiedererneuerung.
- 37 —
keineswegs dieselben wirklich verloren waren, denn die Nieder-
lande mnssten in ihrem Handelsinteresse den englischen Tü-
chern einen ziemlich freien Verkehr gönnen, sodann mochte
Heinrich VIL vielleicht hoffen, bei günstigerer Gelegenheit diese
besondere Zusicherung der erwähnten Privilegien wieder zu
erlangen.
Wäre der Plan, den er am Abend seines Lebens gefasst
hatte, zur Wirklichkeit geworden, so würde nicht nur dies
Ziel erreicht worden sein, sondern die Niederlande und England
würden zu einem fast einheitlichen Verkehrsgebiete , zu wel-
chem ja alle Ansätze gegeben waren, sich vereint haben.
Noch als Greis trug er seine Hand der Regentin Margaretha
an, und der Erbe Karl sollte mit seiner Tochter Maria ver-
lobt werden1). Allein die Abneigung Margaretha's und der
bald erfolgende Tod Heinrichs VII. vereitelten das Project.
Die beiden Länder blieben getrennt, und es schien, als ob
der commercielle Wettkampf, den Heinrich Vn. so eifrig ge-
führt, fortdauern werde.
Heinrich VHL (1509-47).
I. Periode (1509—20).
Die Situation, wie sie Heinrich VIII. bei seinem Regierungs-
antritt vorfand, ist aus der vorstehenden Schilderung klar
ersichtlich. Er fand eine Ordnung der Handelsverhältnisse
vor, die zwar materiell ausreichend, aber doch nur provisori-
schen Characters war. Wird es möglich sein, das Provisorium
in ein Definitivum überzuführen, wird es ihm gelingen, die
protectionistischen Rufe der Niederländer zu besiegen, oder
wird er am Ende die Waffen strecken und das von seinem
Vater Errungene und mühsam Festgehaltene zum Theil wieder
preisgeben und so dem nach Ausdehnung strebenden Handel
Englands empfindliche Wunden schlagen müssen?
Das sind die Fragen, die sich auf werfen, wenn man in
die Betrachtung seiner Politik eintritt. Die folgende Dar-
stellung wird die Lösung geben.
Die ersten \0 Jahre der Regierung Heinrichs VHL sind,
soweit die Beziehungen zu den Niederlanden in Betracht
kommen, von Verhandlungen ausgefüllt, die in Bezug auf Ziel
und Resultat den gleichen Character tragen. Englischerseits
war man bestrebt, ein möglichst freundschaftliches Verhältniss
aufrecht zu erhalten und auch wieder eine definitive Regelung
*) Bekanntlich unternahm hierbei Wolsev seine erste politische Mission,
die er mit erstaunlicher Schnelligkeit erledigte. 6 air an er, Letters and
Papers etc. L App. B. S. 425 fg.
— 38 —
des Handelsverkehrs herbeizuführen. Die burgundische Politik
war aber wenig entgegenkommend, und selbst wenn vorüber-
gehend eine freundliche Stimmung die Oberhand gewonnen
hatte, so war der Nutzen für die commerciellen Verhandlungen
doch unendlich gering.
So war es gleich in den ersten Jahren der Fall. Hein-
rich VIII. hatte den Wünschen des Pabstes und der Regentin
Margaretha von Oesterreich Gehör schenkend gegen Frankreich
Partei genommen und 1513 dem letztern sogar den Krieg
erklärt. Aber die Niederlande waren nicht im Geringsten be-
reit, irgend welche Opfer dem Bundesgenossen zu bringen.
Heinrich VIII. musste ihnen eine neutrale Stellung zusichern,
„so vortheilhaft nach Heinrich's Ansicht dies auch für" den
Feind und schädlich für die Engländer" war1). Ja, als Hein-
rich VIII. nur eine Gewähr verlangte, dass die Niederländer
keine Munition und Waffen den Franzosen zuführten, sowie
unter ihrem Namen nicht französische Waaren einschwärzten,
stiess er auf den entschiedensten Widerspruch , und es fehlte
nicht viel, dass dieser Streit ernstere Folgen nach sich gezogen
hätte2). Alle Handelsvortheile fielen während dieser Zeit den
Niederlanden zu. Das Haus Burgund erkaltete immer mehr,
und als Heinrich VHL Tournai eroberte, schloss es einseitig
Frieden mit Frankreich. Wohl fand, als über die friesländische
Frage zwischen dem Kaiser Maximilian und dem französischen
König Franz I. Meinungsverschiedenheiten hervortraten, wieder
eine Annäherung mit England statt, aber auch sie war nur
vorübergehender Art. Der Rath Karls, des Erben der Nieder-
lande, war durch und durch französisch gesinnt, und man trug
sich sogar mit dem Gedanken, dass die Schwester von Franz,
die kleine Ren6e, Karl angetraut werden solle.
Unter diesen Umständen begreift es sich, dass auch in
commerciell- politischer Hinsicht England einen durchweg un-
günstigen Boden vorfand ; namentlich wurden niederländischer-
*) Brewer, Cal. I. 3836. Alllerdings waren die Niederlande in com-
mercieiler Hinsicht Behr viel abhängiger von Frankreich, als England. Sie
bedurften - des Weines nicht zu gedenken — französisches Getreide und
Salz und waren ihrerseits hinsichtlich des Absatzes ihrer Heringe und Ma-
nufacte auf Frankreich hingewiesen.
") England forderte, dass jedes Schiff ein Attest aber Beine Herkunft
und die Art der Waaren, die es nach Frankreich fuhren wolle, dem eng-
lischen Admiral auf Verlangen vorzeige. Die Engländer setzten trotz des
Widerspruchs der burgundlschen Regierung, die diese Controle als einen
ihr zugefügten Schimpf auslegte, in einem bestimmten Fall ihre Anschauung
in die Praxis über, und zur Repressalie beschlagnahmten die Niederländer
englische Schiffe und Güter. Doch waren Willküracte auch von englischer
Seite nicht gerade selten ; vgl. Brief Margaretha's an Heinrich VII. v. 20.
März 1513. Brewer, Cal. 1 3815.
— 39 —
seits die vertragsmässigen Zölle nicht eingehalten, sondern die
Kaufleute immer wieder mit neuen belastet. Die Zeeländer
scheinen den Engländern am meisten Ursache zur Klage ge-
geben zu haben. Die Mündung der Scheide beherrschend,
konnten sie leicht von den Kaufleuten widerrechtliche Zölle
fordern. Seit ältester Zeit hatte der Handel nach Brabant
mit dieser Schwierigkeit zu kämpfen l). Nach Vereinigung der
holländischen und brabantischen Gebiete durch das burgun-
dische Haus wurde das Verhältniss besser, aber die alte Tra-
dition lebte in Zeeland immer zeitweise auf. So hatten auch
jetzt wieder die Zollbeamten daselbst die Zolltafeln beseitigt,
wie sie durch den Vertrag von 1506 vorgeschrieben worden
waren, und schalteten dann ganz nach eigenem Willen und
Gutdünken *). Wurde ihnen ein Befehl in dieser Sache von
der Regierung ertheilt, so ignorirten sie ihn einfach sj. Wohl
wurden von den Niederländern auf die Klagen des englischen
Consuls grossartige Enqueten und Verhöre in Scene gesetzt,
aber all das hatte wenig Effect. Mochte auch den Beschwer-
den der englischen Kaufleute Abhilfe in dem einen oder
anderen Punkte geschehen, so war doch damit nicht dauernd
den Missbräuchen vorgebaut. Die Engländer suchten deshalb
auf gemeinschaftlichen Congressen die obschwebenden Fragen
zu erledigen.
Die Art und Weise der Lösung, wie sie den Engländern
vorschwebte, war allerdings nur durch gegenseitiges Pactiren
möglich. Der Standpunkt, den die englische Regierung ein-
nahm, war ein höchst merkwürdiger. Heinrich VIII. wollte
nichts Geringeres, als das Ziel erreichen, nach dem Heinrich VII.
in der besten politischen Situation vergeblich gestrebt. Der
Vertrag von 1506 mit all seinen Vorzügen war sein
Ideal, ihn zur unumwundenen Anerkennung zu
bringen der Kern seiner niederländisch-commer-
ciellen Politik.
Die erste Commission, welche unter seiner Regierung im
März 1512 wegen der Streitigkeiten mit den Niederländern
zu Brügge tagte4), beschäftigte sich fast ausschliesslich mit
diesem von englischer Seite aufgebrachten Thema. Zu einer
geschickten Einfühlung des Vertrags konnte es nicht an
passender Gelegenheit fehlen, da die jedenfalls mit Absicht in
den Vordergrund geschobene Entfernung der Tariftafeln zu den
Hauptbeschwerden der englischen Kaufleute gehörte. Die
Engländer behaupteten, der Vertrag von 1506 müsse beobach-
tet werden, denn derselbe sei trotz der mangelnden Bestätig-
^Papebrochii Annales Antverpienses ed. Mertens et Buschmann
I. S. 419.
*) Sieb in Betreff dieser Zollerhöhungen Urk.-Beil. 20.
') So die Zöllner zu Yersickenroot. Lrk.-Beil. 19.
4) Brewer, Cal. I. 3053.
— 40 —
ung gut und gültig, wogegen natürlich die Niederländer für
die Nichtigkeit desselben mit aller zu Gebote stehender Kraft
argumentirten *). Nach langem Streiten und Unterhandeln
ging man resultatlos auseinander; weder die damals wieder
etwas zu Leben kommende politische Freundschaft, noch der
gleichzeitig bestehende Streit zwischen den Niederländern und
Hansen ') waren stark genug, um die Kluft, die dieses englische
Theorem gerissen, zu überbrücken.
Der erste Versuch Heinrich's war also missglückt. Die
Lage begann bedenklich zu werden. Der Handelsvertrag ruhte
auf einer unsicheren Basis8). Karl erneuerte bei seinem
Regierungsantritt denselben nur für kurze Zeit und band sich
in keiner Weise die Hände. Im Juni 1514 liess er den eng-
lischen Gesandten Knight und Ponynges durch den Kanzler
erklären, dass der 1. October der letzte Termin sei, bis zu
dem er das Vertragsverhältniss aufrecht zu erhalten gedenke 4).
Nach dieser Zeit hätten die Engländer keinen Schutz mehr zu
erwarten.
Inzwischen hatte sich auch Antwerpen mit den englischen
Kaufleuten überworfen, so dass diese die Messen mieden und
nach Middelburg ihre Tuche brachten 6), und Heinrich VHI. hatte
verschiedene Differenzen mit der niederländischen Regierung
wegen des Geldcurses, den die letztere in einer angeblich ftir
England nachtheiligen Weise festzusetzen beliebte, ohne die
von englischer Seite dieserhalb gemachten Vorstellungen zu
berücksichtigen6). Im Hintergrunde tauchte die Wahrschein-
lichkeit einer Allianz zwischen dem französischen König und
Karl, dem Prinzen von Castilien, auf. Schon sah man im
Geiste die englische Handelsflotte plötzlich in Beschlag ge-
nommen und die unerträgliche Last des Zeeland- und Hound-
zolles „am Nacken der englischen Kaufleute hängen" 7), so
beängstigend war die ganze Situation.
*) Vgl. State Papers Vol. VII. S. 876. Weitere Details über diese
Verhandlungen sind nicht erhalten.
s) Henne, Regne de Charles-Quint en Belgique I. S. 247, 284. Mar-
garetha von Savoyen bat, als sie von der Ausrüstung einer hansischen
Flotte hörte, welche einen Schlag gegen die Heringsfischerei von Holland,
Zeeland und Friesland fuhren sollten, um Heinrichs VII. Beistand. 11.
Aug. 1512. Brewer, Cal. I. 8367.
a) Ein neuer Vertragsentwurf, über den Margaretha mit den englischen
Gesandten sich geeinigt, wird in Bergenroth, Cal. II. 84 Januar 1513
erwähnt. .
4) Knight und Ponynges an Heinrich Vni. 12. Juni 1514. Brewer,
Cal. I. 5159.
ß) Urk. Beil. 21.
e) Brewer, Cal. I. 4481, 4917. Urk. Beil. 152, 153.
7) „— it is to be feared, that the Prince of Castile and his Council,
that now ruleth about him, upon the pride of the said alliance and amity
woll suddenly arrest the English fleet and cast on the merchants' necks
all tho arrearages of the Sewestoll and the toll of the Hound, which
— 41 —
Wolsey aber, der leitende Minister Heinrichs VIII., verzagte
nicht; bald war es ihm geglückt, eine abermalige Verlängerung
des Status quo ]) und die Zustimmung der Niederlande zu einem
abzuhaltenden Congress zu erlangen, auf dem alle obsch weben-
den Fragen erledigt werden und endlich eine definitive Regelung
des Handelsverkehrs zu Stande kommen sollten. Sorgfältig hatte
Wolsey die Unterhändler auserlesen *) ; für die handelstechnischen
Theile den an Erfahrungen reichen Consul der englischen
Kaufleute John Clyfford, für die diplomatische Leitung und
Lenkung den als Politiker gewiegten Rieb. Sampson und den
Master of the Rolls, nachherigen Bischof von Durham, Cuthbert
Tunstal 3), für die gesetzlichen und rechtlichen Fragen die durch
seltene Bildung, eminente Geistesschärfe, edlen und liebens-
würdigen Character über Alle hervorragende Persönlichkeit des
Thomas Morus 4). Mit diesen Männern wirkten noch zusammen
die am niederländischen Hofe mit allen Verhältnissen wohl
vertrauten Gesandten E. Ponynges und W. Knight, welchen die
Aufgabe zugetheilt war, die Erneuerung der Liga vom 9. Fe-
bruar 1506 zu bethätigen 6). Als Commissäre des Prinzen
Karl hatten zu fungiren *): der einflussreiche Guillaume de Croy,
Seigneur de Chifcvres ; ferner Mich, de Croy, Seigneur de Sempy ;
amounteth to a marvelous great sum. not able to be paid by our merchants
without their utter undoing". Suffolk, West und Sir Rieh. Wingfield an
Wolsey. Febr. 1515. lirewer, Cal. II. 204.
*) Wahrscheinlich war diese Verlängerung bis Johanni 1515 erwirkt
worden. Vgl. das Schreiben von Ponynges und Knight an den Privy Council
vom 24. Mai 1515. Brewer, Cal. II. 498.
*) 7. Mai 1515. Brewer, Cal. II. 422 und Rymer VIII. S. 497.
s) Auch Sir Thom. Spinelly gehörte zu den bevollmächtigten. Er war
wegen seiner englischen Vorurtheile ein Werkzeug für Margaretha von
Savoyen, wenn es ihr wünschenswerth war, die englischen Bevollmächtigten
auf eine falsche Spur zu bringen. Er wurde deshalb bei Seite geschoben
und von letzteren meist in die Geheimnisse der Unterhändler gar nicht ein
geweiht Um so bedauerlicher ist es, dass seine schwatzhaften Briefe fast die
einzige Quelle fiir diese Unterhandlungen sind. Brewer, Cal. II. Pref.
*) Derselbe hatte sich bis dahin spröde gegen kgl. Gunst gezeigt und
war deshalb damals noch UntersherhT in London. Auf wiederholte Bitte
Heinrichs VIII. hat er sich zu dieser wichtigen Mission verwenden lassen und
war damit zum grossen Bedauern seines gelehrten Freundes Erasmus dem
politischen statt dem wissenschaftlichen Leben entgegengefahrt. Bekanntlich
bat er auch hier die Eindrücke der Niederlande und des politischen Zu-
stande« der Zeit empfangen, die er hernach in seiner Utopia verwerthete.
Ueber die An ei kennung seiner Thätigkeit von Seite seines kgl. Herrn —
er sollte eine Besoldung erhalten, schlug sie aber aus — vgl. den Brief an
Erasmus. London, 31. Octbr. 1516. Thom. Mori Opusc. 308.
e)7. Mai 1515. Brewer, Cal. II. 423; Rymer XIII. S. 495. Die
Trennung der Commissionen erwies sich nicht vorteilhaft, und auf Ansu-
chen der Unterhändler trat eine Vereinigung insoferne ein, als alle Mit-
glieder fortwährend an den beiderseitigen Verhandlungen sich betheiligen
konnten. Sampson an Wolsey, 24. Mai 1515, und Ponynges und Knight an
den Privy Council, 24. Mai 1515. Brewer, Cal. IL 498 und 499.
6) Rymer XIII. S. 495, Henne, Regne du Charles-Quint II. S. 150.
— 42 -
Jean de Hallewin, Seigneur de Maldeghem; Philipp Wieland;
Jean Roussel; endlich der in der Utopia von Thom. More so
hochgerühmte Provost von Cassel Theimseke x).
Keinen Schritt gedachte England von seinem früher ein-
genommenen Standpunkt zurückzuweichen. Der Auftrag der
englischen Bevollmächtigten lautete ausdrücklich dahin, dass
sie mit Rücksicht auf die grossen Zölle, welche man in letz-
terer Zeit in den Niederlanden von den englischen Kaufleuten
erhebe, sowohl den Handelsvertrag vom 30. April 1506 als
den Intercursus magnus vom 20. Februar 1496 zu erneuern
suchen sollen2). Die Absicht war recht gut, wie durfte man
aber bei der stark französischen Stimmung hoffen, diese auch
zu erreichen ? Die Verhandlungen begannen Ende Mai 3),
Ab^^f-it und sofort trat zu Tage, dass man kein Entgegenkommen er-
warten dürfe. Der Rath des Prinzen zeigte sich weder ge-
neigt, den Freundschaftsvertrag in der alten Form zu erneuern 4),
noch viel weniger war er gewillt, auf die Vorschläge der
Engländer hinsichtlich der Handelsverträge einzugehen.
Mit allen Künsten der Dialektik suchte jede Partei ihren
Standpunkt zu verfolgen, die eine für, die andere gegen Auf-
rechterhaltung des Vertrages von 1506 6),
Die Niederländer behaupteten, dass der Handelsvertrag
von 1506 niemals von den Kaufleuten, nicht einmal von den
englischen, für einen Handelsvertrag gehalten oder als solcher
acceptirt worden sei; es fehle demselben die Bestätigung, sowie
Uebung und Beobachtung ; man habe durch einen andern nach-
folgenden Vertrag denselben auch aufgegeben. Aber selbst
angenommen, der mehrerwähnte Tractat sei eine Zeit lang
beobachtet worden, so könne seine Gültigkeit doch nicht mehr
behauptet werden, nachdem der abschliessende Fürst gestorben
sei, denn der Vertrag müsse als ein rein persönlicher betrach-
tet werden, da in ihm kein Wort vorkomme, das die Erben
oder Nachfolger irgendwie binden könnte.
Die Engländer stellten die gerade entgegengesetzte Mei-
nung von all dem auf. Der Vertrag von 1506 sei mit hin-
länglicher Vollmacht (sufficienti auctoritate) eingegangen und
geschlossen worden; man habe beiderseits ihn als wirklichen,
gültigen und dauernden Intercursus angenommen 6), von dem-
') — non arte solum verum etiam natura facundus ad haec jure con-
sultissimus, tractandi vero negotii cum ingenio tum assiduo rerum usu
eximius artifex. Utopia Hamburger Edition 1752. S. 4.
-) Rymer XIII. S. 497.
") Zwischen dem 24. und 28. Mai. Brewer, Cal. II. 499 und 520.
4) Spinellys Brief vom Mai 1515. Brewer, Cal. IL 538.
ß) Vgl. Rymer XIII. S. 539, wo die Hauptgegensätze vorgeführt sind.
') Wahrscheinlich stützten sich die Engländer dabei auf Art. 1, der
den AI. I. bestätigt und in den Vertrag einreiht und beide gewissermassen
zu einem einheitlichen, unzertrennlichen Ganzen verschmilzt. Darf man
— 43 —
selben sei auch nicht durch einen anderen Vertrag abgegangen
worden, und wenn er in dem späteren Tractate sich nicht aus-
drücklich bestätigt finde, so könne doch nicht behauptet
werden, dass nun deswegen der früher geschlossene Vertrag
aufgehoben sei; endlich könne auch der Tod des einen der
contrahirenden Fürsten denTractat nicht auflösen, da aus dem
Wortlaut bis zur Evidenz erhelle, dass die beiden Vertrags-
schliessenden Fürsten auch ihre Erben und Nachfolger hätten
verpflichten wollen1).
den Berichten der Engländer volles Vertrauen schenken, so waren sie mit
ihren Gründen ihren Gegnern überlegen. In der Sitzung vom 5. Juni /*«* T
namentlich sollen sie einen förmlichen Erfolg erzielt haben. Tunstal habe, '
wie Sampson schreibt, 4 oder 5 so scharfe und bündige Beweise vorge-
bracht, dass selbst der kluge und nie verlegene Provost von Cassel nichts
Rechtes zu erwidern vermochte und zu einer schriftlichen Entgegnung seine
Zuflucht genommen habe. Aber auch diese sei ganz unbestimmt ausge-
fallen und dem Hauptkern aus dem Wege gegangen. Sampson an Wolsey.
8. Juni. Brewer, Cal. II. 566.
*) Hinsichtlich der Einzelnheiten mnss ich auf die Entgegnung der
englischen Commissäre, Urk. Beil. 22, verweisen, wo der Leser sich
auf das Eingehendste über die gegenseitige subtile Beweisführung unter-
richten kann. Hier glaube ich mich auf das im Texte Erwähnte und einige
Bemerkungen beschränken zu dürfen. Die beiden Parteien stützten sich
namentlich auf den Wortlaut des Vertrages von 1506. Allerdings ist der-
selbe so abgefasst, dass er immer nur von den beiden contrahirenden *
Fürsten spricht; der Art 7 macht eine Ausnahme. In dem ersten Ab-
schnitt desselben verspricht der Fürst, dass er in seinen Gebieten, Flandern
ausgenommen, den Detailverkauf und das Tragen der englischen Tücher ■'
nicht verbieten will; im 2. Abschnitt aber verpflichtet er Bich und seine
Nachfolger bei beabsichtigter Erhebung eines neuen Zolles die Englän-
der eine bestimmte Zeit vorher und in voller Form zu benachrichtigen, damit
diese von den Niederlanden sich zurückziehen könnten. Bei näherer
Prüfung muss man allerdings zugestehen, dass die Niederländer geschick-
tere Philologen als ihre Gegner waren, denn die betreffende Stelle beweist
nicht die Fortdauer des Vertrages. Philipp versprach keineswegs, dass er
und seine Nachfolger die Zölle nicht erhöhen, oder dass auch seine Nach-
folger den ganzen Vertrag zu halten hätten, sondern dass er es nur den
Engländern rechtzeitig notificiren wolle. Ob diese dann zu bleiben oder
nicht zu bleiben gedachten, war eine separate Frage. Die Engländer
schützten vor, dass ausser den mercatores fast immer eorum Buccessores
genannt seien, allein die Niederländer erwiderten schlau, man könne von
successores der Kaufleute sprechen, ohne dass der Vertrag über die Zeit
Philipps sich auszudehnen brauche. War somit wirklich nur mangelhaft
rar die Einbegreirang der Nachfolger gesorgt, so war es auch berechtigt,
seine Gültigkeit nach Philipps Tode zu bezweifeln; denn damals war —
wenn die Engländer auch aas Gegentheil behaupteten allerdings die
Theorie herrschend, dass Verträge und Immunitäten nur für die Dauer des
Contrahirenden und Gebenden gelten, wofern nicht ausdrücklich anders
ausgesprochen war. Damals, wo das Regiment ein sehr persönliches war,
erneuerte man selbst in letzterem Fall, um alle Zweifel zu beseitigen, meist
die Verträge, und man weiss, wie z. B. auch Corporationen sich nicht
recht sicher hielten, wenn sie nicht ihre Rechte in fortlaufender Reihe be-
stätigt sahen. Die Niederländer hatten also selbst den klugen Heinrich VII.
in diesem Vertrage überlistet
— 44 —
Bei diesem scharfen Gegensatze waren die Debatten
ausserordentlich erregt, und weit entfernt, dass die Verhand-
lungen eine Annäherung herbeiführten, wurden sie immer un-
erquicklicher. Nebenher sammelte jede Partei noch Beschwerde-
material, um durch die Menge der Klagen den Gegner zu
erschüttern. Aber selbst das verfing nicht. Als eines Tages
der Provost von Cassel den Engländern die erfreuliche Aus-
sicht auf 80 Beschwerdepunkte machte l) , antwortete ihm
7 3 Sampson, die Engländer hätten so viele, dass er, wenn er die-
<!g*Ap selben erführe , ganz bestürzt sein werde *). Ging man nun
wirklich auf diese Klagen gegenseitig ein, war da ein Ende
abzusehen ?
Aber nicht genug, dass in dieser Weise Alles möglichst
verwickelt wurde, die Niederländer waren nie verlegen, um
immer neue Schwierigkeiten in den Weg zu werfen. Schon
oben berührten wir, wie Brügge, dessen einstige Pracht vor
dem neu aufsteigenden Stern der Schwesterstadt Antwerpen
immer mehr verblasste, den Verfall durch Herbeiziehung der
englischen Kaufleute hintanzuhalten suchte. Nun traf es sich,
dass unter den niederländischen Commissären mehrere sogar
persönlich an dem Gedeihen von Brügge interessirt waren.
In diesen Kreisen dachte man allen Ernstes daran, ob man
nicht die englischen Kaufleuter zwingen solle, nur nach Brügge
zu kommen. Der Provost von Cassel, dessen Bruder einer der
• bedeutendsten Bürger von Brügge war, förderte ^besonders
diesen Plan und glaubte auf diese Weise eine Art Compromiss
| schliessen zu können, durch welches aller Streit beigelegt
würde. In einer dieserhalb mit Sampson gepflogenen Unter-
redung äusserte er, es sei doch sehr zu beklagen, dass eine
so ausgezeichnete Stadt verfallen solle; was einfacher, die
Engländer entschlössen sich, nach Brügge wieder zu kommen;
man werde die englischen Kaufleute nicht mehr belästigen,
auch keine neuen Abgaben ihnen abverlangen, Brügge
sei sogar bereit ihrethalben einen Canal anzulegen. Der
Streit wegen der Zölle könne nur so gelöst werden; die
f\j Brabanter würden sich zum Aufstand erheben, falls man den
SF^1 Engländern die Brabanter Zölle erlassen wollte8). Die engli-
schen Commissäre wussten aber zu gut, dass in dem stark
.-...» ' protactionistischen und engherzigen Brügge ihr Handel nicht
! den richtigen Boden finden werde, und wollten deshalb noch
*) Unter Andern beschwerte man sich auch wieder über die hohen
englischen Wollzölle; der Provost von Cassel sagte, diese hätten viele
Unterthanen des Prinzen schon an den Bettelstab gebracht
*) Sampson an Wolsey. 3. Juni 1515. Brewer, Cal. IL 553.
8) „Ana rather, than the Englishmen should have remission of these
tolls , which is the cause of passing their country and leaving them , they
would rage and be ready to an insurrection". Sampson an Wolsey. 14.
Juni 1515. Brewer, Cal. II. 581.
— 45 —
nicht den Versuch aufgeben, in Brabant zu einem Ausgleich
zu kommen. Sampson lehnte den CasseTschen Vorschlag ab.
Er machte geltend, dass, wenn auch Brügge leide, dafür
Antwerpen wachse, und die niederländische Regierung gar
keinen Grund habe, der einen Stadt den Handel zu nehmen
und einer anderen zu geben. Antwerpen sei nun einmal „die
Blume der ganzen Welta l) und England selbst habe das Ver-
dienst, zu ihrer Blüthe nicht am wenigsten beigetragen zu
haben 2).
Es war dies wohl das letzte Mal, dass die Frage
wegen der Rückkehr der englischen Kaufleute nach Brügge
ernstlicb^angeregt wurde und bei den Verhandlungen zur
Sprache kam. In Zukunft behelligte die niederländische Re-
gierung die Engländer nicht mehr mit dieser Zumuthung, ob-
wohl die Brügger mit ihren Bitten nicht nachliessen a). und
die Regentin ihren Wünschen soviel wie möglich Rechnung zu
tragen suchte. So beschränkte sie die lange Dauer der Haupt-
messen zu Antwerpen und Bergen op Zoom4), befreite die
flandrischen Bewohner vom Zeelandszoll 5) , bestätigte das
Stapelrecht von Brügge für das flandrische Gebiet6), bat
Karl V. sogar, das Gewürzstapel dahin zu verlegen, was je-
doch abgelehnt wurde, weil der Kaiser dasselbe bereits mit
grossem Kostenaufwand und Erfolg in Corufla errichtet hatte7).
Aber alle Mittel, den Handel zu Brügge wieder zu beleben,
schlugen fehl. Man versuchte es später mit Hebung der In-
dustrie^ indem man die Seidenmanufactur daselbst aufbringen
wollte 8) und das Bürgerrecht an Jeden für 5 Schillinge zu ver-
leihen versprach, der in Brügge ein Geschäft errichtete und
dort sich dauernd niederliess. Allein auch hier war der Er-
folg ein geringer. Die Stadt sank in einer geradezu er-
schreckenden Weise. Vom März 1543-44 betrug der Werth
ihres Exports 30 726 li. vläm., der von Antwerpen dagegen
*) „Antwerp is now one of the flowers of the world." Brewer,
CaL 11. 581.
*) Nach Bourne, English Merchants I. S. 11(5, 117 wären manche
Engländer nach Brügge gegangen, hätten wohl sehr schwere Abgaben, aber
wenig guten Handel getroffen.
*) So baten sie 18. Aug. 1521 den Kaiser, er möge anordnen, dass
alle fremden Kaufleute in Brügge wohnen müssten und nur die Messen von
Antwerpen und Bergen besuchen dürften. Ein Jahr vorher (24. Jan. 1520)
hatten sie die Venetianer in England aufgefordert, doch ja nach Brügge zu
kommen, da der Zwin tief genug für ihre Schiffe sei. Brügger Stadtarchiv.
Tweeden nienwen groenen bocck B. fo. 124 b. u. Groenen boeck
C fo. 401.
*) Diegerick, Inventaire des archives d'Ypre T. V. S. 84. Nr. 1453
u. 8. 125 Nr. 1503.
£) a. a. 0. S. 170, Nr. 1553.
6) 13. Jan. 1532. Brügger Stadtarchiv. Tweeden nieuwen groenen
boeck B. fo. 282.
') Henne, Histoire du regne des Charles-Quint en Belgique T. V. S. 72.
Xr. 4; vgl überhaupt a. a. 0. S. 272 fg.
•) a. a. 0. S. 271.
Ktl
J~4
7
— 46 -
4990255 li. vläm. Der erstere machte 72°/0, der letztere 80%
des Exports aus den Niederlanden aus1).
Der einzige niederländischerseits gemachte Versuch, in
den Handelsangelegenheiten zu einem Einverständnisse zu
kommen, war gescheitert; die Kluft war eher noch grösser,
als vorher; alles Reden in Betreff des Vertrages von 1506
war eitel Mühe. Die Niederländer2) seien, schreibt Sampson
an Wolsey, gegen alle Gründe taub und unzugänglich, ihre
Antworten „weder gehauen noch gestochen" 3).
Die englischen Unterhändler hatten übrigens die Aussichts-
losigkeit schon lange eingesehen 4) und wären zufrieden ge-
wesen , wenn sie nur ein weiteres Provisorium und eine Ver-
schiebung der schwebenden Frage hätten erwirken können5).
Nirgends aber zeigte sich ein Fortgang, man zankte sich,
stritt und kämpfte ohne Erfolg. Schliesslich spielte sich sogar
die gegenseitige Abneigung auf persönliches Gebiet über, und
als man Sampson in Brügge und den gesammten Niederlanden
excommuniciren Hess6) und alle erdenklichen Verläumdungen
gegen die englischen Commissäre schleuderte 7), sowie bestimmt
erklärte, man wolle die Liga nicht fortsetzen8), war endlich
auch Heinrichs VIII. Geduld erschöpft.
f fl l Mitte Juli schreibt der Koni«? an Ponynges und Knight,
^ ' dass er jetzt ein anderes Verfahren eingeschlagen wissen wolle.
Tunstal und seine Collegen sollen, nachdem sie sich mit einer
Creditive versehen, beim Prinzen eine Audienz erbitten und
in dieser ihm vortragen, Heinrich VIII. wünsche eine freund-
liche Regelung der Sache, und Karl möge deshalb einige
Räthe ernennen, welche des Königs Gründe hören und Ein-
sicht vom Gang der ganzen Verhandlung nehmen sollen.
') Nach Auszügen aus den Zollrechnungen im Brüsseler Staatsarchiv.
Chambre des comptes Nr. 23357 u. 23358.
2) Der wenig zuverlässige Spinell j behauptet, die niederländischen
Commissäre seien so halsstarrig gewesen, weil sie hofften, die Engländer,
würden der Regierung eine grosse Geldsumme für Wiedererlangung des
Intercursns anbieten. Jan. 1516. ßrewer, Cal. IL 1468.
*) „lack neither taunting, nor checks". 7. Juli 1515. Brewer,
Cal. IL 672.
*) Spinelly an Heinrich VIII. 2. Juni 1515. Brewer, Cal. II. 551. Die
Niederländer stellten auch bei jeder Gelegenheit die Aussichtslosigkeit vor.
Sie pflegten zu behaupten, dass, selbst wenn der Prinz wollte, die R&the
nicht zustimmen würden. Brewer, Cal. IL 501. Die Engländer schlugen
deshalb dem König vor, er solle den englischen Kaufleuten befehlen, sich
von dem niederländischen Markte zurückzuziehen, das werde die Nieder-
länder bald zu Vernunft bringen. Der König fing aber, wie es scheint,
nicht auf diesen Vorschlag ein. Ponynges u. Knight an Wolsey. Brewer,
Cal. IL 649.
ßj Ponynges u. Knight an Heinrich VIII. 9. Juni 1515. Brewer,
Cal. IL 568.
c) Sampson an Wolsey. 7. Juli 1515. Brewer, Cal. IL 672.
"') Sampson an Wolsey. 24. Juni 1515. Brewer, Cal. II. 612.
8) Heinrich VIII. an Ponynges etc. Juli 1515. Brewer, Cal. IL 768.
- 47 -
Zeigen sich auch diese halsstarrig, so mögen sie ihnen be-
deuten, welche Schande sie erwartet. Heinrich VIII. will in
diesem Fall nämlich dem Papst, Kaiser, dem König der Fran-
zosen und dem von Aragonien und allen anderen Fürsten
Europas seine gerechte Sache vorlegen. Wünschen die Nieder-
länder einen Aufschub der Angelegenheit, bis Karl 21 Jahre
alt ist, so ist er bereit, diesem Wunsche zuzustimmen. Wird
aber auch dieses Anerbieten nicht gemacht, so soll Ponynges
die Erzherzogin zu bewegen suchen, dass sie für den Aufschub
eintrete; geht aber auch das fehl, so soll er eine Urkunde
über alle Beschwerden des Königs anfertigen, eine Copie da-
von an Wingfield für den Kaiser schicken und einen Termin
für den Abzug der englischen Kaufleute erbitten, Tunstal
aber und seine Collegen nach England zurückkehren und den
diplomatischen Verkehr ganz aufheben1).
Dies kategorische Auftreten Heinrichs VIII. verfehlte seine
Wirkung nicht; es kam wenigstens momentan Fluss in die
entsetzliche Stagnation. Das Provisorium schien plötzlich doch ^'. >**£
zu Leben zu gelangen. In einer Conferenz, die im Juli Statt
hatte, einigte man sich in Betreff der Klagen der Kaufleute
wegen der Verletzung des Vertrages von 1506 über die Be-
stimmungen des Provisoriums. Diese sind die nämlichen,
welche der Vertrag Maximilians vom 5. Juni 1507 enthielt,
nur war noch beigefügt, dass der Streit wegen der Giltigkeit
des Tractats von 1506 auf 5 Jahre verschoben, aber noch
innerhalb eines Jahres eine Conferenz gehalten werden solle
zur Vernehmung gegenseitiger Beschwerden; ebenso dass die
Kaufleute nicht den Handel mit irgend einer Stadt verbieten
oder hemmen und keine Preistaxen machen dürften, endlich
dass die Ratification in 3 Monaten zu erfolgen habe *).
All dies war trügerischer Schein; es ist weder eine Nach-
richt erhalten, dass die erwähnte Ratification vollzogen, noch
spricht die Wahrscheinlichkeit dafür. Die niederländischen
Commissäre wurden plötzlich nach Mecheln, wo der Hof weilte,
gerufen, angeblich um des Prinzen Absicht zu erfahren3); sie )<t 1, M
kehrten nicht wieder nach Brügge zurück4). Trotzdem brach
Heinrich VIII. die Verhandlungen noch nicht ab, er suchte den
Kaiser Maximilian zu bewegen, dass er seinen Neffen den Händen
fies französischen Rathes entreisse; Maximilian aber erlaubte
4'
t/
l) Heinrich VIII. au Ponynges und Knight Juli 1515. Brewer,
CaL II. 724. Man wird dies Schriftstück nicht wie Brewer nach dem
Vi. Juli, sondern vor diesen setzen müssen.
*) Brewer, Cal. II. 723.
') Tunstal an Heinrich VIH. 21. Juli 1515. Brewer, Cal. IL 732;
derselbe an Wolsey, a. a. 0. II. 733.
4) Brewer, Cal. II. 831, 858, 904, 944.
^ ^ fi
4-
12*'
>7
- 48 —
sich, bei dieser Gelegenheit ein wenig ehrenvolles Doppelspiel
mit Heinrich YIU. zu treiben ')> und so endete auch dieser
^z zj-Versuch erfolglos. Von Ende August bis Mitte September
befolgten die Niederländer ihre gewohnte dilatorische Tactik.
Erst ein Ereigniss in Italien führte eine entscheidende
Wendung herbei. Franz L war siegreich in Italien vor-
's/s.3'ft gedrungen, hatte die Schlacht bei Marignano gewonnen und
seinen Einzug in Mailand gehalten. Da schien das Gleich-
gewicht gestört, und das politische Interesse schuf endlich
eine aufrichtig günstige Stimmung für den englischen Hof.
Eine Allianz wurde schon Ende September gewünscht, und
•-/ / ebenso war man nun zu einer Lösung* der Handelsfrage bereit.
/<i/sr>.fj Die Vollmachten wurden ertheilt2) und Mitte Dezember trafen
Tunstal und Enight mit den alten Bekannten wieder zu-
sammen3). Zwar konnten sie ihren Widerspruchsgeist nicht
gleich unterdrücken4), aber eine höhere Rücksicht Hess ihre
Stimmen bald verstummen. Die Engländer hatten auch in
geschickter Weise Vorschläge gebracht, denen die Nieder-
-., länder nach dem vorhergegangenen Strauss wohl zustimmen
jt* li u konnten. Schon am 24. Januar 1516 waren die Bevollmäch-
tigten im Stande, das wichtige Instrument zu unterzeichnen 5).
Wochen hatten vollendet, wozu vorher Monate nicht gereicht
Was waren nun die Resulte? Obwohl der Handelsvertrag
nichts Definitives schuf, so war er doch ein grosser Erfolg der
englischen Diplomatie. Der Streit über die Dauer und Wirk-
samkeit des Tractats von 1506 wird, so bestimmt der Artikel 1
auf fünf Jahre verschoben. Während dieser Zeit bleibt der
erwähnte Vertrag aber in Kraft, ohne Schmälerung und ohne
Zusatz. Nach Verfluss dieses Quinquenniums tritt der Status
quo, der vor diesem Provisorium zu Recht bestand, wieder
ein «).
Zum ersten Male waren die Engländer in den unbestrit-
tenen Besitz ihres Ideals gelangt, und mochte dieser auch
nur für kurze Zeit gelten, und die Niederländer auf's Aengst-
lichste sich gegen alle etwa zu ziehenden Consequenzen
J) Brewer, Cal. IL 767. 807 u. s. f. vgl. ferner Pauli, Aufsätze zur
Geschichte von England. 1869. S. 48 fg.
2) Cuthb. Tunstal und Wm. Knight wurden am 1. October als Ge-
sandte am Hofe KarPs ernannt mit der Vollmacht, auch Verträge zu
schliessen. Brewer, Cal. II. 976. Karl ernannte die uns bereits be-
kannten Bevollmächtigten am 9. Dez. Brewer, Ca'l. II. 1262.
3) Tunstal und Knight an Heinrich VIII. 17. Dez. 1515. Brewer,
Cal. IL 1262.
4) So wollten sie gleich bei der ersten Begegnung weder den vor-
Seschlagenen Termin für Verlängerung des Intercursus, noch die Beseitigung
es Zolls „for breaking bulk" acceptiren. a. a. 0.
ß) Brewer, Cal. IL 1427, 1428.
•) Rymer XIII. S. 539.
- 49 —
wehren, der Boden, auf dem man fortan stand, war ein völlig
anderer. In Zukunft hatte die englische Regierung nur ftlr
Fortsetzung des Gegebenen zu wirken. Wäre diese Concession
nicht erlangt worden, so wäre der Vertrag von 1506 für
immer eiu todter Buchstabe geblieben.
Obwohl die Entscheidung der Kernfrage in dem erwähnten
Artikel 1 gegeben ist, so sind doch die übrigen Bestimmungen
nicht bedeutungslos. So wiederholen Artikel 2—7 zwar nur
Sätze, wie sie im Juli 1515, beziehungsweise 5. Juni 1507 ver-
einbart worden waren1), sind aber wenigstens theilweise für
die Engländer günstiger gefasst*). Der Artikel 8 schliesslich
war ein beiderseitiger Fortschritt. Um nämlich endlich ein-
mal die zahllosen Streitigkeiten und Beschwerden specieller
und allgemeiner Natur, die sich seit Jahren angehäuft hatten,
aus der Welt zu schaffen und etwa geschädigten Unterthanen
zu ihrem Rechte zu verhelfen , sollte innerhalb eines Jahres
ein neuer Congress stattfinden, den Mitgliedern desselben aber
nicht gestattet werden, auseinander zu gehen, bevor sie
über die einzelnen Fälle sich geeinigt hätten. Die Ratification
des Vertrages, die innerhalb drei Monaten zu erfolgen hatte,
wurde vorgenommen3), und der Tractat somit perfect. Die
Freude beim Verlauten des Abschlusses war allgemein, und
selbst viele Niederländer gaben derselben unverhohlenen Aus-
druck *).
Der vertragsmässig vereinbarte Congress fand Statt. Wir
sehen die Commissäre im Dezember des nämlichen Jahres be-
reits in voller Thätigkeit6), und es unterliegt keinem Zweifel,
dass sie eine schwere Aufgabe zu lösen hatten. Das mehrere
Jahre hindurch gespannte Verhältniss hatte viele Gewalt-
thätigkeiten und Ungerechtigkeiten der Beamten zur Folge
gehabt 6). Auf offenener See war ein unsicherer Zustand ein-
*) Die Engländer durften danach namentlich weder den Handel mit
einer Stadt verbieten noch Preistaxen machen.
*) 1507 bestimmte Art. 4: ab omnibas et singulis theloneis, custumis
et impositionibus praedictis liberi et immunes habeantur et reputentur,
dicta provisione durante, sed omnia interim in suspenso remaneant; der
entspr. Art 5 des gegenw. Tractats dagegen lautet : ab omnibua et singulis
theloneis custumis et impositionibus praedictis liberi et immunes in per-
petaum habeantur et reputentur per praesentes ac cautiones et fidejussi-
ones propter praedicta datae per praesentes simiüter relaxentur.
') Karl beschwor ihn am 27. Januar 1516 und bestätigte ihn am 13.
Februar (Brewer, CaL II. 1458, 1538. Heinrich VIII. ratificirte denselben
am 9. März 1516. Brewer, Cal. II. 1645).
4) Brewer, CaL ü. 1468.
6) Brewer, Cal. II. 2723.
*) Vgl. Brewer, Cal. II 1714 fg. Besonders viel Lärm machte
folgender Fall: Ein englisches Schiff war von den grossen Wollexporteuren
•fohn Allen, Hugo Clopton und Rieh. Fermour mit Wolle für Italien be-
trachtet worden. Durch Sturm wurde es nach Holland verschlagen und hier vom
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 4
— 50 -
getreten1), und der Intercursus selbst durch eine Menge
Willküracte ganz entstellt worden.
Die Beschwerdeschrift, welche die Engländer dem Con-
gress vorlegten, ist der deutlichste Beweis. Nicht weniger als
26 Punkte, durch die der M. I. verletzt worden war, brachten
sie vor2). Mag auch in Wirklichkeit die eine oder andere
Klage nicht ganz begründet gewesen sein, das eine erhellt
Zöllner angehalten, den Zoll von Gravelingen und Zeeland zu geben. Da
die Kauf leute sich dessen weigerten, wurden sie festgehalten, bis sie Caution
gestellt. In Folge dieser Verzögerung fiel das Schiff später unter die Mauren.
Brewer, Cal. IL 738; auch 2688 u. 2671.
*) £nglischerseit8 wurde wegen der Seeräubereien eine Commissi on
zusammengesetzt. 24. Januar 1516. Brewer, Cal. IL 1429. Einem
Antwerpener Kaufmann wurde von Piraten ein Schiff in Yarmouth ent-
fuhrt Tunstal an Wolsey. 4. November 1516. Brewer, Cal. IL 2507.
*) Die einzelnen Beschwerden lauten: 1) Den englischen Kaufleuten
ist nicht gestattet, überall hinzugehen; jedem ist ein neuer Zoll von 105 d
auferlegt worden. 2) Man erhebt 1% von allen Waaren, welche nach
Italien, Deutschland und andern nichtenglischen Gebieten versandt werden.
3) Man verhindert die Englander, Waffen und andere Arten von Waaren
zu kaufen und nach England zu führen. 4) Die Strafe für falsche Zoll-
declaration wurde vervierfacht und noch die der Confiscation hinzugefugt
5) Verschiedene Zölle werden für eine und dieselbe Waare widerrechtlich
erhoben. t>) Man lässt Waffen und Waaren, welche man in Italien oder
sonstwo ausserhalb des kaiserlichen Gebietes erworben hat, nicht aus-
fuhren. 7) Die Zollbeamten fügen beträchtlichen Schaden zu, indem sie
Säcke u. s. w. mit eisernen Instrumenten durchstechen. 8) Man unterwirft
den Wein und das Bier der Engländer der Accise. 9) Man erhebt einen
neuen Zoll von geladenen Schiffen, das sogenannte „Galey Gelt" ; 10) einen
weitern, das sogenannte Tonnengeld. 11) Nachdem man bereits zu Ant-
werpen oder Brügge die Zölle gezahlt, werden doch noch neue zu Newnort,
Dünkirchen und Gravelingen verlangt. 12) Andere widerrechtlich geforderte
Abgaben sind das ^Roergelt", Ankergeld und Ballastgeld. 13) Schiffe,
welche vom Sturm in die Häfen von Holland, Flandern, Zeeland oder
Niederdeutschland getrieben werden, müssen den „Swige"-Zoil zahlen.
14) Man gestattet den Engländern nicht, ihre eigenen Landsleute bei et-
waigen Hülfeleistungen zu benutzen, sondern zwingt sie, auf Messen u. s. w.
der Fremden sich zu bedienen. 15) In Ermangelung eines Passes confiscirt
man die Güter. 16) Man besteuert jeden in den Niederlanden sich auf-
haltenden Engländer, jährlich mit 20 d. 17) In Andalusien und Spanien
verlangt man von jedem Schiff 20 d, selbst wenn es von Italien oder dem
Orient kommt und wegen Mangel an Wasser oder Lebensmitteln vor Anker
geht. 18) Man schliesst die Irländer von den Privilegien der Engländer aus.
19) In Andalusien legt man auf Schiffe Beschlag, damit sie dem Kaiser
dienen, lässt sie aber dann Jahre unbenutzt und gibt sie erst nach grossen
Kosten frei. 20) Der Zoll von dem Pack Eisenwaaren (balarum de baterie)
wurde von 6 sh auf 8 sh erhöht, der von Nägeln von 4 d auf 7 d. 21) In
Antwerpen hat man alle Zölle verdoppelt 22) Die nämlichen Zölle ver-
langt man in Brabant und Zeeland. 23) Der Beamte von Gheervliet er-
hebt einen neuen Zoll von Schiffen, welche vom Sturm dahin getrieben wer-
den. 24) Man gestattet englischen Kaufleuten nicht, ihre Güter von Ant-
werpen in Schiffen wegzuführen, welche irgend einer andern Stadt gehören.
25) Von den englischen Seefahrern verlangt man in vlämischen Häfen neben
dem Ankergelde auch noch das sog. „bekonagium". 26) In Antwerpen
zwingt man sie, Waaren die nicht zum Wägen sich eignen, nach dem Ge-
wicht zu verzollen. (Brewer, Cal. IL 2738.)
— 51 —
aus der Schrift mit Evidenz , wie schwierig es war, die Verträge
gegenüber der herrschenden Fiscalität zur Wahrheit zu machen.
Angesichts der grossen Masse von Fällen und der
Schwierigkeit ihrer Entscheidung tauchten natürlich viele
Meinungsverschiedenheiten auf. Aber ein Einverständniss
kam zu Stande1)-
Es war eine glückliche Zeit für die englische Politik und
die englischen Kaufleute. Diese sahen fast alle ihre Wünsche
.erfüllt, und selbst, wenn sie Unbilliges verlangten, wurde
ihnen nicht selten willfahrt2).
Die niederländischen Städte ihrerseits wetteiferten unter
sich, die englischen Kaufleute in ihren Mauern festzuhalten.
Brügge machte wieder Versprechungen •, Antwerpen und Bergen
aber beseitigten alUUEÜagen durch ausgedehnte Specialverträge,
welche sie mit den englischen Eaufleuten und ihrem Consul
abschlössen.
Die Antwerpener reyidirten und erweiterten die alten
Privilegien. Es dürfte vielleicht hier der Platz sein, die
Rechte der Engländer in Antwerpen, soweit sie auf städtischer
Verleihung beruhten, zu skizziren. Die Engländer können,
heisst es in denselben, die Verlängerung der Messen um 8
oder 14 Tage je nach Bedürfhiss verlangen; sie dürfen die
Makler wählen und, falls diese ihrer Pflicht nicht genügten,
sogar bestrafen; ebenso können sie zum Binden, Tragen, Aus-
packen ihrer Waaren verwenden, wen sie wollen. Sie sollen
eine prompte Rechtshülfe finden, wenn sie innerhalb des
Stadtgebiets körperlich verletzt, oder ihre Schiffe und Ge-
räthe böswillig beschädigt worden sind, oder sie sonst ein
Rechtsanliegen haben. Ist in einem Rechtsfall die Unter-
suchung abgeschlossen, so muss das Urtheil in 6 Wochen ,
gesprochen werden. Erscheinen englische Kläger im Schöffen-
hause, so soll ihnen unmittelbar nach Entlassung der Partei,
welche geradezu verhandelt wird, Gehör gewährt werden; es
ist den Engländern unbenommen, bei Abwesenheit einen Ver-
treter sich zu bestellen. Die bürgerliche Gerichtsbarkeit steht
bei Streitigkeiten unter Engländern dem englischen Consul zu.
Englische Schuldner dürfen nicht ins Gefängniss gesetzt wer-
x) Dies geht hervor aus Spinellys Brief an Wolsey vom 28. Aug.
1517. Brewer, CaL IL 3647
*) Um nur ein Beispiel zu erwähnen. Für jeden Sack Wolle wurde
ein Zoll von 8 Groschen erhoben. Nichts lag näher, als dass die Engländer
missbrauchlich die Säcke bedeutend vergrößerten , weshalb die Zollein-
nehmer von Zeeland nicht mit Unrecht die Säcke wogen, und daran fest
hielten, dass 2 Zentner einen Sack ausmachten. Aber Karl, der damals
den Titel des Königs von Castilien annehmen wollte, obwohl seine Mutter
noch lebte, und auch von England Geld bedurfte, stellte trotzdem die
-alte- Gewohnheit wieder her. 28. Aug. 1517. (Bergenroth, Cal. 11.261.)
Brewer, Cal. IL 3649.
— 52 —
den, wenn sie Caution leisten wollen ; beträgt die Schuld nicht
mehr als 20 Schillinge, so ist der Polizeibeamte sogar ge-
bunden, mit dem Schuldner zum Gonsul zu gehen und zu
fragen, ob er Sicherheit leisten wolle. Ebenso dürfen Beschlag-
nahmungen wegen Schulden oder einer anderen Ursache willen
nicht ohne Zustimmung des englischen Kaufmanns vorgenom-
men werden. Die zum Selbstverbrauch eingeführten Getränke
sind , wie schon früher versprochen worden war, accisefrei, des-
gleichen haben sie bei der Ausfuhr vonOel, Seife und Weinen
keinerlei Zölle zu entrichten. Die Engländer sind in Zukunft
nicht gehalten, beim Verkauf auf der öffentlichen Wage zu
wägen. Die Vorstände der Webergilde in Antwerpen dürfen
keine Jurisdiction in Betreff englischer Tücher ausüben , son-
dern diese steht einzig und allein der Antwerpener Stadt-
behörde zu. Den vereidigten Leintuchmessern sind gewisse
Vorschriften gegeben, damit die Engländer beim Einkauf
nicht verkürzt werden. Die Stadtbehörden verpflichten sich,
dem englischen Consul beizustehen, wenn ein englischer Kauf-
mann ihm nicht gehorchen will. Es bleibt den Engländern
unbenommen, ausserhalb der Messzeit ihre Waaren nach Zee-
land, z. B. nach Walchern zu fahren, wobei die Antwerpener
Schiffer zu einem bestimmten Tarif ihre Dienste anbieten
müssen. Niemand darf die englischen Packhäuser, die zum
Falten des Leinens dienten, betreten. Auch das Recht des
Kaufs und Verkaufs war durch eine Reihe von Rechtssätzen
geregelt, die sämmtlich dem Tuchverkaufe der Engländer
eine günstige Stellung gaben. Aufs Sorgfältigste und Ein-
gehendste waren sodann die Zollprivilegien der Engländer und
die Art der gesammten Zollbehandlung festgestellt, ebenso
JVIassregeln gegen Uebervortheilung getroffen, und genau die
Taxen für gewisse Dienste bestimmt. Die Engländer erhielten
ihr Haus zu vollem uneingeschränkten Besitz, und die Stadt ver-
sprach, auf eigene Kosten die auf demselben noch lastenden Ge-
rechtsamkeiten ablösen zu wollen. Die gemietheten Häuser soll-
ten von einer gemeinsamen Commission eingeschätzt und die so
festgesetzte Miethe in Zukunft nicht abgeändert werden '), es
sei denn, dass bauliche Veränderungen vorgenommen wurden.
Endlich versprach noch die Stadt, um die übrigen Privilegien
zu übergehen, den englischen Kaufleuten in den 8 folgenden
Jahren zu Pfingsten 100 Pfund flandrische Groschen zu zahlen2).
Bergen op Zoom, das in den Privilegien von 1469, 1470
und 1480 die meisten Wünsche der Engländer befriedigt und
durch sein Entgegenkommen oft den Engländern als Mittel
gedient hatte, um auf Antwerpen einen Druck auszuüben, war
]) Ueber die Höhe der festgesetzten und von 1518 ab zu zahlenden
Miethsgelder für 31 näher bezeichnete Häuser gibt Cotton Mscrs. Tib.
D. VIII. f. 30 im Br. M. Aufschluss.
») Urk. Beil. 23.
- 53 —
selbstverständlich auch jetzt gerne bereit, die Rechte der eng-*
tischen Kaufleute, soweit als nöthig, zu ergänzen, und da-
durch diese auf gleichen Fuss wie in Antwerpen zu setzen
(16. Mai 1519) J).
Durch diese liberale Gewährung von Freiheiten war es
gelungen, den englischen Markt stärker denn je in Bergen
uod Antwerpen festzubannen. Brügge hatte sich vergeblich
gemüht, und auch Middelburg, das eine Zeit lang grosse An-
strengungen gemacht *), konnte es mit den Goncurrenten nicht
aufnehmen; sein Versuch, zum Ersatz die schottischen Kauf-
leute aus Yere3) in seine Stadt zu ziehen, misslang eben-
falls*).
Der englische Handel erfuhr in Folge der zahlreichen
Vergünstigungen einen beträchtlichen Aufschwung. In den
zwei folgenden Jahren 1518 und 1519 erreichten die Zölle
den höchbten Stand während der ganzen Regierungszeit Hein-
richs VIII.5).
2. Periode (1520 — 1530).
Unsere erste Periode hatte wider Erwarten einen günsti-
gen Ausgang genommen. Die englischen Kaufleute waren gut
gestellt, und wenn es der englischen Regierung gelang, den
Tractat von 1506 auch in Zukunft aufrecht zu erhalten, so
kann man diese Epoche als einen Wendepunkt des englisch-
niederländischen Verkehrs, soweit Heinrichs VIII Regierung in
Betracht kommt, markiren.
Die fünf Jahre, innerhalb deren der Vertrag von 1506 zu
gelten hatte, begannen ihrem Ende sich zuzuneigen, und die
Kothwendigkeit einer neuen Regelung trat an England heran.
Ein Versuch, den man bereits 1518 gemacht, und der auf eine
Erneuerung des Vertrags für weitere 5 Jahre abgezielt zu
*) ürk. Beil. 3 und Brewer, Cal. II. 232. Die Merchant ad-
ventorers «hielten deshalb auch dort sehr zum Groll der Antwerpener ihre
Messen aufrecht; vgl. auch Urk. Beil. 33, 34.
2) Am 27. Juli 1508 hatte Middelburg den Merchant adventurers zu
den früheren Privilegien ein neues gegeben (Urk. Beil. 133. §55); die eng-
lischen Kauf leute hatten sich auch bewegen lassen , eine Zeit lang nacn
Middelburg zu ziehen und, wie wir früher erwähnt, den Verkehr mit Ant-
werpen verboten. Sie hatten sich namentlich verpflichtet, die „Sinxon und
Balmes'-Markte daselbst zu halten. Urk. Beil. 133. § 56.
s) Der schottische Handel hatte schon lange seinen Hauptsitz in Yere;
1508 schwebten Verhandlungen zwischen dem Bailif von Yere und der
schottischen Regierung, um diese Stadt zum einzigen Stapel für diesen Handel
zu machen; vgl. den Brief Betons an den Magistrat von Antwerpen vom
4. April 1508. Gairdner. Letters andPapers of Rieh. III. and tlenr.VII.
VoL II. S. 263.
*) Vgl. den Briefwechsel zwischen Paniter, Secretar bei Jacob V. , und
der Stadt Middelburg im August und Dezember 1518. Brewer. Cal. I.
4386 u. 4698.
5) Vgl. Bd. IL 8. 12, 13; S. 48 fg.
— 54 -
* haben scheint1), fand allem Anschein nach keinen Anklang
bei der niederländischen Regierung. Ein Jahr vor Ausgan?
des Termines knüpfte Wolsey desshalb neue Verhandlungen
an; man einigte sich über einen neuen Congress und ernannte
die Vertreter: Heinrich VIII. am 8. April den Bischof von
Durham Ruthai, den uns von der vorigen Tagfahrt bekannten
Tunstal und More und den äusserst talentvollen Pace; Karl V.
am 11. April den Bischof von Helvas Bernard de Mesa, ferner
Gerard de Pleine, Philipp Haneton und Johann de le Sauch *').
Ein günstigerer Zeitpunkt war für die Engländer kaum
denkbar. Frankreich und Spanien buhlten damals um Eng-
lands Gunst. Die Pracht des goldenen Heerlagers zu Calais
von Seite Franz L, die Besuche des jugendlichen Kaisera Karl V.
am englischen Hofe waren ja alle darauf berechnet, den Tudor
zu bestricken und auf die eigene Seite zu ziehen. Unter solchen
Auspicien ist es erklärlich, wenn die Engländer nicht auf so
harten Kampf wie ehedem stiessen. Wolsey war auch gar
nicht so bescheiden in seinen Forderungen. Er verlangte
nichts weniger, als dass mit dem 24. Januar 1521, wo das
letzte Uebereinkommen zu Ende ging, der Vertrag von 1506
dauernde Geltung erhalte, und gab deutlich zu erkennen, dass
er und Heinrich VIII. in der Gewährung dieses Wunsches die
Vorbedingung für die politische Allianz erblickten3). Nicht
mit Unrecht bemerkte er dem kaiserlichen Gesandten gegen-
über, um Freundschaft zwischen Nationen zu stiften, sei vor
Allem nöthig, dass die beiderseitigen Unterthanen frei und
ohne Hindernisse mit einander zu verkehren vermöchten. Wie
könne sonst sein königl. Herr glauben, dass Karl V. wirklich
einen ehrlichen Bund mit ihm schiessen wolle?
Die Niederländer sahen auch vollkommen ein, dass in
dieser Situation kein Vortheil den Engländern abgerungen
werden könne4), und indem sie auf die Zukunft sich ver-
trösteten, ging ihr ganzes Streben dahin, bei Wolsey wenigstens
J) Bei Brewer, Cal.II. 4211 ist ein Schriftstück dieses Inhalts erwähnt,
das von Cuthbert Tunstal, W. Knight, Sir Th. Spinelly mit den nieder-
ländischen Commissären vereinbart und von Wolsey unterzeichnet ist.
Nichtsdestoweniger sprechen spätere Documenta und die ganze Ent-
wicklung gegen die Annahme, dass das Instrument wirklieh ratificirt
wurde. Eine Neubestätigung des Vertrags ohne Verlängerung fand erst in
Folge der Erwählung Karls zum Kaiser statt (11. April 1520). Vgl.
Brewer, Cal. III. 742, 849, 908. Bergenroth, Cal. iL 274.
«) Brewer, Cal. III. 731. 739.
8) Der spanische Gesandte in London schreibt, dass dieser Handels-
vertrag Heinrich VIII. und Wolsey ausserordentlich am Herzen liege.
Brewer, Cal. III. 741.
*) Zur Beurtheilung der damaligen Sachlage sind hauptsächlich die
Instructionen, welche die kaiserlichen Gesandten am 14. April dem an
Karl V. geschickten J. de le Sauch gaben, heranzuziehen. Brewer,
Cal. III. 742.
- 55 -
eine Form des Vertrages durchzusetzen, welche ihnen nicht
alle Hoffnung auf eine günstigere Gestaltung in späterer Zeit
benahm. Dies geschah auch. Nachdem der englische Vor-
schlag, die Gültigkeitsdauer des Provisoriums auf die folgen-
den 20 Jahre auszudehnen, fallen gelassen worden war, einigte
man sich dahin, dasselbe auf die fünf nächsten Jahre zu ver-
längern. Sollte aber während dieser Zeit weder eine Er-
neuerung des Vertrags von 1506 noch der Abschluss eines
neuen Handelstractats zu Stande kommen, so hatte mit Ab-
lauf des Termins das Provisorium für weitere fünf Jahre zu
gelten; und so sollte es bei jedem weiteren Quinquennium ge-
halten werden. Doch versprach man sich, gegenseitig dahin
zu trachten, dass bald ein Definitivum vereinbart werde1).
Man sieht, die Niederländer trugen sich mit dem Ge-
danken, dass man doch in nächster Zukunft eine Gelegenheit
finden werde, den Vertrag von 1506 wieder umzuwerfen. Die
Engländer aber hatten nur nöthig, die Niederländer dilatorisch
zu behandeln, um fortwährend im Besitz des Erlangten zu
bleiben. Spinelly hatte vollkommen Recht, wenn er auf die
Kunde des Abschlusses hin mit sichtlichem Behagen ausrief'
„Der Handelsvertrag ist endlich einmal gesichert" 2). Das
Ende des Jahres 1520 brachte somit in der That einen
Wendepunkt zu Stande. Wohl musste zu dem vertragsmässig
Errungenen noch der gute Wille bei der Ausführung von
Seite der Niederlande kommen; die eigentümliche politische
Stellung EÜglauds, die grosse Macht, die es gegenüber den
sich gegenseitig selbst schwächenden Parteien, nämlich Franzi,
und Karl V. in die Wagschale werfen konnte, Hessen erwarten,
dass die englische Regierung Druck genug ausüben könne, um
die Niederländer zum getreuen Innehalten des Versprochenen
zu zwingen.
Die Angelegenheit des Handelsvertrages verschwindet für
einige Zeit vom Schauplatz, und andere Fragen von mehr
vorübergehender Bedeutung tauchen auf. Der seit der Kaiser-
wahl zwischen Franz I. und Karl V. unvermeidlich gewordene
and jetzt nahe bevorstehende Krieg gab den Anlass hiezu.
England vermied lange seine offene Parteinahme, und es
gelang Wolsey hiedurch, seinen Herrn als Schiedsrichter über
die beiden mächtigsten Monarchen anerkannt zu sehen.
Während der Cardinal im Auftrag Heinrichs VIII. dieses Amtes
zu Calais, wo er am 10. Aug. 1521 mit königlicher Pracht
eingezogen war, nun waltete, lenkte er sein Hauptaugenmerk
s) Londoner Vertrag vom 11. April 1520, bestätigt von Karl am 23. April.
Rymer XIII. S. 714. Brewer, Cal. III. 739 u. 772.
*) Spinelly an Wolsey 3. Mai 1521: „the intercourse is once a sure
matter, whatsoever for lack of the weather do ensue of the other".
Brewer, CaL III. 787.
— 56 —
darauf, einen Vortheil für den englischen Handel aus der Lage
zu ziehen. Nur zu gut hatte der kluge Staatsmann gesehen,
welche V ortheile den Niederlanden zugefallen waren, als Hein-
rich VIU. allein mit Frankreich verfeindet war. Sollte England
nicht auch einmal den Nutzen haben können, wofern es ihm
glückte, aus seiner Neutralität, wenn nicht ganz, so doch eine
Zeit lang nicht heraustreten zu müssen? Des Cardinais Vor-
schläge richteten sich auf Anerkennung der neutralen Stellung
Englands. Er verlangte desshalb nicht nur, dass auf eng-
lischem Gebiet keine Kriegstbat vollführt und kein Truppen-
durchzug bewirkt, auf englischer See den französischen und
niederländischen Fischern Sicherheit gewährt, in englischen
Häfen und Dünen kein Angriff gemacht werden solle, sondern
er suchte auch durchzusetzen, dass Lebensmittel von St Omer,
Newport und Montreuil nach Calais geführt werden dürften,
und dass die englischen Schiffe überhaupt in kaiserlichen und
französischen Häfen Sicherheit und Schutz genössen 1).
Der bedeutende Handel namentlich mit Fischen, wie er
zwischen Frankreich und den Niederlanden bestand, sollte so-
mit während der Feindschaft ganz durch englische Hände
gehen. Es machte wenig Eindruck, wenn Wolsey gegenüber
den Kaiserlichen hauptsächlich geltend machte, dass auf diese
Weise die Niederländer und Engländer nicht der französischen
Weine entbehren müssten. Karl V. und seine Minister waren
Politiker genug, um durch eine so plumpe Aeusserung über
den wahren Sachverhalt getäuscht zu werden, und Karls Brief
vom 11. September 1521 an Gattinara gibt auch deutlich
Zeugniss hievon *). Der englische Handelsgewinn war übrigens
nicht einmal die einzige Rücksicht, welche Karl V. hiebei leitete.
Thatsächlich begab er sich eines bedeutenden kriegerischen
Vortheils, wenn Frankreich der Zufuhr von Lebensmitteln3)
und andern nothwendigen Artikeln sicher war. Allein Wolseys
Wille, in dessen Hände jetzt die Geschicke der beiden Völker
lagen, musste geschehen4). Vergeblich bemühten sich die
niederländischen Commissäre. dem Handel und Verkehr über-
>) Gattinara etc. an Karl V. 1. u. 6. Sept. 1521. Brewer, Cal. III.
1584 u. 1549.
4) Brewer, Cal. III. 1566. Monom. Habsb. 313.
*) KarlV. wollte aus demselben Grunde auch nicht zugeben, dass die
französischen Fischer in den englischen Gewässern Sicherheit gemessen,
sollten. Mit Hilfe seiner holländischen und zeeländischen Staaten hatte er
eine Flotte ausgerüstet, mit der er seine eigenen Fischer schützen und
noch den Franzosen bedeutenden Schaden zufügen zu können glaubte. Als
er am 22. Sept. erfuhr, dass der Neutralitätsvertrag noch nicht unter-
zeichnet war, konnte er es sich nicht versagen, noch rasch seinem Admiral
Befehl zum Ausrücken gegen den Feind zu geben. Karl V. an seine Ge-
sandten zu Calais 22. Sept. 1521. Brewer, Cal. III. 1600.
4) Vgl. Brewer. Cal. III. 1600. 1602. 1616. 1626.
- 57 —
haupt eine längere Neutralität1), und dadurch wenigstens
ihrem Lande den Handelsgewinn zu sichern, am 11. October
1521 mussten sie mit den Franzosen den Vertrag fast ganz
so, wie ihn Wolsey gewünscht, unterzeichnen *).
Ein Jahr lang vortheilte England von der durch den
Cardinal geschaffenen Begünstigung8); über deren Effect aber
ist ein Urtheil kaum möglich *). Im October 1522 erklärte auch
Heinrich VIII. an Frankreich offen den Krieg, und die Situation
wurde dadurch verändert. Der englische Handel verlor die
neutrale Stellung, und die Schwierigkeiten in Betreff des Ver-
kehrs mehrten sich. Schottland ganz von Frankreich geleitet
erhob sich gegen England, und der directe Handel zwischen den
vier Nationen schien aufhören zu sollen. Heinrich VIII. ver-
langte von den Niederländern, dass sie den Verkehr mit seinen
Feinden einstellten5), auch auf die Heringsfischerei an den
schottischen Küsten verzichteten. Da die niederländische
Volksstimme sich sehr stark dagegen aussprach6), machte
man lange Zeit Versuche, den Handelsabbruch durch allerlei
Vorwände hintanzuhalten; schliesslich musste man aber doch
den Wunsch des politischen Freundes erfüllen, indem man
theoretisch seine Forderungen anerkannte7); in der prak-
x) Gattinara und Genossen an Karl V. 5. Okt. 1521. Brewer,
CaL III. 1685.
2) Brewer, Cal. III. 1660; Rymer XIII. S. 752. Der Vertrag be-
steht aus 8 Artikeln. Die freie Fischerei wurde nur bis Ende Januar ge-
stattet (Art. 1.); das war aber für die Engländer eher ein neuer Vortheil,
als ein Nachtneil. Ueber die einzelnen Phasen der Verhandlungen ist
heranzuziehen Brewer, Cal. III. 1595, 1598. 1605, 1606, 1608 u. s. w.
*) Doch blieben trotz der garantirten Neutralltat Zwischenfalle nicht
aus; vgl. Brewer, CaL IIL 1691, 2193, 2379.
*) Die Zölle, die in den Jahren 1518/19, 1519/20 die grösste Stei-
gerung während Heinrichs VII. und VIII. Regierung aufweisen, sinken im
Jahre 1521/22 auf einen äusserst niedrigen Stand zurück (Bd. II. S. 46,
58). Die allgemeine Krisis, wie sie namentlich am Anfang des Krieges
immer eintritt, übte doch ihre Wirkung aus. Gleichzeitig erfuhr der
Wollexport eine Minderung aus Gründen, die nicht ausschliesslich
im Kriege su suchen sind. Ferner ist zu erwägen, dass der Vortheil, den
das Wolsey'sche Abkommen schuf, hauptsächlich in dem Zwischenhandel,
den die Engländer mit Frankreich und den Niederlanden nun fühlten, lag;
diese Vermittlung konnte sehr gewinnbringend sein, brauchte aber nicht m
den englischen Zollen zum directen und sofortigen Ausdruck zu kommen.
E) Sir Rob. Wingfield und Spinelly an Wolsey. 1. April 1522.
Brewelr, Cal. DL 2149.
*) Wingfield schreibt am 13. September 1522 hierüber an Wolsey von
Antwerpen aus : „The folks of this country seem ratber to be lords than
subjects; and moreoyer, where their prince is always furnished of money
by them frome time to time, they think right stränge, considering the
Privileges, which they have, that both the prince should have money of
them and inhibit or Sequester them from their lawful profits." Brewer.
Cal. ÜI. 2542.
') Sir Rob. Wingfields Brief vom 27. Sept. 1522 sagt , dass die Ver-
bannung der Schotten und das Verbot des Verkehrs am 26. Sept. publi-
cirt worden sei. Brewer, Cal. ÜI. 2575.
— 58 —
tischen Ausführung Hess man aber mehr als billige Milde
walten *).
Noch viel grössere Differenzen erzeugte die Frage des
Handels mit Frankreich. Man fasste wieder einen Waffen-
stillstand ins Auge2). Derselbe kam aber nicht zu Stande,
und nun suchten Engländer wie Niederländer mittels Geleits-
briefe einen möglichst grossen Handel mit Frankreich zu
unterhalten8), indem jede Nation glaubte, sie allein hätte
den Gewinn. Die Täuschung kam bald an den Tag, und
beide beschuldigten einander, incorrect gehandelt zu haben4).
Die Klagen wurden, da sich noch andere Beschwerden hinzu-
gesellten, schliesslich so heftig, dass die Erzherzogin Ab-
gesandte nach London beorderte, welche eine Verständigung
mit der englischen Regierung herbeiführen sollten 6).
Dieselben hatten ihrem Auftrag gemäss dahin zu wirken,
dass man sicheres Geleit für den Handel zwischen den Nieder-
landen, Frankreich und Schottland gewähre, und der König
von Frankreich die Heringsfischerei gestatte, da von dieser
die Existenz einer grossen Zahl niederländischer Unterthanen
abhänge6), feiner sollten sie hinsichtlich des Geldkurses mit
der englischen Regierung ein Uebereinkommen zu erzielen
suchen 7).
Die Klagen in Betreff des letzten Punktes waren nicht
neu. Schon früher hatten wir Gelegenheit, auf eine Meinungs-
verschiedenheit zwischen beiden Regierungen in dieser Sache
hinzuweisen8). Wie ehedem war der französische Krieg der
Anlass der Störung. Seit 1522 kamen die Geldverhältnisse
merklich ins Schwanken, der Ausbrach eines Krieges steigerte
ungeheuer das Geld in seinem Preise9), wie dies heute noch
in ähnlichen Fällen sich ereignet und die bekannten Paniken
in den vom Krieg betroffenen Ländern zu erzeugen pflegt.
Nur war damals die Krise immer viel acuter; die Rohheit,
M Vgl. den Brief von Margaretha von Savoyen an Wolaey vom
18. April 1523. aus dem deutlich hervorgeht, dass zwischen Midaelburg
und Schottland Handel getrieben wurde. Brewer, Cal. IIL 2953.
») 12. April 1528. Brewer, Cal. III. 2948. 2998.
a) Im August 1523 verlangte der kaiserliche Gesandte, dass die Aus-
sähe von Geleitsbriefen für den Handel zwischen den Niederlanden und
Frankreich gestattet wurde, fand aber damit kein Gehör bei der eng-
lischen Regierung; vgl. Mores Brief an Wolsey v. 26. Aug. 1523. Brewer,
Cal. in. 3270.
4) Gayangos, Cal. HI. 38.
fi) 28. Jan. 1525. Gayangos, Cal. ID. 8.
6) Vgl. auch den Bericht der Commissäre an Margaretha v. 20. April
1525. Gayangos, Cal. III. 78.
T) Gayangos, Cal. III. 8.
•) S. 40.
°) Henne, Regne de Charles-Quint en Belgique V. S. 333.
— 59 —
mit der die Kriege geführt wurden , trieb die Angst bis aufs
Höchste, die Zurückhaltung des Geldvorrates nahm viel
grössere Dimensionen an, als heutzutage; zudem war die cir-
culirende Geldmasse absolut viel geringer, und Creditmittel
konnten nicht sofort vermittelnd dazwischen treten. Am
4. October 1522 schrieb Wingfield von Antwerpen an Wolsey:
Geld ist so theuer, dass Alles daran zu kranken scheint;
möge es doch Gott zum Bessern wenden1). Die grossen
Geldverschiebungen, welche der Krieg mit sich brachte, regten
zugleich die Agiotage an. Besonders war es das Gold, welches
ganz enorm im Preise stieg. Die niederländischen Stände
waren sehr ungestüm, und die Regierung musste ihren Wün-
schen in Betreff der Geldpolitik willfahren 2). Die Folge der
letzteren aber war, dass ununterbrochen englische Münzen,
besonders die Angelotten nach den Niederlanden strömten8).
Diese Erscheinungen gaben natürlich Anlass zu Verband-
lungen.
Die Theuerung des Geldes führte dahin, dass die Nieder-
länder erklärten, sie könnten unmöglich den Stapelkaufleuten
den früheren Nominalpreis für Wolle zahlen. Man erinnerte
sich wieder des Vertrags von 1499, durch den die Zahlungs-
verhältnisse geordnet worden waren. Der für die Nieder-
länder wichtigste Artikel 1 dieses Tractats war im Jahre 1511
ausser Kraft getreten. Obwohl die Bürger von Brügge kurz
vor seinem Erlöschen die Regierung auf die im Wollgeschäft
beobachteten Mängel aufmerksam gemacht und eine Regelung
dieser Verhältnisse gewünscht hatten4), so war derselbe augen-
scheinlich nicht erneuert worden. Das Resultat der nun auf-
genommenen Verhandlungen 5) war, dass man wieder wie 1499
englischerseits einen Abschlag von Vi Mark per Sack bewilligte.
Dieser Nachlass galt aber nur für die neue nach Galais ge-
langende Wolle. Für die bereits in Calais befindliche Wolle
sollte er nur dann eintreten, wenn sie nicht bis zum 8. April
1525 verkauft war. Man einigte sich feiner darüber, dass für
das alte Geld gemeinschaftlich ein Curs festgesetzt und dieser
bei allen Zahlungen eingehalten werde6). Kein neues Geld
aus Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich oder sonstwoher
l) Brewer, Cal. III. 2593.
*) Vgl. hierüber D. Groebe, Beantwoording der prysvrag over de
munten en hetgeen daartoe betreking heeft, sedert 1500 tot den iare 1621
mgesloten. Memoires couronnes par l'Academie, X, und Henne, Regne de
Cbaries-Quint en Belgique V. S. 333 fg.
*) Der Cardinal sagte einmal : Wenn die Dinge so bleiben, so wandern
noch alle Angelotten nach Flandern. Gayangos, Cal. III. 46.
4) Doleancien van den ghemeene draperie van der Inghelsche wnlle
binnen Bragghe. Nieuwen Groenenbouc B. B. fo. 48 im Stadtarchiv
▼on Brügge.
6) Brewer, Cal. III. 2634, 2777.
•) Die Festsetzung desselben bei Brewer, Cal. III. 2967, 3332.
— 60 —
dürfe den englischen Kaufleuten gegeben werden, wenn nicht
für dasselbe unter Zustimmung beider Fürsten ein Curs fest-
gesetzt sei. Im Uebrigen sollte der Vertrag von 1499 in voller
Wirksamkeit bleiben, insoweit er nicht durch spätere Verträge
modificirt worden war1).
Auch wegen des Abflusses englischen Goldes2) that die
englische Regierung Schritte. Nachdem sie hinsichtlich des
Stapels zu einer nicht unbeträchtlichen Concession sich ver-
standen hatte, durfte sie mit Recht nun auch eine Berück-
sichtigung dieser ihrer Wünsche verlangen. Wolsey drang
wiederholt darauf, dass die niederländische Regierung ihre
Geldpolitik ändere und ihren Curs mit dem englischen gleich-
setze, damit der Goldstrom wieder in umgekehrter Richtung
stattfinde. Man kam aber in dieser Sache vorläufig zu Nichts s).
Ebensowenig richtete man in Betreff der Geleitsbriefe aus 4).
Obwohl Wolsey fast unerschöpflich in Vorschlägen 6) war, um
zu einer Einigung zu kommen, so war doch all sein Mühen
und Combiniren vergeblich.
Die allgemeine Politik hatte eine entscheidende Wendung
genommen. Die Schlacht von Pavia (24. Februar 1525) hatte
den König von Frankreich zum Gefangenen Karls V. gemacht
und alle Wünsche des letzteren befriedigt. Die englische Re-
gierung auf die grossartige altenglische Tradition zurück-
greifend, schmeichelte sich mit der Hoffnung, die Ziele eines
Eduards III. und Heinrichs V. verwirklichen und die franzö-
sische Krone auf des Tudors Haupt setzen zu können. Aber
Wolsey stiess nicht nur auf unüberwindliche Schwierigkeiten,
als er durch ein sogenanntes freiwilliges Anlehen (amicable
loan) die Mittel zur Fortsetzung des Krieges zu erlangen
suchte6), sondern er musste auch bald erfahren, wie des
*) Brewer, Cal. III. 2777, 2884.
*) Der Zeitgenosse Hall sagt über diesen in seiner Chronik S. 693
beim Jahre 16 H. VIII.: all the people of Englande grudged against
Flaunders for their evill entreatyng in the tyme of warre, and also the
Kyng was displeased with theim for enhaunsyng his coyne there, which
was a cause, that money was daily conveighed out of the realme. Sieh
auch Brewer, Cal. IV. 1101.
8) Gayangos, Cal. III. 46,90, 111. Brewer, Cal. IV. 951, App. 41, 1101.
*) Die kaiserlichen Commissäre hatten Vollmacht, auf die Ungültigkeits-
erklärung der ausgegebenen Geleitsbriefe einzugehen, wenn England ver-
sprechen wolle, die Niederlande mit Wein, Salz, Korn und sonstigen Ar-
tikeln, an denen England Ueberfluss habe, zu versehen. Wenn Wein und
Salz besonders genannt werden, so liest der Grund darin, dass der Ab-
bruch der Beziehungen mit Frankreich diese Waare entsetzlich vert heuerte.
Der Preis des Salzes war zeitweise von 6 und 7 Livres auf 60 und 80 ge-
stiegen. Vgl. die Instructionen von Margaretha an ihre Gesandten vom
28. Januar und den Bericht der Commissäre an Margaretha v. 9. März 1525.
Gayangos, Cal. III. 3, 8.
ß) Gayangos, Cal. III. 78. 90, 97, 111; Brewer, Cal. IV. App. 41.
e) Sowohl die Londoner Geschäftsleute, als das Landvolk setzten
dieser willkürlichen Erpressung den entschiedensten Widerstand entgegen.
— 61 -
Kaisers Pläne keineswegs mit den englischen Absichten sich
deckten, indem Karl V. nicht gewillt war, die errungenen
Vortheile durch Schaffung eines stärkeren Gegners wieder zu
verlieren. Misstrauen, gegenseitige Ueberlistung und schliess-
liche Feindschaft gaben den Verhandlungen der kommenden
Jahre ihr Gepräge, und es begreift sich, dass von solchen
Verhältnissen auch die Handelsangelegenheiten afficirt wurden.
Die politische Haltung des Kaisers veranlasste zunächst
den englischen König, auf französische Seite zu treten. Als
Karl seinem Gegner Franz einen fünfmonatlichen Waffenstill-
stand gewährt hatte1), schloss Heinrich VIII. mit Frankreich
einen einseitigen Frieden. England kam dadurch hinsichtlich
des Handels in eine bessere Situation als die Niederlande*).
Die Holländer wurden so ängstlich, dass sie selbständig mit
Heinrich VHI. durch Adolph von Burgund über eine Neutra-
lität für die Dauer eines Jahres ein Abkommen treffen Hessen.
Die Franzosen begünstigten die Engländer gegenüber den
kaiserlichen Unterthanen 3), und sehr besorgt blickten die
Niederländer dem Ausgang des Waffenstillstandes entgegen.
Der Krieg war ihnen „wegen ihrer äussersten Noth" ernstlich
verleidet und unerträglich , „namentlich seit jetzt dieser eng-
lisch-französische Friede geschlossen" 4). Da jedoch am 15. Ja-
nuar 1526 zwischen Karl V. und Franz I. der Madrider Vertrag zu
Die Industriellen schoben schlau die Arbeitermassen vor, indem sie diese
durch Entlassung zum Revoltiren brachten. Die Erbitterung derselben
richtete sich gegen die Regierung. Ein Anfuhrer aufständischer Arbeiter
sprach damals vor dem Herzog Norfolk die charakteristischen Worte: „Sith
you ask, who is our captain, forsooth his name is Poverty; for he and his
cousin Necessitv hath brought us to this doing; for all these persons and
many more, which I would were not here, live not of ourselves; but all we
live by the substantial oecupiers of this county, and yet they give us so
little wages for our workmanship, that scarcely we be able to live, and thus
in penury we pass the time, we, our wives and children; and if they, by
whom we live, be brought in that case, they of their little cannot help us
te earn our living, then must we perish and die miserably. I speak this,
ray Lord : the clothmakers have put all these people and a far greater number
from work. The husbandmen have put away their servants and given up
hoosehold;- they say, the king asketn so much, that they be not able to
do as they have done before this time, and then of necessity must have
die wretchedly." Hall, Chronicle S. 700; vgl. auch Brewer, Cal. IV.
Introd. 8. 71.
') Der Waffenstillstand dauerte vom 26. Juli bis 21. Dez.
a) Henne, R&gne de Charles-Quint en Beigigue IV. 8. 49.
*) Durch den Waffenstillstand war bloss die Fischerei wieder frei ge-
geben. Der Handel blieb an Geleits briefe gebunden, und obwohl diese
öiederländischerseits fast kostenfrei gewährt wurden, so hing der Effect
doch davon ab, ob auch die Franzoben liberal verfahren würden. Wing-
jjdd glaubt deshalb, dass die englischen Kauf leute vor dem Abschluss des
französisch -spanischen Friedens grosse Gewinne machen könnten. Sir
Bob. Wingfield an Wolsey. 2. Nov. 1525. Brewer, Cal. IV. 1737.
*) Brewer, Cal. IV. 1723.
— 62 —
Stande kam, so war die commercielle Benachtheiligung der
Niederlande eine nur kurz andauernde.
Inzwischen nahmen die mercantilen Verhältnisse fort-
während die Aufmerksamkeit beider Regierungen in Anspruch.
Am 21. Januar 1526 lief zudem das erste Quinquennium des
provisorischen Intercursus ab, und beide Regierungen hatten
in Erwägung zu ziehen, ob nicht eine Neuregelung anzustreben
sei. Die kaiserliche Regierung war zu sehr durch die all-
gemeine Politik beschäftigt, als dass sie mit gehörigem Ernst
diese commercielle nur die Niederlande betreffende Frage
hätte behandeln können. Sie schien die Fortsetzung des Ver-
trages von 1506 für weitere 5 Jahre ruhig acceptiren zu
wollen. Dagegen darf man, so wunderbar dies auch auf den
ersten Blick erscheinen mag, mit einigem Grund annehmen1),
dass England nicht ganz abgeneigt war, einen neuen Veitrag
abzuschliessen. Die Regierung ging dabei wohl von der
Voraussetzung aus, grössere Vortheile zu den früheren hinzu-
erwerben zu können, namentlich eine vertragsmässige Ordnung
der Geldverhältnisse in englischem Sinn und Beseitigung des
Stapelzwanges für die in die Provinz Flandern eingefühlten
englischen Tücher und Waaren8). Die Zeit war zu kurz, nm
diese wichtigen Fragen zu erledigen. Sie bildeten aber den
Stoff für Unterhandlungen im kommenden Jahre.
Als der früher genannte Jouglet zum Vertreter der Nieder-
lande bestellt worden war3), nachdem lange Zeit der Kaiser
den förmlichen diplomatischen Verkehr mit England ganz ein-
gestellt hatte 4), waren die commerciellen Beschwerden die ersten
Punkte, über welche Heinrich VIII. mit dem Gesandten con-
ferirte. Er drückte seinen Unwillen aus, dass die Niederlande
noch immer seinen Wünschen mit Hartnäckigkeit begegneten.
Alle früher geltend gemachten Gründe seien nun in Wegfall
gekommen; man könne nicht mehr den unordentlichen Zustand
der französischen Finanzen, ebenso wenig die Ungewissheit des
Ausgangs im politischen Streit vorschützen, um die vertrags-
widrige Weigerung, gemeinsam mit England den Geldcurs zu
bestimmen, noch länger fortzusetzen. Die Einwendung des Ge-
sandten6), dass der König ja seinen Unterthanen die Ausfuhr
*) Sieh den Brief Nikolas Perrenots an Margaretha von Saroyen vom
19. Okt 1525. Brewer, Cal. IV. 1709.
*) a. a. 0.
*) Er überreichte seine Beglaubigung am 9. Juni 1526.
4) Der kaiserliche Gesandte de Praet musste abgerufen werden, weil
Wolsey dessen Correspondenz hatte auffangen lassen; obwohl der Kaiser
das allem Völkerrecht hohnsprechende Verfahren Wolseys scheinbar billigt«,
so hatte er doch den Gesandtschaftsposten ein halbes Jahr lang unbesetzt
gelassen.
*) In der Instruction war Jouglet über diese Frage folgende Direc-
tive gegeben: Et que de ce le Roy et monsieur le legat d'Angleterre pour
— 63 —
der Angelott en verbieten könne, lehnte Heinrich VIII. mit dem
Bemerken ab, dass ein solches Vorgehen ftlr ihn unannehmbar
sei, da es in die Handelsspeculationen seiner Unterthanen ein-
greife; die Behauptung Jouglets aber, dass die Stapelkauf-
leute selbst nicht an den vertragsmäßigen Curs sich hielten,
sondern fortwährend denselben, je nachdem der Geldcurs steige
oder falle, abänderten, stellte der König geradezu in Abrede ')•
Ebenso energisch sprach Heinrich VIII. über die flandrische
Angelegenheit. Die Kaufleute von Brügge seien nicht befugt,
ihre Stapelgerechtigkeit *) in Betreff englischer Wollstoffe gel-
tend zu machen. Der Verkauf dieser im ganzen flandrischen
Gebiete sei immer geduldet worden, und wenn wirklich ein
dem entgegenstehendes Verbot in alten Zeiten erlassen worden
sei, so habe es sich nur auf breite und feine Tücher, nicht
aber auf grobe und kleine (gros et petits draps) erstreckt.
Der Vertrag unterscheide zwar nicht dem Wortlaute nach,
aber Duldung und Uebung kämen einer ausdrücklichen Aus-
nahme gleich3). Jedenfalls hätten die Niederlande die Pflicht
eine günstige authentische Interpretation zu geben4).
Jouglet war ein bejahrter Mann, der den verwickelten
Fragen und verwirrenden Schachzügen des englischen Cabinets
sich nicht gewachsen fühlte. Mit rührender Bescheidenheit
theilt er dies offen der Regentin mit und bittet sie, ihn mit
Rücksicht auf seine 20 Jahre lang geleisteten Dienste von
diesem schweren Posten zu entheben und durch eine jugend-
luy ayent feient difficulte, ne fist toutesvoyes, que madame consente la
redaction de langelot et aultre monnaie dor et dargent de la forge d'Angle-
terre au pris quilz ont cours au royaulme, oflrans lesdits srs. roy et legat,
si madame v voulsist entendre, en ce cas denvoyer commission et povoir
a lambassadeur Wingfelt den traittier. Que che snr ce combien que eile
ne puist faire changement au pris des monnaies, mesment en absence de
lempereur sans ladvis de estaz des payß desirant toutesvoyes complaire au
roy et audit sr. legat a escript a maistre Jehan de la Sauchz leur dire que
sil leur piaist envoyer povoir a messire Robert Wingfelt du fait de la
monnaie, que voulentiers eile entendra ledit changement et y fera ce que en
eile sera. Staatsarchiv in Brüssel. Papiers d'Etat. Nägociations
d'Angleterre. T. I. fo. 11 b. u. 12.
*) Die Behauptung Jouglets durfte trotzdem die grössere Wahrschein-
lichkeit für sich haben. Nur in gerichtlichen Prozessen scheint man den
am 17. Januar 1823 im Art. 4 vereinbarten Curs zu Grunde gelegt zu
haben. Vgl. den Bericht der niederl. Commissäre zu London an Margaretha
Tom 2±. März 1525. Gayangos, Cal. 111. 46.
*) Dieselbe war 1499 aufgehoben, 1501 aber wieder eingeführt worden.
Sieh oben S. 28, 27.
s) Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Engländer widerrechtliche
Ansprüche machten. Den seit einiger Zeit von den Flamändern gutwillig ge-
statteten Abusus wollten die Engländer nun anerkannt wissen und damit
das Br&gge'sche Stapel und die flandrische Tuchindustrie vollends zu Boden
werfen.
4) Jean Jouglet an Margaretha. 17. Juni 1526. Gayangos, Cal. III.
463. Daselbst ist auch die üble Behandlung, welche die Engländer im All-
gemeinen durch die Niederländer erfuhren, besprochen.
— 64 —
liehe, frischere Kraft zu ersetzen *). Seine Abberufung erfolgte ;
die Absicht war, mit den diplomatischen Verhandlungen einen
gewandten Spanier, den Ifiigo de Mendocja zu betrauen. Ent-
scheidend für seine Wahl war, dass die Hauptaufgabe seiner
Mission auf dem rein politischen Felde lag. In Handelssachen
war er nicht bewandert8), und man gedachte deshalb ihm
einen Specialbeistand in der Person des Niederländers Jean
Boutton8) zu geben; feiner sollte Mendoga bei der Regentin
und ihrem Rath genau sich instruiren lassen. Mendoga wurde
aber auf dem Wege nach England in Frankreich eine Zeit
lang festgehalten, weshalb der gewandte Provost von Cassel
Theimseke bis zu seiner Ankunft die kaiserliche Regierung
vertreten musste4).
In Folge dieses fortwährenden Personenwechsels scheint
es Wolsey vorgezogen zu haben, einstweilen durch den eng-
lischen Vertreter am niederländischen Hofe die handelspoliti-
schen Beschwerden geltend machen zu lassen. Der Gesandte
J. Hackett hatte auch vielfach Erfolg. Nach langen Berathungen
mit den Behörden von Brügge befahl Margaretha diesen, keine
Verstösse gegen den Intercursus hingehen zu lassen. In Strei-
tigkeiten, welche unter den Stadtbürgem in dieser Sache sich
erheben sollten , behielt sie sich selbst das Recht der Entschei-
dung vor. Dieser Erlass war, wie es scheint, in einem England
günstigen Sinn auszulegen; denn sofort Hessen, wie Hackett
berichtet, nach dieser Kundgebung die Brügge'schen Barger
Kersies und Stockbreds von Antwerpen kommen und kauften
und verkauften ohne Hindernisse6). Auch die Geldkursfrage
hatte allem Anschein nach einen Schritt vorwärts gemacht
Die letzte kaiserliche Valvation muss bedeutende Concessionen
den Engländern gewährt haben, und die Brabauter und Zee-
länder, die eine Zeit lang den kaiserlichen Befehl missachteten6),
machten, nachdem die Stände darüber verhandelt hatten, eine
neue Ordnung, in welcher sie den Curs für daß englische Geld
wenigstens theilweise ermässigten 7).
*) 17. Juni 1526. Gay an g ob, Cal. III. 463.
2) So gesteht er selbst ein. Gayangos, Cal. III. P. II. 8.
*) Gayangos, Cal. III. 616, 682; Boutton kam in London am H.No-
vember an.
4) Gayangos, Cal. in. 469, 588, 619, 645.
6) 4. Juli 1526. Brewer, Cal. IV. 2300.
6) Desshalb sagte Hackett: The coinage runs in these parte above all
reason and the Emperor's comandment." Brewer, Cal. IV. 2628.
"O John Hackett an Wolsey. 15. Nov. 1526. Brewer, Cal. IV. 2628.
Der Angelott sollte fortan nicht höher als zu 11 ah, def Royal nicht höher
als zu 16 sh 6 d gerechnet werden. Hackett aber rieth Wolsey, durch den
Consul den Merchant adventurers und den Staplern zu befehlen, sie sollten
Gold und Silber nur nach der kaiserlichen Valvation annehmen. Die
verhangniss volle Lösung, welche die C ursfrage schliesslich in England er-
fuhr, ist bekannt; sieh Abschn. IL Cap.5; vgl. ferner Hall, Chronide S. 718.
— 65 -
Obwohl die Niederlande diese und andere1) Beweise von
Nachgiebigkeit und Versöhnlichkeit gaben, so begann doch das
Jahr 1527 mit den trübsten Aussichten für die Beziehungen
zwischen beiden Ländern *). Eine französisch-englische Allianz
gegen Karl V. stand in Aussicht und kam auch bald zu
Stande'). Mendoga durfte sein reiches Programm4) über
commercielle Fragen und den Handelstractat gar nicht zur
Sprache bringen, um nicht den bereits bestehenden Gegensatz
Doch mehr zu verschärfen0).
Im Frühjahr hielt man schon nicht mehr recht an -der
Beobachtung der völkerrechtlichen Sätze des Intercursus fest 6).
Mitte Mai7) liess Wolsey den Verkehr mit den Niederlanden
unterbrechen, indem er den Kaufleuten verbot, die gerade be-
vorstehenden Messen zu besuchen, und die Schiffe, die auslaufen
wollten, mit Beschlag belegte8). Um gleichzeitig aber den
englischen Tüchern und Waaren einen Abfluss zu ermöglichen,
griff er wieder auf das schon des öfteren von Heinrich VII.
versuchte Project zurück, den Handel nach Calais zu ziehen 9).
*) Vgl. z. B. Brewer, CaL IV. 2324. .
*) Schon am 19. Jan. 1527 erfuhr Mendoga, dass man Krieg gegen
Flandern plane; ebenso am 18. März; am 25. April theilte er mit, dass be-
reits einige englische Kaufleute aus Furcht vor dem Krieg ihre Güter von
den Niederlanden zurückgezogen hätten. Gayangos, Gal. in. P. II, 8,
37, 55.
s) Erneuerung des Vertrags zu More. 30. April 1527. Dumont,
Corps diplomatique du droit des gens. 1726. IV. P. 1. S. 472.
4) In der Instruction, die Mendoca am 2. Mai 1526 vom Kaiser zu
Sevilla erhielt, waren nicht weniger als 6 Punkte, auf die er sein Augen-
merk zu richten hatte, erwähnt; an erster Stelle ist genannt der Handels-
vertrag, dann folgen der Wollhandel, das Stapel von Galais, die Zölle von
Gravelingen und Antwerpen, das Geldwesen, die Zölle auf Tuch und andere
Manufacte, die man aus Flandern und Spanien nach England oder von
England nach Flandern und Spanien führte. Gayangos, Cal. III. 410.
*) Mendoca an den Kaiser. 19. Jan. 1527. Gayangos, Gal. III.
P. IL 8.
*) Englische Kaufimannsgüter, welche an der Küste von Zeeland ge-
rettet wurden , weigerte man sich zurückzuerstatten , und der brabantische
Gerichtshof gab „lettres of resspyt" und „kynkernels" aus. Man verstiess
somit gegen Art. 24 des M. I. und Art. 7 des Vertrages von 1499. — Der
englische Admiral weigerte sich, ein spanisches Wrack, obwohl es nicht
verlassen war, herauszugeben. Inigo de Mendoca an Wolsey. 8. Mai 1527.
Brewer, Cal. IV. 3106.
7) Nach Angabe des venetianischen Gesandten Seb. Giustinian in Paris
sollen schon im April alle Fläminger aus England vertrieben worden sein.
Wahrscheinlich war das aber nur ein von den Franzosen verbreitetes Ge-
rächt, da in Mendocas Correspondenz keine Erwähnung hievon gemacht
ist Seb. Giustinian an den Dogen. 23. April 1527. Brown, Cal. IV. 97.
*) Ueber die schwankende Haltung Wolseys im Juni und October in
Betreff dieser Zurückhaltung der englischen Schiffe sieh Mendocas Briefe
an den Kaiser vom 4. Juni und 26. Oct. 1527. Gayangos, Cal. III. P. IL
*3u.224.
9) Im Publicum hatten Manche erwartet, dass Wolsey Montreuil zum
Stapelplatz creiren werde. Gayangos, Cal. HI. P. IL 69.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 5
— 66 —
Es war einer der vielen Vorzüge, welche den Besitz von Galais
für England so werthvoll machten, dass die englische Handels-
politik diesen Stapelplatz jederzeit als Repressalie gegen die
Niederlande benutzen konnte, und es hat in der That einige Be-
rechtigung, wenn der venetianische Gesandte Giovanni Michele
die Unabhängigkeit des englischen Handels mit dem Stapel von
Calais in Verbindung bringt1). Es ist nicht unmöglich, dass
Wolsey mit dem Gedanken umging, Calais überhaupt und
dauernd zum Stapelplatz sämmtlicher englischer Producte, also
namentlich auch des Tuchs zu machen. Am 13. Juli 1527 erliess
Heinrich VIII. eine sehr umfangreiche Proclamatioh 2), welche
nicht blos den einheimischen, sondern auch den fremden Kauf-
leuten ganz dieselben Freiheiten und Privilegien verlieh, die
die Engländer in Antwerpen, Brügge, Bergen oder sonstwo in
den Niederlanden genossen 8) ; nur sollten sie versprechen, fortan
weder aus den Niederlanden irgend Etwas direct in England
einzuführen, noch Tuch oder andere englische Waaren von
Calais nach den Niederlanden zu bringen. Die Durchfuhr
sollte jedoch erlaubt sein, wenn Sicherheit geleistet würde da-
x) Michele nennt 1557 Calais Ja chiave e porta principale del regno,
non potendo gllnglesi avere alcun* altra uscita dal loro agli altri regni
ne cosi Pentrata piü facile, piü breve, ne piü sicura, talmenteche, se le
mancasse, resteriano siccome veri isolani, separat! dalla terra ferma, e cosi
divisi in tutto dal commercio e dalle pratiche dal mondo e degli altri
principi, e mancheriano per conseguenza di cosa principalmente necessaria
alla conservazione di un regno, convenendo rimettersi alla diacrezione di altri
principi, con valersi dei loro porti con piü lunga navigazione, piü pericolo
e maggiore spesa." Alberi, Relazioni Ser. I. Vol. II. S. 305, 806.
*) Dieselbe ist ihrem vollen Wortlaute nach wiedergegeben in dem
von der Camden Society veröffentlichten und von Nie hole besorgten Chro-
nica of Calais in the reigns of Henry VII and Henry VIII to the year 1540.
London 1846. S. 102 — 109. Kurze Notizen befinden sich bei Brewer,
Cal. IV. 3262 und in den State papers, King Henry VIII. 1880-52. VII.
S.4. Der Titel lautet: „A proclamation for establishing of trade and merchan-
dizing and traffique within the towne and marches of Callice with divers
immunities and freedoms concerning the same,u und der Eingang: „The king
our soveraigne lord, mynding and entending the welth, encrease and enriching
of his realme of England and of this towne of Callis and the marches of the
same, and that not only his own subjeets, but also other strangers, of
what natioja soever they be, might have the more desire and currage to
repaire to this his said towne and marches, and for other great respects
and consideracions , with the advise of his counsell, by theis his lettres
patentes of proclamacion freely geveth and granteth füll libertie etc.tt
3) Als solche sollen die Privilegien des Herzogs Philipp von Burgund
von 1446 gelten. Die Kaufleute sind ausdrücklich nicht gebunden „hedmony,
half passnge money, travers mony, sandgelt, wharfgelt, the Flemish toll
otherwise named brocage of the haven or any other toll whatsoever" zu
zahlen. Die Zolltarife sollen am Marktplatz im Zollhaus und der kgl.
Wechselstube angeschlagen werden. Den Merchant adventurers werden die
nämlichen Corporations - Rechte wie in den Niederlanden eingeräumt Es
soll Sorge getroffen werden, dass die Einwohner von Calais Schau- und Pack-
häuser zu billigen Preisen abgeben. Damit an Lebensmitteln immer grosse
Fülle vorhanden sei , wird die Einfuhr derselben an keine Licenz gebunden
- 67 —
für, dass man die Tücher nicht auspacke und in den Nieder-
landen verkaufe. Da Wolsey auch gleichzeitig mit Frankreich
Verhandlungen pflog, um den Engländern dort die gleichen
Privilegien zu verschaffen, die sie bisher in den Niederlanden
besessen *) , so schien es in der That , als ob dieser gewaltige
Staatsmann die ganze Handelsblüthe dem brabantisch-holländi-
schen Gebiete entziehen wollte.
Der kühne Plan aber misslang. Die Niederländer waren
natürlich nicht Willens, ein solch verhängnissvolles Unternehmen
ruhig gedeihen zu lassen. Die verschiedenen Städte von Hol-
land, Zeeland, Brabant, Flandern, Hennegau, Artois und selbst
die des rheinischen Oberlandes2) traten zusammen, um ein
Verbot gegen die Zulassung der englischen Tücher zu be-
rathen3); die schutzzöllnerischen Kreise, deren Einfluss ge-
brochenschien, kamen plötzlich wieder zu Ehren. Der ziemlich be-
deutende Gonsum englischen Tuchs von Seite der Niederländer
hörte mit einem Schlag auf, die niederländische Tuchindustrie
nahm einen neuen Aufschwung. Der Agent des Königs, John
Dymock, schrieb am 15. September an Heinrich VIII., dass da,
wo man früher 4 oder 5 Tücher per Kopf verfertigte, jetzt so
viele fabricirt würden, dass 600 und mehr auf den Kopf kämen,
und in vielen Städten, in denen man bisher kein Tuch gemacht
habe, treffe man jetzt Anstalten hiezu4). Auch der bei den
Engländern vielfach verbreitete Glaube von der Unentbehrlich-
and keinem Zoll unterworfen. Jeder soll Lebensmittel, woher sie auch
stammen, einfuhren können. Bas englische Schifffahrtsgesetz hat für Calais
keine Anwendung, die Merchant adventurers wie die Fremden dürfen
beim Export von Calais englische und fremde Schiffe benützen. Niemand
darf wegen ausserhalb Calais contrahirter Schulden oder eingegangener
Verpflichtungen verfolgt werden, wenn er sich auf diesen Freiheitsbrief be-
ruft u. s. w.
') Zur Fernhaltung aller Zweifel, welche Rechte damit gemeint seien,
wurde vereinbart, dass die englischen Raufleute nur die Privilegien bean-
spruchen dürften, welche 1) in dem Privilegienbrief Philipps von Burgund
vom 6. August 1446, 2) in dem der Stadt Antwerpen vom 1. Juni 1518.
3) in dem Vertrag von 1516, bezw. v. 11. April 1521 aufgeführt seien. Alle
drei Urkunden wurden wörtlich abgeschrieben und von Wolsey und Mont-
morency unterzeichnet Diese Copien sind erhalten im Br. M. Cotton
Mscrs. GaJba B. IX. fo. 63 fg.
2) Bekanntlich eiferte man damals in ganz Deutschland gegen die
überwältigende Concurrenz des englischen Tuches. Auch Luther gab dieser
Stimmung Ausdruck : „Gott hat uns Deutschen dahin geschleudert, dass wir
Gold und Silber in frembde Länder stossen müssen, alle Welt reich machen
und selbst Bettler bleiben. Engelland sollte wohl weniger Golds haben, wenn
Deutschland ihm sein Tuch liessetf . J.K.Irmischer, Luthers Werke XXII.
8. 201.
*) John Dymock an Heinrich VIII. 15. Sept. 1527. Brewer, Cal.
IV. 3433 und State papers VII. S. 4. Man könnte meinen, als ob die
Städte damit nur dem Plane Wolseys in die Hände arbeiteten. Dies scheint
aber nur so; denn die Proclamation Heinrichs VIII. verbot den Nieder-
ländern nicht, in Calais sich mit Tuch zu versorgen; nur den Markt für
Tuch wollte Wolsey verlegen.
4) State Papers VII. S. 4.
5*
— 68 —
keit englischer Wolle wurde stark erschüttert Seit Langem
suchte die niederländische Regierung die Industriellen zur
Verarbeitung der spanischen Wolle zu veranlassen, offenbar in
der Absicht, dadurch die Abhängigkeit von England abzu-
schwächen. Schon Philipp der Gute hatte Schritte nach dieser
Rirlitung ,gethan l). Seit dieser Zeit war auch der Import
spanischer Wolle nach Flandern stets im Wachsen *). Derselbe
nahm noch besonders zu, als am Anfang des 16. Jahrhunderts
Spanien und die Niederlande unter einem Herrscher vereinigt
wurden und gleichzeitig der englische Wollexport sehr stark
zu dicken begann8). Die spanische Wolle war auch successiv
durch Kreuzung der Mutterschafe mit englischen Widdern besser
geworden4). Die niederländische Regierung machte nun um
1528 einen neuen Versuch, der spanischen Wolle das Ueber-
jrewicht zu verschaffen. Sie wagte sogar, die englische am
28* März 1528 mit einem neuen Eingangszoll zu belegen6).
E>ic Verarbeitung der spanischen Wolle stiess freilich immer
noch auf Schwierigkeiten. Dieselbe Hess sich nicht kämmen,
und die niederländischen Industriellen hoben hervor, dass die
Spanier selbst die aus ihrer Wolle hergestellten Tücher nicht
kaufen wollten6). Dymock dagegen erzählt, dass die Nieder-
länder durch Mischung der einheimischen Wolle mit der spani-
sches sogar ganz werthvolle Tücher7) herzustellen verstanden.
Aus all seinen Aeusserungen geht hervor, dass er die Lage
sehr ernst auffasste8) und bei längerer Stockung sehr um die
Zukunft der englischen Tuchindustrie besorgt war.
Das war ein Moment, das für sich allein stark genug sein
mochte, einen selbst so wenig zaghaften Mann, wie Wolsey es
war. zu erschüttern ; genügte es aber nicht, so war die Unter-
stützung, die er bei den fremden Kaufleuten fand, so gering
') Henne, Regne de Charles-Quint en Belgique. V. 8. 289. Sieh auch
unten Äbschn. II. Cap. 4.
I Dies sieht man unter Anderm daraus, dass, wenn spanische, nach
Flandern gehende Schiffe von Engländern weggenommen wurden, unter den
Waarätt häufig Wolle genannt wird. Rymer XI. S. 671; Brewer,
C*L I 3814. Um 1560 wurden nach Guicciardiiii 25000 Sack spanischer
Wolk< importirt. Ihr Werth betrug 625000 Goldthaler, der der eng-
lischen 250 000.
n Sieh Bd. II. S. 15.
*) „They (the staplere) say also, that Spanysh wolle is so encresid to
frnftfl goodness and so great plenty, that withowt they holp to seil our
ßnplish wolle, elles non other reame shuld have nede to bye lt in England.
And further tney say and hold an opynvon, that by carieng certayn shepe
out ol England into Spiyn bv kvng Edwardes dayes, that by the bodyes
<>i Ihr shepe then robbid England, of our speciall gift of fynes and goodnes
of mir staple wolle." Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 24.
) Plac. de Flandre I. S. 593.
*j Henne a. a. 0. V. S. 290.
'} — »qu* vault bien Thuyt soulz laune de notre monoye sans y metre
nulle Uyne d'Engleterre." State Pap er s VII. S. 4.
*) „Vostre grace set bien, che vous draps ne peullent vydier hors de
iroetn? pays, vous gens de mestyer en seront destruys.u a. a. 0.
— 69 —
und die Abneigung der eigenen Landsleute so gross, dass un-
möglich sein Plan Leben gewinnen konnte. Die ersteren
wollten natürlich nicht die Privilegien in Antwerpen und an-
deren Orten, die gesammten Handelsbeziehungen mit dem
Centrum des europäischen Handels aufs Spiel setzen, um in
Calais eine Gabe einzutauschen, auf deren Dauer man nicht
bauen konnte. Die englischen Kaufleute konnten aber des
Verkehrs mit den Fremden nicht entbehren und sahen zudem
ihre vitalsten Interessen durch Zerreissung des Bandes, das
sie nun seit Jahrhunderten mit den Niederlanden verbunden,
verletzt x).
Das Entscheidende aber war, dass die Volksstimme gegen
den Abbruch der Freundschaft mit den Niederlanden war. Als
am 22. Januar 1528 die englische Regierung den Krieg gegen
Karl V. erklärte *) , ging ein Aufschrei durch das ganze Land.
Nie war ein Krieg unpopulärer; er wurde geführt von den
*) Die Engländer willfahrten nur scheinbar dem Wunsche Wolseys;
sie brachten zwar ihre Tücher nach Calais, wo Freunde sie zum Schein
kauften, verschifften sie aber dann nach Antwerpen. Wenn deshalb Wol-
sey am 18. Juli seinem Herrn von Calais aus schreibt, dass schon Schiffe
mit Tuch in Calais angekommen seien , und damit das Gelingen des Projects
andeuten wollte, so war das eine Täuschung. (State Pap er 8 I. 218.
Brewer, Cal. IV. 3279). Hall macht in seinem Chronicle 8. 724 u. 729
folgende Angaben über aas Project: „When it was knowen, that warr was
like to be betwene the Emperour and the kyng of England, the commons
of England sore lamentyd the chaunce ; for all marchandise were restrayned
to passe into any of themperours dominions and the marchauntes wer
desired by the Cardinal to kepe ther martes at Calais, to the which in no
wise thei would assent. — The Cardinal imagined al the wayes and meanes
possible, how to hurte and dommage th emperour; and therfore he sent for
thenglish marchauntes, willing them to kepe the marte at Caleis, but thei
answered, that the towne of Caleis was a towne of warre and al marchauntes
must have libertie at all houres of the night in the marte season, whiche
they could not have at Caleis: also the haven is not able to receive greate
hulkes and carikes, that come to a marte: but some marchauntes, to please
the cardinal, brought their clothes to Calais and so caused their frendes
of Antwarpe to come to Calais and to say, that thei had bought the mar-
chauntes clothes, and ther at Caleis paied the custome and so carried them
to the towne of Andwarp at thenglish meane Charge and ther sold them to
the great loss of thenglish men.u Halls Angabe wird bestätigt durch D y m o ck s
Brief; derselbe sagt: „quar ausvtost quil sont dessergiet a Callays vendu
ou non, yl sont incontynent envoiet en Anvers, a grant dangier et aoumaige
pour les marchans, et che en le quontynue longhemcnt vous trovrers en
vostre coustumes grant doumaige pour Vostre Grace. Et sil y a quelque
questyon entre vous marchans lung contre lautre pour ung modt de Vostre
Grace les metteres bien accordt" State Papers VII. S. 4. Weitere Nach-
richten über die Abneigung der Engländer gegen das Project hat Mendoca in
seinen Briefen an den Kaiser überliefert. Vgl. ' die Briefe vom 18. Mai und
25. Mai 1527. Gayangos, Cal. III. P. H. 69, 75.
*) Dass derselbe unvermeidlich sein werde, galt gegen Ende des Jahres
1527 als sicher. Die englische und französische Regierung verlangten die
Modification des Madrider Vertrags, und es mag hervorgehoben werden, dass
unter Anderem auch ganz besonders die Beseitigung der vorteilhaften
Handelsbedingungen, welche Spanien in dem genannten Tractat Frankreich
— 70 —
Cabineten aus Gründen, für die der gemeine Mann kein Ver-
ständnis hatte, geschweige sich erwärmen konnte. Die zeit-
weiligen diplomatischen Erfolge gingen an ihm eindruckslos
vorüber, der Widerwille war so allgemein, dass der Gesandte
des eigenen politischen Freundes seiner Regierung schreiben
musste: „Seien Sie versichert, er (Wolsey) spielt ein schreck-
liches Spiel, ich glaube, er ist der einzige Engländer, der
einen Krieg mit Flandern wünscht" 1).
Man braucht in der That nur einen Blick in die inneren
Verhältnisse Englands dieser Zeit zu thun, um die allgemeine
Opposition zu verstehen. Der kurz vorhergegangene Krieg
mit Frankreich hatte das Volk sehr erschöpft, er war von
geringen materiellen Gewinnen begleitet und auch wenig
ruhmreich für die englischen Waffen2). Eine neue Erhebung
von Abgaben war einer Erpressung gleich, die vorweg als un-
erträglich erschien. Das Jahr 1527 war eine Missernte, deren
Folgen in um so trauriger Gestalt sich offenbaren mussten, als
die vorangegangenen Jahre nichts weniger als gesegnete und
auch noch gleichzeitig von stark verheerenden beuchen unter
den Schaf heerden begleitet waren, so dass der Fleischpreis
auf das Dreifache des gewöhnlichen stieg3). Die bereits
längere Zeit vor sich gehende Umwälzung des Agrarsystem 4)
hatte ohnehin viele Familien brodlos gemacht oder doch sehr
abgerungen hatte, verlangt wurde. (Vgl. Anderson, Annalen des englischen
Handels. D. A. III. S. 527). Der Kaiser weigerte sieb, diesem Verlangen
Rechnung zu tragen. In Folge dessen verfolgten sieb gegenseitig bereits
um diese Zeit spanische und französische Schiffe, namentlich auch in eng-
lischen Häfen; man ergriff Massregeln, um den Kaufleuten den Abzug zu
ermöglichen, und die in Spanien weilenden Engländer mietheten sogar bis-
caysche Schiffe, um noch rasch all ihre Habe und Waaren nach England
zu bringen. Vgl. Brewer, Cal. IV. 3556, 3620, 3621, 3782;* ferner 3648,
3844, 3956.
2) Du Bellay an Montmorency 16. Febr. 1528. Brewer, Cal. IV.
3930. Nicht einmal unter den Mitgliedern der Sternkammer fand der Krieg
Beifall. Als Wolsey daselbst die Kriegserklärung rechtfertigte, ward sie
mit frostigem Schweigen aufgenommen. „Some knocked other on the elbow
and said softly „he lieth". Other said, that the French crowns made him
speak evill of the Emperor". Hall, Chronicle S.744. Der Versuch des franzö-
sischen Gesandten, das Volk durch allerlei künstliche Mittel umzustimmen,
misslang, wie er selbst eingesteht (Brewer, Cal. IV. App. 127). Auch die
Hansen, welche doch am meisten bei einem Bruch zwischen den Nieder-
ländern und Engländern zu vortheilen pflegten, mochten die Partei der
Franzosen nicht nehmen. Brewer, Cal. IV. Introd. S. 194.
' 2) 1525 sagte das Volk, dass alle Summen, welche man bereits auf
die Invasion ausgegeben, dem König nicht einen Fuss breit mehr Land ge-
wonnen hätten , als sein Vater bereits besessen , und doch meinten sie, dass
letzterer „lacked no riches or wisdom to have won that kingdom, if he had
thought it expedient". Brewer, Cal. IV. 1243.
") Sieh die „Considerations as to the dearness of all manner of victuals"
bei Brewer, Cal. IV. 3761.
4) Nasse, Die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Einhegungen
des 16. Jahrhunderts in England. 1869. S. 55 fg.
— 71 —
ins Gedränge gebracht. Zu Hunderten waren allerwftrts Arme
zu treffen, welche Brod suchten J). Nun kam noch eine durch
WoJsey geschaffene allgemeine Arbeitslosigkeit in den eng-
lischen Manufacturdistricten hinzu. Seit dem letzten April
und während der ganzen zweiten Hälfte des Jahres 1527
hatte der Cardinal den Verkehr mit den Niederlanden ge-
hemmt2), den Absatz der Tücher fast vollständig zu Grunde
gerichtet und eine Handelsstockung und höchst bedrohliche
Erisis geschaffen s). Die Kauf leute in London weigerten sich,
ihre grossen Tuchvorräthe noch weiter zu vermehren, und als
die armen Landweber mit ihren Geweben und Tüchern, die
Bauern mit ihrer Wolle auf dem Markt erschienen, fanden sie
keinen Käufer vor; ohne Geld und Brod, mit Kummer im
Herzen, mit Zorn und Groll in der Brust kehrten sie zurück,
und mit einem Schlag war die Noth eine allgemeine. Die
grossen Tucher entliessen ihre Arbeiter, von denen die Mehr-
zahl keine andere Lösung vor sich sah, als grauenvolles Elend
und sichern Tod.
Wohl suchte der Cardinal die Krisis mit seinem mächtigen
Wort zu beschwören; mit Entziehung der städtischen Frei-
heiten, Monopolisirung des ganzen Tuchhandels4), selbst mit
dem Tower6) drohte er den Kaufleuten in London, wenn sie
sich noch ferner weigerten, die Tücher der Weber in Black-
wellhall und Leadenhall abzunehmen. Er selbst streckte wohl
Geld zum Ankauf vor6), aber Alles war vergeblich7). Immer
*) Vgl. auch das unten im Abschn. II. über die Getreidehandelspolitik
Gesagte, sowie Brewer, Cal. IV. 4012
*) Heinrich VIII. und Franz I. hatten nämlich in ihrem Allianzvertrag
versprochen , jeden Handel mit dem Feinde zu unterlassen. Hall, Chro-
nica S. 745.
*) Unsere Zollregister über den Tuchexport lassen freilich keine be-
deutende Aenderung ersehen, dies liegt aber daran, dass durch die Rech-
nung von October zu October das wahre Verhältniss verwischt wird.
4)Hall, Chronicle S. 746.
*) Brewer, Cal. IV. 3930. 16. Februar 1528.
e) Brewer, Cal. IV. App. 158. Der Fall, dass die Regierung in
Krisen auf diese Weise helfend eingriff, war nicht ungewöhnlich. 1535 z. B.
verlangte der Aldermann Sir John Aleyn in einem nach vielen Richtungen
hin merkwürdigen Brief an Cromwell, dass der König ein Darlehen von
10 000 £ zum Ankauf von Tuch gebe, dessen Gesammtwerth auf der Lon-
doner Messe sich auf ca. 20 000 j£ belaufe. Die kgl. Casse musste somit
damals fungiren, wie heutzutage eine grosse Notenbank. State Pap er s
I. S. 443.
*) Vierzig Suffolker Tucher hatten sich im März vom Herzog von
Norfolk überreden lassen, die von ihnen bereits entlassenen Weber wieder
in Arbeit zu nehmen. Allein schon am 4. Mai erklärten sie, unmöglich
weiter arbeiten lassen zu können, da in London absolut Niemand Tuch
kaufen wolle, auch kein Oel mehr aus Spanien zu erhalten sei. (Norfolk
an Wolsey. 9. März und 4. Mai. Brewer, Cal. IV. 4044 und 4239;
Hall, Chronicle S. 746). Die Colchester Tucher klagten, dass Niemand
Tuch nehmen wolle , selbst wenn man es zum halben Kostenpreis abgebe.
— 72 —
stärker wuchs die Noth und Abneigung gegen den Krieg1).
Männer von einiger Bildung liehen ihre Stimmen dem Volk *),
und der Ausbruch einer allgemeinen Revolution stand bevor3).
Da wagte Wolsey nicht länger mehr im Gegensatz zum
Willen des ganzen Volkes zu handeln. Noch im Februar liess
er bei Margaretha anfragen, ob sie nicht geneigt sei, den
Handel als neutral zu betrachten und somit auch während
des Krieges ihn zwischen den Niederlanden und England
zu gestatten. Die Regentin, immer auf das Wohl ihrer
Unterthanen bedacht, ging sofort auf das Anerbieten ein4),
stimmte auch trotz des Widerspruches ihrer sämmtlichen
Sie hätten nicht Geld genug, um nur die Spinner auf dem Lande zu zahlen.
Die Kaufleute wollten es auf eine Revolution ankommen lassen. (Der Graf
Heinrich von Essex an Wolsey. 2. und 5. April. Brewer, Cal. IV.
1129, AI 45). In „Ledds" glückte es Henry Guildeford nur unter dem Auf-
wand ; lüer Beredsamkeit, seine eigenen Brüder zu überreden, dass sie bis
zur Erntezeit ihre Leute fortarbeiten Hessen. (Sir Henry Guildeford an
Wolsev. 17. Mai 1528. Brewer, Cal. IV. 4276). Vgl. auch Brewer,
Cal. IV. 4282.
a) Brown, Cal. IV. 254.
*) Brewer, Cal. IV. 4040.
) Zu Vine in Hampshire versammelten sich bereits die arbeitslosen
Handwerker, um in Masse zum König zuziehen; ähnliches Zusammenrotten
fand utich sonst in Hampshire, Berkshire und Wiltshire Statt, wurde aber
mit ' iewalt unterdrückt. (Lord Sandys an Wolsey. 9. und 13. März 1528.
Breuer, Cal. IV. 4043, 4058). Die Bewohner von Goudhurst und Cran-
book, einer blühenden Colonie vlämischer Tuchmacher, planten sogar Wol-
seys Vernichtung. (Brewer, Cal. IV. Introd. S. 364.) V^L ferner die
Äusserungen Wolseys gegenüber Du Bellay über die Schwierigkeit, das
Volk in Unterwürfigkeit zu halten. (Brewer, Cal. IV. App. 158). Um
jene Zeit entstand auch das bekannte Gedicht „An impeachment of Wolsey, u
worin er für alles Unheil verantwortlich gemacht wird; in den Strophen
20 und 27 wird auf die von ihm herbeigeführten wirtschaftlichen Leiden
dieser Tage hingewiesen:
By thfc owte of Servyce Many be constraynyd,
and Cow[r]8e of merchaundyse thou haste restreyned,
wherefor men syghe and sobbe;
but and they had as myche money in störe
as men sey thou haste, they wold syghe noraore
but purchesse A dyspensacion to Kobbe.
All pienty and sporte thou haste put dow[n]
yn cowrte, cete, borow and Towne;
mennys Corage ys gon yn dede.
To here of the pepyll the lamentacion,
and Crying for vengeance with exclamacion
that hy twold make A manse herte to [blede].
Furnivail, Ballads from Mscrs. I. S. 357.
«J Brewer, Cal. IV. 3959, 3966. Als Iüigo de Mendoca der Re-
gen tili den Wunsch Wolseys in Betreff Fortführung des Intercursus mit-
theüte, erklärte sie in ganz verwunderter und geschickter Weise, sie habe
gar nie an seine Unterbrechung gedacht. (Gayangos, Cal. HI. P. n.
ä6ü). Sie hatte in der That fast ängstlich vermieden, die englischen
Kaufieute zu verletzen. Die englischen Schiffe in Newport und Dünkirchen
wurden erst mit Beschlag belegt, als die Engländer in solcher Weise vor-
gegangen waren. (Hall, Chronicle S. 744; Brewer, Cal. IV. 3958,
— 73 —
Räthe1) dem Abschluss eines Waffenstillstandes zu. Sie zog
es vor, das alte Freundschaftsband nicht durch Ausbeutung
der bedenklichen Lage des Gegners vollständig zu zerreissen2).
Die eigenen Unterthanen hatten doch auch schwer ge-
litten. Die vom Kaiser beliebte Redewendung: „England ohne
Flandern kann nicht leben" 8) hatte für die Zeit der beiden
ersten Tudors, wie die obige Darstellung zeigt, allerdings seine
Richtigkeit. Aber auch der in früherer Zeit übliche Satz:
„Flandern ohne England kann nicht leben tt behielt seine volle
Gültigkeit Die Schilderungen der Zeitgenossen bestätigen,
dass auch in den Niederlanden die Erisis eine acute war4).
Am 15. Juni 1528 kam der Waffenstillstand auf 8 Monate
zum Abschluss, die mit Beschlag genommenen englischen
Schiffe wurden wieder freigegeben6) und der Verkehr ganz
auf dem nämlichen Fuss gestattet, wie ein Jahr vor Beginn
des Krieges. Die spanischen und italienischen Besitzungen
des Kaisers waren nicht einbegriffen G), und schon daraus geht
hervor, dass das commercielle Verhältniss zwischen den Nieder-
landen und England den Ausschlag gegeben hatte 7). Natürlich
4006, 4009, 4011, 4018, 4069, 4147, 4286, 4369). Die englischen Kaufleute
konnten auch gar nicht über üble Behandlung klagen (Brewer, Cal. IV.
3928, 3946), man dachte wohl an die Authebung der englischen Zoll-
Privilegien, man führte sie aber nicht aus (Brewer, Cal. IV. 3928). An
versöhnlichen Stimmen fehlte es auch sonst in den Niederlanden nicht.
fBrewer, Cal IV. 4036, 4071). Erst als Wolsey die Feindseligkeiten
fortsetzte und die versprochene Neutralität (Brown, Cal. IV. 254) des
Handels nicht zu achten schien, auch keine Anstalten zu einem Waffen-
stillstand traf, hatte Margaretha am 23. März 1528 den Eingangszoll auf
Wolle erhöht und gleichzeitig eine Flotte ausgerüstet, um sie an der Themse
erscheinen zu lassen.
*) Du Bellay an den Kanzler am 22. Juni 1528. Brewer, Cal. IV.
App. 179. Auch Mendoca hielt den Waffenstillstand für einen politischen
Fehler. Gayangos, Cal. III. P. IL 550.
2) VgL auch Brewer, Cal. IV. 4431.
*) Brewer, Cal. IV. 4928.
4) Hall, Chronicle S.746 schildert die Lage der Niederlande in dieser
Epoche folgendermassen: ^If this warre was displeasaunt to many in England,
as vou have hard , surely lt was asmuch or more displeasant to the tounes
and people of Flaunders, Brabant, Hollande and Zelande and in especiall to
the tounes Andwarpe and Barrow, where the martes wer kept and where
the resorte of Englishmen was ; for the saied, that their martes were undoen,
if the Englishmen came not there, and if there were no marte, their shippes,
hoyes and waggons might rest, and all artificers, hostes and brokers might
slepe, and so the people should fal into miserie and povertie; of these
thynges daily complaintes were made to the ladv Margaret and thEm-
perors counsaill, wniche wisely pondered the complaintes, and, after long
comraltacion had , thei appoyntea certain ambassadors to go to the kyng of
England and associated themselfes with Don Iiiigo de Mendosa, ambassa-
doure there for the Emperor; the one ambassador was provost of Cassel and
the other, Master Jhon Lay, sovereigne of Flaunders. #
*) Brewer, Cal. IV. 4377.
•) Brewer, Cal. IV. 4425, 4426 und Rymer XIV. S. 258.
"') Brewer, CaL IV. 4256, 4280, 4285.
— 74 —
war damit auch das Calais'sche Project von der Bohne ver-
schwunden. Wolsey hatte sogar den Abschluss und die Publi-
cation des Waffenstillstandes in fast fieberhafter Weise be-
schleunigt, um nur den unzufriedenen Kaufleuten noch Ge-
legenheit zum Besuch des sogenannten „Syncbyemarktes" in
Antwerpen zu geben1), und nicht viel hätte gefehlt, so hätte
er in Folge der Uebereilung die Gunst seines Herrn ver-
scherzt2). Die Hoffnung Wolseys bezüglich eines guten flan-
drischen Marktes erfüllte sich freilich nicht. Der Krieg, der
zwischen Geldern und den Niederlanden noch wüthete, die
kurze Spanne Zeit, welche den Käufern in Folge des späten
Abschlusses des Waffenstillstandes zur Vorbereitung für die
bevorstehende Messe gegönnt war, genügten, eine matte
Tendenz zu begründen8). Zinn. Blei und Tuch blieben fast
ganz unverkauft Die darauf folgenden Märkte boten aber
reichlichen Ersatz. Die Neujahrsmesse von 1529 soll für die
Engländer zu den gewinnreichsten und glänzendsten seit langer
Zeit gehört haben4).
*) State Papers I. S. 290; VII S. 73.
*) Wolsey hatte vermnthüch ohne Befehl Heinrichs VIII. den Waffen-
stillstand 10 Tage nach seinem Abschluss proclamiren lassen ; HeinrichVIU
fühlte sich dadurch verletzt und machte nun verschiedene Ausstellungen
an den Bedingungen; er tadelte, dass den englischen Unterthanen blos
Schutz im offenen Meere, aber keiner an den von ihnen vielbesuchten
Kasten der Bretagne, Gascogne, Guienne, Normandie und in den spanischen
Häfen erwirkt und im Fall einer Verletzung im offenen Meere diesseits der
spanischen Grenze keine Entschädigung zugesichert worden sei. So hätten
die Spanier einen grossen Vortheil, denn diese könnten ungehindert nach
Flandern kommen, die Engländer aber nicht ebenso nach Spanien. Tat-
sächlich klagten und lärmten auch die Kaufleute, die nach Spanien zu handeln
pflegten, sehr. (Hall, Chronicle S.749.) Wolsey und die Unterhändler wussten
sich aber wohl zu vertheidigen. Unter den obwaltenden Umständen sei es,
schreibt der Cardinal seinem kgl. Herrn, ganz unmöglich gewesen, mehr V or-
theile zu erlangen; er erinnere nur daran, welche Muhe es ihm gekostet,
um das Versprechen für Freigabe der in Spanien festgehaltenen Schiffe ab-
zuringen, da die Niederländer keine Vollmacht gehabt, über Dinge abzu-
schliessen, die blos Spanien beträfen. Zudem liege die Sache nicht einmal
so ungünstig. Die Spanier könnten nur schwer ihre Häfen verlassen, da
englische und französische Schiffe berechtigt seien, dieselben beim Verlassen
anzugreifen, über die Grenzlinie zurückgekehrt aber doch wieder straflos
seien. Die Ersatzpflicht der Regentin bei Angriffen im offenen Meere dies-
seits der spanischen Grenze, verstehe sich von selbst. Tuke hält es im
Uebrigen sogar für nutzbringend, wenn die Spanier nach den Niederlanden
kämen; denn den Engländern sei dadurch die Möglichkeit gegeben, das
der Weberei nötbige spanische Oel sich zu verschaffen und die englischen
Tücher an den Mann zu bringen. Brewer, Cal. IV. 4389, 4404.
*) John Stile hatte in Voraussicht der drückenden Stimmung ge-
wünscht, die Kaufleute sollten gar nicht absegeln, seine Warnung war aber
zu spät eingetroffen. Bei der Ankunft der englischen Kaufleute in Ant-
werpen eröffnete er ihnen im Auftrage Wolseys, sie möchten die Allerheiligen-
messe in Bergen besuchen, wo ihnen die freundlichste Aufnahme schon
lange zugesichert war. Brewer, Cal. IV. 4432 und 4638.
*) Sir Robert Wingfield an Brian Tuke. 14. Januar 1529. Brewer,
Cal. IV. 5171.
— 75 -
So schien denn endlich der Handel wieder in seine nor-
male Bahn zurückgekehrt zu sein. Aber der Zustand war
nur ein provisorischer; Niemand wusste noch, ob nicht der
Ablauf des Waffenstillstandes die kaum geheilten Wunden
wieder aufreissen und noch schmerzlichere Leiden bringen
werde; war ja schon der Waffenstillstand schwer aufrecht zu
erhalten1). Neue Complicationen tauchten auf. Heinrich VHI.
trag sich mit dem Gedanken, seine Gattin, des Kaisers Tante zu
Verstössen, und gleichzeitig hatte Wolsey ein Gesetz im Par-
lament gegen die fremden Gewerbsleute eingebracht und be-
stätigt erhalten *), durch das bei aller Mässigung, die dasselbe
verrieth, die am meisten betheiligten Flamänder verletzt werden
mussten*). Aber die politische Situation Hess den Hass der
endischen Regierung gegen Karl V. bald zurücktreten.
Franz I. war vom Krieg erschöpft und begann mit Karl V.
wegen eines Friedens zu unterhandeln. Wollte Heinrich VHI.
nicht mit beiden verfeindet sein, so musste auch er den Con-
gress von Cambrai beschicken, und das geschah. Die Com-
missäre sind uns alle bereits bekannt: Tunstal, Knight, Thom.
More und Hackett hatten die englischen Interessen zu ver-
treten4). Natürlich kam auch der Intercursus zur Sprache.
Lief doch 1531 wieder ein Quinquennium ab. Wurde die
jetzt sich darbietende Gelegenheit nicht benutzt, um das un-
bequeme Provisorium zu vernichten, so musste man auf weitere
fünf Jahre sich vertrösten.
Entsprechend war die Politik der Niederländer. Sie
stellten vorweg die Behauptung auf, der Intercursus sei durch
die englische Kriegserklärung verwirkt, und von seiner
Erneuerung könne deshalb keine Rede sein. Sie hätten
auch gar keine Vollmacht, einen Handelsvertrag zu schliessen.
Man müsse sich also vorläufig mit Abschliessung des Freund-
schaftstractats bescheiden und die Neuregelung der Handels-
verhältnisse erst später in Angriff nehmen.
Die englischen Unterhändler bestritten die Richtigkeit der
niederländischen. Auffassung und Hessen sich um keinen Preis
in die von den Niederländern ihnen zugedachte ungünstige
Position drängen, auch ein Compromiss wiesen sie entschieden
zurück. Die Freundschaft und der Verkehr müssten als Ganzes
behandelt werden. Ein wahrer Friede sei undenkbar, wenn
die Völker nach dem Abschluss desselben nicht wüssten, wie
sie mit einander verkehren sollten. Könnten sie einwilligen,
wenn man die Specialfragen den Gerichten überweisen wolle,
J) Brewer, Cal. IV. 4579, 5000, 5016, 5017, 5134.
*) 21 Henry VIII. c. 16.
*) Ueber die Bedeutung dieser Acte sieh den Abschnitt II, Cap. 3.
*) Die Commissäre erhielten ihre Vollmacht am 30. Juni. Brewer.
Cal. IV. 5744.
• — 76 —
so müssten sie doch an der Erneuerung des Intercursus in
seiner früheren Form als einer Conditio sine qua non für die
Fortführung weiterer Unterhandlungen festhalten1).
Die Engländer brachen in der That, als die Gegenpartei
auf ihrem Standpunkte beharrte, die Verhandlungen ab *). Da
erwies sich die Freundschaft mit Frankreich doch auch einmal
nützlich für England. Franz I. weigerte sich, seinerseits noch
weiter zu unterhandeln , wenn nicht der Kaiser erst mit Eng-
land sich aussöhne. Derselbe war dadurch genöthigt, auf die
englischen Wünsche einzugehen, und der Intercursus musste
in seiner alten Form wieder erneuert werden3). Wie regel-
mässig, wurden auch hier in den Vertrag die allgemeinen Be-
stimmungen über den freien gegenseitigen Verkehr, das Ver-
bot der Repressalienbriefe eingefühlt, ausserdem aber aus-
drücklich bestimmt, dass der Vertrag vom 11. April 1520
gerade so in Kraft bleibe, als wenn gar kein Krieg gewesen4).
Das Provisorium mit der den Engländern günstigen Bestim-
mung der selbstthätig erfolgenden Verlängerung von 5 zu
5 Jahren war somit wieder gerettet.
3. Periode. (1530—1540).
Die 10jährige Epoche, die wir soeben verlassen haben,
hatte glänzend begonnen. Freiheiten und Rechte hatte man
den Engländern zugetheilt, wie sie sich solche nur wünschen
mochten; herzlicher und freundlicher hatten die beiden
Nachbarvölker schon lange nicht mehr verkehrt; eine seltene
Handelsblüthe wurde erwartet, und wie rasch lag Alles
vernichtet da! Statt 10 Jahre des höchsten Aufschwungs
waren nur Jahre des Leidens gefolgt. Der Verkehr Englands
erhielt in dieser Epoche durch die Politik zu den Niederlanden
schwere Schläge; die Zolleinnahmen zeigen eine entschieden
fallende Tendenz 5), und es war fraglich, ob es gelingen würde,
die Wunden wieder in Kurzem zu heilen, da auch der ganze
innere Bau Englands 'in allen seinen Grundvesten erschüttert
*) Brewer, Cal. IV. 5822.
*) Brewer, Cal. IV. 5824.
8) Brewer, Cal IV. 5830.
*) Friedens- und Freundschafts-Vertrag zwischen Karl V. und Hein-
rich VIII. Cambrai, 5. Aug. 1529. Art 12: Item pro communi bono
hujusmodi pacis, ligae et amicitiae, et ut subditi utriusque principuin prae-
dictorum mutuis commerciis assuetis se in dies magis complectantur , con-
ventum, concordatum et conclusum est, quod circa intercursum mercium et
mutuum commercium, quo invicem uti consueverunt, tractatus intercursus
de data diei undecimi Aprilis anno domini millesimo quingentesimo vigesimo
sit et maneat et eodem statu, quo erat ante insumationem belli, et perinde
valeat, ac si bellum non fuisset indictum. Dumont, Corps diplomatique
du droit des gens. 1726 Vol. IV. P. II. S. 44.
*) Sieh Bd. II. S. 12, 58.
- 77 -
wurde. Seit 1530 war das Staatsruder in die Hände eines
nüchternen und unerschrockenen Mannes übergegangen, der, was
ihm an Wolsey'scher Feinheit und diplomatischer Kunst abgehen
mochte, durch eine reichlichere wirtschaftliche Erfahrung
und Bildung, im Allgemeinen selbst grössere Gewandtheit und
sicher tiefere Menschenkenntniss ersetzte. Fortan leitete die
commerciellen Verhandlungen Thomas Cromwell, der einst
selbst in Aptwerpen und Middelburg gehandelt und noch
immer den Handelsspeculationen nicht ferne stand J), mit allen
guten und schlechten Seiten der Kaufmannswelt vertraut war
und jedenfalls die commerciellen Verhältnisse der Niederlande
kannte, wie der beste im Königreich.
Die Aufgabe war ziemlich klar vorgezeichnet. Die Ver-
tragsverhältnisse waren für England sehr günstige und konnten
vorläufig den Bedürfhissen der Engländer genügen. Cromwell
brauchte sich nur fest zu wappnen gegen die Niederländer,
falls sie versuchen sollten, diese umzustürzen, immerhin eine
schwere Aufgabe bei der wachsenden Entfremdung des kaiser-
lichen und englischen Cabinets2). Thatsache war, dass die
schutzzöllnerischen Kreise und alle diejenigen, die diesem eng-
lischen Tractat gram waren, neuerdings ihre Kräfte sammelten.
Die schon lange andauernde Krisis der niederländischen Tuch-
mdustrie hatte seit 1506 einen immer acuteren Charakter an-
genommen, die Regierung selbst trug in unvernünftiger Weise
noch zur Verschärfung bei, indem sie die englische Wolle zu
einem ergiebigen Steuerobject zu machen suchte3). Die re-
actionären Stimmen wurden unter solchen Verhältnissen mäch-
tiger als je* Gegen Ende des Jahres 1531 waren sie sogar
in der Provinz Holland so weit zur Geltung gekommen, dass
man dort die englischen Tücher verbannte4); man verbot
nämlich das Ausschneiden oder den Ellenverkauf vom eng-
lischen Tuch, was thatsächlich einer Verpönung gleichkam5).
')ürk. Beil. 28, 29.
*) Die Worte Vaughans, die er am 30. December 1531 an Cromwell
von Antwerpen schrieb, können verallgemeinert als Stimmungsbild gelten:
It is good [to] loke well aboute and to be furnysshed and armed ageinst
all stormfes], and that thinges wandering out of theyr due course maye in
tyme b[e] reduced and brought by discrete counsaylles to their first State
and condjition]. I perceyve thinges to be shrewdly ment against us in these
parties. God turn all to good. Urk. Beil. 26. Vaughan scheint ein ge-
heimer Agent Cromwells gewesen zu sein, der nicht nur sein Geschäft be-
trieb, sondern auch ein ausserordentlich umsichtiger und zuverlässiger Be-
richterstatter war. Sein Verhältniss zu Cromwell war sehr vertraulicher
Art, letzterer bediente sich desselben bei eigenen Speculationen und hörte
gerne auf den Rath dieses Freundes. Brewer, Cal. IV. 6754.
3) Ordonnanz vom 24. März 1528. Placcaerden van Vlanderen I.
S. 592. Die betreffende Verordnung wurde von Neuem am 13. April 1529
eingeschärft. Placcaerden ordonnantien ende brieven 1521—58
im Genter Staatsarchiv.
4) Urk. Beil. 26 u. 27.
fi)ürk. BeiL 27.
— 78 —
Dass man in den westlicheren Städten und Landestheilen
schon länger in ähnlicher Weise oder noch schärfer vor-
gegangen war, dürfte vermuthet werden1). Auch erhob man
wieder den Houndzoll*). Zwei grobe Vertragsverletzungen
lafren somit vor. Man kann sich kaum der Ueberzeugung er-
wehren, dass die kaiserliche Regierung mit diesem Vertrags-
bruch im Stillen einverstanden war, um die englische Regierung
lichter und sicherer zu neuen Verhandlungen zu* bestimmen.
Seit 1529 bemühten sich die Niederländer vergeblich, die Zu-
stimmung Englands zu einer Tagfahrt zu gewinnen. Auch
jetzt zeigte sich die englische Regierung wenig entgegenkom-
mend, als die beiden Abgesandten E. Chapuys und J. de le
Siiuch im Auftrag der Königin Maria3) die Beschickung eines
Congresses betrieben. Die englischen Minister, sowie der
König wollten keineswegs die Notwendigkeit eines solchen
einsehen4); einzelnen Beschwerden liesse sich, meinten sie,
auch ohne Congress abhelfen. Es kostete grosse Anstrengung,
bis die englische Regierung, die sah, was man auf der Tag-
fahrt beabsichtigte, den Wünschen der Niederländer willfahrte.
Man vereinbarte eine Conferenz für den 1. März 1533»; die-
selbe sollte in Bourbourg oder Calais stattfinden.
Wohl selten rüsteten sich die beiden Gegner zum
commerciell -politischen Kampf mit grösserer Sorgfalt, als es
diesmal geschah. Karl V. Hess eine Enquete über die
Handelslage im Allgemeinen und die Beschwerden der Bra-
banter, Holländer und Flandrer gegen die Engländer und
ihre Privilegien, sowie die Behandlung in England im Beson-
deren in Scene setzen; es war nicht zu bezweifeln, dass
rlie Niederländer ihrer Regierung eine Masse Materialien
suppeditiren würden5). Die Ernennung zweier Flamänder, des
*) Es scheint, dass Heinrich VIII. als wenig vernünftige Repressalie
^■milchst eine Acte beabsichtigte, kraft welcher die Kersies, welche nach
ihm Niederlanden gebracht wurden, durchweg Fremdenzölle tragen sollten.
Ks blieb aber offenbar bei dem Befehl, eine Bill hierüber zu fertigen
State Papers I. S. 381. (Oct. 1581.)
a) Nämlich „12 pence of a fardell" Hall, Chronicle S. 786. (23 Henr.VIÜ.i
, 8) Instruction v. 31. Oct. 1531. Staatsarchiv in Brüssel. Papiers
.rfttat. Vol. betitelt N^gociations d'Angleterre fo. 30-Slb.
*) „Le roy leur maistre et eulx se donnoyent grant merveilles dont ceste
poursuite poore proceder allegans pluseurs raisons a leur intencion et
ans a fin nous donner a entendre , quil nestoit nullement besoing de
\^nir a tenir auleune journee sur ceste affaire.* Als Chapuys und le Sauch
< 1 miuf hinwiesen , dass keine Keciprocität bestehe, indem die Englander in
d»jn Niederlanden günstiger behandelt würden, als die niederländischen
Kaufleute selbst, so fand auch das der König canz natürlich „car les pavs
de pardela ne peuvent sans les commoditez de mon royaulmea. Bericht
der beiden niederländischen Abgesandten an den Kaiser über ihre Bemüh-
ungen in England, um den Congress zu sichern. A. a. 0. fo. 33—47.
5) „It is to be thought, that they will come stuffed withe matter agenst
ua* Vaughan an Cromwell 26. Februar 1532. Urk. Beil. 29. Vgl. auch
Urk. Beil. 28 und 30.
— 79 —
Provosten von Cassel und des Präsidenten von Flandern,
Pierre de Capell *), zu Unterhändlern bekundete offen, dass die
Politik eine protectionistische sein sollte2). Vaughan kann
Cromwell gar nicht genug Vorsicht empfehlen und nicht genug
mahnen, die besten Vertreter8) zu ernennen. Die Wahl fiel
auf Dr. Knight, John Hackett, Dr. Tregonwell, denen noch
einige Geschäftsleute beigesellt wurden. Was man für dieCon-
ferenz gefürchtet hatte, trat ein. Gleich beim ersten Zu-
sammentreffen der Unterhändler kam der verschiedene Stand-
punkt der beiden Regierungen zu Tage. Die gegenseitigen
Vollmachten waren ganz abweichender Natur. Während der
Auftrag der Engländer dahin lautete, in Betreff der Ver-
letzungen, die gegen die Verträge vorgekommen, sowie hin-
sichtlich der wirklich erweisbaren Beraubungen, welche Eng-
länder an Niederländern verübt hatten, Endgültiges zu be-
schließen, war nichts von alldem in der Vollmacht der
kaiserlichen Gesandten zu finden. In derselben war vielmehr
erzählt, dass seinerzeit zwischen dem König von England und
dem Kaiser Karl V. Handelsverträge geschlossen worden seien,
welche zum Theil missbraucht worden, und unbeachtet ge-
blieben, zum Theil positiv schädliche, dem allgemeinen Wohle
nachtheilige Bestimmungen enthielten, so dass die niederländi-
schen Unterthanen zusehends verarmten. Dieser Zustand könne
nicht mehr länger geduldet und ertragen werden, und die
einzige Aufgabe des Congresses sei deshalb, einen neuen Ver-
kehrsvertrag zu verhandeln und abzuschliessen. Wie sich die
Niederländer diesen ungefähr dachten, darüber sind wir durch
die Instruction der kaiserlichen Commissäre und andere Acten-
stücke unterrichtet4). Gleichheit in den Zöllen mit den Eng-
*) Ausserdem wird noch La Sac als Secretär genannt.
*) „They wyll strongly contende and to theyr uttermost labour to lett
the trafnque of the Kynges marchauntes in these parties for thadvaunce-
ment of the drapery of Flandres.*4 St. Vaughan an Cromwell, 20. Febr. 1532.
ürk. Beil. 28.
") „The polytikist felows in all this londe shfal] be deputed here
agen8t them. (Urk. Beil. 27). It were therfore good, that yow counsaylled
the King?[s maiestie] to depute wyse discrete and men of gre[at] lernyng.
I promyse yow thimportance of the matter. (Urk. Beil. 30). The Kynges
i promyse yow tmmportance oi tne matter. (Urk. u eil. öv). ine Jvynges
magestie for his pafrty] be there counsaylled to depute such honourable
sage gravous and efxtpert personages, as arn in all pointes meate and
expedyent fo the 8am[e] purp ose; for 1 suppose veryly, there will rise
bitwene them matters of great weight, whiche wolde be treated reasoned
and debated by men of g[reat] wisdome and lernyng. And by such men,
if it wer possible , as hereto have had intelligent in semblable treaties of
intercourses." (Urk. Beil. 29). St Vaughan bespricht in seinen Briefen
auch die Persönlichkeiten, die der harrenden Aufgabe gewachsen wären.
*) Urk. Beil. 32, auf die ich überhaupt zur näheren Infonnirung
über den niederländischen Standpunkt im Einzelnen verweise: ferner vgl.
ürk. Beil. 80, 33, 34.
— 80 -
landein oder wenigstens in Bezug auf das Tonnengeld mit
den Hansen in England; Vermehrung der kaiserlichen Zölle;
Herabsetzung des Preises und der Auflagen bei der englischen
Wolle, dagegen Erhöhung der Zölle auf englisches Tuch in
England oder in den Niederlanden waren die Hauptforderungen.
Dagegen sollte es den niederländischen Städten unbenommen
bleiben, die englischen Tücher zu verbieten. Bei solcher Sach-
lage war natürlich an ein Uebereinkommen nicht zu denken.
In der Debatte drehte sich fast der ganze Kampf um den uns
wohlbekannten Artikel 8 des Vertrages vom Jahre 1520. Die
Niederländer hielten sich an den Schlusssatz desselben, der
dahin lautete, dass beide Theile aufrichtig bestrebt sein sollen,
das Provisorium in ein Definitivum umzuwandeln, sei es durch
vollständige Anerkennung des Vertrages von 1506 oder durch
Abschluss eines neuen Handelstractats; von dieser Alternative,
erklärten die kais. Commissäre, komme natürlich die erstere
gar nicht in Betracht, da der ganze Vertrag von 1506 un-
geheuerlich („enorme") und ihrem Staatswohl schädlich sei, also
nicht vom Kaiser bestätigt werden könne. Die zweite Alter-
native müsse somit Wahrheit werden ; weigerten sich die Eng-
länder, hiezu die Hand zu bieten, so verstiessen sie gegen die
offene Absicht des Vertrages, und dem Kaiser stehe dann frei,
neue Auflagen zu bestimmen und den Vertrag von 1520 als
nicht bindend und als überhaupt nicht vorhanden zu betrach-
ten. Dagegen wehrten sich die englischen Commissäre mit
aller Kraft, bestritten namentlich die letzte Behauptung und
hielten den Niederländern fortwährend die Worte des frag-
lichen Artikels entgegen: quod1) si non fecerint, nichi-
lominus tarnen praesens tractatus et provisio de quin-
quennio in quinquennium eo modo et forma, qua supradictum
est, exnunc prout extunc per praesentes habeatur, sit et cen-
seatur prorogatus et continuatus et tamdiu durabit, donec vel
novus tractatus inter reges praedictos fuerit super hoc factus
vel vetus tractatus Philippi regis millesimi quingentesimi
sexti anni, de quo praedictum est, confirmatus. Vergeblich
bemühten sich die englischen Unterhändler, die kaiserlichen
Commissäre von dieser absolut unfruchtbaren Debatte ab-
zuziehen. Mit grosser Mühe brachten sie die Niederländer
1) Voraus geht: Et praeterea dicti reges durante praesenti tractatu et
provisione curabunt et operam dabunt bona fide, quod vel dictus tractatus,
mtercursus bonae memonae Philippi Castellae regis confirmetur, Tel quod
aliquis alius novus tractatus pro commercio mercatorum et intercursu
raercium pro subditis utriusque eorum fiat et concludatur. Die Engländer
konnten nun das quod si non fecerint auf die vorangehenden Nebensätze,
aber auch auf den Hauptsatz beziehen und im letzteren Fall behaupten,
dass selbst eine böswillige Weigerung von ihrer Seite, einen neuen Tractat
zu schliessen, den Vertrag nicht aufhebe.
— 81 —
dazu, ihre Beschwerden- vorzulegen1). Schon schien es ge-
glückt, dass diese Puncte den Gegenstand der Discussion
bilden würden — denn man war engliseherseits bereits zur
Abgabe einer zweiten Replik gelangt — als plötzlich die
Niederländer jede weitere Verhandlung hierüber abbrachen
mit der Begründung, dass alle darauf verwendete Zeit ganz
verloren sei; sie hätten keine Vollmacht zur endgiltigen Be-
gleichung der Beschwerden und würden sich auch nur dann
eine solche erwirken, wenn die Engländer ihrerseits zum Ab-
schluss eines neuen Vertrags ermächtigt würden. #
Heinrich VIII. weigerte sich, eine solche Vollmacht zu
ertheilen, da er, wie er sagte, keinen vernünftigen Grand
') Vor Allem beklagten sich die Niederländer über die Zölle. Früher
hätten sie nur 3 gr. vom jg zu zahlen gehabt jetzt müssten sie 23 gr. er-
legen. Die Zollbeamten setzten willkürlich den Werth der Waaren fest.
Man zwinge sie, für den Erlös wieder Waaren auszuführen und dabei
abermals Zoll zu entrichten. Auf diese Weise gehe der fünfte Theil des
ganzen Geschäftes verloren. Die Englander dagegen zahlten in den Nieder-
landen kaum den 50sten Theil des Waarenwerths für Zölle. Ausser den
gewöhnlichen Zöllen würden in England noch eine ganze Reihe von un-
gehörigen Abgaben erhoben, als: „cßckagium. paccagium, grondagium, sca-
vagiom, balvagium, gardgium, ancoragium , Kopfgeld, Königsgeld und
Schreibergeld. Diese Erpressungen erschöpften ihr Land bis auf den
Grand; von einem einzigen kleinen Städtchen habe man 44300 Goldcarole
gezogen; der grösste Theil der Kaufleute sei zu Grunde gegangen.
Dann hatte man verschiedene Anstände wegen der Wolle; der Woll-
preis sei zu hoch und höher als der Preis der von den Engländern ge-
brachten Tücher, so dass den kaiserlichen Unterthanen alle Nahrung ent-
zogen würde. Früher habe man 7a Mark nachgelassen, jetzt geschehe nicht
nur dies nicht mehr, sondern man nöthige sie, alte zerfressene Wolle zu
nehmen ; wolle man diese wegen ihrer Unbrauchbarkeit trotz des gezahlten
Preises zurücklassen, so zwinge man sie noch zur Zahlung der „gabella".
Durch solches Vorgehen wolle man bewirken, dass die Weberei in England
blühe, und die Tücher aus reinerer Wolle gefertigt würden, als für den
Durchschnitt der englischen Käufer tauglich sei; die niederländischen
Weber kämen aus den Strafen wegen des schlechten Rohstoffs nicht mehr
heraus.
Endlich gab es noch eine ganze Reihe von Unbilden, über die man
sich aufhielt Dazu gehörte die Verordnung, dass die Schiffe mitten im
Flosa Anker werfen sollten, dass man in London nur mit Bürgern handeln
dürfe, dass der Preis für die gebrachten Lebensmittel von dem Londoner
Bürgermeister festgestellt werde, ferner gehörten dazu die Erpressung der
Aichbeamten , die Verabredungen der Merchant adventurers, von dem oder
jenem nichts mehr zu kaufen und während der Messe von Bergen in Ant-
werpen nicht zu handeln, endlich die willkürliche Verhinderung der Käse-
ausfuhr und mehrere Angriffe gegen niederländische Schiffs- und Fischer-
leote.
Sicherlich waren die Beschwerden begründet, insofern sie den Nieder-
ländern Fesseln im Handel nach England anlegten ; aber wirkliche Vertrags-
verletzungen kann man, soweit die einzelnen Punkte wirklich auf Wahrheit
und nicht, wie die Engländer darzuthun vermochten, auf Uebertreibung
beruhten, nicht recht sprechen. Die wesentlichen Klagepunkte beziehen
sich auf Zustände, wie sie im englischen Handelssystem bereits zur Zeit
des M.. L begründet waren. Die Entgegnungen des Königs und der Com-
missare geben denn auch deutlich Zeugniss hievon. Urk. Beil. 30,32,33,34.
Scham, Engl. Handelspolitik. I. q
— 82 —
sehen könne, weshalb man die alten, von seinen Unterthanen
sorgfältig beachteten Verträge durch neue ersetzen solle. Vom
englischen Standpunkt aus hatte er natürlich auch vollkommen
Recht. Eine neue Zusammenkunft zu Dünkirchen (30. Mai) x)
verlief abermals resultatlos, da die Niederländer auf ihrem
Verlangen beharrten2). Knight und Tregonwell erhielten von
Heinrich VIII. den Auftrag, ein Promemoria über die bisherigen
Verhandlungen und über die Entstehung der Verträge, die
stüt 1506 abgeschlossen wurden, auszuarbeiten und dem Ge-
sandten am niederländischen Hofe Hackett3) zu seiner Orien-
Ürung zu überschicken 4) , mit der Weisung, dass er dem
Kaiser Heinrichs VIII. Wunsch für Fortsetzung des bisherigen
freundschaftlichen Verhältnisses und Handelsverkehrs vortragen
solle.
Gleichzeitig beschäftigte man sich aber im englischen
Ministerium mit der Frage, ob man nicht doch dem Verkehr
andere Bahnen anweisen sollte. Die fortwährende Abhängig-
keit von den Niederlanden wurde schwer empfunden und be-
gann bei dem immer stärker werdenden Antagonismus, den
die religiöse Frage und die Verstossung Katharinas hervor-
gerufen, zu einer Gefahr für England zu werden.
Dazu kam, dass kluge Männer aus rein wirthschaftlichen
i r runden eine Aenderung nach dieser Seite hin wünschten und
i romwell ihre Ansichten in ausführlichen Denkschriften dar-
legten. Man fing an, die Vortheile der Niederländer und
Nachtheile der Engländer sorgfältig zu discutiren, welche aus
der blossen Thatsache, dass das Tuchstapel ausserhalb des
Landes sei, erwüchsen. Stephan Vaughan arbeitete eine
grössere Denkschrift aus5), in der er nachwies, wie die
*) Br. M. Cotton Mscrs. Vitellius B. XXI. fo. 63 enthält die
kürze Notiz, dass die kaiserlichen Commissäre am 25. Mai von Dünkirchen
aas Auf8chlu8s von der englischen Regierung über verschiedene Punkte
verlangten, bevor sie mit den englischen Unterhändlern zusammen trafen,
her Brief ist nicht erhalten, wie man auf Grund der Notiz in den State
Pap er s VII. S. 387. Anm. glauben könnte.
*) JFor the last daye of Maye late passed we mett togydre at Dune-
kyrk in Flaunders and offred unto theym all, that ye may see in our
protestation. that we do send with this ; which for justyfyeng of the kinges
Graces good disposition and offre of justice we were compelled to make,
m asmoche as themperours commissioners refused to entend upon redresse
of enormytes or restitution of spoyles, oonlest we had a more ample com-
ruibsion and wolde first treate upon a new intercourse." State Papers
Vn. S. 376.
3) Hackett war seit Haryys Zurückberufung (13. Februar 1531) als
lischer Gesandter in den Niederlanden bestellt. State Paper s. VII.
I 386.
4) State Papers VII. S. 374—378. Das Schreiben Knights und
1 regonwells an Hackett ist vom Juni 1532 und diente uns als Grundlage.
ß) Die Denkschrift erwähnt Vaughan in seinem Brief an Crom well
vom 16. März 1532. Urk. Beil. 31. Die in dem Brief erwähnten Momente
lussen darauf schliessen , dass die im Texte angegebenen Punkte ungefähr
— 83 —
gegenwärtige Organisation nur dazu diene, die fremden Länder
zu bereichern, und wie man doch leicht die Undankbarkeit
der Niederländer mit Vernichtung ihrer Industrie bestrafen
könne *).
Ob die von R. Pauli edirten Denkschriften aus der Zeit
Heinrichs VIII. mit der Vaughan'schen in ursächlichem Zu-
sammenhang stehen, muss noch als offene Frage gelten8).
Jedenfalls bewegen sich viele Ausführungen in denselben8) in
gleicher Richtung. Der Verfasser bringt die Stapelfrage in
Zusammenhang mit der gesammten wirtschaftlichen Lage
Englands und plaidirt nicht ungeschickt für die Verlegung
des Tuchstapels nach London. Er will dieserhalb die Privi-
legien der Londoner beschränkt und die Fremden hinsichtlich
der Zölle mit den Einheimischen gleichgestellt wissen und
verspricht sich dann eine Reihe der grössten Vortheile für
das Land. An Stelle der Wechsel werde wieder das baare
Geld im Handel zur Geltung kommen, und England solches
wieder zugeführt werden. Die Ausgaben der englischen Kauf-
leute auf den niederländischen Märkten für Lebensbedarf,
Waarentransport und Beihilfe im Geschäfte fielen hinweg, und
statt dessen würden die Fremden die gleiche Summe in Eng-
land verbrauchen, was einem Gewinn von 40000 £ gleich zu
rechnen sei, gleichzeitig werde damit den Niederländern die
Möglichkeit genommen, die englischen Tücher erst zu strecken
und dann allen Schimpf den englischen Webern zuzuschieben;
denn die Fremden würden wegen der Herabsetzung der Tuch-
zölle direct die guten und gesiegelten Stapeltücher in London
beziehen. Die englische Tuchindustrie werde neu aufblühen,
zumal wenn auch das Wollstapel nach England verlegt und
die Wollpreise wieder auf ihren alten Stand zurückgeführt
würden, wie der Verfasser will.
Solche Raisonnements tauchten auf und verfehlten nicht
den Hauptinhalt der Denkschrift betrafen. Am 22. Jan. 1532 schickte er
dieselbe an Cromwell, bat aber seinen Namen geheim zu halten, denn es
seien Dinge darin niedergelegt, welche ihm den Hass der Menge, (wahr-
scheinlich der Merchant adventurers) zuziehen könnten. „I suppose it not
necessary, but rather hurtefull to seke occasion to enter into the con-
tempte of a multitude." Br.M.Cotton Mscrs. Galba B.X. fo. 2. Dieser
Brief gibt aber keinen Aufschluss über den Inhalt.
x) Vaughan findet es besonders unbillig, dass die Engländer in Flandern
das Leinentuch, die „says." „bokrams" die „Brügge patterns" etc. mit baarem
Geld kaufen müssen, während diese die englischen Tücher verbannen, und
*enn eines gefunden wird, verbrennen, "ßetze man diesen Niederländern
nicht scharfen Widerstand entgegen, „it wer well likely, they wolde in short
tyme bring our hedds under theyr girdells." Vaughan an Cromwell 16. März
1532. ürk. Beil. 31.
*) Vgl. meine Recension im Lit. Centralbl. 1879. Nr. 4. S. 112—114
*) Namentlich kommt die erste Denkschrift „A treatise concerninge the
staple and the commodities of this realme", und die dritte „How to reforme
the realme, in settyng them to worke and to restore tillage" hier in Betracht
6*
— 84 —
Eindruck zu machen. Jedenfalls gelangten Nachrichten über
die neue Bewegung an die niederländische Regierung, da die
Sache aller Wahrscheinlichkeit nach auch im englischen Par-
lament zur Sprache kam1). Die Niederländer wurden ängst-
lich, und sie hatten um so mehr Grund dazu, als sie fast
gleichzeitig den Bezug der englischen Wolle ernstlich bedroht
sahen. Die nach Calais gelangende Wollmenge hatte seit einer
Reihe von Jahren beträchtlich abgenommen und erreichte beson-
ders im Rechnungsjahre 1532/33 den tiefsten Stand während
der ganzen Regierungszeit Heinrichs VIII. *). Ob diese letzte
Erscheinung ausschliesslich mit dem Gesetz 22. Hen. VIII. c 1,
welches die Tuchindustriellen im Wollkauf begünstigte, zu-
sammenhing, oder ob daneben Abmachungen der Stapelkauf-
leute existirten, oder ob die Regierung Repressalien gegen die
Niederländer wegen der Beschränkung englischer Tücher auf
diesem Wege ins Leben rief, oder endlich ob Heinrich VIII.
bloss durch das Vorgehen Karls V. in der Ehescheidungs-
frage8) zu diesem Schritte sich bewogen fand, lässt sich nicht
ganz klar übersehen4). Jedenfalls musste die niederländische
Regierung jetzt eine andere Politik befolgen, als es auf dem
Gongress geschehen war, sie war ernstlich bemüht, den Status
quo aufrecht zu erhalten. Die Regentin Maria sandte ihren
eigenen Secretär Joh. de le Sauch an Heinrich VIII. 5), damit
er in Verbindung mit dem kaiserlichen Gesandten die Woll-
frage bereinige und überhaupt ein Einverständniss erziele.
Sie nahm auch die stolze Sprache des englischen Königs hin,
der die Niederländer wiederholt fühlen Hess, wie abhängig sie
in commercieller und industrieller Hinsicht von England seien *).
Gegen Ende des Jahres 1533 konnte die englische Regierung
überzeugt sein, dass man niederländischerseits den ernstlichen
Willen habe, die Verträge fortzusetzen und zu halten7). Der
Kaiser befahl der Regentin, die Ehescheidungsfrage von der
') Vaughan wünscht, dass seine Rathschlage offen im Parlament dar-
j. würden, damit des Königs Unterthanen erfuhren, welcher Ertrag
lenf König entgehe. Vaughan an Cromwell. Urk. Beil. 81.
*) Bd. IL Zolltab. IV. S. 76 fg.
8) Henne, Regne de Charles-Quint en Belgique VI. S. 74 fg.
*) Vgl. hierüber Urk. Beil. 35.i
*) ürk. BeiL 35. Sieh auch Brown, Cal. IV. 965.
«) Urk. Beil. 35. Schon 1531 hatte der König de le Sauch gegen-
über Bemerkungen in diesem Sinn fallen lassen. Vgl. oben S. 78 Note 4.
7) Hackett schreibt am 15. December 1533, dass man in den Nieder-
landen sehr besorgt sei, der König möchte die Freundschaft kündigen.
Buren habe ihm gesagt, er kenne des Kaisers. Meinung so genau als seine
eigene; die Niederlande würden nie zuerst mit England brechen, er wisse
nur zu gut, wie eine solche Thorheit die Niederländer zu Grunde richte.
State Papers VII. S. 529. In einem gleichzeitigen Brief an Cromwell
spricht Hackett seinen Unwillen aus, weil die Merchant adventurers aus
Furcht vor Feindseligkeiten einen Safeconduct vou der Regentin sich er-
wirken wollten. (R. 0. State Papers.)
— 85 -
Handelsfrage streng zu sondern. Erstere solle nicht die
Handelsbeziehungen stören 1). Mit leichter Mühe und sicherer
Hand hatte England den Ansturm gegen die Privilegien der
englischen Kaufleute und gegen die englische Industrie be-
schworen. Gleichwohl waren, wie sich denken lässt, die Be-
ziehungen zwischen den beiden Nachbarn keineswegs herzliche,
was freilich zum Theil Folge der politischen Situation war;
man legte gegenseitig die grösste Vorsicht an den Tag *) ; aber
es unterblieb ein Angriffe auf den Handel der Engländer *).
Dem Kaiser wurde zwar 1534 abermals eine Denkschrift
unterbreitet, in der er aufgefordert wurde, doch wieder auf
die 1464 von Philipp dem Guten und 1494 von Maximilian
beobachtete Politik zurückzugreifen und die englischen Tücher
entweder ganz zu verbieten oder sie wenigstens mit einem hohen
Zoll, etwa im Betrage eines Goldguldens, zu treffen, nachdem
man vorher einen grossen Vorrath von spanischer Wolle für die
Manufactur herbeigeschafft habe4). Karl V. war aber gegen
alle derartigen Mittel, „die Engländer zur Raison zu bringen"
taub. Er hielt es schliesslich doch für unräthlich, sich mit
England zu überwerfen. Sieht man von einem zu Ungunsten der
Engländer ausgefallenen Urteilsspruche in einer verhältniss-
roässig untergeordneten Zollfrage ab5), so hatten die Kauf-
leute keinen Grund zur Klage. Der 1536 — 38 zwischen
Franz I. und dem Kaiser neu entbrannte Krieg rief ebenfalls
keinen Bruch der Freundschaft hervor. Der Krieg spielte
sich im Süden ab, England und die Niederlande beobachteten
strenge Neutralität Der Kaiser liess, um alle Bedenken der
Engländer zu beseitigen, eine Ordonnanz publiciren, worin
ausdrücklich hervorgehoben wurde, dass die englischen Kauf-
leute wie in Friedenszeiten nach den Niederlanden handeln
könnten 6).
Der Verkehr erlitt somit keine ernstliche Störung 7). Ant-
werpen erfüllte in einem neuen Arrangement die Wünsche der
*) „Cette question ne doit nullement interrompre les relations commer-
ciales entre mes peuples et les Anglois." Henne a. a. 0. VI. S. 75.
*) State Papers I. S. 413.
*) 1535 konnten die englischen Kaufleute ihren Markt ohne Hinderniss
halten; Alleyn schrieb deshalb am 22. Aug. 1535 an Crom well: „Gott sei
Dank, die Zeelandsflotte ist glücklich heimgekommen, wohl beladen und
mit theureren Waaren, als je in diesem Lande gekauft wurden. State
Papers I. S. 443.
4) Brüsseler Staatsarchiv. Pieces restituäes par l'Autriche
1862. XVII, B. § 21.
*) ürk. Beil. 45. § 4; 40. § 3.
') Befehl an den Rath von Flandern, diese Ordonnanz zu publiciren
vom 25. Aug. 1536. Gr. v. Duyse et E. de Busscher, Inventaire des
archives de Gand Nr. 927.
*) Ueber angebliche Verletzungen durch die Kriegsschiffe sieh State
Papers Vü. 8. 670 u. 677.
— 86 —
begehrlichen Engländer1), und dasselbe erhielt auch am
22. December 1537 die Sanctiou des Kaisers2). Das Project
der Verlegung des Stapels schien vorläufig auf die Seite ge-
stellt.
Aber kaum war die Gefahr beseitigt, so fingen auch die
Niederländer wieder an, neue Vertragsverletzungen sieh zu
Schulden kommen zu lassen. Der Gouverneur der englischen
Eaufleute sah sich noch im October desselben Jahres ver-
anlasst, eine ausführliche Beschwecdeschrift der Regentin zu
überreichen, die Abhilfe versprach; der Präsident des ge-
heimen Raths J. Carondelet, Erzbischof von Palermo, und der
Kanzler P. L. Nigri hatten ihr Bericht über die Angelegen-
heit zu erstatten3). Im Jahre 1539 drohte allen Ernstes ein
vollständiger Abbruch des Handels, da Karl V. einige Zeit mit
dem Plane sich trug, Heinrich VIII. für die schmähliche Behand-
lung seiner Tante zu züchtigen. Allein die Rührigkeit des
Königs und seines Ministers Hessen den Kaiser nicht wagen,
auf englischem Boden zu landen. Die Wolke ging vorüber.
4. Periode (1540 — 1547).
Die 10 Jahre, während welcher Cromwell die Handels-
politik geleitet, waren dem Verkehr günstig. Er erhielt dem
Lande den äussern Frieden, dessen es so sehr bedurfte, und
er bewahrte ihm auch die Freiheiten und Rechte, welche die
Engländer in den Niederlanden besassen. Aber sein Wirken
gipfelte nicht blos im Erhalten dessen, was er überkommen,
sondern er schuf positiv neue Verhältnisse, welche der letzten
Periode, die wir zu behandeln haben, das Gepräge aufdrückten.
Ein Jahr bevor auch ihn das tragische Geschick erreichte,
veranlasste der einflussreiche Minister Heinrich VIII., durch
eine Proclamation versuchsweise auf sieben Jahre die Fremden
den Einheimischen in allen Zöllen gleichzustellen4). Damit
hatte Cromwell das in den oben genannten Denkschriften dar-
gelegte Project sich zu eigen gemacht, wenn er auch durch
eine bessere Gombination dasselbe erst practisch zu gestalten
suchte.
Die Beweggründe für die Proclamation, die Gesetzeskraft
hatte, waren jedenfalls complexer Natur. Die Hebung der
einheimischen Industrie durch Förderung des Exportes bildete
in Anbetracht der inneren Noth unzweifelhaft das Haupt-
motiv5); die Hoflnung auf eine grössere Zolleinnahme mag,
*) 8. Aug. 1534. Papebrochii Annales Antverpienses ed. Mertens
et Buschmann DL S. 179, 180.
2) ürk. Beil. 36.
3) Hutton an Cromwell 20. Oct. 1537. State Papers VII. S. 713.
*) ürk. Beil. 144.
ß) Vgl. auch 4. Gap. des IL Abschn.
— 87 —
wenn auch die Proclamation das Gegentheil behauptet, gleich-
wohl nicht gan? ausgeschlossen gewesen sein1). Sicher ist
aber, dass man mit dieser Massregel allein das Antwerpener
Stapel nicht schädigen konnte; im Gegentheil war jetzt die
niederländische Flotte und der niederländische Kaufmann im
Stande, den Merchant adventurer ganz bei Seite zu schieben
und noch den Vortheil des Einkaufes im Lande und des
Transportes an sich ziehen.
Das war aber nicht Gromwells Plan; den Engländern
war das Aufblühen der niederländischen Marine schon lang
ein Dorn im Auge2). Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der
Proclamation legte er dem Parlament eine Bill vor, welche
die Zollprivilegien nur dann den Fremden gewährte, wenn sie
in englischen Schiffen die Ausfuhr bewerkstelligten.
In der That war gegen das Stapel zu Antwerpen damit
ein erster harter Schlag geschehen, der Schwerpunkt des
Tuchhandels lag fortan in England, beziehungsweise in Lon-
don; der Tuchexport der Fremden stieg um mehr als die
Hälfte3). Mit wahrer Meisterhand hatte Gromwell bei dieser
Gelegenheit allen englischen Interessen Rechnung getragen,
der Industrielle wie der Kauffahrer war berücksichtigt, und
auch dem englischen Kaufmann blieb noch Thätigkeit .genug
über. Was aber besonders wichtig war, die Handelsverträge
hatten keine förmliche Verletzung erfahren.
Ein Schrei der Entrüstung und des Entsetzens erhob sich
in den Niederlanden, wie noch nie zuvor. Man fühlte die
tiefe Wunde, welche der verwegene englische Minister dem
Lande versetzt, und der Schmerz war um so grösser, als der
Kaiser gerade um diese Zeit auf Bitten der Stadt Brügge da-
selbst das Zurichten aller englischen Tücher, wenn auch noch
nicht den Detailverkauf in Flandern gestattet, also den eng-
lischen Interessen eine neue Goncession gemacht hatte4).
Sofort setzte man alle Hebel in Bewegung, um diese
Schöpfung Croinwells wieder, zu zertrümmern. Der Umstand,
dass die Feinde Cromwells eben die Oberhand in England
erhielten, seine Gefangennahme und schliessliche Enthauptung
■) Aus den Zollregi&tern geht hervor, dass die Zolleinnahmen trotz des
Nachlasses wenigstens keine Verminderung erfuhren. Sieh Bd. II. S. 13,
48 fg.
*) Vgl. hierüber besonders Piot, La diplomatie concernant lea affaires
maritimes des Pays-Bas vers le milieu du XVI« siecle jusqu' ä la treve de
Vancelies in den Bulletins de l'academie royale des sciences, des lettres et
des beaux-arts de Belgique. II™ Serie. T. 40. 1875. S. 818 fg.
*) Vgl. Zollregister Nr. V, sowie die Einleitung zu den Zolltabellen.
Bd. IL S. 18, 19, 86 fg.
4) 10. Aug. 1540. Urk. Beil. 35. Im Jahre 1501 war dieses Hecht
noch ausdrücklich versagt geblieben. Sieh oben S. 27. 1543 wurde es auf 3
weitere Jahre verlängert. Brügger St. A. Nieuwen Groenenbouc
B. B. fo. 110 fe.
- 88 —
durchsetzten, kam als ein günstiges Moment hinzu. Man
hoffte, seit der kluge Lenker der Wirtschaftspolitik gestürzt
war, durch ausdauernde Opposition die nun etwas zerfahrene
engliKche Regierung wankend zu machen. Sogleich schritt
man zu Repressalien. Am 22. November 1540 befahl der
Kaiser der Stadt Antwerpen, nicht zu dulden, dass ein eng-
lisches Schiff irgend welch« Rückfracht nehme *)> und am fol-
geren 1. December erliess er ein Edict, welches das erwähnte
Verbot auf die gesammten Niederlande ausdehnte. Nach einer
nicht zuverlässigen Nachricht hätte Karl V. in dem genannten
Jahr auch den Import der englischen Tücher verboten2).
Der Kampf auf beiden Seiten war eröffnet Ein reger
Schriftwechsel zwischen den beiden Regierungen begann s), der
aber vorerst kein anderes Resultat hatte, als die Auffassungen
der zwei Cabinete in ein helleres Licht zu stellen. Als Typen
kann man den Brief Heinrichs VIII. vom 5. Mai 1541 an die
Königin Maria, Regentin der Niederlande 4), und deren Antwort
vom 18. Mai 1541 betrachten5). Heinrich VIII. beklagt sich
über die Belästigungen, welchen seine Unterthanen in Folge des
kaiserlichen Edicts in den Niederlanden begegneten. Der
Kaiser sei hinsichtlich des englischen Gesetzes offenbar schlecht
unterrichtet. Dasselbe Verstösse keineswegs gegen die be-
stehenden Freundschafts- und Handelsverträge, auch sei eine
derartige Verletzung nie beabsichtigt worden, wie überhaupt
englische Gesetze niemals den Verträgen präjudiciren dürften.
Die englische Acte6) fordere Nichts, was nicht schon im eng-
lischen Rechte begründet sei, sie betreffe eine Bestätigung
einiger alten Statuten vom Jahre 1381 und 1382 7) und eine
Erklärung über ihre Ausführung. Ferner enthalte sie ein
Geschenk, das er zu Gunsten der fremden Kaufleute, die nach
England handelten, gemacht, indem er die Zölle herabgemindert
habe; der niederländischen Schifffahrt sei aber nicht das ge-
ringste Leid zugefügt worden; nicht einmal die Geld- und
sonstigen Strafen der alten Navigationsacten seien geändert
\i Ve rächt er, Inventaire des archives d'Anvers 1860. S. 214.
1) Dies wurde von dem nieder] ändischen Gesandten Vaissonleville 1563
in ei oer Replik behauptet, von den Engländern aber bestritten. Brasseler
St A. I'ieces restituees par l'Autjriche 1862. VII. B. § 24, 25.
*} bereits am 21. December 1540 war wegen der Angelegenheit der
kaiserliche Gesandte bei Heinrich VIII. in Audienz und verhandelte mit
dem köniffl. Rathe. Nicolas, Proceedings and ordinances of tbe Priw
Council VII. S. 95.
*) Htate Papers VIIL S. 673.
*) State Papers VIIL S. 676.
3 Heinrich VIIL legte eine abgekürzte Uebersetzung der Acte bei.
■j Stäit 5 Rieh. II. c 3, wonach englische Unterthanen Waaren nur
in englischen Schiffen verfuhren dürfen; und Stat. 6. Rieh. IL c 8, wonach
von der vorhergebenden Bestimmung eine Ausnahme gemacht werden soll
iur daß Fall, dass englische Schiffe nicht zu haben sind. Beide Gesetze
waren /war nicht zurückgenommen, wurden aber schon lange nicht mehr
angewendet. Sieh Abschn. IL Cap. IL
— 89 -
worden. Nur Wohlthaten habe er gespendet an Leute, die
nicht zufrieden , die Waaren Englands zu erhalten , in ihrer
Undankbarkeit auch noch das Wohl und den Bestand der
englischen Schifffahrt zu Grunde richten möchten. Ganz an-
ders verhalte es sich mit der kaiserlichen Proclamation; sie
gründe sich nicht nur auf eine eitle Voraussetzung, sondern
sei eine Neuerung und verletzte wegen der hohen Strafen die
bestehenden Verträge aufs tiefste.
Die Antwort der Königin war sehr bestimmt gehalten.
Dir steter Wunsch, schreibt sie, sei gewesen und sei es noch,
die besten Beziehungen zwischen England und ihrem Reiche
zu unterhalten ; die englischen Unterthanen seien deshalb nicht
nur immer human, wohlwollend und freundlich behandelt, son-
dern mehr als irgend eine Nation, ja selbst mehr als die
eigenen Unterthanen privilegirt worden. Man habe gehofft,
dass von englischer Seite die gleichen Zugeständnisse an die
Niederländer gemacht würden. Aber das Gegentheil sei der
Fall, wie diese Acte lehre; denn man zwinge durch diese, die
kaiserlichen Unterthanen, entweder das unerträgliche, grosse
Tonnengeld zu zahlen oder leer mit ihren Schiffen von Eng-
land heimzukehren. Die Bitte des Kaisers, das Statut wieder
zurückzunehmen, sei höhnend abgewiesen worden mit der Be-
merkung, der englische König könne in seinem Lande Statuten
geben, welche er wolle, und man werde es nicht befremdend
finden, wenn man von Seite des Kaisers ein gleiches oder
ähnliches Gesetz zum Wohl seiner Unterthanen erlassen werde.
Diesen Rath habe dieser denn beherzigt und vernünftig ge-
funden, nachdem Heinrich VIU. so grossen Vortheil seinen Unter-
thanen zum Schaden der Fremden zuwenden wolle, auch an
die Unterstützung und Förderung der Seinigen zu denken.
Ganz irrelevant sei Heinrichs VIII. Bemerkung, dass nur alte Sta-
tuten erneuert worden seien -, denn wollte der Kaiser alle alten
Gesetze, die von den niederländischen Fürsten hinsichtlich der
englischen Wolle und anderer englischen Waaren, sowie in
Betreff der Zölle und des Waarenverschleisses gemacht worden
seien, erneuern, so werde sich bald zeigen, auf wessen Seite
der grössere Vortheil liege.
Indem die Königin die Sache als der Entscheidung des
Kaisers angehörend darstellte und deshalb nichts als ihre
eifrige Unterstützung zur Schlichtung des Streites versprach,
war noch kein Schritt zur Verständigung geschehen. Im
Gegentheil wurde der Zwist noch verschärft, als man englischer-
seits 1541 die Ausfuhr von Metallen erschwerte *). Auch hier
übten die Niederländer Repressalien, indem sie nicht gestatteten,
dass das Kriegsmaterial, welches der König in den Nieder-
JJ 88 Hol VIII. c. 5. 1588 war auch der Export englischer Häute
zum Verdrußs der Niederländer beschränkt worden. Urk. Beil. 178.
— 90 -
landen hatte ankaufen lassen, ausser Landes gehe, und damit
auch die Absicht des Königs, noch grössere Ankäufe zu machen,
vereitelten 1).
Endlich griff man zu dem schon oft erprobten Mittel
i-irios Congresses. Maria hatte zuerst den Vorschlag gemacht
Heiniich VIII. ernannte als seine Gommissäre Eduard Carne
und den uns wohl bekannten Stephan Vaughan*). Ihre
Reden machten in den Niederlanden nicht den geringsten
Eindruck. Erst versuchten sie es mit den Commissären s),
dann bei der Königin selbst4), der Effect blieb immer der
nämliche und die Argumentation immer dieselbe. Neu war
nur die Behauptung der Niederländer, dass der Kaiser die
kehraverträge zu beobachten sich nicht für gebunden er-
achte. Indem aber die Engländer auf eine noch vor Kurzem
durch Granvella geschehene Aeusserung sich beriefen, wonach
alle mit Heinrich VIII. abgeschlossenen Verträge als fortdauernd
betrachtet werden sollten, und ein Abschluss neuer sich als
unnöthig erweise, und indem sie deswegen Veränderlichkeit
und Unzuverlässigkeit dem Kaiser und der Regentin zur Last
legten, entstand eine niederländischerseits absichtlich an den
Tag gelegte und auch noch durch ähnliche Vorkommnisse ge-
nährte Gereiztheit, welche das Unterhandeln immer mehr er-
sehwerte.
Was die Niederländer wollten, war klar. Sie waren fest ent-
schlossen, auf die Widerrufung des Edicts nur dann einzugehen,
wenn sie von der Schiffahrtsacte eximirt würden. Am erwünsch-
testen aber wäre ihnen eine Lösung derart gewesen, dass das
alte Vertragsverhältnis8 beseitigt und ein neues eingegangen
worden wäre. Die Instructionen Marias an Chapuys6) in
London lassen dies deutlich erkennen, und dieser bot auch
all seinen Einfluss auf, die englische Regierung hiefür zu ge-
) John Osborn hatte auf Befehl des Königs diese Einkäufe zu be-
sorgen. Er hatte, nachdem er zuerst den Preis für Kupfer möglichst zu
drucken gesucht, 1000 Zentner ä 31 sh 6 d und 38 sh, ausserdem 200 Paar
Reiterliarnische ä 30 sh 9 d angekauft. Sein Auftrag lautete auf 2000 Ztr.
Kupfer. Die Verweigerung der Licenz niederländischerseits verletzte um
so m ehr, als man gleichzeitig den König von Portugal 14000 Ztr. und den
König von Frankreich 10 000 Ztr. Kupfer ausfuhren liess. Thatsächlich
wurde England in seiner Wehrkraft durch dasTerbot geschwächt. State
Papers I. S. 665—666 und VIII. S. 680. Weil trotz wiederholter Bitten
Heinrich VIII. sein Verlangen nicht erfüllt sah, Übte er auch seinerseits
neue Repressalien. Als einige Leute aus Dankirchen durch den Gesandten
die Kitte stellen Hessen, Holz für Packung getrockneter Heringe ausfuhren
zu dürfen, wurde sie abgeschlagen. Staterapers VUL S. 581.
■) Sieh die Instruction derselben in den State Pap er s VIII. S. 683 fg
*) Diese waren Philipp de Croy, Scepperus und Schore. State
Papers I. S. 668—71.
*) Der Vortrag bei der Königin fand am 8. Juli Statt Am 19. Juli
inst ruhte der König auch den Gesandten, damit er für den Widerruf des
Edicts arbeite. State Papers VIH. S. 581 u. 582 Anm.
*) 5. Aug. 1541. State Papers VHI. S. 588—92.
/
— 91 —
winnen1). Er machte geltend, dass die Gründe für die Un-
gültigkeit des Handelsvertrages geradezu zwingender Natur
seien. Der Vertrag von 1506 sei zwischen Heinrich VII. und
Philipp abgeschlossen worden, als letzterer durch seine Ver-
schlagung nach England in einer Zwangslage sich befunden
und mehr aus Furcht, denn aus freiem Willen seine Zusage
gegeben habe; die niederländischen Staaten hätten deshalb
nach Philipps Ankunft denselben nicht nur nicht bestätigt,
sondern als null und nichtig, kraftlos und unvollendet (im-
perfaicte) betrachtet; der Vertrag von Cambrai (5. Aug. 1529)
habe keine Aenderung in dem Thatbestand hervorgerufen;
man habe ihn erneuert, so wie er gewesen, er konnte somit
nicht für kräftiger und gültiger erklärt werden, denn zuvor.
Die englischen Gesandten Hacket* und Dr. Enight hätten zu-
dem in Bourbourg *) selbst den Tractat öffentlich für erloschen
erklärt und 1532 die kaiserlichen Gesandten dessen Fortdauer
ganz consequent bestritten. Die königl. Räthe waren ganz
erstaunt, als der kaiserliche Gesandte mit seinem Rüstzug
aufmarschirte. In ihrer ersten Verlegenheit waren sie dreist
genug zu behaupten, sie wüssten gar nicht sicher, ob irgend
ein Vertrag in England geschlossen worden sei ; aber sicherlich
sei Philipp als Freund behandelt und kein Zwang ausgeübt
worden, nach seiner Rückkehr und seitdem sei der Verkehr
immer auf Grund dieses Handelsvertrages gefühlt worden.
Am 22. August hatte man in der ganzen Sache noch
nicht einen Schritt vorwärts gethan. Natürlich weigerte sich
Heinrich VIII. seine Zustimmung zu einem neuen Handelsvertrag
zu geben und nannte ein solches Verlangen Zudringlichkeit.
Er läugnete die Möglichkeit, diesen und den Freundschafts-
vertrag gesondert zu behandeln, da, wie der Vertrag von
Cambrai zeige, beide unzertrennlich verkettet seien. Der
Protest niederländischerseits nütze nichts, da nach dem Wort-
laut eine einseitige Lösung des Vertrags unmöglich8).
Gegen September hatte es den Anschein, als ob die ersten
Anzeichen zu einer Annäherung vorhanden. Osborn wurde
die so lang erwünschte Licenz zur Ausfuhr des Kupfers er-
theilt4), und auch Heinrich VIII. schlug in seinen Briefen einen
versöhnlicheren Ton an. Gleichzeitig hoffte man durch de Praet,
der gerade damals nach den Niederlanden gekommen war,
leichter zum Ziele zu gelangen ß). Allein der gewandte Diplo-
') Vgl. State Papers I. S. 668—671; 674-679.
*) In den State Papers ist anmerkungsweise beigefugt, dass Hackett,
Tregonweü und Enight im Frühling 1529 zu Bourbourg waren.
*) Brief Heinrichs VI1L an Carne und Vaughan vom 22. Aug. State
Papers VIII. S. 690.
') State Papers VIII. S. 597.
*) Am 5. September instruirte Heinrich VIII. seinen Gesandten, de Praet
zu besuchen und diesen bei dem Kaiser einflussreichen Mann von der Güte
der englischen Sache zu überzeugen. De Praet entschuldigte sich aber dem
— 92 —
raat hatte auch nichts Besseres, als artige nichtssagende
Redensarten zu bieten.
Schliesslich gaben die englischen Gesandten, wie Hein-
rich VIEL gewünscht, ein Ultimatum ab, worin sie nochmals den
englischen Standpunkt darlegten und auf 5 von ihnen hervor-
gehobene Punkte eine endgültige Antwort verlangten, welche
dem König von England als definitiver Beschluss und als
Richtschnur für seine weiteren Massregeln dienen könne.
Lange liess man die Gesandten warten, von Tag zu Tag
wurden sie vertröstet, bis man denn am 7. September die ge-
wünschte schriftliche Erklärung abgab *). Die Engländer waren
enttäuscht, sie behaupteten, zwei der wesentlichsten Punkte
habe man übergangen, es fehle ebenso sehr eine Antwort auf
ihre Frage, ob der Kaiser den Verkehr aufrecht erhalten
wolle, als eine Rückäusserung über die niederländische
Auffassung bezüglich des Vertrages von Cambrai und der in
demselben vorgenommenen Verknüpfung von Freundschaft und
Handel. Die Königin liess ihnen aber bedeuten, dass ihre
Antwort klar genug sei. Zu weiteren Aufklärungen könne ihr
Gesandter in London dienen.
Das Ultimatum hatte seinen Zweck verfehlt. Auch sach-
lich brachte diese letzte Phase wenig Neues. Interessant ist
aber die Wendung, welche die Niederländer in ihrer Ver-
zweiflung der Acte zu geben suchten. Da Cromwell in der
raffinirtesten Weise Alles so geordnet, dass ein Vertragsbruch
juristisch nicht leicht zu construiren war, so musste natürlich
aller Scharfsinn aufgeboten werden, um dennoch einen solchen
herauszubringen. Die Niederländer stützten sich einmal auf
die in allen Verträgen, auch im Vertrag von 1529 vor-
kommende Phrase, dass sie gleich frei in England Waaren
verladen könnten, wie die Engländer selbst, diese Freiheit sei
ihnen nun thatsächlich genommen; sodann holten sie zum Be-
weis ein altes Privileg Eduards I. vom Jahre 1296 hervor,
demzufolge sie die gleichen Vergünstigungen in England haben
sollten, wie die Engländer oder irgend eine andere Nation2).
Gesandten gegenüber damit, dass ihm die ganze Sache fremd sei. Vor 17
Jahren sei er allerdings in England gewesen and habe damals während
seines dreijährigen Aufenthaltes oft von den Handelsverträgen Einsicht ge-
nommen j inzwischen habe er sich aber immer bei dem Kaiser aufgehalten
und sei m Folge, dessen gar nicht auf den Laufenden. Er wolle sich aber
bei der Königin nach dem Stand der Sache erkundigen und dafür sorgen,
dass baldige Antwort erfolge. Carne und Vaughan an Heinrich VIIL 5. Öct
State Papers VIIL S. 698.
*) Vgl. La somme de ce que les Ambassadeurs de la Majeste du Roy
d'Angleterre, reseantz en la court de la Royne d'Onffrie Regente du Pays-
Bas ont nagueres declaire a la dicte Royne de par la Majeste dudict Roy
leur Seigneur; sowie die Reponse de la Royne Douagiere de Hongrye etc
in den State Papers VIIL S. 620—24.
*) Natürlich konnten sie sich nicht verhehlen, dass sie thatsächlich
das Privileg schon lange nicht mehr besassen; sie betrachteten aber die
Dass sie mit ihren Argumenten auch nicht den geringsten An-
klang fanden, lässt sich denken; sie mussten es erdulden, dass
Heinrich VIII. ihre Allegationen frivol nannte.
Letzterer beauftragte am 8. December seinen Gesandten nach
nochmaliger Anfrage bei der Regehtin die Niederlande zu ver-
lassen, falls die Weigerung, das Edict aufzuheben, fortgesetzt
würde. Die Abreise des Gesandten scheint auch stattgefunden
zu haben. Der Winter ging vorüber, ohne dass man sich
einander genähert hatte. Die Verhandlungen wurden nun an
den spanischen Hof verlegt; die englischen Gesandten Boner
und Knyvet hatten die Angelegenheit zuerst mit dem Kaiser
und Covos1), später mit Granvella zu discutiren.
Der ganze Charakter der Verhandlungen änderte sich
damit. Bisher hatte man vorwiegend mit Gründen handels-
politischer und rechtlicher Art gekämpft, jetzt sprach die all-
gemeine Politik das letzte Wort. Der Bischof von London
stellte gleich in der ersten Unterredung mit Granvella die
Frage, ob der Kaiser die Freundschaft fortsetzen wolle, bei-
fügend, dass, wenn dieser kalt und zögernd vorgehe, er es
nicht sonderbar finden dürfe, wenn der König von England
ihm anderweitig gemachte Anträge acceptire8).
Damit war klar formulirt, um was es sich handelte. Krieg
war in Sicht. Franz I. plante mit Hilfe der Türken den ver-
hassten Kaiser zu vernichten; ein Bündniss Heinrichs VIII. mit
Frankreich war angedroht, falls man länger die Retorsion^
massregel aufrecht erhalten wollte. Granvella versprach eine
Reformation des Edicts, behandelte aber die Gesandten hin-
sichtlich dieses Punktes dilatorisch, der Versuch der englischen
Regierung, Chapuys zu gewinnen und durch dessen Vermitt-
lung die Regentin zum Nachgeben zu bewegen, misslang
ebenfalls s).
Die flandrische Regierung wankte und wich nicht; Hein-
rich VIII. fand es nicht für räthlich, auf Frankreichs Seite zu
treten; sein Drohmittel versagte den Dienst Am 29. Juni
wurde zu Hampton Court ein Protokoll unterzeichnet, dem-
zufolge England versprach, das Statut für die Niederlande
and Spanien ausser Kraft zu setzen, unmittelbar nachdem die
Niederländer mit Zurücknahme des Edicts vorangegangen sein
Entreissung als ein viele Jahrzehnte hindurch verübtes Unrecht. Sie behaup-
teten, ursprünglich dasselbe Tonnengeld wie die Osterlinge und Kölner ge-
zahlt zu haben, hernach habe man sie gezwungen, ebenso viel wie die Eng-
länder zu zollen, später sie auf gleiche Stufe mit den nichtprivilegirten
Fremden gesetzt, so dass sie seit 20 Jahren (1522) gar kein Privileg mehr
genössen. State Papers V11I. S. 620—24. Sieh auch oben S. 14.
*) Bis 5. April 1542.
*) Boner et Knight an Heinrich VIII. Yalladolid 8. Mai 1542. State
Papers IX. S. 1—17.
») State Papers IX. S. 23 u. 24. 26. 64.
— 94 -
würden *). Dass dem Protocoll gemäss gehandelt wurde, kann
als sicher gelten2). Durch Parlamentsacte wurde die Aus-
nahmestellung der Niederländer nicht decretirt. Heinrich VIII.
muss somit durch Licenz aus eigener Machtvollkommenheit
dieselbe gewährt haben3).
Englands Handelspolitik hatte, seitdem das Scepter in
die Hände der Tudors gelangt war, die erste Niederlage von
den Niederlanden erlitten. Die Schiffahrtsacte war zum grossen
Tlieil werthlos geworden, denn die Hansen waren* ihr ohnehin
nicht unterworfen, und die Niederländer mit den Venetianern
die Einzigen, auf die sie eigentlich abgezielt war; mit der
politischen Unterstützung4) war den Niederländern noch ein
beträchtliches Zollgeschenk zugefallen und ein grosser Theil
des Handels, den bisher die Merchant adventurers als einzige
Domäne besessen hatten.
Wohl mochte die zeitliche Beschränkung des Privilegs bis
8, April 1546 und der Wiedereintritt des alten Zustandes nach
4 Jahren nicht unwesentlich der englischen Regierung die
Coocessionen erleichtert haben; allein die volle Bedeutung lag
eben nicht in der zeitlichen Begrenzung; die englische Re-
gierung hatte definitiv eine Politik aufgegeben, welche zu
einem Markstein in den Beziehungen zwischen England und
don Niederlanden geworden wäre; der provisorische Bau, den
Crom well für 7 Jahre errichtet hatte, konnte nicht ausgebaut
nicht erhalten werden, seitdem die Grundpfeiler aus dem-
*) Das Protocoll lautet: Nomine illustrissimorum principum domino-
rura nostrorum paciscimur convenimus, invicem promittimus et stipulamur,
quod edictum in Flandria, factum contra mercatores et nautas Anglos.
videlicet ne ex portubus Flandrie et aliarum inferiorum ditionum Cesaree
M;4Jo8tati &pectante8 et pertinentes naves Anglie mercibus quibuscunque
Hut alio quovis onere onerate discedant, sed vacue omnino atque inanes in
Angliam revertantur, quamprimum fieri potent, revocabitur et abrogabitur;
tta quod mercatores Anghae in eo jure eint, quo ante dictum edictum
m grünt Post quod edictum [ita] revocatum et hujusmodi revocatione
realiter facta, serenissima Anglie Majestas statutum in Parliamento anno
reani sue Majcstatis tricesimo tertio de re navali editum, quatenus videlicet
subditos Cesaree Majestatis inferiorum ditionum et Hispaniarum concernere
quovis modo aut tangere poterit, remitti prorsus et relaxari statim efßciet,
ut dicti subditi Cesaris in eo jure sint, in quo ante dictum statutum fuerunt.
In quorum fidem et testimonium hijs subscripsimus. Datum apud Hampton
courte 29. die Juny, anno Domini mülesimo quingentesimo quadragesimo
ndo. Signatur. Orator ac commissarius Cesaree Majestatis Eustachius
Cbapuys. State Papers IX. S. 65, 66.
a) Vgl. ürk. Beil. 41 gegen Scbluss und State Papers VIII. S. 623
u. 676.
•) Von der im Mai 1539 durch das bekannte Ges. 31 Hen. VIII c. 8
dem König übertragenen Gewalt konnte gesetzlich in diesem FaU keine An-
wendung gemacht werden, weil die mit Zustimmung des Privy Council er-
lassenen Proclamationen nur dann als Gesetz zu ' gelten hatten , wenn sie
nicht schon bestehende Statuten aufhoben. Es blieb also nur der Gnaden-
weg übrig.
4) State Papers IX. S. 125.
— 95 -
selben entfernt waren. Noch waren die Bande, welche Eng-
land und die Niederlande zusammenhielten, zu stark, als dass
man wagen konnte, mit Gewalt sie zu zerreissen, ohne sich
nicht selbst zu verletzen. Erst Elisabeth und ein neuer
Cromwell sollten dieses Werk vollführen.
Der moralische Eindruck bei der kaiserlichen Regierung
in Folge des Sieges war ungeheuer. Schon glaubte man, noch
mehr von England erlangen und auch den Intercursus in
niederländischem Sinn reformiren zu können. Der Krieg des
Kaisers gegen Frankreich gab willkommene Gelegenheit zu
einem neuen Versuch. Um die nöthigen Gelder aufzubringen,
fasste man unter Andern auch eine Zollerhöhung ins Auge.
Am 2. April 1543 wurde eine Verordnung proclamirt, wonach
bis auf Weiteres Jeder bei Ausfuhr 1% des Waarenwerthes
Zuschlagszoll zu zahlen habe1). Natürlich wollte man die
Engländer hievon nicht befreit wissen; denn es war zu be-
fürchten, dass sie, allein ausgenommen, fast den ganzen Steuer-
effect verhindern2) und den sämmtlichen Handel an sich ziehen
würden; gleichzeitig war, wenn es gelang, die Engländer ins
Netz zu ziehen, ein vorzüglicher Präcedenzfall für die Zukunft
geschaffen und eine* Bresche in den Intercursus geschossen;
mit dieser Besteuerung war aber Karl V. nicht einmal zufrieden,
sondern er befahl, auch die eximirte Stellung der Engländer
in Antwerpen zu beschränken und sie der Accise für die
von ihnen verbrauchten Bier- und Weinmengen zu unter-
werfen.
Die Regentin, des vertragswidrigen Vorgehens sich wohl
bewusst, theilte dem König mit, dass diese Abgabe nur für
die Dauer des Krieges beabsichtigt sei; dieselbe betrage sehr
wenig, und er möge ihre Erhebung gestatten, namentlich mit
Rücksicht auf die anderen Fremden, welche sicher sehr
murren würden, wenn die Engländer ausgenommen würden.
Die Haltung der englischen Regierung war eine schwan-
kende8). Beinahe gelang es den Niederländern , dieselbe zu
überreden. Nur die Merchant adventurers in London leisteten
energischen Widerstand4). Sie wollten sich höchstens zur
*) State Paper s IX. S.377. Wenige Monate später wurde auch ein
Urtheil gefallt, welches den Unfug der Engländer, durch Fertigung recht
grosser Packete den Zoll theil weise zu hinterziehen, verbot. Urk. Beil. 45.
§22, 23.
*) Aus 2 Gründen, 1) weil die Ausfuhr der Engländer an sich schon
sehr bedeutend war, 2) noch bedeutender geworden wäre, wenn sie auf
Grund ihres Privilegs für Fremde Waaren ausgeführt hätten.
*) State Papers IX. S. 377 fg.
4) In den mit der Regierung geführten Verhandlungen sagten die
Merchant adventurers unter Anderm: Andere Nationen hätten gar keine
Veranlassung, sich über eine etwaige Ausnahmestellung der Engländer auf-
zuhalten, da sie nicht die gleichen Rechte und Freiheiten wie die Engländer
sich erworben hätten. Solche Versuche, neue Abgaben einzuschmuggeln,
— 96 —
Zahlung einer einmaligen Pauschalsumme von 1000 vläm. Pfund
= 750 j£ verstehen1). Der kaiserliche Gesandte gab sich
nicht mit diesem Compromiss zufrieden, er drohte im
Weigerungsfälle mit rigorosen Massregeln8) und selbst Auf-
hebung des Intercursus. Die Kaufleute ihrerseits erklärten,
dass sie nur der Gewalt weichen würden. Das war in der
That der Fall; denn da sie sich nicht fügten, wurden ihre
Schiffe und Waaren in den Niederlanden bei der Ausfuhr mit
IteM'hlag belegt, beziehungsweise die englischen Schiffe ge-
nöthigt, leer nach Hause zu kehren.
Am 14. Juni versuchten nochmals die Räthe in London,
den kaiserlichen Gesandten von seiner Hartnäckigkeit ab-
zubringen. Sie stellten ihm vor, wie die Kaufleute bei Hof
gewesen und sich bitter beklagt hätten, weil man ihre Schiffe
nicht auslaufen lasse; dieselben hätten sich über den Abschluss
der Allianz so sehr gefreut, und nun müssten sie sich von den
Niederlanden wie von Feindesland zurückziehen. Wie könne
man denn unter solchen Umständen überhaupt noch an Freund-
schaft glauben? Erregt und fast dramatisch wurden die De-
batten, die sich daran knüpften3), am Ende brachte man den
Gesandten so weit, dass er auf die angebotene Pauschalsumme
einging oder doch in diesem Sinn wirken zu wollen versprach.
Gleichzeitig Hess der König ähnliche Vorstellungen durch
seinen Gesandten machen; er betonte namentlich, dass auch
der Grund wegen des gegebenen Beispiels nicht mehr vorhalte,
da die anderen fremden Kaufleute bereits den verlangten Zoll
gezahlt hätten4).
Noch immer aber zögerte die Königin, zu Allem war sie
bereit, nur nicht zur Aufhebung des Zolles. Sie erbot sich,
nicht von gestern; sie hätten immer und immer dagegen zu kämpfen
geballt und die Verteidigung ihrer Freiheiten ihnen schon mehr als
40 000 £ gekostet. Dank Sr. Majestät und deren Vater habe man glücklich
alle Angriffe abgewehrt, und auch fortan setzten sie ihre Hoffnung und ihr
Vertrauen auf den Schutz ibres königl. Herrn. Als gehorsame Unterthanen
würden sie Sr. Majestät in Allem gehorchen, was man ihnen befehle, sie
konnten aber Nichts freiwillig gewähren. State Papers I. S. 742 u. 743.
Aeimlich äusserten sich die Kaufleute schon früher; nicht um den Betrag
an sich sei es ihnen zu thun, sondern um die Consequenzen (for thexample
and entree prejudicial to such entercourse as by tue leages is concluded)
State Papers IX. S. 377 u. 378.
2 So noch am 26. Juni 1543. State Papers IX. S. 430.
*) Man werde dio Engländer zwingen, afie ihre Packete öffnen zu
lassen p nachforschen, von wem sie Waaren gekauft und dann die Verkäufer
an BteJle der Engländer zur Zahlung der Auflage zwingen. Diese Drohung
machte die Kaufleute sehr betroffen; sie meinten, es sei gar nicht dem
Königreich förderlich, dass man Alles öffentlich sehe, was sie von den
Niederlanden wegschafften. Nichts destoweniger müssten sie Widerpart
halten* „Denn einmal begonnen, nehme das nie wieder ein Ende." State
Papers I. S. 749 u. 750.
a) State Papers L S. 753 u. 754.
•) State Papers IX. S. 407.
- 97 -
ein Document ausfertigen und in demselben den englischen
Kaufleuten zusichern zu lassen, dass ihreh Privilegien durch
diese Abgabe nicht im Mindesten präjudicirt werden solle;
eventuell war sie auch bereit, diese Auflage nicht in der Form
des Zolls, sondern als eine sogenannte Benevolence anzunehmen.
Endlich als sie auch hiemit nicht durchdrang, ging sie auf den
früheren Vorschlag der Kaufleute ein und wollte sich mit einem
einmaligen Geldgeschenk begnügen x). Die Schiffe sollten ohne
Zoll freigegeben werden, die Engländer aber versprechen, dass
sie die Waaren nicht in andere Länder bringen würden 2).
Wirklich durften die Schiffe auslaufen, aber die Engländer
mussten schwören, dass sie nur eigene Güter führen, und
auch diese blos nach England bringen, dort verschleissen und
verkaufen wollten3). Hierin lag aber wieder eine Vertrags-
verletzung. Die Engländer anerkannten, dass eine Bestim-
mung nothwendig und erlaubt sei, durch welche verhindert
würde, dass ihre Kaufleute fremde Güter verführten, aber
man habe keine Befugniss, diesen zu verbieten, Waaren, die
sie selbst gekauft, in andere Länder zu bringen, das sei
ihnen immer gestattet gewesen4). Sie hatten, juristisch ge-
nommen, natürlich auch Recht, factisch war aber den Nieder-
ländern mit dieser feinen Distinction nicht gedient; denn sie
wollten eben auch nicht haben, dass die Engländer den Eigen-
handel auf Grund des Privilegs über Gebühr, zum Schaden
des Staatsschatzes und zum Nachtheil der einheimischen Kauf-
leute ausdehnten6).
Es hatte in der That den Anschein, als ob diese Zollfrage
eine „endlose Angelegenheit" werden wolle. Am 5. September
stand sie noch immer im Vordergrunde 6). Wohl hatte die
Königin die Ausnahmestellung der Engländer zugegeben, aber
die Zollbeamten erfuhren nichts davon und erhoben die Zu-
schlagstaxe, wie sie sich auch weigerten, die genommenen
Pfänder und Cautionen zurückzustellen. Als Garne nun ener-
J) Seymour und Wotton an Heinrich VIII. 17. Juni 1543. State
Pap er s IX. S. 415—417.
*) Seymour und Wotton an Heinrich VIII. 18. Juni 1543. State
Papers IX. S. 418.
*) Die Zollbeamten wollten auch immer wissen, was die Engländer weg-
sandten, ebenso den Preis der einzelnen Stücke, um den sie jedes gekauft,
wahrscheinlich um zu sehen, welcher Zollentgang eingetreten. Ferner ver-
langten sie die Zuschlagstaxe von allen denen, welche vor dem Erlass des
Decrets die Waaren verfuhrt hatten. Seymour und Wotton an den Privy
Council 22. Juni 1543. State Papers IX. S. 424—427.
4) Vgl. Art. 11 des Magnus Intercursus Absatz 2. Rymer XII. S. 582.
*) Der Präsident Schore sagt dies einmal ganz offen dem englischen
Gesandten Came. „Wenn die Königin den Hundertzoll abschaffen würde,
wie Ihr wollt, dann würden die Engländer aUe beliebigen Güter allerwärts
verfahren, und der Kaiser um alle schuldigen Zölle kommen." State
Papers X. S. 55—61.
6) State Papers IX. S. 55—61.
S e h i n z , Engl. Handelspolitik. I. 7
gisch die Sache der Engländer vertrat, erhielt er nichts
als Ausflüchte und Ausreden. Die Bückgabe der Cautionen
wurde verweigert, weil man eine Garantie haben müsse, dass —
man sieht, wie die Niederländer auf ihrem früheren Standpunkt
beharrten — die englischen Kaufleute keine Waaren anders-
wohin, als nach England brächten; die Wein- und Bieraccise
will der flandrische Präsident Schore für erlaubt halten, weil
die Verträge nicht von Getränken oder von dem Verbot der
Neubelastung derselben sprächen, und als der Gesandte ihn
damit widerlegte, dass auch Getränke Güter seien, von denen
doch die Verträge handelten, so suchte der Präsident die
Schuld Antwerpen zuzuschieben, da nur dieses und nicht der
Kaiser befugt sei, die Accise aufzuheben, bis denn Garne auch
noch hier ihn entlarvte und nachwies, dass der Befehl zur
Erhebung der Abgabe vom Kaiser und nicht von der Stadt
ausgegangen sei.
Als der Gesandte sah, dass er bei dem immer heftiger
werdenden Minister Nichts ausrichte, wandte er sich noch an
die Königin und verlangte in einer Schrift ganz präcis und
bestimmt die Abschaffung der Zölle und Rückgabe der Cautionen.
\ ober 14 Tage hielt man den zudringlichen und unbequemen
Gesandten hin; endlich kam der Kanzler selbst zu ihm und
erklärte, die Unterthanen des Königs müssten in den Nieder-
landen nach den Gesetzen des Kaisers leben, und die des
Kaisers in England nach denen des Königs; hinsichtlich der
Verträge hatte er Nichts zu sagen.
Die bestehenden Differenzen wurden somit nicht beglichen,
im Gegentheil noch schwierigere Fragen gesellten sich hinzu.
Wie in jedem Kriege noch heute der Mangel eines inter-
nationalen Kriegsrechtes und einer genauen Begrenzung und
effectiven Beschützung des neutralen Handels gefühlt wird, so
und in noch viel stärkerem Masse war es damals. In unserm
Jahrhundert sind doch gewisse Normen allgemein anerkannt1).
in der vergangenen Zeit war aber jeder Satz schwankend, und
je nach der politischen Lage und Macht wurde beim nämlichen
Fall bald dieses bald jenes Verfahren beliebt. Der Anlass
zum Streit ergab sich dadurch, dass die katholischen Unter-
thanen Karls V., welche ohnehin Frankreich wohl wollten, seit
dem einseitigen Frieden, den Karl V. mit Franz I. zu Cr£py am
ls, September geschlossen, Schiffe in der Scheide ausrüsteten
und Waaren in die französischen Häfen schafften; ferner dass
die französischen Kaufleute vlämische Schiffe zu ihrem Handel
mietheten und auf diese Weise ihre Ladungen durch die neu-
trale Flagge gegen die Engländer schützen zu können glaubten;
6) Vgl. die Verhandlungen und Beschlüsse des Pariser Congresses von
1*56, die Genfer Convention von 1864 mit Zusatzartikeln von 1868, die
Abmachungen auf der Brüsseler Conferenz 1874.
— 99 —
denn der englische König hatte sich geweigert, das von ihm
eroberte Boologne herauszugeben und den Frieden einzugehen.
Heinrich VIII. bestritt, dass ein Feind unter neutrale Flagge
handeln könne, hielt sich berechtigt, unter Strafe der Con-
fiscation Blocade zu erzwingen und erachtete es namentlich
für unzulässig, den Feind mit Lebensmitteln zu versehen1).
Karl V. gestand zu, dass Munition der Confiscation zu unter-
werfen sei, aber nicht Lebensmittel, welche man in eine Ge-
gend bringe, wo sie möglicher Weise von fremden Heeren an-
geeignet würden.
Die englischen Kaperschiffe handelten den Vorschriften Hein-
richs VHI. gemäss und ergriffen 16 oder 17 Antwerpener Schiffe
als gute Prise, brachten sie nach Dartmouth und Fowey und
Hessen ein Urtheil gegen sie aussprechen2). Mit der Wende
des Jahres 1544 wurden weitere 36 reichlich beladene flan-
drische Schiffe, welche mit Heringen und anderen Waaren
nach Frankreich gehen sollten, in England mit Beschlag be-
legt8). Der Kaiser Hess nun gleichfalls zum Ersatz aile Eng-
länder mit Schiff und Gut festhalten4), welche gerade zum
Besuch der Messe nach Bergen op Zoom zahlreicher, als in den
letzten 7 Jahren gekommen waren5).
*) Durch Art 28 des M. I. war es allerdings verboten, dem Feinde
irgend welche Waaren zuzufahren; die Königin Maria und ihr Gesandter
waren deshalb ganz im Unrecht, wenn sie glaubten, es seien hiezu beson-
dere Abmachungen nöthig gewesen. State Papers IX. S. 589.
«) Fronde, History of Henry VI1L IV. 8. 385.
*) Papebrochii Annales Antverpienses ed. Mertens et Buschmann,
IL S. 289; Brown, Cal. V. S. 325.
*) State Papers X. 8. 248. üeber die Wirkung dieser Beschlag-
nahme für die einzelnen englischen Kauf leute gibt Pagets Brief vom 3. März
1545 an Petre in Brüssel Aufschluss; er sagt: „Some in dede shall wynne
by it, as William Lok, Sir Richard Gressam and his sonne (Thomas) and
William Gressam with such other for the most parte, that occupie sylkes,
who owe more, than they have here. But Mr. Warren, Mr. Hill, Chestre
and dyverse others a greate nombre ar like to have a greate swoope by
it, having much here and owing nothing or little" Burgon, Life of Sir
Th. Gresham. I. S. 49.
*) Die Panik, die in Folge dessen an der (seit 1531 bestehenden) Ant-
werpener Börse eintrat, war ungeheuer; die Niederländer fürchteten schon
einen Brach mit England, und allgemein war die Bestürzung. Vaughan
schrieb an den Privy Council: „Sythen tharrest made here by thEmpefour,
all the merchauntes of this town have remaynvd in a marveylous staye;
the burse unhawntyd, their hartes dampyd ana made cold with the great
feare, that they had , never to recouver ageyn such thinges as wer taken
upon the sees, all thinhabitantes of this town shronk at it, fearyng the
ntter decaye of theyr trafficke, great numbres of fullers, sheremen, dyers
and others, thought theyr lyvings wer utterly berevyd from them: so that,
if it had contvnued a letle lenger, it wold have brought a wonderfull al-
teration of thinges here. This letle arrest hathe made many to confesse to
me, that it wer better for this Contrey to have 20 yeres warres with
France then one with Englond; in so great feare they were of it" State
Papers X. S. 257.
— 100 —
Damit war das Mass des Erträglichen auf beiden Seiten
voll. Man erkannte, dass man sich gegenseitig wieder die
Hand bieten müsse. Am 6. April 1545 kam man überein,
alle Beschlagnahmungen * aufzuheben und alle schwebenden
Streitigkeiten durch eine am 1. Mai 1545 zu Calais oder
Gravelingen zusammentretende Commission entscheiden zu
lassen. Die Unterthanen des Kaisers durften inzwischen keine
Lebensmittel und Kriegsmunition Frankreich zuführen; dagegen
musste Heinrich VHI. zugestehen, dass sie mit Schiffen, die
weniger als 120 Tonnen fassten, nach Frankreich freien Handel
trieben L).
Es war das letzte Mal, dass Heinrich VIII. Unterhändler zu
einem commerciell- politischen Kampf mit den Niederländern
zu ernennen hatte. Seine Wahl fiel wieder auf den sachkun-
digen Stephan Vaughan, ausserdem auf den seit 1541 in
Flandern als königlichen Agenten thätigen und durch frühere
diplomatische Sendungen in Rom und Frankreich geübten
Edward Carne, auf den Bischof von Westminster Thomas
Thiilby, der 1538 in Frankreich und 1542 in Spanien den
englischen Gesandtschaftsposten inne gehabt, endlich auf den
Gouverneur der englischen Kaufleute in Antwerpen, Namens
Thomas Chamberlain, und den Kanzleisecretär Will. Petre.
Ihnen standen gegenüber der uns wohlbekannte spanische
Gesandte E. Chapuys, der fein diplomatische Ordenskanzler
Ph. Nigri, ferner H. de Wynghene und der Secretär M. Strick *).
Die ganze Situation war eine sehr gespannte 3), und gleich
der Anfang widerwärtig. Nachdem die englischen Commissäre
zuerst in Gravelingen zu einer Zusammenkunft mit den Nieder-
landen! sich eingefunden, betrachteten die ersteren es als eine
Ehrensache, dass das nächste Mal die kaiserlichen Bevoll-
mächtigten zu ihnen nach Calais kämen. Heinrich VIII. war
aber vernünftig genug, dieser Weitläufigkeit ein Ende zu
machen, und befahl, dass seine Commissäre, nachdem die
Niederländer einmal nach Calais gekommen seien, dauernd in
Lvelingen zu bleiben hätten4).
Die Verhandlungen nahmen eine ungünstige Wendung.
Die kaiserlichen Commissäre waren zunächst bestrebt, die De-
batten von den durch die Beschlagnahme entstandenen Ent-
schädigungsansprüchen auf allgemeinere Fragen zu lenken,
was ihnen auch vollständig glückte. Sie stellten an die Spitze
l) State Papers X. Nr. 1130, 1134; IX. Nr. 948; X. Nr. 1095,
10&7, 1098, 1099.
*) State Papers X. S. 412.
*) Die englische Regierung erwog deshalb, ob man nicht besser den
Tuchexport nach Flandern unter den bedrohlichen Verhältnissen einstellen
üolle. Der Privy Council zog Richard und John Gresham sowie SirRowland
HM] hierüber zu Rath. 16. Mai 1545. Br. M. HarL Msc. 256. fo. 4.
*) Urk. Beil. 39.
- 101 —
die Behauptung, dass die Fundamentalsätze des Intercursus
ihnen gegenüber nicht zur Wahrheit geworden. Dieser sichere
ihnen zu, so frei handeln zu dürfen, als die Engländer selbst,
aber davon merke man nichts, man zwinge sie vielmehr, be-
deutend höhere Abgaben als die Engländer zu entrichten *)
und lege ihnen überall Fesseln an, so dass sie thatsächlich
unter allen Völkern am härtesten behandelt würden. Das
Verlangen , mit den Engländern auf gleichen Fuss gestellt zu
werden, sei gerecht und billig, denn die Engländer seien in
den Niederlanden durch den Vertrag mehr als die eigenen
Unterthanen privilegirt, und solle die Gegenseitigkeit, welche
doch in einem Handelsverträge liege, nicht ganz werthlos für
sie werden, so sei dies gewiss eine bescheidene Forderung.
Man müsse deshalb englischerseits eine Reihe Missbräuche
und Lasten abstellen, welche bisher verhinderten, dass den
Niederländern Gerechtigkeit geschehe. In mehreren Gruppen
trugen nun die Niederländer ihre Beschwerden vor; theils
betrafen dieselben die Zöllerhöhungen, welche angeblich seit
den letzten 100 Jahren eingetreten, theils die Behinderung im
freien Handel, welche entgegen dem Wortlaut des M. I. be-
liebt worden sei, theils Hemmnisse, die sich auf den Schiff-
fahrtsverkehr bezogen, theils Angelegenheiten, die mit dem
Wollstapel zusammenhingen *).
Mit schlauer Berechnung Hessen die Niederländer dieses Mal
den unfruchtbaren Streit wegen des Vertrags von 1506 bezw. 1520
bei Seite. Sie verzichteten darauf, die Vortheile, welche den
Engländern durch diesen Tractat zugesichert waren, in Frage
zu ziehen. Es war den Commissären auch in ihrer Instruc-
tion eingeschärft worden, den Vertrag von 1520 zwar nicht
ausdrücklich zu bestätigen, aber doch stets die Worte so zu
wählen, dass er in Kraft bleibe. Nur die Position des nieder-
ländischen Kaufmanns in England sollte verbessert, die im Lauf
der Zeit eingetretene Behandlung der Niederländer als Fremde
wieder redressirt und die Gleichstellung mit den Engländern,
wie sie in der mehrerwähnten Zollproclamation eingeräumt
worden war, eine dauernde werden. Die Commissäre hatten
sogar Auftrag, die vollständige Befreiung der Engländer von
dem lOOsten Pfennig auch für die Ausfuhr der Engländer
nach anderen als englischen Gebieten eventuell als Compen-
satdon gewähren zu dürfen8). Auf diese Weise hoffte man
einen Erfolg zu erringen. Schon die Schwierigkeit, ihre Be-
hauptungen in Betreff der Zölle zu widerlegen, war bei dem
grossen Zeitraum von 100 Jahren, auf den die Untersuchung
*) Die Engländer zahlten an Zoll in den Niederlanden V/0 des
Waarenwerths, die Niederländer in England 20 °/0. Brewer, CaLlV. 3928.
Sieh jedoch auch ßd. IL S. 6.
«) ürk. Beil. 40.
8) ürk. Beil. 38.
— 102 —
sich zu erstrecken hatte, keine geringe. Man schob den Eng-
ländern eine grosse Beweislast zu ; aber diese schreckten nicht
zurück.
Die Unterhändler schrieben sogleich um Information, der
Privy Council ordnete auf den Rath der beiden Gresham
(Richard und John) und des Rowland Hill eine Enquete über die
Zölle und sonstigen Abgaben der Kaufleute an1), die uns noch
zum grossen Theil erhalten ist9), und mit dieser ausgerüstet
traten die englischen Gommissäre fest und entschlossen den
Niederländern entgegen. In vielen Punkten vermochten sie
denn auch die Angaben der kaiserlichen Commissäre zu be-
richtigen 3). Sie hielten sich aber nicht blos in der Defensive,
sondern setzten den Niederländern fast gleichviel Beschwerde-
punkte entgegen. Auch in diesen kehrten alte Klagen wieder,
waren Uebertreibungen und unrichtige Verallgemeinerungen,
welche von den Niederländern auf das rechte Maass zurück-
geführt wurden 4).
Den gegenseitigen Repliken folgten wieder andere, man
stritt und debattirte, ohne dass man vorwärts kam. In dem
einen oder anderen Punkt machte man eine Concession, in
der Hauptsache blieb jede Partei hartnäckig. Die Engländer
waren nicht gewillt, zu Gunsten der niederländischen Kauf-
leute auf die Fremdenzölle zu verzichten; damit war der
Zweck des Congresses vereitelt.
Die gegenseitige Missstimmung übertrug sich auch auf
die zu erledigenden Specialklagen; hier wuchsen die Be-
schwerden ungeheuer an5), einzelne Fälle wurden namentlich
von den kaiserlichen Unterhändlern entsetzlich aufgebauscht
und das Resultat war nicht viel besser als bei den all-
gemeinen Anständen, nur über einige dieser Beschwerden
kam man zu einer Einigung. Die englischen Gommissäre
hatten in der That Recht, wenn sie an Wotton in Brüssel
schrieben: In früheren Zeiten habe man geglaubt, dass, wenn
nur einmal ein Congress beisammen sei, grosse Krankheiten
geheilt würden , jetzt aber müsse man den Verlauf zweier
Congresse als einen vorzüglichen betrachten, wenn diese nicht
mehr Krankheiten hereinbrächten, als zuvor da waren6).
x) Acts of the Privy Council v. 16. Mai, 25. Mai, 27. Mai in Harl.
Msc. 256. fo. 4, 10, 11.
8) ürk. Beil. 60 fg.
s) ürk. Beil. 40, 41, 42, 43.
*) ürk. Beil. 45,46, 47.
5) Urk. Beil. 52, 54, 55; ferner sind zu vergl. State Papers X.
S. 264, 449, 450. Ausserdem beschäftigen sich Doch ungedruckte Briefe der
Commissäre des Congresses an Heinrich VIII. mit den Specialklagen. Solche
sind noch erhalten im Br. M. Cotton Mscrs. Galba B. X. fo. 221, fo. 223.
Lansdown Mscrs. 171 fo. 69.
«) ürk. Beil. 56.
— 103 —
Dazwischen fiel eine Reihe von Vorgängen, die durchaus
nicht geeignet waren, die streitenden Parteien versöhnlicher
zu stimmen. Karl V. gab nach dem 6. April 1545 Kaperb riefe
aus, weil Heinrich VIII. sich geweigert hatte, einen Engländer
zu strafen , der von Spaniern beraubt sich am ersten ihm be-
gegnenden spanischen Schiff entschädigte 1). Heinrich VIII. seiner-
seits nahm zwei reich beladene von Westindien kommende Schiffe
weg. Die politische Situation war eine fortwährend wechselnde,
das Misstrauen auf beiden Seiten ein wachsendes und der gegen-
seitige Groll nur ein verdeckter. Und damit die düstere Lage
die persönlichen Gefühle der Unterhändler nicht verschone,
brach auch noch die Pest in ihrer Nähe aus. Wohl setzte man
die Verhandlungen in Bourbourg fort, aber schliesslich kam
man beiderseits zu der Ueberzeugung , dass es besser sei,
diese vorläufig zu vertagen. Die Commissäre verabschiedeten
sich am 16. Juli8), sprachen gegenseitig ihr Bedauern aus,
dass man so wenig ausgerichtet, freuten sich aber im Stillen,
dass wenigstens „dieses Gezanke ein Ende hatte" *).
Die Gabinete suchten nun direct zu erlangen, was die
eigens ernannten Commissäre nicht zu Stande bringen konnten.
Da wenigstens scheinbar auch in politischer Hinsicht Hein-
rich VUI. und der Kaiser sich wieder näherten, so dachte
man, hiebei die Sache begleichen zu können. Die Nieder-
länder machten sich besonders viel Sorgen. Die Zeit verfloss,
und nur noch wenig mehr als ein Jahr, so lief der Tennin
der Zollproclamation ab, welche so höchst gewinnreich für die
Niederländer war4). Es musste nochmals energisch versucht
werden, ob nicht wenigstens die privilegirte Stellung der Eng-
länder in den Niederlanden zu Fall gebracht werden könnte.
Am 12. November überreichte die niederländische Re-
gierung eine Anzahl von Artikeln, welche der Kaiser dem
politischen Vertrag einverleibt zu sehen wünschte; sie ent-
hielten so ziemlich alle Hauptforderungen, welche sie früher
gestellt; aber all dies wollten die Niederländer fallen lassen,
wofern die englische Regierung gestatte, dass die Engländer
in den Niederlanden die gleichen Zölle zahlten, welche die
kaiserlichen Unterthanen in England entrichten müssten6).
Als man damit nicht durchdrang, machte man den Versuch,
x) State Papers X. S. 474, 506 u. Nr. 1172.
*) State Papers X. S. 517.
s) Thirlby an Paget 15. Juli 1545. Die Unterhändler erhielten fol-
gende Direktiven, seit der Congress abgebrochen. Der Bischof von West-
minster musste zu Calais auf seine Absendung an den kaiserl. Hof warten,
der Secr. Will. Petre zurückkehren, Carne an seinen Gesandtschaftsposten
bei der Regentin sich begeben, Chamberlain mit Vaughan in Flandern sich
aufhalten bis zu weiterer Verwendung. Acts of the Privy Council 19. Juli
1545 Br. M. Harl. Mscrs. 256 fo. 43.
*) Sieh Bd. IL S. 19. Note 2.
5)Urk. Beil. 57.
- 104 -
gewisse Punkte als zu Bourbourg zugegeben und vereinbart
hinzustellen, man stiess aber auch hier auf den Widerspruch
der Engländer1). Alle derartigen Pläne mussten misslingen.
Abgesehen davon, dass die englische Regierung die errungenen
Privilegien, solang nur möglich, zu erhalten suchte, blos weil
man sie besass — denn wer verzichtet gerne auf das Be-
sessene? — die Tragweite einer solchen Concession wäre auch
eine ungeheure gewesen. Man darf nie vergessen, dass die
Privilegien der englischen Kaufleute gewissermassen ein Gegen-
gewicht gegen die Privilegien der Hansen in England bildeten.
Dadurch, dass die englischen Kaufleute auf dem niederländi-
schen Weltmarkte so begünstigt waren, konnten sie überhaupt
die Concurrenz der Hansen ertragen. Hätte die englische ;
Regierung dem kaiserlichen Wunsche willfahrt, so wären die j
Engländer dem vereinigten Wettbewerb der Niederländer und ]
Hansen erlegen, wofern man nicht schon damals der Be- |
günstigung der Hansen in England ein Ende machen wollte. 1
Heinrich VIII. wünschte deshalb jede Debatte über diese j
schwierige und lange Zeit erfordernde Sache verschoben2),
aber der Kaiser wollte dem neuen Freundschaftsvertrag8)
mindestens eine allgemeine Clausel beigefügt wissen, dass die
einzelnen Privatangelegenheiten der Kaufleute beiderseitig er-
ledigt werden müssten 4), und dass hinsichtlich der Zölle inner-
halb der folgenden 6 Monate von den Zollbüchern gegenseitig
Einsicht genommen werden solle, damit man ersehe, welche
Abgaben vertragsmässig zu entrichten seien5). Die englische
Regierung stimmte zu. Noch immer gaben, wie man sieht,
die Niederländer die Hoffnung nicht auf, in Betreff der Zölle
einen Vortheil zu erreichen. Die Privilegien der Engländer
waren ihnen unerträglich, so lange, bis nicht auch ihreUnter-
thanen ähnliche in England besassen.
Noch beim Abschied der Engländer, welche das letzte
Arrangement zuwege gebracht hatten, wies der flandrische
Präsident Schore mit eindringlichen Worten auf diese Ver-
schiedenheit hin und bat, seine Landsleute in England günstiger
denn bisher zu behandeln, worauf die englischen Abgesandten
die bedeutsamen Worte hören Hessen: „Eure Vorfahren waren
weise Leute, welche mit Privilegien uns veranlassten, unsere
Waaren auf ihren Markt zu bringen, und dadurch sich be-
*) Urk. Beil. 58. Die Artikel, welche die Niederländer als zagegeben
erachteten (28. Not. 1545), sind enthalten im Br. M. Cotton Msc Galba
B.X. fo. 238, Lansdowne Msc. 171 fo. 69; diejenigen, welche die Eng-
länder am 28. Nov. 1545 einreichten, in Lansdowne Msc. 171 fo. 59.
a) State Papers X. S. 760. 5. Dez. 1545.
*) Um einen neuen Freundschaftsvertrag handelt es sich insofern, als der
bisherige durch authentische Interpretation sehr verändert ward. Vgl den
Brief des Privy Council an Gardiner. 30. Nov. 1545. State Papers X. S.733.
<) State Papers X. 786. 18. Dez. 1545 u. X. S. 20. 8. Jan. 1546.
*) Urk. Beif. 78 u. State Papers XI. S. 26. 26. Jan. 1546.
— 105 —
reicherten. Die Engländer mit ihren Privilegien sind zu Hause
träge geworden und liessen unsere Städte an den Küsten ver-
fallen. Eure Landsleute aber haben gearbeitet, ihre Städte
gebaut und sind reich geworden, was sie den an die Eng-
länder verliehenen Privilegien zuschreiben mögen; nur durch
uns seid ihr zur Wohlhabenheit gelangt. Denkt aber der
Präsident, wir sollten den Niederländern ein neues Privileg
ertheilen, so beschimpft er sich selbst, denn man wird sagen,
der König von England sei genöthigt gewesen, diesem Volk
mit der Gewährung eines neuen Privilegs zu schmeicheln u 1).
Die vereinbarte Einsichtnahme der Bücher fand Statt.
Der spanische Gesandte Scepperus und einige Beigeordnete
sahen sowohl die Documenta des Exchequer, als der Stadt
London; man legte ihren Nachforschungen überhaupt nicht
das geringste Hinderniss in den Weg, auch Abschriften er-
hielten sie überall, wo sie es verlangten, und nach Aussage
der Engländer wurden sie in den meisten Punkten hinsichtlich
ihrer Bourbourger Beschwerden überwiesen und zufrieden ge-
stellt8).
Garne und Dr. Bede beauftragt, ähnliche Becherchen hin-
sichtlich der niederländischen Zölle vorzunehmen, fanden nicht
das gleiche Entgegenkommen; man hielt sie absichtlich hin,
und förmliche Zollregister hatte man überhaupt nicht, da mah
die meisten Zölle in den Niederlanden zu verpachten pflegte.
Ob sie die alten Handschriften, welche man ihnen als Ersatz
anbot, wirklich zur Einsicht erhielten, wissen wir nicht3).
In der kurzen Zeit, während welcher das Scepter in Hein-
richs VIII. gewaltiger Hand ruhte, blieb, wie es scheint, Alles
in der Schwebe. Die Anklagen verschwanden auch jetzt noch
nicht; die Niederländer beschwerten sich über die Engländer
wegen Belästigung und Behinderung beim Herings- und Fisch-
fang; die englischen Kaufleute aber waren in Antwerpen gar
nicht mehr sicher, solche Verfolgungen mussten sie erdulden,
seit ein Niederländer wegen eines Angriffes auf sie hingerichtet
worden war4). War man auch bemüht, gegenseitige Abhilfe
zu schaffen6); als Heinrich VHL starb, war der ganze Verkehr
im Wanken. %
Die Niederländer griffen wieder zurück auf die angeb-
lichen Zugeständnisse, welche die Engländer zu Bourbourg ge-
») Gardiner etc. an Heinrich VIII. 2. Jan. 1546. State Papers X.
S. 827.
*) Der Privy Conncil an M. Carne 29. April 1546. State Papers XI.
S. 118.
*) Garne an den Privy Council. 2. Juni 1546. State Papers XI.
S. 197—199.
4) Karl V. an.Heinrich VIII. 1. März 1546. State Papers XL S. 65.
Garne an Heinrich VIII. 1. Aug. 1546. State Papers XI. S. 256-58.
5) Der Privy Council an Carne 7. Aug. 1546. State PapersXI. S.264
und Carne an den Privy Council 21. Dez. 1546. State Papers XI. S. 379.
— 106 —
macht1); die Merchant adventurers aber zogen vor, in Folge
der fortwährenden Belästigungen Antwerpen wieder zu ver-
lassen. Erst diese scharfe Massregel, welche der Gouver-
neur den Kaufleute getroffen, hatte Erfolg, und obwohl die
Niederländer zankten und schimpften1), so waren sie doch
herzlich froh, als ein Abkommen zwischen England und Ant-
werpen am 20. August 1548 3) zu Mecheln zu Stande kam.
Wenige Jahre darauf wurde auch wieder eine umfassende
Reform der Privilegien von Bergen op Zoom vorgenommen4).
Die weitere Entwickelung unter Eduard VI., Maria und
Elisabeth liegt ausserhalb unserer Aufgabe. Der Kampf wurde
unter ihnen noch viel heftiger und leidenschaftlicher geführt *),
als in der von uns behandelten Epoche; neue wirthschaftüche
Momente allgemeiner und besonderer6) Art änderten die com- \
mercielle Stellung der Länder zu einander, und die politische I
Abneigung zwischen dem katholischen Beherrscher der Nieder- j
lande und der protestantischen Königin Elisabeth in England ;
war schliesslich stark genug, das Band, das Jahrhundert lang -
die beiden Nachbarn verbunden hatte, zu zerreissen und end-
gültig den Intercursus in das Reich der Geschichte zu ver-
weisen. Seit 1584 kamen die Engländer nicht mehr nach
Antwerpen 7).
*) Vgl. Chamberlayns Brief an Paget v. 24. Juli 1548. ürk. Beil. 73.
*) Der frühere Rechtszustand wurde wieder hergestellt; nur mussten
die Engländer versprechen, in Zukunft erst die Regierung zu benachrich-
tigen, ehe sie zum Aeussersten schreiten und das Land meiden wollten;
auch hatten sie den gegenwärtigen Gouverneur zu entlassen, ürk. Beil. 74.
") Nach einer Notiz in den Pieces restituäes par l'Autriche
1862. XVII. B. des Brüsseler Staatsarchivs wäre am 10. April 1549 auch
der Vertrag von 1522 für weitere 10 Jahre von Karl V. und Eduard VI.
erneuert worden.
4) Nämlich 1555. B. M. Cotton Mscrs. Galba B. XL fo. 186 b.— 194
abgekürzt und englisch iu Tiberius D. VIII. fo. 83.
5) Wie vielfach noch dieselben Fräsen, welche die Regierung Hein-
richs VIII. beschäftigten, den Gegenstand des Streites bildeten, darüber vergl
2 Proben Urk. Beil 76, 77. Auch der Kampf um die Seeherrschaft dauerte
fort Wichtig war besonders, dass 1549 durch kaiserliches Edict den Nieder-
ländern verboten wurde, beim Import oder Export fremde Schiffe zu be-
nützen , so lange nationale vorhanden waren. (Placcards de FlandreL
S. 360—74). Wahrscheinlich hingen damit die Beschlagnahmungen der
Schiffe in Antwerpen zusammen, über die sich am 10. October 1551 die
Engländer beschwerten. Br. M. Cotton Ms er. Galba B. XII. fo. 160.
6) Namentlich kommt das Schuldverhältniss Englands zu den Nieder-
landen in Betracht, dadurch wurde der ganzen Handelsbilanz ein anderer
Charakter verliehen.
7) G6nard, Antwerpsch Archievenblad. VI. S. 310 fg. Ueber
diesen Theil der englischen Handelspolitik unterrichtet auch gut das Stu-
dium der Biographie von Thom. Gresham, der den hervorragendsten An-
theil an allen handelspolitischen Fragen während diejser Epoche nahm.
Sieh J. W. Burg on, Life and Times of Sir Thomas Gresham 2 Vol. 1839.
Go wer, Genealogical memoranda of the familv of Gresham 2 Parts London
1874—75. Ausserdem vgl. noch Piot, La diplomatie concernant les affaires
- 107 —
Rückblick.
Wenden wir noch einmal den Blick zurück auf die ganze
Entwicklung, die wir auf langem Wege durchschritten haben,
und suchen uns einen Gesammteindruck von der hier be-
folgten Politik der beiden ersten Tudors zu verschaffen.
Ihr Hauptgepräge erhielt dieselbe durch die Wandlung,
welche im 15. Jahrhundert hinsichtlich der wichtigsten Ver-
kehrswaare, der englischen Wolle, eintrat. Die Wolle hatte
die ersten Beziehungen geknüpft und den Engländern grosse
Freiheiten in den Niederlanden gebracht, und solange sie mit
der bescheidenen Bolle der Wollproduction und Wollfracht
sich begnügten, waren sie auch allen Niederländern genehm.
Seit Eduard III. traten die Engländer aber mehr und mehr
aus dieser Rolle heraus, eine sich täglich vervollkommnende
Tuchindustrie verbreitete sich über das ganze Land, und nun
erschienen auch die englischen Tücher auf dem niederländi-
schen Weltmarkte.
Von da an vollzog sich in den Niederlanden eine Schei-
dung der Interessen. Die freihändlerische Partei, welche den
flandrischen Universalstapelplatz als das Werthvollste erachtete,
musste natürlich für die ausgedehnteste Zulassung der eng-
lischen Tücher sich erklären. Die industriellen Kreise aber,
welchen die einheimische Weberei die Hauptsache war, wollten
eine Beschränkung des neu auftauchenden Concurrenten. Der
Kampf entbrannte. Die niederländischen Industriellen erwiesen
sich in den Niederlanden als die mächtigeren; hinter ihnen
stand die Masse des Volkes. England seinerseits konnte je-
doch des grossen Marktes nicht entbehren nnd war auch zu
schwach, um ihn nach englischen Plätzen zu ziehen. So war
der beste Ausweg, zunächst das Stapel für englische Tücher
von Brügge nach Antwerpen zu verlegen.
Den englischen Kaufleuten glückte es, in Folge der städti-
schen Eifersucht in Brabant ebenso sehr oder noch mehr pri-
vilegirt zu werden, als in Flandern; aber die merkwürdige
Thatsache, dass im grössten Theil der Niederlande, wo der
Hauptmarkt für englische Tuche war, diese selbst so gut wie
verpönt waren, blieb fortbestehen. Die schutzzöllneriche Pha-
lanx zu durchbrechen, war die Gompagnie der Merchant ad-
venturers zu schwach.
Burgund wuchs zur ersten Weltmacht empor, und es war
zu befürchten, dass selbst die bestehenden Freiheiten ge-
maritimes des Pays-Bas vers le milieu da XVI« siecle jusqu'ä la treve
deVaucelles in den Bulletins de l'academie royale des sciences, des lettres
et des beaax arts de ßelgique flme Serie T. 40. 1875. S. 817—868.
— 108 —
schmälert und verkümmert würden. Nur eine starke kräftige
Hand, welche über die Macht einer geeinten, reichen Nation
gebot, konnte hier helfend eingreifen. Diese Mission erkannte
Heinrich VH. Er befestigte und erweiterte vor Allem die
überkommene vertragsmäßige Grundlage und frnrte genau
den Zollbestand, welchen die Engländer von Alters her ge-
nossen. Das geschah im Intercursus magnus. Dann suchte
er den englischen Tüchern ein grösseres Feld zu verschaffen.
Das wurde am wirksamsten erreicht, wenn es glückte, den
Krieg in die niederländische Textilindustrie hineinzutragen:
denn sie hemmte nicht bloss durch ihren Abschluss gegen
englische Producte, sondern ebenso sehr dadurch, dass sie
einen grossen Theil englischer und spanischer Wolle ver-
arbeitete und ihre Tuche dann den fremden Völkern anbot.
Gegen sie galt es zu Felde zu ziehen. Das geschah durch
den Vertrag von 1506, welcher der niederländische Schutzpolitik
den ersten wirksamen Schlag versetzte. Aber eine Reihe von
seltsam zusammentreffenden Umständen hatte das völlige Per-
fectwerden des Vertrags verhindert. Ernste Zweifel tauchten
auf, und die Niederländer bestritten geradezu die Gültigkeit
des Tractats. Heinrich VII. musste sich vorläufig mit einem
Provisorium behelfen, das nur ganz wenige Concessionen von
den Niederlanden verlangte.
Heinrich VHI. und sein Minister Wolsey steckten sich
sofort als Aufgabe, den bestrittenen Tractat zur unumwun-
denen Anerkennung zu bringen. Dies war das Ziel, das die
englische Regierung während der ersten 10 Jahre sogar trotz
der französischen Gesinnung des burgundischen Hofes constant
verfolgte; es gelang 1516, wenigstens für 5 Jahre das Ge-
wünschte durchzusetzen. Die Gültigkeit des Tractats war auch
der Preis, den neben andern Wolsey stellte, als er die poli-
tische Freundschaft Englands dem Kaiser und nicht dem fran-
zösischen König gewährte; er erhielt sein Begehren in einer
Weise erfüllt, welche einer dauernden Anerkennung gleichkam
(1520). Weder im folgenden Krieg gegen die Niederlande
(1527/28), noch durch den eigens von den Industriellen zum
Sturz des Vertrags in Scene gesetzten Kampf (1532) liess die
englische Regierung das einmal Erlangte sich entreissen. Die
Verträge standen wie Felsen; jeder Sturm misslang, so heftig
er auch um dieselben tobte.
England verliess die Defensive und ging zur Offensive
über. Cromwell glaubte die Bande zerreissen zu können, von
welchen beide Länder umschlungen waren. Die gefährliche
Position sollte beseitigt, der Tuchmarkt nach England gezogen
und gleichzeitig der englischen Flotte dauernd das Ueber-
gewicht Ober die niederländische verliehen werden (1540).
Der Plan scheiterte. Sei es, dass die Repressalien der Nieder-
— 109 —
länder so empfindlich gefühlt wurden, oder dass seit dem Tode
Cromwells der englischen Wirtschaftspolitik eine zusammen«
haltende Kraft fehlte, oder dass man nicht wagte, den voll-
ständigen Bruch mit dem Kaiser bei der bedenklichen schwan-
kenden innern Lage des Reiches auf sich zu nehmen, die
Engländer mussten offen ihre Niederlage eingestehen (1542).
Sofort benutzten die Niederländer diese Blosse, um die
Engländer in eine ungünstigere Position zu drängen. Sie ver-
suchten Zollerhöhungen durchzusetzen und den Intercursus
nach dieser Richtung hin wirkungslos zu machen, konnten
diese aber gegenüber dem energischen Widerstände der Mer-
chant adventurers , welche bald Unterstützung bei der engli-
schen Regierung fanden, nicht aufrecht erhalten. Ebenso
misslang ihre dann ergriffene Taktik, wenigstens die Gleich-
stellung der Niederländer mit den englischen Kaufleuten
durchzusetzen. Seit dem 6. April 1546 waren sie den Lasten
der Fremden unterworfen, wie ehedem, ohne jedes Privileg,
ohne irgend eine Begünstigung.
Sieht man von dem etwas verfrühten Project, England
von den Niederlanden unabhängig zu machen, ab, so war die
ganze commercielle Politik Englands unter den Tudors eine
Reihe von Siegen. Die beiden Heinriche wahrten in kräftigster
Weise die Interessen des englischen Handels und der engli-
schen Industrie, und ein solches Resultat muss merkwürdig
erscheinen, wenn man bedenkt, dass das kleine Reich den
Kampf aufnahm mit dem höchst civilisirten Theile der Welt,
dessen Herrscher über den halben Erdkreis gebot.
Der Grund für diese Erscheinung liegt darin, dass Eng-
land in industrieller Beziehung ein jugendlich aufstrebender
Staat war, dem immer eine frische und unverwüstliche Kraft
eigen ist; es glich einer Colonie, welche gegenüber dem ab-
sterbenden Mutterland sich zu emancipiren suchte; in der
That überschritten damals die Niederlande den Zenith ihrer
Blüthe und fühlten bereits das Erstarken des Nachbarn. Mehr
aber als das war es der Gegensatz der kaiserlichen und eng-
lischen Staatspolitik. Die kaiserliche war ihrer Wesenheit
nach immer eine auf ein Universalreich gerichtete, die der
Tudors trotz einiger Inconsequenzen ihrem Grundzuge nach
eine nationale. Die Länder des Kaisers waren alle unter sich
verschieden, ihre Interessen unter einander gänzlich abweichend,
nicht einmal die Niederlande waren aus einheitlichem Guss;
nur die Persönlichkeit Karls V. hielt die einzelnen Theile zu-
sammen. Für den Kaiser standen niemals die Interessen eines
einzelnen Landestheils in erster Linie, er opferte diese, selbst
wenn sie sein Mutterland betrafen, galt es nur, dadurch seine
allgemeinen politischen Ziele wirksam zu fördern. Die eng-
lischen Gebiete dagegen waren wohl klein, aber ziemlich fest-
— 110 -
*
geschlossen und begrenzt und von einer einheitlichen Nation
bewohnt. Es gab nur englische Interessen, des Herrschers
Politik verkörperte nur die Wünsche seines Volkes oder riss
dasselbe mit sich, wenn er ihm neue Ziele steckte.
Die Siege stellen sich somit in letzter Linie als Siege des
nationalen Princips über das universale dar.
Zweites Capitel.
England und die italienischen Republiken mit
besonderer Berücksichtigung Venedigs.
Von den Niederlanden, deren Verkehr mit England zur
Hälfte moderne, zur Hälfte mittelalterliche Züge an sich trug,
wenden wir uns zu den italienischen Gebieten, deren Handels-
beziehungen zu England wesentlich anders gestaltet waren.
Die Art der Entstehung, die Grundlage, auf der der Verkehr
beruhte, die Organisation desselben, die Betheiligung am
Handel, die politischen und allgemeinen ihn berührenden Ver-
hältnisse waren verschieden. Das Ziel der Tudor'schen Politik
war zwar im Allgemeinen dasselbe, unterschied sich aber doch
von dem gegenüber den Niederlanden verfolgten dadurch, dass
nicht sowohl die Industrie als vielmehr der Handel und die
Schiffahrt das Streitobject bildeten.
I. Der Ursprung der Handelsbeziehungen zwischen den
italienischen Staaten und England ist, so paradox das auch
scheinen mag, nicht in erster Linie in dem Productenverkehr
zu suchen. Zwar konnten diese südeuropäischen Länder im
frühen Mittelalter Schätze bieten, wie kein anderes; allein das
Bedürftiiss für solche Kostbarkeiten war bei den rauhen Be-
wohnern der britischen Inseln nicht genug geweckt. Was von
diesen seinen Weg nach England fand, wurde auch nur durch
Zwischenhände dahin gebracht.
Den ersten Eingang fanden die Italiener auf der nordi-
schen Insel in Folge der kirchlichen Schätzungen. Der Papst
verwendete italienische Kaufleute, namentlich Bürger von
Siena1), später von Florenz und Lucca zur Einsammlung der
*) Edw. Bond, Extracts from the Liberate Rolls relative to loanB
supplied by Italian Merchants to the kings of England in tbe 13^ and
Utfc Centuriee with an introductory memoir. Archaeologia Vol. 38. Lon-
don 1840. S. 214.
- 112 —
von ihm beanspruchten Beträge. Da dies allerwärts geschah,
so war der Anstoss gegeben zu dem Geldsystem, das die
Italiener so trefflich und frühzeitig entwickelten. In Kurzem
gelang es ihnen, in England das ganze auswärtige Geldgeschäft,
und als die Juden vertrieben worden waren, auch das ein-
heimische an sich zu ziehen.
Ende des 11. Jahrhunderts kamen bereits Ansässig-
machungen von Italienern vor1). Bald fanden sie es vortheil-
hafter, mit dem Geld- auch den Waarenhandel zu verbinden;
ihrem Erwerbstrieb und ihrer Klugheit glückte es, in Kurzem
die Quellen des Landes in Circulation zu bringen2). Den
Königen wussten sie sich geradezu unentbehrlich zu machen,
sowohl durch ihre Darleihen3), wie durch ihre diplomatische
Kunst4); in öffentliche Aemter, namentlich soweit solche
die Zölle und die Münze betrafen, nisteten sie sich ein. Mitte
des 13. Jahrhunderts begann England von italienischen Platz-
leuten zu schwärmen, und schon war die Klage über die
italienischen im Dienste der Kirche stehenden Geldsauger eine
laute 6).
Von welcher Bedeutung aber bereits der Waarenhandel
war, ergibt sich daraus, dass, als Eduard I. an einem Tage
wegen seiner Kriege alle Wolle, Wollfelle und Häute in Be-
schlag nehmen Hess, in den Händen der italienischen Com-
pagnien sich nicht weniger als 2380 Säcke Wolle befanden.
Das Capital, das sie in diesem Zweige angelegt, belief sich
wohl auf 30 000 £ damaligen Geldes. Es sind vorwiegend
Florentiner, deren Namen uns bei dieser Gelegenheit be-
gegnen8). Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese damals
die Sienesen und selbst Luccaner überholt hatten. Die
Frescobaldi, Bardi und Peruzzi standen abwechselnd in be-
sonderer Gunst bei den englischen Königen7).
*) So von dem Florentiner Otho degli Gherardini, der Eigenthümer
von Land in nicht weniger als acht Grafschaften wurde; von ihm stammte
das nachmalig so berühmt gewordene Haus Fitzgerald ab. The Marquis
of Kildare, The earls of Eildare and their ancestors 1858. S. 2.
*) Im 13. Jahrhundert finden wir den Florentiner Gherardi und mit
ihm eine ganze Gesellschaft Italiener in ausgedehntem Wollhandel beschäf-
tigt. Vgl. C anale. Istoria della repubblica di Genua, del suo commercio
etc. IV. S. 287.
*) Vgl. Bond a. a. 0., sowie S. L. Peruzzi, Storia del commercio
e dei banchieri di Firenze in tutto il mondo conosciuto dal 1200 al 1345
compilata su documenti in gran parte inediti. Firenze 1868. S. 16*7 fg.
Eduard I. hatte den Liberate Rolls zufolge von 34 verschiedenen florenti-
nischen Banquiers und Gesellschaften Geld geliehen. Daneben werden
noch andere Italiener als Gläubiger genannt Peruzzi a. a. 0. S. 174.
*) Namentlich wurden Genuesen häufig als Gesandte verwendet
5) M. Paris, Historia minor ed. Madden III. S. 272. Th. Wal-
gin gh am, Ypodygma Neustriae ed. Rilev 1876. S. 144. Eine Klage des
Abtes Bordesley gegen Florentiner Kaufleute wegen betrügerischen Ver-
fahrens findet sich in den Rot Pari. I. S. 1. (1273).
«) Bond a. a. 0. S. 221. Peruzzi a. a. 0. S. 175.
7) Peruzzi a. a. 0. S. 178.
— 113 —
Aber auch die Florentiner büssten ihre unbestrittene
Suprematie bereits unter Eduard III. ein. Sie hatten dem
Könige bei seinen Kriegen zu viel geliehen ; Eduard sah sich, da
seine Quellen alle erschöpft waren, ausser Stande, die be-
dungenen Zahlungstermine einzuhalten, und nach wiederholter
Verlängerung derselben brachte er über die Häuser Bardi,
Peruzzi und eine grosse Zahl kleinerer Geschäfte eine so
schwere Katastrophe, dass deren Folgen die Blüthe des floren-
tinischen Handels in England und im übrigen Europa voll-
ständig vernichteten, sowie die gesellschaftlichen und staatlichen
Verhältnisse in Florenz bedeutend veränderten1). Blieben die
Florentiner auch die Lieblinge am englischen Hof bis in die
Zeit der Tudors hinein, hatten sie als Geldhändler noch immer
Bedeutung*), wurden zur Glanzzeit der Medici, wo Florenz
sich erholt hatte, die Beziehungen zu England ausserordentlich
freundliche, erschienen seit 1425 3) die Florentiner sogar auf
eigenen Galeeren in den englischen Häfen: der Waarenhandel
und das Hauptgeschäft war nichtsdestoweniger seit dem
14. Jahrhundert an Genua und Venedig tibergegangen.
Genua war Florenz gegenüber schon um deswillen im
Vortheil, weil ihm eine bedeutende Flotte zu Gebote stand.
Solange keine Florentiner Schiffe existirten, waren die floren-
*) Allerdings war die Zahlungsverweigerung Eduards III. nicht allein
wirksam. Auch Robert von Neapel hatte gleichzeitig die Rückzahlung der
ihm gemachten Darlehen sistirt, so dass Florenz mit einem Schlage 70 Mil-
lionen Francs verlor; ausserdem hatte der französische König 1345 die in
Frankreich verweilenden Florentiner ihrer Habe berauben lassen. Es be-
greift sich, dass ein solcher Verlust zahlreiche Gesellschaften und die De-
ponenten der grossen Häuser in Mitleidenschaft ziehen musste und den
Credit der Florentiner aufs tiefste schädigte Die allgemeine Katastrophe,
welche der Zeitgenosse Giovanni Villa ni, Storie Fiorentini Buch 11. Cap. 87
so lebendig schildert, wurde noch verschärft durch die Hungersnoth 1347
und die darauf folgende Pest. Ueber den Verlauf und die Folgen der eng-
lisch-florentinischen Finanzoperationen vergleiche Peruzzi a. a. 0. Buch VI.
(Eduardo III. e i banchieri Fiorentini) S. 483 fg.
2) Als 1415 Heinrich V. von den Italienern Geld leihen wollte, er-
schienen vor dem Rath „sys persones de la compaignie des marchantz de
Florence demorantz en Lounores, de la compaignie des marchantz de Ve-
nice habitantz en mesme la citee quatre persones, et de la compaignie des
Lukes deux persones/' Nicolas, Proceedings and Ordinances of the
Privy Council IL S. 165.
8) Die Florentiner hatten damals den Hafen Livorno erworben, wo-
durch sie in den Stand gesetzt wurden, einen directen Schiffahrtsverkehr
mit England herzustellen (Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittel-
alter II. S. 711). Im Jahre 1425 wurde ihnen auch in England ein Han-
delsprivileg ertheilt Für die späteren Beziehungen kommen in Betracht
die vielen Licenzen, die in Brewers Cal. und in den Enrolled Accounts
of the Customs erwähnt sind. Bekannt ist auch das Schuldverhältniss , in
welchem Eduard IV. zu den Medici, Portinarii u. Gudetty stand. Rymer
XII. S. 7. /
Schanz, Eng]. Handelspolitik. I. 8
- 114 —
tinischen Kaufleute genöthigt, der genuesischen1) und wohl
auch pisanischen Schiffe sich zu bedienen. Es wird allgemein
angenommen, dass von den italienischen Seefahrern die Ge-
nuesen zuerst England besuchten. Richard Löwenherz war
ihnen sehr gewogen *), und die politischen Beziehungen zwischen
England und Genua von da an die besten3). Gegen Ende
des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts mehren sich die
Beweise für einen rege unterhaltenen Handel4). Im 15. Jahr-
hundert aber wurde der Höhepunkt desselben bereits über-
schritten; einen festen Rückhalt hatte nur Genua in seiner
Stellung im schwarzen Meer. Solange die Türken hier seine
Herrschaft duldeten5), war Genua der beste Vermittler für
englisches Tuch bei den dortigen Anwohnern6). Ausserdem
aren sie im Besitz von Chios und Phokaea , den Hauptquellen
r Mastix und Alaun 7). Wegen der Nähe von Toulouse war
*) Wichtig wurde ein in dieser Hinsicht zwischen Genua und Florenz
abgeschlossener Vertrag vom Jahre 1281. Peruzzi, Storia del commercio
e dei banchieri di Firenze S. 502.
*) Beer. Handelsgeschichte L S. 199.
8) Heinrich in. wurde z. B. in den Vertrag von Ninfeo, der zwischen
Genua und Michael Palaeologus abgeschlossen wurde, mit aufgenommen.
C anale, Nuova Istoria della Repubblica Genova IV. S. 288.
*) In der Zeit von 1291—1807 gab der König Eduard I. Befehle in
Betreff der Genuesen (Liber Albus ed. Riley I. S. 540); 1316 geschieht
der genuesischen Kauffahrteischiffe und um dieselbe Zeit ihres Alaun-
imports Erwähnung (Rymer III. S. 564 u. 565, vgl. jedoch auch Hevd
a. a. 0. S. 708). 1336 erlässt der König den Genuesen 8000 Mark Zölle
als Entschädigung für ein weggenommenes Schiff und gewährt ihnen
ausdrücklich das Recht des Handels mit den Worten: „Volentes insuper
toti communitati vestrae gratiam facere specialem, ut ex hoc vos in-
veniamus in nostris opportunitatibus promptiores et ut ad partes nostras
mercatores communitatis vestrae declinent eo libentius, quo majori fuerint
ibidem privilegiorum praerogativa muniti (si quitationem nos feceritis habere
praetactam) talenTin regno nostro habere volumus libertatem, ut ad dictum
regnum nostrum cum navibus vel vasis aliis accedentes possitis libere salvo
et secure cum dictis navibus et vasis in quocumque loco regni nostri quo-
tiens et quandocumque volueritis applicare, mercandisare ac vendendo et
emendo proficuum vestrum facere, solvendo custumas debitas in hac parte.
Et si in uno loco applicaeritis , liceat vobis mercibus non plene Tel in
nullo venditis ex hinc libere recedere et quocumque volueritis vos trans-
ferre." (Rymer IV. S. 702.) 1379 machte ein genuesischer Kaufmann der
englischen Regierung den Vorschlag, in Southampton ein Stapel für alle
orientalischen Waaren zu errichten, welche die Genuesen bisher nach Flan-
dern, Normandie und Bretagne brachten. Die englischen Kaufleute sollen
dies Project mit Misstrauen aufgenommen haben, und der Genuese wurde
ermordet Endlich ist bekannt, dass England im 14. Jahrhundert viele
Schiffe von Genua bezog. Beer, Handelsgesch. I. S. 199; sieh auch Th.Wal-
singham. Hist. Angl. ed. Riley IL S. 83, 146.
5) Vgl. W. Heyd, Geschichte des Levantehandels II. S. 365 fg.
6) Ueber die Verschiffung abendländischer Tucher nach dem Orient
vgl.#auch Heyd a. a. 0. H. S. 696.
7) Heyd a. a. 0. H. S. 551. Der Bezug von Alaun aus dem Orient
wurde gegen Ende des 15. Jahrhunderts wichtig, weil die Curie den Preis
des römischen Alauns sehr erhöhte und überhaupt den Alaunhandel zu
— 115 —
auch der Verschleiss des berühmten Toulouser Waids fast
ganz in ihre Hände gegeben. Endlich scheint es nicht un-
möglich, dass sie einen Theil des Handels zwischen den
Niederlanden und England besorgten.
Das Libell of Englishe Policye schildert Genuas commer-
cielle Bedeutung für die britische* Insel gegen 1436 folgender-
massen :
Die Genuesen kommen in dies Land
Verschiedentlich, mit Waaren allerhand,
Mit grossen Galeonen voller Pracht;
Goldstoff und Woll-Oel fuhren sie als Fracht,
Potasche, schwarzen Pfeffer auch und Seide,
Baumwolle, Genueser Goldgeschmeide,
In grosser Menge Waid und Steinalaun,
Wofür sie hier denn ihre Schiffe stau'n
Mit WolP und Wollentuch von jeder Art
Und Farbe: — dann geht oft von hier die Fahrt
Nach Flandern mit dem aufgekauften Schatz
Der Waaren; denn hier ist ihr Stapelplatz.
Und sollten sie als Feinde sich gebahren,
So schlössen wir sie aus mit sammt ihren Waaren1).
So schlimm, wie die Schlussworte angeben, stand es nun
in Betreif der Abhängigkeit Genuas von England nicht. Im
Gegentheil war die politische Stellung Genuas der letzte und
nicht geringste Grund, weshalb es im 15. Jahrhundert neben
Venedig in England sich noch halten konnte. Bei der fort-
währenden Feindschaft zwischen Frankreich und England war
es ein grosser Gewinn, wenn es den englischen Königen glückte,
das von Frankreich ins Schlepptau» genommene Genua we-
nigstens neutral zu erhalten. Der grosse Heinrich V. hat in
richtiger Erkenntniss der Lage auch dies zu erreichen ge-
sucht und selbst die damals nicht gewöhnliche Concession ge-
macht, dass die Genuesen mit seinen Feinden handeln durften
(1421)*).
Dieser politischen Lage hatten sie es vorwiegend zu
danken, dass sie fortwährend von den Königen beschützt
wurden-, denn zeitweise war die Volksstimmung gegen sie eine
sehr erregte. Einzelne Kaufleute wie Barantyn, Waldern
monopolisiren suchte. Der Herzog von Burgund und Heinrich VII. von
England waren aber bestrebt, das Monopol zu brechen. Vgl. Gairdner,
Letten and Papers of Richard IH. and Henry VII. II. S. 167 u. 255; da- I
mit ist in Zusammenhang zu bringen Rymer XIII. S. 159. Im Jahre |
1451 hatten die Genuesen für 8000 £ Alaun in England. Rot. Pari. V.
S. 21 ff.
') Wilh. Hertzbergs Uebersetzung S. 77 u. 78; Vers 330—343.
a) Rymer X. S. 717. Ueber die Verhandlungen zu vergl. Nicolas,
ProceediDgs etc. n. S. 236, 245, 255 fg. Diesem Tractat wird von An-
derson (deutsche Ausgabe III. S. 98) eine hervorragende Bedeutung zu-
gewiesen, indem er behauptet, in Ryraers Foedera begegne man hier zu-
erst der Garantirung einer längeren Frist, während welcher die Kaufleute
im Falle des Ausbruchs von Feindseligkeiten unter den contrahirenden
8*
— 116 —
Cotton, W. Walderma aus London, Sturmyn aus Bristol, Ta-
verner aus Hüll und deren Genossen hatten seit Beginn des
15. Jahrhunderts einen Handel nach dem Mittelmeer organi-
sirt 1). Die Genuesen sahen dies Eindringen mit eifersüchtigen
Augen an8) und suchten den Engländern durch wiederholte
Wegnahme ihrer Waaren die Fahrten zu verleiden. Die eng-
lischen Kaufleute verlangten strenge Massregeln. Nach ihrem
Wunsch sollte Nichts an die Genuesen verkauft werden, noch
irgend Jemand etwas nach Genua führen3). Sie versuchten
auch, beim König ihre Stellung zu untergraben, indem sie
darauf hinwiesen, dass die Genuesen durchaus nicht so viel
Zölle zahlten, als deren Freunde gewöhnlich verbreiteten. Die
Aufzeichnungen des Exchequer wiesen vielmehr aus, dass sie
während 2 Vi Jahre nur 4500 £ Zoll entrichtet hätten4). Die
Regierung Hess sich aber dadurch nicht irre machen, sie
zwang zwar die Genuesen, den Schaden zu ersetzen5) und
hielt darüber, dass diese den Engländern freien Verkehr in
ihren Häfen versprachen6), hütete sich aber irgendwie sonst
feindselig gegen sie vorzugehen. Die Genuesen fanden im
Gegentheil an ihr immer einen starken Rückhalt. Als z. B.
