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Full text of "Englische handelspolitik gegen ende des mittelalters, mit besonderer berücksichtigung des zeitalters der beiden ersten Tudors Heinrich VII. und Heinrich VIII"

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HARVARD  COLLEGE 
LIBRARY 


FROM  THB  FUND  OP 

CHARLES  MINOT 

CLASSOFifaS 


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ENGLISCHE  HANDELSPOLITIK 


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ENGLISCHE 


HANDELSPOLITIK 


GEGEN  ENDE  DES  MITTELALTERS 

MIT  BESONDERER  BERÜCKSICHTIGUNG 

DES    ZEITALTERS  DER 

BEIDEN  ERSTEN  TUDORS  HEINRICH  VII.  UND  HEINRICH  VIII. 


GEKRÖNTE  PREISSCHRIFT 

VON 

Dr.  GEORG  SCHANZ, 

A.   O.   PROFE88OR  DER   8TAATSW13SRK8CHAFTEK 
IN   ERLANGEN. 


ERSTER    BAND. 

DARSTELLUNG. 


^LEIPZIG, 

VERLAG  VON  DUNCKER  &  HUMBLOT. 

1881. 


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HARVARD  COLLEGE  LIBRMtf 

AUG241883 


Das  Uebersetzungsrecht  ist  vorbehalten. 


Vorrede. 


Vorliegendes  Werk  wurde  durch  eine  Preisfrage  veran- 
lasst, welche  von  der  Beneke'schen  Stiftung  in  Göttingen  im 
Jahre  1876  gegeben  wurde;  dieselbe  verlangte: 

„Eine  Darstellung  der  englischen  Handelspolitik  im  Zeit- 
alter Heinrichs  VIII.  aus  den  Parlamentsverhandlungen,  den 
Statuten,  aus  der  im  Druck  zugänglichen,  besonders  auch  das 
Ausland  betreffenden  Correspondenz  und  einigen  «in  Betracht 
kommenden  Abhandlungen  der  Zeit.u 

Dem  Publicum  daif  nicht  vorenthalten  werden,  dass  das 
Thema  und  seine  Fassung  von  dem  um  die  englische  Geschichte 
so  hochverdienten  Professor  R.  Pauli  herrührt. 

Die  philosophische  Facultät  erkannte  am  11.  März  1879 
meiner  Arbeit  den  ersten  Preis  zu.  (Nachrichten  von  der  Königl. 
Gesellschaft  der  Wissenschaften  und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen  1879  Nr.  5).  In  Folge  meiner  Habilitation  in  Mar- 
burg und  Berufung  nach  Erlangen  musste  leider  die  Heraus- 
gabe der  beiden  Bände  bis  jetzt  verschoben  werden. 

Die  Arbeit  hat  im  Wesentlichen  diejenige  Gestalt  beibe- 
halten, in  der  sie  der  hohen  philosophischen  Facultät  in  Göt- 
tingen vorgelegen  ist.    Wie  schon  der  Titel  andeutet,  geht  sie 


—    VI    - 

über  den  Rahmen  der  Preisaufgabe  hinaus.  Die  Notwendig- 
keit einer  Erweiterung  stellte  sich  im  Laufe  der  Forschung 
gebieterisch  ein.  Es  musste,  wenn  volle  Klarheit  gewonnen 
werden  sollte,  im  I.  Abschnitt  bei  der  Darlegung  der  handels- 
politischen Beziehungen  Englands  zum  Ausland  noch  die  Re- 
gierungszeit Heinrichs  VII.  vollständig  in  den  Kreis  der  Unter- 
suchung gezogen  und  die  vor  den  Tudors  liegende  Periode 
wenigstens  skizzenhaft  behandelt  werden.  Dagegen  schien  es 
räthlich,  in  den  die  Organisation  des  englischen  Handels  und 
vorwiegend  die  innern  Verkehrsverhältnisse  betreffenden  Par- 
tien des  H.  Abschnittes  alle  Zeitepochen  bis  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts möglichst  gleichmässig  zu  berücksichtigen.  In  dieser 
Weise  Hess  sich  der  ganze  Entwicklungsgang  erkennen  und 
ermessen,  welchen  Antheil  die  beiden  ersten  Tudors  an  dem- 
selben hatten.  Handelspolitik  wurde  in  weitem  Sinne  aufge- 
fasst  und  deshalb  allen  Institutionen  und  Vorgängen  Rechnung 
getragen,  welche  auf  die  Ausbildung  des  englischen  Verkehrs 
von  bedeutenderem  Einfluss  waren. 

Stets  war  ich  bestrebt,  auf  die  Quellen  zurückzugehen;  mit 
den  Nachweisen  glaubte  ich  nicht  kargen  zu  sollen.  Der 
wissenschaftliche  Werth  des  Werkes  dürfte  dadurch  wesentlich 
erhöht  worden  sein.  Soweit  Zeit  und  Kräfte  es  gestatteten, 
benutzte  ich  auch  ungedruckte  Urkunden.  Ausgedehnte  archi- 
valische  Studien  in  England,  den  Niederlanden  und  Deutsch- 
land liegen  der  Arbeit  zu  Grunde.  Ein  Theil  des  Materials 
wird  dem  Leser  im  2.  Band  vorgeführt. 

So  hoffe  ich,  dass  das  vorliegende  Werk  ein  nicht  ganz 
unwerther  Beitrag  zur  Geschichte  der  Handelspolitik  und 
wirthschaftlichen  Entwicklung  Englands  überhaupt  sein  dürfte. 


—  vn  - 

Zwar  ist  bei  der  dominirenden  Stellung,  zu  welcher  der  eng- 
lische Handel  nnd  die  englische  Industrie  in  der  Neuzeit  sich 
emporgeschwungen  haben,  das  Interesse  mehr  auf  die  modernen 
Verhältnisse  gerichtet;  um  aber  die  gegenwärtige  Entfaltung 
zu  verstehen,  müssen  ihre  Wurzeln  durch  Betrachtung  ent- 
legener Zeiten  aufgedeckt  werden.  Sollte  es  mir  gelungen 
sein,  eine  solche  Grundlage,  auf  der  weiter  gebaut  werden 
kann,  zu  schaffen,  so  wäre  der  Zweck,  der  mir  vorschwebte, 
erreicht. 

Es  erübrigt  mir  noch,  meinen  Dank  allen  denen  auszu- 
sprechen, die  mich  bei  meinen  Untersuchungen  unterstützten, 
vor  Allem  Lord  Calthorpe.  der  mir  in  liebenswürdigster  und 
gastfreundlichster  Weise  die  Benutzung  seines  werthvollen 
Privatarchivs  gestattete,  sodann  dem  Herrn  Oberbürgermeister 
Dr.  Becker  in  Köln  und  dem  Vorsitzenden  Bürgermeister  Dr. 
Curtius  in  Lübeck,  welche  mir  zahlreiche  auf  die  Verhandlungen 
der  Hansen  mit  den  Engländern  bezügliche  Documente  über- 
liessen,  um  sie  in  dem  Herrn  Dr.  Könnecke  unterstellten  Mar- 
burger Staatsarchive  zu  vergleichen,  ferner  dem  hansischen  Ge- 
schichtsverein,  von  dem  mir  in  zuvorkommenster  Weise  die 
Einsichtnahme  einiger  von  Herrn  Professor  D.  Schäfer  in  Jena 
herauszugebenden  Urkunden  erlaubt  wurde.  Soweit  ich  mich 
in  der  Darstellung  auf  diese  beziehen  konnte,  citirte  ich  das 
betreffende  Document  mit  Angabe  des  Archivs,  aus  dem  dasselbe 
stammte,  und  dem  Zusatz  „Hanserec.  ed.  Schäfer". 

Wie  den  Genannten  bin  ich  zu  Dank  verpflichtet  den 
belgischen  Archivaren  Gachard  und  Piot  in  Brüssel,  G6nard 
in  Antwerpen,  Gilliodts  van  Sevem  in  Brügge,  M.  Dhoop  und 
Bussher  in  Gent;  dieselben  erleichterten  mir  meine  Recherchen 


-    VIII    - 

in  jeder  Weise.  Einige  werthvolle  Mittheilungen,  die  ich  im 
2.  Bande  benutzte,  liess  mir  der  rühmlichst  bekannte  Forscher 
englischer  Preisgeschichte  Thorold  Rogers  in  Oxford  zukommen, 
und  für  den  Druck  einer  portugiesischen  Urkunde  konnte  ich 
mir  den  Rath  des  Privatdocenten  Dr.  C.  v.  Reinhardstoettner 
erholen.    Beiden  Herren  sage  ich  hiemit  meinen  Dank. 

Erlangen,  den  4.  Dezember  1880. 

Georg  Schanz. 


Inhaltsübersicht. 


I.  Abschnitt. 

S.  1-324. 

Erstes  Capitel.     Die  Handelsbeziehungen   zwischen 
England  und  den  Niederlanden    .    .    .    .    s.  3— liö. 

Gründe  für  die  frühzeitige  Anbahnung  eines  Verkehrs  3.  — 
Rechtliche  Ordnung  desselben  5.  —  Uebersiedlung  der  Merchant 
adventurers  von  Brügge  nach  Antwerpen  7.  —  Die  Privilegien  der 
Engländer  in  Brabant  und  Hotland  8.  —  Der  Warenverkehr 
zwischen  England  und  den  Niederlanden  gegen  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderte 11. 

Heinrich  TU.  (1485  — 1509) S.  14-37. 

Heinrichs  VH.  Ziele.  Günstige  Gestaltung  der  burgundischen 
Politik  14.  —  Erste  Versuche,  die  Handelsverhaltnisse  zu  regeln 
15.  —  Zweijähriger  Bruch  17.  «—  Magnus  Intercursus  18.  —  Ver- 
gleich desselben  mit  früheren  Handelsverträgen  21.  —  Die  Tag- 
fahrten von  1497,  1498,  1499  und  ihr  Resultat  22.  —  Erfolg  der 
Merchant  adventurers  in  Antwerpen  25.  —  Brügges  Lage  und  sein  ' 
Verhältni88  zu  den  englischen  Kaufleuten  26.  —  Neuer  Bruch 
zwischen  England  und  den  Niederlanden  1505.  28.  —  Friedliche 
Wendung  29.  —  Der  Handelsvertrag  von  1506.  30.  —  Seine  Be- 
deutung für  die  englische  und  niederländische  Tuchindustrie  31.  — 
Zustand  der  letzteren  32.  —  Unwille  der  Niederländer  33.  —  Auf- 
schub der  Vertragsratification.  Philipps  Tod  34.  —  Folgen  daraus 
für  den  Handel  35.  —  Neue  provisorische  Bestimmungen  36.  — 
Heinrichs  VU.  letzte  Pläne  37. 

Heinrich  VIII.  (1509— 47) S.  37— 110. 

1.  Periode  (1509— 20) S.  37  — 58. 

Situation  beim  Regierungsantritt  Heinrichs  VIEL  37.  —  Ver- 
haltnifls  Englands  und  der  Niederlande  zu  Frankreich  38.  —  Be- 
drückung der  englischen  Kaufleute  in  den  Niederlanden  39.  — 
Ziel  der  Handelspolitik  Heinrichs  VIII.  hinsichtlich  der  Nieder- 
lande 39.  —  Resultatlosigkeit  der  Unterhandlungen  von  1512  und 
bedrohliche  Lage  40.  —  Neuer  Congress  1515.  41.  —  Debatten 
über  den  Vertrag  von  1506.  42.  —  Pläne  in  Betreff  Brügges  44.  — 


—    X    - 

Kein  Fortschritt  auf  der  Tagfahrt  46.  —  Endliche  Wendung  zu 
Gunsten  Englands.  Giltigkeit  des  Vertrags  von  1506  für  5  «fahre 
48.  —  Conferenz  zur  Erledigung  noch  schwebender  Einzelbeschwer- 
den 49.  —  Erweiterung  der  Privilegien  von  Seite  Antwerpens  und 
Bergens  op  Zoom  51.  —  Aufschwung  des  englischen  Handels  58. 

2.  Periode  (1520  — 80) S.  58— 76. 

Neuer  Congress  vor  Ablauf  des  Vertragsquinquenniums.  Gunstige 
politische  Situation  für  England  54.  —  Umgestaltung  des  HandeLs- 
tractats  im  englischen  Sinn  55.  —  Die  englischen  Handelsinteressen 
vor  und  bei  Ausbruch  des  Krieges  gegen  Frankreich  56.  —  Störung 
der  Geldverbältnisse  t>8.  —  Entfremdung  zwischen  England  und 
den  Niederlanden  nach  der  Schlacht  von  Paria  60.  —  Ablauf  des 
Quinquenniums  des  Handelsvertrags.  Unterredung  Heinrichs  Vm. 
mit  dem  niederländischen  Gesandten  über  die  commerciellen  Fra- 
gen 62.  —  Rücksichtnahme  der  niederländischen  Regierung  auf  die 
englischen  Handelsinteressen  64.  —  Französisch  -  englische  Allianz 
gegen  Carl  V.  65.  —  Verlegung  des  Marktes  nach  Calais.  Privi- 
legien der  Engländer  in  Frankreich  66.  —  Repressalien  der  nieder- 
ländischen Städte  67.  —  Aufleben  der  niederländischen  Tuch- 
industrie 68.  —  Allseitige  Abneigung  gegen  den  Markt'  in  Calais 
69.  —  Unwille  des  englischen  Volks  Ober  den  Abbruch  des  Ver- 
kehrs mit  den  Niederlanden  70.  —  Krisis  in  England  71.  —  Wol- 
seys  Zurückweichen  vor  der  Volksstimme  72.  —  Waffenstillstand 
78.  —  Resultat  der  darauffolgenden  Messen  74.  —  Der  Intercursus 
auf  dem  Congress  zu  Cambrai  75.  "i 

8.  Periode  (1580-40) S.  76-86. 

Blick  auf  die  vorangegangene  Epoche  und  den  Zustand  des 
Handels  76.  —  Uebernahme  der  Staatsleitung  durch  Th.  Cromwell 
77.  —  Wachsende  Opposition  der  niederländischen  Schutzzöllner. 
Vertragsverletzungen  77.  —  Ziel  der  kaiserlichen  Regierung.  J  Vor- 
bereitungen zu  einer  neuen  Tagfahrt  78.  —  Verlauf  derselben  79.  — 
Abbruch  der  Verhandlungen  81.  —  Zeitgenössische  Denkschriften 
über  den  englisch-niederländischen  Verkehr  82.  —  Besorgnisse  und 
Entgegenkommen  der  niederländischen  Regierung  84.  —  Privilegien 
der  Merchant  adventurers  in  Antwerpen  85.  Neue  Störungen  und 
Gefahren  86. 

4.  Periode  (1540— 47) S.  86— 106. 

Gleichstellung  der  Fremden  mit  den  Einheimischen  im  Zoll  und 
die  Schiffahrteacte  in  England  86.  —  Entrüstung  und  Repressalien 
der  Niederländer  87.  —  Notenwechsel  88.  —  Verschärfung  des 
Zwistes  89.  —  Congress  90.  —  Abermalige  Bestreitung  des  Ver- 
trags von  1506  durch  die  Niederländer  91.  —  Ultimatum  der  eng- 
lischen Gesandten  92.  —  Verlegung  der  Verhandlungen  an  den 
spanischen  Hof.  Heinrichs  VIII.  Rückzug  und  seine  Bedeutung 
98.  —  Neuer  Ausfuhrzoll  in  den  Niederlanden.  Stellung  der  eng- 
lischen Regierung  und  Merchant  adventurers  dazu  95.  —  Verhand- 
lungen darüber  96.  —  Vergebliche  Bemühungen  des  englischen  Ge- 
sandten Garne  97.  —  Verschiedene  Auffassung  beider  Regierungen 
über  den  Handel  im  Krieg  98.  —  Beschlagnahmungen  99.  —  Gegen- 
seitige Aufhebung  derselben.  Congress  zu  Gravelingen,  bzw.  Ca- 
lais 100.  —  Beschwerden  und  Absichten  der  Niederländer  101.  — 
Repliken  und  Gegenklagen  der  Engländer  102.  —  Vertagung  des 
Congresses.  Nochmaliger  Versuch  der  Niederländer,  die  privilegirte 
Stellung  der  englischen  Kauf  leute  zu  Fall  zu  bringen  108.  -  Neue 
Klagen.  Schwankender  Zustand  beim  Tode  Heinrichs  VIII.  105.  — 
Die  Merchant  adventurers  und  im  Antwerpen  Jahr  1548.  Die 
weitere  Entwicklung  der  Handelsbeziehungen  106. 

Rückblick S.  107—110. 


-    XI    - 

Zweites  Capitel.  England  und  die  italienischen 
Republiken  mit  besonderer  Berücksichtigung  Ve- 
nedigs       S.  111—171. 

I.  Ursprang  der  italienischen  Handelsbeziehungen  zu  England 
111.  —  Bedeutung  der  Italiener  für  die  englischen  Könige  und  den 
*  englischen  Handel  112.  —  Suprematie  der  Florentiner  Verlust 
derselben  unter  Eduard  III.  118.  —  Genua  im  Vortheil  gegenüber 
Florenz  113.  —  Genuas  commercielle  Wichtigkeit  für  England 
nach  dem  Libell  of  Englishe  Policye  115.  —  Eifersucht  zwischen 
Engländern  und  Genuesen.  Genuas  politische  Allianzen  mit  Eng- 
land 115.  — -  Hervortreten  Venedigs  im  italienisch-englischen  Ver- 
kehr 117.  —  II.  Alter  des  directen  Handels  zwischen  Venedig  und 
England  117.  —  Förderung  der  venetianischen  Fahrten  nach  Eng- 
land durch  Eduard  HI.  119.  —  Begünstigungen  Richards  II.  und 
Heinrichs  IV.  120.  —  Reaction  gegen  die  Venetianer  im  englischen 
Volk  122.  —  Feindschaft  des  Hauses  York  123.  —  III.  Organisation 
der  venetianischen  Fahrten  nach  England  124.  —  Waarenverkehr 
127.  —  Tatzen  des  venetianischen  Handels  für  England  im  15.  Jahr- 
hundert 129. 

Heinrich  VII.  (1485-1509).    .....    S.  130— 142. 

Haltung  des  Königs  gegenüber  den  Venetianern  130.  —  Aus- 
bruch eines  handelspolitischen  Streites  131.  —  Vorgehen  der  Ve- 
netianer gegen  die  englische  Schiffahrt  im  Mittelmeer  132.  — 
Wachsthum  des  englischen  Activhandels  nach  den  Mittelmeer- 
gebieten. Das  Consulat  zu  Pisa  133.  —  Heinrichs  VII.  Plan,  Pisa 
zum  südlichen  Stapelplatz  der  englischen  Wolle  zu  machen.  Treff- 
lichkeit des  Ortes  für  diesen  Zweck  134.  —  Der  Schrecken  der 
Venetianer  über  dieses  Project  und  ihre  Schritte  135.  —  Hein- 
richs VH.  Handelsvertrag  mit  Florenz  136.  —  Neue  Massregeln 
der  Venetianer  138.  —  Vereitelung  der  Pläne  des  Königs  139.  — 
Englische  Repressalie  durch  Parlamentsacte  7  Hen.  VII.  c.  7  140.  — 
Concession  Heinrichs  VII.  141.  —  Verpflichtung  der  Venetianer, 
des  niederländisch  -  englischen  Zwischenhandels  sich  zu  enthalten. 
Ziele  Heinrichs  VII.  142. 

Heinrieh  VIII.  (1509—47) S.  142—171. 

1.  Periode  (1509—30) S.  142-157. 

'  Politische  Lage  Venedigs  143.  —  Unterbrechung  der  Galeeren- 
fahrten Folgen  für  Venedig  und  England  144.  —  Anstrengungen 
Venedigs  behufs  Wiederaufnahme  der  Handelsexpeditionen  146.  — 
Seb.  Giustinians  vergebliches  Bemühen,  die  Weinzollfrage  mitWolsey 
zu  regeln  148.  —  Erneuerung  des  Grundbriefs  und  der  Licenzen 
149.  —  Ankunft  und  Auszeichnung  der  Galeeren  durch  den  König. 
Stimmung  im  Volk  150.  —  Wolseys  Klage  über  das  Missverhält- 
niss  der  venetianischen  Ein-  und  Ausfuhr  152.  —  Geschenke  der 
Venetianer  an  Wolsey.  Enttäuschte  Hoffnungen  153.  —  Guter  Ver- 
lauf der  zweiten  und  traurige  Schicksale  der  dritten  Galeerenfahrt 
154.  —  Neue  Unterbrechung  157. 

2.  Periode   (1530—47) S.  157— 168. 

Erwartungen  in  Folge  von  Wolseys  Fall  158.  —  Venedigs 
Sinken  und  Folgen  für  seinen  nordischen  Handel  158.  —  Crom- 
wells  Sorge  für  das  englische  Consulatswesen  im  Mittelmeer  159.  — 
Absendung  einer  neuen  Galeere.  Unwille  der  Londoner  Weber 
160.  —  Hindernisse  in  Betreff  des  Wollexports  und  des  venetiani- 
schen Handels  überhaupt  161.  —  Vorstellung  der  Signorie  162.  — 


-    XII    - 

Hartnäckigkeit  der  englischen  Regierung.  Gründe  168.  —  Unter- 
handlungen mit  Mafio  Bernardo  wegen  eines  ihm  zu  verleihenden 
Wollexportmonopols.  Vereitlung  des  Plans  164.  —  Entgegen- 
kommendere Haltung  der  englischen  Regierung  165.  —  Einstellung 
der  Galeerenfahrten  und  Verfall  des  venetianischen  Handels  nach 
England  166. 

Rückblick S.  168—171. 

Drittes  Capitel.   England  und  die  Hansen,  s.  172—24»;. 

Vergleich  der  englisch-venetianischen  Handelsbeziehungen  mit 
den  englisch-hansischen  172.  —  Die  ersten  deutschen  Verbindungen 
mit  England  173.  —  Köln  und  Lübeck;  West-  und  Ostsee  173.  — 
Aufgehen  der  Sonderhansen  in  der  Hansa  Alemanniens  174.  — 
Die  den  Hansen  günstige  Politik  der  Plantagenets  und  die  hansi- 
schen Privilegien  174.  —  Feindliche  Momente.  Gespannter  Zustand 
im  15.  Jahrhundert  176.  —  Wendung  unter  Eduard  IV.  Utrechter 
Vertrag  und  seine  Bedeutung  177.  —  Beginnende  Schwäche  des 
hansischen  Bundes  179.  —  Folgen  für  die  englische  Politik  182.  — 

Heinrich  VII.  (1485-1509) S.  182— 201. 

Des  Königs  feindselige  Gesinnung.  Klagen  der  Hansen  18$.  — 
Benehmen  der  englischen  Stadtbehörden  186.  —  Heinrichs  VII. 
Wunsch  nach  einem  Congress.  Seine  Annäherung  an  die  Dänen. 
Verfolgung  der  Hansen  187.  —  Die  Tagfahrt  zu  Antwerpen  1491. 
Situation  188.  —  Resultat  der  Tagfahrt  189.  —  Mehrmalige  Ver- 
längerung des  Provisoriums  189.  —  Die  Verhandlungen!  in  Ant- 
werpen 1497.  191.  —  Neue  Tagfahrt  im  Jahre  1498  und  ihr  Ver- 
lauf 193.  —  Erhaltung  des  Status  quo  197.  —  Scheinbares  Ent- 
gegenkommen Heinrichs  VH.  im  Jahre  1504. 198.  —  Unbefriedigender 
Zustand  für  die  Hansen  200. 

Heinrich  VIII.   (1509-47) S.  201-227. 

Gunst  des  Königs  und  Oberhauses;  feindselige  Stimmung  der 
Gemeinen  201.  —  Erbitterung  im  Volk.  Grössere  Strenge  der 
englischen  Regierung  202.  —  Conferenz  zu  Brügge  1515.  htolzes 
Auftreten  der  Engländer.  Gang  der  Verhandlungen  204.  —  Be- 
urtheilung  der  Lage  durch  die  Hansen.  Spinellys  Aeusserung 
über  dieselben  211.  —  Neuer  Congress  1521  und  sein  Verlauf  212.  — 
Befürchtungen  des  Londoner  Contors  218.  —  Neue  Schwierigkeiten 
219.  —  Umschwung.  Notwendigkeit  eines  politischen  Zusammen- 
gehens der  Engländer  mit  den  Hansen.  Die  dänische  Frage  220.  — 
Verhandlungen  Heinrichs  VIU.  mit  Lübeck  und  Hamburg  221.  — 
Ausgang  des  dänisch  -  lübeckschen  Streites  222.  —  Folgerungen 
daraus  für  England  223.  —  Bedrohliche  Lage  der  Hansen  224.  — 
Gründe,  weshalb  Heinrich  V1H.  die  Hansen  nicht  preisgab  225.  — 
Verlust  der  Privilegien  unter  Eduard  VL  und  Elisabeth  227. 

England  und  Dan  zig    .    .    .    , S.  228—244. 

I.  Danzigs  besondere  Stellung  228.  —  Dasselbe  als  Ziel  eng- 
lischer Niederlassung  229.  —  Sein  Waarenverkehr  230.  —  Der  be- 
deutende Handel  der  Engländer  nach  Danzig  im  14.  Jahrhundert 
231.  —  Die  Beschränkung  der  englischen  Kaufleute  232.  —  Der 
Utrechter  Friede  233.  —II.  Heinrichs  VII.  Eingreifen.  Spannung 
zwischen  Hüll  und  Danzig  233.  —  Die  Danziger  Frage  auf  dem 
Congress  zu  Antwerpen  von  1491.  234.  -  Resultat  für  die  Eng- 
länder 237.  —  Heinrichs  Ml.  Sonder  vertrag  mit  Riga  238.  - 
Folgen  für  Danzig  239.  -   Die  Tagfahrt  zu  Brügge  1499.    Hart- 


-  xni  - 

näckigkeit  Danzigs  240.  —  III. 'Wendung  in  Riga  241.  —  Un- 
zufriedenheit der  Engländer  mit  Danzig  während  der  Regierungs- 
zeit Heinrichs  VIII.    Schritte  der  englischen  Regierung  242.  — 
Rückblick S.  244-246. 

Viertes  Capitel.    England  und  die  skandinavischen 
Reiche ;  s.  247—267. 

Bedeutung  der  skandinavischen  Reiche  für  England.  Früher 
Handel  der  Engländer  dahin  247.  —  Wettbewerb  der  Deutschen 
248.  —  Uebergewicht  der  Hansen  249.  —  Zähigkeit  der  Engländer 
250.  —  Die  Erhebung  Bergens  zum  einzigen  Stapelplatz  251.  — 
Der  Handel  der  Engländer  nach  Island  und  seine  Geschichte  252.  — 
Dänemarks  Wunsch  nach  einer  Allianz  mit  Heinrich  VII.  256.  — 
Handelsvertrag  von  1490.  257.  —  Beschwerden  der  Dänen  über 
die  Engländer  in  Island  259.  —  Heinrichs  VIII.  entgegenkom- 
mende Haltung.  Vorschläge  Christians  II.  in  Bezug  auf  die  beider- 
seitigen Handelsverhältnisse  261.  —  Unterhandlungen  262.  —  Ne- 
gatives Resultat  Ordnung  in  Island.  Neuer  Versuch,  Heinrich  VIII. 
auf  dänische  Seite  zu  ziehen  263.  —  Plan  einer  Verpfandung  Is- 
lands. Begünstigung  Christians  II.  durch  Heinrich  VIII  264.  — 
Anerkennung  Friedrichs  I.  Freundliche  Behandlung  der  Engländer. 
Neue  Störungen  in  Island  und  im  Sund  265.  —  Fortdauernde  Be- 
vorzugung der  englischen  Kaufleute.  Freundschaft  beider  Reiche 
unter  Eduard  VI.  266.  —  Blick  auf  die  Handelsbeziehungen  zwischen 
England  und  Schweden  267. 


Fünftes  Capitel.    England  und  Spanien,    s.  268— 282. 

Die  Anfange  eines  regelmässigen  Verkehrs  zwischen  Spanien 
und)England  268.  —  Besondere  Bedeutung  der  Politik  Eduards  IV. 
für  die  englischen  Handelsbeziehungen  zu  Spanien  269.  —  Art  der 
Waaren.  Grösse  des  Umsatzes  270.  —  Heinrichs  VII.  Freund- 
schaft mit  Ferdinand.  Neue  Regelung  der  Handelsverhältnisse. 
Ueberlistung  der  Spanier  272.   —  Vergebliche  Gegenvorstellung 

273.  —  Heinrichs  VII.  sophistische  Begründung  der  höheren  Zölle 

274.  —  Endliche  Beseitigung  der  den  spanischen  Kaufleuten  schäd- 
lichen Vertragsclausel.  Folgen  für  den  spanischen  Handel  274.  — 
Die  englische  und  spanische  Schiffahrtsacte  275.  —  Gewährung 
gegenseitiger  Exemption  276.  —  Widerstand  des  castilischen  Raths. 
Spanische  Beurtheilung  des  Verkehrs  mit  England  276.  —  Ver- 
hältnisse in  der  ersten  Zeit  der  Regierung  Heinrichs  VIII.  277.  — 
Festere  Begründung  des  englischen  Handels  nach  Spanien.  Die 
Freiheiten  der  englischen  Kauf  leute  in  San  Lucar  de  Barrameda 
278."  —  Schwierigkeiten  im  übrigen  Spanien.  Anerkennung  des 
englischen  CotJaulats  durch  Carl  V.  280.  —  Die  Beziehungen  in 
der  letzten  Regierungszeit  Heinrichs  VIII.  281.  —  Rückblick  281. 


Sechstes  Capitel.   England  und  Portugal,  s.  283—290. 

Armuth  Portugals  im  Mittelalter.  Seine  Waaren.  Beginn  des 
Verkehrs  mit  England  283.  —  Handelsbeziehungen  und  Verträge 
im  14.  Jahrhundert  284.  —  Bedeutende  Privilegien  der  Engländer 
in  Portugal  während  des  15.  Jahrhunderts  286.  —  Wendung  der 
handelspolitischen  Stellung  Portugals  287.  —  Folgen  für  die  Eng- 


-    XIV    — 

linder.  Fortdauernde  Freundschaft  mit  England  288.  —  Wünsche 
Englands  in  Betreff  des  portugiesisch -indischen  Handels  289.  — 
Abschliessendes  Urtheil  289. 


Siebentes  Capitel.    England  und  Frankreich. 

S.  291-309. 

Der  Verkehr  Englands  mit  dem  nordöstlichen  Frankreich 
291.  —  Gegensätzliche  Verhältnisse  in  der  Bretagne  293.  —  Bre- 
tonische Producte  nnd  Manufacte  294.  —  Blühender  Verkehr  in 
der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  295.  —  Die  Bretagne  ver- 
liert 1491  ihre  Selbständigkeit.  Einfluss  dieser  Thatsache  296.  — 
Politische  und  commercielle  Gründe  für  die  ersten  Handels- 
beziehungen zwischen  England  und  Südfrankreich  297.  —  Privi- 
legien der  südfranzösischen  Kaufleute  in  England  298.  —  Verkehrs- 
artikel 299.  —  Vereinigung  von  Gascogne  nnd  Guienne  mit  dem 
französischen  Reiche.  Folgen  daraus  für  die  commerdellen  Be- 
ziehungen zu  England  800.  —  Besserung  der  Lage  unter  Eduard  IV. 
301.  —  Handelspolitische  Erfolge  Heinrichs  VII.  301.  —  Erhaltung 
des  Status  quo  unter  Heinrich  V HL  304.  —  Der  Verkehr  Englands 
mit  dem  innern  Frankreich  304.  —  Uebereinkommen  beider  Staaten 
in  Betreff  der  Fischerei  305.  —  Verhandlungen  und  Verträge  zur 
Sicherheit  des  Seeverkehrs  unter!  Heinrich  VII.  nnd  VHI.  305.  — 
Rückblick  308. 


Achtes  Capitel.     Englands   Handelsbeziehungen   zu 
Irland  und  Schottland s.  310—313. 

Momente,  welche  die  cbmmerciellen  Beziehungen  beeinflussten 
310.  —  Zustand  Irlands  beim  Ausgang  des  Mittelalters  310.  — 
Eingreifen  der  Tudors  311.  —  Zustand  des  irisch-englischen  Han- 
dels. Warenverkehr  von  und  nach  Irland  311.  —  Sonstige  han- 
delspolitische Fragen  311.  —  Vergleich  Schottlands  mit  Irland 
312.  —  Geringer  Verkehr  zwischen  Schottland  und  England  313. 


Neuntes  Capitel.     Die  Stellung  der  beiden  ersten 
Tudors  zu  den  Entdeckungen    .    .    .    .    s.  318—323. 

Zusammenhang  der  Entdeckungen  mit  den  handelspolitischen 
Fragen  314.  —  Columbus  und  seine  Beziehungen  zu  England  314.— 
Niederlassung  der  Familie  Cabot  in  Bristol.  Entdeckungsversuche 
John  Cabots  315.  —  Patent  Heinrichs  VII.  von  1496.  Die  Cabots 
betreten  das  amerikanische  Festland  316.  — -  Ein  neues  Patent  und 
Heinrichs  VII.  Unterstützung.  Des  Königs  Enttäuschung.  Seb.  Ca- 
bots Abreise  nach  Spanien.  Eifer  der  Bristoler  317.  —  Auf- 
forderung an  Heinrich  VHL,  den  Entdeckungen  seine  Aufmerksam- 
keit zuzuwenden  319.  —  Wolseys  vergeblicher  Versuch,  Seb.  Cabot 
wieder  zu  gewinnen  319.  —  Denkschrift  Robert  Thornes  320.  — 
Englische  Expedition  von  1528  und  ihr  Misslingen  321.  —  Der 
englische  Handel  nach  Guinea  und  Brasilien  321.  —  Höre  und 
die  englische  Colonie  auf  Cap  Breton  und  Newfoundland  322.  — 
Schlussurtheil  322. 


-    XV    - 

IL  Abschnitt. 

S.  825—670. 

Erstes  Capltel.    Die  Stapelkauf leute  und  Herchant      o 
adventurers s.  327—351. 

Energie  des  englischen  Handelsstandes.  Ausdehnung  des  eng- 
lischen Activhandels  327.  —  Berühmte  englische  Kaufleute  328.  — 
Anfange  der  Stapeleinrichtung  329.  —  Zwecke  des  Stapels  330.  — 
Unfähigkeit  des  Stapels,  dem  englischen  Handel  neue  Wege  zu 
öffnen.  Sein  indirecter  Einfluss  331.  —  Die  Merchant  adventurers 
und  ihre  Aufgabe  332.  —  Quellen  ihrer  Geschichte  333.  —  An- 
gaben über  die  Zeit  ihrer  Entstehung  336.  —  Zusammenhang  der 
Merchant  adventurers  mit  der  Stapelgesellschaft  337.  —  Die  Charte 
von  1407.  339.  —  Anfanglich  loser  Zusammenhang  der  Merchant 
adventurers  339.  —  Hervortreten  derselben  unter  Heinrich  VH. 
340.  —  Majorisirungsversuche  der  Londoner  341.  —  Vereitelung 
der  Schliessung  der  Compagnie  342.  —  Stärkung  ihrer  Executiv- 
gewalt  343.  —  Streit  der  M.  a.  mit  den  Staplern.  Seine  Ursache 
§44.  —  Sein  Verlauf  zur  Zeit  Heinrichs  VI.  345.  —  Der  Process 
unter  Heinrich  VII.  345.  —  Wiederausbruch  des  Streites.  Stellung- 
nahme Heinrichs  VIU.  346.  —  Die  häufigen  Gesetzentwürfe  in  Be- 
treff der  M.  a.  347.  —  Beurtheilung  der  Politik  der  beiden  ersten 
Tudors  gegenüber  den  M.  a.  348.  —  Die  wachsende  Macht  des 
Eaunnannsstandes  349. 

Zweites  Capltel.    Die  Schiffahrtspolitik,     s.  352-378. 

Wichtigkeit  einer  eigenen  Flotte  für  den  englischen  Handel 
352.  —  Stellung  des  Staates  zur  Flotte  853.  —  Die  Ansprüche 
der   englischen  Herrscher  in  Bezug  auf  die  umliegenden  Meere 

354.  —  Einzelne  Beispiele  einer  Fürsorge  der  englischen  Könige 
für  die  Flotte  355.  —  Rückgang  der  englischen  Marine.    Gründe 

355.  —  Passive  Haltung  Eduards  III.  und  anfangs  auch  Richards  H. 
357.  —  Schiffahrtsschutz  in  andern  Ländern  358.  —  Die  gesetz- 
geberischen Versuche  und  Vorschläge  unter  Richard  II.  und  Hein- 
rich IV.  359.  —  Heinrichs  V.  Eifer  für  eine  Staatsflotte  363.  — 

.  Vefcftll  der  letzteren  »ur  Zeit  Heinrichs  Vi.  3Ü4.  —  Mahnung"*  eines 
Patrioten  im  Libell  of  Englishe  Policye  365.  —  Ungenügender 
Zustand  vor  den  Tudors  367.  —  Heinrichs  VII.  Navigationsacte 
von  1485,  ihre  Erneuerung  und  Erweiterung  1489  368.  —  Bau  von 
Kriegsschiffen  369.  —  Heinrichs  VIIL  Licenzen  370.  —  Vorstellung 
der  Commoners  und  Gesetz  gegen  die  Licenzen  371.  — -  Die  Ausführung 
der  Statuten  371.  —  Verstärkte  Fürsorge  für  die  Flotte  seit  1531 
371.  —  Bestätigung  der  früheren  Gesetze.  Geringer  Erfolg  372.  — 
Die  Acte  von  1540  372.  —  Organisation  der  Seemannschaft  unter 
Heinrich  VIU.  374.  —  Die  Hebung  der  Staatsflotte  375.  —  Schluss- 
betrachtung 377. 

Drittes  Capltel.    Das  englische  Fremdenrecht. 

S.  379-483. 

I.  Periode  (750— 1272).  —  Recfitsanschauung  des  Mittelalters 
in  Betreff  der  Fremden  379.  —  Ermöglichung  des  Verkehrs  der 
Fremden  379.  —  Interessen  der  Grossen  381.  —  Johanns  Erlass 
von  1200  und  die  Magna  Charta  381.  —  Verschiedene  Interpreta- 
tion derselben  382.  —  Städtische  Auffassung.    Beispiele  383.  — 


—    XVI    — 

Zuspitzung  der  Frage  unter  Heinrich  III.  3S6.  —  Begehrlichkeit 
der  Städter  387.  —  Kluges  Verhalten  einiger  Fremden  388.  — 

II.  Periode  (1272—1377).  —  Eduards  I.  anfangliche  Stellung  zu 
der  Fremdenfrage  388.  —  Des  Königs  indirecte  Förderung  der 
Fremden  389.  —  Streit  zwischen  den  Gascognern  und  Londonern 

390.  —  Die  Freiheiten  der  Gascogner,  ihre  Erweiterung  und  Aus- 
dehnung auf  alle  fremden  Kaufleute   in   der  Charta  mercatoria 

391.  —  Die  Fremdenfrage  unter  Eduard  IL  393.  —  Eduards  III. 
anfängliche  Zugeständnisse  an  die  Londoner  395.  —  Missbrauch 
derselben  durch  die  Städter.  Zurückuahme  der  städtischen  Rechte 
896.  —  Sonstige  Begünstigung  der  Fremden  397.  —  Gegenströmung. 
Eduard   III.    gibt    einen    Theil    der   Freiheiten    zurück   398.    — 

III.  Periode  (1377—1461).  —  Erfolg  der  Städter  unter  Richard  II. 
400.  —  Wechselvoller  Kampf  mit  schliesslichem  Sieg  der  Bürger 
400.  —  Heinrichs  IV.  Wohlwollen  gegenüber  den  Städtern  402.  — 
Klagen  über  London  403.  —  Compromissgesetz.  Unzufriedenheit 
der  Londoner  404.  —  Wiederherstellung  und  Anerkennung  des 
Gästerechts  404.  —  Schwierigkeit  der  Durchführung  des  Fremden- 
rechts 405.  —  Angriff  auf  das  Zusammenwohnen  der  Fremden 
405.  —  Die  Zurückhaltung  der  Regierung.  Wachsende  Erbitterung 
im  Volk  407.  —  Stellung  des  Verfassers  des  Libell  of  Englishe 
Policye  zur  Fremdenfrage  409.  —  Ein  rigoroses  Gesetz  409.    üm- 

fehung  desselben.  Fortwährende  Anfeindungen  der  Fremden  411.  — 
iesteuerung  derselben  412.  —  IV.  Periode  (1461—1547).  — 
Eduards  IV.  Fremdenpolitik  418.  —  Die  in  England  lebenden 
fremden  Handwerker  414.  —  Das  Fremdengesetz  Richards  III.  414.— 
Die  städtischen  Rechte  und  der  veränderte  Verkehr  416.  —  Zer- 
bröckelung  der  städtischen  Freiheiten  unter  Heinrich  VU.  417.  — 
Petition  der  Londoner  Bürger  an  den  Magistrat  418.  —  Die  Ga- 
leymen.  London  erkauft  seine  alten  Rechte  um  hohen  Preis  419.  — 
Formelle  Bestätigung  derselben  durch  Heinrich  VI  II.  420.  —  Fort- 
schreitende Zersetzung  der  städtischen  Rechte  420.  —  Erfolglosig- 
keit einer  bezüglichen  Bill  421  —  Bedrohliche  Stimmung  wegen 
der  fremden  Gewerbsleute  in  England.  Der  Makler  Lincoln  und 
der  Prediger  Dr.  Beale  422.  —  Aufstände  424.  —  Darauf  erfolgen- 
des Gesetz.  Klage  der  Londoner  über  seine  Umgehung.  Traurige 
Lage  der  englischen  Schuhmacher  425.  —  Enquete.  Decret  der 
Sternkammer  426.  —  Die  Erhebung  dieses  Erlasses  zum  Gesetz. 
Abermalige  Umgehung.  Neues  Statut  427.  —  Mangelhafte  Aus- 
führung 428.  —  Verhalten  der  Regierung  Heinrichs  VIII.  gegen 
die  fremden  Kauf  leute  429.  —  Verhalten  der  Städter  430.  —  Rück- 
bück 432. 

Viertes  Capitel.    Der  Industriesckutz  .    .    s.  434— 480. 

Streben  nach  Unabhängigkeit  im  Gewerbe  434.  —  Tuch- 
industrie. Reichthum  an  Rohmaterial  434.  —  Stand  der  engli- 
schen Tuchmacberei  im  frühen  Mittelalter  435.  —  Günstige  Mo- 
mente für  ihre  Entwicklung  435.  —  Simon  v.  Montforts  Verbot 
der  fremden  Tücher  436.  —  Unmöglichkeit,  die  Schutzpolitik  auf- 
recht zu  erhalten  436.  —  Kriegspolitische  Ein-  und  Ausfuhrverbote 


und  ihr  Einfluss  437.  -  Die  Beförderung  der  englischen  Tuch- 
manufactur  durch  Eduard  III.  438.  -  Massregeln  unter  Heinrich  VI. 
440.  —  Hohe  Woll-,  niedrige  Tuchzölle  441.  —  Kampf  der  engli- 
schen Tuchindustrie  mit  der  niederländischen  in  der  ersten  Hälfte 
des  15.  Jahrhunderts  und  sein  Verlauf  441.  —  Ausdehnung  der 
englischen  Tuchindustrie  445.  —  Ein  Pamphlet  in  Betreff  der  Woll- 
ausfuhr  und  englischen  Tucbmanufactur  446.  —  Gesetze  nach  dieser 
Richtung  447.  —  Ihre  Fortbildung  durch  Heinrich  VII.  449.   — 


—    XVII    - 

Die  Statuten  Heinrichs  VIII.  in  Betreff  des  Wollverkaufe  450.  — 
Der  Schutz  für  die  Norfolker  Industrie.  Seine  Unwirksamkeit 
451.  —  Strenge  Durchführung  des  Gesetzes  in  Betreff  der  ver- 
botenen Ausiuhr  ungerauhter,  ungeschorner  und  ungewalkter 
Tücher  452.  —  Bekämpfung  dieses  Statuts  durch  die  Merchant 
adventurers  und  Hansen  452.  —  Abschwachung  der  Acte  458.  — 
Gesetz  in  Betreff  des  Verkaufe  der  breiten  weissen  Wolltücher  an 
Fremde  454.  —  Schutzgesetze  für  andere  Industriezweige:  Horn- 
arbeiter  und  Schuhmacher  455;  —  Seidenarbeiter  456;  —  Leinen- 
industrie 457;  —  Kurzwaarenindu8trie  457;  —  Kappen-  und  Hut- 
macher, Zinngiesser,  Buchbinder  und  Buchdrucker  459 ;  —  Kriegs- 
materialien 460. — Charakter  der  Industrieschutzgesetzgebung  462. — 
Umsichgreifen  der  Schutzidee  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
463.  — -  Gründe.  Politische  Momente  463.  —  Zunitsystem.  De- 
placirung  der  Industrie  464.  —  Agrarumwälzung  465.  —  Ruf  nach 
Arbeit  468.  —  Wirthschaftsprogramm  Heinrichs  VII.  469.  —  Stim- 
men über  den  Werth  und  die  Notwendigkeit  der  einheimischen 
Arbeit  unter  Heinrich  VIII.  470.  —  Die  Motive  zu  dem  Gesetz 
behufs  Einbürgerung  der  Leinenindustrie  475.  —  Die  praktische 
Gestaltung  der  gesteckten  Ziele  476.  —  Keime  des  Mercantil- 
systems  478. 

Fünftes  Capltel.    Die  Geld-  und  Mflnzpolltik. 

S.  481—540. 

Geringer  Edelmetallvorrath  im  Mittelalter  481.  —  Angaben 
über  England  483.  —  Geld-  und  Gesammtvermögen  Englands  zur 
Zeit  Heinrichs  V1IL  485.  —  Steigerungsfähigkeit  der  Geldcirculation 
in  England  487.  —  Ursachen,  welche  den  englischen  Geldbestand 
fortwährend  schwächten  488.  —  Die  Geldbeschaffung  durch  den 
einheimischen  Minenbau  492.  —  Geldzufiuss  durch  den  Handel. 
Wechselstellen  an  der  Grenze  494.  —  Zwang  gegen  die  Woll- 
exporteure, Silber  zurückzubringen.  Veranlassung  dieser  Bestim- 
mung 495.  —  Vergebliche  Klagen.  Erweiterung  des  Systems. 
Münzanstalt  zu  Calais(  496. .  —  Vorschlage  der  Stapelbehörde,  um 
den  Geldzufiuss  zu  sichern  497.  —  Beibehaltung  der  bisherigen 
Gesetze  498.  —  Nachahmung  durch  die  schottische  Begierung  „ 
499.  —  Abnehmende  Thätigkeit  der  Münzanstalt  .in  Calais.  Gründe 
499.  —(Neugestaltung  und  Verschärfung  des  bisherigen  Zufuhr- 
system8t502.  —  Opposition  der  Stapler  502.  —  Letzte  unbedeu- 
tende Versuche  504.  —  Neue  Methoden  der  Regulirung  des  Geld- 
zuflusses unter  Heinrich  VIII.  505.  —  Beurtheilung  der  früheren 
Massregeln  505.  —  Verbot  der  Geldausfuhr  506.  —  Concessionen 

507.  —  Einfluss  der  Kriege  Eduards  III.  auf  den  Geldexport  508.  — 
Gemeinschaftliche   Goldmünze  für  die  Niederlande  und  England 

508.  —  Fortdauer  des  Geldexports  510.  —  Parlamentarische  Unter- 
suchung über  die  Geldnoth  unter  Richard  II.  511.  —  Fortbildung 
der  Gesetze  über  die  Geldausfuhr  unter  Richard  II.  und  Hein- 
rich IV.  512.  —  Vorschläge  der  Gemeinen,  um  den  beim  Ausbruch 
des  französischen  Krieges  unter  Heinrich  V.  bevorstehenden  Geld- 
export zu  vermindern  514.  —  Goldausfuhr  zur  Zeit  Heinrichs  VI. 
Massregeln  dagegen  515.  —  Neue  Vorschläge  des  Parlaments  zur 
Erhaltung  des  Geldvorraths  .516.  —  Die  Gesetze  Eduards  IV.  und 
Heinrichs  VII.  516.  —  Die  Frage  des  Geldexports  unter  Hein- 
rich Vül.  518.  —  Das  Wechselbriefamt  519.  -—  Beschränkung  der 
Wachselfreiheit  522.  —  Wiederherstellung  der  letzteren  523.  — 
Beurtheilung  der  Geldausfahrpolitik  523.  —  Schwierigkeiten  im 
Mittelalter  in  Betreff  eines  guten  Münzwesens  525.  —  Frühzeitige 
Centralisation  im  englischen  Münzwesen  526.  —  Einfluss  des  Par- 


—    XVIII    — 

laments  527.  —  Münzbeschneidung  und  Münzfälschung  527.  — 
Fehlen  einer  eigentlichen  Scheidemünze  528.  —  Einfuhr  fremden 
schlechten  Geldes.  Massregeln  in  Betreff  derselben  528.  —  Die 
Münzverschlechterungen  530.  —  Heinrichs  VII.  Münzpolitik  531.  — 
Die  Münzverhältnisse  und  Münzpolitik  mit  ihren  Folgen  unter 
Heinrich  VIII.  534. 

v/     Sechstes  Capitel.    Die  Credltpolitik    .    .    s.  541—564. 

Sicherstellung  der  Creditsumme.  Schuldbücher  541.  —  Eva- 
sionen der  Schuldner.  Asyle  544.  —  Gesetze  Heinrichs  VI  IL 
545.  —  Politik  in  Bezug  auf  die  Creditvergütung  547.  —  Die 
Juden  und  ihre  Rolle  in  England  548.  —  Ihre  Vertreibung  550.  — 
Die  italienischen  Gelddarleiher  551.  —  Die  Gerichtsbarkeit  in 
Wucherfragen  552.  —  Vorgehen  Londons  gegen  den  Wucher. 
Königliche  Ordonnanz  553.  —  Gewünschte  Ausdehnung  derselben 
auf  das  ganze  Land  554.  —  Bestrafung  derer,  welche  den  König 
bewuchert  hatten.  Folgen  für  den  Credit  des  Königs  555.  — 
.Neue  Bemühungen,  dem  Wucher  zu  begegnen  555.  —  Concessionen 
der  canonistischen  Lehre  557.  —  Ausdehnung  des  Greditverkehrs 
558.  —  Heinrichs  VII.  Wuchergesetze  559.  —  Neue  Wucherpolitik 
unter  Heinrich  VIII.  560.  —  Protest  dagegen  561.  —  Ihr  Sieg 
unter  Elisabeth  562.  —  Rückblick  563. 

Siebentes  Capitel.    Fürsorge  für  die  Verkehrswege. 

S.  565—575. 

Englische  Gesetzgebung  in  Bezug  auf  Wegen-  und  Brückenbau 
565.  —  Schwerfälligkeit  der  Organisation  566.  —  Einiger  Fortschritt 
unter  Heinrich  VIII.  und  seinen  Nachfolgern  auf  dem  Thron  566.  — 
Wichtigkeit  der  Wasserstrassen  für  den  englischen  Verkehr  568. — 
Kampf  gegen  die  Schiffahrtshindernisse  in  den  Flüssen  568.  — 
Neue  Art  der  Flussverunreinigung.  Anregung  dieser  Frage  durch 
Strode.  Folgen  für  ihn  571.  —  Statuten  gegen  die  Zinnbergwerks- 
besitzer unter  Th.  Cromwell  572.  —  Gesetze  wegen  Versandung 
der  Themse,  Severn  und  Exe  573.  —  Heinrichs  VIII.  Fürsorge  für 
die  Seehäfen  574. 

Achtes  Capitel.  Mass  und  Gewicht.  Güte  der  Waaren. 

S.  576-619. 

Schwierigkeiten  bei  der  Ordnung  des  Mass-  und  Gewichts- 
wesens 576.  —  Erste  Versuche  in  England,  dasselbe  einheitlich  zu 
regeln  577.  —  Stellung  der  Magna  Charta  zur  Frage  578.  —  Hein- 
richs III.  und  Eduards  I.  Eifer  579.  —  Gesetzgebung  bis  Eduard  IV. 
579.  —  Zustand  beim  Regierungsantritt  Heinrichs  VII.  Neuordnung 
unter  ihm  581.  —  Heinrich  VlII.  583.  -  Gründe,  weshalb  die 
mittelalterliche  Gesetzgebung  für  die  Qualität  und  Grösse  der 
Waaren  sich  interessirte  583.  —  Bedeutung  der  gewerblichen  Orga- 
nisation für  die  Frage.  Vergleich  deutscher,  französischer,  eng- 
lischer Verhältnisse  584.  —  Localaufsicht  und  Reichsgesetzgebung 
586.  —  Aelteste  Verordnung  in  Bezug  auf  die  Tücher.  Ihr  Miss- 
erfolg 586.  —  Die  Magna  Charta.  Langes  Schweigen  der  Gesetz- 
gebung 587.  —  Zusammenhang  des  fiscalischen  Interesses  mit  der 
Beaufsichtigung  der  Tücher  587.  Eduards  111.  gesetzgeberische 
Versuche  5ö8.  —  Verschiedenheit  der  in  Frage  kommenden  Inter- 
essen 589.  —  Schwankender  Charakter  der  Gesetzgebung  unter 
Richard  IL  590.  —  Verwirrung.    Die  Broad  Cloths.  592.  —  Er- 


—    XIX    — 

oente  Energie  unter  Eduard  IV.  592.  —  Die  Controle  über  die 
Worsteds  595.  —  'Wachsen  der  Arheitstheilung  in  der  Tuch- 
Industrie  und  damit  der  betrügerischen  Manipulationen  596.  — 
Gesetz  Richards  III.  597.  —  Edm.  Dudleys  Auslassung  über  die  Auf- 
rechthaltung der  Waarengüte.  Neues  Statut  unter  Heinrich  VIII. 
598.  —  Eingreifen  der  Gesetzgebung  in  Betreif  der  Worsteds,  frem- 
der Barchente,  neuer  Farbmaterialien,  fremden  Leinens  599.  —  Ein- 
flöße der  Agrarum  wälzung  601.  —  Neues  Gesetz  in  Betreff  der 
Tücher  602.  —  Opposition  gegen  dasselbe  603.  —  Modifidrung 
desselben  604.  —  Schwierigkeiten  und  Aufgabe  hinsichtlich  der 
Tuchgüte  in  Folge  der  Deplacirung  der  Tuchindustrie  604.  — 
Kampf  zwischen  Stadt  und  Land  606.  —  Erhaltung  der  Waaren- 
güte als  Vorwand  zur  Einschränkung  unbequemer  Concurrenz 
607.  —  Beispiele  608.  —  Controle  zu  Gunsten  der  Consumenten 
612.  —  Ueberwachung  der  Gold-  und  Silberwaaren  618.  —  Be- 
sinne' 616. 

Neuntes  Capitel.    Die  Preispolitik     .    .     s. 620—670. 

Veranlassung  zur  Preisregelung.  Verschiedene  Beurtheilung 
des  Binnen-  und  Aussenhandels  620.  —  Vor-  und  Aufkauf  621.  — 
Eingreifen  in  die  Preisgestaltung  bei  den  Lebensmitteln.  Allgemeine  Or- 
ganisation der  Lebensmittelpolizei  622.  —  Der  Fischhande  1624. — 
Der  Fleischverkauf  und  die  Fleischtaxe  630.  —  Regelung  des  Brod- 
preises 637.  —  Getreidehandelspolitik  638.  —  Die  Preispolitik  in 
Betreff  der  Weine  642.  —  Preispolitik  bei  den  Gewerbsproducten 
und  sonstigen  Artikeln,  die  in  England  eingeführt  oder  im  Lande 
verfertigt  wurden  651.  —  Preispolitik  bei  den  Stapelartikeln  und 
den  Tüchern  656.  —  Die  Lohntaxen  659.  —  Resume'  667. 

Schlussbetraehtung S.  671—676. 

Anhang s.  677—684. 

1.  Excurs  über  die  angebliche  Fahrt  Seb.  Cabots  im  Jahre 
1517.  677.  —  2.  Nachträge  zum  neunten  Capitel  des  zweiten  Ab- 
schnittes 680. 


I.  ABSCHNITT. 


Beb  ans,  Engl.  Handelspolitik.   I. 


Erstes  Capitel. 


Die  Handelsbeziehungen  zwischen  England  und 
den  Niederlanden. 


Seit  frühester  Zeit  bestanden  zwischen  den  Niederlanden 
und  England  die  regsten  Beziehungen.  Die  beiden  Gebiete 
waren  durch  ihre  Lage  einander  sehr  nahe  gerückt,  indem 
nur  ein  schmaler  Meeresann  sie  trennte.  Die  beiden  Völker 
bargen  zudem  stammverwandte  Elemente  in  sich,  und  ihre 
ältesten  socialen  Einrichtungen  und  Gewohnheiten  deckten 
sich  vielfach;  namentlich  kam  bei  beiden  das  Gildewesen  zur 
Entfaltung.  Fortgesetzte  Wanderungen  hielten  das  Gefühl 
der  Zusammengehörigkeit  aufrecht.  Kein  Jahrhundert  ver- 
ging, ohne  dass  grössere  Massen  von  Flamändern  in  Folge 
von  Ueberschwemmungen  und  politischen  Unruhen,  oder  ge- 
trieben von  der  Sucht  nach  grösserem  Gewinn  den  heimat- 
lichen Boden  verliessen  und  der  britischen  Insel  sich  zu- 
wandten. Hatten  einst  angelsächsische  Missionäre  den  Nieder- 
ländern die  erste  Kunde  vom  Christenthum  gebracht  und  bei 
ihnen  den  Sinn  für  Wissenschaft  gepflegt,  so  wurden  später 
vlämische  Colonisten  die  Lehrer  der  Engländer  im  Ackerbau 
und  besonders  im  Gewerbe. 

Sehr  viel  rascher  als  England  hatten  sich  die  Niederlande 
seit  dem  Beginn  des  11.  Jahrhunderts  entwickelt;  besonders 
auf  industriellem  Gebiet  waren  sie  ersterem  weit  voraus. 
England  "erhob  sich  nur  langsam  aus  der  Barbarei  und  be- 
wegte sich  lange  im  Geleise  des  ungefügigen  ackerbautreiben- 
den Lehnsstaates.  Die  Industrie  war  schwach  ausgebildet, 
der  Handel  vorwiegend  in  Händen  fremder  Kaufleute.  Die 
Niederlande,  namentlich  Flandern,  waren  dagegen  schon  im 
13.  Jahrhundert  reich  an  blühenden  Städten,  dicht  bevölkert, 
voll  der  besten  Gewerbs-    und  Luxuszweige  und  im  Besitz 


—    4    — 

eines  imposanten  Weltmarktes1).  Nur  die  Mittelmeergebiete, 
vornehmlich  Italien,  konnten  sich  mit  ihnen  messen. 

Diese  Verschiedenheit  der  Entwicklung  war  für  die  Handels- 
beziehungen der  beiden  Nachbarländer  ausschlaggebend.  Sie 
bedurften  einander.  Die  flandrische  Industrie  war  auf  den 
Reichthum  Englands  an  Rohproducten  hingewiesen,  vor  Allem 
die  ausgedehnte  Tuchmanufactur  konnte  die  gute  englische 
Wolle  nicht  entbehren.  Die  Engländer  dagegen  waren  im 
Stand,  das  bei  ihnen  erwachende  Luxusbedürfniss  auf  dem 
niederländischen  Markt  zu  befriedigen. 

Die  beiderseitige  Abhängigkeit  war  jedoch  keine  ganz 
gleiche.  Die  -Engländer  konnten  allezeit,  zwar  nicht  ohne 
empfindliche  Störung,  aber  doch  ohne  ernstliche  Gefährdung 
der  Existenz  auf  ihrem  Eiland  sich  genügen  lassen,  die  Massen 
der  flandrischen  Weber  und  sonstigen  Industriellen  dagegen 
starben  Hungere,  wenn  sie  nicht  die  englischen  Rohproductö 
zur  Verarbeitung  erhielten.  Treffend  sagt  deshalb  ein  eng- 
lischer Politiker  des  15.  Jahrhundeiis: 

Was  hat  der  Flemming  denn  (wie  er  auch  flache!) 
Als  etwas  wen'ges  Krapp  und  Qäm'sche  Tuche? 
Durch  unsere  Wolle  nur,  die  sie  verweben, 
Können  die  Städte  dort  bestehen  und  leben. 
Sie  müs8ten  sonst  von  ihrem  Wohlstand  scheiden 
Verhungern  —  oder  Händel  mit  uns  meiden8). 

Die  Flamänder  waren  sich  dieser  Situation  auch  wohl  be- 
wusst.  Im  Jahre  1338  sprachen  sie  es  z.  B.  offen  dem  fran- 
zösischen König  gegenüber  aus8). 

Selbstverständlich  wirkte  diese  Lage  auch  auf  die  all- 
gemeine Staatspolitik  zurück.  Hier  kam  aber  ein  Factor  hin- 
zu, der  wiederum  England  auf  die  Niederlande  hinwies.  Die 
englischen  Könige  des  Mittelalters  konnten  der  politischen 
Freundschaft  mit  ihnen  nicht  entrathen,  soweit  es  sich  um  die 
Wahrung  englischer  Interessen  und  Ansprüche  gegenüber 
Frankreich  handelte.    Um   ihre  Besitzungen   daselbst  zu   er- 

*)  Vgl.  Frensdorff,  Aus  belgischen  Städten  und  Stadtrechten  in 
den  Hansischen  Geschichtsblättern  1878.  S.  39  fg.;  Warnkoenig,  Flan- 
drische Staats-  und  Rechtsgeschichte  I.  S.  317  fg.;  Kervyn  de  Letten- 
hove,  Histoire  de  Flandre  1847,  1855;  Beaucourt,  Brugsche  Koop- 
handel;  Henne,  Histoire  du  regne  de  Charles  -  Quint  en  Belgique  1859. 
Bd.  5.  S.  259  fg.  E.  van  Bruyssel,  Histoire  du  commerce  et  de  la 
marine  en  Belgique  1861.  I. 

*)  The  Libell  of  Englishe  Po  Heye  1436,  herausgegeben  und 
übersetzt  von  W.  Hertzberg.    Leipzig  1878.    Vers  120—5. 

8)  Vray  est  que  des  Francois  nous  viennent  bleds,  mais  il  convient 
avoir  de  guoi  acheter  et  paier;  et  muy  de  bled,  a  denier  dolent  celui  qui 
ne  Pa.  Mais  d'Engleterre  nous  viennent  laines  et  grands  prouffitz  pour 
avoir  les  vivres  et  tenir  grands  6taz,  et  du  pais  de  Haynau  nous  venroit 
assez  bleds  nous  a  eux  d'aecord.  Varenbergh,  Histoire  des  relations 
diplomatiques  entre  le  comte  de  Flandre  et  l'Angleterre  au  moyen  äge. 
Bruxelles  1874.    S.  11. 


—    5    — 

halten  oder  um  gleich  als  Könige  Frankreichs  aufzutreten, 
war  die  Stellung  Flanderns  und  Brabants  immer  von  grosser 
Bedeutung.  Namentlich  kam  die  des  ersteren  in  Betracht. 
Die  Grafschaft  Flandern  war  theilweise  durch  feudale  Bande 
an  Frankreich  geknüpft,  und  es  musste  das  Hauptziel  der 
englischen  Politik  sein,  gerade  sie  von  Frankreich  zu  trennen, 
um  ein  passendes  Operationsfeld  gegen  den  Feind  zu  ge- 
winnen !). 

So  begegneten  sich  die  Interessen  der  vlämischen  Städte 
mit  den  englischen  Wünschen.  Die  Könige  von  England 
kargten  nicht,  wenn  es  galt,  durch  Privilegien  die  Freund- 
schaft der  Flandrer  zu  erwerben.  Heinrich  III.,  Eduard  I. 
und  Eduard  ni.  gaben  mit  vollen  Händen  *),  und  diese  reichen 
Begünstigungen  namentlich  von  Seite  des  Letzteren,  der  zudem 
eine  Niederländerin,  die  edle  Philippa  von  Hennegau,  zur 
Gattin  hatte,  waren  geeignet,  die  Freundschaft  zwischen  den 
flandrischen  Städten  und  dem  Inselreich  fester  zu  begründen.  Die 
Flamänder  waren  nicht  weniger  liberal,  um  die  englischen  Kauf- 
leute herbeizuziehen3)  und  traten  gerne  auf  Seite  Englands, 
wenn  sie  zwischen  dem  Rufe  des  Lehnsherrn  und  den  locken- 
den Verheissungen  seines  Gegners  zu  wählen  hatten.  Am 
besten  entsprach  ihren  Interessen  eine  neutrale  Stellung,  weil 
sie  dann  keine  Opfer  zu  bringen  brauchten  und  den  Handel 
nach  Frankreich  und  England  fortsetzen  konnten.  Nicht  selten 
glückte  es  den  Städten,  diese  Neutralität  sich  zu  sichern4); 
eventuell  aber  scheuten  sie  sich  auch  nicht,  England  offenen 
Beistand  zu  leisten;  sie  schlössen  selbständig  yiit  den  eng- 
lischen Königen  Handels-  und  politische  Verträge  ab,  zwangen 
ihre  eigenen  Herrscher,  die  französische  Gesinnung  zu  ver- 
läugnen,  und  schritten  zur  Gewalt,  wenn  diese  ihren  Vor- 
stellungen sich  nicht  fügen  wollten.  In  solcher  Weise  wurde 
nicht  nur  das  Aufgehen  dieser  Gebiete  in  Frankreich  verhin- 
dert, sondern  es  konnte  sich  auch  der  englisch-niederländische 
Verkehr  entwickeln  und  die  internationalen  Grundsätze 
herausbilden,  die  zu  seinem  Gedeihen  nothwendig  waren. 

Die  Geschichte  dieser  beiderseitigen  Regelung  des  Handels 
zu  verfolgen,  liegt  ausserhalb  unserer  Aufgabe.    Der  Gang  war 


x)  Der  erste  politische  Vertrag  dieser  Art  zwischen  Flandern  und 
England  ist  datirt  vom  17.  Mai  1101,  dem  am  10.  März  1103  ein  zweiter 
folgte.  Rymer,  Foedera  I.  S.  1,  4.  (Ich  citire,  wenn  nicht  anders  be- 
merkt ist,  nach  der  Londoner  Originalausgabe  von  1704/85).  Die  handels- 
polttische'Bedeutung  der  im  Text  skizzirten  Situation  wurde  bereits  von 
dem  Secretar  der  Merchant  adventurers  Wheeler  in  seinem  Treatise  of 
commerce  etc.    Middelburgh  1601.  S.  33,34  richtig  gewürdigt. 

«)  Varenbergh  a.  a.  O.    S.  151  fg.,  156  fg.,  309  fg. 

~  Vgl  z.  B.  Varenbergh  a.  a.  0.    S.  394,  447. 
Varenbergh  a.  a.  0.  S.  130,  260,  282  u.  s.  w. 


3 


—    6    — 

aber  der  gewöhnliehe.  In  der  allerersten  Zeit  rausste  jeder 
einzelne  Kaufmann  sich  das  Recht  des  Handels  erkaufen1), 
später  erwarben  sich  ganze  Städte2)  und  'Landestheile  einen 
Geleitsbrief.  Die  Grafschaften  Flandern  und  Hennegau  er- 
hielten z.  B.  am  3.  Dec.  1237  die  erste  allgemeine  Licenz, 
nach  England  zu  handeln  gegen  Zahlung  von  400  Mark8). 
Gleichzeitig  wurden  einzelnen  Städten  noch  weitere  Privilegien 
verliehen4).  Da  ihre  Concurrenten  dann  nicht  ruhten,  bis 
auch  sie  derselben  theilhaftig  geworden,  pflanzten  sich  die 
Freiheiten  immer  weiter  fort. 

Am  besten  wurden  solche  Rechte  erlangt  und  gesichert, 
wenn  energische  und  klug  operirende  Handelsgesellschaften 
die  Sache  in  die  Hand  nahmen.  Das  war  hier  der  Fall.  Von 
Seite  der  Niederlande  war  besonders  thätig  die  vlämische 
Hanse  zu  London 6),  die  englischen  Interessen  dagegen  wurden 
vertreten  von  den  Staplern,  später  und  vorwiegend  von  den 
Merchant  adventurers 6). 

Diese  Corporationen  hatten  den  wesentlichsten  Antheil  an 
der  Ausbilduug  der  rechtlichen  Basis  für  den  beiderseitigen 
Handel  im  13.  und  14.  Jahrhundert.  Die  damals  geschaffenen 
Grundzüge  blieben  auch  im  15.  und  16.  Jahrhundert  erhalten. 

Merkwürdig  aber  ist,  dass  diese  rechtliche  Basis  in  einem 
Vertragsverhältniss  zum  Ausdruck  kam,  das  hinsichtlich  des 
mittelalterlichen  Englands  in  diesem  Umfang  ziemlich  isolirt 
dasteht.  Der  gewöhnliche  Gang  im  Mittelalter  war  der,  dass 
jeder  Herrscher  einseitig  dem  anderen  Lande  Handelsprivi- 
legien ertheilte.  In  Verträgen  pflegte  man  meist  nur  zu  sti- 
puliren,  dass  die  beiderseitigen  Kaufleute  frei  handeln  dürften, 
d.  h.  zur  Ausübung  des  Handels  im  fremden  Gebiet  nicht  erst 
Licenzen  zu  erwerben  brauchten.  Hier  machte  man  aber 
ziemlich  früh  eine  grosse  Zahl  von  Bestimmungen  allgemeiner 
mehr  völkerrechtlicher  Art  zum  Gegenstand   des   Vertrages, 


*)  Zahlreiche  Beispiele  hiefür  bei  Wauters,  Table  chronologique 
des  chartes  et  diplömes  imprimes  concernant  l'histoire  de  la  Belgique  1866  fg. 
namentlich  Bd.  IV. 

*)  So  räumte  Johann  ganzen  Städten  das  Recht  des  Handels  1199 
und  1208  ein.    Varenbergh  a.  a.  0.  S.  91,  98. 

")  Varenbergh  a.  a.  0.    S.  131. 

4)  So  zuerst  von  Heinrich  III.  1232  den  Kaufleuten  von  Ypern 
(Diegerick,  Inventaire  des  archives  d'Ypre  I.  S.  47,  64);  1237  und  1259 
denen  von  Gent  (Di eri ex,  Mömoires  sur  la  ville  de  Gand  I.  S.  148,  149); 
1260  denen  von  Brügge  (Gilliodts-van  Severen,  Archives  de  la  ville 
de  Bruges  I.  Serie.  T.  I.  Nr.6);  1261  denen  vonDouai  (Varenbergh  a.a.O. 
S.  136).  Unter  den  Eduards  wurden  diese  Freiheiten  bestätigt,  und  die  Pri- 
vilegien auch  auf  andere  Städte  ausgedehnt;  so  erhielten  gewisse  Rechte 
1338/39  die  Kaufleute  von  Leau, Brüssel,  Diest,  Tienen,  Mecheln,  Löwen 
(Rymer  V.  S.  80;  Piot,  Inventaires  des  diverses  archives  de  la  Belgique 
1879     Nr.  35.    S.  12.) 

c)  Ueber  diese  sieh  Varenbergh  a.  a.  0.    S.  146  fg. 

°)  Sieh  unten  Abschnitt  II.  Cap.  1. 


—    7    — 

ohne  aber  sich  und  den  Municipalitäten  zu  verwehren,  inner- 
halb dieses  Rahmens  noch  besondere  Privilegien  zu  gestatten. 

Das  15.  Jahrhundert,  in  welchem  die  zersplitterten  Theile 
der  Niederlande  unter  dem  burgundischen  Scepter  in  der 
Hauptsache  geeinigt  waren  und  deshalb  mehr  ebenbürtig 
England  sich  gegenüberstellen  konnten,  baute  den  Handels- 
vertrag oder  sogenannten  Intercursus  im  Einzelnen  aus.  Die 
Bestimmungen  des  Magnus  Intercursus  von  1496  können  als 
typisch  gelten *).  Jeder  Fortschritt  im  Vertrag  kam  fast  immer 
beiden  Theilen  zu  Gute. 

Ganz  anders  war  es  aber  mit  den  localen  Privilegien 
gegangen.  Wohl  hatte  auch  hier  das  15.  Jahrhundert  ent- 
scheidende Wendungen  hervorgerufen,  aber  mehr  und  mehr 
einseitiger  Natur.  Die  vlämische  Hanse  verschwindet  noch  in 
der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  den  niederländischen 
Kaufleuten  werden  englischerseits  die  früheren  Zollbegünsti- 
gungen mehr  und  mehr  verkümmert2),  dieselben  sehen  sich 
successive  in  die  Stellung  der  nichtprivilegirten  Fremden 
zurückgedrängt;  die  Merchant  adventurers  dagegen  beginnen 
erst  recht  um  diese  Zeit  ihr  stolzes  Haupt  zu  erheben, 
aber  nicht  in  Flandern,  sondern  in  Brabant3).  Die  innige 
Freundschaft  zwischen  den  flandrischen  Städten  und  eng- 
lischen Kaufleuten  löste  sich  im  15.  Jahrhundert  rasch,  als 
England  sich  nicht  begnügte,  die  Wolle  zu  liefern,  und  nicht 
mehr  seinen  Stolz  darin  sah,  dass  Flandern  ihm  seine  kost- 
baren Kleider  webte,  sondern  darin,  dass  seine  eigenen  Tücher 
einen  Weltruf  erlangten  und  die  flandrischen  auf  dem  Brügge'- 
schen  Markte  aus  dem  Felde  schlugen.  Es  entbrannte  ein 
harter  commercieller  Kampf  darob4),  die  Bedrückungen  der 
englischen  Kaufleute  in  Flandern  mehrten  sich  von  Tag  zu 
Tag,  bis  ein  grosser  Theil  es  vorzog,  Brügge  zu  verlassen  und 
Dach  dem  burgundischen  Osten  und  Norden  sich  zu  wenden. 
Zuerst  begaben  sich  diese  scheidenden  Merchant  adventurers 
nach  Middelburg;  da  dasselbe  aber  sehr  ungesund  war,  und 
Antwerpen  ausserordentliche  Privilegien  verhiess,  so  folgten  sie 


*)  Vgl.  die  wichtigsten  Artikel  desselben  S.  13  fg. 

*)  Die  Verleihung  der  Privilegien,  welche  früher  Dinant  besass,  an 
die  Kaufleute  von  Middelburc  am  9.  Nov.  1477  (Rymer  XI.  S.  729)  und 
die  Gleichstellung  der  Kaufleute  von  Hecheln  mit  denen  der  deutschen 
Hansa  am  13.  März  1480  (Gachard,  Collection  de  documents  inedits  conc. 
Phistoire  de  la  Belgique  II.  45)  müssen  als  vereinzelte  Ausnahmefälle  gelten. 
Recht  markant  wird  die  den  Niederländern  ungünstige  Wendung  veran- 
schaulicht durch  die  Denk-  u.  Beschwerdeschrift,  welche  Antwerpener  Kauf- 
leute 1485  dem  Erzherzog  Maximilian  übergeben  Hessen.     Urk.  Beil.  4. 

R)  Wie  wenig  die  Merchant  adventurers  im  15.  Jahrhundert  mit  Flan- 
dern zu  thun  hatten,  zeigt  auch  der  Urkundenstock,  den  sie  beim  Tode 
Heinrichs  VIII.  besassen.  In  dem  Verzeichniss  dieser  Documenta  wird  der 
englischen  Privilegien  in  Flandern  nur  einmal  gedacht  Urk.Beil.l33.§31. 

*)  Vgl.  Abschn.  II.  Cap.  4. 


_    8    — 

1444  dem  Rufe1)  und  legten  so  den  Grund  zu  der  künftigen 
Grösse  Antwerpens,  die  im  16.  Jahrhundert  alle  Welt  in  Er- 
staunen versetzen  sollte2). 

Was  Antwerpen  schon  Ende  des  13.  und  am  Anfang  des 
14.  Jahrhunderts  angestrebt  hatte,  nämlich  Brügge  den  Handel 
zu  entreissen ,  gelang  jetzt  nach  Verfluss  von  fast  zwei  Jahr- 
hunderten. Aus  dem  frühzeitigen  Versuch  Antwerpens  aber,  die 
Kaufleute  in  seine  Mauern  zu  ziehen,  erklärt  sich,  weshalb 
die  Privilegien  der  Engländer  in  Antwerpen  bis  ins  Jahr  1286  3) 
oder  noch  weiter 4)  zurückgingen.  Zwar  waren  diese  Freiheiten 
nicht  bloss  auf  die  Engländer  beschränkt,  aber  die  letzteren 
werden  doch  besonders  in  den  Privilegienverleihungen  genannt5), 
und  es  wird  angedeutet,  dass  man  gerade  auf  ihr  Kommen  den 
grössten  Werth  lege.  Sicherlich  begannen  auch  damals  eng- 
lische Kaufleute  nach  Antwerpen  zu  handeln,  wie  die  gewählten 
Rechte  von  1305 6)  und  1315 7)  beweisen.  Hätten  sich  die 
Venetianer,  die  um  jene  Zeit  in  der  Wahl  zwTschen  beiden 
Stapelplätzen  schwankten8),  für  Antwerpen  entschieden,  und 
hätten  die  Brabanter  schon  damals  den  Missbräuchen  der 
zeeländisch -  holländischen  Zollherrn,  welche  die  Mündung  der 


s)  Wheeler,  A  treatise  of  commerce  etc.    S.  16. 

2)  Sieh  die  merkwürdige,  wenn  auch  übertriebene  Schilderung  über 
diesen  Umschwung  bei  Wheeler  a.  a.  0.  S.  18,  wo  behauptet  wird,  dass 
zur  Zeit  der  Uebersiedelung  keine  4  Kaufleute  in  Antwerpen  und  selbst 
diese  keine  „adventurers  to  the  sea"  gewesen  seien.  Ueber  Antwerpens 
Bedeutung  und  Glanz  im  16.  Jahrhundert  vgl.  besonders  Henne,  Histoire 
du  regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  1859.  Bd.  5.  S.  265  fg. 

■)  ürk.  Beil.  133.  §  27. 

*)  ürk.  Beil.  134. 

5)  So  heisst  es  in  den  Privilegien  von  1305:  omnes  et  singuli  merca- 
tores  regni  Anglie  necnon  cuiuscumque  regni  seu  terre. 

6)  Dieser  Privilegienbrief  ist  publicirt  in  Mertens  en  Torf,  Ge- 
schiedenis  van  Antwerpen  Bd.  II.  S.  543;  ein  Auszug  davon  findet  sich 
bei  Verachter,  Inventaire  des  chartes  et  Privileges  cons.  aux  archives  de 
la  ville  d'Anvers  1860.  S.  23  und  in  Papebrochii  Annales  Antverpienses 
ed.  Mertens  et  Buschmann  1.  S.  65,  66. 

7)  Sieh  ürk.  Beil.  133  §  18.  Die  Urkunde  von  1315  stimmt  wört- 
lich mit  der  von  1305  überein,  ohne  dass  sie  sich  ausdrücklich  als  eine  Neu- 
bestätigung zu  erkennen  gibt.  Es  ist  möglich,  dass  schon  1286  dieselben 
Rechte  ganz  oder  theil weise  verliehen  wurden.  ImBr.M.  Cotton  Mscrs. 
Tiberius  D.  fo.  21  findet  sich  ein  englischer  Auszug  der  Privilegien.  Der- 
selbe theilt  die  ersten  21  Artikel  dem  Jahre  1286,  die  letzten  17  dem  Jahre 
1315  zu.  In  Antwerpen  überzeugte  ich  mich  aber,  dass  die  Verleihung  von 
1315  und  1305  die  21  und  1?  Artikel  zusammen  enthält.  Nichtsdestoweniger 
mag  der  erwähnte  englische  Auszug  richtig  andeuten,  dass  zu  den  21  Ar- 
tikeln des  Jahres  1286  im  Jahre  1305  17  neue  kamen,  welche  38  Artikel 
aber  von  da  an  als  ein  Ganzes  galten.  Die  Antwerpener  Annalisten  am 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  hielten  die  Privilegien  von  1305  für  die 
ältesten.  „Gramayus  stire  se  ait,  quod  primas  cum  Anglis  pactiones  Ant- 
verpia  concepit  anno  1305;"  Papebrochii  Annales  Antverpienses  ed. 
Mertens  et  Buschmann  I.  S.  65. 

8)  He  yd,  Geschichte  des  Levantehandels  im  Mittelalter  1879  IL 
S.    709. 


—    9    — 

Scheide  bewachten,  ernstlich  vorbeugen  können1),  so  hätte 
leicht  noch  im  14.  Jahrhundert  die  Ablenkung  des  Handels- 
verkehrs von  Brügge  eintreten  können.  So  aber  mussten  die 
Engländer  wohl  oder  übel  der  Attractionskraft  Brügges,  wo 
nun  einmal  der  Weltmarkt  war,  folgen ;  der  Verkehr  mit  Ant- 
werpen blieb  ein  kleiner,  aber  er  erlitt  doch  keine  vollstän- 
dige Unterbrechung.  Mit  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  hob 
er  sich,  die  Merchant  adventurers  hatten  1407  bereits  ein  l 
Haus  erhalten2).  Seitdem  vollzog  sich  ein  langsames,  aber 
andauerndes  Uebersiedeln  der  englischen  Kaufleute  von  Brügge  , 
nach  Antwerpen.  Jede  Störung  und  Bedrückung  in  ersterein, 
die  politischen  Verwicklungen,  an  denen  Flandern  so  reich  war, 
die  seit  1432  beginnende3)  und  von  da  ab  rasch  zunehmende 
Verschlechterung  des  Zwins,  gaben  dieser  Bewegung  neue  Nah- 
rung 4).  Man  darf  sich  jedenfalls  den  Vorgang  nicht  als  einen 
einmaligen,  definitiven  denken.  Um  1430  aber  war  der  Verkehr 
der  Engländer  mit  Antwerpen  schon  so  stark,  dass  die  in 
Brügge  noch  zurückgebliebenen  Kaufleute  auf  Veranlassung 
der  Bürger  von  Brügge  und  Gent  beim  königl.  Rath  ein  Ver- 
bot des  Besuchs  der  Brabanter  Messen  verlangten 5).  1442/44 
scheint  die  Uebersiedelung  am  masfeenhaftesten  eingetreten  zu 
sein6).  Aus  den  nun  folgenden  commerciellen  Verhandlungen 
geht  auch  klar  hervor,  dass  von  da  ab  der  Schwerpunkt  des 
englisch-niederländfcchen  Handels  in  Antwerpen  lag. 

Die  Freiheiten  der  Engländer  wurden  1446  und  1450  von 
der  Stadt  und  dem  Herzog  ganz  neu  geordnet 7)  und  erhielten 
die  Gestalt,  welche  sie  im  Wesentlichen  während  der  letzten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  und  während  der  ganzen  Re- 
gierungszeit Heinrichs  VIII.  sich  bewahrten. 

Von   grosser   Wichtigkeit   war  namentlich   der   erwähnte 

Freiheitsbrief  des  Herzogs  von  Burgund  vom  6.  August  1446. 

In    diesem   stellte    der  Letztere    auf  Grund    eines   Conflicts 

zwischen  den  Engländern  lind  seinen  Zollbeamten  8)  die  Rechte 

der  Engländer  fest,   die   sie   fortan   in  Antwerpen  gemessen 
— 1_ 

')  Papebrochii  Annales  Antverpienses  ed.  Hertens  et  Buschmann 
I.    S.  419. 

*)  ürk.  Beil.  133.  §  19. 

")  Belege  bei  Gilliodts  van  Severen,  Inventaire  des  archives  de 
la  ville  de  Bruges  T.  V.  S.  11  Nr.  984. 

*)  Sieh  auch  Kervyn  de  Letten  ho  ve,Hi8toire  deFlandreVI.S.79fg. 

*j  Sieh  die  Petition  bei  Nicolas,  Proceedings  and  Ordiriances  of 
the  Privy  Concil  IV.  S.  55 ;  derselbe  wurde  statt  gegeben. 

•)  rapebrochii  -Ann.  Antverp.  ed.  Mertens  et  Buschmann  I.  S.414. 

')  SiehUrk.Beil.  2  sowie  die  Noten  zuürk.  Beil.  23;  ferner  Pape- 
brochii Anna! es  Antverpienses  ed.  Mertens  et  Buschmann.  1.  8.  446  u.  447. 

*)  Ueber  die  bezüglichen  Verhandlungen  bind  reiche  Materialien  im 
Antwerpener  Stadtarchiv  vorhanden,  besonders  in  den  Vol.  betitelt:  Engel- 
sche  Natie  1304—1453  und  Engeische  Coopluvden  1304—1564. 
Ausserdem  vgl.  Compte  rendu  des  seances  de  la  commission  royale  d'histoire 
belgique.  3.  Serie  T.  3.  S.  178  fg. 


—    10  .— 

sollten.  Dieser  Brief  wurde  so  sehr  als  Gnradbrief  betrachtet, 
dass  noch  unter  Heinrich  VIII.  auf  ihn  in  dieser  Eigenschaft 
recurrirt  wurde  *).  Sein  wesentlicher  Inhalt  bezieht  sich  auf 
Beseitigung  aller  Zweifel  in  Betreff  der  Zölle,  die  im  Vergleich 
zu  denen  der  übrigen  Fremden  jedenfalls  massig  gestellt  waren, 
ausserdem  bezwecken  seine  Bestimmungen  überhaupt  eine 
liberale  Zollbehandlung  und  eine  rasche  und  gut  geordnete 
Rechtspflege  *).  Aber  auch  die  nebenhergehende  besondere  Ver- 
einbarung zwischen  der  Stadtbehörde  und  den  englischen  Kauf- 
leuten war  für  die  Beziehungen  beider  grundlegend.  Die  Ant- 
werpener, welche  fort  und  fort  bestrebt  waren,  den  englischen 
Handel  in  ihrer  Stadt  festzuhalten,  und  hierin  von  den  burgundi- 
schen  Herzögen  damals  kräftig  unterstützt  wurden 3),  erweiter- 
ten bald  darauf  noch  die  Rechte  der  Engländer*),  und  Ihrem 
liberalen  Beispiele  folgten  Angesichts  des  Erfolgs  andere  be- 
nachbarte Städte  wie  Bergen  op  Zoom5)  und  Middelburg 6), 
auch  die  holländischen  Grafen 7)  wetteiferten  in  der  Begünstig- 
ung der  Engländer  und  vollendeten  so  die  Verrttckung  des 
englischen  Handels  vom  Westen  nach  dem  Osten.  Fast  ganz 
trat  Antwerpen  in  die  frühere  Rolle  Brügges  ein,  als  letzteres 


')  Als  Frankreich  1528  die  Engländer  zu  gewinnen  suchte,  wollte  es 
ihnen  die  gleichen  Rechte  gewähren,  die  sie  in  deu  Niederlanden  besassen. 
Bei  dieser  Gelegenheit  wurden  ausdrücklich  die  Privilegien  von  1446  als  die 
wichtigsten  erwähnt.  Wheeler  hebt  diese  gleichfalls  ganz  besonders  hervor 
S.  17.  Nach  ihm  scheint  es  auch,  als  ob  in  diesem  Jahr  die  Merchant  ad- 
venturers  die  alte  Börse  und  den  Court  of  Lier  von  der  Stadt  erhielten. 

2)  Sieh  die  einzelnen  Artikel  Urk.  Beil.  2. 

9)  Als  z.  B.  die  Engländer  die  St.  Bavon's  Messe  1450  anderswo  als 
in  Antwerpen  halten  wollten,  duldete  eß  der  Herzog  Philipp  nicht;  Ver- 
ächter, Inventaire  des  archives  d'Anvers  S.  128. 

*)  Vgl.  besonders  die  Uebereinkunft  zwischen  der  Stadt  und  den  Eng- 
ländern im  Jahre  1474;  Papebrochii  Annales  Antverpienses  ed.  Mertens 
et  Buschmann.    1J.  S.  149,  150  und  Urk.  Beil.  133.  8  38  u.  39. 

6)  Vgl.  Urk. Beil.  133.  §  24,  25,  32,  41  insbes.  aber  in  Urk.  Beil.  3. 
das  Privileg  von  1470,  das  sich  auf  das  des  Herzogs  von  Burgund  vom  6.  Au- 
gust und  das  der  Stadt  Antwerpen  vom  12.  Aug.  1446  gründet.  « 

6)  Urk.  Beil.  133.  §  42. 

7)  Für  die  ältesten  Handelsbeziehungen  Hollands  und  Englands  ist 
sehr  werthvoll  Oorkondenbook  van  Holland  en  Zeeland  uit  ge- 
geven  van  wege  de  kon.  Akademie  van  Wetenschappen  I  Afdeeling  tot  het 
einde  van  het  hollandsche  huis  bewerkt  door  M*  van  den  Bergh.  I  Deel 
1866.  Der  Graf  Floris  war  besonders  auf  die  Kräftigung  des  Handels 
zwischen  Holland  und  England  bedacht  (Rymer  11.  S.  62).  Unter  den 
holländischen  Städten  hatte  Dortrecht  frühe  Beziehungen  mit  England  und 
erhielt  auch  von  Edward  111.  1313  Vorrechte  und  schon  vorher  einmal  sogar 
das  englische  Stapel  (Rymer  Hl.  S.  358).  Eine  Urkunde  über  die  Regelung 
der  Einfuhr  englischer  Laken  nach  Zieriksee  durch  den  Grafen  Wilhelm  V. 
von  Holland  v.  8.  Mai  1347  hat  kürzlich  E.  Höhlbaum  publicirt  in  den 
Hans.  Geschieh tsbl.  1877.  S.  133.  Ueber  die  engl.  Privilegien,  welche 
1413  ertheilt  und  von  Johann  1421  bestätigt  wurden,  vide  Urk.  Beil.  133 
$20  und  Urk.  Beil.  1.  Ein  weiteres  Privileg  von  1435  ist  in  Urk.  BeiL  133 
fc  23  erwähnt,  wahrscheinlich  war  dies  nur  eine  Bestätigung  des  früheren, 
wie  das  auch  bei  dem  vom  14.  Oct.  1491  §  43  genannten  der  Fall  ist. 


-   11   — 

in  einen  politischen  Streit  mit  seinem  Fürsten,  dem  Erzherzog 
Maximilian,  sich  verwickelte  (1482),  der  die  Zerstörung  des 
Hafens  Sluis  und  eine  starke  Verwüstung  Flanderns  während 
des  fast  10jährigen  Kriegs  zur  Folge  hatte.  Diejenigen  Eng- 
länder, die  bisher  die  Verbindung  mit  Brügge  noch  unterhalten 
hatten,  gaben  sie  nun  auch  auf,  und  ihrem  Beispiel  folgten  die 
übrigen3Tationen.  Besonders  wichtig  war,  dass  auch  die  Por- 
tugiesen nach  Auffindung  des  Seewegs  Antwerpen  zum  Stapel- 
platz für  ihre  aus  Indien  bezogenen  Specereien  wählten  *). 

Was  den  Waaren verkehr  der  zwischen  England  und 
den  Niederlanden  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  Statt  hatte, 
anlangt,  so  ist  es  natürlich  unmöglich,  denselben  genau  zu 
bestimmen. 

Unter  den  englischen  Ausfuhrartikeln  nahm  die  Wolle  noch 
einen  hervorragenden  Platz  ein 2).  Sie  wurde  den  Niederländern  im 
Stapel  zu  Calais  angeboten.  Schaf-  und  Kaninchenfelle,  Blei, 
Zinn,  feiner  Häute,  aber  nicht  mehr  unbearbeitet,  sondern 
bereits  gegerbt,  sodann  Bier,  Käse,  Butter  und  andere  Lebens- 
mittel, Talg,  auch  Malvasier  Wein,  den  die  Engländer  eifrig 
von  Candia  holten,  italienischer  und  spanischer  Saffran,  Ala- 
bastersteine bildeten  Gegenstände  der  englischen  Einfuhr  in  die 
Niederlande3).  Alle  diese  letztgenannten  Artikel  konnten  an 
Werth  sich  nicht  mit  dem  Tuch,  das  die  Engländer  nach  Ant- 
werpen brachten,  messen.  Dasselbe  bildete  im  Gegensatze  zur 
Zeit  Brügge'schen  Flors  den  Mittelpunkt  des  englischen  directen 
Imports  nach  den  Niederlanden.  Zu  Ausgang  des  15.  Jahr- 
hunderts betrug  die  Zahl  dör  in  das  seit  4.  Nov.  1497  von 
Bergen  op  Zoom  nach  Antwerpen  verlegte  Brabanter  Tuch- 
stapel gebrachten  englischen  Tücher  jährlich  ungefähr  20  000 , 
also  c.  30  %  der  gesammten  englischen  Tuchausfuhr4),  später, 
namentlich  unter  Heinrich  VIH.  dürfte  der  Gesammtexport 
von  englischen  Tüchern  nach  den  Niederlanden  zwischen 
30—40000  Stück  sich  bewegt  haben6).    Die  von  den   Eng- 


*)  Guicciardini,  Descrittione  dei  paesi  bassi  S.  84.  Ein  portu- 
giesischer Handelsconsul  war  seit  1490  in  Antwerpen;  Mertens  en  Torfs, 
Gescbiedenis  van  Antwerpen  III.  S.  320.  Sieh  ferner  Gachard,  Collection 
de  documents  inedits  conceraant  l'histoire  de  la  Belgique  II.  S.  25  u.  26. 

*)  Vgl.  B<L  II.    S.  15,  16  u.  78  fg. 

•)  Wheeler  a.  a.  0.  S.  25  und  Guicciardini,  Descrittione  dei 
paesi  bassi  S.  119  fg. 

4)  Nach  einem  im  Brüsseler  Staatsarchiv  vorhandenen  Zollregister 
(Chambre  des  Comptes  No.  23250  und  23  251)  wurden  vom  5.  Oct. 
1497  bis  26.  Oct.  1498  13207  li.  16  sh  10  d  und  vom  14.  Nov.  1498  bis 
4.  Mai  1499  3387  li.  1  s.  6  d.  an  Tuchzoll  vereinnahmt.  Da  in  Folge  des 
am  8.  Nov.  1497  in  Antwerpen  publicirten  Decrets  der  frühere  St  Andreas- 
golden  vom  Stück  Tuch  auf  „twee  scellinge  gro.  Vläm.  dats  12  sh.  in  munten 
des  rekenen"  herabgesetzt  worden  war,  so  ergeben  sich  durch  Berechnung 
fiir  die  Zeit  vom  5.  Oct.  1497  bis  26.  Oct.  1498  22013  Stück  Tuch,  für  die 
Zeit  Tom  14.  Nov.  1498  bis  4.  Mai  1499  5645  Stück. 

*)  In  Folge    der  vollständigen  Aufhebung  des  Andreasguldens,    der 


—    12    — 

ländern  selbst  verladenen  Tücher1)  kamen  fast  alle  auf  den 
Antwerpener  Markt.  Weil  ein  so  grosser  Theil  der  englischen 
Tücher  nach  den  Niederlanden  ging  und  da  erst  wieder  an 
Fremde  abgesetzt  wurde,  erhielten  sie  vielfach  selbst  den 
Namen  „flandrische  Tücher-  *).  Auf  zwei  Messen  wurde  dieser 
Verkehr  hauptsächlich  abgewickelt,  nämlich  auf  der  Pfingst- 
und  Oktobermesse 3).  Der  reiche  Erlös  aus  all  diesen  Artikeln 
wurde  theils  in  baarem  Gelde  zurückgebracht ,  theils  auf  den 
Ankauf  von  Waaren,  die  aus  allen  Ländern  der  Welt  zu  Ant- 
werpen aufgestapelt  waren,  verwendet;  letzteres  nahm  um  so 
mehr  überhand,  je  schwieriger  und  unmöglicher  es  ward,  die 
grosse  Masse,  welche  Eugland  jährlich  auf  den  Markt  warf, 
dauernd  mit  Edelmetall  zu  zahlen,  ferner  je  mehr  der  Sinn 
für  einen  edlen  Luxus  in  England  selbst  zur  Herrschaft  kam, 
und  je  mehr  der  kaufmännische  Geist  sich  entwickelte  und 
das  doppelte  Geschäft  des  Ver-  und  Einkaufs  vortheilhafter 
fand  als  das  einfache4). 

Die  Zahl  der  gekauften  Waaren  ist,  wie  der  Secretär 
der  Merchant  adventurers  Wheeler  schon  sagt5),  unendlich. 
Unter     den     nach    England     gebrachten    Artikeln     nieder- 


Befreiung  vom  Antwerpener  Tuchstapel  (1499)  und  der  grossen  Steigerung 
der  Tuchproduction. 

l)  lieber  ihre  Menge  unter  Heinrich  VIII.  vgL  Zollregister  No.  V. 
Bd.  II.  S.86fg.  Die  Schätzung  Guicciardini's,  wonach  der  Import  englischer 
Tücher  nach  den  Niederlanden  um  1568  mehr  als  200000  Stuck  mit  einem 
Werthe  von  1 200000  £  betragen  habe,  muss  als  Übertrieben  gelten;  dagegen 
verdient  die  Angabe  Wheeler's  Glauben,  der  in  seinem  Treatise  of  commerce 
S.  25  sagt,  dass  jährlich  60  000  weisse  Tücher  im  Werthe  von  600000  &, 
ausserdem  noch  gefärbte  Tücher  aller  Art,  kurze  und  lange  „Kersies,  bayes, 
cottons,  northern  dossens"  und  andere,  im  Ganzen  nochmal  40000  Tücher 
im  Werth  von  400  000  £\  von  den  Merchant  adventurers  jährlich  ausgeführt 
worden  seien. 

s)  „Beside  the  abundant  meat  there  groweth  in  England  great  quantitv 
of  wool,  the  finest  of  all  the  world,  whereof  the  kerseys  and  broad- 
cloths  of  London  are  made;  and  all  the  fine  cloths,  which  called 
panni  diffandra,  are  also  English  cloths  wrong  named  by  reason  of 
the  mart  at  Antwerp  in  Flanders,  where  these  cloths  are  most  commonly 
bought  and  sold" ;  Wi  1 1.  T  h  o  m  as,  The  Pilgrim,  a  Dialogue  on  the  Life  and 
Actions  of  the  King  Henry  the  Eighth  1546;  ed  by  Froude.  London 
1861.    8.  7. 

-n)  Selten  kamen  die  Engländer  zur  Ostermesse,  zu  der  des  hl.  Remigius 
fast  nie.  Ob  eine  von  diesen  Messen  besucht  werden  sollte,  entschieden  die 
Vorstände  der  Merchant  adventurers,  und  diese  Hessen  sich  bei  ihren  Ent- 
schlüssen davon  leiten,  ob  noch  viel  unverkaufte  Tücher  vorhanden  waren. 
Hierüber  und  über  die  zwischen  1515  —  1588  unternommenen  Fahrten  ge- 
währen interessante  Aufschlüsse  Lansdown  Mscrs.  170.  fo.  138  im  B.M. 

*)  Wie  sehr  dieser  Umschwung  gefühlt,  in  gewissen  Kreisen  aber  als 
ungünstige  Neuerung  beurtheilt  wurde,  davon  geben  Stimmen  aus  dem 
16.  Jahrhundert  Zeugniss.  Vgl.  Pauli,  Drei  volkswirtschaftliche  Denk- 
schriften aus  der  Zeit  Heinrich's  VIII.  von  England.  23.  Bd.  der  Abh.  der 
kgl.  Ges.  d.  W.  z.  Göttingen.  1878.  S.  16,  34  u.  s.  w.  Danach  hätten  erst 
unter  Eduard  IV.  die  Londoner  angefangen,  fremde  Waaren  zu  importiren(?) 

6)  A  treatise  of  commerce  etc.    1601.  S.  25  fg. 


—  is- 
ländischen Ursprungs  wurden  von  ihm x)  aufgeführt :  Tapeten, 
weisser  Faden,  grobes  Garn  (inkle),  Leinentuch  aller  Art, 
Kammertücher  („cambrickes"),  feine  Leinwand  („lawnes"), 
Steifleinwand  („buckrams"),  Krapp.  Ausserdem  kauften  die  Eng- 
länder in  den  Niederlanden  Juwelen,  Geschmeide,  Queck- 
silber, verarbeitete  Seide,  gold-  und  silbergewirktes  Tuch, 
Serges,  Kamelot,  Baumwolle,  Gewürze,  Droguen,  Zucker, 
Weine,  Salz2),  Kümmel,  Galläpfel,  grosse  Quantitäten  Hopfen, 
Glas,  Salzfische,  Kurzwaaren  aller  Art,  in  sehr  beträchtlicher 
Menge  Waffen,  Munition  und  Haushaltungsgegenstände 3). 

Als  die  wichtigsten  Massenartikel,  die  man  von  den  Nie- 
derlanden bezog,  wurden  zur  Zeit  Heinrichs  V11I.  betrachtet4) 
Tuch,  Sayes,  Barchent,  Kamelot,  kölnischer  Hanf  oder  Faden, 
Krapp,  Mandeln,  Korinthen,  Nägel,  Zucker,  Eisen,  Pflaumen 
und  Datteln,  Pfeffer,  Hopfen,  Brasilienholz5). 

Die  jährliche  Einfuhr  an  Leinentuch  aus  Flandern  wird 
auf  .100  000  Mark  und  auf  2  3  des  gesammten  Leinenimports 
geschätzt 6).  Der  Gesammtverkehr  zwischen  England  und  Ant- 
werpen belief  sich  nach  Guicciardini  in  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  jährlich  auf  12  Millionen  Thaler  (äcus  (Tor) 7,) 
nach  Marino  Cavallo  (1551)  dagegen  nur  auf  800  000  Ducaten 8). 
Jedenfalls  gewährten  aber  die  Antwerpener  Messen  nicht  ein 
Dritttheil  des  gewöhnlichen  Vortheils,  wenn  die  Engländer 
den  Verkehr  einstellten 9). 


')  a.  a.  0.  S.  28.  Ueber  den  Sitz  der  einzelnen  niederländischen 
Industriezweige  im  16.  Jahrhundert  vgl.  Henne,  Regne  de  Charles  -  Quint 
Bd.  5.  S.  288  fg.,  vanBruyssel,  Histoire  du  commerce  et  de  la  marine 
enBelgiqne  1861/64.  II.  S.  290— 292  und  Altmeyer,  Histoire  des  Relations 
commerciales  de  Pays-Bas  avec  le  Nord  de  l'Europe.  Bruxelles.  1840,  S.  67. 

*)  Libell  of  Englishe  Policye  Vers  110—15.  In  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  (c.  1569)  ist  der  Bezug  von  Salz  aus  den  Nieder- 
landen die  Regel  gewesen,  vgl.  den  Brief  von  de  la  Mothes  bei  Burgon, 
Life  of  Th.  Gresham  IL  S.  323. 

')  Sieh  auch  Henne.  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  Bd.  5.  S.  283  fg. 

4)  Dies  muss  man  daraus  schliessen,  dass  in  der  Parlamentsacte  32. 
Henry  VIIL  c.  14  (The  mayntenance  of  the  navy)  für  die  Ballen,  Tonnen, 
Fasser  etc.  gerade  dieser  Waaren  gesetzlich  die  Fracht  festgestellt  wird. 

6)  In  Betreff  der  Waaren,  auf  welche  sich  der  englisch-niederländische 
Verkehr  gründete,  ist  auch  noch  zu  vergleichen  der  Zolltarif  in  Urk.  Beil.  4. 

*)  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.    S.  76.     1  Mark  =  13  sh  4  d. 

7)  Henne,  Histoire  du  regne  de  Charles-Quint  Bd.  5.  S.  278. 
Um  sich  eine  Vorstellung  machen  zu  können  von  dem  Antheil,  den 
dieser  Verkehr  am  niederländischen  Gesammthandel  hatte,  so  sei  erwähnt, 
dass  der  Werth  der  niederländischen  Totalausfuhr  vom  10.  Febr.  1543 
bis  10.  Febr.  1544  36577837  CaroJsgulden  —  771792360  Francs  und  der 
des  gesammten  Warenumschlags  in  Antwerpen  1662500000  Gulden  be- 
trag. Henne,  a.  a.  0.  S.  283;  de  Reiffenberg,  Memoire  sur  le  com- 
merce des  Pays-Bas  au  XV«  et  au  XV1°  siecle. 

*)  Er  gehätzt  die  englische  Einfuhr  nach  Antwerpen  auf  300000,  die 
Ausfuhr  auf  500 000  Ducaten.   Alb  er  i,  Relazioni.  Ser.I.  Vol.  IL  S.  202, 203. 

*)  Vincenzo  Quirini  an  die  Signorie,  1.  Juli  1505;  Calendar  to  Eng- 
lisa Affairs  ezisting  in  Venice  and  in  other  Libraries  of  Northern  Italy. 


—    14    - 

Die  Engländer  errichteten  1515  in  Antwerpen  sich  eine 
eigene  Börse  und  vermochten  dieselbe  selbst  noch  Jahre  lang 
aufrecht  zu  erhalten,  als  1531  die  neue  allgemeine  Börse  er- 
öffnet wurde1). 

Henrich  m    (1485-1509.) 

In  der  Handelspolitik  Heinrichs  \IL  gegenüber  den  Nieder- 
landen sind  zwei  allgemeine  Phasen  deutlich  unterscheidbar.  In 
der  ersten  sucht  er  überhaupt  wieder  dem  Handel,  der  in  der 
Folge  der  Rosenkriege  sehr  darniederlag,  Leben  zu  geben.  Er 
begnügt  sich  deshalb,  die  alten  Vertragsbestimmungen  in  der 
Hauptsache  zu  erhalten.  Später,  als  er  fest  auf  dem  Throne 
sass  und  Ordnung  im  Reich  und  im  Canal  geschaffen,  fasste 
er  die  Ausdehnung  des  Handels  ins  Auge. 

Von  besonderem  Vortheile  war  für  Heinrich  VII  die  schon 
unter  Eduard  IV.  eingetretene  Wendung  der  burgundischen 
Politik.  Die  Abneigung  gegen  England  war  ein  Erbthejl  des 
Hauses  Burgund,  und  wurde  diese  auch  in  Folge  anderer 
Interessen  von  einzelnen  Trägern  zeitweise  überwunden,  so  war 
diese  Freundschaft  doch  immer  nur  eine  künstliche,  auf  alle 
Fälle  hatte  man  einen  starken  Nachbarn,  der  zart  behandelt 
werden  musste.  Das  änderte  sich,  als  die  Erbtochter  Maria 
sich  mit  Maximilian  von  Oesterreich  vermählte  und  damit  alle 
Hoifnungen  Frankreichs  auf  die  künftige  Besitznahme  dieser 
Gebietsteile  vernichtete.  ,  Buvgund  war  zum  Zwecke  seiner 
Selbständigkeit  auf  einen  Rückhalt  angewiesen  und  fand  diesen 
naturgemäss  an  England.  Die  politische  Lage  dieser  Zeit 
bildet  somit  das  Gegenstück  zu  der  des  Mittelalters.  Damals 
suchte  England  die  politische  Freundschaft  Flanderns,  jetzt 
Burgund  die  Englands.  In  dieser  Situation  war  Burgund 
auch  durchaus  nicht  engherzig,  und  schloss  gerne  Freundschaft, 
gleichviel  ob  die  weisse  oder  rothe  Rose  auf  dem  Throne 
prangte. 

Als  Heinrich  VII.  den  Thron  erobert  hatte,  trat  sogleich 
die  Frage  des  niederländischen  Verkehrs  an  ihn  heran.  Wäh- 
rend der  heftigen  Kämpfe  im  Innern  Englands  hatten  die  Nieder- 
länder den  Versuch  gemacht,  die  seit  einigen  Decennien  ein- 
getretene *)  Zollerhöhung  rückgängig  zu  machen  und  ähnlich,  wie 


Edited  by  Rawdon  Brown.  Vol.  I.  No.  846.  Ueber  Einzelheiten  des 
Waarenverkehrs  sind  auch  die  Geschäftsbriefe  der  Kaufleate  zu  vergleichen, 
soweit  solche  publicirt  sind.  Vgl.  z.  B.  Ellis,  Original  letters.  Ser.  IL 
Vol.  H.  S.  173 

3)  Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique.    Bd.  5.  S.  319. 

%)  C.  1423;  wenigstens  wurde  in  diesem  Jahre  auch  ein  ernster  Ver- 
such gemacht,  die  Hansen  dem  Tonnen-  und  Pfundgeld  der  Fremden  zu 
unterwerfen.  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  ofthe  Privy  Council  Hl. 
S.  110,  111,  112,  117. 


■-     15    — 

die  Hansen,  den  Genuss  des  geringen  Zolltarifs  sich  zu  sichern. 
Richard  III.  hatte  sich  ihren  Forderungen  nicht  abhold  ge- 
zeigt, wenn  schon  er  nicht  definitiv,  sondern  nur  provisorisch 
und  nur  theilweise  den  Niederländern  die  geringen  Zölle  der 
Deutschen  in  England  zugestand  *).  Heinrich  VII.  war  keines- 
wegs geneigt,  den  Niederlanden  gegenüber  auf  die  hohen  Zölle 
zu  verzichten.  Gleich  nach  Richards  III.  Tode  kehrten  sich 
die  "englischen  Zollbeamten  nicht  mehr  an  die  Zusage  des  ge- 
stürzten Königs.  Zwar  versprach  auf  die  Beschwerde  des  Erz- 
herzogs Maximilian  Heinrich  VII-,  die  Abmachungen  Richards  III. 
halten  zu  wollen,  aber  factisch  verlangte  man  trotzdem  die 
neuen  Zölle,  so  dass  die  Antwerpener  Kaufleute  lieber  auf  den 
Kauf  englischer  Waaren  verzichteten,  um  kein  Präjudiz  zu 
schaffen 2).  Der  englische  König  war  aber  ernstlich  bestrebt, 
seinen  Unterthanen  wieder  die  Aufnahme  des  Verkehrs  zu  er- 
möglichen. Er  drang  deshalb  auf  die  Einhaltung  der  all- 
gemeinen Bestimmungen  des  Intercufsus  und  verlangte  beson- 
ders Unterdrückung  der  Seeräubereien,  welche  in  Folge  des 
Krieges  eingerissen  waren5);  dagegen  wollte  er  offenbar  keine 
Zollnachlässe  gewähren.  Die  Folge  war,  dass  der  ganze  Cha- 
rakter der  commerciellen  Vertragsregelung  ein  schwankender 
war.  Man  verschob  öfter  die  diesbezüglichen  Verhandlungen 4) 
und  begnügte  sich  mit  einer  Verlängerung  des  Intercursus  von 
1478  auf  kürzere  Zeiträume 5).  Selbst  der  Allianzvertrag,  den 
Maximilian  am  14.  Febr.  1489  zur  Abwehr  der  französischen 
Ansprüche  mit  Heinrich  VII.  abschloss6),  änderte  an  diesem 
Zustand'  wenig. 

Es  dürfte  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  die 
niederländischen  Kaufleute  während  dieser  Zeit  in  England 
die  gewöhnlichen'  Fremdenzölle  zahlen  mussten.  Bei  der 
damaligen  politischen  Situation  durfte  die  niederländische 
Regierung  kaum  hoffen,  eine  ihr  günstige  Interpretation  des 
Handelsvertrags  durchsetzen  zu  können.  Heinrich  VII.  erzielte 
sogar  in  den  Niederlanden  noch  einige  Vortheile  für  seine 
Unterthanen,  und  zwar  da,  wo  in  der  letzten  Zeit  die  eng- 
lischen Kaufleute  wenig  Entgegenkommen  gefunden  hatten, 
nämlich  in  Flandern.  Als  Ypern,  Brügge  und  Gent  von 
Maximilian  hart  bedrängt  wurden,  lebte  die  mittelalterlich- 
traditionelle Politik  wieder  auf,  wonach  diese  drei  Städte  und 
Englands  Könige   immer  gemeinsame  Sache  machten  und  sich 


')  ürk.  Beil.  4.  Art.  24  fg.    Rymer  XII.    S.  248.  Art.  6. 

*)  ürk.  Beil.  4.    Art  31  fg. 

-)  Letters  and  Papers  illustrative  of  the  reigns  of  Richard  III.  and 

j  VII.  ed.  Gairdner  Vol.  I.    S.  26;  II,  S.  21.  25.  49.  53. 

4)  ürk.  Beil.  4.    Art  34. 

8)  So  z.  B.  am  2.  Jan.  1487  für  1  Jahr.    Rymer  XII.    S.  320. 

6)  Rymer  XII.    S.  359  fg. 


—    16     - 

gegenseitig  unterstützten.  Noch  Eduard  IV.  stand  mit  den 
vlämischen  Communen  auf  so  freundlichem  Fuss,  dass  er  ihnen 
selbst  seine  Thronbesteigung  anzeigte1).  Auch  jetzt  setzten 
sie  ihre  Hoffnung  auf  den  englischen  Herrscher.  Brügge  hatte 
1486  die  Einfuhr  und  das  Zurichten  der  englischen  Tücher 
auf  ein  Jahr  gestattet2),  um  Heinrich  VII.  sich  günstig  zu 
stimmen.  Am  19.  Juli  1488  baten  sie  ihn,  in  ihrem  Streit 
gegen  den  deutschen  Kaiser  nicht  diesem  Hilfe  zu  leisten,  sondern 
gegen  ihn  Partei  zu  nehmen ;  sofort  ergriff  Heinrich  VII.  diese 
günstige  Gelegenheit,  schickte  einen  Gesandten  und  Hess  er- 
klären, dass  er  keineswegs  verpflichtet  sei,  den  Kaiser  oder 
römischen  König  zu  begünstigen,  dass  er  das  Unglück  Flan- 
derns sehr  bedauere,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Jugend 
des  Erzherzogs  und  die  alten  Handelsbeziehungen,  die  zwischen 
Flandern  und  England  bestanden  hätten3).  Selbstverständlich 
dachte  Heinrich  VII.  nicht  im  Entferntesten  daran,  die  Städte 
in  materieller  Hinsicht  zu  unterstützen,  unterhandelte  er  doch 
gleichzeitig  mit  Maximilian  wegen  eines  Freundschaftsvertrags 4), 
aber  indem  er  sich  den  Schein  gab,  als  werde  er  ihren  Wün- 
schen willfahren,  brachte  er  es  dahin,  dass  sie  am  3.  April 
1489  einen  Separathandelsvertrag  mit  ihm  abschlössen,  der 
41/»  Jahr,  nämlich  bis  zur  Volljährigkeit  Philipps  des  Schönen 
dauern  sollte.  Zwar  bewegte  sich  dieser  Vertrag  hauptsächlich 
nur  in  dem  Rahmen  des  Intercursus  von  1478  und  gewährte 
auch  nicht,  wie  Heinrich  VII.  gewünscht  hätte,  die  ungehinderte 
Einfuhr  englischer  Tücher5),  aber  es  war  schon  die  Sicherung 
des  sonstigen  englischen  Handels  nach  Flandern  ein  nicht  zu 
unterschätzender  Gewinn.  Einige  Bestimmungen  des  Inter- 
cursus von  1478  wurden  übrigens  zu  Gunsten  der  englischen 
Interessen  abgeändert,  namentlich  galt  dies  von  der  Ausfuhr 
von  Edelmetall,  worauf  Heinrich  VII.  grossen  Werth  legte. 
Während  1478  den  englischen  Kaufleuten  nur  die  Durchfuhr 
von  Gold-  und  Silberbarren  unter  gewissen  Cautelen  gestattet 
war,  durften  jetzt  dieselben  auch  innerhalb  Flanderns  solche 
ankaufen,  wenn  sie  zum  Transport  nach  England  und  nicht 
anderswohin  bestimmt  waren.  Im  Uebrigen  versprach  man 
sich  gegenseitig  die  Rechte  der  meistbegünstigten  Nation  und 
die  Freiheiten,  welche  vor  60  Jahren  bestanden  hatten.  Die 
Fragen  aber,  bei  welchen  es  sich  um  Concessionen  von  Seiten 


1)  Gilliodts  van  Severen,  Inventaire  des  archives  de  la  ville  de 
Bruges  T.  V.  S.  431.  Nr.  1087.   Sieh  jedoch  auch  unten  Abschn.  II.  Cap.  4. 

2)  Br.  M.  Cotton  Msc.  Galba  B.  XL  fo.  11. 

3)  Diegerick,  Inventaire  analytique  et  chron.  des  chartes  et  doc.  de 
la  ville  d'Ypre  IV.    S.  151.  Nr.  1198. 

*)  Rymer  XII.    S.  350  fg. 

6)  Vgl.  hierüber  auch  Prudent  van  Duyse  et  Edmond  de 
Busscher,  Inventaire  analytique  des  chartres  et  documents  appartenant 
aux  archives  de  la  ville  de  Gand  1867.  Nr.  764. 


—    17    — 

Englands  bandelte,  wie  die  Beschwerde  der  Niederländer,  dass 
die  Wollpaekete  in  Galais  nicht  die  Qualität  enthielten,  mit 
welchen  sie  im  Stapel  ausgezeichnet  seien,  sowie  die  Differen- 
zen hinsichtlich  der  Zölle  wurden  auf  eine  andere  Tagfahrt 
verschoben,  die  am  20.  Juni  stattfinden  sollte,  aber  kaum 
zu  Stande  kam1). 

Aus  Allem  ersieht  man,  dass  der  englische  Handel,  der 
durch  die  Rosenkriege,  so  sehr  gelitten,  wenigstens  wieder 
lebensfähig  gemacht  worden  war,  wenn  auch  die  Neuordnung 
zunächst  nur  einen  provisorischen  Character  hatte.  Immerhin 
war  der  Zustand  für  die  Engländer  erträglich;  die  nieder- 
ländische Regierung  vermied  jegliche  Bedrückung  des  englischen 
Kaufmanns  und  nahm  ausdrücklich  diesen  aus,  wenn  neue 
Auflagen  und  Zölle  eingeführt  wurden  *).  Gegen  etwaige  Ver- 
letzungen der  von  den  Städten,  namentlich  von  Antwerpen, 
ertheilten  Privilegien  vermochten  sich  die  Merchant  adventurers 
allein  zu  sctyltzen*).  Leider  sah  sich  aber  Heinrich  VII.  ge- 
zwungen, selbst  die  nothdtirftig  geknüpften  Beziehungen  wieder 
zu  unterbrechen. 

Margaretha;  die  Gattin  des  verstorbenen  Karls  des  Kühnen 
stammte  aus  dem  Hause  York  und  lieh  ihren  Beistand  dem 
Prätendenten  Perkin  Warbeck.  In  Folge  davon  hob  Heinrith 
allen  Verkehr  mit  den  Niederlanden  auf4),  verlegte  das  Stapel 
für  englisches  Tuch,  Zinn,  Garn,  Ledör  u.  s.  w.  nach  Calais  *), 
und  vertrieb  die  Flamänder  aus  England. 

Die  Antwort  von  Philipp  dem  Schönen  blieb  nicht  aus6), 
und  mehr  als  2  Jahre  lang  seufzten  die  beiden  Völker  unter 
diesem  Ausschluss  der  Handelsbeziehungen.  Die  Merchant 
adventurers  hielten  sich  im  Ganzen  wacker 7),  allein  der  Still- 
stand des  Absatzes  hatte  die  Entlassung  einer  Menge  Arbeiter 
zur  Folge;  die  Stimmung  wurde  in  England  eine  sehr  gereizte, 


*)  Ein  genauer  Auszug  der  Urkunde  findet  sich  in  dem  erwähnten 
Inventaire  de  Gand  No.  772,  ein  Abdruck  von  dem  in  Brügge  befindlichen 
Original  beiGilliodts  van  Severen,  Inventaire  des  archives  de  Bruges 
T.  TL    S  316  fg. 

*)  ürk.  Beil.  133.  §  45  u.  46. 

*)  So  legte  am  8.  Sept  1491  ihr  Gouverneur  mit  Erfolg  Protest  gegen 
die  Besteuerung  der  englischen  Häuser  und  Waarenlager  ein.  Antwerpener 
Stadtarchiv.  Toi.  betitelt:  Engeische  Coopluyden  1304—1564  fo.  174. 

4)  18.  September  1493.  Gairdner,  Letters  and  Papers  illustrative 
of  the  reigns  of  Richard  III.  and  Henry  VII.    Toi.  II.  S.  374. 

*)  Die  Messen  sollten  dauern  vom  15.  April  bis  15.  Juli  und  vom 
15.  September  bis  15.  December.  Proclamation  v.  4.  April  9  Hen.  TU. 
(Copie  im  Kölner  Stadtarchiv  unter  den  Originalbriefen). 

•)  Philipp  verbot  die  Einfuhr  englischer  Tücher  am  8.  April  1494  und 
drang  auf  strenge  Beobachtung  des  Verbots  am  18  Januar  1495.  ürk  Beil.  5  u.  6. 

7)  »The  merchant  adventurers,  being  a  strong  Company  at  that  time, 
and  well  underset  whith  rieh  men,  did  hold  out  bravely,  taking  off  the 
commoditie8  o  the  kingdom,  though  they  lay  dead  upon  their  hands  for 
vant  of  vent"  Bacon  v.  Terulam  m  kennett,  history  of  England. 
London  1*706.  I.  S.  617. 

Scham,  Engl  Handelspolitik.    I.  2 


—    18     - 

and  als  die  Osterlinge  nach  wie  vor  die  niederländischen 
Waaren  nach  England  brachten  und  die  englischen  Artikel 
exportirten,  überhaupt  fast  das  ganze  Geschäft  an  sich  zogen ' ), 
stieg  die  Erbitterung  unter  den  Londoner  Gesellen  so  weit, 
das*  sie  den  Stahlhof  plünderten2;.  Noch  schwerer  litten 
wohl  die  Niederländer,  da  sie  der  englischen  Rohstoffe  ent- 
behrten, die  Fischerei  in  englischen  Gewässern  nicht  ausüben 
konnten  und  zur  See  von  den  Engländern  sehr  verfolgt 3)  wurden. 
Auf  die  Bitten  der  flandrischen  Kaufleute  bot  endlich  der 
Erzherzog  die  Hand  zum  Vergleich.  Indem  er  vor  Allem  dem 
Wunsche  Heinrichs  VII.  keinen  Feind  Englands  in  sein  Reich 
aufnehmen  zu  wollen,  willfahrte,  war  der  Boden  für  die  handels- 
politischen Unterhandlungen  geebnet.  Am  24.  Februar  1496 
kam  der  Intercursus  zu  Stande,  der  mit  unendlichem  Jubel  be- 
grüsst,  sogar  mit  dem  Namen  magnus  belegt  wurde  und  in  der 
Folgezeit  so  oft  den  Gegenstand  von  Verhandlungen  bildete4). 
Die  wesentlichen  Bestimmungen  desselben  sind  folgende: 

1.  Der  Handel  ist  frei,  d.  h.  er  ist  weder  an  das  Er- 
forderniss  einer  Licenz  noch  an  das  eines  Passes  ge- 
bunden (Art.  1  u.  10). 

2.  Alle  Arten  von  Waaren  können  Gegenstand  des  Han- 
dels sein,  auch  Edelsteine,  Wolle  und  Lebensmittel, 
selbst  Waffen  und  Pferde.    Für  die  ein-  und  ausge- 

')  Zu  Anfang  verbot  das  hansische  Contor  zu  London,  nach  Calais 
zu  handeln,  indem  es  für  die  Privilegien  in  den  Niederlanden  fürchtete. 
Das  Verbot  wurde  aber  vielfach  missachtet,  namentlich  von  den  Kölnern 
(Urk.  Beil.  86).  Im  März  1495  versuchten  die  letztern  beim  König  wenigstens 
die  Oeffnung  des  Hafens  Kampen  oder  Groningen  zu  erwirken,  erhielten  aber 
vom  Kanzler  den  Bescheid:  woert  sake,  dat  wy  (sc.  Kölner)  to  Campen 
segelen  wolden,  dat  wy  dan  mit  den  van  Lunden  tracteren  solden;  dat 
welke  uns  nycht  profytfixt  duchte  to  synde,  umb  dat  uns  so  danen  uploip 

Seschien  was  unde  vaste  ander  gebrecke,  die  wy  darinne  besorgeden  (Brief 
es    Contors    an    den    Magistrat   von   Köln    v.   8.   April   1495.     Kölner 
Stadtarchiv). 

*)  The  restreint  made  by  the  king  sore  greved  and  hindered  the 
merchauntes ,  beynge  adventurers.  For  they  by  Force  of  thys  commaunde- 
ment  had  no  occupiynge  to  beare  their  charges  and  Supporte  their  conty- 
nuaunce  and  credyte.  And  yet  one  thinge  sore  nyppea  their  hartes;  for 
the  Easterlynges,  whiche  were  at  libertie,  brought  into  the  realme  such 
wares,  as  they  were  wont  and  accustomed  to  do,  and  so  terved  tj>eir 
customers  throughe  out  the  whole  realme.  By  reason  wherof  the  masters, 
beyng  destitute  of  sale  and  commutacion,  neither  reteyned  so  many  covenaunt 
servauntes  and  apprentices.  as  they  before  were  accustomed  and  in  espe- 
ciall  mercers,  haberdasshers  and  clotheworkers,  nor  yet  gave  to  their  ser- 
vaunts  so  great  stipende  and  salarie,  as  before  that  restreynte  they  used 
to  do  etc.  Hall,  Chronicle  S.  467.  Ueber  den  Angriff  auf  den  Stahlhof 
vgl.  auch  Urk.  Beil.  87. 

a)  Vgl.  Gairdner  a.  a.  0.  II.  S  58. 

A)  I>er  Austausch  der  Urkunden  hatte,  nach  einer  Notiz  von  L  e  f  e  b  v  r  e, 
Histoire  generale  et  particuliere  de  la  viUe  de  Calais  1766.  II.  S.  204  zu 
sehlieesen,  im  Mai  1496  in  der  Kirche  von  Notre  Dame  zu  Calais  Statt 
gefunden. 


—    19    — 

führten  Waaren  sind  die  Zölle  zu  entrichten,  welche 
seit  Langem  (50  Jahren)  üblich  sind.  Bei  eintreten- 
dem Mangel  darf  die  Ausfuhr  von  Lebensmitteln 
verboten  werden.  Die  Kaufleute  dürfen  Waaren  so- 
wohl einheimischer  als  fremder  Abkunft  ein-  und 
ausführen  (Art.  11). 

3.  Die  Kauf-  und  Seeleute  können  Waffen  tragen  zur 
Vertheidigung  ihrer  Schiffe,  auch  dieselben  in  ihre 
Wohnungen  an's  Land  bringen,  sollen  aber  nicht  be- 
waffnet einhergehen  (Art.  12);  persönlicher  Schutz 
wird  allen  Handeltreibenden  garantirt  (Art.  13). 