1434 die Zollbeamten den Werth zu Grunde legen wollten,
den die von den Genuesen gebrachten Waaren in England
besassen, genügte die Drohung der sechs Schilfe, wieder ab-
fahren zu wollen, um den König zu einer Intervention zu ihren
Gunsten zu veranlassen7). Im Jahre 1460 schloss die Regie-
rung einen neuen Handelstractat und eine politische Allianz
mit Genua ab8). Als 1470 Heinrich VI. noch einen Versuch
gemacht, den Thron gegen Eduard IV. sich zu sichern, war
Parteien ihre Geschäfte abwickeln durften. Jedenfalls sind aber ähnliche
Stipulationen sehr alt. So heisst es tichon in dem Privileg von 1259, wel-
ches der Stadt Gent von Heinrich III. verliehen wurde: . . . etiam, quod
si inter regem Francorum aut alios et nos vel heredes nostros aliquo tem-
pore guerra fuerit, ipsi praemuniantur , ut infra quadraginta dies regnum
nostrum cum bonis egrediantur. L. Di er i ex, Memoires sur la ville de
Gand. 1814. T. I. S. 148 u. 149.
*) Rymer VIII. S.717; X. S. 117; XL S.258: Rot Pari. IV. S.50;
V. S. 31.
*) Die bedeutsame Thatsache, dass Engländer in den Gewurzhandel
sich zu mischen wagten, wurde von der Sage entstellt. So heisst es bei
Fabyan, Chronicle ed. Ellis 1811. S. 633: „In this ytre (1458) after some
auetours a marchaunt of Brystowe, named Sturmyn, which with his shrp
had trauaylyd in dvuerse partyes of Leuaunt and other partyes of the kst
for so moche as the fame ranne upon hym, that he hadde gotten grene
pepyr and other spycys to haue sette and sowen in Englonde, as the fame
went etc.u
8) Rot, Pari. IV. S. 14 (1413).
*) Rot. Pari. IV. S. 50 (1414).
*) Rymer VIII. S. 717, 773; X. S. 117.
°) Nicolas, Proceedings etc. IL S. 256.
7) Rymer X. S. 584.
8) Rymer XL S. 441.
— 117 —
es wieder Genua, bei dem er neben Frankreich um eine Stütze
warb. Er begünstigte die Genuesen nicht nur durch Erlass
der hohen directen Abgaben, die ihm 1452/53 vom Parlament
bewilligt worden waren, sondern er ermässigte für 6 Jahre
ihnen die Woll- und Zinnzölle derart, dass keine grosse
Differenz mehr gegenüber denen der einheimischen Kaufleute
bestand *).
Unter Eduard IV. verloren sie zwar nicht diese Privi-
legien, mussten sie aber mit den übrigen italienischen Kauf-
leuten theilen2).
Die mittelalterliche Politik Englands gegenüber Frankreich
lebte in der Folge nur vorübergehend auf, und Genua selbst
verlor mehr und mehr alle Selbständigkeit und sank zu einer
Provinzialstadt herab. So begreift sich, dass zwar Genua an
der Schiffahrt nach England sich noch immer betheiligen
konnte 3) , aber in handelspolitischer Hinsicht , kein Interesse
mehr gewährt.
Venedig, das Mittelmeer schon lange beherrschend, war
an Genuas Stelle getreten; sein Name verdunkelte den der
übrigen lombardischen Städte4); in den Händen der venetia-
nischen Signorie lag fortan die Leitung. Da Venedig auch
das italienische Handelssystem am schärfsten ausgeprägt hat,
so ist es gerechtfertigt, wenn wir jetzt ihm unser ausschliess-
liches Interesse zuwenden.
H. Das Alter eines directen Verkehrs zwischen Venedig
und England ist ebenso schwer zu bestimmen, wie dies bei
dem der übrigen Republiken der Fall. ' Die erste bestimmte
Erwähnung Venedigs in den öffentlichen Documenten Englands
ist aus dem Jahre 1201 (18. Jan.)5). König Johann verlieh
damals dem Sohne des Leonardus Sucuhull von Venedig einige
Ländereien6). Allem Anscheine nach waren dieser „Johannes
x) Für den Sack WoUe hätten sie nämlich zu zahlen gehabt 66 8h
8 d, nun aber entrichteten sie 58 sh 4 d, also nur 10 sh mehr, als die
Engländer; für Zinn war der FremdenzoU vom £ Werth 2 sh 8 d, sie
aber zahlten nur 1 sh 3 d, also 8 d mehr als die Einheimischen. Privileg
v. 22. Febr. 1471. Rymer XI. 8. 696.
*) Vgl. Kymer XII. S. 255.
■) Dies beweisen die der genuesischen Gesellschaft gewährten Geleits-
briefe; z. B. im Jahre 1496 und 1503 (Br. M. Sloane Mscrs. 4617 Nr. 162;
4618 Nr. 39).
4) Unter diesem Sammelnamen verstand man in England Florenz,
Genua, Lucca und Venedig.
*) Hardy, Kotuli Chartarum in Turri Londinensi asservati. S. 84.
0) Die „certain commercial Privileges of high importance", welche Jo-
hann demL. S. verliehen haben soll, sind jedenfalls von Hazlitt (History
of the Venetian Republic etc. London 1860. IV. S 240) ebenso erfunden,
wie der Sucubus statt Sucuhull und der 18. Jan. statt des 13. Jan.
— 118 —
de Venetia" und seine Nachkommen 1) ähnlich wie die Floren-
tiner in erster Linie Banquiers, welche durch Gelddarleihen
und Ansichziehen der verpfändeten Objecte sich bereicherten.
Ich glaube nicht, dass man aus diesem einzigen Beispiel auf
„einen regelmässigen und ausgedehnten" Verkehr in damaliger
Zeit schliessen darf2). Durch die Kreuzzüge könnte ein gegen-
seitiger Waarenaustausch herbeigeführt worden sein. Es ist
sogar einige Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass die Engländer
damals einen Activhandel nach dem Orient entwickelten und,
wenn auch nur vorübergehend, eine Handelsniederlassung in Accon
besassen3). Doch darf man füglich bezweifeln, ob die 1265
in den venetianischen Zolltarifen erwähnten „englischen Stam-
fords"4) auf dem Seewege nach Venedig gelangten, wofern
überhaupt diese Stamfords englisches Fabrikat waren und
nicht blos eine gewisse Tuchsorte bezeichneten, welche der
in England getragenen ähnelte6). Jedenfalls weisen alle uns
erhaltenen Nachrichten darauf hin, dass damals noch der Ver-
kehr grösstenteils ein mittelbarer war und zu Lande, nämlich
über Frankreich, Köln und Flandern sich vollzog6).
Keinem Zweifel unterliegt aber, dass mit Anfang des
14. Jahrhunderte die regelmässigen directen Fahrten zwischen
Venedig und England begannen. Damals gewann auch der
Seeverkehr nach Flandern das Uebergewicht über den Land-
handel. Ein politisches Zerwürfhiss zwischen Frankreich und
Flandern (1315, 1316) trug hauptsächlich dazu bei. Die
Flamänder besuchten nun nicht mehr die Messen von Cham-
pagne. Dadurch wurden auch die Italiener veranlasst, auszu-
*) Die Söhne des Leonard von Venedig Bind in den Rotuli Liter. Pa-
tent. S. 134 unterm 22. April 1215 erwähnt, indem sie den Befehl erhielten,
schleunigst beim König zu erscheinen.
*) Hazlitt a. a. 0. IV. S. 238—52 nimmt einen solchen frühzeitig
entwickelten Handel an. Die Momente, die er hiefur beibringt, sind alle
nicht zutreffend. Sie beweisen in der Kegel nur für die Florentiner oder
für andere Fremden, wie die Deutschen. So führt er als Beleg auch an,
dass Kaiser Friedrich 1. 1157 ein Privileg von Heinrich II. erwirkt habe.
Nun ist richtig, dass Heinrich II. an Friedrich I. schrieb: „Lasse Freundschaft
zwischen uns und unsern Unterthanen und sichern Handel erhalten" (De
gestis pontificum Anglorum II. S. 133). Dass aber hier die deutschen und
nicht die venetianischen Kaufleute gemeint sind, liegt auf der Hand.
a) Heyd, Geschichte des Levantehandels IL S. 714.
4) Ein ganzes Stück „englischen Stamford" hatte 24 sh Zoll, ein Rest
13 sh. die Mailänder Stamfords von Monza 5 sh zu zahlen. Brown,
Galen dar of State Papers and Manuscripts relating to English Affairs
existing in Venice and in other libraries of Northern Italy. 1864 fg. I. 3.
6) In dieser Vermuthung möchte man um so mehr bestärkt werden,
als auch gefärbte Stamfords genannt werden, während doch die Färberei
selbst unter Heinrich VIII. noch wenig gedieh; vgl. die Ausfuhr gefärbter
Tücher. Bd. IL S. 105.
c) Das beweisen auch Nachrichten über die ersten directen Beziehungen
zwischen den italienischen Staaten und den Niederlanden. Heyd a. a. 0.
H. S. 707 fg.
- 119 —
bleiben und direct zur See Flandern wie England aufzusuchen l).
Der Seetransport war zudem wohlfeiler, und die Seegefahr auch
nicht viel grösser als die zu Lande, wie aus der Höhe der
üblichen Versicherungsprämie sich erkennen lässt2). Mit
Eduard IL wurden die ersten Verhandlungen wegen eines
geordneten Verkehrs geführt 3). Den Hauptschwerpunkt ihres
nordischen Handels wollte die venetianische Regierung jedoch
nach Brügge verlegt wissen 4), der Verkehr mit England sollte
nur einen Ableger bilden. Die ersten Fahrten waren von
lauter blutigen Scenen begleitet, und der König hatte Mühe,
diese verderblichen Fehden hintanzuhalten5).
Die gelegten Keime kamen erst unter Eduard III. zu
grosserer Entwicklung. Die ganze Handelspolitik dieses Königs
war eine fremdenfreundliche ; für Venedig war kber noch von
besonderer Bedeutung, dass der Plantagenet die herrlich auf-
blühende Seemacht der Republik in seinen französischen Kriegen
sich dienstbar zu machen suchte. 1340 bat er um eine Unter-
stützung von 40 Schiffen, beziehungsweise um blosse Enthaltung
einer Parteinahme für seinen Gegner6) und bot grossherzig
den venetianischen Kaufleuten die gleichen Immunitäten an,
welche die Engländer genössen, und ein dauerndes Privileg,
das alle ihre Wünsche enthalten solle. Die Venetianer ent-
zogen sich vorsichtig jeder politischen Unterstützung, die an-
gebotenen mercantilen Vortheile aber säumte man nicht dank-
barst anzunehmen 7). Auch ein zweiter, dreissig Jahre später
unternommener Versuch Eduards III., Venedig politisch enger an
England zu fesseln, misslang. Die venetianische Regierung
betonte, dass ihre Beziehungen vorwiegend commercieller Natur
*) Heyd a. a. 0. II. S. 704.
*) Peschel, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen. S. 44.
*) Circa 1317. Brown, Calendar I. 9; Marin, Storia del Commercio
Venez. V. S. 313.
4) 1319 erhielt ein venetianischer Gesandter die Mission, in Brügge
ein Consulat zu beantragen und Handelserleichterungen zu erwirken, nicht
aber in London, wie Hazlitt a. a. O. IV. S. 243 und sogar Brown in der
Vorrede zum 1. Bd. seiner Calendars S. LIX. behaupten. Vgl. das Decret
der Pregadi bei Marin a. a. 0. V. S. 304.
*) Als 1319 ein Venetianer Lauredano nach London 10000 U Zucker,
1000 U Candis und 4 £ in Tours geprägter Groschen gebracht und den
Erlös, sowie das Geld zu Boston in Wolle angelegt hatte, wurde er bei
seiner Rückfahrt nach Flandern beraubt und ermordet. (Brown, Cal.1. 11.)
Eduard II. erliess ein Decret zur Sicherheit der flandrischen Flotillen
(Marin a. a. 0. V. S. 313). Am 10. April 1323 wurden die englischen See-
leute von 5 venetianischen Galeeren üherfallen; die Angreifenden sollten
deshalb das Leben verwirkt haben; der König Hess aber Gnade walten
(Brown, Cal. I. 18. 19).
') Damals wurde auch der erste englische Gesandte, von dem man
sichere Kunde hat, am venetianischen Hofe accreditirt. Brown, Cal. I.
Pref. 8. LIII.
7) Brown, Cal I. 25.
— 120 —
und enge politische Bande we^en der grossen Entfernung un-
möglich seien1). Trotzdem blieb der König ihnen gewogen.
Er unterwarf die Venetianer nicht dem strengen Gästerecht2),
gewährte ihnen Schutz gegen die ihnen feindlichen Engländer8),
befreite sie vom Stapelzwang4), und gab ihnen in den politi-
schen Wirren gerne Geleitsbriefe6).
Von dieser Zeit an war der venetianisch-englische Handel
fortwährend im Wachsen6). Der letzte der Plantagenets und
die drei folgenden Heinriche aus dem Hause Lancaster blieben
auf der von den Eduards eingeschlagenen Bahn.
Richard IL gewährte den Venetianern grössere allgemeine
Freiheiten, als sie bisher besessen, gestattete den Passagieren
ihre „kleinen Artikel", nämlich Glas- und irdenes Geschirr,
auf dem Verdeck zollfrei zu verkaufen, ebenso sollten sie über
ein Fass Wein von 10 Gallonen Gehalt frei verfügen dürfen7).
Eine versuchte Beschränkung des Detailverkaufs und Fest-
setzung des Preises der italienischen Weine wurde in aller-
kürzester Zeit wieder beseitigt8), das Gesetz, wonach ein-
geführte Gewürze nicht wieder ausgeführt werden sollten9),
*) 24. Aprü 1370. Brown, Cal. I. 43.
s) Bond, Extracts from the Liberate Rolls etc. Archaeol. XXVIII.
S. 232.
*) Brown, Cal. I. 74.
4) In den Statuten ist ihre Stapelfreiheit allerdings erst im Gesetz
2. Ria II. st. 1 c. 3 (1378) erwähnt; die Wahrscheinlichkeit spricht aber
sehr dafür, dass sie schon unter Eduard III, eximirt waren.
5) Pat Rolls 44 Edw.III.; Brown, Cal. 1.52; Rymer VI. S.11,92,
120. Die ersten 7 Fahrten der venetianischen Flotülen fielen in die Jahre
1317, 1319, 1322, 1325, 1334, 1336. Unterbrochen blieb der Verkehr von
1336—1357, 1359-1372, 1374—1385, 1388-1404. Die letzte Pause war
durch die mohammedanischen Piraten Kordafrikas verursacht, indem diese
die Meerenge von Gibraltar blockirten und von den Venetianern wie Genu-
esen hohe Zölle erpressten. (Heyd a. a. 0. II. S. 711.) Im 15. Jahrhun-
dert wurden die Fahrten sehr regelmässig und fast jedes Jahr unternommen.
Brown, Cal. I. Pref. S. CXXXII.
6) Das zeigt unter Anderm auch das Verhältniss der flandrischen und
englischen Schiffsladung. So wurde 1392 der Packraum eines ganzen
Schiffes und der fünfte Theil von dem der übrigen (4) Schiffe den Waaren
in London reservirt. Ende desselben Jahres ging von 3 Schiffen eines
nach London, und falls es hier nicht volle Ladung fände, so sollte es
das Fehlende durch flandrische Güter ergänzen dürfen. (Brown, Cal. I
106 u. 109). 1394 und 1396 gehen von 4 Galeeren bereits 2 nach London
(Brown, Cal. I. 114. 221); seit 1398 besuchen von 5 Galeeren bald 2,
bald 3 die Insel (Brown, Cal. I. 126). Ja es sollte sogar einmal die Zeit
kommen, wo die venetianische Regierung, wenn auch nur vorübergehend,
wünschte, dass die Flotillen bloss nach Southampton oder Sandwich sich
begeben sollten, da die flandrischen Märkte mehr Schaden als Nutzen
brächten. Sie gewährte jeder Galeere zu diesem Behufe 1300-Ducaten
Prämie. (28. April 1501. Brown, Cal. I. 815.)
7) All diese Privilegien wurden 17. Sept. 1399 auf 10 Jahre gewährt.
Brown, Cal. I. 130.
») 5 Ric. II. st. 1. c. 4. (1381); 6!Ric. II. st. I. c. 7 (1382) und 7 Ria IL
c. 11. (1383.)
*) Rot. Pari. III. S. 308. 1392/93.
— 121 —
kaum lange aufrecht erhalten, wenn überhaupt nur vollzogen.
Heinrich IV. sicherte gleich bei seiner Thronbesteigung den
Venetianern die nämliche Behandlung zu, wie sie die eigenen
Unterthanen erfuhren 2) , bestätigte darauf die Privilegien
Richards IL und erweiterte sie noch2). Er überHess insbesondere
den Schiffsherren und Capitänen die Civilgerichtsbarkeit in
ihren Angelegenheiten und traf auch die Bestimmung, dass
ohne Sicherheitsleistung von Seite eines Dritten einem Matrosen
keine Lebensmittel geborgt werden dürften, damit nicht Lotter-
credit die Abreise verhindern könne 3). Als die venetianischen
Kaufleute, dem Gesetze zuwiderhandelnd, ihr Geld zu einem
höhern Curs als dem legalen in Umlauf bringen wollten , be-
fahl er, ihren Fehltritt milde zu bestrafen4) und bot ihnen
zum Schutz an der englischen Küste seine besten Kriegsschiffe
an, wenn missgünstige Feinde nicht dulden wollten, dass die
venetianischen Galeeren nicht blos nach Plymouth, sondern,
wie der König wünschte , auch nach London kämen 6). 1406
nahm er die Venetianer von der allgemeinen Steuer aus6).
Aus Dankbarkeit für die täglichen Wohlthaten, die der König
den Kaufleuten zu Theil werden Hess, wurde im Auftrag des
venetianischen Senats dem König und der Königin ein kost-
bares Geschenk überreicht7). Die grössten Betrügereien , die
sie sogar dem königlichen Schatze gegenüber unter Zustimmung
der venetianischen Regierung verübten8), vermochten nicht
die ihnen zugewendete königliche Gunst zu entreissen. Immer
wussten sie sich durch Gelddarlehen9) an den König oder
durch Geschenke zu rehabilitiren 10) , die alten Zollprivilegien
*)4. Oct 1399. Brown, CaL I. 131.
2) Rymer VIII. S. 542; vgl. auch Rymer IX. S. 26.
*) 3. Dez. 1400. Brown, Cal. I. 138.
*) Nicolas, Proceedings and Ordinances of the Privy Council I.
S. 120.
«) a. a. 0. S. 121.
*) Rot. Pari. IU. S. 595.
*) Brown, Cal. I. 155.
"J Schon 1402 wurde hauptsächlich mit Rücksicht auf sie geboten,
alle Waaren nur in den grossen Hafenplätzen ein- und auszuschiffen, nicht
aber in den kleinen Buchten (Rot. Pari. III. S. 506); 1406 wurde den Lom-
barden eigens eingeschärft, dass sie nur in den offnen Häfen Wolle ver-
laden möchten, und zu grösserer Sicherheit verlangt, dass fortan jeder
Italiener und Fremde, der das Königreich betreten wolle, einen Geleitsbrief
vom König besitze. (Nicolas, Proceedings etc. I. S. 289.) Als auch das
nicht half, mussten sie sich mit 2000 Mark von ihrer Schuld loskaufen.
Antient Kaiendars and Inventories of the Exchequer II.
S. 77—78. — 20. Nov. 1456 gestattete die venetianische Regierung der
Factorei in London, 20 £ an die Zollbeamten zu verausgaben, damit diese
die Güter bei der Verzollung niedrig taxirten. Brown, Cal. I. 335
■) So 1412, 1415. Nicolas, Proceedings etc. II. S. 32 u. 214.
10) Mit deutlichem Hinweis auf diese Geschenke sagt der Verfasser
des Büchleins von der Englischen Staateklugkeit :
Warum lässt man nicht die Geschenke sein,
Die sichtlich hemmen unsers Volks Gedeihn?
— 122 —
zu erhalten1) und noch neue Freiheiten zu erwerben. So ist grosse
Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, dass ihnen um diese Zeit
das Recht ertheilt wurde, nur für persönliche Schulden haftbar
zu sein2), und vielleicht erfüllte man auch ihre Bitte, dass
man ihnen einen Richter für alle Processe, die Italiener und
Engländer oder Italiener allein betrafen, bestellte, damit sie
nicht zu den Gerichten nach London gehen mussten3).
Aber bereits begann die Reaction, die gegen diese ausser-
ordentliche Begünstigung der verschlagenen Italiener in den
bürgerlichen Kreisen sich erhob, eine bedrohliche Gestalt an-
zunehmen. 1439 brachte das Unterhaus eine Bill ein, durch
welche. den Venetianern verboten werden sollte, Waaren ein-
zuführen, die nicht venetianischen Ursprungs waren. Der
ganze Zwischenhandel der Venetianer nach England stand auf
dem Spiel. Noch aber war der Einfluss der Italiener zu gross,
sie bestachen die Minister, und die Bill wurde abgelehnt4).
Dagegen wagte die Regierung nicht, das Verlangen des Parla-
ments zurückzuweisen, wonach fortan die Lombarden dem
Fremdenrechte unterworfen werden sollten5). Die Londoner
Handwerker und Krämer und mit ihnen die Stapler waren
von tödtlichem Hass gegen die geschäftsgewandten, aber auch
gewissenlotsen Italiener erfüllt6). Leben und Eigenthum der-
selben waren nicht mehr sicher, und am 23. August 1456
vereinbarten die Venetianer, Genuesen, Florentiner und Luccaner,
jeden Handel nach London einzustellen. Sie trafen auch be-
reits Anstalten zur definitiven Uebersiedelung nach Winchester
und Southampton. Das Vorhaben wurde nicht ausgeführt7).
Noch war der Rückhalt bei dem Hofe stark genug, um in
London in gewohnter Weise fortleben zu können. Der Aus-
bruch der Rosenkriege lenkte die Aufmerksamkeit auf andere
Denn Solches sehn wir klärlich alle Tage:
Das Volkswohl schäd'gen Gaben und Gelage.
Nun mögen Narren sein — sie oder wir:
Am schlechtesten fahren wir doch immer hier.
Vers 500 — 505. Hertzberg, üebersetzung des Libell of Engiishe Po-
licye. S. 83.
!) Rot. Pari. IV. S. 249.
*) Brown, Cal. I. 172 u. 197.
a) Dies Verlangen wurde gestellt wahrend ihres Aufenthaltes in Win-
chester 23. Aug. 1457. Brown, Cal. I. 339. Die meisten Streitfalle er-
ledigten die . Venetianer unter sich. 1446 war sogar den venetianischen
Bürgern in London und Brügge verboten worden, an die localen Gerichts-
höfe zu recurriren. Brown, Cal. I. 284.
4) Rot Pari V. S. 31.
*) Gregory, Chronicle ed. Gairdner. S. 182. Vgl. fernerAb6chn.il.
Cap. Hl.
6) Vgl. eine andere Petition der Bürger gegen die Lombarden 1455.
Rot. Pari. V. 334.
7) Gregory, Chronicle S. 199 und Brown, Cal. 331 und 339.
— 123 —
wichtigere Fragen1). Aber Thatsache blieb es, die goldenen
Tage der Venetianer waren vorbei.
Die Politik des Hauses York war der der Lancaster'schen
Könige entgegengesetzt und eine den Fremden ungünstige.
Der verständige Eduard IV. war keineswegs den Venetianern
in Allem zu Willen. Namentlich machte er ihnen viele
Schwierigkeiten hinsichtlich der Wolle 2) und wollte zuletzt gar
nicht mehr gestatten, dass sie solche auf ihren Galeeren nach
Venedig brächten, sondern der italienische Wollexport sollte
nur den Florentinern vorbehalten bleiben3). Ebenso waren
manche Gesetze der Eduard'schen Regierung zum Nachtheil
der Venetianer4). Noch schärfer als Eduard IV. ging der um
die Volksgunst buhlende Richard III. gegen die venetianischen
and sonstigen italienischen Kaufleute vor. Tagtäglich, klagten
die Venetianer. erlasse der König neue Bestimmungen gegen
ihren Handel, so dass man wohl noch gezwungen werde, ganz
und gar den Verkehr mit England einzustellen5). Sieht man
von den althergebrachten massigen Zollnachlässen für Wolle
und Zinn ab, welche auch Richard III. auf zehn Jahre den
Italienern bewilligte6), so hatten allerdings die Venetianer
manche Ursache zur Beschwerde. Der König achtete die Geleits-
briefe nicht 7), liess die den Venetianern bisher gestattete freie
Bewegung beschränken und das mittelalterliche Gästerecht
theilweise gegen sie in Geltung bringen8), verwehrte ihnen
auf Bitten der einheimischen Weber das Auslesen der guten
Wolle beim Einkauf9), erneuerte das Verbot, fertige Seiden-
waaren und gewisse Kurzwaarenartikel einzuführen10) und
zwang sie, für jede Butte Malvasier Wein nicht wie bisher
bloss 4 Bogenstäbe, sondern noch 10 weitere mitzubringen n).
Gleichzeitig erlitt die Achtung, die man den nach dem
Norden gehenden venetianischen Flottillen bisher gezollt, den
1) Am 9. Juli 1461 war wieder ein Schiff der Handelsflottille bestimmt
worden, nach England zu fahren, und die Fahrten gingen längere Zeit un-
unterbrochen fort. Vgl. Brown, Pref. zu Cal I. S. CXXXIL
*) Im Jahre 1472 wollte er die Berechtigung des Wollexports nach
Venedig an einen einzigen Venetianer verkaufen; aber die Signorie wusste
es zu verhindern. Brown, Cal. I 440); welcher grausame Weg hierzu
gewählt wurde, darüber vgl. Brown, Cal I. Pref. S. LXXIII.
s) Brown, Cal. I. 479. 480. Jan. 1482. Die Beziehungen zu Rom
scheinen hiebei nicht ohne Einfluss gewesen zu sein.
4) 4. Edw. IV. c. 1 ; c. 4. u. s. w.
*) 30. April 1485. Brown, Cal. I. 495.
•) Rymer XII. S. 256.
*) 31. März 1484. Brown, Cal I. 487.
*) 1 Ria in. c. 9. 1483 84. Vgl. unten Abschn. IL Cap. III.
*) 1 Ric. III. c. 8. 1483 84.
10) 1 Ric III. c. 10 u. 1 Ric. III. c. 12.
n) Ric. III. c. 1 1. Früher zwang man auch die Kaufleute der Ostsee
4 Bogenstäbe per Tonne einzufuhren. 12 Edw. IV. c. 2. 1472. Das
Richard'sche Gesetz war aber ganz einseitig gegen die Italiener gerichtet.
— 124 —
ersten empfindlichen Stoss. Die Franzosen wagten mit 7 be-
waffneten Schiffen 4 Galeeren anzugreifen, und es gelang
ihnen, alle 4 zu kapern1). So schien in der That dem
venetianisch- englischen Handel eine trübe Zukunft bevorzu-
stehen.
Doch ehe wir in die Weiterentwicklung eintreten, mögen
zur Vervollständigung der Einleitung noch einige Bemerkungen
über die Organisation des venetianisch - englischen Verkehrs
und über die Waaren, auf die gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts der beiderseitige Verkehr gegründet war, eingeschaltet
werden.
III. Gleich von Anfang an ^pheint man von Seite Venedigs
und der übrigen italienischen Republiken die weiten Fahrten,
gleichviel ob sie nach dem Orient oder nach dem europäischen
Westen und Norden gerichtet waren, ebenso sehr zu einer An-
gelegenheit des Staates als der Privaten gemacht zu haben. Es
war damals die Ueberzeugung tiberwiegend einerseits, dass der
einzelne Private den allerwärts drohenden Gefahren nicht trotzen
könne, vielmehr der Staat seinen schützenden Arm den Handels-
unternehmungen leihen müsse, andererseits , dass ohne eine
bestimmte Ordnung, ohne, ich möchte sagen, militärische
Reglements über die Art und Weise, wie der Handel be-
trieben werden sollte, nichts Gedeihliches zu Stande kommen
könne.
Den energischen Einfluss wahrte sich nun die venetianische
Regierung dadurch, dass eine beträchtliche Privatflotte neben
der Staatsflotte nicht geduldet wurde. Die Handelsschiffe
waren der Hauptmasse nach Staatsschifle. Die Kriegs- und
Handelsflotte war ein Ganzes. Ihre Benutzung wurde jährlich
von der Regierung an den Meistbietenden verpachtet2), und
damit war dann dem im Handel lebendigen Privatinteresse
der nöthige Spielraum gewährt. Die Vorschriften und Be-
dingungen, welchen die Pächter sich zu fügen hatten, waren
meist weise und wohl durchdacht8). Die Schiffsmiether mussten
an der Fahrt Theil nehmen; natürlich fiel ihnen das ganze
Frachtgeld bei der Hin- und Rückreise zu, sie mussten aber
davon den vom Staat ernannten Capitän4) und das Schiffs-
*) 1485. Bergenroth, Call. 2. Fortan wiederholten sich Angriffe
fegen die venetianischen Schiffe sehr oft. Vergl. auch Brown, Cal. I.
99. 739. 503. 658. 813.
2) 1347 betrug der mittlere Preis dreier Galeeren ungefähr 67 Lire
grosse per Stück. Brown, Cal I. Pref. S. LXII. Ein Versteigerungsdocu-
ment vom Jahre 1332 ist abgedruckt bei Romanin IV. S. 375—376 und
auch bei Hazlitt IV. S. 431.
8) Vgl. die den Capitänen ertheiiten Commissionen, namentlich die
erste ausfuhrliche von 14ö5 und dann die äusserst umfassende vom 12. Fe-
bruar 1517. Brown, Cal IL 841.
4) 1516 betrug die Besoldung des Kapitäns Andr. Priuli 600 Gold-
ducaten für eine Reise. Brown, Cal. IL 841.
— 125 -
volk l) zahlen, ausserdem auch einen Arzt, eine gewisse Anzahl
Soldaten und Beamten und endlich 4 junge Edelleute, welche
die Welt sehen sollten, mitnehmen und unterhalten. Nach
Beendigung der Reise hatten sie auch ein Darlehen von
400 Ducaten zur Ausbesserung der Galeeren zu geben. Im
Uebrigen war alles bis ins Einzelnste geordnet. Die Richtung
der Fahrt, die Dauer des Aufenthalts, die Landungsorte, die
Frachtgrösse 2) waren vorgeschrieben3).
Eine Concurrenz von Seite der Privatschiffe wurde so gut
wie unmöglich gemacht, selbst dem Landhandel der Wett-
bewerb verwehrt. Schon im Jahre 1331 hatte man, „damit
die Galeeren für die flandrisch- englische Fahrt volle Ladung
erhielten und in Betreff der Wolle durch die zu Lande im-
importirte keinen Verlust erlitten", bestimmt, dass für die
während der Fahrt bis zur Ankunft der Flottille eingeführte
Wolle 25% Zoll statt 3% gezahlt werden sollte4). Als man im
15. Jahrhundert auch Tücher, namentlich englische, zum
Färben einführte, wurden auch diese den Galeeren re-
servirt. Diejenigen, die solche zu Lande importirten , mussten
eine hohe Abgabe an die Galeeren zahlen (30 Ducaten für
n1000 weight Troytt), und es sollte ihnen nicht erlaubt sein,
mit den Schiffsherren eine geringere Summe zu vereinbaren 6).
Privatschiffe, die nach Flandern und London gehen wollten,
durften erst Waaren an Bord nehmen nach Verfluss von
2 Monaten, von der Abreise der Galeeren an gerechnet6).
Als man 1413 eine Ausnahme bei einem halbgeladcnen Schüfe
machte, gestattete man ihm doch nicht, Gewürze mitzu-
nehmen 7).
Selbstverständlich wurden aber auch die Pächter der
Staatsschiffe gehalten, die Interessen der venetianischen Kauf-
leute wahrzunehmen und bei der Befrachtung sie vor den
Fremden zu berücksichtigen. So durften während der ersten
35 Tage in Flandern und London gar keine Güter, welche
Fremden gehörten, angenommen werden8); in Venedig selbst
*) Eine venetianische Galeere hatte 180 Ruderer; es wurden dazu
meist Sclaven der venetianischen Besitzungen verwendet Dieselben hatten
in der Nähe von Southampton eine Brüderschaft Brown, Cal I. Pref.
S. LXIV.
*) 1485 sollte z. B. jede Galeere 120000 „weight light goodsa und
nicht mehr als 80000 „weight of copper and tinu verladen. Brown, Cal.
1 492. Beispiele dafür, wie die venetianische Regierung rasch eingriff,
wenn bei den Galeeren ein Missstand sich zeigte, sind sehr zahlreich; vgl.
z B. Brown, Cal I. 156. 209. 312.
*) Vgl. die Commissionen der Capitäne a. a. O.
*) Brown, Cal I. 21 und 23.
B) Brown, Cal. I. 253; 264. (18. Febr. 1438).
e) Brown, Cal. I. 158. (11. Juni 1407) und I. 158. (3. Febr. 1408.)
') Brown, Cal. 1. 193.
*) Brown, CaL I. 221. 15. Jan. 1398.
— 126 —
hatten Gewürze und Baumwolle der Venetianer den Vorzug
vor andersartigen Gütern der Fremden 1). Ob in späterer Zeit
bei den Fahrten nach England jede Handelsgemeinschaft mit
den Fremden verboten wurde, ähnlich wie es bei denen nach
dem Orient 1524 und 1526 geschah2), wissen wir nicht.
Dass das ganze System zugleich eine bequeme Handhabe
für die städtische Schutzpolitik bot, liegt auf der Hand. Ich
erinnere nur daran, dass z. B. am 6. März 1456 den Galeeren
verboten ward, gewisse englische Tuche, sowie Wolle, „blacktnr
und Krapp in Hafenplätze, die zwischen Flandern und Venedig
lagen, zu bringen, um Venedig den alleinigen Vortheil der
Rohproducte zu sichern3). Die Erhebung Venedigs zum
Stapelplatz für die hauptsächlichsten Waaren des westlichen
Europas wäre ohne die Galeeren kaum möglich gewesen:
denn kein venetianischer Kaufmann würde die englischen und
französischen Tücher, die Serges, den Bernstein, die Pelze
und das Zinn erst nach Venedig und von da etwa nach Corfu
gebracht haben, wenn nicht das System eine strenge Controle
möglich gemacht hätte.
Sicher ist, dass das kleine Venedig auf diese Weise er-
folgreich alle Concurrenten im Mittelmeer niederschlug und
von einem armen Schifferorte, das mit dem einzigen Producte
seines Bodens, dem Salze, seine Laufbahn begonnen, zum Sam-
melplatz und Handelsemporium im mittelländischen Meere sich
emporschwang4).
*) Brown, Cal. I. 265. 16. Mai 1441.
2) Brewer, Cal. IV. 263; Br. M. Cotton Msc. Nero B. VIL fo. 42.
") Brown, Cal. I. 348. Ueber den Stapelzwang siehe auch Marin,
Storia civile e politica del commercio de Veneziani VII. (Venedig löOÜ«
S. 335.
*) Der Doge Moncenigo sagte 1423 : „Ihr (Venetianer) seid die Einzigen,
denen Land und Meer offen stehen. Ihr seid der Canal, durch den alle
Reichthümer gehen. Ihr versorgt die ganze Welt; überall hat man Inter-
esse an unserer Wohlfahrt, alles Gold auf der Welt fliesst hier zusammen."
Üeber die Bedeutung Venedigs gegenüber den übrigen italienischen Städten
äusserte sich derselbe Doge: „Wöchentlich erhalten wir aus Mailand
17—18000 Ducaten; aus Monza 1000; aus Como 3000; aus Alessandria
1000: aus Tortona und Novara 2000; aus Pavia ebensoviel; aus Cremona
und Parma ebensoviel; aus Bergamo 1500. Die Banquiers stimmen alle
darin überein, dass das mailändische Gebiet jährlich 1600000 Ducaten uns
baar herauszuzahlen habe. Tortosa und Novara kaufen jährlich 6000 Stück
Tuch, Pavia 3000, Cremona 40000, Como 12000, Monza 6000, Brescia 5000.
Bergamo 10000, Parma 4000 — im Ganzen 90000 Stück. Diese Städte
senden uns ausserdem 1558000 Zechinen an feinem Golde. Wir treiben
mit der Lombardei einen Handel im Werthe von 28000000 Ducaten. Die
Lombarden kaufen von uns jährlich 50000 Ztr. Baumwolle, 2000O Ztr.
Garn, 40000 Ztr. catalonische Wolle und ebensoviel französische Wolle.
Gold- und Seidenstoffe für 250000 Ducaten, 3000 Lasten Pfeffer, 400 Bunde
Zimmet, 2000 Ztr. Ingwer, für 95000 Ducaten Zucker, 30000 Ducaten
Näh- und Strickwaaren ; für 40000 Ztr. Farbholz und für 50000 Ducaten
andere Farbwaaren; für 250000 Ducaten Seife und 30000 Ducaten Sclaven.
— 127 —
Was die Waaren anlangt, auf die sich der Verkehr Vene-
digs mit England gründete, so waren sie ebenso zahlreich, als
werthvoll. Da Venedig bis zur Entdeckung des Seewegs nach
Ostindien den Handel der orientalischen Producte hauptsäch-
lich in Händen hatte, selbst eine grosse industrielle Thätigkeit
entfaltete x) und auch den Verschleiss der übrigen italienischen
Manufacte beherrschte, war es im Stande, den Engländern
eine grosse Summe von Bedürfnissen zu befriedigen und bei
ihnen auch neue zu erwecken, gleichzeitig war es fähig, die
englischen Exportartikel, theils für seine Industrie, theils zum
Verschleiss im Orient in fast unbegrenzter Zahl anzunehmen2).
Die von Venedig nach England nachweislich gebrachten
Waaren bestanden einmal aus Artikeln venetianischer Industrie,
dahin gehörten Seidentuch, Baldachine aus Gold und Seide,
schwarzer Damast und Atlas, doppelt gedrehter Zendeltaffet,
Töpferzeug und alle Arten von Glaswaaren ;i), Bücher, sowohl
geschriebene als gedruckte, gemalte Werke und Karten; sodann
aus Producten der Mittelmeerländer, hieher sind zu rechnen
Bogenholz4), unbearbeitete Baumwolle, auch Malteser Baum-
wolle genannt, gesponnene Baumwolle, feine gefärbte Kamelots,
unverarbeitete Seide und verschieden gefärbtes Seidengarn,
grobe sicilische Korallenknöpfe und Rosenkränze, apulische
Dabei ist die Salzausfuhr noch gar nicht in Rechnung aufgemacht. Be-
denket wie viele Fahrzeuge der Transport dieser Waaren in Thätigkeit
setzt, theils am sie nach der Lombardei zu schaffen, theils um sie aus
Syrien, Romanien, Catalonien, Flandern, Cypern, Sicilien. überhaupt aus
allen Theilen der Welt zu holen. Venedig gewinnt 21/* bis 3% an der
Fracht. Und wie viele Menschen leben nicht von diesem Verkehr: Mäkler,
Handwerker, Seeleute, Tausende von Familien und endlich die Kaufleute,
deren Gewinn nicht weniger als 600000 Ducaten beträgt. Verona nimmt
jahrlich 200 Stücke Gold-, Silber- und Seidenstoffe; Vincenza 120; Padua
200; Treviso 120; Friaul 50; Feltre und Belluno 12: und ausserdem be-
ziehen sie 400 Last Pfeffer, 120 Bunde Zimmet, 1000 Ztr. Ingwer, 1000 Ztr.
Zucker und 200 Scheiben Wachs jährlich. Florenz sendet uns Waaren
zum Werthe von 16000 Zechinen und 350000 Zechinen in Gold, wofür es
spanische und französische Wolle, Getreide, Seidenwaaren, Gold- und Sil-
berdraht, Wachs, Zucker und Biiouterieen erhält. Ueberhaupt setzt der
Handel von Venedig jährlich 10000000 Zechinen in Umlauf. Romanin
IV. S. 94 fe.
') Vgl. Ungewitter, Geschichte des Handels, der Industrie und
Schiffahrt. S. 157.
*) Die folgenden Angaben gründen sich auf die fleissige Zusammen-
stellung R. Browns in der Pref. seines Cal. 1. (Ital. Ausgabe L'Archivio
di Venezia S. 280V, er benutzte sowohl archivalische Quellen, wie den
Prezzo corrente, als gedruckte, wie das bekannte Büchlein : Tarina de pexi
e mesure del prestantissimo miser Bartholomeo di Paxi 1503 und ein
ähnliches vonDino, betitelt: El libro di tutti i chostumi : cambi : monete :
pesi : misure : et usanze di lectere di cambi : et termini di decte lectere che
oe' paesi ai costoma et in diverse terre Firenze 1481.
3) Murano war der Sitz dieser Fabrikation.
4) Vgl. Brown, Cal. II. 71, 78, 102, 522, 524.
— 128 —
Lammfelle; ferner Wein aus Candia und Tyrus, sowie Süd-
früchte als getrocknete sicilische Pflaumen , eingemachte
Mirabellen, Knorpelkirschen, Johannisbeeren, Datteln und
Saffran1), endlich alle Arten sicilischen Zuckers *) (raffi-
nirter Zucker, brauner Zucker, Melasse und feines Confect),
• sicilischer Salpeter, chios'sches Terpentin und Mastix; weiter
führten sie ein die fast unendliche Zahl der kostbaren süd-
asiatischen Droguen und Gewürze, die aus Persien, Ostindien,
Malakka, Borneo, Aegypten, Ceylon, Malabar und Syrien
stammten und zu Damascus, Aleppo, Alexandria und Constan-
tinopel gekauft worden waren. Ich nenne hier Wermuth,
Seraphharz, Borax, Rhabarber, Auripigment und Operment;
Kassiarohr (Mutterzimmt), Rothholz, Galgant, Narde, Mutter-
harz, Diachenharz, Belzounharz, Elichoysum, Bitterrohr (Ca-
lamus verus amarus); Muskatnuss; Kampher; Ammoniaksalz;
Zimmt, gereinigten Wender; Ingwer; raffinirtes Scammonium-
harz, Manna, Storax; endlich Pfeffer, Nelken, rothes Sandel-
holz, Opponaxharz, Aloe, grauen Ambra, Bisam3).
Die von den Venetianern aus England exportirten Waaren
bestanden der Hauptmasse nach aus Wolle, die zum Unter-
schied von der orientalischen fränkische genannt zu werden
pflegte4); ferner aus Stangenzinn und Blei, gegerbten Ochsen-
und Kalbsfellen 5), zugerichteten Pelzen, endlich aus der grossen
Masse englischer Tucharten 6).
r) Der Saffran stammte aus Aquila, Sulmona, Romagna, Toscana,
Cremona, Lombardei, Apulien und Bari; sein Gebrauch in Europa begann
1288; man fing an, in England ihn zu pflanzen seit 1582.
*) Seit der Entdeckung von Madeira 1450 sank der Zucker von
Cypern, Alexandrien, Syrien, Damiette, Sicilien, Valencia und andern Theilen
des mittelländischen Meeres sehr im Preise. Seit 1486 kamen jährlich
5—6 Schiffe mit je 200—500 Fass von Zucker aus Madeira. Bis 1503
scheinen aber in England die sicilischen Zuckerarten denen der Levante
und von Madeira vorgezogen worden zu sein. (Brown, Cal. I. Pief.
S. CXXXVI. fg.
*) Vgl. auch die werthvollen Forschungen über die Gegenstände des
Austausches zwischen Morgenland und Abendland bei Heyd, Geschichte
des Levantehandels im Mittelalter IL S. 543 fg.
*) Früher ging ein grosser Theil der englischen Wolle von den Nie-
derlanden aus nach Italien. Seit die Italiener aber selbst nach England
und Calais fuhren, nahm dieser Betrag immer mehr ab. 20. Nov. 1434 bis
22. Dez. 1435 wurden 1651/*; 1436: 84: 1437: 158; 1438: 11; 1. Oct 1483
bis 1. Oct 1485: 2471/,; 1. Oct. 1491 bis 1. Oct. 1495: 341; 1. Oct. 1495
bis 1. Oct. 1497: 7207*; 1. Oct. 1503 bis 24. Dez. 1507: 252 „pokenu,
von denen 2— 21/* einen Sack ausmachten, über Brabant „zu Wasser und
zu Land" nach der Lombardei gebracht. (Brüsseler Staatsarchiv. Chambre
desComptes No. 23249); vgl. auch Hernie, Histoire du regne de Charles
Quint. Bd. 5. S. 272. No. 2.
*) Ueber die hohe Wertschätzung englischen Leders 1545 in Venedig
vgl. Brown, Cal. V 358.
6) Die verschiedenen englischen Tuchsorten, die nach Venedig gingen,
sind erwähnt bei Brown, Cal. I. S. CXL fg. Dieselben waren meist zum
Verschleis8 im Orient bestimmt. Seit 1444 und noch früher suchte man
Venedig zum Stapelplatz dieser Tücher zu machen; die venetianischen
— 129 —
Die Gesammtgrösse des venetianischen Imports und Ex-
ports nach und von England ist unbekannt. Hinsichtlich des
Malvasierweins, der Wolle und des Zinns geben unsere Zoll-
register einigen Anhalt, auf die ich verweise. Für die Zeit
Heinrichs VIII. darf als wahrscheinlich gelten, dass der vene-
tianische Export den venetianischen Import überwog1). Im
Uebrigen mag die Bedeutung des venetianischen Handels für
England genugsam daraus erhellen, dass das Frachtgeld der
venetianischen Galeeren für die von England nach Venedig
1505 gebrachten Waaren allein 17 000 Ducaten betrug2), und
dass Southampton, seitdem die venetianischen Staatsflotillen
ausblieben und statt ihrer die vereinzelten Kaufleute nach
England und meist nach London kamen , vollständig verarmte
und Hilfe beim Parlament suchen musste3).
Mögeu die Italiener auch in Folge ihrer grösseren Ge-
wandtheit und mit ihrem weiten Gewissen die grösseren Ge-
winner gewesen sein, mögen in Folge der starken italienischen
Concurrenz die englischen Gewerbsleute auch noch so viel ge-
jammert haben, alles zusammengenommen war der venetianische
Handel für das England des 15. Jahrhunderts in cultureller
und materieller Beziehung ein grosser Segen. Ich halte die
Beurtheilung des venetianischen Handels durch den Verfasser
des Büchleins der englischen Staatsklugheit zum grössern
Theil für einseitig und für einen Ausfluss der ihn umgebenden
damals sehr erregten Londoner Stimmung und der im Mittel-
alter herrschenden engherzigen Anschauung vom Luxus *).
Schiffe, die Tücher dieser Art nach Venedig brachten, durften dieselben
exportiren, ohne den Zoll von 1% zahlen zu müssen. Brown, Cal. L 271.
In einem venetianischen Senatsbeschluss worden die englischen Kersies
geradezu „die Grundlage des Welthandels" genannt Brown, Cal. IV. 1050.
8. Juli 1,514.
*) Vgl. Brown, Cal. II. 1042 und unten die Verhandlungen im Jahre
1518 und 1580.
*) Giustinian, Four years at the court of Henry the Eighth. Dis-
patches transl. by R. Brown II. S. 46.
») 22 Hen. vni. c.20, ferner Urk. Beil. 176 und 176a. Vgl. unsere
Zollregister, welche den Verfall des Southamptoner Hafens und die Jahre,
in denen die Flotillen kamen, deutlich markiren Uebrigens war auch die
Schiffiahrtsacte schädlich für Southampton. Seit deren Erläse konnten die
Genuesen keinen Waid mehr nach Southampton bringen; die englischen
Kaufleute aber stapelten den ihrigen in London.
4) Die Stelle heisst:
Die von Venedig und Florenz verkehren
Mit uns auf den gewaltigen Galeren.
Sie bringen Luxuswaaren, Specerein,
Gewürze aller Art und süssen Wein,
Meerkatzen, Fratzen, Tand für Laffen, Affen
Und Kinkerlitzchen, die nicht Nutzen schaffen,
Dinge womit die Augen sie verblenden
Und die nicht werth sind Geld daran zu wenden.
Schani, Engl. Handelspolitik. I. 9
— 130 -
Heinrich VIL (1485-1509.)
In der vorangeschickten Einleitung bemerkten wir, wie
eine Wendung in der englisch -venetianischen Handelspolitik
unter dem Hause York eintrat, die sehr verhängnissvoll für
die venetianischen Kaufleute zu werden schien. Die einheimi-
schen Wünsche und Stimmen waren zu Wort gelangt
Wohl mochten die Venetianer gejubelt haben, als
Richard III. vom Thron gestürzt ward, wohl mochten sie hoffen,
dass der neue Thronbesitzer auch die Gesetze des Usurpators
für null und nichtig erklären würde; aber es zeigte sich bald,
wie sehr man sich da getauscht; man wurde in Kurzem gewahr,
dass auch Heinrich VH. ein Bürgerkönig war und sein wollte.
Allerdings konnten die Venetianer Heinrich VII. zu einigen Con-
cessionen bewegen, er Hess das Richard'sche Wollstatut auf-
heben und die Suspension der in der rigorosen Acte 1 Rieh. III.
c. 9 enthaltenen Strafen aussprechen x) ; allein schon die letzte
Gabe war von sehr zweifelhaftem Werth; die materiellen Be-
Das meiste von dem Zeug geht bald dahin,
Ist sehr entbehrlich und bringt nie Gewinn.
An Mitteln aber gegen Körperschwächen
Wird's auch datier in England nicht gebrechen.
Es thut nicht noth, noch Fremdes zu erkunden;
Rath und Erfahrung haben schon gefunden,
Wie man recht abführt alle bösen Säfte.
Dazu genügen unsrer Heilkunst Kräfte.
Und wir bedürfen nicht Scammonium,
Turbit, Euphorbium, Agrimonium,
Rhabarber, Senna; nützlich ist das Alles,
Doch kenn' ich Kräuter hier, die jeden Falles
Gleich nützlich sind und die bei uns gedeihn;
Mag Keiner mir deswegen böse sein.
Man braucht nicht, um Krankheiten zu vertreiben,
Sich über's Meer her Kräuter zu verschreiben.
Nehmt Eins ihr aus, so dürfte dies allein
(Verlasst euch auf mein Wort) der Zucker sein.
So führt dies Volk für Leckerei'n und Tand
Uns unsre besten Waaren aus dem Land,
Die wir am schwersten missen, wie vorhin
Ich auch schon sagte: Wolle, Tuch und Zinn.
Denn jedes andre Land wird von den drei'n
Etwas zu kaufen stets benöthigt sein.
Hertzbergs Uebersetzung S. 78 fg.
Vers 844—379. Aus den folgenden Versen geht hervor, dass der Verfasser
hauptsächlich die Geldgeschäfte der Venetianer und Florentiner verab-
scheut, und dass er das Fremdenrecht gegen sie angewendet wissen will.
Ferner ist ersichtlich, dass er eine Einschränkung der Italiener auch mit
Bezug auf die einheimische Schiffahrt wünscht
') 1 Hen. VII. c 10. 1585. Aus den Rot Pari. VI. S.289 geht her-
vor, dass die Venetianer die vollständige Zurücknahme der Acte gar nicht
zu verlangen wagten.
— 131 -
Stimmungen der erwähnten Acte wurden keineswegs ausser
Kraft gesetzt, die Venetianer machten sich bei jeder Zuwider-
handlung eines Rechtsbruchs schuldig, und es blieb ausdrück-
lich dem Könige vorbehalten, die genannten Strafen verhängen
zu lassen oder nicht. Sie waren ganz der Willkür Heinrichs VII.
überliefert. Noch mehr aber, trat zu Tage, dass der Tudor
ihnen nicht zu Willen sein wolle, als er durch Gesetz den
grossen Gewinnen der in England ansässigen Italiener vor-
beugte und alle Fremden, die das englische Bürgerrecht
hatten, zwang, die Zölle der Fremden zu zahlen1), ferner
durch eine Schifffahrtsacte den Venetianern unmöglich machte,
auf dem Hinwege Waid und französische Weine für England
mitzunehmen, und endlich den Import der verarbeiteten Seide
und den Export der Wolle erschwerte *).
Als die Signorie die feste Ueberzeugung gewonnen, dass
der neue Herrscher die venetianischen Interessen nur so weit
wahrnehmen werde, als sie seinem Lande selbst erspriesslich
zu sein schienen, zögerte sie nicht länger, aus der passiven
Politik herauszutreten. Noch stand Venedig im Glänze seiner
Macht, und leicht bot sich ihm ein Punct, an dem es eine
kräftige und ihm selbst erwünschte Repressalie ausüben zu
können hoffte, das war die englische Schifffahrt im Mittelmeer.
Der erste grosse handelspolitische Streit zwischen England und
Venedig stand bevor.
Den Anlass bot der sogenannte Malvasierwein. Die Vene-
tianer waren seit 1208 im Besitz der Insel Malvasia (Monem-
basia) und damit auch* des darauf wachsenden Weins. Der
Name wurde aber mehr und mehr verallgemeinert und auch
für das Gewächs von Cyprus, Morea, Spanien und der den
Venetianern ebenfalls gehörenden Insel Candia gebraucht3).
Die Beliebtheit des Malvasiers in England im 15. Jahrhundert
war für den venetianischen Handel von wesentlicher Bedeu-
tung; denn er bot zu den leichten Gewürzen und Manufacten
die nöthige Belastung der Schiffe. Von diesem Gesichtspunkt
aus wurde auch der Weinhandel von den Venetianern nach
England betrieben. Sie Hessen es an Zufuhr nicht fehlen, der
von ihnen gestellte Preis war gering (50 sh. — 53 sh. 4d per
Butte = Vi Tonne), sie massen reichlich zu (132—140 Gallonen
und nur selten 126 auf eine Butte) und nahmen sogar */3 des
Preises in Tuch anstatt in Münze4).
Das änderte sich gegen Ende .der 70 er Jahre. Die Nach-
frage nach Malvasier wurde immer allgemeiner, die Rücksichts-
losigkeit der Engländer aber immer grösser. Diese boten fort-
') 1 Hen. Vn. c. 2.
*) 1 Hen. VII. c 8, 9, 10.
*) Vgl. die Parlamentsacte 23 Hen. VIH. c. 7.
4) Nach dem Preamble der Acte 1 Eich. in. c. 18. 1483/84.
— 132 —
während schlechteres und betrügerisches Tuch l) an, die Vene-
tianer aber entschädigten sich durch Herabsetzung des
Masses2), dann durch Beschränkung der Einfuhr und dadurch
bewirkte Hochhaltung des Preises, und zuletzt verweigerten
sie auch die Annahme des Tuchs *).
Die Engländer aber setzten bei Richard III. eine die
Venetianer schmähende Acte durch, der zufolge die Butte ein
für allemal 126 Gallonen enthalten sollte4). Der künstlich
hinaufgetriebene Weinpreis veranlasste die englischen Kauf-
leute und Schifffahrer, selbst in grosser Zahl nach Candia zu
kommen, und sie waren im Stande, die Venetianer zu unter-
bieten. Der entgehende Gewinn, die ihnen zugefügte Schmach
und die ganze Summe fortwährender Bedrückungen und Be-
schränkungen ihres bisherigen Handels drängten die Signorie
zum Eingreifen.
Am 18. November 1488 wurde im venetianischen Senat
folgender Beschluss gefasst: „Man muss dafür sorgen, dass
alle fremden Schiffe und Barken, welche jedes Jahr nach Candia
kommen, um Malvasier für den Westen zu laden, zum grossen
Nachtheil der venetianischen Schiffe, nicht länger handeln,
sondern jenen venetianischen Schiffen, welche die flandrische
Expedition unternehmen, den Platz räumen; und da die ge-
nannten Schiffe niedriges Frachtgeld nehmen, d. h. nur vier
Ducaten per Butte, während die venetianischen Schiffe nicht
unter sieben Ducaten laden können, so wird beschlossen, dass
diejenigen, welche Weine in Candia einnehmen, um sie an Bord
fremder Schiffe nach dem Westen zu bringen, vom 1. Man
1489 an einen Zuschlagszoll von vier Ducaten per Butte zahlen
sollen; diese Abgabe muss zur Befestigung Candias verwendet
werden" 6). Gleichzeitig suchte man den Weintransport gross-
artiger zu organisiren. Die bisherigen Schiffe wurden für den
Weintransport zu klein erachtet, da keines 1000 Tonnen fasste.
') Venedig war deshalb sehr darauf bedacht, dass englische and
venetianische Tücher geschieden blieben. Als man englisches ungeschorenes
Tuch einführte und erst in Venedig appretirte derart, dass es wie rene-
tianisches Tuch aussah, wurde die Einfuhr solchen Tuchs ganz und gar
verboten, damit der Ruf des venetianischen Tuches nicht leide. 17. Dez.
1444. Brown, CaL I. 271. Allein damit wurde das Uebel nicht beseitigt.
Die Engländer waren geschickt genug, die italienischen Tücher tauschend
nachzumachen, namentlich die sog. panni garbi und florentinische Muster
(1457. Brown, Cal. I. 346), und damit {ring das Betrügen erst recht an.
Vgl. auch Giustinian, Four years at the court of Henry the Eighth.
Dispatches transl. by Brown, London 1854. IL S. 46. Note 2; ferner
Abschnitt II, Cap. 8 unserer Darstellung.
*) Wenn man den Anschuldigungen der Weinschenker glauben darf,
so setzten die Venetianer dass Mass der Butte auf 108 Gallonen herab.
3) Nicht ohne Einfluss war wohl hiebei die Rücksicht auf das den
venet. Tuchhandel hemmende Gesetz 4. Edw. IV. c. 1.
*) 1 Rieh. in. c. 13.
6) Brown, Cal. I. 544.
— 188 —
Man setzte eine Prämie für die Erbauer grösserer Schiffe aus
und zwar für 1000 Tonnen Gehalt 3000 Ducaten *•). Endlich
um den Kaufleuten die Concurrenz mit den Engländern noch
mehr zu erleichtern, sollte fortan das Salzamt für jeden Bushel
Ivjza'schen Salzes statt eines Ducaten vier geben. Da Iviza
auf dem Rückweg von England berührt wurde, so galt die
Prämie hauptsächlich den nach England handelnden Vene-
tianern. So glaubte man „der Vorväter würdig dem Ruin der
venetianischen Schifffahrt vorgebeugt zu haben" ').
Die Massregel wurde englischerseits bitter empfunden. Es
war altenglische Tradition, die Schifffahrt ins Mittelmeer zu be-
fördern. In der angelsächsischen Zeit wurde demjenigen das
Thanenrecht verliehen, der drei Fahrten dahin unternahm 3). Es
fehlte auch in keinem der folgenden Jahrhundeile an einzelnen
kühnen Kaufleuten, welche den Handel mit Italien betrieben.
Im 13. Jahrhundert liess sich ein Theil der Thorne ganz in
Italien unter dem Namen Spina nieder und wurde sehr von
den Päpsten begüns^t4). Die englische Handelscolonie in
Accon während der Kreuzzüge wurde oben erwähnt5). Ebenso
machten wir bereits auf die kräftigen Versuche aufmerksam,
welche die englischen Kauffahrer seit dem Beginn des 15. Jahr-
hunderts entwickelten6). Eduard IV. selbst betheiligte sich
mit Kapital an diesem Handel seiner Unterthanen nach Italien
und erwarb sich dadurch Vermögen7). Diese lang fortgesetz-
ten Versuche hatten auch Erfolg. Der englische Handel nach
dem Mittelmeer hatte zur Zeit Richards HI. einen solchen
Umfang angenommen, dass die Bestellung eines Consuls wün-
schenswert!] erschien. Ein solcher wurde auch 1485 in der
Person des Florentiners L. Strozzi mit dem Wohnsitze in Pisa
ernannt8). In dieser Weise war den englischen Kaufleuten
ein Vereinigungs- und Stützpunkt gegeben. Schon knüpften
') In Folge der Prämien wurde diese Bauart später übertrieben.
Brown, Cal. LH. »0.
*) Brown, Cal. I. 545.
s) Thorpe, Ancient laws and institutions of England. 1840. 8. 81;
Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen S. 389, 481. In der betreffenden
Stelle ist blos vom Passiren des „mare magnumu die Rede, aber man pflegt
dies in obigem Sinn zu deuten.
*) Bourne, English Mercbants I. S. 158.
«) S. 118.
«) 8. 116 und S. 122.
') Macpherson I. S. 196.
") Rymer XII. S. 271. Es spricht die Wahrscheinlichkeit dafür,
dass Strozzi der erste englische Consul in den Mittelmeergebieten war.
Völlige Sicherheit hiefür gewährt jedoch auch die Verleihungsurkunde nicht
Der etwas täuschende Eingang : Quia nonnulli mercatores et alii subdrti
btyus regni nostri Angliae habent intentionem Deo volonte partes exteras
maxime ipsas Italiae cum suis propriis seu conductis navibus bonis et
mercibus frequentare etc. war eine stehende Formel und ist auch den spä-
teren VerleihungBurkunden gemeinsam; siehe die Ernennung von Spene 1486
und die von Ben. u. Lor. Somucci 1494. Rymer XII. 8. 271, 553.
— 134 —
sich die schönsten Hoffnungen an die zahlreichen Wagnisse
der englischen Geschäftsleute, als plötzlich die venetianischen
Beschlüsse durch Entziehung der Schiffsbelastung den Erfolg
in Frage stellten.
Aber noch brauchte man nicht ganz zu verzagen. Ein
kräftiger Monarch sass auf dem Thron, der fest entschlossen
war, fremde Kaufleute gegen Gewalt zu schützen, wenn es
sich nöthig erwies, aber niemals zustimmte, wenn man den
englischen Handel einschränken wollte. Heinrich VH. liebte
es nicht, in solchen Fällen Gewalt zu gebrauchen, suchte viel-
mehr auf irgend eine Weise einen indirecten Druck zu üben.
Als Vorbote seiner feindlichen Gesinnung erschien das Gesetz
gegen das betrügerische Verpacken und Wiegen des Goldfadens
von Seite der Italiener 1). Dann aber erwog er den Plan, dem
Weinmonopol der Venetianer ein Monopol anderer Art, ein
Wollmonopol entgegen zu stellen. Naturgemäss richtete sich
der Blick hiebei auf Florenz. Keine !*todt schien geeigneter
für die englischen Absichten. *
Florenz war für den englischen Handel nach den Mittel-
meerländern vorzüglich gelegen und im Besitz des Hafens von
Pisa, zu dem England seit Errichtung des Consulatß die freund-
lichsten Beziehungen unterhielt War ja sogar schon früher
einmal von Pisa die Errichtung eines Wollstapels in Anregung
gebracht worden. Dazu kam , dass es Florenz gelungen war,
nicht nur in Constantinopel die Venetianer ziemlich bei Seite
zu schieben, sondern auch die seit einigen Decennien be-
gonnenen Handelsbeziehungen zu Aegvpten fester zu begründen.
Es konnte also England in Bezug auf die Producte des Orients
vollständig befriedigen und gleichzeitig die englischen Waaren
im Orient verschleissen *). Das Wichtigste aber war, dass
Florenz eine liberale Schifffahrtspolitik inaugurirt hatte. Als
es eine Seemacht geworden, hatte es zwar anfangs die heimische
Flotte in ganz ähnlicher Weise, wie Venedig und Genua be-
günstigt und die Rhederei wie Frachtschififahrt von Staats-
wegen förmlich monopolisirt 8). Die hiebei gemachten Er-
fahrungen waren aber ungünstig. 1465 hob man die Navi-
gationsacte auf und stellte die fremde Flagge der einheimi-
schen gleich4), 1480 wurde vom Staat sogar der Schiffbau
freigegeben und auf die Aussendung der Staatsgaleeren ver-
zichtet5). Zum nicht geringsten Theil hatte gerade die Woll-
■) 4 Hen. VII. c. 22; vgl. ferner 4 Hen. VII. c. 10, 11.
*) Vgl. über die Beziehungen von Florenz zur Türkei und Aegypten,
Heyd, Levantehandel IL S. 336 &., S. 477 fg. und 485 fe.
^Pöhlmann, Die Wirtschaftspolitik der Florentiner Renaissance
und das Princip der Verkehrsfreiheit. 1878. (Preisschriften der Fürstlich
Jablonow&ki'schen Gesellschaft. Nr. 21.) S. 123 fg.
*) a. a. 0. S. 129 u. 151.
5) a. a. 0. S. 130.
— 135 —
beschaffung zu diesem Schritt gedrängt. Die letztere soviel
wie möglich zu erleichtern, war mit Bücksicht auf die hoch-
entwickelte Tuchindustrie und auf das neuerungssttchtige Pro-
letariat dringend geboten. Die florentinischen wie englischen
Interessen trafen bei diesem Projecte zusammen. Jedenfalls
durfte Heinrich VII. nirgends grösseres Entgegenkommen er-
warten als hier. Konnte der Plan ausgeführt werden, so war
der venetianische Handel nach England geknickt, der der
Engländer ins Mittelmeer dagegen fest begründet.
Der Schrecken der Venetianer beim Lautbarwerden der
englischen Pläne war kein geringer, wie ein Brief der Signorie
an den venetianischen Gonsul in London ersehen lässt. Ihre
Direktive lautete dahin, dass er auch das Aeusserste nicht
scheuen dürfe, um die Ausführung des Projects zu verhindern ;
aber er möge ja äusserlich keine Aengstlichkeit verrathen,
sondern den Engländern mit völliger Buhe und einer gewissen
Gleichgültigkeit die ganze Sache als eine unkluge Geschichte
darstellen; er solle als seine Ansicht äussern, dass die Vene-
tianer ihren Wollbedarf aus den venetianischen Provinzen und
andern Plätzen mit Leichtigkeit decken könnten, man werde
vermuthlich den Venetianern verbieten, von Pisa Wolle oder
sonst etwas zu holen, und die Pisaner und Florentiner möchten
dann zusehen, wie sie ihre Tücher an den Mann brächten.
Das Ganze werde für England schädlich ausgehen >). In dem
gleichzeitig an den König gerichteten Brief schlugen sie vor-
sichtiger Weise vorerst einen bittlichen Ton an ; denn nur zu
gross war die Gefahr, dass man durch Androhung von Gegen-
massregeln die Brücke hinter sich sofort abbrechen könne.
Dem König sollte der Rücktritt von dem Project erleichtert
werden, er brauchte nur den Bitten der Venetianer gegenüber
gnädig sich zu zeigen. Von dieser Rücksicht geleitet, konnten
die Venetianer auch nur schwache Argumente geltend
machen. Sie wiesen darauf hin, dass sie und die übrigen
Fremden dann nicht mehr im Stande sein würden, nach Eng-
land zu kommen; nehme man ihnen den Wollexport, so wür-
den wegen des englischen Verbots des Geldexports auch die
in reichlicher Menge von ihnen zugebrachten Gegenwerthe, als
Specereien, Weine und sonstige italienische Waaren ausbleiben.
Sodann hoben sie hervor, dass sie den König ganz und gar für
unfähig hielten, die von den Vorfahren gewährten und von ihm
selbst bestätigten Privilegien zu brechen und die nun schon
so lange Zeit bestehenden Galeerenfahrten zu vernichten 2).
Der König liess sich weder durch die Bitten der Signorie,
noch durch die Gründe des Gesandten überzeugen, sondern
') 11. März 1490. Brown, Gal. I. 561.
*) 11. Mte 1490. Brown, Cal. L 562.
— 136 —
begann ernstlich mit Florenz zu unterhandeln. Das letztere
schickte Thorn, Folchi de Portmaris, Christoph. Joan. und
Anton, de Spinis nach England ab, während als Vertreter der
englischen Regierung der Dr. der Rechte und geistliche Rath
Johan. Baldsivell und der Alderman der Stadt London Radulpb
Austriebe fungiren sollten. Bei der gegenseitig freundlichen
Stimmung wurde rasch ein Einverständnis erzielt, und es kam
ein Handelsvertrag zu Stande, der zu den denkwürdigsten
Handelsverträgen der Regierung Heinrichs VH. gehört. Seine
Bestimmungen x) sind folgende :
1. Die englischen Kaufleute können frei und ungehindert
nach Florenz und dessen Territorien kommen und dahin
alle Arten von Waaren, gleichviel, ob sie einheimischen
oder fremden Ursprungs sind oder sogar aus feindlichem
Lande stammen, bringen, auch daselbst mit Florentinern
und Fremden handeln. Waaren, die bereits verboten
sind, dürfen nicht zum Gegenstand des Handels gemacht,
aber von den Engländern durch florentinisches Gebiet,
wohin immer geführt werden.
2. Die Florentiner versprechen, keine in England producirte
Wolle zuzulassen, wenn sie nicht von englischen Schiffen
importirt wird; die Engländer ihrerseits aber verpflichten
sich, jedes Jahr nach Pisa soviel Wolle zu bringen, als
die durchschnittliche Einfuhr für alle italienischen Staaten
mit Ausnahme Venedigs bisher betrug. Ob Umstände
die Einfuhr unmöglich machen, darüber steht die Ent-
scheidung einzig und allein dem König von England zu.
In Pisa sollen die Engländer alle Vorrechte und
Freiheiten geniessen, welche die Pisaner und Florentiner
jetzt und künftig besitzen.
Wollen die Engländer in einem eigenen Gebäude zu-
sammenwohnen, so sollen sie den von ihnen dazu auser-
sehenen Boden frei zu Eigenthum erhalten.
8. Die Engländer sind frei von allen persönlichen Diensten
und Lasten, Abgaben und Zöllen, namentlich von jenen,
welche man etwa des Handels wegen von ihnen verlangen
könnte; auch dürfen diese nicht auf diejenigen, welche
mit ihnen handeln, abgewälzt werden. Nicht befreit sind
sie von der städtischen Accise für Lebensmittel, wenn solche
nicht für die Schiffe gekauft werden, und von den florentini-
<cheu Stadtrollen. Hinsichtlich der erstem sollen sie wie die
in Pisa lebenden Studenten iscolares stadentes). ausserhalb
Usa wie die einheimischen Bürger behandelt werden;
hinsichtlich der letztern wird eine neue mit grosseren
% rvr Y*itr*$ ist wu hv April 1490. Kraer XBL Sl 3S9.
— 137 —
Vollmachten ausgestattete Gommission erwägen, ob nicht
eine Herabminderung für die Engländer eintreten könne.
4. Den englischen Kaufleuten bleibt unbenommen, in Pisa
eine Corporation zu bilden mit einem oder mehren Vor-
ständen, denen ein Verordnungsrecht zusteht In diesem
Falle wollen die Florentiner auf eigene Kosten ein Local
zur Verfügung stellen, in welchem die Gesellschaft ihre
Berathungen und Verhandlungen pflegen könne.
5. In bürgerlichen Streitigkeiten und Geldprocessen, die
unter den Engländern entstehen, ist der Vorstand der
englischen Kaufleute der zuständige Richter, in Rechts-
fällen, die einen Engländer und einen Nichtengländer
betreffen, entscheiden die Stadtbehörde und der englische
Consul gemeinsam, in Criminalsachen die Stadtbehörde
allein.
6. Die Florentiner wollen dahin streben, dass an allen Han-
delsYortheilen, welche den Florentinern durch Abschluss
eines Vertrags mit irgend einer Nation zufallen, die Eng-
länder Theil nehmen dürfen.
7. Die Wünsche der Engländer in Bezug auf neue Privi-
legien, Freiheiten, und Vortheile innerhalb des florentini-
schen Gebietes sollen möglichst berücksichtigt werden.
8. Der König von England wird keinem Fremden gestatten,
Wolle aus ^England in nichtenglisches Gebiet zu führen.
Nur den Venetianem soll gestattet sein, 600 Sack Wolle
nach Venedig zu bringen. Sollte die Lieferung der Wolle
durch Engländer unmöglich sein, oder auch nur der König
die Ausführ in der vorgeschriebenen Weise für seine Unter-
thanen nicht zuträglich halten, so tritt der Zustand, der
vor dem Vertrag war, wieder ein.
9. Die nach Florenz gebrachte Wolle soll von guter Qualität,
gut verpackt und gut gereinigt sein, auch sollen die
Kaufleute zu einem billigen und annehmbaren Preis ver-
kaufen, wie es eben dem Ergebniss der Jahre und den
Zeitumständen entspricht
Der Vertrag spricht so klar, und seine Bedeutung ist so
leicht zu erkennen, dass ich nicht für nöthig halte, denselben
noch näher zu erläutern; das einzige Zugeständniss, wonach
die Florentiner sogar selbst auf den Wollimport zu Gunsten
der Engländer verzichten, beweist genug für den Grundzug
des Tractats.
Merkwürdig ist die Vorsicht, mit der Heinrich VH, wie
immer, so auch hier vorzugehen beliebte. Soviel war sicher,
dass man einen Modus finden musste, der die Venetianer von
offener Feindseligkeit abhielt. Mit der grossen ihnen zu Ge-
bote stehenden Flotte konnten sie jedes ins Mittelmeer kom-
mende englische Schiff aufbringen, ein Krieg Englands mit
- 138 —
Venedig war aber eine reine Unmöglichkeit. Heinrich VIL
band sich deshalb in gar keiner Weise die Hände. Er schloss
den Vertrag nur auf 6 Jahre, sicherte sich die Freiheit, selbst
innerhalb dieser Zeit, wenn er nur will, vom Tractat zurück-
zutreten, und hütete sich ängstlich, die Venetianer zu reizen,
bedang vielmehr im Vertrag selbst, dass sie bei jeder Expe-
dition 600 Säcke Wolle für den eigenen Consum exportiren
dürften x). Auf diese Weise dachte er, ihrer Opposition die
Spitze vorweg abzubrechen und die venetianische Regierung
zu versöhnen. Hatte nur der Plan erst einmal Leben gewon-
nen, dann liess sich ja sehen, wie man weiter die Venetianer
zu behandeln habe. Aber so leicht Hessen sich die venetiani-
schen Diplomaten nicht von Heinrich VIL dupiren. Venedig
wollte den ganzen englischen Wollimport im mittelländischen
Meere beherrschen und war auch nicht gewillt, das milder
aussehende Project zu Leben kommen zu lassen.
Vorläufig aber enthielt die Signorie sich jeder Gewaltthat
und versuchte noch immer mit Hilfe der Weine den Kampf
zu führen. In einer wegen dieser Frage abgehaltenen Senats-
sitzung vom 26. Mai 1490 kam man allseitig zu der Ueber-
zeugung, dass vorerst das einfachste und beste Mittel sei, allen
fremden Schiffen, welche englische Wolle nach Pisa brächten,
die Rückfracht, namentlich den Wein zu entziehen. Zuerst
wollte man durch Separatabkommen in jedem gegebenen Fall
die Weinzufuhr verhindern. Als die venetianische Regierung
erfuhr, dass ein gewisser Ser Piero Contarini einen Auftrag
von 400 Butten Wein für Pisa übernommen, von wo aus er
dann auf fremde (englische) Schiffe geladen werden sollte, so
verboten sie ihm, seine Weine zu Livorno oder Pisa zu landen.
Sie Hessen ihm die Wahl, ob er seine Weine den Galeeren
übergeben oder nach Venedig bringen wolle, und versprachen
zur Schadloshaltung ihm und Allen, die Weine von Candia
nach Pisa liefern sollten, ein Geschenk von 1 Ducaten per
Butte. Der von den Engländern zu erwartende Gewinn scheint
aber grösser gewesen zu sein, als die Belohnung von Seite der
venetianischen Regierung. Ser Piero Contarini war unpatrio-
tisch genug, das Statut zu umgehen, und der Gonsul in London
wurde deshalb beauftragt, ihm mitzutheilen, dass er Schiff und
Ladung verwirkt habe 2).
s) In einem Senatsbeschluss vom Jahre 1513 wird erwähnt, dass der
jährliche Verbrauch der venetianischen Manufacturen 4000 Ztr.« 1099 Säcke
betrug. Brown, Cal. IL 236. Wenn nun davon auch ein guter Theil
auf spanische und orientalische Wolle treffen mochte, so weisen doch die
Zollregister darauf hin, dass bei einer Expedition beträchtlich mehr als
600 Säcke von den Venetianern aus England ezportirt wurden. In den
Jahren, in welchen wenigstens während der Regierungszeit Heinrichs VIII.
die Galeeren in England erschienen, betrug die Ausfuhr mehr als das
Doppelte. Vgl. Bd. II. Tab. IV. S. 76 fg.
*) 26. Mai 1490. Brown, Cal. I. 569.
1
— 139 —
Nach dieser üblen Erfahrung setzte man die Prämie noch
höher. Am 17. August 1490 wurde beschlossen, jedem vene-
tianischen Schiff, das nach dem Westen fahre, eine solche von
2 Ducaten per Halbtonne zukommen zu lassen. Ging ein
venetianisches Weinschiff bei der Fahrt zu Grunde, so ge-
wählte man sogar meist eine Entschädigung1).
Damit waren den Engländern alle Zufuhren verstopft;
direct konnten sie nicht von Gandia den Wein holen wegen
des hohen Zolls für Fremde2), die venetianischen Kaufleute
fanden es unvortheilhaft, Wein nach Pisa zu bringen, da bei
der Fahrt nach England die Weinprämie, die Salzprämie und
jedenfalls noch am gestiegenen Weinpreise zu verdienen war,
die venetianischen Galeeren handelten ohnehin nur nach dem
Willen des Staates. Die englischen Schiffer und Kaufleute
arbeiteten mit Verlust, Heinrich VII. sah, dass seine Hoffnung
hinsichtlich der Nachgiebigkeit Venedigs sich nicht erfüllte und
gab den Plan auf. Schon im Juli war er wankend geworden ;
als der politische Agent des Herzogs Sforza von Mailand
Benedetto Spinola ihn auszuforschen suchte, schwieg er sich
aus3), und am 27. Dezember konnte jener bereits schreiben:
„Diese Engländer scheinen ihren Missgriff eingesehen zu haben;
man sagt, der König wolle in diesem Unternehmen nicht weiter
vorgehen" *).
Wohl mochten die Venetianer glauben, dass der Kampf
zu ihrem Gunsten endgültig entschieden sei. Das war aber
ein Irrthum. Unmöglich konnte Heinrich VII. nach diesem
kühnen Fluge sich für völlig besiegt erklären. Etwas musste
geschehen; nicht blos um Englands Vortheil, sondern um Eng-
lands Ehre und Achtung handelte es sich. Von nun an führte
der König den Krieg gegen die Venetianer in England selbst
und mit den nämlichen Waffen wie diese. Bevor er aber zum
Angriff schritt^ schrieb er zwei Briefe an die Signorie und
verlangte die sofortige Abstellung der neuen Weinzölle, widri-
genfalls er Gegenmassregeln ergreifen werde5). Als er sah,
dass man nur leere Vorwände und Entschuldigungen brachte 6),
aber keinen guten Willen zeigte, zögerte er nicht länger und
Hess dem Parlamente eine Bill, tiberschrieben „An Act to paye
Custome for every butt of Malmsey" vorlegen, welche auch die
') Z. B. 1498. Brown, Cal. I. 766a.
*) Nur sehr selten sah man von dem erhöhten Fremdenzoll ab; so
z. B. 1500 bei Ca da Pesaro und Tiepoli von London, denen gestattet
wurde, grössere Quantitäten von Wein zum gewöhnlichen Zoll auf fremde
(jedoch nicht auf ragusanische) Schiffe in Candia zu laden. Brown,
CaL I. 806.
*) Brown, Cal. I. 572.
4) Brown, Cal. I. 603.
*) Febr. 1491. Brown, Cal. I. 606.
6) Brown, Cal. L 609.
— 140 —
Zustimmung der beiden Häuser erlangte. In den Motiven
zum Gesetz *) wird darauf hingewiesen, dass seit unvordenk-
lichen Zeiten englische Schiffe die Küsten von Marokko2) und
die mittelländischen Häfen besucht hätten und dass man eng'
tischen Schiffen nie verboten habe, Candierwein zu laden,
bis vor 2 Jahren die Venetianer ein Statut erlassen hätten,
das ihnen, ihrer Herrschaft und Seemacht allein zum Vortheil.
England aber zum Schaden gereiche. Mit Rücksicht darauf
werde Folgendes gesetzlich bestimmt:
1) Jede Butte muss wenigstens 126 Gallonen enthalten;
bei geringerem Gehalt tritt ein entsprechender Preisabzug ein;
2} der Preis per Butte darf 4 £ nicht übersteigen; 3) jeder
fremde Kaufmann, der Malvasier einfühlt, muss 18 sh
(= 4 Ducaten) Zuschlagszoll zahlen, und 4) dies dauert so
lange, bis die Venetianer ihren neuen Exportzoll von 4 Du-
ralen zurückgenommen haben werden.
Die Nachricht von dieser Parlamentsnote rief eine grosse
CoüBternation in Venedig hervor. So rasch hatte man nicht
ein Vorgehen der Engländer erwartet, am allerwenigsten in
dieser Form; der venetianische Weinhandel konnte keinen Ge-
winn mehr abwerfen, nicht blos wegen des Zolls, sondern auch
wegen der niedrigen Preisgrenze; denn schon zu Richards IE
Zi'it war der Preis 5 ig7 6 sh. 8 d und war unterdessen noch
mehr gestiegen und bewegte sich zwischen 6—9 £*). Sofort
setzten sie alle Hebel in Bewegung, um diesen Schlag abzu-
wenden. Der Consul erhielt Befehl, mit allen Mitteln die Ab-
schaffung dieses die Kaufleute ruinirenden Zolles zu versuchen.
Gelinge das binnen 20 Tage nicht, so sollten die Schiffe nach
Zeeland gehen und da den Wein verkaufen. Die Kaufleute
müssten sich weigern, dem Gesetz gemäss zu handeln; im
schlimmsten Fall solle man ein Compromiss versuchen, bei
dem aber höchstens 40 oder 50 Butten geopfert werden dürf-
ten ; der Rest müsse ganz so wie früher verkauft wenden 4).
Dass man eine Parlamentsacte nur ohne Weiteres wieder
aufhebe, war freilich eine etwas naive Anschauung. Die Be-
mühungen der Venetianer fruchteten zunächst gar nichts. Der
nach England geschickte Gesandte Andreas Trevisan konnte
die persönliche Zuneigung des Monarchen gewinnen, auch den
») 7 Hen. VII. c. 7. (17. Oct. 1491.)
*) Dass Marokko besonders hervorgehoben wurde, scheint darin seinen
Grund zu haben, dass gerade damals die Engländer einen regen Handel
nach Marokko unterhielten. So behauptet wenigstens den Aufschwang
dieses Verkehrs Anderson, der sich auf Ludewig Roberts, Charte des
Hundeis, stützt. Sieh Anderson, Annalen unter dem Jahre 1492.
) Vgl. 1 Rieh. III. c. 13 und Brown, Cal. I. 798 auch Bd. IL S. 84
»in- rer Darstellung.
*) 14. Dezember 1492. Brown, Cal. L 627.
— 141 —
Ritterschlag von Heinrich VII. empfangen, aber nicht die völlige
Aufhebung der Acte erwirken *). Wohl hatte der König Trevisan
zuletzt versprochen, die Auflage von 4 Ducaten wieder auf den
früheren einen herabzusetzen *), wofern die Venetianer nur zur
Zurücknahme des später auferlegten Exportzolles sich verstehen
wollten; als aber am 1. Juli 1499 die venetianische Regierung
sich bereit erklärte, die gestellte Bedingung einzugehen, hielt
er doch nicht ganz, was er zugesagt. Er liess nur eine be-
deutende Ermässigung der Zuschlagstaxe, nämlich von 18 sh
auf 6 sh 8 d eintreten; diese Zollminderung war aber nicht
durch Gesetz, sondern nur durch Licenz gewährt. Der König
behielt sich also vor, die Erhöhung zu jeder Zeit wieder vor-
zunehmen 3).
Mit dieser Concession war den Venetianern nicht gedient
Da der normale Fremdenzoll für Malvasier schon das Doppelte
von dem, den die Engländer zahlten, betrug4), so hatten diese
im Ganzen einen Vorsprung von 8 sh 2 d per Halbtonne, und
den Venetianern war es sicher schwer, hier erfolgreich zu con-
curriren. Sie baten und flehten, der König war unerbittlich6).
Er war gerne bereit, sie von Parlamentsacten zu entbinden6),
welche sehr drückend für die Venetianer hätten sein können,
und zu deren Anwendung er vollkommen berechtigt gewesen
wäre, war aber unerschütterlich in diesem Fall, wo doch der
Wortlaut des Gesetzes gegen ihn sprach7). Venedig drohte,
*) Brown, Cal. I. 764. Zu Gunsten de9 Schiffes Pandora, das der
Firma Pisani gehörte und bereits nach Candia abgegangen war, gewährte
der König einen Nachlass von 1000 Ducaten. Brown, Cal. I. 765.
*) Der Ausdruck, dessen sich Trevisan bedient, ist ungenau; gemeint
ist wohl die Wiederherstellung des früheren Zolls von 6 sh per Tonne, be-
äehungsw. von 3 sh per Halbtonne.
*) Urk. Beil 78.
*) Die englischen Kaufleute zahlten per Tonne süssen Weins 3 sh,
die fremden 6 sh. Bd. II. S. 6.
*) Der König antwortete meist, seine Unterthanen hätten keine Lust
mehr, die Fahrten nach Candia zu machen, er könne und wolle nicht die
Abgabe aufheben. Während früher der Preis 8 £ 18 sh per Butte ge-
wesen, sei er jetzt 6 £ 8 sh (Brown, Cal. I. 798). Brown glaubt des-
halb, dass, nachdem die Venetianer ihren neuen Exportzoll von 4 Ducaten
aufgehoben, der König eine hinreichend grosse Zufuhr von Malvasier als
möglich erachtet habe, ohne dass der Preis zu hoch gehalten oder seine
rnterthanen gezwungen würden, zu den schädlichen Spirituosen zu greifen.
'*eb. Giustinian, Four years at the court of Henry theEighth. 11. S. 46
Note 2). Danach wäre also der finanzielle Gewinn für Heinrich VII. aus-
schlaggebend gewesen, eine Ansicht, die ich nicht theile; vgl. später.
6) So gestattete er ihnen, Zolleinträge auch unter fremdem Namen zu
machen (vgL 3 Hen. VII. c. 7) und Wolle zu jeder Jahreszeit zu kaufen
<TgL 4 Hen. VII. c. 11), gewährte für letztere sowie für Zinn fast regel-
mässig sogar einen Zollerlass. Copien von diesen Gewährungen sind er-
halten im Br. M. Sloane Mscrs. 4617 Nr. 97 anno 1491; Nr. 133 anno
U93; Nr. 185 anno 1497; ebenda 4618 Nr. 17 anno 1499; Nr. 71 anno
1505.
7) Vgl. Bestimmung 4 des oben angeführten Gesetzes.
— 142 -
falls Heinrich VII. länger sich weigere, dem Gesetze Geltung
zu verschaffen, in Candia ein Weinstapel errichten zu wollen ll
Auch diese Drohung verhallte wirkungslos.
Der Grund dieses unüberwindlichen Widerstandes ist sicher
nicht sowohl in dem Zollgewinn, der kaum 300 £ überstiegt
zu suchen3), als vielmehr in der Absicht, die einheimische
Schiffahrt zu befördern. Er zwang deshalb die Venetianer so-
gar noch zu einer weiteren Concession. Als die Gültigkeits-
dauer des venetianischen Grundbriefs ablief, der nicht nur
einen allgemeinen Pardon für alle in der Vergangenheit be-
gangenen Gesetzesverletzungen, sondern auch das wichtige
Recht enthielt, kraft dessen die Venetianer in England mit
Allen, Fremden wie Einheimischen direct und ohne Vermitte-
lung der städtischen Bürger handeln durften, verlängerte er
dies Patent nur unter der Bedingung auf weitere 10 Jahre,
dass die Venetianer sich verpflichteten, keine Waaren aus dem
Gebiete des Erzherzogs von Oesterreich, d. h. aus den Nieder-
landen nach England zu bringen, sie mussten vielmehr diesen
Import ganz den Merchant adventurers überlassen4).
Heinrich VII. starb, und die Parlamentsacte war noch
immer nicht beseitigt. Ob die Venetianer den Exportzoll von
4 Ducaten wieder einführten, ist eine offene Frage6). Die-
selben gingen, soviel ist sicher, geschlagen aus dem commer-
ciellen Kampfe hervor.
Heinrichs VII. Politik erweist sich ihrer Tendenz nach
vollständig als eine Fortsetzung der von Richard III. begrün-
deten. Weiser im Plane, milder in der Ausführung, verfolgte
sie ganz beharrlich die Wegdrängung der Venetianer vom
englischen Handel zu Gunsten der, englischen Kaufleute und
Schifffahrer.
Heinrich YUL (1509-47).
1. Periode (1509 — 30).
Zwei Momente geben den commerciellen Beziehungen
zwischen Venedig und England in der Zeit Heinrichs VID.
*) 19. März 1503. Brown, Cal. I. 832.
*) Diese Schätzung ergibt sich auf Grund unserer Zollregister ans der
Zeit Heinrichs VIII.; dabei ist aber nicht berücksichtigt die grössere Ein-
nahme an Zoll iür sonstige Waaren, wenn die Venetianer in der Betheili-
gung an der Einfahr nicht beschränkt worden wären.
*) Das geht auch daraus hervor, dass Heinrich VII. bei Wolle sogar
Ermässigungen gewährte.
*) Rymer XIII. S. 161. De pardonatione pro mercatoribus Vene-
tiarum 24. März 1507. Art. 14. Es spricht wenigstens alle Vermutkung
dafür, dass erst unter Heinrich Vü. die Venetianer diesen Artikel eingehen
mussten. Vgl. Rymer XII. S. 255.
s) Für die Wiedereinführung spricht Brown, CaL H. 524.
— 143 -
den Hintergrund: die verwickelte politische Lage Venedigs im
Anfang des 16. Jahrhunderts und die grossartige Revolution
im commerciellen Verkehr in Folge der Entdeckungen. Das
erste Moment wiegt vor bis zum Jahre 1580 und begrenzt die
Epoche, in welcher Wolsey der leitende englische Staatsmann
war. Das zweite Moment beginnt zwar schon in der ersten
Periode eine merkliche Wirkung zu zeigen, übt aber seine
entscheidenden Schläge für den venetianischen Handel nach
England erst in der Cromweirschen und der folgenden Periode
aus. Der Grundton der commerciellen Politik Englands gegen-
über Venedig war aber ganz der nämliche, wie ihn der erste
Tudor angeschlagen hatte, wenn auch die Färbung nach den
jeweiligen Zeitumständen sich etwas verschieden gestaltete.
Als Heinrich VIH. den Thron bestieg, stand der venetia-
nische Freistaat am Rand des Untergangs durch den Bund
von Cambrai, in welchem sich (1508) Kaiser Maximilian, Lud-
wig XIL von Frankreich, Ferdinand der Katholische von Ara-
gonien und Papst Julius II. zu einer Theilung des venetiani-
schen Gebietes vereinigt hatten. In Folge dieser Situation
musste der Handel nach England unterbrochen werden. Der
Versuch, von den feindlichen Westmächten für die venetiani-
schen Handelsschiffe Geleitsbriefe zu erwirken1), schlug fehl,
and auch die Bitten Heinrichs VIII. bei dem spanischen und
französischen Hof fanden kein Gehör 2). Die glückliche Tren-
nung des die Existenz Venedigs bedrohenden Bundes und das
Zustandekommen der „Heiligen Liga" (1511) Hess hoffen, dass
der Verkehr mit dem politischen Freunde, der nun England
war, wieder aufgenommen werden könne. Aber auch diese
Hoffnung erwies sich als trügerisch 8) ; bei allem guten Willen
konnten die Venetianer doch nicht der allerwärt« auftauchenden
Schwierigkeiten Herr werden. Als nun 1513 Venedig sich mit
Frankreich aussöhnte, während England letzteres bekriegte,
war wieder die Aufnahme der Expeditionen unmöglich gewor-
den; die Republik hatte sich die ganze englische Nation ent-
fremdet4). Wohl machten die Venetianer seit den Erfolgen
der englischen Waffen in Frankreich, namentlich seit der Er-
oberung Therouannes und Tournays Versuche, um wieder die
Gunst des englischen Königs zu erlangen6). Aber ernstlich
*) VgL die Bemühungen des venetianischen Gesandten Cornaro am
spanischen Hof. Brown, Cal. IL 1338. 1334. 1335. 1341. 20. Febr. 1508
- 31. Oct 1508.
*) Brown. Cal. IL 52. 61. Bergenroth, Cal. IL 25. 27. Als
Heinrich YIIL den Frieden mit Frankreich scheinbar erneuerte (1510), so
wollte er in denselben auch eine Clausel aufgenommen wissen, wonach den
Veneüanern der Handel nach England gestattet sein sollte. Brown, Cal. IL
«6, 67 u. 70.
*) Brown, Cal. IL 132 u. 179.
4) Brown, Cal. IL 254.
6) Vgl. auch Brown, Cal. IL 365. 524.
— 144 -
konnte Venedig doch erst daran denken, den früheren Flotten*
verkehr zu organisiren, als der Vertrag von Noyon zwischen
Frankreich und Spanien (13. Aug. 1516) geschlossen war, nach
welchem Venedig in kurzer Zeit fast ganz wieder in den Be-
sitz seines ehemaligen Ländergebietes gelängte.
Seit acht Jahren waren die venetianischen Galeeren nicht
mehr nach dem brittischen Eiland gekommen — eine unerhört
lange Zeit, wenn man die Stetigkeit der Fahrten im 15. Jahr-
hundert in Betracht zieht Viele der sonst in London sich
aufhaltenden venetianischen Eaufleute hatten sich ganz nach
Haus begeben 1). Dass eine so lange Unterbrechung deutliche
Spuren ihrer Wirkung hinterlassen musste, wofern nur der
Handel zwischen Venedig und England ein wirklich intensiver
war, ist selbstverständlich.
In der That fehlen solche nicht. In Venedig waren die
Folgen ernstester Art, und es ward recht augenfällig, wie Ve-
nedig Englands mehr benöthigt war, als umgekehrt England
Venedigs*). Den Motiven eines Senatsbeschlusses zufolge leb-
ten 30 000 Leute in Venedig von der Verarbeitung der Wolle,
und bereits am 24. Juli 1511 waren nach einer veranstalteten
Schätzung nur noch 562 Säcke Wolle vorhanden, selbst mit
Einrechnung der zerfressenen, alten und verdorbenen. Bis
zum 27. Februar 1512 verkaufte man 200 Säcke, und der
schlechte Rest reichte kaum hin, die Leute noch 3 Monate zu
beschäftigen. Es wurde ein Beschluss publicirt, dass vom
27. Februar bis Ende October die Einfuhr der Wolle zu
Wasser wie zu Lande, auf einheimischen wie fremden Schiffen
bei Zahlung halber Fracht an das Arsenal gestattet sei, und
dass die in fremden Schiffen gebrachten Güter auch in Venedig
versichert werden könnten8). Diese Verordnung wurde bald
darauf bis Ende Februar 1513 verlängert und auch auf Tuch
und Zinn ausgedehnt4). Allein die Noth wurde nicht be-
schworen6). Im Frühjahr arbeiteten von 80 Fabriken nur
noch 8, massenhaft waren die Auswanderungen, die allgemeine
*) Brown, Cal. IL 63.
*) Das zeigte sich schon theilweise unter Heinrich VII.; vgl. Brown,
Cal. I. 503. 739. 818 (26. Nov. 1485; 9. Mai 1497; 13. März 1500).
8) Brown, Cal. IL 146.
4) Brown, Cal. IL 201. 31. October 1512.
5) Am 23. April 1513 waren nur noch 50 Ballen Wolle vorhanden.
Obwohl dieselbe äusserst geringer Qualität war, so war ihr Preis fast un-
erschwinglich, und bei alledem nahm ihre Verarbeitung kaum 15—20 Tage
in Anspruch. In den letzten 14 Monaten habe man, hiess es in einem
Senatsbeschluss, nur 300—350 Ztr. (30 000-35000 weight?) etagefuhrt, wah-
rend der jährliche Verbrauch der Manufacturen 4000 Ztr. (400000 weight ?)
betrage. Brown, Cal. IL 236. Besonders schlimm war es, wenn man
zugleich mit dem Kaiser verfeindet war, weil dann die englischen Waaren
auch nicht auf dem Landweg nach Venedig gelangen konnten, a. a. 0. 11.
229. 283.
— 145 —
Geschäftskrise eine schreckliche. Man gewährte noch grössere
Erleichterungen, befreite namentlich die Importeure von der
Entrichtung des halben Frachtbetrags und vom Zehnten und
erneuerte diese Verordnungen so lange, bis man wieder Hoff-
nung schöpfte, die flandrischen Galeeren absenden zu können 1).
Wenig gefühlt wurde dagegen diese Stockung der venetia-
nischen Flottillenfahrten in England. Eher war der Einfluss
ein günstiger; für die englischen Kaufleute war ein mächtiger
Sporn gegeben, jetzt wieder den Handel ins Mittelmeer kräftig
zu betreiben *). Der Onkel des durch Gründung der Londoner
Börse so berühmt gewordenen Thomas Gresham, nämlich
William Gresham griff hier energisch ein3), und Hakluyt,
dessen Angaben auf Einsichtnahme der Kaufmannsbücher sich
gründen und als zuverlässig gelten können, erzählt4), dass
seit 1511 fünf Londoner Schiffe und andere von Southampton
und Bristol einen regelmässigen Verkehr nach Sicilien, Candia,
Chios und zuweilen auch nach Tripolis und nach Beirut in
Syrien unterhielten5). Diese Angabe wird auch durch andere
Thatsachen bestätigt. Wir lesen nicht nur wiederholt von der
Wegnahme englischer Schiffe im Mittelmeer6), sondern wir
wissen auch, dass die Regierung, weil der englische Handel
') Brown, Cal. IL 236. 358. 418. Die eine Verlängerung wurde am
28. Not. 1513 beschlossen und sollte für 6 Monate gelten; die andere war
am 3. Juni 1514 für Wolle auf unbestimmte Zeit, für Tuch und Zinn bis
einen Monat nach der Auction der flandrischen Galeeren festgesetzt. Wie
die Engländer aus diesen Beschlüssen Vortheil zogen, darüber vgl. Brown,
Cal. II. 738. Dagegen wurde gleichzeitig der Zoll für die von den Deutschen
zu Lande eingeführten englischen Kersies beträchtlich erhöht. Brown,
Cal. IV. 1050.
s) Dass die übrigen Italiener und Fremden diese Lage sich ebenfalls
zu Nutze machten, lässt sich denken. Vgl. Brown, Cal. II. 93. 629. 461.
Dabei ist erwähnt, dass das eine Mal 7000 Stück gefärbte Kersies, das an-
dere Mal für 300000 Ducaten Tuch aus London für Chios und Konstanti-
nopel bestimmt waren. Manche Venetianer mietheten englische Schiffe.
Brown, Cal. II. 216 u. 217. 18. u. 19. Dez. 1512 und 20. Jan. 1513.
3) Burgon, Life and times of Sir Thom. Gresham I. S. 8 u. 12.;
ausserdem betheiligten sich besonders John Alen, Hugo Clopton und Richard
Fermour. Brewer, Cal. II. 738.
*) Hak luvt, The principal navigations, voyages, traffiques and dis-
coveries of the English Nation. London 1599—1600. Vol. II. S. 96.
5) Hakluyt IL S. 96 erzählt, dass die englischen Kaufleute feine
and gewöhnliche „kersies, white westerne dozens, cottons, certaine clothes
called Statutes and others called cardinal whites, calue skins" (die in
Sicilien verkauft wurden) führten; dafür brachten sie zurück „silks, chamlets,
rubarbe, malmesies, muskadels and other wines, sweete oyles, cotten wo oll,
torkie carpets, galles, pepper, cinamon and some other spicesb ; sie handelten
direct mit Juden und Türken etc. Sie benutzten nicht immer einheimische
Schiffe, sondern auch „Candiots, Ragusans , Sicilians , Genouezes, Venetian
galliasses, Spanish and Portug. ships".
6) So wird im Mai 1515 ein englisches Schiff erwähnt, das mit 470
Sacken Wolle (pokes of wool), 2400 Stück gefärbter Kersies, 500 Ztr. Zinn,
vielem Blei, 500 Stück breiten Tuchs, 1000 Dutzend Kalbfellen im mittei-
le h a n z , Engl. Handelspolitik. I. 10
. ' — 146 —
nach Chios sich damals sehr hob, ein Consulat dort errichtete1)
und die englischen Handelsinteressen daselbst kräftig wahr-
nahm2). An Gewürzen und Droguen konnte somit England
keinen Mangel leiden. Das etwa Fehlende war leicht vom
niederländischen Markte, wo die Portugiesen mit ihrem Gewürz-
rek'hthum erschienen, zu erhalten. Die italienischen Manufacte
erwarb man in Florenz, und dahin brachten auch wohl die
Engländer die nicht unbeträchtliche Menge Wolle.
Wie oben bereits erwähnt, machte Venedig gegen 1510
ernstliche Anstrengungen, den alten englischen Markt wieder
zurückzuerobern. Die hiezu nöthigen Verhandlungen mit der
englischen Regierung sollte Sebastian Giustinian führen. In
der That konnte man kaum die Sache in besseie Hände legen.
Er war durch die Bekleidung der verschiedensten hochwichtigen
FtiStetr reich an practischer Erfahrung, ein durch frühere Ge-
sandtschaften gereifter Diplomat, geistig höchst begabt und
durch und durch ein feiner Weltmann3). Freilich waren die
Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, sehr
gross. Heinrich VIII. und Wolsey wünschten um jeden Prek
Venedig von Frankreich zu trennen, wogegen dies eine zu-
wartende Stellung bei der eigentümlich verwickelten Lage4)
tür lMtlilicher hielt, beziehungsweise ein Bündniss mit England
ohne Veränderung seiner Stellung zu Frankreich wünschte.
Auch in commercieller Hinsicht fand Giustinian keinen günstigen
Boden vor.
Kurze Zeit nach seinem Regierungsantritt hatte Hein-
rich VIII. hinsichtlich der Weinzollaffaire sich ganz auf den
Standpunkt seines Vaters gestellt. Durch Patent vom G. März
1510 erklärte der König, dass die Fremden für die Halbtonne
Malvflsier 6 sh 8 d Zuschlagszoll zu entrichten hätten :).
Ausserdem waren zu den früher erwähnten schädlichen Parla-
Iiuidischen Meer sich befand und besonders für Malipieri grosse Kersey-
Hefcrungen hatte. Drei andere englische Barken waren in Messina mit
Wahren für Chios angekommen. Im Juni 1514 hört man von der Weg-
niihtoe eines englischen Kauffahrteischiffes durch die Türken bei Livorno.
lirown, Cal. II. 428. 029. Wegen der Kriege und provencalischen
Corsnren war die Schiffahrt ins Mittelraeer sehr gefährlich. In London
wollte man die Schiffe, die „westwärts" fuhren, schon 1512 (3. Aug.) nicht
mehr gegen 10 °o versichern. Brown, Cal. II. 186.
li Sie ernannte zum Consul B. Justinian am 4. April 1513. RymerXIII.
S. Ö-
*\ So unterstützte Heinrich VIII. 1515 den Protest der Engländer, als
die Genuesen, denen diese Insel gehörte, einen neuen Zoll einführten.
Ryrn^r XIII. S. 493. 5*9. Brewer, Cal. IL 339. 340. 3289.
| Einleitung von R. Brown zu Giustinian, Four years at the court
of Henry the Eighth.
Ji Lanz, Actenstücke zur Geschichte Kaisers Karl V. Einleitung zum
ersien Band. S. 196 fg.
*i Urk. Beil. 78.
— 147 —
menteacten zwei weitere gekommen; ein Gesetz gegen den
Kleiderluxus J) verminderte sicher wenigstens für einige Jahre
den Absatz von Sammt, Seide, Damast, gold- und silber-
gewirkten Stoffen; ferner übte man wenig Rücksicht mehr ge-
genüber den in London sich aufhaltenden Venetianern bei Er-
hebung der Steuern, sondern zwang sie sogar, zu den Kriegs-
steuern beizutragen *).
Doch waren das Kleinigkeiten. Die Hauptsache war, den
Verkehr nur einmal wieder in Gang zu bringen, dann aber
die schädliche Zuschlagstaxe auf den Malvasierwein zu besei-
tigen, und dahin lautete auch Giustinians Auftrag3).
Die Schwierigkeit für Aufnahme der Galeerenfahrten lag
in der Feindschaft des Kaisers, beziehungsweise in der Gefahr,
die den venetianischen Schiffen von dem mit dem Kaiser ver-
wandten spanischen Hause drohte. Man musste also für einen
guten Geleitsbrief sorgen, und Giustinian wünschte Wolseys
Vermittelung und auch die Verbürgung des englischen Königs
für Einhaltung des Geleitsbriefs zu erlangen. Je nach dem
Stand der politischen Dinge war Wolseys Benehmen ver-
schieden. Während er anfangs die Wiederkehr der Flottillen
gewünscht und seine Beihilfe zugesagt 4), weigerte er sich doch
bald der Uebernahme der Bürgschaft5), und als Venedig an
Frankreich festhielt und sogar Erfolge gegen den Kaiser er-
zielte, drohte er den Venetianern die Vernichtung ihres ganzen
Handels an]6) und suspendirte sogar den Grundbrief derselben7).
Inzwischen hatten die Venetianer ohne Wolsey in Spanien er-
langt, was sie wünschten 8), und die Absendung dreier Galeeren
beschlossen (12. Febr. 1517) 9). Man erliess die Verfügungen10),
wie sie das ganze System verlangte, fand aber, als die definitive
Absendung derFlotille in Vorschlag gebracht wurde, die Stimmung
des Senats dem Plane abgeneigt, und nur der entschiedenen
*) 1 Hen. VIIL c. 14.
*) Man begründete es damit, dass sie das Land nützten und daselbst
Geld gewännen, und deshalb auch zum Gedeihen und zur Ehre des König-
reichs beitragen müssten. 26. April 1514. Brown, Cal. II. 397. Erwähnt
sei, dass am jene Zeit auch dem Oberhaus eine „biüa concernens mercatores
de Italia" zuging, ohne dass wir über deren nähern Inhalt Etwas wissen.
iLordV Journals 6 Hen. Vm. 58° die Pari.).
■) Brown, CaL IL 604. 605.
*) Giustinian, Four years etc. I. S. 247. Brown, Cal. IL 744.
6. Juli 1516.
*) 3. Oct 1516. Brown, Cal. IL 781.
6) Giustinian, a. a. 0. IL S.1S. Brown, Cal. IL 823. 7. Dez. 1516.
*) Giustinian, a. a. 0. IL 4. 133. Brown, Cal. IL 807. 811.
978. Das Patent wurde am 18. Nov. 1516 aufgehoben, 8. Oct. 1517 wieder
ertheüt.
>) Giustinian a. a.O. IL S. 40. Brown, Cal. II. 855. 9. März 1517.
■) Brown, Cal. IL 843.
ld) Am 1. März 1517 wurde der Capitän gewählt u. s. w. Brown.
CaL IL 841. 843. 1898.
10*
— 148 —
Rede Marin Sanutos, der hauptsächlich von politischen Erwägun-
gen sich leiten Hess, gelang es, die Senatoren umzustimmen1).
Unterdessen hatte Giustinian den Weisungen seiner Re-
gierungen zufolge *) allen Eifer auf die Weinzollfrage verwen-
det, damit doch diese Angelegenheit bis zur Ankunft der Ga-
leeren geregelt sei. Aber die Erfahrungen, die der Gesandte
hier machte, waren nicht besser. Wolsey, des ungesetzlichen
Vorgangs sich wohl bewusst, ging jeder Entscheidung aus dem
Wege. Giustinian hatte grosse Noth, nur eine Audienz
für diese Sache zu erwirken3). Als es ihm endlich geglückt
war, dem Cardinal vorzutragen, wie der venetianische Handel
nach England nicht schwunghaft betrieben werden könne, so-
lange diese Zuschlagstaxe bestehe, und dass die Vortheile des
erstem vorwiegend den Engländern zu Gute kämen4), war
Wolseys Antwort, dass man in dieser Sache erst die Kaufleute
und Commoners hören müsse6). Später wollte er die Angelegen-
heit einem der eben errichteten vier Untergerichtshöfe6) zur
Berathung überweisen 7).
Die zweite Audienz, welche am 31. März stattfand, lieferte
kein besseres Resultat. Vermuthend, Wolsey möchte durch
eine neue Behauptung zu überraschen suchen, hatte Giustinian
den Lorenz Pasqualigo und D. Antonio Bavarino mitgenommen,
um gegen alle Schachzüge gewappnet zu sein. In der That
trat Wolsey mit einer unerwarteten Begründung des englischen
Verfahrens auf; der Parlamentsbeschluss komme nämlich gar
nicht mehr in Betracht und sei ganz werthlos; die Kaufleute
hätten sich in der Folge gefügt, es sei ein Compromiss zwischen
dem König und den Venetianern zu Stande gebracht worden,
in Folge dessen die englische Regierung den Zoll von 4 Du-
caten auf 1 Nobel herabgesetzt habe. Dieses freiwillig beider-
seits eingegangene Compromiss sei einzig massgebend, und die
venetianische Regierung selbst habe ihre Zustimmung dadurch
gegeben, dass sie so viele Jahre hindurch Stillschweigen beob-
achtet und keinen Einspruch erhoben habe. Der venetianische
Gesandte liess diese Gründe nicht gelten; von einem Com-
promiss sei nie die Rede gewesen; allerdings hätten zwei ein-
') Brown, Cal. II. 899. Die Abneigung des Senats erklärt sich durch
ilie zweifelhafte politische Situation und die Unsicherheit der Fahrt wegen
Barbarossas Seeräubereien.
*) Brown, Cal. II. 604. 842.
3) Giustinian, Four years etc. IL S. 40. Brown, Cal. II. 855.
R, März 1517.
4) Vgl. Brown, Cal. II. 842. 14. Febr. 1517.
T>) Giustinian a. a. 0. II. S.42. Brown, Cal. II. 859. 19. März 1517.
6) Ueber diese sieh Browns Note bei Giustinian a. a. 0 II.
L"7) Giustinian a. a. 0. II. S. 53 — 55. Brown, Cal. IL 866.
• A März 1517.
— 149 —
zelne Kaufleute sich herbeigelassen, das zu zahlen, was der
verstorbene König von ihnen erpresst, deswegen könne man
aber noch nicht behaupten, die Gesetzesworte seien nichtig
und aufgehoben. Was aber das Stillschweigen der venetiani-
schen Regierung anlange, so erkläre sich dieses durch die
Kriege, Unruhen und sonstige Leiden, die den Freistaat ge-
troffen hätten, hinlänglich. Wolsey versprach, dass Giustinian
in der Rathssitzung persönlich gehört werden solle1). Aber
der venetianische Gesandte gab die Hoffnung bereits auf, er
gesteht offen ein, dass man bei diesem Manne gegen Strom
und Wind segele. „Ich kanntt, schrieb er an seine Regierung,
-durch Argumente überzeugen, aber ich bin machtlos, um
durch Gewalt zu erzwingen" *), Der König ist der Einzige,
auf den Giustinian noch sein Vertrauen setzt; sein freier,
ritterlicher und aufrichtiger Sinn, meint er, würde sicher, falls
es gelänge, ihm den Fall vorzutragen , dem Recht zur Geltung
verhelfen3). Wol6ey aber war geradezu unerschöpflich in
Mitteln, um den venetianischen Gesandten hinzuhalten4). Die
Galeeren kamen, und die Sache war nicht um einen Zoll
Breite vorgeschritten, sie fuhren ab, und es war noch ebenso.
Giustinian selbst verliess England, und sein Wunsch, den er
in der Verzweiflung ausgerufen: „Möge Gott gewähren, dass
wir endlich das Ende dieser Ghicanerie bezeugen könnten" 5),
war nicht in Erfüllung gegangen.
Zum Theil lag der Misserfolg in den Schwierigkeiten und
Misshelligkeiten, die immer neu auftauchten und Wolsey immer
neue Waffen in die Hand gaben. Am 24. März 1517 erlosch
der früher erwähnte Grundbrief, den Heinrich VII. den Vene-
tianern verliehen, beziehungsweise neu bestätigt hatte. Ebenso
mussten neue Licenzen erworben werden, damit man in der
Woll- und Zinnausfuhr nicht behindert, auch in Betreff der
Zölle etwas günstiger gestellt wurde. Beide Dinge waren
wesentlich für den Erfolg der Fahrten und viel dringender
noch als die Weinzölle. Der Cardinal verlangte nun für die
Wiederbestätigung des ersteren d;e exorbitante Summe von
300 £, wogegen die Venetianer nur die Gebühren und Stem-
peln entrichten wollten 6). Er zeigte sich aber nachgiebig und
händigte den Brief aus, nachdem Giustinian sich verbürgt,
dass die Galeeren in 8 Monaten kommen würden 7). Offenbar
*) Giustinian, Four years etc. II. S.53— 55. Brown. Cal. II. 866.
31. März 1517.
*) Giustinian a. a. 0. IL 8. 68—77.
s) Giustinian a. a. 0. II. S. 58—55. Brown, CaL II. 866.
*) Brown, Cal. II. 908. 980. 934. 1009. 1010. 1022.
*) Giustinian a.a.O. IL S. 199. Brown, Cal. IL 1042. 21. Juni 1518.
°) Giustinian a. a. 0. IL S. 68—72. Brown, CaL II. 879.
5. Mai 1517.
*) Ohne diese Bürgschaft wollte er den Freibrief nicht um 5000 Du-
— 150 —
war es Wolsey darum zu thun, dass auch die Staatsschiffe
den Weinzoll bald wenigstens practisch anerkannten »). Ebenso
wurde die Woll- und Zinnlicenz ertheilt2).
Als endlich die Galeeren am 19. Mai 1518 in Southampton
anlangten s), war die Stimmung über dieses Ereigniss eine sehr
getheüte. Sicher war die Freude über das Wiedererscheinen
der venetianischen Flagge in den aristokratischen und land-
besitzenden, Regierungs- und Hofkreisen eine aufrichtige. Der
König liess es sich nicht nehmen,- durch einen äussern feier-
lichen Act der Thatsache, dass die alte, von Eduard III. be-
gründete Handelsfreundschaft wieder practisch geworden, einen
freudigen und anerkennenden Ausdruck zu geben. Trotz des
Gerüchtes, es herrsche die Pest auf den Schiffen, stieg er mit
einem Gefolge von 300 Personen an deren Bord. Die Galeeren-
mannschaft, schon vorher von der Intention des Königs be-
nachrichtigt, hatte Alles aufgeboten, um den mächtigen Mo-
narchen zu ehren. Mit verschiedenen Seiden- und Tapeten-
sorten hatte man das Verdeck verziert. Vier Tischreihen
waren mit allerhand feinen Zuckerwaaren besetzt. Schwamm-
kuchen (sponge cakes) und sonstige Producte südländischer
culinarischer Kunst liess man den König und sein Gefolge
verkosten; die Glasgeftsse, die den Wein enthielten, ver-
teilte man unter die Trinkenden; ein grossartiges venetia-
nisches Kunststück, das von der Schiffsmannschaft zur See aus-
geführt wurde und allgemeines Staunen bei den Engländern
hervorrief, und ein glänzendes Feuerwerk am Abend krönten
das Fest4).
Andere Gefühle beherrschten einen grossen Theil des
Volkes. Der ernste Aufstand des Jahres 1517 gegen die
Fremden in London war kaum beschwichtigt5). Neun Jahre
hatte jetzt England ohne die Galeeren bestanden, warum nicht
auch in Zukunft? Wozu diese unbequemen, verschlagenen
italienischen Händler, die den einheimischen Gewerbsleuten
und Kaufleuten den Gewinn verdarben und den Reichthum
aus dem Lande zogen?6) Ist es recht , dass die Venetianer
caten geben. Giustinian, Fouryearsetc.il. S. 106. 111. Brown, Cal.II.
984 u. 941. 23. o. 31. Juli 1517.
*) Wie sehr die englische Regierung die Ankunft der Galeeren
wünschte, darüber vgl. auch Brown, Cal. II. 905.
>) Brewer, CaL II. 3794. 12. Nov. 1517.
B) Brown, Cal. II. 1034. Ueben die Verzögerung der Ankunft der
Galeeren und deswegen in Venedig getroffene Massregeln vgL Brown,
Cal. IL 976.
4) Giustinian a.a.O. IL S.195. Brown, Cal.II. 1041. 16. Juni 1518.
*) Giustinian a. a. 0. II. S. 68 — 72. Brown, Cal. II. 879.
5. Mai 1517. Sieh Näheres hierüber unten im Abschn. IL Cap. EU.
•) Es ist bekannt, wie einzelne Beispiele vom Volk immer verall-
gemeinert werden. Das Reichwerden verschiedener in England etablirter
Kaufleute konnte allerdings dem blödesten Auge nicht entgehen. Auch
— 151 —
jetzt den Nutzen haben von dem Unglück, das die zahlreichen
Schiffbrüche der letzten Zeit über die englischen Kauffahrer
gebracht?1). Ist es billig, dass diese Italiener alle gute Wolle
exportiren und die einheimische Tuchindustrie schädigen? So
etwa dachte man im Volke, und schon beim Empfang des
Königs sah Giustinian sich genöthigt, die Gnade und Huld des
Monarchen für die venetianischen Kaufleute zu erbitten 2).
Die Venetianer hatten kaum begonnen, ihre Waaren zum
Verkauf auszubieten, als man entdeckte, dass sie nicht, wie
das Gesetz (1 Rieh. III. c. 11) vorschrieb, 10 Bogenstäbe für
jede Halbtonne Malvasier mitgebracht hatten s), und diese
Gesetzesverletzung sofort bei den Gerichten und der Regierung
denuncirte 4). Sei es, dass die Kaufleute wegen der grossen
Verbreitung der Feuerwaffen glaubten, die englischen Statuten
wegen der Bogenstäbe seien ausser Uebung gekommen 6), oder
sei es, dass sie absichtlich wegen des aus dem Bogenholz-
handel erwachsenden Schadens 6) den Import unterlassen hatten,
formell waren sie im Unrecht. Gleichwohl gelang es hier der
Geschicklichkeit Giustinians, das Unglück abzuwenden. In
einer glücklichen Stunde, in der Wolsey besonders gut gelaunt
und gegen Giustinian sehr zuvorkommend war, erwähnte der
schlaue Venetianer die Angelegenheit in solcher Wendung,
dass Wolsey die Versicherung gab, keine Hindernisse dulden
zu wollen7).
Giustinian erwähnt in seinem Bericht, den er am 10. October 1519 an den
Senat erstattete, dass mehre Venetianer wieLorenzo Pasqualigo, Nicolo Duodo
and Andere sich grosse Vermögen erworben hätten, fugt aber auch bei,
dass einer Bankerott machte. Brown, Cal. II. 1287.
*) Giustinian schreibt am 10. Dez. 1517, dass die Venetianer in Folge
der zahlreichen Schiffbrüche einen guten Markt zu erwarten hätten. Brown,
Cal. II. 994.
«) Brown, Cal. II. 1041. 16. Juni 1518.
*) Wie streng die Zollbeamten dies Gesetz zn handhaben pflegten,
zeigt die Acte 6 Hen. VIII. c. 11.
4) Schon durch Acte 12 Edw. IV. c. 2 (1472) wurden die Venetianer
gezwungen , für jede Tonne auf venetianischen Schiffen importirter Waaren
4 gute Bogenstäbe mitzubringen bei Strafe von 6 sh 8 d. Da die Venetianer
dennoch den Preis hochzuhalten vermochten, so erliess Richard III. auch
noch das obige Gesetz und setzte die Strafe auf 18 sh 4 d fest.
*) Dies war nicht der Fall -, die Masse der englischen Fusssoldaten und
lindlichen Bevölkerung bediente sich noch immer des Bogens, und Hein-
rich VIII. suchte diese Nationalwaffe zu erhalten; vgl. 33 H. VIII. c. 9.
e) Keinen Vortheil brachte der Import, seit Heinrich VIL (3. Hen. Vn.
& 13) den Preis der langen Bogen auf 8 sh 4 d fixirte und damit auch dem
Rohmaterial eine Preisgrenze setzte.
*) Giustinian, Fouryears etc. IL S.183. Brown, Cal. II. 1028. 2. Mai
1518. Brown (in der Uebersetzung der Giustinian' sehen Briefe a. a. 0.)
wundert sich, dass Wolsey nicht die Gelegenheit benützte, die gesetzliche
Strafe von 13 sh 4 d gegen die 18 sh Zuschlagstaxe vom Wein zu com-
pensiren. Ganz abgesehen davon, dass es sich, wie wir wissen, nicht um
18 sh, sondern nur 6 sh 8 d handelt, würde Wolsey doch ein schlechtes
Geschäft gemacht haben, da der Zollbetras für Wein in der Summe be-
deutend mehr ergab, als die Strafe für die Bogenstäbe.
— 152 —
Ernster nahm dagegen Wolsey eine andere Frage auf.
Eines Tages theilte er dem venetianischen Gesandten mit,
rtass er sich den ihm zugegangenen Berichten zufolge sehr in
seinen Erwartungen getäuscht sehe; die Venetianer hätten nur
eine Galeere zu Southampton ausgeladen, dagegen zwei nach
Flandern geschickt1). Ueberhaupt sei ein grosses Missverhält-
uiss zwischen Import und Export beobachtet worden; früher
habe ein kleiner Zuwachs zum Werth ihrer Importe genügt,
uin die Kosten des Exports zu decken, diesmal aber betrage
die Einfuhr nicht den sechsten Theil der heimwärts gerichteten
Ladung, letztere müsse sonach mit andern als venetianischen
Capitalien bezahlt werden, und das sei für den König schäd-
lich2).
Giustinian war förmlich durch diese Anklage überrascht
worden. Obwohl seine „Erfahrung in andern Dingen grösser
als im Handel" war, so besass er doch diplomatische Gewandt-
heit genug, um Wolsey s Argumente theil weise zu entkräften.
Er bemerkte, dass der erste Punct blos von niedrigen und
bösen Leuten suggerirt sein könne. Die Venetianer hätten
vertragsmässig nur 1 Galeere in Southampton auszuladen.
Die venetianischen Schiffe seien auch keineswegs so ärmlich
befrachtet, als manche Verläumder verbreiten möchten. Das
p lie schon daraus hervor, dass von Venedig beständig Wechsel
nach London gezogen würden. Er fürchte, die Galeeren wür-
den gar nicht hinlänglich Fracht finden, denn verschiedene Kauf-
leute, die sonst diesen Markt besuchten, seien über den Con-
rinent gereist und dadurch den Galeeren zuvorgekommen. Das
.sei allerdings richtig, so reich beladen wie früher könnten die
venetianischen Schiffe nicht mehr in den englischen Gewässern
erscheinen; einmal seien die Gewürze nicht mehr zu dem
früheren Preise verkäuflich, sodann sei zu bedenken, dass seit
dem letzten Hiersein der Galeeren neun Jahre verflossen
und die Kaufleute naturgemäss im Ungewissen gewesen
seien, was ihnen Vortheil bringe. Jetzt, nachdem sie die Be-
dürfnisse des Marktes kennen gelernt, würden die Galeeren
bald ein anderes Bild gewähren.
a) Vgl. auch die dem Capitan Priuli gegebene Commission (Brown,
C*L II. 841. S. 864), in der bestimmt ist, dass 2 Galeeren von Southampton
zurück nach Helvoetsluys oder Antwerpen zu kommen haben.
%) Giustinian, Four years etc. IL Ö. 196 fg. Brown, CaL IL 1042.
21. Juni 1518. Diese Schlussfolgerung ist wohl danin zu verstehen, dass die
W-nctianer für den Ueberschuss der Ausfuhr über die Einfuhr Wechsel
auf niederländische Plätze an die Merchants adventurers oder an die
Nitnsen verkauften. Da beide hinsichtlich der Zölle gegenüber den
Yenetianern im Vortheil waren, so ergab sich eine Zollminderung, wenn
'U ose für die Wechselbetrage Waaren aus den Niederlanden oder den
Hansegebieten importirten, anstatt dass die Venetianer venetianische Waaren
einführten. Aus den folgenden Verhandlungen darf man aber schliessen,
dass Wolsey im Interesse der Weber auch den Wollexport unter dieser
Maske beschrankt wissen wollte.
— 153 —
Wolsey liess sich aber durch diese Argumentation nicht
von dem geäusserten Entschluss abbringen, die Grösse und
Beschaffenheit der Export waaren prüfen zu lassen, behielt sich
auch vor, in Zukunft die Bedingung zu stellen, dass der Aus-
fuhrwerth der Galeeren dem Einfuhrwerth gleich sein müsse *).
Zum ersten Male hatten hier die Entdeckungen auch
ihren Schatten auf die commerciell- politischen Verhandlungen
zwischen England und Venedig geworfen.
Am 19. April 1519 segelten nach vielen Qualen, Leiden
und Unannehmlichkeiten *) die Galeeren der Heimath wieder
zu5). Auch Giustinian hatte die Genugthuung, von seiner
Legatio oder, wie er auch sarkastisch zu sagen beliebte, Re-
legatio entbunden zu werden und in Surian einen Nachfolger
zu erhalten4). Wenig ermuthigend für die Zukunft war der
Abschied- Der Cardinal versprach nicht nur gar Nichts be-
züglich der Weinzölle, sondern stellte noch neue Verhandlungs-
objecte, nämlich die Fragen des Wollexports, der gefälschten
Tücher und der Einfuhr von venetianischen „Halfpence" 6) in
Aussicht 6).
Die alten Immunitäten waren bedroht, von allen Seiten
griff man die Venetianer an. Noch einen letzten Versuch hin-
sichtlich der Weinzölle wollte man jedoch nicht unterlassen.
Man hatte bemerkt, dass der Cardinal Geschenken durchaus
nicht unzugänglich war7), und Giustinian hielt es für sehr
räthlich, wenn man ihm die Teppiche, die er bestellt, zum
Geschenke mache. Wirklich beschloss auch der venetianische
Senat, 60 schöne Teppiche zum Preis von 600 Ducaten für
Wolsey anzukaufen8). Der Cardinal war aufs Höchste ent-
zückt9); aber der Zoll blieb nach wie vor. Jetzt waren sie
endlich überzeugt, dass die Regieruiig Heinrichs VHI. nie und
*) Giustinian Four years etc. II. S. 196. Brown, Cal. IL 1042.
2. Juni 1518.
*) So ist noch zu erwähnen, dass der Capitan Andreas Priuli in Ant-
werpen am 16. September 1518 starb (Brown, Cal. II. 1078). in Sout-
hampton im März 1519 die Pest am Bord eines Schifies ausbrach und den
Vicecapitan und einen Theil der Mannschaft wegraffte (Brown, Cal. II. 1186),
endlich dass die Flandrer sie mit allerlei Erpressungen verfolgten. So
sollten nach dem Wunsche „der Präsidenten" die Galeeren dies Mal 500
und in der Folge immer 200 Ducaten Hafengeld behufs Ausbaggerung
zahlen. (Brown, Cal. II. 1102. 9. Nov. 1518.)
*) Brown, CaL II. 1211. 29. April 1519.
4) Giustinian a.a.O. II. S.279. Brown, Cal. II. 1244. 30.Junil519.
*) Vgl. Abschn. II. Cap. 5.
•) Giustinian a.a.O. IL S.292. Brown, Cal.H. 1259. 21.Julil519.
') Koch als Giustinian in England war, gelang den venetianischen
Kaofleuten, den wegen eines Streitfalls über sie höchst aufgebrachten Wolsey
durch sieben Damascener Teppiche wieder zu besänftigen. (Brown, Cal. IL
1105. 11. Nov. 1518.)
*) Brown, Cal. III. 85. 110.
•) Brown, Cal. III. 138. Wie interessirt Wolsey boi dieser Gelegen-
heit sich zeigte, darüber vergl. Brown, Cal.IIL 118.
— 154 -
nimmermehr den fraglichen Weinzoll aufheben werde. That-
sächlich gelang auch seine Beseitigung erst unter Jacob I. zu
einer Zeit, wo dieselbe ganz bedeutungslos war1); denn der
Malvasier war ausser Mode gekommen und vom Sherry ver-
drängt worden2).
Fortan richtete man sein ganzes Augenmerk auf Erhaltung
und Fortsetzung des Handels, die Kaufleute aber suchten, so
gut es ging, mit den gegebenen Verhältnissen sich abzufinden
und aus der jeweiligen Lage Vortheil zu ziehen.
Die -nächste Galeerenfahrt ging glatt von Statten; noch
im selben Jahre hatte man sie abgeschickt und gerade gegen
die Wende des Jahres (1519) kam sie „zur allgemeinen Freude4*
in England an*). Allein auch diese Fahrt deckte den Woll-
bedarf nur für kurze Zeit4); im Frühjahr 1521 beschloss man
die Absendung einer neuen Handelsflotille, und diese ging auch
im August 1521 unter Segel5).
Grosse Gefahren drohten dieser Fahrt. Zwischen Frank-
reich und Spanien war ein Streit ausgebrochen, und der Kaiser
T\ie Heinrich VIII. bestrebten sich, Venedig zu offener Partei-
nahme gegen Frankreich zu drängen. Als eines der drei ve-
netianischen Schiffe, die Donata, in Folge eines Sturmes an der
*) Vgl. Giustinian, Four years etc. II. S. 100 fg.
2) A. a. 0. IL S. 23.
*) Brown. Cal. III. 1. 3. Brown hat in seiner schätzenswerthen
Tabelle Nr. 4 über die Expeditionen (Cal. I. Pref. S. CXXXIV) diese nicht
erwähnt.
*) Brown, Cal. III. 120. publicirt die Licenz über die aus dem Hafen
von London auszuführende WoUe:
Zahl
Die Wolle
der Säcke
Steine
1
verpackt
in Bündel
Eigenthümer der Wolle
46
20
43
Bartolomeo Marcadello
von Venedig.
«s</fl
23V«
44
1 Pancrazio Capello
T) 7)
60
12
56
Giovanni Meravile
23'/8
17 '
22
Paolo Meliano
30
24 !
28
Lodovico Trevisan
»1%
24
27
Andrea Nicolö de Molin
8V2
13
9
Alessandro Alberto
„ Florenz.
BVi
17
8
Andr. Giustinian
„ Venedig.
*/t
17
3
Filippo Alberto
Lodovico Valaresse
„ Florenz.
8
12
8
„ Venedig.
5
18 j
5
Giorgio Capella
Francesco Trevisan
» »
i
1 ' 1
4
—
17 i
1
Antonio Venia
n »
Die Summe für London betrug somit 279 Sack 72/i Stein Wolle, die
in 258 Bündel gepackt war: dazu kamen noch 70 (vermuthlich) dacre oder
700 Stück gegerbte Häute des Nicolö Trevisan aus Venedig. Jedenfalls lud
dasselbe Schiff noch Wolle und Waaren in Southampton. Sieh jedoch auch
Bd. IL S. 76, 109.
*) Brown, Cal. IIL 303.
— 155 —
biscayschen Küste gezwungen war, in den Hafen von St. Se-
bastian einzulaufen, zeigte sich sofort, was man zu erwarten
hatte. Trotz des eben bestehenden Waffenstillstandes1), durch
welchen die Sicherung der Fahrten garanürt war, und trotz
des Geleitsbriefes wurde die Galeere mit Beschlag belegt, an-
geblich weil man den Waffenstillstand gebrochen und Fonte-
rabia habe unterstützen wollen *). Nach langen Verhandlungen 8)
glückte es der Donata zu entkommen und sich mit den beiden
andern Gefährtinnen in Southampton zu vereinigen4).
Aus dem Regen kamen die Venetianer nun in die Traufe.
Der Kaiser weigerte sich, den Geleitsbrief zu verlängern 5), der
englische König entzog ihnen seine Unterstützung. Mit einer
Fluth von Anklagen, Beschwerden und Insulten wurden sie
von Wolsey überschüttet6) und zuletzt wurde auch auf die
Schiffe Beschlag gelegt 7). Dieselben mussten wieder ausgeladen
werden 8). Man verbot allen venetianischen Unterthanen,
Waaren aus England zu exportiren, erlaubte auch nicht, zu
Lande oder im Namen anderer Fremden9), Waaren nach Ve-
') Vgl. Brown, Cal. IIl!»351.
*) Brown, Cal. III. 381. 384. 385.
3) Brown, CaL III. 391. 394. 399. 408. 419. 434. 458. Bergen-
roth, Cal. HL 896.
4) Diese beiden andern Schiffe waren am 6. Jan. 1522 in England an-
gelangt Nach Flandern durften sie sich dieses Mal kaum wagen.
ö) Brown, Cal. III. 447.
6) Wolsey eröffnete dem Gesandten, dass er auf die Sendung weiterer
Galeeren ganz verzichte, da sie so ärmlich beladen kämen, dass der frühere
Gewinn in England nicht mehr gemacht werde. Brown, Cal. III. 406.
408. 410. 424. Ferner beschuldigte er die Venetianer, einen englischen
Kaufmann getödtet und seiner Baarschaft von 40 000 Ducaten (!) beraubt
zu haben; er beklagte, dass sie ihre Wolle nicht mehr baar bezahlten,
sondern im Tausch erwerben wollten und ihre Weinmasse immer kleiner
machten. (Brown, Cal. III. 440; 441.) Gelegentlich betitelte er sie „Pro-
mise breaker and tbe lowest of all potentatesu (Brown, Cal. III. 555).
7) Vgl. darüber Brown, Cal. III. 457. 463. 465. 474. 480. 486. 495.
498. Bergenroth, Cal. IL 473. 482. 487. 491.
*) Brown, Cal. III 484. Dass die venetianischen Kaufleute wie
▼üthend sich geberdeten, lässt sich denken. Als Wolsey sehr unwillig
darüber ward, entschuldigte sie der Gesandte mit der Aeusserung, es seien
eben Privatpersonen, bei denen thatsächlich ein grosser Theil ihres Ver-
mögens auf dem Spiele stehe. Die Kauf leute behaupteten, dass selbst nach
Freilassung der Galeeren der erwachsene Schaden auf mehr als 50 000 Du-
caten sich belaufe. Bergenroth, Cal. II. 500. Wie aus Browns
Cal in. 506 und unseren Zollregistern (Bd. II. S. 84) hervorgeht, hatten die
Venetianer dies Mal besonders viele Wolle eingekauft.
') Die Venetianer bedienten sich hiebei besonders der Schiffe der
Ragusaner, Florentiner und Genuesen. Allein * das Unglück verfolgte sie
auch hier. Von 6 italienischen Schiffen, die sie auf diese Weise befrachtet
hatten, scheiterten zwei auf der See, zwei andere strandeten und wurden
schadhaft, das fünfte wurde vom Sturm nach Southampton zurückgeworfen,
und das letzte wurde in der Bretagne von einem Capitan des französischen
Königs angehalten, jedoch das Eigenthum wieder zurückgestellt. Brown,
CaL HI. 644; Brewer, Cal. III. 2427.
— 156 —
nedig zu bringen *) und decretirte neue Abgaben zum Schaden
der Venetianer *), wollte überhaupt die Verfolgung nicht ein-
stellen, bis der Freistaat sich offen als Feind Frankreichs er-
kläre und seine Feindschaft auch durch Thaten erweise3).
Alle Bitten wurden zurückgewiesen4). Vergeblich war es,
wenn man daran erinnerte, dass der König den Staat ein-
geladen habe, die Schiffe wieder zu schicken und sogar beim
Kaiser um Geleitsbriefe sich verwendet6), vergeblich, wenn
man aufmerksam machte, dass Schiffsherr, Kaufleute und Ru-
derer zu Grande gingen, vergeblich, wenn man bedeutete, der
Handel sei für die Engländer ebenso vorth eilhaft, wie für die
Venetianer selbst6), vergeblich, wenn man den englischen Ge-
sandten Rieh. Pace in Venedig mit Liebenswürdigkeiten über-
häufte7), vergeblich, wenn man dem König gegenüber keine
Repressalien übte, sondern sogar noch zollfrei seine in Florenz
bestellten goldgewirkten und seidenen Kleider durch venetia-
nisches Gebiet gehen Hess8), vergeblich, wenn das Haupt der
Christenheit sich für Freilassung der Galeeren verwendete9).
Die Schiffsleute verliessen verzweifelnd den englischen Boden,
um über den Gontinent mittels Betteln bis in die Heimath
sich durchzuschlagen, gingen aber grösstenteils auf dem Wege
elend zu Grunde 10). Den venetianischen Galeeren drohte der
Untergang durch Motten und Würmer11), in Venedig selbst
begann wieder die Wollnoth 18).
Endlich als die venetianische Regierung der englischen
Politik mehr entgegenkam, zeigte sich auch Heinrich VIII.
den Kaufleuten gegenüber versöhnlicher. Er war bereit, den
Venetianern nicht nur den Export der Waaren zu erlauben,
sondern auch die Galeeren freizugeben, wenn die Signorie
100 000 Ducaten hinterlegen wolle zur Garantie dafür, dass sie
nicht auf Frankreichs Seite trete, wenn sie ferner verspreche,
jedes Jahr eine Handelsflotte zu schicken, wenn endlich die
Zollabgaben baar bezahlt und nicht mehr creditirt würden
und der König die Kanonen der Galeeren für sich behalten
*) Brown, Cal. HL 522. 555.
*) Brown, Cal. III. 562.
8) Brown, CaL III. 522 und sonst; auch Brewer, Cal. IIL 2497.
4) Brown, CaL IIL 513.
5) Dem endischen Gesandten Pace erklärten die Venetianer, dass das
ganze vorgehen Englands eine Verletzung des „jus gentium" sei. Brown,
•) Brown, Cal. IIL 517.
') Brown, CaL IIL 559. 587. 610. 611. 626. 706. 707.
8) Brown, CaL IIL 503. 24. Juli 1522.
') Brown, Cal. in. 582 und Brewer, CaL III. 2529. 2721. 10. Sept
und 23. Dez. 1522. Auch Cardinal Medici wandte sich deswegen anWoleey.
Brewer, Cal. in. 2516.
10) Brown, Cal. in. 567. 637.
») Brewer, Cal. IIL 2684.
'*) Brown, Cal. IU. 515.
— 157 —
dürfe1). Doch liess er sich zu einem Compromiss herbei, in
welchem er fast alle diese Bedingungen fallen liess2) und am
4. Juli 1523 konnten endlich die Galeeren von St. Edwards
absegeln8)..
Das waren die Geschicke der dritten unter Heinrich VI1L
erfolgten venetianischen Flottenfahrt.
Sicherlich waren diese Erfahrungen nicht geeignet, den
Handel der Venetianer nach England zu ermuthigen. Obwohl
man der englischen Wolle sehr dringend bedurfte und wegen
des Mangels an solcher wieder zu den alten Massregeln zurück-
kehren musste, wollte man doch die Staatsgaleeren keiner
neuen Gefahr aussetzen '), und da es bei der verwickelten und
rasch wechselnden politischen Lage nicht gelang, sichere Ga-
rantien gegen die Wiederkehr derartiger Vorkommnisse zu er-
langen6), so kam man über die Beschlüsse neuer Sendungen
nicht hinaus6). 10 Jahre lang blieb der staatliche Flotten-
verkehr wieder ausgesetzt.
2. Periode (1530—47).
Während der Zeit Wolsey'schen Einflusses war es trotz
aller Bemühungen den Venetianem nicht geglückt, dem Ver-
kehr mit England die frühere Stetigkeit, Gleichmässigkeit und
Sicherheit wieder zu geben. Die Unterbrechung war Regel,
die Staatsflotillen, ehedem eine Gewähr für das Gelingen der
Fahrt, waren jetzt nur der Zielpunkt des Angriffs für die sich
consoHdirenden nationalen Grossstaaten geworden.
Doch der Cardinal, der ihnen so viele Leiden zugefügt,
war inzwischen gestürzt worden, ein neuer Staatsmann an
!) Brown, Cal. III. 608. 1. Jan. 1523. Diese Bedingungen erregten
grosses MißBf allen, und Pace bekam im Collegium schwere Vorwürfe zu
hören. Brown, Cal. III. 621.
') Nor 6 Stacke der Artillerie behielt die englische Regierang zurück.
*) Brown, Cal. III. 701. Einige Schwierigkeit hatte das Fehlen der
Seelente hervorgerufen, als die Galeeren abfahren wollten. Brown, Cal. III.
637. 656. 671.
*) Wie auch venetianische Privatschiffe fortwährend auf den englischen
Fahrten, sogar durch die Franzosen zu leiden hatten, darüber vgl. Brown,
CaL III. 836. 838. 1022.
*) Im Jahre 1524 dachte man an die Wiederaumahme der Galeeren-
toten; es wurde aber im Senate darauf hingewiesen, dass man das letzte
Mal grossen Verlust erlitten habe, und dass es nicht recht sei, Staats-
angelegenheiten mit denen der Privatleute in solcher Weise zu vermischen.
Der Consul in London solle deshalb den König benachrichtigen, dass der
Staat gerne den gewöhnlichen Handel mit England vermittels der Galeeren
fortsetzen würde, wenn der König die misstrauisch gewordenen Kaufleute
gegen jegliche Belästigung sicher stellen wolle. Er möge deshalb Hein-
rich YIII. veranlassen, einen Geleitsbrief und öffentlich das Versprechen
jn geben, dass fortan kein Leid den Flotillen und Venetianern geschehe»
Brown, Cal. 1H. 877.
*) Vgl. z. B. Brewer, Cal. IV. 5265.
- 158 —
seine Stelle getreten. Schon lebten die Venetianer der an-
genehmen Hoffnung, dass es unter Cromwell gelingen möchte,
den flandrischen Galeeren wieder zu ihrem alten Glänze zu
verhelfen, die nöthige Fühlung mit den nördlichen Märkten und
den allmälig verloren gegangenen Zwischenverkehr wieder zu
gewinnen.
War es aber wahrscheinlich, dass diesem gewiegten Han-
delspolitiker entgangen, welch' grosse Veränderungen der ve-
netianische Handel in den letzten Decennien erfahren? Hatte
nicht gerade das erste Vierttheil des 16. Jahrhunderts die Ent-
wicklung, die am Ende des 15ten begonnen, endgiltig zum
Nachtheil Venedigs entschieden und auch für den Blödesten
ausser allen Zweifel gestellt, dass dessen Position und Macht
vollständig verrückt worden war?
Aus einem eigentlichen Handelsstaate, der den Umtausch
der Producte verschiedener Verkehrs- und Industriegebiete
vermittelte und die hiebei entscheidende Wasserstrasse be-
herrschte, sank Venedig mehr und mehr zu einer in engere
Grenzen gebannten Industriestadt herab. Die pisanische, cata-
lonische und genuesische Seemacht hatte Venedig überdauert,
aber nun verfiel auch die venetianische Pracht ihrem Schicksal,
und alle Klugheit und diplomatische Kunst half hier nicht aus.
Der Verkehr mit Aegypten, die Grundlage des venetianischen
Handels, krankte zusehends, seit die Portugiesen den neuen See-
weg aufgefunden hatten und mit grossen Mengen indischer Ge-
würze auf dem Markte erschienen. Als die Osmanen Aegypten
und Syrien eroberten (1517), schwand auch der letzte Hoflnungs-
strahl, den Gewtirzhandel je wieder auf seine ehemalige Blüthe
zu bringen1). Nicht als ob er ganz aufgehört hätte. Die Ve-
netianer unterhielten noch immer einen nicht unbedeutenden
Seeverkehr mit Aleppo, das nun der Hauptstapelplatz des
Orients geworden war. Noch grösser vielleicht war seine Ver-
bindung mit dem Orient mittels Carawanen, die von Constan-
tinopel nach der venetianischen Küste zogen. Sein Handel
nach Deutschland dauerte ohnehin ungeschwächt bis zum
30jährigen Krieg fort. Auch mit Spanien und Portugal blieb
es im Verkehr. Von Spanien bezog Venedig den Hauptbedarf
an Wolle, seit es auf die englische und französische verzichten
musste; denn die levantinische und italienische Wolle war
nicht fein genug2). An sich machte auch Venedig durchaus
nicht einen verödeten Eindruck, es herrschte noch immer da-
selbst reiches Leben, und man kann am Ende ihm selbst für
die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Weltstellung vin-
*) Vgl. besonders He yd, Geschichte des Levantehandels II. S. 505 fg.
530 fg.
2) Discorso della fragilitk di Venezia 1605.
— 159 —
diciren1). Aber im Vergleich zu früher war Venedigs Glanz
doch ganz entschieden im Verblassen. Ebenso war es von
andern Handelsplätzen weit überflügelt 2).
Die italienischen Staaten büssten jetzt, dass sie in gegen-
seitigem Zank und ewiger Eifersucht zu keiner Nation sich
zusammengeschlossen hatten, sondern zerbröckelt, zerrissen da-
lagen, als allerwärts mächtige Staatseinheiten emporwuchsen 3).
Langsam, aber sicher ging Venedig seinem Verfall entgegen, all'
seine Versuche, denselben aufzuhalten, scheiterten4), schliess-
lich verzweifelte es an sich selbst.
Mit dieser Umwandlung war auch Venedigs Verhältniss zu
England auf eine ganz andere Grundlage gestellt. Die frühere
commercielle Abhängigkeit Englands von Venedig hatte sich
gerade umgekehrt. Fortan war es nicht mehr eine Not-
wendigkeit, dass die englische Regierung die Venetianer be-
günstigte und allen ihren Wünschen willfahrte, fortan dictirte
sie vielmehr die Bedingungen, unter denen die venetianischen
Kaufleute nach England kommen konnten. Von der herr-
schenden Strömung in England hing es ab, welcher Art diese
seien.
Die damalige Stimmung war nun durchweg feindselig. Die
englische Schiffahrt sah im Kommen der venetianischen Ga-
leeren ein Hemmniss, die einheimische Industrie in dem durch
diese bewirkten Export der Rohstoffe eine Beeinträchtigung.
Wie Cromwell diesen Zuständen gegenüber verführ, wird aus
unserer folgenden Darstellung sich ergeben.
Die stete Aufmerksamkeit, die man dem englischen Con-
sulatswesen im Mittelmeer zuwandte 5), ist ein deutlicher Beleg,
welchen Werth Cromwell und Heinrich VIII. auf die Erstarkung
des englischen Handels in diesen Gebieten legte. Das Con-
') Sieh über die allgemeine Lage der Republik um die Mitte des
16. Jahrhunderts Ranke, Zur venetianischen Geschichte 1878. S. 21 fg.
*) Marino Cavalli sagt z.B. von Antwerpen 1551: „Anversa'e terra
di settanta owero ottanta mila anime, e fa tante faccende di cambi e d'ogni
altra sorte di mercanzia, che in vero mi son stupito di maraviglia in veder
ciö pensando certissimo che superi assai questa citta (Veneria)." Alberi,
Relarioni 8er. L Vol. II. S. 202.
*) Dies wird sehr gut betont von Lafaurie, Geschichte des Handels
in Beziehung auf politische Oeconomie und öffentliche Ethik (Neue Ency-
dopadie der Wiss. und Künste. 5. Bd. Nr. 1. 1848) S. 99 fg.
*) So namentlich die Unterhandlungen mit Portugal wegen des Gewürz-
handels 1521; Stevens, Geschichte von Portugal 1698 und Giustinian,
Four years etc. II. S. 82 u. 85 Note 6; sieh auch Heyd a. a. 0. II. S. 539.
Die vernünftige Beurtheilung der Lage durch den Venetianer Gasp. Contarini
in seiner Unterredung mit Beb. Cabot sieh bei Brown), Cal. III. 607: vgl
auch IIL 612.
5) 1530 wurde für Candia Dion. Harrys aus London, 1582 abermals
ein Consul ernannt, 1543 dem Luccaner Kaufmann Nicholo de Nicholais
die Function übertragen. Rymer XIII. S. 766; XIV. S. 389; XV. S. 10.
Brown, Cal. IV. 832. Für Chios wurden 1531 der Genuese Ben. Justi-
niano ernannt Rymer XIV. S. 424. 704.
— 160 —
sulat auf der Insel Chios wie Candia wurde aufrecht erhalten,
und es ist nicht ganz unmöglich, dass unter Cromwell sogar für
Venedig ein englischer Consul ernannt wurde1). Gleichzeitig
lässt sich aber auch daraus schliessen, dass die Anstrengungen
der englischen Kaufleute nach dieser Richtung hin wirklich
Erfolg hatten*). Ganz entsprechend war die Politik gegen
die Galeeren eine unfreundliche.
Mit dem Beginn des Jahres 1529 hatte man wieder ernst-
lich die Absendung einer Flotille betrieben3). Am 80. Man
1530 war dieselbe zum Auslaufen bereit, aber erst am 12. Sep-
tember 1531 wird ihr Erscheinen im Hafen von Southampton
gemeldet. Die venetianische Regierung wollte dieses Mal sich
erst nach allen Seiten sicher stellen und verschaffte sich so-
wohl vom Könige von Frankreich4) als von Heinrich VIII. •)
Geleitsbriefe. Auch war sie ängstlich darauf bedacht, die Li-
cenzen für Wolle und Zinn und die Ausnahmestellung gegen-
über den Parlamentsacten 3 Hen. VII. c. 8 und 4 Hen. ML
c. 11 in der früher üblichen Weise und rechtzeitig wieder zu
erlangen 6). Am 12. März 1530 wurde dieser Licenzbrief auch
auf 5 Jahre ausgestellt7).
Trotz aller Vorsicht, die man angewendet, blieben den
Galeeren die Schwierigkeiten in England nicht erspart Gerade
damals waren die Stimmen gegen die forcirte Ausfuhr von
Wolle in den bürgerlichen Kreisen lauter denn je, und Crom-
well trug ihnen Rechnung dadurch, dass er eine Acte Hein-
richs VII. (4 Hen. VII. c. 11) erneuern liess, welche den Frem-
den vom Mai, wo die Schafschur zu sein pflegte, bis 2. Februar
den Wollverkauf verbot0). Als nun die venetianischen Kauf-
leute gestützt auf ihre Licenz, sei es für Privatschiffe, sei
es bereits für die zu erwartenden Galeeren, Einkäufe bewerk-
*) Vgl. das Dankschreiben Duodos an Cromwell. Urk. BeiL 61.
Möglich ist allerdings, dass Duodo für Gandia als Consul bestimmt war; denn
auch dieser musste immer erst von der venetianischen Regierung anerkannt
werden (vgl. Brown, Cal. II. 832). War abefDuodo in Venedig ansässig,
wie dies der Fall zu sein scheint, dann ist wohl die im Text geäusserte
Ansicht die richtige. Brown, Cal. I. Pref. S. LVI. datirt das englische
Consulat erst vom Anfang des 17. Jahrhunderts an.
9) Hakluyt, The principal navigations, voyages etc. II. S. 96. 98.99.
8) Brewer, Cal. IV. 5265.
4) Dies erwieß sich nothwendig in Anbetracht der Feindseligkeiten,
welche sich französische in Marseille gut ausgerüstete Schiffe in den levan-
tinischen Gewässern erlaubt hatten. Brown, Cal. IV. 571. 575. 607.
5) Brown, Cal. IV. 493. 599. 619, Die englischen Geleitsbriefe wur-
den am 19. September 1530 ausgehändigt.
8) Die Signorie glaubt, eine Neubestätigung selbst etwa noch geltender
Licenzen wurde das grosse Misstrauen der venetianischen Kaufleute besei-
tigen und diese veranlassen können, mehr Capitalien nach England zu
schicken. Brown, Cal. IV. 624. 28. Sept. 1530.
7) Brewer, Cal. IV. 6270.
8) 22. Hen. VIII. c. 1. 1530.
— 161 —
stelligten, erhob sich im März 1530 unter den Londoner We-
bern ein Aufstand, dessen Ziel die Ermordung der venetiani-
schen Kaufleute war *).
Die Regierung wagte nicht, der grossen Gährung im Volke
zu trotzen und verlangte, dass auch die Kauf leute der Galeeren
dem neuen Gesetze sich fügten. Vom 12. September bis 2. Fe-
bruar sollten sie unthätig in England sich herumtreiben 2). So
hart diese Massregel war, die venetianische Regierung scheint
wenig Hoffnung gehabt zu haben, dass man eine Milderung
eintreten lassen werde8). Nur den unermüdlichen Anstrengungen
des Gesandten Carlo Capello war es zu danken, wenn der König
endlich den Einkauf von 1600 Säcken gestattete*). Man liess
den Venetianern aber deutlich merken , dass die Galeerenfahrten
auch der Regierung nicht mehr angenehm waren. Es erregte nicht
nur grosses Missfallen, dass man das Eduard'sche Gesetz wegen
der Bogenstäbe wieder verletzt hatte 6), sondern noch grösser
war der Unwille über die ganze Art und Gestalt, welche der
venetianische Handel nach England angenommen hatte. Die
königl. Räthe warfen dem venetianischen Gesandten die Nichtig-
keit ded Imports vor. Man bringe nur Glas und sonstige
werfhlose Dinge; von Gewürzen, Seide, Kamelotzeugen und
baarem Gelde sehe man nichts. In der Weise dürfe der Ver-
kehr nicht mehr weiter geführt werden. Wolle die venetia-
nische Regierung noch fernerhin Galeeren schicken, so müsse
erst eine Convention mit England über die Ladung, nament-
lich auch die Gattung und Qualität der Waaren und den
Betrag des mitzubringenden baaren Geldes abgeschlossen
werden 6).
Sehr ernst wurde diese Drohung in Venedig aufgenommen,
und in ausführlicher Darlegung suchte die Signorie die eng-
lische Regierung von der Unannehmbarkeit dieser Bedingungen
*) Brown, Cal. IV. 569. Ludovico Falier an die Signorie. 23. März
1530. Dem rasdien Eingreifen des Mayors, der 60 Rädelsführer festnehmen
liess, war es zu danken, dass der Aufstand keine, grösseren Dimensionen
annahm.
*) Brown, CaL IV. 683.
a) Brown, Cal. IV. 695.
*) Brown, CaL IV. 686. 687.
•) Im October 1531 erliess Heinrich VIII. den Befehl, dass der königl.
Staatsanwalt gegen die Eigenthümer der in Southampton vor Anker liegen-
den Galeeren wegen dieser Gesetzesverletzung vorgehe. (State Papers
Vol. L Pars II. S. 380.) Merkwürdig ist, dass der König auf das Gesetz
12 Edw. IV. c. 2 und nicht auf das strengere Richard'sche Gesetz sich
stützte; wahrscheinlich ist es so zu erklären, dass die Venetianer 10 Bogen-
stäbe per Butte mitbrachten, wie die Richard'sche Acte vorschrieb, aber
vergassen, auch noeh die 4 Bogenstäbe, welche das Eduard'sche Statut pec
Tonne verlangte, zu importiren. Denn dieses letztere war durch das
Richard'sche Gesetz nicht aufgehoben, wurde überhaupt erst 1822 endgültig
abgeschafft
•) Brown, Cal. IV. 703.
Schanz. Engl. Handelspolitik. L 11
— 162 —
zu überzeugen. Sie wisse nie, wer die Galeeren pachten
werde, meist könne sie nur durch bedeutende Beihilfe ihre
„Edlen" veranlassen, das Geschäft zu übernehmen. Diese ver-
möchten aber weder die Qualität noch Quantität der Güter zu
kennen, da die Kaufleute aus verschiedenen Beweggründen
erst dann ihre Geschäfte und Capitalanlagen offenbarten, wenn
die Galeeren im Begriffe ständen auszulaufen; ja viele Kauf-
leute sendeten Geld nach Sicilien und andern Plätzen, welche
die Schiffe berührten und Hessen erst dort verschiedene Waaren
ankaufen. Der Abschluss einer Convention über die Befrach-
tung sei schlechterdings unmöglich, und falls man darauf be-
stehe, müsste der Handel, der doch beiden Ländern Vortheil
bringe, aufhören. Was das baare Geld betreffe, so werde
eine beträchtliche Summe durch die Galeeren, sowie in Packeten
durch Couriere und durch Remittirung von Wechselbriefen aus
Flandern in England eingeführt. Wolle, Tuch und Zinn ver-
möchten die Kaufleute blos für Geld zu erhalten. Der König
könne nur den Betrag nicht mehr so genau berechnen, wie ehe-
dem, weil die Venetianer Kauf leute keine Goldgulden mehr nach
England schickten, die an der königl. Münze gegen Nobel aus-
getauscht werden müssten , sondern Kronen , die auf der Insel
cursirten. Dadurch entziehe sich die ungeheure Summe Gol-
des, die von den Venetianern gebracht werde, seinem Blick.
Hinsichtlich des geringen Imports an Gewürzen müsse die ve-
netianische Regierung bemerken, dass nicht ihr, sondern den
veränderten Zeitverhältnissen die Schuld hiefür beizumessen
sei. Die grosse Menge, welche man von Portugal erhalte,
drücke den Preis so, dass die »Gewürze billiger seien als in
Venedig selbst. Ihre Einfuhr von Venedig sei ohne Verlust
unmöglich. Was die Kamelotzeuge J) betreffe, so sei richtig,
dass sie nicht mehr die frühere Menge brächten. Der grösste
Theil werde von Flamändern und Engländern, die nach Ve-
nedig handeln, importirt. Der Grund hiefür sei ein sehr ein-
facher. Da diese einen viel niedrigeren Importzoll zahlten, als
die Kaufleute der Republik, so zögen sie fast den ganzen
Kamelothandel an sich und profitirten dabei den Gewinn der
Extraabgabe, der die Venetianer bei der Einfuhr unterworfen
seien. Die geringe Menge eingeführter Seide erkläre sich
durch die langjährige Unterbrechung des Verkehrs mit Eng-
land; inzwischen habe die Seide, die sonst von Sicilien ge-
bracht worden sei, neue Märkte gefunden; sie werde aber
jetzt wieder ihrem früheren Weg folgen, wofern nur die SchifF-
fahrt gesichert und ungestört bleibe. Gewähre man kräftigen
Schutz den Venetianern, so würden die werthvollen Waaren
sich schon einstellen2).
r) Ueher die Manufactur und Erzeugungsorte dieser Stoffe vgl. Hevd,
a. a. 0. II. S. 693 fg.
*) Brown, CaL IV. 704.
- 163 —
Die englische Regierung war aber schwer zu überzeugen.
Sie beharrte in den neuen Verhandlungen nicht nur auf ihrem
Standpunkt, sondern stellte immer grössere Forderungen. Der
neue Kanzler Thomas More eröffnete dem im königl. Rathe
erschienenen venetianischen Gesandten, dass, wofern die nächsten
Galeeren Wolle, Tuch und Zinn exportiren wollten, angegeben
werden müsse, welche Art Waaren man einfahren wolle und
in welchem Betrag, sowie mit was für Geld die Käufe gemacht
werden sollen; ferner hätten sich die venetianischen Kaufleute
zu verpflichten, eine bestimmte Menge gefärbter Tücher und
feines wie grobes Leinen exportiren zu wollen; endlich ver-
langte er, dass sie die Wolle fortan blos von den Staplern in
Calais kauften 1).
Der rührige Gesandte Capello wehrte sich mit allen Mitteln
dagegen. Er machte geltend, dass ein solches Verfahren gegen
das Privileg Verstösse, das der König den venetianischen Kauf-
leuten auf 5 Jahre ertheilt habe. Auch die Zölle würden sich
mindern; das Geld für die Wolle werde in Calais bleiben, in
London würden keine Verkäufe mehr gemacht werden. Der
König und die ganze Insel müsste grossen Schaden erleiden,
wenn die Venetianer nicht ihre gewöhnliche Fahrt machen
könnten; denn zur Zeit der Ankunft der Galeeren pflegte der
Werth aller Exportwaaren in London um 15 bis 20 °/0 zu stei-
gen*). Eifrig wurde die Sache im königl. Rathe debattirt, der
König nahm persönlich an den Berathungen Theil; schliesslich
wurde dem Venetianer der von Heinrich VIII. unterzeichnete
Bescheid, dass für dieses Jahr keine neuen Galeeren geschickt
werden sollten, da keine Wolle da sei. Auch ein nochmaliger
Appell an den König blieb erfolglos; denn derselbe erklärte:
Jt is well to take the wools from the Staplers."
Um den Standpunkt der englischen Regierung zu begreifen,
reichen die bereits früher von uns berührten Momente nicht
aus. Beförderung der einheimischen Industrie und die Einfuhr
von Baargeld durchziehen zwar auch hier die englischen Ein-
wände, aber selbst der letztere Grund bekommt ein theilweise
anderes Gepräge. Früher wünschte man dieselbe hauptsäch-
lich deswegen, dass die Venetianer nicht mit« Wechseln s) auf
die Niederlande, beziehungsweise durch die Hand der engli-
schen und niederländischen Kaufleute zahlten und dadurch
den englischen Fremdenzöllen auswichen4); nun aber kam
l) Brown, Cal. IV. 718.
*) Brown, Cal. IV. 718 u. 751.
s) Dass die Wechsel Zahlung den Hauptstein des Anstosses bildete,
geht namentlich aus einem Briefe der Signone hervor. Brown, Cal. IV.
857. Dagegen glaube ich nicht, dass mercantilistische Grundsätze oder Ge-
danken, wie Bie der Acte 8. Henr. V. c. 2 (1420) zu Grunde liegen, mass-
gebend waren.
*) Je besser dies gelang, um so schwerer wurde gleichzeitig den Eng-
landern das Concurriren im Mittelmeer gemacht; namentlich beim Malvasier-
11*
- 164 —
noch hinzu, dass Cromwell überhaupt den Handel von den
Niederlanden weg nach England verlegen wollte und doppelt
ungern sah, wenn die Venetianer dort den Hauptmarkt hatten.
Daneben spielten sich aber — um yon der Stellung Ve-
nedigs zur Ehescheidungsfrage und sonstigen allgemeinen Ver-
hältnissen ganz abzusehen — hinter den Coulissen Vorgänge
ab, die das Benehmen der englischen Regierung, namentlich
hinsichtlich, der Wolle, beleuchten x). Einer der reichsten ve-
netianischen Kaufleute, Mafio Bernardo, der in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts in England domicilii! war, knüpfte
um jene Zeit mit der englischen Regierung Unterhandlungen
an, um das Monopol des Wollexports nach Italien zu er-
werben2); er erbot sich, nicht nur hohe Summen für das
Recht zu geben, sondern er war auch bereit, alle Wolle von
den Staplern zu beziehen. Cromwell scheint dem Projecte
nicht abgeneigt gewesen zu sein, wie die oben dargelegten
Debatten zeigen. Welches Motiv das stärkste hiebei gewesen,
ob der finanzielle Gewinn, den Mafio in Aussicht stellte, oder
ob die Beseitigung der Feindschaft der Stapler gegen die
Italiener, oder ob die damit vielleicht beabsichtigte Ver-
drängung der Venetianer von den nördlichen Märkten den
Ausschlag gab, wissen wir nicht
Auch hier war es wieder Capello, der die Pläne des ge-
winnsüchtigen Mafio durch seine stete Wachsamkeit vereitelte,
dadurch freilich dessen Hass sich8) und dessen Rache den
noch in England befindlichen Galeeren zuzog4). Mafio wurde
in Anklagestand versetzt, und der grosse, damals ganz Venedig
interessirende Process endete damit, dass Mafio auf 10 Jahre
von England, Galais, Antwerpen, Brügge und ganz Flandern,
also dem Felde seiner Handelstätigkeit verbannt und noch
wein war ein Unterbieten leicht möglich, wenn der Wein in die Nieder-
lande eingeführt und dort von den Merchant.adventurers nach London ge-
bracht wurde.
*) Brown, Cai. IV. 751.
a) Brown, CaL IV. 751. Ueber einen ähnlichen Versuch 1472 vgl.
Brown, Cal. I. 440.
s) Brown, CaL IV. 864.
4) Anlass hiezu gab die Löhnung der Schiffsmannschaft. Früher
musste bei der Auszahlung der laufende Curs zu Grunde gelegt werden.
(Brown, Cal. I. 114. anno 1394). Das führte wohl zu Streitigkeiten, und
man normirte deswegen später einen festen Geldcurs (Brown, Cal. L 230.
anno 1421). Dieser war nun im Laufe der Zeit der Schiffsmannschaft und
besonders damals nachtheilig geworden. Einer der Schiffsmeister schreibt,
er habe bei Bezahlung der Schiffsmannschaft 20% blos in Folge des Curses
gewonnen (Brown, Cal. IV. 725. 730. 733. 744). Mafio Bernardo benützte
nun diesen Umstand und zahlte den Leuten des von ihm gepachteten
Schiffes einen besseren Lohn bezw. legte einen besseren Curs zu Grunde
.Brown, Cal. IV. 91 1) und erzeugte dadurch den Aufstand der Matrosen auf den
andern Galeeren (Brown, Cal. IV. 725). Daran reihte sich dann eine Summe
weiterer Unannehmlichkeiten vgl. Brown, Cal. IV. 719. 727. 730. 739. 745.
- 165 —
mit einer beträchtlichen Geldstrafe belegt wurde1). Damit
war dem Projecte der Boden entzogen.
Als im Juni 1532 die Galeeren ihren Heimweg antraten2),
konnte man schon ziemlich beruhigt in die Zukunft schauen.
Carlo Capello, von dem Dogen Andreas Gritti aufgefordert8),
that die nöthigen Schritte, um die völlige Anerkennung der
früheren Privilegien zu erwirken4). Die venetianischen Kauf-
leute ihrerseits legten in einer Bittschrift an Cromwell dar,
wie ihr Handel zum Vortheil Englands sei, und ersuchten ihn,
sich für sie zu verwenden und die gewünschten Erleichterungen
ihnen zu verschaffen 6). Nach langem Zögern Hess sich Crom-
well bewegen, noch einmal von einer Convention abzusehen
und dem König die Ratification des Privilegs bis Ende März
1535 6) vorzuschlagen7). Von da an aber, hiess es, sei die
Erfüllung der drei Bedingungen eine unumgängliche Not-
wendigkeit, falls man den Verkehr fortsetzen wolle. Die Ga-
leeren müssten sich verpflichten 1) einen bestimmten Betrag
baaren Geldes, 2) näher zu beschreibende Gewürze, 3) eine
bestimmte Quantität Bogenstäbe jedes Mal einzuführen. Die
Hauptsache sei das Baargeld8).
Inzwischen suchten die Venetianer von der noch gewährten
Frist Vortheil zu ziehen und trafen schleunigst alle Massregeln
für die Absendung einer neuen Flottille. Ende März oder Anfang
April 1533 lief sie aus 9). Die venetianischen Kaufleute in ihrer
unbegrenzten Gewinnsucht Hessen sich aber manche Vergehen zu
*) 1546 wurde Mafio wegen seines Reichthums auf Anstiften seiner
Verwandten ermordet Brown, Cal. IV. S. 414 Anm. und auch V. 413 fg.
«) Brown, Cal. IV. 767. 771. 773.
*) Urk.Beil. 79.
*) Brown, Cal. IV. 881.
5)Urk BeiL 80.
*) Statt 76 sh 16 d hatten sie wieder nur 67 sh 4 d für den Sack
Wolle Zoll zu zahlen. Pat v. 4. Jan. 23 EL VIII. eingetragen in Queen's
fiemembrancer'B Memoranda scaccarii inter Record. term. St. Mich. 28
Hen. VIII. rot. 28. R. 0. Die in der Zwischenzeit zu viel verlangten Zölle
wurden den Venetianern nachträglich erlassen. 28. Dezember 1537. Sieh
den Befehl des Königs und die darauf erfolgten Urtheile bei Madox,
Firma Burgi S. 91.
7) Der Herzog von Norfolk und der Graf von Wiltshire waren vom
Gesandten durch Versprechung schöner Helme aus Venedig gewonnen wor-
den. Der erstere war den Venetianern immer sehr abgeneigt gewesen.
Lodovico Falier sagte in seiner Relation vom 10. Nov. 1581 von ihm:
„mostra mal' animo veno stranieri, e contra la Venezia nostra nazione no-
minatamenteu. Alberi, Belazioni Ser.I. Vol.HL S.14. Brown. Cal. IV.
694. 838. 857.
8) Brown, Cal. IV. 837.
■) Die Wahl dreier neuer Schiffsherrn" fand am 24. März 1533 statt.
Brown, CaL IV. 866. Dass diese Fahrt wirklich erfolgte, schliesse ich
ans Brown, Cal. IV. 884 u. V. 52. Es ist schlechterdings unwahrschein-
lich, dass der Beschluss des Senats vom 3. Juni 1535 auf eine Fahrt von
1531/32 sich beziehen sollte.
- 166 -
Schulden kommen und riefen dadurch neue Complicationen
hervor. Sie missbrauchten nicht nur die ihnen gestattete
Freiheit der Wollausfuhr, indem sie ebenso sehr entgegen dem
Interesse des englischen Fiscus als zum Schaden des venetia-
nischen Staates Ragusaner, Florentiner und Genuesen in ihrem
Namen Wolle exportiren Hessen1), sondern sie betrogen auch
im Gewicht der Wolle derart, dass sie noch die Summe von
1000 £ nachzahlen mussten2).
Man begreift, dass unter solchen Verhältnissen die Unter-
handlungen wegen Erneuerung der Patente ausserordentlich
erschwert wurden. Die venetianische Regierung wollte zudem
auch jetzt wieder keine der früher gestellten drei Bedingungen
acceptiren 8). Die Bemühungen Capellos hatten keinen Erfolg,
am 19. Juni 1534 war die Fortsetzung der Patente von 1535
ab noch nicht wieder gewährt4).
Die Galeeren aber, „die", wie es in einem Senatsbeschluss
von 1500 heisst, „nicht nur die Schiffahrt ermuthigt, sondern
auch Venedig mit fränkischer Wolle — eine Quelle für die
Annen — versehen hatten"6), verliessen 1534 England, um
nie wieder zu kehren.
Schon lange hatte die venetianische Regierung gesehen,
dass England die Galeerenfahrten nicht nur nicht vermisste,
sondern allen Ernstes nicht mehr wünschte; so fügte sie sich
endlich in die unvermeidliche Nothwendigkeit. 1535 berief die
Republik ihren Gesandten Gapello ab. Dies war hauptsächlich
wegen Heinrichs VIIL Bruch mit Rom geschehen. Nothwendig
wuchs dadurch die Entfremdung der englischen Regierung und
machte die Erneuerung der Galeerenfahrten unmöglich. Die
venetianische Regierung wagte auch gar nicht, in der nächsten
') Brown, Cal. IV. 884.
2) Die schuldigen Kaufleute wollten den Betrag der Strafe dem Conto
der Londoner Factorei zuschieben, der venetianische Senat wies aber dies
Ansinnen mit aller Entschiedenheit zurück. Brown, Cal. Y. 52.
s) Hinsichtlich der Gewürze, schreibt sie, wisse der König selbst, dass
die Venetianer nicht mit den Portugiesen zu concurrircn vermöchten. Die
Bogenstäbe aus ihrem Gebiete seien nicht so gut, als die von Dänemark
und Flandern; die Kaufleute erhielten deshalb keinen lohnenden Preis, so
dass man eine bestimmte Anzahl nicht versprechen könne. Hinsichtlich
des Geldes seien aber die Kauf leute mehr geneigt, den englischen Wünschen
zu willfahren, als Wolle mittels Wechselbriefe zu zahlen, und wenn bei der
letzten Fahrt einige Kaufe mittels Wechsel gemacht worden seien, so sei
es geschehen, wefi nicht eine genügende Menge Goldes beschafft werden
konnte, oder aus sonstigen Gründen. Die vorgeschlagenen Bedingungen
seien nutzlos, oder die Kauf leute würden zögern, ihr Eigenthum aufs Spiel
zu setzen. Brown, CaL IV. 983; auch IV. 857 und V. 17.
4) Die Zollbeamten versuchten deshalb, auch die Venetianer zur Zah-
lung des vollen Zolles zu zwingen. Die venetianischen Kaufleute aber
stützten sich auf das Patent vom 12. März 21 Henr. VHI. und verlangten,
da dasselbe doch 5 Jahre dauern sollte, von dem Rest befreit zu werden.
Der König gewährte ihre Bitte. Madox, Firma Burgi S. 91.
») Brown, Cal. I. 818.
— 167 —
Zeit die Wiederaufnahme derselben zu betreiben. Erst 1542
tauchte nochmals der Gedanke auf, die Handelsexpeditionen
wieder herzustellen; die Verwirklichung derselben aber unter-
blieb1). Fortan lag aller englisch-venetianische Handel in den
Händen der Engländer und einzelner reicher Venetianer und
sonstiger Italiener; aber auch diese letzteren sahen ihren di-
recten Handel gehemmt, als Th. Cromwell die uns bekannte
Schiffahrtsacte schuf.
Die nothwendige Folge war, dass Licenzen für den Export
der Wolle, welche noch immer ganz im Vordergrunde stand,
jetzt noch schwerer zu erhalten waren ; ja Cromwell wollte,
seit dem venetianischen Handel die durch die Galeeren ge-
gebene Einheit fehlte3), gar nicht mehr mit der Signorie dar-
über pactiren, sondern nur einzelnen venetianischen Kaufleuten
das Recht verkaufen8), und die venetianische Regierung hatte
grosse Mühe, um wenigstens diese Absicht zu vereiteln 4). Im
Uebrigen war natürlich Venedig jetzt gezwungen, die früheren
Ausnahme - Massregeln , die beim Stocken der Galeerenfal rten
erlassen zu werden pflegten , mehr und mehr zum stäm igen
System seiner Handelspolitik zu machen und auf diese Weise
wjder seinen Willen selbst noch den englischen Handel ins
Mittelmeer zu befördern6).
Zug um Zug rissen die Engländer den Handel an sich,
und unter Eduard VI. suchte die englische Regierung auch
noch die berühmte venetianische Glasindustrie auf englischen
Boden zu verpflanzen 6), und Elisabeth nahm schliesslich durch
Monopolisirung des Rosinenhandels den venetianischen Kauf-
>) Brown, Cal. V. 281. State Papelrs VÜI. S. 698.
*) Ueber die lose Organisation des venetianischen Consulats in Lon-
don vgl. Brown, Cal. IV. 884.
*) Brown, Cal. V. 212.
*) Ueber Verhandlungen wegen der Wolle in den 40er Jahren vergl.
Brown, Cal. V. 295. 316. 520. Sehr bitter war es für die venetianische
Regierung, dass der Lohn für ihre Bemühungen häufig gar nicht Venedig
zukam. Die Kaufleute, blos von ihrem Gewinn geleitet, führten sehr oft die
Wolle in andere italienische Städte. Da die Controle. welche die Galeeren
gewahrt hatten, nicht mehr existirte, befahl die Signorie, dass jeder
venetianische Exporteur im Consulat zu London seinen Namen eintrage,
schwöre und Sicherheit gebe, die Wolle nur nach Venedig bringen zu
wollen. Brown, Cal. V. 211. (1540).
*) Brown, Cal. V. 78. 85. 139. 210. 215. 260. Im Jahre 1540 Hess
man in Anbetracht des geringen Vorraths fränkischer Wolle, des „so sehr
geschmälerten, dem äussersten Verfall ausgesetzten" venetianischen Handels
sowie in Anbetracht der vielen Armen sogar das Dritttheil Frachtgeld , das
an das Arsenal zu zahlen war, fallen; ebenso erleichterte man in dieser
Periode die Einfuhr englischer Tücher.
•) Vgl. Brown, Cal. V. 574. 578. 648. 669. Den Anlass scheint eine
Aussperrung der Arbeiter in Murano durch die Fabrikanten gegeben m
haben. Es gelang Flandern und England, die dem Hungertode nahen Ar-
beiter zur Auswanderung zu veranlassen. Eduard VI. nahm dieselben in
seinen eigenen Dienst. Auf Antrag der Fabrikanten wurde den Ausgewan-
— 168 —
leuten und Schifffahrern die letzte Stütze. 1586 weiss die
Signorie bereits nicht mehr, ob überhaupt noch ein venetiani-
scher Consul in London existirt, während gleichzeitig der eng-
lische in Venedig eine grosse Thätigkeit entfaltete *).
So rasch hatten die Tudors ihr Ziel erreicht, so schnell
war die einstige über ein Jahrhundert anhaltende Pracht des
venetianischen Handels nach England verblüht. Das venetia-
nische Volk hat aber die Erinnerung an diese herrliche Zeit
bewahrt. Noch heute spielt das Marionettentheater in Venedig
die Geschichte von Bevis, dem Helden von Hampton2).
Rückblick.
Ein ziemlich in sich geschlossenes Bild bieten die Handels-
beziehungen der italienischen Republiken zu England dar, so-
weit sie unsere Aufgabe berühren. Versuchen wir uns die
Hai ptzüge des Ganzen nochmals zu vergegenwärtigen.
Die päpstlichen Schätzungen knüpfen die ersten Fäden
zwischen der einsamen britischen Insel und dem blühenden
Italien. Die Florentiner Banquiers machen sich heimisch und
organisiren auch den englischen Waarenhandel, vermögen aber
nur für kurze Zeit die Suprematie zu behaupten.
Florenz wird bald abgelöst durch Genua, das seine Ver-
bindungen im Orient und später selbst die Ursache seiner
Schwäche, nämlich die Abhängigkeit von Frankreich zu be-
nützen vermag, um die Gunst der englischen Könige im 14ten
Jahrhundert sich zu erwerben und im 15ten zu bewahren.
Aber in demselben Masse, als die venetianische Seemacht
in dem mittelländischen Meere die genuesische überflügelt und
immer mehr alle für die südasiatischen Producte massgebenden
Verkehrswege und Stapelplätze beherrscht, in demselben Masse
kommt Venedig in England zu commercieller Geltung.
Eduards III. Staatspolitik gegen Frankreich wird für Ve-
nedig ein Förderungsmittel und hilft ihm die ersten schwierigen
Anfänge des directen Verkehrs nach England überwinden; die
feste staatliche Organisation der Fahrten gewährt sofort dem
Unternehmen die nöthige Stärke und Sicherheit. Richard IL
derten anter Androhung der schrecklichsten Strafe befohlen, zurückzukehren.
E* scheint nicht, dass die englische Regierung die Venetianer zurückhalten
konnte. Sonst hätte nicht Camden unter Elisabeth schreiben können:
„glassmakers were scant in the land; yet one there is as I do widerstand
in Sussex at Cheddingfold."
*) Brown, Cal. L Pref. S. LVn, LX, CLL In Betreff des Handels
bis zur Zeit der Elisabeth vgl Brown, Cal. V. 322. 323; 731. 746. 902;
359; 358; 831; 713. 714. 715.
a) Sebast. Giustinian, Four years at the court of Henry Vlli.
Dispatches transl. by Brown. IntrocL S. XV.
— 169 —
und die Könige aus dem Hause Lancaster begünstigen den rasch
aufblühenden Handel theils wegen der Zölle, die von den
mit grosser Eegelmässigkeit erscheinenden Galeeren reichlich
fliessen, theils wegen der italienischen Darleihen und Geschenke,
theils auch mit Rücksicht auf die durch die Fahrten in ihren
Interessen geförderten machthabenden Lords.
Mitten in den Begünstigungen taucht aber bereits eine
ernste Reaction aus den Kreisen der englischen Bürger (1441)
auf, die nicht wieder erlischt. Das Haus York stellt sich an
ihre Spitze und die Venetianer mit den übrigen Italienern
sehen sich strengen und unfreundlichen Massregeln ausgesetzt.
Gleichzeitig wird Italien das Streitobject der sich consolidiren-
den Westmächte, und Venedig ist plötzlich in eine höchst ver-
wickelte Politik gezogen, welche die Galeerenfahrten ernstlich
gefährdet
Unter diesen Verhältnissen gelangt der erste Tudor Hein-
rich VH. auf den Thron, er acceptirt vollständig die Richard'sche
Politik, geht weniger schroff, aber sicherer und bedächtiger
vorwärts. Venedigs Geduld ist nun erschöpft, es greift das
Mark der Politik des Königs an und verübt einen Schlag
gegen die nur langsam sich entwickelnde englische Schiffahrt
im Mittelmeer, indem es durch Zollerhöhung die Engländer
vom directen Bezug des Malvasierweins ausschliesst und so
den nördlichen Schiffen die Grundbedingung eines gedeihlichen
Handels nimmt Der Plan Heinrichs VII., durch Creirung
eines englischen Wollmonopols in Pisa, Venedig zum Nach-
geben zu zwingen, gleichzeitig dadurch dem englischen Ver-
kehr im Mittelmeer eine breitere Basis zu schaffen , misslingt.
Venedig fährt fort, den englischen Kauffahrern direct und in-
direct jegliche Weinfracht zu entziehen. Heinrich VH. rächt
sich, indem er nun auch seinerseits den Zoll auf den von
Fremden eingeführten Malvasierwein erhöht, und er lässt sich
nicht bewegen, selbst als die Venetianer den ihrigen aufhoben,
die Zuschlagstaxe wieder ganz zurückzunehmen. Er hält an
dem Differenzialzoll fest, um seinen Unterthanen die Begrün-
dnng und Ausdehnung der Schiffahrt ins Mittelmeer zu sichern
und zwingt die Venetianer, auch auf den Import aus den
Niederlanden nach England fortan zu verzichten.
Unter Heinrich VIII. verschlimmert sich die Situation des
englischen Verkehrs für Venedig immer mehr. Neun Jahre
lang gestatten die politischen Complicationen überhaupt nicht,
die staatlichen Handelsflottillen nach England zu schicken; der
englische Markt wird ihnen entfremdet, Venedigs grosse Ab-
hängigkeit von England in Betreff der Wolle wird offenbar,
gleichzeitig erhält durch diese Unterbrechung die englische
Schiffahrt einen neuen kräftigen Impuls.
1517 wird von Venedig die Absendung neuer Galeeren
betrieben und nochmals ein ernster Versuch gemacht, um mit
— ■ 170 —
Heinrich VIII. die Weinzollfrage zu regeln. Dieser aber stellt
sich ganz auf den Boden seines Vaters und alle Bemühungen
des gewandten venetianischen Gesandten Giustinian bleiben
erfolglos. Auch die Wiederankunft der Galeeren wird mit
sehr getheilter Stimmung aufgenommen und selbst die Regie-
rung sieht sich zuletzt in ihren Erwartungen auf eine grosse
Zoll einnähme getäuscht, da die Venetianer ihren Import nach
den Niederlanden zu richten für vorteilhafter finden. Eine
dritte Flottillenfahrt (1521) ist von einer Summe von Leiden
und Qualen begleitet. England benutzt die Galeeren, um
durch ihre Verfolgung auf Venedig einen politischen Druck
auszuüben.
Wieder bleiben die Expeditionen neun Jahre unterbrochen,
und seit Cromwell und Norfolk die Leitung der englischen
Politik erhalten, schwindet alle Hoffnung, die Blüthe des ehe-
maligen Verkehrs nach England wieder herzustellen. Crom-
well erkennt Venedigs unaufhaltbares Sinken, berücksichtigt
die Stimmen der einheimischen Industriellen und Schiffer und
strebt dahin, durch fortgesetzte Schwierigkeiten den Venetianern
die Absendung neuer Galeeren zu verleiden und den Handel
ins Mittelmeer den einheimischen Kaufleuten zuzuführen. Die
Flottillen kommen noch 1531, 1532 und 1533, stellen dann
aber ihre Fahrten für immer ein.
Von da an verschwindet die venetianische Flagge mehr
und mehr aus den englischen Gewässern; nach Verhältnisse
massig kurzer Zeit war auch die von Privaten betriebene
Schiffahrt so gemindert, dass nicht einmal ein Gonsul in Lon-
don mehr nöthig war.
Es sind hauptsächlich zwei Gründe, weshalb Venedig so
leicht und vollständig bei Seite geschoben werden konnte.
Der eine liegt in der allgemeinen politischen und commerciellen
Schwächung, welche durch die ständigen höchst erschöpfenden
politischen Verwickelungen im westlichen, die wachsende Macht
der Türken im östlichen Europa und die gleichzeitige Ent-
deckung des neuen Seewegs durch die Portugiesen geschaffen
wurde. Das allein war aber nicht entscheidend; denn auch
trotz dieser trüben Verhältnisse wäre Venedig im Stande ge-
wesen, dem Handel nach England reichen Inhalt zu geben.
Noch boten die Länder des Mittelmeers Stoffe und Producte
genug, um einen Import nach England zu ermöglichen und
die Aufnahmefähigkeit Venedigs von englischen Rohstoffen für
die eigene Industrie und von englischen Manufacten für den
Verschleiss stand ja ohnehin ausser allem Zweifel. Aber Eng-
lands mächtige, durch die verschiedensten Momente begünstigte
Expansionskraft, sowie der Umstand, dass die rechtliche Ord-
nung des venetianisch-englischen Handels trotz seines blühenden
Zustandes im Mittelalter nur eine einseitige war, wurden aus-
schlaggebend für die fast spielend vor sich gehende Verdrängung
- 171 —
der Venetianer vom englischen Boden. Zwischen dem Frei-
staat und England hatte sich, weil Venedig den mittelländisch-
englischen Handel so lange mit fast völligem Ausschluss der
Engländer führte, kein Vertrags-, kein auf Gegenseitigkeit be-
ruhendes Verhältniss gebildet, die mittelalterliche Uebung der
Ertheilung von Privilegien blieb hier erhalten. England war
Mos Geber, Venedig blos Empfänger, und es war ganz natür-
lich, dass England, nachdem es erstarkt, die uneigennützige
Geberrolle aufgab und nun auch seinerseits nur allein empfangen
und Vortheil ziehen wollte.
Drittes CapiteL
England und die Hansen.
Die handelspolitischen Beziehungen Englands zur deutschen
Hanse ähneln in mancher Hinsicht denen Englands zu Venedig.
Wie das Mittelmeer von den Venetianern beherrscht wurde, so war
die Ostsee die Domäne der Hansen, wie Alexandria die Grund-
lage des venetianischen Handels bildete, so lag der Schwer-
punkt des hansischen Verkehrs zur Zeit seiner Blüthe in "Now-
gorod, wie der Ausschluss der Engländer von den Mittelmeer-
ländern genuesische und venetianische Politik war, so war die
Femhaltung derselben aus der Ostsee hansische Politik. Wie
für die Venetianer es wichtig war, den Weg nach dem Norden
durch kluges Benehmen gegenüber den Staaten am atlantischen
Ocean sich zu sichern, so war der hansische Handel abhängig
von der Herrschaft im Sund. Ebenso waren die Ziele der
englischen Politik ungefähr dieselben, die sie gegenüber Venedig
verfolgte. Wie sie die Italiener nach zeitweiser Begünstigung
zu beschränken, dem englischen Kaufmann ihre Rolle zuzuweisen
und ihm den Eintritt ins Mittelmeer zu erobern sucht, ebenso
denkt sie daran, die Privilegien der Hansen in England zu
zertrümmern und der englischen Flagge in dem östlichen
Meere grösseren Raum zu verschaffen.
Lässt sich in dieser Weise eine Parallele zwischen Venedig
und der Hansa ziehen, so fehlt es doch auch nicht an Ver-
schiedenheiten. Die den Engländern stammverwandten Hansen
wussten frühzeitig bei der einheimischen Bevölkerung und
den Königen wirkliche Sympathien sich zu erwerben, dem eng-
lischen Gemeinwesen mehr als irgendwo sich zu nähern l), der
x) Lappenberg, Urkundliche Geschichte des hansischen Stahlhofes
zu London. 1851. S. 18.
— 173 -
Italiener dagegen war dem Engländer immer fremd und anti-
pathisch geblieben. Der deutsche Handel war mehr ehrlich
und schlicht, der italienische mehr auf Ausbeutung und List
gegründet. Die Hansen vermochten ihre Rechte scharf aus-
zubilden und in fast ununterbrochener Folge zu bewahren, sie
handelten sehr bald gemeinsam, hatten einen Bund, wenn auch
keine einige Nation hinter sich, die Italiener dagegen besassen
nur vereinzelte Rechte, machten unter sich gefährliche Con-
currenz und besassen in Folge der politischen Zersplitterung
keinen festen Zusammenschluss. So kommt es wohl, dass die
Hansen etwas länger als die Venetianer auf englischem Boden
schalten und walten durften.
Die ersten nachweisbaren Beziehungen der Deutschen zu
England gehen bis in das 10. Jahrhundert zurück *) und sind
von den Bewohnern der zunächst gelegenen und früh ent-
wickelten Küstengebieten der Nordsee geschaffen worden. Vor
Allen gebührt Köln, dessen Gemeinwesen über das der übrigen
deutschen Städte sehr bald emporragte, das Verdienst, den
schwierigsten Schritt gethan, die Landsmannschaft mit der
Gildehalle in England fester begründet und |den Deutschen
den zum Handel nöthigen Rechtszustand auf dem fremden
Boden gesichert zu haben. Die übrigen westfälischen und
deutschen Städte des Nordseegebietes, die nach England han-
delten, mussten sich Köln unterordnen, um an dessen Frei-
heiten in England zu participiren.
Das Wesen und die Hauptbedeutung dieses durch die
Städte der Nordsee geschaffenen Handels lag zum Theil in
dem directen Austausch der beiderseitigen Producte, noch
mehr aber in der von den Kölnern und ihren Genossen über-
nommenen Vermittlung des Handels zwischen England und den
niederländischen Märkten, endlich in dem ausschliesslich von der
deutschen Genossenschaft auf Gotland, an welcher Köln und
die übrigen Nordseestädte ursprünglich den grössten Antheil
hatten, beanspruchten Verkehr zwischen der West- und Ostsee.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts erhob sich, unterstüzt vom
deutschen Kaiser, gegen die ausschliessliche Herrschaft Kölns
die neu aufgekommene Ostseestadt Lübeck. 26. August 1238
gestattet Heinrich HI. den Lübeckern, England zu besuchen 2),
1266 27. Dezbr. gewährt er ihnen ein grösseres Privilegium 3)
') Ueber die ältesten Beziehungen der Deutschen zu England bis zum
Ende des 13. Jahrhunderts vgl. K. Höhlbaum, Hansisches Urkundenbuch.
Halle 1876. Band I. und dess. Aufsatz „Zur Geschichte der deutschen
Hanse in England" in den Hansischen Geschichtsbl. 1875. S. 22—30: ferner
Koppmanna Einleitung zum I. Band der Hanserecesse 1870 S. XXVI fg.;
auch I). Schäfer, die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark.
Hansische Geschichte bis 1376. Jena 1879. S. 60 fg.
*) Höhlbaum, Hans. ürkb. I. Nr. 292.
s) Heinrich UI. verspricht, dass die Lübecker wegen Schulden, für die
sie weder Bürgen noch Hauptschuldner sind, nicht inhaftirt werden sollen,
— 174 -
und 1267 Jon. 5. das Recht, eine eigene Hansa zu bilden l).
Das Dazwischentreten Lübecks liess im Handel eine Scheidung
eintreten. Der Verkehr zwischen Ost- und Westsee ging mehr
und mehr in die Hände der Ostseestädte über; von Gotland,
später mit Beiseiteschiebung Wisbys direct von der neuen
Niederlassung Nowgorod aus führen sie die Producta des
Ostens nach England und Flandern und bringen dafür Pro-
ducte des niederländischen Marktes und englische Manufacte
und Rohstoffe nach Osten zurück. Trotz dieses beginnenden
Umschwungs erfolgt nicht auch eine Trennung der Deutschen
in England« Lübeck im Bunde mit Hamburg gelingt es, den
Vorrang Kölns daselbst zu brechen; die Sonderhansa. der Kölner
und die anderer Städte wurden in den Hintergrund gedrängt;
mehr und mehr Städte schaaren sich unter Lübecks Banner,
unter seiner Führung schwingt sich gegen Ende des 13« Jahr-
hunderts in England die „Hansa Alamanniens" empor8). Da-
mit war ein gemeinsamer, fester Vereinigungspunkt gegeben
und der bedenkliche Gegensatz zwischen den Städten der Ost-
und Westsee wenigstens nacji Aussen verdeckt. Je mehr unter
Lübecks Einfluss die Hansa im 14. Jahrhundert sich consoli-
dirte und ausbreitete, eine je ansehnlichere Macht sie den
englischen Königen gegenüber repräsentirte, um so grössere
Sicherheit war gegeben, nicht nur Privilegien zu erhalten3),
sondern dieselben auch zu bewahren.
Die fremdenfreundliche Politik der Plantagenets kam ihren
Wünschen entgegen. Von weitaus nachhaltigstem Einfluss war
das Eingreifen Eduards I. Am 1. Februar 1303 erliess der
König die bekannte Charta mercatoria, durch welche er den
freien Handel der Fremden in England proclamirte4). Indem
es von allen Fremden nur den Hansen gelang, diese Charte
sich dauernd zu sichern und über zwei Jahrhunderte lang die-
selbe immer von Neuem bestätigt zu erhalten, ward dieser
ursprünglich allgemeine Freibrief ein wahrhaft hanseatisches Pri-
vileg und das Fundament des hanseatisch-englischen Handels 5).
ausgenommen den Fall, dass die zahlungsfähigen Schuldner ihrer Stadt an-
gehören, oder der Rath von Lübeck Engländern das Recht verweigert; ferner
verspricht der König wegen Vergehen ihrer Diener die Waaren und Güter,
welche sie als die ihrigen auszuweisen vermögen, ihnen nicht zu nehmen,
a. a. 0. Nr. 635.
*) a. a. 0. Nr. 636. Hamburg erwarb sich dies Recht bereits im No-
vember 1266. a. a. 0. Nr. 636.
*) Für das Folgende kommen hauptsächlich in Betracht: Sartorius,
Urkundliche Geschichte des Ursprungs aer deutschen Hansa, herausgegeben
von Lappenberg 2 Bd. Hamburg 1830. I. S. 274 fg., ferner die Hanse-
recesse von 1256—1430, herausg. von Koppmann (publ. bis 1400) und
von 1430—76 herausg. von Goswin Freiherrn von der Ropp (publ. bis
1443), endlich HansischesUrkundenbuch herausg. von Höhlbaum 1S79.
Bd. IL 1300—1842).
8) Vgl besonders Höhlbaum a. a. 0. I. 902.
4) Ueber die Charte Näheres unten im 3. Capiel des II. Abschn.
*) Aehnlich eigneten sich die Hanseaten in den Niederlanden einen
- 175 —
Eduard II. bestätigte den Hansen den erwähnten Brief
(1811) und fügte noch ein neues Privileg hinzu, indem er die
ausschliessliche Haftbarkeit des Hauptschuldners und seines
Bürgen statuirte (1817) *), sowie das Maklerrecht ihnen er-
theilte (1316); Eduard III. verwehrte den englischen Bürgern,
die Rechte der Hansen durch städtische Verordnungen zu ver-
kQmmem *).
So hatten die Hansen eine Reihe von Privilegien sich
verschafft, auf Grund deren ein schwunghafter blühender
Handel betrieben werden konnte.
Unter den folgenden Königen hatten sie nur dafür zu
sorgen, dass ihre Rechte immer in aller Form anerkannt und
ausgebaut wurden. Das war aber eine sehr schwierige Auf-
gabe, da mannichfache Gefahren ihrem Besitze erwuchsen. In
erster Linie war es die Fiscalität der Könige selbst. Auf die
Zölle als auf eine Hauptfinanzquelle angewiesen, dachten sie
fortwährend an Erhöhung derselben. Schon Eduard HL machte
wiederholte Versuche, ihnen neue Lasten aufzunöthen. Noch
in den ersten Regierungsjahren , führen die Hansen darüber
Klagen8). 1869 wollte der König sie zur Zahlung der ihm
vom Parlament bewilligten Subsidie veranlassen, und als sie
sich dieser Neuerung weigerten und nur eine einmalige
Pauschalsumme von 100 Mark Sterl. gaben, erhöhte er den
in der Charta mercatoria festgesetzten Zoll von 3 d per jß
Werth auf das Doppelte (1372). Doch gelang es den hansi-
schen Gesandten, den früheren Schutz und die Abgabenprivi-
legien, wie sie König Eduard I. den Kaufleuten der deutschen
Gildehalle zu London ausgestellt hatte, wieder zu erwirken
(1375). Eine härtere Probe hatten die Hansen unter Richard U.
zu bestehen. Noch zu Lebzeiten Eduards IH. hatten die Hansen
auf Schonen und Norwegen die englischen Kauf leute sehr miss-
handelt. Da sie den bezüglichen Beschwerden der Engländer
kein Gehör schenkten, so wurden ihre Priviligien durch Parla-
mentebeschluss anerkannt (1377). Vier Jahre lang mussten
sie sich schwere Abgaben und sonstige Nachtheile gefallen
lassen4). Einige Zeit blieb der Verkehr ganz unterbrochen.
Obwohl sie 1381 ihre Privilegien zurückerhielten , war der
dauernde Besitz derselben doch nichts weniger als gesichert.
allgemein geltenden brabantischen Freiheitsbrief von 1815 im Laufe der
Zeit als Specialprivileg an. Sartorius, Geschichte des hanseatischen
Bandes I. S. 274
') Wie dies Recht bereits 1844 and 1346 praktisch wurde, darüber
▼gl Sartorius, Urk. Gesch. des Ursprungs der Hansa S. 802—804.
*) Vgl. die Massregeln der Burger zu Lynn gegen die Hansen 1303.
Sartorius, Urkundenbuch zur Geschichte des Ursprungs der deutschen
Hansa. Nr. CXIII. Es scheint, als ob die Lynner ersfr^nach Erlass der
Charta mercatoria dieses Vorgehen beliebten. ^N.
*) Rot. Pari. II. S. 46 Nr. 64. 1330. \
4) Vgl. auch Tr atz ig er, Chron. der Stadt Hamburg hsg. voni^appen-
berg. S. 101. ad an. 1379.
— 176 —
Je mehr Schwierigkeiten die englischen Kaufleute bei ihren
Versuchen, in der Ostsee sich festzusetzen, begegneten, um so
schwankender war der Zustand in England. Schon 1391 ge-
währte der König die Privilegien wieder nur auf zwei Jahre.
Aus Verhandlungen kam man nicht heraus. Aber Richards II.
Nachfolger. Heinrich IV., erneuerte ihre Rechte1).
Mittlerweile war ein Gegner entstanden, die Merchant
adventurers, welchen die Zollprivilegien der Hansen noch ver-
liasster als den Königen waren. Beeinträchtigt durch den
Zwischenhandel der Hansen zwischen England und den Nieder-
landen, stellten sie den Satz auf, dieselben hätten überhaupt
kein Recht am Zwischenhandel oder wenigstens keine Zoll-
freiheiten für diesen zu beanspruchen.
Heinrich IV. trat auf die Seite der englischen Kaufleute,
beschlagnahmte (1411) einige Hanseschiffe und erklärte sie
nicht herausgeben zu wollen, bis sie für alle Waaren, welche
sie „ad partes transmarinasu verschifft, nicht nur die „custu-
masu, sondern auch die „subsidia et deverias" gezahlt hätten-).
Aber der Nachfolger, Heinrich V., in seinen französischen
Kriegen der finanziellen und politischen Unterstützung der
Hansestädte benöthigt, musste ihnen ihre Rechte wieder be-
stätigen (1413) und feierlich für sich und seine Nachkommen
versprechen, keine neue Auflagen ihnen aufbürden zu wollen8).
Die Gefahren waren jedoch nicht beschworen. Die Be-
drückungen des die Fahrten in die Ostsee betreibenden eng-
lischen Kaufmanns durch die Hansen waren eine unversiegliche
Quelle von Differenzen. Das englische Bürgerthum wurde zu-
dem mächtiger und mächtiger und die Zeiten schwanden immer
mehr, in denen die Lords und die Geistlichkeit allein das ent-
scheidende Wort sprachen.
Seit 1432 war das Verhältniss ein sehr gespanntes4) und
unter Eduard IV. wurde ihre Lage bereits bedrohlich. EduardIV.
war der Liebling der Londoner und holte gerne auf deren
^YUnsche. Die Merchant adventurers fanden bei ihm eine
kräftige Stütze; die Hansen mussten sich schwere Schätzungen
1 1 3 520 {£) vom königl. Rath gefallen lassen, und bei all dem
wurden sie nicht gegen die Räubereien der Engländer ge-
schützt. Da kam wie so oft im Norden einer jener Momente,
2) Vgl. die Verhandlungen hierüber bei Koppmann, Hanserecesse
lld. IL u. III. besonders die orientirende Einleitung zu Bd. IH. S. VII— X;
auch Häberlin, Analecta medii aevi Nürnberg und Leipzig 1764 S. 61
biö 82; ferner R. Pauli, Zu den Verhandlungen der Hansa mit England
(1404—1407) in den Hans. Geschichtsbl. 1877. S. 125 fg.
2) Justus Moser, Patriot. Phantas. I. S. 275.
*) Häberlin, Analecta Nr. 13. S. 82-99. Auf dies Versprechen
i uirirten die HanBen noch unter Elisabeth.
4) Namentlich mit Rücksicht aufDanzig. Vgl. Hirsch, Handels- und
Gewerbegeschichte Danzigs; ferner Sartorius, Gesch. des hans. Bundes
und T ratziger, Chron. der Stadt Hamburg hsg. von Lappenberg S. 172,
178, 184, 204, 206, 207, 209.
i
— 177 —
wo die Hansen in ihren Händen die Königskrone trugen. Sie
hatten, als Eduard IV. vertrieben wurde, zu entscheiden, ob
Heinrich VI. den Thron behalten oder wieder verlieren sollte.
Mit seltenem politischen Scharfblick vergassen sie der Be-
drückungen, die ihnen Eduard IV. als König zugefügt, ver-
schlossen sich den Bitten der Margaretha von Anjou und
führten im Verein mit den Vlamen und Holländern Eduard IV.
auf den Thron zurück. Sie hatten dem germanischen Element
zum Siege verholfen; denn wäre es Heinrich VI. gelungen, sich auf
dem Thron zu erhalten , so wäre die Abhängigkeit Englands vom
Hause Valois besiegelt gewesen, und nicht nur die Niederlande
wären sehr bedrängt worden, sondern auch der vom hansischen
Kaufmann geführte Dreizack wäre wohl an die romanischen
Seemächte übergegangen, und die ganze Entwicklung des west-
europäischen Handels wäre eine andere geworden 1). Sie hatten
sich von einer schweren Gefahr befreit, gleichzeitig den König
zu grossem Danke sich verpflichtet.
Unmöglich konnte Eduard IV. ihnen die endliche Regelung
der vielen seit drei Decennien herangewachsenen Beschwerden
versagen. Im Bewusstsein ihrer Macht und geleisteten Dienste
waren die Hansen sehr hartnäckig in ihren Forderungen, und
nur schwer gelang es, in den zahlreichen Sitzungen vom
14. Juli bis 18. September 1473 zu Utrecht wenigstens die
Grundlage eines Friedens zu vereinbaren2). Freilich waren
diese nicht den Wünschen Eduards gemäss ausgefallen, und
viele Punkte wollte er abgeändert wissen, aber die letzte end-
gültige Weisung des Königs an seine Commissäre lautete doch
dahin, mit den Hansen nicht zu brechen, sondern lieber nach-
zugeben, wenn es anders nicht gehe3).
Die Hansen wurden nicht nur wieder in ihre früheren
Rechte durch Parlamentsbeschluss eingesetzt4), sondern sie
erhielten durch die Vermittlung Karls des Kühnen von
Burgund auch ihre sonstigen Wünsche erfüllt. Februar 1474
ratificirte Eduard IV. den berühmten Utrechter Veitrag.
J) Pauli, Die Haltung der Hansestädte in den Rosenkriegen; Hansi-
sche Geschichtsbl. Jahrg. 1874. S. 77—105.
2) Unter Lord Calthorpes Mscrs. befindet sich in Vol. VII. P. 1
foL 82-—114 ein Tagebach eines der englischen Commissäre über den Fort-
gang der beiderseitigen Verhandlungen. Die vorgebrachten Argumente sind
von dem Verfasser sehr gut zusammengefasst, so dass dieses Tagebuch
eine äusserst vollständige Aufklärung Über den englischen und hansischen
Standpunkt gibt Der definitive Abschluss des Friedens auf Grund der
allgemeinen Hauptzüge sollte im December erfolgen (a. a. 0. fo. 113). Der
zweite Congress wurde aber erst im Januar 1474 abgehalten.
*) Das Original dieser Instruction ist erhalten im Brit. Mus. Cot ton
M sc. Nero B. IX. Da dasselbe auf kürzestem Wege über die Streitpunkte
orientirt und die englische Auffassung sehr gut charakterisirt, so ist eine
Abschrift genommen worden. Urk. Beil. 82.
4) 1473. Rot. Pari. VI. S. 65 fg.
Sclianz, Engl. Handelspolitik. I. 12
— 178 — ;
Ausser einer Reihe von Bestimmungen zur Wiederherstellung
des Friedens und der Festsetzung von Entschädigungen (Art. 1,
2, 3, 9, 10) enthält dieser Vertrag nicht nur die Anerkennung
der bisherigen Rechte und Privilegien, sondern noch mannich-
fache Erweiterungen und authentische Erklärungen derselben.
Der König verspricht, den Wortlaut der hansischen Frei-
heiten in allen englischen Häfen publiciren zu lassen, und zwar
so oft die deutschen Kaufleute es verlangen, damit den Ein-
griffen der Behörden begegnet werde (Art. 6) ; die sich gegen
die Hansen verfehlenden Beamten will er zur Strafe zieheu
(Art. 7), Die Stadt London muss alle Freiheiten, welche von
den Hansekauf leuten erworben wurden, sowie alle Verträge,
welche sie mit den Königen abgeschlossen haben, anerkennen,
auch wenn manche Privilegien ihren Freiheiten widerstreiten
(Art 12). Wer von der Association der Hanse sich trennt,
gilt dem König als Fremder (Art. 11). Ausser der Gildhalle,
welche die Deutschen schon länger eigenthümlich besassen,
wurde auch der Stahlhof in London mit allen Pertinenzen den
Hansen als Eigenthum zuerkannt1); ebenso der Stahlhof in
Boston-, und auch in Lynn soll ihnen ein Haus nahe beim
Wasser zum Gebrauch und ewigen Besitz angewiesen werden;
sie sind jedoch verbunden, alle Lasten, welche zu frommen
Zwecken auf diesen Gebäuden haften, zu tragen (Art. 8). In
allen Rechtsfällen (Capitalverbrechen ausgenommen), bei denen
die Hansen betheiligt sind, soll der König zwei oder mehre
Richter bestimmen, welche ohne alle Formalitäten sofort
Recht sprechen sollen. Die Kauf- und Seeleute der Hansa
sind gänzlich von der Jurisdiction der englischen Admiralität
und anderer englischen Gerichtshöfe befreit. Aehnliche Vor-
kehrungen sollen in den Hansestädten getroffen werden
(Art. 5)2). Falls die Hansen triftige Klagen wegen betrügeri-
schen Wagens oder Tuchmessens vorbringen, soll ihnen ein
eigener Wäger und Tuchmesser bestellt werden (Art 15). Die
Zollbehörden müssen die Hansekaufleute ohne Verzug ab-
*) Ueber die Modalitäten, unter welchen die Deutschen das Eigentums-
recht haben sollten, vgl. Rot. Pari. VI. S. 123. (1475).
*) Schon frühzeitig gestanden die Londoner die Ernennung eines Alder-
manns zur Schlichtung der Streitigkeiten zu. In einem Vergleich von 12b2
heisst es: „Concesserunt eciam eisdem, quod habeant aldermannum suum,
Srout retroactis temporibus habuerunt, ita tarnen quod aldermannus ille sit
e libertate civitatis predicte, et, quociens per predictos mercatores electus
fuerit, majori et aldermannis civitatis presentetur et coram eis sacramentum
faciat rectum et jnsticiam in curiis suis quibuscumque faciendi et se habendi
in officio suo, prout salvo iure et consuetudine civitatis se habere debebit
et consuevit Hans. Höhlbaum, Urkundenb. Nr. 902. Offenbar wurde
die ausdrückliche Anerkennung dieses ältesten hansischen Rechts im
Utrechter Vertrage verlangt, vyil die Engländer immer dieses Recht miss-
achteten. Wie sich noch weiter die Hansekaufleute gegen die englischen
Gerichte schützten, darüber vgl. Art. 14 des ütr. Vertr.
— 179 —
fertigen, auf dass sie nicht zum Vortheile der englischen Kauf-
leute am schnellen Umsatz ihrer Waaren gehindert werden
(Art. 16). Die Beschauer dürfen keine ungegründeten Hinder-
nisse in den Weg legen (Art 17). Wenn sie mit ihren Pelz-
werken, kostbaren Fellen und andern Gütern vom Ufer aus
ins Land sich begeben, so dürfen sie nicht weiter von den
Zöllnern, auch nicht in Canterbury, Rochester und Gravesend
belästigt werden (Art. 18). Sie werden befreit vom „Prince
money" oder „lufFkoep", sowie von den 4 Pfennigen, welche
der „Prikker" abzuverlangen pflegte (Alt. 19). Der König
soll gegen Mängel in der Länge und Breite der Tücher oder
in der Qnalität der Wolle einschreiten (Art. 22). Nach ge-
gebener Sicherheit sollen gesetzliche Beschlagnahmungen auf-
gehoben, und den Kaufleuten der Hanse gestattet sein, über
ihre Waaren zu verfügen (Art. 28). Das Recht des Detailver-
kaufs von Rheinwein wird bestätigt, auch soll der Mayor
keinen Theil ihres Salzes wie bisher beanspruchen dürfen
(Art. 24). Schiffbrüchiges Gut muss zurückerstattet werden,
wenn ein lebendes Wesen glücklich das Land erreicht (Art. 20).
Ebenso wird eine Parlamentsacte 15 Rieh. II. für sie bestätigt,
wonach dem englichen Admiral keine Jurisdiction oder Ent-
scheidung zusteht über Menschen oder Sachen, die in Folge
eines Unglücks aus dem Schiffe in das Meer fallen (Art. 21).
Endlich wird ihnen die günstigste Interpretation der bisherigen
Verträge und Privilegien zugesichert (Art. 27).
Man sieht, der Vertrag ist ganz einseitiger Natur; nur
in einem Artikel (4) wird auch des Handels der Engländer
nach Preussen und den Hansestädten gedacht, aber keineswegs
die in diesem Punkt bestehende Unklarheit vollständig be-
seitigt.
Dieser grossartige Sieg, wie er sich in diesem Vertrage
kundgiebt, ist von entscheidendem Einfluss gewesen. Der
Utrechter Tractat blieb die Basis für die Folgezeit. Fast ein
ganzes Jahrhundert war noch nöthig, bis dieser Bau zusammen-
brach. Mit ihm hatten die Hansen in England ihren Höhe-
punkt erreicht. Langsam und sicher haben die folgenden
Jahrzehnte fort und fort genagt, bis die Privilegien zer-
bröckelten und von den Wogen eines nationalen Lebens fort-
geschwemmt wurden.
Grosse Veränderungen gingen in und bei dem hansischen
Bunde gegen Ende des 15. Jahrhunderts vor sich. Ringsumher
bildeten sich einheitsvolle Gemeinwesen, nur die Hansen hatten
es versäumt, dem lockeren Bunde zu richtiger Zeit eine kräf-
tigere Organisation zu geben. Die centrifagalen Kräfte nahmen
überhand, und man musste es erleben, wie in grossen und
nichtigen Angelegenheiten einzelne bedeutende Glieder ab-
trünnig wurden. England vergass es nicht mehr, dass es ihm
12*
— 180 —
in den Streitigkeiten vor dem Utrechter Vertrag gelungen
war, Köln auf seine Seite zu ziehen.
War nach Aussen die Gemeinsamkeit nicht mehr aufrecht
zu erhalten, so war dies noch viel weniger nach Innen der
Fall. Seitdem das Reichskammergericht (1495) aufkam, ent-
zog sich eine Stadt nach der andern dem Gericht der Hansen.
Der Geist der Gemeinsamkeit begann zu weichen, und
damit war auch der Fall der Contore zur Notwendigkeit ge-
worden. Seit der grösseren Rechtssicherheit im Auslande
waren sie entbehrlich, jede Stadt entledigte sich des un-
bequemen Zwangs und folgte nur ihrem Interesse. In den
früh entwickelten Niederlanden war das Contor zu Brügge in
voller Auflösung1) und auch in dem prächtigen Neubau zu
Antwerpen hatten sich die Hansen nur ein Grabdenkmal ge-
setzt. Es gelang nicht mehr, die Handelsgemeinschaft mit den
Fremden, namentlich den Niederländern fem zu halten *). Die
holländische Flotte begann emporzublühen und der hansischen
in der Ostsee eine kühne Concurrenz zu bereiten.
Was in den Niederlanden die Macht der öconomischen
Verhältnisse, das vollführte im Osten despotische Gewalt.
1478 verlor Nowgorod seine Freiheit, und 1494 wurden &uch
die Besitzungen der hansischen Factorei daselbst eingezogen.
Wohl suchten die Hansen den Handel mit Russland über Liv-
land zu führen, mussten dabei aber mit Schmerzen erfahren,
wie die preussischen und livländischen Städte, einst ihre
Bundesgenossen, jetzt sie wie Fremde behandelten8).
Diese Niederlage war ein unermesslicher Verlust; denn
darauf war ja der ganze hansische Handelsbau gegründet; der
östliche und westliche Pfeiler trugen das ganze Gebäude.
Feste Säulen in der Mitte gab es nicht, es fehlte der Politik
des Bundes die kräftige Stütze eines nationalen Reichs, es
*) 1501 erklärten auf einer Versammlung der sächsischen und wendi-
schen Städte die ersteren, dass sie ihre Tücher nicht mehr auf das Stapel
zu Brügge bringen wollten, da andere Hansen sich auch nicht mehr daran
hielten. 1507 und 1511 sagte Danzig Aehnliches. Sartorius, Gesch. des
hans. Bundes HI. S. 252. Ein Jahrzehnt später war das Contor zu Brügge
so missachtet, dass die Niederländer die Zölle bald um das Drei- bis Fünf-
fache steigern konnten. Sartorius a. a. 0. DI. S. 264. 291.
2) \iele Niederländer nisteten sich in den Hansestädten ein. weshalb
die Hanse 1497 verbot, dass fortan Fremde in einer Hansestadt als Bürger
aufgenommen oder auf den Contoren zum Dienst zugelassen würden. Fremde,
die bereits in einer Hansestadt ansässig waren , sollten jederzeit auf Ver-
langen beweisen, dass sie keine Gemeinschaft mit einem Fremden hätten,
bei Verlust des Rechts zum Handel in der betreffenden Commune, um-
gekehrt verheiratheten sich viele Hanseaten nach den Niederlanden und
setzten gleichwohl ihre Verbindungen mit den Hansen fort.
s) Zwar gelang es der Hansa 1582 nochmals, in Narwa ein Haupt-
contor zu gründen; aber den Alleinbesitz des in Folge gänzlicher Zoll-
treiheit früher so gewinnreichen russischen Handels konnte sie nicht wieder
erwerben.
- 181 —
fehlte seinem Handel die industrielle Basis eines grossen
Staates. Das Emporkommen der deutschen Gewerbe war
dem Bunde gleichgültig; er nahm die Producta, wo er sie
fand, ja der hansische Zwischenhandel verfolgte, wenn auch
unbewusst, das Ziel, die Industrie in fremden Ländern zu
befördern; neben dem kaufmännischen Interesse kam das
national -industrielle wenig in Betracht, jedenfalls blieb die
Weiterentwicklung der gewerblichen Blttthe, wie sie die nord-
deutschen Städte um die Mitte des 14. Jahrhunderts auf-
wiesen1), hinter dem Fortschreiten des Zwischenhandels im
15. und Anfang des 16. Jahrhunderts zurück. Die deutschen
Städte lieferten zum Export vorwiegend Bier und im Westen
Wein, ausserdem aus dem Innern des Landes Leinwand8).
Unter den sonstigen Industriezweigen war die Appretur der
in der Fremde gekauften Wolltücher wohl der wichtigste3).
Der eigene Fischfang verlor seine Bedeutung, als gegen Ende
des 15. Jahrhunderts der Zughering sich in die Nordsee und
an die britischen Küsten zog4). Unter diesen Umständen be-
greift man, wie verhängnissvoll Nowgorods Fall sein musste.
Die Hansen fühlten das auch nur zu gut, und mit grosser
Einsicht gebrauchten sie den Ausdruck, dass aus diesem Con-
tore „gleich als aus einem Brunnquelle alle übrigen geflossen
und darauf gegründet gewesen" ß), auch gab es Gescheute
genug, die später meinten, das neue Contor zu Antwerpen
könne nichts nützen, so lange Nowgorod fehle *).
Im gegenüberliegenden Norden, in Dänemark, Schweden
und Norwegen waren die Hansen noch ziemlich stark, hatten
sie es ja auch hier mit eiserner Gonsequenz , brutaler Gewalt
und den gefährlichsten Mitteln verstanden, sich zu Herren zu
machen. Aber die Reaction begann auch hier schon sich zu
regen. Bereits Christoph hatte eine dänische Handelsgesell-
schaft errichtet, um dem Monopol der Hansen entgegenzuwirken,
und Christian I. hob zu ihren Gunsten sogar die deutsche
Handelsgesellschaft 1475 auf und suchte durch mancherlei Be-
stimmungen die Dänen zu bevorzugen 7). Ebenso verbot der
x) D. Schäfer, Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark,
Hansische Geschichte bis 1876. Jena 1879. Gap. VII, bes. S. 215 fg.
*) Sartori us, Gesch. des hans. Bundes L S. 317.
*) Sartorius IL a. a. 0. S. 721.
4) Wenn auch der Hering nach Sartorius (a. a. 0. IL S. 418) 1487
noch nicht vollständig in die Westsee gezogen war, so fand dies doch
mehr und mehr im 15. Jahrhundert statt. 100 Jahre später schreibt
Bonnus in seiner Chronik: „Anno 1588 im Herbst ist ganz kein Hering
auf Schonen gefangen und der Kaufmann hat grossen Schaden dadurch ge-
litten, und ist kein Zweifel, dass solche grosse Gnade Gott hinweg genom-
men hat in diesem Jahr, der grossen Sünde und Undankbarkeit halben."
Waitz, Jürg. Wullenwerer III. S.850.
5) Sartorius a. a. 0. L S. 197.
') Sartorius a. a. 0. L S. 203.
') Sartorius a. a. 0. IL S. 398.
— 182 —
schwedische Reichsvorsteher (1470), fortan die Hansen in die
Stadtbehörden zu wählen1). Freilich waren diese Massregeln
nur vorübergehender Natur, und ein grossartiges, fast tragisches
politisches Schauspiel musste sich im Laufe des nächsten Jahr-
hunderts noch abspielen, bis auch hier die nationale Kraft die
Fremden hinausdrängte. Die beginnende Regung allein ist
bemerkenswert!! genug.
So lagen die Verhältnisse, als das kraftvolle Haus der
Tudors zur Regierung gelangte. Der Antheil des englischen
Aussenhandels, der in den Händen der Hansen sich befand,
war zwar nicht so gross, als man gewöhnlich annimmt, aber
immer noch bedeutend genug, um der englischen Regierung
zu denken zu geben. 22 Procent des Tuchexports, 97 Procent
des Wachsimports und nicht ganz 7 Procent der übrigen
Warenbewegung trafen auf die Hansen8). Successive hatten
sie ihren Handel ausgedehnt, und rascher als sonst schien er
jetzt zu wachsen3). Diese Steigerung war gewiss den engli-
schen Interessen nach vielen Seiten hin nur erwünscht. Un-
möglich aber konnten sich der hellsehende Heinrich VU. und
die klugen Minister Heinrichs VIII. der Frage verschliessen,
ob man eine solche auf Kosten der Zollkasse und des Handels
der einheimischen Kaufleute noch begünstigen dürfa Die Zoll-
Privilegien der Hansen gegenüber den Engländern und übrigen
Fremden4) waren eine Anomalie6), die um so unerträglicher
ward, je mehr der Betrag des hansischen Handels sich ver-
grösserte. Sobald die Regierung zu der Ueberzeugung ge-
langte, dass die Entziehung der Privilegien keinen Rückschlag
zur Folge haben werde, die englischen Kaufleute vielmehr
stark genug sein würden, um den bisher von den Hansen be-
triebenen Handel zu bewältigen, und sobald sie sicher sein
konnte, dass der hansische Bund zu schwach sei, um ihr
Widerstand zu leisten, war die Catastrophe unvermeidlich.
Diese Ueberzeugung gewann während der Zeit Heinrichs VII.
und VIII. in der That mehr und mehr an Boden, wie die fol-
gende Darstellung darthun wird.
Heinrich Vü. (1485-1509.)
Sicherlich kann man es nicht auffallend finden, wenn
Heinrich VIL bald nach seiner Thronbesteigung den Utrechter
*) Sartorius, Geschichte des haus. Bandes IL S. 426.
*) Bd. IL 8. 27.
s)Bd.II. S. 18, 19.
*) Vgl. Bd. IL 8. 6, 7.
5j Sadermann berechnete 1554 den Gewinn, den die Hansen gegen-
über ihren Concurrenten in Folge der Zollfreiheiten und anderer Vortheile
hatten, auf 61254 £ für 10 Monate. Sartorius, a. a. 0. III. S. 334.
— 183 —
Vertrag bestätigte (29. Juni 1486). Das Land blutete noch,
es musste erst wieder beruhigt werden und wieder erstarken,
der Thron war noch unsicher, und der König konnte nicht
wagen, mit der Hansa sogleich offen den Kampf zu beginnen.
Es unterliegt aber keinem Zweifel, dass er nur not-
gedrungen die Confirmation der Privilegien vollzogen hatte;
auch war klar, dass er keineswegs den Hansen zu Willen sein
werde, wenn er mächtiger geworden. Hatte er sich doch nicht
den Versuch versagen können, gleich am Anfang seiner Regierung
die Hansen der Subsidie und dem hohem Tuchzoll zu unter-
werfen und dadurch einen Process hervorzurufen, aus dem
freilich — vielleicht durch Geschenke an den König — die
Hansen als Sieger hervorgingen1). Liess man von dieser
offenen und klaren Verletzung der hansischen Privilegien ab,
so wurde doch den Hansen auf andere Weise ein Schlag nach
dem andern versetzt.
Wir sind hierüber unterrichtet namentlich durch die Ver-
handlungen des Hansetags zu Lübeck vom Jahre 1487 *). Der
Kaufmann zu London führt bittere Klage, „wo dat se dar-
sulvest tegen ere unde recht, tegen ere privilegia unde vry-
hyde, en vorlenet van konynghen, swarliken unde jamerliken
overvallen unde vordrucket werden" und die Vertreter von
Köln und Danzig waren in der Lage, die Wahrheit derselben
vollauf zu bestätigen. Vor Allem wurde es schwer empfunden,
dass englische Gesetze, soweit sie nicht gegen die Zollprivilegien
verstiessen, auch auf die Hansen angewendet wurden. Es galt
dies namentlich von zwei Parlamentsacten, welche schon unter
den Vorgängern zu Stande gekommen waren, aber von Hein-
rich VH. sanctionirt und verlängert wurden; die eine Acte
verbot die Einfuhr fertiger Seidenwaaren, die andere die Aus-
fuhr ungeschorner Tücher. Das erstgenannte Gesetz war
zwar vorwiegend gegen die Italiener gerichtet, traf aber auch
sehr empfindlich die Kölner Seidenindustrie. Man drückte
wohl zuweilen ein Auge zu, wenn die Kölner Seide importirten,
aber sicher waren diese nie vor den königl. Zollbeamten3).
x) Diese Entscheidung wurde für so wichtig gehalten, dass noch während
der ganzen Begierungszeit Heinrichs VIII. von den Zollbeamten auf sie
hingewiesen wurde, um die Befreiung der Harnien von der Subsidie und dem
höheren TuchzoU zu rechtfertigen. Die stehende Formel in den Enrolled
Accounts of Customs lautet: „. . . d de subs. non redit Der processum inde
habitum et' consensu baronum annotatum in memoranais nuius scaccarü,
videlicet inter Status et visus compotorum de termino sancti Michaelis anno
secondo nuper regis Henrici rotulo VII^o ex parte remem. thes."
') Für das Folgende wurden besonders die Beschwerden des deutschen
Karfmanns vom Juni 1487 benutzt (B. A. zu Beval, Stralsund, Rostock.
H&nserecesee ed. D. Schafer). Vgl. auch Köhler 'sehe Sammlung S. 236
und Urk. Beil. 83.
*) 1486 wurden z. B. einem Kölner 4 &. Seidenwaaren von einem
Zollbeamten confiscirt (Kölner StA. Acta Anglic. 1434—1521 fo. 231).
Später kam es noch häufiger vor (a. a. 0.).
— 184 —
Das andere Gesetz war für einen grossem Kreis von Hanse-
städten von Nachtheil. Wie die Niederländer, so pflegten auch
viele deutsche Städte das Scheeren und die Appretur der eng-
lischen Tücher. Diesen wurde somit ein Nahrungszweig ent-
zogen. Das grosse Scheergeld vertheuerte nicht nur die
Tücher, sondern die letzteren wurden, wie die Hansen be-
haupteten, auch verdorben. Viele Tücher hätten nicht die
gehörige Länge und Breite, seien unvollkommen gemacht und
vertrügen deshalb das Scheeren nicht1). Ueberhaupt stand
bei den Hansen der Glaube fest, dass diese Acte nicht zur
Hebung und Vervollkommnung der englischen Tuchmacherei
und zum allgemeinen Besten gemacht sei, sondern nur um
den deutschen Kaufmann aus England zu vertreiben und seiner
Nahrung zu berauben. Dies schlössen sie namentlich daraus,
dass die englische Regierung keine ernstliche Anstalten treffe,
um die Verfertigung schlechter Tücher zu verhindern, gleich-
wohl aber von ihnen den Export von nur gut gearbeiteten
und geschorenen Tüchern verlange, die Tücher erst dann con-
fiscire, wenn sie in den Besitz der Deutschen übergegangen
seien, bei den englischen Exporteuren sehr grosse Nachsicht
zeige, indem die englischen Kaufleute in Antwerpen und Bergen
zufolge ihrer Privilegien dem Käufer für schlechtes Tuch keinen
Ersatz schuldig wären2).
Die englische Regierung ging noch weiter. Als der König
mit dem Parlament beschlossen hatte, dass Weine von Gascogne
und Toulouser Waid nur in englischen Schiffen importirt wer-
den dürften, dauerte es nicht lange3), als man auch dieses
Gesetz bei den Hansen zur Anwendung brachte. Auch sonst
wusste der König Mittel und Wege, um die einheimischen
Kaufleute etwas dafür, zu entschädigen dass die Hansen so
grosse Privilegien besassen. Wollten die Deutschen ihre Laken
für die Antwerpener, Bergener oder Frankfurter Messe ver-
schiffen, so liess er sie anhalten und verschaffte dadurch den
') Aehnlich lauteten die Ausführungen der Hansen auf der Tagfahrt zu
Brügge 1491 : „panni infideliter facti non hincelantur et sie raduntur, eumque
posthumorem sentiunt contrahuntur in rugas, nam fila non sunt ejusdem
generis, et ideo nostri potius solverent peeuniam de non radendo quam ra-
dendo etc." (St. A. Danzig XXVII. Hanserecesse ed. D. Schafer). In ihren
Specialklagen von 1491 führen die Hansen an, dass sie seit 1435 13 651 Tücher
hätten scheeren lassen; an jedem Stück hätten sie 2 sh für das Scheeren
und wegen schlechteren Verkaufs 2 rhein. Gulden, in Summa 5915 £ 4 sh
4 d verloren (Kölner St A. Acta Anglicana 1434—1521 fo. 235).
l) Vgl. ürk. Beil. 83.
") In den Klagen des Londoner Kaufmanns von 1487 ist hievon noch
nichts erwähnt, obwohl die bezüglichen Gesetze aus dem Jahre 1485 und
1487 stammen. Die erste Confiscation von Gascogner Wein, den die Hansen
importirten, linde ich 1490 verzeichnet (Kölner St A. Acta Angl. 1434—1521
fo. 232).
— 185 —
englischen Exporteuren nicht nur einen bessern Markt, sondern
erschütterte auch den Credit der deutschen Kauf leute, die auf
den Messen viele eingegangene Verpflichtungen zu lösen ver-
sprochen hatten. Er gab den Zollprivilegien eine bisher nicht
beliebte Auslegung; diese sollten nur für diejenigen Waaren
gelten, die hansischer Herkunft waren. Man stützte sich dabei
auf den in den Eduard'schen Privilegien vorkommenden Aus-
druck „cum mercandisis suis" und suchte auf diese Weise die
Bevorzugung der Hansen, die auch bei der Einfuhr von Spe-
cereien, holländischen und braban tischen Leinentuchs keine
Subsidie, sondern nur die geringe Costume von 3 d vom £
Werth zahlten, zu beschränken1). Ueberhaupt Hess der König
eine strengere Controle bei der Verzollung gegenüber den
Hansen eintreten. Die Zollbehörden begnügten sich nicht
mehr, wie bisher, mit dem Eide des Kaufmanns oder der
von seinem Stellvertreter übergebenen schriftlichen Erklärung,
sondern gleich nach Ankunft des Schiffes musste noch
ein genau specificirtes Verzeichniss übergeben werden, von
dessen Richtigkeit der Beamte durch Visitation sich über-
zeugte. Ferner taxirte er die Güter und Waaren noch für
sich und legte diesen Werth bei der Zollberechnung zu Grunde,
wodurch der Eid der Hansen missachtet wurde. Auch beschul-
digten die letzteren die Zollbehörden, dass sie den englischen
Kaufleuten mittheilten, wie viel und was für Waaren die Hansen
gebracht hätten, damit sie sich mit ihrem Einkauf danach ein-
richteten. Bei Zollklagen zwang der König sie, vor den Barons
of Exchequer zu erscheinen, während kraft ihrer Privilegien nur
der Lordkanzler oder der königl. Rath der zuständige Richter
sein sollte. Selbst die Bestimmung, dass Keiner für des An-
dern Missethat haften sollte, dieser „allerkostlikeste puncte,
dat de kopman lieft in synen Privilegien", wurde nicht ge-
halten, sondern die Stahlhofskauileute mussten für den Schaden,
den ein Hanse einem Engländer zugefügt, in ihrer Gesammtheit
einstehen.
') lieber diese Frage wurde fortan auf jedem Congress debattirt. Der
Ausdruck kommt im Art. 1. des Privilegs Eduards III. vor: n— veniant cum
mercandisis suis quibuscumque , de muragio, pontagio et pavagio liberi et
quieti etc.u Dass die englische Interpretation falsch ist, unterliegt keinem
Zweifel; wenigstens konnte von Eduard III. dieser Sinn nicht unterlegt
werden; denn da er für das Privileg eine Zollerhöhung von den fremden
Kaufleuten bewilligt erhielt, so war eine der spätenglischen geradezu ent-
gegengesetzte Interpretation in seinem Interesse. Wenn die Absicht zu
Grunde gelegen hätte, wie sie später von den Engländern in Anspruch ge-
nommen wurde, so hätte sich Eduard III. anders ausgedrückt, etwa so, wie
Heinrich III., als er am 20. März 1237 den (deutschen) Kaufleuten von
Gotland Zoll- und Abgabenfreiheit in England ertheilte „de rebus et mer-
candisis suis, quas ducent de partibus suis in Angliam, quam de Ulis, quas
ernennt in Anglia ducendas versus partes suas." Höhlbaum, Hans,
ürkundenbuch L S. 94.
— 186 —
Selbstverständlich liess auch der Londoner Mayor keine
Gelegenheit vorübergehen, die Hansen zu schädigen. Waren
es doch gerade die Londoner Kauf leute, welche die Opposition
gegen den deutschen Kaufmann leiteten und immer schärfer
ausprägten. Der Mayor zwang die Hansen, ihre Heringe in
London umzupacken, und zwar soll er eine Verpackung an-
geordnet haben, die ihnen schädlich war; er setzte für ihre
Weine und ihr Salz niedrige Preistaxen fest und duldete nicht
höhere Preise zu verlangen1), er liess nicht zu, dass sie ihr
Wagenschott oder Klappholz ausserhalb Londons verkauften,
sondern zwang sie, dasselbe in London zu stapeln; er war
säumig, wenn er für zu verhaftende Hansen Bürgen stellen
sollte, wie dies die Privilegien verlangten2).
Nicht viel besser erging es den Hansen in andern Städten.
Die Bürger von Hüll z. B. legten die seit lange bestehende
gesetzliche Bestimmung, wonach der Erlös der eingeführten
Waaren auf den Ankauf englischer Producte verwendet werden
musste, dahin aus, dass die in Hüll gewonnene Einnahme auch
in Hüll zum Einkauf benützt werden müsste. Nun fanden
aber die Hansen nicht das, was sie brauchten, in Hüll, nament-
lich nicht die von ihnen gewünschten Tuchsorten; als sie sich
deshalb dieser Bestimmung weigerten, wurden ihre Schiffe und
ihre Waaren in Beschlag genommen.
Dazu kamen die fortwährenden Zwischenfälle zur See und
die ständigen Beraubungen. Die Stimmung wurde immer feind-
seliger.
*) 1484 führte ein Kölner 4840 Bushel Salz nach London. Der
Werth des Busheis war nach Angabe der Hansen 16 d, die Taxe aber 12 <L
Da der Kölner sein Salz so nicht abgeben wollte und bald darauf
grosser Salzüberfluss eintrat, sah sich der Kaufmann schliesslich genöthigt,
sein Salz zu 6 d per B. abzulassen; ein anderer Fall wird aus dem
Jahre 1486 registrirt üeber die Weintaxe beklagte sich H. Rink 1488.
Er hatte 80 Tonnen (vasa) Rheinwein eingeführt Der Mayor setzte die
Taxe auf 10 d von einer Gallone fest. Die Hansen behaupteten, zu diesem
Preis nicht ohne Schaden verkaufen zu können, Der Mayor liess 4 Keller
bauen, in welchen die Weine aufbewahrt werden mussten. Zehn Tage lang
gestattete er den Hansen keinen Zutritt; da sie nicht nachfüllen konnten,
so drohte der Wein schlecht zu werden. Nur einer dem König und Par-
lament eingereichten Klage hatten die Hansen es 'zu danken, wenn der
Mayor nicht ihre Fasser einschlug und den Wein als verdorben ans-
goss. Inzwischen war aber die Flotte von Bordeaux gekommen und der
Preis gesunken. (Klagen der Hansen 1491. Kölner St A. Acta Anglic
484-1521 fo. 235 u. 286.)
8) „want de sardianten van Lunden unde ander officio«, wan se enen
Engelsman arresteren sullen van des copmans wegen, so maken se deme
konmanne wys, dat se gude borgen davor hebben, unde hebben es nochtan
nicht ,| unde wan men dat vervolget tegen de sardianten na dem rechte
van Londen, so en kan de kopman geyn recht krigen, dardorch de copman
f roten schaden lydet gelick nu kortes noch gescheen ys twysschen eynen
opmanne van Colne genant Henna Rynk unde eneme Engelsman genant
Daniel, de fyrgreven was van Londen. a. a. 0.u
— 187 —
Als im Jahre 1487 in Folge des Beschlusses der Städte
Lübeck dem König, Parlament und der Stadt London die Be-
schwerden mitgetheilt hatte *), erklärte der König sich bereit,
einen Congress behufs Beilegung der Z wistigkeiten zu beschicken.
Damals wurde das Anerbieten von Lübeck ausgeschlagen8).
Aber Heinrich VII. Hess nicht ab, denn sein Plan war, auf
einem solchen Congress den Hansen einige Goncessionen ab-
zudrängen. Mit gesundem Blick hatte er erkannt, auf welchem
Wege den Hansen beizukommen sei. Während er fortfuhr,
die deutschen Kaufleute zu bedrücken, hatte er versucht, den
Dänen sich zu nahem, und es war ihm auch gelungen, einen
Freundschafts- und äusserst günstigen Handelsvertrag mit der
dänischen Regierung abzuschliessen 3). Hier lag die empfind-
lichste Stelle für die hansische Macht, „der bedrohlichste Punct
im ganzen Geflecht hansischen Verkehrs." Gewiss wäre es
dem König am erwünchtesten gewesen, wenn er unmittelbar
nach oder noch während der Verhandlungen mit Dänemark
eine Tagfahrt mit den Hansen zu Stande gebracht hätte; er
erneuerte deshalb auch am 18. März 1489 seine Bitte4) an
die Hansen, einen Congress zu beschicken. Diese gingen aber
nicht unmittelbar darauf ein, sondern agitirten in Island und
Dänemark, so sehr sie vermochten; gegen die Engländer. Die
Folge war, dass die Erbitterung gegen den deutschen Kauf-
mann eine ausserordentlich heftige wurde; auf der See sahen
sich die Hansen schwer verfolgt, und in London durften sie
sich im Sommer 1490 kaum auf den Strassen sehen lassen5).
Der Zustand glich mehr dem Kriege als dem Frieden. Die
Schadenssummen,welche die Engländer wie die Hansen vorrechnen
konnten, waren sehr beträchtliche, die Klagen der Geschädigten
wurden immer lauter. Eine gemeinsame Tagfahrt war unaus-
bleiblich geworden 6). Dieselbe wurde auf den 1. Mai 1491
anberaumt. Heinrich VH. ernannte 7) zu seinen Unterhändlern
*) Köln liess noch eine besondere Beschwerdeschrift übergeben (Das
Londoner Contor an Köln 14. Jan. 1487. Kölner St. AX
*) Wein reich, Danziger Chronik ed. Hirsch S. 78 Anm.
*) Yd. nächstes Capitel.
*) weinreich, Danziger Chronik S. 73 Anm.
") „Item diesen sommer hatten die englischen unserm kofman in der
sehe grossen schaden gethon, vnd dem kofman war nicht al velich zu
wanken in landen auf der Strossen". Weinreich, Danziger Chronik ad
an. 1490. S. 68.
6) Tratziser, Chronika der Stadt Hamburg hsg. von Lappenberg
(1865) 8. 240, cnarakterisirt die Veranlassung kurz folgendermassen: „Die
ursacn dieser tagleistunge war diese, daz sich der teutsche kaufman viel-
fältiger beschedigunge, die inen auf der sehe von den Englischen zugefuget,
item daz inen ire privilegia und ireiheit im reiche Engelaut entzogen wurden,
beklageten; darkegen wendeten die Englischen für, daz sie merklichen von
den Denen beraubt und beschediget, mit welchen die stette eine heimliche
verotentnus hatten/
*) Kymer XIL S. 441.
— 188 —
den später als Bischof von London, Siegelbewahrer und Lord-
kanzler bekannt gewordenen W. Warham, ausserdem Edm.
Martyn, Rieh. Yorke und Wilh. Rosse, von Seiten der Hansa
dagegen erschienen nicht weniger als 26 Deputirte1) in Ant-
werpen.
Auch jetzt wieder versäumte Heinrich VII. nicht, mit der
Möglichkeit eines engeren Bündnisses mit Dänemark zu drohen.
Die Verhandlungen mit dem letzteren waren nicht lange
vor dem Termin der Tagfahrt wieder aufgenommen worden2),
und der König scheute sich nicht, die hansischen Abgesandten
vier Wochen lang in Antwerpen auf die englischen Bevoll-
mächtigten warten zu lassen, bis er Antwort aus Dänemark
erhalten hatte. Selbstverständlich drang die Kunde von diesen
Schachztigen des Königs auch nach Antwerpen3), und die
Hansen mussten den Gerüchten um so mehr Glauben bei-
messen, als die von dem König und die von seinen Bevoll-
mächtigten gegebenen Entschuldigungsgründe sich wider-
sprachen. Die hansischen Deputirten sahen denn auch ein,
dass unter diesen Verhältnissen jedes schroffe Auftreten ver- |
mieden und ein versöhnlicher Ton angeschlagen werden müsse.
Die Lübecker, welche durch die dänischen Angelegenheiten
*) Aus Lübeck der Bürgermeister Herrn. Wickede und Rath Th. Horse
mit den beiden Secretären Alb. Erantz und Joh. Bersenbrugge; aus Köln
Bürgermeister Tydemann van Segen, Dr. J. Bare, gewöhnlich vastrart oder
Fastiardi genannt, die Rathsherren Ger. van Wesel, Joh. van Straelen, der
Secretär H. v. Duyts; ans Hamburg der Bürgermeister Dr. Herrn. Lange-
becke, der Rathsherr D. Bremer und der Secretär Renistede ; aus Danzig
Bürgermstr. Heinr. Falk, Rathsherr G. Mauth mit Secr. F. Neve; aus
Münster der Bürgermeister Ev. Bispvng mit dem Secretär Joh. Eakesleke;
aus Deventer der Bürgermeister Wilh. van Sweten mit dem Secretär
St. Irwirdt: ausserdem waren zugegen drei vom Brüggeschen und 4 Kauf-
leute vom Londoner Contor. (Kölner Stadtarchiv. ActaAngl. 1434 — 1521
fo. 145.)
9)In Weinreichs Danziger Chronik heisst es S. 74 beim Jahre
1491: „Item zu derselben zeit, do die englischen sendtbotten sich mit dem
konige von denmarken vereinigten, do war ein sagen, das der englische
sendtbotte im gelobte 12 schiffe von orley in die ostsehe zu hülfe kegen
die stedte vnd auch etlich volk zu hulffe. Item zu derselbigen zeit, do der
englische sentbote sich mit dem hern konige von denmark vergleichte, so
sigelten sie wider in engelandt; do sante mit inen der konig von denmark
einen von seinen Schreibern, meister laurentium an den konig von engelandt
mit brifen vnd auch an schotlandt, vnd was es ynen hildt, das wüste nie-
mands."
s) In dem Deventer Bericht über die Tagfahrt zu Antwerpen 1491
(St A. Deventer Nr. 1127. Hanserecesse ed. D. Schafer) heisst es: „Quidam
vaga relacione dixerunt vel saltem presumpserunt, quod rex Anglie haberet
suos ambasiatores ad regem Dacie, et ideo presumptio eorum esset, quod
prirao rex Anglie expeetaret responsum a rege Dacie antequam mitteret
suos nuncios et oratores. Quidam putabant delacionem seu protractionem
hujusmodi ex nimia superbia Angiicorum esse, alii quidem auaierunt, quod
essent Calicie, sed quidquam sit, expeetatio eorundem dominis de Hanza
fuit nimis tediosa et gravis in sumptibus."
— 189 —
zunächst berührt waren, und auch stets das allgemeine In-
teresse im Auge behielten, waren besonders bemüht, einen
Brach mit den Engländern zu vermeiden.
Die Engländer erzielten denn in der That einen diploma-
tischen Eifolg. Hinsichtlich der Entschädigungsfrage banden
sie sich nicht im Mindesten die Hände, sondern nahmen nur
eine Reihe von Artikeln ad referendum *), so dass die Hansen
ganz im Ungewissen blieben, was schliesslich der König thun
werde, in Betreff der Privilegien Hessen sie zwar die dolose
Interpretation von den Worten „suae mercesu fallen, dafür
mussten aber die Hansen den englischen Kaufleuten dem
Wortlaut des Utrechter Vertrags entsprechend in ihren Städten
die Freiheit, mit Jedwedem zu handeln, ausdrücklich zugestehen,
und selbst Danzig wenigstens einige Concessionen machen2).
Im Uebrigen blieb der Status quo erhalten. Erst am darauf-
folgenden 1. Mai sollten endgültige Beschlüsse gefasst werden3).
Die zahlreichen Beschwerden des deutschen Kaufmanns in
London fanden zunächst keine Erledigung.
Die Unterhandlungen der englischen Regierung mit den
Dänen dauerten in der Zwischenzeit fort; die letzteren ver-
säumten Nichts, um den englischen König über die Hansa auf-
zuklären, wenn es überhaupt dessen bedurfte, und England zu
einem Vorgehen gegen die Städte zu bewegen 4). Die Tagfahrt
im Frühjahr 1492 hätte eher noch eine günstigere politische
Constellation hinter sich gehabt, als die von 1491, wenn nicht
der Prätendent Warbeck damals den König in Unruhe versetzt
hätte. Heinrich VH. zog vor, die Verlängerung des provisori-
schen Zustandes auf ein Jahr vorzuschlagen, worauf die Hansen
sowohl wegen der dänischen Verhältnisse als wegen der ein-
getretenen Erhöhung des Zolls für englisches Tuch in den
*) Kölner Stadtarchiv. Acta Angl. 1434—1521 fo. 147 fg. Der In-
halt derselben auch kurz angegeben in der Köhler' sehen Sammlung
S. 238, 239.
s) Vgl. den letzten Tbeil dieses Gapitels.
3) ürk. Beil. 84.
*) Zu den denkwürdigsten Zeugnissen über ihre Machinationen gehört
ein anonymer an Lübeck aus England gerichteter Brief v. 3. Sept. 1492,
worin es heisst: „Item tydinge is so, dat hyn synt gewest sendebaden vt
dennemareken, als de kanseler vn j doctor mit enen anderen eddelen manne
vn hebben hyr gelegen vmme trent VIII wecken vn er werff js gewest
pryncipael, dat de koninck van dennemareken begeren js van deme koninge
van engelant, dat he syck myt em vorbynden solde jn eyn vast vorbünt opp
de stede van der hense vn se hebben nyrmyt alle grote schendelvke sake
jngebracht ouer de stede, dat also nicht to schryuende js. se hebben hyr
gudt rundt gesecht, dat jd dem konninge to dennemareken ser vorwundert,
dat de her koninck van engelant den steden alsülke prevylege gyfft jn synen
rycke, dat he anderen heren groten schaden mede doet, dat de stede dar
aso mede gestereket werden vn setten syck tegen or eygen heren vn vortmer
seggende, dat de stede van der hensse nicht so grote macht hebben, so en
wert togelecht, darum me dat en alsolke prevelgye solde geuen ; vn ock als
van den orloghe dat lest tuschen der kröne van engelant vn den steden
— 190 —
Niederlanden gerne eingingen 1). Die Verwicklung Englands mit
den letzteren hatte, wie wir wissen *), im Jahre 1493 den An-
griff der Londoner Lehrlinge auf den Stahlhof zum Gefolge,
den Hansen wurde der Tuchexport nach den Niederlanden
verboten, sie mussten zur Sicherung Obligationen ausstellen,
die sie zahlen sollten, wenn sie das Verbot überträten8). Die
Verhandlungen, die Dr. Albert Krantz im Auftrag der Hanse
1494 führte, hatten kein weiteres Resultat, als eine abermalige
Verlängerung des provisorischen Zustandes um zwei Jahre4).
Die Lage der Hansen in England war in dieser Zwischen-
zeit nichts weniger als erfreulich. Die Bedrückungen, über
die sie früher geklagt hatten, wurden fortgesetzt, indem man
die Worte des letzten Uebereinkommens , wonach der Status
quo erhalten bleiben sollte, dahin auslegte, dass die angefan-
genen Angriffe gegen die hansischen Privilegien fortzusetzen
seien5). Zu den früheren Beschwerden der Hansen hatten
sich noch neue gesellt 6). Gleichzeitig war ein Streit zwischen
der Hansa und der Stadt London ausgebrochen 7).
Die Vorstellungen beim königl. Rathe hatten keinen Er-
folg8). Ein Congress schien immer notwendiger zu werden.
was, dat dat nicht geforet en wort by den steden opp engelant sonder by
hülpe des koninghes van dennemareken, den de sbepe tohorden, dar de
schade mede gedaen wart Merket dyt wol, war dyt spyl nennen wyl. vn
wat dat jnne heilt, vn latet dyt by jw; Sünder ghi mögen dyt vormelden
dar dat hört to vormelden, de coppmann wert dat der stat van lubke vor»
wytt lyken. De deynen syn van hyr gereset na schoüant vn de doctor js
by wegen gestoruen, aldns de kenseler wert wedder hyr komen; se hebben
noch geyn antwort; de almechtige got sende den steden eyndracht Wes
jk hyr schryue js der warheyt vn gen fabel." Wein reich, Danziger
Chronik ed. Hirsch S. 74. Anm. 6.
a) Weinreich, Danziger Chronik S. 78; Ennen, Geschichte der Stadt
Köln m. S. 719.
*) Vgl. oben S. 18.
*) Vgl. Urk. BeiL 85. Diese Recognicio wurde für die Folgezeit
sehr wichtig, weil die Merchant adventorers unter Eduard VT. und unter
Elisabeth dieselbe benutzten, um zu beweisen, dass die Hansen nicht be-
rechtigt seien, Tuch nach den Niederlanden zu bringen oder überhaupt am
englisch-niederländischen Handel sich zu betheiligen (Br. M. Cotton Msc.
Claudius E. VII. fo. 96 u. 108b). Es scheint zwar, als ob die Recognitto
nur vorübergehend gedacht war, indem sie nur während der Feindschaft
mit Burgund den Handel nach den Niederlanden verhindern sollte; da aber
merkwürdiger Weise jede zeitliche Beschränkung in derselben fehlt, so
weigerten sich Heinrich VE. und VIIL, dieselbe wieder herauszugeben und
behielten sie als stets bereite Waffe zurück.
') Köhler'sche Sammlung S. 241.
*) „quod cepte infractiones privilegiorum in suo cursu continuantur*.
Bericht über die Verhandlungen von 1497. Kölner Stadtarchiv. Acta Angl.
1484-1521 fo. 517.
•) Urk. BeiL 87.
T) Bericht über die in Betreff verschiedener zwischen der Hansa und
Stadt London streitigen Punkte zu befolgenden Grundsätze (London City
Records. Journal 10 fo. 87, 88).
8) Das Londoner Contor schreibt 6. März 1496 an Köln: „— wy sen-
— 191 —
Da Heinrich VH. gegen Ende des Winters 1497 wegen Ord-
nung der Beziehungen zu den Niederlanden ohnehin Gesandte
auf den Continent schicken musste, so erklärte er sich bereit,
auch filr eine Tagfahrt mit den Hansen Bevollmächtigte zu er-
nennen1). Der Entschluss kam für die Hansen zu plötzlich,
so dass diese nicht genügende Vorbereitungen für den Congress
treffen konnten. In Antwerpen waren ausser einigen hansischen
Kaufleuten des Brügger*) und Londoner3) Contors nur drei
kölnische Rathsherren 4) eingetroffen, mit denen sich noch der
Lübecker Secretär Dr, Albert Krantz, dar eben aus Frank-
reich zurückgekehrt war, vereinigte5). Dr. Krantz war schon
von zu Hause abgereist, als der königl. Brief wegen des Con-
gresses in Lübeck ankam, und hatte in Folge dessen keine
Generalvollmacht für die ganze Hanse, die Kölner hatten ohne-
hin nur für die eigene Vaterstadt Auftrag. Selbstverständlich
waren die englischen Deputirten nicht geneigt, mit den Hansen
zu pactiren, wenn es diesen nicht gelang, als officiell Beauf-
tragte sich zu erweisen. Die Lage war eine peinliche. Am
liebsten hätten die Städtevertreter die ganze Verhandlung ver-
schoben, aber es war zu befürchten, dass der König Argwohn
schöpfen und glauben werde, das Ganze sei nur ein Vorwand
gewesen. Leicht könnte es, meinten sie, dann sein, dass die
Engländer sich nie wieder zur Beilegung der Streitigkeiten
bereit fänden, sondern den ganzen Stahlhof mit sammt seinen
Privilegien einfach aufhöben 6). So entschlossen sie sich, einen
eigenen Eilboten nach Lübeck zu schicken. Die englischen
den juw hyr by Verwart des heren konynees breiff van Engelande, waruth
gy syner genauen mevnynge wol verstaende weerden der dachforde halven
to Antwerpen to holdende, unde als gy dan in den selven schiyfften ver-
Btaen mognen, dat wy harde up die dageforde vervolget suüen bebben; dat
moit men synen genaden togeven; dan unse vervolcb es gewest ene
schryftlike antworde nnde remedie to hebbend unser gebreche halven
inneholde juwer heren und den anderen heren van den steden schryfte
nnde oick unser supplicatien gelych die heren van dem hoghen raide uns
montliken vor eyn antworde geven, dat uns allet nycht hefft helpen
" moghen etc.a (Kölner St. A. Originalbriefe).
*) Die Ernennung derselben erfolgte am 28. April. Byrne r XII.
S. 651 ; es waren beauftragt worden der später zum Bischof von Durham,
Staatssecretar und Lord Privy Seal aufsteigende „Dr. Thom. Rowthale,
Dr. R. Middelton, Joh. Trublefield", welche am 24. Juni in Antwerpen ein-
trafen.
*) Valentin Lam, Everchard Eeck und Secretär Heinrich Loer.
*) Joh. Greveroden, Arnold Meteier und Secretär Gracianus Brakervelt.
4) Dr. Joh. Vastard, Dr. J. Ring, Arnold Westerbarch.
*) Für das Folgende wurde der wahrscheinlich von dem Mitgesandten
von Köln, Doctor legum Joh. Fastart abgefasste Bericht über diese Ver-
handlung benfitzt. Kölner Stadtarchiv. ActaAnglicana 1434— 1521 fo. 156
bis 162.
6) „periculum esse rebus et corporibus mercatorum in Anglia, formi-
dandnm , ne totum coUegium cum suis juribus ac privilegiis dissiparetur".
a. a. 0. fo. 158.
— 192 —
Bevollmächtigten erklärten, nicht warten zu können, waren
aber bereit, wenigstens in Discussion zu treten.
Die Sprache der Engländer war eine sehr selbstbewusste.
Hinsichtlich der zur See erlittenen Schäden verlangten sie,
dass die Betreffenden an den englischen Gerichtshöfen Recht
suchen möchten, und waren sehr aufgebracht, als die Hansen
diese der Parteilichkeit ziehen. Bei den allgemeinen Be-
schwerden eröffnete ihnen Dr. Ruthai und zwar, wie er sagte,
ausdrücklich auf die Weisung seines Herrn hin, dass der König
die Vergünstigungen (concessiones), soweit sie zum offenbaren
Schaden gereichten, wieder zurücknehmen könne, wie es denn
auch durch einige Gesetze und Massregeln bereits geschehen ').
Nach mannichfachem Redegeplänkel, das sich einige Tage
fortsetzte, reisten die englischen Bevollmächtigten nach Galais
ab (4. Juli), indem sie den Hansen anheimstellten, dahin zu
kommen, sobald das Mandat eingetroffen sei. Dort könnten
sie mit anderen Abgesandten unterhandeln, wenn es dem König
gefalle, solche zu ernennen. Der Status quo solle nach Ab-
sicht des Königs bis zum nächsten Jahre bleiben, eine schrift-
liche Vereinbarung hierüber wurde englischerseits abgelehnt
Offenbar waren die englischen Deputirten nicht ganz von der
Wahrhaftigkeit der Hansen überzeugt. Diese waren deshalb
ernstlich bestrebt, wenigstens den Verdacht, dolose gehandelt
zu haben, zu beseitigen und die möglicher Weise hieraus ent-
springenden Gefahren zu verhüten. Sie warteten deshalb den
Boten ab, der nach einer 18tägigen Reise die Vollmacht
brachte. Sofort schickten sie dieselbe nach Calais mit einem
Recess, den die Engländer unterschreiben sollten, und der die
Fortdauer des Status quo, wie er vor 6 Jahren bestand, die
Sicherheit in England, den Gebrauch der Privilegien, die An-
beraumung einer neuen Tagfahrt fürs nächste Jahr gewähr-
leisten sollte. Das Unglück spielte aber auch hier den Hansen
übel mit Sechs Stunden vor der Ankunft des zu diesem
Geschäfte beorderten Secretärs der Brügger Kaufleute Gerard,
hatten die englischen Commissäre sich eingeschifft.
Die verschiedenen Episoden dieses Congresses geben be-
reits ein deutliches Bild , wie mehr und mehr bei den Hansen
die Ueberzeugung Platz griff, dass sie in England nur noch
von der Gnade des Königs lebten. Sie wussten, woran sie
waren 2).
*) „de non invehendo serico,ne multi suorum omni questu fraudarentur;
de navibufl Anglicanis, ne classis interiret; de tondendis pannis, ne omnis
questus transiret ad alienos ; de obligationibus, quas rez iniecisset, ne mali-
voli eius in suo proposito indurarent" etc. a. a. 0. fo. 160.
*) „Et de privilegiis satis erat compertum, quid (Angli) sentirent." a.a.O.
fo. 162.
— 193 —
Beide Parteien rüsteten sich zur nächsten Tagfahrt. 1498
wurde auf dem Hansetag zu Lübeck die Beschickung einer neuen
Conferenz mit den Engländern beschlossen1). Heinrich VII.
bevollmächtigte wieder Wilh. Warham, Rob. Middelton und
ausserdem Samson Norton. Von Seite der Hansa waren mit
Einschluss der Secretäre 14 Vertreter in Brügge erschienen,
Dr. Albert Krantz und Dr. Packebusch aus Lübeck im all-
gemeinen Auftrag, ausserdem je 3 von Köln2), Danzig8),
Brügge4), London6). Es lag in dieser immer so zahlreichen
Vertretung auch eine gewisse Absicht. Schon äusserlich sollte
die Macht der Städte den Engländern imponiren.
Die eigentlichen Besprechungen begannen erst am 13. Juni,
da die Kölner und Danziger nicht zu dem bestimmten Termin
(1. Juni) eingetroffen waren. Die Prüfung der Mandate war
die erste Aufgabe. Die Engländer bemängelten das hansische
als unvollkommen, eine Taktik, wie sie damals sehr üblich
war, indem sie die Möglichkeit gab, jeder Zeit von den Ver-
handlungen zurückzutreten. Nur mit Mühe brachten die Hansen
sie zu einem Zugeständniss. Darauf wurden in sehr umständ-
licher Weise wieder die 1491 unerledigt gebliebenen Ent-
schädigungsfragen zum Gegenstand der Erörterung gemacht.
Die Hansen wie die Engländer brachten verschiedene Vor-
schläge, wie diese Klagen endlich aus der Welt geschafft
werden könnten. Die Meinungen gingen hier sehr auseinander;
nur über das Mittel, wie man in Zukunft den häufigen Raub-
anfällen vorbeugen wolle, waren beide Parteien einig.
So sehr nun auch die Hansen eine unparteiische Ent-
scheidung, der Klagen sich zu sichern suchten, so gewiss ist
es, dass sie in dieser Frage nicht den Schwerpunkt der Ver-
handlungen sahen. Die Verkürzung der Privilegien war ihnen
die weit wichtigere Angelegenheit. Die Beschwerden, die sie
in dieser Hinsicht hatten, sind so ziemlich die nämlichen, wie
1487, und uns bekannt. Selbstverständlich wussten die Eng-
länder für alle einzelnen Punkte eine Erklärung und Recht-
fertigung, wenn sie dieselben auch zuweilen etwas" weit herholen
mussten, um das Verfahren gegen die Hansen zu maskiren. In
Betreff der Preistaxen, welche der Mayor von London auf Salz,
Wein, Heringe und sonstige Lebensmittel setzte, verwiesen die
Engländer auf den Diensteid des Bürgermeisters. Hinsichtlich
') Köhler' sehe Sammlung S. 241. Für das Folgende wurde der
wahrscheinlich von dem berühmten Dr. Albert Erantz verfasste Bericht
über die Verhandlung von 1499 benutzt. Kölner Stadtarchiv. Acta Angli-
cana 1434-1521 fo. 180—199 mit Ausschluss von fo. 191—94, welche Ver-
handlungen der Hansen mit Brügge betreffen.
*) Bürgermeister „Gern. Wesell, Dr. jur. Gerh. de Cempen, Joh. Ryng.a
*) „Math. Tymermann, Joh. Usler, Secr. Joh. Wolterj."
*) »Joh. Brüns, Joh. Bisschopnick, Secr. Gerh. Brüns."
8) „Joh. Greverode, Detardus Brandt, Secr. Gerwing Brekerveld."
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 13
- 194 -
des Verbots, oder, wie man es wohl richtiger auffasst, hinsicht-
lich der Erschwerung der hansischen Woll- und BJeiausfuhr
stützten sie sich auf das häufig gebrauchte Recht des Königs,
den Export der Waaren überhaupt zu verbieten. Bezüglich
des Gebots, Gascogner Weine nur in englischen Schiffen, fer-
tige Seidenwaaren überhaupt nicht zu importiren, machten die
Engländer besonders auf die Absicht aufmerksam, welche den
Fürsten bei Ertheilung der Privilegien geleitet? dieser habe
nämlich nicht gewollt, dass die letzteren auch für alle Arten
von Waaren, welche die Hansen von Italien und den fernsten
Theilen der Erde holten , sondern nur für die eigenen gelten
sollten. Wohl entgegneten die Hansen , eine solche Interpretation
des Ausdrucks „sue merces" sei aller Wahrheit widersprechend;
„sua esse, quecumque sunt empta et undecunque nata. — Quid
Lubecae nasceretur? Certe ex Russia, Livonia, Prucia petuntur,
que inde veniunt. Ita vina, non que Colonie, sed in principum
electorum terris nascuntur, solent evehi; sericum de Italia, de
Tarso, de India peti." In ihren Privilegien sei für Seiden- und
andere Waaren, deren Einfuhr man ihnen jetzt verbieten wolle,
sogar die Gostume festgesetzt. Aber all diese logischen Gründe
waren für die Engländer ohne Werth. Hatte man doch mit
vieler Mühe überhaupt solche Interpretationen erfunden, um
das, was man wollte, rechtfertigen zu können. Noch weniger
fanden die Hansen Entgegenkommen, als sie die Rückgabe der
ihnen abgedrungenen Obligationen und die Ausnahmestellung
von dem Gesetz in Betreff der verbotenen Ausfuhr ungeschor-
ner Tücher verlangten. Die Engländer vertheidigten das Ver-
fahren 'des Königs hinsichtlich der ersteren, da die Privi-
legien den Handel nach feindlichem Gebiet ausschlössen,
und erklärten , zur Stipulirung der Rückgabe nicht ermächtigt
zu sein. Was die ungeschornen Tücher betreffe, so führe der
König nur ein Statut Eduards III. aus, in „profectum regni,
non in derogationem privilegiorum"; die Acte präjudicire ihnen
nicht, sie müssten ja die Tücher nicht kaufen, sie würden also
weder an ihrer Person noch an ihren Waaren belastet, und nur
das gewährten die Privilegien. Weshalb sie denn zu ihrem
Schaden wendeten, was für den allgemeinen Nutzen des Reiches
bestimmt sei, und weshalb sie dem König die Hände binden
wollten *).
Mit solcher Sophistik schlug man die Beschwerden und
Gegengründe der Hansen todt. Diese erklärten denn auch,
sie sähen, dass man zu Nichts komme. Die Fragen wegen
der Parlamentsacten und der Obligationen seien 2 Punkte,
') „panni non esseut nostri, nisi empti, et ideo neque persona neque res
no8trorum essent onerate. Cur ad iniuriam nostram traheremus, quod in
communem regni utilitatem esset constitutum, et regiam manum clauderemus ?*
a. a 0. fo. 186.
- 195 -
ohne deren Erledigung für sie ein Ueberein kommen unmöglich
sei, man solle also die Unterhandlungen abbrechen. Mit Bitter-
keit hoben sie hervor, wie die Engländer an ihrer Vollmacht
alles Mögliche bemängelt hätten, wenn aber es zur Entschei-
dung kommen solle, dann behaupteten sie, selbst keine Voll-
macht zu haben, und doch hätten die Hansen schon vor acht
Jahren ihre Beschwerden vorgelegt.
Die abrupte Wendung kam den Engländern doch un-
erwartet. Als sie sahen, dass die Hansen wirklich zur Abreise
sich rüsteten, erboten sie sich, an den König schreiben und
seine Meinung erfahren zu wollen. Da die Hansen wegen
gleichzeitiger Verhandlungen mit den Niederländern Grund
zur Verlängerung ihres Aufenthalts hatten, so nahmen sie den
Vorschlag an, richteten aber auch ihrerseits am 25. Juni ein
Schreiben an den König, worin sie baten, er möge seine Ge-
sandten dahin instruiren, dass die Hansen durch Proviso gegen
die Parlamentsacten geschützt sein sollten.
Man verhandelte zunächst noch über die englischen Be-
schwerden*, die sich auf Danzig bezogen. Hier trat die eng-
lische Politik noch schärfer hervor. Die Engländer verlangten
geradezu Verzicht auf die Privilegien, wenn man nicht den eng-
lischen Kaufleuten in den Hansastädten, namentlich in Preussen,
gleiche Vorrechte gestatten wolle. Sie versäumten auch nicht,
die Hansen aufmerksam zu machen, dass der König die ihnen
gewählten Vergünstigungen zurücknehmen könne; zwar beab-
sichtige er das nicht, aber der Prüfung der Frage habe er auf
Anregung seiner juristischen Räthe sich nicht entziehen können.
Sie luden sie deshalb ein, mit ihnen auf Grund der Rechts-
literatur ebenfalls eine Untersuchung darüber vorzunehmen.
Sie wollen ihnen alle Bücher zur Verfügung stellen, welche sie
zur Vertheidigung ihrer Ansicht brauchten , wie den Paulus
de Castro und andere. Aber weder davon noch von einem
unparteiischen Schiedsrichter wollten die Hansen etwas hören.
Sie seien nicht gekommen, um nur ein Jota von ihren Privi-
legien zu verlieren oder dieselben in Zweifel ziehen zu lassen.
Diese seien so beschaffe*, dass sie weder aufgehoben noch ver-
mindert werden könnten. Lieber, als dass sie ein Pünktchen
von ihren Privilegien preisgäben, würden sie sich vertheidigen,
wie es Männern geziemt. Die Meinungen der Gelehrten gingen
überdies auseinander; sie hätten einen italienischen Doctor um
sein Gutachten gebeten , das sie vorlegen könnten. Sie hofften
zu dem König, dass er ihnen ihre Privilegien nicht entziehen
werde.