4.  Wie  der  Handel,  so  ist  auch  die  Seefischerei  frei,  und 
für  die  Fischer  nicht  erforderlich,  vorerst  ein  Sicher- 
heitsgeleit sich  zu  erwirken  (Art.  14). 

5.  Jeder  Theil  verspricht,  die  Unterthanen  des  andern 
Theils  in  seinen  Häfen  und  seinem  Gebiete  gegen 
Piraten  und  feindliche  Schiffe  zu  schützen,  auch  solchen 
nicht  zu  gestatten,  dass  sie  etwa  gemachten  Raub 
oder  gekaperte  Schiffe  daselbst  verkaufen  (Art.  15). 
Jeder  Contrahent  bindet  sich,  ein  bestimmtes  Ver- 
fahren einzuhalten,  wenn  Waaren  geraubt  worden 
sind  (Art.  16). 

6.  Zur  Verhinderung  der  Seeräuberei  soll  jeder  Schiffs- 
herr  beim  Auslaufen  seines  Schiffs  gezwungen  werden, 
den  doppelten  Werth  von  Schiff  und  Ladung  a]£  Caution 
zu  hinterlegen  (Art.  17). 

7.  Befindet  sich  ein  von  einem  Fremden  gekapertes 
Schiff  im  Hafen  eines  der  beiden  Vertragsschliessenden, 
so  soll  der  eine  Theil  gleichzeitig  mit  dem  andern  für 
Bückgabe  des  Schiffes  sorgen,  jedoch  auf  Kosten  des 
Geschädigten  (Art.  19). 

8.  Schiffe  sollen  im  Nothfalle  auf  der  See  sich  gegenseitig 
mit  Lebensmitteln  beistehen,  aber  in  solcher  Lage 
Bezahlung  für  das  Erhaltene  leisten  (Art.  18). 

9.  Handels-  wie  Kriegsschiffe  dürfen  in  allen  Häfeb  und 
Seeplätzen  Anker  werfen,  ganz  wie  die  Unterthanen 
des  Landesherrn  (Art.  22). 

10.  Durch  Sturm  in  einen  Hafen  getriebene  Schiffe  dürfen 
frei  und  unverletzt  wieder  abziehen  (Art.  21). 

11.  Im  Falle  des  Schiffbruchs  müssen  die  geretteten  Güter 
ein  Jahr  und  einen  Tag  aufbewahrt  und  den  Eigen- 
tümern auf  Verlangen  gegen  Erstattung  der  er- 
wachsenen Kosten  zurückgestellt  werden  l)  (Art  24). 

12.  Den  Schiffen,  die  vom  Orient  kommen2),  sollen  in 

x)  Eß  ist  also  nicht  nöthig,  dass  ein  lebendes  Wesen  (Weib,  Katze, 
Hand  oder  Hahn)  darin  gefunden  werde. 

*)  Partibus  orientalibus ;  jedenfalls  sind  die  Venetianer  und  Genuesen 
damit  gemeint. 

2* 


—    20    — 

keinem  der  beiden  Länder  Hindernisse  in  den  Weg 
gelegt  werden,  es  sei  denn,  dass  die  Seefahrer  und 
Kaufleute  einem  Volke  angehören,  das  mit  einem  der 
Contrahenten  verfeindet  ist  (Art.  20). 

13.  Es  ist  unstatthaft,  in  das  Gebiet  des  Vertragsschlies- 
senden Waaren  einzuführen,  welche  aus  dem  Lande 
eines  Feindes  stammen  (Art.  23). 

14.  Die  Kaufleute  dürfen  eigene  Lagerhäuser  besitzen  und 
sollen  überhaupt  alle  ihre  bisherigen  Privilegien  und 
Immunitäten  ungestört  gemessen.  Jeder  Contrahent 
verspricht,  dieselben  in  seinem  Lande  so  freundlich 
zu  behandeln,  als  die  Angehörigen  irgend  einer  frem- 
den Nation  (Art.  25). 

15.  Die  Zollcontroleure  sollen  in  höflicher  Weise  ihres 
Amtes  walten,  nicht  die  Kisten,  Fässer  oder  Packete 
erbrechen.  Wurden  einzelne  Stücke  ordnungsmässig 
geöffnet,  so  ist  der  Sucher  verpflichtet,  auch  beim 
Wiederverschluss  anwesend  zu  bleiben.  Die  Zollbe- 
amten sollen  namentlich  auch  nicht  den  Eigentümer 
zwingen,  seine  Waaren  ihnen  zu  verkaufen  oder  zur 
Disposition  zu  stellen  (Art.  26). 

16.  Verdächtige  Schuldner  müssen  auf  Antrags  des  Gläu- 
bigers zur  Zahlung  einer  Caution  angehalten  werden 
(Art.  27). 

17.  Bei  verübtem  Schaden  oder  geschehener  Gewaltthat 
soll  sich  der  benachteiligte  Theil  nicht  durch  Be- 
schlagnehmung  oder  Ausgabe  von  Caperbriefen  *) 
schadlos  halten,  sondern  die  Sache  erst  vor  den 
Fürsten  des  Uebelthäters  bringen.  (Art.  28.)  Die 
bereits  ausgegebenen  Kaperbriefe  werden  widerrufen 
(Art.  29). 

18.  Nur  gesetzliche  und  von  Alters  her  gebräuchliche 
und  bekannte  Gewichte  dürfen  in  beiden  Ländern 
gebraucht  werden  (Art.  32). 

10.  Den  Engländern  ist  erlaubt,  Gold-  und  Silberbarren 
von  andern  Ländern  durch  die  Niederlande  zu  führen 
und  nach  England  zu  bringen;  sie  müssen  aber  Cer- 
tificate von  den  Beamten  der  Länder  bringen,  wo  sie 
diese  Barren  gekauft  oder  sonstwie  gesetzlich  erwor- 
ben haben  (Art.  31). 

20.  Das  Betreten  der  Feste  Sluis  in  Flandern  ist  den  Eng- 
ländern verboten;  doch  soll  bei  vorkommender  Un- 
kenntniss  Einzelner  nicht  hart  verfahren  werden 
(Art.  30). 


')  Ueber  diesen  Gegenstand  vgl.  Märten s,  les  armateurs,  les  prises 
et  surtout  les  reprises  Göttingen  1795  und  auch  Carl  Wilb.  Pau14> 
Lübecks  Mangelet  und  Caperwesen  (in  den  Kriegsjahren  mit  Danemark 
1510-1511  Lübeck  1875.    §.  52  fg. 


-     21     - 

21,  Ueberhaupt  hebt  vertragswidriges  Handeln  von  Seite 
einzelner  Kaufleute  die  Gültigkeit  des  Vertrags  nicht 
auf  (Art.  34) 1). 

Vollkommen  klar  ist,  dass  die  Anerkennung  dieser  allge- 
meinen völkerrechtlichen  Sätze  vor  Allem  nöthig  war,  wenn 
man  Handel  treiben  wollte8). 

Eine  wesentlich  neue  Grundlage  wurde  aber  durch  diesen 
Vertrag  nicht  -geschaffen,  auch  gewährte  er  den  Niederländern 
keine  besonderen  Vortheile,  wie  man  vielfach  behauptet  hat. 
Bei  näherer  Prüfung  stellt  sich  dieser  Magnus  Intercursus 
vielmehr  im  Wesentlichen  als  eine  etwas  modificirte  Neu- 
redaction  althergebrachter  Rechte  und  gegenseitig  eingehaltener 
Gewohnheiten  dar.  Der  Fortschritt,  den  dieser  Vertrag  gegen- 
über seinem  Vorgänger  anbahnt  *),  kann  kaum  grösser  genannt 
werden,  als  derjenige,  der  14Z8  gegenüber  dem  Intercursus 
von  1468  und  1446  erzielt  worden  war4),  und  seine  Aus- 
zeichnung ist  wohl  hauptsächlich  der  langen  Unterbrechung 
des  Handels  zuzuschreiben,  während  welcher  man  erst  den 
Werth  dieses  kostbaren  Kleinods  einsehen  lernte  und  seine 
Grösse  rückhaltlos  anerkannte5). 

Wegen  des  generellen  Characters  musste  der  Intercursus 
alle  Specialfragen  ausscheiden.  Solche  waren  hauptsächlich 
bezüglich  des  Stapels  in  Menge  vorhanden ;  wegen  der  hierüber 
bestehenden  Streitigkeiten  sollte  auf  einer  künftigen  Tagfahrt 
Beschluss  gefasst  werden.  (Art.  33.)  Im  darauffolgenden  Jahre 
ernannten   auch   die  beiden   Souveräne   ihre  Unterhändler6). 


^Rymer  XII.  S.  580  fg. 

*)  Vgl.  seine  Beurtheilung  bei  Hugo  Grotius,  De  mare  libero. 
Leyden  1633.  S.  215. 

*)  Ein  Fortschritt  war  es,  dass  für  beiderseitige  Unterthanen  über- 
haupt, und  also  nicht  wie  bisher  blos  für  die  Kaufleute  und  Pilger,  eine 
Art  allgemeiner  Freizügigkeit  ausgesprochen  ward.  Ganz  oder  theilweise 
Neues  enthalten  die  Artikel  17,  18,  26.  28,  29,  32,  34.  Auch  wurden  die 
Artikel  (1  —  10),  welche  auf  die  politische  Allianz  sich  bezogen,  gleich  mit 
in  den  vertrag  aufgenommen  und  damit  schon  äusserlich  die  Unzertrenn- 
lichkeit der  Freundschaft  und  des  Handels  zu  erkennen  gegeben. 

4)  So  war  im  Vertrag  von  1446  noch  nicht  wie  1478  der  Handel  mit 
Waffen  und  Munition  gestattet,  noch  nicht  wegen  erlittener  Beschädigungen 
hinlänglich  vorgesorgt,  die  Behandlung  der  Schuldverhältnisse  und  die  Ge- 
richtsbarkeit nicht  gehörig  geordnet,  die  Durchfuhr  von  Geld  nicht  erlaubt, 
eine  anständige  liberale  Zollabfertigung  nicht  zugesichert,  noch  nicht  der 
Verkehr  auf  allen  Strassen  eingeräumt  und  ähnliches  mehr.  Rymer  XI. 
S.  140:  XII.  S.  67;  XII.  S.  605.  Zum  Vergleich  kann  auch,  um  nicht 
über  das  15.  Jahrhundert  hinauszugehen,  herbeigezogen  werden  der  Ver- 
trag von  1408,  abgedruckt  bei  Varenbergh.  Relations  diplomatiques 
S.  548—72:  „Copie  van  de  vrede  tusschen  Viaenderen  ende  Inghelandt 
ghemaect  int  jaer  XII  Ifc  acht  ende  dat  voor  een  jaer." 

*)  Ausser  dem  Vertrag  ist  auch  Urk.  Beil.  133  §  47  u.  48  zu  ver- 
gleichen. 

•)  Der  Erzherzoff  am  26.  Februar  (R  y  m  er  XII.  S.  648),  und  Heinrich  VH. 
am  1.  März  1497.    (Verachter,  Inventaire  des  anciennes  chartes  et  pri- 


—    22     — 

Aber  nicht  die  Wollfrage,  sondern  die  Verletzung  des  eben 
geschlossenen  Vertrags  bildete  den  Gegenstand  der  Verhandlung. 
Der  Erzherzog  hatte  nämlich  angeordnet,  dass  man  fttr  jedes 
Stück  Tuch  einen  sogenannten  Andreasgulden  Zoll  erlegen1) 
und  selbstverständlich  brachten  die  englischen  Gommissäre  den 
Weisungen  ihres  Herrn  zufolge  diesen  Punkt  zuerst  zur  Sprache. 
Ihre  Bemühungen  hatten  auch  den  erwünschten  Erfolg.  Die 
neuen  Abgaben  wurden  zurückgenommen  und  dem 'englischen 
Tuch  wieder  der  niederländische  Markt  mit  Ausnahme  Flan- 
derns vollständig  eröffnet.  Der  Erzherzog  räumte  gleichzeitig 
Heinrich  VII.  das  Recht  ein,  alle  früheren,  mit  den  Nieder- 
landen! geschlossenen  Verträge  aufzuheben,  wenn  dieser  oder 
ein  anderer  Zoll  neu  auferlegt  werde2).  Die  Anliegen  der 
burgundischen  Vertreter  wurden  aber  vorläufig  auf  eine  bessere 
Zeit  verschoben.  Ein  dieserhalb  zu  Brügge  im  April  1498  ge- 
haltener Congress  verlief  resultatlos,  weil  die  Niederländer  den 
Stapelzoll  für  Wolle  um  1  Mark  (13  s.  4  d)  ermässigt  wissen 
wollten,  die  Engländer  aber,  wie  es  scheint,  mit  der  ihnen  ge- 
botenen Compensation  nämlich  einem  Nachlass  von  2  sh  für 
jedes  Stück  englischen  Tuchs3)  sich  nicht  zufrieden  gaben. 

Die  Verhandlungen  sollten  drei  Monate  später  wieder  auf- 
genommen werden.  Thatsächlich  kam  man  aber  erst  im  fol- 
genden Jahre,  nach  langen  und  schweren  Debatten  zur  Einigung. 
Die  über  dieselben  noch  erhaltene,  leider  aber  sehr  ver- 
stümmelte Correspondenz 4)  lässt  deutlich  erkennen,  wie  eigent- 
lich hier  erst  die  mercantilen  Gegensätze  auf  einander  stiessen, 
mit  welcher  Umsicht  und  Festigkeit  aber  zugleich  Hein- 
rich VII.  die  von  ihm  in's  Auge  gefassten  Vortheile  ver- 
treten liess5). 

Um  seinen  Wünschen  den  gehörigen  Nachdruck  zu  geben, 
hatte  er  die  englischen  Kaufleute  veranlasst,  vom  nieder- 
ländischen   Markte    sich    zurückzuziehen    und  in  Galais  ihre 


vileges  et  autres  documents  conserväs  aux  archives  d'Anvers  1193—1856. 
Alivers  1860.    S.  183;  Rymer  XII.  S.  654. 

*)  Der  spanische  Gesandte  De  Puebla  erzählt  in  einem  Briefe  an 
Ferdinand  und  Isabella,  dass  diese  Zollerhöhung  auf  der  letzten  Messe  zu 
Antwerpen  stattgefunden  habe,  und  dass  die  Engländer  glaubten,  der 
König  habe  dieser  Massregel  zugestimmt.  (Bergenroth,  Cal  I.  143. 
11.  Juli  1496).  Wie  wenig  dieser  Verdacht  begründet  war,  zeigt  Heinrichs  VTL 
Brief  vom  21.  Juni  1496,  wo  er  einen  energischen  Protest  gegen  dies 
vertragswidrige  Verfahren  erlässt  Gairdner,  a.  a.  0.  II.  5.  69—72. 
Ueber  die  unfreundliche  Behandlung  der  Englander,  welche  ßich  weigerten, 
den  Zoll  zu  zahlen,  sieh  ebenda.    VgL  ferner  ürk.  Beil.  88. 

*)  7.  Juli  1497.    Rymer  XU.  8.  654  fc. 

s)  Sieh  oben  S.  11  Note  4. 

*)  ürk.  Beil.  8-13. 

5)  Rymer  XII.  S.  713. 


—    23     - 

Messe  zu  halten1).     Zeitweilig  machte  er  sogar  Miene  zum 
förmlichen  Kriege*). 

Bei  den  Verhandlungen  stand  die  Tuchfrage  wieder  für 
die  Engländer  im  Vordergrunde.  Es  galt  den  protectionisti- 
schen  Bestrebungen  der  Niederländer  fest  entgegen  zu  treten 
und  den  englischen  Tüchern  den  Markt  offen  zu  halten.  Zwei 
Wünsche  setzte  er  denn  auch  durch;  der  Zoll  von  1  fl.  für 
das  eingefühlte  englische  Tuch  wurde  erlassen,  auch  für  den 
Fall,  dass  die  Käufer  anderer  Nation  angehörten  (Art.  5) ;  ferner 
willfahrte  man  seinem  Verlangen  nach  Beseitigung  der  Ver- 
ordnung, dass  alle  Tücher  ausschliesslich  in  Antwerpen  und 
Brügge  gestapelt ,  sowie  daselbst  neu  gesiegelt  werden  sollten 
(Art.  b).  Fortan  durften  die  englischen  Tücher  in  alle  nieder- 
ländischen Städte  geführt  werden.  Dagegen  weigerten  sich 
die  Niederländer,  seiner  Forderung  zu  entsprechen,  dass  den 
Unterthanen  des  Erzherzogs  ausdrücklich  die  Befiigniss  einge- 
räumt würde,  englische  Tücher  zu  tragen  oder  solche  nach  der 
Elle  zu  verkaufen.  Die  Commissäre  des  Erzherzogs  stellten 
den  völligen  Ruin  der  einheimischen  Tuchmacherei  in  Aussicht, 
wenn  man  dies  Zugeständniss  machen  würde 3).  So  blieben  die 
Engländer  vom  eigentlichen  niederländischen  Consum  ausge- 
schlossen und  mussten  sich  auf  Befriedigung  des  Bedarfs  der 
Fremden  beschränken,  wenn  nicht,  wie  wahrscheinlich,  in  der  Aus- 
führung dieser  Bestimmungen  ziemlich  liberal  verfahren  wurde. 
Zu  einer  derartigen  Annahme  ist  man  durchaus  berechtigt. 
Der  Artikel  6  machte  schon  eine  wirksame  Controle  unmög- 
lich. Nach  Aufhebung  des  Stapelzwangs  für  englisches  Tuch 
war  der  Detailverkauf  und  die  Einbürgerung  der  englischen 
Fabricate  kaum  hintanzuhalten.  Die  niederländische  Regierung 
selbst,  welche  so  sehr  sich  weigerte,  im  Vertrag  den  Detaii- 
verkauf  und  das  Tragen  englischer  Tücher  zu  gestatten,  hatte 
dies  aus  freiem  Antrieb  wenigstens  für  die  geringwerthigen 
Tücher  aus  Irland,  Schottland  und  sonstwoher4)  schon  im 
Jahre  1497  (17.  Nov.)  wieder  gestattet,  weil  diese.  Tücher  für 
die  ärmsten  Bevölkerungsclassen  unentbehrlich  waren.  In 
Antwerpen  endlich  verhielt  man  sich  auch  bei  den  andern 
Tüchern   gegenüber   den  bestehenden   Verordnungen   ausser- 


*)  Dieses  Befehls  geschieht  Erwähnung  in  einem  Briefe  Heinrichs  VII. 
an Margaretha  v.Mai  1507.  Gairdner,  a.a.0.1.  S.329.  Es  ist  unzweifelhaft, 
dass  Heinrich  VII.  die  Idee  hatte,  den  englischen  Tuchmarkt  ganz  nach 
Calais  zu  ziehen  und  dadurch  sowohl  diese  Stadt  zu  heben,  als  auch  den  , 
Schwierigkeiten  mit  den  Niederländern  aus  dem  Wege  zu  gehen.  Daher 
die  wiederholten  Versuche,  dieses  Project  zu  verwirklichen. 

2)  Vgl.  den  Brief  Raimondo  di  Sonimo's  an  Ludovico  Sforza,  Herzog 
von  Mailand  vom  17.  November  1498.    Brown,  Cal.  I.  776. 

*)  ürk.  Beil.  9  und  11. 

*)  „Ycrscbe  mantels,  mantellaken,  kerseyt  d'Ecosse,  chivir,  ghewreven 
laekenen,  stockbreeden".    Placcaerden  van  VI  an  deren.    I.  S.  592. 


—    24     - 

ordentlich  lax,  so  zwar,  dass  die  englischen  Commissäre  die 
dort  bestehende  Uebung  als  einen  Berechtigungsgrund  für  ihr 
Begehren  anführen  konnten 1). 

Den  zweitwichtigsten  Punkt  bildete  die  Wollfrage 2).  Hier 
mussten  die  Niederländer  mit  einem  Nachlass  von  Vi  Mark 
per  Sack  sich  begnügen  und  selbst  auf  diesen  verzichten,  wenn 
eine  verheerende  Seuche  unter  den  Schafen  in  England  aus- 
brechen sollte,  auch  war  die  Vergünstigung  nur  auf  12  Jahre 
gewährt  (Art.  l)s).  Dagegen  kam  man  ihren  Wünschen  ent- 
gegen in  Betreff  einer  sorgfältigen  und  gewissenhaften  Ver- 
packung (Art.  2.)4). 

Eine  dritte  Frage  von  Belang  bezog  sich  auf  die  Geld- 
zahlung, beziehungsweise  Geldausfuhr.  Heinrich  VII.  wollte 
möglichste  Freiheit  in  derselben  von  den  Niederländern  ge- 
währt wissen.  Er  erreichte  auch,  dass  die  Stapler  Geld  und 
verarbeitetes  Gold  und  Silber  ausführen  durften,  verlangte  aber 
vergeblich,  dass  auch  die  Ausfuhr  von  Barrenmetall  gewährt 
werde.  Die  Niederländer  meinten,  die  Engländer  könnten  sich 
mit  der  ersterwähnten  Concession  zufrieden  geben,  sei  doch 
ihnen  nicht  einmal  so  viel  in  England  erlaubt5).  Hinsichtlich 
der  Durchfuhr  von  Gold-  und  Silberbarren  blieb  es  bei  der 
Bestimmung  des  Magnus  Intercursus  (Art.  31),  cl.  h.  sie  war 
gestattet. 

Ferner  wurde  bestimmt,  dass  der  Voi-stand  der  englischen 
Kaufleute  (Court  Maister)  keine  Preistaxe  festsetzen  dürfe,  viel- 
mehr die  Engländer  sowohl  auf  den  Messen  als  zu  anderen 
Zeiten  in  Antwerpen  und  Brügge  nach  freier  Vereinbarung  mit 
denVerkäufem  handeln  könnten  (Art.8) 6).  Auch  sollte  die  engli- 
sche Nation  nicht  durch  Gesetz  den  Handel  mit  bestimmten  Per- 
sonen oder  Städten  verbieten,  wenn  ihre  Angehörigen  nicht 
durch  diese  beschädigt  oder  misshandelt  worden  waren  (Art.  9). 
Die  übrigen  Bestimmungen  sind  vorwiegend  rechtlicher  Natur  7). 


»)  Urk.  Beil.  14. 

*j  In  Betreff  dieser  sind  auch  die  früheren  Verhandlungen  zu  verglei- 
chen, besonders  die  vom  Jahre  1478.  Die  Flamänder  erlangten  damals 
die  Beseitigung  der  Preistaxe  für  Wolle,  bemühten  sich  aber  vergeblich 
durchzusetzen,  dasssie  nicht  mehr  zu  je  2  Säcken  neuer  Wolle  auch 
Sack  alte  nehmen  müssten.    Ryraer  XII.  S.  76. 

8)  Vgl.  auch  ürk.  Beil.  No.  11. 

<)  Urk.-Beil.  12,  13. 

8)  Ürk.-Beil.  8. 

°)  Dies  war  schon  1478  durch  Artikel  17  statuirt. 

7)  Solche  waren  auch  im  Vertrage  von  1478.  So  z.  B.  wurde  damals 
festgesetzt,  dass  der  Gläubiger  den  Eid  des  Schuldners  als  einziges  Beweib  - 
mittel  ablehnen  darf.  Rymer  XIL  S.76.  Die  bezüglichen  Artikel  unseres 
Vertrages  bestimmen:  1)  Moratorien  und  die  Ausgaben  von  „Breven"  und 
sogen.  -KynkerneUys"  sind  unstatthaft  (Art.  1).  2)  Klagen  wegen  verdor- 
bener Wolle  können  nur  geltend  gemacht  werden,  wenn  dieser  Verderb 
innerhalb  dreier  Monate  nach  dem  Kauf  eintritt;  ist  dies  der  Fall, 
so  müssen   die  Stapelbehörden  in  20  Tagen  Recht  sprechen,   sonst  gilt 


—    25     — 

Mit  Ausnahme  des  Artikels  1  hatte  der  Vertrag  a£uf  Lebens- 
zeit der  Contrahirenden  zu  gelten1). 

Zieht  man  eine  Bilanz  der  Vortheile,  welche  die  beiden 
Länder  einander  abgerungen,  so  kann  es  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dass  die  grösseren  auf  Seite  Englands  lagen,  und 
dass  Heinrich  VII.  hier  bereits  den  ersten  Schritt  gethan  hatte, 
um  dem  englischen  Handel  in  den  Niederlanden  ein  grösseres 
Operationsfeld  zu  schaffen.  Er  war  auch  über  den  Ausgang 
der  Verhandlungen  so  erfreut,  dass  er  aus  Anlass  dieses  Ver- 
trags für  die  Cathedrale  zu  Antwerpen  ein  Glasgemälde  fertigen 
Hess,  auf  welchem  er  und  seine  Frau  knieend  und  betend  dar- 
gestellt sind2). 

Hand  in  Hand  mit  ihrem  König  waren  die  Merchant 
adventurers  thätig.  Sie  nöthigten  die  Antwerpener,  nicht  nur 
die  ihnen  früher  gewährten  Rechte  und  Freiheiten  zu  bestä- 
tigen, sondern  erlangten  auch  neue.  Sie  verschafften  sich  Sitz 
und  Stimme  im  Zollhaus,  in  dem  fortan  drei  hervorragende 
Kaufleute  gemeinsam  mit  den  Zöllnern  die  Verordnungen  fin- 
den Erahnen  und  die  Krahnenarbeiter  erliessen.  Ebenso  wur- 
den sie  von  der  Accise  für  ihren  Wein  und  anderes  Getränke 
befreit,  das  Scheide.-  und  Heringsgeld  ihnen  erlassen,  die  Be- 
strafung Aller  für  Schulden  Einzelner  als  unstatthaft  er- 
klärt8). 

So  zufrieden  gestellt,  kehrten  die  Engländer,  wieder  nach 
Antwerpen  zurück,  und  allgemein  war  die  Freude  und  der 
Jubel  bei  ihrem  mit  grosser  Feier  veranstalteten  Einzug4). 
Die  Merchant  adventurers  konnten  sich  auch  in  der  aller- 
nächsten Zeit  nicht  wegen  Mangels  an  Entgegenkommen  von 
Seite  der  niederländischen  Städte  beklagen.  Erhielten  sie 
ihre  Wünsche  nicht  befriedigt,    so    verbot   ihr  Vorstand  den 

der  Kaufvertrag  für  aufgelöst  Eine  Berufang  ist  nur  an  den  König  oder 
dessen  Bevollmächtigte  möglich  (Art  3).  3)  Wird  Mangels  Zahlung  oder 
wegen  Nichteinhaltung  des  Contracts  gegen  den  Schuldner  Klage  erhoben 
und  das  Vorhandensein  des  Contracts  erwiesen,  so  muss  der  Richter 
sofort  das  Urtheil  fallen,  es  sei  denn,  dass  der  Schuldner  eine  gesetzliche 
Exception  geltend  macht;  in  letzterem  Fall  muss  dieser  die  fragliche 
Summe  deponiren  und  dem  Gläubiger  einhändigen,  der  Richter  aber  die 
Sache  in  6  oder  9  Monaten  entscheiden  (Art  10).  4)  Bei  Vergehen  ist  nur 
der  Schuldige  haftbar  (Art.  11).  5)  In  den  Niederlanden  sterbende  Eng- 
länder stehen  nicht  ausserhalb  des  Gesetzes,  ihr  Vermögen  muss  an  die 
Verwandten  gelangen  (Art.  12). 

')  Heinrich  VII  gab  am  18.  Mai  1499  den  Befehl  zur  Proclamation  des 
Vertrags.    Gairdner  a.  a.  0.  II.  S.  377. 

*)  Das  Glasfenster  wurde  1503  im  Antwerpener  Dom  angebracht  und 
ist  heute  noch  erhalten. 

*)  ürk.  Beil.  133.  §  51.  Am  11.  Juni  1502  wurde  befohlen,  dass  alle 
früher  von  den  Engländern  benutzten  Waarengewölbe  und  Kaufhallen  in 
der  Wollstrasse  definitiv  zu  räumen  und  diesen  wieder  zur  Verfügung  zu 
stellen  seien.  (Antw.  St  A.  Het  oudt  Register  van  diversche  mandementen.) 

4)  Hall,  Chronicle  **.  483  sagt:  The  English  men  resorted  again 
into  the  Archedukes  dominions  and  were  receaved  into  Andwarp  with 
generali  procession,  so  glad  was  the  toune  of  their  retumyng,  whiene  was 


—     26    — 

Handel  mit  Antwerpen ,  und  wenn  auch  darauf  Repressalien 
erfolgten,  so  gelangte  man  doch  immer  bald  zu  einer  Verstän- 
digung, bei  der  die  Engländer  Sieger  blieben1). 

Freilich  kam  diesen  dabei  sehr  zustatten,  dass  nicht  nur 
Middelburg  mit  Antwerpen  und  Bergen  theilweise  in  Concur- 
renz  trat ') ,  sondern  dass  seit  einiger  Zeit  ernstlich  versucht 
wurde,  dem  weiteren  Verfall  Brügge's  vorzubeugen.  Antwer- 
pen musste  Alles  aufbieten,  um  die  Kaufleute  so  fest  an  sich 
zu  ketten,  dass  sieK  eventuell  selbst  einem  Befehl,  nach  Brügge 
zurtickzukehi-en,  trotzten.  In  der  That  hatte  man  solche  Man- 
date erlassen.  1494  wurden  die  spanischen  Kaufleute  auf- 
gefordert, in  Brügge  ihren  Aufenthalt  zu  nehmen3);  für 
spanische  Wolle  war  Brügge  ohnehin  noch  immer  jler  Stapel- 
platz 4).  1498  wagte  Erzherzog  Philipp  einen  kühneren  Schritt. 
Er  war  persönlich  in  Brügge  gewesen  und  hatte  sich  durch 
den  Augenschein  überzeugt,  dass  die  Stadt  dem  vollen  Ruin 
entgegengehe 5).  Er  befahl,  dass  fortan  alle  fremden  Kaufleute, 
die  im  Lande  wohnten,  in  Brügge  sich  aufhalten  und  dahin 
ihre  Waaren  führen  sollten,  und  verbot  ihnen,  anderswo  ihre 
Waaren  zu  verkaufen.  Nur  die  grossen  Freimärkte  von  Ant- 
werpen ,  Bergen  op  Zoom  und  andern  Städten  sollten  eine 
Ausnahme  machen.  Auf  ihnen  blieb  der  Verkauf  für  die 
Dauer  der  Messen  gestattet.  Feiner  bestimmte  Philipp  auf 
Bitten  der  Stadt,  dass  alle  Fremden,  welche  nach  Brügge 
kämen,  während  sechs  Jahre  nicht  wegen  Schulden,  die  ausser- 
halb des  fcandes  contrahirt  worden  wären,  verfolgt  werden 
dürften 6).  Also  selbst  vor  einem  so  bedenklichen  Mittel  schrak 
man  nicht  zurück,  um  nur  wieder  einen  festen  Kein  fremder 
Kaufleute  nach  Brügge  zu  ziehen. 

Es  scheint  nicht,  als  ob  man  in  dieser  Weise  eine  auch 
nur  vorübergehende  Besserung  hervorrief.  Die  Aufmerksam- 
keit lenkte  sich  deshalb  auf  andere  Massregeln.  Die  eine 
ging  dahin,  den  Zwin  wieder  in  schiffbaren  Zustand  zu  ver- 
setzen7). Eine  Commission  wurde  ernannt,  welche  eine  sorg- 
fältige Untersuchung  anstellte  und  einen  umfassenden  Regu- 
lirungsplan  entwarf.  Ypern,  Gent  und  Lefranc  erhoben  zwar 
Widerspruch,  fanden  dasProject  zu  kostspielig  und  unwirksam, 
Philipp  aber  beschloss,  nachdem  er  persönlich  die  Pläne  und 
die  Terrainverhältnisse   in  Augenschein   genommen,  die  Aus- 

by  their  absence  sore  hindered  and  empoverished  at  the  time,  that  this 
unitie  and  concorde  was  made. 

*)  Vgl.  Urk.  Beil.  16-18,  133  §  53. 

«)  Sieh  auch  ürk.  Beil.  133  §  55. 

°)  Kervyn  de  Lettenhove,  Histoire  de  Flandre  VI.  S.  79. 

4)  Henne,  Histoire  du  regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  T.  V.  S. 
271  und  Placcaertboecken  van  Vlanderen  III.  S.  969. 

6)  „en  voye  de  totalle  ruyne  et  dalier  du  tout  ä  neant."  Diegerick, 
Inventaire  des  archives  d'Ypre  T.  IV.  S.  276.   No.  1329. 

«)  a.  a.  0.  No.  1328. 

7)  13.  April  1501  a.  a.  0.  T.  V.  S.  3.  No.  1361. 


—    27    — 

führang.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  thatsächlich  an's 
Werk  gegangen  wurde.  Nur  macht  es  den  Eindruck,  als  ob 
die  Regulirungsarbeiten  viel  zu  langsam  voranschritten *),  viel- 
leicht auch  wegen  der  mangelnden  Beiträge  der  verarmten 
flandrischen  Städte  nicht  ganz  so  ausgeführt  wurden,  wie 
man  es  geplant.  Mit  jedem  Jahr,  das  darüber  verfloss,  musste 
aber  die  Wahrscheinlichkeit ,  wieder  einigermassen  den  alten 
Glanz  zurück  zu  erlangen,  geringer  werden. 

Von  ganz  besonderer  Bedeutung  war  endlich  eine  Ver- 
ordnung, durch  welche  Brügge  zum  Stapelplatz  für  englische 
Tücher  in  Flandern  erhoben  wurde2).  Die  letzteren  waren 
trotz  früherer  Verbote  in  Brügge,  sicher  wenigstens  seit  1470, 
und  ebenso  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  anderen  flandri- 
schen Städten  zugelassen  worden,  nur  durften  sie  nicht  per 
Elle  verkauft,  überhaupt  gar  nicht  ohne  Verpackung  vorge- 
funden werden;  sie  mussten  also  genau  in  dem  Zustande  blei- 
ben, in  welchem  sie  England  verlassen  hatten;  eine  Zuberei- 
tung der  englischen  Tücher  in  den  Niederlanden  war  nicht 
gestattet;  sie  durften  auch  nicht  von  Bewohnern  Flanderns 
getragen  werden ;  sie  berührten  nur  flandrisches  Terrain ,  um 
von  da  in  die  Hände  Fremder  zu  gelangen.  An  diesem  Zu- 
stande etwas  zu  ändern,  dazu  konnte  man  sich  nicht  entschlies- 
sen:  denn  allenthalben  lag  in  den  flandrischen  Städten  die 
Tuchindustrie  darnieder;  wo  man  hinblickte,  zeigte  sich  ein 
trostloses  Bild.  Mit  der  Erhebung  Brügge's  zum  flandrischen 
Stapelplatz  für  englisches  Tuch  war  auch  keineswegs  eine 
Concession  an  die  Engländer  beabsichtigt.  In  der  Verleihungs- 
urkunde werden  ausdrücklich  die  Beschränkungen,  denen  die 
englischen  Tücher  unterworfen  sind ,  hervorgehoben.  Das 
Stapel  war  sogar  ganz  zweckentsprechend,  eine  scharfe  Con- 
trole  zu  üben ,  während  man  gleichzeitig  auf  diese  Weise 
die  englischen  Kaufleute*  zwingen  zu  können  vermeinte ,  in 
Brügge_wieder  zu  residiren.  Freilich  dürften  diese  wenig 
Neigung  verspürt  haben',  diesem  Zwange  sich  zu  fügen.  Es 
ist  wahrscheinlich,  dass  in  Folge  dieser  Stapeleinrichtung  der 
englische  Handel  noch  mehr  in  Antwerpen  sich  concentrirte, 
wo  man  auf  eine  milde  Praxis  in  der  Tuchfrage  rechnen 
konnte  und  von  wo  aus  sich  das  englische  Tuch  wohl  auch  in 
Flandern  einschmuggeln  Hess. 

So  sicher  nun  all  diese  Massregeln  für  die  Engländer 
nichts  Verlockendes  haben  konnten ,  so  lag  doch  darin  ein 
Factor,  mit  dem  die  Brabanter  rechnen  mussten.  Die  Mög- 
lichkeit,  dass   man   in   Flandern   zu  liberaleren  Concessionen 

*)  Noch  1510  ernennt  Margaretha  Commissäre  für  die  Arbeiten,  a.  a. 
0.  Nene  Pläne  legte  1546  Lancelot  Blondeel  vor,  wonach  Brügge  durch 
einen  Canal  mit  dem  Meer  bei  Heyst  verbunden  werden  sollte.  (Brügger 
Stadtarchiv.) 

*)  28.  8ept  1501.    Urk.  Beil.  15. 


—     28     — 

sich  herbeilassen,  oder  dass  die  Regierung  noch  weitere 
Schritte  thun  werde,  war  keineswegs  ausgeschlossen.  Antwer- 
pen und  Bergen  waren  auch  klug  genug,  um  dies  zu  be- 
greifen und  ihre  Interessen  mit  denen  der  Engländer  möglichst 
zu  verbinden. 

Die  künftigen  Aussichten  schienen  somit  für  die  Engländer 
ganz  gut  zu  sein.  Der  Intercursus  von  1496  wurde  am  19. 
Juni  lß02  zu  Antwerpen  von  den  beiderseitigen  Bevollmäch- 
tigten erneuert  und  ein  neuer  Freundschaftsvertrag  zwischen 
Maximilian  und  Heinrich  VII.  geschlossen1).  Dennoch  sollte 
das  freundliche  Verhältniss  nicht  lange  andauern.  Wie  so  oft, 
war  wohl  auch  jetzt  wieder  die  ständige  Furcht  des  Königs 
vor  politischen  Verräthern  der  Hauptanlass.  Der  Graf  von 
Suffolk,  der  sich  in  den  Niederlanden  aufhielt,  galt  als  ver- 
dächtig. Heinrich  VII.  wünschte  seiner  habhaft  zu  werden, 
und  da  die  Niederländer  hierzu  die  Hand  zu  bieten  nicht 
sehr  bereit  waren,  so  trat  eine  Spannung  ein,  die  sofort  auf 
die  commerciellen  Beziehungen  sich  übertrug.  Im  Jahre  1504 
wurden  Klagen  wegen  neuer  Abgaben  und  wegen  Vertrags- 
verletzungen, welche  die  Engländer  sich  zu  Schulden  kommen 
Hessen,  erhoben.  Den  Berichten  des  venetianischen  Gesandten 
zufolge  scheint  Heinrich  VH.  zu  Calais  auf  alle  Waaren,  die 
von  England  nach  Flandern  gingen,  einen  neuen  Zoll  gelegt 
zu  haben,  welcher  von  Philipp  mit  einem  Retorsionszoll  beant- 
wortet wurde ').  Die  zur  Bereinigung  dieses  Streites  ernannten 
Comraissäre3)  richteten  nichts  aus.  Das  Verhältniss  wurde  immer 
unerquicklicher.  Die  englischen  Kaufleute  verliessen  wieder  Ant- 
werpen und  begaben  sich  nach  Calais,  wo  Heinrich  VH.  einen 
Freimarkt  mit  einer  in  jedem  Vierteljahr  abzuhaltenden  40tägi- 
gen  Messe   errichtet  hatte4).    Der  Handel  zwischen  England 


»)  Rymer  XIIL  S.  6  fg. 

*)  Vincenzo  Quirini  an  die  Signorie.  Gent  29.  November  1505. 
Brown's  Cal.  I.  860. 

")  Rymer  XIII.  S.  105. 

4)  15.  Jan.  1505.  Gair dner  a.  a.  0.  II. S.379.  Mit  dem  Freimarkt  scheint 
Heinrich  VII.  diesmal  keinen  Misserfolg  gehabt  zu  haben,  sonst  hätte  doch 
wohl  sein  Biograph  Bern.  Andreas  Tholos.  das  Lob  nicht  in  so  über- 
schwenglicher Weise  spenden  können.  Er  sagt  beim  Jahr  1504/5  vom 
Flandriae  commeatus:  Quid  dicam  de  commeatu  illo  Flandriae  sapienti 
consilio  intermisso,  cujus  rei  gratia  semel  et  jam  secundo  nobilis  ad  regem 
nostrum  legatio  venit?  Quanta  Drudentia,  quanta  sagacitate,  quantove 
consilio  suae  reipublicae  prudentissimus  rex  noster  prospexitl  Quod  nulli 
antea  hujus  regni  principes  praestare  potuerunt,  quominus  nundlnae  apud 
HIob  in  suos  ubus  quotannis  observarentur,  hie  unus  rex  effecit,  ut  Calisii 
forum  ejusmodi  non  suis  tantum,  sed  eunetis  nationibus  pateret.  0  im- 
mensam  tanti  regia  prüden tiaml  0  eximiam  in  subditos  benevolentiani ! 
0  maximam  denique  im  omnes  exteras  eentes  mansuetudinem ;  qui  tot 
commoda,  tot  libertates  tantaque  praesidia  suopte  ingenio  comparavit. 
Enimvero  illustrissimi  regia  Castellae  Philippi  pace  ac  venia  dixenm,  tot 
retro  imperatores,  tot  duces,  tot  principes  suis  populis  nunquam  talia  pro- 


—    29    — 

und  den  Niederlanden  wurde  völlig  gesperrt1),  die  gegen  das 
Verbot  eingeführten  Waaren  beschlagnahmt2).  Die  nieder- 
ländischerseits  geschickten  Gesandtschaften 8)  vermochten  nichts 
auszurichten,  da  Heinrich  VII.  die  Beseitigung  des  Retorsions- 
zolles verlangte,  aber  keineswegs  die  von  ihm  selbst  auferlegten 
Abgaben  aufheben  wollte4).  Die  Niederländer  und  Antwerpe- 
ner wurden  von  der  Stockung  des  Handels  sehr  empfindlich 
beröhrt  und  die  Regierung  sah  sich  genöthigt,  in  ihrer  Geld- 
noth  den  Import  von  10000  englischen  Tüchern  gegen  be- 
trächtliche Licen^ebühren  zuzulassen5). 

Eine  friedliche  Wendung  trat  erst  ein,  als  im  Jahre  1506 
Philipp,  der  zugleich  König  von  Spanien  geworden  und  als 
solcher  ein  Bündniss  mit  Heinrich  VII.  gegen  Ferdinand  von 
Aragonien  zu  erlangen  suchte,  auf  seiner  Reise  nach  Spanien 
an  die  englische  Küste  verschlagen  wurde  und  so  Gelegenheit 
zu  einer  persönlichen  Zusammenkunft  mit  dem  englischen  König 
fand6). 

Heinrich  VH.  in  seiner  nüchternen  Weise  nützte  diese 
Conjunctur  nach  Kräften  aus.  Er  war  aber  in  der  glücklichen 
Lage,  nicht  blos  seine  im  Grunde  doch  trügerische  Freund- 
schaft in»  die  Wagschale  werfen  zu  können,  sondern  er  sah 
sich  auch  noch  in  anderer  Weise  unterstützt.  Die  Brügge'sche 
Frage  spielte  herein.  Philipp  der  Schöne  war,  wie  oben  her- 
vorgehoben worden,  dem  Verfall  der  Stadt  gegenüber  nicht 
gleichgültig  und  sicherlich  von  vornherein  zu  Concessionen 
geneigt,  wenn  die  englischen  Kaufleute  nach  dem  ehemaligen 


xorarunt.  Nee  Marcellos,  nee  Curiones,  nee  Fabios,  nee  Caesar  es,  nee 
Alexandras  quamvis  mtüta  pro  suis  gesserint,  huic  nostro  conferam.  Hie 
enim  solus  regni  sui  solis  pacis  artibus,  sine  gladio  sive  sanguine,  tanta 
emolumenta  paravit,  ut  merito  pater  patriae  a  eunetis  ac  rex  paeificus 
totam  per  orbem  nominetur.  Historia  regis  Henrici  VIL  a  Bern.  Andrea 
Tholosate  conscripta.    Edit.  by  J.  Gairdner  S.  83. 

x)  Vincenzo  Quinni an  die  Signorie.  Antwerpen  1.  Juli  1505.  Brown, 
Cal.  I   846. 

*)  5.  August  1505.    Brown  ,  Cal.  I.  860. 

*)  So  wird  eine  solche  erwähnt,  welche  Philipp  schickte  und  die  meh- 
rere Monate  vergeblich  unterhandelte '(Brown,  Cal.  I  648);  am  12.  Juli 
ging  auf  des  Kaisers  Wunsch  Hermarch  aus  Köln  zu  diesem  Zwecke  nach 
England  (Brown,  Cal.  I.  848)  und  im  September  1505  reisten  Croy  de 
Sempy  und  der  Präsident  von  Mecheln  Sauvage  nach  London,  um  ein 
Einverständniss  zu  erzielen  (Brown,  Cal.  I.  855).  die  letzteren  hatten 
eine  grosse  Zahl  von  Sachverständigen  bei  sich.  Ueber  einige  Vorgänge 
in  ihren  Verhandlungen  sind  wir  unterrichtet.  Die  Niederländer  verlangten 
hauptsächlich  die  Abschaffung  der  Abgaben  „Ancragia,  Balliaga,  Skavagia, 
Grakaiga,  Paccaiga,  Grondaga,  Hedmony,  Coquetmony  ;a  vgl  Ürk. 
Beil.  69,  70. 

4)  VincQuirini  an  die  Signorie.  Gent  29.  Nov.  1505.  Brown,  Cal.  I.  860. 

*)  V.Quirini  an  die  Signorie.  Antwerpen  19.  Juli  1505.  Brown,  Call.  849. 

•)  Fischer,  Geschichte  der  auswärtigen  Politik  und  Diplomatie  im 
RdFormationazeitalter  1485 — 1556  S.  49;  damit  ist  zu  vgL  Gacnard,  Col- 
lection  des  voyages  des  souverains  desPays-Bas.  T.I.  Bruxelles  1876.  S.  498  fg. 


—    30    — 

Handelsemporium  zurückkehren  wollten.  Der  Zeitpunkt  zu 
einem  solchen  Versuch  war  besonders  günstig,  weil  die  eng- 
lischen Kaufleute  ihren  Verkehr  mit  Antwerpen  abgebrochen 
hatten  und  ihre  Messen  in  Calais  hielten.  Unter  den  nieder- 
ländischen Vertretern  nahm  sich  Pierre  Anchemont  der  Brügger 
Interessen  an l).  Nichts  liess  er  unversucht ,  um  die  Gründe 
der  Kaufleute3)  zu  entkräften,  den  Rath  und  besonders  den 
König  selbst  für  diese  Sache  zu  gewinnen.  Aber  auch  die 
Leute  von  Antwerpen,  Bergen  op  Zoom  und  Middelburg  waren 
nicht  unthätig 3).  sondern  verstanden  es  trefflieh,  ihren  Interessen 
Geltung  zu  verschaffen.  Heinrich  VII.  machte  in  geschickter 
Weise  den  Brüggern  einige  Hoffnung 4) ,  band  sich  aber  nicht 
im  Mindesten  die  Hände,  schützte  zunächst  den  Widerstand 
der  Kaufleute  vor6)  und  erklärte,  die  Frage  erst  definitiv 
lösen  zu  können ,  wenn  der  Vertrag  abgeschlossen  sei 6).  In- 
dem er  diese  verschiedenen  Strömungen  benutzte,  war  er  im 
Stande,  die  meisten  seiner  Wünsche  durchzusetzen.  Ein  Han- 
delsvertrag wurde  vereinbart,  der  ziemlich  einseitiger  Na- 
tur war7). 

Die  Handelstractate ,  welche  die  beiden  Contrahenten 
früher  geschlossen,  wurden,  insoweit  sie  dem  gegenwärtigen 
nicht  widersprachen,  bestätigt  (Art.  1),  alle  unrechtmässigen 
Abgaben  aufgehoben  (Art.  2) 8)  und  als  schuldige  Zölle  die  des 
Intercursus  magnus  festgesetzt  (Art.  6).  Die  Engländer  spe- 
ciell  sollten  in  Antwerpen  nur  die  in  dem  Philipp'schen  Privi- 
leg   vom    Jahre    1446    specificirten    Abgaben    erlegen9)   und 


x)  Eine  Copie  seines  Berichtes  hierüber  an  den  Stadtmagistrat  von 
Brügge,  datirt  London  18.  April  1506,  ist  im  Brügger  Stadtarchiv  erhalten.* 

9)  Als  solche  führen  sie  an  1)  „le  mauvais  port,  qu'ils  ne  peuvent 
bonnemenl  arriver  sinon  en  £te  ou  en  plaine  lune",  2)  das  Verbot,  Tücher 
im  Detail  zu  verkaufen,  3)  die  Vexationen  von  Gent,  Ypern  und  anderen 
Städten,  4)  hohes  Tonnengeld  und  grosse  Maklergebühren,  5)  in  Antwerpen 
und  Bergen  bequeme  Landung  und  die  Sicherheit,  jederzeit  Käufer  daselbst 
zu  finden,    a.  a.  0. 

")  Sie  machen  „grands  poursuites  öftres  et  pr&entations".    a.  a.  O. 

*j  „Monsieur  le  Secretaire,  mon  ami.  «Tay  pieca  sceu  que  le  Roy,  mon 
bon  nls,  vostre  maistre  ayme  cördialement  sa  bonne  ville  de  Bruges,  et 
tant  pour  ceste  cause  comme  pour  la  bonte,  et  douceur  dicelle,  aussy  que 
les  habitans  se  monstrent  enciins  envers  moy,  je  Tay  en  singulier  amour 
et  recommandacion  plus  que  nulle  des  aultres  villes  de  par  dela."  a   a.  O. 

5)  „Les  marchands  de  mon  royaume  fönt  encore  quelques  difficultes 
et  surtout  me  requierent  liberte*  et  qu'ils  ne  soient  constrains  d'aler  senon 
ou  ils  pourront  mieulx  trouver  leur  prouffit  et  commodite".    a.  a.  0. 

6)  „Je  ne  leur  (sc.  Brugeois)  puis  bonnement  faire  response  finale 
jusques  a  ce  que  ladite  conclusion  soit  prinse".    a.  a.  0. 

7)Rymer  XIII.  S.132  fg. 

8)  Komisch  ist  der  Beisatz,  dass  die  Kaufleute  nur  diejenigen  Zölle 
zahlen  sollen,  welche  ab  origine  mundi  (!)  bestanden. 

*)  Sieh  den  Zolltarif  in  Urk.  Beil.  2.  §  1.  Wahrscheinlich  fixirt  der 
Artikel  5  des  neuen  Vertrags  nur  klar  und  deutlich,  was  der  M*J. 
will,  der  nämlich  sagt,  dass  die  Zölle,  welche  vor  50  Jahren  (also  1446) 


—    81     — 

deshalb  fortan  befreit  sein  vom  sogenannten  Sewesschezoll  oder 
Zoll  von  Zeeland,  vom  Hound  Zoll,  wenn  sie  nach  Antwerpen, 
und  vom  Brabanter  Zoll,  wenn  sie  nach  Bergen  und  Middel- 
burg  führen.  Der  Zoll  von  Zeeland  sollte  auch  nicht  von  ihnen 
erhoben  werden,  wenn  sie  nach  Brügge  sich  begäben  (Alt  5). 
Wichtige  Concessionen  waren  hinsichtlich  der  englischen  Tücher 
eingeräumt.  Der  Grossverkauf  englischer  Tücher  in  Brügge 
wurde  auch  im  Vertrag  zugelassen1),  und  Beschlagnahmungen 
wegen  früher  in  Brügge  erlassener  Verordnungen  für  unstatt- 
haft erklärt.  Den  englischen  Kaufleuten  wird  das  Recht  ge- 
währt, im  ganzen  Gebiete  Philipps  — -  Flandern  ausgenommen 
—  ihre  Tücher  auszuschneiden  oder  weiter  verarbeiten  zu 
lassen  (Art.  4),  ebenso  soll  in  den  erwähnten  Gebieten  den 
Niederländern  der  Ausschnitt  oder  Gebrauch  englischer 
Tücher  nicht  verwehrt,  die.  letzteren  überhaupt  nicht  verboten, 
auch  keinerlei  Lasten  den  Verkäufern  englischer  Tücher  auf- 
gebürdet werden  (Art.  7).  Die  Zölle  für  englische  Tücher 
sind  die  nämlichen,  wenn  fremde  Kaufleute  dieselben  im- 
portiren,  und  participiren  somit  diese,  soweit  es  diesen  Ar- 
tikel betrifft,,  an  den  Zollprivilegien  der  Engländer  (Art.  8). 
Sollte  der  jeweilige  Herrscher  der  Niederlande  eine  Zollände- 
rung  eintreten  lassen  oder  sonstige  Lasten  auferlegen  wollen, 
so  ist  er  verpflichtet,  vor  Jahresfrist  dies  zur  Eenntniss  der 
englischen  Kaufleute  zu  bringen,  damit  diese  ihre  Geschäfte 
abwickeln  und  vom  niederländischen  Markt  sich  zurückziehen 
können  (Art  7).  Endlich  um  alle  Zweifel  in  Betreff  der  Zölle 
zu  beseitigen  und  willkürliche  Erpressungen  der  Zollbeamten 
zu  verhindern,  soll  an  den  Zollhäusern  von  London,  Brügge, 
Antwerpen,  Bergen  und  Middelburg  der  Zolltarif  angeheftet 
werden  (Art.  16). 


bestanden,  für  die  Engländer  in  Anwendung  kommen  sollen.  Es  ist  also 
möglich,  dass  damit  rechtlich  gar  nichts  Neues  verliehen  wurde;  jedenfalls 
wurde  aber  thatsachlich  Neues  verliehen,  indem  die  Niederländer  die 
Engländer  ganz  ebenso  wie  ihre  eigenen  Unterthanen  fortwährend  neuen 
Abgaben  unterworfen  hatten.  Zur  Beseitigung  des  Zeeland-  und  Hound-ZoUes 
war  übrigens  Philipp  bereits  11.  October  1504  durch  einen  Ausspruch  des 
grossen  Kaths  von  Malines  ermächtigt  worden,  worin  es  heisst,  dass  er  die 
gewöhnlichen  Zölle  aufheben  könne,  et  ce  de  toutes  navieres,  denräes  et 
marchandises  qu'elles  soient,  de  quelle  part  qu'elles  viennent,  appartenans  a 
narchans  non  francs,  que  en  allant,  venant,  montant.  descendant  et  passant, 
ou  touchants  aucun  de  cours  d'eau  et  strooms  aessusdicts  la  Honte  et 
autres".  Bruyssel,  Histoire  du  commerce  en  Beldque  II.  8.  245,  der  sich 
auf  Smallegange  Cron.  van  Zeeland,  lste  deel  2.  book  S.  165  stützt. 

')  Obwohl  man  dies  schon  lange  thatsachlich  gestattete  (sieh  oben  S.  27), 
so  war  die  ausdrückliche  Aufnahme  der  Bestimmung  in  den  Vertrag  doch 
nicht  gleichgültig;  denn  nach  dem  Intercursus  war  die  Einfuhr  aller  Waaren 
zwar  erlaubt,  aber  immer  exceptis  statutis  et  ordinationibus  locorum  in 
Omnibus  semper  salvis.  Vor  dem  Vertrag  konnte  Brügge  oder  Flandern 
mr  sich  jederzeit  die  Einfuhr  verbieten.    Dem  war  jetzt  vorgebeugt. 


—    32    — 

Für  alle  diese  Rechte  erhielten  die  Niederländer  so  gut 
wie  Nichts,  nämlich  eine  genaue  Classificirung  der  Wollsorten l) 
(Art.  14)  und  die  Erlaubniss,  Proben  aus  den  Wollsäcken  im 
Stapel  zu  Calais  nehmen  zu  dürfen,  wobei  jedoch  die  Kosten 
der  Wiederverpackung  ihnen  zufielen,  wenn  die  Packung  eine 
ordnungsmässige  war  (Art.  15)  *).  In  den  Zöllen  waren  die 
Engländer  wohl  sogar  günstiger  gestellt  als  die  Niederländer 
selbst,  da  diese  die  den  Engländern  erlassenen  Zölle,  wie  den 
Zeelandszoll ,  aller  Vermuthung  nach  zahlen  mussten;  ferner 
konnten  fortan  die  englischen  Kaufleute  die  Niederlande  mit 
ihren  Tüchern  überschwemmen  und  die  daselbst  ohnehin  schon 
längere  Zeit  leidende  Tuchindustrie  zum  grossen  Theil  ver- 
nichten. 

Man  muss  sich  nur  die  Lage  der  letzteren  vergegenwär- 
wärtigen,  um  die  volle  Bedeutung  der  Philippschen  Concessio- 
nen  zu  verstehen.  Die  Hauptblüthe  der  flandrischen  Weberei 
war  längst  vorüber.  Seit  den  Tagen  Philipps  von  Artevelde 
war  die  Tuchindustrie  in  ziemlich  raschem  Tempo  zurückge- 
gangen. Die  innere  Unruhe  und  die  französisch  -  englischen 
Kriege  hatten  das  Gewerbe  schwer  geschädigt  Gegen  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  bot  die  flandrische  Manufactur  im  Vergleich 
zu  früher  einen  traurigen  Anblick  dar.  Gent,  obwohl  noch  in 
verhältnissmässig  guter  Situation,  hatte  für  die  Tuchmacherei 
lange  nicht  mehr  die  Bedeutung  wie  etwa  im  14.  Jahrhundert3). 
Brügges  Glanz  war  ganz  verblasst ,  die  Handelswelt  hatte  sei- 
nen Mauern  den  Rücken  gekehrt  und  die  Industriellen  waren 
weggezogen,  so  dass  die  Stadt  von  der  man  übertreibend 
erzählt,  dass  sie  Ende  des  18.  Jahrhunderts  40000  Webstühle 
hatte,  jetzt  das  Bürgerrecht  gegen  eine  Kleinigkeit  anbot, 
um  Gewerbtreibende  wieder  heranzuziehen  *).  Ypern  war  voll- 
ständig verfallen.  Während  es  noch  1408  eine  Bevölkerung 
von    80  —  100  000    Seelen    und    3—4000   Tuchmanufacturen 


a)  Die  Sorten  sind  nach  ihrem  Ursprungsort  benannt;  als  solche  er- 
scheinen „Lempster,  Marche ,  Cotteswold,  Berkshire,  in  venis  Cotteswold, 
Lindesay,  Kesten,  Rutland,  Holand,  Lowe  Lindesey,  Northholand,  Norfolk, 
Kent,  Lindesey  Marsne".  Fast  alle  diese  sind  dann  noch  einmal  in  bonae 
und  medioeres  unterschieden.  Im  Ganzen  waren  es  29  Sorten.  In  demselben 
Artikel  wird  erwähnt,  dass  früher  36—38  Sorten  im  Handel  üblich  gewesen 
seien,  in  der  letzten  Zeit  aber  nur  10  oder  12,  indem  die  Kaufleute  die 
schlechtere  Wolle  unter  die  bessere  mischten  und  auf  solche  Weise  sich 
bereicherten. 

*)  Die  übrigen  Artikel  enthalten  meist  nur  Wiederholungen  aus  frohe- 
ren; so  ist  Art  9,  10  und  11  identisch  mit  Art  8,  9  und  10  vom  Vertr. 
1499,  Art  12  mit  31  des  M.  J.,  Art  13  mit  26  des  M.  J.  Der  Art.  3 
bestimmt,  dass  wegen  der  Zölle  oder  Beschlagnahmungen  früher  erlassene 
Statuten  oder  gefällte  Urtheile  nicht  zur  Ausführung  gelangen  sollen. 

")  Vgl.  Huyttens,  Recherches  sur  les  corporations  gantoises  notam- 
ment  sur  Celles  des  tisserands  es  des  foulons  1861. 

4)  Henne,  iHistoire  du  regne  de  Charles -Quint  en  Belgjque  Bd.  5. 
S.  272. 


—    33    — 

besass,  standen  1474  V»  der  Häuser  leer,  und  waren  1486  nur 
mehr  5 — 6000  Einwohner  und  die  winzige  Zahl  von  25—30 
Tuchgeschäften  vorhanden  *).  Nur  auf  dem  Lande  und  in  den 
kleinen  Städten,  wo  die  Commun^llasten  geringe  waren,  konnte 
die  Tuchindustrie  noch  eine  schwache  Existenz  fristen.  In 
Brabant  war  die  Situation  besser.  Einzelne  Städte  hatten  eine 
blühende  Manufactur  namentlich  in  feinen  Geweben.  Zieht 
man  Mittel-  und  geringere  Sorten  in  Betracht,  so  war  auch 
hier  die  Weberei  im  Rückgang  begriffen  *),  namentlich  in  den 
kleineren  Städten  war  die  Tuchindustrie  erdrückt  worden. 
In  Lgau  z.  B.,  das  früher  eine  nicht  unbedeutende  Zahl  von 
Tuchgeschäften  besass,  waren  sie  so  vollständig  verschwunden, 
«lass  die  Stadtbehörde  vier  fremden  Handwerkern  die  günstig- 
sten Bedingungen  stellte,  wenn  sie  in  Löau  sich  ansiedeln  und 
das  Gewerbe  wieder  treiben  wollten3). 

Wenn  man  die  bedenkliche,  erschütterte  Lage  der  nieder- 
ländischen Tuchmacherei  in  Verbindung  mit  dem  auf  dem 
Volke  lastenden  Steuerdruck  berücksichtigt,  so  findet  man  es 
begreiflich,  dass  in  den  Niederlanden  die  schutzzöllnerische 
Richtung  vorherrschte.  Man  wird  auch  verstehen,  dass  der 
Unwille  des  Volkes  ein  allgemeiner  sein  musste,  als  der  von 
Philipp  mit  Heinrich  VII.  abgeschlossene  Vertrag  bekannt 
wurde,  um  so  mehr,  als  England  keinerlei  Gegenconcessionen 
gemacht,  keinen  Schritt  von  seinem  eigenen  protectionistischen 
System  zurückgewichen  war. 

Die  öffentliche  Meinung  verlieh  deshalb  diesem  Tractat 
zum  Unterschied  vom  Intercursus  magnus  den  Namen  des  Inter- 
cursus  malus*). 


x)  Näheres  hierüber  bei  Diegerick,  Inventaire  des  archives  de  la 
vffie  d'Ypre  T.  DL  S.  121-,  IV.  S.  23,  121,  301;  V.  S.  242,  289,  305. 

*)  Sieh  auch  Henne  a.  a.  0.  S.  289. 

■)  Piot,  Inventairea  des  diverses  archives  de  la  Belgique.  1879.  S.  9, 
48.  Nr.  2,  126,  129. 

4j,  Die  vorgeführten  Momente  genügen,  um  den  Unwillen  des  nieder- 
länd.  Volkes  zu  erklären,  und  es  ist  nicht  nöthig,  sich  nach  andern 
Erklärungen  umzusehen.  Sehr  anfechtbar  dürfte  jedenfalls  die  in  der 
Literatur  verbreitete  Ansicht  sein,  als  ob  durch  diesen  Vertrag  den  Nieder- 
ländern die  freie  Fischerei  an  den  Küsten  und  Meeren  Englands  entzogen 
worden  sei.  Der  Ursprung  dieser  Meinung  ist  wohl  bei  Bacon  zu  suchen. 
Er  hat  geradezu  den  ominösen  Namen  des  Vertrages  davon  abgeleitet,  that 
the  free-fishing  of  the  Dutch  upon  the  coasts  and  seas  of  England,  granted 
in  the  treaty  of  undecimo,  was  not  by  this  treaty  confirmed,  all  articles, 
that  confirm  former  treaties  being  precisely  and  warily  limited  and  confirmed 
•  to  matter  of  commerce  only  and  not  otherwise.  (Bacon,  Historv  of  Henry 
VII.  bei  Kennet  L  S.  G34.)  Ihm  folgten  die  späteren  Schriftsteller,  so 
namentlich  Anderson,  der  wie  gewöhnlich  noch  andere  Unrichtigkeiten  ein- 
schiebt (siehe  deutsche  Rigaer  Ausgabe  1775  III.  S.440),  Macpherson  II. 
$.28  und  diesen  wieder  alle  übrigen,  so  auch  noch  Henne,  Histoire  du  regne 
de  Charles-Quint  en  Belgique  1858  I.  S.  88.  und  Bruyssel,  Histoire  du 
commerce  et  de  la  marine  en  Belgique  1861  II  S.245.  Die  Ansicht  Bacons 
halte  ich  deshalb  für  unrichtig,  weil  durch  Artikel  1  alle  früheren  Handels- 

?chanz,  Engl.  Handelspolitik.   T.  3 


-     34    — 

Aber  auch  die  niederländische  Regierung  selbst  hatte 
keine  rechte  Freude  an  dem  im  Augenblick  der  Noth  dem 
König  Philipp  abgepressten  Vertrag  und  ergriff  gerne  eine 
Gelegenheit,  denselben  wieder  aus  der  Welt  zu  schaffen.  Ja 
man  muss  bezweifeln,  ob  Philipp  selbst  ernstlich  seine  Inkraft- 
setzung beabsichtigte,  jedenfalls  wollte  er  erst  Früchte  von 
Heinrich's  Freundschaft  sehen.  Vorsichtiger  Weise  hatte  er  die 
Ratification  des  Handelsvertrages  in  England  nicht  vollzogen, 
ebenso  nicht  die  der  Urkunde,  welche  das  Versprechen  der 
mit  dem  englischen  Hause  geplanten  Verschwägerung  enthielt, 
sondern  nur  die  des  Freundschaftsvertrages.  Die  vereinbarten 
Termine  zur  Ratification  und  Auswechslung  der  Documente1) 
hielt  Philipp  nicht  ein,  sondern  bat  durch  seinen  Kanzler  drei- 
mal um  Aufschub,  und  schliesslich  griff  man,  als  damit  anstän- 
diger Weise  nicht  mehr  fortgefahren  werden  konnte,  zu  dem 
Mittel  der  Missverständnisse2).  Die  Lage  war  dadurch  sehr 
ernst  geworden,  und  die  Kaufleute  wurden  so  beunruhigt,  dass 
de  Chifcvres  Philipp  dringend  bat,  den  Vertrag  zu  ratificiren, 
damit  man  ihn  übergeben  könne ,  wenn  aus  der  Verweigerung 
ein  grösseres  Uebel  drohe8). 

Da  starb  inmitten  all  dieser  Verhandlungen  Philipp  und 
gab  durch  seinen  Tod  einen  geeigneten  Anlass,  den  noch  nicht 
recht  zu  Leben  gelangten  Tractat  zu  beseitigen.  Sofort  er- 
klärten die  Flamänder  den  Vertrag  für  null  und  nichtig; 
derselbe  sei,  wie  sie  sagten,  nicht  ratificirt  und  erlösche  des- 


vertrage,  soweit  sie  nicht  den  Bestimmungen  des  Vertrags  von  1506  wider- 
sprechen, bestätigt  wurden;  damit  war  auch  der  Magnus  Intercursus,  auf 
den  man  zudem  in  mehreren  Artikeln  sich  beruft  (vgl.  Art.  6\  bestätigt; 
der  Art.  14  des  M.  I.  erlaubt  beiderseitig  die  freie  Fischerei,  und  es  ist 
schwer  denkbar,  dass  dieser  Artikel,  der  einen  integrirenden  Bestandtheil 
des  M.  I.  bildet,  von  der  allgemeinen  Bestätigung  nicht  mit  umfasst  wor- 
den sei. 

1)  Der  Artikel  18  bestimmte,  dass  die  Ratification  in  drei  Monaten 
erfolgen  müsse.  Zufolge  eines  Privatabkommens  sollte  der  Handelsvertrag 
vor  dem  31.  Juli  ausgewechselt  werden.  Die  Bestätigung  des  Heirathsver- 
trags setzte  Heinrich  noch  durch. 

2)  Vgl.  die  über  diese  Verhältnisse  entstandene  Correspondenz  vom  20. 
Juli  und  12.  August  1506  bei  Gairdner,  Letters  and  Papers  etc.  II. 
S.  153—164;  und  Gachard,  Lettres  inddites  de  Maximilien  S.  305—7. 

*)  Nous  sommes  bien  erapeschez  de  ce  que  nous  escrivez  de  Pentre- 
cours,  car  comme  nous  vous  avons  adverty,  nous  avons  pieca  escrit  audit 
seigneur  roy  d'Angleterre  que  ä  la  requeste  de  vos  marchands  nous  vous 
avions  advertis  de  leurs  difficultäs  et  que  sur  ce  attendions  brief  avoir 
response  de  vous,  et  vous  verrez  aussy  par  ses  lettres  ce  qu'il  nous  en 
escrit,  parquoy  apres  y  avoir  pense  et  veu  que  toujours  ledit  entrecours  se 
peut  rappeler  en  le  signifiant  ung  an  devant,  ferez  bien  de  nous  envoyer 
la  connrmation  dudit  entrecours  signee  de  vostre  main,  et  nous  ne  le 
deüvrerons  point,  si  ce  n'est  qu'il  faudra  qu'il  soit  pour  eviter  ung  plus 
grand  mal.  Brief  von  de  Chievres  an  Philipp  den  Schönen  vom  16.  Aug 
1506.  Lettres  du  roy  Louis  XII.  et  du  cardinal  George  d*  Am- 
boise.    Brusselle  1712.  IL  8.  76. 


—    35     - 

halb  mit  dem  Tode  des  Fürsten x).  Der  unerquickliche  Zustand, 
wie  er  unmittelbar  nach  1498  sich  zu  entwickeln  begonnen 
hatte,  mit  allen  Zollerhöhungen  und  sonstigen  Bedrückungen 
war  die  sofortige  Folge.  Die  Messen  wurden  in  Calais  fort- 
gehalten *;,  und  der  directe  Verkehr  zwischen  England  und  den 
Niederlanden  blieb  ganz  unterbrochen. 

Die  diplomatische  Kunst  Heinrichs  VII.  schien  somit 
nur  negative  Erfolge  erzielt  zu  haben.  Doch  er  verzagte 
nicht,  er  wusste  nur  zu  gut,  dass  die  Niederlande  nicht  auf 
die  Länge  der  Zeit  ohne  die  englischen  Kaufleute  bestehen 
können, und  wollen.  Als  Frankreich  und  Geldern  eine  feind- 
selige Stellung  gegenüber  den  Niederlanden  einnahmen,  so  war 
Gelegenheit  zu  einer  Annäherung  und  Aussicht  auf  eine  end- 
liche Lösung  der  commerciellen  Fragen  gegeben. 

In  einem  an  Heinrich  VH.  gerichteten  Brief  gab  Marga- 
retha  gleichzeitig  mit  dem  Wunsch  nach  Herstellung  der 
Freundschaft  auch  der  Bitte  Ausdruck,  dass  der  Verkehr 
wieder  eröffnet  werde.  Bezeichnend  genug  erwähnt  sie  aber 
gar  nicht  des  1506  geschlossenen  Tractats,  sondern  wünschte  die 
Ermöglichung  des  Handels  auf  Grund  des  intercursus  magnus. 

So  leichten  Kaufs  gab  aber  Heinrich  VII.  seine  Wünsche 
nicht  auf.  War  er  doch  seinem  Ziele  schon  einmal  so  nahe 
gewesen!  Sollte  er  jetzt  zugeben,  dass  er  wirklich  sich  ver- 
geblich gemüht?  Nur  Eines  durfte  er  sich  nicht  verhehlen, 
nämlich  die  volle  Unmöglichkeit,  den  ganzen  Umfang  seiner 
früheren  Forderungen  erfüllt  zu  sehen.  Er  handelte  dem  ent- 
sprechend. Er  befahl  sofort  den  englischen  Kaufleuten  die 
Pfragstmesse,  obwohl  ihre  Abhaltung  bereits  für  Calais  publi- 
cirt  war,  in  den  Niederlanden  zu  halten  und  auf  Grund  des 
Vertrages  von  1496  den  Handel  wieder  anzuknüpfen  *).    Gleich- 

l)  Vgl.  den  Brief  von  Knight  und  Tregonwell  an  Hacket  aus  Anlass 
der  commerciellen  Verhandlungen  im  Juni  1532.  State  Papers  VII.  S.  376 
Heinrich  VII.  suchte  nach  dem  Tode  Philipp's  die  Ratification  noch  zu 
erlangen,  naturlich  vergeblich  Mit  unverholenem  Unmuth  schrieb  er  1507: 
Xeantmoins  encoires  dempuis  ce,  a  este  fait,  conclu  et  passe  ung  nouveau 
entrecours  entre  les  commis  et  depputez  du  feu  roy  vostre  dit  frere  et  les 
nostres  chacun  en  vertu  de  leurs  commissions  et  povoirs,  le  jour  et  terme 
ordonne  et  appoincte  pour  lentreschange  des  lettres  patentes  de  confir- 
macion  et  ratimcacion  dune  part  et  daultre;  encoires  de  la  parte  de  dela  riens 
na  este  tenu,  fourny,  ne  accombly,  ja  soit  ce  que  de  la  nostre  nous  avons 
este  tousjours  prestz  de  fournir  a  ce  que  nous  avyons  promis  et  accorde, 
ainsi  que  le  vous  avons  signiffie  par  aultres  noz  lettres.  Gairdner 
a.  a  0.  L  S.  327. 

s)  Dies  geht  aus  dem  Briefe  Heinrichs  VII.  an  Margaretha  von  Savoyen 
(Mai  1507)  hervor.    Gairdner  a.  a.  0.  I.  S.  327  fg. 

8)  Gairdner.  a.  a.  0.  I.  S.  327  fg  ;  sieh  ferner  den  Brief  Heinrich's 
an  den  Lord  Berghes  a.  a.  0.  I.  No.  t>l.  Heinrich  VII.  behauptet,  die 
englischen  Kaufleute  hätten  nur  widerwillig  diesem  seinem  Befehle  ge- 
horcht. 14.  Juni  1507  gab  der  König  den  Merchant  adventurers  •  das 
Recht,  ganz  wie  früher  nach  den  Niederlanden  handeln  zu  dürfen.  Record 
Office  Pat.  22.  H.  7.  pr.  3.  m.  8  und  Br.  M.    Sloane's  Mscrs.  4618  No.72. 


—    36    — 

zeitig  unterliess  er  aber  nicht,  „für  das  Wohl  und  die  Sicher- 
heit der  englischen  Kaufleute  und  ihrer  Waaren"  einen  Entwurf 
an  die  Regentin  zu  schicken ,  der,  wie  er  schreibt,  ihm  ver- 
nünftig zu  sein  scheine. 

In  der  That  legte  er  hierbei  eine  ausserordentlich  grosse 
Mässigung  an  den  Tag.  Das  ganze  Document  enthielt  nur 
fünf  Artikel,  und  auch  diese  sollten  nur  von  provisorischer 
Dauer  sein,  d.  h.  in  Kraft  bleiben,  bis  die  beiden  Fürsten 
Neues  vereinbart  haben  würden.  Der  erste  Artikel  anerkennt 
den  freien  Verkehr  nach  Massgabe  des  Intercursus  vom  24. 
Februar  1496.  Der  zweite  enthält  im  Wesentlichen  die  Zoll- 
privilegien, welche  den  Engländern  durch  Artikel  5  des  Ver- 
trages von  1506  eingeräumt  worden  waren1).  Der  dritte 
besagt,  dass  die  Niederländer  die  Zölle  nach  Massgabe  des 
M.  J.  zu  zahlen  haben.  Im  vierten  Artikel  versprachen  die 
Contrahenten ,  während  der  Dauer  des  Provisoriums  keine 
neuen  Abgaben  oder  Zölle  verlangen  zu  wollen.  Im  fünften 
endlich  sicherte  man  sich  gegenseitig  dieSistirung  derDecrete 
und  Urtheile,  die  gegen  Kaufleute  wegen  Zölle  oder  Beschlag- 
nahmungen erlassen* und  gefällt  worden  waren,  zu2). 

Die  Privilegien  in  Betreff  der  Tücher  hatte  somit  Hein- 
rich VII.  vollständig  preisgegeben,  und  ebenso  wurde  derVor- 
theile,  welche  der  Vertrag  von  1499  gewährt  hatte3),  nicht 
mehr  gedacht.  Die  niederländische  Kegierung  machte  ange- 
sichts dieser  Concessionen  und  des  provisorischen  Characters 
keine  Schwierigkeiten,  sondern  stimmte  dem  Entwürfe  bei. 
Der  Wunsch  des  Königs,  Margaretha  möge  das  Schriftstück 
innerhalb  14  Tagen  unterschrieben  und  gesiegelt  zurückschicken, 
ging  fast  buchstäblich  in  Erfüllung.  Die  Unterzeichnung  er- 
folgte am  7.  Juni  1507. 

Trotz  der  Nachgiebigkeit,  welche  in  dem  Vertrag  sich 
kundgiebt,  darf  man  die  Bedeutung  desselben  nicht  unter- 
schätzen. Heinrich  VII.  hat  durch  ihn  seinen  Unterthanen  die 
geringen  Zölle,  wie  sie  in  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  be- 
standen, erhalten  und  alle  Unsicherheit  hinsichtlich  dieses 
Rechts  beseitigt,  und  es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen, 
dass  diese  Klarstellung  von  ausserordentlichem  Werthe  war. 
Wenn  die  ausdrückliche  Anerkennung  der  übrigen  Rechte 
nicht  erfolgte,  so  muss  man  einmal  bedenken,  dass  damit  noch 


M  Sie  sind  also  vom  Zeelandzoll  und  Houndzoll  frei,  in  Antwerpen 
vom  Brabanter  Zoll,  aber  sie  sind  nicht  frei  vom  Zeelandzoll  in  Brügge 
und  Middelburg;  das  Privileg  war  gegenüber  dem  Vertrag  von  1506  schärfer 
gefasst;  die  Befreiung  vom  Zeelandzoll  in  Brügge  büssten  die  Eng- 
länder ein. 

s)  Rymer  XIII.  S.  168. 

•aj  Der  Vertrag  von  1499  hatte  laut  Artikel  13  nur  bis  zum  Tode 
eines  der  Contrahenten  zu  gelten,  war  somit  nach  dem  Tode  Philipp's 
erloschen.    Ich  fand  nirgends  eine  Notiz  von  seiner  Wiedererneuerung. 


-    37    — 

keineswegs  dieselben  wirklich  verloren  waren,  denn  die  Nieder- 
lande mnssten  in  ihrem  Handelsinteresse  den  englischen  Tü- 
chern einen  ziemlich  freien  Verkehr  gönnen,  sodann  mochte 
Heinrich  VIL  vielleicht  hoffen,  bei  günstigerer  Gelegenheit  diese 
besondere  Zusicherung  der  erwähnten  Privilegien  wieder  zu 
erlangen. 

Wäre  der  Plan,  den  er  am  Abend  seines  Lebens  gefasst 
hatte,  zur  Wirklichkeit  geworden,  so  würde  nicht  nur  dies 
Ziel  erreicht  worden  sein,  sondern  die  Niederlande  und  England 
würden  zu  einem  fast  einheitlichen  Verkehrsgebiete ,  zu  wel- 
chem ja  alle  Ansätze  gegeben  waren,  sich  vereint  haben. 
Noch  als  Greis  trug  er  seine  Hand  der  Regentin  Margaretha 
an,  und  der  Erbe  Karl  sollte  mit  seiner  Tochter  Maria  ver- 
lobt werden1).  Allein  die  Abneigung  Margaretha's  und  der 
bald  erfolgende  Tod  Heinrichs  VII.  vereitelten  das  Project. 

Die  beiden  Länder  blieben  getrennt,  und  es  schien,  als  ob 
der  commercielle  Wettkampf,  den  Heinrich  Vn.  so  eifrig  ge- 
führt, fortdauern  werde. 


Heinrich  VHL  (1509-47). 

I.  Periode  (1509—20). 

Die  Situation,  wie  sie  Heinrich  VIII.  bei  seinem  Regierungs- 
antritt vorfand,  ist  aus  der  vorstehenden  Schilderung  klar 
ersichtlich.  Er  fand  eine  Ordnung  der  Handelsverhältnisse 
vor,  die  zwar  materiell  ausreichend,  aber  doch  nur  provisori- 
schen Characters  war.  Wird  es  möglich  sein,  das  Provisorium 
in  ein  Definitivum  überzuführen,  wird  es  ihm  gelingen,  die 
protectionistischen  Rufe  der  Niederländer  zu  besiegen,  oder 
wird  er  am  Ende  die  Waffen  strecken  und  das  von  seinem 
Vater  Errungene  und  mühsam  Festgehaltene  zum  Theil  wieder 
preisgeben  und  so  dem  nach  Ausdehnung  strebenden  Handel 
Englands  empfindliche  Wunden  schlagen  müssen? 

Das  sind  die  Fragen,  die  sich  auf  werfen,  wenn  man  in 
die  Betrachtung  seiner  Politik  eintritt.  Die  folgende  Dar- 
stellung wird  die  Lösung  geben. 

Die  ersten  \0  Jahre  der  Regierung  Heinrichs  VHL  sind, 
soweit  die  Beziehungen  zu  den  Niederlanden  in  Betracht 
kommen,  von  Verhandlungen  ausgefüllt,  die  in  Bezug  auf  Ziel 
und  Resultat  den  gleichen  Character  tragen.  Englischerseits 
war  man  bestrebt,  ein  möglichst  freundschaftliches  Verhältniss 
aufrecht  zu  erhalten  und  auch  wieder  eine  definitive  Regelung 


*)  Bekanntlich  unternahm  hierbei  Wolsev  seine  erste  politische  Mission, 
die  er  mit  erstaunlicher  Schnelligkeit  erledigte.  6  air  an  er,  Letters  and 
Papers  etc.  L  App.  B.  S.  425  fg. 


—    38    — 

des  Handelsverkehrs  herbeizuführen.  Die  burgundische  Politik 
war  aber  wenig  entgegenkommend,  und  selbst  wenn  vorüber- 
gehend eine  freundliche  Stimmung  die  Oberhand  gewonnen 
hatte,  so  war  der  Nutzen  für  die  commerciellen  Verhandlungen 
doch  unendlich  gering. 

So  war  es  gleich  in  den  ersten  Jahren  der  Fall.  Hein- 
rich VIII.  hatte  den  Wünschen  des  Pabstes  und  der  Regentin 
Margaretha  von  Oesterreich  Gehör  schenkend  gegen  Frankreich 
Partei  genommen  und  1513  dem  letztern  sogar  den  Krieg 
erklärt.  Aber  die  Niederlande  waren  nicht  im  Geringsten  be- 
reit, irgend  welche  Opfer  dem  Bundesgenossen  zu  bringen. 
Heinrich  VIII.  musste  ihnen  eine  neutrale  Stellung  zusichern, 
„so  vortheilhaft  nach  Heinrich's  Ansicht  dies  auch  für"  den 
Feind  und  schädlich  für  die  Engländer"  war1).  Ja,  als  Hein- 
rich VIII.  nur  eine  Gewähr  verlangte,  dass  die  Niederländer 
keine  Munition  und  Waffen  den  Franzosen  zuführten,  sowie 
unter  ihrem  Namen  nicht  französische  Waaren  einschwärzten, 
stiess  er  auf  den  entschiedensten  Widerspruch ,  und  es  fehlte 
nicht  viel,  dass  dieser  Streit  ernstere  Folgen  nach  sich  gezogen 
hätte2).  Alle  Handelsvortheile  fielen  während  dieser  Zeit  den 
Niederlanden  zu.  Das  Haus  Burgund  erkaltete  immer  mehr, 
und  als  Heinrich  VHL  Tournai  eroberte,  schloss  es  einseitig 
Frieden  mit  Frankreich.  Wohl  fand,  als  über  die  friesländische 
Frage  zwischen  dem  Kaiser  Maximilian  und  dem  französischen 
König  Franz  I.  Meinungsverschiedenheiten  hervortraten,  wieder 
eine  Annäherung  mit  England  statt,  aber  auch  sie  war  nur 
vorübergehender  Art.  Der  Rath  Karls,  des  Erben  der  Nieder- 
lande, war  durch  und  durch  französisch  gesinnt,  und  man  trug 
sich  sogar  mit  dem  Gedanken,  dass  die  Schwester  von  Franz, 
die  kleine  Ren6e,  Karl  angetraut  werden  solle. 

Unter  diesen  Umständen  begreift  es  sich,  dass  auch  in 
commerciell-  politischer  Hinsicht  England  einen  durchweg  un- 
günstigen Boden  vorfand ;  namentlich  wurden  niederländischer- 


*)  Brewer,  Cal.  I.  3836.  Alllerdings  waren  die  Niederlande  in  com- 
mercieiler  Hinsicht  Behr  viel  abhängiger  von  Frankreich,  als  England.  Sie 
bedurften  -  des  Weines  nicht  zu  gedenken  —  französisches  Getreide  und 
Salz  und  waren  ihrerseits  hinsichtlich  des  Absatzes  ihrer  Heringe  und  Ma- 
nufacte  auf  Frankreich  hingewiesen. 

")  England  forderte,  dass  jedes  Schiff  ein  Attest  aber  Beine  Herkunft 
und  die  Art  der  Waaren,  die  es  nach  Frankreich  fuhren  wolle,  dem  eng- 
lischen Admiral  auf  Verlangen  vorzeige.  Die  Engländer  setzten  trotz  des 
Widerspruchs  der  burgundlschen  Regierung,  die  diese  Controle  als  einen 
ihr  zugefügten  Schimpf  auslegte,  in  einem  bestimmten  Fall  ihre  Anschauung 
in  die  Praxis  über,  und  zur  Repressalie  beschlagnahmten  die  Niederländer 
englische  Schiffe  und  Güter.  Doch  waren  Willküracte  auch  von  englischer 
Seite  nicht  gerade  selten ;  vgl.  Brief  Margaretha's  an  Heinrich  VII.  v.  20. 
März  1513.    Brewer,  Cal.  1  3815. 


—    39    — 

seits  die  vertragsmässigen  Zölle  nicht  eingehalten,  sondern  die 
Kaufleute  immer  wieder  mit  neuen  belastet.  Die  Zeeländer 
scheinen  den  Engländern  am  meisten  Ursache  zur  Klage  ge- 
geben zu  haben.  Die  Mündung  der  Scheide  beherrschend, 
konnten  sie  leicht  von  den  Kaufleuten  widerrechtliche  Zölle 
fordern.  Seit  ältester  Zeit  hatte  der  Handel  nach  Brabant 
mit  dieser  Schwierigkeit  zu  kämpfen  l).  Nach  Vereinigung  der 
holländischen  und  brabantischen  Gebiete  durch  das  burgun- 
dische  Haus  wurde  das  Verhältniss  besser,  aber  die  alte  Tra- 
dition lebte  in  Zeeland  immer  zeitweise  auf.  So  hatten  auch 
jetzt  wieder  die  Zollbeamten  daselbst  die  Zolltafeln  beseitigt, 
wie  sie  durch  den  Vertrag  von  1506  vorgeschrieben  worden 
waren,  und  schalteten  dann  ganz  nach  eigenem  Willen  und 
Gutdünken  *).  Wurde  ihnen  ein  Befehl  in  dieser  Sache  von 
der  Regierung  ertheilt,  so  ignorirten  sie  ihn  einfach  sj.  Wohl 
wurden  von  den  Niederländern  auf  die  Klagen  des  englischen 
Consuls  grossartige  Enqueten  und  Verhöre  in  Scene  gesetzt, 
aber  all  das  hatte  wenig  Effect.  Mochte  auch  den  Beschwer- 
den der  englischen  Kaufleute  Abhilfe  in  dem  einen  oder 
anderen  Punkte  geschehen,  so  war  doch  damit  nicht  dauernd 
den  Missbräuchen  vorgebaut.  Die  Engländer  suchten  deshalb 
auf  gemeinschaftlichen  Congressen  die  obschwebenden  Fragen 
zu  erledigen. 

Die  Art  und  Weise  der  Lösung,  wie  sie  den  Engländern 
vorschwebte,  war  allerdings  nur  durch  gegenseitiges  Pactiren 
möglich.  Der  Standpunkt,  den  die  englische  Regierung  ein- 
nahm, war  ein  höchst  merkwürdiger.  Heinrich  VIII.  wollte 
nichts  Geringeres,  als  das  Ziel  erreichen,  nach  dem  Heinrich  VII. 
in  der  besten  politischen  Situation  vergeblich  gestrebt.  Der 
Vertrag  von  1506  mit  all  seinen  Vorzügen  war  sein 
Ideal,  ihn  zur  unumwundenen  Anerkennung  zu 
bringen  der  Kern  seiner  niederländisch-commer- 
ciellen  Politik. 

Die  erste  Commission,  welche  unter  seiner  Regierung  im 
März  1512  wegen  der  Streitigkeiten  mit  den  Niederländern 
zu  Brügge  tagte4),  beschäftigte  sich  fast  ausschliesslich  mit 
diesem  von  englischer  Seite  aufgebrachten  Thema.  Zu  einer 
geschickten  Einfühlung  des  Vertrags  konnte  es  nicht  an 
passender  Gelegenheit  fehlen,  da  die  jedenfalls  mit  Absicht  in 
den  Vordergrund  geschobene  Entfernung  der  Tariftafeln  zu  den 
Hauptbeschwerden  der  englischen  Kaufleute  gehörte.  Die 
Engländer  behaupteten,  der  Vertrag  von  1506  müsse  beobach- 
tet werden,   denn  derselbe  sei  trotz  der  mangelnden  Bestätig- 


^Papebrochii  Annales  Antverpienses  ed.  Mertens  et  Buschmann 
I.  S.  419. 

*)  Sieb  in  Betreff  dieser  Zollerhöhungen  Urk.-Beil.  20. 
')  So  die  Zöllner  zu  Yersickenroot.     Lrk.-Beil.  19. 
4)  Brewer,  Cal.  I.  3053. 


—    40    — 

ung  gut  und  gültig,  wogegen  natürlich  die  Niederländer  für 
die  Nichtigkeit  desselben  mit  aller  zu  Gebote  stehender  Kraft 
argumentirten  *).  Nach  langem  Streiten  und  Unterhandeln 
ging  man  resultatlos  auseinander;  weder  die  damals  wieder 
etwas  zu  Leben  kommende  politische  Freundschaft,  noch  der 
gleichzeitig  bestehende  Streit  zwischen  den  Niederländern  und 
Hansen ')  waren  stark  genug,  um  die  Kluft,  die  dieses  englische 
Theorem  gerissen,  zu  überbrücken. 

Der  erste  Versuch  Heinrich's  war  also  missglückt.  Die 
Lage  begann  bedenklich  zu  werden.  Der  Handelsvertrag  ruhte 
auf  einer  unsicheren  Basis8).  Karl  erneuerte  bei  seinem 
Regierungsantritt  denselben  nur  für  kurze  Zeit  und  band  sich 
in  keiner  Weise  die  Hände.  Im  Juni  1514  liess  er  den  eng- 
lischen Gesandten  Knight  und  Ponynges  durch  den  Kanzler 
erklären,  dass  der  1.  October  der  letzte  Termin  sei,  bis  zu 
dem  er  das  Vertragsverhältniss  aufrecht  zu  erhalten  gedenke  4). 
Nach  dieser  Zeit  hätten  die  Engländer  keinen  Schutz  mehr  zu 
erwarten. 

Inzwischen  hatte  sich  auch  Antwerpen  mit  den  englischen 
Kaufleuten  überworfen,  so  dass  diese  die  Messen  mieden  und 
nach  Middelburg  ihre  Tuche  brachten 6),  und  Heinrich  VHI.  hatte 
verschiedene  Differenzen  mit  der  niederländischen  Regierung 
wegen  des  Geldcurses,  den  die  letztere  in  einer  angeblich  ftir 
England  nachtheiligen  Weise  festzusetzen  beliebte,  ohne  die 
von  englischer  Seite  dieserhalb  gemachten  Vorstellungen  zu 
berücksichtigen6).  Im  Hintergrunde  tauchte  die  Wahrschein- 
lichkeit einer  Allianz  zwischen  dem  französischen  König  und 
Karl,  dem  Prinzen  von  Castilien,  auf.  Schon  sah  man  im 
Geiste  die  englische  Handelsflotte  plötzlich  in  Beschlag  ge- 
nommen und  die  unerträgliche  Last  des  Zeeland-  und  Hound- 
zolles  „am  Nacken  der  englischen  Kaufleute  hängen"  7),  so 
beängstigend  war  die  ganze  Situation. 


*)  Vgl.  State  Papers  Vol.  VII.  S.  876.  Weitere  Details  über  diese 
Verhandlungen  sind  nicht  erhalten. 

s)  Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  I.  S.  247,  284.  Mar- 
garetha  von  Savoyen  bat,  als  sie  von  der  Ausrüstung  einer  hansischen 
Flotte  hörte,  welche  einen  Schlag  gegen  die  Heringsfischerei  von  Holland, 
Zeeland  und  Friesland  fuhren  sollten,  um  Heinrichs  VII.  Beistand.  11. 
Aug.  1512.    Brewer,  Cal.  I.  8367. 

a)  Ein  neuer  Vertragsentwurf,  über  den  Margaretha  mit  den  englischen 
Gesandten  sich  geeinigt,  wird  in  Bergenroth,  Cal.  II.  84  Januar  1513 
erwähnt.   . 

4)  Knight  und  Ponynges  an  Heinrich  Vni.  12.  Juni  1514.  Brewer, 
Cal.  I.  5159. 

ß)  Urk.  Beil.  21. 

e)  Brewer,  Cal.  I.  4481,  4917.    Urk.  Beil.  152,  153. 

7)  „—  it  is  to  be  feared,  that  the  Prince  of  Castile  and  his  Council, 
that  now  ruleth  about  him,  upon  the  pride  of  the  said  alliance  and  amity 
woll  suddenly  arrest  the  English  fleet  and  cast  on  the  merchants'  necks 
all   tho    arrearages    of  the  Sewestoll    and  the  toll  of  the  Hound,  which 


—    41     — 

Wolsey  aber,  der  leitende  Minister  Heinrichs  VIII.,  verzagte 
nicht;  bald  war  es  ihm  geglückt,  eine  abermalige  Verlängerung 
des  Status  quo ])  und  die  Zustimmung  der  Niederlande  zu  einem 
abzuhaltenden Congress  zu  erlangen,  auf  dem  alle  obsch weben- 
den Fragen  erledigt  werden  und  endlich  eine  definitive  Regelung 
des  Handelsverkehrs  zu  Stande  kommen  sollten.  Sorgfältig  hatte 
Wolsey  die  Unterhändler  auserlesen  *) ;  für  die  handelstechnischen 
Theile  den  an  Erfahrungen  reichen  Consul  der  englischen 
Kaufleute  John  Clyfford,  für  die  diplomatische  Leitung  und 
Lenkung  den  als  Politiker  gewiegten  Rieb.  Sampson  und  den 
Master  of  the  Rolls,  nachherigen  Bischof  von  Durham,  Cuthbert 
Tunstal 3),  für  die  gesetzlichen  und  rechtlichen  Fragen  die  durch 
seltene  Bildung,  eminente  Geistesschärfe,  edlen  und  liebens- 
würdigen Character  über  Alle  hervorragende  Persönlichkeit  des 
Thomas  Morus 4).  Mit  diesen  Männern  wirkten  noch  zusammen 
die  am  niederländischen  Hofe  mit  allen  Verhältnissen  wohl 
vertrauten  Gesandten  E.  Ponynges  und  W.  Knight,  welchen  die 
Aufgabe  zugetheilt  war,  die  Erneuerung  der  Liga  vom  9.  Fe- 
bruar 1506  zu  bethätigen 6).  Als  Commissäre  des  Prinzen 
Karl  hatten  zu  fungiren  *):  der  einflussreiche  Guillaume  de  Croy, 
Seigneur  de  Chifcvres ;  ferner  Mich,  de  Croy,  Seigneur  de  Sempy ; 


amounteth  to  a  marvelous  great  sum.  not  able  to  be  paid  by  our  merchants 
without  their  utter  undoing".  Suffolk,  West  und  Sir  Rieh.  Wingfield  an 
Wolsey.    Febr.  1515.     lirewer,  Cal.  II.  204. 

*)  Wahrscheinlich  war  diese  Verlängerung  bis  Johanni  1515  erwirkt 
worden.  Vgl.  das  Schreiben  von  Ponynges  und  Knight  an  den  Privy  Council 
vom  24.  Mai  1515.    Brewer,  Cal.  II.  498. 

*)  7.  Mai  1515.    Brewer,  Cal.  II.  422  und  Rymer  VIII.  S.  497. 

s)  Auch  Sir  Thom.  Spinelly  gehörte  zu  den  bevollmächtigten.  Er  war 
wegen  seiner  englischen  Vorurtheile  ein  Werkzeug  für  Margaretha  von 
Savoyen,  wenn  es  ihr  wünschenswerth  war,  die  englischen  Bevollmächtigten 
auf  eine  falsche  Spur  zu  bringen.  Er  wurde  deshalb  bei  Seite  geschoben 
und  von  letzteren  meist  in  die  Geheimnisse  der  Unterhändler  gar  nicht  ein 
geweiht  Um  so  bedauerlicher  ist  es,  dass  seine  schwatzhaften  Briefe  fast  die 
einzige  Quelle  fiir  diese  Unterhandlungen  sind.    Brewer,  Cal.  II.  Pref. 

*)  Derselbe  hatte  sich  bis  dahin  spröde  gegen  kgl.  Gunst  gezeigt  und 
war  deshalb  damals  noch  UntersherhT  in  London.  Auf  wiederholte  Bitte 
Heinrichs  VIII.  hat  er  sich  zu  dieser  wichtigen  Mission  verwenden  lassen  und 
war  damit  zum  grossen  Bedauern  seines  gelehrten  Freundes  Erasmus  dem 
politischen  statt  dem  wissenschaftlichen  Leben  entgegengefahrt.  Bekanntlich 
bat  er  auch  hier  die  Eindrücke  der  Niederlande  und  des  politischen  Zu- 
stande« der  Zeit  empfangen,  die  er  hernach  in  seiner  Utopia  verwerthete. 
Ueber  die  An  ei  kennung  seiner  Thätigkeit  von  Seite  seines  kgl.  Herrn  — 
er  sollte  eine  Besoldung  erhalten,  schlug  sie  aber  aus  —  vgl.  den  Brief  an 
Erasmus.    London,  31.  Octbr.  1516.    Thom.  Mori  Opusc.  308. 

e)7.  Mai  1515.  Brewer,  Cal.  II.  423;  Rymer  XIII.  S.  495.  Die 
Trennung  der  Commissionen  erwies  sich  nicht  vorteilhaft,  und  auf  Ansu- 
chen der  Unterhändler  trat  eine  Vereinigung  insoferne  ein,  als  alle  Mit- 
glieder fortwährend  an  den  beiderseitigen  Verhandlungen  sich  betheiligen 
konnten.  Sampson  an  Wolsey,  24.  Mai  1515,  und  Ponynges  und  Knight  an 
den  Privy  Council,  24.  Mai  1515.    Brewer,  Cal.  IL  498  und  499. 

6)  Rymer  XIII.  S.  495,  Henne,  Regne  du  Charles-Quint  II.  S.  150. 


—    42     - 

Jean  de  Hallewin,  Seigneur  de  Maldeghem;  Philipp  Wieland; 
Jean  Roussel;  endlich  der  in  der  Utopia  von  Thom.  More  so 
hochgerühmte  Provost  von  Cassel  Theimseke x). 

Keinen  Schritt  gedachte  England  von  seinem  früher  ein- 
genommenen Standpunkt  zurückzuweichen.  Der  Auftrag  der 
englischen  Bevollmächtigten  lautete  ausdrücklich  dahin,  dass 
sie  mit  Rücksicht  auf  die  grossen  Zölle,  welche  man  in  letz- 
terer Zeit  in  den  Niederlanden  von  den  englischen  Kaufleuten 
erhebe,  sowohl  den  Handelsvertrag  vom  30.  April  1506  als 
den  Intercursus  magnus  vom  20.  Februar  1496  zu  erneuern 
suchen  sollen2).  Die  Absicht  war  recht  gut,  wie  durfte  man 
aber  bei  der  stark  französischen  Stimmung  hoffen,  diese  auch 
zu  erreichen  ?  Die  Verhandlungen  begannen  Ende  Mai 3), 
Ab^^f-it  und  sofort  trat  zu  Tage,  dass  man  kein  Entgegenkommen  er- 
warten dürfe.  Der  Rath  des  Prinzen  zeigte  sich  weder  ge- 
neigt, den  Freundschaftsvertrag  in  der  alten  Form  zu  erneuern 4), 
noch  viel  weniger  war  er  gewillt,  auf  die  Vorschläge  der 
Engländer  hinsichtlich  der  Handelsverträge  einzugehen. 

Mit  allen  Künsten  der  Dialektik  suchte  jede  Partei  ihren 
Standpunkt  zu  verfolgen,  die  eine  für,  die  andere  gegen  Auf- 
rechterhaltung des  Vertrages  von  1506 6), 

Die  Niederländer  behaupteten,  dass  der  Handelsvertrag 
von  1506  niemals  von  den  Kaufleuten,  nicht  einmal  von  den 
englischen,  für  einen  Handelsvertrag  gehalten  oder  als  solcher 
acceptirt  worden  sei;  es  fehle  demselben  die  Bestätigung,  sowie 
Uebung  und  Beobachtung ;  man  habe  durch  einen  andern  nach- 
folgenden Vertrag  denselben  auch  aufgegeben.  Aber  selbst 
angenommen,  der  mehrerwähnte  Tractat  sei  eine  Zeit  lang 
beobachtet  worden,  so  könne  seine  Gültigkeit  doch  nicht  mehr 
behauptet  werden,  nachdem  der  abschliessende  Fürst  gestorben 
sei,  denn  der  Vertrag  müsse  als  ein  rein  persönlicher  betrach- 
tet werden,  da  in  ihm  kein  Wort  vorkomme,  das  die  Erben 
oder  Nachfolger  irgendwie  binden  könnte. 

Die  Engländer  stellten  die  gerade  entgegengesetzte  Mei- 
nung von  all  dem  auf.  Der  Vertrag  von  1506  sei  mit  hin- 
länglicher Vollmacht  (sufficienti  auctoritate)  eingegangen  und 
geschlossen  worden;  man  habe  beiderseits  ihn  als  wirklichen, 
gültigen  und  dauernden  Intercursus  angenommen 6),  von  dem- 


')  —  non  arte  solum  verum  etiam  natura  facundus  ad  haec  jure  con- 
sultissimus,  tractandi  vero  negotii  cum  ingenio  tum  assiduo  rerum  usu 
eximius  artifex.    Utopia  Hamburger  Edition  1752.  S.  4. 

-)  Rymer  XIII.  S.  497. 

")  Zwischen  dem  24.  und  28.  Mai.    Brewer,  Cal.  II.  499  und  520. 

4)  Spinellys  Brief  vom  Mai  1515.    Brewer,  Cal.  IL  538. 

ß)  Vgl.  Rymer  XIII.  S.  539,  wo  die  Hauptgegensätze  vorgeführt  sind. 

')  Wahrscheinlich  stützten  sich  die  Engländer  dabei  auf  Art.  1,  der 
den  AI.  I.  bestätigt  und  in  den  Vertrag  einreiht  und  beide  gewissermassen 
zu  einem  einheitlichen,  unzertrennlichen  Ganzen  verschmilzt.      Darf  man 


—    43    — 

selben  sei  auch  nicht  durch  einen  anderen  Vertrag  abgegangen 
worden,  und  wenn  er  in  dem  späteren  Tractate  sich  nicht  aus- 
drücklich bestätigt  finde,  so  könne  doch  nicht  behauptet 
werden,  dass  nun  deswegen  der  früher  geschlossene  Vertrag 
aufgehoben  sei;  endlich  könne  auch  der  Tod  des  einen  der 
contrahirenden  Fürsten  denTractat  nicht  auflösen,  da  aus  dem 
Wortlaut  bis  zur  Evidenz  erhelle,  dass  die  beiden  Vertrags- 
schliessenden Fürsten  auch  ihre  Erben  und  Nachfolger  hätten 
verpflichten  wollen1). 


den  Berichten  der  Engländer  volles  Vertrauen  schenken,  so  waren  sie  mit 
ihren  Gründen  ihren  Gegnern  überlegen.  In  der  Sitzung  vom  5.  Juni  /*«*  T 
namentlich  sollen  sie  einen  förmlichen  Erfolg  erzielt  haben.  Tunstal  habe,  ' 
wie  Sampson  schreibt,  4  oder  5  so  scharfe  und  bündige  Beweise  vorge- 
bracht, dass  selbst  der  kluge  und  nie  verlegene  Provost  von  Cassel  nichts 
Rechtes  zu  erwidern  vermochte  und  zu  einer  schriftlichen  Entgegnung  seine 
Zuflucht  genommen  habe.  Aber  auch  diese  sei  ganz  unbestimmt  ausge- 
fallen und  dem  Hauptkern  aus  dem  Wege  gegangen.  Sampson  an  Wolsey. 
8.  Juni.    Brewer,  Cal.  II.  566. 

*)  Hinsichtlich  der  Einzelnheiten  mnss  ich  auf  die  Entgegnung  der 
englischen  Commissäre,  Urk.  Beil.  22,  verweisen,  wo  der  Leser  sich 
auf  das  Eingehendste  über  die  gegenseitige  subtile  Beweisführung  unter- 
richten kann.  Hier  glaube  ich  mich  auf  das  im  Texte  Erwähnte  und  einige 
Bemerkungen  beschränken  zu  dürfen.  Die  beiden  Parteien  stützten  sich 
namentlich  auf  den  Wortlaut  des  Vertrages  von  1506.  Allerdings  ist  der- 
selbe so  abgefasst,  dass  er  immer  nur  von  den  beiden  contrahirenden  * 
Fürsten  spricht;  der  Art  7  macht  eine  Ausnahme.  In  dem  ersten  Ab- 
schnitt desselben  verspricht  der  Fürst,  dass  er  in  seinen  Gebieten,  Flandern 
ausgenommen,  den  Detailverkauf  und  das  Tragen  der  englischen  Tücher  ■' 
nicht  verbieten  will;  im  2.  Abschnitt  aber  verpflichtet  er  Bich  und  seine 
Nachfolger  bei  beabsichtigter  Erhebung  eines  neuen  Zolles  die  Englän- 
der eine  bestimmte  Zeit  vorher  und  in  voller  Form  zu  benachrichtigen,  damit 
diese  von  den  Niederlanden  sich  zurückziehen  könnten.  Bei  näherer 
Prüfung  muss  man  allerdings  zugestehen,  dass  die  Niederländer  geschick- 
tere Philologen  als  ihre  Gegner  waren,  denn  die  betreffende  Stelle  beweist 
nicht  die  Fortdauer  des  Vertrages.  Philipp  versprach  keineswegs,  dass  er 
und  seine  Nachfolger  die  Zölle  nicht  erhöhen,  oder  dass  auch  seine  Nach- 
folger den  ganzen  Vertrag  zu  halten  hätten,  sondern  dass  er  es  nur  den 
Engländern  rechtzeitig  notificiren  wolle.  Ob  diese  dann  zu  bleiben  oder 
nicht  zu  bleiben  gedachten,  war  eine  separate  Frage.  Die  Engländer 
schützten  vor,  dass  ausser  den  mercatores  fast  immer  eorum  Buccessores 
genannt  seien,  allein  die  Niederländer  erwiderten  schlau,  man  könne  von 
successores  der  Kaufleute  sprechen,  ohne  dass  der  Vertrag  über  die  Zeit 
Philipps  sich  auszudehnen  brauche.  War  somit  wirklich  nur  mangelhaft 
rar  die  Einbegreirang  der  Nachfolger  gesorgt,  so  war  es  auch  berechtigt, 
seine  Gültigkeit  nach  Philipps  Tode  zu  bezweifeln;  denn  damals  war  — 
wenn   die  Engländer   auch  aas  Gegentheil  behaupteten  allerdings  die 

Theorie  herrschend,  dass  Verträge  und  Immunitäten  nur  für  die  Dauer  des 
Contrahirenden  und  Gebenden  gelten,  wofern  nicht  ausdrücklich  anders 
ausgesprochen  war.  Damals,  wo  das  Regiment  ein  sehr  persönliches  war, 
erneuerte  man  selbst  in  letzterem  Fall,  um  alle  Zweifel  zu  beseitigen,  meist 
die  Verträge,  und  man  weiss,  wie  z.  B.  auch  Corporationen  sich  nicht 
recht  sicher  hielten,  wenn  sie  nicht  ihre  Rechte  in  fortlaufender  Reihe  be- 
stätigt sahen.  Die  Niederländer  hatten  also  selbst  den  klugen  Heinrich  VII. 
in  diesem  Vertrage  überlistet 


—     44     — 

Bei  diesem  scharfen  Gegensatze  waren  die  Debatten 
ausserordentlich  erregt,  und  weit  entfernt,  dass  die  Verhand- 
lungen eine  Annäherung  herbeiführten,  wurden  sie  immer  un- 
erquicklicher. Nebenher  sammelte  jede  Partei  noch  Beschwerde- 
material, um  durch  die  Menge  der  Klagen  den  Gegner  zu 
erschüttern.  Aber  selbst  das  verfing  nicht.  Als  eines  Tages 
der  Provost  von  Cassel  den  Engländern  die  erfreuliche  Aus- 
sicht  auf  80   Beschwerdepunkte    machte l) ,    antwortete   ihm 

7       3  Sampson,  die  Engländer  hätten  so  viele,  dass  er,  wenn  er  die- 

<!g*Ap  selben   erführe ,   ganz  bestürzt   sein  werde  *).    Ging  man  nun 

wirklich  auf  diese  Klagen  gegenseitig  ein,   war  da  ein  Ende 
abzusehen  ? 

Aber  nicht  genug,  dass  in  dieser  Weise  Alles  möglichst 
verwickelt  wurde,  die  Niederländer  waren  nie  verlegen,  um 
immer  neue  Schwierigkeiten  in  den  Weg  zu  werfen.  Schon 
oben  berührten  wir,  wie  Brügge,  dessen  einstige  Pracht  vor 
dem  neu  aufsteigenden  Stern  der  Schwesterstadt  Antwerpen 
immer  mehr  verblasste,  den  Verfall  durch  Herbeiziehung  der 
englischen  Kaufleute  hintanzuhalten  suchte.  Nun  traf  es  sich, 
dass  unter  den  niederländischen  Commissären  mehrere  sogar 
persönlich  an  dem  Gedeihen  von  Brügge  interessirt  waren. 
In  diesen  Kreisen  dachte  man  allen  Ernstes  daran,  ob  man 
nicht  die  englischen  Kaufleuter  zwingen  solle,  nur  nach  Brügge 
zu  kommen.  Der  Provost  von  Cassel,  dessen  Bruder  einer  der 
•  bedeutendsten  Bürger  von  Brügge  war,  förderte  ^besonders 
diesen  Plan  und  glaubte  auf  diese  Weise  eine  Art  Compromiss 
|  schliessen  zu  können,  durch  welches  aller  Streit  beigelegt 
würde.  In  einer  dieserhalb  mit  Sampson  gepflogenen  Unter- 
redung äusserte  er,  es  sei  doch  sehr  zu  beklagen,  dass  eine 
so  ausgezeichnete  Stadt  verfallen  solle;  was  einfacher,  die 
Engländer  entschlössen  sich,  nach  Brügge  wieder  zu  kommen; 
man  werde  die  englischen  Kaufleute  nicht  mehr  belästigen, 
auch  keine  neuen  Abgaben  ihnen  abverlangen,  Brügge 
sei  sogar  bereit  ihrethalben  einen  Canal  anzulegen.  Der 
Streit  wegen  der  Zölle  könne  nur  so  gelöst  werden;  die 
f\j         Brabanter  würden  sich  zum  Aufstand  erheben,  falls  man  den 

SF^1  Engländern  die  Brabanter  Zölle  erlassen  wollte8).    Die  engli- 

schen Commissäre  wussten  aber  zu  gut,    dass   in  dem   stark 

.-...»       '     protactionistischen  und   engherzigen  Brügge  ihr  Handel  nicht 

!  den  richtigen  Boden  finden  werde,  und  wollten  deshalb  noch 

*)  Unter  Andern  beschwerte  man  sich  auch  wieder  über  die  hohen 
englischen  Wollzölle;  der  Provost  von  Cassel  sagte,  diese  hätten  viele 
Unterthanen  des  Prinzen  schon  an  den  Bettelstab  gebracht 

*)  Sampson  an  Wolsey.   3.  Juni  1515.    Brewer,  Cal.  IL  553. 

8)  „Ana  rather,  than  the  Englishmen  should  have  remission  of  these 
tolls ,  which  is  the  cause  of  passing  their  country  and  leaving  them ,  they 
would  rage  and  be  ready  to  an  insurrection".  Sampson  an  Wolsey.  14. 
Juni  1515.    Brewer,  Cal.  II.  581. 


—    45    — 

nicht  den  Versuch  aufgeben,  in  Brabant  zu  einem  Ausgleich 
zu  kommen.  Sampson  lehnte  den  CasseTschen  Vorschlag  ab. 
Er  machte  geltend,  dass,  wenn  auch  Brügge  leide,  dafür 
Antwerpen  wachse,  und  die  niederländische  Regierung  gar 
keinen  Grund  habe,  der  einen  Stadt  den  Handel  zu  nehmen 
und  einer  anderen  zu  geben.  Antwerpen  sei  nun  einmal  „die 
Blume  der  ganzen  Welta  l)  und  England  selbst  habe  das  Ver- 
dienst, zu  ihrer  Blüthe  nicht  am  wenigsten  beigetragen  zu 
haben 2). 

Es  war  dies  wohl  das  letzte  Mal,  dass  die  Frage 
wegen  der  Rückkehr  der  englischen  Kaufleute  nach  Brügge 
ernstlicb^angeregt  wurde  und  bei  den  Verhandlungen  zur 
Sprache  kam.  In  Zukunft  behelligte  die  niederländische  Re- 
gierung die  Engländer  nicht  mehr  mit  dieser  Zumuthung,  ob- 
wohl die  Brügger  mit  ihren  Bitten  nicht  nachliessen  a).  und 
die  Regentin  ihren  Wünschen  soviel  wie  möglich  Rechnung  zu 
tragen  suchte.  So  beschränkte  sie  die  lange  Dauer  der  Haupt- 
messen zu  Antwerpen  und  Bergen  op  Zoom4),  befreite  die 
flandrischen  Bewohner  vom  Zeelandszoll 5) ,  bestätigte  das 
Stapelrecht  von  Brügge  für  das  flandrische  Gebiet6),  bat 
Karl  V.  sogar,  das  Gewürzstapel  dahin  zu  verlegen,  was  je- 
doch abgelehnt  wurde,  weil  der  Kaiser  dasselbe  bereits  mit 
grossem  Kostenaufwand  und  Erfolg  in  Corufla  errichtet  hatte7). 
Aber  alle  Mittel,  den  Handel  zu  Brügge  wieder  zu  beleben, 
schlugen  fehl.  Man  versuchte  es  später  mit  Hebung  der  In- 
dustrie^ indem  man  die  Seidenmanufactur  daselbst  aufbringen 
wollte 8)  und  das  Bürgerrecht  an  Jeden  für  5  Schillinge  zu  ver- 
leihen versprach,  der  in  Brügge  ein  Geschäft  errichtete  und 
dort  sich  dauernd  niederliess.  Allein  auch  hier  war  der  Er- 
folg ein  geringer.  Die  Stadt  sank  in  einer  geradezu  er- 
schreckenden Weise.  Vom  März  1543-44  betrug  der  Werth 
ihres  Exports  30  726  li.  vläm.,  der  von    Antwerpen   dagegen 

*)  „Antwerp  is  now  one  of  the  flowers  of  the  world."  Brewer, 
CaL  11.  581. 

*)  Nach  Bourne,  English  Merchants  I.  S.  11(5,  117  wären  manche 
Engländer  nach  Brügge  gegangen,  hätten  wohl  sehr  schwere  Abgaben,  aber 
wenig  guten  Handel  getroffen. 

*)  So  baten  sie  18.  Aug.  1521  den  Kaiser,  er  möge  anordnen,  dass 
alle  fremden  Kaufleute  in  Brügge  wohnen  müssten  und  nur  die  Messen  von 
Antwerpen  und  Bergen  besuchen  dürften.  Ein  Jahr  vorher  (24.  Jan.  1520) 
hatten  sie  die  Venetianer  in  England  aufgefordert,  doch  ja  nach  Brügge  zu 
kommen,  da  der  Zwin  tief  genug  für  ihre  Schiffe  sei.  Brügger  Stadtarchiv. 
Tweeden  nienwen  groenen  bocck  B.  fo.  124  b.  u.  Groenen  boeck 
C  fo.  401. 

*)  Diegerick,  Inventaire  des  archives  d'Ypre  T.  V.  S.  84.  Nr.  1453 
u.  8.  125  Nr.  1503. 

£)  a.  a.  0.    S.  170,  Nr.  1553. 

6)  13.  Jan.  1532.  Brügger  Stadtarchiv.  Tweeden  nieuwen  groenen 
boeck  B.  fo.  282. 

')  Henne,  Histoire  du  regne  des  Charles-Quint  en  Belgique  T.  V.  S.  72. 
Xr.  4;  vgl  überhaupt  a.  a.  0.  S.  272  fg. 

•)  a.  a.  0.  S.  271. 


Ktl 


J~4 


7 


—    46    - 

4990255  li.  vläm.    Der  erstere  machte  72°/0,  der  letztere  80% 
des  Exports  aus  den  Niederlanden  aus1). 

Der  einzige  niederländischerseits  gemachte  Versuch,  in 
den  Handelsangelegenheiten  zu  einem  Einverständnisse  zu 
kommen,  war  gescheitert;  die  Kluft  war  eher  noch  grösser, 
als  vorher;  alles  Reden  in  Betreff  des  Vertrages  von  1506 
war  eitel  Mühe.  Die  Niederländer2)  seien,  schreibt  Sampson 
an  Wolsey,  gegen  alle  Gründe  taub  und  unzugänglich,  ihre 
Antworten  „weder  gehauen  noch  gestochen"  3). 

Die  englischen  Unterhändler  hatten  übrigens  die  Aussichts- 
losigkeit schon  lange  eingesehen 4)  und  wären  zufrieden  ge- 
wesen ,  wenn  sie  nur  ein  weiteres  Provisorium  und  eine  Ver- 
schiebung der  schwebenden  Frage  hätten  erwirken  können5). 

Nirgends  aber  zeigte  sich  ein  Fortgang,  man  zankte  sich, 
stritt  und  kämpfte  ohne  Erfolg.  Schliesslich  spielte  sich  sogar 
die  gegenseitige  Abneigung  auf  persönliches  Gebiet  über,  und 
als  man  Sampson  in  Brügge  und  den  gesammten  Niederlanden 
excommuniciren  Hess6)  und  alle  erdenklichen  Verläumdungen 
gegen  die  englischen  Commissäre  schleuderte 7),  sowie  bestimmt 
erklärte,  man  wolle  die  Liga  nicht  fortsetzen8),  war  endlich 
auch  Heinrichs  VIII.  Geduld  erschöpft. 
f  fl  l  Mitte  Juli  schreibt  der  Koni«?  an  Ponynges  und  Knight, 

^  '  dass  er  jetzt  ein  anderes  Verfahren  eingeschlagen  wissen  wolle. 
Tunstal  und  seine  Collegen  sollen,  nachdem  sie  sich  mit  einer 
Creditive  versehen,  beim  Prinzen  eine  Audienz  erbitten  und 
in  dieser  ihm  vortragen,  Heinrich  VIII.  wünsche  eine  freund- 
liche Regelung  der  Sache,  und  Karl  möge  deshalb  einige 
Räthe  ernennen,  welche  des  Königs  Gründe  hören  und  Ein- 
sicht   vom    Gang    der    ganzen    Verhandlung    nehmen    sollen. 


')  Nach  Auszügen  aus  den  Zollrechnungen  im  Brüsseler  Staatsarchiv. 
Chambre  des  comptes  Nr.  23357  u.  23358. 

2)  Der  wenig  zuverlässige  Spinell j  behauptet,  die  niederländischen 
Commissäre  seien  so  halsstarrig  gewesen,  weil  sie  hofften,  die  Engländer, 
würden  der  Regierung  eine  grosse  Geldsumme  für  Wiedererlangung  des 
Intercursns  anbieten.    Jan.  1516.    ßrewer,  Cal.  IL  1468. 

*)  „lack  neither  taunting,  nor  checks".  7.  Juli  1515.  Brewer, 
Cal.  IL  672. 

*)  Spinelly  an  Heinrich  VIII.  2.  Juni  1515.  Brewer,  Cal.  II.  551.  Die 
Niederländer  stellten  auch  bei  jeder  Gelegenheit  die  Aussichtslosigkeit  vor. 
Sie  pflegten  zu  behaupten,  dass,  selbst  wenn  der  Prinz  wollte,  die  R&the 
nicht  zustimmen  würden.  Brewer,  Cal.  IL  501.  Die  Engländer  schlugen 
deshalb  dem  König  vor,  er  solle  den  englischen  Kaufleuten  befehlen,  sich 
von  dem  niederländischen  Markte  zurückzuziehen,  das  werde  die  Nieder- 
länder bald  zu  Vernunft  bringen.  Der  König  fing  aber,  wie  es  scheint, 
nicht  auf  diesen  Vorschlag  ein.  Ponynges  u.  Knight  an  Wolsey.  Brewer, 
Cal.  IL  649. 

ßj  Ponynges  u.  Knight  an  Heinrich  VIII.  9.  Juni  1515.  Brewer, 
Cal.  IL  568. 

c)  Sampson  an  Wolsey.    7.  Juli  1515.    Brewer,  Cal.  IL  672. 

"')  Sampson  an  Wolsey.    24.  Juni  1515.    Brewer,  Cal.  II.  612. 

8)  Heinrich  VIII.  an  Ponynges  etc.  Juli  1515.    Brewer,  Cal.  IL  768. 


-    47    - 

Zeigen  sich  auch  diese  halsstarrig,  so  mögen  sie  ihnen  be- 
deuten, welche  Schande  sie  erwartet.  Heinrich  VIII.  will  in 
diesem  Fall  nämlich  dem  Papst,  Kaiser,  dem  König  der  Fran- 
zosen und  dem  von  Aragonien  und  allen  anderen  Fürsten 
Europas  seine  gerechte  Sache  vorlegen.  Wünschen  die  Nieder- 
länder einen  Aufschub  der  Angelegenheit,  bis  Karl  21  Jahre 
alt  ist,  so  ist  er  bereit,  diesem  Wunsche  zuzustimmen.  Wird 
aber  auch  dieses  Anerbieten  nicht  gemacht,  so  soll  Ponynges 
die  Erzherzogin  zu  bewegen  suchen,  dass  sie  für  den  Aufschub 
eintrete;  geht  aber  auch  das  fehl,  so  soll  er  eine  Urkunde 
über  alle  Beschwerden  des  Königs  anfertigen,  eine  Copie  da- 
von an  Wingfield  für  den  Kaiser  schicken  und  einen  Termin 
für  den  Abzug  der  englischen  Kaufleute  erbitten,  Tunstal 
aber  und  seine  Collegen  nach  England  zurückkehren  und  den 
diplomatischen  Verkehr  ganz  aufheben1). 

Dies  kategorische  Auftreten  Heinrichs  VIII.  verfehlte  seine 
Wirkung  nicht;  es  kam  wenigstens  momentan  Fluss  in  die 
entsetzliche  Stagnation.  Das  Provisorium  schien  plötzlich  doch  ^'.  >**£ 
zu  Leben  zu  gelangen.  In  einer  Conferenz,  die  im  Juli  Statt 
hatte,  einigte  man  sich  in  Betreff  der  Klagen  der  Kaufleute 
wegen  der  Verletzung  des  Vertrages  von  1506  über  die  Be- 
stimmungen des  Provisoriums.  Diese  sind  die  nämlichen, 
welche  der  Vertrag  Maximilians  vom  5.  Juni  1507  enthielt, 
nur  war  noch  beigefügt,  dass  der  Streit  wegen  der  Giltigkeit 
des  Tractats  von  1506  auf  5  Jahre  verschoben,  aber  noch 
innerhalb  eines  Jahres  eine  Conferenz  gehalten  werden  solle 
zur  Vernehmung  gegenseitiger  Beschwerden;  ebenso  dass  die 
Kaufleute  nicht  den  Handel  mit  irgend  einer  Stadt  verbieten 
oder  hemmen  und  keine  Preistaxen  machen  dürften,  endlich 
dass  die  Ratification  in  3  Monaten  zu  erfolgen  habe  *). 

All  dies  war  trügerischer  Schein;  es  ist  weder  eine  Nach- 
richt erhalten,  dass  die  erwähnte  Ratification  vollzogen,  noch 
spricht  die  Wahrscheinlichkeit  dafür.  Die  niederländischen 
Commissäre  wurden  plötzlich  nach  Mecheln,  wo  der  Hof  weilte, 
gerufen,  angeblich  um  des  Prinzen  Absicht  zu  erfahren3);  sie  )<t  1,  M 
kehrten  nicht  wieder  nach  Brügge  zurück4).  Trotzdem  brach 
Heinrich  VIII.  die  Verhandlungen  noch  nicht  ab,  er  suchte  den 
Kaiser  Maximilian  zu  bewegen,  dass  er  seinen  Neffen  den  Händen 
fies  französischen  Rathes  entreisse;  Maximilian  aber  erlaubte 


4' 


t/ 


l)  Heinrich  VIII.  au  Ponynges  und  Knight  Juli  1515.  Brewer, 
CaL  II.  724.  Man  wird  dies  Schriftstück  nicht  wie  Brewer  nach  dem 
Vi.  Juli,  sondern  vor  diesen  setzen  müssen. 

*)  Brewer,  Cal.  II.  723. 

')  Tunstal  an  Heinrich  VIH.  21.  Juli  1515.  Brewer,  Cal.  IL  732; 
derselbe  an  Wolsey,  a.  a.  0.  II.  733. 

4)  Brewer,  Cal.  II.  831,  858,  904,  944. 


^  ^  fi 


4- 


12*' 


>7 


-    48    — 

sich,  bei  dieser  Gelegenheit  ein  wenig  ehrenvolles  Doppelspiel 
mit  Heinrich  YIU.  zu  treiben  ')>  und  so  endete  auch   dieser 
^z  zj-Versuch   erfolglos.     Von    Ende  August  bis   Mitte  September 
befolgten  die  Niederländer  ihre  gewohnte  dilatorische  Tactik. 

Erst  ein  Ereigniss  in  Italien  führte  eine  entscheidende 
Wendung   herbei.     Franz   L    war   siegreich    in   Italien    vor- 

's/s.3'ft  gedrungen,  hatte  die  Schlacht  bei  Marignano  gewonnen  und 
seinen  Einzug  in  Mailand  gehalten.  Da  schien  das  Gleich- 
gewicht gestört,  und  das  politische  Interesse  schuf  endlich 
eine  aufrichtig  günstige  Stimmung  für  den  englischen  Hof. 
Eine  Allianz  wurde  schon  Ende  September  gewünscht,   und 

•-/  /  ebenso  war  man  nun  zu  einer  Lösung*  der  Handelsfrage  bereit. 

/<i/sr>.fj  Die  Vollmachten  wurden  ertheilt2)  und  Mitte  Dezember  trafen 
Tunstal  und  Enight  mit  den  alten  Bekannten  wieder  zu- 
sammen3). Zwar  konnten  sie  ihren  Widerspruchsgeist  nicht 
gleich  unterdrücken4),  aber  eine  höhere  Rücksicht  Hess  ihre 
Stimmen  bald  verstummen.  Die  Engländer  hatten  auch  in 
geschickter  Weise  Vorschläge  gebracht,  denen  die  Nieder- 
-.,     länder  nach  dem  vorhergegangenen  Strauss  wohl  zustimmen 

jt*  li  u  konnten.  Schon  am  24.  Januar  1516  waren  die  Bevollmäch- 
tigten im  Stande,  das  wichtige  Instrument  zu  unterzeichnen  5). 
Wochen  hatten  vollendet,  wozu  vorher  Monate  nicht  gereicht 
Was  waren  nun  die  Resulte?  Obwohl  der  Handelsvertrag 
nichts  Definitives  schuf,  so  war  er  doch  ein  grosser  Erfolg  der 
englischen  Diplomatie.  Der  Streit  über  die  Dauer  und  Wirk- 
samkeit des  Tractats  von  1506  wird,  so  bestimmt  der  Artikel  1 
auf  fünf  Jahre  verschoben.  Während  dieser  Zeit  bleibt  der 
erwähnte  Vertrag  aber  in  Kraft,  ohne  Schmälerung  und  ohne 
Zusatz.  Nach  Verfluss  dieses  Quinquenniums  tritt  der  Status 
quo,  der  vor  diesem  Provisorium  zu  Recht  bestand,  wieder 
ein «). 

Zum  ersten  Male  waren  die  Engländer  in  den  unbestrit- 
tenen Besitz  ihres  Ideals  gelangt,  und  mochte  dieser  auch 
nur  für  kurze  Zeit  gelten,  und  die  Niederländer  auf's  Aengst- 
lichste    sich   gegen    alle    etwa   zu   ziehenden    Consequenzen 


J)  Brewer,  Cal.  IL  767.  807  u.  s.  f.  vgl.  ferner  Pauli,  Aufsätze  zur 
Geschichte  von  England.  1869.  S.  48  fg. 

2)  Cuthb.  Tunstal  und  Wm.  Knight  wurden  am  1.  October  als  Ge- 
sandte am  Hofe  KarPs  ernannt  mit  der  Vollmacht,  auch  Verträge  zu 
schliessen.  Brewer,  Cal.  II.  976.  Karl  ernannte  die  uns  bereits  be- 
kannten Bevollmächtigten  am  9.  Dez.    Brewer,  Ca'l.  II.  1262. 

3)  Tunstal  und  Knight  an  Heinrich  VIII.  17.  Dez.  1515.  Brewer, 
Cal.  IL  1262. 

4)  So  wollten  sie  gleich   bei  der  ersten  Begegnung  weder  den  vor- 

Seschlagenen  Termin  für  Verlängerung  des  Intercursus,  noch  die  Beseitigung 
es  Zolls  „for  breaking  bulk"  acceptiren.  a.  a.  0. 
ß)  Brewer,  Cal.  IL  1427,  1428. 
•)  Rymer  XIII.    S.  539. 


-     49    — 

wehren,  der  Boden,  auf  dem  man  fortan  stand,  war  ein  völlig 
anderer.  In  Zukunft  hatte  die  englische  Regierung  nur  ftlr 
Fortsetzung  des  Gegebenen  zu  wirken.  Wäre  diese  Concession 
nicht  erlangt  worden,  so  wäre  der  Vertrag  von  1506  für 
immer  eiu  todter  Buchstabe  geblieben. 

Obwohl  die  Entscheidung  der  Kernfrage  in  dem  erwähnten 
Artikel  1  gegeben  ist,  so  sind  doch  die  übrigen  Bestimmungen 
nicht  bedeutungslos.  So  wiederholen  Artikel  2—7  zwar  nur 
Sätze,  wie  sie  im  Juli  1515,  beziehungsweise  5.  Juni  1507  ver- 
einbart worden  waren1),  sind  aber  wenigstens  theilweise  für 
die  Engländer  günstiger  gefasst*).  Der  Artikel  8  schliesslich 
war  ein  beiderseitiger  Fortschritt.  Um  nämlich  endlich  ein- 
mal die  zahllosen  Streitigkeiten  und  Beschwerden  specieller 
und  allgemeiner  Natur,  die  sich  seit  Jahren  angehäuft  hatten, 
aus  der  Welt  zu  schaffen  und  etwa  geschädigten  Unterthanen 
zu  ihrem  Rechte  zu  verhelfen ,  sollte  innerhalb  eines  Jahres 
ein  neuer  Congress  stattfinden,  den  Mitgliedern  desselben  aber 
nicht  gestattet  werden,  auseinander  zu  gehen,  bevor  sie 
über  die  einzelnen  Fälle  sich  geeinigt  hätten.  Die  Ratification 
des  Vertrages,  die  innerhalb  drei  Monaten  zu  erfolgen  hatte, 
wurde  vorgenommen3),  und  der  Tractat  somit  perfect.  Die 
Freude  beim  Verlauten  des  Abschlusses  war  allgemein,  und 
selbst  viele  Niederländer  gaben  derselben  unverhohlenen  Aus- 
druck *). 

Der  vertragsmässig  vereinbarte  Congress  fand  Statt.  Wir 
sehen  die  Commissäre  im  Dezember  des  nämlichen  Jahres  be- 
reits in  voller  Thätigkeit6),  und  es  unterliegt  keinem  Zweifel, 
dass  sie  eine  schwere  Aufgabe  zu  lösen  hatten.  Das  mehrere 
Jahre  hindurch  gespannte  Verhältniss  hatte  viele  Gewalt- 
thätigkeiten  und  Ungerechtigkeiten  der  Beamten  zur  Folge 
gehabt 6).    Auf  offenener  See  war  ein  unsicherer  Zustand  ein- 


*)  Die  Engländer  durften  danach  namentlich  weder  den  Handel  mit 
einer  Stadt  verbieten  noch  Preistaxen  machen. 

*)  1507  bestimmte  Art.  4:  ab  omnibas  et  singulis  theloneis,  custumis 
et  impositionibus  praedictis  liberi  et  immunes  habeantur  et  reputentur, 
dicta  provisione  durante,  sed  omnia  interim  in  suspenso  remaneant;  der 
entspr.  Art  5  des  gegenw.  Tractats  dagegen  lautet :  ab  omnibua  et  singulis 
theloneis  custumis  et  impositionibus  praedictis  liberi  et  immunes  in  per- 
petaum  habeantur  et  reputentur  per  praesentes  ac  cautiones  et  fidejussi- 
ones  propter  praedicta  datae  per  praesentes  simiüter  relaxentur. 

')  Karl  beschwor  ihn  am  27.  Januar  1516  und  bestätigte  ihn  am  13. 
Februar  (Brewer,  CaL  II.  1458, 1538.  Heinrich VIII.  ratificirte  denselben 
am  9.  März  1516.    Brewer,  Cal.  II.  1645). 

4)  Brewer,  CaL  ü.  1468. 

6)  Brewer,  Cal.  II.  2723. 

*)  Vgl.  Brewer,  Cal.  II  1714  fg.  Besonders  viel  Lärm  machte 
folgender  Fall:  Ein  englisches  Schiff  war  von  den  grossen  Wollexporteuren 
•fohn  Allen,  Hugo  Clopton  und  Rieh.  Fermour  mit  Wolle  für  Italien  be- 
trachtet worden.  Durch  Sturm  wurde  es  nach  Holland  verschlagen  und  hier  vom 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  4 


—     50     - 

getreten1),    und    der  Intercursus    selbst   durch   eine   Menge 
Willküracte  ganz  entstellt  worden. 

Die  Beschwerdeschrift,  welche  die  Engländer  dem  Con- 
gress  vorlegten,  ist  der  deutlichste  Beweis.  Nicht  weniger  als 
26  Punkte,  durch  die  der  M.  I.  verletzt  worden  war,  brachten 
sie  vor2).  Mag  auch  in  Wirklichkeit  die  eine  oder  andere 
Klage  nicht  ganz  begründet  gewesen  sein,   das  eine  erhellt 


Zöllner  angehalten,  den  Zoll  von  Gravelingen  und  Zeeland  zu  geben.  Da 
die  Kauf  leute  sich  dessen  weigerten,  wurden  sie  festgehalten,  bis  sie  Caution 
gestellt.  In  Folge  dieser  Verzögerung  fiel  das  Schiff  später  unter  die  Mauren. 
Brewer,  Cal.  IL  738;  auch  2688  u.  2671. 

*)  £nglischerseit8  wurde  wegen  der  Seeräubereien  eine  Commissi on 
zusammengesetzt.  24.  Januar  1516.  Brewer,  Cal.  IL  1429.  Einem 
Antwerpener  Kaufmann  wurde  von  Piraten  ein  Schiff  in  Yarmouth  ent- 
fuhrt   Tunstal  an  Wolsey.    4.  November  1516.    Brewer,  Cal.  IL  2507. 

*)  Die  einzelnen  Beschwerden  lauten:  1)  Den  englischen  Kaufleuten 
ist  nicht  gestattet,  überall  hinzugehen;  jedem  ist  ein  neuer  Zoll  von  105  d 
auferlegt  worden.  2)  Man  erhebt  1%  von  allen  Waaren,  welche  nach 
Italien,  Deutschland  und  andern  nichtenglischen  Gebieten  versandt  werden. 
3)  Man  verhindert  die  Englander,  Waffen  und  andere  Arten  von  Waaren 
zu  kaufen  und  nach  England  zu  führen.  4)  Die  Strafe  für  falsche  Zoll- 
declaration  wurde  vervierfacht  und  noch  die  der  Confiscation  hinzugefugt 
5)  Verschiedene  Zölle  werden  für  eine  und  dieselbe  Waare  widerrechtlich 
erhoben.  t>)  Man  lässt  Waffen  und  Waaren,  welche  man  in  Italien  oder 
sonstwo  ausserhalb  des  kaiserlichen  Gebietes  erworben  hat,  nicht  aus- 
fuhren. 7)  Die  Zollbeamten  fügen  beträchtlichen  Schaden  zu,  indem  sie 
Säcke  u.  s.  w.  mit  eisernen  Instrumenten  durchstechen.  8)  Man  unterwirft 
den  Wein  und  das  Bier  der  Engländer  der  Accise.  9)  Man  erhebt  einen 
neuen  Zoll  von  geladenen  Schiffen,  das  sogenannte  „Galey  Gelt" ;  10)  einen 
weitern,  das  sogenannte  Tonnengeld.  11)  Nachdem  man  bereits  zu  Ant- 
werpen oder  Brügge  die  Zölle  gezahlt,  werden  doch  noch  neue  zu  Newnort, 
Dünkirchen  und  Gravelingen  verlangt.  12)  Andere  widerrechtlich  geforderte 
Abgaben  sind  das  ^Roergelt",  Ankergeld  und  Ballastgeld.  13)  Schiffe, 
welche  vom  Sturm  in  die  Häfen  von  Holland,  Flandern,  Zeeland  oder 
Niederdeutschland  getrieben  werden,  müssen  den  „Swige"-Zoil  zahlen. 
14)  Man  gestattet  den  Engländern  nicht,  ihre  eigenen  Landsleute  bei  et- 
waigen Hülfeleistungen  zu  benutzen,  sondern  zwingt  sie,  auf  Messen  u.  s.  w. 
der  Fremden  sich  zu  bedienen.  15)  In  Ermangelung  eines  Passes  confiscirt 
man  die  Güter.  16)  Man  besteuert  jeden  in  den  Niederlanden  sich  auf- 
haltenden Engländer,  jährlich  mit  20  d.  17)  In  Andalusien  und  Spanien 
verlangt  man  von  jedem  Schiff  20  d,  selbst  wenn  es  von  Italien  oder  dem 
Orient  kommt  und  wegen  Mangel  an  Wasser  oder  Lebensmitteln  vor  Anker 
geht.  18)  Man  schliesst  die  Irländer  von  den  Privilegien  der  Engländer  aus. 
19)  In  Andalusien  legt  man  auf  Schiffe  Beschlag,  damit  sie  dem  Kaiser 
dienen,  lässt  sie  aber  dann  Jahre  unbenutzt  und  gibt  sie  erst  nach  grossen 
Kosten  frei.  20)  Der  Zoll  von  dem  Pack  Eisenwaaren  (balarum  de  baterie) 
wurde  von  6  sh  auf  8  sh  erhöht,  der  von  Nägeln  von  4  d  auf  7  d.  21)  In 
Antwerpen  hat  man  alle  Zölle  verdoppelt  22)  Die  nämlichen  Zölle  ver- 
langt man  in  Brabant  und  Zeeland.  23)  Der  Beamte  von  Gheervliet  er- 
hebt einen  neuen  Zoll  von  Schiffen,  welche  vom  Sturm  dahin  getrieben  wer- 
den.  24)  Man  gestattet  englischen  Kaufleuten  nicht,  ihre  Güter  von  Ant- 
werpen in  Schiffen  wegzuführen,  welche  irgend  einer  andern  Stadt  gehören. 
25)  Von  den  englischen  Seefahrern  verlangt  man  in  vlämischen  Häfen  neben 
dem  Ankergelde  auch  noch  das  sog.  „bekonagium".  26)  In  Antwerpen 
zwingt  man  sie,  Waaren  die  nicht  zum  Wägen  sich  eignen,  nach  dem  Ge- 
wicht zu  verzollen.    (Brewer,  Cal.  IL  2738.) 


—    51     — 

aus  der  Schrift  mit  Evidenz ,  wie  schwierig  es  war,  die  Verträge 
gegenüber  der  herrschenden  Fiscalität  zur  Wahrheit  zu  machen. 

Angesichts  der  grossen  Masse  von  Fällen  und  der 
Schwierigkeit  ihrer  Entscheidung  tauchten  natürlich  viele 
Meinungsverschiedenheiten  auf.  Aber  ein  Einverständniss 
kam  zu  Stande1)- 

Es  war  eine  glückliche  Zeit  für  die  englische  Politik  und 
die  englischen  Kaufleute.    Diese  sahen  fast  alle  ihre  Wünsche 
.erfüllt,   und  selbst,   wenn  sie  Unbilliges  verlangten,   wurde 
ihnen  nicht  selten  willfahrt2). 

Die  niederländischen  Städte  ihrerseits  wetteiferten  unter 
sich,  die  englischen  Kaufleute  in  ihren  Mauern  festzuhalten. 
Brügge  machte  wieder  Versprechungen  •,  Antwerpen  und  Bergen 
aber  beseitigten  alUUEÜagen  durch  ausgedehnte  Specialverträge, 
welche  sie  mit  den  englischen  Eaufleuten  und  ihrem  Consul 
abschlössen. 

Die  Antwerpener  reyidirten  und  erweiterten  die  alten 
Privilegien.  Es  dürfte  vielleicht  hier  der  Platz  sein,  die 
Rechte  der  Engländer  in  Antwerpen,  soweit  sie  auf  städtischer 
Verleihung  beruhten,  zu  skizziren.  Die  Engländer  können, 
heisst  es  in  denselben,  die  Verlängerung  der  Messen  um  8 
oder  14  Tage  je  nach  Bedürfhiss  verlangen;  sie  dürfen  die 
Makler  wählen  und,  falls  diese  ihrer  Pflicht  nicht  genügten, 
sogar  bestrafen;  ebenso  können  sie  zum  Binden,  Tragen,  Aus- 
packen ihrer  Waaren  verwenden,  wen  sie  wollen.  Sie  sollen 
eine  prompte  Rechtshülfe  finden,  wenn  sie  innerhalb  des 
Stadtgebiets  körperlich  verletzt,  oder  ihre  Schiffe  und  Ge- 
räthe  böswillig  beschädigt  worden  sind,  oder  sie  sonst  ein 
Rechtsanliegen  haben.  Ist  in  einem  Rechtsfall  die  Unter- 
suchung abgeschlossen,  so  muss  das  Urtheil  in  6  Wochen , 
gesprochen  werden.  Erscheinen  englische  Kläger  im  Schöffen- 
hause, so  soll  ihnen  unmittelbar  nach  Entlassung  der  Partei, 
welche  geradezu  verhandelt  wird,  Gehör  gewährt  werden;  es 
ist  den  Engländern  unbenommen,  bei  Abwesenheit  einen  Ver- 
treter sich  zu  bestellen.  Die  bürgerliche  Gerichtsbarkeit  steht 
bei  Streitigkeiten  unter  Engländern  dem  englischen  Consul  zu. 
Englische  Schuldner  dürfen  nicht   ins  Gefängniss  gesetzt  wer- 


x)  Dies  geht  hervor  aus  Spinellys  Brief  an  Wolsey  vom  28.  Aug. 
1517.    Brewer,  CaL  IL  3647 

*)  Um  nur  ein  Beispiel  zu  erwähnen.  Für  jeden  Sack  Wolle  wurde 
ein  Zoll  von  8  Groschen  erhoben.  Nichts  lag  näher,  als  dass  die  Engländer 
missbrauchlich  die  Säcke  bedeutend  vergrößerten ,  weshalb  die  Zollein- 
nehmer von  Zeeland  nicht  mit  Unrecht  die  Säcke  wogen,  und  daran  fest 
hielten,  dass  2  Zentner  einen  Sack  ausmachten.  Aber  Karl,  der  damals 
den  Titel  des  Königs  von  Castilien  annehmen  wollte,  obwohl  seine  Mutter 
noch  lebte,  und  auch  von  England  Geld  bedurfte,  stellte  trotzdem  die 
-alte-  Gewohnheit  wieder  her.  28.  Aug.  1517.  (Bergenroth,  Cal.  11.261.) 
Brewer,  Cal.  IL  3649. 


—    52    — 

den,  wenn  sie  Caution  leisten  wollen ;  beträgt  die  Schuld  nicht 
mehr  als  20  Schillinge,  so  ist  der  Polizeibeamte  sogar  ge- 
bunden, mit  dem  Schuldner  zum  Gonsul  zu  gehen  und  zu 
fragen,  ob  er  Sicherheit  leisten  wolle.  Ebenso  dürfen  Beschlag- 
nahmungen wegen  Schulden  oder  einer  anderen  Ursache  willen 
nicht  ohne  Zustimmung  des  englischen  Kaufmanns  vorgenom- 
men werden.  Die  zum  Selbstverbrauch  eingeführten  Getränke 
sind ,  wie  schon  früher  versprochen  worden  war,  accisefrei,  des- 
gleichen haben  sie  bei  der  Ausfuhr  vonOel,  Seife  und  Weinen 
keinerlei  Zölle  zu  entrichten.  Die  Engländer  sind  in  Zukunft 
nicht  gehalten,  beim  Verkauf  auf  der  öffentlichen  Wage  zu 
wägen.  Die  Vorstände  der  Webergilde  in  Antwerpen  dürfen 
keine  Jurisdiction  in  Betreff  englischer  Tücher  ausüben ,  son- 
dern diese  steht  einzig  und  allein  der  Antwerpener  Stadt- 
behörde zu.  Den  vereidigten  Leintuchmessern  sind  gewisse 
Vorschriften  gegeben,  damit  die  Engländer  beim  Einkauf 
nicht  verkürzt  werden.  Die  Stadtbehörden  verpflichten  sich, 
dem  englischen  Consul  beizustehen,  wenn  ein  englischer  Kauf- 
mann ihm  nicht  gehorchen  will.  Es  bleibt  den  Engländern 
unbenommen,  ausserhalb  der  Messzeit  ihre  Waaren  nach  Zee- 
land,  z.  B.  nach  Walchern  zu  fahren,  wobei  die  Antwerpener 
Schiffer  zu  einem  bestimmten  Tarif  ihre  Dienste  anbieten 
müssen.  Niemand  darf  die  englischen  Packhäuser,  die  zum 
Falten  des  Leinens  dienten,  betreten.  Auch  das  Recht  des 
Kaufs  und  Verkaufs  war  durch  eine  Reihe  von  Rechtssätzen 
geregelt,  die  sämmtlich  dem  Tuchverkaufe  der  Engländer 
eine  günstige  Stellung  gaben.  Aufs  Sorgfältigste  und  Ein- 
gehendste waren  sodann  die  Zollprivilegien  der  Engländer  und 
die  Art  der  gesammten  Zollbehandlung  festgestellt,  ebenso 
JVIassregeln  gegen  Uebervortheilung  getroffen,  und  genau  die 
Taxen  für  gewisse  Dienste  bestimmt.  Die  Engländer  erhielten 
ihr  Haus  zu  vollem  uneingeschränkten  Besitz,  und  die  Stadt  ver- 
sprach, auf  eigene  Kosten  die  auf  demselben  noch  lastenden  Ge- 
rechtsamkeiten  ablösen  zu  wollen.  Die  gemietheten  Häuser  soll- 
ten von  einer  gemeinsamen  Commission  eingeschätzt  und  die  so 
festgesetzte  Miethe  in  Zukunft  nicht  abgeändert  werden '),  es 
sei  denn,  dass  bauliche  Veränderungen  vorgenommen  wurden. 
Endlich  versprach  noch  die  Stadt,  um  die  übrigen  Privilegien 
zu  übergehen,  den  englischen  Kaufleuten  in  den  8  folgenden 
Jahren  zu  Pfingsten  100 Pfund  flandrische  Groschen  zu  zahlen2). 
Bergen  op  Zoom,  das  in  den  Privilegien  von  1469,  1470 
und  1480  die  meisten  Wünsche  der  Engländer  befriedigt  und 
durch  sein  Entgegenkommen  oft  den  Engländern  als  Mittel 
gedient  hatte,  um  auf  Antwerpen  einen  Druck  auszuüben,  war 

])  Ueber  die  Höhe  der  festgesetzten  und  von  1518  ab  zu  zahlenden 
Miethsgelder  für  31  näher  bezeichnete  Häuser  gibt  Cotton  Mscrs.  Tib. 
D.  VIII.  f.  30  im  Br.  M.  Aufschluss. 

»)  Urk.  Beil.  23. 


-    53    — 

selbstverständlich  auch  jetzt  gerne  bereit,  die  Rechte  der  eng-* 
tischen  Kaufleute,   soweit  als  nöthig,  zu  ergänzen,  und  da- 
durch diese  auf  gleichen  Fuss  wie  in  Antwerpen  zu  setzen 
(16.  Mai  1519) J). 

Durch  diese  liberale  Gewährung  von  Freiheiten  war  es 
gelungen,  den  englischen  Markt  stärker  denn  je  in  Bergen 
uod  Antwerpen  festzubannen.  Brügge  hatte  sich  vergeblich 
gemüht,  und  auch  Middelburg,  das  eine  Zeit  lang  grosse  An- 
strengungen gemacht  *),  konnte  es  mit  den  Goncurrenten  nicht 
aufnehmen;  sein  Versuch,  zum  Ersatz  die  schottischen  Kauf- 
leute aus  Yere3)  in  seine  Stadt  zu  ziehen,  misslang  eben- 
falls*). 

Der  englische  Handel  erfuhr  in  Folge  der  zahlreichen 
Vergünstigungen  einen  beträchtlichen  Aufschwung.  In  den 
zwei  folgenden  Jahren  1518  und  1519  erreichten  die  Zölle 
den  höchbten  Stand  während  der  ganzen  Regierungszeit  Hein- 
richs VIII.5). 

2.  Periode  (1520  —  1530). 

Unsere  erste  Periode  hatte  wider  Erwarten  einen  günsti- 
gen Ausgang  genommen.  Die  englischen  Kaufleute  waren  gut 
gestellt,  und  wenn  es  der  englischen  Regierung  gelang,  den 
Tractat  von  1506  auch  in  Zukunft  aufrecht  zu  erhalten,  so 
kann  man  diese  Epoche  als  einen  Wendepunkt  des  englisch- 
niederländischen  Verkehrs,  soweit  Heinrichs  VIII  Regierung  in 
Betracht  kommt,  markiren. 

Die  fünf  Jahre,  innerhalb  deren  der  Vertrag  von  1506  zu 
gelten  hatte,  begannen  ihrem  Ende  sich  zuzuneigen,  und  die 
Kothwendigkeit  einer  neuen  Regelung  trat  an  England  heran. 
Ein  Versuch,  den  man  bereits  1518  gemacht,  und  der  auf  eine 
Erneuerung  des  Vertrags   für  weitere  5  Jahre   abgezielt  zu 

*)  ürk.  Beil.  3  und  Brewer,  Cal.  II.  232.  Die  Merchant  ad- 
ventorers  «hielten  deshalb  auch  dort  sehr  zum  Groll  der  Antwerpener  ihre 
Messen  aufrecht;  vgl.  auch  Urk.  Beil.  33,  34. 

2)  Am  27.  Juli  1508  hatte  Middelburg  den  Merchant  adventurers  zu 
den  früheren  Privilegien  ein  neues  gegeben  (Urk. Beil.  133.  §55);  die  eng- 
lischen Kauf leute  hatten  sich  auch  bewegen  lassen ,  eine  Zeit  lang  nacn 
Middelburg  zu  ziehen  und,  wie  wir  früher  erwähnt,  den  Verkehr  mit  Ant- 
werpen verboten.  Sie  hatten  sich  namentlich  verpflichtet,  die  „Sinxon  und 
Balmes'-Markte  daselbst  zu  halten.    Urk.  Beil.  133.  §  56. 

s)  Der  schottische  Handel  hatte  schon  lange  seinen  Hauptsitz  in  Yere; 
1508  schwebten  Verhandlungen  zwischen  dem  Bailif  von  Yere  und  der 
schottischen  Regierung,  um  diese  Stadt  zum  einzigen  Stapel  für  diesen  Handel 
zu  machen;  vgl.  den  Brief  Betons  an  den  Magistrat  von  Antwerpen  vom 
4.  April  1508.  Gairdner.  Letters  andPapers  of  Rieh.  III.  and  tlenr.VII. 
VoL  II.  S.  263. 

*)  Vgl.  den  Briefwechsel  zwischen  Paniter,  Secretar  bei  Jacob  V. ,  und 
der  Stadt  Middelburg  im  August  und  Dezember  1518.  Brewer.  Cal.  I. 
4386  u.  4698. 

5)  Vgl.  Bd.  IL  8.  12,  13;  S.  48  fg. 


—    54    - 

*  haben  scheint1),  fand  allem  Anschein  nach  keinen  Anklang 
bei  der  niederländischen  Regierung.  Ein  Jahr  vor  Ausgan? 
des  Termines  knüpfte  Wolsey  desshalb  neue  Verhandlungen 
an;  man  einigte  sich  über  einen  neuen  Congress  und  ernannte 
die  Vertreter:  Heinrich  VIII.  am  8.  April  den  Bischof  von 
Durham  Ruthai,  den  uns  von  der  vorigen  Tagfahrt  bekannten 
Tunstal  und  More  und  den  äusserst  talentvollen  Pace;  Karl  V. 
am  11.  April  den  Bischof  von  Helvas  Bernard  de  Mesa,  ferner 
Gerard  de  Pleine,  Philipp  Haneton  und  Johann  de  le  Sauch  *'). 

Ein  günstigerer  Zeitpunkt  war  für  die  Engländer  kaum 
denkbar.  Frankreich  und  Spanien  buhlten  damals  um  Eng- 
lands Gunst.  Die  Pracht  des  goldenen  Heerlagers  zu  Calais 
von  Seite  Franz  L,  die  Besuche  des  jugendlichen  Kaisera  Karl  V. 
am  englischen  Hofe  waren  ja  alle  darauf  berechnet,  den  Tudor 
zu  bestricken  und  auf  die  eigene  Seite  zu  ziehen.  Unter  solchen 
Auspicien  ist  es  erklärlich,  wenn  die  Engländer  nicht  auf  so 
harten  Kampf  wie  ehedem  stiessen.  Wolsey  war  auch  gar 
nicht  so  bescheiden  in  seinen  Forderungen.  Er  verlangte 
nichts  weniger,  als  dass  mit  dem  24.  Januar  1521,  wo  das 
letzte  Uebereinkommen  zu  Ende  ging,  der  Vertrag  von  1506 
dauernde  Geltung  erhalte,  und  gab  deutlich  zu  erkennen,  dass 
er  und  Heinrich  VIII.  in  der  Gewährung  dieses  Wunsches  die 
Vorbedingung  für  die  politische  Allianz  erblickten3).  Nicht 
mit  Unrecht  bemerkte  er  dem  kaiserlichen  Gesandten  gegen- 
über, um  Freundschaft  zwischen  Nationen  zu  stiften,  sei  vor 
Allem  nöthig,  dass  die  beiderseitigen  Unterthanen  frei  und 
ohne  Hindernisse  mit  einander  zu  verkehren  vermöchten.  Wie 
könne  sonst  sein  königl.  Herr  glauben,  dass  Karl  V.  wirklich 
einen  ehrlichen  Bund  mit  ihm  schiessen  wolle? 

Die  Niederländer  sahen  auch  vollkommen  ein,  dass  in 
dieser  Situation  kein  Vortheil  den  Engländern  abgerungen 
werden  könne4),  und  indem  sie  auf  die  Zukunft  sich  ver- 
trösteten, ging  ihr  ganzes  Streben  dahin,  bei  Wolsey  wenigstens 


J)  Bei  Brewer,  Cal.II.  4211  ist  ein  Schriftstück  dieses  Inhalts  erwähnt, 
das  von  Cuthbert  Tunstal,  W.  Knight,  Sir  Th.  Spinelly  mit  den  nieder- 
ländischen Commissären  vereinbart  und  von  Wolsey  unterzeichnet  ist. 
Nichtsdestoweniger  sprechen  spätere  Documenta  und  die  ganze  Ent- 
wicklung gegen  die  Annahme,  dass  das  Instrument  wirklieh  ratificirt 
wurde.  Eine  Neubestätigung  des  Vertrags  ohne  Verlängerung  fand  erst  in 
Folge  der  Erwählung  Karls  zum  Kaiser  statt  (11.  April  1520).  Vgl. 
Brewer,  Cal.  III.  742,  849,  908.    Bergenroth,  Cal.  iL  274. 

«)  Brewer,  Cal.  III.  731.  739. 

8)  Der  spanische  Gesandte  in  London  schreibt,  dass  dieser  Handels- 
vertrag Heinrich  VIII.  und  Wolsey  ausserordentlich  am  Herzen  liege. 
Brewer,  Cal.  III.  741. 

*)  Zur  Beurtheilung  der  damaligen  Sachlage  sind  hauptsächlich  die 
Instructionen,  welche  die  kaiserlichen  Gesandten  am  14.  April  dem  an 
Karl  V.  geschickten  J.  de  le  Sauch  gaben,  heranzuziehen.  Brewer, 
Cal.  III.  742. 


-    55    - 

eine  Form  des  Vertrages  durchzusetzen,  welche  ihnen  nicht 
alle  Hoffnung  auf  eine  günstigere  Gestaltung  in  späterer  Zeit 
benahm.  Dies  geschah  auch.  Nachdem  der  englische  Vor- 
schlag, die  Gültigkeitsdauer  des  Provisoriums  auf  die  folgen- 
den 20  Jahre  auszudehnen,  fallen  gelassen  worden  war,  einigte 
man  sich  dahin,  dasselbe  auf  die  fünf  nächsten  Jahre  zu  ver- 
längern. Sollte  aber  während  dieser  Zeit  weder  eine  Er- 
neuerung des  Vertrags  von  1506  noch  der  Abschluss  eines 
neuen  Handelstractats  zu  Stande  kommen,  so  hatte  mit  Ab- 
lauf des  Termins  das  Provisorium  für  weitere  fünf  Jahre  zu 
gelten;  und  so  sollte  es  bei  jedem  weiteren  Quinquennium  ge- 
halten werden.  Doch  versprach  man  sich,  gegenseitig  dahin 
zu  trachten,   dass  bald  ein  Definitivum  vereinbart  werde1). 

Man  sieht,  die  Niederländer  trugen  sich  mit  dem  Ge- 
danken, dass  man  doch  in  nächster  Zukunft  eine  Gelegenheit 
finden  werde,  den  Vertrag  von  1506  wieder  umzuwerfen.  Die 
Engländer  aber  hatten  nur  nöthig,  die  Niederländer  dilatorisch 
zu  behandeln,  um  fortwährend  im  Besitz  des  Erlangten  zu 
bleiben.  Spinelly  hatte  vollkommen  Recht,  wenn  er  auf  die 
Kunde  des  Abschlusses  hin  mit  sichtlichem  Behagen  ausrief' 
„Der  Handelsvertrag  ist  endlich  einmal  gesichert" 2).  Das 
Ende  des  Jahres  1520  brachte  somit  in  der  That  einen 
Wendepunkt  zu  Stande.  Wohl  musste  zu  dem  vertragsmässig 
Errungenen  noch  der  gute  Wille  bei  der  Ausführung  von 
Seite  der  Niederlande  kommen;  die  eigentümliche  politische 
Stellung  EÜglauds,  die  grosse  Macht,  die  es  gegenüber  den 
sich  gegenseitig  selbst  schwächenden  Parteien,  nämlich  Franzi, 
und  Karl  V.  in  die  Wagschale  werfen  konnte,  Hessen  erwarten, 
dass  die  englische  Regierung  Druck  genug  ausüben  könne,  um 
die  Niederländer  zum  getreuen  Innehalten  des  Versprochenen 
zu  zwingen. 

Die  Angelegenheit  des  Handelsvertrages  verschwindet  für 
einige  Zeit  vom  Schauplatz,  und  andere  Fragen  von  mehr 
vorübergehender  Bedeutung  tauchen  auf.  Der  seit  der  Kaiser- 
wahl zwischen  Franz  I.  und  Karl  V.  unvermeidlich  gewordene 
and  jetzt  nahe  bevorstehende  Krieg  gab  den  Anlass  hiezu. 

England  vermied  lange  seine  offene  Parteinahme,  und  es 
gelang  Wolsey  hiedurch,  seinen  Herrn  als  Schiedsrichter  über 
die  beiden  mächtigsten  Monarchen  anerkannt  zu  sehen. 
Während  der  Cardinal  im  Auftrag  Heinrichs  VIII.  dieses  Amtes 
zu  Calais,  wo  er  am  10.  Aug.  1521  mit  königlicher  Pracht 
eingezogen  war,  nun  waltete,  lenkte  er  sein  Hauptaugenmerk 


s)  Londoner  Vertrag  vom  11.  April  1520,  bestätigt  von  Karl  am  23.  April. 
Rymer  XIII.  S.  714.    Brewer,  Cal.  III.  739  u.  772. 

*)  Spinelly  an  Wolsey  3.  Mai  1521:  „the  intercourse  is  once  a  sure 
matter,  whatsoever  for  lack  of  the  weather  do  ensue  of  the  other". 
Brewer,  CaL  III.  787. 


—     56  — 

darauf,  einen  Vortheil  für  den  englischen  Handel  aus  der  Lage 
zu  ziehen.  Nur  zu  gut  hatte  der  kluge  Staatsmann  gesehen, 
welche  V ortheile  den  Niederlanden  zugefallen  waren,  als  Hein- 
rich VIU.  allein  mit  Frankreich  verfeindet  war.  Sollte  England 
nicht  auch  einmal  den  Nutzen  haben  können,  wofern  es  ihm 
glückte,  aus  seiner  Neutralität,  wenn  nicht  ganz,  so  doch  eine 
Zeit  lang  nicht  heraustreten  zu  müssen?  Des  Cardinais  Vor- 
schläge richteten  sich  auf  Anerkennung  der  neutralen  Stellung 
Englands.  Er  verlangte  desshalb  nicht  nur,  dass  auf  eng- 
lischem Gebiet  keine  Kriegstbat  vollführt  und  kein  Truppen- 
durchzug bewirkt,  auf  englischer  See  den  französischen  und 
niederländischen  Fischern  Sicherheit  gewährt,  in  englischen 
Häfen  und  Dünen  kein  Angriff  gemacht  werden  solle,  sondern 
er  suchte  auch  durchzusetzen,  dass  Lebensmittel  von  St  Omer, 
Newport  und  Montreuil  nach  Calais  geführt  werden  dürften, 
und  dass  die  englischen  Schiffe  überhaupt  in  kaiserlichen  und 
französischen  Häfen  Sicherheit  und  Schutz  genössen 1). 

Der  bedeutende  Handel  namentlich  mit  Fischen,  wie  er 
zwischen  Frankreich  und  den  Niederlanden  bestand,  sollte  so- 
mit während  der  Feindschaft  ganz  durch  englische  Hände 
gehen.  Es  machte  wenig  Eindruck,  wenn  Wolsey  gegenüber 
den  Kaiserlichen  hauptsächlich  geltend  machte,  dass  auf  diese 
Weise  die  Niederländer  und  Engländer  nicht  der  französischen 
Weine  entbehren  müssten.  Karl  V.  und  seine  Minister  waren 
Politiker  genug,  um  durch  eine  so  plumpe  Aeusserung  über 
den  wahren  Sachverhalt  getäuscht  zu  werden,  und  Karls  Brief 
vom  11.  September  1521  an  Gattinara  gibt  auch  deutlich 
Zeugniss  hievon  *).  Der  englische  Handelsgewinn  war  übrigens 
nicht  einmal  die  einzige  Rücksicht,  welche  Karl  V.  hiebei  leitete. 
Thatsächlich  begab  er  sich  eines  bedeutenden  kriegerischen 
Vortheils,  wenn  Frankreich  der  Zufuhr  von  Lebensmitteln3) 
und  andern  nothwendigen  Artikeln  sicher  war.  Allein  Wolseys 
Wille,  in  dessen  Hände  jetzt  die  Geschicke  der  beiden  Völker 
lagen,  musste  geschehen4).  Vergeblich  bemühten  sich  die 
niederländischen  Commissäre.  dem  Handel  und  Verkehr  über- 


>)  Gattinara  etc.  an  Karl  V.  1.  u.  6.  Sept.  1521.    Brewer,   Cal.  III. 
1584  u.  1549. 

4)  Brewer,  Cal.  III.  1566.    Monom.  Habsb.  313. 

*)  KarlV.  wollte  aus  demselben  Grunde  auch  nicht  zugeben,  dass  die 
französischen  Fischer  in  den  englischen  Gewässern  Sicherheit  gemessen, 
sollten.  Mit  Hilfe  seiner  holländischen  und  zeeländischen  Staaten  hatte  er 
eine  Flotte  ausgerüstet,  mit  der  er  seine  eigenen  Fischer  schützen  und 
noch  den  Franzosen  bedeutenden  Schaden  zufügen  zu  können  glaubte.  Als 
er  am  22.  Sept.  erfuhr,  dass  der  Neutralitätsvertrag  noch  nicht  unter- 
zeichnet war,  konnte  er  es  sich  nicht  versagen,  noch  rasch  seinem  Admiral 
Befehl  zum  Ausrücken  gegen  den  Feind  zu  geben.  Karl  V.  an  seine  Ge- 
sandten zu  Calais  22.  Sept.  1521.    Brewer,  Cal.  III.  1600. 

4)  Vgl.  Brewer.  Cal.  III.  1600.  1602.  1616.  1626. 


-    57    — 

haupt  eine  längere  Neutralität1),  und  dadurch  wenigstens 
ihrem  Lande  den  Handelsgewinn  zu  sichern,  am  11.  October 
1521  mussten  sie  mit  den  Franzosen  den  Vertrag  fast  ganz 
so,  wie  ihn  Wolsey  gewünscht,  unterzeichnen  *). 

Ein  Jahr  lang  vortheilte  England  von  der  durch  den 
Cardinal  geschaffenen  Begünstigung8);  über  deren  Effect  aber 
ist  ein  Urtheil  kaum  möglich  *).  Im  October  1522  erklärte  auch 
Heinrich  VIII.  an  Frankreich  offen  den  Krieg,  und  die  Situation 
wurde  dadurch  verändert.  Der  englische  Handel  verlor  die 
neutrale  Stellung,  und  die  Schwierigkeiten  in  Betreff  des  Ver- 
kehrs mehrten  sich.  Schottland  ganz  von  Frankreich  geleitet 
erhob  sich  gegen  England,  und  der  directe  Handel  zwischen  den 
vier  Nationen  schien  aufhören  zu  sollen.  Heinrich  VIII.  ver- 
langte von  den  Niederländern,  dass  sie  den  Verkehr  mit  seinen 
Feinden  einstellten5),  auch  auf  die  Heringsfischerei  an  den 
schottischen  Küsten  verzichteten.  Da  die  niederländische 
Volksstimme  sich  sehr  stark  dagegen  aussprach6),  machte 
man  lange  Zeit  Versuche,  den  Handelsabbruch  durch  allerlei 
Vorwände  hintanzuhalten;  schliesslich  musste  man  aber  doch 
den  Wunsch  des  politischen  Freundes  erfüllen,  indem  man 
theoretisch   seine   Forderungen    anerkannte7);    in   der   prak- 


x)  Gattinara  und  Genossen  an  Karl  V.  5.  Okt.  1521.  Brewer, 
CaL  III.  1685. 

2)  Brewer,  Cal.  III.  1660;  Rymer  XIII.  S.  752.  Der  Vertrag  be- 
steht aus  8  Artikeln.  Die  freie  Fischerei  wurde  nur  bis  Ende  Januar  ge- 
stattet (Art.  1.);  das  war  aber  für  die  Engländer  eher  ein  neuer  Vortheil, 
als  ein  Nachtneil.  Ueber  die  einzelnen  Phasen  der  Verhandlungen  ist 
heranzuziehen  Brewer,  Cal.  III.  1595,  1598.  1605,  1606,  1608  u.  s.  w. 

*)  Doch  blieben  trotz  der  garantirten  Neutralltat  Zwischenfalle  nicht 
aus;  vgl.  Brewer,  CaL  IIL  1691,  2193,  2379. 

*)  Die  Zölle,  die  in  den  Jahren  1518/19,  1519/20  die  grösste  Stei- 
gerung während  Heinrichs  VII.  und  VIII.  Regierung  aufweisen,  sinken  im 
Jahre  1521/22  auf  einen  äusserst  niedrigen  Stand  zurück  (Bd.  II.  S.  46, 
58).  Die  allgemeine  Krisis,  wie  sie  namentlich  am  Anfang  des  Krieges 
immer  eintritt,  übte  doch  ihre  Wirkung  aus.  Gleichzeitig  erfuhr  der 
Wollexport  eine  Minderung  aus  Gründen,  die  nicht  ausschliesslich 
im  Kriege  su  suchen  sind.  Ferner  ist  zu  erwägen,  dass  der  Vortheil,  den 
das  Wolsey'sche  Abkommen  schuf,  hauptsächlich  in  dem  Zwischenhandel, 
den  die  Engländer  mit  Frankreich  und  den  Niederlanden  nun  fühlten,  lag; 
diese  Vermittlung  konnte  sehr  gewinnbringend  sein,  brauchte  aber  nicht  m 
den  englischen  Zollen  zum  directen  und  sofortigen  Ausdruck  zu  kommen. 
E)  Sir  Rob.  Wingfield  und  Spinelly  an  Wolsey.  1.  April  1522. 
Brewelr,  Cal.  DL  2149. 

*)  Wingfield  schreibt  am  13.  September  1522  hierüber  an  Wolsey  von 
Antwerpen  aus :  „The  folks  of  this  country  seem  ratber  to  be  lords  than 
subjects;  and  moreoyer,  where  their  prince  is  always  furnished  of  money 
by  them  frome  time  to  time,  they  think  right  stränge,  considering  the 
Privileges,  which  they  have,  that  both  the  prince  should  have  money  of 
them  and  inhibit  or  Sequester  them  from  their  lawful  profits."  Brewer. 
Cal.  ÜI.  2542. 

')  Sir  Rob.  Wingfields  Brief  vom  27.  Sept.  1522  sagt ,  dass  die  Ver- 
bannung der  Schotten  und  das  Verbot  des  Verkehrs  am  26.  Sept.  publi- 
cirt  worden  sei.    Brewer,  Cal.  ÜI.  2575. 


—    58    — 

tischen  Ausführung  Hess  man  aber  mehr  als  billige  Milde 
walten *). 

Noch  viel  grössere  Differenzen  erzeugte  die  Frage  des 
Handels  mit  Frankreich.  Man  fasste  wieder  einen  Waffen- 
stillstand ins  Auge2).  Derselbe  kam  aber  nicht  zu  Stande, 
und  nun  suchten  Engländer  wie  Niederländer  mittels  Geleits- 
briefe einen  möglichst  grossen  Handel  mit  Frankreich  zu 
unterhalten8),  indem  jede  Nation  glaubte,  sie  allein  hätte 
den  Gewinn.  Die  Täuschung  kam  bald  an  den  Tag,  und 
beide  beschuldigten  einander,  incorrect  gehandelt  zu  haben4). 
Die  Klagen  wurden,  da  sich  noch  andere  Beschwerden  hinzu- 
gesellten, schliesslich  so  heftig,  dass  die  Erzherzogin  Ab- 
gesandte nach  London  beorderte,  welche  eine  Verständigung 
mit  der  englischen  Regierung  herbeiführen  sollten 6). 

Dieselben  hatten  ihrem  Auftrag  gemäss  dahin  zu  wirken, 
dass  man  sicheres  Geleit  für  den  Handel  zwischen  den  Nieder- 
landen, Frankreich  und  Schottland  gewähre,  und  der  König 
von  Frankreich  die  Heringsfischerei  gestatte,  da  von  dieser 
die  Existenz  einer  grossen  Zahl  niederländischer  Unterthanen 
abhänge6),  feiner  sollten  sie  hinsichtlich  des  Geldkurses  mit 
der  englischen  Regierung  ein  Uebereinkommen  zu  erzielen 
suchen 7). 

Die  Klagen  in  Betreff  des  letzten  Punktes  waren  nicht 
neu.  Schon  früher  hatten  wir  Gelegenheit,  auf  eine  Meinungs- 
verschiedenheit zwischen  beiden  Regierungen  in  dieser  Sache 
hinzuweisen8).  Wie  ehedem  war  der  französische  Krieg  der 
Anlass  der  Störung.  Seit  1522  kamen  die  Geldverhältnisse 
merklich  ins  Schwanken,  der  Ausbrach  eines  Krieges  steigerte 
ungeheuer  das  Geld  in  seinem  Preise9),  wie  dies  heute  noch 
in  ähnlichen  Fällen  sich  ereignet  und  die  bekannten  Paniken 
in  den  vom  Krieg  betroffenen  Ländern  zu  erzeugen  pflegt. 
Nur  war  damals  die  Krise  immer  viel  acuter;   die  Rohheit, 


M  Vgl.  den  Brief  von  Margaretha  von  Savoyen  an  Wolaey  vom 
18.  April  1523.  aus  dem  deutlich  hervorgeht,  dass  zwischen  Midaelburg 
und  Schottland  Handel  getrieben  wurde.    Brewer,  Cal.  IIL  2953. 

»)  12.  April  1528.    Brewer,  Cal.  III.  2948.  2998. 

a)  Im  August  1523  verlangte  der  kaiserliche  Gesandte,  dass  die  Aus- 
sähe von  Geleitsbriefen  für  den  Handel  zwischen  den  Niederlanden  und 
Frankreich  gestattet  wurde,  fand  aber  damit  kein  Gehör  bei  der  eng- 
lischen Regierung;  vgl.  Mores  Brief  an  Wolsey  v.  26.  Aug.  1523.  Brewer, 
Cal.  in.  3270. 

4)  Gayangos,  Cal.  HI.  38. 

fi)  28.  Jan.  1525.    Gayangos,  Cal.  ID.  8. 

6)  Vgl.  auch  den  Bericht  der  Commissäre  an  Margaretha  v.  20.  April 
1525.    Gayangos,  Cal.  III.  78. 

T)  Gayangos,  Cal.  III.  8. 

•)  S.  40. 

°)  Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  V.  S.  333. 


—    59    — 

mit  der  die  Kriege  geführt  wurden ,  trieb  die  Angst  bis  aufs 
Höchste,  die  Zurückhaltung  des  Geldvorrates  nahm  viel 
grössere  Dimensionen  an,  als  heutzutage;  zudem  war  die  cir- 
culirende  Geldmasse  absolut  viel  geringer,  und  Creditmittel 
konnten  nicht  sofort  vermittelnd  dazwischen  treten.  Am 
4.  October  1522  schrieb  Wingfield  von  Antwerpen  an  Wolsey: 
Geld  ist  so  theuer,  dass  Alles  daran  zu  kranken  scheint; 
möge  es  doch  Gott  zum  Bessern  wenden1).  Die  grossen 
Geldverschiebungen,  welche  der  Krieg  mit  sich  brachte,  regten 
zugleich  die  Agiotage  an.  Besonders  war  es  das  Gold,  welches 
ganz  enorm  im  Preise  stieg.  Die  niederländischen  Stände 
waren  sehr  ungestüm,  und  die  Regierung  musste  ihren  Wün- 
schen in  Betreff  der  Geldpolitik  willfahren 2).  Die  Folge  der 
letzteren  aber  war,  dass  ununterbrochen  englische  Münzen, 
besonders  die  Angelotten  nach  den  Niederlanden  strömten8). 

Diese  Erscheinungen  gaben  natürlich  Anlass  zu  Verband- 
lungen. 

Die  Theuerung  des  Geldes  führte  dahin,  dass  die  Nieder- 
länder erklärten,  sie  könnten  unmöglich  den  Stapelkaufleuten 
den  früheren  Nominalpreis  für  Wolle  zahlen.  Man  erinnerte 
sich  wieder  des  Vertrags  von  1499,  durch  den  die  Zahlungs- 
verhältnisse geordnet  worden  waren.  Der  für  die  Nieder- 
länder wichtigste  Artikel  1  dieses  Tractats  war  im  Jahre  1511 
ausser  Kraft  getreten.  Obwohl  die  Bürger  von  Brügge  kurz 
vor  seinem  Erlöschen  die  Regierung  auf  die  im  Wollgeschäft 
beobachteten  Mängel  aufmerksam  gemacht  und  eine  Regelung 
dieser  Verhältnisse  gewünscht  hatten4),  so  war  derselbe  augen- 
scheinlich nicht  erneuert  worden.  Das  Resultat  der  nun  auf- 
genommenen Verhandlungen 5)  war,  dass  man  wieder  wie  1499 
englischerseits  einen  Abschlag  von  Vi  Mark  per  Sack  bewilligte. 
Dieser  Nachlass  galt  aber  nur  für  die  neue  nach  Galais  ge- 
langende Wolle.  Für  die  bereits  in  Calais  befindliche  Wolle 
sollte  er  nur  dann  eintreten,  wenn  sie  nicht  bis  zum  8.  April 
1525  verkauft  war.  Man  einigte  sich  feiner  darüber,  dass  für 
das  alte  Geld  gemeinschaftlich  ein  Curs  festgesetzt  und  dieser 
bei  allen  Zahlungen  eingehalten  werde6).  Kein  neues  Geld 
aus  Deutschland,  Italien,  Spanien,  Frankreich  oder  sonstwoher 


l)  Brewer,  Cal.  III.  2593. 

*)  Vgl.  hierüber  D.  Groebe,  Beantwoording  der  prysvrag  over  de 
munten  en  hetgeen  daartoe  betreking  heeft,  sedert  1500  tot  den  iare  1621 
mgesloten.  Memoires  couronnes  par  l'Academie, X,  und  Henne,  Regne  de 
Cbaries-Quint  en  Belgique  V.  S.  333  fg. 

*)  Der  Cardinal  sagte  einmal :  Wenn  die  Dinge  so  bleiben,  so  wandern 
noch  alle  Angelotten  nach  Flandern.    Gayangos,  Cal.  III.  46. 

4)  Doleancien  van  den  ghemeene  draperie  van  der  Inghelsche  wnlle 
binnen  Bragghe.  Nieuwen  Groenenbouc  B.  B.  fo.  48  im  Stadtarchiv 
▼on  Brügge. 

6)  Brewer,  Cal.  III.  2634,  2777. 

•)  Die  Festsetzung  desselben  bei  Brewer,  Cal.  III.  2967,  3332. 


—     60    — 

dürfe  den  englischen  Kaufleuten  gegeben  werden,  wenn  nicht 
für  dasselbe  unter  Zustimmung  beider  Fürsten  ein  Curs  fest- 
gesetzt sei.  Im  Uebrigen  sollte  der  Vertrag  von  1499  in  voller 
Wirksamkeit  bleiben,  insoweit  er  nicht  durch  spätere  Verträge 
modificirt  worden  war1). 

Auch  wegen  des  Abflusses  englischen  Goldes2)  that  die 
englische  Regierung  Schritte.  Nachdem  sie  hinsichtlich  des 
Stapels  zu  einer  nicht  unbeträchtlichen  Concession  sich  ver- 
standen hatte,  durfte  sie  mit  Recht  nun  auch  eine  Berück- 
sichtigung dieser  ihrer  Wünsche  verlangen.  Wolsey  drang 
wiederholt  darauf,  dass  die  niederländische  Regierung  ihre 
Geldpolitik  ändere  und  ihren  Curs  mit  dem  englischen  gleich- 
setze, damit  der  Goldstrom  wieder  in  umgekehrter  Richtung 
stattfinde.  Man  kam  aber  in  dieser  Sache  vorläufig  zu  Nichts s). 
Ebensowenig  richtete  man  in  Betreff  der  Geleitsbriefe  aus 4). 
Obwohl  Wolsey  fast  unerschöpflich  in  Vorschlägen 6)  war,  um 
zu  einer  Einigung  zu  kommen,  so  war  doch  all  sein  Mühen 
und  Combiniren  vergeblich. 

Die  allgemeine  Politik  hatte  eine  entscheidende  Wendung 
genommen.  Die  Schlacht  von  Pavia  (24.  Februar  1525)  hatte 
den  König  von  Frankreich  zum  Gefangenen  Karls  V.  gemacht 
und  alle  Wünsche  des  letzteren  befriedigt.  Die  englische  Re- 
gierung auf  die  grossartige  altenglische  Tradition  zurück- 
greifend, schmeichelte  sich  mit  der  Hoffnung,  die  Ziele  eines 
Eduards  III.  und  Heinrichs  V.  verwirklichen  und  die  franzö- 
sische Krone  auf  des  Tudors  Haupt  setzen  zu  können.  Aber 
Wolsey  stiess  nicht  nur  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten, 
als  er  durch  ein  sogenanntes  freiwilliges  Anlehen  (amicable 
loan)  die  Mittel  zur  Fortsetzung  des  Krieges  zu  erlangen 
suchte6),   sondern   er  musste   auch    bald   erfahren,    wie   des 


*)  Brewer,  Cal.  III.  2777,  2884. 

*)  Der  Zeitgenosse  Hall  sagt  über  diesen  in  seiner  Chronik  S.  693 
beim  Jahre  16  H.  VIII.:  all  the  people  of  Englande  grudged  against 
Flaunders  for  their  evill  entreatyng  in  the  tyme  of  warre,  and  also  the 
Kyng  was  displeased  with  theim  for  enhaunsyng  his  coyne  there,  which 
was  a  cause,  that  money  was  daily  conveighed  out  of  the  realme.  Sieh 
auch  Brewer,  Cal.  IV.  1101. 

8)  Gayangos,  Cal. III. 46,90, 111.  Brewer,  Cal. IV. 951,  App. 41, 1101. 

*)  Die  kaiserlichen  Commissäre  hatten  Vollmacht,  auf  die  Ungültigkeits- 
erklärung der  ausgegebenen  Geleitsbriefe  einzugehen,  wenn  England  ver- 
sprechen wolle,  die  Niederlande  mit  Wein,  Salz,  Korn  und  sonstigen  Ar- 
tikeln, an  denen  England  Ueberfluss  habe,  zu  versehen.  Wenn  Wein  und 
Salz  besonders  genannt  werden,  so  liest  der  Grund  darin,  dass  der  Ab- 
bruch der  Beziehungen  mit  Frankreich  diese  Waare  entsetzlich  vert heuerte. 
Der  Preis  des  Salzes  war  zeitweise  von  6  und  7  Livres  auf  60  und  80  ge- 
stiegen. Vgl.  die  Instructionen  von  Margaretha  an  ihre  Gesandten  vom 
28.  Januar  und  den  Bericht  der  Commissäre  an  Margaretha  v.  9.  März  1525. 
Gayangos,  Cal.  III.  3,  8. 

ß)  Gayangos,  Cal.  III.  78.  90,  97,  111;  Brewer,  Cal.  IV.  App.  41. 

e)  Sowohl  die  Londoner  Geschäftsleute,  als  das  Landvolk  setzten 
dieser  willkürlichen  Erpressung  den  entschiedensten  Widerstand  entgegen. 


—    61     - 

Kaisers  Pläne  keineswegs  mit  den  englischen  Absichten  sich 
deckten,  indem  Karl  V.  nicht  gewillt  war,  die  errungenen 
Vortheile  durch  Schaffung  eines  stärkeren  Gegners  wieder  zu 
verlieren.  Misstrauen,  gegenseitige  Ueberlistung  und  schliess- 
liche  Feindschaft  gaben  den  Verhandlungen  der  kommenden 
Jahre  ihr  Gepräge,  und  es  begreift  sich,  dass  von  solchen 
Verhältnissen  auch  die  Handelsangelegenheiten  afficirt  wurden. 
Die  politische  Haltung  des  Kaisers  veranlasste  zunächst 
den  englischen  König,  auf  französische  Seite  zu  treten.  Als 
Karl  seinem  Gegner  Franz  einen  fünfmonatlichen  Waffenstill- 
stand gewährt  hatte1),  schloss  Heinrich  VIII.  mit  Frankreich 
einen  einseitigen  Frieden.  England  kam  dadurch  hinsichtlich 
des  Handels  in  eine  bessere  Situation  als  die  Niederlande*). 
Die  Holländer  wurden  so  ängstlich,  dass  sie  selbständig  mit 
Heinrich  VHI.  durch  Adolph  von  Burgund  über  eine  Neutra- 
lität für  die  Dauer  eines  Jahres  ein  Abkommen  treffen  Hessen. 
Die  Franzosen  begünstigten  die  Engländer  gegenüber  den 
kaiserlichen  Unterthanen 3),  und  sehr  besorgt  blickten  die 
Niederländer  dem  Ausgang  des  Waffenstillstandes  entgegen. 
Der  Krieg  war  ihnen  „wegen  ihrer  äussersten  Noth"  ernstlich 
verleidet  und  unerträglich ,  „namentlich  seit  jetzt  dieser  eng- 
lisch-französische Friede  geschlossen"  4).  Da  jedoch  am  15.  Ja- 
nuar 1526  zwischen  Karl  V.  und  Franz  I.  der  Madrider  Vertrag  zu 


Die  Industriellen  schoben  schlau  die  Arbeitermassen  vor,  indem  sie  diese 
durch  Entlassung  zum  Revoltiren  brachten.  Die  Erbitterung  derselben 
richtete  sich  gegen  die  Regierung.  Ein  Anfuhrer  aufständischer  Arbeiter 
sprach  damals  vor  dem  Herzog  Norfolk  die  charakteristischen  Worte:  „Sith 
you  ask,  who  is  our  captain,  forsooth  his  name  is  Poverty;  for  he  and  his 
cousin  Necessitv  hath  brought  us  to  this  doing;  for  all  these  persons  and 
many  more,  which  I  would  were  not  here,  live  not  of  ourselves;  but  all  we 
live  by  the  substantial  oecupiers  of  this  county,  and  yet  they  give  us  so 
little  wages  for  our  workmanship,  that  scarcely  we  be  able  to  live,  and  thus 
in  penury  we  pass  the  time,  we,  our  wives  and  children;  and  if  they,  by 
whom  we  live,  be  brought  in  that  case,  they  of  their  little  cannot  help  us 
te  earn  our  living,  then  must  we  perish  and  die  miserably.  I  speak  this, 
ray  Lord :  the  clothmakers  have  put  all  these  people  and  a  far  greater  number 
from  work.  The  husbandmen  have  put  away  their  servants  and  given  up 
hoosehold;-  they  say,  the  king  asketn  so  much,  that  they  be  not  able  to 
do  as  they  have  done  before  this  time,  and  then  of  necessity  must  have 
die  wretchedly."  Hall,  Chronicle  S.  700;  vgl.  auch  Brewer,  Cal.  IV. 
Introd.  8.  71. 

')  Der  Waffenstillstand  dauerte  vom  26.  Juli  bis  21.  Dez. 

a)  Henne,  R&gne  de  Charles-Quint  en  Beigigue  IV.  8.  49. 

*)  Durch  den  Waffenstillstand  war  bloss  die  Fischerei  wieder  frei  ge- 
geben. Der  Handel  blieb  an  Geleits briefe  gebunden,  und  obwohl  diese 
öiederländischerseits  fast  kostenfrei  gewährt  wurden,  so  hing  der  Effect 
doch  davon  ab,  ob  auch  die  Franzoben  liberal  verfahren  würden.  Wing- 
jjdd  glaubt  deshalb,  dass  die  englischen  Kauf  leute  vor  dem  Abschluss  des 
französisch -spanischen  Friedens  grosse  Gewinne  machen  könnten.  Sir 
Bob.  Wingfield  an  Wolsey.    2.  Nov.  1525.    Brewer,  Cal.  IV.  1737. 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  1723. 


—    62    — 

Stande  kam,  so  war  die  commercielle  Benachtheiligung  der 
Niederlande  eine  nur  kurz  andauernde. 

Inzwischen  nahmen  die  mercantilen  Verhältnisse  fort- 
während die  Aufmerksamkeit  beider  Regierungen  in  Anspruch. 
Am  21.  Januar  1526  lief  zudem  das  erste  Quinquennium  des 
provisorischen  Intercursus  ab,  und  beide  Regierungen  hatten 
in  Erwägung  zu  ziehen,  ob  nicht  eine  Neuregelung  anzustreben 
sei.  Die  kaiserliche  Regierung  war  zu  sehr  durch  die  all- 
gemeine Politik  beschäftigt,  als  dass  sie  mit  gehörigem  Ernst 
diese  commercielle  nur  die  Niederlande  betreffende  Frage 
hätte  behandeln  können.  Sie  schien  die  Fortsetzung  des  Ver- 
trages von  1506  für  weitere  5  Jahre  ruhig  acceptiren  zu 
wollen.  Dagegen  darf  man,  so  wunderbar  dies  auch  auf  den 
ersten  Blick  erscheinen  mag,  mit  einigem  Grund  annehmen1), 
dass  England  nicht  ganz  abgeneigt  war,  einen  neuen  Veitrag 
abzuschliessen.  Die  Regierung  ging  dabei  wohl  von  der 
Voraussetzung  aus,  grössere  Vortheile  zu  den  früheren  hinzu- 
erwerben zu  können,  namentlich  eine  vertragsmässige  Ordnung 
der  Geldverhältnisse  in  englischem  Sinn  und  Beseitigung  des 
Stapelzwanges  für  die  in  die  Provinz  Flandern  eingefühlten 
englischen  Tücher  und  Waaren8).  Die  Zeit  war  zu  kurz,  nm 
diese  wichtigen  Fragen  zu  erledigen.  Sie  bildeten  aber  den 
Stoff  für  Unterhandlungen  im  kommenden  Jahre. 

Als  der  früher  genannte  Jouglet  zum  Vertreter  der  Nieder- 
lande bestellt  worden  war3),  nachdem  lange  Zeit  der  Kaiser 
den  förmlichen  diplomatischen  Verkehr  mit  England  ganz  ein- 
gestellt hatte 4),  waren  die  commerciellen  Beschwerden  die  ersten 
Punkte,  über  welche  Heinrich  VIII.  mit  dem  Gesandten  con- 
ferirte.  Er  drückte  seinen  Unwillen  aus,  dass  die  Niederlande 
noch  immer  seinen  Wünschen  mit  Hartnäckigkeit  begegneten. 
Alle  früher  geltend  gemachten  Gründe  seien  nun  in  Wegfall 
gekommen;  man  könne  nicht  mehr  den  unordentlichen  Zustand 
der  französischen  Finanzen,  ebenso  wenig  die  Ungewissheit  des 
Ausgangs  im  politischen  Streit  vorschützen,  um  die  vertrags- 
widrige Weigerung,  gemeinsam  mit  England  den  Geldcurs  zu 
bestimmen,  noch  länger  fortzusetzen.  Die  Einwendung  des  Ge- 
sandten6), dass  der  König  ja  seinen  Unterthanen  die  Ausfuhr 


*)  Sieh  den  Brief  Nikolas  Perrenots  an  Margaretha  von  Saroyen  vom 
19.  Okt   1525.    Brewer,  Cal.  IV.  1709. 

*)  a.  a.  0. 

*)  Er  überreichte  seine  Beglaubigung  am  9.  Juni  1526. 

4)  Der  kaiserliche  Gesandte  de  Praet  musste  abgerufen  werden,  weil 
Wolsey  dessen  Correspondenz  hatte  auffangen  lassen;  obwohl  der  Kaiser 
das  allem  Völkerrecht  hohnsprechende  Verfahren  Wolseys  scheinbar  billigt«, 
so  hatte  er  doch  den  Gesandtschaftsposten  ein  halbes  Jahr  lang  unbesetzt 
gelassen. 

*)  In  der  Instruction  war  Jouglet  über  diese  Frage  folgende  Direc- 
tive  gegeben:  Et  que  de  ce  le  Roy  et  monsieur  le  legat  d'Angleterre  pour 


—    63     — 

der  Angelott en  verbieten  könne,  lehnte  Heinrich  VIII.  mit  dem 
Bemerken  ab,  dass  ein  solches  Vorgehen  ftlr  ihn  unannehmbar 
sei,  da  es  in  die  Handelsspeculationen  seiner  Unterthanen  ein- 
greife; die  Behauptung  Jouglets  aber,  dass  die  Stapelkauf- 
leute selbst  nicht  an  den  vertragsmäßigen  Curs  sich  hielten, 
sondern  fortwährend  denselben,  je  nachdem  der  Geldcurs  steige 
oder  falle,  abänderten,  stellte  der  König  geradezu  in  Abrede  ')• 
Ebenso  energisch  sprach  Heinrich  VIII.  über  die  flandrische 
Angelegenheit.  Die  Kaufleute  von  Brügge  seien  nicht  befugt, 
ihre  Stapelgerechtigkeit  *)  in  Betreff  englischer  Wollstoffe  gel- 
tend zu  machen.  Der  Verkauf  dieser  im  ganzen  flandrischen 
Gebiete  sei  immer  geduldet  worden,  und  wenn  wirklich  ein 
dem  entgegenstehendes  Verbot  in  alten  Zeiten  erlassen  worden 
sei,  so  habe  es  sich  nur  auf  breite  und  feine  Tücher,  nicht 
aber  auf  grobe  und  kleine  (gros  et  petits  draps)  erstreckt. 
Der  Vertrag  unterscheide  zwar  nicht  dem  Wortlaute  nach, 
aber  Duldung  und  Uebung  kämen  einer  ausdrücklichen  Aus- 
nahme gleich3).  Jedenfalls  hätten  die  Niederlande  die  Pflicht 
eine  günstige  authentische  Interpretation  zu  geben4). 

Jouglet  war  ein  bejahrter  Mann,  der  den  verwickelten 
Fragen  und  verwirrenden  Schachzügen  des  englischen  Cabinets 
sich  nicht  gewachsen  fühlte.  Mit  rührender  Bescheidenheit 
theilt  er  dies  offen  der  Regentin  mit  und  bittet  sie,  ihn  mit 
Rücksicht  auf  seine  20  Jahre  lang  geleisteten  Dienste  von 
diesem  schweren  Posten  zu  entheben  und  durch  eine  jugend- 


luy  ayent  feient  difficulte,  ne  fist  toutesvoyes,  que  madame  consente  la 
redaction  de  langelot  et  aultre  monnaie  dor  et  dargent  de  la  forge  d'Angle- 
terre  au  pris  quilz  ont  cours  au  royaulme,  oflrans  lesdits  srs.  roy  et  legat, 
si  madame  v  voulsist  entendre,  en  ce  cas  denvoyer  commission  et  povoir 
a  lambassadeur  Wingfelt  den  traittier.  Que  che  snr  ce  combien  que  eile 
ne  puist  faire  changement  au  pris  des  monnaies,  mesment  en  absence  de 
lempereur  sans  ladvis  de  estaz  des  payß  desirant  toutesvoyes  complaire  au 
roy  et  audit  sr.  legat  a  escript  a  maistre  Jehan  de  la  Sauchz  leur  dire  que 
sil  leur  piaist  envoyer  povoir  a  messire  Robert  Wingfelt  du  fait  de  la 
monnaie,  que  voulentiers  eile  entendra  ledit  changement  et  y  fera  ce  que  en 
eile  sera.  Staatsarchiv  in  Brüssel.  Papiers  d'Etat.  Nägociations 
d'Angleterre.    T.  I.  fo.  11  b.  u.  12. 

*)  Die  Behauptung  Jouglets  durfte  trotzdem  die  grössere  Wahrschein- 
lichkeit für  sich  haben.  Nur  in  gerichtlichen  Prozessen  scheint  man  den 
am  17.  Januar  1823  im  Art.  4  vereinbarten  Curs  zu  Grunde  gelegt  zu 
haben.  Vgl.  den  Bericht  der  niederl.  Commissäre  zu  London  an  Margaretha 
Tom  2±.  März  1525.    Gayangos,  Cal.  111.  46. 

*)  Dieselbe  war  1499  aufgehoben,  1501  aber  wieder  eingeführt  worden. 
Sieh  oben  S.  28,  27. 

s)  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Engländer  widerrechtliche 
Ansprüche  machten.  Den  seit  einiger  Zeit  von  den  Flamändern  gutwillig  ge- 
statteten Abusus  wollten  die  Engländer  nun  anerkannt  wissen  und  damit 
das  Br&gge'sche  Stapel  und  die  flandrische  Tuchindustrie  vollends  zu  Boden 
werfen. 

4)  Jean  Jouglet  an  Margaretha.  17.  Juni  1526.  Gayangos,  Cal.  III. 
463.  Daselbst  ist  auch  die  üble  Behandlung,  welche  die  Engländer  im  All- 
gemeinen durch  die  Niederländer  erfuhren,  besprochen. 


—    64    — 

liehe,  frischere  Kraft  zu  ersetzen *).  Seine  Abberufung  erfolgte ; 
die  Absicht  war,  mit  den  diplomatischen  Verhandlungen  einen 
gewandten  Spanier,  den  Ifiigo  de  Mendocja  zu  betrauen.  Ent- 
scheidend für  seine  Wahl  war,  dass  die  Hauptaufgabe  seiner 
Mission  auf  dem  rein  politischen  Felde  lag.  In  Handelssachen 
war  er  nicht  bewandert8),  und  man  gedachte  deshalb  ihm 
einen  Specialbeistand  in  der  Person  des  Niederländers  Jean 
Boutton8)  zu  geben;  feiner  sollte  Mendoga  bei  der  Regentin 
und  ihrem  Rath  genau  sich  instruiren  lassen.  Mendoga  wurde 
aber  auf  dem  Wege  nach  England  in  Frankreich  eine  Zeit 
lang  festgehalten,  weshalb  der  gewandte  Provost  von  Cassel 
Theimseke  bis  zu  seiner  Ankunft  die  kaiserliche  Regierung 
vertreten  musste4). 

In  Folge  dieses  fortwährenden  Personenwechsels  scheint 
es  Wolsey  vorgezogen  zu  haben,  einstweilen  durch  den  eng- 
lischen Vertreter  am  niederländischen  Hofe  die  handelspoliti- 
schen Beschwerden  geltend  machen  zu  lassen.  Der  Gesandte 
J.  Hackett  hatte  auch  vielfach  Erfolg.  Nach  langen  Berathungen 
mit  den  Behörden  von  Brügge  befahl  Margaretha  diesen,  keine 
Verstösse  gegen  den  Intercursus  hingehen  zu  lassen.  In  Strei- 
tigkeiten, welche  unter  den  Stadtbürgem  in  dieser  Sache  sich 
erheben  sollten ,  behielt  sie  sich  selbst  das  Recht  der  Entschei- 
dung vor.  Dieser  Erlass  war,  wie  es  scheint,  in  einem  England 
günstigen  Sinn  auszulegen;  denn  sofort  Hessen,  wie  Hackett 
berichtet,  nach  dieser  Kundgebung  die  Brügge'schen  Barger 
Kersies  und  Stockbreds  von  Antwerpen  kommen  und  kauften 
und  verkauften  ohne  Hindernisse6).  Auch  die  Geldkursfrage 
hatte  allem  Anschein  nach  einen  Schritt  vorwärts  gemacht 
Die  letzte  kaiserliche  Valvation  muss  bedeutende  Concessionen 
den  Engländern  gewährt  haben,  und  die  Brabauter  und  Zee- 
länder,  die  eine  Zeit  lang  den  kaiserlichen  Befehl  missachteten6), 
machten,  nachdem  die  Stände  darüber  verhandelt  hatten,  eine 
neue  Ordnung,  in  welcher  sie  den  Curs  für  daß  englische  Geld 
wenigstens  theilweise  ermässigten 7). 


*)  17.  Juni  1526.    Gay  an  g  ob,  Cal.  III.  463. 

2)  So  gesteht  er  selbst  ein.    Gayangos,  Cal.  III.  P.  II.  8. 

*)  Gayangos,  Cal.  III.  616,  682;  Boutton  kam  in  London  am  H.No- 
vember an. 

4)  Gayangos,  Cal.  in.  469,  588,  619,  645. 

6)  4.  Juli  1526.    Brewer,  Cal.  IV.  2300. 

6)  Desshalb  sagte  Hackett:  The  coinage  runs  in  these  parte  above  all 
reason  and  the  Emperor's  comandment."    Brewer,  Cal.  IV.  2628. 

"O  John  Hackett  an  Wolsey.  15.  Nov.  1526.  Brewer,  Cal.  IV.  2628. 
Der  Angelott  sollte  fortan  nicht  höher  als  zu  11  ah,  def  Royal  nicht  höher 
als  zu  16  sh  6  d  gerechnet  werden.  Hackett  aber  rieth  Wolsey,  durch  den 
Consul  den  Merchant  adventurers  und  den  Staplern  zu  befehlen,  sie  sollten 
Gold  und  Silber  nur  nach  der  kaiserlichen  Valvation  annehmen.  Die 
verhangniss  volle  Lösung,  welche  die  C ursfrage  schliesslich  in  England  er- 
fuhr, ist  bekannt;  sieh  Abschn.  IL  Cap.5;  vgl.  ferner  Hall,  Chronide  S.  718. 


—    65     - 

Obwohl  die  Niederlande  diese  und  andere1)  Beweise  von 
Nachgiebigkeit  und  Versöhnlichkeit  gaben,  so  begann  doch  das 
Jahr  1527  mit  den  trübsten  Aussichten  für  die  Beziehungen 
zwischen  beiden  Ländern  *).  Eine  französisch-englische  Allianz 
gegen  Karl  V.  stand  in  Aussicht  und  kam  auch  bald  zu 
Stande').  Mendoga  durfte  sein  reiches  Programm4)  über 
commercielle  Fragen  und  den  Handelstractat  gar  nicht  zur 
Sprache  bringen,  um  nicht  den  bereits  bestehenden  Gegensatz 
Doch  mehr  zu  verschärfen0). 

Im  Frühjahr  hielt  man  schon  nicht  mehr  recht  an -der 
Beobachtung  der  völkerrechtlichen  Sätze  des  Intercursus  fest 6). 
Mitte  Mai7)  liess  Wolsey  den  Verkehr  mit  den  Niederlanden 
unterbrechen,  indem  er  den  Kaufleuten  verbot,  die  gerade  be- 
vorstehenden Messen  zu  besuchen,  und  die  Schiffe,  die  auslaufen 
wollten,  mit  Beschlag  belegte8).  Um  gleichzeitig  aber  den 
englischen  Tüchern  und  Waaren  einen  Abfluss  zu  ermöglichen, 
griff  er  wieder  auf  das  schon  des  öfteren  von  Heinrich  VII. 
versuchte  Project  zurück,  den  Handel  nach  Calais  zu  ziehen 9). 


*)  Vgl.  z.  B.  Brewer,  CaL  IV.  2324.       . 

*)  Schon  am  19.  Jan.  1527  erfuhr  Mendoga,  dass  man  Krieg  gegen 
Flandern  plane;  ebenso  am  18.  März;  am  25.  April  theilte  er  mit,  dass  be- 
reits einige  englische  Kaufleute  aus  Furcht  vor  dem  Krieg  ihre  Güter  von 
den  Niederlanden  zurückgezogen  hätten.  Gayangos,  Gal.  in.  P.  II,  8, 
37,  55. 

s)  Erneuerung  des  Vertrags  zu  More.  30.  April  1527.  Dumont, 
Corps  diplomatique  du  droit  des  gens.  1726.  IV.  P.  1.  S.  472. 

4)  In  der  Instruction,  die  Mendoca  am  2.  Mai  1526  vom  Kaiser  zu 
Sevilla  erhielt,  waren  nicht  weniger  als  6  Punkte,  auf  die  er  sein  Augen- 
merk zu  richten  hatte,  erwähnt;  an  erster  Stelle  ist  genannt  der  Handels- 
vertrag, dann  folgen  der  Wollhandel,  das  Stapel  von  Galais,  die  Zölle  von 
Gravelingen  und  Antwerpen,  das  Geldwesen,  die  Zölle  auf  Tuch  und  andere 
Manufacte,  die  man  aus  Flandern  und  Spanien  nach  England  oder  von 
England  nach  Flandern  und  Spanien  führte.    Gayangos,  Cal.  III.  410. 

*)  Mendoca  an  den  Kaiser.  19.  Jan.  1527.  Gayangos,  Gal.  III. 
P.  IL  8. 

*)  Englische  Kaufimannsgüter,  welche  an  der  Küste  von  Zeeland  ge- 
rettet wurden ,  weigerte  man  sich  zurückzuerstatten ,  und  der  brabantische 
Gerichtshof  gab  „lettres  of  resspyt"  und  „kynkernels"  aus.  Man  verstiess 
somit  gegen  Art.  24  des  M.  I.  und  Art.  7  des  Vertrages  von  1499.  —  Der 
englische  Admiral  weigerte  sich,  ein  spanisches  Wrack,  obwohl  es  nicht 
verlassen  war,  herauszugeben.  Inigo  de  Mendoca  an  Wolsey.  8.  Mai  1527. 
Brewer,  Cal.  IV.  3106. 

7)  Nach  Angabe  des  venetianischen  Gesandten  Seb.  Giustinian  in  Paris 
sollen  schon  im  April  alle  Fläminger  aus  England  vertrieben  worden  sein. 
Wahrscheinlich  war  das  aber  nur  ein  von  den  Franzosen  verbreitetes  Ge- 
rächt, da  in  Mendocas  Correspondenz  keine  Erwähnung  hievon  gemacht 
ist    Seb.  Giustinian  an  den  Dogen.   23.  April  1527.   Brown,  Cal.  IV.  97. 

*)  Ueber  die  schwankende  Haltung  Wolseys  im  Juni  und  October  in 
Betreff  dieser  Zurückhaltung  der  englischen  Schiffe  sieh  Mendocas  Briefe 
an  den  Kaiser  vom  4.  Juni  und  26.  Oct.  1527.  Gayangos,  Cal.  III.  P.  IL 
*3u.224. 

9)  Im  Publicum  hatten  Manche  erwartet,  dass  Wolsey  Montreuil  zum 
Stapelplatz  creiren  werde.    Gayangos,  Cal.  HI.  P.  IL  69. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.     I.  5 


—    66    — 

Es  war  einer  der  vielen  Vorzüge,  welche  den  Besitz  von  Galais 
für  England  so  werthvoll  machten,  dass  die  englische  Handels- 
politik diesen  Stapelplatz  jederzeit  als  Repressalie  gegen  die 
Niederlande  benutzen  konnte,  und  es  hat  in  der  That  einige  Be- 
rechtigung, wenn  der  venetianische  Gesandte  Giovanni  Michele 
die  Unabhängigkeit  des  englischen  Handels  mit  dem  Stapel  von 
Calais  in  Verbindung  bringt1).  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass 
Wolsey  mit  dem  Gedanken  umging,  Calais  überhaupt  und 
dauernd  zum  Stapelplatz  sämmtlicher  englischer  Producte,  also 
namentlich  auch  des  Tuchs  zu  machen.  Am  13.  Juli  1527  erliess 
Heinrich  VIII.  eine  sehr  umfangreiche  Proclamatioh 2),  welche 
nicht  blos  den  einheimischen,  sondern  auch  den  fremden  Kauf- 
leuten ganz  dieselben  Freiheiten  und  Privilegien  verlieh,  die 
die  Engländer  in  Antwerpen,  Brügge,  Bergen  oder  sonstwo  in 
den  Niederlanden  genossen 8) ;  nur  sollten  sie  versprechen,  fortan 
weder  aus  den  Niederlanden  irgend  Etwas  direct  in  England 
einzuführen,  noch  Tuch  oder  andere  englische  Waaren  von 
Calais  nach  den  Niederlanden  zu  bringen.  Die  Durchfuhr 
sollte  jedoch  erlaubt  sein,  wenn  Sicherheit  geleistet  würde  da- 


x)  Michele  nennt  1557  Calais  Ja  chiave  e  porta  principale  del  regno, 
non  potendo  gllnglesi  avere  alcun*  altra  uscita  dal  loro  agli  altri  regni 
ne  cosi  Pentrata  piü  facile,  piü  breve,  ne  piü  sicura,  talmenteche,  se  le 
mancasse,  resteriano  siccome  veri  isolani,  separat!  dalla  terra  ferma,  e  cosi 
divisi  in  tutto  dal  commercio  e  dalle  pratiche  dal  mondo  e  degli  altri 
principi,  e  mancheriano  per  conseguenza  di  cosa  principalmente  necessaria 
alla  conservazione  di  un  regno,  convenendo  rimettersi  alla  diacrezione  di  altri 
principi,  con  valersi  dei  loro  porti  con  piü  lunga  navigazione,  piü  pericolo 
e  maggiore  spesa."    Alberi,  Relazioni  Ser.  I.  Vol.  II.  S.  305,  806. 

*)  Dieselbe  ist  ihrem  vollen  Wortlaute  nach  wiedergegeben  in  dem 
von  der  Camden  Society  veröffentlichten  und  von  Nie  hole  besorgten  Chro- 
nica of  Calais  in  the  reigns  of  Henry  VII  and  Henry  VIII  to  the  year  1540. 
London  1846.  S.  102 — 109.  Kurze  Notizen  befinden  sich  bei  Brewer, 
Cal.  IV.  3262  und  in  den  State  papers,  King  Henry  VIII.  1880-52.  VII. 
S.4.  Der  Titel  lautet:  „A  proclamation  for  establishing  of  trade  and  merchan- 
dizing  and  traffique  within  the  towne  and  marches  of  Callice  with  divers 
immunities  and  freedoms  concerning  the  same,u  und  der  Eingang:  „The  king 
our  soveraigne  lord,  mynding  and  entending  the  welth,  encrease  and  enriching 
of  his  realme  of  England  and  of  this  towne  of  Callis  and  the  marches  of  the 
same,  and  that  not  only  his  own  subjeets,  but  also  other  strangers,  of 
what  natioja  soever  they  be,  might  have  the  more  desire  and  currage  to 
repaire  to  this  his  said  towne  and  marches,  and  for  other  great  respects 
and  consideracions ,  with  the  advise  of  his  counsell,  by  theis  his  lettres 
patentes  of  proclamacion  freely  geveth  and  granteth  füll  libertie  etc.tt 

3)  Als  solche  sollen  die  Privilegien  des  Herzogs  Philipp  von  Burgund 
von  1446  gelten.  Die  Kaufleute  sind  ausdrücklich  nicht  gebunden  „hedmony, 
half  passnge  money,  travers  mony,  sandgelt,  wharfgelt,  the  Flemish  toll 
otherwise  named  brocage  of  the  haven  or  any  other  toll  whatsoever"  zu 
zahlen.  Die  Zolltarife  sollen  am  Marktplatz  im  Zollhaus  und  der  kgl. 
Wechselstube  angeschlagen  werden.  Den  Merchant  adventurers  werden  die 
nämlichen  Corporations  -  Rechte  wie  in  den  Niederlanden  eingeräumt  Es 
soll  Sorge  getroffen  werden,  dass  die  Einwohner  von  Calais  Schau-  und  Pack- 
häuser zu  billigen  Preisen  abgeben.  Damit  an  Lebensmitteln  immer  grosse 
Fülle  vorhanden  sei ,  wird  die  Einfuhr  derselben  an  keine  Licenz  gebunden 


-    67    — 

für,  dass  man  die  Tücher  nicht  auspacke  und  in  den  Nieder- 
landen verkaufe.  Da  Wolsey  auch  gleichzeitig  mit  Frankreich 
Verhandlungen  pflog,  um  den  Engländern  dort  die  gleichen 
Privilegien  zu  verschaffen,  die  sie  bisher  in  den  Niederlanden 
besessen *) ,  so  schien  es  in  der  That ,  als  ob  dieser  gewaltige 
Staatsmann  die  ganze  Handelsblüthe  dem  brabantisch-holländi- 
schen  Gebiete  entziehen  wollte. 

Der  kühne  Plan  aber  misslang.  Die  Niederländer  waren 
natürlich  nicht  Willens,  ein  solch  verhängnissvolles  Unternehmen 
ruhig  gedeihen  zu  lassen.  Die  verschiedenen  Städte  von  Hol- 
land, Zeeland,  Brabant,  Flandern,  Hennegau,  Artois  und  selbst 
die  des  rheinischen  Oberlandes2)  traten  zusammen,  um  ein 
Verbot  gegen  die  Zulassung  der  englischen  Tücher  zu  be- 
rathen3);  die  schutzzöllnerischen  Kreise,  deren  Einfluss  ge- 
brochenschien, kamen  plötzlich  wieder  zu  Ehren.  Der  ziemlich  be- 
deutende Gonsum  englischen  Tuchs  von  Seite  der  Niederländer 
hörte  mit  einem  Schlag  auf,  die  niederländische  Tuchindustrie 
nahm  einen  neuen  Aufschwung.  Der  Agent  des  Königs,  John 
Dymock,  schrieb  am  15.  September  an  Heinrich  VIII.,  dass  da, 
wo  man  früher  4  oder  5  Tücher  per  Kopf  verfertigte,  jetzt  so 
viele  fabricirt  würden,  dass  600  und  mehr  auf  den  Kopf  kämen, 
und  in  vielen  Städten,  in  denen  man  bisher  kein  Tuch  gemacht 
habe,  treffe  man  jetzt  Anstalten  hiezu4).  Auch  der  bei  den 
Engländern  vielfach  verbreitete  Glaube  von  der  Unentbehrlich- 


and  keinem  Zoll  unterworfen.  Jeder  soll  Lebensmittel,  woher  sie  auch 
stammen,  einfuhren  können.  Bas  englische  Schifffahrtsgesetz  hat  für  Calais 
keine  Anwendung,  die  Merchant  adventurers  wie  die  Fremden  dürfen 
beim  Export  von  Calais  englische  und  fremde  Schiffe  benützen.  Niemand 
darf  wegen  ausserhalb  Calais  contrahirter  Schulden  oder  eingegangener 
Verpflichtungen  verfolgt  werden,  wenn  er  sich  auf  diesen  Freiheitsbrief  be- 
ruft u.  s.  w. 

')  Zur  Fernhaltung  aller  Zweifel,  welche  Rechte  damit  gemeint  seien, 
wurde  vereinbart,  dass  die  englischen  Raufleute  nur  die  Privilegien  bean- 
spruchen dürften,  welche  1)  in  dem  Privilegienbrief  Philipps  von  Burgund 
vom  6.  August  1446,  2)  in  dem  der  Stadt  Antwerpen  vom  1.  Juni  1518. 
3)  in  dem  Vertrag  von  1516,  bezw.  v.  11.  April  1521  aufgeführt  seien.  Alle 
drei  Urkunden  wurden  wörtlich  abgeschrieben  und  von  Wolsey  und  Mont- 
morency  unterzeichnet  Diese  Copien  sind  erhalten  im  Br.  M.  Cotton 
Mscrs.  GaJba  B.  IX.  fo.  63  fg. 

2)  Bekanntlich  eiferte  man  damals  in  ganz  Deutschland  gegen  die 
überwältigende  Concurrenz  des  englischen  Tuches.  Auch  Luther  gab  dieser 
Stimmung  Ausdruck :  „Gott  hat  uns  Deutschen  dahin  geschleudert,  dass  wir 
Gold  und  Silber  in  frembde  Länder  stossen  müssen,  alle  Welt  reich  machen 
und  selbst  Bettler  bleiben.  Engelland  sollte  wohl  weniger  Golds  haben,  wenn 
Deutschland  ihm  sein  Tuch  liessetf .  J.K.Irmischer,  Luthers  Werke  XXII. 
8.  201. 

*)  John  Dymock  an  Heinrich  VIII.  15.  Sept.  1527.  Brewer,  Cal. 
IV.  3433  und  State  papers  VII.  S.  4.  Man  könnte  meinen,  als  ob  die 
Städte  damit  nur  dem  Plane  Wolseys  in  die  Hände  arbeiteten.  Dies  scheint 
aber  nur  so;  denn  die  Proclamation  Heinrichs  VIII.  verbot  den  Nieder- 
ländern nicht,  in  Calais  sich  mit  Tuch  zu  versorgen;  nur  den  Markt  für 
Tuch  wollte  Wolsey  verlegen. 

4)  State  Papers  VII.  S.  4. 

5* 


—    68    — 

keit  englischer  Wolle  wurde  stark  erschüttert  Seit  Langem 
suchte  die  niederländische  Regierung  die  Industriellen  zur 
Verarbeitung  der  spanischen  Wolle  zu  veranlassen,  offenbar  in 
der  Absicht,  dadurch  die  Abhängigkeit  von  England  abzu- 
schwächen. Schon  Philipp  der  Gute  hatte  Schritte  nach  dieser 
Rirlitung  ,gethan  l).  Seit  dieser  Zeit  war  auch  der  Import 
spanischer  Wolle  nach  Flandern  stets  im  Wachsen  *).  Derselbe 
nahm  noch  besonders  zu,  als  am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
Spanien  und  die  Niederlande  unter  einem  Herrscher  vereinigt 
wurden  und  gleichzeitig  der  englische  Wollexport  sehr  stark 
zu  dicken  begann8).  Die  spanische  Wolle  war  auch  successiv 
durch  Kreuzung  der  Mutterschafe  mit  englischen  Widdern  besser 
geworden4).  Die  niederländische  Regierung  machte  nun  um 
1528  einen  neuen  Versuch,  der  spanischen  Wolle  das  Ueber- 
jrewicht  zu  verschaffen.  Sie  wagte  sogar,  die  englische  am 
28*  März  1528  mit  einem  neuen  Eingangszoll  zu  belegen6). 
E>ic  Verarbeitung  der  spanischen  Wolle  stiess  freilich  immer 
noch  auf  Schwierigkeiten.  Dieselbe  Hess  sich  nicht  kämmen, 
und  die  niederländischen  Industriellen  hoben  hervor,  dass  die 
Spanier  selbst  die  aus  ihrer  Wolle  hergestellten  Tücher  nicht 
kaufen  wollten6).  Dymock  dagegen  erzählt,  dass  die  Nieder- 
länder durch  Mischung  der  einheimischen  Wolle  mit  der  spani- 
sches sogar  ganz  werthvolle  Tücher7)  herzustellen  verstanden. 
Aus  all  seinen  Aeusserungen  geht  hervor,  dass  er  die  Lage 
sehr  ernst  auffasste8)  und  bei  längerer  Stockung  sehr  um  die 
Zukunft  der  englischen  Tuchindustrie  besorgt  war. 

Das  war  ein  Moment,  das  für  sich  allein  stark  genug  sein 
mochte,  einen  selbst  so  wenig  zaghaften  Mann,  wie  Wolsey  es 
war.  zu  erschüttern ;  genügte  es  aber  nicht,  so  war  die  Unter- 
stützung, die  er  bei  den  fremden  Kaufleuten  fand,  so  gering 

')  Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique.  V.  8. 289.  Sieh  auch 
unten  Äbschn.  II.  Cap.  4. 

I  Dies  sieht  man  unter  Anderm  daraus,  dass,  wenn  spanische,  nach 
Flandern  gehende  Schiffe  von  Engländern  weggenommen  wurden,  unter  den 
Waarätt  häufig  Wolle  genannt  wird.  Rymer  XI.  S.  671;  Brewer, 
C*L  I  3814.  Um  1560  wurden  nach  Guicciardiiii  25000  Sack  spanischer 
Wolk<  importirt.  Ihr  Werth  betrug  625000  Goldthaler,  der  der  eng- 
lischen 250  000. 

n  Sieh  Bd.  II.  S.  15. 

*)  „They  (the  staplere)  say  also,  that  Spanysh  wolle  is  so  encresid  to 
frnftfl  goodness  and  so  great  plenty,  that  withowt  they  holp  to  seil  our 
ßnplish  wolle,  elles  non  other  reame  shuld  have  nede  to  bye  lt  in  England. 
And  further  tney  say  and  hold  an  opynvon,  that  by  carieng  certayn  shepe 
out  ol  England  into  Spiyn  bv  kvng  Edwardes  dayes,  that  by  the  bodyes 
<>i  Ihr  shepe  then  robbid  England,  of  our  speciall  gift  of  fynes  and  goodnes 
of  mir  staple  wolle."  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.  S.  24. 
)  Plac.  de  Flandre  I.  S.  593. 

*j  Henne  a.  a.  0.  V.  S.  290. 

'}  —  »qu*  vault  bien  Thuyt  soulz  laune  de  notre  monoye  sans  y  metre 
nulle  Uyne  d'Engleterre."    State  Pap  er  s  VII.  S.  4. 

*)  „Vostre  grace  set  bien,  che  vous  draps  ne  peullent  vydier  hors  de 
iroetn?  pays,  vous  gens  de  mestyer  en  seront  destruys.u    a.  a.  0. 


—    69    — 

und  die  Abneigung  der  eigenen  Landsleute  so  gross,  dass  un- 
möglich sein  Plan  Leben  gewinnen  konnte.  Die  ersteren 
wollten  natürlich  nicht  die  Privilegien  in  Antwerpen  und  an- 
deren Orten,  die  gesammten  Handelsbeziehungen  mit  dem 
Centrum  des  europäischen  Handels  aufs  Spiel  setzen,  um  in 
Calais  eine  Gabe  einzutauschen,  auf  deren  Dauer  man  nicht 
bauen  konnte.  Die  englischen  Kaufleute  konnten  aber  des 
Verkehrs  mit  den  Fremden  nicht  entbehren  und  sahen  zudem 
ihre  vitalsten  Interessen  durch  Zerreissung  des  Bandes,  das 
sie  nun  seit  Jahrhunderten  mit  den  Niederlanden  verbunden, 
verletzt x). 

Das  Entscheidende  aber  war,  dass  die  Volksstimme  gegen 
den  Abbruch  der  Freundschaft  mit  den  Niederlanden  war.  Als 
am  22.  Januar  1528  die  englische  Regierung  den  Krieg  gegen 
Karl  V.  erklärte *) ,  ging  ein  Aufschrei  durch  das  ganze  Land. 
Nie  war  ein  Krieg  unpopulärer;   er  wurde  geführt  von  den 


*)  Die  Engländer  willfahrten  nur  scheinbar  dem  Wunsche  Wolseys; 
sie  brachten  zwar  ihre  Tücher  nach  Calais,  wo  Freunde  sie  zum  Schein 
kauften,  verschifften  sie  aber  dann  nach  Antwerpen.  Wenn  deshalb  Wol- 
sey  am  18.  Juli  seinem  Herrn  von  Calais  aus  schreibt,  dass  schon  Schiffe 
mit  Tuch  in  Calais  angekommen  seien ,  und  damit  das  Gelingen  des  Projects 
andeuten  wollte,  so  war  das  eine  Täuschung.  (State  Pap  er  8  I.  218. 
Brewer,  Cal.  IV.  3279).  Hall  macht  in  seinem  Chronicle  8.  724  u.  729 
folgende  Angaben  über  aas  Project:  „When  it  was  knowen,  that  warr  was 
like  to  be  betwene  the  Emperour  and  the  kyng  of  England,  the  commons 
of  England  sore  lamentyd  the  chaunce ;  for  all  marchandise  were  restrayned 
to  passe  into  any  of  themperours  dominions  and  the  marchauntes  wer 
desired  by  the  Cardinal  to  kepe  ther  martes  at  Calais,  to  the  which  in  no 
wise  thei  would  assent.  —  The  Cardinal  imagined  al  the  wayes  and  meanes 
possible,  how  to  hurte  and  dommage  th emperour;  and  therfore  he  sent  for 
thenglish  marchauntes,  willing  them  to  kepe  the  marte  at  Caleis,  but  thei 
answered,  that  the  towne  of  Caleis  was  a  towne  of  warre  and  al  marchauntes 
must  have  libertie  at  all  houres  of  the  night  in  the  marte  season,  whiche 
they  could  not  have  at  Caleis:  also  the  haven  is  not  able  to  receive  greate 
hulkes  and  carikes,  that  come  to  a  marte:  but  some  marchauntes,  to  please 
the  cardinal,  brought  their  clothes  to  Calais  and  so  caused  their  frendes 
of  Antwarpe  to  come  to  Calais  and  to  say,  that  thei  had  bought  the  mar- 
chauntes clothes,  and  ther  at  Caleis  paied  the  custome  and  so  carried  them 
to  the  towne  of  Andwarp  at  thenglish  meane  Charge  and  ther  sold  them  to 
the  great  loss  of  thenglish  men.u  Halls  Angabe  wird  bestätigt  durch  D  y  m  o  ck  s 
Brief;  derselbe  sagt:  „quar  ausvtost  quil  sont  dessergiet  a  Callays  vendu 
ou  non,  yl  sont  incontynent  envoiet  en  Anvers,  a  grant  dangier  et  aoumaige 
pour  les  marchans,  et  che  en  le  quontynue  longhemcnt  vous  trovrers  en 
vostre  coustumes  grant  doumaige  pour  Vostre  Grace.  Et  sil  y  a  quelque 
questyon  entre  vous  marchans  lung  contre  lautre  pour  ung  modt  de  Vostre 
Grace  les  metteres  bien  accordt"  State  Papers  VII.  S.  4.  Weitere  Nach- 
richten über  die  Abneigung  der  Engländer  gegen  das  Project  hat  Mendoca  in 
seinen  Briefen  an  den  Kaiser  überliefert.  Vgl. '  die  Briefe  vom  18.  Mai  und 
25.  Mai  1527.    Gayangos,  Cal.  III.  P.  H.  69,  75. 

*)  Dass  derselbe  unvermeidlich  sein  werde,  galt  gegen  Ende  des  Jahres 
1527  als  sicher.  Die  englische  und  französische  Regierung  verlangten  die 
Modification  des  Madrider  Vertrags,  und  es  mag  hervorgehoben  werden,  dass 
unter  Anderem  auch  ganz  besonders  die  Beseitigung  der  vorteilhaften 
Handelsbedingungen,  welche  Spanien  in  dem  genannten  Tractat  Frankreich 


—    70    — 

Cabineten  aus  Gründen,  für  die  der  gemeine  Mann  kein  Ver- 
ständnis hatte,  geschweige  sich  erwärmen  konnte.  Die  zeit- 
weiligen diplomatischen  Erfolge  gingen  an  ihm  eindruckslos 
vorüber,  der  Widerwille  war  so  allgemein,  dass  der  Gesandte 
des  eigenen  politischen  Freundes  seiner  Regierung  schreiben 
musste:  „Seien  Sie  versichert,  er  (Wolsey)  spielt  ein  schreck- 
liches Spiel,  ich  glaube,  er  ist  der  einzige  Engländer,  der 
einen  Krieg  mit  Flandern  wünscht"  1). 

Man  braucht  in  der  That  nur  einen  Blick  in  die  inneren 
Verhältnisse  Englands  dieser  Zeit  zu  thun,  um  die  allgemeine 
Opposition  zu  verstehen.  Der  kurz  vorhergegangene  Krieg 
mit  Frankreich  hatte  das  Volk  sehr  erschöpft,  er  war  von 
geringen  materiellen  Gewinnen  begleitet  und  auch  wenig 
ruhmreich  für  die  englischen  Waffen2).  Eine  neue  Erhebung 
von  Abgaben  war  einer  Erpressung  gleich,  die  vorweg  als  un- 
erträglich erschien.  Das  Jahr  1527  war  eine  Missernte,  deren 
Folgen  in  um  so  trauriger  Gestalt  sich  offenbaren  mussten,  als 
die  vorangegangenen  Jahre  nichts  weniger  als  gesegnete  und 
auch  noch  gleichzeitig  von  stark  verheerenden  beuchen  unter 
den  Schaf heerden  begleitet  waren,  so  dass  der  Fleischpreis 
auf  das  Dreifache  des  gewöhnlichen  stieg3).  Die  bereits 
längere  Zeit  vor  sich  gehende  Umwälzung  des  Agrarsystem 4) 
hatte  ohnehin  viele  Familien  brodlos  gemacht  oder  doch  sehr 


abgerungen  hatte,  verlangt  wurde.  (Vgl.  Anderson,  Annalen  des  englischen 
Handels.  D.  A.  III.  S.  527).  Der  Kaiser  weigerte  sieb,  diesem  Verlangen 
Rechnung  zu  tragen.  In  Folge  dessen  verfolgten  sieb  gegenseitig  bereits 
um  diese  Zeit  spanische  und  französische  Schiffe,  namentlich  auch  in  eng- 
lischen Häfen;  man  ergriff  Massregeln,  um  den  Kaufleuten  den  Abzug  zu 
ermöglichen,  und  die  in  Spanien  weilenden  Engländer  mietheten  sogar  bis- 
caysche  Schiffe,  um  noch  rasch  all  ihre  Habe  und  Waaren  nach  England 
zu  bringen.  Vgl.  Brewer,  Cal.  IV.  3556,  3620,  3621,  3782;*  ferner  3648, 
3844,  3956. 

2)  Du  Bellay  an  Montmorency  16.  Febr.  1528.  Brewer,  Cal.  IV. 
3930.  Nicht  einmal  unter  den  Mitgliedern  der  Sternkammer  fand  der  Krieg 
Beifall.  Als  Wolsey  daselbst  die  Kriegserklärung  rechtfertigte,  ward  sie 
mit  frostigem  Schweigen  aufgenommen.  „Some  knocked  other  on  the  elbow 
and  said  softly  „he  lieth".  Other  said,  that  the  French  crowns  made  him 
speak  evill  of  the  Emperor".  Hall,  Chronicle  S.744.  Der  Versuch  des  franzö- 
sischen Gesandten,  das  Volk  durch  allerlei  künstliche  Mittel  umzustimmen, 
misslang,  wie  er  selbst  eingesteht  (Brewer,  Cal.  IV.  App.  127).  Auch  die 
Hansen,  welche  doch  am  meisten  bei  einem  Bruch  zwischen  den  Nieder- 
ländern und  Engländern  zu  vortheilen  pflegten,  mochten  die  Partei  der 
Franzosen  nicht  nehmen.    Brewer,  Cal.  IV.    Introd.  S.  194. 

'  2)  1525  sagte  das  Volk,  dass  alle  Summen,  welche  man  bereits  auf 
die  Invasion  ausgegeben,  dem  König  nicht  einen  Fuss  breit  mehr  Land  ge- 
wonnen hätten ,  als  sein  Vater  bereits  besessen ,  und  doch  meinten  sie,  dass 
letzterer  „lacked  no  riches  or  wisdom  to  have  won  that  kingdom,  if  he  had 
thought  it  expedient".    Brewer,  Cal.  IV.  1243. 

")  Sieh  die  „Considerations  as  to  the  dearness  of  all  manner  of  victuals" 
bei  Brewer,  Cal.  IV.  3761. 

4)  Nasse,  Die  mittelalterliche  Feldgemeinschaft  und  die  Einhegungen 
des  16.  Jahrhunderts  in  England.    1869.    S.  55  fg. 


—    71    — 

ins  Gedränge  gebracht.  Zu  Hunderten  waren  allerwftrts  Arme 
zu  treffen,  welche  Brod  suchten J).  Nun  kam  noch  eine  durch 
WoJsey  geschaffene  allgemeine  Arbeitslosigkeit  in  den  eng- 
lischen Manufacturdistricten  hinzu.  Seit  dem  letzten  April 
und  während  der  ganzen  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1527 
hatte  der  Cardinal  den  Verkehr  mit  den  Niederlanden  ge- 
hemmt2), den  Absatz  der  Tücher  fast  vollständig  zu  Grunde 
gerichtet  und  eine  Handelsstockung  und  höchst  bedrohliche 
Erisis  geschaffen s).  Die  Kauf leute  in  London  weigerten  sich, 
ihre  grossen  Tuchvorräthe  noch  weiter  zu  vermehren,  und  als 
die  armen  Landweber  mit  ihren  Geweben  und  Tüchern,  die 
Bauern  mit  ihrer  Wolle  auf  dem  Markt  erschienen,  fanden  sie 
keinen  Käufer  vor;  ohne  Geld  und  Brod,  mit  Kummer  im 
Herzen,  mit  Zorn  und  Groll  in  der  Brust  kehrten  sie  zurück, 
und  mit  einem  Schlag  war  die  Noth  eine  allgemeine.  Die 
grossen  Tucher  entliessen  ihre  Arbeiter,  von  denen  die  Mehr- 
zahl keine  andere  Lösung  vor  sich  sah,  als  grauenvolles  Elend 
und  sichern  Tod. 

Wohl  suchte  der  Cardinal  die  Krisis  mit  seinem  mächtigen 
Wort  zu  beschwören;  mit  Entziehung  der  städtischen  Frei- 
heiten, Monopolisirung  des  ganzen  Tuchhandels4),  selbst  mit 
dem  Tower6)  drohte  er  den  Kaufleuten  in  London,  wenn  sie 
sich  noch  ferner  weigerten,  die  Tücher  der  Weber  in  Black- 
wellhall und  Leadenhall  abzunehmen.  Er  selbst  streckte  wohl 
Geld  zum  Ankauf  vor6),  aber  Alles  war  vergeblich7).    Immer 


*)  Vgl.  auch  das  unten  im  Abschn.  II.  über  die  Getreidehandelspolitik 
Gesagte,  sowie  Brewer,  Cal.  IV.  4012 

*)  Heinrich  VIII.  und  Franz  I.  hatten  nämlich  in  ihrem  Allianzvertrag 
versprochen ,  jeden  Handel  mit  dem  Feinde  zu  unterlassen.  Hall,  Chro- 
nica S.  745. 

*)  Unsere  Zollregister  über  den  Tuchexport  lassen  freilich  keine  be- 
deutende Aenderung  ersehen,  dies  liegt  aber  daran,  dass  durch  die  Rech- 
nung von  October  zu  October  das  wahre  Verhältniss  verwischt  wird. 

4)Hall,  Chronicle  S.  746. 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  3930.    16.  Februar  1528. 

e)  Brewer,  Cal.  IV.  App.  158.  Der  Fall,  dass  die  Regierung  in 
Krisen  auf  diese  Weise  helfend  eingriff,  war  nicht  ungewöhnlich.  1535  z.  B. 
verlangte  der  Aldermann  Sir  John  Aleyn  in  einem  nach  vielen  Richtungen 
hin  merkwürdigen  Brief  an  Cromwell,  dass  der  König  ein  Darlehen  von 
10  000  £  zum  Ankauf  von  Tuch  gebe,  dessen  Gesammtwerth  auf  der  Lon- 
doner Messe  sich  auf  ca.  20  000  j£  belaufe.  Die  kgl.  Casse  musste  somit 
damals  fungiren,  wie  heutzutage  eine  grosse  Notenbank.  State  Pap  er  s 
I.  S.  443. 

*)  Vierzig  Suffolker  Tucher  hatten  sich  im  März  vom  Herzog  von 
Norfolk  überreden  lassen,  die  von  ihnen  bereits  entlassenen  Weber  wieder 
in  Arbeit  zu  nehmen.  Allein  schon  am  4.  Mai  erklärten  sie,  unmöglich 
weiter  arbeiten  lassen  zu  können,  da  in  London  absolut  Niemand  Tuch 
kaufen  wolle,  auch  kein  Oel  mehr  aus  Spanien  zu  erhalten  sei.  (Norfolk 
an  Wolsey.  9.  März  und  4.  Mai.  Brewer,  Cal.  IV.  4044  und  4239; 
Hall,  Chronicle  S.  746).  Die  Colchester  Tucher  klagten,  dass  Niemand 
Tuch  nehmen  wolle ,  selbst  wenn  man  es  zum  halben  Kostenpreis  abgebe. 


—    72    — 

stärker  wuchs  die  Noth  und  Abneigung  gegen  den  Krieg1). 
Männer  von  einiger  Bildung  liehen  ihre  Stimmen  dem  Volk  *), 
und  der  Ausbruch  einer  allgemeinen  Revolution  stand  bevor3). 
Da  wagte  Wolsey  nicht  länger  mehr  im  Gegensatz  zum 
Willen  des  ganzen  Volkes  zu  handeln.  Noch  im  Februar  liess 
er  bei  Margaretha  anfragen,  ob  sie  nicht  geneigt  sei,  den 
Handel  als  neutral  zu  betrachten  und  somit  auch  während 
des  Krieges  ihn  zwischen  den  Niederlanden  und  England 
zu  gestatten.  Die  Regentin,  immer  auf  das  Wohl  ihrer 
Unterthanen  bedacht,  ging  sofort  auf  das  Anerbieten  ein4), 
stimmte   auch    trotz    des    Widerspruches    ihrer    sämmtlichen 


Sie  hätten  nicht  Geld  genug,  um  nur  die  Spinner  auf  dem  Lande  zu  zahlen. 
Die  Kaufleute  wollten  es  auf  eine  Revolution  ankommen  lassen.  (Der  Graf 
Heinrich  von  Essex  an  Wolsey.  2.  und  5.  April.  Brewer,  Cal.  IV. 
1129,  AI  45).  In  „Ledds"  glückte  es  Henry  Guildeford  nur  unter  dem  Auf- 
wand ; lüer  Beredsamkeit,  seine  eigenen  Brüder  zu  überreden,  dass  sie  bis 
zur  Erntezeit  ihre  Leute  fortarbeiten  Hessen.  (Sir  Henry  Guildeford  an 
Wolsev.  17.  Mai  1528.  Brewer,  Cal.  IV.  4276).  Vgl.  auch  Brewer, 
Cal.  IV.  4282. 

a)  Brown,  Cal.  IV.  254. 
*)  Brewer,  Cal.  IV.  4040. 

)  Zu  Vine  in  Hampshire  versammelten  sich  bereits  die  arbeitslosen 
Handwerker,  um  in  Masse  zum  König  zuziehen;  ähnliches  Zusammenrotten 
fand  utich  sonst  in  Hampshire,  Berkshire  und  Wiltshire  Statt,  wurde  aber 
mit  '  iewalt  unterdrückt.  (Lord  Sandys  an  Wolsey.  9.  und  13.  März  1528. 
Breuer,  Cal.  IV.  4043,  4058).  Die  Bewohner  von  Goudhurst  und  Cran- 
book,  einer  blühenden  Colonie  vlämischer  Tuchmacher,  planten  sogar  Wol- 
seys Vernichtung.  (Brewer,  Cal.  IV.  Introd.  S.  364.)  V^L  ferner  die 
Äusserungen  Wolseys  gegenüber  Du  Bellay  über  die  Schwierigkeit,  das 
Volk  in  Unterwürfigkeit  zu  halten.  (Brewer,  Cal.  IV.  App.  158).  Um 
jene  Zeit  entstand  auch  das  bekannte  Gedicht  „An  impeachment  of  Wolsey, u 
worin  er  für  alles  Unheil  verantwortlich  gemacht  wird;  in  den  Strophen 
20  und  27  wird  auf  die  von  ihm  herbeigeführten  wirtschaftlichen  Leiden 
dieser  Tage  hingewiesen: 

By  thfc  owte  of  Servyce  Many  be  constraynyd, 

and  Cow[r]8e  of  merchaundyse  thou  haste  restreyned, 

wherefor  men  syghe  and  sobbe; 
but  and  they  had  as  myche  money  in  störe 
as  men  sey  thou  haste,  they  wold  syghe  noraore 
but  purchesse  A  dyspensacion  to  Kobbe. 

All  pienty  and  sporte  thou  haste  put  dow[n] 
yn  cowrte,  cete,  borow  and  Towne; 
mennys  Corage  ys  gon  yn  dede. 
To  here  of  the  pepyll  the  lamentacion, 
and  Crying  for  vengeance  with  exclamacion 

that  hy  twold  make  A  manse  herte  to  [blede]. 

Furnivail,  Ballads  from  Mscrs.  I.  S.  357. 
«J  Brewer,  Cal.  IV.  3959,  3966.  Als  Iüigo  de  Mendoca  der  Re- 
gen tili  den  Wunsch  Wolseys  in  Betreff  Fortführung  des  Intercursus  mit- 
theüte,  erklärte  sie  in  ganz  verwunderter  und  geschickter  Weise,  sie  habe 
gar  nie  an  seine  Unterbrechung  gedacht.  (Gayangos,  Cal.  HI.  P.  n. 
ä6ü).  Sie  hatte  in  der  That  fast  ängstlich  vermieden,  die  englischen 
Kaufieute  zu  verletzen.  Die  englischen  Schiffe  in  Newport  und  Dünkirchen 
wurden  erst  mit  Beschlag  belegt,  als  die  Engländer  in  solcher  Weise  vor- 
gegangen waren.    (Hall,  Chronicle  S.  744;  Brewer,  Cal.  IV.  3958, 


—    73    — 

Räthe1)  dem  Abschluss  eines  Waffenstillstandes  zu.  Sie  zog 
es  vor,  das  alte  Freundschaftsband  nicht  durch  Ausbeutung 
der  bedenklichen  Lage  des  Gegners  vollständig  zu  zerreissen2). 
Die  eigenen  Unterthanen  hatten  doch  auch  schwer  ge- 
litten. Die  vom  Kaiser  beliebte  Redewendung:  „England  ohne 
Flandern  kann  nicht  leben" 8)  hatte  für  die  Zeit  der  beiden 
ersten  Tudors,  wie  die  obige  Darstellung  zeigt,  allerdings  seine 
Richtigkeit.  Aber  auch  der  in  früherer  Zeit  übliche  Satz: 
„Flandern  ohne  England  kann  nicht  leben tt  behielt  seine  volle 
Gültigkeit  Die  Schilderungen  der  Zeitgenossen  bestätigen, 
dass  auch  in  den  Niederlanden  die  Erisis  eine  acute  war4). 
Am  15.  Juni  1528  kam  der  Waffenstillstand  auf  8  Monate 
zum  Abschluss,  die  mit  Beschlag  genommenen  englischen 
Schiffe  wurden  wieder  freigegeben6)  und  der  Verkehr  ganz 
auf  dem  nämlichen  Fuss  gestattet,  wie  ein  Jahr  vor  Beginn 
des  Krieges.  Die  spanischen  und  italienischen  Besitzungen 
des  Kaisers  waren  nicht  einbegriffen G),  und  schon  daraus  geht 
hervor,  dass  das  commercielle  Verhältniss  zwischen  den  Nieder- 
landen und  England  den  Ausschlag  gegeben  hatte 7).  Natürlich 


4006,  4009,  4011,  4018,  4069,  4147,  4286,  4369).  Die  englischen  Kaufleute 
konnten  auch  gar  nicht  über  üble  Behandlung  klagen  (Brewer,  Cal.  IV. 
3928,  3946),  man  dachte  wohl  an  die  Authebung  der  englischen  Zoll- 
Privilegien,  man  führte  sie  aber  nicht  aus  (Brewer,  Cal.  IV.  3928).  An 
versöhnlichen  Stimmen  fehlte  es  auch  sonst  in  den  Niederlanden  nicht. 
fBrewer,  Cal  IV.  4036,  4071).  Erst  als  Wolsey  die  Feindseligkeiten 
fortsetzte  und  die  versprochene  Neutralität  (Brown,  Cal.  IV.  254)  des 
Handels  nicht  zu  achten  schien,  auch  keine  Anstalten  zu  einem  Waffen- 
stillstand traf,  hatte  Margaretha  am  23.  März  1528  den  Eingangszoll  auf 
Wolle  erhöht  und  gleichzeitig  eine  Flotte  ausgerüstet,  um  sie  an  der  Themse 
erscheinen  zu  lassen. 

*)  Du  Bellay  an  den  Kanzler  am  22.  Juni  1528.  Brewer,  Cal.  IV. 
App.  179.  Auch  Mendoca  hielt  den  Waffenstillstand  für  einen  politischen 
Fehler.    Gayangos,  Cal.  III.  P.  IL  550. 

2)  VgL  auch  Brewer,  Cal.  IV.  4431. 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  4928. 

4)  Hall,  Chronicle  S.746  schildert  die  Lage  der  Niederlande  in  dieser 
Epoche  folgendermassen:  ^If  this  warre  was  displeasaunt  to  many  in  England, 
as  vou  have  hard ,  surely  lt  was  asmuch  or  more  displeasant  to  the  tounes 
and  people  of  Flaunders,  Brabant,  Hollande  and  Zelande  and  in  especiall  to 
the  tounes  Andwarpe  and  Barrow,  where  the  martes  wer  kept  and  where 
the  resorte  of  Englishmen  was ;  for  the  saied,  that  their  martes  were  undoen, 
if  the  Englishmen  came  not  there,  and  if  there  were  no  marte,  their  shippes, 
hoyes  and  waggons  might  rest,  and  all  artificers,  hostes  and  brokers  might 
slepe,  and  so  the  people  should  fal  into  miserie  and  povertie;  of  these 
thynges  daily  complaintes  were  made  to  the  ladv  Margaret  and  thEm- 
perors  counsaill,  wniche  wisely  pondered  the  complaintes,  and,  after  long 
comraltacion  had ,  thei  appoyntea  certain  ambassadors  to  go  to  the  kyng  of 
England  and  associated  themselfes  with  Don  Iiiigo  de  Mendosa,  ambassa- 
doure  there  for  the  Emperor;  the  one  ambassador  was  provost  of  Cassel  and 
the  other,  Master  Jhon  Lay,  sovereigne  of  Flaunders.  # 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  4377. 

•)  Brewer,  Cal.  IV.  4425,  4426  und  Rymer  XIV.  S.  258. 

"')  Brewer,  CaL  IV.  4256,  4280,  4285. 


—    74    — 

war  damit  auch  das  Calais'sche  Project  von  der  Bohne  ver- 
schwunden. Wolsey  hatte  sogar  den  Abschluss  und  die  Publi- 
cation  des  Waffenstillstandes  in  fast  fieberhafter  Weise  be- 
schleunigt, um  nur  den  unzufriedenen  Kaufleuten  noch  Ge- 
legenheit zum  Besuch  des  sogenannten  „Syncbyemarktes"  in 
Antwerpen  zu  geben1),  und  nicht  viel  hätte  gefehlt,  so  hätte 
er  in  Folge  der  Uebereilung  die  Gunst  seines  Herrn  ver- 
scherzt2). Die  Hoffnung  Wolseys  bezüglich  eines  guten  flan- 
drischen Marktes  erfüllte  sich  freilich  nicht.  Der  Krieg,  der 
zwischen  Geldern  und  den  Niederlanden  noch  wüthete,  die 
kurze  Spanne  Zeit,  welche  den  Käufern  in  Folge  des  späten 
Abschlusses  des  Waffenstillstandes  zur  Vorbereitung  für  die 
bevorstehende  Messe  gegönnt  war,  genügten,  eine  matte 
Tendenz  zu  begründen8).  Zinn.  Blei  und  Tuch  blieben  fast 
ganz  unverkauft  Die  darauf  folgenden  Märkte  boten  aber 
reichlichen  Ersatz.  Die  Neujahrsmesse  von  1529  soll  für  die 
Engländer  zu  den  gewinnreichsten  und  glänzendsten  seit  langer 
Zeit  gehört  haben4). 


*)  State  Papers  I.  S.  290;  VII  S.  73. 

*)  Wolsey  hatte  vermnthüch  ohne  Befehl  Heinrichs  VIII.  den  Waffen- 
stillstand 10  Tage  nach  seinem  Abschluss  proclamiren  lassen ;  HeinrichVIU 
fühlte  sich  dadurch  verletzt  und  machte  nun  verschiedene  Ausstellungen 
an  den  Bedingungen;  er  tadelte,  dass  den  englischen  Unterthanen  blos 
Schutz  im  offenen  Meere,  aber  keiner  an  den  von  ihnen  vielbesuchten 
Kasten  der  Bretagne,  Gascogne,  Guienne,  Normandie  und  in  den  spanischen 
Häfen  erwirkt  und  im  Fall  einer  Verletzung  im  offenen  Meere  diesseits  der 
spanischen  Grenze  keine  Entschädigung  zugesichert  worden  sei.  So  hätten 
die  Spanier  einen  grossen  Vortheil,  denn  diese  könnten  ungehindert  nach 
Flandern  kommen,  die  Engländer  aber  nicht  ebenso  nach  Spanien.  Tat- 
sächlich klagten  und  lärmten  auch  die  Kaufleute,  die  nach  Spanien  zu  handeln 
pflegten,  sehr.  (Hall,  Chronicle  S.749.)  Wolsey  und  die  Unterhändler  wussten 
sich  aber  wohl  zu  vertheidigen.  Unter  den  obwaltenden  Umständen  sei  es, 
schreibt  der  Cardinal  seinem  kgl.  Herrn,  ganz  unmöglich  gewesen,  mehr  V or- 
theile zu  erlangen;  er  erinnere  nur  daran,  welche  Muhe  es  ihm  gekostet, 
um  das  Versprechen  für  Freigabe  der  in  Spanien  festgehaltenen  Schiffe  ab- 
zuringen, da  die  Niederländer  keine  Vollmacht  gehabt,  über  Dinge  abzu- 
schliessen,  die  blos  Spanien  beträfen.  Zudem  liege  die  Sache  nicht  einmal 
so  ungünstig.  Die  Spanier  könnten  nur  schwer  ihre  Häfen  verlassen,  da 
englische  und  französische  Schiffe  berechtigt  seien,  dieselben  beim  Verlassen 
anzugreifen,  über  die  Grenzlinie  zurückgekehrt  aber  doch  wieder  straflos 
seien.  Die  Ersatzpflicht  der  Regentin  bei  Angriffen  im  offenen  Meere  dies- 
seits der  spanischen  Grenze,  verstehe  sich  von  selbst.  Tuke  hält  es  im 
Uebrigen  sogar  für  nutzbringend,  wenn  die  Spanier  nach  den  Niederlanden 
kämen;  denn  den  Engländern  sei  dadurch  die  Möglichkeit  gegeben,  das 
der  Weberei  nötbige  spanische  Oel  sich  zu  verschaffen  und  die  englischen 
Tücher  an  den  Mann  zu  bringen.    Brewer,  Cal.  IV.  4389,  4404. 

*)  John  Stile  hatte  in  Voraussicht  der  drückenden  Stimmung  ge- 
wünscht, die  Kaufleute  sollten  gar  nicht  absegeln,  seine  Warnung  war  aber 
zu  spät  eingetroffen.  Bei  der  Ankunft  der  englischen  Kaufleute  in  Ant- 
werpen eröffnete  er  ihnen  im  Auftrage  Wolseys,  sie  möchten  die  Allerheiligen- 
messe in  Bergen  besuchen,  wo  ihnen  die  freundlichste  Aufnahme  schon 
lange  zugesichert  war.    Brewer,  Cal.  IV.  4432  und  4638. 

*)  Sir  Robert  Wingfield  an  Brian  Tuke.  14.  Januar  1529.  Brewer, 
Cal.  IV.  5171. 


—    75    - 

So  schien  denn  endlich  der  Handel  wieder  in  seine  nor- 
male Bahn  zurückgekehrt  zu  sein.  Aber  der  Zustand  war 
nur  ein  provisorischer;  Niemand  wusste  noch,  ob  nicht  der 
Ablauf  des  Waffenstillstandes  die  kaum  geheilten  Wunden 
wieder  aufreissen  und  noch  schmerzlichere  Leiden  bringen 
werde;  war  ja  schon  der  Waffenstillstand  schwer  aufrecht  zu 
erhalten1).  Neue  Complicationen  tauchten  auf.  Heinrich  VHI. 
trag  sich  mit  dem  Gedanken,  seine  Gattin,  des  Kaisers  Tante  zu 
Verstössen,  und  gleichzeitig  hatte  Wolsey  ein  Gesetz  im  Par- 
lament gegen  die  fremden  Gewerbsleute  eingebracht  und  be- 
stätigt erhalten  *),  durch  das  bei  aller  Mässigung,  die  dasselbe 
verrieth,  die  am  meisten  betheiligten  Flamänder  verletzt  werden 
mussten*).  Aber  die  politische  Situation  Hess  den  Hass  der 
endischen  Regierung  gegen  Karl  V.  bald  zurücktreten. 

Franz  I.  war  vom  Krieg  erschöpft  und  begann  mit  Karl  V. 
wegen  eines  Friedens  zu  unterhandeln.  Wollte  Heinrich  VHI. 
nicht  mit  beiden  verfeindet  sein,  so  musste  auch  er  den  Con- 
gress  von  Cambrai  beschicken,  und  das  geschah.  Die  Com- 
missäre  sind  uns  alle  bereits  bekannt:  Tunstal,  Knight,  Thom. 
More  und  Hackett  hatten  die  englischen  Interessen  zu  ver- 
treten4). Natürlich  kam  auch  der  Intercursus  zur  Sprache. 
Lief  doch  1531  wieder  ein  Quinquennium  ab.  Wurde  die 
jetzt  sich  darbietende  Gelegenheit  nicht  benutzt,  um  das  un- 
bequeme Provisorium  zu  vernichten,  so  musste  man  auf  weitere 
fünf  Jahre  sich  vertrösten. 

Entsprechend  war  die  Politik  der  Niederländer.  Sie 
stellten  vorweg  die  Behauptung  auf,  der  Intercursus  sei  durch 
die  englische  Kriegserklärung  verwirkt,  und  von  seiner 
Erneuerung  könne  deshalb  keine  Rede  sein.  Sie  hätten 
auch  gar  keine  Vollmacht,  einen  Handelsvertrag  zu  schliessen. 
Man  müsse  sich  also  vorläufig  mit  Abschliessung  des  Freund- 
schaftstractats  bescheiden  und  die  Neuregelung  der  Handels- 
verhältnisse erst  später  in  Angriff  nehmen. 