Auf Wunsch der Engländer wurden sodann die Verhand-
lungen auf 20 Tage ausgesetzt. Sie wollten, wie sie erklärten,
selbst nach England gehen. Wahrscheinlich wurde aber nur
ein Congressmitglied oder ein Bote an den König geschickt,
13*
— 196 -
um ihm den Bericht1) über den bisherigen Verlauf des Congresses
vorzulegen und eine Instruction für das weitere Vorgehen zu
erholen. Diese erfolgte in einem den Hansen durchaus un-
günstigen Sinn. Die Wahl des Bischofs von Cambrai zur Ent-
scheidung der Entschädigungsklagen wird als der königl. Ehre
und dem Vortheil der Unterthanen zuwider abgelehnt. Statt
dessen wird eine gegenseitige Compensirung der Schäden ge-
wünscht. Im äussersten Fall will der König gestatten, dass ein
englischer und hansischer Richter ernannt werde, von denen der
erstere die hansischen, der letztere die englischen Fälle ent-
scheide. Hinsichtlich des Artikels 4 des Utrechter Vertrags,
des Hauses in Danzig, der Parlamentsacten wird jede.Concession
versagt. Ein plötzlicher Bruch soll vermieden werden , da für
einen Krieg man zu schlecht gerüstet sei, vielmehr soll eine
neue Tagfahrt in Aussicht genommen werden, die aber erst in
2 Jahren stattfinden dürfe.
Am 15. Juli traten die Bevollmächtigten wieder zusammen.
Die englischen Gesandten erklärten, auf ihren Wünschen be-
züglich Preussens beharren zu müssen. Damit wurde hansischer-
sei ts eine Verständigung als unmöglich erkannt, man schlug
die Abschliessung eines Provisoriums vor. Beide Parteien ent-
warfen einen Recess. Aber auch hier standen sich die beider-
seitigen Anschauungen und Wünsche schroff gegenüber.
Der englische Entwurf will, dass mit Ausnahme der bei
den Richtern in England anhängigen Processe und der Parla-
mentsacten bis 1. Juli 1501 der Status quo erhalten werde;
der hansische dagegen verlangt, dass bis zu diesem Termin
der ganze Verkehr in bono statu bleibe, jeder Theil beim an-
dern seine Freiheiten geniesse so, wie seit Menschengedenken,
und dass man sich gegenseitig kein Leid zufüge. Die Eng-
länder wünschen, dass die englischen Kaufleute inzwischen
aller Rechte des Utrechter Vertrags theilhaftig sein sollen und
aller übrigen Vergünstigungen, die sie zur Zeit in den Hanse-
städten gemessen; die Hansen dagegen verlangen, dass die
englischen Kauf leute in Danzig nur die Freiheit beanspruchen,
welche den Forensen aus den Hansestädten zukommt. Im
englischen Recess ist bestimmt, dass die Hansen in England
ihre Freiheiten in der Weise gebrauchen sollen, wie sie es
jetzt thun; im hansischen wird dagegen die Forderung ge-
stellt, dass die Freiheiten so wie seit Menschengedenken
gelten, indem zur Bekämpfung gegentheiliger Statuten das
königl. Proviso in Anspruch genommen wevden dürfe. Die
englischen Bevollmächtigten gestatten, dass, falls man sich in-
zwischen wegen der Entscbädigungsklagen über einen Richter
einige, dieser endgültig erkennen könne-, die hansischen Ab-
gesandten wünschen, dass zu London der König einen Com-
5) Urk.Beil. 94.
— 197 —
missar bestelle, der die Dodümente der von den Engländern
beraubten Hansen prüft und innerhalb eines Jahres ein Urtheil
herbeiführt. Das Gleiche soll in einer Stadt der Hansen ge-
schehen. Ausserdem verlangen die Hansen, dass jedes aus-
laufende hansische und englische Kriegsschiff Bürgen stelle,
dass es die Verbündeten nicht schädige. Endlich zeigen die
Hansen die Wiederaufnahme von Riga in den Bund nach der
im Utrechter Frieden stipulirten Form an.
Man wies beiderseits die Entwürfe zurück, und schon
glaubten die Engländer, verzweifeln zu sollen, als die Hansen
eine kurze, möglichst neutrale Formel vorschlugen, die nur
sicheres Geleit versprach. Zwar wollte Warham eine verfäng-
liche Clausel eingefügt wissen, welche die Beschlagnahme aus-
laufender Schiffe ermöglichte, und die Hansen hätten im
äusserten Fall ihr auch zugestimmt, aber die Engländer
gaben schliesslich doch ihre Opposition nach dieser Seite auf.
Die Hansen concedirten die Bestimmung, dass der jetzige
Status quo erhalten bleibe, wogegen die Engländer zugaben,
dass im Recess die beiderseitige Sicherheit gewährleistet werde1).
Das war das ganze Resultat des am 20. Juli 1499 be-
endeten Congresses. Kurz und treffend charakterisirt ihn
Tratziger: „Die handlunge erstrecket sich eben lange Zeit mit
vieler vergeblicher disputation; zuletzt zogen die gesanten un-
beschafter ding von einander" a). Trübe waren die Aussichten
für die Hansen. So sehr der König jeden Krieg scheute, so
wenig er sich verhehlte, dass es nichts Geringes sei, mit den
seetüchtigen Hansen einen Kampf aufzunehmen, so war doch
der Gedanke, gegen sie eventuell mit Gewalt vorzugehen, vor-
handen. Der für 1. Juli 1501 stipulirte Congress fand nicht
statt, sondern wurde, wie es scheint, auf Bitten der Hansen
bis 1502 und dann nochmals bis 1. Juli 1504 hinausgeschoben.
Aber auch in letztgenanntem Jahre war Lübeck wegen einer
gleichzeitig bevorstehenden Tagfahrt zu Münster und einer
solchen mit den Schweden zu einer Beschickung nicht geneigt,
suchte beim König eine, abermalige Verlängerung des Termins
zu erwirken und Hess gleichzeitig ihn und das Parlament noch-
mals um Abhilfe wegen der hansischen Beschwerden bitten 8).
') * — quod omnes res in eo statu, in quo nunc sunt, a data presentium
osque ad primam diem Julii 1501 conquiescant Et quod intenm veniant
mercatorea Anglici in omnes civitatis Anze Teutonice ibidemque secure
eonveraentur et mercentur et ab eisdem salvo et secure cum bonis mercibus
et rebus ad quecunque alia loca libere recedant. Et vicissim mercatorea
Anze Teutonice in regno Anglie secure conversentur et mercentur, et ab
eodem salvo et secure cum bonis mercibus et rebus ad quecunque alia loca
libere recedant." Nach der letzten Bestimmung durften die Hansen Tuch
nach den Niederlanden exportiren.
*) Cbronika der Stadt Hamburg hsg. von Lappenberg. S. 244.
*) Das Obige ist einem Briefe Lübecks an Danzig vom 4. Jan. 1504
entnommen (St. A Danzig XXXI. 437 a. Hanserec. ed. D. Schäfer).
— 198 —
Die Hansen fanden bei dem 'König plötzlich ein Entgegen-
kommen, wie sie sich es kaum geträumt hatten. Am 24. Mai
theilte er in einem Schreiben an Lübeck mit, dass die Bitte
der Hansen, sie gegen die Beamten und Engländer zu schützen,
welche auf Grund gewisser Parlamentsacten den deutschen
•Kaufmann täglich mehr bedrückten, von ihm sorgfältig erwogen
worden sei. Vom Wunsche beseelt, ihrer Petition gerecht zu
werden, habe er ihre Angelegenheit im Parlament vorbringen
lassen, und obwohl man dort sehr viele Klagen gegen die
Hansen geltend gemacht, und in der Sache viele Schwierig-
keiten hätten überwunden werden müssen, so habe er doch
Alles erreicht, was sie gewünscht hätten; er glaube, sie und
ihre Stellvertreter, die in England handelten, dürften zufrieden
gestellt sein. Da er nun in ausreichender Weise für die In-
teressen der Hansen gesorgt, so sei für ihre Klagen in Zu-
kunft kein Raum mehr; die englischen Kaufleute drängten
zwar mit Rücksicht auf die Begleichung ihrer erlittenen
Schäden sehr auf Fortsetzung der Tagfahrt, er glaube aber,
dass diese zu verschieben sei, bis er einen Antrag hierüber
stelle »)•
In der That schien der König diesem Briefe zufolge in
seiner Politik gegenüber den Hansen eine Schwenkung gemacht
zu haben. Die Frage ist, was Heinrich VII. zu diesem Schritt
veranlasste, und welche Tragweite demselben beizumessen ist.
Die Parlamentsacte •), von welcher der König spricht, be-
stimmt, dass alle vordem erlassenen Statuten, soweit sie Kauf-
leute, Waaren und sonstige Sachen betreuen, sich nicht in
nachtheilger Weise auf die genannten Hansekaufleute erstrecken
sollen entgegen ihren alten Freiheiten und Gewohnheiten, son-
■k^^i^^
') Der Hauptpassus des Briefes lautet wörtlich : „cupientes, in quanram
possumus, vestris honestis petitionibus annuere horum omnium justa con-
sideratione babita causam ipsam in parliamento nostro proponi fecimas, et
quam quam plurima inibi contra et adversus vestros mercatores obiicereDtnr
multeque in ea re fierent difficultates , nihilominus nos ex spetiali nostra
gratia et favore, quem erga tos semper habuimus, non minorem effectum
cause vestre sunt sortiti. quam ipsimet vestri mercatores postularant, immo
et ipsa vestra i egotia in omnibus juxta eorum vota magis , quam antea
unquam optineri potuerint, sint expedita, ita ut non modo ipsos vestros
negotiatores et eorum deputatos in hoc nostro regno negotiantes putemus
esse "contentos, sed optimam quoque de re ipsa vobis relationem nctnros.
Quod vero ad instantem dietam pertinet, existimandum est per ea, que in
predicto nostro parliamento pro vestro commodo et utilitate acta sunt, ita
negotiis vestris consultum ac provisum esse, ut future alicujua pro parte
vestra querele non sit amplius relictus locus. Et licet mercatores nostri
äuotidie penes nos instent pro hujusmodi dieta continnanda ac illatis sibi
amnis resartiendis. eam tarnen putamus esse differendam, donec et usaue
quo a nobis superinde fueritis requisiti." (St. A. Danzig XXXI, 438a; Xvlt
144 b. Hanserecesse ed. D. Schärer.)
2) YJ Hen. VII. c. 23, auch abgedruckt bei Lappenberg, Stahlhof
S. 168.
— 199 —
«lern dass jede derartige Acte, soweit sie eine Aufhebung der
hansischen Privilegien enthält, für die hansischen Kaufleute
keine Wirkung haben soll, und dies gilt sowohl hinsichtlich
der bereits bestehenden als der in Zukunft zu erlassenden
Statuten. Ich bezweifle nicht, dass auf Grund dieser Exemption
auch thatsächlich die Hansen von einigen Parlamentsacten
entbunden wurden, namentlich, dass man ihnen den Export
ungeschorner Tücher erlaubte. Der Besitz dieser Vergünstigung
war aber trotzdem nicht garantirt. Man weiss, wie leicht die
Engländer über die Gesetzesvorbehalte sich hinwegsetzten, in-
dem sie einfach behaupteten, die Privilegien, beträfen blos
Zollsachen, die Statuten verstiessen nicht gegen ihre Frei-
heiten. Es konnte also leicht eine Zeit kommen, in welcher
Heinrich VII. wieder eine andere Praxis beliebte. Zunächst that
er dies nicht und zwar aus guten Gründen. Um jene Zeit
beunruhigte den König der in den Niederlanden sich auf-
haltende Graf Edmund von Suffolk, von dem er eine Ver-
schwörung befürchtete, dessen Auslieferung er aber schon
längere Zeit vergeblich betrieb. * In Folge dessen wurde das
Verhältniss Englands zu den Niederlanden ein sehr gespanntes,
womit gleichzeitig commercielle Verwicklungen verbunden waren.
Um nun einen wirkungsvollen Druck auf die Niederlande aus-
üben und den Handel dahin abbrechen zu können, musste er
der Hansen sich versichern. Die oben ihnen gemachte Con-
cession diente nur dazu, dieselben seinen Zwecken dienlich
und sie ihm willfährig zu machen. Eben deswegen hatte er
auch die Obligationen herauszugeben verweigert und die Hansen
mit einer allgemeinen Phrase darüber zu beruhigen gesucht 1).
Im November desselben Jahres kamen seine Absichten zu
Tage. Gleich nachdem er den Kaufleuten aller Nationen ver-
boten, aus England Waaren nach den Ländern des Herzogs
Philipp von Burgund zu führen, will er zwar dem deutschen
Eauönann die Ausfuhr der Laken ins Ostland, d. h. in die
Heimath gestatten, verlangt aber zur Sicherheit dafür, dass
sie weder direct von England, noch indirect von ihren Gebieten
aus englische Tücher nach den Niederlanden verkaufen wollen,
wiederum wie früher die Verbürgung mit einer grossen Geld-
summe. Wie bedenklich war eine solche „Recognisance" ? An
eine Rückgabe derselben war nach den früher gemachten Er-
fahrungen nicht zu denken, man legte also dem König eine
neue Waffe in die Hand , die um so gefährlicher war, als sie
*) nnnde van der recognisantie, darinne wy vorbanden stan to deme
heren koninge, möge wy noch anders geyne antworde hebben, dan wy dus-
lange gehat hebben, dat is, wo des heren koninges gnade uns muntliken
gesacht helft, wy dar geynen schaden by hebben sollen; wat he darmede
menet, kone wy nicht geweten." Der Kaufmann zu London an Lübeck
81. Mai 1504 (St. A. Danzig XVI. 144 c. Hanserecesse ed. I). Schafer).
— 200 —
dazu dienen konnte, den hansischen Tuchhandel nach den
Niederlanden zu Gunsten der englischen Kaufleute überhaupt
zu verbieten; denn meist wurde die zeitliche Beschränkung in
diesen Obligationen absichtlich verdunkelt, oder man kümmerte
sich hinterher nicht um dieselbe. Dazu kam, dass es für die
Hansen geradezu eine unmögliche Aufgabe war, darüber zu
wachen, dass nicht ein oder der andere Kaufmann Tücher
nach den Niederlanden von Deutschland aus verkaufte, so
dass die Verwirkung der Summe im Voraus als sicher gelten
konnte. Der Kaufmann zu London sträubte sich nicht mit
Unrecht gegen die Zumuthung des Königs und kann, als er
Danzig um Rath fragt, die Bemerkung nicht unterdrücken,
dass die Engländer täglich darauf ausgehen, die Privilegien
des deutschen Kaufmanns zu vernichten *). Aber schon vorher
hatten die Hansen manche Ursache zur Klage. Im August
z. B. beschwerten sie sich, dass sie in Hüll 5 sh Zoll für das
Fodder Blei zahlen müssten, während man in London nur
12 d zahle8), wurden aber vom König abgewiesen, angeblich
weil nach Aussage aller seiner Zollbeamten in Hüll seit
Menschengedenken soviel für Blei gezahlt werde3).
Auf dem Hansetag von 1506 wurde der Brief des Königs
vom 24. Mai 1504 verlesen, gleichzeitig aber über Klagen
gegen England verhandelt, und ein Bericht an den König, das
Parlament und den Kanzler beschlossen. 1507 wurde sogar
die Abschickung einer Gesandtschaft an Heinrich VII. ins Auge
gefasst4).
Im Jahre 1508 Juli 8 erklärte der König die am 21. Oct
1493 den Hansen aufgedrungene Obligation im Betrag von
20 000 £ für verfallen6), indem er behauptete, die Tuch-
ausfuhr der Hansen nach den Niederlanden sei unstatthaft, wie
er gleichzeitig auch den Venetianern zu Gunsten der Merchant
adventurers dieWaareneinfuhr aus den Niederlanden auf 10 Jahre
verbot 6).
Das Ziel, den Handel der Hansen zu beschränken und
ihn mehr und mehr in die Hände der einheimischen Kaufleute
zu lenken, stand nach dem Brief von 1504 für den König
noch ebenso unverrückt vor Augen, wie vor dieser Zeit. Ob
die im 22. Jahre der Regierung Heinrichs VII. angeordneten
und im 1. Regierungsjahre Heinrichs VIII. beendeten Unter-
l) Brief des Kaufmanns zu London an Danzig vom 18. Nov. 1504
(St A. Danzig 145. Hanserecesse ed. D. Schäfer).
*) Dabei ist „achter 4^ sterlinge idt voed erblyes geratet" (Beschwerden
des Londoner Contors. 1535 Lübecker Archiv).
8) Brief des Königs Heinrich VII. an die wendischen Städte vom
12. Dez. 1504 (St. A. Danzig XXV A. 41. Hanserecesse ed. 1). Schäfer).
*) Köhler' sehe Sammlung S. 244.
*) Br. M. Cotton Ms er. Claudius E. fo. 103.
6) Sieh oben S. 142.
— 201 —
suchungen1) über das Eigenthum des Stahlhofes vielleicht
auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Politik des
Königs gegen die Hansen standen, mag dahin gestellt bleiben.
Ueber die Absichten des Königs und die Lage der Hansen
gibt das Erzählte genügenden Aufschluss. Die Tage der Macht
der Hansen in England waren vorüber. Die Hansafrage in
England war eigentlich schon jetzt entschieden. Wer weiss,
was geschehen wäre, hätte der König noch ein weiteres De-
cennium gelebt.
Heinrich VHI. (1509-47).
Es war eine bekannte Taktik der Hansen, bei jedem Re-
gierungswechsel dem neuen Herrscher ganz besondere Hul-
digungen darzubringen und durch Erhöhung der Krönungs-
feierlichkeiten, wie durch Geschenke den König zu gewinnen.
Auf diese Weise gelang es ihnen meist leicht, von dem eben
gekrönten Herrscher ihre Privilegien bestätigt zn erhalten.
So geschah es auch unter Heinrich VIII. Die Confirmation
der Freibriefe erfolgte am 20. Februar 1510 *).
Das Haus der Lords zugleich seinem Interesse folgend
kam gerne der Neigung des Königs für die Hansen entgegen.
Als die Gemeinen im ersten Parlament die Subsidie bewilligten
und hiebei ausdrücklich verlangten, dass die Hansen ebenso
wie alle übrigen Fremden 1 sh vom £ Werth aller ein- und
ausgeführten Waaren zahlten, hoben die Lords diese Bestim-
mung wieder auf, indem sie das Proviso beifügten, dass die
Acte den Hansen nicht schädlich sein sollte. Das Unterhaus
musste dann wohl oder übel ebenfalls seine Zustimmung geben 8).
Aber die bürgerlichen Kreise wurden durch solche Vorgänge
in ihrer Feindseligkeit gegen die Hansen nur bestärkt. Bald
darauf waren die Commoners keck genug, um mit einer be-
sonderen gegen die Hansen gerichteten Bill hervorzutreten 4).
Dass dieselbe vom Oberhaus nicht angenommen werde, das
x) Sieh dieselben bei Lappenberg, Stahlhof S. 169.
*) Marquard, De jure mercatorum Beil. L. D. S. 183.
s) Lords' Journals I. S. 7, 8. Aus diesem Vorgang erklärt sich der
eigentümliche Widerspruch, den der Wortlaut der Acte 1 H. VIII. c. 20
enthalt Die Bestimmungen der Acte selbst stehen in vollem Gegensatz zu
dem Proviso. Es war übrigens nicht das erste Mal, (in 88 die Gemeinen
bei Gelegenheit der Subsidienbewilligung die Hansen zu schädigen suchten.
Schon früher hatten sie öfters verlangt, dass die Hansen von Her Subsidie
von 1 sh Der £ nicht ausgenommen sein sollten. Die Könige bestätigten
aber die oubsidienacte meist nur unter einem die Hansen ausnehmenden
Vorbehalte, so namentlich Richard III. und Heinrich VII. Rot. Pari. VI.
S. 238 fg. u. 268 fg.; vgl. jedoch auch V. S. 228, 269, 50S u. VI. S. 154.
4) Lords' Journ. I. 3 Hen.VlI 83°, S6W, 40« die Pari. Das Ober-
bans überwies nach der ersten Lesung die Bill einer Commission, in der
dieselbe dann begraben wurde.
— 202 -
verhehlten sie sich wohl auch nicht, aber sie wussten, dass
man nur ausdauernd und unermüdlich Aehnliches zu wieder-
holen brauche, um schliesslich auch die Opposition der Lords
zu brechen.
Die Erbitterung im Volke gegen die Hansen war sichtlich
im Wachsen. Gesteigert wurde sie besonders, als die Eng-
länder die Conjunctur des Krieges von Lübeck gegen Däne-
mark (1508—16) ausnützend häufiger als früher in der Ostsee
erschienen, aber auch eben deswegen von den Hansen mehr
Angriffe als sonst zu erleiden hatten 1). Gleichzeitig gaben die
Deutschen durch ihr unordentliches Leben allgemeines Aerger-
niss *), und auch im kaufmännischen Verkehr trat an die Stelle
der deutschen Solidität das System der Betrügerei8).
1517 (1. Mai) fand der bekannte Aufstand in London
gegen die Fremden statt, und der allgemeine Hass gegen letz-
tere war ein Factor, mit dem die Hansen und noch mehr die
englische Regierung zu rechnen hatten.
In der That hat es den Anschein, als ob die letztere
jetzt etwas energischer gegen die Hansen einzuschreiten ent-
schlossen war. Man sah wieder strenge darauf, dass die
Hansen keine wollenen Tücher exportirten, die nicht geschoren
waren; selbst Hermann Rink4) verfiel der Strafe, wenn
er gegen das Statut sich verfehlte6). Wolsey duldete nicht,
dass sie andere Waaren, als solche hansischer "Abkunft zu den
in den Privilegien zugesicherten niedrigen Zöllen importirten 6).
Die Schiffahrtsacte wurde gleichfalls ge^en sie fortgesetzt
geltend gemacht. Die den Hansen aufgedrungenen Obligationen
') Brewer, Cal. II. 1082. In England wurde es nachgerade Mode,
für ieden Angriff, der zur See stattfand, die Hansen verantwortlich zu
machen; selbst bei den Schotten mnssten sie immer im Spiele sein. Brown,
Cal. II 715.
*) Vgl. Lappenberg, Stahlhof S.93— 95 und speciell Köhler'sche
Sammlung S. 248 u. 244 ad an. 1501 u. 1507.
") 1511 beschloss man auf dem Hansetag, dass den Englischen gegen
ihre Schuldner schleunig Recht verschafft werden solle, auch fortan kein
Hanse Güter aus England schicken dürfe, wenn er nicht zuvor vor den
Alderleuten schwöre, dass er die Güter bezahlt oder noch gleichwertige
unverkauft in England habe. Kohl er 'sehe Sammlung S. 244. Schon
frühere Recesse, wie der von 1447, 1506 beschäftigten sich mit dieser Sache.
4) Ueber seine Beziehungen zu Heinrich VIIL sieh Ennen, Geschichte
der Stadt Köln IV. S. 240; Pauli in den Forschungen zur d. G. 1862.
S. 415 fg.
8) Brewer, Cal. I. 5008; IL 1018; IV. 4623.
<) So theilen die zu Lübeck versammelten Städte in einem Schreiben
an Heinrich VIIL mit 4. Juli 1517. Brewer, Cal. III. 3436. Auf der
Tagfahrt von 1520 suchten die Englander dies abzuläugnen, die Hansen
aber behaupteten, „certum esse, quod idem dominus Cardinalis quibusdam
mercatoribus nostris sub gravi pena prohibuerit, ne merces alias, quam in
civitatibus Anze ortas vel natas invehant,*et propterea rem istam iam ab-
solvendam et deeidendam fore.u (Kölner Stadtarchiv. Acta An gl. 1434
bis 1521 fo. 834); vgl. auch ürk. Beil. 97 § 6.
— 203 -
wurden unter Heinrich VIII. eben so wenig herausgegeben, als
unter dem Vorgänger. Für 40000 j£ waren die Hansen so
verhaftet und sie sollten diese Summe erlegen, bevor die„Re-
cognisances" ausgehändigt würden. Die garantirten gericht-
lichen Privilegien wurden nicht mehr beobachtet. Man erhob
höhere Zölle, höheres Admiralsgeld und machte mit den
Hansen kurzen Process, wenn Klagen gegen sie laut wurden.
Als z. B. 1511 im Kriege zwischen Dänemark, Schweden, Nor-
wegen und Schleswig die Stralsunder ein Schiff der Lynner
Kaufleute aufbrachten, aber in der Schadensersatzleistung sich
säumig zeigten oder doch nicht die von den Engländern ver-
langte Summe geben wollten, Hess Wolsey auf Antrag der
englischen Schiffsherrn sogleich Beschlag auf die Güter der
deutschen Kaufleute in London für ein ganzes Jahr legen,
ohne auf die von den Stahlhofskaufleuten gemachten Vor-
stellungen zu achten, dass ihren Privilegien zufolge kein Hanse
für die Vergehen eines andern Hansen zu haften brauche.
Zwei deutsche Kaufleute, Th. Schuttenbecker und Ludolph
Butinick mussten 500 {£ Caution leisten, auf dass keiner der
Kaufleute von Lübeck, Rostock, Stralsund und Wismar, die im
Stahlhof residirten, England verlasse oder Güter exportire, bis
für das genannte Schiff eine Compensation geleistet worden
sei. Eine versuchte Vermittlung ihres Herzogs brachte den
Stralsundern, wie dem Herzog selbst nur die grössten
Demüthigungen ein1). Mehre Jahre lang wurden die Stral-
sunder Kaufleute in London festgehalten, und erst als das
Contor eine bedeutende Summe zur Strafe an den König ge-
zahlt8), wurde der Handel wieder ganz frei gegeben3). Die
Londoner endlich bestritten systematisch den Hansen das Recht,
den Wein im Detail zu verkaufen, obwohl der Art. 24 des
Utrechter Vertrags4) den Kleinverkauf wenigstens des Rhein-
weins klar und deutlich bestätigte5).
J) Brewer, Cal. III. 1082 Selbstverständlich ist die von Brewer
vorgenommene Ergänzung des Adressaten als des Herzogs von Geldern un-
möglich. Wolsey sagte zu den Abgesandten in feierlicher Audienz, den von
ihnen genannten Fürsten kenne er gar nicht, man wolle auch nichts mit
ihm zu thun haben. Sein königl. Herr sei nicht gewohnt, die Freundschaft
von so gelingen und unbekannten Fürsten zu 6uchen.
*)Sieh auch Köhler sehe Sammlung S. 247.
*) Vgl. Urk. Beil. 97, 98, 102 Das Lübecker Archiv enthält mehre
Concepte eines Briefes, wonach Lübeck noch am 15. Sept. 1516 Wolsey bat,
doch wegen dieser Sache nicht Schuldige und Unschuldige ohne Unterschied
leiden zu lassen. Das eingeschlagene Verfahren Verstösse vollständig gegen
die Privilegien.
') „Providebitur eisdem mercatoribus, quod vina Renensia minuatim et
&d retauiam futuris temporibus vendere valeant, prout ab antiquo soliti
sunt et consueti." Rymer XI. S. 799.
*) 9. Nov. 1514 bestimmt der Londoner Rath einen Termin, an
welchem die Stahlhofskaufleute ihr Recht des Detailverkaufs von Wein
erweisen sollen. Diese produciren eine bezügliche Urkunde am 4. Dez. 1514
— 204 —
Es half den Hansen Nichts, wenn sie sich auf ihre Frei-
heiten beriefen, es nützte auch Nichts, wenn sie mit peinlicher
Sorgfalt und unter Aufwendung grosser Geldsummen in jeder
Parlamentssession sich sogenannte „Provisoes" l) gegen etwaige
Benachtheiligung zu erwirken suchten ; denn war die Regierung
schon nicht mehr im Stande, diese Vorbehalte auf dem ge-
wöhnlichen formalen Wege zum Gesetz zu erheben *), so durfte
sie auf keinen Fall wagen, auf Grund dieser eingeschmuggelten
Exceptionen Gesetze, die ausdrücklich auf die Hansen ab-
zielten, unwirksam zu machen und deren Anwendung zu ver-
hindern. Die Gunst des englischen Bürgerthums um der
Hansen willen zu verscherzen, war sie nicht gewillt, betrachtete
vielmehr, anknüpfend an die von Heinrich VII. überkommenen
Traditionen, die Gesetzesvorbehalte für wenig mehr als eine leere
Formel3). Waren die Hansen mit ihren Klagen gar zu un-
gestüm, wies man ihnen einfach die Thüre mit der Bemerkung,
der König sei Herr in seinem Lande und könne nach Gut-
dünken Verordnungen machen4).
Nachdem die Hansen vergeblich versucht hatten, in Lon-
don die Situation für sich günstiger zu gestalten, baten sie
wieder um eine gemeinschaftliche Conferenz. Diese wurde ge-
währt, und englischerseits Will. Knight, John Husee, Thom. More
(London City Records Reports 2. fo. 199; 204 b). Im Jahre 1520 verbot
der Mayor den Stahlhofskauf leuten neuerdings den Verkauf von Wein, be-
sonders auch von Rheinwein im Detail. Die Hansen weigern sich dessen
und erhärten ihr Recht durch Vorzeigung des unter Eduard IV. ertheilten
und vom Parlament bestätigten Privilegs. 18. Dez. 1520 (London City Re-
cords Liber N. fo. 150 b). 13. Dez. 1523 erneuert der Londoner Rath in Folge
der von den Londoner Burgern erhobenen Klagen das Verbot, wogegen
am 15. Dez. die 2 Stahlhofssecretäre in Begleitung eines juristischen Bei-
standes den Detailverkauf von Rheinwein in der Londoner Rathsversamm-
lung abermals vertheidigen (L. C. R. Repert. 4 fo. 215 u. 215 b). Derselbe
Vorgang wiederholte sich am 13. u. 15. Dezember 1524 (L. C. R. Repert. 7
fo. 21 u 22.
*) Vgl. 1 Hen. VIII. c. 20; 4 Hen. VIII. c. 20: 6 Hen. VIII. c. 25;
14 u. 15 Hen. VIII. c. 29; 22 Hen. VIII. c. 8; 26 Hen. Vin. c. 26:
32 Hen. VIII. c. 14.
*) So war dies der Fall gerade in der Session, in welcher das Gesetz
3 Hen. VII. c. 11 wegen der Ausfuhr ungeschorner Tücher durch die Acte
3 Hen. V11I. c. 7 erneuert ward. Die Regierung liess dem Hause der Lords
ein Proviso zugehen; als sie aber gewahr wurde, dass dasselbe im Hause
der Gemeinen sicher und vielleicht sogar im Oberhaus abgelehnt werden
würde, zog sie es zurück, und der Kanzler erklärte im Namen der Re-
gierung, es genüge, wenn der König allein das Proviso unterzeichne, es
bedürfe weder der Zustimmung der Lords noch der Gemeinen. Lords'
Jo urals Vol. I. 3 Hen. VIIL 45° die Pari. So kam das Proviso 4 Hen. VIII.
c. 20 in die Reihe der Gesetze. Eine ähnliche Anomalie hatte Statt bei
dem nächsten Proviso 6 Hen. VIII c. 25. Auch hier stimmten die Ge-
meinen nicht zu; die Lords aber fassten den Beschluss, das Proviso, da
dasselbe schon durch ihre Zustimmung gültig sei , gar nicht ans Unterhaus
gelangen zu lassen. Lords1 Journ. 6 Hen. VIII. 58° die Pari.
*) Sieh oben S. 183, 184, 199.
*) Köhler'sche Sammlung beim Jahre 1521. S. 246.
— 205 —
und der Vorstand der englischen Kaufleute John IJewster er-
nannt1). Die Hansen sandten 12 Vertreter ab2). Die Ver-
handlungen sollten zu Brügge geführt werden.
Die Hansen hofften, sicher mit ihren Forderungen durch-
zudringen. Sie beachteten nicht, dass die Verhältnisse in
England für sie täglich schlechter wurden, und dass für
ihre Hoflhungen jede reale Unterlage fehlte. Wie hatten sich
die Zeiten gegen früher geändert! Aus einem schwachen und
im Innern zerklüfteten Reiche war England ein Staat geworden,
der in der europäischen Politik eine gewichtige Stimme besass.
Auf dem Thron sass diu Herrscher, dessen Ansprüche an die
Krone von Niemand bestritten wurden und der das vollste
wusstsein königlicher Gewalt in sich vereinigte. Im Lande
selbst war eine Summe von wirtschaftlicher Energie und
von Kräften zur Entwicklung gelangt, die nach weiterer Aus-
dehnung strebten und unaufhaltsam vorwärts drängten.
Man begreift, wenn die englischen Bevollmächtigten mit
erhöhtem Selbstgefühl auftraten, um so mehr, als wenige Mo-
nate zuvor selbst die Niederlande zu bedeutenden commerciellen
Concessionen England gegenüber sich herbeigelassen hatten.
Die englischen Deputirten kamen am 19. Juli nach Brügge.
Die Verhandlungen wurden im Carmeliterkloster geführt. Die
Hansen legten ihre Klagen 8) vor, und nach längeren unwesent-
lichen Präliminarien trat man in die Besprechung der einzelnen
Punkte ein 4). Mit besonderer Sorgfalt vertheidigten die Hansen
ihre Forderung in Betreff der Ausfuhr ungeschorner Tücher,
weshalb sie auch diesen Artikel an die Spitze ihrer Beschwerden
gestellt hatten. Knyght und Thomas More bemühten sich,
ihre Gründe zu widerlegen. Der erstere machte geltend, man
müsse bei dieser Frage die Absicht des Privilegienertheilers
berücksichtigen; es sei nicht zu präsumiren, dass dieser die
Meinung gehegt, in Zukunft nicht etwas statuiren zu dürfen,
was zum allgemeinen Wohl, aber zum Nachtheil der Hansen
sei. Der König sei also vollkommen im Rechte gewesen, wenn
') Calais 10. Juni 1520. Rymer XIII. S. 722.
*) Bürgermeister Nie. Bromse, Dr. Math. Packebusch, Lamb. Witing-
hoft, Secretar Paul von Velde aus Lübeck; Bürgermeister Ad. Rinck,
Herrn. Rink, Dr. Jodocus Wilpurg von Erpach, Alb. v. Gueyss, Thom.
Burchmann aus Köln; Bürgermeister Gerh. von Holte, Joh. Reinike, Joh.
Halp aus Hamburg. Kölner Stadtarchiv. Acta An gl. 1484—1521 fo. 292.
^Urk. Beil. 97.
*) Für das Folgende wurde benützt der wahrscheinlich von dem
Lübecker Syndicus Dr. M. Pakebusch verfasste Bericht über die Verhand-
lungen in den Acta Angl. 1434—1521 des Kölner Stadtarchivs fo. 293
bis 318. Eine zweite, von derselben Hand geschriebene, am 1. August vor-
genommene oder begonnene Registrirung einer ersten Besprechung der han-
sischen Beschwerden findet sich ebenda fo. 329 fg. und wurde gleichfalls
mitverarbeitet
— 206 —
er das Verbot der Ausfuhr ungeschorner Tücher zum Gesetz
habe erheben lassen. More dagegen führte besonders aus,
wie das Statut nicht zum Privatvortheil der Londoner Scheerer
und Walker, sondern zum öffentlichen Nutzen gereiche. Hebe
man es auf, so erwüchsen dem Reiche grosse Kosten. Auch
könnten ohne dasselbe die genannten Gewerbsleute in England
sich nicht so vortheilhaft erhalten und ernähren. Ueber die
Frage, ob das Gesetz dem Lande nütze, hätten übrigens die
Hansen gar nicht zu urtheilen, das sei Sache des Königs.
Man könne nur Billigkeitsrücksichten geltend machen. Aber
gerade diesen entspreche es, dass der König seine Unterthanen
unterstütze, nicht aber dass er zu seinem Schaden und auf
seine Kosten den Hansen Vortheile zuwende. Nur wenige
Jahre habe der deutsche Kaufmann das Recht, ungeschorene
Tücher ausführen zu dürfen, ausgeübt, er könne nicht die
Gewohnheit für sich geltend machen. Dazu komme, dass an
diesen Punkt sich viele Folgen knüpften ; es sei zu befürchten,
dass, wenn man hier den Hansen nachgebe, sie dann auch die I
übrigen Statuten reformirt wissen wollten, wie das Statut, dass !
man den Hansen nicht in Gold zahlen, das Statut, dass man j
gewisse Waaren nur in englischen Schiffen verfrachten dürfe, j
die Gesetze über die Ausfuhr von Wolle und anderen ;
Waaren. Das werde zur Folge haben, dass die Hansen \
das Stapel des Reiches untergrüben, allen Erwerb Englands ;
an sich zögen und einen grossen Theil der Krone Englands \
entfremdeten1). Nur wenn diesen Consequenzen vorgebeugt
würde, die Hansen also alle übrigen Statuten in Kraft lassen
wollten, könne man die Zurücknahme des mehrerwähnten Ge-
setzes in Erwägung ziehen.
Davon wollten die hansischen Bevollmächtigten Nichts
wissen. In diesem Compromiss sehen sie nur eine Falle. Sie
meinen, da sie diese „anderen" Statuten nicht kannten, so
könne e& leicht sein , dass diese ihren Freiheiten nachtheiliger
wären, als dieses Gesetz. Knights Ansicht sei unrichtig. Seit
200 Jahren und noch länger hätten sie das Privileg des freien
Verkehrs und der freien Ausfuhr. Eduard IV. und das Parla-
ment hätten alle ihre Rechte anerkannt und versprochen, dass
ihnen keine neuen Beschwerden auferlegt werden sollten. Ihr
Privileg sei unwiderruflich und ein dauerndes. Was die In-
tention des Privilegiengebers betreffe, so stehe hinsichtlich
dieser Nichts fest. Man müsse sich an die Worte der Privi-
legien halten. Diese seien aber klar und deutlich und be-
dürften keiner Interpretation. Wo komme man überhaupt hin,
wenn die Theorie von Knight richtig wäre, wonach nicht das
geschriebene Wort, sondern eine verborgen bleibende Absicht
') „omnem questum Anglie nobis usurpemus magnamqae partem corone
Anglie auferamus." a. a. 0. fo. 303.
— 207 -
entscheide? jeder Contract werde zur Unmöglichkeit. Auch
mit dem öffentlichen Nutzen sei es nicht weit her. Ausser-
halb Londons gebe es gar keine Walker und Scheerer im
Königreich, nur auf Bitten der Londoner sei das Gesetz er-
lassen worden. Den Sondernutzen der Londoner Walker und
Scheerer mit dem öffentlichen Gemeinwohl zu identificiren, sei
unstatthaft; man dürfe nicht jenen als Grund zur Schädigung
ihrer Privilegien vorschützen. Mit demselben Recht könnte
der König ihre Privilegien zerstören, weil Etwas den Schuh-
machern oder Fellbereitern nützlich sei. Wenn der englische
Gesandte ihnen das Recht abspreche, über den Nutzen des
Reiches zu urtheilen, dann solle man nicht einen angeblichen
Nutzen als Beweisgrund vorbringen, zumal ein solcher indirecte
Vortheil ganz irrelevant sei und nicht ihren Statuten präjudi-
ciren könne. Die Deductionen der Engländer seien absurd und
grenzten fast ans Kindische. Das Statut sei überwiegend
schädlich. Man brauche nicht zu besorgen, dass, wenn das-
selbe ausser Kraft trete, die Scheerer- und Walkerzunft zu
Grunde gehe und nicht genug zu leben habe; aber selbst
wenn, so seien die Hansen, nicht gehalten, jene in Nahrung zu
setzen und ihre Privilegien einzubüßen. Der Kaufleute, denen
dies Gesetz prajudicire, gebe es weit mehr, als Walker, denen
es Vortheil bringe. Aller Tuchhandel und daraus resultirende
Erwerb gehe den Hansen verloren; denn sie könnten ihre
Tücher nicht zur rechten Zeit zur Messe bringen und nicht
die in ihren Absatzgebieten beliebten Sorten bekommen, da
man bei den Engländern keine solche Farben finde und die
Tücher unrichtig und betrügerisch appretirt würden. Der König
hätte doch wenigstens verordnen sollen, dass die Tücher ge-
schoren und zugerichtet werden müssten, bevor sie von den
Engländern zum Verkauf ausgestellt würden. Wenn man den
Hansen gestatte, von den Engländern ungeschorene Tücher zu
kaufen, weshalb nicht auch, dass man sie exportire? Man
müsse vermuthen, dass nur Hass gegen die Hansen der Grund
dieser Acte sei.
All das machte keinen Eindruck auf die Engländer, sie
waren nicht zu überzeugen. Die englische Regierung hatte ihren
Bevollmächtigten untersagt, hier eine Concession zu machen.
Aus den Zollregistern sah sie, dass der Tuchexport nicht
unter diesem Gesetze litt. Die Ausfuhr der Hansen selbst
war trotz desselben fortwährend im Steigen1). Den übrigen
Beschwerdepunkten wurde beiderseits geringes Interesse zu-
gewendet Nur bei der Frage, ob die Hansen auf Grund
der Privilegien auch vom Gerichtshof des ' Exchequer befreit
säen, fahrte zu einer eingehenderen Debatte. Die Hansen
hatten guten Grund, hier streng ihr Recht zu ver-
*) Sieh Bd. IL S. 18, 19.
— 208 —
theidigen. Der Exchequercourt wurde wie die Hölle gefürchtet.
Wer in seine Gewalt gerathen, für den gab es kein Entrinnen
mehr1). Obwohl der Artikel 7 des Utrechter Vertrags deut-
lich stipulirte, dass, wenn die Hansen vor Gericht belangt
würden, der jeweilige Kanzler und Schatzmeister den Process
inhibiren und selbst entscheiden sollten, so wollten doch die
englischen Bevollmächtigten die Exemption der Hansen von
der Jurisdiction des Ex che quer nicht anerkennen. Ueber die
übrigen Artikel gingen die Engländer rasch hinweg, indem sie
die Klage als unbegründet zurückwiesen oder Unkenntniss
vorschützend erst die Sache untersuchen lassen wollten, wofür
sie aber lange Zeit beanspruchten, so dass keine Aussicht vor-
handen war, dass die von den Hansen vorgebrachten Be-
drückungen bei Gelegenheit dieses Congresses aus der Welt
geschafft würden. Die hansischen Bevollmächtigten kamen
auch selbst immer wieder auf die beiden ersten Artikel zurück
und drangen darauf, dass man hinsichtlich dieser zuerst ab-
schliesse und dann erst über die übrigen weiter verhandle.
Es war dies ein tactischer Kunstgriff, es sollte dadurch klar
werden, was die Engländer im Schilde führten. Die Klärung
der Situation wurde erreicht, aber in der Weise, dass die
Engländer bei dem ersten Artikel, „in welchem die ganze
Gewalt des Streites lag\ nicht nachgaben.
Unter den hansischen Delegaten entstand darüber grosse
Bestürzung. Die Hoffnungen, die man gehegt, waren zu Wasser
geworden. Man stand vor der Wahl, ob man ganz abbrechen
oder wenigstens eine Prorogation anstreben solle. In der Be-
rathung, welche die Hansen unter sich pflegten, wurde auf die
Wichtigkeit und Bedeutsamkeit der den Engländern zu geben-
den Antwort hingewiesen2). Die einen wollten von einer Pro-
rogation Nichts wissen; die Tagfahrten seien kostspielig, die
jedesmalige Reise sei mühsam und voll von Gefahren, und
schliesslich verlaufe Alles ohne Resultat. Was die Engländer
beabsichtigten, sei ja klar. Sie dächten nur daran, die Hansen
aus dem Königreich zu treiben oder durch Kosten und Drang-
sale zu ermüden und dadurch gefügig zu machen8). Andere
*) Vgl. Brinklow, Complaynt of R. Mors ed. Cowper S. 24. Aehnlich
ungünstig über den Exchequer äusserte sich 1551 der venetianische Gesandte
Barbaro Daniele, der hiebei das Spruch wort citirt: „Quod non capit Christus,
rapit fiscus." Alberi, Relazioni Ser.I. Vol. IL S.235; Browu, CaLV. 934.
*) „In hoc responso leges et prophetas pendere neque posthac in pre-
senti dieta unquam bene responsuros, si nunc male respondeant, jam ulcus
acu tangendum fore, et multa hiis non dissimilia. Quibus auditis oratores
Anze toto animo consternati et bonam partem spei, quam antea conceperant,
concidisse arbitrati diu* ac varie inter se colloquebantur." a. a. 0. fo. 304.
3) „Anglicos versutos et callidos nichil aliud quereretquam ut nostros
vel regno expellant vel laboribus yiarum discriminibus ac impensis fatigatos
in sua vota pertrahant. Similia istis sepe antehac tentata ab eis. nichil un-
quam eorum, que promisere, servatum vel impletum. Grave dispendium
ac periculum promptum in Anglia degentes subituros." a. a. 0. fo. 304.
— 209 —
meinten, eine Vertagung sei doch von zwei liebeln das kleinere.
Breche man ab, so würden die Engländer nie wieder die Hand
zu einem Vergleich bieten, und die Kaufleute müssten Eng-
land verlassen. Die letztere Meinung behielt die Oberhand.
Nach einem nochmals vergeblich gemachten Versuch, die
Engländer zur Aenderung der Parlamentsacten zu veranlassen,
wobei die Debatten äusserst erregt wurden, fasste man beider-
seits einen Recess für die Vertagung ins Auge. Nur mit Mühe
und Noth kam dieser zu Stande. Die englischen Bevollmäch-
tigten verlangten einen Wortlaut, der den Hansen sehr ver-
fänglich schien. Die beiden Wortführer der hansischen Ver-
treter, Dr. Packebusch und Dr. Jodocus, wandten alle ihre
Beredungsgabe auf, um wenigstens das Zugeständniss zu er-
wirken, dass bis zum folgenden Congress alle Feindseligkeiten
unterblieben und die Anwendung der Parlamentsacten mit
Bezug auf die Hansen ausgesetzt werde. Der Termin sei
ja nur kurz, dem König werde nicht präjudicirt, das Ver-
langen entspreche der bona fides und auch der Billigkeit,
da sie nicht die Ursache seien, weshalb der Congress re-
sultatlos verlaufe. Aber alle Mühe war vergeblich. Th. More
erklärte, die Suspensivclausel sei für die Engländer un-
annehmbar. Wie dürfe man in solcher Weise dem König
die Hände binden1) und verlangen, dass ihm während der
Vertagung Etwas untersagt sei, was er vorher thun konnte?
Jetzt und seit Langem sei der König im Quasibesitz des Rechts,
die Ausfuhr ungeschomer Tücher zu verbieten und Aehnliches
mehr zu thun, bei Annahme der Suspensivclausel würden die
Hansen in ihren Quasibesitz eingesetzt, dem König aber das
Seinige entzogen. Der Status quo, so wie er jetzt zur Zeit des
Googresses bestehe, müsse erhalten werden. Der König werde
gewiss keinen Gebrauch von seinem Rechte machen, wfe er ja
auch seit Festsetzung des Termins für diese Tagfahrt von der
Verfolgung der schwebenden Processe abgestanden sei, nur
verpflichten könne man ihn nicht. More gab seine Hand, dass
er für eine loyale Behandlung wirken wolle. Die Hansen
mussten wohl oder übel sich fügen; denn sie meinten: „cum
aliud haben nequeat, tucius esse, ut haec dieta suspenderetur,
quam quod omnino dissolveretur, ut saltem interea unusquisque
periculo et dampno suo consulere et prospicere possit." Genau
so, wie die Engländer den Recess abgefasst hatten, mussten
die Hansen ihn acceptiren, obwohl jene sogar Aenderungen
vorgenommen hatten, denen die Hansen vorher nicht zu-
gestimmt 2).
*) „hoc modo manus sue claudantur" a. a. 0. fo. 312.
*) Der -Tenor quarti et ultimi recessus inter legatos Anglicos et
Hanseaticos Brugia habiti" vom 12. August ist publicirt bei Lappenberg,
Urkundliche Geschichte des hansischen Stahlhofes S. 173. Hinsichtlich der
Schani, Engl. Handelspolitik. I. 14
— 210 —
Durch diesen Ausgang waren die Hansen in eine Zwangs-
lage gebracht worden. Für die nächste Tagfahrt aber waren
die Aussichten eher schlechter als besser.
Während der Verhandlungen über die Suspensivclausel
hatte Th. More Gelegenheit genommen, die Hansen auf-
merksam zu machen, worauf man das nächste Mal hinziele.
Scheinbar als gedenke er ihnen einen besondern Gefallen zu
erweisen, erzählte er in einschmeichelnder Rede und mit
liebenswürdiger Miene1), dass er ihnen für den nächsten Con-
gress eine geheime Eröffnung machen wolle. Gleich bei Be-
ginn der jetzigen Verhandlungen habe er ihre Vollmacht nach
England geschickt. Der König sei nicht in London gewesen,
aber einige Räthe hätten dieselbe geprüft und sie unzulänglich
gefunden, und zwar in dreifacher Hinsicht. Der Vollmacht
zufolge seien die hansischen Deputirten nicht befugt, über den
Missbrauch der Privilegien und einer deswegen zu verwirken-
den Strafe zu unterhandeln, ebenso nicht über die Form, in
welcher die hansischen Kaufleute in Zukunft ihre Privilegien
in England und die englischen Unterthanen die ihrigen in
den Städten und Ortschaften der Hansa gemessen, und wie
sie behandelt werden sollten, endlich nicht darüber, welche
Städte und Bürger aus der Hansa zum Genuss der Privilegien
zuzulassen seien. Dieser letzte Punkt sei der wichtigste, über
ihn müsse unter allen Umständen eine Abmachung statt-
finden. Der König und die Räthe seien der Ueberzeugung,
dass die Hansen einige Städte, die nicht zur Hansa gehörten,
aufgenommen und so die Grenzen ihrer Privilegien über-
schritten hätten. Auch darin sei die Vollmacht unvollstän-
dig, dass die Deputirten nicht ausdrücklich ermächtigt seien,
Neues zu vereinbaren. Dies sei deshalb nothwendig, weil
in den ^Privilegien viele Worte enthalten seien, welche anders
aufgefasst werden mtissten, als dies von Seite der Hansen
geschehe, er erinnere an die Worte „mercandisis suis", an
die Clausel, dass der König Nichts statuiren dürfe, das den
Privilegien präjudicire, was eine unerträgliche Beschränkung
der königl. Macht involvire2). Das seien Fragen, die gründ-
lich erörtert und die entschieden werden müssten ; und er wolle
es ihnen nur gestehen, wegen der ungenügenden Vollmacht
hätten sie Befehl erhalten, nicht mit den Hansen abzuschliessen.
Sie hätten es unter diesen Umständen für das nützlichste er-
achtet, im Interesse des Friedens und der Freundschaft den
A enderangen heisst es im hansischen Bericht fo. 317: preter et ultra con-
ventionem nostram adiecerant clausulam illam „plena auctoritate suflulti"
relicta et omiBsa quadam alia, quam nos apposueramus.
*) „blando sermone et placido vultu, prout Angiitis mos est" a.a.O.
fo. 31$.
*) „ut omnem potestatem regi adimamus et pretextu priviiegiorum
nostrorum regias manus claudamus." a. a. 0.
— 211 —
gegenwärtigen Congress zu vertagen. Die Hansen möchten
deshalb dafür sorgen, dass sie das nächste Mal mit hinläng-
licher Vollmacht ausgerüstet seien, sonst werde der nächste
Congress wieder fruchtlos verlaufen1). Gegen Unkenntniss
seien sie jetzt geschützt.
Man sieht, wie die Engländer immer mehr zur Offensive
übergiengen, wie sie systematisch, Schritt für Schritt die Hansen
bedrohten.
Als die Engländer abgereist waren, riefen am 13. August
die hansischen Bevollmächtigten die Londoner Alderleute mit
ihrem Secretär zu sich, und bemerkten, sie hätten nun gesehen,
in welcher Weise man sich von den Engländern getrennt, wie
listig und heimtückisch diese ihnen gegenüber gehandelt, wie
sie Anfangs Schönes versprochen , dann aber wenig gehalten
hätten. Es scheine deshalb gerathen, dass der Londoner Kauf-
mann die Gefahr erwäge und sein Eigenthum mit sammt den
Privilegienbriefen ausser Landes schaffe. Den Engländern sei,
wie sie selbst wüssten, nicht zu trauen; denn diese dächten
an die Vertreibung der Hansen *).
Nach aussen führten die Städter freilich eine andere
Sprache. Da liessen sie durchblicken, dass man die Hansa nicht
so leicht, als man vielleicht denke, bei Seite schieben könne.
Man glaubt in der That noch die Kraft früherer Tage zu
spüren, wenn die Hansen die stolzen Worte fallen liessen, mit
ihrem Geld und ihrem Blut hätten sie in England ihre Privi-
legien erkauft, sie seien auch fest entschlossen, das theuer Er-
worbene aufrecht zu erhalten3).
Der englische Gesandte Spinelly in Brüssel kann seinen
Missmuth gegen dieselben nicht verbergen und legt Wolsey
*) Im Recess wurde diesem Punkte insoweit Rechnung getragen, als
es hiess: „oratores magnificae commanionis Anzae in dicto opjpido Bruggensi
convenient, suffulti authoritate et potestate sufficienti ad com-
municandum, tractandum, transigendum et concludendum super omnibus
querelis, differentiis et dissensiombus, dampnis et iniuriis, specialibus et
generalibus, vicissim propositis et proponendis."
9) „ut, si vellent, suo periculo consulerent et res suas cum privilegiis
exportarent; partim Angiicis, quemadmodum et ipsi scirent, fidendum esse,
iogeotia illos promittere, exilia prestare" a. a. 0. fo. 317. Ausserdem hielt
man für angezeigt, dass Stillschweigen über die Verhandlungen beobachtet,
nichts gegen die Form des Recesses unternommen, alle Privilegienbriefe be-
hufs Instruction abgeschrieben, und bei auftauchenden Klagen genau nach-
geforscht und für Beweise gesorgt werde. Der Kölner Bürgermeister empfahl,
die Form und Art, wie die Vollmacht abzufassen sei, zu erwägen und einen
Theil der Städte zur Berathung über die nächsten Verhandlungen einzu-
berufen, a. a. 0. fo. 317.
') „The Lorde Berghes shewed me, that the Stiliardes saith to have
booght with ther money and blöde suche preveleges and liberties, they
have within the realme of Endonde, and that they be so determyned to
defende and conserve yt.u Spinelly an Wolsey. 15. September 1520. Br. M.
Cotton Msc. Galba B. VI. fo. 207.
14*
— 212 —
nahe, dass man energisch vorgehen müsse. Sie trieben es gar
zu unverschämt. Er sei neulich zu Antwerpen gewesen und
habe gesehen, wie da an den verschiedenen Häusern der
Stahlhofsleute die englischen Wappen prangten und daneben
grosse Placate glänzten zur Kunde, dass man hier englisches
Tuch verkaufe. Auch habe er in Erfahrung gebracht, dass
die hansischen Deputirten zu Brügge auf der nächsten Con-
ferenz nicht einzulenken gedächten. Ueberall klage man jetzt
über die Hansen, und da er wisse, wie sehr Wolsey auf das
Wohl und den Vortheil der Engländer bedacht sei, so wolle
er nicht verfehlen mitzutheilen, dass besonders der König von
Dänemark über sie erbittert sei, weil sie gegen ihn intriguirt
hätten, als er eine Stadt in Schweden belagerte x). Der Kaiser
sei nicht weniger empört über sie in Folge der Erpressungen
und Beraubungen, welche sie zu verschiedenen Zeiten gegen
die Holländer, Zeeländer und Brabanter sich fortwährend zu
Schulden kommen Hessen, da sie nicht gestatten wollten, dass
diese ostwärts handelten. Würde man mit dem Kaiser und dem
König von Dänemark8) gemeinsame Sache machen, so könnte
man wohl, ohne in einen Krieg zu gerathen, den Stolz und Hoch-
muth der Stahlhofsleute niederdrucken und sie veranlassen,
sich genügen zu lassen, wie es das Recht verlange. Der
Kaiser sei nach seinen Erkundigungen dazu gerne bereit3).
Die Möglichkeit einer Trippleallianz zur Bekämpfung der
Hansen war sonach nicht ausgeschlossen. Die Feindschaft
zwischen Franz I. und dem Kaiser verhinderte sie. Allein
England konnte auch so den Hansen imponiren.
Der in Aussicht genommene neue Congress fand nicht am
1. Mai 1521 statt, sondern der Termin wurde auf Bitten der
Hansen4) auf den letzten August verschoben. Die Verhand-
lungen fielen also in eine Zeit, in der Wolsey den höchsten
Triumph seiner auswärtigen Politik feierte und zu Galais den
Schiedsrichter zwischen den zwei grössten europäischen Mächten,
1) Offenbar Stockholm, welches die Gemahlin Sten Stures (Christine
Gyllenstjerna) lange mit Unterstützung Lübecks gegen Christian IL hielt
*) Christian IL befand sich damals beim Kaiser in den Niederlanden.
■) 29. Aug. 1520. Brewer, Cal. III. 964 und State Papera VI.
S. 65. Aehnlicn schreibt er am 15. Sept. 1520 und hebt abermals die
Geneigtheit der Niederlande, mit England gegen die Hansen vorzugehen,
hervor : „And putte no doubte, if the king highnes wolde encrease to his
amyties and treaties with the king of Romaynes some comon beneficiall
article towching the seid stiliardes, the mater on this aide wilbe thankftril
accepted; for theee Countrees haith receyved and receyve daily wrongis of
them in navigacions estwarde." Br. M. Cotton Ms er 8. Galba B. VI.
fo. 207. (Die Stelle ist bei Brewer III. 978 ganz verdorben).
4) Dies geht hervor aus einem Schreiben des Londoner Contors vom
14. Aug. 1521, worin dasselbe seine Vertreter für die Tagfahrt delegirt.
(Lübecker Archiv).
— 213 —
dem König von Frankreich und dem Kaiser Karl V. spielte.
Hatten schon 1520 die Hansen das steigende Machtgefühl der
Engländer zu beobachten Gelegenheit, so musste die allgemeine
politische Lage dies jetzt noch stärker hervortreten lassen.
Wenn Kaiser und Könige vor der englischen Krone sich
beugten und ihre Unterstützung suchten, wie sollte man da
diesen Städtern noch besonders willfährig zu sein Lust haben ?
Wozu diese Goncurrenten des englischen Kaufmanns noch
länger in unbilliger Weise bevorzugen, während sie selbst in
ihrer Heimath keinerlei Concessionen machen wollten? In der
That war die Offensivstellung der englischen Bevollmächtigten
auf dieser Tagfahrt noch weit ausgeprägter, als es bei der
vorigen der Fall war.
Englischerseite wurden die Verhandlungen geführt von
W. Knight, Th. More, J. Hewster, welche schon 1520 in
Brügge mit den Hansen tagten, ausser diesen waren John
Wiltshire, Ric. Sampson, Th. Hannibal neu ernannt1).
Deutscherseits waren Vertreter von Hamburg, Lübeck und
Köln abgeordnet worden, unter ihnen wieder Dr. Packebusch
und Dr. Jodocus Wilpurg.
Die erste Sitzung fand am 13. September statt. Gleich
nach Ueberreichung der Vollmachten steuerten die Engländer
auf ihr Ziel los. „Ihr behauptet", sagte einer der englischen Depu-
tirten in kurzen, aber scharfen Worten2), „die Bevollmächtigten
der gemeinen Hansa zu sein, so gebt uns an, welches die
Hansestädte sind und bezeichnet sie uns mit Namen". Damit
war eine von Th. More im letzten Congress angedeutete Haupt-
frage aufgeworfen. Man begreift leicht, weshalb die Engländer
gerade diesen Punkt nicht nur nicht fallen Hessen, sondern
sogar an die Spitze stellten. Waren die Zollprivilegien der
Hansen den Engländern schon lange zuwider, so war es ihnen
geradezu unerträglich, dass sie niemals wussten, wer denn
eigentlich dieselben besitze, und dass die Hansen ihren Bund
immer mehr erweitern und das aus den Zollfreiheiten ent-
springende Missverhältniss ins Ungemessene steigern konnten.
Es war auch dies Verlangen nicht erst in den Tagen Hein-
richs VIII. enstanden. Schon lange wollte man englischerseits
über diese Frage Aufschluss haben. Wir begegnen z. B. dieser
*) Ein kurzer Bericht der Abgesandten vom 1. October ist erwähnt
beiBrewer, Cal. II. 977, der fälschlich dem Jahr 1515 zugerechnet ist.
Ebenso irrthumtich ist die Datirung von Cal. III. 974 u. 979, welche beide
Kummern nicht dem Jahre 1520, sondern den Verhandlungen von 1521 an-
gehören. Ausser diesen wurde für das Folgende der hansische Bericht der
Verhandlungen, der von Dr. Jodocus Wilpurg herrührt, benutzt, nach den
Acta Anglic. 1434—1521 fo. 255—76 im Kölner Stadtarchiv. Vgl. ferner
ürk. Beil. 97, 98, 99, 101, 102.
*) „brevibus quidem, acerrimis tarnen v er bis" fo. 256.
— 214 —
Forderung schon im Jahre 1379 *) ; ebenso .wollte 100 Jahre später
Eduard IV. beim Utrechter Vertrag diesen Punkt klargestellt
wissen *).
Den Hansen kam die Frage sehr ungelegen. Dr. Jodocus
erklärte, sie seien ausser Stande, dieser Forderung zu ge-
nügen. Die Hansa bestehe nicht blos aus einzelnen Städten,
sondern es gehörten auch einige Fürstenthümer (principatus)
dazu; die einzelnen Ortschaften mit Namen anzugeben, sei
ihnen ebenso unmöglich, als es den englischen Gesandten sein
würde, wenn sie alle Orte des Königreichs nennen sollten. So
richtig dies nun auch war3), die Engländer gaben sich damit
nicht zufrieden. Alle Versuche der Hansen, die englischen
Bevollmächtigten von diesem Thema abzubringen, scheiterten.
Die Engländer gingen nicht eher zur Besprechung der Querelae
generales über, als bis man ihren Wunsch erfüllte. Unter
dem Vorbehalt, dass den nichtgenannten Orten kein Schaden
erwachse, übergaben die Hansen ein Verzeichniss von 45
Städten.
Die hansischen Beschwerden waren schon 1520 vorgelegt
und besprochen worden. Die abermals über" sie geführte De-
batte bewegte sich in denselben Bahnen. Neue Momente
wurden wenig vorgebracht4). Wir können auf ein näheres
Eingehen verzichten und uns begnügen, auf die registrirten
Reden und Gegenreden in den Urkundenbeilagen zu ver-
weisen 5).
Weit grössere Bedeutung hatten für die diesmalige Tal-
fahrt die englischen Beschwerden 6). In ihnen laer die Wucht
der englischen Anschauungen. Früher waren die Querelae
generales eine lose Aneinanderreihung und Erzählung von ein-
zelnen Missständen, für die man Abhilfe verlangte. Diesmal
aber beherrschte ein gemeinsamer Grundgedanke alle Einzel-
heiten, und dieser war: die hansischen Privilegien sind ver-
wirkt, eine neue Grundlage muss für die beiderseitigen Handels-
*) Koppmann, Hanserecesse II. S. 253 Nr. 212 § 4 und S. 25ö
Nr. 213 § 4.
*) ürk Beil. 82.
s) Sieh in Betreff dieser Frage auch Ennens Aufsatz über Sader-
mann in den Hans. Geschichtsblättern 1876. S. 14.
*) Neu war z. B. der Hinweis von Seite der Hansen, dass man zu-
weilen auch den Engländern, Lombarden und sonstigen Fremden (durch
Licenz) die Ausfuhr ungeschorner Tücher erlaube. Neu war, dass die Eng-
länder die Berufung auf den Vertrag von Utrecht hicbei nicht zuliesseu,
weil dieser nicht mehr zu Kraft bestehe. Neu war auch das sophistische
Kunststück des Dr. Sampson, der das Verbot der Ausfuhr ungeschorner
Tücher damit rechtfertigen zu können glaubte, dass er sagte, die un-
geschornen Tücher seien „imperfecta, eine „res imperfecta" aber „non sit res
sui generis", worauf Dr. Jodocus mit Recht erwiderte, das Scheeren, Färben
beeinflusse blos die Qualität, Tuch sei auch ohne diese Tuch.
ß) ürk. Beil. 97, 98, 99.
°) Urk. Beil. 100.
— 215 —
beziehungen gewonnen werden. Alles Detail diente nur dazu,
diesen Satz zu begründen. Die Privilegien, sagten die Eng-
länder, sind nur unter der Voraussetzung ertheilt worden, dass
auch die englischen Kaufleute in den hansischen Gebieten gut
behandelt werden und gleichfalls Privilegien haben. Das
geschieht nicht. In den Städten der Ostsee werden diese
bedrängt und täglich misshandelt, ebenso im Westen; Köln
z. B. lässt die Engländer nicht nach Frankfurt handeln; ja so-
gar auf fremdem Gebiete, wie in Island, suchen die Hansen
den englischen Kaufmann zu verdrängen. Da die Voraus-
setzung nicht erfüllt ist, so sind auch die hansischen Privi-
legien nichtig (Art. 1—18). Die Gesellschaft der Hansen gibt
nicht privilegirte Güter für privilegirte aus, indem sie neue
Städte in ihren Bund aufnimmt, welche zur Zeit der Privilegien-
ertheilung keinen Antheil an der Gildehalle in England hatten,
und indem sie für Köln, das zur Zeit des Utrechter Vertrags aus
der Hansa ausgeschlossen war, ja sogar für nichtdeutsche Städte,
wie Dinant1), die Privilegien beansprucht (Art. 22—24). Die
Hansen haben somit „sua culpa et abusutf ihre Privilegien ver-
wirkt Indem der König aus lauter Güte sie im Besitz ge-
lassen hat, ist England berechtigt, den dadurch entstandenen
Schaden vergütet zu erhalten: für Zollentgang an kostbaren
Waaren, welche sie aus Italien und andern Ländern importirten,
100 000 '£\ für Obligationen, durch welche sie sich verpflich-
teten, keine Tücher in den Niederlanden zu verkaufen, die sie
aber nicht hielten, 41000 jß\ für Uebertretung von Statuten,
indem sie ungeschorne Tücher exportirten , Waaren im Detail
verkauften, verbotene Waaren importirten, den Import in ver-
botenen Schiffen bewirkten etc. 100 000 jg\ für Nichtzahlung
von Waaren, welche die Engländer ihnen creditirten, 100 000 (£ .
Diese Summen müssen erlegt werden, und die Privilegien
hängen einzig und allein von der Gnade des Königs ab.
Wollen sie überhaupt noch Freiheiten in England geniessen,
so muss ein neuer Vertrag geschlossen werden , der alle diese
Punkte regelt (Art. 25—32).
Diese Sprache war bestimmt und deutlich genug. Solche
scharfe Forderungen hatte man kaum erwartet Sie trafen
um so mehr, als sie erst auf diesem Congress übergeben
wurden. Zehn Tage brauchten die hansischen Deputirten, bis
sie ihre Antworten berathen und schriftlich fixirt hatten. Die
Engländer gingen auf keine anderweitigen Verhandlungen ein,
bevor die Hansen nicht ihre Erwiderung abgegeben hatten.
Die Hansen bemühten lieh, das englische Beweismaterial,
aus welchem man so schwere Folgerungen gezogen, möglichst
21 Ueber Dinant und sein Verhältniss zu einzelnen Hansestädten Tgl.
ers den Abschnitt „Dynant in der Hanse" bei Lappenberg, Stahl-
bof S. 36, 36; auch Höhl bäum, Hans. Urkb. I. 5, 22, 61, 86, 432.
— 216 —
zu entkräften oder als irrelevant darzustellen. Sie beharrten
dabei und suchten zu beweisen, dass ihre Privilegien voll-
ständig gültig und kräftig seien, nicht von der Güte des Kö-
nigs abhingen, sondern der Gewalt des Rechts (iuris necessi-
tati ) unterlägen l). Man disputirte hin und her *), ohne natür-
lich einen Schritt vorwärts zu thun8). Als man gegenseitig
hi nl anglich seinen Standpunkt verfochten, wurde deshalb von
Monis die Frage aufgeworfen, was nun weiter geschehen solle.
Jodocus erklärte, man verlange Nichts weiter, als dass man
ihnen ihre bisherigen Freiheiten und Rechte gemessen lasse,
worauf Monis erwiderte : „Regia nostra maiestas convocato se-
pius buo consilio et privilegiis vestris exarninatis deprehendit
id suo consilio, ut adeo iniustus in suos esse non velit, quod
privilegiis nostris (sc. Hanseaticis) omnino servatis res suorum
salvo esse non possunt Neque tarnen illius omnino esse animi,
quod vos omnino velit propellere, quaquare iure regni, ubi
regio buo consilio deprehendit nostra (sc. H.) privilegia deper-
dita optime posset. Tantaque regia est benignitas in vestros,
ut omnimodo dementia et favore vos prosequi velit hecque in
vos optimo suo affectu ostendere, si tractatura aliquem nobis-
aiin iuieritis utrique parti satis commodum et ferendum, imo
adeo comodum, ut vos videatis regem vobis omnino dementem.
nuoilsi novi tractatus nobiscum ineundi vobis non sint, aimus,
com antiqua vestra privilegia pro convulsis ac pro deperditis
lialieamus, tunc sicuti non misit nos ad denunciandum vobis,
quod vos ex Anglia expelleret, ita neque vobis, nisi nobiscum
novum tractatum inieritis, promittere possimus, quod vos per-
petuo in Anglia pacietur" 4).
Die Hansen sahen in dem Vorschlag eine Falle. Sie
meinten, wenn man zustimme, gebe man stillschweigend zu,
class ihre Privilegien verwirkt seien. Dr. Jodocus bat deshalb
die Engländer, man möge, da man beiderseits hinsichtlich der
Gültigkeit der Privilegien entgegengesetzter Meinung sei, einen
unparteiischen Richter zur Entscheidung dieser Frage bestim-
men. Dem Urtheil desselben wollen sich dann die Hansen
unterwerfen. Dieser Vorschlag wurde von Th. More zurück-
'. Für das Einzelne vgl. ürk. Beil. 101.
9 Sieh die Repliken Ork. Beil. 99, 102.
") Eine eingehende Discussion entspann sich namentlich in Betreff der
benemerita, auf welche sich die Hansen als auf den Rechtsgrund ihrer
Privilegien beriefen. Sie fähren als Beispiel besonders ein Privileg Hein-
richs iL (?) an, worin es ausdrücklich heisse, dass die Vergünstigungen
ertbnilt würden aus Dankbarkeit wegen der Verdienste, die sie sich um ihn
erworben. Daraufhin behauptete Sampson, auch das genüge nicht, die
Im iir uiprita müssten speeificirt sein, sonst seien sie nicht „commensurabilia
priviiegio", was natürlich wieder von den Hansen bestritten wurde. a.a.O.
k 253 u. 264.
*) a. a. 0. fo. 265.
— 217 —
(gewiesen1), der englische König sei ein solcher, „qui neque de
iure neque de facto conoscat superiorema 2). Schliesslich wollen
die Hansen zur Besprechung und zum Eingehen eines neuen
Tractats sich verstehen unter dem Vorbehalt, dass durch den-
selben den Privilegien nicht präjudicirt werden dürfe, und
diese für den Fall, dass man zu keinem Resultat gelange, be-
stehen blieben.
Damit erklärten sich die Engländer einverstanden, brachen
aber die weiteren Besprechungen zunächst ab, indem Dr. Knight
und Th. More nach Galais zum Cardinal Wolsey sich begaben
und an den Unterhandlungen mit dem Kaiser sich betheiligen
mussten. Vier Wochen lang (v. 8. Oct. bis 8. Nov.) Hess man
die hansischen Bevollmächtigten warten. Erst nachdem die
letzteren einen besonderen Boten nach Galais geschickt, und
Dr. Teler bei Wolsey Fürsprache geleistet hatte, kehrte
Knight am 16. Nov. wieder zurück. Er entschuldigte den
langen Verzug und eröffnete dann den Hansen, der König
mit seinen Käthen halte an der Ansicht fest, dass die Privi-
legien wegep des Missbrauchs verwirkt und ganz in das Be-
lieben des Königs gestellt seien, und dass den König kein
Recht binde, ß» zu halten. Aber mit Rücksicht auf die Ein-
tracht und Freundschaft, welche Jahrhunderte hindurch zwischen
England und den Hansen bestand, will derselbe auch in Zu-
kunft sein Wohlwollen beweisen, wofern die Hansen nur bereit
wären, bis zum 1. Mai in England zu einem neuen Vertrags-
schluss sich einzufinden. Dies sei nothwendig, weil der König
a von England Niemand über1 sich anerkenne und durch keine
" auswärtigen -Gesetze verpflichtet weiden könne. Nur auf dem
englischen Territorium dürften die Verhandlungen geführt wer-
den. Unter dieser Bedingung wolle der König inzwischen alle
Processe sistiren, dem deutschen Kaufmann die Zollprivilegien
lassen und ihn so günstig behandeln, wie dies unter irgend
einem seiner Vorfahren geschehen sei. Verweigerten aber die
Hansen die Zusage, so werde der Cardinal von dem königl.
Rechte Gebrauch machen3).
Die Hansen waren von dieser Eröffnung wenig erbaut.
Sie bemerkten mit grosser Besorgniss, dass man englischer-
seits den Vorbehalt, unter welchem sie zu neuen Verhandlungen
*) Er sagte auch bei dieser Gelegenheit, nicht durch ein gerichtliches
Unheil, sondern in Folge einfacher Betrachtung mit seinem Rath sei der
König zum Schluss gekommen, dass die Privilegien verwirkt seien und in
seiner Hand lägen „ob intollerabilem suorum iacturam, <jue Bürgeret ex
observantia privilegiorum , tum etiam ex nostro circa pnvilegia abusu."
fo. 2b7.
*) fo. 268.
*) Eine Copie des Briefs vom Cardinal an die Hansen, worin er den-
selben seine Unterstützung verspricht, wenn sie auf den Vorschlag eingehen,
aber die Drohung weglasst, findet sich im Lübecker Archiv.
— 218 —
sich bereit erklärt hatten, ganz verschwiegen, vielleicht nicht
einmal dem Cardinal mitgetheilt hatte. Auch entging ihnen
nicht, wie man nur darauf abzielte, die Verhandlungen hinaus-
zuziehen und für die Hansen recht unbequem und kostspielig
zu machen. Sie machten nochmals den Vorschlag, einen un-
parteiischen Schiedsrichter, etwa den Papst, zu ernennen,
drangen aber weder hiemit noch mit dem Wunsche, die Tag-
fahrt später anzusetzen1) durch. Die englischen Bevollmäch-
tigten verwiesen sie an den König und reisten ab (25. Nov.).
Ein Recess wurde gar nicht abgefasst, die Hansen waren voll-
ständig in die Hände des Königs gegeben.
Den Städtern war wohl alle Lust für weitere Congresse
vergangen. Sie erkannten, dass sie auf diesen nur Etwas zu
verlieren, aber Nichts zu gewinnen hätten. Dire Lage war
eine kritische. Im December hatte das Contor einen ausführ-
lichen Bericht der Hansestädte übergeben. Der Cardinal ver-
sprach zwar Antwort, war aber nicht zu einer solchen zu
bringen2). Er hielt sie mehre Monate lang hin. Die Kauf-
leute in London fürchteten schon das Schlimmste. Ostern 1522
schickten sie zur grosseren Sicherheit das von Heinrich VII.
bestätigte Privileg8) an Lübeck und verlangten Anweisung
darüber, was mit den Kleinodien geschehen solle4). Man
konnte sich nicht mit der englischen Regierung über eine
Tagfahrt einigen, weil diese darauf bestand, dass die Verhand-
lungen auf englischem Boden geführt würden, die Hansen aber
dagegen sich sträubten. Die unfreundliche Behandlung der
Kaufleute dauerte fort, es blieb „dat gudhe kunthor to Londen
in Engelland vaste in der kopenschup, handeln und Privilegien '
der gemenen stede gesweket" 5).
Nun traf es sich aber, dass am 25. Mai 1522 Karl V.
dem englischen König einen Besuch abstattete. Die Hansen
l) Die hansischen Gesandten beklagten sich in Folge dessen in einem
Briefe vom 30. Nov. 1521 an den König über die englischen Bevollmächtigten
und baten in Anbetracht der weiten Entfernungen anter den Hansestädten,
welchen sie über Verhandlungen erst Nachricht geben müssten, um Ver-
längerung des neuen Termines „interim nostris rebus quiescentibus" (Copie.
Lübecker Archiv).
*) Brief des Contors an Lübeck vom 7. Febr. 1522 (Lübecker Archiv).
8) Wir senden „eyn der jüngesten Privilegien under ko. m., nU is,
synes vaders Hinrick des sevenden, wes sele god gnade, brede segeil, dar
w\j vorder vormerkende worden, der copman in grote fernisse gestalt worde,
solle wy sodane privilegie noch in unsser bewaringe synde nae besten rade
alsso bestücken, darvor geyn gebreck invallende worde". (Brief des Londoner
Contors an Lübeck. Lübecker Archiv).
4) „Begeren ok jüwe wisheiden uns berichten wolden, dar id tor qüader
handt kamende worde, dat god affkeren moeche, wo id myt des copmanns
clenoeden und ander dingen Bollen geholden werden, angeseyn wij noch
breve ofte andt werde nicht irlangen können." a. a. 0.
5) Brief Hamburgs an Lübeck vom 23. März 1522 (Lübecker Archiv).
— 219 —
gingen den Kaiser um seine Verwendung an *), und wissen wir
auch nicht, ob dieser wirklich eine Fürsprache einlegte, jeden-
falls genügte die Entente cordiale, wie sie zwischen Wolsey
und Karl V. damals bestand, um es ersterem nicht räthlich er-
scheinen zu lassen, gegen die Hansen einen letzten Schlag zu
führen oder ihr Gontor aufzuheben. Aber nur vor einem ihre
Existenz bedrohenden Vorgehen blieben die Hansen bewahrt.
In der Ausführung der gegen sie gerichteten Gesetze trat da-
gegen augenscheinlich kein Stillstand und keine mildere Praxis
ein. Sonst hätte nicht am 9. Juni 1524 Lübeck abermals über
die fortgesetzten Belästigungen und Erschwerungen Klage
fahren und die oft (semel atque iterum) gethane Bitte um
den Schutz und die Fürsorge des Königs erneuern können *).
Als nach der Schlacht von Pavia die Allianz zwischen Karl V.
und Heinrich VIII. sich zu lösen begann , brauchte man ohne-
hin keine Rücksicht mehr auf die Hansen zu nehmen. Die
Situation wurde für diese bedenklicher als je; denn zu den
alten Verwickelungen hatten neue Schwierigkeiten sich gesellt.
Der Beginn der Reformation und die Theilnahme der
Hansen an derselben konnte leicht den Verlust der Gnade des
Königs herbeiführen. Schon rieth der Papst dem Cardinal
Wolsey (9. Mai 1524), den Hansen mit Verlust ihrer Privilegien
zu drohen, wenn sie nicht die Häresie in ihren Städten aus-
rotteten3). Dass der Rath ein williges Gehör fand, dafür
zeugen die bekannte Untersuchung, die Thom. More im Stahl-
hof wegen der lutherischen Schriften anstellte, und die ernst-
lichen Klagen und Verfolgungen, die sich daran reihten4).
Kam noch die zweifelhafte Stellung der Hansen in dem fran-
zösisch-spanischen Krieg, beziehungsweise die Befürchtung hin-
zu, die Hansen möchten des Kaisers Partei ergreifen, während
England auf Frankreichs Seite stand6), stiessen endlich bei
dem Verkehr nach Island Hamburger und Engländer wieder
feindlich auf einander, dann war allerdings ein Bruch keine Un-
möglichkeit; und wie leicht konnte ein solcher für die Handels-
beziehungen bei den gegensätzlichen Anschauungen eine ver-
hängnissvolle Entscheidung nach sich ziehen.
l) Hambnrg forderte am 23. März 1522 wenigstens Lübeck auf, dem
H. Osehussen, der in Geschäften von Lübeck an den Kaiser geschickt
wurde, einen derartigen Auftrag zu geben, a. a. 0.
*) Concept eines Briefes von Lübeck an Heinrich VIII. (Lübecker
Archiv). 1525 klagen 8 Rostocker in einem Schreiben an Lübeck, dass
sie in Sache ihres in Hall beschlagnahmten Schiffes noch immer nicht zu
ihrem Rechte gelangen könnten, obwohl der Fall schon zweimal auf den
Tagfahrten zu Brügge verhandelt worden sei. (Lübecker Archiv).
•) Brewer, Cal. IV. 820.
4) Vgl. hierüber Lappenberg, Stahlhof S. 1 26 und besonders R. P a u 1 i,
Die Stahlhofskauf leute und Luthers Schriften in den Hans. Geschichtsblättern
1871. S. 155—162; 1878 S. 158-172.
s) Brewer, Cal. IV. 3940.
— 220 —
Aber die Wolken zogen vorüber. Mit dem Beginn der
dreissiger Jahre traten politische Verhältnisse ein, in Folge
deren Englands Interesse erheischte, die Feindschaft mit den
Hansen zu sistiren.
Heinrich VIII. war in seiner Ehescheidungssache schon so-
weit gegangen, dass Umkehr nicht mehr möglich war; er be-
gann jene Reformation der englischen Kirche , die ihn in
offenen Conflict mit dem Papst und allen Anhängern des alten
Glaubens in Europa bringen musste, gleichzeitig aber ein Zu-
sammengehen mit den protestantischen Elementen *), besonders
mit den seemächtigen Hansen räthlich erscheinen Hess.
Noch mehr gebot die dänische Frage, die damals einer
Lösung harrte, einen Anschluss an Lübeck8). Sie gab den
Verhandlungen der dreissiger Jahre geradezu das Gepräge.
Wohl hätte Heinrich VIII. leicht die allgemeine Bedrängniss
der Hansen in ihrem Kampf gegen die scharf concurrirenden5)
Holländer und in ihrem schweren Krieg gegen die Dänen be-
nützen und dieselben vom englischen Boden vertreiben können;
aber das fruchtete wenig, solange man nicht wusste, wer
schliesslich den Sund beherrschen werde. Die Bedeutung
dieser Wasserstrasse wurde wohl erkannt, und man pflegte zu
sagen, dem Besitzer Kopenhagens und Helsingborgs sei der
Schlüssel zu allen Ostseeländern in die Hände gegeben, und
weder Schweden, noch Polen, noch die östlichen Städte könnten
ihm gefährlich werden4). Diesen Weg den englischen Kauf-
fahrern zu sichern und nicht in den Besitz eines vom katholi-
schen Burgund abhängigen Fürsten oder gar des Kaisers selbst
gelangen zu lassen, war die nächste Aufgabe der englischen
Regierung. Gelang es, Lübeck in englischem Sinn zu leiten,
so war sogar die Möglichkeit gegeben, dass die englische Krone
im Sund zur Herrschaft komme.
In der That wurde von dem Heerführer der Lübecker,
Marcus Meyer, der Gedanke angeregt6), dass Heinrich VIII.
der dänische Thron zufallen solle. Dämpfte auch Heinrich VIII.
bald seine diesbezüglichen Hoffnungen, so war er doch darauf
bedacht, sich den Einfluss bei Entscheidung der wichtigen
Frage zu wahren6). Er war deshalb klug genug, in dem
*) Bekannt ist des Königs Sendung an die protestantischen Fürsten
und Städte im Sept. 1533.
*) Schon 1523 und 1528 hatte England sich einigen Einfluss auf die
Entscheidungen zu sichern gesucht (Br. M. Cotton Mscrs. Nero B. 1IL
fo. 64 u. 105).
») 400—500 holl. Schiffe fuhren jahrlich durch den Sund. Waitz,
Jürgen Wullenwever I. S. 166.
4) So sprachen es 1532 die Holländer aus. Waitz a. a. O. I. S 156.
B) Vgl. besonders Wurm, Die politischen Beziehungen Heinrichs VIII. *
zu Marcus Meyer und Jürgen Wullenwever Hamburg 1852.
°) So schickte er eine eigene Gesandtschaft an den dänischen Reichs-
rath und suchte auch Franz I. in der Angelegenheit zu gemeinschaftlichen
Schritten zu bewegen (Waitz, a. a. O. 11. S. 110).
— 221 —
Zwist mit Hamburg wegen Island eine versöhnliche Stimmung
zu erkennen zu geben1) und sich dadurch die Möglichkeit
eines Bündnisses mit den Hansen offen zu halten.
Dem Wunsche Heinrichs VIII., Gesandte nach England zu
schicken, wurde von Lübeck und Hamburg entsprochen (31. Mai
1534) 2). Gross waren die Forderungen, die der König ihnen
durch Lee stellen liess ; die Städte sollten ihn in seinen geist-
lichen Angelegenheiten und auch mit Kriegsmannschaft unter-
stützen, keinen Veitrag ohne ihn schliessen, überhaupt ihn
immer zu Rathe ziehen. Natürlich blieben die Handelsfragen
bei dieser Gelegenheit nicht unbesprochen ; an Wünschen fehlte
es hier auf beiden Seiten nicht. Heinrich VHI. verlangte, dass
die Engländer in den beiden Hansestädten die gleichen Rechte,
wie die Einwohner gemessen sollten 3). Hamburg 4) upd Lübeck
dagegen hatten 4 Beschwerden. Sie betrafen: 1) das Verbot
der Ausfuhr ungeschorner Tücher; 2) die Verletzung ihrer
Privilegien durch Parlamentsacten ; 3) die Haftbarmachung des
ganzen Contors für Missfethaten einzelner Mitglieder; 4) die
Verhinderung der Ausfuhr von Korn, Kupfer und anderen
Waaren.
Die Verhandlungen änderten nichts an dem Status quo,
der hinsichtlich des Handels bestand, v Hamburg entzog sich
*) Vgl. Lappenberg in der Zeitschr. des Vereins für Hamburg. Ge-
schichte Bd. III. S. 188. Auch die Wegnahme eines engl. Schiffes durch
die Lübecker Flotte bei Sandwich suchte Cromwell in freundlicher Weise
zu begleichen. Brief vom 24. Mai 1534. Br. M. Gotton Mscrs. Vitell.
B. XXL fo. 98.
»)RymerXIV. S. 539. #
3) „Fourthlie that they shall graunte sauff conduct to the marchaunts
subjects and all duellers of this realme of England, and also fre libertie
and power to bie and seil their merchaundize and wäre and to ezercise
mntuall intercourse or interchaunge of merchaundize together, quietly and
gently, and as frely and sauffely as they, that are subject to their dominion,
shall have in this our realme, warre being with the Emperor or any other
prince. And that it maye (be) lawfull to theym and to any other with
their shippes comyng thether in our name and by our commaundement, to
s&flle over, lade and unlade their shippes, to lande and to purveye all
things there for their moste prouffit and commoditie; and that they may
have as fre licence to treate and finishe all things necessarie, as yt they
▼ere in this realme of England or were subject to their dominion. And
that the Citizens of your cities to take none other toll or gabell of theym,
hat suche as is due and hathe been accustumed. And that there shalbe
no newe exaction levied of or upon our subjects so reparying to any of
the said cities." Sodann will er bei Beraubungen eine Regelung auf fried-
lichem Weg. Lappenberg, Actenstücke über die Verhandlungen Königs
Heinrich VIII. mit Lübeck und Hamburg 1533—38 in der Ztschr. des Ver-
eins f. Hamb. Gesch. III. S. 201.
*) Wie ängstlich man für die Privilegien fürchtete, zeigt der Umstand,
dass Hamburg nicht einmal mit den Beschwerden sich hervorwagte, bis die
englische Regierung ausdrücklich anerkannte, dass die Verhandlungen sich
Mos auf Hamburg und Lübeck bezögen und keinen Nachtheil für die Hansa
im Ganzen haben sollten.
— 222 —
überhaupt jeglicher Verpflichtung und ging den Forderungen
des Königs vorsichtig aus dem Weg. Lübeck, sehr bedrängt,
erhielt von Heinrich VIII. ein Gelddarlehen, und seine Ge-
sandten vereinbarten mit dem König wenigstens einen Ent-
wurf, in welchen zwar die grosse Bedingung aufgenommen war,
dass Lübeck dem König das dänische Reich zur Disposition
stellen werde, der hinsichtlich des Handels aber nicht die geringste
Concession machte, vielmehr ganz den Standpunct des Ut-
rechter Vertrags festhielt *)• Zudem wurde der Tractat nicht
perfect, da Wullenwever doch ein besserer Politiker war, als
dass er sich so hätte binden können. Heinrich VIII. seiner-
seits liess die Dinge in England, wie sie waren; auch das
neuerliche Proviso (26. Hen. VIII. c. 26) dürfte kaum grössere
Wirkung als die früheren gehabt haben.
Dem verwickelten Gang des dänisch-lübeckschen Streites,
den fortwährendfen Verschiebungen, welche die Sache beim Auf-
treten der zahlreichen Kronpraetendenten nahm, zu folgen,
liegt ausser unserer Aufgabe. Genug, wenn wir betonen, dass
Heinrich VIII. bis zum letzten Moment die Ereignisse im Auge
behielt2) und fort und fort in Lübeck den englischen Ein-
fluss zu erhalten suchte, und selbst dann, als das Unglück
bereits hereingebrocheir, den hochherzigen Wullenwever von
seinem tragischen Geschick, wenn auch vergeblich, zu erretten
sich bemühte. Nicht England, „nicht die kühnen und trotzigen
Bürger von Lübeck, aber auch nicht die klugen und gewandten
Staatsmänner des burgundischen Hofes haben die Herrschaft
über den Sund und die nördlichen Meere gewonnen. Die ein-
heimischen Gewalten trugen über alle Fremde den Sieg
davon" 3). •
Die Macht der Hansen in der Ostsee war gebrochen, der
letzte heroische Kampf sie zu erhalten gescheitert, die Hoff-
nung, dass in Deutschland unter dem Banner Lübecks eine
starke Einheit sich bilde, vernichtet.
*) Den Engländern wurde nicht eingeräumt, in der Hansestadt die
Rechte zu gemessen, wie die Einwohner selbst, sondern beiderseitig gestand
man sich die Freiheiten zu, „quibus unauam aliquo tempore rationabiliter
usi sunt et gavisi." Dieses Wörtchen „rationabiliter" verursachte aber immer
den Streit, und schon Eduard IV. wollte es aus dem Utrechter Vertr. aus-
gemerzt wissen. (U r k. B e i 1. 82.) Der fragliche Vertragsentwurf findet sich
in latein. Sprache bei Waitz, Jürgen Wullenwever II. S. 319 und in nieder-
deutscher Sprache bei Altmeyer, Histoire des rel. commerc. et diploma-
tiques des Fays-Bas avec le Nord de l'Europe S. 276.
*) 1534 suchten die Engländer den Frieden zu Stockeisdorf zwischen
den Hansen und Niederländern zu vereiteln, aber vergeblich. Sodann waren
Rieh. Candish und Chr. Marwis als diplomatische Agenten in Englands
Interesse thätig. Im Frühling 1535 hatte eine hansische Gesandtschaft,
(Bernh. von Melen und Ad. Pack) Heinrich VIII. zum Eingreifen zu ver-
anlassen gesucht, und Marcus Meyer liess in Warberg bereits Steine mit
englischen Wappen aushauen. Waitz III. a. a. 0. S. 180 und sonst
8) Waitz, a. a, 0. HI. S. 308.
— 223 —
Zog England nicht aus dieser Katastrophe für sich seine
Folgerungen? War nicht jetzt der rechte Augenblick gekom-
men, in welchem die Regierung der allgemeinen Volksstimmung
nachgeben und gegen die Bevorzugung- der Hansen vor den
Einheimischen zu Felde ziehen musste? An Anlass konnte es
wahrhaftig dem König nicht fehlen. Mehr denn früher erhoben
sich wieder die Klagen der Merchant adventurers gegen die
Hansen, die ihnen in den Niederlanden allen Gewinn verdar-
ben1). Lauter und mächtiger sprach der allgemeine Unwille
gegen die Monopolpreise der Hansen für östliche Producte2),
mit Entrüstung und Protest nahmen Volk und Regierung die Ent-
ziehung des Aufenthalts in den deutschen Communen für die
Dauer des Winters hin 3) ; mit immer neuen Beschwerden traten
die Fishmonger adventurers gegen die Hansestädte auf4).
*) Vgl. Urk. Beil. 104.
*) 1545 z. B. hatte ein Hansakaufmann, Peter vanJHelden, den Handel
mit Bogenstäben förmlich monopolisirt; er wollte zu dem ihm vom Privy
Council festgesetzten Preis von 1 £ 10 sh nicht verkaufen, und die Bogen-
macher geberdeten sich in Folge dessen so tumultuarisch, dass der Hanseate
seines Lebens nicht mehr sicher war. Urk. Beil. 169. Ueber das Hoch-
halten der Preise östlicher Producte durch die Hansen giebt folgende Tabelle
Aufschluss, die ich dem Vol. XX. f. 123 der Mscrs. des Lord Calthorpe
entnommen habe. Ob die Tabelle zu einer Petition der englischen Kauf-
leute gehörte, oder ob sie aus Regierungskreisen stammte, Hess sich nicht
feststellen.
Preis
im Jahre
Freie
im Jahre
1 Freie
im Jahre
Waaren,
1551 (ein Jahr ror
1558 (während 4er
1554 (nach Wie-
derherstellung
der hans. Priri-
1 legien).
welche ron den Osterlingen
eingeführt wurden.
Zurnclcn. der hans.
Privilegien).
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i haue. Privilegien).
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s) Auf dem berühmten Hansetag von 1535 mitten in der Katastrophe
des lubisch-d&nischen Streites wurde eine dahin zielende Satzung gemacht.
Sartorius. Gesch. des hans. Bundes HL S. 321.
4) 4. März 1542. „The nsshmongers adventurers appered before the
— 224 —
Freilich blieben Heinrich VIII. und seine Minister nicht
theilnahmslos gegenüber diesen mit immer grösserer Wucht
gegen die Hansen herandrängenden Wogen. Die gegen die Stahl-
hofekaufleute gerichteten Gesetze wurden unnachsichtig aus-
geführt. Man sieht dies deutlich aus der Beschwerdeschrift,
welche das Contor in London den 1535 in Lüneburg versam-
melten Vertretern der Hansestädte überschickte. *) Alle die
alten Klagen, denen wir 1520 und vorher begegneten, kehren
hier wieder. Neu sind nur manche Belege oder Beispiele,
welche zur Bekräftigung angeführt werden, sowie die Erwähnung
einer Greuelthat, welche sich Leute aus Bremen und Hamburg
1532 gegen englische Kauf- und Seeleute erlaubt hatten, wo-
durch dem Contor bei Untersuchung der Sache einige Kosten
erwachsen waren.
Der Hansetag beschloss ein Intercessionsschreiben an den
Kanzler des englischen Reiches als an den „ordinarium protec-
torem" wegen Ablegung dieser „publica gravamina" abzusenden*).
Wie sich erwarten liess, erreichte man damit Nichts. In Folge
des Krieges mit Dänemark hatten die Engländer wieder manche
neue Ursache zur Klage gegen Gewalttätigkeiten der Hansen
erhalten, und wurden die Freiheiten in England zeitweilig be-
schränkt, und das Contor zur Zahlung einer bedeutenden
Strafsumme verurtheilt. 1538 einigten sich die Hansestädte
dahin, dass eine stattliche Legation nach England zur Behaup-
tung der Privilegien abgeschickt werde3). Es scheint aber,
dass dieser Beschluss entweder nicht ausgeführt wurde, oder
dass doch diese Gesandtschaft keinen Erfolg erzielte. 1542
finden wir abermals hansische Vertreter beim König von Eng-
land mit dem Zweck; um die Ansetzung einer Tagfahrt zur
Begleichung der gegenseitigen Streitigkeiten zu erwirken4)
Diese Bitte wurde gewährt, der Congress hernach aber auf
Ansuchen Lübecks verschoben und kam dann zu Heinrichs VIII.
Lebzeiten überhaupt nicht mehr zu Stande 5).
Die Hansen lebten aber während dieser ganzen zehn-
jährigen Epoche in steter Besorgniss. Sie fühlten nur zu gut,
dass ihre Position in England ernstlich gefährdet sei. Die
schon früher vom Londoner Contor angeregte Frage, ob es sich
nicht empfehle, den Schatz in Sicherheit zu bringen, wurde
von Hamburg wieder aufgegriffen (1540), und dringend gerathen,
den Vorrath an Baarschaft und Silbergeräthe aus dem. Lande
Cownsell and exhibited on bocke off complaynts ageynst the men off Ham-
burg and Bresmen and another to be enacted towching theyre shypping."
Nicolas, Proceedings and Ordinances of the Privy Council YIL S. 318.
*) Dieselbe findet sieb im Lübecker Stadtarchiv AngUcana Vol. II.
s) Köhlersche Sammlung S. 248.
*) Sartorius, Geschichte des hans. Bundes III. S. 313.
*) Acts of the Privy Council in the Privy Council Office (ungedr.) I.
S. 351 und Urk. Beil. 105.
*) State Papers IX. S. 221; Urk. Beil. 105.
— 225 —
zu entfernen, ehe sie unverhofft verscherzt würden. Der Vor-
schlag wurde denn auch in der That theilweise ausgeführt l).
Trotzdem unterblieb die Vertreibung der Hansen und
ebenso die vollständige Entziehung der Privilegien, im Gegen-
theil, wir stossen sogar auf einen Fall, in denen wir die Hansen
noch begünstigt sehen. Sie wurden von der im Jahre 1540
erlassenen Schiffahrtsacte durch einen im Hause der Lords hinzu-
gefugten Vorbehalt 2) ausgenommen. Freilich konnte diese Ver-
günstigung, wie man auf den ersten Blick meinen sollte, nur
wenig bedeuten; denn eine Gleichstellung der Fremden mit den
Einheimischen im Zoll für den Fall, dass erstere englische
Schiffe benützten, wie das die Acte vorschreibt, hatte für die
Hansen gar keinen Sinn, weil sie geringeren Zoll zahlten, als
die Engländer selbst. Da aber nicht anzunehmen ist, dass das
Proviso nur eine leere Formel war, so vermuthe ich, dass das-
selbe eine Ausnahmestellung der Hansen von den älteren Na
vigationsacten, welche in diesem Statut auch bestätigt wurden,
bezweckte. Ist diese Vermuthung richtig, so wurde damit
eine Klage beseitigt, welche sie bei allen Verhandlungen
vorgebracht hatten. Das eine Moment würde dann auch
genügen, um wahrscheinlich zu machen, dass die englische
Regierung um jene Zeit nicht die gefürchtete endgültige Ver-
treibung der Hansen, wenigstens nicht für die allernächsten
Jahre beabsichtigte 3). An dieser Meinung wird man auch nicht
irre werden können, selbst wenn man liest, dass gegen ein-
zelne Hansen oder gegen die einer ganzen Stadt4) oder sogar
gegen das ganze Contor zur Ahndung von Gesetzesübertre-
tungen oder zum Zweck der Repressalie strenge vorgegangen
wurde.
Heinrich VIII. hatte auch seine Gründe, weshalb er die
hansischen Privilegien dem englischen Bürgerthum nicht opferte.
Diese waren vorwiegend politischer Xatur. Der Protestantis-
1) Köhler78cheSammlungS.249;Lappenberg, StahlhofS.96undllO.
*) Lords Journals Vol. I. 32 Hen. V11I. 82° die Pari.
3) Ennen macht in seinem Aufsatz „Der hansische Syndicus H. Suder-
mann aus Köln" (Hans. Geschichtsbl. 1876 S. 24) auf Grund der Copien-
bücher eine Mittheilung, welche der geäusserten Ansicht widerspricht Er
schreibt: „Im Jahre 1540 erging der erste kgl. Erlass, durch welchen der
Stahlhof in seiner Existenz aufs Ernstlichste bedroht wurde: Heinrich VIII.
verbot den deutschen Kaufleuten Waaren aus England auszuführen. Das
kölnische Drittel rief gegen dieses Edict den Schutz des Kaisers an, und
durch diplomatische Vermittlung erreichte es die Hansa, dass diesem Ver-
bot keine weitere Nachachtung gegeben wurde. u Ich konnte in dem Co-
menbuche von 1540—1541 nichts finden , was dieser Stelle entspräche, so
dass zu vermuthen ist, die angegebene Jahreszahl sei irrig. A. a. 0. sind
nur einige Schriftstücke, aus denen hervorgeht, dass der Herzog von Suffolk
die Güter der Kölner beschlagnahmt hatte und zwar wegen Vergehens der
Gebruder Born; („ein rosinunt, so die hertogis van Suffolk up unse koip-
luden gelecht, herkomen van Johan und Derick Born gebroedere").
*) VgL vorstehende Note.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 15
— 226 —
mus führte Heinrich VIII. immer wieder zu den Hansestädten.
Sie waren die natürlichen Bundesgenossen Englands gegen den
Kaiser und die katholischen Mächte. Im März 1538 gingen
auf Cranmers Antrieb Gesandte Heinrichs VIII. nach Hamburg,
um ein engeres Bündniss herbeizuführen1). 1542 machte die
englische Regierung abermals Versuche, die Städte fester an
sich zu ketten. 1543 sollte Secretär Buckler und Dr. Mount
mit Hessen, Dänemark, Holstein, sowie mit Lübeck, Hamburg
und Bremen eine Allianz schliessen *) , und noch 1545 suchte
der König durch John Dymock von Hamburg und, wie es
scheint, auch von Lübeck und Bremen Truppen, Schiffe und
Geld zu erlangen 3). Solange Heinrich VIH. und seine Minister
von den Hansen politische Unterstützung erwarteten, mussten
sie auch ihre Rechte schonen.
Gleichzeitig vermieden die Hansen mit ängstlicher Sorg-
falt ADes, was einen offenen Bruch herbeiführen konnte, such-
ten vielmehr jede Gelegenheit, dem König und der Regierung
ihren guten Willen an den Tag zu legen, wofern es sich nur
nicht um positive Aufgabe ihrer Ansprüche und Privilegien
handelte. Als z.B. 1545 die kgl. Räthe in Erfahrung gebracht
hatten,, dass 14 Rostocker und Stralsunder Schiffe mit Korn
und L bensmitteln nach Frankreich und Schottland fahren
wollten, und in Folge dessen eine Verwarnung ergehen Messen4),
wurde, wie man aus den noch vorhandenen Briefen ersieht5)
hansischerseits alles gethan, um die projectirten Fahrten und
den darin liegenden Verstoss gegen die Privilegien , zu ver-
meiden 6). Als im Jahr darauf in JEngland ein fühlbarer Korn-
mangel entstand, waren es wieder die Hansen, welche durch
eine ausserordentlich rasche Hülfe sich auszeichneten, so dass
der König nicht umhin konnte, ihnen bei dieser Gelegenheit
das Zeugniss auszustellen: „they of the Styllyarde had at all
tymes, when they were calld upon, shewed themselves very
willinge jud redye to execute, whatsoevere his highnes required
of them, which besides thankes deserved such gentlenes and
L
*) Lappenberg in der Zeitsch. des Vereins für hamb. Geschichte
in. S. 138—216.
*) Lappenberg, Stahlhof S. 95.
8) Hamburg schreibt 4. August 1545 an Lübeck, ein Abgesandter des
Königs sei da und verlange, dass man Heinrich VIII. im NothfaU 2000
Landsknechte und etliche ausgerüstete Schiffe zur Verfügung stelle. Ham-
burg wünscht Lübecks Meinung darüber zu erfahren. (Lübecker Archiv).
*) Der König will nicht, dass seine „feinde von denen von der Anze
gestärket und bespeiset werden solten, in ansehung wes staüich begnadung.
freiheit und Privilegien die gemeine Anze in dem reiche Engelandt bekomen
und noch hettenu. Hamburg an Lübeck Sonnabends post Laetare 1545
(Lübecker Archiv).
*) Darüber sind sechs Briefe von dem Londoner Contor, von Ham-
burg, Lübeck, Rostock im Lübecker Archiv.
«) Das Contor schickte sogar den betreffenden Passus des Privilegs.
Das Contor an Lübeck 8. Mai 1545 (Lübecker Archiv).
— 227 —
favore to be shewed. them, as might retayne them styll in like
promptitude" *). Lübeck vollends war namentlich, so lange
es zum König im Schuldverhältniss stand, gezwungen, sich ge-
fügig zu zeigen. Bei jeder Gelegenheit wurden die Wohlthaten,
die ihm englischerseits erwiesen worden, in Erinnerung ge-
bracht2). Bei etwaigen Verletzungen, welche von Lübeckern
Engländern zugefügt worden waren, musste der Magistrat rasche
und strenge Justiz üben s). Ja er musste sogar den englischen
Kaufleuten alle Rechte und Freiheiten einräumen, welche die
Lübecker in England genossen. Der Druck, den die englische
Regierung auf Lübeck ausübte, war so gross, dass das Lon-
doner Contor die letzten 10 000 Gulden vorstreckte, nur um
der bedrängten Stadt wieder Actionsfreiheit zu schaffen (1543) 4).
Die Momente, welche zur Zeit Heinrichs VIII. den* Fall
des Stahlhofes noch verhinderten, verloren nach seinem Tode
meist ihre Bedeutung. Selbst das gemeinsame religiöse Band
erwies sich jetzt zu schwach. Die einheimischen materiellen
Interessen trugen endlich den lange vorbereiteten Sieg davon.
Nur weniger Jahre bedurfte es: „Tunc quoddam coeptum est
cogitari consilium, cuius felix eventus tot divitias in Angliam
derivavit eamque commercii ac rerum nauticarum adeor^ritam
et potentem effecitu 5). Eine Zeit , welche Revolutionen auf
allen Gebieten der Gesellschaft hervorbrachte, die selbst die
ererbte Religion einer Reform unterzog, wie sollte sie an die
vergilbten Briefe sich kehren, die nichts enthielten, als Wider-
sprüche mit den Verhältnissen der neu angebrochenen Epoche?
Noch schwankte der Kampf, zeitweilig gelang es, für kurze
Zeit in die alten Rechte wieder einzutreten, bis schliesslich
Elisabeth für immer das letzte Gebiet der Handelsherrschaft
den Deutschen entriss 6).
*) Acts of the Privy Council vom 18. Juni 1546. Br. M. Harleian
Mbcs. 256 fo. 222.
*) Als z. 6. 1545 mehre Lübecker ihr Schiff nicht dem König ver-
kaufen wollten, weil das ihnen bei schwerer Strafe verboten sei, sagte der
Kanzler: „Et hedd de Eonyngk der Stadt Lübeck woll so vele tho gude
gedaen, dat man sick billich so nicht tho soken machen solde". Lübecker
brhifislente an den Lübecker Rath Sonnabend vor dem Sonntag Laetare
1545. (Lübecker Archiv).
*) Ein Lübecker and mehre Dithmarschen , welche ein mit lombardi-
schen Waaren beladenes englisches Schiff angefallen hatten, wurden auf
Anklage des Königs 1539 zum Tod verurtheilt, obwohl die Uebelthäter
Repressalien vorschützten. (Die Processacten im Lübecker Archiv.)
*) State Papers IX. S. 221—223. Lappenberg, Stahlhof S. 174.
5) Bischof B um et, Histor. ref. eccles. Angl. II ad. an. 1553.
^ Vgl. für diese Zeit ausser Sartori us, Geschichte des hans. Bundes
auch Ennen, Der hansische Syndikus Heinrich Sudermann aus Köln in
den Hans. GeschichtsbL 1876 besonders S. 23 fg.
15*
— 228 -
England und Danzig.
I. Schon im Vorausgehenden wurde wiederholt des Ein-
flusses, welchen die Beziehungen Englands zu Danzig auf die
englisch-hansische Politik ausübten, gedacht. Es geschah aber
immer nur ganz kurz. Die Frage, wie man die Hansa eng-
lischerseits behandelte, oder welche Politik man gegenüber den
nach und in England verkehrenden Hansen beobachtete, war
in den Vordergrund geschoben worden. Es erübrigt noch, zur
Vervollständigung auch das Gegenbild zu skizziren und klar-
zustellen, wie die englischen Kaufleute ihrerseits in den han-
sischen Städten, besonders in Danzig dasselbe Ziel anstrebten,
das die Hansen lücksichtlich Englands erreicht hatten, auf
welche Schwierigkeiten sie hiebei stiessen und in welcher Weise
die englische Regierung die Bestrebungen der vorwärtsdringen-
den Kaufleute unterstützte. Schon der Uebersichtlichkeit wegen
musste darauf verzichtet werden, alles diesen Gesichtspunkt
betreifende Detail der vorausgehenden Darstellung einzuflechten.
Es ist aber nicht blos ein äusserlicher Grund, der hiezu ver-
anlasste, sondern es ergiebt sich die Notwendigkeit dazu aus
dem Verhältniss Danzigs zur Hansa überhaupt. Danzigs Stellung
gegenüber den übrigen Hansastädten war sowohl zur Zeit der
Ordensherrschaft als zur Zeit polnischer Oberhoheit (seit 1454)
eine äusserst selbständige. Mehr als andere Hansastädte hat es
eine Sonderpolitik verfolgt. Die ganze Art und Natur seines
Handels deckte sich nicht mit der seiner westlichen Genossen.
Der uralte Gegensatz zwischen Ost- und Westsee, dem das ver-
mittelnde Dazwischentreten Lübecks die Spitze genommen hatte,
wurde von Danzig und aut der andern Seite von Köln, wenn auch
in verändertem Sinn, lebendig erhalten. Auch die Engländer
pflegten deshalb sehr scharf den preussisch-englischen Handel
von dem der übrigen Osterlinge zu unterscheiden. Ich erinnere
z. B. an den Libell of Englishe Policye, der den ersteren wegen
seiner Vortheilhaftigkeit preist, da Preussen nicht nur viel
Edelmetall nach England bringe, sondern auch ein guter Ab-
nehmer der gefärbten englischen Wollentücher sei. x) Noch
schärfer wird der Unterschied gezogen im 16. Jahrhundert
/
1) Dann kommt die Ausfuhr Preussens in Betracht,
Die auf zwei Wegen wird von dort gebracht.
Zwei Arten Leute treiben den Versand:
Die Oberdeutschen aus dem Preussenland
Und Osterlinge;
Bei uns auch führt der Preusse Waaren ein:
Silbergeschirr und Barren, echt und fein;
In Menge kauft er die in Böhmen auf
Und Ungarn und bringt her sie zum Verkauf.
— 229 —
Der Verfasser der Denkschrift „Treatise concenringe the Staple
and the Commodities of this Realmea bezeichnet geradezu den
Handel der Preussen für nützlich, den der übrigen Osterlinge
für schädlich, indem er den Zwischenhandel der westlichen
Hansestädte namentlich zwischen den Niederlanden und Eng-
land verurtheilt J).
Frühzeitig bildete Danzig2) einen Anziehungspunct für die
englischen Kaufleute. Es war das wohl begründet. Keine Stadt
war für eine englische Colonie geeigneter; als Beherrscherin
des Weichselgebietes war sie das natürliche Depot für die
Producte der hinter ihr liegenden Länder. In Folge der
Daraas erwächst viel Vortheil unserm Land:
Die Preussen nehmen nämlich, wie bekannt,
Vielfarb'ges Wollentuch als Fracht zurück,
Das hier man färbt mit vielem Kunstgeschick.
Vers 276—280 und 816—323. üebers. von Hertzberg. Vgl. auch die Ein-
leitung von R. Pauli daselbst S. 10.
2) „To understand ther are two Haunces of the Esterlyngs : oon is the
olde Haunce of the Sprusyners , that owt of the cold contreys in the este
partes, wher is frost and snow on eight monthis in the yere. They come
bat oons in the yere, bryngyng ther nedfull comodites for England : pitche
tarre bowstavis wex flesh and such other. And what they hadd nede of
more wollen clothe th%n Englond hadd nede of ther comodites, therfor
they wer wont to bryng gold and silver uncoyned, wherof the name
of sterlyng silver rose. But to understand that other Haunce is of the
Esterlyng merchaunts of the Hansteddes in Almayn. They do England
moche hurt, as they be so sufferd, wer wont to bryng most gold and Su-
asburgh logges of silver into England. They carye owt of England clothes
great quantitie all the tymes in the yere. And comonly they will non bve
bat white only spone weyvid and fullid withowt any other werkmanship,
wherwith they sett ther own peple to werk. And wher they have no co-
modites of Almayn to bryng into England for all such clothes , for which
they were wont to bryng great plenty of gold and silver. they have usid
more than thirty yers for ther clothes to bryng over all maner straunge
aliaunt merchaundisez of all contreys : wode of Spayne . alyme of Ytaly,
mader of Flaunders, yhe, and silke lynyn clothe and all other merchaun-
disez from the marts in Flaunders to delyver to clothemakers for clothes
and to seil to Londoners to pay clothemakers, so as they never bryng no
more gold and silver into the reame. So is England in such maner alwey
stuffid storid and pesterid so füll of straunge merchaundise , that as well
English merchaunts and Esterlyngs hathe so usid the clothmakers to giff
mony and wares for clothes,' that clothmakers so takyng wares hathe
pesterid all pore comon peple with wares and litle money, that litle money
is to be fownd in the holl reame , which must nedes cause litle störe of
money to the use of the kyng and of his lorda". In der Denkschrift
„How to reforme the Realme in settyng them to worke and to restore
Tillage" ist derselbe Gedanke anachronistisch ausgedrückt: „Esterlvnges
of Spruse and of other parties in the Estcontrey hath been profitable
mercnauntes for the realme in olde tyme, before they toke Coloners
into their Haunce." R. Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 36 und S. 77.
*) Für die Zeit bis Ende des 15. Jahrhunderts ist zu vergleichen
Hirsch, Danzigs Handels- und Gewerbsgeschichte unter der Herrschaft
des deutschen Ordens 1858. S. 97 fg.
— 230 —
Yortheilhaften Lage war es Danzig in Kurzem gelungen, die
andern preussischen Städte Kulm, Thorn, Elbing, Königsberg,
Braunsberg von dieser Rolle auszuschliessen und zu blossen
Landstädten herabzudrücken1). Danzig war so der Haupt-
platz im Osten geworden, der die den Engländern genehmen
Producta aus Polen, Schlesien, Reussen (Galizien) und Ungarn
sammelte2) und gleichzeitig die englischen Manufacte in eben
diese Gebiete bis hinunter an die Grenzen des osmanischen
Reiches zu verschleissen im Stande war3).
Daraus erklärt sich auch, wie die Stadt seit Nowgorods
Fall in so glänzender Weise emporsteigen konnte, Lübecks
x) Hirsch, Danzig S. 187.
2) Für die Art dieser Waaren haben wir neben oben (S. 229 Nr. 1)
genannter Denkschrift mehrere Quellen, den Libell of Englishe Policye, die
des Oeftern von uns herangezogene Parlamentsacte 32 Hen. VIII. c 14 § 2. und
die den Urkunden entnommenen Angaben von Hirsch in seiner Geschichte von
Danzig S. 116, ausserdem kommt auch C. Sattler, Der Handel des deut-
schen Ordens in Preussen zur Zeit seiner Blüthe in den Hans. Geschichtsbl.
1877 S. 71 und Wheeler, Treatise of Commerce S. 27 in Betracht Was
zunächst den Libell of E. P. betrifft, so giebt derselbe zwar nur die Ein-
fuhr Preussens nach Flandern an, es ist aber selbstverständlich, dass die
Artikel fast dieselben für England sind:
Von Preussen dann wird Bier und Speck gebracht
Nach Flandern, als weithin beliebte Fracht,
Stahl, Eisen, Kupfer, Bogenstäbe, Wachs,
Grauwerk, Pelzwaaren, Pech, Theer, Dielen, Flachs,
Pack- und Steifleinen, Barchend, Karden auch
Und Garn von Cöln, so wars seit Alters Brauch.
Vers 306—310. Uebers. von Hertzberg. Die Statuten stellen für fol-
gende Waaren, die von „Daunske" nach London (die bekannte Gesetzes-
ausg. übersetzt am Rand Daunske mit Dänemark, was wohl irrig
ist; vgl. ürk. Beil. 107) gehen, den Frachttarif fest: Weizen und Roggen,
Flachs, Canvass, Pech, Theer, Osemond, Bogenstäbe, Stabeisen, Asche, Störe,
Aale, Federn, Wachs (und nest of Compters?) Hirsch nennt Weizen,
Roggen, Holz (als Wagenschoss, Klappholz, Knarrholz aus Litthauen,
Koggenborten aus dem mittleren Weichselgebiete und Masovien, Riemen-
holz, Masten, Eiben- und Bogenholz aus Polen, den Karpathen und dem
Salzburgischen): Schiffsbaumaterialien wie Anker, Schiffstaue, Segelstangen,
ganze Schiffe; Hauch waaren, insbesondere „Litthauisches Werk", Grauwerk,
Hermelin und Biberwannen; ferner Wachs, Flachs, Asche, Pech und
Theer, alles aus Preussen, Litthauen und Masovien: Kupfer aus Ungarn,
Bütower Landeisen, preussiscbe Leinwand und Pferde. Wheeler fuhrt als
Artikel , welche die Mercbant adventurers von den Osterlingen kaufen, auf:
„flaxe, hemp, wax, pitche, tarre, wainscot, dealbordes, oares, corn, furres,
cables and cable yearne, tallow, ropes, mastes for shippes, sopeashes,
estrigd wool and almost, whatsoeuer is made or groweth in East countries".
*) Die Parlamentsacte nennt als englische Ausfuhrartikel, die nach
Danzig gebracht wurden, blos „brode clothu, „sctt cloth" und Kaninchen-
Selze. Hirsch hebt Wolle und Wollenzeuge, namentlich Laken aus Lon-
on, Beverley, Colchester, Londoner Scharlachtuch, Ulster Leinwand, Me-
talle, besonders Zinn und Osemond, sowie Heringe hervor. Die englischen
Tücher wurden erst durch die Engländer selbst im Osten zur Geltung ge-
bracht, da die Hansen ursprünglich flandrische Tücher vorziehen mussten.
Vgl. Sartorius II. S. 441 und 487.
— 231 —
Hegemonie aber nicht aufrecht zu erhalten war1). Lübeck
war seit dieser Zeit auf Danzigs Stapel angewiesen.
Die Engländer, welche die Ostsee schon befahren, als
noch Wisby auf Gothland blühte s), besuchten in regelmässiger
Folge Danzig seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts. Die
freundliche Aufnahme bewog viele, sich daselbst niederzulassen,
und die Freiheiten, die man ihnen stillschweigend einräumte,
waren gross genug, um ihren Handel zu bedeutender Ausdeh-
nung gelangen zu lassen. Die Kaufleute von London, Hüll,
York, Lynn und Boston waren hauptsächlich an diesem Ver-
kehr betheiligt. Der Werth ihrer Ein- und Ausfuhr belief sich
jährlich ungefähr auf 400 000 i£.8) Allein schon 1370 hatte
die Eifersucht der einheimischen Bürger sich so gesteigert, dass
die Stadtbehörde den Engländern die Hausgenossenschaft mit
den Eingebornen und den Tuchhandel im Detail verbot. Aber
im Frieden zu Marienburg 1388 4) wurde die alte Gewohnheit
wieder hergestellt, und in Folge dessen wuchs die Zahl der
Engländer derart, dass sie bereits 1391 eine Art Gemeinde
bilden und sich einen eigenen Consul wählen konnten5).
Die Erbitterung der Danziger Bürgerschaft nahm eine
bedrohliche Gestalt an, und der Hochmeister kündigte 1398
den Engländern den günstigen Vertrag 6). Nicht eher als bis
1409 gelang es, den^Frieden wieder herzustellen 7). Das Recht,
mit allen Fremden m Preussen handeln zu dürfen , wurde den
Engländern zurückgegeben, alle andern Fragen blieben unent-
schieden. Bald darauf brach zwischen Polen und dem Deutsch-
orden Krieg aus. Danzig trat auf Seite Polens, wurde aber
von dem Hochmeister Heinrich von Plauen wieder unterworfen,
und nun gestattete dieser den Engländern den Ankauf eines
Hauses8); letztere konnten auch ihre Genossenschaft wieder
*) Schon 1499 sagte der Labecker Magistrat, dass die Londoner
Factorei hauptsächlich den Angelegenheiten Danzigs diene, und dass es
kaum fünf Kaufleute gebe, welche mit den Danzigern in London concur-
rirten. Weinreich, Danziger Chronik S. XL 1532 klagt Wullen-
werer, dass Lübeck zu Grunde gehe, und dass die Gesellen mit lübschem
Capital sich ganz in die östlichen Städte setzten, jahrelang directen Handel
mit dem Westen trieben, ohne dass man von Kapital und Zinsen etwas
höre. Waitz, Jürgen Wullenwever L S. 138 fg.
*) Man kann dies daraus schliessen, dass die Städte Kampen und
Zwolle c 1235 an Lübeck die Bitte stellten, den Engländern die Ostsee
gänzlich zu verschliessen. Lübecker Urk, Buch I. Nr. 486.
*) Hirsch, a. a. O. S 145.
*) Koppmann, Hanserecesse III Nr. 406.
5) Rymer VII. S. 693.
e) Vgl. Koppmann, Hanserecesse IV. Nr. 424, 433, 503.
') Ueber die Verhandlungen sieh Koppmann, Hanserecesse Bd. IV
und Pauli. Zu den Verhandlungen der Hansa mit England 1404 — 7.
Hansische Geschichtsbl 1877. S. 125 fg.
8) Daselbst wohnten die Engländer gemeinschaftlich, machten ihre
Geschäfte und Hessen ihre gerichtlichen Handlungen durch den Gubernator
vornehmen. Hirsch, a. a. 0. S. 104.
— 232 —
herstellen. Der Danziger Rath benutzte aber das Ausbleiben
der vom englischen König früher versprochenen Entschädigungs-
gelder, um das englische Haus kurz darauf wieder zu sperren
und den Engländern die Ausübung aller Corporationsrechte zu
verbieten (1414). Die Engländer mussten nun in einzelnen
Häusern wohnen. Doch gelang es ihnen, 1428 vom Hoch-
meister die ausdrückliche Erlaubniss zu erwirken , sich einen
Aeltermann oder Gubernator wählen zu dürfen. Es währte
nicht lange, so wurde ihre Concurrenz von den Danzigern
abermals schwer empfunden; man verfolgte sich gegenseitig,
der Zustand war fortwährend gespannt.
Nach mehrfacher Unterbrechung des Verkehrs knüpfte
man Friedensunterhandlungen1) an, und der englischen Diplo-
matie war es hierbei gelungen, den Danziger Vertreter zu
überlisten und sich alle Rechte zu sichern, die sie zu irgend
einer Zeit besessen2). Der Hochmeister setzte aber auf den
energischen Einspruch Danzigs und die nun von den Englän-
dern gestellten Forderungen hin die Ratification aus (1438) 8).
Die Engländer wurden in Danzig strenger denn je behandelt.
Sie verloren das Recht des unmittelbaren Verkehre mit den
Fremden, wurden mit neuen Abgaben belastet, mussten ihre
Häuser räumen und mit unterirdischen Gewölben sich begnügen,
sowie andere Leiden ertragen 4). Die natürliche Folge war ein
feindseliges Verhältniss nicht nur zwischen Danzig und Eng-
land, sondern überhaupt zwischen der ganzen Hansa und Eng-
land während mehrerer Jahrzehnte. Ein Glück für die Hansen
war es , dass gerade damals die englische Krone hülfloser und
schwächer war, denn je, und es nicht wagen konnte, die von
dem englischen Volk6) gewünschten energischen Massregeln
gegen die Hansen auszufuhren.
*) von der Kopp, Hanserecesse I. S. 874 fg. und II. S. 18—95.
*) A. * 0. II. Nr. 84.
3) A. a. 0. II. S. 175—184.
«) A. a. 0. II. S. 456—64, besonders Nr. 589 > ferner S. 537 Nr. 664,
jedoch in Verbindung mit Nr. 638, 639, 655.
ft) Vgl. Rot. Pari. IV. S. 493-, V. S. 64, ferner Rot. Pari. VI. S. 66,
wo der König gewissermassen nur unter der Bedingung einer günstigen
Behandlung der Engländer in Preussen die alten Rechte der Hansa wieder
anerkennen lässt (1473) Wie diese günstige Behandlung gedacht war, zeigt
der Wortlaut deutlich : „ — the kjng's subgetts shall mowe as ofte as theym
shall like, repare and resorte unto the londe of Pruce, and other places
of the Hanze, freely and suerly entre the same, there abide and departe
fro thens at their pleasure, to byeand seile with all maner persones,
as frely and largely as any tyme heretofore they have t>e wonte to
doo, with enjoying all and everyche their liberties and free custumes, which
they have used and enjoyed resonably eny tyme nassed; and no prises,
exactions nor prestations shall be sette uppon their persones or goodee,
otherwise, then have be sette uppon theym any tyme afore this C yere nowe
last past or above: Wherunto the seid merchauntes of the Hanze by their
oratours have assented and agreed(?)tf.
— 233 —
Der Utrechter Friede führte endlich den langersehnten Ab-
brach des Krieges (1474) herbei. Die Umstände, unter denen
er zu Stande kam *) , waren den Hansen und besonders den
Danzigern günstig2). Trotzdem konnten die Städte von dem
König nicht die Concession erlangen, dass die Bestimmungen be-
züglich des Verkehrs der Engländer in Preussen ganz in der
von ihnen gewünschten Weise redigirt wurden8). Die Eng-
länder, sagt der einschlägige Artikel, dürfen nach allen Orten
in Preussen kommen, daselbst verweilen und wieder abziehen,
frei einkaufen und verkaufen, mit Jedwedem handeln, so
frei wie zu irgend einer Zeit. Alle Freiheiten und Rechte
sollen sie geniessen, welche sie vormals billiger Weise (rationa-
biliter) besessen und gebraucht haben4). Steuern und Zölle,
die vor 100 und mehr Jahren üblich waren, sollen allein be-
rechtigt, neue Abgaben unzulässig sein. Das Wort „morari" ist
nicht so zu verstehen, dass man sich dauernd niederlassen oder
die Rechte eines Bürgers sich anmassen darf, sondern es be-
deutet nur den Aufenthalt für kürzere Zeit6).
Eine Hauptforderung der Engländer, nämlich mit den
Fremden in Danzig handeln zu dürfen, schien dem Wortlaut
nach gewährt zu sein. Freilich hing der Erfolg der Bestim-
mung immer noch davon ab, ob sie im Sinne Englands aus-
geführt wurde. Danzig war nicht gewillt, dies zu thun. So-
lange England nach Aussen nicht stark aufzutreten vermochte,
war eine wirkliche und dauernde Besserung nicht zu erwarten.
Immerhin war es, wenn man die damalige Lage des englischen
Reiches und der englischen Regierung ins Auge fasst, von
einiger Bedeutung, in einem so wichtigen Tractat, wie es der
Utrechter war, einen Hauptpunct wenigstens theoretisch be-
willigt und klar ausgesprochen zu sehen.
IT. So lagen die Dinge, als der Tudor die Lenkung der
englischen Handelspolitik übernahm. Mit der ihm eigenen Ge-
schicklichkeit griff er auch hier ein.
Wie ungünstig gleich nach der Thronbesteigung Hein-
richs VII. die Beziehungen zwischen den Hansen und England
sich gestalteten, haben wir oben bereits angedeutet. In Bezug
auf Danzig war die Entfremdung grösser, als bei den anderen
Hansestädten. Namentlich war zwischen den Bürgern von Hüll
') Sieh oben S. 177.
*) Eduard IV. war den Danzigern besonders verpflichtet. Vgl. R.
Pauli, Die Haltung der Hansestädte in den Rosenknegen. Hans. Ge-
schichtet) 1. 1874. S. 90.
*) Vgl. die Instruction an seine Gesandten. Urk. Beil. 82, namentlich
Artikel 3.
*) Diebelbe Clausel mussten sich freilich auch die Hansen gefallen lassen.
ß) Diese Bestimmung war zunächst nur für die Engländer practisch,
vnrde aber doch später auch von diesen gegen die Hansen ins Treffen
geführt
— 234 —
und Danzig seit 1488 bittere Feindschaft entbrannt. Die zur
See verübten Gewaltthaten trafen fast zur Hälfte auf Danzig.
Den seit dem Utrechter Frieden von den Engländern er-
littenen Schaden berechnete Danzig auf der Antwerpener Tag-
fahrt 1491 auf 5963 r£ 14 sh 1 d1). Schon um deswillen
traten bei diesen Verhandlungen die Danziger Angelegenheiten
sehr in den Vordergrund. Weit mehr war es aber noch aus
einem andern Grunde der Fall. Gerade auf Danzig und
Preussen bezogen sich die Hauptwünsche des englischen Kö-
nigs. Hier dem englischen Kaufmann grössere Rechte zu ver-
schaffen, war das Ziel, das Heinrich VII. fest im Auge hatte,
sie waren das eigentliche Object, das für ihn bei den Ver-
handlungen von 1491 in Betracht kam, dieses Zieles wegen
hatte er zu Dänemark eine freundliche Stellung eingenommen,
auf diese Weise wollte er einen wirksamen Druck auf die
Hansen ausüben*).
Während der Berathungen über die Schäden ergab sich
bald Gelegenheit für die Engländer, diese Frage einzuführen«
Als die Hansen baten, die englischen Gesandten möchten dem
König vorstellen, dass er ihre Privilegien halte, erwiderten jene,
der König habe mündlich versichert, dass er dies thun werde,
wenn seine Kaufleute die gleiche Freiheit in den Städten ge-
messen dürften, wie die Hansen in England. Der Utrechter Artikel,
dass die Engländer sicher und frei in die Städte kommen und
mit Jedermann frei handeln könnten, werde aber nicht gehalten,
sondern man vertreibe die Engländer aus den Städten. Hier
müssten feste Garantien geschaffen werden, dass den Engländern
ihr Recht werde. Die Satzung der Danziger, wonach die eng-
lischen Kaufleute nur mit den Danziger Bürgern handeln
dürften, sowie die Satzung8) des deutschen Kaufmanns, wo-
nach die Hansen mit den Engländern, welche wegen Gut-
habens vor dem Austrag klagten, nicht handeln sollten, seien
x) Die Klagen der Danziger gegen England 1491 (St. A. Danzig XVI.
7 8a Hanserecesse ed. D. Schäfer). Die Kölner berechneten für dieselbe Zeit
10966 £ 18 sh 11 d (Kölner Stadtarchiv. ActaAngl. 1434-1521 fo. 225
bis 43). Daneben beanspruchten die Kölner eine fast gleich hohe Summe
(9129 £ 15 sh 7 d) für die seit 1427 bis zum Utrechter Vertrag erlittenen
Schäden und Nachtheile, ohne freilich bei Lübeck und den andern Städten
dafür grosse Unterstüzung zu finden. Die Engländer gaben ihren Schaden zu
14 670 £ 18 sh 6 d an (St. A. Danzig XXVII. 72 Hanserec. ed. D. Schäfer).
') Für das Folgende wurde hauptsächlich benützt der Danziger Recess
über die Verhandlungen mit den Engländern zu Antwerpen 1491 (St A.
Danzig XXVII. 70. Hanserecesse ed. I). Schäfer).
*) „dat de kopman to Londen eün Statut gemakt hadden, zo eün
Engelssche, de eünem Dudesschen süne gudere vorkoft unde vorborged
hadde, wente dat overslagen were vor erem uthage, dat de Engeischen en
baven 40 000 U. vorborget unde vortruwet hadden, den Dudesschen manede
unde sün geldt adir betalinge hebben wolde, denne were ere vorbunth, dat
nümandt van der natien mitten Engeischen adir sünen frunden kopslagen
mußte, dat denne grote bittercheüdt makede." a. a O.
— 235 —
es hauptsächlich, welche unter den Engländern Erbitterung
gegen die deutsche Nation hervorrufe.
Indem die englischen Bevollmächtigten in geschickter Weise
in der Frage der Entschädigung sich sehr zurückhaltend zeigten,
namentlich den Wunsch der Hansen, dass der König in vielen
Fällen für den zugefügten Schaden aufkommen solle, nicht be-
willigen, sondern entsprechend ihrer Vollmacht nur dem König
anheimstellen zu können erklärten, wurde für die Städte
die Lage in jeder Hinsicht bedenklich, wenn man nicht dem
Wunsche des Königs möglichst willfuhr.
Unter den Abgesandten der Städte kam es, wie sich
denken lässt, in Folge dessen zu häufigen und erregten De-
batten. Der Danziger Bürgermeister erklärte seinen Collegen,
Danzig werde niemals zugeben, dass die englischen Kaufleute
mit allen Nationen in Danzig oder in Preussen , wie mit den
Russen, Polen, Ungarn, Litthauern, Böhmen Kaufgeschäfte
trieben. Das wäre für Danzig der ewige Verderb1). Seine
Vollmacht laute auch ausdrücklich dahin, dies nicht zu ge-
statten 2). Nur das könne er versprechen, dass die. Engländer
in Danzig Verkehr treiben dürften, gerade wie die Mitglieder
einer andern Hansestadt. Selbst wenn er ein Mehres ein-
räumen wollte, so würde es nichts nützen, zu Hause werde
man sich nicht daran kehren, und er verwahre sich gegen die
Folgen, die dann entstehen könnten. Viele seiner Collegen
fanden diese Erklärung für berechtigt. Sie sagten, dass sie
auch nicht den Engländern zu gestatten dächten, mit Jedwedem
in ihren Städten zu handeln; es werde überall so gehalten,
dass „de borgere unde inwonere der stede jummers meer vor-
deels musten hebben, wen andere van buten", selbst die Ham-
burger müssten in» Lübeck und umgekehrt die Lübecker in
Hamburg sich eine solche Beschränkung gefallen lassen 8).
*) „dat de van Dantzike keünerleü wüse den Engeischen inrumen adir
gönnen wurden, sulkt ere vornemen, alse ze vormeneden, mit ailerleü natien
mit en to kopslagen to to laten, ock sunderges boveel darvan hadden, dat
mit richte to staden , wente de Engeischen dar lange na gestaen hadden,
et hadde en nilwerlde mögen geboren, wente solden de Engeischen to
Dantzike adir in Prussen mit allerleü natien als Russen, Palen, Letawen,
Hangaren, Bemen unde anderen kopslagen, dat were der borgere to Dantzike
ewige vorderff, de Engeischen solden de neringe hebben, wente ze geldt
unde guth hebben, de borgere unde inwaner solden moten vorderven;
dammme dat wü dat solden to laten, steüt uns mit nichte to doende et is
en upt land to Prussen to doende, ze hebben vormaels in vorgangenen jaren
zere darna gewesen, de herenn homeister unde dat landt hebben ze darto
nicht willen laten komen." a. a. 0.
*) Dies war nach dem vorliegenden Wortlaut der Instruction thatsäch-
Uch der Fall (St. A. Danzig XXVII. 66, 70. Hanserecesse ed. D. Schafer).
*) Einen interessanten Einblick in die Art und Weise, wie Lübeck
Hamburg gegenüber das Gästerecht handhabte, erhalten wir durch eine
wahrscheinlich in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts fallende Bittschrift
der Lübecker Bürger und coplude in Engelandt hantirende an den Lübecker
— 236 —
Die Engländer bestanden auf ihrer Forderung; die Ver-
suche der Hansestädte, die Danziger Vertreter zur Nachgiebig-
keit zu veranlassen, misslangen. • Selbst die Drohung der
Schwesterstädte, man werde den fraglichen Artikel in den Re-
cess setzen und den Engländern gegenüber sich dadurch sicher
stellen, dass man die Städte, welche den Artikel nicht halten
wollten, den Engländern anzeigen (verkuntschoppen) werde,
verfehlte seine Wirkung. Die Danziger erklärten, der Artikel
sei nur dann für sie annehmbar, wenn er in der von ihnen oben
angegebenen Richtung specificirt würde. Nach dem Utrechter
Frieden hätten die Danziger ausdrücklich gegen den 4. Vertrags-
artikel protestirt, die Schwesterstädte, namentlich Lübeck,
Rath. Es wäre möglich, dass in Folge der Petition, die gerade durch die
englischen Laken veranlasst wurde, eine Verschärfung des Gästerechts ein-
trat. Obwohl, heisst es in der Vorstellung, nicht nur im Jahre 70 (1470)
die Hansestädte in einem Recesse gemeinsam die Normen für den Verkauf
der Laken in den Städten festgesetzt, sondern auch die Vorfahren im Re-
giment zum putzen der Bürger noch besonders eine Verordnung publitiit
haben, wonach allen Fremden und Gästen geboten wurde, „dat se kerne
Engeische oft ander lakene,'als se hir in de stat bringen, anders verkopen
scholen, dan by helen terlingen und helen packen, als de in der lynnen
beslagen unde se van buten inbringen, und desulven laken nicht delen Wen
der lynnen by stucken to verkopende, ock d arme de neyne opene kellere
edder boden holden by pene eyner marck goldes, item dat alhie in der
Stadt neyn gast mit gaste schall kopslagen by teyn marck sulvers, mith
mer anderen notturftigen und todrechtliken artickelen , wie .ungetwivelt uth
angetogenen reces ock iwer erb. w. upgerichten ordinantien unde wedde-
boke wider une clerlyker to befinden : So isset dennoch int verlop der titt,
dar hen gereden, dat sollicher ordinantii dorch de frombden und geste nicht
allene in ethliken artickelen ungepynet entkegen gehandelt, sundern ock nu
so farn gekamen, dat gar nichts darvan geholden wert, und so depe ist
ingeret, dat de geste und frümbden mit sollichen ingebrachten laken opene
kellere holden, desulvigen kellere unde hüsere so mennichfoldich syn, dat
se de so woll an der Wakenitze in der Erlockger strete als der'Traven
in der Marlessgreven to kope hebben und de laken dem loslicken reces
der steder und iwer erb. w. verfaren upgerichter ordinantii unde wedde-
boke to entkegen nicht allene dem eynen und anderen bynnen der stat
wonende, Sündern ock gesten und frombden von buten uth Dennemarken,
Sweden, Lyfflant, Preuteren, ok van Rosstock, Sundt, Wissmar und anderby
inkomende offentlick verkopen, und also als gast mit gaste handelen und
koepslagen. Und geschüt des also vele, dath wy alle, so vele unsrer in
Engelaut mit laken härteren , dith vorgangen yar den wantsnideren alhir
bynnen der stat baven twe off 6 laken nicht verkofft hebben, welche vor-
war desser güden stat und uns, de wv de last und borden mede dragen
moten, nicht eyn geringer, Sündern treffentlich groter schade ist. Und ge-
schult sollich schade vornemlich und am meisten dorch de Hamborger und
lakenboreder darsulvest, de so wydt her indrengen, dat se ock de laken,
als se hir bringen von büten von Fleshi[ng]en (?) botteref?), damede 8e ore
huser und schepe Vorsorgen, den frombden und gesten by rocklacken, by
stücken up tide vorkopen und also desulven lacken in Lyfflant und andere
orde gefort werden, welchs allenthalven upt hogeste beswerlich wile, dar-
dorch de lakenhandelt uns gar to nichte und vorderve geitt". Die Petenten
verlangen deshalb, das Verbot des öftern einzuschärfen und die Uebertreter
zu bestrafen. (Lübecker Archiv. Das Schriftstück ist vielfach corrigirt, also
wahrscheinlich ein Concept der Petition).
- 237 -
hätten aber sie beruhigt, indem sie erklärten, der Artikel
enthalte nichts Neues und solle den Danzigern nicht schädlich
sein.
Zu einer Specification ähnlich der beim Worte morari im
Utrechter Vertrag hatten die übrigen Hansen keine Voll-
macht, auch wollten sie an dem Utrechter Vertrag um keinen
Preis rütteln; ihn äusserlich ganz unverändert zu erhalten,
schien nothwendig, wenn man wieder zu den Privilegien in
London gelangen wollte und dem Kaufmann kein Schaden er-
wachsen sollte. Würde man, sagten die Schwesterstädte, den
Utrechter Artikel den Engländern versagen, so werde das bei
dem englischen König böses Blut machen.
Aber die Danziger waren nicht umzustimmen, sie hielten
starr an ihrer Instruction fest. So beschloss man, den eng-
lischen Commissären die Meinung der Danziger vorzutragen. Die
Hansen machten die Engländer darauf aufmerksam, dass das
Land Preussen zur Zeit getheilt sei, ein Theil gehöre zu Po-
len, ein anderer dem Hochmeister; hinsichtlich des letzteren
hätten die Danziger keine Macht. Auch in Danzig selbst
stehe die Sache nicht so, dass die Engländer von Altersher
mit Jedwedem gehandelt hätten, und die Danziger wollten dies
auch nicht zugestehen. Als die Engländer erwiderten, sie
könnten durch Zeugen erhärten, dass, wenn ihre Schifte zu
dem Dominikmarkt kämen, sie mit Jedwedem Kaufgeschäfte
abschliessen könnten, erklärten die Hansen, das solle ihnen
auch künftig gestattet sein, ebenso sollten sie den Artushof
besuchen dürfen1), aber sie sollten nicht das ganze Jahr mit
Jedermann handeln.
Die Engländer waren damit zufrieden. Zwei Rechte we-
nigstens waren dadurch für sie ausser allen Zweifel gestellt
und von den Danzigern selbst wirklich einmal zugesagt. Die
Bestimmungen des Vertragsentwurfs wurden jedoch nicht ab-
geändert, sondern der Utrechter Artikel, wonach die Engländer
in den Hansastädten mit Jedermann handeln dürften, wurde
in dem Recess belassen. Man findet es deshalb wohl erklär-
lich, wenn die Danziger, um irrige Folgerungen zu vermeiden,
ein öffentliches Document über die Concessionen herstellen
Hessen, die den Engländern gemacht worden waren 2).
Die Engländer sahen zwar nicht das Ziel ihrer Wünsche
befriedigt, aber ein besserer Zustand als früher war geschaffen.
') Der Besuch desselben war ihnen unmittelbar vorher versagt gewesen. In
den Verhandlungen von 1499 erklärten deshalb die Hansen, über dieses Haus
„Antwerpie sit responsum. Nam eam esse Arcturi, a qua propter turbationem
esaent eiecti, ab illo die tractatus denuo adinissi, in qua esset honestorum
conventio mercatorum, nee in eam scothi admitterentur" (Kölner St. A. Acta
Angl. 1434-1521 fo. 189).
*) Kölner StA. Acta Anglicana 1434-1521 fo. 153. Weinreich,
Danziger Chronik Beil. III. S. 123 und S. 73 Anm. 5.
— 238 -
Besonders werthvoll war für sie die Zulassung zum Artushof.
Zu diesem hatten nur die einheimischen Kaufleute, wie die
Grosshändler, Gewandschneider, Krämer, Seefischer, Brauer,
sowie die von diesen eingeführten Hansen Zutritt. Der Artus-
hof gewährte nicht nur viele gesellige Freuden, sondern er
war auch eine Art Börse. Zu gewissen Stunden trafen sich
hier die Handeltreibenden, um gegenseitig Geschäfte ab-
zuschliessen. Auch wurden hier alle amtlichen Mittheilungen
in Betreff des Handels zuerst publicirt 1).
Heiniich VH. genügte das Errungene nicht. Die Stellung
des englischen Kaufmanns an der Ostsee sollte noch mehr ge-
festigt, sein Wirkungskreis noch bedeutender erweitert werden.
Zunächst lenkte der König seinen Blick auf die Inländi-
schen Städte. Diese standen mit dem Hansabunde nur in
loser Verbindung und scheuten sich keineswegs, im eigenen
Interesse gegen die Mitglieder des letzteren eine rigorose
Handelspolitik zu befolgen. Das seit einiger Zeit verhanste
Riga schien besonders geeignet. Der Ordensmeister Wolter
von Plettenberg und der liebenswürdige Erzbischof Michael,
welche den leitenden Einfluss in Riga hatten8), konnten leicht
für den englischen Plan gewonnen werden. Das gegensätzliche
Verhältniss zwischen Danzig und dem Deutschorden, sowie die
damalige Lage der Stadt, die nach langen Streitigkeiten wieder
etwas zur Ruhe gelangt war und eine Wiederbelebung des
Handels sehr bedurfte, Hessen es ganz im Interesse Rigas er-
scheinen, wenn es mit England engere Beziehungen an-
knüpfte.
Gelang dem König sein Plan, so liess sich Danzig ganz
bei Seite schieben oder doch über dessen Hartnäckigkeit
gleichgültig hinwegsehen; gleichzeitig war die Möglichkeit ge-
geben, einen Verkehr mit den Russen anzubahnen 8), ein Punkt
von kapitaler Wichtigkeit, seit 1494 die Hansen ihr Contor
zu Nowgorod verloren hatten.
Riga kam den Wünschen Heinrichs VH. mit Freuden ent-
gegen. Johannes Prange wurde nach London gesandt, und
dieser schloss mit dem Bischof Thomas von London und Wilh.
Warham am 26. Nov. 1498 einen Vertrag ab, der geradezu
glänzende Bedingungen für die Engländer enthielt. Dieselben
waren : 4)
1) Zwischen den Angehörigen beider Contrahenten soll ein
ewiger Friede herrschen.
x) Ueber den Artuehof vgl. Hirsch, Danzig S. 204.
*) S. C. £. Napiersky, Rigas ältere Geschichte in Uebersicht, Ur-
kunden und alten Aufzeichnungen (4. Bd. der Monumenta Livoniae Antiquae).
8) Ueber die frühen engen Handelsbeziehungen Rigas zu Russland
vgl. Hildebrand. Das Rigische Schuldbuch 1286—1351. St Peters b. 1872.
*) Rymer XU. S. 701.
_ 239 —
2) Den Engländern ist gestattet, in alle Orte, die zur Stadt
Riga gehören oder mit ihr zusammenhängen, zu kommen,
Waaren englischer Herkunft dahin zu bringen, daselbst
zu verweilen, mit Borgern der Stadt sowohl, als mit jed-
wedem Andern zu handeln und Güter jeglicher Art
überallhin zu expoiüren. Die von den Engländern ein-
und ausgeführten Waaren sind zollfrei1). Den Kauf-
leuten aus Riga ist erlaubt, mit Waaren Rigaer Ursprungs
nach England zu kommen, dort zu handeln und die er-
worbenen sowie andere Güter überallhin zu führen. Für
Waaren Rigaer Ursprungs zahlen sie die Zölle der
Hansen, für Waaren fremden Ursprungs die Zölle
Fremder.
3) Alle früheren Obligationen und Geldversprechen, durch
welche die englischen Kaufleute oder der englische
König vom preuss. Ordensmeister oder von den Ruthenen
oder Riga^rn beschwert werden könnten, weiden für
null und nichtig erklärt-, namentlich gilt dies von einer
vom Jahre 1404 (?) stammenden Obligation im Betrage
von 10 637 Nobel 2 sh 2 d.
4) 'Johannes Prange verspricht im Namen Rigas die eben
erwähnte Obligation dem Vorstande der englischen Kauf-
leute Johannes Wiltshire in Antwerpen, Brügge oder
sonst in den Niederlanden innerhalb 4 Monate aus-
zuliefern; geschieht dies nicht, so gelten alle Artikel
dieses Tractats, soweit sie die Rigaer betreffen, für nicht
geschlossen 2).
5) Die Ratification, beziehungsweise der Austausch der Ver-
tragsdocumente soll innerhalb 5 Monaten zu Calais statt-
finden.
Alle Forderungen, die Heinrich VII. gegenüber Danzig
und den übrigen Hansestädten so oft vergeblich gestellt, waren
hier erfüllt. Ein ganz klares Recht war hier den Engländern
gewährt.
Der Vertrag wurde vom König ratificirt, und das Gleiche
war von Riga beabsichtigt3). Danzig scheint auch die ein-
getretene Wendung sofort empfunden zu haben. Das Aus-
bleiben der Engländer erwies sich in kürzester Zeit für die
Stadt und für Preussen verderblich. Ihr Schutzherr, der König
von Polen, Johann Albert, machte einen Vermittlungsversuch.
In einem Brief an den König Heinrich VII. und die englischen
*) „a solutione omnium et singulorum vectigalium pedagii, augariagiae
aut costumarum praestatione quacumque perpetois futuris temporibus liberi
erunt et quieti".
') Die Freiheiten der Engländer bleiben also auch in diesem Fall
bestehen.
^Vgl. Urk. Beil. 99, 102. Die Ratification von Seite Heinrichs VII.
ist in Kymers Foedera a. a. 0. enthalten.
— 240 —
Bevollmächtigten versprach er, den Engländern in seinen Ge-
bieten Handelsfreiheit zu gestatten, wenn man auch den Hansen
in England ihre Privilegien wieder geniessen lassen wolle
(April 1499). Freilich der Kernfrage, ob die Engländer mit
Jedermann Handelsgeschäfte abschliessen dürften, wich er vor-
sichtig aus, wenn er auch, wie aus einem gleichzeitigen Brief
an Lübeck hervorgeht, die Handelsfreiheit eher weit als eng
aufzufassen schien 1).
Unter diesen Verhältnissen war Englands Position eine
ziemlich günstige, als die Tagfahrt zu Brügge im Sommer 1499
stattfand 2). Der König hoffte wohl, dass er bei dieser Gelegen-
heit die Danziger zu weiteren Concessionen veranlassen könne.
Volle Reciprocität war das Ziel, das Heinrich VII. anstrebte.
Die Freiheiten der Engländer in Preussen sollten ganz die-
selben sein, wie die der Hansen in England. Wie diese den
^tahlhof in London besassen, so sollte auch den Engländern
das Haus in Danzig, das sie früher einmal inne hatten und aus
dem sie gewaltsam vertrieben worden waren, wieder eingeräumt
weiden. Wie die Hansen in London mit Bürgern und Nieht-
bürgern Handel treiben durften, so sollte auch den Engländern
gestattet werden, mit Jedwedem Handelsgeschäfte zu schliessen.
Der König hielt die volle Innehaltung des Artikels 4 des
Utrechter Vertrags für so selbstverständlich, dass er sogar
seinen Commissären auftrug, eine Entschädigung zu stipuliren,
welche die Danziger wegen Nichtbeobachtung der erwähnten
Vertragsbestimmungen zahlen sollten 3).
Die Erwartungen des Königs erfüllten sich jedoch nicht.
Es scheint, dass die Hansen Riga wieder auf ihre Seite zu
ziehen wussten4) und Aussicht hatten, den englischen Handel
daselbst etwas zu beschränken, so dass das Pressionsmittel der
*) ürk. Beil. 89. 90.
*) Das Folgende nach dem hansischen Bericht. Kölner St A. Acta
Angl. 1434—1521 fo. 189 fg. und ürk. Beil. 91; ferner wurden benützt
Klagen der Engländer gegen Danzig und Antworten der Danziger auf die-
selben (St. A. Danzig XVI. 132 b. Hanserecesse ed. D. Schäfer).
3) Urk. Beil. 94.
*) In dem hansischen Bericht über die Verhandlungen mit den Eng-
ländern zu Brügge 1499 finden sich folgende Stellen: „Nuncius quoqueRi-
gonsium literas forte ratificationis ad ea, que pridem secretarius eorum com
rege tractavit afferens. Sed cum in scriptis eorundem ad consulatum Lubi-
cousem haberetur, quod staret concilio hie congregatorum oratorum, deposuii
esis apud mercatores, presertim cum in preiudicium tendere putarentur pu-
blice utilitatis". Im hansischen Vertragsentwurf ist folgender Fassus : „Item
cum sit traetatu Traiectensi inter alia provisum, quod si que civitas ab Ulis
pactis se subtrahet, ea regie maiestati insinuabitur liberumque sit tali sub-
t niete civitati ad ceterarum communionem aeeeptatis pactis remeare.
Que res cum sit de Rigensi civitate practicata, cuius gubernatoribus räum
est ad ceterarum communionem redire approbatis placitis Traiectensibus,
i il regie celsftudini per presentia sit liquidatum , ut in reliquum mercatores
eius ceteris Anze membris parificentur". Nach einer Unterredung mit den
i
— 241 —
Engländer seinen Dienst versagte. Die englischen Bevoll-
mächtigten versäumten nicht, mit dem grössten Nachdruck
ihre Wünsche zu vertheidigen. Die Debatten führten aber zu
keiner Verständigung. Wenn die Engländer darauf hinwiesen,
dass zur Zeit Eduards IV. die hansischen Deputirten Johann
Vanrad, Johann Stengenbergh und Wilke van Houghs ver-
sprochen hätten, dass den Engländern ihr Haus in Danzig
zurückgegeben werden solle, so schützten die Hansen ein Miss-
verständniss vor, indem man den Artushof im Auge gehabt
habe, zu dem ihnen seit 1491 der Zugang gestattet sei, eine
Untersuchung habe auch nicht einmal Spuren für einen der-
artigen Besitz eines Hauses ergeben, Niemand könne sich
einer Wegnahme desselben durch die Bürger erinnern, worauf
die Engländer erwiderten : „Gedanenses obliti rerum, ipsi, qui
passi sunt, non obliti. Qui enim infert, scribit in pulvere, sed
qui patitur, notat in marmore." Wenn die Engländer freien
Handel mit Jedwedem in Danzig und Preussen verlangten, wie
es der Utrechter Vertrag aussprach, so recurrirten die Danziger
auf ihre Erklärung von 1491. Die Forderung, dass dann auch
die Hansen keine Privilegien vor den Einheimischen in Eng-
land beanspruchen sollten, sondern sich ganz dieselbe Behand-
lung wie die englischen Kaufleute gefallen lassen müssten, da-
mit volle Reciprocität bestehe, wurde energisch zurückgewiesen ;
die Freiheiten der Hansen seien verbrieft, die der Engländer
in Preussen dagegen beruhten nur auf Gewohnheit; der Utrechter
Vertrag habe nichts Neues stipulirt; zudem zahlten die Eng-
länder geringere Zölle in Preussen, als umgekehrt die Hansen
in England.
So eindringlich die englischen Bevollmächtigten ihre Sache
verfochten, so stark sie drohten, die Danziger Bevollmächtigten
M. Tymmermann und Johann Huxer hielten sich an ihre In-
struction 2), die irgend eine Concession zu machen verbot Der
Widerstand Danzigs war die Ursache, weshalb der Congress
in der Hauptsache resultatlos verlief.
HI. Unter Heinrich VIII. änderte sich der Charakter der
Beziehungen zu den Ostseestädten in der Hauptsache nicht.
In Riga trat mehr und mehr eine Wendung zu Ungunsten der
Engländern heisst es : De Rigensibus convenit, ut, quam in tractatu Traiec-
tensi haberetur, quod civitas retracta redire cupiens regie maiestati per
literas insinuaretur, non per hoc scriptum. Itaque susceptum est, ut ea de
re ßcriberet consulatus lmbicensis. Tum Rigensibus bene consuleretur,
quamvis famulus eorum indigne ferret, sibi literas non reddi. (Kölner
Stadtarchiv Acta Angl. 1434—1521 fo. 190, 198.) Sollten die Hansen die
Wiederaufnahme Rigas in den Bund nicht davon abhängig gemacht haben,
dass es sein Verhältniss zu England löse? Das Bestreben war jedenfalls
da, wenn auch bezweifelt werden muss, dass Riga vollständig den Wünschen
Danzigs entsprach.
l) St A. Danzig XVI. 182 b. Hanserecesse ed. D. Schäfer.
Schinz, Engl. Handelspolitik. I. Jß
— 242 —
Engländer ein. Der Ordensmeister hatte allen Grund, Danzig
gegenüber möglichst zuvorkommend sich zu zeigen, seit diese
Stadt es bereute, dem König von Polen sich verschrieben zu
haben 1). Die Bevorzugung der Engländer in Riga auf Kosten
Danzigs trat etwas zurück. Die englischen Kaufleute mussten
auch in Riga dem Gästerecht sich fügen, man duldete nicht,
dass sie in der Stadt mit Fremden handelten, und scheute
sich nicht, schwere Strafen über die Engländer zu verhängen.
Noch weniger waren die letzteren mit ihrer Behandlung in
Danzig zufrieden. Sie beschuldigten die Danziger, bei Schuld-
klagen nicht ihre Pflicht zu thun, hatten sie im Verdacht, dass
von ihnen gegen die Engländer Räuber ausgeschickt würden,
um sie von der Fahrt in die Ostsee abzuschrecken, waren un-
gehalten über das hansische Verbot, dass ein Hanse die Waaren
eines Engländers nach England führe, sowie über die Erhöhung
der Zölle, namentlich des Weinzolls, indem die Danziger ganz
ebenso wie die Engländer behaupteten, die Zollprivilegien
gälten nur für Waaren englischen Ursprungs. Die Rückgabe
des englischen Hauses wurde selbstverständlich noch ebenso
wie früher verweigert *). Es kam nicht selten vor, dass Hein-
rich VIH. sich unmittelbar für einen seiner Unterthanen ver-
wenden musste8). Unter diesen Verhältnissen ist es nicht zu
verwundern, wenn auf der Tagfahrt zu Brügge 1521 die eng-
lischen Commissäre die ungleiche Behandlung ihrer Landsleute
als einen Hauptgrund hinstellten, weshalb die Hansen ihre
Privilegien in England verwirkt hätten.
Die ganze Folgezeit dauerte die Unzufriedenheit der Eng-
länder an. 1523 beklagte sich der König von Neuem über
die Misshandlung seiner Unterthanen. Die Antwort der Dan-
ziger zeigt, wie wenig sie ihr Vorgehen rechtfertigen konnten;
sie wissen Nichts vorzuschützen, als dass sie dem mit ihnen
verfeindeten Könige von Dänemark nicht Gelegenheit geben
dürften, die englischen Schiffe zu kapern und auf diese Weise mit
Kriegsmaterial und Lebensmitteln sich zu versehen. Klug fügen
sie bei, der König möge ihnen nur in Dänemark zu ihren Privi-
legien verhelfen, dann wollten sie seine Unterthanen möglichst
liberal behandeln und ihnen die frühere Handelsfreiheit wieder
gewähren4). Die beginnende Verfolgung der Hansen in Eng-
land wegen ihrer Zuneigung zur evangelischen Lehre traf be-
1) Anfangs der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts suchte Danzig ernst-
lich nach Bundesgenossen, um mit deren Hilfe das polnische Joch abzu-
schütteln. So schickte Danzig 1522 Schonbergk zu diesem Behufe nach Eng-
land, wo dieser aber gar keinen Anklang fand. Der ausführliche Bericht
Schonbergks über sein Vorgehen in England ist im geh. Archiv zu Königs-
berg erhalten.
*) ürk. Beil. 100. Art. 8, 4, 5, 8, 10, 11, 12, 27.
») ürk. Beil. 96.
*) ürk. Beil. 108.
— 243 —
sonders die Danziger und war sicherlich nicht geeignet, diese
den Engländer freundlicher zu stimmen 1). Zehn Jahre später
gaben sie neuerdings ihrem innern Groll gegen die Engländer
Ausdruck, indem sie während des Krieges zwischen Lübeck
und Dänemark dahin trachteten, die englischen Schiffe den
Dänen in die Hände zu spielen *).
Mit aller Schärfe geriethen die Engländer gegen Ende der
30er und Anfang der 40er Jahre mit den Danzigern in Streit.
Seit dem Zusammenbruch der Lübeckschen Hegemonie ver-
doppelten die Engländer ihre Anstrengungen, um von den Vor-
theilen in Danzig zu profitiren. Wiederum beanspruchten sie
das so viel bestrittene Hecht, mit den nach Danzig kommenden
Landbewohnern direct zu verkehren, und pochten um so mehr
darauf, als die Hamburger und Lübecker die gleiche Concession
bereits gemacht hatten 3). Die englische Regierung unterstützte
ihre Unterthanen in diesem Ansprüche und drohte gleich der
ganzen Hansa mit Repressalien. Lübeck schickte Joh. v. Verden
nach Danzig, um die Sache zu untersuchen und gab nach ge-
wonnener Information eine Antwort, die an Bestimmtheit und
Klarheit nichts zu wünschen übrig liess 4). Niemals sei, lautete
Lübecks Bericht, den Engländern ihr wirkliches Recht ver-
kümmert worden; der directe Kauf von Fremden stehe ihnen
nicht zu, das sei ein Recht der Bürger, aber nicht der Gäste.
Seit Gründung der Stadt sei so fest daran gehalten worden,
dass nicht einmal den Unterthanen ihres Schutzherrn, den
Polen, dies Privileg zugestanden worden, und die Annalen der
Stadt Hessen auch nicht eine Spur entdecken, die auf den
Besitz dieses Rechtes von Seite der Engländer hinweise. Die
jetzige Uebung in Lübeck oder Hamburg könne für Danzig
weder beweisend noch massgebend sein 6).
Aber die englische Regierung begnügte sich mit dieser
Auseinandersetzung nicht. So oft sich eine Gelegenheit ergab,
forderte sie die Ansprüche der englischen Kaufleute. Als die
M Der König von Polen musste sich wiederholt der Danziger anneh-
men. Vgl. die bereits oben citirten Aufsätze vonR. Paul.i, Die Stahlhofs-
kanfleute und Luthers Schriften in den Hans. Geschichtsbl. 1871 S. 155 bis
162 a. 1878 S. 159 fg., auch Brewer, Cal. IV. 2168, 2169, 2179 etc.
*) ürk. Befl. 107. Man muss den Verdacht für begründet halten in
Anbetracht der offenen Parteinahme Danzigs gegen Lübeck und für den
König von Dänemark. Christian III. wurde sogar mit Geld von Danzig
unterstützt. Vgl. Waitz, Jürgen Wullenwever UI. S. 5 fg. 18, 57.
*) Vgl. oben S. 227.
*) Es ist dies einer der vielen Züge, die Lübecks Geschichte jener Tage
so ausserordentlich anziehend machen. Niemals stellt Lübeck sein eigenes
Interesse allein in den Vordergrund, immer ist es für die Schwesterstadte
bedacht und ergreift energisch für sie das Wort, selbst wenn sie es Bind,
die Lübecks Macht untergraben helfen, wie Danzig es that.
^ *) Der Senat der Hansa an Heinrich VIII. Lübeck 7. Juli 1540. State
Papers VIII. S. 382.
16*
— 244 —
Eaufleute von Hüll, die immer im Kampfe gegen Danzig an
der Spitze standen, am 4. Oct 1541 eine neue Klage vor-
brachten, versprach das Privy Council Abhilfe1), und bei Ber
ginn des folgenden Jahres forderte es sogar die englische
Kaufmannschaft auf, ihre Beschwerden gegen Danzig in einer
umfangreichen Denkschrift niederzulegen und ihm dadurch
eine starke Handhabe gegen die hartnäckigen Preussen zu
geben 2).
Im Besitz dieses Materials ging die englische Regierung
auch sogleich gegen die ganze Hansa vor. Am 18. Februar
lud man die Kaufleute des Stahlhofes vor und erklärte sie
insgesammt für verbindlich für alle Uebelthaten der Danziger;
es nützte nichts, wenn die Hansen behaupteten, der Bericht
der englischen Kaufleute sei voll van Unwahrheiten, oder zur
Kenntniss brachten, dass kein einziger Danziger momentan unter
ihnen sei. Man gewährte ihnen nur eine längere Frist, inner-
halb deren sie sich zu rechtfertigen hatten3). Möglich, dass
das kräftige Einschreiten Heinrichs VIII. den Zustand in
Danzig wieder für einige Jahre verbesserte; eine dauernde
Gewährung der verlangten Rechte vermochte er sicher auch
nicht durchzusetzen.
Unter Eduard VI. wogten die Klagen gegen Danzig stärker
denn je4), und Danzigs constante Weigerung, den Engländern
volle Reciprocität zu geben, verursachte nicht zum geringsten
Theil den darauf folgenden Fall des englischen Stahlhofs, wie
es auch früher Lübecks und damit der Hansa Einfluss hatte
erschüttern helfen.
Rückblick.
Fassen wir die Hauptmomente des dritten Gapitels noch
einmal zusammen.
Der Beginn der hansischen Beziehungen zu England zeigt
gleich einen auffallenden, aber für die ganze Geschichte der Hansa
charakteristischen Zug. Es ist der Gegensatz zwischen den
Städten der West- und der Ostsee. Führte auch die Not-
wendigkeit dazu, im fremden Lande diesen Gegensatz etwas
zu mildern, ganz war er nie zu unterdrücken, und hier lag
bereits der Keim der Schwäche. Natürlich war dieses Moment
von geringer Bedeutung, solange die englischen Könige eine
fremdenfreundliche Politik einzuhalten ihrem Interesse und dem
des Landes für erspriesslich erachteten; es konnte den Deut-
8) Nicolas, Proceedings and Ordinances of the Privy Council VI. S. 252.
*) A. a. 0. S. 801.
5) A. a. 0. VII. S. 308.
4) Sartorius, Gesch. des bans. Bundes III. S. 822.
— 245 —
sehen darum leicht gelingen, eine Reihe grosser Privilegien
sich zu sichern.
Allein früh brach sich die Opposition gegen die Hansen
Bahn, das englische BQrgerthum stand hier im Bunde mit
seinen Herrschern. Die Feindschaft wurde eine ausgesprochene
und war nicht mehr zu beseitigen, als der Versuch der Eng-
länder, im Osten eine den Hansen in London ähnliche Stellung
zu gewinnen, in seinem glänzenden Anfang durch das Ein-
greifen der mächtigen Städte gestört, und das Gedeihen der
Colonie verkümmert ward.
England wehrte sich die ganze erste Hälfte des 15. Jahr-
hunderts hindurch; im Innern zerklüftet, war es aber nicht
im Stande, einen entscheidenden Schlag auszuführen, und
Eduard IV. musste schliesslich, so schwer es ihm auch wurde,
die hansischen Freiheiten nicht nur in ihrem vollen Umfange
wieder herstellen, sondern auch noch erweitern und derart
festigen, dass noch viele Jahrzehnte nöthig waren, bis dieser
Wall zerstört wurde.
Die Elemente begannen aber bereits wirksam zu werden,
welche den Fall des Stahlhofes bedingten. Der Bund fing an,
sichtlich zu kranken und an seinen innera Gegensätzen zu
zerbröckeln , während die ringsumher liegenden Gemeinwesen,
vor Allem England, sich consolidirten.
Schon unter Heinrich Vn. müssen die Hansen, ohne dass
England auch nur einen Tropfen Blutes vergoss, Niederlage
auf Niederlage erleiden. Keine wirkliche Ausnahmestellung
von einer Reihe von Gesetzen wird ihnen gewährt, ihr Zwischen-
handel nach den Niederlanden wird geschmälert und fortwährend
bedroht, Danzig muss seine Opposition nach 100 Jahren zum
ersten Male wenigstens theilweise aufgeben, schliesslich durch-
bricht der König das ganze hansische Handelssystem durch
das Handelsbündniss, das er mit der Hansestadt Riga schliesst.
Nur kurze Zeit vermögen die Hansen beim Thronwechsel
die Gunst Heinrichs VIII. und seiner Minister sich zu erhalten.
Die Stimmen der Bürger und die neuen Einschränkungen
Danzigs zwingen die Regierung, gegen die Hansa Stellung zu
nehmen. Nur die Bedeutung der deutschen Städte bei Lösung
der dänischen Frage, sowie die Notwendigkeit Englands, pro-
testantische Bundesgenossen zu suchen, rettete noch trotz der
wachsenden Erbitterung den deutschen Kaufmann.
Die ganze Regierungszeit der beiden ersten Tudors er-
scheint als eine Vorbereitung zum letzten Schlage gegen die
Hansa, und selbst Heinrichs VIII. Reformation, obwohl noch
eine Zeit lang der Hansen Schutz, war doch ein Grund mit,
der auch die Achtung vor dem echt mittelalterlichen Rechte
der Deutschen in England untergrub und unter Eduard VI.
und Elisabeth den einheimischen Gewalten den Sieg ermög-
lichte.
— 246 —
Der einst so mächtige deutsche Handel verlor seinen
letzten Stützpunkt
Mehr als irgendwo hatte hier die englische Politik für
eine billige Sache gestritten. So wehmuthsvoll auch des
Deutschen Herz durch das Sinken der einstigen hansischen
Grösse gestimmt wird, die Gerechtigkeit erheischt ein Urtheil,
das gegen die Hansen lautet. Es war unvernünftig, die Gleich-
stellung mit den Engländern zurückzuweisen, und es war un-
billig, den letzteren die Reciprocität in den Ostseestädten zu
versagen. Solche Anomalien liessen sich nur aufrecht erhalten
durch Gewalt, die der Bund nicht mehr besass und die auch
ein Wullenwever nicht mehr zu schaffen im Stande war. Das
nicht erkannt zu haben, war der politische Fehler der Hansa
im Laufe des 16. Jahrhunderts.
L
Viertes Capitel.
England und die skandinavischen Reiche.
In dem vorangegangenen Capitel hatten wir bereits Gele-
genheit, von der Bedeutung der skandinavischen Länder für
England zu sprechen. Dort wurde hervorgehoben, dass diesen
Ländergebieten die Natur ihrer Lage die Macht in die Hand
gegeben, den Verkehr zwischen der Ost- und Westsee zu
sperren. Die Engländer mussten diesem Umstände Rechnung
tragen, weil sie ernstlich darnach strebten, in den Ostseege-
bieten sich festzusetzen. Die Rücksicht auf diese Verbindungs-
strasse war aber nicht das einzige Motiv, welches die Eng-
länder veranlasste, mit Dänemark in freundliche Handels-
beziehungen zu treten. Namentlich war sie nicht entscheidend
für das erste Auftreten eines englischen Verkehrs mit dem
skandinavischen Norden. Vielmehr war der Handel mit Däne-
mark und besonders mit Norwegen um seiner selbst willen
ursprünglich gesucht. Die nordischen Staaten verhielten sich
hinsichtlich ihrer industriellen Gesammtentwickelung zu England,
wie etwa dieses zu den Niederlanden; sie entbehrten in noch
viel höherem Grade als England eines ausgedehnten selbst-
ständigen Gewerbebetriebes, besassen aber gleich diesem einen
grossen Reichthum an Rohproducten. Darunter sind beson-
ders zu nennen Fische, Fettwaaren (Thran, Wallfischspeck),
gesalzenes und geräuchertes Fleisch, verschiedene Holzarten,
sowie Theer, Pech, Asche und Harz. Es waren vielfach die-
selben Erzeugnisse, die man in Preussen vorfand. Diese Waaren
dienten als Gegenzahlung für Getreide, das in Norwegen nicht
blos einen zeitweiligen, sondern einen ständigen Importartikel
bildete, ferner für Honig, Mehl und Getränke, namentlich Bier
und Wein, endlich für Industrieproducte aller Art.
Vor dem 13. Jahrhundert waren die Engländer diejenigen,
welche unter allen Fremden wohl am zahlreichsten im skandi-
navischen Norden verkehrten. Umgekehrt kamen auch die
— 248 —
Dänen und Norweger fleissig nach England. Die Eroberung
Englands durch Knut hatte wesentlich dazu beigetragen, die
beiden Völker auch in commercieller Hinsicht einander zu
nahem. Der äussern Herrschaft der Dänen in England folgte
die geistige der Angelsachsen in Skandinavien. Die Cultur
der letzteren drang namentlich in Norwegen vor, der englische
Einfluss war daselbst lange massgebend. Engländer brachten den
Nordleuten das Christentum , Engländer bauten ihre ersten
Kirchen, englische Handwerker verbreiteten die elementaren
technischen Kenntnisse und englische Kaufleute organisirten
den Handel1).
Für den sich ausdehnenden Verkehr waren Privilegien und
Handelsverträge die Voraussetzung. Die ersten Freiheiten
sollen schon von Olaf Kyrre den Engländern ertheilt worden
sein2). Zur Zeit des Plantagenets Heinrich III. gestand man
sich gegenseitig freien Handel zu; in Folge dessen brauchten
die Kauf leute nicht Handelslicenzen zu erwerben 3). In dieser
Periode überwogen noch in Norwegen sowohl der englische
Kaufmann, als die englische Waare. Das Letztere ersieht man
deutlich aus dem einen Factum, dass König Hakon, als er er-
fuhr, dass der vom Papst zu seiner Krönung geschickte Cardinal
Wilhelm unterwegs sei, sogleich ein Schiff nach England ab-
gehen liess, um dort einzukaufen, was sich für die Festlich-
keiten irgendwie nothwendig erweisen könnte4)
Kurz darauf begann jedoch der Verfall des englischen
Einflusses. Die Deutschen traten massenhaft in Norwegen auf;
rasch überholten sie die Engländer; der Reichthum, die Cultur
der deutschen Seestädte erlangten das Uebergewicht, ihre
Lage war günstig, die Fülle des Hinterlandes an Getreide
machte sie den Norwegern bald unentbehrlich; noch unter
Hakon rückten deutsche Handwerker, wie man sagt, sogar in
dieselben Quartiere zu Bergen ein, welche früher Engländer
und Schotten inne gehabt hatten 5). Bald wurde auch der eng-
lische Zwischenhandel von diesem Umschwung berührt. Schon
1228 musste Heinrich III. gestatten, dass sächsische Kaufleute
auf norwegischen und mit norwegischer Schiffsmannschaft aus-
1)J. Harttung, Norwegen und die deutschen Seestädte bis zum
Schlüsse des dreizehnten Jahrhunderts. Berlin 1877. S. 5 fg., S. 8 fg.
Für diese und die folgende Periode ist auch zu vergleichen Lindsay,
History of merchant shipping and ancient commerce. London lö74. IL
S. 629.
2) J. Nielsen, Bergen fra de aeldste Tider indtil Nutiden S. 137;
Harttung, Norwegen S. 14.
s) Rymer I. S. 74. Höhlbaum, Hans. Urkundenbuch I. Nr.
227, Anm. 1 und Nr. 169; Harttung^ Norwegen S. 14. Die speciellen
Privilegien der Dänen und Norwegen sieh im Liber Custumarum ed.
Riley. S. 63, 64.
4) Harttung, Norwegen S. 17.
fl) Harttung, Norwegen S. 15 fg.
— 249 —
gerüsteten Koggen überall an die Küsten seines Reichs, ka-
men und daselbst frei verkehrten l).
Dieser Process, einmal begonnen, machte im Laufe der
Zeit immer weitere Fortschritte. Die politische Freundschaft
zwischen den norwegischen Herrschern und den englischen
Königen im 13. Jahrhundert2) konnte höchstens die Umge-
staltung verlangsamen, aber nicht verhindern. Man arbeitete
sogar englischerseits den Hansen, wenn auch vielleicht unbe-
wusst, kräftig in die Hände, indem man ihnen auch in England
ausgedehnte Privilegien ertheilte und dadurch den englischen
wie norwegischen Kaufleuten die Concurrenz erschwerte. Zu
Anfang des 14. Jahrhunderts konnten die Hansen schon als
Ziel die alleinige Herrschaft auf dem Markte ins Auge fassen;
sie dachten darauf, den Handel der Norweger nach deutschen
Ortschaften zu erdrücken und den englischen Kaufmann all-
mählich ganz aus Norwegen zu verdrängen. Für letzteren
Zweck kamen ihnen Zerwürfhisse der norwegischen Könige mit
der englischen Regierung sehr zu statten 3).
Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts schwankte der Kampf.
1370 erlangten die Hansen das politische Uebergewicht im
Norden 4). In dieser Periode wurde auch der englische Verkehr
nach den mehrerwfrhnten Gebieten am schwersten geschädigt.
Während des zweiten Kriegs der Hansen gegen Waldemar
hatten die Engländer zwar die Gelegenheit wahrgenommen, um
in Bergen, wo die Hansen ihren Stapelplatz für Norwegen
hatten, sich wieder auszubreiten und die Rolle derselben sich
anzueignen5); aber die Hansen suchten eine solche Stärkung
des Feindes mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu
hindern6), und als sie wieder in den Besitz ihrer Rechte und
Macht gelangt waren, zwangen sie die englischen Kaufleute
zur Flucht7). Die diplomatischen Verhandlungen der eng-
lischen Regierung hatten, wie es scheint, keinen nennenswerthen
Erfolg.
Mit jedem Jahre verschlechterte sich die Lage der eng-
lischen Kauffahrer. Der Handel nach den skandinavischen
Reichen gewann stossweise eine grössere Ausdehnung, so oft
die Hansen mit den dänischen oder norwegischen Königen sich
entzweiten, schrumpfte aber jedesmal stärker als vorher zu-
l) Höhlbaum, Hans. UrkundenbuchJ. Nr. 227; Harttung, Nor-
wegen S. 18.
*) Harttung, Norwegen S. 32 fg., 37 fg., 51 fg., 60 fg., 64 fg.
8) Harttung, Norwegen S. 95, 102.
*) D. Schäfer, Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark.
Hansische Geschichte bis 1376. Jena 1879.
6) Koppmann, Hanserecesse III. Nr. 818. § 1. S. 311.
*) Schäfer, Hansestädte S. 487, 488.
7) Koppmann, Hanserecesse III. Nr. 318: II. Nr. 89. § 3. S. 104.
Me Engländer schätzten ihren Schaden auf 10000 Mark.
— 250 —
sammen, wenn diese wieder das Feld beherrschten. Nichts
unterliessen die Hansen, um ihnen den Handel zu verleiden;
sie steckten ihre Häuser in Brand, nahmen ihre Waaren weg,
verabredeten unter sich, den Engländern keine Lebensmittel
oder sonstige Waaren zu verkaufen, schonten selbst ihr Leben
nicht1). Mögen die Engländer zuweilen auch Anlass zur Ge-
walttat gegeben haben2), an der systematischen Verfolgung
von Seite der Hansen kann nicht gezweifelt werden. Dazu
kamen die Gefahren, welche zur See dem Kauffahrer drohten.
Die Vitalienbrüder machten mehrere Decennien hindurch die
Ost* und Nordsee unsicher, überfielen selbst Bergen mehrere
Male, wobei namentlich die Engländer schwer betroffen wurden 8).
Die Verluste, welche die englischen Kaufleute auf diese Weise
fortwährend erlitten, standen in keinem Verhältniss zu den
Gewinnen, und man muss sich in der That wundern über die
Zähigkeit, mit welcher dieselben den Handel fortzusetzen
suchten.
Der Hauptgrund für diese Erscheinung ist wohl darin zu
suchen, dass man mit der Preisgabe des Verkehrs nach Skan-
dinavien gewissermassen auch auf den nachPreussen verzichtet
1 Lütte. Wie wenig die Engländer gesonnen waren, den Kampf-
platz zu räumen, sieht man unter Anderm daraus, dass Hein-
rich IV. noch 1408 seinen TJnterthanen, welche mit Dänemark,
Norwegen und Schweden verkehrten, das Hecht verlieh, sich
aus ihrer Mitte Vorsteher oder Consuln zu wählen4). Man
wollte offenbar durch diese Organisation die bedrohte Wider-
standsfähigkeit der Kaufleute stärken. Auch sonst nahm die
Regierung die Interessen der letzteren wahr. Im Jahre 1400
hatte Heinrich IV. wegen der 1390 und 1399 in Bergen gegen
die Engländer verübten Gewaltthaten sechs in Boston wohn-
hafte Hansen zur Verantwortung ziehen lassen, und als 1411
die lynner Kaufleute, welche überhaupt als die Pioniere dieses
isch - skandinavischen Handels anzusehen sind , abermals
über Misshandlung in Bergen klagten, zwang Heinrich IV. die
Hansen in Boston, Sicherheit bis zum Betrag von 2000 Mark
zu leisten und gab diesen Cautionsschein nicht eher heraus, als
bis die Vertreter der Hansen in Bergen eidlich versprochen
hatten, die englischen Kaufleute in Zukunft freundlich behan-
deln zu wollen5).
J) Koppmann, Hanserecesse II. Nr. 41. S. 51; Nr. 89. S. 104; Nr.
210, S. 244, 245; sieb ferner die Klageschrift der Kauf leute aus Lynn über
die seit 1890 erlittenen Misshandlungen bei Rymer VIII. S. 701.
2) Vgl. z. B. v. d. Kopp, Hanserecesse I. Nr. 385. S. 801, 302.
8) Koppmann, Hanserecesse IV. Einleitung. Sieh auch v. cL Kopp,
Zur deutsch-skandinavischen Geschichte des 15. Jahrhunderts.
Leipzig, 1876. S. 50.
4) Rymer VIII. 8. 511.
6) Rymer VIII. S. 684, 701, 736; sieh auch IX. S. 325.
— 251 —
Trotz alledem konnte der englische Verkehr nach diesen
Gebieten sich nicht recht entwickeln. Im eigentlichen Däne-
mark bedeutete derselbe ohnehin niemals viel. Auf Schonen
betheiligten sich zwar die Engländer an dem einträglichen
Heringsfang und Heringshandel1), aber auch hier hatten die
Hansen in frühester Zeit das Geschäft in ihre Hände zu bringen
gewusst2). Mit ihnen war eine Concurrenz unmöglich. Der
norwegisch-dänische Handelsstand war schon lange ganz ab-
hängig von ihnen geworden; dänische und norwegische Schiffe
kamen gar nicht mehr nach England8). Nicht mit Unrecht
stellt deshalb 1436 der Verfasser des Libell of Englishe
Policye das Beispiel Dänemarks seinen Landsleuten warnend
vor Augen:
In Dänmark gab's wie die Geschichten melden
Gar wackre Krieger einst und Siegeshelden
Anch dort, nachdem der Handelsstand zerstört,
Riss Armuth ein; die Macht hat aufgehört;
Recht klaglich geht es dort, wie ein Bericht,
Den jüngst ich las, besagt; sie leugnen's nicht.
Nehmt euch in Acht, ich kann nichts bessres lehren,
Als dass euch fremder Schaden mag bekehren4).
Besonders schädlich für die englischen Kaufleute war die Er-
hebung Borgens zum einzigen Stapelplatz und die dadurch be-
dingte Ausschliessung der Engländer vom Handel nach Island.
Stapelrechte bald grössern bald, geringern Umfangs hatte
Bergen seit Alters besessen. Die norwegischen Könige waren
immer bestrebt, den Verkehr nördlich von Bergen den eigenen
Unterthanen zu sichern6). Die Lage an sich machte diese
Stadt schon zu einem Emporium geeignet. Doch möchte Allen
Recht haben, wenn er annimmt, dass der volle Stapelzwang
erst seit dem 15. Jahrhundert üblich ward 6).. Die norwegische^
Regierung fand darin ein zweckmässiges Mittel, den Gewalt-
*) Koppmann, Hanserecesse IL Nr. 210—14. S. 238 fg.; III Nr.
319. S. 314 fg.; Rymer VII S. 693; Rot. Pari. IL S. 306, 391.
*) Vgl. auch Schaf er, Die Hansestädte S. 243 fg., 423 fg., 557.
*) „nul de eux veignount deinz le Roialme d'Engleterre, ne riens ount
en ycelle u Rot. Pari. IV. 8. 403 (1432). Anders war es noch 100 Jahre
früher. Rot Pari. I. S. 200. Nr. 56.
4) Hertzbergs Uebereetzung. Vers 474—81. Ucber die damaligen
Verhältnisse in Dänemark vgl. v. d. Ropp. Zur deutsch-skandinavischen
Geschichte des 15. Jahrhunderts. Leipzig 1876.
B)Harttung, Norwegen S. 26, 101.
*) Allen, De tre nordiske Rigers Historie under HanB, Christiern
den Anden, Frederik den Forste, Gustav Vasa, Grevefeiden 1497—1536.
1864 fg. II. S. 132, 133. Damit stimmt überein, Finn Magnusen, Om
de Engelskes Handel og Foerd paa Island i det 15de Aarhundrede, isoer
med Hensyn til Columbus's formeentlige Reise dertil i Aaret 1477, og hans
Beretninger des angaaende. Nordisk Tidskrift for Oldkyndighed 1833
Bd. IL S. 114.
— 252 —
thaten der Kaufleute vorzubeugen und überhaupt den Handel zu
beaufsichtigen, die Zoll-Erhebungskosten wurden dadurch ver-
ringert und der Schmuggel beschränkt. Möglich wäre jedoch,
dass die norwegischen Könige durch Concentration der Fremden
in Bergen zugleich ein Gegengewicht gegen die Hansen schaffen
wollten, welche daselbst ihr Contor hatten und wie eigene
Herren schalteten.
Als Erich in den dreissiger Jahren des 15. Jahrhunderts
mit den Hansen verfeindet war, räumte er den Engländern in
Bergen sogar dieselben Rechte wie den Hansen ein, mit der
Massgabe, dass sie nicht mehr nach Island handelten *). Diese
Concession hatte jedoch nicht den erwarteten Erfolg. Die Eng-
länder richteten nicht, wie sie versprochen, das von den Hansen
zerstörte Stapel auf, sondern mussten auch bald, namentlich
nach 1435, den Hansen wieder den Platz räumen *). Bei dem
nach allen Seiten gefestigten Uebergewicht der letzteren und
bei der Schwäche der norwegischen Regierung, welche die
Engländer nicht gegen die Hansen in Bergen schützen konnte,
war das Verlangen der englischen Kaufleute nach andern
Orten als nach Bergen handeln zu können, in Folge dessen
ebenso stark als zuvor. Es war dies besonders der Fall hin-
sichtlich Islands.
Seit Island unter die norwegische Herrschaft gekommen
war, wurde es als eiu sogenanntes Schatzland oder unmittel-
bares Kronland angesehen. Neben andern Rechten leitete
daraus der König auch das ab, über den Handel ganz nach
eigenem Gutdünken bestimmen zu dürfen. Der Handel wurde
entweder mit des Königs eigenen Schiffen und für eigene
Rechnung betrieben, oder das Recht zum Handel an einzelne
Kaufleute verkauft. Weit entfernt, dass der Fremdenverkehr
seit dem Uebergang Islands unter die norwegische Herrschaft
erschlossen worden wäre3), suchte diese ihn erst reetyt zu
binden. Es galt als grosses Verbrechen, wenn ein Fremder
ohne Erlaubniss nach Island zu kommen wagte. Das Verbot
durchzuführen, war schwierig, der Reiz, dasselbe zu umgehen, sehr
gross. Den Isländern waren die fremden Kauf leute willkommen,
weil sie von diesen im Allgemeinen bessere und billigere Waare
erhielten, wenn sie kauften, und bessere Preise erzielten, wenn
sie verkauften, als wenn Alles durch die Hände der Monopol-
inhaber ging. Die fremden Kaufleute fanden ihr Interesse
*) „— concedendo dictis Angiitis, quod ipsi ibidem gauderent in Om-
nibus et per omnia eisdem favoribus, privilegiis et praerogati vis , quibus
gaudebant ipsi de Hansa." Proclamation v. 1432. Rynfler X. S. 503.
2) v. d. Ropp, Zur deutsch-skandinavischen Geschichte des 15. Jahr
hunderte. S. 51.
s) K. Maurer, Island von seiner ersten Entdeckung bis zum Unter-
gang des Freistaates. München 1874. S. 421, 431.
— 253 —
ebenfalls befriedigt. Sie entzogen sich den Zöllen und sparten
die Ausgabe für die Licenzerwerbung *).
Keine Nation betrieb den Schleichhandel in grösserem Mass-
stabe als die Engländer. In der ersten Zeit waren es haupt-
sächlich die See- und Kaufleute von Scarborough, welche regel-
mässige Fahrten dahin unternahmen 2). Später, etwa seit 1424,
wurden solche auch von den Kaufleuten anderer Hafenplätze
wie Yarmouth, Norwich , London , Boston , insbesondere Bristol
organisirt d). Die Isländer waren Käufer fast für Alles. Tuch,
Mehl, Brod, Wein, Wachs, Gewerbsprodukte jeglicher Art
waren ihnen genehm4)-, als Gegengabe konnten sie ausser
Thran und Stockfischen den Engländern nicht viel bieten,
aber Stockfische waren in reicher Fülle vorhanden und nicht
nur in England5), sondern in ganz Europa sehr gangbar6).
Zum Theil betrieben die Engländer selbst den Fang an der
isländischen Küste.
Die norwegische Regierung hielt aber an der Stapelein-
richtung fest. Schon das finanzielle Interesse musste dazu
drängen, da die Einnahmen der Krone durch den Schleich-
handel sich minderten. Die Könige sahen sich zudem in ihrem
Bestreben von den Hansen unterstützt, als diese erkannten,
dass ihnen aus dem Stapel von Bergen nicht Schaden sondern
Vortheil erwachse7). Lübeck besonders war stets bemüht, die
Stapelgerechtigkeit in Bergen nach keiner Seite hin, auch nicht
*) Allen, De tre nordiske Rigers Historie IL S. 131 fg.
*) Sie gehn und kommen ohne Seegefahr,
Wie die von Scarborough schon der Fahrten pflogen,
Die vormals zu den kalten Küsten zogen.
Libell of Englishe Policye, üebers. v. Hertzberg Vers 803 fg.
*) — — — — — in Wahrheit treiben
Von Bristol und manch anderm Küstenort
Mit Stein und Nadel Schiffahrt sie nach dort
Seit kurzem erst; es ist das zwölfte Jahr.
A. a. O.Vers 799 fg., sieh auch Allen, De tre nordiske Rigers Historie ü.
S. 134; Finn Magnus en, Om de Engelskes Handel etc. S. 113, 114
fc; 18* fg.
4) 1440 klagt der Bischof von Island, dass es ihm an Brod, Wein,
Bier und Tuch fehle, und lässt solche Waaren von England kommen.
Rymer X. S. 762.
*) Unter Heinrich VIII. musste jedes nach Island gehende Schiff jähr-
lich eine bestimmte Zahl Fische auch an den Hof abliefern. Brewer,
Cal. IV. 2220 (1526).
*) Island giebt weitern Stoff mir nicht zum Schreiben,
Als von Stockfischen
Libell of Englishe Policye. üebers. v. Hertzberg Vers 798, 799;
sieh auch Maurer, Island S. 412 fg., 425 fg. Stockfische vertraten in Is-
land auch Geldesstelle. Finn Magnus en a. a. 0. S. 147.
') Allen, De tre nordiske Kiger Historie IL S. 133.
— 254 —
von den eigenen Schwesterstädten durchbrechen zu lassen1).
Schwer fiel auch ins Gewicht die Rücksichtslosigkeit, mit der die
Engländer den Schleichhandel nach Island trieben. „Es waren in
der Mehrzahl Leute der schlimmsten Art, ruchlose Gewaltmenschen,
denen kein Gesetz heilig war, denen ein Mord eine Kleinigkeit
und fremdes Eigenthum eine gute Prise war. Sie führten sich
auf wie Seeräuber und waren in vielen Fällen nicht viel besser.
Die isländischen Jahrbücher sind voll von Berichten über die
Gewaltsamkeiten, welche die Engländer auf dieser abgelegenen
und wehrlosen Insel ausübten. Sie plünderten und mordeten,
raubten Hornvieh und Schafe, entführten bisweilen die Ein-
wohner mit Gewalt. Bessestadt wurde im Laufe von wenigen
Jahren viermal von ihnen geplündert. Selbst wenn sie sich
den Schein des Handels zu geben versuchten, geschah das oft
in der Weise, dass sie die Einwohner zwangen, ihnen die
Waaren zu einem Preise zu verkaufen, den sie selbst ansetzten,
und der weit unter ihrem Werthe war. Auf diese Weise wurde
der Handel der Engländer auf Island oft eine wahre Plage für
die Einwohner"*).
Die englische Regierung begünstigte anfangs den Schleich-
handel. Als aber die Klagen der norwegischen Könige immer
heftiger wurden, so dass es einige Male beinahe zum offenen
Krieg kam, konnte jene nicht länger dem Andrängen wider-
stehen, zumal die eigene politische Lage oft eine bedenkliche
war. Als 1415 die norwegische Regierung von neuem zu
einer Cooperation in dieser Angelegenheit aufforderte, ging
der englische König Heinrich V., dessen Schwester Philippa
an den norwegischen König Erich vermählt war, auf die Bitte
ein und proclamirte auch seinerseits das Verbot des Han-
dels nach Island3); eine im Parlament eingereichte Gegen-
*) Es waren besonders Hamburg und Bremen, seit 1479 auch Danzig,
welche mit königl. Erlaubniss direct nach Island handelten. Lübeck brachte
die Sache auf den Hansatagen vor, ohne aber etwas auszurichten. Lübecks
Einfluss war aber gross genug, um in seinen Bestrebungen Unterstützung
bei dem norwegischen Reichsrath zu finden. 1481 missbilligte dieser die
Ertheilnng von Handelslicenzen, welche einzelne Städte erlangt hatten, und
forderte deu Hansabund selbst dazu auf, mitzuwirken, dass der un-
mittelbare Handel mit Island verhindert werde, der, wie er sich aus-
drückte, Norwegen und Lübeck gleich schädlich sei. Zwei Jahre später
wurde sogar in die Handfeste von König Hans die Bestimmune aufgenom-
men, dass die Hansastädte nicht mehr nach Island fahren dürften. Da
einzelne Städte nichts desto weniger diese Fahrt fortsetzten, kam ein neues
Verbot. Auf Lübecks Begehr und nach Berathung mit dem norwegischen
Reichsrath verbot Christian II. abermals im Jahre 1513, Bergens Hafen zu
umgehen. Allen, De tre nordiske Rigers Historie IL S. 133, 134, 225.
2) Allen, De tre nordiske Rigers Historie II. S. 135.
8) Das Verbot war zeitlich begrenzt. In demselben heißst es; „quod
nullus ligeus noster usque ad finem unius anni — ad partes insulares
regnorum Daciae et Norwegiae et praesertim ad insulam de Island piscandi
causa seu aliis causis in preiudicium regis regnorum praedictorum accedere
praesumat aliter, quam antiquitus fieri consuevit. Rymer IX. S. 322.
— 255 —
Petition der Fischer wies er zurück x). 1429 wurde die Pro-
clamation zu einem Gesetz erhoben2), 1432 die Beobachtung
des letzteren eingeschärft8), 1434 besonders den Kauf- und
Seeleuten von Chepstow bei Bristol ans Herz gelegt4), 1444
dasselbe abermals publicirt6). In den Verträgen verachtete
man in der Folgezeit darauf, ausdrücklich die stricte und aus-
nahmslose Einhaltung des Stapels von Bergen zu stipuliren;
die englischen Kauf leute, die nach Preussen fuhren, konnten fast
alle Orte in Norwegen besuchen6), aber das Verbot des islän-
dischen Verkehrs wurde in allen Tractaten ausdrücklich bei-
behalten 7), und die Strafe für Uebertretung im Laufe der Zeit
noch erhöht. Eduard IV. gestand 1465 zu, dass diejenigen,
welche, ohne einen Erlaubnissschein vom norwegischen König
zu haben, nach Island, Helgoland und Finnmarken führen, mit
dem Verlust ihrer Habe und ihres Lebens den Fehltritt büssen
sollten 8).
Demnach musste jeder Islandsfahrer zwei kostspielige Li-
cenzen erwerben, eine vom englischen König, um von der
Pariamen tsacte entbunden zu werden, und eine vom König
in Norwegen. Wir besitzen auch Beispiele dafür, dass dies
wirklich geschah9). Trotz dieser Erschwerungen trat kein
Stillstand im Verkehr Englands mit Island ein, ja der Libell
of Englishe Policye berichtet, dass 1436, also sechs Jahre nach
Erlass der Parlamentsacte und nach zweimaliger Einschärfung
derselben, soviel Schiffe nach Island gingen, dass sie nicht
genügende Rückfracht fanden10). Was man sich unter dem
„soviel" ungefähr zu denken hat, dafür mag als Beleg dienen,
dass 1419, also zu einer Zeit, wo nach dem genannten Libell
Bristol und einige andere Orte mit Island noch gar nicht
verkehrten, bei einem Sturme im Laufe von drei Stunden
an der isländischen Küste 25 englische Schiffe zu Grunde
gingen ").
s) Rot Pari. IV. S. 79.
*) Rot. Pari. IV. S. 347; 8Hen. VI. c. 2; die Kaufleute und Fischer
petitionirten um Aufhebung des Gesetzes; der König versprach sie für den
Fall, dass die schwebenden Verhandlungen mit Dänemark einen günstigen
Erfolg hätten. Rot. Pari. IV. S. 378. (1430/31).
IRymerl S. 503.
4) Nicolas, Proceedings etc. IV. S. 208; Rymer X. S. 578.
5J Rymer XI. S. 57.
«) Rymer XI. S. 273.
^ Rymer XL S. 267, 551; XU. S. 26, 57, 100, 119.
*) Rymer XL S. 522. Art. 3.
9) Rymer XI. S. 273, 277.
la) Doch jetzt ziehn so viel Schiffe hin : sie machten
In diesem Jahr Verlust an ihren Frachten.
Island bot nicht die Fracht, sie vollzuladen
Für ihre Häfen, und sie litten Schaden.
Hertzhergs Uebersetzung. Vers 806 fg.
!1) Allen, De tre noraiake Rigers Historie H. S. 134.
— 256 —
Die englischen Könige liessen wohl auch sehr bald trotz
aller offiziellen Zusicherungen wieder eine mildere Praxis
walten. Sie scheinen wenigstens die Ertheilung ihrer Licenz
nicht von dem Nachweis abhängig gemacht zu haben, dass der
norwegische König vorerst seine Erlaubniss gegeben1); das
hatte zur Folge, dass die Einholung der letzteren häufig unter-
blieb. Richard III. bot sogar den Islandfahrern den Schutz
der königl. Schiffe an und hielt nur darauf, dass seine Licenz
gekauft wurde2). Wenn im Uebrigen die Fahrt wirklich ge-
lang und ohne Zwischenfall ausgeführt wurde, so war es ihm
wohl gleichgültig, ob die norwegische Regierung ihre Einwilligung
gegeben hatte. Erfreulich war ein solcher Zustand nicht. Nur
zu leicht konnten Verwicklungen daraus entstehen. Ziel der
englischen Regierung musste sein, den Verkehr mit Island
und die Fischerei in dem umgebenden Meere zu öffnen.
Heinrich VII., der dem englischen Handel so vielfach
neue Grundlagen gab, fasste frühzeitig auch die Neuregelung
der Handelsbeziehungen zu Dänemark ins Auge. Die nationale
Regung im Innern der hartbedrängten und sehr zerklüfteten
skandinavischen Reiche kam ihm als ein günstiges Moment
entgegen. Bereits 1481 hatten die Reichsräthe aller drei Reiche
verlangt, dass in Zukunft den Kaufleuten von allen Ländern
erlaubt sein sollte, nach Bergen oder einem andern Orte des
Reichs gegen den üblichen Zoll Handel zu treiben, und dass
der König ohne ihre Zustimmung weder die Privilegien aus-
ländischer Kaufleute bestätigen noch neue zugestehen möge.
Mehr denn früher suchte sich dem entsprechend das dänische
Königshaus von der Vormundschaft und dem Joch der Hansen
zu emancipiren, und naturgemäss musste sein Blick sich auf
die Westmächte, namentlich auf Schottland und das sichtlich
erstarkende England richten. |
Als 1488 Heinrich VII. bei Johann über die Bedrückungen,
welche die Deutschen in Bergen sich gegen die Engländer er-
laubten, ernstliche Klage führen Hess, war es nicht zu verwun-
dern, wenn dieser ein sehr williges Gehör geschenkt wurde,
und mit Freuden ging man auf den Wunsch des Tudors ein,
einen neuen Handelstractat zu schliessen. Die günstige Stim-
mung benützend, betrieb Heinrich VH. mit allem Eifer die
Verhandlungen. Am 6. August 1489 war der Boden soweit
geebnet, dass der englische König dem Dr. jur. Jac. Hutton,
dem Wappenherold Thom. Benolt und zwei Lynner Kauf leuten
Joh. Beles und Thom. Carter die Vollmacht zum Abschluss
*) Rymer XII. S. 94, 180.
a) Crairdner, Letten and Papers of Richard III. and Henry VH.
Vol. IL S. 287.
— 257 -
eines Vertrages ertheilen konnte1). Diese, in der Lage, sich
auf die eben von Heinrich VII. gewährte Allianz stützen zu
können, brachten auch einen Handelsvertrag zu Stande, der
die Wünsche Heinrichs in der Hauptsache befriedigte und
geradezu einen Wendepunkt in den Handelsbeziehungen zwischen
beiden Reichen und die Grundlage für die Folgezeit bildet.
Die Artikel dieses wichtigen Tractats sind folgende 2) :
Den Engländern werden alle Privilegien und Freiheiten
zugesichert, die sie zu irgend einer Zeit im dänischen Reiche
besessen haben (Art. 3 und 25).
Der Handel nach den Inseln des Sunds, nach Seeland,
Dragor und allen andern Theilen des dänischen Reiches ist an
keine Licenz gebunden (Art. 5); auch in Island ist den Eng-
ländern der Zutritt gestattet sowohl zum Zwecke des Han-
dels als auch der^Fischerei 3), nur sollen sie von 7 zu 7 Jahren
beim König von Dänemark um Erneuerung dieses Rechtes
bitten und damit die königl. Prärogative anerkennen *) (Art. 4).
Die Engländer geniessen das Recht der meistbegünstigten
Nation in allen Gebieten des dänischen Königs (Art. 8).
Es ist ihnen ferner gestattet, zu Bergen in Norwegen, zu
Lund und Landskrona in Schonen, zu Dragor auf Seeland, zu
Loysa in Schweden oder irgendwo in Dänemark Grundbesitz zu
erwerben und darüber ganz nach Belieben zu verfügen (Art. 8).
Die Engländer dürfen unter sich Gesellschaften errichten
and Aldermänner erwählen, welche ihre Streitigkeiten schlichten,
und wer dieser Autorität sich nicht fügt, soll aller Privilegien
verlustig gehen. Hinsichtlich der Kriminalfälle stehen alle
Engländer, so lange sie im Königreiche weilen, unter dem be-
sondern Schutz des dänischen Königs (Art. 9).
*) Der Befehl, die Gesandten sollten ihre Reise so sehr als möglich
beschleunigen, zeigt, wie wichtig der gewählte Zeitpunct in den Augen
Heinrichs VII. war. Sieh den Zahlungsbefehl vom 25. Juli 1489 bei
Campbell, Materials for a history of Henry VII. Vol. IL Offenbar
bangt der Wunsch nach Beschleunigung mit den bevorstehenden Verhand-
lungen mit der Hansa zusammen. Sieh oben S. 187.
2)Rymer XII. S. 381 fg.
3) Unverständlich bleibt dem gegenüber eine Stelle bei Rafn, Anti-
qoitates Americanae sive scriptores septentrionales rerum antecolumbia-
narura in America. Ed. Societas Regia Antiquariorum Septentrionalium.
Hamiae 1837. S. 451 : „Hie (J. Cabot) in oppido Angliae Bristol commer-
cialis mandatarii munere fiinctus anno 1495 transactione cum Danorum
rege facta Bristoli mercatoribus Islandicae mercaturae partieipationem pro-
coraverat. Hujus transactionis felix successus Caboto tandem regis Anglie
Henrici VII Ini fiduciam comparavit, ut hie, Londini et Bristoli mercatorum
awrilio faltus ei procuraret naves, quibus instruetus expeditionem terras
caurum versus indagandi causa instituit." Sollte es statt 1495 vielleicht
1485 heissen müssen? — 1490 erhielten auch Amsterdam und andere hol-
ländische Städte die Erlaubniss, in Island zu handeln. Handveste der
Stadt Amsterdam 1748. S. 55.
*) Auch von dieser Verpflichtung wurden die Engländer von Friedrich IL
1-VJ5 entbanden.
S ■* a m , Engl. Handelspolitik. I. * '
— 258 —
Wegen Contracte, die ausserhalb des dänischen Reiches
geschlossen worden sind, können die englischen Kaufleute in
Dänemark nicht zur Rechenschaft gezogen werden (Art. 9).
Es ist den Engländern unbenommen, in Kopenhagen, Malraö
und Landskrona Agenten und Factoren zu bestellen, und soll
diesen sogar gestattet sein, die englischen Tücher im Detail
zu verkaufen, wofern sie nur mindestens ein Jahr lang am
betreffenden Orte verweilen und den Städten nach Sitte an-
derer Kaufleute willfahren (Art 12).
Die liberalste Zollbehandlung wird denen, die nach Däne-
mark und Norwegen kommen, versprochen (Art. 11); auch
sollen englische Schiffe, die durch Sturm in den Belt getrieben
werden, den Weg frei passiren können, nur sollen sie zu Ky-
borg dieselben Zölle zahlen, die sie zu Cronenborg hätten er-
legen müssen, wenn sie durch den Sund gefahren wären1);
entgegenstehende Gesetze haben für sie keine Geltung; die
Schiffsleute müssen aber durch Eid bekräftigen, dass ein ausser-
gewöhnlicher Anlass sie gezwungen, diesen Weg zu wählen,
auch dürfen die Schiffe Nichts ausladen (Art. 6).
Nur Beamte dänischer und norwegischer Abkunft sollen
zur Zollerhebung verwendet werden, damit möglichst alle
Privatrücksichten bei Abwickelung der Zollgeschäfte vermieden
werden (Art. 14).
Die englischen Schuldner und Uebelthäter sind nur per-
sönlich haftbar (Art. 13).
Stirbt ein Engländer in Dänemark, so darf dessen Ver-
mögen nicht confiscirt werden (Art. 10).
Bios vier Artikel finden sich im ganzen Vertrag, die auch
den Handel der Dänen berühren; der eine betrifft den freien
Verkehr (Art. 2), der andere die Caution, welche die beider-
seitigen Schiffe vor dem Auslaufen leisten müssen, auf dass sie
kein Unrecht verüben wollen (Art. 7); der dritte Punkt be-
zieht sich auf den Fall des Schiffbruchs, indem die Waaren
nicht dem Herrscher des Landes anheim fallen sollen (Art 15);
der 17. Artikel endlich trifft Vorkehrungen gegen die See-
räuber *).
Im Besitz dieser Rechte und Freiheiten konnten die Eng-
länder mit den Hansen den Kampf aufnehmen. Es dürfte
ihnen auch gelungen sein, ihren Handel in Dänemark und
Norwegen etwas zu festigen. So oft die Unionskönige mit den
deutschen Städten im Hader lagen, verstärkten die Engländer
ihre Position. Die Periode, während welcher nach dem Tode
') Der sogenannte Sandzoll ist hier gemeint, der in der Zeit von
1425—29 errichtet worden zu sein scheint D. Schäfer, Zar Frage nach
der Einführung des Sundzolls. Hans. Geschbl. 1875. S. 31 fg.
*) Art 18—25 und Art. 16 sind politischer Art und bereits im Friedens-
vertrag vom 6. Aug. 1489 (Eymer XII. S. 374) enthalten.
— 259 —
des schwedischen Regenten Sten Sture (1504) die Schweden
im Streite aber die Nachfolge von den Hansen unterstützt
wurden, war für die Engländer jedenfalls vortheilhaft; denn sie
wurden wie die übrigen Fremden für die Dauer des Zwistes
von allen Zöllen in den dänischen Häfen befreit.
Der Verkehr mit Island aber gab trotz des Vertrags noch
immer Anlass zu Klagen, allerdings weniger den Engländern,
als den Dänen. Dadurch, dass Jahrzehnte lang der Handel
nach Island nur auf ungesetzlichem Wege und in gewalt-
samer Weise möglich gewesen, wurde es schwierig, denselben in
geordnete und friedliche Bahnen hinüberzuleiten. Die Eng-
länder geberdeten sich an den schutzlosen und ausgedehnten
Küsten Islands so rücksichtslos wie zuvor. Hierin ist wohl
auch der Hauptgrund für die auffallende Erscheinung zu
suchen, dass trotz des Vertrags, welcher den Handel nach
Island freigab, Heinrich VH. sich nicht zur Zuiücknahme des
Gesetzes, welches den Handel dahin verbot, bewegen Hess.
Er verlangte nach wie vor, dass jeder Islandsfahrer von ihm
eine Licenz erwerbe 1). Mag auch die Neigung des Königs nach
Gelderwerb dabei nicht einflusslos gewesen sein, entscheidend
für die Beibehaltung des Licenzensystems war sicher, dass das-
selbe den König in den Stand setzen sollte, den Verkehr
einigermassen zu überwachen und die Ansammlung gefähr-
lichen Gesindels in Island hintanzuhalten.
Freilich zeigte die Folgezeit, dass auch dieses Mittel nicht
ausreichte. Seit 1501 tauchten die alten Leiden in immer
wachsender Menge auf2). Wiederholt, namentlich 1507 und
in den folgenden Jahren wandte sich Christian IL, der im
Namen seines Vaters die Regierung in Norwegen übernommen
hatte, an Heinrich VII., erhielt aber immer die stereotype
Antwort, er möge die Namen und den Wohnort der Schuldigen
angeben, so werde man Abhilfe schaffen 8). Das war aber eine
reine Unmöglichkeit, der dänische König konnte die Misse-
thäter nicht fassen ; wenn sie auch wiederkehrten, so lagen sie
doch das eine Jahr im Norden, das andere im Süden und
hatten nie Legitimationspapiere bei sich. Man sieht aber
daraus, dass Heinrich VH. entweder nicht abhelfen wollte,
oder, was wahrscheinlicher ist, dass die Licenzenerholung eine
mangelhafte war, und der König nicht die Namen aller der-
jenigen kannte, welche nach Island fuhren.
!) In den Bot Pat Franc. 21 Hen. VII. m. 2 des R. 0. ist eine
ganze Reihe solcher Licenzen verzeichnet Die daselbst genannten Schiffe
hatten meist einen Gehalt von je 60—120 Tonnen.
*) Gairdner, Letters and Papers of Richard III. and Henry VII. IL
8.249.
*) Allen, De tre nordiske Eigers Historie IL S. 136.
17 <
j
- 260 -
In ein neues Stadium trat diese Angelegenheit unter
Heinrich VIII. Gleich nach seinem Begierungsantritt hob er
in Uebereinstimmung mit dem Parlament die mehrerwähnte
Acte, welche den Handel nach Island verbot, auf1). Es mag
ein populärer Schritt gewesen sein, die Reihe der Gesetze
gerade mit diesem eröffnen zu lassen, es unterliegt auch kaum
einem Zweifel, dass der Verkehr und die Fischerei der Eng-
länder in Island sich sehr ausdehnte9), .aber ebenso gewiss ist,
dass die daraus entspringenden Gomplicationen immer umfang-
reicher werden mussten. Die englische Regierung scheint zu-
nächst aber diesem Moment keine Bedeutung beigelegt zu haben«
Auf die Schwäche des dänischen Reichs rechnend gewährte sie
keinerlei Abhilfe. Die Engländer setzten sich nun sogar im
Lande fest und erbauten sich ein Blockhaus. Christian II.
schickte (1510 oder 1511) Hans Rantzow als Befehlshaber nach
Island und Hess sie daraus vertreiben. Die Engländer flohen
auf ihre Schiffe, eines wurde ihnen aber genommen, ein. an-
deres in den Grund gebohrt. Das nächste Jahr erschienen
die Engländer unter Führung eines gewissen George King aus
Yarmouth in um so grösserer Zahl und fingen ein dem König
Christian H. gehöriges Schiff ab, das die vereinnahmten Zoll-
und Steuerbeträge und eine kostbare Ladung Waaren an Bord
hatte, ermordeten den Secretär des Königs und 8 — 10 Leute
von der Mannschaft Die norwegische Regierung berechnete
den Schaden, den die Engländer auf Island angerichtet
hatten, auf 10 000 j£3). Aber auch über andere Schäden und
Gewalttätigkeiten hatte Christian II. zu klagen. So hatten
die Engländer ein Schiff weggenommen und geplündert, welches
der König in Folge eines Gelübdes zu einer Pilgerfahrt nach"
St. Jago de Compostella in Spanien gesandt hatte, ebenso ein
anderes, das von dem südwestlichen Frankreich, nämlich von
Bruvasien, mit Salz, Wein und andern Waaren befrachtet kam,
und endlich ein drittes, nach Bruvasien gehendes Schiff, an
dem ausser zwei Kaufleuten von Kopenhagen die vornehmsten
Männer des Landes, wie Bischof Niels Clausen in Aarhuus,
Dr. Morten Krabbe, der königl. Hofmarschall Niels Eriksen
Rosenkrands, die Reichsräthe Predbjöm Podebusk und Mogens
Giö Eigenthumsantheil hatten, und das sie auch gemeinschaft-
lich mit Waaren hatten beladen lassen 4).
Der Anfang der Regierung Heinrichs VIH. war somit für
die englisch-skandinavischen Handelsbeziehungen nichts weniger
') 1 Hen. Vm. c. 1.
si Ein einziger Hafen in Island, Havnerjord, wurde am diese Zeit in
einem Jahre von 3—400 englischen Handels- und Seeleuten besucht Allen,
De tre nordiske Rigers Historie IL S. 184; über die Art des englischen
Verkehrs dahin vgl. 25 Hen. Vin. c. 4.
»j Allen a. a. 0. H. S. 137.
4) Allen a. a. 0. II. S. 138.
— 261 —
als günstig. Christian II. verlangte Entschädigung, hütete sich
aber in wohlverstandenem Interesse, mit England wegen der
Zögerang zu brechen. Selbst als 1513 England von den
Schotten angegriffen und Heinrich VIII. der Allianz gegen
Frankreich beigetreten war, benützte Christian IL, der nun
auch den dänischen Thron inne hatte, diese Situation nicht zur
Repressalie. Dass er grosse Verlegenheiten England hätte
bereiten können, wenn er auf Frankreichs Seite getreten wäre,
ist sicher. Dies sieht man auch daraus, dass Papst Leo X.
ihn dringend ermahnte und bat, England nicht anzugreifen1).
Dessen bedurfte es nun nicht. Christian IL wusste zu gut,
dass als etwaiger künftiger Bundesgenosse England besser als
Frankreich und Schottland war, und um die Gewinnung eines
starken politischen Freundes handelte es sich ja bei der un-
sichern Lage in Schweden und der feindlichen Gesinnung der
Hansestädte. Er war daher nur darauf bedacht, wie er unter
Benützung der gegebenen Verhältnisse sich die Stütze Englands
für die Zukunft sichern könnte. Der beste Weg hiezu war,
das englische und dänische Handelsinteresse möglichst eng zu
verknüpfen. Jede Kräftigung des dänischen2) und fremden
Handels war gleichzeitig ein Schritt, die Herrschaft der Hansen
zu brechen. Man weiss ja, wie Christian U. eben deswegen
auch Beziehungen zu Russland anknüpfte, mit den Fuggera
verhandelte, eine skandinavische Handelsgesellschaft gründete,
Kopenhagen zum Stapelplatz erhob und schliesslich durch Er-
hebung neuer Zolle und Erhöhung der alten direct in die
Privilegien der Hansen eingriff 3).
Der Situation entsprechend musste Heinrich VIII. eine
entgegenkommende Haltung einnehmen. Als Christian IL den
Thron von Dänemark bestieg (1513), Hess Heinrich VHL ihm
alsbald durch einen Herold seinen Glückwunsch überbringen
und die Erneuerung des Bündnisses vorschlagen, das ihre Väter
zu beiderseitigem Nutzen und Vortheil ihrer Reiche geschlossen
hätten4).
Christian IL erklärte sich bereit, das Bündniss zu er-
neuern und zu befestigen; er machte gleichzeitig eine Reihe
von Vorschlägen, die, wenn verwirklicht, die englisch-skandi-
navischen Handelsbeziehungen vollständig umgestaltet hätten.
Christian II. versprach, die englischen Unterthanen, welche zum
Oresund kämen, um in Helsingör oder Kopenhagen zu handeln,
von dem Zoll befreien, sowie überhaupt verschiedene Fesseln,
die auf dem Handel der Ausländer lagen, beseitigen zu wollen.
l) Allen a. a, 0. II. S. 130.
*) Ueber das aUm&lige Erstarken desselben zu Ende des 15. und Anfang
des 16. Jahrhunderts sieji Allen, a. a. 0. IV. Abth. I. S. 137, 143.
•) Allen a. a. 0. IL S. 253 fg., 269 fg.; III. Abth. I. S. 346 fg.
4) Allen a. a. 0. II. S. 130.
— 262 —
Dafür verlangte er aber folgende Gegenconcessionen. Hein-
rich VIII. sollte sich verpflichten, dass er, wenn Lübeck und die
Ostseestädte wieder den Frieden mit Dänemark brächen, auf
ihre in England befindlichen Waaren Beschlag legen und ihnen
für die Dauer des Krieges allen Handel in England verbieten
werde. Christian U. meinte, die Fürsten hätten ein gemein-
sames Interesse, gegen die republicanischen Städte zusammen-
zustehen. Selbst wenn Fürsten nicht Bundesgenossen seien —
und weit mehr dann, wenn sie es seien — , hätten sie schon
um ihres königlichen Standes und ihrer königlichen Würde
willen eine Verpflichtung, sich gegenseitig zu helfen, um diesen
plebejischen Trotz, der jetzt stärker als je sich geltend mache,
niederzuhalten. Er werde auch seinerseits jeder Zeit Hein-
rich VIII. unterstützen, wenn Adel oder Katifmannsstand sich
gegen ihn aufzulehnen wagten. Feiner sollten die Waaren
zweier Schiffe, welche er jährlich nach England zu senden
dachte, frei sein von Zoll und andern Abgaben und den
von ihm Beauftragten erlaubt werden, Tuch in der Lon-
doner Tuchhalle einzukaufen. Weiter wünschte Christian IL,
dass die dänischen Kaufleute in England mit den hansischen
auf ganz gleichen Fuss gesetzt würden, also dieselben Zoll-
vergünstigungen und Privilegien erhielten, wie die Stahlhofs-
kauf leute. Endlich um auch den Streitigkeiten auf Island vor-
zubeugen und eine von dieser Seite kommende Störung der
Freundschaft zu verhindern, schlug Christian IL vor, dass
fortan jeder englische Schiffsführer oder Händler, [der nach
Island fahre, einen lateinisch abgefassten Pass von seiner Obrig-
keit bei sich führen müsse. Ueberhaupt solle nur, wer einen
solchen vorlegen könne, als Engländer betrachtet werden and
die den Engländern zugestandenen Rechte beanspruchen
können 1).
Christian II. betraute mit den Unterhandlungen Hans Holm
und Ditlev Smither. Der erstere war Kaufmann und Schiffs-
rheder, ein Mann von reichen Erfahrungen und persönlich da-
bei interessirt, dass die Verhandlungen zu einem glücklichen
Ende geführt würden. Ditlev Smither, Brabanter von Geburt,
war Professor der Rechtswissenschaft an der Universität und
zweimal deren Rector, zugleich geistlicher hoher Würdenträger.
Wegen seiner Umsicht und seines diplomatischen Geschickes
wurde er fortwährend von Christian II. zu Sendungen in Staats-
angelegenheiten benützt *).
Bis zum Spätsommer 1514 zeigte sich Heinrich VIQ. den
dänischen Wünschen sehr geneigt. Er entschuldigte die Gewalt-
taten der englischen Kreuzer, war zum Schadensersatz bereit
und sandte John Backer nach Dänemark mit Vollmachten zum
») Allen, De tre nordiske Rigers Historie II. S. 139, 140.
*) Allen a. a. 0. H. S. 141.
— 263 —
Abschluss eines neuen Bündnisses (14. März 1514) 1). Am
17. März 1514 ratificirte er einstweilen den alten Freundschaft^
vertrag von 1489 a); ob der Handelsvertrag darin mit ein-
begriffen war, ist ungewiss. Sobald aber Heinrich VIII. mit
Frankreich Frieden geschlossen hatte und Schottland voll-
ständig niedergeworfen war, hörte auch das Entgegenkommen
auf. Er fand die Ersatzforderungen nun für übertrieben und
unbegründet, schob die Schuld auf die Amtsleute des Königs
und die Isländer, kurz suchte Ausflüchte und zog die Sache in
die Länge. Ebenso wenig wollte er sich verpflichten, den
Hansestädten im Falle eines Krieges den Handel in England
zu verbieten, und auch die zum Besten der Kaufleute vor-
geschlagenen Veränderungen in den Zollbestimmungen gefielen
ihm nicht3). So blieb zunächst Alles beim Alten.
Als Christian H. seine Hoffnungen vereitelt sah, zögerte
er nicht länger, wenigstens in Island Ordnung zu schaffen. Er
ernannte einen energischen, kühnen und schnellen Seekrieger,
den Sören Norby zum Hauptmann in Island und verlieh ihm
die ausgedehntesten Vollmachten. Um sein Interesse für
scharfe Wahrnehmung seiner Amtspflichten zu erhöhen, über-
liess ihm der König den ganzen Zoll als Theil seiner Einnahmen.
Er war verpflichtet, zwei starke Blockhäuser an den am meisten
gefährdeten Punkten, das eine auf Vestmanö, das andere auf
dem Festland in der Nähe von Kongsgaarden zu errichten.
Es scheint denn auch in der That, dass er während seines
zwei- oder dreijährigen Aufenthalts die Isländer gegen die
Gewaltsamkeiten und Erpressungen der Engländer vollständig
zu schützen vermochte4).
Als die Schweden von Christian IL abfielen, machte dieser
einen neuen Versuch, England für sich zu gewinnen. Aber
Heinrich VIII. weigerte sich nicht nur, irgend welche Hülfe
gegen die Aufständischen zu versprechen 6), sondern that auch
keinerlei Schritte, um die Handelsbeziehungen zu regeln. Im
Jahre 1518 schickte Christian II. abermals Hans Holm nach
England, um die- 1514 abgebrochenen Verhandlungen wegen
der commerciellen Fragen aufzunehmen. Es wiederholte sich
das frühere Spiel. Heinrich VIII. hielt Hans Holm mehre
Monate hin, und wartete nur auf den Ausfall der Unterhand-
lungen, die sein Kanzler Wolsey zur selben Zeit mit Frank-
reich führte. Als diese einen günstigen Ausgang nahmen, gab
*) Allen a. a. 0. IL S. 141, 142.
*) Brewer, CaL I. 4889. Allen hält die dänische Bestätigung (1515)
fcr unsicher. IL S. 143.
^ Allen a. a. 0. IL S. 142, 143.
*) Allen a. a. 0. IL S. 143, 144.
5) Heinrichs VUL Antwort vom Jahre 1516 ist abgedruckt bei Dahl-
mann, Geschichte Dänemarks III. S. 393 fg.
— 264 -
er eine ablehnende Antwort1). Christian IL wollte natürlich
in seiner Geldnoth nicht auf die Entschädigungen verzichten,
Heinrich VIII. war aber nicht geneigt; diese zu leisten, solange
Dänemark machtlos war.
Nichtsdestoweniger dürfte es politisch unklug und kurz-
sichtig gewesen sein, die Wünsche Christians II. so schlecht-
weg zurückzuweisen. England hätte bei richtiger Benutzung
der Situation die grössten Vortheile sich verschaffen können.
Der dänische König, aller Geldmittel entblösst, war damals
entschlossen, Island an eine fremde Macht zu verpfänden. Den
Hansestädten Island auszuliefern, konnte nicht Christians II.
Wunsch sein, er dachte an die nordholländischen Städte und
England. Beide hatten ja in der That den grössten Verkehr
nach Island und deshalb das nächste Interesse an seinem Be-
sitz. Amsterdam war auch geneigt, auf das Anerbieten ein-
zugehen , aber es war nicht im Stande, allein die Mittel auf-
zubringen und die Schwesterstädte konnten sich nicht einigen.
England sollte Hans Holm die Insel nur anbieten, wenn Hein-
rich VIH. die übrigen von Christian H. gemachten früheren
Vorschläge in Betreff der commerciellen Angelegenheiten ac-
ceptire. Diese Voraussetzung trat aber nicht ein. Hätte die
englische Regierung die günstige Gelegenheit wahrgenommen,
so wäre sie um 50—100000 Gulden in den Besitz der Insel
gelangt, und, soweit man das Schicksal verpfändeter Länder
kennt, Island wäre wahrscheinlich heute noch englisch, ähnlich
wie die Orkneyinseln auch *).
Abermals Versuche, an England einen Rückhalt zu ge-
winnen, machte Christian IL 1521. Er hatte persönlich mit
Wolsey, als dieser in den Niederlanden mit Kaiser Karl V.
eine Allianz gegen Frankreich abschloss, unterhandelt 3). Auch
als Christian H. 1523 seine Herrschaft verloren und Dänemark
verlassen musste, war es wieder England, auf das er seine
Blicke lenkte. Mehr als eine moralische Unterstützung aber
war Heinrich VIH. nicht geneigt zu geben. Er beschränkte
sich darauf, am 13. Juni 1523 einen Vertrag mit Christian IL
zn bestätigen, wonach alle Streitigkeiten wegen Seeräuberei,
Fischerei und Handel beigelegt und ein Einverständniss wegen
gegenseitiger Hilfeleistung erzielt werden sollten 4). Am 30. Juni
wurde der Vertrag von 1490 erneuert5) und 1524 schickte
Heinrich VIII. Gesandte nach Hamburg6), wo die Wieder-
J) Allen, De tre nordiske Rigers historie 11. S. 492, 493.
>) Allen a. a. 0. IL S.502: III. Abth. 1. S. 113.
s) State Papers I. S. 36 fg.; Allen a.a.O. III. Abth. 2. 8. 115 fg.
*) Brewer, Cal. II. 3101.
*) Rymer XIII. S. 798.
e) Rymer XIV. S. 12.
— 265 —
einsetzung Christians IL betrieben wurde1). Der letztere
scheint noch zu weiteren Goncessionen in Bezug auf den
Handel bereit gewesen zu sein, für den Fall, dass die eng-
lische Regierung ihm helfen wollte8). Heinrich VIII. ver-
weigerte aber nicht nur jeden materiellen Beistand an Schiffen
und Mannschaft, sondern wies auch die von Christian II. aber-
mals angebotene Verpfändung von Island zurück, und zwar
diesmal mit Recht, da Christian U. das Pfand zu besitzen sich
gar nicht mehr rühmen konnte8).
Der Wunsch Heinrichs VIII., Christian II. wieder auf dem
Thron zu sehen, ging nicht in Erfüllung. Friedrich I. blieb
im Besitze der Macht. Die englische Regierung gab auch
bald ihre Opposition auf und gewählte ihm die anfangs ver-
sagte4) Anerkennung6). Friedrich I. aber hütete sich, dem
englischen Handel irgend welche Schwierigkeiten in den Weg
zu legen. Hatte er auch im Anfang seiner Regierung nicht
verhindern können, dass die Hansen, denen er den Thron zu
danken, in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1528 gegen
die nichtdeutschen Kaufleute einen Ueberfall ausführten, so
erkannte er doch sein Interesse zu gut, als dass er später die
Hansen weiter hätte begünstigen sollen. Er weigerte sich
nicht nur, die Holländer vom Handel auszuschliessen , sondern
war ernstlich bemüht, auch die Engländer wieder herbei-
zuziehen. In einem Brief an Heinrich VIH. sicherte er feier-
lichst den Engländern ungestörten Handel zu6), und es ist
kein Grund, weshalb man die Aufrichtigkeit seiner Worte in
Zweifel ziehen sollte. Englands Freundschaft war bei den un-
sicheren Zuständen ebenso willkommen als werthvoll.
Nur Island hätte beinahe wieder das gute Einvernehmen
ernstlich gestört. Während der inneren Kämpfe in den skandi-
navischen Reichen konnten die Engländer auf Island ganz nach
Willkür schalten. Brutaler als je war ihr Benehmen. Sie ver-
jagten die Dänen von den ergiebigsten Fischplätzen, beraubten
und bedrängten die Einwohner und zahlten keinen Zoll.
Schliesslich verlor der dänische Gouverneur die Geduld. Die
anwesenden Bremer und Hamburger, welche ohnehin wegen
eines räuberischen Anfalls auf eines ihrer Schiffe erbost waren 7),
x) Ueber sonstige Unterstützungen des Königs von Dänemark durch
England vgl. auch Brewer, Cal. IV. 2548.
*) Brewer, Cal. III. 2773; IV. 748.
•) Allen a. a. 0. IV. Abth. 2. S. 115, 525.
4) Brewer. Cal. IV. App. 76.
B) Lord Calthorpes Ms. Vol. XL fo. 120.
•) Urk. Beil. 106. „We do permytt and suflre vour subiectes for
the aundente custome to nave free use and haunte of mercbaundise in
oar realmes and domynions, and so we doo right hartelie favor and love
theym.u Vgl. über diese Periode auch Capitel 3.
7) Brewer, Cal. IV. 4740.
— 266 —
zu Hilfe rufend, setzte er der Gewalt Gewalt entgegen, es kam
zum Kampfe, in welchem mehre Engländer ihr Leben ver-
loren.
Liess es auch der dänische König bei einer ernsten Vor-
stellung bewenden ! ), so musste sich doch ein etwas gespanntes
Verhältniss entwickeln, da in Folge der fortwährenden Un-
ruhen und Kriege in und um Dänemark, schwer zu vermeiden
war, dass auch die neutralen Engländer bei ihren Fahrten in
dem Sund Unbilden erlitten. 1535 schickten die englischen
Kaufleute, die auf der Reise nach Danzig und auf ihrer Rück-
kehr um ihr Eigenthum kamen und gefangen gehalten wurden,
einen grossen Beschwerdebrief nach London, der auch Hein-
rich VIEL veranlasste, diplomatische Verhandlungen einzuleiten2).
Christian III. , der nun den Thron inne hatte, stellte Hein-
rich VIII. nicht nur in dieser Sache zufrieden, sondern an-
erkannte auch die früheren Handelsfreiheiten der Engländer,
soweit der Kriegszustand es zuliess. Der englische Gesandte
George Everat, der an den dänischen Hof abgeschickt wurde,
erhielt nämlich die bestimmte Zusicherung , dass der freien
Fahrt der Engländer durch Sund, Skagerak und Belt, sowie
ihrem Handel nach Lübeck nichts im Wege stehe, wofern sie
kein Korn und keiner anderen Leute Güter, sondern nur die
ihrigen führen, feiner zu Elsenor, wo die Zölle zu zahlen
waren, Sicherheit geben wollten, dass sie Nichts in das kaiser-
liche Gebiet, sondern Alles nur nach England , Schottland und
Cleveland bringen würden8).
So ward der englische Handel immer bevorzugt, und es
ist sicher anzunehmen, dass derselbe, soweit Dänemark in
Betracht kam, unter Heinrich VIII. zu einer nicht unbedeu-
tenden Entwicklung gelangte4).
Nach Heinrichs VIH. Tode wurde die Freundschaft zwischen
England und Dänemark noch inniger. Als Eduard VI. den eng-
lischen Thron bestiegen, bat Christian HI. um Fortsetzung des
guten Einverständnisses und sichelte den englischen Kaufleuten
eine liberale und freundliche Behandlung zu 6). Es ist bekannt,
wie man damals sogar verschiedene Heirathsprojecte ins Auge
*) Urk. Beil. 106. Friedrich I. entschuldigt seinen Gouverneur und
bittet, den Hamburgern und Bremern ihre Beihilfe nicht entgelten zu lassen,
betont aber auch, dass er bei aller freundschaftlichen Gesinnung gegen Eng-
land Acte brutaler Unterdrückung nicht dulden könne.
*) Urk. Beil. 108.
*) State Papers DL S. 502—5. Dauernd wurden die Handels-
beziehungen wohl erst wieder 1543 geordnet, als Watson und Eduard in
Dänemark im Auftrag ihres Herrn wegen des Durchgangs durch den Sund
mit dem dänischen Könige verhandelten. Die Mission beider in dieser An-
gelegenheit ist erwähnt Br. M. Cotton Ms. Nero B. III. fo. 136.
*) 1535 waren 13 Handelsschiffe zu gleicher Zeit in Dänemark. Urk.
Beil. 10a
*) Urk. Beil. 109.
— 267 —
fasste, um die Dynastien einander näher zu bringen, und dass
die in den Zeiten der Tudors angebahnte Freundschaft zwischen
den beiden Reichen bis in unsere Tage sich erhalten hat.
Unsere bisherige Darstellung hatte immer nur Norwegen
und Dänemark zum Gegenstande. Es erübrigt, mit einigen
Worten noch Schwedens zu gedenken.
In handelspolitischer Beziehung hatte Schweden für die
Periode, deren Betrachtung wir uns zum Vorwurf gemacht
haben, ausserordentlich geringe Bedeutung. Der Handel
zwischen beiden Ländern war so schwach, dass sich kein
Vertragsverhältniss herausgebildet hatte. Im Laufe des ganzen
15. Jahrhunderts wurde derselbe noch auf Grund von Special-
licenzen geführt1). Auch dann, als Schweden aus der calmari-
schen Union sich herauslöste und zu eigener politischer Selbst-
ständigkeit gelangte, war noch einige Zeit lang kein Platz
für engere handelspolitische Beziehungen. 1536—45 war der
Haupthandel in den Händen der Lübecker; erst nach dieser
Zeit gelang es, das commercielle Joch derselben abzuschütteln,
nachdem ihr politisches schon früher beseitigt war.
1545 forderte G. Wasa die schwedischen Kaufleute auf,
Schiffe für das atlantische Meer zu befrachten und ging selbst
mit seinem Beispiel voran, indem er zwei Fahrzeuge nach
Holland und Lissabon ausschickte. Im Jahre 1548 verbot er
den Handel mit Lübeck ganz und gar, 1550 erfolgte auf sein
Betreiben eine Uebereinkunft der Städte, keinen Handel mit
Lübeck zu unterhalten. Damit war den Engländern wie an-
dern Nationen der Markt eröffnet Tegel sagt: „Nach diesem
Beschluss begannen Bürger und Kaufleute hier im Reiche ihre
Schiffahrten nach Frankreich, Spanien, England und in die
Niederlande und besuchten nicht mehr so viel wie früher die
Städte an der Ostsee, dieweil sie grossen Vortheil hatten, dass
sie westwärts ausländische Waaren von der ersten Hand kaufen
konnten, welche die in Lübeck und anderen Städten an der
Ostsee aus der dritten und vierten kaufen mussten.tt
Von da an datiren die eigentlich ersten directen Verbin-
dungen mit England. Dass der Schiffahrts- und Handels-
verkehr ein gegenseitiger und nicht, wie es nach Tegel
scheinen könnte, ausschliesslich in den Händen der Schweden
war, davon zeugt der Handelsvertrag, der zwischen Schweden
und England 1551 zum Abschluss gelangte ').
x) Vgl. die Erwirkung eines 'Schutebriefes von Heinrich VI. durch
Karl qua König von Schweden, als 1455 ein schwedisches Schiff nach Eng-
land kommen wollte, um schwedische Waaren zu verkaufen. Bymer XI.
S. 364.
*) Geyer, Geschichte Schwedens II. 8. 120 u. 121.
Fttnftes Oapitel.
England und Spanien.
A\ ir haben die handelspolitischen Beziehungen Englands
zu den nördlichen und südlichen Ländern des europäischen
Continents abgeschlossen, und es erübrigt uns nur noch, den
dazwischen liegenden Staaten Spanien, Portugal und Frank-
reich unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wir beginnen mit
Spanien.
Der Anfang eines regelmässigen Verkehrs zwischen Spanien
und England fällt wahrscheinlich in die letzte Hälfte des 12.
oder in den Beginn des 13. Jahrhunderts. Die Initiative
ging von dem entwickelteren Volke aus, und das war un-
streitig Spanien, wo die maurische Industrie in ihrer schönsten
Blüthe stand, und gleichzeitig die Catalonier namentlich die
Barcelonesen durch ihre Seetüchtigkeit, die Ausdehnung ihrer
Schifffahrt und die Grösse ihres Handels ausgezeichnet waren.
Barcelona, das gleich Venedig mit der Berberei, Aegypten und
Syrien verkehrte1), gebührt wohl auch das Verdienst, die
ersten Bande mit England geknüpft zu haben. Die Zeugnisse
aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts weisen alle darauf hin,
dass sein Verkehr nach England schon ziemlich lange bestanden
haben muss. Die Kaufleute aus Barcelona besitzen zu London
ihre eigenen Banken, 1303 werden Catalonier zu Schieds-
richtern berufen, 1303 und 1328 wird ihrer in den Privilegien-
briefen der Fremden gedacht2), 1333 von ihrer Beraubung
*) Ausser Capm|anv, Memorias historicas sobre la marina comercio
y artes de la antiqua cradad de Barcellona. Madrid 1779 — 92. 4 YoL und
H. Schäfer, Geschichte von Spanien m. S. 397 fg. ist jetzt zu vgl.
Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter L S. 359 fe., 465 fg.,
521 fg.; K. S. 35 fg., 290 fe.
*) So auch am 28.0ct. 1331, als Eduard IR die in der allg. Charte von
Eduard L gewährten Privilegien bestätigte, insoweit die spanischen Kauf-
— 269 —
durch die Engländer erzählt. Dass sie feste Niederlassungen
in mehren Häfen Englands besassen, und dass sie unter den
Wollexporteuren eine hervorragende Stellung einnahmen1),
steht ausser allem Zweifel 8).
Neben Catalonien und Aragonien war aber auch Gastilien
frühzeitig bemüht, einen Antheil am Handel nach England sich
zu sichern. Seine Lage weist ohnehin mehr nach dem Norden,
und es ist nicht unwahrscheinlich, dass, wie behauptet wird5),
die Gastilianer früher nach England als nach den mittelländi-
schen Seehäfen handelten. Entscheidend für Gastilien wurde
die Vermählung Eleonores von Castilien mit Eduard L; auf
ihre Bitten werden die „mercatores regis Hispaniae" d. h. Casti-
lianer zugelassen (1267), und damit ihnen das Land geöffnet4).
Reger musste der Verkehr zu Castilien sich gestalten, seit
England durch den Erwerb von Gascogne und Guienne gewiser-
massen sein Nachbar geworden5). Der schwarze Prinz hätte
gerne, als er in Bordeaux seine Residenz aufsehlug, Biscaya
mit seinen französischen Landein vereinigt6). Fand dieser
Plan auch keine Verwirklichung, so ward doch damals der
Grund zu einer engeren Handelsverbindung mit den Nachbar-
gebieten gelegt. In dem zunächst auf 20 Jahre geschlossenen
Vertrag vom 1. Aug. 1351 gestand man sich gegenseitige Be-
schützung der Kaufleute, freien Verkehr mit Waaren jeglicher
Herkunft, rasche Bestrafung etwaiger Uebelthäter und un-
gehinderte Fischerei zu 7).
Die Beziehungen wurden im 15. Jahrhundert eifrigst fort-
gesetzt8). Der englische König Eduard IV. war besonders auf
leate von dem städtischen Pflaster-, Mauer- und Brückengeld frei sein
sollten. Delpit, Collection'gänerale des documents Francais, qui se trouvent
en Angleterre. Paris 1847. Nr. 117. S. 61 u. 62.
s) Dies erhellt ans ihrer Ausnahmestellung in Bezug auf das Stapel
(2 Rieh. n. Stat 1. c 3 1378 etc.), sowie aus dem Gesetz , das die bare.
Municipalbehörde noch 1438 erliess, um für die feineren Manufacte die
Vermischung der guten englischen Wolle mit anderer zu verhindern
(Macpherson, Annais of Commerce I. S. 654).
*) Ueber den Verkehr der Barcelonesen nach dem Norden vgl. Gap-
many a. a. 0. HL S. 193 fg.
*) Beer, Geschichte des Handels I. S. 218.
*) Vgl den urkundlichen Beleg bei Pauli. Geschichte Englands m.
S. 845 u. Anm. 3. Wie sich Spanier, wohl Castilier. über unbilliges Wägen
in 8outhampton beschweren (1290), sieh Bot Pari. I. S. 47.
*) Vgl. Rymer ID. S. 79. 170. 894. 561; IV. S. 118. 768. 839.
9) Ranke, Engl. Gesch. I. S. 95.
Ti Rymer V. S. 717. Den Anlass zum Tractat gab ein vorangegan-
gener Zwist, der in Folge des Uebermuths der castilianischen Handelsmarine
entstanden war a. a. 0. V. S. 556 u. 679.
•) Vgl. Rymer VIII. S. 617. 1418 gewahrte Alphons von Aragonien
den englischen Kaufleuten auf 3 Jahre Geleit (Rymer IX. S. 663). Daraus
moss man schliessen, dass dieselben, jedenfaus aber von Südfrankreich
aus und zu Land, auch nach Barcelona kamen. Zur See besuchten
sie selbst gegen Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts
— 270 -
ein gutes Einvernehmen mit dem castilischen Herrscher be-
dacht und schloss am 6. August 1466 mit König Heinrich nicht
nur einen allgemeinen Freundschaftsvertrag, sondern stellte
die castilianischen Kaufleute ganz seinen eigenen Unterthanen
gleich1), wofür auch in Castilien den englischen Kaufleuten
Aehnliches gewährt wurde *). Die Bemühungen Eduards IV.,
seine Tochter Katharina dem castilianischen Thronfolger an-
zutrauen und dadurch die Handels- und Freundschaftsbande
enger zu knüpfen8), führten zu keinem Abschluss. Dies war
wohl auch der Grund, weshalb sich Eduard IV. hütete, in den
folgenden Handelsverträgen, unter denen besonders ein mit
den Bewohnern der Provinz von Guipuscoa, zum grössern
Schutz der Kauffahrer, geschlossener Tractat hervorgehoben zu
werden verdient4), diese Gleichstellung der spanischen Kauf-
leute mit den einheimischen ausdrücklich zn wiederholen5).
Hinsichtlich der Waaren, die die Grundlage des Verkehrs
zwischen England und Spanien bildeten, ist, soweit das 15. Jahr-
hundert in Betracht kommt, vor Allem auf den Libell of Eng-
lishe Policye6) zu verweisen:
Ihr, die ihr's wissen wollt, mögt jetzt erfahren,
Was aas Hispanien an brauchbaren Waaren
Zorn Handel kommt. Es sind dem Lande eigen
Rosinen, Datteln. Bastardwein and Feigen,
Sevilla-Oel, Süssholz zu bürgen Preisen,
Castü'sche weisse Seife, Wachs und Eisen7),
Barcelona so gnt wie nicht Capmany, Memorias etc. IV. S. 49 App. Nr. 8
nennt nur einen Engländer, W. Brous, der während des ganzen Zeitraums
von 1497 — 1537 im Jahre 1535 von England kommend in Barcelona einlief.
1)j,~ pertractentur et habeantur (sc mercatores Cast.) vere et sine
aliqoa actione quoad hospitationem solutionemqae consuetudinem custa-
maram et juriam quorumcumaae et caetera omnia quaecumque proinde in
omnibus et per omnia, ac si essent originarii et subditi nostri
proprii et naturales, juribus libertatibas, privilegiis et consaetadinibas
oppiais, viUis, uniTersitatibas, collegiis et societatibus quibuscumque retro-
actis temporibos concessis seu competentibus in omnibus salvis." Rymer XL
8. 569.
*) Rymer XL S. 587. 10. Sept. 1467.
») Rymer XIL 8. 110 u. 147. Vgl auch Rymer XIL S. 86. 42.
*) Rymer XIL S. 148 u. 193 (198).
*) Tnats&chlich wurde aber das froher Bewilligte gehalten. Auch
Richard UL liess keine Aenderong eintreten. Rot ParL Vi. 8. 238.
•) V. 50—58. Hertzbergs Uebersetzong.
*) Dasselbe wurde in den Gebirgsbezirken gewonnen and verarbeitet
and ging so stark nach England ab, dass zu Zeiten Heinrichs YIL der
Eisenpreis in England für den in Spanien massgebend war (vgl. den Brief
eines Lagerhalters in Tortosa an den Agenten des Diego de Soria in Lon-
don 1495 in Bergenroths GaL 1. 117). Weshalb das spanische Eisen so
hoch geschätzt wurde, darüber gibt ans der merkwürdige dem Herzog Karl
Ton Orleans zugeschriebene and zwischen 1458—1461 verfasste Dialog „Le
De~bat des heraolx d'armes de France et d'Engleterre" Aufschluss. Der
französische Herold sagt: „You have iron in England and we have abun-
dance of it in France; but the best iron that there is for shipbuilding is
the iron of Biscay of Spain, since it bends and does not easily break.
— 271 —
Korn, Wolle1), Fries, Ziegen und Lammsfell auch,
Für Laschenmacher trefflich zum Gebrauch,
Quecksilber8), Schwefel.
Ausserdem kamen, solange Barcelona mit Venedig noch
concumren konnte, von Spanien aus die bekannten orientali-
schen Waaren und Früchte nach England, später im 16. Jahr-
hundert auch amerikanische Producte. Die Bückfracht bestand
aus den oft erwähnten Stapelartikeln, namentlich aus Tuch3).
Ueber die Grösse des Verkehrs ist eine genaue Angabe
unmöglich; auch das lässt sich nicht feststellen, ob er mehr
in den Händen der Engländer oder Spanier war4). Soviel ist
aber sicher, dass gegen Anfang der dreissiger Jahre des
16. Jahrhunderts die gesammte jährliche englische Ein- und
Ausfuhr den Werth von 428 571 Ducaten nicht überstieg6).
Auch scheint der Gang der Entwicklung der Art gewesen zu
Now we dwell near Biscay and are allies of the king of Spain, so we can
procure it readily and cheaply. But for your part you cannot procure it
except by meanes of safe conduct and with great aifficulty." H. Pyne,
England and France in the fifteenth Century 1870. S. 52. Im 13. Jahr-
hundert bezog man einen Theil Eisen aus der Normandie. Le domesday
de Gippewyz bei Tr. Twiss, The black book of the admiralty II. S. 191.
x) In Betreff der spanischen Wolle verweise ich auf S. 63. Dass die
spanische Wolle im 14. Jahrhundert in England verarbeitet wurde, darüber
haben wir ein|Zeugniss an der Ordinance of the tapicers von 1331, wo ge-
sagt wird, dass man in der Gilde nur gute englische und spanische Wolle
verarbeiten dürfe. Riley, Memorials. S. 179. Sieh auch Li b er Albus
ei Riley S. 125, 423.
*) Sehr interessante und werth volle Angaben über die Ausbeutung und
den Ertrag des spanischen Quecksilbergruben sind enthalten in dem Brief
des Bon Martin de Saunas an den König von Böhmen und Ungarn vom
19. Aug. 1527. Gayangos, Cal. HL Pars II. S. 160.
*) Die Parlamentsacte 32 Hen. VIII. 14 bestimmt, dass für je 5 Tonnen
Waaren ein Pack von 15 breiten Wollentüchern frachtfrei nach Spanien
verschifft werden müsse. Im Uebrigen gewährt dieses Gesetz für die Art
der Waaren keine Ausbeute, wohl aber hinsichtlich der Haupthafen, die
von den Englandern besucht wurden.
4) Nach dem Libell of Engl. Pol. könnte es scheinen, als ob aller Ver-
kehr über Flandern gegangen wäre (Vers 59 fg.). Allein dem widersprechen
2a viele Zeugnisse. Dass namentlich die Spanier im 15. Jahrhundert nicht
blos nach Brügge, sondern auch nach Sandwich, Dartmouth, Southampton,
Fowey u. s. w. kamen, dafür vgl. nur Rymer XI. S. 671. 720. 767; ferner
die zahlreichen Licenzen bei Bergenroth, Cal. I. passim; vgl. S.272N.1.
*) Im Jahre 1545 gaben die Engländer zu Bourburg (vgl. Urk.Beil. 44)
an, dass seit 1528 ihre Schiffe und Waaren 1% Zoll zahlen müssten, was
in 7 Jahren 30 000 Ducaten betragen habe. Auf Grund dieser Angabe ist
die Zahl im Texte berechnet. Selbstverständlich darf dieselbe nur als eine
Grenzsumme angesehen werden. Aus 2 Gründen ist die Zahl zu hoch, ein-
mal weil auch die Schiffe, die aus Italien und dem Orient kamen, diesem Zoll
unterworfen worden sein sollen, sodann weil die Kaufleute in ihren Beschwer-
den regelmässig den erlittenen Schaden zu übertreiben pflegten. Einigen
Anhalt gewähren auch die erhaltenen Notizen über erlittene Beschädigungen.
So wurde der Schaden der Kauf leute von Guipuscoa für 1472 auf 5000 Kro-
nen, und von Beginn 1473 bis 28. Mai auf 6000 Kronen (1 Krone = 3 sh 4d)
geschätzt (Rymer XL S. 841). Vgl. ferner Rymer XL S. 671.
— 272 —
sein, dass der englisch - spanische Handel allmählich mehr von
den Engländern als Spaniern geführt wurde.
Heinrich VH. hatte grösseres Glück als Eduard IV. in
Bezug auf eine Verschwägerung der englischen und spanischen
Dynastie. Heinrichs und Ferdinands Geistesrichtung war eine
so ähnliche, ihre allgemeinen Ziele deckten sich so wunderbar,
die moralische Stütze, die sich beide Reiche durch einen engern
Bund gewähren konnten, war so gross, dass die beiden Mo-
narchen bereits 1489 sich über einen Allianz- und Heiraths-
vertrag zu verständigen vermochten.
Dieser Tractat enthielt auch vier auf den Handel bezüg-
liche Artikel: Die Unterthanen der contrahirenden Parteien
dürfen in den beiderseitigen Gebieten frei, d. h. ohne speciellen
Geleitsbrief verkehren l) und sollen ganz auf dem nämlichen
Fusse wie die Bürger desjenigen Landes behandelt werden, in
welchem sie sich gerade aufhalten. Die Zölle und Privilegien
sollen gelten, wie sie in Friedenszeiten vor 30 Jahren waren
(Art. 1). Alle Kaperbriefe sind zu widerrufen. Die auslaufen-
den Schiffe müssen Sicherheit bis zum doppelten Werthbetrage
des Schiffes und seiner Ladung geben. Die etwa Geschädigten
sollen aus der genannten Sicherheitssumme befriedigt werden.
Wird dies Recht verweigert, so muss der König der geschädigten
Partei zweimal Abhilfe vom andern Souverän verlangen (Art. 13).
Im Fall einem geschädigten Unterthan trotz seiner Bitte keine
Abhilfe zu Theil wird, können Kaperbriefe ausgegeben werden
(Art. 15). Verletzungen und Zuwiderhandlungen, welche ein-
zelne Unterthanen begehen, können den Vertrag nicht auf-
lösen (Art. 14) 2).
Der Kernpunkt lag in Artikel 1. Es stellte sich bald
heraus, dass er eine Falle für die Spanier war. Zuerst er-
klärte die englische Regierung, dass nur die Unterthanen der
Krone Castüien die im Vertrag gewährten Rechte zu geniessen
hätten, dann, als Ferdinand gegen diese Auslegung Protest
einlegte s), benützte Heinrich VII. die Klausel mit den 30 Jahren,
entzog den Spaniern alle Privilegien und erhöhte noch den
Zoll 4). Der König konnte nachweisen, dass vor 30 Jahren die
spanischen Kaufleute höhere Zölle zahlten5). Er hatte zudem
*) Eigentümlich muss es erscheinen, wenn gegenüber dieser Bestim-
mung so viele Licenzen und Geleitsbriefe an die spanischen Kaufleute bis
ins Jahr 1494 hinein ertheilt wurden (vgl. Bergenroth, CaL I. 50. 48.
65. 76. 84. 87. 88 u. s. w.). Entweder waren die spanischen Kaufleute sehr
misstrauisch oder Bergenroth hat wesentliche Bestimmungen der Licenzen
übersehen.
*j Bymer XII. S. 421 fg. Der Vertrag wurde erneuert 8. März 1493.
a. a. 0*517. Bergenroth, Cal. 1. 20 u. 34.
n) Ferdinand an Heinrich VII. 27. Mai 1489. Bergenroth, Cal. I. 8.37.
4) Bergenroth, Cal. I. 107.
*) Vor 30 Jahren zahlten nämlich die Spanier Fremdenzölle, seit
5 Ed. IV. (1466) aber blos die Zölle der Einheimischen.
- 273 —
die Vorsicht gebraucht, im Gegensatz zu Richard III. in der
Bewilligung der Waaren-Subsidie durch das Parlament über
die Rechte der Spanier mit Stillschweigen hinwegzugehen, so
dass er auch gesetzlich ihnen gegenüber nicht gebunden war *).
Es war vergeblich, wenn Ferdinand und Isabella bedeu-
teten, die Intention beim Abschluss des Vertrags sei nicht die
gewesen, die Zölle zu erhöhen, sondern zu erniedrigen, und sie
hätten denselben nur bestätigt, weil sie der festen Ueber-
zeugung gewesen, dass alle Auflagen während der letzten
Bürgerkriege gestiegen seien *). Ebenso fruchteten die Vor-
stellungen des Gesandten Dr. de Puebla8) nichts4). Selbst
bei der Erneuerung des Allianz- und Heirathsvertrages ver-
mochte die spanische Regierung keine Aenderung durch-
zusetzen6). Heinrich VII. behauptete rundweg, die spanischen
Kaufleute hätten überhaupt nie die von ihnen jetzt beanspruchten
Privilegien besessen, und die letzteren seien ihnen auch nicht
durch den Vertrag eingeräumt worden, welchen König Edu-
ard IV. kurz vor seinem Tode geschlossen habe6).
Als die spanische Regierung Heinrichs VH. Hartnäckig-
keit7) gewahrte, so dachte sie durch Androhung eines Retorsions-
zolls ein grösseres Entgegenkommen von Seite des Königs zu
erzwingen. De Puebla erhielt Auftrag, bei den neuen politi-
schen Verträgen in einem Separatinstrument zu stipuliren, dass
man von englischer Seite es nicht als einen Bruch der politi-
schen Freundschaft ansehen dürfe, wenn Spanien gleich hohe
Zölle für die Engländer festsetze 8).
Diese Drohung hatte wenigstens soweit Erfolg, dass Hein-
rich VIT. das Versprechen gab, alle neuen Lasten des spanischen
«)Rot Pari. VI. S. 238, 270.
s) Ferd. u. Isab. an Diego de Guevara und Dr. de Puebla. Jan. 1490.
Bergenroth, Cal. I. 41.
*) Ueber diesen sieh E. Fischer, Geschichte der auswärtigen Politik
und Diplomatie im Reformationszeitalter S. 159.
4) Bergenroth, Cal. I. 93.
8) Art 1. Rymer XII. S. 517.
€) Heinrich VÜ. an F«rd. u. Isab. 1495. Bergenroth, Cal. I. 94.
Nicht nur hier, sondern auch in einem andern Briefe (vgl. Bergenroth,
tal. I. 17) erwähnt Heinrich VII. den Vertrag Eduards IV. An letzter Stelle
bebt Heinrich VII. hervor, dass er durch die Eaufleute von Bristol Kennt-
niss von diesem 21 Edw. IV. auf 10 Jahre geschlossenen Tractat erhalten
habe. Soweit die zeitlichen Bestimmungen in Betracht kommen, könnte
der Vertrag mit den Bewohnern von Guipuscoa gemeint sein, dem wider-
spricht aber die Behauptung Heinrichs VII., durch den Vertrag Eduards IV.
seien die Engländer berechtigt, in alle Theile Spaniens Handel zu treiben
(Bergenroth, Cal. 1. 17). Man wird deshalb auf die Vermuthung geführt,
dass noch ein Vertrag zwischen Spanien und England aus dieser Zeit
existirt
*) Vgl. auch den Brief Ferdinands und Isabellas an Dr. de Puebla v.
30. Jan. 1496. Bergenroth, Cal. I. 121.
, •) Isabella an de Puebla 12. Sept. 1496. Bergenroth, Cal. I. 158.
Ferdinand und Isabella an dens. 15. Jan. 1497. a. a. 0. I. 172.
Bilanz, Ehr]. Handel spolitilc. I. lg
— 274 —
Handels entfernen und selbst noch besondere Privilegien er-
theilen zu wollen1). Merkwürdig ist die Art und Weise, wie
Heinrich VII. seinen bisherigen Widerstand zu rechtfertigen
suchte. Vor Allem kann er gar nicht begreifen, dass die Spa-
nier dieser Angelegenheit eine so grosse Bedeutung beimässen.
Die Franzosen, Vlamen, Bretonen, Portugiesen, Venetianer,
Florentiner, Genuesen, Sienesen, Luccaner und andere lombar-
dische Kaufleute führten grosse Quantitäten Waaren ein, ohne
im Mindesten über diese Zölle sich zu beklagen. Sodann was
Eduard IV. anlange, so sei richtig, dass dieser Heinrich von
Castilien ganz specielle Zugeständnisse gemacht, allein das sei
eine geheime Abmachung gewesen, und die Voraussetzung der-
selben nicht erfüllt worden. Endlich scheine es ihm, als ob
die Spanier sich die Wirkung dieser Zölle nicht vergegenwärtigt
hätten. Es sei doch klar, dass um den Betrag der Zölle und
mehr die Spanier ihre Waaren theurer verkaufen, ''die engli-
schen Artikel wie Tuch u. s. w. aber billiger einkaufen könnten.
Die Zölle würden somit, bei rechtem Licht besehen, von den
Engländern und nicht von den Spaniern bezahlt9).
Der englische Wirthschaftspolitiker fand jedoch mit dieser
Theorie der Steuerabwälzung keinen Anklang bei der spani-
schen Regierung. Bei den Verhandlungen über die Ueber-
siedlung der Infantin Katharina liess sie sich von Heinrich VII.
einen schriftlichen Attest über des Königs Versprechen aus-
stellen3), und im Vertrag vom 10. Juli 1499 wurde endlich
die Klausel wegen der 30 Jahre fallen gelassen, und der Wort-
laut des Eduardschen Tractats wieder hergestellt4). Indem
auch noch den übrigen Klagen der Spanier Rechnung getragen
wurde5), gelang es, die grosse Unzufriedenheit der spanischen
Kaufleute zu beschwichtigen.
Der Erfolg der neuen Verträge zeigte sich sofort. Die
Spanier, in der Schiffahrt den Engländern überlegen, kamen
nun so zahlreich nach England, dass die Errichtung eines Con-
') Ferdinand u. Isabella an dePuebla 28. März 1497. Bergenroth.
Cal. I. 175.
*) Heinrich VII. an Ferdinand u. Isabella 25. Juli 1497. Bergenroth,
Cal. I. 182.
s) Vgl. den Brief von de Puebla an Ferdinand u. Ißabella v. 25. Aug.
1498. Bergenroth, Cal. I. 221.
4) Art. 4. Bergenroth, Cal. I. 244 und Rymer XIL S. 744.
Arnold, Chronicle or Customs of London ed. by F. Douce, London 1811.
S. 193 enthalt einen ausführlichen Zolltarif, worin die Spanier immer den
Einheimischen gleich gestellt sind. Da eine Abfassung dieses Chronicle
unter Eduard IV. unwahrscheinlich ist, so ergibt sich, dass dieselbe in die
Zeit von 1499—1504 zu setzen ist, nicht, wie vielfach geschieht, ins Jahr
1490; seine erste Publication erfolgte, wie mit ziemlicher Sicherheit an-
genommen wird, 1504.
») Vgl. Art. 7, 8, 10 a. a. O. und Bergenroth, Cal. 1. 110, 182, 175;
auch 189, 147, 158.
— 275 —
sulats in London nöthig wurde. Ferdinand und Isabella über-
trugen es dem Gesandten de Puebla1).
Allein die spanischen Kaufleute und Schiffahrer waren noch
keineswegs zufrieden. Sehr hinderlich war ihnen die englische
Schiffahrtsacte von 1489, da sie zufolge derselben keinen Tou-
louser Waid, namentlich aber keinen Wein von Gascogne und
Guienne nach England bringen konnten. In Spanien war aber
noch mehr als in England der Flottenschutz Tradition*), und
es konnte den Schiffahrern nicht schwer fallen, die spanische
Regierung für ihre Wünsche zu gewinnen. Man erliess den
Befehl, dass bei der Ausfuhr spanischer Waaren den spanischen
Schiffen der Vorzug vor den fremden gegeben werden müsse.
Der Handel der Engländer nach Spanien war unmöglich. Der
Protest Heinrichs VII. blieb ohne Erfolg, indem ihm entgegnet
wurde, es sei geschehen mit Rücksicht auf die vielen und
schweren Abgaben, welche die spanischen Schiffe zu tragen
hätten. Uebrigens geniesse ja die nationale Schiffahrt in allen
andern Ländern das gleiche Privileg3).
Ein neuer commerciell- politischer Kampf stand bevor;
Heinrich VII. scheint sofort einen Extrazoll auf Tuch und son-
stige Waaren gelegt zu haben, welche in spanischen Schiffen
exportirt wurden4). Die Spanier aber rächten sich, indem sie
die englischen Unterthanen auf dem Meere belästigten und be-
raubten*).
Doch nahm die Sache keine weiteren Dimensionen an, da
inzwischen der Prinz von Wales Arthur gestorben war (2. April
1502), und die ebenso sehr von England als Spanien gewünschte
Neuverlobung der Princessin mit dem nunmehrigen Thronerben
Heinrich Gelegenheit zu einer gütlichen Beilegung des Streites
gab. Isabella bevollmächtigte den Herzog von Estrada, Fer-
dinand zu erklären, dass man, falls Heinrich VII. zur Verlo-
bung seine Zustimmung gebe, die englischen Schiffe vom Schiff-
fahrteedict eximiren und sie ganz ebenso, wie die eigenen
*) Juni 1500. Bergenroth, Cal. I. 273 u. 274.
*) 1420 verbot z. B. Johann n. von Castilien den Hansen, in sein
Reich zu kommen, da der Transport von und bis Brügge den eigenen Unter-
thanen vorbehalten bleiben sollte. (Anderson IIL S. 88 und Werden-
hagen II. Pars. IV. S. 509). Im Vertrag von 1448 mit Danzig wurde den Preossen
zwar der Zutritt gestattet, aber sie durften nur für den Betrag der ge-
brachten SchiffBbaumateriaUen ihre eigenen Schiffe mit Rückfracht versehen,
im franz. Rochelle gar nichts auf die eigenen Schiffe laden und mussten
sich überhaupt verpflichten, unter fremden Schiffen immer den spanischen
den Vorzug zu geben. Vgl. Art. 8, 4, 10 der Urkunde, abgedr. bei Hirsch,
Danzig S. 272—74. Vgl. femer von der Kopp, Hanserecesse, II. S.
5-7 fc.
") Isabella an de Puebla 28. März 1501. Bergenroth, Cal. I. 298.
*) Vgl. Brief Heinrichs VH. an Ferdinand, Herzog von Estrada, und
an de Puebla 10. Juli 1508. Bergenroth, Cal I. 867.
») Bergenroth, Cal. I. 377.
18*
— 276 —
behandeln wolle1). Heinrich VII. ging auf dieses Anerbieten
ein und nahm auch seinerseits die spanischen Unterthanen von
der englischen Schiffahrtsacte aus2).
Trotz dieser Gegenseitigkeit stiess in Spanien die Aus-
führung des Decrets auf grosse Schwierigkeiten. Der Rath
von Castilien geberdete sich „wie vom Teufel besessen" und
wollte um keinen Preis dulden, dass fremde Schiffahrer in An-
dalusien ihre Schiffe befrachteten. Dem königl. Erlass liess
der erwähnte Rath sofort einen Gegenbefehl folgen, und als
die Engländer im Vertrauen auf die neuen Abmachungen nach
Sevilla Tuch und andere Waaren brachten und dafür Wein
und Oel einnehmen wollten, untersagte man es und zwang 800
englische Schiffsleute, ihre Schiffe leer zurückzufahren, während
die Kaufleute einen Verlust von 20 000 Ducaten erlitten. Die
Aufregung in England war so gross und der König über ein
solches Verfahren so erbittert, dass die spanische Regierung
ungesäumt den castilischen Rath zum Vollzug des Verspro-
chenen nöthigen musste3).
Das Verfahren des castilischen Rathes erklärt sich aber
nicht blos aus dem Streben, die einheimische Schiffahrt zu
schützen; es gab eine sehr starke Partei im Lande, welche
überhaupt den Verkehr mit England für schädlich hielt und
seinen Abbruch wünschte. Keine Frage, dass seit der Ver-
treibung der Juden und Mauren (1492) die englischen Kauf-
leute in Spanien einen äusserst ergiebigen Markt vorfanden
und durch die Steigerung ihrer Einfuhr eine Reaction bei den
Spaniern erzeugten. Mit grosser Unzufriedenheit nahm man
wahr, wie die englischen Tücher die Tuchmacherei in Castilien
vernichteten 4), wie die englischen Kauflente viel Geld aus dem
Lande zogen, die Spanier aber für spanische Waaren nichts
als englische Manufacte zurückbrachten. Unmittelbar nach
Arthurs Tode setzte diese Partei am spanischen Hofe alle Hebel
in Bewegung, um den König von Aragonien zu bewogen, dass
er keinen Eingebomen des Königreichs Castilien nach England
handeln lasse5). Da dieser Plan misslang, so suchte man
J) Isabella an Ferdinand, Herzog von Estrada 11. und 12. April 1503.
Bergenroth, Cal. 1. 360.
*) 12. März 1505. Bergenroth, Cal. 407, 424 und Kymer XIIL
S. 114. Der Erlass des spanischen Decrets war am 16. November 1504 er-
folgt und am 24. November wurde das Patent an Heinrich VII. geschickt
(Bergenroth, Cal. I. 405), 407). Dieser fand auffallig, dass d»s
Document in castilianischer Sprache abgefasst, nicht auf Pergament ge-
schrieben und nicht mit einem bleiernen Siegel versehen war. (Bergen-
roth, Cal. I. 394).
*) Vgl. über diese Angelegenheit die Briefe von de Puebla an Ferdi-
nand von Spanien 11. u. 17. August Bergenroth, Cal. L 488, 439, 442.
*) „by the reson of tlie muche Yngelysche clothe hether comeyng,
that the cfothemakes nue ys lost in Castvl". Brief Stiles; sieh f. N.
5) Ueber diese Machinationen werden wir unterrichtet durch einen
Brief Stiles vom 26. April 1509, dem diese Vorgänge von dem Bischof Don
*- 277 —
«astilischerseits auf eigene Faust die Engländer zu bedrücken
und benutzte dazu die früheren Schiffehrtsdecrete.
Es war kein Gnffld gegeben, weshalb Heinrich VIII. die
commerciellen Beziehungen zu Spanien hätte ändern sollen.
Die Behandlung der Kaufleute auf dem Fusse der Einhei-
mischen wurde von ihm fortgesetzt und ihm Aehnliches spa-
nischerseits gewährt, und man konnte füglich sich gegenseitig
nicht mehr geben und nicht mehr verlangen l). Aber die Streitig-
keiten dauerten nichtsdestoweniger fort und drehten sich auch
wie früher hauptsächlich um die Schiffahrt. Zwei Fälle mögen
das illustriren.
Als der König von England und seine Unterthanen von
den im Schiffbau wohl erfahrenen Spaniern Schiffe kaufte, be-
nutzte die spanische Regierung das Vorhandensein eines alten
einheimischen Gesetzes, wonach der Verkauf eine Licenz er-
forderte, um schwere Strafen über die Verkäufer zu verhängen.
Erliess man auch hinterher diese Bussen mit Rücksicht auf
Heinrich VIII, so glaubte doch Ferdinand das Verlangen stellen
zu dürfen, dass der englische König sowohl als seine Unter-
thanen jeglichen Schiffskaufs in Spanien sich enthielten *). Der
andere Fall ging von den Engländern aus. Als die spanischen
Kauffahrer in England Waaren für den „Osten" laden wollten,
fingirten die Engländer die Existenz eines alten Statuts, wo-
nach hiezu eine besondere Licenz vom Könige erforderlich sei.
Dieser wolle, theilte der Rath mit, 6 Schiffe nach dem „Osten"
schicken, welche das Privileg hätten, zuerst soviel Waaren zu
laden, als sie könnten. Nur der Ueberschuss könne den Spa-
niern zum Export eingeräumt werden3).
Doch blieben solche Differenzen ohne nachhaltige Wirkung.
Auch die politische Kälte, die zwischen beiden Höfen eintrat,
als Ferdinand frühzeitig von dem Bündniss mit England sich
trennte, mit Ludwig von Frankreich sich aussöhnte und da-
Pedro erzählt wurden. Dieser merkwürdige Brief ist von J. Gairdner heraus-
gegeben in der Historia regis Henrici septimi a Bernardo Andrea Tholosate
conscripta AppencL €. S. 436. London 1858.