Die  englischen  Unterhändler  bestritten  die  Richtigkeit  der 
niederländischen. Auffassung  und  Hessen  sich  um  keinen  Preis 
in  die  von  den  Niederländern  ihnen  zugedachte  ungünstige 
Position  drängen,  auch  ein  Compromiss  wiesen  sie  entschieden 
zurück.  Die  Freundschaft  und  der  Verkehr  müssten  als  Ganzes 
behandelt  werden.  Ein  wahrer  Friede  sei  undenkbar,  wenn 
die  Völker  nach  dem  Abschluss  desselben  nicht  wüssten,  wie 
sie  mit  einander  verkehren  sollten.  Könnten  sie  einwilligen, 
wenn  man  die  Specialfragen  den  Gerichten  überweisen  wolle, 


J)  Brewer,  Cal.  IV.  4579,  5000,  5016,  5017,  5134. 
*)  21  Henry  VIII.  c.  16. 

*)  Ueber  die  Bedeutung  dieser  Acte  sieh  den  Abschnitt  II,  Cap.  3. 
*)  Die  Commissäre  erhielten  ihre  Vollmacht  am  30.  Juni.    Brewer. 
Cal.  IV.  5744. 


•  —    76    — 

so  müssten  sie  doch  an  der  Erneuerung  des  Intercursus  in 
seiner  früheren  Form  als  einer  Conditio  sine  qua  non  für  die 
Fortführung  weiterer  Unterhandlungen  festhalten1). 

Die  Engländer  brachen  in  der  That,  als  die  Gegenpartei 
auf  ihrem  Standpunkte  beharrte,  die  Verhandlungen  ab  *).  Da 
erwies  sich  die  Freundschaft  mit  Frankreich  doch  auch  einmal 
nützlich  für  England.  Franz  I.  weigerte  sich,  seinerseits  noch 
weiter  zu  unterhandeln ,  wenn  nicht  der  Kaiser  erst  mit  Eng- 
land sich  aussöhne.  Derselbe  war  dadurch  genöthigt,  auf  die 
englischen  Wünsche  einzugehen,  und  der  Intercursus  musste 
in  seiner  alten  Form  wieder  erneuert  werden3).  Wie  regel- 
mässig, wurden  auch  hier  in  den  Vertrag  die  allgemeinen  Be- 
stimmungen über  den  freien  gegenseitigen  Verkehr,  das  Ver- 
bot der  Repressalienbriefe  eingefühlt,  ausserdem  aber  aus- 
drücklich bestimmt,  dass  der  Vertrag  vom  11.  April  1520 
gerade  so  in  Kraft  bleibe,  als  wenn  gar  kein  Krieg  gewesen4). 
Das  Provisorium  mit  der  den  Engländern  günstigen  Bestim- 
mung der  selbstthätig  erfolgenden  Verlängerung  von  5  zu 
5  Jahren  war  somit  wieder  gerettet. 

3.  Periode.    (1530—1540). 

Die  10jährige  Epoche,  die  wir  soeben  verlassen  haben, 
hatte  glänzend  begonnen.  Freiheiten  und  Rechte  hatte  man 
den  Engländern  zugetheilt,  wie  sie  sich  solche  nur  wünschen 
mochten;  herzlicher  und  freundlicher  hatten  die  beiden 
Nachbarvölker  schon  lange  nicht  mehr  verkehrt;  eine  seltene 
Handelsblüthe  wurde  erwartet,  und  wie  rasch  lag  Alles 
vernichtet  da!  Statt  10  Jahre  des  höchsten  Aufschwungs 
waren  nur  Jahre  des  Leidens  gefolgt.  Der  Verkehr  Englands 
erhielt  in  dieser  Epoche  durch  die  Politik  zu  den  Niederlanden 
schwere  Schläge;  die  Zolleinnahmen  zeigen  eine  entschieden 
fallende  Tendenz 5),  und  es  war  fraglich,  ob  es  gelingen  würde, 
die  Wunden  wieder  in  Kurzem  zu  heilen,  da  auch  der  ganze 
innere  Bau  Englands  'in  allen  seinen  Grundvesten  erschüttert 


*)  Brewer,  Cal.  IV.  5822. 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  5824. 

8)  Brewer,  Cal  IV.  5830. 

*)  Friedens-  und  Freundschafts-Vertrag  zwischen  Karl  V.  und  Hein- 
rich VIII.  Cambrai,  5.  Aug.  1529.  Art  12:  Item  pro  communi  bono 
hujusmodi  pacis,  ligae  et  amicitiae,  et  ut  subditi  utriusque  principuin  prae- 
dictorum  mutuis  commerciis  assuetis  se  in  dies  magis  complectantur ,  con- 
ventum,  concordatum  et  conclusum  est,  quod  circa  intercursum  mercium  et 
mutuum  commercium,  quo  invicem  uti  consueverunt,  tractatus  intercursus 
de  data  diei  undecimi  Aprilis  anno  domini  millesimo  quingentesimo  vigesimo 
sit  et  maneat  et  eodem  statu,  quo  erat  ante  insumationem  belli,  et  perinde 
valeat,  ac  si  bellum  non  fuisset  indictum.  Dumont,  Corps  diplomatique 
du  droit  des  gens.  1726     Vol.  IV.  P.  II.  S.  44. 

*)  Sieh  Bd.  II.    S.  12,  58. 


-     77     - 

wurde.  Seit  1530  war  das  Staatsruder  in  die  Hände  eines 
nüchternen  und  unerschrockenen  Mannes  übergegangen,  der,  was 
ihm  an  Wolsey'scher  Feinheit  und  diplomatischer  Kunst  abgehen 
mochte,  durch  eine  reichlichere  wirtschaftliche  Erfahrung 
und  Bildung,  im  Allgemeinen  selbst  grössere  Gewandtheit  und 
sicher  tiefere  Menschenkenntniss  ersetzte.  Fortan  leitete  die 
commerciellen  Verhandlungen  Thomas  Cromwell,  der  einst 
selbst  in  Aptwerpen  und  Middelburg  gehandelt  und  noch 
immer  den  Handelsspeculationen  nicht  ferne  stand  J),  mit  allen 
guten  und  schlechten  Seiten  der  Kaufmannswelt  vertraut  war 
und  jedenfalls  die  commerciellen  Verhältnisse  der  Niederlande 
kannte,  wie  der  beste  im  Königreich. 

Die  Aufgabe  war  ziemlich  klar  vorgezeichnet.  Die  Ver- 
tragsverhältnisse waren  für  England  sehr  günstige  und  konnten 
vorläufig  den  Bedürfhissen  der  Engländer  genügen.  Cromwell 
brauchte  sich  nur  fest  zu  wappnen  gegen  die  Niederländer, 
falls  sie  versuchen  sollten,  diese  umzustürzen,  immerhin  eine 
schwere  Aufgabe  bei  der  wachsenden  Entfremdung  des  kaiser- 
lichen und  englischen  Cabinets2).  Thatsache  war,  dass  die 
schutzzöllnerischen  Kreise  und  alle  diejenigen,  die  diesem  eng- 
lischen Tractat  gram  waren,  neuerdings  ihre  Kräfte  sammelten. 
Die  schon  lange  andauernde  Krisis  der  niederländischen  Tuch- 
mdustrie  hatte  seit  1506  einen  immer  acuteren  Charakter  an- 
genommen, die  Regierung  selbst  trug  in  unvernünftiger  Weise 
noch  zur  Verschärfung  bei,  indem  sie  die  englische  Wolle  zu 
einem  ergiebigen  Steuerobject  zu  machen  suchte3).  Die  re- 
actionären  Stimmen  wurden  unter  solchen  Verhältnissen  mäch- 
tiger als  je*  Gegen  Ende  des  Jahres  1531  waren  sie  sogar 
in  der  Provinz  Holland  so  weit  zur  Geltung  gekommen,  dass 
man  dort  die  englischen  Tücher  verbannte4);  man  verbot 
nämlich  das  Ausschneiden  oder  den  Ellenverkauf  vom  eng- 
lischen Tuch,  was  thatsächlich  einer  Verpönung  gleichkam5). 

')ürk.  Beil.  28,  29. 

*)  Die  Worte  Vaughans,  die  er  am  30.  December  1531  an  Cromwell 
von  Antwerpen  schrieb,  können  verallgemeinert  als  Stimmungsbild  gelten: 
It  is  good  [to]  loke  well  aboute  and  to  be  furnysshed  and  armed  ageinst 
all  stormfes],  and  that  thinges  wandering  out  of  theyr  due  course  maye  in 
tyme  b[e]  reduced  and  brought  by  discrete  counsaylles  to  their  first  State 
and  condjition].  I  perceyve  thinges  to  be  shrewdly  ment  against  us  in  these 
parties.  God  turn  all  to  good.  Urk.  Beil.  26.  Vaughan  scheint  ein  ge- 
heimer Agent  Cromwells  gewesen  zu  sein,  der  nicht  nur  sein  Geschäft  be- 
trieb, sondern  auch  ein  ausserordentlich  umsichtiger  und  zuverlässiger  Be- 
richterstatter war.  Sein  Verhältniss  zu  Cromwell  war  sehr  vertraulicher 
Art,  letzterer  bediente  sich  desselben  bei  eigenen  Speculationen  und  hörte 
gerne  auf  den  Rath  dieses  Freundes.    Brewer,  Cal.  IV.  6754. 

3)  Ordonnanz  vom  24. März  1528.  Placcaerden  van  Vlanderen  I. 
S.  592.  Die  betreffende  Verordnung  wurde  von  Neuem  am  13.  April  1529 
eingeschärft.  Placcaerden  ordonnantien  ende  brieven  1521—58 
im  Genter  Staatsarchiv. 

4)  Urk.  Beil.  26  u.  27. 
fi)ürk.  BeiL  27. 


—    78    — 

Dass  man  in  den  westlicheren  Städten  und  Landestheilen 
schon  länger  in  ähnlicher  Weise  oder  noch  schärfer  vor- 
gegangen war,  dürfte  vermuthet  werden1).  Auch  erhob  man 
wieder  den  Houndzoll*).  Zwei  grobe  Vertragsverletzungen 
lafren  somit  vor.  Man  kann  sich  kaum  der  Ueberzeugung  er- 
wehren, dass  die  kaiserliche  Regierung  mit  diesem  Vertrags- 
bruch im  Stillen  einverstanden  war,  um  die  englische  Regierung 
lichter  und  sicherer  zu  neuen  Verhandlungen  zu*  bestimmen. 
Seit  1529  bemühten  sich  die  Niederländer  vergeblich,  die  Zu- 
stimmung Englands  zu  einer  Tagfahrt  zu  gewinnen.  Auch 
jetzt  zeigte  sich  die  englische  Regierung  wenig  entgegenkom- 
mend, als  die  beiden  Abgesandten  E.  Chapuys  und  J.  de  le 
Siiuch  im  Auftrag  der  Königin  Maria3)  die  Beschickung  eines 
Congresses  betrieben.  Die  englischen  Minister,  sowie  der 
König  wollten  keineswegs  die  Notwendigkeit  eines  solchen 
einsehen4);  einzelnen  Beschwerden  liesse  sich,  meinten  sie, 
auch  ohne  Congress  abhelfen.  Es  kostete  grosse  Anstrengung, 
bis  die  englische  Regierung,  die  sah,  was  man  auf  der  Tag- 
fahrt beabsichtigte,  den  Wünschen  der  Niederländer  willfahrte. 
Man  vereinbarte  eine  Conferenz  für  den  1.  März  1533»;  die- 
selbe sollte  in  Bourbourg  oder  Calais  stattfinden. 

Wohl  selten  rüsteten  sich  die  beiden  Gegner  zum 
commerciell -politischen  Kampf  mit  grösserer  Sorgfalt,  als  es 
diesmal  geschah.  Karl  V.  Hess  eine  Enquete  über  die 
Handelslage  im  Allgemeinen  und  die  Beschwerden  der  Bra- 
banter,  Holländer  und  Flandrer  gegen  die  Engländer  und 
ihre  Privilegien,  sowie  die  Behandlung  in  England  im  Beson- 
deren in  Scene  setzen;  es  war  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
rlie  Niederländer  ihrer  Regierung  eine  Masse  Materialien 
suppeditiren  würden5).    Die  Ernennung  zweier Flamänder,  des 


*)  Es  scheint,  dass  Heinrich  VIII.  als  wenig  vernünftige  Repressalie 
^■milchst  eine  Acte  beabsichtigte,  kraft  welcher  die  Kersies,  welche  nach 
ihm  Niederlanden  gebracht  wurden,  durchweg  Fremdenzölle  tragen  sollten. 
Ks  blieb  aber  offenbar  bei  dem  Befehl,  eine  Bill  hierüber  zu  fertigen 
State  Papers  I.  S.  381.  (Oct.  1581.) 

a)  Nämlich  „12  pence  of  a  fardell"  Hall,  Chronicle  S. 786. (23 Henr.VIÜ.i 
,  8)  Instruction  v.  31.  Oct.  1531.  Staatsarchiv  in  Brüssel.  Papiers 
.rfttat.  Vol.  betitelt  N^gociations  d'Angleterre  fo.  30-Slb. 

*)  „Le  roy  leur  maistre  et  eulx  se  donnoyent  grant  merveilles  dont  ceste 
poursuite  poore  proceder  allegans  pluseurs  raisons  a  leur  intencion  et 
ans  a  fin  nous  donner  a  entendre ,  quil  nestoit  nullement  besoing  de 
\^nir  a  tenir  auleune  journee  sur  ceste  affaire.*  Als  Chapuys  und  le  Sauch 
<  1  miuf  hinwiesen ,  dass  keine  Keciprocität  bestehe,  indem  die  Englander  in 
d»jn  Niederlanden  günstiger  behandelt  würden,  als  die  niederländischen 
Kaufleute  selbst,  so  fand  auch  das  der  König  canz  natürlich  „car  les  pavs 
de  pardela  ne  peuvent  sans  les  commoditez  de  mon  royaulmea.  Bericht 
der  beiden  niederländischen  Abgesandten  an  den  Kaiser  über  ihre  Bemüh- 
ungen in  England,  um  den  Congress  zu  sichern.    A.  a.  0.  fo.  33—47. 

5)  „It  is  to  be  thought,  that  they  will  come  stuffed  withe  matter  agenst 
ua*  Vaughan  an  Cromwell  26.  Februar  1532.  Urk.  Beil.  29.  Vgl.  auch 
Urk.  Beil.  28  und  30. 


—     79    — 

Provosten  von  Cassel  und  des  Präsidenten  von  Flandern, 
Pierre  de  Capell *),  zu  Unterhändlern  bekundete  offen,  dass  die 
Politik  eine  protectionistische  sein  sollte2).  Vaughan  kann 
Cromwell  gar  nicht  genug  Vorsicht  empfehlen  und  nicht  genug 
mahnen,  die  besten  Vertreter8)  zu  ernennen.  Die  Wahl  fiel 
auf  Dr.  Knight,  John  Hackett,  Dr.  Tregonwell,  denen  noch 
einige  Geschäftsleute  beigesellt  wurden.  Was  man  für  dieCon- 
ferenz  gefürchtet  hatte,  trat  ein.  Gleich  beim  ersten  Zu- 
sammentreffen der  Unterhändler  kam  der  verschiedene  Stand- 
punkt der  beiden  Regierungen  zu  Tage.  Die  gegenseitigen 
Vollmachten  waren  ganz  abweichender  Natur.  Während  der 
Auftrag  der  Engländer  dahin  lautete,  in  Betreff  der  Ver- 
letzungen, die  gegen  die  Verträge  vorgekommen,  sowie  hin- 
sichtlich der  wirklich  erweisbaren  Beraubungen,  welche  Eng- 
länder an  Niederländern  verübt  hatten,  Endgültiges  zu  be- 
schließen, war  nichts  von  alldem  in  der  Vollmacht  der 
kaiserlichen  Gesandten  zu  finden.  In  derselben  war  vielmehr 
erzählt,  dass  seinerzeit  zwischen  dem  König  von  England  und 
dem  Kaiser  Karl  V.  Handelsverträge  geschlossen  worden  seien, 
welche  zum  Theil  missbraucht  worden,  und  unbeachtet  ge- 
blieben, zum  Theil  positiv  schädliche,  dem  allgemeinen  Wohle 
nachtheilige  Bestimmungen  enthielten,  so  dass  die  niederländi- 
schen Unterthanen  zusehends  verarmten.  Dieser  Zustand  könne 
nicht  mehr  länger  geduldet  und  ertragen  werden,  und  die 
einzige  Aufgabe  des  Congresses  sei  deshalb,  einen  neuen  Ver- 
kehrsvertrag zu  verhandeln  und  abzuschliessen.  Wie  sich  die 
Niederländer  diesen  ungefähr  dachten,  darüber  sind  wir  durch 
die  Instruction  der  kaiserlichen  Commissäre  und  andere  Acten- 
stücke  unterrichtet4).    Gleichheit  in  den  Zöllen  mit  den  Eng- 


*)  Ausserdem  wird  noch  La  Sac  als  Secretär  genannt. 

*)  „They  wyll  strongly  contende  and  to  theyr  uttermost  labour  to  lett 
the  trafnque  of  the  Kynges  marchauntes  in  these  parties  for  thadvaunce- 
ment  of  the  drapery  of  Flandres.*4  St.  Vaughan  an  Cromwell,  20.  Febr.  1532. 
ürk.  Beil.  28. 

")  „The  polytikist  felows  in  all  this  londe  shfal]  be  deputed  here 
agen8t  them.  (Urk.  Beil.  27).  It  were  therfore  good,  that  yow  counsaylled 
the  King?[s  maiestie]  to  depute  wyse  discrete  and  men  of  gre[at]  lernyng. 
I  promyse  yow  thimportance  of  the  matter.  (Urk. Beil.  30).  The  Kynges 


i  promyse  yow  tmmportance  oi  tne  matter.  (Urk.  u eil.  öv).  ine  Jvynges 
magestie  for  his  pafrty]  be  there  counsaylled  to  depute  such  honourable 
sage  gravous  and  efxtpert  personages,  as  arn  in  all  pointes  meate  and 
expedyent  fo  the  8am[e]  purp  ose;  for  1  suppose  veryly,  there  will  rise 
bitwene  them  matters  of  great  weight,  whiche  wolde  be  treated  reasoned 
and  debated  by  men  of  g[reat]  wisdome  and  lernyng.  And  by  such  men, 
if  it  wer  possible ,  as  hereto  have  had  intelligent  in  semblable  treaties  of 
intercourses."  (Urk.  Beil.  29).  St  Vaughan  bespricht  in  seinen  Briefen 
auch  die  Persönlichkeiten,  die  der  harrenden  Aufgabe  gewachsen  wären. 

*)  Urk.  Beil.  32,  auf  die  ich  überhaupt  zur  näheren  Infonnirung 
über  den  niederländischen  Standpunkt  im  Einzelnen  verweise:  ferner  vgl. 
ürk.  Beil.  80,  33,  34. 


—    80     - 

landein  oder  wenigstens  in  Bezug  auf  das  Tonnengeld  mit 
den  Hansen  in  England;  Vermehrung  der  kaiserlichen  Zölle; 
Herabsetzung  des  Preises  und  der  Auflagen  bei  der  englischen 
Wolle,  dagegen  Erhöhung  der  Zölle  auf  englisches  Tuch  in 
England  oder  in  den  Niederlanden  waren  die  Hauptforderungen. 
Dagegen  sollte  es  den  niederländischen  Städten  unbenommen 
bleiben,  die  englischen  Tücher  zu  verbieten.  Bei  solcher  Sach- 
lage war  natürlich  an  ein  Uebereinkommen  nicht  zu  denken. 
In  der  Debatte  drehte  sich  fast  der  ganze  Kampf  um  den  uns 
wohlbekannten  Artikel  8  des  Vertrages  vom  Jahre  1520.  Die 
Niederländer  hielten  sich  an  den  Schlusssatz  desselben,  der 
dahin  lautete,  dass  beide  Theile  aufrichtig  bestrebt  sein  sollen, 
das  Provisorium  in  ein  Definitivum  umzuwandeln,  sei  es  durch 
vollständige  Anerkennung  des  Vertrages  von  1506  oder  durch 
Abschluss  eines  neuen  Handelstractats;  von  dieser  Alternative, 
erklärten  die  kais.  Commissäre,  komme  natürlich  die  erstere 
gar  nicht  in  Betracht,  da  der  ganze  Vertrag  von  1506  un- 
geheuerlich („enorme")  und  ihrem  Staatswohl  schädlich  sei,  also 
nicht  vom  Kaiser  bestätigt  werden  könne.  Die  zweite  Alter- 
native müsse  somit  Wahrheit  werden ;  weigerten  sich  die  Eng- 
länder, hiezu  die  Hand  zu  bieten,  so  verstiessen  sie  gegen  die 
offene  Absicht  des  Vertrages,  und  dem  Kaiser  stehe  dann  frei, 
neue  Auflagen  zu  bestimmen  und  den  Vertrag  von  1520  als 
nicht  bindend  und  als  überhaupt  nicht  vorhanden  zu  betrach- 
ten. Dagegen  wehrten  sich  die  englischen  Commissäre  mit 
aller  Kraft,  bestritten  namentlich  die  letzte  Behauptung  und 
hielten  den  Niederländern  fortwährend  die  Worte  des  frag- 
lichen Artikels  entgegen:  quod1)  si  non  fecerint,  nichi- 
lominus  tarnen  praesens  tractatus  et  provisio  de  quin- 
quennio  in  quinquennium  eo  modo  et  forma,  qua  supradictum 
est,  exnunc  prout  extunc  per  praesentes  habeatur,  sit  et  cen- 
seatur  prorogatus  et  continuatus  et  tamdiu  durabit,  donec  vel 
novus  tractatus  inter  reges  praedictos  fuerit  super  hoc  factus 
vel  vetus  tractatus  Philippi  regis  millesimi  quingentesimi 
sexti  anni,  de  quo  praedictum  est,  confirmatus.  Vergeblich 
bemühten  sich  die  englischen  Unterhändler,  die  kaiserlichen 
Commissäre  von  dieser  absolut  unfruchtbaren  Debatte  ab- 
zuziehen.   Mit  grosser  Mühe  brachten   sie   die  Niederländer 


1)  Voraus  geht:  Et  praeterea  dicti  reges  durante  praesenti  tractatu  et 
provisione  curabunt  et  operam  dabunt  bona  fide,  quod  vel  dictus  tractatus, 
mtercursus  bonae  memonae  Philippi  Castellae  regis  confirmetur,  Tel  quod 
aliquis  alius  novus  tractatus  pro  commercio  mercatorum  et  intercursu 
raercium  pro  subditis  utriusque  eorum  fiat  et  concludatur.  Die  Engländer 
konnten  nun  das  quod  si  non  fecerint  auf  die  vorangehenden  Nebensätze, 
aber  auch  auf  den  Hauptsatz  beziehen  und  im  letzteren  Fall  behaupten, 
dass  selbst  eine  böswillige  Weigerung  von  ihrer  Seite,  einen  neuen  Tractat 
zu  schliessen,  den  Vertrag  nicht  aufhebe. 


—    81     — 

dazu,  ihre  Beschwerden-  vorzulegen1).  Schon  schien  es  ge- 
glückt, dass  diese  Puncte  den  Gegenstand  der  Discussion 
bilden  würden  —  denn  man  war  engliseherseits  bereits  zur 
Abgabe  einer  zweiten  Replik  gelangt  —  als  plötzlich  die 
Niederländer  jede  weitere  Verhandlung  hierüber  abbrachen 
mit  der  Begründung,  dass  alle  darauf  verwendete  Zeit  ganz 
verloren  sei;  sie  hätten  keine  Vollmacht  zur  endgiltigen  Be- 
gleichung der  Beschwerden  und  würden  sich  auch  nur  dann 
eine  solche  erwirken,  wenn  die  Engländer  ihrerseits  zum  Ab- 
schluss  eines  neuen  Vertrags  ermächtigt  würden.  # 

Heinrich  VIII.   weigerte  sich,   eine  solche  Vollmacht  zu 
ertheilen,   da  er,  wie  er  sagte,   keinen   vernünftigen  Grand 


')  Vor  Allem  beklagten  sich  die  Niederländer  über  die  Zölle.  Früher 
hätten  sie  nur  3  gr.  vom  jg  zu  zahlen  gehabt  jetzt  müssten  sie  23  gr.  er- 
legen. Die  Zollbeamten  setzten  willkürlich  den  Werth  der  Waaren  fest. 
Man  zwinge  sie,  für  den  Erlös  wieder  Waaren  auszuführen  und  dabei 
abermals  Zoll  zu  entrichten.  Auf  diese  Weise  gehe  der  fünfte  Theil  des 
ganzen  Geschäftes  verloren.  Die  Englander  dagegen  zahlten  in  den  Nieder- 
landen kaum  den  50sten  Theil  des  Waarenwerths  für  Zölle.  Ausser  den 
gewöhnlichen  Zöllen  würden  in  England  noch  eine  ganze  Reihe  von  un- 
gehörigen Abgaben  erhoben,  als:  „cßckagium.  paccagium,  grondagium,  sca- 
vagiom,  balvagium,  gardgium,  ancoragium  ,  Kopfgeld,  Königsgeld  und 
Schreibergeld.  Diese  Erpressungen  erschöpften  ihr  Land  bis  auf  den 
Grand;  von  einem  einzigen  kleinen  Städtchen  habe  man  44300  Goldcarole 
gezogen;  der  grösste  Theil  der  Kaufleute  sei  zu  Grunde  gegangen. 

Dann  hatte  man  verschiedene  Anstände  wegen  der  Wolle;  der  Woll- 
preis sei  zu  hoch  und  höher  als  der  Preis  der  von  den  Engländern  ge- 
brachten Tücher,  so  dass  den  kaiserlichen  Unterthanen  alle  Nahrung  ent- 
zogen würde.  Früher  habe  man  7a  Mark  nachgelassen,  jetzt  geschehe  nicht 
nur  dies  nicht  mehr,  sondern  man  nöthige  sie,  alte  zerfressene  Wolle  zu 
nehmen ;  wolle  man  diese  wegen  ihrer  Unbrauchbarkeit  trotz  des  gezahlten 
Preises  zurücklassen,  so  zwinge  man  sie  noch  zur  Zahlung  der  „gabella". 
Durch  solches  Vorgehen  wolle  man  bewirken,  dass  die  Weberei  in  England 
blühe,  und  die  Tücher  aus  reinerer  Wolle  gefertigt  würden,  als  für  den 
Durchschnitt  der  englischen  Käufer  tauglich  sei;  die  niederländischen 
Weber  kämen  aus  den  Strafen  wegen  des  schlechten  Rohstoffs  nicht  mehr 
heraus. 

Endlich  gab  es  noch  eine  ganze  Reihe  von  Unbilden,  über  die  man 
sich  aufhielt  Dazu  gehörte  die  Verordnung,  dass  die  Schiffe  mitten  im 
Flosa  Anker  werfen  sollten,  dass  man  in  London  nur  mit  Bürgern  handeln 
dürfe,  dass  der  Preis  für  die  gebrachten  Lebensmittel  von  dem  Londoner 
Bürgermeister  festgestellt  werde,  ferner  gehörten  dazu  die  Erpressung  der 
Aichbeamten ,  die  Verabredungen  der  Merchant  adventurers,  von  dem  oder 
jenem  nichts  mehr  zu  kaufen  und  während  der  Messe  von  Bergen  in  Ant- 
werpen nicht  zu  handeln,  endlich  die  willkürliche  Verhinderung  der  Käse- 
ausfuhr und  mehrere  Angriffe  gegen  niederländische  Schiffs-  und  Fischer- 
leote. 

Sicherlich  waren  die  Beschwerden  begründet,  insofern  sie  den  Nieder- 
ländern Fesseln  im  Handel  nach  England  anlegten ;  aber  wirkliche  Vertrags- 
verletzungen kann  man,  soweit  die  einzelnen  Punkte  wirklich  auf  Wahrheit 
und  nicht,  wie  die  Engländer  darzuthun  vermochten,  auf  Uebertreibung 
beruhten,  nicht  recht  sprechen.  Die  wesentlichen  Klagepunkte  beziehen 
sich  auf  Zustände,  wie  sie  im  englischen  Handelssystem  bereits  zur  Zeit 
des  M..  L  begründet  waren.  Die  Entgegnungen  des  Königs  und  der  Com- 
missare  geben  denn  auch  deutlich  Zeugniss  hievon.  Urk.  Beil.  30,32,33,34. 

Scham,  Engl.  Handelspolitik.    I.  q 


—    82    — 

sehen  könne,  weshalb  man  die  alten,  von  seinen  Unterthanen 
sorgfältig  beachteten  Verträge  durch  neue  ersetzen  solle.  Vom 
englischen  Standpunkt  aus  hatte  er  natürlich  auch  vollkommen 
Recht.  Eine  neue  Zusammenkunft  zu  Dünkirchen  (30.  Mai) x) 
verlief  abermals  resultatlos,  da  die  Niederländer  auf  ihrem 
Verlangen  beharrten2).  Knight  und  Tregonwell  erhielten  von 
Heinrich  VIII.  den  Auftrag,  ein  Promemoria  über  die  bisherigen 
Verhandlungen  und  über  die  Entstehung  der  Verträge,  die 
stüt  1506  abgeschlossen  wurden,  auszuarbeiten  und  dem  Ge- 
sandten am  niederländischen  Hofe  Hackett3)  zu  seiner  Orien- 
Ürung  zu  überschicken 4) ,  mit  der  Weisung,  dass  er  dem 
Kaiser  Heinrichs  VIII.  Wunsch  für  Fortsetzung  des  bisherigen 
freundschaftlichen  Verhältnisses  und  Handelsverkehrs  vortragen 
solle. 

Gleichzeitig  beschäftigte  man  sich  aber  im  englischen 
Ministerium  mit  der  Frage,  ob  man  nicht  doch  dem  Verkehr 
andere  Bahnen  anweisen  sollte.  Die  fortwährende  Abhängig- 
keit von  den  Niederlanden  wurde  schwer  empfunden  und  be- 
gann bei  dem  immer  stärker  werdenden  Antagonismus,  den 
die  religiöse  Frage  und  die  Verstossung  Katharinas  hervor- 
gerufen, zu  einer  Gefahr  für  England  zu  werden. 

Dazu  kam,  dass  kluge  Männer  aus  rein  wirthschaftlichen 
i  r  runden  eine  Aenderung  nach  dieser  Seite  hin  wünschten  und 
i  romwell  ihre  Ansichten  in  ausführlichen  Denkschriften  dar- 
legten. Man  fing  an,  die  Vortheile  der  Niederländer  und 
Nachtheile  der  Engländer  sorgfältig  zu  discutiren,  welche  aus 
der  blossen  Thatsache,  dass  das  Tuchstapel  ausserhalb  des 
Landes  sei,  erwüchsen.  Stephan  Vaughan  arbeitete  eine 
grössere    Denkschrift    aus5),    in    der   er    nachwies,    wie  die 

*)  Br.  M.  Cotton  Mscrs.  Vitellius  B.  XXI.  fo.  63  enthält  die 
kürze  Notiz,  dass  die  kaiserlichen  Commissäre  am  25.  Mai  von  Dünkirchen 
aas  Auf8chlu8s  von  der  englischen  Regierung  über  verschiedene  Punkte 
verlangten,  bevor  sie  mit  den  englischen  Unterhändlern  zusammen  trafen, 
her  Brief  ist  nicht  erhalten,  wie  man  auf  Grund  der  Notiz  in  den  State 
Pap  er  s  VII.  S.  387.  Anm.  glauben  könnte. 

*)  JFor  the  last  daye  of  Maye  late  passed  we  mett  togydre  at  Dune- 
kyrk  in  Flaunders  and  offred  unto  theym  all,  that  ye  may  see  in  our 
protestation.  that  we  do  send  with  this ;  which  for  justyfyeng  of  the  kinges 
Graces  good  disposition  and  offre  of  justice  we  were  compelled  to  make, 
m  asmoche  as  themperours  commissioners  refused  to  entend  upon  redresse 
of  enormytes  or  restitution  of  spoyles,  oonlest  we  had  a  more  ample  com- 
ruibsion  and  wolde  first  treate  upon  a  new  intercourse."  State  Papers 
Vn.    S.  376. 

3)  Hackett  war  seit  Haryys  Zurückberufung  (13.  Februar  1531)  als 
lischer  Gesandter  in  den  Niederlanden  bestellt.    State  Paper s.     VII. 

I  386. 

4)  State  Papers  VII.  S.  374—378.  Das  Schreiben  Knights  und 
1  regonwells  an  Hackett  ist  vom  Juni  1532  und  diente  uns  als  Grundlage. 

ß)  Die  Denkschrift  erwähnt  Vaughan  in  seinem  Brief  an  Crom  well 
vom  16.  März  1532.  Urk.  Beil.  31.  Die  in  dem  Brief  erwähnten  Momente 
lussen  darauf  schliessen ,  dass  die  im  Texte  angegebenen  Punkte  ungefähr 


—    83    — 

gegenwärtige  Organisation  nur  dazu  diene,  die  fremden  Länder 
zu  bereichern,  und  wie  man  doch  leicht  die  Undankbarkeit 
der  Niederländer  mit  Vernichtung  ihrer  Industrie  bestrafen 
könne *). 

Ob  die  von  R.  Pauli  edirten  Denkschriften  aus  der  Zeit 
Heinrichs  VIII.  mit  der  Vaughan'schen  in  ursächlichem  Zu- 
sammenhang stehen,  muss  noch  als  offene  Frage  gelten8). 
Jedenfalls  bewegen  sich  viele  Ausführungen  in  denselben8)  in 
gleicher  Richtung.  Der  Verfasser  bringt  die  Stapelfrage  in 
Zusammenhang  mit  der  gesammten  wirtschaftlichen  Lage 
Englands  und  plaidirt  nicht  ungeschickt  für  die  Verlegung 
des  Tuchstapels  nach  London.  Er  will  dieserhalb  die  Privi- 
legien der  Londoner  beschränkt  und  die  Fremden  hinsichtlich 
der  Zölle  mit  den  Einheimischen  gleichgestellt  wissen  und 
verspricht  sich  dann  eine  Reihe  der  grössten  Vortheile  für 
das  Land.  An  Stelle  der  Wechsel  werde  wieder  das  baare 
Geld  im  Handel  zur  Geltung  kommen,  und  England  solches 
wieder  zugeführt  werden.  Die  Ausgaben  der  englischen  Kauf- 
leute auf  den  niederländischen  Märkten  für  Lebensbedarf, 
Waarentransport  und  Beihilfe  im  Geschäfte  fielen  hinweg,  und 
statt  dessen  würden  die  Fremden  die  gleiche  Summe  in  Eng- 
land verbrauchen,  was  einem  Gewinn  von  40000  £  gleich  zu 
rechnen  sei,  gleichzeitig  werde  damit  den  Niederländern  die 
Möglichkeit  genommen,  die  englischen  Tücher  erst  zu  strecken 
und  dann  allen  Schimpf  den  englischen  Webern  zuzuschieben; 
denn  die  Fremden  würden  wegen  der  Herabsetzung  der  Tuch- 
zölle direct  die  guten  und  gesiegelten  Stapeltücher  in  London 
beziehen.  Die  englische  Tuchindustrie  werde  neu  aufblühen, 
zumal  wenn  auch  das  Wollstapel  nach  England  verlegt  und 
die  Wollpreise  wieder  auf  ihren  alten  Stand  zurückgeführt 
würden,  wie  der  Verfasser  will. 

Solche  Raisonnements  tauchten  auf  und  verfehlten  nicht 


den  Hauptinhalt  der  Denkschrift  betrafen.  Am  22.  Jan.  1532  schickte  er 
dieselbe  an  Cromwell,  bat  aber  seinen  Namen  geheim  zu  halten,  denn  es 
seien  Dinge  darin  niedergelegt,  welche  ihm  den  Hass  der  Menge,  (wahr- 
scheinlich der  Merchant  adventurers)  zuziehen  könnten.  „I  suppose  it  not 
necessary,  but  rather  hurtefull  to  seke  occasion  to  enter  into  the  con- 
tempte  of  a  multitude."  Br.M.Cotton  Mscrs.  Galba  B.X.  fo.  2.  Dieser 
Brief  gibt  aber  keinen  Aufschluss  über  den  Inhalt. 

x)  Vaughan  findet  es  besonders  unbillig,  dass  die  Engländer  in  Flandern 
das  Leinentuch,  die  „says."  „bokrams"  die  „Brügge  patterns"  etc.  mit  baarem 
Geld  kaufen  müssen,  während  diese  die  englischen  Tücher  verbannen,  und 
*enn  eines  gefunden  wird,  verbrennen,  "ßetze  man  diesen  Niederländern 
nicht  scharfen  Widerstand  entgegen,  „it  wer  well  likely,  they  wolde  in  short 
tyme  bring  our  hedds  under  theyr  girdells."  Vaughan  an  Cromwell  16.  März 
1532.    ürk.  Beil.  31. 

*)  Vgl.  meine  Recension  im  Lit.  Centralbl.  1879.  Nr.  4.    S.  112—114 

*)  Namentlich  kommt  die  erste  Denkschrift  „A  treatise  concerninge  the 

staple  and  the  commodities  of  this  realme",  und  die  dritte  „How  to  reforme 

the  realme,  in  settyng  them  to  worke  and  to  restore  tillage"  hier  in  Betracht 

6* 


—    84    — 

Eindruck  zu  machen.  Jedenfalls  gelangten  Nachrichten  über 
die  neue  Bewegung  an  die  niederländische  Regierung,  da  die 
Sache  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  im  englischen  Par- 
lament zur  Sprache  kam1).  Die  Niederländer  wurden  ängst- 
lich, und  sie  hatten  um  so  mehr  Grund  dazu,  als  sie  fast 
gleichzeitig  den  Bezug  der  englischen  Wolle  ernstlich  bedroht 
sahen.  Die  nach  Calais  gelangende  Wollmenge  hatte  seit  einer 
Reihe  von  Jahren  beträchtlich  abgenommen  und  erreichte  beson- 
ders im  Rechnungsjahre  1532/33  den  tiefsten  Stand  während 
der  ganzen  Regierungszeit  Heinrichs  VIII.  *).  Ob  diese  letzte 
Erscheinung  ausschliesslich  mit  dem  Gesetz  22.  Hen.  VIII.  c  1, 
welches  die  Tuchindustriellen  im  Wollkauf  begünstigte,  zu- 
sammenhing, oder  ob  daneben  Abmachungen  der  Stapelkauf- 
leute existirten,  oder  ob  die  Regierung  Repressalien  gegen  die 
Niederländer  wegen  der  Beschränkung  englischer  Tücher  auf 
diesem  Wege  ins  Leben  rief,  oder  endlich  ob  Heinrich  VIII. 
bloss  durch  das  Vorgehen  Karls  V.  in  der  Ehescheidungs- 
frage8) zu  diesem  Schritte  sich  bewogen  fand,  lässt  sich  nicht 
ganz  klar  übersehen4).  Jedenfalls  musste  die  niederländische 
Regierung  jetzt  eine  andere  Politik  befolgen,  als  es  auf  dem 
Gongress  geschehen  war,  sie  war  ernstlich  bemüht,  den  Status 
quo  aufrecht  zu  erhalten.  Die  Regentin  Maria  sandte  ihren 
eigenen  Secretär  Joh.  de  le  Sauch  an  Heinrich  VIII. 5),  damit 
er  in  Verbindung  mit  dem  kaiserlichen  Gesandten  die  Woll- 
frage bereinige  und  überhaupt  ein  Einverständniss  erziele. 
Sie  nahm  auch  die  stolze  Sprache  des  englischen  Königs  hin, 
der  die  Niederländer  wiederholt  fühlen  Hess,  wie  abhängig  sie 
in  commercieller  und  industrieller  Hinsicht  von  England  seien  *). 
Gegen  Ende  des  Jahres  1533  konnte  die  englische  Regierung 
überzeugt  sein,  dass  man  niederländischerseits  den  ernstlichen 
Willen  habe,  die  Verträge  fortzusetzen  und  zu  halten7).  Der 
Kaiser  befahl  der  Regentin,  die  Ehescheidungsfrage  von  der 


')  Vaughan  wünscht,  dass  seine  Rathschlage  offen  im  Parlament  dar- 
j.  würden,  damit  des  Königs  Unterthanen  erfuhren,  welcher  Ertrag 
lenf  König  entgehe.    Vaughan  an  Cromwell.    Urk.  Beil.  81. 

*)  Bd.  IL  Zolltab.  IV.    S.  76  fg. 

8)  Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  VI.    S.  74  fg. 

*)  Vgl.  hierüber  Urk.  Beil.  35.i 

*)  ürk.  BeiL  35.    Sieh  auch  Brown,  Cal.  IV.  965. 

«)  Urk.  Beil.  35.  Schon  1531  hatte  der  König  de  le  Sauch  gegen- 
über Bemerkungen  in  diesem  Sinn  fallen  lassen.    Vgl.  oben  S.  78  Note  4. 

7)  Hackett  schreibt  am  15.  December  1533,  dass  man  in  den  Nieder- 
landen sehr  besorgt  sei,  der  König  möchte  die  Freundschaft  kündigen. 
Buren  habe  ihm  gesagt,  er  kenne  des  Kaisers. Meinung  so  genau  als  seine 
eigene;  die  Niederlande  würden  nie  zuerst  mit  England  brechen,  er  wisse 
nur  zu  gut,  wie  eine  solche  Thorheit  die  Niederländer  zu  Grunde  richte. 
State  Papers  VII.  S.  529.  In  einem  gleichzeitigen  Brief  an  Cromwell 
spricht  Hackett  seinen  Unwillen  aus,  weil  die  Merchant  adventurers  aus 
Furcht  vor  Feindseligkeiten  einen  Safeconduct  vou  der  Regentin  sich  er- 
wirken wollten.    (R.  0.  State  Papers.) 


—    85    - 

Handelsfrage  streng  zu  sondern.  Erstere  solle  nicht  die 
Handelsbeziehungen  stören 1).  Mit  leichter  Mühe  und  sicherer 
Hand  hatte  England  den  Ansturm  gegen  die  Privilegien  der 
englischen  Kaufleute  und  gegen  die  englische  Industrie  be- 
schworen. Gleichwohl  waren,  wie  sich  denken  lässt,  die  Be- 
ziehungen zwischen  den  beiden  Nachbarn  keineswegs  herzliche, 
was  freilich  zum  Theil  Folge  der  politischen  Situation  war; 
man  legte  gegenseitig  die  grösste  Vorsicht  an  den  Tag  *) ;  aber 
es  unterblieb  ein  Angriffe  auf  den  Handel  der  Engländer  *). 
Dem  Kaiser  wurde  zwar  1534  abermals  eine  Denkschrift 
unterbreitet,  in  der  er  aufgefordert  wurde,  doch  wieder  auf 
die  1464  von  Philipp  dem  Guten  und  1494  von  Maximilian 
beobachtete  Politik  zurückzugreifen  und  die  englischen  Tücher 
entweder  ganz  zu  verbieten  oder  sie  wenigstens  mit  einem  hohen 
Zoll,  etwa  im  Betrage  eines  Goldguldens,  zu  treffen,  nachdem 
man  vorher  einen  grossen  Vorrath  von  spanischer  Wolle  für  die 
Manufactur  herbeigeschafft  habe4).  Karl  V.  war  aber  gegen 
alle  derartigen  Mittel,  „die  Engländer  zur  Raison  zu  bringen" 
taub.  Er  hielt  es  schliesslich  doch  für  unräthlich,  sich  mit 
England  zu  überwerfen.  Sieht  man  von  einem  zu  Ungunsten  der 
Engländer  ausgefallenen  Urteilsspruche  in  einer  verhältniss- 
roässig  untergeordneten  Zollfrage  ab5),  so  hatten  die  Kauf- 
leute keinen  Grund  zur  Klage.  Der  1536 — 38  zwischen 
Franz  I.  und  dem  Kaiser  neu  entbrannte  Krieg  rief  ebenfalls 
keinen  Bruch  der  Freundschaft  hervor.  Der  Krieg  spielte 
sich  im  Süden  ab,  England  und  die  Niederlande  beobachteten 
strenge  Neutralität  Der  Kaiser  liess,  um  alle  Bedenken  der 
Engländer  zu  beseitigen,  eine  Ordonnanz  publiciren,  worin 
ausdrücklich  hervorgehoben  wurde,  dass  die  englischen  Kauf- 
leute wie  in  Friedenszeiten  nach  den  Niederlanden  handeln 
könnten 6). 

Der  Verkehr  erlitt  somit  keine  ernstliche  Störung 7).   Ant- 
werpen erfüllte  in  einem  neuen  Arrangement  die  Wünsche  der 


*)  „Cette  question  ne  doit  nullement  interrompre  les  relations  commer- 
ciales  entre  mes  peuples  et  les  Anglois."    Henne  a.  a.  0.  VI.  S.  75. 

*)  State  Papers  I.  S.  413. 

*)  1535  konnten  die  englischen  Kaufleute  ihren  Markt  ohne  Hinderniss 
halten;  Alleyn  schrieb  deshalb  am  22.  Aug.  1535  an  Crom  well:  „Gott  sei 
Dank,  die  Zeelandsflotte  ist  glücklich  heimgekommen,  wohl  beladen  und 
mit  theureren  Waaren,  als  je  in  diesem  Lande  gekauft  wurden.  State 
Papers  I.  S.  443. 

4)  Brüsseler  Staatsarchiv.  Pieces  restituäes  par  l'Autriche 
1862.   XVII,   B.  §  21. 

*)  ürk.  Beil.  45.  §  4;  40.  §  3. 

')  Befehl  an  den  Rath  von  Flandern,  diese  Ordonnanz  zu  publiciren 
vom  25.  Aug.  1536.  Gr.  v.  Duyse  et  E.  de  Busscher,  Inventaire  des 
archives  de  Gand  Nr.  927. 

*)  Ueber  angebliche  Verletzungen  durch  die  Kriegsschiffe  sieh  State 
Papers  Vü.  8.  670  u.  677. 


—    86    — 

begehrlichen  Engländer1),  und  dasselbe  erhielt  auch  am 
22.  December  1537  die  Sanctiou  des  Kaisers2).  Das  Project 
der  Verlegung  des  Stapels  schien  vorläufig  auf  die  Seite  ge- 
stellt. 

Aber  kaum  war  die  Gefahr  beseitigt,  so  fingen  auch  die 
Niederländer  wieder  an,  neue  Vertragsverletzungen  sieh  zu 
Schulden  kommen  zu  lassen.  Der  Gouverneur  der  englischen 
Eaufleute  sah  sich  noch  im  October  desselben  Jahres  ver- 
anlasst, eine  ausführliche  Beschwecdeschrift  der  Regentin  zu 
überreichen,  die  Abhilfe  versprach;  der  Präsident  des  ge- 
heimen Raths  J.  Carondelet,  Erzbischof  von  Palermo,  und  der 
Kanzler  P.  L.  Nigri  hatten  ihr  Bericht  über  die  Angelegen- 
heit zu  erstatten3).  Im  Jahre  1539  drohte  allen  Ernstes  ein 
vollständiger  Abbruch  des  Handels,  da  Karl  V.  einige  Zeit  mit 
dem  Plane  sich  trug,  Heinrich  VIII.  für  die  schmähliche  Behand- 
lung seiner  Tante  zu  züchtigen.  Allein  die  Rührigkeit  des 
Königs  und  seines  Ministers  Hessen  den  Kaiser  nicht  wagen, 
auf  englischem  Boden  zu  landen.    Die  Wolke  ging  vorüber. 

4.  Periode  (1540  —  1547). 

Die  10  Jahre,  während  welcher  Cromwell  die  Handels- 
politik geleitet,  waren  dem  Verkehr  günstig.  Er  erhielt  dem 
Lande  den  äussern  Frieden,  dessen  es  so  sehr  bedurfte,  und 
er  bewahrte  ihm  auch  die  Freiheiten  und  Rechte,  welche  die 
Engländer  in  den  Niederlanden  besassen.  Aber  sein  Wirken 
gipfelte  nicht  blos  im  Erhalten  dessen,  was  er  überkommen, 
sondern  er  schuf  positiv  neue  Verhältnisse,  welche  der  letzten 
Periode,  die  wir  zu  behandeln  haben,  das  Gepräge  aufdrückten. 

Ein  Jahr  bevor  auch  ihn  das  tragische  Geschick  erreichte, 
veranlasste  der  einflussreiche  Minister  Heinrich  VIII.,  durch 
eine  Proclamation  versuchsweise  auf  sieben  Jahre  die  Fremden 
den  Einheimischen  in  allen  Zöllen  gleichzustellen4).  Damit 
hatte  Cromwell  das  in  den  oben  genannten  Denkschriften  dar- 
gelegte Project  sich  zu  eigen  gemacht,  wenn  er  auch  durch 
eine  bessere  Gombination  dasselbe  erst  practisch  zu  gestalten 
suchte. 

Die  Beweggründe  für  die  Proclamation,  die  Gesetzeskraft 
hatte,  waren  jedenfalls  complexer  Natur.  Die  Hebung  der 
einheimischen  Industrie  durch  Förderung  des  Exportes  bildete 
in  Anbetracht  der  inneren  Noth  unzweifelhaft  das  Haupt- 
motiv5);  die  Hoflnung  auf  eine  grössere  Zolleinnahme  mag, 

*)  8.  Aug.  1534.  Papebrochii  Annales  Antverpienses  ed.  Mertens 
et  Buschmann  DL    S.  179,  180. 

2)  ürk.  Beil.  36. 

3)  Hutton  an  Cromwell  20.  Oct.  1537.    State  Papers  VII.  S.  713. 
*)  ürk.  Beil.  144. 

ß)  Vgl.  auch  4.  Gap.  des  IL  Abschn. 


—    87    — 

wenn  auch  die  Proclamation  das  Gegentheil  behauptet,  gleich- 
wohl nicht  gan?  ausgeschlossen  gewesen  sein1).  Sicher  ist 
aber,  dass  man  mit  dieser  Massregel  allein  das  Antwerpener 
Stapel  nicht  schädigen  konnte;  im  Gegentheil  war  jetzt  die 
niederländische  Flotte  und  der  niederländische  Kaufmann  im 
Stande,  den  Merchant  adventurer  ganz  bei  Seite  zu  schieben 
und  noch  den  Vortheil  des  Einkaufes  im  Lande  und  des 
Transportes  an  sich  ziehen. 

Das  war  aber  nicht  Gromwells  Plan;  den  Engländern 
war  das  Aufblühen  der  niederländischen  Marine  schon  lang 
ein  Dorn  im  Auge2).  Gleichzeitig  mit  dem  Inkrafttreten  der 
Proclamation  legte  er  dem  Parlament  eine  Bill  vor,  welche 
die  Zollprivilegien  nur  dann  den  Fremden  gewährte,  wenn  sie 
in  englischen  Schiffen  die  Ausfuhr  bewerkstelligten. 

In  der  That  war  gegen  das  Stapel  zu  Antwerpen  damit 
ein  erster  harter  Schlag  geschehen,  der  Schwerpunkt  des 
Tuchhandels  lag  fortan  in  England,  beziehungsweise  in  Lon- 
don; der  Tuchexport  der  Fremden  stieg  um  mehr  als  die 
Hälfte3).  Mit  wahrer  Meisterhand  hatte  Gromwell  bei  dieser 
Gelegenheit  allen  englischen  Interessen  Rechnung  getragen, 
der  Industrielle  wie  der  Kauffahrer  war  berücksichtigt,  und 
auch  dem  englischen  Kaufmann  blieb  noch  Thätigkeit  .genug 
über.  Was  aber  besonders  wichtig  war,  die  Handelsverträge 
hatten  keine  förmliche  Verletzung  erfahren. 

Ein  Schrei  der  Entrüstung  und  des  Entsetzens  erhob  sich 
in  den  Niederlanden,  wie  noch  nie  zuvor.  Man  fühlte  die 
tiefe  Wunde,  welche  der  verwegene  englische  Minister  dem 
Lande  versetzt,  und  der  Schmerz  war  um  so  grösser,  als  der 
Kaiser  gerade  um  diese  Zeit  auf  Bitten  der  Stadt  Brügge  da- 
selbst das  Zurichten  aller  englischen  Tücher,  wenn  auch  noch 
nicht  den  Detailverkauf  in  Flandern  gestattet,  also  den  eng- 
lischen Interessen  eine  neue  Goncession  gemacht  hatte4). 

Sofort  setzte  man  alle  Hebel  in  Bewegung,  um  diese 
Schöpfung  Croinwells  wieder,  zu  zertrümmern.  Der  Umstand, 
dass  die  Feinde  Cromwells  eben  die  Oberhand  in  England 
erhielten,  seine  Gefangennahme  und  schliessliche  Enthauptung 


■)  Aus  den  Zollregi&tern  geht  hervor,  dass  die  Zolleinnahmen  trotz  des 
Nachlasses  wenigstens  keine  Verminderung  erfuhren.  Sieh  Bd.  II.  S.  13, 
48  fg. 

*)  Vgl.  hierüber  besonders  Piot,  La  diplomatie  concernant  lea  affaires 
maritimes  des  Pays-Bas  vers  le  milieu  du  XVI«  siecle  jusqu'  ä  la  treve  de 
Vancelies  in  den  Bulletins  de  l'academie  royale  des  sciences,  des  lettres  et 
des  beaux-arts  de  Belgique.    II™  Serie.  T.  40.  1875.  S.  818  fg. 

*)  Vgl.  Zollregister  Nr.  V,  sowie  die  Einleitung  zu  den  Zolltabellen. 
Bd.  IL    S.  18,  19,  86  fg. 

4)  10.  Aug.  1540.  Urk.  Beil.  35.  Im  Jahre  1501  war  dieses  Hecht 
noch  ausdrücklich  versagt  geblieben.  Sieh  oben  S.  27.  1543  wurde  es  auf  3 
weitere  Jahre  verlängert.  Brügger  St.  A.  Nieuwen  Groenenbouc 
B.  B.  fo.  110  fe. 


-    88    — 

durchsetzten,  kam  als  ein  günstiges  Moment  hinzu.  Man 
hoffte,  seit  der  kluge  Lenker  der  Wirtschaftspolitik  gestürzt 
war,  durch  ausdauernde  Opposition  die  nun  etwas  zerfahrene 
engliKche  Regierung  wankend  zu  machen.  Sogleich  schritt 
man  zu  Repressalien.  Am  22.  November  1540  befahl  der 
Kaiser  der  Stadt  Antwerpen,  nicht  zu  dulden,  dass  ein  eng- 
lisches Schiff  irgend  welch«  Rückfracht  nehme  *)>  und  am  fol- 
geren 1.  December  erliess  er  ein  Edict,  welches  das  erwähnte 
Verbot  auf  die  gesammten  Niederlande  ausdehnte.  Nach  einer 
nicht  zuverlässigen  Nachricht  hätte  Karl  V.  in  dem  genannten 
Jahr  auch  den  Import  der  englischen  Tücher  verboten2). 

Der  Kampf  auf  beiden  Seiten  war  eröffnet  Ein  reger 
Schriftwechsel  zwischen  den  beiden  Regierungen  begann s),  der 
aber  vorerst  kein  anderes  Resultat  hatte,  als  die  Auffassungen 
der  zwei  Cabinete  in  ein  helleres  Licht  zu  stellen.  Als  Typen 
kann  man  den  Brief  Heinrichs  VIII.  vom  5.  Mai  1541  an  die 
Königin  Maria,  Regentin  der  Niederlande 4),  und  deren  Antwort 
vom  18.  Mai  1541  betrachten5).  Heinrich  VIII.  beklagt  sich 
über  die  Belästigungen,  welchen  seine  Unterthanen  in  Folge  des 
kaiserlichen  Edicts  in  den  Niederlanden  begegneten.  Der 
Kaiser  sei  hinsichtlich  des  englischen  Gesetzes  offenbar  schlecht 
unterrichtet.  Dasselbe  Verstösse  keineswegs  gegen  die  be- 
stehenden Freundschafts-  und  Handelsverträge,  auch  sei  eine 
derartige  Verletzung  nie  beabsichtigt  worden,  wie  überhaupt 
englische  Gesetze  niemals  den  Verträgen  präjudiciren  dürften. 
Die  englische  Acte6)  fordere  Nichts,  was  nicht  schon  im  eng- 
lischen Rechte  begründet  sei,  sie  betreffe  eine  Bestätigung 
einiger  alten  Statuten  vom  Jahre  1381  und  1382 7)  und  eine 
Erklärung  über  ihre  Ausführung.  Ferner  enthalte  sie  ein 
Geschenk,  das  er  zu  Gunsten  der  fremden  Kaufleute,  die  nach 
England  handelten,  gemacht,  indem  er  die  Zölle  herabgemindert 
habe;  der  niederländischen  Schifffahrt  sei  aber  nicht  das  ge- 
ringste Leid  zugefügt  worden;  nicht  einmal  die  Geld-  und 
sonstigen  Strafen  der  alten  Navigationsacten  seien  geändert 

\i  Ve  rächt  er,  Inventaire  des  archives  d'Anvers  1860.    S.  214. 

1)  Dies  wurde  von  dem  nieder] ändischen  Gesandten  Vaissonleville  1563 
in  ei oer  Replik  behauptet,  von  den  Engländern  aber  bestritten.  Brasseler 
St  A.  I'ieces  restituees  par  l'Autjriche  1862.  VII.  B.  §  24,  25. 

*}  bereits  am  21.  December  1540  war  wegen  der  Angelegenheit  der 
kaiserliche  Gesandte  bei  Heinrich  VIII.  in  Audienz  und  verhandelte  mit 
dem  köniffl.  Rathe.  Nicolas,  Proceedings  and  ordinances  of  tbe  Priw 
Council  VII.  S.  95. 

*)  Htate  Papers  VIIL    S.  673. 

*)  State  Papers  VIIL    S.  676. 

3  Heinrich  VIIL  legte  eine  abgekürzte  Uebersetzung  der  Acte  bei. 

■j  Stäit  5  Rieh.  II.  c  3,  wonach  englische  Unterthanen  Waaren  nur 
in  englischen  Schiffen  verfuhren  dürfen;  und  Stat.  6.  Rieh.  IL  c  8,  wonach 
von  der  vorhergebenden  Bestimmung  eine  Ausnahme  gemacht  werden  soll 
iur  daß  Fall,  dass  englische  Schiffe  nicht  zu  haben  sind.  Beide  Gesetze 
waren  /war  nicht  zurückgenommen,  wurden  aber  schon  lange  nicht  mehr 
angewendet.    Sieh  Abschn.  IL  Cap.  IL 


—    89    - 

worden.  Nur  Wohlthaten  habe  er  gespendet  an  Leute,  die 
nicht  zufrieden ,  die  Waaren  Englands  zu  erhalten ,  in  ihrer 
Undankbarkeit  auch  noch  das  Wohl  und  den  Bestand  der 
englischen  Schifffahrt  zu  Grunde  richten  möchten.  Ganz  an- 
ders verhalte  es  sich  mit  der  kaiserlichen  Proclamation;  sie 
gründe  sich  nicht  nur  auf  eine  eitle  Voraussetzung,  sondern 
sei  eine  Neuerung  und  verletzte  wegen  der  hohen  Strafen  die 
bestehenden  Verträge  aufs  tiefste. 

Die  Antwort  der  Königin  war  sehr  bestimmt  gehalten. 
Dir  steter  Wunsch,  schreibt  sie,  sei  gewesen  und  sei  es  noch, 
die  besten  Beziehungen  zwischen  England  und  ihrem  Reiche 
zu  unterhalten ;  die  englischen  Unterthanen  seien  deshalb  nicht 
nur  immer  human,  wohlwollend  und  freundlich  behandelt,  son- 
dern mehr  als  irgend  eine  Nation,  ja  selbst  mehr  als  die 
eigenen  Unterthanen  privilegirt  worden.  Man  habe  gehofft, 
dass  von  englischer  Seite  die  gleichen  Zugeständnisse  an  die 
Niederländer  gemacht  würden.  Aber  das  Gegentheil  sei  der 
Fall,  wie  diese  Acte  lehre;  denn  man  zwinge  durch  diese,  die 
kaiserlichen  Unterthanen,  entweder  das  unerträgliche,  grosse 
Tonnengeld  zu  zahlen  oder  leer  mit  ihren  Schiffen  von  Eng- 
land heimzukehren.  Die  Bitte  des  Kaisers,  das  Statut  wieder 
zurückzunehmen,  sei  höhnend  abgewiesen  worden  mit  der  Be- 
merkung, der  englische  König  könne  in  seinem  Lande  Statuten 
geben,  welche  er  wolle,  und  man  werde  es  nicht  befremdend 
finden,  wenn  man  von  Seite  des  Kaisers  ein  gleiches  oder 
ähnliches  Gesetz  zum  Wohl  seiner  Unterthanen  erlassen  werde. 
Diesen  Rath  habe  dieser  denn  beherzigt  und  vernünftig  ge- 
funden, nachdem  Heinrich  VIU.  so  grossen  Vortheil  seinen  Unter- 
thanen zum  Schaden  der  Fremden  zuwenden  wolle,  auch  an 
die  Unterstützung  und  Förderung  der  Seinigen  zu  denken. 
Ganz  irrelevant  sei  Heinrichs  VIII.  Bemerkung,  dass  nur  alte  Sta- 
tuten erneuert  worden  seien  -,  denn  wollte  der  Kaiser  alle  alten 
Gesetze,  die  von  den  niederländischen  Fürsten  hinsichtlich  der 
englischen  Wolle  und  anderer  englischen  Waaren,  sowie  in 
Betreff  der  Zölle  und  des  Waarenverschleisses  gemacht  worden 
seien,  erneuern,  so  werde  sich  bald  zeigen,  auf  wessen  Seite 
der  grössere  Vortheil  liege. 

Indem  die  Königin  die  Sache  als  der  Entscheidung  des 
Kaisers  angehörend  darstellte  und  deshalb  nichts  als  ihre 
eifrige  Unterstützung  zur  Schlichtung  des  Streites  versprach, 
war  noch  kein  Schritt  zur  Verständigung  geschehen.  Im 
Gegentheil  wurde  der  Zwist  noch  verschärft,  als  man  englischer- 
seits  1541  die  Ausfuhr  von  Metallen  erschwerte  *).  Auch  hier 
übten  die  Niederländer  Repressalien,  indem  sie  nicht  gestatteten, 
dass  das  Kriegsmaterial,  welches  der  König  in  den  Nieder- 


JJ  88  Hol  VIII.  c.  5.    1588  war  auch  der  Export  englischer  Häute 
zum  Verdrußs  der  Niederländer  beschränkt  worden.    Urk.  Beil.  178. 


—    90    - 

landen  hatte  ankaufen  lassen,  ausser  Landes  gehe,  und  damit 
auch  die  Absicht  des  Königs,  noch  grössere  Ankäufe  zu  machen, 
vereitelten 1). 

Endlich  griff  man  zu  dem  schon  oft  erprobten  Mittel 
i-irios  Congresses.  Maria  hatte  zuerst  den  Vorschlag  gemacht 
Heiniich  VIII.  ernannte  als  seine  Gommissäre  Eduard  Carne 
und  den  uns  wohl  bekannten  Stephan  Vaughan*).  Ihre 
Reden  machten  in  den  Niederlanden  nicht  den  geringsten 
Eindruck.  Erst  versuchten  sie  es  mit  den  Commissären s), 
dann  bei  der  Königin  selbst4),  der  Effect  blieb  immer  der 
nämliche  und  die  Argumentation  immer  dieselbe.  Neu  war 
nur  die  Behauptung  der  Niederländer,  dass  der  Kaiser  die 
kehraverträge  zu  beobachten  sich  nicht  für  gebunden  er- 
achte. Indem  aber  die  Engländer  auf  eine  noch  vor  Kurzem 
durch  Granvella  geschehene  Aeusserung  sich  beriefen,  wonach 
alle  mit  Heinrich  VIII.  abgeschlossenen  Verträge  als  fortdauernd 
betrachtet  werden  sollten,  und  ein  Abschluss  neuer  sich  als 
unnöthig  erweise,  und  indem  sie  deswegen  Veränderlichkeit 
und  Unzuverlässigkeit  dem  Kaiser  und  der  Regentin  zur  Last 
legten,  entstand  eine  niederländischerseits  absichtlich  an  den 
Tag  gelegte  und  auch  noch  durch  ähnliche  Vorkommnisse  ge- 
nährte Gereiztheit,  welche  das  Unterhandeln  immer  mehr  er- 
sehwerte. 

Was  die  Niederländer  wollten,  war  klar.  Sie  waren  fest  ent- 
schlossen, auf  die  Widerrufung  des  Edicts  nur  dann  einzugehen, 
wenn  sie  von  der  Schiffahrtsacte  eximirt  würden.  Am  erwünsch- 
testen aber  wäre  ihnen  eine  Lösung  derart  gewesen,  dass  das 
alte  Vertragsverhältnis8  beseitigt  und  ein  neues  eingegangen 
worden  wäre.  Die  Instructionen  Marias  an  Chapuys6)  in 
London  lassen  dies  deutlich  erkennen,  und  dieser  bot  auch 
all    seinen  Einfluss  auf,  die  englische  Regierung  hiefür  zu  ge- 


)  John  Osborn  hatte  auf  Befehl  des  Königs  diese  Einkäufe  zu  be- 
sorgen. Er  hatte,  nachdem  er  zuerst  den  Preis  für  Kupfer  möglichst  zu 
drucken  gesucht,  1000  Zentner  ä  31  sh  6  d  und  38  sh,  ausserdem  200  Paar 
Reiterliarnische  ä  30  sh  9  d  angekauft.  Sein  Auftrag  lautete  auf  2000  Ztr. 
Kupfer.  Die  Verweigerung  der  Licenz  niederländischerseits  verletzte  um 
so  m ehr,  als  man  gleichzeitig  den  König  von  Portugal  14000  Ztr.  und  den 
König  von  Frankreich  10  000  Ztr.  Kupfer  ausfuhren  liess.  Thatsächlich 
wurde  England  in  seiner  Wehrkraft  durch  dasTerbot  geschwächt.  State 
Papers  I.  S.  665—666  und  VIII.  S.  680.  Weil  trotz  wiederholter  Bitten 
Heinrich  VIII.  sein  Verlangen  nicht  erfüllt  sah,  Übte  er  auch  seinerseits 
neue  Repressalien.  Als  einige  Leute  aus  Dankirchen  durch  den  Gesandten 
die  Kitte  stellen  Hessen,  Holz  für  Packung  getrockneter  Heringe  ausfuhren 
zu  dürfen,  wurde  sie  abgeschlagen.    Staterapers  VUL  S.  581. 

■)  Sieh  die  Instruction  derselben  in  den  State  Pap  er  s  VIII.  S.  683  fg 

*)  Diese  waren  Philipp  de  Croy,  Scepperus  und  Schore.  State 
Papers  I.    S.  668—71. 

*)  Der  Vortrag  bei  der  Königin  fand  am  8.  Juli  Statt  Am  19.  Juli 
inst  ruhte  der  König  auch  den  Gesandten,  damit  er  für  den  Widerruf  des 
Edicts  arbeite.    State  Papers  VIH.  S.  581  u.  582  Anm. 

*)  5.  Aug.  1541.    State  Papers  VHI.    S.  588—92. 


/ 


—    91    — 

winnen1).  Er  machte  geltend,  dass  die  Gründe  für  die  Un- 
gültigkeit des  Handelsvertrages  geradezu  zwingender  Natur 
seien.  Der  Vertrag  von  1506  sei  zwischen  Heinrich  VII.  und 
Philipp  abgeschlossen  worden,  als  letzterer  durch  seine  Ver- 
schlagung nach  England  in  einer  Zwangslage  sich  befunden 
und  mehr  aus  Furcht,  denn  aus  freiem  Willen  seine  Zusage 
gegeben  habe;  die  niederländischen  Staaten  hätten  deshalb 
nach  Philipps  Ankunft  denselben  nicht  nur  nicht  bestätigt, 
sondern  als  null  und  nichtig,  kraftlos  und  unvollendet  (im- 
perfaicte)  betrachtet;  der  Vertrag  von  Cambrai  (5.  Aug.  1529) 
habe  keine  Aenderung  in  dem  Thatbestand  hervorgerufen; 
man  habe  ihn  erneuert,  so  wie  er  gewesen,  er  konnte  somit 
nicht  für  kräftiger  und  gültiger  erklärt  werden,  denn  zuvor. 
Die  englischen  Gesandten  Hacket*  und  Dr.  Enight  hätten  zu- 
dem in  Bourbourg  *)  selbst  den  Tractat  öffentlich  für  erloschen 
erklärt  und  1532  die  kaiserlichen  Gesandten  dessen  Fortdauer 
ganz  consequent  bestritten.  Die  königl.  Räthe  waren  ganz 
erstaunt,  als  der  kaiserliche  Gesandte  mit  seinem  Rüstzug 
aufmarschirte.  In  ihrer  ersten  Verlegenheit  waren  sie  dreist 
genug  zu  behaupten,  sie  wüssten  gar  nicht  sicher,  ob  irgend 
ein  Vertrag  in  England  geschlossen  worden  sei ;  aber  sicherlich 
sei  Philipp  als  Freund  behandelt  und  kein  Zwang  ausgeübt 
worden,  nach  seiner  Rückkehr  und  seitdem  sei  der  Verkehr 
immer  auf  Grund  dieses  Handelsvertrages  gefühlt  worden. 

Am  22.  August  hatte  man  in  der  ganzen  Sache  noch 
nicht  einen  Schritt  vorwärts  gethan.  Natürlich  weigerte  sich 
Heinrich  VIII.  seine  Zustimmung  zu  einem  neuen  Handelsvertrag 
zu  geben  und  nannte  ein  solches  Verlangen  Zudringlichkeit. 
Er  läugnete  die  Möglichkeit,  diesen  und  den  Freundschafts- 
vertrag gesondert  zu  behandeln,  da,  wie  der  Vertrag  von 
Cambrai  zeige,  beide  unzertrennlich  verkettet  seien.  Der 
Protest  niederländischerseits  nütze  nichts,  da  nach  dem  Wort- 
laut eine  einseitige  Lösung  des  Vertrags  unmöglich8). 

Gegen  September  hatte  es  den  Anschein,  als  ob  die  ersten 
Anzeichen  zu  einer  Annäherung  vorhanden.  Osborn  wurde 
die  so  lang  erwünschte  Licenz  zur  Ausfuhr  des  Kupfers  er- 
theilt4),  und  auch  Heinrich  VIII.  schlug  in  seinen  Briefen  einen 
versöhnlicheren  Ton  an.  Gleichzeitig  hoffte  man  durch  de  Praet, 
der  gerade  damals  nach  den  Niederlanden  gekommen  war, 
leichter  zum  Ziele  zu  gelangen ß).    Allein  der  gewandte  Diplo- 

')  Vgl.  State  Papers  I.    S.  668—671;  674-679. 

*)  In  den  State  Papers  ist  anmerkungsweise  beigefugt,  dass  Hackett, 
Tregonweü  und  Enight  im  Frühling  1529  zu  Bourbourg  waren. 

*)  Brief  Heinrichs  VI1L  an  Carne  und  Vaughan  vom  22.  Aug.  State 
Papers  VIII.  S.  690. 

')  State  Papers  VIII.    S.  597. 

*)  Am  5.  September  instruirte  Heinrich  VIII.  seinen  Gesandten,  de  Praet 
zu  besuchen  und  diesen  bei  dem  Kaiser  einflussreichen  Mann  von  der  Güte 
der  englischen  Sache  zu  überzeugen.    De  Praet  entschuldigte  sich  aber  dem 


—    92    — 

raat  hatte  auch  nichts  Besseres,  als  artige  nichtssagende 
Redensarten  zu  bieten. 

Schliesslich  gaben  die  englischen  Gesandten,  wie  Hein- 
rich VIEL  gewünscht,  ein  Ultimatum  ab,  worin  sie  nochmals  den 
englischen  Standpunkt  darlegten  und  auf  5  von  ihnen  hervor- 
gehobene Punkte  eine  endgültige  Antwort  verlangten,  welche 
dem  König  von  England  als  definitiver  Beschluss  und  als 
Richtschnur  für  seine  weiteren  Massregeln  dienen  könne. 
Lange  liess  man  die  Gesandten  warten,  von  Tag  zu  Tag 
wurden  sie  vertröstet,  bis  man  denn  am  7.  September  die  ge- 
wünschte schriftliche  Erklärung  abgab *).  Die  Engländer  waren 
enttäuscht,  sie  behaupteten,  zwei  der  wesentlichsten  Punkte 
habe  man  übergangen,  es  fehle  ebenso  sehr  eine  Antwort  auf 
ihre  Frage,  ob  der  Kaiser  den  Verkehr  aufrecht  erhalten 
wolle,  als  eine  Rückäusserung  über  die  niederländische 
Auffassung  bezüglich  des  Vertrages  von  Cambrai  und  der  in 
demselben  vorgenommenen  Verknüpfung  von  Freundschaft  und 
Handel.  Die  Königin  liess  ihnen  aber  bedeuten,  dass  ihre 
Antwort  klar  genug  sei.  Zu  weiteren  Aufklärungen  könne  ihr 
Gesandter  in  London  dienen. 

Das  Ultimatum  hatte  seinen  Zweck  verfehlt.  Auch  sach- 
lich brachte  diese  letzte  Phase  wenig  Neues.  Interessant  ist 
aber  die  Wendung,  welche  die  Niederländer  in  ihrer  Ver- 
zweiflung der  Acte  zu  geben  suchten.  Da  Cromwell  in  der 
raffinirtesten  Weise  Alles  so  geordnet,  dass  ein  Vertragsbruch 
juristisch  nicht  leicht  zu  construiren  war,  so  musste  natürlich 
aller  Scharfsinn  aufgeboten  werden,  um  dennoch  einen  solchen 
herauszubringen.  Die  Niederländer  stützten  sich  einmal  auf 
die  in  allen  Verträgen,  auch  im  Vertrag  von  1529  vor- 
kommende Phrase,  dass  sie  gleich  frei  in  England  Waaren 
verladen  könnten,  wie  die  Engländer  selbst,  diese  Freiheit  sei 
ihnen  nun  thatsächlich  genommen;  sodann  holten  sie  zum  Be- 
weis ein  altes  Privileg  Eduards  I.  vom  Jahre  1296  hervor, 
demzufolge  sie  die  gleichen  Vergünstigungen  in  England  haben 
sollten,  wie  die  Engländer  oder  irgend  eine  andere  Nation2). 


Gesandten  gegenüber  damit,  dass  ihm  die  ganze  Sache  fremd  sei.  Vor  17 
Jahren  sei  er  allerdings  in  England  gewesen  and  habe  damals  während 
seines  dreijährigen  Aufenthaltes  oft  von  den  Handelsverträgen  Einsicht  ge- 
nommen j  inzwischen  habe  er  sich  aber  immer  bei  dem  Kaiser  aufgehalten 
und  sei  m  Folge,  dessen  gar  nicht  auf  den  Laufenden.  Er  wolle  sich  aber 
bei  der  Königin  nach  dem  Stand  der  Sache  erkundigen  und  dafür  sorgen, 
dass  baldige  Antwort  erfolge.  Carne  und  Vaughan  an  Heinrich  VIIL  5.  Öct 
State  Papers  VIIL    S.  698. 

*)  Vgl.  La  somme  de  ce  que  les  Ambassadeurs  de  la  Majeste  du  Roy 
d'Angleterre,  reseantz  en  la  court  de  la  Royne  d'Onffrie  Regente  du  Pays- 
Bas  ont  nagueres  declaire  a  la  dicte  Royne  de  par  la  Majeste  dudict  Roy 
leur  Seigneur;  sowie  die  Reponse  de  la  Royne  Douagiere  de  Hongrye  etc 
in  den  State  Papers  VIIL  S.  620—24. 

*)  Natürlich  konnten  sie  sich  nicht  verhehlen,  dass  sie  thatsächlich 
das  Privileg  schon  lange  nicht  mehr  besassen;  sie  betrachteten  aber  die 


Dass  sie  mit  ihren  Argumenten  auch  nicht  den  geringsten  An- 
klang fanden,  lässt  sich  denken;  sie  mussten  es  erdulden,  dass 
Heinrich  VIII.  ihre  Allegationen  frivol  nannte. 

Letzterer  beauftragte  am  8.  December  seinen  Gesandten  nach 
nochmaliger  Anfrage  bei  der  Regehtin  die  Niederlande  zu  ver- 
lassen, falls  die  Weigerung,  das  Edict  aufzuheben,  fortgesetzt 
würde.  Die  Abreise  des  Gesandten  scheint  auch  stattgefunden 
zu  haben.  Der  Winter  ging  vorüber,  ohne  dass  man  sich 
einander  genähert  hatte.  Die  Verhandlungen  wurden  nun  an 
den  spanischen  Hof  verlegt;  die  englischen  Gesandten  Boner 
und  Knyvet  hatten  die  Angelegenheit  zuerst  mit  dem  Kaiser 
und  Covos1),  später  mit  Granvella  zu  discutiren. 

Der  ganze  Charakter  der  Verhandlungen  änderte  sich 
damit.  Bisher  hatte  man  vorwiegend  mit  Gründen  handels- 
politischer und  rechtlicher  Art  gekämpft,  jetzt  sprach  die  all- 
gemeine Politik  das  letzte  Wort.  Der  Bischof  von  London 
stellte  gleich  in  der  ersten  Unterredung  mit  Granvella  die 
Frage,  ob  der  Kaiser  die  Freundschaft  fortsetzen  wolle,  bei- 
fügend, dass,  wenn  dieser  kalt  und  zögernd  vorgehe,  er  es 
nicht  sonderbar  finden  dürfe,  wenn  der  König  von  England 
ihm  anderweitig  gemachte  Anträge  acceptire8). 

Damit  war  klar  formulirt,  um  was  es  sich  handelte.  Krieg 
war  in  Sicht.  Franz  I.  plante  mit  Hilfe  der  Türken  den  ver- 
hassten  Kaiser  zu  vernichten;  ein  Bündniss  Heinrichs  VIII.  mit 
Frankreich  war  angedroht,  falls  man  länger  die  Retorsion^ 
massregel  aufrecht  erhalten  wollte.  Granvella  versprach  eine 
Reformation  des  Edicts,  behandelte  aber  die  Gesandten  hin- 
sichtlich dieses  Punktes  dilatorisch,  der  Versuch  der  englischen 
Regierung,  Chapuys  zu  gewinnen  und  durch  dessen  Vermitt- 
lung die  Regentin  zum  Nachgeben  zu  bewegen,  misslang 
ebenfalls s). 

Die  flandrische  Regierung  wankte  und  wich  nicht;  Hein- 
rich VIII.  fand  es  nicht  für  räthlich,  auf  Frankreichs  Seite  zu 
treten;  sein  Drohmittel  versagte  den  Dienst  Am  29.  Juni 
wurde  zu  Hampton  Court  ein  Protokoll  unterzeichnet,  dem- 
zufolge England  versprach,  das  Statut  für  die  Niederlande 
and  Spanien  ausser  Kraft  zu  setzen,  unmittelbar  nachdem  die 
Niederländer  mit  Zurücknahme  des  Edicts  vorangegangen  sein 


Entreissung  als  ein  viele  Jahrzehnte  hindurch  verübtes  Unrecht.  Sie  behaup- 
teten, ursprünglich  dasselbe  Tonnengeld  wie  die  Osterlinge  und  Kölner  ge- 
zahlt zu  haben,  hernach  habe  man  sie  gezwungen,  ebenso  viel  wie  die  Eng- 
länder zu  zollen,  später  sie  auf  gleiche  Stufe  mit  den  nichtprivilegirten 
Fremden  gesetzt,  so  dass  sie  seit  20  Jahren  (1522)  gar  kein  Privileg  mehr 
genössen.    State  Papers  V11I.    S.  620—24.    Sieh  auch  oben  S.  14. 

*)  Bis  5.  April  1542. 

*)  Boner  et  Knight  an  Heinrich  VIII.  Yalladolid  8.  Mai  1542.  State 
Papers  IX.    S.  1—17. 

»)  State  Papers  IX.    S.  23  u.  24.   26.  64. 


—    94    - 

würden  *).  Dass  dem  Protocoll  gemäss  gehandelt  wurde,  kann 
als  sicher  gelten2).  Durch  Parlamentsacte  wurde  die  Aus- 
nahmestellung der  Niederländer  nicht  decretirt.  Heinrich  VIII. 
muss  somit  durch  Licenz  aus  eigener  Machtvollkommenheit 
dieselbe  gewährt  haben3). 

Englands  Handelspolitik  hatte,  seitdem  das  Scepter  in 
die  Hände  der  Tudors  gelangt  war,  die  erste  Niederlage  von 
den  Niederlanden  erlitten.  Die  Schiffahrtsacte  war  zum  grossen 
Tlieil  werthlos  geworden,  denn  die  Hansen  waren* ihr  ohnehin 
nicht  unterworfen,  und  die  Niederländer  mit  den  Venetianern 
die  Einzigen,  auf  die  sie  eigentlich  abgezielt  war;  mit  der 
politischen  Unterstützung4)  war  den  Niederländern  noch  ein 
beträchtliches  Zollgeschenk  zugefallen  und  ein  grosser  Theil 
des  Handels,  den  bisher  die  Merchant  adventurers  als  einzige 
Domäne  besessen  hatten. 

Wohl  mochte  die  zeitliche  Beschränkung  des  Privilegs  bis 
8,  April  1546  und  der  Wiedereintritt  des  alten  Zustandes  nach 
4  Jahren  nicht  unwesentlich  der  englischen  Regierung  die 
Coocessionen  erleichtert  haben;  allein  die  volle  Bedeutung  lag 
eben  nicht  in  der  zeitlichen  Begrenzung;  die  englische  Re- 
gierung hatte  definitiv  eine  Politik  aufgegeben,  welche  zu 
einem  Markstein  in  den  Beziehungen  zwischen  England  und 
don  Niederlanden  geworden  wäre;  der  provisorische  Bau,  den 
Crom  well  für  7  Jahre  errichtet  hatte,  konnte  nicht  ausgebaut 
nicht   erhalten   werden,   seitdem   die  Grundpfeiler   aus   dem- 


*)  Das  Protocoll  lautet:  Nomine  illustrissimorum  principum  domino- 
rura  nostrorum  paciscimur  convenimus,  invicem  promittimus  et  stipulamur, 
quod  edictum  in  Flandria,  factum  contra  mercatores  et  nautas  Anglos. 
videlicet  ne  ex  portubus  Flandrie  et  aliarum  inferiorum  ditionum  Cesaree 
M;4Jo8tati  &pectante8  et  pertinentes  naves  Anglie  mercibus  quibuscunque 
Hut  alio  quovis  onere  onerate  discedant,  sed  vacue  omnino  atque  inanes  in 
Angliam  revertantur,  quamprimum  fieri  potent,  revocabitur  et  abrogabitur; 
tta  quod  mercatores  Anghae  in  eo  jure  eint,  quo  ante  dictum  edictum 
m  grünt  Post  quod  edictum  [ita]  revocatum  et  hujusmodi  revocatione 
realiter  facta,  serenissima  Anglie  Majestas  statutum  in  Parliamento  anno 
reani  sue  Majcstatis  tricesimo  tertio  de  re  navali  editum,  quatenus  videlicet 
subditos  Cesaree  Majestatis  inferiorum  ditionum  et  Hispaniarum  concernere 
quovis  modo  aut  tangere  poterit,  remitti  prorsus  et  relaxari  statim  efßciet, 
ut  dicti  subditi  Cesaris  in  eo  jure  sint,  in  quo  ante  dictum  statutum  fuerunt. 
In  quorum  fidem  et  testimonium  hijs  subscripsimus.  Datum  apud  Hampton 
courte  29.  die  Juny,  anno  Domini  mülesimo  quingentesimo  quadragesimo 
ndo.  Signatur.  Orator  ac  commissarius  Cesaree  Majestatis  Eustachius 
Cbapuys.    State  Papers  IX.  S.  65,  66. 

a)  Vgl.  ürk.  Beil.  41  gegen  Scbluss  und  State  Papers  VIII.  S.  623 
u.  676. 

•)  Von  der  im  Mai  1539  durch  das  bekannte  Ges.  31  Hen.  VIII  c.  8 
dem  König  übertragenen  Gewalt  konnte  gesetzlich  in  diesem  FaU  keine  An- 
wendung gemacht  werden,  weil  die  mit  Zustimmung  des  Privy  Council  er- 
lassenen Proclamationen  nur  dann  als  Gesetz  zu '  gelten  hatten ,  wenn  sie 
nicht  schon  bestehende  Statuten  aufhoben.    Es  blieb  also  nur  der  Gnaden- 


weg übrig. 

4)  State  Papers  IX.    S.  125. 


—    95    - 

selben  entfernt  waren.  Noch  waren  die  Bande,  welche  Eng- 
land und  die  Niederlande  zusammenhielten,  zu  stark,  als  dass 
man  wagen  konnte,  mit  Gewalt  sie  zu  zerreissen,  ohne  sich 
nicht  selbst  zu  verletzen.  Erst  Elisabeth  und  ein  neuer 
Cromwell  sollten  dieses  Werk  vollführen. 

Der  moralische  Eindruck  bei  der  kaiserlichen  Regierung 
in  Folge  des  Sieges  war  ungeheuer.  Schon  glaubte  man,  noch 
mehr  von  England  erlangen  und  auch  den  Intercursus  in 
niederländischem  Sinn  reformiren  zu  können.  Der  Krieg  des 
Kaisers  gegen  Frankreich  gab  willkommene  Gelegenheit  zu 
einem  neuen  Versuch.  Um  die  nöthigen  Gelder  aufzubringen, 
fasste  man  unter  Andern  auch  eine  Zollerhöhung  ins  Auge. 
Am  2.  April  1543  wurde  eine  Verordnung  proclamirt,  wonach 
bis  auf  Weiteres  Jeder  bei  Ausfuhr  1%  des  Waarenwerthes 
Zuschlagszoll  zu  zahlen  habe1).  Natürlich  wollte  man  die 
Engländer  hievon  nicht  befreit  wissen;  denn  es  war  zu  be- 
fürchten, dass  sie,  allein  ausgenommen,  fast  den  ganzen  Steuer- 
effect  verhindern2)  und  den  sämmtlichen  Handel  an  sich  ziehen 
würden;  gleichzeitig  war,  wenn  es  gelang,  die  Engländer  ins 
Netz  zu  ziehen,  ein  vorzüglicher  Präcedenzfall  für  die  Zukunft 
geschaffen  und  eine* Bresche  in  den  Intercursus  geschossen; 
mit  dieser  Besteuerung  war  aber  Karl  V.  nicht  einmal  zufrieden, 
sondern  er  befahl,  auch  die  eximirte  Stellung  der  Engländer 
in  Antwerpen  zu  beschränken  und  sie  der  Accise  für  die 
von  ihnen  verbrauchten  Bier-  und  Weinmengen  zu  unter- 
werfen. 

Die  Regentin,  des  vertragswidrigen  Vorgehens  sich  wohl 
bewusst,  theilte  dem  König  mit,  dass  diese  Abgabe  nur  für 
die  Dauer  des  Krieges  beabsichtigt  sei;  dieselbe  betrage  sehr 
wenig,  und  er  möge  ihre  Erhebung  gestatten,  namentlich  mit 
Rücksicht  auf  die  anderen  Fremden,  welche  sicher  sehr 
murren  würden,  wenn  die  Engländer  ausgenommen  würden. 

Die  Haltung  der  englischen  Regierung  war  eine  schwan- 
kende8). Beinahe  gelang  es  den  Niederländern ,  dieselbe  zu 
überreden.  Nur  die  Merchant  adventurers  in  London  leisteten 
energischen   Widerstand4).     Sie   wollten   sich    höchstens   zur 


*)  State  Paper  s  IX.  S.377.  Wenige  Monate  später  wurde  auch  ein 
Urtheil  gefallt,  welches  den  Unfug  der  Engländer,  durch  Fertigung  recht 
grosser  Packete  den  Zoll  theil weise  zu  hinterziehen,  verbot.  Urk.  Beil.  45. 
§22,  23. 

*)  Aus  2  Gründen,  1)  weil  die  Ausfuhr  der  Engländer  an  sich  schon 
sehr  bedeutend  war,  2)  noch  bedeutender  geworden  wäre,  wenn  sie  auf 
Grund  ihres  Privilegs  für  Fremde  Waaren  ausgeführt  hätten. 

*)  State  Papers  IX.    S.  377  fg. 

4)  In  den  mit  der  Regierung  geführten  Verhandlungen  sagten  die 
Merchant  adventurers  unter  Anderm:  Andere  Nationen  hätten  gar  keine 
Veranlassung,  sich  über  eine  etwaige  Ausnahmestellung  der  Engländer  auf- 
zuhalten, da  sie  nicht  die  gleichen  Rechte  und  Freiheiten  wie  die  Engländer 
sich  erworben  hätten.    Solche  Versuche,  neue  Abgaben  einzuschmuggeln, 


—    96    — 

Zahlung  einer  einmaligen  Pauschalsumme  von  1000  vläm.  Pfund 
=  750  j£  verstehen1).  Der  kaiserliche  Gesandte  gab  sich 
nicht  mit  diesem  Compromiss  zufrieden,  er  drohte  im 
Weigerungsfälle  mit  rigorosen  Massregeln8)  und  selbst  Auf- 
hebung des  Intercursus.  Die  Kaufleute  ihrerseits  erklärten, 
dass  sie  nur  der  Gewalt  weichen  würden.  Das  war  in  der 
That  der  Fall;  denn  da  sie  sich  nicht  fügten,  wurden  ihre 
Schiffe  und  Waaren  in  den  Niederlanden  bei  der  Ausfuhr  mit 
IteM'hlag  belegt,  beziehungsweise  die  englischen  Schiffe  ge- 
nöthigt,  leer  nach  Hause  zu  kehren. 

Am  14.  Juni  versuchten  nochmals  die  Räthe  in  London, 
den  kaiserlichen  Gesandten  von  seiner  Hartnäckigkeit  ab- 
zubringen. Sie  stellten  ihm  vor,  wie  die  Kaufleute  bei  Hof 
gewesen  und  sich  bitter  beklagt  hätten,  weil  man  ihre  Schiffe 
nicht  auslaufen  lasse;  dieselben  hätten  sich  über  den  Abschluss 
der  Allianz  so  sehr  gefreut,  und  nun  müssten  sie  sich  von  den 
Niederlanden  wie  von  Feindesland  zurückziehen.  Wie  könne 
man  denn  unter  solchen  Umständen  überhaupt  noch  an  Freund- 
schaft glauben?  Erregt  und  fast  dramatisch  wurden  die  De- 
batten, die  sich  daran  knüpften3),  am  Ende  brachte  man  den 
Gesandten  so  weit,  dass  er  auf  die  angebotene  Pauschalsumme 
einging  oder  doch  in  diesem  Sinn  wirken  zu  wollen  versprach. 
Gleichzeitig  Hess  der  König  ähnliche  Vorstellungen  durch 
seinen  Gesandten  machen;  er  betonte  namentlich,  dass  auch 
der  Grund  wegen  des  gegebenen  Beispiels  nicht  mehr  vorhalte, 
da  die  anderen  fremden  Kaufleute  bereits  den  verlangten  Zoll 
gezahlt  hätten4). 

Noch  immer  aber  zögerte  die  Königin,  zu  Allem  war  sie 
bereit,  nur  nicht  zur  Aufhebung  des  Zolles.    Sie  erbot  sich, 


nicht  von  gestern;  sie  hätten  immer  und  immer  dagegen  zu  kämpfen 
geballt  und  die  Verteidigung  ihrer  Freiheiten  ihnen  schon  mehr  als 
40  000  £  gekostet.  Dank  Sr.  Majestät  und  deren  Vater  habe  man  glücklich 
alle  Angriffe  abgewehrt,  und  auch  fortan  setzten  sie  ihre  Hoffnung  und  ihr 
Vertrauen  auf  den  Schutz  ibres  königl.  Herrn.  Als  gehorsame  Unterthanen 
würden  sie  Sr.  Majestät  in  Allem  gehorchen,  was  man  ihnen  befehle,  sie 
konnten  aber  Nichts  freiwillig  gewähren.  State  Papers  I.  S.  742  u.  743. 
Aeimlich  äusserten  sich  die  Kaufleute  schon  früher;  nicht  um  den  Betrag 
an  sich  sei  es  ihnen  zu  thun,  sondern  um  die  Consequenzen  (for  thexample 
and  entree  prejudicial  to  such  entercourse  as  by  tue  leages  is  concluded) 
State  Papers  IX.    S.  377  u.  378. 

2  So  noch  am  26.  Juni  1543.    State  Papers  IX.    S.  430. 

*)  Man  werde  dio  Engländer  zwingen,  afie  ihre  Packete  öffnen  zu 
lassen p  nachforschen,  von  wem  sie  Waaren  gekauft  und  dann  die  Verkäufer 
an  BteJle  der  Engländer  zur  Zahlung  der  Auflage  zwingen.  Diese  Drohung 
machte  die  Kaufleute  sehr  betroffen;  sie  meinten,  es  sei  gar  nicht  dem 
Königreich  förderlich,  dass  man  Alles  öffentlich  sehe,  was  sie  von  den 
Niederlanden  wegschafften.  Nichts  destoweniger  müssten  sie  Widerpart 
halten*  „Denn  einmal  begonnen,  nehme  das  nie  wieder  ein  Ende."  State 
Papers  I.    S.  749  u.  750. 

a)  State  Papers  L    S.  753  u.  754. 

•)  State  Papers  IX.    S.  407. 


-    97    - 

ein  Document  ausfertigen  und  in  demselben  den  englischen 
Kaufleuten  zusichern  zu  lassen,  dass  ihreh  Privilegien  durch 
diese  Abgabe  nicht  im  Mindesten  präjudicirt  werden  solle; 
eventuell  war  sie  auch  bereit,  diese  Auflage  nicht  in  der  Form 
des  Zolls,  sondern  als  eine  sogenannte  Benevolence  anzunehmen. 
Endlich  als  sie  auch  hiemit  nicht  durchdrang,  ging  sie  auf  den 
früheren  Vorschlag  der  Kaufleute  ein  und  wollte  sich  mit  einem 
einmaligen  Geldgeschenk  begnügen x).  Die  Schiffe  sollten  ohne 
Zoll  freigegeben  werden,  die  Engländer  aber  versprechen,  dass 
sie  die  Waaren  nicht  in  andere  Länder  bringen  würden 2). 

Wirklich  durften  die  Schiffe  auslaufen,  aber  die  Engländer 
mussten  schwören,  dass  sie  nur  eigene  Güter  führen,  und 
auch  diese  blos  nach  England  bringen,  dort  verschleissen  und 
verkaufen  wollten3).  Hierin  lag  aber  wieder  eine  Vertrags- 
verletzung. Die  Engländer  anerkannten,  dass  eine  Bestim- 
mung nothwendig  und  erlaubt  sei,  durch  welche  verhindert 
würde,  dass  ihre  Kaufleute  fremde  Güter  verführten,  aber 
man  habe  keine  Befugniss,  diesen  zu  verbieten,  Waaren,  die 
sie  selbst  gekauft,  in  andere  Länder  zu  bringen,  das  sei 
ihnen  immer  gestattet  gewesen4).  Sie  hatten,  juristisch  ge- 
nommen, natürlich  auch  Recht,  factisch  war  aber  den  Nieder- 
ländern mit  dieser  feinen  Distinction  nicht  gedient;  denn  sie 
wollten  eben  auch  nicht  haben,  dass  die  Engländer  den  Eigen- 
handel auf  Grund  des  Privilegs  über  Gebühr,  zum  Schaden 
des  Staatsschatzes  und  zum  Nachtheil  der  einheimischen  Kauf- 
leute ausdehnten6). 

Es  hatte  in  der  That  den  Anschein,  als  ob  diese  Zollfrage 
eine  „endlose  Angelegenheit"  werden  wolle.  Am  5.  September 
stand  sie  noch  immer  im  Vordergrunde 6).  Wohl  hatte  die 
Königin  die  Ausnahmestellung  der  Engländer  zugegeben,  aber 
die  Zollbeamten  erfuhren  nichts  davon  und  erhoben  die  Zu- 
schlagstaxe, wie  sie  sich  auch  weigerten,  die  genommenen 
Pfänder  und  Cautionen  zurückzustellen.    Als  Garne  nun  ener- 

J)  Seymour  und  Wotton  an  Heinrich  VIII.  17.  Juni  1543.  State 
Pap  er  s  IX.    S.  415—417. 

*)  Seymour  und  Wotton  an  Heinrich  VIII.  18.  Juni  1543.  State 
Papers  IX.    S.  418. 

*)  Die  Zollbeamten  wollten  auch  immer  wissen,  was  die  Engländer  weg- 
sandten, ebenso  den  Preis  der  einzelnen  Stücke,  um  den  sie  jedes  gekauft, 
wahrscheinlich  um  zu  sehen,  welcher  Zollentgang  eingetreten.  Ferner  ver- 
langten sie  die  Zuschlagstaxe  von  allen  denen,  welche  vor  dem  Erlass  des 
Decrets  die  Waaren  verfuhrt  hatten.  Seymour  und  Wotton  an  den  Privy 
Council  22.  Juni  1543.    State  Papers  IX.    S.  424—427. 

4)  Vgl.  Art.  11  des  Magnus  Intercursus  Absatz  2.   Rymer  XII.  S.  582. 

*)  Der  Präsident  Schore  sagt  dies  einmal  ganz  offen  dem  englischen 
Gesandten  Came.  „Wenn  die  Königin  den  Hundertzoll  abschaffen  würde, 
wie  Ihr  wollt,  dann  würden  die  Engländer  aUe  beliebigen  Güter  allerwärts 
verfahren,  und  der  Kaiser  um  alle  schuldigen  Zölle  kommen."  State 
Papers  X.    S.  55—61. 

6)  State  Papers  IX.    S.  55—61. 

S  e  h  i  n  z ,  Engl.  Handelspolitik.    I.  7 


gisch  die  Sache  der  Engländer  vertrat,  erhielt  er  nichts 
als  Ausflüchte  und  Ausreden.  Die  Bückgabe  der  Cautionen 
wurde  verweigert,  weil  man  eine  Garantie  haben  müsse,  dass  — 
man  sieht,  wie  die  Niederländer  auf  ihrem  früheren  Standpunkt 
beharrten  —  die  englischen  Kaufleute  keine  Waaren  anders- 
wohin, als  nach  England  brächten;  die  Wein-  und  Bieraccise 
will  der  flandrische  Präsident  Schore  für  erlaubt  halten,  weil 
die  Verträge  nicht  von  Getränken  oder  von  dem  Verbot  der 
Neubelastung  derselben  sprächen,  und  als  der  Gesandte  ihn 
damit  widerlegte,  dass  auch  Getränke  Güter  seien,  von  denen 
doch  die  Verträge  handelten,  so  suchte  der  Präsident  die 
Schuld  Antwerpen  zuzuschieben,  da  nur  dieses  und  nicht  der 
Kaiser  befugt  sei,  die  Accise  aufzuheben,  bis  denn  Garne  auch 
noch  hier  ihn  entlarvte  und  nachwies,  dass  der  Befehl  zur 
Erhebung  der  Abgabe  vom  Kaiser  und  nicht  von  der  Stadt 
ausgegangen  sei. 

Als  der  Gesandte  sah,  dass  er  bei  dem  immer  heftiger 
werdenden  Minister  Nichts  ausrichte,  wandte  er  sich  noch  an 
die  Königin  und  verlangte  in  einer  Schrift  ganz  präcis  und 
bestimmt  die  Abschaffung  der  Zölle  und  Rückgabe  der  Cautionen. 
\  ober  14  Tage  hielt  man  den  zudringlichen  und  unbequemen 
Gesandten  hin;  endlich  kam  der  Kanzler  selbst  zu  ihm  und 
erklärte,  die  Unterthanen  des  Königs  müssten  in  den  Nieder- 
landen nach  den  Gesetzen  des  Kaisers  leben,  und  die  des 
Kaisers  in  England  nach  denen  des  Königs;  hinsichtlich  der 
Verträge  hatte  er  Nichts  zu  sagen. 

Die  bestehenden  Differenzen  wurden  somit  nicht  beglichen, 
im  Gegentheil  noch  schwierigere  Fragen  gesellten  sich  hinzu. 
Wie  in  jedem  Kriege  noch  heute  der  Mangel  eines  inter- 
nationalen Kriegsrechtes  und  einer  genauen  Begrenzung  und 
effectiven  Beschützung  des  neutralen  Handels  gefühlt  wird,  so 
und  in  noch  viel  stärkerem  Masse  war  es  damals.  In  unserm 
Jahrhundert  sind  doch  gewisse  Normen  allgemein  anerkannt1). 
in  der  vergangenen  Zeit  war  aber  jeder  Satz  schwankend,  und 
je  nach  der  politischen  Lage  und  Macht  wurde  beim  nämlichen 
Fall  bald  dieses  bald  jenes  Verfahren  beliebt.  Der  Anlass 
zum  Streit  ergab  sich  dadurch,  dass  die  katholischen  Unter- 
thanen Karls  V.,  welche  ohnehin  Frankreich  wohl  wollten,  seit 
dem  einseitigen  Frieden,  den  Karl  V.  mit  Franz  I.  zu  Cr£py  am 
ls,  September  geschlossen,  Schiffe  in  der  Scheide  ausrüsteten 
und  Waaren  in  die  französischen  Häfen  schafften;  ferner  dass 
die  französischen  Kaufleute  vlämische  Schiffe  zu  ihrem  Handel 
mietheten  und  auf  diese  Weise  ihre  Ladungen  durch  die  neu- 
trale Flagge  gegen  die  Engländer  schützen  zu  können  glaubten; 

6)  Vgl.  die  Verhandlungen  und  Beschlüsse  des  Pariser  Congresses  von 
1*56,  die  Genfer  Convention  von  1864  mit  Zusatzartikeln  von  1868,  die 
Abmachungen  auf  der  Brüsseler  Conferenz  1874. 


—    99    — 

denn  der  englische  König  hatte  sich  geweigert,  das  von  ihm 
eroberte  Boologne  herauszugeben  und  den  Frieden  einzugehen. 

Heinrich  VIII.  bestritt,  dass  ein  Feind  unter  neutrale  Flagge 
handeln  könne,  hielt  sich  berechtigt,  unter  Strafe  der  Con- 
fiscation  Blocade  zu  erzwingen  und  erachtete  es  namentlich 
für  unzulässig,  den  Feind  mit  Lebensmitteln  zu  versehen1). 
Karl  V.  gestand  zu,  dass  Munition  der  Confiscation  zu  unter- 
werfen sei,  aber  nicht  Lebensmittel,  welche  man  in  eine  Ge- 
gend bringe,  wo  sie  möglicher  Weise  von  fremden  Heeren  an- 
geeignet würden. 

Die  englischen  Kaperschiffe  handelten  den  Vorschriften  Hein- 
richs VHI.  gemäss  und  ergriffen  16  oder  17  Antwerpener  Schiffe 
als  gute  Prise,  brachten  sie  nach  Dartmouth  und  Fowey  und 
Hessen  ein  Urtheil  gegen  sie  aussprechen2).  Mit  der  Wende 
des  Jahres  1544  wurden  weitere  36  reichlich  beladene  flan- 
drische Schiffe,  welche  mit  Heringen  und  anderen  Waaren 
nach  Frankreich  gehen  sollten,  in  England  mit  Beschlag  be- 
legt8). Der  Kaiser  Hess  nun  gleichfalls  zum  Ersatz  aile  Eng- 
länder mit  Schiff  und  Gut  festhalten4),  welche  gerade  zum 
Besuch  der  Messe  nach  Bergen  op  Zoom  zahlreicher,  als  in  den 
letzten  7  Jahren  gekommen  waren5). 


*)  Durch  Art  28  des  M.  I.  war  es  allerdings  verboten,  dem  Feinde 
irgend  welche  Waaren  zuzufahren;  die  Königin  Maria  und  ihr  Gesandter 
waren  deshalb  ganz  im  Unrecht,  wenn  sie  glaubten,  es  seien  hiezu  beson- 
dere Abmachungen  nöthig  gewesen.    State  Papers  IX.    S.  589. 

«)  Fronde,  History  of  Henry  VI1L    IV.  8.  385. 

*)  Papebrochii  Annales  Antverpienses  ed.  Mertens  et  Buschmann, 
IL    S.  289;  Brown,  Cal.  V.    S.  325. 

*)  State  Papers  X.  8.  248.  üeber  die  Wirkung  dieser  Beschlag- 
nahme für  die  einzelnen  englischen  Kauf  leute  gibt  Pagets  Brief  vom  3.  März 
1545  an  Petre  in  Brüssel  Aufschluss;  er  sagt:  „Some  in  dede  shall  wynne 
by  it,  as  William  Lok,  Sir  Richard  Gressam  and  his  sonne  (Thomas)  and 
William  Gressam  with  such  other  for  the  most  parte,  that  occupie  sylkes, 
who  owe  more,  than  they  have  here.  But  Mr.  Warren,  Mr.  Hill,  Chestre 
and  dyverse  others  a  greate  nombre  ar  like  to  have  a  greate  swoope  by 
it,  having  much  here  and  owing  nothing  or  little"  Burgon,  Life  of  Sir 
Th.  Gresham.  I.    S.  49. 

*)  Die  Panik,  die  in  Folge  dessen  an  der  (seit  1531  bestehenden)  Ant- 
werpener Börse  eintrat,  war  ungeheuer;  die  Niederländer  fürchteten  schon 
einen  Brach  mit  England,  und  allgemein  war  die  Bestürzung.  Vaughan 
schrieb  an  den  Privy  Council:  „Sythen  tharrest  made  here  by  thEmpefour, 
all  the  merchauntes  of  this  town  have  remaynvd  in  a  marveylous  staye; 
the  burse  unhawntyd,  their  hartes  dampyd  ana  made  cold  with  the  great 
feare,  that  they  had ,  never  to  recouver  ageyn  such  thinges  as  wer  taken 
upon  the  sees,  all  thinhabitantes  of  this  town  shronk  at  it,  fearyng  the 
ntter  decaye  of  theyr  trafficke,  great  numbres  of  fullers,  sheremen,  dyers 
and  others,  thought  theyr  lyvings  wer  utterly  berevyd  from  them:  so  that, 
if  it  had  contvnued  a  letle  lenger,  it  wold  have  brought  a  wonderfull  al- 
teration  of  thinges  here.  This  letle  arrest  hathe  made  many  to  confesse  to 
me,  that  it  wer  better  for  this  Contrey  to  have  20  yeres  warres  with 
France  then  one  with  Englond;  in  so  great  feare  they  were  of  it"  State 
Papers  X.    S.  257. 


—    100    — 

Damit  war  das  Mass  des  Erträglichen  auf  beiden  Seiten 
voll.  Man  erkannte,  dass  man  sich  gegenseitig  wieder  die 
Hand  bieten  müsse.  Am  6.  April  1545  kam  man  überein, 
alle  Beschlagnahmungen  *  aufzuheben  und  alle  schwebenden 
Streitigkeiten  durch  eine  am  1.  Mai  1545  zu  Calais  oder 
Gravelingen  zusammentretende  Commission  entscheiden  zu 
lassen.  Die  Unterthanen  des  Kaisers  durften  inzwischen  keine 
Lebensmittel  und  Kriegsmunition  Frankreich  zuführen;  dagegen 
musste  Heinrich  VHI.  zugestehen,  dass  sie  mit  Schiffen,  die 
weniger  als  120  Tonnen  fassten,  nach  Frankreich  freien  Handel 
trieben L). 

Es  war  das  letzte  Mal,  dass  Heinrich  VIII.  Unterhändler  zu 
einem  commerciell-  politischen  Kampf  mit  den  Niederländern 
zu  ernennen  hatte.  Seine  Wahl  fiel  wieder  auf  den  sachkun- 
digen Stephan  Vaughan,  ausserdem  auf  den  seit  1541  in 
Flandern  als  königlichen  Agenten  thätigen  und  durch  frühere 
diplomatische  Sendungen  in  Rom  und  Frankreich  geübten 
Edward  Carne,  auf  den  Bischof  von  Westminster  Thomas 
Thiilby,  der  1538  in  Frankreich  und  1542  in  Spanien  den 
englischen  Gesandtschaftsposten  inne  gehabt,  endlich  auf  den 
Gouverneur  der  englischen  Kaufleute  in  Antwerpen,  Namens 
Thomas  Chamberlain,  und  den  Kanzleisecretär  Will.  Petre. 
Ihnen  standen  gegenüber  der  uns  wohlbekannte  spanische 
Gesandte  E.  Chapuys,  der  fein  diplomatische  Ordenskanzler 
Ph.  Nigri,  ferner  H.  de  Wynghene  und  der  Secretär  M.  Strick  *). 

Die  ganze  Situation  war  eine  sehr  gespannte 3),  und  gleich 
der  Anfang  widerwärtig.  Nachdem  die  englischen  Commissäre 
zuerst  in  Gravelingen  zu  einer  Zusammenkunft  mit  den  Nieder- 
landen! sich  eingefunden,  betrachteten  die  ersteren  es  als  eine 
Ehrensache,  dass  das  nächste  Mal  die  kaiserlichen  Bevoll- 
mächtigten zu  ihnen  nach  Calais  kämen.  Heinrich  VIII.  war 
aber  vernünftig  genug,  dieser  Weitläufigkeit  ein  Ende  zu 
machen,  und  befahl,  dass  seine  Commissäre,  nachdem  die 
Niederländer  einmal  nach  Calais  gekommen  seien,  dauernd  in 
Lvelingen  zu  bleiben  hätten4). 

Die  Verhandlungen  nahmen  eine  ungünstige  Wendung. 
Die  kaiserlichen  Commissäre  waren  zunächst  bestrebt,  die  De- 
batten von  den  durch  die  Beschlagnahme  entstandenen  Ent- 
schädigungsansprüchen auf  allgemeinere  Fragen  zu  lenken, 
was  ihnen  auch  vollständig  glückte.    Sie  stellten  an  die  Spitze 


l)  State  Papers  X.  Nr.  1130,  1134;  IX.  Nr.  948;  X.  Nr.  1095, 
10&7,  1098,  1099. 

*)  State  Papers  X.    S.  412. 

*)  Die  englische  Regierung  erwog  deshalb,  ob  man  nicht  besser  den 
Tuchexport  nach  Flandern  unter  den  bedrohlichen  Verhältnissen  einstellen 
üolle.  Der  Privy  Council  zog  Richard  und  John  Gresham  sowie  SirRowland 
HM]  hierüber  zu  Rath.    16.  Mai  1545.    Br.  M.  HarL  Msc.  256.  fo.  4. 

*)  Urk.  Beil.  39. 


-     101    — 

die  Behauptung,  dass  die  Fundamentalsätze  des  Intercursus 
ihnen  gegenüber  nicht  zur  Wahrheit  geworden.  Dieser  sichere 
ihnen  zu,  so  frei  handeln  zu  dürfen,  als  die  Engländer  selbst, 
aber  davon  merke  man  nichts,  man  zwinge  sie  vielmehr,  be- 
deutend höhere  Abgaben  als  die  Engländer  zu  entrichten  *) 
und  lege  ihnen  überall  Fesseln  an,  so  dass  sie  thatsächlich 
unter  allen  Völkern  am  härtesten  behandelt  würden.  Das 
Verlangen ,  mit  den  Engländern  auf  gleichen  Fuss  gestellt  zu 
werden,  sei  gerecht  und  billig,  denn  die  Engländer  seien  in 
den  Niederlanden  durch  den  Vertrag  mehr  als  die  eigenen 
Unterthanen  privilegirt,  und  solle  die  Gegenseitigkeit,  welche 
doch  in  einem  Handelsverträge  liege,  nicht  ganz  werthlos  für 
sie  werden,  so  sei  dies  gewiss  eine  bescheidene  Forderung. 
Man  müsse  deshalb  englischerseits  eine  Reihe  Missbräuche 
und  Lasten  abstellen,  welche  bisher  verhinderten,  dass  den 
Niederländern  Gerechtigkeit  geschehe.  In  mehreren  Gruppen 
trugen  nun  die  Niederländer  ihre  Beschwerden  vor;  theils 
betrafen  dieselben  die  Zöllerhöhungen,  welche  angeblich  seit 
den  letzten  100  Jahren  eingetreten,  theils  die  Behinderung  im 
freien  Handel,  welche  entgegen  dem  Wortlaut  des  M.  I.  be- 
liebt worden  sei,  theils  Hemmnisse,  die  sich  auf  den  Schiff- 
fahrtsverkehr bezogen,  theils  Angelegenheiten,  die  mit  dem 
Wollstapel  zusammenhingen  *). 

Mit  schlauer  Berechnung  Hessen  die  Niederländer  dieses  Mal 
den  unfruchtbaren  Streit  wegen  des  Vertrags  von  1506  bezw.  1520 
bei  Seite.  Sie  verzichteten  darauf,  die  Vortheile,  welche  den 
Engländern  durch  diesen  Tractat  zugesichert  waren,  in  Frage 
zu  ziehen.  Es  war  den  Commissären  auch  in  ihrer  Instruc- 
tion eingeschärft  worden,  den  Vertrag  von  1520  zwar  nicht 
ausdrücklich  zu  bestätigen,  aber  doch  stets  die  Worte  so  zu 
wählen,  dass  er  in  Kraft  bleibe.  Nur  die  Position  des  nieder- 
ländischen Kaufmanns  in  England  sollte  verbessert,  die  im  Lauf 
der  Zeit  eingetretene  Behandlung  der  Niederländer  als  Fremde 
wieder  redressirt  und  die  Gleichstellung  mit  den  Engländern, 
wie  sie  in  der  mehrerwähnten  Zollproclamation  eingeräumt 
worden  war,  eine  dauernde  werden.  Die  Commissäre  hatten 
sogar  Auftrag,  die  vollständige  Befreiung  der  Engländer  von 
dem  lOOsten  Pfennig  auch  für  die  Ausfuhr  der  Engländer 
nach  anderen  als  englischen  Gebieten  eventuell  als  Compen- 
satdon  gewähren  zu  dürfen8).  Auf  diese  Weise  hoffte  man 
einen  Erfolg  zu  erringen.  Schon  die  Schwierigkeit,  ihre  Be- 
hauptungen in  Betreff  der  Zölle  zu  widerlegen,  war  bei  dem 
grossen  Zeitraum  von  100  Jahren,  auf  den  die  Untersuchung 


*)  Die  Engländer  zahlten  an  Zoll  in  den  Niederlanden  V/0  des 
Waarenwerths,  die  Niederländer  in  England  20  °/0.  Brewer,  CaLlV.  3928. 
Sieh  jedoch  auch  ßd.  IL  S.  6. 

«)  ürk.  Beil.  40. 

8)  ürk.  Beil.  38. 


—     102    — 

sich  zu  erstrecken  hatte,  keine  geringe.  Man  schob  den  Eng- 
ländern eine  grosse  Beweislast  zu ;  aber  diese  schreckten  nicht 
zurück. 

Die  Unterhändler  schrieben  sogleich  um  Information,  der 
Privy  Council  ordnete  auf  den  Rath  der  beiden  Gresham 
(Richard  und  John)  und  des  Rowland  Hill  eine  Enquete  über  die 
Zölle  und  sonstigen  Abgaben  der  Kaufleute  an1),  die  uns  noch 
zum  grossen  Theil  erhalten  ist9),  und  mit  dieser  ausgerüstet 
traten  die  englischen  Gommissäre  fest  und  entschlossen  den 
Niederländern  entgegen.  In  vielen  Punkten  vermochten  sie 
denn  auch  die  Angaben  der  kaiserlichen  Commissäre  zu  be- 
richtigen 3).  Sie  hielten  sich  aber  nicht  blos  in  der  Defensive, 
sondern  setzten  den  Niederländern  fast  gleichviel  Beschwerde- 
punkte entgegen.  Auch  in  diesen  kehrten  alte  Klagen  wieder, 
waren  Uebertreibungen  und  unrichtige  Verallgemeinerungen, 
welche  von  den  Niederländern  auf  das  rechte  Maass  zurück- 
geführt wurden 4). 

Den  gegenseitigen  Repliken  folgten  wieder  andere,  man 
stritt  und  debattirte,  ohne  dass  man  vorwärts  kam.  In  dem 
einen  oder  anderen  Punkt  machte  man  eine  Concession,  in 
der  Hauptsache  blieb  jede  Partei  hartnäckig.  Die  Engländer 
waren  nicht  gewillt,  zu  Gunsten  der  niederländischen  Kauf- 
leute auf  die  Fremdenzölle  zu  verzichten;  damit  war  der 
Zweck  des  Congresses  vereitelt. 

Die  gegenseitige  Missstimmung  übertrug  sich  auch  auf 
die  zu  erledigenden  Specialklagen;  hier  wuchsen  die  Be- 
schwerden ungeheuer  an5),  einzelne  Fälle  wurden  namentlich 
von  den  kaiserlichen  Unterhändlern  entsetzlich  aufgebauscht 
und  das  Resultat  war  nicht  viel  besser  als  bei  den  all- 
gemeinen Anständen,  nur  über  einige  dieser  Beschwerden 
kam  man  zu  einer  Einigung.  Die  englischen  Gommissäre 
hatten  in  der  That  Recht,  wenn  sie  an  Wotton  in  Brüssel 
schrieben:  In  früheren  Zeiten  habe  man  geglaubt,  dass,  wenn 
nur  einmal  ein  Congress  beisammen  sei,  grosse  Krankheiten 
geheilt  würden ,  jetzt  aber  müsse  man  den  Verlauf  zweier 
Congresse  als  einen  vorzüglichen  betrachten,  wenn  diese  nicht 
mehr  Krankheiten  hereinbrächten,  als  zuvor  da  waren6). 


x)  Acts  of  the  Privy  Council  v.  16.  Mai,  25.  Mai,  27.  Mai  in  Harl. 
Msc.  256.  fo.  4,  10,  11. 

8)  ürk.  Beil.  60  fg. 

s)  ürk.  Beil.  40,  41,  42,  43. 

*)  ürk.  Beil.  45,46,  47. 

5)  Urk.  Beil.  52,  54,  55;  ferner  sind  zu  vergl.  State  Papers  X. 
S.  264, 449, 450.  Ausserdem  beschäftigen  sich  Doch  ungedruckte  Briefe  der 
Commissäre  des  Congresses  an  Heinrich  VIII.  mit  den  Specialklagen.  Solche 
sind  noch  erhalten  im  Br.  M.  Cotton  Mscrs.  Galba  B.  X.  fo.  221,  fo.  223. 
Lansdown  Mscrs.  171  fo.  69. 

«)  ürk.  Beil.  56. 


—     103    — 

Dazwischen  fiel  eine  Reihe  von  Vorgängen,  die  durchaus 
nicht  geeignet  waren,  die  streitenden  Parteien  versöhnlicher 
zu  stimmen.  Karl  V.  gab  nach  dem  6.  April  1545  Kaperb  riefe 
aus,  weil  Heinrich  VIII.  sich  geweigert  hatte,  einen  Engländer 
zu  strafen ,  der  von  Spaniern  beraubt  sich  am  ersten  ihm  be- 
gegnenden spanischen  Schiff  entschädigte 1).  Heinrich  VIII.  seiner- 
seits nahm  zwei  reich  beladene  von  Westindien  kommende  Schiffe 
weg.  Die  politische  Situation  war  eine  fortwährend  wechselnde, 
das  Misstrauen  auf  beiden  Seiten  ein  wachsendes  und  der  gegen- 
seitige Groll  nur  ein  verdeckter.  Und  damit  die  düstere  Lage 
die  persönlichen  Gefühle  der  Unterhändler  nicht  verschone, 
brach  auch  noch  die  Pest  in  ihrer  Nähe  aus.  Wohl  setzte  man 
die  Verhandlungen  in  Bourbourg  fort,  aber  schliesslich  kam 
man  beiderseits  zu  der  Ueberzeugung ,  dass  es  besser  sei, 
diese  vorläufig  zu  vertagen.  Die  Commissäre  verabschiedeten 
sich  am  16.  Juli8),  sprachen  gegenseitig  ihr  Bedauern  aus, 
dass  man  so  wenig  ausgerichtet,  freuten  sich  aber  im  Stillen, 
dass  wenigstens  „dieses  Gezanke  ein  Ende  hatte"  *). 

Die  Gabinete  suchten  nun  direct  zu  erlangen,  was  die 
eigens  ernannten  Commissäre  nicht  zu  Stande  bringen  konnten. 
Da  wenigstens  scheinbar  auch  in  politischer  Hinsicht  Hein- 
rich VUI.  und  der  Kaiser  sich  wieder  näherten,  so  dachte 
man,  hiebei  die  Sache  begleichen  zu  können.  Die  Nieder- 
länder machten  sich  besonders  viel  Sorgen.  Die  Zeit  verfloss, 
und  nur  noch  wenig  mehr  als  ein  Jahr,  so  lief  der  Tennin 
der  Zollproclamation  ab,  welche  so  höchst  gewinnreich  für  die 
Niederländer  war4).  Es  musste  nochmals  energisch  versucht 
werden,  ob  nicht  wenigstens  die  privilegirte  Stellung  der  Eng- 
länder in  den  Niederlanden  zu  Fall  gebracht  werden  könnte. 

Am  12.  November  überreichte  die  niederländische  Re- 
gierung eine  Anzahl  von  Artikeln,  welche  der  Kaiser  dem 
politischen  Vertrag  einverleibt  zu  sehen  wünschte;  sie  ent- 
hielten so  ziemlich  alle  Hauptforderungen,  welche  sie  früher 
gestellt;  aber  all  dies  wollten  die  Niederländer  fallen  lassen, 
wofern  die  englische  Regierung  gestatte,  dass  die  Engländer 
in  den  Niederlanden  die  gleichen  Zölle  zahlten,  welche  die 
kaiserlichen  Unterthanen  in  England  entrichten  müssten6). 
Als  man  damit  nicht  durchdrang,  machte  man  den  Versuch, 

x)  State  Papers  X.    S.  474,  506  u.  Nr.  1172. 

*)  State  Papers  X.    S.  517. 

s)  Thirlby  an  Paget  15.  Juli  1545.  Die  Unterhändler  erhielten  fol- 
gende Direktiven,  seit  der  Congress  abgebrochen.  Der  Bischof  von  West- 
minster  musste  zu  Calais  auf  seine  Absendung  an  den  kaiserl.  Hof  warten, 
der  Secr.  Will.  Petre  zurückkehren,  Carne  an  seinen  Gesandtschaftsposten 
bei  der  Regentin  sich  begeben,  Chamberlain  mit  Vaughan  in  Flandern  sich 
aufhalten  bis  zu  weiterer  Verwendung.  Acts  of  the  Privy  Council  19.  Juli 
1545    Br.  M.  Harl.  Mscrs.  256  fo.  43. 

*)  Sieh  Bd.  IL  S.  19.  Note  2. 
5)Urk.  Beil.  57. 


-     104    - 

gewisse  Punkte  als  zu  Bourbourg  zugegeben  und  vereinbart 
hinzustellen,  man  stiess  aber  auch  hier  auf  den  Widerspruch 
der  Engländer1).  Alle  derartigen  Pläne  mussten  misslingen. 
Abgesehen  davon,  dass  die  englische  Regierung  die  errungenen 
Privilegien,  solang  nur  möglich,  zu  erhalten  suchte,  blos  weil 
man  sie  besass  —  denn  wer  verzichtet  gerne  auf  das  Be- 
sessene? —  die  Tragweite  einer  solchen  Concession  wäre  auch 
eine  ungeheure  gewesen.  Man  darf  nie  vergessen,  dass  die 
Privilegien  der  englischen  Kaufleute  gewissermassen  ein  Gegen- 
gewicht gegen  die  Privilegien  der  Hansen  in  England  bildeten. 
Dadurch,  dass  die  englischen  Kaufleute  auf  dem  niederländi- 
schen Weltmarkte  so  begünstigt  waren,  konnten  sie  überhaupt 
die  Concurrenz  der  Hansen  ertragen.  Hätte  die  englische  ; 
Regierung  dem  kaiserlichen  Wunsche  willfahrt,  so  wären  die  j 
Engländer  dem  vereinigten  Wettbewerb  der  Niederländer  und  ] 
Hansen  erlegen,  wofern  man  nicht  schon  damals  der  Be-  | 
günstigung  der  Hansen  in  England  ein  Ende  machen  wollte.     1 

Heinrich  VIII.  wünschte  deshalb  jede  Debatte  über  diese  j 
schwierige  und  lange  Zeit  erfordernde  Sache  verschoben2), 
aber  der  Kaiser  wollte  dem  neuen  Freundschaftsvertrag8) 
mindestens  eine  allgemeine  Clausel  beigefügt  wissen,  dass  die 
einzelnen  Privatangelegenheiten  der  Kaufleute  beiderseitig  er- 
ledigt werden  müssten 4),  und  dass  hinsichtlich  der  Zölle  inner- 
halb der  folgenden  6  Monate  von  den  Zollbüchern  gegenseitig 
Einsicht  genommen  werden  solle,  damit  man  ersehe,  welche 
Abgaben  vertragsmässig  zu  entrichten  seien5).  Die  englische 
Regierung  stimmte  zu.  Noch  immer  gaben,  wie  man  sieht, 
die  Niederländer  die  Hoffnung  nicht  auf,  in  Betreff  der  Zölle 
einen  Vortheil  zu  erreichen.  Die  Privilegien  der  Engländer 
waren  ihnen  unerträglich,  so  lange,  bis  nicht  auch  ihreUnter- 
thanen  ähnliche  in  England  besassen. 

Noch  beim  Abschied  der  Engländer,  welche  das  letzte 
Arrangement  zuwege  gebracht  hatten,  wies  der  flandrische 
Präsident  Schore  mit  eindringlichen  Worten  auf  diese  Ver- 
schiedenheit hin  und  bat,  seine  Landsleute  in  England  günstiger 
denn  bisher  zu  behandeln,  worauf  die  englischen  Abgesandten 
die  bedeutsamen  Worte  hören  Hessen:  „Eure  Vorfahren  waren 
weise  Leute,  welche  mit  Privilegien  uns  veranlassten,  unsere 
Waaren  auf  ihren  Markt  zu  bringen,  und  dadurch  sich  be- 

*)  Urk.  Beil.  58.  Die  Artikel,  welche  die  Niederländer  als  zagegeben 
erachteten  (28. Not.  1545),  sind  enthalten  im  Br.  M.  Cotton  Msc  Galba 
B.X.  fo.  238,  Lansdowne  Msc.  171  fo.  69;  diejenigen,  welche  die  Eng- 
länder am  28.  Nov.  1545  einreichten,  in  Lansdowne  Msc.  171  fo.  59. 

a)  State  Papers  X.    S.  760.    5.  Dez.  1545. 