*) Vertrag zwischen Heinrich VIIL und Ferdinand 18. April 1513.
Bergenroth, CaL II. 101. Art 1. Auffallend ist, dass in den Zollcom-
puti ans der zeit Heinrichs VIII. die Gleichstellung der Spanier mit den
Einheimischen im Zoll nicht erwähnt wird.
*) Ferdinand an seinen Gesandten Diego de Quiros. 'Juli 1513. Ber-
genroth, Cal. IL 122.
3 Luis Caroz de ViUaragut, spanischer Gesandte in England, an
nan de Eztuniga, Provincial v. Aragon. 6. Dez. 1514. Bergenroth,
CaL IL 201. Dass die Engländer hier vertragswidrig handelten, da ein
solches Gesetz nicht existirte, steht ausser allem Zweifel. In dem bekannten
Patent von 1505 hiess es ausdrücklich: „ipsasque merces et mercimonia sie
onoBta ad regna sive dominia dicti Serenissimi fratris nostri seu ad alia
regna sive dominia praedieta absque impedimento ducere et transferre,
exceptiß tarnen rebus prohibitis per leges statuta et consuetudines regnorum
et dominiorum nostrorum." Rymer XHI. S. 115.
— 278 —
durch alle kriegerischen Pläne des jugendlichen Königs von
England gegen Frankreich durchkreuzte, war vorübergehend.
Am 19. October 1515 kam ein neuer Fteundschaftsvertrag zu
Stande, der den Status quo in Betreff des Handels bestätigte 1).
Bald darauf starb Ferdinand (Febr. 1516), und Karl kam nach
ihm auf den spanischen Thron. Thatsächlich wurde im Anfang die
Regierung von einem spanischen Rathe geführt, der sofort den
Stimmen des Volks in Bezug auf die englischen Kaufleute Ge-
hör schenkend einen neuen Schiffszoll erhob, namentlich auch
von solchen Schiffen, die von Italien und dem Orient kamen
und nur wegen Sturm oder aus Mangel an Lebensmitteln die
spanische Küste anliefen. Ebenso sah man es auch ganz be-
sonders auf englische Schiffe ab, wenn es sich um Dienste für
den Herrscher handelte *). Doch darf als sicher gelten , dass
Karl Y. im Jahre 1521 zu Galais, als er Englands Freundschaft
gegen Frankreich erhielt, die Privilegien der Engländer in
ihrem vollen Umfange bestätigte und wieder herstellte3).
In jenen Jahren war es den Engländern 4) auch gelungen,
in Spanien festeren Fuss als bisher zu fassen, ihrem Handel da-
hin eine bessere Organisation und einen sicheren Rückhalt zu
geben. Nicht als ob sie erst jetzt ein Gonsulat in diesen Gebiete-
theilen errichtet hätten, ein solches bestand bereits, sondern die
Festigung des Handels lag in einer Reihe von Specialprivilegien,
welche sie von Don Alonso Perez de Guzman, dem Herzog
von Medina Sidonia für seine Stadt San Lucar de Barrameda
verliehen erhielten.
1) Er giebt ihnen einen Bauplatz nächst dem Flusse und
seinem Lagerhaus behufs Errichtung einer Kirche zu
Ehren des heil. Georg5).
*) Bergenroth, Cal. II. 215, 229; Rymer XIIL S. 524.
») Brewer, Cal. IL 2788. § 17 und 19 auch § 2. Diese Beschwerde-
puncte kamen zur Erledigung auf dem in den Niederlanden tagenden Con-
gress, an dem Knight und Thom. More sich betheiligten. Sieh oben S. 49. 50.
*) Der bezügliche Artikel des Vertrags v. 13. Februar 1516 (Rymer
XIII. S. 583) und der gleichlautende Artikel im Vertrag vom 18. Juli 1519
(Br. M. Harl. Ms. 86. fol. 19) sind nicht mehr so bestimmt und klar nament-
lich in Betreff der Zölle, wie die froheren Vertrage. 1521 regten deshalb
die englischen Kauf leute die Frage ihrer Privilegien an, und der König befahl
Wolsey, bei dem kaiserlichen Kanzler dahin zu wirken, dass der Kaiser
den Engländern dieselben Privilegien in 8panien gewahre, als sein Vor-
ganger Taut des von dem Londoner Burgermeister überschickten Schriftstücks
zugestanden habe. Pace an Wolsey 81. Oct 1521. State Papers VoL L
S. 81.
*) An dem spanischen Handel betheiligten sich hauptsächlich die Bris-
toler. Nach einem Portbook (Mem. of the Q. R. of Exch. Bdle. 198. J. P.
R. 2202) im Public Record Office gingen im Jahre 4—5 Hen. VIII von
Spanien nach Bristol 12 und von Bristol nach Spanien 8 Schiffe. Unter den
in Spanien handelnden Bristolern waren die Thornes sehr thatig.
*) DaBS diese Kirche gebaut wurde, geht hervor aus Brewer, Cal.
IV. 6654.
— 279 —
2) Wenn die Zöllner von Sevilla, Cadix und Xeres die eng-
lischen Kauf leute misshandeln sollten, weil sie -ihre Waaren
nach San Lucar bringen, so will der Herzog alle daraus
erwachsenden Processkosten und Schäden tragen.
3) Er verspricht die Beibehaltung der bisherigen Zölle und
erklärt sich jederzeit bereit, etwaige Zweifel durch Ver-
ordnungen und schriftliche Tarife zu beseitigen
4) Die Richter sollen fortan in Schuldklagen sofort die Ur-
theile fällen und vollstrecken lassen.
5) Die englischen Kauf leute können von den Weinverkäufern
Bescheinigungen der Steuererheber verlangen zum Be-
weis, dass diese dem Herzog nichts schulden; im Besitz
eines solchen Scheines können sie Beschlagnahmungen
ihrer Ladung von Seite der Steuererheber für die Schul-
den der Weinverkäufer zurückweisen.
6) Zum Verladen ihrer Waaren können sie sich jedes Kahns
in der Stadt bedienen, sind also an keine bestimmte
Reihenfolge gebunden.
7) Gäste der englischen Kaufleute dürfen während ihrer
Abwesenheit für- diese kaufen und verkaufen, ohne als
Makler besteuert zu werden, wofern sie nur keine Makler-
gebühr erheben.
8) Die Engländer stehen unter dem besonderen Schutz des
Herzogs und dürfen in keiner Weise belästigt werden.
9) Die Engländer dürfen Waffen tragen bei Tag und bei
Nacht. Jeder Excess soll von den Stadtrichtern in Ge-
meinschaft mit dem Gouverneur und Rath der Engländer
verhandelt werden.
10) Das Haus des englischen Gouverneurs und acht andere
von ihm bezeichnete Häuser brauchen Nichtengländer
nicht zu beherbergen.
11) Civilfälle, welche die Engländer betreffen, sollen von dem
Gouverneur und Rath der englischen Kaufleute abgeur-
teilt werden. In Criminalftllen dürfen die Richter
keinen Engländer ins Gefängniss setzen, ohne den Gou-
verneur und Rath der englischen Kaufleute vorher be-
nachrichtigt zu haben.
12) Sie können ihre Waaren ein- und ausladen zwischen dem
Kloster S. Dominic bis zu der Alacaseria.
13) Sie dürfen im Keller alle Weine lagern, welche nach der
Beladung ihrer Schiffe übrig geblieben sind *).
Durch diese grossen Freiheiten und Rechte war San Lucar de
Barrameda zu einem wahren Asyl für die englischen Kaufleute
geworden2), und seine Bedeutung wuchs um so mehr, als im
x) 14. März J517. Brewer, Cal. IV. wo«.
') Wie die Engländer von San Lucar aus auch Tuch nach den cana-
riicben Inseln gelangen Hessen, vgl. Hakluyt, The principal navigations
a*i* IT Q Q
etc. IL S. 8.
— 280 —
übrigen Spanien den Engländern viele Schwierigkeiten in den
Weg gelegt wurden. Ganz abgesehen von den vielen Misshand-
lungen, welche erfolgten, wenn die englische und kaiserliche
Politik verschiedene Wege ging, schmälerte man die englischen
Freiheiten, wann man konnte.
So erhob man seit 1528 in Andalusien 1 Procent von allen
englischen Schiffen und Waaren zum Schutz und zur Erhal-
tung der indischen Flotte, und alle Bemühungen der englischen
Kaufleute, die Zurücknahme dieser Abgabe beim Kaiser zu
erwirken, blieben ohne ein wirkliches Resultat x). Ebenso wurde
in den dreissiger Jahren ein Gesetz, „prematicha" genannt,
gegen die Engländer wieder in Anwendung gebracht, wonach
die einheimischen Schiffe bei der Verfrachtung den fremden
vorgezogen werden mussten2).
Noch weniger richtete man hinsichtlich der Tuchzölle aus.
Von Rechtewegen hätten die englischen Tücher gleich den
spanischen von Zoll ganz frei sein sollen, und als der englische
Gesandte Lee auf Anregung eines spanisch^ Kaufmanns diese
Frage zur Erörterung brachte, gab der Stellvertreter des spa-
nischen Kanzler^ Almain die Berechtigung des englischen Ver-
langens mit Rücksicht auf die von Ferdinand und Isabella ge-
währten Privilegien auch zu und erklärte, dass Don Jfligo de
Mendoga bereits einen Auftrag zur Regelung dieser Frage
habe3). Wir wissen, dass die politischen Verhältnisse nicht
gestatteten, diesen funct in Gemeinschaft mit vielen andern
zu ordnen4). Besonders schwer wurde eine spanische Acte,
von den Engländern empfunden. Dieselbe war von den spani-
schen Tuchmachern durchgesetzt worden und bestimmte, dass
jedes Tuch eine gewisse Anzahl von Fäden besitzen solle. Die
Engländer behaupteten, die vom Statut vorgeschriebene Zahl
nicht zu kennen und selbst wenn sie dieselbe kannten, kein
Tuch eigens für Spanien machen lassen zu können ; allein unter
der zur Hälfte trügerischen Begründung, Spanien müsse sich
gegen das verfälschte schlechte englische Tuch schützen, wies
der Kaiser die Vorstellung der englischen Kauf leute ab *).
Nur ein Recht blieb den englischen Kaufleuten unver-
kümmert und gelangte erst in dieser Periode zu voller Gel-
tung, und das war das Consulat Heinrich VHI. bestä-
tigte dasselbe so, wie es aus der Initiative der Kauf leute
selbst hervorgegangen ") , und war gleichzeitig darauf bedacht,
") Vgl. die Verhandlungen zu Bourbourg 1545. Lrk. Beil. 44.
~ Harrys an William Castelyn in London. 2. Juli 1534.
Urk. Beil. 138.
s) Lee an Wolsey, 25. Mftrz 1527. Brewer, Cal. IV. 2987 und 3052.
4) Sieh oben S. 64, 65.
6) Hall, Chronicle S. 706 und 707. Hall legt irrthomlich dieser Acte
den Namen Premetica bei; vgl. oben.
6) Das Wahlrecht der Kaufleute blieb auch unangetastet; dieselben
konnten sich in Sevilla, Cadix, San Lucar de Barrameda oder im S. Maria-
— 281 —
dass auch Kaiser Karl V. dieses durch ein Patent anerkannte
(1530) O- 1588 wurden die Confirmationen erneuert2), und
das Consulat vermochte sich auch gegen alle Eingriffe zu
schützen 3).
Die übrigen Nachrichten über den spanischen Handel ent-
behren eines allgemeinen Interesses. Sie betreffen meist Klagen
und Verhandlungen über Gewaltacte gegen einzelne Kaufleute.
Der Grundton der spanisch - englischen Beziehungen in der
letzten Periode der Regierungszeit Heinrichs VIII. war in An-
betracht der bekannten Vorgänge in England und der streng
katholischen Richtung der Spanier ein unfreundlicher, und die
Inquisition, welche sich nicht scheute, auch die Engländer in
ihr Bereich zu ziehen, führte zwar nicht zum Abbruch des
Handels, war aber doch eine nie versiegende Quelle von Leiden
für die englischen Kaufleute4).
Wenn wir dem Gang der gegebenen Entwickelung folgen,
so tritt recht augenlällig zu Tage, welche Energie die eng-
lischen Kaufleute -gegen Ende des Mittelalters entwickelten.
Lange beherrschten die Catalonier und Gastilianer im gegen-
seitigen Wettbewerb den Handel nach und von England, Schritt
für Schritt eroberten aber die Engländer im 15. und 16. Jahr-
hundert einen grossen Antheil vom spanischen Verkehr. Dies
Streben kräftigst zu unterstützen, war der Hauptkern der Politik
der beiden ersten Tudorsr
Heinrich VH. kämpfte fast während der ganzen Regierungs-
zeit, um die von Eduard IV. bewilligte Gleichstellung der spa-
nischen Kaufleute mit den englischen rückgängig zu machen und
hafen versammeln und auf Anregung und mit Zustimmung der Kauf leute,
die in London wohnten, zweier aus Bristol und zweier aus Southampton
einen oder mehrere Rathe erwählen und wieder entfernen nach Beliehen.
Diese Rathe durften 12 alte und erfahrene Personen zu Beisitzern ernennen
und diese zusammen waren ermächtigt, Steuern zu decretiren, Verordnungen
zu machen etc. 1. Sept 1530. (Brewer, CaL IV. 6654).
l) 28. Sept 1530. Brewer, CaL IV. 6640.
*) Von Karl V. am 2. September 1538. (Br. M. Cot ton Ms. Vesp.
C VII. fo. 59b, 60 und Harfeian Ms. 36 fo. 28). Die darauffolgende
Wahl fand am 6. Dez. 1538 statt, und die Kaufleute, zum grösseren Theil
wohnhaft in Cadix, erschienen am 24. April 1539 vor einem Notar und er-
klärten, dass sie dem gewählten Consul in Allem gehorchen, auch die fest-
gestellte Abgabe von 1 % für alle ein- und ausgeführten Waaren zahlen
wollten. (Br. M. Cotton Ms. Vesp. C. VII. fo. 100.)
•) ürk. Beil. 110.
*) Vgl. die Erzählung des Tho. Perry über seine Verfolgung beiEllis,
Original letters illustrative of English history II. Ser. Vol. II. S. 139
nnd Nicolas, Acts of the Privy Council VI. S. 86; ferner den Brief Wiats
an Heinrich VIII. v. 7. Januar 1540, den Basyngs an Essex vom 15. Juni
1540 und an Lord Southampton vom 15. August 1540. State P ap ers VHI.
S. 219, 352, 426. 1545 wurden die Waaren von Rieh. Gresham und an-
deren Kaufleuten in Spanien beschlagnahmt; auch beraubten englische und
spanische Schiffahrer einander auf der See in diesem und im folgenden
Jahre. Br.M.Harl.Ms.256, fo. 15. 68. 69. 70. 182. Sieh auch obenS. 103.
— 282 —
gleichzeitig die Navigationsacte gegen die Spanier aufrecht zu
erhalten. Die nahen verwandtschaftlichen Beziehungen, die
spanischen Repressalien, sowie die ungünstige Beurtheilung des
englischen Handels durch eine grosse Zahl Spanier überhaupt,
bewogen endlich Heinrich Vn., seinen Widerstand aufzugeben.
Der König durfte dies um so unbesorgter thun, als durch die
Entdeckung und Eroberung der neuen Welt der spanischen
Schiffahrt eine neue sie hinlänglich beschäftigende Aufgabe zu-
gewiesen wurde.
Man darf als sicher annehmen, dass dieses Moment auch
die in der Zeit Heinrichs VIEL immer wieder lautbar werden-
den spanischen Stimmen für Flotten- und Indusrieschutz be-
deutend abschwächte, und dass es in Folge dessen den englischen
Kauf leuten so leicht glücken konnte, eine Handelsniederlassung
auf spanischem Boden zu gründen. Eben dieser Umstand befä-
higte zum nicht geringsten Theil die englische Regierung, die Pri-
vilegien der Engländer in der Hauptsache zu erhalten und ins-
besondere das englische Consulat zur unumwundenen Anerken-
nung zu bringen. Diese von der Macht des Inselreiches ge-
haltenen Schutzmauem vermochte weder die oftmalige zwischen
beiden Ländern ausbrechende Feindschaft noch die Inquisition
hinwegzuschwemmen. Die englischen Kaufleute blieben im
Besitz eines Marktes, der wegen der Ansammlung der aus der
neuen Welt herüberströmenden Edelmetalle und der in Spa-
nien zuerst eintretenden Preissteigerung für den Absatz der
englischen Manufacte immer vorteilhafter sich gestaltete.
Sechstes Capitel.
England und Portugal.
Portugal besass im mittelalterlichen Verkehr bei weitem
nicht die Bedeutung wie die spanischen Gebiete. Das Land
hatte mit der Armuth zu kämpfen, und die Bewohner waren
frühzeitig genöthigt, zur See, namentlich durch Fischerei sich
einen grössern Unterhaltsspielraum zu verschaffen1). Doch
hatten die Portugiesen einigen Ueberfluss an gewissen Waaren,
die zum Austausch gegen die Producte Englands sich eig-
neten. Der Verfasser des Büchleins von der englischen Staats-
klugheit sagt:
Sie führen Oel, Wachs, Feigen, Korn und Wein
Rosinen, Corduan. Honig bei uns ein,
Salz, Datteln, Felle, derlei Waaren mehr.8),
Der Verkehr zwischen beiden Ländern begann sehr früh.
1274 werden portugiesische Kaufleute erwähnt, die auf
einer Reise nach England begriffen sind, und gleichzeitig kamen
englische Händler nach Lissabon8). Der verständigen Gesetz-
*) Hierin lag auch ein Grund mit für die späteren Entdeckungen der
Portugiesen. Bereits Karl V. erkannte das, wenn er auch seiner Anschau-
ung in Folge der Umstände, unter denen sie ausgesprochen wurde, eine
ögenthumliche Wendung gab: „The very povertie of your countrey of
Portagale is suche, that of yourselfes you oe not able to live, wherefore
of necessitie you were driven to seke livyng; for landes of princes you
were not able to purchase and lande of lordes you were not able to con-
qnere. Wherefore on the sea you were compellea to seke that, which was
not found. And where you say, that you have found landes, I say those
ludet found you by shipwrekes of the sea beyng cast theron, before you
thontht of any such ground, and so sought farther for succours in necessitie,
jet they say not, that you have them wonne, but they ha?e wonne you etc.
Hall, Chronicle S. 677. Brewer, CaL III. 2735.
*)HertrbergB Uebers. Vers 182—184.
^) Schftfer, Geschichte von Portugal IL S. 308—18, gibt eine Ent-
wicklung des englisch-portugiesischen Handels bis zum 15. Jahrhundert
— 284 —
gebung des Königs von Portugal Diniz durfte wohl das Haupt-
verdienst für die Anknüpfung dieser Handelsbeziehungen zu-
fallen1).
Der einmal begonnene Verkehr wurde nicht wieder unter-
brochen8), und 1308 konnte der König von England bereits
von einer alten Freundschaft zwischen englischen und portu-
giesischen Kaufleuten sprechen8).
Die englischen Besitzungen in Südfrankreich trugen dazu
bei, das politische wie commercielle Band zwischen beiden
Reichen fester zu knüpfen. Besonders fördernd wirkte auch
die Berufung des Genuesen Manoel Peganho zum Admiral der
portugiesischen Flotte, da die nächsten Verwandten desselben
in England sehr angesehen waren und einflussreiche Aemter
bekleideten4). Dadurch war den portugiesischen Schiffen eine
gute Aufnahme in England garantirt5).
Der erste eigentliche Handelsvertrag auf Gegenseitigkeit
datirt vom Jahre 1353; er war auf 50 Jahre abgeschlossen,
enthielt jedoch nur allgemeine Zusicherungen und bezog sich
nicht auf ganz Portugal, sondern umfasste blos die beiden
Städte Lissabon und Porto6). Die fünfzig Jahre waren noch
nicht verflossen, als man 1386 einen neuen Tractat einging,
der sich auf ganz Portugal erstreckte und eine noch innigere
Feundschaft zwischen beiden Reichen bezweckte7). Diese
wurde kurz darauf durch ein Ehebündniss des portugiesischen
Königs Johann mit der Tochter des Herzogs vonLancaster vom
*) Vgl. Schäfer a. a. 0. I. S. 807—17 über die Staatsverwaltung
des Diniz.
*) Rymer II. S. 627. 691. Ueber das1 Benehmen der Londoner gegen
die Portugiesen vgl. jedoch Lib. Alb. ed Riley S. 720; sieh auch S. 540,
541, 628.
*) „De foedere unionis et amoris, quod inter vestros et nostros merc&-
tores hactenus extitit". Rymer III. S. 107. Daselbst wird den portugie-
sischen Kautleuten die Erlaubniss zum Handel ertheilt.
*) Rymer IIL S. 676 und IV. S. 524.
*) Rymer IV. S. 517, 769; V. S. 372, 402, 740, 756.
e) Die Artikel lauten: 1) Gutes Einverstandniss und Bündnisa soll
auf 50 Jahre bestehen. 2) Keine Partei soll der andern irgend weichin
Schaden zufügen oder eine Allianz zum Schaden der , andern eingehen. 3)
Gegenseitig freier Verkehr mit jeglichen Waaren. Alle Zwistigkeiten sollen
abgethan sein, und geschieht ein Unrecht, so soll es von den Regenten
oder „Grauntz" wieder gut gemacht werden. Die geschadigte Partei muss
für die Verfolgung der Klage ihre Auslagen ersetzt erhalten, und ist Nichts
vorhanden, so soll der Uebelthater mit seiner Person büssen. 4) Einzelne
Verletzungen haben keinen Vertragsbruch zur Folge. 5) Bei Eroberung
einer Stadt oder Wegnahme von Schiffen wird man die Güter dar Portu-
giesen, bezw. Englander schützen. 6) Die Bewohner von Lissabon und
Porto dürfen in den Hafen Englands und der Bretagne frei und ungehindert
Segen Zahlung der Zölle und Abgaben fischen. Rvmer V. S. 763. Wie
er Vertrag bald praktisch wurde, vgl. Rymer VI. S. 14. Neubestitigongen
erfolgten 16. Juni 1373 und 5. Juli 1380. Rymer VIL S. 15. 262.
*) 12. August 1386. Rymer VIL S. 561.
— 285 —
2. Februar 1387 besiegelt. Die Bestimmung, dass der Vertrag
bei jedem Regierungswechsel neu bestätigt werden müsse,
wurde genau erftfflt *). Sprechen schon diese Documente deut-
lich für die Existenz eines regen Verkehrs, so wird uns der-
selbe doch auch noch von anderer Seite bestätigt. In der „In-
quisition taken at Queen borow" vom Jahre 1375 sind auch die
Matrosenlöhne für die gewöhnlichsten Routen festgesetzt. Ausser
Bayonne, Bordeaux, Rochelle, Bourgneuf Bay , Irland, Calais,
Flandern, Skone (in Schottland), Newcastle-upon-Tyne, Berwick
ist nur noch Lissabon als eines der Reiseziele aufgeführt *).
Selbstverständlich konnten bei so lebhaften Handelsbe-
ziehungen die allgemeinen völkerrechtlichen Sätze, wie sie die
Verträge enthielten, den Engländern nicht genügen. Die Ver-
tragsbestimmungen waren nur der äussere Rahmen, innerhalb
dessen sie erst bestimmte positive Vortheile sich verschaffen
mussten. Das letztere war aber um so notwendiger, als der
englische Activhandel ohne solche Stützen die Goncurrenz mit an-
dern Seefahrern und Kauf leuten noch nicht ganz bestehen konnte.
Drei Umstände kamen mit der Wende des 14. Jahrhun-
derts den Wünschen der Engländer entgegen. Einmal war
die portugiesische Regierung seit längerer Zeit bemüht, durch
verschiedene Massregeln Kaufleute aus den blühendsten See-
städten nach Portugal zu ziehen, den Verkehr und damit die
Zolleinnahme zu steigen! 3). Sodann waren die beiden Dy-
nastien verschwägert, insofern der König von Portugal eine
Schwester Heinrichs IV, Philippa, zur Gemahlin hatte. Endlich
zeigte sich England immer bereit, Portugal gegen seine Feinde
zu schützen und hatte sich ihm besonders in dem Kampfe gegen
Castilien angeschlossen 4).
*) 16. Februar 1404. (Rymer VIII. S. 34); 18. Februar 1486 durch
Heinrich VI. von England. (Rymer X. S. 631); 11. September 1439 durch
König Alphons V. von Portugal und 28. Januar 1440 durch Heinrich VI.
von England. (Rymer X. 735 und 752); 11. März 1472 durch Eduard IV.
Ton England und 30. August 1472 durch Alphons von Portugal. (Rymer
XI. S. 741): 8. Februar 1482 durch Johann von Portugal und 13. Sep-
tember 1482 durch Eduard IV. von England. (Rymer XII. S. 145
und 163); 25. Juni 1484 durch Richard III. von England. (Rymer XII.
S. 228); 18. Dezember 1489 durch Heinrich VII. von England. (Rymer
XII. S. 380). In den Bestätigungen werden Eduard III. uud Heinrich IV.
faat immer erwähnt.
*) TraversTwiss, The black book of admiraltyl. 139— 143. — Ueber
den Handel der Portugiesen nach Irland sieh Rot. Pari. III. S. 86.
(137980).
*) S. Wappaeus, Untersuchungen über die geographischen Ent-
deckungen der Portugiesen unter Heinnch dem Seefahrer. Ein Beitrag zur
Geschichte des Seehandels und der Geographie im Mittelalter. Bd. I. S.
3o4fg.
4) Daher kommt es , dass England auch in den Waffenstillstand 1404
mit aufgenommen ist; vgl. besonders Walsingham, Historia Anglicana
ed. Riley 1864 II. S. 134 und 135.
— 286 -
Johann ertheilte mit Rücksicht auf diese innige Freund-
schaft den englischen Kaufleuten am 10. August 1400 das
Recht der meist begünstigten Nation und stellte sie mit den
Genuesen gleich1). Da Genua eine sehr alte Handelsmacht
war, die sich ihre Privilegien erhalten und fortgebildet hatte,
so ist der Schluss berechtigt, dass die den Engländern er-
wiesene Gunst keine geringe war. Der König hebt auch aus-
drücklich hervor, dass er den Engländern damit einen neuen
Beweis seiner Huld geben wolle, nachdem er ihnen schon vorher
Privilegien ertheilt habe.
Wir kennen nicht den ganzen Umfang dieser Freiheiten,
aber wir wissen, dass sie von jeglicher Steuer und von allen
persönlichen Diensten befreit waren, dass kein Polizeibeamter
in ihre Wohnungen eintreten durfte, es sei denn, dass die
Justizbeamten einen Uebelthäter verfolgten, der auf frischer
That ertappt worden war; dass nur der vom König ihnen spe-
ciell zugewiesene Richter sie ins Gefängniss setzen und über-
haupt Mandate gegen sie erlassen und vollstrecken durfte;
dass sie zu jeder Zeit des Tages und der Nacht Waffen tragen
und mit ihnen überall hin sich begeben konnten2).
Allein trotz dieser und ähnlicher Rechte verstummten die
Klagen der Engländer nicht. Namentlich waren sie mit den
Zollbeamten und den Bediensteten der Lagerräume gar nicht
zufrieden. Die Bestellung oder Neuernennung eines eigenen
Richters, der über alle Dinge, die das Zollhaus und Streitig-
keiten der Engländer mit den Portugiesen betrafen, entscheiden
sollte, und der ausdrücklich angewiesen war, die Engländer
soviel wie möglich zu begünstigen (1450) s), scheint nicht den
erwarteten Erfolg gehabt zu haben.
Erst im Jahre 1458 wurde vollständig das geschaffen, was
die Engländer wünschten. In einer ausführlichen Bittschrift
von 42 Artikeln hatten sie ihre Beschwerden, die meist die
Willkür der Beamten betrafen, dargelegt. Indem der König
fast all ihren Klagen Rechnung trag, bildete diese Bittschrift
mit den dazu gefügten Erlassen gewissermassen den Schluss-
punet der englischen Privilegien in Portugal. Das Document
wurde, wie dies die späteren bis gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts fortgesetzten Bestätigungen bekunden, als eine der
wesentlichsten Grundlagen und Voraussetzungen für den eng-
lischen Handel nach Portugal betrachtet4).
*) Postlethwayt, The universal dictionary of trade and commerce.
4th ed. London 1774 unter dem Artikel Treaties.
») A. a, 0.
8) A. a. 0.
*) Indem ich auf Urk. Beil. 112 verweise, begnüge ich mich, ftr
diejenigen Leser, welche des Portugiesischen nicht machtig sind, kurz einige
Puncte anzudeuten, über welche die Englander Beschwerde rührten: Die
Zollbehörden visieren in Abwesenheit der Kaufleute die Waaren und ent-
wenden dabei einen Theil derselben. Man bevorzugt bei der Zehntent-
— 287 —
Von grösster Bedeutung war es, dass die Engländer be-
reits gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts in den Besitz so
umfassender und ausgedehnter Rechte gelangt waren. Eine
grosse Wendung der handelspolitischen Stellung Portugals trat
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein. Durch die
Entdeckungen, welche die kühnen Seefahrer des kleinen Lan-
des machten, schwang Portugal sich zum ersten Handelsstaat
der Welt empor, der ebenso sehr angestaunt als beneidet
wurde 1). Der Verkehr, den die Länder des Mittelmeers bisher
inne hatten, ging jetzt in seine Hände über.
richtung andere später gekommene Kaufleute und läset die englischen oft
8—14 Tage warten. Der Hausmeister für das Waarenlager verwehrt den
Engländern den Eintritt, so dass sie nicht zu ihren Waaren kommen können,
schliesst das Thor und prügelt sie sogar. In Folge der Fahrlässigkeit
des Hausmeisters wird häufig ihnen Tuch gestohlen. Viele zum Theil an-
gesehene Leute besuchen die Bediensteten im Lagerhaus, und suchen sich
entweder im Voraus die besten Waaren aus oder ziehen die Beamten von
der Erfüllung ihrer Obliegenheiten ab. Die Bediensteten halten ihre Stun-
den nicht ein. Man hat eine Verordnung erlassen, wonach nur 4 Käufer
und 4 Verkäufer gleichzeitig im Waaronhaus sich befinden dürfen. Dies
wird benutzt, um bekannte Kaufleute zn bevorzugen, während Andere
warten müssen. Die Juden werden von den Beamten auffallig begünstigt.
I>ie Bediensteten schädigen die Kaufleute, indem sie den Käufern statt
10 Ellen auf 100 oft 15, 18 oder 20 zugeben. Sie bitten dahin zu wirken,
dass die Makler (correitores) jeden Verkauf notiren, die Waaren innerhalb
8 Tage nach dem Verkauf abgeholt und nach weiteren 8 Tagen bezahlt
werden. Oft kauft ein Angehöriger des Waarenhauses für sich Tuch, wobei
ihm der Beamte reichlich zumisst, was Raub ist. Gerichtstermine werden oft
nicht angesagt Man verlangt für den Wein zu viel Zoll, oft 1500 Reis, und
das erst im Augenblick der Abfahrt, wo man Alles zahlt, um nur nicht
aufgehalten zu werden. Man verzögert in sonstiger Weise die Abfahrt, gibt
den Dechargeschein nicht zur rechten Zeit. Die Beamten verweigern die
Annahme mancher portugiesischer Münzen. Die Kaufleute werden, wenn
sie Nachts heimkehren, oft insultirt und wie Landstreicher behandelt. Sie
verlangen eine Uferwache. Sie bitten, künftig nicht mehr für englische
Diebe Schadensersatz leisten zu müssen, werden aber hiemit abgewiesen.
Sie verlangen die Aufstellung eines von ihnen bezahlten Rechtsanwaltes.
Wenn die Kauf leute ankommen, wissen sie nicht, wer die kgl. „rendeiros"
sind, als die sich besonders die Juden geriren, diese kaufen, und wenn sie
zahlen sollen, leugnen sie ab. Die „rendeiros" suchen sich das beste Tuch
aas, 10—12 von ihnen sind die Pächter des Waarenhauses und beeinflussen
die Richter. Der Richter des Waarenhauses will den Juden zu lieb am
Samstag nicht seines Amtes walten. Die Käufer wollen sich nicht beim
Kaufe, sondern erst hinterher über die Qualität des Tuches informiren.
Tuch, über das Streit entsteht, soll vor den Richter gebracht werden. Der
Streit soll sofort geschlichtet werden. Bei den grossen Tuchmessen soll
sich der Richter selbst in die Verkaufshalle begeben. Man bittet, dass auch
im Winter die Bediensteten um 6 Uhr früh kommen, weil in den Winter-
monaten der meiste Verkehr ist. Man hält nicht, wie bestimmt ist, die
Zahlungstermine ein; 'einige zahlen 2—3 Monate nicht, der Richter aber,
im Einverständniss mit den Schuldnern, hält die klagenden Kauf leute noch
länger hin.
*) Bekannt auch Luthers Worte: Engelland sollte wohl weniger Golds
haben, wenn Deutschland ihm sein Tuch Hesse. Und der König von Por-
tugal sollt auch weniger haben, wenn wir ihm seine Würze Hessen.
Irmischer, Luthers Werke Bd. 22. S. 201.
— 288 —
Es bedarf keiner nähern Ausführung, welche Folgen aus
dieser Thatsache für den Handel der Engländer entsprangen.
Ausgestattet mit so grossen Freiheiten konnten sie jetzt, wo
Portugal das Emporium der viel begehrten indischen Producta
wurde, dem bisher schon gewinnreichen Handel bedeutend
grössere Dimensionen geben. Die Zahl der englischen Kauf-
leute in Portugal war fortwährend im Wachsen *) und nicht
selten waren ihre Geschäfte so ausgedehnt, dass sie selbst noch
portugiesische Schiffe miethen mussten *).
Dabei kamen so gut wie keine handelspolitischen Diffe-
renzen vor. Die Engländer hatten ja alle Vortheile, die sie
sich nur wünschen konnten, und in Portugal war bei den
grossen Unternehmungen in die man verwickelt war, auch nicht
im Entferntesten eine Beschränkung der Freiheiten zu fürch-
ten3). Anstandslos bestätigten die Könige von Portugal die
Privilegien der Engländer4). Aber umgekehrt wurden auch
die Portugiesen freundlich und liberal in England behandelt6),
und die Worte, mit denen der Libell of Englishe Policye den
englisch-portugiesischen Verkehr preist, kann man auch für
die Zeit der Tudors gelten lassen:
Dem Portugiesen schenken wir Vertraan;
Er lässt sich oft am Markt in England schaon.
Mit uns befreundet sind die Handelsherrn.
Und wir Englander gehn zu ihnen gern6).
Das Monopol Portugals auf den indischen Handel hätte
zwar auch England gerne beeinträchtigt. Die Theilnahme der
Engländer an den Entdeckungen hatte ja hierin ihr Haupt-
*) Als 1489 eine englische Gesandtschaft nach Lissabon kam, traf sie
Thom. Smith, Thom. Tirry, Will. Cabol, Thom. Baker und andere Kauf»
lente aas London, dazu noch eine Anzahl Bristoler, die sich vorzugsweise
mit Verladung von Zucker abgaben und theils eigene, theils fremde Schiffe
hiezu benatzten. Machados Tagebuch über die Gesandtschaft nach Spanien
und Portugal, abgedr. in der Historia regia Henrici VII. a Bern. Andrea
Tholosate conscripta ed. Gairdner S. 196.
*) Sieh auch Hakluyt, The principal navigations etc. IL S. 96.
") ürk. Beil. 112. Die eine Bestätigung unter Heinrich VIII. ist
von 1516, die andere von 1536. Die portugiesische Gesandtschaft, die
wir 1517 in England finden und deren Vertreter bei dem bekannten Auf-
stand in London fast sein Leben verlor, war wohl behufs Bestatigungder
alten Vertrage gekommen. (Rymer enthalt diese noch von Heinrich vH,
aber nicht mehr die von Heinrich VIII. Ebenso giebt Brewer in seinen
Calendars keinen Ausschluss).
*) Ich erinnere nur daran, wie damals auch die Deutschen ihre meisten
und besten Privilegien von Portugal erst erhielten. Ph. Cassel, Privflegia
und Handlungsfreiheiten, welche die Könige von Portugal ehedem den
deutschen Kaufleuten zu Lissabon ertheilet haben. Bremen 1771.
*) Zur Zeit als die Venetianer noch in England prävaürten, war dies
besonders der Fall. Als 1503 nicht weniger denn 5 portugiesische Schiffe
in der Themse mit 380 Tonnen Specereien von Calicut zum grossen Gram
der anwesenden Venetianer Galeeren lagen, war die Schadenfreude in England
sehr gross. Giustinian, Four years at the court of Henry VHI transl.
by R. Brown IL S. 76. Anm. 1.
6) Hertzbergs Uebers. Vers 128 — 1:31.
— 289 —
motiv. Direct störte jedoch dieses Streben nach einem Antheil
des Gewürzhandels keineswegs die guten Beziehungen. Der
portugiesische König forderte die Engländer auf, nach Portugal
zu kommen und sich selbst da die Gewürze zu holen, anstatt
sich dieselben von Venedig zubringen zu lassen *). Eng«
lands Wünsche gingen über bescheidene Anforderungen nicht
hinaus. 1516 bat Heinrich VIII. Manoel , dem Engländer Jo-
hannes Wallop zu gestatten, dass er unter portugiesischer Fahne
in den neuen Ländern kämpfe2). 1530 stellte Heinrich eine
ähnliche Bitte in Betreff des Kapitäns Franciscus de Matonte 3).
1541 aber benützte die englische Regierung das Nachsuchen
Portugals um eine Licenz für Getreideausfuhr4), um die For-
derung zu stellen, der König von Portugal möge als Compen-
sation einigen englischen Kaufleuten gestatten an der nächsten
Fahrt nach Calicut Theil zu nehmen und England mit Ge-
würzen zu versehen5).
Die im Vorstehenden dargelegten Handelsbeziehungen Eng-
lands zu Portugal sind abermals ein Beweis für die ener-
gische Thätigkeit, die englische Kaufleute im Beginn des 15.
Jahrhunderts entwickelten, um sowohl am Handel einen grossen
Theil sich zu sichern, als auch hier wie in Spanien eine pas-
sende Haltstelle für die ins Mittelmeer segelnden Schiffe zu
gewinnen. Indem die Engländer , von ihren Monarchen und
der traditionellen Freundschaft Englands mit Portugal kräftigst
unterstützt, in ihrem Streben Erfolg hatten, so ist auch offen-
bar, dass die Handelsherrschaft Englands in Portugal nicht
erst vom Methuenvertrag datirt. Bereits im 15. Jahrhundert
2) Dieser Aufforderung geschieht Erwähnung in einer Depesche der
venetianischen Signorie an Sanudo in Kairo vom 14. Dezember 1502.
Fulin, Archiv, venet. II. S. 184. Uebrigens brachten auch die Portugiesen
selbst Gewürze nach England; bereits 1504 erschienen 5 portugiesische
Schiffe in London mit 380 Tonnen Pfeffer. Brown, Cal. I. S. «00.
*) Eine Copie des Briefes findet sich imR. 0. unter Rymers Trans c.
Forein Countries. Portugal 154. Nr. 60.
*) A. a. Ö. Offenbar war der Zweck, dass beide genau über die Ver-
hältnisse sich unterrichten sollten.
*) 1541 ist eines der vielen Nothjahre (vgl. auch Rymer XV. S. 84),
die Portugal hatte, seit im 16. Jahrhundert durch den Zufluss der grossen
Reichthümer von Aussen im Innern Portugals eine stete Abnahme der ein-
heimischen Production eintrat, insbesondere der Boden, den frühere
Herrscher theils durch weisen Zwang hatten cultiviren lassen, verdorrte
und in Folge der mangelnden Arbeitskräfte wüste ward.
*) Nicolas, Proceedings and Ordinances of the.Privy Council. VI. 14.
October 1541. Der portugiesische Gesandte hielt die Sache für so wichtig,
dass er erst bei seinem Herren anfragen wollte. Ob die Bitte gewährt
wurde, und ob die Beraubungen und die Heimsuchung der portugiesischen
Kaufleute mit Preistaxen (Nicolas a. a. 0. VI. S. 110, 174) mit Ver-
weigerung früherer ähnlicher Wünsche der Engländer zusammenhingen, muss
unentschieden bleiben. Ueber die Schwierigkeiten, die der portugiesische
König von Anfang an machte, wenn Kaufleute an den von ihm ausgerüs-
teten Expeditionen sich betheiligen wollten, vgl. He yd, Geschichte des
Levante-Handels im Mittelalter 1879. II. S. 521 fg.
Schanz,. Engl. Handelspolitik. I. 19
/
— 290 —
gehören die Engländer zu den meistprivilegirten Nationen in
Portugal, und im 16. Jahrhundert wurde ihre Suprematie nur
noch vollendet Die schwachen industriellen Keime wurden
damals zerstört und der englischen Industrie die Thore ge-
öffnet1). Die häufige, in der Folgezeit geleistete politische
Hilfe Hess sich England mit immer grösseren Rechten be-
lohnen, und die Entwicklung der modernen Zeit war damit
vorgezeichnet.
1
*) Wie nach dem Tode Manoels die Portugiesen Alles aus dem Steg-
reif kauften, sieh Schäfer III. S. 323 fg.
Siebentes Capitel.
England und Frankreich.
Es ist bekannt, dass der französische Staat zu dem Um-
fange, den er zur Zeit der Tudors besass, aus vielen ehedem
mehr oder weniger unabhängigen Theilen zusammengewachsen
war. Diese Gebiete knüpften zur Zeit ihrer Selbständigkeit
je nach ihren natürlichen und politischen Verhältnissen mit
England sehr verschiedene Beziehungen an, die von der fran-
zösischen Regierung nicht sofort geändert werden konnten,
sondern im Zustande der Verschmelzung sich befanden, seit
diese Landestheile im französischen Reiche aufgegangen waren.
Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, nicht ganz Frank-
reich auf einmal in der bisher eingehaltenen chronologischen
Reibenfolge abzuhandeln, sondern zunächst denjenigen Theilen
der französischen Monarchie, welche ein politisches Eigenleben
oder eine besondere Entwicklung und gleichzeitig hervorragen-
den commerciellen Verkehr mit England hatten, eine gesonderte
Darstellung zu widmen und erst zuletzt diejenigen Verhältnisse
zu berühren, die ganz Frankreich betrafen. Nur in dieser
Weise dürfte es gelingen, diese eigentümlichen Beziehungen
leicht zu überblicken.
In Folge der geographischen Lage musste der Verkehr
mit dem nördlichen Frankreich der älteste sein. Schon die
um das Jahr 1000 gemachte Aufzeichnung de institutis Lon-
doniae führt unter den Kaufleuten, die in England verkehrten,
die Leute von Ponthieu, von der Normandie und dem Herzog-
thum Francien auf1). Die Herrschaft der Nonnannen in Eng-
land war geeignet, diesem Verkehr eine gewisse Ausdehnung
und Stetigkeit zu geben. Von einem eigentlichen Handelsflor
*) Lappenberg, -Stahlhof S. 4 und Urk. Nr. 1.
19 *
— 292 —
kann man jedoch erst im 13. Jahrhundert sprechen. In jener
merkwürdigen Zeit, in der der Handel allerwärts die engen
Fesseln sprengte, waren es die Städte des nordöstlichen Frank-
reichs, welche feste Beziehungen zu dem einsamen Inselreich
begründeten.
Die Erscheinung, dass gerade hier die Initiative ergriffen
wurde, kann nicht auffallen, wenn man sich erinnert, dass
diese Städte in Gultur und industrieller Entwicklung ganz auf
gleicher Stufe mit Flandern standen und hinter sich die be-
rühmten französischen Messplätze, wie Troyes, Paris, Provins,
Lagny-sur-Marne, Rheims,' Bar-sur-Aube hatten, wo Flamänder,
Italiener, Deutsche, Franzosen und sonstige Europäer sich be-
gegneten *).
Als es galt, in England einen festen Haltepunkt zu ge-
winnen, reichten sich die Städte der Picardie und Flanderns
die Hand und vereinigten sich unter dem Namen der vlämi-
schen Hansa von London*). Die meisten der französischen
Städte hatten in England noch specielle Vortheile und Frei-
heiten, über die man aber noch ganz mangelhaft unterrichtet
ist8). Die ältesten Rechte konnten wohl Amiens, Corby und
Nesle geltend machen4), deren Handelswaaren Waid, Knoblauch,
Zwiebeln, Wein, dann und wann auch Korn sie den Engländern
unentbehrlich erscheinen Hessen.
*) Vgl. namentlich Bourquelot, Etudes sur lea faires de Champagne
(Memoires präsentes pars divers savants a la l'Academie des inscriptions.
Part 2. Antiquit& de la France T. V. part. 1. 2.)
*) Folgende Städte waren hiebei betheiligt: „Bruges, Dixmude, Ypres,
Ardenbourg ou Rodenbourg, Oudenbourg, Tournai, Lille, Orchies, Farnes,
Oostbourg, Yzendyke, Ter Muiden, Damme, Thouront, Bergues, Bailleul et
Poperinghe; Gand, Douai, Chalons, Rheims, Saint -Quentin, Cambrai,
Arras, JPeronne, Huy, Couvin, Valenciennes , Saint Omer, Montreoil, Abbe-
ville, Amiens, Beauvais, A üben ton et Provins." Varenbergh, Histoire
des relations diploroatiques entre le comte* de Flandre et l'Angleterre an
moyen age. Bruxelles 1874. S. 149.
8) Sieh auch oben S. 6.
*) Dieselben reichten mindestens bis ins Jahr21287 zurück; sie wurden
von den Londonern um hohe Summ verkauft. Lib. Cust ed. Rüey, S. 64 fg.
Als in Folge der Unduldsamkeit der Londoner Bürgerschaft diese Franzosen
in viele unangenehme Zwistigkeiten verwickelt wurden, fixirte man die
Rechte derselben am 18. Juli 1884. Dieselben lauteten: 1) die Bürger von
Amiens, Corby u. Nesle dürfen ihren Waid. Knoblauch und ihre Zwiebeln
in der Stadt ausladen und aufstapein, 2) solche ebensowohl an Fremde als
an Londoner Bürger in London verkaufen, Überhaupt damit in der für sie
vorteilhaftesten Weise handeln. 8) Das Gleiche gilt für ihre übrigen
Waaren mit Ausnahme von Wein und Korn, die nur an Londoner Borger
verkauft werden dürfen. 4. Sie können Gast wirthschaft halten und ihre Ge-
nossen aufnehmen, müssen aber nach Jahresfrist London verlassen. 5) Die
Kaufleute sollen ihre alten Freiheiten gemessen, d. h. sie wählen mit den
Londonern gemeinsam die Messer und Makler für Waid. 6) Der Mayor ist
verpflichtet, sie bei Erlangung ihrer Schuldgelder zu unterstützen. 7) Es
steht ihnen das Versammlungsrecht zu. 8) Sie sind frei von Mauer- und
Pflastergeld. Lib er Albus ed. Riley I. S. 418.
— 293 —
So sehr nun auch der französische Nordosten im englisch-
französischen Handel zu Ende des 13. und Anfang des 14. Jahr-
hunderts hervorragte, so ist es doch unzweifelhaft, dass er in
der Folgezeit auch nicht im Entferntesten diesen ehemaligen
Glanz aufrecht zu erhalten im Stande war.
Der Ursachen hiefür gab es mehre. Einmal steckten sich
der Handel und die Schiffahrt im Lauf der Zeit weitere Ziele
und suchten über die nächste Nachbarschaft hinauszukommen,
sodann verödeten Mitte des 14. Jahrhunderts die Messen von
Champagne, und es verschwind, wie wir bereits wissen, die
vlämische Hansa in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts,
wodurch die französischen Städte den Bückhalt verloren, end-
lich verkümmerte die häufige Feindschaft zwischen Frankreich
und England gerade diesen Städten die gewährten Freiheiten.
So kommt es, dass diese Pioniere des französisch - englischen
Handels unter den Tudors keine handelspolitische Bolle spielen.
Ganz anders entwickelten sich die Beziehungen zu Eng-
land im Nordwesten Frankreichs, in der Bretagne, Hier liegt
ein Landestheil vor, der nicht blos wie der Nordosten in Folge
der allgemeinen und wirtschaftlichen Zustände eine gewisse
Einheit bildete, sondern wir haben es zugleich mit einem
Kleinstaat zu thun, der bis in die Zeit der Tudors hinein
seine Selbständigkeit wahrte.
Wie im Osten, so war sicherlich auch hier die Lage für
den ersten Verkehr entscheidend. Während aber dort die all-
gemeine Staatspolitik als ein Hemmniss für die gedeihliche
Weiterentwicklung sich erwies, so zeigte sie sich hier als ein
im höchsten Grade begünstigendes Element. Die Bretagne
gehörte der ganzen geographischen Configuration zufolge not-
wendig zum grossen französischen Staatsgebiete. Der Erhaltungs-
trieb zwang ihre Herrscher, dieser Naturnothwendigkeit sich
„entgegenzustemmen. Aus sich war die Bretagne zu schwach,
sie konnte der Attractionskraft des französischen Beiches nur
so lange Widerstand leisten , als ein mächtiger Freund ihr
seinen Schutz bot. Diesen suchte und fand sie naturgemäss
in England.
Aus diesem Schutzbedürfniss entwickelte sich eine poli-
tische Freundschaft heraus, die für die Bretagne fast Abhängig-
keit genannt werden konnte. Aehnlich wie in den Niederlan-
den das Zusammenhalten mit dem englischen Könige gegen
Frankreich für den Handel so bedeutsame Folgen hatte, so
war es auch in der Bretagne der Fall. Es bildete sich ins-
besondere ein Vertragsverhältniss *), das nahezu mit dem
der Niederlande sich deckte. Die mit der Bretagne ab-
») Yd. für das 15. Jahrhundert Rym er VIIL 8.542(1408); IX. S.5U
1417); XI S. 618 (1468).
— 294 —
geschlossenen Tractate kann man als Copien der niederländi-
schen Intercursus betrachten1).
Die Zahl der von der Bretagne gelieferten Artikel war
nicht gross:
Als Waaren gehn von dort und gingen ein:
Batist und Segeltuch und Salz und Wein '). .
Aber diese Producte und Manufacte waren sehr wichtig-
Für Leinen, grobes wie feines8), war die Bretagne Haupt-
bezugsort; ebenso für Salz, das an der Meeresküste daselbst
gewonnen wurde 4). Zu diesen Waaren gesellten sich zur Zeit
]) Vgl. den Tractatus de intercursu mercandisarum, der am 2. Juli
1468 zwischen Eduard IV. und Herzog Franz auf 30 Jahre abgeschlossen
und von Heinrich VII. 1486 erneuert wurde, mit dem Vorgänger des Magnus
Intercursus, dem Vertrag vom 5. Juni 1467. Rymer XII. S. 67—86.
*) Libell of Engl. Policye, Hertzbergs üebers. V. 152— 54.
1 VgL Parlamentsacte 21 Hen. VIIL c. 14 und 28 Hen. VIH. c 4.
') Das Salz wurde namentlich im Hafen Bay, dem heutigen Bourgneuf
Bay geladen; vgl. Travers Twiss, The black book of the admiralty I. S.139.
lieber die Bedeutung der Salzproduction in der Bretagne mag folgende
Notiz orientiren: „Les ventes du sei y (= ä Nantes) depassaient chaque
annee avant la Ligne le chiffire de cinq cent mille tonneaux, ce qui suppose
un mouvement de plus de deux cent mille tonneaux." Pitre Chevalier,
La Bretagne ancienne et moderne 1844. S. 498. Ausser der Bretagne
kamen für die Salzproduction auch die übrigen an der See gelegenen Pro-
vinzen in Betracht. Rochelle, sowie Brouage in Saintonge waren Haupt-
platze für den Salzhandel. Es mag gleich hier darauf hingewiesen werden,
wie selbst in den Vertragen das französische Seesalz eine Rolle spielt Dem
Tractat von 1527 (Aug.) zufolge musste Frankreich einen jährlichen Tribut an
grobem Salz im Werth von 15 000 Kronen (1 Krone =- 35 Tours'scher Schil-
linge) während der Monate Mai, Juni und Juli zu Brouage in Saintonge
geben (Dumont, Corps diplom. IV. 1. S.476. Art. 11. Brewer, Cal Iv.
3080). Es scheint, dass Franz nicht im Stande war, diesen Betrag zu
liefern. Nachdem die englische Regierung mit ihrem Vorschlafe, Frank-
reich solle England 40 Jahre lang jährlich mit 40 000 Zentner (der Zentner
=- 40 Bushel) versehen, wobei England sich mit einem Gesammtzoll von
20 d per Ztr. begnügen wollte, und das Salz zu 5 d per Bushel verkauft
werden sollte, nicht durchgedrungen war, verwandelte man die Natural-
lieferung in eine Geldlieferung (Dumont IV. 2. S. 74). — Sehr merk-
würdige Vorgänge spielten sich wegen des Salzes 1542 in Rochelle ab. Da
ihr Verlauf rar die Engländer nicht gleichgültig war. so dürfen dieselben
nicht übergangen werden. Franz, dem die grossen Einnahmen, welche die
Venetianer aus ihrem Salze zogen, nicht entgangen waren (vgl. auch Marino
Cavallis Bericht 1546 bei Tommaseo, Relations etc. I. 8.260), wollte zwar
nicht das Salzmonopol einführen, aber eine grosse Salzsteuerreform ins Leben
rufen. DieProducenten sollten 20 Sous vom Ztr. zahlen und die Steuer auf den
Preis schlagen; dadurch rechnete er auf eine bedeutend höhere Einnahme;
denn bisher war die Salzsteuer um 4000 Mark verpachtet Aber alle seine
Bemühungen, den Producenten das Einleuchtende seiner Theorie beizubringen,
scheiterten. Er drohte, er versprach Freiheiten, es war Alles vergeblich.
Wahrscheinlich fürchteten die Salzproducenten , der Salzhandel Portugals
werde den ihrigen dann überflügeln. Schliesslich wandte der König Waffen-
gewalt an, und die Zollfrage wurde dann so gelÖBt, dass die Producenten
rar 100 Ztr., die im Kgr. verkauft wurden 812 J/i Francs, für 100 Ztr., die
an Fremde abgegeben wurden, nur 121/* Francs zahlen mussten. Die ganze
Last war somit auf die Franzosen abgewälzt; England hatte sein billiges
Salz wie früher (State Papers IX. S. 236 fg.).
— 295 —
der Tudors in Folge der von Franz IL zu Vitro und Rennes
errichteten Manufacturen noch «Seidenwaaren und Tapeten1)«
Umgekehrt dienten die englischen Producte und Gewerbs-
erzeugnisse in vorzüglicher Weise den Bedürfhissen der. Bre-
tonen.
Im 15. Jahrhundert, namentlich in der zweiten Hälfte, war
der Verkehr zwischen beiden Ländern für damalige Verhält-
nisse ein blühender8); die Bretagne machte um jene Zeit
unter ihrem Herzog Franz H. in commercieller Hinsicht grosse
Fortschritte, sie dehnte ihren Handel bis in die Levante aus,
knüpfte neue Beziehungen mit Portugal (1459 und 1471), mit
den Hansastädten (1476 und 1478) und mit Spanien (1483)
an3). Sodann verlor sich auch gegen Ende des bezüglichen
Jahrhunderts der böse Ruf, in dem die Bretonen wegen ihrer
Seeräubereien standen, und der vom Verfasser des „Büchleins
der Englischen Staatsklugheitu in so grellen Farben geschil-
dert wird4).
Heinrich VH. war stark genug, um Zucht und Ordnung
im Canal zu schaffen. Nichtsdestoweniger sollte unter ihm in
den Beziehungen zur Bretagne eine völlige Wendung eintreten.
*) Pitre Chevalier a. a. 0.
*) Als 1487 ein Waffenstillstand zwischen dem Herzog von Bretagne
and England abgeschlossen wurde, gab der englische König 10 Kauf leuten
von Lentoiguer, 6 Kauf leuten von St Malo und 6 Kauf leuten von „Henbout"
in der Nahe von -Blanet" die Erlaubniss, für 1 Jahr nach England zu han-
deln (Campbell, Materials for a history of Henry VII. II. S. 150 u. 151).
Aehnlichen Licenzen begegnen wir später (5. Juli 1498. Br. M. Sloane Ms.
4618 Nr. 1 bezw. R. 0. Fr. Rot. lSHen. VII. m. 3). Wenn also in solchen
Zeiten, wo die Zahl der an dem Handel sich betheiligenden Kaufleute ab-
sichtlich beschrankt wurde, der directe Verkehr als ein nicht unbeträcht-
licher Erscheint, so darf man für normale Zeiten ihn blühend nennen.
*) Pitre Chevalier a. a. 0.
4) Wahr aber ist es: die Bretagne enthalt
Die grössten Dieb' und Räuber in der Welt
Seit Jahren schon durchkreuzen sie das Meer
Und mancher unsrer Kaufherrn büsst es schwer.
Viel Güter haben uns an diesen Küsten
Die Plündrer schon geraubt mit bösen Listen,
Die alle — von St Malo sind die meisten —
Dem eig'nen Herzog keine Lehnspflicht leisten.
So 8chäöVgen sie mit Arglist unser Land
Und falscher Frieden wird kein Krieg genannt
Sie laufen selber Englands Küsten an,
Bald hier, bald dort, mehr als ich sagen kann.
So haben Norfolk und manch andern Ort
Sie heimgesucht mit Raub und Brand und Mord,
Und Stadt um Stadt verheert die Küst' entlang,
Dass laut zum Himmel schon ihr Wehruf drang
Zu Schand' und Schmach für uns; der Tadel fallt
Auf sie, in deren Schutz die See gestellt
Je wen'ger man aus der Bretagne macht,
Je mehr hat euch St. Malo Schimpf gebracht
Hertzbergs Uebers. V. 159—177.
— 296 —
Die Bretagne war nicht mehr im Stande, der Uebermacht
Frankreichs länger zu widerstehen , 1491 verlor sie — nicht
ohne Schuld Heinrichs VII. — ihre Selbständigkeit und hörte
damit auf, ein kräftiger Stützpunkt englischer Politik auf dem
Cop^inente zu sein.
^<r Der Einfluss dieser Thatsache zeigte sich sofort.* Man
~ behandelte englischerseits die Bretonen als Franzosen. Das
bisherige Vertragsverhältniss wurde zwar nicht gelöst, allein
das Fremdenrecht und die englischen Gesetze gegen sie strenger
geübt. Allerwärts begegnete man ihnen illiberal und feind-
selig. Im Jahre 1507 kam es darüber zu diplomatischen Ver-
handlungen; nicht weniger als 18 Beschwerdepunkte brachten
die bretonischen Kaufleute vor. Darin heisst es :
Die im Vertrag den Bretonen garantirte Freiheit des
Verkehrs wird in England nicht beachtet, die Einfuhr *von
Gascogner Wein und Toulouser Waid in eigenen Schiffen nicht
gestattet, beim englischen Küsten verkehr jede erdenkliche
Schwierigkeit bereitet. Der Kauf und die Ausfuhr von Zinn,
Wolle, rohen Häuten, ungeschomen Tüchern (panni crudi)
Wollengarn, Zinnsteinen (stannum in stannifodina), Käse,
Pferden, Ochsen und anderen Thieren ist an eine Licenz ge-
bunden, die sie nur um schweres Geld erhalten können. Der
Export des Gelderlöses ist ihnen untersagt. Man verlangt von
den Kaufleuten für jede Namenseintragung einen Groschen.
Man zwingt sie, bei der Einfuhr eine Obligation auszustellen
und abermals einen Groschen zu erlegen, wodurch der Grund-
satz, dass die Zölle nur nach dem Werth der Waaren sich
w bemessen sollen, verletzt wird. Man nöthigt sie, Bürgschaften
^ zu stellen, dass sie den gesaramten Erlös der eingeführten
Waaren auf den Einkauf englischer Artikel verwenden wollen;
auch sollen sie das Königreich von demselben Hafen aus ver-
lassen, in welchem sie eingelaufen sind. Sie dürfen Waaren, die
mehren Kaufleuten gehören, nicht unter einem einzigen Namen
verzollen, wenn sie nicht die Confiscation riskiren wollen. Für
ihr Leinentuch zahlen sie 20 % mehr Zölle als die Engländer.
Flandrische Waaren und Malvasierwein sollen sie nur in eng-
lischen Schiffen importiren. Für den Ballen Waid verlangte
man früher 10 d, jetzt fordert man 15 d. Seit ungefähr
sieben Jahren zwingt man sie, für jeden Zentner Waaren
1 d Wägegeld zu entrichten. Hinsichtlich der Tücher behan-
delt man sie nicht wie die Engländer, diese zahlen 10 gr und
3 d weniger Zoll als die Bretonen. Bei gewissen Tuchsorten,
wie den Bridgewater Kersies und anderen, wurde eine höhere
Belastung theils durch Steigerung des zu Grunde gelegten Zoll-
werths, theils durch Kürzung der bisher üblichen Tuchlänge
herbeigeführt. Die Zinnzölle sind für die Bretonen um die
Hälfte höher als für die Engländer. Sie müssen bei der Aus-
fuhr einen Schein, das sogenannte „quocquet" sich verschaffen
— 297 —
und 3 Groschen dafür zahlen. Der Sucher von London er-
presst von ihnen bei jedesmaliger Ausübung seines Amtes be-
liebige Summen. Für Aufrechthaltung des Friedens müssen sie
4 Bürgen stellen, welche edler Abkunft sind und ein Einkom-
men von mindestens 100 (£ besitzen. Man lässt für Vergehen
eines einzelnen Bretonen alle haften1).
Die Engländer waren zwar im Stande, manche Beschwer-
den zu berichtigen, in den meisten Fällen mussten sie aber
doch den Hauptkern der Klage umgehen und zu nichtssagen-
den Entgegnungen ihre Zuflucht nehmen8). Aus Allem geht
hervor, dass die Bretonen aus mehr oder weniger Privilegirten
für die Engländer Fremde geworden und in Zoll- und sonstigen
Fragen alle daraus sich ergebenden Gonsequenzen zu tragen
hatten 8).
Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass unter Hein-
rich VIH. die von seinem Vater angebahnte commercielle Po-
, litik der Bretagne gegenüber fortgesetzt wurde 4).
Eine der eben geschilderten ähnliche, aber viel schärfer
ausgeprägte und auch reichere Entwickelung finden wir, wenn
wir die Gebiete des südwestlichen und südlichen Frankreichs
ins Auge fassen.
" Die Rolle, welche diese Gebietsteile, namentlich Gascogne,
Guienne und Poitou in der englischen Geschichte spielen, ist
bekannt. Calais ausgenommen, waren die genannten Provinzen
langer im Besitz der englischen Krone, als die übrigen franzö-
sischen Landestheile. Das gemeinsame administrative Band,
das durch diesen Umstand um die britische Insel und Süd-
frankreich geschlungen wurde, wäre schon allein genügend ge-
wesen, trotz der grossen Entfernung rege Beziehungen zu be-
gründen. Aber auch das commercielle Moment war für diese
von nicht geringem Belang. England besass so gut wie keinen
oder doch einen kaum geniessbaren Wein6). Im 11. Jahr-
hundert, als England noch sehr vereinsamt war, musste man
aus Mangel an Wein beim Abendmahl nicht selten zu Bier
und Wasser greifen 6). Das Weinbedürfniss der Engländer war
aber stets im Wachsen begriffen, und im 14 Jahrhundert war
l) ürk. Beil. 115.
*) Urk. Beil. 115. Die Entgegnungen der Engländer sind für viele
Handelfifragen sehr instructiv, weshalb ich nachdrücklichst auf dieselben
verweise.
*) Ob die Engländer ebenfalls Klagen gegen die Bretonen hatten,
bleibt dahin gestellt. Es scheint, als ob der Handel der letzteren nach
England bedeutender war, als der der Engländer nach der Bretagne.
4) Die Acte 24 Hen. VIII. c. 4 ist hauptsächlich gegen die Bretagne
gekehrt.
*) Nähere Angaben hierüber bei Michel, Histoire du commerce et de
la navigation ä Bordeaux sous l'administration Anglaise 2 Vols. 1867 — 70.
1. S. 34 fg. Vgl. auch Rot. Pari. I. S. 315.
*) Kiesselbach, Gang des Welthandels im Mittelalter. S. 47.
— 298 —
der Wein bereits ein ziemlich verbreitetes Getränk und nicht
blos unter „den Weisen und Greisen"1), sondern überhaupt
unter den Vornehmen und Reichen. 1350 gingen von Bordeaux
141 Schiffe mit 13429 Tonnen Wein nach London8). Der süd-
französische Wein gab den bereits künstlich geschaffenen Be-
ziehungen die natürliche Unterlage3).
In Folge der beiden Momente hatten sich die südfranzö-
sischen Kaufleute mancher Bevorzugung bei den englischen
Königen zu erfreuen. Im 13. Jahrhundert gewählte Johann
ohne Land den Kaufleuten von Poitou, Gascogne und Pärigord
die Freiheit, mit allen Waaren ihres Landes nach England zu
handeln, und bewilligte auch sonst manche Erleichterungen4).
Seinem Beispiel folgte Heinrich III.; allein die Gewalttätig-
keit der Barone und königl. Beamten erwies sich unter ihm
und unter seinem Vorgänger noch zu gross, ihre Bedrückung
der Kaufleute war zu empörend, als dass diese nicht hätten
abgeschreckt werden sollen6).
Die Eduarde erzielten besseren Erfolg. Ueberhaupt be-
strebt, den fremden Kaufmann zu schützen und ihm das Land
zu öffnen, waren sie doch ganz besonders geneigt, die Bewohner
von Gascogne und Guienne6) durch freundliche und liberale
Behandlung zu gewinnen und dadurch den entfernten Besitz
fester an die englische Krone zu knüpfen. Trotz des Wider-
standes der Londoner erhielten die Bordolesen und übrigen
*) Vgl. die Antwort des Kaufmanns Colloque d'Africo, als ein Spass-
yogel ihn fragte, warum er den Wein nicht selber trinke. Th. Wright,
Yocabularies. London 1857. S. 8, 14.
*) Michel I. S. 402. Ueber den Weinimport nach England unter
Heinrich VIII. vel. Bd. II. S. 22, 23, 128 fg.
*) Von Einnuss für den Verkehr waren auch die Fahrten der Pilger
nach St Jago de Compostella, welche meist zur See blos bis nach Süd-
frankreich gingen. Im 13. Jahrhundert hielt man eine Marine ohne Pilger
für undenkbar, und es war geradezu Spruch wort: „Point de marine sans
pelerinages". Michel I. S. 503 und Freviile, Memoire sur le commerce
maritime de Ronen I. S. 141. Sieh auch Sir Travers Twiss, The black
book of the admiralty VoL I. S. 157. Nr. 37.
4) Michel I. S. 39 fg.
5) Michel I. S.41. vgl. auch Abschn. II. Cap. 3 unserer Darstellung.
e) Ausser den Kaufleuten von Gascogne und Guienne unterhielten
auch die von Languedoc, namentlich die Burger von Montpellier und Nar-
bonne directe Handelsbeziehungen mit England und besassen sogar Contore
in London. Doch darf man verxnuthen, dass die Kauf leute von Languedoc
meistens den Weg über Bordeaux und die Niederlande nahmen. Solange
der directe Verkehr der Italiener nach England gering war, war Languedoc
wichtig, weil ein grosser Theil der italienischen Waaren von hier aus nach
England gelangte; umgekehrt gingen im 12. und 13. Jahrhundert die für
Florenz bestimmte englische Wolle und sonstige englische Producte nach Li-
bourne, von da zu Land nach Aigues-Mortes und dann zu Schiff nach Pisa.
Vgl. Germain, Histoire du commerce de Montpellier 1861. I. S.4, II. S.18,
38 u. 40; Port, Essai ßur 1 'histoire du commerce maritime de Narbonne
Paris 1854. Peruzzi, Storia del commercio e dei banchieri di Frenze
S. 324.
— 299 —
französischen Provinzialen eine Reihe nicht unbeträchtlicher
Freiheiten1). Den Engländern als dem herrschenden Volk
durften ohnehin keine Hemmnisse in den Weg gelegt werden,
und es begreift sich, dass der Verkehr bald grössere Dimen-
sionen annahm. Ausser den Weinen waren auch Früchte*),
Waid, Eisen, Waffen und Messerschmiedewaaren, im 16. Jahr-
hundert auch Harz, Schiffstheer, Terpentin, Brasilienholz, Tau-
werk, Hanf und Böttcherholz diejenigen Artikel8), welche die
englischen Kaufleute zu erwerben suchten. Als Gegenzahlung
brachten die englischen Häfen London, Hüll, Exeter, Dart-
mouth, Bristol und ehester4) Korn, Fleisch, Käse, Butter und
Talg, Heringe, Stockfische, gesalzene Salmen, Wolle, Zinn,
Häute, Tuch und Worsteds6), ferner eine ganze Reihe von
Mercerwaaren, wie Handschuhe, Hüte, lederne Schnüre, Kappen,
Beutel, Ledergürtel und Nesteln, endlich behufs Schiffbelastung
.Quadersteine6).
*) Michel L S. 98—97 u. 103 fg. Bordeaux hatte auch zu London
einen eigenen Weinkeller; vgL Stow, Survey of London 8. 188. Neben Bor-
deaux genoss noch Bayonne viele Rechte in London, wenngleich auch hier
die Londoner Ar sich mehr beanspruchten, als sie umgekehrt zu gewähren
gewillt waren. London wollte 1415 und 1488 namentlich sein Privileg der
Zollfreiheit im Gebiete des ganzen englischen Reiches auch für Bayonne
geltend machen, gab aber nach langem heftigem Streit seine Opposition in
einem Vergleich auf, da sich herausstellte, dass Bayonne wegen seiner Grenz-
lage zu seiner Vertheidigung einer bedeutenden finanziellen Einnahme nicht
entbehren konnte. Rot Pari. IV. S.68, 77. 500; Delpit, Collection des
documents francais en Angleterre S. 255. 260. 262 und Michel a. a. 0.
*) In der Relation des Marino de Cavalli (1546) heisst es namentlich
mit Rücksicht auf Languedoc und Provence: „La mercanzia di frutti e in
yoto di maggior importanza di quel che al primo tratto si possi credere;
perche essendomi stato accertato che il dazio de* susini secchi, che 6i
traeno di una parte di Francia nerilnghilterra , Scozia e Fiandra, si ha
affittato dieeimifa seudi; l'anno, mi persuado che tanti altri frutti di tanti
paesi importino quasi un estremitä/ N. Tommaseo, Relations des Am-
Dauadeurs Venitiens sur les affaires de France au XVI. siecle. I. S. 259.
*) Michel L S. 817. 458, 475, 483 fg.
*j Nähere Details über den Verkehr dieser Häfen mit England sind
bei Michel a. a. 0. zu finden, besonders ausführlich seine Notizen über
den Verkehr mit Hüll im Jahre 1440. S. 845-58; vgl. auch Rot Pari.
IV. S. 85.
*) Ueber die vorübergehende Reaction gegen das englische Tuch im
14. Jahrhundert vgl. Michel I. S. 298; ebenda sieh die Bemerkung über
die noch Jahrhunderte andauernde Herrschaft des englischen Tuchs auf
dem französischen Markt
*) Michel L S. 258 fg. 885. Dazu darf man auf Grund der Re-
lation von Marino de Cavalli (1546) auch noch Blei fugen. Der venetiani-
sche Gesandte sagt nämlich: „tutti li piombi sono portati d'Inghilterra"
Tommaseo, Relations etc. L S. 254. Man vergl. auch sonst über die
französischen Producte und Hülftquellen diese Relationen. Vorzüglich
ist ferner nach dieser Seite hin Le Debat des heraulx d'armes de France
et d'Engleterre. übersetzt von H. Pyne, England and France in the
fifteenth Century. 1870. Da jeder Herold die Vorzüge seines Landess schil-
dert, so tritt der Unterschied zwischen den Producten beider Länder be-
— 300 —
Ein Riss kam in die regen und freundlichen Beziehungen
zwischen Südfrankreich und England, als diese Gebietsteile,
namentlich Guienne und Bordeaux an die französische Krone
verloren gingen. Die Handelspolitik seit Mitte des 15.- Jahr-
hunderts ist deshalb das völlige Gegenbild zu der des 14. Jahr-
hunderte. Das Freundschaftsband war zerrissen, die Bordolesen
und ihre Nachbarn waren aus englischen Unterthanen Fremde
geworden, die Engländer aber galten in Bordeaux und Guienne
nicht nur als Fremde, sondern als allezeit gefährliche Feinde 1).
Zur Festhaltung des Eroberten waren die Franzosen gezwungen,
gegen die englischen Kaufleute eine höchst strenge Controle
auszuüben2).-, der Hafen von Lune wurde ihnen lange ver-
schlossen, das Weingeschäft ihnen sehr erschwert 3). Die Eng-
länder wandten sich in Folge dessen dem französischen Norden
zu; in Rouen und Calais tauschten sie die Wolle gegen die
Weine von Niederburgund aus und gaben so den Impuls zur
Entstehung der Tuchfabriken in der Normandie, während die
von Bordeaux zu Grunde gingen4).
Gascogne und Guienne verödeten; viele Bewohner wan-
derten aus und zogen nach England, um sich dort in den
Unterthanenverband aufnehmen zu lassen5); der Handel ging
zum grossen Theil an bretonische und deutsche Schiffe über.
So kehrten sich die Folgen der rigorosen Politik ganz gegen
das eigene Land.
Natürlich erregte dieser Zustand die Besorgniss der fran-
zösischen Regierung. Mit Freuden ging Ludwig XL auf
Eduards IV. Wunsch ein, dem Handel nach Südfrankreich
wieder etwas Luft zu schaffen, sobald er sich versichert hatte,
dass Eduard IV. nur formelle Ansprüche auf Frankreich mache
und gern den Frieden sich abkaufen lasse6).
Am 19. August 1475 wurde ein Waffenstillstand auf 7 Jahre
abgeschlossen, und am 8. Jan. 1476 kam ein Vertrag zu Stande,
in welchem die bisherigen Beschränkungen beseitigt T) und der
sonders hervor. Zudem war der Verfasser, Herzog Karl von Orleans, in Folge
seines 25jährigen Aufenthalts in England und in Folge seines Talentes ganz
der Mann, der hier ein sachkundiges Urtheil abgeben konnte. Erwähnt sei
noch, dass der Dialog 1500 gedruckt und besonders zur Zeit der Tudors
eifrig in England gelpsen wurde.
1) Vgl. Beispiele hei Michel I. S. 372 fe.
2) Wie lange es dauerte , his England au seine Ansprüche auf diese
Gebiete vollständig und auch formell aufgab, ist bekannt. Noch Jahre
lang wurde für diese Provinzen vom englischen König ein SeneschaU in
partibus ernannt 1529 war es ernste Absicht Heinrichs VIII., dieselben
wieder zurückzuerobern.
*) Michel I. S. 361.
*) Rot. Pari. V. S. 118 fg.
*) Michel I. S. 366.
e) Pauli, Geschichte Englands V. S. 428—431.
7) Wie man französischerseits Bordeaux wieder auf seinen alten Glanz
bringen wollte,' darüber vgl Michel I. S. 370.
— 301 —
Verkehr fast ganz unter denselben Bedingungen wie früher er-
laubt wurde1). Während der sieben Jahre konnte der eng-
lische Handel in dem früheren Markte sich wieder heimisch
machen. Der ganze Besitz dieser Rechte war aber bedroht,
als Richard III. gewaltsam den englischen Thron an sich riss.
Schon wagte kein englischer Kaufmann, nach Bordeaux zu
fahren, wenn er nicht vorher einen Geleitsbrief vom französi-
schen König in Händen hatte9).
Doch die kurze und trübe Regierungszeit Richards III.
lief rasch ab. Heinrich VH. eroberte die Krone. Jetzt musste
sich zeigen, was aus den englischen Freiheiten werden sollte.
Nüchternen Sinnes, wie der erste Tudor war, und die Stärke seines
Reiches in der insularen Lage erkennend, gab er alle ernsten
Gedanken an die Eroberung der französischen Besitzungen auf.
War er politisch zu vielen Cüicessionen bereit, gestattete er
selbst Gebietsvergrösserungen : in Bezug auf den Handel war
er fest entschlossen, seinen Unterthanen zu retten, was zu
retten war, und keck auf Frankreichs Interessen loszuschlagen.
Die Fremdenzölle gegenüber den Südfranzosen in Anwendung
zu bringen, hatte Heinrich VII. nicht erst nöthig. Es war dies
gleich nach der Eroberung der Provinzen durch Frankreich
geschehen 3). Sein Angriff lag auf einem andern Gebiete.
— * —
*) 1. Der Handel der Engländer ist an keinen (kostspieligen) Geleits-
brief mehr gebunden. 2. Die Engländer werden nicht mehr bei der Mihi
dang der Gironde zu Nötre Dame angehalten, bis sie eine Licenz erwirkt,
dass sie nach Bordeaux kommen dürfen; ebenso fällt die Untersuchung ihrer
Schiffe zu Blaye und der dadurch oft Monate lange Verzug, die Wegnahme
ihrer Waffen« Zahlung von Gebühren hinweg. 3. Ebenso soll von dem
nur 1 Monat geltenden Berechtigungsschein, den jeder Engländer haben
muss zum Ausweis, dass er die Stadt betreten darf, und von den damit
verbundenen hohen Gebühren in Zukunft Abstand genommen werden.
4. Sie können sich einlogiren, wo sie wollen. 5. Der Bürgermeister von
Bordeaux darf nicht mehr die Vorzeigung des Geleitsbriefes fordern, auch
keine bezügliche Gebühr verlangen. 6. Die englischen Schiffe dürfen so
lange vor Bordeaux verweilen, als sie wollen (nicht blos 14 Tage wie
früher). 7. Die Schiffsgebühr wird ermässigt. 8. In der Gironde dürfen
die Engländer ihr Schiff ganz allein fuhren. 9. Die Polizeistunden für die
Engländer werden aufgehoben. 10. Gewisse Gebühren für Schiffe, die
flussabwärts fahren, werden ermässigt. 11. Die illiberale Behandlung in
Betreff des Tuchmessend soll aufhören. 12. Für Eisen, das die Engländer
aus Spanien holen, sollen sie keinen Zoll zahlen, wenn sie solches nicht
ausladen. 18. Die englischen Kaufleute dürfen über das Weichbild von
Bordeaux hinausgehen wie früher. 14. Der Zoll wird auf die Hälfte herab-
gesetzt; ebenso das Tonnengeld bedeutend ermässigt; die Costumen von
Rouea, de la Tour, Cordouan bleiben wie früher. Pardessus, Ordonnances
des Rois de France de la troisieme race Vol. XVIII. S. 160 fg.
m *) Vgl. den Brief Richards III. an Ludwig XI. vom 18. Aug. 1483.
Gairdner, Letters etc. I. S. 34; sieh auch die Instructionen an Grafton
etc. Juli 1483. a. a. 0. I. S. 18 und das französ. Schreiben an Richard III.
vom 12. Aug. 1484 bei A. Bern i er, Proces verbaux des slances du conseil
de Rlgence du roi Charles VIII. pendant les mois d'aoüt 1484 ä janvier
1485 S. 15; endlich Pauli, Geschichte Englands V. S. 499.
s) Der erste Versuch hiezu wurde sogar schon 1450 von den Zoll-
— 302 —
Kurz nach Heinrichs VII. Regierungsantritt wurde die
Schiffahrtsacte erlassen, welche die Bordolesen und ihre Nach-
barn fast g&nzlich vom Weinhandel nach England ausschloss;
die Weine von Gascogne und Guienne durften nämlich nur in
englischen Schiffen importirt werden >). Damit nicht zufrieden
war er bestrebt, auch noch die Freiheiten der englischen Kauf-
leute in diesen Provinzen zur Anerkennung zu bringen. Schon
in die Verträge, die behufs Aufrechterhaltung des Friedens
geschlossen wurden, liess er Bestimmungen aufnehmen, welche
nicht nur die Freiheit des Handels, sondern auch die Besei-
tigung aller in den letzten 22 Jahren neu erhobenen Zölle
und Abgaben garantirten *). Als man aber diese Vertrags-
artikel in England ungünstigem Sinn interpretirte und in
Bordeaux die englischen Kaufleute bedrückte, benützte Hein-
rich VII. die Verwicklung Karte VIIL in auswärtige Händel,
um auch diese Unklarheit zu beseitigen. Noch während seiner
Anwesenheit in Neapel musste der französische König ein De-
cret unterzeichnen8), worin er den englischen Kaufleuten alle
Rechte zusicherte, die sie unter seinem Vater genossen. Damit
waren offenbar die oben von uns erwähnten Privilegien tob
1476, sowie andere althergebrachte Freiheiten 4), wie das Recht
des Detailverkaufs, der Anspruch auf Erledigung der Streit-
fälle innerhalb dreier Tage und ähnliche Begünstigungen ge-
meint Auf Grand dieses Zugeständnisses gelang es auch
Heinrichs VII. energischen Protesten, jeden neuen Versuch der
Bürger von Bordeaux, durch den die Engländer mit höheren
Zöllen belastet werden sollten, abzuweisen5).
Angesichts dieser Rechte der Engländer in Bordeaux und
der gleichzeitig harten Behandlung der Franzosen in England
begreift man den Missmuth und die Unzufriedenheit, die jetzt
unter den Bordolesen und ihren Nachbarn sich erhoben •). Hit
Wehmuth denken sie an die Zeiten zurück 7), wo der englische
Kaufmann nur mit einem rothen Kreuz auf dem Rücken das
beamten gemacht, obwohl erst 1451 die Franzosen die Eroberung vollführten,
Rot Pari. V. S. 200.
*) 1 Hen. VIL c. 8 und 4 Hen. VE. c 10.
2) Vgl. den Vertrag v. 17. Jan. 1486 Art. 8 u. 4. Rymer XIL S. »1
und die Erneuerung v. 14. Juli 1488. Rymer XII. S. 344.
8) Das Decret ist erwähnt in einer (bei Michel I. S. 876 Anm. ab-
gedruckten) Ordonnanz vom 16. Nov. 1495.
«) Michel I. S. 889 u. 392.
*) Befehl Karls VIIL v. 16. Nov. 1495. Michel I. S. 876.
fl) ürk. Beil. 113. Brewer, Cal. II. 8521.
7) ürk. Beil. 114. Brewer, Cal. II. 8521. Die ürk. BeiL 113 und
1 14 sind ohne Datum. Brewer glaubt sie in die Zeit vom Juli 1517 setzen
zu müsse*. Michel I. S. 377 hat seine Abschrift den Archives d'Empir«
entnommen und nimmt für die Zeit ihrer Abfassung das Ende des 15. Jahr-
hunderts an. Ich schliesse mich hier Michel an, da Ende des 15. Jahr-
hunderts sicher der Contrast noch lebhaft in der Erinnerung war und eben
deswegen drückender empfunden werden musste, als 20 Jahre spater.
— 303 -
Land betreten, nur in der Stadt handeln oder doch nur in der
Begleitung eines Polizeidieners aufs Land gehen durfte, wäh-
rend jetzt die Engländer zu Tausenden x) in Bordeaux umher-
schwärmten, das Land auf- und abgehen, den Wein aus erster
Quelle kaufen und alle bürgerliche Nahrung zu Grunde
richten konnten8).
Der Jammerruf verklang ungehört In einem Punkte nur,
nämlich in Betreff der Navigation, gab die französische Re-
gierung der Volksstimme theil weise Gehör. 1504 erliess Lud-
wig XII. eine Art Schiffahrtsacte, indem er allen einheimischen
Kauf leuten verbot, in den Häfen Frankreichs ein fremdes Schiff
zu befrachten 3). Man muss füglich bezweifeln , ob dies den
Engländern irgendwie geschadet. Man darf sogar vermuthen,
dass die Acte den englischen Kauf leuten noch nützte; die
Fracht des Weins war den Engländern schon reservirt, jetzt
wurde ihnen auch der Weinhandel in die Hände gegeben.
Sieht man von dem vernünftiger Weise nicht wieder ein-
zubringenden Gebieteverlust ab, so war England durchweg der
gewinnende, Frankreich der verlierende Theil. Heinrich VII.
hat den zweifelhaften, schwankenden Zustand, den er beim
Regierungsantritt vorfand, zu Englands Gunsten entschieden.
\) Ihre Zahl wird auf 6—8000 (!) angegeben.
*) Nur ein Vortheil erwuchs den Bürgern von Bordeaux unter der
Herrschaft der Tudors; Bordeaux wurde im 16. Jahrhundert der Hauptplatz
für Waid, und es exportirte jährlich 200 000 Ballen, während dieser Handel
früher ganz in den Händen der Italiener war (Michel I. S. 308). Ich glaube
mich nicht zu täuschen, wenn ich diese Veränderung hauptsächlich der
englischen Navigationsacte zuschreibe. Da neben dem Wein von Gascogne
und Guienne auch der Toulouser Waid nur in englischen Schiffen nach
England gebracht werden durfte, so war es ganz naturlich, dass der Tou-
louser Waid Bordeaux als Stapel suchte.
*) Miltitz, Manuel des Consuls I. S. 261, der sich auf Martens,
Gesetze und Verordnungen LS. 1 stützt Das Verbot wurde erneuert von
Heinrich II. am 8. Februar 1555. Aber erst Karl IX. sab der Acte eine
grössere praktische Bedeutung, indem er auch den Fremden verbot (8. Febr.
1-567), französische Waaren in den französischen Häfen auf fremde Schiffe
zu verladen, a. a. O. Erwähnung verdient, wie der mehrerwähnte Herzog
Karl von Orleans bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts erkannte, dass
Krankreich eigentlich seine Schiffahrt schützen und nicht länger mehr dul-
den sollte, dass sich die englische auf Kosten Frankreichs vergrössere.
„You must of necesßity have such wine and salt from the kingdom of France
either by safeconduct or by smuggling, otherwise your ships would have
no employment and would perish in the mire. Besides you would have
nothing wherewith to salt yeur fish, which is the chief source of wealth
and employment for ships, that you possess. By these two articles of
merchandise your great Stripping is supported, and that solely by means of
the kingdom of France, for otherwise you would not have a sutficiencv of
them. And if upon good consideration of the matter the king determined
so to employ bis ships, he would derive a great revenue from them; for
bis ships would gain by freight or otherwise, what foreigners now gain in
i>is kingdom , which would be a great profit to his people, and the money
*onld remain in his country; since it is reasonable, that his ships should
be first served." Pyne, England and France in the 15th Century S.53.
— 304 —
Unter diesen Verhältnissen war es dem Sohne Heinrichs VII.
nicht schwer, die commercielle Politik gegenüber Frankreich zu
leiten. Er hatte nur nöthig, zu erhalten, was er überkommen.
Das geschah auch. In dem ersten Tractat vom 23. März 1510
wurde gleich ausbedungen, dass diejenigen Zölle und Abgaben
zu gelten hätten, welche vor 47 Jahren bestanden1), und im
Jahre 1514 bestätigte Ludwig XII. noch besonders die Rechte
der Engländer in Bordeaux2). Man darf mit Sicherheit an-
nehmen, dass auch Franz I. in Friedenszeiten und namentlich
dann, wenn er der englischen Hilfe bedurfte, die englischen
Freiheiten in Guienne achtete und schützte, zeitweise wohl
noch vermehrte8).
Die französischen Gebiete, denen wir bisher unsere Auf-
merksamkeit zuwendeten, sind alle am Meer gelegen und
schliessen Frankreich nach der Seeseite ein. Es ist selbst-
verständlich, dass der Verkehr mit dem inneren Frankreich
schon in Anbetracht der Verkehrswege, wie in Folge der un-
zähligen Wege-, Fluss-, Provincial- und Stadtzölle zu keiner
Bedeutung gelangen konnte. Wohl fehlte es, auch nachdem
die Messen von Champagne verfallen waren, im Waarenverkehr
nicht an einem Gliede, das leicht eine commercielle Verbin-
dung Englands mit den Binnenstädten hätte begründen können,
und das war die schon damals wie noch heute hervorragende
Luxusindustrie4). Allein es gab eine Menge indirecter Wege,
*) Rymer XIIL S. 271.
*) Art 23 lautete: Conventum est, quod praefatus christianiBsimus
rex Ludovicuß tempore confirmationis nraesentis tractatus omnia et singula
Srivilegia mercatonbus Angiitis intra civitatem Burdegalensem eis per eun-
em regem aut ejus praedecessores antehac concessa et per eum confirmata
ratificabit et confirmabit; et si et quatenus petatur, de novo concedet in
tarn amplis modo et forma, quam aliquando habuerunt aut usi fderunt.
Rymer XIIL S. 420. Der Artikel wurde unmittelbar darauf practisch.
Am 9. Aug. 1514 hatte Ludwig XU. eine Zuschlagstaxe von 4 ecus d'or
soleil auf jede Tonne Wein, die ausgeführt werden wurde, gelegt, ohne die
Engländer ausdrücklich auszunehmen. Als in Folge der Beschwerden der
Franzosen diese Abgabe auf 1 ecu ermässigt wurde, erklärte man. dass die
Engländer auch diesen kleinen Zoll nicht zu tragen brauchten. (Ordonnances
etc. XXL S. 557 u. 564). Als dennoch die Zollbeamten die Weine des
Herzogs von Suffolk dieser Steuer unterwerfen wollten, erkannte daa Parla-
ment von Guienne auf dessen Klage die Ausnahmestellung der Engländer
an. Michel I. 3. 390.
*) Um so schlimmer erging es den Engländern, wenn Krieg zwischen
Frankreich und England entbrannte. Wie der Handel nach Bordeaux 1521
u. 1522 gefährdet und geschädigt wurde, darüber vgl. State Papers L
52. 68 und Brewer, Cai. IIL 1577. 1544. 1734. 1935. 194a 2022. 2155.
2156. 2028. 2076. 2109. 2224. 2229. 2232. 2241; Hall, Chronicle S. 633.
4) Ueber die französische Industrie macht treffende Bemerkungen der
Herzog Karl von Orleans: „As you boast. Sir Herald, that you have a greater
number of mechanics and common people than there are in France, I shall
show you the contrary; since for one walled town that you have, we have
more than a dozen well peopled with mechanics and other inhabitants.
Also we have all the mechanical crafts, which you have, and we have others
— 305 —
auf denen die Engländer diese Waaren beziehen konnten, und
die hundertjährige politische Feindschaft zwang dazu, jede
Anbahnung des directen Verkehrs zu vermeiden. So erklärt
sich, dass von eigentlichen handelspolitischen Fragen mit ganz
wenigen Ausnahmen1) in Bezug auf die noch übrigen Theile
Frankreichs so gut wie keine Rede sein kann.
Nur zwei auch das commercielle Gebiet streifende Fragen
durchziehen in geradezu ermüdender Weise die Verhandlungen
der beiden Cabinete. Die eine bezieht sich auf die Fischerei.
Die ganze Politik hinsichtlich derselben lässt sich in den einen
Satz zusammenfassen, dass die Franzosen die Theilnahme an
derselben sich zu sichern und auch für die Zeit des Krieges
derselben eine Art Neutralität zu verschaffen suchten *). Die
andere Frage berührt die Sicherheit auf dem Meere. Durch
die ewigen Kriege zwischen beiden Nationen war die Seeräuberei
zu einem förmlichen Gewerbe geworden. Es mag gestattet
sein, diese Verhältnisse, die mit diesem Punkte zusammen-
besides; for we have people employed in the superior kinds of textures,
such as Arras tapestry, which is much esteemed and highly ornamental in
the courts of kings and princes. We have also linen of the most excellent
quality, which a kingdom can possess, at Troyes in Champagne, in the city
of Greton and generally throughout France. We have iikewise the best
jewellere, who produce the most beautiful specimens of workmanship, which
can be imagined. Also we make paper and verdigris in France, and you
make none in England. You have no workmen to make the things betöre
mentioned, and if you have anv of the things themselves, they are counter-
feit and of little value. Therfore I teil you , we have more of all things,
th&n you have ; and whenever vou can procure any articles of elegant work-
manship, they are made in France11. Pyne, England and France in the
fifteenth Century S. 76 u. 77. üeber die französischen Tücher vgl. a. a. 0.
3. 79 und Tommaseo, Relations des Amb. Yen. etc. I. S. 254.
') Für die Zeit Heinrichs YHI. kommen hier zunächst die Friedens-
vertrage in Betracht, welche die Freiheit des Handels und die Erhaltung
der bisherigen Zölle bestimmen; vgl. Rymer. Sodann sind die Verhand-
lungen von 1527 zu erwähnen, in denen Frankreich für den Fall des eng-
lischen Beistandes sich bereit erklärte, den Engländern für die Dauer des
Krieges dieselben Rechte einzuräumen, die sie in den Niederlanden ge-
nössen. Vgl. Rymer XIV. S.209, 232, 237. Brewer, Cal. IV. 3449. 3466.
Gayangos, Cal. HI. Pars II. 211. Ferner verdienen genannt zu werden
die Bestimmungen des Vertrags von 1532, welche gegenseitige Beschützung
des Handels nach den Niederlanden bezwecken. Rymer XIV. 8. 434,
Art 3, 5, 6, 7. Endlich gab es in den 30er und 40er Jahren eine Reihe |
von Punkten, an denen die Franzosen Anstand nahmen. Dahin gehörten !
das Gesetz, dass zwischen Michel- und Lichtmess kein französischer Wein '
eingeführt werden sollte (vgl. State Papers IX. S. 236 fg.), sodann die
widerrechtliche Erhebung des Scavagiums, die Acte wegen des Verbots der
Einfuhr von französischen Hüten und Kappen (21 Hen. Vni. c. 9. State
Papers I. S. 858 u. 854), die Heranziehung der Franzosen zur Zahlung der
Sabsidie (State Papers I. S. 647—50; 652, 682. Nicolas, Proceedings
of the Privy Council VI. S. 44, 48, 63, 101, 109), die Acte gegen die Frem-
den (vgL unten Capitel 3 des Abschn. IL), die bekannte Schiffahrtsacte
(State Papers Ia. S. 236 fg.). Keiner dieser Punkte scheint jedoch zu~\
aasgedehnteren Verhandlungen geführt zu haben.
*) Rymer VHI. S. 336. 451 u. s. w.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 20
— 306 -r
hängen, für die Zeit der Tudors kurz darzustellen; sie stehen
so sehr im Vordergrund, dass unsere Darlegung unvollständig
wäre, wenn wir diese allerdings wenig interessante Materie
ganz mit Stillschweigen übergingen.
Wir haben bereits früher erwähnt, dass Heinrich VIL nie
ernstlich daran dachte, mit Frankreich einen Krieg zu begin-
nen. Er musste deshalb mehr als alle seine Vorfahren das
Bedürfniss fühlen, dem Unwesen auf der See im Bunde mit
Frankreich zu steuern. Der Friede von Etaples (Nov. 1492)
und die getreue Einhaltung desselben durch Frankreich bot
die Brücke auch zu diesen Verhandlungen. Dieselben führten
zu dem Vertrag, der betitelt ist: Tractatus contra spolia mari-
tima et pro depredatoribus cohercendis l).
Dieser am 18. Juli 1498 erneuerte Tractat fasst zwei Ziele
ins Auge, einmal will er die bereits wegen Seeraubs anhängigen
Prozesse durch ein summarisches Verfahren rasch aus der Welt
schaffen2), sodann trifft er eine Reihe von Vorkehrungen, um
inskünftig dem Seeraub Einhalt zu thun8). Die energischen
*) Abgeschlossen am 24. Mai 1497. Dumont, Corps dipl. T. III.
2. S. 876. Die Ernennung der englischen Commissäre sieh bei Rymer
XII. S. 650. 24. April 1497.
2) Darauf beziehen sich die Artikel 1—4: 1) Um den kostspieligen
Processen zu begegnen und gleichzeitig dieselben beizulegen, ohne dass die
Betheilisten das vertrauen verlieren, hat man beschlossen, dass in jedem
der beiden Königreiche in passende Städte und Seeplätze Richter abgesandt
werden sollen, welche die Klagen summarisch und ohne Förmlichkeiten
mindestens vor Ablauf eines Jahres entscheiden. Das gefällte Urtheil
müssen die Beamten sofort vollziehen, und, wenn nöthig, selbst militärische
Macht requiriren. Die Appellation kann den Vollzug nicht verzögern.
Halten sich die Parteien durch das Urtheil für beschwert, so können sie
an die obersten Räthe der contrahirenden Fürsten recurriren; diejenige
Partei aber, welche die Execution des Urtheils verlangt, muss hinlängliche
Caution für den Fall eines gegenteiligen Urtheils stellen. Der Recars
muss in 6 Monaten verbeschieden werden. Im Fall der Aufenthalt der
Seeräuber nicht ausfindig zu machen ist, so genügt vierzehntägige Bekannt-
machung, damit das Urtheil rechtskräftig werde. 2) Um rasch eine Ent-
scheidung der im Appellationsweg bei den obersten Gerichtshöfen anhängigen
Processe herbeizuführen, wird bestimmt, dass wenn bereits ein Beschluss
gefasst wurde, den Parteien in sechs Monaten das Urtheil zugestellt werden
soll; andernfalls werden für die Voruntersuchung und die definitive Er-
ledigung je 6 Monate bewilligt. 3) Um ebenso cue Processe, welche in
diesem Betreff bei den niederen Gerichtshöfen anhängig sind, möglichst
abzukürzen, sollen die Betheiligten verlangen dürfen , dass die Processe an
die sub 1 erwähnten prov. Gerichtscommissionen verwiesen werden. Weigern
sich die Gerichtshöfe, diese Ucberweisung innerhalb 10 Tagen vorzunehmen,
so trifft sie die Strafe von 30 Mark ; eine etwaige Fortsetzung des Processes
fegen den Willen der Betheiligten ist wirkungslos. 4) Den streitenden
arteien wird im fremden Lande kraft königl. Autorität von den abgeord-
neten Richtern persönliche Sicherheit garantirt.
8) Die hieher gehörigen Bestimmungen lauten: 1) Jedes Schiff, das in
See gehen will, muss für seinen Gesammtwerth eine Caution stellen. 2) Die
Annahme noch nicht verpflichteter Mannschaft ist verboten. Die Verpflich-
tung geschieht durch die Admiralität und besteht in der Einzeichnung des
Namens in ein öffentliches Register und Abnahme eines feierlichen Eides,
— 307 —
Massregeln und Bestimmungen des merkwürdigen Tractats,
sowie das aufrichtige Streben auf beiden Seiten, die schweren
Misstände bei der Wurzel zu fassen, lassen vermuthen, dass
den Worten des Vertrags auch die That folgte, und keine
Frage, der Einfluss und Erfolg muss ein grossartiger gewesen
sein. Getrost und ohne Furcht konnte jetzt der Kauffahrer
der See mit seinen Schätzen sich anvertrauen.
Der Fortsetzung des Verfahrens lag natürlich eine not-
wendige Voraussetzung zu Grunde, das war der Wille nach
einem aufrichtigen Frieden. Dieser Wille fehlte dem Regiment
Heinrichs VIII., und es erklärt sich, dass die Errungenschaften
des Vaters bald zerbröckeln mussten.
Entschlossen, aus der insularen Zurückgezogenheit heraus-
zutreten und England in der europäischen Diplomatie Sitz und
Stimme zu verleihen, gleichzeitig die romantischen Eroberungs-
pläne seiner Vorfahren wieder erweckend, sah Heinrich VIII. sich
bald veranlasst, an Frankreich den Krieg zu erklären (1513).
Die Folge war, dass sofort die alten Leiden sich einstellten.
Im Frieden von 1514 schuf man nur ungenügende Garantien1);
1515 nahm man zwar die Bestimmung wegen der Gautionsleistung
der auslaufenden Schiffe wieder in den Vertrag auf2). Allein
auch diese Massregel fruchtete nichts, das wieder eingerissene
Uebel wucherte in der entsetzlichsten Weise weiter. Die
eigens ernannten Commissäre, welche die vielen schwebenden
Klagen beilegen sollten, richteten Nichts aus3). Da erinnerte
während der Fahrt kein Unrecht zufügen, im Fall eines stattgefundenen Raubes
zwei oder drei höhere Beamte des gekaperten Schiffes vor den Admiral
zur Vernehmung bringen und an den Waaren keine eigenmächtige Ver-
änderung vornehmen zu wollen. 8) Die Schiffsbeamten stellen im Einzel-
falle dem Admiral Über diese Verpflichtung eine öffentliche Urkunde aus
und dieser auch umgekehrt den Schiffsbeamten, auf dass sie überall hin
frei ziehen können. 4) Die Schiffsbeamten haben auch hierüber vor der
Ausfahrt eine Caution zu stellen; geschieht dies nicht, so haftet der Ad-
miral. Durch öffentliches Edict wird den Kauf leuten bei Gefängniss und
Coofiscation verboten, eigenmächtig und ohne vorherige Entscheidung der
Admiralität geraubte Güter anzunehmen oder zu verheimlichen. 5) Ist eine
Beraubung eingetreten, so hat die Admiralität innerhalb 40 Tage nach ge-
machter Anzeige die hinterlegten Cautionen für verfallen zu erklären; wurde
die Beute in das Gebiet eines der Contrahirenden gebracht, so soll die
Rückgabe befohlen und sofort der 'Fall summarisch entschieden werden.
Die Execution kann durch eine Appellation nicht aufgehalten werden. 6) Den
Streitenden wird für die Zeit des Processes volle Sicherheit garantirt. 7)
Diese Bestimmungen werden in allen Häfen und Seeplätzen der beiden Egr.
veröffentlicht In der Bestätigung von 1498 sind noch 2 weitere Artikel
über die Beendigung der Processe in bestimmten Zeitfristen beigefügt.
Bymer XU. S. 690.
l) Die Friedensbürgen wurden in erster Linie als Richter aufgestellt;
können sich diese nicht einigen, dann sollte die Streitsache an den Rath
eines der Fürsten gehen. Das Verfahren musste summarisch sein. Art 24
Bymer XIIL S. 420.
*) Art. 5. Rymer S. XHI. 476.
8) Vgl. hierüber Brewer, CaL IL 8520. 3634. 8750. 3762. 8766. 3772.
3786. 3803. 3805. 3861. 3968.
20*
— 308 —
man sich wieder des unter Heinrich VII. geschlossenen Ver-
trags *), und man vereinbarte nicht nur dessen völlige Wieder-
herstellung, sondern stipulirte auch, dass wenn ein Urtheils-
spruch innerhalb dreier Monate nicht zur Ausführung gelange,
die contrahirenden Fürsten selbst zur Restitution verpflichtet
sein sollten2). Die noch während der Verhandlung sich er-
eignenden Gewalttätigkeiten3) zeigen, wie noth wendig die
Wiederinkraftsetzung des alten Tractats war.
Die kurze Friedenszeit war nicht genügend, den Vertrag
ins Bewusstsein und in die Gewohnheit des Volkes einzuprägen.
1521 brach der Krieg von Neuem aus, und drei Jahre lang
dauerten die gegenseitigen Schädigungen fort. Als nach der
Gatastrophe von Pavia das englische und französische Cabinet
sich wieder einander näherten, setzte man auch den Tractat
wieder in Kraft 4), schwächte aber seine Bedeutung wenigstens
in soweit ab , als man die Haftung der Fürsten im Fall der
Rechtsverschleppung beseitigte. Der Krieg von 1542—44 mit
den zahlreichen Beschlagnahmungen, die von den Regierungen
ausgingen6), gab dem Seeraubsgewerbe wieder neuen Boden.
Im Frieden vom 7, Juni wird des Tractatus contra spolia etc. nicht
gedacht6). Es bleibt eine offene Frage, ob er in speciellen
Verhandlungen wieder erneuert wurde. Vom englischen Stand-
punkt aus war die Erneuerung nicht dringend geboten, Hein-
rich VIII. hatte inzwischen nicht nur durch zweckmässigem
Einrichtung des Processverfahrens die Bestrafung der Seeräuber
sehr erleichtert7), sondern auch eine Staatsflotte geschaffen,
welche im Stande war, dem englischen Kaufmann in Friedens-
zeiten den nöthigen Schutz angedeihen zu lassen.
Sucht man sich einen Gesammtüberblick über die eng-
2) In der Einleitung desselben heisst es: Cum inter dictum christi*
nissimum Francorum et potentissimum ac serenissimum Henricum Dei
gratia Angliae reges nonnulla statuta ordinaüonesque pro bono pack
utriusque regni maritimisque ac piraticis depraedationibus cohercendis,
dampnis et injuriis illatis resartiendis jam olim edita fuerint, ac per illustris-
simos principes Ludovicum quondam bonae memoriae Francorum doo-
decixnum et Henricum octavum Angliae reges confirmata et innovata cum
quibusdam praeteritarum depraedationum abolitionibus, quibus nolumns
per praesentes derogare, tarnen cum eadem statuta et ordinationes pronter
utriusque regni subditorum insolentiam judicumque. quibus eorumaem
statutorum executio commissa est, tum injuriam tum difficultatem Tel nnlio
modo vel parum diligenter provide executioni demandata extiterunt, usque
adeo ut e mentibus subditorum erasa quasique abolitaeiis-
timentur, nos etc. convenimus etc. Rymer XIII. S. 649.
2) Art 14. a. a. 0.
3) Ueber dieselben vgl. Brewer II. 4580. 4581; III. 129. ferner auch
D. 4613. 4663. 4664. III. 56. 57. 114. 129. 212. 276. 320. 340. 875. 531.
4) Rymer XIV. S. 48. 70. 148. Brewer, Gal. IV. 2100.
*) Vgl. State Papers IX. Nr. 793. 802. 800. 808. 810. 811. 812.
827. 828. 867. 887 u. s. w.
c) Rymer XV. S. 93 fg.
"•) 27 Hen. Vni. c 4; 28 Hen. VIII. c 15.
— 309 —
lisch-französischen Handelsbeziehungen zu verschaffen, so er-
gibt sich ungefähr Folgendes :
Obwohl die Lage der beiden Reiche für commercielle Be-
ziehungen wie geschaffen war, so Hess die traditionelle Feind-
schaft dieselben im Allgemeinen zu keiner Entwicklung ge-
langen. Die schönen Airfänge im Norden wurden bald zerstört,
und auch im Süden ging der Handelsflor, den die Engländer
zur Zeit ihrer dortigen Herrschaft entwickelt hatten, seit der
Unterwerfung dieser Gebietstheile unter die französische Krone
zu Grunde. Nur in der noch unabhängigen Bretagne gedieh
der Verkehr, nicht zum geringsten Theil in Folge der daselbst
befolgten Handelspolitik.
Das Ende des 15. Jahrhunderts brachte eine Wendung in
diese Verhältnisse. Zwei Momente waren bestimmend. Von
englischer Seite war von grossem Einfluss, dass noch während
und besonders nach Beendung der Rosenkriege die englische
Politik den Gedanken an eine Eroberung Frankreichs mehr
und mehr aufgab. Von französischer Seite war von entschei-
dender Tragweite, dass die grössere innere Concentration zwar
fortgesetzt, gleichzeitig aber die gewonnene Stärke zu Frank-
reich schwächenden Eroberungen verwendet wurde. In Folge
dieser Umstände war es möglich, dass Eduard IV. und Hein-
rich VH. die alten Privilegien im Süden wieder zurückerobern
und befestigen und gleichzeitig den französischen Kaufleuten,
namentlich den inzwischen Franzosen gewordenen Bretonen,
ihre bisherigen Rechte entziehen oder doch eine ungünstigere
Position aufzwingen konnten. Ebenso war der Boden geschaf-
fen, um eine die Interessen beider Länder berührende und
brennend gewordene Frage zu lösen, nämlich gemeinsam das
Unwesen auf dem Meere zu unterdrücken.
Im 16. Jahrhundert, namentlich während der Regierungs-
zeit Heinrichs VIII. trat ein etwas schwankender Zustand ein.
Die häufigen Kriege Heinrichs VHI. gegen Frankreich waren
die Ursache. Uebrigens vermochten diese Zwischenfälle nicht
eine dauernde Einbusse der englischen Handelsprivilegien zu
veranlassen. Heinrich VHL erhielt seinen Kaufleuten die alten
Rechte, insbesondere auch die Zölle, die vor einem halben
Jahrhundert und länger bestanden hatten, ein Vortheil von
grosser Bedeutung, wenn man die in jener Zeit von den fran-
zösischen Königen forcirte Fiscalpolitik *) und die eintretende
Geldentwertung in Betracht zieht
In den Tagen der beiden ersten Tudors wurden die Keime
zur Handelssuprematie Englands über Frankreich gelegt. Da-
mals versäumte Frankreich, sich wirtschaftlich zu kräftigen,
und vergeblich war all sein späteres Ringen, gegen die englische
Handelsherrschaft aufzukommen.
*) Charles Gouraud, Histoire de la politique commerciale de la France
LS. 122.
Achtes Capitel.
Englands Handelsbeziehungen zu Irland und
Sehottland.
Irland und Schottland sind zwei Gebiete, von denen
das erstere nur äusserlich der englischen Krone unterworfen
war, das letztere, noch unabhängig, der Attraction des grössern
Staates sich entgegensteramte 1). Diese politischen Momente,
noch mehr aber die eigentümliche Industrie- und Culturstufe,
auf der beide Länder standen, waren für die commerciellen
Beziehungen zu England entscheidend.
Irland war gegen Ende des Mittelalters im Zustand völliger
Barbarei. Von einer administrativen Ordnung war kaum eine
Spur ersichtlich. Die Häuptlinge lagen beständig untereinander
im Krieg, und die englische Krone war nicht im Stande, Ord-
nung zu schaffen. Es war ein Land, das auf der Entwicklungs-
stufe des 6. — 9. Jahrhunderts stehen geblieben war. Der Acker-
bau lag völlig darnieder, die Gewalttätigkeit der Grundherren
und die zahlreichen aus der Clanwirthschschaft entspringenden
Missbräuche, die ausgedehnten Jagden erstickten jede Sorgfalt
und jedes Interesse für den Feldbau. Industrie konnte sich bei der
allgemeinen Rohheit und Unsicherheit natürlich auch nicht ent-
falten. Grobes Leinentuch, das man in den Städten machte,
war das einzige irische Manufact. Die Bevölkerung war be-
jammerungswürdig. „Wo in aller Welt, sagt ein amtlicher der
englischen Regierung übersandter Bericht8), ist das gemeine
Volk so arm, so schwach, so erbärmlich anzusehen auf dem
Land wie in der Stadt, wo ist es so viehisch, so gänzlich nie-
dergedrückt und zertreten, wo geht es ihm so schlecht, wo
l) Bekannt ist das prophetische Wort Heinrichs VIL : „Schottland wird
an England kommen, denn das Kleinere geht dem Grösseren nach".
Pauli, Geschichte von England V. S. 600.
*) Derselbe ist ans dem Jahre 1515 und für die Erkenntniss der da-
maligen irischen Zust&nde geradezu grundlegend. Brewer, Cal. IL 1367.
— 311 —
befindet es sich in so grossem Elend und führt ein so jammer-
volles Leben als in Irland? Keine Zunge vermag es zu er-
zählen, Niemand kann es beschreiben. tf
Auch die energischen Tudors zeigten sich unfähig, diese
chaotischen Zustände zu bemeistern, die Versuche Heinrichs VIII.,
der sich den Titel eines Königs von Irland beilegte, schufen
eher noch eine Reihe neuer, fast unentwirrbarer Verwick-
lungen *).
Was den Handel betrifft, so lässt sich aus dem Gesagten
das Meiste ableiten. Von einer Handelsblüthe konnte natürlich
bei der allgemeinen Unsicherheit keine Rede sein; doch war
bei der Insellage nicht aller Verkehr unmöglich; der Kaufmann
fand Mittel genug, der Gewalt auszuweichen; das irische Volk
selbst war dem Handel mit den Engländern nicht abgeneigt8). So
roh ein Volk auch sein mag, für eine Art Luxus ist es nie
unempfänglich; und im Grunde genommen waren ja alle eng-
lischen Artikel für die Iren Luxuswaaren. Die irischen Pro-
ducte der Jagd, des extensiven landwirtschaftlichen Systems
und der Fischerei waren genügend, den Austausch zu bewirken.
Nach dem Hafen Bristol allein kamen in einem Jahr (Mich.
4—5 Henr. VIII.) nicht weniger als 106 Waarenschiffe und
Fischerboote, von Bristol nach Irland gingen 58 Schiffe8).
Die irische Einfuhr nach England bildeten folgendeWaaren :
Salm, Aale, gesalzene Fische, Wachs, gesalzene Häute, Ziegen-,
Bocks-, Schaf-, Lamm-, Marder-, Wolfe-, Otter-, Fuchs- und
sonstiger wilder Thiere Felle, Leinentuch, weisse Decken,
Falken, Schiffsborden u. s. w.4)
Die Ausfuhr aus England nach Irland erstreckte sich auf:
Eisen, Bohrer, Messer, Stecknadeln, Spiegel, Tuch, Barchent
(fustian), Steifleinwand (buckrams), Faden, Quecksilber, Salz,
Alaun, Hopfen, Liqueure, verdorbenen Wein (vinum corruptum),
Pfeffer, Gewürznelken, Zimmt, Muscatnüsse, Zucker, Honig,
Weidengeflechte u. s. w. 4).
In handelspolitischer Hinsicht ist wenig zu bemerken.
Dem Ausland gegenüber beanspruchte die englische Regierung
*) R Pauli, Zur Geschichte Irlands unter den Tudors. In Sybels
ffistor, Zeitschr. 1869. Bd. XXII. 8. 257—269.
*) Dass der Verkehr Irlands mit dem Ausland nicht ganz unbedeutend
war, geht daraus hervor, dass die Zölle desselben sich jahrlich auf 100 000
Mark beliefen. Brewer, Cal. IL 1367.
*) Nach einer Zählung, die ich auf Grund eines Bristoler Portbooks
(R. 0. Mise of Queen's Remembr. of Exch. Bdle. 193. J. P. R. 2202)
vornahm.
') Nach einem von mir gemachten Auszug aus oben genanntem Port-
book. Ausser den angeführten Waaren sind bei der Einführ nach England
noch verzeichnet: „mantell, choker, allec alb. et rubr., corc. niger, cope-
multon, calowe, bremis"; bei der Ausfuhr nach Irland: „croc, pflor. tinet,
legul., anues, stokkard, orchell operat, pell, aur., zonae, grocis cuttis, batr.,
comyn, Redlesshe, vurch. oper, gaide, filom blöd., wode .
— 312 —
als selbstverständlich, dass alle Privilegien der englischen Kauf-
leute auch für die blander gälten, unter sich verkehrten aber
Irländer und Engländer wie zwei fremde Nationen. Die Irländer
zahlten für ihre Producte in England Zölle, gerade als ob sie
dieselben aus der Fremde gebracht hätten *). Das Gleiche galt
in Bezug auf die Engländer2). Eigentliche handelspolitische
Verhandlungen kamen so gut wie nicht vor8).
Schottland war um Vieles besser als Irland, aber es hatte
doch viele Berührungspuncte mit demselben, namentlich hin*
sichtlich der industriellen Verhältnisse. Im Ganzen stand es
auf einer Culturstufe, die ungefähr die Mitte hielt zwischen
der von England und Irland 4).
*) Vgl. 17. Edw. IL c. 3.
*) Ob Art. 10 des Vertrags vom 26. Juli 1535 zwischen O'Neyll und
England so auszulegen ist, dass man sich gegenseitig Zollfreiheit zuge-
stand, muss ich bei dem unbestimmten Wortlaut der Cal. unentschieden
lassen. Brewer and Bullen, Cal. of the Carew Manuscr. L 56.
3) Sie betreffen mindestens untergeordnete Puncte. Vgl Brewer Ü.
996. III. 1182. IV. 81 u. s. w.
*) Eine ganz vorzügliche Schilderung über Schottland gegen Ende
des 15. Jahrhunderts besitzen wir von einem sehr gesunden Beobachter,
dem spanischen Gesandten Don Pedro de Ayala. Er schreibt an Ferdinand
und Isabella (25. Juli 1498. Bergenroth, Cal. I. 210): Schotüand ist
in seiner Beschaffenheit nicht sehr von England verschieden; aber die
Schotten sind nicht betriebsam, und das Volk ist arm; sie verwenden alle
ihre Zeit auf Krieg, und ist keiner, so fuhren sie solchen unter einander.
Es mag jedoch bemerkt werden, dass seit der gegenwartige König auf den
Thron gelangt ist, sie nicht so sehr mit einander zu streiten wagen, wie
früher; namentlich ist dies seit seiner Grossjährigkeit ersichtlich. Sie haben
aus Erfahrung gelernt, dass er das Gesetz übt, ohne Rücksicht ob es
Reiche oder Arme betrifft Man hat mir gesagt, dass Schottland während
seiner Regierung einen grossen Aufschwung genommen und jetzt dreimal
mehr werth ist, als früher, weil Fremde in das Land gekommen und ihnen
gelehrt haben, wie man lebt. Sie haben mehr Fleisch von grossen und
kleinen Thieren, als sie brauchen, eine Menge Wolle' und Häute. Spanier,
die in Flandern leben, sagen mir, dass der Handel Schottlands jetzt weit
beträchtlicher als früher und noch immer in der Zunahme begriffen ist
Unmöglich ist es, die ungeheure Quantität Fische zu beschreiben. Ein altes
Sprüchwort spricht bereits von der „piscinata Scotia". Man exportirt grosse
Massen Salm, Heringe und eine Art getrockneter Fische, welche sie Stock-
fische heissen. Die Quantität ist so gross, dass sie für Italien, Frankreich,
Flandern und England hinreicht. Sie haben so viele wildwachsende, ess-
bare Früchte, dass sie nicht wissen, wo mit hin. Es gibt ungeheuere
Heerden Schafe, hauptsachlich in den wilderen Theilen Schottlands. Häute
verwendet man zu vielen Zwecken. Man findet alle Arten Gartenfrüchte,
welche ein kaltes Land produciren kann. Sie sind sehr schmackhaft Orangen,
Feigen und dergleichen findet man hier nicht Das Getreide ist sehr gut,
aber sie produciren nicht so viel als sie könnten, weil sie das Land zu
wenig bebauen. Ihre Methode ist folgende: Sie pflügen das Land nur
einmal und zwar wenn Gras darauf ist das Manneslänge hat; sodann säen
sie das Korn und bedecken es mit Erde, welche sie durch Eggen erzeugen.
Dann geschieht nichts mehr bis zum Getreideschnitt Ich habe nach der
Ernte das Stroh so hoch stehen sehen, dass es bis an meinen Gürtel reichte.
Eine Art Korn wird gegen Johanni gesäet und im August geschnitten. Die
Städte und Dörfer sind volkreich. Die Häuser sind gut, alle gebaut aus
- 313 —
Für den Handel waren deshalb zum Theil dieselben Be-
dingungen gegeben, wie bei Irland, zum Theil trat aber Schott-
land auch als Concurrent Englands, namentlich in den Nieder-
landen auf1).
Der Verkehr zwischen England und Schottland selbst war
hauptsächlich ein Grenzverkehr. Zur See hatte aber der
Handel mit Fischen nach England grosse Bedeutung; diese
waren es auch hauptsächlich, mit denen Schottland die eng-
lischen Manufacte zahlte.
Zu einem gehörigen Staats- und völkerrechtlichen Ausbau
der Handelsbeziehungen konnte es jedoch bei den ewigen
Kriegen nicht kommen. Die Vertragsbestimmungen gingen über
die allgemeinsten Dinge nicht hinaus, und der ganze diplo-
matische Verkehr betraf fast nur Beraubungen, Entschädigungs-
forderungen und Gewährung von Geleitsbriefen2).
behauenen Steinen, mit vorzüglichen Thüren versehen, ebenso haben sie
Glasfenster und eine grosse Zahl Kamine. Alle Möbel, die man in Italien,
Spanien und Frankreich gebraucht, findet man auch hier. Es ist nicht
erst in der modernen Zeit, gekauft, sondern von früheren Jahren her ererbt.
Die Schotten sind nicht "reich; die Schuld an diesem Mangel tragt nicht
das Land; auf der andern Seite sind sie aber auch nicht so arm, dass sie
nicht ebenso gut lebten, als andere, die viel reicher sind; sie haben nur
Nichts in ihre starken Beutel zu thun.
l) Vgl. z. B. Brewer, "Cal. I. 3320. III. 1022. 2784. 3071. IV. 1110.
1590. 2126, 2781. 2787. 3248. 3249. 3582. 3612. 3613. 3798. 3868. 4101.
4178. 4671. 4926. 5045. u. s. w. Die verhältnissmässig bedeutendsten Be-
schwerden drehten sich meist um das Stapel zu Berwick, wohin die Schotten
ihre Waaren bringen sollten; vgl. darüber auch Rot Pari. VI. S. 224.
*) Pedro de Ayala gibt die Einnahmen Schottlands aus den Zöllen auf
25000 Ducaten per Jahr an. Bergenroth, Cal. I. 210.
Neuntes CapiteL
Die Stellung der beiden ersten Tudors zu den
Entdeckungen.
Wenn wir die Frage, welche Stellung die englische Re-
gierung zu den Entdeckungen einnahm, im Anschluss an die
Betrachtung der Handelsbeziehungen Englands zum Ausland,
kurz zu beantworten suchen, so geschieht es, weil auch die Ent-
deckungsfahrten ein commercielles Ziel verfolgten. Seit der
Weg um das Cap der guten Hoffnung gefunden, war doch das
Problem so gestellt, wie man durch eine Fahrt nach Westen
ebenfalls zu den Gewürzländern gelangen und den Portugiesen
den Reichthum oder doch das Monopol entreissen könne. Die
ganze Frage war von vornherein nicht eine rein wissenschaft-
liche, sondern eminent handelspolitisch-practische , und eben
deshalb gewinnt sie für unsere Aufgabe ein erhöhtes Interesse.
Sie bildet aber auch zugleich den natürlichen Schluss für diesen
Abschnitt; denn die neuen Welten waren die letzten Grenzen,
bis zu denen der englische Kauffahrer vordrang und vordringen
konnte.
Heinrich VII. hatte das Glück , das englische Scepter zu
führen, als der grosse Cristobal Colon seine kühnen Ideen zu
verwirklichen suchte. Aber nicht blos dessen Thaten zu er-
leben, war ihm beschieden, das Schicksal stellte ihm auch
anheim, ob er bei diesem folgenschweren Ereigniss das schönste
Ruhmesjuwel gewinnen wollte.
Man weiss, dass Christ. Columbus nicht nur als 2ljähriger
Jüngling in Bristol war (1477) und von dort aus Island be-
suchte *), sondern auch zur Ausfuhrung seiner Pläne die Blicke
auf England richtete. Als in Portugal und Spanien Columbus
mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, beauftragte er
') P esc hei, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen S. 101.
— 815 —
seinen Bruder Bartolomeo, den englischen König zu gewinnen
(1487). Heinrich VII. war eine nüchterne und vorsichtige
Natur und schwer zu bewegen, seine Casse zu öffnen, dass er
des Erfolgs nicht völlig sicher war. Man begreift, wenn er
auf die Projecte Bartolomeos r) nicht einging. Doch benutzte
er dessen Geschicklichkeit im Kartenzeichnen, um ihm einen
Unterhalt an seinem Hofe zu gewähren.
Als 1493 die Kunde der grossen Entdeckung an den eng-
lischen Hof gelangte, bereute der König freilich seine Zurück-
haltung und wäre gerne „dieses göttlichen Wunders" *) auch
theilhaftig gewesen. Sofort liess er den Bartolomeo rufen und
schloss, ohne dass er diesem von dem, was vorgefallen war, et-
was mittheilte, einen Vertrag ab, worin er alle Forderungen
Cristobals im Voraus bewilligte. Er hoffte Columbus vielleicht
noch auf seine Seite ziehen zu können. Aber es war zu spät.
Schon in Frankreich erfuhr Bartolomeo von Karl VUL, was
sich ereignet hatte8).
Die Belehrung, die Heinrich VII. bei dieser Gelegenheit
empfing, scheint genügt zu haben, um ihn bei neuen Fällen
dieser Art etwas zugänglicher zu machen.
Wie so viele Italiener hatte sich auch ein Genuese John
Cabot4) mit seinen drei Söhnen Sebastiano, Lodovico, Sansio
in England und zwar in Bristol niedergelassen. Der Entdeckungs-
trieb und der damals durch die Menschheit gehende divina-
torische Zug hatte auch ihn erfasst, und in der That hat er
sich mit seinem Sohne Sebastian nicht den geringsten Platz
unter den Entdeckern erworben. In Bezug auf Originalität
gebührt John und Sebastian Cabot die nächste Stelle nach
Columbus 5).
Die Versuche des John Cabot, im Westen Land zu finden,
gehen vermuthlich bis ins Jahr 1480 zurück. Sicher ist, dass
er seit 1490 mit Unterstützung von Bristolern Fahrten unter-
nahm, und am 24. Juni 1494 auf einer Reise das amerikanische
Festland erblickte. Vermuthend, dass das neuentdeckte Land
l) Dieser war" auf dem Wege den Seeräubern in die Hände gefallen;
seit Febiuar 1488 war er an Heinrichs VII. Hof. A. a. 0. S. 118.
*) In London hielt man die Entdeckung mehr für ein göttliches
Wunder als eine menschliche That. Hakluyt, The principal navigations
etc. III. S. 7. und Brief des Legaten Galeatius Butriganus. Aiesselbach,
Gang des Welthandels im Mittelalter S. 316.
*)Pe8chel S. 260.
*) Von Geburt war John Cabot Genuese; durch Einwanderung war
er venetianischer Bürger geworden. Friedrich v. Hellwald, Seb. Cabot
Vortrag geh. 17. Mai 1870 in der k. k. geograph. Gesellschaft zu Wien,
in der Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge heraus-
gegeben von Virchow und Holtzendorff Berlin 1871. Heft 124. S. 4.
*) So lautet das ürtheil Peschels über Seb. Cabot (S. 281). Allein
schon mit Rücksicht auf das Alter ist man nicht berechtigt, John bei
Seite zu schieben. Hellwalds Deductionen halte ich in dieser Frage für
ganz richtig. S. 18. Vgl. auch den Excurs am Ende des Bandes.
— 316 —
mit dem von Columbus gesehenen in irgend einem Zusammenbange
stehe , suchte John bei Heinrich VII. um eine Art Schutz Ar
seine eigenen Entdeckungen nach.
Am 5. März 1496 erhielten die Cabots von Heinrich VH.
ein Patent, kraft dessen er ihnen gestattete, mit fünf Schüfen
nach allen Ländern, Meeren und Golfen auf Entdeckungen aus-
zugehen x). Eine materielle Hülfe wurde versagt. Die Unter-
nehmer mussten auf eigene Kosten sich ausrüsten. Die einzige
Belohnung, die er ihnen zusicherte, bestand in dem Versprechen,
dass sie für den Handel nach den neu entdeckten Ländern ein
Monopol und auch die Herrschaft über diese Gebiete unter
englischer Oberhoheit erhalten sollten. Dagegen bedang sich
der König gleichzeitig den fünften Theil des Handelsgewinns
aus *).
Die Mittel der Cabots und ihrer Unterstützer waren ge-
ring, und erst im nächsten Jahr konnten sie und zwar mit
nur einem einzigen Schiff, dem Matthew, einen neuen Versuch
machen 8).
Die Cabots betraten auf dieser Reise das Festland von
Amerika, 14 Monate früher als Columbus. J. Cabot glaubte,
das Territorium des Grand Cham gefunden zu haben4), seine
beredten Schilderungen blendeten den König. Heinrich VTL
zeigte sich sehr erfreut, versprach, im Frühling 10 Schiffe und
zur Bemannung dieser Flotte ihm alle Gefangenen (ausgenommen
Hochverräther) zur Verfugung stellen zu wollen5). Er sorgte
für den Unterhalt John Cabots6) und zollte „dem grossen
Admiral" die seltensten Ehren. Das englische Volk aber ver-
götterte fast den Helden, der England so grosses Glück ge-
schenkt 7).
') Rymer XII. S. 595—596.
*) H. v. Hellwald. S. 8 glaubt, dass die Verhandlungen des Königs
mit Dänemark im Jahre 1495, bei denen John Cabot betheiligt war (vgL
oben S. 257, Note 8) bereits mit dem Plane der nordwestlichen Fahrt zu-
sammenhingen, und dass Island zu einem Stapelplatz auf halbem Wege nach
Chatai gemacht werden sollte.
8) Ausser Sebastian und John Cabot bestand die Bemannung ans 18
Seeleuten, worunter ein Burgunder, ein Genuese, die andern aber Eng-
lander und zwar meist aus Bristol selbst waren. ▼. Hellwald S. 15.
4) Cabot war am Lande auf ungeheuere Baume, auf ThierfaUen und
auf Nadeln zum Netzestricken gestossen, die, wie die Seefahrer nicht zwei-
felten, den Unterthanen des chinesischen Grosschans angehörten.
«) Vgl. Brown, Cal. 750 und 752.
«) Der König gab ihm(tohym that found the New Isle) 10 jf . Biddle,
Meraoir of Cabot London 1831. S. 80. Aus Browns Cal. I. 752 geht
jedoch hervor, dass diese Unterstatzung nur für die Zeit bis zur Ausrüstung
einer neuen Flotille dienen sollte.
*) Wie rasend . schreibt Lorenzo Pasqualigo an seine Brüder Alrise
und Francesco, laufen die Engländer ihm nach, so dass er ausheben kann,
wen er nur will, und eine Zahl unserer eigenen Schurken dazu. 28. Aug.
1497. Brown, Cal. L 752.
— 317 —
Am 8. Februar 1498 erhielt John Cabot ein neues Patent
zur Fahrt nach den neuentdeckten Ländern. Zwei Schiffe mit
300 Mann liefen aus. Da John entweder vor dem Beginn
oder während der Fahrt starb, so lag die Leitung nun in Sebas-
tians Händen. König Heinrich hatte dieses Mal wirklich einiges
Geld vorgestreckt, und auch Londoner Kaufleute betheiligten
sich mit Vorschüssen. Bereits war eine Ansiedlung geplant,
wie aus der zahlreichen Mannschaft zu schliessen ist. Auf
dieser Reise berührte, wie es scheint, Cabot Newfoundland und
suchte wohl auch im Norden noch weiter vorzudringen.
Als Heinrich VH. sah, dass Seb. Cabot keine Gewürze
brachte, und auch der Colonisationsversuch misslungen sei1),
war es mit seinem Eifer vorbei. Ein neues Anerbieten Cabots
1499 ward von ihm abgewiesen. Nachdem Sebastian noch ein
Schiff ohne öffentliche Hülfe ausgerüstet und auf dieser neuen
Reise noch weiter südlich vorgedrungen war 2), verliess er Eng-
land und begab sich in die mehrverheissenden spanischen
Dienste3), ohne dass wir im Stande sind, ein genaues Jahres-
datum für die Abreise von England anzugeben.
Der G&hrstoff war aber einmal unter die Engländer ge-
worfen. Keck und unternehmungslustig, versuchten sie das
Werk, das Cabot begonnen, fortzusetzen. Zunächst verbanden
sich vier Bristoler (Richard Warde, Hugo Elyot, Johann Thomas
und Thomas Ashehurst) mit drei Portugiesen oder richtiger
Eingebornen von den Azoren (Joäo Fernandez, Francisco Fer-
nandez und Joäo Gonzalez) *) zu weiteren Unternehmungen.
Der König ertheilte den Unternehmern das Handelsmonopol
nach den neu zu entdeckenden Ländern auf 10 Jahre und ver-
lieh den genannten Portugiesen das englische Bürgen-echt
(19. März 1501) ß).
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Fahrt un-
ternommen wurde. Fraglich bleibt, ob die 20 jg\ welche der
König am 7. Januar 1502 den in Newfoundland gewesenen
Kaufleuten von Bristol anweist, den obengenannten Unter-
nehmern oder andern Bristolern zufielen. Letztere entwickelten
den denkbar grössten Entdeckungseifer. Nach dem Zeugnisse
des spanischen Gesandten Pedro de Ayala schickten die Bürger
von Bristol von 1492—98 jedes Jahr zwei bis vier leichte Schiffe
!) Die Colonisten kamen in Folge der Kälte bereits im Juli sammt
and sonders um. v. Hellwald, S. 18.
*) Die Existenz der Fahrt wird angenommen von Biddle (S. 91)
und Peschel (S. 277), dagegen bezweifelt von Hellwald (S. 18).
') Nach dem Tode Amerigo Vespuccis wurde er in Spanien am 20.
October 1512 zum Reichspiloten ernannt und hatte als solcher die amtlichen
Seekarten herzustellen, v. Hellwald, S. 19.
4) Vgl. auch Rymer XIH. S. 41.
*) Gairdner, Letters and Papers of Rieh. HI. and Henry VIL II. S.
378. Bacon, History of Henry VII. bei Kennet I. S. 624.
— 318 —
nach der neuen Welt *), es wäre denkbar, dass 1501 zwei Unter-
nehmungen Statt fanden. *
Doch wie dem auch sei, als gewiss kann gelten, dass unter
der früheren Gesellschaft ein Streit ausbrach, der die Ausschei-
dung einiger alten Mitglieder zur Folge hatte. In dem neuen
Patent vom 9. Dezember 1502 werden Rieh. Warde, Joh. Tho-
mas und Joh. Fernandez ausdrücklich von den neuen Privi-
legien ausgeschlossen. Der ganze Tenor des Freibriefs zeigt
zugleich, dass die englische Regierung die Möglichkeit einer
Handelscolonie in der neuen Welt bereits fester ins Auge fasste.
Directe Unterstützung versagte der König auch jetzt wieder.
Die ganze Belohnung die er versprach, bestand in zeitlich sehr
vorsichtig beschränkten Vorrechten in den zu entdeckenden
Ländern, in gewissen Steuerfreiheiten für 5 Jahre; ausserdem
wurde das Patent tax- und stempelfrei ertheilt*). Das Re-
sultat, das diese Unternehmer erzielten, ist nicht bekannt
Dass aber fort und fort Fahrten nach Amerika Statt fanden,
davon geben des Königs Ausgaben Zeugniss8). Der Verkehr
der Engländer nach Newfoundland und ihre Fischerei daselbst
*) Bergenroth, Cal I. 210. 25. Juli 1498.
*) Zur Characterisirung des merkwürdigen Patentes mögen die wich-
tigsten Bestimmungen desselben hervorgehoben werden: 1) Die Unter-
nehmer dürfen überallhin fahren; doch sollen sie bereits in Besitz genom-
mene Lander des Königs von Portugal oder anderer befreundeter Fürsten
intact lassen. 2) Den englischen Unterthanen (männlichen und weiblichen
Geschlechts) steht das Recht zu, in die neuentdeckten' Länder und Inseln
überzusiedeln und unter dem Schutz der Entdecker und deren Herrschaft
zu verweilen, sich anzubauen und dem Erwerb nachzugehen. 3) Den Ent-
deckern steht die Regierung und Strafgewalt in den neu entdeckten Lan-
dern zu. 4) Der Handel nach diesen Gebieten ist während der ersten 40
Jahre von der Licenz des Königs und der Entdecker abhängig. 5) Bei
jeder Fahrt sollen die Waaren eines 120 Tonnen haltenden Schiffes während
5 Jahre (keinen Einfuhrzoll zahlen. 6) Der Capitän hat 4 Tonnen, der
Unterkapitän 2 Tonnen und jeder Matrose 1 Tonne zollfrei. 7) Die übrigen
Kaufleute müssen von allen aus den neuentdeckten Ländern eingeführten
Waaren den zwanzigsten Theil an die Entdecker abtreten. 8) Das Recht
der Factorei steht blos den Entdeckern zu. 9. Wenn Fremde oder sonst
Unberechtigte sich einnisten wollen, so dürfen die Entdecker dieselben ge-
waltsam vertreiben, selbst wenn die Fürsten dieser Fremden mit dem eng-
lischen König in Freundschaft stehen. 10) Die Bewohner dürfen sich unter
der Oberaufsicht der Entdecker ihre Local- und Justizbehörden wählen.
11) Die 4 Unternehmer werden zu Admirälen auf Lebenszeit ernannt. 12)
Nur die Oberhoheit Englands sollen die Entdecker anerkennen; sie sollen
nicht zur Zahlung eines Tributs verpflichtet werden. 13) Der ungestörte
Besitz wird den Entdeckern und ihren Nachkommen garantirt 14) Stellt
sich heraus, dass sie Länder entdeckten, für welche bereits Andere Patente
erhielten, welche aber von diesen nicht gefunden wurden, so haben
die Entdecker alle Rechte des gegenwärtigen Patentes zu beanspruchen.
15) Rieh. Warde, Joh. Thomas und Joh. Fernadez werden von diesem
Patente ausgeschlossen. 16) Joh. Goncalez und Fr. Fernandez haben auch
für ihren übrigen Handel die Zollprivilegien Einheimischer- zu beanspruchen.
Rymer XIII. S. 37.
8) 17. Nov. 1503 zahlte Heinrich YIL l£ „to one, that brought hawks
from the new-found island". 8. April 1504 gab er einem Priester, der
— 319 -
entwickelten sich so rasch, dass dadurch fremde Nationen sich
aufgefordert fühlten, auch dahin ihre Schiffe zu lenken*).
Mehr als Heinrich VII. liess sein Sohn Heinrich Vm. hin-
sichtlich der Unterstützung von muthigen Entdeckern erwarten.
Freigebig, jugendlich kühn, enthusiastisch, für alles Grosse be-
geistert, sollte ein solcher Monarch diesen weltbewegenden
Fragen unzugänglich gewesen sein?
Sicher ist zu bedauern, dass um diese Zeit Seb. Cabot
nicht mehr in England war. Keine Frage, dass er leicht beim
König kräftige Unterstützung gefunden hätte. Es gab auch
hellsehende Männer, welche Heinrich VIII. in diese Bahn zu
drängen suchten. Als Heinrich VIH. gleich seinen Vorfahren
Frankreich zu erobern beschloss, mahnten einige Lords ab und
zeigten im Hinblick auf die Vergangenheit nicht nur das Un-
vorteilhafte des Planes, sondern auch den zweifelhaften Er-
folg, da die Feuerwaffe den englischen Bogen überholt habe.
„Lassen wir", fuhren sie fort, „deshalb in Gottes Namen von
unsern Angriffen auf das Festland ab, da die natürliche Lage der
Inseln zu Eroberungen dieser Art nicht geeignet ist. Oder,
wenn wir uns ausbreiten und vergrössern wollen, so lasst es in
der Richtung sein, in der wir können, und zu der, wie es
scheint, die ewige Vorsehung uns bestimmt hat, nämlich zur
See. Die indischen Länder sind entdeckt und reiche Schätze
werden von dort täglich gebracht. Dahin lasst uns also unsere
Bestrebungen richten, und sollten die Spanier und Portugiesen
nicht gestatten, dass wir uns mit ihnen vereinigen, so gibt es
noch immer Land genug für Alle" *).
Die Worte verhallten unbeachtet. England unterliess es
nicht, unter Wolsey in das politische Getriebe der europäischen
Staaten einzutreten. Wolsey war aber ein viel zu umfassender
Politiker, als dass er völlig in die diplomatischen Schachzüge
jener Zeit aufgegangen wäre. Bereits 1516 machte er den
Versuch, England einen Theil an den rasch einander sich
folgenden Entdeckungen zu sichern. Der Cardinal lenkte zu
diesem Behufe seine Blicke wieder auf den in Spanien wei-
lenden Seb. Cabot; er machte diesem die günstigsten Be-
dingungen und wollte nicht nur die Schiffe, sondern noch
30 000 Ducaten behufs Ausrüstung zur Verfügung stellen. Se-
bastian Cabot ging wohl Anfangs auf das Anerbieten ein, liess
nach dem neuen Eiland sich begeben wollte, 2 £. August 1505 kaufte er
«wild cats and propinjays of Sie new-found island" für 13 sh 4 d. R
Biddle, Memöir of Cabot S. 234.
') So erschienen 1504 Bretonen in Newfoundland; von ihnen stammt
der Name der Insel Cap-Breton. Später (1519 und 1527) kamen auch die
Portugiesen und sollen eine Compagnie zur Colonisation Newfoundlands ge-
bildet haben. Peschel, Entdeckungen S. 278 und 334 Anm. 1.
*) Lord of Cherbourg Herbert, The life and raigne of King Henry
the Eighth. London 1649. S. 17 u. 18.
— 320 —
aber im letzten Moment nichtsdestoweniger den Cardinal im
Stich. Mit Rücksicht auf seine Vaterstadt Venedig war es haupt-
sächlich geschehen. Cabot hatte den Kaiser gebeten, die Erlaub-
niss zu seiner Entlassung aus spanischen Diensten nicht zu er-
theilen, und kehrte nach Sevilla zurück *). Ob die Expedition
dann überhaupt erfolgte, muss vorläufig dahin gestellt bleiben.
Zehn Jahre später widmete die Regierung dieser Frage
wieder grössere Aufmerksamkeit. Damals tauchte nicht nur
das Project auf, die Ansprüche des Kaisers auf den ostindischen
Gewürzhandel an den englischen König zu verkaufen *), sondern
es lief auch bei der englischen Regierung eine Denkschrift ein,
welche die verdiente Beachtung auf sich zog 8). Dieselbe ging
von einem intelligenten Kaufmann Robert Thorne von Bristol
aus 4), der in Spanien sich aufhielt. Der unternehmende Geist,
der in den fernsten Ahnen dieses Geschlechts schon zur Zeit
der Kreuzzüge sich kundgab, war auch den späten Nachkommen
eigen. Der Vater des R. Thorne hatte sich mit Hugo Elyot an
den Fahrten nach der neuen Welt betheiligt 6). Der Sohn Robert
war einer der ersten, der der von Seb. Cabot 1525 gegründeten
Association für den spanisch-westindischen Handel beitrat und
gehörte sicher auch zu den Kaufleuten aus Bristol, welche
nach Hakluyts Zeugniss von San Lucar aus den englischen
Handel nach den canarisehen Inseln organisirten 6).
Gleich dem Vater verfolgte und studirte R. Thorne den
Gang der Entdeckungen und hatte wohl in Folge des häu-
figen Umgangs mit Cabot die Gründe kennen gelernt, die
für das Gelingen der nördlichen Fahrt zu den Molukken
sprachen. Er ist fest überzeugt, dass die Portugiesen auf
diese Weise überholt werden könnten, und wünscht, dass sein
Vaterland diese gewinnreiche That vollbringe. Instinctiv fühlt
*) Sieh hierüber den Ezcurs am Ende des Bandes.
*) Brewer, Cal. IV. 2813. Lee an Wolsey. 20. Jan. 1527.
*) Gleichzeitig musste die kurz vorher von einem Engländer Tison
(der ein Factor von M. Thorne und anderen engl. Kauf leaten gewesen sein
soll) unternommene Fahrt die Aufmerksamkeit erregen. Hakluyt, The
principal navigations etc. 111. 3. 500.
*) R. Thorne übergab dieselbe dem englischen Gesandten am spani-
schen Hofe Dr. Lee. Das Schriftstück berührt alle damals nach dieser
Richtung hin brennenden Fragen und gehört zu den merkwürdigsten Docu-
menten der Entdeckungsliteratur. Dasselbe ist abgedruckt bei Hakluyt I.
S. 214 fg.: auch bei Lind 8 ay, History of merchant shipping and anrient
commerce IL S. 541 fg.-, vgl auch Brewer, Cal. IV. 2814.
*) Der Sohn beansprucht sogar für seinen Vater die Entdeckung New*
foundlands.
ö) Hakluyt U. P. 2. S. 8 nennt besonders Nich. Thorne undThom.
Spacheford und hebt hervor, dass 2 Factoren des Nich. Thorne ständig in
Santa Cruz sich aufhielten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Nich. Thorne
ein Verwandter des Bob. Thorne und von diesem beeinflusst war. Die Eng-
länder brachten dahin alle Arten von Tuch, Packfaden, Seife und nahmen
dafür entgegen Farbmaterialien, Zucker und Bockhäute.
— 321 —
er heraus, dass die Entdeckung der nordwestlichen Fahrt ein
vorwiegend britisches Problem ist1), und bietet dem König
seine Dienste an, wenn er ihm eine kleine Anzahl von Schiffen
zur Verfügung stellen wolle.
Heinrich VIII. ging auf Thornes Vorschlag ein. Man
darf hieher die von dem zeitgenössischen Geschichtschreiber
Hall erzählte Notiz rechnen, wonach am 20. Mai 19 Henr. VIII.
(1528) zwei stattliche, gut bemannte und mit Lebensmitteln
wohl versehene Schiffe vom König unter Leitung geschickter
Männer auf Entdeckungen ausgeschickt wurden. „If they
sped well", fügt der Chronist bei, „you shall here at their
retorne"2). Er meldet aber später Nichts mehr von ihnen.
Hakluyt will von Frobisher und Andern erfahren haben, dass
das eine Schiff, der „Dominus vobiscum", in einem Golf schei-
terte, das andere, die „Meta incognita", im October zurück-
kehrte3).
Das Misslingen der Expedition lähmte wieder den Eifer der
englischen Regierung für einige Jahre. Die Thatenlust der
englischen Kauffahrer erlosch aber nicht, wuchs vielmehr von
Tag zu Tag. 1530 unternahm Hawkins von Plymouth eine
Fahrt nach Guinea und segelte von da nach Brasilien4). Er
machte so gewinnreiche Geschäfte, dass er 1532 den Besuch
von Brasilien erneuerte5). Der englische Handel dahin und
nach Guinea war damit begründet. 1536 brachten Engländer
neuerdings Waaren, unter Anderm 100 u Gold^taub von Guinea
zurück, 1540 und 1542 gingen auch Kaufleute von Southampton 6)
nach Brasilien, und die Beziehungen zu diesem Lande blieben
ungestört, bis 1580 Spanien Portugal und seine Besitzungen
sich botmässig machte.
Auch die Versuche, den nördlichen Weg nach Ostindien
zu finden, ruhten nicht ganz. Wie hätte eine so kräftige
Nation, wie die englische war, sich beruhigen können, ehe
l) „Now rest", schreibt R. Thorne an Heinrich VIII., „to be discovered
the north parts, to which it seemeth unto me is onely your highnes6
Charge and dutie, because the Situation of this your realme is there-
unto neerest and aptest of all other." Hakluyt, The principal naviga-
tions, voyages, trafnques and discoveries of the'English nation. London
1599. L S. 212.
*) Hall, Chronicle S. 724.
a) Hakluyt IU. 129. Derselbe fügt auch^bei, dass ein grosser reicher
Mathematiker an der Spitze des Unternehmens stand. Ob Thorne an der
Fahrt selber sich betheiligte, ist unbekannt; die Anregung muss man aber
sicherlich ihm zuschreiben.
4) Hakluyt III. S. 700. Es ist unrichtig, wenn Beer, Gesch. des
Handels III. S. 363 behauptet, an der Westküste Africas sei das erste eng-
lische Schiff erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts erschienen unter Füh-
rung des Th. Wyndham.
b) Hakluyt a. a. O.
«) Rob. Reniger, Thom. Borey, Poudley und Andere. Hakluyt III.
S. 701.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 21
— 322 —
dieser grossartige Gedanke auf seine Realisirbarkeit geprüft
war? 1536 munterte Höre von London verschiedene Leute
(„gentlemen") auf, mit ihm nochmals eine Lösung des Problems
zu versuchen; Heinrich VIH. begünstigte das Unternehmen1).
Das gesteckte Ziel erreichte auch Höre nicht; aber seinen Be-
mühungen gelang es trotz fast unüberwindlicher Hindernisse,
auf Cap Breton und Newfoundland eine kleine englische Co-
lonie zu gründen und dadurch der vorteilhaften englischen
Fischerei daselbst einen sicheren Rückhalt zu geben2).
Wir brechen hier ab. Aus der Darstellung ergibt sich ein
Doppeltes. Sie ist auf der einen Seite ein letzter und glänzender
Beleg für die Energie und den Unternehmungsgeist der engli-
schen Kaufleute und Seefahrer, auf der andern Seite zeigt sie
ganz entschieden, dass die beiden ersten Tudors den Ent-
deckungen nicht die Sorgfalt zugewendet haben, die man von
ihnen erwarten könnte. Die Rolle, die Heinrich VII. hinsicht-
lich der Entdeckungsfahrten spielte, war eine kleinliche. Kein
Monarch der Welt besass damals die Mittel wie er, um hier
kräftig einzugreifen. Wie sehr sticht von seinem Benehmen
das der edlen Isabella ab, die behufs Ausrüstung der Schiffe
selbst ihre Juwelen verpfänden wollte, als Colon im Begriffe
stand, Spanien den Rücken zu wenden! Die Nachwelt würde
dem König seinen Geiz und seine Erpressungen verziehen
haben, wenn er zu dieser Aufgabe einen Theil der gesammel-
ten Schätze geopfert hätte.
Bei Heinrich VIII. war der Wille vielleicht grösser, das
Vermögen sicherlich geringer. Zu schwere Aufgaben ruhten
bereits in seiner Hand, und alle Kraft des gebieterischen Kö-
nigs reichte beinahe nicht aus, das Volk und den Staat in die
von ihm beliebten Bahnen zu leiten. Nach Aussen bestrebt
England im europäischen Völkerbunde zu einem angesehenen
Gliede zu machen, wurde Heinrich VIII. in endlose Schwierig-
keiten verwickelt; nach Innen entschlossen, eine folgenschwere
religiöse Bewegung ins Leben zu rufen, hatte er fast zwanzig
Jahre seines Lebens zu wachen und zu kämpfen , mit guten
und mit schlechten Mitteln, um immer an ihrer Spitze zu
bleiben.
Da war kein rechter Raum für Entdeckungsfragen und
Colonialpolitik. Die ersten passenden Momente gingen vorüber,
in denen es möglich war, England einen grossen Theil der
neuen Welt zu gewinnen. Und dennoch war vielleicht Hein-
') Hakluyt in. S. 129.
*) Anderson, Historical and chronol. deduction of the origin ot
commerce etc. sub anno 1536. Dass Fische seit dieser Zeit nicht selten
von Newfoundland („Newland") nach England gebracht worden, erhellt aus
33 Hen. VIII. c. 2 und 2—3 Edw. VI. c. 6.
i
— 323 —
richs VII. und seines Sohnes Politik in dieser Frage für Eng-
land ein Glück. Wenn unter englischer Flagge die Ent-
deckungen und Eroberungen in Amerika gemacht worden und
die grossen Reichthümer und Schätze England statt Spanien
zugeflossen wären, wie leicht hätte es sein können, dass auch
in England, ,wie in Spanien, die industrielle Blüthe von dem
giftigen Hauche getroffen erlahmt wäre, und wer weiss, ob
die in der Fülle eintretende Schlaffheit des Geistes nicht auch
der Reformation den Weg in England versperrt hätte. Aber
es traf sich, dass England an den unseligen Folgen der aus
den Entdeckungen emporströmenden Reichthümer glücklich
vorbeisteuerte und gleichzeitig die wichtigsten inneren Volk
und Geist reformirenden Fragen in der Hauptsache entschied.
Jetzt bedurfte es nur des belebenden Rufes einer Elisa-
beth, um von Neuem den Muth der Entdecker anzufachen, die
im Norden Amerikas bereits gelegten Keime zu entwickeln
und dem kühnen thatenlustigen Volk jene Colonialmacht zu
verschaffen , auf der Englands Reichthum, Macht und Stolz
sieh erhob.
21 ■
IL ABSCHNITT.
Erstes Capitel.
Die Stapelkaufleute und Merchant adventurers.
Der ganze erste Abschnitt legt Zeugniss davon ab, wie
der englische Handelstand seit der Mitte des 14., besonders
aber im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts eine kräftige Ini-
tiative entwickelt, die frühere Passivität mehr und mehr ab-
schüttelt und selbstthätig, mit vollster Energie den Kiel in
ferne Meere lenkt.
Das Mark des englischen Activhandels lag in dem Ver-
kehr mit den Niederlanden. Hier bildete der englische Kauf-
mann den wesentlichsten Bestandteil des grossen Weltmarktes,
mächtig und achtunggebietend stand er da, die wichtigsten
Fäden des ganzen Handelsgeflechtes in Händen haltend. Er
begegnet uns weiter im Innern Deutschlands, namentlich auf
den Frankfurter Messen, den zürnenden Kölnern zum Trotz x),
er tritt uns entgegen im fernen Osten, mit den tüchtigen
Hansen auf skandinavischem und preussischem Boden im Kampf,
zeitweise geschwächt, nie aber ganz unterliegend, immer wieder
sich emporraffend. Er besucht den höchsten Norden, in Is-
land handelnd und in seinen Meeren fischend. Wir finden ihn
im nördlichen und südlichen Frankreich, in Portugal und Spa-
nien und beobachten, wie er da Fuss fasst, einen regelmässigen
Handel dahin organisirt und unterhält. Selbst die Meerenge
von Gibraltar sehen wir ihn überschreiten und in kühnem
Fluge mit den alten und gewandten italienischen Handels-
mächten sich messen. Auch die neue Welt ist ihm nicht zu
fern, auch sie wird aus commerciellen Gründen immer wieder
besucht und zur Colonisation in Aussicht genommen.
Es waren thatkräftige Männer, welche den Bann brachen,
der lange Zeit auf dem Handel der Engländer lag, und der
englischen Flagge und dem englischen Kaufmann eine angesehene
Stellung im Weltverkehr verschafften. Bescheiden ist anfäng-
^ürk. Beil. 100 fg.
- 328 -
lieh ihre Rolle, da die Fremden einen beträchtlichen Vorsprung
hatten. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts sind in ganz
England nur 169 reiche Kaufleute, an die der König im Fall
der Geldnoth sich wenden kann1). Das 16. Jahrhundert da-
gegen zählt schon mehr als 3000, welche allein dem Seehandel
oblagen *).
Die Geschichte hat treu das Gedächtniss der hervorragend-
sten englischen Kaufleute bewahrt8). Das 13. Jahrhundert
nennt, um nur auf einige hinzuweisen, als solche Pioniere den
auch als Gründer eines College bekannten J. Pultney, ferner
Gr. de Rokesly, der ein grosser Wollhändler und der reichste
Goldschmied jener Tage war und später zum Inhaber des
Wechselamtes und zum Münzvorstand sich emporschwang, weiter
das Geschlecht der Thornes, die an den Kreuzzügen sich be-
theiligten und den Handel nach dem Mittelmeer begannen4).
Im 14 Jahrhundert ragten hervor Richard und Wilhelm de la
Pole, zugleich die Hauptberather Eduards HI., besonders aber
R. Whittington, den das Lied -so herrlich preist:
Es denkt mein Herz mit Ehrfurcht und mit Wonne
An Richard Whittington, des Handels Sonne,
Den Angelstern und die erlesn'e Blume
Der Kaufmannschaft. Was hat zu Englands Rahm
Und Vortheil nicht sein Reichthum uns gewahrt t
Noch heute wird sein Name hoch geehrt
Papier und Feder thut mir nicht genüge
Zu würd'ger Schild'rung seiner edlen zeige.
Des Kaufmanns höchster Ruhm ward ihm zu Theil;
Mehr sag* ich nicht Gott geh' ihm Ruh' und Heil5).
Im 15. Jahrhundert glänzten neben Roger Thornton aus
Newcastel, neben dem Mercer Geoflroy Boleyn, dem Ururgross-
vater der Elisabeth mütterlicherseits, vor Allem die Kaufleute
Barantyn, W. Cotton, W. Walderma aus London, Rob. Stunnyn
aus Bristol, Taverner aus Hüll6), welche den Handel nach
Italien und in die Levante förderten, Th. Smith, Th. Tirry,
W. Cabol, Th. Baker aus London, welche im Bunde mit den
Bristolern den Verkehr mit Lissabon unterhielten7), das Haus
der Jays aus Bristol, das an den Entdeckungsfahrten sich be-
theiligte, W. Cannyngs, ebenfalls aus Bristol, der den Fisch-
handel in seine Heimathstadt zog, die Fahrten nach Island
l) Rot Pari. H. S.456, wo sie mit Kamen aufgeführt sind. Einzelne
unter ihnen sind allerdings sehr reich: vgl. Longman, The history of
life and times of Edward the third. I. S. 4.
') Wheeler, Treatise of commerce S. 78 gibt die Zahl der nach den
Niederlanden handelnden Kauf leute im Jahre 1601 auf 3500 an. Sieh auch
Burgon, Life and times of Th. Gresham I. S. 485; IL S. 417.
3) Vgl. besonders Bourne, English merchants. Memoire in Illustra-
tion of the progress of British commerce. London 1866. I.
4) Sieh oben S. 133.
») Libell of English Policye. Hertzbergs üebers. Vers 486 ig.
<) Sieh oben S. 115, 116.
7) Sieh oben S. 288.
— 329 —
und Preussen betrieb , 800 Seeleute und 10 Schiffe mit einem
Gehalt von 2930 Tonnen beschäftigte.
Am Anfang des 16. Jahrhunderts ist die Unternehmungs-
lust schon so allgemein, die Zahl der Kaufleute so gross1)»
dass es schwierig ist, einzelnen eine hervorragende Stellung
einzuräumen. Als bedeutendere Namen darf man für die Zeit
Heinrichs VIII. vielleicht anführen J. Gerard, Hugo Clopton,
Th. Seymour, J. Aleyn, H. Eden, Eic. Fermour, die namentlich
den Handel ins Mittelmeer pflegten *), Hob. Thorne von Bristol,
Hawkins von Plymouth, welche mit Spanien, den canarischen
Inseln und der neuen Welt verkehrten, ausserdem den vom
König hochgeschätzten W. Lambe und den hochangesehenen
Grosshändler R. Gresham, Oheim des Gründers der Londoner
Börse Th. Gresham, endlich die Gouverneure der englischen
Kaufleute in den Niederlanden John Clyfford (1515), John
Hewster (1518/19), John Stile (1529), John Hackett (1534), John
Hutton (1536/38), Sturgepn (1544), Th. Chamberlayn (1545),
Stephan Vaughan (1550) W. Dunsell und John Fitzwilliam (z. Z.
der Elisabeth).
Diese und andere Eaufleute haben dem englischen Handel
neue Bahnen gebrochen und die Unterstützung der Regierung
zu seiner Stärkung und Festigung zu gewinnen gewusst. Das
gentigte aber nicht. Den mittelalterlichen Verhältnissen ent-
sprechend war ein dauernder Erfolg nur zu erzielen, wenn die
Kaufleute im Auslande als geschlossene Macht auftraten, ge-
meinsam ihre Ziele verfolgten. Die Vereinigungen der eng-
lischen Kaufleute und die daran sich emporrankenden Bestre-
bungen werden so für die Entwicklung des englischen Activ-
handels in der mittlem Zeit von einschneidender Bedeutung.
Die erste Organisation der englischen Kaufleute ward
durch die Stapeleinrichtung bewirkt, wonach alle oder die wich-
tigsten englischen Ausfuhrartikel nach bestimmten Plätzen zum
Verkauf gebracht werden mussten, und eigene Stapelvorstände
mit gewissen Rechten geschaffen wurden. Seit wie lange diese
existirte, lässt sich nicht genau feststellen. Die Stapler selbst
pflegten die erste Entstehung bis 1248 und noch weiter zu-
rückzudatiren ; mit voller Evidenz glaubten sie aber beweisen
zu können, dass ein Wollstapel mit den dazu gehörigen Be-
amten im Jahre 51 Hen. III. (1266/67) bestanden habe8).
Für sein Vorhandensein in der Zeit Eduards I. liegen auch
heute noch zahlreiche Beweise vor. Das Stapel war jedenfalls
nicht aus der Initiative der Kaufleute, sondern aus der der
Regierung hervorgegangen. Die Stapeleinrichtung wurde sogar
lange und wiederholt bekämpft und als im Widerspruch mit
l) Sieh Bre wer, Cal. passim, besonders unter den jährlich ertheilten
Licenzen.
*) Auf Grund der Enrolled Accounts of Customs. (R. 0.).
3) Malynes, The Center of the circle of commerce 1628. S. 93.
- 330 -
der Magna Charta betrachtet1). Zeitweise hob die Regierung
es auf2), stellte es aber meist nach kurzer Unterbrechung
wieder her. Sie sah in ihm ein zu werthvolles Mittel zur Er-
reichung der verschiedensten Zwecke, als dass sie es entbehren
mochte.
Das Stapel war zunächst ein politisches Machtmittel. t Da-
durch, dass die englischen Könige die heimischen Rohstoffe
nach einem bestimmten Orte im Ausland dirigirten, verpflich-
teten sie sich diese Städte und ihre ganze Umgebung. Die
Verlegung des Stapels übte allezeit einen mächtigen Druck.
Wir wissen, dass schon Eduard I. dieses Mittels sich bediente,
um Flandern gefügig zu machen, indem er den Waarenstrom
statt nach Brügge mehrmals nach Dordrecht oder Antwerpen
lenkte8). Ebenso ist bekannt, dass Eduard III. durch das
Stapel den Herzog von Burgund zu gewinnen suchte4). Auch
in der Folgezeit, als das Stapel nach wiederholter Verlegung
schliesslich in Galais fixirt wurde, diente es einem politischen
Zweck. Es war der Kitt, durch den Calais an England gefes-
selt, blühend und stark erhalten wurde6). Das Stapel war
sodann insbesondere ein finanzielles Institut. Die Stapelein-
richtung erleichterte die Controle des Zollwesens 6) und ermög-
lichte in Folge dessen eine hohe Belastung der Stapelwaaren,
*) Vgl. z. B. Rot Pari. IL S. 877.
a) 2 Ed. m. c. 9; Rymer, (Rec. Ed.) IL P. IL S. 879.
s) Varenbergh, Relations diplomatiques entre le Comte* de Flan-
dre et l'Angleterre. 1874. S. 165, 180, 181, 267, 849.
*) Rymer IV. S. 720, 781. 745.
ß) „Caleys, yat by ye continuance ofye said staple hath hiderto been
gretly maintened and strengthed". Rot Pari. IV. S. 490; vgl. auch Ry-
mer V. S. 618. Dass man in der Belassung des Stapels zu Calais bewusst
zu Gunsten dieses ein Opfer brachte, ersieht man aus den Worten des
Kanzlers M. de la Pole, der wegen dieses Opfers 1385 im Parlament für
seine Verlegung nach England plädirte : „Unde mter cetera motiva de dicta
stapula infra regnum Anglie de cetero propter effectus multiplices et
commoditates quam plurimas inde subsequentes tenenda et habenda recitavit,
qualiter diversa ville et loca, utpote Calesia, Bruges et alia, in quibus dicta
stapula prius extiterat, vehementer ditata fuerunt et promota per stapulam
supra dictam, quodque custuma et subsidium lanarum plus valuerunt domino
regi annuatim, auando stapula fuit in Anglia, per mille marcas, auam value-
runt, quando fuit in aliquibus partibus extens. Et sie ex premissis liquere
Sosset, manifeste fore domino regi commodius et toti regno utUiu*, habere
ietam stapulam semper infra regnum u. Rot Pari III. S. 203. Vgl. auch
Rot. Pari. IL S. 268. 858: V. S. 234; 27 Hen. VI. c. 2; 19 Hen. VII.
c. 27; 7 Hen. VIII. c. 10; Nichols, Chronicle of Calais in the reigns of
Henry VII and VIII to the year 1540. London 1846. Es bleibt iedoch zu
berücksichtigen, dass die Festhaltung des Stapels in Calais auch gewisse
handelspolitische V ortheile bot, die bei der Verlegung nach England weg-
gefallen wären. Namentlich wäre im letzteren Fall die englische Schiffahrt
lahm gelegt worden. Ueber den Rückhalt, welchen Calais der englischen
Regierung in ihrer Handelspolitik gegenüber den Niederlanden gewährte,
sieh oben S. 66.
6) Vgl. Rymer V. S. 273.
— 331 -
namentlich der Wolle x). Die Stapelkauf leute hatten das grösste
Interesse daran, dass der Schmuggel hintangehalten wurde2),
weil sonst in Folge der Concurrenz der Schmuggler der Preis
herabgedrückt wurde, und der Zoll auf den Staplern liegen
blieb. Die Stapler waren ferner die natürlichen Bankhalter
der englischen Regierung •) und eine Zeit lang, wie wir unten
sehen werden, von Wichtigkeit, um das Geldwesen, namentlich
die Einfuhr des England notwendigen Edelmetalls zu regeln 4).
Kurz, das Stapel war vorwiegend, wenn nicht ausschliess-
lich eine Schöpfung der englischen Herrscher, ein Organ des
englischen Finanzsystems.
Man begreift, dass dasselbe an sich vollständig unfähig
war, dem englischen Handel neue Wege zu eröffnen. Es war
gewissermassen zum Stillstand verurtheilt, die Richtung war
den Staplern vorgeschrieben, nur in der angewiesenen Bahn
durften sie sich bewegen. Das Stapel war auch kein specifisch
nationales Institut in dem Sinn, dass es nur den Interessen der
einheimischen Kauf leute diente. Zeitweilig, so oft nämlich
dasselbe vom Festland nach England verlegt worden war,
wurde den Einheimischen die Ausfuhr aus dem Stapel ganz
verboten5). Aber auch wenn dasselbe in Calais war, wurde
den Fremden nicht nur der Eintritt in die Stapelgesellschaft
sewährt, sondern sie nahmen auch an den wichtigsten Freiheiten
Theil. Bei der Rechtsprechung konnten sie mit herangezogen
werden, und bei der Wahl der Stapelbehörden waren sie stimm-
berechtigt. Allerdings gestaltete sich später die Sache so,
dass factisch die einheimischen Kaufleute fast allein den Ex-
port nach dem Stapelplatz besorgten, aber ursprünglich war
dies nicht der Fall und nicht unmittelbar beabsichtigt 6).
Mit der Stärkung des einheimischen Kaufmanns gegenüber
dem fremden hat die Stapelorganisation direct nichts zu thun,
sie war aber von indirectem Einfluss. Dieser war gegeben
durch die Gerichtsbarkeit und die ausgedehnte Selbstverwal-
tung, welche den Staplern gewährt wurde. Am Stapelplatz
hatte der Stapelmayor, der ebenso wie seine Beisitzer von den
Kaufleuten gewählt wurde, das Recht zu handhaben und zwar
nach dem „LeyMerchant", das eine raschere und zweckmässigere
Entscheidung ermöglichte7), als der gewöhnliche Rechtsweg.
*) Bd. IL S. 6, sowie Stubbs, Constitutional history of England passim.
* Rot Pari, passim z. B. IV. S. 359, 360. VI. 3. 164.
3) Nicolas, Proceedings I. S.305; III. S. 50. 67; IV. S. 52. 139. 178
u. s. w. Rymer V. S. 432; 4 Ria II. st. 2. c. 2; Rot. Pari. IL S. 326;
V. 8. 208. 249. 297. 420.
*) Abschn. IL Cap. 5.
6) So durch 14 Ria IL c. 5 (1390).
°) 27. Ed. III, st 2. c. 3. 21. 22. 24.
*) 1427 verlangten, aber vergeblich, die Stapler eine Erweiterung ihrer
gerichtlichen Privilegien, namentlich sollte kein bei ihnen anhängiger Rechts-
fall vor denWestminsterer Gerichtshof gebracht werden. Rot Pari. IV. S.328.
— 332 —
Er bestellte die Makler und Waarentransporteure, sorgte für
Magazine und Wohnungsräume, er übte die Aufsicht über den
Handel 1), setzte in Gemeinschaft mit Beisitzern die Preise fest,
unter denen nicht verkauft werden durfte*), erhob Abgaben
zur Bestreitung der Kosten3). Durch diese und ähnliche
Functionen wurde die aus dem Kreise der Kaufleute hervor-
gegangene Stapelbehörde der natürliche Beschützer derselben
und der Vertreter ihrer Interessen. Da diese Organisation
nicht blos im Stapel zu Calais, sondern auch an den Plätzen
bestand , wo die Waaren vor ihrem Export gesammelt werden
mussten, so war in der That den Kaufleuten allerwärts ein
Muster der Organisation vorgezeichnet, das sich auch sonst
anwenden liess. Die zahlreichen Niederlassungen fremder
Kaufleute, die in England seit ältester Zeit bestanden, waren
ebenfalls geeignet, zur Nachahmung zu reizen.
Diese Aufgabe nun, den Handel ausserhalb des Stapels zu
organisiren, zu pflegen und zu erweitern, war, wie schon er-
wähnt, nicht Sache der Stapler, sie fiel einer andern Classe
von Handelsunternehmern zu. Merchant adventurers, die wa-
genden Kaufleute nannten sie sich. Schon in dem stolzen
Namen documentirt sich ihr Ziel. Nicht an eine bestimmte
Route oder an einen bestimmten Platz gebunden, nicht als
dienendes Glied der Regierung oder blosses Organ des Finanz-
und Geldwesens, frei und selbstbestimmend wagen sie sich
hinaus und durchfurchen die Meere , überall , wo immer sie
können, Beziehungen knüpfend, Niederlassungen gründend, den
englischen Waaren Geltung verschaffend.
Jeder seefahrende Nichtstapelkaufmann war ein Merchant
adventurer. Es gab „adventurers to Iceland4), to Prussia,to
Spain, Italy" etc., auch „fishmongers adventurers"6). Wie aber
der englische Aussenhandel weitaus nach dem niederländischen
Weltmarkte gravitirte, so waren auch die „M. a. to Holland,
Brabant, Flanders" etc. die Säule, an der sich die übrigen
ge wissermassen nur anlehnten, wenn schon sie wohl zu keiner
Zeit von einer einheitlichen Organisation umfasst wurden. Die
nach den Niederlanden handelnden Kaufleute hiessen deshalb
Merchant adventurers schlechthin. Seit Anfang des 16. Jahr-
hunderts war dies auch ihr officieller Name. Sie sind die
Hauptträger der englischen commerciellen Politik. Ihre Ge-
schichte verdient deshalb besonders beleuchtet zu werden.
Die Literatur über die Merchant adventurers ist ausser-
ordentlich dürftig; die Neuzeit hat dem Gegenstand so gut
*) Sieh Stapelstatut 27 Ed. III. c. 16,21,22,23. Rot. Pari. II. S. 246 fe.
f) Der erste Versuch hiezu wurde um 1368 gemacht Rot ParLU.
S. 276.
3) Rot Pari. II. S. 276. 287.
*) 25 Hen. VIII. c. 4.
6) Nicolas, Proceedings etc. VII. S. 318.
— 333 —
wie keine Beachtung geschenkt. Alle Nachrichten, die man
über dieselben gelegentlich findet, sind direct oder indirect
aus Flug- und Parteischriften des 17. Jahrhunderts geflossen.
Die Hauptquelle in dieser Hinsicht ist Wheeler, welcher
Secretär der Merchant adventurers war und sich nicht nur um
die Redaction ihrer Gesetze und Gebräuche sehr verdient
machte *)* sondern auch die Verteidigung seiner Gesellschaft
aufs Nachdrücklichste unternahm. Er verfasste deshalb, als Ende
des 16. Jahrhunderts gegen das Monopol der Compagnie eine
scharfe Reaction sich geltend machte, ein Büchlein, in welchem
er die Vorzüge der Gilde darlegte, und widmete dasselbe dem
Minister der Königin Elisabeth, Sir Rob. Cecil2). Diese 1601
«ileichzeitig in Holland und England erschienene Schrift wurde
die Grundlage aller späteren zu Gunsten der Merchant adven-
turers geschriebenen Flugschriften3), aber auch für die histo-
rischen Notizen der Schriftsteller des 18. und 19. Jahr-
hunderts4).
*) Diese im Jahr 1608 durch Wheeler vorgenommene Redaction be-
findet sich jetzt im britischen Museum (Add. 18918). Der sehr schön ge-
schriebene Foliant ist betitelt: „The lawes customes and ordinances of the
fellowshippe of merchantes adventurers of the realm of England collected
and digested into order by John Wheeler, secretairie to the said fellow-
shippe, a° domini 1608 and sithence continued according to the further
Orders from time to tyme made for the government of the said ffellow-
shipp. Reddite cuique, quod suum est." Die Capitel des wichtigen Buches
lauten: Nr. 1. Of government and courtes, caput primura folio 3. Nr. 2.
Of admi8sions into the the fellowshippe with Orders conceminge as well
ffreemen as apprentices, caput secundum folio 23. Nr. 3. Of shippinge,
shewinge sellinge and other Orders in feat of merchandise, caput tertium
fol. 41. Nr. 4. Of bequest monie and how the same ys to be disposed,
caput quartum fol. 105. Nr. 5. Of presentmentes and the manner of pro-
ceedinge in the condemninge and levyinge of brokes, cap. quintum fol. 117.
Nr. 6. Of arrestes of persons and coodes processe and pursuite of causes
before the court, caput sextum fol. 127. Nr. 7. Of iniuries in woord or
deed, quarrelinge, fightinge, misdemeanour, excesse and playe, caput septi-
kum fol. 143. Nr. 8. Of impositions, assessementes, charges and duties to
the house, caput octavum fol. 155. Nr. 9. Of maryage and purchase foreign,
caput nonum fol. 167.
*) Dasselbe ist betitelt: „A treatise of commerce, wherein are shewed
the commoditie8 arising by a wel ordered and mied trade, such as that of
the societie of merchantes adventurers is proved to bee written principallie
for the better information of those, who doubt of the necessarienes of the
said sodetie in State of the Realme of Englande, by John Wheeler secre-
torie of the said societie. Middelburgh. By Richard Schilder«, Printer to
the States ofZeland 1601; bezw. London. Printed by JohnHarrison 1601."
r; Ein Tract von 4 Quartoblättern „The advantages of the kingdome
of England both abroad and at home, by manageing and issuing the dra-
pery and woollen manufactures of this kingdom under the ancient govern-
ment of the fellowship of merchants adventurers" (Brit. Mus. Pressmarke
M6 m 14/79) ist geradezu ein kurzer Auszug aus Wheeler.
') In Deutschland hat besonders Justus Mos er auf das Werkchen auf-
merksam gemacht. Patriotische Phantasien. Bd. III. S. 170.
— 334 —
Weniger Berücksichtigung fanden die Schriften zweier
Kaufleute, Namens Gerard Malynes und Eduard Misseiden,
welche in dem zweiten Decennium des 17. Jahrhunders schrieben.
Den directen Anlass dieser Flugschriften gab nicht die Com-
pagnie der Merchant adventurers, sondern die damalige Handels-
lage überhaupt. Eduard Misseiden veröffentlichte zuerst ano-
nym, 1622 mit Namen, eine kleine Schrift: „Free trade or
the means to make trade flourish, wherein the causes of the
decay of trade in this kingdome are discovered." Gegen die
Auseinandersetzungen Misseldens trat Gerard Malynes mit einer
Broschüre *) auf und tadelt als genauer Kenner des Monsieur
Bodin, den er den „great polititian of France" nennt, dass
Misseiden das Hauptmittel für einen blühenden Handel, näm-
lich die „operative power of exchange" unberücksichtigt ge-
lassen. Er beleuchtet die verschiedenen geltend gemachten
Gründe für den Verfall des Handels *) von einem abweichenden
Standpunkt aus und differirt auch besonders in Rücksicht auf
die Beurtheilung der kaufmännischen Compagnien; denn wäh-
rend Misseiden diese und die Merchant adventurers preist3),
sieht Malynes in den „policies of merchants" einen Hauptgrund
mit zum Verfall des Handels4). Indem nun Misseiden diese
Angriffe nicht unerwidert liess5), und Gerard Malynes auch
diese Entgegnung wieder einer scharfen Kritik unterzog6).
*) „The maintenance of free trade according to the three essentiall
parts of traffique, namely commodities, moneys and exchange of moneys
by bills of exchanges for other countries, or an answer to „a treatise of
free trade or the meanes to make trade flourish" lately published. By
Gerard Malynes Merchant. London 1622."
-) Als solche sind genannt: Geldmangel, Wacher, unpraktisches Ge-
richtsverfahren, freie Zulassung fremder Nationen zur Fischerei in englischen
Gewässern, Missbräuche in der Tuchmacherei , Ausfuhr von Wolle, Zölle
auf Tuch zu Hause und in der Fremde, Kriege, übermässiger Gebrauch
fremder statt einheimischer Waaren.
n) Free trade etc. S. 74.
*) The maintenance of free trade etc. S. 50. Er erwähnt, die M. adv.
hätten unter dem Vorwande ihrer Patente den gesammten Export der weissen
und gefärbten Tücher, der „kersies,baies,sayes,serges}perpetuanoesu nach den
Niederlanden und Deutschland an sich gerissen und den Handel gedrückt;
die fremden Eaufleute, die Stapler und übrigen Engländer seien an der
Ausfuhr verhindert, der Tuchpreis ^werde herabgemindert, und die Tuch-
macher müssten sich durch Fertigung schlechten Tuchs entschädigen. Aach
der Wollproducent und Landeigentümer leide darunter; dazu komme die
Concentration dieses Handels in London, wodurch die anderen Häfen ver-
armten.
ß) „The circle of commerce or the ballance of trade in defence of
free trade opposed to Malynes Little Fish and his^Great Whale and poizeä
against them in the Scale. Wherin also Exchanges in generali are con-
sidered : and therein the whole trade of this kingdome with forraine
Countries is digested into a ballance of trade for the benefite of the Pu-
blique. Necessary for the present and future times. By E. M. (Edward
Misseiden) Merchant. London 1623."
') „The center of the circle of commerce or a refutation of a treatise
intituled : The circle of commerce or the ballance of trade, lately published
_ 335 -
konnte es nicht fehlen, dass die Stellung und Geschichte der
Merchant adventurers nach vielen Seiten hin erörtert wurde J).
Immerhin tragen alle die genannten Schriften einen Partei-
charakter an sich; sie entstellen, sind lückenhaft und geben
nur das, was ihrem Parteizwecke dient. Obwohl Wheeler mit
den Rechten und Urkunden der Compagnie bekannt sein
musste, und auch Misseiden wie Malynes sich solcher Kennt-
niss rühmten, so sind sie doch nur mit Vorsicht zu benützen.
Aus diesem Grunde, sowie um die grossen Lücken aus-
zufällen, suchte ich so viel wie möglich auf die Documente
selbst zurückzugehen. Ich habe nicht geringe Mühe auf-
gewandt, um in diese dunkle Materie durch neues Material
mehr Licht zu bringen. Zum Theil dürfte mir dies auch ge-
lungen sein2). Uebergrosse Erwartungen darf man jedoch
nicht hegen. Die Vorgeschichte aller mittelalterlichen Corpo-
rationen pflegt ziemlich verschleiert zu sein, und die Documente
diessen vor dem Ende des 16. Jahrhunderts bezüglich der
Merchant adventurers keineswegs reichlich. Ihre ganze Ent-
wicklung bis zu dieser Zeit lässt vermuthen, dass der Urkunden-
schatz derselben nicht gross sein konnte, und wir werden in
dieser Vermuthung auch bestätigt durch ein von uns auf-
gefundenes Verzeichniss sämmtlicher Documente8), welche die
Merchant adventurers 1547 besassen. Dasselbe muss bis auf
Weiteres als die Hauptquelle der älteren Geschichte dieser
Compagnie gelten. Zum guten Glück wurde dasselbe mit
irrosser Genauigkeit abgefasst, so dass es in vielen Fällen die
Urkunde ersetzt. Nicht selten gelang es mir, Copien oder
Originalien der erwähnten Documente noch aufzufinden; da-
gegen war 'ich nicht im Stande, Einzelstücke der Sammelposten
l»y E. M. By G er ard Malynes Merchant. London 1623" Malynes zeigt
sich entschieden dem Misseiden überlegen; als geborner Flandrer bewegt
er sich in seinen Deductionen viel freier als Misseiden und verschmäht des
letzteren scholastische Beweisführung. Malynes stand bei Jacob I. in eini-
gem Ansehen. Ausser der bekannten Lex Mercatoria verfasste er auch
noch das Schriftchen : „Englands view in the unmasking of two paradoxes
with a replication unto the answer of Maister John Bodine. London 1603."
l) Die grosse Zahl der sonst im 17. Jahrhundert erschienenen ein-
schlägigen Schriften sind in Bezug auf die ältere Zeit wenig ergiebig. Ge-
nannt seien: „A discourse consisting of motives for the eulargement and
treedome of trade especially that of cloth and other woollen manufactures
engiossed at present contrary to the law of nations and the lawes of this
kingdome. By a Company of private men who Stile themselves Merchant
adventurers. London 1645." und „Of a free trade. A discourse seriously
recommending to our nation the wonderfull benefits of trade, especially of
a rightly governed and ordered trade. Setting forth also most clearly the
relative nature, degrees and qualifications of libertie, which is ever to be
inlarged or restrained according to that Good, which relates to, as that is
more or lesse ample. "Written by Henry Parker, Esq. London 1648."
*) Vgl. ürk. Beil. 116 fg.
s) ürk. BeiL 133.
— 336 -
ans Licht zu ziehen. Das Verzeichniss erwähnt, dass der
Schrein mit den Urkunden bei den Mercern deponirt war; der
gegenwärtige Clerk der Gilde, Mr. Watney, mit dem ich dieser-
halb in Correspondenz trat, erklärte jedoch, nichts auf die
Merchant adventurers Bezügliches finden zu können.
Ueber den Beginn der Gesellschaft der Merchant adven-
turers herrscht grosse Unsicherheit.
In einer Petition um Aufhebung der Parlamentsacte
12 Henr. VIL c. 6 datiren die M. a. ihren Ursprung vom
Jahre* 1216 an. Im 16. Jahre der Regierung Johanns habe
nämlich, sagen sie, der Herzog von Brabant den englischen
Kaufleuten ein Privileg ertheilt, das sie zur Wahl eines Con-
suls und zur Ausübung eigener Gerichtsbarkeit berechtigte 2).
In einem Rechenschaftsbericht, den die M. a. 1638 dem Hause
der Gemeinen übergaben, sollen sie das Jahr 1296 als das
ihres Ursprungs angegeben haben, indem sie dargelegt hätten,
dass sie in diesem Jahre in Antwerpen sich niedergelassen
und mit allen Kaufleuten, die dahin kamen, zu einer Gesell-
schaft zusammengeschlossen hätten 2). Wheeler beansprucht
das Jahr 1248 als das Geburtsjahr der Compagnie, indem er
behauptet, die Brüderschaft des heil. Thomas Becket von
Canterbury habe damals vom Herzog von Brabant Privilegien
erhalten, die vom König bestätigt worden seien 8). Misseiden l\
Malynes6) und Andere setzten den Beginn in die Zeit des
englischen Königs Heinrich IV.
Diese Abweichungen beruhen vielleicht zum Theil auf Un-
genauigkeit, zum grösseren Theil dürften sie darin ihren Grund
haben, dass die verschiedenen Gewährsmänner eine verschie-
dene Phase der Entwicklung als den eigentlichen Ausgangs-
punkt betrachteten.
Als sicher kann gelten, dass im 13. Jahrhundert — ob
nun zuerst 1216, 1248, 1286 6), muss dahingestellt bleiben —
der Herzog von Brabant Privilegien ertheilte, und zwar darf
man annehmen, dass diese für alle Engländer und nicht, wie
Wheeler behauptet, blos einer Brüderschaft galten. Es war
eine bekannte Taktik der M. a., alle in den Niederlanden den
*) Urk. Beil. 134.
*) Anderson I. S. 253 In wie weit diese Angabe Glauben verdient
und ob es nicht vielleicht statt 1296 1216 oder 1286 heissen soll, muss
dahin gestellt bleiben. Die gedruckte Sammlung der Journals of the house
of Common8 (des Br. M.) enthält keine Angaben für das Jahr 1638; trotz-
dem verweist Herbert, History of the twelf great Livery Companies auf
dieselben.
8) S. 8. Middelb. Ausg.
A) Circle of Commerce S. 53.
*) Centre of circle etc. S. 88: -This (sc. patent of Henr. IVtb) was
the first originall and foundation of the new Merchants adventurers.'''
•) Ygl. Urk. Beil. 133 § 27.
— 337 —
Engländern gewährte Privilegien sich allein zuzusprechen. Die
uns erhaltenen Documente beweisen, dass die Rechte allen
Engländern zugedacht worden waren1).
Die genannten Privilegien, denen weitere am Anfang des
14. Jahrhunderts folgten8), sollten den Handel der Engländer
nach Brabant ermöglichen und fördern. Sie verschafften den-
selben die Aufnahme ins niederländische Recht, d. h. es wurde •
den Engländern gestattet, bei Streitigkeiten mit den Ein-
heimischen vor den Brabanter Gerichten zu erscheinen und
Urtheil zu verlangen. Ferner durften die englischen Kaufleute
sich aus ihrer Mitte einen Vorstand wählen, der die unter
ihnen entstandenen Differenzen schlichten und ihre gemein-
samen Angelegenheiten ordnen sollte3).
Mit dieser Gerichtsbarkeit war der Keim, die Möglichkeit
zu einer Gesellschaft gegeben. Man muss aber fuglich be-
zweifeln, ob schon damals dieselbe zu einer Organisation der
Merchant adventurers, wie sie uns später entgegentritt, ge-
führt habe. Alle Wahrscheinlichkeit spricht vielmehr dafür,
dass diese Gerichtsbarkeit und dieses Consulat anfangs von
den Staplern ausgeübt wurde. Der Stapelmayor war zugleich
der Gonsul. Nicht genug, dass die Existenz des Stapels für
die Mitte des 13. Jahrhunderts als wahrscheinlich gelten
kann4), wir wissen auch, dass in den späteren Regierungs-
jahren Eduards I. und unter Eduard IL dasselbe in Antwerpen
sich befand6). Man wird sogar kaum fehlgehen, wenn man
annimmt, dass die Privilegien geradezu erst mit Rücksicht auf
die Verlegung des Stapels nach Brabant ertheilt wurden. In
den uns noch erhaltenen Freiheiten von 1305 und 1315 stehen
denn auch die Zollsätze für Wolle und Häute, also für die
zwei wichtigsten Stapelartikel an der Spitze.
In der Folgezeit wurde das Stapel häufig verlegt, bald
nach St. Omer, bald nach Brügge, bald nach englischen
Plätzen; zeitweise hob man es auch ganz auf. Seit Ende des
14. Jahrhunderts wurde es endlich in Calais belassen6). Da-
durch schrumpfte der englische Handel in Antwerpen wieder
auf ein Minimum zusammen.
Der Hauptverkehr der Stapler bewegte sich also fortan
l) Sieh oben S. 8.
*) Sieh ebenda.
*) Das Antwerpener Privileg von 1305 sagt: ^Poterunt etiam eligere
soae nationis consufem, qui de rebus omnibus ad ipsos spectantibus cog-
noscat, praeterquam ubi de amissione membri vel capitis agitur. Pape-
brochius, Annales Antverpienses ed. Mertens et Buschmann I. S. 67.
*) Sieh oben S. 329.
*) Rymer II. S. 206; vgl. auch Stubbs, Constitutional history of
England Ü. S. 411 fg. und oben S. 830.
6) Sieh 21 Ria IL c. 17. Vgl anch die üebersicht über die Ge-
schichte des Stapels im 14. Jahrhundert bei Craik, History of English
commerce L S. 12. fg.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 22
— 388 -
zwischen Calais und England. Sie besuchten zwar sicherlich
von Galais aus auch die niederländischen Märkte, namentlich
Brügge, aber das lag eigentlich schon ausserhalb ihres Be-
reiches. Es war ja der Zweck des Stapels, fremde Kaufleute
an den Stapelplatz zu ziehen. Diese sollten mit Geld und
Waaren nach Galais kommen und damit die englischen Artikel
eintauschen. Alles, was diesen Zweck vereitelte, war dem
Geist des Stapels entgegen. Es war darum auch ganz con-
sequent, wenn man z. B, den Ankauf der Stapelartikel durch
Commissionshäuser in Galais verbot1).
Für den directen Verkehr zwischen England und den
niederländischen Handelsemporien war somit ungenügend ge-
sorgt. Die Lücke wurde theils durch englisch^ NichtStapel-
kaufleute, theils durch Fremde ausgefüllt. Man sollte meinen,
damit sei auch Anlass genug für eine besondere Organisation
der namentlich nach Brügge handelnden englischen Kaufleute
vorhanden gewesen. Trotzdem liegen gar keine Beweise für
eine derartige Trennung vor*). Man ist zur Annahme ge-
zwungen, dass der Stapelmayor von Calais gleichzeitig der
Gouverneur der englischen Kaufleute in Flandern war. Die
Nähe von Calais und Brügge und die Mitbetheiligung der Stapler
am Handel nach dem letzteren machten eine solche einheit-
liche Vertretung möglich und vielleicht auch wünschenswert!).
Darin musste aber eine Wandlung eintreten, als mit An*
fang des 15. Jahrhunderts der Verkehr der Nichtstapelkauf-
leute sich wieder von Brügge nach Antwerpen zu ziehen be-
gann. Jetzt wurde nicht nur die Entfernung zu gross, sondern
auch die Grundlage des englischen Handels nach Brabant war
eine eigenartige, der des Stapels entgegengesetzte. Die eng-
lische Tuchindustrie war allmälig zur Blüthe gelangt Mit ihr
verbanden sich die Interessen der englischen Nichtstapelkauf-
leute. Das Tuch war und wurde immer mehr das Fundament
*) 8Henr. VI. c 20; im Jahre 1454 verlangten die Gemeinen wiederum :
„And that noo merchaunt continuelly inhabitaunt within the said town of
Caleys nor any other persone to his use by crafte or covyn bye or by wey
of eschaunge aeeept or take any maner of merchandise of the seid staple.4*
DieBitte wurde abgeschlagen. Rot. Pari. V. S. 277. Sieh ferner VI. S. 397.
a) Nur ein Fall spricht scheinbar für eine solche. In den Freiheiten,
welche Graf Louis de Male am 26. Febr. 1359 verlieh, ist von den engli-
schen Kaufleuten die Rede, welche in Brügge ihre Gesellschaft unter einem
Gouverneur haben (Varenbergh, Relations diplomatiques entre la Flandre
et l'Angleterre S. 447 fg.). Gleichzeitig befand sich seit 1353 das Stapel
an verschiedenen Plätzen in England (Rot. Pari. II. S. 246). Der Stapel-
mayor in England konnte nicht wohl zugleich Gonsul in Brügge sein, man
könnte meinen, damit sei die Trennung bewiesen. Wenn man aber bedenkt,
dass vorher das Stapel in Brügge war, die genannten Privilegien nur eine
Bestätigung der früheren sind und der Graf auf Veranlassung von Brügge
und der übrigen flandrischen Städte sie erneuerte, um dadurch die engli-
cshen Stapelkauf leute und das Stapel erst wieder nach Flandern zu ziehen,
was ihm aber nicht gelang (Varenbergh S. 394, 395, 415), so ist klar,
dass hier kein Gegenbeweis für das im Text Gesagte vorliegt
— 339 —
ihres Exportes, mit ihm erwarben sie die Waaren des nieder-
ländischen Weltmarktes und führten sie England zu. Je besser
die Webereien in England blühten, um so grösser war das
eigene Gedeihen. Diese Uebersiedelung nach Antwerpen war
deshalb, wie wir schon früher hervorhoben x), einer der wich-
tigsten Wendepunkte für die englische Industrie und den eng-
lischen Handel im Mittelalter, ein Act der Emancipation, der
beiden erst eine wirkliche Entfaltung ermöglichte.
Unter diesen Verhältnissen war eine vom Stapel zu Calais
scharf gesonderte Vertretung unumgänglich geworden. 1407,
also im selben Jahr, in welchem die englischen Kaufleute in
Antwerpen ein Haus erwarben, ertheilte Heinrich IV. die Con-
sulatscharte s), d. h. er gab den Kaufleuten, die nach den
Niederlanden handelten, das Recht, sich daselbst an einem
Ort zu versammeln und einen Gouverneur zu erwählen, der
unter ihrem Beirath die Handelsangelegenheiten ordnen und
Recht sprechen sollte. Die Verleihung ist nicht blos auf die
Kaufleute, die nach Brabant, Holland und Seeland handelten,
beschränkt, sondern sie hat auch Giftigkeit für Flandern, ja
sogar ganz allgemein für die überseeischen Gebiete. In dieser
weiten Fassung wird man nicht einen Widerspruch zu unserer
obigen Darstellung erblicken dürfen, sie war noth wendig, weil
der Verkehr mit Brügge noch fortgesetzt wurde, und es sich
Oberhaupt darum handelte, die NichtStapler in diesen und den
anliegenden Gebieten zusammenzufassen. Es blieb dann den
Merchant adventurers überlassen, den jeweils günstigsten Platz
sich auszusuchen. Insofern dieser Freibrief den eigentlichen
Rechtsgrund für die gesonderte Existenz der M. a. statuirt,
kann man allerdings mit Misseiden und Malynes von da den
Anfang der Gesellschaft datiren.
Aus der vorstehenden Entwicklung ergibt sich, dass die
Gesellschaft nur lose verbunden war. Das Consulat, der Ge-
horsam gegen seine Verordnungen, die Beitragspflicht zu seinem
unterhalt waren die einzigen äussern Banden des Zusammen-
halts. Die Schutzbedürftigkeit und die Gemeinsamkeit der In-
teressen waren der innere Kitt. Von einer eigentlichen In-
corporirung war noch keine Rede3) und eine Gilde im mittel-
alterlichen Sinn, die den Menschen völlig umfasste, nicht vor-
handen. Solchen Aufgaben war die Organisation nicht ge-
wachsen. Schon der Umstand, dass der Schwerpunkt derselben
l) Sieh S. 7, 8. 107.
^Rymer VIII. S. 464.
8) Malvnes' Urtheil über die Charte von 1407 muss als richtig an-
gesehen werden. Er sagt (The circle of commerce. London 1623. S. 86):
«Diese Charte gab keine ausschliessenden Vollmachten, sondern nur das
Recht, sich zu versammeln, einen Gouverneur zu wählen und die Miss-
bräuche unter sich abzustellen ; an diesen Privilegien participirten alle Kauf-
und Seeleute Englands und Irlands ohne Ausnahme und ohne Beschränkung.
22*
- 340 —
ausserhalb des Reiches lag, und die Gesellschaft überhaupt
keinen localen Charakter hatte, sondern alle wagenden Kauf-
leute Englands umfassen konnte und beinahe auch wirklich
umfasste, trat hindernd entgegen. So erklärt sich auch die
, Erscheinung, dass die M. a. in England selbst besonderen
Gilden angehörten ; in London waren es die Mercers l), die aus
Händlern mit Kleinwaaren zu Grosshändlern und Kauffahrern
sich emporschwangen und die Seele der neuen Gesellschaft
wurden ; an andern Orten mögen es auch die Mercers, vielfach
j aber auch andere allgemeine Kaufmannsgilden gewesen sein *),
I welche die Mitglieder zu der Gesellschaft der M. a. lieferten.
1 Dieser Zustand erwies sich als vollkommen seinem Zwecke
entsprechend, und die Könige konnten sich lange auf die
blosse Bestätigung des Consulatsbriefs beschränken8).
i Erst unter Heinrich VII. machte sich das Streben nach
einer stärkeren Centralisation , mit ihr aber auch nach einer
grösseren Abschliessung geltend. Unter ihm traten auch die
M. a. aus der bisherigen stillen Wirksamkeit heraus und
Hessen merken, welche Macht sie besässen. Als Heinrich VH.
nach seiner Thronbesteigung die Zölle erhob, noch bevor sie
vom Parlament bewilligt waren, verweigerten sie die Zahlung
derselben, und der König wagte nicht, ihre Forderung um Er-
lass derselben abzuweisen4). Heinrich VH. liess sie überhaupt
in den ersten 10 Jahren seiner Regierung gewähren. Als
aber die äusseren handelspolitischen Fragen ziemlich gelöst,
auch im Innern die königL Autorität gestärkt und über alle
Parteien erhoben war, widmete er auch diesem Punkte seine
volle Aufmerksamkeit. Mit klarem Blick hatte er erkannt,
Als die Tuchindustrie einige Fortschritte gemacht hatte, war König Hein-
rich IV. gewillt, jeden seiner Unterthanen gerade so wie die Stapler zum
Tuchexport zu ermathigen, und deshalb gab er Vorschriften oder die oben
genannte Charte solchen Kaufleuten, die nicht zur Stapelgesellschaft ge-
örten, aber doch Lust hatten, unser Tuch nach Flandern, Brabant, Hol-
land und andern Ländern zu bringen."
l) Ihr Alter als Metropolitangilde reicht wenigstens bis 1172 zurück.
Herbert, History of the twelve great Livery Companies of London 1837 1. S. 231 .
*) In Bristol waren es wohl die Mitglieder der von W. Cannynges
gestifteten Corporation (George Pryce, Memorials of the Cannynges nunily
and their times 1854. 8. 135) und in Boston die Mitglieder der Guild of our
Lady in St Botolph's church, bekannt auch dadurch, dass sie, um wahrend
der Fasten Fleisch essen zu dürfen, sich jährlich vom Papste einen Pardon
erwirkten und einmal die Dienste des Th. Cromwell hiebei benutzten (vgl. Foxe,
Acts and Monuments V. S.?364). In Newcastle setzten sich die Merchant adven-
turers zusammen aus den „crafts of mercers, drapers or spicers". (Nähere Mit-
theilungen über die M. a. in Newcastle bei Mackenzie, Descriptive and
historical account of Newcastle upon Tyne 1827. IL S. 607, 664 fc.)
8) Sieh die Reihe dieser Bestätigungen Urk. Beil. 133. Wie alle
Corporationen damaliger Zeit führten auch die M. tu die ununterbrochene
Fortdauer ihres Privilegs mit Vorliebe für ihre Rechte an. Vgl. Missei-
den, Circle of commerce. S. 53. '
*) Campbell, Materials for a history of Henr. VH L S. 273. 4.
Febr. 1486.
— 341 -
dass von der richtigen Lenkung und Leitung dieser englischen
Handelsgesellschaft die Blüthe des englischen Handels und der
Industrie selbst vielfach abhänge.
Ein schwerer Entscheid war damals zu treffen. Wie die
Entstehung der Gesellschaft hauptsächlich das Werk der Lon-
doner war, so waren diese auch bestrebt, alle Gewalten in
ihre Hände zu bekommen1). Das war ihnen frühzeitig ge-
lungen, und sie benützten nun ihre Macht, um die auswärtigen
Mitglieder zu majorisiren, zu schätzen und auszuschliessen.
Eine Art Steuerrecht stand jedenfalls von Anfang an den Vor-
ständen der M. a. zu, um die Consulatskosten bestreiten zu
können. Später gesellte sich zu diesen Beiträgen ein neuer
für eine Assecuranzkasse, welche die Mercers in London unter
sich errichtet hatten *), und zu der sie auch die übrigen Mit-
glieder herbeizogen. Die Versicherungssumme war vorzüglich
geeignet, um andere Zwecke zu maskiren. Während der Bei-
trag anfangs nur 6 sh 8 d (1 Nobel) war, erhöhte man
ihn bald auf 100 fläm. Schillinge und zuletzt auf 20 fg *). Da
nun kein Engländer oder junger Kaufmann nach den Nieder-
landen handeln durfte, wenn er nicht zuvor diese Summe be-
zahlte, so war der Handel nur in die Hände der Reichen ge-
geben. Es war ein Versuch der Abschliessung, wie er uns
auch bei den Staplern entgegentritt 4), und we wir ihm so oft
bei den Gewerbszünften begegnen6).
l) Die Ernennung des Gouverneurs lag fast ganz in ihren Händen.
Als die Kaufleute 1542 in Antwerpen einen andern wählten, als den, wel-
chen die Londoner wünschten, klafften die letzteren beim Privy Council, in
Folge dessen auch die Wahl redressirt wurde. Urk. Beif. 132. Die
Gouverneure waren meist sehr angesehene Männer; so wissen wir, dass
auch Will. Caxton einer war. Delepierre, The fürst printers of Belgium
and Engl. Mise, of Bibliophil Vol. Vi. S. 19—21; sieh auch oben S. 329.
*) Dies geschah unter Heinrich VI., der 1425 den Mercers eine Charte
gab, worin er „grants to the Mercers to have a chaplain and a brother-
hood, for the reuef of such of their Company as shall come to decay from
misfortunes of the sea". Herbert, History of the 12 great livery com-
panies I. S. 226.
•) Preamble des Statuts 12 Henr. VII. c 6.
4) Das Eintrittsgeld bei den Staplern betrug 100 M. (Urk. Beil. 129).
Im Jahre 1444 verlangten die Stapler, dass bei der Wahl ihrer Behörden
in Calais nur diejenigen stimmberechtigt sein sollten, welche wenigstens
10 Sack Wolle in eigenem Namen verschifften, wurden aber mit diesem
Verlangen abgewiesen (Rot Pari. V. S. 105). 1454 wurden abermals
Stimmen gegen die Stapler laut. In einer Petition heisst es : „And that it
8hal be leerall for every of youre seid liege peple from this
Urne forwarde to bringe the seid wolies and wolfelles to the seid staple
of Caleys and them to utter and seile there, and to be free — there to enjoye
and have at all times all maner of libertees and customes, as eny of tue
felisship of the seid staple hath or shal have without any fyne makyng or
paying therfore, except ordinarie chargesu. Dieses Ansuchen, welches offen-
bar die stramme Organisation der Stapelgesellschaft zerstören wollte, wurde
jedoch abgelehnt. Rot Pari. V. S. 277.
*) Vgl. 22 Hen. VHI. c. 4 und 28 Hen. VIII. c. 5.
— 342 —
Gegen diese unberechtigte Hemmung und Monopolisirung
des Handels erhob sich, wie man denken kann, ein lauter
Protest von Seite der Benachteiligten. Sie legten dar, wie
man in alle übrigen Länder frei und ungehindert handeln
dürfe, wie dies auch früher mit den Niederlanden der Fall
gewesen und wie schädlich diese Neuerung sei. Der Absatz
der englischen Tücher und Waaren leide darunter, und das
Gewerbsvolk verliere seinen Lebensunterhalt; man sei genöthigt,
die Tücher nur nach London zu bringen und daselbst unter
dem Selbstkostenpreis, meist noch auf langen Credit zu ver-
kaufen. Die Preise der von den Niederlanden gebrachten Artikel
habe man erhöht, so dass die Käufer nicht dabei bestdien
könnten. Die Städte und Flecken des Königreichs seien in
grossen Verfall gerathen und in einem trost- und hoffnungs-
losen Zustand. Die Zölle und die Schiffahrt des Landes
drohten gänzlich zerstört zu werden.
Der König und das Parlament schlössen sich diesen Aus-
führungen an. Es kam ein Gesetz zu Stande, wonach jeder
Engländer nach den Niederlanden frei und ungestört handeln
durfte, wofern er 10 Mark (= 6 j£ 13 sh 4 d) an die Ge-
sellschaft der M. a. entrichtete 1).
Der Plan der Schliessung der Compagnie war somit ver-
eitelt, die Uebergriffe und Missbräuche der M. a. waren glück-
lich unterdrückt und ein bestimmter Rahmen vorgezeichnet,
über den die Kauffahrer nicht hinauszugehen wagen durften.
Gerne war dagegen der König bereit, den M. a. seine
Unterstützung zu leihen, wenn sie Forderungen stellten, die
auf der einmal gelegten Basis sich bewegten. Er war weit
entfernt, die Gesellschaft, die sich um Ausbreitung des engli-
schen Activhandels so verdient gemacht und noch fortwährend
hiefür thätig war, zu schwächen zu einer Zeit, wo es galt, die
Herrschaft der fremden Kaufleute in England zu brechen, die
einheimischen zu stärken und zu noch grösserer Energie zu
spornen. Mehr als wie alle seine Vorgänger auf dem Thron
hatte er die Worte des Libell of Englishe Policye sich zur
Richtschnur gemacht:
Wenn man den Kaufmann schätzt so furcht' ich nicht,
Dasa uns die Kraft im FaU der Koth gebricht.
Denn ist der reich, so wird auch unser Land
Gedeihn, der Herren-, wie der Bürgerstand2).
Nachdem er der Compagnie 1498 ein eigenes Wappen
verliehen und 1501 auch ihren Freibrief bestätigt hatte3),
') 12 Hen. VII. c. 6.
*) Hertzbergs üebersetzung S. 82, 83. Vers 482 fg.
a) Urk. Beil. 138. § 8 u. § 9.
— 343 —
schritt er zu einer besseren Regelung ihrer Befugnisse und
Gewalt Den Anstoss gab die damals vom König wegen der
obwaltenden Differenzen mit Burgund gewünschte Uebersiede-
lung der M. a. nach Calais. Die bei dieser Gelegenheit er-
lassene Verfügung enthielt folgende Bestimmungen : Die M. a.
sollen das Recht haben, sich nicht nur einen Vorstand, sondern
zugleich 24 Beisitzer zu erwählen. Alle Beschlüsse und Er-
lasse sind giltig, sobald sie eine Majorität von 13 Mitgliedern
besitzen und nicht den Prärogativen der Krone oder dem ge-
meinen Wohl entgegenstehen. Der Vorstand in Gemeinschaft
mit den Beisitzern kann alle Verletzungen der Statuten nach
Gutdünken bestrafen, ohne dass eine Appellation möglich ist.
Ferner sollen sie das Recht haben, Beamte zum Einsammeln
der Strafgelder zu ernennen , denen volle Executivgewalt über
Person und Eigenthum der Uebelthäter zusteht. Auch ist ihnen
gestattet, ihre eigenen Packer, Wäger und Messer zu wählen.
Sie dürfen Jeden, der an ihrem Handel sich betheiligt, zwingen,
der Compagnie beizutreten und ihren Statuten sich zu fügen *).
Der Gouverneur und seine Deputaten erhielten die Befugniss,
alle Merchant adventurers in einem Court zu London oder
sonstwo zu versammeln. Jeder, der, obwohl benachrichtigt;
nicht erscheint oder sonst gegen die Gesellschaft sich ver-
fehlt, kann in ein königl. Gefängniss gebracht und vom Gou-
verneur und seinen Beisitzern noch weiter bestraft werden.
Die Hälfte der Strafgelder fällt dem König zu. In der Hand-
habung ihrer Rechte sollen sie durchweg des königl. Beistandes
sich erfreuen *). Man sieht deutlich, wie bei dieser Regulirung
die definitive Organisation, welche die Stapelkauflente wäh-
rend der Regierung Eduards HL erhielten, als Muster vor-
schwebte.
Diese starke Autorität, mit welcher der König die Gesell-
schaft ausstattete, war hinreichend, um etwaigen eentrifugalen
und in Folge des oben genannten Gesetzes sich eindrängenden
Elementen zu begegnen.
Mit welchem Ernst die M. a. die ihnen gegebene Gewalt
gebrauchten, dafür fehlt es nicht an Beispielen. Ein strenges
Regiment wurde von den Gouverneuren und ihren Beisitzern
gefthrt. Der ganze englische Handel nach den Niederlanden
wurde von ihnen geleitet. Sie bestimmten, ob die einzelne
Messe besucht werden durfte oder nicht. Waren die Tuch-
preise gedrückt, so suchten sie dieselben durch Verminderung
der Zufuhr oder durch das Verbot des Messebesuchs wieder
zu heben. Rasch und energisch griffen sie ein, wenn man in den
Städten ihre Privilegien verkümmern oder den Wünschen des
>) ürk. Beil. 121; 133 § 12.
*)ürk. Beil. 122; 133 § 13.
— 344 —
Kaufmanns nicht Rechnung tragen wollte, sei es, dass sie
die Zufuhr ganz verboten oder an andere Orte lenkten; immer
war die Repressalie von Erfolg gekrönt Den Niederländern
war diese Gewalt ausserordentlich unbequem; wiederholt klagten
sie darüber *)• Am deutlichsten documentirt sich aber die er-
starkende Executive der M. a. in ihrem Streit gegen die Stapler.
der früh anhebt und mit wachsender Leidenschaft geführt wird.
Die Bedeutung der Stapelkaufleute lag in dem Reichthum
Englands an Rohproducten. Sie waren ursprünglich berufen.
die erstaunlichen Massen an Wolle, Blei, Zinn, Häuten, Butter.
Käse und sonstigen englischen Artikeln dem Continente zuzu-
führen. Im Laufe der Zeit wurde ihr Privileg und ihr Handel
auf Wolle, Wollfelle, Häute, Blei und Zinn beschränkt *). Zur
Zeit Heinrichs VHI. war, wie es scheint, auch Blei und Zinn
dem Stapel zu Calais entzogen, beide wurden auf den Markt
nach Antwerpen gebracht *). Es liegt auf der Hand , dass ihr
durch Alter und Wohlhabenheit4) gesteigertes Ansehen ver-
mindert werden musste, seit durch das Erstarken der engli-
schen Industrie der Export der Manufacte sehr beträchtlich
wurde5) und das Emporsteigen einer neuen Gesellschaft be-
gründete, der unstreitig die Zukunft gehörte. Im Jahre 144iJ
machten die Stapelkauf leute darauf aufmerksam, dass die Zoll»
revenuen aus den nach Calais gehenden Waaren zur Zeit Edu-
ards HI. viele Jahre hindurch 68 000 M. und mehr betragen
hätten, nun aber 12 000 M. nicht überstiegen 6). Sie glaubten
den Hauptgrund in den vielen Licenzen, welche vom Transport
nach dem Stapel entbanden, suchen zu müssen. Weit mehr dürfte er
in der Abzweigung des Handels der M. a. liegen. In demselben
Masse als die Tochtergilde reifte, zu grösserer Lebenskraft und
Bedeutung gelangte, in demselben Masse musste die Mutter-
gilde vereinsamen und dem Zustand der Schwäche verfallen7).
Es war auch von dem Moment an, wo die M. a. sich con-
centrirten und den Gegensatz ihres Handels zu dem der Stapler
scharf ausprägten, ein Zusammenstoss der beiden Gesellschaften
sehr nahe gerückt. Den Anlass zum Ausbruch des Streites
gab das Brüderschaftsgeld, das die M. a. von ihren Mitgliedern
*) Vgl. z.B. ürk. Beil. 33 u. 84 § 18; sieh auch oben S. 25. 26, lü6.
*) Vgl. z. B. Rot Pari. III. S. 271; S. 320; IV. S. 293; V. S. 24;
S. 28; S. 149.
•) Vgl. Bd. IL S. 22 Note 1 und Brewer, Cal. IV. 4638.
*) Ueber den Reichthum der Stapler vgl. auch Lefebvre, Histoire
de Calais II. S. 206.
6) Vgl. die einleitenden Bemerkungen zu den Zollregistern Bd. II
S. 17 tg.
fl) Rot. Pari. V. S. 149.
7) Ueber die kleine Zahl der Stapelkaufleute im Jahre 1450 sieb
Rot. Pari. V. S. 208.
— 845 —
erhoben. Unter Heinrich VI. wollten sie demselben diejenigen
Stapler unterwerfen, welche sich am Tuchexport nach den
Niederlanden betheiligten. Stolz und Eigennutz veranlassten
die Stapler, dieser Einordnung in die Tochtergesellschaft sich
zu weigern. Sie gingen dabei vom Rechtsstandpunkt aus1)
und bewiesen, dass sie das Recht der Tuchausfuhr immer be-
sessen und früher geübt hätten, als die jetzigen M. a. Wenn
später auch Anderen als den Staplern der Tuchexport gestattet
worden sei, so könnten doch diese jetzt nicht ihnen das Recht
strittig machen oder sie deshalb besteuern.
Ihre im Jahre 1457 vorgebrachte Klage gegen die Be-
lästigungen der M. a. fand Berücksichtigung, indem der
König in der Charte der Stapelkaufleute erklärte, dass der
Freibrief Heinrichs IV. für die nach den Niederlanden han-
delnden Kaufleute keineswegs so auszulegen sei, dass die
Stapler unter dem Vorwand desselben in ihrer Person oder an
ihren Gütern beunruhigt werden dürften2) Auch Philipp, der
Herzog von Burgund, nahm entschieden für die Stapelkauf-
leute Partei, indem er offen erklärte, seinem Lande sei es nur
erspriesslich , wenn Stapelkauf leute und M. a. zugleich und
unter gegenseitigem Wettbewerb die niederländischen Märkte
besuchten *).
Seit die M. a. von Heinrich VII. mit so grossen Zwangs-
mitteln ausgestattet worden waren, erneuerten sie ihren Ver-
such gegen die Stapler4); es war ihnen unerträglich, dass die
Stapler das feste Gefüge ihrer Organisation durchbrechen und
alle ihre handelspolitischen Massregeln durchkreuzen konnten.
Es kam zum Process vor der Stemkammer, und das Ende
desselben war ein Decret vom 17. Dez. 20 Hen. VII. , das
erklärte, die Mitglieder der einen Gesellschaft müssten die
Lasten der andern tragen , wenn sie in den Handel der an-
dern sich mischten6). Damit schien die Sache der Stapler
endgültig verloren.
*) Die beste Uebersicht über die Gründe der Stapler liefert ein Gut-
achten von 1583, das ein Richtercollegium abgab, zu dem Sir Christopher
Wray, lord chiet justice, Sir Gilbert Gerrard, master of the rolls und Sir
Hoger Manwood, lord chief baron gehörten; dasselbe ist abgedruckt bei
Malynes, Centre of the circle of commerce S. 93. Eine kurze Andeu-
tung dieser Gründe, sowie die Entgegnung der M. a. enthält Urk. Beil.
135. Man kann sie als typisch für den ganzen Streit ansehen.
*) Urk. Beil. 116; nach Malynes a. a. 0. S. 95 hätten die M. a.
ihre Beschwerde im Parlamente im Jahre 36 Hen. VI. vorgebracht. Die
Bot. Pari, enthalten jedoch keine einschlägige Petition, und im besagten
Jahr wurde auch gar kein Parlament berufen.
•) Urk. Beil. 117.
*) Möglich ist, dass auch der Process des Kaufmanns Heron aus Lon-
don gegen die Vorstände der Stapelgesellschaft wenigstens indirect mit dem
Streit zusammenhängt; vgl. Rot. Pari. VI. S. 182 (1477).
*) Urk. Beil. 119, 133; § 10.
— 346 —
Kaum im Besitz dieses Urtheils, beschlagnahmten die M.
a. die wollenen Tücher derjenigen Stapler, welche nicht
in die Compagnie eingetreten und die vorgeschriebenen
10 Mark gezahlt hatten. Aber sie hatten sich verrechnet
Der König intervenirte und erklärte in einem Missive, das
Beeret der Sternkammer habe einen ganz anderen Sinn. Die
M. a. seien nicht berechtigt, die Stapler zum Eintritt in ihre
Genossenschaft zu zwingen, es sei ihnen nur gestattet, von den
Tüchern und Waaren der Stapler diejenigen Abgaben zu er-
heben, die sie von ihren eigenen Mitgliedern pereipirten 1).
Der Streit ruhte bis zum Tode des Königs. Derselbe hatte
kaum die Augen geschlossen, als der alte Kampf in seiner
ganzen Heftigkeit wieder ausbrach. Allein auch Heinrich VIH.
wich nicht von dem Standpuncte seines Vaters ab. Er tadelte
die M. a. ob der seit seines Vaters Ableben verübten Eingriffe,
bezeichnete das Urtheil seines Vaters als ein vernünftiges und
wohl begründetes, und gebot, jede Belästigung der Stapler zu
unterlassen2). Aber die Erbitterung war schon zu gross, als
dass das kgl. Wort den Frieden hätte sichern können. Die
M. a. fuhren fort, die Stapler zu quälen, verlangten nach wie
vor den Gildebeitrag und waren kühn genug, auch die Stapler
vor ihren Richterstuhl zu ziehen8).
Zur Rechenschaft aufgefordert führten die M. a. eine sehr
stolze Sprache. Sie bestritten keineswegs die Privilegien der
Stapler in Calais, sie bestritten aber solche in den Landen
des Erzherzogs. Durch die Verlegung des Stapels nach Calais
seien die Stapelkauf leute ihrer Privilegien in den Niederlanden
verlustig gegangen und genössen dieselben nur für den Stapelort.
Der grösste Theil der Stapelkaufleute habe auch immer diese
Ansicht getheilt; 73 Stapler, darunter 14 Mayors, seien früher
ihrer Compagnie beigetreten, und gegenwärtig zählten zu der-
selben nicht weniger als 33, wobei die vom Land gar nicht
mitgerechnet seien4). Dem Missive Heinrichs VH. könnten
sie die Parlamentsacte und das Decret der Sternkammer ent-
gegenstellen. Wollten sie in den Handel der Stapler sich
mischen, müssten sie 100 Mark Hansegeld zahlen, und diese
weigerten sich, den Betrag von 10 Mark zu erlegen. Würden
die Stapler sie unentgeltlich an ihren Freiheiten partieipiren
lassen, so seien sie gerne bereit, ein Gleiches gegen sie zu
thun *).
*) Urk. Beil. 120.
*) 13. Juli 2 Henr. VIII. ürk. BeiL 128.
9) VfL die Klageschrift der Stapler. Urk. Beil. 124.
*) Die Namen sind einzeln aufgeführt in den Star Chamber Proceedings
Hen. VIII. Vol. IX. S. 21. (R. 0.).
6) ürk. Beil. 125.
— 347 —
Nach einer darauf erfolgten sehr sophistischen Koplik der
Stapler1) gab der König den Befehl, dass beide Parteien
einstweilen alle Klagen und Feindseligkeiten einstellen sollten,
bis die Sache genau untersucht und entschieden sei. Aber
auch diesem Befehl verweigerten die M. a. den Gehorsam.
Auf der Messe zu Bergen legte der Gouverneur der M. a.
wieder einen Stapler in Arrest2).
Der schliessliche Ausgang des Streites ist unbekannt. Der
Versuch, demselben durch ein Gesetz ein Ende zu machen,
misslang. Das Parlament beschäftigte sich wiederholt mit der
Angelegenheit, verhörte, um sich ein Urtheil bilden zu können,
beide Parteien8), aber eine Acte kam nicht zu Stande. Man
darf vermuthen, dass die Entscheidung Heinrichs VII, die zur
Hälfte den M. a., zur Hälfte den Staplern Recht gab, in der
Hauptsache auch von Heinrich VIII. festgehalten wurde, und
dass der König nur unter der Bedingung, dass die M. a. sich
fügten, wieder ihren Grundbrief bestätigte4). Man wird auch
kaum fehl gehen, wenn man annimmt, dass das im Jahre 1516
zwischen den Staplern und M. a. geschlossene Uebereinkommen6)
auf dem gleichen Boden sich bewegte.
Während der ganzen übrigen Regierungszeit Heinrichs VIH.
beschäftigten noch die M. a. die gesetzgebenden Factoren.
Als Thom. More 1529 das Parlament eröffnete und auf die
Notwendigkeit von Reformen in der Gesetzgebung hinwies,
waren unter der grossen Zahl der wirthschaftlichen ,Gesetz-
entwürfe auch zwei Bills in Betreff der M. a., wovon die eine
die grossen Strafen und Erpressungen derselben zum Gegen-
stand hatte 6). Keiner der beiden Entwürfe wurde zum Gesetz
erhoben. Zwölf Jahre später lag dem Parlament abermals eine
Bill in Betreff der M. a. vor. Sie wurde vom Unterhause und
nach Beifügung eines Amendements auch vom Oberhause an-
genommen, der König aber verweigerte seine Sanction und
') Urk. Beil. 126. So fanden die Stapler jetzt plötzlich heraas,
dass die Parlamentsacte verbiete, Jemand zum Zahlen der 10 M. zu zwingen.
Nor wer zur Gesellschaft der M. a. gehören wolle, müsse sie zahlen. Man
könne aber Handel treiben, ohne beizutreten und ohne zu zahlen. Ferner
machten sie geltend, das Decret der Sternkammer sei mit dem Tode Hein-
richs VII. erloschen, das Missive aber nicht u. s. w.
*) ürk. Beil. 127.
3) Lords' Journals I. 1 Hen. VIII. 28° die Pari; 3 Hen. VHI. 29°
die Pari, und fg.
4) 11. Oct. 4 Hen. VIII. Die Bestätigung ist enthalten Br. M.
Cotton Ms. Tiberius D. VIH. f. 86. Sieh auch Urk. Beil. 138. § 15.
8) ürk. Beil. 183. § 16.
8) Brewer, Calendar IV. 6043. Leider ist nur die Liste der Bills
erhalten, während die letztern fehlen. Ich habe mich eigens hiervon im
R. 0. überzeugt In Betreff der hohen Strafen, welche die M. a. verhäng-
ten, vgl. einen Fall in State Papers VII. S. 665 (Brief von Hutton, Gou-
verneur der M. a., an Cromwell 12. Aug. 1536).
— 348 -
zwar nur dieser Acte *). Was mag wohl der Inhalt dieser Bill
gewesen sein? War sie ein neuer Versuch scharfer Abschües-
sung der Compagnie, war sie gegen die Stapler oder gegen
die Acte Heinrichs VII. gerichtet, enthielt sie einen Angriff
gegen die Hansen oder bezweckte sie die Aufhebung des Ver-
bots der Ausfuhr ungeschorner Tücher *), betraf sie wieder die
starke Executive der M. a. , die Manche abgeschwächt wissen
wollten? Leider sind wir über den Zweck der für die Ent-
wicklungsgeschichte der Gesellschaft jedenfalls bedeutungsvollen
Bill nicht unterrichtet. Dieselbe oder doch eine ähnlichen In-
halts wurde im darauffolgenden Jahre wieder eingebracht, aber
gleich in erster Lesung im Haus der Lords begraben s).
Die Politik der beiden ersten Tudors gegenüber den
M. a. muss als eine durchaus gesunde betrachtet werden.
Selten versagten die beiden Könige und ihre Minister der
Gesellschaft ihre Unterstützung, wenn das Verlangen ein be-
rechtigtes war. Der ganze erste Abschnitt unserer Darstellung
gibt Zeugniss hievon. Wir sahen in den Kapiteln über die
Niederländer, Venetianer und Hansen, wie ernstlich Heinrich VII.
und VIIL darauf bedacht waren, den Handel aus den Händen
dieser Fremden in die der M. a. zu leiten und die letzteren
zu wahren Pionieren des englischen Handels zu machen. Das
gegenwärtige Capitel lehrt, dass die Regierung auchfbereitwillig
ihre Hand bot, um die innere Organisation der Gesellschaft zu
kräftigen, centrifugale Elemente einzuschränken und den Vor-
ständen eine unbestrittene Autorität zu verleihen. Gleichzeitig
liefert es aber auch den Beweis, dass die Könige rücksichtslos
den Missbräuchen der M. a. entgegentraten. Nicht hoch genug
ist ihnen das Verdienst anzurechnen, eine frühzeitige Abschlies-
sung der Compagnie verhindert, den Handel nicht zu einem
Oligopol gemacht zu haben. Leicht hätte ein solches ein Er-
lahmen der Industrie zur Folge haben können.
Es ist vielleicht nicht ungerechtfertigt, wenn man auch
den Streit der M. a. mit den Staplern von diesem Gesichtspunct
aus betrachtet. Wohl mag die Haltung der Regierung von dem
hohen Ansehen der altehrwürdigen Stapelgesellschaft, sowie
von der Notwendigkeit, mit ihr fortwährend finanzieller Ver-
hältnisse wegen in Unterhandlung zu treten4), beeinflusst ge-
wesen sein, zum nicht geringsten Theil darf man aber auch ihre
Parteinahme aus der Absicht herleiten, die Tuchausfuhr mög-
lichst offen zu halten.
Heinrich VH. und VHI. waren stark genug, diejeünftischen
Gelüste der M. a. niederzuhalten. Mit dem Antritt Eduards VI.
*) Lords' Journals I. 8. 143. 147. 150. 152. 162.
*) Vgl. Urk. Beil. 131.
aj Lords' Journals I. S. 190. Meine Bemühungen, die Bill im
Record Office aufzufinden, waren von keinem Erfolg begleitet.
4) Vgl. Bd. II. S. 16. 17.
— 349 —
wurde diese weise Bahn verlassen. Die M. a. waren eine
Macht geworden, die man nicht ignoriren konnte. Aus
den grossen Erschütterungen, welche der Gesellschaftsorga-
nismus unter den beiden Tudors erlitten hatte, waren die
meisten alten Stände geschwächt und gebrochen hervorge-
gangen. Die Geistlichkeit hatte durch die Reformation ihre
frühere Geschlossenheit verloren und war ein dienendes Glied
der Regierung geworden. Der Adel war durch die Rosenkriege,
durch die ausgedehnte Gewalt der Sternkammer und durch
Gesetze1) niedergedrückt oder durch Verschwendung tief verschul-
det2), der kleine Bauernstand durch die Einhegungen zum
*) Dies geschah namentlich durch 2 Gesetze aus der Zeit Heinrichs VII.,
von denen das eine den Verkauf der Erbgüter erleichterte, das andere die
clientarisch abhängigen Anhänger unterdrückte.
*) Unter Heinrich VIII. wunde der Verfall des Adels oft schwer
beklagt:
Somtyme nobyll men levyd in ther contre
And kepte grete howsoldis, pore men to socowur.
But now in the cowrte they desyre for to be
With ladys to dalv; thys ys ther pleasure.
So pore men dayly may famyshe for hunger
Or they com home home on monyth to remayn.
This ys the trowthe, as I here certayne.
Before thys tyme they lovyd for to juste
And in shotyng chefely they sett ther mvnde.
But ther landys and posessions now seil they moste
And at cardis and dyce ye may them fiynde.
Those unhappy vycis do them so blynde,
That playnly, I thynke, perseyve ye may,
Thys realme begynnythe sore to dekey.
Where ben the lordes of valeaunte corage
That som tyme were wonte to serve there kynge?
Now go they daylv with a boy and a page
In gownus of golae and ryche clothyng.
There landis they consume aoodis and all thyng,
So that I thynke, non can denye,
Thys realme decayeth, ye se hyt playnly.
„The ruyn of ream". Furnivall, Ballads from Ms. I. P. I. S. 159. Mit
gleichem Schmerz klagte man später über den Ersatz des alten Adels durch
die Besitzbarone. Es galt, wie Becon sagt, der Satz:
As riseth my good.
So riseth my blood.
Derselbe Becon charakterisirt die Parvenüs: „These study not, as
the true gentlemen do1, to profit many, to do good to the countrey,
to maintain the poor, to reueve the succourless, to nourish the weak,
to chirish their needy tenants; neither seek they the commodity
of the commonweal, but their own private advantage. They labour to
possess much, but they distribute nothing. — If they once creep into a
town or village they for the most part never cease, tili they have devoured
and eaten up the whole town. — So likewise are there many, which are
called gentlemen and are no gentlemen indeed, but pollers and pillers,
rakero and Catchers, bribers and extortioners , yea, and very caterpillars
of the commonweal For they abuse the name of a gentleman, which is
unfognedly a name of much worship and great honour and worthy to be
— 350 —
grossen Theil ruinirt und politisch ohnmächtig, nur die Kauf-
leute theilten nicht das gleiche Loos. Sie waren in allen Ver-
hältnissen die Gewinner. Nicht blos der täglich sich aus-
dehnende Handel, nicht blos die Entdeckungen führten ihnen
immer mehr Reichthümer zu, sogar der zunehmende Luxus
und die Münzentwerthung welche für die andern socialen
Gassen ein neuer Grund zur Verarmung und zum Verderben
waren, wurden für sie eine Quelle des Wohlstandes. Da kann es
nicht Wunder nehmen, wenn selbst die englische Gentry es
schon nicht mehr verschmähte, in die vortheilhafte Classe
der Kauffahrer und Kaufherrn herabzusteigen1) und da-
durch den ganzen Stand zu heben ; ebenso erscheint es wohl be-
greiflich, wenn der Einfluss der M. a, welche den Kaufmanns-
stand in seiner höchsten Potenz darstellte, immer grosser
wurde. In Kurzem gelang es ihnen denn auch, das grund-
legende Gesetz Heinrichs VII. über den Haufen zu werfen8),
die förmliche Incorporirung der M. a. von ganz England s) und
der M. a, einzelner Orte 4) noch im Besondern durchzusetzen und
had in reverence and high estimation. Without the true gentleman the
commonweal can no more safely be, than the body without eyes. For as
the eyes are the principal comlort of an whole body, ßo likewise are the
true gentlemen of the commonweal For such as are true gentlemen,
are fathers of the conntry, maintainers of the poor, defenders of the widows
and fatherless, succourers of theneedy, comforters ofthecomfortless and uphol-
ders of the commonweal, in fine, gentlemen both in name and deedu. Philemon
in Becons Catechism. ed 1564, reedited for the Parker society by AyreS.
599. Eine andere zeitgenössische Stimme über „The lands great misery" sagt:
The name of Nobilitie in England beares swaye,
The name of vertue dothe dayly decaye;
For he, that is noble of birthe, without mynde,
Is sib to the Devell to his contrye unkinde.
Wo worthe that nobilitie, that goulde nobles regarde,
When povertie is pynched and hathe no rewarde,
For 8tovir in feild, in towne, nor Citye,
Disarte findes none, which is great pittye.
Prelacy is throwne downe to the grownde,
Temporall lordes have geveh the wonde;
With tempering so longe in prelacies fee
The lande is browght to greate miserye.
Furnivall, ßallads from Ms. I. S. 294; vgl. ebenda S. 805; Vgl ferner
Starkey, England in the reign of Henry VIII. ed. Cowper S. 77. 129
186. 188. 194.
*) Ein Beleg hiefür ist die Geschichte des Hauses Blake. Sieh R
Pauli, Aufsätze zur englischen Geschichte. S. 274.
2) Vgl. eine bezügliche Petition ürk. Beil. 134. Die Zurücknahme
des Gesetzes ist namentlich dem Einfluss des Th. Gresham zuzuschreiben,
der es verstand, die nicht ganz zu vermeidenden Nachtheile der Acte
Heinrichs VII. mit der ihm eigenen Ueberzeugnngstreue geltend zu
machen. Vgl. seinen Brief an den Herzog von JSorthumberland. Antwer-
pen, 16. April 1 553 bei B u r g o n , Life and times of Th. Gresham I. App. fr
VH. S. 468—464. Sieh auch R. Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 83.
8) G Eliz.
*) Hieher gehört z. B. die Incorporirung der Kaufleute von Exeter
unter Elisabeth. (Vgl. über die Geschichte dieser Kauf leute den Aufsat?
- 851 -
die Concurrenz der Fremden namentlich der deutschen Hansen
zu beseitigen. Die Gesellschaft fing an zu verknöchern, und
mit der Erschütterung des englisch-niederländischen Verkehrs
war auch ihr Glanz dahin. Neue Compagnien schössen empof
und traten in den Vordergrund r) , bis auch sie nach langem
Kampf sowohl unter sich als gegen die Industriellen und An-
hänger des freien Handels dem ewig umgestaltenden Process
der Zeit erlagen.
„An Elizabethan guild of the city of Exeter in Western Times 10. Dec.
1872), ferner die der M. a. von ehester unter Maria am 30. Mai 1554 (eine
Copie ihrer Charte ist im Br. M. Lansdowne Ms. 3), sodann die Ver-
leihung neuer Corporationsrechte an die M. a. in Newcastle durch Eduard
VI. 1546. Mackenzie, Descriptive and historical aecount of Newcastle
1867. S. 665
l) Russia und Hamburg Company 1554, Turkey Company 1581, Ma-
roeco Company 1585, Guinea Company 1588, East India Company 1600.
Zweites CapiteL
Die Schiffahrtspolitik.
Zur vollen Selbständigkeit des englischen Kaufmanns, der
den Handel ins Ausland betrieb, genügte es nicht, seine Ei-
nigungen zu fördern und seine Stellung im Auslande durch
günstige Verträge zu kräftigen, es war auch eine ihm dienst-
bare starke Marine nothwendig. Mehr noch wie heute galt
damals das Sprüchwort: „Trade follows the flaga. Der Kauf-
mann war durchaus auf die heimischen Schiffe hingewiesen,
Schiffsbesitzer und Kaufleute waren nicht selten in einer Person
vereinigt; der fremde Frachtführer, den der Engländer be-
nützen wollte oder konnte, war gar häufig zugleich sein Con-
current. In manche Gebiete wäre ihm ohne eigene Schiffe
geradezu der Besuch verwehrt gewesen. Wie sollten die
Merchant adventurers den Hansen zum Trotz den Handel in
die Ostsee aufrecht erhalten, wenn diese sich weigerten, ihn
und seine Waaren in ihre Schiffe aufzunehmen? Wie konnte
man gegen die Niederländer Repressalien üben, wenn man
ihrer Schiffe nicht entrathen konnte? Wie wollte man einen
Verkehr nach dem Mittelmeer organisiren, wenn Genuesen und
Venetianer jedes Eindringen eines Fremden in ihr Geschäfts-
bereich unmöglich zu machen suchten? Alle Actionsfähigkeit,
jede kühne Speculation war unterbunden, wenn nicht ein be-
trächtlicher Stock einheimischer Schiffe vorhanden war. Das
Ueberwiegen der fremden Flagge im englischen Meere war
gleichbedeutend mit dem Ueberwiegen des fremden Kaufmanns
im englischen Verkehr. Der Zusammenhang der Schiffahrts-
politik mit der englischen Handelspolitik liegt somit klar vor
Augen.
Dennoch war es nicht dieser Zusammenhang allein, welcher
von Anfang an für die Schiffahrtspolitik entscheidend war.
Bei der eigenthümlichen Lage Englands mitten im Meer war
der Zustand der Flotte schon aus Rücksicht auf das Staats-
— 353 —
wohl von eminenter Bedeutung, und die englischen Herrscher
mussten in den frühesten Epochen erkennen, dass nicht bloss
Handel, sondern auch Schutz und Eroberung auf den beweg-
lichen Kiel gegründet sei. Jede Massregel aber, die aus staats-
politischen Küeksichten für die Schiffahrt getroffen wurde,
wirkte auch auf das commercielle Gebiet zurück, beide Mo-
mente hingen aufs engste zusammen.
Das Mittelalter kennt kein stehendes Heer und, wenn
man von den eigenthümlichen italienischen Stadtstaaten mit
ihrer frühzeitigen Entwicklung absieht, ganz entsprechend im
Allgemeinen keine stehende Flotte. Die Privatschiffe mussten
im Fall des Bedürfnisses den Schutz und die Ehre des Reiches
sichern. So war zur Zeit Ethelreds IL (978—1016) jede Graf-
schaft verpflichtet, im Verhältniss ihrer Hundertschaften Schiffe
zu stellen l). Das Vorhandensein der letzteren war fast aus-
schliesslich durch die von den Angelsachsen ausserordentlich
schwunghaft betriebene Fischerei2) bedingt. Der Schutz der
Küste blieb für gewöhnliche Zeiten den Bewohnern, nament-
lich aber den bedeutenden Häfen überlassen, welch letztere
als Ersatz gewisse Rechte und Freiheiten erhielten. Diese
Hafenplätze hatten auch dem König einige Schiffe zu seiner
beliebigen Verwendung für eine Anzahl von Tagen im Jahr zu
stellen 3).
Die Schwäche, die in dieser Decentralisation und Be-
schränkung lag, wurde von den Monarchen bald gefühlt.
Richard I. sah sich bereits genöthigt, für seinen Kreuzzug
(1190) wenigstens einige Kriegsschiffe zu erwerben und da-
durch eine grössere Unabhängigkeit in seinen Operationen sich
zu sichern 4). Es war der erste Keim einer stehenden Flotte.
Sein Nachfolger Johann folgte dem Beispiel und suchte den
Besitzstand zu vermehren. Er wie Richard bemannten ihre
Schiffe mit gedungenen Söldnern5).
In der Folgezeit verzichtete man aber wieder auf die
wirkungsvolle Combination der Staats- und Privatflotte und
griff zurück auf das aus der Angelsachsenzeit stammende
System. Eduard I, der grosse englische Organisator gab dem- .
selben eine vervollkommnete feste Gestalt. Während bisher
die ganze Administrativgewalt in Flottenangelegenheiten von
den Behörden der Cinque Ports ausgeübt wurde, welche nicht
selten einen sehr eigenmächtigen fast an Seeraub grenzenden
*) Stubbs, Constitutioiial history of England I. S. 116. 592.
*) Lappenberg, Geschichte von England I. S. 622.
*) Stubbs I. S.593; Gneist, Gesch. des Selfgovernment. 1863. S.lll.
*) Stubbs a. a 0. Dass Richard I. auch der Begründer des engli-
schen Seerechts wurde, indem er die Röles d' Oleron auch für England
gültig erklarte, ist bekannt. Vgl. Travera Twiss, The blackbook of the
admiralty Vol. I. Introduction S. LXII fg.
5) Stubbs I. S. 594.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 23
— 354 —
Gebrauch von der ihnen verliehenen Gewalt machten, ver-
einigte Eduard I. die Fürsorge für Verteidigung der Küste,
für Erhaltung und Beschaffung der Kriegs- und Transport-
schiffe und die allgemeine Regelung der Schiffahrt überhaupt
unter eine einzige Leitung, indem er eine unmittelbar unter dem
König stehende Centralbehörde, nämlich das Amt der Admira-
lität schuf' und mit genau begrenzten Befugnissen ausstattete *).
Ein sicher und leicht functionirender Mechanismus war
vorhanden. Es war nur nöthig, Acht zu haben, dass das Ma-
terial, die Privat- oder Kaufmannsflotte, nicht verfalle. Davon
hing die Unabhängigkeit und Macht, der Ruhm und die Ehre
Englands ab.
In Folge der zahlreichen kleinen Inseln, die rings um
England liegen, noch mehr später in Folge des Besitzes auf
dem Continent betrachteten sich frühzeitig die Herrscher Eng-
lands als Herren des Canals und des Meers weit im Umkreis
ihres Landes 2). Die Berechtigung dieses Anspruchs wurde
auch bald anerkannt8). England stand deshalb die Ausübung
der Gerichtsbarkeit über alle Verbrechen, die innerhalb der
„englischen" Meere begangen wurden, und damit gewisser-
maßen ein Hoheitsrecht über fremde Nationen zu. Im Laufe
der Zeit, namentlich Ende des 14. Jahrhunderts zog man aus
der Herrschaft über die See noch mancherlei andere Con-
sequenzen, die eine ebenso grosse ideelle als praktische Be-
deutung besassen. England hatte nicht nur seit alter Zeit
*) Stubbs II. S. 287—89.
*) Edgar (959 — 975) sagte in der Charta fundationis ecclesiae Wigor:
„Altitonantis Dei largiflua dementia, qui est rex regum, Ego, Edgarus
Anglorum Basileos omniumque earum insularum Oceani, quae Brittaniam
circumjacent, cunctarumque nationum, quae infra eam includuntur, imperator
et dominus etc.a The soveraignty of the british seas. Proved by records,
history and the municipall lawes of this kingdome. Written in "the yeare
1633. By the learned Knight Sr. John Boroughs, keeper of the records
in the tower of London S. 21. Diese Schrift ist überhaupt für die obigen
Fragen relevant. Die Nutzanwendung des Buchleins, von dem uns auch
noch das Ms. (Br. M. Harl. Ms. 1323) erbalten ist, geht der Zeit seiner Ab-
fassung entsprechend darauf hinaus, „the ineBtimable riches and commodities
of the british seas" (S. 108 fg.) zu zeigen und darzulegen, wie fremde Na-
tionen, vor Allem die Holländer, die Vortheile entzögen. Durch seine
Stellung war der Verfasser im Stande, Archivalien zu benutzen, was er auch
mit grossem Fleisse that
*) 1299 stellten die Franzosen diesen Anspruch Englands in Frage; der
französische Admiral Reyner Grimbald masste sich während des Krieges
gegen Flandern die Jurisdiction in den englischen Gewässern an; England
erhob Einspruch, und die Vertreter von Genua, Spanien, Deutschland, Hol-
land , Zeeland, Friesland . Dänemark , Norwegen traten auf Seite Englands.
Das Document ist betitelt: „De superioritate Maris Anglie et jure officii
admirallatus in eodem." Darin wird anerkannt, dass die Könige von Eng-
land seit unvordenklichen Zeiten die Herrschaft über den Canal besessen
hätten und zur Jurisdiction in demselben berechtigt seien. Boroughs, The
soveraignty etc. S. 25. 27. 42. Für das 14. Jahrh. vgl. Stubbs IL S.880;
ferner Macpherson, Annais of commerce I. S. 489. 612. IL S. 61.
— 355 — '
verlangt, dass alle Schiffe, welche auf der See dem englischen
Admiral oder seinem Stellvertreter begegneten, auf den Befehl
des letzteren die Segel senkten1), sondern es duldete auch
Dicht, dass in seinen Meeren gefischt werde, ohne dass man
von ihm eine Licenz hatte, hielt sich für berechtigt, eine Ab-
gabe von den Kaufmannsschiffen zu fordern, glaubte befugt zu
sein, den Kriegsschiffen Fremder den Durchgang zu gewähren
oder zu verweigern2). Nimmt man noch die Notwendigkeit
des Schutzes und der Vertheidigung hinzu, so konnte den engli-
schen Herrschern es nicht an Antrieb, die Flotte zu heben, fehlen.
Wir finden denn auch das Augenmerk der englischen Re-
gierung nicht selten auf diesen Punkt gerichtet. Schon Athelstan
erliess 925 ein Gesetz des Inhalts, dass jeder Kaufmann, der
auf eigene Rechnung drei Fahrten in das mittelländische Meer
unternehme, in den niederen Adel aufgenommen werden solle3).
Heinrich IL befahl 1181 in der „Assize of arms", dass kein
Schiff ins Ausland verkauft werde, auch kein Seemann sich
verpflichte, in ausländische Dienste zu treten4). Um dieselbe
Zeit bestand bereits das Gebot, dass Schiffszimmerleute, welche
excessive Löhne verlangten und dadurch die Flotte schwächten,
von dem Admiral bestraft werden sollten6). Wie Richard I.
und Johann ohne Land einen Anlauf zur Schaffung einer
stehenden» Staatsflotte machten, haben wir bereits berührt.
Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts dürfte jedoch die
englische Marine eher zurückgegangen als vorwärts geschritten
sein 6). Die englische Schiffsmacht konnte sich zwar noch mit
der mancher Nachbarstaaten messen und sogar im 14. Jahr-
hundert über die französische einen glänzenden Seesieg er-
*) Schon König Johann erklärte am 30. März 1201 zu Hastings mit
Zustimmung seiner Räthe diese Bestimmung als Gesetz und JÜustome of
the seau. Sir Travers T w i s s , The black book of the admiralty Vol. I. S. 129
und Introd. S. XLIX tg.
*) Vgl. Lindsay, Merchant Shipping Vol. I. S. 481. Documentarische
Beweise sieh bei Boroughs. The soveraignty of the british seas S. 56,
69. Vgl. auch Sir Travers Twiss, The black book of admiralty Vol. L
S. 153 Nr. 28 und sonst, sowie Rot. Pari. III. S. 391. IV. S. 126 Nr. 6.
*) Thorpe, Ancient laws and Institution 8 of England, London 1840.
S. 81; Schraid, die Gesetze der Angelsachpen S. 389, 431. Sieh oben
S. 133. N. 3.
4) Macpherson. Annals of commerce I. S. 344. Später wurde auch
die Ausfahr von Schiffs Baumaterialien verboten; vgl. Rymer, (Rec. Ed.) IL
S. 938, 1223 (1336, 1343).
f) Eine solche Ordonnanz wurde erlassen in der Zeit von Heinrich I.
bis Eduard I. Sieh Twiss, The block book of admiralty Vol. I. S. 87
Nr. 38. Diese Verordnung wurde auch später noch aufrecht erhalten ; vgl.
a a. 0. S. 167 Nr. 66; S. 228 Art. 23.
6) Heinrich III. brachte nach Matthew Paris etwas über 1000 Schiffe
auf, worunter 300 gross, d. h. mit 30 Matrosen bemannt waren. 1346
wurden in England etwas über 700 Schiffe mit 14151 Matrosen gezählt
(Macpherson I. S. 534, 535). Zur Belagerung von Calais benützte
Eduard IH. 25 eigene und 38 fr em de Schiffe (Lindsay, Merchant Shipping
II. S. 634). Noch bedeutender wird der Abstand der englischen Schiffs-
23*
— 356 -
ringen, aber relativ war sie doch im Sinken begriffen, und
gegen Ende des 14. Jahrhunderts bot die gesammte englische
Marine einen nichts weniger als erfreulichen Anblick dar.
Drei Momente waren für die Entwicklung der Privatflotte
verhängnissvoll geworden.
Einen und zwar den hauptsächlichsten Grund für den
Verfall muss man in den häufigen und wuchtigen Kriegen
Eduards III. suchen. Wie aus den Petitionen der Gemeinen
hervorgeht, wurden hiebei an die Schiffsbesitzer Anforderungen
gestellt, die das Mass ihrer Kräfte überschritten x). Es traf sich
oft, dass der König die Schiffe lange, bevor er sie zu seinem
Zwecke wirklich verwendete, anhalten Hess; während dieser
Zeit mussten die Eigentümer ihre Matrosen unterhalten und
sonstige Kosten tragen, ohne doch eine Einnahme zu haben.
Man zwang die Besitzer, ihre Schiffe seetüchtig zu machen,
gewährte ihnen aber keine Entschädigung. Die geschickteren
Capitäne wurden genöthigt, auf den Schiffen des Königs zu
dienen, den Privatschiffen fehlte in Folge dessen eine gute
Leitung, und viele gingen zu Grunde. Im Kriege selbst wur-
den nicht wenige unbrauchbar oder gekapert. Die Matrosen
gaben in Folge der häufigen Beschlagnahmungen den Beruf
auf und wandten sich andern Beschäftigungen zu.
Ein zweites Moment, das auf die Handelsmarine*ungünstig
einwirkte, war die mittelalterliche Rechtsübung, wonach ein
Schiff, wenn Jemand auf demselben starb oder aus demselben
ins Wasser fiel und dabei ertrank, in den Besitz des Königs
oder Grundherrn überging. Der Verlust, den der Besitzer da-
durch erlitt, betrug 500 j£ und mehr; denn soviel kostete damals
der Bau eines Durchschnittsschiffs 2). Man dehnte dieses Recht
sowohl auf die in offener See, als auf die in Flüssen befind-
lichen Schiffe aus; erst kurz vor seinem Tode versprach Edu-
ard III. auf Bitten der Gemeinen, sein Recht nur im zweiter-
wähnten Fall geltend machen zu wollen3).
In dritter Linie war auch die namentlich seit Heinrich III.
in grösserem Massstab befolgte fremdenfreundliche Politik von
Einfluss. So segensreich diese freihändlerische Richtung für
England im Ganzen war, so sicher trug sie dazu bei, die Kraft
der englischen Flotte zu knicken. Den in immer grösserer
Masse herbeiströmenden, vollkommener construirten fremden
Schiffen musste die einheimische Marine, die mehr durch ihre
macht gegen früher, wenn man bis in die Zeit Edgars zurückgeht. Nach
den Schätzungen des Matthaeus von Westminster hatte Edgar 4700, nach
Florenz von Worcester 3600 Schiffe (Pauli, Einleitung zum Libell of Eng-
lishe Policye hsg. von Hertzberg S. 7). Selbst wenn man die Schätzung
als um die Hälfte zu hoch betrachtet, so ist die Zahl noch der späteren über-
legen. Die Grösse der Schiffe wird in beiden Zeiten nicht viel differirt haben.
*) Rot. Pari. II. S. 172, 307, 311 (1347, 1371, 1372).
*) Vgl. Rot. Pari. III. Sl 94 Nr. 7.
*) Rot. Pari. II. S. 372 (1376/77).
— 357 —
grosse Schiffszah] als durch Gediegenheit und Grossartigkeit
des Baues ausgezeichnet war, den Platz räumen. Man wird
auch den Grund nicht ganz von der Hand weisen können, der
im Parlament geltend gemacht wurde, dass nämlich die durch
die Fremdenpolitik herbeigeführte Schmälerung der städtischen
Rechte es manchem Kaufmann erschwerte, Schiffe zu unter-
halten *).
Jedenfalls muss man auf Grund des Bildes, das man aus
den wiederholten Klagen der Gemeinen empfängt, schliessen,
dass in den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts die Marine
im vollsten Sinn des Wortes nothleidend war. Eduard III.
blieb gegen die Hilferufe meist taub ; er fertigte die Bittsteller
gewöhnlich mit der vagen Antwort ab: „die Flotte möge er-
halten bleiben". Mit Mühe und Noth brachte man ihn dazu,
dass er wenigstens Entschädigung für die Matrosenlöhne wäh-
rend der Zeit der Beschlagnahme versprach, wogegen er eine
solche für Equippirung ablehnte2).
Richard H. zeigte anfangs auch kein tibergrosses Entgegen-
kommen. Als im Jahre 1377 die Gemeinen eine EnquGte über
die Ursachen des Darniederliegens der Marine verlangten,
machte er keine bestimmte Zusage8). Hinsichtlich der Ver-.
Wirkung von Schilfen, auf denen Jemand gestorben war, er-
füllte er gleichfalls nicht ganz die Wünsche der Schilfsbesitzer;
denn er verachtete nicht auf sein Hoheitsrecht (regalye), son-
dere versprach nur billige Rücksichtnahme in jedem ihm zur
Kenntniss gebrachten Fall; hinsichtlich der Ansprüche, die
von andern Grundherrn gemacht wurden, verwies er die Pe-
tenten auf den Rechtsweg4). Den wiederholten Anforderungen
der Schiffseigner, sie auch für die im Dienste des Königs er-
') „Item monstrent les communes pur Testat de touz les citez, portz
et burgha et pur toute la navie du roialme, qe longtemps ont suffertz
grantz meschiefs — a grant anientisement de touz les dites vüles et de
tont la navie et grant desasseurance de tout ledit roialme — , franchises
loor estoient grantez — a cause q'ils n'avoient dont vivre de terre par
dehors lour boundes fors tout soulment par talent de lour franchise a
laborer et travailler par tout la monde en gainant pur enheriter les dites
citez — et tout la navie — sustenir par lour occupation et les bones viUes
encloser des meurs et tours en force de toute le pays, si mestir estoit.
Par quel talent de lour franchise ils sustenoient lour mesons, lour navie et
lour mesmes et de tout son poeple et en grant doute de touz estranges
pais pur la puissance de touz les marchantz et la navie de ceste roialme.
Et ore depuis qe lour dites franchises lour ont este tolluz — , la tierce
Partie de touz les dites bons vüles — sont pres desolatz sans habitation,
les meures — rumpuz et abatuz et la navie bien pres anientiz, sanz puis-
sance de ceux refaire, les marchantz en povre estat par tout le roialme,
qe au payne ils lour poent sustenir en vivre." Rot. Pari. II. S. 306,
307 (1371); vgl. auch IL S. 332, 347.
*) Rot. Pari. IL S. 319 (1373).
8) Rot. Pari. HL S. 25 Nr. 68.
4) Rot. Pari. IIL S. 24 Nr. 64 (1377) und S. 94 Nr. 7 (1380).
— 358 —
littenen Verluste an Schiff und Schiffsgeräthen zu entschä-
digen und ihnen die für Ausrüstung gemachten Auslagen zu
ersetzen, begegnete er durch ausweichende Antworten *). Erst
auf erneute Bitte der Gemeinen gewährte er im Parlament
von 1379 80, dass bis Ostern 3 sh 4 d per Tonne Schiffsgehalt
für je ein Vierteljahr vergütet werden sollten, „um in der
Zwischenzeit zu erproben, ob die Massregel für die Vermehrung
der Marine oder in anderer Weise nützlich sei* *).
Gewiss war diese passive Haltung der Regierung nicht
geeignet, die Flotte zu heben. Die Klagen der Interessenten
wuulen immer heftiger, und wie so oft, wenn die Erwerbs-
zweige darniederliegen , so erklang auch jetzt der Ruf nach
Schutz. Der Gedanke eines Navigationsgesetzes konnte um
so leichter zum Durchbruch gelangen, als andere Nationen,
mit denen man in Berührung kam, bereits mit gutem Beispiel
vorangegangen waren. Bei den am Mittelmeer gelegenen Ge-
meinwesen hielt man den Schiffahrtsschutz schon im 13. Jahr-
hundert für unentbehrlich. 1227 verbot Jaime I. von Ara-
gonien, Waaren, die nach Alexandrien oder Syrien bestimmt
waren, in fremde Schiffe zu verladen, so lange ein einheimi-
sches Fahrzeug zu deren Aufnahme im Hafen von Barcelona
bereit stehe. Auch Wein sollten fremde Schiffer nicht ohne Er-
laubniss der Bürger verfrachten. 1268 wurde diese Acte noch
verschärft3). Das Schutzsystem der italienischen Seestädte,
namentlich Venedigs, ist uns bereits von früher her bekannt *).
Auch Manfred von Sicilien stipulirte 1258 in einem Vertrag mit
Venedig Bestimmungen, wie wir sie in England unter Hein-
rich VII. finden 6). Die portugiesischen Herrscher sind durch die
Sorgfalt, die sie der einheimischen Schiffahrt schenkten, berühmt
geworden. Fernando (1367—83) liess das Holz zu neuen
Schiffen, welche 100 Tonnen und mehr fassten, unentgeltlich
aus den königl. Forsten verabreichen, die zum Bau nöthigen
Materialien zollfrei einführen, die Waaren bei der ersten Fahrt
von den Zöllen ausnehmen, dies Recht auf 3 Jahre für die-
jenigen ausdehnen, welche ihre neuen Schiffe auf der ersten
Reise verloren und andere dafür kauften oder bauten, die
Seefahrer von vielen persönlichen Lasten und Diensten be-
freien, die erste bekannte Seeassecuranz errichten 6). Wenden
wir uns nach Norden, so sehen wir dasselbe Schutzsystem,
>) Rot. Pari. III. S. 46 Nr. 67 (1378) und Rot. Pari. ID. S. 66
Nr. 24 (1379).
*) Rot. Pari. III. S. 86 Nr. 47.
8) Capmany, Memorias etc. II. S. 11 fg.; H. Schafer, Geschichte
von Spanien III. S. 408.
f) Sieh oben 8. 116, 124 fg.
ft)Wachsmuth, Culturgeschichte IL S. 294, 295. Sieh unten S. 368 fg.
6) Schäfer, Geschichte von Portugal IL S. 103. AehnUch befreite
später (1494) Johann die Einfuhr von Mastenholz. Hirsch, Danzig S.271.
— 359 —
das im Mittelmeer galt, in der Ostsee in vollster Blüthe
herrschen. Der Schutz und das Monopol der Kauffahrteiflotte
war der wesentlichste Theil der hansischen Handelspolitik *).
Diese Versuche gingen kaum unbemerkt an England vorüber;
denn gerade in den Tagen Richards II. mussten die Engländer
erfahren und erkennen, wie wenig z. B. die Hansen geneigt
waren, von diesem System zu ihren Gunsten abzuweichen.
In dem berühmten nach dem Aufstand der Leibeigenen
einberufenen Parlament2) wurde auch die Navigationsfrage
wieder angeregt. Mit dem Hinweis darauf, dass das Ansehen
und die Sicherheit des Reiches auf der einheimischen Flotte
beruhe, verlangte man Abhilfe gegen die mehrerwähnte Ver-
wirkung von Schiffen und Schutz gegen die Concurrenz der
fremden Kauffahrer. In ersterer Hinsicht stellte sich der König
so ziemlich auf den Standpunkt Eduards III.; er verzichtete
auf sein Recht nur bei einem Unfall auf offenem Meer, nicht
aber in süssen Gewässern. In Bezug auf die Frage des
Schutzes bestimmte er, dass kein Engländer Waaren in andern
als englischen Schiffen verfrachten dürfe bei Strafe der Con-
fiscation der betreffenden Waaren oder ihres Werthes, wovon
ein Dritttheil dem Anzeiger als Belohnung zufallen sollte3).
Die englischen Gesetzgeber des Mittelalters stellten selten
gleich auf den ersten Wurf ein Gesetz als dauerndes auf; sie
machten immer erst einen Versuch für kürzere Zeit, um Er-
fahrungen zu sammeln, die Wirkung zu beobachten, den Ge-
schädigten Gelegenheit zu Gegenvorstellungen zu gewähren.
Das geschah auch hier. Die Navigations-Ordonnanz sollte vor-
läufig nur bis Ostern gültig sein. Es zeigte sich denn auch
sofort, dass die Acte nicht aufrecht zu erhalten war. Man
hatte das Ziel mit einem Schlag erreichen wollen, eine all-
mälige Entwicklung verschmäht, die grosse Ausdehnung des
Verfalls vielleicht unterschätzt, überhaupt zu abrupt von einem
System in das gegentheilige sich gestürzt. Im nächsten Par-
1503 gewährte Emanuel den Deutschen die Rechte der Portugiesen , falls
sie portugiesischer Schiffe sich bedienten. 1509 verbot er die Verladung
Ton Zucker in fremden Schiffen. Joh. Phil. Cassel, Privilegia und Handels-
freiheiten, welche die Könige von Portugal ehedem den deutschen Kauf-
leuten zu Lissabon ertheilt haben. Bremen 1771.
x) In der Skra für den deutschen Handelshof zu Nowgorod von 1838
z. 6. heisst es: „Neman scal ok Walen gut, noch Engeischen gut, noch
borgen, noch to kumpanie to sendeve in den hof to Nogarden voren.u
▼.Bunge, Liv-, Est- und Curlandisches Urkundenbuch Bd. VI. S. 502.
Vgl. auch Wurm, Eine deutsche Colonie und deren Abfall in Schmidts
Zeitschrift für Geschichte Bd. V. S. 247, 248. Wurm hält auch die Ol. Crom-
wellsche Schiffahrtsacte für eine Nachahmung des hansischen Systems vom
15. u. 16. Jahrh. a. a. 0. Bd. V, VI.
*) Ueber die Parteiconstellation desselben Tgl. Stubbs,ll. S. 460 fg.
und Pauli, Geschichte von England IV. S. 536.
s) Kot. Pari. IIL S. 120. 121; 5 Rieh. II. st 1 c. 3.
— 360 —
lament wurde die Acte auf eine Petition hin bedeutend ab-
geschwächt. Es wurde den englischen Kaufleuten gestattet, für
den Fall, dass keine passenden englischen Schiffe in genügen-
der Zahl zu haben wären, auch fremde Schiffe zu beladen.
Auch sollten die englischen Kaufleute fremde Schiffe miethen
und mit ihren Waaren befrachten dürfen1).
Diese Form der Acte war überaus mild, die zweiterwähnte
Bestimmung dürfte leicht Gelegenheit zur Umgehung geboten
haben.
Eine abermalige Modification des Navigationsgesetzes wurde
1391 beliebt. Die Kaufleute des Königreichs England, hiess
es jetzt, dürfen zu Hause nur einheimische Schiffe befrachten,
die geschützten Rheder aber auch nur massige Frachtgelder
verlangen *). Die Acte war gegenüber dem bisher geltenden
Recht eine theilweise Verschärfung, sie schloss das Miethen
ganzer Schiffe, die Ausländern gehörten, aus und verbot Be-
frachtung der fremden Schiffe selbst für den Fall, dass es an
passenden englischen Schiffen in genügender Zahl fehlte. Auf
der andern Seite war sie aber auch mit neuen, sehr bedeu-
tenden Abschwächungen verbunden. Eine solche lag einmal
darin , dass gleichzeitig mit dem Gesetze die Rückverlegung
des Stapels an englische Plätze beschlossen ward. Es war
eine fast mit Notwendigkeit sich ergebende Folge dieser Mass-
regel, dass den einheimischen Kaufleuten die Ausfuhr der
Stapelartikel untersagt und den Fremden vorbehalten blieb.
In der That wurde auch den englischen Kaufleuten der Export
von Wolle, Wollfellen, Leder und Blei verboten3). Ging dies
Verbot direct nur die Kaufleute an, indirect musste es auch
auf die einheimische Schiffahrt zurückwirken. Solange das
Stapel in England blieb, waren die englischen Kauffahrer nicht
rechtlich, wohl aber factisch vom Transport der genannten
Waaren ausgeschlossen4). Eine andere Modification war
damit gegeben, dass das Gesetz nur die Befrachtung in Eng-
land, nicht auch die im Ausland ins Auge fasste, der Schutz
galt nicht für die Import- , sondern nur für die Export- und
Küstenschifferei; es war dies jedenfalls eine zweckmässige
Aenderung; denn eine Bestrafung für eine an fremden Plätzen
begangene Gesetzesübertretung musste auf die grössten
Schwierigkeiten stossen, eine unmittelbare Durchführung der
Acte im Ausland war unmöglich und brachte leicht Verwick-
') Rot. Pari. III. S. 137 Nr. 4 (1382) und 6 Rieh. IL st. 1 c 8.
*) Rot. Pari. III. S. 278 Nr. 11; 14 Rieh. II. c 6.
n) Rot Pari. III. S. 278 Nr. 70; 14 Rieh. II. c. 5.
A) Einem Beispiel ähnlicher, wenn auch nicht ganz so unpractischer
Politik begegnen wir unter Eduard III. Den englischen Kaufleuten wurde
1368 verboten, selbst in Gascogne Wein zu kaufen, gleichzeitig aber ver-
langt, dass man in Bordeaux die gascognischen und englischen Schiffe bei
der Befrachtung bevorzuge. Rot. Pari. IL S. 296.
— 361 —
luDgen mit fremden Regierungen. Endlich waren die Schiffs-
eigner noch ausdrücklich zu massigen Preisen verpflichtet.
Man darf keineswegs glauben, dass diese allgemein ge-
haltene Vorschrift von den massigen Preisen bedeutungslos
war. Wir wissen , dass es zu den ständigen Aufgaben des i
Admiralitätsamtes gehörte, der Uebertretung des Gesetzes1
nachzuforschen *), dieses hatte ein Urtheil darüber, ob der
Frachtpreis entsprechend war, und war wohl im Stande, den
Kaufmann gegen ungebührliche Forderungen der Rheder zu
schützen. Die Auflegung einer solchen Schranke gegenüber
den Geschützten entsprach ganz der mittelalterlichen Preis-
politik2). Man begreift aber, dass ein weiterer Schritt sehr
nahe lag. Die Schiffseigner konnten keine massigen Fracht-
preise machen, solange die Matrosen ihre Löhne hinauftreiben
durften. Eine solche Steigerung war in der That seit einiger
Zeit eingetreten 3), und man wird zur Annahme berechtigt sein,
dass mehr die hohen Lohnforderungen der Matrosen, denn die
milde gefassten Navigationsgesetze eine Erhöhung der Fracht-
gelder hervorriefen und damit den Anstoss zu der oben erwähn-
ten Gesetzesbestimmung gaben. Wahrscheinlich hatten die Ma-
trosen, wie alle übrigen Lohnarbeiter die nach der Pest ziem-
lieh lange andauernde günstige Situation benützt, um bessere
Bezahlung sich zu verschaffen. Es ist gewiss kein Zufall, wenn
wir 1375 dem Versuch von Seite der Regierung bzw. der
Admiralität begegnen, die früher üblichen Löhne durch Ge-
schworne festzustellen und deren Einhaltung durchzusetzen4).
Wie aber die andern Arbeiter gegen solche Festsetzungen re-
agirten, so auch die Matrosen. Sie waren nicht gewillt, ihren
Gewinn sich schmälern zu lassen. Dies erhellt aus den Klagen
der Schiffseigner. In demselben Parlament, in welchem die
neue Navigationsacte beschlossen worden war, lief eine Petition
der Rheder ein, worin sie Abhilfe gegen die Verabredungen
und excessiven Lohnforderungen der Schiffsleute verlangten und
zwar in der Weise, dass die Behörden der Städte, wo solche
Seeleute sich befänden, auf vorgebrachte Klage die Uebelthäter
bestrafen dürften. Ihre Bitte wurde nicht in der von ihnen
gewünschten Form bewilligt; die Regierung hielt an der bis-
J) Tr. Twiss, The black book of the Admiralty I. 8. 167 Art. 65; ,
S. 228 Art. 21.
*) Vgl. unten Capitel 9.
*) Damit stimmt überein, dass die Lohnvergütung von 3— 4 d per Tag,
wenn die Schiffsleute im staatlichen Dienste arbeiteten, von diesen, wie von
den Schiffseignern als eine ganz ungenügende Bezahlung angesehen wurde,
und doch durfte nach dem Arbeitergesetz von 1350 z. B. ein Schreiner-
meister nur 3 d per Tag beanspruchen. Rot Pari. III. S.66 Nr. 24 (1379)
S. 253 Nr. 1 (1377/8); S. 283 Nr. 37 (1390); 25 Ed. III. st. 1.
*) Tr. Twiss, The black book of Admiralty I. S. 138 fg.
— 362 —
herigen Uebung *) fest, indem die Admiräle massige Heuer an-
befehlen mussten, und nur ihnen die Strafgewalt zustehen sollte*).
Jedenfalls lag hier ein wirklich wunder Punkt für die
Rhederei vor. Die Lohntaxen Hessen sich gegenüber den
Schiifsleuten schwer durchsetzen; sie waren ein leicht beweg-
liches und unzuverlässiges Volk ) und suchten lieber fremden
Dienst, als dass sie sich Verkürzungen gefallen Hessen 4). Fasst
man dies Moment ins Auge, erwägt man ferner, dass die staat-
liche Benützung der einheimischen Schiffe gegen ungenügende
Entschädigung ebenfalls fortdauerte5), so wird man, obwohl
manche Bestimmungen des Navigationsgesetzes eine practischere
Gestalt gegen früher erhalten hatten, auch das Stapel von
England wieder nach Calais verlegt worden war, keine grosse
Wirkungen von der Navigationsacte erwarten dürfen.
Die Rheder waren denn auch mit dem neuen Zustand
durchaus unzufrieden. Schon in den beiden folgenden Sessio-
nen 6) wünschten sie die Verschärfung der Navigationsacte, in-
dem dieselbe rund und nett dahin lauten sollte: Kein engli-
scher Kaufmann darf das Schilf eines Fremden beladen, wenn
ein englisches zu haben ist. Es fiel also diesem Vorschlag
gemäss die den Schiffseignern so lästige Schranke der massigen
Frachtgelder, die Clausel von dem Vorhandensein „genügender
uud passender" englischer Schiffe, sowie die Begrenzung der
Acte auf Befrachtungen in England hinweg. Geschickt hatten
die Interessenten darauf hingewiesen, wie bei dem gegen-
wärtigen Zustand die einheimische Marine sich vermindere und
verschlechtere, der Schutz des Reichs von der Erhaltung der-
selben abhänge, sie selbst dem Ruin entgegengingen 7). Die
Regierung konnte oder wollte diese Ueberzeugung nicht ge-
winnen. Der König meinte, es sei bereits ein gutes Heilmittel
in den bestehenden Statuten geschaffen.
*) Tr. Twiss, The black book of Admiralty I. S. 167 Art 64.
. *) Rot. Pari. III. S. 283.
3) Vgl Rot Pari. III. S 48 Nr. 77 (1378).
4) „Et nientmeyns lea ditz mariners ne voillent passer oveaqe les
Engleys, mes soulement ovesqe aliens, si ascuns y soient, en grant arieriase-
ment de Testat des ditz possessours et de la navie d'Engleterre" a. a. 0.