*)  Um  einen  neuen  Freundschaftsvertrag  handelt  es  sich  insofern,  als  der 
bisherige  durch  authentische  Interpretation  sehr  verändert  ward.  Vgl  den 
Brief  des  Privy  Council  an  Gardiner.  30.  Nov.  1545.  State  Papers  X.  S.733. 

<)  State  Papers  X.  786.  18.  Dez.  1545  u.  X.  S.  20.  8.  Jan.  1546. 

*)  Urk.  Beif.  78  u.  State  Papers  XI.  S.  26.  26.  Jan.  1546. 


—     105    — 

reicherten.  Die  Engländer  mit  ihren  Privilegien  sind  zu  Hause 
träge  geworden  und  liessen  unsere  Städte  an  den  Küsten  ver- 
fallen. Eure  Landsleute  aber  haben  gearbeitet,  ihre  Städte 
gebaut  und  sind  reich  geworden,  was  sie  den  an  die  Eng- 
länder verliehenen  Privilegien  zuschreiben  mögen;  nur  durch 
uns  seid  ihr  zur  Wohlhabenheit  gelangt.  Denkt  aber  der 
Präsident,  wir  sollten  den  Niederländern  ein  neues  Privileg 
ertheilen,  so  beschimpft  er  sich  selbst,  denn  man  wird  sagen, 
der  König  von  England  sei  genöthigt  gewesen,  diesem  Volk 
mit  der  Gewährung  eines  neuen  Privilegs  zu  schmeicheln u  1). 

Die  vereinbarte  Einsichtnahme  der  Bücher  fand  Statt. 
Der  spanische  Gesandte  Scepperus  und  einige  Beigeordnete 
sahen  sowohl  die  Documenta  des  Exchequer,  als  der  Stadt 
London;  man  legte  ihren  Nachforschungen  überhaupt  nicht 
das  geringste  Hinderniss  in  den  Weg,  auch  Abschriften  er- 
hielten sie  überall,  wo  sie  es  verlangten,  und  nach  Aussage 
der  Engländer  wurden  sie  in  den  meisten  Punkten  hinsichtlich 
ihrer  Bourbourger  Beschwerden  überwiesen  und  zufrieden  ge- 
stellt8). 

Garne  und  Dr.  Bede  beauftragt,  ähnliche  Becherchen  hin- 
sichtlich der  niederländischen  Zölle  vorzunehmen,  fanden  nicht 
das  gleiche  Entgegenkommen;  man  hielt  sie  absichtlich  hin, 
und  förmliche  Zollregister  hatte  man  überhaupt  nicht,  da  mah 
die  meisten  Zölle  in  den  Niederlanden  zu  verpachten  pflegte. 
Ob  sie  die  alten  Handschriften,  welche  man  ihnen  als  Ersatz 
anbot,  wirklich  zur  Einsicht  erhielten,  wissen  wir  nicht3). 

In  der  kurzen  Zeit,  während  welcher  das  Scepter  in  Hein- 
richs VIII.  gewaltiger  Hand  ruhte,  blieb,  wie  es  scheint,  Alles 
in  der  Schwebe.  Die  Anklagen  verschwanden  auch  jetzt  noch 
nicht;  die  Niederländer  beschwerten  sich  über  die  Engländer 
wegen  Belästigung  und  Behinderung  beim  Herings-  und  Fisch- 
fang; die  englischen  Kaufleute  aber  waren  in  Antwerpen  gar 
nicht  mehr  sicher,  solche  Verfolgungen  mussten  sie  erdulden, 
seit  ein  Niederländer  wegen  eines  Angriffes  auf  sie  hingerichtet 
worden  war4).  War  man  auch  bemüht,  gegenseitige  Abhilfe 
zu  schaffen6);  als  Heinrich  VHL  starb,  war  der  ganze  Verkehr 
im  Wanken.  % 

Die  Niederländer  griffen  wieder  zurück  auf  die  angeb- 
lichen Zugeständnisse,  welche  die  Engländer  zu  Bourbourg  ge- 

»)  Gardiner  etc.  an  Heinrich  VIII.  2.  Jan.  1546.  State  Papers  X. 
S.  827. 

*)  Der  Privy  Conncil  an  M.  Carne  29.  April  1546.  State  Papers  XI. 
S.  118. 

*)  Garne  an  den  Privy  Council.  2.  Juni  1546.  State  Papers  XI. 
S.  197—199. 

4)  Karl  V.  an.Heinrich  VIII.  1.  März  1546.  State  Papers  XL  S.  65. 
Garne  an  Heinrich  VIII.  1.  Aug.  1546.    State  Papers  XI.  S.  256-58. 

5)  Der  Privy  Council  an  Carne  7.  Aug.  1546.  State  PapersXI.  S.264 
und  Carne  an  den  Privy  Council  21.  Dez.  1546.  State  Papers  XI.  S.  379. 


—    106    — 

macht1);  die  Merchant  adventurers  aber  zogen  vor,  in  Folge 
der  fortwährenden  Belästigungen  Antwerpen  wieder  zu  ver- 
lassen. Erst  diese  scharfe  Massregel,  welche  der  Gouver- 
neur den  Kaufleute  getroffen,  hatte  Erfolg,  und  obwohl  die 
Niederländer  zankten  und  schimpften1),  so  waren  sie  doch 
herzlich  froh,  als  ein  Abkommen  zwischen  England  und  Ant- 
werpen am  20.  August  1548 3)  zu  Mecheln  zu  Stande  kam. 
Wenige  Jahre  darauf  wurde  auch  wieder  eine  umfassende 
Reform  der  Privilegien  von  Bergen  op  Zoom  vorgenommen4). 
Die  weitere  Entwickelung  unter  Eduard  VI.,  Maria  und 
Elisabeth  liegt  ausserhalb  unserer  Aufgabe.  Der  Kampf  wurde 
unter  ihnen  noch  viel  heftiger  und  leidenschaftlicher  geführt  *), 
als  in  der  von  uns  behandelten  Epoche;  neue  wirthschaftüche 
Momente  allgemeiner  und  besonderer6)  Art  änderten  die  com-  \ 
mercielle  Stellung  der  Länder  zu  einander,  und  die  politische  I 
Abneigung  zwischen  dem  katholischen  Beherrscher  der  Nieder-  j 
lande  und  der  protestantischen  Königin  Elisabeth  in  England  ; 
war  schliesslich  stark  genug,  das  Band,  das  Jahrhundert  lang  - 
die  beiden  Nachbarn  verbunden  hatte,  zu  zerreissen  und  end- 
gültig den  Intercursus  in  das  Reich  der  Geschichte  zu  ver- 
weisen. Seit  1584  kamen  die  Engländer  nicht  mehr  nach 
Antwerpen 7). 


*)  Vgl.  Chamberlayns  Brief  an  Paget  v.  24.  Juli  1548.  ürk.  Beil.  73. 

*)  Der  frühere  Rechtszustand  wurde  wieder  hergestellt;  nur  mussten 
die  Engländer  versprechen,  in  Zukunft  erst  die  Regierung  zu  benachrich- 
tigen, ehe  sie  zum  Aeussersten  schreiten  und  das  Land  meiden  wollten; 
auch  hatten  sie  den  gegenwärtigen  Gouverneur  zu  entlassen,   ürk.  Beil.  74. 

")  Nach  einer  Notiz  in  den  Pieces  restituäes  par  l'Autriche 
1862.  XVII.  B.  des  Brüsseler  Staatsarchivs  wäre  am  10.  April  1549  auch 
der  Vertrag  von  1522  für  weitere  10  Jahre  von  Karl  V.  und  Eduard  VI. 
erneuert  worden. 

4)  Nämlich  1555.  B.  M.  Cotton  Mscrs.  Galba  B.  XL  fo.  186  b.— 194 
abgekürzt  und  englisch  iu  Tiberius  D.  VIII.  fo.  83. 

5)  Wie  vielfach  noch  dieselben  Fräsen,  welche  die  Regierung  Hein- 
richs VIII.  beschäftigten,  den  Gegenstand  des  Streites  bildeten,  darüber  vergl 
2  Proben  Urk.  Beil  76,  77.  Auch  der  Kampf  um  die  Seeherrschaft  dauerte 
fort  Wichtig  war  besonders,  dass  1549  durch  kaiserliches  Edict  den  Nieder- 
ländern verboten  wurde,  beim  Import  oder  Export  fremde  Schiffe  zu  be- 
nützen ,  so  lange  nationale  vorhanden  waren.  (Placcards  de  FlandreL 
S.  360—74).  Wahrscheinlich  hingen  damit  die  Beschlagnahmungen  der 
Schiffe  in  Antwerpen  zusammen,  über  die  sich  am  10.  October  1551  die 
Engländer  beschwerten.    Br.  M.  Cotton  Ms  er.  Galba  B.  XII.  fo.  160. 

6)  Namentlich  kommt  das  Schuldverhältniss  Englands  zu  den  Nieder- 
landen in  Betracht,  dadurch  wurde  der  ganzen  Handelsbilanz  ein  anderer 
Charakter  verliehen. 

7)  G6nard,  Antwerpsch  Archievenblad.  VI.  S.  310  fg.  Ueber 
diesen  Theil  der  englischen  Handelspolitik  unterrichtet  auch  gut  das  Stu- 
dium der  Biographie  von  Thom.  Gresham,  der  den  hervorragendsten  An- 
theil  an  allen  handelspolitischen  Fragen  während  diejser  Epoche  nahm. 
Sieh  J.  W.  Burg  on,  Life  and  Times  of  Sir  Thomas  Gresham  2  Vol.  1839. 
Go  wer,  Genealogical  memoranda  of  the  familv  of  Gresham  2  Parts  London 
1874—75.    Ausserdem  vgl.  noch  Piot,  La  diplomatie  concernant  les  affaires 


-    107    — 


Rückblick. 

Wenden  wir  noch  einmal  den  Blick  zurück  auf  die  ganze 
Entwicklung,  die  wir  auf  langem  Wege  durchschritten  haben, 
und  suchen  uns  einen  Gesammteindruck  von  der  hier  be- 
folgten Politik  der  beiden  ersten  Tudors  zu  verschaffen. 

Ihr  Hauptgepräge  erhielt  dieselbe  durch  die  Wandlung, 
welche  im  15.  Jahrhundert  hinsichtlich  der  wichtigsten  Ver- 
kehrswaare,  der  englischen  Wolle,  eintrat.  Die  Wolle  hatte 
die  ersten  Beziehungen  geknüpft  und  den  Engländern  grosse 
Freiheiten  in  den  Niederlanden  gebracht,  und  solange  sie  mit 
der  bescheidenen  Bolle  der  Wollproduction  und  Wollfracht 
sich  begnügten,  waren  sie  auch  allen  Niederländern  genehm. 
Seit  Eduard  III.  traten  die  Engländer  aber  mehr  und  mehr 
aus  dieser  Rolle  heraus,  eine  sich  täglich  vervollkommnende 
Tuchindustrie  verbreitete  sich  über  das  ganze  Land,  und  nun 
erschienen  auch  die  englischen  Tücher  auf  dem  niederländi- 
schen Weltmarkte. 

Von  da  an  vollzog  sich  in  den  Niederlanden  eine  Schei- 
dung der  Interessen.  Die  freihändlerische  Partei,  welche  den 
flandrischen  Universalstapelplatz  als  das  Werthvollste  erachtete, 
musste  natürlich  für  die  ausgedehnteste  Zulassung  der  eng- 
lischen Tücher  sich  erklären.  Die  industriellen  Kreise  aber, 
welchen  die  einheimische  Weberei  die  Hauptsache  war,  wollten 
eine  Beschränkung  des  neu  auftauchenden  Concurrenten.  Der 
Kampf  entbrannte.  Die  niederländischen  Industriellen  erwiesen 
sich  in  den  Niederlanden  als  die  mächtigeren;  hinter  ihnen 
stand  die  Masse  des  Volkes.  England  seinerseits  konnte  je- 
doch des  grossen  Marktes  nicht  entbehren  nnd  war  auch  zu 
schwach,  um  ihn  nach  englischen  Plätzen  zu  ziehen.  So  war 
der  beste  Ausweg,  zunächst  das  Stapel  für  englische  Tücher 
von  Brügge  nach  Antwerpen  zu  verlegen. 

Den  englischen  Kaufleuten  glückte  es,  in  Folge  der  städti- 
schen Eifersucht  in  Brabant  ebenso  sehr  oder  noch  mehr  pri- 
vilegirt  zu  werden,  als  in  Flandern;  aber  die  merkwürdige 
Thatsache,  dass  im  grössten  Theil  der  Niederlande,  wo  der 
Hauptmarkt  für  englische  Tuche  war,  diese  selbst  so  gut  wie 
verpönt  waren,  blieb  fortbestehen.  Die  schutzzöllneriche  Pha- 
lanx zu  durchbrechen,  war  die  Gompagnie  der  Merchant  ad- 
venturers  zu  schwach. 

Burgund  wuchs  zur  ersten  Weltmacht  empor,  und  es  war 
zu  befürchten,    dass  selbst   die  bestehenden   Freiheiten    ge- 


maritimes  des  Pays-Bas  vers  le  milieu  da  XVI«  siecle  jusqu'ä  la  treve 
deVaucelles  in  den  Bulletins  de  l'academie  royale  des  sciences,  des  lettres 
et  des  beaax  arts  de  ßelgique  flme  Serie  T.  40.  1875.  S.  817—868. 


—    108     — 

schmälert  und  verkümmert  würden.  Nur  eine  starke  kräftige 
Hand,  welche  über  die  Macht  einer  geeinten,  reichen  Nation 
gebot,  konnte  hier  helfend  eingreifen.  Diese  Mission  erkannte 
Heinrich  VH.  Er  befestigte  und  erweiterte  vor  Allem  die 
überkommene  vertragsmäßige  Grundlage  und  frnrte  genau 
den  Zollbestand,  welchen  die  Engländer  von  Alters  her  ge- 
nossen. Das  geschah  im  Intercursus  magnus.  Dann  suchte 
er  den  englischen  Tüchern  ein  grösseres  Feld  zu  verschaffen. 
Das  wurde  am  wirksamsten  erreicht,  wenn  es  glückte,  den 
Krieg  in  die  niederländische  Textilindustrie  hineinzutragen: 
denn  sie  hemmte  nicht  bloss  durch  ihren  Abschluss  gegen 
englische  Producte,  sondern  ebenso  sehr  dadurch,  dass  sie 
einen  grossen  Theil  englischer  und  spanischer  Wolle  ver- 
arbeitete und  ihre  Tuche  dann  den  fremden  Völkern  anbot. 
Gegen  sie  galt  es  zu  Felde  zu  ziehen.  Das  geschah  durch 
den  Vertrag  von  1506,  welcher  der  niederländische  Schutzpolitik 
den  ersten  wirksamen  Schlag  versetzte.  Aber  eine  Reihe  von 
seltsam  zusammentreffenden  Umständen  hatte  das  völlige  Per- 
fectwerden  des  Vertrags  verhindert.  Ernste  Zweifel  tauchten 
auf,  und  die  Niederländer  bestritten  geradezu  die  Gültigkeit 
des  Tractats.  Heinrich  VII.  musste  sich  vorläufig  mit  einem 
Provisorium  behelfen,  das  nur  ganz  wenige  Concessionen  von 
den  Niederlanden  verlangte. 

Heinrich  VHI.  und  sein  Minister  Wolsey  steckten  sich 
sofort  als  Aufgabe,  den  bestrittenen  Tractat  zur  unumwun- 
denen Anerkennung  zu  bringen.  Dies  war  das  Ziel,  das  die 
englische  Regierung  während  der  ersten  10  Jahre  sogar  trotz 
der  französischen  Gesinnung  des  burgundischen  Hofes  constant 
verfolgte;  es  gelang  1516,  wenigstens  für  5  Jahre  das  Ge- 
wünschte durchzusetzen.  Die  Gültigkeit  des  Tractats  war  auch 
der  Preis,  den  neben  andern  Wolsey  stellte,  als  er  die  poli- 
tische Freundschaft  Englands  dem  Kaiser  und  nicht  dem  fran- 
zösischen König  gewährte;  er  erhielt  sein  Begehren  in  einer 
Weise  erfüllt,  welche  einer  dauernden  Anerkennung  gleichkam 
(1520).  Weder  im  folgenden  Krieg  gegen  die  Niederlande 
(1527/28),  noch  durch  den  eigens  von  den  Industriellen  zum 
Sturz  des  Vertrags  in  Scene  gesetzten  Kampf  (1532)  liess  die 
englische  Regierung  das  einmal  Erlangte  sich  entreissen.  Die 
Verträge  standen  wie  Felsen;  jeder  Sturm  misslang,  so  heftig 
er  auch  um  dieselben  tobte. 

England  verliess  die  Defensive  und  ging  zur  Offensive 
über.  Cromwell  glaubte  die  Bande  zerreissen  zu  können,  von 
welchen  beide  Länder  umschlungen  waren.  Die  gefährliche 
Position  sollte  beseitigt,  der  Tuchmarkt  nach  England  gezogen 
und  gleichzeitig  der  englischen  Flotte  dauernd  das  Ueber- 
gewicht  Ober  die  niederländische  verliehen  werden  (1540). 
Der  Plan  scheiterte.    Sei  es,  dass  die  Repressalien  der  Nieder- 


—    109    — 

länder  so  empfindlich  gefühlt  wurden,  oder  dass  seit  dem  Tode 
Cromwells  der  englischen  Wirtschaftspolitik  eine  zusammen« 
haltende  Kraft  fehlte,  oder  dass  man  nicht  wagte,  den  voll- 
ständigen Bruch  mit  dem  Kaiser  bei  der  bedenklichen  schwan- 
kenden innern  Lage  des  Reiches  auf  sich  zu  nehmen,  die 
Engländer  mussten  offen  ihre  Niederlage  eingestehen  (1542). 

Sofort  benutzten  die  Niederländer  diese  Blosse,  um  die 
Engländer  in  eine  ungünstigere  Position  zu  drängen.  Sie  ver- 
suchten Zollerhöhungen  durchzusetzen  und  den  Intercursus 
nach  dieser  Richtung  hin  wirkungslos  zu  machen,  konnten 
diese  aber  gegenüber  dem  energischen  Widerstände  der  Mer- 
chant  adventurers ,  welche  bald  Unterstützung  bei  der  engli- 
schen Regierung  fanden,  nicht  aufrecht  erhalten.  Ebenso 
misslang  ihre  dann  ergriffene  Taktik,  wenigstens  die  Gleich- 
stellung der  Niederländer  mit  den  englischen  Kaufleuten 
durchzusetzen.  Seit  dem  6.  April  1546  waren  sie  den  Lasten 
der  Fremden  unterworfen,  wie  ehedem,  ohne  jedes  Privileg, 
ohne  irgend  eine  Begünstigung. 

Sieht  man  von  dem  etwas  verfrühten  Project,  England 
von  den  Niederlanden  unabhängig  zu  machen,  ab,  so  war  die 
ganze  commercielle  Politik  Englands  unter  den  Tudors  eine 
Reihe  von  Siegen.  Die  beiden  Heinriche  wahrten  in  kräftigster 
Weise  die  Interessen  des  englischen  Handels  und  der  engli- 
schen Industrie,  und  ein  solches  Resultat  muss  merkwürdig 
erscheinen,  wenn  man  bedenkt,  dass  das  kleine  Reich  den 
Kampf  aufnahm  mit  dem  höchst  civilisirten  Theile  der  Welt, 
dessen  Herrscher  über  den  halben  Erdkreis  gebot. 

Der  Grund  für  diese  Erscheinung  liegt  darin,  dass  Eng- 
land in  industrieller  Beziehung  ein  jugendlich  aufstrebender 
Staat  war,  dem  immer  eine  frische  und  unverwüstliche  Kraft 
eigen  ist;  es  glich  einer  Colonie,  welche  gegenüber  dem  ab- 
sterbenden Mutterland  sich  zu  emancipiren  suchte;  in  der 
That  überschritten  damals  die  Niederlande  den  Zenith  ihrer 
Blüthe  und  fühlten  bereits  das  Erstarken  des  Nachbarn.  Mehr 
aber  als  das  war  es  der  Gegensatz  der  kaiserlichen  und  eng- 
lischen Staatspolitik.  Die  kaiserliche  war  ihrer  Wesenheit 
nach  immer  eine  auf  ein  Universalreich  gerichtete,  die  der 
Tudors  trotz  einiger  Inconsequenzen  ihrem  Grundzuge  nach 
eine  nationale.  Die  Länder  des  Kaisers  waren  alle  unter  sich 
verschieden,  ihre  Interessen  unter  einander  gänzlich  abweichend, 
nicht  einmal  die  Niederlande  waren  aus  einheitlichem  Guss; 
nur  die  Persönlichkeit  Karls  V.  hielt  die  einzelnen  Theile  zu- 
sammen. Für  den  Kaiser  standen  niemals  die  Interessen  eines 
einzelnen  Landestheils  in  erster  Linie,  er  opferte  diese,  selbst 
wenn  sie  sein  Mutterland  betrafen,  galt  es  nur,  dadurch  seine 
allgemeinen  politischen  Ziele  wirksam  zu  fördern.  Die  eng- 
lischen Gebiete  dagegen  waren  wohl  klein,  aber  ziemlich  fest- 


—    110    - 

* 

geschlossen  und  begrenzt  und  von  einer  einheitlichen  Nation 
bewohnt.  Es  gab  nur  englische  Interessen,  des  Herrschers 
Politik  verkörperte  nur  die  Wünsche  seines  Volkes  oder  riss 
dasselbe  mit  sich,  wenn  er  ihm  neue  Ziele  steckte. 

Die  Siege  stellen  sich  somit  in  letzter  Linie  als  Siege  des 
nationalen  Princips  über  das  universale  dar. 


Zweites  Capitel. 

England  und  die  italienischen  Republiken  mit 
besonderer  Berücksichtigung  Venedigs. 


Von  den  Niederlanden,  deren  Verkehr  mit  England  zur 
Hälfte  moderne,  zur  Hälfte  mittelalterliche  Züge  an  sich  trug, 
wenden  wir  uns  zu  den  italienischen  Gebieten,  deren  Handels- 
beziehungen zu  England  wesentlich  anders  gestaltet  waren. 
Die  Art  der  Entstehung,  die  Grundlage,  auf  der  der  Verkehr 
beruhte,  die  Organisation  desselben,  die  Betheiligung  am 
Handel,  die  politischen  und  allgemeinen  ihn  berührenden  Ver- 
hältnisse waren  verschieden.  Das  Ziel  der  Tudor'schen  Politik 
war  zwar  im  Allgemeinen  dasselbe,  unterschied  sich  aber  doch 
von  dem  gegenüber  den  Niederlanden  verfolgten  dadurch,  dass 
nicht  sowohl  die  Industrie  als  vielmehr  der  Handel  und  die 
Schiffahrt  das  Streitobject  bildeten. 

I.  Der  Ursprung  der  Handelsbeziehungen  zwischen  den 
italienischen  Staaten  und  England  ist,  so  paradox  das  auch 
scheinen  mag,  nicht  in  erster  Linie  in  dem  Productenverkehr 
zu  suchen.  Zwar  konnten  diese  südeuropäischen  Länder  im 
frühen  Mittelalter  Schätze  bieten,  wie  kein  anderes;  allein  das 
Bedürftiiss  für  solche  Kostbarkeiten  war  bei  den  rauhen  Be- 
wohnern der  britischen  Inseln  nicht  genug  geweckt.  Was  von 
diesen  seinen  Weg  nach  England  fand,  wurde  auch  nur  durch 
Zwischenhände  dahin  gebracht. 

Den  ersten  Eingang  fanden  die  Italiener  auf  der  nordi- 
schen Insel  in  Folge  der  kirchlichen  Schätzungen.  Der  Papst 
verwendete  italienische  Kaufleute,  namentlich  Bürger  von 
Siena1),  später  von  Florenz  und  Lucca  zur  Einsammlung  der 

*)  Edw.  Bond,  Extracts  from  the  Liberate  Rolls  relative  to  loanB 
supplied  by  Italian  Merchants  to  the  kings  of  England  in  tbe  13^  and 
Utfc  Centuriee  with  an  introductory  memoir.  Archaeologia  Vol.  38.  Lon- 
don 1840.    S.  214. 


-    112    — 

von  ihm  beanspruchten  Beträge.  Da  dies  allerwärts  geschah, 
so  war  der  Anstoss  gegeben  zu  dem  Geldsystem,  das  die 
Italiener  so  trefflich  und  frühzeitig  entwickelten.  In  Kurzem 
gelang  es  ihnen,  in  England  das  ganze  auswärtige  Geldgeschäft, 
und  als  die  Juden  vertrieben  worden  waren,  auch  das  ein- 
heimische an  sich  zu  ziehen. 

Ende  des  11.  Jahrhunderts  kamen  bereits  Ansässig- 
machungen  von  Italienern  vor1).  Bald  fanden  sie  es  vortheil- 
hafter,  mit  dem  Geld-  auch  den  Waarenhandel  zu  verbinden; 
ihrem  Erwerbstrieb  und  ihrer  Klugheit  glückte  es,  in  Kurzem 
die  Quellen  des  Landes  in  Circulation  zu  bringen2).  Den 
Königen  wussten  sie  sich  geradezu  unentbehrlich  zu  machen, 
sowohl  durch  ihre  Darleihen3),  wie  durch  ihre  diplomatische 
Kunst4);  in  öffentliche  Aemter,  namentlich  soweit  solche 
die  Zölle  und  die  Münze  betrafen,  nisteten  sie  sich  ein.  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  begann  England  von  italienischen  Platz- 
leuten zu  schwärmen,  und  schon  war  die  Klage  über  die 
italienischen  im  Dienste  der  Kirche  stehenden  Geldsauger  eine 
laute 6). 

Von  welcher  Bedeutung  aber  bereits  der  Waarenhandel 
war,  ergibt  sich  daraus,  dass,  als  Eduard  I.  an  einem  Tage 
wegen  seiner  Kriege  alle  Wolle,  Wollfelle  und  Häute  in  Be- 
schlag nehmen  Hess,  in  den  Händen  der  italienischen  Com- 
pagnien  sich  nicht  weniger  als  2380  Säcke  Wolle  befanden. 
Das  Capital,  das  sie  in  diesem  Zweige  angelegt,  belief  sich 
wohl  auf  30  000  £  damaligen  Geldes.  Es  sind  vorwiegend 
Florentiner,  deren  Namen  uns  bei  dieser  Gelegenheit  be- 
gegnen8). Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  diese  damals 
die  Sienesen  und  selbst  Luccaner  überholt  hatten.  Die 
Frescobaldi,  Bardi  und  Peruzzi  standen  abwechselnd  in  be- 
sonderer Gunst  bei  den  englischen  Königen7). 

*)  So  von  dem  Florentiner  Otho  degli  Gherardini,  der  Eigenthümer 
von  Land  in  nicht  weniger  als  acht  Grafschaften  wurde;  von  ihm  stammte 
das  nachmalig  so  berühmt  gewordene  Haus  Fitzgerald  ab.  The  Marquis 
of  Kildare,  The  earls  of  Eildare  and  their  ancestors  1858.    S.  2. 

*)  Im  13.  Jahrhundert  finden  wir  den  Florentiner  Gherardi  und  mit 
ihm  eine  ganze  Gesellschaft  Italiener  in  ausgedehntem  Wollhandel  beschäf- 
tigt. Vgl.  C anale.  Istoria  della  repubblica  di  Genua,  del  suo  commercio 
etc.  IV.  S.  287. 

*)  Vgl.  Bond  a.  a.  0.,  sowie  S.  L.  Peruzzi,  Storia  del  commercio 
e  dei  banchieri  di  Firenze  in  tutto  il  mondo  conosciuto  dal  1200  al  1345 
compilata  su  documenti  in  gran  parte  inediti.  Firenze  1868.  S.  16*7  fg. 
Eduard  I.  hatte  den  Liberate  Rolls  zufolge  von  34  verschiedenen  florenti- 
nischen  Banquiers  und  Gesellschaften  Geld  geliehen.  Daneben  werden 
noch  andere  Italiener  als  Gläubiger  genannt    Peruzzi  a.  a.  0.  S.  174. 

*)  Namentlich  wurden  Genuesen  häufig  als  Gesandte  verwendet 

5)  M.  Paris,  Historia  minor  ed.  Madden  III.  S.  272.  Th.  Wal- 
gin gh am,  Ypodygma  Neustriae  ed.  Rilev  1876.  S.  144.  Eine  Klage  des 
Abtes  Bordesley  gegen  Florentiner  Kaufleute  wegen  betrügerischen  Ver- 
fahrens findet  sich  in  den  Rot  Pari.  I.  S.  1.  (1273). 

«)  Bond  a.  a.  0.    S.  221.    Peruzzi  a.  a.  0.    S.  175. 

7)  Peruzzi  a.  a.  0.    S.  178. 


—    113    — 

Aber  auch  die  Florentiner  büssten  ihre  unbestrittene 
Suprematie  bereits  unter  Eduard  III.  ein.  Sie  hatten  dem 
Könige  bei  seinen  Kriegen  zu  viel  geliehen ;  Eduard  sah  sich,  da 
seine  Quellen  alle  erschöpft  waren,  ausser  Stande,  die  be- 
dungenen Zahlungstermine  einzuhalten,  und  nach  wiederholter 
Verlängerung  derselben  brachte  er  über  die  Häuser  Bardi, 
Peruzzi  und  eine  grosse  Zahl  kleinerer  Geschäfte  eine  so 
schwere  Katastrophe,  dass  deren  Folgen  die  Blüthe  des  floren- 
tinischen  Handels  in  England  und  im  übrigen  Europa  voll- 
ständig vernichteten,  sowie  die  gesellschaftlichen  und  staatlichen 
Verhältnisse  in  Florenz  bedeutend  veränderten1).  Blieben  die 
Florentiner  auch  die  Lieblinge  am  englischen  Hof  bis  in  die 
Zeit  der  Tudors  hinein,  hatten  sie  als  Geldhändler  noch  immer 
Bedeutung*),  wurden  zur  Glanzzeit  der  Medici,  wo  Florenz 
sich  erholt  hatte,  die  Beziehungen  zu  England  ausserordentlich 
freundliche,  erschienen  seit  1425 3)  die  Florentiner  sogar  auf 
eigenen  Galeeren  in  den  englischen  Häfen:  der  Waarenhandel 
und  das  Hauptgeschäft  war  nichtsdestoweniger  seit  dem 
14.  Jahrhundert  an  Genua  und  Venedig  tibergegangen. 

Genua  war  Florenz  gegenüber  schon  um  deswillen  im 
Vortheil,  weil  ihm  eine  bedeutende  Flotte  zu  Gebote  stand. 
Solange  keine  Florentiner  Schiffe  existirten,  waren  die  floren- 


*)  Allerdings  war  die  Zahlungsverweigerung  Eduards  III.  nicht  allein 
wirksam.  Auch  Robert  von  Neapel  hatte  gleichzeitig  die  Rückzahlung  der 
ihm  gemachten  Darlehen  sistirt,  so  dass  Florenz  mit  einem  Schlage  70  Mil- 
lionen Francs  verlor;  ausserdem  hatte  der  französische  König  1345  die  in 
Frankreich  verweilenden  Florentiner  ihrer  Habe  berauben  lassen.  Es  be- 
greift sich,  dass  ein  solcher  Verlust  zahlreiche  Gesellschaften  und  die  De- 
ponenten der  grossen  Häuser  in  Mitleidenschaft  ziehen  musste  und  den 
Credit  der  Florentiner  aufs  tiefste  schädigte  Die  allgemeine  Katastrophe, 
welche  der  Zeitgenosse  Giovanni  Villa  ni,  Storie  Fiorentini  Buch  11.  Cap.  87 
so  lebendig  schildert,  wurde  noch  verschärft  durch  die  Hungersnoth  1347 
und  die  darauf  folgende  Pest.  Ueber  den  Verlauf  und  die  Folgen  der  eng- 
lisch-florentinischen  Finanzoperationen  vergleiche  Peruzzi  a.  a.  0.  Buch  VI. 
(Eduardo  III.  e  i  banchieri  Fiorentini)  S.  483  fg. 

2)  Als  1415  Heinrich  V.  von  den  Italienern  Geld  leihen  wollte,  er- 
schienen vor  dem  Rath  „sys  persones  de  la  compaignie  des  marchantz  de 
Florence  demorantz  en  Lounores,  de  la  compaignie  des  marchantz  de  Ve- 
nice habitantz  en  mesme  la  citee  quatre  persones,  et  de  la  compaignie  des 
Lukes  deux  persones/'  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  of  the 
Privy  Council  IL    S.  165. 

8)  Die  Florentiner  hatten  damals  den  Hafen  Livorno  erworben,  wo- 
durch sie  in  den  Stand  gesetzt  wurden,  einen  directen  Schiffahrtsverkehr 
mit  England  herzustellen  (Heyd,  Geschichte  des  Levantehandels  im  Mittel- 
alter II.  S.  711).  Im  Jahre  1425  wurde  ihnen  auch  in  England  ein  Han- 
delsprivileg ertheilt  Für  die  späteren  Beziehungen  kommen  in  Betracht 
die  vielen  Licenzen,  die  in  Brewers  Cal.  und  in  den  Enrolled  Accounts 
of  the  Customs  erwähnt  sind.  Bekannt  ist  auch  das  Schuldverhältniss ,  in 
welchem  Eduard  IV.  zu  den  Medici,  Portinarii  u.  Gudetty  stand.  Rymer 
XII.    S.  7.  / 

Schanz,  Eng].  Handelspolitik.    I.  8 


-     114    — 

tinischen  Kaufleute  genöthigt,  der  genuesischen1)  und  wohl 
auch  pisanischen  Schiffe  sich  zu  bedienen.  Es  wird  allgemein 
angenommen,  dass  von  den  italienischen  Seefahrern  die  Ge- 
nuesen zuerst  England  besuchten.  Richard  Löwenherz  war 
ihnen  sehr  gewogen  *),  und  die  politischen  Beziehungen  zwischen 
England  und  Genua  von  da  an  die  besten3).  Gegen  Ende 
des  13.  und  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  mehren  sich  die 
Beweise  für  einen  rege  unterhaltenen  Handel4).  Im  15.  Jahr- 
hundert aber  wurde  der  Höhepunkt  desselben  bereits  über- 
schritten; einen  festen  Rückhalt  hatte  nur  Genua  in  seiner 
Stellung  im  schwarzen  Meer.  Solange  die  Türken  hier  seine 
Herrschaft  duldeten5),  war  Genua  der  beste  Vermittler  für 
englisches  Tuch  bei  den  dortigen  Anwohnern6).  Ausserdem 
aren  sie  im  Besitz  von  Chios  und  Phokaea ,  den  Hauptquellen 
r  Mastix  und  Alaun 7).    Wegen  der  Nähe  von  Toulouse  war 


*)  Wichtig  wurde  ein  in  dieser  Hinsicht  zwischen  Genua  und  Florenz 
abgeschlossener  Vertrag  vom  Jahre  1281.  Peruzzi,  Storia  del  commercio 
e  dei  banchieri  di  Firenze   S.  502. 

*)  Beer.  Handelsgeschichte  L    S.  199. 

8)  Heinrich  in.  wurde  z.  B.  in  den  Vertrag  von  Ninfeo,  der  zwischen 
Genua  und  Michael  Palaeologus  abgeschlossen  wurde,  mit  aufgenommen. 
C anale,  Nuova  Istoria  della  Repubblica  Genova  IV.   S.  288. 

*)  In  der  Zeit  von  1291—1807  gab  der  König  Eduard  I.  Befehle  in 
Betreff  der  Genuesen  (Liber  Albus  ed.  Riley  I.  S.  540);  1316  geschieht 
der  genuesischen  Kauffahrteischiffe  und  um  dieselbe  Zeit  ihres  Alaun- 
imports Erwähnung  (Rymer  III.  S.  564  u.  565,  vgl.  jedoch  auch  Hevd 
a.  a.  0.  S.  708).  1336  erlässt  der  König  den  Genuesen  8000  Mark  Zölle 
als  Entschädigung  für  ein  weggenommenes  Schiff  und  gewährt  ihnen 
ausdrücklich  das  Recht  des  Handels  mit  den  Worten:  „Volentes  insuper 
toti  communitati  vestrae  gratiam  facere  specialem,  ut  ex  hoc  vos  in- 
veniamus  in  nostris  opportunitatibus  promptiores  et  ut  ad  partes  nostras 
mercatores  communitatis  vestrae  declinent  eo  libentius,  quo  majori  fuerint 
ibidem  privilegiorum  praerogativa  muniti  (si  quitationem  nos  feceritis  habere 
praetactam)  talenTin  regno  nostro  habere  volumus  libertatem,  ut  ad  dictum 
regnum  nostrum  cum  navibus  vel  vasis  aliis  accedentes  possitis  libere  salvo 
et  secure  cum  dictis  navibus  et  vasis  in  quocumque  loco  regni  nostri  quo- 
tiens  et  quandocumque  volueritis  applicare,  mercandisare  ac  vendendo  et 
emendo  proficuum  vestrum  facere,  solvendo  custumas  debitas  in  hac  parte. 
Et  si  in  uno  loco  applicaeritis ,  liceat  vobis  mercibus  non  plene  Tel  in 
nullo  venditis  ex  hinc  libere  recedere  et  quocumque  volueritis  vos  trans- 
ferre."  (Rymer  IV.  S.  702.)  1379  machte  ein  genuesischer  Kaufmann  der 
englischen  Regierung  den  Vorschlag,  in  Southampton  ein  Stapel  für  alle 
orientalischen  Waaren  zu  errichten,  welche  die  Genuesen  bisher  nach  Flan- 
dern, Normandie  und  Bretagne  brachten.  Die  englischen  Kaufleute  sollen 
dies  Project  mit  Misstrauen  aufgenommen  haben,  und  der  Genuese  wurde 
ermordet  Endlich  ist  bekannt,  dass  England  im  14.  Jahrhundert  viele 
Schiffe  von  Genua  bezog.  Beer,  Handelsgesch.  I.  S.  199;  sieh  auch  Th.Wal- 
singham.  Hist.  Angl.  ed.  Riley  IL    S.  83,  146. 

5)  Vgl.  W.  Heyd,  Geschichte  des  Levantehandels  II.    S.  365  fg. 

6)  Ueber  die  Verschiffung  abendländischer  Tucher  nach  dem  Orient 
vgl.#auch  Heyd  a.  a.  0.  H.    S.  696. 

7)  Heyd  a.  a.  0.  H.  S.  551.  Der  Bezug  von  Alaun  aus  dem  Orient 
wurde  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  wichtig,  weil  die  Curie  den  Preis 
des  römischen  Alauns  sehr  erhöhte  und   überhaupt  den  Alaunhandel  zu 


—    115    — 

auch  der  Verschleiss  des  berühmten  Toulouser  Waids  fast 
ganz  in  ihre  Hände  gegeben.  Endlich  scheint  es  nicht  un- 
möglich, dass  sie  einen  Theil  des  Handels  zwischen  den 
Niederlanden  und  England  besorgten. 

Das  Libell  of  Englishe  Policye  schildert  Genuas  commer- 
cielle  Bedeutung  für  die  britische*  Insel  gegen  1436  folgender- 
massen : 

Die  Genuesen  kommen  in  dies  Land 

Verschiedentlich,  mit  Waaren  allerhand, 

Mit  grossen  Galeonen  voller  Pracht; 

Goldstoff  und  Woll-Oel  fuhren  sie  als  Fracht, 

Potasche,  schwarzen  Pfeffer  auch  und  Seide, 

Baumwolle,  Genueser  Goldgeschmeide, 

In  grosser  Menge  Waid  und  Steinalaun, 

Wofür  sie  hier  denn  ihre  Schiffe  stau'n 

Mit  WolP  und  Wollentuch  von  jeder  Art 

Und  Farbe:  —  dann  geht  oft  von  hier  die  Fahrt 

Nach  Flandern  mit  dem  aufgekauften  Schatz 

Der  Waaren;  denn  hier  ist  ihr  Stapelplatz. 

Und  sollten  sie  als  Feinde  sich  gebahren, 

So  schlössen  wir  sie  aus  mit  sammt  ihren  Waaren1). 

So  schlimm,  wie  die  Schlussworte  angeben,  stand  es  nun 
in  Betreif  der  Abhängigkeit  Genuas  von  England  nicht.  Im 
Gegentheil  war  die  politische  Stellung  Genuas  der  letzte  und 
nicht  geringste  Grund,  weshalb  es  im  15.  Jahrhundert  neben 
Venedig  in  England  sich  noch  halten  konnte.  Bei  der  fort- 
währenden Feindschaft  zwischen  Frankreich  und  England  war 
es  ein  grosser  Gewinn,  wenn  es  den  englischen  Königen  glückte, 
das  von  Frankreich  ins  Schlepptau»  genommene  Genua  we- 
nigstens neutral  zu  erhalten.  Der  grosse  Heinrich  V.  hat  in 
richtiger  Erkenntniss  der  Lage  auch  dies  zu  erreichen  ge- 
sucht und  selbst  die  damals  nicht  gewöhnliche  Concession  ge- 
macht, dass  die  Genuesen  mit  seinen  Feinden  handeln  durften 
(1421)*). 

Dieser  politischen  Lage  hatten  sie  es  vorwiegend  zu 
danken,  dass  sie  fortwährend  von  den  Königen  beschützt 
wurden-,  denn  zeitweise  war  die  Volksstimmung  gegen  sie  eine 
sehr   erregte.     Einzelne   Kaufleute    wie    Barantyn,   Waldern 


monopolisiren  suchte.     Der  Herzog  von  Burgund  und  Heinrich  VII.  von 

England  waren  aber  bestrebt,  das  Monopol  zu  brechen.    Vgl.  Gairdner, 

Letten  and  Papers  of  Richard  IH.  and  Henry  VII.  II.  S.  167  u.  255;  da-  I 

mit  ist   in  Zusammenhang   zu  bringen  Rymer  XIII.   S.  159.    Im  Jahre  | 

1451  hatten  die  Genuesen  für  8000  £  Alaun  in  England.    Rot.  Pari.  V. 

S.  21  ff. 

')  Wilh.  Hertzbergs  Uebersetzung  S.  77  u.  78;  Vers  330—343. 

a)  Rymer  X.  S.  717.  Ueber  die  Verhandlungen  zu  vergl.  Nicolas, 
ProceediDgs  etc.  n.  S.  236,  245,  255  fg.  Diesem  Tractat  wird  von  An- 
derson (deutsche  Ausgabe  III.  S.  98)  eine  hervorragende  Bedeutung  zu- 
gewiesen, indem  er  behauptet,  in  Ryraers  Foedera  begegne  man  hier  zu- 
erst der  Garantirung  einer  längeren  Frist,  während  welcher  die  Kaufleute 
im  Falle  des  Ausbruchs  von   Feindseligkeiten  unter  den  contrahirenden 

8* 


—    116    — 

Cotton,  W.  Walderma  aus  London,  Sturmyn  aus  Bristol,  Ta- 
verner aus  Hüll  und  deren  Genossen  hatten  seit  Beginn  des 
15.  Jahrhunderts  einen  Handel  nach  dem  Mittelmeer  organi- 
sirt 1).  Die  Genuesen  sahen  dies  Eindringen  mit  eifersüchtigen 
Augen  an8)  und  suchten  den  Engländern  durch  wiederholte 
Wegnahme  ihrer  Waaren  die  Fahrten  zu  verleiden.  Die  eng- 
lischen Kaufleute  verlangten  strenge  Massregeln.  Nach  ihrem 
Wunsch  sollte  Nichts  an  die  Genuesen  verkauft  werden,  noch 
irgend  Jemand  etwas  nach  Genua  führen3).  Sie  versuchten 
auch,  beim  König  ihre  Stellung  zu  untergraben,  indem  sie 
darauf  hinwiesen,  dass  die  Genuesen  durchaus  nicht  so  viel 
Zölle  zahlten,  als  deren  Freunde  gewöhnlich  verbreiteten.  Die 
Aufzeichnungen  des  Exchequer  wiesen  vielmehr  aus,  dass  sie 
während  2 Vi  Jahre  nur  4500  £  Zoll  entrichtet  hätten4).  Die 
Regierung  Hess  sich  aber  dadurch  nicht  irre  machen,  sie 
zwang  zwar  die  Genuesen,  den  Schaden  zu  ersetzen5)  und 
hielt  darüber,  dass  diese  den  Engländern  freien  Verkehr  in 
ihren  Häfen  versprachen6),  hütete  sich  aber  irgendwie  sonst 
feindselig  gegen  sie  vorzugehen.  Die  Genuesen  fanden  im 
Gegentheil  an  ihr  immer  einen  starken  Rückhalt.  Als  z.  B. 
1434  die  Zollbeamten  den  Werth  zu  Grunde  legen  wollten, 
den  die  von  den  Genuesen  gebrachten  Waaren  in  England 
besassen,  genügte  die  Drohung  der  sechs  Schilfe,  wieder  ab- 
fahren zu  wollen,  um  den  König  zu  einer  Intervention  zu  ihren 
Gunsten  zu  veranlassen7).  Im  Jahre  1460  schloss  die  Regie- 
rung einen  neuen  Handelstractat  und  eine  politische  Allianz 
mit  Genua  ab8).  Als  1470  Heinrich  VI.  noch  einen  Versuch 
gemacht,  den  Thron  gegen  Eduard  IV.  sich  zu  sichern,   war 

Parteien  ihre  Geschäfte  abwickeln  durften.  Jedenfalls  sind  aber  ähnliche 
Stipulationen  sehr  alt.  So  heisst  es  tichon  in  dem  Privileg  von  1259,  wel- 
ches der  Stadt  Gent  von  Heinrich  III.  verliehen  wurde:  .  .  .  etiam,  quod 
si  inter  regem  Francorum  aut  alios  et  nos  vel  heredes  nostros  aliquo  tem- 
pore guerra  fuerit,  ipsi  praemuniantur ,  ut  infra  quadraginta  dies  regnum 
nostrum  cum  bonis  egrediantur.  L.  Di  er i  ex,  Memoires  sur  la  ville  de 
Gand.  1814.  T.  I.    S.  148  u.  149. 

*)  Rymer  VIII.  S.717;  X.  S.  117;  XL  S.258:  Rot  Pari.  IV.  S.50; 
V.    S.  31. 

*)  Die  bedeutsame  Thatsache,  dass  Engländer  in  den  Gewurzhandel 
sich  zu  mischen  wagten,  wurde  von  der  Sage  entstellt.  So  heisst  es  bei 
Fabyan,  Chronicle  ed.  Ellis  1811.  S.  633:  „In  this  ytre  (1458)  after  some 
auetours  a  marchaunt  of  Brystowe,  named  Sturmyn,  which  with  his  shrp 
had  trauaylyd  in  dvuerse  partyes  of  Leuaunt  and  other  partyes  of  the  kst 
for  so  moche  as  the  fame  ranne  upon  hym,  that  he  hadde  gotten  grene 
pepyr  and  other  spycys  to  haue  sette  and  sowen  in  Englonde,  as  the  fame 
went  etc.u 

8)  Rot,  Pari.  IV.    S.  14  (1413). 

*)  Rot.  Pari.  IV.    S.  50  (1414). 

*)  Rymer  VIII.    S.  717,  773;  X.  S.  117. 

°)  Nicolas,  Proceedings  etc.  IL    S.  256. 

7)  Rymer  X.    S.  584. 

8)  Rymer  XL    S.  441. 


—    117    — 

es  wieder  Genua,  bei  dem  er  neben  Frankreich  um  eine  Stütze 
warb.  Er  begünstigte  die  Genuesen  nicht  nur  durch  Erlass 
der  hohen  directen  Abgaben,  die  ihm  1452/53  vom  Parlament 
bewilligt  worden  waren,  sondern  er  ermässigte  für  6  Jahre 
ihnen  die  Woll-  und  Zinnzölle  derart,  dass  keine  grosse 
Differenz  mehr  gegenüber  denen  der  einheimischen  Kaufleute 
bestand *). 

Unter  Eduard  IV.  verloren  sie  zwar  nicht  diese  Privi- 
legien, mussten  sie  aber  mit  den  übrigen  italienischen  Kauf- 
leuten theilen2). 

Die  mittelalterliche  Politik  Englands  gegenüber  Frankreich 
lebte  in  der  Folge  nur  vorübergehend  auf,  und  Genua  selbst 
verlor  mehr  und  mehr  alle  Selbständigkeit  und  sank  zu  einer 
Provinzialstadt  herab.  So  begreift  sich,  dass  zwar  Genua  an 
der  Schiffahrt  nach  England  sich  noch  immer  betheiligen 
konnte 3) ,  aber  in  handelspolitischer  Hinsicht ,  kein  Interesse 
mehr  gewährt. 

Venedig,  das  Mittelmeer  schon  lange  beherrschend,  war 
an  Genuas  Stelle  getreten;  sein  Name  verdunkelte  den  der 
übrigen  lombardischen  Städte4);  in  den  Händen  der  venetia- 
nischen  Signorie  lag  fortan  die  Leitung.  Da  Venedig  auch 
das  italienische  Handelssystem  am  schärfsten  ausgeprägt  hat, 
so  ist  es  gerechtfertigt,  wenn  wir  jetzt  ihm  unser  ausschliess- 
liches Interesse  zuwenden. 

H.  Das  Alter  eines  directen  Verkehrs  zwischen  Venedig 
und  England  ist  ebenso  schwer  zu  bestimmen,  wie  dies  bei 
dem  der  übrigen  Republiken  der  Fall.  '  Die  erste  bestimmte 
Erwähnung  Venedigs  in  den  öffentlichen  Documenten  Englands 
ist  aus  dem  Jahre  1201  (18.  Jan.)5).  König  Johann  verlieh 
damals  dem  Sohne  des  Leonardus  Sucuhull  von  Venedig  einige 
Ländereien6).    Allem  Anscheine  nach  waren  dieser  „Johannes 


x)  Für  den  Sack  WoUe  hätten  sie  nämlich  zu  zahlen  gehabt  66  8h 
8  d,  nun  aber  entrichteten  sie  58  sh  4  d,  also  nur  10  sh  mehr,  als  die 
Engländer;  für  Zinn  war  der  FremdenzoU  vom  £  Werth  2  sh  8  d,  sie 
aber  zahlten  nur  1  sh  3  d,  also  8  d  mehr  als  die  Einheimischen.  Privileg 
v.  22.  Febr.  1471.    Rymer  XI.  8.  696. 

*)  Vgl.  Kymer  XII.    S.  255. 

■)  Dies  beweisen  die  der  genuesischen  Gesellschaft  gewährten  Geleits- 
briefe; z.  B.  im  Jahre  1496  und  1503  (Br.  M.  Sloane  Mscrs.  4617  Nr.  162; 
4618  Nr.  39). 

4)  Unter  diesem  Sammelnamen  verstand  man  in  England  Florenz, 
Genua,  Lucca  und  Venedig. 

*)  Hardy,  Kotuli  Chartarum  in  Turri  Londinensi  asservati.    S.  84. 

0)  Die  „certain  commercial  Privileges  of  high  importance",  welche  Jo- 
hann demL.  S.  verliehen  haben  soll,  sind  jedenfalls  von  Hazlitt  (History 
of  the  Venetian  Republic  etc.  London  1860.  IV.  S  240)  ebenso  erfunden, 
wie  der  Sucubus  statt  Sucuhull  und  der  18.  Jan.  statt  des  13.  Jan. 


—    118    — 

de  Venetia"  und  seine  Nachkommen 1)  ähnlich  wie  die  Floren- 
tiner in  erster  Linie  Banquiers,  welche  durch  Gelddarleihen 
und  Ansichziehen  der  verpfändeten  Objecte  sich  bereicherten. 
Ich  glaube  nicht,  dass  man  aus  diesem  einzigen  Beispiel  auf 
„einen  regelmässigen  und  ausgedehnten"  Verkehr  in  damaliger 
Zeit  schliessen  darf2).  Durch  die  Kreuzzüge  könnte  ein  gegen- 
seitiger Waarenaustausch  herbeigeführt  worden  sein.  Es  ist 
sogar  einige  Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  dass  die  Engländer 
damals  einen  Activhandel  nach  dem  Orient  entwickelten  und, 
wenn  auch  nur  vorübergehend,  eine  Handelsniederlassung  in  Accon 
besassen3).  Doch  darf  man  füglich  bezweifeln,  ob  die  1265 
in  den  venetianischen  Zolltarifen  erwähnten  „englischen  Stam- 
fords"4)  auf  dem  Seewege  nach  Venedig  gelangten,  wofern 
überhaupt  diese  Stamfords  englisches  Fabrikat  waren  und 
nicht  blos  eine  gewisse  Tuchsorte  bezeichneten,  welche  der 
in  England  getragenen  ähnelte6).  Jedenfalls  weisen  alle  uns 
erhaltenen  Nachrichten  darauf  hin,  dass  damals  noch  der  Ver- 
kehr grösstenteils  ein  mittelbarer  war  und  zu  Lande,  nämlich 
über  Frankreich,  Köln  und  Flandern  sich  vollzog6). 

Keinem  Zweifel  unterliegt  aber,  dass  mit  Anfang  des 
14.  Jahrhunderte  die  regelmässigen  directen  Fahrten  zwischen 
Venedig  und  England  begannen.  Damals  gewann  auch  der 
Seeverkehr  nach  Flandern  das  Uebergewicht  über  den  Land- 
handel. Ein  politisches  Zerwürfhiss  zwischen  Frankreich  und 
Flandern  (1315,  1316)  trug  hauptsächlich  dazu  bei.  Die 
Flamänder  besuchten  nun  nicht  mehr  die  Messen  von  Cham- 
pagne.   Dadurch  wurden  auch  die  Italiener  veranlasst,  auszu- 


*)  Die  Söhne  des  Leonard  von  Venedig  Bind  in  den  Rotuli  Liter.  Pa- 
tent. S.  134  unterm  22.  April  1215  erwähnt,  indem  sie  den  Befehl  erhielten, 
schleunigst  beim  König  zu  erscheinen. 

*)  Hazlitt  a.  a.  0.  IV.  S.  238—52  nimmt  einen  solchen  frühzeitig 
entwickelten  Handel  an.  Die  Momente,  die  er  hiefur  beibringt,  sind  alle 
nicht  zutreffend.  Sie  beweisen  in  der  Kegel  nur  für  die  Florentiner  oder 
für  andere  Fremden,  wie  die  Deutschen.  So  führt  er  als  Beleg  auch  an, 
dass  Kaiser  Friedrich  1.  1157  ein  Privileg  von  Heinrich  II.  erwirkt  habe. 
Nun  ist  richtig,  dass  Heinrich II.  an  Friedrich I.  schrieb:  „Lasse  Freundschaft 
zwischen  uns  und  unsern  Unterthanen  und  sichern  Handel  erhalten"  (De 
gestis  pontificum  Anglorum  II.  S.  133).  Dass  aber  hier  die  deutschen  und 
nicht  die  venetianischen  Kaufleute  gemeint  sind,  liegt  auf  der  Hand. 

a)  Heyd,  Geschichte  des  Levantehandels  IL    S.  714. 

4)  Ein  ganzes  Stück  „englischen  Stamford"  hatte  24  sh  Zoll,  ein  Rest 
13  sh.  die  Mailänder  Stamfords  von  Monza  5  sh  zu  zahlen.  Brown, 
Galen  dar  of  State  Papers  and  Manuscripts  relating  to  English  Affairs 
existing  in  Venice  and  in  other  libraries  of  Northern  Italy.  1864  fg.  I.  3. 

6)  In  dieser  Vermuthung  möchte  man  um  so  mehr  bestärkt  werden, 
als  auch  gefärbte  Stamfords  genannt  werden,  während  doch  die  Färberei 
selbst  unter  Heinrich  VIII.  noch  wenig  gedieh;  vgl.  die  Ausfuhr  gefärbter 
Tücher.    Bd.  IL  S.  105. 

c)  Das  beweisen  auch  Nachrichten  über  die  ersten  directen  Beziehungen 
zwischen  den  italienischen  Staaten  und  den  Niederlanden.  Heyd  a.  a.  0. 
H.  S.  707  fg. 


-     119    — 

bleiben  und  direct  zur  See  Flandern  wie  England  aufzusuchen l). 
Der  Seetransport  war  zudem  wohlfeiler,  und  die  Seegefahr  auch 
nicht  viel  grösser  als  die  zu  Lande,  wie  aus  der  Höhe  der 
üblichen  Versicherungsprämie  sich  erkennen  lässt2).  Mit 
Eduard  IL  wurden  die  ersten  Verhandlungen  wegen  eines 
geordneten  Verkehrs  geführt 3).  Den  Hauptschwerpunkt  ihres 
nordischen  Handels  wollte  die  venetianische  Regierung  jedoch 
nach  Brügge  verlegt  wissen  4),  der  Verkehr  mit  England  sollte 
nur  einen  Ableger  bilden.  Die  ersten  Fahrten  waren  von 
lauter  blutigen  Scenen  begleitet,  und  der  König  hatte  Mühe, 
diese  verderblichen  Fehden  hintanzuhalten5). 

Die  gelegten  Keime  kamen  erst  unter  Eduard  III.  zu 
grosserer  Entwicklung.  Die  ganze  Handelspolitik  dieses  Königs 
war  eine  fremdenfreundliche ;  für  Venedig  war  kber  noch  von 
besonderer  Bedeutung,  dass  der  Plantagenet  die  herrlich  auf- 
blühende Seemacht  der  Republik  in  seinen  französischen  Kriegen 
sich  dienstbar  zu  machen  suchte.  1340  bat  er  um  eine  Unter- 
stützung von  40  Schiffen,  beziehungsweise  um  blosse  Enthaltung 
einer  Parteinahme  für  seinen  Gegner6)  und  bot  grossherzig 
den  venetianischen  Kaufleuten  die  gleichen  Immunitäten  an, 
welche  die  Engländer  genössen,  und  ein  dauerndes  Privileg, 
das  alle  ihre  Wünsche  enthalten  solle.  Die  Venetianer  ent- 
zogen sich  vorsichtig  jeder  politischen  Unterstützung,  die  an- 
gebotenen mercantilen  Vortheile  aber  säumte  man  nicht  dank- 
barst anzunehmen 7).  Auch  ein  zweiter,  dreissig  Jahre  später 
unternommener  Versuch  Eduards III.,  Venedig  politisch  enger  an 
England  zu  fesseln,  misslang.  Die  venetianische  Regierung 
betonte,  dass  ihre  Beziehungen  vorwiegend  commercieller  Natur 


*)  Heyd  a.  a.  0.  II.  S.  704. 

*)  Peschel,  Geschichte  des  Zeitalters  der  Entdeckungen.  S.  44. 

*)  Circa  1317.  Brown,  Calendar  I.  9;  Marin,  Storia  del  Commercio 
Venez.    V.  S.  313. 

4)  1319  erhielt  ein  venetianischer  Gesandter  die  Mission,  in  Brügge 
ein  Consulat  zu  beantragen  und  Handelserleichterungen  zu  erwirken,  nicht 
aber  in  London,  wie  Hazlitt  a.  a.  O.  IV.  S.  243  und  sogar  Brown  in  der 
Vorrede  zum  1.  Bd.  seiner  Calendars  S.  LIX.  behaupten.  Vgl.  das  Decret 
der  Pregadi  bei  Marin  a.  a.  0.  V.  S.  304. 

*)  Als  1319  ein  Venetianer  Lauredano  nach  London  10000  U  Zucker, 
1000  U  Candis  und  4  £  in  Tours  geprägter  Groschen  gebracht  und  den 
Erlös,  sowie  das  Geld  zu  Boston  in  Wolle  angelegt  hatte,  wurde  er  bei 
seiner  Rückfahrt  nach  Flandern  beraubt  und  ermordet.  (Brown,  Cal.1. 11.) 
Eduard  II.  erliess  ein  Decret  zur  Sicherheit  der  flandrischen  Flotillen 
(Marin  a.  a.  0.  V.  S.  313).  Am  10.  April  1323  wurden  die  englischen  See- 
leute von  5  venetianischen  Galeeren  üherfallen;  die  Angreifenden  sollten 
deshalb  das  Leben  verwirkt  haben;  der  König  Hess  aber  Gnade  walten 
(Brown,  Cal.  I.  18.  19). 

')  Damals  wurde  auch  der  erste  englische  Gesandte,  von  dem  man 
sichere  Kunde  hat,  am  venetianischen  Hofe  accreditirt.  Brown,  Cal.  I. 
Pref.  8.  LIII. 

7)  Brown,  Cal  I.  25. 


—     120    — 

und  enge  politische  Bande  we^en  der  grossen  Entfernung  un- 
möglich seien1).  Trotzdem  blieb  der  König  ihnen  gewogen. 
Er  unterwarf  die  Venetianer  nicht  dem  strengen  Gästerecht2), 
gewährte  ihnen  Schutz  gegen  die  ihnen  feindlichen  Engländer8), 
befreite  sie  vom  Stapelzwang4),  und  gab  ihnen  in  den  politi- 
schen Wirren  gerne  Geleitsbriefe6). 

Von  dieser  Zeit  an  war  der  venetianisch-englische  Handel 
fortwährend  im  Wachsen6).  Der  letzte  der  Plantagenets  und 
die  drei  folgenden  Heinriche  aus  dem  Hause  Lancaster  blieben 
auf  der  von  den  Eduards  eingeschlagenen  Bahn. 

Richard  IL  gewährte  den  Venetianern  grössere  allgemeine 
Freiheiten,  als  sie  bisher  besessen,  gestattete  den  Passagieren 
ihre  „kleinen  Artikel",  nämlich  Glas-  und  irdenes  Geschirr, 
auf  dem  Verdeck  zollfrei  zu  verkaufen,  ebenso  sollten  sie  über 
ein  Fass  Wein  von  10  Gallonen  Gehalt  frei  verfügen  dürfen7). 
Eine  versuchte  Beschränkung  des  Detailverkaufs  und  Fest- 
setzung des  Preises  der  italienischen  Weine  wurde  in  aller- 
kürzester Zeit  wieder  beseitigt8),  das  Gesetz,  wonach  ein- 
geführte Gewürze   nicht  wieder  ausgeführt   werden   sollten9), 

*)  24.  Aprü  1370.    Brown,  Cal.  I.  43. 

s)  Bond,  Extracts  from  the  Liberate  Rolls  etc.  Archaeol.  XXVIII. 
S.  232. 

*)  Brown,  Cal.  I.  74. 

4)  In  den  Statuten  ist  ihre  Stapelfreiheit  allerdings  erst  im  Gesetz 
2.  Ria  II.  st.  1  c.  3  (1378)  erwähnt;  die  Wahrscheinlichkeit  spricht  aber 
sehr  dafür,  dass  sie  schon  unter  Eduard  III,  eximirt  waren. 

5)  Pat  Rolls  44  Edw.III.;  Brown,  Cal.  1.52;  Rymer  VI.  S.11,92, 
120.  Die  ersten  7  Fahrten  der  venetianischen  Flotülen  fielen  in  die  Jahre 
1317,  1319,  1322,  1325,  1334,  1336.  Unterbrochen  blieb  der  Verkehr  von 
1336—1357,  1359-1372,  1374—1385,  1388-1404.  Die  letzte  Pause  war 
durch  die  mohammedanischen  Piraten  Kordafrikas  verursacht,  indem  diese 
die  Meerenge  von  Gibraltar  blockirten  und  von  den  Venetianern  wie  Genu- 
esen hohe  Zölle  erpressten.  (Heyd  a.  a.  0.  II.  S.  711.)  Im  15.  Jahrhun- 
dert wurden  die  Fahrten  sehr  regelmässig  und  fast  jedes  Jahr  unternommen. 
Brown,  Cal.  I.  Pref.  S.  CXXXII. 

6)  Das  zeigt  unter  Anderm  auch  das  Verhältniss  der  flandrischen  und 
englischen  Schiffsladung.  So  wurde  1392  der  Packraum  eines  ganzen 
Schiffes  und  der  fünfte  Theil  von  dem  der  übrigen  (4)  Schiffe  den  Waaren 
in  London  reservirt.  Ende  desselben  Jahres  ging  von  3  Schiffen  eines 
nach  London,  und  falls  es  hier  nicht  volle  Ladung  fände,  so  sollte  es 
das  Fehlende  durch  flandrische  Güter  ergänzen  dürfen.  (Brown,  Cal.  I 
106  u.  109).  1394  und  1396  gehen  von  4  Galeeren  bereits  2  nach  London 
(Brown,  Cal.  I.  114.  221);  seit  1398  besuchen  von  5  Galeeren  bald  2, 
bald  3  die  Insel  (Brown,  Cal.  I.  126).  Ja  es  sollte  sogar  einmal  die  Zeit 
kommen,  wo  die  venetianische  Regierung,  wenn  auch  nur  vorübergehend, 
wünschte,  dass  die  Flotillen  bloss  nach  Southampton  oder  Sandwich  sich 
begeben  sollten,  da  die  flandrischen  Märkte  mehr  Schaden  als  Nutzen 
brächten.  Sie  gewährte  jeder  Galeere  zu  diesem  Behufe  1300-Ducaten 
Prämie.    (28.  April  1501.    Brown,  Cal.  I.  815.) 

7)  All  diese  Privilegien  wurden  17.  Sept.  1399  auf  10  Jahre  gewährt. 
Brown,  Cal.  I.  130. 

»)  5  Ric.  II.  st.  1.  c.  4.  (1381);  6!Ric.  II.  st.  I.  c.  7  (1382)  und  7  Ria  IL 
c.  11.  (1383.) 

*)  Rot.  Pari.  III.  S.  308.  1392/93. 


—    121     — 

kaum  lange  aufrecht  erhalten,  wenn  überhaupt  nur  vollzogen. 
Heinrich  IV.  sicherte  gleich  bei  seiner  Thronbesteigung  den 
Venetianern  die  nämliche  Behandlung  zu,  wie  sie  die  eigenen 
Unterthanen  erfuhren 2) ,  bestätigte  darauf  die  Privilegien 
Richards  IL  und  erweiterte  sie  noch2).  Er  überHess  insbesondere 
den  Schiffsherren  und  Capitänen  die  Civilgerichtsbarkeit  in 
ihren  Angelegenheiten  und  traf  auch  die  Bestimmung,  dass 
ohne  Sicherheitsleistung  von  Seite  eines  Dritten  einem  Matrosen 
keine  Lebensmittel  geborgt  werden  dürften,  damit  nicht  Lotter- 
credit  die  Abreise  verhindern  könne 3).  Als  die  venetianischen 
Kaufleute,  dem  Gesetze  zuwiderhandelnd,  ihr  Geld  zu  einem 
höhern  Curs  als  dem  legalen  in  Umlauf  bringen  wollten ,  be- 
fahl er,  ihren  Fehltritt  milde  zu  bestrafen4)  und  bot  ihnen 
zum  Schutz  an  der  englischen  Küste  seine  besten  Kriegsschiffe 
an,  wenn  missgünstige  Feinde  nicht  dulden  wollten,  dass  die 
venetianischen  Galeeren  nicht  blos  nach  Plymouth,  sondern, 
wie  der  König  wünschte ,  auch  nach  London  kämen 6).  1406 
nahm  er  die  Venetianer  von  der  allgemeinen  Steuer  aus6). 
Aus  Dankbarkeit  für  die  täglichen  Wohlthaten,  die  der  König 
den  Kaufleuten  zu  Theil  werden  Hess,  wurde  im  Auftrag  des 
venetianischen  Senats  dem  König  und  der  Königin  ein  kost- 
bares Geschenk  überreicht7).  Die  grössten  Betrügereien ,  die 
sie  sogar  dem  königlichen  Schatze  gegenüber  unter  Zustimmung 
der  venetianischen  Regierung  verübten8),  vermochten  nicht 
die  ihnen  zugewendete  königliche  Gunst  zu  entreissen.  Immer 
wussten  sie  sich  durch  Gelddarlehen9)  an  den  König  oder 
durch  Geschenke  zu  rehabilitiren 10) ,  die  alten  Zollprivilegien 

*)4.  Oct  1399.    Brown,  CaL  I.  131. 

2)  Rymer  VIII.  S.  542;  vgl.  auch  Rymer  IX.  S.  26. 

*)  3.  Dez.  1400.    Brown,  Cal.  I.  138. 

*)  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  of  the  Privy  Council  I. 
S.  120. 

«)  a.  a.  0.  S.  121. 

*)  Rot.  Pari.  IU.    S.  595. 

*)  Brown,  Cal.  I.  155. 

"J  Schon  1402  wurde  hauptsächlich  mit  Rücksicht  auf  sie  geboten, 
alle  Waaren  nur  in  den  grossen  Hafenplätzen  ein-  und  auszuschiffen,  nicht 
aber  in  den  kleinen  Buchten  (Rot.  Pari.  III.  S.  506);  1406  wurde  den  Lom- 
barden eigens  eingeschärft,  dass  sie  nur  in  den  offnen  Häfen  Wolle  ver- 
laden möchten,  und  zu  grösserer  Sicherheit  verlangt,  dass  fortan  jeder 
Italiener  und  Fremde,  der  das  Königreich  betreten  wolle,  einen  Geleitsbrief 
vom  König  besitze.  (Nicolas,  Proceedings  etc.  I.  S.  289.)  Als  auch  das 
nicht  half,  mussten  sie  sich  mit  2000  Mark  von  ihrer  Schuld  loskaufen. 
Antient  Kaiendars  and  Inventories  of  the  Exchequer  II. 
S.  77—78.  —  20.  Nov.  1456  gestattete  die  venetianische  Regierung  der 
Factorei  in  London,  20  £  an  die  Zollbeamten  zu  verausgaben,  damit  diese 
die  Güter  bei  der  Verzollung  niedrig  taxirten.    Brown,  Cal.  I.  335 

■)  So  1412,  1415.    Nicolas,  Proceedings  etc.  II.  S.  32  u.  214. 

10)  Mit  deutlichem  Hinweis  auf  diese  Geschenke  sagt  der  Verfasser 
des  Büchleins  von  der  Englischen  Staateklugkeit : 

Warum  lässt  man  nicht  die  Geschenke  sein, 
Die  sichtlich  hemmen  unsers  Volks  Gedeihn? 


—    122    — 

zu  erhalten1)  und  noch  neue  Freiheiten  zu  erwerben.  So  ist  grosse 
Wahrscheinlichkeit  dafür  vorhanden,  dass  ihnen  um  diese  Zeit 
das  Recht  ertheilt  wurde,  nur  für  persönliche  Schulden  haftbar 
zu  sein2),  und  vielleicht  erfüllte  man  auch  ihre  Bitte,  dass 
man  ihnen  einen  Richter  für  alle  Processe,  die  Italiener  und 
Engländer  oder  Italiener  allein  betrafen,  bestellte,  damit  sie 
nicht  zu  den  Gerichten  nach  London  gehen  mussten3). 

Aber  bereits  begann  die  Reaction,  die  gegen  diese  ausser- 
ordentliche Begünstigung  der  verschlagenen  Italiener  in  den 
bürgerlichen  Kreisen  sich  erhob,  eine  bedrohliche  Gestalt  an- 
zunehmen. 1439  brachte  das  Unterhaus  eine  Bill  ein,  durch 
welche. den  Venetianern  verboten  werden  sollte,  Waaren  ein- 
zuführen, die  nicht  venetianischen  Ursprungs  waren.  Der 
ganze  Zwischenhandel  der  Venetianer  nach  England  stand  auf 
dem  Spiel.  Noch  aber  war  der  Einfluss  der  Italiener  zu  gross, 
sie  bestachen  die  Minister,  und  die  Bill  wurde  abgelehnt4). 
Dagegen  wagte  die  Regierung  nicht,  das  Verlangen  des  Parla- 
ments zurückzuweisen,  wonach  fortan  die  Lombarden  dem 
Fremdenrechte  unterworfen  werden  sollten5).  Die  Londoner 
Handwerker  und  Krämer  und  mit  ihnen  die  Stapler  waren 
von  tödtlichem  Hass  gegen  die  geschäftsgewandten,  aber  auch 
gewissenlotsen  Italiener  erfüllt6).  Leben  und  Eigenthum  der- 
selben waren  nicht  mehr  sicher,  und  am  23.  August  1456 
vereinbarten  die  Venetianer,  Genuesen,  Florentiner  und  Luccaner, 
jeden  Handel  nach  London  einzustellen.  Sie  trafen  auch  be- 
reits Anstalten  zur  definitiven  Uebersiedelung  nach  Winchester 
und  Southampton.  Das  Vorhaben  wurde  nicht  ausgeführt7). 
Noch  war  der  Rückhalt  bei  dem  Hofe  stark  genug,  um  in 
London  in  gewohnter  Weise  fortleben  zu  können.  Der  Aus- 
bruch der  Rosenkriege  lenkte  die  Aufmerksamkeit  auf  andere 


Denn  Solches  sehn  wir  klärlich  alle  Tage: 
Das  Volkswohl  schäd'gen  Gaben  und  Gelage. 
Nun  mögen  Narren  sein  —  sie  oder  wir: 
Am  schlechtesten  fahren  wir  doch  immer  hier. 
Vers  500  —  505.    Hertzberg,  üebersetzung  des  Libell  of  Engiishe  Po- 
licye.    S.  83. 

!)  Rot.  Pari.  IV.  S.  249. 
*)  Brown,  Cal.  I.  172  u.  197. 

a)  Dies  Verlangen  wurde  gestellt  wahrend  ihres  Aufenthaltes  in  Win- 
chester 23.  Aug.  1457.  Brown,  Cal.  I.  339.  Die  meisten  Streitfalle  er- 
ledigten die .  Venetianer  unter  sich.  1446  war  sogar  den  venetianischen 
Bürgern  in  London  und  Brügge  verboten  worden,  an  die  localen  Gerichts- 
höfe zu  recurriren.  Brown,  Cal.  I.  284. 
4)  Rot  Pari  V.  S.  31. 

*)  Gregory,  Chronicle  ed.  Gairdner.  S.  182.    Vgl.  fernerAb6chn.il. 
Cap.  Hl. 

6)  Vgl.  eine  andere  Petition  der  Bürger  gegen  die  Lombarden  1455. 
Rot.  Pari.  V.  334. 

7)  Gregory,  Chronicle  S.  199  und  Brown,  Cal.  331  und  339. 


—    123    — 

wichtigere  Fragen1).  Aber  Thatsache  blieb  es,  die  goldenen 
Tage  der  Venetianer  waren  vorbei. 

Die  Politik  des  Hauses  York  war  der  der  Lancaster'schen 
Könige  entgegengesetzt  und  eine  den  Fremden  ungünstige. 
Der  verständige  Eduard  IV.  war  keineswegs  den  Venetianern 
in  Allem  zu  Willen.  Namentlich  machte  er  ihnen  viele 
Schwierigkeiten  hinsichtlich  der  Wolle 2)  und  wollte  zuletzt  gar 
nicht  mehr  gestatten,  dass  sie  solche  auf  ihren  Galeeren  nach 
Venedig  brächten,  sondern  der  italienische  Wollexport  sollte 
nur  den  Florentinern  vorbehalten  bleiben3).  Ebenso  waren 
manche  Gesetze  der  Eduard'schen  Regierung  zum  Nachtheil 
der  Venetianer4).  Noch  schärfer  als  Eduard  IV.  ging  der  um 
die  Volksgunst  buhlende  Richard  III.  gegen  die  venetianischen 
and  sonstigen  italienischen  Kaufleute  vor.  Tagtäglich,  klagten 
die  Venetianer.  erlasse  der  König  neue  Bestimmungen  gegen 
ihren  Handel,  so  dass  man  wohl  noch  gezwungen  werde,  ganz 
und  gar  den  Verkehr  mit  England  einzustellen5).  Sieht  man 
von  den  althergebrachten  massigen  Zollnachlässen  für  Wolle 
und  Zinn  ab,  welche  auch  Richard  III.  auf  zehn  Jahre  den 
Italienern  bewilligte6),  so  hatten  allerdings  die  Venetianer 
manche  Ursache  zur  Beschwerde.  Der  König  achtete  die  Geleits- 
briefe nicht 7),  liess  die  den  Venetianern  bisher  gestattete  freie 
Bewegung  beschränken  und  das  mittelalterliche  Gästerecht 
theilweise  gegen  sie  in  Geltung  bringen8),  verwehrte  ihnen 
auf  Bitten  der  einheimischen  Weber  das  Auslesen  der  guten 
Wolle  beim  Einkauf9),  erneuerte  das  Verbot,  fertige  Seiden- 
waaren  und  gewisse  Kurzwaarenartikel  einzuführen10)  und 
zwang  sie,  für  jede  Butte  Malvasier  Wein  nicht  wie  bisher 
bloss  4  Bogenstäbe,  sondern  noch  10  weitere  mitzubringen  n). 

Gleichzeitig  erlitt  die  Achtung,  die  man  den  nach  dem 
Norden  gehenden  venetianischen  Flottillen  bisher  gezollt,    den 


1)  Am  9.  Juli  1461  war  wieder  ein  Schiff  der  Handelsflottille  bestimmt 
worden,  nach  England  zu  fahren,  und  die  Fahrten  gingen  längere  Zeit  un- 
unterbrochen fort.    Vgl.  Brown,  Pref.  zu  Cal  I.    S.  CXXXIL 

*)  Im  Jahre  1472  wollte  er  die  Berechtigung  des  Wollexports  nach 
Venedig  an  einen  einzigen  Venetianer  verkaufen;  aber  die  Signorie  wusste 
es  zu  verhindern.  Brown,  Cal.  I  440);  welcher  grausame  Weg  hierzu 
gewählt  wurde,  darüber  vgl.  Brown,  Cal  I.  Pref.  S.  LXXIII. 

s)  Brown,  Cal.  I.  479.  480.  Jan.  1482.  Die  Beziehungen  zu  Rom 
scheinen  hiebei  nicht  ohne  Einfluss  gewesen  zu  sein. 

4)  4.  Edw.  IV.  c.  1 ;  c.  4.  u.  s.  w. 

*)  30.  April  1485.    Brown,  Cal.  I.  495. 

•)  Rymer  XII.  S.  256. 

*)  31.  März  1484.    Brown,  Cal  I.  487. 

*)  1  Ria  in.  c.  9.  1483  84.    Vgl.  unten  Abschn.  IL  Cap.  III. 

*)  1  Ric.  III.  c.  8.    1483  84. 

10)  1  Ric  III.  c.  10  u.  1  Ric.  III.  c.  12. 

n)  Ric.  III.  c.  1 1.  Früher  zwang  man  auch  die  Kaufleute  der  Ostsee 
4  Bogenstäbe  per  Tonne  einzufuhren.  12  Edw.  IV.  c.  2.  1472.  Das 
Richard'sche  Gesetz  war  aber  ganz  einseitig  gegen  die  Italiener  gerichtet. 


—     124    — 

ersten  empfindlichen  Stoss.  Die  Franzosen  wagten  mit  7  be- 
waffneten Schiffen  4  Galeeren  anzugreifen,  und  es  gelang 
ihnen,  alle  4  zu  kapern1).  So  schien  in  der  That  dem 
venetianisch- englischen  Handel  eine  trübe  Zukunft  bevorzu- 
stehen. 

Doch  ehe  wir  in  die  Weiterentwicklung  eintreten,  mögen 
zur  Vervollständigung  der  Einleitung  noch  einige  Bemerkungen 
über  die  Organisation  des  venetianisch  -  englischen  Verkehrs 
und  über  die  Waaren,  auf  die  gegen  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts der  beiderseitige  Verkehr  gegründet  war,  eingeschaltet 
werden. 

III.  Gleich  von  Anfang  an  ^pheint  man  von  Seite  Venedigs 
und  der  übrigen  italienischen  Republiken  die  weiten  Fahrten, 
gleichviel  ob  sie  nach  dem  Orient  oder  nach  dem  europäischen 
Westen  und  Norden  gerichtet  waren,  ebenso  sehr  zu  einer  An- 
gelegenheit des  Staates  als  der  Privaten  gemacht  zu  haben.  Es 
war  damals  die  Ueberzeugung  tiberwiegend  einerseits,  dass  der 
einzelne  Private  den  allerwärts  drohenden  Gefahren  nicht  trotzen 
könne,  vielmehr  der  Staat  seinen  schützenden  Arm  den  Handels- 
unternehmungen leihen  müsse,  andererseits ,  dass  ohne  eine 
bestimmte  Ordnung,  ohne,  ich  möchte  sagen,  militärische 
Reglements  über  die  Art  und  Weise,  wie  der  Handel  be- 
trieben werden  sollte,  nichts  Gedeihliches  zu  Stande  kommen 
könne. 

Den  energischen  Einfluss  wahrte  sich  nun  die  venetianische 
Regierung  dadurch,  dass  eine  beträchtliche  Privatflotte  neben 
der  Staatsflotte  nicht  geduldet  wurde.  Die  Handelsschiffe 
waren  der  Hauptmasse  nach  Staatsschifle.  Die  Kriegs-  und 
Handelsflotte  war  ein  Ganzes.  Ihre  Benutzung  wurde  jährlich 
von  der  Regierung  an  den  Meistbietenden  verpachtet2),  und 
damit  war  dann  dem  im  Handel  lebendigen  Privatinteresse 
der  nöthige  Spielraum  gewährt.  Die  Vorschriften  und  Be- 
dingungen, welchen  die  Pächter  sich  zu  fügen  hatten,  waren 
meist  weise  und  wohl  durchdacht8).  Die  Schiffsmiether  mussten 
an  der  Fahrt  Theil  nehmen;  natürlich  fiel  ihnen  das  ganze 
Frachtgeld  bei  der  Hin-  und  Rückreise  zu,  sie  mussten  aber 
davon  den  vom  Staat  ernannten  Capitän4)   und  das  Schiffs- 


*)  1485.  Bergenroth,  Call.  2.    Fortan  wiederholten  sich  Angriffe 

fegen  die  venetianischen  Schiffe  sehr  oft.  Vergl.  auch  Brown,  Cal.  I. 
99.  739.  503.  658.  813. 

2)  1347  betrug  der  mittlere  Preis  dreier  Galeeren  ungefähr  67  Lire 
grosse  per  Stück.  Brown,  Cal  I.  Pref.  S.  LXII.  Ein  Versteigerungsdocu- 
ment  vom  Jahre  1332  ist  abgedruckt  bei  Romanin  IV.  S.  375—376  und 
auch  bei  Hazlitt  IV.  S.  431. 

8)  Vgl.  die  den  Capitänen  ertheiiten  Commissionen,  namentlich  die 
erste  ausfuhrliche  von  14ö5  und  dann  die  äusserst  umfassende  vom  12.  Fe- 
bruar 1517.    Brown,  Cal   IL  841. 

4)  1516  betrug  die  Besoldung  des  Kapitäns  Andr.  Priuli  600  Gold- 
ducaten  für  eine  Reise.    Brown,  Cal.  IL  841. 


—     125     - 

volk l)  zahlen,  ausserdem  auch  einen  Arzt,  eine  gewisse  Anzahl 
Soldaten  und  Beamten  und  endlich  4  junge  Edelleute,  welche 
die  Welt  sehen  sollten,  mitnehmen  und  unterhalten.  Nach 
Beendigung  der  Reise  hatten  sie  auch  ein  Darlehen  von 
400  Ducaten  zur  Ausbesserung  der  Galeeren  zu  geben.  Im 
Uebrigen  war  alles  bis  ins  Einzelnste  geordnet.  Die  Richtung 
der  Fahrt,  die  Dauer  des  Aufenthalts,  die  Landungsorte,  die 
Frachtgrösse 2)  waren  vorgeschrieben3). 

Eine  Concurrenz  von  Seite  der  Privatschiffe  wurde  so  gut 
wie  unmöglich  gemacht,  selbst  dem  Landhandel  der  Wett- 
bewerb verwehrt.  Schon  im  Jahre  1331  hatte  man,  „damit 
die  Galeeren  für  die  flandrisch- englische  Fahrt  volle  Ladung 
erhielten  und  in  Betreff  der  Wolle  durch  die  zu  Lande  im- 
importirte  keinen  Verlust  erlitten",  bestimmt,  dass  für  die 
während  der  Fahrt  bis  zur  Ankunft  der  Flottille  eingeführte 
Wolle  25%  Zoll  statt  3%  gezahlt  werden  sollte4).  Als  man  im 
15.  Jahrhundert  auch  Tücher,  namentlich  englische,  zum 
Färben  einführte,  wurden  auch  diese  den  Galeeren  re- 
servirt.  Diejenigen,  die  solche  zu  Lande  importirten ,  mussten 
eine  hohe  Abgabe  an  die  Galeeren  zahlen  (30  Ducaten  für 
n1000  weight  Troytt),  und  es  sollte  ihnen  nicht  erlaubt  sein, 
mit  den  Schiffsherren  eine  geringere  Summe  zu  vereinbaren 6). 
Privatschiffe,  die  nach  Flandern  und  London  gehen  wollten, 
durften  erst  Waaren  an  Bord  nehmen  nach  Verfluss  von 
2  Monaten,  von  der  Abreise  der  Galeeren  an  gerechnet6). 
Als  man  1413  eine  Ausnahme  bei  einem  halbgeladcnen  Schüfe 
machte,  gestattete  man  ihm  doch  nicht,  Gewürze  mitzu- 
nehmen 7). 

Selbstverständlich  wurden  aber  auch  die  Pächter  der 
Staatsschiffe  gehalten,  die  Interessen  der  venetianischen  Kauf- 
leute wahrzunehmen  und  bei  der  Befrachtung  sie  vor  den 
Fremden  zu  berücksichtigen.  So  durften  während  der  ersten 
35  Tage  in  Flandern  und  London  gar  keine  Güter,  welche 
Fremden  gehörten,  angenommen  werden8);   in  Venedig  selbst 


*)  Eine  venetianische  Galeere  hatte  180  Ruderer;  es  wurden  dazu 
meist  Sclaven  der  venetianischen  Besitzungen  verwendet  Dieselben  hatten 
in  der  Nähe  von  Southampton  eine  Brüderschaft  Brown,  Cal  I.  Pref. 
S.  LXIV. 

*)  1485  sollte  z.  B.  jede  Galeere  120000  „weight  light  goodsa  und 
nicht  mehr  als  80000  „weight  of  copper  and  tinu  verladen.  Brown,  Cal. 
1  492.  Beispiele  dafür,  wie  die  venetianische  Regierung  rasch  eingriff, 
wenn  bei  den  Galeeren  ein  Missstand  sich  zeigte,  sind  sehr  zahlreich;  vgl. 
z  B.  Brown,  Cal  I.  156.  209.  312. 

*)  Vgl.  die  Commissionen  der  Capitäne  a.  a.  O. 

*)  Brown,  Cal  I.  21  und  23. 

B)  Brown,  Cal.  I.  253;  264.  (18.  Febr.  1438). 

e)  Brown,  Cal.  I.  158.   (11.  Juni  1407)  und  I.  158.    (3.  Febr.  1408.) 

')  Brown,  Cal.  1.  193. 

*)  Brown,  CaL  I.  221.    15.  Jan.  1398. 


—    126    — 

hatten  Gewürze  und  Baumwolle  der  Venetianer  den  Vorzug 
vor  andersartigen  Gütern  der  Fremden 1).  Ob  in  späterer  Zeit 
bei  den  Fahrten  nach  England  jede  Handelsgemeinschaft  mit 
den  Fremden  verboten  wurde,  ähnlich  wie  es  bei  denen  nach 
dem  Orient  1524  und  1526  geschah2),  wissen  wir  nicht. 

Dass  das  ganze  System  zugleich  eine  bequeme  Handhabe 
für  die  städtische  Schutzpolitik  bot,  liegt  auf  der  Hand.  Ich 
erinnere  nur  daran,  dass  z.  B.  am  6.  März  1456  den  Galeeren 
verboten  ward,  gewisse  englische  Tuche,  sowie  Wolle,  „blacktnr 
und  Krapp  in  Hafenplätze,  die  zwischen  Flandern  und  Venedig 
lagen,  zu  bringen,  um  Venedig  den  alleinigen  Vortheil  der 
Rohproducte  zu  sichern3).  Die  Erhebung  Venedigs  zum 
Stapelplatz  für  die  hauptsächlichsten  Waaren  des  westlichen 
Europas  wäre  ohne  die  Galeeren  kaum  möglich  gewesen: 
denn  kein  venetianischer  Kaufmann  würde  die  englischen  und 
französischen  Tücher,  die  Serges,  den  Bernstein,  die  Pelze 
und  das  Zinn  erst  nach  Venedig  und  von  da  etwa  nach  Corfu 
gebracht  haben,  wenn  nicht  das  System  eine  strenge  Controle 
möglich  gemacht  hätte. 

Sicher  ist,  dass  das  kleine  Venedig  auf  diese  Weise  er- 
folgreich alle  Concurrenten  im  Mittelmeer  niederschlug  und 
von  einem  armen  Schifferorte,  das  mit  dem  einzigen  Producte 
seines  Bodens,  dem  Salze,  seine  Laufbahn  begonnen,  zum  Sam- 
melplatz und  Handelsemporium  im  mittelländischen  Meere  sich 
emporschwang4). 


*)  Brown,  Cal.  I.  265.    16.  Mai  1441. 

2)  Brewer,  Cal.  IV.  263;  Br.  M.  Cotton  Msc.  Nero  B.  VIL  fo.  42. 

")  Brown,  Cal.  I.  348.  Ueber  den  Stapelzwang  siehe  auch  Marin, 
Storia  civile  e  politica  del  commercio  de  Veneziani  VII.  (Venedig  löOÜ« 
S.  335. 

*)  Der  Doge  Moncenigo  sagte  1423 :  „Ihr  (Venetianer)  seid  die  Einzigen, 
denen  Land  und  Meer  offen  stehen.  Ihr  seid  der  Canal,  durch  den  alle 
Reichthümer  gehen.  Ihr  versorgt  die  ganze  Welt;  überall  hat  man  Inter- 
esse an  unserer  Wohlfahrt,  alles  Gold  auf  der  Welt  fliesst  hier  zusammen." 
Üeber  die  Bedeutung  Venedigs  gegenüber  den  übrigen  italienischen  Städten 
äusserte  sich  derselbe  Doge:  „Wöchentlich  erhalten  wir  aus  Mailand 
17—18000  Ducaten;  aus  Monza  1000;  aus  Como  3000;  aus  Alessandria 
1000:  aus  Tortona  und  Novara  2000;  aus  Pavia  ebensoviel;  aus  Cremona 
und  Parma  ebensoviel;  aus  Bergamo  1500.  Die  Banquiers  stimmen  alle 
darin  überein,  dass  das  mailändische  Gebiet  jährlich  1600000  Ducaten  uns 
baar  herauszuzahlen  habe.  Tortosa  und  Novara  kaufen  jährlich  6000  Stück 
Tuch,  Pavia  3000,  Cremona  40000,  Como  12000,  Monza  6000,  Brescia  5000. 
Bergamo  10000,  Parma  4000  —  im  Ganzen  90000  Stück.  Diese  Städte 
senden  uns  ausserdem  1558000  Zechinen  an  feinem  Golde.  Wir  treiben 
mit  der  Lombardei  einen  Handel  im  Werthe  von  28000000  Ducaten.  Die 
Lombarden  kaufen  von  uns  jährlich  50000  Ztr.  Baumwolle,  2000O  Ztr. 
Garn,  40000  Ztr.  catalonische  Wolle  und  ebensoviel  französische  Wolle. 
Gold-  und  Seidenstoffe  für  250000  Ducaten,  3000  Lasten  Pfeffer,  400  Bunde 
Zimmet,  2000  Ztr.  Ingwer,  für  95000  Ducaten  Zucker,  30000  Ducaten 
Näh-  und  Strickwaaren ;  für  40000  Ztr.  Farbholz  und  für  50000  Ducaten 
andere  Farbwaaren;  für  250000  Ducaten  Seife  und  30000  Ducaten  Sclaven. 


—     127    — 

Was  die  Waaren  anlangt,  auf  die  sich  der  Verkehr  Vene- 
digs mit  England  gründete,  so  waren  sie  ebenso  zahlreich,  als 
werthvoll.  Da  Venedig  bis  zur  Entdeckung  des  Seewegs  nach 
Ostindien  den  Handel  der  orientalischen  Producte  hauptsäch- 
lich in  Händen  hatte,  selbst  eine  grosse  industrielle  Thätigkeit 
entfaltete x)  und  auch  den  Verschleiss  der  übrigen  italienischen 
Manufacte  beherrschte,  war  es  im  Stande,  den  Engländern 
eine  grosse  Summe  von  Bedürfnissen  zu  befriedigen  und  bei 
ihnen  auch  neue  zu  erwecken,  gleichzeitig  war  es  fähig,  die 
englischen  Exportartikel,  theils  für  seine  Industrie,  theils  zum 
Verschleiss  im  Orient  in  fast  unbegrenzter  Zahl  anzunehmen2). 

Die  von  Venedig  nach  England  nachweislich  gebrachten 
Waaren  bestanden  einmal  aus  Artikeln  venetianischer  Industrie, 
dahin  gehörten  Seidentuch,  Baldachine  aus  Gold  und  Seide, 
schwarzer  Damast  und  Atlas,  doppelt  gedrehter  Zendeltaffet, 
Töpferzeug  und  alle  Arten  von  Glaswaaren ;i),  Bücher,  sowohl 
geschriebene  als  gedruckte,  gemalte  Werke  und  Karten;  sodann 
aus  Producten  der  Mittelmeerländer,  hieher  sind  zu  rechnen 
Bogenholz4),  unbearbeitete  Baumwolle,  auch  Malteser  Baum- 
wolle genannt,  gesponnene  Baumwolle,  feine  gefärbte  Kamelots, 
unverarbeitete  Seide  und  verschieden  gefärbtes  Seidengarn, 
grobe   sicilische   Korallenknöpfe   und  Rosenkränze,    apulische 


Dabei  ist  die  Salzausfuhr  noch  gar  nicht  in  Rechnung  aufgemacht.  Be- 
denket wie  viele  Fahrzeuge  der  Transport  dieser  Waaren  in  Thätigkeit 
setzt,  theils  am  sie  nach  der  Lombardei  zu  schaffen,  theils  um  sie  aus 
Syrien,  Romanien,  Catalonien,  Flandern,  Cypern,  Sicilien.  überhaupt  aus 
allen  Theilen  der  Welt  zu  holen.  Venedig  gewinnt  21/*  bis  3%  an  der 
Fracht.  Und  wie  viele  Menschen  leben  nicht  von  diesem  Verkehr:  Mäkler, 
Handwerker,  Seeleute,  Tausende  von  Familien  und  endlich  die  Kaufleute, 
deren  Gewinn  nicht  weniger  als  600000  Ducaten  beträgt.  Verona  nimmt 
jahrlich  200  Stücke  Gold-,  Silber-  und  Seidenstoffe;  Vincenza  120;  Padua 
200;  Treviso  120;  Friaul  50;  Feltre  und  Belluno  12:  und  ausserdem  be- 
ziehen sie  400  Last  Pfeffer,  120  Bunde  Zimmet,  1000  Ztr.  Ingwer,  1000  Ztr. 
Zucker  und  200  Scheiben  Wachs  jährlich.  Florenz  sendet  uns  Waaren 
zum  Werthe  von  16000  Zechinen  und  350000  Zechinen  in  Gold,  wofür  es 
spanische  und  französische  Wolle,  Getreide,  Seidenwaaren,  Gold-  und  Sil- 
berdraht, Wachs,  Zucker  und  Biiouterieen  erhält.  Ueberhaupt  setzt  der 
Handel  von  Venedig  jährlich  10000000  Zechinen  in  Umlauf.  Romanin 
IV.  S.  94  fe. 

')  Vgl.  Ungewitter,  Geschichte  des  Handels,  der  Industrie  und 
Schiffahrt.    S.  157. 

*)  Die  folgenden  Angaben  gründen  sich  auf  die  fleissige  Zusammen- 
stellung R.  Browns  in  der  Pref.  seines  Cal.  1.  (Ital.  Ausgabe  L'Archivio 
di  Venezia  S.  280V,  er  benutzte  sowohl  archivalische  Quellen,  wie  den 
Prezzo  corrente,  als  gedruckte,  wie  das  bekannte  Büchlein :  Tarina  de  pexi 
e  mesure  del  prestantissimo  miser  Bartholomeo  di  Paxi  1503  und  ein 
ähnliches  vonDino,  betitelt:  El  libro  di  tutti  i  chostumi :  cambi :  monete  : 
pesi :  misure  :  et  usanze  di  lectere  di  cambi :  et  termini  di  decte  lectere  che 
oe'  paesi  ai  costoma  et  in  diverse  terre  Firenze  1481. 

3)  Murano  war  der  Sitz  dieser  Fabrikation. 

4)  Vgl.  Brown,  Cal.  II.  71,  78,  102,  522,  524. 


—    128    — 

Lammfelle;  ferner  Wein  aus  Candia  und  Tyrus,  sowie  Süd- 
früchte als  getrocknete  sicilische  Pflaumen ,  eingemachte 
Mirabellen,  Knorpelkirschen,  Johannisbeeren,  Datteln  und 
Saffran1),  endlich  alle  Arten  sicilischen  Zuckers  *)  (raffi- 
nirter  Zucker,  brauner  Zucker,  Melasse  und  feines  Confect), 
•  sicilischer  Salpeter,  chios'sches  Terpentin  und  Mastix;  weiter 
führten  sie  ein  die  fast  unendliche  Zahl  der  kostbaren  süd- 
asiatischen Droguen  und  Gewürze,  die  aus  Persien,  Ostindien, 
Malakka,  Borneo,  Aegypten,  Ceylon,  Malabar  und  Syrien 
stammten  und  zu  Damascus,  Aleppo,  Alexandria  und  Constan- 
tinopel  gekauft  worden  waren.  Ich  nenne  hier  Wermuth, 
Seraphharz,  Borax,  Rhabarber,  Auripigment  und  Operment; 
Kassiarohr  (Mutterzimmt),  Rothholz,  Galgant,  Narde,  Mutter- 
harz, Diachenharz,  Belzounharz,  Elichoysum,  Bitterrohr  (Ca- 
lamus  verus  amarus);  Muskatnuss;  Kampher;  Ammoniaksalz; 
Zimmt,  gereinigten  Wender;  Ingwer;  raffinirtes  Scammonium- 
harz,  Manna,  Storax;  endlich  Pfeffer,  Nelken,  rothes  Sandel- 
holz, Opponaxharz,  Aloe,  grauen  Ambra,  Bisam3). 

Die  von  den  Venetianern  aus  England  exportirten  Waaren 
bestanden  der  Hauptmasse  nach  aus  Wolle,  die  zum  Unter- 
schied von  der  orientalischen  fränkische  genannt  zu  werden 
pflegte4);  ferner  aus  Stangenzinn  und  Blei,  gegerbten  Ochsen- 
und  Kalbsfellen 5),  zugerichteten  Pelzen,  endlich  aus  der  grossen 
Masse  englischer  Tucharten 6). 

r)  Der  Saffran  stammte  aus  Aquila,  Sulmona,  Romagna,  Toscana, 
Cremona,  Lombardei,  Apulien  und  Bari;  sein  Gebrauch  in  Europa  begann 
1288;  man  fing  an,  in  England  ihn  zu  pflanzen  seit  1582. 

*)  Seit  der  Entdeckung  von  Madeira  1450  sank  der  Zucker  von 
Cypern,  Alexandrien,  Syrien,  Damiette,  Sicilien,  Valencia  und  andern  Theilen 
des  mittelländischen  Meeres  sehr  im  Preise.  Seit  1486  kamen  jährlich 
5—6  Schiffe  mit  je  200—500  Fass  von  Zucker  aus  Madeira.  Bis  1503 
scheinen  aber  in  England  die  sicilischen  Zuckerarten  denen  der  Levante 
und  von  Madeira  vorgezogen  worden  zu  sein.  (Brown,  Cal.  I.  Pief. 
S.  CXXXVI.  fg. 

*)  Vgl.  auch  die  werthvollen  Forschungen  über  die  Gegenstände  des 
Austausches  zwischen  Morgenland  und  Abendland  bei  Heyd,  Geschichte 
des  Levantehandels  im  Mittelalter  IL    S.  543  fg. 

*)  Früher  ging  ein  grosser  Theil  der  englischen  Wolle  von  den  Nie- 
derlanden aus  nach  Italien.  Seit  die  Italiener  aber  selbst  nach  England 
und  Calais  fuhren,  nahm  dieser  Betrag  immer  mehr  ab.  20.  Nov.  1434  bis 
22.  Dez.  1435  wurden  1651/*;  1436:  84:  1437:  158;  1438:  11;  1.  Oct  1483 
bis  1.  Oct  1485:  2471/,;  1.  Oct.  1491  bis  1.  Oct.  1495:  341;  1.  Oct.  1495 
bis  1.  Oct.  1497:  7207*;  1.  Oct.  1503  bis  24.  Dez.  1507:  252  „pokenu, 
von  denen  2— 21/*  einen  Sack  ausmachten,  über  Brabant  „zu  Wasser  und 
zu  Land"  nach  der  Lombardei  gebracht.  (Brüsseler  Staatsarchiv.  Chambre 
desComptes  No.  23249);  vgl.  auch  Hernie,  Histoire  du  regne  de  Charles 
Quint.    Bd.  5.    S.  272.    No.  2. 

*)  Ueber  die  hohe  Wertschätzung  englischen  Leders  1545  in  Venedig 
vgl.  Brown,  Cal.  V   358. 

6)  Die  verschiedenen  englischen  Tuchsorten,  die  nach  Venedig  gingen, 
sind  erwähnt  bei  Brown,  Cal.  I.  S.  CXL  fg.  Dieselben  waren  meist  zum 
Verschleis8  im  Orient  bestimmt.  Seit  1444  und  noch  früher  suchte  man 
Venedig  zum  Stapelplatz   dieser  Tücher  zu   machen;   die  venetianischen 


—    129    — 

Die  Gesammtgrösse  des  venetianischen  Imports  und  Ex- 
ports nach  und  von  England  ist  unbekannt.  Hinsichtlich  des 
Malvasierweins,  der  Wolle  und  des  Zinns  geben  unsere  Zoll- 
register einigen  Anhalt,  auf  die  ich  verweise.  Für  die  Zeit 
Heinrichs  VIII.  darf  als  wahrscheinlich  gelten,  dass  der  vene- 
tianische  Export  den  venetianischen  Import  überwog1).  Im 
Uebrigen  mag  die  Bedeutung  des  venetianischen  Handels  für 
England  genugsam  daraus  erhellen,  dass  das  Frachtgeld  der 
venetianischen  Galeeren  für  die  von  England  nach  Venedig 
1505  gebrachten  Waaren  allein  17  000  Ducaten  betrug2),  und 
dass  Southampton,  seitdem  die  venetianischen  Staatsflotillen 
ausblieben  und  statt  ihrer  die  vereinzelten  Kaufleute  nach 
England  und  meist  nach  London  kamen ,  vollständig  verarmte 
und  Hilfe  beim  Parlament  suchen  musste3). 

Mögeu  die  Italiener  auch  in  Folge  ihrer  grösseren  Ge- 
wandtheit und  mit  ihrem  weiten  Gewissen  die  grösseren  Ge- 
winner gewesen  sein,  mögen  in  Folge  der  starken  italienischen 
Concurrenz  die  englischen  Gewerbsleute  auch  noch  so  viel  ge- 
jammert haben,  alles  zusammengenommen  war  der  venetianische 
Handel  für  das  England  des  15.  Jahrhunderts  in  cultureller 
und  materieller  Beziehung  ein  grosser  Segen.  Ich  halte  die 
Beurtheilung  des  venetianischen  Handels  durch  den  Verfasser 
des  Büchleins  der  englischen  Staatsklugheit  zum  grössern 
Theil  für  einseitig  und  für  einen  Ausfluss  der  ihn  umgebenden 
damals  sehr  erregten  Londoner  Stimmung  und  der  im  Mittel- 
alter herrschenden  engherzigen  Anschauung  vom  Luxus  *). 

Schiffe,  die  Tücher  dieser  Art  nach  Venedig  brachten,  durften  dieselben 
exportiren,  ohne  den  Zoll  von  1%  zahlen  zu  müssen.  Brown,  Cal.  L  271. 
In  einem  venetianischen  Senatsbeschluss  worden  die  englischen  Kersies 
geradezu  „die  Grundlage  des  Welthandels"  genannt  Brown,  Cal.  IV.  1050. 
8.  Juli  1,514. 

*)  Vgl.  Brown,  Cal.  II.  1042  und  unten  die  Verhandlungen  im  Jahre 
1518  und  1580. 

*)  Giustinian,  Four  years  at  the  court  of  Henry  the  Eighth.  Dis- 
patches  transl.  by  R.  Brown  II.  S.  46. 

»)  22  Hen.  vni.  c.20,  ferner  Urk.  Beil.  176  und  176a.  Vgl.  unsere 
Zollregister,  welche  den  Verfall  des  Southamptoner  Hafens  und  die  Jahre, 
in  denen  die  Flotillen  kamen,  deutlich  markiren  Uebrigens  war  auch  die 
Schiffiahrtsacte  schädlich  für  Southampton.  Seit  deren  Erläse  konnten  die 
Genuesen  keinen  Waid  mehr  nach  Southampton  bringen;  die  englischen 
Kaufleute  aber  stapelten  den  ihrigen  in  London. 
4)  Die  Stelle  heisst: 

Die  von  Venedig  und  Florenz  verkehren 
Mit  uns  auf  den  gewaltigen  Galeren. 
Sie  bringen  Luxuswaaren,  Specerein, 
Gewürze  aller  Art  und  süssen  Wein, 
Meerkatzen,  Fratzen,  Tand  für  Laffen,  Affen 
Und  Kinkerlitzchen,  die  nicht  Nutzen  schaffen, 
Dinge  womit  die  Augen  sie  verblenden 
Und  die  nicht  werth  sind  Geld  daran  zu  wenden. 

Schani,  Engl.  Handelspolitik.    I.  9 


—    130     - 


Heinrich  VIL   (1485-1509.) 

In  der  vorangeschickten  Einleitung  bemerkten  wir,  wie 
eine  Wendung  in  der  englisch -venetianischen  Handelspolitik 
unter  dem  Hause  York  eintrat,  die  sehr  verhängnissvoll  für 
die  venetianischen  Kaufleute  zu  werden  schien.  Die  einheimi- 
schen Wünsche  und  Stimmen  waren  zu  Wort  gelangt 

Wohl  mochten  die  Venetianer  gejubelt  haben,  als 
Richard  III.  vom  Thron  gestürzt  ward,  wohl  mochten  sie  hoffen, 
dass  der  neue  Thronbesitzer  auch  die  Gesetze  des  Usurpators 
für  null  und  nichtig  erklären  würde;  aber  es  zeigte  sich  bald, 
wie  sehr  man  sich  da  getauscht;  man  wurde  in  Kurzem  gewahr, 
dass  auch  Heinrich  VH.  ein  Bürgerkönig  war  und  sein  wollte. 
Allerdings  konnten  die  Venetianer  Heinrich  VII.  zu  einigen  Con- 
cessionen  bewegen,  er  Hess  das  Richard'sche  Wollstatut  auf- 
heben und  die  Suspension  der  in  der  rigorosen  Acte  1  Rieh.  III. 
c.  9  enthaltenen  Strafen  aussprechen x) ;  allein  schon  die  letzte 
Gabe  war  von  sehr  zweifelhaftem  Werth;  die  materiellen  Be- 


Das  meiste  von  dem  Zeug  geht  bald  dahin, 
Ist  sehr  entbehrlich  und  bringt  nie  Gewinn. 
An  Mitteln  aber  gegen  Körperschwächen 
Wird's  auch  datier  in  England  nicht  gebrechen. 
Es  thut  nicht  noth,  noch  Fremdes  zu  erkunden; 
Rath  und  Erfahrung  haben  schon  gefunden, 
Wie  man  recht  abführt  alle  bösen  Säfte. 
Dazu  genügen  unsrer  Heilkunst  Kräfte. 
Und  wir  bedürfen  nicht  Scammonium, 
Turbit,  Euphorbium,  Agrimonium, 
Rhabarber,  Senna;  nützlich  ist  das  Alles, 
Doch  kenn'  ich  Kräuter  hier,  die  jeden  Falles 
Gleich  nützlich  sind  und  die  bei  uns  gedeihn; 
Mag  Keiner  mir  deswegen  böse  sein. 
Man  braucht  nicht,  um  Krankheiten  zu  vertreiben, 
Sich  über's  Meer  her  Kräuter  zu  verschreiben. 
Nehmt  Eins  ihr  aus,  so  dürfte  dies  allein 
(Verlasst  euch  auf  mein  Wort)  der  Zucker  sein. 

So  führt  dies  Volk  für  Leckerei'n  und  Tand 

Uns  unsre  besten  Waaren  aus  dem  Land, 

Die  wir  am  schwersten  missen,  wie  vorhin 

Ich  auch  schon  sagte:  Wolle,  Tuch  und  Zinn. 

Denn  jedes  andre  Land  wird  von  den  drei'n 

Etwas  zu  kaufen  stets  benöthigt  sein. 

Hertzbergs  Uebersetzung  S.  78  fg. 
Vers  844—379.  Aus  den  folgenden  Versen  geht  hervor,  dass  der  Verfasser 
hauptsächlich  die  Geldgeschäfte  der  Venetianer  und  Florentiner  verab- 
scheut, und  dass  er  das  Fremdenrecht  gegen  sie  angewendet  wissen  will. 
Ferner  ist  ersichtlich,  dass  er  eine  Einschränkung  der  Italiener  auch  mit 
Bezug  auf  die  einheimische  Schiffahrt  wünscht 

')  1  Hen.  VII.  c  10.  1585.  Aus  den  Rot  Pari.  VI.  S.289  geht  her- 
vor, dass  die  Venetianer  die  vollständige  Zurücknahme  der  Acte  gar  nicht 
zu  verlangen  wagten. 


—    131     - 

Stimmungen  der  erwähnten  Acte  wurden  keineswegs  ausser 
Kraft  gesetzt,  die  Venetianer  machten  sich  bei  jeder  Zuwider- 
handlung eines  Rechtsbruchs  schuldig,  und  es  blieb  ausdrück- 
lich dem  Könige  vorbehalten,  die  genannten  Strafen  verhängen 
zu  lassen  oder  nicht.  Sie  waren  ganz  der  Willkür  Heinrichs  VII. 
überliefert.  Noch  mehr  aber,  trat  zu  Tage,  dass  der  Tudor 
ihnen  nicht  zu  Willen  sein  wolle,  als  er  durch  Gesetz  den 
grossen  Gewinnen  der  in  England  ansässigen  Italiener  vor- 
beugte und  alle  Fremden,  die  das  englische  Bürgerrecht 
hatten,  zwang,  die  Zölle  der  Fremden  zu  zahlen1),  ferner 
durch  eine  Schifffahrtsacte  den  Venetianern  unmöglich  machte, 
auf  dem  Hinwege  Waid  und  französische  Weine  für  England 
mitzunehmen,  und  endlich  den  Import  der  verarbeiteten  Seide 
und  den  Export  der  Wolle  erschwerte  *). 

Als  die  Signorie  die  feste  Ueberzeugung  gewonnen,  dass 
der  neue  Herrscher  die  venetianischen  Interessen  nur  so  weit 
wahrnehmen  werde,  als  sie  seinem  Lande  selbst  erspriesslich 
zu  sein  schienen,  zögerte  sie  nicht  länger,  aus  der  passiven 
Politik  herauszutreten.  Noch  stand  Venedig  im  Glänze  seiner 
Macht,  und  leicht  bot  sich  ihm  ein  Punct,  an  dem  es  eine 
kräftige  und  ihm  selbst  erwünschte  Repressalie  ausüben  zu 
können  hoffte,  das  war  die  englische  Schifffahrt  im  Mittelmeer. 
Der  erste  grosse  handelspolitische  Streit  zwischen  England  und 
Venedig  stand  bevor. 

Den  Anlass  bot  der  sogenannte  Malvasierwein.  Die  Vene- 
tianer waren  seit  1208  im  Besitz  der  Insel  Malvasia  (Monem- 
basia)  und  damit  auch*  des  darauf  wachsenden  Weins.  Der 
Name  wurde  aber  mehr  und  mehr  verallgemeinert  und  auch 
für  das  Gewächs  von  Cyprus,  Morea,  Spanien  und  der  den 
Venetianern  ebenfalls  gehörenden  Insel  Candia  gebraucht3). 
Die  Beliebtheit  des  Malvasiers  in  England  im  15.  Jahrhundert 
war  für  den  venetianischen  Handel  von  wesentlicher  Bedeu- 
tung; denn  er  bot  zu  den  leichten  Gewürzen  und  Manufacten 
die  nöthige  Belastung  der  Schiffe.  Von  diesem  Gesichtspunkt 
aus  wurde  auch  der  Weinhandel  von  den  Venetianern  nach 
England  betrieben.  Sie  Hessen  es  an  Zufuhr  nicht  fehlen,  der 
von  ihnen  gestellte  Preis  war  gering  (50  sh. — 53  sh.  4d  per 
Butte  =  Vi  Tonne),  sie  massen  reichlich  zu  (132—140  Gallonen 
und  nur  selten  126  auf  eine  Butte)  und  nahmen  sogar  */3  des 
Preises  in  Tuch  anstatt  in  Münze4). 

Das  änderte  sich  gegen  Ende  .der  70  er  Jahre.  Die  Nach- 
frage nach  Malvasier  wurde  immer  allgemeiner,  die  Rücksichts- 
losigkeit der  Engländer  aber  immer  grösser.    Diese  boten  fort- 


')  1  Hen.  Vn.  c.  2. 

*)  1  Hen.  VII.  c  8,  9,  10. 

*)  Vgl.  die  Parlamentsacte  23  Hen.  VIH.  c.  7. 

4)  Nach  dem  Preamble  der  Acte  1  Eich.  in.  c.  18.    1483/84. 


—    132    — 

während  schlechteres  und  betrügerisches  Tuch l)  an,  die  Vene- 
tianer  aber  entschädigten  sich  durch  Herabsetzung  des 
Masses2),  dann  durch  Beschränkung  der  Einfuhr  und  dadurch 
bewirkte  Hochhaltung  des  Preises,  und  zuletzt  verweigerten 
sie  auch  die  Annahme  des  Tuchs  *). 

Die  Engländer  aber  setzten  bei  Richard  III.  eine  die 
Venetianer  schmähende  Acte  durch,  der  zufolge  die  Butte  ein 
für  allemal  126  Gallonen  enthalten  sollte4).  Der  künstlich 
hinaufgetriebene  Weinpreis  veranlasste  die  englischen  Kauf- 
leute und  Schifffahrer,  selbst  in  grosser  Zahl  nach  Candia  zu 
kommen,  und  sie  waren  im  Stande,  die  Venetianer  zu  unter- 
bieten. Der  entgehende  Gewinn,  die  ihnen  zugefügte  Schmach 
und  die  ganze  Summe  fortwährender  Bedrückungen  und  Be- 
schränkungen ihres  bisherigen  Handels  drängten  die  Signorie 
zum  Eingreifen. 

Am  18.  November  1488  wurde  im  venetianischen  Senat 
folgender  Beschluss  gefasst:  „Man  muss  dafür  sorgen,  dass 
alle  fremden  Schiffe  und  Barken,  welche  jedes  Jahr  nach  Candia 
kommen,  um  Malvasier  für  den  Westen  zu  laden,  zum  grossen 
Nachtheil  der  venetianischen  Schiffe,  nicht  länger  handeln, 
sondern  jenen  venetianischen  Schiffen,  welche  die  flandrische 
Expedition  unternehmen,  den  Platz  räumen;  und  da  die  ge- 
nannten Schiffe  niedriges  Frachtgeld  nehmen,  d.  h.  nur  vier 
Ducaten  per  Butte,  während  die  venetianischen  Schiffe  nicht 
unter  sieben  Ducaten  laden  können,  so  wird  beschlossen,  dass 
diejenigen,  welche  Weine  in  Candia  einnehmen,  um  sie  an  Bord 
fremder  Schiffe  nach  dem  Westen  zu  bringen,  vom  1.  Man 
1489  an  einen  Zuschlagszoll  von  vier  Ducaten  per  Butte  zahlen 
sollen;  diese  Abgabe  muss  zur  Befestigung  Candias  verwendet 
werden" 6).  Gleichzeitig  suchte  man  den  Weintransport  gross- 
artiger zu  organisiren.  Die  bisherigen  Schiffe  wurden  für  den 
Weintransport  zu  klein  erachtet,  da  keines  1000  Tonnen  fasste. 


')  Venedig  war  deshalb  sehr  darauf  bedacht,  dass  englische  and 
venetianische  Tücher  geschieden  blieben.  Als  man  englisches  ungeschorenes 
Tuch  einführte  und  erst  in  Venedig  appretirte  derart,  dass  es  wie  rene- 
tianisches  Tuch  aussah,  wurde  die  Einfuhr  solchen  Tuchs  ganz  und  gar 
verboten,  damit  der  Ruf  des  venetianischen  Tuches  nicht  leide.  17.  Dez. 
1444.  Brown,  CaL  I.  271.  Allein  damit  wurde  das  Uebel  nicht  beseitigt. 
Die  Engländer  waren  geschickt  genug,  die  italienischen  Tücher  tauschend 
nachzumachen,  namentlich  die  sog.  panni  garbi  und  florentinische  Muster 
(1457.  Brown,  Cal.  I.  346),  und  damit  {ring  das  Betrügen  erst  recht  an. 
Vgl.  auch  Giustinian,  Four  years  at  the  court  of  Henry  the  Eighth. 
Dispatches  transl.  by  Brown,  London  1854.  IL  S.  46.  Note  2;  ferner 
Abschnitt  II,  Cap.  8  unserer  Darstellung. 

*)  Wenn  man  den  Anschuldigungen  der  Weinschenker  glauben  darf, 
so  setzten  die  Venetianer  dass  Mass   der  Butte  auf  108  Gallonen  herab. 

3)  Nicht  ohne  Einfluss  war  wohl  hiebei  die  Rücksicht  auf  das  den 
venet.  Tuchhandel  hemmende  Gesetz  4.  Edw.  IV.  c.  1. 

*)  1  Rieh.  in.  c.  13. 

6)  Brown,  Cal.  I.  544. 


—    188    — 

Man  setzte  eine  Prämie  für  die  Erbauer  grösserer  Schiffe  aus 
und  zwar  für  1000  Tonnen  Gehalt  3000  Ducaten  *•).  Endlich 
um  den  Kaufleuten  die  Concurrenz  mit  den  Engländern  noch 
mehr  zu  erleichtern,  sollte  fortan  das  Salzamt  für  jeden  Bushel 
Ivjza'schen  Salzes  statt  eines  Ducaten  vier  geben.  Da  Iviza 
auf  dem  Rückweg  von  England  berührt  wurde,  so  galt  die 
Prämie  hauptsächlich  den  nach  England  handelnden  Vene- 
tianern.  So  glaubte  man  „der  Vorväter  würdig  dem  Ruin  der 
venetianischen  Schifffahrt  vorgebeugt  zu  haben" '). 

Die  Massregel  wurde  englischerseits  bitter  empfunden.  Es 
war  altenglische  Tradition,  die  Schifffahrt  ins  Mittelmeer  zu  be- 
fördern. In  der  angelsächsischen  Zeit  wurde  demjenigen  das 
Thanenrecht  verliehen,  der  drei  Fahrten  dahin  unternahm 3).  Es 
fehlte  auch  in  keinem  der  folgenden  Jahrhundeile  an  einzelnen 
kühnen  Kaufleuten,  welche  den  Handel  mit  Italien  betrieben. 
Im  13.  Jahrhundert  liess  sich  ein  Theil  der  Thorne  ganz  in 
Italien  unter  dem  Namen  Spina  nieder  und  wurde  sehr  von 
den  Päpsten  begüns^t4).  Die  englische  Handelscolonie  in 
Accon  während  der  Kreuzzüge  wurde  oben  erwähnt5).  Ebenso 
machten  wir  bereits  auf  die  kräftigen  Versuche  aufmerksam, 
welche  die  englischen  Kauffahrer  seit  dem  Beginn  des  15.  Jahr- 
hunderts entwickelten6).  Eduard  IV.  selbst  betheiligte  sich 
mit  Kapital  an  diesem  Handel  seiner  Unterthanen  nach  Italien 
und  erwarb  sich  dadurch  Vermögen7).  Diese  lang  fortgesetz- 
ten Versuche  hatten  auch  Erfolg.  Der  englische  Handel  nach 
dem  Mittelmeer  hatte  zur  Zeit  Richards  HI.  einen  solchen 
Umfang  angenommen,  dass  die  Bestellung  eines  Consuls  wün- 
schenswert!] erschien.  Ein  solcher  wurde  auch  1485  in  der 
Person  des  Florentiners  L.  Strozzi  mit  dem  Wohnsitze  in  Pisa 
ernannt8).  In  dieser  Weise  war  den  englischen  Kaufleuten 
ein  Vereinigungs-  und  Stützpunkt  gegeben.     Schon  knüpften 

')  In  Folge  der  Prämien  wurde  diese  Bauart  später  übertrieben. 
Brown,  Cal.  LH.  »0. 

*)  Brown,  Cal.  I.  545. 

s)  Thorpe,  Ancient  laws  and  institutions  of  England.  1840.  8.  81; 
Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  389,  481.  In  der  betreffenden 
Stelle  ist  blos  vom  Passiren  des  „mare  magnumu  die  Rede,  aber  man  pflegt 
dies  in  obigem  Sinn  zu  deuten. 

*)  Bourne,  English  Mercbants  I.    S.    158. 

«)  S.  118. 

«)  8.  116  und  S.  122. 

')  Macpherson  I.  S.  196. 

")  Rymer  XII.  S.  271.  Es  spricht  die  Wahrscheinlichkeit  dafür, 
dass  Strozzi  der  erste  englische  Consul  in  den  Mittelmeergebieten  war. 
Völlige  Sicherheit  hiefür  gewährt  jedoch  auch  die  Verleihungsurkunde  nicht 
Der  etwas  täuschende  Eingang :  Quia  nonnulli  mercatores  et  alii  subdrti 
btyus  regni  nostri  Angliae  habent  intentionem  Deo  volonte  partes  exteras 
maxime  ipsas  Italiae  cum  suis  propriis  seu  conductis  navibus  bonis  et 
mercibus  frequentare  etc.  war  eine  stehende  Formel  und  ist  auch  den  spä- 
teren VerleihungBurkunden  gemeinsam;  siehe  die  Ernennung  von  Spene  1486 
und  die  von  Ben.  u.  Lor.  Somucci  1494.    Rymer  XII.  8.  271,  553. 


—    134    — 

sich  die  schönsten  Hoffnungen  an  die  zahlreichen  Wagnisse 
der  englischen  Geschäftsleute,  als  plötzlich  die  venetianischen 
Beschlüsse  durch  Entziehung  der  Schiffsbelastung  den  Erfolg 
in  Frage  stellten. 

Aber  noch  brauchte  man  nicht  ganz  zu  verzagen.  Ein 
kräftiger  Monarch  sass  auf  dem  Thron,  der  fest  entschlossen 
war,  fremde  Kaufleute  gegen  Gewalt  zu  schützen,  wenn  es 
sich  nöthig  erwies,  aber  niemals  zustimmte,  wenn  man  den 
englischen  Handel  einschränken  wollte.  Heinrich  VH.  liebte 
es  nicht,  in  solchen  Fällen  Gewalt  zu  gebrauchen,  suchte  viel- 
mehr auf  irgend  eine  Weise  einen  indirecten  Druck  zu  üben. 
Als  Vorbote  seiner  feindlichen  Gesinnung  erschien  das  Gesetz 
gegen  das  betrügerische  Verpacken  und  Wiegen  des  Goldfadens 
von  Seite  der  Italiener 1).  Dann  aber  erwog  er  den  Plan,  dem 
Weinmonopol  der  Venetianer  ein  Monopol  anderer  Art,  ein 
Wollmonopol  entgegen  zu  stellen.  Naturgemäss  richtete  sich 
der  Blick  hiebei  auf  Florenz.  Keine  !*todt  schien  geeigneter 
für  die  englischen  Absichten.  * 

Florenz  war  für  den  englischen  Handel  nach  den  Mittel- 
meerländern vorzüglich  gelegen  und  im  Besitz  des  Hafens  von 
Pisa,  zu  dem  England  seit  Errichtung  des  Consulatß  die  freund- 
lichsten Beziehungen  unterhielt  War  ja  sogar  schon  früher 
einmal  von  Pisa  die  Errichtung  eines  Wollstapels  in  Anregung 
gebracht  worden.  Dazu  kam ,  dass  es  Florenz  gelungen  war, 
nicht  nur  in  Constantinopel  die  Venetianer  ziemlich  bei  Seite 
zu  schieben,  sondern  auch  die  seit  einigen  Decennien  be- 
gonnenen Handelsbeziehungen  zu  Aegvpten  fester  zu  begründen. 
Es  konnte  also  England  in  Bezug  auf  die  Producte  des  Orients 
vollständig  befriedigen  und  gleichzeitig  die  englischen  Waaren 
im  Orient  verschleissen  *).  Das  Wichtigste  aber  war,  dass 
Florenz  eine  liberale  Schifffahrtspolitik  inaugurirt  hatte.  Als 
es  eine  Seemacht  geworden,  hatte  es  zwar  anfangs  die  heimische 
Flotte  in  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  Venedig  und  Genua  be- 
günstigt und  die  Rhederei  wie  Frachtschififahrt  von  Staats- 
wegen förmlich  monopolisirt 8).  Die  hiebei  gemachten  Er- 
fahrungen waren  aber  ungünstig.  1465  hob  man  die  Navi- 
gationsacte  auf  und  stellte  die  fremde  Flagge  der  einheimi- 
schen gleich4),  1480  wurde  vom  Staat  sogar  der  Schiffbau 
freigegeben  und  auf  die  Aussendung  der  Staatsgaleeren  ver- 
zichtet5).   Zum  nicht  geringsten  Theil  hatte  gerade  die  Woll- 


■)  4  Hen.  VII.  c.  22;  vgl.  ferner  4  Hen.  VII.  c.  10,  11. 

*)  Vgl.  über  die  Beziehungen  von  Florenz  zur  Türkei  und  Aegypten, 
Heyd,  Levantehandel  IL  S.  336  &.,  S.  477  fg.  und  485  fe. 

^Pöhlmann,  Die  Wirtschaftspolitik  der  Florentiner  Renaissance 
und  das  Princip  der  Verkehrsfreiheit.  1878.  (Preisschriften  der  Fürstlich 
Jablonow&ki'schen  Gesellschaft.  Nr.  21.)    S.  123  fg. 

*)  a.  a.  0.    S.  129  u.  151. 