6) Rot. Pari. IIL S. 212 Nr. 28 (1385); S. 223 Nr. 30 (1386); S. 253
Nr. 1 u. 2 (1387/88); S. 554 Nr. 47 (1404); IV. S. 12 Nr. 17 (1413); S. 79
Nr. 8 (1415).
*) Rot Pari. III. S. 296 Nr. 50; S. 305 Nr. 24.
7) „Item suppliont voz poveres liges les possessours des niefe, qe come
si bien en votre temps come es temps de voz nobles orogenitours grantz
prosperite, honours et profitz ont eschuez al roialme a'Engleterre par la
navye du dit roialme; quelle navie, si remede ne soit hastivement ordeine,
est a poi destruit et les possessours d'icelle navye anientiz a toutz jours,
dont dolour est et grant pite: Que plese considcrer as honours et profitz
et auxi as grantz forteresse et defense du dit roialme encontre les enemys
en chescune partie, si la dite navye soit bien governe et suetenu, ordeiner
— ascune remede des ditz meschiefs, en relietment de la navye et defens
de roialme sus ditz." Rot. Pari III S. 305. Nr. 24.
— . 363 —
Das zweimalige Fiasco entmuthigte die Petenten. Erst
als Richard IL gestürzt war und Heinrich IV. den Thron be-
stieg, wagten sie wieder einen Anlauf1). Indem sie ihre For-
derung noch stärker an das bisherige Recht anzuschliessen
suchten und gleichzeitig das Fiscalinteresse des Königs mit in
den Wurf brachten, hofften sie wohl durchzudringen. Kein
Engländer soll, lautete die Bill, ein fremdes Schiff behufs einer
Fahrt ins Ausland in einem englischen Hafen bei Verwirkung
der betreffenden Waaren befrachten, wenn genügende englische
Schiffe in dem Hafenplatz vorhanden sind. Diese Fassung war
sogar enger als das bestehende Recht, denn der Schutz
erstreckte sich danach nicht auf die Küstenschiffahrt. Kein
fremder Schiffer heisst es aber dann weiter, darf von einem
Engländer Waaren zur Verladung annehmen bei Strafe der
Verwirkung des Schiffes an den König. Eine Garantie für die
unnachsichtige Durchführung des Gesetzes war somit das Ziel,
die Frage wegen Beschränkung der Frachtgelder dagegen war
absichtlich mit Stillschweigen übergangen. Aber auch Hein-
rich IV. verweigerte dieser Aenderung seine Zustimmung und
gewiss mit Recht. Die Confiscation fremder Schiffe würde eine
endlose Kette von politischen Complicationen nach sich gezogen
haben, der König hatte aber alle Ursache, solche zu ver-
meiden. Stiess doch seine Anerkennung im Ausland ohnehin
auf grosse Schwierigkeiten *). Für Hebung der Flotte geschah
unter Heinrich IV. nichts, wir besitzen keinerlei Nachrichten,
aus denen man auf ein grosses Interesse des Königs für die
Schiffahrt schliessen könnte.
Unter den Lancasterkönigen widmete nur Heinrich V. der
Flotte grosse Aufmerksamkeit. Sein Eingreifen war von Be-
deutung, obgleich es nicht in der Richtung der Schutzpolitik
lag, das Navigationsgesetz scheint überhaupt in der Folge so
ziemlich der Vergessenheit anheimgefallen zu sein. Heinrich V.
war einerseits bestrebt, den englischen Kauffahrern die Wege
in die Fremde offen zu halten und ihnen durch günstige Ver-
träge einen grösseren Spielraum zu verschaffen 8), andererseits
knüpfte er wieder an die Traditionen und Politik Richards I.
an; nicht nur, dass er durch Verordnungen das Seerecht klarer
stellte und in der Admiralität Verbesserungen einführte, gleich
jenem war er besonders bestrebt, eine stehende Staats- oder1
Königsflotte zu schaffen 4). Das war wirklich ein Bedürfhiss.
Er, der siegreiche Eroberer, konnte eine eigene Flotte kaum
entbehren, wenn er seiner Politik Nachdruck geben und die
*) Rot Pari. III. S. 444. Nr. 153 (1399).
s) Vgl. Hingeston, Royal and historical letters during the reign of
Henry the Fourth I.
») 8ieh oben S. 116.
4) Stnbbs, Constitntional history of England III. S. 88. Libell of
Engl. Policye Vers 1010 fg.
— 364 —
gewonnenen Besitzungen auf dem Continente festhalten wollte.
Die Verhandlungen mit den Rhedern behufs Schutz der Küsten
hatten unter seinen Vorfahren auf dem Thron, namentlich unter
Heinrich IV. eine Gestalt angenommen, welche dem Ansehen
der Staatsgewalt nur schädlich sein musste x). Auch im Krieg
war eine Anzahl gut ausgerüsteter Schiffe nothwendig, um den
Kauffahrteischiffen einen festen Halt im Kampf zu gewähren
Der einheimischen Rhederei konnte es aber nur förderlich sein,
von den schlecht belohnten, immer in rauher und willkürlicher
Weise befohlenen Dienstleistungen etwas entbunden zu sein
und statt dessen des Schutzes der königl. Schiffe sich erfreuen
zu dürfen. Heinrich V. erwies dem Lande wirklich einen
Dienst, wenn er Kriegsschiffe erbauen liess2), und das Lied
preist ihn mit Recht, wenn es sagt:
Er hat sich so bewährt auf See und Land,
Dass, denk1 ich d'ran, mir schwindelt der Verstand.
Denn nie hat über uns ein Fürst gewaltet,
Der auf dem Meer so kräftiglich geschaltet;
Hättf er bis heut gelebt in diesen Reichen,
So nennte man ihn König sonder Gleichen.
War1 er zum Zweck, den er sich vorgenommen,
Mit seinen grossen Schiffen nur gekommen,
So zweifl* ich nicht, dass er geworden wäre:
Der Herr und Meister ringsum auf dem Meere.
Er hat*' es sicher vor dem Feind bewacht,
Uns reich gemacht und es dahin gebracht,
Dass auf dem Meer sich, ohne dass er's wollte
Und es erlaubte, Niemand rühren sollte*1).
Leider lebte Heinrich V. zu kurze Zeit, um eine völlige
Kräftigung der Flotte herbeizuführen. Unter seinem schwachen
Nachfolger gerieth die einheimische Schiffahrt in völligen Ver-
fall. Namentlich galt dies von der königl. Flotte, welche den
festen Kern der ganzen Marine bilden sollte. Gleich im ersten
Jahre der Regierung Heinrichs VI. wurden, wahrscheinlich in
Folge financieller Verlegenheit, einige grosse königliche Schiffe
verkauft4). Mit Kummer und Schmerz sahen es die Freunde
des Vaterlandes, wie im Innern Englands die Parteien sich
befehdeten, die Seeräuber immer frecher ihr Unwesen trieben 5),
die fremden Nationen immer kecker auf dem Meere sich ge-
behrdeten, die engliche Flagge alle Achtung verlor. Da konnte
') Vgl. Rot. Pari. III. S. 569, 610. Rymer VIII. S. 437, 439, 455.
*) Die Zahl und die Namen seiner Schiffe im Jahre 1417 finden sich
bei Nicolas, Proceedings and Ordinances ot the Privy Council II. S. 202.
3) Lib. of Engl. Pol. V. 1046 fg.
4) Nicolas, Ordinances and Proceedings of the Privy Council IE.
S. 53. Wie man in drohender Gefahr in Folge dessen wieder Privatschiffen
den Schutz zur See übertrug und diese für gemeinsames Operiren organi-
sirte, darüber vgl. Rot. Pari. V. S. 59 (1442).
6) Vgl. Rot Pari. IV. S. 350 u. 376.
— 365 —
ein hellsehender Patriot sich nicht mehr halten, eindringlich
seinen Landsleuten die Aufgabe Englands und dessen natur-
liche Machtstellung vor Augen zu fuhren :
Wohin sind Schiff' und Schwerter uns gekommen?
Der Feind sagt: Setzt anstatt des Schiffs ein Schaaf.
Weh, unsre Macht hinkt, sie ist uns genommen.
Wohl sagt man: Herrschaft hüte sich vor Schlaf!
Wenn es mein Herz gleich bis zum Weinen traf,
Versuch' ich's doch, ob wir denn nimmermehr,
War's auch aus Scham nur, hüten unser Meer.
Der wahre Weg für Englands Staatsklugheit
Zum Schirm des Reichs vor Unruh und Gebresten
Von aussen her, ist ohne Widerstreit
(Und wer nicht lügt, erklärt ihn Tür den besten ! )
DasB wir zur See nach Nord, Süd, Ost und Westen
Den Handel schützen und mit starker Wehr
Als Herren walten auf dem engen Meer.
Der grosse Kaiser Sigmund war einst hier
(Er herrscht noch heute) zum Besuch im Land
Beim fünften Heinrich, unsere Thrones Zier,
Da er denn Vieles hier ruhmwürdig fand:
Ein mächtig Land, das mit sieghafter Hand
Frankreich bezwang trotz blut'ger Gegenwehr
Und stets in fester Haft rings hielt das Meer.
Und sprach zum König, als er die zwei Städte
Calais und Dover sah: „Mein Bruder werth,
Wenn ich die Wahl von allen Städten hätte
Zum Schutz der See, dass drüben auch das Schwert
Ihr rasch stets fuhren mögt für Reich und Herd,
Wie Eure beiden Augen rieth' ich sehr
Die zwei zu hüten und durch sie das Meer."
Denn wenn dies Meer Ihr schliesst bei Kriegsgefahren,
Wer kann hindurch dann ohne Harm und Leid ?
Wer kann entfiiehn und sich vor Unheil wahren?
Wo bleibt dem Handel sonst ein Weg bereit?
Entsagen muss dann jeder Feind dem Streit 1).
Weder Spanier noch Flandrer *), weder Portugiesen 8) noch
Bretonen4), weder Schotten5) noch Osterlinge6), weder Ge-
nuesen7) noch Venetianer ö), weder Franzmann9), noch Ire,
noch Seeräuber10) sollen, wie es jetzt geschieht, England
J) Libell of Englishe Policye. Hertzbergs Uebers. Vers 1 fg.
*) V. 27. 110 fg.
3) V. 135 fg.
4) V. 150 fg.
*) V. 270 fg.
«) V. 326 fg.
7) V. 340 fg.
*) V. 600 fg.
*) V. 344 fg.
'«) V. 602 fg.
— 366 —
höhnen und schädigen können, wenn sie wissen, dass England
den Canal beherrscht. Bedenkt den Schaden, der uns aus
der Nachlässigkeit erwächst, schützet unsern Kaufmannsstand1»,
beherziget das Bild, das uns der Nobel zeigt2), nehmt Euch
ein Beispiel an Edgars, Eduards III. , Heinrichs V. Grossthaten
auf der See, haltet Irland, Wales und besonders Calais fest3).
Vor Allem aber seid einig, ohne innere Einigkeit keine Gewalt
zur See.
um Christi Huld und Liebe willen
Helft unsers Englands Angst und Leiden stillen.
Fasst euch ein Herz, setzt klug ein Regiment,
Dass nicht ein Kopf sich von dem andern trennt,
Einstimmig alle und in Eintracht walten,
Um festen Sinns die See uns zu erhalten.
So schaffen wir uns selbst Ehr* und Gewinn
Und züchtigen der Feinde bösen Sinn.
Reichthum und Achtung wird uns so erstehe
Und unserm Nobel wird kein Schimpf geschehn,
Dass mit der That er trage sein Gepräge,
Uns selber Muth, den Feinden Schreck errege.
Sie müssen rasch zum Frieden sich bequemen,
Sonst wird ihr Wohlstand bald ein Ende nehmen.
Wahrt drum die See. ringsum in jedem Fall;
Denn sie ist Englands rechter Schirm und Wall.
Denn England ist vergleichbar einer Stadt,
Die rings umher die See al9 Mauer hat
Schützt drum die See, den Wall um unser Land,
Und England ist geschützt durch Gottes Hand4).
Die von glühender Vaterlandsliebe dictirten Worte ver-
hallten unbeachtet. Schou überwucherte die Parteileidenschaft
a) V. 485 u. 486; vgl. auch 475 fg.
*XSieh unsern Nobel, viererlei zeigt der:
Schiff, König, Schwert und Herrschaft übers Meer (V.84 u.85).
Dem Nobel nach soll mit dem Schwert zugleich
Das Schiff beherrschen unsers Meers Bereich (V. 596 u. 597).
Nun sehn wir Alle, dass dies Meeresrund
Wie unser Nobel giebt im Bilde kund,
Unter dem Schiff wogt, das die Segel schwellt;
Drauf ist der König fürstlich dargestellt
Mit blossem blankem Schwert, zum Hieb erhoben
Zu züchtigen der Feinde wildes Toben.
Der sollt1 als Herr rings auf dem Meere walten,
Im Zaum die Feinde drin und draussen halten
Und heissen durch die ganze Christenheit
Des Meeres Herr und Meister weit und breit;
Gefürchtet und geehrt ob seiner Würde,
Auf dass sein Reich dann auch gefürchtet würde. (V. 852 fg.)
8) V. 852—1063; 696 fg.; 784 fg.
*) V. 1064 fg. Auch Capgrave, Liber de illustribus Henricis (vollendet
zwischen 1446 u. 1453) ed. Hingeston S. 134, 135 kann nicht umhin, die traurige
Lage der Flotte zu beklagen; man sieht deutlich, wie der L. of Engl. F.
auf ihn eingewirkt hat. Nachdem er Edgars Beispiel vorgeführt, fahrt er fort:
— 367 -
und der Streit im königl. Haus alle andern Fragen. Die Einig-
keit, die der Staatspolitiker so eindringlich gepredigt, sie war
dahin. Der Bürgerkrieg brach aus und drängte alle andern
Fragen zurück. Die gerade damals mächtig erwachende Ini-
tiative der englischen Kauffahrer farfd keinerlei Unterstützung
von Seite des Reichs. Schon oben wurde darauf hingewiesen,
wie die eigenen Fahrten der Engländer ins Mittelmeer um
diese Zeit nicht mehr selten waren, und dass man (1439) im
Haus der Gemeinen den Wunsch aussprach, die Italiener zu
Gunsten der einheimischen Kaufleute und Seefahrer vom
Zwischenhandel auszuschliessen1). War nun dieser Wunsch ver-
früht, auch bei der damaligen Lage kaum ausführbar und die
Ablehnung deshalb berechtigt, so fehlte es doch an einer
kräftigen Unterstützung auch da, wo sie am Platze war 2). Es
macht einen eigentümlichen Eindruck, wenn z. B. Taverner aus
Kingston, der ein grosses Schiff baute und schon äusserlich den
Zweck desselben documentirend ihm den für die genuesischen
Schiffe üblichen Namen Carraka geben liess, zwar die Erlaub-
niss nach dem Mittelmeer zu fahren8), aber keinerlei Zoll-
vergünstigung erhielt, vielmehr für die Stapelartikel die in sol-
chem Fall gesetzlichen hohen Fremdenzölle entrichten musste4).
Ebenso wenig geschah wirkliche Abhülfe auf die berechtigten
Klagen der englischen Kauf leute über die Hansestädte, welche
ihnen verwehrten, in ihren Gebieten Schiffe zu kaufen und zu
bauen5), oder fanden die Beschwerden über die Verwirkung von
Schiffen, wenn diese durch Zusammenstoss Schaden erlitten,
Beachtung6). Zu all dem kam die indirecte Schädigung der
„Quid nobis prosunt exempla horum illustrium virorum legere et non imitari ?
Opioio enim multorum est, quod, si mare navigio nostro seiraretur, multa
bona inde provenirent, mercatoribus salvum daret conductum, piscatoribus
secarum accessum, regni habitatoribus pacificam pausationem, ipsi quoque
regi Dostro magiium gloriae comulum. Cachfrmant de nobis inimici et aicunt :
„Tollite navem de pretiosa moneta vestra et imprimite ovem, vecordiam
vestram in hoc arguentes", quoniam qri solebamus victores esse omninm
popalorum, ab omnibus jam populis vincimur. Dictum est ab antiquis, quod
murus Angliae mare Bit; et cum inimici nostri supra murum sint, quid
putas facient, accolis improvisis? Quoniam hoc negotium jam per multos
annos neglectum est, idcirco hoc contigit, quod jam naves paucae sunt,
nautae quoque rari et ii ineruditi, quoniam non exercitati. Auferat Domi-
nas opprobrium nostrum et suscitet spiritum fortitudinis in gente nostra!
Falsas et fictas amicitias aliarum uationum denudat, ne subito veniant super
n<>8, dum non timemus."
*)■ Sieh S. 122.
*) Eine unbedeutende Ausnahme ipt erwähnt in Rot. Pari. IV. S.492
Nr. 7.
*) Vgl. auch Rot. Pari. III. S. 662 (1411).
4) Rymer XI. S. 258 (1449).
6)Rot Pari. V. S. 64.
•) Rot Pari. V. S. 29; vgl. auch ebenda S. 55, 138.
— 368 —
englischen Flotte durch den Verlust der südfranzösischen Ge-
biete1).
Unter Eduard IV. wurde ein kurzer schüchterner Versuch
zur Stärkung der einheimischen Marine gemacht, indem man
die alte Bestimmung, wohach die Engländer bei der Befrach-
tung die einheimischen Schiffe bevorzugen sollten, wieder ins
Leben rief; allein das Gesetz galt nur für die Dauer von drei
Jahren und wurde dann nicht wieder erneuert*). Dass die
einheimische Schiffahrt in Folge der inneren Wirren keine
Fortschritte machte, sondern beträchtlich litt, ist von vorne-
herein wahrscheinlich. Eine königliche Flotte existirte zwar
noch3), aber sie war schwach.
Diese Zustände waren unhaltbar, rasch und energisch
musste eingegriffen werden. Wer konnte es besser, als die
Tudors, welche den Zwist und Streit im Reiche beendeten, die
geschlagenen Wunden heilten und ein verstärktes Staatsgefühl
wieder erweckten?
Noch im ersten Jahre der Regierung Heinrichs VII. wurde
dem Parlament ein Gesetzentwurf zur Abhilfe vorgelegt, indem
man auf die Schwäche und Schutzlosigkeit des Reiches und
die Unthätigkeit der Matrosen hinwies4). Vorsichtig ging
Heinrich VII. vor. Er musste auf der einen Seite verhüten,
durch das Gesetz die fremden Mächte zu erbittern und die
Wiederankntipfung und Neuregelung der Handelsverhältnisse
sich zu erschweren, auf der andern Seite galt es, die Fehlen
die seine Vorfahren auf dem Thron durch Ueberstürzung be-
gangen hatten, zu vermeiden und vorläufig durch Zuweisung
einer geringen Aufgabe die englische Schiffahrt wieder all-
mälig zu heben.
Beiden Zielen wurde die Acte in vorzüglichem Masse ge-
recht5). „Weine der Herzogtümer Guyenne und Gascogne-,
*) In einer Beschwerde über die Hindernisse, die man in Südfrank-
reich finde, heben die englischen Kaufleute diesen Punkt 1444 hervor.
Früher gab es „more pleinte of shyppes and other nave in this reaume of
Ingelonde by the half thanne is nowe, as it apperith opynly to every man
by experience; the which was in tho dayes gret plesnr to all estatez and
degreez, grete richesse, and by the myght of such nave gret defence for
all this londe and grete fere to all thayme, thet ben enemyes to this lond.**
Rot. Pari. V. S. 113.
*) Rot. Pari. V. S. 504; 3 Ed. IV. c. 1 (1463V
n) Von ihrer Existenz unter Richard III. gibt z.B. Beweis Gairdner,
Letters and Papers of Richard III. and Henry VII. IL S. 287.
*) „the $rete mynishing and decaye, that hathe ben now of late tyme
to youre navie within this Reame of Englond and ydelnesse of the ma-
rinere within the same, by the whiche this noble Reame within short pro-
cesse of tyme, without reformacion be had therein, shall not be of habilite
and power to defend itself." Die Initiative ging wohl von den Staplern oder
den Merchant adventurers aus.
*) Vgl. oben Cap. 7 des 1. Abschn. S. 301, 302 mit Rücksicht auf den
Zusammenhang der Acte mit der englisch -französischen Politik. Ferner
— 369 —
hiess es, „sollen nur in Schiffen, die englisches Eigenthum und
zum grösseren Theil mit Engländern bemannt sind, importirt
werden." Als Strafe wurde die Confiscation der Weine fest-
gesetzt, von denen die Hälfte dem Anzeiger zufiel. Die Acte
hatte bis zum Beginn des nächsten Parlaments zu gelten1).
Merkwürdigerweise wurde aber in der folgenden Session das
Gesetz nicht erneuert (1487). Vielleicht wollte man den Effect
beobachten, den das Ausserkrafttreten des Gesetzes haben
werde. Die Folgen waren, wie es scheint, der Art, dass das
Statut für nützlich und nothwendig erachtet wurde. 1489 er-
klärten König und Parlament die früheren Bestimmungen nicht
nur für dauernd gültig, sondern erweiterten sie noch, indem
zum Wein auch noch der Toulouser Waid als einzig den eng-
lischen Schiffen zustehender Importartikel gefügt, und auch die
alte Richardsche Satzung, wonach fremde Schiffe überhaupt
nur dann befrachtet werden durften, wenn keine englischen
Fahrzeuge in dem betreffenden Hafen vorräthig waren, wieder
erneuert wurde*).
Selten gestattete Heinrich VII. Ausnahmen3) von diesem
Gesetze, und man kann in der That mit Bacon sagen, dass der
erste Tudor der eigentliche consequente Begründer einer neuen
Schiffahrtepolitik für England geworden ist4).
Auch den Bau eigener Kriegsschiffe unterliess Heinrich VII.
nicht. Während seines Aufenthalts in der Bretagne hatte er
sich mit dem ganzen Schiffswesen sehr vertraut gemacht und
soll in Folge dessen eingehendere nautische Kenntnisse als
irgend einer seiner Vorfahren auf dem Thron besessen haben.
Seine grosse Sparsamkeit Hess aber nicht zu, dass er nach
einem grossartigen Besitz einer Reihe stattlicher Schiffe trach-
tete. Auch für die kleine von ihm erbaute Flottille suchte er
sich bezahlt zu machen, indem er sie den Kaufleuten oft gegen
ihren Willen als schützende Escorte aufdrängte5).
Fast schien es, als ob diese Bahn verlassen werden sollte,
als Heinrich VIH. den Thron bestieg. Die freigebige Natur
des Königs übte ihren Einfluss in den ersten Jahren aus. Eine
beachte man die weise Wahl; gerade der Wein konnte am leichtesten eine
etwaige Frachtvertheaerung ertragen.
l) 1 Hen. VII. c. 8. fe
*) 4 Hen. VII. c. 10.
a) Vgl. einige bei Bergenroth, Cal. I. 3. 4. 25ö.
4) „The kinff Henry VII. having care to make his realm potent as well
by sea as by land for the better maintenance of the navy ordained, that
wines and woades from the parts of Gascoign and Languedoc should not
be brought bat in English buttoms, bowing the ancient policy of
thiB estate from consideration of power. For that almost all
the ancient Statutes incite by all means merchant- strangers to bring in all
sorte of commodities, having for end cheapness and not looking to the
point of state concerning the naval power." Bacon, History of Hen. VII.
in Kennets bist. I. S. 797.
h) Yonge, The history of the British navy. London 1863. Vol.I. S.19.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 24
370 —
Licenz vom König, welche den Weinimport in fremden Schiffen
erlaubte, war für jeden Besitzer eine gut verkäufliche Waare.
Immer reichlicher ertheilte Heinrich VIII. solche Licenzen, von
Jahr zu Jahr stieg die Tonnenzahl des in fremden Schiffen
importirten Weins und Waids, bis dieselbe eine Höhe erreichte,
welche das ganze Gesetz zur Lächerlichkeit machte1). Die
*) In Brewers CaL sind glücklicherweise die Licenzen bei den ein-
zelnen Jahren vorgetragen. Da die archivalische Grundlage eine grosse
Reihe von Rollen bildet , und diese wahrscheinlich noch alle erhalten sind,
so ist es erlaubt, auf Grund der Brewerschen Angaben eine Statistik der
Licenzen zu versuchen. Ich habe die Vorträge jedes Jahres zusammen-
gezogen. Auf Grund dieser Rechnung lässt sich eine Uebersicht geben, wie
sie unten folgt. Dass die Licenz nicht auf den Import des Weins als sol-
chen, sondern auf den Import des Weins in fremden Schiffen sich er-
streckt, davon habe ich mich durch viele Stichproben überzeugt, indem ich
die Urkunden in dem R. 0. zu Rathe zog. Ein Beispiel gibt Urk. Beil. 136.
'3 d
Die Licenz
lautet auf
Tonnen Gas-
Jahre
il
cbgner Wein
oder Tou-
Bemerkungen.
ü
louserWaid.
Tonnen.
1509
5
470
Darunter 100 „casks" u. „70 tuns of Burgundy-
wine."
1510
6
585
Darunter „1 cargo", der zu 100 Tonnen von mir
gerechnet wurde.
1511
4
600
1512
4
1050
1513
14
6800
Darunter 2000 Tonnen , die innerhalb 5 Jahre
importirt werden durften.
1514
12
10680
Darunter 480 Tonnen, die innerhalb 4 Jahre
importirt werden durften.
1515
15
10522
Darunter 100 Tonnen, die innerhalb 2 Jahre
importirt werden durften, und 400 „casks".
1516
10
9 549
1517
5
1575
1518
6
1970
1519
4
1100
1520
5
1700
1521
8
1100
1522
1
—
Die Tonnenzahl ist nicht angegeben.
1528
5
3980
1524
3
4 500
Darunter 200 Tonnen, die in drei Jahren im-
portirt werden durften; bei 4000 Tonnen sind
auch andere Waaren inbegriffen.
Darunter 3000 -Tonnen, die in drei Jahren im-
1525
5
2700
portirt werden durften; bei 1200 Tonnen sind
auch andere Waaren einbegriffen.
1526
8
3000
In 2 Fällen ist die Tonnenzahl nicht angegeben.
1527
10
1380
"1 " n » n n n n
1528
5
900
Iß " n p 71 n ri T>
1529
3
1700
1530
1
200
Weiter sind die Publikationen noch nicht gediehen. Vgl. diese Be-
— 371 —
Commoners des im 7. Jahre seiner Regierung zusammen-
gerufenen Parlaments führten laute Klage über diesen Unfiig
und verlangten ein Gesetz, durch welches alle bereits gewähr-
ten Licenzen, welche vor den nächsten Pfingsten nicht benützt
seien , für null und nichtig erklärt würden l). Der König
wagte dieser sein Verfahren indirect tadelnden Actö die
Zustimmung nicht zu versagen. Auf das Recht der Licenzen-
ertheilung verzichtete er freilich nicht2), und unsere Tabelle
gibt den sprechenden Beweis, dass er diese Prärogative nach
wie vor ausübte. Aber er legte sich doch Zwang an, und
niemals erreichte die Tonnenzahl wieder die frühere Höhe3).
Die Vorstellung des Parlaments hatte wohl auch zur Folge,
dass man wenigstens für kurze Zeit dieSchiffahrtsacte schärfer
ausführen Hess. Es ist kaum Zufall, wenn wir unter den zahl-
reichen4) Verhandlungen der Cinque Ports gerade im Jahre
1517 und 1520 zwei Processe wegen Bevorzugung fremder
Schiffe verzeichnet finden5).
In den darauffolgenden Jahren wurden jedoch die Schiff-
fahrtsgesetze wieder weniger streng beobachtet. Die einheimi-
schen Schiffe konnten und wollten den Wein nicht so billig
importiren als die Fremden 6), und Wolsey legte auf die Billig-
keit grösseren Werth.
Das Jahr 1531 , das nach vielen Seiten hin und nament-
lich in wirthschaftlicher Hinsicht einen Wendepunkt bezeichnet,
brachte auch hier eine Aenderung mit sich7). Die gefährliche
politische Position, in die man durch die Reformation gerieth,
machte eine Stärkung der Defensivkraft des Reichs zu ge-
bieterischer Notwendigkeit. Jetzt nahm man wahr, dass die
einheimische Schiffahrt, die früher ein starker Schutz in Kriegs-
zeiten und von grossem Vortheil für den Transport der Waaren
gewesen, wunderbar verfallen und viele Schiffseigenthümer und
träge mit der Grösse des Weinimports überhaupt in unsern Zollreg. Tab.VQL
Bi IL S. 128 fg.
l) 7 Hen. VIIL c. 2.
*) Das Licenzenwesen war überhaupt auf allen Gebieten der Ruin der
Gesetze. Nicht vergeblich war unter den 5 Rathschlägen, welche Thom.
Graham der Elisabeth gab, auch der. so wenig als möglich Licenzen zu
ertheilen. Burgon, Life and times of Thom Gresham I. App. 21. S. 488 fg.
■) In den Jahren 1523—26 war die Steigerung allerdings wieder be-
trächtlich, weshalb der Magistrat von London damals gegen die Licenzen-
inhaber vorging. Hall, Chronicle S. 718.
4) Vgl. Brewer, Cal. z.B. IL 3526. 3632. 8636. 3642. 3650; III. 355.
m. 618. 638. 1372. 2814. 3066; IV. 403. 957. 1820 etc.
ß) Brewer, Cal. IL 3541; III. 656. (29. Juli 1517 u. 5. März 1520.)
•) Vgl. Brewer, Cal. III. 1544.
7) Vermuthlich hängt hiemit auch der Befehl Heinrichs VIII. an Crom-
*ell (Oct. 1531) zusammen, wonach dieser eine Bill entwerfen sollte des
Inhalts, dass für die Gascogner und süssen Weine (Malvasier etc.) Fremden-
zölle zu zahlen seien, wenn die Einfuhr von den Niederlanden und nicht
von den Ursprungsländern aus geschehe (State Papers I. S. 380).
24*
- 372 —
Matrosen ihrem Berufe mehr und mehr entfremdet seien und
im Zustande der Verarmung sich befänden, ja dass die Gefahr
drohe, die Seekunde möchte bei den Engländern ganz ver-
schwinden. Man erneuerte deshalb die bekannten Statuten
Richards IL und Heinrichs VII. und fixirte ihre Dauer bis zum
Ende des nächsten Parlaments1). Da das Parlament am 4.
April 1536 aufgelöst und das nächste erst mit Ablauf der
dreissiger Jahre einberufen wurde (1539), so hätte das Gesetz
über 10 Jahre beobachtet und gehandhabt werden sollen.
Allein auch jetzt wurde die Acte wenig beobachtet Sonst
hätte nicht der Factor eines englischen Kaufmanns in Spanien
zwei Jahre später in einem Brief an seinen Committenten auf
den Contrast in der Handhabung der Navigationsgesetze in
England und Spanien hinweisen 2) und auch nicht Starkey, der
Caplan Heinrichs VIII., in dem um 1536 verfassten bekannten
Dialog den Cardinal Pole für den Schiffahrtsschutz plädiren
lassen können9). Der Grund lag wie früher in den hohen
Frachtgeldern, welche die einheimischen Schiffer verlangten. Die
Differenz war so gross, dass, als Heinrich VIII. durch eine
Proclamation vom 26. Februar 1539 die Gleichstellung der
fremden Eaufleute mit den einheimischen vom 6. April an für
7 Jahre befohlen hatte, die Fremden den Küstenhandel sogar
an sich zu reissen begannen. Cromwell aber, der diese Folgen
jedenfalls vorausgesehen, hatte inzwischen zum Schutz der
.einheimischen Schiffahrt eine Bill ausarbeiten lassen4), welche
er dem Parlament vorlegte, und welche auch zum Gesetz er-
hoben wurde.
Die Acte betitelt „The mayntenance of the navytt war ein
grosser Fortschritt auf dem Gebiete der Schiffahrtsgesetzge-
bung und ein wahres Meisterstück.
Kurz, aber trefflich sind die Motive; sie gipfeln in drei
Puncten : England, rings von der See umgeben, ist hinsichtlich
der Waaren auf den Seetransport angewiesen. Eine grosse
Zahl eigener Schiffe, wie sie das Königreich in vergangenen
Zeiten besessen, ist für den Verkehr der Kaufleute ebenso
nothwendig als vortheilhaft. Ferner erheischt die Sicherheit des
Landes eine starke Privatflotte. In der Defensive und Offen-
sive ist England auf den Schutz und die Unterstützung der
Schiffe hingewiesen. Eine ausgedehnte Marine fördert endlich
die einheimische Arbeit. Sie beschäftigt und ernährt eine
*) 23 Hen. VIII. c. 7. 1531/32. Gleichzeitig wurde die Zeit der Wein-
einfuhr und der Weinpreis geregelt.
*) Urk. Beil. 138.
*) „Hyt schold be also no »mal furtherance many ways, as I tbynke,
yf hyt were ordeynyd, that our owne marchauntys schold cary out and bryng
in wyth our owne vessellys, and not vse the straungerys schyppys, as
they no w d o ; by the reson wherof our owne marynerys oft-tymys lye iduJ.a
Starkey, England during thereign of king Henry VIII. ed. Cowper S.H4.
*) Wahrscheinlich vom Trinity House of Deptford.
— 373 —
grosse Menschenzahl. Nicht nur die Seeleute mit ihren Fa-
milien, sondern auch die Gewerbsleute in den an der Seeküste
gelegenen Orten wie die Bäcker, Brauer, Metzger, Schmiede,
Seiler, Schiffszimmerleute, Schneider, Schuhmacher und Andere
ziehen aus ihr grösstenteils ihre Nahrung und ihren Unter-
halt. Schon öfter wurden Gesetze zur Erhaltung der Schiff-
fahrt erlassen, allein es gibt Leute, welche den eigenen Ge-
winn höher stellen, als den, der dem ganzen Lande aus der
Erhaltung der Flotte erwächst, und sich nicht scheuen, die
Gesetze zu verletzen. Die Flotte ist verfallen l) , eine grosse
Zahl Leute verarmt, die Städte und Ortschaften an der See
sind zerstört und ruinirt. Abhilfe thut noth.
Wie half man nun? Natürlich man bestätigte und erneu-
erte die alten Gesetze. Aber damit begnügte man sich nicht. #
Die Navigationsacten hatten, wie alle protectionistischen Ge-#
setze den Missstand, dass sie hohe Preise veranlassten und die
Fracht oft über alles vernünftige Mass verteuerten. Nicht
selten trat der Fall ein, dass der englische Kaufmann nur ein
einziges englisches Schiff im Hafen fand. Er war dann ganz
der Gnade dieses einzigen Schiffsherrn überantwortet. Schon
oben erwähnten wir die Versuche, die man machte, um über
diese Schwierigkeit hinweg zu kommen2). Diese Vorkehrungen
scheinen in der Folgezeit und namentlich unter Heinrich VHI.
nicht ausgereicht zu haben. Man darf nicht vergessen, dass
wir es mit der Periode zu thun haben, in der die Münzver-
schlechterung und die allgemeine Geldentwerthung begann.
Von dem Gesetz 23 Hen. VIII. c. 7 hatte man wohl vergeblich
gehofft, die Beschränkung der Weinpreise werde auch die
Frachtgelder in gewissen Grenzen halten. Ein ernstlicherer
Versuch, den Kaufmann gegen allzu grosse Uebergriffe von
Seiten der Schiffsherrn zu schützen, wurde deshalb in der
Navigationsacte gemacht. Sie enthält einen Maximaltarif für
eine Reihe von Waaren und Stücken, die von dem Londoner
Hafen nach Flandern, Danzig, Bordeaux, Biscaya, Portugal,
Südspanien u. s. w. oder in umgekehrter Richtung verschifft
wurden3). Ferner wurde den Schiffseigen thümern die Ver-
l) An einem zahlenmassigen Ausdruck hiefur fehlt es. Nur über die
Grösse der englischen Schiffe besitzen wir zwei Angaben. Der Secretar der
Merchant adventurers Wheeler schrieb 1601 (Treatise of commerce. Middelb.
Ausg. S. 79), dass vor 60 Jahren (whitin these three skore yeares), also
circa 1540 kaum mehr als 4 Privatschiffe auf der Themse waren, die über
120 Tonnen hielten. Maillac der 1539 — 43 den französischen Gesandtschafts-
posten in England inne hatte, berichtet, dass es um diese Zeit nicht über
« Schiffe in England gegeben habe, die mehr als 500 Tonnen fassten.
Bänke, Engl. Gesch. I. S. 222.
a) Sieh oben S. 361.
3) 32. Hen. VIII. c. 14. S 2. Der Maximaltarif bezog sich ausdrück-
lich nur auf die Schiffe des Londoner Hafens (§ 4), wahrscheinlich weil
man hier die meisten Klagen führte, ferner weil die Ausdehnung der Acte
auf andere Hafenplätze auch die Ausfuhrung sehr complicirt hätte.
- 374 —
pflichtung auferlegt, immer eine Woche zuvor die beabsichtigte
Fahrt in der Lombard-Street zu annonciren, wobei der Be-
stimmungshafen und der Name des Schiffes genannt werden
sollten. Endlich schuf die Acte noch ein wichtiges Prämien-
system. Die früher erwähnte Gleichstellung der fremden Kauf-
leute mit den einheimischen in den Zöllen1) wurde nur denjenigen
fremden Kaufleuten gewährt, welche bei der Verfrachtung ihrer
Waaren englischer Schiffe sich bedienten oder vor den kgl.
Beamten den Nachweis führten, dass kein englisches Schiff er-
hältlich war. Damit war auch die Küstenschiffahrt, wie be-
absichtigt, den Engländern wieder zurückgegeben.
Wie ein Blitzschlag fuhr dieses Gesetz auf die fremden
Kauffahrer, die in den englischen Gewässern sich umher zu
tummeln beliebten, hernieder. Ein Zetergeschrei erhob sich
•von Seite der tödtlich getroffenen Nationen, Protest und Wider-
stand kam von allen Ländern. Jahre lang musste die englische
Regierung ob dieses Gesetzes kämpfen, bis schliesslich die Re-
pressalien der andern Staaten und die gefährliche politische
Situation Heinrich VIII. zwangen, wenigstens das Prämien-
system einzelnen Nationen wieder zu opfern2).
Noch mehr als durch diese Gesetze ragt Heinrichs VIII. Re-
gierung durch zweckmässige Organisirung der Seemannschaft her-
vor. Die Seeleute bildeten schon lange eine Corporation unter
sich 8). Die wechselvollen Geschicke der Matrosen und der Schiffs-
lenker mussten früh zu einer religiösen Vereinigung führen,
die dem Stand einen Zusammenhalt und im Unglücksfall dem
Einzelnen und seinen Hinterbliebenen Hilfe und Unterstützung
angedeihen Hess. Heinrich VIII. benutzte aber diesen Kern
zur Lösung einer Reihe der wichtigsten Fragen. Nachdem er
die Officiere und Matrosen der kgl. Flotte zu einer Gilde am
19. März 1513 vereinigt4) und im folgenden Jahr (20. Mai
1514) die Privatbrüderschaften der sämmtlichen englischen
Seeleute mit der obigen zu einer neuen Corporation verschmol-
zen5) und ihr alle Corporationsrechte und damit öffentliche
Anerkennung und Berechtigung verliehen hatte, wies er dem
nunmehrigen Trinity House of Deptford Strond die Prüfung der
Seeleute6), die Fürsorge für die Leuchttürme und sonstige
1) Sieh oben S. 86.
2) Vgl. unsern I. Abschnitt, namentlich Capitel 1. S. 87 fg.
*) Jos. Cotton, Memoir on the origin and incorporation of the Tri-
nity House of Deptford Strond. London 1818. Seine Beweise für den im
Text aufgestellten Satz S. 15 fg. scheinen mir völlig stichhaltig.
4) Brewer, Cal. I. 3808.
*) Brewer, Cal. I. 5108., So muss man wohl die Sache auffassen.
8) Die Prüfungen hatten schon die Vereinigung der Mannschaft der
kgl. Flotte veranlasst. Vgl. Brewer, Cal I. 8808. Der Ritter Fortunato
Spert scheint die erste Anregung gegeben zu haben ; wenigstens wird er in
der Literatur vielfach als Gründer angegeben; sieh z. B. Brown, L'ar-
chivio di Venezia S. 135. Anm., bezw. Introduction zu s. Cal. Bd. 1.
— 375 -
Schutzmassregeln, die Entscheidung der Streitigkeiten, welche
Seeofficiere und Matrosen im kaufmännischen Dienst hatten,
und ähnliche Befugnisse zu *). Später errichtete er das Tri-
nity House zu Newcastle upon Tyne und betraute auch dieses,
wenngleich in beschränkterem Kreise, mit den oben genannten
Aufgaben (1537) *). Heinrich VIII. folgte damit dem Beispiel
der Venetianer, welche 1476 die berühmte Scuola di San Nicolo
gegründet, und Karl V., der ein ähnliches Institut in der Casa
de contratacion zu Sevilla geschaffen hatte. Diese Incorpori-
rung der Seeleute war auch für die Frage des Schiffahrts-
schutzes von grosser Bedeutung; denn die Corporation war
auf ihren Nutzen bedacht. Der Gesellschaftsvorstand (unus
raagister, quatuor guardiani et octo assistentes) konnte Ver-
ordnungen erlassen „in relevamen et augmentationem navium
Anglicarumtf, und er dehnte seine Befugnisse auch auf fremde
Schiffe aus. Er beanspruchte z. B. für seine Mitglieder das aus-
schliessliche Recht, fremde Schiffe aus der Themse zu führen3).
Das Wichtigste aber war, dass durch diese Vereinigung den
Schiffahrtsinteressen ein weit stärkerer Einfluss verschafft wurde,
als dies bisher möglich war. Schon die Navigationspolitik
unter Heinrich VIII. zeigt dies auffällig genug, noch mehr
aber die Folgezeit. Jedenfalls hat das Trinity House eine im
Ganzen rühmliche Geschichte. Noch heute ist diese Schöpfung
Heinrichs VIII. eine Zierde englischer Einrichtungen und erfüllt
Aufgaben öffentlicher Natur, wie sie sonst nur vom grössten
Gemeinwesen, dem Staate, erfüllt zu werden pflegen.
Endlich ist noch der Fürsorge zu gedenken, die Heinrich
VIII. der Staatsflotte schenkte. Er war keineswegs, wie man
vielfach in der Literatur findet 4), der erste englische Monarch,
der ständig Kriegschiffe hielt, aber er war der erste Souverän
in der Christenheit, welcher einen Stand von Officieren aus-
schliesslich dem Seedienste bestimmte5) ; auch gab er der eng-
lischen Staatsflotte eine Ausdehnung, die sie zu den geachtetsten
der Zeit machte. Gleich seinem Vater besass Heinrich VHI.
Talent für die Nautik. Es ist bekannt, dass er Experimente
in der Construction von Schiffsrumpfen und in der Schiffs-
artillerie anstellte. Frei von der engherzigen Sparsamkeit
seines Vaters ging er mit Freude an die Schaffung einer statt-
lichen kgl. Flotte6). Namentlich war er dem Zuge der Zeit
^Macpherson, Annals of commerce IL S. 44. Diese Seeämter
bildeten eine Ergänzung zu dem Court of Admiralty und den Cinque Ports.
*) Lindsay, History of merchant shipping III. S. 32.
*) ürk. Beil. 97. Art. 13 und 98 Art. 13.
') Vgl. Macpherson, Annals of commerce II. S. 44.
6) Yonge, The history of the British navy. London 1863. I. S. 19.
6) Wie gern er auch die Erbauung neuer Schiffe durch Private schon
an Anfange seiner Regierung sah, davon zeugt Urk. Beil. 137.
— 376
entsprechend3) darauf bedacht, grosse Schiffe zu bauen. Der
„Regent" und „Harry Gräce ä Dieutt *) mit je 1000 Tonnen,
der „Gabryell Royall" mit 700 Tonnen, die „Mary Rose" mit
600 Tonnen Gehalt waren Schiffe, welche damals die Aufmerk-
samkeit der ganzen Welt auf sich zogen und selbst den vene-
tianischen Gesandten mit Bewunderung und Furcht erfüllten 5).
Im October des Jahres 1525 hatte der König im Hafen von
Portsmouth und in der Themse allein 26 Schiffe liegen, die alle
erst unter seiner Regierung gebaut worden und von denen nur
10 nach damaligen Begriffen klein waren4). In den ersten un-
2) Vgl. Hakluyt in. 700; auchPeschel, Gesch. des Zeitalters der
Entd. S. 31. Nach von mir angestellten Berechnungen betrag die Beman-
nung eines Schiffes unter Eduard in. (vor Calais 1347) 21, unter Heinrich
VIII. 147 Leute.
s) Dieses Schiff wurde gebaut, als der Regent im Krieg unterging.
Die Kosten für den Harry und drei kleine Galeeren beliefen sich auf
7708 £ 5 sh 8 d. (Brewer, Cal. I. 5228). Um ihn von Erith nach Bar-
king zu bringen, brauchte man 4 Tage und 400 Leute (Charnock, His-
tory of manne architecture London 1801). Ueber seine Ausrüstung vgl.
Lindsay, Merchant Shipping IL S. 559. IH. S. 95.
8) Vgl. Giustinians Brief vom 29. Ocl 1515. G i u s t i n i a n , Letten firom
the Court of H. VIII. Transl. by Brown I. S. 140.
*) Folgende auf Grund der Brewer sehen Angaben Cal. IV. 1714
gemachte Zusammenstellung gibt ein Bild.
Namen der Schiffe.
The GabryeU Royall . . .
Mary James
The prize taken by Sperte
Mary Bosse
Pet. Pomgarnet ....
Bark of Bullen ....
The Graffyn
Mary George
John Baptiste
The Grette Barke ....
The Lesse Barke ....
The John of Grenewyche .
The Trinity Henry . . .
Mary and John ....
Maudellen of Depforde . .
Katerine Barke ....
Swepstake
The Grett Sabra ....
The Lessere Sabra . . .
The Hulke
The Primerosse ....
M«ry Impereall ....
Mary Gylforde
The Minion
The Bark of Morlaix . .
The Swalowe
Tonnengehalt
700
260
60
600
340
80
80
240
400
200
160
50
80
200
120
100
65
50
40
160
160
120
160
180
60
60
Jahr der
Erbauung.
1509
1509
1510
1511
1511
1511
1511
1510
1512
1513
1513
1513
1519
1521
1522
1522
1522
1522
1522
1522
1523
1523
1524
1525
1525
1525
— 377 -
ruhigen Reformationsjabren unterblieb der Bau neuer Schiffe.
Als aber durch Einziehung der Klöster viele Mittel flüssig
wurden, die Unsicherheit auf dem Meere wuchs *), die Feinde
Englands allenthalben sich mehrten, da wünschte die öffentliche
Meinung wieder die Hebung der Flott«, und die Regierung
benützte die Stimmung, liess sich noch besondere Subsidien
zur Befestigung und Instandsetzung der Häfen bewilligen2)
und betrieb mit fieberhaftem Eifer die Restaurirung der kgl.
Flotte. Am Ende der Regierung Heinrichs VIII. standen über
ein halbes Hundert (53) stattlicher Schiffe3) mit 5136 Matrosen,
1885 Soldaten, 759 Artilleristen, 235 Erz- und 2752 Eisen-
kanonen (pieces) kriegsbereit da 4). Sorgloser als früher konnte
der Kaufmann mit seinem Schiff in allen Gewässern sich zeigen
und selbst in Ländern handeln, deren Haltung eine feindselige
war; denn er war eines höheren starken Schutzes sicher.
Die vorstehenden Erörterungen möchten zur Genüge dar-
gelegt haben, wie das Interesse an der Stärkung der Flotte
im selben Masse wuchs, als das centralisirtere Staatswesen über
das mittelalterliche den Sieg davon trug. Verschieden waren
die benützten Mittel. Theils suchte man den Zweck zu er-
reichen durch organisatorische Massregeln, theils durch den
Schiffahrtsschutz. Die ersteren wirkten unstreitig günstig, über
den letzteren ist ein abschliessendes Urtheil unmöglich. Die
Ausführung der Navigationsgesetze war mangelhaft, wurde
oft unterbrochen und abgeschwächt. Aber die Schutzpolitik
war doch seit Ende des 14. Jahrhunderts zum stehenden System
geworden.
Von hervorragender Bedeutung war unstreitig das Ein-
greifen der ersten Tudors. Im Gegensatze zu den schwachen
Versuchen der Vorfahren haben sie ziemlich consequent das
Ziel im Auge behalten und verfolgt.
Vor Allem gebührt ihnen das Verdienst, den Schiffahrts-
') Namentlich in den Jahren 1536 und 1537. Kaum glaublich ist es,
was Fr ou de, Hist. of Engl. III. S. 248 behauptet, dass 1536 im ganzen
Canal kein einziger kgl. Kreuzer war, der die englische Flagge trug. Wo
sollten denn die Schifte von 1525 alle hingekommen sein? Es war in der
That nur nöthig, dass die kgl. Schiffe sich sammelten und mit einigen
Privatschiffen sich vereinigten, um in kürzester Frist den Canal zu säubern
und dem König mittheilen zu können: „Your subjects shall not only pass
and repass without danger of takiug , but your Majesty shall be known to
be lora of these seas\ (State'Papers).
2) 32 Hen. VIII. c. 50.
*) 24 Schiffe hatten je 20—140, 16 Schiffe je 140—400, 12 Schiffe je
400-700, 1 Schiff 1000 Tonnen Gehalt.
4) Die einzelnen Schiffe, ihr Tonnengehalt, ihre Bemannung und Aus-
rüstung (am 5. Januar 1 Ed VI.) sind angegeben in der Archaeologia
Vol.XXVl. und bei Lindsay, Merchant Shipping II. S. 5(31 und 562. Die
gesammte englische Flotte, also einschliesslich der Privatschiffe bestand
nach Barbaros Relation v. 1551 aus 500 Schiffen (Alberi, Relazioni Ser.
L Vol. II.)
— 378 —
acten eine practische Gestalt gegeben zu haben, die von den
nächsten Nachfolgern nicht wesentlich abgeändert, sondern nur
weiter ausgebaut werden konnte 1). Heinrich VIII. war es so-
dann, welcher den Seeleuten einen Vereinigungspunct und
eine Selbstcontrole über die Tüchtigkeit der einzelnen Standes-
genossen verliehen, eine Administrativbehörde für das See-
wesen, sowie ein ständiges Seeofficierscorps gegründet und eine
achtunggebietende Staatsflotte geschaffen hat.
Die nachfolgenden Machthaber, vor Allem Elisabeth und
Oliver Cromwell, glänzen durch grössern Ruhm bei der Nach-
welt wegen des von ihnen durch und für die Schiffahrt und
den Handel Geleisteten. Möge man aber nie vergessen, dass
Heinrich VIL und VIII. diesen Ruhm vorbereitet haben. Unter
ihnen gewann die englische Marine erst einen festen Halt, und
ihrer Förderung war es vornehmlich zu danken, dass der eng-
lische Activhandel seit dieser Zeit kräftiger sich entfalten und
ausdehnen konnte.
6) Ich erinnere daran, wie Heinrichs VII. Gesetze schon die 2 wesent-
lichsten Bestimmungen der Oliver Cromwell'schen Acte enthalten, nämlich
1) dass die Schiffe englisches Eigenthum, 2) die Bemannung aus englischen
Unterthanen bestehen soll. Die B. wesentliche Bestimmung, dass die Schiffe
im Inland gebaut sein müssen, fehlt noch. Ebenso wissen wir, dass Heiii-
Tichß VIII. Absicht war, die Fremden von der Küstenschiffahrt auszu-
schliessen.
Drittes Capitel.
Das englische Fremdenreelit.
In dem ersten Abschnitt unserer Darstellung waren es
fortwährend zwei Gesichtspunkte, unter denen wir die eng-
lische Handelspolitik zu betrachten hatten; der eine bezog
sich auf die Stellung des englischen Kaufmanns im Ausland
und die damit zusammenhängenden Bestrebungen, der andere
auf die Rolle des fremden Kaufmanns im englischen Verkehr
und auf die daran sich anknüpfenden Verhältnisse. Die beiden
vorigen Capitel dienten dazu, gewisse Punkte der in der ersten
Richtungslinie sich bewegenden Politik darzulegen, soweit es
nicht bereits im ersten Abschnitt geschehen konnte. Das fol-
gende Capitel soll in ähnlicher Weise die zweiterwähnte Seite
ergänzen, sich also mit der Frage beschäftigen, wie die Eng-
länder den Fremden auf ihrer Insel begegneten.
I. Periode (750-1272).
Es ist eine ganz allgemeine Erscheinung des frühesten
Mittelalters, dass der Fremde als ein Feind und Rechtsloser,
mindestens als ein höchst Verdächtiger betrachtet wurde. In
Folge der durch die Insellage herbeigeführten Abgeschlossen-
heit war in England die Abneigung gegen den Fremden stärker
und allgemeiner als anderswo. Natürlich war aber ein Handel
der Fremden unmöglich, solange eine solche Anschauung die
herrschende blieb. Sie musste gebrochen werden, wenn die
vollständige Isolirung aufhören sollte. An Anreiz hiezu konnte
es nicht fehlen. Wir begegnen deshalb auch frühzeitig Ver-
suchen, den Verkehr der Fremden zu ermöglichen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde schon in der sächsi-
schen Zeit den Fremden der Besuch Englands wenigstens
während der vier jährlichen Messen gestattet, mit der Mass-
— 380 —
gäbe jedoch, dass sie das Königreich nach 40 Tagen wieder
verlassen mussten J). Ausser der Messezeit blieb dem fremden
Kaufmann das Betreten des Landes verboten. Wollte dieser
dennoch England besuchen, so musste er sich hiezu erst den
nöthigen Rechtsschutz sichern, und das geschah dadurch, dass
er sich eine Licenz vom König erwirkte. Dieser Rechtsschutz
wurde anfangs einzelnen Kaufleuten, später den Angehörigen
ganzer Städte und Länder verliehen-). Ein frühes Beispiel
einer solchen Verleihung liefern die Verhandlungen zwischen
Offa und Karl dem Grossen vom Jahre 797. Die Handels-
leute, hiess es da, sollen im Reiche des andern Herrschers
geschützt sein und an die Richter oder den König sich wenden
können3). Sehr bald bildete sich im Gefolge dieses Rechts-
schutzes die völlige Aufnahme des Fremden ins einheimische
Recht aus, d. h. bei Streitigkeiten mit den Eingebornen konnte
der auswärtige Kaufmann nicht nur vor dem Gerichte des
Landes, sondern auch nach dem Rechte desselben klagen, als
wäre er selbst ein Landesangehöriger. Auch hier waren die
Deutschen wahrscheinlich die ersten, denen dieses Privileg
eingeräumt wurde. Die Leute des Kaisers wurden, wie das
Londoner Stadtrecht des Königs Aethelred (978—1016) sich
ausdrückt, für guter Gesetze würdig erachtet, gleich den Lon-
donern selbst4). Die Aufnahme der Fremden ins einheimische
Recht wurde mehr und mehr Regel, die Personalität des
Rechts musste der Territorialität weichen; im 12. Jahrhundert
war der Umschwung, wie allerwärts, so auch in England voll-
zogen5). Wenn aber die Kauf leute einer fremden Nation unter
sich in Streit geriethen, konnten sie ihr einheimisches Recht
im Ausland anwenden, oder sie suchten doch diese Freiheit
sich zu sichern.
*) „Defendu fuit, que nul merchant alien ne hantast Angleterre forsque
aux 4 foires, ne nul demurrast in la terre ouster 40 jours. Mirroir I.
§ 3.
8) Sieh oben S. 6.
s) „De negotiatoribus quoque scripsisti nobis, quos volumus ex man-
dato nostro ut protectionem et patrocinium habeant in regno nostro legi-
time iuxta antiquain consuetudinem negotiandi. Et si in aliquo loco injusta
affligantur oppressione, reclament se ad nos vel nostros judices et plen&m
jubebimus justitiam fieri. Similiter et nostri, si aliquid sub vestra potestate
injusti patiantur, reclament se ad vestrae aeauitatis Judicium, ne aliqua inter
nostros alicubi oboriri possit perturbatio44. Wilkins, Concilia Magnae Bri-
tanniae et Hiberniae. London 1737. I. S. 158; vgl. auch Lappenberg,
Geschichte Englands I. S. 227.
*) ~Et homines Imperatoris, qui veniebant in navibus suis, bonarom
legum digni tenebantur, sicut et nos.u Schmid, Die Gesetze der Angel-
sachsen. 2. Aufl. Leipzig 1858. S. 218.
6) 0. Stobbe, Personalität und Territorialität des Rechts und die
Grundsätze des Mittelalters über die Collisio statutorum im Jahrbuch des
gemeinen deutschen Rechts VI. S. 21 fjg., 84 fg.
— 381 —
Auf Grund solcher Concessionen 2) war der Fremdenverkehr
möglich, und Hessen sich seine Wirkungen beobachten. Der
König, der Adel und die Geistlichkeit nahmen bald wahr, dass
die ausländischen Kaufleute für sie vorteilhaft seien. Die-
selben befriedigten die Bedürfnisse der Aristokratie in vorzüg-
lichem Grade, weckten neue und waren zugleich die besten
Käufer für die Masse der Rohproducte, die sich in den Hän-
den dieser Grossgrundbesitzer und deren Pächter befanden.
Eine selbstverständliche Folge war das Wachsen der Zölle.
Der fremde Kaufmann trat in den Schutz der Mächtigen, und
wenn von Seite dieser einzelne Gewaltacte gegen die Kauf-
leute vorkamen , sie arteten in England nie in jene systema-
tische Feindschaft aus, wie sie sich bei den Rittern des Con-
tinents so lange erhielt5*).
Von dem gegen früher eingetretenen Umschwung gibt der
Befehl Zeugniss, den König Johann kurz nach seinem Regie-
rungsantritt an alle Behörden erliess3). Danach sollen alle
fremden Kaufleute beim Kommen und Gehen sicheres Geleit
für ihre Person und ihre Waaren erhalten, wofern nur die
Engländer in fremden Ländern ähnlich behandelt würden4).
Indem dieser Erlass am 5. April 1200 ausgefertigt wurde,
kann man ihn als eine Devise des 13. Jahrhunderts betrachten.
Noch war aber diese Maxime in die Willkür des Monarchen
gestellt, und nur zu oft war es der Fall, dass der König, ge-
trieben von einer momentanen Geldnoth, von ihr abwich und
den Kaufmann, dessen er gerade habhaft werden konnte,
schätzte und bedrückte.
Erst in der Magna Carta, dem merkwürdigen Freibriefe
Englands, wurde auch die Sicherheit und Freiheit des Handels
jrarantirt und als ein von der Verfassung des Landes nicht zu
trennender Grundsatz proklamirt Zwei Artikel sind der Klar-
stellung dieses Rechts gewidmet:
M.Recht charakteristisch für die den Kaufleuten günstige Stimmung
sind auch zwei Artikel in Betreff der Kauffahrteischiffe in Aethelreds Ge-
setzen (Foedus Anglorum et Danorum) : „Et omnis ceapscip, i. e. navis in-
stitoris, pacem habeat, quae in portum veniet, licet navis sit inimicorum,
si non sit abacta tempestatibus. Et licet abacta sit et applicetur ad aliam
curiam pacis, et homines evadant in ipsam curiam, pacem habeant, et quod
attulerint secum." Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen S. 285.
') Vgl. unter Anderm Kl öden, Die Stellung des Kaufmanns während
des Mittelalters 1841—44.
*) Hardy, Rotuli Chartarum in Turri Londinensi asservati. London
1837. S. 60; vgl. ferner Travers Twiss, The black book of the admiralty
Vol. I. S. 72 fg., wonach König Johann den Beamten untersagte, wider-
rechtliche Zölle zu erheben und dadurch die Kaufleute und Seefahrer
zu vertreiben, ihnen einschärfte, für Waaren, die nicht zum Verkauf ge-
langten, keinen Zoll zu verlangen, und überhaupt volle Zollgleichheit im
ganzen Königreich wünschte.
4) „eandem habeant pacem."
— 382 —
§ 41. Omnes mercatores habeant salvum et securum exire
ab Anglia et venire in Angliara, morari et ire per
Angliam tarn per terram quam per aquam ad emen-
dum et vedendum sine omnibus malis toltis per an-
tiquas et rectas consuetudines, preterquam in tempore
guerre, et si sint de terra contra nos guerrina; et si
tales inveniantur in terra nostra in principio guerre,
attachientur sine dampno corporum et rerum, donec
sciatur a nobis vel capitali justiciario nostro, quomodo
mercatores terre nostre tractentur, qui tunc invenientur
in terra contra nos guerrina, et si nostri salvi sint
ibi, alii salvi sint in terra nostra.
§ 42. Liceat unicuique de cetero exire de regno nostro et
redire salvo et secure per terram et per aquam salva
fide nostra, nisi tempore guerre per aliquod breve
tempus propter communem utilitatem regni, exceptis
imprisonatis et utlaghatis secundum legem regni et
gente de terra contra nos guerrina et mercatoribus,
de quibus fiat, sicut predictum est.
Allein selbst mit der Aufnahme des Grundsatzes in die
Verfassung war noch lange nicht genug geschehen. Die beiden
Artikel tragen, wie ersichtlich, einen Charakter der allgemeinsten
Natur an sich. Was sind mala tolta? Was Freiheit und Sicher-
heit des Verkehrs? Wer wollte behaupten, die Garta sei ver-
letzt, wenn der König nach wie vor die Erlaubniss des Han-
dels an eine theure Licenz knüpfte und nur auf diese Weise
dem Kaufmann volle Sicherheit garantiren zu können vor-
schützte ? *). Wer wollte von einem Verfassungsbruch sprechen,
wenn die städtischen Bürger den Handel der Fremden be-
schränkten.-*-sHatten sie nicht auch alle ihre Freiheiten und
Rechte bestätigt erhalten ? 2) Konnten sie nicht geltend machen,
dass sie diese durch ihren Beistand, den sie den Magnaten
bei Erlangung des Freibriefes geleistet, erkauft hätten?3).
*) Dass der Licenzenverkauf nach der Magna Carta noch fortbestand,
steht ausser Zweifel. 123t» verkaufte Heinrich III. den Kaufleuten von
Hennegau und Flandern das sichere Geleit um 400 Mark (Diericx, Memoires
sur la ville de Gand I. S. 146). Andere Beispiele sind zu finden im Or-
kondenboek van Holland and Zeeland, sowie bei W a u t e r s , Table chrono-
logique des chartes et diplömes imprimäs conc. l'histoire de laBelgique 1866fg.
*) Art. 13 der M. C. : „Et civitas Londoniensis babeat omnes antiquas
libertates et Hberas consuetudines suas tarn per terras quam per aquas.
Preterea volumus et concedimus, quod omnes alie tivitateß et burgi et ville
et portus habeant omnes libertates et consuetudines suas."
s) Montesquieu spricht »ich in seinem Esprit de lois ausserordentlich
begeistert über das Paradoxon aus, dass die Engländer den Schutz der
f r e m d e n Kauf leute zu einem Artikel ihrer nationalen Freiheit machten.
Blackstone, Commentaries on the laws of England (9^ Edit I. c. 7 S.260)
und auch noch Stephen in den neuesten Ausgaben folgten ihm hierin. Dass
dieser Auffassung eine ganz unhistorische Betrachtung zu Grunde liegt, ist
offenbar. So sehr auch ilie M. C. einen allgemeinen Charakter hat, den
— 383 —
Man weiss, welch harte Feuerprobe die Magna Garta im
Ganzen noch bestehen musste, bis ihre Artikel volle und un-
gestörte Anerkennung fanden. Wie viel mehr ist dies hier zu
erwarten? Galt es doch, den Bestimmungen 41 und 42 über-
haupt erst einen festen Inhalt zu geben.
Am frühesten wurden die Zweifel beseitigt über die Frage,
was mala tolta wären. Das war ein Punkt, bei dem auch die
einheimischen Kaufleute betheiligt waren, und an dem auch
die Magnaten ein Interesse hatten, daher die baldige Ent-
scheidung. Im Laufe der Verfassungskämpfe wurde festgestellt,
dass als mala tolta alle ohne Zustimmung des Parlaments er-
hobenen Zölle zu gelten hätten. Der Kampf hierüber wogte
von Heinrich III. bis Eduard III.1). In Folge des heftigen
Widerspruchs von Seite des Parlaments, sowie belehrt durch
den Schaden, der ihnen aus solchen willkürlichen Erpressungen
durch Rückgang des Handels erwuchs, gewöhnten sich jedoch
die Könige allmälig daran, die Zölle immer sich bewilligen zu
lassen.
Viel complicirter und schlimmer lag die Sache rücksicht-
lich der Freiheit der fremden Kaufleute. Gar bald stellte sich
heraus, dass König und Lords dieselbe anders aufgefasst wissen
wollten, als die städtischen Bürger. Die ersteren wollten ihrer
Interessen halber eine möglichst freie und ungehinderte Be-
wegung der fremden Kaufleute in Stadt sowohl wie auf dem
Lande. Die Städter dagegen wünschten eine Freiheit für die
fremden Kaufleute, die nur in ganz engen Grenzen gelten
sollte.
An zwei Beispielen mag gezeigt werden, wie sie sich die-
selbe vorstellten. Als typisch können einmal gelten die Rechte,
welche die Bristoler von dem Grafen von Morton, dem späteren
König Johann, verlangt und Ende des 12. Jahrhunderts be-
stätigt erhielten. Die Bristoler fordern 1) dass kein fremder
Kaufmann innerhalb der Stadt von einem Fremden (d. h. Nicht-
bürger) Leder, Koni, Wolle oder sonstige Waaren kaufe, son-
dern nur von den Bürgern der Stadt ; 2) . dass Jtein fremder
Umstand, dass sie ein Vertrag zwischen den Baronen und den damals von
den Baronen geleiteten Städtern ist, kann sie doch nicht ganz verläugnen
(vgl. Stubbs, Constit. history I. S.530; IL S.2,8). Der Schutz der Kauf-
leute war eine Interessenfrage der Barone. Aber auch die Bürger waren
bei den Artikeln interessirt wegen der mala tolta, wie oben gezeigt Durch
Verqoickung dieser Bestimmung mit einer sehr allgemein gehaltenen Garan-
tirung der Freiheit und Sicherheit der fremden Kaufleute hatte man diese
Artikel allen annehmbar gemacht, und das Paradoxon erweist sich nur
scheinbar als solches.
') Eine gute Uebersicht über die mala tolta ist in Cottons Abhand-
lung „How the kings of England have supported and repaired their Estates"
in dessen Posthuma 8. 188 fg. Eingehend über diesen Gegenstand unter-
richtet W. Stubbs, Constitutional history of England Bd. IL bes. S. 526
bis 529.
— 384 —
Kaufmann in der Stadt eine Gastwirthschaft halte, sondern
nur in seinem Schiff1); 3) dass die Fremden Tuch blos an
Markttagen nach der Elle verkaufen; 4) dass sie mit ihren
Waaren nicht länger als 40 Tage in der Stadt verweilen2).
Das andere Beispiel sei aus London genommen, für welches
diese Frage am brennendsten war. Der fremde Kaufmann
musste hier im Hause eines Bürgers, das er sich jedoch wählen
konnte, wohnen, durfte weder Tücher noch andere Waaren im
Detail verkaufen, kein englisches Tuch in London färben und
keine gewerbliche Operation vornehmen, die den Bürgern zu-
stand. Er sollte nur von den freien Bürgern und auch Nichts
kaufen, um es in der Stadt wieder zu verkaufen. Der Tuch-
verkauf war den Nichtbürgern überhaupt nur an drei Wochen-
tagen und der Handel mit den gebrachten Waaren blos im
Umkreis von drei Meilen gestattet. Wollte ein Fremder Etwas
kaufen, was ein Stadtbürger zu erwerben wünschte, so musste
er sein Angebot zurückziehen. Er durfte nicht länger als 40
Tage in London verweilen, ausgenommen er wurde krank oder
hatte noch Guthaben bei Bürgern der Stadt. Blieben inner-
halb der 40 Tage Waaren unverkauft, so konnte er sie nicht
mitzurücknehmen, sondern musste sie dem Wirth bis zur
Wiederkunft anvertrauen3). Auch war den Fremden nicht
gestattet, ihre Waaren in der Stadt umhertragend feilzubieten,
sie sollten vielmehr bei ihrem Wirth den Verkäufer erwarten 4>
1) «may have a tavern, but in bis ship."
a) Die Charte wurde auch von Heinrich III. (17. Aug. 1252) und den
übrigen Nachfolgern bestätigt. Bristol, The city charters. Containing
the original Institution of mayors, recorders, sheriffs, townclerks and all
other officers whatsoever, as also of a common - Council and the ancient
laws and customs of the city. 1736. S. 57, 58; The Maire of Bristowe
ed. L. Toulmin Smith S. 92.
8) Früher lautete diese Bestimmung noch rigoroser. Sieh folg. Note.
*) Die Urkunde, betitelt „Us atours que eil de Londres fissent sor les
aliens", ist abgedruckt bei Varenbergh, Rel dipl. entre l'Angleterre et la
Flandre S. 218, 219, theilw. auch im Li b. Alb. 3. 674. V. setzt sie in die
Mitte des 13. Jahrhunderts. Mit den im Texte vorgeführten Bestimmungen
sind die Vorschriften zu vergleichen, welche der L ib. Custum. I. S. 68 ent-
hält, und welche nach Riley in die Zeit vor 1237 zu setzen sind. Dieselben
lauten: „Omnes mercatores foranei et maxime Wesdarii etalii, cum venerint
citra metas, quae vocatur „la Newe Were"? non possunt nee debent seeun-
dum antiquas consuetudines et libertates civitatis et regni alieubi venire vel
applicare, nisi solummodo Londonias. Et cum ibi venerint Wesdarii, debent
ponere wesdam suam super kayum et includere eam, si voluerint, cum
claiis et hechiis, nee in domibus vel cellariis possunt illam ponere, sed
tantum super kayum; et ibi debent illam vendere vel ad alias merces cam-
biare, et hoc tantum hominibus civitatis et nullis aliis, et per rationabilem
et antiquam mensuram civitatis. De qua mensura Dominus Rex capiat ad
theolonium obolum.
Neque debent vel possunt aliquid foraneis vendere nee a foraneis
emere, nisi tantum ab hominibus civitatis; vel illud in civitate vel Portsokne
vendant; sed quod voluerint, ab hominibus civitatis emant et in trans-
marinis partibus abducant.
— 385 —
Manche dieser dem 13. Jahrhundert angehörigen Bestimmungen
waren unzweifelhaft schon im 12. Jahrhundert, vielleicht sogar
schon in der angelsächsischen Zeit in Uebung1).
Es war ganz natürlich, dass man die Fremden den Bür-
gern nicht gleichstellen wollte. Die Städter hatten Lasten zu
tragen, von denen die nur kurze Zeit im Lande verweilenden
Fremden frei waren, während sie doch an den Yortheilen viel-
fach participirten. Man darf nicht glauben, dass die Bristoler
und Londoner mit ihren Forderungen allein standen. Auch in
andern englischen Städten, wie z. B. in Ipswich waren die
Bürger in ihrer Nahrung gegen die Fremden wenigstens theil-
weise geschützt 2). Auf dem Continent waren ebenfalls gewisse
Beschränkungen üblich. Die deutschen Stadtrechte liefern
hiefOr viele Beispiele3). Selbst an dem grossen Weltstapel-
platz Brügge, wo man doch dem auswärtigen Kaufmann den
weitesten Spielraum gönnen musste, war der Stadtbürger vor
dem Fremden bevorzugt. Bei einer grossen Zahl von Waaren,
Neque possunt ad nundinas vel alias exire causa aliquant mercandisam
lacere, neque Vicecomes vel alius Ballivus potent eis licentiam dare. Et
si ita percepti et versus nundinas occupati nierint, omnia catalla sua amit-
tantur, quia omnis eorum venditio et emptio debet fieri in civitate et tan-
tum ab hominibus civitatis.
Praeterea non possunt neque debent ultra quadraginta dies morari,
quin in patriam suam eant aut alias ultra mare, tarn longius quam venerint,
neque aliquid emere vel inplicare debent, cum merces suas vendiderint, nisi
ab hominibus Londoniarum. Provideatque sibi foraneus, quod infra quadra-
ginta dies omnes merces suas, sine ullo retenemento, vendat vel cambiat,
quia, cum ad terminum illum pervenerit et abire debuerit, non potest ali-
quam mercem suam bospiti suo vel aliis tradere neque secum asportare.
bed videat, quod infra terminum ad melius quam potent illam vendat; et
si ultra terminum inventum fuerit, penitus ei amittatur.
Neque possunt de aliquibus pannis, quos ferunt, vel de aliis, si ernennt,
tincturam facere, neque aliquam mercem suam mutare, sed, secundum quod
eas deportant, communiter vendere." Sieh auch a. a. 0. S. 61 fg.
x) Im Cod. Harl. 746 ist unmittelbar an die Leges Edwardi Confessoris
eine Libertas civitatum angeschlossen, von der möglicherweise einige Ar-
tikel aus der angelsächsischen Zeit stammen. Die auf die Fremden bezüg-
lichen Satzungen lauten: „Item de Londonia. Mercator itaque foranus, post-
quam civitatem introierit, quocumque placuerit, ei hospitetur. Sed' videat,
ne ad incißionem merces suas vendat (folgen spezielle Festsetzungen über
die Quantitäten). Mercator itaque foranus nequit pannum madidum emere
vel tincturam in urbe facere vel operam aliquam, qui ad cives operari per-
tineat Item. Nequit Herum mercator foranus cum socio suo infra civi-
tatem mercatum afiquem facere ad revendendum illud in civitate, nee ali-
qaem mercatum faciendum nequit civi pervenire, nee magis in urbe prehen-
ainare potent" Euer bricht das Schriftstück ab, so dass man nicht sicher
entscheiden kann, ob auch die übrigen oben im Texte erwähnten Bestim-
mungen in der Libertas civitatum enthalten waren. Schmid, Die Gesetze
der Angelsachsen. S. LXXII u. 520.
2) Le domesday de Gippewyz Art. 26, 44, 59, 61, 66 bei Tr. Twiss,
The black book of the admiralty Vol. IL S. 115 fg., 129, 147, 153, 159.
s) W. Stieda, Zur Entstehung des deutschen Zunftwesens in Hilde-
tands Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik. Bd. XXVII (1876)
S. 68 fg.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 25
— ■ 386 —
namentlich bei Gewürzen und Früchten durften die fremden
Kaufleute keinen Detailhandel treiben, andere Waaren sollten
sie nur an bestimmten Wochentagen zum Verkauf ausbieten;
in Betreff der Tücher waren sie einer ganzen Reihe von Be-
schränkungen unterworfen 1).
Immerhin ergibt ein Vergleich des englischen mit dem
continentalen Gästerecht, dass die Auffassung der englischen
Städte, namentlich der Londoner, eine übermässig strenge und
vielfach unbillige war. Eine Auseinandersetzung mit den Bür-
gern über das Berechtigte und Unberechtigte ihrer Forderungen
war unvermeidlich geworden.
Unter Heinrich III. war eine Entscheidung nicht zu er-
warten. Noch waren alle Zustände zu unfertig, die meisten
Institutionen erst im Krystallisationsprocess begriffen, die in-
neren Kämpfe zu heftig. Seine Begierungszeit war aber eine
Periode der Vorbereitung im eigensten Sinn, die ganze Frage
gewann unter ihm ihre volle Schärfe. Verursacht wurde diese
hauptsächlich durch die bedeutenden Fortschritte, welche die
Ausbreitung der fremden Kaufleute in England damals machte.
Der grosse Einfluss, den der König den Ausländern in der
Regierung gönnte, sowie die Feindschaft zwischen London und
dem König, seit diese Stadt mit den Baronen gegen den
König sich verbunden hatte, trug wesentlich hiezu bei. Unter
Heinrich III. fassten die Deutschen, Niederländer, Italiener,
Gascogner, Provengalen und Bretonen festen Fuss auf der
Insel, unter ihm traten an Stelle der Einzellicenzen die Li-
cenzen für ganze Städte und Gebiete, unter ihm wurde es
Sitte, dass die Fremden anstatt bei Bürgern in eignen Häusern
wohnten *). Auf der andern Seite war es den Städten, nament-
lich während der Regierungszeit von Richard Löwenherz und
') Vgl. die Keuren von 1804 u. 1423 bei Gilliodts van Severen.
Archires de la ville de Bruces. T. VL S. 5 fg.
*) Die folgende Ausführung eines gleichzeitigen Chronisten ist ein
Beleg für das oben Gesagte und veranschaulicht zugleich die Art und Weise,
wie die Kaufleute in England handelten. „Memorandum, quod secundum
consuetudinem civitatis omnes mercatores extranei, venientes in Londoniis,
solebant hospitari com mercimoniis suis in hospitiis Civium, et averium
eorum, guod venditur per centenarium, ut cera, alumen, et bujusmodi.
ponderan per Stateram Domini Regis. Alia vero averia, qui afforantur per
libras, ut piper, gingiber, brasilium, grana, et hinusmodi, solebant ponderan
per ulnas, stateras, pleicias hospitum vel per baskettum suum, ita quod
emptor habuit ad quemlibet centinarium IVor libras pro tractu, ponderato
per medium clavium, sicut aurum et argentum. Postea Ytallici, Kaarcinü
et mercatores de Provincia, inprirais vero perpauci, venientes in Civiutem
cum mercimoniis suis eodem modo se gerebant; sed processu tempore.
cum quamplures mercatores de predictis partibus, qui erant valide divites.
adduxissent in Civitatem maximam copiam mercimoniorum , ut quantitas
mercimoniorum illorum lateret Civibus, non voluerunt hospitari in hospitiis
Civium, sed construxerunt domos in Ci vi täte, et in illis cum bonis &ui5
manserunt per se. Et tunc quidem per stateras suas proprias ponderando
— 387 —
Johann ohne Land gelungen, selbständiger zu werden und den
Grund zur Selbstverwaltung zu legen >). Das Selbstbewusstsein
und die Begehrlichkeit der Bürger, vor Allem der Londoner *),
war fortwährend im Wachsen begriffen,- und seit Simon von
Montforts Versuch, die Städte in die Repräsentation des Reichs
zu ziehen3), der Keim zu einer geordneten Opposition von
Seite dieser Glasse gelegt.
vendiderunt mercimonia sua contra consuetudinem Civitatis; et etiam, que
yendebantur per centenaria, que scilicet deberent ponderari per Stateram
Regis, ipsi ponderaverunt per stateras suas in prejudicium Domini Regis
et ad dampnum et jacturam pesagii soi et sie fadebant per plures annos.
Postea com Dominus Rex deaisset Civibus unam novam cartam super liber-
taübus eorum, in quo continetur, quod nullus mercator extraneus emat vel
vendat aliquid avenum, quod ponderari debeat vel tronizari, nisi per sta-
teram et troniam Domini Regis, super forisfacturam totius averii, et hoc
scilicet per totam Civitatem proclamatum, ilü mercatores nichilominus
ponderaverunt sicut antea fecerunt. Quod cum datom fuisset intelligi Do-
mino Regi et conailio suo, Ballivi sui per preeeptum suum ceperunt omnes
stateras et pondera dictorum mercatorum, et ipsos per salvos plegios
attaebiaverunt Postea, boc anno, die Jovis ante festum apostolorum Si-
monis et Jude, fecit Dominus Rex venire coram se et consilio suo dictos
mercatores apud Westmonasterium , et quia ipsi convicti sunt ponderasse
per stateras eorum contra prohibitionem Regis et post proclamationem
raetam in Civitate, et quia statere et pondera eorum, quando examinata
fuenmt in Escambio Regis, fuerunt falsa, ut dicitur, inventa, ipsi adjudicati
fuerant in misericordia et ad prisonem; qui statim, numero circiter XXti,
addueti sunt ad Tnrrim et ibi imprisonati. In crastino autem statere eorum
et pondera in Westchep fuerunt concremata, et quod per ignem non potuit
conBumi, malleis ferreis mit fractum et penitus conquassatum. Et hoc
factum fuit in absentia Custodis et Ballivorum Civitatis, sed solummodo
per Walterum Hervi. Tunc fecerunt predicti mercatores finem versus Regem
pro mille libris sterlingorum et quasi coacti, quia in turpissimo carcere
intrudi formidabant" De antiquis legibus Liber. Cronica Maiorum
et Vicecomitum Londoniarum 1178 — 1274. Ed. Th. Stapleton 1846
(Camden Society) S. 118, 119; Translation by Riley 1863. S. 123.
x) Stubbs, Constitutional history of England I. S. 628 fe.
*) Den sprechendsten Beweis hiefür liefert folgende Schilderung des
Chronisten 1262 (20. Juli): „Tunc temporiß predicti Barones ad captandam
a Civibus majorem benevolenciam affati sunt eos, dicentes, ut ipsi pro-
vidissent, si quid subtractum misset de libertatibus suis, et etiam alia; que
Mssent justa et honesta ad libertates suas augmentandas, et illa posita in
Bcriptis, Barones ostenderent Regi et consilio suo, qui ea sigülo suo con-
finnaret, predictis Civibus et heredibus eorum imperpetuum possidenda.
Maior vero fecit summoniri Universum populum Civitatis, dicens eis, ut
bomine8 de quolibet officio providissent, que raissent eis utilia, et ipse ea
fsceret clamare in Civitate et firmiter observare; unde, postea, de die in
diem singuli de quolibet officio per se fecerunt nova statuta et provisiones,
que magis possunt dici abhominationes, et solummodo ad commodum
ipsorom et ad intollerabilem jacturam omnium mercatorum venientium in
Londoniis et in nundinis Anj^lie, et ad maximum dampnum universorum
regnl Et tunc nichil actum mit sive traetatum de communi utilitate Civi-
tatis neque de augmentatione libertatum ejusdem, sed tarnen predieta sta-
tuta et provisiones ad nulluni pervenerunt effectum.u De antiquis le-
gibus Liber ed. Stapleton S. 56. RiWs Translation S. 60.
*) Pauli, Simon von Monfort, Grat von Leicester. der Schöpfer des
Hauses der Gemeinen. Tübingen 1867; Stubbs, Constitutional history IL
8. 220 fg.
25*
— 388 —
Die Klügeren unter den Fremden beugten einem Zusam-
menstoss mit den Städtern vor, indem sie mit den letztem
sich verglichen und gewisse Lasten für die gewährten Frei-
heiten zu tragen sich bereit erklärten. So die Kaufleute von
Amiens, Corby, Nesle1), ferner die von Damme8) und die
Hansen8). Andere, wie die Italiener, Spanier, Gascogneru. s.w.
thaten dies augenscheinlich nicht und waren deshalb der Ziel-
punkt steter Anfeindung und Verfolgung. Die Lösung der
daraus entspringenden Schwierigkeiten fiel Eduard L zu.
IL Periode. 1272—1377,
Als Eduard I. zur Regierung gelangte, war für ihn die
Fremdenfrage nicht mehr neu. Bereits als Erstgeborner hatte
er derselben nahe treten müssen; denn im Jahre 1266 war er
von Heinrich III. zum Protector aller in England Handel trei-
benden Ausländer eingesetzt und mit dem wichtigen Licenzen-
amt ausgestattet worden4). Man geht kaum fehl, wenn man
die in den letzten Jahren Heinrichs III. so hervorstechende
Bedeutung der fremden Kaufleute der liberalen Ausübung des
Amtes durch Eduard zuschreibt. Manche mochten vermuthen,
dass er als König auf der eingeschlagenen Bahn fortschreiten
und gegen die Städter entschieden Front machen werde. Das
war aber wenigstens am Anfang nicht der Fall.
Kurz nach seinem Regierungsantritt bestätigte er die Frei-
heiten der Londoner 5). Zu wichtige Aufgaben warteten seiner,
als dass er durch einen Streit mit den Städtern sich hätte die
Hände binden dürfen.
Das Jahrhundert, in dem der König lebte, war ein ge-
setzgeberisches in ganz Europa; auch Eduards Ruhm lag auf
diesem Gebiete; nicht mit Unrecht wird er der englische Jus-
tinian genannt Seine Gesetzgebung ist die Basis aller späteren
in England geworden, sie übertraf an organisatorischer Bedeu-
tung die der zwei folgenden Jahrhunderte. Unter ihm wurde
l) Liber Custumarum ed. Riley 8. 65.
*) Nicolas, Proceedings and Orainances of the Privy Council DL
S. 113.
8) Höhlbaum, Hansisches Urkundenbuch L|S. 902. Sieh auch Liber
Custumarum ed. Riley S. 6*6, 67.
4) Pauli, Geschichte von England HI. S. 845.
») 6. März. 1 Edw. I. Liber Albus ed. Riley 1859. L S. 145 und
Norton, Commentaries on the history, Constitution and chartered fran-
chi8es of the city ot London 8. Edit London 1869. 3. 845. Der Charte
gemäss standen den Londonern 4 bezügliche Rechte zu: 1) Es durften nur
Wirthe sein solche, die das Bürgerrecht erlangt hatten; 2) die Makler
mussten vom Mayor und den Aldermen zugelassen und beeidigt sein; 8)
die Fremden durften nur 40 Tage in der Stadt verweilen; 4) sie sollten bei
dem ihnen zugewiesenen Wirth und nicht in eigener Gesellschaft
wohnen.
der Regierung und Verwaltung die feste Form gegeben, die
Rechte und Jurisdiction wurden festgestellt und alle Zweige des
Staates definitiv abgegrenzt1).
Diese innere Ordnung war für den Handel von ausser-
ordentlicher Bedeutung. Jetzt konnten die innern Quellen
sich öffnen und der Verkehr lebendig werden, zumal Eduard I.
der rechtlichen Regelung des Credites besondere Aufmerksam-
keit zugewendet hatte. Das bekannte Statut von Acton-
Burnell (1283) war ein Fundament, auf dem sich der Handel
der Fremden erst recht aufbauen und eine ganz andere Ent-
wicklung als bisher nehmen konnte8).
Mit dieser indirecten Förderung war Eduard I. aber noch
keineswegs zufrieden. Kaum waren die wichtigsten administra-
tiven und gesetzlichen Fragen erledigt, als er auch seine
Stellung zu den städtischen Rechten änderte. Den Anlass gab
London durch seine Opposition gegen die Justizreform. Sofort
nahm der König die Freiheiten der Stadt in seine Hand und
gab sie 14 Jahre lang (1285—1298) nicht zurück 8). Sorgfältig
wachte er in dieser Periode über die gute Behandlung der
Fremden. Er duldete nicht, dass man die ausländischen Kauf-
leute oft acht Tage hinhielt und ihnen die Waaren nicht aus-
laden Hess; er stellte die Rechtsverzögerungen ab und befahl
den Sheriffs, jeden Tag die Klagen der Fremden anzuhören;
er zwang die Stadt, rechtschaffene fremde Kaufleute auf ihren
Wunsch unter denselben Bedingungen ins Stadtrecht aufzu-
nehmen, wie Einheimische 4), und war darauf bedacht, dass die '
Gascogner nicht in ihrem Weinhandel von den Londonern ge-
hemmt und bedrückt wurden 6). Als die Londoner die durch
die Vertreibung der Juden 6) und durch das Vorgehen anderer
Fürsten, namentlich des Königs von Aragonien, gegen die Ita-
liener7) von Neuem angefachte fremdenfeindliche Stimmung
benützten, um auch die Ausweisung der ausländischen Kaufleute
ans England8) und die Zurückgabe der städtischen Freiheit
*) Stubbs, Constit history TL S. 100—804. bes. S. 102, 105, 107:
vgl auch Edward I. , the greatest of all the Plantagenets. An historical
sketcb, London 1860 und The life and reign of Edward L by the same
(anonym) author. London 1872.
*) Vgl unten Cap. 6.
*) Norton, Commentaries 3. Ed. Ed. S. 86; Stubbs, Constitutional
history of England IH. S. 571.
') Liber Albus ed. Riley 1859. I. S. 287, 295.
*) Rot ParL I. S. 87. (1292); S. 99 (1298).
•) Stubbs H. S. 122. 123 und 529-51.
*) Schafer, Geschichte von Spanien HL S. 451.
8) Die Petition der Gemeinen lautet: „Item petunt, quod Res apponat
remedium de eo, quod alienigene mercatores dominantur et ditantur de
mercandisis in civitate et cives depauperantur, qui onera sustinent, quotiens
necose est; non enim consueverant morari ultra quadraginta dies, infra
quog solebant vendere aliis de regno, qui de lucro vivebant. Et nunc
eitranei illud lucrum asportaverant" Rot. Pari. I. S. 55.
— 390 —
durchzusetzen, trat er ganz entschieden für die fremden Kauf-
leute ein mit der Begründung, dass dieselben den Grossen
des Reichs nützlich seien A). Doch liess er sieh bewegen, 1298
der Stadt London ihre früheren Freiheiten gewissennassen
versuchsweise zurückzuerstatten. Er musste sich aber bald
überzeugen, dass die städtische Behörde nicht gesonnen war,
eine mildere Praxis eintreten zu lassen. Im Besitz ihrer Rechte
erneuerte die Stadt sofort die alten Fremdengesetze und drang
auf deren Durchführung2).
Nur kurze Zeit sollten die Londoner sich der Restauration
freuen. Eduard L war etwa noch bereit, die Bürger von Lin-
coln gegen die Cistercienser in Schutz zu nehmen, wenn diese
auf dem Lande durch ihre Brüder Wolle und andere Artikel
aufkaufen Hessen und dadurch den Städtern angeblich die
Nahrung entzogen3), aber er war nicht gesonnen, auch die
fremden Kaufleute den egoistischen Gelüsten der Bürger voll-
ständig preiszugeben. Veranlasst wurde der entscheidende Schlag
wie es scheint, durch die Streitigkeiten zwischen den Gas-
cognern und Londonern. Bereits im ersten Abschnitt (S. 298)
wurde bemerkt, wie die englischen Könige die Gascogner durch
Privilegien enger an das Herrscherhaus zu knüpfen suchten.
Der in dieser Rücksicht ertheilte Freibrief war aber fortwäh-
rend Gegenstand des Angriffs von Seite der Londoner. Sie
benützten geschickt den Krieg, in welchen Eduard I. mit Schott-
land und Frankreich verwickelt war, um die Ausübung des
Privilegs hintanzuhalten4) Nach langem Streit setzten die
Londoner sogar im Parlament den Beschluss durch, dass den
Gascognern zwar gestattet sein solle, mit ihren Weinen nach
London zu kommen, dass sie im Ganzen aber wie Nichtbürger
behandelt werden müssten6). Dem entsprechend zwangen sie
auch die Bordolesen, bei Bürgern sich einzulogiren, und gaben
dem König auf seine Anfragen nur stolze Antworten6).
x) „Rex intendit, quod mercatores extranei sunt ydonei et utiles mag-
natibus, et non habet consilium eos expellendi. Rot. Tal. LS. 55. — An-
dersons Angabe (Annais of commerce I. S. 242 unter dem Jahr 1283),
dass die Lombarden vertrieben und 1289 wieder zurückgerufen worden
seien, ist wohl irrthümlich.
2) Sieh z. B. Liber Custumarum ed. Riley I. S. 69, 70, 7L
») Rot Pari. I. S. 156, 157. (1802>
*) Vgl. Michel, Histoire du commerce de Bordeaux I. S. "93 fg.;
auch Rot Pari. I. S. 87.
*) „eodem statu et eodem termino in omnibus, quibus mercatores pro-
vinciales utantur et gaudent" 21 Edw. I. Rot Pari. I. S. 99. Sieh auch
Liber Custumarum ed. Riley I. S. 70.
6) So schrieben sie am 29. August 1801, „quod non licet eis seu aliis
mercatoribus extraneis quibuscumque hospicia sie condueta pro mercan-
di8is suis imponendis inhabitare, nee alios mercatores secum hospitari,
nee ad mensam suam teuere; sed debent illi et auivis alii mercatores extranei
in domibus civium Londoniensium hospitari et infra eorum clausuni habitare
et hoc per spacium XL. dierum tantum." Delpit, Collection S. 85. Nr. 74
— 891 —
Diese fortwährende Hartnäckigkeit Londons, das in Folge
der Kriege wachsende Geldbedürfniss und sicher auch die Ein-
sicht, dass eine weitere Ausdehnung des Handels selbst auf
Kosten der Städter dem Lande im Ganzen erspriesslich sei,
veranlassten Eduard I. energische Schritte zu thun. Am 13.
August 1302 bewilligte er den Gascognern gegen eine Zu-
schlagstaxe von 2 Sous per Tonne Wein die ausgedehntesten,
ja wahrscheinlich alle Rechte, die sie überhaupt verlangt
hatten 1). Im darauffolgenden Jahre dehnte er diese Freiheiten
gegen verschiedene Zollerhöhungen, welche die fremden Kauf-
leute ihm bewilligten *) , ' auf alle ausländischen Kauf leute aus.
Diese berühmte Charta mercatoria ist ein Markstein in der
englischen Fremden- und Handelspolitik.
Der Hauptinhalt der Charte lautet: Der König, durch-
drungen von dem Wunsche, dass die Kaufleute, die aus Deutsch-
land, Frankreich, Spanien, Portugal, Navarra, der Lombardei,
Toscana, Provence, Catalonien, Aquitanien, Toulouse, Quercy,
Flandern , Brabant und allen andern fremden Ländern in sein
Reich kommen, Ruhe und volle Sicherheit gemessen, errichtet
folgende Bestimmungen, die von ihm und seinen Nachfolgern
für immer beobachtet werden sollen:
1) Alle fremden Kauf leute, die das englische Reich besuchen,
gemessen volle Sicherheit; sie dürfen alle Arten von Waaren
bringen und sind frei von dem städtischen Mauer-, Brücken-
und Pflastergeld. Es ist ihnen gestattet, im Grossen sowohl
an englische Bürger als an Nichtbürger und Fremde zu ver-
kaufen; Gewürze und Krämerwaaren 3) dürfen sie wie bisher
im Detail an Jedweden verkaufen. Nach Zahlung der Zölle
können die fremden Kauf leute sowohl das Eingeführte als dass
im englischen Reiche erst Erworbene in alle Länder bringen, die
nicht mit England im Kriege sich befinden. Für den Export
des importirten Weins aber ist eine Licenz nöthig.
2) Eine Beschränkung in Bezug auf Wohnung, Aufenthalt
und Waarenbergung ist unstatthaft.
3) Jeder Kaufcontract soll fest und gültig sein, sobald
*) Dieselben sind abgedruckt beiChampollion, Lettres des rois, reines
etc. II. S. 5 — 9. Dass sie ein Vorläufer der Charta mercatoria sind, kann
bei einer aufmerksamen Vergleichung mit derselben nicht bezweifelt werden.
Die Privilegien der Gascogner wurden bestätigt 1828 1888. 1840. 1855.
1388. 1401. 1420. 1422. Michel, Histoire da commerce de Bordeanx I.
S. 106.
*) Eduard I. hatte auch von einer eigenen Versammlung von einhei-
mischen Kaufleuten, die er nach York berufen (je 2 aus den 42 Städten),
die Zollerhöhung zu erlangen gesucht, erhielt aber eine abschlägige Ant-
wort. Ueber die legale Berechtigung des Königs, von den Kaufleuten se-
parate Beiträge zu verlangen und zu erhalten vgl. Stubbs II. S. 191 fg.
und 524.
s) «ita tarnen, quod merces, quae mercerie vocantur, ac species minua-
um vendi posBint, prout antea fien consuevit."
— 392 —
der Gottespfennig gegeben und genommen worden ist; im Streit-
fall entscheidet die Uebung des Ortes.
4) Das kgl. Recht der Prisage bleibt im Ganzen beste-
hen, der König will aber den Preis zahlen, den die Kauf leute
auch von andern erlangen könnten 1). Der König wird keine
Preistaxe auf ihre Waaren setzen.
Die Markt- und Stadtbehörden sollen die Klagen der
Kauf leute anhören und gemäss der lex mercatoria sofort Recht
widerfahren lassen. Im Fall der Verzögerung trifft den Be-
amten auch dann die Strafe, wenn der Kaufmann seinen Scha-
den wieder vergütet erhält.
6) In allen Processen zwischen einem Kaufmann und einem
Inländer — Kapitalverbrechen ausgenommen — soll die eine
Hälfte der Jury aus Einheimischen, die andere aus Fremden
des Orts zusammengesetzt werden.
7) Es soll nur ein Maas und Gewicht in England gelten
und dem Kaufmann eine richtige Wägung zu Theil werden.
8) Den fremden Kauf leuten wird ein besonderer Richter
bestellt, der ihre Processe und Schuldklagen sofort erledigen
kann für den Fall, dass die Bürgermeister und Sheriffs die
Rechtsprechung verzögern.
9) Alle diese Freiheiten sollen nicht von den Nachfolgern
des Königs beschränkt oder aufgehoben werden können.
10—15) Für diese Freiheiten bewilligen die Kaufleute
eine Reihe von Zuschlagstaxen etc. Der Werth der Waaren
soll durch Briefe der Handelsleute oder Eid bestimmt werden.
Fremde Kaufleute dürfen Wolle an andere fremde Kaufleute
innerhalb des Königreichs verkaufen, ohne dass sie Zölle zahlen
müssen. Der König verspricht für alle Zukunft, keine weiteren
Abgaben von den Kaufleuten zu verlangen2).
Diese Charte, welche noch heute die Grundlage des Pro-
cesses bildet und Vortheile der mannigfachsten Art dem
fremden Kaufmann gewährte, war «der denkbar schwerste Ein-
griff in das bestehende Gästerecht. Fast das ganze System
hatte der König hinweggefegt, nur den Detailhandel hatte er
bis zu einem gewissen Grade gegen das Eindringen der Fremden
geschützt Wie auf so vielen Gebieten hatte der schöpferische
Eduard I. auch auf dem des Handels eine neue Bahn vorge-
zeichnet; er gab erst den Artikeln 41 und 42 der Magna
Charta den Inhalt, wie er von vielen der damals betheiligten
Contrahenten gedacht, wenn auch unklar ausgesprochen war *).
*) Der König durfte zuvor vonjedem Weinschiff das 10. Fass zu 20
sh beanspruchen. Stubbs II. S. 522.
*) RymerIV.S.361fg.;Hakluyt,Theprincipalnayigationsetc.LS.133.
*) Stubbs IL S. 525 wählt einen unrichtigen Ausdruck, wenn er
sagt, die neuen Zölle der Charte widersprachen der durch die M. Ch. ga-
rantirten Freiheit des Handels. Sie waren nur ein Verstoss gegen das
Versprechen, keine „mala tolta" erheben zu wollen. Trotz der höheren Zölle
athmete die Charte von 1303 ganz den Geist freien Handels.
— 393 —
Dass die Opposition nicht ausbleiben werde, war nicht zu
bezweifeln. Kaum hatte Eduard I. seine Augen geschlossen,
und der schwache unverständige Sohn das Scepter ergriffen,
als die dem Freihandel widerstrebenden Stimmen sich zu sam-
meln begannen.
Mit seltener Klugheit gingen die Bürger zu Werke. Um
sich die Unterstützung aller Parteien zu sichern, verlangten
die Städter in dem Parlament von 1309 blos die Abschaffung
der neuen Zölle, indem sie geltend machten, dass die Preise
durch dieselben beträchtlich gestiegen seien. Es gelang ihnen,
diesen Punkt zu einem der 11 vom gesammten Parlament
eingereichten Beschwerdeartikel zu machen 1). In einer Ver-
sammlung der Barone zu Stamford musste der König der Pe-
tition Gehör geben und versprach, diese Zölle zu uspendiren,
um zu sehen, ob die Preise wirklich davon beeinflusst würden *).
Das Versprechen wurde gehalten8). Sofort kam die wahre
Absicht der Städter zum Vorschein. Sie verlangten von den
Gascognern Mauer- und Brückengeld und Hessen das frühere
Fremdenrecht wieder walten. Zur Rechenschaft gezogen, ant-
worteten die Londoner, die Befreiung der Gascogner datire
erst von der Charte von 1303 her, und da der König im Par-
lament von Stamford die Zölle dieser Charte zurückgenommen,
so seien auch die Privilegien erloschen, welche für diese Zölle
gewährt worden 4). Die Erbitterung nahm bald solche Dimen-
sionen an, dass die Gascogner zu den Waffen griffen, und der
König kaum im Stande war, die Buhe aufrecht zu erhalten 5).
Im Jahre 1310 Hess Eduard II. auch die Zuschlagstaxen wieder
erheben, weil, wie er sagte, ihre Abschaffung die Preise nicht
reducirt habe6).
Die dem König vom Parlament aufgenöthigte Regierung
musste aber wieder eine Aenderung eintreten lassen. In dem
Kampfe gegen die Willkürlichkeiten des Königs waren die
Stimmen der Bürger wichtig, man musste ihre Interessen be-
rücksichtigen. Der Einfluss der Städte ist auch nachweisbar.
Die Zölle, die man seit der Krönung Eduards I. neu erhob,
*) Vgl. auch Stubbs IL S. 323 und 324.
*) „Et quant a les custumes, que le Roi prent par ses ministres, c'est
assavoir de chescun tonel de vin II s . de chescun drap , que marchaundz
aliens fönt venir en sa terre, II s, et de chescun livre de aver de poys in d,
voet le Roi a la requeste de ses dites bonea gentz, que les dites custumes
de rhu, draps et aver de poys cessent a sa volonte par saver et estre
räse, quel profit et quel avantage acrestera a lui et a son poeple par cesser
de la prise de celes custumes, et puis avera le Roi conseil solonc ravantage
q'ü t Terra; sauveez totevoies au Roi les auncienes prises et custumes
aonoenement dues et approvees. Rot. Pari.
*) Stubbs II. S. 325. Anm. 1.
*) Delpit, Collection etc. S. 42 Nr. 89. 9. Mai 1809.
J) Delpit, Collection etc. S. 42 und 43.
e) Stubbs II. S. 325. Anm. 1.
— 394 —
wurden 1311 abgeschafft. Die Begründung lautet schon ganz
anders wie früher. Die Charte, die Eduard I. den fremden
Kaufleuten gegeben, komme nicht in Betracht, sie widerspreche
der Magna Charta, sowie insbesondere der Freiheit Londons und
sei auch ohne Zustimmung der Barone erlassen worden. Die
neuen Zölle hätten verursacht, dass die fremden Kaufleute
seltener kämen ; weniger Güter ins Land brächten, insbe-
sondere sich auch länger aufhielten, als sie zu thun gewohnt
gewesen seien J).
Es muss jedoch beachtet werden, dass der Freibrief Edu-
ards I. nicht ausdrücklich für ungültig erklärt wurde; nur in
Betreff der Zölle sollte ihm kein Einfluss zukommen. Welche
Anwendung von dieser jedenfalls von den Baronen absichtlich
herbeigeführten Unklarheit gemacht wurde, ist schwer zu ent-
scheiden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der König zu
manchen Concessionen in dieser Hinsicht sich verstehen musste.
Am 25. April 1312 gab er seine Zustimmung zu der Verord-
nung , dass die Fremden nur 40 Tage in London weilen dürf-
ten2), im Jahre 1316 untersagte er den Fremden mit Aus-
nahme der Hansen den Kleinhandel, den Besitz eigener Häuser
und die Makelei8), 1319 schloss er alle Nichtbürger vom De-
tailhandel mit Wein und andern Waaren aus4).
Selbstverständlich kehlten nun auch sofort die Klagen über
die Städter wieder. Namentlich lief von der Universität Ox-
ford eine sehr umfangreiche Petition ein, in welcher Schutz für
die seit dem letzten Parlamente bedrückten auswärtigen Kauf-
leute verlangt wurde. Der König versprach sofortige Abhilfe,
insoweit es sich um die Belästigung der Lebensmittelverkäufer
durch fingirte Klagen von Seiten der städtischen Kaufleute
handelte6). Als er dann zwei Jahre später über die Barone
einen grossen Sieg erfocht, setzte er die fremden Kaufleute
ganz allgemein wieder in ihren früheren Stand ein. Man muss
dies daraus schliessen , dass er die Zuschlagstaxen wieder er-
neuerte6); denn für diese waren ja die Privilegien der fremden
Kaufleute die Voraussetzung. Die Reaction in den bürger-
lichen Kreisen nahm einen bedrohlichen Charakter an. Der
Hass richtete sich vornehmlich gegen die Italiener, die einige
Jahre zuvor mit Genehmigung des Königs den ganzen Zinn-
l) 5 Edw. II. Ordin. c. 11.
*) Vgl. die Urkundenstelle beiVarenbergh, Histoire des relat etc.
S. 267. Anm. 3; ferner Rot. Pari. I. S. 282 Nr. 11 am Eingang.
8) Luffmann, The Charters of London complete S. 109.
4) Liber Albus ed. RUey 1859. S. 142, 143 und Pat 12. Edw.
IL p. 2. m. 2 (Tower Records) 2. Strypes Edit of Stowe S. 864. Mai-
land, History L S. 115.
*) Rot Pari. I. S. 373 (1820).
cj Stubbs II. S. 525. Ihre vollständig legale Anerkennung erhielten
diese Zuschlagstaxen erst 1353; a. a. 0.
— 395 —
handel zum grossen Verdruss der Zinner von Comwall und
Devon monopolisirt hatten1), und in deren Hände gerade da-
mals 118 000 j£ Zollrevenuen für gemachte Darlehen flössen.
Das Londoner Volk war so erbittert, dass es die Häuser der
Bardi plünderte und verbrannte2); die Stadtbehörde aber
fasste den Beschluss, dass alle fremden Kaufleute des erwor-
benen Bürgerrechts verlustig gehen und Neuaufnahmen nur
unter gewissen erschwerenden Bestimmungen gestattet wer-
den sollten8).
Nach dem traurigen Ende seines Vaters kam Eduard HI.
zur Regierung. Er vermied bei seinem Antritt den Städtern
offene Opposition zu machen ; seine Politik war noch eine ver-
deckte und zuwartende. Er gab den Loridonern zunächst
die allgemeine Zusicherung, dass all ihre alten Rechte gewahrt,
ihre Freiheiten und Gewohnheiten in Gemässheit der Magna
Charta geschützt und „alle Usurpationen und Hemmnisse* in
dieser Beziehung beseitigt werden sollten 4). Die Bürger waren
von dieser allgemeinen Zusage nicht befriedigt. Sie verlangten
deshalb mit Hinweis auf die Magna Charta und die Bereiche-
rung der Fremden, die zum Schaden des Königs und Gemein-
wesens gereiche, dass die ausländischen Kaufleute, denen der
„übelberathene Vorfahre" 6) beliebig langen Aufenthalt gestattet
habe, fortan nur 40 Tage in England verweilen und auch nur
an Einheimische verkaufen 6) sollten 7). Indem der König die
Forderungen bewilligte, waren den Städtern zwei starke Waffen
in die Hand gegeben, im Gebrauch derselben zeigten sie sich
nicht müssig 8). Bereits im nächsten Parlament wurden starke
Klagen gegen London laut, die Regierung gab aber zunächst
') Die Zinner von CornwaU behaupteten, der Monopolinhaber Antonio
aus Pisa gebe nur 42 sh , wo man von andern Kaufleuten SO sh haben
könnte; in Folge dessen sei die Zahl der Zinner von 8000 auf 500 herab-
gesunken. Die Leute von Devon dagegen meinten: „Similiter magis est ad
commodum regis, quod illi et alii de comitatus illius emptionem et ven-
ditionem stagminis habeant, quam aliqui extranei mercatores.u Eot. Pari. I.
S. 308, 812 (1314/15).
») Villani, Jstorie Fiorentini B. 10. Cap. 8.
*) Riley, Memorials of London S. 151.
*) Norton, • Commentaries 1869. S. 845. Sieh auch Rot. Pari. II.
S. 425. App. Nr. 11.
^„la grant donze q'il unt done a maveis conseillers le Roy qi rat"
arl. ü. S. 9. Nr. 17.
<) Rot Pari. IL S. 9, 11. Die Antwort lautete: „Quant a la petition
tochante la venue des marchantz estranges et leur demoere en Engleterre
sott ordene de ce par commune assent"
" *) Also das Kaufen der Fremden von Fremden blieb unberührt. Dieser
Ponct war aber auch wenig practisch.
8) Liber Albus ed. Riley 1859. S. 600, 657, 674; vgl. auch Rilev,
Memorials of London. S. 179 die Petition der Metzger 1881 , und S. 166
Die Beschwerden der Wirthe und Heuhändler 1827 : ßieh ferner 2. Edw.
HL c. 15 und 5. Edw. Iü. c. 5.
— 396 —
denselben kein Gehör, sondern verwies die Bittsteller auf den
Rechtsweg1).
Ermuthigt durch diesen Erfolg, gingen die Städter noch
weiter in ihren Prätensionen und machten ihre Rechte nicht
nur gegen die Ausländer, sondern auch gegen die Gascogner f )
und selbst gegen die Kaufleute anderer englischer Städte gel*
tend3). Gleichzeitig scheinen sie nicht geduldet zu haben,
dass die Fremden ihre Waaren aufs Land brachten4). Durch
diese Uebertreibungen wurde die Opposition verschärft, und
hatte man früher bereits die Behelligung der andern Stadt-
bürger zurückgewiesen, so erklärte man jetzt im Parlament
die neuerdings eingelaufene Klage, dass durch die Zwischen-
hand der Bürger alle Waaren vertheuert würden, für voll-
kommen begründet. Der Verkehr zwischen Einheimischen und
Fremden wurde wieder frei gegeben und zur nachdrucksvollen
Durchführung dem Könige die Verhängung schwerer Strafen
und selbst das Recht zugestanden, bei fortgesetzter Weigerung
die Freiheiten der Städte ganz zu suspendiren 6).
Ein Theil der städtischen Rechte war somit verloren ge-
gangen. Aber den Hauptkern derselben besassen die Bürger
noch. Der Kleinverkauf war den Städtern noch erhalten,
ebenso durften die Fremden nicht länger als 40 Tage im
Lande bleiben. Die einmal eingetretene Reaction beruhigte
sich nicht mit dieser Errungenschaft. 1343 liess man auch
die Beschränkung des Aufenthaltes fallen, nur mussten die
fremden Kaufleute bei längerem als vierzigtägigem Verweilen
auf ihre Steuerfreiheit 6) verzichten 7). 1351 wurde den Frem-
den zu dem Bisherigen auch noch der Detailverkauf gestattet
und bestimmt, dass die Stadtbehörden sich nicht in den Ver-
kauf der Lebensmittel mischen dürften, und dass die Freiheiten
*) Rot Pari. IL S. 87. Nr. 32. 1330.
*) Rot. Pari. II. S. 74 (8 Ed. III.); namentlich über London and
Bristol wurde geklagt.
*) So verlangten die Kauf leute von Southampton, dass die Leute von
Winchester and Salisbury in Southampton nur von Stadtbürgern kauften.
Rot Pari II. S. 87. Nr, 59. Das Gleiche verlangten die Burger von Lynn
von den Handelsleuten der Stadt Ely und Grafschaft Cambridge. Rot
ParL II. S. 93.
4) Urk. Beil. 139. Obwohl der lat Text nur das Verbot enthalt,
den Preis in die Höhe zu treiben, so scheint man doch die dunkle Fassung
der Verordnung zu andern Auslegungen benutzt zu haben; vgL die eng-
lische Uebersetzung ebenda.
«) 9 Edw. m. stat 1. c 1. 1335.
*) Vgl. einen Process der Aquitanier bei Madox, Firma Burgi S.277
und 278.
') Rot Pari. H. S. 137 (17 Edw. III). Ob in der Zwischenzeit von
1335—1343 eine Unterbrechung des Gesetzes 9 Edw. III. stat 1. c 1 ein-
trat, ist zweifelhaft. Durch 14 Edw. III. st 2 c. 2 wurde erklart, dass alle
ICaufleute frei und ungehindert in das Land kommen könnten. Im 15. Jahre
seiner Regierung aber gab Eduard III. den Londonern eine Bestätigung
- 397 —
und Gerechtsamen der Städte das Gesetz überhaupt nicht
wirkungslos machen könnten, da dieselben dem König und
seinem Volk zum Nachtheil seien x). Zwei Jahre später wurde
die Acte wieder bestätigt*).
Nebenher gingen eine ganze Reihe Gesetze, welche alle
mehr oder weniger auf eine Begünstigung der Fremden hinaus-
liefen. Als Missstände wegen Anerkennung von Schulden vor-
kamen, bestimmte man, dass der designirte Beamte in eigener
Person sein Amt ausüben müsse und auch mit einem ent-
sprechenden Landbesitz zu haften habe 8). Später erklärte man
auch, dass für nichtgezahlte Schulden nur diejenigen Fremden
zu haften brauchen, welche ein und derselben Gompagnie an-
gehören4), und im darauf folgenden Jaljre beschränkte man
diese Haftbarkeit nur auf die Person des Schuldners und
Uebelthäters 6). In der Praxis wurde dieses Gesetz noch unter
Heinrich VIH. nicht vollständig beachtet, es war aber doch
schon etwas werth, dass der Grundsatz gesetzlich anerkannt
wurde. Man gestattete ferner, Waaren auf dem Schiff im
Hafen zu verkaufen6), milderte das Strandrecht7), gewährte
den Kaufleuten bei Ausbruch des Kriegs eine Frist zum Ver-
kauf ihrer Güter8). Feiner sollten der Kanzler und Schatz-
meister jederzeit die Klagen und Beschwerden der fremden
Kaufleute entgegennehmen, beziehungsweise Stellvertreter zum
Anhören derselben bestimmen9). Eine liberale Behandlung
bei der Verzollung wurde den fremden Kauf leuten zugesichert,
den Zollbeamten namentlich geboten, mit dem Eid der Kauf-
leute bei der Zolldeclaration sich genügen zu lassen10). Die
sog. Purveyors sollten fortan fremde Kaufleute nicht belästigen11).
aller froheren Charters, wie es scheint, ohne besondere Zustimmung des
Parlaments. (Norton, Commentaries 1869. S. 364. Anm. 4). Ob der
König darauf hin das Gesetz durch die Städter verletzen liess , wissen wir
nicht; dagegen ist bekannt, dass 1844 den Ecclesiasten , namentlich den
Cistercienser Mönchen, verboten wurde, Handelsgeschäfte zu treiben. Pryce,
Man. of the Canyngs S. 82. Sich auch oben S. 390.
') 25 Edw. In. stat 8. c 2. 1350/51.
*) 27 Edw. HL stat. 2. c 11. 1358.
') 14 Edw. HL stat. 1. c. 11. 1340.
*) 25 Edw. ÜI. stat. 5. c. 23. 1851/52.
») 27 Edw. in. stat 2. c. 17 u. 19. 1358.
•) 28 Edw. Kl c. 18. 1854; vgl. auch 20 Rieh. II. c. 4. 1896/97.
') 27 Edw. IIL stat 2. c. 13. 1358.
') 27 Edw. III. stat 2. c. 17. 1853.
9)Rot Pari. n. S. 262. 1854.
") 21 Edw. in. st. 2. c. 26. 1353.
") 27 Edw. UI. st. 2. c 2. 1858. Zugleich wurde den fremden Kauf-
leuten der besondere Schutz des Königs versprochen „pur replener lez ditz
roialmes et terres de monei et de plat d'or et d'argent et des marchandises
dez autres terres et pur doner talent as marchauntz estraunges de venir
ove lez mercez et marchandisez de autres terres en les roialme et terres
avaunditz et pur plus assurere lez marchauntz estraunges et autres mes-
nauntes bien et marchaundises es dites Roialme et terres. u
Schliesslich ging man soweit, dass man die einheimischen Kauf-
leute, wenn auch hauptsächlich aus financiellen Rücksichten
und nur vorübergehend, von einem Theile des auswärtigen
Handels ganz ausschloss x).
Damit war der Höhepunct der Fremdenbegünstigung er-
reicht, und eine Gegenströmung war fast unausbleiblich. Die
Erbitterung der Städter kannte keine Grenze. 1369 suchten
sie ihrem Groll durch einen Angriff auf die meist bevorzugten
Lombarden und Flamänder Luft zu schaffen. Der König gab
aber die fremden Kaufleute, denen er hohe Summen schuldete,
nicht preis *). Es blieb den Bürgern nichts Anderes übrig, als
auf dem Weg der Bitte wieder zu ihren Rechten zu gelangen.
Es verging denn auch kein Parlament, in welchem nicht ein
Gesuch um Wiederherstellung der städtischen Freiheiten ein-
gelaufen wäre s). Die Antworten, die darauf erfolgten, lauteten
entweder ganz, ablehnend, oder waren doch an den Vorbehalt
geknüpft, dass die städtischen Verordnungen und Gewohnheiten
nicht dem gemeinen Nutzen entgegenstehen dürften. Im Jahre
1368 Hessen der König und das Parlament sich zu einer be-
stimmteren Concession herbei. Den Londonern wurde hin-
sichtlich der Lebensmittel das Recht des Detailverkaufe re-
servirt und den Fremden verboten, solche direct von Fremden
zu kaufen 4). Obwohl das Gesetz schon einen ausserordentlich
kleinen Spielraum hatte, so ward es doch nur bis zum nächsten
Parlament und nur unter der Voraussetzung gewährt, dass es
verständig und zum allgemeinen Nutzen gebraucht werde5).
Ebenso durfte es den Charten der Fremden nicht präjudiciren.
Die Acte wurde im folgenden Parlament (1372) nicht erneuert,
und allen Petitionen der Städte eine ausweichende Antwort
gegeben.
Endlich nachdem der König ein halbes Jahrhundert das
Scepter geführt, wollte er nicht länger den Bürgern sich un-
gnädig zeigen. Als im Jahre 1376 abermals eine Bittschrift6)
einlief, welche die Lage der Städter in den grellsten Farben
*) 38 Edw. III. c. 6: 42 Edw. HI. c 8.
*) Liber Albus ed. Riley 1859. S. 621.
») Rot ParL IL 8. 287 Nr. 11. 38 Ed. IIL 1364/65; IL 8. 906. Nr.
31. 45 Edw. III. 1871; IL S. 314. Nr. 83. 46 Ed. DL 1372; IL 8. 318
Nr. 4. 47 Edw. HL 1373.
*} Rot Pari. IL S. 296. Nr. 16. 42 Edw. IIL 1868.
B) „q'il soit bien reale et governee en le meen temps a commune
profit"
•) Darin heisst es: „que toute manere de gent aliens et aatres, qi ne
sont pas fraancs en les dites citees et borgto, poent venir illeoqes de-
moarrer aussi longement come lour plest, et tenir overts hostils et reoepter
qiconqes persones qe lour plerra. Et s'ils eiount ascunea marchandisea,
Ha les vendent as autres estraangers pur revendre si bien par retail come
autre qiconqe manere qe lour mieltz semble pur lours profitz demeisne.
Par qi les marchauntz denizeins sont trop anientiz, la terre voide de mo-
— 399 —
schilderte, forderte die Regierung die Städte auf, ihre Charters
dem königl. Rathe vorzulegen und verbot zugleich den directen
Handel zwischen Fremden bis zum nächsten Parlament (4. Dez.).
In diesem solle dann die Frage gründlich erörtert und nament-
lich festgestellt werden, ob das bisher den Fremden gewährte
Recht zum Yortheil oder Nachtheil des Publicums sei 1). Das
geschah. Das Resultat der Enquäten und Debatten war, dass
den Fremden das Recht, Wirthschaft zu halten und das Mak-
lergeschäft *) sowie Detailhandel zu betreiben, entzogen wurde *).
Die andern Artikel des Gästerechts, die Beschränkung der Auf-
enthaltszeit und des directen Verkehrs der Fremden unter sich,
wurden verweigert. Ein Versuch der Londoner, auch die bei-
den letzten Rechte zurückzuerlangen, schlug fehl 4).
ffl. Periode 1377 — 1461.
Die erste Bresche war in die Privilegien der Fremden ge-
schossen; die Londoner ermüdeten nun nicht, Stück für Stück
der noch fehlenden städtischen Freiheiten zurückzuerobern.
An dem schliesslichen Erfolg war beim Beginn des Kampfes
nicht zu zweifeln. Unter den drei Eduards war die eigent-
liche parlamentarische Gewalt mehr und mehr an die Gom-
moners übergegangen. Im Streit suchte Krone, Geistlichkeit
und Ritterschaft die Hilfe des unverwüstlichen Standes der
Gemeinen, und je mehr die Barone sich in Parteien auflösten,
je mehr der hohe Clerus mit seiner geistlichen Stellung sich
begnügte, um so mehr wurde die letzte Entscheidung der
wichtigsten Fragen Aufgabe der Gemeinen *). Eine je schärfere
Gestalt diese Entwicklung annahm, um so günstiger wurden
die Chancen für die Städter; im Haus der Gemeinen hatten
sie den grössten Einfluss.
oeie, les closures des citees et borghs des apparraillez, la nayye de la
terre bien pres destruite, le conseil de la terre par tout descovert, toute
ae qi n'ad mestier de autres tesmoignes tors qe senür et newe qe molt
appertement en touz degreez la provent" Bot. Pari. IL S. 382 Nr. 8.
*) Lib er Albas 1. S. 492. Die gleichzeitig verlangte Ausweisung
der lombardischen Makler wurde von der Regierung abgelehnt Bot. Pari.
IL S. 382. Nr. 7.
>) Rot Pari. H. S. 847; HI. 8. 17.
s) Jedoch sind die Kaufleute der deutschen Hanse ausgenommen.
Rot. Pari. II. S. 547 und Liber Albus ed. Riley 1859.1. 492.
4) Rot. ParL IL S. 867 (51 Ed. III.). Wofern die Rot Pari. IL
S. 891 erwähnte Petition der Gascogner Weinkauf leute in diese Zeit zu
setien ist, so wollten trotz der früheren Abweisung die Londoner nicht
dulden, dass die Gascogner ihren Wein direct an die I^eute des Oberlandes
Terkanften.
6) Vgl. Stubbs IL S. 306 fg. u. sonst.
— 400 —
Als Richard II. den Thron bestieg, verlangten die Lon-
doner die Bestätigung aller ihrer Privilegien mit der Clause! :
„Licet usi non fuerint vel abusi fuerint et nient contreesteantz
aucuns estatuz, Privileges, chartres ou juggementz faitz ou a
faire au contraire", mit andern Worten rückhaltlose, unzwei-
deutige Anerkennung aller ihrer Rechte. Um jeglichen Zweifel
zu beseitigen, forderten sie noch ganz besonders, dass aller
directe Handel zwischen Fremden schlechtweg untersagt werde.
Ihre Wünsche wurden in der Hauptsache erfüllt; die Be-
schränkungen gingen dahin, dass die zweite der oben genann-
ten Clausein erst im Zusammenhalt mit den bestehenden Sta-
tuten geprüft, die Bestimmung wegen des directen Verkehrs
nur bei Kauf leuten in Anwendung kommen dürfe und auf die
Aquitanier sich gar nicht erstrecke *). Man sieht, die Londoner
hatten jetzt nur noch die Begrenzung des Aufenthalts der
Fremden sich zusichern zu lassen, um wieder so ziemlich in
den Besitz ihrer Rechte zu gelangen.
Allein bevor sie nur dieses Restes theilhaftig werden
konnten, verloren sie schon wieder das, was sie bereits in
Händen hatten. Im Parlament des darauffolgenden Jahres lief
eine ausführliche Petition ein, die auf die eingetretene Ver-
teuerung sowie auf den grossen Schaden hinwies, der dem
König dadurch erwachse, dass die fremden Kaufleute gehindert
würden, umherzureisen und direct von den Landbewohnern zu
kaufen. Auch verstiessen die Londoner Freiheiten gegen die
Statuten Eduards III.2). Die Regierung, damals den Commoners,
besonders aber den Bürgern zürnend, fand Mittel, um eine
Majorität für das Gesetz 2 Rieh. IL st. 1. c. 1 zu erhalten, in
welchem für das ganze Königreich das städtische Gästerecht
beseitigt wurde; nur die Weine und die sogenannten Gross-
waaren, wie die goldgewirkten, silbergewirkten und seidenen
Tücher, Leinentücher, Ganvass etc. blieben dem Detailhandel
der Fremden entzogen. Die dem Gesetz entgegenstehenden
Charters wurden als dem allgemeinen Wohl schädlich und die
Unterdrückung des Volks bezweckend für nichtig erklärt9).
Drei Jahre später sicherte der König den Fremden ausdrück-
lich seinen Schutz und die Erlaubniss beliebig langen Auf-
>j Rot Pari UI. S. 16, 27 (1977). Vgl über dieses Parlament
auch Stubbs II. S. 443 u. 444. 4. Dez. 1 Sich. IL erhielten die Bürger
Londons eine dem Gesetz entsprechende Charte; sieh Norton, Comment
1869 S. 867. Kote 1). Das Inspeximos derselben von 7 Rieh. IL befindet
im Liber Albus ed. Rüey 1859 S. 155 fg.
*) Rot Pari. HL S. 47. 2 Rieh. IL 1378.
■) Dem Gesetz entsprechend wurde auch die gleichzeitige Bittschrift
der Norwicher, welche das Recht des Detailverkaufe zugestanden haben
wollten, mit den Worten yerbeschieden: „Ilya Estatat en mit en ce Par-
lement et selonc la forme de mesme l'Estatut uoit ce eux grante. Rot.
Pari. III. S. 41. Nr. 38. 2 Rieh. IL
— 401 —
enthalte zu x). Der erneuten Bitte der Londoner, ihre Freiheiten
nebst der Licetclausel im Interesse grösserer Ruhe und bessern
Friedens8) zu bestätigen, entsprach Richard II. nur halb; denn
er knüpfte seine Zustimmung an die Bedingung, dass die
Freiheiten den Kaufleuten fremder Nationen keinen Schaden
brächten,, und die Lebensmittel Verkäufer direct dem Mayor
unterstellt blieben3).
Diese zurückhaltende Politik war gegenüber den mono-
polistischen Gelüsten der Londoner nur heilsam. Wie stark
die letzteren gegen jedwede Concurrenz sich zu schützen
suchten, zeigt ein Beispiel, das Walsingham erzählt. Im Jahre
1383 kam infolge eines Sturms eine genuesische Carraka
reichbeladen nach Sandwich. Die Londoner hatten noch ziem-
lich Vorräthe an alter Waare, namentlich an Früchten, Ge-
würzen, Oel, und fürchteten nun, diese nicht oder nur billig
absetzen zu können. Sie trafen deshalb mit den Genuesen
ein Uebereinkommen , dass diese England wieder verliessen
und, ohne Etwas verkauft zu haben, nach Flandern segelten.
Der Chronist fügt bei : „ita propter paucorum avaritiam magnum
dispendium sensit totum regnuma 4).
Obwohl dieser und andere Fälle offenkundig zeigten, was
man von den Städtern zu erwarten hatte, sobald man ihren
Wünschen entgegenkam, so sollten doch die Londoner ganz
unverhofft wieder in den Besitz ihrer Freiheiten gelangen.
Durch ihre Opposition gegen den Rebellen Wat Tyler gewan-
nen die Londoner die Gunst des Königs; zum Dank für ihre
bewiesene Loyalität bestätigte er in Uebereinstimmung mit
dem Parlament ihre früheren Rechte mit den beiden von ihnen
gewünschten Clausein, versprach auch, dass 7 Meilen im Um-
kreis von der Stadt kein neuer Markt errichtet werden solle5).
Bei den fortwährenden inneren Kämpfen war keine Aus-
sicht gegeben, dass dieses letzte Gesetz eine lange Dauer
*) 5 Rieh. IL st. 1. c. 1. Die Petition, auf welche dies Statut ßich
rdete, suchte in versteckter Form den fremden Kaufleuten zu schaden.
Stadter verlangten Dämlich den Erlass einer Proclamation, wonach alle
Kaufleute beschützt und freundlich behandelt werden sollen, und ihnen er«
laubt werde, „franchement vendre a qi qe lour plest, en grosse, sanz un
estrange pur vendre a autre estraunge pur re vendre, paiantz les custumes
ent dues" etc. Denn dann werde man Alles billiger erhalten. Einer damals
ziemlich geläufigen Praxis zufolge (vgl. über die Behandlung der Petitionen
Stubbs II. 8. 571 fg.) nahm die Regierung Alles, was für die fremden
Kaufleute in der Petition sprach, heraus und bestätigte es, Hess aber den
übrigen Inhalt unberücksichtigt. Rot. Pari. III. S. 120.
2) Vgl. auch Rymer (Rec. Ed.) IV. S. 134 (1381).
") Rot. Pari. III. S. 147; 5 Ria 11. st. 2 c. 1 (1382).
4) Th. Walsingham, Hist. Angl. ed. Rileyai. S. 83, 84.
^ R)Rot. Pari. III. S. 160 (1383 ; Liber Albus ed. Riley 1859 1.
^ 162, 163. Namentlich wurde auch ein Privileg von 15 Ed. III. erneuert,
wonach die Stadt ermächtigt war, im Zweifelfall die Freiheiten „to explain
and regulate by bylawsu.
-chanz, Engl. HanMspolitilc. I. 2G
— 402 —
haben werde. Richard II. reizte durch seine Missregierung
Volk und Adel gegen sich auf und musste sich 1387 in die
Gewalt Gloucesters und seines Anhangs ergeben. London hatte
kurz vor der entscheidenden Wendung für den König Partei
genommen, und die nothwendige Folge war, dass das so-
genannte unbarmherzige Parlament die Charte Londons an-
nullirte und den Hauptinhalt der Acten 9 Edw. III. st. 1. c 1
und 25 Edw. III. st. 3. c. 2 wieder in Kraft setzte1). Auch
nachdem der König sich für volljährig erklärt und die Leitung
der Regierung in seine Hände genommen, wagte er nicht so-
gleich diese Richtung zu verlassen. 1390 wurde gesetzlich
befohlen, man solle die fremden Kaufleute freundlich und ge-
recht behandeln, damit sie grösseren Muth hätten, in das
Königreich zu kommen*).
Bereits 1393 kehrte aber Richard IL zu dem früheren
Standpunct zurück. Es schien ihm, als ob die genaue Durch-
führung der bekannten Eduardschen Acten grossen Schaden
über die Stadt London und alle übrigen Städte, Burgen und
Märkte bringe, und er änderte sie deshalb soweit ab, dass er
den directen Handel zwischen Fremden und den Detailverkauf
der Ausländer, wenn er nicht Lebensmittel betraf 3), aufhob 4).
1398 bestätigte Richard II. noch ausdrücklich die Charters
und Privilegien der Städte5), und sogar berechtigte Wünsche
der Fremden blieben nun unberücksichtigt6).
Bald darauf entriss der Lancaster Heinrich Richard IL
Thron und Freiheit. Der neue Herrscher, wie überhaupt die
ganze Lancastersche Dynastie musste bei dem mangelhaften
Anrecht auf die Krone noch sorgfältiger als die Plantagenets
auf die Stimmen des Volkes achten und den Wünschen be-
sonders des dritten Standes Rechnung tragen. Heimich IV.
hatte speciell Grund genug, den Londonern günstig sich zu
erweisen. Sie hatten ihn nicht nur in seiner Usurpation unter-
stützt, sondern fast allein einen gegen den König ausbre-
chenden Aufstand niedergeschlagen. Er bestätigte, deshalb
J) 11 Rieb. II. c. 7. Rot Pari III. S. 247; vgl. auch Rot Pari
III. S. 254 Nr. 6.
*) Die Bestimmung, dass die fremden Kaufleute behandelt werden
sollten, wie die Engländer in den Landern dieser, nahm der König nicht
mit in seine Antwort auf. Rot Pari. III. S. 281 und 14 Rieh. II. c. 9.
Vgl. auch die den Fremden günstigen Statuten 14 Ria II. a 4 u. c. 5.
*) Bereits 7 Rieh. II, also kurz nach Bestätigung der städtischen Pri-
vilegien wurde proclamirt, dass die Fremden mit fischen und Lebensmitteln
ohne Hinderung kommen könnten. Liber Albus ed. Riley 1859. L S.467.
4) Auch Weine und Gewürze , obwohl zu den Lebensmitteln gehörig,
durften nur in Grossem von den fremden Kaufleuten verkauft, Gewürze
überhaupt nicht wieder ausgeführt werden. 16 Rieh. IL c 1 1392 93. Für
diese Rechte suchte der König die Londoner häufig mit willkürlichen
Schätzungen heim. Sieh Norton, Commentaries 1869. S. 118.
5) 21 Rieh. IL c. 1.
«) Vgl. Rot. Pari. III. S. 319 (139394).
— 403 —
den Städten ihre Freiheiten (1401) *), sanctionirte auch die noch
von seinem Vorfahren verweigerte Bill, wonach die Fremden
geradeso wie die Engländer bei ihnen behandelt werden sollten
(1404) 2), ja er gewährte mehr, als die Petenten im Parlamente
verlangten. Als nämlich die Gemeinen sich über die durch
die Fremden betriebene Geldausfuhr beklagten und forderten,
man möge zwei rechtschaffene Männer in den Orten, in denen
die Fremden verkehrten, aufstellen, damit sie darauf sähen,
dass aller Erlös auf englische Waaren verwendet werde, und
vorsichtig noch hervorhoben, dass dieser Petition nicht die Ab-
sicht zu Grunde liege, die fremden Kaufleute aus dem König-
reich zu treiben, setzte der König nicht nur fest, dass fortan
die Zollbeamten sich von den fremden Kaufleuten Sicherheit
geben lassen müssten, damit sie ihren Erlös zum Ankauf eng-
lischer Artikel benützten, sondern er fügte noch aus freien
Stücken bei, dass die Fremden innerhalb dreier Monate nach
ihrer Ankunft die mitgebrachten Waaren verkaufen, blos mit
Bürgern handeln und bei den ihnen zugewiesenen Wirthen
wohnen sollten3).
Die Opposition erhob sich sofort gegen diese Bestimmungen
und fand Unterstützung sowohl aus dem Lager der Fremden,
als auch aus dem der Inländer.
Von den Ausländern w#ren es die Italiener, die dem Ge-
setz sich zu entziehen suchten. Ihre Petition wurde auch
theilweise berücksichtigt. Sie konnten ihre Waaren behalten,
so lange sie wollten, nur durften sie das, was einmal eingeführt
war, nicht wieder exportiren. Auch versprach man ihnen,
darauf zu sehen, dass die Zollbeamten sich ordentlich gegen
sie benähmen. Dagegen wies man ihr Verlangen, bei eignen
Wirthen wohnen zu dürfen, ab. Auch wurde ihnen nicht ge-
währt, dass, wie sie wünschten, all ihre Streitsachen mit Eng-
ländern vor dem königl. Rath oder der Stadtbehörde nach
dem „ley merchantu anstatt „pär enqueste" entschieden wür-
den 4). Da die italienischen Makler so oft den Anlass zur Klage
gaben, indem sie nicht selten mit grossen Summen, die man
ihnen anvertraut, entflohen oder sonst betrogen, verlangten die
übrigen Italiener selbst, der Kanzler möge jeden Makler, der
ihnen verdächtig scheine, verbannen, um nicht fortwährend
wegen solcher Individuen gefährdet zu sein. Der König war
damit einverstanden, nur machte er die Verbannung abhängig
von dem wirklichen Nachweise, dass der betreffende Makler
unzuverlässig sei5).
») 2 Henr. IV. c 1.
*) Rot Pari. III. S. 542 und 5 Hen. IV. c. 7.
») Rot Pari. III. S. 542, 548 und 5 Hen. IV. c. 9.
4) Ueber das damalige Gerichtsverfahren vgL Gneist, Geschichte des
Selfgov. 1863 S. 159 fe.
*) Rot Pari. Ifl. S. 553 und 6 Hen. IV. c. 4.
— 404 -
Unter den Engländern waren die Beschwerdeführer die
Tuchmacher und Eaufleute des platten Landes und der klei-
neren Städte. Diese kamen meist auf den Londoner Markt,
kauften und verkauften im Grossen und wollten natürlich di-
rect mit den Fremden verkehren. Sie wiesen darauf hin, wie
das Gesetz nur den Vortheil der Londoner, dagegen den
Schaden der Lords und Commoners des Reichs bezwecke und
dass man, falls nicht Abhilfe geschehe, ganz von London sich
zurückziehen müsse. Keine Frage, hier lag der wundeste
Punct des Gästerechts, und nur diesem ist es wohl zuzuschrei-
ben, weshalb schon früher so oft das Haus der Gemeinen
gegen die Städter stimmte. Man machte deshalb den weisen
Versuch, diese Frage abzutrennen und im Sinne der Bittsteller
zu erledigen. Man gestattete nämlich allen Kaufleuten, im
Grossen ihre Waaren nicht blos an die Londoner, sondern
überhaupt an englische Unterthanen zu verkaufen. Der Ver-
kehr unter Ausländern selbst blieb aber verboten1).
So milde und berechtigt dieses Gesetz nun auch war, die
Londoner waren nicht damit zufrieden2). Durch ihre Hand
allein sollte aller und jeglicher Handel gehen. Im nächsten
Parlament verlangten sie Zurücknahme des Gesetzes und
Wiederherstellung ihrer Freiheiten, und der König war schwach
genug, seine Zustimmung zu geben, allerdings mit der Modi-
tication, dass den englischen Unterthanen gestattet sein müsse,
von den Fremden direct zu kaufen, wenn sie dies im Grossen
und behufs eigener Verwendung des Gekauften thäten5).
Die glänzendsten Tage der Fremden waren vorüber.
Keiner der folgenden Könige wagte die städtischen Privilegien
völlig zu annuliren, wie dies so oft unter den Plantagenets
geschehen war. Es zeigte sich, wie die wirtschaftliche Gesetz-
gebung so recht eine bürgerliche geworden. Das alte städti-
sche Fremdenrecht war Dank der Ausdauer und Zähigkeit der
Bürger, welche zwei Jahrhunderte lang für dasselbe gestritten,
zur Anerkennung gelangt. Aufgabe derselben konnte jetzt
nur sein, über die Ausführung zu wachen und der Mittel sich
zu versichern, die das Eecht zur Wahrheit machten.
Die stricte Durchführung des Fremdenrechts war früher
bei der Einfachheit und Publicität des Verkehrs ziemlich
leicht. Anfangs tvar es kaum anders möglich, als dass die
englischen Kaufleute bei den englischen Bürgern wohnten.
Indem man nun diese anfängliche Uebung von Seite der
M Rot. Pari. III. S. 598 und 7 Hen. IV. c. 9. 1406.
2) Wie um jene Zeit auch den Fremden, namentlich Italienern, ge-
wisse Schranken auferlegt wurden, indem ihre Zolidefraudationen (wohl
unter Mitwirkung der Städter) ans Licht gezogen wurden, darüber vgl.
Nicolas, Proceedings etc. I. S. 289.
" Rot. Pari. III. S. 613 und 9 Henr. IV. c. 1. 1407.
— 405 —
Stadt zur Regel und zum Gesetz erhob, zudem nur vierzig*
tagigen Aufenthalt gestattete, so war alle Möglichkeit, Waaren
aufzustapeln und zu verheimlichen, ausgeschlossen. Auch
dürften die Fremden der Sitte gemäss nur auf dem öffent-
lichen Markte verkaufen, und es waren, wie man meinen
sollte, viele Garantien gegeben, um jeden Verkauf oder Kauf
zwischen Fremden sofort zu entdecken. Allein die Kaufleute
fanden doch Mittel, das Verbot des directen Verkehrs zu um-
gehen. Die Fremden konnten einen Bürger gewinnen, der ihre
Güter als sein Eigenthum erklärte, oder noch lieber hiezu sich
eines Maklers bedienen, dem es leicht war, das wahre Eigen-
thumsverhältniss zu verdunkeln, oder die Fremden kauften die
Waaren auf, ehe dieselben ins Bereich der Stadt kamen.
Gegen dergleichen Künste suchte sich die Stadt durch
zahlreiche Byelaws in Betreff der Makler x) und des Vorkaufs 2)
zu schützen. Mit dem Fortschreiten der Zeit wurden aber die
Schwierigkeiten immer grösser. Der Handel wuchs und brei-
tete sich aus, die einfachen Verhältnisse, unter denen er früher
geführt wurde, machten complicirteren Platz. Die Fremden
fanden es unerträglich, nur eine bestimmte Zeit in England
bleiben, nur bei Engländern wohnen, nur mit Stadtbürgern
und nur auf offnem Markte handeln zu dürfen.
Alle diese Momente waren im 15. Jahrhundert viel wirk-
samer als im 14.; und doch waren jetzt erst die Rechte der
Städter im Princip anerkannt. Sollten die Bürger, nachdem
sie 200 Jahre gestritten, auf die Früchte des endlichen Sieges
verzichten? So begannen sie denn mit den alten rigorosen
Mitteln zu operiren.
Zunächst richteten die Städter ihre Aufmerksamkeit auf
das Zusammenwohnen der Fremden. Solange sie dieses nicht
beseitigen konten, war eine Controle unmöglich. Im Jahre
1410 nahmen sie zunächst einen Vorwand zu Hilfe. Sie
machten geltend, dass die Fremden in den Häusern, wo sie
allein beisammen wohnten, in einem Jahre oft 1—2000 feine
weisse Tücher färbten , zerschnitten und zu Gewändern ver-
arbeiteten und in dieser Form ausser Landes schickten. Auf
solche Weise entzögen sie sich dem Tuchzoll und fänden Ge-
legenheit, Gold und Silber durch Dazwischenpacken aus-
zufahren. Das Verlangen, dass diese Gewänder der Verzollung
unterworfen und insbesondere, dass auch Commissäre ernannt
würden, welche nachforschten, ob nicht gegen die Statuten etwas
l) Die Makler mussten Einheimische sein, schwören, dass sie keinen
Verkauf zwischen Fremden machen woUen, durften keinen Eigenhandel
treiben, auch nicht Fremde aus der Stadt führen, ausserhalb der Stadt
keine Geschäfte vermitteln; vgl. Lib er Albus S. 269, 368,401, 402, 586 fg.
*) Gr. Norton, An exposition of the Privileges of the Citv of London
in regard to the Claims of non-freemen to deal by wholesale within its
Jurisdiction London 1821. S. 40 u. 62.
— 406 -
verübt werde, wurde durch Erlass eines bezüglichen Gesetzes er-
füllt1). Eine Art Aufsicht, die Möglichkeit, zu jeder Zeit in die Häu-
ser der Fremden einzudringen, hatten siesich damit schon gesichert
Ein Jahr darauf sprachen sie schon deutlicher. Sie ver-
langten, dass die Fremden behandelt würden, wie die Engländer
in Flandern und sonst jenseits der See. Was sie damit mein-
ten, specificirten sie: Der Fremde solle bei einem englischen
Bürger wohnen, Nichts kaufen und keinen Handel ohne dessen
Kenntniss machen, innerhalb 40 Tagen alle seine Waaren ver-
kaufen; auch möge man neuerdings durch Gesetz aussprechen,
dass kein Fremder Makler sein dürfe. Diese Waffen den Bür-
gern in die Hände zu geben, konnte die Regierung sich jedoch
nicht entschliessen, sie suchte die Sache zu vertagen*); ehe
sie wieder aufgegriffen wurde, starb der König.
Der Nachfolger Heinrich V. wollte und musste bei seinem
Begierungsantritt das englische Volk für sich gewinnen, und
wie er deshalb allen Ständen einige Zeichen seiner Huld zu
erweisen suchte, so beglückte er auch die Städter mit einer
freilich vorläufig nur theoretischen Gnade. Er gab nämlich
der Bill, welche die Zuweisung der in England sich aufhalten-
den Fremden an Wirthe verlangte, seine Zustimmung, behielt
sich aber die Dispensation vor3). Als aber die Städter zur
Unterstützung seiner kühnen Eroberungspläne sich sehr bereit
und opferwillig zeigten, musste er auch das Statut 5 Hen. IV.
c. 7 und c. 9 bestätigen und versprechen, dass in Zukunft
den Fremden wirklich Wirthe angewiesen werden sollten4).
Von den übrigen früher gestellten Forderungen der Städte
ist keine Bede; aber auch die Ausführung des Gewährten blieb
offenbar hinter den Wünschen der Gemeinen zurück; denn
vier Jahre später sahen sie sich veranlasst, neuerdings auf
dieselbe zu dringen 6). Es scheint jedoch , als ob die Commo-
ners noch immer nicht ganz zufrieden gestellt wurden, denn
nach dem Tode des Königs bewilligten sie dem Sohne Heinrich
VI. das Tonnengeld nur unter der Bedingung, dass alle Frem-
denrechte streng ausgeführt würden6). Die Regierung hielt
*) 11 Hen. IV. c 7. 1410.
s) Der König gab die Antwort, die bereits in Betreff dieses Puncto
existirenden Statuten sollten beobachtet, ausserdem eine Commission ernannt
werden , welche die erwähnten Statuten, sowie die Petition prüfe und dann
Beriebt erstatte. Rot Pari HL 8. 661.
8)Rot ParL IV. S.ia U18.
*) Rot. Pari. IV. 8. 104 und 4 Hen. V. c. 5.
*) Rot. Pari. VI. S. 126.
•) Ihre Bedingungen lauten: „That al the merchantz strängen sballe
be ander hoost withyne XV dayes after thair commyng, and or thay make
any sale of thaire merchandise. And yt alsoo that wythinne XL. dayes,
alter thay bee under booste, ihe merchantz straungers shail seile and emploie
all thaire merchandises. And aU the said merchandises of the saide mer
chants straungers, that leren unsoold, delivered and unemploied aftre y*
XL. daies forsaid, sball bee forfaited to oure said soverayn Lord the Kyng.-
Rot Pari. IV. S. 276 1425.
- 407 -
ihr Versprechen nicht, und die dadurch erzeugte Gähning im
Volke war so gross, dass der Kanzler über London den Be-
lagerungszustand verhängen musste1).
Lange, namentlich während die Regentschaft bestand,
waren die Bürger nicht im Stande, irgend eine bedeutende
Concession zu erlangen. Die Erbitterung derselben zeigte sich
aber auch bei jeder Gelegenheit Ein weises Statut des Vor-
gängers hatte festgesetzt, dass als Richter in gewissen Fällen
nur diejenigen berufen werden durften, die ein bestimmtes
Landeinkommen besassen2). Sofort dehnte man böswilliger
Weise diese Bestimmung auf die Handelsgerichte aus und ver-
hinderte dadurch die Theilnahme der Fremden bei der Recht-
sprechung, bis das Parlament eine authentische Inteipretation
gab8). Andere Gesetze, die ihrem Fremdenhass entsprangen,
waren so unvernünftig, dass die Wirkung gegen die Bürger
sich kehrte, und diese selbst um Wiederaufhebung der
Acten bitten mussten. So hatte man 1420 bestimmt4), dass
') „And at that Parlyament was grauntyd, that all maxier of alyentys
shulde be put to hoste as Englysche men benne in othyr landys, and ovyr
that condyscyon was tbe tonage grauntyd; tbe wbyche condyscyon was
brokyn in tbe same yere by the Byschoppe of Wynchester, as tbe moste
pepylle sayde, he beyng Cbaunseler the same tyme, and therefore tbere
was moche hevynesse and trowbylle in thys londe. And that yere the XIII
Feverer at nygbt, were caste many byllys in the cytte and in the subarbys
a-gayne the Flemyngs, and sum were set in the byschoppeys gate of Wyn-
chester and in othyr biscboppys gatys. And in the morowe the Byschoppe
of Wynchester sent Richarde Woodevyle, squyer, to kepe the Towre of
London with men of armys, as thoughe hyt hadde bene in the londe of
warre, and so induryd tylle the feste of Symon and Jude nexte aftyr fo-
lowynge." 3. Hen. Vi. 1425. Will. Gregory, Chronicle of London ed.
J. Gairdner S. 157.
9) 2 Hen. V. st. 2 c 3. 1414.
8) 8 Hen. VI. c. 29. 1429.
4) In ihrer Petition hatten die Bürger folgende Stelle eingeflochten:
^Consideryng yat yorowe, ve grete apprestes, yat has been made hem in
yis roiaume, thai have ful greteli encresed and avaunced her merchan-
dises and broght doune to noght ye pris of ye commodite of yis roiaume
makyng them riebe and üb pouere, yat ig shame and abusion. For hit
may wel be remembred, yat in ye tyme of kyng Edward and kyns Richard,
in whoos dayes was halden in yis roiaume ful grete astate and rialte in
honseholdes amanges many worthy Lordes bothe spirituell and temporell,
yer come into yis lande; mit oone galye, and yan ye merchandises yat
come was half endele withynne ye price, yat yai been nowe, when yere
commeth 4 or 5 galeys yerely, withouten carakes; yat is to say, gyngever
vas at IX d, piper VIII <L clowez, macez, synomom' canell and grene
gynger bytweyn XII and XIII d, Malvesies, Tires and Romeneys at 4 marc'
apd 5 marc' att ye moste. And yat tyme yai boughten fyn Streites of
Bssex for XXIV s. a. pece, commen Strettes XYI s, Westorn Blankett of
Vyse and Benkenton XXYI s, wher hit is nowe broght doune into hälfe ye
price, yat hit war wonte. and yair merchandise encresed ye double, so
yat ye gretter quantite ot merchandises, yat yai bringyn into yis roiaume,
ye derrer hit is, and ye more ye byen ayen. the better chepe yai make hit;
fne whiche , but has^r remedy be purvoiea in short tyme , wil be ye de-
Btruction of yis* roiaume , yat God defende. Rot Pari. IV. S. 360 und
361.1429.
— 408 —
an fremde Kaufleute nur gegen baar verkauft werden solle1);
die Folge war eine solche Stagnation des Handels, dass den
Bürgern fast all ihre Tücher liegen blieben und man wieder
gestatten musste, den Fremden auf 6 Monate zu creditiren -).
Nur mit Mühe konnte die Regierung dem Andrängen der
Gemeinen Stand halten. Diese hatten 1427 eine Erneuerung
und Verschärfung des Statuts 5 Hen. IV. c. 7, 9 verlangt,
wonach unter Anderm der Mayor für jeden Fremden , dem er
nicht einen einheimischen Wirth zuweise, 60 {£ Strafe zahlen
sollte3) — man schlug es ab. Sie erneuerten fünf Jahre später
ihre Bitte — der König suchte auszuweichen, versprach nur,
von den betreffenden Gesetzen Einsicht zu nehmen, und behielt
sich die Art der Ausführung vor4). Sie nahmen 1433 ihre
Zuflucht zu der in allen Kreisen populären Forderung, dass
die Fremden kein Geld ausführen sollten, und wünschten die
Aufstellung zweier Leute in jedem Hafen, welche sie mit ge-
radezu unerträglichen Vollmachten ausrüsten wollten, so dass
die Fremden ohne deren Wissen Nichts thun, am allerwenigsten
an Nichtbtirger verkaufen konnten6) — auch diese rigorosen
Anträge wurden zurückgewiesen, Die Stapler griffen 1437
wieder die Frage der Baarzahlung auf und suchten dadurch,
dass sie für Wolltücher die Creditirung erlauben wollten, ein
Gesetz möglich zu machen 6) — der Versuch scheiterte wiederum
am Widerstände der Regierung. Endlich baten sie den Koni?
1422 und 1433, er möge wenigstens im Lande keine fremden
Makler dulden *) — aber auch das war vergeblich , obwohl
schon Eduard III. ein solches Statut erlassen hatte, und die
Petenten das Beispiel anderer Länder, den Geldexport, die
Schädigung der Zölle, die Preissteigerung der fremden WTaaren,
wie des Weins und die Preisminderung der englischen Artikel,
namentlich des Tuchs und sonstige Missstände als von den
fremden Maklern herrührend ins Treffen führten.
Je mehr die endlosen Kriege mit Frankreich die Mittel
der englischen Regierung erschöpften, je öfter sie die Hilfe
des Parlaments in Anspruch nehmen musste, je grösser auch
das öffentliche Aergerniss war, das die Eremden in sittlicher
Hinsicht gaben8), um so schwächer musste der Widerstand
gegen das Begehren der Bürger werden. Wohl wagte die
Regierung, ein 6 Rieh. II, erlassenes Gesetz noch zu verschär-
fen, indem 40 £ Strafe denjenigen treffen sollten, der einen
*) 8 Hen. VI. c. 24.
*) 9 Hen. VI. c. 2.
8) Rot. Pari. IV. S. 328.
*) Rot. Pari. IV. S. 402.
R) Rot. Pari. IV. S. 453.
fl) Rot. Pari. IV. S. 509; vgl. auch S. 450. .
7) Rot. Pari. IV. S. 193 449.
8) Vgl. die Petition der Vorstadt Southwark. Rot. Parl.'lV.S. 511(1437).
— 409 —
Fremden im Gross- oder Detailhandel mit Lebensmitteln störte1),
und befreite in Uebereinstimmung mit den Lords die Fremden
von einem ihnen zuerkannten Extrazoll *). Aber es war klar,
dass dieReaction nur um so stärker ausfallen musste, sobald es
gelang, den Widerstand der Regierung zu brechen. Diese konnte
aber das Feld nicht mehr behaupten, als aus ihrem eigenen
Schoosse ein Mann sich erhob und in dem berühmten einem
Mitglied des Geh. Raths gewidmeten, von diesem „so wahr wie
das Evangelium" befundenen Büchlein von der englischen
Staatsklugheit für die Bürger Partei nahm. Er gab der öffent-
lichen Meinung den prägnanten Ausdruck, und aus Aller Munde
schallte es den Ministern jetzt entgegen:
Warum wohl müssen wir ins Wirtbshaus gehn
In ihrem a) Land, wenn sie sich nicht verstehu
Bei uns zu Gleichem, sondern mehr sich frei
Bewegen als wir selbst? Gott steh mir bei!
Warum lasst man nicht die Geschenke sein,
Die sichtlich hemmen unsers Volks Gedeihn?
Denn Solches sehn wir klärlich alle Tage:
Das Volkswohl schäd'gen Gaben und Gelage.
Nun mögen Narren sein — sie oder wir:
Am schlechtsten fahren wir doch immer hier.
Drum lasst sie hier ins Wirthshaus ziehn; wo nicht,
Befreie man auch uns von dieser Pflicht
Bei ihnen. Wollen sie's nicht zugestehn,
So zwingt sie hier dazu: ihr werdet sehn:
Es kommt davon mehr Vortheil und Gewinn
Als zu beschreiben ich im Stande bin4).
Die nächste Folge war das Gesetz 18. Hen. VI c. 4 (1439),
das nicht blos in allgemeinen Zusicherungen bestand , sondern
die deutliche Tendenz verräth, wirklich das Gästerecht prac-
tisch werden zu lassen6).
Fremde, heisst es in demselben, dürfen keine Waaren an
Fremde verkaufen unter Strafe der Confiscation. Die aus-
wärtigen Kaufleute stehen unter Aufsicht der ihnen zugewie-
senen Aufseher oder Wirthe. Jeder von ihnen hat deshalb
drei Tage nach seiner Ankunft sich vor der Behörde zu stellen,
^Rot. Pari. IV. S. 492 (1435).
«) Rot Pari. IV. S. 890 (1482).
8) Sc. der Fremden, bezw. Italiener.
*) The Libell of Englishe Policye 1436. Uebers. von Hertz-
berg. Leipzig 1878. 8. 83. V. 496-511.
*) Die Motive lauten : Grosser Schaden und Verlust erwachsen täglich
dem König und seinem Volk dadurch, dass die fremden Kaufleute ganz
nach ihrem Gutdünken kaufen und verkaufen können, ohne hiebei von
einem Engländer beaufsichtigt zu sein. Dadurch ist es ihnen möglich, sich
mit einander zu verabreden und den Preis der englischen Waaren zu drücken,
den der ihrigen aber zu erhöhen. Die Fremden bereichern sich, die Ein-
beimischen verarmen, grosse Reichthümer werden aus dem Lande geführt,
die Zölle und Subsidien sehr vermindert und die Flotte des Reiches ge-
schädigt und zerstört. Durch verschiedene Statuten (sieh oben S. 403, 406.)
wurde bestimmt, dass in jeder Stadt und jedem englischen Seehafen den
fremden Kaufleuten von den Behörden ein Wirth angewiesen werden soll,
und dass dieselben nur bei diesem wohnen dürfen. Diese Bestimmungen
haben sich aber als unzureichend erwiesen.
— 410 —
und diese in spätestens vier Tagen die Zuweisung vorzu-
nehmen. Der Wirth soll eine zuverlässige Person, englischer
Abkunft und im Handel erfahren sein, aber zur Zeit der Auf-
sicht nicht denselben Handel treiben wie der Fremde. Der
Wirth ist verpflichtet, in Betreif der Waaren und Transactionen
seines Gastes Stillschweigen zu beobachten. Die fremden Kauf-
leute dürfen nur unter Aufsicht ihrer Wirthe und innerhalb
acht Monaten ihre Waaren zum Verkauf bringen. Für den
Gelderlös müssen sie Waaren englischen Ursprungs erwer-
ben bei Strafe der Confiscation des nicht so verwendeten
Geldes. Die in acht Monaten nicht verkauften Waaren kön-
nen sie zollfrei wieder ausführen, verkaufen sie nach dieser
Zeit noch Etwas, so ist es verwirkt. Jeder Wirth muss von
Zeit zu Zeit alle Waaren, Käufe, Verkäufe, Gontracte und
Verwendungen des Gastes registriren und zweimal des Jahres,
Ostern und Michaeli, einen Auszug aus dem geführten Buch
in das Schatzamt abliefern. Für seine Mühewaltung hat der
Wirth 2 d von je 1 £ Werth der Waaren, welche die Fremden
kaufen oder verkaufen, zu beanspruchen. Der Wirth ist eidlich
zu verpflichten; kommt er seinen Obliegenheiten nicht nach,
so wird er von den Behörden entsetzt und nach ihrem Er-
messen bestraft. Weigert sich ein fremder Kaufmann, den
Wirth anzunehmen, oder sträubt er sich gegen die Aufsicht, so
wird er von den Behörden ins Gefängniss gesetzt Das Löse-
geld, die Sicherheitsleistung, die Strafe wird von dem König be-
stimmt. Verheimlicht der Gast seinem Wirthe Waaren, Käufe
oder Verkäufe, so verwirkt er die betreffenden Werthe. Be-
hörden, welche den Fremden keinen Wirth zuweisen oder einen
Fremden nicht ins Gefängniss werfen, wo es das Gesetz ver-
langt, unterliegen einer Strafe von 20 jg für jeden Fall. Wer
sich weigert, Wirth zu sein, zahlt für jede Weigerung 10 £•
Die Kläger erhalten einen, der König drei Theile der Strafen.
Die Kaufleute der Hansa werden nicht von dem Gesetz be-
troffen, auch bleiben bereits geschlossene Verträge in Kraft.
Die Spitze des Gesetzes, dessen Gültigkeitsdauer man auf
acht Jahre festgesetzt hatte, war vorwiegend gegen die zahlreich
in England handelnden Italiener gerichtet. Ein Chronist sagt
deshalb gerade zu: In diesem Jahr beschloss das Parlament,
dass die Lombarden zu einem Wirthe gehen mussten l). Auch
verlangten in demselben Parlament die Commoners noch ein
anderes Gesetz gegen die Lombarden, indem diese keine
Waaren von den Landein, die jenseits der Meerenge von Gib-
raltar lägen, bringen sollten *), wurden aber damit abgewiesen.
') 18. Hen. VI. 1440. „Ande that yere was the Parlyment concludyd
and ordaynyd, that Lnmbardys sholde goo to hoste." Gregory, Chronicle
ed. Gairdner. S. 182.
*) Die Gründe, die man geltend machte, waren dieselben, wie in der
Fremdenacte. Rot Pari. V. S. 31.
— 411 —
Das Fremdengesetz wurde nach Ablauf der acht Jahre,
für die es zu gelten hatte, ebenfalls nicht wieder erneuert.
Sein Gharacter war zu rigoros, als dass die Fremden sich dem-
selben hätten fügen mögen. Ein Theil, namentlich viele Italiener
z. B. Dandolo 1442, liess sich von der Regierung das Bürger-
recht ertheilen, ein anderer Theil entzog sich dem Verbot des
Handels mit Nichtbürgern einfach dadurch, dass sie die Käufer
und Verkäufer auf dem platten Lande aufsuchten und nicht
wie bisher in London und Southampton erwarteten. Zwar pe-
titionirten die Gommoners auch dagegen, indem sie geltend
machten, die fremden Eaufleute kannten die Armuth des Lan-
des, böten deshalb den Landbewohnern für Wollentücher,
Wolle, Wollfelle und Zinn baares Geld an und drückten den
Preis dieser wichtigen Artikel herab M ; man möge deshalb
den Italienern nur gestatten, in den Häfen von London, South-
ampton und Sandwich zu kaufen, und sie zwingen innerhalb
vier Monate ihre eigenen Waaren zu verkaufen. Dieses ganz
und gar ungerechtfertigte Verlangen wies aber der König
zurück *).
Die Anfeindungen und Quälereien von Seite der Städter
gegen die Fremden hörten nicht auf. Bald entdeckten die
Städter, dass die fremden Kaufleute die Wolle in gepresstem
Zustande ausführten und dadurch den König in seinen Zöllen
und die Tuchmacher in ihren Preisen schädigten8); bald ver-
langten sie, dass man gegen die Genuesen und übrigen Lom-
barden vorgehe, weil sie es mit den Sarazenen hielten oder in
Schiffen der Feinde Waaren hätten4), bald waren ihnen die
Gewürze der Italiener nicht rein genug5), bald beantragten
sie, um den Geldexport der Fremden zu verhindern, so harte
Bestimmungen, dass — ein höchst seltener Fall — gleich die
Gemeinen die Bill verwarfen •) ; schliesslich drangen sie neuer-
dings darauf, dass die städtische Vorschrift, wonach in London
fremde Makler sich nicht etabliren sollten, auf das ganze Reich
ausgedehnt werde7).
J) Auch die Stapler hatten sich 1487 über die Einwirkung der „Lom-
S. 509.
*) Rot Pari. V. 8. 884 (1455).
') Rot Part V. 8. 277 (1454). Bei dieser Gelegenheit forderten sie
abermals, dass die fremden Eaufleute innerhalb 3 Monate ihre Waaren
an die Englander verkauften; vgl. auch noch Y. 8. 882 (1455).
*) Rot Pari. V. S. 61 (1442).
>) Rot Pari Y. S. 156 (1449); sieh auch unten Gap. 8.
«)Rot ParL V. 8. 32(1439).
•) Rot. Pari. V. 8. 56 (1442). In der Begründung heisst es unter
Inderm, dass, wenn die Londoner Verordnung zu einem für das ganze
Königreich geltenden Gesetze gemacht würde, „hit sholde growe to grete
avafll aswele to the merchaunts as to the commune peple of this land
— 412 -
All das sind nur kleine Züge, die uns die Parlamentsver-
handlungen an die Hand geben. Es läset sich denken, dass
die Stadtbehörden auch noch reichlich Mittel fanden, um aus
eigner Machtvollkommenheit die Fremden zu drücken und ihnen
das Leben sauer zu machen. In Bristol z. B. war dafür ge-
sorgt, dass die Gewinne der fremden Händler nicht übergross
ausfielen *), und in London trieben es der Mayor und die Mer-
cers zeitweise so toll, dass die Lombarden ernstlich Anstalten
trafen, um an einen andern Platz überzusiedeln*).
In einer Hinsicht aber konnten die Bürger und Gemeinen
doch eines vollständigen Sieges sich rühmen. Sie proponirten,
die Fremden mit einer Kopftaxe zu belegen. Die Berechtigung
hiezu stand seit langem fest; schon 1343 wurde ausgesprochen,
dass diejenigen Fremden, welche länger als 40 Tage im Lande
weilten, keine Steuerfreiheit zu beanspruchen hätten8). Das
Geldbedürfniss der Krone, die Ausnahmestellung der Fremden
im Staate, ihre grossen Gewinne liessen es sogar gerecht-
fertigt erscheinen , wenn man ihnen höhere Lasten auferlegte,
als den Einheimischen und Naturalisirten. 1439 wurden die
Fremden, wenn sie Haushalter waren, mit einer Kopftaxe von
16 d, wenn sie keine waren, mit 6 d belastet, 1449 wurde
eine weitere Steuer von 6 sh 8 d, bezw. 1 sh 8 d hinzugefügt;
1453 war der Betrag, welchen die nur 6 Wochen im Königreich
consideryng, that, where merchauntz ßtraungers be brocours or exertise
the occupation of brocage within the lond, the preferre specially and sin-
gulerly tue straungers, aswell the merchaunts aß other straungers, in all the
bargeynes of brocage. And over that by the mene thereof tnei knowe the
privite of this lond and the necessite of the peple within the roialme, by
the which they se the weyes and menes; how to prevaile the straungers
and hemself and how to hurte the deniseins to grete universell hurt of all
the peple.4*
l) Der berühmte Kaufmann Will. Canynges erliesa in Betreff der Kauf-
leute in Bristol im letzten Jahre seines Bürgermeisteramts (1466/67) ein
grösseres Statut; darin heisst der 4. Artikel: „All rules ior selling to
straungers of any of the four merchandizes to be kept on pain of twenty
Shillings for every default; one half to be paid to the socaetv and the other
to the Corporation Chamber11; und der 5. Artikel lautet: „No merchant to
seil goods to any stranger under the regulated price, under a penalty of twenty
Shillings to be disposed of as above mentioned." George Pryce, Me-
morials of the Cannynges' family and their timeß 1854. S. 135.
') Der Chronist erzahlt vom Jahre 83 Hen. VI. 1456 : „Here was the
rvsynge and wanton reule of the mayre and the mercers of London a-gayne
tue Lombardys. The Lombardys were so yntretyd that they were ferne
to voyde the Cytte of London, and many of them come to Sowthe Hampton
and unto Wynchester for to be an habyte there. And they toke grete
olde mancvons, the londe lordys to do grete coste in reparacyons, and when
alle was don, they come not there, and that causyd grete loste unto the
londe lordys. Also sum of the Lumbardys were take and put in warde
and the comyn talkynge and noyse was, that they shulde nevyr be delyveryd,
butt contynue in perpetualle preson." Gregory, Chronicle ed. Gäirdner
8. 199.
3) Vgl. oben S. 89G.
— 413 —
weilenden fremden Kaufleute entrichten mussten, bereits auf
1 £, bei Nichtbürgern auf 2 SS gestiegen x). Fortan zog man
die fremden Kaufleute stets zur Staatssteuer bei, meist hatten
sie die doppelte Summe der Einheimischen zu zahlen *).
IV. Periode 1461 — 1547.
Hatten die Lancasterkönige schon ihre Hauptstütze im
Borgerstande suchen müssen, so war das noch mehr der Fall
bei den Regenten aus dem Hause York. Eduard IV. beson-
ders war bei den Bürgern Londons und der übrigen grösseren
Städte äusserst beliebt und behielt seine Popularität bis zu
seinem Tode. Demnach zu schliessen, muss er es verstanden
haben, in vorzüglicher Weise den bürgerlichen Interessen
Rechnung zu tragen. Nichtsdestoweniger finden wir unter
ihm keine systematische oder directe Bedrückung der fremden
Kaufleute s). Er stand viel zu sehr selbst im Handelsgetriebe,
als dass er so kurzsichtig und engherzig hätte verfahren sollen.
Die Gunst der Bürger verdankte Eduard IV. theils seinem
herablassenden Wesen im persönlichen Verkehr mit den Bür-
gern, theils und vornehmlich der Gewährung eines ausgedehn-
ten Industrieschutzes4). In letzterer Hinsicht ist Eduards IV.
Eingreifen auch wichtig für die Fremdenfrage geworden. Unter
ihm wurde der erste umfassendere Versuch gemacht, die mehr
oder weniger ausserhalb des staatlichen und städtischen Orga-
nismus stehenden gewerblichen Fremdencolonien in England
mit dem einheimischen Gewerbe zu verschmelzen und den
Landesinstitutionen unterzuordnen. Vereinzelt war diese Frage
schon früher aufgetaucht6). Den ersten Anlass gaben wohl
die flandrischen Weber, welche Eduard III. ins Land gezogen
und yon der Jurisdiction der Londoner Webergilde befreit
hatte. Die Londoner Weber sahen in diesem Vorgehen einen
unberechtigten Eingriff in die ihnen von Heinrich I. verliehenen
Privilegien 6), weil diesen zufolge Niemand in London und den
dazu gehörigen Orten in ihr Geschäft sich mischen sollte, wenn
er nicht zu ihrer Gilde gehörte, und sie fanden es auch un-
billig, weil die Fremden am Nutzen des Geschäfts participirten,
*) Rot. Pari. V, S. 4, 144, 230; vgl. auch Stubbs III. S. 124, 128,
143,163,219.
») Rot Pari. VI. S. 192, 198, 401; die Statuten 1 Hen. VIII. c. 20;
o Hen. Vin. c. 17; 6 Hen. VIII. c. 26; 14/15 Hen. VIII. c. 16; 26 Hen.
VIII c. 19; 32 Hen. VIII c 50; 34/35 Hen. VIII c. 27: vgl. auch Sinclair,
History of the public revenue of the British empire. 3. Ed. 1803. I. S.
U9-154.
s) Vgl. einige Beispiele im 2. Capitel des I. Abschn. S. 123.
*) Vgl. unten Cap. 4.
*) Sieh auch Riley, Memorials of London S. 239, 246, 568.
e) Sieh Liber Custumarum ed. Riley I. S. 33.
— 414 —
aber nicht die Lasten zu tragen 1), namentlich nicht wie die
Londoner für ihre Privilegien jährlich 20 M. 2 sh in Silber an
den Exchequer abzuliefern hatten *). Die Londoner Weber
verlangten deshalb wiederholt die Eingliederung der Fremden
in ihre Gilde, was sie auch schliesslich durchgesetzt zu haben
scheinen8). Eduard IV. verallgemeinerte diese Politik, indem
er diejenigen in England lebenden fremden Handwerker, welche
Artikel verfertigten, deren Einfuhr verboten war, unter die
Aufsicht der Ortsbehörden und deren Sucher stellte, wenn sie
nicht an näher bestimmten privilegirten Plätzen sich befanden 4).
Die Ausnahmestellung der fremden Gewerksieute wurde da-
durch nicht unwesentlich beschränkt
Noch bedeutsamer als Eduards Politik wurde die Richards HL
für die Fremdenfrage. Durch Verbrechen hatte Richard den
Thron an sich gerissen, aussergewöhnliche Mittel musste er er-
greifen, um die Gunst des Volkes zu erringen. Wohl hatte
derselbe in einer Proclamation, die er vor seiner Krönung er-
lassen, den Fremden persönliche Sicherheit versprochen 6). Aber
das gab ihm noch einen weiten Spielraum für Gesetze gegen
die Fremden. In der That kam eine Acte zu Stande 6), welche
zu den merkwürdigsten Gesetzen seiner Regierung gehört.
Hauptsächlich gegen die am wenigsten im Volk beliebten
Italiener gerichtet, versucht das Statut doch die Fremdenfrage
in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen und zu regeln.
Der Hauptinhalt des Gesetzes und seiner Motive ist fol-
gender: Die Venetianer, Florentiner, Apulier, Sicilianer, Luc-
caner, sowie die Gatalonier halten in London und andern
Städten Häuser, Lager oder Keller, in denen sie ihre Waaren
betrügerisch einpacken, vermischen und so lange aufbewahren,
bis die Preise derselben sehr hoch gestiegen sind. Sie kaufen
die Landesproducte auf, verkaufen dieselben, wenn es ihnen
beliebt, verwenden einen grossen Theil des Gelderlöses nicht
auf den Ankauf englischer Waaren, sondern senden ihn ausser
1) „les ditz aliens supplantent et preignent les profitz du dit mestier,
et les ditz suppliantz portent les charges." Rot ParL IU. S.600 (1406).
*) Pipe Koll 31 Hen. I. S. 144.
•) Vgl. Rot Pari. UI. S. 000 (1406); IV. S. 50 (1414); S. 162 (1421).
4) Rot Pari. V. S. 507 und 8—4 Ed. IV. c. 4. Die fremden Gold-
schmiede wurden den Wardeinen der Londoner 1477 untergeordnet. Rot
Pari. VL S. 185.
s) „And also our said soverain lord considring, how it is unto hym
and this bis land both honoursble and profitable, that straungers and
aliens, being at this tyme within the said citie and places thereunta aäjoy-
nyng, upon the trust of amitie, confederacions or treustes bee peasibly and
laofolly entreated, chargeth therfor and commaundeth under peyn of deth,
that noo manere persone make any bodily banne or hurt to any of the
said estraungers or aliens, nor robbe or oispoille any of thaym in thair
foodes or catailles in any wise." July 1483. Gairdner, Letters and
»apers of Richard III. and Henry VII. I. S. 17.
•) An act touching the merchaunts of Italy. 1 Rieb. M. c 9.
— 415 -
Landes zum grossen Nachtheile der Zolleinkünfte des Königs
und zum Schaden seiner Unterthanen. Die Italiener und an-
dere fremde Kaufleute sind selbst Wirthe, nehmen Leute an-
derer Nation bei sich auf und treiben mit ihnen geheimen
Handel. Sie kaufen viel Wolle, Wollzeuge und andere Waaren
in den verschiedenen Orten des Reichs auf und verkaufen sie
wieder im Land. Eine grosse Menge Handwerksleute und
anderer Fremden kommen sammt ihren Familien täglich zu-
gewandert und lassen sich in den St&dten nieder; daselbst
machen sie Tuch oder geben sich mit sonstigen leichten Ge-
schäften ab, anstatt dass sie mühsamen Beschäftigungen, wie
der Feldarbeit u. s. w. sich zuwenden; sie bringen auch aus
andern Ländern sehr viele Waaren zu den Märkten und Messen
und verkaufen sie zum grossen Schaden der Unterthanen im
Grossen wie im Detail. Die Italiener gebrauchen zu ihren
Arbeiten nur ihre eigenen Landsleute, infolge dessen herrscht
soviel Diebstahl, Massiggang und Bettelei im Land. Haben
diese Fremden ein grosses Vermögen erworben, so begeben
sie sich ins Ausland und verzehren ihr Geld nicht selten bei
den Feinden des Reichs. Es wird deshalb verordnet: 1) Alle
italienischen Kaufleute, die das Bürgerrecht nicht besitzen,
dürfen ihre Waaren nur im Grossen und nur an englische
Unterthanen verkaufen, und zwar soll dies innerhalb acht Mo-
nate nach der Einfuhr und in dem Hafen, wo sie englische
Waaren verladen wollen, geschehen ; sie dürfen den Erlös nur
auf englische Artikel verwenden und keineswegs durch Wechsel
übermachen. Bleiben ihnen Waaren unverkauft, so dürfen sie
mit denselben noch zwei Monate lang von Hafen zu Hafen
fahren, nach dieser Zeit müssen sie aber dieselben zurück-
nehmen. 2) Kein fremder Kaufmann soll einen andern bei
sich beherbergen, es müsste denn derselbe der gleichen Nation
angehören. 3) Kein italienischer Kaufmann, der nicht engli-
scher Bürger ist, soll Wolle, Wolltücher oder andere Waaren,
die er in England gekauft, daselbst wieder verkaufen. Auch
soll er nicht die gekaufte Wolle auf seine Rechnung im König-
reich verarbeiten lassen, sondern die Wolle, Wolltücher und
andere Waaren über die See nach Gebieten jenseit der Meer-
enge von Gibraltar bringen. 4) Kein neu ankommender
Fremde darf künftig als Handwerksmeister sich etabliren, son-
dern muss entweder bei einem englischen Handwerksmeister
Geselle werden oder das Reich verlassen. 5) Kein Fremder
soll Tücher machen oder sonstwie Wolle zur Verfertigung von
Stoffen gebrauchen. 6) Die fremden Handwerksleute, die be-
reits im Lande sind, dürfen ausser ihren eigenen Kindern nur
englische Lehrjungen verwenden. 7) Der Detailverkauf der
Bücher, sowie der Druck derselben bleibt den Fremden un-
benommen.
— 416 —
Die Acte beschäftigt sich, wie ersichtlich, theils mit dem
kaufmännischen Gästerecht, theils mit der Stellung der frem-
den Gewerbsleute. In ersterer Hinsicht ist bezeichnend, dass
das Gesetz über manche Puncte des Gästerechts mit Still-
schweigen hinweggeht; so ist über die Ausübung des Makler-
gewerbes und das Kaufen der Fremden von Bürgern Nichts ge-
sagt. Andere Puncte verdunkelt es oder mildert sie. Wenn
nur den Italienern der Detailverkauf' und der directe Verkehr
mit Fremden untersagt wird, so scheint die Annahme gerecht-
fertigt, dass man den übrigen Fremden beides stillschweigend
gestatten wollte, oder wenn man das Zusammenwohnen nur
solcher Fremden verbot, die verschiedener Nation angehörten,
so lag doch darin eine grosse Concession gegen früher, wo die
Städter fort und fort verlangten, dass auch die Fremden
gleicher Nation nicht gemeinsame Herberge hielten, sondern
jeder bei einem Bürger sich einlogire. In mancher Hinsicht
schuf man allerdings auch neues Recht, wie die auf die
Italiener sich beschränkende Bestimmung 3) zeigt. Aus dem
ganzen. Tenor der Acte aber geht hervor, dass sie nicht direct
dem Geiste der städtischen Rechte entstammt; sie will nur
verhüten, dass Fremde sich länger in England aufhalten und
bereichern, ohne englische Unterthanen zu werden. Das be-
stätigen besonders auch die Bestimmungen über die fremden
Handwerker. Die selbständigen Colonien der letzteren sollen
mit der Zeit aussterben, in das englische Handwerkerthum
aufgehen, ihre Geschicklichkeit soll sich den Engländern mit-
theilen oder doch ihnen, da sie im Lande bleiben, zu gute
kommen. Die anormale Stellung der angesiedelten Hand-
werker darf, das war der Gedanke, nicht ewig fortdauern.
Schon das Richardsche Gesetz ist ein schlagender Beleg,
welchen ausserordentlichen Einfluss die veränderten commer-
ciellen Verhältnisse übten. Bestimmungen, wie sie noch unter
Heinrich VI. gegen die ausländischen Handelsleute erlassen
wurden, waren jetzt eine bare Unmöglichkeit. So streng hin-
sichtlich der fremden Gewerksieute die Anschauungen waren,
die städtischen Rechte hinsichtlich der fremden Kaufleute
waren sichtlich im Verfall, auch ein Richard IH. wagte sie
nicht in aller Schärfe wieder herzustellen. Wie viel weniger
kann man es von Heinrich VII. erwarten, der doch mit viel
grösserer Sicherheit seinen Thron inne hatte, als seine Vor-
gänger.
Noch im ersten Jahre liess der König die Strafen des
Richardschen Statuts wieder zurücknehmen, beziehungsweise
behielt sich deren Verhängung vor1). Damit war den frem-
M 1 Hen. VII. c. 10. 1485.
— 417 —
<len, besonders den italienischen Kaufleuten wieder freier Spiel-
raum gegeben, allerdings auch die einer Lösung harrende
Frage in Betreff der fremden in England angesiedelten Gewerks-
ieute vertagt. In Uebereinstimmung mit diesem Schritt zeigte
sich Heinrich VII. nicht gewillt, irgendwelche Uebergriffe der
Londoner zu gestatten. Das zeigte sich 1487, als die City
■lie centrifugalen Kräfte, die schon so oft eine Emancipation
von London herbeizuführen strebten, gewaltsam zu bändigen
versuchte. Die Londoner wollten nämlich nicht mehr dul-
den, dass die Gewerbsleute ihre Waaren auf Messen und
Märkte ausserhalb Londons brächten 1), damit alle Käufer und
Kaufleute nach London kommen müssten zum Gewinn* der
Stadt. Wirklich erliess das Common Council of London ein
Verbot in diesem Sinn, das zunächst sieben Jahre gelten sollte.
Die benachbarten Märkte, sowie Salisbury, Bristol, Oxford,
Cambridge, Nottingham, Ely, Coventry legten Protest ein, und
das Parlament mit dem König trat den Beschwerdeführern
bei *).
In einem andern Punct musste dagegen der König, we-
nigstens äusserlich, sich willfährig zeigen. In Folge der
Fremdenacten war es sehr üblich geworden, dass Fremde sicli
lurch Patent das Bürgerrecht ertheilen Hessen und dadurch
allen Schwierigkeiten, welche die Städter bereiteten, sich ent-
zogen. Diese Uebung war unter Eduard IV. sogar noch im
Zunehmen, weil die Fremden, die ein solches Bürgerrecht
hatten, auch nur die Zölle der Einheimischen zu zahlen
brauchten. Die Commoners verlangten nun, dass solche künst-
liche Bürger, die, „sobald sie reich geworden, in ihr Heimath-
land sich zurückzögen", Fremdenzölle zahlen sollten. Der
König stimmte zu 3), beachtete aber das Gesetz so wenig, dass
man 1495 seine Erneuerung verlangte4). Vermuthlich war
der Zollausfall doch geringer, als der Gewinn, den der König
aas den Patenten wie aus der grösseren Aus- und Einfuhr von
Waaren erzielte. Gleichzeitig waren diese Begünstigungen ge-
eignet, tüchtige Gewerbsleute in das Land zu ziehen und eine
Fremdencolonie zu schaffen, welche den Einheimischen durch ihre
^lössere Geschicklichkeit vorleuchten konnte.
Unter diesen Verhältnissen begreift man, dass unter Hein-
rieh VII. das ganze System des Fremdenrechts zerbröckelte.
Ein recht anschauliches Bild von diesem Zersetzungsprocess
*) Als Waareo, die besonders von den Londonern zu den Messen ge-
bracht wurden, sind bezeichnet: Kirchengeräthe; Kelche, Bücher, Gewänder,
Haiishaltungsgegenstände, Lebensmittel für die Fastenzeit, Leinentuch,
Wollentuch, Zinngeräthe, Waschzeug, Osemond, Eisen, Flachs, Wachs etc.
%) 3 Hen. Vfl. c. 10 und Northouck, A new history of London
1773. S. 107.
3) 1 Hen. VII. c. 2. 1485.
4) 11 Hen. VII. c. 14. 1495.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. -•
— 418 —
gibt eine noch erhaltene Petition der Bürger an den Magistrat
von London aus der Regierungszeit Heinrichs VII.1). Der
grösste Theil derselben betrifft die Fremden. So heisst es:
Eine Unzahl (infinite nombre) Kaufleute, die nicht das
Bürgerrecht besitzen, verkaufen im Detail Wollentuch und
andere Waaren des Landes, Leinentuch, Seide, Weine u. s. w.
Franzosen und auch Engländer, die ausserhalb Londons an-
sässig sind, bringen ihre Waaren, wie Canvass, Leinentuch,
Worsteds, Sayes, Stamyns, Decken, Wollfelle, Leder, Nägel,
Garnwerk u. s. w. nicht mehr nach Leadenhall, wo diese Ar-
tikel aufbewahrt und an drei Wochentagen zum Verkauf aus-
gestellt werden sollten, sondern in Wirths- und Privathäuser
und verkaufen sie daselbst direct an Fremde. Leider gibt es
eine ganze Menge schlechter Bürger, die sich herbeilassen, die
Güter der Fremden zu bergen und deren Verfahren zu unter-
stützen. Manche von ihnen kaufen für die Fremden und mit
deren Geld Tuch, gehen sogar mit ihnen aufs Land, um da-
selbst im Kaufen ihnen behilflich zu sein. Unter die Nichts-
würdigen gehören besonders die Böttcher, welche den Malvasier-
und andern WTein der Fremden als ihnen gehörig ausgeben
und an Nichtbtirger verkaufen. Ein weiterer Missstand ist,
dass so viele Bürger in die Umgegend Londons sich begeben,
auf diese Weise den Lasten der Stadt sich entziehen, aber
doch alle Freiheiten gemessen wollen.
Noch lebhafter waren die Klagen über die fremden Hand-
werker. Diese, wird erzählt, richteten die Londoner Bürger
beinahe vollständig zu Grunde, und man möge deshalb ver-
ordnen, dass kein Bürger irgend welche Waaren kaufen dürfe,
die von einem Fremden in England gefertigt seien. Die eng-
lischen Handwerker könnten die Bürger bedienen und sollten
beim Chamberlain 100 £ Caution deponiren, auf dass sie
nicht die Preise erhöhten, sondern eben so gute und billige
Waaren lieferten, wie die fremden Handwerker- Auch solle
man nicht gestatten, dass ein Bürger fortan einen Ausländer
oder Nichtbtirger zu gewerblicher Arbeit dinge und zu diesem
Behuf in sein Haus nehme2).
J) Die Petition ist bei Arnold, Chronicle ed. by F. Douce London
1811 S. 80 fg. abgedruckt, lieber die Zeit, in welche die Abfassung dieses
Chronicies fallt, haben wir uns bereits S. 274. N. 4 ausgesprochen. Was
diese Petition selbst anbelangt, so sei erwähnt, dass dieselbe von Eduard IN •
als einem verstorbenen König und von Lord Mayor M. Purches (M. ist wohl
fehlerhaft für W.) spricht, dessen Majorat dem Jahre 13 Hen. VII. an-
gehörte.
*) 1485 machten die Londoner auch ein Statut, um sich gegen das
Eindringen des Landvolks zu schützen, das dahin lautete, es dürfe kein
Lehrling angenommen werden oder die Stadtfreiheit erhalten, der nicht als
„gentleman" geboren, entsprechend dem Eide des freeman: „Ye shall take
none apprentice, but if he be free born ; that is to sav, no bondsman's son
nor tlie son of an alien." Northouck, History of London. 1773. S. 107.
- 419 —
Ebenso solle Niemand mehr das Bürgerrecht kaufen kön-
nen, wenn er nicht als englischer Unterthan geboren sei.
Die Tucher und Brauer hatten noch ihre ganz besonderen
Anliegen. Die ersteren beschwerten sich, dass die fremden
Kaufleute nicht mehr wie früher allen Kunden reine und gute
Farbe auf Wunsch lieferten, sondern in ihren Häusern die
beste ausläsen nnd damit die von ihnen gekauften Tücher
färbten, diese dann entweder in die Heimath schickten oder
in England im Detail verkauften. So kämen die Engländer
um die gute Farbe, und es sei nöthig, dass man den Bürgern
verbiete, für einen Ausländer oder Nichtbürger zu färben. Die
Brauer aber beklagten sich, dass die fremden Brauel* in London
der Zunft sich nicht fügen wollten. Sie hielten ihre eigenen
Zusammenkünfte und beschäftigten nur flämische und hollän-
dische Arbeiter, ohne, wie es Gildestatut sei, für diese Er-
laubniss zu haben oder Geld zu erlegen. Man solle dieser
Absonderung begegnen und der Zunft zu ihrem Aufsichtsrecht
verhelfen, das ihr durch eine Charte von Eduard IV. verliehen
worden sei.
In wie weit der Magistrat aus eigener Machtvollkommen-
heit den reactionären Wünschen der Bürger Rechnung zu
tragen suchte, wissen wir nicht Von der Regierung durfte
die Stadt so gut wie keine Hilfe erwarten.
Das zeigt das Beispiel der sogenannten Galeymen ]). Als
nämlich die Stadtbehörde diesen verbot, ihre Kleinwaaren im
Detail und in eigenen Läden zu verkaufen, intervenirte der
König, indem er behauptete, diese hätten schon immer dies
Recht besessen8). Die Londoner gestanden die Erklärung
des Königs nicht zu und opferten nicht weniger als 5000 r£,
um von Heinrich VU. sowohl die ausdrückliche Bestätigung
ihrer Privilegien überhaupt8), als insbesondere das Recht zu-
*) Wer die Galeymen waren, ist nicht ganz sicher; Furnivall, Ballads
from Mscr. I. Pt. 1. S. 105 folgt Kersey's Ed. o( Philipps und glaubt, es
seien Genuesen. Vielleicht darf man den Namen eher für die Venetianer
in Anspruch nehmen; die flandrischen Galeazzen der Venetianer wurden
von den Engländern „Galeys" genannt, während die genuesischen Schiffe mehr
den Namen „Carakes" führten. Für die Venetianer würde auch sprechen,
dass im Decret der Stadtbehörde die Glaswaaren besonders genannt sind
(Urk. Beil. 140). Dagegen sind sie in einer späteren Petition zwischen
den „Frensshemen" und „Pycardis" aufgeführt und ausserdem noch die „Lum-
bardis" genannt, so dass man auch denken könnte, es wären französische
Provinzialen. Vgl. auch Political Poems and Songs from Edw. III.
to Rieh. m. ed. Th. Wright I. 64—65.
«) Urk. Beil. 140.
■) Am 21. Mai 1498 erklärte Heinrich VII. auf Ersuchen des Londoner
Majors W. Purchase die von Eduard III. (sieh oben S. 395, 399) gewährten
Privilegien, wonach Fremde vom Betrieb der Gastwirthschaft, des Makler-
geschäfts und Detailhandels namentlich mit Wein ausgeschlossen sein soll-
ten, für rechtskräftig mit der Massgabe, dass die hansischen Freiheiten be-
stehen blieben. London City Records. Charters box Nr. 29.
27*
— 420 —
gestanden zu erhalten, dass sie alle zwischen fremden Kauf-
leuten direct gekauften oder verkauften Waaren confiscireo
dürften x). Nun glaubte der Magistrat doch berechtigt zu sein,
gegen die Galeymen einschreiten zu dürfen. Allein der König
intervenirte wieder und bewirkte, dass wenigstens die bereits
eingeführten Waaren noch nach alter Gewohnheit verkauft
werden durften2).
Verhältnissmässig still verlief die Entwicklung der Fremden-
frage unter Heinrich VII. Stürmisch und gefahrlich schien sie
unter seinem Sohne werden zu wollen. Es war klar, dass der
völlige Zersetzungsprocess in einer heftig gährenden Zeit leicht
aus seinem ruhigen Verlauf heraustreten und zu Explosionen
Anlass geben konnte.
Formell anerkannte Heinrich VIU. die Rechte der Stadt
London3), war aber wenig geneigt, im besonderen Fall seinen
Wünschen Schranken zu setzen. Wie oft London seine eiserne
Hand fühlen musste, dafür sind das Schicksal eines nicht ge-
fügigen Mayors, die Zurücknahme der öffentlichen Waage mit
ihren Erträgnissen auf 9 Jahre4) bekannte Belege. Jedenfalls
war sicher, dass mit der blossen Bestätigung der Charters
sehr wenig geholfen war, und dass der König und das Parla-
ment durch besondere Bestimmungen unterstützend eingreifen
mussten.
Im 2. Jahre der Regierung Heinrichs VIII. wurde laut geklagt,
wie die Uebung des Kaufens von Fremden („foreign buying") in
erschreckender Weise überhandnehme. Die Stadt suchte dem
Missbrauch zu wehren durch eine Acte des Common Council,
wonach derjenige, der eine auf diese Weise gekaufte Waare
dem Chamberlain bringe, ein Vierttheil derselben erhalten
sollte5). Bald darauf (1514) bat man beim Parlament um
Schutz wegen des Detailverkaufs. Die Masse der gesammten
Handels- und Gewerbetreibenden in den englischen Städten
und Märkten vertrat die Petition6).
Die Bittsteller legten dar, wie eine übergrosse Anzahl
Fremder, namentlich Franzosen, Italiener, Picarden, Fläminger,
x) 23. Juli 1505. Northouck. London S. 111 u. App. Nr. 36 S.799;
Norton, Commentaries 1869. S. 384.
2 Urk. Beil. 140.
n Die -Bestätigung der Londoner Charte ist vom 12. Juli 1 Hen.VHI.
4 Vom 18. Juni 13 Hen. VIII. — 13. Apr. 22 Hen. VÜI. Die Ur-
kunde bei Northouck, London. App. Nr. 38. S. 81.
ftN Norton, An exposition etc. S. 32; vgl. auch die von ihm erwähnten
Gerichtsurtheile S 39.
6) Namentlich aufgeführt sind: Die Mercers, Grocers, Tucher, Gold-
schmiede, Kürschner, Bandkrämer (haberdashers), Schneider, Lederhändler,
Beutler, Nestler, Handschuhmacher, Taschner, Sattler, Messerschmiede,
Zinngiesser, Böttcher, Gürtler, Giesser, Seiler, Weinschenker, Sporer,
Schreiner.
— 421 —
Spanier, Schotten, Lombarden und andere in England lebten,
so dass die Gewerbtreibenden gar nicht mehr wüstsen, welches
Geschäft sie ihre Kinder erlernen lassen sollten. Die Gesetze
schrieben vor, dass die Fremden in den Häusern der Eng-
länder wohnen, ihre Waaren nur im Grossen verkaufen und
ohne Licenz diesen Verkauf nicht über ein Monat nach ihrer
Ankunft ausdehnen sollten bei Strafe der Confiscation. Die
oben genannten Fremden kümmerten sich aber wenig dämm,
gingen mit ihren Waaren von Haus zu Haus, errichteten Schau-
buden und böten ihre Waaren innerhalb und ausserhalb der
Stadt aus; ja Viele von den Erwähnten dangen noch eigene
Handelsreisende, aber auch nur wieder aus ihrer Nation, und
sendeten sie über das ganze Land. Werde diesem Unwesen
nicht gesteuert , so seien sie der Verarmung preisgegeben und
könnten unmöglich die vielen Lasten tragen und hohe Steuern
zahlen, wenn es gelte, den Erbfeind Englands, die Franzosen
mit ihren Anhängern niederzuschlagen. Sie baten deshalb,
dass keinem Fremden gestattet werde, die bereits bestehenden
Statuten zu verletzen, namentlich nicht seine Waaren zum
Verkauf auszubieten an irgend einem Platz innerhalb oder
ausserhalb der Stadtfreiheit1).
Der Kernpunct der Petition lag offenbar in dem Handel
der Fremden auf dem platten Lande. Es ist kaum glaublich,
dass die Stadt den Detailverkauf der Fremden innerhalb Lon-
dons in grossem Umfang gestattete. In Betreff des ersten
Punctes fehlte es aber den Londonern an einem genügenden
Rechtsgrunde; ebenso war wirtschaftlich der Einspruch der
Bürger hier wenig berechtigt. Die Bill hatte keinen Erfolg;
vermuthlich brachte das Haus der Lords dieselbe zu Fall, da
bei Annahme des Gesetzes ihre und der Landbesitzer Interessen
besonders geschädigt worden wären.
Der Handel der Fremden blieb somit frei von neuen Be-
schränkungen. Gleichzeitig setzte der König das System der
Bürgerrechtsverleihungen fort2). Die Gesetze, welche die Ein-
fahr gewisser Artikel verboten, wurden vielfach gebrochen und
durch immer stärkere Einwanderung von Fremden, die rings
um London ausserhalb der Jurisdiction der Stadt sich ansie-
delten, wenigstens im Sinne der Bürger illusorisch gemacht
*) Urk. BeiL 141. Ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich diese
von John Colyn uns überlieferte Bill hieher setze. In den Lords' Journals
LS. 41. (1514. 58° die Pari.) wird eine„Billa conc. les retayling per merca-
tores extraneos" erwähnt: da in unserer Petition die Franzosen als Feinde
genannt werden und England mit Frankreich 1518 Krieg geführt hatte, so
kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass das Colynsche Schriftstack
mit der in den Lords Journals erwähnten Bill identisch ist. Ob die eben-
falls in den Lords Journals (1514 53 ° die Pari.) erwähnte „billa concernens
mercatores deltatia" ähnliche Tendenzen verfolgt, muss dahin gestellt bleiben.
*) Vgl. 6 Hen. Vm. c. 25 § 3. und 22 flen. VIII. c. 8 und zahlreiche
Beispiele in Brewer, Cal. 1. 4003, 4246 u. s. w.
— 422 —
Die Fremdenfrage nahm jetzt noch entschiedener den Cha-
racter an, den sie schon unter den Hause York gezeigt. Vom
Gebiete des Handels spielte sie sich fast ganz auf das des
Gewerbes. Nothwendig musste der Streit dadurch viel hef-
tiger und erbitterter werden. Von dieser Seite her war der
Unwille wohl begreiflich. In Folge der unaufhaltsam fort-
schreitenden Agrarrevolution war es schon schwer, den Andrang
der Landbevölkerung zur Industrie abzuwehren; wie unbequem
mussten da die fremden Handwerker sein, die viel geschickter
sich erwiesen und zudem sich freier bewegen konnten, da sie
nicht gleich den Bürgern in die Fesseln der kostspieligen Stadt-
Zunft geschlagen waren? Das Richardsehe Gesetz, wonach
kein neuankommender Fremder ein selbständiges Geschäft er-
öffnen sollte, war ein todter Buchstabe, seit die Strafen weg-
genommen, und wollte der Londoner Magistrat auf Grund des-
selben die Fremden einschränken, so intervenirte meistens der
König *).
Die Stimmung des Volkes wurde immer bedrohlicher.
Ostern 1516 wurden am Thor der Paulskirche und sonst Pas-
quillen gegen den König und seinen Rath gefunden, in welchen
diese beschimpft waren, weil sie die Fremden zum Ruin der
Engländer so sehr begünstigten *). Das Aufsehen war ein un-
geheures, es gelang aber dem erzürnten König und seinem
Rath trotz aller rigorosen Untersuchungen 3) nicht, den Uebel-
thäter zu finden.
Im folgenden Jahre kam ein Bürger John Lincoln, der
ein Makler in London wai\ auf eine, wie er hoffte, noch wirk-
samere Idee. Die Prediger der niedern Orden standen meist
auf Seite des Volks und liehen nicht selten den Bedrängten
ihre Stimme. So suchte Lincoln den später durch seinen Streit
mit Erasmus sehr bekannt gewordenen Dr. Henr. Standish,
den Vorstand der Bettelbrüder, auf und ersuchte ihn, der der
populärste Prediger seiner Zeit war, am Ostermontag im St.
Mary Spital durch eine ernste Predigt den Bürgermeister und
die Alderleute zum Einschreiten gegen die Fremden zu be-
wegen. Dr. Standish lehnte wohlweislich ab. Der Makler
liess sich aber nicht entmuthigen, sondern ging zu einem an-
dern Geistlichen des nämlichen Spitals Dr. Beale, und es ge-
lang ihm wirklich, diesen durch seine ergreifende Schilderung
') Vgl. den Befehl Heinriehs VIII. an die Londoner Gemeinde in Be-
treff der fremden Schuhmacher (straungiers courvysours) v. 19. Jan. 1515.
Brewer, Cal. II. 39.
*) Brewer, Cal. II. 1832. 28. April 1516; vgl. auch Brewer, Pre£
zu Vol. II. Pt. 1. S. 215; er glaubt, gewisse den Campucci, Cavalcanti und
Frescobaldi ertheilten Concessionen seien der nächste Anlass zu dieser
Kundgebung gewesen.
*) Fast alle Leute in London, die schreiben konnten, mussten in
Gegenwart einer Commission schreiben.
— 423 -
zu gewinnen. Die Engländer, stellte er ihm vor, hätten keinen
Absatz, die fremden Kaufleute importirten Alles, Seide, gold-
gewirkte Tuche, Wein, Oel, Eisen u. s. w. Niemand wolle
von einem Engländer kaufen, selbst die Ausfuhr von Wolle,
Zinn und Blei sei grossentheils in ihren Händen. Die Fremden
sässen ringsherum in den Vorstädten Southwark, Westminster,
Temple-Bar, Holborn, St. Martin, John Street, Aldgate, und
St. Katherine und kauften *)en Markt vor, so dass nichts
Gutes in die Stadt komme; die Engländer verhungerten, die
Fremden aber lebten in Ueberfluss und Ueppigkeit, ihre Zahl
wachse immer mehr; am Sonntag habe er nicht weniger als
600 Fremden bei einem Fest mit Bogen schiessen sehen1),
die Deutschen und Niederländer brächten lauter fertige WTaaren *).
Dr. Beale sei ja auch in London geboren, und als Londoner
möge er sein Wort erheben gegen diese fremden Räuber und
Vernichter des Landes.
Beale versprach, ein ihm von Lincoln übergebenes Memo-
randum studiren zu wollen, und am Osterdienstag predigte
er 3), der Gewohnheit gemäss auf offenem Felde, über den Text:
„Coelum coeli domino, terram autem dedit filiishominum, pugna
pro patria." Unter Zugrundelegung dieser Worte führte er
aus, wie Gott allen Nationen ihre eigenen Grenzen und Wohn-
orte gegeben und so das Land, auf dem seine Zuhörer ständen,
den Engländern angewiesen habe. Wie die Vögel ihre Nester
vertheidigten , so möchten die Engländer für ihr Land die
Waffen ergreifen und gegen die Eindringlinge und zuchtlosen 4)
Fremdlinge sich schützen.
Der zündende Funke war in die Masse geworfen, die
hochmüthigen 5) Fremden wurden fortan mit Drohungen über-
') Francesco Chieregato in einem Briefe an Vigo da Campo San
Pietro v. 19. Mai 1517 schätzt die Zahl der in London lebenden Fremden
auf 6-7000. Brown, Cal. IL 887. Später, in den 20er Jahren, wird die
Zahl der Fläminger auf 30 000 und die der ansässigen allein auf 15 000
geschätzt, was aber kaum glaublich ist. Brewer. Cal. IV. 5016. 5255.
Gayangos, Cal. in. R II. 621.
3) Genannt sind: „iron, timber, leather, and wainscot ready wrought,
nails, lockß, baskets, cupboards, stools, tables, chests, girdles with points,
saddles and painted ciotbs." Hall, Chronicle S. 587.
s)PolydorVergil, Historia Angliae libri 27. Leyden 1651 S. 39
behauptet, es hatten 2 Mönche in diesem Betreff gepredigt: „Duo de nu-
mero istorum doctorum monachi, alter Dominicanus, alter Canonicus regu-
laris, hoc tempore cupientes de patria bene mereri, ita concionando multi-
tndinem cito concitaverunt concitatamque temeritate armarunt certatim et
frequenter clamantes non esse diutius perferenda tanta detrimenta atque
daüna cum permultis aliis ezternorum hominum maleficiis, ut eorum prae-
ceptis ac talibus monitis facile aures paremptitiorum patuerint" etc.
4) Giußtinian in seinem Briefe (Four years at the court of Henry VIII.
Dispatches transl. R B r o w n II. S. 68—72) v. 5. Mai 1517 hebt dieses Moment
der Predigt besonders hervor. Tgl. bei Hall die Geschichte der Entfuhrung
einer Terheiratheten Frau mit sammt dem Silbergerath durch einen Lombarden.
8) Sieh bei Hall den Vorfall, der sich zwischen einem Zimmermann
und einen Fremden beim Kauf von 2 Stocktauben abspielte.
— 424 —
schüttet; der 1. Maitag wurde zum Rachetag von der Menge
ausersehen, den man in Folge der Vorgänge den „Evil May Daytt
seitdem nannte1).
Die Lehrlinge erhoben sich mit einer Anzahl von Ban-
diten, im Ganzen 2000, befreiten alle Gefangenen, welche wegen
Beleidigung der Fremden eingesperrt waren, plünderten die
Häuser vieler Fremden namentlich eines Franzosen Mutuas2),
der viele seiner Landsleute beschäftigte und die Worsteds nach
einer neuen, vom Gesetz aber nicht erlaubten Methode zuzu-
bereiten verstand und damit alle Concurrenten aus dem Felde
schlug. Die Aufrührer tödteten und verwundeten die Wider-
stand Leistenden , hörten weder auf die Stimme des beliebten
Sir Thom. More, der damals Untersheriff war3) noch achteten
sie die Autorität des Cardinais Wolsey, bis schliesslich mit
Waffengewalt von dem mit einem Heere herannahenden Herzog
von Norfolk der Wuth Einhalt geboten und strenges Gericht
geübt wurde4). Zwar traf dieses meist nur die Rädelsführer,
aber die Art und Weise wie es geübt, und die nach Ansicht des
Volkes ungerechte Parteinahme der Regierung für die Fremden
bestärkten nur noch die Londoner in ihrem Hasse gegen die
Adeligen, die ihre Waffen gegen das Volk geführt hatten5).
Fünf Monate später brach ein neuer Aufstand aus, wurde
aber sofort im Keime erstickt6).
War die Feindschaft bereits bis zur Gewalt geschritten,
so lässt sich denken, dass des Streites zwischen Engländern
und Fremden auf legalem Wege kein Ende war7). In der
That lag jetzt die Sache so, dass die Regierung sich dem Druck
der öffentlichen Meinung nicht mehr entgegenstemmen konnte.
Als 1523 Cardinal Wolsey die Londoner Kauf- und Gewerbs-
leute von Neuem besteuern wollte, nachdem sie zwei Monate
vorher 25 000 fß gegeben hatten, versprach er, ihren Be-
schwerden wegen der Fremden abhelfen zu wollen8).
*) Vgl. das Gedicht „The story of ill Mayday in the time of king
Henry the Eighth, and why it was so called, and how Queen Catharine beggea
the lives of two thousand London apprentices" bei Ch. Mackay, A coflec-
tion of Songs and ballads relative to the London prentices and trade« and
to the affairs of London generally during the 14^ 15** and 16t* cent
Printed for the Percy Society. S. 17-22.
*) Giustinian spricht von Meutas, dem französischen Secretär des
Königs.
*) Vgl. Th. Radhart, Thomas Monis. Nürnberg 1829. S. 162.
4) Vgl. die Einzelheiten bei Hall a. a. O., Giustinian a. a. 0, m
Sagudinos Brief ebenda II. S. 74. Note 6; in Francesco Chieregatos Brief
an Vigo da Campo San Pietro vom 19. Mai 1517 bei Brown, CaL II.
887. Stow, Annais ed. 1615, cont by Edw. Howes.
•) Brewer, Pref. zu Vol. II. S. 222.
*) Brewer, Cal. IL S. 8697.
7) Das beweisen die Riagen zwischen den Zünften und den Fremden;
▼gl. z. B. Brewer, Cal. III. 1580 u. s. w.
8) „I dare sweare," sagte der Cardinal bei dieser Gelegenheit, „the sub-
stance of London is no lesse worth then two myllions of golde. Then
— 425 —
Noch im nämlichen Jahre kam ein Gesetz zu Stande,
dessen Tendenz eine zweifache ist, einmal die fremden Ge-
werbtreibenden der verschiedenen Vorstädte den Zünften
unterzuordnen (§ 3 und § 4), ferner das Gewerbe mehr und
mehr in die Hände der Einheimischen zu leiten, beziehungs-
weise die Geschicklichkeit der Fremden zu verallgemeinern.
Es war eine Rückkehr zu den Principien der Acte Richards HI.
Man wies deshalb auch die fremden Meister nicht aus, son-
dern verbot ihnen nur, mehr als 2 fremdgeborne Gesellen zu
beschäftigen oder überhaupt einen in der Fremde gebornen
Lehrling anzunehmen. Die Universitätsstädte Oxford und Cam-
bridge, sowie die Freistätte St. Martin le Grand in London
wurden ausgenommen, auch den Lords, sowie den Gutsbesitzern,
welche ein Einkommen von 100 üf jährlich nachweisen konn-
ten, gestattet, fremde Schreiner und Glaser von Zeit zu Zeit
zu beschäftigen 2).
Die Acte war gewiss ein weiser Coinpromiss; es wurde
den Wünschen des turbulenten Volks Rechnung getragen, aber
doch kein zu rigoroses Verfahren gegen die Fremden in An-
wendung gebracht.
Das Gesetz war gut, die Ausführung aber schlecht. Fünf
Jahre nach dem Erlass desselben reichten die Londoner bei
der Sternkammer eine grosse Klageschrift ein, in der sie dar-
thaten, dass die meisten Bestimmungen einfach umgangen wür-
den. Die Fremden missachteten die Statuten, solle ein Fremder
die Zunftvorstände begleiten, um eine Untersuchung vorzu-
nehmen , so weigere er sich entweder oder er warne heimlich
seine fremden Genossen, damit sie ihre „betrügerischen Waarenu,
die sie täglich an die Unterthanen zu unvernünftig hohen
Preisen verkauften, entfernten. Komme der Zunftvorstand, so
verbärgen sie ihre Gehilfen und Lehrlinge. Zudem schafften
sie fortwährend Lebensmittel über die See, wie Speck, Käse,
Geflügel, Rindfleisch und Hammelfleisch und verteuerten da-
durch, sowie durch ihren Aufenthalt im Land den Einheimischen
den Lebensunterhalt. Manche Handwerker, namentlich die
Schuhmacher, seien durch die Fremden geradezu brodlos ge-
macht, und man dürfe sich nicht wundern, wenn sie fortwäh-
rend auf Diebstahl, Mord und andere Verbrechen verfielen.
Eine besondere Petition der Schuhmacherzunft unterrichtet
uns des Nähern über die Lage ihres Gewerbes. Die Gewerbs-
leute führten an, dass den fremden Schuhmachern der Aufent-
aayd the citezens, we would to God, it were so, and the citie is sore ap-
paired by the great occupying of straungers. Well, sayd the Cardinall, it
shalbe redressed, if I live.1* Hall, Chromcle S. 645. lieber die Beweggründe,
welche damals die Regierung zum Einschreiten gegen die Fremden be-
stimmten, sieh auch Gayangos, CaL III. P. II. 600, 621. Brewer,
cu.nr.h77.
») 14, 15 Hen. VIII. c. 2. 1523.
— 426 —
halt im Königreich erlaubt worden sei, wofern sie die Zahl
von 44 Haushaltungen nicht überschreiten wollten; nichtsdesto-
weniger seien 220 Haushaltungen über obige Zahl vorhanden und
mehrten sich noch täglich; ja 40 Geschäfte seien erst ganz
neu seit der* letzten Parlamentsacte eröffnet worden. Die Zahl
der von diesen Fremden beschäftigten Gesellen und Lehrlinge
belaufe sich auf 1400 Personen. Die einheimischen Geschäfte
nähmen rapide ab ; von den 140, welche früher bestanden, seien
nur noch 20 vorhanden. 20 Haushaltungen seien erst seit dem
letzten Gesetz in Folge der Fremden dem Bankerott verfallen.
Die Ausländer machten sich noch lustig über die „worship-
ful actu. Sei einer reich geworden, so verlasse er mit seinem
Erwerb das Königreich und setze einen andern Fremden in
das Geschäft, der dann denselben Vorgang wiederhole. Sie
baten daher, man mögQ das kgl. Decret, wonach nur 44 Hans-
haltungen geduldet werden sollen, zur Wahrheit machen. Ob-
wohl sogar diese Concession gegen verschiedene Parlaments-
acten Verstösse, so wollten sie doch dann zufrieden sein- Aber
man müsse ihnen und den 44 fremden Haushaltungen Macht
geben, die übrigen Fremden zu beaufsichtigen, Bestimmungen
ihrethalben zu erlassen und die Güte ihrer Waaren zu über-
wachen. Dies Verlangen sei nicht unberechtigt, man gestatte
ja auch auf dem Continent keinem englischen Gewerbsmann,
ein Geschäft zu eröffnen oder in die Schusterzunft einzutreten,
wenn er nicht übergrosses Beitrittsgeld zahle J).
Diese Vorstellungen hatten Erfolg. Am 3. Dezember 1528
wurden Commissäre durch kgl. Patent beauftragt2), zu unter-
suchen, wie viele Haushälter ausserhalb Englands geboren seien,
und wie viele fremde Gehilfen von ihnen beschäftigt würden.
Die 10 reichsten fremden Schuhmacher mit je 2 ausländischen
Gesellen könnten in England bleiben, alle übrigen aber sollten
entweder einem englischen Meister dienen oder das Königreich
verlassen a).
Nachdem die Enquete abgeschlossen war, erliess die Stern-
kammer ein Decret, das die frühere Parlamentsacte ergänzte.
Die fremden Handwerker, welche Haus halten, sollten nicht
nur den Zünften unterworfen sein, sondern gleichgültig, ob sie
das Bürgerrecht hatten oder nicht, alle Lasten der einheimi-
schen Handwerker tragen und dem König auch Treue schwören.
Die Fremden durften keine eigene Versammlung halten und
fortan auch nicht, so lange sie nicht ansässig waren, ein neues
Geschäft gründen. Gegen Gesetzesverletzungen konnten nicht
nur die Strafen der letzten Parlamentsacte, sondern auch die
*) ürk. Beil. 142.
2) Brewer, CaL IV. 4997.
s) Du Bellay verallgemeinert in einem Briefe an Montmorency ur-
thümlich obige Bestimmung. Brewer, Cal. IV. 5016.
— 427 —
des Richardschen Gesetzes angewendet werden. Man sieht,
wie der Gedanke, die fremden im Lande weilenden Gewerbs-
leute mit den einheimischen zu verschmelzen und zu Englän-
dern zu machen oder sie zum Verlassen des Königreichs zu
zwingen, im Princip immer schärfer zum Ausdruck gelangt,
aber auch nur im Princip und in der Theorie; denn hatte man
für einen Moment gründlichen Ernst an den Tag gelegt, zeigte
sich doch, dass der Eifer sehr rasch erlahmte, wenn es zur
Ausführung kam. Die fremden Gewerbtreibenden verweigerten
dem Decrete der Sternkammer den Gehorsam, und ein Theil
von ihnen, namentlich die Schuhflicker fanden sogar Schutz bei
der Regierung. Als sich nun die Engländer abermals be-
schwerten, konnte die letztere doch nicht umhin, die Beobach-
tung des Erlasses von Neuem zu befehlen1) und Hess, um
seine Gültigkeit ausser allen Zweifel zu stellen, denselben
durch das Parlament zum Gesetz erheben 2).
Das Statut enthält eine Fortbildung, insofern es das Ge-
setz 14—15 Hen. VIII. c. 2 für dauernd erklärt und, um auch
die allzu starke Ansammlung der Fremden und ihren förm-
lichen Fabriksbetrieb in den bisher privilegirten Plätzen Ox-
fort, Cambridge und Saint Martin 1. G. zu hemmen, die Zahl
der daselbst zu beschäftigenden Lehrlinge auf 10 für je einen
fremden Gewerbsmann beschränkt 3). Bald darauf gelang es,
die Fremden auch ganz vom Zinnhandwerk auszuschliessen *).
Allein bei all dem blieb die Ausführung vielfach im Rück-
stande, und wie früher, so waren auch jetzt Befreiungen durch
den König nicht gerade selten6). 1540 weiss sich ein eng-
lischer Gesandte nur noch schwach der Acte zu erinnern6).
Die Klage über Umgehung des Gesetzes war allgemein;
Bürgerpatente, die in sehr unbestimmten Ausdrücken abgefasst
waren, dienten besonders zu diesem Zwecke. Ein neues von
dem Parlament gewünschtes Gesetz sollte auch dieser Uebung
vorbeugen. Im Statut 32 Hen. VIII. c. 16 wird die Ertheilung
solcher Licenzen verboten und unter Hinweis auf das Richard-
sche Gesetz, wie auf die beiden Heinrichschen Acten befohlen
dass fortan alle in der Fremde geborne Handwerker, welche
nicht das Bürgerrecht legaliter sich erworben haben, aufhören
müssen, selbständig ihr Gewerbe auszuüben, und nur im Dienste
eines Engländers als Gehilfen weiter arbeiten dürfen, wenn
sie in England bleiben wollen; ferner sollen die Fremden in
') ürk. Beil. 148.
*) 21 Hen. VIII. c 16.
a) Von der Acte wurden ausgenommen Bäcker, Brauer, Wundärzte
nnd Schreiber. 22 Hen. VIIL c. 13.
4) 25 Hen. VIU. c 9.
4)VgL Brewer, Cal. IV. 4231, 4445, 6542, 6709. Gayangos,
Cal. m. P. n. 621.
•) Sieh State Papers Vol. Vni. S. 481—433.
— 428 —
Oxford, Cambridge und St. Martin fortan nur zwei fremde Ge-
hilfen beschäftigen. In den übrigen Orten darf die Zahl der
fremden Gehilfen bei einem Gewerbsmeister 4 nicht über-
steigen. Die Vermiethungen von Häusern und Läden, die
einem Fremden, der nicht Bürger ist, gewährt werden, sind
nichtig *).
Die Acte wurde von allen Parteien gebilligt, sogar im
Haus der Lords in der dritten Lesung mit Stimmeneinhellig-
keit angenommen*).
Die Bestürzung unter den fremden Handwerkern war an-
fänglich sehr gross3). Allein es zeigte sich bald, dass der
König das Gesetz nur zu einer finanziellen Quelle zu benutzen
gedachte und den Effect desselben sehr abschwächte. Das
Fest von St. Michael war als Tennin für das Inkrafttreten des
Gesetzes bestimmt. Durch eine Proclamation verschob Hein-
rich VIII. denselben bis Ostern4); als diese gekommen, ge-
währte er nochmals eine Frist bis zum 24. April und forderte
alle Fremden auf, innerhalb dieser Zeit das Bürgen-echt sich
zu verschaffen. Um die Erwerbung des Indigenats zu er-
leichtern, sollten sie nur ein einfaches Gesuch beim Kanzler
einreichen und wohl auch eine bestimmte Geldsumme zahlen5).
Der Londoner Magistrat erhielt Befehl, die Fremden gegen die
feindliche Menge zu schützen9). Diese langmüthige Politik
wurde Jahre hindurch fortgesetzt. 1544 wurde ein Erlass pu-
blicirt, dass alle Franzosen, die nicht das Indigenat besässen,
innerhalb 20 Tage das Königreich verlassen sollten. Viele
meldeten sich. Um sich den finanziellen Vortheil nicht ent-
gehen zu lassen, gab der König noch 6 Tage zu den 20 Tagen
hinzu7). Nun wählte der König unter den Angemeldeten die-
jenigen aus, denen er den Aufenthalt gestatten wollte, und
befahl, dass die Betreffenden ihre Patente erwerben, die
x) Ueber die Interpretation und Tragweite der Acte geben die State
Pap er s VIII. S. 429 — 430 trefflichen Aufechluss, indem der französische
Gesandte, der ein besorgter Mann gewesen zu sein scheint, eine Reihe von
Fragen gestellt hatte, die von der Regierung beantwortet wurden.
*) Lords' Journals. Sie wurde erst durch 27 Vict cap. 25 wieder
zurückgenommen.
a) Mari 11 ac schrieb 21. Juli 1540 an Franz I.: „Parliament concludes
to-morrow. All foreigners residuig in this realm are required to leare it
before Michaelmas, excepting such as are engaged in trade, and of those,
who are so engaged, none may be householders, unless they are married,
or unless they have letters granted them of nationality. A numberof
poor creatures are in consternation at this order, especiallr
Flemings, who are here in large numbers". W. Thomas, Pilgrim ed. by
Fronde S. 151. Note F.
*) Lrk. Beil. 145.
5) Urk. Beil. 146; vgl. auch Nicolas, Proc. andOrdin. of thePmy
Council VII. S. lb, 21, 23, 28.
6) Nicolas a. a. 0. S. 7.
-') ürk. Beil. 147.
- 429 —
Uebrigen aber aus dem Lande sich entfernen sollten x). Das war
im Juli geschehen; aber schon im September gestattete Hein-
rich VIII. allen Franzosen, die bisher noch nicht das Bürger-
recht erworben hatten, den ungestörten Aufenthalt2). Wenn
man so milde gegen die Angehörigen einer mit England ver-
feindeten Nation verfuhr, wie darf man eine strenge Hand-
habung des Gesetzes gegen die übrigen Fremden erwarten ? 8)
Man ist wohl zu der Annahme berechtigt, dass die Acte unter
Heinrich VIII. ohne bedeutenden Einfluss blieb.
In Anbetracht dieser den fremden Gewerbsleuten gegen-
über befolgten Politik leuchtet ein, dass die Regierung kaum
geneigt sein konnte, gegen die fremden Kaufleute ernsthaft
einzuschreiten 4). Hier waren auch im Volk die Ansichten viel
mehr getheilt. Den feindlichen Stimmen6) stand eine grosse
Zahl solcher gegenüber, welche die fremden Kaufleute aus
Rücksicht auf das Staatsganze für wohlthätig hielten6). Die
Commoners ermüdeten zwar nicht, auch fort und fort Gesetze
') ürk. Beil. 148.
J) ürk. Beil. 149.
3) Nicolas, Proc. and Ord. of the Privy Council VII. S. 265. 1
Nov. 1541.
') Auch gegen nichtprivilegirte Nationen wurden nur dann und wann
Beschränkungen der Richardschen Acte gemäss vollzogen; vgl. State
Papers VIII. S. 429—30 bezügl. des Verkaufs der Waaren innerhalb 6—8
Monaten.
*) Als eine solche sei eine Prophezeiung vom Jahre 1534 angeführt,
in der es heisst:
„When that Remeueth into England
Enyghtes and Enavvs booth be Ciothyd in a lyke Clothynge,
Godes fleshe and his blöd ys sworne in euery mans herynge,
Lordes and Knyghttes bee made that Neuer wane Armys,
Marchaunte ötrayngers berythe the Rowme,
Englishmen wot neuer howe for to goo, but after oother landes fashyonys,
Ana euery man fayne to begyle other,
Than, England, take Bede sone after!
Furnivaii, Ballads from Manuscr. I. S. 317.
*) Als Vertreter dieser Stimmen mag der Verfasser einer gleichzeitigen
Denkschrift gelten. Derselbe sagt : „The kinges grace for direrse considera-
cions moste take the fredome of London into his handes to make his staple
at Ledyn Hall free for all strangers, wher as to tbis day strangers and
clothmakers cannot bye and seil togetheres in London but by the meanes
of a freman of London , by whome all strangers beyeth clothes ad the se-
conde hande, therfor bringeth all maner of merchandizes to London to
baner for clothes and no money, and likewise Londoners barteryth mer-
channdizes for clothes with the clothers and iittle money. In the charter
of Londons wretyn, how the fredome shall not be takyn away for no fence
"f any one man but for the offence of the holl citie agenste the common
veale of the holl realme, as it is not convenyent to suffer on man to
distroy an holl occupacion or an occupac.on to distroy a holl citie nor
one citie to distroy tte common weale of a holl realme. Therfor the king
hath nede to take the fredome of the citie into his handes, unto his grace
hath reformed diverse causes for the common weale of the holl realme.
— 430 —
einzubringen *), sie hatten aber keinen Erfolg. Nur das Recht
des Kleinverkaufs wurde den Bürgern noch ganz besonders
zugesichert. Ausserdem kam nur ein Gesetz zu Stande, das
auf die Stellung der fremden Kaufleute Bezug hatte8). Es
betraf den Verkauf von ungefärbtem Wolltuch an die letzteren.
Das Statut verbot, dass ein Engländer an fremde Kaufleute
weisses breites Wolltuch verkaufe, in Blackwell Hall in London
durfte dies jedoch geschehen, sobald das Tuch 8 Tage un-
verkauft geblieben war. Sehen wir von den Ausnahmsbestim-
mungen zunächst ab, so ist beachtenswerte einmal, dass hier
der directe Verkehr zwischen Nichtlondonern und Fremden,
wenn auch unter Einschränkung, in der Hauptstadt überhaupt
zugelassen, sodann dass das Tuchgeschäft noch mehr als bis-
her in London concentrirt wurde. Es war eine Art Compromiss-
politik, die man hier befolgte. Was London auf der einen
Seite an seinen alten Rechten einbüsste, wurde ihm auf der
andern Seite durch eine Vergünstigung ersetzt. Die wahr-
scheinlich intendirte Wirkung trat auch ein. Vom Jahr 14/15
Hen. VIII. an zeigt in London die Ausfuhr der ungefärbten
Tücher bei Einheimischen und Fremden eine ganz plötzliche
bedeutende Steigerung3).
Jedenfalls ist auch dieses Gesetz trotz der dasselbe ein-
leitenden missliebigen Motivirung ein Zeichen, wie behutsam
und milde man voranging, wenn es sich um fremde Kaufleute
handelte. Der treffendste Beleg aber und für die ganze Re-
gierung Heinrichs VIII. characteristisch ist, dass um dieselbe
Zeit, in der das schärfste Gesetz gegen die fremden Gewerbs-
leute erlassen wurde (1540), Heinrich VIII. die fremden Kauf-
leute in den Zöllen mit den einheimischen gleichstellte. Die
Städter mussten sich begnügen, aus eigener Initiative und mit
eigenen Mitteln die fremden Kaufleute in engere Schranken
zu weisen; dass sie das auch vermochten, dafür besitzen wir
The salve muste worke the remedy in London, wher the sore is forste.
The langes staple in Ledyn Hall muste be made free for all strangers therm
to bye all wollen clothes of the very cloth makers and pay theym redy
money not to be interrupte ne letted by no fredome of the citie. And yf
a fewe Citizens now lyving thinke their bying and selling of wollen clothes
shal be distroyed by that meanes, all riebe men being agyde ar oat of
nede and yoni men may set upe draping of fyne wollen clothes like aa
afore tyme, and therby gete their lyving truiy withowt any crafte or policy*
etc. R. Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 72 u. 78.
*) So 1533 eine Bill des Inhalts „nulluni alienigenum infra hoc regnum
commune diversorium tenturum". Dieselbe gelangte im Oberhaus zu drei-
maliger Lesung, wurde aber nicht Gesetz. LordfsJournals25 Henr. VIIL
7° 89° 49° die Pari.; 1548 wurde wieder eine „BiU contra mercatores forin-
secus" gelesen, a. a. 0. I. S. 256. 257. (8. 10. 12. Mz.).
*) 14/15 Hen. VIIL c. 1.
*) Sieh Bd. II. S. 86.
— 431 —
die Beweise 1). Kein Wunder, wenn der üble Ruf der Eng-
länder, dass sie die Fremden hassten und verfolgten, ym die
Mitte des 15. Jahrhunderts noch ebenso stark und verbreitet
war, wie früher2).
*) So erzahlt Hall: Durch Vermittlung von Hofleuten hatten die Frem-
den Licenz erlangt, Waid in fremden Schiffen zu importiren, so dass ganz
London voll von ihrem Waid war. Sie sandten ferner ihren Waid aufs
platte Land, so dass der der Engländer in London unverkauft blieb. Der
damalige Bürgermeister John Allen Hess die Hauptsächlichsten dieser frem-
den Kaufleute zu sich kommen und zeigte ihnen, welche Gewinne sie in
der Stadt gemacht hätten, sie sollten deshalb die Stadt fördern und nicht
schädigen und ihren Waid nur an die Londoner verkaufen. Die Fremden
wohl wissend, dass der Burgermeister sich auf ungesetzlichem Boden mit
diesem Ansinnen befand, antworteten stolz, sie würden für ihren V ortheil
jeden Platz aufsuchen, und gingen in spottender Weise weg. Der Lord
Major berief darauf einen gemeinsamen Rath im Monat August, und in
diesem wurde beschlossen, dass kein Bürger irgendwo mit gewissen Frem-
den, als „Anthony Bonvizi, Lorenzo Bonvixi, Anthony Vivaldy, Anthony
Caveler, Franc, de Bardi, Thomas Calvicante" etc. handeln oder verkehren
dürfe, bei Verlust seiner Stadtfreiheit. Wirklich hatte diese Verordnung
Erfolg, indem sich die Italiener und sonstige Fremden mit den Londonern
zu vergleichen suchten. 17 Henr. VIII. Hall, Chronicle S. 718.
*) In dem zu Bologna geführten Dialog des Erziehers Eduards VI.,
W.Thomas heisst es: „Yea butwhat meaneth it, said they, that your nation
supporteth no strangers, as by daiiy proofitis right weil seen! When an
outlandish man passeth by, you call him whore son, knave, dog and other
like. This seemeth unto-us a very barbarous part.
I shall teil you why, said I. In times past our nation hath practised
as little abroad in stränge countries as any nation of the world; and the
commoditie8 of our country are so great, that the ignorant persona, seeine
strangers resort unto them for traffic, and, as it iß true for gain, imagined
they came not to buy their commodities, but to rob them, and that they,
who so used to traffic, for lack of living in their own countries applied
merchandize of England as of necessity. But at this day it is all other-
wise; for like as your merchants do praetdse in England, so our merchants
do now traffic abroad and by travel have attained such knowledge of civi-
lity, that I Warrant you, those strangers, who now repair into England, are
as well reeeived and seen and as much made of as in any other kingdom
of all Europe, especially in the Prince's Court and among the nobles, where
surely hath evermore been seen all hon our and courtesey." Thomas, The
Klgrim 1546, hsg. von Fronde London 1861. S. 6. Mit dieser Aeusserung
ist zu vergleichen der Ausspruch des venezianischen Gesandten Soranzo, der
in seiner Relation vom 18. Aug. 1454 sagt: „Li nobili per loro natura sono
molto cortesi e massime colli forestieri, ma i popoli sono superbissimi ed
inimicissimi coi forestieri, parendo loro, che quella utilita cne cavano li
mercanti di fuori del regno, sia loro tolta, e immaginando, che senza ii
commercio da per loro potrebbero vivere." Alb er i, Relazioni Ser. I.
Vol. III. S. 52. Dem ganz entsprechend blieb auch das Common Law von
einer fremdenfeindlichen Tendenz wie früher beherrscht. Ein Jurist der
Ehsabethschen Periode, der die Errichtung eines neuen Amtes zur Ueber-
wachung der Fremden verlangte, legte das in einer Denkschrift ausführlich
dar. Fortwährend kehren in derselben Sätze wieder, wie: „The law will
not, that trust shouid be putt in hym (alien), whom the lawe supposethe
not trostworthy." „It weare no good politye to put confidence in straungers*
u. s. w. Br. M. Harleian Ms. 7021 fo. 22.
— 432 —
Rückblick.
Die vier Perioden, welche wir unterschieden, sind nicht
blos willkürliche Zeitabgrenzungen, sondern sie characterisiren
sich als innerlich verschiedene Phasen der Entwicklung.
Die erste Periode, welche etwas über 500 Jahre (750—1272)
umfasst, ist die Zeit, in welcher England gleich allen Staaten
Mittel- und Nordeuropas aus der Isolirung herauszutreten be-
ginnt Unter dem belebenden, die Völker einander nähernden
Hauch der Kreuzzüge minderte sich allerwärts die Kluft,
welche die verschiedenen Nationen trennte. An Stelle der
Rechts- und Schutzlosigkeit des fremden Kaufmanns gelangte
allmälig ein anderes System zur Herrschaft. Die Ausländer
traten in den Schutz des Gebieters und der ihn unterstützen-
den Grossen. In England vollzog sich dieser Umschwung
hauptsächlich unter den ersten Königen aus dem Hause Plan-
tagenet.
Die zweite ungefähr 100jährige Epoche (1272—1377) zeigt
ein ganz entschiedenes Fortschreiten auf der eingeschlagenen
Bahn. Die Einführung der Verkehrsfreiheit, die Gleichstellung
der Fremden mit den Einheimischen war das Ergebniss. Durch
das Interesse der Könige und Lords, sowie durch die Einsicht,
dass die fremden Kaufleute für das ganze Land von Nutzen
seien, war diese Politik hervorgerufen und begründet worden.
Nichtsdestoweniger litt sie an einer gewissen Einseitigkeit.
Die städtischen Rechte, welche in der Staatsverfassung wurzel-
ten, waren in rauher Weise verletzt, den bürgerlichen Inter-
essen war nicht die gebührende Rücksicht geschenkt worden.
Die Städte machten deshalb Opposition, die Könige und der
Adel blieben aber zunächst und in der Hauptsache Sieger.
In der dritten Periode (1377—1461) dagegen gelingt es,
dem mächtig emporstrebenden Bürgerthum seinen Ansprüchen
Geltung zu verschaffen. Im Princip wird der Kampf unter
Richard II. und Heinrich IV. zu Gunsten der Städter ent-
schieden; das Gästerecht gelangt in Kurzem auf seinen Culmi-
nationspunct, seine Aufrechterhaltung scheitert aber an dem
lebhaften Verkehr. Ein grosser Theil der fremden Kaufleute
muss sich zwar höheren Steuern und Zöllen unterwerfen, ver-
mag aber den eigentlichen Beschränkungen des Gästerechts
sich zu entziehen.
Das Charakteristische der vierten Periode (1461—1547)
ist, dass die Fremdenfrage auf das gewerbliche Gebiet sich
hinüberspielt. Die fremden Gewerbscolonien, die in England
sich gebildet und durch ihre eximirte Stellung in den grös-
seren Städten, vor Allem in London sehr gewachsen und durch
ihre Concurrenz den Bürgern unangenehm geworden waren,
— 433 —
drängten zum Eingreifen. Diese Angelegenheit beschäftigte
bereits Eduard IV. und Richard HI., sie rückte noch mehr in
den Vordergrund unter den beiden ersten Tudors. Schwere
Gährungen nöthigten sie, die Ausnahmestellung der ausländi-
schen in England angesiedelten Gewerbsleute zu beseitigen
oder doch wesentlich zu beschränken. Heinrich VII. und VIII.
weigerten sich dagegen vielfach, den städtisch -bürgerlichen
Interessen ihren Arm auch dann zu leihen , wenn es sich um Be-
schränkung der fremden Kaufleute handelte. Um so wuchtiger
wurden die Stimmen gegen die letzteren unter den Nachfolgern
auf dem Throne. Das Resultat war nicht sowohl eine Ver-
schärfung des Fremdenrechts, die nur in engen Grenzen mög-
lich und von geringer praktischer Tragweite gewesen wäre, als
die Beseitigung der letzten Reste der privilegirten kaufmänni-
schen fremden Golonien. Durch Aufhebung der hansischen
Freiheiten in Verbindung mit der Eingliederung der fremden
Gewerbsleute streifte das englische Staatswesen zwei der be-
deutendsten mittelalterlichen Eigenthümlichkeiten ab, und er-
langte die Homogenität, welche man schon länger erstrebt
hatte. England war eine geschlossene, einheitliche wirt-
schaftliche Macht dem Auslande gegenüber geworden.
An dem Beispiel und mit Hilfe der Fremden hatten sich
die Engländer emporgearbeitet, bis sie sich stark genug fühlten,
um deren Joch abzuschütteln und in deren Rolle selbst ein-
zutreten. Der auswärtige englische Handelsverkehr ruhte
nun auf der Nation selbst. Mit voller Kraft konnte sich jetzt
die Initiative und Expansionslust ihrer Kaufleute entfalten und
der Wettkampf mit dem Ausland im wahren Sinn des Worts
beginnen. N
So stellt sich uns die Entwicklungsgeschichte' des engli-
schen Fremdenrechts nicht nur als ein Kennzeichen dar für
die Rotte, welche das städtische Element im englischen Ver-
fassungsleben spielte, sondern auch als ein deutlicher Indicator
für die Veränderungen in den commerciellen Verhältnissen und
handelspolitischen Anschauungen selbst.
Seil ans. Engl. Handelspolitik. I. 28
Viertes Capitel.
Der Industrieschutz.
Im Handel war die englische Nation, wie wir geseheu
haben, durch mehrhundertjährige Anstrengung selbständig ge-
worden oder war doch unter Heinrich VIII. diesem Ziel äusserst
nahe. Im Gewerbe strebte sie nach der gleichen Unabhängig-
keit. Ein bedeutsamer Schritt hiezu war schon geschehen in
der im vorigen Capitel geschilderten allmäligen Eingliederung
oder Aufsaugung der in England lebenden fremden Gewerbs-
colonisten. Ein weiterer kam hinzu im Industrieschutz oder
in der Regelung der Ein- und Ausfuhr der Waaren, welche
eine Begünstigung der einheimischen Gewerbsproducte und
Gewerbsproducenten gegenüber den ausländischen bezweckte.
Unsere Aufgabe ist, diesen den internationalen Verkehr beein-
flussenden Massregeln der englischen Politik zu folgen, den
Umfang derselben und die denselben zu Grunde liegenden
Tendenzen darzulegen.
Wir beginnen mit derjenigen Industrie, welche nicht nur
nach dieser bestimmten Seite hin, sondern überhaupt in dem
englischen Gesammtgewerbe die wichtigste Stellung einnahm,
mit der Tuchindustrie.
Wir hatten schon öfter Gelegenheit, auf den Reichthura
Englands an feiner Wolle hinzuweisen. Sein Klima wie sein
im Mittelalter nothwendig extensives landwirtschaftliches
Betriebssystem waren der Production dieses dem Tuchgewerbe
unentbehrlichen Rohstoffs besonders günstig. Die Wolle in
Verbindung mit der Schiffahrt sind denn auch der Ausgangs-
punkt und die Quelle des englischen Reichthums geworden,
und mit Recht konnte ein Politiker des 15. Jahrhunderts an
die Spitze eines Pamphletes das stolze Motto stellen: „Anglia,
propter tuas naves et lanas omnia regna te salutare
— 435 —
deberent" l). Eben diese Fülle an Wolle rausste auch den An-
stoss zur Verarbeitung geben. Den ei-sten Unterricht hiezu
verdankten die britischen Inselbewohner den Römern, die in
Yorkshire und zu Winchester Tuchmanufacturen zur Bekleidung
ihrer Armee errichteten 2). Zur Zeit der angelsächsischen Kö-
nige bestand eine nicht ganz unbedeutende Hausindustrie3),
Wichtig für die Weiterentwicklung des Tuchmachergewerbes
wurde dann in der Folgezeit der Contact und die Einwirkung
der gewerbskundigen Flamänder. Mit Wilhelm dem Eroberer
kamen viele vlämische Weber nach England und Hessen sich
in Norwich nieder4); beim Einbruch der See im Jahre 1111
zog Heinrich I. gleichfalls eine grosse Menge derselben dahin6).
Im 12. und 13. Jahrhundert mehren sich denn auch die Belege
filr das verbreitete Vorkommen der Tuchmachergewerbe6).
Der Beobachtungssatz, dass ein Volk zur ausgedehnteren und
successive feineren Verarbeitung seiner Rohstoffe schreitet,
wenn ein anderes, höher cultivirtes, in seine unentwickelten
Verhältnisse eingreift 7), bewährte sich auch hier. Jahrhunderte
lang hat die englische Tuchmanufactur durch niederländische
Colonisten immer neue Nahrung und Erfrischung erhalten.
Zunächst war aber die Industrie noch vollständig auf die
Fertigung der ordinärsten Sorten gerichtet, und die Haupt-
masse der Wolle wurde an den Continent abgegeben. Von
dort, besonders von den Niederlanden, bezog man die feineren
Tücher8).
Nur sehr langsam und allmälig konnte hierin eine Aen-
derung eintreten. Das Wachsthum der Bevölkerung, das Ein-
flussreicherwerden der Städte, das Abstreifen der rauhen Sitten
*) Political poems and songs relating to English history composed
diiring the perioa from the accession of Edward III. to that of "Richard III.
Ed. Thom. Wright. Vol. II. S. 283.
*) James, History of the Woreted-Manufacture in England 1857.
«) A. a. 0.
*) A. a.0.; vgL auch Varenbergh, Relations diplomatique entre le
Comtä de Flandre et l'Angleterre au moyen äge S. 54, 55.
? Varenbergh a. a. 0. S. 66.
- - — - - -- - -
, 1180 zahlte Robert Iß £ für die Webergilde in London an den
Eichequer, die Weber von Oxford zahlten 2 Mark, um eine Gilde zu er-
balten, die Weber von Huntingdon 40 sh, die von Lincoln 1 Mark Gold,
1210 hatten Walker und Färber in Lincoln mit der Stadtbehörde Streit.
Hunt er, Magnum Rotulum Pipae de anno 81° reoni Henrici primi 1888.
S. 2, 48, 109, 144. Piacitorum in Domo Capitulari Westmonasteriensi
asservatorum abbreviatio : temporibus regum Ric. I., Joh., Henr. HI., Ed. L.
Ed. IL London 1811. S. 65; vgl. auch Hardy, Rotuli Chartarum in turn
Londoniensi asservati 1887. Bd. I. P. I. S. 89, 94, 218.
*) W. Röscher, Studien über die Naturgesetze, welche den Stand-
ort der Industriezweige bestimmen. Deutsche Yierteljahrsschrift. 28. Jahrg.
1865. L Abth. 2. Heft. S. 184.
*) Matt h. West m. sagte deshalb rühmend in seinen Flor, bist ad an.
1265 -. „Tibi (o Anglia) de tua materia Testes pretiosas tua textrix Flandria
texuit.*
— 436 —
waren die Voraussetzung. Diese Momente waren in der That
wirksam; besonders wichtig war, dass zahlreiche Städte im
12. und 13. Jahrhundert Freibriefe und dadurch eine grössere
Selbständigkeit erlangten1). Aber auch die Massnahmen der
englischen Regierung hinsichtlich der Ein- und Ausfuhr blieben
nicht ohne Einfluss.
Der erste hieher gehörige Regierungsact von grösserer
Bedeutung fällt in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts; er
ging von dem willenskräftigen Grafen von Leicester, Simon
von Montfort aus. Während des yon ihm geleiteten Kriegs
der Barone gegen den König verbot er das Tragen aller
wollenen Tücher, die ausserhalb des Reichs verfertigt waren.
Die Massregel hatte ihren Grund in politischen Erwägungen.
Es galt, auf Flandern, woher ein Angriff zu erwarten stand,
einen Druck auszuüben. Natürlich litt auch England darunter.
In Folge der Handelssperre entbehrte man des Waids und
war gezwungen, nur weisse Tücher zu tragen. Obwohl Simon
v. Monfort darüber ganz entzückt gewesen sein soll, so waren
die Engländer doch nicht gewillt, auf jeden Luxus zu ver-
zichten, nach kurzer Zeit wurde das Verbot wieder aufgehoben.
Immerhin ist bemerkenswerth, dass bei dieser Gelegenheit der
Satz ausgesprochen wurde, England könne hinreichend zum
eigenen Auskommen produciren und bedürfe keiner Zufuhr
durch Fremde2). Damit war doch der Gedanke, die Idee des
Industrieschutzes einmal hingeworfen.
Freilich konnte von einer consequenten eigentlichen
Industrieschutzpolitik damals noch keine Rede sein. Die ein-
heimische Tuchindustrie vermochte unmöglich sich so rasch
auszudehnen, dass sie die erstaunlichen Mengen inländischer
Wolle hätte verarbeiten können; die Lords und Geistlichen
als die Hauptproducenten von Wolle3) waren nicht gesonnen,
ihren Absatz einschränken zu lassen und auf die hohen von
den Fremden gezahlten Preise zu verzichten; die Könige selbst
endlich waren nicht in der Lage, auf die Haupteinnahmequelle,
die Wollzölle, zu verzichten.
So blieben zunächst die politischen Factoren bei Behin-
derung der Ein- und Ausfuhr massgebend. Je häufiger aber
diese wenn auch nur kurz andauernden Verbote des Tuch-
') Stubbs, Constitution**! history of England I. S. 628.
*) Sim. v. Monforts Worte waren : „quod sine commeatu «xfraneorum
posaunt indigenae bonifi propriis suBtentan." Pauli. Geschichie von Eng-
land 1IL S. 785.
*) In der Mitte des 18. Jahrhunderts betheiligten sieh nicht weniger
als 102 Abteien am Wollexport; vgl. Varenbergh, Relation* diplomatique«
S. 152, 214. Der Orden der Cisterzienser producirte am meisten; vgl.
Smith, Memoire of wooi. I. S. 16. Die Florentiner bezogen um 1315
Wolle von c. 200 englischen und schottischen Conventen; Peruzzi, Storia
del commercio e dei banchieri di Firenze S. 71 fg.
— 437 —
imports und der Wollausfuhr wiederkehrten *), um so näher
wurde auch der Gedanke des Industrieschutzes gerückt, um
so schärfere Gestalt musste derselbe gewinnen. Es kam zwar
vor, dass die Könige aus politischen Erwägungen sich zu
Schritten drängen Hessen, welche die Tuchindustrie sogar
schädigten, aber theils wurden solche immer seltener, theils
schufen die Herrscher immer mehr Massregeln, welche ganz
bestimmt einen Schutz, eine Förderung des Gewerbes be-
zweckten. Während noch Eduard I. 1304 die Flamänder aus-
nahmslos vertrieb, um dafür als Gegenconcession die Verban-
nung der Schotten aus Frankreich zu erlangen *), nahm schon
Eduard IL in gleichem Fall (1315) diejenigen Flamänder aus,
welche englische Frauen hatten *), verbot ferner 1326 die Aus-
fuhr der zum Tuchmachen nöthigen Materialien, sowie der
Karden und Farberde4). Weiter ging wieder Eduard III.
Unter ihm sind diesbezügliche Massregeln noch häufiger, als unter
den Vorfahren. Bei vielen derselben lagen keine rein industrie-
politischen Motive zu Grunde, aber der Effect derselben lief
doch auch auf eine Beförderung der Industrie hinaus.
Hieher gehören zunächst die zahlreichen Verbote der Aus-
fuhr von Wolle sowie von Häuten und Fellen5). Sie dienten
meist nur Steuerzwecken, sei es um zu verhindern, dass
die Wolle ausgeführt werde, bevor die Steuer in natura er-
hoben war, sei es, um dem König für die ihm bewilligte
Wolle einen guten Verkaufspreis zu sichern6). Nur insofern,
als den Niederländern und andern Nachbarn der Preis erhöht,
der Bezug des Rohstoffs längere Zeit vorenthalten und dadurch
die Productionsbedingungen erschwert wurden, waren diese
Verbote auch für die industrielle Entwicklung Englands nicht
gleichgültig. Einen bereits ausgeprägteren handelspolitischen
Charakter hatte das Verbot, englische Widder nach dem Con-
tinent zu verschiffen (1338) 7); doch beschuldigt man Eduard III.,
dass er selbst dem König von Spanien eine Heerde Schafe
x) So bereits unter Heinrich III. (1271) und unter Kduard I. (1274).
Varenbergh, Relations diplomatiques S. 138, 139.
*) Varenbergh, Relations diplomatiques S. 203.
8) Varenbergh, Relations diplomatiques S. 274.
*) „Royal letter to theMayor of London as to prohibiting the export
of matenals for making cloth und writt forbidding the exportation of te-
asels and fullers earth." Riley, Memorials of London S. 149.
5) Solche wurden z.B. erlassen 12. Aug. 1336; 10. März 1338; 27. Sept.
1362; 31. Jan. 1363; 1. Sept. 1375. Rymer (Rec. Ed.) II. P. II. S. 943,
1022; III. S. 677, 760, 1039; sieh auch 15 Ed. III. c. 5.
*) Rymer V. S. 66, 73; 11 Ed. III. c. L Knighton, De eventibua
Angliae 1652 col. 2570; auch Stubbs, Const. hist. of England III. S. 414,
525-28.
7) In der Begründung heisst es: „ad nostrum pervenit auditum, quod
diyersi homines de partibus exteris, tarn mercatores quam alii, diversos
arietes vivos infira Tegnum nostrum emerunt et eos usque ad dictum portum
duxerunt et ultra mare ad dictas partes exteras in fraudem et aeterio-
— 438 —
geschenkt und dadurch den Grund zur Verbesserung der spa-
nischen Wolle gelegt habe (1348) *). Die Inhibirung des Ex-
ports von Wollengarn (1376) war gleich der vorigen Massregel
neu, sie war aber nicht von den Webern, sondern den Rittern
und Kaufleuten von Wiltshire, Bristol, Sommersetshire Glou-
cestershire und Dorsetshire angeregt worden; dieselben hatten
geltend gemacht, dass der König durch den steigenden Garn-
export nach der Normandie und Lombardei in seinen Zöllen
zu kurz komme, die Spinner nicht bei der Getreide- und Heu-
ernte helfen wollten, ihre grosse Mehrung eine Gefahr in sich
berge2). Auch das Gesetz, dass kein Tuch exportirt werden
dürfe, welches nicht zuvor gewalkt worden sei (1337) 3), ver-
dankte seine Entstehung zunächst nicht industriepolitischen
Gründen, sondern Steuerzwecken4); doch spielten erstere
herein, sonst hätte man doch wohl nicht gleich zum Ausfuhr-
verbote, sondern zur angemessenen Verzollung der ungewalkten
Tücher gegriffen. Das Statut, welches das Tragen und die
Einfuhr fremden Tuchs für unstatthaft erklärte5), wurde wohl
nur kurze Zeit beobachtet, jedenfalls aber der Import den
Fremden leicht gegen Licenz gestattet6). Dass der König
nicht anstand, wenn andere Rücksichten es geboten, die Tuch-
industrie sogar zu drücken, dafür haben wir einen Beleg in
der Schaffung des Tuchzolls *) und in dem gelegentlichen gänz-
lichen Verbot der Tuchausfuhr8).
Nichtsdestoweniger würde es unrichtig sein, wenn man
glauben wollte, die Beförderung der englischen Tuchindustrie
habe Eduard III. fern gelegen. Seine in grösserem Massstab
versuchte Colonisation ist der sprechendste Gegenbeweis. Als
man in Flandern die Weber auf den Dörfern und in den
kleinen Städten sehr belästigte9), überhaupt das Tuchmacher-
gewerbe unter den fortwährenden Gährungen und Unruhen
rationem pretii lanae infra regnum nostrum praedictum et emendattonem
lanae in uictis partibus exteris ducere intendunt, quod, si toleraretur, in
nostri praejudiciam et totius populi regni nostri dampnum et jacturam
cederet manifeste. u R y m e r V. S. 86.
l) Macpherson, Annais of commerce I. S. 539.
*) Die Petenten nannten die Spinner ,1a plns fols da corps" ; sie hatten
verlangt, dass das Wollgarn gar nicht mehr zum Verkauf ausgestellt, son-
dern nur zum Tuchmachen verwendet werde; der König verbot aber nur
die Ausfuhr. Rot. Pari IL S. 358.
') 51 Ed. IIL c. 7.
*)Rot Pari. H. S. 869. 370.
*) 11 Ed. III. c. 2, 8. Statutes of the realm L S. 280; der König
und die königl. Familie durften jedoch fremde Tücher tragen.
•) Vgl. z. B. Rvmer V. S. 78.
') Rot Pari. IL 8. 168.
8) Rymer (Rec. Ed) UL P. IL S. 688.
»j Die Weber von Gent, Ypern, Brügge waren es namentlich, weiche
den kleinen Städten das Tuchmachen wehrten. Sie wollten auch nicht
dulden, dass Fremde in Brügge englische Wolle .kauften und von da weg-
— 439 —
stark litt1), Hess Eduard III. die Unzufriedenen auffordern,
nach England zu kommen. Mit kräftiger Hand schützte er
Diejenigen, welche seinem ßufe folgten, gegen die eifersüch-
tigen englischen Weber2). Wie wohlthätig dieser Zufluss sein
musste, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, in welch
einseitiger und monopolistischer Weise die Londoner Weber
unter Eduard II. sich geberdeten. Sie sollen es dahin gebracht
haben, dass von 300 Webstühlen in London nur 80 in Thätig-
keit waren8).
Man hat längst der Meinung entsagt, als ob Eduard in.
der Begründer der englischen Tuchmanufactur gewesen, und
auch unsere Angaben zeigen, dass das irrig ist 4). Wohl aber
darf man behaupten, dass er durch seine Colonisation den An-
stoss zur Blüthe der Worstedmanufactur in Norfolk gegeben ö),
und überhaupt der Manufactur feiner Wolltücher Vorschub ge-
leistet hat. Seit Eduard III. begann der Export englischen
Tuchs sich zu entwickeln6), unter ihm wurden die Engländer,
wie Füller richtig bemerkt, sich des grossen Gewinnes bewusst,
den namentlich die Niederlande aus der Verarbeitung der
englischen Wolle zogen 7), unter ihm, fügen wir bei, wurde, so
wenig consequent seine Industriepolitik auch war, das Ziel
aufgestellt, nach dem man zu streben hatte.
Die nächsten Nachfolger Eduards III. verhielten sich jedoch
noch vorwiegend passiv. Nur einzelne Massnahmen derselben
waren geeignet oder sollten doch dazu dienen , die Tuchindustrie
zu fördern. Ich rechne hieher die Gesetze, denen zufolge kein Tuch
fahrten. Vgl. Rot Pari. II. S. 142, 149, 202. Diegerick, Inventaire
des archives de 1& ville d'Ypre Nr. 818, 360, 363; ferner 879, 516, 577,
680, 857, 882. 1100, 1108, 1124, 1144, 1148, 1167; 1363, 1365, 1867, 1370,
1394> 1395, 1396 etc.
') Als die vläm. Grossstädte die Löhne für die Walker reduciren wollten,
kam es zu Thatiichkeiten (2. Mai 1845), wobei 500 Handwerker getödtet
worden. Graf Ludwig hetzte noch die Walker gegen die Weber auf, weil
diese es mit den Engländern hielten; 1849 kam es abermals zum Zusammen-
stoss, wobei 600 Weber getödtet und noch viele hingerichtet wurden.
Longman, History of life and times of Edward III. Bd. L S. 284. 817,
*) Rymer IV: S. 496, 723, 751; V. S. 429; (Rec Ed.) H. P. H.
S. 849: ffl. P. L S. 299. Die Erlasse sind vom 28. Juli 1881, 12. Dez.
1386; 3. Mai 1837; 12. Oct 1344; 30. Jan. 1383; 4. Mai 1855; sieh ferner
11 Ed. III. c. 1-5.
*) Liber Gustumarum ed. Riley S. 416 fg.
*) Sieh oben S. 435; in Northampton waren 1384 800 -overours de
drap"; freilich wissen wir nicht, ob und wieviel darunter auch Golonisten
waren. Rot Pari. II. S. 85.
') Vgl James, History of the Worsted-Manufacture in England 1857.
•) BdTlL S. 18.
') „The king and State began now to grow sensible of the great gain,
the Netherlands got by our English wooll, in memory wherof the duke of
Burgundy not long alter instituted the order of Golden Fleece, wherein
indeed the Fleece was our's, the golden their's, so vast their emolument
hy the trade of clothing." Füller, Church history S. 110.
— 440 —
zum Verkauf ausgestellt werden durfte, das nicht vorschrifts-
mässig gefertigt war ]), femer das Statut, welches bestimmte, dass
die Engländer nur für das Stapel und zum Tuchmachen, nicht
aber zum Wiederverkauf Wolle kaufen sollten*). In wie weit
beide Gesetze wirklich ausgeführt wurden, dafür fehlt es an
Anhaltspunkten. Unter Heinrich VI. erneuerte man wieder
und zwar unter Motivirung des Schadens, der aus einer Ver-
mehrung und Verbesserung der continentalen Heerden dem
König, den Zöllen und den Staplern erwachsen könne, das
Verbot der Schafausfuhr, als dasselbe in Vergessenheit zu ge-
rathen schien 3). Ein Gleiches geschah hinsichtlich des Garns 4).
Seine Ausfuhr wurde untersagt, und festgesetzt, dass auch
Niemand Wollengarn kaufe, es sei denn, um Tuch daraus zu
machen. Eine Petition gegen die letztere Bestimmung wies
der König zurück5). Ebenso beugte man der Umgehung des
Garnausfuhrverbots vor0). Dieselbe wurde durch die sogenann-
ten „thrums" bewerkstelligt. Wie heute noch 7); so war auch
damals das Garnmetzen üblich. Die Weber schnitten, wenn
sie ein Tuch zu Ende gearbeitet hatten, den unverwobenen
Faden ab und verkauften diese Reste an Leute, welche sie
wieder nach Flandern und andern Landein exportirten. Diese
Garnreste zahlten als Zoll die einfache Subsidie undCostume*).
Es ist nur zu leicht erklärlich, wenn man in dßr Form der
„thmms" Garn ausführte und die hohen Wollzölle umging.
Eine Denkschrift schätzt diese Garnausfuhr gleich 500 Säcken
Wolle9). Aber auch hier muss es auffallend erscheinen, dass
man statt des Verbotes nicht einen dem Wollzoll entsprechen-
den Steuersatz für die „thrums" aufstellte, ähnlich wie man es
früher auch mit dem Tuch gethan hatte 10). Es möchte da
doch die Erklärung nahe liegen, dass auch industriepolitische
Motive von Einfluss waren.
Wichtiger als all diese Gesetze war für die Förderung der
Tuchindustrie, dass die Woll- und Wrollfellexportzölle mit Be-
nutzung der hiezu vorzüglichen Stapeleinrichtung rasch erhöht
*) Sieh unten Capitel 8.
*) 14 Ric. IL c. 4.
8) 3 Hen. VI. c. 2 (1425); unter schweren Strafen wurde die Ausfuhr
von Widdern, Lämmern und Schafen wieder verboten 1566. 8 £1. c 3.
*) 8 Hen. VI. c. 23 (1429); 23 Hen. VI. c. 2 (1444,5).
*) Rot. Pari. IV. S. 378 (1430/31).
6) Rot Pari. IV. S. 360; 8 Hen. VI. c. 23; 28 Hen. VI. c. 2.
T) Carl Röscher. Zur Kritik der neuesten wirthschaftlichen Ent-
wicklung im Deutschen Reiche. Gutachten im Auftrage der Handels- und
Gewerbekammer zu Zittau. 1877. S. 57—63.
*) this yarn „is not custumede aftir the price of such woll, but oonW
after the price of thrumes or of grete wollen yerne." Rot Pari. v.
S. 104.
l) Br. M. Harl. Ms. 187».
10) Rot Pari. IL S. 168.
— 441 —
wurden, wogegen die Tuchzölle auf dem früheren geringen
Stand verharren durften l). Während zur Zeit Heinrichs VII.
und VIII. der Wollzoll hei Stapelkaufleuten ungefähr 33%, bei
Nichtstapelkauf leuten 70% desWerthes betrug, war der Tuch-
zoll für Einheimische und Hansen nicht ganz 2 % , und für
Fremde nicht ganz 8% des Werths*). Und diese grosse
Differenz dauerte fort bis 1557! Nimmt man noch hinzu, dass
auch die Transportkosten, Lagergelder, die grossen Unternebmer-
gewinne der Stapler vom Auslande getragen werden mussten,
ferner, dass selbst der geringe Tuchzoll vielfach umgangen
wurde3), so begreift man den Ungeheuern Vorsprung, den die .
englische Tuchindustrie gegenüber den Nachbarländern hatte.
Diese, besonders die Niederlande, sahen sich denn auch immer
mehr genöthigt, andere als englische Wolle, leichtere und ge-
ringere Qualitäten zu verarbeiten 4). Nichtsdestoweniger wurde
die englische Concurrenz immer empfindlicher. Das englische
Tuch war ein Weltartikel geworden. Wir hatten fcchon im
ersten Capitel des ersten Abschnittes Gelegenheit, darauf hin-
zuweisen, wie eben deswegen seit Beginn des 15. Jahrhunderts
eine mächtige Reaction in den Niederlanden gegen das eng-
lische Tuch sich erhob, und wie der Kampf beider Concur-
renten um diese Zeit heftig entbrannte6). Es dürfte hier der
Platz sein, das beiderseitige Bingen etwas näher zu verfolgen.
In Flandern war es in der älteren Zeit gar nicht gestattet,
englisches Tuch zu verkaufen. Dies mu6s man schon daraus
schliessen, dass die grossen flandrischen Centren der Tuch-
manufactur nicht einmal die Industrie in den kleinen flandri-
schen Städten und auf dem Lande dulden wollten, sondern seit
dem Anfang des 14. Jahrhunderts mit aller Macht bekämpften 6).
Meist genügten auch die gegen die Landindustrie gerichteten
Erlasse, um dem Versuch, fremdes oder englisches Tuch zu
verkaufen, entgegenzutreten7). Es scheint, als ob man selbst
') Schon Wheeler, der Secretär der Merchant adventurers, machte
auf dieses Moment aufmerksam. Treatise of commerce 1601. S. 88. — Na-
mentlich gelang es den Hansen und Engländern, das Tuch vom Subsidien-
loll frei zu halten; vgl. 31 Hen. VI. c. 8 (1458).
*) Bd. II. S. 6.
*) So wird erzählt, dass die Ausländer bedeutende Mengen Tuch
kauften, daraus Kleidungsstücke machten und diese abgabenfrei ausführten.
11 Hen. IV. c. 7.
*) „sleightes laines*. Rot. Pari. IV. S. 251 (1423); die Engländer
waren sehr ungehalten über das Eindringen fremder Wolle: de verlangten
wiederholt von den Flamändero, entweder nur englische Wolle zu verarbei-
ten oder den englischen Tüchern Eingang zu gestatten. Rot. Pari. IV.
S. 126, 146 (1420/1). Sieh auch oben S. 68.
*) S. 7.
e) Sieh oben S. 438, 439.
7) So heisst es in der Ordonnanz für Gent 1314 ganz allgemein, dass in
Gent oder (!) in den Hallen keine Tücher verkauft werden dürften, die nicht
in der Stadt gemacht oder gewalkt worden seien. Diegerick, Inventaire
des archives de la ville d'Ypre. Nr. 813.
— 442 —
in dem Handelsemporiuiu .Brügge nicht nur die Weiterver-
arbeitung und das Tragen englischer Tücher, sondern auch
den Verkauf im Grossen und an Fremde vor 1470 nicht ge-
stattete. In einer Petition der englischen Gemeinen von 1420
wird erwähnt, dass ein Vertrag zwischen Flandern und Eng-
land existire, worin der Graf von Flandern sich verbindlich
gemacht, den Bezug von Wolle aus Schottland, Aragonien.
Catalonien und Spanien einzustellen, wogegen die Engländer
dem flandrischen Verbot entsprechend keine englischen Tücher
in Flandern einführen wollten l). Ebenso wird in einer nieder-
ländischen Verordnung von 1434 hervorgehoben, dass seit ur-
alter Zeit die englischen Tücher verboten seien *). In Brabant,
Holland und Zeeland lag die Sache anders. Hier hatten die
englischen Tücher ungehinderten Eingang, sie durften im De-
tail verkauft, sie konnten verarbeitet und getragen werden8).
Es war ja dies der Hauptgrund, weshalb die englischen Kauf-
leute seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts Flandern mehr
und mehr den Rücken wandten und in Antwerpen sich fest-
setzten. Als aber diese Uebersiedlung grössere Dimensionen an-
nahm, und in Folge dessen der Tuchimport in diesen Gebieten
sich mehrte, da wurden auch hier die Industriellen unwillig
und wollten sich nicht im Interesse Antwerpens geopfert wissen.
Diese erwachende Opposition in Brabant. Holland und
Zeeland traf mit den immer stürmischer werdenden Klagen der
vlämischen Städte zusammen. In den dreissiger Jahren des
15. Jahrhunderts gelangte die Missstimmung zum offenen Aus«
bruch. Den Anlass gaben die Stapler. Diese waren immer
bestrebt, den Preis der Wolle in Calais möglichst in die Höhe
zu schrauben, und hielten strenge darauf, dass das Stapelrecht
nicht durchbrochen werde. Sie mussten dies schon um des-
willen thun, weil sie sonst ausser Stande gewesen wären, den
hohen Wollzoll zu tragen. 1432 hatten sie im Parlament eine
Verschärfung der Strafe für diejenigen durchgesetzt, welche
mit Umgehung des Stapels in Galais und der Zölle Wolle di-
rect nach den Niederlanden brachten und dadurch die Woll-
preise tief herabdrückten*). Das Gesetz zeigte sich wirksam,
') „et nnlles draps d'Engleterre serront amesnez en les ditz parties de
Flaunares sur peyne de forfaire les ditz draps d'Engleterre; laquell ordi-
nance de draps se tient unquore en Flaundres" Rot Pari. IV. S. 126;
▼gl. auch a. a. 0. S. 146.
*) Urk. Beil. 171.
*) Urk. Beil. 171. Dies behauptet auch ausdrücklich eine Instruction
des endischen Königs von 1449. Nicolas, Proceedings and Ordinances
of the Privy Council VI. S. 70, 80. Ganz in Uebereinstunmnnp mit diesen
Äusserungen steht die 1421 im englischen Parlament an die Regierung
gestellte Forderung, dahin zu wirken, dass «les draps mitz en Engtaterre
pourront avoir coors d'estre mys an vende dedeins la dite paus de Flandren
si come üb sont en Brabant, Holande, Gelände et autres contres et paus
an mesme celni paus de Flandres adgisans." Rot ParL IV. S. 146.
*) Rot Pari. IV. S. 410.
— 443 —
die Stapelkaufleute dictirten wieder den Preis. Die Unter-
handlungen der vlämischen Städte mit ihnen blieben ohne Er-
folg1). Die heimische Industrie war in Gefahr. Es war ganz
natürlich, wenn nun in ganz Burgund der Ruf gegen das eng-
lische Tuch erscholl. England sollte Wolle liefern, aber kein
Tuch machen. Dieser Concurrent musste vernichtet werden,
damit die Niederländer wieder billig die Wolle beziehen konnten
und als einzige oder Hauptconsumenten den Markt beherrschten.
Dazu war vor Allem nöthig, dass auch die östlichen Theile der
Niederlande dem englischen Tuch den Weg versperrten.
Die Regierung erliess 1434 ein Verbot gegen die eng-
lischen Tücher, vermuthlich das erste, das für ganz Burgund
Geltung hatte *). Um dasselbe zur Wahrheit zu machen, hatten
Brügge, Gent, Ypern und Le Franc mit den Hansen sich da-
hin verständigt , dass diese auf ihr Privileg der freien Durch-
fuhr englischer Tücher bis auf Weiteres verzichteten 3). Die
Durchführung erwies sich trotzdem schwer. Man scheute, als
die Vorschläge der flandrischen Städte wegen der Wolle eng-
lischerseits abermals zurückgewiesen wurden4), auch die strengsten
Massregeln nicht. Man schärfte die Verordnung wiederholt
ein, ergänzte sie und schuf ein sehr lästiges Controlsystem 5).
Seit der Herzog von Burgund sich mit Frankreich ausgesöhnt
(1435) und dadurch England, das um die Herrschaft in Frank-
reich kämpfte, sich verfeindet hatte, diente diese Massregel
zugleich als politische Repressalie. Die Verhandlungen fühlten
meist zu keinem Ziel oder, wenn doch ein Vertrag zu Stande
kam, so wurde er nur ganz kurze Zeit gehalten 6).
Am 9. Juni 1445 wurde das Verbot erneuert 7); das Gleiche
geschah am 12. Januar 1447 8), indem die am 6. August 1446
ertheilten Privilegien, soweit sie auf englische Tücher sich
bezogen, wieder zurückgenommen wurden. Die Erbitterung
unter den Engländern war sehr gross. Die Merchant adven-
turers, die eben ihre Stellung in Antwerpen gefestigt glaubten,
sahen wieder plötzlich die Grundlage des Handels entzogen9).
*) ürk. BeiL 170.
■) ürk. Beil. 171; sieh auch Pauli, Geschichte von England V. S.
240,241.
*) Die Hansen gingen auf den' Vorschlaff ein, weil sie hofften, dass
dann in den Niederlanden „de neringhe van aer draperie wedder verbredet
worde, und dat (sy) wedderumme de lakene beters kopes mochten kopen".
Ueber die Verhandlungen sieh v. d. Kopp, Hanserecesse I. S. 132—187.
*) Nicolas, Proceedings and Orcunances of the Privy Council in
England IV. 8. 298.
*) ürk. Beil. 172, 173.
•) Rymer, X. S. 619, 686, 654, 713, 714, 780, 733, 736. XL S. 24,
67, 125, 129, 132.
*) Genter Stadtarchiv. Partie confisqule par Charles V.
Tan 1589.
•) Verachter, Inventaire des archives d'Anvers. 8. 122.
•) Vgl. oben S. 9 fg.
— 444 —
Die Industriellen in England geriethen in Noth1). Unter den
Walkern und Spinnern traten die Folgen dieser schweren Krise
sehr offenkundig zu Tage. Das Parlament verlangte, als es
sich überzeugt, dass die Vorstellungen des Königs und seiner
Minister bei der burgundischen Regierung fruchtlos blieben *),
die Wiederherstellung der Repressalie, welche der König schon
1436 aus eigener Machtvollkommenheit angewendet hatte9).