5)  a.  a.  0.    S.  130. 


—    135    — 

beschaffung  zu  diesem  Schritt  gedrängt.  Die  letztere  soviel 
wie  möglich  zu  erleichtern,  war  mit  Bücksicht  auf  die  hoch- 
entwickelte Tuchindustrie  und  auf  das  neuerungssttchtige  Pro- 
letariat dringend  geboten.  Die  florentinischen  wie  englischen 
Interessen  trafen  bei  diesem  Projecte  zusammen.  Jedenfalls 
durfte  Heinrich  VII.  nirgends  grösseres  Entgegenkommen  er- 
warten als  hier.  Konnte  der  Plan  ausgeführt  werden,  so  war 
der  venetianische  Handel  nach  England  geknickt,  der  der 
Engländer  ins  Mittelmeer  dagegen  fest  begründet. 

Der  Schrecken  der  Venetianer  beim  Lautbarwerden  der 
englischen  Pläne  war  kein  geringer,  wie  ein  Brief  der  Signorie 
an  den  venetianischen  Gonsul  in  London  ersehen  lässt.  Ihre 
Direktive  lautete  dahin,  dass  er  auch  das  Aeusserste  nicht 
scheuen  dürfe,  um  die  Ausführung  des  Projects  zu  verhindern ; 
aber  er  möge  ja  äusserlich  keine  Aengstlichkeit  verrathen, 
sondern  den  Engländern  mit  völliger  Buhe  und  einer  gewissen 
Gleichgültigkeit  die  ganze  Sache  als  eine  unkluge  Geschichte 
darstellen;  er  solle  als  seine  Ansicht  äussern,  dass  die  Vene- 
tianer ihren  Wollbedarf  aus  den  venetianischen  Provinzen  und 
andern  Plätzen  mit  Leichtigkeit  decken  könnten,  man  werde 
vermuthlich  den  Venetianern  verbieten,  von  Pisa  Wolle  oder 
sonst  etwas  zu  holen,  und  die  Pisaner  und  Florentiner  möchten 
dann  zusehen,  wie  sie  ihre  Tücher  an  den  Mann  brächten. 
Das  Ganze  werde  für  England  schädlich  ausgehen  >).  In  dem 
gleichzeitig  an  den  König  gerichteten  Brief  schlugen  sie  vor- 
sichtiger Weise  vorerst  einen  bittlichen  Ton  an ;  denn  nur  zu 
gross  war  die  Gefahr,  dass  man  durch  Androhung  von  Gegen- 
massregeln die  Brücke  hinter  sich  sofort  abbrechen  könne. 
Dem  König  sollte  der  Rücktritt  von  dem  Project  erleichtert 
werden,  er  brauchte  nur  den  Bitten  der  Venetianer  gegenüber 
gnädig  sich  zu  zeigen.  Von  dieser  Rücksicht  geleitet,  konnten 
die  Venetianer  auch  nur  schwache  Argumente  geltend 
machen.  Sie  wiesen  darauf  hin,  dass  sie  und  die  übrigen 
Fremden  dann  nicht  mehr  im  Stande  sein  würden,  nach  Eng- 
land zu  kommen;  nehme  man  ihnen  den  Wollexport,  so  wür- 
den wegen  des  englischen  Verbots  des  Geldexports  auch  die 
in  reichlicher  Menge  von  ihnen  zugebrachten  Gegenwerthe,  als 
Specereien,  Weine  und  sonstige  italienische  Waaren  ausbleiben. 
Sodann  hoben  sie  hervor,  dass  sie  den  König  ganz  und  gar  für 
unfähig  hielten,  die  von  den  Vorfahren  gewährten  und  von  ihm 
selbst  bestätigten  Privilegien  zu  brechen  und  die  nun  schon 
so  lange  Zeit  bestehenden  Galeerenfahrten  zu  vernichten 2). 

Der  König  liess  sich  weder  durch  die  Bitten  der  Signorie, 
noch  durch  die  Gründe  des  Gesandten  überzeugen,   sondern 


')  11.  März  1490.    Brown,  Gal.  I.  561. 
*)  11.  Mte  1490.    Brown,  Cal.  L  562. 


—    136    — 

begann  ernstlich  mit  Florenz  zu  unterhandeln.  Das  letztere 
schickte  Thorn,  Folchi  de  Portmaris,  Christoph.  Joan.  und 
Anton,  de  Spinis  nach  England  ab,  während  als  Vertreter  der 
englischen  Regierung  der  Dr.  der  Rechte  und  geistliche  Rath 
Johan.  Baldsivell  und  der  Alderman  der  Stadt  London  Radulpb 
Austriebe  fungiren  sollten.  Bei  der  gegenseitig  freundlichen 
Stimmung  wurde  rasch  ein  Einverständnis  erzielt,  und  es  kam 
ein  Handelsvertrag  zu  Stande,  der  zu  den  denkwürdigsten 
Handelsverträgen  der  Regierung  Heinrichs  VH.  gehört.  Seine 
Bestimmungen x)  sind  folgende : 

1.  Die  englischen  Kaufleute  können  frei  und  ungehindert 
nach  Florenz  und  dessen  Territorien  kommen  und  dahin 
alle  Arten  von  Waaren,  gleichviel,  ob  sie  einheimischen 
oder  fremden  Ursprungs  sind  oder  sogar  aus  feindlichem 
Lande  stammen,  bringen,  auch  daselbst  mit  Florentinern 
und  Fremden  handeln.  Waaren,  die  bereits  verboten 
sind,  dürfen  nicht  zum  Gegenstand  des  Handels  gemacht, 
aber  von  den  Engländern  durch  florentinisches  Gebiet, 
wohin  immer  geführt  werden. 

2.  Die  Florentiner  versprechen,  keine  in  England  producirte 
Wolle  zuzulassen,  wenn  sie  nicht  von  englischen  Schiffen 
importirt  wird;  die  Engländer  ihrerseits  aber  verpflichten 
sich,  jedes  Jahr  nach  Pisa  soviel  Wolle  zu  bringen,  als 
die  durchschnittliche  Einfuhr  für  alle  italienischen  Staaten 
mit  Ausnahme  Venedigs  bisher  betrug.  Ob  Umstände 
die  Einfuhr  unmöglich  machen,  darüber  steht  die  Ent- 
scheidung einzig  und  allein  dem  König  von  England  zu. 

In  Pisa  sollen  die  Engländer  alle  Vorrechte  und 
Freiheiten  geniessen,  welche  die  Pisaner  und  Florentiner 
jetzt  und  künftig  besitzen. 

Wollen  die  Engländer  in  einem  eigenen  Gebäude  zu- 
sammenwohnen, so  sollen  sie  den  von  ihnen  dazu  auser- 
sehenen Boden  frei  zu  Eigenthum  erhalten. 
8.  Die  Engländer  sind  frei  von  allen  persönlichen  Diensten 
und  Lasten,  Abgaben  und  Zöllen,  namentlich  von  jenen, 
welche  man  etwa  des  Handels  wegen  von  ihnen  verlangen 
könnte;  auch  dürfen  diese  nicht  auf  diejenigen,  welche 
mit  ihnen  handeln,  abgewälzt  werden.  Nicht  befreit  sind 
sie  von  der  städtischen  Accise  für  Lebensmittel,  wenn  solche 
nicht  für  die  Schiffe  gekauft  werden,  und  von  den  florentini- 
<cheu  Stadtrollen.  Hinsichtlich  der  erstem  sollen  sie  wie  die 
in  Pisa  lebenden  Studenten  iscolares  stadentes).  ausserhalb 
Usa  wie  die  einheimischen  Bürger  behandelt  werden; 
hinsichtlich  der  letztern  wird  eine  neue  mit  grosseren 

%    rvr  Y*itr*$  ist  wu  hv  April  1490.    Kraer  XBL  Sl  3S9. 


—    137    — 

Vollmachten  ausgestattete  Gommission  erwägen,  ob  nicht 
eine  Herabminderung  für  die  Engländer  eintreten  könne. 

4.  Den  englischen  Kaufleuten  bleibt  unbenommen,  in  Pisa 
eine  Corporation  zu  bilden  mit  einem  oder  mehren  Vor- 
ständen, denen  ein  Verordnungsrecht  zusteht  In  diesem 
Falle  wollen  die  Florentiner  auf  eigene  Kosten  ein  Local 
zur  Verfügung  stellen,  in  welchem  die  Gesellschaft  ihre 
Berathungen  und  Verhandlungen  pflegen  könne. 

5.  In  bürgerlichen  Streitigkeiten  und  Geldprocessen,  die 
unter  den  Engländern  entstehen,  ist  der  Vorstand  der 
englischen  Kaufleute  der  zuständige  Richter,  in  Rechts- 
fällen, die  einen  Engländer  und  einen  Nichtengländer 
betreffen,  entscheiden  die  Stadtbehörde  und  der  englische 
Consul  gemeinsam,  in  Criminalsachen  die  Stadtbehörde 
allein. 

6.  Die  Florentiner  wollen  dahin  streben,  dass  an  allen  Han- 
delsYortheilen,  welche  den  Florentinern  durch  Abschluss 
eines  Vertrags  mit  irgend  einer  Nation  zufallen,  die  Eng- 
länder Theil  nehmen  dürfen. 

7.  Die  Wünsche  der  Engländer  in  Bezug  auf  neue  Privi- 
legien, Freiheiten,  und  Vortheile  innerhalb  des  florentini- 
schen  Gebietes  sollen  möglichst  berücksichtigt  werden. 

8.  Der  König  von  England  wird  keinem  Fremden  gestatten, 
Wolle  aus  ^England  in  nichtenglisches  Gebiet  zu  führen. 
Nur  den  Venetianem  soll  gestattet  sein,  600  Sack  Wolle 
nach  Venedig  zu  bringen.  Sollte  die  Lieferung  der  Wolle 
durch  Engländer  unmöglich  sein,  oder  auch  nur  der  König 
die  Ausführ  in  der  vorgeschriebenen  Weise  für  seine  Unter- 
thanen  nicht  zuträglich  halten,  so  tritt  der  Zustand,  der 
vor  dem  Vertrag  war,  wieder  ein. 

9.  Die  nach  Florenz  gebrachte  Wolle  soll  von  guter  Qualität, 
gut  verpackt  und  gut  gereinigt  sein,  auch  sollen  die 
Kaufleute  zu  einem  billigen  und  annehmbaren  Preis  ver- 
kaufen, wie  es  eben  dem  Ergebniss  der  Jahre  und  den 
Zeitumständen  entspricht 

Der  Vertrag  spricht  so  klar,  und  seine  Bedeutung  ist  so 
leicht  zu  erkennen,  dass  ich  nicht  für  nöthig  halte,  denselben 
noch  näher  zu  erläutern;  das  einzige  Zugeständniss,  wonach 
die  Florentiner  sogar  selbst  auf  den  Wollimport  zu  Gunsten 
der  Engländer  verzichten,  beweist  genug  für  den  Grundzug 
des  Tractats. 

Merkwürdig  ist  die  Vorsicht,  mit  der  Heinrich  VH,  wie 
immer,  so  auch  hier  vorzugehen  beliebte.  Soviel  war  sicher, 
dass  man  einen  Modus  finden  musste,  der  die  Venetianer  von 
offener  Feindseligkeit  abhielt.  Mit  der  grossen  ihnen  zu  Ge- 
bote stehenden  Flotte  konnten  sie  jedes  ins  Mittelmeer  kom- 
mende  englische  Schiff  aufbringen,   ein  Krieg  Englands  mit 


-    138    — 

Venedig  war  aber  eine  reine  Unmöglichkeit.  Heinrich  VIL 
band  sich  deshalb  in  gar  keiner  Weise  die  Hände.  Er  schloss 
den  Vertrag  nur  auf  6  Jahre,  sicherte  sich  die  Freiheit,  selbst 
innerhalb  dieser  Zeit,  wenn  er  nur  will,  vom  Tractat  zurück- 
zutreten, und  hütete  sich  ängstlich,  die  Venetianer  zu  reizen, 
bedang  vielmehr  im  Vertrag  selbst,  dass  sie  bei  jeder  Expe- 
dition 600  Säcke  Wolle  für  den  eigenen  Consum  exportiren 
dürften x).  Auf  diese  Weise  dachte  er,  ihrer  Opposition  die 
Spitze  vorweg  abzubrechen  und  die  venetianische  Regierung 
zu  versöhnen.  Hatte  nur  der  Plan  erst  einmal  Leben  gewon- 
nen, dann  liess  sich  ja  sehen,  wie  man  weiter  die  Venetianer 
zu  behandeln  habe.  Aber  so  leicht  Hessen  sich  die  venetiani- 
schen  Diplomaten  nicht  von  Heinrich  VIL  dupiren.  Venedig 
wollte  den  ganzen  englischen  Wollimport  im  mittelländischen 
Meere  beherrschen  und  war  auch  nicht  gewillt,  das  milder 
aussehende  Project  zu  Leben  kommen  zu  lassen. 

Vorläufig  aber  enthielt  die  Signorie  sich  jeder  Gewaltthat 
und  versuchte  noch  immer  mit  Hilfe  der  Weine  den  Kampf 
zu  führen.  In  einer  wegen  dieser  Frage  abgehaltenen  Senats- 
sitzung vom  26.  Mai  1490  kam  man  allseitig  zu  der  Ueber- 
zeugung,  dass  vorerst  das  einfachste  und  beste  Mittel  sei,  allen 
fremden  Schiffen,  welche  englische  Wolle  nach  Pisa  brächten, 
die  Rückfracht,  namentlich  den  Wein  zu  entziehen.  Zuerst 
wollte  man  durch  Separatabkommen  in  jedem  gegebenen  Fall 
die  Weinzufuhr  verhindern.  Als  die  venetianische  Regierung 
erfuhr,  dass  ein  gewisser  Ser  Piero  Contarini  einen  Auftrag 
von  400  Butten  Wein  für  Pisa  übernommen,  von  wo  aus  er 
dann  auf  fremde  (englische)  Schiffe  geladen  werden  sollte,  so 
verboten  sie  ihm,  seine  Weine  zu  Livorno  oder  Pisa  zu  landen. 
Sie  Hessen  ihm  die  Wahl,  ob  er  seine  Weine  den  Galeeren 
übergeben  oder  nach  Venedig  bringen  wolle,  und  versprachen 
zur  Schadloshaltung  ihm  und  Allen,  die  Weine  von  Candia 
nach  Pisa  liefern  sollten,  ein  Geschenk  von  1  Ducaten  per 
Butte.  Der  von  den  Engländern  zu  erwartende  Gewinn  scheint 
aber  grösser  gewesen  zu  sein,  als  die  Belohnung  von  Seite  der 
venetianischen  Regierung.  Ser  Piero  Contarini  war  unpatrio- 
tisch genug,  das  Statut  zu  umgehen,  und  der  Gonsul  in  London 
wurde  deshalb  beauftragt,  ihm  mitzutheilen,  dass  er  Schiff  und 
Ladung  verwirkt  habe 2). 

s)  In  einem  Senatsbeschluss  vom  Jahre  1513  wird  erwähnt,  dass  der 
jährliche  Verbrauch  der  venetianischen  Manufacturen  4000  Ztr.«  1099  Säcke 
betrug.  Brown,  Cal.  IL  236.  Wenn  nun  davon  auch  ein  guter  Theil 
auf  spanische  und  orientalische  Wolle  treffen  mochte,  so  weisen  doch  die 
Zollregister  darauf  hin,  dass  bei  einer  Expedition  beträchtlich  mehr  als 
600  Säcke  von  den  Venetianern  aus  England  ezportirt  wurden.  In  den 
Jahren,  in  welchen  wenigstens  während  der  Regierungszeit  Heinrichs  VIII. 
die  Galeeren  in  England  erschienen,  betrug  die  Ausfuhr  mehr  als  das 
Doppelte.    Vgl.  Bd.  II.  Tab.  IV.    S.  76  fg. 

*)  26.  Mai  1490.    Brown,  Cal.  I.  569. 


1 


—    139    — 

Nach  dieser  üblen  Erfahrung  setzte  man  die  Prämie  noch 
höher.  Am  17.  August  1490  wurde  beschlossen,  jedem  vene- 
tianischen  Schiff,  das  nach  dem  Westen  fahre,  eine  solche  von 
2  Ducaten  per  Halbtonne  zukommen  zu  lassen.  Ging  ein 
venetianisches  Weinschiff  bei  der  Fahrt  zu  Grunde,  so  ge- 
wählte man  sogar  meist  eine  Entschädigung1). 

Damit  waren  den  Engländern  alle  Zufuhren  verstopft; 
direct  konnten  sie  nicht  von  Gandia  den  Wein  holen  wegen 
des  hohen  Zolls  für  Fremde2),  die  venetianischen  Kaufleute 
fanden  es  unvortheilhaft,  Wein  nach  Pisa  zu  bringen,  da  bei 
der  Fahrt  nach  England  die  Weinprämie,  die  Salzprämie  und 
jedenfalls  noch  am  gestiegenen  Weinpreise  zu  verdienen  war, 
die  venetianischen  Galeeren  handelten  ohnehin  nur  nach  dem 
Willen  des  Staates.  Die  englischen  Schiffer  und  Kaufleute 
arbeiteten  mit  Verlust,  Heinrich  VII.  sah,  dass  seine  Hoffnung 
hinsichtlich  der  Nachgiebigkeit  Venedigs  sich  nicht  erfüllte  und 
gab  den  Plan  auf.  Schon  im  Juli  war  er  wankend  geworden ; 
als  der  politische  Agent  des  Herzogs  Sforza  von  Mailand 
Benedetto  Spinola  ihn  auszuforschen  suchte,  schwieg  er  sich 
aus3),  und  am  27.  Dezember  konnte  jener  bereits  schreiben: 
„Diese  Engländer  scheinen  ihren  Missgriff  eingesehen  zu  haben; 
man  sagt,  der  König  wolle  in  diesem  Unternehmen  nicht  weiter 
vorgehen"  *). 

Wohl  mochten  die  Venetianer  glauben,  dass  der  Kampf 
zu  ihrem  Gunsten  endgültig  entschieden  sei.  Das  war  aber 
ein  Irrthum.  Unmöglich  konnte  Heinrich  VII.  nach  diesem 
kühnen  Fluge  sich  für  völlig  besiegt  erklären.  Etwas  musste 
geschehen;  nicht  blos  um  Englands  Vortheil,  sondern  um  Eng- 
lands Ehre  und  Achtung  handelte  es  sich.  Von  nun  an  führte 
der  König  den  Krieg  gegen  die  Venetianer  in  England  selbst 
und  mit  den  nämlichen  Waffen  wie  diese.  Bevor  er  aber  zum 
Angriff  schritt^  schrieb  er  zwei  Briefe  an  die  Signorie  und 
verlangte  die  sofortige  Abstellung  der  neuen  Weinzölle,  widri- 
genfalls er  Gegenmassregeln  ergreifen  werde5).  Als  er  sah, 
dass  man  nur  leere  Vorwände  und  Entschuldigungen  brachte 6), 
aber  keinen  guten  Willen  zeigte,  zögerte  er  nicht  länger  und 
Hess  dem  Parlamente  eine  Bill,  tiberschrieben  „An  Act  to  paye 
Custome  for  every  butt  of  Malmsey"  vorlegen,  welche  auch  die 


')  Z.  B.  1498.    Brown,  Cal.  I.  766a. 

*)  Nur  sehr  selten  sah  man  von  dem  erhöhten  Fremdenzoll  ab;  so 
z.  B.  1500  bei  Ca  da  Pesaro  und  Tiepoli  von  London,  denen  gestattet 
wurde,  grössere  Quantitäten  von  Wein  zum  gewöhnlichen  Zoll  auf  fremde 
(jedoch  nicht  auf  ragusanische)  Schiffe  in  Candia  zu  laden.  Brown, 
CaL  I.  806. 

*)  Brown,  Cal.  I.  572. 

4)  Brown,  Cal.  I.  603. 

*)  Febr.  1491.    Brown,  Cal.  I.  606. 

6)  Brown,  Cal.  L  609. 


—     140    — 

Zustimmung  der  beiden  Häuser  erlangte.  In  den  Motiven 
zum  Gesetz  *)  wird  darauf  hingewiesen,  dass  seit  unvordenk- 
lichen Zeiten  englische  Schiffe  die  Küsten  von  Marokko2)  und 
die  mittelländischen  Häfen  besucht  hätten  und  dass  man  eng' 
tischen  Schiffen  nie  verboten  habe,  Candierwein  zu  laden, 
bis  vor  2  Jahren  die  Venetianer  ein  Statut  erlassen  hätten, 
das  ihnen,  ihrer  Herrschaft  und  Seemacht  allein  zum  Vortheil. 
England  aber  zum  Schaden  gereiche.  Mit  Rücksicht  darauf 
werde  Folgendes  gesetzlich  bestimmt: 

1)  Jede  Butte  muss  wenigstens  126  Gallonen  enthalten; 
bei  geringerem  Gehalt  tritt  ein  entsprechender  Preisabzug  ein; 
2}  der  Preis  per  Butte  darf  4  £  nicht  übersteigen;  3)  jeder 
fremde  Kaufmann,  der  Malvasier  einfühlt,  muss  18  sh 
(=  4  Ducaten)  Zuschlagszoll  zahlen,  und  4)  dies  dauert  so 
lange,  bis  die  Venetianer  ihren  neuen  Exportzoll  von  4  Du- 
ralen zurückgenommen  haben  werden. 

Die  Nachricht  von  dieser  Parlamentsnote  rief  eine  grosse 
CoüBternation  in  Venedig  hervor.  So  rasch  hatte  man  nicht 
ein  Vorgehen  der  Engländer  erwartet,  am  allerwenigsten  in 
dieser  Form;  der  venetianische  Weinhandel  konnte  keinen  Ge- 
winn mehr  abwerfen,  nicht  blos  wegen  des  Zolls,  sondern  auch 
wegen  der  niedrigen  Preisgrenze;  denn  schon  zu  Richards  IE 
Zi'it  war  der  Preis  5  ig7  6  sh.  8  d  und  war  unterdessen  noch 
mehr  gestiegen  und  bewegte  sich  zwischen  6—9  £*).  Sofort 
setzten  sie  alle  Hebel  in  Bewegung,  um  diesen  Schlag  abzu- 
wenden. Der  Consul  erhielt  Befehl,  mit  allen  Mitteln  die  Ab- 
schaffung dieses  die  Kaufleute  ruinirenden  Zolles  zu  versuchen. 
Gelinge  das  binnen  20  Tage  nicht,  so  sollten  die  Schiffe  nach 
Zeeland  gehen  und  da  den  Wein  verkaufen.  Die  Kaufleute 
müssten  sich  weigern,  dem  Gesetz  gemäss  zu  handeln;  im 
schlimmsten  Fall  solle  man  ein  Compromiss  versuchen,  bei 
dem  aber  höchstens  40  oder  50  Butten  geopfert  werden  dürf- 
ten ;  der  Rest  müsse  ganz  so  wie  früher  verkauft  wenden 4). 

Dass  man  eine  Parlamentsacte  nur  ohne  Weiteres  wieder 
aufhebe,  war  freilich  eine  etwas  naive  Anschauung.  Die  Be- 
mühungen der  Venetianer  fruchteten  zunächst  gar  nichts.  Der 
nach  England  geschickte  Gesandte  Andreas  Trevisan  konnte 
die  persönliche  Zuneigung  des  Monarchen  gewinnen,  auch  den 


»)  7  Hen.  VII.  c.  7.    (17.  Oct.  1491.) 

*)  Dass  Marokko  besonders  hervorgehoben  wurde,  scheint  darin  seinen 
Grund  zu  haben,  dass  gerade  damals  die  Engländer  einen  regen  Handel 
nach  Marokko  unterhielten.  So  behauptet  wenigstens  den  Aufschwang 
dieses  Verkehrs  Anderson,  der  sich  auf  Ludewig  Roberts,  Charte  des 
Hundeis,  stützt.    Sieh  Anderson,  Annalen  unter  dem  Jahre  1492. 

)  Vgl.  1  Rieh.  III.  c.  13  und  Brown,  Cal.  I.  798  auch  Bd.  IL  S.  84 
»in-  rer  Darstellung. 

*)  14.  Dezember  1492.    Brown,  Cal.  L  627. 


—    141    — 

Ritterschlag  von  Heinrich  VII.  empfangen,  aber  nicht  die  völlige 
Aufhebung  der  Acte  erwirken *).  Wohl  hatte  der  König  Trevisan 
zuletzt  versprochen,  die  Auflage  von  4  Ducaten  wieder  auf  den 
früheren  einen  herabzusetzen  *),  wofern  die  Venetianer  nur  zur 
Zurücknahme  des  später  auferlegten  Exportzolles  sich  verstehen 
wollten;  als  aber  am  1.  Juli  1499  die  venetianische  Regierung 
sich  bereit  erklärte,  die  gestellte  Bedingung  einzugehen,  hielt 
er  doch  nicht  ganz,  was  er  zugesagt.  Er  liess  nur  eine  be- 
deutende Ermässigung  der  Zuschlagstaxe,  nämlich  von  18  sh 
auf  6  sh  8  d  eintreten;  diese  Zollminderung  war  aber  nicht 
durch  Gesetz,  sondern  nur  durch  Licenz  gewährt.  Der  König 
behielt  sich  also  vor,  die  Erhöhung  zu  jeder  Zeit  wieder  vor- 
zunehmen 3). 

Mit  dieser  Concession  war  den  Venetianern  nicht  gedient 
Da  der  normale  Fremdenzoll  für  Malvasier  schon  das  Doppelte 
von  dem,  den  die  Engländer  zahlten,  betrug4),  so  hatten  diese 
im  Ganzen  einen  Vorsprung  von  8  sh  2  d  per  Halbtonne,  und 
den  Venetianern  war  es  sicher  schwer,  hier  erfolgreich  zu  con- 
curriren.  Sie  baten  und  flehten,  der  König  war  unerbittlich6). 
Er  war  gerne  bereit,  sie  von  Parlamentsacten  zu  entbinden6), 
welche  sehr  drückend  für  die  Venetianer  hätten  sein  können, 
und  zu  deren  Anwendung  er  vollkommen  berechtigt  gewesen 
wäre,  war  aber  unerschütterlich  in  diesem  Fall,  wo  doch  der 
Wortlaut  des  Gesetzes  gegen  ihn  sprach7).    Venedig  drohte, 


*)  Brown,  Cal.  I.  764.  Zu  Gunsten  de9  Schiffes  Pandora,  das  der 
Firma  Pisani  gehörte  und  bereits  nach  Candia  abgegangen  war,  gewährte 
der  König  einen  Nachlass  von  1000  Ducaten.    Brown,  Cal.  I.  765. 

*)  Der  Ausdruck,  dessen  sich  Trevisan  bedient,  ist  ungenau;  gemeint 
ist  wohl  die  Wiederherstellung  des  früheren  Zolls  von  6  sh  per  Tonne,  be- 
äehungsw.  von  3  sh  per  Halbtonne. 

*)  Urk.  Beil  78. 

*)  Die  englischen  Kaufleute  zahlten  per  Tonne  süssen  Weins  3  sh, 
die  fremden  6  sh.  Bd.  II.  S.  6. 

*)  Der  König  antwortete  meist,  seine  Unterthanen  hätten  keine  Lust 
mehr,  die  Fahrten  nach  Candia  zu  machen,  er  könne  und  wolle  nicht  die 
Abgabe  aufheben.  Während  früher  der  Preis  8  £  18  sh  per  Butte  ge- 
wesen, sei  er  jetzt  6  £  8  sh  (Brown,  Cal.  I.  798).  Brown  glaubt  des- 
halb, dass,  nachdem  die  Venetianer  ihren  neuen  Exportzoll  von  4  Ducaten 
aufgehoben,  der  König  eine  hinreichend  grosse  Zufuhr  von  Malvasier  als 
möglich  erachtet  habe,  ohne  dass  der  Preis  zu  hoch  gehalten  oder  seine 
rnterthanen  gezwungen  würden,  zu  den  schädlichen  Spirituosen  zu  greifen. 
'*eb.  Giustinian,  Four  years  at  the  court  of  Henry  theEighth.  11.  S.  46 
Note  2).  Danach  wäre  also  der  finanzielle  Gewinn  für  Heinrich  VII.  aus- 
schlaggebend gewesen,  eine  Ansicht,  die  ich  nicht  theile;  vgl.  später. 

6)  So  gestattete  er  ihnen,  Zolleinträge  auch  unter  fremdem  Namen  zu 
machen  (vgL  3  Hen.  VII.  c.  7)  und  Wolle  zu  jeder  Jahreszeit  zu  kaufen 
<TgL  4  Hen.  VII.  c.  11),  gewährte  für  letztere  sowie  für  Zinn  fast  regel- 
mässig sogar  einen  Zollerlass.  Copien  von  diesen  Gewährungen  sind  er- 
halten im  Br.  M.  Sloane  Mscrs.  4617  Nr.  97  anno  1491;  Nr.  133  anno 
U93;  Nr.  185  anno  1497;  ebenda  4618  Nr.  17  anno  1499;  Nr.  71  anno 
1505. 

7)  Vgl.  Bestimmung  4  des  oben  angeführten  Gesetzes. 


—    142     - 

falls  Heinrich  VII.  länger  sich  weigere,  dem  Gesetze  Geltung 
zu  verschaffen,  in  Candia  ein  Weinstapel  errichten  zu  wollen  ll 
Auch  diese  Drohung  verhallte  wirkungslos. 

Der  Grund  dieses  unüberwindlichen  Widerstandes  ist  sicher 
nicht  sowohl  in  dem  Zollgewinn,  der  kaum  300  £  überstiegt 
zu  suchen3),  als  vielmehr  in  der  Absicht,  die  einheimische 
Schiffahrt  zu  befördern.  Er  zwang  deshalb  die  Venetianer  so- 
gar noch  zu  einer  weiteren  Concession.  Als  die  Gültigkeits- 
dauer des  venetianischen  Grundbriefs  ablief,  der  nicht  nur 
einen  allgemeinen  Pardon  für  alle  in  der  Vergangenheit  be- 
gangenen Gesetzesverletzungen,  sondern  auch  das  wichtige 
Recht  enthielt,  kraft  dessen  die  Venetianer  in  England  mit 
Allen,  Fremden  wie  Einheimischen  direct  und  ohne  Vermitte- 
lung  der  städtischen  Bürger  handeln  durften,  verlängerte  er 
dies  Patent  nur  unter  der  Bedingung  auf  weitere  10  Jahre, 
dass  die  Venetianer  sich  verpflichteten,  keine  Waaren  aus  dem 
Gebiete  des  Erzherzogs  von  Oesterreich,  d.  h.  aus  den  Nieder- 
landen nach  England  zu  bringen,  sie  mussten  vielmehr  diesen 
Import  ganz  den  Merchant  adventurers  überlassen4). 

Heinrich  VII.  starb,  und  die  Parlamentsacte  war  noch 
immer  nicht  beseitigt.  Ob  die  Venetianer  den  Exportzoll  von 
4  Ducaten  wieder  einführten,  ist  eine  offene  Frage6).  Die- 
selben gingen,  soviel  ist  sicher,  geschlagen  aus  dem  commer- 
ciellen  Kampfe  hervor. 

Heinrichs  VII.  Politik  erweist  sich  ihrer  Tendenz  nach 
vollständig  als  eine  Fortsetzung  der  von  Richard  III.  begrün- 
deten. Weiser  im  Plane,  milder  in  der  Ausführung,  verfolgte 
sie  ganz  beharrlich  die  Wegdrängung  der  Venetianer  vom 
englischen  Handel  zu  Gunsten  der,  englischen  Kaufleute  und 
Schifffahrer. 

Heinrich  YUL  (1509-47). 

1.  Periode  (1509  —  30). 

Zwei  Momente  geben  den  commerciellen  Beziehungen 
zwischen  Venedig  und  England  in   der  Zeit  Heinrichs  VID. 


*)  19.  März  1503.    Brown,  Cal.  I.  832. 

*)  Diese  Schätzung  ergibt  sich  auf  Grund  unserer  Zollregister  ans  der 
Zeit  Heinrichs  VIII.;  dabei  ist  aber  nicht  berücksichtigt  die  grössere  Ein- 
nahme an  Zoll  iür  sonstige  Waaren,  wenn  die  Venetianer  in  der  Betheili- 
gung an  der  Einfahr  nicht  beschränkt  worden  wären. 

*)  Das  geht  auch  daraus  hervor,  dass  Heinrich  VII.  bei  Wolle  sogar 
Ermässigungen  gewährte. 

*)  Rymer  XIII.  S.  161.  De  pardonatione  pro  mercatoribus  Vene- 
tiarum  24.  März  1507.  Art.  14.  Es  spricht  wenigstens  alle  Vermutkung 
dafür,  dass  erst  unter  Heinrich  Vü.  die  Venetianer  diesen  Artikel  eingehen 
mussten.    Vgl.  Rymer  XII.    S.  255. 

s)  Für  die  Wiedereinführung  spricht  Brown,  CaL  H.  524. 


—    143    - 

den  Hintergrund:  die  verwickelte  politische  Lage  Venedigs  im 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  und  die  grossartige  Revolution 
im  commerciellen  Verkehr  in  Folge  der  Entdeckungen.  Das 
erste  Moment  wiegt  vor  bis  zum  Jahre  1580  und  begrenzt  die 
Epoche,  in  welcher  Wolsey  der  leitende  englische  Staatsmann 
war.  Das  zweite  Moment  beginnt  zwar  schon  in  der  ersten 
Periode  eine  merkliche  Wirkung  zu  zeigen,  übt  aber  seine 
entscheidenden  Schläge  für  den  venetianischen  Handel  nach 
England  erst  in  der  Cromweirschen  und  der  folgenden  Periode 
aus.  Der  Grundton  der  commerciellen  Politik  Englands  gegen- 
über Venedig  war  aber  ganz  der  nämliche,  wie  ihn  der  erste 
Tudor  angeschlagen  hatte,  wenn  auch  die  Färbung  nach  den 
jeweiligen  Zeitumständen  sich  etwas  verschieden  gestaltete. 

Als  Heinrich  VIH.  den  Thron  bestieg,  stand  der  venetia- 
nische  Freistaat  am  Rand  des  Untergangs  durch  den  Bund 
von  Cambrai,  in  welchem  sich  (1508)  Kaiser  Maximilian,  Lud- 
wig XIL  von  Frankreich,  Ferdinand  der  Katholische  von  Ara- 
gonien  und  Papst  Julius  II.  zu  einer  Theilung  des  venetiani- 
schen Gebietes  vereinigt  hatten.  In  Folge  dieser  Situation 
musste  der  Handel  nach  England  unterbrochen  werden.  Der 
Versuch,  von  den  feindlichen  Westmächten  für  die  venetiani- 
schen Handelsschiffe  Geleitsbriefe  zu  erwirken1),  schlug  fehl, 
and  auch  die  Bitten  Heinrichs  VIII.  bei  dem  spanischen  und 
französischen  Hof  fanden  kein  Gehör 2).  Die  glückliche  Tren- 
nung des  die  Existenz  Venedigs  bedrohenden  Bundes  und  das 
Zustandekommen  der  „Heiligen  Liga"  (1511)  Hess  hoffen,  dass 
der  Verkehr  mit  dem  politischen  Freunde,  der  nun  England 
war,  wieder  aufgenommen  werden  könne.  Aber  auch  diese 
Hoffnung  erwies  sich  als  trügerisch 8) ;  bei  allem  guten  Willen 
konnten  die  Venetianer  doch  nicht  der  allerwärt«  auftauchenden 
Schwierigkeiten  Herr  werden.  Als  nun  1513  Venedig  sich  mit 
Frankreich  aussöhnte,  während  England  letzteres  bekriegte, 
war  wieder  die  Aufnahme  der  Expeditionen  unmöglich  gewor- 
den; die  Republik  hatte  sich  die  ganze  englische  Nation  ent- 
fremdet4). Wohl  machten  die  Venetianer  seit  den  Erfolgen 
der  englischen  Waffen  in  Frankreich,  namentlich  seit  der  Er- 
oberung Therouannes  und  Tournays  Versuche,  um  wieder  die 
Gunst  des  englischen  Königs  zu  erlangen6).     Aber  ernstlich 

*)  VgL  die  Bemühungen  des  venetianischen  Gesandten  Cornaro  am 
spanischen  Hof.  Brown,  Cal.  IL  1338.  1334.  1335.  1341.  20.  Febr.  1508 
-  31.  Oct  1508. 

*)  Brown.  Cal.  IL  52.  61.  Bergenroth,  Cal.  IL  25.  27.  Als 
Heinrich  YIIL  den  Frieden  mit  Frankreich  scheinbar  erneuerte  (1510),  so 
wollte  er  in  denselben  auch  eine  Clausel  aufgenommen  wissen,  wonach  den 
Veneüanern  der  Handel  nach  England  gestattet  sein  sollte.  Brown,  Cal. IL 
«6,  67  u.  70. 

*)  Brown,  Cal.  IL  132  u.  179. 

4)  Brown,  Cal.  IL  254. 

6)  Vgl.  auch  Brown,  Cal.  IL  365.  524. 


—    144     - 

konnte  Venedig  doch  erst  daran  denken,  den  früheren  Flotten* 
verkehr  zu  organisiren,  als  der  Vertrag  von  Noyon  zwischen 
Frankreich  und  Spanien  (13.  Aug.  1516)  geschlossen  war,  nach 
welchem  Venedig  in  kurzer  Zeit  fast  ganz  wieder  in  den  Be- 
sitz seines  ehemaligen  Ländergebietes  gelängte. 

Seit  acht  Jahren  waren  die  venetianischen  Galeeren  nicht 
mehr  nach  dem  brittischen  Eiland  gekommen  —  eine  unerhört 
lange  Zeit,  wenn  man  die  Stetigkeit  der  Fahrten  im  15.  Jahr- 
hundert in  Betracht  zieht  Viele  der  sonst  in  London  sich 
aufhaltenden  venetianischen  Eaufleute  hatten  sich  ganz  nach 
Haus  begeben 1).  Dass  eine  so  lange  Unterbrechung  deutliche 
Spuren  ihrer  Wirkung  hinterlassen  musste,  wofern  nur  der 
Handel  zwischen  Venedig  und  England  ein  wirklich  intensiver 
war,  ist  selbstverständlich. 

In  der  That  fehlen  solche  nicht.  In  Venedig  waren  die 
Folgen  ernstester  Art,  und  es  ward  recht  augenfällig,  wie  Ve- 
nedig Englands  mehr  benöthigt  war,  als  umgekehrt  England 
Venedigs*).  Den  Motiven  eines  Senatsbeschlusses  zufolge  leb- 
ten 30  000  Leute  in  Venedig  von  der  Verarbeitung  der  Wolle, 
und  bereits  am  24.  Juli  1511  waren  nach  einer  veranstalteten 
Schätzung  nur  noch  562  Säcke  Wolle  vorhanden,  selbst  mit 
Einrechnung  der  zerfressenen,  alten  und  verdorbenen.  Bis 
zum  27.  Februar  1512  verkaufte  man  200  Säcke,  und  der 
schlechte  Rest  reichte  kaum  hin,  die  Leute  noch  3  Monate  zu 
beschäftigen.  Es  wurde  ein  Beschluss  publicirt,  dass  vom 
27.  Februar  bis  Ende  October  die  Einfuhr  der  Wolle  zu 
Wasser  wie  zu  Lande,  auf  einheimischen  wie  fremden  Schiffen 
bei  Zahlung  halber  Fracht  an  das  Arsenal  gestattet  sei,  und 
dass  die  in  fremden  Schiffen  gebrachten  Güter  auch  in  Venedig 
versichert  werden  könnten8).  Diese  Verordnung  wurde  bald 
darauf  bis  Ende  Februar  1513  verlängert  und  auch  auf  Tuch 
und  Zinn  ausgedehnt4).  Allein  die  Noth  wurde  nicht  be- 
schworen6). Im  Frühjahr  arbeiteten  von  80  Fabriken  nur 
noch  8,  massenhaft  waren  die  Auswanderungen,  die  allgemeine 


*)  Brown,  Cal.  IL  63. 

*)  Das  zeigte  sich  schon  theilweise  unter  Heinrich  VII.;  vgl.  Brown, 
Cal.  I.  503.  739.  818  (26.  Nov.  1485;  9.  Mai  1497;  13.  März  1500). 
8)  Brown,  Cal.  IL  146. 

4)  Brown,  Cal.  IL  201.    31.  October  1512. 

5)  Am  23.  April  1513  waren  nur  noch  50  Ballen  Wolle  vorhanden. 
Obwohl  dieselbe  äusserst  geringer  Qualität  war,  so  war  ihr  Preis  fast  un- 
erschwinglich, und  bei  alledem  nahm  ihre  Verarbeitung  kaum  15—20  Tage 
in  Anspruch.  In  den  letzten  14  Monaten  habe  man,  hiess  es  in  einem 
Senatsbeschluss,  nur  300—350  Ztr.  (30  000-35000  weight?)  etagefuhrt,  wah- 
rend der  jährliche  Verbrauch  der  Manufacturen  4000  Ztr.  (400000  weight  ?) 
betrage.  Brown,  Cal.  IL  236.  Besonders  schlimm  war  es,  wenn  man 
zugleich  mit  dem  Kaiser  verfeindet  war,  weil  dann  die  englischen  Waaren 
auch  nicht  auf  dem  Landweg  nach  Venedig  gelangen  konnten,  a.  a.  0.  11. 
229.  283. 


—    145    — 

Geschäftskrise  eine  schreckliche.  Man  gewährte  noch  grössere 
Erleichterungen,  befreite  namentlich  die  Importeure  von  der 
Entrichtung  des  halben  Frachtbetrags  und  vom  Zehnten  und 
erneuerte  diese  Verordnungen  so  lange,  bis  man  wieder  Hoff- 
nung schöpfte,  die  flandrischen  Galeeren  absenden  zu  können 1). 
Wenig  gefühlt  wurde  dagegen  diese  Stockung  der  venetia- 
nischen  Flottillenfahrten  in  England.  Eher  war  der  Einfluss 
ein  günstiger;  für  die  englischen  Kaufleute  war  ein  mächtiger 
Sporn  gegeben,  jetzt  wieder  den  Handel  ins  Mittelmeer  kräftig 
zu  betreiben  *).  Der  Onkel  des  durch  Gründung  der  Londoner 
Börse  so  berühmt  gewordenen  Thomas  Gresham,  nämlich 
William  Gresham  griff  hier  energisch  ein3),  und  Hakluyt, 
dessen  Angaben  auf  Einsichtnahme  der  Kaufmannsbücher  sich 
gründen  und  als  zuverlässig  gelten  können,  erzählt4),  dass 
seit  1511  fünf  Londoner  Schiffe  und  andere  von  Southampton 
und  Bristol  einen  regelmässigen  Verkehr  nach  Sicilien,  Candia, 
Chios  und  zuweilen  auch  nach  Tripolis  und  nach  Beirut  in 
Syrien  unterhielten5).  Diese  Angabe  wird  auch  durch  andere 
Thatsachen  bestätigt.  Wir  lesen  nicht  nur  wiederholt  von  der 
Wegnahme  englischer  Schiffe  im  Mittelmeer6),  sondern  wir 
wissen  auch,  dass  die  Regierung,  weil  der  englische  Handel 


')  Brown,  Cal.  IL  236.  358.  418.  Die  eine  Verlängerung  wurde  am 
28.  Not.  1513  beschlossen  und  sollte  für  6  Monate  gelten;  die  andere  war 
am  3.  Juni  1514  für  Wolle  auf  unbestimmte  Zeit,  für  Tuch  und  Zinn  bis 
einen  Monat  nach  der  Auction  der  flandrischen  Galeeren  festgesetzt.  Wie 
die  Engländer  aus  diesen  Beschlüssen  Vortheil  zogen,  darüber  vgl.  Brown, 
Cal.  II.  738.  Dagegen  wurde  gleichzeitig  der  Zoll  für  die  von  den  Deutschen 
zu  Lande  eingeführten  englischen  Kersies  beträchtlich  erhöht.  Brown, 
Cal.  IV.  1050. 

s)  Dass  die  übrigen  Italiener  und  Fremden  diese  Lage  sich  ebenfalls 
zu  Nutze  machten,  lässt  sich  denken.  Vgl.  Brown,  Cal.  II.  93.  629.  461. 
Dabei  ist  erwähnt,  dass  das  eine  Mal  7000  Stück  gefärbte  Kersies,  das  an- 
dere Mal  für  300000  Ducaten  Tuch  aus  London  für  Chios  und  Konstanti- 
nopel bestimmt  waren.  Manche  Venetianer  mietheten  englische  Schiffe. 
Brown,  Cal.  II.  216  u.  217.  18.  u.  19.  Dez.  1512  und  20.  Jan.  1513. 

3)  Burgon,  Life  and  times  of  Sir  Thom.  Gresham  I.  S.  8  u.  12.; 
ausserdem  betheiligten  sich  besonders  John  Alen,  Hugo  Clopton  und  Richard 
Fermour.    Brewer,  Cal.  II.  738. 

*)  Hak  luvt,  The  principal  navigations,  voyages,  traffiques  and  dis- 
coveries  of  the  English  Nation.    London  1599—1600.    Vol.  II.  S.  96. 

5)  Hakluyt  IL  S.  96  erzählt,  dass  die  englischen  Kaufleute  feine 
and  gewöhnliche  „kersies,  white  westerne  dozens,  cottons,  certaine  clothes 
called  Statutes  and  others  called  cardinal  whites,  calue  skins"  (die  in 
Sicilien  verkauft  wurden)  führten;  dafür  brachten  sie  zurück  „silks,  chamlets, 
rubarbe,  malmesies,  muskadels  and  other  wines,  sweete  oyles,  cotten  wo  oll, 
torkie  carpets,  galles,  pepper,  cinamon  and  some  other  spicesb ;  sie  handelten 
direct  mit  Juden  und  Türken  etc.  Sie  benutzten  nicht  immer  einheimische 
Schiffe,  sondern  auch  „Candiots,  Ragusans ,  Sicilians ,  Genouezes,  Venetian 
galliasses,  Spanish  and  Portug.  ships". 

6)  So  wird  im  Mai  1515  ein  englisches  Schiff  erwähnt,  das  mit  470 
Sacken  Wolle  (pokes  of  wool),  2400  Stück  gefärbter  Kersies,  500  Ztr.  Zinn, 
vielem  Blei,  500  Stück  breiten  Tuchs,  1000  Dutzend  Kalbfellen  im  mittei- 
le h  a  n  z ,  Engl.  Handelspolitik.    I.  10 


.  '    —     146    — 

nach  Chios  sich  damals  sehr  hob,  ein  Consulat  dort  errichtete1) 
und  die  englischen  Handelsinteressen  daselbst  kräftig  wahr- 
nahm2). An  Gewürzen  und  Droguen  konnte  somit  England 
keinen  Mangel  leiden.  Das  etwa  Fehlende  war  leicht  vom 
niederländischen  Markte,  wo  die  Portugiesen  mit  ihrem  Gewürz- 
rek'hthum  erschienen,  zu  erhalten.  Die  italienischen  Manufacte 
erwarb  man  in  Florenz,  und  dahin  brachten  auch  wohl  die 
Engländer  die  nicht  unbeträchtliche  Menge  Wolle. 

Wie  oben  bereits  erwähnt,  machte  Venedig  gegen  1510 
ernstliche  Anstrengungen,  den  alten  englischen  Markt  wieder 
zurückzuerobern.  Die  hiezu  nöthigen  Verhandlungen  mit  der 
englischen  Regierung  sollte  Sebastian  Giustinian  führen.  In 
der  That  konnte  man  kaum  die  Sache  in  besseie  Hände  legen. 
Er  war  durch  die  Bekleidung  der  verschiedensten  hochwichtigen 
FtiStetr  reich  an  practischer  Erfahrung,  ein  durch  frühere  Ge- 
sandtschaften gereifter  Diplomat,  geistig  höchst  begabt  und 
durch  und  durch  ein  feiner  Weltmann3).  Freilich  waren  die 
Schwierigkeiten,  mit  denen  er  zu  kämpfen  hatte,  sehr 
gross.  Heinrich  VIII.  und  Wolsey  wünschten  um  jeden  Prek 
Venedig  von  Frankreich  zu  trennen,  wogegen  dies  eine  zu- 
wartende Stellung  bei  der  eigentümlich  verwickelten  Lage4) 
tür  lMtlilicher  hielt,  beziehungsweise  ein  Bündniss  mit  England 
ohne  Veränderung  seiner  Stellung  zu  Frankreich  wünschte. 
Auch  in  commercieller  Hinsicht  fand  Giustinian  keinen  günstigen 
Boden  vor. 

Kurze  Zeit  nach  seinem  Regierungsantritt  hatte  Hein- 
rich VIII.  hinsichtlich  der  Weinzollaffaire  sich  ganz  auf  den 
Standpunkt  seines  Vaters  gestellt.  Durch  Patent  vom  G.  März 
1510  erklärte  der  König,  dass  die  Fremden  für  die  Halbtonne 
Malvflsier  6  sh  8  d  Zuschlagszoll  zu  entrichten  hätten :). 
Ausserdem  waren  zu  den  früher  erwähnten  schädlichen  Parla- 


Iiuidischen  Meer  sich  befand  und  besonders  für  Malipieri  grosse  Kersey- 
Hefcrungen  hatte.  Drei  andere  englische  Barken  waren  in  Messina  mit 
Wahren  für  Chios  angekommen.  Im  Juni  1514  hört  man  von  der  Weg- 
niihtoe  eines  englischen  Kauffahrteischiffes  durch  die  Türken  bei  Livorno. 
lirown,  Cal.  II.  428.  029.  Wegen  der  Kriege  und  provencalischen 
Corsnren  war  die  Schiffahrt  ins  Mittelraeer  sehr  gefährlich.  In  London 
wollte  man  die  Schiffe,  die  „westwärts"  fuhren,  schon  1512  (3.  Aug.)  nicht 
mehr  gegen  10  °o  versichern.    Brown,  Cal.  II.  186. 

li  Sie  ernannte  zum  Consul  B.  Justinian  am  4.  April  1513.  RymerXIII. 
S.  Ö- 

*\  So  unterstützte  Heinrich  VIII.  1515  den  Protest  der  Engländer,  als 
die  Genuesen,  denen  diese  Insel  gehörte,  einen  neuen  Zoll  einführten. 
Ryrn^r  XIII.  S.  493.  5*9.    Brewer,  Cal.  IL  339.  340.  3289. 

|  Einleitung  von  R.  Brown  zu  Giustinian,  Four  years  at  the court 
of  Henry  the  Eighth. 

Ji  Lanz,  Actenstücke  zur  Geschichte  Kaisers  Karl  V.  Einleitung  zum 
ersien  Band.    S.  196  fg. 

*i  Urk.  Beil.  78. 


—    147    — 

menteacten  zwei  weitere  gekommen;  ein  Gesetz  gegen  den 
Kleiderluxus J)  verminderte  sicher  wenigstens  für  einige  Jahre 
den  Absatz  von  Sammt,  Seide,  Damast,  gold-  und  silber- 
gewirkten Stoffen;  ferner  übte  man  wenig  Rücksicht  mehr  ge- 
genüber den  in  London  sich  aufhaltenden  Venetianern  bei  Er- 
hebung der  Steuern,  sondern  zwang  sie  sogar,  zu  den  Kriegs- 
steuern beizutragen  *). 

Doch  waren  das  Kleinigkeiten.  Die  Hauptsache  war,  den 
Verkehr  nur  einmal  wieder  in  Gang  zu  bringen,  dann  aber 
die  schädliche  Zuschlagstaxe  auf  den  Malvasierwein  zu  besei- 
tigen, und  dahin  lautete  auch  Giustinians  Auftrag3). 

Die  Schwierigkeit  für  Aufnahme  der  Galeerenfahrten  lag 
in  der  Feindschaft  des  Kaisers,  beziehungsweise  in  der  Gefahr, 
die  den  venetianischen  Schiffen  von  dem  mit  dem  Kaiser  ver- 
wandten spanischen  Hause  drohte.  Man  musste  also  für  einen 
guten  Geleitsbrief  sorgen,  und  Giustinian  wünschte  Wolseys 
Vermittelung  und  auch  die  Verbürgung  des  englischen  Königs 
für  Einhaltung  des  Geleitsbriefs  zu  erlangen.  Je  nach  dem 
Stand  der  politischen  Dinge  war  Wolseys  Benehmen  ver- 
schieden. Während  er  anfangs  die  Wiederkehr  der  Flottillen 
gewünscht  und  seine  Beihilfe  zugesagt 4),  weigerte  er  sich  doch 
bald  der  Uebernahme  der  Bürgschaft5),  und  als  Venedig  an 
Frankreich  festhielt  und  sogar  Erfolge  gegen  den  Kaiser  er- 
zielte, drohte  er  den  Venetianern  die  Vernichtung  ihres  ganzen 
Handels  an]6)  und  suspendirte  sogar  den  Grundbrief  derselben7). 
Inzwischen  hatten  die  Venetianer  ohne  Wolsey  in  Spanien  er- 
langt, was  sie  wünschten 8),  und  die  Absendung  dreier  Galeeren 
beschlossen  (12.  Febr.  1517) 9).  Man  erliess  die  Verfügungen10), 
wie  sie  das  ganze  System  verlangte,  fand  aber,  als  die  definitive 
Absendung  derFlotille  in  Vorschlag  gebracht  wurde,  die  Stimmung 
des  Senats  dem  Plane  abgeneigt,  und  nur  der  entschiedenen 


*)  1  Hen.  VIIL  c.  14. 

*)  Man  begründete  es  damit,  dass  sie  das  Land  nützten  und  daselbst 
Geld  gewännen,  und  deshalb  auch  zum  Gedeihen  und  zur  Ehre  des  König- 
reichs beitragen  müssten.  26.  April  1514.  Brown,  Cal.  II.  397.  Erwähnt 
sei,  dass  am  jene  Zeit  auch  dem  Oberhaus  eine  „biüa  concernens  mercatores 
de  Italia"  zuging,  ohne  dass  wir  über  deren  nähern  Inhalt  Etwas  wissen. 
iLordV  Journals  6  Hen.  Vm.  58°  die  Pari.). 

■)  Brown,  CaL  IL  604.  605. 

*)  Giustinian,  Four  years  etc.  I.  S.  247.  Brown,  Cal.  IL  744. 
6.  Juli  1516. 

*)  3.  Oct  1516.    Brown,  Cal.  IL  781. 

6)  Giustinian,  a.  a.  0.  IL  S.1S.  Brown,  Cal.  IL  823.  7.  Dez.  1516. 

*)  Giustinian,  a.  a.  0.  IL  4.  133.  Brown,  Cal.  IL  807.  811. 
978.  Das  Patent  wurde  am  18.  Nov.  1516  aufgehoben,  8.  Oct.  1517  wieder 
ertheüt. 

>)  Giustinian  a.  a.O.  IL  S.  40.  Brown,  Cal.  II.  855.  9.  März  1517. 

■)  Brown,  Cal.  IL  843. 

ld)  Am  1.  März  1517  wurde  der  Capitän  gewählt  u.  s.  w.  Brown. 
CaL  IL  841.  843.  1898. 

10* 


—    148    — 

Rede  Marin  Sanutos,  der  hauptsächlich  von  politischen  Erwägun- 
gen sich  leiten  Hess,  gelang  es,  die  Senatoren  umzustimmen1). 

Unterdessen  hatte  Giustinian  den  Weisungen  seiner  Re- 
gierungen zufolge  *)  allen  Eifer  auf  die  Weinzollfrage  verwen- 
det, damit  doch  diese  Angelegenheit  bis  zur  Ankunft  der  Ga- 
leeren geregelt  sei.  Aber  die  Erfahrungen,  die  der  Gesandte 
hier  machte,  waren  nicht  besser.  Wolsey,  des  ungesetzlichen 
Vorgangs  sich  wohl  bewusst,  ging  jeder  Entscheidung  aus  dem 
Wege.  Giustinian  hatte  grosse  Noth,  nur  eine  Audienz 
für  diese  Sache  zu  erwirken3).  Als  es  ihm  endlich  geglückt 
war,  dem  Cardinal  vorzutragen,  wie  der  venetianische  Handel 
nach  England  nicht  schwunghaft  betrieben  werden  könne,  so- 
lange diese  Zuschlagstaxe  bestehe,  und  dass  die  Vortheile  des 
erstem  vorwiegend  den  Engländern  zu  Gute  kämen4),  war 
Wolseys  Antwort,  dass  man  in  dieser  Sache  erst  die  Kaufleute 
und  Commoners  hören  müsse6).  Später  wollte  er  die  Angelegen- 
heit einem  der  eben  errichteten  vier  Untergerichtshöfe6)  zur 
Berathung  überweisen 7). 

Die  zweite  Audienz,  welche  am  31.  März  stattfand,  lieferte 
kein  besseres  Resultat.  Vermuthend,  Wolsey  möchte  durch 
eine  neue  Behauptung  zu  überraschen  suchen,  hatte  Giustinian 
den  Lorenz  Pasqualigo  und  D.  Antonio  Bavarino  mitgenommen, 
um  gegen  alle  Schachzüge  gewappnet  zu  sein.  In  der  That 
trat  Wolsey  mit  einer  unerwarteten  Begründung  des  englischen 
Verfahrens  auf;  der  Parlamentsbeschluss  komme  nämlich  gar 
nicht  mehr  in  Betracht  und  sei  ganz  werthlos;  die  Kaufleute 
hätten  sich  in  der  Folge  gefügt,  es  sei  ein  Compromiss  zwischen 
dem  König  und  den  Venetianern  zu  Stande  gebracht  worden, 
in  Folge  dessen  die  englische  Regierung  den  Zoll  von  4  Du- 
caten  auf  1  Nobel  herabgesetzt  habe.  Dieses  freiwillig  beider- 
seits eingegangene  Compromiss  sei  einzig  massgebend,  und  die 
venetianische  Regierung  selbst  habe  ihre  Zustimmung  dadurch 
gegeben,  dass  sie  so  viele  Jahre  hindurch  Stillschweigen  beob- 
achtet und  keinen  Einspruch  erhoben  habe.  Der  venetianische 
Gesandte  liess  diese  Gründe  nicht  gelten;  von  einem  Com- 
promiss sei  nie  die  Rede  gewesen;  allerdings  hätten  zwei  ein- 


')  Brown,  Cal.  II.  899.  Die  Abneigung  des  Senats  erklärt  sich  durch 
ilie  zweifelhafte  politische  Situation  und  die  Unsicherheit  der  Fahrt  wegen 
Barbarossas  Seeräubereien. 

*)  Brown,  Cal.  II.    604.  842. 

3)  Giustinian,  Four  years  etc.  IL  S.  40.  Brown,  Cal.  II.  855. 
R,  März  1517. 

4)  Vgl.  Brown,  Cal.  II.  842.    14.  Febr.  1517. 

T>)  Giustinian  a.  a.  0.  II.  S.42.   Brown,  Cal. II.  859.  19.  März  1517. 
6)  Ueber  diese   sieh   Browns   Note   bei   Giustinian  a.  a.  0  II. 

L"7)  Giustinian   a.   a.  0.  II.    S.   53  —  55.     Brown,    Cal.  IL  866. 
•  A    März  1517. 


—    149    — 

zelne  Kaufleute  sich  herbeigelassen,  das  zu  zahlen,  was  der 
verstorbene  König  von  ihnen  erpresst,  deswegen  könne  man 
aber  noch  nicht  behaupten,  die  Gesetzesworte  seien  nichtig 
und  aufgehoben.  Was  aber  das  Stillschweigen  der  venetiani- 
schen  Regierung  anlange,  so  erkläre  sich  dieses  durch  die 
Kriege,  Unruhen  und  sonstige  Leiden,  die  den  Freistaat  ge- 
troffen hätten,  hinlänglich.  Wolsey  versprach,  dass  Giustinian 
in  der  Rathssitzung  persönlich  gehört  werden  solle1).  Aber 
der  venetianische  Gesandte  gab  die  Hoffnung  bereits  auf,  er 
gesteht  offen  ein,  dass  man  bei  diesem  Manne  gegen  Strom 
und  Wind  segele.  „Ich  kanntt,  schrieb  er  an  seine  Regierung, 
-durch  Argumente  überzeugen,  aber  ich  bin  machtlos,  um 
durch  Gewalt  zu  erzwingen"  *),  Der  König  ist  der  Einzige, 
auf  den  Giustinian  noch  sein  Vertrauen  setzt;  sein  freier, 
ritterlicher  und  aufrichtiger  Sinn,  meint  er,  würde  sicher,  falls 
es  gelänge,  ihm  den  Fall  vorzutragen ,  dem  Recht  zur  Geltung 
verhelfen3).  Wol6ey  aber  war  geradezu  unerschöpflich  in 
Mitteln,  um  den  venetianischen  Gesandten  hinzuhalten4).  Die 
Galeeren  kamen,  und  die  Sache  war  nicht  um  einen  Zoll 
Breite  vorgeschritten,  sie  fuhren  ab,  und  es  war  noch  ebenso. 
Giustinian  selbst  verliess  England,  und  sein  Wunsch,  den  er 
in  der  Verzweiflung  ausgerufen:  „Möge  Gott  gewähren,  dass 
wir  endlich  das  Ende  dieser  Ghicanerie  bezeugen  könnten" 5), 
war  nicht  in  Erfüllung  gegangen. 

Zum  Theil  lag  der  Misserfolg  in  den  Schwierigkeiten  und 
Misshelligkeiten,  die  immer  neu  auftauchten  und  Wolsey  immer 
neue  Waffen  in  die  Hand  gaben.  Am  24.  März  1517  erlosch 
der  früher  erwähnte  Grundbrief,  den  Heinrich  VII.  den  Vene- 
tianern  verliehen,  beziehungsweise  neu  bestätigt  hatte.  Ebenso 
mussten  neue  Licenzen  erworben  werden,  damit  man  in  der 
Woll-  und  Zinnausfuhr  nicht  behindert,  auch  in  Betreff  der 
Zölle  etwas  günstiger  gestellt  wurde.  Beide  Dinge  waren 
wesentlich  für  den  Erfolg  der  Fahrten  und  viel  dringender 
noch  als  die  Weinzölle.  Der  Cardinal  verlangte  nun  für  die 
Wiederbestätigung  des  ersteren  d;e  exorbitante  Summe  von 
300  £,  wogegen  die  Venetianer  nur  die  Gebühren  und  Stem- 
peln entrichten  wollten 6).  Er  zeigte  sich  aber  nachgiebig  und 
händigte  den  Brief  aus,  nachdem  Giustinian  sich  verbürgt, 
dass  die  Galeeren  in  8  Monaten  kommen  würden 7).    Offenbar 


*)  Giustinian,  Four  years  etc.  II.  S.53— 55.  Brown.  Cal.  II.  866. 
31.  März  1517. 

*)  Giustinian  a.  a.  0.  IL  8.  68—77. 

s)  Giustinian  a.  a.  0.  II.    S.  58—55.    Brown,  CaL  II.  866. 

*)  Brown,  Cal.  II.    908.  980.  934.  1009.  1010.  1022. 

*)  Giustinian  a.a.O.  IL  S.  199.  Brown,  Cal.  IL  1042.  21. Juni  1518. 

°)  Giustinian  a.  a.  0.  IL  S.  68—72.  Brown,  CaL  II.  879. 
5.  Mai  1517. 

*)  Ohne  diese  Bürgschaft  wollte  er  den  Freibrief  nicht  um  5000  Du- 


—     150    — 

war  es  Wolsey  darum  zu  thun,  dass  auch  die  Staatsschiffe 
den  Weinzoll  bald  wenigstens  practisch  anerkannten »).  Ebenso 
wurde  die  Woll-  und  Zinnlicenz  ertheilt2). 

Als  endlich  die  Galeeren  am  19.  Mai  1518  in  Southampton 
anlangten s),  war  die  Stimmung  über  dieses  Ereigniss  eine  sehr 
getheüte.  Sicher  war  die  Freude  über  das  Wiedererscheinen 
der  venetianischen  Flagge  in  den  aristokratischen  und  land- 
besitzenden, Regierungs-  und  Hofkreisen  eine  aufrichtige.  Der 
König  liess  es  sich  nicht  nehmen,-  durch  einen  äussern  feier- 
lichen Act  der  Thatsache,  dass  die  alte,  von  Eduard  III.  be- 
gründete Handelsfreundschaft  wieder  practisch  geworden,  einen 
freudigen  und  anerkennenden  Ausdruck  zu  geben.  Trotz  des 
Gerüchtes,  es  herrsche  die  Pest  auf  den  Schiffen,  stieg  er  mit 
einem  Gefolge  von  300  Personen  an  deren  Bord.  Die  Galeeren- 
mannschaft,  schon  vorher  von  der  Intention  des  Königs  be- 
nachrichtigt, hatte  Alles  aufgeboten,  um  den  mächtigen  Mo- 
narchen zu  ehren.  Mit  verschiedenen  Seiden-  und  Tapeten- 
sorten hatte  man  das  Verdeck  verziert.  Vier  Tischreihen 
waren  mit  allerhand  feinen  Zuckerwaaren  besetzt.  Schwamm- 
kuchen (sponge  cakes)  und  sonstige  Producte  südländischer 
culinarischer  Kunst  liess  man  den  König  und  sein  Gefolge 
verkosten;  die  Glasgeftsse,  die  den  Wein  enthielten,  ver- 
teilte man  unter  die  Trinkenden;  ein  grossartiges  venetia- 
nisches  Kunststück,  das  von  der  Schiffsmannschaft  zur  See  aus- 
geführt wurde  und  allgemeines  Staunen  bei  den  Engländern 
hervorrief,  und  ein  glänzendes  Feuerwerk  am  Abend  krönten 
das  Fest4). 

Andere  Gefühle  beherrschten  einen  grossen  Theil  des 
Volkes.  Der  ernste  Aufstand  des  Jahres  1517  gegen  die 
Fremden  in  London  war  kaum  beschwichtigt5).  Neun  Jahre 
hatte  jetzt  England  ohne  die  Galeeren  bestanden,  warum  nicht 
auch  in  Zukunft?  Wozu  diese  unbequemen,  verschlagenen 
italienischen  Händler,  die  den  einheimischen  Gewerbsleuten 
und  Kaufleuten  den  Gewinn  verdarben  und  den  Reichthum 
aus  dem  Lande  zogen?6)    Ist  es  recht ,  dass  die  Venetianer 


caten  geben.  Giustinian,  Fouryearsetc.il.  S.  106. 111.  Brown, Cal.II. 
984  u.  941.    23.  o.  31.  Juli  1517. 

*)  Wie  sehr  die  englische  Regierung  die  Ankunft  der  Galeeren 
wünschte,  darüber  vgl.  auch  Brown,  Cal.  II.  905. 

>)  Brewer,  CaL  II.  3794.    12.  Nov.  1517. 

B)  Brown,  Cal.  II.  1034.  Ueben  die  Verzögerung  der  Ankunft  der 
Galeeren  und  deswegen  in  Venedig  getroffene  Massregeln  vgL  Brown, 
Cal.  IL  976. 

4)  Giustinian  a.a.O. IL  S.195.  Brown,  Cal.II.  1041.  16. Juni  1518. 

*)  Giustinian  a.  a.  0.  II.  S.  68  —  72.  Brown,  Cal.  II.  879. 
5.  Mai  1517.    Sieh  Näheres  hierüber  unten  im  Abschn.  IL  Cap.  EU. 

•)  Es  ist  bekannt,  wie  einzelne  Beispiele  vom  Volk  immer  verall- 
gemeinert werden.  Das  Reichwerden  verschiedener  in  England  etablirter 
Kaufleute  konnte  allerdings  dem  blödesten  Auge  nicht  entgehen.    Auch 


—    151     — 

jetzt  den  Nutzen  haben  von  dem  Unglück,  das  die  zahlreichen 
Schiffbrüche  der  letzten  Zeit  über  die  englischen  Kauffahrer 
gebracht?1).  Ist  es  billig,  dass  diese  Italiener  alle  gute  Wolle 
exportiren  und  die  einheimische  Tuchindustrie  schädigen?  So 
etwa  dachte  man  im  Volke,  und  schon  beim  Empfang  des 
Königs  sah  Giustinian  sich  genöthigt,  die  Gnade  und  Huld  des 
Monarchen  für  die  venetianischen  Kaufleute  zu  erbitten 2). 

Die  Venetianer  hatten  kaum  begonnen,  ihre  Waaren  zum 
Verkauf  auszubieten,  als  man  entdeckte,  dass  sie  nicht,  wie 
das  Gesetz  (1  Rieh.  III.  c.  11)  vorschrieb,  10  Bogenstäbe  für 
jede  Halbtonne  Malvasier  mitgebracht  hatten s),  und  diese 
Gesetzesverletzung  sofort  bei  den  Gerichten  und  der  Regierung 
denuncirte 4).  Sei  es,  dass  die  Kaufleute  wegen  der  grossen 
Verbreitung  der  Feuerwaffen  glaubten,  die  englischen  Statuten 
wegen  der  Bogenstäbe  seien  ausser  Uebung  gekommen 6),  oder 
sei  es,  dass  sie  absichtlich  wegen  des  aus  dem  Bogenholz- 
handel  erwachsenden  Schadens 6)  den  Import  unterlassen  hatten, 
formell  waren  sie  im  Unrecht.  Gleichwohl  gelang  es  hier  der 
Geschicklichkeit  Giustinians,  das  Unglück  abzuwenden.  In 
einer  glücklichen  Stunde,  in  der  Wolsey  besonders  gut  gelaunt 
und  gegen  Giustinian  sehr  zuvorkommend  war,  erwähnte  der 
schlaue  Venetianer  die  Angelegenheit  in  solcher  Wendung, 
dass  Wolsey  die  Versicherung  gab,  keine  Hindernisse  dulden 
zu  wollen7). 

Giustinian  erwähnt  in  seinem  Bericht,  den  er  am  10.  October  1519  an  den 
Senat  erstattete,  dass  mehre  Venetianer  wieLorenzo  Pasqualigo,  Nicolo  Duodo 
and  Andere  sich  grosse  Vermögen  erworben  hätten,  fugt  aber  auch  bei, 
dass  einer  Bankerott  machte.    Brown,  Cal.  II.  1287. 

*)  Giustinian  schreibt  am  10.  Dez.  1517,  dass  die  Venetianer  in  Folge 
der  zahlreichen  Schiffbrüche  einen  guten  Markt  zu  erwarten  hätten.  Brown, 
Cal.  II.  994. 

«)  Brown,  Cal.  II.  1041.  16.  Juni  1518. 

*)  Wie  streng  die  Zollbeamten  dies  Gesetz  zn  handhaben  pflegten, 
zeigt  die  Acte  6  Hen.  VIII.  c.  11. 

4)  Schon  durch  Acte  12  Edw.  IV.  c.  2  (1472)  wurden  die  Venetianer 
gezwungen ,  für  jede  Tonne  auf  venetianischen  Schiffen  importirter  Waaren 
4  gute  Bogenstäbe  mitzubringen  bei  Strafe  von  6  sh  8  d.  Da  die  Venetianer 
dennoch  den  Preis  hochzuhalten  vermochten,  so  erliess  Richard  III.  auch 
noch  das  obige  Gesetz  und  setzte  die  Strafe  auf  18  sh  4  d  fest. 

*)  Dies  war  nicht  der  Fall  -,  die  Masse  der  englischen  Fusssoldaten  und 
lindlichen  Bevölkerung  bediente  sich  noch  immer  des  Bogens,  und  Hein- 
rich VIII.  suchte  diese  Nationalwaffe  zu  erhalten;  vgl.  33  H.  VIII.  c.  9. 

e)  Keinen  Vortheil  brachte  der  Import,  seit  Heinrich  VIL  (3.  Hen.  Vn. 
&  13)  den  Preis  der  langen  Bogen  auf  8  sh  4  d  fixirte  und  damit  auch  dem 
Rohmaterial  eine  Preisgrenze  setzte. 

*)  Giustinian,  Fouryears  etc. IL  S.183.  Brown,  Cal. II.  1028.  2. Mai 
1518.  Brown  (in  der  Uebersetzung  der  Giustinian' sehen  Briefe  a.  a.  0.) 
wundert  sich,  dass  Wolsey  nicht  die  Gelegenheit  benützte,  die  gesetzliche 
Strafe  von  13  sh  4  d  gegen  die  18  sh  Zuschlagstaxe  vom  Wein  zu  com- 
pensiren.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  es  sich,  wie  wir  wissen,  nicht  um 
18  sh,  sondern  nur  6  sh  8  d  handelt,  würde  Wolsey  doch  ein  schlechtes 
Geschäft  gemacht  haben,  da  der  Zollbetras  für  Wein  in  der  Summe  be- 
deutend mehr  ergab,  als  die  Strafe  für  die  Bogenstäbe. 


—     152    — 

Ernster  nahm  dagegen  Wolsey  eine  andere  Frage  auf. 
Eines  Tages  theilte  er  dem  venetianischen  Gesandten  mit, 
rtass  er  sich  den  ihm  zugegangenen  Berichten  zufolge  sehr  in 
seinen  Erwartungen  getäuscht  sehe;  die  Venetianer  hätten  nur 
eine  Galeere  zu  Southampton  ausgeladen,  dagegen  zwei  nach 
Flandern  geschickt1).  Ueberhaupt  sei  ein  grosses  Missverhält- 
uiss  zwischen  Import  und  Export  beobachtet  worden;  früher 
habe  ein  kleiner  Zuwachs  zum  Werth  ihrer  Importe  genügt, 
uin  die  Kosten  des  Exports  zu  decken,  diesmal  aber  betrage 
die  Einfuhr  nicht  den  sechsten  Theil  der  heimwärts  gerichteten 
Ladung,  letztere  müsse  sonach  mit  andern  als  venetianischen 
Capitalien  bezahlt  werden,  und  das  sei  für  den  König  schäd- 
lich2). 

Giustinian  war  förmlich  durch  diese  Anklage  überrascht 
worden.  Obwohl  seine  „Erfahrung  in  andern  Dingen  grösser 
als  im  Handel"  war,  so  besass  er  doch  diplomatische  Gewandt- 
heit genug,  um  Wolsey  s  Argumente  theil  weise  zu  entkräften. 
Er  bemerkte,  dass  der  erste  Punct  blos  von  niedrigen  und 
bösen  Leuten  suggerirt  sein  könne.  Die  Venetianer  hätten 
vertragsmässig  nur  1  Galeere  in  Southampton  auszuladen. 
Die  venetianischen  Schiffe  seien  auch  keineswegs  so  ärmlich 
befrachtet,  als  manche  Verläumder  verbreiten  möchten.  Das 
p  lie  schon  daraus  hervor,  dass  von  Venedig  beständig  Wechsel 
nach  London  gezogen  würden.  Er  fürchte,  die  Galeeren  wür- 
den gar  nicht  hinlänglich  Fracht  finden,  denn  verschiedene  Kauf- 
leute, die  sonst  diesen  Markt  besuchten,  seien  über  den  Con- 
rinent  gereist  und  dadurch  den  Galeeren  zuvorgekommen.  Das 
.sei  allerdings  richtig,  so  reich  beladen  wie  früher  könnten  die 
venetianischen  Schiffe  nicht  mehr  in  den  englischen  Gewässern 
erscheinen;  einmal  seien  die  Gewürze  nicht  mehr  zu  dem 
früheren  Preise  verkäuflich,  sodann  sei  zu  bedenken,  dass  seit 
dem  letzten  Hiersein  der  Galeeren  neun  Jahre  verflossen 
und  die  Kaufleute  naturgemäss  im  Ungewissen  gewesen 
seien,  was  ihnen  Vortheil  bringe.  Jetzt,  nachdem  sie  die  Be- 
dürfnisse des  Marktes  kennen  gelernt,  würden  die  Galeeren 
bald  ein  anderes  Bild  gewähren. 

a)  Vgl.  auch  die  dem  Capitan  Priuli  gegebene  Commission  (Brown, 
C*L  II.  841.  S.  864),  in  der  bestimmt  ist,  dass  2  Galeeren  von  Southampton 
zurück  nach  Helvoetsluys  oder  Antwerpen  zu  kommen  haben. 

%)  Giustinian,  Four  years  etc.  IL  Ö.  196  fg.  Brown,  CaL  IL  1042. 
21.  Juni  1518.  Diese  Schlussfolgerung  ist  wohl  danin  zu  verstehen,  dass  die 
W-nctianer  für  den  Ueberschuss  der  Ausfuhr  über  die  Einfuhr  Wechsel 
auf  niederländische  Plätze  an  die  Merchants  adventurers  oder  an  die 
Nitnsen  verkauften.  Da  beide  hinsichtlich  der  Zölle  gegenüber  den 
Yenetianern  im  Vortheil  waren,  so  ergab  sich  eine  Zollminderung,  wenn 
'U ose  für  die  Wechselbetrage  Waaren  aus  den  Niederlanden  oder  den 
Hansegebieten  importirten,  anstatt  dass  die  Venetianer  venetianische  Waaren 
einführten.  Aus  den  folgenden  Verhandlungen  darf  man  aber  schliessen, 
dass  Wolsey  im  Interesse  der  Weber  auch  den  Wollexport  unter  dieser 
Maske  beschrankt  wissen  wollte. 


—     153    — 

Wolsey  liess  sich  aber  durch  diese  Argumentation  nicht 
von  dem  geäusserten  Entschluss  abbringen,  die  Grösse  und 
Beschaffenheit  der  Export waaren  prüfen  zu  lassen,  behielt  sich 
auch  vor,  in  Zukunft  die  Bedingung  zu  stellen,  dass  der  Aus- 
fuhrwerth  der  Galeeren  dem  Einfuhrwerth  gleich  sein  müsse *). 

Zum  ersten  Male  hatten  hier  die  Entdeckungen  auch 
ihren  Schatten  auf  die  commerciell-  politischen  Verhandlungen 
zwischen  England  und  Venedig  geworfen. 

Am  19.  April  1519  segelten  nach  vielen  Qualen,  Leiden 
und  Unannehmlichkeiten  *)  die  Galeeren  der  Heimath  wieder 
zu5).  Auch  Giustinian  hatte  die  Genugthuung,  von  seiner 
Legatio  oder,  wie  er  auch  sarkastisch  zu  sagen  beliebte,  Re- 
legatio  entbunden  zu  werden  und  in  Surian  einen  Nachfolger 
zu  erhalten4).  Wenig  ermuthigend  für  die  Zukunft  war  der 
Abschied-  Der  Cardinal  versprach  nicht  nur  gar  Nichts  be- 
züglich der  Weinzölle,  sondern  stellte  noch  neue  Verhandlungs- 
objecte,  nämlich  die  Fragen  des  Wollexports,  der  gefälschten 
Tücher  und  der  Einfuhr  von  venetianischen  „Halfpence" 6)  in 
Aussicht 6). 

Die  alten  Immunitäten  waren  bedroht,  von  allen  Seiten 
griff  man  die  Venetianer  an.  Noch  einen  letzten  Versuch  hin- 
sichtlich der  Weinzölle  wollte  man  jedoch  nicht  unterlassen. 
Man  hatte  bemerkt,  dass  der  Cardinal  Geschenken  durchaus 
nicht  unzugänglich  war7),  und  Giustinian  hielt  es  für  sehr 
räthlich,  wenn  man  ihm  die  Teppiche,  die  er  bestellt,  zum 
Geschenke  mache.  Wirklich  beschloss  auch  der  venetianische 
Senat,  60  schöne  Teppiche  zum  Preis  von  600  Ducaten  für 
Wolsey  anzukaufen8).  Der  Cardinal  war  aufs  Höchste  ent- 
zückt9); aber  der  Zoll  blieb  nach  wie  vor.  Jetzt  waren  sie 
endlich  überzeugt,  dass  die  Regieruiig  Heinrichs  VHI.  nie  und 

*)  Giustinian  Four  years  etc.  II.  S.  196.  Brown,  Cal.  IL  1042. 
2.  Juni  1518. 

*)  So  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  der  Capitan  Andreas  Priuli  in  Ant- 
werpen am  16.  September  1518  starb  (Brown,  Cal.  II.  1078).  in  Sout- 
hampton  im  März  1519  die  Pest  am  Bord  eines  Schifies  ausbrach  und  den 
Vicecapitan  und  einen Theil  der  Mannschaft  wegraffte  (Brown,  Cal. II.  1186), 
endlich  dass  die  Flandrer  sie  mit  allerlei  Erpressungen  verfolgten.  So 
sollten  nach  dem  Wunsche  „der  Präsidenten"  die  Galeeren  dies  Mal  500 
und  in  der  Folge  immer  200  Ducaten  Hafengeld  behufs  Ausbaggerung 
zahlen.    (Brown,  Cal.  II.  1102.    9.  Nov.  1518.) 

*)  Brown,  CaL  II.  1211.  29.  April  1519. 

4)  Giustinian  a.a.O.  II.  S.279.  Brown, Cal. II.  1244.  30.Junil519. 

*)  Vgl.  Abschn.  II.  Cap.  5. 

•)  Giustinian  a.a.O.  IL  S.292.  Brown,  Cal.H.  1259.  21.Julil519. 

')  Koch  als  Giustinian  in  England  war,  gelang  den  venetianischen 
Kaofleuten,  den  wegen  eines  Streitfalls  über  sie  höchst  aufgebrachten  Wolsey 
durch  sieben  Damascener  Teppiche  wieder  zu  besänftigen.  (Brown,  Cal.  IL 
1105.  11.  Nov.  1518.) 

*)  Brown,  Cal.  III.  85.  110. 

•)  Brown,  Cal.  III.  138.  Wie  interessirt  Wolsey  boi  dieser  Gelegen- 
heit sich  zeigte,  darüber  vergl.  Brown,  Cal.IIL  118. 


—    154     - 


nimmermehr  den  fraglichen  Weinzoll  aufheben  werde.  That- 
sächlich  gelang  auch  seine  Beseitigung  erst  unter  Jacob  I.  zu 
einer  Zeit,  wo  dieselbe  ganz  bedeutungslos  war1);  denn  der 
Malvasier  war  ausser  Mode  gekommen  und  vom  Sherry  ver- 
drängt worden2). 

Fortan  richtete  man  sein  ganzes  Augenmerk  auf  Erhaltung 
und  Fortsetzung  des  Handels,  die  Kaufleute  aber  suchten,  so 
gut  es  ging,  mit  den  gegebenen  Verhältnissen  sich  abzufinden 
und  aus  der  jeweiligen  Lage  Vortheil  zu  ziehen. 

Die -nächste  Galeerenfahrt  ging  glatt  von  Statten;  noch 
im  selben  Jahre  hatte  man  sie  abgeschickt  und  gerade  gegen 
die  Wende  des  Jahres  (1519)  kam  sie  „zur  allgemeinen  Freude4* 
in  England  an*).  Allein  auch  diese  Fahrt  deckte  den  Woll- 
bedarf nur  für  kurze  Zeit4);  im  Frühjahr  1521  beschloss  man 
die  Absendung  einer  neuen  Handelsflotille,  und  diese  ging  auch 
im  August  1521  unter  Segel5). 

Grosse  Gefahren  drohten  dieser  Fahrt.  Zwischen  Frank- 
reich und  Spanien  war  ein  Streit  ausgebrochen,  und  der  Kaiser 
T\ie  Heinrich  VIII.  bestrebten  sich,  Venedig  zu  offener  Partei- 
nahme gegen  Frankreich  zu  drängen.  Als  eines  der  drei  ve- 
netianischen  Schiffe,  die  Donata,  in  Folge  eines  Sturmes  an  der 


*)  Vgl.  Giustinian,  Four  years  etc.  II.    S.  100  fg. 

2)  A.  a.  0.  IL    S.  23. 

*)  Brown.  Cal.  III.  1.  3.  Brown  hat  in  seiner  schätzenswerthen 
Tabelle  Nr.  4  über  die  Expeditionen  (Cal.  I.  Pref.  S.  CXXXIV)  diese  nicht 
erwähnt. 

*)  Brown,  Cal.  III.  120.  publicirt  die  Licenz  über  die  aus  dem  Hafen 
von  London  auszuführende  WoUe: 


Zahl 

Die  Wolle 

der  Säcke 

Steine 

1 

verpackt 
in  Bündel 

Eigenthümer  der  Wolle 

46 

20 

43 

Bartolomeo  Marcadello 

von  Venedig. 

«s</fl 

23V« 

44 

1  Pancrazio  Capello 

T)                   7) 

60 

12 

56 

Giovanni  Meravile 

23'/8 

17        ' 

22 

Paolo  Meliano 

30 

24       ! 

28 

Lodovico  Trevisan 

»1% 

24 

27 

Andrea  Nicolö  de  Molin 

8V2 

13 

9 

Alessandro  Alberto 

„    Florenz. 

BVi 

17 

8 

Andr.  Giustinian 

„    Venedig. 

*/t 

17 

3 

Filippo  Alberto 
Lodovico  Valaresse 

„    Florenz. 

8 

12 

8 

„    Venedig. 

5 

18        j 

5 

Giorgio  Capella 
Francesco  Trevisan 

»         » 

i 

1    '    1 

4 

— 

17        i 

1 

Antonio  Venia 

n             » 

Die  Summe  für  London  betrug  somit  279  Sack  72/i  Stein  Wolle,  die 
in  258  Bündel  gepackt  war:  dazu  kamen  noch  70  (vermuthlich)  dacre  oder 
700  Stück  gegerbte  Häute  des  Nicolö  Trevisan  aus  Venedig.  Jedenfalls  lud 
dasselbe  Schiff  noch  Wolle  und  Waaren  in  Southampton.  Sieh  jedoch  auch 
Bd.  IL  S.  76,  109. 

*)  Brown,  Cal.  IIL  303. 


—     155     — 

biscayschen  Küste  gezwungen  war,  in  den  Hafen  von  St.  Se- 
bastian einzulaufen,  zeigte  sich  sofort,  was  man  zu  erwarten 
hatte.  Trotz  des  eben  bestehenden  Waffenstillstandes1),  durch 
welchen  die  Sicherung  der  Fahrten  garanürt  war,  und  trotz 
des  Geleitsbriefes  wurde  die  Galeere  mit  Beschlag  belegt,  an- 
geblich weil  man  den  Waffenstillstand  gebrochen  und  Fonte- 
rabia  habe  unterstützen  wollen  *).  Nach  langen  Verhandlungen 8) 
glückte  es  der  Donata  zu  entkommen  und  sich  mit  den  beiden 
andern  Gefährtinnen  in  Southampton  zu  vereinigen4). 

Aus  dem  Regen  kamen  die  Venetianer  nun  in  die  Traufe. 
Der  Kaiser  weigerte  sich,  den  Geleitsbrief  zu  verlängern 5),  der 
englische  König  entzog  ihnen  seine  Unterstützung.  Mit  einer 
Fluth  von  Anklagen,  Beschwerden  und  Insulten  wurden  sie 
von  Wolsey  überschüttet6)  und  zuletzt  wurde  auch  auf  die 
Schiffe  Beschlag  gelegt 7).  Dieselben  mussten  wieder  ausgeladen 
werden 8).  Man  verbot  allen  venetianischen  Unterthanen, 
Waaren  aus  England  zu  exportiren,  erlaubte  auch  nicht,  zu 
Lande  oder  im  Namen  anderer  Fremden9),  Waaren  nach  Ve- 


')  Vgl.  Brown,  Cal.  IIl!»351. 
*)  Brown,  Cal.  III.  381.  384.  385. 

3)  Brown,  CaL  III.  391.  394.  399.  408.  419.  434.  458.  Bergen- 
roth,  Cal.  HL  896. 

4)  Diese  beiden  andern  Schiffe  waren  am  6.  Jan.  1522  in  England  an- 
gelangt   Nach  Flandern  durften  sie  sich  dieses  Mal  kaum  wagen. 

ö)  Brown,  Cal.  III.  447. 

6)  Wolsey  eröffnete  dem  Gesandten,  dass  er  auf  die  Sendung  weiterer 
Galeeren  ganz  verzichte,  da  sie  so  ärmlich  beladen  kämen,  dass  der  frühere 
Gewinn  in  England  nicht  mehr  gemacht  werde.  Brown,  Cal.  III.  406. 
408.  410.  424.  Ferner  beschuldigte  er  die  Venetianer,  einen  englischen 
Kaufmann  getödtet  und  seiner  Baarschaft  von  40  000  Ducaten  (!)  beraubt 
zu  haben;  er  beklagte,  dass  sie  ihre  Wolle  nicht  mehr  baar  bezahlten, 
sondern  im  Tausch  erwerben  wollten  und  ihre  Weinmasse  immer  kleiner 
machten.  (Brown,  Cal. III.  440;  441.)  Gelegentlich  betitelte  er  sie  „Pro- 
mise  breaker  and  tbe  lowest  of  all  potentatesu  (Brown,  Cal.  III.  555). 

7)  Vgl.  darüber  Brown,  Cal.  III.  457.  463.  465.  474.  480.  486.  495. 
498.    Bergenroth,  Cal.  IL  473.  482.  487.  491. 

*)  Brown,  Cal.  III  484.  Dass  die  venetianischen  Kaufleute  wie 
▼üthend  sich  geberdeten,  lässt  sich  denken.  Als  Wolsey  sehr  unwillig 
darüber  ward,  entschuldigte  sie  der  Gesandte  mit  der  Aeusserung,  es  seien 
eben  Privatpersonen,  bei  denen  thatsächlich  ein  grosser  Theil  ihres  Ver- 
mögens auf  dem  Spiele  stehe.  Die  Kauf  leute  behaupteten,  dass  selbst  nach 
Freilassung  der  Galeeren  der  erwachsene  Schaden  auf  mehr  als  50  000  Du- 
caten sich  belaufe.  Bergenroth,  Cal.  II.  500.  Wie  aus  Browns 
Cal  in.  506  und  unseren  Zollregistern  (Bd.  II.  S.  84)  hervorgeht,  hatten  die 
Venetianer  dies  Mal  besonders  viele  Wolle  eingekauft. 

')  Die  Venetianer  bedienten  sich  hiebei  besonders  der  Schiffe  der 
Ragusaner,  Florentiner  und  Genuesen.  Allein  *  das  Unglück  verfolgte  sie 
auch  hier.  Von  6  italienischen  Schiffen,  die  sie  auf  diese  Weise  befrachtet 
hatten,  scheiterten  zwei  auf  der  See,  zwei  andere  strandeten  und  wurden 
schadhaft,  das  fünfte  wurde  vom  Sturm  nach  Southampton  zurückgeworfen, 
und  das  letzte  wurde  in  der  Bretagne  von  einem  Capitan  des  französischen 
Königs  angehalten,  jedoch  das  Eigenthum  wieder  zurückgestellt.  Brown, 
CaL  HI.  644;  Brewer,  Cal.  III.  2427. 


—     156    — 

nedig  zu  bringen  *)  und  decretirte  neue  Abgaben  zum  Schaden 
der  Venetianer  *),  wollte  überhaupt  die  Verfolgung  nicht  ein- 
stellen, bis  der  Freistaat  sich  offen  als  Feind  Frankreichs  er- 
kläre und  seine  Feindschaft  auch  durch  Thaten  erweise3). 
Alle  Bitten  wurden  zurückgewiesen4).  Vergeblich  war  es, 
wenn  man  daran  erinnerte,  dass  der  König  den  Staat  ein- 
geladen habe,  die  Schiffe  wieder  zu  schicken  und  sogar  beim 
Kaiser  um  Geleitsbriefe  sich  verwendet6),  vergeblich,  wenn 
man  aufmerksam  machte,  dass  Schiffsherr,  Kaufleute  und  Ru- 
derer zu  Grande  gingen,  vergeblich,  wenn  man  bedeutete,  der 
Handel  sei  für  die  Engländer  ebenso  vorth eilhaft,  wie  für  die 
Venetianer  selbst6),  vergeblich,  wenn  man  den  englischen  Ge- 
sandten Rieh.  Pace  in  Venedig  mit  Liebenswürdigkeiten  über- 
häufte7), vergeblich,  wenn  man  dem  König  gegenüber  keine 
Repressalien  übte,  sondern  sogar  noch  zollfrei  seine  in  Florenz 
bestellten  goldgewirkten  und  seidenen  Kleider  durch  venetia- 
nisches  Gebiet  gehen  Hess8),  vergeblich,  wenn  das  Haupt  der 
Christenheit  sich  für  Freilassung  der  Galeeren  verwendete9). 
Die  Schiffsleute  verliessen  verzweifelnd  den  englischen  Boden, 
um  über  den  Gontinent  mittels  Betteln  bis  in  die  Heimath 
sich  durchzuschlagen,  gingen  aber  grösstenteils  auf  dem  Wege 
elend  zu  Grunde 10).  Den  venetianischen  Galeeren  drohte  der 
Untergang  durch  Motten  und  Würmer11),  in  Venedig  selbst 
begann  wieder  die  Wollnoth 18). 

Endlich  als  die  venetianische  Regierung  der  englischen 
Politik  mehr  entgegenkam,  zeigte  sich  auch  Heinrich  VIII. 
den  Kaufleuten  gegenüber  versöhnlicher.  Er  war  bereit,  den 
Venetianern  nicht  nur  den  Export  der  Waaren  zu  erlauben, 
sondern  auch  die  Galeeren  freizugeben,  wenn  die  Signorie 
100  000  Ducaten  hinterlegen  wolle  zur  Garantie  dafür,  dass  sie 
nicht  auf  Frankreichs  Seite  trete,  wenn  sie  ferner  verspreche, 
jedes  Jahr  eine  Handelsflotte  zu  schicken,  wenn  endlich  die 
Zollabgaben  baar  bezahlt  und  nicht  mehr  creditirt  würden 
und  der  König  die  Kanonen  der  Galeeren  für  sich  behalten 

*)  Brown,  Cal.  HL  522.  555. 

*)  Brown,  Cal.  III.  562. 

8)  Brown,  CaL  III.  522  und  sonst;  auch  Brewer,  Cal.  IIL  2497. 

4)  Brown,  CaL  IIL  513. 

5)  Dem  endischen  Gesandten  Pace  erklärten  die  Venetianer,  dass  das 
ganze  vorgehen  Englands  eine  Verletzung  des  „jus  gentium"  sei.    Brown, 

•)  Brown,  Cal.  IIL  517. 

')  Brown,  CaL  IIL  559.  587.  610.  611.  626.  706.  707. 
8)  Brown,  CaL  IIL  503.    24.  Juli  1522. 

')  Brown,  Cal.  in.  582  und  Brewer,  CaL  III.  2529.  2721.  10.  Sept 
und  23.  Dez.  1522.  Auch  Cardinal  Medici  wandte  sich  deswegen  anWoleey. 
Brewer,  Cal.  in.  2516. 

10)  Brown,  Cal.  in.  567.  637. 
»)  Brewer,  Cal.  IIL  2684. 
'*)  Brown,  Cal.  IU.  515. 


—    157    — 

dürfe1).  Doch  liess  er  sich  zu  einem  Compromiss  herbei,  in 
welchem  er  fast  alle  diese  Bedingungen  fallen  liess2)  und  am 
4.  Juli  1523  konnten  endlich  die  Galeeren  von  St.  Edwards 
absegeln8).. 

Das  waren  die  Geschicke  der  dritten  unter  Heinrich  VI1L 
erfolgten  venetianischen  Flottenfahrt. 

Sicherlich  waren  diese  Erfahrungen  nicht  geeignet,  den 
Handel  der  Venetianer  nach  England  zu  ermuthigen.  Obwohl 
man  der  englischen  Wolle  sehr  dringend  bedurfte  und  wegen 
des  Mangels  an  solcher  wieder  zu  den  alten  Massregeln  zurück- 
kehren musste,  wollte  man  doch  die  Staatsgaleeren  keiner 
neuen  Gefahr  aussetzen '),  und  da  es  bei  der  verwickelten  und 
rasch  wechselnden  politischen  Lage  nicht  gelang,  sichere  Ga- 
rantien gegen  die  Wiederkehr  derartiger  Vorkommnisse  zu  er- 
langen6), so  kam  man  über  die  Beschlüsse  neuer  Sendungen 
nicht  hinaus6).  10  Jahre  lang  blieb  der  staatliche  Flotten- 
verkehr wieder  ausgesetzt. 

2.  Periode  (1530—47). 

Während  der  Zeit  Wolsey'schen  Einflusses  war  es  trotz 
aller  Bemühungen  den  Venetianem  nicht  geglückt,  dem  Ver- 
kehr mit  England  die  frühere  Stetigkeit,  Gleichmässigkeit  und 
Sicherheit  wieder  zu  geben.  Die  Unterbrechung  war  Regel, 
die  Staatsflotillen,  ehedem  eine  Gewähr  für  das  Gelingen  der 
Fahrt,  waren  jetzt  nur  der  Zielpunkt  des  Angriffs  für  die  sich 
consoHdirenden  nationalen  Grossstaaten  geworden. 

Doch  der  Cardinal,  der  ihnen  so  viele  Leiden  zugefügt, 
war  inzwischen  gestürzt  worden,   ein  neuer  Staatsmann  an 


!)  Brown,  Cal.  III.  608.  1.  Jan.  1523.  Diese  Bedingungen  erregten 
grosses  MißBf allen,  und  Pace  bekam  im  Collegium  schwere  Vorwürfe  zu 
hören.    Brown,  Cal.  III.  621. 

')  Nor  6  Stacke  der  Artillerie  behielt  die  englische  Regierang  zurück. 

*)  Brown,  Cal.  III.  701.  Einige  Schwierigkeit  hatte  das  Fehlen  der 
Seelente  hervorgerufen,  als  die  Galeeren  abfahren  wollten.  Brown,  Cal.  III. 
637.  656.  671. 

*)  Wie  auch  venetianische  Privatschiffe  fortwährend  auf  den  englischen 
Fahrten,  sogar  durch  die  Franzosen  zu  leiden  hatten,  darüber  vgl.  Brown, 
CaL  III.  836.  838.  1022. 

*)  Im  Jahre  1524  dachte  man  an  die  Wiederaumahme  der  Galeeren- 
toten;  es  wurde  aber  im  Senate  darauf  hingewiesen,  dass  man  das  letzte 
Mal  grossen  Verlust  erlitten  habe,  und  dass  es  nicht  recht  sei,  Staats- 
angelegenheiten mit  denen  der  Privatleute  in  solcher  Weise  zu  vermischen. 
Der  Consul  in  London  solle  deshalb  den  König  benachrichtigen,  dass  der 
Staat  gerne  den  gewöhnlichen  Handel  mit  England  vermittels  der  Galeeren 
fortsetzen  würde,  wenn  der  König  die  misstrauisch  gewordenen  Kaufleute 
gegen  jegliche  Belästigung  sicher  stellen  wolle.  Er  möge  deshalb  Hein- 
rich YIII.  veranlassen,  einen  Geleitsbrief  und  öffentlich  das  Versprechen 
jn  geben,  dass  fortan  kein  Leid  den  Flotillen  und  Venetianern  geschehe» 
Brown,  Cal.  1H.  877. 

*)  Vgl.  z.  B.  Brewer,  Cal.  IV.  5265. 


-     158    — 

seine  Stelle  getreten.  Schon  lebten  die  Venetianer  der  an- 
genehmen Hoffnung,  dass  es  unter  Cromwell  gelingen  möchte, 
den  flandrischen  Galeeren  wieder  zu  ihrem  alten  Glänze  zu 
verhelfen,  die  nöthige  Fühlung  mit  den  nördlichen  Märkten  und 
den  allmälig  verloren  gegangenen  Zwischenverkehr  wieder  zu 
gewinnen. 

War  es  aber  wahrscheinlich,  dass  diesem  gewiegten  Han- 
delspolitiker entgangen,  welch'  grosse  Veränderungen  der  ve- 
netianische  Handel  in  den  letzten  Decennien  erfahren?  Hatte 
nicht  gerade  das  erste  Vierttheil  des  16.  Jahrhunderts  die  Ent- 
wicklung, die  am  Ende  des  15ten  begonnen,  endgiltig  zum 
Nachtheil  Venedigs  entschieden  und  auch  für  den  Blödesten 
ausser  allen  Zweifel  gestellt,  dass  dessen  Position  und  Macht 
vollständig  verrückt  worden  war? 

Aus  einem  eigentlichen  Handelsstaate,  der  den  Umtausch 
der  Producte  verschiedener  Verkehrs-  und  Industriegebiete 
vermittelte  und  die  hiebei  entscheidende  Wasserstrasse  be- 
herrschte, sank  Venedig  mehr  und  mehr  zu  einer  in  engere 
Grenzen  gebannten  Industriestadt  herab.  Die  pisanische,  cata- 
lonische  und  genuesische  Seemacht  hatte  Venedig  überdauert, 
aber  nun  verfiel  auch  die  venetianische  Pracht  ihrem  Schicksal, 
und  alle  Klugheit  und  diplomatische  Kunst  half  hier  nicht  aus. 
Der  Verkehr  mit  Aegypten,  die  Grundlage  des  venetianischen 
Handels,  krankte  zusehends,  seit  die  Portugiesen  den  neuen  See- 
weg aufgefunden  hatten  und  mit  grossen  Mengen  indischer  Ge- 
würze auf  dem  Markte  erschienen.  Als  die  Osmanen  Aegypten 
und  Syrien  eroberten  (1517),  schwand  auch  der  letzte  Hoflnungs- 
strahl,  den  Gewtirzhandel  je  wieder  auf  seine  ehemalige  Blüthe 
zu  bringen1).  Nicht  als  ob  er  ganz  aufgehört  hätte.  Die  Ve- 
netianer unterhielten  noch  immer  einen  nicht  unbedeutenden 
Seeverkehr  mit  Aleppo,  das  nun  der  Hauptstapelplatz  des 
Orients  geworden  war.  Noch  grösser  vielleicht  war  seine  Ver- 
bindung mit  dem  Orient  mittels  Carawanen,  die  von  Constan- 
tinopel  nach  der  venetianischen  Küste  zogen.  Sein  Handel 
nach  Deutschland  dauerte  ohnehin  ungeschwächt  bis  zum 
30jährigen  Krieg  fort.  Auch  mit  Spanien  und  Portugal  blieb 
es  im  Verkehr.  Von  Spanien  bezog  Venedig  den  Hauptbedarf 
an  Wolle,  seit  es  auf  die  englische  und  französische  verzichten 
musste;  denn  die  levantinische  und  italienische  Wolle  war 
nicht  fein  genug2).  An  sich  machte  auch  Venedig  durchaus 
nicht  einen  verödeten  Eindruck,  es  herrschte  noch  immer  da- 
selbst reiches  Leben,  und  man  kann  am  Ende  ihm  selbst  für 
die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  eine  Weltstellung  vin- 


*)  Vgl.  besonders  He  yd,  Geschichte  des  Levantehandels  II.  S.  505  fg. 
530  fg. 

2)  Discorso  della  fragilitk  di  Venezia  1605. 


—     159    — 

diciren1).  Aber  im  Vergleich  zu  früher  war  Venedigs  Glanz 
doch  ganz  entschieden  im  Verblassen.  Ebenso  war  es  von 
andern  Handelsplätzen  weit  überflügelt 2). 

Die  italienischen  Staaten  büssten  jetzt,  dass  sie  in  gegen- 
seitigem Zank  und  ewiger  Eifersucht  zu  keiner  Nation  sich 
zusammengeschlossen  hatten,  sondern  zerbröckelt,  zerrissen  da- 
lagen, als  allerwärts  mächtige  Staatseinheiten  emporwuchsen 3). 
Langsam,  aber  sicher  ging  Venedig  seinem  Verfall  entgegen,  all' 
seine  Versuche,  denselben  aufzuhalten,  scheiterten4),  schliess- 
lich verzweifelte  es  an  sich  selbst. 

Mit  dieser  Umwandlung  war  auch  Venedigs  Verhältniss  zu 
England  auf  eine  ganz  andere  Grundlage  gestellt.  Die  frühere 
commercielle  Abhängigkeit  Englands  von  Venedig  hatte  sich 
gerade  umgekehrt.  Fortan  war  es  nicht  mehr  eine  Not- 
wendigkeit, dass  die  englische  Regierung  die  Venetianer  be- 
günstigte und  allen  ihren  Wünschen  willfahrte,  fortan  dictirte 
sie  vielmehr  die  Bedingungen,  unter  denen  die  venetianischen 
Kaufleute  nach  England  kommen  konnten.  Von  der  herr- 
schenden Strömung  in  England  hing  es  ab,  welcher  Art  diese 
seien. 

Die  damalige  Stimmung  war  nun  durchweg  feindselig.  Die 
englische  Schiffahrt  sah  im  Kommen  der  venetianischen  Ga- 
leeren ein  Hemmniss,  die  einheimische  Industrie  in  dem  durch 
diese  bewirkten  Export  der  Rohstoffe  eine  Beeinträchtigung. 
Wie  Cromwell  diesen  Zuständen  gegenüber  verführ,  wird  aus 
unserer  folgenden  Darstellung  sich  ergeben. 

Die  stete  Aufmerksamkeit,  die  man  dem  englischen  Con- 
sulatswesen  im  Mittelmeer  zuwandte 5),  ist  ein  deutlicher  Beleg, 
welchen  Werth  Cromwell  und  Heinrich  VIII.  auf  die  Erstarkung 
des  englischen  Handels  in  diesen  Gebieten  legte.    Das  Con- 

')  Sieh  über  die  allgemeine  Lage  der  Republik  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  Ranke,  Zur  venetianischen  Geschichte  1878.   S.  21  fg. 

*)  Marino  Cavalli  sagt  z.B.  von  Antwerpen  1551:  „Anversa'e  terra 
di  settanta  owero  ottanta  mila  anime,  e  fa  tante  faccende  di  cambi  e  d'ogni 
altra  sorte  di  mercanzia,  che  in  vero  mi  son  stupito  di  maraviglia  in  veder 
ciö  pensando  certissimo  che  superi  assai  questa  citta  (Veneria)."  Alberi, 
Relarioni  8er.  L    Vol.  II.    S.  202. 

*)  Dies  wird  sehr  gut  betont  von  Lafaurie,  Geschichte  des  Handels 
in  Beziehung  auf  politische  Oeconomie  und  öffentliche  Ethik  (Neue  Ency- 
dopadie  der  Wiss.  und  Künste.  5.  Bd.  Nr.  1.  1848)  S.  99  fg. 

*)  So  namentlich  die  Unterhandlungen  mit  Portugal  wegen  des  Gewürz- 
handels 1521;  Stevens,  Geschichte  von  Portugal  1698  und  Giustinian, 
Four  years  etc.  II.  S.  82  u.  85  Note  6;  sieh  auch  Heyd  a.  a.  0.  II.  S.  539. 
Die  vernünftige  Beurtheilung  der  Lage  durch  den  Venetianer  Gasp.  Contarini 
in  seiner  Unterredung  mit  Beb.  Cabot  sieh  bei  Brown),  Cal.  III.  607:  vgl 
auch  IIL  612. 

5)  1530  wurde  für  Candia  Dion.  Harrys  aus  London,  1582  abermals 
ein  Consul  ernannt,  1543  dem  Luccaner  Kaufmann  Nicholo  de  Nicholais 
die  Function  übertragen.  Rymer  XIII.  S.  766;  XIV.  S.  389;  XV.  S.  10. 
Brown,  Cal.  IV.  832.  Für  Chios  wurden  1531  der  Genuese  Ben.  Justi- 
niano  ernannt    Rymer  XIV.    S.  424.  704. 


—    160    — 

sulat  auf  der  Insel  Chios  wie  Candia  wurde  aufrecht  erhalten, 
und  es  ist  nicht  ganz  unmöglich,  dass  unter  Cromwell  sogar  für 
Venedig  ein  englischer  Consul  ernannt  wurde1).  Gleichzeitig 
lässt  sich  aber  auch  daraus  schliessen,  dass  die  Anstrengungen 
der  englischen  Kaufleute  nach  dieser  Richtung  hin  wirklich 
Erfolg  hatten*).  Ganz  entsprechend  war  die  Politik  gegen 
die  Galeeren  eine  unfreundliche. 

Mit  dem  Beginn  des  Jahres  1529  hatte  man  wieder  ernst- 
lich die  Absendung  einer  Flotille  betrieben3).  Am  80.  Man 
1530  war  dieselbe  zum  Auslaufen  bereit,  aber  erst  am  12.  Sep- 
tember 1531  wird  ihr  Erscheinen  im  Hafen  von  Southampton 
gemeldet.  Die  venetianische  Regierung  wollte  dieses  Mal  sich 
erst  nach  allen  Seiten  sicher  stellen  und  verschaffte  sich  so- 
wohl vom  Könige  von  Frankreich4)  als  von  Heinrich  VIII.  •) 
Geleitsbriefe.  Auch  war  sie  ängstlich  darauf  bedacht,  die  Li- 
cenzen  für  Wolle  und  Zinn  und  die  Ausnahmestellung  gegen- 
über den  Parlamentsacten  3  Hen.  VII.  c.  8  und  4  Hen.  ML 
c.  11  in  der  früher  üblichen  Weise  und  rechtzeitig  wieder  zu 
erlangen 6).  Am  12.  März  1530  wurde  dieser  Licenzbrief  auch 
auf  5  Jahre  ausgestellt7). 

Trotz  aller  Vorsicht,  die  man  angewendet,  blieben  den 
Galeeren  die  Schwierigkeiten  in  England  nicht  erspart  Gerade 
damals  waren  die  Stimmen  gegen  die  forcirte  Ausfuhr  von 
Wolle  in  den  bürgerlichen  Kreisen  lauter  denn  je,  und  Crom- 
well trug  ihnen  Rechnung  dadurch,  dass  er  eine  Acte  Hein- 
richs VII.  (4  Hen.  VII.  c.  11)  erneuern  liess,  welche  den  Frem- 
den vom  Mai,  wo  die  Schafschur  zu  sein  pflegte,  bis  2.  Februar 
den  Wollverkauf  verbot0).  Als  nun  die  venetianischen  Kauf- 
leute gestützt  auf  ihre  Licenz,  sei  es  für  Privatschiffe,  sei 
es  bereits  für  die  zu  erwartenden  Galeeren,  Einkäufe  bewerk- 


*)  Vgl.  das  Dankschreiben  Duodos  an  Cromwell.  Urk.  BeiL  61. 
Möglich  ist  allerdings,  dass  Duodo  für  Gandia  als  Consul  bestimmt  war;  denn 
auch  dieser  musste  immer  erst  von  der  venetianischen  Regierung  anerkannt 
werden  (vgl.  Brown,  Cal.  II.  832).  War  abefDuodo  in  Venedig  ansässig, 
wie  dies  der  Fall  zu  sein  scheint,  dann  ist  wohl  die  im  Text  geäusserte 
Ansicht  die  richtige.  Brown,  Cal.  I.  Pref.  S.  LVI.  datirt  das  englische 
Consulat  erst  vom  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  an. 

9)  Hakluyt,  The  principal  navigations,  voyages  etc.  II.  S.  96.  98.99. 

8)  Brewer,  Cal.  IV.  5265. 

4)  Dies  erwieß  sich  nothwendig  in  Anbetracht  der  Feindseligkeiten, 
welche  sich  französische  in  Marseille  gut  ausgerüstete  Schiffe  in  den  levan- 
tinischen  Gewässern  erlaubt  hatten.    Brown,  Cal.  IV.  571.  575.  607. 

5)  Brown,  Cal.  IV.  493.  599.  619,  Die  englischen  Geleitsbriefe  wur- 
den am  19.  September  1530  ausgehändigt. 

8)  Die  Signorie  glaubt,  eine  Neubestätigung  selbst  etwa  noch  geltender 
Licenzen  wurde  das  grosse  Misstrauen  der  venetianischen  Kaufleute  besei- 
tigen und  diese  veranlassen  können,  mehr  Capitalien  nach  England  zu 
schicken.    Brown,  Cal.  IV.  624.    28.  Sept.  1530. 

7)  Brewer,  Cal.  IV.  6270. 

8)  22.  Hen.  VIII.  c.  1.  1530. 


—    161    — 

stelligten,  erhob  sich  im  März  1530  unter  den  Londoner  We- 
bern ein  Aufstand,  dessen  Ziel  die  Ermordung  der  venetiani- 
schen  Kaufleute  war *). 

Die  Regierung  wagte  nicht,  der  grossen  Gährung  im  Volke 
zu  trotzen  und  verlangte,  dass  auch  die  Kauf  leute  der  Galeeren 
dem  neuen  Gesetze  sich  fügten.  Vom  12.  September  bis  2.  Fe- 
bruar sollten  sie  unthätig  in  England  sich  herumtreiben 2).  So 
hart  diese  Massregel  war,  die  venetianische  Regierung  scheint 
wenig  Hoffnung  gehabt  zu  haben,  dass  man  eine  Milderung 
eintreten  lassen  werde8).  Nur  den  unermüdlichen  Anstrengungen 
des  Gesandten  Carlo  Capello  war  es  zu  danken,  wenn  der  König 
endlich  den  Einkauf  von  1600  Säcken  gestattete*).  Man  liess 
den  Venetianern  aber  deutlich  merken ,  dass  die  Galeerenfahrten 
auch  der  Regierung  nicht  mehr  angenehm  waren.  Es  erregte  nicht 
nur  grosses  Missfallen,  dass  man  das  Eduard'sche  Gesetz  wegen 
der  Bogenstäbe  wieder  verletzt  hatte 6),  sondern  noch  grösser 
war  der  Unwille  über  die  ganze  Art  und  Gestalt,  welche  der 
venetianische  Handel  nach  England  angenommen  hatte.  Die 
königl.  Räthe  warfen  dem  venetianischen  Gesandten  die  Nichtig- 
keit ded  Imports  vor.  Man  bringe  nur  Glas  und  sonstige 
werfhlose  Dinge;  von  Gewürzen,  Seide,  Kamelotzeugen  und 
baarem  Gelde  sehe  man  nichts.  In  der  Weise  dürfe  der  Ver- 
kehr nicht  mehr  weiter  geführt  werden.  Wolle  die  venetia- 
nische Regierung  noch  fernerhin  Galeeren  schicken,  so  müsse 
erst  eine  Convention  mit  England  über  die  Ladung,  nament- 
lich auch  die  Gattung  und  Qualität  der  Waaren  und  den 
Betrag  des  mitzubringenden  baaren  Geldes  abgeschlossen 
werden  6). 

Sehr  ernst  wurde  diese  Drohung  in  Venedig  aufgenommen, 
und  in  ausführlicher  Darlegung  suchte  die  Signorie  die  eng- 
lische Regierung  von  der  Unannehmbarkeit  dieser  Bedingungen 


*)  Brown,  Cal.  IV.  569.  Ludovico  Falier  an  die  Signorie.  23.  März 
1530.  Dem  rasdien  Eingreifen  des  Mayors,  der  60  Rädelsführer  festnehmen 
liess,  war  es  zu  danken,  dass  der  Aufstand  keine, grösseren  Dimensionen 
annahm. 

*)  Brown,  CaL  IV.  683. 

a)  Brown,  Cal.  IV.  695. 

*)  Brown,  CaL  IV.    686.  687. 

•)  Im  October  1531  erliess  Heinrich VIII.  den  Befehl,  dass  der  königl. 
Staatsanwalt  gegen  die  Eigenthümer  der  in  Southampton  vor  Anker  liegen- 
den Galeeren  wegen  dieser  Gesetzesverletzung  vorgehe.  (State  Papers 
Vol.  L  Pars  II.  S.  380.)  Merkwürdig  ist,  dass  der  König  auf  das  Gesetz 
12  Edw.  IV.  c.  2  und  nicht  auf  das  strengere  Richard'sche  Gesetz  sich 
stützte;  wahrscheinlich  ist  es  so  zu  erklären,  dass  die  Venetianer  10  Bogen- 
stäbe per  Butte  mitbrachten,  wie  die  Richard'sche  Acte  vorschrieb,  aber 
vergassen,  auch  noeh  die  4  Bogenstäbe,  welche  das  Eduard'sche  Statut  pec 
Tonne  verlangte,  zu  importiren.  Denn  dieses  letztere  war  durch  das 
Richard'sche  Gesetz  nicht  aufgehoben,  wurde  überhaupt  erst  1822  endgültig 
abgeschafft 

•)  Brown,  Cal.  IV.  703. 

Schanz.  Engl.  Handelspolitik.   L  11 


—    162    — 

zu  überzeugen.  Sie  wisse  nie,  wer  die  Galeeren  pachten 
werde,  meist  könne  sie  nur  durch  bedeutende  Beihilfe  ihre 
„Edlen"  veranlassen,  das  Geschäft  zu  übernehmen.  Diese  ver- 
möchten aber  weder  die  Qualität  noch  Quantität  der  Güter  zu 
kennen,  da  die  Kaufleute  aus  verschiedenen  Beweggründen 
erst  dann  ihre  Geschäfte  und  Capitalanlagen  offenbarten,  wenn 
die  Galeeren  im  Begriffe  ständen  auszulaufen;  ja  viele  Kauf- 
leute sendeten  Geld  nach  Sicilien  und  andern  Plätzen,  welche 
die  Schiffe  berührten  und  Hessen  erst  dort  verschiedene  Waaren 
ankaufen.  Der  Abschluss  einer  Convention  über  die  Befrach- 
tung sei  schlechterdings  unmöglich,  und  falls  man  darauf  be- 
stehe, müsste  der  Handel,  der  doch  beiden  Ländern  Vortheil 
bringe,  aufhören.  Was  das  baare  Geld  betreffe,  so  werde 
eine  beträchtliche  Summe  durch  die  Galeeren,  sowie  in  Packeten 
durch  Couriere  und  durch  Remittirung  von  Wechselbriefen  aus 
Flandern  in  England  eingeführt.  Wolle,  Tuch  und  Zinn  ver- 
möchten die  Kaufleute  blos  für  Geld  zu  erhalten.  Der  König 
könne  nur  den  Betrag  nicht  mehr  so  genau  berechnen,  wie  ehe- 
dem, weil  die  Venetianer  Kauf leute  keine  Goldgulden  mehr  nach 
England  schickten,  die  an  der  königl.  Münze  gegen  Nobel  aus- 
getauscht werden  müssten ,  sondern  Kronen ,  die  auf  der  Insel 
cursirten.  Dadurch  entziehe  sich  die  ungeheure  Summe  Gol- 
des, die  von  den  Venetianern  gebracht  werde,  seinem  Blick. 
Hinsichtlich  des  geringen  Imports  an  Gewürzen  müsse  die  ve- 
netianische  Regierung  bemerken,  dass  nicht  ihr,  sondern  den 
veränderten  Zeitverhältnissen  die  Schuld  hiefür  beizumessen 
sei.  Die  grosse  Menge,  welche  man  von  Portugal  erhalte, 
drücke  den  Preis  so,  dass  die  »Gewürze  billiger  seien  als  in 
Venedig  selbst.  Ihre  Einfuhr  von  Venedig  sei  ohne  Verlust 
unmöglich.  Was  die  Kamelotzeuge J)  betreffe,  so  sei  richtig, 
dass  sie  nicht  mehr  die  frühere  Menge  brächten.  Der  grösste 
Theil  werde  von  Flamändern  und  Engländern,  die  nach  Ve- 
nedig handeln,  importirt.  Der  Grund  hiefür  sei  ein  sehr  ein- 
facher. Da  diese  einen  viel  niedrigeren  Importzoll  zahlten,  als 
die  Kaufleute  der  Republik,  so  zögen  sie  fast  den  ganzen 
Kamelothandel  an  sich  und  profitirten  dabei  den  Gewinn  der 
Extraabgabe,  der  die  Venetianer  bei  der  Einfuhr  unterworfen 
seien.  Die  geringe  Menge  eingeführter  Seide  erkläre  sich 
durch  die  langjährige  Unterbrechung  des  Verkehrs  mit  Eng- 
land; inzwischen  habe  die  Seide,  die  sonst  von  Sicilien  ge- 
bracht worden  sei,  neue  Märkte  gefunden;  sie  werde  aber 
jetzt  wieder  ihrem  früheren  Weg  folgen,  wofern  nur  die  SchifF- 
fahrt  gesichert  und  ungestört  bleibe.  Gewähre  man  kräftigen 
Schutz  den  Venetianern,  so  würden  die  werthvollen  Waaren 
sich  schon  einstellen2). 

r)  Ueher  die  Manufactur  und  Erzeugungsorte  dieser  Stoffe  vgl.  Hevd, 
a.  a.  0.  II.  S.  693  fg. 

*)  Brown,  CaL  IV.  704. 


-    163    — 

Die  englische  Regierung  war  aber  schwer  zu  überzeugen. 
Sie  beharrte  in  den  neuen  Verhandlungen  nicht  nur  auf  ihrem 
Standpunkt,  sondern  stellte  immer  grössere  Forderungen.  Der 
neue  Kanzler  Thomas  More  eröffnete  dem  im  königl.  Rathe 
erschienenen  venetianischen  Gesandten,  dass,  wofern  die  nächsten 
Galeeren  Wolle,  Tuch  und  Zinn  exportiren  wollten,  angegeben 
werden  müsse,  welche  Art  Waaren  man  einfahren  wolle  und 
in  welchem  Betrag,  sowie  mit  was  für  Geld  die  Käufe  gemacht 
werden  sollen;  ferner  hätten  sich  die  venetianischen  Kaufleute 
zu  verpflichten,  eine  bestimmte  Menge  gefärbter  Tücher  und 
feines  wie  grobes  Leinen  exportiren  zu  wollen;  endlich  ver- 
langte er,  dass  sie  die  Wolle  fortan  blos  von  den  Staplern  in 
Calais  kauften 1). 

Der  rührige  Gesandte  Capello  wehrte  sich  mit  allen  Mitteln 
dagegen.  Er  machte  geltend,  dass  ein  solches  Verfahren  gegen 
das  Privileg  Verstösse,  das  der  König  den  venetianischen  Kauf- 
leuten auf  5  Jahre  ertheilt  habe.  Auch  die  Zölle  würden  sich 
mindern;  das  Geld  für  die  Wolle  werde  in  Calais  bleiben,  in 
London  würden  keine  Verkäufe  mehr  gemacht  werden.  Der 
König  und  die  ganze  Insel  müsste  grossen  Schaden  erleiden, 
wenn  die  Venetianer  nicht  ihre  gewöhnliche  Fahrt  machen 
könnten;  denn  zur  Zeit  der  Ankunft  der  Galeeren  pflegte  der 
Werth  aller  Exportwaaren  in  London  um  15  bis  20  °/0  zu  stei- 
gen*). Eifrig  wurde  die  Sache  im  königl.  Rathe  debattirt,  der 
König  nahm  persönlich  an  den  Berathungen  Theil;  schliesslich 
wurde  dem  Venetianer  der  von  Heinrich  VIII.  unterzeichnete 
Bescheid,  dass  für  dieses  Jahr  keine  neuen  Galeeren  geschickt 
werden  sollten,  da  keine  Wolle  da  sei.  Auch  ein  nochmaliger 
Appell  an  den  König  blieb  erfolglos;  denn  derselbe  erklärte: 
Jt  is  well  to  take  the  wools  from  the  Staplers." 

Um  den  Standpunkt  der  englischen  Regierung  zu  begreifen, 
reichen  die  bereits  früher  von  uns  berührten  Momente  nicht 
aus.  Beförderung  der  einheimischen  Industrie  und  die  Einfuhr 
von  Baargeld  durchziehen  zwar  auch  hier  die  englischen  Ein- 
wände, aber  selbst  der  letztere  Grund  bekommt  ein  theilweise 
anderes  Gepräge.  Früher  wünschte  man  dieselbe  hauptsäch- 
lich deswegen,  dass  die  Venetianer  nicht  mit« Wechseln s)  auf 
die  Niederlande,  beziehungsweise  durch  die  Hand  der  engli- 
schen und  niederländischen  Kaufleute  zahlten  und  dadurch 
den  englischen  Fremdenzöllen    auswichen4);    nun    aber  kam 

l)  Brown,  Cal.  IV.  718. 

*)  Brown,  Cal.  IV.  718  u.  751. 

s)  Dass  die  Wechsel  Zahlung  den  Hauptstein  des  Anstosses  bildete, 
geht  namentlich  aus  einem  Briefe  der  Signone  hervor.  Brown,  Cal.  IV. 
857.  Dagegen  glaube  ich  nicht,  dass  mercantilistische  Grundsätze  oder  Ge- 
danken, wie  Bie  der  Acte  8.  Henr.  V.  c.  2  (1420)  zu  Grunde  liegen,  mass- 
gebend waren. 

*)  Je  besser  dies  gelang,  um  so  schwerer  wurde  gleichzeitig  den  Eng- 
landern das  Concurriren  im  Mittelmeer  gemacht;  namentlich  beim  Malvasier- 

11* 


-    164    — 

noch  hinzu,  dass  Cromwell  überhaupt  den  Handel  von  den 
Niederlanden  weg  nach  England  verlegen  wollte  und  doppelt 
ungern  sah,  wenn  die  Venetianer  dort  den  Hauptmarkt  hatten. 

Daneben  spielten  sich  aber  —  um  yon  der  Stellung  Ve- 
nedigs zur  Ehescheidungsfrage  und  sonstigen  allgemeinen  Ver- 
hältnissen ganz  abzusehen  —  hinter  den  Coulissen  Vorgänge 
ab,  die  das  Benehmen  der  englischen  Regierung,  namentlich 
hinsichtlich,  der  Wolle,  beleuchten x).  Einer  der  reichsten  ve- 
netianischen  Kaufleute,  Mafio  Bernardo,  der  in  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  in  England  domicilii!  war,  knüpfte 
um  jene  Zeit  mit  der  englischen  Regierung  Unterhandlungen 
an,  um  das  Monopol  des  Wollexports  nach  Italien  zu  er- 
werben2); er  erbot  sich,  nicht  nur  hohe  Summen  für  das 
Recht  zu  geben,  sondern  er  war  auch  bereit,  alle  Wolle  von 
den  Staplern  zu  beziehen.  Cromwell  scheint  dem  Projecte 
nicht  abgeneigt  gewesen  zu  sein,  wie  die  oben  dargelegten 
Debatten  zeigen.  Welches  Motiv  das  stärkste  hiebei  gewesen, 
ob  der  finanzielle  Gewinn,  den  Mafio  in  Aussicht  stellte,  oder 
ob  die  Beseitigung  der  Feindschaft  der  Stapler  gegen  die 
Italiener,  oder  ob  die  damit  vielleicht  beabsichtigte  Ver- 
drängung der  Venetianer  von  den  nördlichen  Märkten  den 
Ausschlag  gab,  wissen  wir  nicht 

Auch  hier  war  es  wieder  Capello,  der  die  Pläne  des  ge- 
winnsüchtigen Mafio  durch  seine  stete  Wachsamkeit  vereitelte, 
dadurch  freilich  dessen  Hass  sich8)  und  dessen  Rache  den 
noch  in  England  befindlichen  Galeeren  zuzog4).  Mafio  wurde 
in  Anklagestand  versetzt,  und  der  grosse,  damals  ganz  Venedig 
interessirende  Process  endete  damit,  dass  Mafio  auf  10  Jahre 
von  England,  Galais,  Antwerpen,  Brügge  und  ganz  Flandern, 
also  dem  Felde  seiner  Handelstätigkeit  verbannt  und  noch 


wein  war  ein  Unterbieten  leicht  möglich,  wenn  der  Wein  in  die  Nieder- 
lande eingeführt  und  dort  von  den  Merchant.adventurers  nach  London  ge- 
bracht wurde. 