Demzufolge wurde durch Gesetz die Einfuhr aller niederlän-
dischen Waaren bis zur nächsten Session verboten, wofern
nicht in der Zwischenzeit in firabant, Holland und Zeeland
die englischen Tücher wieder zugelassen würden*).
Mit dieser Waffe in der Hand konnte man eine Verstän-
digung versuchen. Heinrich VI. schickte im März und im
Juli 1449 Bevollmächtigte an die Herzogin von Burgund5);
die letztere war zu einem Vergleich bereit, wofern ihre Be-
dingungen hinsichtlich des Wollbezugs erfüllt würden. Die
englische Regierung zögerte anfangs6), wies aber schliesslich
die Stapler an, nachzugeben7). Nichtsdestoweniger kam keine
Einigung zu Stande. Die Folge war, dass man in England
das Verbot der Einfuhr niederländischer Waaren auf weitere
sieben Jahre verlängerte8).
Ein solcher Zustand war für die Dauer unerträglich. Am
15. April 1452 Hess Herzog Philipp „im Interesse des Landes*
den Verkauf englischer Tücher in Antwerpen zu9), bis allge-
meine Massregeln in dieser Angelegenheit getroffen wären. Es
war dieser Schritt aber nur eine Art vorübergehenden Waffenstill-
stands. Der Herzog schritt sehr bald zu neuem Angriff, wählte
aber sehr zweischneidige Waffen. Er unterwarf die englische
Wolle, die von Galais nach Gravelingen kam, einem Extrazoll
und verbot gleichzeitig die Durchfuhr von Edelmetall zum
Ankauf von Wolle in Galais. Er erreichte dadurch zwar, dass
in England die Wollpreise stark sanken 10), förderte aber durch
*) Sieh ihre Petition im Parlament 1449. Rot Pari. V. S. 150, 151.
2) Nicolas, Proceedings etc. VI. 8. 71.
«) Rymer X. S. 654.
*) 27 Hen. VI. c. 1. H449).
5) Sieh die beiden Instructionen für die Gesandten bei Nicolas,
Proceedings etc. VI. S. 69—73; S. 76—85 •, igL auch Rymer XI. 8. 220, 233.
•) In der ersten Instruction waren die Gesandten angewiesen, hin-
sichtlich des Wollverkaufs sich zu äussern „as colourably as thay can.u
Nicolas, a. a. 0. S. 72.
*) Die Regierung hatte plötzlich entdeckt, dass durch die Politik der
Stapler der "W oll verkauf und damit die englischen Zölle abnahmen. Ni-
colas, a. a. 0. S. 84.
8) Rot. Pari. V. S. 201.
p) Verachter, Inventaire S. 181.
10) Die Wollproducenten verlangten deshalb hohe Preistaxen, wollten
aber, dass die Tuchfabrikanten davon nicht betroffen wurden. Die Stapel-
kaut leute vereitelten das Zustandekommen dieser Bill, wünschten aber
ihrerseits, dass der Wollverkauf an die Niederlande ganz eingestellt werde,
— 445 —
seine Massregel nur den Gegner, um den es sich handelte,
nämlich die englische Tuchindustrie.
Bald darauf wurde der offene Kampf für einige Jahre be-
schwichtigt') , aber nur um im Jahre 1464 um so heftiger
wieder auszubrechen2). Die Niederlande wollten um jeden
Preis die englische Concurrenz erdrücken. Aber auch dieser
letzte Kraftversuch wurde und zwar mit denselben Mitteln8)
und demselben Erfolg wie früher zurückgewiesen4). Bei dieser
Gelegenheit griff auch der König wieder zu der schon zur Zeit
Heinrichs III. und Eduards HL vorübergehend getroffenen
Massregel zurück und liess die Einfuhr fremden Wolltuchs
verbieten ö).
Die englische Tuchindustrie hatte aber nun ihre Feuer-
probe bestanden. In rascherem Tempo als bisher konnte sie
sich jetzt ausdehnen. Die Arbeitsteilung nahm der wachsenden
Production entsprechend grössere Dimensionen an, es gab
nicht nur selbständige Weber und Spinner, sondern auch eigene
Wollkrämpler, Walker, Scheerer und Färber6). Der Capital-
factor begann in der Tuchbranche wichtiger zu werden. Mehr
als früher tratTder Unternehmer in den Vordergrund, der nur
den Rohstoff zur Bearbeitung lieferte7), im Uebrigen aber
hauptsächlich den Absatz organisirte und leitete8). Die Mer-
chant adventurers und die reichen Tucher bildeten diese Classe
von Unternehmercapitalisten. Die niederländische Manufactur
dagegen gedeih immer stärker ins Gedränge und musste zu
Gunsten der neuaufstrebenden englischen Industrie zu immer
bedeutenderen Concessionen sich verstehen. Selbst die Fla-
mänder sahen sich im Interesse ihres Marktes genöthigt, in
Brügge den Verkauf englischen Tuches seit 1470, wenn auch
nur im Grossen und an Fremde, zu gestatten 9).
bis die Beschränkungen beseitigt waren* Der König verweigerte aber auch
tiezu seine Zusage. Rot. Pari. V. S. 274 fg.
s) RymerXL 8. 478, 493, 497. 507, 541, 542.
*)Gachard, Collection des aocuments in&üte concemant l'histoire
de Belgique. IL S. 177.
») 4 Ed. IV. c. 5; 4 Ed. IV. c l.
*) Der Herzog von Burgund bot 1466 einen Waffenstillstand an, der
1467 auf 80 Jahr verlängert, schon 1478 aber von Maximilian durch
einen Vertrag ersetzt wurde, der eine Versöhnung der Gegensatze und na-
mentlich eine bestimmte Regelung der Wollfrage versuchte... Rymer XL
S. 562, 577, 580: XII, S. 66, 67 fg.
*) 4 ÄL lf . c 1.
•) In London trat die Theilung am frühesten ein. Sieh Liber Cus-
tumarum ed. Riley L S. 127 fg.; 4 Ed. IV. c 1; über die Arbeitsteilung
in der mittelalterlichen Gewebeinoustrie sieh G. Schmoller, Die Strass-
burger Tucher- und Weberzunft 1879. S. 410 ig.
*) Später lieferte er auch die Webstuhle; vgl. 2/3. Ph. u. M. c. 11.
") VgL auch oben S. 71, 72.
*) 8o nach den Eeuren und Statuten des Stapels von Brügge vom
4. März 1470. Die Eeuren bestehen aber aus mehren Theilen, die zu ver-
schiedenen Zeiten abgefasst wurden-, ein Theil wurde 1304, ein anderer
— 446 —
Wie die englische Politik später, namentlich unter den
. beiden ersten Tudors noch weitere Erfolge nach dieser Seite
hin erzielte, wie sie der niederländischen Industrie schwere
Schläge versetzte, haben wir früher ausführlich dargelegt.
Mit dem Anwachsen der Tuchindustrie erhielt auch die
englische Schutzpolitik eine neue Richtung. Bisher übten auf
die Wollausfuhr die finanziell^ Bedürfnisse der Regierung,
d. h. die Zölle und die Preisregulirung der Stapler den grössten
Einfluss aus. Nun kam aber ein neuer wichtiger Factor hinzu;
die Spinner und Weber nahmen zur Frage des Wollexports
Stellung. Selbstverständlich war die Stimmung bei den In-
dustriellen eine dem Wollexport ungünstige. Der Industrielle
glaubte sich immer geschädigt, jede Wollausfuhr veranlasste
eine ihm unerwünschte Verteuerung des notwendigen Ma-
terials , er wollte billige , der Wollproducent hohe Preise. Es
war ein Gegensatz der Interessen, der hier vorlag, zugleich
aber ein Gegensatz der socialen Stände; die Geistlichkeit, der
Adel, überhaupt der Grundbesitzer rang mit dem Handwerker,
mit dem Städter um den grossem Antheil des Einkommens
und damit des Einflusses.
Es dauerte denn auch nicht lange, so fand sich für diese
Missstimmung ein beredter Mund, ähnlich wie es früher der
Fall gewesen, als der allgemeine Hass auf die Fremden ge-
richtet war. Der Autor unseres Pamphlets, der gegen die un-
gehinderte Ausfuhr der Wolle zu Felde zieht, hatte sich sogar
ausdrücklich den Verfasser des Libell of Englishe Policye zuni
Vorbild genommen '). Obwohl weder in Form noch im Inhalt
dem Büchlein der englischen Staatsklugheit gleichstehend war
das Gedicht doch geeignet, die ganze hier einzuschlagende
Politik zu formuliren und dafür wirksam Propaganda zu
machen.
Gleich im Motto8) deutet der Verfasser an, dass nicht
blos die Hebung der Seemacht, sondern auch die der In-
dustrie, vor Allem der Wollmanufactur Sache der politischen
Erwägung sein, und dass durch die Lösung dieser zwei Auf-
gaben Englands Suprematie gesichert, werden müsse. Jeder,
heisst es in dem Pamphlet, hat drei absolute Bedürfnisse, nämlich
das nach Speise, Trank und Kleidung. England besitzt diese
1428, und ein dritter, zu dem die Bestimmung wegen der englischen Tücher
gehört, wie es scheint, erst 1470 erlassen. Gilliodts van Severen,
Archive« de la ville de Bruges T. VL 8. 5 fg. — Im Jahre 1475 bestritt
der Vorstand der Brüsger Verkaufehallen den Parmentiers das Recht, Tücher
von Schottland, Irland etc. zu kaufen und zu verkaufen; der Rath von Flan-
dern entschied aber zu Gunsten der Pannentiers. Diegerick, Infant««
des archives de la ville d'Ypre IV. S. 20. Nr. 1049.
3 Das Gedicht beginnt sogar mit einem Vers, den der Libell of Eng-
lishe Policye enthält
') Sieh oben S. 434.
— 447 -
drei Mittel in genügender Menge, eines sogar in überreich-
licher Fülle. Aber das englische Volk vernachlässigt, aus
diesem Umstände Vortheil zu ziehen. Die andern Nationen
haben zwar Nahrungsmittel , aber es mangelt ihnen das Tuch.
Von den fernsten Theilen Europas kommen die Kaufleute, um
entweder englische Wolle oder Tuch zu kaufen. Englands In-
teresse erfordert, dass man nu^ Wolle der schlechtesten Qualität
exportiren lässt. Tücher, die man aus solcher verfertigt, sind
grob und billig, fünf Ellen grobes Zeug sind erst soviel werth,
als eine Elle feines, und doch betragen die Herstellungskosten
beim feinen Tuch nicht viel mehr als beim groben. Solange
die englische Tuchindustrie nur auf Fertigung grober Zeuge
sich beschränkt, erwächst dem Königreich nur geringer Gewinn.
Will man aber ein solches Ziel sich stecken, so muss man
zugleich eine andere Reform in Angriff nehmen. Keine feine
Industrie ist möglich ohne einen gutgelohnten Arbeiterstand.
Die seit einiger Zeit eingerissene Unsitte, dass Kaufleute und
Tucher ihre Spinner, Weber, Scheerer, Walker, Carder, Färber
zwingen, ihren Lohn zur Hälfte in Waaren zu nehmen, ist ein
schweres Unrecht Was theuer genug wäre für 3 d, nöthigt
man den Arbeitern auf zu 6 d. Auch sonst sucht man die
Werkleute zu benachtheiligen , es ist ganz gewöhnlich gewor-
den, die Spinner beim Gewicht der Wolle zu betrügen. Die
Armen haben die Arbeit, die Reichen den Gewinn. Man
muss deshalb die Arbeitgeber veranlassen , ihre Löhne in Geld
zu zahlen ; der König soll mit gutem Beispiel vorangehen und
in der Nähe jeder Mine eine Münzwerkstätte errichten. Das
geprägte Geld muss in erster Linie zur Zahlung von Ar-
beitern verwendet werden. Durch Wiedereinführung der Geld-
löhnung und durch Verhinderung der Wollausfuhr l) wird Eng-
land zu Wohlstand gelangen und die feindlichen Nationen in
Abhängigkeit halten.
Diese eindringliche Mahnung blieb nicht ohne Früchte.
Eine ganze Parlamentssession (1464/65) beschäftigte sich mit
der angeregten Frage. Der König, der grosser Geldbewilligung
bedurfte8), war bereit, alle Wünsche des Parlaments gutzu-
heissen. Es wurden viele Vorschriften zur Erhaltung der
Tuchgüte erlassen; es wurde feiner dem mit der Grossunter-
nehmung eingerissenen Trucksystem begegnet, der Import
fremden Tuchs verboten, insbesondere aber auch der Wollkauf
beschränkt. Schon 1463 hatte man einen milden Versuch in
der vom Volk gewünschten Richtung gemacht; den Fremden
*) „And lulle fayne, tbat they (sc. enemies) may be subyet to this lond,
Yf we kepe the wollys straytly owt of theyre hond;
For bv the endraperyng theroff they have theyre sustynaunce,
And thus owre enmys by supportya to owre gret hynderaunce."
Political Poems and Songs ed. Th. Wright II. 3. 283 fg.
*) Stubbs, Constitutional history of England III. S. 198, 199.
— 448 —
war verboten worden, Wolle direct aus England zu exportiren.
Insofern dadurch alle Ausländer auf das Stapel angewiesen
wurden, war ihr Wollbezug etwas erschwert l). Das Gesetz
hatte nur drei Jahre Gültigkeit und wurde auch nicht erneuert,
als diese Frist abgelaufen war. Dies war auch nicht nöthig,
da die Industriellen noch 1464 unter dem Einfluss des Pam-
phlets ein viel wirksameres Gesetz erlangt hatten. Diesem
zufolge sollten bis 1467 in näher bezeichneten Grafschaften1)
nur die Garn- und Tuchmacher und die Unternehmer, welche
solche beschäftigten, Kaufcontracte in Betreff noch ungeschorener
Wolle in der Zeit vom 19. März bis zum St. Bartholomeusfeste
eingehen dürfen8). Freilich hatte auch dieses Gesetz keine
lange Dauer. Als 1464 im Parlament um eine Verringerung
des Statuts nachgesucht wurde, versagte der König seine Zu-
stimmung4). Dagegen genehmigte Eduard IV. eine Bill, durch
welche einige Massregeln Eduards III. wieder erneuert wurden.
Die Ausfuhr von Garn und ungewalkten Tuchs wurde verboten5).
Die Beschäftigung einer grossem Zahl Arbeiter und das fisca-
lische Interesse waren die Motive 6), und sie genügten auch, um
den König zu veranlassen, dass er das Verbot durchführte und
aufrecht erhielt.
Aus Allem ist ersichtlich, dass auch Eduard IV. kein con-
sequenter Schutzpolitiker war. Manche seiner Schritte waren
den englischen Interessen sogar positiv schädlich. Ich rechne
hieher die Licenz, wonach die Herzogin von Burgund für die
Dauer ihres Lebens jährlich 2000 Widder zollfrei ausführen
durfte7).
Richard III. kam den Wünschen der Industriellen mehr
entgegen. Unter ihm wurde die Forderuug des oben genannten
Pamphlets, wonach nur geringwerthige Wolle ausgeführt werden
*) 3 Ed. IV. c. 1. In der Begründung wird geltend gemacht, dass
eine hinlängliche Menge Wolle im Königreich verbleiben müsse, damit die
englischen Tuchmacher und alle Glieder der Manufactur genügend beschäf-
tigt, die Einwohnerschaft der verfallenden Städte vermehrt, die Lasterhaf-
tigkeit und Unzufriedenheit vermindert und die alte Freude und der alte
Wohlstand wieder hergestellt werde.
*) Nämlich Berkshire, Oxfordshire, Gloucestershire, Shropshire, Her-
fordshire, Worcestershire, Wiltshire, Sommersetshire. Dorsetshire, Hamp-
shire, Essex. Cambridgeshire, Norfolk, Suffolk, Kent. Surrey, Sussex.
*) 4 Ed. IV. c. 4. In Betreff der deutschen Wollausfuhrverbote vgl.
Röscher, Geschichte der Nationalökonomie S. 185, 247, 316, 870.
«)Rot Pari. V. 8. 680.
*) Rot Pari. V. S. 621; 7 Ed. IV. c 3.
*) Die Garne und ungewalkten Tücher zahlten blos Subsidie, wo-
gegen für die vollendeten Tücher auch Costume und Vermessungsgeld zu
entrichten war.
') Rymer XIL 8. 187 (1480). Wahrscheinlich bezieht sich auf Ed. IV.
die Stelle: „And further they say and hold an opynyon, that by carieng
certayn shepe owt of England into Spayn by kyng Edwarde« dayes , that
by the bodyes of the shepe then robbid England of our speciau gift of
fynes and goodnes of our staple wolle. tf Pauli, Drei volkswirthsch. Denk-
schriften S. 24.
— 449 —
sollte, theilweise verwirklicht. Man gestattete den Italienern
nicht, die Wolle zu sortiren, verlangte vielmehr, dass sie
gute und schlechte zusammen nähmen 1).
Heinrich VII. behielt sich ausschliesslich die Verhängung
der Strafen des letztgenannten Gesetzes vor8), liess aber die
Acte so gut wie unbeachtet, dagegen gewannen einzelne der
Eduard'schen Massregeln unter ihm erst festen Bestand. Die
unter Eduard IV. hinsichtlich der Wolle versuchte Verkaufs-
ordnung wurde neu geregelt. Vom 1. März bis zum Fest der
Maria Himmelfahrt sollte der Kauf ungeschorner Wolle nur den
Wollverarbeitern gestattet sein; fremden Kaufleuten war aber
auch nicht gestattet, geschorne Wolle vor dem 2. Februar zu
kaufen. Dieselben konnten also Contvacte bezüglich unge-
schorner Wolle nur in der Zeit vom September bis zur Schur
im Frühjahr, und bezüglich geschorner nur in der Zeit vom
2. Februar bis 1. März schliessen 3). Es war ein Verkauis-
system geschaffen, dem sicher die mittelalterliche Uebung beim
Getreideverkauf als Muster gedient hatte*). Insofern der
erstere Theil des Gesetzes auch die Stapler traf6), darf man
annehmen, dass das Gesetz, dessen Gültigkeitsdauer zunächst
auf 10 Jahre festgesetzt war, ganz den Wünschen der Manu-
facturisten entsprach. Ebenso hielt Heinrich VII. an der Acte
in Betreff" der verbotenen Ausfuhr von Wollengarn und unge-
walkten Tuchs fest; „zur Ermuthigung der Handwerker, die
das Scheeren und Rauhen besorgten", fügte er das Verbot
der Ausfuhr ungeschorner und ungerauhter Tücher hinzu6).
Endlich wird behauptet, dass er eine neue Colonie niederlän-
discher Tuchmacher nach England gezogen und in York, Leeds,
Wakefield, Halifax angesiedelt habe7); auch soll unter ihm
r) 1 Ria III. c. 8. Die Beliebtheit des Königs Richard III. beim
Bürgerthum war deshalb auch sehr gross. Bekannt ist die Scene, in der
Wotaey zu den Londonern sagte: „Sir J marvell, that you speak of Richard
III., which was a usurper and a murtherer of his own nephews. Then of
so evila man, how can the acts be good? Make no such allegations, his
acte be not honorable". Darauf erwiderten die Londoner: „An't please,
your Grace, although he did evil, yet in his time were many gooa acts,
made not by him only, but by the consent of the body of the whole realm,
which is the Parliament" Brewer, Cal. IV. Pref. S. LXXXI.
*) 1 Hen. VII. c. 10.
3) 4 Hen. VII. c. 11. (1488'89)
*) Danach kauften im ersten Zeitraum die Bürger, im zweiten die
Backer, im dritten die Fremden. Vgl. auch Liber Albus edRiley S.270.
*) Sieh jedoch auch Urk. Beil. 35.
6) 3 Hen. VH. c. 11. In wie weit Heinrich VII. die Acte wirklich
durchführte, lässt sich nicht sagen. In den Rot. Pat Franc. 18 Hen. VII.
m. 2. des Rec. Office ist eine Licenz vom 11. April verzeichnet, wonach
die Londoner Merchant adventurers bis zum letzten Juli „pannos non bar-
batos, non mundatos, non tonso&u ausführen durften.
T) Anderson, Annais of commerce III. S. 328
Schanz, Engl. Handpolitik. I. 29
— 450 —
durch einen italienischen Kaufmann die Fabrication der De-
vonshire Kersies und Corall Clothes aufgekommen sein1).
Heinrichs VIII. Politik war, soweit der Woll verkauf in
Betracht kam, anfangs eine liberale. Das Gesetz seines Va-
ters trat 1509 ausser Kraft. 1514 lag dem Parlamente eine
einschlägige Bill vor*), sie wurde aber augenscheinlich nicht
Gesetz. 22 Jahre lang bestand somit Verkehrsfreiheit. Als aber
die Wollproduction in Folge von Schafseuchen sehr nachliess s),
während gleichzeitig die Tuchindustrie sich beträchtlich aus-
gedehnt hatte und noch immer im Wachsen war4), und da ferner
Cromwell, der einer protectionistischen Politik huldigte, ans
Ruder kam, erstand auch das Gesetz wieder zum Leben. Die
Tuchmacher legten dar, wie seit dem Erlöschen des Statuts
die Makler und Aufkäufer in den Grafschaften die Wolle weg-
nähmen, sei es für Fremde oder für Engländer, welche die
Wolle nicht zu Tuch verarbeiteten, und wie diese Preise an-
setzten, zu denen man die Tuchmanufactur entweder gar nicht
oder nicht mehr in so ausgedehntem Grade wie früher be-
treiben könne. Die Acte Heinrichs VII. wurde auf 10 Jahre
erneuert, ferner wurden den Worstedmachern und Handwerkern
verwandter Art, selbst den Hut- und Kappenmachern die
Rechte des Gesetzes eingeräumt. Auch bezog man eine Zahl
neuer Grafschaften in die Acte ein und verbot, für Fremde
Wolle zu kaufen oder Contracte abzuschliessen 6).
Nach Verfluss der 10 Jahre erneuerte man nicht sofort
das Gesetz. Den Staplern war es vornehmlich zu danken,
wenn es modificirt wieder in Kraft gesetzt wurde. Dieselben
hatten das Recht, für ihre einzelnen Wollexporte keinen
Zoll zahlen zu müssen, sondern die Gesellschaft kam mit dem
König überein, für eine bestimmte Zeit jährlich eine Pauschal-
summe zu zahlen. Ein solcher Vertrag war damals abgelaufen,
die Stapler benützten dies Moment, um auf die geldbedürftige
Regierung einen Druck auszuüben 6). Man sieht dies aus der
Berücksichtigung ihrer Interessen in dem neuen Gesetz. Es
werden ihnen nämlich die gleichen Rechte beim Wollkauf ein-
*) Nach Stow kam 1505 Antonio Bonvisi nach England und „taught
English people to spin with a distuff; at which time.he adds, begann the
making of Devonshire kersies and corall clothes". Burgon, Life of Th.
Gresham. II. S. 454.
*) Vgl. Bd. IL S. 15 fg.
8) Bd. II. S. 18 und 105.
4) Lords' Journals. 6 Hen.VIII. 11° die Pari.
*) 22 Hen. VIII. c. 1 ; über die Wirkung des Gesetzes sieh Bd. II.
S. 15, 16.
6) Die Stapler wollten sich nicht mehr auf eine bestimmte Aversal-
summe einlassen , weil der Wollexport nicht in entsprechender Höhe ge-
halten werden konnte. Sieh Nicolas, Proceedings of the Privy Council
1540—43. S. 20, 32, 74, SC, 109, 295, 308, 314 und die Einleitung zu un-
sern Zollregistern in Bd. iL S. 16 fg.
— 451 —
geräumt, wie den Industriellen, sie durften also in Concurrenz
mit den letzteren gleich nach der Schafschur am Einkauf sich
betheiligen. Der ganze Wollhandel wurde überhaupt in die
Hände der Stapler und Manufacturisten gegeben; um aber die
Wollproducenten doch nicht ganz schutzlos zu machen, war
noch die Bestimmung eingefügt, dass wenn Stapler oder Tuch-
macher die Wolle nicht kaufen wollten, die Producenten ganz
nach Belieben darüber verfügen dürften x).
Noch besonderen Schutzes erfreute sich die Grafschaft
Norfolk. Wie schon früher erwähnt, befand sich hier das
Centrum der Fabrication der Worsteds und Stamyns. Den
Ausführungen der Norfolker zufolge war die Wolle der Graf-
schaft allein geeignet, um diese Fabricate zu fertigen, die
Fremden aber trachteten den Gewinn zu zerstören und nament-
lich Holland und Zeeland die Wolle und mit ihr die Fabrication
zuzuwenden. Wirklich setzten die Petenten durch, dass jeder
Export der Norfolker Wolle bis zum nächsten Parlament unter-
sagt und auch jede entgegenstehende Licenz für ungiltig und
ungesetzlich erklärt wurde 2). Sei es, dass schwere Klagen da-
gegen laut wurden, oder sei es, dass Wolseys Abneigung gegen
dergleichen Gesetze ausschlaggebend war, die Acte ward beim
nächsten Parlament (1523) nicht wieder erneuert und trat so-
mit ausser Kraft.
Die Weber und Tuchmacher sannen auf einen neuen Weg,
Eine ihnen günstige Zeitströmung benutzend legten sie dem
Parlament ihre Klagen vor. Wiederum ist es die specifische
Eigentümlichkeit der Norfolker Fabrication , die geltend ge-
macht wird. Aber dieses Mal war es nicht die Wolle, sondern
das Garn, um dessen Beschränkung es sich handelte. Die Auf-
käufer, hiess es, kaufen das Worstedgarn in ganz kleinen
Quantitäten zusammen, lassen es aber nicht in der Grafschaft
verweben und verarbeiten, sondern verkaufen es nach Frank-
reich, Flandern und anderen Plätzen jenseit der See, wo die
Fremden mit dem Garn sog. Russeis und Worsteds und ver-
schiedene andere Tücher herstellen. Dieselben führt man dann
wieder in England ein und ruinirt so Norwich und die übrigen
Städte in Norfolk. Das Parlament und die Regierung gab
diesen Stimmen Gehör. Das in Norfolk gesponnene Garn
durfte nicht mehr exportirt werden3).
Nichtsdestoweniger gerieth die Worstedindustrie in immer
x) 87 Hen. VIII. c 15. Die Acte galt bis zum nächsten Parlament
und wurde durch 1 Edw. VI. c. 6 zum Theil abgeändert; vgl. auch 5—6
Edw.VI. c. 7 und 2—3 Phil, und Mar. c. 13, welche die Missstände dieser
Gesetzgebung für die Spinner darlegen.
*) 6 Hen. VHI. c. 12.
*) 33 Hen. VIII. c. 16; erneuert bis zum Ende des nächsten Parla-
ments 37 Hen. VHI. c. 23.
29*
— 452 —
grösseren Verfall. Man muss dies aus der rapiden Abnahme
des Exports schliessen. In den ersten 19 Jahren der Regie-
rung Heinrichs VIII. wurden noch jährlich 6185 Stück, in den
letzten 9 nur noch 1601 Stück exportirt. Es Hesse sich zwar
denken, dass der Ausfall im Export durch einen grössern
Consum im Innern ausgeglichen worden wäre, es ist dies aber
nicht wahrscheinlich1).
Wenden wir uns zu den Gesetzen Heinrichs VIII., welche
die Zurichtung der Tücher betreffen, so sehen wir, dass der
König und seine Minister frühzeitig und immer mit grossem
Ernste diesen Punkt ins Auge fassten. 1512 erneuerte Hein-
rich VHI. nicht nur das Gesetz seines Vaters in Betreff der
verbotenen Ausfuhr ungerauhter, ungeschorner und ungewalkter
Tücher, sondern er sicherte auch dessen strenge Durchführung,
indem er den Process gegen die Uebertreter erleichterte*).
Ferner ernannte er eigene Inspectoren, welche die Ausführung
des Gesetzes überwachen mussten 3). Unter seiner Regierung
wurde das Statut in erweiterter Form auch auf die Worsteds
ausgedehnt, dieselben sollten nicht exportirt werden, bevor sie
nicht geschoren, gefärbt und dekatirt wären 4). Diese letztere
Massregel darf kaum als zweckmässig angesehen werden.
Wahrscheinlich wurde durch diese Bindung der Rückgang der
Industrie nur noch beschleunigt.
Aber auch das erstgenannte Gesetz war fortwährend
Gegenstand des Angriffs. Wir haben oben bereits geschildert,
wie unermüdlich die Hansen diese Acte bekämpften5). Sie
sahen sich hierin von ihren bittersten Gegnern unterstützt;
auch die Merchant adventurers bemühten sich fortwährend, die
englische Regierung von der Unzweckmässigkeit des Gesetzes
zu überzeugen. Wir besitzen eine solche Denkschrift aus dem
Anfang der 30er Jahre6). Darin wird auseinandergesetzt,
dass die Eaufleute jenseits des Canals durchaus nicht die zu-
gerichteten Tücher annehmen wollten, wenn sie dieselben nicht
ausserordentlich billig erhielten. Bringe ein englischer Kauf-
mann zur Hälfte zubereitete und zur Hälfte unzubereitete
*) üeber die Ursachen des Verfalls sieh Bd. II. S. 20. In Ueberein-
stimmung mit dem dort Gesagten möchte ich hier nur noch besonders
hervorheben, dass in der Erschwerung des Zugangs von Lehrlingen zum
Handwerk nicht der Hauptgrund des Verfalls liegen kann; denn obwohl
die Acte 7 Heu. IV. c. 17, welche verlangte, dass nur Kinder, deren Eltern
wenigstens ein Jahreseinkommen von 20 sh hätten, Lehrlinge werden dürf-
ten, durch 11 Hen. VII. c 11 aufgehoben wurde und im Allgemeinen der
Zudrang zur Weberei in Folge der agrarischen Umwälzungen sehr gross
war, so blühte die Worstedmanufactur doch nicht wieder auf.
*) 3 Hen. VIII. c. 7.
fl) Brewer, Cal. I. 5008; IL 1018; IV. 4632.
*) 14/15 Hen. VIII. c 3, erneuert und für dauernd erklärt 26 Hen.VIlI
c. 16.
6) Sieh S 183 fg., 206 fe.
6) ürk. Beil. 131.
— 453 —
Tücher auf den Continent, so mache er regelmässig die Er-
fahrung, dass er für die nicht geschorenen 5 Schilling per
Stück mehr erhalte, als für die andern, und dass er auf 500
unzubereitete erst 1 zubereitetes verkaufe. Das öffentliche
Wohl erheische somit, dass man alle Arten von Tuch in un-
zubereitetem Zustande ausführe, und nur das Privat- und
Einzelwohl könne das Gegentheil verlangen. Die Zahl derer,
die vom Tuchmachen und Tuchverkauf lebten, sei grösser, als
die Zahl derer, welche vom Tuchzubereiten sich ernährten.
Die Merchant adventurers müssten in kürzester Frist den
ganzen Markt verlieren, wenn nicht bald Aenderung eintrete.
Das gemeine Volk in den Niederlanden trage gewisse Farben,
die in England nicht üblich seien; durch die Zubereitung
werde das Tuch aber so verändert, dass es die Farben nicht
annehme. Der Tuchhandel blühe jetzt, wie nie zuvor, man
solle ihn nicht gefährden. Den Engländern sei der Kauf- upd
Verkauf der Wolle, das Kardiren, Spinnen, Weben, Walken
und der erste Verkauf der Tücher gesichert, man möge den
Leuten jenseits des Canals den kleinen Verdienst des Scheerens
und Zurichtens gönnen und nicht Repressalien hervorrufen.
Die Merchant adventurers vermochten so wenig wie die
Hansen die Zurücknahme des Gesetzes zu bewirken; wieder-
holte Anträge im Parlament scheiterten1). Die Tuchhändler
stellten sich auf den Standpunkt der Gegenwart, und von
diesem aus waren ihre Argumente vollkommen richtig; die
Regierung und das Parlament hatten dagegen die Zukunft im
Auge, und da sie sahen, dass trotz^ des Gesetzes der Export
von Jahr zu Jahr wuchs, so konnten* sie nicht veranlasst wer-
den, das Statut aufzuheben. Heinrich VIII. duldete auch nicht,
dass man das Gesetz durch künstliche Interpretationen zu-
nichte mache; man stellte z. B. die Behauptung auf, dass das
Tuch erst in die fremden Landestheile gebracht sein müsse,
ehe man die Strafen verwirke. Das Parlament registrirte aber
eine authentische Erklärung, wonach schon die Verladung des
betreffenden Tuchs in ein Schiff strafbar sein sollte *). Es fehlt
auch nicht an Beweisen, dass man das Gesetz ausführte3).
In zweifacher Hinsicht wurde die Acte nichtsdestoweniger
abgeschwächt. Es geschah dies einerseits durch die Licenzer.
*) 8o lag am 4. Mai 84 Hen. VIII. eine Bill dem Parlament vor,
ohne dass sie einen Erfolg hatte (Lords' Journals).
*) 33 Hen. VIII. c. 19.
s) Aus einem Brief des John Aleyn and Raff Waren an Cromwell vom
21. August 1539 geht hervor, dass noch immer eigene Inspectoren die
Beobachtung des Gesetzes überwachten. Die beiden Genannten waren als
solche aufgestellt und hatten 20 Tücher des Robert Harrys beschlagnahmt,
weil sie nicht zugerichtet waren, mussten dieselben aber wieder freigeben,
als beeidigte Tuchmacher und Kaufleute erklärten, keines der Tücher sei
4 ä werth. Der Brief befindet sich im Br. M. Cotton Ms. Titus B. L
fo. 404.
— 454 —
Wie kein englisches Gesetz, so war auch das genannte hin-
gegen nicht gesichert. Man benutzte, wie es scheint, die Li-
cenzen hauptsächlich zu Gunsten der englischen Kaufleute,
wodurch die Zollungleichheit derselben gegenüber den Hansen
etwas compensirt wurde 1). Andrerseits war das Ausfuhrverbot
der ungeschornen Tücher überhaupt kein absolutes, sondern
die Ausfuhr war bis zu einer gewissen Preisgrenze erlaubt.
Die Rücksicht auf die Färber war hiebei theilweise mass-
gebend. Die Tücher wurden vor dem Färben geschoren;
wollte man sie exportiren, so hätte man sie nochmals scheeren
müssen, was solche von geringer Qualität bzw. geringem Preis
nicht vertrugen. Man berücksichtigte auch stets das Steigen
der Tuchpreise, indem man successive die Grenze erweiterte;
im Jahre 1512 wurde der bisher übliche Satz von 40 sh für
das Stück Tuch auf 53 sh 4 d, 1514 auf 66 sh 8 d, 1536 auf
80 sh erhöht8). Tücher von geringerem Preise konnten also
ungeschoren exportirt werden.
Als letztes der hier einschlägigen Gesetze aus der Zeit
Heinrichs VIII. ist noch zu erwähnen das in Betreff des Ver-
kaufs der breiten weissen Wolltücher an Fremde. Wir haben
schon oben über das Gesetz einige Andeutungen gegeben3).
Es ist denkbar, dass auch die Londoner Färber4) bei dem
Gesetze mitwirkten, und ähnlich wie die Weber und Spinner
hinsichtlich der Wolle, so ihrerseits hinsichtlich der ungefärbten
Tücher die Concurrenz einzuengen suchten. In den Motiven
wird hervorgehoben, dass fremde Kaufleute auf Mittel und
Wege sännen, um das Volk fremder Gebietsteile in Arbeit zu
*) In der Beschwerdeschrift des Lübecker Contors von 1585 (Lübecker
Stadtarchiv) heisst es: „Szo werden ock danne noch de lange Kentische
laken ungescharen unde gaer unbereth by den Engeischen copluden unde
nu noch dachlikes uth den rike van Engellant by auctoritate van licentien
geforet, vor elck laken, deme de licentie gegranteret is, 12 d sterlinge be-
llende, unde de fze doen bereden moten betalen vor elck laken is 6 ah
8 d Sterling werden doch intberedent deselvigen laken gaer nae vordem
der copman begerende wu he sych by gemelten laken int uthforent holden
sali, syn dan noch etlvke coplude nu off late baven dede van oeldea dar-
mede oesweret meer ingesteken by den selvigen scherluiden int etzecker
dede noch dachlikes in varen staen darup vervolget mögen werden.8
*) 8 Hen. VIIL c. 7; 5 Hen. VIII. c. 8: 27 Hen. VIH. c 18.
*) Sieh S. 480.
*) Ueber den Zustand der Färberei zur Zeit der beiden ersten Tudors
ist es schwer, etwas Sicheres anzugeben. Das Libell of Englishe Policye
sagt 1486 Vers 821 fg. :
Die Preussen nehmen nämlich, wie bekannt,
Vielfarbiges Wollentuch als Fracht zurück,
Das hier man färbt mit vielem Kunstgeschick.
Unsern Zollregistern zufolge aber machten unter Heinrich VÜJL die ge-
färbten und halbgefarbten Tücher noch kein halbes Procent des gesammten
Tuchexports aus (Bd. IL S. 17, 86 fg.). Entweder musste das Farber-
gewerbe ganz in Verfall gerathen sein, oder aber die Enrolled Acconnts
lassten den Begriff des gefärbten und halbgeiarbten Tuchs auaterordent-
lieh eng.
— 455 —
setzen und den Engländern die Beschäftigung zu rauben. Sie
erwürben die breiten weissen Wolltücher, um sie jenseits des
Meers färben und fertig stellen zu lassen. Indem sie Alles
auf Credit kauften, könnten sie höhere Preise bewilligen, nur
zu oft hätten aber die Tuchmacher zuletzt den Schaden. Es
war natürlich sehr schwer, hier die Wünsche der Interessenten
zu befriedigen, ohne dem Tuchhandel zu nahe zu treten. Das
Gesetz hatte denn auch einen ziemlich milden Charakter. An
fremde Kaufleute sollte kein Engländer verkaufen; wenn er
aber Tücher auf den gemeinen Markt nach Blackwell Hall in
London brachte und sie nicht in 8 Tagen an Einheimische
verkaufen konnte, so durfte er sie auch an Fremde verkaufen,
aber nur gegen Baar oder einmonatlichen Credit; gewisse Tuch-
sorten waren ganz ausgenommen, und ebenso galt das Gesetz
nicht für Messen und Märkte und an Hafenplätzen ; auch durf-
ten Tücher, die ausserhalb der Stadt London an einen Bürger
oder Freeman verkauft wurden, direct in das Haus des letztern
mit Umgehung von Blackwell Hall geliefert werden1).
Gegenüber der Tuchindustrie haben die auf andere In-
dustriezweige bezüglichen schutzpolitischen Massregeln nur
ein untergeordnetes Interesse. Es kehren zumeist dieselben
Erwägungen und dieselben Mittel wieder.
Ein Analogon für die Beschränkung des Wollexports bildet
die Beschränkung der Hörn- und Häuteausfuhr. Die Londoner
Hornarbeiter waren unzufrieden, dass die Fremden soviel
Hörner von den Gerbern und Metzgern kauften und über die
See schafften. Entsprechend ihrem Verlangen verbot man, diese
Materialien an Fremde zu verkaufen oder über die See zu schicken,
so lange die Hornarbeiter nicht vorerst ihren Bedarf ausgewählt
hätten ; den Fremden (jedenfalls auch den in London ansässigen)
wurde jeder Ankauf 24 Meilen im Umkreis von London unter-
sagt; den Vorständen der Hornarbeiter sollte innerhalb der
24 Meilen die Aufsicht und die Aufsuchung der schlecht ge-
arbeiteten Waaren zustehen8).
Aehnlich setzten die Schuhmacher8) unter Heinrich VIII.
durch, dass die Ausfuhr von Salzhäuten, ungegerbten Häuten,
und von Leder an eine Licenz gebunden wurde 4). Das Gesetz
hatte ganz den von den Interessenten gewünschten Erfolg,
indem die Ausfuhr um ein Beträchtliches sank6).
5 14/15 Hen. VHI. c 1.
*) 4 Edw. IV. c 8. 1465.
*) Ich erinnere an die im ersten Capitel dieses Abschnitts geschilderte
Lage der Schuhmacher.
4) 27 Hen. VIII. c. 14. Erlaubt war der Export der Salzhäute im
Krieg* ebenso war er den Seefahrern nach Island, Danzig, Norwegen und
über die Strasse von Gibraltar hinaus gestattet.
6) Vgl. Bd. IL Tab. VI. S. 109 fg. Die Leder verarbeitenden Industriellen
damit aber noch nicht zufrieden, sondern wussten unter Eduard VI.
— 456 -
Einen etwas verschiedenen Charakter haben die Gesetze
in Betreff der Seidenarbeiter beziehungsweise der Londoner
„Seidenflauen" und Seidenspinner. Ihre Zahl war nicht un-
beträchtlich, sie selbst behaupteten, dass es ihrer nicht weniger
als 1000 gebe1). Sie beklagten sich 1455, dass verschiedene
Lombarden und sonstige Fremde darauf ausgingen, ihr Hand-
werk zu Grunde zu richten, sich zu bereichern und das Gewerbe
in fremden Ländern zu heben. Sie brächten deshalb keine un-
verarbeitete Seide mehr wie früher, sondern nur verarbeitete, dazu
meist betrügerische Arbeit8). Das Parlament und der König
verboten versuchsweise auf 5 Jahre die Einfuhr der Manufacte
und gaben, was besonders werthvoll war, dem Major das Recht
der Controle für die sorgfältige Einhaltung des Gesetzes. Die
Acte erlosch, wurde aber 1463, ohne dass man des Gesetzes
von Heinrich VI. erwähnte, auf weitere 5 Jahre erneuert, zu-
gleicfi jedoch etwas gemildert durch Herabsetzung des Straf-
masses von 20 jg auf 10 r£ 8). Nach Verfluss der oben ange-
gebenen Frist blieb das Gesetz 12 Jahre ausser Kraft Dieser
Zeitraum genügte, um neue Erfahrungen zu machen. Die
Klagen der Seidenarbeiter waren heftiger denn je. Seit die
Acte ausser Wirksamkeit getreten, sei die Einfuhr der Fremden
an fertigen Seidenmanufacten geradezu erdrückend. Eduard IV.
und das Parlament verboten die Einfuhr auf 4 Jahre 4) ; die-
selben waren aber noch gar nicht verflossen, als Richard DI.
im 1. Jahre seiner Regierung gesetzlich bestimmen liess, dass
nach Ablauf der vierjährigen Frist die Acte noch weitere 10
Jahre dauern sollte5). Heinrich Vn. suchte' aber sich noch
beliebter zu machen und stellte gleich im 1. Parlament statt
der 10 Jahre 20 Jahre ein6), und im 19. Regierungsjahre
wurde das Statut mit einigen Abänderungen7) für allgemein
gültig und dauernd erklärt8).
auch noch eine Acte gegen die Lederhändler durchzusetzen, die aber bald
wieder aufgehoben werden musste. 3—4 Edw. VI. c. 9; 5 — 6 Edw. VI.
c. 15; 1 Mar. st. 3. c 8. Die Häute- und Lederausfuhr blieb aber ver-
boten. 1 £1. c 10; 14 El. c. 4; 18 EL c. 9.
^Rot. Pari. V. S. 325.
*) „such silk so made, wroughtj twined, ribbands and chaines falsely
and deceitfully wrought all manner girdles and other things concerning the
Baid mystery and occupation." 35 Ben. VI. c. 5.
») 3 Edw. IV. c. 3. (1463).
4) 22 Edw. IV. c 3 (1482/3).
*) 1 Rieh. in. c. 10 (1483 4).
*) 1 Hen. VU. c. 9 (1485).
7) 19 Hen. VII. c. 21 (1503/4). Dass das Gesetz auch unter Heinrich VIH.
im Ganzen aufrecht erhalten wurde, bezeugen die Klagen der Hansen und
Licenzen, denen man vereinzelt begegnet. Brewer, Cal. 1. 1693; IV. 2839.
8) Verboten wurden ganz- oder halbseidene „ribandes, laces, gyrdyUs,
corses, calles corses of tissues or poyntesu ; alle andern Artikel von Seide
durften eingeführt werden. Es mag bemerkt sein, dass dies Gesetz von
späteren Schriftstellern vielfach angeführt und commentirt wurde, während
— 457 -
Bacon von Verulam, der die Geschichte Heinrichs VII.
schrieb^ sagt bei Gelegenheit dieses Gesetzes die bekannten
Worte: „This law pointed at a tme principle, that, where
foreign materials are bat superflaities, foreign manufactures
should be prohibited. For that will either banish the super-
fluity or gain the manufacture" 1).
Zur völligen Wahrheit suchte man diesen Satz unter Th.
Cromwell zu machen, wo ein Agent des letztern im Vertrauen
auf die tiefe wirtschaftliche Einsicht des leitenden Ministers
den Muth hatte, gleich 24 Seidenweber für Southampton ein-
zuschiffen und noch weitere Colonisten warb, um in der sehr
verfallenen Stadt die Seidenindustrie zu begründen und von
da aus über das ganze Land zu verbreiten *). Man wird wohl
annehmen dürfen, dass Cromwell diesem Plane seine Unter-
stützung nicht versagte; hatte er doch kurz vorher ein Gesetz
geschaffen, das ebenfalls die Verpflanzung einer neuen Industrie,
nämlich die der Leinenmanufactur, nach England bezweckte.
Durch eine Acte hatte er nämlich bestimmen lassen, dass jeder
Bauer für je 60 Acres, die er unter dem Pfluge hätte, Vi
Acre mit Flachs oder Hanf bebauen solle 8). Man muss je-
doch füglich bezweifeln, ob er durch dies Gesetz einen nennens-
werthen Erfolg erzielte; denn noch zur Zeit Elisabeths, welche
ebenfalls diese Absicht Cromwells zu verwirklichen suchte*),
stiess die Acte auf Widerstand 5),
Das Beispiel der Londoner Seidenarbeiter und der Tuch-
industriellen wirkte ansteckend. Mit einem Male wollte das
ganze Londoner Handwerkerthum gegen die fremde Concurrenz
geschützt sein. Die Annehmlichkeiten der Absperrung der
ausländischen Artikel, welche sie schon einige Mal während
des Kampfes zwischen England und den Niederlanden um die
Tuchindustrie gekostet hatten 6), wünschten sie dauernd zu be-
sitzen. Eduard IV. bewilligte im Jahre 1464, dass die meisten
Fabricate und Kurzwaaren fremden Ursprungs nicht mehr
eingeführt werden dürften7). Doch behielt er sich das Recht
man die vorausgehenden, auf denen es fusst , ganz ignorirte, so zwar, dass
die Meinung Boden gewann, dass Heinrich VII. der Schöpfer des Ge-
setzes sei.
a) Bacon, History of Henry VH. in Kennets hist I. S. 631.
*) Vgl. den in vieler Hinsicht merkwürdigen Brief des Ant. Gwydote
an Thomas Cromwell vom 20. März 1536, worin die Colonisten dem Schatz
und der Förderung Cromwells anempfohlen werden. Urk. Beil. 176.
*) 24 Hen. VII. c. 4; verlängert durch 28 Hen. VIII. c. 9; 31 Hen.
VIII. c 7; 33 Hen. VIH. c 17; 37 Hen. VIU. c 23.
*) 5 El. c 5.
*) „I see no successe of that good and wholesome law, sith it is rather
contemptuonslie rejected, than otherwise dutifullie kept in any place of
England." W. Harrison, The description of Britaine I. c. 18. S. 111.
ö) Sieh oben S. 444, 445.
*) Rot Pari. V. S. 507; 3 Ed. IV. c. 4.
— 458 —
vor, die Acte zu jeder Zeit wieder aufzuheben, auch waren die
Hansen von dem Gesetze ausgenommen. Die verbotenen Ar-
tikel waren: wollene Mützen, wollene Zeuge, Spitzen, grobe
Zeuge, Bänder, Franzen von Seide und Zwirn, Kanten, Zwirn,
gezwirnte Seide, gestickte seidene Zeuge, Tressen von Gold
und Silber, Sättel, Steigbügel und andere Gerätschaften, die
zum Sattel gehören, Sporen, Buckeln zu Zäumen, Feuerböcke,
Roste, Schlösser, Hämmer, Nagelzangen, Feuerzangen, Brat-
pfannen, Würfel, Bälle, Nestnadeln, Beutel, Gürtel von Eisen,
Blech, Stahl und Zinn; feiner gegerbte Häute, alle Leder-
manu&cte, wie Sturmhauben, Schuhe, Ueberschuhe und Pan-
toffeln; ferner Messer, Dolche, Holzsägen, Haarnadeln, Schnei-
derscheeren, kleine Scheeren, Barbiermesser, Schachsteine,
Spielkarten, Kämme, Weiberschuhe, Packnadeln, gemalte Waa-
ren, Brecheisen, Helme, Ringe von vergoldetem Blech oder
Kupfer, Kohlpfannen, Hängeleuchter, Glocken, Ringe zu Vor-
hängen, hölzerne Löffel, Schaumlöffel, Näpfe, Eimer, Bürsten,
Wollkratzer, schwarzer Eisendraht, weiser Draht. Diese Waaren
dürften so ziemlich die wichtigsten des damaligen englischen
Gewerbfleisses gewesen sein. Da gleichzeitig die Fremden,
welche in England solche Producte verfertigten, der Aufsicht
der Ortsbeamten und deren Sucher unterstellt wurden, so
konnten die englischen Handwerker zufrieden sein, und das um
so mehr, als auch Richard III. ein ähnliches Gesetz erliess,
ohne seine Dauer zeitlich zu beschränken 1).
Die beiden ersten Tudors Heinrich VII. und VHI. sahen
von der Durchführung dieses Gesetzes gänzlich ab. Wir be-
sitzen hiefür zahlreiche Belege8). Wahrscheinlich erkannte
man doch, dass ein so hermetischer Abschluss gegen die Pro-
ducte des Auslandes, wie er hier beabsichtigt war, ebenso un-
möglich als schädlich sei; die Entwicklung des englischen
Exports war gebunden, wenn aller Waarenimport gehindert
x) Die Acte verbot die Einfuhr aller Artikel, welche von Gürtlern,
Nadlern. Beutlern, Handschuhmachern, Tischlern, Malern, Eartenmachern,
Drahtziehern , Webern, Kammmachern, Glasern und Kupferschmieden ge-
fertigt wurden. Diese Waaren decken sich nicht ganz mit denen des
Eduardschen Gesetzes. 1 Ric. III. c 12.
*) ürk. Beil. Hl; Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 37 fg.; in
ahnlicher Weise spricht sich auch ein Vers in „Now a day8M um 1520 ans:
Alyauntes here have ther way
And Englysshmen cleane decay
the one half mußt nedes play;
this is a common welth!
Other landes avaunced bee
and by and seil among vs free,
and thos our own commodite
Doth clene vndo our selff.
Furnivall, Baüads from Msc. I. P. I S. 104; Im Jahre 1543 lag dem
Parlament ein „Statutum conc. bringing in of French wares" tot, wurde
aber nicht Gesetz. Lords' Journals VoL I. 35 Hen. Y1U. 11° die Pari
— 459 —
wurde. Zudem handelte es sich hier um Waaren, welche die
englischen Handwerker eingestandnermassen nicht gleich billig,
gut und geschmackvoll herzustellen vermochten. Vielleicht
gab man auch der Erwägung Raum, dass durch die laxe Hand-
habung des Gesetzes das fortwährende Zuströmen der Gewerbs-
leute nicht noch mehr befördert werde, denn schon hatte man
wegen dieser, wie wir oben sahen1), Schwierigkeiten genug,
die nicht weiter vermehrt werden durften. Nicht eher als bis
unter Elisabeth, wo ja auch die Fremdenfrage keine bren-
nende mehr war, griff man wieder zu dem Verbote zurück*)-
Nur bei den Kappen und Hüten machte Heinrich VIII. den
Versuch, die fremde Waare auszuschliessen '). Obwohl auch
das Tragen verboten war, somit die Verletzung des Gesetzes
leicht erkannt werden konnte, so scheint doch die Durch-
führung auf unüberwindliche Hindernisse gestossen zu sein.
Die Mode, die nun einmal die fremden Mützen wollte, war
nicht zu brechen. Heinrich VIII. sah sich veranlasst, nicht
nur den wegen Einfuhr solcher Kappen und Hüte bestraften
Personen die Strafe zu erlassen4), sondern gleich auf dem
Wege der Licenzen den Import zu gestatten6). 1529 hob er
das Verbot, fremde Hüte und Mützen zu tragen, ganz und gar
auf und begnügte sich, durch einen niedrigen Preisansatz die
Einfuhr zu drücken 6).
Ausserdem sind noch drei Schutzgesetze aus Heinrichs VIII.
Zeit zu nennen. Das eine setzte zu Gunsten der Zinngiesser
eine Beschränkung der fremden Zinnwaaren fest7). Das an-
dere suchte auf allgemein ausgesprochenes Verlangen8) die
*) S. 420 fg.
*) 5 El. c 7. (1562/3); sieh auch 8 El. c. 3, 14: 89 El. c. 14.
3) 3 Hen. VIII. c. 15. Wie die Kappen- und Hutmacher gegen die
Walkmühlen opponirten, darüber sieh 22 Ed. IV. c 5.
4) So am 28. Nov. 1516 20 Mercers aus Conventry. Brewer, Cal.
IL 2606.
*) Brewer, Cal. 1.8784, 3794, 5144, 5239. 5690, 5701, 5711; IL 404,
1129, 1502, 8878, 3946; III. 206, 1151; IV. 5510, 5906.
•) 21 Hen. VIH. c. 9. Unter Elisabeth kamen die wollenen Kappen
ausser Mode. Dadurch geriethen die 8000 Londoner und andere Engländer,
die mit Verfertigung derselben beschäftigt waren, in solche Noth, dass
man das Gesetz erliess, jeder müsse an Sonn- und Feiertagen eine wollene
Kappe tragen. 18 EL c 19 (1571).
*) 25 Hen. VIÜ. c. 9.
•) „Where as there was a commawndement came downe from the
kynges most honorable cownsell 10 or 12 wekes past to all prynters, that
they ßholde prynt no maner of new thyng, onlesse it be sene of those,
which know what is necessary to be comen among the kynges subiectes,
the which is nedfull to be observyde. But I thynke it wäre good, that a
commawndement shulde come to all such, the whiche do prynte or cawse
to be pryntyde any maner of Englishe boke grete or smafl, that they nor
none for theym prynte any maner of thynges in Englysh withowte the
kynges domynyon upon payne of the kynges dyspleasure and to forfite
the same. For although that bokes pryntyde beyonde the see 8 or 10
yeres paste hath done myche good to the comen people of this realme
— 460 —
Buchbinderei und Buchdruckerei im Lande zu heben, enthielt
aber äusserst vorsichtige Bestimmungen, um nicht die Bildung
und Belehrung zu hemmen; durch das Gesetz wurde nur der
Wiederverkauf der in der Fremde gebundenen Bücher, sowie
der Detailverkauf der auswärts gedruckten Werke verboten ■).
Ein drittes Gesetz untersagte zu Gunsten der Stecknadelmacher
die Einfuhr der fremden Stecknadeln , war aber nur von vor*
übergehender Bedeutung, indem es nach zwei Jahren wieder
aufgehoben werden musste9).
Eine letzte Gruppe von Gesetzen sowie Ein- und Ausfuhr-
verboten hing mit kriegspolitischen Rücksichten zusammen und
zwar nach zwei Seiten hin; sie dienten entweder als momen-
tane Repressalie, als ein Mittel, dem Feinde möglichst grossen
Schaden zuzufügen, oder aber sie bezweckten eine dauernde
Steigerung der Wehrhaftigkeit des Landes.
Die Massregeln ersterer Art waren ausserordentlich häu-
fig8) und konnten sich auf Alles beziehen. Lebensmittel,
Pferde, Waffen, Wolle und sonstige Stapelartikel 8), die sämmt-
lichen Waaren fremder Nationen mochten längere oder kürzere
Zeit am Aus- oder Eingang verhindert werden ; ein drohender
Ueberfall zur See genügte, um die Zurückhaltung der eng-
lischen Waaren zu veranlassen. Die Ein- und Ausfuhrverbote
als Kriegsmittel waren natürlich immer zweischneidig, aber
die Schärfe war nicht auf beiden Seiten gleich. Es scheint,
als ob der grössere Vortheil, die Fähigkeit grösserer Ausdauer
zumeist auf Seite Englands war. Wiederholt zwang es auf
diese Weise die Nachbarn, seinen Wünschen zu entsprechen.
Unter den Gesetzen, welche die Wehrhaftigkeit im Auge
haben, ist das Ausfuhrverbot junger guter Pferde und Stuten
zunächst zu nennen 4) ; allerdings war auch die Preissteigerung,
welche die Ausfuhr hervorrief, nach damaliger Anschauung
for the knoledge of such thynges. which the papistes did what they colde
to hide, yit I thynke for as mocn as it is the kynges most gracious wyU,
that auy thyng, which may do good to his lovyng subiectes, shulde be
set four the here within this realme. This consyderide I thynke, it wäre
goode none to be sufierde to prynt any thyng withowt this realme, ye,
and also that all haberdashers to be commawndyd not once to bryng any
maner of primers from any place beyonde the see nor no other boke to
seil here within this realme which be or shalbe here after pryntyde beyonde
the see and brought frome thence bj strangers or other. And in shorte
tyme it shulde well be sene, that the pryntyng shalbe a comodions syence
and shulde set many of the kynges subiectes to worke, wherby many shulde
wex rieh, which now are in maner but beggers" etc. R. Pauli, Drei
volksw. Denkschriften S. 58.
*) 25 Hen. VIII. c. 15.
8) 34/85 Hen. VIII. c 6; 87 Hen. VIIL c. 13.
8) Rymer passim.
4) 11 Hen. VII. c. 13: als momentanes Kriegsmittel wurde die Aus-
fuhr schon 1355 verboten. Rymer (Rec. Ed.) HL P. I. S. 293; sieh auch
P. IL S. 694, 724.
— 461 —
schon an sich genügend, um einen solchen Schritt zu begründen.
Die Niederlande traten hauptsächlich als Käufer der englischen
Pferde auf1). Das Verbot war kein absolutes. Nur Stuten»
die mehr als 6 sh 8 d kosteten, und Pferde, die unter drei
Jahre alt oder 3 sh 4 d werth waren, sollten nicht exportirt
werden. Der Zoll betrug 6 sh 8 d per Stute, und Jeder hatte
das Recht, im Ausgangshafen eine Stute, die exportirt wer-
den sollte, für 7 sh zu beanspruchen. Als die Acte vielfach
umgangen wurde, traf Heinrich VIII. neue Massregeln *), verbot
den Verkauf nach Schottland s) und dehnte die Acte auch auf
anderes Vieh aus. Durch das berühmte Gesetz „For breed
of horses" regelte er schliesslich die Aufzucht, indem schwäch-
liche Stuten getödtet und nur grosse Pferde gezogen werden
sollten, und legte damit den Keim zu den vortrefflichen eng-
lischen Pferdera<jen 4).
Wie hier die Vortheile der Pferdezüchter andern Rück-
sichten geopfert wurden, so mussten auch zu Gunsten der
englischen Nationalwaffe manche andere Interessen zurück-
stehen. Die Bogen und Pfeile sollten den Unterthanen gut
und billig geliefert werden. Als die Tellermacher in London
und in andern Orten Teller und sonstige Geräthe aus Aspen-
holz herstellten, welches auch die Pfeilmacher brauchten, und
die letzteren über die daraus resultirende Preissteigerung
klagten, wurde den Tellermachern 1416 die Verwendung des
Aspenholzes untersagt5). Nun konnten die Pfeilmacher zwar
ihre Pfeile billiger als früher verkaufen *) , aber die Londoner
Tellerverfertiger waren unzufrieden. Sie machten geltend, dass
das Aspenholz ihren Zwecken besonders dienlich sei, dass es
viel von demselben gebe, welches die Pfeilmacher gar nicht
gebrauchen könnten, dass die Schreiner, Holzhändler und
Köhler jährlich grosse Quantitäten verschwendeten. Eduard IV.
trug diesen Bedenken Rechnung, er gestattete ihnen, Espen-
holz, das man nicht zu Bogen benützen könne, zu verarbeiten 7).
Die Bogenstäbe wurden von auswärts bezogen; um auch sie
billig zu erhalten, zwang man die fremden Kauf leute, nament-
lich die Venetianer, bestimmte Quantitäten Bogenstäbe von
s) Henne, Regne de Charles-Quint en Belgique V. S. 369.
*) 22 Hen. VIll c. 7; verlängert durch 28 Hen. VIII. c. 6; 81 Hen.
VIIL c. 7; 33 Hen. VIII. c. 17; 37 Hen. VIII. c. 23; über die nieder-
ländische Gesetzgebung vgl. Henne, Regne de Charles-Quint en Belgique
V. S. 367 fg.
*) 23 Hen. VIIL c. 16; 32 Hen. VIH. c. 6.
4) 32 Hen. VIIL c. 13; schon im Jahre 1533 beschäftigte eine Jbilla
concernens educationem equorum" das Parlament, wurde aber vom Ober-
haus in dritter Lesung verworfen. Lords1 Journals 25 Hen. VIIL 66°
die Pari.
*)Rot. Pari. IV. S. 103.
8) „soo that the tlechers thorough the reame may seil their arrowes
at more esy price then they were wonte to doo.u
7)Rot Pari. V. S. 567.
— 462 —
denselben einzufahren l). Als aber die Feuerwaffe herrschend
wurde, musste man aucn diesem Industriezweig seine Aufmerk-
samkeit zuwenden8). Man verbot in Anbetracht, dass alle
andern Königreiche voll Munition seien, während England daran
Mangel leide, die Ausfuhr aller Metalle8), ausgenommen Blei
und Zinn, aber auch der Export von ersterem wurde durch
Licenzen vielfach erschwert4). Heinrich VIII. zog ferner Fremde,
welche grosse Geschützkunde besassen, ins Land. Peter van
Collen und der Franzose Peter Bawd kamen so auf des Königs
Wunsch nach England, um die von ihnen erfundenen Feuer-
mörser für Bomben herzustellen. Bawd stellte auch noch
Eduard VI. seine Dienste zur Verfügung6). \
. Die Gründe, welche für die Ein- und Ausfuhrbeschrän-
kungen massgebend waren, sind sehr mannigfach gewesen.
Neben den in den zuletzt erwähnten Massregeln zum Ausdruck
gelangenden militärischen Rücksichten waren, wie wir bereits
hervorhoben, nicht selten finanzielle Motive von Einfluss; bei
einer grossen Gruppe von Fällen bestand die Ansicht, den
Consumenten die Waaren billig zu erhalten , es gehört hieher
die ganze Getreide- und Lebensmittelhandelspolitik, auf die
wir später zurückkommen werden; aber auch Artikel von
sonstiger allgemeiner Notwendigkeit, wie Eisen, konnten in
solcher Weise behandelt werden. Meist hatten die aus ge-
nannten Motiven erlassenen Massregeln zugleich eine Wirkung,
welche die Industrie förderte oder hemmte. Es gab aber auch
solche Erlasse und Gesetze, welche in bewusst industriepoli-
tischer Absicht beschlossen worden waren. Die hiebei einge-
schlagenen Wege waren verschieden, bald suchte man einer
Industrie den Rohstoff billig und gut zu erhalten durch Be-
schränkung der Ausfuhr, bald gewisse Gewerbe auf eine höhere
Stufe zu bringen durch ausgedehnte Colonisationen und Er-
zwingung von gewissen Veredlungsprocessen, bald schützte man
*) 12 Ed. IV. c. 2; 1 Ric. III. c. 11; in Betreff der Erhaltung der Bogen-
kunst vgl. 3 Hen. VIII. c. 13; 33 Hen. VIII. c. 9; Roger Ascham, Toio-
philus 1545. ed Arber. London 1868; auch noch 13 El. c. 14
*) Das Interesse Heinrichs VIIL für die Kriegstechnik ist bekannt;
Marillac sagt in einem Brief an Franz I. vom 16. November 1540: „The
king wantea to see certain machines of war and contrivances for throwing
fire, invented by his German and Italian workmen." Thomas, The Pilgrim
ed. Froude. Note F. S. 156. Schon 1515 nahm EL VIIL einen Fremden, Namens
Hans Wolf, in seinen Dienst, der das Land bereisen und nach einem Stoff
4) Sieh oben S. 190, 194 und Bd. II. S. 307.
r) Stow, Ann. Ed. 1600. S. 983.
— 463 —
durch Einfuhrverbote gegenüber gewissen Fabricaten. Die
ganze Gesetzgebung zeigt keine starre Consequenz, viele Ge-
setze tauchten zunächst nur einmal vorübergehend auf, um
wieder auf längere Zeit zu verschwinden oder unbeachtet zu
bleiben; oder sie wurden auf eine kleine Zahl von Jahren
gültig erklärt und dann unterbrochen. Die meisten kehrten
aber wieder, bei den meisten zeigt sich gewissermaßen die
Tendenz, sich auszudehnen und ständig zu werden. Vor der
Mitte des 15. Jahrhunderts war der Schutzgedanke zwar vor-
handen, aber er war noch wenig entwickelt, soweit es sich um
internationale Verhältnisse handelte. Von da an aber sahen
wir ein wachsendes Umsichgreifen der Schutzidee, ein immer
lauter werdendes Verlangen nach Schutz, eine Politik, die noch
nicht consequent ist, aber immer bewusster und weniger durch
andere Motive durchkreuzt oder getrübt wird.
Die Gründe hiefür sind unschwer zu finden. Ein wichtiges
Moment, auf das wir im Laufe der Darstellung schon wieder-
holt aufmerksam machen mussten, war der steigende politische
Einfiuss des Bürgerthums. Eduard IV. und Richard III. bauten
auf diesen und bewirkten, dass die städtischen Wünsche sich
hervordrängten. Heinrich VII. und Heinrich VIII. begünstigten
noch entschiedener die bürgerlichen und gewerblichen Kreise,
indem sie den altenglischen Adel zerstörten, das Ansehen des
Clerus schmälerten. Sie regierten mehr nach bürgerlichen
als nach feudalconservativen Grundsätzen.
Dazu kam als zweites Moment, dass nach Beendigung der
Rosenkriege und des innern Zwistes der Staats- und Nationa-
litätsgedanke wieder stärker denn je auflebte, dass England
gleich den übrigen europäischen Gemeinwesen in politischer
administrativer und wirtschaftlicher Hinsicht sich zu consoli-
diren begann. Eine fast nothwendige Folge hievon war die
Schutzpolitik. Frankreich, wo der königliche Absolutismus et-
was früher zum Siege gelangt war, hatte England hierin den
Weg bereits gezeigt *). Und in der That musste durch einen
theilweisen Abschluss nach Aussen das Bewusstsein der staat-
lichen Zusammengehörigkeit und der Einheitlichkeit im Innern
geweckt und erhöht werden. Instinctiv fühlte man das in
England. „Das Königreich muss mehr auf sich selbst und
unabhängig gestellt werden" war das Losungswort 2). Dieselben
Gedanken und Tendenzen, welche die Fremdenpolitik be-
herrschten, kamen zum Theil auch hier wieder zur Geltung.
Eine solche Politik befand sich auch im Einklang mit den
wirthschaftlichen Anschauungen der Zeit, oder richtiger sie
a) Clement, Histoire du Systeme protecteur en France S. 8. Gou-
rand, Histoire de la politique commerciale de la France 1854. I.
a) „The realme may subsist more of itself." Rede Mortons im Par-
lament von 1487. Bacon, Life and reign of Henry VII in Kennets com-
plete history of England I. S. 593.
— 464 —
war eine Consequenz derselben. Die letzteren waren nun ein-
mal mehr oder weniger von der Notwendigkeit der Privilegien
und Ausschliesslichkeit beherrscht Stadt gegen Land, Gilden
gegen Gilden standen mit festgezogenen Grenzen und bestimmten
Rechten, aber auch mit gewissen Pflichten einander gegenober.
Es lag so nah, dieses System, das die ganze Gesellschaft durch-
drang, auch auf den Staat und dessen Verhältnis zu andern
Staaten zu fibertragen. Freilich wurden auch dem Zunftsystem
oder doch seinen eigentlichen Sitzen um jene Zeit schwere
Schlage versetzt. Die alten blühenden Städte begannen mit
wenigen Ausnahmen zu verfallen, die zunftlosen nicht incorpo-
rirten Orte, das platte Land und die Vorstädte traten in den
Vordergrund1). Sie waren frei von den mancherlei Fesseln,
die in den alten Gewerbsorten bestanden, die peinliche Auf-
sicht der Zunftvorsteher blieb ihnen erspart, die siebenjährige
Lehrzeit war fttr sie nicht erforderlich, ihre Production war
ungehemmt, sie waren namentlich befreit von den bedeutenden
städtischen und zünftischen Lasten. Unter dem von den Tu-
dors geschaffenen allgemeinen Rechtsschutz konnten sie sich
leicht zu blühenden Gewerbscentren einer neuen Zeit ent-
wickeln. Von dem Verfall einzelner Hafenplätze und Städte
wird uns schon Ende des 14. Jahrhunderts berichtet *), am
Anfang des 15. Jahrhunderts wird dieser Thatsache immer häu-
figer gedacht 3). Seit 1433 sah sich das Parlament veranlasst,
bei jeder Bewilligung eines Fünfzehnten oder Zehnten aller be-
weglichen Habe zu bestimmen, dass ein Abzug von der Steuer-
summe behufs Erleichterung der verfallenen Städte und Flecken
gemacht werde4). Nach Beendigung der Rosenkriege und
unter Heinrich VUI. war diese Frage6) fortwährend Gegen-
stand der Gesetzgebung 6). Gewiss gab es mannigfache Ursachen,
x) Seit ältester Zeit strebten die Städte dahin, in der nächsten Um-
gebung den concurrirenden , Gewerbebetrieb zu verhindern. In den Privi-
legien von Nottingham vom" 19. März 12 z.B. heisst es: „nee aliquis infra
decem leucas in cirenitu de Notingham tinetos pannos operari debet nisi
in burgo de Notingham. Hardy, Rot Chart 5. 39.
») Rot Pari. III. S. 447.
8) Rot. Pari. EL S. 621, 640; IV. S. 58, 444, 469.
4) „the summe of 4000 £ fully to be deduete of the summe, that the
XV™. and X">« atteigneth unto, in partie of relefe and discharge of the
poure tounes, citees and burghes desolate, wastud or destrued or over
gretly empoverysched or elles to the saide taxe over gretly charged." Später
betrug die Summe 6000 £. Rot. Pari. IV. S. 425, 487, 502; V. S. 4,
37, 69, 142, 228, 236, 623; VI. S. 39, 113, 197: vgl. ferner Rymer XU
S. 213, 258; 12 Hen. VII. c 12; Archaeologia 1770. h S. 91—9«.
*) Sieh auch Brewer, Cal. IL 236.
6) 26 Hen. VIII. c. 8, c. 9; 27 Hen. VIII. c. 1, c. 22; 32 Hen. VIII.
c 18; 32 Hen. VIII. c. 19; 33 Hen. VUI. c. 36; 35 Hen. VIII. c. 4. In
diesen Gesetzen sind genannt: York, Lincoln, Canterbury, Coventry, Bath,
Chichester, Salisbury, Winchester, Bristol, Scarborough, Hereford, Colches-
ter, Rochester, Portsmouth, Poole, Lynne, Faversham, Worcester, Stafford,
Buckingham, Pomfret, Grantham, Exeter, Ipswich, Southampton, Great-
— 465 —
welche den Verfall herbeiführten. Bei der notorisch schlechten
Bauart konnte leicht ein Ort zur Ruine werden; manche Ver-
ödungen hatte schon die Pest verursacht x). Die Kriege
mochten auch die Zerstörung und den Verfall einzelner Städte
und Flecken herbeigeführt haben *). Die Edelleute zogen mehr
und mehr den Aufenthalt auf dem Lande vor8).
Die Hauptursache aber war sicherlich die vor sich gehende
Deplacirung der Industrie, eine Bewegung, wie sie vorher in
den Niederlanden sich auch schon gezeigt hatte4). Die Bürger
und Handwerker dieser Städte befanden sich in einem Noth-
stande. Wie immer in dergleichen Fällen sahen sie den Grand
des Leidens nicht blos im Innern, sondern machten auch die
auswärtige Concurrenz für ihre Lage verantwortlich Wie sie
Beschränkung der in England angesiedelten Fremden, Aufhe-
bung der in Vorstädten und privilegirten Orten üblichen Frei-
heiten, Unterwerfung der ländlichen Industrie unter städtische
oder gemeinsame staatliche Aufsicht und Gontrole oder gleich
Verbot der auf dem Lande als Concurrent auftretenden In-
dustrie verlangten 5), so wünschten sie auch eine Begünstigung,
einen Schutz des einheimischen Gewerbes gegen das aus-
ländische.
Diese ganze Entwicklung erreichte ihren Höhepunct durch
eine nebenherlaufende, schon seit Decennien wirksame Agrar-
revolution, welche den Grundstock der Bevölkerung, die kleinen
Ackerbauer mit einer erschreckenden Kiisis heimsuchte. Die
Einhegungen und die mit ihnen eingeführte Eoppelwirthschaft
war ohnstreitig rein öconomisch aufgefasst ein grosser Fort-
schritt6). Aber die Umwandlung vollzog sich nicht ohne
Yannouth, Oxford, Great- Wycomb , Guildford, Estredforde, Kingston upon
Hüll, Newcastle on Tyne, Beverlev, Bedford, Leicester, Berwick, Shafton,
Sherborne, Bridport, Dorchester, Weymouth, Plymton, Barnstaple, Tavistock,
Dartmouth, Launceston, Liskeard, Lowestwithiel, Bodmin, Truro, Heiston,
Bridgwater, Taunton, Somerson, Ilchester, Maldon, Warwick. Den Eigen-
thümern der Baustellen wurde befohlen , die verfallenen Häuser innerhalb
eines bestimmten Termines aufzubauen, widrigenfalls der Boden an die
Commnnen fallen sollte.
^Kot. Pari. III. S. 447, 621.
») Sieh z. B. Rot. Pari. IE. S. 640.
9) „Euery gentylman flyth into the cuntrey. Few that inhabyt cytes
or townys; few that haue any regard of thern." Starkey, England in
the reign of king Henry VIII. ed. Cowper S. 93.
4) Der theilweise Verfall der engl. Städte hat nicht gleich dem der Dörfer
und Einöden die Einhegungen zum Grunde, wie Cowper in der Preface zu
Stärkere Dialog S. CV, meint; auch die Begründung, wonach die Gesetz-
gebung der Mode folge und immer einen Punct längere Zeit behandle
Macpherson II. S. 94), reicht nicht aus. Dass die Deplacirung der
Industrie der wahre Grund war, das erhellt aus 21 Hen. VIII. c. 12;
5/6 Ed. VI. c 24; 1/2 P. und M. c. 7; 2/3 P. und M. c. 12; 4/5 P. u. M
c 5; 1 El. c. 14; 18 El. c 16; 27 El. c. 23.
*) Sieh unten Gap. 8.
6) E. Nasse, Die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Ein-
begnügen des 16. Jahrhunderts in England 1869. S. 61, 62.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 30
— 466 —
herbe Rechtsverletzungen *) , und jedenfalls gehört die Ueber-
gangszeit mit zu den traurigsten Perioden in der Geschichte
der englischen Landwirtschaft*).
Ein grosser Theil der ländlichen Bevölkerung sah sich in
eine abhängige Stellung herabgedrückt, ganze Massen der
wackersten Bauern mit Weib und Kind wurden obdachlos und
ohne Aussicht auf ein Brod oder eine Beschäftigung auf die
Strasse geworfen 8). Die Schilderungen der Zeitgenossen über
dieses sociale Elend sind wahrhaft erschütternder Natur4), und
x) Nasse a. a.0. S. 68, 69; der Materialienreichthum der englischen
Archive über diese Frage ist sehr gross, namentlich sind die Acten der
Sternkammer im R. 0. mit hieherbezüglichen Processen angefüllt
*) lieber den Fortgang der Einhegungen unter den beiden ersten Tu-
dors sieh ürk. Beil. 180.
. s) In den verschiedenen Grafschaften war die Ausdehnung des Leidens
verschieden gross. Der Dialog W. Staffords, auf den Nasses Arbeit haupt-
sächlich gegründet ist, enthält verschiedene Angaben über die Abnahme der
Bevölkerung durch die Einhegungen. Ich habe diese Notizen gesammelt
und reducirt und da ergab sich das Verhältniss, dass wo ein Mann
war, früher 3, 6, 13, 20, 70, 100 waren. Die Abweichungen sind ebenso
sehr Folge der subjectiven Schätzung, als Folge der verschiedenen Ge-
genden, die die Schätzenden im Auge hatten. Eine anschauliche Durch-
schnittsschätzung der brodlos gewordenen Bevölkerung ist in der kleinen
Schrift: Certayne causes gathered together wherein is shewed the decaye
of England, only be the great multitude of shepe, to the vtter decay of
houshold keping , mayntenance of men, dearth of corne and other notable
dyscommodities approved bv syxe olde Prouerbes 1550 — 53. ed. by Gowper
in der Supplicacion of the beggers. Early text soc. Extra Ser. XIII. S. 101:
„It is to vnderBtande and knowen, that there is in England townes and villages
to the nomber of fifty thousand andvpward and for every towneand vyl-
lage — take them one with an other throughout all — there is one
plowe decayed sens the fyrste yeare of the raigne of kynge
Henry theSeventh. And in som townes and vyllages all the hole towne
decayed sens that time; and yf there be for euery towne and village one
plough decayed sens the first yeare of the raygne of kyng Henry the Se-
ventn, then ifl there decayed L thousande plowes and vpwarde. Tlie which
L thousande plowes, euerye ploughe were able to mainteine VI persona:
That is to saye, the man, the wyfe and fower other in his house, lesse
and more. L thousande plowes, six persona to euery plough, draweth to
the nomber of thre hundred thousand persons were wont to
haue meate, drynke and rayment, vprysing and down lyinge, paying akot
and lot to God and to the kyng. And now they haue nothynge, trat goeth
about in England from dore to dore and axe theyr almose for Goddes
eake. And because they will not becge, some of them doeth sterile and
then they be hanged and thus the Realme doeth decay and by none other
wayeB eis, as we do thynke." Nach einer Denkschrift des 16. Jahrhunderts
wären innerhalb 60 Jahren 4—500 Dörfer in Mittelengland durch Ein-
hegungen zerstört worden. Pauli. Drei volksw. Denkschriften S. 26.
4) Die Zeugnisse hierüber sind fast zahllos. Einige mögen zur Illustra-
tion hier Platz finden. In der Utopia des Thom. More heisst es (Ham-
burger Edition 1752. S. 20): „Oves vestrae, quae tarn mites esse tamque
exiguo solent ali, nunc uti fertur tarn edaces atque indomitae esse coeperunt,
ut homines devorent ipsos, agros, domos, oppida vastent ac depopulentur.
Nempe quibuscunque regni partibüs nascitur lana tenuior atque ideo pre-
tiosior, ibi nobiles et generosi atque adeo Abbates aliquot, sancti viri, non
his contenti reditibuB fructibusque annuis, qui majoribus suis solebant ex
— 467 —
es ist ja auch bekannt, wie der allgemeine Jammer in dem
furchtbaren Aufstande von 1549 sich Luft zu schaffen suchte.
Alle diese Brod- und Beschäftigungslosen drängten sich zu den
praediis crescere nee habentes satis, quod otiose ac laute viventes, nihil in
Sublicum prosint, nisi etiam obsint, arvo nihil relinquunt, omnia clau-
unt pasenis, demolinntur domos, diruunt oppida, templo duntaxat
stabolandis ovibus relicto. Et tamouam param soli perderent apud tos
ferarnm saltus ac vivaria, illi boni viri habitatjpnes omnes et quidquid us-
quam est eulti, vertun t in solitudinem. Ergo ut unus helluo, inexplebilis
ac dira pestis patriae, continuatis agris, aliquot millia jugerum uno cir-
cumdet septo, ejiciuntur coloni quidam, suis etiam aut circumscripti fraude
aut vi oppressi exuuntur, aut fatigati injuriis adiguntur ad venditionem.
Itaque quoquo pacto emigrant miseri, vin, mulieres, mariti, uxores, orbi,
viduae, parentes cum parvis liberis et numerosa magis quam divite familia,
ut multiß opus habet manibus res rustica; emigrant, inquam, e notis atque
assuetis lanbus, nee inveniunt, quo se reeipiant, supellectilem omnem haud
magno vendibilem, etiam si manere possint emtorem, cum extrudi necesse
est, minimo venundant: id cum brevi errando insumserint, quid restat aliud
deniaue, quam uti fürentur et pendeant juste scilicet aut vagentur atque
mendicent: quamquam tum quoque velut errones conjiciuntur m carcerem,
quod otiosi obambulent, quorum operam nemo est qui conducat, cum Uli
cupidissime offerant Kam rusticae rei, cui assueverunt, nihil est, quod
agatuT, ubi nihil seritur. Si quidem unus opilio atque bubulcus auffielt ei
terrae depascendae pecoribus, in cujus eultum, ut sementi faciendae suffi-
ceret, multae poscebantur manuä."
Aehnlich spricht sich Bastards „Chrestoleros" lib. IV. Epigr. 20.
(1598) aus:
Sheepe have eate vp our medows and our downes,
Our corne, our wood, whole villages and townes,
Yeaj they haue eate vp raany wealthy men,
Besides widowes and orphane childeren,
Besides our Statutes and our iron lawes,
Which they haue swailowed down into their maws.
Till now I thought the prouerbe did but iest,
Which said „a blacke sheepe was a biting beast"
In diesem Sinn ist auch die Stelle in Ashams Brief an Duke oi
Somerset vom 21. Nov. 1547 aufzufassen, in der es heisst (Ashams Works
ed. Giles I. S. 140—141): „Qui auetores sunt tantae miseriae? — Sunt
illi, qui hodie passim in Anglia praedia monasteriorum pravissimis annuis
redditibus auzerunt Hinc omnium rerum ezauetum pretium: hi homines
expilant totam republicam. Villici et coloni universi laborant, pareunt,
corradunt, ut istis satisfaciant — Hinc tot familiae dißsipatae, tot domus
collapsae. Hinc quod omnium miserrimum est, nobile illud decus et robur
Anghae, nomen, inquam, Yomanorum Anglorum fractum et collisum est
Kam vita, quae nunc vivitur a plurimis, non vita, sed miseria est.u
Tyndale sa^t 1528 in „The duty of Landlords": „Let Christian land-
lords be content with their rent and old customs ; not raising the rent or
fines and bringing up new customs to oppress their tenants ; neither letting
two or three tenantnesunto one man. Let them not take in their commons,
neither make parkes nor pastures of whole parishes: for God gave the
earth to man to inhabit and not unto sbeep and wild deer".
HugoLatimer predigte 8. März 1549 (Seven Sermons before Edw. VI.
Arber's reprints S. 40): „Furdermore, if the kinges honour, as sum men
say, standeth in the great multitude of people, then these grasiers, in-
closers and renterearers are hinderers of the kings honour. For wher
as haue bene a greate meany of householders and inhabitauntes , ther is
nowe but a shepherd and bis dogge, so thei hynder the kinges honour
30*
— 468 —
Gewerben heran, sei es a\jf dem Lande, sei es in Vorstädten
oder nicht ineorporirten Plätzen; es gab nur noch einen Ruf,
und das war der nach Arbeit.
most of al. Mylordes and meistere. I say also, that all suche procedynges
which are agaynste the kynges honoure, as 1 haue a part declared before,
and as far as I cane perceiue, do plainly, to make the yomanry ala?ery
and the cleargye slauery".
In der Satire gegen Wolsey „Rede me and be nott wrothe" heisst es:
Wat I have hearde seye of myne eiders
That in Englonde many fermers
Kept gaye houßholdes in tymes passed.
Jef. Ye, that they did with liberalite
Sheawynge to povre people charite
But nowe all together is dasshed.
Of riche farme places and halles
Thou seist nothynge but bare walles
The rofes fallen to the grownde,
To tourne fayre houses into pasture,
They do their diligent core,
The commen well to confownde.
(Furnivall, Bai lad s from Ms. Pt IL S. 109-111).
In Now a days 1520 (a a. 0. I. S. 93 fg.):
Envy waxith wonders strong
the Kich[e] doth the poore wrong
God of his mercy sufferith long
the devill his workes to worke.
The townes go down, the land . decayes ;
Off cornefeyldes, playne laves
Gret men makithe now a aayes
A shepecott in the churche.
The places that we Right holy call
Ordeyned ffor christyan buriall
off them to make an ox stall
thes men be wonders wyse.
Commons to close and kepe;
Poor folk for bred [to] cry and wepe;
Towns pulled downe to pastur shepe;
this ys the new gyse.
In einer Liturgie Eduards VI. war sogar ein Gebet, dass Gott den
harten Sinn der Grundherrn erweichen möge: „Give them erace also, that
they may be content with that is sufficient and not ioin house to house
nor couple land to land to the impoverishment of other, but so behove
themßelves in letting out their tenements, lands and pastures , that after
this life they may be received in everlastinc dwelling-places". Entnommen
der Einleitung von Cowper zu Rob. Crowley, Select works S. XXII.
Ebenso eiferte Rob. Crowley, An informacion, an peticion agaynst
the oppressours of the pore Comons of this Realme compiled and imprinted
for this onely purpose that amongest them that haue to do in the Parli-
amente, from godlye mynded men, may hereat take occacion to speake
more in the matter then the Authoure was able to write. London (1548?)
fo. 56 gegen die engrossers of farms und beklagt f. 8 die durch die
letzteren herbeigeführte Zerrüttung der Familie und Zerstörung der Sittlich-
keit. Vgl. ferner Crowley, The way to wealth, wherein is plainly tanght
amost present remedy for sedicion 1550. S. 182 und sonst in Select works
ed. by Cowper; Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 54 und passim;
— 469 —
Die Rücksicht auf die einheimische Arbeit findet sich in den
Gesetzen Eduards IV. und Richards III. bereits stark betont x).
Beherrschende Maxime wurde sie unter den ersten Tudors.
Als Heinrich VII. durch seinen Minister, den trefflichen Car-
dinal Morton2), 1487 dem Parlament gewissermassen sein
Wirthschaftsprogramm vortragen Hess, war der rot he Faden,
der die einzelnen Vorschläge und Erörterungen durchzieht, der
Wunsch, dem Volk durch Handel und Manufacturen zu Ar-
beit zu verhelfen 3).
„Des Königs fester Wille ist es, dem Lande Ruhe und
Frieden zu sichern. Dieser Friede soll Euch nicht blos Blätter
erzeugen, unter deren Schatten Ihr ruhig und ungestört sitzen
könnt, sondern er soll Euch Früchte des Reich thums, Wohl-
standes und Ueberflusses tragen. Deshalb bittet der König
Euch, Eure Aufmerksamkeit auf den Handel und die Manu-
facturen des Königreichs zu lenken. Er wünscht Euren Bei-
stand behufs Unterdrückung des Wuchers, auf dass das Geld
wieder auf den Handel und die Gewerbe verwendet werde,
ferner behufs Massregeln, welche dem englischen Volk in
Künsten und Gewerben Arbeit verschaffen, das Königreich un-
abhängiger vom Ausland machen, die Unthätigkeit beseitigen
und den Abfluss des Geldes für fremde Manufacte verhin-
dern. Aber hiebei dürft Ihr nicht stehen bleiben, sondern Ihr
müsst weiter Vorsorge treffen, dass der Erlös jeglicher Waare,
Thomas Lever, Sermons 1550 in Arbeits reprints S. 29; Strype,
Eccles Mem. Ed. 1822. II. 2. S. 861; Ha weis, Sketches of the reformation
1844. S. 269, 271, 299, 301 j Thomas Becon, ThePolicy of war, wherein
is declared, how the enemies of the Christian public weal may be over-
come and subdued in dessen Early Works written ander Henry VIII ed.
by Ayre S. 253: Harris on, Description of Britaio. Hollinsheds Aus-
r>e S. 189, 221; Bacon, History of Henry VII. Ed. London 1676.
43-45: Northouck, History of London 1773. S. 113.
Die Krone der zeitgenössischen Stimmen bildet die „Vox populi, vox
Dei. A complaynt of the comons against taxes". Reprinted by Woodfall
London 1821; neuerdings abgedruckt bei Für niv all, Ballaas frorn Ms.
VoL I. P. I. Das Gedicht, das aus 11 grössern Abschnitten besteht und
circa 1548 geschrieben wurde, schildert in der ergreifendsten Weise das
allgemeine Elend. Der eigentümliche Rhythmus, der dumpf melancholische
Ton, die volle Verzweiflung, die sich in ihm wiederspiegelt, sind von er-
schütternder Wirkung.
*) So heisst es 7 Ed. IV. c 3 (1467): „ Würde daß Garn im Lande
verwoben und das Tuch gewalkt, so würde der König seinen Vortheil haben,
and die Weber sowie Walker beschäftigt sein, während sie so verarmen una
die Fremden sich bereichern." Sieh auch 3 Ed. IV. c. 3; 1 Ric. III. c. 9,
c 12 und oben S. 446, 447.
2j Vgl. die Schilderung, die Thomas More von ihm entwirft. Utopia,
Hamburger Edition von 1752. S. 14, 15.
*) Vgl. auch die Begründung der oben erwähnten Industriegesetze
Heinrichs VII.; ferner die Proclamation bei Errichtung eines Metallstapels
vom 24. Juni 1492. Gairdner, Letters and Papers of Richard III. and
Henry VII. II. S. 373.
- 470 -
welche vom Continent eingeführt wird, zum Ankauf englischer
Artikel verwendet werde, damit nicht ein allzu ausgedehnter
Handel der Fremden den Metallschatz des Königreichs zer-
störe und vermindere" *).
Aehnliche Gedanken waren unter Heinrich VIH. die hell-
sehenden. Viele der früher hervorgehobenen Momente kamen
während seiner Regierungszeit erst zu ihrer vollen Wirkung
und wurden durch die von Heinrich VIH. vollzogene Aufhebung
der Klöster noch um ein weiteres vermehrt *). Volk, Prediger,
Staatsmänner und sonstige Politiker wetteiferten in der Er-
läuterung des Werths und der Notwendigkeit der einheimi-
schen Arbeit.
„Der ganze Wohlstand des Staatskörpers, sagte man, ent-
springt aus der Arbeit und der Thätigkeit des gemeinen
Volkes3). Aufgabe des Königs ist es, zu erwägen, welche
Gaben Gott seinem Reiche geschenkt hat, und wie das Volk
entsprechend der Natur und Beschaffenheit derselben in Arbeit
gesetzt werden kann4). Die Lenker und Leiter des Staates
■) Bacon ofVerulam, The life and reign of Henry VII. in Kennets
history of England I. 3. 593. In Betreff der bei Francis Bacon sich fin-
denden Reden sagt Pauli, Geschichte Englands V. S. 703: „Die häufigen
Reden des Lord Canzlers Morton und der französischen Gesandten sind
im Geschmack der eigenen Zeit erdichtet, doch sind sie in der Regel auf
die Parlamenterollen und andere urkundliche Ueberlieferungen zurück-
zufuhren".
*) Dass die Aufhebung am Anfang von allen Nothleidenden schwer
empfunden wurde, kann nicht bezweifelt werden: deshalb jammert auch
das Volk 1536:
„Abbas to suppresse we haue lytyll nede
the whyche off charyte gude men dyd fownde;
to them vt wais thowght it wais great meide;
but boldly now downe streght to the grownde
many are besy them to dekay,
And them profanyth: non dar say nay.
AnExhortacyon to the North 1536. Furnivall, Ballads fromMs. I. S.805,
8) „The holl welth of the body of the realme riseth out of the la-
bours and workes of the common people. — Suerly the common weale of
Englonde muste rise out of the workes of the common people." Pauli,
Drei volksw. Denkschriften S. 61, 75.
4) „And that every kyng within hiß realme ought to consyder, what
comodytie God hath plantya within precynete of his domynyon and acor-
dyng äs God by his ordynary law gevith the encrease theroff, so ought all
kynges and mynysters to receave it of the gyft of God, that is he shulde
se his people »et to worke the saide gyfte acordyng to the nature or qua-
litie of the gyft, and that the workers thereoff to receave there lyvyng by
theire laboures, and that the thyng to have the increase, so ought all kynges
to have all proffytes or increase within there realmes, the which is over
and above, that all theire subiectes hath no nede". Pauli, a. a. O. 51, 52.
„Also it is ye kinges honour, that the commen wealth be auaunsed, that
the dearth of these forsaied thinges be prouided for, and the commodities
of thys Realme so emploied , as it may be to the setting his subiectes on
worke, and kepyng them from idlenes. And herin resteth the kinges ho-
nour and hys Office. So doynge, his aecompte before God shalbe alowed
and rewarded. (8. M&rz 1549) Hugo Latimer, Seven Sermons before
Edward VI. Reprints of Arber. 8. 39 und 40.
— 471 —
müssen als gute Staatsmänner fortwährend darüber nachdenken,
auf welche Weise man dem Volk Arbeit geben, seinen un-
ruhigen Geist beschäftigen und Alles, was ausserhalb des Kö-
nigreichs gemacht wird, im Königreiche fertigen könne1).
Das Verfallen der Handwerke mit seinen schädlichen
wirtschaftlichen Folgen*), der Ruin der Städte8), das Stehlen
und Betteln, die Armuth, der Mangel an Geld*) wurzeln in
der geringen Achtsamkeit, die man der einheimischen Arbeit
schenkt.
Alle nicht notwendigen Waaren des Auslandes und alle
diejenigen, die man im Inlande fertigen kann, nutyss man aus-
*) „It wäre a good policie for governers and rulers of a realme alway
to Studie, which way to set all comen people to laboures to kepe theire
frowarde myndes well occupiede and not to suffer such thynges to be
wrought owte of this realme, the which may easely be wrought within the
realmetf. R. Pauli, Drei volksw. Denkschriften 8. 59.
*) A. a. 0. S. 39 und 40, wo das Ueberwuchem der Kramerei und
Wirthshauser aus dieser Ursache abgeleitet wird. „For lakke that pore
peple hath noo labour and levyng by handy craft. causith aü such mor-
dinate rule. If all peple may have labour and levyng well and besyly
occupied, shuld cause moche more quietnes in London and thorowt all
the realme".
3) Many craftesmen and half beggers,
both in townes and cyty:
ffrenche wäre hither ys browght
and englishe hand craft gothe to nowght
Halff this Realme, it ys vnwrowght,
Alas, for pure pytty!
In Now a dayes (1520). Furniyall, Ballads from Ms. I. S. 98 fg.
*) Pauli a. a. 0. S. 67. And by reason of gret abundaunce of stränge
merchaundyses and wares brought yerly into Englonde hath not only cau-
sid scarsite of money, but hath diBtroyed all handycraftes, wherby gret
nombre of common people shuld have workes to gete money to pay for
their mete and drinke, which of very necessite mußte lyf idelly and begg
and stele or seke their lyving by suche faulse meanes, as it is to see, how
people cannot lyve in right oraer one with an other, because the king
Deine the hede of his lordes knyghttes and squiers which ar his harmes
handes and fyngers, doo not mynystre to all common people bodyly
members suche giftes of grace as God yerly gevith to theym, which
they shuld worke for the common weale of the hole realme. Wheras
now so grete nombre of idull people ar in Englonde besyde all such that
workith husbandry havyng no workes or artificialite to gete money wher-
with to by there meat and drinke of the workes of husbandry. And all
the Barne idull people havyng lyff iu theym must nedys have lyving. Ergo
yf they be workes of artificialite gete no money, wherewith to gete their
'Trog* muste nedes bege or stele their lyvinge from them, that workith
husbandry, or otherwise by craftie meanes of beying and sellyng or by
policy to stody howe of plentie to make scarsite for their singulare weale
to distroy the common weale, that is the wisdome of this worlde. For
yf all people be not sett to labour and worke to lyve out of necessite, elles
muste they nedyB sike their lyvinge by their wisedome and policye".
Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 63, 67. Tgl. auch Starkey, Eng-
land in the reign of EL VIR S. 172.
— 472 —
schliessen *), selbst wenn man für das einheimische Product
etwas mehr zahlen muss*).
Der Luxus, der so gerne die fremden Artikel bevorzugt,
ist schädlich und zu verpönen8).
1) „Also I thynke it were good, that the kynges most honerablecownseJl,
yf they wyll reforme the realme, to make an act of Parlement or other wyse a decre
in the Starre Chamber, that all cities and townes within this realme to make ordy-
nawnce for the welth of the saide cities and townes, and that than the inhabytaance
of all cities and townes to have in commawndement, that they do make aod
ordeyne among them, that no thyng be brought by any of the kynges sabiectes
frome any stränge place beyonde the see, the which may be wrought in any partie
of the kynges domynyon upon payne of forfit of body and goodes to the
kynges highnes and that all workers of artificialitie to be set to worke as well
strangers as Englyshmen — . Also it wolde be decreed, that what stranger
so ever he warr that brought any maner of workes of artificialitie into
this realme at any tyme, that they may costome it and do with it what
they wolde and as they now do and to earne it or way or gane at theire
pleasure, so that no inhabitaunt within this realme do by it upon pane to
forfit it and theire bodie and goodes to be at the kynges pleasore excepte
such thynges which cannot be wrought within this realme, which decre
shall cawse no stryffe nor variance betwene prynce and prynce in that it
shall not be agenst no contracte made in any tretie of peace, so that
ether subiectes as marchantes mav carie what comoditie they lyst and
whether they lyst And yf it shall be thought nedfull at any tyme that
some certayn workes of artyficialytie to be bowght of any stranger, yit shall
it be bought by the consentes of the comynaltie". Pauli a. a. 0. S. 56.
„They marchaunt must be prohybytyd to bryng in any such thyngys wych
may be made by the dylygence of our owne men". Starkey, England in
the reign of King Henry the Eighth ed. Cowper S. 174.
*) „Better it were to pay 6 d for any thyng made in the reame than
to pay but 4 d for a thyng made owt of the reame, for that 6 d is owres
so spent in the reame and the 4 d spent owt ot the reame is lost and not
oursa. Pauli a. a. 0. S 32; vgl. auch S. 31.
") „For now you se ther yß almost no man content to were cloth hexe
made at home in our owne cuntrey, n other lynyn nor wolen, but euery
man wyl were such as ys made beyond the see, as chamlet, says, fustyanys
and sylkys; by the reson wherof dyuers craftys here fal in dekey, as
clothyera, weuerys, worstydmakyrs , tukkarys and fullarys wyth dyuerse
other of the same sort Thys thyngys folow and be annexyd as commyn
effectya to the bryngyng in ef such thyngys as we myght bettur lake, then
haue in such abundaunce as we haue now commynly". Starkey, England
in the reign of king Henry the Eighth ed. Cowper S. 95; vgl. auch S. 174.
In dem Steeleglas von George Gascoigne (a satyre 1576) wird gesagt
(Arber's reprints S. 70):
0 painted fooles, whose hare brainde heads must have
More clothes att ones than might become a king:
For whom the rocks in forain Realmes must spin,
For whom they carde, for whom they weaue their webbes
For whom no wool appeareth fine enough
(I speake not this by english courtiers
Since en^iisb wool as euer thought most worth),
For whom al seas are tossed to and fro,
For whom these purples come from Persia,
The crimosine and liuely red from Inde:
For whom soft silks do sayle from Sericane,
And all queint costs do come from fardest coasts:
Whiles in meane wile that worthy Emperour
— 473 -
Die Rohproducte Englands, vor Allem die Stapelwaaren,
muss man im Lande behalten und im Lande verarbeiten, *)
Which rulde the worlde and had all welth at wil,
Could be content, to tire his wearie wife,
His daughters and his niepces euery chone
To spin and worke the clothes that he shuld weare.
And neuer carde, for silks or sumpteous ccst,
For cloth of gold or tinsel tigurie
For bandkin, broydrie, cutworks nor conceite
He set the shippes of merchantmen on worke
With bringing nome oyle, graine and savrie salt
And such like wares, as serued common vse.
Bei W. deWorde, Treatyse of this galaunt (1520) heisBt es (8trophe tf6):
60 od makynge of a man is nowe layde on syde
This newe araye is bronght up in this lande to wyde
And yet for all that it may not last a yere
Englande may wayle that euer it came here.
Besonders waren es die Prediger, welche gegen den Luxus zu Felde zogen.
In einer in den 90er Jahren des 15. Jahrhunderts gehaltenen Predigt eines
Boy-bishop's at St. Pauls hiess es; „Here all vayne merchaundyses of
the worlde bene brought, to the whiche is very prone and redy oure youth
of Englonde , as we may see dayly. There is no vanyte in no partye of
the worlde but we bene redy to bye it: longe heres and shorte collers of
Almayns, evyll fasshenyd garmentes and deyyllisshe shoone and slyppers
of Frensmen; powches and paynted gyrdylles of Spanyardes; newe founde
hattes of Romayns: and so is fulfylled the wordes ot oure Lord wryten
in holy scrypture (Jeremiae XI °) : Elongarerunt a me et ambulaverunt post
vanitatem et vani facti sunt. — This alterable vanytees in garmentes is a
trae argument and faythfull conclusyon to all wyse straungers, that Eng-
lysshemen bee as chaungable in theyr maners and wyttes as they be in
outwarde garmentes. And yf this vayne marchaundyse were oonly in youth
of the reame, it were more tollerable, but inveterati dierum malorum,
boyes of fyfty yere of age are as newe fangled as one yonge men be. The
whiche by reasons holde torne theyr face from the worlde, considerync the
ende of theyr lyfe. But lytell that is consydered; ye, rather in tnejrr
vanytees they bene praysed. Quoniam laudatur peccator in desidenis
animae suae et iniquus benedicitur (Psalm.)". Two Sermons preached by
the boybishop at St. Pauls temp. Hen. VIL, and at Gloucester, temp. Mary
ei by John Gough Nichols S. 10. Camden Society. Nr. 17. 1875. Aehn-
Hch A Bupplycacion to our moste Soueraigne Lorde Kynge Henry the Eyght
etc. (1544) ed. by Cowper London 1871. S. 52: „Somtyme cappe, somtyme
hoode; nowe the Frenshe fasshyon, nowe the. Spanyslie fasshyon; than the
Italyan fasshyon, and then the Myllen fasshyon; so that there is noo ende
of consumynge of substaunce, and that vaynely and all to please the
prowde folyshe man and womens fantasy. Hereof spryngethe great myserve
and neade etcu. Vgl. ferner 37 Edw. III.; 22. Edw. IV. c. 1; 1 Hen. VIII.
c. 14; 6 Hen. VIII. c. 1; 7 Hen. VIII. c; 24 Hen. VIII. c. 13.
') This realm hath three commodities,
Wool tin and lead,
Which being wrought within the realm,
Each man might get his bread. C r 0 w 1 e y , Epigramms (1550).
„Take hede you Marchauntes of London that ye be not Marchauntes
of myschyefe conueying away to much old lead , wol , lether and such
substanciall wares as wold set many Englyshmen to work and do
euery manne good seruyce and bryngynge home sylkes and sables,
fol
cattayls and folyshe fethers to fil the realm füll of such baggage
- 474 —
nicht aber die Fremden auf Kosten der Einheimischen be-
reichern l).
as wyll neuer do ryche or poore good and necessary seruyce. Be ye sure,
if thys realme be ryen, ye shall not nede to be poore, yf thys realme be poore;
you shall not be able to kepe and enioy your ryches. Take hede than
that your marchaundise be not a seruynge of folysh mens fansies, whyche
wyll destroye the realme : but lette it be a prouydyng for honest diserete
mens commodities , whych wyll be the vpholdyng and enrychyng of you
and the whole realme". Thom. Lever, Sermons 1550. Arbert repr. S. ISO.
„Yf all wulles wäre drapede in the realme, the workes of the people
shulde be moch more worth than the wull, so that yf there wäre but hälfe
the wull that now is, and that it shulde be drapede, it wolde be more
worth to the realme, than now is all the wull and the shepe that berith it
IL Paul, Drei volkw. Denkschriften S. 57; ferner ebenda S. 75 und 77.
„— thys ys the chefe poynte: that the marchauntys cary out only such
thyngys as may be wel lakkya wythin our owne cantre, wythoot eommyn
detryment to our natyon; and bryng in such thyngys agayn as we habe
nede of here at home and as, by the dylygence oi our owne men, can
not be made. Thys thyng, put in vse and in executyon shold be a grete
ground of al abundance and plenty. For fyrst, to begyn wyth thys:
the caryage out of wolle to the stapul ys a grete hurte to
the pepul of Englond; though hyt be profytabul both to the prpce
and to the marchant also. For by thys mean the clothyng of Englond ts
in Tttur dekey, the gretyst destructyon that euer cam to our reame and the
gretyst ruyne of many craftys wych long to the same. Werfor yf thys
stapul were broken or otherwyse redressya, and clothyng set vp in finglond
agayne, thys ys sure: the commodyte of our wolle and cloth schold
bryng in al other thyngys that we haue nede of out of al other straooge
partys beyond the see. Te and though our cloth at the fyrst begynBjng
wold not be so gud perauenture, as hyt ys made in other partys, yet, in
processe of tyme, 1 can not see wy but that our men, by dylygence, myght
attayne therto ryeht wel; specyally yf the prynce wold study therto, in
whose powar hyt lyth chefely such thyngys to helpe. Ther be marchant
men that, by the helpe of the prynce, wyl yndertake in few yerys to brvng
clothyng to as grete perfectyon as hyt ys in other partys, wych, vf w*
were downe, hyt schold be the gretyst bunryte to increse the ryches of
Englond that myght be deuysyd. They wych now fach our wol schold be
fflad to fach our cloth made m oure reame; wherby schold be oocapyd in*
rVnyte pepul, wych now lyue in idulnes, wrechyd and pore. And the same
thyng ys to be sayd both of lede and tyn. Our marchantys cary them
out at plesure and then bryng the same in workyd agayn and made ressei
therof. And so of infynyte other thyngys we myriit say the wych the
gudnes of nature hath to our yle gyuen, the wych now ys not nede to
reherse but thys generally". Starkey, England: in the reign of Henry
vm. S. 172, 173.
The other sorte of Allayes Alasl is not thys
that be agaynste kynae, a greate over syght?
Do make my harte wepe Ye Aldermen and other
whan they come to my mind. that t^e Allay rente,
For there are pore people Why bestowe ye not the riebe»
welmoste innumerable, thatGod hath you sente
That are dryven to begge in WOule or in flaxe
and yet to woreke they are able, to finde them oecupied,
If they might haue al thinges That nowe lye and begge
prouided aright. by every highe waye aide?
Crowley, Epigr. in den Select works of R Crowley ed. by Cowpff
1872. S. 10. A .
x) wSo they aecownt ther clothes sewerly made to provyde »^
- 475 -
Auch andere Massregeln müssen eventuell zur Erreichung
des Zieles getroffen werden, wie die Reduction der Wollpreise x),
die Verlegung des Tuchstapels nach London*), die Gleich-
stellung der fremden Kaufleute mit den einheimischen bei den
Tuchzöllen 8) , die Verpflanzung einer Reihe von Industrien 4)
nach England".
Das waren die Raisonnements der Zeit. Welche Regierung
hätte sich ihnen verschliessen können? In den einschlägigen
Statuten Heinrichs VIII. kehren denn auch diese Gedanken
wieder und werden in immer lebhafterer Weise geltend ge-
macht Am vollständigsten und prägnantesten fand dies statt
in der Acte für die Einführung der Leinenindustrie in Eng-
land. Wie das gleichzeitige Gesetz in Betreff der Beschützung
der Buchdrucker einer Anregung aus dem Volke seine Ent-
stehung verdankte6), so war auch diese Acte hervorgerufen
durch eine grössere Denkschrift6). Cromwell, der solchen
Kundgebungen aufmerksames Gehör schenkte 7), folgte den ihm
zugebrachten Ausführungen und liess sie, indem er den Haupt-
kern derselben dem König in den Mund legte, sanctioniren
und als künftige Richtschnur hinstellen.
Mit Sorge, heisst es im Gesetz *), nimmt der König wahr,
wie die Zahl der unbeschäftigten Leute täglich im Königreich
wächst. Er glaubt die Hauptursache darin finden zu müssen,
own werkmen settyng besyly to werke". Pauli, Drei volkdw. Denk-
schriften S. 42 und passim.
*) Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 64.
*) A. a. 0. S. 42 und 65.
B) A. a. 0. 8. 66.
Ha 0. S. 58, 60, 76.
5) Sieh oben 8. 459, 460.
6) Die bezugliche Stelle in derselben lautet: „And wheras merchaun-
dizes is now brought into Englond yerly to the value of a 400 000 markes
more then was in old tyme, which myght be spared or made within the
realme not only to save so moch money spent out of the realme, but also
to sete common people daily to worke in a right ordre of the common
weale to kepe theym out of idelnes frome working syne and myschif, ther
is now brought out of other contreys into Englonde to the value of a
100 000 poundes of lynnyn cloth every yere. In example if every parishe
in Englonde spente but 40 s in shertes and smokkes and other lynnyn
besyde that that is made within the realme, grete nombre of yonge may-
dens and women may be set to spyne lynnyn cloth, which lyvith idully in
hordome and bawdery, marvelvng to see the foly, how Inglishe merchauntes
spendith in Flaunders a »100 000 marckes a yere for lynnyn cloth, and they
have banysshid Englishe wollen clothes and ther will suffer non to be
booght." Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 76. Ueber die Frage, in
welche Zeit dies Memorandum zu setzen ist, vgl. unsere Recension im
Uterar. Centralblatt 1879. Nr. 4. S. 118.
7) Sieh oben S. 83.
■) 24 Hen. Vm. c. 4.
— 476 —
dass eine grosse Menge Waaren in völlig fertigem und durch
Handarbeit zugerichtetem Zustande aus überseeischen Ländern
in das Königreich eingeführt werden. Unter diesen importirten
Manufacten ist ein Hauptartikel das Leinentuch. Durch die
Verfertigung und den Verkauf desselben bereichern sich die
fremden Länder in hohem Grade und setzen eine erstaunlich
grosse Zahl ihrer Bevölkerung in Arbeit zur grossen Beför-
derung und Steigerung ihres Staatswohls1)- Umgekehrt aber
sind die Unterthanen Englands in Ermangelung einer gleichen
Industriepolitik, welche die Auffindung und Ausübung solcher
Beschäftigungen ins Auge fasst, gezwungen, fast all ihr Leinen-
tuch in der Fremde um grosse Summen Geldes zu kaufen.
Männer und Frauen, die bei Anwendung gleicher Politik spin-
nen, weben und Tuch bereiten könnten, sind genöthigt, in Un-
thätigkeit zu leben zum hohen Missfallen des allmächtigen
Gottes, zur grossen Verminderung des Volkes, zum Verfall,
zum äussersten Ruin und zur Verarmung des Königreichs.
Dem König aber ist nichts so sehr am Herzen gelegen, als
dass der Wohlstand des Königreichs wachse mit der ehrbaren
Thätigkeit seiner geliebten Unterthanen, und dass die Sünde
der Trägheit ausgerottet werde, und er hat deshalb mit dem
Parlament Vorsorge getroffen etc. Die Bestimmungen dieser
Acte haben wir bereits oben kennen gelernt2).
Die Aufgabe und das Ziel waren somit klar. Die prac-
tische Gestaltung blieb aber doch erheblich hinter dem Er-
strebten zurück. Der Umfang der Schutzgesetze war ein be-
schränkter. Selten wurden die Massregeln nach allen Seiten
erwogen, nur zu häufig handelte es sich um blosse Befriedigung
kleinlicher, engherziger Interessen. Manche Gesetze führten
desshalb die Tudors gar nicht aus. Am consequentesten war
man in der Beschtitzung und Förderung der Tuchindustrie.
Seit Decennien, man könnte beinahe sagen Jahrhunderten war
1) „by reason wherof not only the said straunge countres, where the
seid lynnen clothe is made, by the policie and industrie of makyng and
ventyng therof are greatly enriched, but also contrario wise the inhabi-
tauntz and subjectes of this Realme, for lake of like policie and industrie
aboute the invenüng practisyng and putting in excercise like occupacion
(are) compelled to bye all or moost narte of the said lynnen clothe
spent and consumed within this realme amountyng to inestymable
Bornes of money in other regions and countreis". Freamble zu 24 Hen.
VIII. c. 4.
8) Dass es in Irland eine Leinenmanufactur, wenn auch nur eine auf
niedere Sorten gerichtete gab, haben wir bereits erwähnt In England
scheint im 13. Jahrh. sogar die feine Industrie in Wiltshire und Sussex (vgl.
Macphersonl. S. 403) geblüht zu haben. Später wurde sie wahrscheinlich
durch die Concurrenz der fremden Fabriken von Renn es, Champagne, Flan-
dern, Brabant etc. erdrückt. Im 15. Jahrhundert wurde alles bessere Leinen
importirt. Vgl. oben S. 13; auch Rymer IX. S. 384 und 3B5.
— 477 —
hinsichtlich dieses wichtigsten Gewerbszweiges der Gedanke
lebendig, dass man das Ausland erreichen oder noch überholen
müsse. Aber auch hier fehlte es nicht an Missgriffen. Jeden-
falls mehr als durch manche der Schutzmassregeln gelang den
Tudors die Hebung der Tuchmacherei durch ihre auswärtige
Handelspolitik, welche den englischen Tüchern einen grossem
Markt zu schaffen suchte. Wir sahen im ersten Abschnitt,
welche Erfolge Heinrich VII. und VIII. in dieser Hinsicht er-
zielten. In der That lässt sich statistisch nachweisen, dass
der Export englischer Tücher unter ihnen sehr stark stieg und
dass dementsprechend die Tuchindustrie sich sehr ausgedehnt
haben musste. Wir machten auch bereits darauf aufmerksam,
wie unter dem Einfluss dieser öconomischen Umwälzung der
ganze Betrieb einen modernen, grossartigeren Character er-
hielt. Aber, so paradox es klingt, ein Nothstand, eine Krisis
war doch vorhanden. Die Blüthe kam vielfach dem Lande zu
Gute, während gleichzeitig doch viele Städte zurückgingen.
Alle verfügbaren Arbeitskräfte wurden trotz der allgemeinen
Zunahme der Production nicht aufgesogen. Dem Aufschwung
der Tuchindustrie stand theilweise eine Abnahme anderer
Gewerbszweige gegenüber. Vielen bisher in der Landwirth-
schaft beschäftigten Personen war der Uebergang zum Gewerbe
nicht möglich oder nicht gelungen, manche waren träge. In
der Tuchindustrie selbst wurden durch den Umschwung, der
sich mit dem grössern Einfluss des Capitals vollzog, viele der
darin beschäftigten Personen in eine abhängigere Stellung
herabgedrückt und waren mehr als früher den Wechselfällen
und Conjuncturen des grossen Marktes preisgegeben. So kommt
es denn auch, dass das Bettler- und Vagabundenthum gerade
damals rapide anwuchs l) und die Schwierigkeiten, das Armen-
wesen gesetzlich zu regeln, immer mehr sich steigerten 2).
Ueberblickt man die gesammten vorstehend erörterten
') Darin stimmen alle Zeitgenossen überein. Starkey, England in
the reign of Henry the Eighth ed. Cowper S. 89, 91 sagt z. B.: „For
thys ys sure , that in no cuntrey of Chrystundome , for the nombar of
pepul, you schal fynd so many beggarys as be here in Englond and mo
now then haue byn before tyme; — although perauentore our ctmtrey
benot so pore as many other be, yet thys ys sure, hyt ys more pore
then yt hath byn in tyme past, and such pouerty reynyth now, that
in no case may stond wyth a veray true and florysching common wele".
Aehnlich Mors, Lamentacyon of a Christen agaynst the cytye of London
1545 ed. Cowper S. 90: „— now London, beyng one of the nowers of the
worlde as touchinge wordlye riches hath so manye, yea innumerable of
poore people forced to go from dore to dore, and to syt openly in the
stretes a beggynge and many not able to do for other, but lye in their
howses in most greuous paynes, and dye for lacke of ayde of the riche,
to the greate shame of the, oh London !u
*) Ueber die Ausbildung der Armengesetzgebung in dieser Zeit sieh
— 478 -
Bestrebungen, so erkennt man unschwer, dass wie auf dem
gesammten Wirtschaftsgebiete so auch hier alle Keime der
Wirthschaftspolizei des aufgeklärten Absolutismus, welche man
das Mercantilsystem nennt, vorhanden waren. Wir begegneten
mancherlei Versuchen, die Ausfuhr von Rohproducten zu ver-
mindern und die Einfuhr von Fabricaten zu hindern, wir fanden
ein Streben, die Industrie zu heben und zu vervollkommnen,
wir beobachteten, wie diese Tendenz mehr und mehr sich ver-
allgemeinerte und stärker wurde. Es war nicht blosse Abwehr
gegen das Ausland oder Beschränkung auf das eigene Gebiet,
welche massgebend waren, sondern England trat als Kämpfer
auf dem Weltmarkte auf. Man braucht sich nur die Politik
Englands zu den Niederlanden, namentlich in Bezug auf die
Tuchindustrie, zu vergegenwärtigen *), um jeden Zweifel daran
auszuschliessen. Es ist auch nicht die Sicherung des Unter-
halts und die Fernhaltung des Reichthums, welche die Stellung
der Regierung in dieser Frage beherrscht. Der Gedanke, dem
Auslande möglichst viel abzuverdienen, auf Kosten des Aus-
landes sich zu bereichern, die Industrie des Auslandes zu
schwächen, die heimische zu fördern, war vorhanden. Als
noch die Wolle im englischen Auslandshandel den ersten Platz
einnahm, war das ganze Sinnen und Streben der Regierung,
des Parlamentes und der Kaufleute darauf gerichtet, wie man
dieselbe den Fremden zu möglichst hohem Preise aufzwingen
könne. In den Parlamentsverhandlungen und Gesetzen wird
es mehrmals als eine Art nationaler Aufgabe hingestellt, den
Gneist, Die Geschichte des Selfgovernment in England 1863. S. 278 ig.
Interessant nach dieser Richtung hin ist ein im Br. M. Casley King 's
Catalogue 18 C VI vorhandener Entwarf einer Parlamentsacte vom Jahre
1586, der aller Wahrscheinlichkeit nach von Heinrich VIII selbst herrührt
Derselbe beabsichtigt, alle beschäftigungslosen, aber arbeitsfähigen Bettler
zur Staatsarbeiten zu verwenden. Der Hafen von Dover und andere Schiffs-
hafen sollen reparirt, Strassen und Befestigungen angelegt und die Wässer-
l&ufe im Königreich gereinigt werden; diese Werke sollten 1. März 1536
in Angriff genommen und bis Michaeli 1540 fertig werden. Alle arbeits-
fähigen Vagabunden, heisst es weiter, müssen in das nächstliegende Werk
sich begeben, wo sie für ihre Arbeit Nahrung erhalten; der Lohn wird so-
lange inne behalten, bis sich eine grössere Summe angesammelt hat. Jeder
ist berechtigt, einen Vagabunden zwangsweise ans Werk liefern zu lassen.
Weigert sich ein solcher zu arbeiten, so wird ihm am nächsten Markttag
auf die rechte Hand ein Merkmal eingebrannt. Behufs Organisation wird
ein „Councell to avoid vacabunds" mit verschiedenen Befugnissen errichtet
Das Geld soll beschafft werden durch Steuern, zu denen ieder mit selb-
ständigem Einkommen beitragen muss, ferner durch Zuschüsse aus der
kgl. Gasse, endlich durch freiwillige Guben, deren Einsammlung neu ge-
ordnet wird. Der Entwurf wurde in dieser Gestalt nicht Gesetz. Die
Acte 27 Hen. VIII. c. 25 gestattete nur den Behörden, die Vagabunden in
zweckentsprechender Weise zur Arbeit zu zwingen.
*) Vgl. ausser den Ausführungen dieses Capitels besonders Abschn. 1.
Capitel 1.
— 479 —
Wollpreis möglichst hoch zu halten1), und das gleiche Ziel
wurde bei Abschliessung von Handelsverträgen verfolgt Als
die Tücher in den Vordergrund rückten, war es nicht anders.
Ein Politiker des 15. Jahrhunderts verlangte die Pflöge der
feinern Tuchindustrie, weil da mehr dem Auslande abgewonnen
werden könne, als bei der groben Manufactur *). Die Merchant
adventurers des 16. Jahrhunderts beanspruchen es als ein
Verdienst, dass es ihnen gelungen sei, den Preis des englischen
Tuchs auf dem Markte immer mehr in die Höhe zu schrau-
ben3); es war nur eine missliebige Minderheit, welche anderer
Meinung war, aber selbst diese wünschte einen niedrigen Tuch-
preis, blos um den Absatz englischer Tücher zu verstärken
und die Concurrenz der Fremden niederzuwerfen4).
Das englische Volk war sich des Gegensatzes seiner und
der fremden Interessen auf diesem Gebiete wohl bewusst, und
es verzichtete auf keinen Vortheil, der auf Kosten des Aus-
landes möglich war. Man war auch weit entfernt, die Be-
reicherung der Kaufleute, wenn sie in dieser Weise geschah,
mit ungünstigen Augen anzusehen. Nur wenn im Inlande selbst
die Interessen sich kreuzten, mussten die einen hinter den
andern zurückstehen; so wurden vielfach die Agrarinteressen
den Industrieinteressen untergeordnet. Um den Gewerbs-
leuten billige Lebensmittel, billige Rohproducte zu liefern,
wie dies in mercantilistischer Weise gewünscht wurde, mussten
die Landbesitzer und Ackerbauer Opfer bringen5). Man ver-
*) Edgars Ges. bei Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen S. 198;
Rot Pari. IL S. 138; 14 Ric. IL c. 4; Rot. Pari IV. S. 859; V. S.
275, 276, 381, 382; VI. S. 164.
■) Sieh oben 8. 447.
8) ürk. Beil. 181.
4) „Somme will obiect, and say it is a comon welth tho bryng the
comodyteys of the realme to an high pryce; which I vtterly denye to be
a comon welth ; for what maketh ryddance or good sale so moch, as whan
a eomodyte is at a pryce resonable? As afore is sayd. whan Englyssh
clothes were sold at a pryce resonable, than all other toren cloth steyd,
tri that was sold. Bnt now is Englyssh cloth brought to so high a price,
that the cloth of many contres is sold afore Englyssh cloth. Ana that
causeth merchantes to kepe their clothes long vpon their handes, many
tymes to their gret damage. I will say fnrther. In case this matter be
not wel loked vpon, the soner it will be a gretter decay than is yet per-
ceyued. For cloth will be brought to so high a price, that thei will marre
all. Aboue all thyngs beware of extremyte; for that euer sekyth a mis-
cheffe for a remedy. For what with the abundance of woll, that goth
owt by licencys and by the staple, foren realmes myxing it with their
course wollys, thei make better chepe cloth than Englissh marchantys can
seil; yea and better for the price etce. Henry Brinklow, Complaynt
of Roderyck Mors ed. Cowper S. 11.
6) „— if his grace will call down the pryce of his owne landes as
thei went ouer fyfty, yea forty yearys, and compell all other landed men
to the same, — a reformacion may be had, to the Singular ease and com-
modyte of the comon welth , and that many wayes. For this being refor-
med, aboue all other actes shal bryng the cloth of England to a contynuall
— 480 -
folgte dabei den Nebenzweck, den Fortgang der Einhegungen
zu hemmen1).
Der industrielle Fortschritt und ein blühendes Gewerbe
werden in unserer Periode angestrebt, weil dadurch Beschäf-
tigung gewährt und die Arbeit gefördert, der Müssiggang mit
allen seinen Lastern ferngehalten, die Sicherheit und Ruhe
des Landes garantirt und die Macht des Reiches gestärkt wird.
Die Rucksicht auf die Geldbilanz kam auch in Frage. Wir
werden im folgenden Capitel diesen Zusammenhang näher
kennen lernen. Vorgreifend können wir aber schon jetzt sagen,
dass man zwar die Wichtigkeit des Geldes den damaligen Ver-
hältnissen entsprechend sehr wohl zu schätzen wusste, dass
man aber nicht in ihm allein den Reichthum und das Wohl
des Königreichs suchte, wie dies zuweilen später geschah.
Freilich war auch bei den bessern Mercantilisten die Ueber-
schätzung des Geldes etwas Nebensächliches, für die meisten
war ein blühender mit Hilfe der Regierung geschaffener Zu-
stand des Handels und der Industrie, die Beförderung der
Arbeit die Hauptsache. Aber darin waren die Mercantilisten
sich gleich, dass sie einen Gesammtausdruck für die Handels-
bewegung suchten. Dieser Zusammenfassung aller Fäden in
der Handelsbilanz begegnet man in unserer Zeit noch nicht,
oder doch nicht in vollem Masse. Es sind nur mancherlei
Ansätze dazu da. Man rechnet bei einzelnen Zweigen nach,
wie viel das Land gewinnt oder verliert8), man sprach im
Allgemeinen von einem zu grossen Import gegenüber dem Ex-
port 3)> aber man verzichtete darauf, ein rechnerisches Ge-
sammtresultat zu gewinnen und dasselbe in einer positiven
oder negativen Grösse aufzumachen. Bei der Anlage der eng-
lischen Zollregister war es allerdings auch schwierig, eine
solche Rechnung anzustellen4).
vent, and all vytellys to a resonable price, that all clothys of other con-
tryea shal stey, whereas Englyssh cloth shal come in place, aa in tymys
past hath done, which thing old marchantes and all clothvere can tel". H.
krinklow, Complaynt of Roderyck Mors ed. Cowper S. 10, 11. Sieh
auch Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 60, 62, 70, 73, 74 und die
folgende Note.
l) „■— a thousand comon people shall hold with the lang — for
the mynyshing of all sortes of woles to the half prices lyke as they were
in old tvme. Yt shall cause the pasturers of shepe to open their dosiers
and suner the more erth to be wrought by workes of husbandry to encrese
the more plentie of vitales in the holl realme, that clothmakers and all
other artificers may kepe their howsholdes good chepe and geve lesse
wages to all artificerB to make Inglishe clothes and all other thinges good
chepe". Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 64.
*) Sieh oben S. 88.
s) So schon 1381. Rot. Pari. III. S. 126. Sieh oben S. 475, ferner
33 Hen. VHI. c. 2.
«) Bd. D. S. 5.
Fünftes Capitel.
Die Geld- und Münzpolitik.
Die vorausgegangenen Erörterungen haben mit den fol-
genden einen unmittelbaren Berührungspunct, insofern die
englische Geldpolitik sich vielfach solcher Mittel bediente, die
direct auf die einheimische Industrie einwirkten. Selbstver-
ständlich ist dies aber nicht der einzige Gesichtspunct, unter
dem wir diesen Gegenstand zu betrachten haben. Bei der
fundamentalen Wichtigkeit, die das Geld im Handel besitzt,
müssen wir vielmehr die hervorragendsten Seiten des englischen
Geldwesens überhaupt kennen lernen. Noch heute gehört es
zu den schwierigsten Aufgaben der Volkswirthschaftspolitik,
diesem grossen Tauschapparat, durch dessen Vermittlung die
Vertheilung der Güter sich vollzieht, die richtige Organisation
zu geben. Ein um so grösseres Interesse dürfte deshalb die
Politik einer Zeit und eines Staates beanspruchen, welche noch
ganz im Stadium der Versuche sich befanden, gewissermassen
nur das roheste Gefüge des Apparates besassen und mit allen
Unvollkommenheiten desselben zu kämpfen hatten.
Hier ist nun gleich auf einen Grundmangel hinzuweisen,
an dem das ganze mittelalterliche Geldwesen krankte und von
welchem alle übrigen relevanten Erscheinungen gewissermassen
nur als Folgen sich darstellen, nämlich auf den geringen Ge-
sammtvorrath an Edelmetall, der nicht genügte, das allgemein
herrschende Bedürfniss nach Geldverkehr vollständig zu be-
friedigen.
Man braucht zum Beweise hiefür nicht auf den Zustand
etwa unmittelbar nach der Völkerwanderung hinzuweisen. „Die
lebende Münze" jener Zeit ist ja hinlänglich bekannt 1). Aber
ft) Irland rechnete noch 1331 nach Viehwahning. Macpherson I.
S. 505. Vgl. auch v. Inama-Sternegg, Deutsche wirthschaftsgeschichte
1879. B. I. S. 180 fg.; W. Wackernagel, Kleinere Schriften 1. Ab-
handlungen zur Deutschen Alterthumskunde und Kunstgeschichte S. 55 fg.
Schanz, EngL Handelspolitik. I. 31
— 482 —
auch viel später, als die Sicherheit schon grösser geworden,
die continentalen Bergwerke bereits Tüchtiges leisteten, war
die Menge des Edelmetalls noch sehr beschränkt. Im 15. Jahr-
hundert nahm dieselbe sogar wieder ab, und zwar nach Man-
cher Meinung um die Hälfte 1).
Die Ursache lag in Asiens Bedürfniss nach Edelmetall
Nimmt der Orient in der modernen Zeit allen lästigen Ueber-
fluss in sich auf, so entzog er im Mittelalter dem Abendland
selbst den notwendigen Bedarf. Die Specereien des Ganges-
und Indusgebietes konnten seit urdenklichen Zeiten nur mit
baarem Gelde bezahlt werden, ja sie sind die erste Veran-
lassung geworden, dass die Edelmetalle die Geldfunction über-
nahmen2). Der Zusammenhang zwischen der Bewegung der
Edelmetalle und den morgenländischen Specereien war so gross,
dass im Mittelalter Orte, wie Goslar, Hauptmärkte für die
Droguen und Gewürze werden konnten, nicht etwa, weil sie
durch ihre Lage an sich besonders geeignet dazu waren, son-
dern blos, weil sie Silberbergbau trieben. Dieser Geldabfluss
nach dem Morgenland war auch bekannt. Als die Portugiesen
den Gewürzhandel an sich zogen, stellten ihre Feinde und
Neider wiederholt dies Moment in den Vordergrund 3).
1492 soll Europa nicht mehr als eine Milliarde Francs
Baargeld gehabt haben 4) , während ' heute Deutschland allein
über 2 Milliarden Mark Münzen besitzt. Daher der hohe
Geldwerth jener Zeit, daher jenes das ganze Zeitalter charac-
terisirende beinahe krankhafte Suchen nach neuen Goldländera
und nach der chemischen Formel zur Darstellung der edlen
Metalle, daher theilweise auch die Münzverschlechterungen
während des Mittelalters; selbst die Erscheinung des rascheren
Uml ufs des Geldes mit der Wende des 15. Jahrhunderts auf
dem Continente kann man als eine Folge der Geldnoth be-
trachten, so wenig auch verkannt werden soll, dass noch an-
dere sehr wesentliche Momente wie die grössere Rechtssicher-
heit hiezu beitrugen. Selbstverständlich wurde auch eine
*) P e s c h e 1 , Werthschwankungen der Edelmetalle. Deutsche Viertel-
jahrsschrift Nr. 64, S. 16 fg.; Derselbe. Geschichte des Zeitalters der
Entdeckungen S. 26—29.
*) Kiesselbach, Einleitung in die europäische Handelsgeschichte.
Ulm 1852. Derselbe, Gang des Welthandels und die Entwicklung des
europäischen Völkerlebens im Mittelalter. 1860.
s) Hall, Chronicle S. 677 lässt den Kaiser Karl V. gegenüber den
Portugiesen sich äussern : „I am able to disturbe your doynges nerer hand.
But for a suertie you Portyngales be enemies to all Christendome; for to
the Indyans you cary nothyng but coyne, whiche is hurt to all countreys,
wherefore at this tyme you may depart, tili you be better advised". Als
Italien den Gewürzhandel an Portugal verloren hatte, beklagte es Trerisani
in den Verhandlungen mit dem Sultan (1512) sehr, dass das Silber nach
Portugal für Pfeffer abfliesse, in Italien aber immer seltener werde. Ma-
rin, Storia del commercio veneziano VII. S. 297.
*) Pechel a. a. 0.
- 483 -
Reihe von andern Verhältnissen von diesem Zustand des Geld-
wesens beeinflusst; namentlich gilt dies von der gesammten
Preisbewegung.
Dieser geringe Geldvorrath erklärt auch, weshalb damals
alle Staaten gleichzeitig über die Geldausführ sich beklagten x).
Sieht man von dem Abfluss nach Asien ab, so war es doch
unmöglich, dass alle nur verloren, nicht auch einzelne ge-
wannen. Aber an der Klage ist soviel wahr, dass man das
Ungenügende der Gesammtmenge fühlte und jeder auch kurz
andauernde z. B. durch ungünstige Ernte oder Krieg veran-
lasste Geldexport sofort sehr stark wirkte2); diese Erscheinung
konnte leicht verallgemeinert oder als etwas Dauerndes ange-
sehen werden.
Dieser Characteristik entsprechen vollständig die Angaben,
die wir über England besitzen. Auch England hatte nur einen
massigen Edelmetallschatz. Unsere gesammten späteren Aus-
führungen werden dies beweisen. Hier nur einige Data, die
diesen Satz erhärten.
Zunächt verweise ich auf die englischen Ausprägungen.
Von Eduard I. bis zum Tode Heinrichs VII. wurden nur für
1 185 198 £ Silber und von Richard IL bis zum Tode Hein-
richs VH. nur für 446 908 j£ Gold ausgemünzt, der jährliche
Betrag von 12V2— 1509 war somit 6886 g heutiger Währung8).
Kann nun auch nicht bestritten werden, dass viel fremdes
Geld in England circulirte, mehr als das Doppelte oder Drei-
fache des einheimischen Geldes wird es doch nicht betragen
haben. Eine weitere Bestätigung findet die Annahme einer
geringen Geldmenge in den grossen Störungen, die einzelne
Geldentzüge hervorriefen. Bekannt ist, wie schwierig es war,
nachdem Richard Löwenherz für seinen Kreuzzug den 10. Theil
der beweglichen Habe an sich gezogen und grössere Summen
exportirt hatte4), das Lösegeld von 150 000 Mark Silber Kölner
Gewichts aufzubringen. Selbst das Kirchengeschiri-, namentlich
die Kelche, mussten eingeschmolzen werden6). Als im 13.
Jahrhundert Richard von Cornwall behufs Belohnung der
*) Vgl. Schmoller, Zur Geschichte der nationalöconomischen An-
sichten in Deutschland während der Reformationsperiode. Tüb. Zeitschr.
für ges. Staatswissenschaften 1860. S. 639, 640.
*) Beispiele dafür lassen sich sogar noch aus der 2. Hälfte des 16.
Jahrhunderts beibringen; vgl. Burgon, Life and times of Thom. Gresham
I. S. 151 fg.; 289 fe.
*) Ruding, Annais of the coinage of Great-Britain. Vol. I. S. 135.
Jacob, An historical inquiry into the production and consumption of the
precious metals 1831. I. S. 369 fg. Deutsche Uebers. von Eleinschrod I.
S. 264 fg.
') Angeblich 90 000 U nebst 3060 Mark Silber und 305 Mark Gold.
(M. Paris).
*)Hoveden, Cronica in S. 210; IV. S. LXXXIIL M. Paris,
Historia minor ed. Madden IL S. 11, 43; III. S. 209, 213.
31*
— 484 —
Fürsten, die ihn zum Kaiser gewählt, 700 000 Pf. Silber nach
Deutschland exportirte, wurde dieser Entgang im Lande schwer
empfunden und laut beklagt1). Während des ganzen 14. und
15. Jahrhunderts beschwerten sich die Gemeinen im Parlament
über den Mangel an Münze*). Man hatte nicht Geld genug,
um auch nur die nächsten Bedürfbisse zu bestreiten. Zwar
deutet das zunächst daraufhin, dass man nicht ausreichende Mengen
Kleingeld ausmünzte, womit auch die in den Parlamentsver-
handlungen erwähnte Thatsache übereinstimmt, dass Viele ihre
Münze zerschnitten, um nicht beim Einkauf den ganzen Werth
derselben zu verlieren 3). Der Münzer hatte ein Interesse
daran, nur die grossen Stücke auszuprägen, weil hier die Kosten
für ihn am geringsten waren4). Die Kleinmünze war auch
am meisten bedroht, weil die Ausprägung hier eine sehr un-
gleiche war, und die guten Stücke sofort von den Goldschmie-
den eingeschmolzen wurden. Trotzdem dürfte diese Erklärung
nicht ausreichen. Vielmehr macht die lange Dauer, durch
welche die Beschwerden steh hinziehen, während die Könige
immer Abhilfe versprechen und die Sache durch Verträge
später sogar durch Gesetz regeln, es wahrscheinlich, dass die
Geldmenge überhaupt nicht ftir den innern Verkehr genügte.
An diesem Zustande hatte sich unter den beiden ersten
Tudors wenig geändert. Wohl vermochte Heinrich VII. durch
den Aufschwung, den er dem Handel gab, sowie durch Auf-
geben der Kriegspolitik und unterstützt durch die fehlerhafte
Münzpolitik der Niederländer5) einen für damalige Verhältnisse
beträchtlichen Edelmetallschatz zu sammeln 6), aber dieser kam
nur in geringem Masse der Circulation zu Gute, unter seinem
Sohne floss der grösste Theil davon rasch im Kriege gegen
Frankreich ab. Aber auch Heinrich VII. hatte, ungeachtet
von ihm die schlummernden wirthschaftlichen Kräfte seines
Landes geweckt worden waren, den Schatz nicht zusammen-
bringen können, ohne einen Druck auf die Geldcirculation
auszuüben; denn damit wird es doch wohl zusammenhängen,
*) „Asportata recesserunt irreditura septies centena librarum millia,
multis peccatis cruentata absque quotidianis ejus redditibue in Anglia suc-
crescentibus diatim asportandis. Unde terra Anglicana hie et aliis multis
bonis praeeipue numismate spoliata coepit miserabiliter egere et de spoliis
alieni gloriari". M. Paris, Historia major ed. Wate 1640. S. 949.
8) Vgl. unter Anderm Rot Pari. IL 8. 62, 160, 276; III. 8. 64, 319,
498, 658; IV. S. 200, 257, 258; V. S. 108.
*) Die Annahme der getheilten Denare durfte in der altern Zeit nicht
verweigert werden, wenn die Theilstücke die rechte Form hatten. Liber
Custumarum ed. Riley I. S. 105.
4) Im Jahre 1444 bewilligte man dem Münzmeißter für die kleinem
Stücke einen grössern Schlagschatz. Rot. Pari. V. S. 108.
Henne, Histoire du regne de Charles-Quint en Belgique V. S. 331.
1 800 000 £. Bacon, History of Henry VIL
??.
— 485 —
wenn wir lesen, dasa unter ihm sogenannte „private tokens"
als Ersatz mangelnder Silbermünzen benutzt wurden *).
Einen recht interessanten Einblick in das Verhältniss des
Geldes zum Gesammtvermögen gestatten uns die Parlaments-
verhandlungen im Jahre 1523. Die herrschende Meinung ging
dahin, dass nicht viel über 1 Million £ in England circulire *).
Als Wolsey für den König 1523 4 sh per jß Vermögen ver-
langte, erklärten die Commoners diese Abgabe geradezu für
eine unmögliche. Sie hielten zwar die Schätzung Wolseys,
dass das ganze englische Volksvermögen 4 Millionen j£ betrage,
für zutreffend, benützten aber diese Angabe zu ihrer Opposi-
tion. Man hob nämlich hervor, dass nur der vierte Theil des
Nationalvermögens auf das Geld treffe, indem 1 Million auf die
Grundbesitzungen und 2 Millionen auf die bewegliche Habe zu rech-
nen seien8). Nehmeman nun den fünften Theil des Vermögens weg,
wie Wolsey wünsche, so besitze die Bevölkerung fast gar kein
Geld mehr, und man müsse wieder wie einstens zu Leder-
geld greifen4). Nun auch das würde man ertragen , aber es
sei doch auch die Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass der
König im Krieg in Gefangenschaft gerathe. Womit wolle man
ihn dann auslösen? Die Franzosen verlangten jetzt schon für
ihre Weine nichts als Gold, würden sie den Fürsten um Leder
wieder hergeben6)? Andere machten auch auf die ungleiche
Vertheilung des Geldes aufmerksam. Sie legten dar, dass
zwar der vierte oder fünfte Theil des Volksvermögens in Geld
bestehen könne. Das treffe aber nicht für jeden Einzelnen zu.
Fünf Personen seien ganz gut mit Geld versehen , dafür aber
*) Ruding, Annais of the coinage of Great-Britain II. S. 69. Solche
Geldzeichen wurden jedoch auch noch später gebraucht. Sieh Cotton,
Posthuma S. 197, 200.
*) Ende des 16. Jahrhunderts, wo besonders der Edelmetallzufluss
aus Amerika sich geltend gemacht hatte, wurde die umlaufende Geldmenge
auf 4 Mill. £ geschätzt (Hume, History of England Gh. 44. App.). unter
Karl II. auf 6 Mill. bei einer Bevölkerung von 6 Mill. Menschen. (Petty,
Seyeral essays 179), jetzt anf 131 Vs Mill. £ mit 31,8 Mill. Einwohner
(Jevons, Geldverkehr 1876. S. 168).
a) Im Jahre 1224 ergab Vis von allem beweglichen Vermögen rund
57839 *; im Jahre 1233 % = 16475 £ ; im Jahre 1237 780 «22594
*, unter Eduard III. V15 und VM — 60 000 £. Das bewegliche Vermögen
stellte sich sonach auf 867 580 £, 659 000 €\ 677 820 £, 600000 £\ sieh
Liber Ruber Scaccarii; Hunter, Three Gatalogues S. 22; sowie
Stubbs II. S. 549. Vergleicht man mit diesen Daten die Schätzung von
2 Mill. £ beweglicher Habe für die Zeit Heinrichs VIII., so wird man
diese, wenn die Geldverschlechterung und die Zunahme des Reichthums in
Rechnung gezogen wird, nicht unwahrscheinlich finden. Vielleicht ist sie
noch etwas zu niedrig.
4) Solches wurde von Johann ausgegeben. Jacob. Produktion und
Consumtion der edlen Metalle I. S. 216. Auf dem Continent emittirten
Kaiser Friedrich II. und Ludwig d. H. in Zeiten grosser Noth Ledergeld.
Wachsmuth, Culturgeschichte II. S. 312.
6) Brewer, Cal. IH. S. 2958. Die Rede wurde wahrscheinlich von
Oromwell gehalten.
— 486 —
5000 auch nicht; der Landedelmann habe nicht den fünften
Theil seines Besitzes in Geld1), eben so wenig der Kaufmann,
der reich an Seide, Wolle, Zinn, Tuch und dergleichen Waaren
sei oder der Landbauer, der Koni und Vieh besitze, oder der
Productenhändler und Handwerker, der Ueberfluss an Haus-
haltungsstoffen habe. Ziehe der König alles Geld an sich,
dann müsse man wieder zum rohen Tausche zurückkehren und
wieder Tuch für Fleisch, Brod für Käse u. s. f. einhandeln2).
Obwohl die Regierung mit dem 10. Theil (statt mit dem fünf-
ten) des Volksvermögens sich begnügte, so stiess selbst da die
Erhebung auf die grössten Schwierigkeiten, so dass ein weiser
Mann an Lord Surrey schrieb: „Ich bete zu Gott dem All-
mächtigen, man möge das Geld gut und friedlich erheben,
ohne dass der König den guten Willen und die treuen Herzen
seiner Unterthanen verliere, die ich als einen weit grossem
Schatz für einen König, denn Gold und Silber erachte" 3).
Wie berechtigt die Klagen der Gemeinen waren, zeigte
sich namentlich, als kurz darauf der König noch eine sogen,
freiwillige Anleihe beanspruchte. Eine förmliche Krisis trat
ein. Das Geld wurde entsetzlich theuer; der Geldmangel war
allgemein. Die Steuercommissäre berichteten an Wolsey, die
Leute müssten Korn, Vieh und andere Waaren mit grossem
Verlust losschlagen 4). Männer, die man früher auf 1—200 £
geschätzt, könnten keine 20 Nobel, manche nicht einmal 40 sh
in baarem Gelde zahlen5). Selbst in reichen Städten ver-
mochten die Leute nicht zu geben, was die Regierung verlangte.
In Norwich, dem Centrum der Worstedmanufactur , boten die
Fabricanten ihr vergoldetes Geschirr und ihr Silbergeräthe an.
Geld aber, erklärten sie, könnten sie nicht geben, das Ge-
deihen ihrer Stadt hänge davon ab, Tausende von Webern und
Spinnern wollten jede Woche in baarem Gelde bezahlt sein6).
x) Hollinshed sagt von der Geldarmuth der Farmer um 1500 : nIf one of
them did cast down bis purse and therein a noble or six Shillings in süver
(for such men cared not for gold, because it was not so ready payment
and they wer often enforced to give a penny for the exchange of an angel),
it was very likely, tbat all the rest could not lay down so much against it*.
*) Hall, Chronicle S. 656. Wie Thomas More das Parlament in
Betreff eines Geldmangels zn beruhigen suchte, sieh Herbert, Life and
reign of Henry the Eighth bei Kennet IL S. 55. Unter anderm sagt er auch
/ da: „You need not fear the scarceness of money; for the intercourse being
' so established throughout the world, there always will be a perpetual
circulation of all, thatis necessary". Üeber die Erbitterung des Volkes bei
der Geldausfuhr behufs Unterstützung des französischen Königs im Jahr
1528 sieh Hall, Chronicle 728.
a) Brewer, Cal. III. 3024.
*) Brewer, Cal. IV. 1662. Auf den Märkten in Kent kehrten die
Leute mit Vieh und andern Waaren wieder heim, weil sie nur Kaufer
hatten finden können, wenn sie unter dem halben sonst üblichen Nominal-
preise ihre Verkaufsartikel abgegeben hätten. Brewer, OaL IV. 1305.
B) Brewer, Cal. IV. 1272.
«) Brewer, Cal. IV 1235.
— 487 -
Wenn noch in der Zeit Heinrichs VIII. eine allerdings
starke Anziehung der Steuerkraft eine so intensive Geldkrisis
hervorrufen konnte, dann wird man den verhältnissmässig ge-
ringen Edelmetallvorrath auch bei England als erwiesen an-
nehmen dürfen. Zugleich ergibt sich aus den vorgeführten
Momenten, wie sehr die Geldcirculation auf dem platten Lande
noch der Steigerung fähig war, und welche Bedeutung das Volk
dem Geldverkehr gegenüber dem Tauschverkehr beilegte1).
In dieser Thatsache einer geringen und, fügen wir gleich bei,
mangelhaft organisirten Geldcirculation ist gewiss auch eine
der Ursachen zu erkennen, weshalb die Volkswirtschaft im
*) Hiefür sind noch besonders die drei volksw. Denkschriften heraus-
gegeben von Pauli zu vergleichen. Alle Ausfuhrungen sind hier von dem
Gedanken durchdrungen, dass die Politik des Staates das Ziel verfolgen
müsse, dem Lande Geld zuzuführen, damit die Geldcirculation stattfinde
und der Herrscher, wenn die Noth es erheischt, hinlängliche Geldsteuern
erhalten könne, ohne dass das Land in eine Geldkrise verwickelt werde.
So heisst es S. 32. „The holl welthe of the reame is for all our riche
comodites to gete owt of all other reamys therfore redv money; and alter
the money is brought into the hoU reame, so eball all people in the re-
ame be made riche therwith. — It shall be the gret welth tho the kyng and
all his lords to sett as moche peple as can be to artificialite, for as moch
äs they labour and werke all for money, that ther money may alwey rönne
owt of ther hands into the hands of such as occupieth housbondry for
ther mete and drynk, which money shuld so rönne owt of the housbonds
hands into the hands of the kyng and of his lords of the erth.
S. 63. After the moste parte of his common people to sett to the
workes of husbandry to encresse plentie of vitalies , the other lesse parte
of his people to be set the workes of artificialite to make clothing and to
make all other thinges nedfull and necessary, wherby to encresse plentie
of money, wherwith to by ther bodyly lyving. So shall all the workers
of husbandry have plentye of money for their vitalles of the workes of
artificialite and so shall the one parte' of the people worke for meate and
drinke and that other parte for money.
S. 69. Therfor all the gold anj| silver brought into Englonde by
strangers shall be in market townes by clothmakers paied for wages to
their artificers, which with the same money shall bye vitalles of husbande
men and fermers in all contreys in the realme and by their handes the
same money shall come to the handes of the king and his lordes and so
shall gold and silver encresse yerly in Englonde and make the holl body
of the realme riche, and so shall the lang and his lordes be riche like
as in old tyme to have no nede to stody, how to gader money, out of
that title quantitie of money, which is in the handes of the commons, in
the realme to make scarsite.
S. 61. Our sovereign lorde the king of Englonde cannot gather ha-
bundaunce of golde and silver out of the Landes of common people in the
body of his realme without they have it. Therfor his grace muste firste
percyve and knowe, what plenty of golde and silver is in the realme and
that golde and silver may be brought out of other realme and contreys into
Englonde as moche yerly, as the king thinkith to gather out of the han-
des of the comon people, or elles muste nedis make scarsite of money in
so moche, as no gold nor silver growith in Englonde, but that shuld be
brought out of other contreys into Englond for the rieh commodities gro-
wing therin which Godd yerly gevith to all the common people to worke
for the welth of the body of the realme". Vgl. auch noch S. 42, 71 und 72.
— 488 —
Mittelalter überhaupt und namentlich auch die englische
nur langsam sich entwickeln konnte. Das Resultat, zu dem
wir gelangten, möchte auffallend erscheinen, nicht sowohl des-
wegen, weü Amerika schon lange entdeckt war — denn es
ist ja bekannt, dass erst seit 1547 der Edelmetallzufluss von
dem neuen Welttheil in grösserem Massstab stattfand1) — ,
sondern deswegen, weil es kaum einem Zweifel unterliegen
kann, dass die Handelsbilanz für England während des Mittel-
alters günstig war. Der Ueberschuss des Ausfuhrwerths über
den Einfuhrwerth nahm zwar im Laufe der Zeit ab, aber es
kann doch ein solcher selbst noch für die Zeit Heinrichs VIIL
angenommen werden ; er betrug c. 6 °/0 des Gesammthand eis *).
Nimmt man hinzu, dass der englische Aussenhandel mehr und
mehr in die Hände Einheimischer geleitet wurde, so dass der
Handels- und Frachtgewinn, der früher vorwiegend den Fremden
zugekommen war, nun dem Inlande erhalten blieb3), so sollte
man meinen, die mehre Jahrhunderte lang im Durchschnitt
günstige Handelsbilanz habe England einen mehr als genügenden
Antheil am Edelmetallvorrath verschaffen müssen. Auch hätte
seine Volkswirtschaft gewiss noch eine sehr grosse Menge von
Edelmetallgeld festhalten können4); denn die Arbeitsteilung
und Geldwirthschaft waren noch unendlich steigerungsfähig.
Allein es ist zu erwägen, dass der günstigen Handelsbilanz sehr
häufig eine ungünstige Geldbilanz gegenüberstand. Der Ur-
sachen, welche das Geld wieder ausser Landes führten, gab
es viele.
Vor Allem war es die Politik, welche den heimischen
Geldbestand fortwährend schwächte. Ein geringer Posten traf
auf die Gesandtschaften, ein um so grösserer auf die Kriege.
Namentlich der hundertjährige Kampf mit Frankreich erschöpfte
fortwährend den Edelmetallbestand des Reichs 6). Nach glück-
) Soetbeer, Edelmetallproduction in Petermanns Mittheilungen,
Ergänzungsheft Nr. 57. 1879. S. 107
*) Sieh Bd. IL 8. 35.
2)
s) Sieh Abschn. I und Capitel 2 des Abschn. IL Dass es sich dabei
um nicht unbeträchtliche Summen handelt, mag man daraus entnehmen,
dass beim Weiu sowohl im 14. Jahrhundert (vgl. Rot ParLI. S. 409.
1321/22), als zur Zeit Heinrichs VIII. (Tgl. Brewer, Cal. IV. 5109) der
Fracbtgewinn \/4 — V8 des englischen Weinpreises, in Summa c 20000 £
betrug.
4) Ueber die dem Geldverkehr in England günstigen Bedingungen sieh
unter Anderm auch J. G. Hof mann, Die Lehre vom Gelde S. 178, 180.
s) Ueber den Kriegsaurwand gibt es nur vereinzelte Notizen. Für die
Zeit Eduards HI. z. B. vgl. Longmann, The history of life and timee
of Edward III. Vol. L 1869. S. 15, 17, 28, 89, 91, 116, 117, 118, 147, 157,
160, 170, 264. Rymer IV. S. 762, 799, 816, 817 u. s. w.; Stubbs IL
S. 368-442; für die Zeit Heinrichs VI. Stevenson, Letters and Papera
illustrative of the wars of the English in France during the reign of Henry
the Sixth. Vol. I u. II 18öl/64; für die Zeit Heinrichs VHI. sieh Bre-
wer s Cal., auch Henne, Histoire du regne de Charles-Quint en Belgique.
- 489 -
liebem Erfolg wurde ein kleiner Theil der Kosten zuweilen
ersetzt, es flössen Lösegelder dem Lande zu, und die Gemeinen
im Parlament stellten sogar einige Male das Ansinnen, der
König möge doch mit den französischen und schottischen Löse-
geldern1) den Krieg weiter fQhren und sie nicht fortwährend
mitSubsidien quälen1). Das war natürlich vergeblich. Wenn
man Gewinn und Verlust aufmachte, fiel die Rechnung immer
zu Ungunsten Englands aus. Die Festhaltung des Eroberten
kostete immer sehr viel mehr, als die Einnahmen, die man
aus den neuen Gebieten zog. Ein Beispiel hiefür lieferte
unter Anderm Calais. Unter Heinrich VII. und VIII. pflegte
fast der ganze Wollzoll zu seiner Befestigung und Verwaltung
aufgewendet zu werden 3).
Einen andern recht beträchtlichen Posten der Geldausfuhr
bildeten die kirchlichen Schätzungen4). Papst Innocenz IV.
bezeichnete England geradezu als seine unerschöpfliche Geld-
quelle, und ganz ähnlich äusserte sich das Parlament im Jahre
1377 dahin, dass der Papst, so oft er Geld für seine Kriege in
der Lombardei oder für Auslösung seiner französischen Freunde
aus englischer Gefangenschaft brauche, Subsidien vom eng-
lischen Clerus verlange6). Die für kirchliche Zwecke hinaus-
gehenden Summen wurden besonders bedeutend, seit der Papst
eine Reihe von vacanten Stellen an Ausländer verlieh, die gar
nicht persönlich ihres Amtes in England walteten, sondern,
nachdem sie das Einkommen des ersten Jahres an den Papst
abgetreten, auch ihrerseits die übrigen Revenuen im Ausland
bezogen. In einer Petition vom Jahre 1350/51 wird behauptet,
der Betrag, der an den römischen Hof gelange, sei grösser,
als das Einkommen des Königs 6), und in einer andern Petition
vom Jahr 1377 wird mit Verdruss darauf hingewiesen, dass
der päpstliche Collector zu London einen grossen Palast be-
wohne, ein ganzes Heer von Schreibern und Beamten habe,
als wie wenn er für einen Herzog oder Fürsten die Steuern
einnehme7). Die heftige Reaction, welche in England gegen
die päpstlichen Uebergriffe sich erhob, schränkte auch diese
*) Ueber diese vgl. Longmann a. a. 0. I. S. 48, 294: II. S. 58.
*) Rot Pari. IL S. 823. (1376).
s) Zur Zeit Richards IL wurden 24 000 £ für Calais aufgewendet;
Bot Pari. III. S. 346. Ueber spatere Kosten vgl. Rot. Pari. V. S.
234 (1458). Gbronicle of Calais ed. J. 6. Nichols. London 1846
(Camden Society) u. Brewer, Cal. passim.
4) Vgl. über diese besonders Hoveden, Chronica ed. Stubbs IV. S.
188; M. Paris, Historia minor ed. Madden IL S. 478, 492, 501, 502,
503, 507 ; III. S. 12, 17, 19 etc. Für die Zeit Heinrichs VIU. sieh Starkey,
England in the reign of King Henry the Eighth ed. Cowper S 199.
«) Rot. Pari. 50 Ed. III. Nr. 45, 46.
6) „Et si amount ele annuelment plus qe le roi empört de son roialme."
Rot Pari. IL S. 228.
7) Rot Pari 50 Ed. III. Nr. 45, 46.
— 490 —
Missbräuche ein; doch betrugen die in der Zeit von 2 Hen.
VII. bis 23 Hen. VIII. nach Rom geflossenen Annates noch
80000 Ducaten1), der Peterspfennige, Dispensgelder u. s. w.
gar nicht zu gedenken. Darüber kann also kein Zweifel be-
stehen, dass bis zur Reformation die Kirche den Geldvorrat h
um nicht wenige Procente erleichterte.
Eine weitere Ursache des Geldexportes lag in den häufi-
gen Reisen nach dem Continent. Die grosse Reiselust der
Engländer stammt nicht erst von heute, sie war schon im
Mittelalter vorhanden. Durch die Wallfahrtsorte, namentlich
die spanischen *), wurden sogar die Massen des niedern Volkes
veranlasst, den Continent zu besuchen. Allerdings gab es auch
solche in England, denen fleissig von den Bewohnern des Con-
tinents zugesprochen wurde. Wer der gewinnende Theil war, lässt
sich natürlich nicht bestimmt sagen. Von nicht untergeordneter
Bedeutung waren feiner die persönlichen Ausgaben, welche die
englischen Kaufleute auf dem niederländischen Markte mach-
ten. In den Denkschriften aus der Zeit Heinrichs VIII. wer-
den hiefür 20 000 Mark angesetzt3) und diese als ein Verlust
angesehen, weil man meinte, derselbe Betrag würde England
zufliessen, wenn der Markt anstatt in Antwerpen in London
wäre.
Schwer geschädigt wurde das englische Geldvermögen auch
durch die häufige Ausfuhr des guten Geldes und Einfuhr des
schlechten. Geschah diese Ersetzung des guten Standards
durch den schlechten, wie vorwiegend, durch die Fremden, oder
benützten Einheimische den Gewinn zur Verstärkung des Waa-
ren-Imports, so war nicht eine blose Vermögensverschiebung
unter den Engländern eingetreten, sondern England war tat-
sächlich um die Differenz an Geld ärmer geworden. Häufig
war der Export in Folge fehlerhafter Münzpolitik verschuldet;
wir begegnen wiederholt Beispielen, dass man das Werthver-
hältniss zwischen Gold und Silber unrichtig normirte4).
Sehr gross war ferner der Verlust an Geld durch die Ab-
nützung. Man darf als sicher annehmen, dass diese viel be-
deutender war, als in der Neuzeit; denn die Ausprägung war
eine unvollkommenere, und die Münzen, namentlich die für den
Kleinverkehr, waren viel zu fein.
Endlich wurde der Circulation eine grosse Menge Geld
durch Einschmelzen zu Gold- und Silberwaaren entzogen. Das
war allerdings kein Verlust, wie in den vorangegangenen Fällen,
veranlasste jedoch eine Verschlechterung des Münzfasses, inso-
') 23 Hen. VIII. c. 20.
*) Vgl. Rymer IX. S. 8, 16, 375 fe.
3) Pauli, Drei volksw. Denkschriften aus d. Z. Heinrichs VIII S. 67.
*) So namentlich auch unter Heinrich VIIL zur Zeit der Munzrer-
ßchlechterung, wo die Relation auf 1 : 5 herabsank, wodurch natürlich alles
Gold aus dem Lande getrieben wurde. Sieh unten S. 537.
— 491 —
fern die Goldschmiede die neu und best ausgeprägten Stücke
einschmolzen. Den Goldschmieden wurde wiederholt untersagt,
Münzen statt Barrenmetall zu ihren Arbeiten zu verwenden l) ;
das Verbot war aber vergeblich, da man seine Uebertretung
nicht controliren konnte. Die Massen Edelmetalls, die der
Luxus verschlang, müssen geradezu enorm gewesen sein. Es
entspricht dies nicht nur einem bekannten Entwicklungsgesetz,
wonach der Luxus anfangs mehr auf grosse Pracht, als Be-
quemlichkeit gerichtet ist2), sondern das in dieser Form aufbe-
wahrte Edelmetall war auch eine Art Rettungsanker für den
Fall der Noth. In den vornehmen Kreisen bestand ein grosser
Theil des Vermögens aus Gold- und Silbergeschirr. Als Hein-
rich VI. vom Cardinal Beaufort Geld geliehen haben wollte,
hatte dieser keines, an Geschirr wollte er aber für 4000 £
leihen 3). Etwas später verpfändete er seine Edelsteine und
sein Geschirr für 20 000 jg 4). Wolseys Besitz an dergleichen
Dingen war bekanntlich enorm6). Aber auch in den Mittel-
classen war diese Art von Luxus sehr verbreitet. Dies muss
man aus einer Relation, die ungefähr um 1500 abgefasst wurde,
schliessen, wenn gleich nicht zu verkennen ist, dass sie an Ueber-
treibungen leidet. Darin heisst es unter Anderm. dass in Lon-
don am Strand nicht weniger als 52 Goldschmiedläden sich be-
fänden, so reich und voll von Silber, dass sie mehr enthielten,
als die Goldschmiedläden von Rom, Mailand, Venedig und
Florenz zusammengenommen; es gebe keinen kleinen Haus-
halter, so arm und einfach er auch sei, der nicht sein silber-
nes Tischzeug, und keinen, der nicht bis zum Betrag von
100 £ Silbergeschirr im Hause habe6).
s) 9 Ed. m. st. 2 c. 8; 17 Ria IL c. 1; 4 Hen. IV. c 10; 17 Ed.
IV. c 1: auch Rot Pari. V. 8. 108.
*) Koscher, Ansichten der Volkswirtschaft aus dem geschichtlichen
Standpnncte 1861. S. 415 fg.
») Nicolas, Proceediugs etc. V. S. 199. (1442).
«) Stubbs in. S. 182.
b) Vgl. Brewer, Cal. IV. 6184, 6789. 6790.
*) „Et a ciö che l'oro et l'argento, che una volta e entrata nel Regno
vi rimanga, e piü non torni fuora, hanno ordinato, et osservano gia gran
tempo, che ne moneta ne vasi d'oro ne anco d'argento possino sotto gra-
vissime pene essere transportati fuori d'Inghilterra : E ciascnno che vadia
a torno per l'Isola ben presto comprendera questa infinita richezza, si come
havra potuto comprendere V. Mapificencia perciö che ogni minimo hos-
tiero, per povero et abietto che sia, nubito mette in tavola piatti d'argento,
et altn vasi per bere: ne reputano gl'Inglesi huomo d'alcuna consideratione
quell o che non habbia in casa vasi d'argento al manco per 100 libre di
Bterlini, che sono de nostri 500 sc. d'oro: E sopra tutto tale richezza si
conosca espressamente nelli tesori ecclesiastici : Imperö che in tutto quel
Regno non vi e parocchia si vile, dove non sieno croci, candellieri, turribili,
bacüi e boccali crargento : ne e si povero conveoto di mendicanti, dove non
sieno tutte le medesimi cose d'argento e molti altri ornamenti pur d'argento,
conyenienti ad una chiesa cathedrale etc. — ma sopra tutto in Londra h
mirabil copia di argenti lavorati, non parlo di case private, che l'hoste in
— 492 —
Fasst man all diese Momente zusammen, dann wird man
den oben geschilderten Geldzustand sehr begreiflich finden.
Ebenso erklärlich ist es, dass die Regierung dieser so eigen-
thtimlich gearteten und wichtigsten Seite der Wirtschaftspoli-
tik ihre Aufmerksamkeit zuwendete. Man fühlte instinctiv
heraus, dass jeder Geldzufluss ein positiver Gewinn für die
Volkswirtschaft sei, einen weitern Fortschritt in der Geldwirth«
schalt und Arbeitsteilung begiiinde und damit eine Summe
neuer öconomischer Kräfte zu Tage fördere. Man war sich
bewusst der grossen Störungen, die ein starker Abfluss von
Geld und ein falsch geordnetes Geldwesen im Verkehr erzeugte.
Man war sich endlich vollkommen klar darüber, dass ein be-
deutender Edelmetallschatz im Lande der wesentlichste Factor
für die politische Macht des Staates sei !). In der That ver-
lieh bei der geringen Creditausbildung ein grosser im Lande
circulirender Geldvorrat!) einen ausserordentlichen Zuwachs an
Stärke. Das im Lande vorhandene Baargeld und Gold- und
Silbergeschirr waren fast das einzige Reservoir, aus dem man
schöpfen konnte. Nur sehr schwer Hessen sich politische Un-
ternehmungen auf den Staatscredit gründen.
Untersuchen wir zunächst, welche Massregeln man hin-
sichtlich der Geldbeschaffung ergriff.
Das erste Material zur Ausprägung von Münzen wurde in
England durch eigene Minen geliefert. Im 13. Jahrhundert
muss ihre Ausbeute an Silber nicht ganz unbedeutend gewesen
sein ; dies darf man daraus schliessen, dass zeitweilig von dem
Silber an fremde Regierungen verkauft wurde 8). Auch im 14.
casa del quäle habitava l'Ambasciatore Milanese, ne haveva per 100 scudi,
ma delle botteghe che sono in Londra »52 d'orefici in una strada sola, che
si chiama la Strada, che va k San Paolo, sono le dette botteghe tanto
rieche e ripiene di vasi d'argento grandi e piecoli, che nelle botteghe di
Milano, Roma, Venetia, e Fiorenza insieme al parer mio non ne hanno
tanti di quella grandezza, quanti se ne vede in Londra: £ detti vasi ser-
vono tutti ö per metter aale, ö da bere, ö per dare Facqua alle mani:
Imperö che nel mangiare usano vasi di qnel nobile stagno poco differente
in quanto alla bellezza dello argento: Ne sono questi cosi grandi richezze
in Londra, perche vi sieno cavalieri 6 baroni habitanti: anzi sono tutti
popolari et artifici congretati da tutta l'Isola, e della Fiandra e di qualunque
altro luogo". A relation of the Island of England abont tne
year 1500. Ed. and transl. by Ch A. Sneyd London 1847. Camden
Sodetv. S. 28, 29, 42, 43.
{) Selbst für das Zeitalter des Mercantilismus , wo die Edelmetall-
schätze Americas bereits geöffnet und die Creditinstitute schon ziemlich
ausgebildet waren, wird dies Moment geltend gemacht von Helferich,
Schwankungen im Werth der edlen Metalle. Nürnberg 1843. S. 1.
*) So bezog Graf Florence von Holland 1284 Silber aus England.
Rymer II. S. 284.
— 493 —
Jahrhundert wurde der Silberbergbau noch betrieben. Die Ir-
länder wollten wegen der Entleerung der Insel an Edelmetall,
welche die Kaufleute veranlasst haben sollten, die Minen wie-
der in Gang setzen x) , und von der Grafschaft Devon wissen
wir bestimmt, dass es nicht beim blosen Vorsatz blieb, son-
dern dass zeitweilig 337 Bergleute thätig waren *). Im 15. Jahr-
hundert holte die Ergiebigkeit der Minen auf, der Abbau wurde
allenthalben eingestellt. Im Jahre 1454 petitionirten die Ge-
meinen, der König möge wegen des grossen Geldmangels die
Wiederinbetriebsetzung der Silberminen in Devonshire, Com-
wall, Dorsetshire und Sommersetshire gestatten, die Bitte wurde
aber abgeschlagen8). Ein Grund ist nicht angegeben. Der-
selbe lag aber unzweifelhaft in den Bedingungen, welche die
Gemeinen gestellt hatten. Die Regierung munterte direct wenig
zum Silberbergbau auf, um so mehr konnte sie es aber indirect
thun, indem sie für ihr Regal geringe Abgaben forderte. In
der Licenz von 1338, in der sie den Leuten von Devon das
Graben nach Gold und Silber gestattete*), bedang sich der
König nicht weniger als Vs des raffinirten Metalls aus. Gün-
stiger lautete der Bescheid gegenüber der Petition der Irlftn-
der. Jeder durfte 6 Jahre hindurch auf eigenem Boden Gold
und Silber suchen und ausbeuten, wofern der König */• des
Ertrags erhielt. Der Rest musste aber an die Münzstätte in
Dublin zum Austausch gegen Münzen gebracht werden, die
Barren durften nirgendwohin ausser nach England exportirt
werden. In der erwähnten Petition von 1454 aber hatten die
Gemeinen nicht nur gewünscht, unter Aufsicht kgl. Beamten
auf fremdem Boden mit der Erlaubniss des Eigenthümers die
Adern ausbeuten zu dürfen, sondern sie wollten auch, der ge-
sunkenen Rentabilität entsprechend, nur geringe Abgaben be-
willigen. Der König sollte nur Vis der Ausbeute, der Bodeneigen-
thümer V16 von dem Rest erhalten. Man begreift, dass eine
fiscalisch gestimmte Regierung lieber auf ein besseres Angebot
wartete. Dabei blieb aber der Bergbau ganz liegen.
Erst Heinrich VII. 5) und namentlich Heinrich VIH. mach-
ten wieder energische Versuche, um einen lebenskräftigen Berg-
bau für Edelmetalle zu schaffen. Der grosse Aufschwung der
deutschen Silberproduction 6) mag die Anregung gegeben haben.
Wolaey musste ohnehin zur Prüfung der Erze deutsche Chemi-
ker verwenden7). Im Jahre 1520 schritt man zur Ausbeutung
*) Rot. Pari. III. S. 86. (1379/80).
•) Pennant, Tour in Wales. London 1778. I. S. 90, 91.
8) Rot. Pari. V. 8. 272.
4) Rymer V. 8. 71.
*) Sieh Gairdner. Letters and Papers of Richard III. and Henry
VII. Vol. II. S. 373.
6) Soetbeer, EdelmetaUproduction S. 15 fg.
7) Brewer, Cal. IV. 4024, 4639, 4698, ~
— 494 —
einiger Adern in Devon1), 1524 wurden Generalsucher aufge-
stellt, welche das Recht hatten Jedermanns Land aufzubrechen
und nach Gold und Silber zu schürfen. Jeder, der eine Ader
fand, war verpflichtet, davon die Generalsucher zu benachrich-
tigen. Dem Bodeneigenthümer wurde für den Fall eines Ab-
baus der 9. Theil des rohen Erzes zugesichert *). Die Unter-
suchungen des Bodens wurden lange fortgesetzt, der Erfolg war
aber unbedeutend. Späteren Nachrichten zufolge lag der Grand
an der Unkenntniss der Werkleute 8), und damit stimmen auch
andere Data überein. So war es den englischen Zinnern bis
zum Jahre 1545 entgangen, dass die Zinnsteine etwas Gold
enthielten, und auch da lenkte erst ein Fremder die Aufmerk-
samkeit der Regierung auf diese Thatsache 4).
Aus all dem ersieht man, dass die Edelmetallmenge, die
England aus den Bergwerken zog, wenigstens seit dem Aus-
gang des 14. Jahrhunderts verschwindend klein war, und dass
von da an das Ausland, beziehungsweise der Handel den Be-
darf liefern musste.
Wie schon oben erwähnt, konnte es, soweit der Handel
an sich in Betracht kam, an Geldzufluss nicht fehlen, da, von
ganz besonders schlechten Erntejahren abgesehen, die Bilanz
zu Gunsten Englands stand. Aber selbst wenn die der Geld-
zufuhr entgegenstehenden Momente thatsächlich wirkten, so
wird doch immer wegen der geringen Ausbildung des Credit*
ein grosser Theil des Ueberschusses nach England gelangt sein,
um freilich rasch wieder abzufliessen. Vor Eduard III. scheint
man gar nicht oder wenig sich darum gekümmert zu haben,
ob und wie dieser Zugang stattfinde. Nur dafür war gesorgt
dass Wechselstellen an der Grenze das fremde Geld aufnahmen
und gegen englisches vertauschten. Als aber Eduard HI. sich
') Brewer, Cal. HL 644.
*) Brewer, Cal. IV. 297.
*) 1563 baten einige Deutsche in England um Incorporation und am
die Erlaubni88, von jeder Haushaltung zur Ausbeutung der Minen Beitrage
erheben zu dürfen. In dem Gesuch heisst es unter Anderm: „The Ute
Mng Henry VUL and Charles Duke of Suffolk were not discouraged firom
practising the working and trial of metals by the vast sums laid out t herein
by the great Turk in Syderatopie etc. The late King and Duke worked
long to discover the riches of the country in metals, but were stayed by
the ignorance of the workmen". State Papers Cal. Dom. Ser. 1601 — 1603
with Addenda 1547—1565. Ed. Green.
*) „One named St Clere declared, that certaine gould caled hoppes
and gould ore in every tynne werke belüge, a streme worke in the county
of Devon and Cornewall is by ignorance or necligence ot the tynneres
moulten with the tynne and so unwares convaied into forraine partes, wher
it is devided to the greate luker of the strangers for a certaine proofe and
tryall of the same". Die Regierung befahl, (fiesen Mann 1 Monat lang in
den Zinnwerken zuzulassen und dann über den Erfolg zu berichten. Acts
of the privy Council vom 29. Mai 1545. Br. M. Harleian Ms. 256 fo. 13.
- 495 —
zum Krieg gegen Frankreich rüstete, richtete sich das Interesse
auch auf die Geldbewegung.
Man verhehlte sich nicht, dass der Krieg grosseSummen
ausser Landes führen werde. Schon ehe nur der König mit
seinem Heer England verlassen hatte, wurde durch Concentra-
tion der Geldmittel in den Händen der Regierung der Geld-
»mangel stark fühlbar. Es entstand die Frage, wie man der
bevorstehenden oder bereits begonnenen Crisis die Schärfe
nehmen könne. Man musste Sorge dafür tragen, dass die Lücke
möglichst rasch wieder ausgefüllt werde. Die Gemeinen schlu-
gen den „Grossen" vor, dass gewisse fremde gute Münzsorten
zur Circulation zuzulassen, insbesondere aber von den Kauf-
leuten die Einfuhr von Silbermetall zur Ausprägung zu ver-
langen sei *). Dieser Vorschlag wurde acceptirt. 1339 be-
stimmte Eduard III. in Uebereinstimmung mit dem Parlament,
dass für jeden Sack Wolle, der expoiürt werde, Silber („plate
of silver") bis zum Werth von 2 Mark zurückgebracht und bei
dem kgl. Wechselamt gegen Geld ausgetauscht werden müsse.
Dieser Verpflichtung war innerhalb dreier Monate nach ge-
schehenem Export nachzukommen, und die Wardeine des
Wechselamts hatten auf Grund der Zolllisten dreimal im Jahre
zu prüfen, ob die Acte wirklich durchgeführt wurde *).
Mit diesem Gesetz hatte man einen Weg beschritten, der,
wie die Erfahrung zeigte, nicht so rasch wieder verlassen
werden sollte. Es war eine scharfe Linie gezogen, bis zu
welcher der Exporteur für den Werth seiner Ausfuhr Waaren
importiren durfte. Was jenseit der Linien lag, musste in
Baarem dem Königreich zugehen. Man brauchte nur noch
den Fremden zu verbieten, dass sie für ihren Import Geld aus-
führten, um den erlangten Geldbestand auch zu sichern, und
wir werden sehen, wie dies auch später geschah. Jedenfalls
lag aber in diesem Zwang zum Geldimport ein indirecter In-
dustrieschutz, und lange festgehalten, musste auch dieses Mittel
in solcher Weise wirken.
Zunächst wurde die Massregel willig ertragen, was nicht
zu verwundern ist, weil sie eigentlich nur einen factischen
Zustand bestimmt ordnete. Ihr Druck konnte erst in der Zu-
kunft sich offenbaren. Man erneuerte das Gesetz 1343, ohne
dass ein Widersprach laut wurde. Um den Zufluss noch zu
erleichtern und zu vermehren, wurde beschlossen, den Woll-
preis 3 Jahre lang in jeder Grafschaft zu erhöhen und Jeden
zu bestrafen, der unter dem Preise verkaufte; feiner wurden
alle bisher üblichen Münzstätten wieder geöffnet s). Acht Jahre
nach Erlass der Acte wurde die erste Klage laut. Die Fla-
*) Rot. Pari. IL S. 105, 113, 127.
J) 13 Ed. UI st 1. c. 21; U Ed. III. st 2. c. 4.
*) Rot Pari. IL S. 137 fg. Rymer V. S. 369.
— 496 —
mänder hatten, vennuthlich weil Eduard HI. das Stapel tob
Brügge nach Calais verlegt hatte JX die Ausfuhr von Geld ver-
boten. Die Kaufleute konnten nur schwer dem Gesetz genügen,
weil sie das gewünschte Silber nicht fanden, und Viele ent-
hielten sich lieber des Wollgeschäfts. Diese Vorstellungen
hatten aber nicht das Resultat, dass die Acte aufgehoben
wurde; der König verwies vielmehr auf die Motive des Ge-
setzes, wonach es dazu dienen sollte, das Land wieder mit
Geld zu füllen8) und versprach deshalb, nur mit Flandern
wegen Aufhebung des Verbots unterhandeln zu wollen.
Das einmal eingeschlagene System begann eine stehende
Einrichtung zu werden. Unter Richard II. verpflichtete man
1397 alle Kaufleute, fremde wie einheimische, für jede Last
Häute und jeden Sack Wolle, die exportirt wurden, eine Unze
Gold fremden Gepräges innerhalb eines halben Jahres nach
der Verschiffung an die Londoner Münzanstalt zu bringen,
eventuell 13 sh 4 d mehr an Zoll zu zahlen8). Zeitweilig
zwang man nicht blos die Exporteure von Stapelartikeln, son-
dern auch die Importeure von Luxuswaaren, als von Gold-
und Seidentuch, Edelsteinen, Pelzwaaren u. s. w. für jedes
Pfund 12 sh in Barrenmetall in den Tower zu London zn
Hefern4). Der Gedanke, dass der steigende Luxus eine
Hauptursache der Edelmetallausfuhr sei, gewann hier zum
ersten Mal concreto Gestalt. Man sieht dies auch daraus, dass
die Gemeinen unmittelbar an diese Bestimmung den Wunsch
anschlössen, dass keinem Adeligen gestattet werde, solche
Luxuswaaren zu tragen , es sei denn , dass er 40 jj? jährliches
Einkommen besitze, was jedoch der König ablehnte.
Der Mechanismus, der den Geldzufluss regeln sollte, er-
fuhr neue Modificationen, seit der Besitz von Galais nicht mehr
ernstlich gefährdet erschien, und man glaubte, das Stapel
dauernd dort belassen zu können. Es lag nahe, durch Er-
richtung einer Münzanstalt in Calais die Geldeinfuhr zu sichern.
Das nach Calais von den Fremden gebrachte Geld konnte so-
fort in englische Münze verwandelt werden , und war dies in
rationeller Weise geschehen, so war es wahrscheinlich, dass
die neue Münze vorwiegend dem englischen Verkehr zuströmte.
Ein weiterer, gar nicht zu unterschätzender Vortheil war der,
2) Varenbergh, Relations diplomatique entre le comtö de Flandre
et l'Angleterre au moyen age. Bruxelles 1874. S. 379.
») -pur replener la terre de monoie." Rot. Pari. II. S. 202 (1348).
*) Rot Pari. III. S. 840.
4) Die Motivirung ebenfalls wieder: „pur encresser Tor et I'argeDt
deinz le roialme". Rot Pari. III. S. 66 (1379). Die Bestimmung hatte
bis zum nächsten Parlament zu danern, um zu erproben, ob der Modus
nützlich oder schädlich sei. Die Proclamation erfolgte am 6. Juni 1379
(Rymer Rec Ed. IV. S. 62) und wurde erneuert 1381 (Rot ParL 1IL
S. 392).
— 497 —
dass sich England dadurch besser als bisher vor dem Ein-
dringen fremder und schlechter Münzen schützen konnte, das
fremde GeW wurde nicht erst von den Wechselstellen in Eng-
land aufgefangen, sondern schon ausserhalb der Landesgrenze
einer Art Läuterungsprocess unterworfen. Endlich war die
Errichtung einer Münzanstalt für den Verkehr in Calais
ausserordentlich wichtig. Sie beförderte die Ausdehnung des
Marktes. Es konnten die Kaufleute von allerwärts mit ihren
einheimischen Münzen oder mit rohem Metall, selbst mit Ge-
schirr kommen, ohne Zurückweisung von den Staplern be-
fürchten zu müssen. Man kann geradezu deshalb sagen, dass,
seit man das Stapel von Brügge weg verlegt hatte, eine Eigene
Münzanstalt in Calais unentbehrlich war, wenn der Handel
nicht verkümmern sollte.
Schon Eduard III. richtete eine solche ein. Wir wissen
bestimmt, dass wenigstens nach dem Frieden von Bretigny
eine solche in Thätigkeit war. Es sind Ernennungen von
Münzmeistern uns überliefert1). Auch kennen wir Verord-
nungen aus dieser Zeit, in denen der König den Wollkäufern
befiehlt, einen Theil der Kaufsumme (5 Soldz) in Gold- oder
Silberbarren an die Prägeanstalt in Calais abzuliefern3).
Eigentümlich war nur, dass man nebenher auch noch an den
früheren Bestimmungen wegen Ablieferung von Barrenmetall
an die Londoner Münze festhielt. Dadurch war nicht nur die
Münzstätte von Calais in ihrem Wirkungskreis beengt, sondern
diese mehrfache Verpflichtung erzeugte auch einen sehr fühl-
baren Druck. Die Stapelbehörde verlangte Abhilfe im Parla-
ment. Sie wünschte, dass man die Kaufleute von der bisher
fortbestehenden Verpflichtung, 2 Mark in den Tower zu London
bringen zu müssen, entbinde; als Ersatz schlug sie eine Reihe
anderer Massregeln vor, die freilich noch weit ungeschickter
und lästiger waren, als der bisherige Zustand.
Nach diesen Propositionen werden die fremden Kaufleute,
die nach Calais kommen, einem Wirthe zugewiesen. Diesem
müssen sie ihren ganzen Edelmetallvorrath übergeben. Der
Wirth liefert im Beisein des Fremden die Werthe an den
x) Rymer Rec. Ed. in. P. II. S. 727 (1. Apr. 1364).
*) Rymer Rec. Ed. III. P. II. S. 725, 727 (1. u. 16. Mz. 1364). Es
ist somit nicht genau, wenn der Verfasser einer Denkschrift aas der Zeit
Heinrichs VIII. die Münze von Calais erst von Richard II. an datirt: „Than
at the first hegynyng of the staple at Calais, whan was hut a certayn
nomber of Staplers, than was the certayn quantite of staple wolle receyvcd
of Godd by werk of housbondry ordynaryly sold at Caleis alwey for redy
money and for bullion, which that tyme the Loo contreys in Flaanders was
gladd to bryng to Calais to pay for wolle at the staple in hand , which
bullion in a mynt at Caleis was coyned ther firom the dayes of Richard
the W duryng Henry the IVth, the VN* and the VI«* to Edward more
than sixty yers, which was encrese of plenty of money to the holl welth
of the reame". Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 15.
Schani, Engl. Handelspolitik. L 32
— 498 —
Münzmeister ab. Der letztere prüft etwa darunter befindliche
englische Nobel, gibt die gut befundenen zurück, während er
diejenigen, deren Gewicht das gesetzliche Remedium nicht er-
reicht, sowie alles fremde Geld und Barrenmetall in englische
Münze umprägt und dann dem Wirth in Gegenwart des
Fremden zurückgibt. Alles Gold und Silber, das die Fremden
nach Calais gebracht hätten, wäre auf diese Weise in eng-
lische Münze umgewandelt worden, selbst dasjenige, das die
fremden Kaufleute gar nicht zum Ankauf verwendetes,
eine ungerechtfertigte Zumuthung, wenn man bedenkt, dass
das Münzen eine kostspielige Sache war. Den Interessen der
Münzstätte aber war gedient, und auch dem Eindringen frem-
den Geldes begegnet. Es galt nur noch, das Geld dem eng-
lischen Verkehr auch wirklich zuzuführen, und dahin zielten
die übrigen Vorschläge. Der Wirth hat den Fremden bei
allen Geschäften, die dieser mit Engländern macht, auf Schritt
und Tritt zu begleiten und die Zahlungen zu leisten, aber
auch nicht direct an den Verkäufer, sondern diese Zahlungen
geschehen in der Weise, dass bei dem Münzmeister der Erlös
deponirt wird. Dieser gibt dem englischen Wollverkäufer so-
viel, dass er seine Zehr- und Reisekosten bestreiten kann; den
Rest schliesst er in einen Beutel ein, welchen der Schatzmeister
versiegelt. Darüber wird ein doppeltes Document angefertigt
Der Kaufmann erhält den versiegelten Beutel mit einem
Schein und überbringt beides dem Mayor von London. Dieser
prüft, ob der Inhalt des Beutels mit den Angaben überein-
stimmt, händigt dem Stapler das Geld aus und hebt den
Schein auf. Nach Michaeli jeden Jahres liefern der Schatz-
meister von Calais und der Mayor von London ihre Documenta
an das Exchequeramt ab. Stellt sich nun heraus, dass ein
Kaufmann das Geld nicht abgeliefert hat, so verwirkt er die
betreffende Summe. Die englischen Kaufleute sollen aber nur
dann zu diesen Bestimmungen verpflichtet werden, wenn sie
wenigstens 10 j£ für den Serpier Wolle erhalten l). Den eng-
lischen Stapelkauf] euten wäre, wie man sieht, jeder unmittel-
bare Waarenimport versagt geblieben.
Der König ging auf diese complicirte Einrichtung nicht
ein, sondern liess es bei den bisherigen Gesetzen bewenden.
Neben vielen andern Erwägungen war wohl die ausschlag-
gebend, dass die Regierung fürchtete, der Zufluss der fremden
Kaufleute nach Calais möchte unter der ihnen zugedachten
Bevormundung sich mindern; das hätte aber den Wollverkauf
beeinträchtigt und in letzter Linie den Interessen der Woll-
producenten und den Zolleinnahmen geschadet Dagegen ver-
vollkommnete Heinrich V. das bisherige System insofern, als
er es auch auf diejenigen Kaufleute, welche vom Stapel ent-
*)Rot Pari. IV. S. 125 (1420).
— 499 —
bunden waren, also namentlich auch auf die Italiener aus-
dehnte. Dieselben hatten für jeden Sack Wolle, Sowie für je
3 Stück Zinn eine Unze Barrengold oder seinen Werth in
Barrensilber dem Münzmeister im Tower zu bringen1). Man
legte anfangs das Gesetz so rigoros aus, dass die Beamten den
Münzwerth für das erhaltene Metall nicht zurückerstatten
wollten 2).
Man hielt also an dem ganzen System in seiner ursprüng-
lichen Anlage fest. Dasselbe fand auch bald Nachahmung bei
dem schottischen Nachbar. Während aber in Schottland das-
selbe im Laufe des 15. Jahrhunderte mehr und mehr ver-
schärft wurde3), begann es in England langsam zu zer-
bröckeln.
Die Münze in Calais, die vor 1421 ganz stille gestanden
hatte4), wurde auf Bitten der Stapler wieder in Thätigkeit
gesetzt 6). Sie wollte aber nicht mehr recht prosperiren. War
auf dem Gontinent kein englisches Geld, so zahlten* die Nieder-
länder in flandrischen Nobeln, die Stapler aber brachten sie
nicht an die Münze, sondern importirten dieselben direct nach
England 6). Sie thaten dies um so lieber, als sie dabei profi-
tirten. Der Schlagschatz fiel weg, und nicht selten brachten
sie die geringhaltige Münze zu hohem Gurs an den Mann,
Gab es dagegen, sei es in Folge von Krieg oder aus einer
anderen Ursache, viel englisches Geld in Flandern, so be-
nutzten natürlich die Flamänder dieses zum Ankauf von Wolle,
and die Münze von Calais war erst recht zur Unthätigkeit
verurtheilt 7).
Diese Gründe werden in den dem Parlament vorgelegten
Petitionen erwähnt. Sie reichen aber kaum aus. Es wirkten
viel stärkere Ursachen, welche die ganze künstliche Regelung
des Geldzuflusses unterwühlen mussten.
Das Luxusbedürfniss auf der britischen Insel war fort-
während im Steigen begriffen. Die unzähligen geschmackvollen
*) 8 Hen. V. c 2 (1420).
*) Auf Grund der Eingabe der KaufleuteTim Br. M. Harl. Ms.
1878 fo. 6. Im Jahre 1433 wurde vom königl. Rath dem Schatzmeister
Vollmacht gegeben nto graunte hem for the lnngis availle suche dayes of
respite of brioging yn thair sommes to the ballion as bitwix him and thaim
shal mowe be accorded, taking of thaim therfore sufficeante seurtee." Ni-
colas, Proceedings etc. IV. S. 145.
*) Nach dem Beschluss des Parlaments von Schottland im Jahre 1436
hatten die Exporteure 9 Unzen für jede Last Häute, 3 Unzen für einen
Serpier Wolle oder andern gleichen Waarenwerth, nach dem von 1488
4 Unzen geschmolzenes Silber für je 224 Steine Wolle, eine Last Lachse
oder 400 Ellen Tuch, 6 Unzen für eine Last Häute und 2 Unzen für eine
Last Heringe dem Münzmeister zu überbringen (Macpherson).
4)Rot. Pari. IV. S. 146.
*) Nicolas, Proceedings etc. II. S, 332 (1422).
6) Rot. Pari. IH. S. 470 (1400/1).
') Rot Pari. IV. S. 252.
32*
— 500 —
Artikel und fremden Producte des niederländischen Marktes
wurden iminer stärker begehrt. Die Niederländer wie die
Merchant adventurers kamen diesem Bedürfniss entgegen. Seit
dem 15. Jahrhundert bildeten den hauptsächlichsten Gegen-
werth die englischen Tücher. Diese reichten aber nicht ganz
aus. Ein Theil der exportirten Wolle musste mit zur Deckung
dienen. Unter dem Einfluss der wollkaufenden Niederländer
bürgerte sich zugleich das Creditgeben im Wollgeschäft ein,
und nichts war natürlicher, als dass die Merchant adventurers
behufs Begleichung mit ins Spiel gezogen wurden. Da zugleich
der Markt der Stapler und der der Merchant adventurers örtlich
auseinander lagen, so waren alle Vorbedingungen zu einem regen
Wechselbriefgeschäft gegeben. Der ganze Verkehr und die
alte Geldbewegung erhielt dadurch eine Umgestaltung, wie sie
der Verfasser einer Denkschrift aus der Zeit Heinrichs VIII.
so anschaulich, wenn auch grollend darstellt1). Sie war auch
nicht plötzlich entstanden, sondern hatte ganz allmälig sich
vollzogen. Dass bei den englischen Kaufleuten schon am An-
*) „So many Staplers was encresid, for whose occupieng so moch the
more staple wolle in England was encresid and brought to Caleis, that the
Dowch tong perceyvid, they shald never lakk non, but bave it soo plen-
tuous, which causid theym to forsake to pay redy money and buUion at
the staple to bye it for respite. By that meanes the mynt in Caleis desol-
vyd, and so was it ordenyd, that the Dowch tong with the Staplers con-
cludid to pay for wolle but a certayn money in hande at the staple and
the residew to be payde at dayes apoyntid at the marte in the Loo con-
treys after the mart at Brügge desolvyd, and other marte was made at
Andwarpe and Barow and Myddelborow. Now take hedd after that con-
clusion a Standard rate was made at Calis, how moche Flemysh money
shuld make the sterlyng pownde, abowt 28 Shilling Flemysh the pownde,
after which rate the Staplers recyvyd ther payments for ther wolle at the
marte. Which Staplers after that tyme never usid for ther wolle to bryng
no money into England, as they didd before, but alwey patisid and con-
venauntia with the adventurers in London to delyver ther money, that rose
of ther wolle sales to theym by exchaunge. So begane the Staplers and
the adventurers for ther own singler profite to make ther exchaunge to-
geders in kepyng owt of the reame all such monev, as yerly shuld be
brought into the reame of our riche comodites. Whan the ßowch tong
hadd so aggred with the Staplers of England to sett ther money at a cer-
tayn rate of 28 Shilling the sterlyng pownde to pay so to the Staplers at
the marte, than ratid they ther money in ther contreys at the marte at
hygher value, that rather than the Staplers shuld carve ther money for ther
wolle into England, they shuld gayn more profite to delyver it by exchaunge
to adventurers of London for 8d or 124 lesse in the pownde to wyne soo
moche by that exchaunge in every pownde to receyve ther monev, after
they come home or sende into England at ther day to receyve it in Lon-
don. Which money the adventurers of London, receyvyng it at the marte
of the Staplers, bestowith it ther upon all straunge merchaundise and
bryngith it over into England, wher before that tyme the Staplers for ther
wolle brought ther money into England so long, as they eold ther wolle
for redy money at the staple and kept a mynt ther. Now see another ex-
chaunge, that the Staplers than begänne to make with the adventurers in
London. After such constitucion made of wolle to be sold for respite, and
the money therfor paid at marte was sold at the staple by ther tyme of
— 501 —
fang des 14. Jahrhunderts die Wechsel nicht gerade selten
waren, ersieht man daraus, dass unter den im Jahre 1305 vom
Herzog Johann von Brabant ertheilten Privilegien auch das
war, dass sie ihre Zahlungen in Baar oder in Wechseln
machen durften *). Die ganze Bewegung wurde nur beschleu-
nigt, seit die Merchant adventurers durch den Wegzug nach
Antwerpen sich selbständiger entwickelten.
Die Folge dieser Umwandlung war, dass nicht nur die
Münze von Calais verödete, sondern dass die Einfuhr von
Edelmetall zur Begleichung der Handelsbilanz immer geringer
wurde. Dies wurde um so schwerer gefühlt, als auch die
Fremden, die sonst Edelmetall importirt hatten, wie die
Preussen, sehr bald es vortheilhafter fanden, fremde Waaren
statt dessen zu importiren *).
Selbstverständlich blieb dieser Process nicht unbeobachtet.
Man erkannte sehr früh, dass die Wechsel den Geldzufluss
schmälerten. Ob eine Petition der Gemeinen von 1363 3),
worin verlangt wird, dass für den grösseren Theil von Wolle,
Zinn, Blei den englischen Kaufleuten Goldzahlung geleistet
werde, damit zusammenhängt, und ob das 1364 erlassene Ver-
bot, Geld gegen Zinsen in Calais darzuleihen4), hieher zu be-
ziehen ist, lasse ich dahingestellt; sie gestatten wenigstens auch
andere Deutungen. Sicher aber hatte den Zusammenhang ein
vor das Parlament geladener Sachverständiger Namens Crantren
erkannt, der geradezu, um den Zufluss von Edelmetall zu ver-
stärken, die flandrischen Wechsel in England verboten wissen
wollte 5). Auch in einer Petition von 1402 wird es, wenn auch
in etwas anderem Sinn, beklagt, dass die englischen Kaufleute
das Königreich ohne Waaren verlassen, in überseeischen Län-
dern mit Baargeld und Wechseln Waaren kaufen6).
ages brought theder, the Staplers in England apoyntid to receyve ther pay-
menta in such wise at marte, consideryng ther shyppyng of wolle in Eng-
land, thougkt to wyne more by the age of ther wolle brought to Caleis than
to receyve ther money them seif at the marte to make lt over first into
England and afterward therwith to bye ther woll and so lose a shippyng,
hadd lever lose the profite of ther exchaunge beyonde see to receyve so
moch money in London of the adventurer, therwith to bye wolle to save
a shippyng and wyn so moche more money by the age of ther wolle at
Caleis, and the adventurer therfor to receyve the money owyng to the
Stapler at the marte. Thus by theis two kyndes of exchaunges never was
brought into England no money" etc. Pauli, Drei volksw. Denkschriften
S. 18-20. '
*) Mertens en Torf, Geschiedenis van Antwerpen II. S. 548: vgl.
auch Bd. IL 8. 249.
*) Vgl. oben S. 228. 229.
>) Rot Pari. IL S. 276.
4) Ryroer Rec. Ed. III. P. II. S. 727.
6) „Eschaunges ou antres paiements par letres ne soient faitz hors de
Flaodres, ne antres parties de part dela pour paier en Engleterre a cause
d'ascun merchandise." Rot. Pari. IIL S. 64.
«jRot. Pari. IU. S. 509.
— 502 —
Die Gesetzgebung glaubte der Entwicklung sich entgegen-
stemmen zu können. Das bisherige System wurde verschärft.
Eine Parlamentsacte befahl, dass fortan Wolle, Wollfelle und
Zinn nur gegen Baargeld verkauft werden dürften und dass für
jeden Serpier Wolle Barrenmetall im Werthe von 4, 5 oder 6 £
an die Münze von Calais abgeliefert werden müssten, je nachdem
der Serpier zu 8, 10 oder 12 Mark verkauft worden sei1).
Mit diesem Gesetz wurde gleichzeitig eine eigentümliche
Neuerung eingeführt, welche dazu beitragen konnte, die Durch-
führung zu sichern. Die Wolle der einzelnen Grafschaften
sollte in Calais eine einheitliche selbständige Masse bilden.
Derjenige Stepler, der den von ihm gebrachten Theil ver-
kaufte, musste den oben festgesetzten Betrag an die Münz-
stätte abliefern. Aber er erhielt nicht die volle Summe nach
der Umprägung zurück, sondern dieselbe wurde auf die ein-
zelnen Stapler, welche ebenfalls Wolle dieser Gegend in Calais
hatten, nach dem Verhältniss ihrer Menge vertheilt und an
Jeden in England geschickt. Erst wenn die ganze Quantität
dieser Gegend verkauft war, hatte der Einzelne seinen vollen
Erlös 2). Dadurch war eine wechselseitige Controle geschaffen,
ein Unterschleif von Seite des Einzelnen war sehr schwer, weil
die Interessen aller übrigen Stapler sich gegen ihn vereinigten.
Die Ordonnanz war von der Stapelbehörde selbst ausgegangen
oder angeregt worden, und zwar waren für ihren Erlass mehr
preis- als geldpolitische Gründe entscheidend. Die Stapel-
behörde betrachtete es als eine ihrer wesentlichsten Aufgaben,
eine Cöncurrenz unter den Staplern hintanzuhalten, um den
Fremden einen möglichst hohen Wollpreis dictiren zu können.
Seit längerer Zeit setzte sie die Taxen fest Wenn man aber
dem Einzelnen die Möglichkeit nahm, seine Waare so gut es
eben ging, loszuschlagen, dann war es auch unbillig, es ge-
wissermassen dem Zufall zu überlassen, ob seine Waare sofort
verkauft wurde oder Monate lang liegen blieb. Durch dieses
Theilungsverfahren wurden alle gleichmässig behandelt.
Sieben Jahre lang fungirte diese Einrichtung, ohne Wider-
stand zu erfahren. Dann aber bildete sich eine Opposition im
Schooss der Stapelgesellschaft selbst. Man griff aber auch
jetzt nicht das Theilungsverfahren an, sondern suchte nur die
Verpflichtung zur Ablieferung von Barrenmetall zu eliminiren.
Die bezügliche Petition kennzeichnet recht deutlich, wie ver-
schieden der Verkehr geworden war. Nach derselben waren
Kaufleute von Leyden, Amsterdam und andern Plätzen Hol-
lands und Zeelands nach Calais gekommen und hatten neben
Baarzahlung verschiedene andere Begleichungsmittel an-
») 8 Hen. VI. c. 18, durch 11 Hen. VI. c. 13 auf 3 Jahre verlängert.
2) üeber die bezügliche Petition ist besonders zu vgl. Rot Pari. V.
S. 256.
— 503 —
geboten1). Die Stapler mussten die letzteren zurückweisen,
und die Folge war, dass ein grosser Theil der Wolle an-
abgesetzt blieb. Die Bitte, jede Zahlungsart annehmen zu
dürfen und für die Theilung erst in England aufkommen zu
müssen, erhielt jedoch nicht die Zustimmung des Königs ').
Mit besserem Erfolg wurde der Kampf 1442 wieder auf-
genommen. Diesmal war er auch gegen die Theilung selbst
gerichtet Den Anstoss hatte das Vorgehen verschiedener
fremder Fürsten gegeben. Dieselben hatten als Antwort auf
das englische Verlangen der Baarzahlung die Verbote gegen
die Ausfahr von Edelmetall verschärft und strenge Controle
angeordnet. Die Münze in Calais gerieth trotz des Gesetzes
in Verfall. Viele Stapler gaben das Wollgeschäft auf, weil sie
nicht frei über ihre Waaren verfügen durften3), oder kauften
Licenzen4), oder sie verlegten sich auf den Schmuggel. Je
grössere Dimensionen diese letztere Uebung annahm, um so
schwieriger wurde es, den Preis in Calais hoch zu halten.
Derselbe sank fortwährend, und die Interessen Vieler, nament-
lich auch solcher, die im Parlament sassen, wurden geschädigt.
Man willfahrte denn auch dem Wunsche der Petenten und hob
das Theilverfahren für 7 Jahre auf. Es musste jedoch Jeder
nach der von der Stapelbehörde festgesetzten Preistaxe ver-
kaufen und Va des Preises der verkauften Wolle in Silber-
barren an die Münze von Calais liefern. Unter Aufsicht der
Stapelbehörde erhielt der Kaufmann das geprägte Geld zurück
und unter Controle hatte er es nach England zu bringen6).
Obwohl nun der Betrag des abzuliefernden Edelmetalls
sehr reducirt worden war, so sträubten sich doch jetzt die
Stapler auch gegen diese Schranke. Sie baten den königl.
Rath, sie von der Acte zu entbinden, und als dieser ihrem
Gesuch nicht entsprach6), dispensirte der Stapelmayor aus
eigener Machtvollkommenheit, indem er sich auf das Verbot
des Herzogs von Burgund stützte. Der König, den Staplern
sehr verschuldet, musste wohl oder übel das Fait accompli an-
erkennen7). Im Jahre 1454 erhob sich eine neue Agitation
l) „offring süffisant contentement, plein agrement and redy paiement."
*) Rot Pari. IV. S. 508 (1437).
8) «because they may not be rulers of their owen goodes."
*) Rot. Pari. IV. 8. 490 (1435).
6) Rot. Pari. V. S. 64; 20 Heu. VI. c. 12.
*) Der Cardinal sagte, „that they Flemyngis have now that, that thei
wolde have etc. And vif thei coude feele, that the kyng for [this hisj
necessitee sholde thus dispense with thestatut of bringing in of bullion etc.,
he 8hulde never hereafter by constreint make hem bringe in any bullion"
etc. Nicolas, Proceedings V. S. 216, 217.
7) Jedoch „so alweys, that ye put youe in your treue devoire and dili-
gence to bring in for the seid wolles as moche bullyon as ye shall mowe
godely gete." Nicolas, Proceedings etc. V. S. 219, 221 (1442).
— 504 —
zu Gunsten des alten Systems1), eine Gegenpetition der ein-
flussreichen Stapelkaufleute genügte, um diese reactionären
Pläne sofort bei ihrem Auftauchen zu Boden zu schlagen8).
Unter Eduard IV. machte man einen letzten Versuch, das
System zu retten. Eine Acte bestimmte, dass die Wolle nur
gegen Edelmetall verkauft werden dürfe. Dasselbe sollte
zur Hälfte entweder aus englischem Geld oder aus Geschirr,
Gold- und Silberbarren bestehen. Letztere waren an die
Münze in Galais zu bringen. Das daraus geprägte Geld musste
mit dem übrigen innerhalb dreier Monate nach England ge-
schafft werden3). Als die dreijährige Giltigkeitsdauer ab-
gelaufen war, wurde die Acte nicht wieder erneuert, später
auch ausdrücklich der Geldexport von Calais überall hin ge-
stattet*).
Auch Heinrich VIL, der doch einen ausserordentlich grossen
Werth auf die Vermehrung des Geldvorrates legte, wagte nicht
mehr die Bestimmungen zu erzwingen. In der Acte „Pro Sta-
pula Calesiae" (19 Hen. VII. c. 27) sind sie nicht erwähnt.
Heinrich VHI. Hess es bei einigen Scheinversuchen bewenden.
Bei der Erneuerimg des Stapelvertrags verpflichtete er die
Kaufleute, für je 3 Serpier Wolle, die in Calais an Ober-
deutsche verkauft würden, innerhalb zweier Jahre eine Gewichts-
mark Silber oder den entsprechenden Werth in Gold ein-
zuführen, beziehungsweise den Beamten vorzuzeigen. Die
ganze Bestimmung war so gefasst, dass sie von keinem prak-
tischen Werth sein konnte6). Vom rechtlichen Standpunkt
aus hielt man die früheren Statuten noch für giltig 6), aber auf
ihre strenge Durchführung wurde verzichtet. Fortan benützte
*) Die Wollk&afer sollten die H&lfte des Wollpreises sofort baar er-
legen, für die andere Hälfte Sicherheit stellen; bestimmte Preisquoten waren
an die Münze in Calais abzuliefern. Die Verkäufer hatten dem Käufer
Quittungen, die im Stapel gesiegelt wurden, auszustellen „to th'entent that
noo merchaunt shall leeve to any merchaunt straunger any maner of money
of him received neither of wolles ne of wolfelles, but that the same money
mowe be brought into this youre reaume without subtilte or fraude." Die
Partition sollte auf sämmtliche Stapelkaufleute ausgedehnt werden, so dass
die gesammte in Calais befindliche Wolle eine einheitliche Masse bildete-
Um den Widerstand des Herzogs von Burgund zu brechen, der nicht ein-
mal die Durchfuhr von Silberbarren nach Calais gestatten wollte, schlug
man vor, keine Wolle eine Zeit lang nach den Niederlanden gelangen zn
lassen. Endlich wünschte man die Festsetzung hoher Preistaxen, welche
die Stapler, aber nicht die Tuchmacher in England zahlen sollten. Rot.
Pari. V. S. 276.
*) Rot Pari. V. S. 256.
*) 3 Ed IV. c. 1.
«) 17 Ed. IV. c. 1.
Ä) 7 Hen. VIH. c 10. § 12—18.
6) Dies sieht man aus dem Generalpardon 7 Hen. VDI. c. 1 1 , der
unter Anderm auch ertheilt wird für „not bryngyng in of bolyon into this
roialme of England oute of the parties"; sieh auch 7 Hen. VIII. c. 10 § 17.
— 505 —
die Regierung theils die Cursregulirung *), theils kaufte sie
direct das zum Prägen nöthige Silber auf dem Markte. Wir
wissen wenigstens von Wolsey, wie er hiezu im Jahre 1519
sich des sachkundigen Käthes von Hermann Rink bediente8).
Ausserdem suchte man durch mancherlei Facilitäten bei der
Ausprägung die Privaten zu veranlassen,- Edelmetall an die
Münzanstalt zu bringen. Solche waren schon seit längerer
Zeit gewährt worden. Der Einfluss des Parlaments machte
sich hier in günstigster Weise geltend. Es war z. B. als Regel
aufgestellt, dass Jeder, der Barren einlieferte, in 8 Tagen das
geprägte Geld zurückerhalten musste3). Es wurde dafür ge-
sorgt, dass die Münzwardeine bei der Rückgabe nicht betrügen
konnten4). Die Kosten der Probe des eingelieferten Metalls
trug nicht der Ueberbringer, sondern die Münzanstalt 6). Kluge
Leute schlugen schon im 14. Jahrhundert als ein wirksames
Mittel, die Ausprägungen zu vermehren, vor, den Schlagsatz
herabzusetzen *) ; derselbe wurde denn auch später, wenn man
die damals viel grösseren Prägungskosten in Rechnung zieht,
sehr massig fixirt. Unter Heinrich V. betrug er für Gold l1/»0/«),
für Silber 4,2 % *).
Die Regierung Heinrichs VIH. suchte den Import von
Edelmetall eine Zeit lang dadurch zu fördern, dass sie den-
jenigen, welche Barren an die Münze brachten, eine Prämie
von 2 sh per Ä versprach8). Von grosser Bedeutung wäre
eine andere Reform nach dieser Richtung hin gewesen, wenn
nicht gleichzeitig die Münzverschlechterung inscenirt worden
wäre. Heinrich VIII. hob nämlich den Unterschied zwischen
Tower & und Troyer & auf. Die Kaufleute mussten bisher
das Metall zu Troyer Gewicht abliefern, erhielten aber das ge-
prägte Geld nach Tower Gewicht zurück , was auf 30 & einen
Verlust von 2 & ausmachte9).
Jedenfalls sieht man, dass das alte System, den Geld-
zufluss zu regeln und zu steigern, definitiv aufgegeben war
und einer neuen Ordnung Platz gemacht hatte. Dasselbe hatte
eine Zeit lang einige Berechtigung, insofern, als es das ein-
*) Urk. Beil. 152.
*) Brewer, Cal. HL S. 568.
»)Rot Pari. H. S. 183 (1347).
*) Rot Pari. II. S. 242 (1351/52); IV. S. 257 (1428).
*) Eot Pari. IV. S. 177, 199 (1422/23).
*) Vgl. die Aussagen der Sachverständigen Rieh. Leye und Rieh.
Aylesbury vor dem Parlament. Rot. Pari. III. S. 64 (1381/82).
') Rot. Pari. IV. S. 154 (1421). Sieh auch unten S. 532.
8) Brewer, Cal. IV. 2338 § 6.
9) Brewer, Cal. IV. 2609. Ruding, Annais L S. 184. — Selbst-
verständlich veranlasste das Streben, den Münzstätten das nöthige Metall
zuzufahren, zuweilen auch Missgriffe. Ein solcher war z. B. das Gesetz,
dass Silber nicht höher als zu 30 sh das Pfund im Verkehr gekauft werden
dürfe. 2 Hen. VI. c. 16.
— 506 —
heimische Münzwesen gegen Verschlechterung schützen half.
Bei der grossen Schwierigkeit, den Import des falschen Geldes
hintanzuhalten, war es gewiss kein ganz verfehlter Gedanke,
den Theil, der überhaupt baar zuströmte, in einen bestimmten
Ganal zu leiten, den das Edelmetall erst nach vorgenommener
Läuterung verliess. Da der Wollexport im 14. und anfangs
auch noch im 15. Jahrhundert den Hauptposten des Exports
bildete, so konnte und durfte man das Stapel zur Lösung der
Aufgabe benützen. Ihr Monopol rechtfertigte es auch, wenn
man ihnen eine Last zumuthete, wofern diese nur selbst ver-
nünftig war. Die ganze Frage ist aber anders zu beurtheilen.
sobald man in dem System ein Mittel sieht, dem Lande das
nöthige Edelmetall zu beschaffen. Nach dieser Seite hin war
dasselbe unberechtigt und schädlich, und es hemmte und
vertheuerte bald den Waarenimport. Die Umprägung des
Geldes, sein Transport nach England, sein wegen des Verbots
der Geldausfuhr gefährlicher Rücktransport veranlassten Kosten,
die zu dem Waarenpreise hinzukamen. Darin lag allerdings
eine Art Industrieschutz ; wenn man aber einen solchen wollte,
dann gab es viel einfachere, ebenso wirkungsvolle, aber gleich-
zeitig weniger den ganzen Verkehr belästigende und lähmende
Mittel. Man brauchte nur die Eingangszölle zu erhöhen. Man
durfte aber nicht den ganzen Edelmetallzufluss in solcher
mechanischer Weise regeln. Wenn man den Handel mehr in
die einheimischen Hände leitete und dadurch dem Lande den
Handels- und Frachtgewinn sicherte, wenn man den englischen
Export zu heben suchte, wenn man gewisse, die Geldausfuhr
bewirkende Ursachen beseitigte, namentlich der auswärtigen
Kriegspolitik entsagte, dann vermochte der Waarenimport zu
steigen, und das englische Geldwesen war noch keineswegs
bedroht, konnte vielmehr sich weiter ausdehnen. Diese Mo-
mente trafen zum Theil unter Heinrich VII., weniger unter
Heinrich VIH. zu.
Neben den Massregeln, Edelmetall ins Land zu ziehen
und diesen Zufluss in bestimmter Weise zu ordnen, gingen
andere nebenher, um das gewonnene zu erhalten.
Das nächstliegende Mittel war das Verbot der Geldausfuhr.
Vorübergehend wurde dasselbe wohl seit ältester Zeit angewendet.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts begegnen wir ihm häufiger:
Besonders kehrte sich dasselbe gegen die zahlreichen päpst-
lichen Sammlungen1). Die Statuten fangen um diese Zeit
ebenfalls an, mit der Geldausfuhr sich zu beschäftigen. Wie
aber bei der Regelung des Geldzuflusses der Gedanke, das
Eindringen fremder und schlechter Münze zu begrenzen, ur-
sprünglich vorwog, so war es auch hier der Fall. Man glaubte
l) Vgl. Rymer IL S. 201 (1282); S. 250 (1288).
^
— 507 -
sich am besten zu schützen, wenn man von vorneherein die
einheimische Münze nicht hinausgehen Hess. Dem widerspricht
nicht, dass sowohl in dem Statut de falsa moneta von 1299
als in dem Edict von 1307 neben dem Export des englischen
Silbergeldes auch der von Silberbarren und Silbergeschirr ver-
boten war. Ohne diese Ergänzung wäre der beabsichtigte
Zweck nicht erreicht worden. Um das englische Geld zu ex-
portiren, hätte man es nur» einzuschmelzen gebraucht. Diese
Ansicht findet eine weitere Bestätigung darin, dass Eduard I.
bei der Ausfuhr fremden Geldes Concessionen machte. Er
gestattete solche z. B. den päpstlichen Nuntien 1). Das fremde
Geld dachte man sich gewissermassen als in einem gesonderten
Ganal bewegend. Wenn der Export der einheimischen Münze
wirklich hintangehalten und das Eindringen des fremden Gel-
des in den Verkehr selbst durch die Wechselstellen unmöglich
gemacht wurde, dann konnte an den letzteren das fremde
Geld zu- und abströmen, ohne dass der einheimischen Circu-
lation daraus ein Schaden erwuchs.
Bald wurde jedoch das System durchbrachen. Schon
Eduard IL suchte als Schwiegersohn des französischen Königs
den französischen Kaufleuten eine Gunst zu erweisen, indem
er sie von dem Gesetz entband*). Damit war eine beträcht-
liche Lücke gerissen, da ein grosser Theil des Weinimports
gegen Baar erfolgte. Unter Eduard III. musste man ein wei-
teres Zugeständniss zu Gunsten der fremden Fischer machen.
Es lag nicht im Geschäftsbereich derselben, für die gebrachten
Fische Waaren anzukaufen und ebenso schwer war es, für die
Fische immer fremdes Geld bereit zu halten. Wollte man die
Fischer zur Erholung einer Licenz in jedem Fall zwingen, so
musste der Fischhandel ganz beträchtlich leiden. Man ge-
stattete ihnen deshalb, ihren Erlös ohne Licenz zu exportiren
(1331) 3). Im Uebrigen hielt man nicht nur an den Bestim-
mungen fest, sondern verschärfte sie noch. Den päpstlichen
sog. Provisoren und Procuratoren wurde bei Todesstrafe das
Betreten der königl. Gebiete untersagt4). Gleichzeitig unter-
warf man auf Anregung des Parlaments5) die Religiösen und
Pilger dem Gesetz und zwang sie behufs Gontrolermöglichung
1) „Concedimus vobis (papal agents), quod totam pecuniam ad Roma-
nanu Ecclesiam rationabiliter spectantem per vos infra regnum nostrum
collectam tradendo eam mercatoribus infra idem regnum, possitis per viam
cambii dicto domin o summo pontifici destinare, ita quod monetam aliquam
de cuneo nostro seu argentum aliquod in massa extra idem regnum minime
deferatis seu per alios deferri aliqualiter faciatis." Rot. Pari. I. S. 222
(1307).
*) Rymer II. S. 1050.
8) Rymer IV. S. 500.
4) Rot Pari. IL S. 9 (1326/27); vgl auch Rymer IV. S. 789.
6) Rot. Pari. IL S. 377 (1384).
- 508 —
über Dover zu reisen, stellte eigene Inspectoren auf, denen
für jede Entdeckung einer Gesetzesverletzung der vierte Theil
des Confiscirten zufallen sollte, liess Kaufleute und Schiffs-
meister schwören, die Acte beobachten zu wollen. Nur gegen
Licenz sollte die Ausfuhr erlaubt sein1).
Mochte es in dieser rauhen Weise gelungen sein, den hei-
mischen Edelmetallschatz zu hüten und unverfälscht zu er-
halten , so musste doch das ganee System seinen Dienst ver-
sagen, als Eduard III. seine Kriege mit Frankreich, Spanien
und Schottland begann. Zwar wurde schon beim ersten Krieg
gegen die Franzosen ein grosser Theil der Rüstungskosten
durch Bewilligung von Wolle aufgebracht, die der König nach
den Niederlanden bringen liess, um dort unmittelbar das Geld
in Empfang zu nehmen. Aber das reichte auch nicht im Ent-
ferntesten hin. Namentlich musste der König in sehr aus-
gedehnter Weise den Credit in Anspruch nehmen und durch
Anlehen bei einheimischen und fremden Kaufleuten einen
grossen Theil des einheimischen Geldes an sich ziehen. Man
wird kaum hinter der Wirklichkeit zurückbleiben, wenn man
annimmt, d'ass die Hälfte der gesammten Geldcirculation aus
England gezogen wurde9).
Schon oben machten wir auf die aus dieser Geldentziehung
entspringende Krisis und auf die Versuche, das Land wieder
mit Geld zu füllen, um beim Wiederausbruch des Krieges
abermals auf den Edelmetallschatz des Landes greifen zu kön-
nen, aufmerksam *). Selbstverständlich that man auch Schritte,
um den Geldexport in engen Grenzen zu halten. Deijenige
Geldausgang, den man am ersten hemmen konnte und durfte,
war der für die an Fremde verliehenen kirchlichen Pfründen
und für Anstellungstaxen und sonstige Zahlungen an den päpst-
lichen Hof, weshalb auch hiegegen wiederholt petitionirt und
eingeschritten wurde4).
Grösseres Interesse hat für uns, wie man die aus dem
Handel herrührenden Veränderungen des Geldbestandes neu
zu ordnen suchte. Den Anstoss gab nicht blos die Geldlage
im Allgemeinen, sondern ebenso sehr der Curswechsel und die
Münzverschiedenheit in England und Flandern, über welche
sich die englischen Kauf leute r wiederholt beklagten, weil sie
sehr oft in Folge dessen nur geringe Preise erzielten 5). Um
dieser Unbequemlichkeit zu begegnen, hatte Eduard HL schon
1340, als er mit den niederländischen Städten eine politische
Allianz einging, den Wunsch ausgesprochen, dass eine Gold-
*) 9 Ed. III. st. 2 c. 1 — 11.
*) Sieh oben S. 488 Note 5.
s) S. 495 fg.
*) Rot Pari. IL S. 148, 232.
fi) Rot. Pari. II. S. 143 (1343); vgl. auch II. 8. 166 (1347).
— 509 —
münze geschaffen werde, die in England und Flandern circu-
liren sollte1). Im Parlament vom Jahre 1343 wurde das Pro-
ject besondere lebhaft discutirt, indem man gleichzeitig Kauf-
leute, Goldschmiede und Münzbeamte zur Berathung beizog 2).
Es ist in der That interessant, wie man sich die Sache dachte.
Nach diesen Propositionen sollte eine neue Goldmünze geprägt,
die bisherigen in England und Flandern circulirenden Gold-
münzen dagegen vollständig eingezogen werden. Das neue
Goldgeld sollte für die Kaufleute das legale Währungsgeld
bilden, keiner sollte dasselbe zurückweisen können, Nichtkauf-
leute dagegen brauchten die Goldmünze nicht anzunehmen,
durften sie aber annehmen. Der Export der Goldmünze war
gestattet, nicht aber der von Silber; nur die „Grossen" konn-
ten ihr Silbergeschirr mit auf den Gontinent nehmen. Die
Sucher hatten strengste Weisung, kein Silber ausser Landes
gehen zu lassen, und um ihren Eifer recht zu erhöhen, sollten
sie nicht den vierten, wie bisher, sondern den dritten Theil
des Erspähten als Belohnung erhalten. Wer das lieich ver-
liess, musste bei den bestellten Wechslern sein Silbergeld-
gegen Gold umtauschen. Kaufleute, die Waaren importirten,
mussten als Bezahlung entweder Waaren oder Gold annehmen.
Man wollte, wie man sieht, ein selbständiges nationales
und internationales Währungsgebiet schaffen; das nationale
sollte vor den Fluctuationen des internationalen vollständig
bewahrt bleiben. Das englische Silbergeld sollte nicht exportirt
werden , aber auch das fremde möglichst wenig in den engli-
schen Verkehr treten. Wenn die Flamänder Silbergeld von
gleicher Legirung prägen wollten, als es das „Ersterlinggeld" war,
dann sollte es auch in England zwischen Kaufleuten und denen,
welche sonst es nehmen wollten, cursiren dürfen, aber es bildete
kein eigentliches Währungsgeld, und sein Zufluss war schon
dadurch beengt, dass es nicht wieder exportirt werden durfte.
Das Ganze war ein System, das sich mit keiner der modernen
Währungen deckt, aber viel verwandte Seiten sowohl mit der
Parallel- als Doppelwährung als mit dem System der beson-
deren Handelsmünzen z. B. den Trade dollars hat. In gewissem
Sinn kann man selbst die einfache Währung mit ihrer selbst-
ständig nebenherlaufenden Scheidemünze zum Vergleich heran-
ziehen. Man wird nicht verkennen können, dass die ganze
Autfassung des Geldwesens schon eine ziemlich gereifte war.
Die neue Goldmünze, der Nobel, wurde thatsächlich ge-
schaffen 8), die übrigen Bestimmungen konnten aber ihre Probe
^Varenbergh, Histoire des relations diplomatiques entre le comte*
de Flandre et l'Angleterre S. 362.
*)Rot. Pari. IL S. 187 fg.
s) Eduard III. ging bereits 1344 selbständig mit der Pr&guDg der
Goldmünze vor (Rymer V. S. 403, 416), machte aber anfangs aus ver-
— 510 —
gar nicht recht bestehen, weil der Krieg .bald alle Cautelen
über den Haufen warf. Die Geldausfuhr dauerte fort und
wurde noch verstärkt, als Eduard III. wiederholt die Münzen
verschlechterte J). Was man that, war gegenüber den Haupt-
ursachen nebensächlich oder nutzlos. Man schlug die Bitte
der Kaufleute, das alte gute Geld im Interesse ihres Handels
exportiren zu dürfen, ab *) und gebot in naiver Weise, nur die
neuen Esterlinge zu exportiren3). Im Jahre 1364 griff man
wieder auf den Erlass von 1331 zurück mit der Modificatkm,
dass der Kanzler die Fischer dispensiren konnte4). Wichtig
war, dass, wie es scheint, zum ersten Male auch auf die
Wechsel im Zusammenhang mit der Frage des Geldexports
die Aufmerksamkeit gelenkt wurde. Das Parlament verlangte,
dass weder ein Lombarde noch ein Anderer Wechsel ausstelle
oder in dieser Form Geld ins Ausland übermache5). Die
Massregel war wieder vorwiegend gegen die Aussaugungen der
päpstlichen Gollectoren gerichtet, die man auch in der Zwischen-
zeit fortwährend bekämpfte 6). Der König war zwar auch der
Meinung, dass „das Geld solange dem Lande erhalten werden
müsse, als die Kriege dauerten", scheute sich aber einer so
tief in den Creditverkehr eingreifenden Massregel zuzustimmen,
suchte vielmehr durch diplomatische Unterhandlungen und di-
rectes Anhalten der fremden Procuratoren die Geldausfuhr zu
hemmen.
Wie die ganze Politik Eduards III. einen schwankenden,
unsichern, tastenden Charakter hat, so war es auch im Geld-
wesen der Fall. Es fehlte nicht an guten Ansätzen. Den Plan
der internationalen Münze kann man sogar grossartig nennen,
aber niemals gestatteten die Verhältnisse, eine Massregel con-
sequent durchzuführen. Sieht man von seinem nicht un-
berechtigten Kampf gegen die päpstlichen Schätzungen ab, so
dürfte seine ganze Politik die Ausfuhr des Geldes so gut wie
nicht verhindert haben. Im Gegentheil, der Export war unter
schiedenen Ursachen keine guten Erfahrungen damit; vgl. Rot Pari. II.
S.149, 150, 151, 156, 161. Ruding, Annalp of the coinage etc. I. S. 217.
Leake, Historical account of English money S. 93. üeber die Verhand-
lungen mit Flandern wegen gemeinsamer Goldmünze sieh R y m e r Rec. Ed. HI.
P. I S 59, 77, 80.
') Sieh unten S. 531, 532.
*) Rot. Pari. H. 8. 228 (1350/51); vgl. auch IL S. 306 (1371), wo die
englischen Kauf leute sich beklagen, dass die Hansen in Schonen von ihnen
verlangen, nur Baargeld, aber keine Waaren zu bringen.
8) Rot. Pari. IL 8. 249; 27 Ed. III. st 2 c 14. ^
4) 38 Ed. III. st. 1. c. 2; vgl auch Rymer Rec. Ed. HI. P. IL S. 728,
733, 739, 741, 748.
*) Rot. Pari. IL S. 338 (1376). Dass dabei nicht der Handwechsd
gemeint ist, sieht man an dem Ausdruck „letre de Lumbard"; vgL auch
Rot Pari. III. S.83.
6) Rot Pari. II. S. 228, 286, 312, 320.
— 511 —
ihm grösser als unter irgend einem seiner Vorfahren auf dem
Thron. Er hinterliess das Reich in einem erschöpften und ge-
schwächten Zustand. Die Geldnoth wurde besonders hart
empfunden, weil die Preise seit der Pest beträchtlich in die
Höhe gegangen waren. Unter Richard IL war deshalb die
Frage wegen des Geldwesens brennender als je.
Bereits 1379 wurde im Parlament auf den traurigen Zu-
stand des Geldwesens hingewiesen, es fliesse kein Geld zu,
vielmehr immer wieder ab, was davon in England sei, werde
durch das Kippen immer schlechter 1). Dass der Mangel recht
gross war, sieht man aus der früher erwähnten Belastung der
importirten Luxuswaaren, sowie daraus, dass die Münzbeamten
sogar gegen ihr eigenes Interesse vorschlugen, man solle von
dem Umwechseln und Umprägen des nach England kommen-
den fremden Geldes ganz absehen, vielmehr dasselbe, wenn es
gut sei, circuliren lassen. Ob die von der Regierung vor-
genommene Enqudte stattfand, ist zweifelhaft. Im Parlament
von 1381 wogten die Klagen lauter denn je. In kurzen, aber
treffenden Strichen wird hier die Armuth und der Rückgang
des Reichs, wie er „seit 16 Jahren" eingetreten, gekenn-
zeichnet; darin spielt nicht die geringste Rolle der grosse
Gold- und Silberabfluss und die wachsende Verschlechterung
der Münze2). Fünf Sachverständige wurden vor das Parla-
ment geladen, um sich über verschiedene Punkte zu äussern.
Während die Münzbeamten des Tower in ihrer Petition die
Hauptursache der Geldausfuhr in dem geringeren Gehalt der
fremden, namentlich der flandrischen und schottischen Gold-
und Silbermünzen sahen 8), tritt dieser Punkt in den Aussagen
der Sachverständigen ziemlich zurück. Nur ein Einziger und
zwar ein Goldschmied hielt es für nöthig, dass der Nobel in
seinem Preis erhöht werden müsse, von anderer Seite wurde
ausdrücklich jede Aenderung als allgemein schädlich zurück-
gewiesen, obwohl man zugab, dass das Werthverhältniss zwischen
Gold und Silber unrichtig gewählt sei. Die Mehrzahl hielt in
ganz vernünftiger Weise es für das Beste, wenn man das
fremde, namentlich schottische und flandrische Geld ganz ver-
biete und wie Barrenmetall behandele. Viel wichtiger erschien
augenscheinlich .den competenten Personen in der Frage der
Edelmetallbewegung, dass die Geldausgänge für geistliche
Zwecke4), auch f&r Pilgerfahrten , ferner der Wechselbrief-
yerkehr beschränkt, insbesondere aber der Waarenimport nur
in der Weise gestattet werde, dass für den gleichen Betrag
*) Rot Pari. III. S. 64.
*) Rot Pari. IIL S. 102; vgL auch 8. 104.
») Rot Pari. EI. S. 126.
, 4) Ric Aylesbury schlug vor, dass „la monoie dupape fast envoie a
toi en merchandie et nemye en monoie." Rot Pari. III. S. 64.
— 512 —
englische Waaren exportirt würden. Einer behauptete geradezu,
England gebe viel zu viel für Luxuswaaren l) aus, ein anderer
brachte auch das Gästerecht mit der Frage in Zusammenhang,
indem er dasselbe liberal gestaltet wissen wollte, damit die ein-
heimischen Artikel im Preis stiegen, die fremden in Folge der
Fülle sänken.
Die Vorschläge fanden Zustimmung beim König und beim
Parlament. Durch eine Acte wurde jeder Geld- und Edel-
metallexport, wofern eine Licenz vom Gesetz nicht entband,
strenge verboten; auch die Wechsel sollten nicht von Seiten
des Ausstellers durch Wegsendung von Gold oder Silber be-
glichen werden2). Um eine Controle zu ermöglichen, sollte
sowohl der Aussteller des Wechsels, als die Person, welche die
Zahlung jenseit des Ganais zu machen hatte, eine specielle Licenz
vom König sich erwerben, in der die Wechselsumme verzeichnet
werden musste. Ferner war auch verordnet, dass fortan Nie-
mand das Königreich ohne Licenz verlasse8); die letztere
durfte nur in den grösseren näher bezeichneten Ausgangshäfen
ausgestellt werden ; doch wurden die Lords und andere „Grossen",
sowie die als ehrlich bekannten Kaufleute und des Königs
Soldaten ausgenommen. Verliess aber ein Nichtberechtigter
das Königreich ohne Licenz, so verwirkte er die gesammte
Habe, die er bei sich führte, und der SchifFsherr, der einen
solchen aufnahm, das Schiff. Den fremden Kaufleuten wurde
eine freundliche Behandlung zugesichert4). Gegen das Gesetz
reagirten sofort besonders die italienischen Kaufleute. Sie
suchten im Parlament des folgenden Jahres klar zu machen,
dass die Wechselbeschränkung schliesslich dem König und sei-
nem Reiche schade, weil dann die englischen Artikel nicht
mehr so gut verkauft würden , als ehedem. Ihre Vorstellung
war aber vergeblich6).
Eine Milderung trat später nur gegenüber den Pilgrimen
ein, indem man ihnen die Erholung einer Licenz erliess, wenn
sie über Dover oder Plymouth gingen 6). Auf der andern Seite
verschärfte man das ganze System. Man that nämlich jetzt
*) Genannt sind von Ric. Leye: „grocerie, mercerie, .peltrie, yris, ver-
maffles, bläuliches et lenetz." Rot Pari. III. S. 64.
*) „Et voet le roi notre seigneur, qe les marchantz, qi ensi ferront lee
ditz esckaunges par licence. soient examinez diligeaument et jurrez en lour
propres persones a tantz des foitz come ils averont la dite licence q'üs
n'envoieront aucnn manere .d'or ne d'argent en plate vesseil monoie
n'autrement de par dela souz colour de mesme l'eschaunge. Et s'il soit
atteint q'il avera fait envoier or ou argent de par dela countre ceste orde-
nance, forface devers le roy la somme oa la value d'y Celle." Rot. Pari. III.
S. 119.
8) Vgl Rymer IX. S. 8, 16, 375 fe. etc.
«) Rot. Pari. HI. 8. 119; 5 Ric. n. st 1 c. 2.
6) Rot Pari. III. S. 138.
6) 13 Ric. II. st 1 c 20.
— 513 —
auch noch einen Schritt, um einen früher erwähnten von den
Sachverständigen gemachten Vorschlag zu verwirklichen. Man
zwang die fremden Kaufleute, eine Sicherheit zu stellen, dass
sie wenigstens für die Hälfte ihres Imports Wolle, Leder, Blei,
Zinn, Butter, Käse, Tücher oder andere Landesartikel kaufen
wollten *). Feiner mussten fortan alle Kauf leute, welche Wechsel
für Rom oder einen andern auswärtigen Ort ausstellten, in der
Kanzlei des Königs sich verpflichten , innerhalb dreier Monate
für den Wechsel betrag Stapel waaren ausführen zu wollen *).
Durch diese Bestimmungen waren die Geldgesetze wesent-
lich fortgebildet worden und hatten einen ausgeprägten Cha-
rakter erhalten. Ihr Bestand war um so gesicherter, als viele
Interessen dabei betheiligt waren. Wenn die Gesetze voll-
zogen wurden — und es fehlt hiefür nicht an Beweisen 3) —
war nicht nur der Geldabfluss, soweit er nicht direct von der
Regierung veranlasst war, sehr eingeengt, sondern auch die
Producenten waren befriedigt, weil der Export der englischen
Artikel befördert, ihr Preis gesteigert wurde, ebenso der König,
weil seine Zolleinnahmen sich mehrten, endlich die einheimi-
schen Kaufleute, weil sie vorläufig von der Leistung einer
Caution für ihren Import entbunden waren.
Die Lancasterkönige stellten sich ganz auf den Boden der
Richardschen Gesetze. In den Statuten wurde wiederholt hervor-
gehoben, dass das Geldausfuhrverbot sich als nützlich erwiesen
habe4). Selbst unparteiische Ausländer hielten die englischen
Geldgesetze für weise. Wir wissen dies z. B, von dem in Eng-
land lange sich aufhaltenden Karl von Orleans ö). Heinrich IV.
*) Der Export des andern halben Waaren-Erlöses war nicht schlecht-
hin, sondern auch nur nach erholter Licenz den fremden Kaufleuten ge-
stattet Rot Pari. IU. S. 468; 2 Hen. IV. c. 5.
2) 14 Ria IL c. 2.
B) Vgl. Ruding, Annals of the coinage HL S.15; Rymer VIII. S.441;
Michel, Histoire du commerce et de la navigation a Bordeaux soub Pad-
ministration Anglaise I S. 327.
*) Vgl. z. B. 4 Hen. IV. c. 16.
5) Er lässt den englischen Herold sagen: „Moreover there is an ancient
law in England, that the merchants shall never carry out of the kingdom
into foreign countries either gold or silver, except it be a very 8 mall sum:
bat they can export in abundance the before mentioned merchandise ana
seil it frr gold and silver, which they bring home mto their own kingdom ;
and thus they cunningly withdraw and bring to their own home and king-
dom the money of the neighbouring countries. Also when foreign merchants
bring wmes or other commodities into* England, the English let them seil
their merchandise, but never suffer them to carry away much gold or silver;
and hence such merchants must of necessity buy merchandise or barter their
own for that of England. Thus it is no wonder, that there should be great
ricbes of gold and silver in England, since they are constantly imported
and it is not permitted to carry them away. In truth, Lady Prudence, I
think it certain, that considering the size of England there is not so rieh
a country in Chris tendom". Pyne, England and France in the fifteenth
Century 1870. S 64, 65.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 33
— 514 —
machte zwar aus politischen Gründen zuweilen gegenüber den
päpstlichen Sammlungen Goncessionen x), willigte auch nicht
ein, als die Gemeinen verlangten, dass man die fremden Kauf-
leute an ihrem jeweiligen Aufenthalsotrt durch zwei rechtschaffene
Leute tiberwachen lassen solle, damit sie für ihre Wechsel und
ihren Erlös wirklich Waaren exportirten 2), aber im Ganzen
bezweckte die Gesetzgebung unter ihm eine wesentliche Ver-
schärfung. So wurde das Statut 14 Ric. II. c. 2 in Betreff der
Wechsel durch Hinzufügung einer bestimmten Controleinrich-
tung verbessert3), und den Lombarden wurde verboten, durch
Geheimschrift den Inhalt ihrer Wechselbriefe zu verdecken4).
Die wichtigste Neuerung war aber die, dass nicht blos der
halbe, sondern der ganze Erlös aus importirten Waaren, wobei
jedoch ein entsprechender Abzug für Reise- und Frachtkosten
gestattet war, auf englische Artikel verwendet werden musste,
und dass diese Bestimmung auch auf die einheimischen Kauf-
leute ausgedehnt wurde 6). Die Italiener verlangten vergeblich,
dass man sie von der Verpflichtung, für ihre Wechsel Waaren
ankaufen zu müssen, entbinde, oder ihnen nur gestatte, ihren
Waarenerlös zum Wollkauf in Calais benützen zu dürfen6).
Die Geldausfuhr wurde immer mehr eingeschränkt. Um die
Ueberwachung zu verstärken, versprach man auch den Nicht-
inspectoren den dritten Theil des erspähten ohne Licenz zur
Ausfuhr bestimmten Geldes7). Unter Heinrich V. änderte
man in der Hauptsache an diesen Gesetzen nichts, ausser dass
man den Wechselausstellern auf ihre Bitte hin den Termin,
innerhalb dessen sie Waaren über die See schicken mussten,
von drei auf neun Monate verlängerte 8).
Man sollte meinen, dass in Folge der mehre Decennien
lang fortgesetzten Politik das Königreich verhältnissmässig gut
*) Rot. Pari. in. S. 599 (1406): sieh aber auch III. S. 616, 621 (1407).
a) Rot. Pari. III. S. 548 (1403/4), auch III. S. (526 (1409/10), wo es
unter Andern heisst: „Et qe les ditz eschanges soient faitz par controllement
des loialx et süffisante persones Enriois neez a ceo assigners par le coun-
seill avant dit, en absence de qi null eschange soit fait; et qe en chescun
brief d' eschange a faire soit fait mention de la fourme et manere avant
ditz etc".
a) Der Kanzler sollte alle 14 Tage Auszüge aus den Wechselbriefen
an den Exchequer schicken, der auf Grund dieser Mittheilungen bei den
Zollbeamten recherchiren lassen konnte. Rot. Pari. III. S. 626; 11 Ben.
IV. c. 8.
4) Nicolas, Proceedings etc. I. S. 289 (1406).
e) Rot. Pari. III. S. 509, 510; 4 Hen. IV. c. 15 (1402): vgl. auch
SirTraversTwiss, The black book of the admiralty Vol. I. S. 159.
6) Rot. Pari. III. S.554 (1404); die gleiche Vergünstigung verlangten
1437 die Niederländer, hatten aber auch keinen Erfolg. Kot ParL IV.
S. 508.
7) 4 Hen. IV. c. 16; dauert bis zum nächsten Parlament
8) 9 Hen. V. st. 2 c. 9 (1421), dauert bis zum nächsten Parlament und
wird durch 1 Hen. VI. c. 6 (1422) bis zum nächsten Parlament verlängert.
Rot. Pari. IV. S. 155, 178.
— 515 —
mit Geld angefüllt sein musste. Trotzdem sah man mit grosser
Besorgniss dem drohenden Geldverlust entgegen, als der König
zu seinem Kampfe gegen Frankreich sich rüstete. Um den
Export an gemünztem Geld möglichst zu beschränken, unter-
liessen die Gemeinen nicht, dem König Vorschläge zu unter-
breiten. Sie verlangten, und es wurde ihnen auch zugesagt,
dass von dem Ertrag der bewilligten Steuer Getreide, Tücher
und was sonst der König und seine Soldaten für den Feldzug
brauchten, in England angekauft werde; auch die Löhnung der
Soldaten sollte nicht direct mit englischem Gelde bezahlt, son-
dern ihr Betrag in der Weise aufgebracht werden, dass man
mit einem Theil der Steuer in England Wolle kaufe und sie
in der Normandie wieder verkaufe J). Es scheint aber bei all
dem nicht gelungen zu sein, die Krisis ganz zu verhüten ; denn
unter den Gründen, welche für die Berufung des Parlaments
im folgenden Jahre angegeben wurden, ist auch der grosse
allgemeine Geldmangel erwähnt 2). Offenbar hatten die Steuern
für den Kriegsbedarf nicht genügt, der König wird vielmehr
wie seiner Zeit Eduard HI. genöthigt gewesen sein, einen
grossen Theil des circulirenden Geldes durch Creditoperationen
an sich zu ziehen. Das Parlament wusste keinen andern Rath,
als dass man wenigstens die sonstige Geldausfuhr, also die für
Waaren und für kirchliche Zwecke vollständig unmöglich mache
und deshalb wie Felonie bestrafe, wozu aber der König seine
Hand nicht bot, indem er blos die bereits bestehenden Sta-
tuten auszuführen versprach8).
Unter Heinrich VI. zeigten sich beträchtliche Schwierig-
keiten bezüglich der Geldgesetze. Der fortwährende Krieg,
aber auch der Verkehr an sich durchbrach die Schranken.
Vor Allem war es das Gold, das schwer im Lande zu halten
war. Dasselbe eignete sich nicht nur besondere gut zum Ex-
port, indem es viel leichter zu bergen war, sondern es war
offenbar auch das Goldgeld in seinem Verhältniss zum Silber
zu niedrig geschätzt4). Italien und durch dieses Aegypten, wo
im Mittelalter das Gold die factische Währung bildete, zogen
es an sich. Der Libell of English Policye sagt von den
Venetianern :
Auch tragen sie das Gold aus unserm Land
Und saugen uns den Wohlstand aus der Hand5).
1423 mussten deshalb die fremden Kaufleute und zwar
jede Gesellschaft für ihre Mitglieder Sicherheit leisten, dass
r) Rot Pari. IV. S. 118 (1419).
*) Rot. Pari. IV. 8. 123 (1420).
8)Rot Pari. IV. S. 126.
190
4) Im Jahr 1412 war das Verhältniss 1 : 10-p=n-; vgl. damit die
Wechselcurse von Venedig auf London bei Brown, Cal. II. Pref. S.LXXM.
5) Hertzbergs üebersetzung V. 396, 397. S. 80.
33*
— 516 -
keiner von ihnen Gold oder Silber gegen die Statuten aus-
führe1). 1429 verbot man ihnen, einen Engländer zur Zahlung
in Gold zu verpflichten oder die Zahlung in Silber zu ver-
weigern2). Andere Vorschläge des Parlaments, welche die
Verhinderung des Geldexports betrafen, wurden von der Re-
gierung zurückgewiesen, weil sie gleichzeitig eine zu grosse
Bevormundung der fremden Kaufleute involvirten *). Eine Bill
wurde sogar gleich von den Gemeinen verworfen. Darin war
verlangt, dass jeder fremde Importeur von Getreide, Lebens-
mitteln oder andern Waaren persönlich beim Zollbeamten de-
clarire und schwöre, dass er den gesammten Erlös auf eng-
lische Waaren verwenden wolle; beim Verlassen des Landes
sollte er wieder zu dem Zollbeamten gehen und im Allgemeinen
angeben, in welcher Weise dies geschehen sei ; die Zollbehörden
sollten nichts für die Abnahme des Eides verlangen dürfen.
Wenn sie die Ordonnanz nicht genau ausführten, war ihnen
die Strafe des Meineids, Vertreibung vom Amt neben Geld-
bussen angedroht4). Man änderte diese Bestimmungen dahin ab,
dass man die Beamten ermächtigte, die ankommenden Schiffe
anzuhalten und Sicherheit von den Fremden zu fordern, auch
Jedermann gestattete, einen pflichtvergessenen Zollbeamten in
Anklagestand zu versetzen5).
Eduard IV. scheint am Anfang seiner Regierung die Geld-
gesetze milde ausgeführt zu haben; man erleichterte sogar
etwas den fremden Kaufleuten die Sicherheitsleistung für die
Verwendung des Erlöses auf englische Artikel 6). Später aber
*) 2 Hen. VI. c. 6.
*) In den Motiven heisst es, dass die Fremden nur Nobel nehmen
wollen, „les queux de temps en temps ils amesnent hors da roi&lme en
aatres estraunges paus, loa ils sount chaungiez a lour encrece et forgez
en autres coignes ensy q'ils gaignent en l'allai de chescan noble 20 d en-
contre le tenure des estatatz ent raitz a graunde prejadice du roi et de
son roialme universel". Das Gesetz wurde noch unter Heinrich VIII. an-
gewendet; denn in den Verhandlungen der Hansen mit den Engländern
vom Jahre 1520 heisst es: „Item conqueruntur generalem legem essein
Anglia semper hactenus observatam, ne alicui forensi ab Anglico aurum
solvatur. Alioquin solvens tantundem eciam regi solvere cogitur. Qae cum
generalis sit et nostris optime nota, male' illos agere, qui contra illam con-
trahunt, cum sciant, se rem vetitam et interdictam agere, propterea merito
eorum securitati imputandum fore et suo periculo agere, si hoc faciant
Bon um itaque et salubre consilium esse, ut vel a tau vetito contractu ab-
stineant, vel, dum contrahunt, monetam grossam argenteam solvi conveniant
adiecta pena, si contrarium fiat, hoc modo raturis ut legalem monetam re-
cipiant et legi regie se conforment" Kölner St. A. Acta Anglicana 1434
bis 1521.
8) Rot. Pari. IV. S. 328, 449, 453 (1427/33); vgl. auch 18 Hen. VL
c. 4 und Rot. Pari. V. S. 25, 442.
4) Rot Pari. V. S. 156 (1449).
£) 27 Hen. VI. c. 3.
,J) 4 Ed. IV. c 6; das Statut wurde beim nächsten Parlament nicht
erneuert.
— 517 —
regten die Gemeinen die Frage des Geldexports an und Hessen
bei Bewilligung der Steuern durch ihren Sprecher den König
bitten, sowohl gegen die offenen Erpressungen im Innern ein-
zuschreiten, als auch bezüglich der Bewachung des Meers und
der Geldausfuhr1) vorzusorgen.
Im Jahre 1477 unternahm denn auch die Regierung eine
vollständige Neuordnung der wichtigsten Geldgesetze, von denen
gesagt wird, dass sie sehr häufig übertreten würden. Man
griff nicht blos wieder auf die Statuten 9 Ed. in. st 2 c. 1 fg.,
17 Ric. IL c. 1, 2 Hen. IV. c. 6, 2 Hen. VI. c. 6 zurück,
welche die Circulation fremden schlechten Geldes und das Ein-
schmelzen der Münzen durch die Goldschmiede betrafen, son-
dern man verbot auch wieder strengstens jede Ausfuhr von
Geld und Edelmetall, für die nicht vorerst eine Licenz erholt
worden war, setzte sogar auf die Verletzung die Strafe der
Felonie. Die Licenz sollte nur in bestimmten Fällen gewährt
werden, so wenn es sich um den Betrag handelte, den die
Soldaten mitnähmen und um Lösegelder für Gefangene, ferner
um Gesandte oder Fremde. Den Weinimporteuren war ge-
stattet, einen Weinbecher auszuführen; ebenso war auf hoch-
gestellte Personen, Klöster und Geistliche gebührend Rücksicht
genommen; aus Calais durfte sieben Jahre hindurch überall
hin Geld exportirt werden. Die letztere Bestimmung zeigt,
wie vollständig man mit der früheren Regelung des Geld-
zuflusses von Calais aus nach England gebrochen hatte und die
Wichtigkeit der freien Geldbewegung für den Stapelverkehr
erkannte. Bezüglich der Verwendung des Erlöses für impor-
tirte Waaren in England unterwarf man im Anschluss an das
Gesetz 5 Hen. IV. c 9 die Fremden einer strengeren Controle,
indem sie vor ihrer Abreise dem Controleur ein Schreiben des
Kaufmanns, von dem sie ihre Waaren gekauft oder an den sie
Zahlung geleistet hatten, vorlegen oder sonst sich ausweisen
mussten *).
Heinrich Vü. war noch weniger als Eduard IV. gewillt,
das bestehende Recht zu mildern oder ausser Uebung kommen
zu lassen, er sah vielmehr in den Geldgesetzen eine der wich-
tigsten Handhaben, um die Füllung seiner Koffer möglich zu
machen. Er verschärfte die Acte wegen Verwendung des
Waarenerlöses, indem er die Sicherheitsleistung der Kaufleute
nicht mehr dem Ermessen der Zollbeamten überliess, sondern
obligatorisch machte; er unterwarf die Irländer und die Kauf-
leute von Guernsey dem Gesetz, erhöhte die Belohnung des
*) „necnon auri et argenti ad partes exteras eductione nimis damp-
nosa, unde regnum Anglie et communes ejusdem erant graviter depauperati,
reraedium oportunum celeriter providere placeret" Rot. Pari. VI. S. 111
*) Rot Pari. VI. S. 183 fg.; 17 Ed. IV. c. 1.
— 518 —
Entdeckers von Uebertretungen um die Hälfte, hielt darauf,
dass für die auszustellenden Wechsel eine Licenz nachgesucht
werde J). Die oben erwähnte Acte Eduards IV. galt nur bis zum
Jahre 1484, wurde, aber in etwas erweiterter Gestalt 1489 auf
20 Jahre erneuert, weil, wie die Motive behaupten, seit dem
Erlöschen des Gesetzes die Ausfuhr von Gold und Silber nach
Flandern, der Normandie, Bretagne, Bordeaux, Irland und an-
dern überseeischen Gebieten grosse Dimensionen angenommen
hatte2). Die strenge Handhabung der Acte unter Heinrich VII.
ist bekannt. Sogar Erasmus musste es ertragen, dass ihm, als
er das Land verliess, der Sucher in Dover seinen ganzen im
Land erworbenen, aus 20 SS bestehenden Verdienst wegnahm.
Das Gesetz trat gerade mit dem Tode Heinrichs VH. ausser
Kraft, wurde unter Heinrich VIH. aber sofort bis zum Ende
des nächsten Parlaments und dann abermals erneuert, „da es
zum grössern Theil für gut und nothwendig befunden worden
war"; nur ersetzte man die Strafe der Felonie durch einen
Geldbetrag, der das Doppelte des widerrechtlich Exportirten
ausmachen sollte 3). Mit dem Jahr 1523 lief der Gültigkeitstermin
der Acte ab, ohne dass wir von einer Wiedererneuerung lesen.
Man möchte aus einer Aeusserung des Königs gegenüber
dem niederländischen Gesandten Jouglet, derzufolge er sich
weigerte, die Ausfuhr der Angelotten zu verbieten, weil eine
solche Massregel in die Handelsspeculationen seiner Unter-
thanen eingreife4), schliessen, dass der Geldexport vollständig
frei war. Das wäre aber unrichtig. Seit man den bedenk-
lichen Weg der Münzverschlechterung beschritten, trat zwar
sicherlich eine laxere Uebung ein5). Aber rechtlich blieb der
Export immer verboten, wenn auch die Erneuerung des oben
genannten Gesetzes 3 Hen. VHL c. 1 unterblieben war; denn
die alten Statuten waren nicht zurückgenommen, bestanden
») 3 Hen. VII. c. 6. 9.
«) 4 Hen. VH. c. 23.
8) 1 Hen. VIII. c. 13; vgl. auch Lords' Journals 1 Hen. Vül.
11° u. 16° die Pari. 3 Hen. VIII. c. 1. Ein Beispiel dafür, dass die Acte
noch 1521 beobachtet wurde, liefert die Licenz an A. Pinelli; Brewer,
Cal. III. 1531.
*) Sieh oben S. 62, 63.
3) So heisst es bei W. Thomas, Pilgrim 1546 ed. Froude: „Sureto
these jour commodities rehearsed are very notable, and I marvel not though
your Island be rieh and wealthy (as it is reported) seeing that it h&th so
many means to draw money into it, when on the other side that money
that cometh into your hands can never be had out again; for your king
hath kept the passage so straitly, that no man could carry out of tbe
realm in ready money above 10 ducats; so that it is no marvel, said he,
though he had mountains of gold , as they sav he had. No, said anotber
of them that law is finished. Itis true, that whilst the English money
was better than other money. no man, as von Bay, could carry it away;
but now that the said king for his own private gain hath made it worse
than any other money, each man may carry away so much as him liketh".
— 519 —
vielmehr fort. In der Tbat begegnen wir einzelnen Beispielen,
die diese Ansicht bestätigen. So wurde 1541 das in einem
schottischen Schiff befindliche Geld confiscirt, weil es zum Ex-
port bestimmt war *) und 1546 (Dez.) ein französischer Courier
vom Sucher zu Dover auf Grund des geltenden Rechtes visi-
tirt und dabei die Beschwerde des ersteren von der Regierung
dahin beschieden, dass allerdings kraft Gesetzes keine Person
Geld aus England ausführen dürfe, dass aber Gouriere und
Posten immer ausgenommen worden seien2).
Auch die Beschränkungen in Betreff der Wechsel wurden
noch ziemlich lange aufrecht erhalten. Der Beweis dafür liegt
in der ununterbrochenen Besetzung des Wechselbriefamts8).
Die allerersten Keime zu demselben darf man vielleicht in den
für Andere ausgestellten Creditbriefen des Königs Johann ohne
Land suchen4). Seine wirkliche Entstehung dagegen hängt
wohl mit dem früher erwähnten Gesetz Richards IL zusammen,
*) Nicolas, Proceedings etc. VII. S. 222.
*) State Papers XL S. 394; vgl. auch X. S. 593—95.
") Von diesem Amt nahm man bisher keine Notiz in der Literatur.
Die doppelte Bedeutung des Wortes cambium und escambium (exchange)
machte es möglich, dass man Alles, was dahin gehörte, einfach mit den
H&ndwech8el8tellen (ezchanges) zusammenwarf. Die Aufgabe der letzteren
war, Münzen aus einem Metall gegen solche aus einem andern umzutauschen,
verarbeitetes Geschirr, Barren und fremde Münzen entsprechend ihrer
Feinheit anzunehmen, fremde Münzen gegen einheimische und umgekehrt
umzuwechseln, bei Neuprägungen die alten einzuziehen und neue dafür aus-
zugeben. Diese Exchanges waren wahrscheinlich von der frühesten Zeit an
königl. Regal, das Geldwechseln durfte wenigstens von Niemand zu einem
Erwerbszweige gemacht werden. (Vgl. M. Paris, Historia Maior ed. Wil.
Wate 1640. S. 948 ad annum 1257 • 5 Ed. IL Ordinances c. 30 17 Ed. III.
16 Ed. III. stat. 2 c 6. 25 Ed. III. st. 5 c. 12 u s. w.; ferner Ruding,
Annais of coinage III. S. VII. XIII fg.). Dieselben sollen bis in die Mitte
der Regierungszeit Heinrichs VIII. bestanden haben; von da an habe man
sie wegen der Münzverschlechterungen nicht mehr aufrecht erhalten können;
die Goldschmiede rissen das Geschäft an sich (vgl. Ruding a a. 0.; ebenso
über den Versuch unter Elis., das Amt wieder zu errichten S. XXVII; sieh
ferner Cotton, PosthumaThe manner and meanes, how the kings of Eng-
land had from time to time supported and repaired their estates S. 197;
derselbe glaubt, der König könne bei Wiedereinführung dieses Regals
10 000 £ jährlich gewinnen). Dass von diesen Exchanges die Custody of
Exchange for foreign countries etc., oder das Wechselbriefamt zu trennen
ist, dürfte aus der im Text gegebenen Entwicklung von selbst folgen. Auch
der gelehrte Ruding hat die Verwirrung nicht beseitigt, sondern noch ge-
fördert. Er nimmt cambium und excambium immer nur als Geldwechseln;
deshalb fasst er auch die Proklamationen von 1530 und 1539 in diesem
Sinne auf. Zuweilen ist man allerdings kaum im Stande, mit Sicherheit zu
entscheiden, ob man es mit der einen oder andern Institution zu thun hat;
ja wir wissen, dass schon zur Zeit der Elisabeth Zweifel bestanden, wie
das Wort Exchange in den verschiedenen Gesetzen zu interpretiren sei;
vgl. Urk. Beil. 164.
4) Bond, Extracts relative to the loans supplied by Italian merchants
to the kings of England in the 13th and \4ih Centimes in der Archaeologia
London. XXVIIL S. 217, 218.
— 520 —
das, wie wir wissen, die Ausstellung eines Wechsels an eine
Licenz knüpfte. Die letztere wurde anfangs vom Kanzler er-
theilt1). Bald beanspruchte aber die Regierung mehr. Sie
gestattete den Kaufleuten, nur für ihre Waaren Wechsel aus-
zustellen, die Ausstellung der übrigen monopolisirte sie und
verpachtete dieses Monopol. Dadurch wurde aber das geltende
Recht hinsichtlich der Wechseldeckung nicht alterirt, die
Deckung durch Hinaussenden von Geld blieb vielmehr nach
wie vor verboten 2).
x) Sieh oben S 512, 513.
8) Als Beleg für die obige Darstellung kann die Verleihung an Ludwig
Johann im Jahre 1414, Mai 26, gelten, die wir der Wichtigkeit wegen folgen
lassen: „Sciatis, quod de gratia nostra speciali concessimus dilecto senrienti
no8tro Lodowico Johan, quod ipse per se et deputatos suos a data prae-
sentium usque finem trium annorum proximo sequentium de tempore in
tempus recipere possit de quibuscumque personis, quae versus curiam Ro-
manam, civitatem Venetiae vel ad loca, ubi sanctissimus pater Papa pro
tempore extiterit, aut alias partes transmarinas transire, vel quae ad dictas
civitates et partes nuncios, procuratores vel attornatos suos pro eorum ne-
gotiis inibi taciendis destinare voiuerint, tales et tantas sumraas monetae
prout eisdem personis praefato Lodowico aut deputatis suis praedictis con-
ferre aive mittere melias placuerit, et quod idem Lodowicus et deputati
sui praedicti litteras escambii hujusmodi personis, prout melius sibi vide-
bitur, pro solutione summarum, quas eaedem personae sibi conferent aot
mitteilt, debite facienda de tempore in tempus libere facere possint, reddendo
nobis ad finem cujuslibet anni dictorum annorum ducentas marcas ad scac-
carium nostrum, proviso semper, quod idem Lodowicus aut deputati sui
praedicti aut aliquis alias eorum nomine et colore praesentis concessionis
nostrae aurum vel argentum in massa vel moneta ad partes praedictas non
tran8mittant Et ulterius concessimus eidem Lodowico, quod canoellarius
Angliae vel "custos magni sigilli nostri, qui infra terminum praedictum erit,
non concedet aliquod breve de escambio alicui alten personae, nisi dum-
taxat praefato Lodowico et deputatis suis durante termino praedicto. Con-
cessimus etiam ei, quod nulla alia persona, cujuscumque nationis sea con-
ditionis existat, nisi tantum mercatores — et hoc mercatorie et pro mercan-
disis et nulla alia causa — faciat escambia vel literas escambii durante
termino praedicto infra regnum nostrum praedictum aut extra sub poenis
inferius aeclaratis nee aliquam monetam usque Brügges aut aliam civitatem
aut villam ultra partes transmarinas pro hujusmodi escambiis versus curiam,
civitates et villas aut alia loca praeaieta faciendis eodem termino durante
mittet seu mitti faciat sub poena amissionis talis summae, de qua literas
hujusmodi escambii fecerit, de cujus summae una medietate nobis et de
altera medietate praefato Lodowico erit responsum, et sub poena impri-
sonamenti et faciendi nobis finem et redemptionem ex causis praedictis; et
quod idem Lodowicus vigore praesentis concessionis nostrae arestare possit,
vel per officiarios nostros facere arestari omnes illos, qui hanc concesBionem
in aliquo contravenerint; et quod idem Lodowicus habeat brevia de pro-
clamationibus faciendis et omnia alia brevia in hac parte competentia et
necessaria, prout casus exigerit, extra cancellariam nostram et alias curias
noBtras, quotiens opus fuerit et sibi videbitur expedire absque aliquo feodo
sigilli pro eis solvendou. Rymer IX. S. 130. Entsprechend dieser Ein-
richtung bat 1440 der Collector des Papstes um die Licenz, „quod ipse to-
tam ouantitatem dietae monetae perantea collectae et exnunc colligendae —
per literas nostras (sc. regias) cambii — mittere possit**. Rymer X. S. 764.
— 521 —
Unter den Tudors behielt das Institut seinen Character
in der Hauptsache bei. Nur beschränkte man seinen Wirkungs-
kreis noch etwas bestimmter auf den Wechselverkehr nach
Italien1). Auch ist es sehr wahrscheinlich, dass man den
Geldezport zur Deckung dieser Wechsel gestattete. In einer
Verleihungsurkunde von 1509 *) fehlt der Passus, der noch
in der vom Jahre 1414 die Geldausfuhr für diesen Zweck
untersagt Im Jahre 1510 ging man mit dem Gedanken um,
zu verbieten, dass die Deckung der auf Rom, Wien, Paris und
andere continentale Plätze lautenden Wechsel durch Hinaus-
senden von Baargeld geschehe. In dem noch erhaltenen
Concept einer bezüglichen Bill sind die Kauf leute ausdrücklich
ausgenommen, sie sollten, wie bisher, frei und ungehindert
Wechsel ausstellen können. Der ganze Entwurf scheint übrigens
gar nicht an die gesetzgebenden Körper gelangt zu sein 3).
Aus all dem möchte man schliessen, dass man unter
Heinrich VIII. die Gesetze in Betreff der Wechsel nur noch
benützte, um den dadurch hervorgerufenen Geldexport zu be-
steuern, nicht aber eigentlich zu verhindern. Anfangs setzte
vermuthlich die Regierung dem Inhaber des Wechselamts die
Provision fest, die er nehmen durfte, später überliess sie die-
sem, nach Massgabe der Ortsentfernung, Zeitdauer und Gefahr
die Gebühr4) zu berechnen für die von ihm oder seinem Be-
vollmächtigten ausgestellten Wechsel. Unter Eduard IV. hatten
W. Hatteclyf und M. Burghill, unter Heinrich VII. Rieh. Fox,
Bischof von Winchester, das Amt inne 5), gegen Ende der Re-
gierung Heinrichs VII. Henry Tofft aus London6). Unter
Heinrich VIII. wurde dasselbe am 20. Juli 1509 an Thom.
Boleyn bis auf Weiteres verliehen7); 1511 übertrug Heinrich
VIII. das Amt an George Ardeson, einen Genuesen8); 1512
trat mit letzterem John Sharp in Verbindung, und beide er-
') Die Stapelkaufleute wurden ganz speciell von den Gesetzen in Be-
treif des Wechselge8ch&ftes ausgenommen. Sieh Rot. Pari. VI. S. 897,
525 (1487 und 1503).
*) Rymer XIII. S. 258: vgl. ausserdem Brewer, Cal. I. 5156 und
ürk. Beil. 115.
8) R. 0. Brewer, Cal. I. 814.
4) So heißet es in dem Verleihungsbrief Boleyn' s vom 20. Juli 1509 :
rpereipiendo pro eisdem escambiis, quotiens per ipsum aut deputatos seu
tttignatos 8Uos facti fuerint, — prout attentis locorum hujusmodi discrimi-
nibus ac mora et periculis pro tempore imminentibus potent concordare".
Rymer XIIL S. 258.
6) Rot. Pari. V. S. 377, 529; Brewer, Cal. L 5156.
6) Vgl. Brewer, Cal. I. 2015. Die Auswechslung der italienischen
Ducaten gegen englisches Geld und umgekehrt war gleichzeitig dem Peter
Corsy auf ein Jahr übertragen. (1508. 20. Juli. Rymer XIIL 216).
"') Rymer XIIL S. 258; der Vorstand des Geldaustauschamtes von 1 — 4
Heu. VIII. war Henry Wiatt Ruding, Annais of coinage I. S. 121.
8) Brewer, Cal. I. 1816. Urk. Beil. 151.
— 522 —
hielten das Privileg auf 30 Jahre1). 1520 starb John Sharp,
und Thomas More rückte in seine Stelle ein*). Dass George
Ardeson, der als der eigentliche Geschäftsleiter angesehen
werden muss, im Interesse seines Vortheils streng sein Privi-
leg wahrte, dafür fehlt es nicht an Beispielen3). Ob nach
seinem Tode, beziehungsweise nach Ablauf des Privilegs (1532)
das Amt erneuert wurde, muss bezweifelt werden. Seit der Re-
formation hörten die Geldsendungen für den päpstlichen Hof
auf, und auf diese sowie auf die von der Verleihung kirch-
licher Aemter an Ausländer herrührenden Geldsendungen war
es doch in erster Linie abgesehen, sie waren auch noch am
sichersten zu controliren, kamen somit für den Inhaber des
Wechselamts zunächst in Rechnung. Man darf also annehmen,
dass auch die Ausstellung und Gelddeckung der Wechsel für
Italien an keine bestimmte Organisation mehr gebunden, viel-
mehr für sie ähnliche Freiheit wie hinsichtlich der kaufmän-
nischen Wechsel gestattet wurde.
Den letzteren drohte freilich nach dem Tode Wolseys
grosse Gefahr. Die Münzverschlechterung trieb das alte gute
Geld aus dem Lande, und man hoffte wahrscheinlich durch
eine Beschränkung der Wechselfreiheit einen wirksamen Ge-
gendruck zu schaffen. Man berief die höchsten Richter, durch-
forschte die Landesgesetze, ob nicht ein Statut zu einer dieses
Uebel hemmenden Proclamation benützt werden könnte4).
Man fand schliesslich das uns bekannte Gesetz 5 Rieh. II. c.
2 zu diesem Zwecke geeignet. Keine Person sollte fortan der
genannten Acte entgegen einen Wechsel ausstellen, beziehungs-
weise durch Geld decken, sondern die Kaufleute sollten ihren
Erlöss auf englische Artikel verwenden, damit diese zu Absatz
kämen zürn Vortheil des Königs und der Unterthanen. Die
Befügniss zur Licenzertheilung, wenn ein Wechsel aus-
gestellt werden sollte, wurde, wie es scheint, dem bekannten
Audeley übertragen5). Der erste Eindruck, den die Procla-
mation machte, war sehr gross; sogar die Chronikschreiber
der Zeit, welche so selten öconomische Vorgänge der Beach-
tung für werth hielten, nahmen Notiz davon. Nach Hall war
der unmittelbare Effect ein guter6), in „Kurzem war aber die
Verordnung vergessen" 7). Der Chronist hätte beifügen sollen,
dass sie auch zurückgenommen wurde. Richard Gresham, der
*) Brewer, Cal. I. 3265; gleichzeitig war custos cambii et monete
John Coppinger. (4 Hen. VIII ) und Thomas Pope (26 Hen. VIII). Ru-
ding I. S. 121.
2) Brewer, Cal. III. 1073.
') Vgl. Brewer, Cal. I. 5156.
4) ürk. Beil. 155.
6) Vgl. ürk. Beil. 158.
°) Zollregister Nr. II. lässt für die betreffende Zeit keine Steigerung
erkennen. Bd. II. S. 48 fg.
7) „After this proclamacion many clothes and other commodities of this
— 523 —
Onkel des berühmten Thom. Graham war während seines
Bürgermeisteramts (1538) x) für die Kaufleute eingetreten; er
legte dar, wie die Wechsel vielfach gerade geeignet seien, das
Geld im Lande zu erhalten, und dass die Kaufleute ohne
Wechsel ebenso wenig bestehen könnten, wie die Schiffe in
der See ohne Wasser2). Seiner einflussreichen Stimme wurde
Gehör geschenkt Der König Hess die völlig gebührenlose
und ungehinderte Wechselfreiheit anfangs mit, später ohne
zeitliche Begrenzung proclamiren 8). Ganz gegen Ende seiner
Regierung machte Heinrich VIII. nochmals den Versuch, zwar
nicht direct das Wechselbriefgeschäft lahm zu legen, aber doch
die Bestimmung wegen Verordnung des Waarenerlöses zu er-
zwingen. Er verlangte 1546 von den Kauf leuten eine Caution,
dass sie sicher während der Dauer eines Jahres dem Gebot
nachkommen wollten 4). Unter Eduard VI. 5) und Elisabeth 6)
wurden erneute Ansätze gemacht, die Wechselfreiheit zu
beschränken oder doch zu besteuern, man musste aber nach
kurzer Zeit immer wieder zum alten Zustande zurückkehren 7).
Die vorstehenden Ausführungen möchten ein ungefähres Bild
geben, wie man die Regelung des Geldimports durch möglichste
Verhinderung des Exports zu ergänzen suchte. Sie zeigen, wie
aus vereinzelten momentanen Massnahmen allmählig ein festes
System sich herausbildete. Die betreffenden Gesetze fassten
Wurzel, so dass man sie lange für ganz unentbehrlich hielt.
Aehnlich wie aber die Ordnung des Geldimports schliesslich
durch die Macht des Verkehrs unterwühlt wurde, so war es,
wenn auch in schwächerem Masse, mit den Gesetzen gegen den
realme were well sohle, but shortly after merchauntes feil to exchaunge
agayne and proclamacion was shortly forgotten. Hall, Chronicle S. 781.
*) Bekannt ist auch, wie derselbe Rieh. Gresham zuerst die Errich-
tung einer Börse ins Auge fasste (Urk. Beil. 156), nachdem die Kaufleute
das Angebot des Königs, die Leadenhall ihren Zusammenkünften zur Ver-
fügung zu stellen, abgelehnt hatten (1534 oder 1535). Burgon, Life of
Gresham I. S. 30. Kurze Zeit nach Greshams Brief beschäftigte sich auch
das Parlament, allein es scheint ohne Erfolg, mit dieser Angelegenheit.
Eine „billa concernens novum edificium pro mercatorum congregatione
Londini fiendum" wurde im Oberhaus der ersten und zweiten Lesung un-
terzogen 31 Hen. VIII. 23° und 25° die Parliamenti (Lords Journals).
*) Urk. Beil. 156.
*) Urk. Beil 157.
') Br. M. Cotton Ms. Galba B. X. fo. 247.
*) Eduard VI. hob die Wechselfreiheit auf im Juni 1552 , stellte sie
aber auf Bitten der Kaufleute wieder her durch Proclamation vom 23 März
1553. Eine Copie der letztern in Lord CalthorpesMs. Vol. XX. fo. 65.
•) Vgl. die interessanten Ausführungen der Urk. Beil. 163, 164;
auch G. Malynes, The maintenance of free trade S. 15 fg. Ueber die
Anschauungen in Betreff des Geldezports unter Elisabeth vgl. Urk.
Beil. 165.
7) Erwähnt sei, dass in den Lords' Journals (6 Hen. VIII. 16, 20,
45, 54, 57, 60° die Pari, und 28 Hen. 19, 23° die Pari.) „billae concer-
nentes escambium monete" notirt sind; was sie enthielten, wissen wir nicht
— 524 —
Geldexport der All. Wir sehen sie namentlich unter Heinrich
VIII. mehr und mehr zerbröckeln, das Geldwechselgesehtit
sucht sich von den alten ihm angelegten Fesseln zu emanri-
piren, und es gelingt fortan nicht mehr dieselben wieder anzu-
legen, der Wechselbriefverkehr stösst die mittelalterlichen
Schranken weg, die man der Geldausfuhr wegen errichtet; die
Statuten, in Bietreff der Verwendung des Waarenerlöses auf
den Ankauf englischer Artikel wurden nur noch ausnahmsweise
beobachtet und zur Geltung gebracht
In wie weit die ganze Politik berechtigt war, ist sehr schwer
zu beurtheilen. Unser modernes Geldwesen ist so ausserordentlich
verschieden, dass dasselbe keinen Massstab abgeben kann.
Heute wird selbst ein grosser Edelmetallexport verhältniss-
mässig leicht ertragen; die Geldmasse ist sehr viel grossen so
dass der abfliessende Theil immer nur ein kleines Procent von
dem gesammten Vorrath ausmacht, der erstere wird in der
Regel gar nicht der Circulation direct entzogen, sondern den
sog. Hoards der Banken, jeder Abfluss wird zudem leicht er-
setzt durch die verschiedenen Creditmittel, welche die Function
des Geldes im Tauschverkehr übernehmen. Dazu kommt noch
die Leichtigkeit, mit der die Centralnotenbanken auf den Geldzu-
und Geldabfluss ganz direct einwirken können. Die Münzver-
schlechterungen von Nachbarländern, das ewige Durchei-
nander aller möglichen Münzen, das Fehlen einer vor den
internationalen Schwankungen bewahrten Scheidemünze sind
lauter Momente, die heute für die Frage des Geldexport«
so gut wie nicht in Betracht kommen, damals aber in der
Geldpolitik eine hervorragende Rolle spielten. In rauher und
ungeschlachter Weise musste man in jener Zeit diese Ver-
hältnisse regeln. Man wird auch nicht annehmen dürfen, dass
die betreffenden Gesetze ganz wirkungslos gewesen seien. So
lange man sie dem Verkehr aufzwingen konnte, erreichten sie
gewiss theilweise den gewünschten Zweck. Nur versäumte
man , einen Vergleich anzustellen , ob die allzustarke Bindung
des Handels nicht zuweilen ein grösserer Schaden war, als
der Nutzen für das Geldwesen oder die Industriebeförderung.
Immerhin wird der letztere nicht geläugnet werden dürfen,
ßemerkenswerth bleibt es, dass manche Bestimmungen der
englischen Geldpolitik uns auch bei Staatswesen begegnen,
welche die Wirkung handelspolitischer Vorschriften richtiger
zu beurtheilen verstanden als die Engländer1).
Gleichzeitig sehen wir in der That bestätigt, was wir oben
schon erwähnten2), dass das Geld in seiner Beziehung zum
*) Die Deutschen war den z. B. in Venedig am Anfang des 15. Jahrhun-
derts gezwungen, den Erlös ihrer Waaren wieder in Waaren anzulegen.
Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter II. S. 722.
») S. 480.
— 525 —
auswärtigen Handel und in seiner Bedeutung für den inländi-
schen Verkehr sehr wohl erkannt wurde, und dass man ganz,
wie die sogenannten Mercantilisten, die Erhaltung und Steigerung
des Geldvorrates zu fördern suchte, ohne aber zu einer Ueber-
schätznng desselben sich fortreissen zu lassen. Wir fanden
das Streben nach einem genügend grossen Antheil an der
Edelmetallmenge nicht nur erklärlich, sondern auch wohl be-
gründet.
So gross die Schwierigkeiten waren, um einen genügenden
Edelmetallbestand sich zu sichern, ebenso stark oder noch
stärker waren die Hemmnisse, um das Münzwesen auch in
gutem Zustand zu erhalten und dasselbe zweckmässig zu ord-
nen. Wir hatten bereits im Vorausgehenden Gelegenheit, die
Frage zu streifen; die Politik über den Geldimport und Geld-
export hing vielfach mit ihr zusammen, ja verdankte sogar
derselben theilweise ihren Ursprung. Es kann nicht unsere
Aufgabe sein, die Darlegung der Entwicklung des gesammten
englischen Münzwesens zu versuchen. Im Folgenden wollen
wir nur einige Puncte noch berühren, die geeignet sein möchten,
theils das bereits über die englischen Geldverhältnisse Gesagte
zu ergänzen, theils den gebrechlichen Character des damaligen
Geldinstituts überhaupt schärfer zu kennzeichnen, theils die Münz-
politik der beiden ersten Tudors etwas zu illustriren. Die Haupt-
hemmnisse, die sich im England damaliger Zeit, wie überhaupt
im Mittelalter einer guten Münze entgegenstellten, waren die
unansgebildete Münztechnik, die nur schwer ganz gleiche und
als unvollkommen leicht erkenntliche Stücke zu liefern ver-
mochte, ferner die ursprüngliche Decentralisation im Münz-
wesen , der zu lange Umlauf des Geldes und die Unfähigkeit
des damaligen Staatsorganismus, die böswilligen Beschädigungen
zu verhindern, das Fehlen einer eigentlichen Scheidemünze,
endlich das unvermeidliche Eindringen fremder Münzen und
die fortwährende Noth der Münzherrn bei einem nur kleine
Summen liefernden Steuerapparat und einer geringen Ausbil-
dung des Staatscredits.
Beim Vergleich mit den continentalen Staaten kann nicht
geläugnet werden, dass es im Grossen und Ganzen an gutem
Willen nicht fehlte, und dass deshalb die angeführten Momente
bei England vielfach nur abgeschwächt auftraten, aber vor-
handen waren sie.
In Bezug auf die mangelhafte Münztechnik ist die That-
sache so bekannt, dass man nicht erst viele Beispiele dafür
zu sammeln braucht. Wenn in Deutschland vom Ende der
Karolingerzeit bis Mitte des 12. Jahrhunderts Münzen des-
selben Herrn und aus derselben Prägeanstalt oft um 40 % im
— 526 —
Gewicht differirten x) , so wird es in England gewiss nicht
besser gewesen sein. Noch 300 Jahre später klagte man über
die Verschiedenheit neugeprägter Münzen, so dass 1422 der
Rath des Königs den Münzbeamten befahl, nicht blos die
Gesammtsumme, sondern jedes einzelne Goldstück dem Pri-
vaten vorzuwiegen, die mangelhaften Stücke zurückzunehmen
und auf eigene Kosten umzuprägen2). Die Methoden, den
Feingehalt zu bestimmen, waren sehr unvollkommen, und wir
wissen, dass noch zur Zeit Heinrichs VIII. die englische und
niederländische Regierung über den wahren Gehalt bestimmter
Münzsorten abweichender Meinung sein konnten 8).
Was die Decentralisation anlangt , so sah England
freilich nie den chaotischen Zustand, wie er in Deutschland
im Lauf des Mittelalters sich herausbildete. Das ausschliess-
liche Münzrecht des Königs wurde ausdrücklich zur Zeit
Aethelreds (978 — 1016) anerkannt4). Hielt man auch nicht
dasselbe in aller Strenge aufrecht, indem ebenso wie auf dem
Continente die Fürsten Theile ihres kgl. Vorrechtes abgaben,
so namentlich einzelnen Bischöfen die Befugniss ertheilten,
eine Münzanstalt zu halten5), so Hessen sich die englischen
Könige doch niemals ihre volle Münzhoheit entreissen. Unter
Heinrich I. und IL wurde dem Versuch der Städte und Barone,
die gemeine Münze in ihre Gewalt zu bekommen, mit aller
Entschiedenheit entgegengetreten 6). Auch für die Bischöfe, die
Münzen prägen durften, hatte das Privileg immer nur die Bedeu-
tung, dass sie eine Einnahme aus der Münzprägung bezogen,
sie unterstanden aber ganz den kgl. Verordnungen und Ge-
setzen, die über das Münzwesen erlassen wurden. Später hörte
die Prägung in nichtköniglichen Münzen ganz auf; Cranmer,
Erzbischof von Canterbury, und Lee, Erzbischof von York waren
unter Heinrich VIH. die letzten, welche das Recht ausübten 7).
Es war dem innern Handel Englands gewiss sehr förderlich,
dass in dieser Weise die Zersplitterung wenigstens des ein-
heimischen Münzwesens und damit die Zerlegung des Reiches
in mehre Wirthschaftskreise vermieden blieb. Zustände wie
t>erg,
sehen Kaiserzeit S. 12.
a) Nicolas, Proceedings etc. II. S. 817.
8) Urk. Beil. 153.
4) In Aethelreds Gesetzen heisst es IIL c.|8: „Et nullus habeat aliquem
monetarium, nisi rex". S ch m i d , Die Gesetze der Angelsachsen 1858. S. 217.
*) Vgl. Domesday Book. London 1783—1816. I. 8. 172, 179. IL
S. 117.
°) So heisst es in den Leges Henrici primi c. 1, § 5: „Monetagium
commune, quod capiebatur per civitates et per comitatns, quod non mit
tempore Edwardi regis, hoc ne amodo fiat omnino defendo." Schmid,
Die Gesetze der Angelsachsen S. 433; vgl. ferner Leake, An historical
aecount of English money. 2. Ed. 1745. S. 49, 53.
*) Ruding, Annais of the coinage III. S. V.
- 527 -
die in Deutschland *), dass man in jedem kleinen Territorium,
ja zuweilen sogar in jeder Stadt desselben Gebietes die Münzen
umwechseln musste, oder dass man willkürlich blos der Ein-
nahme wegen jährlich sämmtliche Münzen einrief, waren ent-
weder in England ganz ungekannt oder wurden doch bald un-
möglich gemacht2). Das Parlament sicherte sich in dieser
Frage sehr bald einen bestimmten Einfluss und wusste zu
verhindern, dass die ganze Einrichtung des Geldwechsels fisca-
ltsch ausgebeutet oder auch nur ohne seine Zustimmung die
Einrufung des Geldes zur Umprägung vorgenommen wurde3).
Hinsichtlich der Münzverfälschungen zeigte man immer
grossen Einst. Die angelsächsischen und normannischen Ge-
setze bestimmten, dass ein schuldig befundener Münzer die
Hand verliere, derjenige, der im Wald oder an entlegenen
Plätzen präge, das Leben verwirke. Den Falschmünzern wur-
den gleich geachtet diejenigen Kaufleute, welche ihr gutes
Geld bei den Falschmünzern umtauschten, dasselbe beschnitten
oder sonst beschädigten 4). In den Statuten wird die Beschnei-
dung und Nachprägung der Münze seit Eduard III. wie Fe-
lonie angesehen5); man hielt diese Verbrechen für so schwer,
dass in den Generalpardons in der Regel die Münzfälscher
ausgenommen wurden6). Aber trotz aller Strenge konnte die
Gesetzgebung nicht recht gegen das Unwesen aufkommen.
Wie stark das Kippen und Wippen noch gegen Ende des 14.
Jahrhunderts betrieben wurde, ersieht man aus den Parlaments-
verhandlungen von 1381/82. In einer Petition der Münzbe-
amten des Tower wird behauptet, dass das Gold- und Silber-
geld durch das Beschneiden um 10 °/0 verloren habe *). Einige
schlugen vor, den Münzfuss um diesen Betrag zu verschlech-
tern, die Mehrzahl der Sachverständigen dagegen meinte, es
solle Jeder Goldgeld nur nach dem Gewicht annehmen8).
Wirklich wurde der letzte Vorschlag 40 Jahre später Gesetz,
indem Jeder bei Annahme von Gold als Zahlung dasselbe erst
wiegen lassen, und wenn es nicht volles Gewicht hätte, an die
Münzanstalt zum Umprägen bringen sollte. Wegen des Ver-
lustes, der daraus dem Ueberbringer erwuchs, verzichtete der
*) Vgl. Th. Eheberg, Ueber das ältere deutsche Münzwesen und
die Baugenossenschaften besonders in volkswirtschaftlicher Beziehung 1879.
8. 51, 67 fg. u. s. w.
*) Häufige Umprägungen scheinen nur bis Eduard I. vorgekommen
zu sein; vgl. Leake S. 68.
») Vgl. z. B. Rot. Pari. I. S. 285; IL S. 161, 241, 276, 452; IV. S.
154; V. S. 684.
*) Aethelstans Gesetze II. c. 14. § 1 ; Aethelreds Ges. IV. c. 5 ; Cnuts
Ges. IL c. 8; Leges Henrici primi c. 13, § 3. Schmid, Die Gesetze der
Angelsachsen S. 141, 221, 275, 445. Sieh auch Hoveden, Cronica ed.
Stubbs III. S. 363.
8) 25 Ed. in. st. 5. c. 2; 4 Hen. V. c. 6; Rot Pari. IV. S. 82.
*) Rot Pari. IL S. 280; III. S. 544; IV. S. 504.
') Rot. Pari. III. S. 126.
8) Rot. Pari. III. S. 64 fg.
— 528 —
König auf seine Gebühr, die man Seignorage nannte und neben
dem eigentlichen Schlagschatz erhob 1). Dieser Schritt beweist,
wie tief das Uebel gerissen war. Es ist dies um so mehr zu
verwundern, als man sechs Jahre vorher das Gerichtsverfahren
für die Fälle der Beschneidung und Verfälschung erleichtert
hatte. Da nämlich diese Verbrechen der Felonie gleich geachtet
wurden, so stand die Untersuchung und Aburtheilung nur den
höchsten Gerichten zu. Die Folge war, dass viele Verletzungen
gar nicht zur Kenntniss der Richter gelangten. Im Parlament
hatte man gewünscht, dass auch die Friedens- und Assisen-
richter zuständig sein sollten ; der König gab jedoch den ers-
tem blos das Recht der Untersuchung, und nur den letztern
auch das der Entscheidung2). Immerhin war es eine Ver-
besserung.
Ein anderes Hauptgebrechen des englischen Münzwesens
war, dass kein Unterschied zwischen Scheidemünze und Courant-
münze bestand. In Folge dessen war das Kleingeld ebenso
wie das eigentliche Grobgeld dem Export unterworfen und
wurde auch mit Vorliebe von den Goldschmieden eingeschmolzen.
Im Jahre 1444 machte man einen Anlauf, um einen Unter-
schied zu statuiren, indem man verlangte, dass anstatt 30 sh aus
einem Pfund 33 sh an Farthings und Halfpence ohne Aen-
derung der Legirung geprägt werden sollten, und man zog
auch die richtige Gonsequenz derScheidemünze , indem man
festsetzte, dass halbe und viertel Pfennige nur im Betrage von
12 d, Groschen und Halbgroschen nur im Betrage von 20 sh
angenommen zu werden brauchten. Die Bestimmung hatte
aber nur 2 Jahre zu dauern und konnte auch in dieser Zeit
vom König aufgehoben werden3). Es scheint nicht, dass in
Zukunft an dieser wichtigen Neuerung festgehalten wurde.
Weitaus die grösste Gefahr drohte dem Bestand einer
guten Münze durch die Einfuhr fremden schlechten Geldes4).
Schon oben wurde erwähnt, wie die Ordnung des Geldzu-
flusses zum nicht geringsten Theil die Absicht verfolgte, das
fremde Geld nicht direct in den einheimischen Verkehr treten
zu lassen. Die an das Stapel angelehnte Organisation konnte
jedoch nicht genügen, weil das Stapel ja nicht den gesammten
englischen Aussenhandel umspannte, und weil die ganze Art
dieser Geldregelung später ausser Uebung kam. Thatsächlich
waren auch die Wechselstellen in den Hafenplätzen noch da,
um die fremden Münzen aufzufangen und den Münzstätten zu-
x) Rot. Pari. IV. S. 130; 9 Hen. V. st. 1. c. 11; Nicolas, Procee-
dings IL S. 316.
*) Rot. Pari. IV. S. 35, 82; 4 Hen. V. c. 7.
8) Rot. Pari V. S. 108.
*) Die älteste Bestimmung gegen Kaufleute, welche falsches Geld ein-
fuhren, finde ich in Aethelreds Ges. IV. c. 7. Schmid, Die Gesetze der
Angelsachsen S. 221.
— 529 —
zuführen. Sicherlich schien «es der einfachste Weg zu sein,
wenn man, um das beimische Münzwesen in gutem Stand zu
erhalten, grundsätzlich die fremden Münzen von der Girculation
ausschloss. In der angelsächsischen Zeit und auch noch
später verfuhr man in der That so oder suchte doch diesem
Ziele nahe zu kommen1). Von Heinrich II. wissen wir, dass
er 1156 eine neue Münze prägen liess und gleichzeitig den
Umlauf alles andern Geldes verbot *). Ebenso verfuhr Eduard I.,
als er die unter seinem Vorfahren vollständig verdorbene
Münze wieder herstellte. Er rief das entwerthete Geld ein,
liess es 1292 in einer vollkommeneren Gestalt durch eigens
herbeigezogene Fremde 8) aus Marseille und Florenz umprägen,
verbot den Umlauf jedes andern als englischen, irischen und
schottischen Geldes und traf Anstalten, dass die Zahlungen
der Kauf leute überwacht wurden 4). Trotzdem wollte es ihm
nur schwer gelingen, die Einfuhr schlechten Geldes zu ver-
hindern. 1299 drohte er allen Importeuren solchen falschen
Geldes mit dem Tode und der Confiscation des ganzen Ver-
mögens und verschärfte die Gontrole bei den eingeführten
Waaren der Fremden, welche mit diesen falsche Münzen ein-
schmuggelten 6).
Mit dem Nachlassen der einheimischen Minenproduction,
mit dem Abfluss des Geldes in Folge der Kriege, mit der Zu-
nahme des auswärtigen Handels wurde es immer schwieriger,
fast unmöglich, die Circulation des fremden Geldes grundsätzlich
zu verpönen. Schon oben erwähnten wir, wie man 1339 wegen
Mangels an Münzen gewisse fremde Geldsorten ausdrücklich
als gesetzliches Zahlungsmittel zuliess6). In der Folgezeit
bildete nach Mancher Meinung das fremde Geld den Haupt-
stock der in England circulirenden Münze7). Unter Hein-
rich VHI. musste die Regierung sogar bei Steuern fremdes
Geld annehmen8). Es war diese Zulassung fremder Münzen
eine Concession an den Handel; in den grossen Verkehrscentren
*) In Aethelstans Ges. heisst es IL c. 14: „Placuit nobis, ut una mo-
neta sit in toto regiß imperio"; in Cnnts Ges. II. c. 8: „De correctione
pecuniae (sc. agamus), ut una moneta per totas has nationes sine omni
falso teneatur et nemo repudiet eam" ; in Edgars Ges. „Et sit una moneta
per totum regis Imperium, et nemo sonet eam". Schmid, Die Gesetze
der Angelsachsen S. 139, 193, 275; Sieh auch Kemble, Die Sachsen in
England II. S. 57.
*) Leake, An historical account of English money S. 67.
*) Leake, a. a. 0. S. 72, 73.
4) Vgl. das Stat. de moneta (20 oder 12 Ed. I); Macpherson,
Annais of commerce 1. S. 451.
6) Vgl. den Erlass gegen die Hansen bei Höhlbaum. Hans. Urkun-
denbuch I S. 439 Nr. 1306: Liber Custumarum ed. Riley II. S.
196; ferner S. 187 fg.
8) Sieh oben S. 495.
7) Jacob, Ueber Production und Consumtion der edlen Metalle.
I. S. 258, 254.
*) 34/35 Hen. VIII. c. 27. § 25; 37 Hen. VII. c. 25. § 26.
Schanz, Engl. Handelspolitik. 1. 34
— 530 —
war ihre Menge wegen der damals so ausgedehnten Begleichung
des internationalen Handels durch Baargeld ausserordentlich
gross. Wir wissen, dass die niederländische Regierung über
ein halbes Hundert verschiedener Münzsorten als Zahlungsmittel
zu festbestimmtem Curs gestattete1). In dieser Freiheit lag
immer eine grosse Gefahr. Die fremden Kaufleute waren stets
darauf bedacht, von den erlaubten Sorten nur minderwerthipe
und gefälschte Stücke zu importiren, und ehe man sich versah,
hatten diese alles gute Geld verdrängt. Von Irland und
Luxemburg aus wurde die Falschmünzerei gewerbsmässig be-
trieben2). Dazu kam, dass die Nachbarstaaten sehr häufig
und nicht selten lange unbemerkt ihre Münzen schlechter
ausprägten.
Meist suchte man sich durch Verbot solchen Geldes zu
schützen. Bald wurde dem schottischen8), bald dem flandri-
schen Geld 4) die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels
entzogen, bald erklärte man den von den Genuesen, Venetianem
und andern Italienern importirten Galey halfpence den Krieg6),
bald verpönte man die irischen Groschen und Pfennige6).
Man lag in ewigem Kampf mit den von allen Seiten dem eng-
lischen Geldwesen drohenden Feinden. Derselbe war meist
vergeblich. Der ganze Beamten- und Polizeiapparat genügte
nicht, das Publicum sah sich nicht selten in Folge der fort-
währenden Fiinschmelzungen der Münzen durch die Gold-
schmiede und der zu sparsamen Ausprägung von Kleingeld
zur Annahme der fremden schlechten Münzen genöthigt 7), und
je grösser der Unterschied der englischen Münze und der
ursprünglich mit ihr gleichwerthigen und gleichnamigen fremden
im Laufe der Zeit wurde, um so drohender wurde die Gefahr
für die englische selbst. Schliesslich war die Differenz eine
derartige, dass man sich nicht mehr schützen konnte, es blieb
dann kein anderer Ausweg, als selbst dm Münzfuss zu ändern,
insoweit die Minderwertigkeit der fremden Münzen es ver-
langte. Die Abnutzung und die Beschneidung kamen oft als
weitere Motive hinzu, da weder der König noch die Privaten
*) Henne, Histoire du regne de Charles - Quin t en ßelgique V.
g 2S1 339
*) Rot Pari. II. S. 16, 160, 167, 239; 17. Ed. IV. c. 1.
*) Rot. Pari. II. S. 308 (1371) S. 318 (1373); III. S. 280 (1390); HL
S. 600 (1406); 2 Hen. IV c. 6; 17 Ed. IV c. 1.
') Rymer VII. S. 452 (1385); Rot. Pari. III. S. 470 (1400/1401).
6) So wohl zuerst am 24. Juni 1399 (Br. M. Cotton Ms. Nero B.
VII. fo. 4 b; spater noch öfter, vgl. Rot. Pari. III. S. 644 (1410); 11
Hen. IV. c. 5; 13 Hen. IV. c. 6 (1411); Rot. Pari. IV. S. 69 (1415); 3 Hen.
V. c. 1; 2Hen. VI. c. 9 (1423); sieh auch Giustinian, Four years at the
court of Henry VIII. ed. R. Brown II. S. 293 Nr. 1; Th. Walsingham,
Ypodigma Neustriae ed. Riley S. 470.
6) 17 Ed. IV. c. 1 und unten S. 533.
7) Rot. Pari. III. S. 498 (1402).
— 531 —
die Kosten für die Wiederherstellung des früheren Mtinzfusses
zu tragen geneigt waren.
In dieser Weise sind die meisten der vor dem 16. Jahr-
hundert in England vorgenommenen Münzverschlechterungen
zu deuten. Der dem Monarchen dadurch erwachsende Gewinn
kam erst in zweiter Linie in Betracht. Der Beweis hiefür liegt in
dem fast regelmässig zu beobachtenden Vorangehen von Er-
lassen, welche die Einfuhr fremden Geldes verboten, wenn eine
Aenderung des Münzfusses vorgenommen wurde, ferner darin,
dass in den Verordnungen ausdrücklich diese Begründung an-
gegeben, auch in den Parlamentsverhandlungen wiederholt
dieser Schritt als nothwendig bezeichnet wurde l), endlich darin,
dass man mit den Aenderungen offen hervortrat und nament-
lich im Gegensatze zu den continentalen Staaten es verschmähte,
die viel schwieriger zu controlirende Feinheit der Münze zu
verschlechtem. Die Zahl der während des Mittelalters in
England vorgenommenen Münzfussänderungen ist auch nicht
gross, der Grad der Verschlechterung im Vergleich zu andern
Ländern nicht sehr bedeutend 2) , man darf nicht vergessen,
dass sie wegen der allgemeinen Geldvertheuerung bis zu einem
gewissen Grade sogar eine Wohlthat war.
Dieses relativ massvolle Einhalten auf einem so gefährlichen
Weg, wie es eine Münzverschlechterung ist, müss wohl auch theil-
weise dem Einfluss des Parlaments zugeschrieben werden. Wir
wissen z. B., wie dieses, als Eduard III. wiederholt und zuletzt
sehr bedeutende Münzverschlechterungen vornahm, von wei-
teren Schritten abmahnte und wiederholt in ihn drang, den
alten Münzfuss wieder herzustellen3).
Aus Allem erhellt, dass das englische Münzwesen trotz
des überwiegend guten Willens von Seite der Regierung eine
schwache, stets bedrohte Institution war.
Wie auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens die
beiden ersten Tudors die deutlichsten Spuren ihres Wirkens
hinterliessen , so war es auch bei dem Mtinzwesen der Fall.
Ihr Eingreifen war theils segensreich, theils verhängnissvoll.
Nachdem schon Eduard IV. einen ernstlichen Anlauf gemacht
hatte, um in das Geld- und Münzwesen durch Klarstellung
und Amendirung der Gesetze wieder etwas Ordnung zu
bringen, bemühte sich Heinrich VII., auf administrativem
Wege den Gesetzen auch die nöthige Geltung zu verschaffen.
Das Streben desselben war besonders darauf gerichtet, ein sicheres
von allen Zweifeln befreites legales Zahlungsmittel zu schaffen.
») Rymer, Rec. Ed. 111. P. I. S. 223; Rot. Pari. III. S. 126, 203;
sieh auch Ru ding, Annais I. S.226; Leake, Historical acconntS. 130, 192.
2) Ueber das englische Münzwesen in der Zeit vor den Tudors gibt
die auf folgender Seite stehende der Ascher'schen Uebersetzung von Tookes
Geschichte der Preise II. S. 503 entnommene Tabelle Aufschluss.
*) Rot Pari. II. S 240, 260, 271; vgl. auch LS. 444; II. S. 143.
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— 533 —
Die Münzen Irlands wurden gänzlich vom Verkehr in
England ausgeschlossen1). Alle fremden Münzen durften nur
als Barrenmetall angenommen werden1). Gewisse englische
Münzen wurden auf ihren wirklichen Werth herabgesetzt3).
Die als legal geltenden Stücke wurden genau beschrieben und
mit leicht erkenntlichen Zeichen versehen4). Beschnittene
Münzen durften nicht circuliren 6) ; um auch hier leicht fest-
stellen zu können, ob eine Beschneidung stattgefunden, Hess
er alles neu zu prägende Geld mit einem Ring am Rande ver-
sehen6). Auch erneuerte er die Todesstrafe, die auf, das
Kippen gesetzt war 7). Dass Heinrich VII. die ersten Silber-
schillinge, die seit der Eroberung blosse Rechnungseinheit
waren8), ausprägen und England auf diese Weise mit einer
bequemen, noch heute bestehenden Münze bereichern liess9),
ist bekannt 10). Dagegen hielt der König bei seinen Reformen
daran fest, dass die Abnützung des Geldes nicht dem Gelde
seinen legalen Charakter nehme. Nur bei den Goldmünzen
sollte volles Gewicht erforderlich sein n). Er meinte offenbar,
es sei unmöglich, das nun seit Decennien, ja Jahrhunderten
') Unter Richard III. wich die irische Silbermünze in Gewicht und
Legirung von der englischen ab; er liess zur Unterscheidung die neu zu
prägenden mit einem Merkmale versehen und hob alle irischen Münzstätten
bis auf Dublin und Waterford auf (Oairdner, Letters and Papers etc. ü
S. 286. 18. Juli 148:5). Heinrich VII. half in obiger Weise ab (a. a. 0.
8. 876. 16. Jan. 1499 und 19 Hen. VII. c. 5). Der Export von Münzen
und Geschirr und Barren nach Irland wurde auch beschränkt; der Import
nach England durfte nur 8 sh 4 d betragen; der Export nach Irland 6 sh
8 d. Noch unter Heinrich VIII. war Irland der Herd der -Fälscher; eine
bezügliche Proclamation exisürt vom 19. Nov. 1540 (Br. M. Cotton Msc.
Titas B. XL fo. 871).
*) Gairdner IL S. 876. 27. Febr. 1498; besonders genannt sind die
„Romans grotes" und „Romans penstt. Zeitgenossen tadelten mit Unrecht
diese Massregel. R. Pauli, Drei volksw. Denkschr. 8. 71 u. 72.
*) Gairdner IL S. 379. 27. April 1505 und 19 Hen. VII. c. 5. So sollten
die »pens with spurres or the molet bytwixt the barres of the Crosse" nur
Vi d gelten.
*) Gairdner IL
') 19 Hen. VII. c 5.
«) 19 Hen. VH. c. 5 § 2.
% Gairdner n. S. 879. 27. April 1505 § 1 und 4 Hen. VII. c 18
(1488/9). Auch unter Heinrich VIII. wurde dieses Gesetz beobachtet.
Als 1538 ein junger Mensch Gold bis zum Werth von 30 £ beschnitt,
wurde er enthauptet, sein Kopf an London Bridge und die vier Theile seines
Korpers an den verschiedenen Thoren der Stadt aufgesteckt. Wriothesley,
A chronicle of England during the reigns of Tudors 1485—1559. Ed. Ha-
milton 1875. S. 73.
8) Lappenberg, Geschichte Englands I. S. 627 glaubt, dass in der
frühen angelsächsischen Zeit bereits einige geprägt wurden.
») Im Jahre 1505 (Macpherson II. S. 28).
*•[ Ueher Heinrichs VII. Münzreform vgl. auch Gairdner, Historia
regig Henrici VII. a Bern. Andrea Tholosate conscripta S. 81.
") Nämlich beim sovereign, V* sovereign: beim „ryal", * a r. u. */« *•;
beim angel. und Vi angel. 19 Hen. VII. c. 5 § 1.
— 534 —
durch den Umlauf entwerthete Geld wieder völlig herzustellen.
Ein Erfolg wäre nur denkbar gewesen, wenn er aus seiner
Kasse grosse finanzielle Opfer hätte bringen wollen. Er
wählte die andere Alternative. Eine nothwendige Folge war
es dann, dass die neugeprägten Stücke mitten vorhandenen
entwerteten Stücken in Uebereinstimmung gesetzt werden
mussten. Daraus erklärt sich wohl zur Hauptsache, wenn
auch er den Münzfuss zweimal änderte1). Der Gewinn der
königl. Kasse wurde dabei natürlich auch in Anschlag ge-
bracht, und man muss die Annahme zulassen, dass die Rück-
sichtnahme auf den eigenen Vortheil selbst den Sieg über das
allgemeine Interesse davon trug *). Immerhin functionirte unter
Heinrich VII. der ganze Geld- und Münzapparat verhältniss-
mässig gut, wenn auch das Ansammeln des königl. Schatzes
nicht ganz spurlos am Verkehr vorüberging3).
Unter Heinrich VIII. stand nach kurzer Zeit die Münz-
und Geldpolitik wieder im Vordergrunde. Die rege Betheili-
gung an der auswärtigen Politik brachte die empfindlichsten
Störungen. Die erste Krisis im Jahre 1514 scheint übrigens
verhältnissmässig rasch vorübergegangen zu sein. Heinrich VIII.
verlangte damals von den Niederlanden eine Curserhöhung des
englischen Geldes. Die Regentin wollte aber nur eine kleine
Steigerung gestatten; ganz richtig die Consequenzen eines
solchen Schrittes erkennend, legte sie dar, dass, im Falle sie
die starke Curserhöhung, wie sie Heinrich VIII. wünschte, zu-
gestände, die Kaufleute und sonstige Speculanten sich beeilen
würden, das niederländische Geld, sowie Gefässe, Geschirre
u. s. w. einzuschmelzen und in englisches Geld verwandeln zu
lassen. Geschickt wies sie darauf hin, dass man am Münz-
wesen nur in den allertriftigsten Fällen rütteln dürfe; das
Geld, die Münze, sei der allgemeine Werthmesser 4), wenn
dieser ins Wanken komme, so entstehe endlose Verwirrung.
1) Die neugeprägten Stücke wären sonst ausser Landes gegangen.
Nach Ruding IL S. 65 hätte Heinrich VII. keine Alteration im Standard
der Münze vorgenommen; dagegen sagt Jacob, er habe im ersten und
24. Regierungsjahre sich solcher schuldig gemacht, indem er aus dem
U. Silber erst 45, dann 48 Schillinge ausprägte. Deutsche Ausg. S. 213.
*) Hiefür liegt dasZeugniss des sehr klugen Beobachters Pedro de Avals,
des spanischen Gesandten, vor. Derselbe schreibt an Ferdinand und Isabella
26. März 1499 : „The king saves the money. If gold coine once entered bis
strong boxes , it never comes out again. He alwavs pays in depreciated
coin. Farliament has lately made him a grant of 800 000 crowns on con-
dition, that he leave the money of the country unaltered. According to
the laws of England any person can have his own gold or silver coined
in the mint; he has, nevertheless, altered the laws. He is said to gain, over
and above the usual profits, seven reals in the mark of silver." Bergen-
roth, Cal. I. 239.
8) Sieh oben S. 484, 485.
*) „by the same the revenues of the princes and of the noble meo,
the rente, fees and wages of all his subiects are taxed, and by the which
all marchandise is mied and governed". Urk. Beil. 152; vgl. auch 153.
— 535 -
Die folgenden zehn Jahre waren hinsichtlich der Münz-
verhältnisse ziemlich normal. Wolsey that Schritte, um der
Einfuhr schlechter, namentlich italienischer Münze zu begegnen1),
ebenso trag man Sorge, dass das nöthige Kleingeld geschaffen
werde. Bisher ^uirde das Verhältnis«, in welchem die ver-
schiedenen Münzsorten auszuprägen waren, durch Vertrag des
Königs mit dem Münzmeister festgestellt. Darin sah man
offenbar keine genügende Garantie, dass der Münzmeister
seinen Verpflichtungen wirklich nachkam2). Man stellte des-
halb durch Gesetz fest, wie viel Procent der auszuprägenden
Gesammtmasse auf jede Münzsorte entfallen sollten. Gleich-
zeitig wurden einige Verbesserungen in der Ausprägung und
Kenntlichmachung der Münzsorten eingeführt3).
Die grösste Bedeutung für das englische Geldwesen hatte
stets die niederländische Geldpolitik. Der Verkehr Englands
nach den Niederlanden war weitaus der wichtigste, so dass
schon um deswillen eine stete Vermischung der Münzen beider
Handelsgebiete unausbleiblich war4). In den Niederlanden
liefen zudem alle Adern des europäischen Geldwesens zusam-
men, hier wurden alle Conjuncturen ausgenützt, hier. Baisse
und Hausse organisijt 6). Jede münzpolitische Massregel der
Niederlande wirkte sofort auf England zurück.
Wir wiesen früher bereits darauf hin, dass seit 1523 die
niederländische Regierung, von den Ständen bestürmt, zu einer
Aenderung ihrer gesunden Geldpolitik sich fortreissen Hess,
dass hiedurch der ohnehin erschöpfte Münzbestand Englands
schwer bedroht wurde, dass Wolsey sich aber vergeblich be-
mühte, mit der niederländischen Regierung ein Uebereinkommen
herzustellen 6). Nach längerem Zuwarten schritt Wolsey zu
einer Aenderung des Mtinzfusses als zu dem zweckmässigsten
Mittel, um wieder das nöthige Gleichgewicht herzustellen 7). Ob-
wohl die Finanzverhältnisse des Königs keine glänzende waren, so
glaube ich doch nicht, dass diese erste Verschlechterung von
1526 lediglich dem Motive entsprungen .ist, auf diesem Weg
die nöthigen Mittel sich zu verschaffen 8). Für diese Ansicht
spricht auch, dass Heinrich VIII. gleichzeitig den Unterschied
zwischen Tower & und Troyer & aufhob und dadurch eines
grossen Gewinns sich begab.
*) Brown, Cal. II. 1259; III. 135.
2) Sieh oben S. 484.
8) 14 15 Hen. VIII. c. 12 (1523).
*) Vgl. bes. ürk. Beil. 104.
8) ürk. Beil. 161, 165. Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 19.
6) Sieh oben S. 58 fg.
n 7) ürk. Heil. 154: vgl. ferner Brewer, Cal. IV. 2423; IV. 2595,
2609 und auch Hall, Chronicle (18 Hen. VIII.) S. 718.
*) Auch Leake, Historical account of English money S. 192 ist dieser
jleiDung. Die Curserhöhung und Verringerung des Münzrasses wurden da-
- 536 —
Kein Grund ist vorhanden, die späteren Münzverschlech-
terungen, die in den 40er Jahren vorgenommen wurden1), zu
entschuldigen. Zwar schützte der König auch hier den Vor-
gang der auswärtigen Fürsten vor8), und Heinrichs VIII. Lob-
redner machten von dieser Rechtfertigung Gebrauch *). Allein
die exorbitante Höhe der Münzverschlechterung und ein Blick
hinter die Coulissen straft sie Lügen4).
Die Folgen dieser verderblichen Münzpolitik für den Handel
blieben nicht aus5); der innere Verkehr wurde schwer ge-
troffen. Vor Allem wich das im Handel unbedingt nöthige
mals ganz allgemein als die Mittel angesehen, die man vornehmlich an-
wenden müsse, um den nöthigen Edelmetallvorrath sich zu erhalten. Als
Beispiel mag eine Stelle aus der Relation des venetianischen Gesandten
Marino de Cavalii von 1546 gelten, der von Frankreich sagt: „Xon ha
questo regno miniera alcuna, salvo che di ferro. Perö e* forzato servirsi
di Spagna e Portogallo, di oro, il quäl trae di quelli regni contratt&ndo
Spannil delle lane, non grezzo ma stampato in ducati e doble, deUe quak"
anno li scudi. £ vero, che adesso per la nuova provisione dell' imperatore
che non vuole, che si stampi piü simil danari, ma solo scudi alla valuta e
carata delli Francesi, non vi essendo guadagno, si e cominciato a sentir
mancamento di chi ne conduchi piü a tale che si jaiö far giudicio, ch'essendo
3uella sola la via che porta l'oro in Francia, biscognerä 0 sminuire U peso
elli scudi 0 crescere il prezzo di essi, perche il guadagno mova li mer-
canti a portargline." Tommaseo, Relations des ambassadeuro Vänitiens
sur les affaires de France au XVI. siecle I. S. 254.
') Ueber die Munzanderungen unter Heinrich VIII. gibt die auf folgender
Seite stehende, der Ascher'schen Uebersetzung von Tookes Geschichte der
Preise IL S. 508, 504 entnommene Tabelle Aufechluss :
*) ürk. Beil. 159.
n) So heisst es bei W. Thomas , Pilgrim 1546. ed. Froude S. 8: „Why,
said I, can ye blame him (sc. king Henry VUltb ) to take his advantage as
all other Pnnces do? See you not, that all the gold and «ilver is abased
in all the new money, that is now made any where? I suppose, he should
have been reported a very simple man to have holden up his fine money
for a bait, when other men's money decayed ; and as touching the Prinee's
gain (how weU in common 1 cannot see where, any man thereby sustaineth
any loas) 1 think he did . better to gain so upon his own money, than as
other princes do, to borrow so of their private subjects and never pay.
4) State Papersl. S. 835 fg., wo Wriothesley die Münze als den
„holy ancre" bezeichnet (5. Nov. 1545); a. a. 0. S. 873 schreibt derBath in
London an den des Königs: „thExchequer hath nothing; the Chamber my-
nistreth uttrely nothin«; soo that all resteth uppon the Mynthe aod
thAugmentacion with Mr. Coferers receipt of the contribucion^: vgl. auch
5. 830, 831, 878. X. S. 89.
6) In dem 1549 verbreiteten Vox populi vox Dei heisst es im
6. Abschnitt:
Thus mm) s the rwmer abowtt
Amowngs the holle rowtt
Thay cane nott brvng abowt
Hit hathe suche night degree
The towne it ys soo skaatt
That every man dothe wantt
And somethynke not so skarese
But even as moch to basse
Your marchant men doe saye
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— 538 —
Vertrauen; bei den fortwährenden Aenderungen der Münze
sahen die Verkäufer und noch mehr die Käufer sich fort-
während benachteiligt. Es gab eine Menge Münzen gleichen
Namens, aber mit sehr verschiedenem Feingehalt1), die Ver-
wirrung war grenzenlos; der Waarenumsatz musste geschwächt,
der Gang des gesammten Handels verlangsamt werden. Die
Preise stiegen nicht blos um den Betrag der Entwerthuns,
sondern noch höher*). Die Kaufkraft der Consumenten nahm
Thaye fynde it daye by daye
To be a matter stränge
When thay showH make excange
One thother syde of the see
They are dryven to there plee
For were oure pounde some tyme
Was better then theres by nene
Now onrs when it comythe forthe
No better then thers is worthe
Noe cor skant sooe gude
They saye so by the roode
How may the merchant man
Be able to occupye than
Except when he comes here
He seil his wäre to dyre
He needeß must have a lyvinge
()r ells fye one the wyning
This coyne by alteracyon
Hath brought this desolacon
Which is not yet all knowen
What myschiff it hathe sowen.
Thay saye wo worthe that man
That fyrst that coyne began
To put in anye heade
The mynde to such a reed
To come to such a hiere
For covites desyre.
I knowe not what it menythe
But thus thay saye and dremethe
Ve ille per quem skandalum venit.
But this wyll upe graett pene
Befor it be well agayne
Graett pene and sore
To make this as was before
Youre commons thus doe saye
Yf thay hade it thay wolde paye.
Vox populi vox Dei
0 most nobell kyng
Gonsyder well this thinge.
*) Vgl die auch für die Coursverhältnisse wichtige Urk. Beil- 161.
s) So war es schon nach der ersten Münzversduechterung der Fall.
Von Guisnes wurde an Wolsey im März 1528 geschrieben : „Great scantaes
of money and every other thing by mean, that the kings coins, which
were wont to be current, by these parties been now .... and that all
manner of victual with all other necessary things been raised in their
prices after the raate of . . . . or rat her far above; it is not possible
for the ßoldiers, who ben now in 8 d, by the day, to live so well on their
— 539 —
ab. Alles bessere Geld musste allmälig aus dem Königreiche
gehen, und trotz hoher Preise ergab sich die Erscheinung, dass
allgemeiner Geldmangel gefühlt wurde1). Alle diejenigen,
welche ein festes Nominaleinkommen bezogen und nicht in der
Lage waren, eine Steigerung desselben zu veranlassen, ver-
armten2). Die Staatscasse selbst litt3) bald am meisten
unter der verschlechterten Münze. Den Geldspeculanten ge-
hörte der Tag.
Nur einen Vortheil hatten all die vielen Störungen. Die
so abrupt vorgenommenen Aenderungen und die durch sie
hervorgerufenen Erscheinungen intensivster Art klärten die
Principien der richtigen Münzpolitik. Es ist kein Zufall, dass
kurz darauf Sir Thomas Gresham die zwei Fundamentalsätze
derselben verkündete und zum Gemeingutmachte: „Schlechtes
Geld vertreibt gutes Geld"4) und „Gutes Geld kann schlechtes
Geld nicht vertreiben", wie es auch nicht Zufall ist, dass
pay as those of 6 d by the day before the reysing of the king's coin8.u
ßrewer, Gal. IV. 4122. Was der venetianische Gesandte Soranzo 1564
schrieb, gilt auch von der Zeit Heinrichs VIII. : „Ne resterö di dire dl un
modo, che il re Enrico VIII. usö per ritrovare danari, il quäle come fu di
quasi totale rovina de) regno, cos\ portö a lui stesso infamia grandissima,
che fu l'abbassar che fece delle monete, avendole per bisogno di danaro
abbassate un quarto, e con questo mal esempio dopo la morte sua li con-
siglieri che governavano il re Edoardo le sbassarono talmente, che sebbene
del 1551 in due volte cercarono di migliorarle, perö restarono ancora molto
triste. Pur se questo danno del regno fosse ritornato in beneficio del Re,
sarebbe stato piü sopportabile ; ma essendosi li signori fra di loro accor-
dati, ne fecero stampare una grandissima quantita a beneficio loro, e non
contenti di questo, essendoli pagate le loro entrate di queste monete coai
basse, cominciarono ad alzare li affitti, da loro chiamati ferme, con in-
tenzione di alzarli tanto quanto era il danno delle monete; ma ne anco in
questo avendo ritegno le alzarono molto e molto piü, dal che ne e poi
successo che conoscendo li fermieri il mal stato nel quäle si ritrovavano
se non vendevano ancor loro le robe ad equivalenti prezzi, cominciarono
ad alzarli, ed essendo anche in loro la stessa cupidita che nelli padroni li
fecero talmente alzare, che Ja carne di bove e di vitello vaieva .... 8 in
9 la libbra, il frumento scudi 5 lo staro, e cos\ ogni altra sorte di robe ; e
se pure se ne avesse potuto avere, ancora si avrebbe potuto sopportare;
ma sebbene e per il predetto calo deUe monete e per altre provvisioni,
anco fatte per il Parlamento si sforzassero di rimediare, perö nol poterono
fare come era il bisogno, ne mai lo faranno fino a che non provvedano al
calo delle ferme". Alberi, Relazioni. Ser. I. Vol. III. S. 64, 65. Brown,
Cal. V. S. 984; sieh auch V. S. 703.
') Vgl. Starkey, England in the reign of king Henry the Eighth ed.
Cowper S. 89 und Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 27.
s) So sagtHugh Latimer in der bekannten Predigt vom 8. März 1549:
-the vicar that serueth hath but XII or X111I markes by yere, so that of
thys Pension he is not able to by him bokes, nor geue nys neyghboure
dryncke". Arbers Reprints S. 40.
*) Mit voUer Klarheit wird dieser Gedanke übrigens schon 1423 aus-
gesprochen. Rot. Pari. IV. S. 257.
*) „le entrate non suppliscono alla spesa, — parte per la mala am-
niinistrazione del danaro, che e stata usata." Soranzo 's Report von 1554.
Alberi, Relazioni. Serie I. Vol. III. S. 67.
- 540 —
gerade von ihm die Regierung mit dem ganzen Getriebe und
Wesen des Geld- und Wechselcurses bekannt gemacht und
dass von ihm diese Eenntniss zum Nutzen des Staates in um-
fangreichster Weise verwerthet wurde1).
Dem Einfluss Greshams gelang es, dass Elisabeth wieder
Ordnung im Münzwesen schaffte (1560) *). Die Erfahrungen,
welche man in Betreff der Münzpolitik Heinrichs VIII. ge-
macht, blieben für alle Zukunft ein warnendes Beispiel8).
') Ueber seine Finanzoperationen, als er Agent der englischen Re-
gierung war, vffL Burgon, Life and times of Thom. Gresham 2 Bde.
*) Unter den 5 Rathschlägen, die Gresham der Königin Elisabeth bei
ihrem Regierungsantritt gab, stellte er die Herstellung des Münzwesens an
die Spitze. Burgon, Life of Gresham I. Nr. 21 App. S. 483 fg.
*) Beispiele aus dem 17. und 18. Jahrundert gibt die Select Col-
lection of scarce and valuable tracts on money. R. Cotton z. B.
sagte in einer Rede vor dem Privy Council : „ When Henry VIII. had gained
aß much of power and glory abroad, of love and obedience at home, as
ever any, he suffered shipwreck of all on this rock. A. a. 0. S. 126.
Harris, Essay on money and coins a. a. 0. S. 502 u. 503 spricht sich
ähnlich, wenn auch allgemeiner aus.
Sechstes CapiteL
Die Creditpolitik.
Von ähnlicher Wichtigkeit als das Geldwesen ist für den
Handel der Credit. Erst wenn dieser als gewissermassen
neues Verkehrsmittel sich dem Gelde beigesellt, gewinnt der
Handel eine grössere Operationsbasis. Der Credit ermöglicht,
die Gegenleistung von Gütern auf die Zukunft zu verschieben.
Dieses Vertrauen, welches die Menschen einander gewähren,
indem sie auf die Gegenleistung zeitweilig verzichten, ist aber
lediglich ein Product der Cultur, das erst dem fohen Natur-
stande abgerungen werden muss. Die Ausbildung des Credits,
sowie der dazu erforderlichen Sitten und rechtlichen Institutionen
bedarf langer Zeit.
Entsprechend dem Charakter der von uns behandelten
Epoche werden wir deshalb ähnlich wie beim Gelde nur ersten
Versuchen, das Creditwesen zu ordnen, begegnen können. Zwei
Fragen sind es, die für uns in Betracht kommen. Wir müssen
zusehen, einerseits wie man die Gegenleistung, da sie der Zu-
kunft angehört, zu sichern suchte, andererseits wie man die
Vergütung des gewährten Credits beurtheilte und regelte.
Um das Creditobject sicher zu stellen, ist vor Allem not-
wendig, dass man leicht das zu Grunde liegende Rechtsver-
hältniss im bestimmten Falle erkennen könne. Sobald des-
halb der Handel etwas grössere Dimensionen annimmt und
das Greditbedürfniss gefühlt wird, tauchen sogleich Orga-
nisationen auf, welche das obige Ziel verfolgen. Es ist hier
besonders der sogenannten Schuldbücher zu gedenken. Schon
unter Heinrich III., also in der Periode der Kreuzzüge, sind
sie vorhanden *). Wahrscheinlich war man bei ihrer Einführung
*) Michel, Histoire du commerce k Bordeaux I. S. 85, 86; Delpit,
Collection etc. Einleitung S. XC.
— 542 —
nur Beispielen auf dem Continent gefolgt1). Am Anfang war
das Schuldbuch eine städtische und blos für Kaufleute geltende
Einrichtung. Ihre Bedeutung kann man daran ermessen, dass
Plätze, deren Handel sich mehrte, deren Behörden aber nicht
das Recht hatten, Schuldbekenntnisse entgegen zu nehmen,
sich veranlasst sahen, um diese Vergünstigung nachzusuchen-).
Eduard I. benützte und verallgemeinerte diese Organi-
sation in dem bereits früher erwähnten Statute of Acton
Burneil von 1283 3). Auf Grund dieses Gesetzes konnte der
Gläubiger seinen Schuldner vor einem königl. Secretär und
vier Zeugen zum Anerkenntniss seiner Schuld zwingen und
verlangen, dass dies Anerkenntniss in ein öffentliches Buch
eingetragen werde. War dies geschehen, und erfolgte am be-
stimmten Termin keine Zahlung, so war der Gläubiger berech-
tigt, sofort Execution der Mobilien zu beantragen. War der
Schuldner vermögenslos, so trat die Schuldhaft bezw. Execution
gegen den Bürgen ein4). Anfangs suchten die Sheriffs das
Statut durch erkünstelte Interpretationen in der Ausführung
abzuschwächen, wurden aber daran verhindert, die neue Acte
erlaubte sogar, dass, wenn der Schuldner drei Monate im Ge-
fängniss war, ohne dass der Gläubiger befriedigt wurde, der
letztere auch das Land des Schuldners in Besitz und Nutz-
niessung nehmen durfte, bis sein Guthaben gedeckt war5).
Dem Kaufmann, der creditiren musste, war somit nicht nur
Gelegenheit gegeben, seinen Rechtsanspruch ausser allen Zweifel
zu stellen, sondern zugleich eine rasche Execution zugesichert
In letzterer Hinsicht war auch wichtig die Charta mercatoria
von 1303, in der Eduard I. Institutionen schuf, welche eine
ungesäumte Rechtspflege garantirten 6).
Ganz im Einklang mit dieser dem kaufmännischen Credit
günstigen Politik und nur eine nothwendige Folge derselben
war die bald folgende Organisation der Stapelgerichtsbarkeit.
») Vgl. z. B. H. Hildebrand, Das Schuldbuch der Stadt Riga.
St. Petersburg 1872; Koppmann, Das Hamburger Schuldbuch. Ztschr.
für Hamb. Geschichte VI. S. 482 fg. ; über eine bezugliche Einrichtung in
den Genter Verkaufshallen sieh die Coutume de la viUe de Gand bei
Gheldorf, Recueil des anciennes coutumes de la Belgique S. 484.
2) So Lancaster 1432. Rot. Pari. IV. S. 415.
fl) Sieh oben S. 389.
*) Ueber die Art, wie das Gesetz zu Stande kam, vgl. Stubbs, Con-
stitutional history of England 11. S. 116.
*) Stat merc. 1285; durch die Acte 5 Ed. n. c. 33 wurde erklärt,
dass das Gesetz nur auf Kaufleute Anwendung finde. Unter Eduard III.
suchte man der zu niedrigen Einschätzung der Landgüter zu begegnen.
Rot. Pari. II. S. 210.
6) Sieh oben S. 39 1 , 392. Die Hansen hatten noch einen besondern Richter ;
Lappenberg, Stahlhof S. 20 fg. In Betreff der Schuldklagen ist auch
zu vgl. 6 Rieh. II. st. 1 c 2 (1382.) Welch hohen Werth man auf die
Behandlung der Schuldklagen nach Handelsrecht legte, darüber vgL Rot
Pari. III. S. 554.
— 543 —
Die Stapel -Mayors und ihre Beisitzer hatten in allen Schuld-
angelegenheiten oder Contracten, die das Stapel berührten,
volle Jurisdiction, und zwar war diese nach dem Merchant
Law und nicht nach dem Common Law auszuüben. Weder
die königl. Richter noch die Beamten des königl. Hauses durften
sich in diese Gerichtsbarkeit einmischen. Die vor den Stapel-
behörden abgeschlossenen, bezw. von ihnen gesiegelten Con-
tractu waren rechtsgiltig und ohne Einrede vollziehbar. So-
bald der Schuldtermin verflossen war, konnte der Stapelmayor
den Schuldner ins Gefängniss setzen und seine Waaren zur
Deckung des Gläubigers benützen. War der Schuldner nicht
an dem betreffenden Stapelplatz, dann war Vorsorge getroffen,
dass der Kanzler sofort die Schuldner, sowie sein im König-
reich befindliches Vermögen in Gewahrsam nehmen Hess und
die Befriedigung des Gläubigers sicherte1). Als man die vom
Stapelgericht verhängte Schuldhaft durch allerlei Mittel illu-
sorisch zu machen suchte, wurde auch diese Gefährdung des
Credits beseitigt2).
All diese Einrichtungen waren von grosser Tragweite, der
Handel erst durch sie möglich. Mit dem Ausgang des Mittel-
alters nahm das Creditsystem grösseren Umfang an, und es
machten sich demzufolge auch neue gesetzgeberische Bedürf-
nisse geltend. Vor Allem ergab sich die Notwendigkeit, die
Einrichtung des Schuldbuchs auch Nichtstapelkaufleuten, über-
haupt Nichtkaufleuten zugänglich zu machen. Es hatte sich
nämlich gezeigt, dass fortwährend bei den Stapel - Mayors An-
erkenntnisse zur Eintragung gelangten, bei denen entweder
der Gläubiger, oder der Stapler die Waare gar keine Beziehung
zum Stapel hatten. Cromwell ermächtigte deshalb durch ein
1532 eingebrachtes Gesetz den Chiei Justice of the King's
Bench und den Chief Justice of the Common Place und in ihrer
Abwesenheit den Stapel -Mayor zur Entgegennahme von An-
erkenntnissen solcher Leute, welche keine Stapler waren 8).
Auch hinsichtlich der nach Common Law erfolgenden
Schuldklagen wurde im Laufe der Zeit grössere Bestimmtheit
und Sicherheit angebahnt. Man war z. B. von Seite des Par-
laments streng darauf bedacht, die Einmischung des Exchequer-
Court oder der königl. Hofbeamten in Schuldklagen zu be-
schränken und fem zu halten 4); ebenso trat da, wo das Process-
verfahren ungebührliche Härten oder wesentliche Unvollkommen-
*) 27 Edw. IIL st. 2 c. 9. § 9. 10. 11. 12. 13; vgl. ausserdem 10
Hen. VI. c 1; Rot. Pari. IL S. 248, 250, 271, 352; III. S. 67, 286; IV.
S. 401.
*) 11 Hen. VI. c. 10.
8) 23 Hen. VIII. c. 6.
4) Vgl Rot. Pari. I. S. 284, 456; IL S. 189, 228, 286; IIL S. 18,
118, 141, 265 etc.
— 544 —
heiten zeigte, meist Abhilfe ein '). Ferner geschahen Schritte,
um — und das war für die nach Common Law oder Merchant
Law erfolgenden Schuldklagen gleichmässig wichtig — den
Evasionen des Schuldners zu begegnen8). Eine solche war
z. B. möglich durch einen königl. Schutzbrief, welchen der
Schuldner sich verschaffte. Immer wieder kämpfte das Parla-
ment gegen diesen Missbrauch an *). Seit dem 15. Jahrhundert
scheinen die Könige auch nur selten ihre Prärogative in diesem
Sinne benützt zu haben. Nimmt man dazu, dass frühzeitig
Vorkehrungen getroffen waren gegen Schuldner, die sich vor
der Fällung des Urtheils in betrügerischer Weise ihres Besitz-
tums zu entledigen suchten4), sowie dass seit 1414 eine Be-
freiung von der persönlichen Schuldhaft durch Bürgschafts-
leistung nicht mehr möglich war6), so sollte man meinen, filr
die Sicherheit des Credits sei vom Staate den damaligen Ver-
hältnissen entsprechend in genügender Weise gesorgt gewesen.
Das war aber doch nicht der Fall; denn es fehlte im System
nicht an Lücken; den böswilligen Hinterziehungen war nicht
vollständig gesteuert
Besonders schädlich wirkten die Asyle, in die sich Ver-
brecher und Schuldner flüchten konnten, ohne dass man sie
darin verfolgen durfte. Beamte, die dennoch in dieselben ein-
drangen, wurden excommunicirt und sonst von der Kirche ge-
straft6). Der Credit musste dadurch in der schwersten Weise
geschädigt werden, und das um so mehr, als die Zahl solcher
privilegirten Plätze durch die Bemühungen der Aebte fort-
während grösser zu werden drohte 7). Es konnte nicht aus-
bleiben, dass, als der Missbrauch zu schreiend wurde, auch
hier auf die Vorstellungen des Parlaments hin eingegriffen wurde.
Der Anfang hiezu wurde bereits unter Eduard III. gemacht.
Es war ganz gewöhnlich geworden, dass ein Schuldner mit dem
grösseren Theil seiner Habe an einen privilegirten Platz sich
begab, dann zuwartete, bis der Gläubiger durch gerichtliches
Erkenntniss auf den kleinen zurückgelassenen Rest verwiesen
war, um hernach wieder an seinen früheren Aufenthaltsort zu-
rückzukehren. Man machte natürlich einen solchen Betrug für
die Zukunft unmöglich 8). Während der Regierung Richards IL
*) Sieh z. B. Rot. Pari. II. S. 287, 357. III. S. 137, 162, 200, 270,
271. IV. S. 77, 115, 121, 382, 508.
2) Sieh auch Liber Albus ed. Riley S. 261, 262, 263.
8) Rot Pari. I. S. 286; II. S. 242, 359, 368; HL S. 23, 28, 164, 593.
*) Vgl. R o t P a r 1. II. S. 266: L i b. A 1 b. ed. Riley S. 216, 219, 220, 449.
5) Rot. Pari. IV. S. 20. Unter Heinrich VIII. worden jedoch Parla-
mentsmitglieder für die Dauer der Session von der Schuldhaft befreit.
Froude. History of England IV. S. 147 fg.
c) Vgl. Rot. Pari. III. S. 345 (1397).
7) Vgl. Rot Pari. III. S. 321, 469; sieh auch III. S. 504.
8) Rot. Pari. II. S.369 (1377). Gegen die Asyle wurde schon vorher
geklagt; vgl. Rot. Pari. II. S. 187 (1347).
— 545 —
geschah noch ein Weiteres. Der König setzte fest, dass die
Westminster Abtei nur für solche Schuldner ein Asyl bilden
solle, welche ohne eigenes Verschulden, also durch Unglück
verarmt wären und nun gegen Gefangennahme sich schützen
wollten *). Betrügerische Schuldner dagegen , welche in Asyle
geflüchtet waren, konnten durch eine in gewisser Weise zu
erfolgenden Bekanntmachung gezwungen werden, vor Gericht
zu erscheinen *). Die Hinterziehungen waren damit noch keines-
wegs beseitigt. Wenn einer seine Güter zum Schein an Freunde
verschenkte, ins Ausland sich begab und dort von den Renten
lebte, so fehlte es in England an jedem Rechtsmittel, die
Güter des Betrügers zu ergreifen; diese Frage wurde auch
keineswegs genügend gelöst; in einem ganz speciellen Fall ge-
stattete man ein Con tumacial verfahren 3), aber dasselbe wurde
nicht verallgemeinert; jeder Gläubiger, der in eine solche Lage
kam, musste also erst durch jedesmalige Petition ans Parla-
ment ein ähnliches Vorgehen erwirken. Ebenso war der Gläu-
biger in der Zeit vor Heinrich VII. ziemlich schutzlos, wenn
ein Schuldner seine Güter und sein Vieh scheinbar verschenkte
und von deren Nutzung im Asyl lebte. Im Jahre 1487 wurde
aber diese letztere Uebung beseitigt, indem man alle der-
gleichen Schenkungen für nichtig erklärte4).
Waren, wie man sieht, die Missbräuche, die mit den Asylen
zusammenhingen, nach vielen Richtungen hin eingeschränkt, ganz
verstummten die Klagen auch unter Heinrich VIH. nicht5).
Das Zeitalter Heinrichs VIII. brachte aber eine Besserung. Es
wurde nämlich die Zahl der Freistätten begrenzt und die hin-
sichtlich derselben anzuwendenden Grundsätze genau fest-
gestellt Ausser den Kirchen und Kirchhöfen wurden Wellis,
Westminster, Manchester, Northampton, Norwich, York, Derby,
Launceston zu Freistätten erklärt6). Manchester opponirte
gegen die ihm zugedachte Vergünstigung; unter Anderm
machte es geltend, dass seine Woll- und Leinentuchmanufactur
darunter leide. Die Fremden, welche bisher Leinen- und
Wollengarn und andere zum Tuchmachen nöthige Artikel nach
Manchester brachten und den Käufern creditirten, bis diese
das Garn verwoben und das Tuch verkauft hatten, zogen sich
zurück, seit das Gesindel nach Manchester gekommen war.
*) Rot Pari. IU. S. 37, 51.
*) 2 Rieh. n. st. 2 c. 8 (1379).
8)Rot. Pari. IV. S. 39 (1414).
4) 3 Hen. VII. c. 4 (1487); vgl. auch Pauli, Drei volkswirthsch. Denk-
schriften S. 35.
*) Starkey, England in the reign of king Henry the Eighth ed. Cowper.
S. 140, 141.
6) 32 Hen. VIII. c. 12 An jedem privilegirten Platz durften nur 29
der betreffenden Leute sein. Gewisse schwere Verbrecher konnten den
Schutz der Freistätte nicht in Anspruch nehmen.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 35
— 546 —
An Stelle von Manchester wurde ehester substituirl; 1). Die
definitive Beseitigung sämmtlicher Freistätten erfolgte erst im
Jahre 1624*). Aus der Zeit Heinrichs VIII. sind noch zwei
Gesetze hervorzuheben, welche Missbräuchen im Greditwesen
entgegenwirkten. Das eine ist betitelt: „Contentation of debts
upon executions" 8). Bei dem verwickelten englischen Recht
war es nicht schwer, durch verschiedene Mittel Ländereien,
welche durch gerichtliches Erkenntniss dem Gläubiger behufs
Deckung seines Guthabens zu zeitweisem Besitz übergeben
worden waren, noch vor völliger Befriedigung des letzteren
wieder zurückzuerlangen, worauf dem Gläubiger jedes Rechts-
mittel abgeschnitten war. Durch die genannte Acte wurden
Massregeln getroffen, welche der Unsitte vorbeugten. Das an-
dere Gesetz schuf eine noch gänzlich mangelnde, in Folge der
stets complicirter und grösser sich gestaltenden Verkehrs-
verhältnisse aber dringend nöthig gewordene Concursordnung.
Die öffentliche Meinung hatte eine solche sehr laut gefordert4).
Dem Parlament vom Jahre 1542 lagen zwei Entwürfe vor6).
Das Resultat der Berathungen war die Acte gegen die Ban-
kerottirer. Das Privy Council und die Präsidenten der beiden
Gerichtshöfe erhielten die Befugniss, auf eingelaufene Klage hin
mit der Person und dem Eigenthum desjenigen, der das er-
borgte Vermögen anderer Leute leichtsinnig vergeudete, nach
*) 33 Hen. VIII. c. 15.
a) 21 Jac. 1. c. 28.
8) 32 Hen. VIII. c. 5.
*) Brinklow, Complaynt of Roderyck Mors. c. 1542 ed. Cowper
S. 41 sagte: „Another thing very nedeftül to be loked vpon in this, that
whan any marchant or other, by losse of goodes, by forfune of the see,
euel seruantys, eayl detters, by iyre, or otherwyse, come to an after deale
and not able to pay bis credyte at hiß due tyme, bat by force of pouertve
is constrayned to demand longar tyme, — than ye have a parcyall lawe in
making of tachmentys, first come, first seruyd; so one or II shall be all
payd , and the rest shal haue nothyng. And comonly euer the rych shal
haue the fordeale therof bv this tachement, to the gret dammage and
oppressyon of the pore. For lyghtly the rieh haue the first knoulege of
soch thmgs. Wherfor, in that case it were a godly way to make it in
Ingland, as it is in dvuerse contryes, whan any such Chance falleth, that
than the most in nomber of the credytors and most in somme, shal bynde
the rest to doo and gyue lyke tyme as doo the most of the credytors.
And if it be duly founa that the man be so farre at after deale, that he
be not able to pay his whole credite in reasonable tyme. that than the
lawe may bynd them that euery man may haue pound An[a] pound alyke,
as farre as nis goodys will goo, leauyng him some whan as the lawe snall
thynck good. And this lawe shal be both neyhborly and godly."
*) In den Lords' Journals heisst es am 19. Febr.: 1» vice leeta est
billa for merchants that run away with other mens goods; am 20 Febr.:
sec. vice; am 21. Febr.: commisa est to mvlord chief justice ; am 24.: tertia
vice est leeta; am 27.: 3ft vice leeta est billa et commissa doctori Layton
et sollicitori domini regis ad domum communem deferenda. Am 10. Apr.:
An act for bankrupts of another 8 ort, than the bill Which before was
sent down to them. 1» vice leeta est nova billa for bankrupts; am 11. Apr.:
2& et 3a vice leeta est billa et conclusa.
— 547 —
Gutdünken zu verfahren, ein erschlichenes Vorzugsrecht ein-
zelner Gläubiger zu verhindern und Massregeln zu treffen gegen
den flüchtigen Bankerotterer, der seine Habseligkeiten ausser
Landes brachte1).
Mit diesem wichtigen Gesetz war die Grundlage für die
weitere Entwickelung auf einem Gebiete geschaffen , auf dem
die nachbarlichen continentalen Gemeinwesen, namentlich die
Niederlande *) und Hansestädte 8) bereits vorangegangen waren.
Elisabeth knüpfte im 13. Regierungsjahre an die erwähnte
Heinrichsche Acte an, liess in einem Gesetz deutlicher defi-
niren, was Bankerott sei, und schrieb genauer das Verfahren
vor, welches bis in die Neuzeit sich erhalten hat.
Mögen nun nach manchen Seiten hin zur Sicherung des
Creditobjects noch Verbesserungen möglich gewesen sein4), so-
viel zeigt unsere Skizze, dass hier die sonst so langsam sich
entwickelnde englische Gesetzgebung nicht Unbedeutendes ge-
leistet hat Dass den Bedürfnissen des Verkehre nach dieser
Seite hin billige Rechnung getragen wurde, ergibt sich auch
daraus, dass in den uns überlieferten Specialklagen der Kauf-
leute bei commerciellen Unterhandlungen selten über Rechts-
verschleppung bei Schuldklagen Beschwerde gefltthrt wurde.
Meist bezieht sich letztere auf Ansprüche wegen Beraubung
oder sonstiger Gewaltacte.
Wir gehen über zur zweiten Frage, welche von der für
den Credit zu leistenden Vergütung handelt Es ist bekannt,
welchen beherrschenden Einfluss die kanonistischen Ideen hier
übten5). Von früher Zeit an erklärte die Kirche in Ueber-
einstimmung mit den damaligen einfachen Verkehrsverhält-
*) 34 u. 35 Hen. VIII. c 4.
*) Es kommen in Betracht die Edicte Karls V. vom 7. Octob 1531,
4. Oct 1540 u. 20. Oct 1541. Vgl. Henne, Histoire du regne de Charles-
Quint en Belgique. V. 8. 349—58.
*) Statuten hierüber lagen schon aus den Jahren 1398, 1442, 1447,
1470, 1507 vor; neue wurden 1549 hinzugefugt. Sartorius, Geschichte
des bans. Bundes IL S. 705. III. S. 539; Hirsch, Danzig 8. 239. In Riga
war es um 1540 Sitte, dass derjenige, welcher mehr borgte, als er bezahlen
konnte, gleich einem Diebe gehängt wurde.
4) 1532 beschwerte man sich z. B., dass Obligationen und Wechsel,
welche auf fremdes Geld lauteten, in England nicht klagbar waren. Urk.
Beil 30. 15° die Pari. 1540 heisst es in den Lords' Journals: „Billa per
quam debita in transmarinis partibus per singraphas concessa, habilia effi-
ciuntur in hoc regno Anglie implacitari, que quidem billa jam 1» vice est
lecta et rejecta." Ob die Acte 23 Hen. VIII. c. 15, wonach bei Schuld-
klagen, in denen der Klager unterlag, dieser die Kosten tragen musste, be-
ziehungsweise gestraft wurde, ein Fortschritt oder Rückschritt war, muss
dahin gestellt bleiben.
*) Vgl. die kurze, aber treffliche Uebersicht über die Geschichte der
Wucherlehre bis* zum Ausgang des 17. Jahrh. bei Ende mann, Studien
in der romanisch - canonistischen Wirthschafts - und Rechtslehre 1874. I.
8- 9 fg.
35*
— 548 —
nissen1) und im Anschluss an das neue Testament, das die
Nächstenliebe predigt, es als eine Moralpflicht, keinen Zins für
Darlehen zu nehmen; aus dieser Moralpflicht entwickelte sich
in kürzester Frist ein den Priesterstand bindendes Disciplinar-
gebot, das dann auch auf die Laien ausgedehnt wurde. Wie
auf dem Continent die sogenannte Wucherlehre successive in
alle Poren des Verkehrsrechts eindrang, so blieb sie auch in
England nicht ohne die nachhaltigsten Wirkungen.
Frühzeitig lieh der weltliche Arm der Kirche seine Unter-
stützung. Bereits Eduard der Bekenner (1042—1066) verbot
den Wucherern den Aufenthalt im Lande und bestimmte, dass
Jeder, der des Zinsennehmens überführt werde, sein Vermögen
verlieren und für rechtlos gelten solle2). Der im 12. Jahr-
hundert reger werdende Verkehr, namentlich in den Städten,
Hess aber ein auf Vergütung basirtes Anlehen als unentbehrlich
erscheinen. Dem Bedürfniss dienten die Juden3), welche
ausserhalb des kirchlichen Gebotes standen 4) und unter Wil-
helm dem Eroberer, Heinrich I. und II. in grosser Menge in
England sich angesiedelt hatten 5). Wie in den continentalen
Staaten, so war auch ihre Rolle in England eine sehr bedeu-
tende. Unter dem persönlichen Schutz des Herrschers stehend *)
nützten die Juden ihr Monopol in grausamer Weise aus'),
mussten dafür aber den Fluch und Hass des Volkes ertragen
und schwere Schätzungen und Gonfiscationen von Seite der
Herrscher selbst erdulden 8). Grundsatz der letztern war, die
Juden so lange zu schützen, bis sie reich geworden, um dann
ihren Reichthum abzunehmen.
*) Röscher, Grundlagen der Nationalökonomie §190.
*) In den Legee Edwardi Confessoris c 82 (textus Kogeri de Hoveden)
heisst es: „Usurarios quoque defendit rex Eadwardus, ne remanerent in
regno; et si quis inde convictus faerit, quod foenus exigeret, omni sab-
stantia propria careret , et pro exlege haberetnr. Hoc autem asserebat ipse
rex, in curia regia Francorum se audisse, dum ibidem moraretur, quod
usura summa radix est omni um vitiorum.u Schmid, Die Gesetze der
Angelsachsen 1858. S. 518.
*) Vgl. auch W. Röscher. Die Stellung der Juden im Mittelalter
betrachtet vom Standpunct der allgemeinen Handelspolitik, in der Tübinger
Zeitschr. für Staatsw. 1875. S. 510.
4) Den Juden wurde unter Heinrich III. ausdrücklich der Wucher
erlaubt. Margoliouth, The history of the Jews in Great- Britain L
S. 179.
6) Margoliouth, The history of the Jews in Great-Britain I. 1851.
S. 50 te.
fl) Vgl. Stubbs, Constitutional history of England IL S. 529 fg.
7) Die Zinsenhöhe, der man begegnet, war sehr verschieden. Bei
einer Landverpfandung 1198 war sie nur 10 % (Macpherson L S. 358),
unter Heinrich III. durften die Juden etwas über 43 0/0 Zinsen nehmen.
8) Vgl. M. Paris, Historia minor ed. Madden H. S. 9, 121, 328, 496;
III. S.76, 118,292,322,334,343; Stubbs IL S. 530; - M. Margoliouth,
The history of the Jews in Great-Britain I. passim; die Summen, welche
man ihnen von 1230 — 71 abnahm, sind aufgerührt S. 237, 238.
— 549 —
Im 13. Jahrhundert wurde die Judenfrage brennend; die
Stimmung gegen ihre Erpressungen nahm einen höchst bedroh-
lichen Character an. Der katholische Clerus unterstützte die
Bewegung1). Die Regierung konnte einer Ordnung der An-
gelegenheit nicht mehr ausweichen. Die Könige konnten nicht
mehr die Judenpolitik ausschliesslich vom Standpunct ihrer
eigenen Interessen aus leiten und mit Erpressungen sich be-
gnügen, sondern sie mussten auch Schritte thun, um das wu-
cherische Treiben der Juden selbst einzuschränken. 1235 entzog
man die Unmündigen dem Wucher *). 1239 wurden die Mass-
regeln, welche Richard I. zur Erschwerung der Fälschung von
Urkunden getroffen hatte3), verbessert. Der kgl. Rath in
Verbindung mit zwei rechtschaffenen Londoner Bürgern hatte
2 Christen und 2 Juden zu wählen, welchen die Lade für die
Schuldurkunden übergeben wurde, ausserdem 2 Schreiber zu
ernennen und eidlich zu verpflichten, welche in Gegenwart des
das Geld empfangenden Christen und des das Darlehen machen-
den Juden das Schulddocument abfassen mussten. Die Ur-
kunde wurde in 3 Theile zerschnitten, den obersten erhielt
der Schuldner, den mittlem der Jude, der unterste mit dem
Wachssiegel musste spätestens 10 Tage nach der Ausstellung
in die Lade gelegt werden. Dieser Theil war auch mit einem
den Namen des Schuldners enthaltenden Siegel zu versehen.
Während des ganzen folgenden Jahres sollte kein Jude ohne
ausdrücklichen kgl. Befehl seinen Wohnort wechseln. Das
bisher ihnen gestattete Zinsmaximum durften sie nicht über-
schreiten, also ausser dem Capital nicht mehr als 2 d vom £
pro Woche (— 43Vs %) verlangen 4). 1271 fand man es be-
denklich, dass dieselben einen grossen Theil des liegenden Be-
sitzes in ihre Hände zu bringen wussten 6). Man traf dagegen
') Margoliouth, The history of the jews in Great-Britain L 8.
188 fe., 203 fe.
a) 20 Hen. III. st Morton c. 5.
*) Sieh die Capitata Judaeorum von 1194 beiHoveden, Chronica ed.
Stubbs HI. 8. 266; Margoliouth, The history of the jews in Great-
Britain I. 8. 111. fg.
*) De antiqnis legibus liber ed. Stapleton 184$ (Camden Society)
Appendix 8. 284.
ft) Die Juden veranlassten diese Reaction durch die weitgehenden
Ansprüche, die sie im Jahre 1270 gestellt hatten ; „petierunt a Domino Rege
et consilio suo; ut ipsi possent habere custodias et maritaria heredum infra
etatem existentium Christianornm, et etiam advocationes ecclesiarum, quorum
terras ipsi Judei habuerunt in seisifiam. Quod quidem per aliquos ae con-
silio Domini Regis muneribus corruptos fere concessum fuit; quod in*
telligens quidam vir religiosus de ordine fratrum minorum contra hoc
virihter se opposuit, accedens ad Dominum Regem et consilium suum, et
(liiit, quod lila petitio fuit omnino contra honorem Dei et ad mazimum
dedecus totius Christianitatis, cum Christiani deberent subjici Judeis et
per eos maritari. Dixit etiam, quod Judei multa illicita faciebant contra
honorem Dei et detrimentum totius regni, quod predictus vir coram Domino
Hege et consilio multis rationibus evidenter ostendit". A. a. 0. S. 234.
— 550 -
Vorkehrung ; in Zukunft durften sie ausser ihren Wohnhäusern
keine liegenden Güter haben1). Eduard I. verbot den Juden
dann überhaupt Wucher zu treiben. Durch gesetzlichen Handel
und durch Arbeit sollen sie, hiess es, gleich andern Unter-
thanen ihren Unterhalt verdienen 2). 1278 Hess er 293 Juden
wegen Verdachts der Münzfälschung hinrichten, im Jahre 1287
alle Juden aufgreifen und nur gegen Erlegung von 20 OOOPfiznd
Silber wieder frei; aus der Gascogne wurden sie 1288 voll-
ständig vertrieben 3). Gleichzeitig organisirte die Königin-Mutter
eine Hetze, bis denn endlich Eduard I. auf Andrängen des
Volks 1290 verkünden Hess, dass alle Juden, 16511 an der Zahl,
das Land verlassen müssten4).
Man könnte meinen, der Greditverkehr hätte unermess-
*) Das Statut war schon früher beschlossen, aber nicht publicirt wor-
den. In demselben heisst es: nnllus Judeus liberum tenementum habeat
in maneriis, terris tenementis, feodis, redditibußj vel tenuris quibuscum-
que per cartam, donum, feofamentum, confirmationem , seu quamcumque
Obligationen), vel quocumque alio modo ; ita tarnen quod domos suas, quas
ipsimet inhabitant in civitatibuö, burgis seu allis villis inhabitent de cetero
et eas habeant sicut habere consueverunt temporibus retroactis, et etiam
alias domos suas, quas locandas haben t, licite locare possin t Judeis tantum
et non Christianis : ita tarnen quod non liceat Judeos nostros Londoniarum
plures domos quam nunc habent emere, sive quocumque alio modo Der-
quirere in civitate nostra Londoniarum, per quod ecclesie parochiales ejusaem
civitatis vel rectores earumdem jacturam incurant. — De terris autem et
tenuris, de quibus Judei ante presens statutum feofati fuerunt, volumos
quod huioßmodi infeodationes et dona penitus adnullentur, et terre et tene-
menta ifla Christianis, qui sibi ea dimiserint, remaneant; ita tarnen quod
Christiani satisfaciant ipsis Judeis de pecunia seu catallo contento in cartis
et cyrographis suis sine usura, quod Judei pro hujus dono vel infeodatione
dederint Christianis. Hac etiam adjecta conditione, ut si Christiani Uli hv
continenter inde satisfacere non possint, liceat Judeis predicta tenementa
illa aliis dimittere, donec inde per rationabilem extentam secundum verum
valorem eorumdem catalla sua sine usura levari possint, salvo tarnen Chris-
tianis Ulis herbegagio suo, ita quod Judeus pecuniam suam seu catallum
suum per manus Christianorum et non Judeorum inde recipiat, ut predictum
est." etc. A. a. 0. S. 285, 236. Als Motive zu diesem Statut werden
erwähnt: Ohne dieses Vorgehen würde der Fall eintreten, „quod fideles in-
fidelibus, ratione talium tenementorum de fidelitate sibi facienda sacra-
mentum corporale prestarent. Insuper fideles infidelibus, tamquam suis
dominis, homagia facerent, et similiter fidelibus infideles. Ad ecclesias
ratione tenementorum Judei etiam presentarent; custodie, maritagia et es-
kaete ad manus infidelium pervenerent. In assisis et recognitiooibus et
juratis ratione tenementorum frequentius ponerentur, et Judei equiparentur
fidelibus quoad placita. Esset quoque ex regni Christianis eadem et Judeis,
?uod est contra sacrosanctas Christiane religionis et nostre sanctiones.
ossent etiam mediante pecunia situs et liberum tenementum, ita etiam ba-
ronias, que de Domino Rege immediate tenentur, futuris temporibus occu-
pare. A. a. 0. S. 234, 235.
») Statutes of iewry im Statutenbuch I. S. 221 fg.
s) M. Margoliouth, The history of the jews in Great-Brit&in I.
S. 263 fg.: R. Pauli, Geschichte Englands IV. S. 32 fg. üeber die con-
stitutionelle Bedeutung des Schrittes sieh Stubbs II. S. 531.
*) Vgl. unser Cap. 2 des Absehn. I-, ferner Peruzzi, Storia del
commercio e dei banchieri di Firenze S. 134 fg. S. 167 fg.
— 551 —
lieh unter dieser plötzlichen Verbannung der Juden leiden
müssen. Dies war aber keineswegs der Fall. Seit den Tagen
Richards I. *) hatten die italienischen Kauf leute und Banquiers
begonnen , in England sich einzunisten und schon unter Jo-
hann und Heinrich III. Verwendung zum Einsammeln der
Zölle und Steuern gefunden und als Gelddarleiher gedient2).
In Folge der vielen continentalen Beziehungen der Italiener
erfüllten sie bei der wachsenden Ausbreitung des internationalen
Handels das Greditbedürfhiss weit besser als die Juden, um
so mehr, als sie doch im grossen Durchschnitt mit massigeren
Gewinnen sich begnügten und auch begnügen konnten als jene.
Immerhin fehlte es auch bei ihnen nicht an Hartherzigkeit,
und bereits Heinrich III. verbot seinen Unterthanen von frem-
den Kauf leuten Geld zu leihen 3). Wie stark sie es gelegent-
lich trieben, dafür mag das eine Beispiel genügen-, dass die
Florentiner im Jahre 1278 für ein Darlehen von 300 Mark von
der Abtei Bordesley sich 42 Sack Wolle ausbedangen. Die
Mönche berechneten den Werth der letztem auf 378 Mark und
wollten nur 12 Sack liefern, die Florentiner beharrten aber
auf der Erfüllung des Vertrags, weshalb dieser Wucherfall vor
das Parlament gebracht wurde4). Es gab darum Stimmen
genug, welche nicht blos die Vertreibung der Juden, sondern
auch die der Lombarden wünschten 5). Kein Zweifel, die italie-
nischen Wechsler traten das Erbe der Juden, den Gewinn
wie den Hass derselben an.
Doch, wird man fragen, schritt denn die Kirche nicht wie
*) Walsingham, Cronica et Annales ed Riley S. 116.
*) So glaubt Stubbs. Math. Paris freilich datirt ihren Einzug erst
von 1235 an. „Per idem tempus ex partibus ultramarinis venerunt Lon-
donias quidam ignoti, qui se esse domini papae mercatores vel scambiatores
asserebant, cum tarnen manifesti existerent usurarii. Quorum usurae duri-
ores erant conditionis quam Judaeorum. Ist! autem maxime religiosos suis
debitis studuerunt illaqueare, quia illos literis papalibus pro voluntate im-
petratis poterant exagitare. Episcopus vero Londoniensis .... literatus
et sanetus, cum intellexisset hos dictos Caursinos .... frequentare et in-
sontes cives Londonienses, talis pestis penitus ignaros, intoxicare et multös
sed maxime praelatos et religiosos fatigare iratus et ... . illos tanquam
scismaticos, famam papae non medioenter denigrantes, ab urbe decrevit
excommunicatoB longius amovere, ut sie saltem poenitentiam agerent de
commissis. At ipsi Caursini tumentes, et de suis peeuniis, quibus abun-
dabant, confidentes .... Romana literas pro voluntate impetrarunt cita-
torias, ut . . . valitudinarius , citaretur . . . Caursinis, familiaribus soeiis,
ut . . . pariturus. Episcopus vero . . . tumultum, illum paeifice ac pru-
denter sedavit suscitatum. Et haec .... dissimulatione, quia senuit, per-
transiens .... mercatores vel cambiatores esse cum jaetantia profitentes,
consuetum quaestum, foenora cum poenis adjunetis et variis exaetionibus,
impune et sine contradictionis repagulis exercuerunt. Et sie inter Christi-
anos usura, auae in utroque Testamento detestabilis habebatur, proh dolor,
suscitatur reaiviva." Historia minor ed. Madden III. 272.
^ Rot Pari. 29 Hen. III. m. 6.
') Rot. Pari. I. S. 1.
6) Sieh oben S. 389, 390.
- 552 -
anderwärts selbständig gegen den Wucher ein? Allerdings
hielt die Kirche am Wucherverbote fest und Ende des 13. and
im Anfang des 14. Jahrhunderts begann erst eigentlich die
wissenschaftliche Deduction, die canonistische Lehre, die Wahr-
heit des Wucherverbots darzuthun und auszubreiten1). Das
Dogma gerieth aber in immer stärkern Widerspruch mit dem
einen bezahlten Credit erfordernden Verkehr. -Immer neue
Wege wurden ausgesonnen, um in irgend einer Form das Ver-
bot zu umgehen. Die Darstellung dieser Mittel liegt ausser
unserer Aufgabe. Aber sicher ist, dass die italienischen Camp-
soren den nicht geringsten Antheil an der Lösung der Aufgabe
hatten2). Aus dem sogenannten Handwechsel entwickelten
sie in Anlehnung an die Handelsbedürfnisse den Anweisungs-
und Wechselverkehr, also die Zahlung nach andern Orten hin;
derselbe bot Gelegenheit, Gewinne unter verschiedener Be-
gründung zu machen. Nichts lag näher, als auch Darleihen
unter dieser Form zu geben und zu nehmen. Das musste in
England noch besonders der Fall sein, da die Münzausfuhr-
verbote zum Wechselverkehr hindrängten.
Dazu kam noch ein Weiteres. Mehr als irgendwo reagirte
man in England gegen die geistliche Gerichtsbarkeit Unter
Heinrich III. und Eduard I. wurde sie wesentlich einge-
schränkt3). Die Laien wiesen wiederholt das Eingreifen %der
geistlichen Gerichte, namentlich der bestechlichen päbstlichen
Beamten 4) bei Schuldklagen zurück. Die Competenzfrage aber
war, wie es scheint, hier nicht ganz klar geordnet. Im Jahre
1341 beschwerte sich die Geistlichkeit darüber, dass die kgl.
Richter sich die Jurisdiction über den Wucher aneigneten.
Die Entscheidung des Königs war präcise und deutlich. Er
') W. Endemann, Stadien in der romanisch-canonistischen Wirth-
schafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts.
1874. I. S. 16 fg.
*) Endemann a. a. 0. S. 102 fg.
8) Stubbs, Constitutional history of England HL S. 346, 347.
4) So hiess es in einer Petition des Parlaments Ton 1306 : „Enaement,
par la ou un homme est oblirie a an aatre en dette, et les creannceoun
▼eigne as ditz clercs l'apostoill et les promette la moite ou plus ou mejrns
de la dite dette, pur lui faire avoir le remenant, meismes le clercs mein-
tenaunt fount somondre et destreyndre le dettur a responder devant eux
de cele dette, en apert desheritezon du roy et de sa coroune. Et d'aotre
part, par la ou un nome du dit roialme se oblige a une aatre en un certain
jour, et 8'il ne face, qu'il soit tenuz en X IL ou en une autre some, d'aToir
a paer au primer passage de gentz d'armez en la terre seinte. les ditz
clercs l'oppostoill fönt enquere parmi tut le roialme des tieles obiigatiouns
faites avant ces houres, dont les paies ne sont mie faites as jours contenux,
tut eient les detturs fait gre a lour creaunceours ou par jugement de la
court le roy, a qi les conussaunces des tieles obligacions appendent, eient
les dette« ensemblement oue les damages a lour creaunceours rendutz, ia
le meynß il destreynent les dettours pur l'avoir, issint a la terre seinte oblige
al oeps l'appostoiU liverer". Rot Pari. I. S. 220.
- 553 —
behielt sich die Bestrafung bei gestorbenen Wucherern vor1),
die Gerichtsbarkeit über die lebenden dagegen erkannte er
der Geistlichkeit zu und zwar deswegen, „weil sie die lebenden
Wucherer zu zwingen hätte, die Wuchergelder zurückzuer-
statten, da anders eine Besserung ihrer Seelen unmöglich sei" *).
Da aber Eduard I. sämmtliche Statuten dieses Parlaments
noch im selben Jahre, in welchem sie erlassen worden waren,
wieder zurücknahm3), blieb den kgl. Richtern nach wie vor
Befagniss, lebende Wucherer zu bestrafen. Die geistliche Ge-
richtsbarkeit ging wohl selbständig nebenher. Eine neue Be-
schwerde im Parlamente 4), wonach die Geistlichen die Schuld-
klagen fortwährend unter dem Vorwand der fidei laesio vor
ihr Forum zögen, wurde vom König mit Verweisung auf das
Common Law abgefertigt5).
An einem ernsten Vorgehen gegen den Wucher oder das
Zinsennehmen fehlte es gänzlich. Die Fremden, namentlich
Italiener, konnten in ungestörtester Weise ihren Creditgeschäften
obliegen.
Da ergriff die Stadt London die Initiative und schritt
gegen den Wucher ein. Wahrscheinlich war die Abneigung der
Bürger gegen die Italiener das Hauptmotiv des Eingreifens.
Der Mayor John Notte erliess 1364 eine Ordonnanz, welche
dem Wucher und der Erpressung in London und seinen Vor-
städten steuern sollte 6). Der König wurde dadurch aufmerksam
gemacht und, sei es dass ihm jetzt an den Italienern nichts
mehr gelegen war oder dass er sich in seinem Gewissen be-
schwert fühlte, er beglückwünschte die Stadt zu ihrem rühmens-
werthen Bestreben, bat sie nicht zu dulden, dass die Makler
wucherischem Handel zustimmten, befahl feiner 2 Aldermen
und 4 Bürger zur Entscheidung aller vorkommenden Fälle zu
wählen und fügte noch eine eigene Proclamation bei, in welcher
er namentlich gegen den unter dem Scheine gesetzlichen Han-
dels ausgeübten Wucher zu Felde zog. Die Ordonnanz er-
streckte sich auf Einheimische und Fremde in der Stadt7).
Gleichzeitig verbot Edutyrd III. das Geldverleihen gegen Zins
in Galais8). Eine neue Proclamation des folgenden Jahres
zeigt deutlich, dass es sich hauptsächlich um die von den
') Sieh auch Horeden, Cronica III. S. 264; IV. S. 62; Liber
Custumarum ed. Riley I. 8. 849.
8) Rot. Pari. H. S. 129, 130; 15 Ed. III. st 1. c. 5.
•) Rot. Pari. II. S. 139; Stubbs IL S. 391; auch 892 Nr. 3.
*) Darin ist auch gesagt, dass ein früheres Statut bestimme, „qe nul
court cristiene deit aver Jurisdiction ne conisance dees pleez ne de contractz
touchant al corone nostre seigneur le roi ne a ses courtz" Rot Pari. II.
8. 319 (1373).
s) -La commune loy sert". A. a. 0.
6)LiberAlbus ed. Riley 1859. I. S. 399 im Eingang der Urkunde
„Declaratio Usuraeu.
*) Liber Albus ed Rüey 1859. I. S. 367—71.
») 22. Febr. 1364. Rymer Rec. Ed. III. P. IL S. 724.
— 554 —
Fremden gemachten Gewinne bei den Wechseln handelte1).
Die Londoner Behörden sollten genaue Nachforschungen an-
stellen, wer, gleichviel welcher Nation er angehöre, solche
Wechsel mache, fQr wen, aus welchem Grunde, in welcher
Weise, auch feststellen, auf welches Land, welche Stadt oder
welchen Platz solche Wechsel gezogen würden. Kaufleute,
welche des Wechselziehens verdächtig seien, sollten bei Verlust
ihres Lebens und Eigenthums ohne kgl. Licenz nur mit einem
allgemein bekannten Kaufmann Wechselverkehr unterhalten.
Der Letztere durfte sich nur auf Waaren und Dinge gründen,
die gesetzlich gehandelt werden konnten und importirt oder
exportirt wurden 2).
In der Stadt London, wo natürlich der sogenannte Wucher
am meisten blühte, waren auf diese Weise Mittel geschaffen,
durch welche derselbe zwar sicher nicht verhindert wurde,
die aber doch dem Ausbeutungssystem der Italiener einige
lächranken setzten. Ausserhalb der Hauptstadt fehlte es an
solchen Vorkehrungen. Im Jahre 1376 wünschten die Ge-
meinen des platten Landes, dass man die Londoner Wucher-
bestimmungen nach einer von dem kgl. Rath und dem Bischof
des Landes vorgenommenen Berathung mit passenden Modiß-
cationen auf das ganze Königreich ausdehne. Eine Masse Leute
(prosdes hommes) war nach den Ausführungen der Petenten
durch die Wucherer in Armuth gerathen, die Tugend der
') „Nous 8umes continuelment presses par diverses pleintz des grann-
dez et comunes de nostre roialme stur ceo qe plusours marchauntz et
autres demnrantz en nostre citee de Londres colourement et subtüment
ont feit et fönt de jour en autre diverses eschaunges de moneye et d'autres
choses qe ne tonchent fait de loial marchandie." L ib. Alb. ed. Riley S.371.
*) „Facez diligeaumentet du temps en temps enquerir de tili eschanges
et dez persones qont fait et ferront en apres semblables , soient ils Lmn-
bardez, Frauncis, Engleis ou dautre nacioun ou condicioun qeconques; et
pur qi et pur quele cause, coment et quele manere et devers quelle ville
pais, ou Heu, tielx eschaunges ontpasseez oupasseront enavaunt; et quanqes
vou8 poiez ent trover par tielx enquestez ou par autres enfonnaceons crei-
ablea etc. — Et oultre ceo, facez appeller «pardevaunt vous touz les mar-
chauntz et autres singulers persones qi fönt et qi vous pensez vraisemble-
ment ou avez en suspecioun qont fait ou ferront, ascuns eschaungez deüiz
nostre dite citee et par touz voz poairs ; et les facez jurer sur lez Seintz
Evangeles Dieu et les chargez de par nouß, sur peyne de forfeire corps et
biens, qils saunz nostre counge especiale, par lettres desouz nostre Secre
Seal ne facent, ne nesoeffrent estre feite, ascune eschaunge ove nulle per-
sone autre qe loial et conu marchaunt, ne pur nully pereone, ßinon tut
soulement pur loial marchaunt conu, et par cause de loial marchaundie
et des chosez marchandables, ieeantz de nostre roialme ou amesnez en ycelle,
saunz favour, conforter, eider ou sustenir, de souz lombre ou colour de
eux, ascuns autre de quele condicioun qils soient pur faire ascun empört
ou paiement hors de nostre dite roialme, en deceyt fraude, ou defesance,
de leffette et tenure del lordinance ent fait Et ceste chose facez si due-
ment et dilegealment garder et mettre en execurcioun, qe fraude ny soit fait
§army qeconqes eschaunges ne eschaungeours contre leffette ne entencioun
e nostre present mandement" etc. A. a. 0. S. 372, 873.
— 555 -
Nächstenliebe ganz verschwunden. Die Gemeinen beanspruchten
auch für die Behörden sämmüicher Städte die gleiche Juris-
diction, wie sie London besass. Eduard III. ging auf diese
Vorschläge nicht ein, sondern wollte das bisherige Recht er-
halten wissen1). Ebenso wies er das abermals gestellte Ver-
langen der Gemeinen, alle Lombarden zu vertreiben, welche sich
ausschliesslich mit der Maklerei abgäben, zurück. Er stellte
nur in Aussicht, dass er den Charten Londons entsprechend
den Fremden die Ausübung des Maklergeschäfts verbieten
werde *).
Mehr Glück hatte das Parlament beim König mit dem
Antrag der Bestrafung zweier Hauptwucherer, in deren Hände
Eduard IU. in seinen finanziellen Nöthen gefallen war. Rieh.
Lyons und Latimer hatten dem König 20 000 M. geliehen,
aber 30 000 M. sich zurückzahlen lassen 3). Das Wucherverbot
war überhaupt eine bequeme Handhabe für den König, um sich
von lästigen Schuldverbindlichkeiten zu befreien, aber es ver-
sagte in kürzester Zeit seinen Dienst, indem es der Regierung
die Möglichkeit der Greditbenutzung ausserordentlich er-
schwerte.
Das sollte sich besonders 1382 zeigen. Nicht lange vorher
hatten verschiedene Kaufleute, namentlich der später zum
Kanzler beförderte W. de la Pole, J. Wesenham, J. Malewyn,
W. Chiryton dem König Richard IL Darlehen gemacht. Da
sie sich aber eine Vergütung (un poy de gayn) hatten geben
lassen, so wurden sie darob verfolgt und einige zu Grunde
gerichtet. Man begreift, dass die Kaufleute angesichts dieses
Beispiels sich weigerten, abermals 60 000 £ der Regierung zu
borgen, wie man es 1382 wünschte. Wenn die Magnaten,
war ihre Antwort, Etwas ohne Gewinn leihen wollten, so wür-
den sie gegen Sicherheit dasselbe thun; aber auf sogenannte
„chevances" Hessen sie sich durchaus nicht ein. Richard II.
musste in der That auf ein Anlehen verzichten, und auf die
Zolleinnahmen sich vertrösten, die er dadurch zu erhöhen
suchte, dass er allen Fremden die beste Aufnahme zusicherte
und die Ausfuhr von Stapelartikeln allen gestattete4).
Aus dem Auftreten der Kaufleute sieht man, wie ganz
allgemein der Zinsbezug geworden war. In London wurde es
immer schwieriger, die früheren Ordonnanzen durchzuführen.
Die Mayors Hessen sie ausser Uebung kommen. Ihre Executive
wurde ihnen auch fortwährend durch den Einspruch des geist-
lichen Gerichts verkümmert. Im Parlament verlangte man Be-
stätigung der städtischen Wucherverordnungen und ausdrück-
liche Verpflichtung des jeweiligen Bürgermeisters zur Einhaltung
*) „Y courge la loy ancienement usee". Rot. Pari. IL S. 850.
*) Rot. Pari. IL S. 332 (1376). Sieh auch Lib. Alb. S. 315, 686.
■) Rot. Pari. IL S. 324 (1376). Stubbs IL S. 430.
4) Rot Pari. III. S. 122 fg.
— 556 —
derselben. Der König aber gab eine sehr zweideutige Ant-
wort. Der Jurisdiction der Kirche solle in keiner Weise prä-
judicirt werden. Im Uebrigen l), meint er, genüge das Common
Law mit den guten Coutumes der Stadt9).
* Im Jahre 1390 machten die Gemeinen einen neuen Ver-
such. Indem sie über das Umsichgreifen des Wuchere bei
Geistlichen und Weltlichen klagten, baten sie ein Statut vom
25. Regierungsjahre Eduards III. und die von dem Bürger-
meister Not mit Zustimmung des letztgenannten Königs für
London erlassenen Bestimmungen wieder in Kraft zu setzen,
die letzteren auf alle Städte auszudehnen, insbesondere aber
unter strenger Strafe zu befehlen, dass kein Geistlicher die
Bestrafung des verabscheuungswürdigen Lasters verzögere und
durch seine Jurisdiction störe, solange als der Schuldige lebe.
Der König versprach, von den betreffenden Statuten Einsicht
nehmen und sie bestätigen zu wollen, wenn sie gut seien3).
Ob das letztere geschah, wissen wir nicht. Dagegen liegt uns
eine neue Ordonnanz der Stadt London vom 12. Mai desselben
Jahres vor, worin der Versuch gemacht wird, der schwierigen
Frage, was eigentlich Wucher (usure et chevissance illicite)
und deshalb strafbar sei, Herr zu werden4). In den Defi-
nitionen spielt nun der Wechsel, ganz im Gegensatz zu den
früheren Verordnungen, so gut wie keine Rolle; es erklärt
sich dies daraus, dass man den auf Waaren sich gründenden
Wechsel nur in Ausnahmefällen unter die Wuchergeschäfte
stellte und der auf Geldexport beruhende durch die Gesetze
Richards II., wie wir früher sahen, schon verboten oder unter
Controle gestellt war.
Auch mit dieser Neuregelung reichte man nicht durch.
Aus einer Petition ans Parlament vom Jahre 1403/4 muss man
schliessen, dass es namentlich nicht gelang, den fremden Geld-
maklern beizukommen. Sie wussten immer neue subtile For-
men zu finden, um das Gesetz zu umgehen, und so konnten
sie Geistliche und Weltliche, wie es heisst, immer von Neuem
*) Wenn nämlich Jemand . in der Stadt Schaden geschieht npar Toie
d'accompte nient renduz, trespas, extoraion, oppreasion, fauxetez, aeeeite*.
»)TUt Pari. m. S. 142, 148 (1382).
8) Rot. Pari. 111. S. 280, 281.
4) Wucher soll vorhanden sein: „Cest assavoir si ascum apreste ou
mette en mavns dascuny or ou argent, pur gaigne eut recevire ou promys
en certeigne sanz aventure, eit la punissement pur usurera en la dite ordi-
nance compris. Et si ascun home, deinzein ou f er ein, vende aacun mar-
chandise et le reteigne devers luy, ou meintenant sur la vente rechate
mesme la marchandise, a perde del achatour, dicelle eit la punissement.
Et si ascuns companons en marchandise, par covyngne avaunt fait, vendeat
marchandisez a cnevisance et lande eux vende mesmes les marchandises et
un de eux meintenant sur la vente lez achate de cellui qest chevyase, pur
meindre pris qils ne furent jprimerement venduz, eient mesme la punisse-
ment." Liber Albus ed. Kiley 1859 I. S. 399.
- 557 —
um Hab und Gut bringen. Man wünschte, dass Niemand in
Zukunft sich als ein Geldmakler (brokour de usure) etablire.
Der König lehnte aber eine Einmischung ab. Diese Angelegen-
heit, lautete seine Antwort, soll behandelt werden nach dem
Gesetz der heiligen Kirche, solange solche Wucherer leben1)-
Auch die Thätigkeit des Londoner Magistrats wurde lahm ge-
legt. Im Jahre 1421 zog der königl. Rath die Londoner Stadt-
behörde zur Verantwortung, weil sie sich die Bestrafung des
Wuchers anmasse und Strafgelder einziehe. Diese berief sich
auf den Eduardschen Erlass vom Jahre 1364 und auf ihre
„potestas condendi leges de novo." Es wurde in Folge dessen
bis auf Weiteres ihr die Nachforschung und Festnahme der
Wucherer gestattet, aber nicht auch das Recht zuerkannt,
Urtheil zu fällen und Strafgelder zu erheben2). Damit war
dem Magistrat der Impuls genommen, gegen den Wucher ein-
zuschreiten. Der Schwerpunkt der Handhabung des Zinsverbots
lag wieder bei der Kirche8).
Die kanonistische Lehre hatte sich inzwischen genöthigt
gesehen, dem gestiegenen Creditverkehr manche Concessionen
zu machen; namentlich galt dies hinsichtlich der Wechsel; die
Scholastik suchte und fand Beweise, um die in dieser Form
bezogenen Zinsen zu rechtfertigen. Der Wechsel war denn
auch das wichtigste Greditinstrument, dessen sich die italieni-
schen Kaufleute im englischen Verkehr bedienten. Baar-
zahlung war bei ihnen eine Ausnahme4). Die Summen für
Wolle, Zinn, Tuch und andere englische Artikel, die sie nach
Italien exportirten, wurden erst, nachdem in Italien der Ver-
kauf effectuirt war, bezahlt und zwar durch Wechsel, die man
in Flandern von Landsleuten sich ausstellen liess. Andere
kauften Wolle in Calais auf Credit, brachten sie nach Brügge,
schlugen sie dort um billigen Preis los und wucherten mit dem
*) Rot Pari. III. S. 541.
*) Nicolas, Proceedings etc. II. S. 289.
8) Vgl. auch Rot Pari. IV. S. 20 (1414).
4) In einer Petition von 1437 heisst es : „suche Lombardes and straun-
gers beyng in yis land, at Vaire commyng nrst into yis roialme, bringe
with hem lytel goode or noght; and within short tvme after, yai byen no-
table BubBtance of gode to apprest and to long dayes to content for ve
same with merchandise at ye same dayes. And yef ye merchandi6e faule
and come not at ye dayes, yan yai take newe dayes, muche lenger yan Ve
first daies were to paie for ye same gode redy money; thurgh whicne
apprestes yai have been and yet beth daily gretly enriched, yair merchaun-
diä* double avanced and encressed, and ye pris of ye commoditos of yis
roialme gretly abated and broght doune, and many man of yis roialme by
vaire nonpaiement undoone: and ye more quantitee of merchandis' yai
bringe into yis roialme, ye aarrer it is, ye more yai byen ageyne ot mer-
chandise of yis roialme, ye better chepe ye make it: The which but yef it
be remedied in short tyme, wille be distruction of ye merchandis' of vis
roialme and grete hurt to ye commen wele of ye same." Rot Pari. IV.
S. 509.
— 558 —
Gelderlös so *), dass sie nicht nur. nach einem gewissen Termifl
den Kaufpreis zahlen konnten, sondern sie hatten inzwischen
von den gemachten Gewinnen auch gelebt*). Wohl waren
Verluste der Engländer hiebei keine Seltenheit8), man verbot
zeitweilig , den Fremden zu creditiren 4), man verdammte ihre
ungeheueren Vortheile und Spesen an den Wechseln als
Wucher6), aber der schliessliche Effect war, dass die Eng-
länder mehr und mehr mit der Creditwirthschaft sich vertraut
machten und auch ihrerseits den Handel auf Credit gründeten
Unter Heinrich VI. nnd Eduard IV. war der ganze Ver-
kehr mit den Niederlanden6) auf dem Credit aufgebaut
Stapler und Merchant adventurers zogen beständig auf ein-
ander Wechsel7), es konnten auch weniger reiche Kaufleute
sich an den Geschäften dieser Corporationen betheiligen8),
während die Grosskauf leute mehr und mehr sich mit der Ver-
mittlung der Geld- und Creditgeschäfte in den Niederlanden
abgaben ö).
l) Vgl. auch Brown, Cal. I. [447. Der venetianische Senat erfahr,
dass venetianische Kauf leute viele vortheilhafte Wechselgeschäfte von Lon-
don nach Brügge und umgekehrt machten, und wollte diese deshalb besteuern.
(26. Sept. 1475).
*) Vgl. den Libell of Engl. Pol. Vers 484 fg. und 396 fg.; Bot
Pari. IV. S. 360 (1429); 450 (1433); 509 (1437).
*) Sieh Rot Pari. IV. S.509 (1487) und 14/15 Hen.Vm. c. 1(1528).
Ein Beispiel aus früherer Zeit liefert eine Beschwerde der Stadt Lincoln
gegen die Lombarden. Rot Pari. IL S. 350 (50 Ed. III. 1376).
*) Sieh oben S. 407, 408; nach einer Acte von 1523 sollten die
Fremden die gekauften Tücher entweder baar oder spätestens in einem
Monat zahlen; 14/15 Hen. VIII. c. 1.
*) Soll Englands Kaufmann sich damit begnügen
Und sich in solche Wechselkünste fügen,
Wie von Venedig und Florenz die Leute
Sie treiben, die mit ihrem Gold als Beute
Zurück nach Flandern wieder sich begeben
Und dort zu Land wie hier in London leben?
Und uns durch ihres Wechselspieles Schlingen
Das Wucher ist, Verlust und Schaden bringen?
Libell of Engl. Pol Vers 427 fg.; ein Beispiel ihrer Spesen sieh
Vers 415 fg.
6) Bald darauf auch mit den Hanseaten. Pauli, Drei volkswirthsch.
Denkschr. S. 35.
7) Vgl. Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 18, 20.
•) A. a. O. S. 33, 35.
A. a. 0. S. 34. „Than began old merchaunts to forsake occupieng
of clothes to occupie ther money by exchaunge, which is not only pleyn
usary, but also it hath and yitt doth helpe to distroye the welth of the
kyng of his lords and comons, for that occupieng hynderith die reame
bothe weys owtward and inward. — —
In such wise rieh old merchaunts, many men seeng the price of clothe
and the daunger and trouble of byeng stränge merchaundiBes is so casuall
for a more ease and lesse labour, they thus occupie ther money by ex-
chaunge, wynnyng profite bothe in ward and owtward, which is pleyne
usary" etc.
— 559 —
Die Creditvergütung war ganz allgemein, als Heinrich VII.
den Thron bestieg. Auch dieser König war keineswegs mit
der vor sich gehenden Umwandlung zufrieden. Der Wucher,
das Zinsennehmen in seinen verschiedenenen Formen hielt er
für verderblich, nicht aber etwa aus religiösen Motiven, son-
dern aus wirthschaftlichen Gründen. In dem bekannten Wirth-
schaftsprogramm von 1487 liess er das Parlament durch Morton
auf die Schädlichkeit des Wuchers aufmerksam machen 1). Die
Möglichkeit des Zinses entziehe dem Handel und Gewerbe das
Capital; alle diejenigen, welche jetzt von Geldgeschäften lebten,
würden es dem Handel und Gewerbe zuwenden2). In der
That Hess er dem Parlament zwei Gesetzentwürfe vorlegen,
deren Zweck war, den Wucher aus der Welt zu schaffen.
Beide erhielten die Zustimmung des Parlaments. In dem
einen, „an act against usury and unlawful bargaynes", wurde
das Zinsnehmen unter den verschiedenen in Uebung befind-
lichen Formen verboten8), und da, wie es heisst, der Sitz des
Wuchers hauptsächlich in den Städten war, welche ihre eigene
Gerichtsbarkeit hatten, so sollten der Kanzler von England
*) Sieh Gap. 4 des Abschn. IL S. 469, 470.
*) Aeholich ungünstig beurtheilte man in den Niederlanden das Geld-
leihgeschaft. Henne, Regne de Charles-Quint en Belgiqae V. 8. 380.
*) 3 Hen. VII. c. 6. Der Wortlaut der Acte ist folgender: „For
so moch as ys ymportable damages losses and enpoveryssliyng of this
realme ys had by dampnable bargayns groundyt in usurye, colorde by
the name of newe chevesaunce, contrarie to the lawe of naturell justis
to the comen hurt of this land and to the greate displesur of God:
the kyng for the reformacion therof and of all corrnpt and unlefull
bargaynes, by the assent of the Lordes spirituell and temporell and the
Comens in this present parlyament assembled and by the auctorite of the
same ordyneth and enacteth, that, yff herafter eny bargayne covenaund
by bying of eny obligacion or bill or by eny pleg put for suertie or by
bill or otherwise, by the name of drye exchaunge or otherwyse wherby
eny certeyn somme shali be lost by eny covenaund or promys betwyx eny
peroone or persones by theym seife or eny other to their knowleg within
this realme or of eny bargayne or lone wherby eny of the partes shaU
lose or paye for eny somme certen that ys to sey havyng C li in money
or in mercnandys or otherwyse and therfor to pay or to fynd suertie to
pay 120 li or more or lesse in and for eny more or lesse somme after eny
manner rate, that all such bargeyns covenaundes promys and suertes therfor
made and all thyng therof dependyng, be utterly voide and of none effecte.
And over this that yt be ordyned by the same auctorite, that yff eny
merchaundyses oblygacions billes or plate be premysed to be delyverea
uppon such corrnpt bargayns and never delyvered, or delyvered and had
agevn to hym, that ou&ht such merchaundises obligacions billes or plate
or knoweth by env other man by assent agrement knowleg in eny maner
forme of hym or nis factour or broker that such merchaundises ought and
ar preve to suche bargayns, that all such bargayns covenaundes premysses
and all suerties therfor made be utterly voide; and seller and owner bar-
gayner or promyser of such corrupte bargayns Or goodis lease for every
such bargayne made by hym or hys factour C li and who so ever will sue
therfor to have an accion of dette, in which the party shall not wage hys
lawe, the kyng to have the one hälfe and he that will sue the oder halte.
— 560 —
und die Friedensrichter die Befugniss erhalten, solche Fälle
abzuurtheilen. Der Kirche wurde nicht benommen, noch
ihrerseits Strafen zu verhängen. Die andere Acte wurde
schon früher von uns erwähnt. Sie erneuert die alten Sta-
tuten bezüglich der Wechsel, will deshalb nur solche gestatten
für welche eine Licenz gewährt worden ist, und verbietet alle
unstatthaften Gewinne, die man daraus zu ziehen pflegt«;
ebenso wurden bezüglich der Makler strenge Bestimmungen
getroffen *).
Die Verworrenheit und Dunkelheit der Wucheracte wurde
benützt zu Umgehungen. Als deshalb 1495 das Parlament
wieder zusammentrat, sprach bei der Eröffnung der Kanzler
unter Zugrundelegung des Mottos „Custodias et facias legem8
(Josue Gap. 1) namentlich ausführlich über die verschiedenen
Formen, unter denen Wucher begangen werde, und wies nach,
wie die Absicht des Gesetzes nicht erreicht worden sei 2). Man
erklärte zur Beseitigung aller Zweifel drei Fälle für strafbare
Wucher; derselbe sollte vorliegen bei Zins für Gelddarleihen,
sodann bei Verkauf von Gutem, Vieh und Waaren an den-
jenigen, von dem man sie im Lauf der vorangegangenen drei
Monate zu einem niedrigeren Preise gekauft hat ; endlich beim
Bezug der Revenuen von verpfändeten Gegenständen, für
welche ein Darlehen gegeben worden war 3). Das wichtigste und
meisten Gewinn abwerfende Creditmittel , der Wechsel, wurde
also diesmal nicht mit aufgeführt Das Gesetz musste auch
in dieser Gestalt ohne Erfolg bleiben.
Heinrich VIII. erneuerte die Wuchergesetze nicht Er
legte der noch immer fortschreitenden Umwälzung 4) auf dem
Gebiete des Handels keinerlei Schranken an. Wohl predigten
die Geistlichen fort und fort gegen den Wucher, nach der
Reformation sogar noch lauter als zuvor. Wie in Deutschland,
go waren auch in England die Reformatoren entschieden der
Wucherlehre zugethan6). Allein der Verkehr spottete allen
ihren Klage- und Wehrufen. Ein in den dreissiger Jahren
gemachter Versuch, die Wechselfreiheit der Kaufleute zu be-
schränken, musste von Heinrich VIH. nach kurzer Zeit wieder
') 3 Heu. VII. c. 6.
»} Rot. Pari. VI. S. 458.
*) 11 Hen. VII. c. 8 (1495).
1 ) Vgl. auch den interessanten Brief Huttons an Cromweil vom 20. Od
15B7, SUte Papers VII. S. 7, 718; sieh auch VII. S. 706. Note.
*) Wie Behr sich beide in ihren Anschauungen deckten, ergibt sieb,
wenn man die bekannte Wiske mann sehe Darstellung der in Deutsch-
land zur Zeit der Reformation herrschenden national -ökonomischen Ad-
sichten 1861 oder Seh mollers Abhandlung „Zur Geschichte der national-
ökonomischen Ansichten in Deutschland während der Reformationsperiode'
(Tübinger Zeitschr. für Staatsw. 1860. S. 461—716. Abschn. 5) mit den
1 -"i&s ernten der englischen Reformationsprediger über Wucher bei Ht-
t. Sketches of Reformation 1844. S. 235—248 vergleicht
_
— 561 —
aufgegeben werden1). Aber auch das directe Zinsennehmen
liess sich nicht mehr verhindern. König wie Parlament wussten
schliesslich keinen andern Ausweg, als dass man mit der
Wucherlehre, d. h. dem absoluten Verbot des Zinses zunächst
brechen müsse. Die Gestattung von Zinsen war zudem nicht
neu. Abgesehen von den zahlreichen Formen, unter denen
man schon lange Zins erhielt und selbst nach der kanonischen
Lehre mit Berechtigung erhielt, hatten auch manche Fürsten
schon selbständig eingegriffen. So erlaubte Ludwig, Graf von der
Provence, den Bürgern von Marseille 1406, zu 10% Geld aus-
zuleihen*). Am einflussreichsten dürfte jedoch der Vorgang
Karls V. gewesen sein. Durch Edict vom 4. Oct. 1540 ge-
stattete3) derselbe die Darlehen gegen Zins, wofern nur die
beiden Parteien sich mit Handelsgeschäften, sei es direct oder
durch Assoctes, abgäben, ferner nicht mehr als 12 % stipulirten;
auch durfte die Geldleihe sich nicht über ein Jahr erstrecken.
Alle andern Vereinbarungen sollten als Wucher gelten4).
So ging denn auch die englische Regierung im letzten
Parlament Heinrichs VIII. an das bedeutende Reformwerk.
Sie stellte sich auf einen noch freieren Standpunkt als die
niederländische Regierung. Das Gesetz setzte zwar den Zinsfuss
auf nur 10 °/0 fest, gewährte aber diesen Bezug in jeder Form
und fast bedingungslos. Nur der Verkauf von Waaren und ihr
Rückkauf innerhalb dreier Monate zu geringerem als dem
Verkaufspreise blieb untersagt. Alle früheren Wuchergesetze
wurden für null und nichtig erklärt5). Wie Karl V., so hätte
auch Heinrich VIII. dem Worte „Wucher" einen ganz neuen
Begriff unterlegen lassen. Früher war jedes Zinsnehmen, jetzt
das Zinsennehmen in gewisser Höhe Wucher.
Lauten Protest legten die Geistlichen6) der strengeren
Richtung gegen diese Begriffsverdrehung ein. Die Worte
') Sieh oben S. 522, 523.
2) Anderson, Gesch. d. Handels. Deutsche Ausg. 1773—77. III. S.41.
8) Natürlich galt das Edict nur für die Niederlande; die deutschen
Keichspolizeiordnungen von 1530, 1548, 1577 gestatteten Mos, dass mit
100 Golden nicht mehr als 5 Gulden Rente gekauft werde.
*) Sieh die interessante Geschichte der Wucherfrage unter Karl Y. bei
Henne, Regne de Charles-Quint en Beigigue V. S. 324—330.
5) 37 Hen. VIII. c. 9 (1545). In dem Preamble heisst es: „before this
tyme diverse and soundrie actes statutis and lawes have bene ordeyned had
and made within this realme for thavoydinge and punyshment of usurye,
beinge a thinge unlaufull and of other corrupte bargaynes shiftis and che-
vaunses, which actes statutis and lawes ben soe obscure and darke in sen-
tencis wordes and termes and upon the same soe many doubtis ambiguyties
and questions have risen and growen and the same actes statutis and lawes
bene of so litle force and effect, that by reason therof litle or noe punysh-
ment hath ensued to thoffendors of the same, but rather hath encouraged
them to use the same." Vgl auch Lords' Journals vom 2. Dez., 5. Dez.,
9. Dez., 21. Dez. 37 Hen. VIII.
6) Andere dagegen, freilich eine Minderzahl, handelten ganz der Acte
gemäss. In der Supplication of the poore commons 1546 (ed. Cowper S. 85)
Schanz, Engl. Handelspolitik. L gß
— 562 —
Crowleys können als ein Beispiel für viele gelten *). Den un-
unterbrochenen Mahnungen des Klerus gelang es, eine Reactiön
hervorzurufen. Durch 5/6 Edw. VI. c. 20 wurde das Gesetz
Heinrichs VIII. aufgehoben, weil Geldzinsen überhaupt gern
Gottes Gebot seien. Die Lebensverhältnisse ertrugen natürlich
diese künstliche Reaction nur auf kurze Zeit. Elisabeth stellte
heisst es: „Before it was passed by acte of parliament that men xnrghte
take X li by yeare for an hondreth pound lone, how vehement were" they
in the matter? All theyr sermons were lytle other then invectives agara:
usery. Then they coula alleage both Christ and the Psalmist to prove tha:
Christen men ought to lende what they may spare and to loke for no gaynes
therof : But nowe they do not onlye holde them selves styU as concernjiure
thys matter, but also they endeuoure to imitat, yea and to passe the' ei-
ample of extorsyoners and userers."
*) Nowe, with your pacience, I wil, with like breuitie, speak of the
great and intollerable usurie, whych at this daie reigneth so frely this
realme oueral, and chiefly in the citie of London, that it is taken for
most learal gaines. Yea it is welmost heresie tonreproue it, for men saye
it is alowed by Parliament Well, the most parte, I am sure of this most
godlye assemble and Parliament do knowe, that the occasion of the acte,
that passed here conceraynge usurie. was the unsaciable desyre of the
usurers, whoe coulde not be contentea with usurie. ynlesse it were nuet-
sonable muche. To restrayne thys gredy desyre or theyrs, therfore, it was
communed and agreed vpon and by thauthoritie of Parliament decreai,
that none should take aboue X li. bi yere for the lone of an C IL Alas
that euer any Christian assemble shoulde bee so voyde of Gods Holy
Spirit, that thei should alowe for leafull any thyng, that Gods worde for-
bedeth. Be not abashed (most worthy counsaylours) to call this act into
question agayne. Scan the wordes of the Psalmist concernyng this mattier.
pLord" sayeth he, ^who shal enter into the tabernacle and who shal rest
in thy holy mountaroe?" He answereth: „That entreth without spot and
worketh nghte. That speaketh truth in his herte and hath not aeceraed
with his tonge; that hath done his neybour no härme nor accepted any
reproch against his neibour. He regardeth not the wicked, but them that
feare the Lorde he glorifieth and prayseth. He that swereth to his neiboor
and deieiurth hym not. He that hath not geuen his money vnto ysutt and
hath not taken giftes and rewardes against the innocent." If you (most
Christian counsaylours) do glory in the knowledge of Gods Spirite, who
hath epoben these wordes by the Prophet, how can you suffer this acte to
stände, wbvrh shalbe a witnesse agaynste you in the later daye that von
alo^e th;it'which Gods Spirite forbideth? If he that geueth not bvs mo-
ney to usury shal dwell in the Lords tabernacle, wher shal he dwel, that
geueth his inoney to usuri? Shal he not be shut out and caste intortter
oarcknea? Their workes be contrary and why shoulde not theyr rewarde
be ateo contrary? If the one be receyued in, the other muste be shat
out, Yea , and you that haue made this lawe. ynlesse you do revoke i'
and establysh an act to the contrary, the Bryaegroume, the onely sonne
1 : fn l i.al at the last daye deny you and saye that he neuer knewe
you; „Deport from me" shal fie saye, „al ye workers of iniquitie." Scanne
the wordes of the Prophete therfore and scanne the wordes of oure Saui-
oure ( -briste also in the VI. of Luke, wher he sayeth thus: „Do you lend*
lokynge ibr no gaynes therof and your rewarde shalbe plentuouse and yoa
shall he üonnes of the Hygheste, because he is gentle and liberal tovanl
■*■ vnthnukful land wicked". Crowley, Select works ed. byCowperS.l^
jboh in Crowleys Epigramms das „Of Usurars" betitelte :.Select
nL < owper S. 49).
— 563 —
die eine neue Epoche begründende Acte ihres Vaters im
13. Jahre ihrer Regierung wieder her1).
Ueberblickt man die Entwicklung des englischen Gredit-
wesens und der englischen Creditpolitik bis zur Mitte des
16. Jahrhunderts, so erkennt man unschwer, dass ähnlich wie
auf allen bisher betrachteten Gebieten auch auf dem des Cre-
dits seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts eine grossartigere,
verwickeitere Gestaltung Platz greift. Der Credit wird ein
immer wichtigeres Glied im Verkehr; neben dem Consumtions-
credit, der in den vorangegangenen Jahrhunderten vorwog, ge-
langt auch der Productionscredit zur Geltung und gewinnt an
Ausdehnung, der auswärtige Handel der Engländer baut sich
nicht ohne Einwirkung des Geldausfuhrverbots mehr und mehr
auf dem Credit auf und erhält dadurch eine nicht unwichtige
Verflechtung, parallel mit dem neuen Unternehmerthum er-
scheinen englische Capitalisten und Bankiers3) auf der Bild-
fläche. Die ganze Wirthschaft befindet sich im vollsten Ueber-
gang zu neuen Zuständen.
Regierung und Gesetzgebung waren, wie immer im Mittel-
alter, der Bewegung nicht voran, sondern folgten ihr, standen
ihr halb indifferent, halb feindlich gegenüber. Soweit es sich
um die Sicherung des Creditobjects handelte, griffen die gesetz-
gebenden Factoren mit kräftiger Hand ein und wurden den Ver-
kehrsbedtirfnissen auch wohl ziemlich gerecht In der Zinsfrage
dagegen konnte man sich nur schwer von der Jahrhunderte lang
festgehaltenen Tradition und Anschauung los machen. Von
einem unbefangenen, richtigen Einblick in das Wesen und die
Bedeutung des Credits und in die neuen Bedürfnisse des Ver-
kehrs war keine Rede. Selbst noch Heinrich VII., ein guter
Kenner des practischen Lebens, beurtheilte den Credit in ganz
schiefer Weise. Während wir heute im Credit ein Mittel
sehen, durch welches das Capital in die Hände desjenigen ge-
langt, der es am productivsten verwendet, hält Heinrich VII.
das Zinsennehmen für schädlich, weil dadurch das Capital dem
Gewerbe und Handel entzogen werde. Eine solche Anschauung
wäre doch nur dann richtig gewesen, wenn die Gläubiger aus-
schliesslich an solche ausgeliehen hätten, welche das Capital
in unproductiver Weise verzehrt hätten. Das dürfte aber da-
mals nicht mehr für den Durchschnitt der Fälle zugetroffen
haben. Der krampfhafte Versuch Heinrichs VH., fast alle und
jede Creditvergtitung zu verhindern, beruhte auf einer Ver-
kennung des neuen Zustandes und musste deshalb scheitern.
*) 13 El. c. 8; verlängert 27 El. c 11; 29 El. c. 5; 31 El. c. 10;
35 El. c. 7 ; für dauernd erklärt 39 El. c. 18. 1624 wurde der Zinsfuss
auf 8°/0; 1661 auf 6%; 1714 auf 5% erniedrigt; die völlige Zinsfreiheit
wurde am 10. Aug. Iö54 eingeführt. An die Stelle der Zinstaxen ist seit-
dem die Regulirung der Zinsen durch grosse Creditinstitute getreten (Knies.
Credit S. 376).
*) Pauli, Drei volkaw. Denkschr. S. 34.
36*
— 564 -
In noch rascherem Tempo als zuvor drang trotz Heinrich VII.
der Credit in alle Poren der Wirthschaft. Es blieb nichts
übrig, als der Macht der Thatsachen sich zu fügen, und man
musste froh sein, wenn es gelang, den noth wendig mit jeder
Neuerung zugleich eintretenden Missbräuchen einigermassen
zu begegnen. Es ist bezeichnend, dass gerade damals die
Bankerottgesetzgebung ihre erste Ausbildung erhielt. Während
man so auf der einen Seite die schrankenlosen Elemente zu
bändigen suchte, machte man auf der andern bedeutende Con-
cessionen. Die wichtigste war, dass an Stelle des Zinsverbots
das Zinsmaximum trat. Die volle Zinsfreiheit wäre damals
kaum angezeigt gewesen. Dazu war die Creditwirthschaft
noch viel zu lose organisirt, die ökonomische Macht und
Rücksichtslosigkeit der Besitzenden noch viel zu stark, die
Zahl der consumtiven Anleihen noch viel zu gross. Es ge-
nügte, dass das Zinsverbot beseitigt ward, die Fessel des Zins-
maximums war erträglich und sogar noch heilsam. Jedenfalls
konnte der Creditverkehr nun rasch zur glänzendsten Ent-
faltung gelangen. Mit Stolz rief unter Elisabeth der erste
Kaufmann Englands, Thom. Gresham aus: „Mein bescheidener
Name und mein Credit sind der grösste Reichthum, den
mir Gott gegeben hattt *\ Und wie bei Privaten, so war auch
in der Staatswirthschatt der Credit wichtig geworden. Er
bildete einen Factor, der mehr und mehr auch für die Macht
des Staates von Einfluss wurde2).
*) Gresham an W. Cecil 15. Aug. 1563: „I praye you Sir, for this
ae to consider what great moment it is unto me to ran upon the Ei-
mge for the preserving of my poore name and creadit, which is chefest
substance, that God hath seilt me. — as you doe right well knowe.*
Burgon, Life of Thomas Gresham IL S. 26. Dies Werk ist auch zu
vergl. hinsichtlich der Rolle, welche der Credit unter Eduard VI., Mari«
und Elisabeth im englisch-niederländischen Verkehr spielte.
*) Sieh unter Andern Burgon, a. a. 0. I. S. 115 fg.
Siebentes Capitel.
Fürsorge für die Verkehrswege.
Die Entwicklung der Verkehrewege pflegt der Grösse des
Verkehrs und der volkswirtschaftlichen Blüthe parallel zu
gehen. Ein guter Zustand der ersteren ist Voraussetzung für
die letztere. Das langsame Fortschreiten der mittelalterlichen
Volkswirtschaft und der ganze Gharacter derselben beruhten
zu einem guten Theil auf dem mangelhaften Wegewesen der
damaligen Zeit. Namentlich gilt dies von der Mehrzahl der
Continentalstaaten. England war diesen gegenüber insofern
im Vortheil, als die Meeresnähe die Communication sehr er-
leichterte; die wichtigsten Orte und Theile des Landes konnten
zur See oder auf den in dieselbe sich ergiessenden Flüssen
erreicht werden. Unzweifelhaft lag in diesem Vorzug ein Grund
mit, weshalb England trotz vieler andern Hindernisse den
Character der localen Wirthschaft theilweise abstreifte und
diejenigen Verhältnisse grösseren Stils herausbildete, wie sie
uns in der bisherigen Darstellung entgegengetreten sind.
Die englische Gesetzgebung beschäftigte sich nur wenig
direct mit dem Wege- und Brückenbauwesen. Staatsmittel
wurden natürlich keine für diesen Zweck verwendet. Die
Wegelast lag den einzelnen Gemeinden, die Brückenlast der
ganzen Grafschaft ob. Die Instandhaltung der Wege und Brücken
wurde durch die gewöhnlichen Polizeibussen erzwungen, d. h.
sie beruhte auf dem Anklageverfahren; die Anklage war ent-
weder eine dienstliche Anzeige vor der King's Bench oder sie
war eine gewöhnliche Klage von Privaten gegen die verpflich-
tete Gemeinde, oder bei Brücken gegen irgend einen Besitzer
eines beitragspflichtigen Grundstückes, dem dann der Regress
gegen sämmtliche Beitragspflichtige der Grafschaft zustand-
Statt dieser Anklagen konnte aber auch ein fiscalisches Straf-
verfahren ex officio, die sogenannte criminal Information, bei
— 566 —
den Reichsgerichten eintreten. Handelte es sich um Er-
weiterung, Verlegung oder Schliessung von Wegen, so wurde
der Sheriff durch einen Gabinetsbefehl aus der Ganzlei ange-
wiesen, mittels einer Untersuchungscommission festzustellen,
ob die beabsichtigte Aenderung nicht dem Publicum nach-
theilig sein werde. Bei den zweimal im Jahr stattfindenden
Polizeirevues der SherifFs und an den Gerichtstagen der Patri-
monialgerichte musste nach Instandhaltung von Landstrassen
und Brücken gefragt werden1).
Ueber die Art und Weise der Wegeanlage waren keine
bestimmten Normen vorgeschrieben. Nur eine gewisse Breite
wurde für die Strassen, welche Marktorte mit einander ver-
banden, durch das Statut Winch. 13 Ed. I. c. 5 (1285) fest-
gesetzt Das geschah aber nicht, weil der bisherige innere
Verkehr sehr an Ausdehnung gewonnen hatte, sondern, wie
aus dem Wortlaut des Statuts hervorgeht, der Lichthaltung
und Sicherheit wegen. Das Gehölz sollte zu beiden Seiten
weit entfernt sein, damit man nicht unversehens von Säubern
überfallen werden konnte *).
Aus Allem ersieht man, dass die ganze Ordnung des Wege-
wesens schwerfällig war und nur den allerdringendsten Bedürf-
nissen Rechnung tragen konnte. In demselben Masse als der
Verkehr unter den Tudors grössere Dimensionen annahm, wurde
auch das Ungenügende der Organisation empfunden.
Einigen Ansätzen zur Besserung begegnen wir schon unter
Heinrich VIII. Den Grafschaften Kent und Sussex wurde ge-
stattet, unter Aufsicht und Zustimmung der Friedensrichter
und 12 Leuten aus den betheiligten Hundertschaften alte Wege,
die zu tief lagen, nicht bequem waren und nicht die kürzeste
Linie einhielten, eingehen zu lassen und an ihrer Stelle neue
zu bauen. Wahrscheinlich hatten die Einhegungen zu diesem
Schritt gedrängt8). Ferner wurde der Keim zur Einrichtung
ständiger Strassenwärter für die Hauptstrassen gelegt, indem
ein solcher für eine 21/2 Meilen lange Strecke bei Chester be-
stellt und durch Gewährung von Landbesitz und des Hechtes,
an der Hochstrasse sich ein Haus zu bauen, für seine Dienste
entschädigt wurde4). Weiter wurde die Pflasterung der Stadt-
strassen energischer betrieben. Die Bewilligung von beson-
deren Pflasterzöllen, aus deren Ertrag man die Pflasterung
herstellen konnte, wurde immer seltener6). ^Es drang mehr
*) Gneist, Geschichte und heutige Gestalt der englischen Communal-
Verfassung oder des Seifgovemment 2. Aufl. 1863. L S. 281 fg.
. 9) Hinsichtlich der Fürsorge Eduards 1. für die Wege vgl auch die
Carta de Foresta im Statutenb. L S. 121.
«) 14/15 Hen. VIH c. 6: 26 Hen. VUL c. 7.
*) 37 Hen. VIII. c. 8.
*) In Betreff früherer Pflasterungen vgl. Rot Pari. I. 8. 802, 396,
397, 423; V. 8. 338; VL 8. 49, 179, 180, 333, 396; Rymer VUL S. 634;
IX. S. 447.
— 567 —
und mehr der Grundsatz durch, dass die Kosten von den
Eigentümern des angrenzenden Bodens zu tragen seien, gleich-
viel ob die Besitzer in der Stadt wohnten oder nicht1)- In
Cambridge und London wurden umfangreiche Pflasterungen
nach diesem Princip vorgenommen2). Endlich wurde die
Brückenbaulast bestimmter geregelt Wie bereits erwähnt, lag
dieselbe, wofern nicht einzelne Privatbesitzer in Folge von
Grund- und Abgabenverleihungen sie zu tragen hatten3), der Graf-
schaft ob. Strittig war aber, wer in der Grafschaft eigentlich
zur Bestreitung der Kosten verpflichtet war4). Das hatte fort-
währende Processe und meist auch das gänzliche Unterbleiben
der nöthigen Reparaturen zur Folge5). Es kam deshalb vor,
dass die Nächstinteressirten aus dem eigenen Vermögen und
mittels freiwilliger Beiträge Brücken erbauten und nicht auf
die ganze Grafschaft recurrirten e). Um der herrschenden Un-
klarheit ein Ende zu machen, sprach das Gesetz von 1530
aus , dass die Beitragspflicht auf allen Haushältern ruhen soll,
mögen sie Ländereien besitzen oder nicht, und auf allen Grund-
stücken der Grafschaft, mögen die Besitzer in den Grafschaften
wohnen oder nicht. Auch diese Bestimmung weist wie Anderes
darauf hin, dass das Fluctuiren der Bevölkerung im Innern Eng-
lands nicht ganz unbedeutend war. Gleichzeitig wurde bestimmt, ,
dass die Anzeigen wegen Instandhaltung der Brücken nicht
Mos vor den Criminalassisen , sondern auch vor den General-
sitzungen der Friedensrichter gemacht werden könnten. Die
letztern erhielten das Recht, Nachforschungen anzustellen, alle
Beschwerden in dieser Sache zu entscheiden, und in den Fällen,
in denen nicht zu erweisen war, wer die Brücken herzustellen
hatte, eine Umlage der nächstliegenden Städte und Bezirke
anzuordnen und einsammeln zu lassen, sowie zwei Aufseher zu
ernennen zu dem Zweck, dass die Arbeit wirklich und in ge-
höriger Weise geschehe. Die gleichen Rechte wurden hin-
sichtlich der nächstliegenden Chausee verliehen7).
*) Diese letzte Bestimmung war wichtig, weil viele Landlords nicht
in der Stadt wohnten. In der Acte 25 Hen. VIII. c. 8 wurde geradezu
der schlechte Zustand der Stadtstrassen damit in Zusammenhang gebracht
Aehnlich sagt Lupset: „Euery gentylman flyth into the cuntrey, Few that
inhabyt cytes or townys; few that haue any regard of them; by the reson
wherof in them you shal fynd no pollycy, no cyuyle ordur almost, nor
rule.u Starkey, England in the reign of Henry the Eighth ed. Cowper
S. 98. Vgl. »uch die Motive zur Acte 87 Hen. YHI. c. 14.
*) 24 Hen. VIII c. 11: 25 Hen. VIII c. 8; 32 Hen. VM c. 17; 34/35
Hen. VIII c. 12; 35 Hen. VIII c. 15.
*) In diesem Falle waren die Brücken meist in schlechtem Zustand.
Vgl. z. B. Rot Pari. IL S. 32.
4) Sieh auch Liber Custumarum ed. Riley I. S. 352.
*) Vgl. Rot. Pari. I. S. 308.
«) Rot Pari. IV. S. 156 (1421).
'*) 22 Hen. VIII. c. 5. Für die Verbindungsbrücke von Rochester
and Strood war schon zur Zeit Richards II. aus den Personen der Graf-
— 568 —
In vollen Fluss kam die Gesetzgebung in Betreff der Ver-
kehrswege erst unter den nächsten Tudors. Der bedeutsamste
Schritt geschah zur Zeit Marias. Um das Schwerfällige und
Unzureichende des Anklageverfahrens zu beseitigen, wurde ein
neues Gemeindeamt gebildet, das des Surveyor of Highways.
Dieses Organ der Ortsgemeinde war zunächst zur Instandhal-
tung der Wege verpflichtet und demgemäss auch ermächtigt
die Einwohner zu Hand- und Spanndiensten heranzuziehen und
zwar sowohl die Besitzer von Land, wie die Besitzer eines
Gespanns, überhaupt alle Haushälter, also auch Büdner und
Arbeitsleute mit eigenem Hausstand. Das Gesetz verlangt,
dass vor Mittsommer mindestens vier Tage zur Ausbesserung
der Wege verwendet werden müssen1).
Wichtiger als die Landstrassen waren wie bereits erwähnt,
für den Verkehr des mittelalterlichen Englands die Wasser-
wege. Ihnen folgte die Ansiedlung *), und sie trugen am
meisten zur Entwicklung des Handels bei. Aber auch ihr
Zustand war keineswegs ein durchaus befriedigender. Uner-
müdlich hatten die Handelsplätze zu kämpfen, um ihren Strom,
die Lebensader ihres Verkehrs, durch keinerlei Hemmnisse
unterbinden zu lassen.
Natürlich trat dies am schärfsten bei London und der
Themse zu Tage. Die Fischer, Müller und sonstige Industrielle
verursachten bald da, bald dort Hindernisse für die Schiffahrt
Allerwärts fanden sich Wehren im Fluss, und ihre Zahl war
noch fortwährend im Wachsen. Im 12. Jahrhundert konnte
die Regierung dieselbe zu einem ergiebigen Steuerobjecte
machen. Da aber gerade um jene Zeit der Handel etwas le-
bendiger und reger geworden war, mussten die fiscalischen
Rücksichten auf das immer ungestümmer hervortretende Ver-
langen der Kauffahrer unterdrückt werden. Richard I. Löwen-
herz yersprach in dem den Londonern gegebenen Freibriefe
1197, dass fortan alle Wehren in der Themse beseitigt, die
Errichtung neuer nicht mehr geduldet und auf diese Steuer-
quelle verzichtet werden solle3). Johann bestätigte diesen
schaft eine eigne Körperschaft (une communalte pur 7a sustentation et gaber-
nation da dit pont) gebildet worden, welche jährlich 2 Beamte wählte.
Seit 1421 worden die Aechte dieser sowie der Corporation Überhaupt er-
weitert. Rot. Pari. IV. S. 148. Sieh auch IV. S. 468.
') 2/3 PhiL and Mary c. 8. Sieh ferner 5 El. c. 13; 18 £1. c 10,20;
27 El. c. 11, 19, 26; 29 Et c. 5; 35 El. c. 7; 39 El. c. 18, 19; 43 EL c 9.
*) Im Liber Albus ed. Riley S. 497 heisst es deshalb: „Cujus
(sc. civitatis Londoniarum) quidem funaationis, aedificationis et constructionis
causa erat Thamensis fluvius".
*) „Concessit et firmiter praecepit, ut omnes kideUi, qui sunt in Tha-
mi8ia, ammoveantur, ubicumque fuerint in Thamisia, et ne de caetero ki-
delli alicubi ponantur in Thamisia. Quietum etiam clamavit omne id, quod
custodes Tunis suae Londoniis annuatim percipere solebant de praecüctis
kidelli8. Satis enim sibi constabat et per venerabilem primatem säum,
— 569 —
Artikel im 1. Jahre seiner Regierung. Welche Bedeutung
man demselben beilegte, ersieht man daraus, dass zur Sicherung
seiner Durchführung die Städte und Barone ihn in die Magna
Charta mit aufnahmen; die Bestimmung wurde für ganz Eng-
land yerallgemeinert x) , sie blieb auch keineswegs ein todter
Buchstabe; wir besitzen noch die Documente2), welche den
Beweis liefern, dass unter Heinrich III. der Verfassung in die-
sem Puncte volle Geltung verschafft wurde. Auch Eduard I.
erneuerte den Artikel der Magna Charta, und von ihm
darf man annehmen, dass er auf seine Beobachtung sah. We-
nigstens wissen wir, dass, als die Schiftbarkeit der Flusses
Wels bei London unterhalb Holborn- und Fleet-Bridge durch
die Verunreinigungen der Gerber, durch Errichtung von
Wehren und eine Ablenkung des Wasserlaufes im Interesse
einiger Mühlen völlig zu Grunde gerichtet worden war, während
vorher 10—12 Kauffahrtei-Schiffe bis an die Brücke fahren
konnten, Eduard I. die Sache durch die Stadtbehörden unter-
suchen, daraufhin den Fluss reinigen und die Mühlen beseitigen
liess 3).
Mehr noch als die Könige war London darauf bedacht,
dass namentlich die Themse von Hindernissen frei bleibe4).
Die Stadt beanspruchte deshalb unter Heinrich U., dass die
Themse bis ans Meer zu London gehöre5), um dadurch be-
rechtigt zu sein, alle unbefugt errichteten Wehren aus eigener
Machtvollkommenheit zu beseitigen. Dieser Anspruch wurde
aber der Stadt von den königlichen Beamten strittig gemacht 6).
In Folge dieser Jurisdictionsstreitigkeiten mag es vielleicht ge-
kommen sein, dass das Gesetz überhaupt unter Eduard II.
und im Anfang der Regierung Eduards III. laxer gehandhabt
wurde. In Kurzem war wieder der ganze Strom voll von
Wehren, Mühlen und sonstigen Hemmnissen der Schiffahrt.
Hubertum, Cantuariensem archiepiscopum et per alios fideles suos, eidem
Domino Regi sufficienter datum fiüt intelligi, quod maximum detrimentum
et incommodum praedictae civitati suae Londoniarum necnon et totl regno
Angliae occasione illorum kidellorum proveniebat". Liber Albus ed.
Riley 8. 499.
') Art. 33. „Omnes kidelli de cetero deponantur penitus de Tamesia
et de Medewaye et per totam Angliam, nisi per costeram maris."
5 Vgl. Li b Alb. S. 500—503 und Lib. Cust. Part I. ed. Riley
1860 S. 39-42. Sieh auch The black book of the admiralty ed.
Sir Trayers Twiss Vol. I. S. 77. Nr. 28; ferner S. 81 Nr. 34.
") 35 Ed. I. (1307); doch brachte man den Fluss nicht wieder zu
seiner früheren Tieie und Breite, weshalb er ganz den Namen eines Flusses
verlor und seitdem Turnmill oder Tremill Brooke genannt wurde nach den
vielen Mühlen, die man später daselbst errichtete.
*) Sieh auch Lib. Alb. ed. Riley S. 577 fg.
B) „Et justiciarii dixerunt, quod aqua Thamisiae pertinet ad civitatem
Londoniarum, a Londoniis usque ad mare". Lib. Cust. ed. Riley II.
S. 408.
•) A. a. O.
— 570 —
Die Klagen der Kaufleute wurden lauter denn je; namentlich
die Strecke zwischen Oxford und London war nur unter den
grössten Gefahren zu passiren. Man musste sich schliesslich
doch zu einer Untersuchung bequemen, und das Ergebniss
derselben war, dass das Parlament mit dem König ein Gesetz
erliess, wonach alle seit Eduard I. errichteten Hinderungen
wieder beseitigt werden und die Sheriffs die Ausführung über-
wachen mussten1). Es zeigte sich aber, dass die Ausführung
mit jedem Jahre schwieriger wurde, und man kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass der Grund hievon darin lag,
dass man den Interessen der Industrie, welche die Wasserkraft
benützen wollte, gar keine Berücksichtigung schenkte, sondern
ihre Ansprüche einfach mit den wirklich nicht gerechtfertigten
Hemmnissen zusammenwarf. Unter Eduard HI. noch wurde
z. B. die Errichtung einer Mühle mit 100 Mark bestraft').
Um den gesetzlichen Bestimmungen Geltung zu verschaffen,
übertrug Richard II. mit Zustimmung des Parlaments ihre
Ueberwachung den Friedensrichtern jeder Grafschaft, welche
noch Subcontroleure aufstellen konnten8); später genehmigte
er, dass besondere Commissionen ernannt würden und diese
als Richter fungiren könnten4). Unter Heinrich IV. wurde
vorgesehen, dass diese Commissionen Diäten erhielten6). Am
schärfsten ging man gegen die Fischer vor, die allerdings auch
Grund genug dazu gaben. Sie füllten nicht nur mit ihren
Geräthen und Vorrichtungen die Flüsse an, sondern richteten
zugleich fast die ganze Fischerei zu Grande. Sie trieben den
Fischfang so rücksichtslos , dass sie sogar die Schweine mit
Fischen fütterten 6). Die Fischer waren auch am meisten über
das Gesetz erbittert. Als ein Untercontroleur in London seines
Amtes waltete, sah er sich plötzlich von nicht weniger als
2000 Personen aufs heftigste verfolgt7). Gelang es auch, den
Widerstand zu brechen, es blieb immer eine schwere Aufgabe,
allen neuen Versuchen zu begegnen. Heiniich V 8), Heinrich VI9)
*) 25 Ed. m st 3. c. 45 Lib. Alb. I. S. 505, 506. Auf die Schif-
fahrt ist ausdrücklich als Motiv hingewiesen: „qe pur ceo qe comunes passa-
ges des niefs et bateux en les graundes rivers d'Engleterre ßi feurent aovent
foit de8tourbez par le lever des gors, molyns, estankes, estaches et kydels,
en graunde damage da peple." Vgl auch Tr. Twiss, The black book of
the admiralty I. S. 153. Nr. 26.
*) 45 Ed. IIL c. 2: Lib. Alb. S. 506.
8) Lib. Alb. 8. 508.
4) 21 Rieh. II. c. 19; Lib. Alb. S. 509 fe.
*) 4 Hen. IV. c. 11; Lib. Alb. S. 513, 514 Die früheren Gesetze
hatte Heinrich IV. schon bestätigt durch 1 Hen. IV. c. 12.
•) Rot. Pari. m. S. 499.
') Lib. Alb. 8. 514-518.
•) 1 Hen. V. c. 2 (1413); Rot. Pari. IV. S. 36. (1414); Lib. Alb. & 518.
9) 2 Hen. VI. c. 12 und 9 Hen. VI. c 9; in letzterem Gesetze wird
namentlich über Missstande im Lee geklagt. Die Commisaäre erhielten
auf 3 Jahre das Recht, Geld zu borgen und Zoll zu erheben behufs Reinigung
des Flusses.
— 571 —
und Eduard IV *) mussten fort und fort mit den widerstrebenden
Elementen kämpfen und mit immer schärferen Massregeln
vorgehen *).
Unter den Tudors wurde die Frage der Flussverschlech-
terung nicht zurückgedrängt, sondern sie gestaltete sich durch
die mancherlei ganz neuen Umstände, die sie begleiteten, zu
einer brennenden.
Hinsichtlich der Wehren und anderer Schiffahrtshinderaisse
beschwerte sich während der Regierung Heinrichs VII. haupt-
sächlich Southampton. Das Mittel, das man gewährte, war
ausserordentlich einfach; man gestattete Jedem, solche Dinge
eigenmächtig zu beseitigen, und verhängte über denjenigen,
der Widerstand leistete, eine Strafe; die Neuerrichtung sollte
mit 100 £ geahndet werden3). Die Acte hatte nur 20 Jahre
zu dauern und wurde unter Heinrich VUI. nach Ablauf dieser
Frist nicht sofort wieder erneuert. Es waren noch keine 8
Jahre verflossen, als die alten Missstände wieder auftauchten,
weshalb das Gesetz für dauernd erklärt wurde 4). 1532 wurde
eine ähnliche Klage von Seite Yorks und Hulls, deren Wasser-
verbindung die Fischereivorrichtungen hinderten, von der Re-
gierung und dem Parlament berücksichtigt5).
Weit ernsterer Natur waren die unter Heinrich VIH. ganz
neu auftauchenden Beschwerden über die Versandungen der
Flüsse und die Verunreinigung derselben durch die Bergwerke.
Dies heute so moderne Capitel der Wohlfahrtspolizei ist in
England, wie man erkennen kann, schon alten Datums6).
Ein gewisser Richard Strode lenkte zuerst die Aufmerk-
samkeit auf die von den Bergwerken herrührenden Gefahren
für die Flussschiffahrt. In einem Meeting hatte er gewagt,
•) Rot. Pari. VI. S. 158; 12Edw. IV. c. 7 (1472); am Anfang seiner
Regierung hatte Eduard IV. sich geweigert, die Statuten 25 Ed. III. st 3
c. 4 und 45 Ed. III. c. 2 zu bestätigen. Rot Pari. V. S. 569 (1464).
*) Nach dem oben über das Brückenwesen Gesagten bedarf es nicht
besonderer Ausfuhrung, dass häufig auch diese wegen zu geringer Höhe
ein Schiffahrtshinderniss bildeten Ein Beispiel hiefur findet sich in den
Rot Pari. V. S. 43 (1442).
*) 11 Hen. VII. c. 5 (1495).
*) 14/15 Hen. VIII. c. 13 (1523).
*) 23 Hen. VIII. c. 18. Der Kanzler soll jetzt und so oft das Be-
dürfhiss hiezu sich herausstellt, eine Commission von 8 Personen ernennen,
welche nach genommener Einsicht den Eigentümern befehlen, die Schiff-
fahrtshindernisse in den Flüssen Ouse und Humber zu beseitigen. Alle
Figchereivorrichtungen wurden nicht verpönt, die Eigenthumer waren aber
gezwungen, Pfahle einzusetzen, die eine Elle über der Wassermarke her«
vorstanden, so dass die Schiffe den Wasserlauf unbehindert durch die
Figchereivorrichtungen verfolgen konnten. Vgl. auch 24 Hen. VIII. c. 15.
6) Die erste Notiz, die ich in dieser Hinsicht finde, stammt aus dem
Jahre 1399. Great- Yarmouth bat in diesem Jahre und wieder 1407 um
Nachlass der Summen, die es an den König zu zahlen hatte, weil sein
Hafen ganz versandet sei. Rot. Pari. III. S. 447, 620.
— 572 —
eine Bill gegen gewisse Besitzer von Zinnbergwerken in De-
vonshfre zu proponiren, weil dieselben durch die Art ihres Be-
triebes die Häfen zu Grunde richteten. Der Vorschlag fand
Anklang, die Bill wurde in das Parlament geschickt Die
wohlgemeinte Absicht kam aber dem Reformer theuer zu stehen.
Die Zinner von Devon waren durch Privileg Eduards I. (10.
April. 33 Ed. I) l) von jeder fremden Gerichtsbarkeit ausge-
nommen, soweit der Fall nicht „Land, Leben oder Glied* be-
traf8); sie hatten einen kgl. Gustos zum Richter; gleichzeitig
bildeten sie unter sich gewissermassen ein kleines Parlament
Der König konnte Vertreter der einzelnen Zinnwerke zusammen-
rufen und die Gesetze und Verordnungen, welche diese Ver-
sammlung beschloss, waren gültig3). Im Jahre 1510 hatten
nun die Delegirten mit Zustimmung des kg]. Deputirten die
Verordnung erlassen, dass Jeder Zinn graben dürfe, wo er es
finde, auch das Wasser zu seinen Werken führen könne ge-
mäss alter Gewohnheit, und dass jeder, der hierin sie zu stören
wage, von den 12 Richtern am Gerichtstag zu 40 £ verur-
theilt werden solle4).
Dieses Statut bot den Zinnern eine Handhabe, um gegen
Strode vorzugehen. Sie erklärten, er habe dasselbe verletzt,
indem er ihnen die ungehinderte Benützung des Wassers be-
streiten wolle, verurtheilten ihn in die Geldbusse von 40 j£,
und als er sie nicht zahlen konnte oder wollte, warfen sie ihn
in ein dumpfes, höchst ungesundes Gefängniss, wo er in Eisen
geschlagen blos Wasser und Brod erhielt. Nur ein günstiger
Umstand, nämlich dass er Steuereinnehmer war, dessen Dienste
man gerade damals brauchte, befreite ihn aus der dreiwöchent-
lichen Haft. Obwohl • die Zinner dem Befehl des Königs ge-
horchten und Strode freiliessen, so zwangen sie ihn doch noch
bei seiner Befreiung, eine Obligation von 100 jg zum Ersatz
der Kosten zu übergeben. Der Fall war auch von constitutio-
neller Bedeutung. Das Parlament erklärte Urtheil wie Obli-
gation für nichtig und sprach aus, dass Niemand wegen Bills,
die beim Parlament eingereicht würden, oder wegen gehaltener
Reden, die sich auf eine im Parlament zu behandelnde Sache
bezögen, verfolgt werden dürfe5). Der eigentliche Missstand
aber, der zu dieser Affaire Anlass gegeben, blieb unerledigt.
Erst 20 Jahre später, in der Cromwellschen Epoche wurde
*) Thom. Pearce, The laws and customs of the stannaries in the
counties of Cornwall and Devon. London 1725. S. 186 ist die Charte ab-
gedruckt
8) In welcher Weise die Zinner ihren privilegirten Gerichtsstand aus-
nützten, dafür fehlt es nicht an Beispielen. Rot. Pari IL 8. 190. (21 Ed. III).
8) Pearce a. a. 0. Pref. S. IV.
*) Pearce a. a. 0. S. 190 und 191.
*) 4 Hen. VIII. c. 8.
— 573 —
die Angelegenheit wieder aufgegriffen. Die Schäden waren zu
gross, als dass man länger die Augen verschliessen konnte.
Die Häfen in Devon und Cornwall wie Plymouth, Dartmouth,
Fynemouth, Falmouth und Fowey waren ganz versandet, und
während früher Schiffe bis zu 800 Tonnen Gehalt selbst bei
geringem Wasserstand leicht einfahren konnten, so vermochte
jetzt ein Schiff mit 100 Tonnen Gehalt bei halbem Wasserstand
kaum einzulaufen. Die Ursache lag bei den Zinnern. Diese
Leute, sagt die Parlamentsacte, berücksichtigen ihren Privat-
vortheil mehr als das gemeine Wohl und die Sicherheit des
Königreichs ; ihre Arbeiten mittels Flusswerke und ihr Graben,
Suchen, Waschen in der Nähe von Gewässern, welche in die
Häfen sich ergiessen, haben in die letztem eine erstaunliche
Menge von Sand, Kies, Steine, Erde, Schlamm und Schmutz
geführt".
Das Gesetz verbot deshalb die Benützung der Flüsse,
welche sich direct in die Häfen ergossen, und verlangte für
die Flusswerke Vorrichtungen, welche die Erdmaterialien der
Erzwäschereien abhielten und nicht in den Hafen gelangen
liessen. Gleichzeitig traf man verschiedene Bestimmungen,
um den Kläger gegen etwaige Verfolgungen der Beamten von
den King's Courts of Stannery zu schützen. Dem Anzeiger
sollten 5 £ als Belohnung zufallen J).
Die Erfahrung lehrte aber, dass Niemand Lust hatte, wegen
einer so kleinen Summe mit den mächtigen Herren einen Pro-
cess anzufangen. Die Regierung beklagte sich bitter über den
geringen Eifer und das geringe Interesse der geschädigten
Hafenbewohner. Um diese zur Initiative anzuspornen, erhöhte
man die Belohnung aufs Doppelte2).
Fortan liess man diese und verwandte Missstände nicht
mehr aus den Augen. Als die Themse, „der wichtigste und
vortheilhafteste Fluss des Königreichs" , der Schiffahrt gefähr-
lich zu werden begann dadurch, dass die Ufer- und Flussdämme
durch Einwerfen von Schmutz und Dung, durch Wegnahme
von Dammmaterialen beschädigt wurden, ordnete man unter
Strafe an, dass als Ballast der Schiffe nur der Sand und Kies
in der Themse benützt werden dürfe, und dass es Jedermann
freistehe, den Sand auf den Sandbänken in der Themse weg-
zuführen8). Später veranlasste das missbräuchliche Benehmen
*) 23 Hen. VIH. c. 8 (1531/82).
*) 27 Hen. VIII. c. 23. (1535/36). 1539 legte die Regierang dem
Parlament eine neue Bill in Betreff der Zinner vor, drang aber nicht mit
derselben durch. 14° die Pari. 31 Hen. VIII. heisst es in den Lords'
Journ.: „Per cancellarium quaedam est introducta biUa concernens stag-
narios, auequidem biUa 1» vice est lecta et rejecta".
*) 27 Hen. VIII. c. 18 und Verordnung der Stadt auf Grund dieses
Statuts abgedr. bei Northouck, London App. Nr. 39. S. 803.
— 574 —
der auf Schmuggel ausgehenden Getreideschiffe in der Severn
ein Gesetz, wonach Niemand Ballast, Steine und dergl. in
einen Hafen oder Fluss bei einer Stadt innerhalb der Hoch-
wassermarken werfen durfte1).
Unter der Regierung Heinrichs VHI. wurde auch die Ver-
sandung des Flüsschens Exe beseitigt. Obwohl dasselbe nur
klein, so hatte es für den Handel doch einige Bedeutung.
Früher brachte man nämlich alle Waaren nach dem landein-
wärts gelegenen Exeter per Schiff; seit der Versandung war
man aber schon lange genöthigt, Alles per Achse vom Hafen
in die Stadt zu führen, was einen jährlichen Schaden von
400 Mark und eine Verteuerung aller Waaren im Verhältniss
dieses Betrages zur Folge hatte, ohne dass hiebei die seitdem
häufigeren Ueberschwemmungen mit in Anschlag gebracht waren.
Man ertheilte der Stadt das Recht, den Fluss zu reinigen und
alle Hindernisse zwischen der Stadt und der See zu beseitigen;
man ermächtigte sie auch, die angrenzenden Grundstücke, so-
weit sie hiebei unterminirt wurden, nach dem 20-jährigen
Kaufpreis oder nach dem Ausspruch der Richter in der Graf-
schaft zu expropriiren *).
Welche Sorgfalt Heinrich VHI. in den letzten 10 Jahren
seiner Regierung im Interesse der Landesverteidigung den
Küstenplätzen und Seehäfen zuwandte, ist bekannt8). Dieselben
kamen natürlich auch dem Handel zu Gute. Der Hafendamm
von Dover4), der allein 65 000 j£ kostete;, war sein Werk.
Die Häfen Hüll5), Southampton 6) , Calais, Newcastle upon
Tyne 7), Berwick wurden verbessert und mit 50 andern Küsten-
*) 34 und 35 Hen. VHI. c. 9. § 4 (1542/48).
*) 31 Hen. VEL c. 4. Ein ähnliches Expropriationsrecht gegen Mahlen
wurde 1515 der Stadt Canterbury zuerkannt, als dieselbe den Verfall der
früher so blühenden Wallfahrt wieder zu beseitigen hoffte durch eine Ver-
tiefung des Flusses, so dass die Boote bis zur Stadt kommen konnten.
6 Hen. V1H. c. 17. — Yon indirectem Einfluss auf die Regulirung und In-
standhaltung der Flüsse waren natürlich auch die sogenannten Deichver-
bande (Commissions of sewers), welche eine sehr reiche Gesetzgebung
hatten und namentlich durch 23 Hen. VIII. c. 5 geregelt wurden. VgL
auch Gneis t, Geschichte des Selfgovernment S. 288, 285.
*) Vgl. Ranke, Engl. Geschichte I. S.222; Henry, History of Great-
Britain VI. S. 631 und 632; besonders Froude, History of England HL
S. 255 fg.
*) In Betreff der Fürsorge für Dover in früherer Zeit sieh Rot Pari.
IV. S. 364; V. 8. 568.
6) Um der Stadt Hüll die Aufbringung der Kosten zu erleichtern,
hatte der König ihr gewährt, dass kein Fremder oder Forense ausserhalb
der Stadt von einem Fremden oder Forensen kaufen dürfe, sondern nur
auf den Märkten in der Stadt. In Folge dieses Patentes fühlten sich
Lincoln , Beverley , New- Castle , Nottingham , sowie das damals ganz ver-
fallende York und andere Städte in den Grafschaften Lincolnshire, Notting-
hamshire und Yorkshire sehr beschwert und verlangten die Zurücknahme.
24 Hen. VHI. c. 15.
fl) Vgl. auch 22 Hen. VIII. c. 20 (1530/31).
7) Vgl. auch 21 Hen. VIU. c. 18 (1529).
— 575 —
platzen befestigt; ebenso traf er Massregeln, dass der Hafen-
damm von Scarborough wieder aufgebaut wurde1).
') Bereits am 3. Oct 1541 beschäftigte sich das Privy Council mit
dieser Frage, namentlich wegen Abgabe von Holz an Scarborough (Nico-
las, Proceedings etc. YL S. 251). Energische Massregel traf erst die Acte
37 fien. VUL1. c. 14 (1545), als der Verfall von Scarborough bedenkliche
Dimensionen annahm. Man schuf ein öffentliches Amt aus 2 Personen
(keepers of the key or nere of Scarborough), welche ein eigenes Siegel
hatten, Klage stellen, 1/a der gesammten Rente aller derjenigen, welche Be-
sitzungen in der Stadt hatten, erheben durften und mit den erhaltenen
Geldern gegen Rechnungsablage den Damm aufbauen lassen mussten.
Achtes CapiteL
Mass und Gewicht, Güte der Waaren.
^iV ie eine bestimmte Ordnung der Verkehrswege, des Geld-
und Creditwesens die Voraussetzung ist, dass der Handel sich
entwickle, so und noch mehr ist dies hinsichtlich von Mass
und Gewicht der Fall. Der einfache Naturaltausch kann ohne
Geld und Credit gedacht werden, nicht leicht aber ohne Mass
und Gewicht. Sie sind gewissermassen mit dem Auftreten des
Menschen gegeben, woher es auch theilweise rühren mag, dass
ihre Einführung von rohen Völkern unmittelbar auf die Gott-
heit zurückgeführt zu werden pflegt.
Die Aufgabe, die der öffentlichen Gewalt mit Bezug auf
das Mass- und Gewichtswesen zufällt, ist zu allen Zeiten eine
schwierige. Doch treten die Schwierigkeiten auf den fort-
geschrittensten Stufen der Volkswirtschaft zurück ; mit Hilfe
eines zahlreichen und geschulten Beamtenstandes und in Folge
der allgemeinen Schulbildung gelingt es, derselben Herr zu
werden. Je weiter man aber zurückgeht, um so grösser wer-
den die Hindernisse, auf welche die Regelung dieser wichtigen
Verkehrsinstrumente stösst. Bei wenig entwickelter Volks-
wirthschaft sind es besonders die localen Verschiedenheiten,
denen der Kampf gilt. Sie machen eine gründliche Ueber-
wachung fast unmöglich und sind eine Schranke für die Aus-
dehnung des Verkehrs. Wenn die Entwicklung des letzteren
nicht leiden soll, so müssen einzelne Gebiete mit dem ihnen
durch Sitte und Gewohnheit Liebgewordenen brechen.
Für das früh -mittelalterliche England waren wenige Be-
dingungen gegeben, die eine Unificirung des Masses und Ge-
wichtes hätten erleichtern können. Ja man darf wohl be-
haupten, dass nicht einmal die Verkehrsverhältnisse schon da-
mals eine solche gebieterisch verlangten; denn der Handel
war doch noch vorwiegend localer Natur. Es darf deshalb
— 577 -
nicht verwandern, wenn die ersten Versuche, das Mass- und
Gewichtswesen einheitlich zu regeln, so gut wie gänzlich
scheiterten.
Der sächsische König Edgar (959—75) hatte schon ver-
langt, dass die Masse und Gewichte, die in London und Win-
chester üblich waren, allgemein anerkannt würden1). Dass
das ein frommer Wunsch blieb, darf man schon daraus
schliessen, dass keiner der folgenden Könige diese Satzung
ausdrücklich erneuerte. Knut und Wilhelm der Eroberer
sprechen in ihren Gesetzen nur von der Aufrechterhaltung
richtiger und gestempelter Masse und Gewichte2). Erst
Richard I. Löwenherz machte wieder einen ernstlichen Ver-
such, der grossen Verschiedenheit zu steuern und gewisse
Masse und Gewichte in ganz England zur Geltung zu bringen.
Gleich bei seinem Regierungsantritt erfolgte eine dahin gehende
Proclamation 3). Noch grössere Energie wandte er dieser An-
gelegenheit acht Jahre später zu. Auf Verlangen und unter
Zustimmung der Grossen und Bischöfe des Reichs erliess er
eine sehr umfangreiche, auch nach andern Richtungen hin in-
teressante Verordnung, der eine grundlegende Bedeutung bei-
gelegt werden darf4). Besonders wichtig war, dass in den
*) Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen S. 193.
*) Schmid a. a. 0. S. 275, 355, 431.
s) „Omnia vero commercia rerum venalium per totum regnum consti-
luta sunt legaliter et hrefragabiliter unius ponderis et mensurae". M. Paris,
H;storia minor ed. Madden IL S. 10 unterm Jahre 1189.
4) Haec est assisa facta per dominum Ricardum regem Angliae per
petitionem et consilium episcoporum et cunctorum baronum suorum de
mensuris per totum regnum Angliae in festo Sancti Edmundi apud West-
monasterium anno VIII0 regoi Ricardi regls Angliae. Constitutum est,
quod omnes mensurae totius Angliae sint ejusdem quantitatis, tarn de bladis,
quam de leguminibus et de rebus consimilibus, scilicet, una bona summa;
et haec mensura sit rasa tarn in civitatibus et burgis quam extra. Mensura
etiam vini et cervisiae, et cunctorum liquorum sit ejusdem quantitatis se-
cundum diversitatem liquorum. Pondera etiam et librae et ceterae pesiae
sint ejusdem quantitatis in toto regno, secundum diversitatem mercaturarum.
Mensurae etiam bladorum et liquorum, vini et cervisiae, inclaventur in eis
daves, ne per dolum possint falsaii. Constitutum est, ut lanei panni, ubi-
cunque fiant, fiant de eadem latitudme, scilicet, de duabus ulnis infra li-
suras, et ejusdem bonitatis in medio et in lateribus. Eadem etiam ulna
sit in toto regno et ejusdem quantitatis, et ulna sit ferrea. Prohibitum est
Omnibus mercatoribus per totum regnum, ne quis mercator praetendat seldae
suae rubros pannos vel nigros, vel scuta, vel aliqua alia, per quae visus
emptorum saepe decipiuntur ad bonum partium eugendum. Prohibitum est
etiam, quod nulla tmctura vendenda, nisi solummodo nigra, fiat alicubi
in regno nisi in civitatibus aut capitalibus burgis. Constitutum est etiam,
ut in singulis civitatibus aut burgis quatuor aut sex legales homines de
ipsa villa, secundum quantitatem villae, similiter in vicecomitatu , aut cum
praepositis civitatis aut burgi, si in manu vicecomitis non fuerint, assignentur
ad assisam custodiendam sub hac forma; ut ipsi videant, et certi sint, quod
omnia vendantur et emantur per eandem mensuram, et omnes mensurae
sint ejusdem quantitatis secundum diversitatem mercium. Et si aliquem
ßchanz, Engl. Handelspolitik. I. 37
— 578 —
einzelnen Städten und Grafschaften 4—6 Leute zur Durch-
führung und Aufrechterhaltung der Assise gewählt werden
sollten. Alle Masse wurden geprüft, und ein Urmass in Lon-
don niedergelegt l). Obwohl die Verordnung von dem ernst-
lichsten Willen zeugt, so hatte sie doch nicht die gehoffte
Wirkung. Die Selbstverwaltung versagte ihren Dienst. Die
mit der Obercontrole betrauten Richter, obwohl wiederholt
zum Einschreiten aufgefordert2), scheuten sich, die Gewohn-
heiten des Volkes zu verletzen. Sie verhängten die angeord-
neten schweren Strafen nicht. In den ersten Jahren der Re-
gierung Johanns waren die Erlasse des Vorgängers so gut wie
vergessen 3).
Inzwischen hatte der Handel Englands etwas grössere Di-
mensionen angenommen. Käufer und Verkäufer aus den ver-
schiedenen Theilen Englands trafen sich häufiger als früher.
Es begann auch die Periode, in der, wie wir wissen, die Insel
dem Ausland erschlossen wurde. Eine einheitliche, feste Ord-
nung des Mass- und Gewichtswesens wurde jetzt schon in vielen
Kreisen als ein wirkliches Bedürfniss gefühlt. Die Barone und
die Städter drangen deshalb -darauf, dass diese Angelegenheit
auch in der Magna Charta behandelt werde. Es geschah im
Artikel 35, der lautet: „Una mensura vini sit per totum reg-
num nostrum et una mensura cervisie et una mensura bladi,
scilicet quartarium Londoniense et una latitudo pannorum tine-
torum et rusettorum et halbergettorum, scilicet due ulne infra
listas. De ponderibus autem sit ut de mensuris." Damit war
die Einheit von Mass und Gewicht eine Forderung der engli-
schen Verfassung und des englischen Rechts geworden. Bei
in veneriiit, qui confessus vel convictus fuerit, quod per aliam quam per
statutam mensuram vendiderit, corpus ipsius capiatur, et in prisonem mit-
tatur, et omnia catalla sua in manu domini regia saisiantur, nee deliberentnr,
nisi per dominum regem aut capitalem ejus jußtitiam. De ipsis custodibos
statutum est, quod si ipsi hanc custodiam ita negligenter fecerint, quod per
alios quam per eos attenientur coram justitiis domini regia, aliquam traos-
scriptam assisam transire, vel de mensuris victualium vel aliarum mensura-
rum, vel latitudine pannorum, ipsi cnstodes de catallis suis in misericordii
domini regia remaneant Praeceptum est etiam, ut post festum Purifica-
tionis Sanctae Mariae nullus in aliquo comitatu venaat aliquid nisi per
scriptam mensuram, quae ejusdem sit quantitatis; nee post fairam Mediae
Quadragesimae, quae erit apnd Stanford, vendat aliquem pannum minoris
latitudinis quam duarum ulnarum infra lisuras". Roger Hoveden, Cronica
ed. W. Stubbs IV. S. 88, 84. Sieh auch Stnbbs, Constitutional history
of England I. S. 509: 575.
1) „tempore regis Ricardi — anno regni ipsius VIII0 — omnes xnen-
surae Angliae examinatae fuerunt et faetae concordes et in Londoniis stan-
darda regia posita." Liber Custumarum ed. Riley S. 888.
*) Sowohl 1194, als 1198 ist dieser Punkt in der Agende der reisen-
den Richter erwähnt. Hoveden, Cronica ed. Stubbs DI. S. 268; IV. S.62.
*) Hoveden, Cronica ed. Stubbs IV. S. 172; Stubbs, Constitutional
history of England II. S. 509.
— 579 -
keinem Artikel der Magna Charta hatten die englischen Kö-
nige weniger Grund, gegen die Durchführung sich zu sträuben.
Wir sehen in der That dieselben bemüht, dem Artikel Geltung
zu verschaffen.
Von Heinrich in. wird berichtet, dass er sehr häufig auf
seinen Reisen die Masse und Gewichte prüfen, die falschen
zerbrechen und verbrennen Hess *). Nicht minder eifrig war
Eduard I. in der Sache2). In dem bekannten Freibrief von
1303, den er den fremden Kaufleuten ertheilte8), versprach
er, dafür sorgen zu wollen, dass nur ein Mass und Gewicht
in seinen Gebieten geduldet werden solle. Die im Statuten-
buch befindliche Mass- und Gewichtsordnung4), in welcher
genau die Grösse der einzelnen Masse und Gewichte fest-
gestellt ist, wird denn auch der Regierungszeit Eduards I.
und zwar dem Jahre 1303 zugetheilt. Wie aus dieser Assise
hervorgeht, hat man sich die Einheit von Mass und Gewicht
nicht so zu denken, als ob sie innerhalb des Systems bestan-
den hätte, nach dieser Richtung liess sie viel zu wünschen
übrig, nicht einmal das Gewicht war ein einheitliches, für
Gewürze z. B. war das Pfund ein anderes (= 20 sh), als für
andere Waaren (= 25 sh), man verstand vielmehr unter der
Einheit von Mass und Gewicht nur die allgemeine und aus-
schliessliche Giltigkeit der in der Assise vorgetragenen Masse
and Gewichte im ganzen Königreich. Aber auch das war nicht
zu erreichen. Der einfache Befehl gentigte eben nicht. Es
mussten Massnahmen ergriffen werden, welche die practische
Durchführung ermöglichten. Ein Anfang dazu wurde von dem
Schatzmeister Eduards II., dem Bischof von Exeter, gemacht,
der wenigstens für die Elle und den Scheffel Normalmasse aus
Erz anfertigen und in die einzelnen Grafschaften schicken
liess6). Sein Vorgehen wurde als richtig erkannt; das Parla-
ment beschloss unter Eduard III., dass dies für alle Masse
und Gewichte geschehen sollte, und verlangte auch die Wieder-
ernennung eigener Gommissionen zur fortwährenden Prüfung
und Ueberwachung 6). Wie wirksam diese Massregeln waren,
') „Et protinus inde recedens versus Londonias properavit, in quo
itinere mensuras bladi, vini et cervisiae falsitatis arguens quasdam confregit
aut combussit et vasa subsütuens capaciora, panem majoris ponderis fieri
et hujus statuti contemptores poena gravi pecuniaria militari praecepit"
M. Paris, Historia minor ed. Madden II. S. 299 unterm J. 1228.
*) Sieh auch Rot Pari. L S. 207.
') Sieh oben S. 892.
4) Statute book I. S. 204, 205.
*) „Episcopos Exoniensis, thesaurarios domini regia, fecit per omnes
comitatus Augliae mensuras concordantes et misit per singulos comitatus
singulas legenas et bussellos de aere." 14 Ed. IL liib. Cust ed. Riley
' " 6) 14 Ed. IDL st 1 c. 12; 25 Ed. HL st 5 c. 10; 31 Ed. HL st. 1
c 2; 34 Ed. HL c. 6.
37*
— 580 —
ersieht man aus dem Widerstände der Bevölkerung. Die un-
teren Classen wurden, als sie sahen, dass man Ernst mache,
unwillig, namentlich waren ihnen die Gommissionen verhasst,
die sie beschuldigten, dass sie ihre Strafgewalt missbrauchten1).
Das mag in einzelnen Fällen zugetroffen haben, aber sicher
ist, dass ohne diese Commissionen dem Gesetz keine Geltung
verschafft werden konnte. Es war eine Schwäche von Seiten
des Parlaments, dass es mit Rücksicht auf die eingelaufenen
Petitionen die Gommissionen wieder abschaffte und zugab, dass
nur nach jedesmaliger Klage ein Eingreifen stattfinden solle1);
das Gesetz war dadurch ein Messer ohne Klinge geworden.
Die Durchführung der Mass- und Gewichtsordnung besserte
sich wieder etwas, als 16 Jahre später die Friedensrichter mit
derselben betraut wurden8); denn es waren dies Kreispolizei-
herrn, welche vom König ernannt wurden, also mit der nöthigen
Energie auftreten konnten4), aber die entgegenstehenden Ele-
mente ganz zu unterdrücken, waren sie nicht im Stande.' Am
besten wurde noch in den grossen Städten das Gesetz aufrecht
erhalten. Die Stadt- und Marktbehörden nahmen hier die
Sache in die Hand5). Von London liegen uns eine Menge
Zeugnisse vor, aus denen hervorgeht, dass man fortwährend
die Masse und Gewichte controlirte 6) ; es kam vor, dass die
Stadtbehörde sogar gegenüber der Regierung die Einheit der
Masse unter Berufung auf die Magna Charta vertreten musste O-
Unter Richard IL machte man einen neuen Anlauf. Für
Denjenigen , der ein anderes Mass oder Gewicht als das ge-
setzlich festgestellte gebrauchte, wurde die Strafe von einem
halben Jahr Gefängniss und doppelter Ersatz des Verlustes an
die geschädigte Partei verordnet. Nur die Grafschaft Lancaster
durfte ihre bisherigen Masse beibehalten, weil dieselben grösser
waren, als alle übrigen im Königreich 8). Die Begründung ist
eigentümlich genug, da doch klar ist, dass dem Vortheil des
*) Rot Pari. IL S. 155, 156 (18 Ed. III).
*) 18 Ed. III. st. 2 c. 4. Ein Jahr zuvor war der Eifer noch nicht
erloschen. Rot. Pari. IL S. 141 (17 Ed. III.).
*) 34 Ed. III. c. 5; bei den Weinmassen hatte sich der König schon
vorher die directe Ueberwachung vorbehalten. 27 Ed. III. st. 1 ab.
4) Vgl. über ihre definitive Einreihung in den StaatsorganiBmas durch
84 Ed. III. c 1. K. Gneist, Geschichte des Selfgovernment 1863 S. 178.
*) Vgl. z. B. die strenge Marktpolizei des Bischofs von Winchester
nach dieser Richtung. Rot. Pari. I. S. 152; ferner Le domesday de
Gippewyz Art. 80 bei Twiss, The black book of the admlralty II. S. 177;
auch I. S. 81 Nr. 81, 82.
6) Liber Albus ed. Riley S. 266. 273, 278, 355, 586 fe. Sieh auch
Lib. Gust. ed. Riley S. 107, 108, 348, 382; Man. Gildh. Lond. ed.
Riley III. S. 432.
7) Man wollte 14 Ed. IL regierungsseitig das Biermass grösser machen
als das Weinmass. Lib. Gust. S. 382.
8) Rot. Pari. IIL S. 270; 18 Ric. IL st. 1 c 9; sieh auch Rot
Pari. in. S. 272.
— 581 -
Käufers ein ebenso grosser Nachtheil des Verkaufers gegen-
über stand. Noch vor Erlass des Gesetzes waren die königl.
Marktcommissäre angewiesen worden, für falsches Mass und
.Gewicht keine Strafgelder zu erheben, weil sonst nach Zahlung
der Strafe Alles beim Alten bleibe, sie sollten vielmehr die
falschen Masse und Gewichte stets confisciren und unbrauchbar
machen *).
Auch jetzt wurde der Zustand nicht viel besser. Für
manche Masse konnte man eine allgemeine Anerkennung nicht
durchsetzen, der Quartergehalt z. B. blieb über ein Jahrhundert
lang schwankend und unsicher 5 die Städter wollten unaufhör-
lich 9 Bushel haben, die Landleute aber nur 8 geben 2). Unter
Heinrich VI. schrieb man durch das Gesetz vor, dass jeder
Flecken und jede Stadt zu Jedermanns Benützung eine gemeine
Waage und ein Bushelmass halte, und verbot wegen des da-
mit getriebenen Missbrauchs die sogenannten Auncels (wahr-
scheinlich eine Art Schnellwaagen)8); ausserdem wurde die
Grösse der Weinmasse, als diese immer kleiner wurden, neu
geordnet. Ob diese Gesetze allgemein beachtet wurden, darf
man in Anbetracht der unruhigen Zeitverhältnisse billig be-
zweifeln. Eduard IV. wich dieser heiklen Frage möglichst aus,
er beschränkte sich darauf, die Fischmasse gesetzlich reguliren
zu lassen4).
Der Zustand, den der erste Tudor vorfand, war somit ein
völlig unbefriedigender. Es konnte Heinrich VII. nicht ent-
gehen, dass die Mannigfaltigkeit und Ungewissheit in Betreff
der Masse und Gewichte die Entwicklung des Handels störte
und hemmte. Als deshalb die äussere Ruhe im Reich einiger-
massen hergestellt war, und von Seiten des Unterhauses eine
Anregung erfolgte, nahm er diese Angelegenheit in Angriff.
Die Commoners hatten in ihrer Bill hervorgehoben, dass
die seit der Magna Charta über diesen Punkt erlassenen Ge-
setze alle vergeblich gewesen seien. Den Hauptgrund sahen
sie darin, dass die Nonnalmasse und -Gewichte zu wenig be-
kannt und zugänglich seien6). Die Gemeinen baten deshalb
den König, er möge auf seine eigenen Kosten Normalstücke
*) Rot Pari. III. S. 267 (1389).
*) 15 Ric. II. c. 4 (1891); 17 Ric. II. c. 4 (1394); 1 Hen. V. c 10
(1418); 11 Hen. VI. c. 8 (1483); 11 Hen. VH. c. 4 (1495).
*) 8 Hen. VL c. 5; 11 Hen. VI. c. 8. Wie aber die Einführung der
„poises couchantz" auch wieder zur Benachtheiligung des Publicums be-
nützt wurde, darüber sieh Rot. Pari. IV. S. 881 (1430/31). Die Auncels
hatte übrigens schon Eduard IH. verboten. 25 Ed. III. st 5 c. 9; 34
Ed. III. c. 5.
4) 22 Ed. IV. c. 2 (1483) bestätigt und erweitert 11 Hen. VH. c. 23
(1495).
6) Die von Eduard IL und in. in die Grafschaften geschickten Normal-
masse und -Gewichte waren wohl während der anderthalb hundert Jahre
verloren gegangen oder unbrauchbar geworden.
— 582 —
aus Erz in gehöriger Menge herstellen und in die einzelnen
Städte und Grafschaften senden lassen, wo sie von den Be-
hörden in dauernde Verwahrung genommen werden sollten.
Ferner hielten sie für noth wendig, dass nach diesen Normal-
Stücken die Gewichte und Masse berichtigt und angefertigt,
sowie von der Behörde zum Zeichen ihrer Genauigkeit mit
einer Marke versehen, alle nicht markirten aber verboten
werden müssten1).
Der König war mit all diesen Vorschlägen einverstanden,
liess auch wirklich Nonnalmasse fertigen, hielt aber ihre Ver-
theilung zurück, offenbar, weil er nicht gewillt war, die Kosten
zu tragen, welche das Parlament ihm zugeschoben hatte. Im
Jahre 1495 einigte man sich deshalb über eine neue Acte, in
welcher man über den Kostenpunkt mit Stillschweigen hinweg-
ging, aber bestimmte, dass jedes Parlamentsmitglied die Normal-
masse ausgehändigt erhalten und der Behörde der Stadt oder
des Districts, wo das Parlamentsmitglied gewählt worden war,
überbringen müsse. 43 namentlich aufgeführte Städte wurden
verpflichtet, die Normalstücke aufzubewahren. Ausserdem ver-
schärfte und ergänzte man einige Theile der früheren Acte').
Wichtig war namentlich die Bestimmung, dass die Ortsbehörden
wenigstens zweimal im Jahr alle Masse und Gewichte prüfen
sollten.
So war anscheinend Alles geschehen, um dem wichtigen
Reformwerk Leben und Wirkung zu verschaffen; doch war es
von einem Zwischenfall begleitet. Die Verwirrung in Betreff
der Masse und Gewichte war so gross, dass die Regierung
selbst unrichtige Normalmasse, namentlich bei den Busheis
und Gallonen hatte zu Grunde legen lassen. Auf die Be-
schwerden des Parlaments hin mussten die mangelhaften Stücke
wieder eingezogen, zerbrochen und statt ihrer neue ausgegeben
werden 3).
Natürlich hing der ganze Effect der Gesetze noch davon
ab, ob wirklich das Normalmass zur Herrschaft . gelangte.
Manche Stadtbehörden sollen es am gehörigen Ernst haben
fehlen lassen4), und die Folge sei gewesen, dass auch unter
Heinrich VII. die Unregelmässigkeit nicht ganz beseitigt wurde.
Immerhin war ein brauchbarer und ernster Schritt in der
Sache gethan; die Nivellirung war jedenfalls um ein Beträcht-
liches vorgerückt, und vor Allem war die Methode fest be-
gründet, nach welcher allein die vollständige Einheit erreicht
werden konnte und musste.
*) 7 Hen. VII. c 3 (1491).
*) 11 Hen. VII. c. 4.
8) 12 Hen. VII. c. 5.
*) Hob. Henry, The history of Great-Britain. London 1771—9
Bd. Vt S. 628.
— 583 —
Unter Heinrich VIII. beschäftigte sich die Gesetzgebung
wenig mehr mit der Sache1); nur die Weinmasse blieben
noch Gegenstand der Aufmerksamkeit8); man bestätigte aber
eigentlich auch nur, was bereits galt3).
Die mittelalterliche Gesetzgebung begnügte sich nicht mit
der Regelung der Verkehrsmittel, sie nahm auch eine sehr
active Stellung tu. den in den Verkehr tretenden Waaren selbst
ein. Wie sie richtiges und einheitliches Mass und Gewicht
aufrecht zu halten und durchzuführen suchte, so verlangte sie,
dass auch die Waaren von guter, zuweilen genau bestimmter
Qualität und Grösse seien. Bei näherer Betrachtung kann das
nicht auffallen.
Sobald das Gewerbe den engen Rahmen der Hausindustrie
überschritten hatte, auch nicht mehr vorwiegend mit fremdem
Rohstoff und auf unmittelbare Bestellung hin, sondern für den
Markt arbeitete, hörte die Waarenproduction auf, blose Privat-
angelegenheit zu sein, es kam der öffentliche Glaube ins Spiel.
Die Gefahr, dass der durchschnittlich noch sehr unerfahrene
und wenig bemittelte Consument tibervortheilt werde, war um
so grösser, je vereinzelter noch Tausch und Kauf, je sparsamer
und zufälliger die Versorgung der Märkte, je brutaler der
ganze Verkehr noch waren. Organe der öffentlichen Meinung,
welche die Bildung von Treu und Glauben im Verkehr hätten
befördern können, gab es noch nicht, der einfachste Weg, eine
betrügerische Herstellung der Waaren zu verhindern, war, eine
bestimmte Qualität und Grösse der Marktwaaren vorzuschreiben.
Je einfacher noch die ganze Technik war, um so leichter und
natürlicher erschien es, wenn dieProduction weniger fester Typen
befohlen wurde. Dazu kam, dass nach. solchen auch das all-
gemeine Bedürfniss ging; die Grenze zwischen Geld und Waaren
blieb lange eine flüssige, viele Artikel dienten zugleich als
Zahlungsmittel, und es war für die allmälige Ausbildung fester
Werthvorstellungen von grösster Bedeutung, dass Qualität und
Grössenverhältnisse der wichtigsten Marktwaaren nicht beliebig
und fortwährend geändert wurden4). Später gesellten sich
*) Gegen betrügerische Waagen und Gewichte ist ein Theil der Acte
4 Hen. VIII. c. 7 (1512) gerichtet. Gegen betrügerische Kohlenmasse wurde
34 n. 35 Hen. VIII. c 3 erlassen (vgl, auch 9 Ben. V. st 1. c. 10). Dass
aber auch die Regierung Heinrichs YHI. Privatgewichte neben dem gesetz-
lichen gestattete, ersieht man aus den Beschwerden der Niederländer 1545:
vgl. Bd. II. S. 301.
«) 23 Hen. Vin. c. 7 und 28 Hen. VIII. c 15.
») Für die Zeit von 1275—1459 ist auch Lib. Alb. ed. Riley 1859
I. S. 586—89; 886 zu vergl.: ferner App. IL 8. 432.
*) Sieh hierüber besonders Schmoller, Die Strassburger Tucher-
und "Weberzunft 1879. S. 870 fg.
— 584 -
andere Motive hinzu, wie Hebung der Industrie, Stärkung
ihrer Leistungsfähigkeit, Erhaltung und Vermehrung des Ex-
ports, immer aber war noch das andere Moment, der Miss-
brauch des öffentlichen Vertrauens das Entscheidende. Wenn
die Waare nicht die Qualität und Grösse hatte, die man all-
gemein von ihr erwartete, so war das strafbarer Betrug und
wurde genau so angesehen, wie die Benützung von falschem
Gewicht oder die Fälschung von Geld.
Was aber auch die Ursachen für das frühzeitige Eingreifen
in das fragliche Gebiet sein mögen, jedenfalls haben wir es
hier mit Massregeln zu thun, die nicht ausschliesslich vom
Standpunkt der Gewerbepolitik zu betrachten sind, sondern
die auch ein handelspolitisches Interesse haben. Ihre Folgen
mussten notwendigerweise den Handel in günstigem oder un-
günstigem Sinn beeinflussen.
Massgebend für die Art der Lösung war aber allerdings
die gewerbliche Organisation, wie sie jeweils bestand. Es ist
bekannt, dass das Zunftwesen mit dieser Frage auf das engste
zusammenhängt, und dass die Grundzüge in dieser Hinsicht
für das ganze westliche Europa die gleichen waren, freilich
mit nicht zu verkennenden Unterschieden im Einzelnen. Fassen
wir nur die drei grossen Nachbargebiete Deutschland, Frank-
reich und England ins Auge, so treten solche scharf genug
hervor.
In Deutschland geht in Folge der fortschreitenden De-
centralisation die Aufsicht über die Güte der Waaren in aus-
gedehntem Masse in die Hände der Stadtbehörden und in
weiterer Folge in die der Zünfte über. Doch darf man sich
hievon keine übertriebene Vorstellung machen. Selbst da,wo
die Zünfte zur grössten Macht gelangten, blieben sie immer
in einer gewissen Abhängigkeit von der Stadtbehörde. Sie
mussten ihre Statuten vom Rath genehmigen lassen, konnten
ohne dessen Zustimmung in wichtigen Punkten keine gütigen
Beschlüsse fassen, übten zwar ganz allgemein die Gewerbe-
polizei, hatten aber nur selten auch eigenes Gericht, waren
also in der Controle über die Güte der Waaren vielfach ein-
geengt und von der höhern Gewalt in Schranken gehalten.
Später, in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus brachte der
Territorialstaat ohnehin die Aufsicht über das Gewerbe und
die Gewerbsproducte in seine Hände *).
In Frankreich behauptete die centrale Gewalt ihre Macht;
der Staatsgedanke blieb lebendig, die Zünfte bildeten keinen
integrirenden Theil der politischen Verfassung, trugen vielmehr
nur den Charakter privilegirter Corporationen. Sie übten des-
halb die Gewerbepolizei nur als Delegirte ohne gerichtliche
*) Hierüber ist jetzt zu vergl. Neu bürg, Zunftgerichtsbarkeit und
Zunftverfasßong in der Zeit vom 13. bis 16. Jahrhundert 1880.
— 585 —
Selbständigkeit Die Aufsicht des Gewerbebetriebs war Sache
öffentlicher Beamten, besonders der Prevöts 1).
Die englische Entwicklung unterscheidet sich von der
deutschen und französischen vor Allem dadurch, dass das
Zunftwesen nicht so allgemein in England verbreitet8) und
auch die Scheidung zwischen Stadt und Land nicht so aus-
geprägt war, wie auf dem Continent. Im Uebrigen gleicht
die Stellung der englischen Zünfte mehr der der französischen
als der deutschen. Die Königs- und Staatsgewalt war im
mittelalterlichen England das beherrschende Element. Wohl
setzte ihr im späteren Verlauf das Parlament Schranken und
duldete nicht das Ueberwuchern der Willkürherrschaft, allein
durch die Cooperation der Könige mit dem Parlament wurde
das anarchische Auseinandergehen vermieden. Die Reichs-
polizei war eine selbstverständliche Notwendigkeit; weit ent-
fernt zu zerbröckeln, gewann sie noch an Ausdehnung mit dem
Wachsthum der Staatsidee. Die Macht der Zünfte blieb des-
halb in England immer beschränkt, die Staatsgewalt wachte
sorgfältig darüber, dass sie zu keiner vom Ganzen losgelösten
Selbständigkeit gelangten s). Für die normannische und spätere
Zeit besteht hierüber nicht der mindeste Zweifel. Daraus folgt,
dass auch die Controle über die Güte der Waaren nicht den
Zünften schlechthin zufiel. Der Schwerpunkt in dieser Hinsicht
lag vielmehr bei den Communalbehörden. Dies war nament-
lich der Fall, solange noch der locale Verkehr überwog. Die
Ortsbehörden überwachten als Träger der öffentlichen Gewalt
die Ortsgewerbe und griffen ein, wo es sich nothwendig zeigte.
Da, wo Zünfte bestanden oder sich zuweilen sogar auf Antrieb
der Behörden bildeten, bediente man sich ihrer Mitwirkung.
Die Zünfte hafteten gewissennassen für die Durchführung der
Bestimmungen, welche die Ortsbehörden mit ihrem Beirath
erliessen. Die Zünfte erhielten zumeist das Recht der Suche
nach reglementwidrig gefertigten Waaren und das Recht der
Anzeige, die Aburtheilung blieb aber fast ausschliesslich den
Behörden und Gerichten vorbehalten4). Aus sich hatte die
Zunft kein Recht zur Suche, dazu war ebenso wie zur Existenz-
berechtigung der Zunft selbst entweder ein königl. Privileg
oder städtische Genehmigung oder besonderes Gesetz noth-
wendig.
») Neuburg a. a. 0. S. 211.
*) Vgl. in 3 Ed. IV. c. 4 die Stelle: „in every city, town, borough
and village, where any such craft or mistery is used or occapied, where
no such masters nor wardens of any such craft or mistery De": ferner
Brewer, Cal. IV. 2735.
») 8ieh z. B. RotParl. IV. S.507; V. S. 290, 291; Toulmin Smith,
Engiish Gilda. S. 299 fg.; 15 Hen. VI. c. 6; 19 Hen. VII. c. 7; 22 Hea VIII.
c 4; 28 Hen. VIII. c. 5.
') Vgl. hierüber jetzt auch v. Ochenkowski, Englands wirthschaft-
liche Entwicklang im Ausgange des Mittelalters 1879. S. 81 fg.
— 586 —
Wir können darauf verzichten, diese Communalaufeicht
und die Mitwirkung der Zünfte hiebei im Einzelnen zu ver-
folgen. Aus den Urkunden, die über London publicirt sind,
lässt sich aber ersehen, dass wohl bei jedem Gewerbe Vor-
schriften, welche die Güte der Waaren garantiren sollten,
existirten und dass die Aufsicht eine strenge war *). Wie in
London dürfte es in allen grösseren Städten gewesen sein.
Auf dem Lande und in denjenigen kleineren Städten, in denen
Zünfte fehlten, war dagegen die Gewerbeaufsicht nur eine ganz
allgemeine. Hier hatte die Reichsgesetzgebung ergänzend ein-
zugreifen. Das war aber auch aus andern Gründen noth-
wendig. Häufig genügte in den grösseren Städten die Com-
munalthätigkeit nicht oder gab zu Klagen Veranlassung, oder
es geriethen die Zünfte unter einander oder mit der Orts-
behörde in Streit, insbesondere aber gab es eine Reihe von
Fällen, in denen man für das ganze Königreich einheitliche
Nonnen aufzustellen für nöthig fand. Dieses unmittelbare Ein-
greifen der Reichsgesetzgebung musste erklärlicher Weise im
Laufe der Zeit immer grössere Dimensionen annehmen; das
stufenweise Fortschreiten von der localen Wirthschaft zur na-
tionalen, die stetige Ausdehnung des Handels, die Ausbreitung
der Industrie auf dem Lande stellten der Landesgewerbepolizei
immer neue und erweiterte Aufgaben. Aber gerade weil die
Reichsgesetzgebung auf den ganzen Verkehr wirkte, ist sie
besondere wichtig, und für uns von Interesse.
Weitaus am umfassendsten und mannichfaltigsten ist die
Thätigkeit gewesen, die man gegenüber der Tuchindustrie ent-
wickelte. Die älteste Verordnung, die wir nach dieser Seite
hin besitzen, reicht bis ins 12. Jahrhundert, also in eine Zeit
zurück, wo die Weberei eben aus der blos häuslichen,Frauenarbeit
herausgewachsen war und für den Markt arbeitete, und wo des-
halb allenthalben2) Vorschriften über die Tücher auftauchten.
Im Jahre 1197 ordnete Richard Löwenherz an, dass alle im
Reich gefeitigten Wolltücher 2 Ellen breit und in der Mitte
und an den Seiten von gleicher Güte sein sollten, ferner dass
nichts mit den Tüchern vorgenommen werde, wodurch sie ein
täuschendes Aussehen erhielten, endlich dass nur in den
grösseren Städten die Farben ausser der schwarzen zum Ver-
kauf zubereitet werden dürften. Es ist bezeichnend und ganz
mit dem, was oben über die Ursachen solcher Verordnungen
gesagt wurde, zutreffend, dass diese Bestimmungen in einem
*) Vergl. z. B. Lib. Alb. ed. Riley S. 139, 264, 279, 316, 600 fe,
637 fg., 691 fg., 733 fg.; App. S. 411 fg., 441. Lib. Cust ed. Riley L
S. 59, 80, 83, 85, 101, 121, 127, 275 fg., 425, 426; Riley, Memorials of
London passim.
*) Schmoller, Die Strassburger Tucher- und Weberzunft S. 372, 873.
— 587 —
Erlass sich finden, der gleiches Mass und Gewicht im König-
reich anbefahl *). Das auf Anregung und mit Zustimmung der
Barone erlassene Statut wurde jedoch nur kurze Zeit ausge-
führt. Als im Jahre 1201 die Richter zur St Botolphs Messe
kamen und die Tücher, die nicht zwei Ellen breit waren, con-
fisciren wollten, setzten die Kaufleute durch, dass die Assise
Richards nicht mehr gehalten zu werden brauchte 2).
Man begreift unschwer, weshalb dies so kommen musste.
So einfach auch noch die Technik war, so gab es doch schon
einige Tuchsorten, und es war entschieden zu weit gegangen,
wenn man für sämmtliche Wolltücher eine einzige Breite vor-
schrieb. Man war aber keineswegs nun etwa gesonnen, die
Production ganz frei zu lassen. Die Barone hielten die Frage
für so wichtig, dass sie derselben in der Magna Charta eine
Berücksichtigung schenkten. Man trug aber jetzt dem Be-
dürfhiss des Verkehre mehr Rechnung und verlangte nur für
drei näher bezeichnete Tuchsorten die gleiche Breite 8). Trotz-
dem dürfte auch bei dieser Beschränkung die vorgeschriebene
Breite nicht durchgedrungen sein. Wir wissen z. B. ganz be-
stimmt, dass die Londoner Weber um 1300 Tücher machten,
die nur 1 Vi Elle breit waren *). Die Gesetzgebung beschäftigt
sich überhaupt fast 100 Jahre nicht mehr mit dem Gegenstand.
Um so eifriger scheinen die Localbehörden während dieser
Zeit dafür gesorgt zu haben, dass der Betrug in der Tuch-
industrie möglichst fem gehalten wurde. In den Statuten, die
der Londoner Mayor mit den Webern und Walkern während
der Regierungszeit Eduards I. vereinbarte, waren wenigstens
sehr eingehende Bestimmungen, welche eine gute Fabrication
sichern sollten6).
Aber auch die oberste Centralgewalt verlor die Sache nie
ganz aus den Augen. Schon um des Zusammenhangs mit dem
fiscalischen Interesse willen war das nicht möglich. Einen Beleg
hiefür haben wir in dem „Statute for estreits of the exchequer"
vom Jahre 18255. Alle Tücher, die zum Verkauf gelangten,
*) Sieh oben S. 577 N. 4.
*) „Eodem anno Hugo Bardulfi , et alii quidam justitiarii regia , vene-
rnnt ad nundinas Sancti Botulfi , volentes capere in manu regia pannos
laneos qui non habebant duas ulnas de latitudine infra lisuras. secundum
assisam Ricardi regis. Quo audito, mercatores effecerunt adversus prae-
dictos justitiarios, quod panni eorum non capiebantur, et quod diutius non
teneret assi&a illa Ricarai regis, neque de latitudine pannorum, neque de
mensoriß bladi; et ut liceat eis de caetero facere pannos suos latos vel
strictos sicut eis placuerit Unde praedicti justitiarii magnam adepti sunt
pecuniam ad opus regis, in damnum multorum. Vitanda est turpis lucri
causa". Roger de Hoveden, Cronica ed. W. Stubbs IV. S. 172.
*) Art. 35: — „et una latitudo pannorum tinctorum et russettorum
et halbergettorum, scilicet due ulne infra listas".
4) „Et qe chescun drap soit de la leour de VI quartes de une aune
dedens la liste". Ordinationes telariorum. Lib. Cust. ed. Riley S. 126.
*) Lib. Cust ed. Riley S. 121 fg.
— 588 —
mussten vom kgl. Tuchmesser gemessen werden, woraus dem
König eine Einnahme erwuchs. Es war zu natürlich, dass sich
damit eine Art Aufsicht über die Tücher verband. In der
That war dem erwähnten Statut zufolge der Warden of Aulnage
angewiesen, jährlich an das Schatzamt einen Bericht zu er-
statten, worin alle Fehler, die er als gegen die Assise ver-
stossend an den Tüchern im Königreich gefunden hatte, die
Eigenthümer, der Preis u. s. w. angegeben werden mussten1).
Daraus kann man schliessen, dass die fehlerhaften Tücher con-
fiscirt wurden. Zweifelhaft ist aber, welche Assise in dem
Statut gemeint ist
Wir haben keine Nachricht, dass vor 1328 auch die aus-
ländischen Tücher einer Controle unterworfen wurden. Es
war aber selbstverständlich, dass dieselben Gründe, welche für
eine Beaufsichtigung der einheimischen Tücher sprachen, auch
für eine solche der importirten gelten mussten. Im ge-
nannten Jahre sehen wir denn auch die Gesetzgebung diesen
Weg beschreiten. Alle Tücher mussten beim Eintritt ins
Land vom kgl. Tuchmesser in Gegenwart der Ortsbehörde ge-
messen werden, jedes gefärbte Tuch (cloth of colour) sollte
26 Ellen lang und 13/8 Ellen breit, jedes gestreifte Tuch (cloth
of ray) 28 Ellen lang und 6/4 Ellen breit sein. Tücher, die
dieser Vorschrift genügten, waren sowohl vom Tuchmesser als
von der Ortsbehörde zu markiren, Tücher, die geringeres
Mass hatten, fielen dem König anheim2). Ueber die Qualität
ist nichts geäussert, wahrscheinlich weil dieselbe als bekannt
vorausgesetzt werden konnte. Die Acte verlor übrigens ihre
Bedeutung, als einige Jahre darauf (1336) Eduard III. den
Versuch machte, das Tragen und die# Einfuhr fremder Tücher
ganz zu verbieten. Neben einer Reihe von Massregeln, welche
die Tuchindustrie so verbreiten sollten, dass sie das einheimische
Bedürfhiss zu befriedigen im Stande sei, gestattete er, die
Tücher im Inlande beliebig lang zu machen8). Das Verbot
der ausländischen Manufacte liess sich nicht aufrecht erhalten.
Das Statut über die Länge und Breite der Tücher wurde des-
halb wieder in Kraft gesetzt. Während aber das frühere nur
auf die importirten Tücher sich bezog, galt die neue Acte
überhaupt von Tüchern, die in England verkauft wurden, also
auch von den in England gemachten; auch verschärfte man
die Controle, indem man den Kauf leuten, die einen Tuchmesser
der Nachlässigkeit überführten, die Hälfte des mangelhaften
Tuchs versprach4). Die Folge war, dass die Kaufleute eine
grosse Masse Tuchs verwirkten und den Tuchimport aufgaben.
*) Statutebook L S. 192.
*) 2 Ed. III st North, c. 14.
«) 11 Ed. IE. c. 2.
*) 25 Ed. HI. st 3. c. 1 (1350/51).
— 589 —
Da machte das Parlament einen Vermittlungsvarschlag, es be-
willigte nämlich ausser dem üblichen Messgeld eine besondere
Subsidie, die der Verkäufer des Tuchs entrichten musste, wo-
gegen der König auf die Confiscation der Tücher, die nicht
die vorgeschriebene Länge und Breite hatten, verzieh ete.
Alles Tuch musste jedoch gemessen , ebenso mit einer Marke
versehen werden, aus der man erkennen konnte, wie viel Ellen
das Tuch hatte. Man hielt für nöthig noch hinzuzufügen,
dass dem Käufer ein entsprechender Preisabschlag bewilligt
werden müsse, wenn das Tuch nicht die vorschriftsmässige
Grösse habe1).
Aber auch mit diesem Zustand war man nicht lange zu-
frieden. Es waren kaum 10 Jahre vergangen, als die Gemeinen
die Bitte stellten, es möge das gestreifte Tuch in England von glei-
cher Grösse wie das Genter Tuch gemacht werden2). Diese
Petition war ganz berechtigt. England fing jetzt an, für den
ausländischen Markt zu arbeiten, es war von grösster Bedeu-
tung, dass man sich an ein Tuchmass anschloss, das, wie es
beim Genter der Fall war, im ganzen Abendland bekannt war
und in weiten Kreisen verlangt wurde. Die Antwort des Kö-
nigs lautete dahin, dass das hierüber erlassene Statut gehalten
und ausgeführt werden solle. Es lässt sich nicht entscheiden,
ob das in zustimmendem oder ablehnendem Sinn aufzufassen
ist, da man nicht weiss, ob die früher verlangte Länge und
Breite der Genter entsprach. Sicher ist nur, dass bald wieder
Klagen laut wurden, weil die in England gemachten Woll-
tücher nicht mehr die gewöhnliche Grösse hatten. Man setzte
deshalb wieder ein bestimmtes Mass fest, machte aber ver-
schiedene Concessionen. Bei dem gefärbten Tuch wurde die
Breite um Vs Elle, und beim gestreiften Tuch wahrschein-
lich3) — die Lesarten sind unsicher — um V4 Elle geringer
normirt als früher. Die für den eigenen Haushalt und die
zum Verkauf an geringe Leute gefeitigten Tücher fielen nicht
unter die Bestimmungen des Gesetzes, ebenso wurden später
ausdrücklich die aus irischer Wolle gemachten Tücher, die
sogenannte „Frizeware" von der Acte und der Tuchmessung aus-
genommen. Die fremden vom Ausland importirten Tücher sind
nicht erwähnt, offenbar blieben sie vollständig frei4).
Die ganze einschlägige Gesetzgebung Eduards HL verräth
einen tastenden unsicheren Character. Die verschiedenen
Interessen, die sich hiebei geltend machten, lagen mit einander
im Kampf. Der König wollte viel Strafgelder, aber auch viel
Zoll einnehmen, die Kaufleute und die Consumenten verlangten,
*) 27 Ed. UI. Bt. 1. c. 4 (1353).
*) Rot Pari. IL S. 286. Nr. 9 (1364/65).
*) Vgl. auch 12 Kic. II. c. 14.
4) 47 Ed. UI. c. 1 (1373); 50 Ed. III. c. 8 (1376/77).
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soweit es sich um inländische Waaren handelte, gutes Tuch
von fest bestimmter Qualität und Grösse , waren aber unter-
einander uneins, soweit es importirtes Tuch betraf, indem ffor
dieses die Kauf leute grössere Freiheit wünschten , die heimi-
schen Tuchmacher endlich hätten wohl am liebsten gesehen,
wenn ihnen gar keine Vorschriften gemacht worden wären.
Diesen verschiedenen Interessen gerecht zu werden, war un-
möglich, es trat bald das eine, bald das andere mehr in den
Vordergrund.
Dasselbe Spiel wiederholte sich in der Folgezeit, wie sich
gleich unter Eichard IL zeigte. Die Strömung war anfangs
der Strenge günstig. Man hielt an dem letzten Gesetz Edu-
ards III. fest, zog gegen einen neuaufgekommenen Unfug, wo-
nach die Tuchvei-fertiger oder Tuchverkäufer verschiedene
Tuchstücke zusammenhefteten *), zu Felde, bestrafte die Tuch-
messer , die ein solches mangelhafte Tuch siegelten , mit Ver-
lust des Amtes, versprach den Anklägern den dritten Theil
des fraglichen Tuchs oder Tuchwerths 2). Als nichts desto-
weniger die Klagen der Tuchexporteure immer heftiger wurden,
indem sie darlegten, dass sie im Ausland Gefängniss, Confis-
cation der Tücher erdulden müssten, ja nicht selten ihr Leben
bedroht sähen3), schrieb man vor, dass alle Tücher beim
Verkauf geöffnet werden und die Weber wie Walker ihre
Marke auf die von ihnen gemachten Fabricate setzen
müssten4), und suchte auch das Strecken der Guildforder
Tücher durch die Walker unmöglich zu machen ö). Damit war
gewissermassen der Höhepunct erreicht, und es erfolgte die
1) „en desceite du poeple et tres-grant esclaundre notre dit sr. le
roi, nomement es parties dela la mer". Kot Pari. III. S. 81.
*) Rot Pari. HI. S. 81: 8 Ria II c. 2 (1879/80); 7 Ria II. a 9
(1883): 12 Ric IL c. 14 (1388).
*) .Forasmuch as divers piain cloths, that be wrought in the coun-
ties of Somerset, Dorset, Bristol and Gloucester, be tacked and folded
together and set to sale, of the which cloths a great part be broken,
broused and not agreeing in the colour, neither be accoraing in breadth,
nor in no manner to the part of the same coths shewed outwards, bat
be falsely wrought with divers wools, to the great deceit, loss and damage
of the people, in so mach that the merchants, that bny the same cloths
and carry them out of the realm to seil to strangers, be many times in
danger to be slain and sometime imprisoned and put to fine and ransom
by the same estranffers, and their said cloths burnt or forfeit because of
the great deceit and falsehood , that is found in the cloths , when they be
untacked and opened to the great slander of the realm" etc. 13 Ria IL
st 1. a 11; Rot Pari. IIL S. 272.
4) Die Cogware und Kendal Cloths, die 9/4 Elle breit nur 40 d— 5 ah
kosteten, aus der schlechtesten Wolle gefertigt und nur an Cogmen im
Ausland und an geringe Leute in England verkauft wurden, waren von der
gesetzlichen Assise ausgenommen. 13 Ric. IL st 1. c. 10 (1389/90). Aehn-
liche Freilassungen geschahen unter Heinrich IV. Rot Pari. HL S. 487,
614; 1 Hen. IV a 19 (1399); 9 Hen. IV. c. 2 (1407).
5) 15 Ria IL a 10 (1391).
— 591 —
Reaction. Zwei Jahre nach dem letztgenannten Gesetz gab
man die Fabrication frei, jedes beliebige Tuchmass wurde ge-
stattet, nur sollte kein Tuch zum Verkauf gestellt, bevor
der kgl. Tuchmesser es gemessen und gesiegelt hatte, und keine
betrügerische Fabrication der Kerseys geduldet werden1).
Dieser Zustand dauerte 10 Jahre. Während dieser Zeit ruhte
diese Gesetzgebung nicht ganz, sie betraf aber nur unter-
geordnete Puncte.
Der gemachte Versuch, ohne festes Tuchmass und mit dem
blosen öffentlichen Siegel auszukommen, schlug fehl. Die
Tücher wurden immer kleiner , die Preise blieben aber jeden-
falls die gleichen. So griff man denn wieder auf die von Edu-
ard III. vorgeschriebenen Grössenverhältnisse zurück8). Aber
es waren noch keine zwei Jahre verflossen, als auch dieses
Statut wieder annullirt und die Strafen erlassen wurden3).
Zur Begründung dieses auffälligen Schrittes ist nichts weiter
angegeben, als dass das Gesetz sehr drückend und nachtheilig
gewesen sei. An der Richtigkeit dieser Begründung kann
allerdings nicht gezweifelt werden. Denn nicht genug, dass
man den Tuchverfertigern und Tuchverkäufern gar keinen
Tennin gönnte, bis zu welchem sie sich dem Gesetz gemäss
einrichten konnten, man hatte auch sonst Unbilliges verlangt.
Das neu festgesetzte Mass für die gestreiften und gefärbten
Tücher war identisch mit dem der Acte 27 Ed. III. st. 1. c. 4,
man wollte also eine Tuchbreite erzwingen, die nicht einmal
von Eduard III. und von Richard II. später festgehalten wor-
den war. Es wäre weit gefehlt, wenn man glauben wollte, es
habe die Absicht bestanden, nun wieder zu der früheren
Freiheit zurückzukehren; im Gegentheil, die Aufhebung des
Gesetzes war nur erfolgt, um den momentanen Druck zu be-
seitigen. Im folgenden Parlament wurde wieder auf die Acte
7 Hen. IV. c. 10 zurückgegriffen, die Art seiner Durchführung
war aber verschieden. Man beschloss, sämmtlichen Tuchmes-
sern ein neues Siegel auszuhändigen. Die mit dem alten Siegel
versehenen Tücher sollten bis zu einem gewissen Termine
straflos passiren. Von da an aber sollte das neue in Anwen-
dung kommen; es wurde besonders eingeschärft, dass kein
Tuch gefaltet werde, bevor die Tuchmesser dasselbe untersucht
hätten — eine Uebung, wie sie im Westen des Reichs seit
einiger Zeit aufgekommen war *). Dass man entschlossen war,
diese Bestimmungen festzuhalten, sieht man daraus, dass zwei
Jahre später dieselben in ihrem vollen Inhalte bestätigt wur-
l) 17 Ria II c. 2 (1393/94).
*) 7 Hen. IV c. 10 (1405/6); Rot Pari. III. 8. 598.
») 9 Hen. IV. c. 6 (1407); Rot. Pari HL S. 541, 618.
4) 11 Hen. IV c. 6 (1409/10); Rot Pari. HI. S. 644.
— 592 —
den1). Ob man aber auch wirklich seine Absicht erreichte,
das ist zweifelhaft.
Man sollte meinen, dass bei so häufigem Wechsel und bei
dem Fortbestehen von widersprechenden Gesetzen einige Ver-
wirrung hätte vorhanden sein müssen. In der That hatten
schon früher einmal die Verfertiger der gestreiften Tücher
hervorgehoben, dass man oft nicht mehr wisse, was eigentlich
Rechtens sei *). Im Schatzamt selbst wurden die Gesetze ver-
schieden ausgelegt. 1433 musste z. B. der König erklären,
dass unter dem in den Statuten 17 Ric. II c. 2, 7 Hen. IV c 10,
11 Hen. IV c. 6 vorkommenden Ausdruck „clothesa immer nur
ganze Stücke, sog. „broad clothsa und „broad dozens" zu ver-
stehen seien, nicht aber die „Streits". Die Tuchmesser sollten
die letzteren passiren lassen, wenn sie 14 Ellen lang und 1
Elle breit waren 8). Es ist das erste Mal, dass uns die „broad
cloths" gegenüber treten, während die früher so oft genannten
„cloths of colour" und „cloths of ray" aus den Statuten ver-
schwinden. Wahi-scheinlich liegt hier nicht eine blose Namens-
änderung vor, und waren wohl die neuen Tücher ungefärbt
und breiter als die früher üblichen, so dass sie in Folge eines
doppelten Gegensatzes breite Tücher hiessen. Die „broad
cloths" waren von nun an die wichtigste Tuchsorte im Ver-
kehr. Wodurch diese Aenderung veranlasst wurde, wissen wir
nicht. Einigen Einfluss dürfte jedoch das Aufkommen der
„streitsa gehabt haben; diese waren 1 Elle breit, es war ganz
natürlich, dass der Verkehr nun wünschte, die „broad cloths*
möchten, wie sie doppelte Länge hätten, auch doppelte Breite
haben. Wir sehen denn auch bald darauf die Gesetzgebung
diesen Standpunct einnehmen.
50 Jahre lang ruhte dieselbe, soweit es sich um die Tücher
handelte, fast ganz, mit erneuter Energie wandte sie sich
unter Eduard IV. der Angelegenheit zu. Die Veranlassung
hiezu soll wieder der schlechte Ruf der englischen Tücher
im Ausland und die wachsende Einfuhr aus andern Ländern
gewesen sein 4). Für einzelne Tuchsorten mochte dieser letzte
*) 13 Hen. IV c. 4 (1411).
8) Rot. Pari. III. 8. 664: sieh auch ebenda S. 254.
a) 11 Hen. VI c. 9 (1433).
4) In der Petition der Gemeinen heisst es : „in the time of anncien
prosperitee of the reame of Englond , — the ferne of renommy of the iio-
nour and pollicie therof reched into all cristen londes, sechyng and desnyng
the commodite therof; the makyng of cloth of the woiles of the growyng
of the seid reame, and the ordre and conveyaunce therof in the labour of
every man and woman required to the seid makyng was of auch trouth,
fynesse and parfitnesse, that the seid cloth excelled the cloth of enyother
region or cuntre and was desired and caried into all reames of Cristen-
dome; by the which mpkyng every man and woman of reeonable age un-
occupied desired to be put, and were put unto labour of some membre of
the seid makyng; wherbv ydelnes and the braunches of mvBgovernannce,
riot and vices growyng fro it were hated rebuked and exilea. And irhere
— 593 —
Grund zutreffen, für die gesainmte Tuchmenge dürfte die Rich-
tigkeit bezweifelt werden; denn gerade damals beschwerten
sich die niederländischen Tuchmacher bitter über die eng-
lische Concurrenz. Wie dem aber auch sei, jedenfalls muss
man in den neuen Parlamentsacten eine wesentliche Fortbil-
dung der bisherigen Gesetze erkennen.
Nach der von dem Parlament 1463 vorgelegten Bill sollten
die Broad Cloths 24 Ellen und 24 Zoll lang und 2 oder wenig-
stenz l3/4 Ellen breit sein, die Streits die halbe Länge und
Breite haben und die Kerseys 18 Ellen und 18 Zoll lang und
1 Elle 2 V4 Zoll oder wenigstens 1 Elle breit sein. Die Länge
bezog sich auf die Tücher in nassem Zustand, sie erfuhr gegen
früher keine Veränderung, da die frühere Länge von 28 Ellen
von trocknen Tüchern galt *) ; die Breite dagegen war grösser
geworden. Die Vermischung mit Baumwolle, Flocken, Talg,
Kork wurde gänzlich untersagt. Aenderungen des Musters
und der Webungsart oder sonstige Unregelmässigkeiten mitten
im Stück, zu kleines Mass sollten durch ein eigenes an der
Anfangsstelle angebrachtes Bleisiegel kenntlich gemacht, Tücher
aber, die in Grösse und Qualität untadelhaft waren, mit einem
andern Bleisiegel versehen werden. Jedes Tuch musste am
Ende eine Ursprungsmarke haben. Das Parlament ver-
langte femer, dass fortan mit der Untersuchung und Aus-
messung der Tücher nur Leute, die im Tuchmachen Erfahrung
hätten und in der Grafschaft wohnten, nicht aber Edelleute,
Juristen, Gerichtsbeamte, kgl. Diener oder Fremde betraut
würden. Das Amt sollte nicht verpachtet werden, sondern die
Inspectoren waren zu besolden. Gleichzeitig wurden Bestim-
mungen gegen das Trucksystem, gegen das betrügerische Zu-
gegen von Rohstoff an die Arbeiter getroffen2), die Einfuhr
fremden Wolltuchs, die Verwendung von Krämpeln (cardes)
statt Karden (tasseis) beim Walken und die Walkmühlen sollten
untersagt werden 8). Diese Bill wurde übrigens in der nächsten
Parlamentssession zurückgenommen und durch eine andere er-
setzt. Das neue Gesetz war in der Hauptsache mit dem
many yeres it hath been, and in thees dayes it is soo, that the makyng of
cloth and the membres and reqnisites therunto have and be of such fraude,
deceyte and untrouth that in other londes it is not oonly had and reputed
miworthy, bat also brent to the grete rebuke of the seid reame; and by
th'occasion therof the cloth of other straunffe londes been brought in grete
quantite into the same reame and there sold of high and excessive price;
shewyng clerely th'offence, detaute and untrouth in makyng of cloth of
the seid wolle, the speciall cause and grounde of the grete ydelnes and
of the myschief therof nowe reignyng in the seid reame". Rot. Pari.
V. S. 501.
*) „au fyne qe l'une drape et Pautre entier ewe et tondue seroit en
longure de XXIV aulnes". 7 Hen. IV c. 10.
*) Sieh oben S. 447.
3)Rot Pari. V. S. 501 fg.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 38
- 594 —
früheren identisch, enthielt aber im Einzelnen mancherlei zum
Theil abschwächende Modificationen, Das Verbot der Walk-
mühlen wurde fallen gelassen, die Strafe für Vermischung des
Tuchs mit Baumwolle, Flocken, Talg, Kork gemildert, an Stelle
der Confiscation trat eine Geldstrafe von 20 sh; man gestattete
Tücher aus reiner Baumwolle zu machen, und Kork beim
Färben zu benutzen. Tücher, die mehr als die vorschrifts-
mässige Länge hatten, sollten ebenso durch Siegel kenntlich
gemacht werden, als die zu kleinen. Die Uebertragung des Tuch-
messeramtes wurde an keine schwierigen Bedingungen geknüpft,
der Schatzmeister sollte dasselbe Jedem verleihen können, der
ihm passend schien , wofern er nur kein Fremder war. Die
Strafe für Nachlässigkeit des Tuchmessers wurde von 10 £
auf 1 l£ herabgesetzt, endlich die Bestimmungen über das
Anzeige- und Gerichtsverfahren in Betreff nicht vorschrifts-
mässig gezahlter Löhne klarer und schärfer gefasst1).
Die Hauptrichtung dieser Gesetzgebung ist klar. Man
stellte eine Normalgrösse als Richtschnur auf, erzwang sie aber
nicht, sorgte nur dafür, dass die Abweichungen sofort ersicht-
lich wurden. Ebenso geschah es mit Rücksicht auf die Qualität
Es war ein durchaus richtiger Weg eingeschlagen. Wie sehr
man bestrebt war, der Industrie soweit thunlich entgegenzu-
kommen, sieht man daraus, dass einigen Hundertschaften in
Devonshire auch das Einsetzen von Flocken gestattet wurde,
als sie darlegten, dass die bei ihnen erzeugte Wolle so rauh
sei, dass sie ohne dieses Hilfsmittel gar nicht Tücher her-
stellen könnten8).
Mit dem neuen Modus waren, wie es scheint, alle Bethei-
ligte zufrieden , ausgenommen der König. Seine Einnahmen
aus dem Tuchmesseramt waren geringer als zu irgend einer
Zeit vor der Acte, und man musste gestatten, dass er das
Ausmessungsamt wieder verpachtete und das Bleisiegel ausser-
halb Londons und Bristols durch zwei billigere aber leichter
zu fälschende Wachssiegel ersetzte3).
Die grosse Acte 4 Ed. IV c. 1 umfasste nicht alle, son-
dern nur 3 Tuchsorten. Im Jahre 1468 wurde auch eine Re-
gelung der „sett cloths" vorgenommen und zwar auf Ansuchen
der Weber in den Grafschaften Norfolk, Suffolk und Essex
selbst. Sie legten dar, dass ihre Industriebranche sehr dar-
niederliege, weil einige Tuchmacher die genannten Tücher von
kleinerer Länge und Breite und geringerem Gewichte machten
als bisher. Der Absatz ins Ausland habe sehr abgenommen,
5—6000 Personen seien beschäftigungslos. Ihrer Bitte ent-
*) 4 Ed. IV c. 1 (1464/65); Rot. Pari. V. S. 561 fg.
■) 7 Ed. IV c. 1 (1467).
8) 17 Ed. IV c. 5; Rot Pari. VI. S. 190. Vgl. auch Rot. ParL
III. S. 496. 541; 4 Hen. IV c. 23; 17 Ric. II c. 5.
— 595 —
sprechend wurde das früher übliche Grössenverhältniss und
Gewicht fixirt, und der kgl. Tuchmesser angewiesen, nur die
vollkommenen Tücher mit einem Wachssiegel zu versehen1).
Ganz selbständig geordnet war die Controle über die
Worsteds, die ebenfalls in der Grafschaft Norfolk verfertigt
wurden. Es wird ihrer schon 1328 in den Rot. Pari, gedacht.
Die königl. Beamten wollten diese Tücher dem Statut von
Northampton unterwerfen, während sie doch nur in einer
Grösse von 8—9 Ellen verfertigt wurden, man musste denn
auch die Anwendung der Assise auf dieselben aufgeben *). Die
Worsteds waren nun aber ein wichtiger Exportartikel, und man
musste darauf bedacht sein, dass dieser Export nicht durch
die Gewinnsucht Einzelner verloren gehe3). Diese Gefahr lag
aber sehr nahe, weil die Industrie nicht blos auf die Stadt Norwich
beschränkt, sondern in der ganzen Grafschaft Norfolk verbreitet
war. Unter Heiniich IV. wurden die ersten Klagen laut. Er
tibertrug 1410 der Stadtbehörde von Norwich das Recht der
Controle in der ganzen Grafschaft auf 10 Jahre. Dieselbe
hatte alle Tücher zu prüfen, und nur die von ihr gesiegelten
sollten zum Verkauf gestellt werden. Dieser Modus wurde
augenscheinlich nicht wieder erneuert. Die Grafschaftsweber
waren eifersüchtig und fühlten sich durch die städtische Ober-
aufsicht verletzt. 1442 versuchte man deshalb eine andere
Organisation, die Weber der Stadt Norwich sollten vier War-
deine aus ihrer Mitte wählen und noch zwei Grafschaftsweber
sich beigesellen. Diesen sechs wurde die Aufsicht übertragen
und die Hälfte der Bussen versprochen. Sie hatten aber nur
polizeiliche Vollmachten, die gerichtliche Verhandlung und Ent-
scheidung stand in der Stadt dem Mayor, auf dem Lande der
Friedensrichtern zu4). Aber auch damit waren die Grafschafts-
*) Ein „broad sett cloth" sollte 28 Ellen 28 Zoll lang, V« Ellen breit
sein und 38 Pfand wiegen, das „streit sett cloth" eine Länge von 14 EUen
14 Zoll, eine Breite von 7/8 Ellen und ein Gewicht von 91/» Pfund haben.
8 Ed. rV c. 1 (1468).
«) Rot Pari. IL S. 28, 204, 409.
8) „Lesquelles worstedes — sount — disseyvablement faitz — en
graund esclaundre et arerisment si bien de les loialx merchauntz de la dit
citee et de la paiis envyron, come a grand damage des seigneurs, gentielx
et autres gentz qaeconqes de la roiaulme, qi soloient achatier worstedes
pour lonr oeps et en overt destruction des marchantz qi passent ovec les
worstedes suis ditz devers Flaundres, Selond et autres diverses lieux par
dela., Si qe les merhcauntz aliens sount en purpos de faire serchier et
alner toutz les worstedes venantz de par dela et Celles qi sont trovez de-
fectyfs de forfaire, et outrement ordeigner horribles et esclaundreus peyns
as vendours des ditz worstedes , qi serroit graund esclaundre et reprof a
la roiaume, si bien come a la dite citee, et a la countee de Norffolk et
final destruction des merchauntz come a la dite citee, qi ne usent autres
merchandise en substance, forsqe soulement les ditz worstedes". Bot.
Pari. III. S. 637 (1410).
4) 20 Hen. VI c. 10; Rot Pari. V. S. 60. In der Petition ist
wieder auf den Export hingewiesen: „worsted was somtyme faire mer-
— 596 —
weber noch nicht zufrieden gestellt. Sie verlangten und er-
hielten gleiches Recht wie die Stadtweber, sie wählten also
ihre eigenen Vertreter und zwar vier. Die acht Wardeine zu-
sammen durften Verordnungen machen, welche jedoch erst der
Regierung zur Genehmigung vorzulegen waren, und hatten die
Befugniss, auch in Suffolk nach Norfolker Manufacten zu forschen.
Jeder Verfertiger von Worsteds war verpflichtet, seine Marke
einzuweben 1). Das Gesetz hatte nur eine Giltigkeitsdauer von
drei Jahren, es scheint aber, dass die neue Organisation einen
befriedigenden Erfolg hatte und deshalb entweder stillschwei-
gend oder mit königl. Licenz auch nach dem Erlöschen des
Gesetzes geduldet wurde. Denn Eduard IV. knüpfte unmittel-
bar an dieselbe an. Die acht von den Webern gewählten
Wardeine erhielten ein ziemlich unbeschränktes Verordnungs-
recht und die Befugniss der Controle auch für Cambridge. Sie
nrussten in Norwich und an ein oder zwei Plätzen der Graf-
schaft an gewissen Tagen die Untersuchung der gebrachten
Worsteds vornehmen und die gut befundenen mit einer Marke
versehen. Der Verkauf unmarkirter Tücher war verboten.
Ihre Vereidigung geschah durch den Bürgermeister von Nor-
wich und den Steward of the Duchy of Lancaster. Von den
letzteren wurde auch das Gericht geübt, sie mussten aber
sechs Stadt- und sechs Grafschaftsweber zuziehen. Der Major
oder Steward konnte diese 12 Beisitzer auch jederzeit ver-
wenden, um wieder die acht Wardeine sowohl in ihrer Amts-
thätigkeit als in ihrem eigenen Geschäft zu controliren *).
So sehen wir die Regierung Eduards IV. nach allen Seiten
hin bemüht, der englischen Tuchindustrie ihren guten Ruf zu
erhalten, unter weiser Abwägung aller ins Spiel kommenden
Interessen. Vielen schien die Gesetzgebung nicht streng genug,
und unstreitig wurde es immer schwieriger, die schlechten Ele-
mente zu zügeln. Um diese Zeit nahm, wie schon früher dar-
gethan wurde, die Tuchmacherei einen neuen Charakter an.
Sie trat aus den bescheidenen Grenzen mehr und mehr heraus,
der Export war in stetem Wachsen. Neue Zwischenglieder
schoben sich in die Production ein, die Arbeitsteilung ward
ausgedehnter, und damit auch die Zahl der Geschäfte und
Personen, welche das Tuch fälschen konnten, grösser. Es ist
nicht zu verwundern, wenn nach verhältnissmässig kurzer Zeit
die Klagen über die betrügerischen Manipulationen wieder lauter
denn je wogten. Namentlich waren die Londoner, in deren
Händen der Hauptexport lag, für eine grössere Strenge ein-
chandise and greetly desired and loved in the parties beyonde the see»
nowe because it is of untrue stuffe, no man setteth therby, which is greet
härme and prejudice unto your true liege people".
J) 23 Hen. VI c. 3; Kot. Pari. V. S. 105 (1444). Auch dieses Ge-
setz hatte eine Gültigkeitsdauer von 3 Jahren.
8) 7 Ed. IV. c. 1; Rot. Pari. V. S. 619 (1467/68).
— 597 —
genommen , aber auch die fremden Kauf leute, wie die Hansen 1)
und Italiener *), beschwerten sich und übten Repressalien.
Richard III. schenkte diesen Stimmen Gehör. Wohl haupt-
sächlich um den Kaufleuten zu gefallen, und unter ihrem Bei-
rath erliess er eine Acte, die an Strenge die bisherigen über-
traf. Die Tuchmasse der Acte 4 Ed. IV. c. 1 wurden mit
geringen Veränderungen beibehalten, aber sie galten nicht
mehr blos als Normalmasse, von denen auch abgewichen wer-
den konnte, sondern ihre Beobachtung wurde stricte anbefohlen.
Jedes Tuch sollte fortan zwei Bleisiegel erhalten, das eine
musste die Grafschaft, das andere den Ort der Production be-
zeichnen. Kein Tuch sollte geschoren, exportirt oder im Detail
verkauft werden, das nicht genetzt war. Das Strecken von
genetztem Tuch wurde verboten. Niemand durfte im eigenen
Haus eine Spannvorrichtung haben, solche sollten nur auf
offenen Plätzen aufgestellt werden, damit die Stadtbehörden
leicht die Controle üben konnten. Kalk durfte nicht benützt
werden, um die Tücher weiss zu machen, alle betrügerischen
Vermischungen mussten unterbleiben. Gewisse Farbmaterialien
und der Verkauf der mit ihnen gefärbten Tücher wurde ver-
boten. Tuch und Saum mussten mit derselben Farbe gefärbt
sein. Den Fremden wurde untersagt, die Wolle, die sie zum
Export zu kaufen gedachten, auszulesen. Auf die Umgehung
dieser Bestimmungeu waren schwere Strafen, meist die Confis-
cation der Tücher gesetzt8).
Wohl jammerten die Tuchindustriellen und erklärten, es
sei ganz unmöglich, dem Gesetz in allen Stücken nachzukom-
men , sie mussten unter den Strafen erliegen ; aber lange ver-
geblich. Erst im zwölften Jahre seiner Regierung dispensirte
Heinrich VII. von der Anwendung der Strafen4). Aber auch
das geschah nur bis zum nächsten Parlament. Wir wissen
nicht, ob die Einsicht, dass ohne das Gesetz nicht auszukom-
men sei, oder die Habsucht des Königs bewirkten, dass er die
Acte nicht dauernd aufhob. Es war einer der ersten gesetz-
geberischen Acte Heinrichs Vni., die Strafen des mehrerwähnten
Richard'schen Statuts wieder für unanwendbar zu erklären5).
Eine völlige Lücke sollte aber nicht eintreten. Das wäre in
der That gefährlich gewesen; denn gerade während Hein-
richs VHL Regierung begannen „die Tuchmacher mehr darauf
zu denken, wie man viele, als wie man gute Tücher mache4* 6).
*) Vgl Urk. Beil. 82, § 27.
*) Sieh oben S. 132.
*) 1 Ria m c. 8 (1483/84).
«) 12 Hen. VII c. 4 (1496/97).
*) 1 Hen. VIII c 2 (1509/10).
*) Der Satz „they stnddye rather to make manye then to make goed
cLothes" in 5—6 Ed. VI c. 6 gilt schon für die Zeit Heinrichs VIII. Sieh
Bd. IL S. 86 fg.
— 598 —
Die Ueberzeugung , dass im Interesse des Gemeinwohles die
Industrie nicht sich selbst überlassen werden dürfe, scheint
auch ganz allgemein gewesen zu sein. Man kann dies unter
Anderem auch aus der Schrift des durch seine während Hein-
richs VII. Regierung verübten Erpressungen bekannten Edmund
Dudley schliessen, welche derselbe vor seiner Hinrichtung
schrieb, und die für Heinrich VIII. bestimmt gewesen sein
soll '). Die Regierung legte denn auch dem 1512 neugewäblten
Parlament einen Gesetzentwurf vor, der der betrügerischen
Fabrication zu steuern suchte. Von der Abgabe der Wolle an
den Spinner bis zum Verkauf des Tuches verfolgte und verpönte
man die üblichen Unterschlagungen und Betrügereien. Nament-
lich war die Acte gegen das Strecken der Tücher gerichtet,
das, wie schon aus dem Rieh ardsehen Gesetze zu ersehen ist,
allgemein verbreitet war. Es sollte deshalb kein Tuchmacher
Tuch verkaufen dürfen , das mehr als eine Elle in der Länge
und ein Viertel in der Breite zusammenschrumpfte, wenn es
genetzt wurde. Den Tuchkäufern war das Strecken ausser
zur Prüfung verboten, über die See durfte kein gestrecktes
Tuch geschickt werden. Gefärbte Wolle und gefärbte wollene
Garne, bei denen ein Betrug leicht möglich war, durften nur
*) — „the commodities of this noble realme be soe noble and with
tbat soe plenteous yt they canot be spended or all employed within the
same, bat necessarilie, there mäste be entercourse betwene this realme and
outward partes for the atteraunce thereof and speciallie for the wooll and
cloth. tonne and leade, feil and hide, besides divers other commodities,
that doth greate ease to the subiectis. Howbeit I feare that the best com-
modities of this realme be so xnuch appared by subtiltie and falshoode,
that they be not reputed, esteemed or soe mach made of as they hare
bene. First the woolls of this realme be not soe well ordered in the gro-
wers handes as they have bene, bat for lacke of good order they be mach
impared in fynenes, that when it commeth to the handes of the merchantis,
by* them ana theire packers it is subtillie appared and altered. In lue
wise the clothes of this realme, what by untrue making and what by the
ßubtdll demeanour in the handes of thadventurers and merchantis, they be
little sett by in all outward partes, not onlie to the greate preiudice of
the kinge and hü subiectis, but alsoe to the infamy and reboke of people
of this realme, I doubte me there is like crafte and subtiltie used in lead
and other commodities of this realme. But I praie god, it maye be put
in the minde of our soverayne lorde to commaunde his councell with such
wise and expert men as they will call unto them to take some Studie and
paine for the reformacion hereof and that betymes, least other euntries
take all the practice of our commodities from üb and then percase it will
be past remeaie. And for reformacion hereof the reward of our soyerayne
lord shalbe merit honour and profit. Howe great merit shall it be to von
to reduce those falsenes to truthesl Howe mach shalbe your honour, that
by your Studie and polUcy the commodities of your realme shalbe in as
gooa reputacion as they have bene in old timel What larg profitis and
customes by reason hereof and otherwise shall growe to the kinge by
greate entercourse, that will ensue therebiel" Edmonde Dudlay, Thetree
of common wealth. Now first printed from a copy of his Ms. for the
brotherhood of the Rossy Cross. Manchester 1859. S. 21—28.
— 599 —
auf offenem Markte gekauft werden *). In der nächsten Par-
lamentssession wurden die White Streits der Grafschaft Devon-
shire einer Neuregelung unterworfen. Jeder Verfertiger musste
auf das von ihm gemachte Tuch wieder seine Marke setzen
und jedes zum Verkauf ausgestellte Stück sollte lVs Elle breit
und 15 Ellen lang sein2).
Ferner gaben die Worsteds wieder Anlass zum Eingreifen.
Wir haben oben gesehen, wie die Aufsicht und Vermessung
derselben den königl. Inspectoren entrückt war, und wie in
der Grafschaft Norfolk die Controle durch die Worstedsweber
selbst geübt wurde. Nur die Norwicher Worsteds -Scheerer
waren unzufrieden ; sie erklärten, dass das Scheeren von vielen
ungelernten und unkundigen Leuten getrieben werde, woraus
der Worstedsmanufactur der Ruin drohe. Sie verlangten, dass
nur solche, die eine siebenjährige Lehrzeit hinter sich hätten
oder ihre Geschicklichkeit vor den Scheermeistern und dem
Bürgermeister darthäten, selbständig das Handwerk ausübten,
dass Niemand ausser den Meisten! Scheerleute in seinem Hause
beschäftige und dass sie das Recht zur Suche erhielten. Diese
Forderungen wurden bewilligt mit dem Vorbehalt, dass das
Handwerk keine Verordnung ohne Zustimmung der Stadtbehörde
erlasse3). Die Vorrechte der Worstedsscheerer wurden zwar
bald annullirt, weil sich zeigte, dass sie dieselben missbrauch-
ten, das Erforderniss der siebenjährigen Lehrzeit oder beson-
derer Prüfung für sämmtliche Norwicher Tuchscheerer wurde
ausdrücklich aufrecht erhalten4). Später zog man gegen eine
neue Methode, die Worsteds zu decatiren, zu Felde. Auf dem
Continent hatte man gelernt, die Worsteds mit Zuhilfenahme
von Oel und mittels Pressung trocken zu decatiren und einem
Stück, das nur 26 sh 8 d werth war, einen Anschein und
eine Gestalt zu geben, als ob es eines von 40 sh oder grösserem
Werth wäre. Wurde ein solches Tuch nass, dann kam freilich
der Betrug an den Tag5). In den Niederlanden hatte man
die Methode deshalb verboten. Nun aber waren diese Trocken-
decatirer nach England gegangen und übten da ihren Unfug
aus. Man untersagte auch in England das Trockendecatiren
*) 3 Hen. VIII c. 6. Die Acte hatte bis zum nächsten Parlament zu
Selten, wurde aber dann ohne zeitliche Beschrankung mit geringen Modi-
cationen erneuert 6 Hen. VIII c. 9. Die Ausführung des Gesetzes war
streng. In der Acte 7 Hen. VIII c. 11 wurden 28 Schuldige sogar vom
Generalpardon ausgenommen und mussten 396 £ Strafe zahlen; vgl. ferner
Brewer, Cal. II. 1985; IV. 3915. Die geringern Tuchsorten waren dem
Gesetz nicht unterworfen. 8 Hen. VIII c. 6; 6 Hen. VIII c. 9; 14-15
Hen. Vin c. 11.
*) 5 Hen. VIII c. 2 (1513 14), durch 6 Hen. VIII c. 8 bis zum nächsten
Parlament, also bis zum 15. April 1523 verlängert.
») 11 Hen. VII c. 11 (1495).
«) 19 Hen. VH c. 17 (1503/4).
*) „incontynent it wolle skowe spotte and shewe foule".
— 600 —
und machte ähnlich, wie es bei den Tuchscheerern geschehen
war, zur Bedingung, dass fortan nur solche das Decatirge werbe
selbständig ausübten, welche sieben Jahre lang Lehrling bei
einem Meister gewesen und ihre Fähigkeit vor dem Norwicher
Stadtmayor und zwei jährlich in Norfolk gewählten Meistern
dargethan hätten1).
Aehnlich war man zwanzig Jahre früher gegen eine neue
Methode bei Bereitung der Barchente vorangegangen. Diese
wurden ungeschoren eingeführt und erst in England vollends
fertig gestellt. Dies geschah lange mit einer einfachen grossen
Scheere. Unter Heinrich VII. benützten einige Handwerker
ein neu erfundenes eisernes Instrument, mit dem sie den Bar-
chent lockerten, worauf sie die hervorstehenden Fäden mit
einem Licht abbrannten. Es wurde nun behauptet, dass bei
diesem Verfahren die Fäden zerrissen und der Grund zerstört
würden, so dass die Stücke statt zwei Jahre oft keine drei
Monate mehr hielten. Man verpönte die Methode und über-
trug dem Mayor und den Wardeinen der Scheerer von London
die Controle2).
Man sieht, dass in der Technik eine Gährung beginnt.
Bei der wachsenden Production machte sich das Bedürfniss
nach kürzeren und wirksameren Verfahrungsweisen geltend,
die alten reichten nicht mehr aus. Wie noch heute bei neuen
Erfindungen einzelne Unvollkommenheiten sich zeigen, so war
es auch damals. Die Gesetzgeber hatten dafür aber kein Yer-
ständniss. Sie nahmen meist eine schlechtweg ablehnende
Haltung ein. Die Statuten sind immer einseitig gefärbt. Gar
oft wurde von interessirten Handwerkern die schlechte Arbeit
als Vorwand benutzt, um wirkliche Verbesserungen von Seite
der Concurrenten zu verpönen. Es ist bekannt, wie dies bei
den Walkmühlen der Fall war3).
Inzwischen waren neue Klagen aufeetaucht. Die Ent-
deckung der neuen Welt hatte auch neue Farbmaterialien ge-
bracht. An Stelle des theuren Waids und anderer Farben
J war das Brasilienholz getreten. Aber auch diese Neuerung
| wurde zurückgewiesen. 1532 wurde durch Gesetz bis zum
nächsten Parlament die Benützung von Brasilienholz verboten4).
Die Acte wurde später nicht erneuert, vermuthlich hatte sich
allmälig die neue Farbe doch nicht so verwerflich gezeigt, als
anfangs dargestellt wurde5).
') 5 Hen. VIII c. 4 (1518/14), durch 25 Hen. VIII c. 5 für dauernd erklärt
*) 11 Hen. VII c. 27 (1495).
•) Vgl. Lib. Cust. ed Riley L S. 127; Man. Gildh. Lond. ed
Riley HL S. 431; 22 Ed. IV c. 5.
*) 24 Hen. VIfl c 2.
*) Ihre Zurücknahme wurde sogar noch vor diesem Termine verlangt
Wenigstens heisst es in den Lords Journals 13° und 28° die Pari.
25 Hen. VIII: „billa concernens revocationem actus concernentis tinctionem
pannorum nuper editi semel est lecta — denuo lecta".
— 601 -
Weiteren Anlass zum Eingreifen gab das fremde Leinen.
Seit dem verunglückten Versuch Eduards III. hatte man darauf
verzichtet, hinsichtlich fremder Tücher Vorschriften über die
Grösse oder Güte derselben zu erlassen. 1529 begab man
sich aber wieder auf diese Bahn, allerdings mit gleich schlech-
tem Erfolg. Den Anlass hatten die importirten Dowlas und
Lokerams der Bretagne gegeben. Es hiess, seit 20 oder 30
Jahren fehlten an jedem Halbstück ä 50 Ellen vier bis fünf
Ellen. Das Gesetz verlangte, dass alle eingeführten Stücke
das frühere Mass wieder hätten1). Wenn man erwägt, dass
die Uebung des kleineren Masses schon 30 Jahre bestand, also
eine allgemeine und den Käufern wohlbekannte war, und dass
diese jedenfalls ihren Preis auch danach eingerichtet hatten,
so muss es auffallen, dass man nun plötzlich den alten Zustand
wieder herstellen wollte. Es möchte deshalb die Erklärung
nicht ganz ausgeschlossen sein, dass der schon länger bestehende
Unwille über die grosse Leineneinfuhr dabei mitwirkte. Die
Bretonen weigerten sich aber mit aller Entschiedenheit, ihre
Fabrication zu ändern, sie antworteten mit Repressalien gegen
die englischen Wolltücher, der schliessliche Effect war, dass
der Absatz der englischen Tücher nach der Bretagne sich sehr
verminderte. Nach sieben Jahren hob man die Acte wieder
auf und verlangte, dass die Länge und Breite genau durch
Siegel angegeben werde2). Man konnte um so eher zu dieser
Concession sich verstehen, als man inzwischen in anderer Weise
für die Aufbringung der Leinenindustrie in England gesorgt
hatte 3).
Wir sind in die dreissiger Jahre des 16. Jahrhunderts
eingetreten. Schon oben wurde darauf hingewiesen, wie um
diese Zeit mehr und mehr die wirtschaftlichen Fragen in den
Vordergrund traten und besonders die Folgen der Agrarrevo-
lution mit immer grösserer Heftigkeit sich geltend machten.
Sie gaben allen öconomischen Massregeln der Zeit ihre Fär-
bung, auch für unsere Frage mussten sie ihren Einfluss zeigen.
Vor Allem war klar, dass eine Steigerung des Exports, wie
man sie wegen der vielen arbeitsuchenden Hände wünschte, nur
möglich war, wenn man strenge darauf sah, dass die Güte der
Tücher nicht leide. Die Wirthschaftspolitiker jener Tage machten
ausdrücklich darauf aufmerksam. Ist das englische Tuch, sagte
man, billig und gut, geniesst es einen guten Ruf, hemmt man
*) 21 Hen. VIII c. 14 (1529).
*) 28 Hen. VIII c 4 (1536). In London mussten seit 8 Hen. VIII
alle continentalen Tücher von dem „common meator" gemessen werden.
Nach dem Tode Heinrichs VIII. sah man aber davon ab. Die gedruckte
Procl. hierüber ist erhalten im Antwerpener Stadtarchiv, Vol. betitelt:
Engeische Natie 1501—48.
*) Sieh oben S. 457.
— 602 —
nicht seine Ausfuhr, dann kann es den Engländern nicht an
Arbeit fehlen.
Die englische Regierung wendete auch ihr Augenmerk der
Frage von Neuem zu. Am 28. November 1534 erliess Hein-
rich VIII. eine Proclamation, worin er die Beobachtung der
Statuten, die in Betreff der Länge, Breite und Güte der zum
Verkauf bestimmten Tücher gemacht worden waren, anbefahl l)
und beim nächsten Zusammentritt des Parlaments wurde auf
Betreiben der Merchant adventurers 2) , namentlich der Kauf-
leute Pol Withipol und Sir Richard Gresham noch ein beson-
deres Gesetz gemacht. Die Rücksicht auf die Ausfuhr ist in dem-
selben besonders betont. In Folge des schlechten Rufs, den
die englischen Tücher in den überseeischen Ländern sich zu-
gezogen hätten, werde der Verkauf der Tücher sehr gehemmt
und das Gemeinwohl des Königreichs geschmälert. Es wurde
deshalb wieder strenge befohlen, dass die Tuchmacher in jedes
ihrer zum Verkauf bestimmten Tücher ihre Marke einweben Hessen.
Femer mussten sie fortan ein Bleisiegel an ihrem Manufact
anbringen, worauf sie selbst die Länge unter Zugrundelegung
der Wasserprobe anzugeben hatten. Bestand das Tuch die
Probe eines Käufers nicht, so verlor der Tuchmacher an den
Käufer den doppelten Werth des Fehlenden, nachdem zwei
unbetheiligte Personen die fraglichen Stücke nachgemessen.
Kein Tuch durfte zum Verkauf ausgestellt oder verschickt
werden, ohne dass es auch noch vom Ausmesser der Graf-
schaft gesiegelt war. Dem letztem war aber strengstens unter-
sagt, des Königs Siegel daraufzusetzen, wenn die Angabe des
Verfertigers über die Tuchgrösse fehlte. Jedes Broad Cloth
sollte in der Breite nach der Wasserprobe 1/4t und nicht zwei
Ellen enthalten, wie früher bestimmt worden war, jedes Kersey
musste eine Elle breit sein8). Den Käufern war verboten,
die Tücher zu strecken4).
Der . Standpunct der Acte ist nicht ohne Interesse. Man
*) Dieselhen stützten sich wohl hauptsächlich auf die plötzliche Ab-
nahme der Tuchausfuhr im Jahre 25—26 Hen. VIII gegenüber den beiden
Vorjahren. Sieh Bd. II. S. 102, 105.
') Br. M. Harl. Ms. 442 fo. 127; der Eingan; lautet: „The kingis
highnes our most loving and dred soveraigne lord for certaine great and
weightie causes and consideracions specially moveing his highnes for con-
cervacion of the auncient honor of this his realme concerning the true
making of all sortes of wollen clothes, whereby a great multitude of hu
true and loving subiectes daily be sett in worke and preserved from idlenes".
*) 27 Hen. VIII c. 12. Gewisse geringe Tuchsorten der Grafschaft
Suffolk waren ausgenommen, ebenso die in Worcestershire gefertigten
Tücher, weil für diese eigene Sucher aufgestellt waren.
4) Wie verbreitet das Strecken war, sieht man daraus, daas sogar die
Prediger oft dagegen eiferten. So sagte Latimer in der Predigt vom
22. März 1549: „I here saye there is a certayne connyng come up in
myxyng of wares. Howe saye you, were it not wonder to here that clothe
makers should become poticaries. Yea and as I heare saye, in suche a
— 603 —
erkennt deutlich, wie man die kgl. Inspectoren mehr und mehr
entlastet, und die eigentliche Controle zu einer Sache zwischen
Käufer und Verkäufer macht. Die Aufsicht beschränkt sich
hauptsächlich darauf, dass sie das Fehlen der Ursprungs-
marke mit Inhaltsangabe verhindert. Diese Fortbildung der
Gesetzgebung war wohl nothwendig. Es war schlechterdings
für die kgl. Messbeamten unmöglich, für die Tadellosigkeit
der Tücher einzustehen, seit die auf den Markt kommende
Zahl jährlich sich mehrte und seit die Prüfung wegen Zu-
grundelegung der Wasserprobe eine viel umständlichere ge-
worden war.
So zweckmässig die Acte nach dieser Seite zu sein schien,
so stiess ihre Durchführung doch auf Schwierigkeiten. Das
Gesetz verlangte eine andere Breite, als früher üblich war,
und zwar eine geringere. Wir wissen nicht, weshalb man diese
Aenderung wünschte. Vielleicht war es für den Verkehr be-
quemer, wenn das Tuch im ungenetzten Zustand gerade zwei
Ellen ma8S. Obwohl die Breite verringert werden sollte, so
waren nichtsdestoweniger viele Weber dagegen; denn die Neu-
erung bedingte eine Aenderung der Webstühle. Man hatte
zwar einige, wahrscheinlich reiche Londoner Tuchfabricanten
vor dem Erlass des Gesetzes zugezogen, und diese hatten sich
mit demselben einverstanden erklärt1), aber die grosse Masse
der armen abhängigen Weber war nicht genügend berücksichtigt
worden. Man musste deshalb den Einführungstermin zweimal
um je ein Jahr verlängern2). Als nun im Oktober 1538 das
Gesetz endlich in Kraft treten sollte, stiess man auf neuen
Widerstand und zwar bei den Kerseymachern von Berkshire
und einigen andern Grafschaften. John Winchcombe von New-
place, where as they have professed the gospell and the word of god most
earnestly of a longe tyme. Se how busie the devell is to sclauiider the
word of god? Thus the pore gospel goeth to wracke. Yf hiß clothe be
XV1U yerdes longe, he wyl set hym on a racke and streach hym out wyth
ropes and racke hym, tyll the senewes shrinke agayne, whyles he hath
bronght hym to XXVII yardes. "When they have brought him to that per-
fection, they have a prety feate to thycke him againe. He makes me a
pouder for it and playes the poticary, thei cal it floke pouder, they do so
mcorporate it to the cloth, that it is wonder tull to consider truely a
goodly invention. Oh that so goodly wittes shold be so yl applyed, they
maye wel deceyve the people bat they can not deceyve god. They were
wont to make beddes of flockes and it was a gooa bea to, nowe they
have turned theyr flockes into a pouder to playe the false theaves with
it. 0 wicked devil what can he invent to blaspheme goddes worde? These
myxturs come of covetousnes. Thei are playne theft. Woo worthe that
these flockes should so slander the worde of god?" Latimer, Seven Ser-
mons before Edward VI. Arbers Reprints S. 86, 87.
') Vielleicht hofften diese Fabncanten dadurch ein neues Mittel zu
erlangen, um die Weber von sich abhängig zu machen. Man war wider-
holt genöthigt, die letztem zu schützen. Sieh 4 Ed IV. c 1; 3 Hen. VIII
c 6; ürk. Beil. 174; 2—3 Phil, and Mary c. 11.
*) Br. M. Harl. Ms. 442 fo. 134, 148. Sieh auch ürk. Beil 175.
— 604 —
bury, der Sohn des bekannten „Jack of Newbury" stand an
der Spitze der Opponenten. Sie verlangten Suspension oder
vollständige Zurücknahme der Acte. Ihre Fabrication, legten
sie dar, erstrecke sich ausschliesslich auf grobe Kersies, welche
seit Menschengedenken nicht von solcher Breite gemacht wor-
den seien, als das Statut verlange. Diese Sorte werde nur
in überseeischen Ländern getragen, die geringe Qualität der
benützten Rohstoffe mache es unmöglich, diese Kersies so zu
arbeiten, dass sie bei der Wasserprobe eine bestimmte Grösse
hätten. Der König suspendirte das Gesetz, soweit es die
Kersies betraf1), und ordnete eine gründliche Untersuchung
an, indem er eine Anzahl Tuchmacher und diejenigen Mer-
chant adventurers, welche die Acte so eifrig betrieben hatten,
vorlud, damit sie gegenseitig ihre Gründe vorbrächten *). Aus
der vor dem kgl. Rath geführten Enquete gingen die Merchant
adventurers geschlagen hervor. Die Kerseyfabricanten wiesen
durch practische Versuche nach, dass sie im Rechte waren3).
In einer neuen Bill gestattete man deshalb, dass Kerseys,
von denen die Elle 20 bis 22 d kostete, keine festbestimmte
Grösse zu haben brauchten, aber unter eine Minimalgrenze
durfte ihre Breite nach der Wasserprobe auch nicht herab-
sinken, überhaupt sollten sie nicht betrüglich gefertigt und
mussten auch nach wie vor gesiegelt werden. Im Uebrigen
wurde die frühere Acte aufrecht erhalten, namentlich hatten
die im Königreich verkauften besseren Kerseysorten derselben
zu genügen4).
Trotz alledem war es höchst schwierig, den immer und
immer auftauchenden Versuchen des Betrags zu begegnen5).
Ein Factor kam unter Heinrich VIII. hinzu, der die Lösung
der Aufgabe besonders complicirte, das war die Deplacirung
der Tuchindustrie. Solange die Tuchmacherei fast ausschliess-
lich auf die Städte beschränkt war, wenigstens soweit es sich
um Marktwaare handelte, solange konnte auch die Controle
wirksam geübt werden. Die Tücher kamen hier auf offenen
Markt, der Verkauf ausserhalb des Marktplatzes und der
Marktzeit war meist verboten6), die Tücher konnten nicht
leicht den Augen des kgl. Tuchmessers entzogen werden. An-
ders lag die Sache auf dem Lande. Die da mit einem Male
x) Am 17. März bisJohanni, dann wieder am 1. Juni bis Weihnachten
und nochmals am 7. Dez. bis nächsten Johanni. Br. M. HarL Ms. 442 fo.
166, 178. 178.
*) Nicolas, Proceedings and ordinances of the Privy Council VIL
S. 156 (15. Man 1541); Ellis, Original letters. 8 * Ser. III. S. 289.
*) Nicolas, Proceedings etc. VIL S. 192. (20. Mai 1541).
*) 83 Hen. TEL c 18 (1541/42).
*) In Nord- Wales versachte man um jene Zeit wieder durch Zu-
sammenrollen der Tücher die Käufer aber die Breite des Stucks zu tau-
schen. 83 Hen. VIII c. 3 (1541/42).
e) Vgl. 14-15 Hen. VIII c. 1.
— 605 —
emporwachsende Industrie war sich selbst Überlassen. Die
Gewerbsleute waren vielfach ungeschulte Neulinge. Ihre Waaren
gelangten zum guten Theil nicht auf den offenen Markt, die In-
spectionen fehlten und bei der weiten Zersplitterung war die
Ueberwachung schwer zu handhaben. Unlösbar war aber die
Aufgabe nicht Hatte man doch schon ein grösseres Beispiel
sogar vor Augen in der Norfolker Worstedmanufactur. Auch
in dieser Grafschaft wurde ein Theil der marktgängigen Waare
auf dem Lande producirt. Dort war es gelungen, gewisser -
massen die ganze grafschaftliche Worstedindustrie zu organi-
siren und eine Art Selbstcontrole auf dem Lande herzustellen.
Ob dieselbe ihrer Aufgabe gewachsen blieb, lässt keine sichere
Antwort zu; denn wenn auch mancherlei andere Gründe für
den spätem Verfall dieses Industriezweiges sich denken lassen,
so kann man doch die etwaige mangelhafte Aufeicht auch als
eine der möglichen Ursachen ins Treffen führen. Immerhin liessen
sich mancherlei Wege finden, um auch die neuerstehende Land-
industrie in den Rahmen der Beaufsichtigung aufzunehmen
und der von dieser Seite her drohenden Gefahr für die Ver-
schlechterung der Tücher zu steuern. Man brauchte also nicht
gleich das Lebensmark der Industrie zu tödten. Die Nivel-
lirung der Unterschiede von Stadt und Land konnte für die
Entwicklung des Reichs nur von Vortheil sein. Allein die
ausserordentliche Raschheit der ganzen Bewegung, das laute
Wehklagen der neidigen, zum Theil wirklich in trauriger
Lage befindlichen Städte konnte zu radicaleren Mitteln führen.
Einflussreiche Wirtschaftspolitiken sahen die vor sich gehende
Neuerung mit durchaus scheelen Augen an. Gerade die-
jenigen, die am wärmsten für die Aufrechterhaltung der Tuch-
güte sprachen, verlangten eine vollständige Unterdrückung der
ländlichen Tuchindustrie. Dieser Schritt schien ihnen uner-
lässlich 1). Auch die Gesetzgebung neigte wenigstens am An-
x) „Whernpon it may please our gracious king of Englond to make a
staple of all wollen clothes in London, and that all clothe makers with
their artificers dwell togethers in market townes like as in old tyme, and
that every market towne of clothe making have a common seale and erery
wollen clothe made within the pre&inct and libertie and fredome of the
towne to recoorde the trew making of all wollen clothes so sealed with
the sealles of the townes, wherin they be made, theruppon to be brought
to the kinges staple of wollen clothe in London ther to be sealed with
the kinges seale of his staple to recorde all the wollen clothes made in
Englond, bought and sold by way of the kinges staple, having the staple
seale, shal be openly knowen to be trewe made clothes, whersoever they
be bought and sold. So shall all Englishe clothers never be slaundered in
no other realmes and contries for false making, like as merchaunte ad-
venture« in London hath cansed fauls clothes to be made in Englonde
for low prices to trncke and barter theym for merchaundizes and slayte
wares in other contris for iorcyng for their owne felshod nor tor the
slander and dishonor of the realme. And ander the pretence of the same slander
merchanntes in Anwarpe and other contrys and townes in the Loo contries
— 606 —
fang einem möglichst strengen Standpunct zu, und doch lag
die Kurzsichtigkeit einer solchen Politik so offen zu Tage.
Wie wollte man die Folgen der Agrarrevolution mildern, wenn
man auch diesen Ausgang versperren wollte?
Den Reigen der das Land bekämpfenden Städte1) eröff-
neten Worcester, Evesham, Droitwich, Kidderminster, Broms-
greve. Ihre Tuchmanufactur befinde sich, erklärten sie, in
völligem Verfall, die City und die Towns seien ganz entvölkert,
seit in den Dörfern und Weilern nicht nur gewisse Leute viele
Pächtereien in ihren Händen vereinigten, sondern auch das Tuch-
machen betrieben. Die Fabrication wurde deshalb auf dem Lande
in Worcestershire ausser zum Hausgebrauch verboten und die
Gontrole über die daselbst gefertigten Tücher noch besonders
verschärft, den städtischen Hausbesitzern aber befohlen, keine
höhere als die seit 20 Jahren übliche Rente zu verlangen1).
Ihnen folgte acht Jahre später die Stadt York. Hier beklagten
sich die Bettdeckenmacher über die auf dem Lande das Ge-
werbe ausübenden Leute. Die von diesen gemachten Stücke,
hiess es, seien von schlechtem Stoff und hätten nicht die rich-
tige Grösse. Die Verfertiger verdeckten aber ihre Betrügerei
dadurch, dass sie ihre Manufacte nicht auf offenen Markt
brächten, sondern durch Hausirer verkaufen Hessen. Auch
hier verbot man die Fertigung von Bettdecken in der Graf-
schaft York, gestattete nur den Verkauf auf offenem Markt
und ermächtigte die Vorstände der Bettdeckenmacher von York,
auf allen Märkten nördlich vom Trentfluss Umschau zu halten,
dass nur ordentlich gemachte Bettdecken zum Verkauf ausgestellt
würden3). Ein dritter Fall betraf diesogenanntenFrises und Cottons
in Wales. Es waren hier den Webern der Städte und Flecken
zufolge die reichen Tuchmacher, die sich aufs Land begaben,
daselbst Viehzüchter und Landwirthe wurden, zugleich aber
ihre auf eigenem Gute gezogene Wolle in Ermanglung einer
Controle auf die betrügerischeste Weise verarbeiteten und auf
dem Lande direct zum Verschleiss brachten. Merkwürdiger-
weise schwenkten die Gesetzgeber hier schon von der rigorosen
hath and doth use to streche Englishe clothes upon tayntora five or six
yerdes longer in every clothe and so seil theym unto the Almavnes, which
moste nedes shrynk ageyn. And the Almayns complaynyng of that falshod,
the merchaunte8 of the Low contryes, which, doth so falsily excusith them-
self saying: Englishe wole is the beste, bat the clothes araped therof ar
falsely made, which saying helpeth the sale of their owne contrey clothes
made with Englishe wolles and Spaynyshe wolles, which will not suffer
to be streched. And their ontrae saying slaanderith the sale of Englishe
clothes for lake that their true making of theym is not recordyd by a
staple sealeu. R. Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 65; vgl. auch S. 42.