*)  Brown,  Cai.  IV.  751. 

a)  Brown,  CaL  IV.  751.  Ueber  einen  ähnlichen  Versuch  1472  vgl. 
Brown,  Cal.  I.  440. 

s)  Brown,  CaL  IV.  864. 

4)  Anlass  hiezu  gab  die  Löhnung  der  Schiffsmannschaft.  Früher 
musste  bei  der  Auszahlung  der  laufende  Curs  zu  Grunde  gelegt  werden. 
(Brown,  Cal.  I.  114.  anno  1394).  Das  führte  wohl  zu  Streitigkeiten,  und 
man  normirte  deswegen  später  einen  festen  Geldcurs  (Brown,  Cal.  L  230. 
anno  1421).  Dieser  war  nun  im  Laufe  der  Zeit  der  Schiffsmannschaft  und 
besonders  damals  nachtheilig  geworden.  Einer  der  Schiffsmeister  schreibt, 
er  habe  bei  Bezahlung  der  Schiffsmannschaft  20%  blos  in  Folge  des  Curses 
gewonnen  (Brown,  Cal.  IV.  725.  730.  733.  744).  Mafio  Bernardo  benützte 
nun  diesen  Umstand  und  zahlte  den  Leuten  des  von  ihm  gepachteten 
Schiffes  einen  besseren  Lohn  bezw.  legte  einen  besseren  Curs  zu  Grunde 
.Brown,  Cal.  IV.  91 1)  und  erzeugte  dadurch  den  Aufstand  der  Matrosen  auf  den 
andern  Galeeren  (Brown,  Cal.  IV.  725).  Daran  reihte  sich  dann  eine  Summe 
weiterer  Unannehmlichkeiten  vgl.  Brown,  Cal.  IV.  719.  727.  730.  739.  745. 


-    165    — 

mit  einer  beträchtlichen  Geldstrafe  belegt  wurde1).  Damit 
war  dem  Projecte  der  Boden  entzogen. 

Als  im  Juni  1532  die  Galeeren  ihren  Heimweg  antraten2), 
konnte  man  schon  ziemlich  beruhigt  in  die  Zukunft  schauen. 
Carlo  Capello,  von  dem  Dogen  Andreas  Gritti  aufgefordert8), 
that  die  nöthigen  Schritte,  um  die  völlige  Anerkennung  der 
früheren  Privilegien  zu  erwirken4).  Die  venetianischen  Kauf- 
leute ihrerseits  legten  in  einer  Bittschrift  an  Cromwell  dar, 
wie  ihr  Handel  zum  Vortheil  Englands  sei,  und  ersuchten  ihn, 
sich  für  sie  zu  verwenden  und  die  gewünschten  Erleichterungen 
ihnen  zu  verschaffen 6).  Nach  langem  Zögern  Hess  sich  Crom- 
well bewegen,  noch  einmal  von  einer  Convention  abzusehen 
und  dem  König  die  Ratification  des  Privilegs  bis  Ende  März 
1535 6)  vorzuschlagen7).  Von  da  an  aber,  hiess  es,  sei  die 
Erfüllung  der  drei  Bedingungen  eine  unumgängliche  Not- 
wendigkeit, falls  man  den  Verkehr  fortsetzen  wolle.  Die  Ga- 
leeren müssten  sich  verpflichten  1)  einen  bestimmten  Betrag 
baaren  Geldes,  2)  näher  zu  beschreibende  Gewürze,  3)  eine 
bestimmte  Quantität  Bogenstäbe  jedes  Mal  einzuführen.  Die 
Hauptsache  sei  das  Baargeld8). 

Inzwischen  suchten  die  Venetianer  von  der  noch  gewährten 
Frist  Vortheil  zu  ziehen  und  trafen  schleunigst  alle  Massregeln 
für  die  Absendung  einer  neuen  Flottille.  Ende  März  oder  Anfang 
April  1533  lief  sie  aus 9).  Die  venetianischen  Kaufleute  in  ihrer 
unbegrenzten  Gewinnsucht  Hessen  sich  aber  manche  Vergehen  zu 


*)  1546  wurde  Mafio  wegen  seines  Reichthums  auf  Anstiften  seiner 
Verwandten  ermordet    Brown,  Cal.  IV.  S.  414  Anm.  und  auch  V.  413  fg. 

«)  Brown,  Cal.  IV.  767.  771.  773. 

*)  Urk.Beil.  79. 

*)  Brown,  Cal.  IV.  881. 

5)Urk  BeiL  80. 

*)  Statt  76  sh  16  d  hatten  sie  wieder  nur  67  sh  4  d  für  den  Sack 
Wolle  Zoll  zu  zahlen.  Pat  v.  4.  Jan.  23  EL  VIII.  eingetragen  in  Queen's 
fiemembrancer'B  Memoranda  scaccarii  inter  Record.  term.  St.  Mich.  28 
Hen.  VIII.  rot.  28.  R.  0.  Die  in  der  Zwischenzeit  zu  viel  verlangten  Zölle 
wurden  den  Venetianern  nachträglich  erlassen.  28.  Dezember  1537.  Sieh 
den  Befehl  des  Königs  und  die  darauf  erfolgten  Urtheile  bei  Madox, 
Firma  Burgi  S.  91. 

7)  Der  Herzog  von  Norfolk  und  der  Graf  von  Wiltshire  waren  vom 
Gesandten  durch  Versprechung  schöner  Helme  aus  Venedig  gewonnen  wor- 
den. Der  erstere  war  den  Venetianern  immer  sehr  abgeneigt  gewesen. 
Lodovico  Falier  sagte  in  seiner  Relation  vom  10.  Nov.  1581  von  ihm: 
„mostra  mal'  animo  veno  stranieri,  e  contra  la  Venezia  nostra  nazione  no- 
minatamenteu.  Alberi,  Belazioni  Ser.I.  Vol.HL  S.14.  Brown.  Cal. IV. 
694.  838.  857. 

8)  Brown,  Cal.  IV.  837. 

■)  Die  Wahl  dreier  neuer  Schiffsherrn"  fand  am  24.  März  1533  statt. 
Brown,  CaL  IV.  866.  Dass  diese  Fahrt  wirklich  erfolgte,  schliesse  ich 
ans  Brown,  Cal.  IV.  884  u.  V.  52.  Es  ist  schlechterdings  unwahrschein- 
lich, dass  der  Beschluss  des  Senats  vom  3.  Juni  1535  auf  eine  Fahrt  von 
1531/32  sich  beziehen  sollte. 


-    166    - 

Schulden  kommen  und  riefen  dadurch  neue  Complicationen 
hervor.  Sie  missbrauchten  nicht  nur  die  ihnen  gestattete 
Freiheit  der  Wollausfuhr,  indem  sie  ebenso  sehr  entgegen  dem 
Interesse  des  englischen  Fiscus  als  zum  Schaden  des  venetia- 
nischen  Staates  Ragusaner,  Florentiner  und  Genuesen  in  ihrem 
Namen  Wolle  exportiren  Hessen1),  sondern  sie  betrogen  auch 
im  Gewicht  der  Wolle  derart,  dass  sie  noch  die  Summe  von 
1000  £  nachzahlen  mussten2). 

Man  begreift,  dass  unter  solchen  Verhältnissen  die  Unter- 
handlungen wegen  Erneuerung  der  Patente  ausserordentlich 
erschwert  wurden.  Die  venetianische  Regierung  wollte  zudem 
auch  jetzt  wieder  keine  der  früher  gestellten  drei  Bedingungen 
acceptiren 8).  Die  Bemühungen  Capellos  hatten  keinen  Erfolg, 
am  19.  Juni  1534  war  die  Fortsetzung  der  Patente  von  1535 
ab  noch  nicht  wieder  gewährt4). 

Die  Galeeren  aber,  „die",  wie  es  in  einem  Senatsbeschluss 
von  1500  heisst,  „nicht  nur  die  Schiffahrt  ermuthigt,  sondern 
auch  Venedig  mit  fränkischer  Wolle  —  eine  Quelle  für  die 
Annen  —  versehen  hatten"6),  verliessen  1534  England,  um 
nie  wieder  zu  kehren. 

Schon  lange  hatte  die  venetianische  Regierung  gesehen, 
dass  England  die  Galeerenfahrten  nicht  nur  nicht  vermisste, 
sondern  allen  Ernstes  nicht  mehr  wünschte;  so  fügte  sie  sich 
endlich  in  die  unvermeidliche  Nothwendigkeit.  1535  berief  die 
Republik  ihren  Gesandten  Gapello  ab.  Dies  war  hauptsächlich 
wegen  Heinrichs  VIIL  Bruch  mit  Rom  geschehen.  Nothwendig 
wuchs  dadurch  die  Entfremdung  der  englischen  Regierung  und 
machte  die  Erneuerung  der  Galeerenfahrten  unmöglich.  Die 
venetianische  Regierung  wagte  auch  gar  nicht,  in  der  nächsten 


')  Brown,  Cal.  IV.  884. 

2)  Die  schuldigen  Kaufleute  wollten  den  Betrag  der  Strafe  dem  Conto 
der  Londoner  Factorei  zuschieben,  der  venetianische  Senat  wies  aber  dies 
Ansinnen  mit  aller  Entschiedenheit  zurück.    Brown,  Cal.  Y.  52. 

s)  Hinsichtlich  der  Gewürze,  schreibt  sie,  wisse  der  König  selbst,  dass 
die  Venetianer  nicht  mit  den  Portugiesen  zu  concurrircn  vermöchten.  Die 
Bogenstäbe  aus  ihrem  Gebiete  seien  nicht  so  gut,  als  die  von  Dänemark 
und  Flandern;  die  Kaufleute  erhielten  deshalb  keinen  lohnenden  Preis,  so 
dass  man  eine  bestimmte  Anzahl  nicht  versprechen  könne.  Hinsichtlich 
des  Geldes  seien  aber  die  Kauf  leute  mehr  geneigt,  den  englischen  Wünschen 
zu  willfahren,  als  Wolle  mittels  Wechselbriefe  zu  zahlen,  und  wenn  bei  der 
letzten  Fahrt  einige  Kaufe  mittels  Wechsel  gemacht  worden  seien,  so  sei 
es  geschehen,  wefi  nicht  eine  genügende  Menge  Goldes  beschafft  werden 
konnte,  oder  aus  sonstigen  Gründen.  Die  vorgeschlagenen  Bedingungen 
seien  nutzlos,  oder  die  Kauf  leute  würden  zögern,  ihr  Eigenthum  aufs  Spiel 
zu  setzen.    Brown,  CaL  IV.  983;  auch  IV.  857  und  V.  17. 

4)  Die  Zollbeamten  versuchten  deshalb,  auch  die  Venetianer  zur  Zah- 
lung des  vollen  Zolles  zu  zwingen.  Die  venetianischen  Kaufleute  aber 
stützten  sich  auf  das  Patent  vom  12.  März  21  Henr.  VHI.  und  verlangten, 
da  dasselbe  doch  5  Jahre  dauern  sollte,  von  dem  Rest  befreit  zu  werden. 
Der  König  gewährte  ihre  Bitte.    Madox,  Firma  Burgi  S.  91. 

»)  Brown,  Cal.  I.  818. 


—    167    — 

Zeit  die  Wiederaufnahme  derselben  zu  betreiben.  Erst  1542 
tauchte  nochmals  der  Gedanke  auf,  die  Handelsexpeditionen 
wieder  herzustellen;  die  Verwirklichung  derselben  aber  unter- 
blieb1). Fortan  lag  aller  englisch-venetianische  Handel  in  den 
Händen  der  Engländer  und  einzelner  reicher  Venetianer  und 
sonstiger  Italiener;  aber  auch  diese  letzteren  sahen  ihren  di- 
recten  Handel  gehemmt,  als  Th.  Cromwell  die  uns  bekannte 
Schiffahrtsacte  schuf. 

Die  nothwendige  Folge  war,  dass  Licenzen  für  den  Export 
der  Wolle,  welche  noch  immer  ganz  im  Vordergrunde  stand, 
jetzt  noch  schwerer  zu  erhalten  waren ;  ja  Cromwell  wollte, 
seit  dem  venetianischen  Handel  die  durch  die  Galeeren  ge- 
gebene Einheit  fehlte3),  gar  nicht  mehr  mit  der  Signorie  dar- 
über pactiren,  sondern  nur  einzelnen  venetianischen  Kaufleuten 
das  Recht  verkaufen8),  und  die  venetianische  Regierung  hatte 
grosse  Mühe,  um  wenigstens  diese  Absicht  zu  vereiteln 4).  Im 
Uebrigen  war  natürlich  Venedig  jetzt  gezwungen,  die  früheren 
Ausnahme  -  Massregeln ,  die  beim  Stocken  der  Galeerenfal  rten 
erlassen  zu  werden  pflegten ,  mehr  und  mehr  zum  stäm  igen 
System  seiner  Handelspolitik  zu  machen  und  auf  diese  Weise 
wjder  seinen  Willen  selbst  noch  den  englischen  Handel  ins 
Mittelmeer  zu  befördern6). 

Zug  um  Zug  rissen  die  Engländer  den  Handel  an  sich, 
und  unter  Eduard  VI.  suchte  die  englische  Regierung  auch 
noch  die  berühmte  venetianische  Glasindustrie  auf  englischen 
Boden  zu  verpflanzen 6),  und  Elisabeth  nahm  schliesslich  durch 
Monopolisirung  des  Rosinenhandels  den  venetianischen  Kauf- 


>)  Brown,  Cal.  V.  281.    State  Papelrs  VÜI.    S.  698. 

*)  Ueber  die  lose  Organisation  des  venetianischen  Consulats  in  Lon- 
don vgl.  Brown,  Cal.  IV.  884. 

*)  Brown,  Cal.  V.  212. 

*)  Ueber  Verhandlungen  wegen  der  Wolle  in  den  40er  Jahren  vergl. 
Brown,  Cal.  V.  295.  316.  520.  Sehr  bitter  war  es  für  die  venetianische 
Regierung,  dass  der  Lohn  für  ihre  Bemühungen  häufig  gar  nicht  Venedig 
zukam.  Die  Kaufleute,  blos  von  ihrem  Gewinn  geleitet,  führten  sehr  oft  die 
Wolle  in  andere  italienische  Städte.  Da  die  Controle.  welche  die  Galeeren 
gewahrt  hatten,  nicht  mehr  existirte,  befahl  die  Signorie,  dass  jeder 
venetianische  Exporteur  im  Consulat  zu  London  seinen  Namen  eintrage, 
schwöre  und  Sicherheit  gebe,  die  Wolle  nur  nach  Venedig  bringen  zu 
wollen.    Brown,  Cal.  V.  211.  (1540). 

*)  Brown,  Cal.  V.  78.  85.  139.  210.  215.  260.  Im  Jahre  1540  Hess 
man  in  Anbetracht  des  geringen  Vorraths  fränkischer  Wolle,  des  „so  sehr 
geschmälerten,  dem  äussersten  Verfall  ausgesetzten"  venetianischen  Handels 
sowie  in  Anbetracht  der  vielen  Armen  sogar  das  Dritttheil  Frachtgeld ,  das 
an  das  Arsenal  zu  zahlen  war,  fallen;  ebenso  erleichterte  man  in  dieser 
Periode  die  Einfuhr  englischer  Tücher. 

•)  Vgl.  Brown,  Cal.  V.  574.  578.  648.  669.  Den  Anlass  scheint  eine 
Aussperrung  der  Arbeiter  in  Murano  durch  die  Fabrikanten  gegeben  m 
haben.  Es  gelang  Flandern  und  England,  die  dem  Hungertode  nahen  Ar- 
beiter zur  Auswanderung  zu  veranlassen.  Eduard  VI.  nahm  dieselben  in 
seinen  eigenen  Dienst.    Auf  Antrag  der  Fabrikanten  wurde  den  Ausgewan- 


—    168     — 

leuten  und  Schifffahrern  die  letzte  Stütze.  1586  weiss  die 
Signorie  bereits  nicht  mehr,  ob  überhaupt  noch  ein  venetiani- 
scher  Consul  in  London  existirt,  während  gleichzeitig  der  eng- 
lische in  Venedig  eine  grosse  Thätigkeit  entfaltete *). 

So  rasch  hatten  die  Tudors  ihr  Ziel  erreicht,  so  schnell 
war  die  einstige  über  ein  Jahrhundert  anhaltende  Pracht  des 
venetianischen  Handels  nach  England  verblüht.  Das  venetia- 
nische  Volk  hat  aber  die  Erinnerung  an  diese  herrliche  Zeit 
bewahrt.  Noch  heute  spielt  das  Marionettentheater  in  Venedig 
die  Geschichte  von  Bevis,  dem  Helden  von  Hampton2). 


Rückblick. 

Ein  ziemlich  in  sich  geschlossenes  Bild  bieten  die  Handels- 
beziehungen der  italienischen  Republiken  zu  England  dar,  so- 
weit sie  unsere  Aufgabe  berühren.  Versuchen  wir  uns  die 
Hai  ptzüge  des  Ganzen  nochmals  zu  vergegenwärtigen. 

Die  päpstlichen  Schätzungen  knüpfen  die  ersten  Fäden 
zwischen  der  einsamen  britischen  Insel  und  dem  blühenden 
Italien.  Die  Florentiner  Banquiers  machen  sich  heimisch  und 
organisiren  auch  den  englischen  Waarenhandel,  vermögen  aber 
nur  für  kurze  Zeit  die  Suprematie  zu  behaupten. 

Florenz  wird  bald  abgelöst  durch  Genua,  das  seine  Ver- 
bindungen im  Orient  und  später  selbst  die  Ursache  seiner 
Schwäche,  nämlich  die  Abhängigkeit  von  Frankreich  zu  be- 
nützen vermag,  um  die  Gunst  der  englischen  Könige  im  14ten 
Jahrhundert  sich  zu  erwerben  und  im  15ten  zu  bewahren. 

Aber  in  demselben  Masse,  als  die  venetianische  Seemacht 
in  dem  mittelländischen  Meere  die  genuesische  überflügelt  und 
immer  mehr  alle  für  die  südasiatischen  Producte  massgebenden 
Verkehrswege  und  Stapelplätze  beherrscht,  in  demselben  Masse 
kommt  Venedig  in  England  zu  commercieller  Geltung. 

Eduards  III.  Staatspolitik  gegen  Frankreich  wird  für  Ve- 
nedig ein  Förderungsmittel  und  hilft  ihm  die  ersten  schwierigen 
Anfänge  des  directen  Verkehrs  nach  England  überwinden;  die 
feste  staatliche  Organisation  der  Fahrten  gewährt  sofort  dem 
Unternehmen  die  nöthige  Stärke  und  Sicherheit.    Richard  IL 


derten  anter  Androhung  der  schrecklichsten  Strafe  befohlen,  zurückzukehren. 
E*  scheint  nicht,  dass  die  englische  Regierung  die  Venetianer  zurückhalten 
konnte.  Sonst  hätte  nicht  Camden  unter  Elisabeth  schreiben  können: 
„glassmakers  were  scant  in  the  land;  yet  one  there  is  as  I  do  widerstand 
in  Sussex  at  Cheddingfold." 

*)  Brown,  Cal.  L  Pref.  S.  LVn,  LX,  CLL  In  Betreff  des  Handels 
bis  zur  Zeit  der  Elisabeth  vgl  Brown,  Cal.  V.  322.  323;  731.  746.  902; 
359;  358;  831;  713.  714.  715. 

a)  Sebast.  Giustinian,  Four  years  at  the  court  of  Henry  Vlli. 
Dispatches  transl.  by  Brown.    IntrocL  S.  XV. 


—    169    — 

und  die  Könige  aus  dem  Hause  Lancaster  begünstigen  den  rasch 
aufblühenden  Handel  theils  wegen  der  Zölle,  die  von  den 
mit  grosser  Eegelmässigkeit  erscheinenden  Galeeren  reichlich 
fliessen,  theils  wegen  der  italienischen  Darleihen  und  Geschenke, 
theils  auch  mit  Rücksicht  auf  die  durch  die  Fahrten  in  ihren 
Interessen  geförderten  machthabenden  Lords. 

Mitten  in  den  Begünstigungen  taucht  aber  bereits  eine 
ernste  Reaction  aus  den  Kreisen  der  englischen  Bürger  (1441) 
auf,  die  nicht  wieder  erlischt.  Das  Haus  York  stellt  sich  an 
ihre  Spitze  und  die  Venetianer  mit  den  übrigen  Italienern 
sehen  sich  strengen  und  unfreundlichen  Massregeln  ausgesetzt. 
Gleichzeitig  wird  Italien  das  Streitobject  der  sich  consolidiren- 
den  Westmächte,  und  Venedig  ist  plötzlich  in  eine  höchst  ver- 
wickelte Politik  gezogen,  welche  die  Galeerenfahrten  ernstlich 
gefährdet 

Unter  diesen  Verhältnissen  gelangt  der  erste  Tudor  Hein- 
rich VH.  auf  den  Thron,  er  acceptirt  vollständig  die  Richard'sche 
Politik,  geht  weniger  schroff,  aber  sicherer  und  bedächtiger 
vorwärts.  Venedigs  Geduld  ist  nun  erschöpft,  es  greift  das 
Mark  der  Politik  des  Königs  an  und  verübt  einen  Schlag 
gegen  die  nur  langsam  sich  entwickelnde  englische  Schiffahrt 
im  Mittelmeer,  indem  es  durch  Zollerhöhung  die  Engländer 
vom  directen  Bezug  des  Malvasierweins  ausschliesst  und  so 
den  nördlichen  Schiffen  die  Grundbedingung  eines  gedeihlichen 
Handels  nimmt  Der  Plan  Heinrichs  VII.,  durch  Creirung 
eines  englischen  Wollmonopols  in  Pisa,  Venedig  zum  Nach- 
geben zu  zwingen,  gleichzeitig  dadurch  dem  englischen  Ver- 
kehr im  Mittelmeer  eine  breitere  Basis  zu  schaffen ,  misslingt. 
Venedig  fährt  fort,  den  englischen  Kauffahrern  direct  und  in- 
direct  jegliche  Weinfracht  zu  entziehen.  Heinrich  VH.  rächt 
sich,  indem  er  nun  auch  seinerseits  den  Zoll  auf  den  von 
Fremden  eingeführten  Malvasierwein  erhöht,  und  er  lässt  sich 
nicht  bewegen,  selbst  als  die  Venetianer  den  ihrigen  aufhoben, 
die  Zuschlagstaxe  wieder  ganz  zurückzunehmen.  Er  hält  an 
dem  Differenzialzoll  fest,  um  seinen  Unterthanen  die  Begrün- 
dnng  und  Ausdehnung  der  Schiffahrt  ins  Mittelmeer  zu  sichern 
und  zwingt  die  Venetianer,  auch  auf  den  Import  aus  den 
Niederlanden  nach  England  fortan  zu  verzichten. 

Unter  Heinrich  VIII.  verschlimmert  sich  die  Situation  des 
englischen  Verkehrs  für  Venedig  immer  mehr.  Neun  Jahre 
lang  gestatten  die  politischen  Complicationen  überhaupt  nicht, 
die  staatlichen  Handelsflottillen  nach  England  zu  schicken;  der 
englische  Markt  wird  ihnen  entfremdet,  Venedigs  grosse  Ab- 
hängigkeit von  England  in  Betreff  der  Wolle  wird  offenbar, 
gleichzeitig  erhält  durch  diese  Unterbrechung  die  englische 
Schiffahrt  einen  neuen  kräftigen  Impuls. 

1517  wird  von  Venedig  die  Absendung  neuer  Galeeren 
betrieben  und  nochmals  ein  ernster  Versuch  gemacht,  um  mit 


— ■    170    — 

Heinrich  VIII.  die  Weinzollfrage  zu  regeln.  Dieser  aber  stellt 
sich  ganz  auf  den  Boden  seines  Vaters  und  alle  Bemühungen 
des  gewandten  venetianischen  Gesandten  Giustinian  bleiben 
erfolglos.  Auch  die  Wiederankunft  der  Galeeren  wird  mit 
sehr  getheilter  Stimmung  aufgenommen  und  selbst  die  Regie- 
rung sieht  sich  zuletzt  in  ihren  Erwartungen  auf  eine  grosse 
Zoll  einnähme  getäuscht,  da  die  Venetianer  ihren  Import  nach 
den  Niederlanden  zu  richten  für  vorteilhafter  finden.  Eine 
dritte  Flottillenfahrt  (1521)  ist  von  einer  Summe  von  Leiden 
und  Qualen  begleitet.  England  benutzt  die  Galeeren,  um 
durch  ihre  Verfolgung  auf  Venedig  einen  politischen  Druck 
auszuüben. 

Wieder  bleiben  die  Expeditionen  neun  Jahre  unterbrochen, 
und  seit  Cromwell  und  Norfolk  die  Leitung  der  englischen 
Politik  erhalten,  schwindet  alle  Hoffnung,  die  Blüthe  des  ehe- 
maligen Verkehrs  nach  England  wieder  herzustellen.  Crom- 
well erkennt  Venedigs  unaufhaltbares  Sinken,  berücksichtigt 
die  Stimmen  der  einheimischen  Industriellen  und  Schiffer  und 
strebt  dahin,  durch  fortgesetzte  Schwierigkeiten  den  Venetianern 
die  Absendung  neuer  Galeeren  zu  verleiden  und  den  Handel 
ins  Mittelmeer  den  einheimischen  Kaufleuten  zuzuführen.  Die 
Flottillen  kommen  noch  1531,  1532  und  1533,  stellen  dann 
aber  ihre  Fahrten  für  immer  ein. 

Von  da  an  verschwindet  die  venetianische  Flagge  mehr 
und  mehr  aus  den  englischen  Gewässern;  nach  Verhältnisse 
massig  kurzer  Zeit  war  auch  die  von  Privaten  betriebene 
Schiffahrt  so  gemindert,  dass  nicht  einmal  ein  Gonsul  in  Lon- 
don mehr  nöthig  war. 

Es  sind  hauptsächlich  zwei  Gründe,  weshalb  Venedig  so 
leicht  und  vollständig  bei  Seite  geschoben  werden  konnte. 
Der  eine  liegt  in  der  allgemeinen  politischen  und  commerciellen 
Schwächung,  welche  durch  die  ständigen  höchst  erschöpfenden 
politischen  Verwickelungen  im  westlichen,  die  wachsende  Macht 
der  Türken  im  östlichen  Europa  und  die  gleichzeitige  Ent- 
deckung des  neuen  Seewegs  durch  die  Portugiesen  geschaffen 
wurde.  Das  allein  war  aber  nicht  entscheidend;  denn  auch 
trotz  dieser  trüben  Verhältnisse  wäre  Venedig  im  Stande  ge- 
wesen, dem  Handel  nach  England  reichen  Inhalt  zu  geben. 
Noch  boten  die  Länder  des  Mittelmeers  Stoffe  und  Producte 
genug,  um  einen  Import  nach  England  zu  ermöglichen  und 
die  Aufnahmefähigkeit  Venedigs  von  englischen  Rohstoffen  für 
die  eigene  Industrie  und  von  englischen  Manufacten  für  den 
Verschleiss  stand  ja  ohnehin  ausser  allem  Zweifel.  Aber  Eng- 
lands mächtige,  durch  die  verschiedensten  Momente  begünstigte 
Expansionskraft,  sowie  der  Umstand,  dass  die  rechtliche  Ord- 
nung des  venetianisch-englischen  Handels  trotz  seines  blühenden 
Zustandes  im  Mittelalter  nur  eine  einseitige  war,  wurden  aus- 
schlaggebend für  die  fast  spielend  vor  sich  gehende  Verdrängung 


-    171    — 

der  Venetianer  vom  englischen  Boden.  Zwischen  dem  Frei- 
staat und  England  hatte  sich,  weil  Venedig  den  mittelländisch- 
englischen Handel  so  lange  mit  fast  völligem  Ausschluss  der 
Engländer  führte,  kein  Vertrags-,  kein  auf  Gegenseitigkeit  be- 
ruhendes Verhältniss  gebildet,  die  mittelalterliche  Uebung  der 
Ertheilung  von  Privilegien  blieb  hier  erhalten.  England  war 
Mos  Geber,  Venedig  blos  Empfänger,  und  es  war  ganz  natür- 
lich, dass  England,  nachdem  es  erstarkt,  die  uneigennützige 
Geberrolle  aufgab  und  nun  auch  seinerseits  nur  allein  empfangen 
und  Vortheil  ziehen  wollte. 


Drittes  CapiteL 

England  und  die  Hansen. 


Die  handelspolitischen  Beziehungen  Englands  zur  deutschen 
Hanse  ähneln  in  mancher  Hinsicht  denen  Englands  zu  Venedig. 
Wie  das  Mittelmeer  von  den  Venetianern  beherrscht  wurde,  so  war 
die  Ostsee  die  Domäne  der  Hansen,  wie  Alexandria  die  Grund- 
lage des  venetianischen  Handels  bildete,  so  lag  der  Schwer- 
punkt des  hansischen  Verkehrs  zur  Zeit  seiner  Blüthe  in  "Now- 
gorod, wie  der  Ausschluss  der  Engländer  von  den  Mittelmeer- 
ländern genuesische  und  venetianische  Politik  war,  so  war  die 
Femhaltung  derselben  aus  der  Ostsee  hansische  Politik.  Wie 
für  die  Venetianer  es  wichtig  war,  den  Weg  nach  dem  Norden 
durch  kluges  Benehmen  gegenüber  den  Staaten  am  atlantischen 
Ocean  sich  zu  sichern,  so  war  der  hansische  Handel  abhängig 
von  der  Herrschaft  im  Sund.  Ebenso  waren  die  Ziele  der 
englischen  Politik  ungefähr  dieselben,  die  sie  gegenüber  Venedig 
verfolgte.  Wie  sie  die  Italiener  nach  zeitweiser  Begünstigung 
zu  beschränken,  dem  englischen  Kaufmann  ihre  Rolle  zuzuweisen 
und  ihm  den  Eintritt  ins  Mittelmeer  zu  erobern  sucht,  ebenso 
denkt  sie  daran,  die  Privilegien  der  Hansen  in  England  zu 
zertrümmern  und  der  englischen  Flagge  in  dem  östlichen 
Meere  grösseren  Raum  zu  verschaffen. 

Lässt  sich  in  dieser  Weise  eine  Parallele  zwischen  Venedig 
und  der  Hansa  ziehen,  so  fehlt  es  doch  auch  nicht  an  Ver- 
schiedenheiten. Die  den  Engländern  stammverwandten  Hansen 
wussten  frühzeitig  bei  der  einheimischen  Bevölkerung  und 
den  Königen  wirkliche  Sympathien  sich  zu  erwerben,  dem  eng- 
lischen Gemeinwesen  mehr  als  irgendwo  sich  zu  nähern l),  der 


x)  Lappenberg,  Urkundliche  Geschichte  des  hansischen  Stahlhofes 
zu  London.  1851.    S.  18. 


—     173     - 

Italiener  dagegen  war  dem  Engländer  immer  fremd  und  anti- 
pathisch  geblieben.  Der  deutsche  Handel  war  mehr  ehrlich 
und  schlicht,  der  italienische  mehr  auf  Ausbeutung  und  List 
gegründet.  Die  Hansen  vermochten  ihre  Rechte  scharf  aus- 
zubilden und  in  fast  ununterbrochener  Folge  zu  bewahren,  sie 
handelten  sehr  bald  gemeinsam,  hatten  einen  Bund,  wenn  auch 
keine  einige  Nation  hinter  sich,  die  Italiener  dagegen  besassen 
nur  vereinzelte  Rechte,  machten  unter  sich  gefährliche  Con- 
currenz  und  besassen  in  Folge  der  politischen  Zersplitterung 
keinen  festen  Zusammenschluss.  So  kommt  es  wohl,  dass  die 
Hansen  etwas  länger  als  die  Venetianer  auf  englischem  Boden 
schalten  und  walten  durften. 

Die  ersten  nachweisbaren  Beziehungen  der  Deutschen  zu 
England  gehen  bis  in  das  10.  Jahrhundert  zurück  *)  und  sind 
von  den  Bewohnern  der  zunächst  gelegenen  und  früh  ent- 
wickelten Küstengebieten  der  Nordsee  geschaffen  worden.  Vor 
Allen  gebührt  Köln,  dessen  Gemeinwesen  über  das  der  übrigen 
deutschen  Städte  sehr  bald  emporragte,  das  Verdienst,  den 
schwierigsten  Schritt  gethan,  die  Landsmannschaft  mit  der 
Gildehalle  in  England  fester  begründet  und  |den  Deutschen 
den  zum  Handel  nöthigen  Rechtszustand  auf  dem  fremden 
Boden  gesichert  zu  haben.  Die  übrigen  westfälischen  und 
deutschen  Städte  des  Nordseegebietes,  die  nach  England  han- 
delten, mussten  sich  Köln  unterordnen,  um  an  dessen  Frei- 
heiten in  England  zu  participiren. 

Das  Wesen  und  die  Hauptbedeutung  dieses  durch  die 
Städte  der  Nordsee  geschaffenen  Handels  lag  zum  Theil  in 
dem  directen  Austausch  der  beiderseitigen  Producte,  noch 
mehr  aber  in  der  von  den  Kölnern  und  ihren  Genossen  über- 
nommenen Vermittlung  des  Handels  zwischen  England  und  den 
niederländischen  Märkten,  endlich  in  dem  ausschliesslich  von  der 
deutschen  Genossenschaft  auf  Gotland,  an  welcher  Köln  und 
die  übrigen  Nordseestädte  ursprünglich  den  grössten  Antheil 
hatten,  beanspruchten  Verkehr  zwischen  der  West-  und  Ostsee. 

Im  Laufe  des  13.  Jahrhunderts  erhob  sich,  unterstüzt  vom 
deutschen  Kaiser,  gegen  die  ausschliessliche  Herrschaft  Kölns 
die  neu  aufgekommene  Ostseestadt  Lübeck.  26.  August  1238 
gestattet  Heinrich  HI.  den  Lübeckern,  England  zu  besuchen 2), 
1266  27.  Dezbr.  gewährt  er  ihnen  ein  grösseres  Privilegium 3) 

')  Ueber  die  ältesten  Beziehungen  der  Deutschen  zu  England  bis  zum 
Ende  des  13.  Jahrhunderts  vgl.  K.  Höhlbaum,  Hansisches  Urkundenbuch. 
Halle  1876.  Band  I.  und  dess.  Aufsatz  „Zur  Geschichte  der  deutschen 
Hanse  in  England"  in  den  Hansischen  Geschichtsbl.  1875.  S.  22—30:  ferner 
Koppmanna  Einleitung  zum  I.  Band  der  Hanserecesse  1870  S.  XXVI  fg.; 
auch  I).  Schäfer,  die  Hansestädte  und  König  Waldemar  von  Dänemark. 
Hansische  Geschichte  bis  1376.    Jena  1879.  S.  60  fg. 

*)  Höhlbaum,  Hans.  ürkb.  I.  Nr.  292. 

s)  Heinrich  UI.  verspricht,  dass  die  Lübecker  wegen  Schulden,  für  die 
sie  weder  Bürgen  noch  Hauptschuldner  sind,  nicht  inhaftirt  werden  sollen, 


—    174    - 

und  1267  Jon.  5.  das  Recht,  eine  eigene  Hansa  zu  bilden l). 
Das  Dazwischentreten  Lübecks  liess  im  Handel  eine  Scheidung 
eintreten.  Der  Verkehr  zwischen  Ost-  und  Westsee  ging  mehr 
und  mehr  in  die  Hände  der  Ostseestädte  über;  von  Gotland, 
später  mit  Beiseiteschiebung  Wisbys  direct  von  der  neuen 
Niederlassung  Nowgorod  aus  führen  sie  die  Producta  des 
Ostens  nach  England  und  Flandern  und  bringen  dafür  Pro- 
ducte  des  niederländischen  Marktes  und  englische  Manufacte 
und  Rohstoffe  nach  Osten  zurück.  Trotz  dieses  beginnenden 
Umschwungs  erfolgt  nicht  auch  eine  Trennung  der  Deutschen 
in  England«  Lübeck  im  Bunde  mit  Hamburg  gelingt  es,  den 
Vorrang  Kölns  daselbst  zu  brechen;  die  Sonderhansa. der  Kölner 
und  die  anderer  Städte  wurden  in  den  Hintergrund  gedrängt; 
mehr  und  mehr  Städte  schaaren  sich  unter  Lübecks  Banner, 
unter  seiner  Führung  schwingt  sich  gegen  Ende  des  13«  Jahr- 
hunderts in  England  die  „Hansa  Alamanniens"  empor8).  Da- 
mit war  ein  gemeinsamer,  fester  Vereinigungspunkt  gegeben 
und  der  bedenkliche  Gegensatz  zwischen  den  Städten  der  Ost- 
und  Westsee  wenigstens  nacji  Aussen  verdeckt.  Je  mehr  unter 
Lübecks  Einfluss  die  Hansa  im  14.  Jahrhundert  sich  consoli- 
dirte  und  ausbreitete,  eine  je  ansehnlichere  Macht  sie  den 
englischen  Königen  gegenüber  repräsentirte,  um  so  grössere 
Sicherheit  war  gegeben,  nicht  nur  Privilegien  zu  erhalten3), 
sondern  dieselben  auch  zu  bewahren. 

Die  fremdenfreundliche  Politik  der  Plantagenets  kam  ihren 
Wünschen  entgegen.  Von  weitaus  nachhaltigstem  Einfluss  war 
das  Eingreifen  Eduards  I.  Am  1.  Februar  1303  erliess  der 
König  die  bekannte  Charta  mercatoria,  durch  welche  er  den 
freien  Handel  der  Fremden  in  England  proclamirte4).  Indem 
es  von  allen  Fremden  nur  den  Hansen  gelang,  diese  Charte 
sich  dauernd  zu  sichern  und  über  zwei  Jahrhunderte  lang  die- 
selbe immer  von  Neuem  bestätigt  zu  erhalten,  ward  dieser 
ursprünglich  allgemeine  Freibrief  ein  wahrhaft  hanseatisches  Pri- 
vileg und  das  Fundament  des  hanseatisch-englischen  Handels 5). 

ausgenommen  den  Fall,  dass  die  zahlungsfähigen  Schuldner  ihrer  Stadt  an- 
gehören, oder  der  Rath  von  Lübeck  Engländern  das  Recht  verweigert;  ferner 
verspricht  der  König  wegen  Vergehen  ihrer  Diener  die  Waaren  und  Güter, 
welche  sie  als  die  ihrigen  auszuweisen  vermögen,  ihnen  nicht  zu  nehmen, 
a.  a.  0.  Nr.  635. 

*)  a.  a.  0.  Nr.  636.  Hamburg  erwarb  sich  dies  Recht  bereits  im  No- 
vember 1266.  a.  a.  0.  Nr.  636. 

*)  Für  das  Folgende  kommen  hauptsächlich  in  Betracht:  Sartorius, 
Urkundliche  Geschichte  des  Ursprungs  aer  deutschen  Hansa,  herausgegeben 
von  Lappenberg  2  Bd.  Hamburg  1830.  I.  S.  274  fg.,  ferner  die  Hanse- 
recesse  von  1256—1430,  herausg.  von  Koppmann  (publ.  bis  1400)  und 
von  1430—76  herausg.  von  Goswin  Freiherrn  von  der  Ropp  (publ.  bis 
1443),  endlich  HansischesUrkundenbuch  herausg.  von  Höhlbaum  1S79. 
Bd.  IL  1300—1842). 

8)  Vgl  besonders  Höhlbaum  a.  a.  0.  I.  902. 

4)  Ueber  die  Charte  Näheres  unten  im  3.  Capiel  des  II.  Abschn. 

*)  Aehnlich  eigneten  sich  die  Hanseaten  in  den  Niederlanden  einen 


-    175    — 

Eduard  II.  bestätigte  den  Hansen  den  erwähnten  Brief 
(1811)  und  fügte  noch  ein  neues  Privileg  hinzu,  indem  er  die 
ausschliessliche  Haftbarkeit  des  Hauptschuldners  und  seines 
Bürgen  statuirte  (1817)  *),  sowie  das  Maklerrecht  ihnen  er- 
theilte  (1316);  Eduard  III.  verwehrte  den  englischen  Bürgern, 
die  Rechte  der  Hansen  durch  städtische  Verordnungen  zu  ver- 
kQmmem  *). 

So  hatten  die  Hansen  eine  Reihe  von  Privilegien  sich 
verschafft,  auf  Grund  deren  ein  schwunghafter  blühender 
Handel  betrieben  werden  konnte. 

Unter  den  folgenden  Königen  hatten  sie  nur  dafür  zu 
sorgen,  dass  ihre  Rechte  immer  in  aller  Form  anerkannt  und 
ausgebaut  wurden.  Das  war  aber  eine  sehr  schwierige  Auf- 
gabe, da  mannichfache  Gefahren  ihrem  Besitze  erwuchsen.  In 
erster  Linie  war  es  die  Fiscalität  der  Könige  selbst.  Auf  die 
Zölle  als  auf  eine  Hauptfinanzquelle  angewiesen,  dachten  sie 
fortwährend  an  Erhöhung  derselben.  Schon  Eduard  HL  machte 
wiederholte  Versuche,  ihnen  neue  Lasten  aufzunöthen.  Noch 
in  den  ersten  Regierungsjahren  ,  führen  die  Hansen  darüber 
Klagen8).  1869  wollte  der  König  sie  zur  Zahlung  der  ihm 
vom  Parlament  bewilligten  Subsidie  veranlassen,  und  als  sie 
sich  dieser  Neuerung  weigerten  und  nur  eine  einmalige 
Pauschalsumme  von  100  Mark  Sterl.  gaben,  erhöhte  er  den 
in  der  Charta  mercatoria  festgesetzten  Zoll  von  3  d  per  jß 
Werth  auf  das  Doppelte  (1372).  Doch  gelang  es  den  hansi- 
schen Gesandten,  den  früheren  Schutz  und  die  Abgabenprivi- 
legien, wie  sie  König  Eduard  I.  den  Kaufleuten  der  deutschen 
Gildehalle  zu  London  ausgestellt  hatte,  wieder  zu  erwirken 
(1375).  Eine  härtere  Probe  hatten  die  Hansen  unter  Richard  U. 
zu  bestehen.  Noch  zu  Lebzeiten  Eduards  IH.  hatten  die  Hansen 
auf  Schonen  und  Norwegen  die  englischen  Kauf  leute  sehr  miss- 
handelt. Da  sie  den  bezüglichen  Beschwerden  der  Engländer 
kein  Gehör  schenkten,  so  wurden  ihre  Priviligien  durch  Parla- 
mentebeschluss  anerkannt  (1377).  Vier  Jahre  lang  mussten 
sie  sich  schwere  Abgaben  und  sonstige  Nachtheile  gefallen 
lassen4).  Einige  Zeit  blieb  der  Verkehr  ganz  unterbrochen. 
Obwohl  sie  1381  ihre  Privilegien  zurückerhielten ,  war  der 
dauernde  Besitz  derselben  doch  nichts  weniger  als  gesichert. 

allgemein  geltenden  brabantischen  Freiheitsbrief  von  1815  im  Laufe  der 
Zeit  als  Specialprivileg  an.  Sartorius,  Geschichte  des  hanseatischen 
Bandes  I.  S.  274 

')  Wie  dies  Recht  bereits  1844  and  1346  praktisch  wurde,  darüber 
▼gl  Sartorius,  Urk.  Gesch.  des  Ursprungs  der  Hansa  S.  802—804. 

*)  Vgl.  die  Massregeln  der  Burger  zu  Lynn  gegen  die  Hansen  1303. 
Sartorius,  Urkundenbuch  zur  Geschichte  des  Ursprungs  der  deutschen 
Hansa.  Nr.  CXIII.  Es  scheint,  als  ob  die  Lynner  ersfr^nach  Erlass  der 
Charta  mercatoria  dieses  Vorgehen  beliebten.  ^N. 

*)  Rot.  Pari.  II.    S.  46  Nr.  64.  1330.  \ 

4)  Vgl.  auch  Tr  atz  ig  er,  Chron.  der  Stadt  Hamburg  hsg.  voni^appen- 
berg.  S.  101.  ad  an.  1379. 


—    176    — 

Je  mehr  Schwierigkeiten  die  englischen  Kaufleute  bei  ihren 
Versuchen,  in  der  Ostsee  sich  festzusetzen,  begegneten,  um  so 
schwankender  war  der  Zustand  in  England.  Schon  1391  ge- 
währte der  König  die  Privilegien  wieder  nur  auf  zwei  Jahre. 
Aus  Verhandlungen  kam  man  nicht  heraus.  Aber  Richards  II. 
Nachfolger.  Heinrich  IV.,  erneuerte  ihre  Rechte1). 

Mittlerweile  war  ein  Gegner  entstanden,  die  Merchant 
adventurers,  welchen  die  Zollprivilegien  der  Hansen  noch  ver- 
liasster  als  den  Königen  waren.  Beeinträchtigt  durch  den 
Zwischenhandel  der  Hansen  zwischen  England  und  den  Nieder- 
landen, stellten  sie  den  Satz  auf,  dieselben  hätten  überhaupt 
kein  Recht  am  Zwischenhandel  oder  wenigstens  keine  Zoll- 
freiheiten für  diesen  zu  beanspruchen. 

Heinrich  IV.  trat  auf  die  Seite  der  englischen  Kaufleute, 
beschlagnahmte  (1411)  einige  Hanseschiffe  und  erklärte  sie 
nicht  herausgeben  zu  wollen,  bis  sie  für  alle  Waaren,  welche 
sie  „ad  partes  transmarinasu  verschifft,  nicht  nur  die  „custu- 
masu,  sondern  auch  die  „subsidia  et  deverias"  gezahlt  hätten-). 
Aber  der  Nachfolger,  Heinrich  V.,  in  seinen  französischen 
Kriegen  der  finanziellen  und  politischen  Unterstützung  der 
Hansestädte  benöthigt,  musste  ihnen  ihre  Rechte  wieder  be- 
stätigen (1413)  und  feierlich  für  sich  und  seine  Nachkommen 
versprechen,  keine  neue  Auflagen  ihnen  aufbürden  zu  wollen8). 

Die  Gefahren  waren  jedoch  nicht  beschworen.  Die  Be- 
drückungen des  die  Fahrten  in  die  Ostsee  betreibenden  eng- 
lischen Kaufmanns  durch  die  Hansen  waren  eine  unversiegliche 
Quelle  von  Differenzen.  Das  englische  Bürgerthum  wurde  zu- 
dem mächtiger  und  mächtiger  und  die  Zeiten  schwanden  immer 
mehr,  in  denen  die  Lords  und  die  Geistlichkeit  allein  das  ent- 
scheidende Wort  sprachen. 

Seit  1432  war  das  Verhältniss  ein  sehr  gespanntes4)  und 
unter  Eduard  IV.  wurde  ihre  Lage  bereits  bedrohlich.  EduardIV. 
war  der  Liebling  der  Londoner  und  holte  gerne  auf  deren 
^YUnsche.  Die  Merchant  adventurers  fanden  bei  ihm  eine 
kräftige  Stütze;  die  Hansen  mussten  sich  schwere  Schätzungen 
1 1 3  520  {£)  vom  königl.  Rath  gefallen  lassen,  und  bei  all  dem 
wurden  sie  nicht  gegen  die  Räubereien  der  Engländer  ge- 
schützt.   Da  kam  wie  so  oft  im  Norden  einer  jener  Momente, 

2)  Vgl.  die  Verhandlungen  hierüber  bei  Koppmann,  Hanserecesse 
lld.  IL  u.  III.  besonders  die  orientirende  Einleitung  zu  Bd.  IH.  S.  VII— X; 
auch  Häberlin,  Analecta  medii  aevi  Nürnberg  und  Leipzig  1764  S.  61 
biö  82;  ferner  R.  Pauli,  Zu  den  Verhandlungen  der  Hansa  mit  England 
(1404—1407)  in  den  Hans.  Geschichtsbl.  1877.  S.  125  fg. 

2)  Justus  Moser,  Patriot.  Phantas.  I.  S.  275. 

*)  Häberlin,  Analecta  Nr.  13.  S.  82-99.  Auf  dies  Versprechen 
i     uirirten  die  HanBen  noch  unter  Elisabeth. 

4)  Namentlich  mit  Rücksicht  aufDanzig.  Vgl.  Hirsch,  Handels-  und 
Gewerbegeschichte  Danzigs;  ferner  Sartorius,  Gesch.  des  hans.  Bundes 
und  T ratziger,  Chron.  der  Stadt  Hamburg  hsg.  von  Lappenberg  S.  172, 
178,  184,  204,  206,  207,  209. 


i 


—     177    — 

wo  die  Hansen  in  ihren  Händen  die  Königskrone  trugen.  Sie 
hatten,  als  Eduard  IV.  vertrieben  wurde,  zu  entscheiden,  ob 
Heinrich  VI.  den  Thron  behalten  oder  wieder  verlieren  sollte. 
Mit  seltenem  politischen  Scharfblick  vergassen  sie  der  Be- 
drückungen, die  ihnen  Eduard  IV.  als  König  zugefügt,  ver- 
schlossen sich  den  Bitten  der  Margaretha  von  Anjou  und 
führten  im  Verein  mit  den  Vlamen  und  Holländern  Eduard  IV. 
auf  den  Thron  zurück.  Sie  hatten  dem  germanischen  Element 
zum  Siege  verholfen;  denn  wäre  es  Heinrich  VI.  gelungen,  sich  auf 
dem  Thron  zu  erhalten ,  so  wäre  die  Abhängigkeit  Englands  vom 
Hause  Valois  besiegelt  gewesen,  und  nicht  nur  die  Niederlande 
wären  sehr  bedrängt  worden,  sondern  auch  der  vom  hansischen 
Kaufmann  geführte  Dreizack  wäre  wohl  an  die  romanischen 
Seemächte  übergegangen,  und  die  ganze  Entwicklung  des  west- 
europäischen Handels  wäre  eine  andere  geworden 1).  Sie  hatten 
sich  von  einer  schweren  Gefahr  befreit,  gleichzeitig  den  König 
zu  grossem  Danke  sich  verpflichtet. 

Unmöglich  konnte  Eduard  IV.  ihnen  die  endliche  Regelung 
der  vielen  seit  drei  Decennien  herangewachsenen  Beschwerden 
versagen.  Im  Bewusstsein  ihrer  Macht  und  geleisteten  Dienste 
waren  die  Hansen  sehr  hartnäckig  in  ihren  Forderungen,  und 
nur  schwer  gelang  es,  in  den  zahlreichen  Sitzungen  vom 
14.  Juli  bis  18.  September  1473  zu  Utrecht  wenigstens  die 
Grundlage  eines  Friedens  zu  vereinbaren2).  Freilich  waren 
diese  nicht  den  Wünschen  Eduards  gemäss  ausgefallen,  und 
viele  Punkte  wollte  er  abgeändert  wissen,  aber  die  letzte  end- 
gültige Weisung  des  Königs  an  seine  Commissäre  lautete  doch 
dahin,  mit  den  Hansen  nicht  zu  brechen,  sondern  lieber  nach- 
zugeben, wenn  es  anders  nicht  gehe3). 

Die  Hansen  wurden  nicht  nur  wieder  in  ihre  früheren 
Rechte  durch  Parlamentsbeschluss  eingesetzt4),  sondern  sie 
erhielten  durch  die  Vermittlung  Karls  des  Kühnen  von 
Burgund  auch  ihre  sonstigen  Wünsche  erfüllt.  Februar  1474 
ratificirte    Eduard   IV.    den    berühmten    Utrechter    Veitrag. 


J)  Pauli,  Die  Haltung  der  Hansestädte  in  den  Rosenkriegen;  Hansi- 
sche Geschichtsbl.  Jahrg.  1874.    S.  77—105. 

2)  Unter  Lord  Calthorpes  Mscrs.  befindet  sich  in  Vol.  VII.  P.  1 
foL  82-—114  ein  Tagebach  eines  der  englischen  Commissäre  über  den  Fort- 
gang der  beiderseitigen  Verhandlungen.  Die  vorgebrachten  Argumente  sind 
von  dem  Verfasser  sehr  gut  zusammengefasst,  so  dass  dieses  Tagebuch 
eine  äusserst  vollständige  Aufklärung  Über  den  englischen  und  hansischen 
Standpunkt  gibt  Der  definitive  Abschluss  des  Friedens  auf  Grund  der 
allgemeinen  Hauptzüge  sollte  im  December  erfolgen  (a.  a.  0.  fo.  113).  Der 
zweite  Congress  wurde  aber  erst  im  Januar  1474  abgehalten. 

*)  Das  Original  dieser  Instruction  ist  erhalten  im  Brit.  Mus.  Cot  ton 
M sc.  Nero  B.  IX.  Da  dasselbe  auf  kürzestem  Wege  über  die  Streitpunkte 
orientirt  und  die  englische  Auffassung  sehr  gut  charakterisirt,  so  ist  eine 
Abschrift  genommen  worden.    Urk.  Beil.  82. 

4)  1473.    Rot.  Pari.  VI.    S.  65  fg. 

Sclianz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  12 


—  178  — ; 

Ausser  einer  Reihe  von  Bestimmungen  zur  Wiederherstellung 
des  Friedens  und  der  Festsetzung  von  Entschädigungen  (Art.  1, 
2,  3,  9,  10)  enthält  dieser  Vertrag  nicht  nur  die  Anerkennung 
der  bisherigen  Rechte  und  Privilegien,  sondern  noch  mannich- 
fache  Erweiterungen  und  authentische  Erklärungen  derselben. 
Der  König  verspricht,  den  Wortlaut  der  hansischen  Frei- 
heiten in  allen  englischen  Häfen  publiciren  zu  lassen,  und  zwar 
so  oft  die  deutschen  Kaufleute  es  verlangen,  damit  den  Ein- 
griffen der  Behörden  begegnet  werde  (Art.  6) ;  die  sich  gegen 
die  Hansen  verfehlenden  Beamten  will  er  zur  Strafe  zieheu 
(Art.  7),  Die  Stadt  London  muss  alle  Freiheiten,  welche  von 
den  Hansekauf leuten  erworben  wurden,  sowie  alle  Verträge, 
welche  sie  mit  den  Königen  abgeschlossen  haben,  anerkennen, 
auch  wenn  manche  Privilegien  ihren  Freiheiten  widerstreiten 
(Art  12).  Wer  von  der  Association  der  Hanse  sich  trennt, 
gilt  dem  König  als  Fremder  (Art.  11).  Ausser  der  Gildhalle, 
welche  die  Deutschen  schon  länger  eigenthümlich  besassen, 
wurde  auch  der  Stahlhof  in  London  mit  allen  Pertinenzen  den 
Hansen  als  Eigenthum  zuerkannt1);  ebenso  der  Stahlhof  in 
Boston-,  und  auch  in  Lynn  soll  ihnen  ein  Haus  nahe  beim 
Wasser  zum  Gebrauch  und  ewigen  Besitz  angewiesen  werden; 
sie  sind  jedoch  verbunden,  alle  Lasten,  welche  zu  frommen 
Zwecken  auf  diesen  Gebäuden  haften,  zu  tragen  (Art.  8).  In 
allen  Rechtsfällen  (Capitalverbrechen  ausgenommen),  bei  denen 
die  Hansen  betheiligt  sind,  soll  der  König  zwei  oder  mehre 
Richter  bestimmen,  welche  ohne  alle  Formalitäten  sofort 
Recht  sprechen  sollen.  Die  Kauf-  und  Seeleute  der  Hansa 
sind  gänzlich  von  der  Jurisdiction  der  englischen  Admiralität 
und  anderer  englischen  Gerichtshöfe  befreit.  Aehnliche  Vor- 
kehrungen sollen  in  den  Hansestädten  getroffen  werden 
(Art.  5)2).  Falls  die  Hansen  triftige  Klagen  wegen  betrügeri- 
schen Wagens  oder  Tuchmessens  vorbringen,  soll  ihnen  ein 
eigener  Wäger  und  Tuchmesser  bestellt  werden  (Art  15).  Die 
Zollbehörden   müssen    die  Hansekaufleute   ohne  Verzug  ab- 


*)  Ueber  die  Modalitäten,  unter  welchen  die  Deutschen  das  Eigentums- 
recht haben  sollten,  vgl.  Rot.  Pari.  VI.  S.  123.  (1475). 

*)  Schon  frühzeitig  gestanden  die  Londoner  die  Ernennung  eines  Alder- 
manns  zur  Schlichtung  der  Streitigkeiten  zu.  In  einem  Vergleich  von  12b2 
heisst  es:  „Concesserunt  eciam  eisdem,  quod  habeant  aldermannum  suum, 

Srout  retroactis  temporibus  habuerunt,  ita  tarnen  quod  aldermannus  ille  sit 
e  libertate  civitatis  predicte,  et,  quociens  per  predictos  mercatores  electus 
fuerit,  majori  et  aldermannis  civitatis  presentetur  et  coram  eis  sacramentum 
faciat  rectum  et  jnsticiam  in  curiis  suis  quibuscumque  faciendi  et  se  habendi 
in  officio  suo,  prout  salvo  iure  et  consuetudine  civitatis  se  habere  debebit 
et  consuevit  Hans.  Höhlbaum,  Urkundenb.  Nr.  902.  Offenbar  wurde 
die  ausdrückliche  Anerkennung  dieses  ältesten  hansischen  Rechts  im 
Utrechter  Vertrage  verlangt,  vyil  die  Engländer  immer  dieses  Recht  miss- 
achteten. Wie  sich  noch  weiter  die  Hansekaufleute  gegen  die  englischen 
Gerichte  schützten,  darüber  vgl.  Art.  14  des  ütr.  Vertr. 


—    179    — 

fertigen,  auf  dass  sie  nicht  zum  Vortheile  der  englischen  Kauf- 
leute am  schnellen  Umsatz  ihrer  Waaren  gehindert  werden 
(Art.  16).  Die  Beschauer  dürfen  keine  ungegründeten  Hinder- 
nisse in  den  Weg  legen  (Art  17).  Wenn  sie  mit  ihren  Pelz- 
werken, kostbaren  Fellen  und  andern  Gütern  vom  Ufer  aus 
ins  Land  sich  begeben,  so  dürfen  sie  nicht  weiter  von  den 
Zöllnern,  auch  nicht  in  Canterbury,  Rochester  und  Gravesend 
belästigt  werden  (Art.  18).  Sie  werden  befreit  vom  „Prince 
money"  oder  „lufFkoep",  sowie  von  den  4  Pfennigen,  welche 
der  „Prikker"  abzuverlangen  pflegte  (Alt.  19).  Der  König 
soll  gegen  Mängel  in  der  Länge  und  Breite  der  Tücher  oder 
in  der  Qnalität  der  Wolle  einschreiten  (Art.  22).  Nach  ge- 
gebener Sicherheit  sollen  gesetzliche  Beschlagnahmungen  auf- 
gehoben, und  den  Kaufleuten  der  Hanse  gestattet  sein,  über 
ihre  Waaren  zu  verfügen  (Art.  28).  Das  Recht  des  Detailver- 
kaufs von  Rheinwein  wird  bestätigt,  auch  soll  der  Mayor 
keinen  Theil  ihres  Salzes  wie  bisher  beanspruchen  dürfen 
(Art.  24).  Schiffbrüchiges  Gut  muss  zurückerstattet  werden, 
wenn  ein  lebendes  Wesen  glücklich  das  Land  erreicht  (Art.  20). 
Ebenso  wird  eine  Parlamentsacte  15  Rieh.  II.  für  sie  bestätigt, 
wonach  dem  englichen  Admiral  keine  Jurisdiction  oder  Ent- 
scheidung zusteht  über  Menschen  oder  Sachen,  die  in  Folge 
eines  Unglücks  aus  dem  Schiffe  in  das  Meer  fallen  (Art.  21). 
Endlich  wird  ihnen  die  günstigste  Interpretation  der  bisherigen 
Verträge  und  Privilegien  zugesichert  (Art.  27). 

Man  sieht,  der  Vertrag  ist  ganz  einseitiger  Natur;  nur 
in  einem  Artikel  (4)  wird  auch  des  Handels  der  Engländer 
nach  Preussen  und  den  Hansestädten  gedacht,  aber  keineswegs 
die  in  diesem  Punkt  bestehende  Unklarheit  vollständig  be- 
seitigt. 

Dieser  grossartige  Sieg,  wie  er  sich  in  diesem  Vertrage 
kundgiebt,  ist  von  entscheidendem  Einfluss  gewesen.  Der 
Utrechter  Tractat  blieb  die  Basis  für  die  Folgezeit.  Fast  ein 
ganzes  Jahrhundert  war  noch  nöthig,  bis  dieser  Bau  zusammen- 
brach. Mit  ihm  hatten  die  Hansen  in  England  ihren  Höhe- 
punkt erreicht.  Langsam  und  sicher  haben  die  folgenden 
Jahrzehnte  fort  und  fort  genagt,  bis  die  Privilegien  zer- 
bröckelten und  von  den  Wogen  eines  nationalen  Lebens  fort- 
geschwemmt wurden. 

Grosse  Veränderungen  gingen  in  und  bei  dem  hansischen 
Bunde  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  vor  sich.  Ringsumher 
bildeten  sich  einheitsvolle  Gemeinwesen,  nur  die  Hansen  hatten 
es  versäumt,  dem  lockeren  Bunde  zu  richtiger  Zeit  eine  kräf- 
tigere Organisation  zu  geben.  Die  centrifagalen  Kräfte  nahmen 
überhand,  und  man  musste  es  erleben,  wie  in  grossen  und 
nichtigen  Angelegenheiten  einzelne  bedeutende  Glieder  ab- 
trünnig wurden.    England  vergass  es  nicht  mehr,  dass  es  ihm 

12* 


—    180    — 

in  den  Streitigkeiten  vor  dem  Utrechter  Vertrag  gelungen 
war,  Köln  auf  seine  Seite  zu  ziehen. 

War  nach  Aussen  die  Gemeinsamkeit  nicht  mehr  aufrecht 
zu  erhalten,  so  war  dies  noch  viel  weniger  nach  Innen  der 
Fall.  Seitdem  das  Reichskammergericht  (1495)  aufkam,  ent- 
zog sich  eine  Stadt  nach  der  andern  dem  Gericht  der  Hansen. 

Der  Geist  der  Gemeinsamkeit  begann  zu  weichen,  und 
damit  war  auch  der  Fall  der  Contore  zur  Notwendigkeit  ge- 
worden. Seit  der  grösseren  Rechtssicherheit  im  Auslande 
waren  sie  entbehrlich,  jede  Stadt  entledigte  sich  des  un- 
bequemen Zwangs  und  folgte  nur  ihrem  Interesse.  In  den 
früh  entwickelten  Niederlanden  war  das  Contor  zu  Brügge  in 
voller  Auflösung1)  und  auch  in  dem  prächtigen  Neubau  zu 
Antwerpen  hatten  sich  die  Hansen  nur  ein  Grabdenkmal  ge- 
setzt. Es  gelang  nicht  mehr,  die  Handelsgemeinschaft  mit  den 
Fremden,  namentlich  den  Niederländern  fem  zu  halten  *).  Die 
holländische  Flotte  begann  emporzublühen  und  der  hansischen 
in  der  Ostsee  eine  kühne  Concurrenz  zu  bereiten. 

Was  in  den  Niederlanden  die  Macht  der  öconomischen 
Verhältnisse,  das  vollführte  im  Osten  despotische  Gewalt. 
1478  verlor  Nowgorod  seine  Freiheit,  und  1494  wurden  &uch 
die  Besitzungen  der  hansischen  Factorei  daselbst  eingezogen. 
Wohl  suchten  die  Hansen  den  Handel  mit  Russland  über  Liv- 
land  zu  führen,  mussten  dabei  aber  mit  Schmerzen  erfahren, 
wie  die  preussischen  und  livländischen  Städte,  einst  ihre 
Bundesgenossen,  jetzt  sie  wie  Fremde  behandelten8). 

Diese  Niederlage  war  ein  unermesslicher  Verlust;  denn 
darauf  war  ja  der  ganze  hansische  Handelsbau  gegründet;  der 
östliche  und  westliche  Pfeiler  trugen  das  ganze  Gebäude. 
Feste  Säulen  in  der  Mitte  gab  es  nicht,  es  fehlte  der  Politik 
des  Bundes  die  kräftige  Stütze  eines  nationalen  Reichs,   es 


*)  1501  erklärten  auf  einer  Versammlung  der  sächsischen  und  wendi- 
schen Städte  die  ersteren,  dass  sie  ihre  Tücher  nicht  mehr  auf  das  Stapel 
zu  Brügge  bringen  wollten,  da  andere  Hansen  sich  auch  nicht  mehr  daran 
hielten.  1507  und  1511  sagte  Danzig  Aehnliches.  Sartorius,  Gesch.  des 
hans.  Bundes  HI.  S.  252.  Ein  Jahrzehnt  später  war  das  Contor  zu  Brügge 
so  missachtet,  dass  die  Niederländer  die  Zölle  bald  um  das  Drei-  bis  Fünf- 
fache steigern  konnten.    Sartorius  a.  a.  0.  DI.  S.  264.  291. 

2)  \iele  Niederländer  nisteten  sich  in  den  Hansestädten  ein.  weshalb 
die  Hanse  1497  verbot,  dass  fortan  Fremde  in  einer  Hansestadt  als  Bürger 
aufgenommen  oder  auf  den  Contoren  zum  Dienst  zugelassen  würden.  Fremde, 
die  bereits  in  einer  Hansestadt  ansässig  waren ,  sollten  jederzeit  auf  Ver- 
langen beweisen,  dass  sie  keine  Gemeinschaft  mit  einem  Fremden  hätten, 
bei  Verlust  des  Rechts  zum  Handel  in  der  betreffenden  Commune,  um- 
gekehrt verheiratheten  sich  viele  Hanseaten  nach  den  Niederlanden  und 
setzten  gleichwohl  ihre  Verbindungen  mit  den  Hansen  fort. 

s)  Zwar  gelang  es  der  Hansa  1582  nochmals,  in  Narwa  ein  Haupt- 
contor  zu  gründen;  aber  den  Alleinbesitz  des  in  Folge  gänzlicher  Zoll- 
treiheit  früher  so  gewinnreichen  russischen  Handels  konnte  sie  nicht  wieder 
erwerben. 


-     181     — 

fehlte  seinem  Handel  die  industrielle  Basis  eines  grossen 
Staates.  Das  Emporkommen  der  deutschen  Gewerbe  war 
dem  Bunde  gleichgültig;  er  nahm  die  Producta,  wo  er  sie 
fand,  ja  der  hansische  Zwischenhandel  verfolgte,  wenn  auch 
unbewusst,  das  Ziel,  die  Industrie  in  fremden  Ländern  zu 
befördern;  neben  dem  kaufmännischen  Interesse  kam  das 
national -industrielle  wenig  in  Betracht,  jedenfalls  blieb  die 
Weiterentwicklung  der  gewerblichen  Blttthe,  wie  sie  die  nord- 
deutschen Städte  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  auf- 
wiesen1), hinter  dem  Fortschreiten  des  Zwischenhandels  im 
15.  und  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  zurück.  Die  deutschen 
Städte  lieferten  zum  Export  vorwiegend  Bier  und  im  Westen 
Wein,  ausserdem  aus  dem  Innern  des  Landes  Leinwand8). 
Unter  den  sonstigen  Industriezweigen  war  die  Appretur  der 
in  der  Fremde  gekauften  Wolltücher  wohl  der  wichtigste3). 
Der  eigene  Fischfang  verlor  seine  Bedeutung,  als  gegen  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  der  Zughering  sich  in  die  Nordsee  und 
an  die  britischen  Küsten  zog4).  Unter  diesen  Umständen  be- 
greift man,  wie  verhängnissvoll  Nowgorods  Fall  sein  musste. 
Die  Hansen  fühlten  das  auch  nur  zu  gut,  und  mit  grosser 
Einsicht  gebrauchten  sie  den  Ausdruck,  dass  aus  diesem  Con- 
tore  „gleich  als  aus  einem  Brunnquelle  alle  übrigen  geflossen 
und  darauf  gegründet  gewesen" ß),  auch  gab  es  Gescheute 
genug,  die  später  meinten,  das  neue  Contor  zu  Antwerpen 
könne  nichts  nützen,  so  lange  Nowgorod  fehle *). 

Im  gegenüberliegenden  Norden,  in  Dänemark,  Schweden 
und  Norwegen  waren  die  Hansen  noch  ziemlich  stark,  hatten 
sie  es  ja  auch  hier  mit  eiserner  Gonsequenz ,  brutaler  Gewalt 
und  den  gefährlichsten  Mitteln  verstanden,  sich  zu  Herren  zu 
machen.  Aber  die  Reaction  begann  auch  hier  schon  sich  zu 
regen.  Bereits  Christoph  hatte  eine  dänische  Handelsgesell- 
schaft errichtet,  um  dem  Monopol  der  Hansen  entgegenzuwirken, 
und  Christian  I.  hob  zu  ihren  Gunsten  sogar  die  deutsche 
Handelsgesellschaft  1475  auf  und  suchte  durch  mancherlei  Be- 
stimmungen die  Dänen  zu  bevorzugen 7).    Ebenso  verbot  der 

x)  D.  Schäfer,  Die  Hansestädte  und  König  Waldemar  von  Dänemark, 
Hansische  Geschichte  bis  1876.    Jena  1879.    Gap.  VII,  bes.  S.  215  fg. 
*)  Sartori us,  Gesch.  des  hans.  Bundes  L  S.  317. 
*)  Sartorius  IL  a.  a.  0.    S.  721. 

4)  Wenn  auch  der  Hering  nach  Sartorius  (a.  a.  0.  IL  S.  418)  1487 
noch  nicht  vollständig  in  die  Westsee  gezogen  war,  so  fand  dies  doch 
mehr  und  mehr  im  15.  Jahrhundert  statt.  100  Jahre  später  schreibt 
Bonnus  in  seiner  Chronik:  „Anno  1588  im  Herbst  ist  ganz  kein  Hering 
auf  Schonen  gefangen  und  der  Kaufmann  hat  grossen  Schaden  dadurch  ge- 
litten, und  ist  kein  Zweifel,  dass  solche  grosse  Gnade  Gott  hinweg  genom- 
men hat  in  diesem  Jahr,  der  grossen  Sünde  und  Undankbarkeit  halben." 
Waitz,  Jürg.  Wullenwerer  III.  S.850. 

5)  Sartorius  a.  a.  0.  L  S.  197. 
')  Sartorius  a.  a.  0.  L  S.  203. 
')  Sartorius  a.  a.  0.  IL  S.  398. 


—    182  — 

schwedische  Reichsvorsteher  (1470),  fortan  die  Hansen  in  die 
Stadtbehörden  zu  wählen1).  Freilich  waren  diese  Massregeln 
nur  vorübergehender  Natur,  und  ein  grossartiges,  fast  tragisches 
politisches  Schauspiel  musste  sich  im  Laufe  des  nächsten  Jahr- 
hunderts noch  abspielen,  bis  auch  hier  die  nationale  Kraft  die 
Fremden  hinausdrängte.  Die  beginnende  Regung  allein  ist 
bemerkenswert!!  genug. 

So  lagen  die  Verhältnisse,  als  das  kraftvolle  Haus  der 
Tudors  zur  Regierung  gelangte.  Der  Antheil  des  englischen 
Aussenhandels,  der  in  den  Händen  der  Hansen  sich  befand, 
war  zwar  nicht  so  gross,  als  man  gewöhnlich  annimmt,  aber 
immer  noch  bedeutend  genug,  um  der  englischen  Regierung 
zu  denken  zu  geben.  22  Procent  des  Tuchexports,  97  Procent 
des  Wachsimports  und  nicht  ganz  7  Procent  der  übrigen 
Warenbewegung  trafen  auf  die  Hansen8).  Successive  hatten 
sie  ihren  Handel  ausgedehnt,  und  rascher  als  sonst  schien  er 
jetzt  zu  wachsen3).  Diese  Steigerung  war  gewiss  den  engli- 
schen Interessen  nach  vielen  Seiten  hin  nur  erwünscht.  Un- 
möglich aber  konnten  sich  der  hellsehende  Heinrich  VU.  und 
die  klugen  Minister  Heinrichs  VIII.  der  Frage  verschliessen, 
ob  man  eine  solche  auf  Kosten  der  Zollkasse  und  des  Handels 
der  einheimischen  Kaufleute  noch  begünstigen  dürfa  Die  Zoll- 
Privilegien  der  Hansen  gegenüber  den  Engländern  und  übrigen 
Fremden4)  waren  eine  Anomalie6),  die  um  so  unerträglicher 
ward,  je  mehr  der  Betrag  des  hansischen  Handels  sich  ver- 
grösserte.  Sobald  die  Regierung  zu  der  Ueberzeugung  ge- 
langte, dass  die  Entziehung  der  Privilegien  keinen  Rückschlag 
zur  Folge  haben  werde,  die  englischen  Kaufleute  vielmehr 
stark  genug  sein  würden,  um  den  bisher  von  den  Hansen  be- 
triebenen Handel  zu  bewältigen,  und  sobald  sie  sicher  sein 
konnte,  dass  der  hansische  Bund  zu  schwach  sei,  um  ihr 
Widerstand  zu  leisten,  war  die  Catastrophe  unvermeidlich. 
Diese  Ueberzeugung  gewann  während  der  Zeit  Heinrichs  VII. 
und  VIII.  in  der  That  mehr  und  mehr  an  Boden,  wie  die  fol- 
gende Darstellung  darthun  wird. 

Heinrich  Vü.  (1485-1509.) 

Sicherlich  kann  man  es  nicht  auffallend  finden,  wenn 
Heinrich  VIL  bald  nach  seiner  Thronbesteigung  den  Utrechter 


*)  Sartorius,  Geschichte  des  haus.  Bandes  IL  S.  426. 

*)  Bd.  IL  8.  27. 

s)Bd.II.    S.  18,  19. 

*)  Vgl.  Bd.  IL    8.  6,  7. 

5j  Sadermann  berechnete  1554  den  Gewinn,  den  die  Hansen  gegen- 
über ihren  Concurrenten  in  Folge  der  Zollfreiheiten  und  anderer  Vortheile 
hatten,  auf  61254  £  für  10  Monate.    Sartorius,  a.  a.  0.  III.    S.  334. 


—    183    — 

Vertrag  bestätigte  (29.  Juni  1486).  Das  Land  blutete  noch, 
es  musste  erst  wieder  beruhigt  werden  und  wieder  erstarken, 
der  Thron  war  noch  unsicher,  und  der  König  konnte  nicht 
wagen,  mit  der  Hansa  sogleich  offen  den  Kampf  zu  beginnen. 

Es  unterliegt  aber  keinem  Zweifel,  dass  er  nur  not- 
gedrungen die  Confirmation  der  Privilegien  vollzogen  hatte; 
auch  war  klar,  dass  er  keineswegs  den  Hansen  zu  Willen  sein 
werde,  wenn  er  mächtiger  geworden.  Hatte  er  sich  doch  nicht 
den  Versuch  versagen  können,  gleich  am  Anfang  seiner  Regierung 
die  Hansen  der  Subsidie  und  dem  hohem  Tuchzoll  zu  unter- 
werfen und  dadurch  einen  Process  hervorzurufen,  aus  dem 
freilich  —  vielleicht  durch  Geschenke  an  den  König  —  die 
Hansen  als  Sieger  hervorgingen1).  Liess  man  von  dieser 
offenen  und  klaren  Verletzung  der  hansischen  Privilegien  ab, 
so  wurde  doch  den  Hansen  auf  andere  Weise  ein  Schlag  nach 
dem  andern  versetzt. 

Wir  sind  hierüber  unterrichtet  namentlich  durch  die  Ver- 
handlungen des  Hansetags  zu  Lübeck  vom  Jahre  1487  *).  Der 
Kaufmann  zu  London  führt  bittere  Klage,  „wo  dat  se  dar- 
sulvest  tegen  ere  unde  recht,  tegen  ere  privilegia  unde  vry- 
hyde,  en  vorlenet  van  konynghen,  swarliken  unde  jamerliken 
overvallen  unde  vordrucket  werden"  und  die  Vertreter  von 
Köln  und  Danzig  waren  in  der  Lage,  die  Wahrheit  derselben 
vollauf  zu  bestätigen.  Vor  Allem  wurde  es  schwer  empfunden, 
dass  englische  Gesetze,  soweit  sie  nicht  gegen  die  Zollprivilegien 
verstiessen,  auch  auf  die  Hansen  angewendet  wurden.  Es  galt 
dies  namentlich  von  zwei  Parlamentsacten,  welche  schon  unter 
den  Vorgängern  zu  Stande  gekommen  waren,  aber  von  Hein- 
rich VH.  sanctionirt  und  verlängert  wurden;  die  eine  Acte 
verbot  die  Einfuhr  fertiger  Seidenwaaren,  die  andere  die  Aus- 
fuhr ungeschorner  Tücher.  Das  erstgenannte  Gesetz  war 
zwar  vorwiegend  gegen  die  Italiener  gerichtet,  traf  aber  auch 
sehr  empfindlich  die  Kölner  Seidenindustrie.  Man  drückte 
wohl  zuweilen  ein  Auge  zu,  wenn  die  Kölner  Seide  importirten, 
aber  sicher  waren  diese  nie  vor  den  königl.  Zollbeamten3). 

x)  Diese  Entscheidung  wurde  für  so  wichtig  gehalten,  dass  noch  während 
der  ganzen  Begierungszeit  Heinrichs  VIII.  von  den  Zollbeamten  auf  sie 
hingewiesen  wurde,  um  die  Befreiung  der  Harnien  von  der  Subsidie  und  dem 
höheren  TuchzoU  zu  rechtfertigen.  Die  stehende  Formel  in  den  Enrolled 
Accounts  of  Customs  lautet:  „. . .  d  de  subs.  non  redit  Der  processum  inde 
habitum  et'  consensu  baronum  annotatum  in  memoranais  nuius  scaccarü, 
videlicet  inter  Status  et  visus  compotorum  de  termino  sancti  Michaelis  anno 
secondo  nuper  regis  Henrici  rotulo  VII^o  ex  parte  remem.  thes." 

')  Für  das  Folgende  wurden  besonders  die  Beschwerden  des  deutschen 
Karfmanns  vom  Juni  1487  benutzt  (B.  A.  zu  Beval,  Stralsund,  Rostock. 
H&nserecesee  ed.  D.  Schafer).  Vgl.  auch  Köhler 'sehe  Sammlung  S.  236 
und  Urk.  Beil.  83. 

*)  1486  wurden  z.  B.  einem  Kölner  4  &.  Seidenwaaren  von  einem 
Zollbeamten  confiscirt  (Kölner  StA.  Acta  Anglic.  1434—1521  fo.  231). 
Später  kam  es  noch  häufiger  vor  (a.  a.  0.). 


—     184    — 

Das  andere  Gesetz  war  für  einen  grossem  Kreis  von  Hanse- 
städten von  Nachtheil.  Wie  die  Niederländer,  so  pflegten  auch 
viele  deutsche  Städte  das  Scheeren  und  die  Appretur  der  eng- 
lischen Tücher.  Diesen  wurde  somit  ein  Nahrungszweig  ent- 
zogen. Das  grosse  Scheergeld  vertheuerte  nicht  nur  die 
Tücher,  sondern  die  letzteren  wurden,  wie  die  Hansen  be- 
haupteten, auch  verdorben.  Viele  Tücher  hätten  nicht  die 
gehörige  Länge  und  Breite,  seien  unvollkommen  gemacht  und 
vertrügen  deshalb  das  Scheeren  nicht1).  Ueberhaupt  stand 
bei  den  Hansen  der  Glaube  fest,  dass  diese  Acte  nicht  zur 
Hebung  und  Vervollkommnung  der  englischen  Tuchmacherei 
und  zum  allgemeinen  Besten  gemacht  sei,  sondern  nur  um 
den  deutschen  Kaufmann  aus  England  zu  vertreiben  und  seiner 
Nahrung  zu  berauben.  Dies  schlössen  sie  namentlich  daraus, 
dass  die  englische  Regierung  keine  ernstliche  Anstalten  treffe, 
um  die  Verfertigung  schlechter  Tücher  zu  verhindern,  gleich- 
wohl aber  von  ihnen  den  Export  von  nur  gut  gearbeiteten 
und  geschorenen  Tüchern  verlange,  die  Tücher  erst  dann  con- 
fiscire,  wenn  sie  in  den  Besitz  der  Deutschen  übergegangen 
seien,  bei  den  englischen  Exporteuren  sehr  grosse  Nachsicht 
zeige,  indem  die  englischen  Kaufleute  in  Antwerpen  und  Bergen 
zufolge  ihrer  Privilegien  dem  Käufer  für  schlechtes  Tuch  keinen 
Ersatz  schuldig  wären2). 

Die  englische  Regierung  ging  noch  weiter.  Als  der  König 
mit  dem  Parlament  beschlossen  hatte,  dass  Weine  von  Gascogne 
und  Toulouser  Waid  nur  in  englischen  Schiffen  importirt  wer- 
den dürften,  dauerte  es  nicht  lange3),  als  man  auch  dieses 
Gesetz  bei  den  Hansen  zur  Anwendung  brachte.  Auch  sonst 
wusste  der  König  Mittel  und  Wege,  um  die  einheimischen 
Kaufleute  etwas  dafür,  zu  entschädigen  dass  die  Hansen  so 
grosse  Privilegien  besassen.  Wollten  die  Deutschen  ihre  Laken 
für  die  Antwerpener,  Bergener  oder  Frankfurter  Messe  ver- 
schiffen, so  liess  er  sie  anhalten  und  verschaffte  dadurch  den 


')  Aehnlich  lauteten  die  Ausführungen  der  Hansen  auf  der  Tagfahrt  zu 
Brügge  1491 :  „panni  infideliter  facti  non  hincelantur  et  sie  raduntur,  eumque 
posthumorem  sentiunt  contrahuntur  in  rugas,  nam  fila  non  sunt  ejusdem 
generis,  et  ideo  nostri  potius  solverent  peeuniam  de  non  radendo  quam  ra- 
dendo  etc."  (St.  A.  Danzig  XXVII.  Hanserecesse  ed.  D.  Schafer).  In  ihren 
Specialklagen  von  1491  führen  die  Hansen  an,  dass  sie  seit  1435  13  651  Tücher 
hätten  scheeren  lassen;  an  jedem  Stück  hätten  sie  2  sh  für  das  Scheeren 
und  wegen  schlechteren  Verkaufs  2  rhein.  Gulden,  in  Summa  5915  £  4  sh 
4  d  verloren  (Kölner  St  A.  Acta  Anglicana  1434—1521  fo.  235). 

l)  Vgl.  ürk.  Beil.  83. 

")  In  den  Klagen  des  Londoner  Kaufmanns  von  1487  ist  hievon  noch 
nichts  erwähnt,  obwohl  die  bezüglichen  Gesetze  aus  dem  Jahre  1485  und 
1487  stammen.  Die  erste  Confiscation  von  Gascogner  Wein,  den  die  Hansen 
importirten,  linde  ich  1490  verzeichnet  (Kölner  St  A.  Acta  Angl.  1434—1521 
fo.  232). 


—     185    — 

englischen  Exporteuren  nicht  nur  einen  bessern  Markt,  sondern 
erschütterte  auch  den  Credit  der  deutschen  Kauf  leute,  die  auf 
den  Messen  viele  eingegangene  Verpflichtungen  zu  lösen  ver- 
sprochen hatten.  Er  gab  den  Zollprivilegien  eine  bisher  nicht 
beliebte  Auslegung;  diese  sollten  nur  für  diejenigen  Waaren 
gelten,  die  hansischer  Herkunft  waren.  Man  stützte  sich  dabei 
auf  den  in  den  Eduard'schen  Privilegien  vorkommenden  Aus- 
druck „cum  mercandisis  suis"  und  suchte  auf  diese  Weise  die 
Bevorzugung  der  Hansen,  die  auch  bei  der  Einfuhr  von  Spe- 
cereien, holländischen  und  braban tischen  Leinentuchs  keine 
Subsidie,  sondern  nur  die  geringe  Costume  von  3  d  vom  £ 
Werth  zahlten,  zu  beschränken1).  Ueberhaupt  Hess  der  König 
eine  strengere  Controle  bei  der  Verzollung  gegenüber  den 
Hansen  eintreten.  Die  Zollbehörden  begnügten  sich  nicht 
mehr,  wie  bisher,  mit  dem  Eide  des  Kaufmanns  oder  der 
von  seinem  Stellvertreter  übergebenen  schriftlichen  Erklärung, 
sondern  gleich  nach  Ankunft  des  Schiffes  musste  noch 
ein  genau  specificirtes  Verzeichniss  übergeben  werden,  von 
dessen  Richtigkeit  der  Beamte  durch  Visitation  sich  über- 
zeugte. Ferner  taxirte  er  die  Güter  und  Waaren  noch  für 
sich  und  legte  diesen  Werth  bei  der  Zollberechnung  zu  Grunde, 
wodurch  der  Eid  der  Hansen  missachtet  wurde.  Auch  beschul- 
digten die  letzteren  die  Zollbehörden,  dass  sie  den  englischen 
Kaufleuten  mittheilten,  wie  viel  und  was  für  Waaren  die  Hansen 
gebracht  hätten,  damit  sie  sich  mit  ihrem  Einkauf  danach  ein- 
richteten. Bei  Zollklagen  zwang  der  König  sie,  vor  den  Barons 
of  Exchequer  zu  erscheinen,  während  kraft  ihrer  Privilegien  nur 
der  Lordkanzler  oder  der  königl.  Rath  der  zuständige  Richter 
sein  sollte.  Selbst  die  Bestimmung,  dass  Keiner  für  des  An- 
dern Missethat  haften  sollte,  dieser  „allerkostlikeste  puncte, 
dat  de  kopman  lieft  in  synen  Privilegien",  wurde  nicht  ge- 
halten, sondern  die  Stahlhofskauileute  mussten  für  den  Schaden, 
den  ein  Hanse  einem  Engländer  zugefügt,  in  ihrer  Gesammtheit 
einstehen. 


')  lieber  diese  Frage  wurde  fortan  auf  jedem  Congress  debattirt.  Der 
Ausdruck  kommt  im  Art.  1.  des  Privilegs  Eduards  III.  vor:  n—  veniant  cum 
mercandisis  suis  quibuscumque ,  de  muragio,  pontagio  et  pavagio  liberi  et 
quieti  etc.u  Dass  die  englische  Interpretation  falsch  ist,  unterliegt  keinem 
Zweifel;  wenigstens  konnte  von  Eduard  III.  dieser  Sinn  nicht  unterlegt 
werden;  denn  da  er  für  das  Privileg  eine  Zollerhöhung  von  den  fremden 
Kaufleuten  bewilligt  erhielt,  so  war  eine  der  spätenglischen  geradezu  ent- 
gegengesetzte Interpretation  in  seinem  Interesse.  Wenn  die  Absicht  zu 
Grunde  gelegen  hätte,  wie  sie  später  von  den  Engländern  in  Anspruch  ge- 
nommen wurde,  so  hätte  sich  Eduard  III.  anders  ausgedrückt,  etwa  so,  wie 
Heinrich  III.,  als  er  am  20.  März  1237  den  (deutschen)  Kaufleuten  von 
Gotland  Zoll-  und  Abgabenfreiheit  in  England  ertheilte  „de  rebus  et  mer- 
candisis suis,  quas  ducent  de  partibus  suis  in  Angliam,  quam  de  Ulis,  quas 
ernennt  in  Anglia  ducendas  versus  partes  suas."  Höhlbaum,  Hans, 
ürkundenbuch  L  S.  94. 


—    186    — 

Selbstverständlich  liess  auch  der  Londoner  Mayor  keine 
Gelegenheit  vorübergehen,  die  Hansen  zu  schädigen.  Waren 
es  doch  gerade  die  Londoner  Kauf  leute,  welche  die  Opposition 
gegen  den  deutschen  Kaufmann  leiteten  und  immer  schärfer 
ausprägten.  Der  Mayor  zwang  die  Hansen,  ihre  Heringe  in 
London  umzupacken,  und  zwar  soll  er  eine  Verpackung  an- 
geordnet haben,  die  ihnen  schädlich  war;  er  setzte  für  ihre 
Weine  und  ihr  Salz  niedrige  Preistaxen  fest  und  duldete  nicht 
höhere  Preise  zu  verlangen1),  er  liess  nicht  zu,  dass  sie  ihr 
Wagenschott  oder  Klappholz  ausserhalb  Londons  verkauften, 
sondern  zwang  sie,  dasselbe  in  London  zu  stapeln;  er  war 
säumig,  wenn  er  für  zu  verhaftende  Hansen  Bürgen  stellen 
sollte,  wie  dies  die  Privilegien  verlangten2). 

Nicht  viel  besser  erging  es  den  Hansen  in  andern  Städten. 
Die  Bürger  von  Hüll  z.  B.  legten  die  seit  lange  bestehende 
gesetzliche  Bestimmung,  wonach  der  Erlös  der  eingeführten 
Waaren  auf  den  Ankauf  englischer  Producte  verwendet  werden 
musste,  dahin  aus,  dass  die  in  Hüll  gewonnene  Einnahme  auch 
in  Hüll  zum  Einkauf  benützt  werden  müsste.  Nun  fanden 
aber  die  Hansen  nicht  das,  was  sie  brauchten,  in  Hüll,  nament- 
lich nicht  die  von  ihnen  gewünschten  Tuchsorten;  als  sie  sich 
deshalb  dieser  Bestimmung  weigerten,  wurden  ihre  Schiffe  und 
ihre  Waaren  in  Beschlag  genommen. 

Dazu  kamen  die  fortwährenden  Zwischenfälle  zur  See  und 
die  ständigen  Beraubungen.  Die  Stimmung  wurde  immer  feind- 
seliger. 


*)  1484  führte  ein  Kölner  4840  Bushel  Salz  nach  London.  Der 
Werth  des  Busheis  war  nach  Angabe  der  Hansen  16  d,  die  Taxe  aber  12  <L 
Da  der  Kölner  sein  Salz  so  nicht  abgeben  wollte  und  bald  darauf 
grosser  Salzüberfluss  eintrat,  sah  sich  der  Kaufmann  schliesslich  genöthigt, 
sein  Salz  zu  6  d  per  B.  abzulassen;  ein  anderer  Fall  wird  aus  dem 
Jahre  1486  registrirt  üeber  die  Weintaxe  beklagte  sich  H.  Rink  1488. 
Er  hatte  80  Tonnen  (vasa)  Rheinwein  eingeführt  Der  Mayor  setzte  die 
Taxe  auf  10  d  von  einer  Gallone  fest.  Die  Hansen  behaupteten,  zu  diesem 
Preis  nicht  ohne  Schaden  verkaufen  zu  können,  Der  Mayor  liess  4  Keller 
bauen,  in  welchen  die  Weine  aufbewahrt  werden  mussten.  Zehn  Tage  lang 
gestattete  er  den  Hansen  keinen  Zutritt;  da  sie  nicht  nachfüllen  konnten, 
so  drohte  der  Wein  schlecht  zu  werden.  Nur  einer  dem  König  und  Par- 
lament eingereichten  Klage  hatten  die  Hansen  es  'zu  danken,  wenn  der 
Mayor  nicht  ihre  Fasser  einschlug  und  den  Wein  als  verdorben  ans- 
goss.  Inzwischen  war  aber  die  Flotte  von  Bordeaux  gekommen  und  der 
Preis  gesunken.  (Klagen  der  Hansen  1491.  Kölner  St  A.  Acta  Anglic 
484-1521  fo.  235  u.  286.) 

8)  „want  de  sardianten  van  Lunden  unde  ander  officio«,  wan  se  enen 
Engelsman  arresteren  sullen  van  des  copmans  wegen,  so  maken  se  deme 
konmanne  wys,  dat  se  gude  borgen  davor  hebben,  unde  hebben  es  nochtan 
nicht  ,|  unde  wan  men  dat  vervolget  tegen  de  sardianten  na  dem  rechte 
van  Londen,  so  en  kan  de  kopman  geyn  recht  krigen,  dardorch  de  copman 

f  roten  schaden  lydet  gelick  nu  kortes  noch  gescheen  ys  twysschen  eynen 
opmanne  van  Colne  genant  Henna  Rynk  unde  eneme  Engelsman  genant 
Daniel,  de  fyrgreven  was  van  Londen.  a.  a.  0.u 


—    187    — 

Als  im  Jahre  1487  in  Folge  des  Beschlusses  der  Städte 
Lübeck  dem  König,  Parlament  und  der  Stadt  London  die  Be- 
schwerden mitgetheilt  hatte  *),  erklärte  der  König  sich  bereit, 
einen  Congress  behufs  Beilegung  der  Z wistigkeiten  zu  beschicken. 
Damals  wurde  das  Anerbieten  von  Lübeck  ausgeschlagen8). 
Aber  Heinrich  VII.  Hess  nicht  ab,  denn  sein  Plan  war,  auf 
einem  solchen  Congress  den  Hansen  einige  Goncessionen  ab- 
zudrängen. Mit  gesundem  Blick  hatte  er  erkannt,  auf  welchem 
Wege  den  Hansen  beizukommen  sei.  Während  er  fortfuhr, 
die  deutschen  Kaufleute  zu  bedrücken,  hatte  er  versucht,  den 
Dänen  sich  zu  nahem,  und  es  war  ihm  auch  gelungen,  einen 
Freundschafts-  und  äusserst  günstigen  Handelsvertrag  mit  der 
dänischen  Regierung  abzuschliessen 3).  Hier  lag  die  empfind- 
lichste Stelle  für  die  hansische  Macht,  „der  bedrohlichste  Punct 
im  ganzen  Geflecht  hansischen  Verkehrs."  Gewiss  wäre  es 
dem  König  am  erwünchtesten  gewesen,  wenn  er  unmittelbar 
nach  oder  noch  während  der  Verhandlungen  mit  Dänemark 
eine  Tagfahrt  mit  den  Hansen  zu  Stande  gebracht  hätte;  er 
erneuerte  deshalb  auch  am  18.  März  1489  seine  Bitte4)  an 
die  Hansen,  einen  Congress  zu  beschicken.  Diese  gingen  aber 
nicht  unmittelbar  darauf  ein,  sondern  agitirten  in  Island  und 
Dänemark,  so  sehr  sie  vermochten;  gegen  die  Engländer.  Die 
Folge  war,  dass  die  Erbitterung  gegen  den  deutschen  Kauf- 
mann eine  ausserordentlich  heftige  wurde;  auf  der  See  sahen 
sich  die  Hansen  schwer  verfolgt,  und  in  London  durften  sie 
sich  im  Sommer  1490  kaum  auf  den  Strassen  sehen  lassen5). 
Der  Zustand  glich  mehr  dem  Kriege  als  dem  Frieden.  Die 
Schadenssummen,welche  die  Engländer  wie  die  Hansen  vorrechnen 
konnten,  waren  sehr  beträchtliche,  die  Klagen  der  Geschädigten 
wurden  immer  lauter.  Eine  gemeinsame  Tagfahrt  war  unaus- 
bleiblich geworden 6).  Dieselbe  wurde  auf  den  1.  Mai  1491 
anberaumt.    Heinrich  VH.  ernannte 7)  zu  seinen  Unterhändlern 


*)  Köln  liess  noch  eine  besondere  Beschwerdeschrift  übergeben  (Das 
Londoner  Contor  an  Köln  14.  Jan.  1487.    Kölner  St.  AX 

*)  Wein  reich,  Danziger  Chronik  ed.  Hirsch  S.  78  Anm. 

*)  Yd.  nächstes  Capitel. 

*)  weinreich,  Danziger  Chronik  S.  73  Anm. 

")  „Item  diesen  sommer  hatten  die  englischen  unserm  kofman  in  der 
sehe  grossen  schaden  gethon,  vnd  dem  kofman  war  nicht  al  velich  zu 
wanken  in  landen  auf  der  Strossen".  Weinreich,  Danziger  Chronik  ad 
an.  1490.    S.  68. 

6)  Tratziser,  Chronika  der  Stadt  Hamburg  hsg.  von  Lappenberg 
(1865)  8.  240,  cnarakterisirt  die  Veranlassung  kurz  folgendermassen:  „Die 
ursacn  dieser  tagleistunge  war  diese,  daz  sich  der  teutsche  kaufman  viel- 
fältiger beschedigunge,  die  inen  auf  der  sehe  von  den  Englischen  zugefuget, 
item  daz  inen  ire  privilegia  und  ireiheit  im  reiche  Engelaut  entzogen  wurden, 
beklageten;  darkegen  wendeten  die  Englischen  für,  daz  sie  merklichen  von 
den  Denen  beraubt  und  beschediget,  mit  welchen  die  stette  eine  heimliche 
verotentnus  hatten/ 

*)  Kymer  XIL  S.  441. 


—     188     — 

den  später  als  Bischof  von  London,  Siegelbewahrer  und  Lord- 
kanzler bekannt  gewordenen  W.  Warham,  ausserdem  Edm. 
Martyn,  Rieh.  Yorke  und  Wilh.  Rosse,  von  Seiten  der  Hansa 
dagegen  erschienen  nicht  weniger  als  26  Deputirte1)  in  Ant- 
werpen. 

Auch  jetzt  wieder  versäumte  Heinrich  VII.  nicht,  mit  der 
Möglichkeit  eines  engeren  Bündnisses  mit  Dänemark  zu  drohen. 
Die  Verhandlungen  mit  dem  letzteren  waren  nicht  lange 
vor  dem  Termin  der  Tagfahrt  wieder  aufgenommen  worden2), 
und  der  König  scheute  sich  nicht,  die  hansischen  Abgesandten 
vier  Wochen  lang  in  Antwerpen  auf  die  englischen  Bevoll- 
mächtigten warten  zu  lassen,  bis  er  Antwort  aus  Dänemark 
erhalten  hatte.  Selbstverständlich  drang  die  Kunde  von  diesen 
Schachztigen  des  Königs  auch  nach  Antwerpen3),  und  die 
Hansen  mussten  den  Gerüchten  um  so  mehr  Glauben  bei- 
messen, als  die  von  dem  König  und  die  von  seinen  Bevoll- 
mächtigten gegebenen  Entschuldigungsgründe  sich  wider- 
sprachen. Die  hansischen  Deputirten  sahen  denn  auch  ein, 
dass  unter  diesen  Verhältnissen  jedes  schroffe  Auftreten  ver-  | 
mieden  und  ein  versöhnlicher  Ton  angeschlagen  werden  müsse. 
Die  Lübecker,   welche   durch   die  dänischen  Angelegenheiten 


*)  Aus  Lübeck  der  Bürgermeister  Herrn.  Wickede  und  Rath  Th.  Horse 
mit  den  beiden  Secretären  Alb.  Erantz  und  Joh.  Bersenbrugge;  aus  Köln 
Bürgermeister  Tydemann  van  Segen,  Dr.  J.  Bare,  gewöhnlich  vastrart  oder 
Fastiardi  genannt,  die  Rathsherren  Ger.  van  Wesel,  Joh.  van  Straelen,  der 
Secretär  H.  v.  Duyts;  ans  Hamburg  der  Bürgermeister  Dr.  Herrn.  Lange- 
becke,  der  Rathsherr  D.  Bremer  und  der  Secretär  Renistede ;  aus  Danzig 
Bürgermstr.  Heinr.  Falk,  Rathsherr  G.  Mauth  mit  Secr.  F.  Neve;  aus 
Münster  der  Bürgermeister  Ev.  Bispvng  mit  dem  Secretär  Joh.  Eakesleke; 
aus  Deventer  der  Bürgermeister  Wilh.  van  Sweten  mit  dem  Secretär 
St.  Irwirdt:  ausserdem  waren  zugegen  drei  vom  Brüggeschen  und  4  Kauf- 
leute vom  Londoner  Contor.  (Kölner  Stadtarchiv.  ActaAngl.  1434 — 1521 
fo.  145.) 

9)In  Weinreichs  Danziger  Chronik  heisst  es  S.  74  beim  Jahre 
1491:  „Item  zu  derselben  zeit,  do  die  englischen  sendtbotten  sich  mit  dem 
konige  von  denmarken  vereinigten,  do  war  ein  sagen,  das  der  englische 
sendtbotte  im  gelobte  12  schiffe  von  orley  in  die  ostsehe  zu  hülfe  kegen 
die  stedte  vnd  auch  etlich  volk  zu  hulffe.  Item  zu  derselbigen  zeit,  do  der 
englische  sentbote  sich  mit  dem  hern  konige  von  denmark  vergleichte,  so 
sigelten  sie  wider  in  engelandt;  do  sante  mit  inen  der  konig  von  denmark 
einen  von  seinen  Schreibern,  meister  laurentium  an  den  konig  von  engelandt 
mit  brifen  vnd  auch  an  schotlandt,  vnd  was  es  ynen  hildt,  das  wüste  nie- 
mands." 

s)  In  dem  Deventer  Bericht  über  die  Tagfahrt  zu  Antwerpen  1491 
(St  A.  Deventer  Nr.  1127.  Hanserecesse  ed.  D.  Schafer)  heisst  es:  „Quidam 
vaga  relacione  dixerunt  vel  saltem  presumpserunt,  quod  rex  Anglie  haberet 
suos  ambasiatores  ad  regem  Dacie,  et  ideo  presumptio  eorum  esset,  quod 
prirao  rex  Anglie  expeetaret  responsum  a  rege  Dacie  antequam  mitteret 
suos  nuncios  et  oratores.  Quidam  putabant  delacionem  seu  protractionem 
hujusmodi  ex  nimia  superbia  Angiicorum  esse,  alii  quidem  auaierunt,  quod 
essent  Calicie,  sed  quidquam  sit,  expeetatio  eorundem  dominis  de  Hanza 
fuit  nimis  tediosa  et  gravis  in  sumptibus." 


—    189    — 

zunächst  berührt  waren,  und  auch  stets  das  allgemeine  In- 
teresse im  Auge  behielten,  waren  besonders  bemüht,  einen 
Brach  mit  den  Engländern  zu  vermeiden. 

Die  Engländer  erzielten  denn  in  der  That  einen  diploma- 
tischen Eifolg.  Hinsichtlich  der  Entschädigungsfrage  banden 
sie  sich  nicht  im  Mindesten  die  Hände,  sondern  nahmen  nur 
eine  Reihe  von  Artikeln  ad  referendum *),  so  dass  die  Hansen 
ganz  im  Ungewissen  blieben,  was  schliesslich  der  König  thun 
werde,  in  Betreff  der  Privilegien  Hessen  sie  zwar  die  dolose 
Interpretation  von  den  Worten  „suae  mercesu  fallen,  dafür 
mussten  aber  die  Hansen  den  englischen  Kaufleuten  dem 
Wortlaut  des  Utrechter  Vertrags  entsprechend  in  ihren  Städten 
die  Freiheit,  mit  Jedwedem  zu  handeln,  ausdrücklich  zugestehen, 
und  selbst  Danzig  wenigstens  einige  Concessionen  machen2). 
Im  Uebrigen  blieb  der  Status  quo  erhalten.  Erst  am  darauf- 
folgenden 1.  Mai  sollten  endgültige  Beschlüsse  gefasst  werden3). 
Die  zahlreichen  Beschwerden  des  deutschen  Kaufmanns  in 
London  fanden  zunächst  keine  Erledigung. 

Die  Unterhandlungen  der  englischen  Regierung  mit  den 
Dänen  dauerten  in  der  Zwischenzeit  fort;  die  letzteren  ver- 
säumten Nichts,  um  den  englischen  König  über  die  Hansa  auf- 
zuklären, wenn  es  überhaupt  dessen  bedurfte,  und  England  zu 
einem  Vorgehen  gegen  die  Städte  zu  bewegen 4).  Die  Tagfahrt 
im  Frühjahr  1492  hätte  eher  noch  eine  günstigere  politische 
Constellation  hinter  sich  gehabt,  als  die  von  1491,  wenn  nicht 
der  Prätendent  Warbeck  damals  den  König  in  Unruhe  versetzt 
hätte.  Heinrich  VH.  zog  vor,  die  Verlängerung  des  provisori- 
schen Zustandes  auf  ein  Jahr  vorzuschlagen,  worauf  die  Hansen 
sowohl  wegen  der  dänischen  Verhältnisse  als  wegen  der  ein- 
getretenen Erhöhung  des  Zolls  für   englisches  Tuch  in   den 

*)  Kölner  Stadtarchiv.  Acta  Angl.  1434—1521  fo.  147  fg.  Der  In- 
halt derselben  auch  kurz  angegeben  in  der  Köhler' sehen  Sammlung 
S.  238,  239. 

s)  Vgl.  den  letzten  Tbeil  dieses  Gapitels. 

3)  ürk.  Beil.  84. 

*)  Zu  den  denkwürdigsten  Zeugnissen  über  ihre  Machinationen  gehört 
ein  anonymer  an  Lübeck  aus  England  gerichteter  Brief  v.  3.  Sept.  1492, 
worin  es  heisst:  „Item  tydinge  is  so,  dat  hyn  synt  gewest  sendebaden  vt 
dennemareken,  als  de  kanseler  vn  j  doctor  mit  enen  anderen  eddelen  manne 
vn  hebben  hyr  gelegen  vmme  trent  VIII  wecken  vn  er  werff  js  gewest 
pryncipael,  dat  de  koninck  van  dennemareken  begeren  js  van  deme  koninge 
van  engelant,  dat  he  syck  myt  em  vorbynden  solde  jn  eyn  vast  vorbünt  opp 
de  stede  van  der  hense  vn  se  hebben  nyrmyt  alle  grote  schendelvke  sake 
jngebracht  ouer  de  stede,  dat  also  nicht  to  schryuende  js.  se  hebben  hyr 
gudt  rundt  gesecht,  dat  jd  dem  konninge  to  dennemareken  ser  vorwundert, 
dat  de  her  koninck  van  engelant  den  steden  alsülke  prevylege  gyfft  jn  synen 
rycke,  dat  he  anderen  heren  groten  schaden  mede  doet,  dat  de  stede  dar 
aso  mede  gestereket  werden  vn  setten  syck  tegen  or  eygen  heren  vn  vortmer 
seggende,  dat  de  stede  van  der  hensse  nicht  so  grote  macht  hebben,  so  en 
wert  togelecht,  darum  me  dat  en  alsolke  prevelgye  solde  geuen ;  vn  ock  als 
van  den  orloghe  dat  lest  tuschen  der  kröne  van  engelant  vn  den  steden 


—    190    — 

Niederlanden  gerne  eingingen 1).  Die  Verwicklung  Englands  mit 
den  letzteren  hatte,  wie  wir  wissen  *),  im  Jahre  1493  den  An- 
griff der  Londoner  Lehrlinge  auf  den  Stahlhof  zum  Gefolge, 
den  Hansen  wurde  der  Tuchexport  nach  den  Niederlanden 
verboten,  sie  mussten  zur  Sicherung  Obligationen  ausstellen, 
die  sie  zahlen  sollten,  wenn  sie  das  Verbot  überträten8).  Die 
Verhandlungen,  die  Dr.  Albert  Krantz  im  Auftrag  der  Hanse 
1494  führte,  hatten  kein  weiteres  Resultat,  als  eine  abermalige 
Verlängerung  des  provisorischen  Zustandes  um  zwei  Jahre4). 

Die  Lage  der  Hansen  in  England  war  in  dieser  Zwischen- 
zeit nichts  weniger  als  erfreulich.  Die  Bedrückungen,  über 
die  sie  früher  geklagt  hatten,  wurden  fortgesetzt,  indem  man 
die  Worte  des  letzten  Uebereinkommens ,  wonach  der  Status 
quo  erhalten  bleiben  sollte,  dahin  auslegte,  dass  die  angefan- 
genen Angriffe  gegen  die  hansischen  Privilegien  fortzusetzen 
seien5).  Zu  den  früheren  Beschwerden  der  Hansen  hatten 
sich  noch  neue  gesellt 6).  Gleichzeitig  war  ein  Streit  zwischen 
der  Hansa  und  der  Stadt  London  ausgebrochen 7). 

Die  Vorstellungen  beim  königl.  Rathe  hatten  keinen  Er- 
folg8).   Ein  Congress  schien  immer  notwendiger  zu  werden. 


was,  dat  dat  nicht  geforet  en  wort  by  den  steden  opp  engelant  sonder  by 
hülpe  des  koninghes  van  dennemareken,  den  de  sbepe  tohorden,  dar  de 
schade  mede  gedaen  wart  Merket  dyt  wol,  war  dyt  spyl  nennen  wyl.  vn 
wat  dat  jnne  heilt,  vn  latet  dyt  by  jw;  Sünder  ghi  mögen  dyt  vormelden 
dar  dat  hört  to  vormelden,  de  coppmann  wert  dat  der  stat  van  lubke  vor» 
wytt  lyken.  De  deynen  syn  van  hyr  gereset  na  schoüant  vn  de  doctor  js 
by  wegen  gestoruen,  aldns  de  kenseler  wert  wedder  hyr  komen;  se  hebben 
noch  geyn  antwort;  de  almechtige  got  sende  den  steden  eyndracht  Wes 
jk  hyr  schryue  js  der  warheyt  vn  gen  fabel."  Wein  reich,  Danziger 
Chronik  ed.  Hirsch  S.  74.  Anm.  6. 

a)  Weinreich,  Danziger  Chronik  S. 78;  Ennen,  Geschichte  der  Stadt 
Köln  m.    S.  719. 

*)  Vgl.  oben  S.  18. 

*)  Vgl.  Urk.  BeiL  85.  Diese  Recognicio  wurde  für  die  Folgezeit 
sehr  wichtig,  weil  die  Merchant  adventorers  unter  Eduard  VT.  und  unter 
Elisabeth  dieselbe  benutzten,  um  zu  beweisen,  dass  die  Hansen  nicht  be- 
rechtigt seien,  Tuch  nach  den  Niederlanden  zu  bringen  oder  überhaupt  am 
englisch-niederländischen  Handel  sich  zu  betheiligen  (Br.  M.  Cotton  Msc. 
Claudius  E.  VII.  fo.  96  u.  108b).  Es  scheint  zwar,  als  ob  die  Recognitto 
nur  vorübergehend  gedacht  war,  indem  sie  nur  während  der  Feindschaft 
mit  Burgund  den  Handel  nach  den  Niederlanden  verhindern  sollte;  da  aber 
merkwürdiger  Weise  jede  zeitliche  Beschränkung  in  derselben  fehlt,  so 
weigerten  sich  Heinrich  VE.  und  VIIL,  dieselbe  wieder  herauszugeben  und 
behielten  sie  als  stets  bereite  Waffe  zurück. 

')  Köhler'sche  Sammlung  S.  241. 

*)  „quod  cepte  infractiones  privilegiorum  in  suo  cursu  continuantur*. 
Bericht  über  die  Verhandlungen  von  1497.  Kölner  Stadtarchiv.  Acta  Angl. 
1484-1521  fo.  517. 

•)  Urk.  BeiL  87. 

T)  Bericht  über  die  in  Betreff  verschiedener  zwischen  der  Hansa  und 
Stadt  London  streitigen  Punkte  zu  befolgenden  Grundsätze  (London  City 
Records.  Journal  10  fo.  87,  88). 

8)  Das  Londoner  Contor  schreibt  6.  März  1496  an  Köln:  „—  wy  sen- 


—    191    — 

Da  Heinrich  VH.  gegen  Ende  des  Winters  1497  wegen  Ord- 
nung der  Beziehungen  zu  den  Niederlanden  ohnehin  Gesandte 
auf  den  Continent  schicken  musste,  so  erklärte  er  sich  bereit, 
auch  filr  eine  Tagfahrt  mit  den  Hansen  Bevollmächtigte  zu  er- 
nennen1). Der  Entschluss  kam  für  die  Hansen  zu  plötzlich, 
so  dass  diese  nicht  genügende  Vorbereitungen  für  den  Congress 
treffen  konnten.  In  Antwerpen  waren  ausser  einigen  hansischen 
Kaufleuten  des  Brügger*)  und  Londoner3)  Contors  nur  drei 
kölnische  Rathsherren 4)  eingetroffen,  mit  denen  sich  noch  der 
Lübecker  Secretär  Dr,  Albert  Krantz,  dar  eben  aus  Frank- 
reich zurückgekehrt  war,  vereinigte5).  Dr.  Krantz  war  schon 
von  zu  Hause  abgereist,  als  der  königl.  Brief  wegen  des  Con- 
gresses  in  Lübeck  ankam,  und  hatte  in  Folge  dessen  keine 
Generalvollmacht  für  die  ganze  Hanse,  die  Kölner  hatten  ohne- 
hin nur  für  die  eigene  Vaterstadt  Auftrag.  Selbstverständlich 
waren  die  englischen  Deputirten  nicht  geneigt,  mit  den  Hansen 
zu  pactiren,  wenn  es  diesen  nicht  gelang,  als  officiell  Beauf- 
tragte sich  zu  erweisen.  Die  Lage  war  eine  peinliche.  Am 
liebsten  hätten  die  Städtevertreter  die  ganze  Verhandlung  ver- 
schoben, aber  es  war  zu  befürchten,  dass  der  König  Argwohn 
schöpfen  und  glauben  werde,  das  Ganze  sei  nur  ein  Vorwand 
gewesen.  Leicht  könnte  es,  meinten  sie,  dann  sein,  dass  die 
Engländer  sich  nie  wieder  zur  Beilegung  der  Streitigkeiten 
bereit  fänden,  sondern  den  ganzen  Stahlhof  mit  sammt  seinen 
Privilegien  einfach  aufhöben 6).  So  entschlossen  sie  sich,  einen 
eigenen  Eilboten  nach  Lübeck  zu  schicken.    Die  englischen 


den  juw  hyr  by  Verwart  des  heren  konynees  breiff  van  Engelande,  waruth 
gy  syner  genauen  mevnynge  wol  verstaende  weerden  der  dachforde  halven 
to  Antwerpen  to  holdende,  unde  als  gy  dan  in  den  selven  schiyfften  ver- 
Btaen  mognen,  dat  wy  harde  up  die  dageforde  vervolget  suüen  bebben;  dat 
moit  men  synen  genaden  togeven;  dan  unse  vervolcb  es  gewest  ene 
schryftlike  antworde  nnde  remedie  to  hebbend  unser  gebreche  halven 
inneholde  juwer  heren  und  den  anderen  heren  van  den  steden  schryfte 
nnde  oick  unser  supplicatien  gelych  die  heren  van  dem  hoghen  raide  uns 
montliken  vor  eyn  antworde  geven,  dat  uns  allet  nycht  hefft  helpen 
"  moghen  etc.a    (Kölner  St.  A.  Originalbriefe). 

*)  Die  Ernennung  derselben  erfolgte  am  28.  April.  Byrne r  XII. 
S.  651 ;  es  waren  beauftragt  worden  der  später  zum  Bischof  von  Durham, 
Staatssecretar  und  Lord  Privy  Seal  aufsteigende  „Dr.  Thom.  Rowthale, 
Dr.  R.  Middelton,  Joh.  Trublefield",  welche  am  24.  Juni  in  Antwerpen  ein- 
trafen. 

*)  Valentin  Lam,  Everchard  Eeck  und  Secretär  Heinrich  Loer. 

*)  Joh.  Greveroden,  Arnold  Meteier  und  Secretär  Gracianus  Brakervelt. 

4)  Dr.  Joh.  Vastard,  Dr.  J.  Ring,  Arnold  Westerbarch. 

*)  Für  das  Folgende  wurde  der  wahrscheinlich  von  dem  Mitgesandten 
von  Köln,  Doctor  legum  Joh.  Fastart  abgefasste  Bericht  über  diese  Ver- 
handlung benfitzt.  Kölner  Stadtarchiv.  ActaAnglicana  1434— 1521  fo.  156 
bis  162. 

6)  „periculum  esse  rebus  et  corporibus  mercatorum  in  Anglia,  formi- 
dandnm ,  ne  totum  coUegium  cum  suis  juribus  ac  privilegiis  dissiparetur". 
a.  a.  0.  fo.  158. 


—    192    — 

Bevollmächtigten  erklärten,  nicht  warten  zu  können,  waren 
aber  bereit,  wenigstens  in  Discussion  zu  treten. 

Die  Sprache  der  Engländer  war  eine  sehr  selbstbewusste. 
Hinsichtlich  der  zur  See  erlittenen  Schäden  verlangten  sie, 
dass  die  Betreffenden  an  den  englischen  Gerichtshöfen  Recht 
suchen  möchten,  und  waren  sehr  aufgebracht,  als  die  Hansen 
diese  der  Parteilichkeit  ziehen.  Bei  den  allgemeinen  Be- 
schwerden eröffnete  ihnen  Dr.  Ruthai  und  zwar,  wie  er  sagte, 
ausdrücklich  auf  die  Weisung  seines  Herrn  hin,  dass  der  König 
die  Vergünstigungen  (concessiones),  soweit  sie  zum  offenbaren 
Schaden  gereichten,  wieder  zurücknehmen  könne,  wie  es  denn 
auch  durch  einige  Gesetze  und  Massregeln  bereits  geschehen '). 

Nach  mannichfachem  Redegeplänkel,  das  sich  einige  Tage 
fortsetzte,  reisten  die  englischen  Bevollmächtigten  nach  Galais 
ab  (4.  Juli),  indem  sie  den  Hansen  anheimstellten,  dahin  zu 
kommen,  sobald  das  Mandat  eingetroffen  sei.  Dort  könnten 
sie  mit  anderen  Abgesandten  unterhandeln,  wenn  es  dem  König 
gefalle,  solche  zu  ernennen.  Der  Status  quo  solle  nach  Ab- 
sicht des  Königs  bis  zum  nächsten  Jahre  bleiben,  eine  schrift- 
liche Vereinbarung  hierüber  wurde  englischerseits  abgelehnt 
Offenbar  waren  die  englischen  Deputirten  nicht  ganz  von  der 
Wahrhaftigkeit  der  Hansen  überzeugt.  Diese  waren  deshalb 
ernstlich  bestrebt,  wenigstens  den  Verdacht,  dolose  gehandelt 
zu  haben,  zu  beseitigen  und  die  möglicher  Weise  hieraus  ent- 
springenden Gefahren  zu  verhüten.  Sie  warteten  deshalb  den 
Boten  ab,  der  nach  einer  18tägigen  Reise  die  Vollmacht 
brachte.  Sofort  schickten  sie  dieselbe  nach  Calais  mit  einem 
Recess,  den  die  Engländer  unterschreiben  sollten,  und  der  die 
Fortdauer  des  Status  quo,  wie  er  vor  6  Jahren  bestand,  die 
Sicherheit  in  England,  den  Gebrauch  der  Privilegien,  die  An- 
beraumung einer  neuen  Tagfahrt  fürs  nächste  Jahr  gewähr- 
leisten sollte.  Das  Unglück  spielte  aber  auch  hier  den  Hansen 
übel  mit  Sechs  Stunden  vor  der  Ankunft  des  zu  diesem 
Geschäfte  beorderten  Secretärs  der  Brügger  Kaufleute  Gerard, 
hatten  die  englischen  Commissäre  sich  eingeschifft. 

Die  verschiedenen  Episoden  dieses  Congresses  geben  be- 
reits ein  deutliches  Bild ,  wie  mehr  und  mehr  bei  den  Hansen 
die  Ueberzeugung  Platz  griff,  dass  sie  in  England  nur  noch 
von  der  Gnade  des  Königs  lebten.  Sie  wussten,  woran  sie 
waren 2). 


*)  „de  non  invehendo  serico,ne  multi  suorum  omni  questu  fraudarentur; 
de  navibufl  Anglicanis,  ne  classis  interiret;  de  tondendis  pannis,  ne  omnis 
questus  transiret  ad  alienos ;  de  obligationibus,  quas  rez  iniecisset,  ne  mali- 
voli  eius  in  suo  proposito  indurarent"  etc.  a.  a.  0.  fo.  160. 

*)  „Et  de  privilegiis  satis  erat  compertum,  quid (Angli)  sentirent."  a.a.O. 
fo.  162. 


—     193    — 

Beide  Parteien  rüsteten  sich  zur  nächsten  Tagfahrt.  1498 
wurde  auf  dem  Hansetag  zu  Lübeck  die  Beschickung  einer  neuen 
Conferenz  mit  den  Engländern  beschlossen1).  Heinrich  VII. 
bevollmächtigte  wieder  Wilh.  Warham,  Rob.  Middelton  und 
ausserdem  Samson  Norton.  Von  Seite  der  Hansa  waren  mit 
Einschluss  der  Secretäre  14  Vertreter  in  Brügge  erschienen, 
Dr.  Albert  Krantz  und  Dr.  Packebusch  aus  Lübeck  im  all- 
gemeinen Auftrag,  ausserdem  je  3  von  Köln2),  Danzig8), 
Brügge4),  London6).  Es  lag  in  dieser  immer  so  zahlreichen 
Vertretung  auch  eine  gewisse  Absicht.  Schon  äusserlich  sollte 
die  Macht  der  Städte  den  Engländern  imponiren. 

Die  eigentlichen  Besprechungen  begannen  erst  am  13.  Juni, 
da  die  Kölner  und  Danziger  nicht  zu  dem  bestimmten  Termin 
(1.  Juni)  eingetroffen  waren.  Die  Prüfung  der  Mandate  war 
die  erste  Aufgabe.  Die  Engländer  bemängelten  das  hansische 
als  unvollkommen,  eine  Taktik,  wie  sie  damals  sehr  üblich 
war,  indem  sie  die  Möglichkeit  gab,  jeder  Zeit  von  den  Ver- 
handlungen zurückzutreten.  Nur  mit  Mühe  brachten  die  Hansen 
sie  zu  einem  Zugeständniss.  Darauf  wurden  in  sehr  umständ- 
licher Weise  wieder  die  1491  unerledigt  gebliebenen  Ent- 
schädigungsfragen zum  Gegenstand  der  Erörterung  gemacht. 
Die  Hansen  wie  die  Engländer  brachten  verschiedene  Vor- 
schläge, wie  diese  Klagen  endlich  aus  der  Welt  geschafft 
werden  könnten.  Die  Meinungen  gingen  hier  sehr  auseinander; 
nur  über  das  Mittel,  wie  man  in  Zukunft  den  häufigen  Raub- 
anfällen vorbeugen  wolle,  waren  beide  Parteien  einig. 

So  sehr  nun  auch  die  Hansen  eine  unparteiische  Ent- 
scheidung, der  Klagen  sich  zu  sichern  suchten,  so  gewiss  ist 
es,  dass  sie  in  dieser  Frage  nicht  den  Schwerpunkt  der  Ver- 
handlungen sahen.  Die  Verkürzung  der  Privilegien  war  ihnen 
die  weit  wichtigere  Angelegenheit.  Die  Beschwerden,  die  sie 
in  dieser  Hinsicht  hatten,  sind  so  ziemlich  die  nämlichen,  wie 
1487,  und  uns  bekannt.  Selbstverständlich  wussten  die  Eng- 
länder für  alle  einzelnen  Punkte  eine  Erklärung  und  Recht- 
fertigung, wenn  sie  dieselben  auch  zuweilen  etwas"  weit  herholen 
mussten,  um  das  Verfahren  gegen  die  Hansen  zu  maskiren.  In 
Betreff  der  Preistaxen,  welche  der  Mayor  von  London  auf  Salz, 
Wein,  Heringe  und  sonstige  Lebensmittel  setzte,  verwiesen  die 
Engländer  auf  den  Diensteid  des  Bürgermeisters.    Hinsichtlich 


')  Köhler' sehe  Sammlung  S.  241.  Für  das  Folgende  wurde  der 
wahrscheinlich  von  dem  berühmten  Dr.  Albert  Erantz  verfasste  Bericht 
über  die  Verhandlung  von  1499  benutzt.  Kölner  Stadtarchiv.  Acta  Angli- 
cana  1434-1521  fo.  180—199  mit  Ausschluss  von  fo.  191—94,  welche  Ver- 
handlungen der  Hansen  mit  Brügge  betreffen. 

*)  Bürgermeister  „Gern.  Wesell,  Dr.  jur.  Gerh.  de  Cempen,  Joh.  Ryng.a 

*)  „Math.  Tymermann,  Joh.  Usler,  Secr.  Joh.  Wolterj." 

*)  »Joh.  Brüns,  Joh.  Bisschopnick,  Secr.  Gerh.  Brüns." 

8)  „Joh.  Greverode,  Detardus  Brandt,  Secr.  Gerwing  Brekerveld." 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.     I.  13 


-     194     - 

des  Verbots,  oder,  wie  man  es  wohl  richtiger  auffasst,  hinsicht- 
lich der  Erschwerung  der  hansischen  Woll-  und  BJeiausfuhr 
stützten  sie  sich  auf  das  häufig  gebrauchte  Recht  des  Königs, 
den  Export  der  Waaren  überhaupt  zu  verbieten.  Bezüglich 
des  Gebots,  Gascogner  Weine  nur  in  englischen  Schiffen,  fer- 
tige Seidenwaaren  überhaupt  nicht  zu  importiren,  machten  die 
Engländer  besonders  auf  die  Absicht  aufmerksam,  welche  den 
Fürsten  bei  Ertheilung  der  Privilegien  geleitet?  dieser  habe 
nämlich  nicht  gewollt,  dass  die  letzteren  auch  für  alle  Arten 
von  Waaren,  welche  die  Hansen  von  Italien  und  den  fernsten 
Theilen  der  Erde  holten ,  sondern  nur  für  die  eigenen  gelten 
sollten.  Wohl  entgegneten  die  Hansen ,  eine  solche  Interpretation 
des  Ausdrucks  „sue  merces"  sei  aller  Wahrheit  widersprechend; 
„sua  esse,  quecumque  sunt  empta  et  undecunque  nata.  —  Quid 
Lubecae  nasceretur?  Certe  ex  Russia,  Livonia,  Prucia  petuntur, 
que  inde  veniunt.  Ita  vina,  non  que  Colonie,  sed  in  principum 
electorum  terris  nascuntur,  solent  evehi;  sericum  de  Italia,  de 
Tarso,  de  India  peti."  In  ihren  Privilegien  sei  für  Seiden-  und 
andere  Waaren,  deren  Einfuhr  man  ihnen  jetzt  verbieten  wolle, 
sogar  die  Gostume  festgesetzt.  Aber  all  diese  logischen  Gründe 
waren  für  die  Engländer  ohne  Werth.  Hatte  man  doch  mit 
vieler  Mühe  überhaupt  solche  Interpretationen  erfunden,  um 
das,  was  man  wollte,  rechtfertigen  zu  können.  Noch  weniger 
fanden  die  Hansen  Entgegenkommen,  als  sie  die  Rückgabe  der 
ihnen  abgedrungenen  Obligationen  und  die  Ausnahmestellung 
von  dem  Gesetz  in  Betreff  der  verbotenen  Ausfuhr  ungeschor- 
ner  Tücher  verlangten.  Die  Engländer  vertheidigten  das  Ver- 
fahren 'des  Königs  hinsichtlich  der  ersteren,  da  die  Privi- 
legien den  Handel  nach  feindlichem  Gebiet  ausschlössen, 
und  erklärten ,  zur  Stipulirung  der  Rückgabe  nicht  ermächtigt 
zu  sein.  Was  die  ungeschornen  Tücher  betreffe,  so  führe  der 
König  nur  ein  Statut  Eduards  III.  aus,  in  „profectum  regni, 
non  in  derogationem  privilegiorum";  die  Acte  präjudicire  ihnen 
nicht,  sie  müssten  ja  die  Tücher  nicht  kaufen,  sie  würden  also 
weder  an  ihrer  Person  noch  an  ihren  Waaren  belastet,  und  nur 
das  gewährten  die  Privilegien.  Weshalb  sie  denn  zu  ihrem 
Schaden  wendeten,  was  für  den  allgemeinen  Nutzen  des  Reiches 
bestimmt  sei,  und  weshalb  sie  dem  König  die  Hände  binden 
wollten  *). 