*) Noch etwas früher gingen die Seiler von Barport voran. 21 Hen.
Vffl c. 12.
*) 25 Hen. VIII c 13.
s) 34-35 Hen. Vm c. 10 (1542/43).
— 607 —
Politik ab. Man verbot nicht, wie vielleicht die Industriellen
gewünscht hatten, die Tuchmacherei auf dem platten Land,
sondern stellte nur genau das Gewicht und die Grösse der
fraglichen Sorten fest und verlangte die Einhaltung derselben
bei allen für den Verkauf bestimmten Stücken *).
In der Folgezeit nahm die Tuchmacherei und die Industrie
überhaupt auf dem Lande immer grössere Dimensionen an.
Die Städte Hessen Nichts unversucht, um die Hilfe des Staates
zu ihrer Unterdrückung zu gewinnen. Die Gesetzgeber folgten
aber nicht so schlechthin allen städtischen Wünschen. Man
begnügte sich zumeist, die siebenjährige Lehrlingszeit als Be-
dingung der selbständigen Ausübung des Tuchmachergewerbes
auf dem Lande zur Geltung zu bringen und die ländlichen
Ortsbehörden zur Aufsicht heranzuziehen a). Die Vorschrift der
siebenjährigen Lehrlingsschaft war wohl eine Beschränkung,
aber keine unbillige. Dieselbe war in den Städten ganz all-
gemein, und in Anbetracht der schwierigen Lage der letztern
durfte man das Land nicht noch in dieser Hinsicht begüns-
tigen. Die siebenjährige Lehrzeit war zugleich das wirksamste
Mittel, um die ländliche Tuchindustrie auf einer gewissen Höhe
zu halten, da die Controle daselbst immer nur eine summa-
rische sein konnte. Und von der Erhaltung der Tuchgüte
hing doch zum nicht geringsten Theil die gesunde commer-
cielle und wirtschaftliche Entwicklung Englands ab.
Es bedarf deshalb nicht wohl näher ausgeführt zu werden,
dass die Vorschriften über die Grösse und Qualität der Tücher
auch unter den folgenden Tudors nicht aufhörten, sondern fort-
während erweitert und verbessert wurden3).
Schon das Vorausgehende l&sst ersehen, dass bei den ge-
werbepolizeilichen Massregeln sehr verschiedene Motive sich
geltend machten. Namentlich bewiesen mehre Fälle deutlich,
dass das Princip von der 'Erhaltung der Waarengüte nicht
selten als Vorwand diente, um unbequeme Concurrenz einzu-
schränken oder zu unterdrücken. Es musste sich dies beson-
ders bei den Zünften zeigen. Weit entfernt, einen Schutz
gegen schlechte Arbeit zu bilden, waren sie sehr oft ein
Mittel, den Schlendrian zu conserviren, und ihre Organisation
i) 84-35 Hen. VIII c. 11 (1542/43).
3) 5—6 Ed. VI c. 8; 1 Mar. st. 3. c. 7; 1—2 PhU. u. Mar. c. 14;
2—8 Phil. u. Mar. c. 11; 4—5 Phil. u. Mar. c. 5; 1 El. c. 14; 5 El. c, 4.
18 El. c. 16-, 27 El. c. 23.
8) Vgl. 3-4 Ed. VI c. 2; 5—6 Ed. VI c. 6, 22; 7 Ed. VI c. 9;
2—3 Phil, and Mar. c. 11. 12; 4-5 Ph. and M. c. 5; 1 EL c. 12; 8 El.
c 6, 7, 12; 14 El. c. 10, 12; 23 EL c. 9; 27 El. c. 17, 18; 35 Ei. c. 7, 9, 10;
39 EL c. 11, 18, 20; 43 El. c. 9, 10. Die meisten Bestimmungen der ge-
nannten Gesetze sind ins Deutsche übersetzt und in eine Art System ge-
bracht bei Marquardus, De jure mercatorum 1663. S. 560— 5?1.
— 608 —
'äusserte geradezu einen verderblichen Einfluss, wenn die Zahl
der Gewerbtreibenden nicht gross war. Die Incorporirung
sämmtlicher Gewerbe in Oxford um 1526 liefert hiefür einen
drastischen Beleg \). Es liegen uns auch sonst mancherlei Beispiele
aus den verschiedenen Gewerken nach dieser Richtung vor.
In älterer Zeit war man in London sehr darauf bedacht,
dass die Kappen von guter bestimmter Qualität seien2). 1311
verpönte die Stadtbehörde die Kappen, welche aus „Flocken"
statt aus Wolle gefertigt waren und zwang sogar die fremden
Kaufleute, namentlich die Deutschen, alle derartigen impor-
tirten Kappen bis zu einem gewissen Termine wieder ausser
Landes zu schaffen3). Der Beschluss wurde in London aus-
geführt4). 1318 eigneten sich auf Betreiben der Londoner
Kappenmacher der König und das Parlament diese und einige
andere Bestimmungen an und dehnten sie auf das ganze König-
reich aus. Der König beauftragte die Ortsvorstände mit der
Controle und drohte, im Fall der Kachlässigkeit eigene Auf-
sichtscommissäre zu ernennen. Damit erlangte die Massregel
ihre volle Wirksamkeit. Die Kappenmacher missbrauchten
diese aber so sehr zu ihrem eigenen Vortheil und Nachtheil
der Kauf leute und Consumenten, dass der König eine Unter-
suchung der Angelegenheit anordnen musste6). — In London
waren, wie wir schon bei Betrachtung der Fremdenpolitik sahen,
die Zünfte besonders den Handwerkern in den Vorstädten
gram. Ihr Streben ging dahin, dieselben ihrer Controle zu
unterwerfen. Die Güte der Waaren spielte dabei eine Haupt-
rolle. 1415 beschwerten sich die Londoner Gürtelmacher,
welchen Eduard III. und seine Nachfolger eine Reihe von
technischen Vorschriften zur Einhaltung anbefohlen hatte, dass
die Vorstädte ihre ganze Industrie in Misscredit brächten, und
verlangten das Recht der Suche eine Meile im Umkreis von
London; es wurde ihnen nur innerhalb der Freiheit von Lon-
don, nicht aber in den Freistätten* die Controle eingeräumt6).
Aehnlichen Misserfolg hatten die Londoner Sticker, als sie
1423 ein Sucherecht auf den Messen Steresbrugg, Ely, Oxford
und Salisbury begehrten, weil die Handwerker der Vorstädte
aus Furcht vor den Londoner Zunftvorständen den Markt der
Hauptstadt mieden und auf die genannten Messen ihre an-
geblich betrügerische Arbeit brachten 7).
Aber nicht blos die concurrirenden Handwerke derselben,
sondern auch die verschiedener Branche benutzten den mehr
*) Brewer, Cal. IV. 2785.
*) Lib. Cust. ed. Riley I. S. 101.
8) Lib. Cust ed. Riley I. S. 102, 108.
4) Man. Gildh. Lond. ed. Riley III. S. 488.
*) Lib. Cust. ed. Riley I. S. 428 fg.
c) Rot Pari. IV. S. 78.
7) Rot. Pari. IV. S. 255.
- 609 -
oder weniger berechtigten Vorwand schlechter Waarenverfer-
tigung zu gegenseitiger Bekämpfung.
Die Schuhmacher1) gerbten in alter Zeit ihr Leder viel-
fach selbst, verkauften auch den einen oder andern Theil und
hatten, wenigstens in London, die Aufsicht über die Güte des-
selben. Daran wurde auch durch das Gesetz 37 Ed. III c.
6, welches vorschrieb, dass jeder Handwerker nur ein Gewerbe
betreibe, nichts geändert. Als die selbständigen Gerber sich
aber mehrten , sahen sie ungern die Mitwerbung der Schuh-
macher und beschuldigten diese ; dass sie nur schlechtes und
falschgegerbtes Leder lieferten. Man trennte deshalb die bei-
den Handwerke und verbot, dass das eine in das Gebiet des
andern übergreife *). Bald fand aber das Publicum, dass damit
die Sache keineswegs besser geworden sei. Auf die Bitte der
Gemeinen gestattete man den Schuhmachern wieder zu gerben,
nur musste alles Leder, gleichviel von wem es gegerbt war,
von der Ortsbehörde oder ihrem Bevollmächtigten vor dem
Verkauf geprüft und mit einem eisernen Stempel markirt sein.
Die Acte hatte nur eine beschränkte Dauer8). Unter Hein-
rich VI. fertigten Schuhmacher und Gerber um die Wette
schlechtes Leder. Man verbot den ersteren wieder das
Gerben, machte sie aber zu Aufsehern über das Leder, das
sie zu Schuhen verarbeiteten. Die Friedensrichter und Mayors
hatten die Strafgewalt4). Die Gerber richteten nun manchmal
auch das von ihnen gegerbte Leder zu, schwärzten und ver-
feinerten es. Da fühlten sich die Lederzurichter beschwert und
beschuldigten die Gerber, sie verdeckten auf diese Weise nur
ihr schlecht gegerbtes Leder. Man trennte auch diese Ge-
werbe, untersagte den Lederbereitern unter Strafe schlecht
gegerbtes Leder zu weiterer Bearbeitung anzunehmen6) und
verbot auch den Schuhmachern das Zurichten 6). Kaum war auch
diese Trennung vollzogen, als man wieder eine neue Ursache
zur Beschwerde fand. Man beschuldigte nun die fremden in
London und seinen Vorstädten wohnhaften Schuhmacher, dass
sie in Wirthshäusern und in verborgenen Winkeln ungenügend
gegerbtes Leder kauften, anstatt auf offenem Markte, wo die
Prüfung und Siegelung stattfand, dass sie dann dies so ge-
kaufte Leder im Geheimen zurichteten und an die Unterthanen
zum. allgemeinen Schaden verkauften. Durch Gesetz wurde
den Fremden geboten, ihr Leder nur auf dem offenen Markte
zu kaufen und den Zunftvorständen der Lederzurichter Voll-
') Ueber diese sieh auch Mun. Gildh. Lond. ed. Riley III. S. 441
und Riley, Memorials S. 392.
2) 13 Ric. IL st. 1 c. 12 (1390), erneuert 21 Ric. II c. 16 (1398).
3) Nämlich bis zum nächsten Parlament. 4 Hen. IV c. 35 (1402).
4) 2 Hen. IV c. 7 (1423).
*) 1 Hen. Vn c. 5 (1485).
6) 19 Hen. VH c. 19 (1504).
Schanz, Engl. Handelspolitik. I. 39
— 610 —
macht ertheüt, nach schlechtem Leder zu suchen, dasselbe zu
confisciren, ja sogar die Uebelthäter mit Gefängniss zu strafen !).
Der Gebrauch, den die Zunft von ihrem ausserordentlichen
Machtzuwachs machte, war nicht der beste. Die Lederzube-
reiter wollten nicht dulden , dass die Fremden anderes als zu-
gerichtetes Leder kauften und bedrückten sie im Preis. Auf
die Beschwerde der fremden Schuhmacher, welche in London
eine eigne Brüderschaft bildeten, wurde den Mitgliedern der
letzteren und den Niederländern gestattet, gegerbtes Leder zu
kaufen und zuzurichten. Ale Massregeln aber, welche die
Güte des Erzeugnisses bezweckten, wurden aufrecht erhalten
und sogar noch erweitert. Trotz dieser Trennung der Ge-
werbszweige und der fortwährenden Controlverbesserungen war
die Klage über den Verfall der Lederindustrie allgemein.
Eine Acte behauptet, es sei eine Seltenheit geworden, dass
Jemand in Schuhen trocken gehen oder eine dauerhafte Rüstung
für das Pferd oder sonst ein aus Leder bestehendes gutes
Fabricat erhalten könne. Nachdem man schon 1530 den
Metzgern die angemasste Ausübung der Gerberei verboten
hatte2), schuf man 1533 ein eingehendes Gesetz, das, wie
man hoffte, dem Uebelstande abhelfen werde. In London und
drei Meilen im Umkreis sollte alles gegerbte Leder nur in
Leadenhall und auf offenen Märkten verkauft werden. Man
verschärfte die Untersuchung und gewährte den Beschauem,
um ihren Eifer anzuspornen, eine kleine Gebühr 8). Die Hoff-
nungen erfüllten sich, wie es scheint, nicht; denn schon am
9. Mai 1542 beschäftigte das Oberhaus eine neue einschlägige
Bill 4), und auch unter Heiniichs VIII. Nachfolgern war häufig
die Lederindustrie Gegenstand gesetzgeberischen Eingreifens5).
Ein anderes nicht uninteressantes Beispiel , wie man das
Motiv der Waarengüte verwerthete , geben uns die Mälzer in
der Grafschaft Kent. Daselbst pflegten die Brauer ihr Mal«
auf offenen Märkten zu kaufen. Um 1455 aber beschlossen
dieselben, ihr Malz selbst zu machen und in der Grafschaft
nur Gerste zu kaufen. Die grössern Brauer, die vorher 100
Quarter Malz im Haus gemacht hatten, machten nun 1000
oder 1800 Qr. Man darf sicher annehmen, dass in diesem Ver-
fahren ein technischer Fortschritt lag, und- vom allgemeinen
Standpunct lässt sich auch wenig dagegen sagen, wenn die
Brauer durch Beseitigung dieses Zwischengliedes öconomisch
zu profitiren suchten. Damit waren aber die Mälzer nicht
einverstanden. Sie führten an, dass nicht nur der Malzmarkt
*) 3 Hen. VIII c. 10 (1511/12).
*) 22 Hen. VIII c. 6.
8) 24 Hen. VIU c. 1.
*) „billa for true tanning and currying of leather and against regra-
ting and forestalling of the same". Lords' Journals.
*) 2-3 Ed. VI c. 9, 11; 7 Ed. VI. c. 11; 5 El. c. 8; 27 El. c. 16.
— 611 —
verloren gehe, die Pächter und Gersten Verkäufer Schaden
litten (?), eine grosse Zahl junger Leute, die ihren Wohlstand
damit angefangen hätten, dass sie 1, 2 oder 2 Vi Qr. Malz
machten, in Unthätigkeit geriethen, sondern insbesondere dass
die Brauer schlechtes und gutes Malz zusammenwürfen, Würmer
mit vermahlten und so die Gesundheit gefährdeten (?). Sie
verlangten deshalb, dass in den folgenden 12 Jahren Niemand
im eigenen Haus mehr als 100 Qr. Malz mache. Der König
bewilligte die Bitte auf 5 Jahre *).
Selbstverständlich musste auch behufs Beschränkung der
auswärtigen Concurrenz die Schlechtigkeit der fremden Waaren
einen Vorwand bilden. Als z. B. Heinrich VI. zu Gunsten der
Londoner Seidenfrauen die Einfuhr gewisser fertiger Seiden-
waaren verbot, diente auch die angeblich betrügerische Her-
stellung durch die Italiener zur Begründung der Massregel2).
Das Gleiche geschah, als Eduard IV. den Import fast sämmt-
licher Kurzwaaren untersagte 3). 1543 setzten die Stecknadel-
verfertiger durch, dass nur solche Stecknadeln verkauft werden
dürften, die nach der in England üblichen Methode verfertigt
würden4). Allein noch ehe zwei Jahre verflossen waren, trat
ein so grosser Mangel an Stecknadeln ein, und das Publicum
wurde so schlecht bedient, dass man das Gesetz wieder auf-
hob5). Auch die Zinngiesser verwerteten das mehrfach ge-
nannte Moment, um die fremden Waaren auszuschliessen.
Gegen die in diesem Gewerbe leicht möglichen Betrügereien
war von Heinrich VII. in umfassender Weise eingeschritten
worden, indem der Londoner Legirungszustand für das Zinn-
und Messingzeug auf das ganze Königreich ausgedehnt, der
Kauf- und Verkauf dieser Waaren möglichst öffentlich gemacht
und den Zunftvorständen, wie Friedensrichtern, ja falls diese
ihre Pflicht nicht erfüllten, Jedermann das Recht der Suche
eingeräumt, den Zinngiessern aber befohlen, ihre Waaren durch.
Marken zu kennzeichnen 6). Die Acte wurde später für dauernd
erklärt7), und die Zinngiesser behaupteten, das Statut habe
wesentlich dazu beigetragen, ihr Gewerbe zu heben und den
*) 33 Hen. VI. c. 4; Rot. Pari. V. S. 324.
9) „8ericum operatum filatum ribanas et torques falso et fraudulenter
operata — in regnum predictum adduzerunt" 33 Hen. VI. c. 5.
*) „dount la greindre part en substaunce est deceivable et nient vail-
lable." 3 Ed. IV. c. 4.
4) «bat oonelie suche as sbalbe double beaded and have the heades
goudered faste to the shanke of the pynne well smethed the shanke well
shaven the pointe well and rounde fyled cauted and sharped." 34 — 35
Hen. VUL c. 6.
*) 37 Hen. VIII. c. 13.
6) 19 Hen. VII c. 6 (1504). 1539 lag dem Parlament eine Bill vor,
welche auch das Markiren von Rohzinn verlangte, wurde aber im Ober-
hause verworfen. Lords* Journ. 47° die Pari. 31 Hen. VHI.
7) 4 Hen. VHI. c. 7 (1512).
39*
— 612 —
englischen Waaren im Auslande einen guten Ruf zu verschaffen.
Das Gesetz drohe aber illusorisch zu werden. Viele Engländer
seien in die überseeischen Länder gegangen, wo sie nicht nur
den Fremden das Zinnhandwerk lehrten, sondern selbst lauter
gefälschte Waaren machten, in England einführten und die
gute Arbeit verdrängten. Man begnügte sich nun aber nicht
mit einer Controlirung, sondern verbot ganz und gar das Kaufen
fremder Zinnwaaren. Man gestattete den Zinngiessern nicht,
einen fremden Lehrling anzunehmen oder sich behufs Ausübung
des Gewerbes in die Fremde zu begeben, untersagte den Hausir-
handel mit Zinn- und Messingwaaren und drang noch mehr
wie früher darauf, dass Zinnwaaren nur auf offenem Markte
oder im Hause des Zinnverfertigers verkauft würden *). Man
erneuerte die Acte nachmals immer nur auf kurze Zeit *) ; man
überzeugte sich aber während ihrer Dauer, dass sie „not-
wendig und förderlich sei, und erklärte sie für dauernd
gültig8).
Im Vorstehenden haben wir den grösseren Theil der eng-
lischen Gesetzgebung in Betreff der Waarengüte kennen ge-
lernt. Es könnte leicht der Gedanke entstehen, dass dieselbe
nur bei Tüchern und da eingriff, wo es sich um Befriedigung
zünftischer Wünsche bandelte. Dem ist aber nicht so. Der
höhere Gesichtspunkt, den Consumenten vor Uebervortheilung
und Betrug zu schützen, blieb immer bestehen, und nach dieser
Seite hin gab es für die Gesetzgebungstbätigkeit keine Grenze.
Wir sehen sie denn auch, wo immer das Bedürfoiss sich ein-
stellte, eingreifen. Seit ältester Zeit bestand so die strengste
Controle über die Lebensmittel, wie Brod, Bier, Wein, Fleisch,
Fisch, Geflügel und Mehl 4). Die Aufsicht lag den localen Be-
hörden ob &), die Gesetzgebung regelte aber zumeist das Straf-
recht in einheitlicher Weise 6). Die gründliche Reinigung des
für London bestimmten Malzes wurde unter Richard IL durch
Gesetz vorgeschrieben 7), ebenso war die der importirten Ge-
würze vorgesehen8). Die Verfälschungen von.Oel und Wacha-
fabricaten suchte man unter Heinrich VIII. abzustellen, indem
man den Wachskerzenmachern, Talglichtverfertigern und LocaJ-
*) 25 Hen. VIÜ. c. 9 (1533/34).
*) 28 Hen. VHI. c. 9 (1586); 31 Hen. VIH. c. 7 (1539).
») 33 Hen. VHI. c. 4 (1541).
*) Statutebook I. S. 201 fg.; Hoveden, Cronica 1H. S.263, IV.
S. 62; Twiss, The black of the admiralty H. S. 105, 145, 146, 177: 4 Ed.
111. c 12; 27 Ed. m. st 1 c. 8.
«) Lib. Alb. ed. Riley S. 464 fg. App. S. 411—29.
«) Statutebook I. S. 201 fg.
') 17 Ria IL c. 4; für den Continent vgl. z. B. Wehrmann, Lüb.
Zunftr. Nr. 8.
8) Lib. Alb. ed. Riley S. 736; Rot. Pari. V. S. 32; Brewer, CaL
III. 1379.
— 613 -
behörden die Ermächtigung ertheilte, nach verfälschten Pro-
ducten zu suchen, dieselben zu zerstören und die Uebelthäter
zu bestrafen1). Die Füllung der zum Verkauf bestiinmten
Federbetten und Matratzen mit verschiedenen Stoffen wurde
unter Heinrich VII. auf Bitten der Londoner Tapezierer unter-
sagt, der Zunft aber ausserhalb Londons kein Sucherecht ein-
geräumt2). Eine gute Packung der Wolle wurde wiederholt
in den Handelsverträgen zugestanden9), später auch durch
Gesetz verboten, dass man Wollvliesse, die nicht gehörig ge-
waschen waren, zusammenrollte oder gar Steine, Erde oder
schlechtere Wollsorten dazwischen packte4). Aehnlich verfuhr
man bei andern Gegenständen6). Im Interesse der Landes-
sicherheit und Wehrfähigkeit schrieb man 1406 vor, dass alle
Pfeilspitzen und Bolzen gut geschmiedet und gehärtet und mit
einer Marke des Verfertigers versehen werden müssten6).
Eduard IV. suchte die mangelhafte Ziegelfabrication durch
eingehende Reglements zu heben. Die Zubereitung der Ziegel-
erde, die Grösse und Dicke der Ziegeln wurde vorgeschrieben.
Die Friedensrichter konnten eigene Sucher aufstellen, ein Be-
weis, wie grossen Werth man auf die Durchführung des Statuts
legte7).
Besondere Aufmerksamkeit wendete man endlich auch den
Gold- und Silberwaaren zu. Die grosse Sucht nach glänzendem
Schmuck, die Bedeutung des Schatzes an Gold- und Silber-
geräthen als eines Werthauf bewahrungsmittels 8), die Schwierig-
keit für den Laien, den Betrug zu erkennen, mussten früh-
zeitig die Notwendigkeit einer Gontrole nahe legen. Schon
Eduard I. nahm die Sache in die Hand. Silberwaaren, statuirte
er, müssen mindestens Sterlinglegirung haben oder noch feiner
sein. Kein Silbergegenstand darf von den Silberschmieden
verabreicht werden, bevor die Wardeine des Handwerks ihn
untersucht und mit dem Leopardenkopf markirt haben. Gold-
waaren dürfen nicht geringer, als die Pariser Legirung sein.
Die Wardeine der Zunft sollen von Laden zu Laden gehen
und sich überzeugen, ob das der Fall ist. Goldwaaren, welche
nicht die vorgeschriebene Legirung haben, werden an den
König verwirkt Nur natürliche Steine sollen irj Gold gefasst
') 3 Hen. Vm. c. 14 (1511/12); Bfrewer, Cal. IL 3305.
«) 11 Hen. VII. c. 19.
») Urk. Beil. 8 fg.
4) 28 Hen. Vm. c 17, verlängert durch 28 Hen. VHI. c. 8; 81 Hen.
VHI. c. 7; 33 Hen. VIIL c. 17; 87 Hen. Vm. c. 23. Das Wollgewicht
wurde schon durch 25 Ed. UI. st 5 c 9; 34 Ed. IIL c. 5. geregelt
*) VgL z. ß. 4 Hen. VH. c. 22; Lib. Alb. ed. Riley S. 279, 378.
•)7 Hen. IV. c. 7 (1406).
*) 17 Ed. IV. c 4 (1477/78). üeber die Dachbedeckung in früherer
Zeit vgl. Lib. Alb. Introd. S. XXIX, XXXII; S. 334.
8) Sieh oben S. 491.
— 614 —
werden. Die Graveure, Stein- und Siegelschneider haben Ju-
welen von geringhaltigerem Gold so rasch als möglich zu ver-
kaufen und wenn sie solche kaufen, sollen sie dieselben nur
weiter verarbeiten, aber nicht veräussern. In allen Städten
Englands, wo es Goldschmiede gibt, haben diese dem Statut
zu genügen, wie die von London. Von jeder solchen Stadt
soll ein Goldschmied nach London kommen, um die Legirung
kennen zu lernen 1). Dieses Statut erfüllte seinen Zweck nicht
1363 erliess Eduard III. neue Bestimmungen. Jeder Gold-
schmied musste seine eigene Marke haben. Der König behielt
sich die Ernennung der Aufseher vor. Kein Goldschmied
durfte seine Marke anbringen, bis die Aufseher die Waare
geprüft und des Königs Stempel darauf gesetzt hatten. Die-
jenigen, welche Silbergeschirr machten, sollten sich nicht mit
dem Vergolden abgeben und umgekehrt. Die in jeder Stadt
Aufgestellten hatten die Controle vorzunehmen, so oft es be-
fohlen wurde 2). Auch dieses Gesetz genügte nicht. 1379 gab
eine Petition ans Parlament als Grund des Misslingens an, das
die Goldschmiede ihre eigenen Richter seien. Es scheint so-
nach, dass der König die Aufseher auch wieder aus der ein-
flussreichen und wohlhabenden Zunft der Goldschmiede nahm.
Die Petenten vertraten einen richtigen Standpunkt, wenn sie
verlangten, die Probe solle den Stadtbehörden zustehen und
als technischer Beistand der Münzmeister füngiren. Wäre dies
geschehen, so wäre eine unparteiliche Controle vorhanden ge-
wesen. Der König gab aber eine ausweichende Antwort und
versprach nur Prüfer ernennen zu wollen, welche ihm gut
schienen8). Offenbar wurde an dem alten Modus zunächst
nichts geändert. Die Goldschmiede, die Bankiers jener Tage,
hatten sich gute Privilegien verschafft und besassen eine grössere
Selbständigkeit, als vielleicht irgend eine Zunft in England.
Sie spielten in der staatlichen Finanzgebahrung die erste Rolle,
die Könige wagten nicht schroff gegen sie vorzugehen. Die
Goldschmiede von London behaupteten auch zu Anfang des
15. Jahrhunderts, seit Menschengedenken hätten ihre Vorstände
die Controle in ganz England gehabt und unterdrückten einen
Versuch der. Londoner Messerschmiedzunft, ihrer Controle und
ihrer Strafgewalt sich zu entziehen4). Es wurden wohl mancherlei
Gesetze erlassen, aber sie betrafen nicht die Kernfrage. So
ordnete man an, dass Niemand kupferne oder messingene
*) 28 Ed. I. c. 20 (1300).
») Rot. Pari. II. S. 281; 87 Ed. IIL c 7. Lib. Alb. ed. Rilev S.637.
Vgl. auch ähnliche Vorschriften auf dem Continent für Hamburg bei Rü-
diger, Hamburger Zunftrollen Nr. 17; für Paris in den Reglements snr
les arts Nr. 11; für Amiens bei Thierry, Recneil des doctnnents inädits
de rhiBtoire da tiers etat 1850 L Nr. 276.
8) Rot Pari. IIL 8. 66, 67.
*) Rot Pari. DI. 8. 586.
— 615 —
Gegenstände vollständig vergolden dürfe, damit der Verkäufer
sehe, woraus die Masse des Gegenstandes bestehe1). Später
verlangte man, dass nur Silber und die Ornamente der Kirche
vergoldet und nur die Rüstungen und Geräthe des Adels ver-
silbert werden dürften2). Ferner verbot man, unter die gold-
und silbergewirkten Stoffe Messing zu mischen8). Eine erste,
wenn auch zunächst kleine Aenderung in der Controle ver-
suchte man 1423 in Betreff der Silberharnische. Zwar blieb
in London die Stempelung mit dem Leopardenkopf neben der
Fabricationsmarke augenscheinlich nach wie vor in den Händen
der Zunft. Aber für die Städte Newcastle upon Tyne, Lincoln,
Uorwich, Bristol, Salisbury und Coventry sollten die Stadt-
behörden verschiedene Stempel festsetzen, und man darf an-
nehmen, dass sie auch den Stempelinhaber ernannten. Ferner
wurden die Friedensrichter und die ihnen Gleichgestellten be-
auftragt, über die Durchführung der Acte zu wachen4). Da-
durch wurden die Goldschmiede dem ordentlichen Gerichte
untergeordnet. Aber auch dieser Versuch schlug fehl. 1477
erklärte die Regierung, dass der König noch keinen einzigen
Strafantheil aus Anlass dieses Statuts erhalten habe. Die
Zunftvorstände setzten fort und fort den Leopardenkopf auf
die Waaren, auch wenn sie nicht die vorgeschriebene Feinheit
hatten. Man verschärfte die Strafen gegen den Inhaber des
Leopardenstempels und erklärte die ganze Zunft für diesen
haftbar. Den Anzeigern wurde die Hälfte der Strafe ver-
sprochen. Ausserdem unterwarf man die fremden Goldschmiede
in London und den Vorstädten der Aufsicht der Zunftvorstände
und zwang sie, in offenen Strassen zu wohnen6). Diese Neu-
ordnung scheint nicht ohne Erfolg gewesen zu sein; denn die
Goldschmiede beschäftigten unter den beiden ersten Tudors
nicht mehr die Gesetzgebung, wohl aber war dies hinsichtlich
eines allerdings naheliegenden Gewerbszweigs, nämlich der
Affinirung geschehen. Die Affinirer hatten früher ihr Gewerbe
unter unmittelbarer Aufsicht der Münzer betrieben, hatten
aber nun vielfach auch an andern Orten dasselbe begonnen.
Dadurch war eine verschiedene Legirung entstanden. Man
schränkte ihren Betrieb ein, indem sie blos an die Münze und
an die Goldschmiede ihr legirtes Metall verkaufen durften,
schrieb ihnen das einzuhaltende Korn vor und zwang sie, das
Metall mit ihrer Marke zu versehen6).
*) Rot Pari. III. S. 541; 5 Hen. IV. c. 18 (1404).
a) 8 Hen. V. c. 8 (1420).
8) 2 Hen. VI. c. 10.
*) 2 Hen. VI. c 17.
*) 17 Ed. IV. c 1 (1477/78); Rot. Pari. VI. S. 185.
6) 4 Hen. VI. c. 2 (1489).
— 616 —
Es ist ein mühsamer Weg, den wir gegangen sind; aber
die Erzählung dessen, was der Staat auf diesem schwierigen
Gebiete versuchte, dürfte am besten und unmittelbarsten eine
Vorstellung gegeben haben von dem Ziel, das man anstrebte,
den Motiven, durch die man sich leiten Hess, von den Organen,
deren man sich bediente, der Wirkung, die man erreichte.
Frühzeitig sehen wir in England eine Reichsgesetzgebung
über Mass und Gewicht, Güte der Waaren sich entwickeln.
Die stark centralisirte Polizeigewalt, wie sie die normannische
Eroberung erzeugte, und wie sie sich, wenn auch etwas ab-
geschwächt, im weiteren Verlauf erhielt1), war einer um-
fassenden Regelung auch dieser Punkte günstig. Man blieb
sich stets bewusst, dass der Staat die Einheit der Masse und
Gewichte im ganzen Reiche durchzuführen hätte. Wurde dies
auch noch lange nicht, selbst nicht in der Zeit der Tudors
vollständig erreicht, so ist doch unverkennbar, dass die Nivel-
lirung fortschritt, und eine weitere Zersplitterung vermieden
wurde. Jedenfalls genügte der polizeiliche Apparat, um den
aus Anlass von Mass und Gewicht im Verkehr vorkommenden
Uebervortheilungen ziemlich zu steuern.
Den Betrug zu hindern und Nachtheile vom Consumenten
fem zu halten, war auch der Zweck der Ueberwachung der
Waarengüte. Die moralische Verwerflichkeit einer betrügeri-
schen Fabrikation stand lange im Vordergrund, aber die
Nützlichkeit, die aus der Unterdrückung der Missbräuche er-
wuchs, wurde nicht vergessen. Dieses Moment wird vielmehr
im Laufe der Zeit immer stärker betont und gewann immer
mehr an Bedeutung, seit der englische Export sich vergrösserte.
Wir sehen denn auch gerade bei der Industrie, die dem Be-
trug am leichtesten zugänglich, zugleich aber für die englische
Ausfuhr am wichtigsten war, nämlich bei der Tuchmanufactur,
die Gesetzgebung besonders eingehende Massregeln ergreifen.
Die letzteren erhalten dadurch theilweise einen commerciell-
poli tischen Charakter. Den englischen Tüchern und sonstigen
Waaren sollte der Ruf der Solidität in der ganzen Handels-
welt zukommen, das englische Siegel sollte genügen, um alle
Zweifel an dem richtigen Mass und an der guten Qualität zu
beseitigen.
Die Organe, die man zur Ausführung der Gesetze benützte,
waren hauptsächlich die Friedensrichter und Stadtbehörden.
Dieselben reichten nicht aus. Die Friedensrichter konnten
die Fälle aburtheilen, die ihnen zur Kenntniss kamen, sie
konnten zur Anzeige auffordern, durch die Ortsvorstände sich
berichten lassen, zuweilen auf Wunsch der Gesetzgeber eigene
Gommissionen ernennen, das war aber nicht wirkungsvoll genug
M Gnei8t, Die Geschichte des Selfgovernment in England 1868. S.91,
171 fg., 291 fg.
— 617 —
bei einer so schwierigen Materie, wie sie die Verschlechterung
der Waaren war. Die Entdeckung des Betrugs war nicht leicht,
die Grenze, wo er begann, flüssig und schwer zu bestimmen.
Es lag nahe, die Gewerbetreibenden selbst mit zur Controle
heranzuziehen. Sie waren mit den üblichen Praktiken ver-
traut, konnten das Uebel leicht an die Oeffentlichkeit bringen.
Eine organisirte ständige Controle hatte natürlich einen ganz
andern^ Effect, als wenn man sich auf zufällige Anzeigen ver-
lassen "musste. Die Stadtbehörden bedienten sich sehr früh-
zeitig dieses Mittels, ihrem Beispiele folgte der Staat. Besonders
war dies gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts der Fall. Die
Zünfte machten in dieser Zeit all ihren Einfluss geltend, um
das Machtmittel eines ausgedehnten Sucherechts zu erlangen,
die starke Vertretung des städtischen Elements im Unterhause
und die Unmöglichkeit, die immer eingehendere und viel-
gestaltigere Gesetzgebung allein durch die Stadtbehörden und
Friedensrichter wahrnehmen zu lassen, waren den Bestrebungen
der Zünfte nur günstig. Das Mittel war ein unvollkommenes,
es versagte zuweilen seinen Dienst und führte sogar nicht
selten zu neuen Missbräuchen. Die zünftigen Sucher nahmen
oft, wie unsere Darstellung zeigt, ihre Genossen in Schutz und
hielten eine strafrechtliche Verfolgung von ihnen fern, oder sie
benützten ihre Macht, unbequeme Concurrenten zu chicaniren.
Es kam vor, dass man den Zünften ihr Sucherecht wegen des
damit getriebenen Missbrauchs wieder entziehen musste1).
Relativ am besten scheint die Controle bei dem grössern Theil
der Tuchfabrication gewesen zu sein. Die königl. Tuchmesser,
durch deren Hände die Tücher beim Verkauf auf offenem
Markt gingen, waren unabhängig und schon durch ihr finan-
zielles Interesse veranlasst, die vorgefundenen Gebrechen zu
ahnden oder ahnden zu lassen.
Die Gesetzgebung versuchte auf verschiedenen Wegen ihr
Ziel zu erreichen. Einhaltung bestimmter Grössenverhältnisse,
gewisse Verpackungsarten, ausgedehnter Markirungszwang, Be-
günstigung des öffentlichen Marktes, Verbot gewisser techni-
scher Operationen, Trennung naheliegender Gewerbe, das Er-
forderniss siebenjähriger Lehrzeit sind die hauptsächlichsten
Mittel, denen wir begegnen.
Die Wichtigkeit und den Einfluss dieser Politik wird man
nicht unterschätzen dürfen. Für eine werdende Industrie, die
anfangs local zerstreut war, deren Zweige lange weder unter
sich noch mit dem allgemeinen Markt grosse Fühlung hatten
und die nur sehr langsam und allmälig eine gegenseitige Con-
currenz entwickelten, waren einheitliche Nonnen ein Erziehungs-
mittel und geeignet, die stete Gefahr der Nachlässigkeit und
x) So war es der Fall bei den Londoner Tailors 1442. Nicolas,
Proceedings etc. V. S. 196.
— 618 —
den Hang zum Betrug abzuschwächen. Dass es ein verbreitetes
Gebrechen der englischen Wirthschaft war, gegen das man den
Krieg führte, dafür liefert unsere Darstellung Beispiele in Ge-
nüge. Auch andere Zeugnisse liegen hiefür vor. Statt vieler
erinnere ich an das eine, dass die Mitglieder der vlämischen
Hansa sich verpflichteten, mit keinem englischen Kaufmann
mehr handeln zu wollen, der einen Theilnehmer ihrer Gesell-
schaft im Gewicht oder in der Qualität der Waaren betrogen
hatte *).
Die erlassenen Vorschriften waren übrigens keine arbi-
trären, schlechthin aufoctroirte Reglements, wie es im Zeitalter
des aufgeklärten Absolutismus in den continentalen Staaten
vielfach der Fall war. Die Anregung, die Initiative ging viel-
mehr immer vom Publicum aus, die verschiedenen, sieh wider-
streitenden Interessen kamen zu Wort und zwangen die Gesetz-
geber zu wählen und abzuwägen. Das Spiel dieser Interessen
äussert sich lange in einem wechselnden Nachgeben bald nach
der einen, bald nach der andern Seite, es bildet sich aber aus
diesen Versuchen schliesslich doch eine Art Diagonale, eine
feste Richtschnur heraus. Von einer Bedrückung der Industrie
kann somit keine Rede sein. Die betreffenden Bestimmungen
wurden meistens als Gesetze erlassen, bei deren Zustande-
kommen die Städter, d. h. vielfach die Gewerbtreibenden den
Ausschlag gaben. Selbst die Tudors griffen nicht eigenmächtig
ein, sondern folgten nur äusseren Impulsen, Hessen die Gegen-
gründe, die man geltend machte, sorgfältig untersuchen. So-
weit es möglich und soweit es mit dem vorgenommenen Zweck
verträglich war, wurde den Wünschen der Industriellen und
der Freiheit des Verkehrs Rechnung getragen, ja zuweilen
siegten sogar die Gewerbtreibenden über die bessere Ueber-
zeugung.
Wie bei allen Polizeigesetzen war der Kampf nicht von
einem vollständigen Erfolg begleitet, aber an der Notwendig-
keit von Massregeln hielt man fest, trotz mancherlei Schwan-
kungen kam man immer wieder auf das Princip zurück. Auch
die Zeit der beiden ersten Tudors zeigt hierin keine Aenderung
gegen früher. Ihre Regierung ist vielmehr sehr eifrig nach
dieser Richtung hin thätig, sie stiess aber freilich auf grössere
Schwierigkeiten, als es früher der Fall gewesen war, da die
Gewerbe und der Handel complicirter sich gestalteten und
fortwährende Modificationen und Erweiterungen der Gesetze
nothig machten.
Man ist heute in weiten Kreisen geneigt, diese Politik als
eine verkehrte .zu verurtheilen , man lässt sich dabei zu sehr
von modernen Verhältnissen leiten. Die unendliche Mannich-
*) V arenbergh, Relationa diplomatique entre la Flandre et TAngle-
terre au moyen age. S. 148.
— 619 —
faltigkeit des heutigen Verkehrs und der neuzeitigen Production
würden es allerdings unmöglich machen, eine gleiche Ueber-
wachung durchzuführen. Man muss und kann einen grossen
Theil der freien Concurrenz überlassen. Aber ganz ist jene
auch heute nicht zu entbehren. Sie ersteht vielfach wieder
ganz neu, wie bei Lebensmitteln, Gold- und Silberwaaren etc.
Diese Aufsicht wird sicher noch etwas weitere Ausdehnung
gewinnen. Wie man aber auch darüber denken mag, für das
damalige England war die Politik trotz mancher Missgriffe eine
gute. Es war schon ein grosser Gewinn, dass das Gefühl für
das Unrecht einer betrügerischen Fabrication stets lebendig
erhalten wurde. Wenn wir sehen, wie die englische Tuch-
industrie aus schwachen Anfängen sicher und rasch empor-
wuchs, in Kurzem zum europäischen Ruf gelangte und selbst
erfolgreich mit der niederländischen Manufactur in die Schranken
treten konnte, sollte da die Ansicht so ganz unberechtigt sein,
dass gerade den überwachenden Massregeln ein guter, viel-
leicht der grösste Theil am Erfolge zuzumessen ist?
Neuntes CapiteL
Die Preispolitik.
Bei der .grossen Aufmerksamkeit, die der englische Ge-
setzgeber dem wirtschaftlichen Leben schenkte, lässt sich von
vorneherein vermuthen, dass er auch die wichtigste wirth-
schaftliche Thatsache, den Preis ins Auge fasste. An Veran-
lassung hiezu konnte es nicht fehlen. Einmal kam gerade
hier der Kampf der einzelnen Stände und öconomischen Classen
mit ihren verschiedenen Rechten und Interessen am schärfsten
zum Ausdruck, sodann mussten schon die weitgreifenden und
die ganze mittelalterliche Wirthschaft durchdringenden An-
schauungen vom Wucher, wonach jeder aussergewöhnliche Ge-
winn meist als unberechtigt galt, eine fortwährende Bewachung
der Preise erzeugen. In der That sehen wir die ausgedehn-
teste Beeinflussung der Preisgestaltung im mittelalterlichen
England. Es braucht kaum besonders hervorgehoben zu wer-
den, dass der Handel damit in seiner Richtung und Ausdeh-
nung bestimmt ward, dass überhaupt erst mit dieser letzten
Betrachtung ein abschliessendes Urtheil über die Auffassung
des Handels gewonnen werden kann.
Es mag nun gleich hervorgehoben werden, dass das Bild,
das sich bei Beleuchtung dieser meist innern Vorgänge uns
darbietet, ein wesentlich verschiedenes ist von dem, welches
wir bisher kennen lernten. Während der äussere Handel der
Engländer nach Kräften gefördert und gestützt wurde, wird
der innere vorwiegend mit ungünstigen Augen angesehen. Der
Händler wurde als schädlich präsumirt, die Zwischenhand
führte, wie man glaubte, zu einer ungerechtfertigten Vertheu-
erung, nur wenn Consument und Producent sich unmittelbar
begegneten, dachte man, werde sich ein angemessener Preis
bilden. In dieser Auffassung wurde man um so mehr bestärkt,
— 621 —
je schwächer die Communicationswege noch entwickelt waren,
je mehr die Concurrenz fehlte *) und je häufiger die ganze
Gesellschaft unter dem brutalsten Missbrauch einzelner gewinn-
süchtiger Menschen litt8).
Ihren unmittelbarsten Ausdruck fand diese ganze Vor-
stellung in dem Verbot des Vor- und Aufkaufs; ausserdem
hing auch die Bekämpfung der städtischen Gerechtsamen zu
Gunsten der Fremden mit dieser Frage zusammen, wofür wir
jedoch auf Früheres verweisen können8). Unter Aufkauf
konnte jedes Sammeln von Vorräthen zum Wiederverkauf ver-
standen werden, als Vorkäufer galt aber hauptsächlich der-
jenige, der Waaren, die für den Markt bestimmt oder schon
auf dem Wege zu demselben waren, von den Zubringern er-
warb und dann selbst mit denselben auf dem Markt erschien.
Gerade gegen diese letztere Operation zog man vorwiegend zu
Felde, und es kann nicht geläugnet werden, dass hier meistens
ein wirklicher Missbrauch vorlag.
Wie weit das Verbot zurückreicht, lässt sich nicht sagen.
Es erscheint aber schon in der Libertas Civitatum 4) und in
den Assisen und Erlassen von Johann ohne Land5), Heinrich
in. und Eduard I. Das Iudidum pillorium und Statutum de
pistoribus schildert den Vorkäufer in den grellsten Farben 6).
Derselbe, heisst es in letzterem, ist ein offener Unterdrücker
des armen Volkes und des ganzen Gemeinwesens, ein Feind
der Grafschaft und des Königreichs. Aus Gier nach eigenem
Gewinn verhindert er Andere am Kauf von Korn, Fischen,
Heringen oder irgend einer andern verkäuflichen Waare, die
man zu Wasser oder zu Lande bringt; er unterdrückt die
Armen und täuscht die Reichen ; er führt die Waaren weg, um
sie theurer zu verkaufen, er geht den fremden Kaufleuten ent-
gegen, bietet sich zum Kauf ihrer Waaren an oder benach-
richtigt sie, dass sie ihre Güter theurer verkaufen könnten,
als sie beabsichtigten; eine ganze Stadt oder ein ganzes Land
wird durch solche Künste betrogen.
Während des Mittelalters hielt man ununterbrochen an
dieser Anschauung fest1). Die Zeit der Tudors steht noch
l) Ueber die Einfachheit und Schwerfälligkeit des Handels in angel-
sächsischer Zeit vgl. Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen S. 111, 139,
150, 171, 181, 197, 203, 285, 355. Es war die Arbeit von Jahrhunderten,
bis eine lebhaftere Concurrenz sich bildete.
s) Ausser den im Folgenden erwähnten Beispielen sieh oben S. 401;
ferner Lib. Cust. I. S. 115; Rot. Pari. IL S. 823 fg.
») Sieh Cap. 3 dieses Abschnittes S. 379 fg.
*) Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen S. 519.
*) Tr. Twiss, The black book of the admiralty I. S. 70, 71, 78, 79;
II. S. 101 fg.
*) Statutebook I. S. 202, 208.
7) Sieh die vielen Beispiele im Folgenden. Ausserdem vgl. auch Rot
Pari. II. S. 261, 404; III. S. 48; 14 Ric. IL c. 4. Lib. Cust. I. S. 81, 296,
303; Lib. Alb. S. 193.
- 622 —
ganz auf demselben Standpunct, ja man kann sagen, dass der
Kampf unter Heinrich VIII. und Eduard VI. erst den Höhe-
punct erreicht, was sich leicht erklärt, wenn man bedenkt,
wie damals das ganze volkswirtschaftliche Leben rascher
pulsirte, die Preise stiegen, viele neue Zwischenglieder auf-
tauchten und der Handel im Innern mit aller Energie um seine
Existenzberechtigung rang1).
Reichte das Verbot des Vor- und Aufkaufe nicht aus, sei
es, dass es zu dehnbar und bei der wirklichen Ausfuhrung zu
complicirt war, oder sei es, dass schon die Producenten ihre
Preise nach damaliger Anschauung ungebührlich erhöhten, dann
ergriff man auch andere Massregeln, worunter die Preistaxen
am meisten hervorragten. Jedenfalls wurde das Interesse des
Gonsumenten sehr warm und in ausgedehntem Masse wahrge-
nommen. Der Grad, bis zu dem dies geschah, die Mittel, die
angewandt wurden, selbst die Motive, die mitwirkten, waren
aber sehr verschieden, je nach den Waaren, um die es sich
handelte. Bei dem fortwährenden Interessenkampf und den
immer neu auftauchenden Erscheinungen ist die Geschichte
der gemachten Versuche nach vielen Richtungen hin lehrreich.
Die wichtigeren Züge mögen im Folgen dargestellt werden.
Am nächsten lag erklärlicherweise das Eingreifen in die
Preisgestaltung bei den Lebensmitteln. Hier war der Wucher,
d. h. die Ausbeutung der augenblicklichen Noth der Mit-
menschen am offenbarsten, jedes Preissteigern und Monopoli-
sten zeigte sich gleich in seiner ganzen Verderblichkeit, und
dämm galt auch hier als unumstössliche Wahrheit der Satz,
wie ihn Heinrich VIII. einmal aussprach: „vitayll being a
necessary sustenaunce for the bodye shuld not be esteemed at
the sellers libertie, lest he shuld abuse his merchaundise and
enforce men for want to bye at his pryce" 2). Sehen wir von
den Einzel versuchen , deren wir später gedenken werden, ab,
so verlangen deshalb die Statuten im Allgemeinen von den
Lebensmittelverkäufern die Einhaltung massiger Preise, wobei
als Massstab der Beurtheilung der Preis der umliegenden
Gegend und die Entfernung in Betracht gezogen werden soll-
ten, und übertrugen die Controle den Stadtbehörden und
x) Sieh deshalb auch das erhöhte Eifern der Prediger gegen den Anf-
and Vorkauf; z. B. Thom. B e c o n , Early woorks written under Henry VIII ***
ed. bv Ayre S. 253; Thomas Lever, Sermons 1550 in Arbers Reprints
S. 128; K. Crowley, Select works ed. by Cowper S. 88. Ausserdem Tgl.
Brewer, Cal. IV. 3761. § 10; Lavtons Brief an Cromwell bei Ellis,
Original letters Ser, III. Vol. III. S. 212. Ueber den Gegenstand ist auch
zu Käthe zu ziehen Girdler, Observation on the pernicious conseqoences
of forestalling regrating and ingrossing with a list of the Statutes.
London 1800.
*) ürk. Beil. 34.
— 623 —
Friedensrichtern1). Die Ortsbehörden hatten den Ueber-
tretnngen nachzuforschen. Die Friedensrichter ahndeten die-
selben, setzten aber auch vielfach die einzuhaltenden Preise
fest*). 1423 wurde ihnen ausdrücklich die Befugniss einge-
räumt, die Lebensmittelverkäufer vor sich zu laden und ihnen
die Preise zu fixiren. Doch war die Dauer dieses Gesetzes
beschränkt9). In den grösseren Städten übten der Mayor und
die Aldermen die Polizei und vielfach auch das Gericht4).
Bei dem grossen Einfluss der Ortsbehörden in der gegebenen
Frage war es natürlich wichtig, sich ihrer Unparteilichkeit
zu versichern. Schon ein Gesetz Eduards IL verordnet des-
halb, dass kein Ortsbeamter, dem die Lebensmittelpolizei oblag,
während seines Amtes selbst mit Lebensmitteln handele ö).
Obwohl die Ausführung zuweilen auf Schwierigkeiten stiess 6),
wurde das Gesetz doch 1382 sogar noch erweitert, indem ein
Lebensmittelverkäufer in einer Stadt überhaupt keine gericht-
liche Stelle bekleiden sollte oder doch bei Mangel an geeigneten
Personen nur dann, wenn er für die Dauer des Amtes sein
Geschäft niederlege7). Daran hielt man auch fest, bis unter
Heinrich VIII. Da während des Letztern Regierung in Folge
des Verfalls der Städte und Flecken ausser Bäckern, Brauern,
Weinschenkern, Fischhändlern und sonstigen Productenhändlem
oft gar keine vermögenden und passenden Leute vorhanden
waren, die man zu Gemeindebeamten und damit zu Aufsehern
und Preistaxatoren hätte erwählen können, wurde gestattet,
dass in einem solchen Fall der Lebensmittelverkäufer sein
Geschäft fortbetreibe, verlangte aber, dass er bei Festsetzung
der Preise zwei ebenfalls gewählte rechtschaffene Personen
zuziehe 8).
Aus diesen und andern Zügen ersieht man, eine wie grosse
Wichtigkeit man dieser Angelegenheit beilegte. In der Mehr-
zahl der Fälle reichte die Organisation auch aus, Innerhalb
dieses Rahmens trafen die Ortsbehörden noch mancherlei Mass-
regeln, aber auch der Gesetzgebung blieb die unmittelbare
*) 23 Ed. HI st. of lab. c. 6; 25 Ed. in st 2. c. 5; st. 8. c. 2; 27.
Ed. HI st. 1. c. 3; 7 Ric. II c. 11; 13 Ric. II st. 1. c. 8; 4 Hen. IV c. 25.
*) Sieh auch 28 Ed. III c 5 (1354). Vielleicht ist auch in 13 Ric. II
Bt 1 c. 8 der Satz: „victuallers shall have reasonable gains according to
the discretion and limitacion of the said justices" als Preistarifirung durch
die Friedensrichter aufzufassen.
*) 2 Hen. VI c. 18.
4) 31 Ed. m st 1 c. 10 (1857); 7 Ric. II c. 11 (1388). Rot. Pari.
IL S. 258; III S. 147, 160. Sieh auch Gneis t, Geschichte des Self-
government 1863. S. 194—204.
s) 12 Ed. II st Ebor. c. 6 (1318).
«) Rot. Pari. II. S. 42 (1330).
*) 6 Ric. II st 1. c. 9. Schon 1371 hatten%die Gemeinen eine ver-
schärfte Anwendung des Gesetzes von 1318 verlangt. Rot Pari. II. S. 306.
8) 3 Hen. VIII c. 8 (1511 12); ausgenommen blieben London, York,
Coventry.
— 624 -
Bethätigungnicht erspart. Die einzelnen Erscheinungen , die hiezu
Anlass gaben, und die ihnen gegenüber eingenommene Stellung
sind besonders geeignet, die damalige Preispolitik zu illustriren.
Zu den verbreitetsten Nahrungsmitteln im mittelalter-
lichen England gehörten die Fische. Für die Ernährung
des Volkes waren sie, den Berichten nach zu schliessen, fast
so wichtig als das Brod. Gerade bei ihnen war aber die
Möglichkeit von Collisionen besonders gross. Den Fischern
war es wohl an den Seeplätzen möglich, ihre Fische direct zu
verkaufen, ebenso den Flussfischem im Innern des Landes,
ganz konnte man aber eines Zwischengliedes nicht entbehren;
denn der Verschleiss der Fische war doch eine Thätigkeit, der
sich viele Fischer nicht unterziehen konnten, ohne ihr Fischerei-
gewerbe zu beeinträchtigen. Auch das Publicum wurde besser
bedient, wenn die regelmässige Versorgung des Marktes von
besonderen Leuten wahrgenommen wurde. Es traten darum
frühzeitig, namentlich in den grössern Städten, besondere
Fischhändler auf, die das Fischereigewerbe nur nebenbei oder
gar nicht ausübten, auch Wirthe und andere Leute versuchten
zuweilen, in den Fischhandel sich zu mischen. Da war nun
die Aufgabe zu lösen, dass kein missbräuchlicher Auf- und
Vorkauf entstand. Das Problem war besonders schwierig,
wenn die Fischändler eine Zunft bildeten und nicht nur die
Goncurrenz der Einheimischen, sondern auf ihre städtischen
Gerechtsamen sich berufend, auch die der Fremden einzu-
schränken suchten.
In London war die Frage des Fischhandels vor Allem
wichtig. Seit Eduard I. war man bemüht, eine befriedigende
Ordnung zu schaffen. Die in der Zeit von 1282—1290 er-
lassenen städtischen Vorschriften waren grundlegend1). Die-
selben verboten nicht -nur denen entgegen zu gehen, welche
Fische zur Stadt bringen wollten, sondern untersagten
auch den Fischhändlern, mit einem -Auswärtigen, der vom
Meere Fische zur Stadt liefere, Theilhaberschaft zu unterhalten.
Zur Begründung dieses Verbots ist angefühlt, dass die Aus-
wärtigen, von der Lage der Stadt unterrichtet, den Preis höher
hielten, als sie es ohne diese Kenntniss thäten, und die Stadt-
händler, wenn sie die Fische nicht nach ihrem Belieben ver-
kaufen könnten, dieselben aufbewahrten und theurer verkauf-
ten, als die Auswärtigen, die ohne Theilhaberhaft kämen und
keine Unterkunft finden könnten. Femer sollte Niemand
frische Fische vor Sonnenaufgang oder Salzfische vor einer be-
stimmten Morgenstunde kaufen; den Fischhändlern war der
*
*) Die älteste, die Fische betreffende Ordonnanz, die man kennt, ist
wohl die Preistarifirung der Lampreten durch Johann im Jahre 1207.
Hardy, Rot Lit. Pat S. 68.
— 625 —
Kauf erst nach 3 Uhr, d. h. nachdem die andern Leute ihren
Bedarf gedeekt hatten, gestattet Sämmtliche Fische, die auf
den Markt gelangten, mussten am Tag der Ankunft losge-
schlagen werden. Ausgenommen waren Salzfische und Fische,
die erst nach 3 Uhr auf den Markt kamen. Die letztern
sollten am darauffolgenden Tage zum Verkauf ausgestellt wer-
den. Den Fischhändlern wurde zur Auflage gemacht, die ver-
schiedenen Fische so zu kaufen, dass sie dieselben zu einem
näher bezeichneten Maximalpreis abgeben könnten. Die Austern
sollten ausschliesslich von den Austernfischern verkauft werden
und zwar im Detail. Nur den am Nachmittag noch übrigen
Rest durften Wiederverkäufer erwerben; diese sollten die
gekauften Austern nur in ihren Läden, nicht aber auf dem
Boot weiter verschleissen. Auch die von Nantes nach London
gelangenden Lampreten dürften nur die sie bringenden Frem-
den verkaufen. Erst am vierten Tag nach der Ankunft konnten
auch Wiederverkäufer solche erwerben. Es war strenge unter-
sagt, Fische, welche zur Nachtzeit in die Stadt gelangten, vor
Sonnenaufgang zu entfernen. Wurden Fische zu Lande in
Körben gebracht, so durften sie nicht in Läden oder Häusern
aufbewahrt werden, sondern waren vor den Läden zu ver-
kaufen. Nur ehrbaren Männern wurde gestattet, unter Auf-
sicht ihre Fische im Haus zu bergen, sie mussten aber mit
dem ganzen Vorrath am Morgen auf dem Markt erscheinen.
Nimmt man noch dazu, dass bald darauf den Fischhändlern
auch verboten wurde, vor den Marktstunden ihren eigenen
Fischen entgegenzugehen, so dürften die Vorstellungen über
den damaligen Fischhandel hinlänglich klar gezeichnet sein1).
Es ist genau dasselbe Bild, das wir bereits andeuteten. Die
Speculation ist verderblich, der Händler denkt nur an Miss-
brauch und muss auf einem möglichst engbegrenzten Wege sich
halten. Das Interesse des Consumenten wird allein wahrge-
nommen.
Die Schwierigkeit war nur, nun auch wirklich die Fisch-
händler in diesen Rahmen zu bannen. Zwar besassen sie keine
abschliessenden Rechte in London, wenigstens nicht zur Zeit
Eduards II. *), aber dass sie keine Freunde grosser Concurrenz
waren, sieht man aus ihrem Vorgehen gegen drei ihrer Ge-
nossen, als diese wegen der Nähe ihrer Läden am Fischquai
ihre Fische im Detail billiger abgaben, denn die übrigen3).
Im Jahre 1382 brachte die Stadtbehörde selbst eine Beschwerde-
*) Lib. Cust. S. 117 fg., 120; Lib. Alb. S. 289, 377, 878, 380 fg.,
686 fg.
*) „Bene licet cuilibet libero dictae civitatis piscem in grosso et ad
retalliam vendere infra domos suas in ci vi täte praedicta". Lib. Cust.
S. 404, 406.
") Sehr eingehende und nach vielen Richtungen hin interessante Ein-
zelheiten enthalt hierüber der Lib. Cust S. 385—406; sieh auch Rot.
Pari. I. S. 370.
Schanz, Engl. Handelspolitik. I* 40
— 626 —
schritt gegen die Fischhändler beim Parlament ein. Die-
selben wurden beschuldigt, die Auswärtigen, welche Fische
nach London brachten, unbillig behandelt zu haben. Sie nähmen
diesen die Fische ab, ohne über den Preis zu unterhandeln, ihre
Bezahlung decke oft nicht die Kosten, durch das Monopolisiren
gelinge es den Londonern,- die Fische theurer zu verkaufen,
als es sonst der Fall wäre, die Misshandelten wagten aber
aus Furcht vor Schlimmerem nicht zu klagen. Die Fisch-
händler massten sich für die Streitfälle unter sich eigenes Ge-
richt an, hätten zu kleines Mass und umgingen die städtischen
Ordonnanzen. Der König nahm in Folge dieser Anzeige alle
Fremden, welche Fische und andere Lebensmittel brachten, in
seinen besondern Schutz, gestattete ihnen den Detailverkauf,
verbot den Wirthen, Fische vorzukaufen oder überhaupt in
den Fischhandel sich zu mischen, den Fischhändlern aber und
Stadtfreien wurde ganz und gar untersagt, frische Meeres- oder
Flussfische, ausgenommen Hechte und Aale, zum Wiederver-
kaufe zu kaufen. Endlich wurde bei dieser Gelegenheit die
schon oben erwähnte Bestimmung getroffen, dass kein Lebens-
mittelhändler ein Amt bekleiden dürfe, da einige Fischhändler
als Mayors ihre Gewalt missbraucht hatten. Die Fischhändler
erschienen im Parlament und flehten um Schutz, der König
nahm aber die Bill nicht zurück, sondern versprach nur Ab-
hilfe auf einzelne Beschwerden hin 1). Die Fischhändler hatten
diese ungünstige Behandlung wesentlich dem Umstände zuzu-
schreiben, dass sie im Verdacht standen, am letzten Aufstände
gegen den König theilgenommen zu haben. Es gelang ihnen
aber, allem Anschein nach, sich vollständig zu reinigen, denn
das gegen sie erlassene Gesetz wurde im folgenden Jahre auf-
gehoben8) und ihnen sogar eine Charte gegeben, wodurch die
Goncurrenz der Nichtbürger ausgeschlossen ward. In der Folge-
zeit war ähnlich wie die Fremdenpolitik auch ihre Behandlung
eine wechselnde. Heinrich IV. nahm gleich im ersten Regie-
rungsjahre ihr Privileg wieder zurück und auch Heinrich VI.
bestätigte diese Zurücknahme3). Aehnlich beschäftigte sich
1512 das Parlament mit einer Bill, welche die vollstän-
dige Aufhebung der Stockfischhändlersgilde bezweckte4). Je-
denfalls ist ersichtlich, dass, selbst wenn die Londoner Fisch-
händler im Genuss ihrer Rechte waren, sie vor allzugrossem
Missbrauch wegen der ihnen stets drohenden Gefahr sich
hüten mussten.
Es war London nicht allein, wo der Fischhandel zur Klage
Anlass gab. Im Parlament von 1314/15 beschwerten sich die
*) Rot. Pari. in. S. 141—148; 6 Ric II st 1. c II.
8) 7 Ric n c 11.
») Rot Pari. Iü. 8. 444 (1899); IV. S. 492 (1435).
4) Lords' Journals 3 Hen. vm. 12°, 14°, 89» die Pari.
— 627 —
Lincolner, dass gewisse Leute der Stadt den Fisch- und Lebens-
mittel Verkäufern entgegengingen, die Fische vorkauften und
den Kommenden fast gewaltsam ihre Waaren abnähmen, um sie
dann um den zwei- bis dreifachen Preis verkaufen zu können 1).
1357 brachten eine ähnliche Klage die Leute von Yarmouth
bezüglich der Heringe vor. Auch hier wurden die Fischer,
die zur Messe kommen wollten, belästigt, und besonders ver-
langten die Wirthe, bei denen die Fischer wohnten, zuerst
berücksichtigt zu werden, oder wollten gar nicht dulden, dass
die Fischer selbst Fische verkauften. Das Statut, das darauf
erlassen wurde, galt für alle Plätze, wo Heringe gefangen und
verkauft wurden. Kein Hering sollte auf offener See verkauft
werden , sondern erst dann , wenn das Schiff im Hafen ange-
langt war. Den Wirthen wurde untersagt, die Fischer zu
stören, sie mussten im Hafen vor allen Leuten ihren Vorrath
kaufen. Damit sie nicht vorher über einen ihnen günstigen
Preis übereinkamen, durften alle Kauflustigen Heringe zum
gleichen Preis verlangen. Aber auch mehr als 40 sh sollte
Niemand für die Last Heringe, d. h. 10 000 Stück geben.
Der Verkauf durfte nur am Tage geschehen. Schiffe von
London oder andern Plätzen sollten nicht einfahren, um den
Preis hinaufzutreiben, sondern mussten an den übrigen Küsten-
plätzen ihre Einkäufe machen. Sieben Meilen im Umkreis
von Yarmouth sollten die Fischer nur noch nach Eston, Weston
und Southton ihre Heringe bringen dürfen. Den Wirthen
wurde die Verpflichtung auferlegt, ihre Gäste so gut wie früher
zu bedienen. Verkauften sie Heringe an Kaufleute zum Wie-
derverkauf, so sollten sie nicht mehr als 40 d per Last , von
ihren Genossen aber gar Nichts als Gewinn nehmen, da ihr
Vortheil gross genug sei, den sie von ihren Gästen hätten.
Der Gewinn der Yarmouther Kaufleute war auf eine halbe
Mark, der der Londoner auf eine Mark per Last festgesetzt *).
Der Erfolg der Acte war nach damaliger Ansicht ein schlechter.
Seit durch das Gesetz ein wirklicher Markt in Yarmouth ge-
schaffen und das Geschäft nicht ausschliesslich in die Hände
der Wirthe gegeben war, kamen viele Kaufleute, auch Bauern
und Arbeiter, um Heringe zu kaufen; es entwickelte sich eine
lebhafte Concurrenz. Wenn Einer 40 q)i bot, so wollte ein
Anderer 50, ein Dritter 60 sh geben, und am Schluss der
Messe war der Preis regelmässig sehr hoch geworden. Weit
entfernt, darin einen Vorzug zu sehen, beschuldigten die Gesetz-
geber die Bieter eines böswilligen habsüchtigen Handelns. Als ein
weiterer Uebelstand wurde die Bestimmung angesehen, wonach
Jeder einen Theil der Heringe nach dem bewilligten Preise
*) Rot Pari. I. S. 290, 330.
*) 31 Ed. ffl st. 2. c. 1, 2.
40*
- 628 —
verlangen konnte. Der Fischer, hiess es, komme zu Nachtheil
und werde verzögert dadurch, dass er von so vielen Personen
sein Geld einsammeln müsse. Als dritten Missstaäd führten die
Petenten an, dass man nur während des Tags Fische kaufen
dürfe. Man fange häufiger Fische bei Nacht als bei Tag, auch
kämen oft die Fischer kurz nach Sonnenuntergang und wären
dann unter grossem Verlust gezwungen, bis zum andern Morgen
mit dem Verkauf zu warten. Das Parlament und der König
hielten die Klagen für berechtigt. Fortan sollten deshalb die
Fischer ihre Fische verkaufen können, wann immer sie an-
langten, die Käufer sollten offen mit den Fischern über die
Preise sich einigen, aber Niemand sollte einen Andern im
Handel unterbrechen oder überbieten, vielmehr warten, bis
der Erstere mit seinem Geschäft fertig wäre1).
Durch diese Verordnung war ein grosser Theil des früheren
Statuts ausser Kraft gesetzt. Fünfzehn Jahre später wogten
aber die Klagen aufs neue. Die reichen Wirthe wurden
wieder beschuldigt, alle Heringe in Händen zu haben und mit
dem Verkauf behufs Preissteigerung zurückzuhalten, und ebenso
beklagte sich eine ganze Reihe Grafschaften, dass man die
Fischer zwinge, sieben Meilen im Umkreis nur in Yarmouth
während der Messe zu verkaufen; die meisten Fischer seien
Fremde und gingen ungern in die Stadt, weil sie dort nur
nach dem Wunsche der Bürger verkaufen könnten. ■ Ein billiger
Preis sei nur zu erzielen, wenn diese Beschränkung zurückge-
nommen werde, was auch geschah8). Trotzdem blieben die
Heringe theuer, was zu erneuten Untersuchungen führte8).
Unter Richard IL gelang es den Yarmouthern wieder ihre
Vorrechte bestätigt zu erhalten; als aber die Gemeinen von
Suffolk und Norfolk darlegten, dass sie bei ungünstigem Wind
in Yarmouth nicht einfahren könnten, sondern in Kirkelrode
bleiben, und wegen des Gebots, daselbst nicht auszuladen, ihre
Fische ins Meer werfen müssten, wurde die Charte wieder
zurückgenommen 4).
So war man nach 20 Jahren so ziemlich wieder zu dem
Zustand zurückgekehrt, der vor dem obigen Statut vorhanden
war. 1382 machte man nochmals einen Versuch, den Wirthen
in London, Yarmouth,, Scarborough, Winchelsea, Rye und allen
übrigen Städten den Fischhandel ganz und gar zu verbieten,
nahm aber schon im nächsten Jahr das Verbot zurück *).
Auf Grund dieser misslungenen Experimente wird man
annehmen dürfen, dass auch die ähnlichen für den Salzfisch-
') 35 Ed. III; ordinatio facta de altece. (1360/61).
*) Rot. Pari. IL S. 334, 353 (1376).
») Rot. Pari. II. S. 370 (1376/77).
«) Rot. Pari. DI. S. 95, 117 (1380/81).
5) 6 Ric. II st. 1. c. 11; 7 Ric. II c. 11.
. — 629 -
markt zu Blakeney erlassenen Bestimmungen von keiner langen
und practischen Bedeutung waren1).
Jedenfalls geht aus den wenigen Zügen hervor, dass an
dem Vorhandensein von wirklichen Missbräuchen nicht ge-
zweifelt werden kann, dass aber die ergriffenen Mittel un-
zweckmässig waren. In der Beurtheilung des Fischhandels
zeigte sich kein nennenswerther Fortschritt; denn wenn man
auch nothgedrungen den Handelsinteressenten und dem Ver-
kehr Gpncessionen machte, so musste doch jeder neu auf-
tauchende Zweig gewissennassen erst seine Berechtigung be-
weisen und erkämpfen. Recht klar zeigt dies ein Vorgang
aus der Regierungszeit Heinrichs VIII.
Zu den bedeutendsten Fischmärkten jener Tage gehörten
Sturbridge, St. Ives und Ely. Die Londoner und andere Eng-
länder gingen vor der Messe an die östliche Seeküste, kauften
sowohl die Fische, welche von Island kamen, als diejenigen,
welche im Südosten von England gefangen wurden, auf, um
sie nach Sturbridge und den andern genannten Märkten zu
führen. Gleichzeitig erwarben sie aber auch alle Salz- und
Stockfische und andere Fische, welche Kleinhändler zu Markte
bringen wollten. Theuerung und Mangel soll die Folge dieses
Vor- und Aufkaufs gewesen sein. Sofort wurde die Zwischen-
hand wieder verboten. Die Fischer und Islandsfahrer sollten
selbst ihre Waaren zum Markte bringen, in der Umgebung
des Marktes war jeder Vorkauf untersagt, und auch die Wirthe
sollten keinen grössern Vorrath sich anschaffen, als sie während
der Marktzeit benöthigten. Damit die Händler nicht durch
Teilhaberschaft sich zu Islandsfahrern aufwarfen und auf diese
Weise das Statut umgingen, wurde bestimmt, dass als Islands-
fahrer nur diejenigen zu gelten hätten, welche mindestens eine
Ladung von 20 j£ im Schiffe hätten2). Die Acte erwies sich
nach zehnjähriger Dauer als ein vollständiger Missgriff, die
neuen Uebelstände waren grösser als die früheren. Die Fahrt
nach Island war wirklich ein Wagniss, und seit Langem war
es deshalb üblich, das Risico zu vertheilen. Die einzelnen
Kaufleute übergaben nur eine geringe Menge Waaren bei der
einzelnen Fahrt. Die Vorschrift nun, dass man bei einer ein-
zigen Fahrt mindestens für 20 jg Waaren nach Island zum
]) Unter Anderm wurde bestimmt, dass alle Fischer von Blakeney
und Umgegend nur in Blakeney ihre Fische ausladen dürften. Bei Beginn
des Marktes sollten Kaufleute und Schiffseigenthümer einen Preis festsetzen!
der dann während der Dauer der Messe nicht überschritten werden durfte.
Sämmtliche zu Markt gebrachten Fische mussten verkauft werden. Niemand
sollte aus Anlass dieses Gesetzes das Fischergewerbe aufgeben. 31 Ed. III.
st. 3 c. 1, 2 (1857), bestätigt 1362. Rot. Pari. H. S. 276.
*) 25 Hen. VIII. c. 4. — An der Klippe des Aufkaufs scheiterten
auch die beiden Fischmessen, welche Lynn 1538 vom König erhalten hatte ;
als die andern Messplätze geltend machten, durch das Aufkaufen der Lynner
würden die Fische vertheuert, nahm der König das Privileg zurück.
— 680 —
Erwerb der Fische schicken sollte, veranlasste viele Kaufleute
vom isländischen Handel sich zurückzuziehen. Noch schlim-
mere Folgen hatte die Ausschliessung der Zwischenhändler.
Früher als die Londoner Kaufleute und sonstige Engländer an
die Ostküste kamen und den Islandsfahrern ihre Fische ab-
nahmen, hatten diese gleich Baargeld, konnten ihre Matrosen
zahlen und sich wieder zu neuer Fahrt rüsten. Jetzt aber
mussten sie selbst mühsam die Messen und Märkte aufsuchen
und sich mit einem Handel abgeben, der ihnen fremd war,
während die Londoner und andere Fischhändler den Verschleiss
über das Königreich zu ihrer besonderen Aufgabe gemacht
und leicht besorgt hatten. Das Statut wurde deshalb annul-
lirt und damit die Existenzberechtigung dieses schon das locale
Gepräge abstreifenden Handelszweiges anerkannt1).
Dagegen wurde ein anderer Fall des Auf- und Vorkaufs
nicht zugelassen, weil wichtige andere Interessen mitspielten.
In den Grafschaften Kent* und Sussex war das Fischergewerbe
verfallen und in die Hände der Picarden, Normannen, Fran-
zosen und Vlamen übergegangen. Die englischen Fischer und
Fischhändler fuhren diesen Fremden entgegen, nahmen ihnen
ihre Ladung gegen Baargeld ab und verkauften sie dann an
den Küstenplätzen zu beliebigen Preisen. Das war nun nicht
nur offenkundiger zur Verteuerung führender Vorkauf, son-
dern es schädigte auch die Schiffahrt, verminderte in den
beiden von der Agrarrevolution ohnehin am schwersten heim-
gesuchten Grafschaften die Arbeit und war mit einem Edel-
metallverlust von 20 000 Mark jährlich verbunden. Den Eng-
ländern wurde deshalb untersagt, in den überseeischen Ge-
bieten oder auf der See von Fremden Fische zum Wieder-
verkaufe zu erwerben, man gestattete aber den Fremden selbst,
mit ihren Fischen die englischen Hafenplätze zu besuchen *).
Fast gleichwichtig als die Fische, namentlich im Innern
des Landes war das Fleisch« Dasselbe war ein regelmässiges
Nahrungsmittel selbst bei den geringsten Leuten3). Wegen
der ausgedehnten Weideflächen, des dem Graswuchs förder-
lichen Klimas und des extensiven landwirtschaftlichen Betriebes
*) 35 Hen. VIII. c. 7 (1543/44).
*) 38 Hen. VIII. c 2 (1541/42), erneuert 87 Hen. VHI. c. 28 (1545).
Die Acte fand keine Anwendung auf Personen, welche Fische in Island,
Schottland, den Orkneyinseln, Irland und „Newland" kauften, ebenso nicht
auf Störe und eine Zeit landauf Heringe.
*) In der Acte 24 Hen. YlH. c. 4 heisst es: „beoffe mutton porke and
veale — is the common fedyng of the meane and poore persones". Damit
stimmen auch andere Angaben überein. London hatte um 1532 80 Metzger,
welche per Jahr (=-46Wochen) 33120 Ochsen schlachteten (Northouck,
History of London 1773 S. 117). Nach dem Bericht des renetianischen
Gesandten Lodoyico Falier v. 10. Nov. 1531 hatte London eine Einwohner-
zahl von 70000, nach Soranzos Relation t. 18. Aug. 1554 180000 Seelen.
— 631 —
war, wie dies schon der beträchtliche Häuteexport beweist,
das Land reich an Vieh und der Zutrieb zu den Märkten ein
genügender. Nur ganz ausnahmsweise und für kurze Zeit
wurde das grosse Schlachtvieh Preistaxen unterworfen x). Man
begnügte sich hier mit den Bestimmungen über Vor- und Auf-
kauf. Die Metzger wurden dagegen strenge überwacht, und
in den meisten Städten Fleischtaxen vorgeschrieben2). Das
letztere war auch der Fall mit Geflügel und Wildpret8).
Wiederholte Versuche, für diese von Reichs wegen die Preise
zu regeln, mussten bald aufgegeben werden 4).
Die Ordnung dieser Verhältnisse blieb auch bis zur Zeit
Heinrichs VHI. den localen Behörden überlassen. Während
dessen Regierung begann aber in den Jahren 1525—28 das
Fleisch plötzlich und bedeutend zu steigen. Einer zeitgenössi-
schen Denkschrift zufolge war diese Preiserhöhung durch eine
ganze Reihe von Ursachen bewirkt worden. Die lang an-
dauernden Kriege gegen Frankreich, in denen die Truppen
hauptsächlich mit eingesalzenem Fleisch ernährt wurden 5), eine
nach Beendigung der Kriege unter dem englischen Schlacht-
vieh eingetretene Seuche, deren Intensität grösser war, als man
sie seit 40 Jahren beobachtet hatte, vier auf einander folgende
trockene Sommer hatten den englischen Viehstand decimirt.
Der Futtermangel veranlasste die Landwirthe, die Aufzucht
von Kälbern und Lämmern zu unterbrechen, die aufgezogenen
waren durch Hunger herabgekommen und nichts werth. Die
grosse Dürre im Sommer und die Winterfröste zerstörten auch
viele Süsswasserfische und das Morastgeflügel, so dass ihr
Preis aufs Dreifache stieg. Die Zahl der Schweine verminderte
sich, da Bohnen und Erbsen missrathen waren und für Pferde
und Rindvieh verwendet werden mussten, um diese gegen den
Hungertod zu schützen. Die Theuerung des Schlachtviehs zog
dann auch wieder die des Geflügels nach sich6). Dabei ist
die* Münzverschlechterung, die im Jahre 1526 vorgenommen
wurde, nicht zu vergessen.
Ein Theil der Bevölkerung , darunter auch der Verfasser
oben genannter Denkschrift, erwartete eine Besserung vom
(Brown, Cal. IV. 694- V. 934). Legen wir. die Zahl 170000 zu Grunde
und nehmen wir an, dass das Durchschnittsgewicht eines Ochsen 4 Ztr.
betrug, so würde allein an Ochsenfleisch auf jede Person taglich */• &
getroffen haben.
*) Rot. Pari. I. S. 295.
*) Lib. Alb: S 274, 712; Lib. Cust. S. 304.
8) Lib. Alb. S. 465, 466, 715 fg.; Lib. Cust. S. 82.
4) Rot. Pari. 1. S. 295, 351; II. S. 277; 37 Ed. III. c. 8; 38 Ed.
in. c. 2.
6) 1512 schrieb der venetianische Consul: „The lang has salted 25000
oxen, so that the price of meat had risen froni 1 d to 3 d per pound."
Brown, Cal. IL 168.
c) Brewer, Cal. IV. 3761.
— 632 —
Wiedereintritt günstigerer Witterung und von Erhaltung der
Einhebungen, ein anderer aber sah gerade in den letzteren
den Grund der Preissteigerung1). Jedenfalls war die Masse
des Volkes unzufrieden und über die Vertheuerung eines ihrer
wichtigsten Nahrungsmittel erbittert. Gleichzeitig unterliessen
die ökonomischen Politiker jener Tage nicht, auf die Con-
sequenzen dieser Thatsache hinzuweisen. Sie machten unter
Anderem darauf aufmerksam, wie notwendiger Weise die auf
Export arbeitenden Industrien mit grösseren Kosten producirten,
der englische Ausfuhrhandel gefährdet sei und die Beschäftigung
der Einheimischen vermindert werden könnte2).
So drängte man von allen Seiten die Regierung. Die-
selbe war nicht säumig. Sie handhabte nicht nur mit er-
neutem Eifer das Recht in Betreff des Auf- und Vorkaufs,
besonders bei Schlachtvieh'), sondern traf auch mit dem Par-
lament eine Reihe von Bestimmungen, welche der Preissteigerung
entgegenwirken sollten. Um die Aufzucht und Fleischproduction
wieder zu verstärken, wurde für mehre Jahre das Schlachten
neugebomer Kälber und überhaupt Kälber und Stiere, die
unter zwei Jahre alt waren, verboten4). Ferner wurde auf
vielfach geäusserten Wunsch6) die Ausfuhr von Vieh irgend
*) Ueber beide Ansichten sieh Starkey, England in the reign of
king Henrv the Eighth ed. Cowper S. 97 fg.; vgl. auch S. 87, 89, 90, 91.
Thomas More gehörte zu denen, welche in den Einhegungen einen Grund
zur Preissteigerung sahen: „Reciderunt enim fere in manus paucorum
eorundemque divitum, quos nulla necessitas urget ante vendenai, quam
Übet, nee ante übet, quam liceat, quanti übet Jam cetera quoque pecoram
genera ut aeque cara sint, eadem ratio est, atque hoc etiam amplius, quod
dirutis viUis atque imminuta re rustica non sint, qui foeturam euren t.
Neque enim divites illi ut ovium sie etiam armentorum foetus educant, sed
aliunde macra emta vili, posteaquam suis paseuis pinguerint, magno reven-
dunt; idque, sicuti reor, noudum sentitur totum hujus rei incommodum.
Nempe adhuc his locis reddunt cara, ubi vendunt, ceterum ubi aliquamdiu
celenus extulerint illinc, quam nasci possint, tum demum ibi quoque paul-
latim decrescente copia, ubi coemuntur, necesse est, hie insigni laboretur
inopia. Ita qua re vel maxime felix haec vestra videbatur insula, jam ipsam
paucorum improba cupiditas vertat in perniciem. Nam haec annonae Ca-
ritas causa est, cur quisque quam possit plurimos e familia dimittat*.
Utopia Hamb. Ed. 1752 S 22, 23.
*) Pauli, Drei volksw. Denkschr. S. 60, 62, 64, 70, 78, 74.
3) Unter den damals des Aufkaufs von Vieh Beschuldigten waren 9
aus Middelsex, 19 aus Essex, 8 aus Bedfordshire, 4 aus Sussex und Kent,
37 aus den Grafschaften Buckingham, Oxford, Leicester, Stafford, Nort-
hampton, 1 aus Hertfordshire ; ausserdem waren sammtüche Meteger der
Vorstädte und einige von London des Vorkaufe angeklagt R. 0. Star
Chamber Proceedings H. VIII. Vol. XV. fo. 188, 189.
4) 21 Hen. VHI. c. 8; 24 Hen. VUI. c. 7, c 9: 25 Hen. VIII. c. 1:
28 Hen. VIII. c. 8; 31 Hen. VIIL c. 7; 33 Hen. VIII. c. 17; 37 Hen. VIII.
c. 23; vgl. aber auch 27 Hen. VHI. c. 9.
A) „ther ys convehauns of many thyngys necessary to the use of our
pepul more tuen may be wel sufferyd, both of catayl and corne" etc.
Starkey, England in the reign of lang Henry the Eighth. S. 93.
— 633 —
welcher Gattung und sonstigen Lebensmitteln erschwert, indem
dieselbe von einer Liccnz abhängig gemacht wurde1). Weiter
zog man gegen die Einhegungen zu Felde, indem die Meinung
derjenigen durchdrang, welche die Ursachen der Theuerung in
der geringen Zahl der Verkäufer suchen zu müssen glaubten *).
Endlich wurde dem Lordkanzler in Verbindung mit andern
Mitgliedern des kgl. Rathes die Vollmacht ertheilt, von Zeit
zu Zeit die Preise von Geflügel und auch von Käse und Butter
durch Proclamation für die verschiedenen Gegenden festzu-
stellen3), für das Fleisch aber bestimmte man gleich durch
Gesetz gewisse Maximaltaxen4). Eine Folge dieses Gesetzes
war auch die Neuerung, dass alles Fleisch nach Gewicht ver-
kauft werden musste, während es vorher üblich gewesen zu
sein scheint, dass man für eine bestimmte Summe, z. B. 1 d
Fleisch verlangte und je nach den Marktverhältnissen eine
grössere oder geringere Menge erhiflt.
Die starke Controle, der sich die Metzger nun ausgesetzt
sahen , und der niedrige Preis 5), den das Gesetz vorschrieb, er-
zeugte grosse Tumulte. Auch sonst hatte die Acte mancherlei
Misshelfigkeiten im Gefolge. In Cambridge kam es darüber
zu einem grossen Zerwürfniss zwischen der Stadt und Uni-
*) 22 Hen. VIII. c 7 § 1 ■ 25 Hen. VIII. c. 2 § 3.
2) 25 Hen. VIII. c. 13. Daselbst heisst es: „within fewe yeres have
dayly studyed practised and invented ways and meanes how they myght
accumulate and gatfaer tegether into fewe handes as well greate multitude
of ferme8 as greate plentie of catall and in especiall shepe — , but also
have raysed and enhaunsed the prises of all maner of corne, catall, woll,
pygges, geese, hennes, chekyns, egges and suche other almoste doble above
the prices, which hath byn accustomed, by reason wherof a marvaylous
multitude and nombre of the people of this realme be not able to provyde
meate, drynke and clothes necessary for theymselfes, theire wyres and
chiidern, but be so discoraged with myserye and povertie, that they fall
day by day to thefte, robbery and other inconvenience or pitifully dye for
banger and colde."
*) 25 Hen. VIII. c 2. In dem Preamble wird gesagt: „it is very
harde and difficile to put any certavne prices to any suche thingis, and
yet never the lesse tt»e prices of such victualles be raany tymes inhaunsed
and raysed by the gredy covetousnes and appetites of the owners of suche
victuals by occasion of ingrossyng and regratyng the same more, then apon
any resonable or juste grounde or cause".
4) 24 Hen VIII. c. 3; das iL Rind- und Schweinefleisch sollte J . d,
das €6 Hammel- und Kalbfleisch zu % a abgegeben werden. Kopf, Nacken,
Beine und andere geringwerthige Fleischtheile waren billiger zu verkaufen.
Die Stadtbehörden hatten das Recht, niedrigere Preise als das Statut fest-
zustellen.
A) Dass der Preis zu niedrig angesetzt war, das beweist der heftige
Widerstand der Metzger. Das machen auch die Viehpreise wahrscheinlich.
Für diese besitzen wir eine sichere Quelle in dem Durham household
b o o k or the accounts of the bursar of the monasterv of Durham from
Pentecost 1530 — Pentecost 1534 ed. by the Surtees Society. 1844. Ich
habe die einzelnen Eintrage ausgezogen und für jedes Jahr den Durch-
schnitt berechnet. Das Resultat ergibt sich aus folgender Tabelle:
— 684 —
versität, das von Aufläufen der Studentenschaft und langwierigen
Processen vor der Sternkammer begleitet war1). An andern
Orten , voran in London , verweigerten die Metzger geradezu
den Gehorsam, indem sie erklärten, der Acte unmöglich ge-
nügen zu können, solange die Viehverkäufer mit ihren Preisen
nicht herabgingen. Auch die erlassenen kgl. Proclamationen
fluchteten nichts2). Man übertrug deshalb in einem neuen
Gesetz den Behörden die Vollmacht, gegen die Uebelthäter
unmittelbar einzuschreiten und die Widerspenstigen zum Ver-
Gattung.
Zahl der Stacke, aus denen
der Durchschn. gen. w.
Durchschnittspreis
1590/81
1581/82
1532/33
1533/34
1530/31
1531/82
1532/33
1533.84
Ochsen
59
69
65
54 i
15,7 1 15,8
14,9
15,7
sh
Kühe
165
140
163
166 !
10,7
10,6
9,8
10
sh
Schafe
111
151
40
79 i
2,0
1,9
M
1,7
sh
Widder
629
671
850
166
2,2
2,4
2,1
2,3
sh
Lämmer
279
229
266
264
11,5
13,3
13,7
10,7
d
Schweine
44
47
42
33
3,2
2,8
2,7
3,4
sh
Nimmt man das Fleischgewicht eines Ochsen zu 4 Ctr. an, so würde
bei dem gesetzlichen Preise von */* d per iL der Metzger 161/« sh für das
Fleisch erhalten haben. Eine rohe Ochsenhaut kostete 3 sh 4 d. Der
Arbeitslohn und Gewinn des Metzgers könnte danach nur 4 — 5 sh be-
tragen. Dieser Betrag verminderte sich noch bedeutend in London, wo die
Viehpreise sicher höher standen als in Durham, wurde vielleicht sogar eine
negative Grösse. Dem gegenüber kann unmö lieh richtig sein, was Stowe,
Chronicle Ed 1592 S. 959 zu der Acte 25 Hen. VIII. bemerkt: „It was
this yeere enacted, that butchers should seil their beefe and mutton by
weight, beefe for a halfepenny the pound and mutton for three farthingB;
which being devised for the great commodity of the realme, as it waa
thought, hathe prooved larre otherwise; for at that time fat oxen were
solde for sixe and twenty Shillings and eight pence the peece, fat weathers
for three Shillings and foure pence the peece, fat calves of the like price,
a fat lamb for twelve pence. The butchers of London solde penny peeces
of beefe for the reliefe of the poore, every peece two pounde and a hälfe,
sometime three pounde for a penny and tnirteene, sometime foureteene of
these peeces for twelve pence; mutton eight pence the quarter and an
hundred weight of beefe* for four Shillings and eight pence ; what price it
hath growen to since, it needeth not to be set downe. At this time also
and not before were forraine butchers permitted to seil their flesh in
Leadenhall market of London."
J) R. O. Star Chamber Proceedings Hen. VIII. Vol. VIII. S. 51
bis 65, 68—72. Soweit ich sehen konnte, hatte der Proctor der Universität,
welchem die Ueberwachung der Lebensmittel zustand (Rot. ParL III. S.109JL
höhere Preise, als das Statut festgesetzt, nämlich für das Rindfleisch ** d
und für das Kalbfleisch aL d. Der Lordmayor beanspruchte die Ausführung
der neuen Acte und proclamirte sie, wodurch der Proctor der Universität
und die ganze Studentenschaft sich in ihren Rechten verletzt glaubten.
s) Procl. vom 8. Juli 1533 und vom 29. Jan. J584. In der enteren
befahl der König auch, dass die Viehverkaufer ihr Vieh entsprechend billig
abgeben sollten; in der letzteren gab er seinen Unwillen über den offenen
Ungehorsam der Metzger kund und schärfte das Gesetz von Neuem ein.
Br. M. Harl. Ms. 442 fo. 115, 117.
— 635 —
kauf zu zwingen. Den Viehverkäufern aber befahl man ein-
fach, zu solchen Preisen ihr Vieh abzugeben, dass die Metzger
noch einen massigen Gewinn machen könnten. Im Weigerungs-
fall sollten auf Klage der letzteren die Ortsbehörden das Vieh
abschätzen, indem sie die vom Gesetz aufgestellte Fleischtaxe
zu Grund legten und für den Metzger einen Zuschlag machten.
Mit Gewalt und der natürlichen Preisbildung zum Trotz sollte
das Gesetz durchgeführt werden. In einem Punkt Hess man
sich aber doch zu einer Concession an den Verkehr herbei.
Man gab zu, dass in gewissen Zeiten des Jahres das Vieh
seltener und theurer sei, und es unbillig wäre, während dieser
Perioden die Metzger zur Einhaltung der gesetzlichen Preise
oder die Viehverkäufer zur Abgabe unter den Normalwerth zu
zwingen. Der König behielt sich deshalb vor, für beschränkte
Zeiten und gewisse Gegenden den Detailverkauf durch Pro-
clamation zu regeln, sei es, dass er vom Verkauf nach Gewicht
ganz entbinde, sei es, dass er besondere Preise festsetzen
wollte *).
Von diesem Recht machte der König auch sofort Gebrauch
und gestattete vom 14. März bis 24. Juni etwas höhere Preise2).
Im Jahr darauf bewilligte er dieselben Preise den Londoner
Metzgern vom 12. Juli bis 2. Februar, indem er anerkannte,
dass diese nicht unter den gleichen Bedingungen, wie die
Metzger auf dem Lande oder in kleineren Städten arbeiteten8).
Unermüdlich waren nun die Fleischer thätig, um die Acte
vollends zu nichte zu machen. Am Anfang des Jahres 1536
setzten sie durch den Hinweis auf die in letzter Zeit eingetre-
tenen Viehseuchen eine Suspension des Gesetzes vom 12. April
1536 bis 24. April 1540 durch4). Im letzteren Jahr wurde
ihnen für einige Zeit auch wieder die Erlaubniss gegeben,
Kälber ohne alle Restriction zu schlachten6). 1542 endlich
wurden die zwei den Metzgern so unbequemen Gesetze
*) 25 Hen. VIII. c. 1 (1533/34).
») ürk. Beil. 166.
3) -For as much aß thefkinges Magestie is credibly advertized and
enfonned, that the bouchers Citizens occupying within the said citie have
byn and daylie be at farre higher charges, as in housrent, leaserent, ser-
vauntes, wages and otherwise then anie forraine buchen dwelling without
the said citie be at, by reason whereof the said bouchers Citizens cannot
have a lyving, if they should continually be constreyned to seil beeffes,
muttons. veales and porkeß bv weight by retaile within the said citie at
such prices as be limited in the act made for selling of flesh by waight,
onles yt should be to their utter losse and undoing" etc. Br. M. Harl.
Ms. 442 fo. 128.
4) 27 Hen. VIII. c. 9, proclamirt am 14. April 1536. Br. M. Harl.
Ms. 442 fo. 129.
*) ProcL vom 4. März und 27. Oct. 1540. Br. M. Harl. Ms. 442 fo.
157, 163.
/ '
— 636 —
24 Hen. VIII. c. 3 und 25 Hen. VIII. c. 9 ganz und gar zurück-
genommen 1).
Aber keine vollen zwei Jahre erfreuten sich die Metzger
der Freiheit. 1543 nahm die Regierung eine neue Münz-
verschlechterung vor, gleichzeitig brachen wieder verheerende
Viehseuchen aus und traten grosse Fröste ein *). Die Fleisch-
preise schnellten rasch empor, das durch Steuern hart be-
drückte und durch fortschreitende Revolutionen auf ökonomi-
schem Gebiet zum grossen Theil verarmte Volk aber murrte
über die abermalige Verteuerung mehr wie früher. Der
König suchte die gährenden Massen zu beruhigen. Auf die
Parlamentsacte 31 Hen. VIII. c. 8 sich stützend, kraft welcher
die von ihm mit Zustimmung des Raths erlassenen Proclama-
tionen Gesetzen gleich zu erachten waren, schrieb er, weil die
Fleischverkäufer nur ihren eigenen Gewinn , nicht aber das
Gemeinwohl beachteten und die Preise unvernünftig gesteigert
hätten, neue Fleischtaxen vor 3). Dieselben waren etwas höher
als die in dem früheren Gesetz bestimmten und auch nach
Jahreszeiten verschieden. Ob sie den Viehpreisen entsprachen,
wissen wir nicht. Jedenfalls konnte die Proclamation nicht
auf die Dauer aufrecht erhalten werden. Denn selbst wenn
man die Angabe eines Pamphletes vom Jahre 1547 4), wonach
ein einigermassen gut gemästeter Ochse 4 bis 5 jg? gekostet
haben soll, für übertrieben hält, so ist doch klar, dass die
rapid vor sich gehende Münzverschlechterung stabile Preis*
taxen unmöglich machte. Darüber konnte sich auch der König
nach den vorausgegangenen Erfahrungen keiner Täuschung hin-
geben. Wenn er dennoch durch Proclamationen Unmögliches
anbefahl, so geschah es wohl nur, um scheinbar der Masse des
J) SS Hen. VIII. c. 11. In ihrer Petition hatten die Metsger gesagt:
„Actes before rehearsed concerninge the sellinge of fleshe by weight, as ys
aforesaide, yf they sholde hereafter be put in execucion — sholde be to
the utter undoinge of your said oratours for ever."
8) „Also at Ester (1543) by reason of the greate morren of cattell the
last winter fleshe was exceechnge dere and skant and specyally mottons
and lambee, which wäre at nnreasonable pryses as a quarter of motton
at 2 ßh and 2 sh 4 d, and a lamb at 8 sh 4 d, which was skant worth
16 d. — Also this yere by reason of the greate cold and frost Lentton
vitaUes wäre exceedinge dere as saltfyshe with other salt meates, so that
the mayre and aldermen were feyne to seet wardens of divers Companys
to kepe the markettes in Fyshe-Streate, Stockes and Old Fyshe-Streate
and to see the people served at reasonable peny worthes after ther dis-
cretions". Wriothesley, Chronicle S. 141.
s) Vom 15. Juni bis Weihnachten war als MaximalpreiB festgesetzt für
1 U. Rindfleisch 5/s d, 1 U. Schaffleisch 1 d, \ U. Kalbfleisch 1 d; von
Weihnachten bis 15. Juni waren die entsprechenden Preise */4 d, 1 d, ?/« d.
Schweinefleisch sollte das ganze Jahr über nicht mehr als *j4 d per iL
kosten. Proclam. v. 22. Mai 1544. Br. M. Harl. Ms. 442. fo. 199.
*) Vox populi, vox Dei. London. Reprinted 1821 und Furni-
vall, Ballads from Ms. I.
— 637 —
Volkes seine Theilnahme zu bezeugen, bis diese in das Un-
vermeidliche sich gefunden.
Mit grösserem Glück als bei den Fischen und bei Fleisch
versuchten die englischen Gesetzgeber eine Regelung beim dritt-
wichtigsten Nahrungsmittel, dem Brod. Noch vor dem 13. Jahr-
hundert war der Brodpreis von Reichs wegen geregelt; in einer
Proclamation von 1202 befahl König Johann, die Assise über
Brod zu beobachten. Dieselbe ist nach dem Wollpreisedict
Edgars1) und nach dem von Richard I. in Messina mit König
Philipp von Frankreich gemeinsam getroffenen Reglement für
Lebensmittel2) die Älteste englische Preistaxe, von der wir
Kenntniss haben. Sie ist zugleich dadurch ausgezeichnet, dass
sie bereits eine gleitende Scala enthält, indem der Brodpreis
den Schwankungen des Getreidepreises zu folgen hatte3). An
Stelle dieser Regulirung des Brodpreises trat unter Heinrich III.
eine vollkommenere, die „Assisa panisu vom Jahre 1266 4).
Ihre Bestimmungen waren in der Hauptsache so glücklich ge-
troffen, dass sie über ein halbes Jahrtausend Bäcker wie Pu-
blicum befriedigte und in Zeiten der Noth wie des Ueberflusses
sich bewährte ö). Wie das gewöhnliche Brod sollte auch Pferde-
brod 6) und das Bier 7) je nach dem Getreidepreis verschieden
viel kosten. Anfangs hatten sechs vereidigte Personen des
Orts den letzten Marktpreis des Getreides festzustellen und
') Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 193.
*) Hoveden, Cronica III. S. 60.
8) „Eodem anno rex fecit generaliter acclamari, ut legalis assisa panis
inviolabuiter sab poena colüstngiali observaretur. Qoae probate füit per
pistorem Galfridi, filii Petri justiciarii Angliae, et pistorem Roberti de Thur-
nam, ita quod pistor potent sie vendere et in quolibet quarterio lucrari
tres denarios, exceptis brennio et duobus panibus ad furnarium et quataor
servientibus quataor obolos, duobus garcionibas unam qaadrantem, et in
sale obolum, et in gesta obolum, et in candela qaadrantem, et in busca
tres denarios et in buletello obolum. Quando frumentum venditur pro sex
solidis, tunc ponderabit panis de ouadrante albus et bene coctus sexdecim
solidos de viginti lora; et panis de toto blado debet esse bonus et bene
coctus, ita quod nihil subtrahatur, et ponderabit viginti quatuor solidos"
etc. M. Paris, Chronica maior ed. Luard IL S. 480, 481.
4) Statu tebook I. S. 199 fg. Der Preis setzte sich aus vier Fac-
toren zusammen ; er enthielt 1) Ersatz der Kornkosten, 2) ein Plus als Ge-
winn, der letztere war 13% vom Kornpreis und blieb unverändert von
1266—1758; 8) die Money Allowance oder Auslagen für das Backen; dieser
Betraff wurde per Quarter festgesetzt und variirte mit der Geldentwertung
und dem Theurerw erden der Arbeit: er war zur Zeit der Assise 71/« d,
unter Eduard I. 1 sh 1 d, unter Heinrich Yil. 2 sh, unter Elisabeth 6 sh
10 d, später 6 sh für die Stadt, 4 sh fürs Land. Ausführlicheres hierüber
sieh bei Atwood, Review of the Statutes and ordinances of assize which
have been established in England from the 4th year of the king John 1202
to the 37tfa of this present Majesty. 4°. London 1801. S. 4 fg. und App.
VI. u. VII.
Ä) 18 Ria II. st. 1 c. 8 (1389/90).
6) Statutebook I. S. 200; sieh auch Lib. Alb. 139, 316, 358 fg.
— 638 —
die Einhaltung der Assise zu überwachen1), später fiel diese
Aufgabe den Ortsbehörden und Friedensrichtern zu2).
Der Schwerpunkt der ganzen Preisgestaltung lag somit
beim Getreide. Diesen musste man günstig gestalten, wenn
man billiges Brod und Bier haben wollte. Nichtsdestoweniger
begegnen wir keinen Getreidetaxen. Der fortwährende Wechsel
des Ernteausfalls von Jahr zu Jahr, von Gegend zu Gegend
machte solche schwierig. Selbst in London beschränkte man
sich darauf, Leute aufzustellen, die zusehen sollten, dass Nie-
mand sein Getreide zu einem übermässigen Preis verkaufe*).
Im Uebrigen legte man freilich in den grösseren Städten den
Kornverkäufern und Konihändlern allerlei Schranken auf. Der
Verkauf auf Probe war untersagt; das in die Stadt gebrachte
Getreide durfte nicht wieder ausgeführt werden, der Kauf zum
Wiederverkauf war entweder ganz verboten, oder nur gestattet,
nachdem die Bürger sich versorgt, oder man erlaubte den Ver-
kauf an Händler erst, nachdem das Getreide drei Tage lang
zum Verkauf ausgestellt war4).
Ein theilweises Gorrectiv gegen diese Benachtheiligungen
lag in der Möglichkeit des Getreideexports; die Ausfuhr ins
Ausland war für gewöhnlich Jedem gestattet. Nur in Noth-
jahren und in Kriegsfällen trat die Sperre ein5). Eine stän-
dige Massregel drohte sie erst in der zweiten Hälfte des 15.
Jahrhunderts zu werden, als in Folge der Pest die Löhne der,
Landarbeiter bedeutend stiegen und eine Erhöhung der Getreide-
preise veranlassten 6). Wie man nun auf der einen Seite die
früheren Lohnsätze wieder herzustellen suchte, so sollte auf
der andern Seite auch der vor der Pest übliche Durchschnitts-
preis vom Getreide wieder herbeigeführt werden. Es lag zu
nahe, zu diesem Behufe auch den seit dem grösseren Contact
mit dem Ausland wachsenden Export zu hemmen. So geschah
es im Jahre 1355 durch kgl. Proclamation 7), 1360 durch Ge-
setz 8). Nur nach den englischen Besitzungen Calais und Gas-
cogne war sie nach erholter Licenz gestattet. Das Statut
wurde, wie aus den Klagen des Parlaments hervorgeht, an-
fangs schlecht ausgeführt 9). Als man aber seine Beobachtung
a) Statutebook I. S. 199.
*) 18 Ria II. st. 1 c 8; Lib. Alb. UL S.411 fg.
*) „Homines jurati ad scrutandum, ne oute bladum Buum ultra justuni
pretium vendat" 1291—1307. Lib. Alb. 8. 692.
') Lib. Alb. S. 261, 262, 460. 461, 692 fg.
*) Rot. Pari. IL S. 106; Delpit, CoUection des documents inädits
fran$ais I. S. 70,72; Tr. Twiss, The black book of the admiralty I. S.37;
Rymer passim.
*) Rogers, History of agriculture and prices in England I. S. 246.
*) Rymer (Rec. Ed.) in. P. 1. S. 298.
8) 34 Ed. ül. c. 20; Rymer (Rec. Ed.) III. P. 1. S. 553.
•) Rot. Pari. IL S. 277 (1363).
— 639 —
strenger controlirte 1), Hessen auch die Kornproducenten sich
vernehmen. Es waren nun zwanzig Jahre seit der Pest ver-
flossen. Die grossen Grundbesitzer, welche in Folge der Be-
wegung ihre Güter in Pacht gegeben hatten, erfuhren, dass
die Gesetze ihren Renten schadeten. Die kleine Gentry, welche
die Eigenbewirthschaftung hatte übernehmen müssen,. fühlte es
doppelt schwer, ihre sociale Lage durch den künstlichen Preis-
druck noch verschlechtert zu sehen. Ein Rückgriff auf die
früheren Naturaldienste war unmöglich, wie bald der Aufstand
der Landbevölkerung zeigte2). Die Arbeitergesetze mit ihren
Lohntaxen hatten trotz aller Zwangsmassregeln einen zweifel-
haften Erfolg, die Verteuerung der Production blieb bestehen.
Das Interesse der Landwirthe und auch einer grossen Zahl
Kaufleute, die mit dem Kornhandel sich abgaben, ging also
dahin, das Kornausfuhrverbot wieder zu beseitigen.
1871 verlangten deshalb die Gemeinen Wiederherstellung
der im gemeinen Recht begründeten Handelsfreiheit3). Der
König gewährte die Bitte, machte aber die Ausfuhr, wie es
scheint, von der Erholung einer Licenz abhängig. Die Ge-
stattung des Exports rief zwar 1376 Gegenvorstellungen her-
vor, Eduard III. aber hielt an dem eingenommenen Standpunct
fest. Die Unterthanen, lautete seine Antwort, sollen ihr Ge-
treide ausführen oder sonst damit nach ihrem Vortheil ver-
fahren dürfen, es sei denn, dass der ständige Rath ein Aus-
fuhrverbot erlässt4).
Von dieser letzteren Befügniss wurde ein reichlicher Ge-
brauch gemacht, so dass thatsächlich die Ausfuhr ohne Licenz
selten möglich war5). 1393 beklagten sich die Ackerbauer im
Parlament; dadurch, sagten sie, dass man nur nach Erwerbung
einer kostspieligen Licenz Getreide exportiren dürfe, sei der
Preis so gedrückt, dass sie unmöglich ihre Pachtschillinge und
Grundlasten entrichten könnten. Es wurde nun durch Gesetz6)
allen Engländern gestattet, wohin immer Korn zu exportiren,
doch sollten sie solches nicht zu den Feinden des Königs
bringen, auch blieb dem kgl. Rath vorbehalten, die Ausfuhr
n Sieh Rymer (Rec. Ed.) HL P. 2. S. 710; Rot. Pari IL S. 275.
*J Rogers, History of agricultare and prices in England I. S. 81.
*) „Chescun soit a la commune leye sanz estre restreint par nulle
ordinance mite a l'encountre de vendre ou acheter tote manere des bledz
et toutes autres maners de vitaiUes et biens qiconqes deinz le roialme come
avant ces heures ont feit, sanz empeschement ou a'estre restreint par nulle
commission notre seigneur leRoi." Rot Pari. IL 8.305. Damais setzten
die Barone, Ritter u. s. w. auch unter dem Hinweis, dass sie nicht den „wahren
Preis* erhielten, durch, dass die Geistlichen ihnen beim Verkauf von 20 bis
4Qjahrigem Holz keinen Zehnten abverlangen durften: a. a. 0.
*) Rot Pari. n. S. 350.
5) Rymer VII. 8. 869.
o) Rot Pari. HL 8. 320; 17 Ric. H. c. 7; dss Gesetz wurde be-
stätigt durch 4 Hen. VI. c. 5; sieh dazu Rot. Pari. IV. S. 307 (1425).
— 640 —
zu beschränken, wenn es das Wohl des Reichs erfordere1).
Allein auch diese gesetzliche Regelung befriedigte die Korn-
producenten nicht. Noch immer war der Willkür der Regierung
der grösste Spielraum gewährt. Sie hemmte den Export gar
oft, blos um Einnahmen aus den Licenzen erzielen zu können.
Als die Pächter und Grundbesitzer deshalb wieder klagten2),
griff das Parlament zu einem andern Mittel. Auf sein Be-
treiben kam ein Gesetz zu Stande, wonach zur Ausfuhr keine
Licenz erforderlich sein sollte, so* lange der Preis eines Quarter
Weizen 6 sh 8 d und der eines Quarter Gerste 3 sh nicht
überstieg8). Das Statut hatte nur bis 1439 Geltung und da
gleichzeitig in Folge geringer Ernten der Preis beträchtlich
stieg, wurde die Ausfuhr wieder nur gegen Licenz erlaubt
Die Regierung nützte dies so aus, dass sie sogar Licenzerholung
forderte beim Transport von Grafschaft zu Grafschaft oder von
einem Hafen zum andern, und liess nicht davon ab, selbst als
man im Parlament auf die Notwendigkeit und den Vortheil
dieser Ausgleichung der Erntevorräthe hinwies und als Ga-
rantie, dass das Getreide nicht ins Ausland gehe, eine Cautions-
leistung der Transporteure festsetzen wollte4).
Man begreift, dass unter solchen Verhältnissen die Acker-
bauinteressenten zunächst darauf bedacht waren, wenigstens
die Wiederherstellung des früheren Gesetzes durchzusetzen.
Das gelang ihnen auch nach einigen Jahren 6), und 1445 wurde
das Statut sogar für dauernd erklärt6). Ausserdem hatten
sie noch einen Erfolg zu verzeichnen. Die Ausfuhr von Butter
und Käse, welche von Eduard III. und Richard II. zu Stapel-
artikeln erklärt worden waren, wurde völlig frei gegeben 7).
Kaum waren die Gesetze errungen, als die Getreidepro-
ducenten ein Mehres verlangten. Seit bei einer bestimmten
Preishöhe die Ausfuhr gestattet war, nahm der hansische Im-
port von preussischem und polnischem Getreide sehr starke
Dimensionen an. Das Risico bewegte sich in engeren Grenzen
als früher, der Gewinn war mit grösserer Sicherheit voraus-
zu berechnen, als wenn man einer plötzlichen ungewissen Sperre
sich ausgesetzt sah. Bei einigermassen günstiger Ernte auf
dem Continente waren sie auch im Stande, die englischen
Producenten zu unterbieten. Man begreift, dass die Land-
wirthe wegen der neuen Concurrenz grossen Lärm schlugen
*) Davon wurde Gebrauch gemacht bereits 1396. Rot ParL EL
S. 896.
*) „fermours et autres hommes qi usent manuovrement de loure terre
ne poent vendre lour blees einon a baes prise a graunde damage de tont
le roialme".
8) 15 Hen. VI c 2. (1436 37).
*) Rot. Pari. V. S. 31 (1439).
*) 20 Hen. VI c 6 (1441/42). Die Acte sollte 10 Jahre gültig sein.
') 28 Hen. VI c. 5.
7) 18 Hen. VI c. 3 (1489).
— 641 —
und Abhilfe verlangten 1). Auch diesmal war ihnen der Erfolg
günstig. Man übertrug das für den Export in Anwendung ge-
brachte System nun auch auf den Import und verbot die Ein-
fuhr, solange der Preis vom Quarter Weizen 6 sh, der vom
Roggen 4 sh, der von Gerste 3 sh im Importhafen nicht
überstieg 2).
So waren denn die Ackerbauinteressen vor dem Antritt
Heinrichs VII. zum völligen Sieg gelangt. Es war dafür ge-
sorgt, dass der Getreidepreis eine gewisse Höhe behauptete.
Unter den Tudors trat eine Wendung ein. Der Adel, der als
Grossgrundbesitzer eifrig auf seinen Vortheil bedacht war,
wurde von Heinrich VII. zertrümmert; der Thron der neuen
Dynastie ruhte auf dem Bürgerthum. Dazu kam der absolu-
tistische Character des Tudorschen Regiments. Noch weniger
als ihre Vorgänger waren Heinrich VII. und VIII. geneigt, in
den Gesetzen unübersteigbare Schranken zu sehen. An der
Prärogative, durch Proclamationen und Licenzen über die Sta-
tuten sich hinwegzusetzen, hielten sie fest.
Heinrich VII. verbot am 19. September 1491 wegen des
angeblich beabsichtigten Kriegs gegen Frankreich und in den
letzten Jahren eingetretenen Getreidemangels wieder jeden
Getreideexport, für den nicht der kgl. Rath eine Licenz aus-
stellte3). Man darf sicher annehmen, dass er von dem für
seine Casse nicht uneinträglichen System während seiner üb-
rigen Regierungszeit nicht mehr abliess. Heinrich VIII. unter-
sagte 1512, als der Krieg gegen Frankreich bevorstand, gleich-
falls die Ausfuhr von Weizen und andern Lebensmitteln ganz
und gar4). Wir begegnen in den publicirten Staatsdocumenten
vor 1515 kaum einer Licenz. Von da an tauchen solche mit
einer gewissen Regelmässigkeit auf. Es ist aber bezeichnend,
dass dieselben ausdrücklich nicht blos für den Fall gewährt
wurden, dass der Weizenpreis 6 sh 8 d überstieg, wobei eine
wirkliche Befreiung vom Gesetz nöthig gewesen wäre, sondern
-man verlangte sie auch dann, wenn der Preis unterhalb der
Grenze sich bewegte, die Ausfuhr also gesetzlich gar keiner
Licenz hätte benöthigt sein sollen5). Mit andern Worten,
jeder Getreideexport musste erst von der Regierung genehmigt
werden. Die factische Uebung erkannte dann das Parlament
*) „les laborers et occupiours de husbondrie deins ceste reame de
jour en autre sont grevousment endamages par ameignance des blees hors
d'autres terres et parties en cest roialme, quaunt blees del creissance d'icelle
roialme sont de bas price".
2) 3 Ed. IV c. 2 1463.
a) Gairdner, Letters and Papers of Richard III and Henry VII.
Vol. IL S. 372.
A) Die Proclamation ist erwähnt in den Notizen Starkeys. Br. M.
Harl. Ms. 604 fo. 130.
5) Brewer, Cal. IL 2595, 2786, 2817.
Scb an z, Engl. Handelspolitik. I. 41
— 642 —
in den kritischen dreissiger Jahren durch Gesetz an1). Erst
1554 wurde die Getreideausfuhr wieder nach Massgabe des
Gesetzes von 1463 gestattet; doch war damit nicht wieder der
frühere Zustand hergestellt. Der Getreidepreis stieg in Folge
der allgemeinen Geldentwerthung so, dass die Erlaubniss der
Ausfuhr bei dem Preise von 6 sh 8 d einem Verbot der Aus-
fuhr gleich kam. Auf der andern Seite standen eben des-
wegen der Getreideeinfuhr alle Wege offen.
Die Regierung der Tudors war somit den Getreideprodu-
centen weniger günstig, und diese Politik stimmt ganz mit
der Rücksichtslosigkeit überein, mit der man in Nothjahren
vorging3). Nebenbei mag bemerkt werden, dass man hier
mit Bezug auf die Agrarbewegung einer Inconsequenz sich
schuldig machte. Wenn man die Ausfuhr der Pferde, Ochsen.
Kühe, Kälber und Schafe verbot, die Fleischpreise herabsetzte,
den Viehpreis zu drücken versuchte, die Nachfrage nach Wolle
einschränkte, so lag darin eine Art System, um im Verein
mit andern Gesetzen3) die agrarische Umwälzung einzu-
schränken ; denn die Ausdehnung der neuen Wirtschaftsweise
hing ja wesentlich von dem günstigen Absätze des Viehs und
der Viehproducte im Verhältniss zu dem des Getreides ab.
Indem man aber bestrebt war, sämmtliche Lebensmittel billiger
zu machen, musste der Versuch, die Agrarbewegung auch nur
zu verlangsamen, scheitern.
An dem Preise der bisher betrachteten Lebensmittel hatte
die grosse Masse der Bevölkerung ein Interesse. Nicht in
gleichem Grade war es mit dem Wein der Fall. Der Kreis
der Consumenten war kleiner, aber um so ausgewählter, der
Adel, der Clerus. später die wohlhabenderen Classen überhaupt
zählten dazu. Gerade diese Stände übten lange auf die Ge-
setzgebung den grössten Einfluss, und schon deshalb zeigt
die Preisgestaltung hier einen besonderen Character. Die
Eigenartigkeit wurde noch dadurch erhöht, dass der Wein nur
vom Continente bezogen werden konnte, und die Interessen der
Schiffsführer, der französisch - englischen Provinzen, der eng-
lischen Stadtbürger hereinragten, sich gegenseitig vielfach
kreuzten und die Angelegenheit complicirten. Im Vordergrund
standen allerdings die Consumenten mit ihren bezüglichen
Wünschen. Sie wollten selbstverständlich reiche Zufuhr und
billigen Wein.
') Sieh oben S. 683 Note 1. Beispiele für die Handhabung des Ge-
setzes sieh bei Nicolas, Proceedings and Ordinances of the Privy Council
VII. S. 142, 162, 168, 170, 264, 265. Einen Fall einer organisirten Um-
gehung des Gesetzes liefert die Acte 34 — 35 Hen. VIII c. 9.
s) Sieh den Anhang am Ende des Bandes.
a) 6 Hen. VIII c. 5; 7 Hen. VIII c. 1; 24 Hen. VÜI c. 24; 25 Hen.
VIH c 12, 13.
— 643 —
Seit ältester Zeit, wahrscheinlich seit Wilhelm dem Er-
oberer oder sogar noch früher war der Wein der Preistaxe
unterworfen. Sichere Belege für das Vorhandensein einer
solchen liegen aus dem 12. Jahrhundert vor1). Die Festsetzung
des Preises geschah durch königliche Proclamation, die Ueber-
wachung des Tarifs anfangs durch 12 zu erwählende Stadtbürger.
Die angeblich aus der Zeit Heinrichs III. herrührenden Assisen
des Statutenbuchs stehen im Wesentlichen noch auf demselben
Boden2). Nur scheint es, dass man sich mehr und mehr
darauf beschränkte, für den Detailhandel Preise festzusetzen,
wogegen man den Verkauf im Gebinde freiliess. Einen güns-
tigen Preis suchte man im Uebrigen vornehmlich dadurch zu
erzielen, dass man die Ausfuhr des einmal eingeführten Weines
verbot und die, Hansen, wie die Gascogner zum Detail verkauf
zuliess3). Unter Eduard III. wurde auch die einheitliche Re-
gulirung der Detailpreise nicht mehr durchweg festgehalten.
Man muss dies aus den Vorgängen im Jahre 1330 schliessen.
Das Parlament hatte über die Vertheuerung und Verschlech-
terung des Weins geklagt und die Ursache in der übergrossen
Zahl von Schankwirthen und darin gesucht, dass für die Wein-
verkäufer nicht die gleiche Strafe bestehe, wie in Betreff von
1) 3 Hen. II. 1157. „Concedo, ut homines Colonienses vendant vinum
suum ad forum, quo venditur vinum Franciginum, scilicet sextarium pro
3 denariis" etc. Höhl bäum, Hans. Urkb. 1. S. 8. Besonders wichig ist
die Verordnung Johanns von 1199: „Eodem anno Johannes, rex Angliae
statuit, quod nullum tonellum vini Pictavensis vendatur carius quam pro
viginti solidis, et nullum tonellum vini Andegavensis carius quam pro vi-
ginti quatuor solidis, et nullum tunellum vini Francigenae carius quam pro
viginti quinque solidis, nisi vinum illud adeo bonum sit, quod aliquis velit
pro eo dare circa duas marcas ad altius. Praeterea statuit, quod nullum
sextercium vini Pictavis vendatur carius quam pro quatuor denariis, et
nullum sextercium vini albi vendatur carius quam sex denariis. Statuit etiam,
quod omnia tunella qaae de caetero venient in Angliam, postquam venerint
de Rech post tempus praesentis musti, sint de mutatione; et hoc statuit
teneri ab octavis Sancti Andreae deinceps et praecepit ad hoc servandum,
in singulis civitatibus et burgis, in quibus* vina vendantur, duodecim con-
stitui custodes, et jurent, quod nanc assisam facient teneri et observari. Si
vero vinatorem, qui vinum vendat ad brocam, contra haue assisam invene-
rint, corpus ejus capiat vicecomes et salvo custodiri faciat in prisona do-
mini regis, donec inde habeat aliud praeeeptum; et omnia tenementa sua
capiantur ad usum domini regis per visum praedictorum duodecim hominum.
Si quis etiam inventus fuerit, qui tunellum vel tunella contra praedietam
assisam vendiderit vel emerit, capiatur uterque et salvo in prisona custo-
diatur, donec inde aliud praeeipiatur.' Et quod nullum vinum ematur ad
regratariam de vinis, quae applicuerint in Anglia." Ueber den Erfolg be-
merkt der Chronist : „Sed hoc primum regis statutum vix inchoatum statim
est adnihilatum, quia mercatores hanc assisam sustinere non poterant Et
data est eis licentia vendendi sextercium de vino rubio pro sex denariis,
et sie repleta est terra potu et potatoribus". Hoveden, CronicalV. S. 99.
*) Statutebook 1. S. 202, 203. Wirthshäuser, in denen die Gallone
Wein höher als zu 12 d verkauft wurde, sollten geschlossen werden. In
Betreff der Controle sieh auch 6 Ed. I st. Glouc. c. 15 (1278).
*) Sieh oben S. 390, 391.
41*
— 644 —
Brod und Bier. Bezeichnenderweise wurden aber keine Preis-
taxen beschlossen, sondern nur die Einhaltung massiger Preise
anbefohlen. Dabei sollte der Preis in den Häfen, von denen
der Wein geholt wurde, und die Transportkosten von da bis
zum Consumtionsort berücksichtigt werden1). Man hat auch
Grund zur Annahme, dass in der That nur ausnahmsweise und
bei stärkeren Preisüberschreitungen für gewisse Gegenden und
Orte die Taxen direct vorgeschrieben wurden, aber auch dann
bildete die vom Gesetz aufgestellte Regel die Grundlage der
Tarifirung *). . Jedenfalls ist ersichtlich, dass die Preise in den
Importhäfen, welche zumeist Engrospreise waren, einen ent-
scheidenden Einfluss hatten. Waren diese massig, so wurde
der Wein billig im ganzen Lande. Man rechnete also mit einer
durchaus variablen Grösse, mit einer Grösse wie sie der Handel
lieferte, und nur dafür war gesorgt, dass diese unter den
Händen der Detaillisten nicht noch weiter übermässig anschwelle.
Es begreift sich, dass damit die Weintrinker nicht zu-
frieden waren. Sie hatten keine Garantie für einen billigen
Wein. Eine solche konnte nur geschaffen werden, wenn man
auch den Import des Weines in bestimmter Weise beaufsich-
tigte und lenkte. Das geschah. Nach der grossen Pest, welche
wahrscheinlich auch von einer Preissteigerung der Weine be-
gleitet war, kam die Gesetzgebung in Fluss, und mehre Jahr-
zehnte hindurch wurden die Versuche nach dieser Richtung
hin fortgesetzt. Zunächst wandte man sich mit erhöhtem Eifer
wieder gegen den Vorkauf des Weins. Es wurde strenge ver-
boten, Weine zu kaufen, noch ehe sie ausgeladen und ans
Land gesetzt waren 3) ; sodann untersagte man den Engländern,
vor der Weinlese nach der Gascogne zu gehen und selbst oder
durch Agenten Kaufcontracte zu schliessen oder anderswo als
in Bordeaux oder Bayonne Weine zu kaufen. Kurz auch in
der Gascogne sollte jeder Auf- und Vorkauf unmöglich gemacht
werden. Man verlangte sogar, dass die Engländer den Wein
zu den Preisen abgäben, welche in Gascogne allgemein üblich
seien, und nicht die Seegefahr oder einen andern Vorwand
zur Preissteigerung benützten. Die Gascogner und andere
fremde Kaufleute dagegen durften ihre Weine nach England
bringen so frei wie zuvor4).
Wenn anders das Statut sprachlich correct abgefasst und
wörtlich zu interpretiren ist, muss man annehmen, dass die
Absicht bestand, den Engländern das Weinholen unmöglich zu
machen. Dass der Gesetzgeber den Einfluss der Fracht auf
den Preis kannte, darüber besteht nach Früherem nicht der
*) 4 Ed. III c. 12. (1830).
*) Rymer, (Rec. Ed.) HL P. I. S. 294, 303, 811; sie auch Rot
Pari. I. S. 48, III. S. 25.
3) Rot Pari. IL S. 231, 249 (1350/51, 1853).
«) 27 Ed. III st. 1. c 5, 6, 7. (1353). *
— 645 —
mindeste Zweifel,. Wenn trotzdem die Engländer den Wein
zu den in der Gascogne üblichen Preisen ablassen sollten, so
mussten sie mit Schaden arbeiten. Wie es sich aber auch
damit verhalten mag, jedenfalls ist aus dem Ganzen ersichtlich,
dass man die Speculation englischer Kaufleute durchaus un-
günstig beurteilte, und dass man von ihrem Eingreifen nichts
Gutes erwartete. Das ist auch wohl zu erklären. Die Zahl
der Engländer, die an dem Weinimport sich betheiligten, war
eine relativ kleine; es mag auch vorgekommen sein, dass sie
den Gascognern, die selbst nach England fahren wollten, hohe
Preise boten, um schlieslich in England den Markt zu beherr-
schen. Brachten dagegen die Gascogner selbst den Wein, so
war mehr Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass der Preis sich
niedrig stellen werde. Die Gascogner verkauften eigenes Ge-
wächs, durften den eingeführten WTein nicht wieder exportiren,
mussten ihn zuweilen sogar innerhalb 40 Tagen absetzen.
Nichtsdestoweniger dauerten die Klagen über die Wein-
theuerung, namentlich in London, Bristol, Hüll, Boston, Ever-
wyck fort. Die Hauptschuld scheint aber an den Stadtbehörden
gelegen zu sein, indem diese die Detailverkäufer schützten1).
Der Plan, den Wein dadurch billiger zu machen, dass die
Weinschenker nur auf den Weinhandel sich beschränken sollten,
war natürlich ein unglücklicher und unhaltbarer 2). Inzwischen
waren aber auch Zweifel an der Zweckmässigkeit des früheren
Gesetzes wach geworden. 1363 wurde die Strafe der Felonie
zurückgenommen, dafür allerdings ein neues Controlnüttel ein-
geführt, indem jedes Jahr nach den verschiedenen Hafenplätzen
in Gascogne geschickt und die dortigen Preise und sonstige
Kosten ermittelt werden sollten3). Im Jahr darauf gewährte
der König, um den Weinimport zu verstärken, geradezu
allen englischen Kaufleuten das Weinholen. Dieser neue Ver-
such erprobte sich nicht. Die Gascogner überliessen zwar
bereitwillig den Engländern den Import, steigerten aber, wenn
diese nach der Weinlese in grosser Zahl kamen und eine leb-
hafte Nachfrage entwickelten, den Preis, zugleich darauf rech-
nend, dass die Engländer nicht ohne beträchtliche Kosten ihren
Aufenthalt verlängern und bessere Chancen abwarten könnten.
Auch blieb nicht unbemerkt, dass die englischen Kaufleute
zur Zahlung des Weins viel Gold exportirten, was vermieden
blieb, wenn die Gascogner den Wein brachten, da diese für
den Erlös Waaren kaufen mussten.
So wurde man von Neuem in der früher gewonnenen An-
sicht bestärkt, dass ein billiget* Preis am ehesten erzielt und
der allgemeine Vortheil am besten gewahrt werde, wenn nur
*) Rot. Pari. II. S. 258, 260. (1354, 1362).
*) Rot. Pari. II. S. 278 (1363).
*) Rot. Pari. IL S, 277, 279, 282; 37 Ed. III c 16 (1363).
- 646 —
die Gascogner und sonstigen fremden Producenten den Wein
importirten. Im Parlament wurde denn auch der Vorschlag
gemacht, versuchsweise die Passage den Engländern längere
Zeit vollständig zu verhieten, und vom König acceptirt1).
Das Experiment war, wie das Parlament im darauffolgen-
den Jahre anerkannte, vollständig geglückt und der Weinpreis
beträchtlich gesunken. Nun aber waren viele Gascogner un-
zufrieden, am meisten aber der schwarze Prinz, dessen Zoll-
einkünfte sich sehr minderten. Da eine Abnahme der Aus-
fuhr mit einer gleichzeitigen Preissenkung in England schwer
vereinbar ist, muss man annehmen, dass die Engländer in der
Gascogne höhere Zölle zahlten, als die Einwohner, und dass
daher der Ausfall rührte. Sowohl die Gemeinen als die Grossen
in England wünschten die Aufrechthaltung des Gesetzes , und
nur nach langen Debatten trug man den Beschwerden des
schwarzen Prinzen Rechnung. Der König durfte allen Eng-
ländern, die nicht Handwerker waren, „unter gewissen Be-
dingungenu gestatten, nach Gascogne zu gehen. Das frühere
Statut wurde ausdrücklich nicht annullirt, sondern nur sus-
pendirt, bis man sehe, ob die neue Ordnung dem Königreich
Vortheil oder Nachtheil bringe. Die Bedingung aber, unter
der man den Import den Engländern gestattete, bestand darin,
dass der englische Importeur mindestens 100 Tonnen bei der
Fahrt kaufen und dafür Sicherheit hinterlegen musste*). Die
englischen Kaufleute reichten 1371 und 1372 Gegenpetitionen
ein, richteten aber Nichts damit aus3).
Zwölf Jahre lang blieb die neue Ordnung bestehen. Da
schien auch sie nicht mehr dem Zwecke zu genügen. Man
ging einen Schritt weiter. Hatte man bisher die Zufuhr so zu
lenken gesucht, dass ein billiger Preis entstehe, so machte
man jetzt, im Parlament den Vorschlag, die Weinpreise der
Engländer im Grossen und im Detail gleich direct zu fixiren
und den Letzteren zu verbieten, ausser Landes zum Weinkauf zu
gehen, wenn sie diesen Preis nicht einhalten könnten. Die Pe-
tenten meinten, wenn dieser Modus ein oder zwei Jahre an-
dauere, so werde der Markt für alle Zeit nachher billig sein,
es sei denn dass aussergewöhnliche Ereignisse einträten. Die
Spitze ist wieder nur gegen die englischen Importeure und
englischen Weinverkäufer gerichtet. Der Vorschlag fand Bei-
fall, man setzte die Preise fest, auf dem Land durfte für je
50 Meilen Fracht Vi d pro Tonne zugeschlagen werden. Der
Detailpreis war so normirt, dass den Detailhändlern ein kleiner
Gewinn blieb, die Importeure durften sich aber nicht weigern,
den Wein im Gfebinde nach den festgesetzten Preisen abzu-
') Rot. Pari. IL S. 296; 42 Ed. III c. (1868).
2) Rot. Pari. IL S. 301; 43 Ed. III c. 2 (1369).
•) Rot. Pari. IL S. 306, 314.
— 647 -
geben1). Das Gesetz erprobte sich nicht. Wahrscheinlich
war die einfache Folge des Gesetzes, dass die Zufuhr abnahm.
1383 versprach der König, durch Proclamation das Statut zu-
rücknehmen zu wollen, erklärte aber, dass an dem Gesetz seines
Grossvaters 37 Ed. III c. 16 festgehalten werde2).
Demnach blieb also der Vorkauf in Gascogne untersagt,
die Zeit des Weineinkaufs war beschränkt und die Preise in
den französisch-englischen Häfen wurden amtlich ausgekund-
schaftet. Die Festsetzung der Preise auf Grund dieser Er-
kundigungen überliess man in London 3) und wohl vielfach auch
an andern Plätzen der Localbehörde, an manchen Orten sah
man vielleicht von Preistaxen ganz ab. 1420 verlangte zwar
das Parlament eine einheitliche Normirung des Detailpreises
für ganz England, der König machte aber keine bindende
Zusage. Ueber 100 Jahre ruhte nun die Gesetzgebung in Be-
treff der nichtsüssen Weine.
Was die süssen Weine anlangt, so lagen hier die Ver-
hältnisse vielfach anders. Dieselben wurden bis gegen Ende
des 15. Jahrhunderts fast ausschliesslich von den Italienern
importirt. An Zufuhr Hessen sie es nicht fehlen. Die Preis-
politik beschränkte sich hauptsächlich auf den Detailverkauf.
Mit diesem nahm man mancherlei Experimente vor. Anfangs
war man Willens, denselben zu einer ergiebigen Finanzquelle
zu machen. Im Jahre 1365 wurden in London die Schenken
für Süssweine bis auf drei unterdrückt, welche die Stadt in
Verwaltung nahm , um den Gewinn aus dem Verkauf und et-
waige anfallende Strafgelder zur Ausbesserung der Mauern,
Gräben und sonstigen öffentlichen Zwecken zu verwenden4).
1376 erlangte ein Londoner Alderman John Peche vom König
das Verkaufsmonopol, indem er letzterem einen grossen Theil
des Gewinnes versprach, musste aber seinen Versuch mit Aus-
stossung aus dem Amte büssen5). Gleichzeitig wurde der
Detailverkauf wieder jedem Bürger unter Aufsicht des Mayor,
der auch die Preise festsetzen konnte, gestattet 6). Das dauerte
bis 1381 7), .wo man den Detailverkauf von Neuem verbot, ohne
dass aber finanzielle Rücksichten massgebend waren8). Aber
*) i Rot. Pari. Hl. S. 121, 394; h Ric. II. c. 4. (1381). «Möglich ist,
dass die Tarifirung auch mit dem gleichzeitigen Erlass des Schiffahrtege-
setzes zusammenhing, insofern in Folge des letztern eine Steigerung der
Preise befurchtet werden musste.
•*) Rot. Pari. III. S. 161 (1383).
s) 7 Ric. II c. 11.
4) Rot Pari. IL 459.
b) Rot. Pari. II. S. 328; Brentano, Noch ein Wort über die
wirtschaftliche Freiheit im mittelalterlichen England. Zeitschrift für die
ges. StaatswiBsenschaft. 34. Bd. 1878. S.-271.
6) Rot. Pari. IL S. 323, 336.
7) Sieh auch Rot. Pari. III. S. 43.
8) 5 Ric. II st. 1. c. 4; Rot Pari. III. S. 121; daselbst ist das
Verbot des Kleinverkaufs motivirt : „entendantz qe moelt de mal et deceite
en advenuz par le retaille dudite suffrance".
— 648 —
schon im Jahre darauf gestattete man den Detailverschleiss
wieder, wofern nur der süsse Wein nicht höher als der andere
verkauft werde1), und 1383 überliess man auch hier die Re-
gelung der Stadtbehörde 2). Der Wunsch nach Aufhebung des
Detail Verkaufs tauchte zwar nochmals auf, es ist aber zu be-
zweifeln, ob demselben stattgegeben wurde3). Auch auf die
wiederholten Klagen, dass die Fremden den Preis so sehr in
die Höhe getrieben hätten*), geschah nichts bis zu Richard III.,
der aber auch keinen Engrospreis festsetzte, sondern nur das
zu klein gewordene Gemäss abstellte6). Erst unter Hein-
rich VII. trat hier eine Aenderung ein. Als er 1491 behufs
Retorsion den Venetianern einen Zuschlagszoll auferlegte, war
natürlich die Preistaxe unvermeidlich, damit nicht die Vene-
tianer sich durch einen höheren Preis entschädigen oder die
Engländer ihr Monopol unvernünftig ausbeuten konnten6).
Hinsichtlich der Gascogner und Guienner Weine traf Hein-
rich VII. keinerlei Aenderung, selbst dann nicht, als die Schiff-
fahrtsacte erlassen worden war, und in Folge dessen die ge-
nannten Weine nur in englischen Schiffen importirt werden
durften. Das Gleiche geschah anfangs unter Heinrich VIIL,
der allerdings auch die Schiffahrtsgesetze in der ersten Zeit
seiner Regierung vielfach durchbrechen liess 7). Als man aber
mit dem Navigationsschutz wieder grösseren Ernst machte, als
ferner die Weinpreise in Folge der in England vorgenommenen
Münzverschlechterung und der in Spanien und Frankreich sich
schon vollziehenden allgemeinen Geldentwerthung eine steigende
Tendenz hatten, versuchte man auch hier wie damals auf so-
vielen Gebieten mit Gewalt die Preissteigerung einzudämmen.
An die Stelle der städtischen Regelung trat wieder die durch
Gesetz.
Dieselbe Acte, welche die Navigationsgesetze erneuerte,
schrieb die Preise der im Detail verkauften Weine vor und
ermächtigte den Rath des Königs, auch für den Engros-
verkauf solche zu bestimmen 8). Es lag darin das Zugestand-
niss, dass der Grosshandel grösseren Schwankungen ausgesetzt
sei und demnach auch individueller behandelt werden müsste.
Freilich der Rath des Königs verstand seine Aufgabe nicht so.
Er setzte 'einen Engrospreis fest, bei dem wohl die Detaillisten
sehr gut bestehen konnten, der aber unter dem zuletzt üb-
J) Rot Pari. III. S. 138; 6 Ric. II. st. 1 c. 7. (13821
*) 7 Ric. II. c. 11.
*) Rot. Pari. IV. S. 126 (1420).
«) Rot Pari. IV. S. 193, 449. (1422, 1433).
*) 1 Ric. III. c. 13 (1483/84).
6) Im Uebrigen sieh hierüber oben S. 140 fg.
7) Vgl. oben S. 369, 370.
8) 23 Hen. VIIL c. 7 (1531/32); 28 Hen. VIIL c. 14 (1536).
— 649 —
liehen sich befand '). Als in Folge dessen die Londoner Gross-
händler mit dem Verkaufe an sich hielten in der Hoffnung,
dass dann höhere Preise angesetzt würden, erliess man eine
neue Acte, wonach die Weinhändler auf Verlangen Wein nach
dem vorgeschriebenen Preise abgeben und im Weigerungsfalle
sogar gewaltsame Abnahme durch die Behörden sich gefallen
lassen mussten. Nur ein Ausweg blieb dem Engroshändler
offen; er durfte die Abgabe des Weins verweigern, wenn er
eidlich erklärte, den Wein selbst abziehen und im Detail ver-
kaufen zu wollen 2). Bei dem verhältnissmässig guten Gewinn,
welchen das Gesetz dem Detailhändler gestattete s), wird wohl
auch der grössere Theil der bisherigen Engrosverkäufer dieses
ihm gebotene Mittel gewählt haben. Ein anderer Theil traf
mit den Käufern ein heimliches Uebereinkommen und ent-
schädigte sich durch geringeres Mass4), wenngleich auch das
durch Gesetz verboten war6), ein dritter endlich half sich
durch Weinfälschung 6). Auf diese Weise war es möglich, dass
die Gesetze und niedrigen Taxen einige Jahre scheinbar gut
funetionirten.
Mit dem Beginn der vierziger Jahre, wo die verschiedenen
Momente der Preissteigerung in verstärktem Masse zusammen-
wirkten, genügte die bisherige Ordnung nicht mehr. Wohl
hatte .die Regierung in die neue SchifFahrtsacte 32 Hen. VIII.
c. 14 sogar einen Frachttarif für die Weine aufgenommen, so
dass die englischen Weinhändler keinen Anlass hatten, über
die excessiven Forderungen der Schiffahrer sich zu beklagen.
Allein die Preissteigerung der Weine hatte in den Transport-
kosten nicht ihren einzigen und nicht einmal ihren vornehm-
lichsten Grund, sie war den übrigen Verhältnissen zufolge un-
vermeidlich. Wollte der kgl. Rath die Einfuhr nicht unmög-
lich machen, so musste er den wirklichen Preisen folgen. Er
*) Aus 24 Hen. VIII. c. 6 geht hervor, dass der angesetzte Preis für
die Tonne unter 5 £ stand. Vgl. auch Bd. II. S. 33, 34.
*) 24 Hen. VIH. c. 6 (1532/33). die Acte sollte zunächst nur für Lon-
don gelten, konnte aber auch auf aas übrige England ausgedehnt werden.
3) Am 7. November 1534 setzte der kgl. Rath die Weintaxe auf 4 £
per Tonne fest (Br. M. Harl. Ms. 442 fo. 126). 1 Gallone berechnete sich
danach auf 3,84 d, der Acte 23 Hen. VIH. c. 7 gemäss durfte der Detail-
händler 8 d verlangen.
*) In der Acte 34-35 Hen. VIII. c 7 heisst es deshalb: „the mar-
chaunt in no wyse will seil his wynes, ooneless the byers doo indent pro-
mise and covenaunte with the saide merchaunt or otherwyse bynde them-
self, that they shall take none advauntage of the acte of gauging.
*) 23 Hen. VIII. c. 7.
6) In Betreff der Weingesetze bemerkt ein alter Schriftsteller unter
dem Jahr 1536: „And though this prevented much cousenage, yet order
being not taken to punish those, who falsified and corrupted wines, much
abuse in this kind followed." Herbert. Life of Henry VIII. Edit. 1649.
S. 401.
— 650 —
erhöhte in der That successive die Engrospreise *). Je mehr
aber das geschah, um so rascher näherte man sich dem Puncto,
wo der Detailverkäufer, der die ein für alle Mal vom Gesetz
vorgeschriebene Taxe nicht überschreiten sollte, mit geringem
oder gar keinem Gewinn arbeitete2). 1543 riefen die Detail-
listen um Hilfe. Man gewährte sie dadurch, dass die Com-
missi on, welche die Preise für den Grosshandel normirte, auch
die für den Kleinhandel den schwankenden Verhältnissen ent-
sprechend bestimmen durfte 3). Wie die Engrospreise, so wur-
den nun auch die Detailpreise in rascher Folge so erhöht,
dass der Gewinn des Eleinverschleissers wieder so ziemlich seinen
früheren Stand erreichte4).
Die Preistaxen hatten beim Wein ihren Zweck oder doch
den Zweck, den Heinrich VIII. verfolgte, verfehlt. Den natür-
liehen Preismomenten zu trotzen, w$r hier noch weniger mög-
lich, als bei Waaren des Inlands. Im günstigsten Fall waren
die Taxen im Stande, eine übermässige, blos durch Speculation
bedingte Preissteigerung zu verhindern.
Wir haben damit die preispolitischen Versuche auf dem
Gebiete der Lebensmittel dargelegt. Ihnen am nächsten stehend,
aber von minder grosser Bedeutung waren die Gesetze, dass
die Wirthe bei Hafer und Heu massige Preise einhalten sollten 5),
und die Vorkehrungen , welche man traf, wenn das Holz in
seinem Preise beträchtlich stieg6).
*) Die Tonne besten Gascogner Weins war festgesetzt am 7. Nov. 1584
auf 4 £\ 1. Dez. 1537 auf 4 i 13 sh 4 d; 15. Dez. 1540 auf 4 £; am
1. Dez. 1541 auf 5 £, am 20. Mai 1544 auf 8 £. Br. M. Harl. Ms. 442
fo. 126, 150, 177, 198; Nicolas, Proceedings and Ordinances of the Privy
Council VII. S 93.
*) Wahrend der Gewinn des Detailhändlers 1537 beim Gascogner Wein
sich noch zu 3,6 d, beim franz. Wein zu 4,2 d, beim Mahrasierwein zu
4,4 d per Gallone berechnete, war er 1543 auf 0,4 d, 2,4 d und 2,5 d
herabgesunken.
8) 34—35 Hen. VIII. c. 7; 37 Hen. VIII. c 23.
4) Im Detailverkauf zu London durfte die Gallone besten Weins zu
12 d, die Gallone Sack und Rumney zu 10 d, die Gallone Rheinwein und
Malvasier zu 12 d abgegeben werden (Br. M. Harl. Ms. 442 fo. 219). Legt
man die Engrospreise von 1544 zu Grunde, so berechnet sich der Gewinn
beim Gascogner Wein auf 4,5 d, beim übrigen französischen Wein auf 6,4 d
per Gallone.
5) 13 Ric. II. st. 1 c. 8; 4 Hen. IV. c. 25. Die Wirthe sollten nicht
mehr als 1/« d per Bushel über den allgemeinen Marktpreis nehmen. Die
Acten des Privy Council enthalten am 17. Mai 1545 folgenden Eintrag:
„An order was taken in consideracion of the excessive pricesse demaunded
for haye and oates by the inhoulderes of Londone upon strangeres, who
were come hether for the kings Service, that they should demaunde but
2 d ob. a daye and night for haye and lytter and 16 groates tor a quarter
of oates." Br. M. Harl. Ms. 256 fo. 5.
6) In London lag die Tarifirung der Stadtbehörde ob. Am 17. Jan.
1543 schrieb das Privy Council an den Mayor „for to see the reformacion
in the unreasonable prices of fewell" (Acts of the Privy Council in dem
Privy Council Office I. S. 432). Ueber die Ursache der Theuerung schrieb
— 651 —
Wichtig dagegen war wieder die grosse Masse der Ge-
werbsproducte und sonstigen Artikel, die in England eingeführt
oder im Lande selbst verfertigt wurden. Dass man hier einen
grösseren Spielraum lassen musste, lag in der Natur der Sache.
So einfach auch noch die Verkehrsverhältnisse waren, so war
es doch selbst damals eine Unmöglichkeit, den Preis jeder
Waare zu regeln oder zu normiren. Im Allgemeinen waren
die Preistaxen hier die Ausnahme, es fand ein Einschreiten
nur von Fall zu Fall statt, d. h. dann, wenn Missbräuche
sich ergaben. An solchen konnte es freilich nicht fehlen. Mit
den zünftigen Verbindungen der Kaufleute und Handwerker
waren sie unvermeidlich verbunden. Nach einer Seite hin
haben wir die Bestrebungen der Genannten bereits kennen
gelernt. Der Fremdecpolitik lag ja genau genommen nichts
als ein grossartiger Preiskampf zu Grunde, den die städtischen
Kauf- und Gewerbsleute gegen die concurrirenden Fremden
mit wechselndem Erfolge führten. Aber selbst wenn die Zu-
lassung der letzteren eine ziemlich unbeschränkte war, so gab
ihnen die natürliche Lage der Verhältnisse immer noch einen
Yorsprung und die Möglichkeit, die Preise zu ihren Gunsten
zu gestalten; Klagen darüber mussten um so häufiger sein, je
enger die Auffassung des innern Handels und je geringer das
Verständniss für das Wesen der Speculation überhaupt war.
So eiferte, was die Kaufleute betrifft, 1363 das Parlament
gegen die Gilde der Grocers, weil sie jede Art verkäuflicher
Waaren zusammenkauften und den Preis hinauftrieben, indem
sie die billigen Waaren zurückhielten und für die Zeit des
Mangels und der Theuerung aufspeicherten. Man verfiel auf
den unglücklichen Gedanken, durch Gesetz vorzuschreiben,
dass jeder Kaufmann nur mit einer Waare handle. Die
Theuerung wurde natürlich grösser als zuvor, und schon im
folgenden Jahre musste man das Gesetz zurücknehmen x). 1411
schuldigte man abermals die Grocers und mit ihnen die Lom-
barden und andere fremde Kaufleute an; man sagte, dass sie
von „dem verbreitetsten Gewürze im Königreich", dem Pfeffer,
viele Ballen in Händen hätten und ihn nicht abgeben wollten, um
exorbitante Preise zu erzielen. Der König befahl den ge-
nannten Kaufleuten, das Pfund Pfeffer zu 20 d abzulassen,
nach Ankunft einer neuen Ladung den Preis aber niedriger
zu setzen2). Unter Heinrich VIII. sollten wiederum die Con-
Wriothesley, Chronicle S. 141: „This winter (1543) by reason of the
wett 6ommer, that wood could not be caryed for the high flowdes to the
watter syde, wood was so skante in London, that a thousand bylettes wäre
soulde for a marke and 16 sh the mille, and coles also was sold for 12 d
and 14 d the sacke"
*) Rot. Pari. II. S. 277, 278, 280, 286; 37 Ed. III. c. 5; 38 Ed. III.
st. 1 c. 2.
*) Rot Pari. III. S. 662. Bekanntlich durften Gewürze auch nicht
wieder ausgeführt werden. Rot. Pari. III. S. 308 (1392/93).
— 652 —
^puuDooen der Importeure und Verkäufer im Lande es sein.
weiche den Preis der Gewürze und namentlich des Zuckers
steigerten , während die wahre Ursache ganz anderswo lag.
Am ~ Januar 1541 musste die Londoner Stadtbehörde aus-
kundschaften, wie der Preis des Zuckers und der Gewürze in
Lissabon und Antwerpen sei, damit man anlässlich der An-
kunft vier portugiesischer Schiffe eine Verordnung erlassen
kCttne* Am 12. Januar wurde auch geboten, dass kein Eng-
Uauier oL*s Pfund Zucker höher als zu 8 d verkaufe1). Am
i Vidi 1544 erfolgte eine neue Proclamation an Gesetzes
Bei den Handwerkerzünften mögen Taxen häufiger gewesen
seiu- Die Stadtbehörden schrieben wohl solche vor. In Lon-
kü ^ab es deren eine ganze Menge3): Es ist aber zu be-
bten, dass sie fast ausschliesslich auf Dienstleistungen be-
schränkt sind und dass es zweifelhaft ist, ob sie das ganze
Mittelalter hindurch festgehalten wurden; die Zeugnisse, die
wir in Betreff derselben besitzen, fallen meist in die zweite
Hälfte des 15. Jahrhunderts, welche wegen der Pest anormale
Preiserscheinungen aufwies 4). Man wird mit ziemlicher Sicher-
heit annehmen dürfen, dass bei' Markt- und Ladenartikeln die
Preisbewegung nur ausnahmsweise beeinflusst wurde. Die
volle Bedeutung dieser Thatsache wird ersichtlich, wenn man
sich erinnert, welche Rolle im mittelalterlichen Verkehr die
Messen und Märkte spielten5). Zu den schon im 13. Jahr-
hundert bestehenden grossen Messen von Stamford, Saint Yves.
Boston, Winchester, Northampton 6) kamen durch Verleihung
der drei Eduarde (1272—1377) noch eine grosse Zahl kleinerer
Märkte7); in schwächerem Masse dauerte die Begründung
') Nicolas, Proceedings etc. VII. S. 104, 113. Nach Brewer, CaLIV.
5405 zu schliessen, war wahrscheinlich die Taxe zu niedrig, da die Münz-
Verschlechterung inzwischen eingetreten war.
«) ürk. Beil. 168.
8) Lib. Cust. I. S. 94; Lib. Alb. S. 238, 278, 620, 621, 680, 691
697, 727, 733, 737. Riley, Memorials S. 253.
4) Hieher gehört auch die reichsgesetzliche Regelung in Betreff der
Efeenpreise. Rot Pari. IL S. 260; 28 Ed. IH. c. 5 (1354).
*) In Betreff ihrer gesetzlichen Ordnung vgl. Schmid, Die Gesetze
der Angelsachsen S. 356; Kern ble, Die Sachsen II, 2. S 61; Lib. Alb.
S, 551; Lib. Cust I. S. 7, 275, 349; 13 Ed. L st Wynton c 6; 13Ed.I.
«t. Merc; 13 Ed. I. st. Westm. 2, c. 24: 2 Ed. III. st North, c 15: 5Ed.m.
c. 5; 13 Ric. II. c 4; 16 Ric. II. c. 3; 31 Ed. III. st 1 c. 10; 27 Hen.U.
c, 5j 4 Ed. IV. c 7; 17 Ed. IV. c. 2; 1 Ric IIL c. 6; 14—15 Heu. Vffl.
c. 9; Lords1 Journ. 27° die Pari. 3 Hen. VIII; Gneist, Geschichte der
englischen Communal Verfassung I. S. 625.
e) Ueber ihre Dauer sieh die Urkunde bei Varenbergh, Relaöons
diplomatiques entre la Flandre et l'Angleterre. S. 220. Die Messe von
Wystminster wurde von Heinrich in. errichtet M. Paris, Historia minor
ed+ Madden III. S. 35, 36.
7) Die meisten rühren aus der Zeit Eduards I. her, wie sich ersehen
Hess aus dem „Catalogue of market and fair towns with their first esta-
,
— 653 —
solcher auch im 15. Jahrhundert noch fort; selbst die Re-
gierung Heinrichs VIII. weist noch einzelne Beispiele auf1).
Das Marktwesen breitete sich aus bis in die kleinsten Flecken,
und es unterliegt keinem Zweifel, dass weitaus der grösste
Theil der Bedürfhisse nach gewerblichen Erzeugnissen hier
befriedigt wurde. Zur Ergänzung diente noch ein ausgedehnter
Hausirhandel, der aber gleichfalls frei von Preisschranken war.
Auf den Märkten und Messen fehlte es nicht an Concurrenz,
da die Gewerbtreibenden vieler Städte und auch zahlreiche
Ausländer mit ihren Producten sich einfanden2). Ausser der
Messzeit, bei Producten blos localen Absatzes waren aber die
Zünfte im Stande, möglichst vorteilhafte Preise zu erzielen8).
Von ihrer Thätigkeit nach dieser Richtung liegen mancherlei
Beispiele vor. Zur Zeit Eduards IL verabredeten die Mit-
glieder der Webergilde eine Erhöhung des Weblohnes und
verminderten ihre Zahl, um ihre Absicht mit Erfolg durch-
zuführen 4). 1394/95 beschuldigten die Schuhmacher die Gerber-
zunft, dass deren Mitglieder bezüglich der rohen Häute ge-
ringe Einkaufspreise unter sich ausmachten6). Die Zunft der
Lederzubereiter in London missbrauchte ihre grosse Aufsichts-
gewalt über die Güte der Waaren, um die fremden in London
wohnhaften Schuhmacher im Preis zu bedrücken6). 1414 klagte
man über die Goldschmiede, weil sie ihre Waaren um den
doppelten Preis des Silbergewichts verkauften, weshalb befohlen
ward, dass alles Silber die Sterlingslegirung besitzen müsse
und vergoldet das Troypfund nicht höher als zu 46 sh 8 d
verkauft, für das Vergolden übergebener Gegenstände nur
massige Forderungen gemacht werden dürften7). 1415 be-
schwerten sich die Leute von Coventry über die geheimen
Abmachungen und Preissteigerungen der Färber, verlangten
aber vergeblich, behufs besserer Ordnung vier Aufsichtspersonen
wählen zu dürfen 8). 1433 erregten die Wachskerzenmacher
den Unwillen, weil sie die frommen Leute ausbeutend sich für
ein verarbeitetes Pfund Wachs 2 sh und mehr bezahlen liessen,
blishment found by search in the Tower 1599 and 1600" in Br. M. Harl.
Ms. 6700 fo. 19, 49.
») Brewer, Cal. III. 233; IV. 1049, 6248; 14-15 Hen. VIII. c 27.
') In Betreff des Bepuchs der verschiedenen Messen durch die Lon-
doner Gewerbsleute vgl. Lib. Cust I. S. 179 fg.; 3 Hen. VII. c. 10.
8) Was von den Kappen- und Hutmachern in 4 Hen. VII. c. 9 gesagt
wird, dürfte auf viele andere Gewerbe angewendet werden: „And by cause
they knowe well, that every man must occupie theym, they wille seile theym
at none esear price, to the grete charoe and damages of the kynges sub-
gettes and agaynst all good reason and conscyence."
4) Lib. Cust. I. S. 416 fg.
*) Rot. Pari. III. S. 330.
«) 5 Hen. VIII. c. 7. (1513/14).
') 2 Hen. V. st. 2 c. 4 (1414).
8) Rot. Pari. IV. S. 75.
— 654 —
während es ihnen nicht mehr als 6 d kostete1). 1488 sah
man sich genöthigt, den Schnittwaarenhändlern Maximalpreise
vorzuschreiben, die sie beim Verkauf des Wollentuchs nach der
Elle nicht überschreiten durften *), und die Zunft der Tailore
in Exeter hatte man 1482 wegen ihrer Missbräuche ganz auf-
gelöst ö). 1495 sonderten sich in Norwich unter dem Vorwand
besserer Beaufsichtigung die Worstedscherer als eigene Zunft
von den übrigen Tuchscherern ab und suchten dann durch Aus-
schluss der letzteren und Verabredung den Scherpreis zu er-
höhen4). Aehnliches Verfahren war bei den Zünften ziemlich
allgemein und gab den Anlass, dass seit Heinrich VI. die be-
hördliche Ueberwachung derselben verschärft wurde5). Eine
Acte Heinrichs VH. hebt dies ausdrücklich hervor6).
Am grössten war die Gefahr eines Missbrauches von Seiten
der Gewerbszünfte dann, wenn die Einfuhr der Waaren ge-
hemmt oder sonst die Concurrenz in ausserordentlicher Weise
beschränkt war. Als 1464 Eduard IV., um gegen die Nieder-
lande Repressalien zu üben, die Einfuhr aller niederländischen
Waaren verbot, fürchtete er eine grosse Preissteigerung und
beauftragte deshalb die Stadt- und Marktbehörden, mit zwei
Männern des Orts geeignete Massregeln zu treffen '). Auch
bei den eigentlichen Schutzgesetzen wurde nicht selten durch
Preistaxen ein Gegengewicht geschaffen. Bei der Industrie-
schutzacte Eduards IV. und der Richards IH. geschah es nicht •».
Wir haben aber bereits gesehen, wie die Preistaxen für Wein
theilweise mit den Navigationsgesetzen zusammenhingen*)
t
*) 11 Hen. VI. c 12; sie durften fortan nicht mehr als 3 d über den
Preis des Rohwachses per U verlangen.
2) „wollen cloth of the fynest making scarlet grayned or othre cloth
grayned. what colour soever it be, - 16 s a brode verde, and a brode
verde or wollen cloth of any othre colour out of grayne , or eny maner
russet of the fynest, not above the price of 11 8." 4 Hen. VH. c= 8; vgl.
damit die Engrospreise Bd II S. 31, 32. Das Statut wird in schiefer
Weise von Bacon commentirt: „Henry VII. made also Statutes for the
maintenance of drapery and the keepmg ot wools within the realm, a»d
not only, but for stinting and limiting the prices of cloth one for the finer
and another for the courser sort, which I note both, because it was a rare
thing to set prices by Statute especially upon our home-commodities, and
because of the wise model of this act not prescribing prices, but stinting
them not to exceed a rate, that the clothier mieht drape accordingly as
he might afford." Bacon, History of Henry VII. London. 1676. S. 47;
Kennets hist. I. S. 597.
8) Rot. Pari. VI. S. 219.
4) 11 Hen. VII. c. 11 ; 19 Hen. VH. c. 17.
6) 15 Hen. VI. c. 6.
e) „maister wardens and people of guyldes. fraternytees and other
companyes corporate — made amonge them seife meny unlawefull and
unresonable ordinaunces aswell in pricis of weyres as other thingii"
19 Hen. VH. c 7.
') 4 Ed. IV. c. 5.
8) 3 Ed. IV. c. 4; 1 Ric. IH. c. 12.
9) Vgl. oben S. 648.
— 655 —
1532 verbot man den Brauern, ihre Fässer selbst zu machen;
damit aber die Fassbinder ihre Preise nicht steigerten, wurden
solche für die verschiedenen Fassarten festgesetzt und 10 Jahre
später wegen der inzwischen gestiegenen Holzpreise ent-
sprechend erhöht, zugleich aber den Böttchern erlaubt, für
Fässer, die zum Bierexport nach Flandern dienten, zu ver-
langen, so viel sie wollten1). 1534 schützte man' die engli-
schen Buchdrucker und Buchbinder, die Regierung behielt
sich aber das Kecht vor, auf eingegangene Beschwerden über
excessive Preissteigerungen durch eine vereidigte Commission
oder auf irgend eine andere Weise den Sachverhalt unter-
suchen zu lassen, und im Fall die Klagen sich als begründet
zeigten, für die Bücher und das Einbinden Taxen zu ver-
ordnen 2). Anton Marler hatte für vier Jahre das Monopol des
Bibeldrucks erhalten, er musste sich aber verpflichten, das
Exemplar von grossem Fonnat ungebunden zu 10 sh und ge-
bunden zu 12 sh zu verkaufen3). Aehnlich war man 1451
gegenüber der Regierung verfahren, als diese den Alaun-
verkauf für einige Zeit monopolisirte 4). 1543 setzten die
Stecknadelmacher den Ausschluss der fremden Stecknadeln
durch, aber sie mussten versprechen, das Publicum gut zu
bedienen und nicht zu höheren Preisen zu verkaufen, als sie
in den zwei vorangegangenen Jahren üblich waren. Da sie
aber dieser Bedingung nicht genügten, nahm man das Gesetz
wieder zurück5). Als man die Bewohner von Lynn und Yar-
mouth zwang, ihre Worsteds ausschliesslich in Norwich scheren,
färben und decatiren zu lassen, schärfte man den Norwicher
Geschäftsleuten ein, dass sie nicht übermässige Preise ansetzen
sollten6). Im Jahre 1512 verbot Heinrich VIII. die Einfuhr
fremder Mützen und Hüte. Da aber nach früheren Erfahrungen
zu erwarten stand, dass die Kappenmacherzunft den Schutz
zur ungebührlichen Ausbeutung des Publicums benützenwerde7),
wurde gleichzeitig eine detaillirte Preistabelle aufgestellt8).
Kurz es war zur Zeit der Tudors ziemlich allgemeine Regel,
dass Gewerbsprivilegien, welche das Gesetz neu schuf, nicht
zu ungebührlichen Preissteigerungen oder sonstigen Missbräuchen
benützt werden dürften9).
«) 23 Hen. VIII. c. 4 (1532): 35 Hen. VIII. c 8 (1644); ürk. Beil. 167.
«) 25 Hen. VIII. c. 15 (1534).
") Nicolas. Proceedings and Ordinances of the Privy Council VII.
S. XLIV. 183.
«) Rot. Pari. V. S. 214, 116; der König durfte den Centner nicht
höher als zu 2 sh verkaufen lassen.
*) 34-35 Hen. Vni. c 6; 37 Hen. VIII. c. 13.
*) 14—15 Hen. VIII. c. 3.
*) Sieh oben 8. 608 und 4 Hen. VH. c. 9.
") 3 Hen. VIII. c. 15; luxuspolizeiliche Gründe hatten die Taxen in
3 Ed. IV. c. 5; 21 Hen. VIH. c. 9.
*) Sieh auch ^1 Hen. Via c. 17; 25 Hen. VIII. c 18.
— 656 —
Ausser den genannten Fällen ist es nur noch eine kleine
Gruppe von Gewerbserzeugnissen, deren Preise die Regierung
oder Gesetzgebung zu ordnen suchte. Dieselbe umfasst die
Waffen zur Landesverteidigung. Schon Eduard III. liess den
Londoner Waffenschmieden Taxen festsetzen, als diese exor-
bitante Preise forderten1). Seit Eduard IV. wurde auch für
den Bogen ein Maximalpreis gesetzlich vorgeschrieben2) und
gleichzeitig die Fremden zur Einfuhr von Bogenstäben ge-
zwungen 8). Verlangten die Importeure trotzdem hohe Preise
für das Bogenholz, so kam es vor, dass der kgl. Rath auf
Klage der Bogenmacher hin niedrige dictirte, was 1545 einem
Stahlhofskaufmann widerfuhr4). Um dieselbe Zeit fixirte die
Regierung die Preise für alle Theile der gesammten Kriegs-
rüstung5).
Einen von den bisherigen Versuchen wesentlich verschie-
denen Character zeigt die Preispolitik hinsichtlich der im eng-
lischen Verkehr so hervorragenden Stapelartikel Wolle, Zinn,
Häute, später bei den Tüchern. Sie dienten dem Export, und
das englische Interesse erforderte hier dem Auslande gegenüber
möglichst hohe Preise. Seit frühester Zeit war man sich dessen
bewusst. Schon zu Edgars Zeit (959—75) tfurde untersagt,
Wolle unter einem gewissen Preise abzugeben 6). Ein ähn-
*) Rymer V. S. 244, 817 (1841, 1355).
9) Die Begründung lautet: „the bowyers in every part of this realm
do seil their bows at such a great and excessive price, that the kings sob-
jects perfectly disposed to shoot be not of power to buy to them bows,
whereby shooting iß greatly diminished and left, and unlawful games be
used.u 22 Ed. IV. c. 4; 3 Hen. VII. c. 13; 33 Hen. VIII. c. 9. Sieh auch
3 Hen. VIII. c. 3; 6 Hen. Vi II. c. 3, wonach die Behörden zwei oder drei
Bogenmacher in jede Grafschaft schicken konnten, um billige Bogen zu
machen.
8) 12 Ed. IV. c. 2; 1 Ric. III. c. 11. In dem Preamble zu dem letzt-
erwähnten Gesetz wird gesagt, dass 100 Bopenstäbe früher 40—46 sh 8 d,
nun aber in Folge der subtilen Mittel der Lombarden 8 £ kosteten.
<) Urk. BeiL 169.
*) Am 31. Aug. 1542 wurden folgende Maximalpreise aufgestellt: Kor
Bogen erster, zweiter, dritter Qualität 3 sh 4 d, 2 sh 6 d, 2 sh. „Every
sheft of lyverie arrowes 2 sh. Every girdle 2 d. Every sheft of arrowes
of eight ynche or nyne ynche the fcather 2 sh 4 d. Every Crosse of bo-
westnnges conteyning twelve dossen 3 sh 4 d. Every demylaunce with
curasse vambrase polren hed peece with a bever 45 sh. Every demilaunce
called a coUyn cliff readv made and hedded 2 sh 8 <L Every arming sword
for an horseman 2 sh 8 d. Every paire of gauntlettes with jointes 2 sh 8 d.
Every Almaine ryyett of the best sort 7 sh 6 d; of the second sort 6 sh
8 d. Every javelin of the best sort ungilt 14 d. Every fighting bill ready
helmed 12 d. Every Flemish halberd of the best sort 20 d, of the second
sort 16 d." Am 18. Aug. 1544 wurde durch Proclamation befohlen, dass
die Almayne ryvettes öffentlich ausgestellt wurden. Das beste Paar nebst
Zubehör sollte nicht mehr als 9 sh 6 d kosten. Br. M. Harl. Ms. 442
fo. 185.
c) Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen S. 193.
— 657 -
liches Verbot erliess 1343 Eduard III., hob es aber im fol-
genden Jahre wieder auf1).
Seit sich die Stapeleinrichtung zwischen die Wollproducenten
und das nachfragende Ausland eingeschoben hatte, war eine
Scheidung der Interessen eingetreten. Die Stapler wollten in
England natürlich niedrige Preise, während sie in Calais mög-
lichst hohe verlangten und durch verschiedene Mittel auch
wirklich erzielten2). Das entsprach nicht den Schafzüchtern.
Diejenigen, welche sehr viel Wolle producirten, traten vielleicht,
um an dem Gewinn zu participiren , selbst in die Reihen der
Stapler ein. Der Mehrzahl aber war aus Standesrücksichten
dies nicht möglich. Im Allgemeinen war den Wollproducenten
das Stapel verhasst. Mit unverhohlenem Neid bemerkten 1363
die Seigneurs und Gemeinen im Parlament, dass im Stapel die
Preise zwar hoch seien, der Hauptvortheil aber in den Händen
der Kaufleute bleibe8). Die Bekämpfung des Stapels war
aber vergeblich, da die Könige aus finanziellen Rücksichten
dasselbe stützten. Eduard III. verbot jede Conspiration und
jedes Murren gegen dasselbe4). Unter Richard IL wurden
zwar die Italiener und Spanier zu directem Wettbewerb mit
den Staplern zugelassen, indem man die Wolle, die über die
Meerenge von Gibraltar gebracht wurde, vom Stapelzwang be-
freite 6), aber da hieftir beträchtlich höhere Zölle gezahlt wer-
den mussten6), so fiel der Vortheil mehr dem König, als den
Wolle verkaufenden Landwirthen zu. Durch die stramme
Stapelorganisation in den Stand gesetzt, in Calais den Preis
zu dictiren, verstanden sich die Stapelkauf leute im Lauf der
Jahre wohl dazu, auch den Landwirthen höhere Preise zu be-
willigen, aber ganz wurden diese nicht zufrieden gestellt.
Immer wieder klagten die Schafzüchter. 1454 verlangten sie,
dass Minimaltaxen festgesetzt wurden, unter denen die Wolle
in England nicht gekauft werden sollte. Die gewünschten
Preise waren beträchtlich höher als die zu Calais üblichen, in
denen doch auch noch der grosse Zoll enthalten war. Es ge-
lang aber den Stapelkauf leuten, nicht nur das Zustandekommen
dieses Gesetzes zu hintertreiben, sondern auch zu verhindern,
dass die den Wollverkäufern schädlichen Praktiken beim Sor-
tiren der Wolle abgestellt wurden 7). Die Stapler blieben im
*) Rot. Pari. IL S. 138, 151, 156; Rymer (Rec. Ed.) IL S. 1225.
*) Sieh auch oben S. 382.
3) Rot. Pari. II. S. 276, 287.
4) 27 Ed. III st. 2 c. 25.
3) 2 Ric. II st. 1. c. 3 (1378).
6) Sieh Bd. IL S. 6.
7) Rot. Pari. V. S. 256, 275. 27 1>, 331, 332. An letztgenannter
Stelle heisst es : „ Whiche maner of buyng hath be oon of the grete caases
of the seid amenusing the prices of the seid wolles and overe grete em-
poTeryshing of the growers of the samea.
Schanz, Engl. Handelspol itik. 1 . 42
— 658 —
Besitz der Macht und wachten auch eifrig darüber, dass der
König durch Licenzen diese nicht durchbrach1).
Ein gefährlicher Concurrent blieb aber den Staplern doch ;
es war dies die englische Tuchindustrie, deren Interessen von
dem Gesetzgeber vor Allem berücksichtigt wurden. Ihrethalben
unterdrückte man unter dem Titel Vor- und Aufkauf nicht
nur den Detailhandel mit Wolle *) , bis dieser seine Nützlich-
keit erwiesen und seine Existenzberechtigung sich erkämpfte s),
sondern die Stapler und noch mehr die Fremden mussten sich
gefallen lassen, dass den Wollverarbeitern beim Einkauf ein
gesetzliches Vorzugsrecht eingeräumt wurde. Schloss dies das
Steigen der Wollpreise zu Gunsten der Wollproducenten auch
nicht ganz aus, und verbesserte sich die Situation der letztem
gegen früher, wo sie den Staplern in die Hände gegeben
waren, ganz wesentlich, so sieht man doch, dass den Gewinnen
der Wollverkäufer Schranken gesetzt waren. Der Kampf gegen
die der Schafzucht förderlichen Einhegungen4), die Vorschrift,
nicht über eine bestimmte Zahl Schafe zu halten 5) , und der
Befehl an die Wollproducenten, ihre Wolle nicht länger als
zwölf Monate unverkauft zu lassen 6) , sind weitere Belege.
Das Zinn nahm im englischen Export eine minder wichtige
Stelle ein. Aber es war eine Waare, nach der lebhafte Nach-
frage bestand. Wie aber die Wollproducenten, hatten auch
die Zinner nicht den unmittelbaren Vortheil davon. Im 14.
Jahrhundert hatte die Regierung den Zinnkauf monopolisirt
und das Monopol veräussert, was aber begreiflicher Weise so-
wohl bei den Producenten als bei den Kaufleuten den heftigsten
Protest hervorrief7). Später überliess man den Staplern und
Merchant adventurers seinen Verschleiss, und unter Hein-
rich VIEL wurde sein Export nur gegen Licenzerholung ge-
stattet, was die Preiserhöhung einengte.
Die Häute hatten freie Preisbewegung, bis ebenfalls unter
Heinrich VIII. auf Wunsch der Gerber die Ausfuhr beschränkt
wurde.
Was endlich die Wolltücher betrifft, so war im Engros-
handel die Speculation nicht gehemmt Im Gegen theil, die
Preissteigerung wurde mit grösster Befriedigung wahrgenommen.
*) Vgl. Rot. Pari. II. S. 169; IV. S. 359; VI. S. 164: 21 Ric II
c. 17; 8 Hen. VI c 21; 10 flen. VI c 7; 11 Hen. VI c. 14; 14 Hen. VI
c. 2, c. 5; 27 Hen. VI c. 2.
*) Vgl. 14 Ric. II c. 4; 4 Ed. IV c. 4; 4 Hen. VII c 11; 22 Heil.
VHI c. 1; 37 Hen. VIH c. 15; 5-6 Ed. VI c 6.
8) 1 Ed. VI c. 6; 2—3 Ph. and M. c 13.
*)4 Hen. VII c. 16, c. 19; 6 Hen. VIH c. 5; 7 Hen. VHI c. 1; 24
Hen. VHI c 24.
*) 25 Hen. VHI c. 12, 13.
•) 5—6 Ed. VI c. 7.
7) Sieh oben S. 395 Note 1; Rot. Pari. II. S. 168, 180, 203 (1347/48).
— 659 —
Mit den Merchant adventurers, welche die Hauptmasse expor-
tirten, concurrirten beim Ankauf die Stapler, welche das Recht
der Ausfuhr beanspruchten, ferner die Hansen, welche ge-
ringern Zoll als die Engländer selbst zahlten und dämm den
Producenten bessere Preise bieten konnten, die Fremden,
welche unter Heinrich VIII. eine Zeit lang sogar gleich günstig
wie die M. a. gestellt wurden, und endlich die einheimischen
Consumenten. Eine gleiche Macht gegenüber den Verkäufen!,
wie sie die Stapelkauf leute bei der Wolle übten, konnten sie
auch nicht entfernt geltend machen. Später, als sie die Ver-
treibung der Hansen durchsetzten, und die Fremdenzölle beträcht-
lich erhöht wurden, war ihre Stellung allerdings eine ähnliche.
Sie wurden aber dann auch sehr heftig von der öffentlichen
Meinung bekämpft.
Zur Vollendung des Bildes, wie man in die natürliche
Preisgestaltung eingriff, und zum Verständniss der gesammten
Preispolitik erübrigt uns nur noch, einen Blick auf die Lohn-
regulirung zu werfen. Lohntaxen von Seite der Städte kamen
seit alter Zeit vor. Wir besitzen z. B. noch den Tarif, der
nach dem grossen Londoner Brande von 1212 für die Bau-
handwerker erlassen wurde1). Zu einer Sache des Reichs
ward aber die Lohnpolitik erst seit dem 14. Jahrhundert. Da-
mals war die Masse freier Arbeiter nicht mehr auf die Städte be-
schränkt, sondern es auch den Bauern gelungen, die dem Grund-
herrn schuldigen Frohnarbeiten durch Geldzinse- abzulösen und
zu einem unabhängigen Taglöhnerstand sich emporzuschwingen 2).
Diese neue Classe mit den Dienstboten war es hauptsächlich,
welche die Gesetzgeber in der Folgezeit so vielfach be-
schäftigte.
In dem Zeitraum von 1308—22 war eine Erhöhung des
Arbeitslohns um 10 °/o eingetreten. Eine grosse Zahl Miss-
ernten und die sich daran anschliessende Sterblichkeit hätten den
Anlass gegeben3). Gegenüber dieser ersten Steigerung ver-
hielt sich die Gesetzgebung passiv. Erst als der schwarze Tod
im Jahre 1348 auch England heimsuchte, fast die halbe Be-
völkerung dahin raffte und eine Lohnerhöhung um 50 ° 0 zur
Folge hatte, suchte man die Arbeitgeber gegen die exorbitanten
Forderungen der Arbeitnehmer zu schützen und die drohende
Verschiebung aller bisherigen Standes- und Wirthschaftsver-
hältnisse hintanzuhalten. Da wegen der Pest der Zusammen-
tritt des Parlaments unmöglich war, erliess der König Eduard III.
1349 aus eigner Machtvollkommenheit eine Proclamation , in
*) Lib. Cust. ed. Riley I. S. 86, 87, 99.
*) Nasse, Ueber die mittelalterliche Feldgemeinschaft. Bonn 1869.
S. 50—52.
*) Rogers, A history of agriculture and prices in England. I. S.
291, 292.
42*
— 660 -
welcher er die Beibehaltung der bisherigen Löhne anbefahl *)•
Das Gebot des Königs blieb unbeachtet. Die Forderungen der
Lohnarbeiter mussten erfüllt werden, wollte man die Ernte
nicht verfaulen lassen. Weder die Bestrafung der Arbeiter
noch die der ungehorsamen Aebte, Barone und sonstiger Kron-
lehensbesitzer fruchtete etwas. Die Arbeiter flohen in die
Wälder, ganze Herden Vieh und Schafe zogen umher ohne
Hirten und Eigenthtimer 2). Mit Rücksicht auf diese Vor-
gänge berief der König 1850 das Parlament, und an Stelle
der kgl. Ordonnanz trat nun das vielgenannte erste Statute of
Laborers8). Um die 1317 bestandenen Löhne gewaltsam zu-
rückzuführen und alle Zweifel auszuschliessen, wurde für
manche der ländlichen Arbeiter und ebenso für die Bauhand-
werker ein bestimmter Lohn gleich fixirt ; die übrigen Gewerbs-
leute mussten schwören, ihr Gewerbe so wie im Jahre 1347
auszuüben. Kein Taglöhner durfte im Sommer den Ort ver-
lassen, an dem er sich im Winter aufhielt Dienstboten, welche
von einer Grafschaft zur andern flohen, sollten ins Gefängniss
gesetzt werden. Commissäre mussten viermal im Jahre und,
wenn nöthig, auch öfter eine Sitzung in allen Grafschaften be-
hufs Ausführung dieses Gesetzes halten i). Die Strafgelder
sollten zu Steuernachlässen verwendet werden5).
Die Acte stiess auf denselben Widerspruch wie früher die
Proclamation. Die Handwerker fanden mancherlei Wege, die-
selbe zu umgehen. Die Landarbeiter blieben so störrisch wie
zuvor. Sie wollten sich nur tageweise verdingen, verweigerten
jede Löhnung in Getreide, liefen beim geringsten Anlass fort,
um entweder der Bettelei obzuliegen oder in die Stadt zu ge-
hen und dem Handwerk sich zu widmen 6). Auch da, wo man
äusserlich den Buchstaben des Gesetzes beobachtete, wurde
der Arbeiter noch auf irgend eine Weise besonders entschädigt7).
Der König selbst musste erfahren, dass die Handwerker, die
für ihn beschäftigt, waren, wegliefen, weil sie bei Adligen und
Geistlichen mehr bekamen8). Man ersetzte die Geldstrafe
durch Gefängnissstrafe verbot die Verbindungen und Verab-
redungen der Maurer und Zimmerleute, verschärfte die Mass-
regeln gegen flüchtige Arbeiter, erklärte die übliche Umgehung
des Statuts durch Einbedingen von Lohn für Festtage für un-
statthaft9). Trotzdem drang man nicht durch. Bei aller
*) Statute-book I. S. 307; Eden, State of Poor L S. 34.
2) Rogers I. S. 297, 298-, Rot. Pari. II. S. 225, 227.
3) 25 Ed. III st. 1. 1350.
*) Lieber die Bedeutung dieser Commissäre für die Institution des
Friedensrichteramts sieh Gneist, Die Geschichte des Selfgovernment
S. 177 fg.
«) Rot. Pari. IL S. 228; auch S. 238, 258, 273, 410; 31 Ed. III st.
1 c. (3; 36 Ed. III. c 14.
«) Rot. Pari. IL S. 261.
7) Rogers I. S. 800.
*) Rot. Pari. IL S. 458 (1361).
9) 34 Ed. III c. 9; c. 10 (1360).
— 661 —
Strenge musste man doch auch manche unvermeidliche Con-
cessionen machen, welche wie die Accordarbeit die Gesetze
durchlöcherten. Die Friedensrichter versagten offenbar sehr
oft den Dienst, wie schon daraus hervorgeht, dass man 1378
ihnen, um ihren Eifer anzuspornen, einen Theil der Strafgelder
versprechen musste1). Die Lohnsteigerung war so allgemein
und durchdrang so sehr alle wirtschaftlichen Verhältnisse,
dass auch die Priester mit ihren Gebühren nicht mehr zu-
frieden sein wollten, und die Gesetzgeber gegen sie einzu-
schreiten sich genöthigt sahen *). Fast kein Parlament ver-
ging, ohne das nicht die Lohnfrage behandelt wurde8). Die
Gutsherrn wurden immer heftiger in ihren Klagen. Der Auf-
stand von 1381 hatte sie belehrt, dass die früher üblichen
Dienste sich nicht ganz wieder erzwingen Hessen ; deshalb wollten
sie wenigstens die niedrigen Löhne wieder hergestellt wissen.
Im Jahre 1388 wurde ein erneuter ernstlicher Versuch
gemacht4). Man lenkte sein Hauptaugenmerk auf die fluctu-
irende Bewegung der Arbeiterbevölkerung. Ohne einen vom
Friedensrichter ausgestellten Pass durfte kein Dienstbote oder
Arbeiter in eine andere Grafschaft sich begeben. Wurde ein
solcher ohne Pass aufgegriffen, so musste er in den Stock ge-
schlagen werden, bis er genügende Sicherheit geleistet, dass
er zu seinem früheren Herrn zurückkehren werde. Die Hand-
werksleute, deren man nicht dringend benöthigt war, sollten
mit ihren Gesellen und Lehrlingen während der Erntezeit den
Landwirthen behilflich sein. Personen, welche bis zum 12.
Lebensjahre in der Landwirtschaft dienten, durften nicht mehr
Lehrlinge werden, sondern sollten bei der landwirtschaftlichen
Beschäftigung bleiben. Diese Fesselung der agrarischen Be-
völkerung wurde 1405 noch vervollständigt, indem nur Leute,
die ein Einkommen von 1 jg hatten, ihre Kinder Handwerke
erlernen lassen durften0). Der grösste Theil der Bevölkerung
sollte der Landwirtschaft dienstbar werden.
Die Lohntaxen waren aber nicht durchzuführen. Man sah
schliesslich ein, dass einheitliche Löhne bei dem wechselnden
Ausfall der Ernten gegenr die Natur des Verkehrs verstiessen,
und gab den Friedensrichtern Vollmacht, jeweils durch Pro-
clamation festzustellen, wieviel Lohn der Theuerung der Lebens-
mittel entsprechend ein Maurer, Schreiner, Ziegeldecker und
sonstiger Handwerksmann, sowie andere Taglöhner verlangen
durften 6). So vernünftig dieser Schritt auch war, die Gefahr,
dass unter der localen Regulirung die Löhne mehr und mehr
den wirklichen sich näherten, war sehr gross, und diess wohl
*j Rot. Pari. IL S. 252, 271; in. S. 45.
*) 36 Ed. III c 8 (1862).
») Rot. Pari. II. 6. 296, 812, 840; III. S. 17, 45, 46, 158; 42 Ed.
m c. 6 (1368); 2 Ric. II st 1. c. 8 (1378); 8 Ric II c 1 (1884).
4) 12 Ric. II c. 3: c 4; c. 5 (1388).
ß) 7 Hen. IV c. 17.
6) 13 Ric. H st 1. c 8 (1389/90): Rot ParL m. S. 268.
- 662 -
auch der Anlass, weshalb man zeitweise wieder auf die älteren
Gesetze zurüekgriff x).
Die Versuche, das Ziel zu erreichen, wurden fortgesetzt.
Man zwang die Arbeiter und Handwerker, alle Jahre zu schwö-
ren, dass sie die Statuten beobachten wollten, die Friedens-
richter sollten sie in den vier jährlichen Sessionen eidlich dar-
über vernehmen; man verbot die wochenweise Vereinigung,
die Verabreichung vollen Lohns für Feiertage oder halbe Tag-
arbeit; man entband die Meister und Landwirthe von der
Strafe, als sich zeigte, dass sie deshalb über die mehrgezahlten
Löhne keine Angabe machen wollten, hob die Bestimmung
wieder auf, als auch davon kein Erfolg bemerkbar war8).
Am hartnäckigsten waren die Bauhandwerker, ihre Coalitionen
so weitverzweigt, das man ihre Zusammenkünfte und Capitel
mit der Strafe der Felonie belegte s).
Nach weiteren vergeblichen Versuchen 4) und nachdem der
Kampf fast 100 Jahre gedauert, Hess man sich endlich zu einer
Concession herbei. Die Grundbesitzer im Parlament konnten
zustimmen, weil sie ja auch grosse Ausfuhrerleichterungen ftr
ihr Getreide erlangt hatten und in Folge dessen günstigere
Kornpreise zu erzielen vermochten6). Das neue Statut ver-
ordnete bedeutend höhere Lohnsätze, als bisher erlaubt waren6).
*) So wurden 25 Ed. III st. 1 und 12 Ric. II c. 3 durch 7 Hen. IV c 17
bestätigt. Ueber die damaligen Klagen der Arbeiter gegen die Reichen
sieh „Fraier and complaynte of the Ploweman" c. 1400 und Complaint of
Scotland". Harl. Mise 1804 I. S. 176 fg. 190 fe.
*) 4 Hen. IV c. 4; 2 Hen. V st. 1 c. 4; 4 Hen. V c. 4; 2 Hen. VI
c 18; Rot. Pari. IV. S. 146.
8) 3 Hen. VI c. 1.
*) 6 Hen. VI c. 3; 8 Hen. VI c. 8.
») Sieh oben S. 640.
6) Folgende Angaben gestatten einen Vergleich:
Bezeichnung
des Arbeiters.
A bailiff in husbandry
A master bind, Carter,
shepherd
A woman servant
A mower
A reaper
A master carpenter
A free-mason
A tiler
A common carpenter
A rough mason
A common workman
(servant)
Mit
Kost
Ohne Kost
s 1 d~
Mit
Kost
Ohne '
Kost
1388 Jahrlich 1445
13 | 4 I und Gewand
z3 I 4 und 5 s für Gewand
10 i — ohne „ 20 — iund 4 s für Gewand
6 — ohne „ 10 1 — und 4 s für Gewand
1350 taglich 1445
5
1
1
4
3
1
8
—
3
-«Vi
—
4
57.
—
3
—
<7t
—
2
—
47,
—
3
—
47.
—
i1/.
—
37,
Von
Ostern
bis
Michaeli.
663 —
Vergleicht man aber die neuen Lohntaxen mit den früher
wirklich gezahlten, so findet man, dass sie meist höher standen,
als im Jahre 1263—1350, dagegen zum Theil hinter den von
1351 — 1400 gezahlten zurtickblieben *). Da die Ursachen,
welche unmittelbar nach 1350 hohe Löhne hervorriefen, gegen
die Mitte des 15. Jahrhunderts in sehr abgeschwächtem Masse
fortbestanden, wird man annehmen dürfen, dass die neuen
Lohntaxen ziemlich den im Verkehr wirklich üblichen Löhnen ent-
sprachen. Ausserdem regelte das Gesetz die Art der Kün-
digung und Verdingung von Seite der Dienstboten, verpönte
jede Beschäftigungslosigkeit und liess die Ausrede, dass das
Ackerland nicht eine ganzjährige Arbeit ermöglicht habe, nicht
gelten2). Trotzdem war das Gesetz ein unvollkommenes, die
mancherlei Verschiedenheiten, wie sie der Verkehr mit sich
brachte, waren nicht berücksichtigt. Die Gesetzgeber gestanden
selbst zu, dass die Acte zum Theil nicht ausgeführt werde,
zum Theil den Anlass zu fortwährenden Unzuträglichkeiten
zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebe, nament-
lich aber auch nicht schnelle Abhilfe gewähre.
Heinrich VII. erliess deshalb ein neues Statut3). Die
wichtigsten Aenderungen bestanden darin, dass es den Contract-
bruch der Bauhandwerker bestrafte, Arbeiter, welche gegen
einen Aufseher sich zusammenrotteten oder ihn angriffen, mit
einem Jahr Gefängniss bedrohte, insbesondere die tägliche Arbeits-
zeit und die zu gestattenden Pausen festsetzte4). Die Löhne
wurden gegen 1445 nominal abermals erhöht5). Die Steigerung
*) Vgl. Rogers, History of agriculture etc. Bd. I.
*) 23 Hen. VI. c. 12.
s) 11 Hen. VII c. 22; vgl. auch 11 Hen. VH c. 2.
4) Von Mitte März bis Mitte September sollte die Arbeit 5 Uhr
Morgens beginnen und zwischen 6—7 Uhr Abends enden, während der
übrigen Jahreszeit sollten Tagesanbruch und Eintritt der Nacht die Grenzen
bilden. Als Pausen waren gestattet Vs Stunde zum Frühstück und l1/«
Stunden zum Mittagessen.
*) Für folgende Angaben ist der Vergleich der Nominallöhne möglich!:
Bezeichnung
des Arbeiters
An
Lohn
Für
Kleidung
An
Lohn
F
Klei
ttr
düng
Bemer-
kungen.
8
d
8
d
8
d
s
1445
1495
Die Löhne
sind Jahres-
löhne; die
Arbeiter
erhielten
ausserdem
Ver-
köstigung.
A bailiff of husbandry
A chief hind, a Carter
or chief shepherd
A common serrant of
husbandry
A woman serrant
A child under 14 years
of age
23
20
15
10
6
4
5
4
8
4
3
4
1
26
20
16
10
6
8
8
8
5
5
3
4
4
—
- 664 -
entsprach aber in der Mehrzahl der Fälle nicht der inzwischen
eingetretenen Münzverschlechterung x). An einem ganz sichern
Massstab der Vergleichung fehlt es freilich, weil man nicht
weiss, ob die von dem Gesetz vorgeschriebene Arbeitszeit mit
der früher üblichen übereinstimmte.
Die Acte stiess auf so entschiedenen Widerstand, dass der
König noch im folgenden Jahre in Gemeinschaft mit dem neu-
berufenen Parlament dieselbe, soweit sie die Lohnfestsetzung
betraf, wieder aufhob2).
Die Reaction blieb nicht aus. Heinrich VIII liess sogar
das alte Richardsche Gesetz 12 Ric. II c. 4 mit seinen
niedrigen Löhnen wieder in Anwendung bringen, nahm aber
durch eine neue Acte die Arbeitgeber, welche höhere Löhne
zahlten, von der Bestrafung aus*). Die Arbeitnehmer waren
dem Arbeitsherrn ganz in die Hände gegeben. Der letztere
zahlte ihnen einen etwas höheren als den gesetzlichen Lohn,
diese mussten dann aber ihm in Allem willfährig sein, sonst
warteten ihrer alle möglichen Strafen. Ein weiteres Beispiel
der herrschenden Strömung liefert das Gesetz gegen die Boot-
führer, die wohl mit Recht nicht mehr mit den seit Menschen-
gedenken üblichen Bootslöhnen und Kahngeldern zufrieden sein
wollten4). Ja man setzte im selben Jahre wieder das Ar-
beitergesetz Heinrichs VII. in Kraft, obwohl doch die Erfahrung
gezeigt hatte, dass dasselbe unhaltbar und ungerecht sei*).
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des Arbeiters
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*) Und doch hatten 1463 die Landwirthe auch Schutz gegen die Ge-
treideeinfuhr erlangt, konnten also höhere Löhne bewilligen. Sieh oben
S. 641.
*) 12 Hen. VII c. 3.
*) 4 Hen. VIII c. 5.
4) 6 Hen. VIII c. 7.
*) 6 Hen. VIII c. 3; die einzige Aenderung gegen früher war, dass
das Gesetz die Arbeitgeber von der Strafe von 2 £ befreite und die Berg-
werks- und Kohlengrubenarbeiter ausnahm.
— 665 -
Durch ein gleichzeitig erneutes Luxusgesetz hoffte man das
Arbeitergesetz stützen zu können 1).
Dem Chronisten zufolge riefen beide Statuten viel Unruhe
hervor. Die Arbeiter wollten nicht gegen Taglohn, sondern
nur gegen Stücklohn arbeiten, weil sie unter dieser Form die
Lohntaxe umgehen konnten. An den Gerichtstagen, besonders
während der Erntezeit gab es viel Unzuträglichkeiten; die
Landwirthe konnten kaum Arbeiter bekommen *). Am meisten
aber lärmten die Londoner Bauhandwerker. Sie legten dar,
dass es unbillig sei, ihnen den nämlichen Lohn zu dictiren,
wie er im übrigen England verlangt werde, wo sie doch höhere
Miethe, theurere Lebensmittelpreise, weit beträchtlichere Ab-
gaben und Steuern zahlen müssten und dazu noch mit ver-
schiedenen Aemtern und Diensten belastet würden. Das Be-
rechtigte dieser Vorstellungen Hess sich nicht verkennen, und
man musste für London die vor der Acte üblichen Löhne er-
lauben, ausserhalb Londons aber und bei den Bauten des
Königs sollten sie sich mit den Lohntaxen des Gesetzes be-
gnügen 3).
Im Uebrigen handhabte Wolsey, wenigstens im Anfang,
das Arbeitergesetz sehr strenge, er schickte nicht selten eigene
Commissionen in alle Grafschaften, um seine Durchführung,
namentlich gegenüber den ländlichen Arbeitern zu sichern4).
Es liesse sich denken, dass der Minister und das Parlament
niedrige Lohne erzwingen wollten, um indirect die für das
niedere Volk noch unheilvollere Agrarrevolution zu hemmen;
denn es ist natürlich, das hohe Arbeitslöhne die Einhegungen
beförderten. Ein irgendwie sicherer Beleg, dass man diese
Absicht verfolgte, liess sich nicht auffinden. Thom. More, der
sehr conservativ gesinnt war und die Umwälzung des beste-
henden Agrarsystems in den härtesten Ausdrücken geisselte,
sah in den Arbeitergesetzen nichts als eine beabsichtigte Un-
terdrückung der Armen durch die Reichen6), und, zieht man
") 1 Hen. VIII c 14; 6 Hen. VIII c. 1.
*) 6 Hen. VIII. — „one was the acte of apparayll and the other the
acte of laborers, of these 2 actes was muche commonynge, and mache
busynes arose; for the laborers woulde in no wise labour by the daye,
but all by taske and in grette, and therefore mache troable feil in the
coarte and in especial in harrest tyme: for then hosbandmen coulde scace
get workmen to nelpe in their harvesr. Hall, Chronicle S. 581.
») 7 Hen. VIII c 5. 1515.
4) Brewer, CaL EL Pref. 8. CCLH; doch gab es auch Licenzen.
Sieh z. B. Brewer, Cal. IV. 804.
B) „Nam quae haec justitia est, ut nobilis quispiam aut anrifex aut
foenerator aut denique alias qaisqaam eorom, qui aut omnino nihil agunt,
aut id, quod agunt, ejus generis est, ut non Bit reipublicae magnopere ne-
cessarium, lautam ac splendidam vel ex otio vel snperrocuo negotio con-
sequatur. cum interim mediastinus, auriga, faber, agricola tanto tamque
assiduo labore, quem vix jumenta sustineant tarn necessario, ut sine eo ne
unum quidem annum possit ulla durare respublica, victum tarnen adeo
— 666 —
andere Stimmen über die grosse Interessenherrschaft im Un-
terhaus in Betracht J) , so wird man ihm beipflichten müssen.
So wenig eignete sich Heinrich VIII. den Schutz der untern,
politisch einflusslosen Classen an, dass sogar zweifelhaft ist,
ob er nur das Trucksystem energisch fernzuhalten suchte.
1512 verpönte er noch diesen weit verbreiteten Unfug *), 15£3
trat aber das Gesete ausser Kraft , ohne das wir von seiner
Erneuerung erfahren.
Wie später das Arbeiterstatut ausgeführt wurde, dafür
fehlt es an Anhaltspuncten. Aber sicher dürfte sein, dass es
geradezu eine Barbarei war, wenn man auch nach der ersten
Münzverschlechterung (1526) und ihren späteren Wiederholungren
seine Anwendung erzwang. Das Moment der Münzveränderung
und der Preissteigerung aller Lebensmittel versessen diejenigen,
welche geltend machen, dass durch die Einhegungen viele
Arbeitskräfte frei und die Löhne so gedrückt wurden, dass
das Arbeitergesetz mit seinen Lohntaxen sich als ein Schutz
für die arbeitenden Classen erwies, oder welche wie Froude *\
mali$num parant, vitam adeo miseram ducunt ut longe potior videri pos&it
conditio jumentorum, auibus nee tarn perpetuus labor nee victus multo de-
terior est, et ipsis etiam suavior, nee ulius interim de futuro timor? At
hos et labor sterilis atque infruetuosus in praesenti stimulat et inopis re-
cordatio senectutis occiait qaippe quibus parcior est diurna merces, quam
ut ei dem possit diei sufficere, tantum abest, ut exereseat et supersit aliquid,
quod quotidie queat in senectutis usum reponi. Annon haec iniqua et in-
grata respublica, quae generosis, ut vocant, et aurifieibus et id genas reli-
quiB aut otiosis aut tantum adulatoribus et inanium voluptatum artificibua
tanta munera prodigit, agricolis contra, carbonariis, mediastinis, aurigis et
fabris, sine quibus nulla omnino respublica esset, nihil benigne prospicit,
sed eorum forentis aetatis abusa laboribus, annis tandem ac raorbo graves
omnium rerum indigos, tot vigiliarum immemor, tot ac tantorum oblita
beneficiorum miserrima morte repensat ingratissima? Quid? quod ex diurno
pauperum demenso divites quotidie aliquid non modo privata fraude, sed
Sublicis etiam legibus abradunt, ita quod ante videbatur injustum, opüme
e republica mentis pessimam referre gratiam, hoc isti depravatum etiam
fecerant, tum provulgata lege justitiam. Itaque omnes has, quae hodie ns-
quam florent respublicae, animo intuenti ac versanti mihi nihü, sie me amet
Deuß, oecurrit ahud, quam quaedam conspiratio divitum de suis commodis
reipublicae nomine tituloque traetantium, comminiseunturque et exeogitant
omnes modos atque artes, quibus, quae malis artibus ipsi congeeserunt, ea
primum ut absque perdendi metu retineant, post hoc ut pauperum omnium
opera ac laboribus quam minimo sibi redimant eisque abutantur. Haec
machinamenta ubi semel divites publico nomine, hoc est etiam pauperum
decreverunt observari, jam leges Sunt". Th. More, Utopia 1516. Hamb.
Ed. 1752 S. 164 fg.
a) Pauli, Drei volksw. Denkschriften S. 6°, 69.
*) 3 Ben. VIII c. 6.
s) „Never at any period were tbe labouring classes in England more
generously protected, tnan in the reign of Henry VIII; never cBd any go-
vemment strain the legislation more resolutely in their favour ; and I sup-
pose, they would not themselves objeet to the reenactement of Henrys
penalties against dishonesty, if they might have with them the shelter of
Henry iaws." Froude, History of England II. S. 449.
— 667 -
Röscher1), Gneist*) sogar glauben, Heinrich VII. und VIH.
hätten direct und bewusst diesen Zweck verfolgt3). Dieser
Ansicht widersprechen alle von uns vorgefahrten Thatsachen
und Umstände.
Zu keiner Zeit sank der gemeine Arbeiter tiefer in seiner
socialen Lage, als unter den ersten Tudors. Während noch
am Anfang der Regierung Heinrichs YH. der Arbeiter einen
Quarter Weizen in 20 Tagen verdienen konnte, verschlechterte
sich seine Lage so rasch, dass er unter Elisabeth bereits 48
Tage zu gleichem Zwecke aufwenden musste. Die Geschichte
der damaligen Armengesetzgebung ist, sollte man meinen, der
deutlichste Beleg für die Situation, in der sich die untersten
Classen damals befanden. Sehr langsam ging der Lohn gegen
Ende des 16. Jahrhunderts und während des 17. Jahrhunderts
wieder in die Höhe4).
Fassen wir den Gesammteffect der englischen Preispolitik
zusammen, so ergiebt sich etwa Folgendes:
Dem Grundbesitzer war die Gesetzgebung lange günstig,
und zwar sowohl rücksichtlich der Getreidepreise als auch
insbesondere in Bezug auf die den ländlichen Arbeitern zu
zahlenden Löhne, welche herabzudrücken König und Parlament
ununterbrochen bestrebt waren. Für Wolle und Häute konnten
die Producenten zwar nicht die besten, aber doch immer noch
einen guten Preis erhalten. Das Vieh war nur ganz ausnahms-
weise Taxen unterworfen. Unter den Tudors, besondere unter
Heinrich VIH. wurde diese Richtung vielfach modificirt, durch
Ausdehnung des Licenzenwesens erschwerte man die Ausfuhr
von Getreide, Häuten, Fleischthieren und Lebensmitteln, ver-
suchte den Verkauf von Schlachtvieh im Inland nach ziemlich
willkürlich normirten Fleischpreisen zu erzwingen, verbot die
Tödtung von Jungvieh eine Zeit lang ganz und legte auch dem
Wollverkauf und der Wollproduction manche Schranke auf.
Diesem Druck, der auf der landwirtschaftlichen Production
lastete, waren die kleineren Landwirthe nicht gewachsen, die
Grundherrn aber entschädigten sich durch die Einhegungen,
Annexion der Gemeinweide, verbesserte Production, geschicktere
Leitung des Angebots und beharrliche Umgehung der gegen
sie gerichteten Gesetze.
Die Gewerbsleute hatten im Ganzen während des Mittel-
alters guten Verdienst. Zwar unterlagen sie bei Arbeiten nach
3) Röscher, Grandlagen der Nationalökonomie § 175 Note 1.
a) Gneist. Das englische Verwaltungsrecht 2. Aufl. 1867 I. S.466, 467.
*) Richtig beurtheilen die Gesetze Arnos, Observation on the Sta-
tutes of the reformation Parliament in the reign of King Henry VIII. 1859.
S. 95; Brewer, Cal. II. S. CCLH; Furnivall, BaUads from Ms. I. S. 42.
4) Helfer ich. Von den periodischen Schwankungen der Edelmetalle
S. 91, 101; etwas abweichend Wade, History of the middle and working
classes 3. Ed. 1835. S. 589.
— 668 —
Taglohn den Lohngesetzen, konnten jedoch durch ihre wohl
organisirten Verbindungen, durch Stückarbeit und Production
für die Märkte und Messen den Bestimmungen des Gesetzes
ausweichen. Zur Zeit der Tudors kamen aber auch die Hand-
werker vielfach in Bedrängniss, theils durch die Decentrali-
sation der Industrie, theils durch die Concurrenz der im Lande
oft nur vorübergehend angesiedelten Fremden, theils durch
den wachsenden Import billiger Waaren vom Continent Die
Tücher, welche unter den englischen Gewerbserzeugnissen die
wichtigste Stelle einnahmen, hatten allerdings fortwährend
steigende Preise , der Hauptvortheil davon fiel aber wohl vor-
wiegend den grösseren Unternehmern und Verschleissern zu.
Die Händler und Kaufleute hatten, soweit nur der Binnen-
verkehr in Betracht kam, einen sehr schweren Stand. Jedes
Mittelglied, das sich zwischen die einheimischen Produceriten
und Consumenten einschob, war fortwährend durch die Gesetz-
gebung über Vor- und Aufkauf bedroht, und es unterliegt
keinem Zweifel, dass in Folge dieses Umstandes der innere
Handel sich nicht voll entwickeln konnte. Den Stadtbürgern
gelang es, gegenüber dem Handel der Landbewohner und
Fremden die Zwischenhand in ausgedehntem Masse sich zu
sichern, sie machten aber nicht immer den besten Gebrauch
davon. Sehr strenge waren die Lebensmittelverkäufer con-
trolirt, von grossen Gewinnen war bei ihnen sicher keine Rede.
Nicht viel besser erging es den Weinverschleissern und engli-
schen Weinimporteuren, denen die Gesetze die Gewinne durch
die verschiedensten Mittel möglichst bescheiden zuzumessen
suchten. Die Ausfuhr der Stapelartikel wurde lange begünstigt,
und den Staplern gewährte man solche Vortheile, dass sie sich
bereichem konnten, zur Zeit der Tudors mussten aber auch
sie im Interesse der Industrie auf die beste Preisgestaltung
verzichten. In um so vorzüglicherer Lage befanden sich die
Merchant adventurers, welche die englischen Industrieproducte,
besonders das Tuch, exportirten und die dafür eingetauschten
ausländischen Artikel England zuführten. Dieser Handel war
nach beiden Seiten ziemlich frei und lucrativ, selbst die ein-
geführten Waaren wurden nur selten der Taxe unterworfen.
Hier im auswärtigen Handel waren grosse Vermögen zu er-
werben, da konnte man sein Kapital gut verzinslich anlegen,
ohne durch Wuchergesetze oder Zinsmaxima beschränkt zu
sein, hier stiess man nicht auf Statuten, welche das Eindringen
des speculativen Elementes zu hemmen suchten, wie es bei
der Landwirtschaft der Fall war, auch hatte man nicht Krank-
heiten zu überwinden, an denen das städtische Handwerk litt
Die thatkräftigsten Elemente wandten sich deshalb dem Aussen-
handel zu, und der Andrang zur Gilde der Merchant adven-
turers war so gross, dass diese den Zugang zu erschweren
— 669 —
suchten 1). Die englische Freispolitik liefert somit einen letzten
Erklärungsgrund für die rasche Zunahme des auswärtigen
Handels und den wachsenden Antheil, den die Engländer an
demselben hatten.
Aus der Geschichte der Preisgesetze konnten wir ersehen,
dass sie häufig verletzt wurden, oft gegen die Natur des Ver-
kehrs verstiessen *) und in rauhester Weise eingriffen, aber
ganz einflusslos blieben sie in ihrer Gesammtheit nicht. Das
Emporsteigen gewisser Stände war zum Theil durch sie be-
dingt. Die Interessenfrage stand im Vordergrund. Die poli-
tisch mächtigen Classen suchten die Preisgesetzgebung für sich
so vortheilhaft als möglich zu gestalten. Erst daneben kamen
allgemeinere Gesichtspunkte in Betracht, wie die Rücksicht
auf die Landesverteidigung oder der Schutz der zahlreichen
Consumenten gegen ausbeutungslustige Zünftler, Kaufleute und
geschützte Industriellen. Der Preiskampf war zugleich ein
Ständekampf, wie er sich auch in den parallel gehenden Luxus-
gesetzen ausdrückt, ein Kampf der conservativen, die jeweiligen
Productions-, Preis- und Classenverhältnisse zu erhalten suchen-
den und der über dieselben hinausgreifenden, fortschrittlichen,
aufstrebenden Parteien, in gewissem Sinn ein Kampf der
Naturalwirtschaft mit der Geldwirthscbaft und ihren Con-
sequenzen. Dieser Kampf durchzog das ganze Mittelalter, in
manchen Momenten nahm er aber eine besonders heftige Ge-
stalt an , so zur Zeit der grossen Preisrevolutionen, wie sie in
England im 14. Jahrhundert und abermals zur Zeit der Tudors
sich vollzogen und eine Verschiebung der ökonomischen und
socialen Classen mit sich brachten. Bei der ersten Bewegung
waren die durch die Pest bewirkte Verminderung der Volks-
zahl, sowie ein erstes Aufblühen des internationalen Handels,
im andern Fall eine agrarische Umwälzung, das Vorhandensein
arbeitsloser Volksmassen, die Münzverschlechterung, das Auf-
kommen eines modernen capitalistischen Unternehmerthums
von entscheidender Bedeutung. Diese Factoren wirkten auch
noch nach Heinrich VIII. fort, wurden theilweise sogar durch
die allgemeine Geldentwertung, Colonialpolitik und die grosse
Ausdehnung des Handels verstärkt, weshalb denn auch unter
Eduard VI. / und Elisabeth mit erneuter Energie das alte
System festzuhalten gesucht wurde a).
Man kann sagen, dass das Zeitalter Heinrichs VII. und
VIII., sowie der Tudors überhaupt in der Preispolitik noch
*) Sieh oben S. 842; ein weiteres Beispiel ist die von den Merchant
adventurers zu Newcastle upon Tyne 1553 beschlossene Erhöhung der Lehr-
zeit auf 10 Jahre und ihr verbot, Lehrlinge unter 16 Jahre anzunehmen.
*) Ausser den früher erwähnten Beispielen vgl. auch noch 2 Hen. VI.
c. 16.
s) Sieh 2—3 Ed. VI. c. 15; 3—4 Ed. VI. c. 21: 5-6 Ed. VI. c 14,
15; 7 Ed. VI. c. 7; 5 El. c 5; 12 El. c. 12; 13 El. c. 25; 81 El. c. 5.
— 670 —
ganz auf dem Boden des Mittelalters steht und in den An-
schauungen desselben befangen ist. Ihre Politik zeigt zwar
manche Besonderheiten, neue Schwierigkeiten, aber keinen
reellen Fortschritt in der Auffassung. Nach Elisabeth hatte
die Preisrevolution in der Hauptsache sich zollzogen, ein ge-
wisses Gleichgewicht zwischen den um das höchste Einkommen
ringenden Classen war eingetreten. Von da an Hess der Eifer
der Gesetzgebung langsam nach, bis im Anfang dieses Jahr-
hunderts die bezüglichen Gesetze vollständig aus dem Statuten-
buch verschwinden. Der auswärtige Handel hatte fort und
fort neuen Gährstoff in die alten Verhältnisse geworfen und
die Preis-, Vor- und Aufkaufsgesetze, die bei stabiler Wirt-
schaft erträglich gewesen wären, immer wieder unterwühlt
gleichzeitig war der innere Verkehr ein so complicirter ge-
worden, dass man auf die bisherigen Beschränkungen verzichten
musste.
Schlussbetrachtung.
Langsam, aber stetig und sicher sehen wir den englischen
Handel und die englische Wirthschaft seit den Tagen Wilhelms
des Eroberers fortschreiten. Das Mittelalter war für England
keine Zeit des Stillstandes. Die öconomischen Verhältnisse
zeigen einen noch unbeholfenen Character, aber das Sichempor-
ringen, das Erstarken, das Streben, den überlegenen Nationen
gleichzukommen, die Wahrnehmung des englischen Interesses
ist auf allen Gebieten ersichtlich.
Nicht den geringsten Einfluss hatte an diesem allmähligen
Wachsthum die Ausbildung der englischen Staatsverfassung.
Die starke Königsgewalt und doch wieder die frühe Beschrän-
kung ihrer Willkür, die glückliche und zweckmässige Schaffung
staatlicher Polizei- und Gerichtsorgane, die damit zusammen-
hängende effective Durchführung der Friedensbewahrung mussten
der industriellen und commerciellen Entwicklung in hohem
Masse forderlich sein. Die volle Bedeutung dieser Reichsherr-
schaft für Englands Handel vermag der zu ermessen, der die
deutsche Entwicklung im Geiste gegenüberstellt. Lange in
Cultur England tiberlegen, nahm doch in Folge der staat-
lichen Zersplitterung die öconomische Entwicklung Deutsch-
lands eine rückläufige Bewegung und war dessen Kraft ge-
schwächt in dem Moment, wo die Golonialpolitik begann und
eine concentrirte Macht erforderte. Die Staatsgewalt, welche
in den deutschen Territorialstaaten erst zur Zeit des aufge-
klärten Absolutismus wieder hergestellt wurde, war in England
während des ganzen Mittelalters vorhanden, und die wirth-
schaftliche Einheit, wie sie in den deutschen Landestheilen im
16. bis 18. Jahrhundert, für Gesammtdeutschland erst in diesem
Jahrhundert eintrat, war in England etwas Selbstverständ-
liches seit Wilhelm dem Eroberer. Man begreift leicht, wie
schon den Engländern des Mittelalters die vielen deutschen
Binnenzölle unverständlich waren und ein Th. Wiccius im 14.
Jahrhundert dieselben eine „miram Germanorum insaniam"
— 672 —
nennen konnte. Und doch welche Bedeutung liegt in dieser
einen Thatsache!
Schwer hatte gleichwohl das englische Reich zu kämpfen.
Capitalarmuth , dünne wiederholt decimirte Bevölkerung, ge-
ringe gewerbliche Geschicklichkeit waren lange die Signatur.
Engherzige Interessen im Innern, eingewurzelte Zustände und
Gewohnheiten, Vorurtheile aller Art standen dem Fortschritt
entgegen. Jede Neuerung musste erst das Schwergewicht der
mittelalterlichen Wirthschaft überwinden. Trotzdem war kein
Stillstand möglich, ununterbrochen warf der auswärtige Handel
neue Fermente in die zum Stillstand neigende Volkswirtschaft,
aus jeder Gährung ging England vollkommener hervor , stieg
es um eine Stufe höher auf seiner Bahn. Der einflussreichste
Factor, der im Zusammenhang mit dem äussern Handel in
England wirksam wurde, war das Auftreten der Fremden.
Man konnte ihrer Beihilfe nicht entbehren, und lange beherr-
schen sie den englischen Verkehr, aber es gelingt schliesslich,
ihre Herrschaft zu brechen und auf eigene Füsse sich zu stellen.
Hochbedeutsam war der Antheil, welchen die beiden ersten
Tudors an dieser mehrhundertjährigen Arbeit nahmen. Mit
ihnen war eine Zeit angebrochen, in der das öconomische und
geistige Leben rascher pulsirten und auf allen Gebieten die
überkommenen Anschauungen und Zustände zerbröckelten.
Neue Welttheile tauchten vor den Augen der eretaunten Zeit-
genossen auf, die seit Jahrtausenden Ar wahr gehaltene Welt-
ordnung wurde von Gopernicus für unrichtig befunden, die
religiösen Vorstellungen einer Reform und Aenderung unter-
zogen. Auf staatlichem Gebiete zeigten sich allerwärts neue
Bestiebungen, welche eine neue Politik bedingten, auf wissen-
schaftlichem eine freiere Forschung, welche den Fesseln der
Scholastik sich entwand und den Humanismus mit seinen Blüthen
erzeugte, auf commerciellem neue Wege und neue Quellen,
welche ungeahnte Frische und ungekannten Reichthum brachten.
Ein Zug ging durch die Welt, der zersetzte, was er berührte,
und zu neuen Bildungen drängte.
Mitten in diese Bewegung war das Herrschergeschlecht
der Tudors gestellt. Aber schon ihr Erscheinen selbst bedeutete
einen Wendepunct zwischen Vergangenheit und Zukunft An
die Stelle einer Dynastie von Kriegern war eine solche von
Staatsmännern getreten. Mit sicherer Hand befreiten sie das
Reich von dem Einfluss des Auslandes, dem England so oft
als Spielball gedient, und gaben ihm eine achtunggebietende
Stellung in Europa. Die volle politische Unabhängigkeit Eng-
lands war die grosse Aufgabe, welche Heinrich VII. verfolgte,
die kirchliche das Ziel, welches sich Heinrich VIII. gesteckt.
Der ganze Character des Staates änderte sich. Adel wie Geist-
lichkeit verloren Leben und Einfluss, die Mittelclassen kamen
empor, die stolze normannische Mobilität wurde durch eine
— 673 —
Geld- und Beamtenaristokratie ersetzt. Mehr noch als bisher
erhielt das Staatswesen einen bürgerlichen Gharacter. Stärkere
Ceutralisation, grössere Rechtssicherheit, eine Alles beherr-
schende und durchdringende Königsgewalt waren seine Eigen-
thümlichkeiten.
Unmittelbar wurde die Handels- und Wirthschaftspolitik
von diesen tiefgreifenden Aenderungen erfasst Neben den
rechtlichen und religiösen Vorstellungen, von denen die wirt-
schaftliche Ordnung während des Mittelalters getragen und in
deren Licht sie besehen wurde, tauchten neue Gesichtspuncte
auf. Mit dem verstärkten Hervortreten des Nationalbewusst-
seins fühlte man, dass zwischen einheimischer und fremder
Wirthschaft ein starker Gegensatz bestehe , dass auf commer-
ciellem und gewerblichem Gebiete die einheimischen Kräfte
mehr zu entwickeln, dass wie in der staatlichen Politik so auch
hier eine grössere Selbständigkeit und Unabhängigkeit anzu-
streben seien. Eine noth wendige Folge dieser Grund-
tendenz war, dass man die Handelspolitik nicht mehr aus-
schliesslich vom finanziellen Standpuncte aus leiten durfte und
konnte, sondern auch allgemeineren Maximen Rechnung tragen
musste.
Diese neue Richtung wurde durch manche Vorgänge un-
terstützt, ja zu einer gebieterischen Notwendigkeit. Nament-
lich waren die Agrarumwälzung und die nebenhergehende
Deplacirung der Industrie mit der daraus hervorgehenden Brod-
und Beschäftigungslosigkeit eines grossen Theils der Bevölkerung
Factoren, welche mit unmittelbarer Gewalt sich geltend mach-
ten. Eine schwere sociale Crisis wuchs heraus. Unter Hein-
rich VH. beginnend verschärfte sie sich noch unter Heinrich
VIII. durch die Klosteraufhebung, durch häufige Kriege, durch
Missernten, durch die Preissteigerung und die hohen Steuern,
welche wiederholt gleich den zehnten Theil des Vermögens
und nicht unbeträchtliche Quoten vom Einkommen absorbirten.
Der Gegensatz zwischen Reich und Arm trat stärker denn je
hervor, ein neuer Stand, ein vorzugsweise auf das Capital sich
stützendes Unternehmerthum mit seinen grossen Vorzügen, aber
auch mit seinten Schattenseiten erschien auf der Bildfläche, die
Moral und das Rechtsgefühl, durch die voraufgegangenen dy-
nastischen Streitigkeiten ohnehin schwer erschüttert, begannen
in weiten Kreisen zu schwinden.
Das unvermittelte Eindringen so vieler neuer Ideen und
Verhältnisse hatte einen im Ganzen schwankenden Zustand
geschaffen. Mit Besorgniss sahen die denkenden Männer der
Nation dieser von starkem Egoismus und einem rücksichts-
losen Erwerbsinn begleiteten Bewegung zu und suchten nach
Mitteln, mit denen man den krankenden Staatskörper heilen
und die Zersetzung der alten öconomischen Glassen lindern
könne. Die Einen wie Th. More construirten sich einen Ideal-
Seh ans, Engl. Handelspolitik. I. 43
— 674 —
Staat, der frei von den Gebrechen der Zeit und durch sein an
Tugenden reiches Beispiel zur Umkehr spornen könnte, Andere,
wie Starkey, Vaughan, Armstrong knüpften an die historisch
gewordenen Institutionen an und bemühten sich, durch Vor-
schläge verschiedenster Art Pfade zu weisen, die aus dem
Elend herausführten. Wurde von diesen Reformern mit Recht
erkannt, dass eine durchgreifende Besserung nur von der
Läuterung der moralischen Zustände zu erwarten sei — eine
Anschauung, in der sie sich mit den Predigern der Zeit be-
rührten — , so hielten sie doch für unumgänglich nothwendig,
dass auch auf materiellem Gebiete eingegriffen werde. Ganz
allgemein kehrt hier der Gedanke wieder, dass durch
Hebung der einheimischen gewerblichen Arbeit und eine we-
niger auf fremden Luxus gerichtete (Konsumtion die vorhandene
Noth beseitigt werden könnte. Man forderte in der Hauptsache
schon damals eine mercantilistische Praxis, wie sie etwas
später (1581) W. Stafford schärfer formulirte.
Die Regierung der beiden ersten Tudors ist von diesem
Gedankengange beherrscht, er gab den Ausschlag für die Rich-
tung ihrer Handelspolitik. Die gesammte Leitung der aus-
wärtigen commerciellen Beziehungen hatte unverrückt das
Ziel im Auge, den englischen Artikeln und Manufacten den
Eingang in andere Länder frei zu halten, neue Verkehrs-
gebiete ihnen zu öffnen, überhaupt den englischen XTnterthanen
möglichst günstige Bedingungen zu sichern. Diese Bestrebungen
waren, wie unsere Darstellung zeigte, nicht ganz neu. Sie
heben sich mit immer grösserer Deutlichkeit schon im 15. Jahr-
hundert ab. Man brauchte also an das Vorhandene nur an-
zuknüpfen, aber gradweise Hess sich diese Unterstützung der
aufkeimenden Energie des englischen Volkes noch unendlich
verstärken. Wie sehr nun zur Zeit der Tudors die Rücksicht
auf eine ausgedehnte Ausfuhr der englischen Gewerbsproducte
überwiegend war, geht unter Anderm daraus hervor, dass so-
gar die unverkennbare Absicht, den Handel aus den Händen
Fremder mehr in die der Einheimischen zu lenken, zeitweilig
sich unterordnen musste. Die Merchant adventurers wurden
zWar nach Kräften gefördert, aber sie sahen sich nicht nur in
ihrem Wunsche gehindert, den Handel zu monopolisiren , son-
dern auch die grossen Privilegien der Hansen blieben, obwohl
schon ernstlich bedroht, doch noch immer aufrecht erhalten.
Auch scheute sich Heinrich VHI. nicht, als in Folge seiner
Kriege und der inneren Zerrüttung der Handel abzunehmen
drohte, die Fremden mit den Einheimischen im Zolle gleich-
zustellen, um durch eine Steigerung der Ausfuhr die industriellen
Kräfte des Landes von Neuem zu spornen. Es entsprach dem-
selben Systeme, wenn man die schon von den Vorfahren ge-
machten Versuche, die Einfuhr ausländischer Manufacte und
die Ausfuhr der einheimischen Rohproducte zu hemmen, aller-
— 675 —
dings nicht ganz consequent, fortsetzte, wenn man die be-
stehenden Industrien schützte und förderte, neue ins Land zu
ziehen suchte und namentlich die zahlreichen in England zu
vorübergehender Bereicherung sich aufhaltenden fremden Ge-
werbetreibenden zwang, ihre grössere Geschicklichkeit zur Er-
ziehung der Engländer zu verwerthen und in den englischen
Staatsverband zu treten. Auch die Ordnung des Credits wurde
von einem neuen Gesichtspunct aus unternommen. Heinrich VII.
freilich hielt noch an der alten Wucherpolitik fest, aber das
Motiv ist nicht mehr ein den rein mittelalterlichen Vorstellungen
entstammendes; durch Verbot des Zinsennehmens hoffte er
nämlich zu erreichen, dass die ersparten Gapitalien der In-
dustrie zuflössen. Die Regierung Heinrichs VIII. überzeugte
sich jedoch , dass gerade im Interesse des Gewerbes und in
Anbetracht der veränderten wirthschaftlichen Verhältnisse eine
Creditvergütung erlaubt werden müsse. Man brach mit einer
Jahrhunderte langen Tradition, während die aus der Vorzeit
zur Sicherung des Creditobjects überkommenen Einrichtungen,
und Bestimmungen beibehalten und nur den Bedürfnissen des
Verkehrs entsprechend weiter ausgebaut wurden. Auch in der
Frage des Geldexports und der Wechselfreiheit kam man den
Forderungen der Kaufleute wenigstens practisch nach. Eine
zwar keineswegs neue, aber doch wesentlich verstärkte und
ausgebreitete Fürsorge für die Güte der Waaren, umfassende
Massregeln zur Verbesserung der Verkehrswege , namentlich
der Flüsse und Häfen, Hebung der Privatmarine durch Wieder-
belebung und Weiterbildung der von den Vorfahren inaugu-
rirten, aber nicht stetig verfolgten Navigationspolitik, die
gleichzeitige Schaffung einer beträchtlichen Staatsflotte und
Organisation der Schiffsmannschaft, einige neue und passende
Schritte zur Erreichung der seit alter Zeit angestrebten Ein-
heit von Mass und Gewicht waren endlich gleichfalls Mittel,
welche mehr oder weniger zu dem gesteckten allgemeinen
Ziele trafen.
Die Wirkung war eine langsame und von Gegenwirkungen
begleitet Die Staatspolitik war keineswegs immer auf eine
Schonung der productiven Kräfte gerichtet, viele Opfer legte
sie ihnen auf, darunter manche in einer Form, welche nur
verderblich wirkte. Man erinnere sich derMttnzverschlechterung,
welche wegen der mit ihr verbundenen Aenderung in der Ver-
mögensvertheilung die innere Consumtion schwächte und schliess-
lich auch auf Handel und Gewerbe einen lähmenden Einfluss
übte. Am schwersten wurden die untersten Massen betroffen,
welche ohnehin seit der Pest im 14. Jahrhundert durch Lohn-
gesetze sich bedrückt und niedergehalten sahen. Allgemein
war darum die Unzufriedenheit, und als auch die kirchliche
Politik grosse Gährungen erzeugte, kamen Momente, in denen
es schien, als ob die Zügel der gewaltigen Hand Heinrichs VIII.
43*
- 676 —
entfallen würden. Der König bezähmte die widerspenstigen
Elemente. Mit jener Mischung von Gewaltsamkeit und Für-
sorge, wie sie seine Regierung characterisirt, benützte er haupt-
sächlich die Preisregulirung, um sich populär zu machen.
Dass dieses Mittel die tiefliegenden Schäden keineswegs heilte,
zeigt der grosse Aufstand bald nach des Königs Tod.
Die Handelspolitik Heinrichs VII. und VIII. bildet ein
Ganzes. Persönlich überragte in wirtschaftlichen Fragen der
Vater an Tiefe, Vorsicht und Weitblick den Sohn. Bacon sagt
mit Recht von ihm, er sei nach Eduard I. der beste Gesetz-
geber für sein Volk gewesen. Die Neuordnung der äussern
und eines grossen Theils der innern commerciellen Verhält-
nisse war das Werk Heinrichs VIL Wie sehr sein Streben
vom Eifolg begünstigt war, zeigt die Handelsbewegung in den
letzten 15 Jahren seiner Regierung. Heinrich VIII. konnte
nur auf der vorgezeichneten Bahn fortschreiten. So sehr bei
Wolsey die allgemeine Politik und das Streben, England zur
Grossmacht zu erheben, die wirthschaftlichen Fragen in den
Hintergrund drängte, er besass Scharfsinn genug, um die
äussere Handelspolitik Heinrichs VII. zu verstehen, und hin-
länglich diplomatisches Geschick, um ganz in ihrem Geiste zu
wirken. Noch mehr Aufmerksamkeit wurde der Wirthschafts-
politik, namentlich auch der innern zugewendet, als die Staats-
leitung aus geistlicher in weltliche Hand überging. Solange
Thom. Gromwell an der Spitze stand, war eine originale Kraft
gepaart mit Kühnheit und Sicherheit unverkennbar. Man ver-
misst sie, seit Heinrich VHI. dieses erfahrenen Rathgebers
entbehrt.
Trotz mancher Fehlgriffe und Schwankungen nehmen so-
mit die beiden ersten Tudors einen hervorragenden Platz in
der Geschichte der englischen Wirtschafte- und Handelspolitik
ein. Es wird immer das Verdienst ihrer Regierung bleiben,
schärfer, als es vor ihnen geschah, den nationalen Gesichtspunkt
betont und den Zusammenhang der verschiedenen productiven
Kräfte zwar nicht völlig erkannt, aber doch schon theilweise
geahnt zu haben. Heinrich VII. und VIII. bringen die mittel-
alterlichen Verhältnisse zu einem gewissen Abschluss, sie leiten
in eine neue Zeit über, bereiten eine neue commercielle
Aera vor. Unter ihnen war England eine wirtschaftliche und
politische Macht geworden, an deren Herstellung zwar das
ganze Mittelalter gearbeitet, zu deren Concentrirung aber die
Tudors das Meiste beitrugen. Diese öconomische Sammlung war
die Voraussetzung für Englands spätere Grösse. Ohne eine
solche Kräftigung wäre es England unter Elisabeth nicht mög-
lich gewesen, Spanien zu trotzen, an dem Colonienerwerb sich
zu betheiligen und die reichsten und mächtigsten Nationen zu
überflügeln.
/
Anhang.
1) Excurs zu S. 320 über die angebliche Entdeckungsfahrt
Sebastian Cabots im Jahre 1517.
xLs wird allgemein angenommen, dass Seb. Cabot 1517 im Auftrag der
englischen Regierung eine Expedition unternahm und dabei die nordwest-
liche Durchfahrt vollständig ausgeführt hätte, wenn er nicht durch die
Verzagtheit des Thomas Perte zur Rückkehr gezwungen worden wäre. Wie
aus der S. 319, 320 gegebenen Darstellung hervorgeht, neige ich der An-
sicht zu, dass Seb. Cabot im Jahre 1517 die Reise nach Amerika gar nicht
angetreten hat. Zur Begründung führe ich Folgendes an:
Die einzige Quelle für das Datum dieser Expedition ist Richard
Edens Vorrede zur Ausgabe des Sebastian Münster, die noch zu Lebzeiten
Cabots erschien (1553) *). Die Zuverlässigkeit dieses Zeugnisses kann be-
mängelt werden. Nicht nur ist Richard Eden überhaupt als ein leicht-
fertiger und ungenauer Schriftsteller bekannt*), sondern es widersprechen
seiner Erzählung auch andere Berichte, wozu noch innere Wahrscheinlich-
keitsgründe kommen. So wird die fragliche Reise ausdrücklich in die Re-
gierungszeit Heinrichs VII. gesetzt von Ramusio, der ebenfalls ein Zeit-
genosse Seb. Cabots war und seine Angabe sogar auf Grund eines von
Cabot an ihn geschriebenen Briefes macht 8). Wie Ramusio, verfuhren noch
*) Peschel, Geschichte de« Zeitalters der Entdeckungen. 8. 279 Note 4. Die
betreffende Aufgabe de« Seb. Münster war mir nicht zugänglich.
*) Sieh Hellwald. Sebastian Cabot. Sammlang gemeinverständlicher wissen-
schaftlicher Vorträge hsg. Ton Yirchow nnd Holtzendorff. Heft 124. S. 5. 8. 40 Note 53,
S. 41 Note 56.
*) „Neil' ultima parte dl qaesto rolame sono State poste alenne relationi dl messer
Giovanni da Verazsano Florentino e dl an capltano Francese con le due navigatlonl
del capltano Laoqaes Gartier, II quäle narlgb alla terra posta fotto la tramontano gradl
60 detta la Nnova Francla: delle qaall fin'hora non slamo chlarl, s'ella sla congionta
con la terra ferma della provlnela della Florida e della Nnova Spagna o vero s'ella
sia divisa tutta In fsole , e se per qaella parte sl possa an dar e alla provlnela del Cataio,
eome ml fa serltto, gia moltl annl sono» dsl Slgnor Sebastian Gabotto nostro Vlnltlano,
haomo dl grande esperienaa e raro nell' arte del navtgare e nellasclensa dl cosmografla:
ü quäle havea navlcato dl sopra dl questa terra della Nnova Francla a spese del re
Henrico VII. d'Ingfallterra e ml dlceva, come essendo egll andato lnngamente alla volta
dl ponente e qoarta dl maestro dietro queste isole poste lungo la detta terra flno a
gradl sessantasette e mezzo sotto 11 nostro polo a* II Glagno e trovsndosl 11 mare
aperto e senza inipedlniento aleuno, pensava fermamente per qaella via dl poter passare
alla volta del Cataio Orientale e Thavrebbe fatto, se la mallgnita de patrone e dl marlnarl
•ollevati non l'haveseero fatto tornare a dietro. Ma Iddlo forse riserba !o scroprir di
qaesto viagglo al Cataio, ll qaal per condar Je spetie sarebbe pin facile e plu
breve dl tatti gll altrt fin ad hora trovatl , a qaalche gran principe , eome fa ancho
U diseoprlr l'altra parte della terra verso 1'A.ntartleo. 11 che fino al presente non vi
e alcano, che abbia rolato o tentato di fare, e .veramente sarebbe la maggiore e
— 678 -
eine ganze Reihe alter Geographen x). Mubb schon diese Uebereinstimmung
vieler Autoren ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Edenschen Be-
hauptung wach rufen, so wird man darin besonders bestärkt durch den
Bericht des venetianischen Gesandten Gasparo Contarini vom 31. Dez. 1522
über eine mit Seb. Cabot zu Valladoiid gehabte geheime Unterredung. Der
an den Rath der Zehn adressirte Bericht wurde unmittelbar nach der Be-
sprechung niedergeschrieben und verdient deshalb, sowie wegen der an-
erkannten Tüchtigkeit venetianischer Gesandten in getreuer Berichterstattung
allen Glauben. Aus dem eigenen Munde Cabots erhalten wir hier gewisser-
massen unsere Ansicht bestätigt. Cabot sagte nämlich zu dem Gesandten
unter Anderm Folgendes:
„My Lord Ambassador, to teil you the whole truth, I was bom
at Venice, but was brought up in England and then entered the Service
of their Catholic Majesties of Spain and king Ferdinand, who made me
captain with a salary of 50000 maravedis. Subsequently bis present
Majesty gave me the office of Pilot Major with an additional salary of
50000 maravedis and 25 000 maravedis besides as a gratuitv, forraing
a total of 125 000 maravedis equal to about 300 ducats. Now it so
happened that, when in England some three years aso, if I mistake
not, Cardinal Wolsey offered me high terms, if I would saii with an
armada of his on a voyage of discovery. The vessels were almost
ready and they had together 30 000 ducats for their outfit. I answered
him, that being in the Service of the king of Spain, I could not go
without his leave, but if free permission were granted me from hence,
I would serve him. At that period, in the course of conversation one
day with a certain friar, a Venetian, named Sebastian Collona, with
whom 1 was on a very friendly footing, he said to me: „Master Se-
bastian, you take such great pains to benefit foreigners and forget your
native land, would it not be possible for Venice likewise to derive
some advantage from you?" At this time my heart smote me and
I told him. I would think about it So on returning to him the next
day, I saia, I had the means of rendering Venice a partner in this
navigation and of showing her a passage, whereby she would obtain
great profit, which is the truth; for I have discovered it In con-
sequence of this as bv serving the king of England I could no longer
benefit our country, I wrote to the Emperor not to rive me leave to
serve the king of England, as he would injure himself extremely and
thus to recall me forthwith. Being recalled accordingly and on my
return residing at Seville contracted a close friendship with this Ra-
gusan, who wrote the letter you delivered to me"2).
Cabot behauptet also hier, dass er von Wolsey zu einer Reise auf-
gefordert worden sei, aber die Aufforderung schliesslich abgelehnt habe.
Man kann es fast als zweifellos betrachten, dass der von Cabot erzählte
Vorgang ins Jahr 1517 fallt, die angebliche Fahrt von 1517 somit nicht
unternommen wurde.
Die Unterredung Cabots mit dem venetianischen Gesandten fand im
December 1522 statt, die Verhandlung mit Wolsey dagegen „some three
years ago". Das würde allerdings nicht auf 1517, sondern 1519 hinweisen.
Allein Cabot will die Möglichkeit eines Irrthums in seiner Angabe durch-
aus nicht ausgeschlossen haben, wie die Zusätze „somett und pti I mistake
not" deutlich documentiren. Ein Irrthum von zwei Jahren ist sehr ver-
plu gloriosa lmpreaa, che aloaoo imaginär tl poteese per fare il tno nome molto piu
eterno e immortale a tuttl 1 eeooll futurl, dl quello che non farano tantt travagll dl
guerre, che dl contlnovo »\ veggono f ra i mlseri chrUttanl". Ramnsio, NavIgaUonl e
Ylaggi. Vol. III. Tenetia 1566. Vorrede fo. 4.
*) »Ramnsio, wie so viele andere, «eist die Reite fälschlich In die Regierung«
seit Heinriche VII." PeechelB. 280. Zu den „vielen andern" gehört, wenn in meine
Notiaen sich kein Irrthum eingeschlichen hat. anoh der Englander Häkln yt, The prin-
cipe navigation«, voyage«, trafflque« and dUcoverle« of the Engllah nation. London
1599. III. S. 16.
2) Brown, Cal. IIL 607.
— 679 —
zeihlich, da es ja eine bekannte psychologische Thatsache ist, dass man
das Erlebte immer der Gegenwart zu nahe schiebt und oft ziemliche Geistes-
mühe aufwenden muss, um das richtige Datum einer an sich erlebten Sache
zu finden. Dass 15191) und ebenso 1518 das von Gabot gemeinte Jahr
nicht sein kann, geht schon daraus hervor, dass er am 5. Februar 1518,
also nach seiner Rückkehr von England zum Reichspiloten unter Ver-
doppelung seines bisherigen Gehaltes ernannt wurde. Es ist undenkbar,
dass er kurz nach einer solchen glänzenden Beförderung Spanien wieder
verliess und in England Dienste suchte. Diese findet sogar nun erst ihre
▼olle Aufklärung. Es ist bekannt, wie eifersüchtig die Regierungen damals
in Bezug auf Entdeckungen waren2). Cabot wusste dies, und mochte er
auch im Innern seines Herzens stille Pläne für Venedig hegen, so lag für
ihn doch kein Grund vor, weshalb er die ihm sich darbietende günstige
Gelegenheit nicht benützen sollte, um zunächst seine äussere Lage zu ver-
bessern. Er brauchte also der spanischen Regierung nur die günstige
Offerte Wolsevs mitzutheilen, um diese zu veranlassen, dass sie ihm im
Fall der Ablehnung der englischen Anträge und sofortiger Rückkehr eine
bessere Position versprach. Aber auch vor das Jahr 1517 darf man die
fragliche Fahrt kaum setzen. Man würde sich dadurch immer weiter von
Cabots Angabe entfernen. Ferner ist zu erwägen, dass Cabot 1516 noch
in Spanien war und im Frühling dieses Jahres mit einer Flotte auf neue
Entdeckungen auslaufen sollte. Der Tod Ferdinands (23. Jan. 1516) war
augenscheinlich die Ursache, dass die Vorbereitungen hiezu unterbrochen
wurden. Gabot hat nun gewiss erst einige Versuche gemacht, um unter der
neuen Regierung in Spanien seine Zwecke zu erreichen. Darüber vergingen
einige Monate, und es ist jedenfalls unwahrscheinlich, dass Wolsey noch
für das Frühjahr 1516 die Schiffe bereit stellte und am 22. April 1516
Cabot von England auslief. Mit mehr Grund darf man annehmen, dass
letzterer erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1516, nachdem er nämlich
die feste Ueberzeugung gewonnen, dass er bei der spanischen Regierung
nichts ausrichte, und vielleicht inzwischen von Wolsey aufgefordert nach
England sich begab.
Es bliebe nur noch eine Annahme, nämlich die, dass Seb. Cabot den
Gesandten aus Selbstsucht belogen. Cabot hatte von seiner Mutter und
einer sehr alten Tante in Venedig Vermögen zu erwarten, dessen Heraus-
gabe auf Schwierigkeiten stiess "). Es Hesse sich somit denken, Cabot habe
aus diesem Beweggrund nicht nur Venedig als seinen Geburtsort fingirt,
während er, wie viele glauben, in Bristol geboren worden sei4), sondern
auch diesen ganzen Vorgang erdichtet Die Namen und die gesaminten
Details der Erzählung sprechen gegen eine solche Annahme. Hätte er die
Expedition unternommen, so musste er fürchten, sofort Lügen gestraft zu
werden. Zudem befand er sich damals in guten Verhältnissen, und obwohl
er das Geld seiner Verwandten zu Expeditionen oder anderen Zwecken
wünschen mochte, so lag doch kein dringender Grund vor, ein derartiges
Lügengewebe zu ersinnen und wahrhaft edle Herzensgüte so zu miss-
brauchen. %
*) Die Annahme, dass 1519 Cabot nenerdings In England gewesen sei und der ganze
Vorgang auf 1519 sich beziehe, wird ron Hellwald 8. 22 gemacht, der hierin dem mir
unzugänglich gebliebenen Schriftchen ron D'Avezac, Navigation» terre-nenviennea
de Cabot 1869 folgt.
*) Schon 1496 musste der spanische Gesandte de Pnebla gegen jede Unternehmung
Cabots beim König von England Vorstellungen machen. Ebenso wissen wir, dass
Karl V. Cabot wieder zurückrufen wollte, als dieser 1548 ron Neuem nach England sich
begeben hatte. Der Kaiser bat die Königin Maria, ihm Cabot zurückzuschicken, er
wolle „commnnlqaer aueuns affaires concernans la sheurte'' de la navigation de noz
royaulmes et pays avec le capitaine Cabote, eidevant pilote de nos royaulmes d'Espagne
et leqnel de nostre grö et oontentement s'est puis aueunes annies passe en Angleterre.
Compt. rend. Belg. 8er. 3. T. 8. 8. 198.
*) Brown, CaT. III. 670, 710. 711.
4) Nach ein*
j einer eben erst erschienenen mir aber nicht mehr zugänglich gewesenen
Schrift des Cavaliere Bullo wären John und Sebastian Cabotte Chioggioten gewesen.
— 680 —
Nach all dem Gesagten durfte es keinem Zweifel unterliegen, dass
Seb. Gabot die vielgenannte Expedition von 1517 nicht unternahm, sondern
nur eine Aufforderung zu einer solchen hatte. Die nordwestliche Passage,
die er erst 1517 entdeckt haben soll, war von ihm bereits gefunden, wie
er selbst sagt (I have discovered it), und zwar augenscheinlich in Ueber-
einstimmung mit dem Zeugnisse Ramusios und Anderer noch wahrend der
Regierung Heinrichs VII. Die Frage, in welches Jahr speciell die wichtige
Fahrt zu setzen ist, ob sie mit einer der früher erwähnten zusammenfallt,
oder ob sie als eine besondere gerechnet werden muss, sowie die weitere
Frage, ob nun nicht doch der Vater John Cabot der eigentliche Schöpfer
des grossartigen Gedankens war, muss einer andern Untersuchung vorbehalten
bleiben.
2) Nachträge zum neunten Capitel des zweiten Abschnittes.
S. 642 wurde auf die Getreidehandelspolitik in Nothjahren hingewiesen,
eine nähere Betrachtung derselben aber unterlassen, um den Zusammenhang
nicht zu zerreissen. Da der Gegenstand nicht unwichtig ist, so mögen einige
nachträgliche Bemerkungen aber denselben gestattet sein.
Als Nothjahre aus der Regierungszeit Heinrichs VI1L werden in den
Quellen hauptsächlich genannt 1520—22; 1527—29; 1544—46. Hinsichtlich
der letzterwähnten Jahre (1544—46) wissen wir wenig mehr als dieThatsache1).
1520—22 trug die Missernte keinen sehr acuten Character, und die über diese
Zeit vollständig publicirten Actenstücke melden nichts weiter, als dass die
Regierung viele Unterhandlungen mit fremden Staaten behufs Versorgung mit
Getreide führte8), und dass die Stadt London anlässlich ihrer hiebei ge-
getroffenen Massregeln in einen über ein halbes Decennium andauernden
Streit mit ihren Bäckern gerieth8).
*) Wriothesley. Chrontele ed. Camden Society 8. 147 sagt 1544 : „Also thls yeare,
by renton that wbeate and otber gralne was very tkant In England and 11k« to be at
high prlces, the major and aldermen bad a prest of m. 1. of tbe common« of the eitle
of London, whlch was gut he red of tbe oraftes for wheate that came out of Danske and
Breinbreland, which Sir William Bowyer had provlded for In hla tyme after 13 s 4 d
or 14 s per quarter for payment, whereof tbe Cbamberlalne of London made bondes to
every crafte to be repaid agalne at Michaelmas next com Inge4-. 8. 156. —1645: nThis
yeare was great dearth of corne and vitualles , wherefore Provision was made out of
Danske and Bremberland, whlch sayd oorne came to London thla month (of Jnne) to
the nombre of 4000 quarter», wherefore certalne sotnes of mooy was leavyd of Ute <
panles of the cltye of London, whlch the Cbamberlalne of London was bound to repaye
agalne at AU Haflow tyde next coinminge". 8. 168. — 1546: „This yeare all manner of
vlctoalls was dere and at high prlces. and wheate was solde at 87 s and £8 s the quarter,
wherefore my Lord Major fenring great penurie made Provision of oorne from beyond
seas, whlch corne oame to London In Jane. And also the kinge cbarged the ciitte to
take twentie thonsand quarters of wheate and rye, whlch be had provided for bis warres
beyonde the seas; wherfore my lord mayor was feine to levle great sommes of mooty
of the Company of the said clttie for the payment of the same, and also to restraine
meale and corne from the said clttie, tili they had uttred it, and sett all the mills seven
mlles oompasse about London to grlnde the same". Sieh tauch 8. 175, 185 und State
Paper s I. 8. 831, 835; XI. 8. 14, 75, 77.
2) So mit Frankre«oh and den Niederlanden. Brown, Cal. III. 134, 142; Bre-
wer, Cal. III. 1057, 1092, 1104, 1133, 1145. 1194, 1248.
*) Die Londoner Stadtbehörde hatte, wie gewöhnlieh In solchen Fällen, aof An-
suchen der Backer rechtzeitig Leute In verschiedene Gegenden geschickt, um Getreide
kaufen zu lassen. Diese waren ausserordentlich thätlg, so dass In den Kirchspielen , in
die sie kamen , der Preis von 6 s und 6 s 8 d anf 7 s und 8 s stieg. Man hatte aber
die Noth überschaut, und das Getreide fl« 1 rasch wieder im Preis. Die 8:adt hatte jetxt
den grossen Vorrath daliegen, und um nicht mit Schaden verkaufen su müssen, verbot
sie anderweitigen Kauf. Die Preisdifferenz oder, wie die Bäcker sich ausdrückten, der
Gewinn der Stadtbehörde, belief sich auf 1738 £ 6 s 8 d. Die Bäcker weigerten steh,
von der 8tadt das Getreide zum fixlrten Preis anzunehmen ; worauf dieselben aas dem
8tadtrath ausgeschlossen und ins Gefängnis« geworfen wurden. Die Vermögenden stellten
das Backen ein, weshalb der Magistrat Regiebäckereien errichtete. Die Bäcker zeigten
sich nun nachgiebiger, Anginen aber bald darauf, das aus dem Mehl das städtieoban
Getreides gebackene Brod sei mtlfflg, bis YYolsey die Unwahrheit dieser Behauptung
— 681 —
Ein Nothjahr in der vollsten Bedeutung des Wortes war das Ernte-
jahr 1527/28, und da uns über die damals befolgte Politik und die sie be-
gleitenden Umstände die amtlichen Materialien, soweit sie erhalten, alle vor-
liegen, so mag dieser Fall als ein typisches Beispiel etwas ausführlicher
behandelt werden.
Die Ursache der völligen Missernte war ein sehr lange andauernder
Regen im Monat Mai1). Obwohl die Preise schwacher als sonst stiegen*),
da durch die vorangegangenen Steuererhebungen das Volk ganz erschöpft
war, so war doch das Elend weit grösser als seit langem. Schon im An-
fang November bestand die Hälfte des genossenen Mehles aus Bohnenmehl 8),
und es war um die gleiche Zeit keine seltene Erscheinung, dass Yolks-
haufen zwei Meilen weit von der Stadt sich wegbegaben , um diejenigen zu
plündern, welche Brod zu Markte bringen wollten. Der Erbrach der Läden
war ganz gewöhnlich. Der französische Gesandte musste Leute ausschicken,
um den eigenen Brodbedarf beim Bäcker gegen Angriffe zu schützen4).
Leute starben täglich vor Hunger. London wurde vor der äussersten Ca-
lamität nur dadurch gerettet, dass der König in einem der bedenklichsten
Momente im Stande war, 600 Quarter aus seiner Vorratskammer abzugeben6).
Der Zustand wurde verschärft dnrch eine Menge Nebenerscheinungen. Der
Winter war strenger wie sonst, das Bevorstehen eines Krieges mit den
Niederlanden lähmte den Handel und erzeugte eine völlige Stockung in den
Gewerben, namentlich in der weit verbreiteten Tuchindustrie, die Unter-
drückung der kleinen Klöster durch Wolsey, sowie die Agrarbewegung hatte
die Unzufriedenheit schon lange genährt und Angesichts der historisch er-
härteten Thatsache, dass Theuerungen grosse politische Gefahren und Um-
wälzungen vorzubereiten und ins Kollen zu bringen pflegen8), muss man
sich wundern, dass Wolsey die Elemente damals zu zähmen und zu be-
herrschen im Stande war.
Was geschah nun von Seite der Regierung? Der nächste Schritt in
solchen Lagen war damals darauf gerichtet, von fremden Staaten eine Aus-
fuhrlicenz zu erwirken, um von Aussen eine Zufuhr von Getreide zu er-
halten. In Folge der politischen Situation war man vorzüglich auf Frank-
reich angewiesen. Der venetianische Gesandte erzählt, dass man die Ehren-
bezeugungen an den französischen Gesandten geradezu verschwende, damit
er in dieser Richtung bei seinem Herrn sich verwende7). Obwohl in der
Picardie, Bretagne und Normandie die Ernte auch nur spärlich ausgefallen war,
so erklärte sich Franzi, doch bereit, seinen Bundesgenossen zu unterstützen8).
Doch knüpften sich an die Unterhandlung im Laufe noch so viele Schwierig-
keiten9), dass es zweifelhaft erscheint, ob eine irgendwie bedeutende Lin-
derung durch französisches Getreide herbeigeführt wurde. Von den Nieder-
durob Untersuchung feststellte. Noch 1526 mussten die Bäcker angeblich muffigen
Weizen su 12 • abnehmen, wahrend ale guten an 7 und 8 a haben konnten. Die sich
Weigernden wurden nleht nur mit Schliessung ihres Ladens und 11- tagigem Gefängnis«
bestraft, sondern der Magistrat gestattete auch den Bäckern der benachbarten Dörfer,
mit Brod In die Hauptstadt su kommen und, wann sie wollten, und im Umbersiehen ihr
Brod zu Terkanfen. Die Londoner Bäcker bestürmten daraufhin abermals Wolsey, wir
wissen aber nicht, weleher Entscheid getroffen wurde. Brewer, Cal. III. 1528, 1629;
IV. 2748, 2750; Hall, Chroniele 8. 660; Rob Bicart, The Malre of Bristowe ed. L. T.
Smith B. 49.
') Brown, Cal. IV. 188; Hall, Chroniele 8. 786.
*) Der Weizen stand sur Zeit sehr grosser Moth 15 s per Quarter und hob sloh
erst langsam auf 20 und 26 s 8 d. Hall a. a. O. Zu Pontefraot kostete der Weizen
um 3. Nov. 24 s und hatte noch steigende Tendenz. Brewer, Cal. IV. 8562.
•) Brown, Cal. IV. 208, 210.
*) Du Bellay an Franz J. 26. Nov. 1527. Brewer, Cal. IV App. 128.
ö) Hall, Chroniele 8. 736.
•) W. Boscher, Ueber Konihandel und Theuerungspolitik 8. 65.
*) Brown, Cal. IV. 208.
•) Franz gesund Wolsey persönlich 200 Busbel Weizen, ausserdem noch 600—700
,me wyts" zollfrei zu. B r e w e r , CaL IV. 8542, 8548 ; B r o w n , Cal. IV. 205.
•) Die Schwierigkeiten lagen Jedoch in England. Wolsey sollte Faetoren naoh
Frankreich sohieken, welche das Getreide nach England schafften; W. wtlnsohtc nun
dass die nothleldenden Gegenden sich dieser Aufgabe unterzögen. Norfolk unterhandelte
mit den vermögenden Männern von Colcheater, Ipawleb, Hadleigh, Bergholt, Maayngtre,
— 682 -
landen war Nichts zu erwarten wegen der politischen Feindschaft, obwohl
daselbst, nach den Brüsseler Marktpreisen zu urtheUen1), die Ernte ein ver-
haltnissmasBig gutes Resultat gehabt hatte. Weiter im Süden hatte man selbst
Missernten. Den Bewohnern von Biscaya drohte der Hangertod2); die
Staaten des Mittelmeers waren gleichfalls auf den Import angewiesen, wie
die Beschlüsse des Senats von Venedig zeigen*). Selbst die Getreide-
importeure par excellence, die Osterlinge, konnten dieses Mal nur wenig
hilfreiche Hand bieten, da der sehr strenge Winter ihre Schiffahrt vielfach
hemmte.
Die Zufuhr von Aussen war also unbedeutend4). Die Regierung musste
vor Allem auf den Vorrath im Lande sich stützen und diesen so geschickt
als möglich zu vertheilen suchen. Rasch wurden für die einzelnen Graf-
schaften grosse Commißsionen von je 27—35 Personen gebildet, welche wieder
in mehre Subcommissionen zerfielen. Eine vierfache Aufgabe wurde ihnen
und den bereits bestehenden Organen zugetheilt Sie hatten eine Procla-
mation gegen den Auf- und Vorkauf zu publiciren und in den einzelnen
Districten zur strengen Durchführung zu bringen, damit nicht der Mangel
grösser erscheine, als er wirklich war6). Durch Verkündung und Durch-
führung einer anaern Proclamation hatten sie zu bewirken, dass alle, welche
mehr als ihren Bedarf hatten, den Ueberschuss auf den Markt brachten.
Sie sollten in jedem Flecken und Dorf die Speicher durchsuchen und den
Verkauf des Ueberfiüssigen zwangsweise betreiben, namentlich aber auch
selbst mit gutem Beispiel vorangehen, ihr eigenes Korn auf den Markt
führen und dem kgl. Rath den Nachweis darüber liefern. Sie mussten
ferner über den Stand der Vorrathe eine genaue Aufnahme machen und
das Resultat der statistischen Erhebung vorlegen. Endlich las ihnen die
Friedensbewahrung in der gefahrvollen Zeit ob; die bestehenden Gesetze
in Betreff der Bettler und Vagabunden , der ungesetzlichen Spiele, der
zwangsweisen Niederreissung von Wirtbshäusern und Schenken ausserhalb
der Stadt- und Ortsgrenzen sollten zur Vermeidung von Mord und Dieb-
stahl unnachsichtlich durchgeführt werden6).
Es gelang, auf diese Weise die öffentliche Ordnung aufrecht zu er-
halten und der Noth zu steuern1). Sobald die Regierung die statistischen
Angaben aus den verschiedenen Grafschaften in Händen hatte8), wurden
die Käufer, welche die Versendung in andere Plätze übernahmen, durch die
Commissäre schriftlich verpflichtet, das Getreide an bestimmte Plätze zu
bringen, ebenso wurde der Preis geregelt0). Es war nicht sowohl ein
Handel, als eine von der Regierung vorgenommene Vertheilung des Ge-
sammtvorrathes. Dass dabei viele Privatinteressen verletzt wurden, ist na-
Harwloh, Stratferd, Dedham, Boxford, Wayland and andern kleinem Flecken, 10 Meilen
im Umkreis von London; die relohen Leute waren aber nioht geneigt, auf WoUeya
Vorschlag einzugehen. 8ie für sieh, äusserten sie, könnten Korn kaufen, und die Armen
sollten es auch. Sie hätten kein Geld , um es blos für die Armen auszugeben. Das
Getreide koste 1 Mark per Quarter in Frankreich, und es werde da sich nur ein geringer
Yortheil für sie ergeben u. s. w. Brewer, CaL IT. 8625.
i) Vgl. den Marktzettel Ton Brüssel von 1580—44 bei Altmeyer, Hlstoire des
rel. comm. des Pays-Bas avec le Nord de l'Europe S. 499.
*) Brown, Cal. IV. 233.
8) Schon Im Sept. und Oct. setzte der Senat eine Prämie Ton 40 Soldi per Bushel
für diejenigen fest, welche Getreide von Flandern oder England, und SO s für diejenigen,
welohe solches von Spanien und sonstigen L&ndern Jenseits der Strasse ron Gibraltar
bis su einem gewissen Termine holen würden. Sehr weise gestattete man ein Drttttbeil
der Einfuhr wieder auszuführen, so dass die Speculation thellweise gedeckt war. Brown.
Cal. IV. 171, 186.
*) Dass einiges Getreide importlrt wurde, ersieht man aus Brown, Cal. IV. 245;
Brewer, Gal. TV. 4198.
*) In Folge des Aufkaufs „more soarcity of com is pretended to be wlthin this
our said realm than God be tbanked there is in very truth". Brewer, Cal. IV. 3567.
6) Brewer, Cal. IV. 3672, 3687, 4998. üeber die energische Ausführung rergl.
Brewer, Cal. IV. 3712, 3822.
7) Vgl. auch Brewer, Cal. IV. 8687..
*) Einige der Interessanten Berichte, welche auch über die Grösse des Verbrauchs
und die Mitgliederzahl der Haushaltungen orientlren, sieh bei Brewer, Ca!. IV. 3587,
3665, 3712. 8819.
9) Brewer, Cal. IV. 8883, 4012.
türlich1). Nichtsdestoweniger wird man die Politik der Regierung billigen
müssen. Dia bedrohliche Lage des Volkes, die allgemeine Furcht vor der
Zukunft, das Fehlen jeglicher Uebersicht über den Stand der ganzen Lan-
desernte von Seite des Publicums, die in Folge der geringen Zahl guter
YerkehrB8trassen und schwerfälligen Transportes sehr langsam vor sich
gehende Ausgleichung von Ueberfluss und Mangel durch den Handel machten
ein rücksichtsloses, energisches Eingreifen der Regierung zu einer wohl
unvermeidlichen Notwendigkeit1). Wenn man nun auch hier einen Aus-
nahmefall annehmen kann, so zeigt sich doch im Uebrigen, dass das Ver-
standniss für das Wesen des Getreidehandels in weiten Kreisen fehlte8).
W. Guildford verlangte 1528 geradezu, man solle die Aufkäufer von Getreide
zwingen, zu dem Einkaufspreise zu verkaufen. Der Einzige, der etwas
klarere. Anschauungen hatte, war Th. Audeley, der in einem Brief an
Cromwell 1535 vorschlug, der König möge zwar einen Preis festsetzen, aber
erst dann, wenn man über den wirklichen Vorrath orientirt sei, auch müsse
man demjenigen, der vom Bauer Getreide kaufe, um es wiederzuverkaufen,
einen Gewinn von 12—16 d gestatten4).
Ein anderer Punct, der noch zur Vervollständigung der Geschichte
der Preisbeeinflussung kurz zu berühren ist, betrifft die Porveyance. Diese
missbräuchliche Institution geht in ihren Anfangen bis auf die Zeit der
Angelflachsen zurück6). Man verstand darunter das Recht des Königs,
Lebensmittel zu dem niedrigsten Preise zu kaufen, die Eigenthümer zum
Verkauf zu zwingen und sie beliebig wann zu zahlen. Dem entsprach die
Prärogative des Prisage bei Wein und Waaren der Kaufleute6). Wie die
Sache gehandhabt wurde, konnte man kaum mehr von einem Kauf oder Ver-
kauf sprechen, es war vielmehr eine willkürliche Wegnahme.
Schon in der Magna Charta versuchte man die Prärogative der Krone
nach dieser Richtung hin zu beschränken und die Wegnahme zu einem
Kaufgeschäft zu machen, wenigstens insoweit die Schlossbeamten dies Recht
beansprucht hatten7). Eduard I. versprach, die Purveyors, welche das
erhaltene Geld den Verkäufern vorenthielten, bestrafen und zur Zahlung
zwingen zu wollen8). Im Jahre 1300 gestand er zu, dass eine Purveyance
nur für das kgl. Haus gemacht, die Waaren nicht ohne Uebereinkommen
mit dem Eigenthümer weggenommen , eine Wegnahme ohne besondern Be-
fehl sogar wie Felonie bestraft werden solle*). Die Ausführung blieb aber
so (sehr hinter dem Versprochenen zurück, dass sie 1310 zu einer Be-
dingung der Steuerbewilligung gemacht wurde10). Nichtsdestoweniger ver-
jüng fast kein Parlament, das nicht in immer heftigerer Weise über die
fortwährenden Missbräuche sich beklagte11).
Immer enger wurden durch das Gesetz die Grenzen gesteckt; als aber
sich kein Erfolg zeigte und Eduard III. fühlte, dass er zum nicht geringsten
Theil gerade dadurch die Zuneigung seiner Unterthanen verloren, da er-
i) Die Küstengegenden waren besondere Aber das Verbot Jeglicher Lebensmlttel-
ansfnhr angehalten. Wenn, tagten die Bewohner, Fische, Klee and Butter nioht
exportirt werden dürften, könnten sie ihre Renten nieht bezahlen. Brewer, Cal. IV.
3640, 8664, 3708, 3048.
*) Ueber die Tbeuernng von 1527—29 Tgl. aneh noch Brewer, Cal. IV. 3669, 8651,
3665, 8669, 4414, 4466, 4872; 8tate Papers I. 8. 308.
>) Sieh auch State Papers I. 8. 888; Th. Lerer, Sermona 1660. Arber's Re-
prints 8. 188.
$ State Papers I. S. 447.
6) Kemble, Die Sachsen II. 8. 49 fg.
«) Stnbbs, Constitution»! history of England II, 8. 636 fg.; L ib. Alb. S. 247;
Lib. Cast.S. 407, 408.
i) Art. 28. „Nnllas consUbalarias Tel alias balÜTns n oster oaplat blada Tel alia
catalla alloujns, nisi statim inde reddat denarios aut respectam Inde habere possit de
Tolnntate Tendltoris". VgL anch Art 29 und 30.
9) 3 Edw. I. stat. Westm. c. 32 (1276).
9) 28 Edw. L o. 2.
*9 Stnbbs a. a. O.
ii) Stat. Staanford 3 Edw. IL; Norae Ordin.6 Ed. II. c. 10; 4 Edw. IIL c. 3, 4 ;
6 Edw. ID. c. 2; 10 Edw. III. st, 2. c 1; 14 Edw. III. stat. 1. c. 19; 18 Edw. Ol. st. 2.
c. 7; 26 Edw. III. st. 6. c, 1; 28 Edw. III. c. 12; 84 Edw. III. c. 2 3 u. a.
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klärte er 1362 aus eigener Initiative, die Missstande beseitigen zu wollen. *)
Die Purveyances sollten nur für den Haushalt des Königs und der Königin
gegen Baargeld stattfinden dürfen, und zwar sollte der Marktpreis gezahlt
werden. Entsprechend dieser veränderten Grundlage wurde der verkante
Name Purveyor in Byer verwandelt. Konnten die kgl. Kaufer mit den
Verkäufern sich nicht einigen, so sollten die Behörden in Gemeinschaft
mit vier Mannern der Stadt die Waare schätzen und über Quantität und
Preis einen Vertrag aufnehmen. Ausserdem war noch eine Reihe von Be-
stimmungen beigeragt, welche alle zum Schutz der Verkäufer dienten.
Aber auch damit verschwand die Angelegenheit nicht vom Schauplatze2).
Unter Heinrich VI. Hess sich das Parlament die Zusicherung geben, dass
man offenen Widerstand leisten dürfe, wenn der Purvevor nicht wenigstens
die Beträge unter 40 Schillinge beim Empfang der Waaren baar erlege*);
ja die nächstliegenden Städte sollten dem armen Volk beistehen und die
Verfolgung und Klage selbst in die Hand nehmen können4). Trotz aller
Energie, welche das -Parlament entwickelte5), dieser Angelegenheit konnte
es nicht Herr werden. Durch Ausscheidung bestimmter Einnahmen und
Zuweisung derselben an den Schatzkanzler, damit er daraus die Ausgaben
des kgl. Haushaltes bestreite, wurde das Uebel auch nicht vollständig
abgestellt.«).
Die Tudors, eifersüchtig auf ihre* Prärogativen, waren nicht geneigt,
auf das Recht der Purvevance zu verzichten. Von Heinrich VIII. wissen
wir gewiss, dass er dasselbe beanspruchte7) und in der zweiten Hälfte seiner
Regierung auch starken Gebrauch davon machte8). H. Brinklow konnte
nicht umhin, in seiner erbitterten Klage über die Missstände der Zeit (1542)
die Handlungen der Purveyors mit harten Worten zu züchtigen *). Hein-
richs VIII., Nachfolger auf dem Thron10), die grosse Elisabeth voran11),
machten es nicht besser, und nicht eher als unter Karl II. wurde diese
das monarchische Ansehen schwer schädigende Institution für immer
beseitigt1*).
i) 36 Edw. III. «r. 1 r. 2—4 und 6.
*) Vgl. die Sutaten 1 Hieb. II. c. 3; 6 Rloh. II. st. 2. c. 2; 7 Rieb. IL c 8; 8 Rieb.
II. c. lj 20 Rieb. II. c. 6; 2 Hen. IV. e. 14; 1 Hen. VI. c. 2.
9) 20 Hen. VI. c. &
<) 23 Hen. VI. c. 1.
*) 23 Hen. VI. c 13 ; 28 Hen, VI. c. 2; in letztem Statut handelte et eich haupt-
sächlich am Abschaffung der Patente, welche Wlrtbe, Breuer n. s. w. erhalten hatten,
kraft deren sie berechtigt waren, auf Lebeneselt Pferde and Wagen fttr dea Könige Dienet
xu fordern, was diese dann anm eigenen V orthell mißbrauchten.
«) Rot. Pari. VI. 8. 198, 290, 497.
3 27 Hen. VI. c. 24, * 9.
*) Vgl. einen Fall in Ellis, Orig. Letters T. Serie Vol. I. 8. 239, sowie Brewer,
Cal. III. 2065, 2220, 2628. Einen andern Fall fand iob in den noch nicht edirten Acts of
the Privy Connoil (in dem Privy Conoil Office) Vol. I. 8. 419: „At saynt James (19. Des.
1542). Upon an Information off one off the klngis highnes pourveyouris waynskotr, tbat
sir Humfrey Browne bering eertayne waynskott to seil and belng required off the sayde
pourvcyour to have parte thoroffupon reasonable pricis for the kingis highnes necessatre
affair refased ner ertheles to make sale theroff ander suche pricis es wer estemed to b©
fax aboTe reason , a lettre was sent to the sayde sir Humfrey advlslng the same to »eil
the sayde wainskott for the purpos aboves aide otber at »yoh a pryce, as »holde be to
bim appoynted by his highnes offlclers , other ells at such a prlce as the same by fonre
indifferent men i holde ludgid to be worth". Vgl. ferner Nioo las, Prooeedings etc. TO.
8. 20 (30. Ang. 1540); 8. 320 (9. Marx 1542), und 82 Hen. VIII. c 8.
*) Heniy Brinklow, Complaynt of Roderyok Mors ed. Gowper. London 1874 8.
19, 20: Of the Iniuryes done to the communalty by the kyngs takers etc.
W) Unter Eduard VI. wurde im 4. Jahre der Regierang die Prärogative beseitigt,
im darauffolgenden Jahre aber wieder hergestellt. Die Rechnungen dea kgl. Haushalte»
zeigen, welchen Einfluss dies hatte. 2 Edw. VI kaufte man fttr den kgl. Haushalt 70
Ochsen, das Stück xu 53 s 4 d; 4 Edw. VI 25 Ochsen a 100 s; 5 Edw. VI. dagegen wie-
der 189 Ochsen a 57 s 7 d. Bei den Schafen waren die Preise 4s,12st6s4d. Br.
ÜHarl. Ms. 689. fo. 27.
u) Ihre Purveyors zahlten t. B. au Faversham 6 s 8 d für einen Quarter Weisen,
während der Durschnltttpreis 116i4d war. Henry Brinklow, Complaynt of Rode-
ryok Mors ed. Cowper S. 125.
") Stubbs, Constitutione! hlstory of England IL 8. 687.
Pierer'sche Hoflrachdruckerei. Stephan Geibel k Co. in Alteubuxg.
i 3 2044 058 227 232
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