Mit  solcher  Sophistik  schlug  man  die  Beschwerden  und 
Gegengründe  der  Hansen  todt.  Diese  erklärten  denn  auch, 
sie  sähen,  dass  man  zu  Nichts  komme.  Die  Fragen  wegen 
der  Parlamentsacten   und   der  Obligationen  seien   2  Punkte, 


')  „panni  non  esseut  nostri,  nisi  empti,  et  ideo  neque  persona  neque  res 
no8trorum  essent  onerate.  Cur  ad  iniuriam  nostram  traheremus,  quod  in 
communem  regni  utilitatem  esset  constitutum,  et  regiam  manum  clauderemus  ?* 
a.  a  0.  fo.  186. 


-     195     - 

ohne  deren  Erledigung  für  sie  ein  Ueberein kommen  unmöglich 
sei,  man  solle  also  die  Unterhandlungen  abbrechen.  Mit  Bitter- 
keit hoben  sie  hervor,  wie  die  Engländer  an  ihrer  Vollmacht 
alles  Mögliche  bemängelt  hätten,  wenn  aber  es  zur  Entschei- 
dung kommen  solle,  dann  behaupteten  sie,  selbst  keine  Voll- 
macht zu  haben,  und  doch  hätten  die  Hansen  schon  vor  acht 
Jahren  ihre  Beschwerden  vorgelegt. 

Die  abrupte  Wendung  kam  den  Engländern  doch  un- 
erwartet. Als  sie  sahen,  dass  die  Hansen  wirklich  zur  Abreise 
sich  rüsteten,  erboten  sie  sich,  an  den  König  schreiben  und 
seine  Meinung  erfahren  zu  wollen.  Da  die  Hansen  wegen 
gleichzeitiger  Verhandlungen  mit  den  Niederländern  Grund 
zur  Verlängerung  ihres  Aufenthalts  hatten,  so  nahmen  sie  den 
Vorschlag  an,  richteten  aber  auch  ihrerseits  am  25.  Juni  ein 
Schreiben  an  den  König,  worin  sie  baten,  er  möge  seine  Ge- 
sandten dahin  instruiren,  dass  die  Hansen  durch  Proviso  gegen 
die  Parlamentsacten  geschützt  sein  sollten. 

Man  verhandelte  zunächst  noch  über  die  englischen  Be- 
schwerden*, die  sich  auf  Danzig  bezogen.    Hier  trat  die  eng- 
lische Politik  noch  schärfer  hervor.    Die  Engländer  verlangten 
geradezu  Verzicht  auf  die  Privilegien,  wenn  man  nicht  den  eng- 
lischen Kaufleuten  in  den  Hansastädten,  namentlich  in  Preussen, 
gleiche  Vorrechte  gestatten  wolle.    Sie  versäumten  auch  nicht, 
die  Hansen  aufmerksam  zu  machen,  dass  der  König  die  ihnen 
gewählten  Vergünstigungen  zurücknehmen  könne;   zwar  beab- 
sichtige er  das  nicht,  aber  der  Prüfung  der  Frage  habe  er  auf 
Anregung  seiner  juristischen  Räthe  sich  nicht  entziehen  können. 
Sie  luden  sie  deshalb  ein,   mit  ihnen  auf  Grund  der  Rechts- 
literatur ebenfalls   eine   Untersuchung  darüber  vorzunehmen. 
Sie  wollen  ihnen  alle  Bücher  zur  Verfügung  stellen,  welche  sie 
zur  Vertheidigung  ihrer  Ansicht  brauchten ,   wie  den  Paulus 
de  Castro  und  andere.    Aber  weder  davon  noch  von   einem 
unparteiischen  Schiedsrichter  wollten  die  Hansen  etwas  hören. 
Sie  seien  nicht  gekommen,   um  nur  ein  Jota  von  ihren  Privi- 
legien zu  verlieren  oder  dieselben  in  Zweifel  ziehen  zu  lassen. 
Diese  seien  so  beschaffe*,  dass  sie  weder  aufgehoben  noch  ver- 
mindert werden  könnten.    Lieber,  als  dass  sie  ein  Pünktchen 
von  ihren  Privilegien  preisgäben,  würden  sie  sich  vertheidigen, 
wie  es  Männern  geziemt.    Die  Meinungen  der  Gelehrten  gingen 
überdies  auseinander;  sie  hätten  einen  italienischen  Doctor  um 
sein  Gutachten  gebeten ,  das  sie  vorlegen  könnten.   Sie  hofften 
zu  dem  König,  dass  er  ihnen  ihre  Privilegien  nicht  entziehen 
werde. 

Auf  Wunsch  der  Engländer  wurden  sodann  die  Verhand- 
lungen auf  20  Tage  ausgesetzt.  Sie  wollten,  wie  sie  erklärten, 
selbst  nach  England  gehen.  Wahrscheinlich  wurde  aber  nur 
ein  Congressmitglied  oder  ein  Bote  an  den  König  geschickt, 

13* 


—    196    - 

um  ihm  den  Bericht1)  über  den  bisherigen  Verlauf  des  Congresses 
vorzulegen  und  eine  Instruction  für  das  weitere  Vorgehen  zu 
erholen.  Diese  erfolgte  in  einem  den  Hansen  durchaus  un- 
günstigen Sinn.  Die  Wahl  des  Bischofs  von  Cambrai  zur  Ent- 
scheidung der  Entschädigungsklagen  wird  als  der  königl.  Ehre 
und  dem  Vortheil  der  Unterthanen  zuwider  abgelehnt.  Statt 
dessen  wird  eine  gegenseitige  Compensirung  der  Schäden  ge- 
wünscht. Im  äussersten  Fall  will  der  König  gestatten,  dass  ein 
englischer  und  hansischer  Richter  ernannt  werde,  von  denen  der 
erstere  die  hansischen,  der  letztere  die  englischen  Fälle  ent- 
scheide. Hinsichtlich  des  Artikels  4  des  Utrechter  Vertrags, 
des  Hauses  in  Danzig,  der  Parlamentsacten  wird  jede.Concession 
versagt.  Ein  plötzlicher  Bruch  soll  vermieden  werden ,  da  für 
einen  Krieg  man  zu  schlecht  gerüstet  sei,  vielmehr  soll  eine 
neue  Tagfahrt  in  Aussicht  genommen  werden,  die  aber  erst  in 
2  Jahren  stattfinden  dürfe. 

Am  15.  Juli  traten  die  Bevollmächtigten  wieder  zusammen. 
Die  englischen  Gesandten  erklärten,  auf  ihren  Wünschen  be- 
züglich Preussens  beharren  zu  müssen.  Damit  wurde  hansischer- 
sei ts  eine  Verständigung  als  unmöglich  erkannt,  man  schlug 
die  Abschliessung  eines  Provisoriums  vor.  Beide  Parteien  ent- 
warfen einen  Recess.  Aber  auch  hier  standen  sich  die  beider- 
seitigen Anschauungen  und  Wünsche  schroff  gegenüber. 

Der  englische  Entwurf  will,  dass  mit  Ausnahme  der  bei 
den  Richtern  in  England  anhängigen  Processe  und  der  Parla- 
mentsacten bis  1.  Juli  1501  der  Status  quo  erhalten  werde; 
der  hansische  dagegen  verlangt,  dass  bis  zu  diesem  Termin 
der  ganze  Verkehr  in  bono  statu  bleibe,  jeder  Theil  beim  an- 
dern seine  Freiheiten  geniesse  so,  wie  seit  Menschengedenken, 
und  dass  man  sich  gegenseitig  kein  Leid  zufüge.  Die  Eng- 
länder wünschen,  dass  die  englischen  Kaufleute  inzwischen 
aller  Rechte  des  Utrechter  Vertrags  theilhaftig  sein  sollen  und 
aller  übrigen  Vergünstigungen,  die  sie  zur  Zeit  in  den  Hanse- 
städten gemessen;  die  Hansen  dagegen  verlangen,  dass  die 
englischen  Kauf  leute  in  Danzig  nur  die  Freiheit  beanspruchen, 
welche  den  Forensen  aus  den  Hansestädten  zukommt.  Im 
englischen  Recess  ist  bestimmt,  dass  die  Hansen  in  England 
ihre  Freiheiten  in  der  Weise  gebrauchen  sollen,  wie  sie  es 
jetzt  thun;  im  hansischen  wird  dagegen  die  Forderung  ge- 
stellt, dass  die  Freiheiten  so  wie  seit  Menschengedenken 
gelten,  indem  zur  Bekämpfung  gegentheiliger  Statuten  das 
königl.  Proviso  in  Anspruch  genommen  wevden  dürfe.  Die 
englischen  Bevollmächtigten  gestatten,  dass,  falls  man  sich  in- 
zwischen wegen  der  Entscbädigungsklagen  über  einen  Richter 
einige,  dieser  endgültig  erkennen  könne-,  die  hansischen  Ab- 
gesandten wünschen,   dass  zu  London  der  König  einen  Com- 

5)  Urk.Beil.  94. 


—    197     — 

missar  bestelle,  der  die  Dodümente  der  von  den  Engländern 
beraubten  Hansen  prüft  und  innerhalb  eines  Jahres  ein  Urtheil 
herbeiführt.  Das  Gleiche  soll  in  einer  Stadt  der  Hansen  ge- 
schehen. Ausserdem  verlangen  die  Hansen,  dass  jedes  aus- 
laufende hansische  und  englische  Kriegsschiff  Bürgen  stelle, 
dass  es  die  Verbündeten  nicht  schädige.  Endlich  zeigen  die 
Hansen  die  Wiederaufnahme  von  Riga  in  den  Bund  nach  der 
im  Utrechter  Frieden  stipulirten  Form  an. 

Man  wies  beiderseits  die  Entwürfe  zurück,  und  schon 
glaubten  die  Engländer,  verzweifeln  zu  sollen,  als  die  Hansen 
eine  kurze,  möglichst  neutrale  Formel  vorschlugen,  die  nur 
sicheres  Geleit  versprach.  Zwar  wollte  Warham  eine  verfäng- 
liche Clausel  eingefügt  wissen,  welche  die  Beschlagnahme  aus- 
laufender Schiffe  ermöglichte,  und  die  Hansen  hätten  im 
äusserten  Fall  ihr  auch  zugestimmt,  aber  die  Engländer 
gaben  schliesslich  doch  ihre  Opposition  nach  dieser  Seite  auf. 
Die  Hansen  concedirten  die  Bestimmung,  dass  der  jetzige 
Status  quo  erhalten  bleibe,  wogegen  die  Engländer  zugaben, 
dass  im  Recess  die  beiderseitige  Sicherheit  gewährleistet  werde1). 

Das  war  das  ganze  Resultat  des  am  20.  Juli  1499  be- 
endeten Congresses.  Kurz  und  treffend  charakterisirt  ihn 
Tratziger:  „Die  handlunge  erstrecket  sich  eben  lange  Zeit  mit 
vieler  vergeblicher  disputation;  zuletzt  zogen  die  gesanten  un- 
beschafter  ding  von  einander"  a).  Trübe  waren  die  Aussichten 
für  die  Hansen.  So  sehr  der  König  jeden  Krieg  scheute,  so 
wenig  er  sich  verhehlte,  dass  es  nichts  Geringes  sei,  mit  den 
seetüchtigen  Hansen  einen  Kampf  aufzunehmen,  so  war  doch 
der  Gedanke,  gegen  sie  eventuell  mit  Gewalt  vorzugehen,  vor- 
handen. Der  für  1.  Juli  1501  stipulirte  Congress  fand  nicht 
statt,  sondern  wurde,  wie  es  scheint,  auf  Bitten  der  Hansen 
bis  1502  und  dann  nochmals  bis  1.  Juli  1504  hinausgeschoben. 
Aber  auch  in  letztgenanntem  Jahre  war  Lübeck  wegen  einer 
gleichzeitig  bevorstehenden  Tagfahrt  zu  Münster  und  einer 
solchen  mit  den  Schweden  zu  einer  Beschickung  nicht  geneigt, 
suchte  beim  König  eine,  abermalige  Verlängerung  des  Termins 
zu  erwirken  und  Hess  gleichzeitig  ihn  und  das  Parlament  noch- 
mals um  Abhilfe  wegen  der  hansischen  Beschwerden  bitten 8). 

')  * —  quod  omnes  res  in  eo  statu,  in  quo  nunc  sunt,  a  data  presentium 
osque  ad  primam  diem  Julii  1501  conquiescant  Et  quod  intenm  veniant 
mercatorea  Anglici  in  omnes  civitatis  Anze  Teutonice  ibidemque  secure 
eonveraentur  et  mercentur  et  ab  eisdem  salvo  et  secure  cum  bonis  mercibus 
et  rebus  ad  quecunque  alia  loca  libere  recedant.  Et  vicissim  mercatorea 
Anze  Teutonice  in  regno  Anglie  secure  conversentur  et  mercentur,  et  ab 
eodem  salvo  et  secure  cum  bonis  mercibus  et  rebus  ad  quecunque  alia  loca 
libere  recedant."  Nach  der  letzten  Bestimmung  durften  die  Hansen  Tuch 
nach  den  Niederlanden  exportiren. 

*)  Cbronika  der  Stadt  Hamburg  hsg.  von  Lappenberg.   S.  244. 

*)  Das  Obige  ist  einem  Briefe  Lübecks  an  Danzig  vom  4.  Jan.  1504 
entnommen  (St.  A  Danzig  XXXI.  437  a.    Hanserec.  ed.  D.  Schäfer). 


—    198    — 

Die  Hansen  fanden  bei  dem  'König  plötzlich  ein  Entgegen- 
kommen, wie  sie  sich  es  kaum  geträumt  hatten.  Am  24.  Mai 
theilte  er  in  einem  Schreiben  an  Lübeck  mit,  dass  die  Bitte 
der  Hansen,  sie  gegen  die  Beamten  und  Engländer  zu  schützen, 
welche  auf  Grund  gewisser  Parlamentsacten  den  deutschen 
•Kaufmann  täglich  mehr  bedrückten,  von  ihm  sorgfältig  erwogen 
worden  sei.  Vom  Wunsche  beseelt,  ihrer  Petition  gerecht  zu 
werden,  habe  er  ihre  Angelegenheit  im  Parlament  vorbringen 
lassen,  und  obwohl  man  dort  sehr  viele  Klagen  gegen  die 
Hansen  geltend  gemacht,  und  in  der  Sache  viele  Schwierig- 
keiten hätten  überwunden  werden  müssen,  so  habe  er  doch 
Alles  erreicht,  was  sie  gewünscht  hätten;  er  glaube,  sie  und 
ihre  Stellvertreter,  die  in  England  handelten,  dürften  zufrieden 
gestellt  sein.  Da  er  nun  in  ausreichender  Weise  für  die  In- 
teressen der  Hansen  gesorgt,  so  sei  für  ihre  Klagen  in  Zu- 
kunft kein  Raum  mehr;  die  englischen  Kaufleute  drängten 
zwar  mit  Rücksicht  auf  die  Begleichung  ihrer  erlittenen 
Schäden  sehr  auf  Fortsetzung  der  Tagfahrt,  er  glaube  aber, 
dass  diese  zu  verschieben  sei,  bis  er  einen  Antrag  hierüber 
stelle  »)• 

In  der  That  schien  der  König  diesem  Briefe  zufolge  in 
seiner  Politik  gegenüber  den  Hansen  eine  Schwenkung  gemacht 
zu  haben.  Die  Frage  ist,  was  Heinrich  VII.  zu  diesem  Schritt 
veranlasste,  und  welche  Tragweite  demselben  beizumessen  ist. 

Die  Parlamentsacte  •),  von  welcher  der  König  spricht,  be- 
stimmt, dass  alle  vordem  erlassenen  Statuten,  soweit  sie  Kauf- 
leute, Waaren  und  sonstige  Sachen  betreuen,  sich  nicht  in 
nachtheilger  Weise  auf  die  genannten  Hansekaufleute  erstrecken 
sollen  entgegen  ihren  alten  Freiheiten  und  Gewohnheiten,  son- 


■k^^i^^ 


')  Der  Hauptpassus  des  Briefes  lautet  wörtlich :  „cupientes,  in  quanram 
possumus,  vestris  honestis  petitionibus  annuere  horum  omnium  justa  con- 
sideratione  babita  causam  ipsam  in  parliamento  nostro  proponi  fecimas,  et 
quam  quam  plurima  inibi  contra  et  adversus  vestros  mercatores  obiicereDtnr 
multeque  in  ea  re  fierent  difficultates ,  nihilominus  nos  ex  spetiali  nostra 
gratia  et  favore,  quem  erga  tos  semper  habuimus,  non  minorem  effectum 
cause  vestre  sunt  sortiti.  quam  ipsimet  vestri  mercatores  postularant,  immo 
et  ipsa  vestra  i  egotia  in  omnibus  juxta  eorum  vota  magis ,  quam  antea 
unquam  optineri  potuerint,  sint  expedita,  ita  ut  non  modo  ipsos  vestros 
negotiatores  et  eorum  deputatos  in  hoc  nostro  regno  negotiantes  putemus 
esse  "contentos,  sed  optimam  quoque  de  re  ipsa  vobis  relationem  nctnros. 
Quod  vero  ad  instantem  dietam  pertinet,  existimandum  est  per  ea,  que  in 
predicto  nostro  parliamento  pro  vestro  commodo  et  utilitate  acta  sunt,  ita 
negotiis  vestris  consultum  ac  provisum  esse,  ut  future  alicujua  pro  parte 
vestra  querele  non  sit  amplius  relictus  locus.    Et  licet  mercatores  nostri 

äuotidie  penes  nos  instent  pro  hujusmodi  dieta  continnanda  ac  illatis  sibi 
amnis  resartiendis.  eam  tarnen  putamus  esse  differendam,  donec  et  usaue 
quo  a  nobis  superinde  fueritis  requisiti."  (St.  A.  Danzig  XXXI,  438a;  Xvlt 
144  b.    Hanserecesse  ed.  D.  Schärer.) 

2)  YJ  Hen.  VII.  c.  23,  auch  abgedruckt  bei  Lappenberg,  Stahlhof 
S.  168. 


—    199    — 

«lern  dass  jede  derartige  Acte,  soweit  sie  eine  Aufhebung  der 
hansischen  Privilegien  enthält,  für  die  hansischen  Kaufleute 
keine  Wirkung  haben  soll,  und  dies  gilt  sowohl  hinsichtlich 
der  bereits  bestehenden  als  der  in  Zukunft  zu  erlassenden 
Statuten.  Ich  bezweifle  nicht,  dass  auf  Grund  dieser  Exemption 
auch  thatsächlich  die  Hansen  von  einigen  Parlamentsacten 
entbunden  wurden,  namentlich,  dass  man  ihnen  den  Export 
ungeschorner  Tücher  erlaubte.  Der  Besitz  dieser  Vergünstigung 
war  aber  trotzdem  nicht  garantirt.  Man  weiss,  wie  leicht  die 
Engländer  über  die  Gesetzesvorbehalte  sich  hinwegsetzten,  in- 
dem sie  einfach  behaupteten,  die  Privilegien,  beträfen  blos 
Zollsachen,  die  Statuten  verstiessen  nicht  gegen  ihre  Frei- 
heiten. Es  konnte  also  leicht  eine  Zeit  kommen,  in  welcher 
Heinrich  VII.  wieder  eine  andere  Praxis  beliebte.  Zunächst  that 
er  dies  nicht  und  zwar  aus  guten  Gründen.  Um  jene  Zeit 
beunruhigte  den  König  der  in  den  Niederlanden  sich  auf- 
haltende Graf  Edmund  von  Suffolk,  von  dem  er  eine  Ver- 
schwörung befürchtete,  dessen  Auslieferung  er  aber  schon 
längere  Zeit  vergeblich  betrieb.  *  In  Folge  dessen  wurde  das 
Verhältniss  Englands  zu  den  Niederlanden  ein  sehr  gespanntes, 
womit  gleichzeitig  commercielle  Verwicklungen  verbunden  waren. 
Um  nun  einen  wirkungsvollen  Druck  auf  die  Niederlande  aus- 
üben und  den  Handel  dahin  abbrechen  zu  können,  musste  er 
der  Hansen  sich  versichern.  Die  oben  ihnen  gemachte  Con- 
cession  diente  nur  dazu,  dieselben  seinen  Zwecken  dienlich 
und  sie  ihm  willfährig  zu  machen.  Eben  deswegen  hatte  er 
auch  die  Obligationen  herauszugeben  verweigert  und  die  Hansen 
mit  einer  allgemeinen  Phrase  darüber  zu  beruhigen  gesucht 1). 
Im  November  desselben  Jahres  kamen  seine  Absichten  zu 
Tage.  Gleich  nachdem  er  den  Kaufleuten  aller  Nationen  ver- 
boten, aus  England  Waaren  nach  den  Ländern  des  Herzogs 
Philipp  von  Burgund  zu  führen,  will  er  zwar  dem  deutschen 
Eauönann  die  Ausfuhr  der  Laken  ins  Ostland,  d.  h.  in  die 
Heimath  gestatten,  verlangt  aber  zur  Sicherheit  dafür,  dass 
sie  weder  direct  von  England,  noch  indirect  von  ihren  Gebieten 
aus  englische  Tücher  nach  den  Niederlanden  verkaufen  wollen, 
wiederum  wie  früher  die  Verbürgung  mit  einer  grossen  Geld- 
summe. Wie  bedenklich  war  eine  solche  „Recognisance"  ?  An 
eine  Rückgabe  derselben  war  nach  den  früher  gemachten  Er- 
fahrungen nicht  zu  denken,  man  legte  also  dem  König  eine 
neue  Waffe  in  die  Hand ,  die  um  so  gefährlicher  war,  als  sie 


*)  nnnde  van  der  recognisantie,  darinne  wy  vorbanden  stan  to  deme 
heren  koninge,  möge  wy  noch  anders  geyne  antworde  hebben,  dan  wy  dus- 
lange gehat  hebben,  dat  is,  wo  des  heren  koninges  gnade  uns  muntliken 
gesacht  helft,  wy  dar  geynen  schaden  by  hebben  sollen;  wat  he  darmede 
menet,  kone  wy  nicht  geweten."  Der  Kaufmann  zu  London  an  Lübeck 
81.  Mai  1504  (St.  A.  Danzig  XVI.   144  c.    Hanserecesse  ed.  I).  Schafer). 


—    200    — 

dazu  dienen  konnte,  den  hansischen  Tuchhandel  nach  den 
Niederlanden  zu  Gunsten  der  englischen  Kaufleute  überhaupt 
zu  verbieten;  denn  meist  wurde  die  zeitliche  Beschränkung  in 
diesen  Obligationen  absichtlich  verdunkelt,  oder  man  kümmerte 
sich  hinterher  nicht  um  dieselbe.  Dazu  kam,  dass  es  für  die 
Hansen  geradezu  eine  unmögliche  Aufgabe  war,  darüber  zu 
wachen,  dass  nicht  ein  oder  der  andere  Kaufmann  Tücher 
nach  den  Niederlanden  von  Deutschland  aus  verkaufte,  so 
dass  die  Verwirkung  der  Summe  im  Voraus  als  sicher  gelten 
konnte.  Der  Kaufmann  zu  London  sträubte  sich  nicht  mit 
Unrecht  gegen  die  Zumuthung  des  Königs  und  kann,  als  er 
Danzig  um  Rath  fragt,  die  Bemerkung  nicht  unterdrücken, 
dass  die  Engländer  täglich  darauf  ausgehen,  die  Privilegien 
des  deutschen  Kaufmanns  zu  vernichten *).  Aber  schon  vorher 
hatten  die  Hansen  manche  Ursache  zur  Klage.  Im  August 
z.  B.  beschwerten  sie  sich,  dass  sie  in  Hüll  5  sh  Zoll  für  das 
Fodder  Blei  zahlen  müssten,  während  man  in  London  nur 
12  d  zahle8),  wurden  aber  vom  König  abgewiesen,  angeblich 
weil  nach  Aussage  aller  seiner  Zollbeamten  in  Hüll  seit 
Menschengedenken  soviel  für  Blei  gezahlt  werde3). 

Auf  dem  Hansetag  von  1506  wurde  der  Brief  des  Königs 
vom  24.  Mai  1504  verlesen,  gleichzeitig  aber  über  Klagen 
gegen  England  verhandelt,  und  ein  Bericht  an  den  König,  das 
Parlament  und  den  Kanzler  beschlossen.  1507  wurde  sogar 
die  Abschickung  einer  Gesandtschaft  an  Heinrich  VII.  ins  Auge 
gefasst4). 

Im  Jahre  1508  Juli  8  erklärte  der  König  die  am  21.  Oct 
1493  den  Hansen  aufgedrungene  Obligation  im  Betrag  von 
20  000  £  für  verfallen6),  indem  er  behauptete,  die  Tuch- 
ausfuhr der  Hansen  nach  den  Niederlanden  sei  unstatthaft,  wie 
er  gleichzeitig  auch  den  Venetianern  zu  Gunsten  der  Merchant 
adventurers  dieWaareneinfuhr  aus  den  Niederlanden  auf  10  Jahre 
verbot 6). 

Das  Ziel,  den  Handel  der  Hansen  zu  beschränken  und 
ihn  mehr  und  mehr  in  die  Hände  der  einheimischen  Kaufleute 
zu  lenken,  stand  nach  dem  Brief  von  1504  für  den  König 
noch  ebenso  unverrückt  vor  Augen,  wie  vor  dieser  Zeit.  Ob 
die  im  22.  Jahre  der  Regierung  Heinrichs  VII.  angeordneten 
und  im  1.  Regierungsjahre  Heinrichs  VIII.  beendeten  Unter- 


l)  Brief  des  Kaufmanns  zu  London  an  Danzig  vom  18.  Nov.  1504 
(St  A.  Danzig  145.    Hanserecesse  ed.  D.  Schäfer). 

*)  Dabei  ist  „achter  4^  sterlinge  idt  voed  erblyes  geratet"  (Beschwerden 
des  Londoner  Contors.  1535     Lübecker  Archiv). 

8)  Brief  des  Königs  Heinrich  VII.  an  die  wendischen  Städte  vom 
12.  Dez.  1504  (St.  A.  Danzig  XXV  A.  41.    Hanserecesse  ed.  1).  Schäfer). 

*)  Köhler' sehe  Sammlung  S.  244. 

*)  Br.  M.  Cotton  Ms  er.  Claudius  E.  fo.  103. 

6)  Sieh  oben  S.  142. 


—    201     — 

suchungen1)  über  das  Eigenthum  des  Stahlhofes  vielleicht 
auch  im  Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  Politik  des 
Königs  gegen  die  Hansen  standen,  mag  dahin  gestellt  bleiben. 
Ueber  die  Absichten  des  Königs  und  die  Lage  der  Hansen 
gibt  das  Erzählte  genügenden  Aufschluss.  Die  Tage  der  Macht 
der  Hansen  in  England  waren  vorüber.  Die  Hansafrage  in 
England  war  eigentlich  schon  jetzt  entschieden.  Wer  weiss, 
was  geschehen  wäre,  hätte  der  König  noch  ein  weiteres  De- 
cennium  gelebt. 

Heinrich  VHI.  (1509-47). 

Es  war  eine  bekannte  Taktik  der  Hansen,  bei  jedem  Re- 
gierungswechsel dem  neuen  Herrscher  ganz  besondere  Hul- 
digungen darzubringen  und  durch  Erhöhung  der  Krönungs- 
feierlichkeiten, wie  durch  Geschenke  den  König  zu  gewinnen. 
Auf  diese  Weise  gelang  es  ihnen  meist  leicht,  von  dem  eben 
gekrönten  Herrscher  ihre  Privilegien  bestätigt  zn  erhalten. 
So  geschah  es  auch  unter  Heinrich  VIII.  Die  Confirmation 
der  Freibriefe  erfolgte  am  20.  Februar  1510  *). 

Das  Haus  der  Lords  zugleich  seinem  Interesse  folgend 
kam  gerne  der  Neigung  des  Königs  für  die  Hansen  entgegen. 
Als  die  Gemeinen  im  ersten  Parlament  die  Subsidie  bewilligten 
und  hiebei  ausdrücklich  verlangten,  dass  die  Hansen  ebenso 
wie  alle  übrigen  Fremden  1  sh  vom  £  Werth  aller  ein-  und 
ausgeführten  Waaren  zahlten,  hoben  die  Lords  diese  Bestim- 
mung wieder  auf,  indem  sie  das  Proviso  beifügten,  dass  die 
Acte  den  Hansen  nicht  schädlich  sein  sollte.  Das  Unterhaus 
musste  dann  wohl  oder  übel  ebenfalls  seine  Zustimmung  geben 8). 
Aber  die  bürgerlichen  Kreise  wurden  durch  solche  Vorgänge 
in  ihrer  Feindseligkeit  gegen  die  Hansen  nur  bestärkt.  Bald 
darauf  waren  die  Commoners  keck  genug,  um  mit  einer  be- 
sonderen gegen  die  Hansen  gerichteten  Bill  hervorzutreten 4). 
Dass  dieselbe  vom  Oberhaus  nicht  angenommen  werde,  das 


x)  Sieh  dieselben  bei  Lappenberg,  Stahlhof  S.  169. 

*)  Marquard,  De  jure  mercatorum  Beil.  L.  D.  S.  183. 

s)  Lords'  Journals  I.  S.  7,  8.  Aus  diesem  Vorgang  erklärt  sich  der 
eigentümliche  Widerspruch,  den  der  Wortlaut  der  Acte  1  H.  VIII.  c.  20 
enthalt  Die  Bestimmungen  der  Acte  selbst  stehen  in  vollem  Gegensatz  zu 
dem  Proviso.  Es  war  übrigens  nicht  das  erste  Mal,  (in 88  die  Gemeinen 
bei  Gelegenheit  der  Subsidienbewilligung  die  Hansen  zu  schädigen  suchten. 
Schon  früher  hatten  sie  öfters  verlangt,  dass  die  Hansen  von  Her  Subsidie 
von  1  sh  Der  £  nicht  ausgenommen  sein  sollten.  Die  Könige  bestätigten 
aber  die  oubsidienacte  meist  nur  unter  einem  die  Hansen  ausnehmenden 
Vorbehalte,  so  namentlich  Richard  III.  und  Heinrich  VII.  Rot.  Pari.  VI. 
S.  238  fg.  u.  268  fg.;  vgl.  jedoch  auch  V.  S.  228,  269,  50S  u.  VI.    S.  154. 

4)  Lords'  Journ.  I.  3  Hen.VlI  83°,  S6W,  40«  die  Pari.  Das  Ober- 
bans  überwies  nach  der  ersten  Lesung  die  Bill  einer  Commission,  in  der 
dieselbe  dann  begraben  wurde. 


—    202    - 

verhehlten  sie  sich  wohl  auch  nicht,  aber  sie  wussten,  dass 
man  nur  ausdauernd  und  unermüdlich  Aehnliches  zu  wieder- 
holen brauche,  um  schliesslich  auch  die  Opposition  der  Lords 
zu  brechen. 

Die  Erbitterung  im  Volke  gegen  die  Hansen  war  sichtlich 
im  Wachsen.  Gesteigert  wurde  sie  besonders,  als  die  Eng- 
länder die  Conjunctur  des  Krieges  von  Lübeck  gegen  Däne- 
mark (1508—16)  ausnützend  häufiger  als  früher  in  der  Ostsee 
erschienen,  aber  auch  eben  deswegen  von  den  Hansen  mehr 
Angriffe  als  sonst  zu  erleiden  hatten 1).  Gleichzeitig  gaben  die 
Deutschen  durch  ihr  unordentliches  Leben  allgemeines  Aerger- 
niss  *),  und  auch  im  kaufmännischen  Verkehr  trat  an  die  Stelle 
der  deutschen  Solidität  das  System  der  Betrügerei8). 

1517  (1.  Mai)  fand  der  bekannte  Aufstand  in  London 
gegen  die  Fremden  statt,  und  der  allgemeine  Hass  gegen  letz- 
tere war  ein  Factor,  mit  dem  die  Hansen  und  noch  mehr  die 
englische  Regierung  zu  rechnen  hatten. 

In  der  That  hat  es  den  Anschein,  als  ob  die  letztere 
jetzt  etwas  energischer  gegen  die  Hansen  einzuschreiten  ent- 
schlossen war.  Man  sah  wieder  strenge  darauf,  dass  die 
Hansen  keine  wollenen  Tücher  exportirten,  die  nicht  geschoren 
waren;  selbst  Hermann  Rink4)  verfiel  der  Strafe,  wenn 
er  gegen  das  Statut  sich  verfehlte6).  Wolsey  duldete  nicht, 
dass  sie  andere  Waaren,  als  solche  hansischer  "Abkunft  zu  den 
in  den  Privilegien  zugesicherten  niedrigen  Zöllen  importirten  6). 
Die  Schiffahrtsacte  wurde  gleichfalls  ge^en  sie  fortgesetzt 
geltend  gemacht.    Die  den  Hansen  aufgedrungenen  Obligationen 


')  Brewer,  Cal.  II.  1082.  In  England  wurde  es  nachgerade  Mode, 
für  ieden  Angriff,  der  zur  See  stattfand,  die  Hansen  verantwortlich  zu 
machen;  selbst  bei  den  Schotten  mnssten  sie  immer  im  Spiele  sein.  Brown, 
Cal.  II   715. 

*)  Vgl.  Lappenberg,  Stahlhof  S.93— 95  und  speciell  Köhler'sche 
Sammlung  S.  248  u.  244  ad  an.  1501  u.  1507. 

")  1511  beschloss  man  auf  dem  Hansetag,  dass  den  Englischen  gegen 
ihre  Schuldner  schleunig  Recht  verschafft  werden  solle,  auch  fortan  kein 
Hanse  Güter  aus  England  schicken  dürfe,  wenn  er  nicht  zuvor  vor  den 
Alderleuten  schwöre,  dass  er  die  Güter  bezahlt  oder  noch  gleichwertige 
unverkauft  in  England  habe.  Kohl  er 'sehe  Sammlung  S.  244.  Schon 
frühere  Recesse,  wie  der  von  1447,  1506  beschäftigten  sich  mit  dieser  Sache. 

4)  Ueber  seine  Beziehungen  zu  Heinrich  VIIL  sieh  Ennen,  Geschichte 
der  Stadt  Köln  IV.  S.  240;  Pauli  in  den  Forschungen  zur  d.  G.  1862. 
S.  415  fg. 

8)  Brewer,  Cal.  I.  5008;  IL  1018;  IV.  4623. 

<)  So  theilen  die  zu  Lübeck  versammelten  Städte  in  einem  Schreiben 
an  Heinrich  VIIL  mit  4.  Juli  1517.  Brewer,  Cal.  III.  3436.  Auf  der 
Tagfahrt  von  1520  suchten  die  Englander  dies  abzuläugnen,  die  Hansen 
aber  behaupteten,  „certum  esse,  quod  idem  dominus  Cardinalis  quibusdam 
mercatoribus  nostris  sub  gravi  pena  prohibuerit,  ne  merces  alias,  quam  in 
civitatibus  Anze  ortas  vel  natas  invehant,*et  propterea  rem  istam  iam  ab- 
solvendam  et  deeidendam  fore.u  (Kölner  Stadtarchiv.  Acta  An  gl.  1434 
bis  1521  fo.  834);  vgl.  auch  ürk.  Beil.  97  §  6. 


—    203    - 

wurden  unter  Heinrich  VIII.  eben  so  wenig  herausgegeben,  als 
unter  dem  Vorgänger.  Für  40000  j£  waren  die  Hansen  so 
verhaftet  und  sie  sollten  diese  Summe  erlegen,  bevor  die„Re- 
cognisances"  ausgehändigt  würden.  Die  garantirten  gericht- 
lichen Privilegien  wurden  nicht  mehr  beobachtet.  Man  erhob 
höhere  Zölle,  höheres  Admiralsgeld  und  machte  mit  den 
Hansen  kurzen  Process,  wenn  Klagen  gegen  sie  laut  wurden. 
Als  z.  B.  1511  im  Kriege  zwischen  Dänemark,  Schweden,  Nor- 
wegen und  Schleswig  die  Stralsunder  ein  Schiff  der  Lynner 
Kaufleute  aufbrachten,  aber  in  der  Schadensersatzleistung  sich 
säumig  zeigten  oder  doch  nicht  die  von  den  Engländern  ver- 
langte Summe  geben  wollten,  Hess  Wolsey  auf  Antrag  der 
englischen  Schiffsherrn  sogleich  Beschlag  auf  die  Güter  der 
deutschen  Kaufleute  in  London  für  ein  ganzes  Jahr  legen, 
ohne  auf  die  von  den  Stahlhofskaufleuten  gemachten  Vor- 
stellungen zu  achten,  dass  ihren  Privilegien  zufolge  kein  Hanse 
für  die  Vergehen  eines  andern  Hansen  zu  haften  brauche. 
Zwei  deutsche  Kaufleute,  Th.  Schuttenbecker  und  Ludolph 
Butinick  mussten  500  {£  Caution  leisten,  auf  dass  keiner  der 
Kaufleute  von  Lübeck,  Rostock,  Stralsund  und  Wismar,  die  im 
Stahlhof  residirten,  England  verlasse  oder  Güter  exportire,  bis 
für  das  genannte  Schiff  eine  Compensation  geleistet  worden 
sei.  Eine  versuchte  Vermittlung  ihres  Herzogs  brachte  den 
Stralsundern,  wie  dem  Herzog  selbst  nur  die  grössten 
Demüthigungen  ein1).  Mehre  Jahre  lang  wurden  die  Stral- 
sunder  Kaufleute  in  London  festgehalten,  und  erst  als  das 
Contor  eine  bedeutende  Summe  zur  Strafe  an  den  König  ge- 
zahlt8), wurde  der  Handel  wieder  ganz  frei  gegeben3).  Die 
Londoner  endlich  bestritten  systematisch  den  Hansen  das  Recht, 
den  Wein  im  Detail  zu  verkaufen,  obwohl  der  Art.  24  des 
Utrechter  Vertrags4)  den  Kleinverkauf  wenigstens  des  Rhein- 
weins klar  und  deutlich  bestätigte5). 


J)  Brewer,  Cal.  III.  1082  Selbstverständlich  ist  die  von  Brewer 
vorgenommene  Ergänzung  des  Adressaten  als  des  Herzogs  von  Geldern  un- 
möglich. Wolsey  sagte  zu  den  Abgesandten  in  feierlicher  Audienz,  den  von 
ihnen  genannten  Fürsten  kenne  er  gar  nicht,  man  wolle  auch  nichts  mit 
ihm  zu  thun  haben.  Sein  königl.  Herr  sei  nicht  gewohnt,  die  Freundschaft 
von  so  gelingen  und  unbekannten  Fürsten  zu  6uchen. 

*)Sieh  auch  Köhler  sehe  Sammlung  S.  247. 

*)  Vgl.  Urk.  Beil.  97,  98,  102  Das  Lübecker  Archiv  enthält  mehre 
Concepte  eines  Briefes,  wonach  Lübeck  noch  am  15.  Sept.  1516  Wolsey  bat, 
doch  wegen  dieser  Sache  nicht  Schuldige  und  Unschuldige  ohne  Unterschied 
leiden  zu  lassen.  Das  eingeschlagene  Verfahren  Verstösse  vollständig  gegen 
die  Privilegien. 

')  „Providebitur  eisdem  mercatoribus,  quod  vina  Renensia  minuatim  et 
&d  retauiam  futuris  temporibus  vendere  valeant,  prout  ab  antiquo  soliti 
sunt  et  consueti."    Rymer  XI.    S.  799. 

*)  9.  Nov.  1514  bestimmt  der  Londoner  Rath  einen  Termin,  an 
welchem  die  Stahlhofskaufleute  ihr  Recht  des  Detailverkaufs  von  Wein 
erweisen  sollen.    Diese  produciren  eine  bezügliche  Urkunde  am  4.  Dez.  1514 


—    204    — 

Es  half  den  Hansen  Nichts,  wenn  sie  sich  auf  ihre  Frei- 
heiten beriefen,  es  nützte  auch  Nichts,  wenn  sie  mit  peinlicher 
Sorgfalt  und  unter  Aufwendung  grosser  Geldsummen  in  jeder 
Parlamentssession  sich  sogenannte  „Provisoes" l)  gegen  etwaige 
Benachtheiligung  zu  erwirken  suchten ;  denn  war  die  Regierung 
schon  nicht  mehr  im  Stande,  diese  Vorbehalte  auf  dem  ge- 
wöhnlichen formalen  Wege  zum  Gesetz  zu  erheben  *),  so  durfte 
sie  auf  keinen  Fall  wagen,  auf  Grund  dieser  eingeschmuggelten 
Exceptionen  Gesetze,  die  ausdrücklich  auf  die  Hansen  ab- 
zielten, unwirksam  zu  machen  und  deren  Anwendung  zu  ver- 
hindern. Die  Gunst  des  englischen  Bürgerthums  um  der 
Hansen  willen  zu  verscherzen,  war  sie  nicht  gewillt,  betrachtete 
vielmehr,  anknüpfend  an  die  von  Heinrich  VII.  überkommenen 
Traditionen,  die  Gesetzesvorbehalte  für  wenig  mehr  als  eine  leere 
Formel3).  Waren  die  Hansen  mit  ihren  Klagen  gar  zu  un- 
gestüm, wies  man  ihnen  einfach  die  Thüre  mit  der  Bemerkung, 
der  König  sei  Herr  in  seinem  Lande  und  könne  nach  Gut- 
dünken Verordnungen  machen4). 

Nachdem  die  Hansen  vergeblich  versucht  hatten,  in  Lon- 
don die  Situation  für  sich  günstiger  zu  gestalten,  baten  sie 
wieder  um  eine  gemeinschaftliche  Conferenz.  Diese  wurde  ge- 
währt, und  englischerseits  Will.  Knight,  John  Husee,  Thom.  More 

(London  City  Records  Reports  2.  fo.  199;  204  b).  Im  Jahre  1520  verbot 
der  Mayor  den  Stahlhofskauf  leuten  neuerdings  den  Verkauf  von  Wein,  be- 
sonders auch  von  Rheinwein  im  Detail.  Die  Hansen  weigern  sich  dessen 
und  erhärten  ihr  Recht  durch  Vorzeigung  des  unter  Eduard  IV.  ertheilten 
und  vom  Parlament  bestätigten  Privilegs.  18.  Dez.  1520  (London  City  Re- 
cords Liber  N.  fo.  150  b).  13.  Dez.  1523  erneuert  der  Londoner  Rath  in  Folge 
der  von  den  Londoner  Burgern  erhobenen  Klagen  das  Verbot,  wogegen 
am  15.  Dez.  die  2  Stahlhofssecretäre  in  Begleitung  eines  juristischen  Bei- 
standes den  Detailverkauf  von  Rheinwein  in  der  Londoner  Rathsversamm- 
lung  abermals  vertheidigen  (L.  C.  R.  Repert.  4  fo.  215  u.  215  b).  Derselbe 
Vorgang  wiederholte  sich  am  13.  u.  15.  Dezember  1524  (L.  C.  R.  Repert.  7 
fo.  21  u  22. 

*)  Vgl.  1  Hen.  VIII.  c.  20;  4  Hen.  VIII.  c.  20:  6  Hen.  VIII.  c.  25; 
14  u.  15  Hen.  VIII.  c.  29;  22  Hen.  VIII.  c.  8;  26  Hen.  Vin.  c.  26: 
32  Hen.  VIII.  c.  14. 

*)  So  war  dies  der  Fall  gerade  in  der  Session,  in  welcher  das  Gesetz 
3  Hen.  VII.  c.  11  wegen  der  Ausfuhr  ungeschorner  Tücher  durch  die  Acte 
3  Hen.  V11I.  c.  7  erneuert  ward.  Die  Regierung  liess  dem  Hause  der  Lords 
ein  Proviso  zugehen;  als  sie  aber  gewahr  wurde,  dass  dasselbe  im  Hause 
der  Gemeinen  sicher  und  vielleicht  sogar  im  Oberhaus  abgelehnt  werden 
würde,  zog  sie  es  zurück,  und  der  Kanzler  erklärte  im  Namen  der  Re- 
gierung, es  genüge,  wenn  der  König  allein  das  Proviso  unterzeichne,  es 
bedürfe  weder  der  Zustimmung  der  Lords  noch  der  Gemeinen.  Lords' 
Jo  urals  Vol.  I.  3  Hen.  VIIL  45°  die  Pari.  So  kam  das  Proviso  4  Hen. VIII. 
c.  20  in  die  Reihe  der  Gesetze.  Eine  ähnliche  Anomalie  hatte  Statt  bei 
dem  nächsten  Proviso  6  Hen.  VIII  c.  25.  Auch  hier  stimmten  die  Ge- 
meinen nicht  zu;  die  Lords  aber  fassten  den  Beschluss,  das  Proviso,  da 
dasselbe  schon  durch  ihre  Zustimmung  gültig  sei ,  gar  nicht  ans  Unterhaus 
gelangen  zu  lassen.    Lords1  Journ.  6  Hen.  VIII.  58°  die  Pari. 

*)  Sieh  oben  S.  183,  184,  199. 

*)  Köhler'sche  Sammlung  beim  Jahre  1521.    S.  246. 


—    205    — 

und  der  Vorstand  der  englischen  Kaufleute  John  IJewster  er- 
nannt1). Die  Hansen  sandten  12  Vertreter  ab2).  Die  Ver- 
handlungen sollten  zu  Brügge  geführt  werden. 

Die  Hansen  hofften,  sicher  mit  ihren  Forderungen  durch- 
zudringen. Sie  beachteten  nicht,  dass  die  Verhältnisse  in 
England  für  sie  täglich  schlechter  wurden,  und  dass  für 
ihre  Hoflhungen  jede  reale  Unterlage  fehlte.  Wie  hatten  sich 
die  Zeiten  gegen  früher  geändert!  Aus  einem  schwachen  und 
im  Innern  zerklüfteten  Reiche  war  England  ein  Staat  geworden, 
der  in  der  europäischen  Politik  eine  gewichtige  Stimme  besass. 
Auf  dem  Thron  sass  diu  Herrscher,  dessen  Ansprüche  an  die 
Krone  von  Niemand  bestritten  wurden  und  der  das  vollste 
wusstsein  königlicher  Gewalt  in  sich  vereinigte.  Im  Lande 
selbst  war  eine  Summe  von  wirtschaftlicher  Energie  und 
von  Kräften  zur  Entwicklung  gelangt,  die  nach  weiterer  Aus- 
dehnung strebten  und  unaufhaltsam  vorwärts  drängten. 

Man  begreift,  wenn  die  englischen  Bevollmächtigten  mit 
erhöhtem  Selbstgefühl  auftraten,  um  so  mehr,  als  wenige  Mo- 
nate zuvor  selbst  die  Niederlande  zu  bedeutenden  commerciellen 
Concessionen  England  gegenüber  sich  herbeigelassen  hatten. 

Die  englischen  Deputirten  kamen  am  19.  Juli  nach  Brügge. 
Die  Verhandlungen  wurden  im  Carmeliterkloster  geführt.  Die 
Hansen  legten  ihre  Klagen 8)  vor,  und  nach  längeren  unwesent- 
lichen Präliminarien  trat  man  in  die  Besprechung  der  einzelnen 
Punkte  ein 4).  Mit  besonderer  Sorgfalt  vertheidigten  die  Hansen 
ihre  Forderung  in  Betreff  der  Ausfuhr  ungeschorner  Tücher, 
weshalb  sie  auch  diesen  Artikel  an  die  Spitze  ihrer  Beschwerden 
gestellt  hatten.  Knyght  und  Thomas  More  bemühten  sich, 
ihre  Gründe  zu  widerlegen.  Der  erstere  machte  geltend,  man 
müsse  bei  dieser  Frage  die  Absicht  des  Privilegienertheilers 
berücksichtigen;  es  sei  nicht  zu  präsumiren,  dass  dieser  die 
Meinung  gehegt,  in  Zukunft  nicht  etwas  statuiren  zu  dürfen, 
was  zum  allgemeinen  Wohl,  aber  zum  Nachtheil  der  Hansen 
sei.    Der  König  sei  also  vollkommen  im  Rechte  gewesen,  wenn 


')  Calais  10.  Juni  1520.    Rymer  XIII.    S.  722. 

*)  Bürgermeister  Nie.  Bromse,  Dr.  Math.  Packebusch,  Lamb.  Witing- 
hoft,  Secretar  Paul  von  Velde  aus  Lübeck;  Bürgermeister  Ad.  Rinck, 
Herrn.  Rink,  Dr.  Jodocus  Wilpurg  von  Erpach,  Alb.  v.  Gueyss,  Thom. 
Burchmann  aus  Köln;  Bürgermeister  Gerh.  von  Holte,  Joh.  Reinike,  Joh. 
Halp  aus  Hamburg.  Kölner  Stadtarchiv.   Acta  An  gl.  1484—1521  fo.  292. 

^Urk.  Beil.  97. 

*)  Für  das  Folgende  wurde  benützt  der  wahrscheinlich  von  dem 
Lübecker  Syndicus  Dr.  M.  Pakebusch  verfasste  Bericht  über  die  Verhand- 
lungen in  den  Acta  Angl.  1434—1521  des  Kölner  Stadtarchivs  fo.  293 
bis  318.  Eine  zweite,  von  derselben  Hand  geschriebene,  am  1.  August  vor- 
genommene oder  begonnene  Registrirung  einer  ersten  Besprechung  der  han- 
sischen Beschwerden  findet  sich  ebenda  fo.  329  fg.  und  wurde  gleichfalls 
mitverarbeitet 


—    206    — 

er  das  Verbot  der  Ausfuhr  ungeschorner  Tücher  zum  Gesetz 
habe  erheben  lassen.  More  dagegen  führte  besonders  aus, 
wie  das  Statut  nicht  zum  Privatvortheil  der  Londoner  Scheerer 
und  Walker,  sondern  zum  öffentlichen  Nutzen  gereiche.  Hebe 
man  es  auf,  so  erwüchsen  dem  Reiche  grosse  Kosten.  Auch 
könnten  ohne  dasselbe  die  genannten  Gewerbsleute  in  England 
sich  nicht  so  vortheilhaft  erhalten  und  ernähren.  Ueber  die 
Frage,  ob  das  Gesetz  dem  Lande  nütze,  hätten  übrigens  die 
Hansen  gar  nicht  zu  urtheilen,  das  sei  Sache  des  Königs. 
Man  könne  nur  Billigkeitsrücksichten  geltend  machen.  Aber 
gerade  diesen  entspreche  es,  dass  der  König  seine  Unterthanen 
unterstütze,  nicht  aber  dass  er  zu  seinem  Schaden  und  auf 
seine  Kosten  den  Hansen  Vortheile  zuwende.  Nur  wenige 
Jahre  habe  der  deutsche  Kaufmann  das  Recht,  ungeschorene 
Tücher  ausführen  zu  dürfen,  ausgeübt,  er  könne  nicht  die 
Gewohnheit  für  sich  geltend  machen.  Dazu  komme,  dass  an 
diesen  Punkt  sich  viele  Folgen  knüpften ;  es  sei  zu  befürchten, 
dass,  wenn  man  hier  den  Hansen  nachgebe,  sie  dann  auch  die  I 
übrigen  Statuten  reformirt  wissen  wollten,  wie  das  Statut,  dass  ! 
man  den  Hansen  nicht  in  Gold  zahlen,  das  Statut,  dass  man  j 
gewisse  Waaren  nur  in  englischen  Schiffen  verfrachten  dürfe,  j 
die  Gesetze  über  die  Ausfuhr  von  Wolle  und  anderen  ; 
Waaren.  Das  werde  zur  Folge  haben,  dass  die  Hansen  \ 
das  Stapel  des  Reiches  untergrüben,  allen  Erwerb  Englands  ; 
an  sich  zögen  und  einen  grossen  Theil  der  Krone  Englands  \ 
entfremdeten1).  Nur  wenn  diesen  Consequenzen  vorgebeugt 
würde,  die  Hansen  also  alle  übrigen  Statuten  in  Kraft  lassen 
wollten,  könne  man  die  Zurücknahme  des  mehrerwähnten  Ge- 
setzes in  Erwägung  ziehen. 

Davon  wollten  die  hansischen  Bevollmächtigten  Nichts 
wissen.  In  diesem  Compromiss  sehen  sie  nur  eine  Falle.  Sie 
meinen,  da  sie  diese  „anderen"  Statuten  nicht  kannten,  so 
könne  e&  leicht  sein ,  dass  diese  ihren  Freiheiten  nachtheiliger 
wären,  als  dieses  Gesetz.  Knights  Ansicht  sei  unrichtig.  Seit 
200  Jahren  und  noch  länger  hätten  sie  das  Privileg  des  freien 
Verkehrs  und  der  freien  Ausfuhr.  Eduard  IV.  und  das  Parla- 
ment hätten  alle  ihre  Rechte  anerkannt  und  versprochen,  dass 
ihnen  keine  neuen  Beschwerden  auferlegt  werden  sollten.  Ihr 
Privileg  sei  unwiderruflich  und  ein  dauerndes.  Was  die  In- 
tention des  Privilegiengebers  betreffe,  so  stehe  hinsichtlich 
dieser  Nichts  fest.  Man  müsse  sich  an  die  Worte  der  Privi- 
legien halten.  Diese  seien  aber  klar  und  deutlich  und  be- 
dürften keiner  Interpretation.  Wo  komme  man  überhaupt  hin, 
wenn  die  Theorie  von  Knight  richtig  wäre,  wonach  nicht  das 
geschriebene  Wort,   sondern  eine  verborgen  bleibende  Absicht 


')  „omnem  questum  Anglie  nobis  usurpemus  magnamqae  partem  corone 
Anglie  auferamus."    a.  a.  0.  fo.  303. 


—    207     - 

entscheide?  jeder  Contract  werde  zur  Unmöglichkeit.  Auch 
mit  dem  öffentlichen  Nutzen  sei  es  nicht  weit  her.  Ausser- 
halb Londons  gebe  es  gar  keine  Walker  und  Scheerer  im 
Königreich,  nur  auf  Bitten  der  Londoner  sei  das  Gesetz  er- 
lassen worden.  Den  Sondernutzen  der  Londoner  Walker  und 
Scheerer  mit  dem  öffentlichen  Gemeinwohl  zu  identificiren,  sei 
unstatthaft;  man  dürfe  nicht  jenen  als  Grund  zur  Schädigung 
ihrer  Privilegien  vorschützen.  Mit  demselben  Recht  könnte 
der  König  ihre  Privilegien  zerstören,  weil  Etwas  den  Schuh- 
machern oder  Fellbereitern  nützlich  sei.  Wenn  der  englische 
Gesandte  ihnen  das  Recht  abspreche,  über  den  Nutzen  des 
Reiches  zu  urtheilen,  dann  solle  man  nicht  einen  angeblichen 
Nutzen  als  Beweisgrund  vorbringen,  zumal  ein  solcher  indirecte 
Vortheil  ganz  irrelevant  sei  und  nicht  ihren  Statuten  präjudi- 
ciren  könne.  Die  Deductionen  der  Engländer  seien  absurd  und 
grenzten  fast  ans  Kindische.  Das  Statut  sei  überwiegend 
schädlich.  Man  brauche  nicht  zu  besorgen,  dass,  wenn  das- 
selbe ausser  Kraft  trete,  die  Scheerer-  und  Walkerzunft  zu 
Grunde  gehe  und  nicht  genug  zu  leben  habe;  aber  selbst 
wenn,  so  seien  die  Hansen,  nicht  gehalten,  jene  in  Nahrung  zu 
setzen  und  ihre  Privilegien  einzubüßen.  Der  Kaufleute,  denen 
dies  Gesetz  prajudicire,  gebe  es  weit  mehr,  als  Walker,  denen 
es  Vortheil  bringe.  Aller  Tuchhandel  und  daraus  resultirende 
Erwerb  gehe  den  Hansen  verloren;  denn  sie  könnten  ihre 
Tücher  nicht  zur  rechten  Zeit  zur  Messe  bringen  und  nicht 
die  in  ihren  Absatzgebieten  beliebten  Sorten  bekommen,  da 
man  bei  den  Engländern  keine  solche  Farben  finde  und  die 
Tücher  unrichtig  und  betrügerisch  appretirt  würden.  Der  König 
hätte  doch  wenigstens  verordnen  sollen,  dass  die  Tücher  ge- 
schoren und  zugerichtet  werden  müssten,  bevor  sie  von  den 
Engländern  zum  Verkauf  ausgestellt  würden.  Wenn  man  den 
Hansen  gestatte,  von  den  Engländern  ungeschorene  Tücher  zu 
kaufen,  weshalb  nicht  auch,  dass  man  sie  exportire?  Man 
müsse  vermuthen,  dass  nur  Hass  gegen  die  Hansen  der  Grund 
dieser  Acte  sei. 

All  das  machte  keinen  Eindruck  auf  die  Engländer,  sie 
waren  nicht  zu  überzeugen.  Die  englische  Regierung  hatte  ihren 
Bevollmächtigten  untersagt,  hier  eine  Concession  zu  machen. 
Aus  den  Zollregistern  sah  sie,  dass  der  Tuchexport  nicht 
unter  diesem  Gesetze  litt.  Die  Ausfuhr  der  Hansen  selbst 
war  trotz  desselben  fortwährend  im  Steigen1).  Den  übrigen 
Beschwerdepunkten  wurde  beiderseits  geringes  Interesse  zu- 
gewendet Nur  bei  der  Frage,  ob  die  Hansen  auf  Grund 
der  Privilegien  auch  vom  Gerichtshof  des '  Exchequer  befreit 
säen,  fahrte  zu  einer  eingehenderen  Debatte.  Die  Hansen 
hatten    guten     Grund,     hier    streng     ihr     Recht     zu     ver- 

*)  Sieh  Bd.  IL    S.  18,  19. 


—    208    — 

theidigen.  Der  Exchequercourt  wurde  wie  die  Hölle  gefürchtet. 
Wer  in  seine  Gewalt  gerathen,  für  den  gab  es  kein  Entrinnen 
mehr1).  Obwohl  der  Artikel  7  des  Utrechter  Vertrags  deut- 
lich stipulirte,  dass,  wenn  die  Hansen  vor  Gericht  belangt 
würden,  der  jeweilige  Kanzler  und  Schatzmeister  den  Process 
inhibiren  und  selbst  entscheiden  sollten,  so  wollten  doch  die 
englischen  Bevollmächtigten  die  Exemption  der  Hansen  von 
der  Jurisdiction  des  Ex  che  quer  nicht  anerkennen.  Ueber  die 
übrigen  Artikel  gingen  die  Engländer  rasch  hinweg,  indem  sie 
die  Klage  als  unbegründet  zurückwiesen  oder  Unkenntniss 
vorschützend  erst  die  Sache  untersuchen  lassen  wollten,  wofür 
sie  aber  lange  Zeit  beanspruchten,  so  dass  keine  Aussicht  vor- 
handen war,  dass  die  von  den  Hansen  vorgebrachten  Be- 
drückungen bei  Gelegenheit  dieses  Congresses  aus  der  Welt 
geschafft  würden.  Die  hansischen  Bevollmächtigten  kamen 
auch  selbst  immer  wieder  auf  die  beiden  ersten  Artikel  zurück 
und  drangen  darauf,  dass  man  hinsichtlich  dieser  zuerst  ab- 
schliesse  und  dann  erst  über  die  übrigen  weiter  verhandle. 
Es  war  dies  ein  tactischer  Kunstgriff,  es  sollte  dadurch  klar 
werden,  was  die  Engländer  im  Schilde  führten.  Die  Klärung 
der  Situation  wurde  erreicht,  aber  in  der  Weise,  dass  die 
Engländer  bei  dem  ersten  Artikel,  „in  welchem  die  ganze 
Gewalt  des  Streites  lag\  nicht  nachgaben. 

Unter  den  hansischen  Delegaten  entstand  darüber  grosse 
Bestürzung.  Die  Hoffnungen,  die  man  gehegt,  waren  zu  Wasser 
geworden.  Man  stand  vor  der  Wahl,  ob  man  ganz  abbrechen 
oder  wenigstens  eine  Prorogation  anstreben  solle.  In  der  Be- 
rathung,  welche  die  Hansen  unter  sich  pflegten,  wurde  auf  die 
Wichtigkeit  und  Bedeutsamkeit  der  den  Engländern  zu  geben- 
den Antwort  hingewiesen2).  Die  einen  wollten  von  einer  Pro- 
rogation Nichts  wissen;  die  Tagfahrten  seien  kostspielig,  die 
jedesmalige  Reise  sei  mühsam  und  voll  von  Gefahren,  und 
schliesslich  verlaufe  Alles  ohne  Resultat.  Was  die  Engländer 
beabsichtigten,  sei  ja  klar.  Sie  dächten  nur  daran,  die  Hansen 
aus  dem  Königreich  zu  treiben  oder  durch  Kosten  und  Drang- 
sale zu  ermüden  und  dadurch  gefügig  zu  machen8).   Andere 

*)  Vgl.  Brinklow,  Complaynt  of  R.  Mors  ed.  Cowper  S.  24.  Aehnlich 
ungünstig  über  den  Exchequer  äusserte  sich  1551  der  venetianische  Gesandte 
Barbaro  Daniele,  der  hiebei  das  Spruch  wort  citirt:  „Quod  non  capit  Christus, 
rapit  fiscus."  Alberi,  Relazioni  Ser.I.  Vol. IL  S.235;  Browu,  CaLV.  934. 

*)  „In  hoc  responso  leges  et  prophetas  pendere  neque  posthac  in  pre- 
senti  dieta  unquam  bene  responsuros,  si  nunc  male  respondeant,  jam  ulcus 
acu  tangendum  fore,  et  multa  hiis  non  dissimilia.  Quibus  auditis  oratores 
Anze  toto  animo  consternati  et  bonam  partem  spei,  quam  antea  conceperant, 
concidisse  arbitrati  diu*  ac  varie  inter  se  colloquebantur."   a.  a.  0.  fo.  304. 

3)  „Anglicos  versutos  et  callidos  nichil  aliud  quereretquam  ut  nostros 
vel  regno  expellant  vel  laboribus  yiarum  discriminibus  ac  impensis  fatigatos 
in  sua  vota  pertrahant.  Similia  istis  sepe  antehac  tentata  ab  eis.  nichil  un- 
quam eorum,  que  promisere,  servatum  vel  impletum.  Grave  dispendium 
ac  periculum  promptum  in  Anglia  degentes  subituros."  a.  a.  0.  fo.  304. 


—    209    — 

meinten,  eine  Vertagung  sei  doch  von  zwei  liebeln  das  kleinere. 
Breche  man  ab,  so  würden  die  Engländer  nie  wieder  die  Hand 
zu  einem  Vergleich  bieten,  und  die  Kaufleute  müssten  Eng- 
land verlassen.    Die  letztere  Meinung  behielt  die  Oberhand. 

Nach  einem  nochmals  vergeblich  gemachten  Versuch,  die 
Engländer  zur  Aenderung  der  Parlamentsacten  zu  veranlassen, 
wobei  die  Debatten  äusserst  erregt  wurden,  fasste  man  beider- 
seits einen  Recess  für  die  Vertagung  ins  Auge.  Nur  mit  Mühe 
und  Noth  kam  dieser  zu  Stande.  Die  englischen  Bevollmäch- 
tigten verlangten  einen  Wortlaut,  der  den  Hansen  sehr  ver- 
fänglich schien.  Die  beiden  Wortführer  der  hansischen  Ver- 
treter, Dr.  Packebusch  und  Dr.  Jodocus,  wandten  alle  ihre 
Beredungsgabe  auf,  um  wenigstens  das  Zugeständniss  zu  er- 
wirken, dass  bis  zum  folgenden  Congress  alle  Feindseligkeiten 
unterblieben  und  die  Anwendung  der  Parlamentsacten  mit 
Bezug  auf  die  Hansen  ausgesetzt  werde.  Der  Termin  sei 
ja  nur  kurz,  dem  König  werde  nicht  präjudicirt,  das  Ver- 
langen entspreche  der  bona  fides  und  auch  der  Billigkeit, 
da  sie  nicht  die  Ursache  seien,  weshalb  der  Congress  re- 
sultatlos verlaufe.  Aber  alle  Mühe  war  vergeblich.  Th.  More 
erklärte,  die  Suspensivclausel  sei  für  die  Engländer  un- 
annehmbar. Wie  dürfe  man  in  solcher  Weise  dem  König 
die  Hände  binden1)  und  verlangen,  dass  ihm  während  der 
Vertagung  Etwas  untersagt  sei,  was  er  vorher  thun  konnte? 
Jetzt  und  seit  Langem  sei  der  König  im  Quasibesitz  des  Rechts, 
die  Ausfuhr  ungeschomer  Tücher  zu  verbieten  und  Aehnliches 
mehr  zu  thun,  bei  Annahme  der  Suspensivclausel  würden  die 
Hansen  in  ihren  Quasibesitz  eingesetzt,  dem  König  aber  das 
Seinige  entzogen.  Der  Status  quo,  so  wie  er  jetzt  zur  Zeit  des 
Googresses  bestehe,  müsse  erhalten  werden.  Der  König  werde 
gewiss  keinen  Gebrauch  von  seinem  Rechte  machen,  wfe  er  ja 
auch  seit  Festsetzung  des  Termins  für  diese  Tagfahrt  von  der 
Verfolgung  der  schwebenden  Processe  abgestanden  sei,  nur 
verpflichten  könne  man  ihn  nicht.  More  gab  seine  Hand,  dass 
er  für  eine  loyale  Behandlung  wirken  wolle.  Die  Hansen 
mussten  wohl  oder  übel  sich  fügen;  denn  sie  meinten:  „cum 
aliud  haben  nequeat,  tucius  esse,  ut  haec  dieta  suspenderetur, 
quam  quod  omnino  dissolveretur,  ut  saltem  interea  unusquisque 
periculo  et  dampno  suo  consulere  et  prospicere  possit."  Genau 
so,  wie  die  Engländer  den  Recess  abgefasst  hatten,  mussten 
die  Hansen  ihn  acceptiren,  obwohl  jene  sogar  Aenderungen 
vorgenommen  hatten,  denen  die  Hansen  vorher  nicht  zu- 
gestimmt 2). 


*)  „hoc  modo  manus  sue  claudantur"  a.  a.  0.  fo.  312. 

*)  Der  -Tenor  quarti  et  ultimi  recessus  inter  legatos  Anglicos  et 
Hanseaticos  Brugia  habiti"  vom  12.  August  ist  publicirt  bei  Lappenberg, 
Urkundliche  Geschichte  des  hansischen  Stahlhofes  S.  173.    Hinsichtlich  der 

Schani,  Engl.  Handelspolitik.    I.  14 


—     210    — 

Durch  diesen  Ausgang  waren  die  Hansen  in  eine  Zwangs- 
lage gebracht  worden.  Für  die  nächste  Tagfahrt  aber  waren 
die  Aussichten  eher  schlechter  als  besser. 

Während    der  Verhandlungen   über  die  Suspensivclausel 
hatte   Th.   More    Gelegenheit    genommen,    die    Hansen    auf- 
merksam zu  machen,  worauf  man  das  nächste  Mal  hinziele. 
Scheinbar  als  gedenke  er  ihnen  einen  besondern  Gefallen  zu 
erweisen,    erzählte    er   in    einschmeichelnder  Rede    und   mit 
liebenswürdiger  Miene1),  dass  er  ihnen  für  den  nächsten  Con- 
gress  eine  geheime  Eröffnung  machen  wolle.    Gleich  bei  Be- 
ginn der  jetzigen  Verhandlungen  habe  er  ihre  Vollmacht  nach 
England  geschickt.    Der  König  sei  nicht  in  London  gewesen, 
aber  einige  Räthe  hätten  dieselbe  geprüft  und  sie  unzulänglich 
gefunden,   und  zwar  in  dreifacher  Hinsicht.    Der  Vollmacht 
zufolge  seien  die  hansischen  Deputirten  nicht  befugt,  über  den 
Missbrauch  der  Privilegien  und  einer  deswegen  zu  verwirken- 
den Strafe  zu  unterhandeln,  ebenso  nicht  über  die  Form,  in 
welcher  die  hansischen  Kaufleute  in  Zukunft  ihre  Privilegien 
in  England   und    die  englischen  Unterthanen   die   ihrigen  in 
den  Städten  und  Ortschaften   der  Hansa  gemessen,  und  wie 
sie  behandelt  werden  sollten,  endlich  nicht  darüber,   welche 
Städte  und  Bürger  aus  der  Hansa  zum  Genuss  der  Privilegien 
zuzulassen  seien.    Dieser  letzte  Punkt  sei  der  wichtigste,  über 
ihn  müsse   unter   allen   Umständen    eine    Abmachung    statt- 
finden.    Der  König  und  die  Räthe  seien  der  Ueberzeugung, 
dass  die  Hansen  einige  Städte,  die  nicht  zur  Hansa  gehörten, 
aufgenommen   und    so    die   Grenzen    ihrer   Privilegien   über- 
schritten hätten.     Auch  darin  sei   die  Vollmacht  unvollstän- 
dig, dass  die  Deputirten  nicht  ausdrücklich  ermächtigt  seien, 
Neues  zu   vereinbaren.     Dies  sei    deshalb  nothwendig,    weil 
in  den  ^Privilegien  viele  Worte  enthalten  seien,  welche  anders 
aufgefasst  werden  mtissten,   als   dies  von  Seite   der  Hansen 
geschehe,   er  erinnere  an   die  Worte   „mercandisis  suis",    an 
die  Clausel,  dass  der  König  Nichts  statuiren  dürfe,  das  den 
Privilegien  präjudicire,  was  eine  unerträgliche  Beschränkung 
der  königl.  Macht  involvire2).    Das  seien  Fragen,  die  gründ- 
lich erörtert  und  die  entschieden  werden  müssten ;  und  er  wolle 
es  ihnen  nur  gestehen,   wegen  der  ungenügenden  Vollmacht 
hätten  sie  Befehl  erhalten,  nicht  mit  den  Hansen  abzuschliessen. 
Sie  hätten  es  unter  diesen  Umständen  für  das  nützlichste  er- 
achtet, im  Interesse  des  Friedens  und  der  Freundschaft  den 


A enderangen  heisst  es  im  hansischen  Bericht  fo.  317:  preter  et  ultra  con- 
ventionem  nostram  adiecerant  clausulam  illam  „plena  auctoritate  suflulti" 
relicta  et  omiBsa  quadam  alia,  quam  nos  apposueramus. 

*)  „blando  sermone  et  placido  vultu,  prout  Angiitis  mos  est"  a.a.O. 
fo.  31$. 

*)  „ut  omnem  potestatem  regi  adimamus  et  pretextu  priviiegiorum 
nostrorum  regias  manus  claudamus."  a.  a.  0. 


—    211     — 

gegenwärtigen  Congress  zu  vertagen.  Die  Hansen  möchten 
deshalb  dafür  sorgen,  dass  sie  das  nächste  Mal  mit  hinläng- 
licher Vollmacht  ausgerüstet  seien,  sonst  werde  der  nächste 
Congress  wieder  fruchtlos  verlaufen1).  Gegen  Unkenntniss 
seien  sie  jetzt  geschützt. 

Man  sieht,  wie  die  Engländer  immer  mehr  zur  Offensive 
übergiengen,  wie  sie  systematisch,  Schritt  für  Schritt  die  Hansen 
bedrohten. 

Als  die  Engländer  abgereist  waren,  riefen  am  13.  August 
die  hansischen  Bevollmächtigten  die  Londoner  Alderleute  mit 
ihrem  Secretär  zu  sich,  und  bemerkten,  sie  hätten  nun  gesehen, 
in  welcher  Weise  man  sich  von  den  Engländern  getrennt,  wie 
listig  und  heimtückisch  diese  ihnen  gegenüber  gehandelt,  wie 
sie  Anfangs  Schönes  versprochen ,  dann  aber  wenig  gehalten 
hätten.  Es  scheine  deshalb  gerathen,  dass  der  Londoner  Kauf- 
mann die  Gefahr  erwäge  und  sein  Eigenthum  mit  sammt  den 
Privilegienbriefen  ausser  Landes  schaffe.  Den  Engländern  sei, 
wie  sie  selbst  wüssten,  nicht  zu  trauen;  denn  diese  dächten 
an  die  Vertreibung  der  Hansen  *). 

Nach  aussen  führten  die  Städter  freilich  eine  andere 
Sprache.  Da  liessen  sie  durchblicken,  dass  man  die  Hansa  nicht 
so  leicht,  als  man  vielleicht  denke,  bei  Seite  schieben  könne. 
Man  glaubt  in  der  That  noch  die  Kraft  früherer  Tage  zu 
spüren,  wenn  die  Hansen  die  stolzen  Worte  fallen  liessen,  mit 
ihrem  Geld  und  ihrem  Blut  hätten  sie  in  England  ihre  Privi- 
legien erkauft,  sie  seien  auch  fest  entschlossen,  das  theuer  Er- 
worbene aufrecht  zu  erhalten3). 

Der  englische  Gesandte  Spinelly  in  Brüssel  kann  seinen 
Missmuth  gegen  dieselben  nicht  verbergen  und  legt  Wolsey 


*)  Im  Recess  wurde  diesem  Punkte  insoweit  Rechnung  getragen,  als 
es  hiess:  „oratores  magnificae  commanionis  Anzae  in  dicto  opjpido  Bruggensi 
convenient,  suffulti  authoritate  et  potestate  sufficienti  ad  com- 
municandum,  tractandum,  transigendum  et  concludendum  super  omnibus 
querelis,  differentiis  et  dissensiombus,  dampnis  et  iniuriis,  specialibus  et 
generalibus,  vicissim  propositis  et  proponendis." 

9)  „ut,  si  vellent,  suo  periculo  consulerent  et  res  suas  cum  privilegiis 
exportarent;  partim  Angiicis,  quemadmodum  et  ipsi  scirent,  fidendum  esse, 
iogeotia  illos  promittere,  exilia  prestare"  a.  a.  0.  fo.  317.  Ausserdem  hielt 
man  für  angezeigt,  dass  Stillschweigen  über  die  Verhandlungen  beobachtet, 
nichts  gegen  die  Form  des  Recesses  unternommen,  alle  Privilegienbriefe  be- 
hufs Instruction  abgeschrieben,  und  bei  auftauchenden  Klagen  genau  nach- 
geforscht und  für  Beweise  gesorgt  werde.  Der  Kölner  Bürgermeister  empfahl, 
die  Form  und  Art,  wie  die  Vollmacht  abzufassen  sei,  zu  erwägen  und  einen 
Theil  der  Städte  zur  Berathung  über  die  nächsten  Verhandlungen  einzu- 
berufen, a.  a.  0.  fo.  317. 

')  „The  Lorde  Berghes  shewed  me,  that  the  Stiliardes  saith  to  have 
booght  with  ther  money  and  blöde  suche  preveleges  and  liberties,  they 
have  within  the  realme  of  Endonde,  and  that  they  be  so  determyned  to 
defende  and  conserve  yt.u  Spinelly  an  Wolsey.  15.  September  1520.  Br.  M. 
Cotton  Msc.  Galba  B.  VI.  fo.  207. 

14* 


—    212    — 

nahe,  dass  man  energisch  vorgehen  müsse.  Sie  trieben  es  gar 
zu  unverschämt.  Er  sei  neulich  zu  Antwerpen  gewesen  und 
habe  gesehen,  wie  da  an  den  verschiedenen  Häusern  der 
Stahlhofsleute  die  englischen  Wappen  prangten  und  daneben 
grosse  Placate  glänzten  zur  Kunde,  dass  man  hier  englisches 
Tuch  verkaufe.  Auch  habe  er  in  Erfahrung  gebracht,  dass 
die  hansischen  Deputirten  zu  Brügge  auf  der  nächsten  Con- 
ferenz  nicht  einzulenken  gedächten.  Ueberall  klage  man  jetzt 
über  die  Hansen,  und  da  er  wisse,  wie  sehr  Wolsey  auf  das 
Wohl  und  den  Vortheil  der  Engländer  bedacht  sei,  so  wolle 
er  nicht  verfehlen  mitzutheilen,  dass  besonders  der  König  von 
Dänemark  über  sie  erbittert  sei,  weil  sie  gegen  ihn  intriguirt 
hätten,  als  er  eine  Stadt  in  Schweden  belagerte x).  Der  Kaiser 
sei  nicht  weniger  empört  über  sie  in  Folge  der  Erpressungen 
und  Beraubungen,  welche  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  gegen 
die  Holländer,  Zeeländer  und  Brabanter  sich  fortwährend  zu 
Schulden  kommen  Hessen,  da  sie  nicht  gestatten  wollten,  dass 
diese  ostwärts  handelten.  Würde  man  mit  dem  Kaiser  und  dem 
König  von  Dänemark8)  gemeinsame  Sache  machen,  so  könnte 
man  wohl,  ohne  in  einen  Krieg  zu  gerathen,  den  Stolz  und  Hoch- 
muth  der  Stahlhofsleute  niederdrucken  und  sie  veranlassen, 
sich  genügen  zu  lassen,  wie  es  das  Recht  verlange.  Der 
Kaiser  sei  nach  seinen  Erkundigungen  dazu  gerne  bereit3). 

Die  Möglichkeit  einer  Trippleallianz  zur  Bekämpfung  der 
Hansen  war  sonach  nicht  ausgeschlossen.  Die  Feindschaft 
zwischen  Franz  I.  und  dem  Kaiser  verhinderte  sie.  Allein 
England  konnte  auch  so  den  Hansen  imponiren. 

Der  in  Aussicht  genommene  neue  Congress  fand  nicht  am 
1.  Mai  1521  statt,  sondern  der  Termin  wurde  auf  Bitten  der 
Hansen4)  auf  den  letzten  August  verschoben.  Die  Verhand- 
lungen fielen  also  in  eine  Zeit,  in  der  Wolsey  den  höchsten 
Triumph  seiner  auswärtigen  Politik  feierte  und  zu  Galais  den 
Schiedsrichter  zwischen  den  zwei  grössten  europäischen  Mächten, 


1)  Offenbar  Stockholm,  welches  die  Gemahlin  Sten  Stures  (Christine 
Gyllenstjerna)  lange  mit  Unterstützung  Lübecks  gegen  Christian  IL  hielt 

*)  Christian  IL  befand  sich  damals  beim  Kaiser  in  den  Niederlanden. 

■)  29.  Aug.  1520.  Brewer,  Cal.  III.  964  und  State  Papera  VI. 
S.  65.  Aehnlicn  schreibt  er  am  15.  Sept.  1520  und  hebt  abermals  die 
Geneigtheit  der  Niederlande,  mit  England  gegen  die  Hansen  vorzugehen, 
hervor :  „And  putte  no  doubte,  if  the  king  highnes  wolde  encrease  to  his 
amyties  and  treaties  with  the  king  of  Romaynes  some  comon  beneficiall 
article  towching  the  seid  stiliardes,  the  mater  on  this  aide  wilbe  thankftril 
accepted;  for  theee  Countrees  haith  receyved  and  receyve  daily  wrongis  of 
them  in  navigacions  estwarde."  Br.  M.  Cotton  Ms  er  8.  Galba  B.  VI. 
fo.  207.    (Die  Stelle  ist  bei  Brewer  III.  978  ganz  verdorben). 

4)  Dies  geht  hervor  aus  einem  Schreiben  des  Londoner  Contors  vom 
14.  Aug.  1521,  worin  dasselbe  seine  Vertreter  für  die  Tagfahrt  delegirt. 
(Lübecker  Archiv). 


—    213    — 

dem  König  von  Frankreich  und  dem  Kaiser  Karl  V.  spielte. 
Hatten  schon  1520  die  Hansen  das  steigende  Machtgefühl  der 
Engländer  zu  beobachten  Gelegenheit,  so  musste  die  allgemeine 
politische  Lage  dies  jetzt  noch  stärker  hervortreten  lassen. 
Wenn  Kaiser  und  Könige  vor  der  englischen  Krone  sich 
beugten  und  ihre  Unterstützung  suchten,  wie  sollte  man  da 
diesen  Städtern  noch  besonders  willfährig  zu  sein  Lust  haben  ? 
Wozu  diese  Goncurrenten  des  englischen  Kaufmanns  noch 
länger  in  unbilliger  Weise  bevorzugen,  während  sie  selbst  in 
ihrer  Heimath  keinerlei  Concessionen  machen  wollten?  In  der 
That  war  die  Offensivstellung  der  englischen  Bevollmächtigten 
auf  dieser  Tagfahrt  noch  weit  ausgeprägter,  als  es  bei  der 
vorigen  der  Fall  war. 

Englischerseite  wurden  die  Verhandlungen  geführt  von 
W.  Knight,  Th.  More,  J.  Hewster,  welche  schon  1520  in 
Brügge  mit  den  Hansen  tagten,  ausser  diesen  waren  John 
Wiltshire,  Ric.  Sampson,  Th.  Hannibal  neu  ernannt1). 
Deutscherseits  waren  Vertreter  von  Hamburg,  Lübeck  und 
Köln  abgeordnet  worden,  unter  ihnen  wieder  Dr.  Packebusch 
und  Dr.  Jodocus  Wilpurg. 

Die  erste  Sitzung  fand  am  13.  September  statt.  Gleich 
nach  Ueberreichung  der  Vollmachten  steuerten  die  Engländer 
auf  ihr  Ziel  los.  „Ihr  behauptet",  sagte  einer  der  englischen  Depu- 
tirten  in  kurzen,  aber  scharfen  Worten2),  „die  Bevollmächtigten 
der  gemeinen  Hansa  zu  sein,  so  gebt  uns  an,  welches  die 
Hansestädte  sind  und  bezeichnet  sie  uns  mit  Namen".  Damit 
war  eine  von  Th.  More  im  letzten  Congress  angedeutete  Haupt- 
frage aufgeworfen.  Man  begreift  leicht,  weshalb  die  Engländer 
gerade  diesen  Punkt  nicht  nur  nicht  fallen  Hessen,  sondern 
sogar  an  die  Spitze  stellten.  Waren  die  Zollprivilegien  der 
Hansen  den  Engländern  schon  lange  zuwider,  so  war  es  ihnen 
geradezu  unerträglich,  dass  sie  niemals  wussten,  wer  denn 
eigentlich  dieselben  besitze,  und  dass  die  Hansen  ihren  Bund 
immer  mehr  erweitern  und  das  aus  den  Zollfreiheiten  ent- 
springende Missverhältniss  ins  Ungemessene  steigern  konnten. 
Es  war  auch  dies  Verlangen  nicht  erst  in  den  Tagen  Hein- 
richs VIII.  enstanden.  Schon  lange  wollte  man  englischerseits 
über  diese  Frage  Aufschluss  haben.   Wir  begegnen  z.  B.  dieser 


*)  Ein  kurzer  Bericht  der  Abgesandten  vom  1.  October  ist  erwähnt 
beiBrewer,  Cal.  II.  977,  der  fälschlich  dem  Jahr  1515  zugerechnet  ist. 
Ebenso  irrthumtich  ist  die  Datirung  von  Cal.  III.  974  u.  979,  welche  beide 
Kummern  nicht  dem  Jahre  1520,  sondern  den  Verhandlungen  von  1521  an- 
gehören. Ausser  diesen  wurde  für  das  Folgende  der  hansische  Bericht  der 
Verhandlungen,  der  von  Dr.  Jodocus  Wilpurg  herrührt,  benutzt,  nach  den 
Acta  Anglic.  1434—1521  fo.  255—76  im  Kölner  Stadtarchiv.  Vgl.  ferner 
ürk.  Beil.  97,  98,  99,  101,  102. 

*)  „brevibus  quidem,  acerrimis  tarnen  v  er  bis"  fo.  256. 


—    214    — 

Forderung  schon  im  Jahre  1379 *) ;  ebenso  .wollte  100  Jahre  später 
Eduard  IV.  beim  Utrechter  Vertrag  diesen  Punkt  klargestellt 
wissen  *). 

Den  Hansen  kam  die  Frage  sehr  ungelegen.  Dr.  Jodocus 
erklärte,  sie  seien  ausser  Stande,  dieser  Forderung  zu  ge- 
nügen. Die  Hansa  bestehe  nicht  blos  aus  einzelnen  Städten, 
sondern  es  gehörten  auch  einige  Fürstenthümer  (principatus) 
dazu;  die  einzelnen  Ortschaften  mit  Namen  anzugeben,  sei 
ihnen  ebenso  unmöglich,  als  es  den  englischen  Gesandten  sein 
würde,  wenn  sie  alle  Orte  des  Königreichs  nennen  sollten.  So 
richtig  dies  nun  auch  war3),  die  Engländer  gaben  sich  damit 
nicht  zufrieden.  Alle  Versuche  der  Hansen,  die  englischen 
Bevollmächtigten  von  diesem  Thema  abzubringen,  scheiterten. 
Die  Engländer  gingen  nicht  eher  zur  Besprechung  der  Querelae 
generales  über,  als  bis  man  ihren  Wunsch  erfüllte.  Unter 
dem  Vorbehalt,  dass  den  nichtgenannten  Orten  kein  Schaden 
erwachse,  übergaben  die  Hansen  ein  Verzeichniss  von  45 
Städten. 

Die  hansischen  Beschwerden  waren  schon  1520  vorgelegt 
und  besprochen  worden.  Die  abermals  über" sie  geführte  De- 
batte bewegte  sich  in  denselben  Bahnen.  Neue  Momente 
wurden  wenig  vorgebracht4).  Wir  können  auf  ein  näheres 
Eingehen  verzichten  und  uns  begnügen,  auf  die  registrirten 
Reden  und  Gegenreden  in  den  Urkundenbeilagen  zu  ver- 
weisen 5). 

Weit  grössere  Bedeutung  hatten  für  die  diesmalige  Tal- 
fahrt die  englischen  Beschwerden  6).  In  ihnen  laer  die  Wucht 
der  englischen  Anschauungen.  Früher  waren  die  Querelae 
generales  eine  lose  Aneinanderreihung  und  Erzählung  von  ein- 
zelnen Missständen,  für  die  man  Abhilfe  verlangte.  Diesmal 
aber  beherrschte  ein  gemeinsamer  Grundgedanke  alle  Einzel- 
heiten, und  dieser  war:  die  hansischen  Privilegien  sind  ver- 
wirkt, eine  neue  Grundlage  muss  für  die  beiderseitigen  Handels- 


*)  Koppmann,  Hanserecesse  II.  S.  253  Nr.  212  §  4  und  S.  25ö 
Nr.  213  §  4. 

*)  ürk  Beil.  82. 

s)  Sieh  in  Betreff  dieser  Frage  auch  Ennens  Aufsatz  über  Sader- 
mann  in  den  Hans.  Geschichtsblättern  1876.    S.  14. 

*)  Neu  war  z.  B.  der  Hinweis  von  Seite  der  Hansen,  dass  man  zu- 
weilen auch  den  Engländern,  Lombarden  und  sonstigen  Fremden  (durch 
Licenz)  die  Ausfuhr  ungeschorner  Tücher  erlaube.  Neu  war,  dass  die  Eng- 
länder die  Berufung  auf  den  Vertrag  von  Utrecht  hicbei  nicht  zuliesseu, 
weil  dieser  nicht  mehr  zu  Kraft  bestehe.  Neu  war  auch  das  sophistische 
Kunststück  des  Dr.  Sampson,  der  das  Verbot  der  Ausfuhr  ungeschorner 
Tücher  damit  rechtfertigen  zu  können  glaubte,  dass  er  sagte,  die  un- 
geschornen  Tücher  seien  „imperfecta,  eine  „res  imperfecta"  aber  „non  sit  res 
sui  generis",  worauf  Dr.  Jodocus  mit  Recht  erwiderte,  das  Scheeren,  Färben 
beeinflusse  blos  die  Qualität,  Tuch  sei  auch  ohne  diese  Tuch. 

ß)  ürk.  Beil.  97,  98,  99. 

°)  Urk.  Beil.  100. 


—    215    — 

beziehungen  gewonnen  werden.  Alles  Detail  diente  nur  dazu, 
diesen  Satz  zu  begründen.  Die  Privilegien,  sagten  die  Eng- 
länder, sind  nur  unter  der  Voraussetzung  ertheilt  worden,  dass 
auch  die  englischen  Kaufleute  in  den  hansischen  Gebieten  gut 
behandelt  werden  und  gleichfalls  Privilegien  haben.  Das 
geschieht  nicht.  In  den  Städten  der  Ostsee  werden  diese 
bedrängt  und  täglich  misshandelt,  ebenso  im  Westen;  Köln 
z.  B.  lässt  die  Engländer  nicht  nach  Frankfurt  handeln;  ja  so- 
gar auf  fremdem  Gebiete,  wie  in  Island,  suchen  die  Hansen 
den  englischen  Kaufmann  zu  verdrängen.  Da  die  Voraus- 
setzung nicht  erfüllt  ist,  so  sind  auch  die  hansischen  Privi- 
legien nichtig  (Art.  1—18).  Die  Gesellschaft  der  Hansen  gibt 
nicht  privilegirte  Güter  für  privilegirte  aus,  indem  sie  neue 
Städte  in  ihren  Bund  aufnimmt,  welche  zur  Zeit  der  Privilegien- 
ertheilung  keinen  Antheil  an  der  Gildehalle  in  England  hatten, 
und  indem  sie  für  Köln,  das  zur  Zeit  des  Utrechter  Vertrags  aus 
der  Hansa  ausgeschlossen  war,  ja  sogar  für  nichtdeutsche  Städte, 
wie  Dinant1),  die  Privilegien  beansprucht  (Art.  22—24).  Die 
Hansen  haben  somit  „sua  culpa  et  abusutf  ihre  Privilegien  ver- 
wirkt Indem  der  König  aus  lauter  Güte  sie  im  Besitz  ge- 
lassen hat,  ist  England  berechtigt,  den  dadurch  entstandenen 
Schaden  vergütet  zu  erhalten:  für  Zollentgang  an  kostbaren 
Waaren,  welche  sie  aus  Italien  und  andern  Ländern  importirten, 
100  000  '£\  für  Obligationen,  durch  welche  sie  sich  verpflich- 
teten, keine  Tücher  in  den  Niederlanden  zu  verkaufen,  die  sie 
aber  nicht  hielten,  41000  jß\  für  Uebertretung  von  Statuten, 
indem  sie  ungeschorne  Tücher  exportirten ,  Waaren  im  Detail 
verkauften,  verbotene  Waaren  importirten,  den  Import  in  ver- 
botenen Schiffen  bewirkten  etc.  100  000  jg\  für  Nichtzahlung 
von  Waaren,  welche  die  Engländer  ihnen  creditirten,  100  000  (£ . 
Diese  Summen  müssen  erlegt  werden,  und  die  Privilegien 
hängen  einzig  und  allein  von  der  Gnade  des  Königs  ab. 
Wollen  sie  überhaupt  noch  Freiheiten  in  England  geniessen, 
so  muss  ein  neuer  Vertrag  geschlossen  werden ,  der  alle  diese 
Punkte  regelt  (Art.  25—32). 

Diese  Sprache  war  bestimmt  und  deutlich  genug.  Solche 
scharfe  Forderungen  hatte  man  kaum  erwartet  Sie  trafen 
um  so  mehr,  als  sie  erst  auf  diesem  Congress  übergeben 
wurden.  Zehn  Tage  brauchten  die  hansischen  Deputirten,  bis 
sie  ihre  Antworten  berathen  und  schriftlich  fixirt  hatten.  Die 
Engländer  gingen  auf  keine  anderweitigen  Verhandlungen  ein, 
bevor  die  Hansen  nicht  ihre  Erwiderung  abgegeben  hatten. 

Die  Hansen  bemühten  lieh,  das  englische  Beweismaterial, 
aus  welchem  man  so  schwere  Folgerungen  gezogen,   möglichst 


21  Ueber  Dinant  und  sein  Verhältniss  zu  einzelnen  Hansestädten  Tgl. 
ers  den  Abschnitt  „Dynant  in  der  Hanse"  bei  Lappenberg,  Stahl- 
bof  S.  36,  36;  auch  Höhl  bäum,  Hans.  Urkb.  I.  5,  22,  61,  86,  432. 


—    216     — 

zu  entkräften  oder  als  irrelevant  darzustellen.  Sie  beharrten 
dabei  und  suchten  zu  beweisen,  dass  ihre  Privilegien  voll- 
ständig gültig  und  kräftig  seien,  nicht  von  der  Güte  des  Kö- 
nigs abhingen,  sondern  der  Gewalt  des  Rechts  (iuris  necessi- 
tati )  unterlägen l).  Man  disputirte  hin  und  her  *),  ohne  natür- 
lich einen  Schritt  vorwärts  zu  thun8).  Als  man  gegenseitig 
hi nl anglich  seinen  Standpunkt  verfochten,  wurde  deshalb  von 
Monis  die  Frage  aufgeworfen,  was  nun  weiter  geschehen  solle. 
Jodocus  erklärte,  man  verlange  Nichts  weiter,  als  dass  man 
ihnen  ihre  bisherigen  Freiheiten  und  Rechte  gemessen  lasse, 
worauf  Monis  erwiderte :  „Regia  nostra  maiestas  convocato  se- 
pius  buo  consilio  et  privilegiis  vestris  exarninatis  deprehendit 
id  suo  consilio,  ut  adeo  iniustus  in  suos  esse  non  velit,  quod 
privilegiis  nostris  (sc.  Hanseaticis)  omnino  servatis  res  suorum 
salvo  esse  non  possunt  Neque  tarnen  illius  omnino  esse  animi, 
quod  vos  omnino  velit  propellere,  quaquare  iure  regni,  ubi 
regio  buo  consilio  deprehendit  nostra  (sc.  H.)  privilegia  deper- 
dita  optime  posset.  Tantaque  regia  est  benignitas  in  vestros, 
ut  omnimodo  dementia  et  favore  vos  prosequi  velit  hecque  in 
vos  optimo  suo  affectu  ostendere,  si  tractatura  aliquem  nobis- 
aiin  iuieritis  utrique  parti  satis  commodum  et  ferendum,  imo 
adeo  comodum,  ut  vos  videatis  regem  vobis  omnino  dementem. 
nuoilsi  novi  tractatus  nobiscum  ineundi  vobis  non  sint,  aimus, 
com  antiqua  vestra  privilegia  pro  convulsis  ac  pro  deperditis 
lialieamus,  tunc  sicuti  non  misit  nos  ad  denunciandum  vobis, 
quod  vos  ex  Anglia  expelleret,  ita  neque  vobis,  nisi  nobiscum 
novum  tractatum  inieritis,  promittere  possimus,  quod  vos  per- 
petuo  in  Anglia  pacietur"  4). 

Die  Hansen  sahen  in  dem  Vorschlag  eine  Falle.  Sie 
meinten,  wenn  man  zustimme,  gebe  man  stillschweigend  zu, 
class  ihre  Privilegien  verwirkt  seien.  Dr.  Jodocus  bat  deshalb 
die  Engländer,  man  möge,  da  man  beiderseits  hinsichtlich  der 
Gültigkeit  der  Privilegien  entgegengesetzter  Meinung  sei,  einen 
unparteiischen  Richter  zur  Entscheidung  dieser  Frage  bestim- 
men. Dem  Urtheil  desselben  wollen  sich  dann  die  Hansen 
unterwerfen.    Dieser  Vorschlag  wurde  von  Th.  More  zurück- 


'.  Für  das  Einzelne  vgl.  ürk.  Beil.  101. 

9  Sieh  die  Repliken  Ork.  Beil.  99,  102. 

")  Eine  eingehende  Discussion  entspann  sich  namentlich  in  Betreff  der 
benemerita,  auf  welche  sich  die  Hansen  als  auf  den  Rechtsgrund  ihrer 
Privilegien  beriefen.  Sie  fähren  als  Beispiel  besonders  ein  Privileg  Hein- 
richs iL  (?)  an,  worin  es  ausdrücklich  heisse,  dass  die  Vergünstigungen 
ertbnilt  würden  aus  Dankbarkeit  wegen  der  Verdienste,  die  sie  sich  um  ihn 
erworben.  Daraufhin  behauptete  Sampson,  auch  das  genüge  nicht,  die 
Im  iir uiprita  müssten  speeificirt  sein,  sonst  seien  sie  nicht  „commensurabilia 
priviiegio",  was  natürlich  wieder  von  den  Hansen  bestritten  wurde.  a.a.O. 
k  253  u.  264. 

*)  a.  a.  0.  fo.  265. 


—    217    — 

(gewiesen1),  der  englische  König  sei  ein  solcher,  „qui  neque  de 
iure  neque  de  facto  conoscat  superiorema  2).  Schliesslich  wollen 
die  Hansen  zur  Besprechung  und  zum  Eingehen  eines  neuen 
Tractats  sich  verstehen  unter  dem  Vorbehalt,  dass  durch  den- 
selben den  Privilegien  nicht  präjudicirt  werden  dürfe,  und 
diese  für  den  Fall,  dass  man  zu  keinem  Resultat  gelange,  be- 
stehen blieben. 

Damit  erklärten  sich  die  Engländer  einverstanden,  brachen 
aber  die  weiteren  Besprechungen  zunächst  ab,  indem  Dr.  Knight 
und  Th.  More  nach  Galais  zum  Cardinal  Wolsey  sich  begaben 
und  an  den  Unterhandlungen  mit  dem  Kaiser  sich  betheiligen 
mussten.  Vier  Wochen  lang  (v.  8.  Oct.  bis  8.  Nov.)  Hess  man 
die  hansischen  Bevollmächtigten  warten.  Erst  nachdem  die 
letzteren  einen  besonderen  Boten  nach  Galais  geschickt,  und 
Dr.  Teler  bei  Wolsey  Fürsprache  geleistet  hatte,  kehrte 
Knight  am  16.  Nov.  wieder  zurück.  Er  entschuldigte  den 
langen  Verzug  und  eröffnete  dann  den  Hansen,  der  König 
mit  seinen  Käthen  halte  an  der  Ansicht  fest,  dass  die  Privi- 
legien wegep  des  Missbrauchs  verwirkt  und  ganz  in  das  Be- 
lieben des  Königs  gestellt  seien,  und  dass  den  König  kein 
Recht  binde,  ß»  zu  halten.  Aber  mit  Rücksicht  auf  die  Ein- 
tracht und  Freundschaft,  welche  Jahrhunderte  hindurch  zwischen 
England  und  den  Hansen  bestand,  will  derselbe  auch  in  Zu- 
kunft sein  Wohlwollen  beweisen,  wofern  die  Hansen  nur  bereit 
wären,  bis  zum  1.  Mai  in  England  zu  einem  neuen  Vertrags- 
schluss  sich  einzufinden.  Dies  sei  nothwendig,  weil  der  König 
a  von  England  Niemand  über1  sich  anerkenne  und  durch  keine 
"  auswärtigen -Gesetze  verpflichtet  weiden  könne.  Nur  auf  dem 
englischen  Territorium  dürften  die  Verhandlungen  geführt  wer- 
den. Unter  dieser  Bedingung  wolle  der  König  inzwischen  alle 
Processe  sistiren,  dem  deutschen  Kaufmann  die  Zollprivilegien 
lassen  und  ihn  so  günstig  behandeln,  wie  dies  unter  irgend 
einem  seiner  Vorfahren  geschehen  sei.  Verweigerten  aber  die 
Hansen  die  Zusage,  so  werde  der  Cardinal  von  dem  königl. 
Rechte  Gebrauch  machen3). 

Die  Hansen  waren  von  dieser  Eröffnung  wenig  erbaut. 
Sie  bemerkten  mit  grosser  Besorgniss,  dass  man  englischer- 
seits  den  Vorbehalt,  unter  welchem  sie  zu  neuen  Verhandlungen 


*)  Er  sagte  auch  bei  dieser  Gelegenheit,  nicht  durch  ein  gerichtliches 
Unheil,  sondern  in  Folge  einfacher  Betrachtung  mit  seinem  Rath  sei  der 
König  zum  Schluss  gekommen,  dass  die  Privilegien  verwirkt  seien  und  in 
seiner  Hand  lägen  „ob  intollerabilem  suorum  iacturam,  <jue  Bürgeret  ex 
observantia  privilegiorum ,  tum  etiam  ex  nostro  circa  pnvilegia  abusu." 
fo.  2b7. 

*)  fo.  268. 

*)  Eine  Copie  des  Briefs  vom  Cardinal  an  die  Hansen,  worin  er  den- 
selben seine  Unterstützung  verspricht,  wenn  sie  auf  den  Vorschlag  eingehen, 
aber  die  Drohung  weglasst,  findet  sich  im  Lübecker  Archiv. 


—    218    — 

sich  bereit  erklärt  hatten,  ganz  verschwiegen,  vielleicht  nicht 
einmal  dem  Cardinal  mitgetheilt  hatte.  Auch  entging  ihnen 
nicht,  wie  man  nur  darauf  abzielte,  die  Verhandlungen  hinaus- 
zuziehen und  für  die  Hansen  recht  unbequem  und  kostspielig 
zu  machen.  Sie  machten  nochmals  den  Vorschlag,  einen  un- 
parteiischen Schiedsrichter,  etwa  den  Papst,  zu  ernennen, 
drangen  aber  weder  hiemit  noch  mit  dem  Wunsche,  die  Tag- 
fahrt später  anzusetzen1)  durch.  Die  englischen  Bevollmäch- 
tigten verwiesen  sie  an  den  König  und  reisten  ab  (25.  Nov.). 
Ein  Recess  wurde  gar  nicht  abgefasst,  die  Hansen  waren  voll- 
ständig in  die  Hände  des  Königs  gegeben. 

Den  Städtern  war  wohl  alle  Lust  für  weitere  Congresse 
vergangen.  Sie  erkannten,  dass  sie  auf  diesen  nur  Etwas  zu 
verlieren,  aber  Nichts  zu  gewinnen  hätten.  Dire  Lage  war 
eine  kritische.  Im  December  hatte  das  Contor  einen  ausführ- 
lichen Bericht  der  Hansestädte  übergeben.  Der  Cardinal  ver- 
sprach zwar  Antwort,  war  aber  nicht  zu  einer  solchen  zu 
bringen2).  Er  hielt  sie  mehre  Monate  lang  hin.  Die  Kauf- 
leute in  London  fürchteten  schon  das  Schlimmste.  Ostern  1522 
schickten  sie  zur  grosseren  Sicherheit  das  von  Heinrich  VII. 
bestätigte  Privileg8)  an  Lübeck  und  verlangten  Anweisung 
darüber,  was  mit  den  Kleinodien  geschehen  solle4).  Man 
konnte  sich  nicht  mit  der  englischen  Regierung  über  eine 
Tagfahrt  einigen,  weil  diese  darauf  bestand,  dass  die  Verhand- 
lungen auf  englischem  Boden  geführt  würden,  die  Hansen  aber 
dagegen  sich  sträubten.  Die  unfreundliche  Behandlung  der 
Kaufleute  dauerte  fort,  es  blieb  „dat  gudhe  kunthor  to  Londen 
in  Engelland  vaste  in  der  kopenschup,  handeln  und  Privilegien ' 
der  gemenen  stede  gesweket"  5). 

Nun  traf  es  sich  aber,  dass  am  25.  Mai  1522  Karl  V. 
dem  englischen  König  einen  Besuch  abstattete.    Die  Hansen 


l)  Die  hansischen  Gesandten  beklagten  sich  in  Folge  dessen  in  einem 
Briefe  vom  30.  Nov.  1521  an  den  König  über  die  englischen  Bevollmächtigten 
und  baten  in  Anbetracht  der  weiten  Entfernungen  anter  den  Hansestädten, 
welchen  sie  über  Verhandlungen  erst  Nachricht  geben  müssten,  um  Ver- 
längerung des  neuen  Termines  „interim  nostris  rebus  quiescentibus"  (Copie. 
Lübecker  Archiv). 

*)  Brief  des  Contors  an  Lübeck  vom  7.  Febr.  1522  (Lübecker  Archiv). 

8)  Wir  senden  „eyn  der  jüngesten  Privilegien  under  ko.  m.,  nU  is, 
synes  vaders  Hinrick  des  sevenden,  wes  sele  god  gnade,  brede  segeil,  dar 
w\j  vorder  vormerkende  worden,  der  copman  in  grote  fernisse  gestalt  worde, 
solle  wy  sodane  privilegie  noch  in  unsser  bewaringe  synde  nae  besten  rade 
alsso  bestücken,  darvor  geyn  gebreck  invallende  worde".  (Brief  des  Londoner 
Contors  an  Lübeck.    Lübecker  Archiv). 

4)  „Begeren  ok  jüwe  wisheiden  uns  berichten  wolden,  dar  id  tor  qüader 
handt  kamende  worde,  dat  god  affkeren  moeche,  wo  id  myt  des  copmanns 
clenoeden  und  ander  dingen  Bollen  geholden  werden,  angeseyn  wij  noch 
breve  ofte  andt werde  nicht  irlangen  können."  a.  a.  0. 

5)  Brief  Hamburgs  an  Lübeck  vom  23.  März  1522  (Lübecker  Archiv). 


—    219    — 

gingen  den  Kaiser  um  seine  Verwendung  an *),  und  wissen  wir 
auch  nicht,  ob  dieser  wirklich  eine  Fürsprache  einlegte,  jeden- 
falls genügte  die  Entente  cordiale,  wie  sie  zwischen  Wolsey 
und  Karl  V.  damals  bestand,  um  es  ersterem  nicht  räthlich  er- 
scheinen zu  lassen,  gegen  die  Hansen  einen  letzten  Schlag  zu 
führen  oder  ihr  Gontor  aufzuheben.  Aber  nur  vor  einem  ihre 
Existenz  bedrohenden  Vorgehen  blieben  die  Hansen  bewahrt. 
In  der  Ausführung  der  gegen  sie  gerichteten  Gesetze  trat  da- 
gegen augenscheinlich  kein  Stillstand  und  keine  mildere  Praxis 
ein.  Sonst  hätte  nicht  am  9.  Juni  1524  Lübeck  abermals  über 
die  fortgesetzten  Belästigungen  und  Erschwerungen  Klage 
fahren  und  die  oft  (semel  atque  iterum)  gethane  Bitte  um 
den  Schutz  und  die  Fürsorge  des  Königs  erneuern  können  *). 
Als  nach  der  Schlacht  von  Pavia  die  Allianz  zwischen  Karl  V. 
und  Heinrich  VIII.  sich  zu  lösen  begann ,  brauchte  man  ohne- 
hin keine  Rücksicht  mehr  auf  die  Hansen  zu  nehmen.  Die 
Situation  wurde  für  diese  bedenklicher  als  je;  denn  zu  den 
alten  Verwickelungen  hatten  neue  Schwierigkeiten  sich  gesellt. 
Der  Beginn  der  Reformation  und  die  Theilnahme  der 
Hansen  an  derselben  konnte  leicht  den  Verlust  der  Gnade  des 
Königs  herbeiführen.  Schon  rieth  der  Papst  dem  Cardinal 
Wolsey  (9.  Mai  1524),  den  Hansen  mit  Verlust  ihrer  Privilegien 
zu  drohen,  wenn  sie  nicht  die  Häresie  in  ihren  Städten  aus- 
rotteten3). Dass  der  Rath  ein  williges  Gehör  fand,  dafür 
zeugen  die  bekannte  Untersuchung,  die  Thom.  More  im  Stahl- 
hof wegen  der  lutherischen  Schriften  anstellte,  und  die  ernst- 
lichen Klagen  und  Verfolgungen,  die  sich  daran  reihten4). 
Kam  noch  die  zweifelhafte  Stellung  der  Hansen  in  dem  fran- 
zösisch-spanischen Krieg,  beziehungsweise  die  Befürchtung  hin- 
zu, die  Hansen  möchten  des  Kaisers  Partei  ergreifen,  während 
England  auf  Frankreichs  Seite  stand6),  stiessen  endlich  bei 
dem  Verkehr  nach  Island  Hamburger  und  Engländer  wieder 
feindlich  auf  einander,  dann  war  allerdings  ein  Bruch  keine  Un- 
möglichkeit; und  wie  leicht  konnte  ein  solcher  für  die  Handels- 
beziehungen bei  den  gegensätzlichen  Anschauungen  eine  ver- 
hängnissvolle Entscheidung  nach  sich  ziehen. 


l)  Hambnrg  forderte  am  23.  März  1522  wenigstens  Lübeck  auf,  dem 
H.  Osehussen,  der  in  Geschäften  von  Lübeck  an  den  Kaiser  geschickt 
wurde,  einen  derartigen  Auftrag  zu  geben,  a.  a.  0. 

*)  Concept  eines  Briefes  von  Lübeck  an  Heinrich  VIII.  (Lübecker 
Archiv).  1525  klagen  8  Rostocker  in  einem  Schreiben  an  Lübeck,  dass 
sie  in  Sache  ihres  in  Hall  beschlagnahmten  Schiffes  noch  immer  nicht  zu 
ihrem  Rechte  gelangen  könnten,  obwohl  der  Fall  schon  zweimal  auf  den 
Tagfahrten  zu  Brügge  verhandelt  worden  sei.    (Lübecker  Archiv). 

•)  Brewer,  Cal.  IV.  820. 

4)  Vgl.  hierüber  Lappenberg,  Stahlhof  S.  1 26  und  besonders  R.  P  a  u  1  i, 
Die  Stahlhofskauf  leute  und  Luthers  Schriften  in  den  Hans.  Geschichtsblättern 
1871.  S.  155—162;  1878  S.  158-172. 

s)  Brewer,  Cal.  IV.  3940. 


—    220    — 

Aber  die  Wolken  zogen  vorüber.  Mit  dem  Beginn  der 
dreissiger  Jahre  traten  politische  Verhältnisse  ein,  in  Folge 
deren  Englands  Interesse  erheischte,  die  Feindschaft  mit  den 
Hansen  zu  sistiren. 

Heinrich  VIII.  war  in  seiner  Ehescheidungssache  schon  so- 
weit gegangen,  dass  Umkehr  nicht  mehr  möglich  war;  er  be- 
gann jene  Reformation  der  englischen  Kirche ,  die  ihn  in 
offenen  Conflict  mit  dem  Papst  und  allen  Anhängern  des  alten 
Glaubens  in  Europa  bringen  musste,  gleichzeitig  aber  ein  Zu- 
sammengehen mit  den  protestantischen  Elementen *),  besonders 
mit  den  seemächtigen  Hansen  räthlich  erscheinen  Hess. 

Noch  mehr  gebot  die  dänische  Frage,  die  damals  einer 
Lösung  harrte,  einen  Anschluss  an  Lübeck8).  Sie  gab  den 
Verhandlungen  der  dreissiger  Jahre  geradezu  das  Gepräge. 
Wohl  hätte  Heinrich  VIII.  leicht  die  allgemeine  Bedrängniss 
der  Hansen  in  ihrem  Kampf  gegen  die  scharf  concurrirenden5) 
Holländer  und  in  ihrem  schweren  Krieg  gegen  die  Dänen  be- 
nützen und  dieselben  vom  englischen  Boden  vertreiben  können; 
aber  das  fruchtete  wenig,  solange  man  nicht  wusste,  wer 
schliesslich  den  Sund  beherrschen  werde.  Die  Bedeutung 
dieser  Wasserstrasse  wurde  wohl  erkannt,  und  man  pflegte  zu 
sagen,  dem  Besitzer  Kopenhagens  und  Helsingborgs  sei  der 
Schlüssel  zu  allen  Ostseeländern  in  die  Hände  gegeben,  und 
weder  Schweden,  noch  Polen,  noch  die  östlichen  Städte  könnten 
ihm  gefährlich  werden4).  Diesen  Weg  den  englischen  Kauf- 
fahrern zu  sichern  und  nicht  in  den  Besitz  eines  vom  katholi- 
schen Burgund  abhängigen  Fürsten  oder  gar  des  Kaisers  selbst 
gelangen  zu  lassen,  war  die  nächste  Aufgabe  der  englischen 
Regierung.  Gelang  es,  Lübeck  in  englischem  Sinn  zu  leiten, 
so  war  sogar  die  Möglichkeit  gegeben,  dass  die  englische  Krone 
im  Sund  zur  Herrschaft  komme. 

In  der  That  wurde  von  dem  Heerführer  der  Lübecker, 
Marcus  Meyer,  der  Gedanke  angeregt6),  dass  Heinrich  VIII. 
der  dänische  Thron  zufallen  solle.  Dämpfte  auch  Heinrich  VIII. 
bald  seine  diesbezüglichen  Hoffnungen,  so  war  er  doch  darauf 
bedacht,  sich  den  Einfluss  bei  Entscheidung  der  wichtigen 
Frage  zu  wahren6).    Er  war  deshalb   klug   genug,   in  dem 

*)  Bekannt  ist  des  Königs  Sendung  an  die  protestantischen  Fürsten 
und  Städte  im  Sept.  1533. 

*)  Schon  1523  und  1528  hatte  England  sich  einigen  Einfluss  auf  die 
Entscheidungen  zu  sichern  gesucht  (Br.  M.  Cotton  Mscrs.  Nero  B.  1IL 
fo.  64  u.  105). 

»)  400—500  holl.  Schiffe  fuhren  jahrlich  durch  den  Sund.  Waitz, 
Jürgen  Wullenwever  I.  S.  166. 

4)  So  sprachen  es  1532  die  Holländer  aus.    Waitz  a.  a.  O.  I.  S  156. 

B)  Vgl.  besonders  Wurm,  Die  politischen  Beziehungen  Heinrichs  VIII.  * 
zu  Marcus  Meyer  und  Jürgen  Wullenwever  Hamburg  1852. 

°)  So  schickte  er  eine  eigene  Gesandtschaft  an  den  dänischen  Reichs- 
rath  und  suchte  auch  Franz  I.  in  der  Angelegenheit  zu  gemeinschaftlichen 
Schritten  zu  bewegen  (Waitz,  a.  a.  O.  11.  S.  110). 


—    221     — 

Zwist  mit  Hamburg  wegen  Island  eine  versöhnliche  Stimmung 
zu  erkennen  zu  geben1)  und  sich  dadurch  die  Möglichkeit 
eines  Bündnisses  mit  den  Hansen  offen  zu  halten. 

Dem  Wunsche  Heinrichs  VIII.,  Gesandte  nach  England  zu 
schicken,  wurde  von  Lübeck  und  Hamburg  entsprochen  (31.  Mai 
1534) 2).  Gross  waren  die  Forderungen,  die  der  König  ihnen 
durch  Lee  stellen  liess ;  die  Städte  sollten  ihn  in  seinen  geist- 
lichen Angelegenheiten  und  auch  mit  Kriegsmannschaft  unter- 
stützen, keinen  Veitrag  ohne  ihn  schliessen,  überhaupt  ihn 
immer  zu  Rathe  ziehen.  Natürlich  blieben  die  Handelsfragen 
bei  dieser  Gelegenheit  nicht  unbesprochen ;  an  Wünschen  fehlte 
es  hier  auf  beiden  Seiten  nicht.  Heinrich  VHI.  verlangte,  dass 
die  Engländer  in  den  beiden  Hansestädten  die  gleichen  Rechte, 
wie  die  Einwohner  gemessen  sollten 3).  Hamburg 4)  upd  Lübeck 
dagegen  hatten  4  Beschwerden.  Sie  betrafen:  1)  das  Verbot 
der  Ausfuhr  ungeschorner  Tücher;  2)  die  Verletzung  ihrer 
Privilegien  durch  Parlamentsacten ;  3)  die  Haftbarmachung  des 
ganzen  Contors  für  Missfethaten  einzelner  Mitglieder;  4)  die 
Verhinderung  der  Ausfuhr  von  Korn,  Kupfer  und  anderen 
Waaren. 

Die  Verhandlungen  änderten  nichts  an  dem  Status  quo, 
der  hinsichtlich  des  Handels  bestand,  v  Hamburg  entzog  sich 


*)  Vgl.  Lappenberg  in  der  Zeitschr.  des  Vereins  für  Hamburg.  Ge- 
schichte Bd.  III.  S.  188.  Auch  die  Wegnahme  eines  engl.  Schiffes  durch 
die  Lübecker  Flotte  bei  Sandwich  suchte  Cromwell  in  freundlicher  Weise 
zu  begleichen.  Brief  vom  24.  Mai  1534.  Br.  M.  Gotton  Mscrs.  Vitell. 
B.  XXL  fo.  98. 

»)RymerXIV.  S.  539.  # 

3)  „Fourthlie  that  they  shall  graunte  sauff  conduct  to  the  marchaunts 
subjects  and  all  duellers  of  this  realme  of  England,  and  also  fre  libertie 
and  power  to  bie  and  seil  their  merchaundize  and  wäre  and  to  ezercise 
mntuall  intercourse  or  interchaunge  of  merchaundize  together,  quietly  and 
gently,  and  as  frely  and  sauffely  as  they,  that  are  subject  to  their  dominion, 
shall  have  in  this  our  realme,  warre  being  with  the  Emperor  or  any  other 
prince.  And  that  it  maye  (be)  lawfull  to  theym  and  to  any  other  with 
their  shippes  comyng  thether  in  our  name  and  by  our  commaundement,  to 
s&flle  over,  lade  and  unlade  their  shippes,  to  lande  and  to  purveye  all 
things  there  for  their  moste  prouffit  and  commoditie;  and  that  they  may 
have  as  fre  licence  to  treate  and  finishe  all  things  necessarie,  as  yt  they 
▼ere  in  this  realme  of  England  or  were  subject  to  their  dominion.  And 
that  the  Citizens  of  your  cities  to  take  none  other  toll  or  gabell  of  theym, 
hat  suche  as  is  due  and  hathe  been  accustumed.  And  that  there  shalbe 
no  newe  exaction  levied  of  or  upon  our  subjects  so  reparying  to  any  of 
the  said  cities."  Sodann  will  er  bei  Beraubungen  eine  Regelung  auf  fried- 
lichem Weg.  Lappenberg,  Actenstücke  über  die  Verhandlungen  Königs 
Heinrich  VIII.  mit  Lübeck  und  Hamburg  1533—38  in  der  Ztschr.  des  Ver- 
eins f.  Hamb.  Gesch.  III.   S.  201. 

*)  Wie  ängstlich  man  für  die  Privilegien  fürchtete,  zeigt  der  Umstand, 
dass  Hamburg  nicht  einmal  mit  den  Beschwerden  sich  hervorwagte,  bis  die 
englische  Regierung  ausdrücklich  anerkannte,  dass  die  Verhandlungen  sich 
Mos  auf  Hamburg  und  Lübeck  bezögen  und  keinen  Nachtheil  für  die  Hansa 
im  Ganzen  haben  sollten. 


—    222     — 

überhaupt  jeglicher  Verpflichtung  und  ging  den  Forderungen 
des  Königs  vorsichtig  aus  dem  Weg.  Lübeck,  sehr  bedrängt, 
erhielt  von  Heinrich  VIII.  ein  Gelddarlehen,  und  seine  Ge- 
sandten vereinbarten  mit  dem  König  wenigstens  einen  Ent- 
wurf, in  welchen  zwar  die  grosse  Bedingung  aufgenommen  war, 
dass  Lübeck  dem  König  das  dänische  Reich  zur  Disposition 
stellen  werde,  der  hinsichtlich  des  Handels  aber  nicht  die  geringste 
Concession  machte,  vielmehr  ganz  den  Standpunct  des  Ut- 
rechter Vertrags  festhielt  *)•  Zudem  wurde  der  Tractat  nicht 
perfect,  da  Wullenwever  doch  ein  besserer  Politiker  war,  als 
dass  er  sich  so  hätte  binden  können.  Heinrich  VIII.  seiner- 
seits liess  die  Dinge  in  England,  wie  sie  waren;  auch  das 
neuerliche  Proviso  (26.  Hen.  VIII.  c.  26)  dürfte  kaum  grössere 
Wirkung  als  die  früheren  gehabt  haben. 

Dem  verwickelten  Gang  des  dänisch-lübeckschen  Streites, 
den  fortwährendfen  Verschiebungen,  welche  die  Sache  beim  Auf- 
treten der  zahlreichen  Kronpraetendenten  nahm,  zu  folgen, 
liegt  ausser  unserer  Aufgabe.  Genug,  wenn  wir  betonen,  dass 
Heinrich  VIII.  bis  zum  letzten  Moment  die  Ereignisse  im  Auge 
behielt2)  und  fort  und  fort  in  Lübeck  den  englischen  Ein- 
fluss  zu  erhalten  suchte,  und  selbst  dann,  als  das  Unglück 
bereits  hereingebrocheir,  den  hochherzigen  Wullenwever  von 
seinem  tragischen  Geschick,  wenn  auch  vergeblich,  zu  erretten 
sich  bemühte.  Nicht  England,  „nicht  die  kühnen  und  trotzigen 
Bürger  von  Lübeck,  aber  auch  nicht  die  klugen  und  gewandten 
Staatsmänner  des  burgundischen  Hofes  haben  die  Herrschaft 
über  den  Sund  und  die  nördlichen  Meere  gewonnen.  Die  ein- 
heimischen Gewalten  trugen  über  alle  Fremde  den  Sieg 
davon" 3).  • 

Die  Macht  der  Hansen  in  der  Ostsee  war  gebrochen,  der 
letzte  heroische  Kampf  sie  zu  erhalten  gescheitert,  die  Hoff- 
nung, dass  in  Deutschland  unter  dem  Banner  Lübecks  eine 
starke  Einheit  sich  bilde,  vernichtet. 


*)  Den  Engländern  wurde  nicht  eingeräumt,  in  der  Hansestadt  die 
Rechte  zu  gemessen,  wie  die  Einwohner  selbst,  sondern  beiderseitig  gestand 
man  sich  die  Freiheiten  zu,  „quibus  unauam  aliquo  tempore  rationabiliter 
usi  sunt  et  gavisi."  Dieses  Wörtchen  „rationabiliter"  verursachte  aber  immer 
den  Streit,  und  schon  Eduard  IV.  wollte  es  aus  dem  Utrechter  Vertr.  aus- 
gemerzt wissen.  (U  r  k.  B  e  i  1.  82.)  Der  fragliche  Vertragsentwurf  findet  sich 
in  latein.  Sprache  bei  Waitz,  Jürgen  Wullenwever  II.  S.  319  und  in  nieder- 
deutscher Sprache  bei  Altmeyer,  Histoire  des  rel.  commerc.  et  diploma- 
tiques  des  Fays-Bas  avec  le  Nord  de  l'Europe  S.  276. 

*)  1534  suchten  die  Engländer  den  Frieden  zu  Stockeisdorf  zwischen 
den  Hansen  und  Niederländern  zu  vereiteln,  aber  vergeblich.  Sodann  waren 
Rieh.  Candish  und  Chr.  Marwis  als  diplomatische  Agenten  in  Englands 
Interesse  thätig.  Im  Frühling  1535  hatte  eine  hansische  Gesandtschaft, 
(Bernh.  von  Melen  und  Ad.  Pack)  Heinrich  VIII.  zum  Eingreifen  zu  ver- 
anlassen gesucht,  und  Marcus  Meyer  liess  in  Warberg  bereits  Steine  mit 
englischen  Wappen  aushauen.    Waitz  III.  a.  a.  0.  S.  180  und  sonst 

8)  Waitz,  a.  a,  0.  HI.  S.  308. 


—    223     — 


Zog  England  nicht  aus  dieser  Katastrophe  für  sich  seine 
Folgerungen?  War  nicht  jetzt  der  rechte  Augenblick  gekom- 
men, in  welchem  die  Regierung  der  allgemeinen  Volksstimmung 
nachgeben  und  gegen  die  Bevorzugung-  der  Hansen  vor  den 
Einheimischen  zu  Felde  ziehen  musste?  An  Anlass  konnte  es 
wahrhaftig  dem  König  nicht  fehlen.  Mehr  denn  früher  erhoben 
sich  wieder  die  Klagen  der  Merchant  adventurers  gegen  die 
Hansen,  die  ihnen  in  den  Niederlanden  allen  Gewinn  verdar- 
ben1). Lauter  und  mächtiger  sprach  der  allgemeine  Unwille 
gegen  die  Monopolpreise  der  Hansen  für  östliche  Producte2), 
mit  Entrüstung  und  Protest  nahmen  Volk  und  Regierung  die  Ent- 
ziehung des  Aufenthalts  in  den  deutschen  Communen  für  die 
Dauer  des  Winters  hin 3) ;  mit  immer  neuen  Beschwerden  traten 
die  Fishmonger  adventurers  gegen  die  Hansestädte  auf4). 


*)  Vgl.  Urk.  Beil.  104. 

*)  1545  z.  B.  hatte  ein  Hansakaufmann,  Peter  vanJHelden,  den  Handel 
mit  Bogenstäben  förmlich  monopolisirt;  er  wollte  zu  dem  ihm  vom  Privy 
Council  festgesetzten  Preis  von  1  £  10  sh  nicht  verkaufen,  und  die  Bogen- 
macher  geberdeten  sich  in  Folge  dessen  so  tumultuarisch,  dass  der  Hanseate 
seines  Lebens  nicht  mehr  sicher  war.  Urk.  Beil.  169.  Ueber  das  Hoch- 
halten der  Preise  östlicher  Producte  durch  die  Hansen  giebt  folgende  Tabelle 
Aufschluss,  die  ich  dem  Vol.  XX.  f.  123  der  Mscrs.  des  Lord  Calthorpe 
entnommen  habe.  Ob  die  Tabelle  zu  einer  Petition  der  englischen  Kauf- 
leute gehörte,  oder  ob  sie  aus  Regierungskreisen  stammte,  Hess  sich  nicht 
feststellen. 


Preis 

im  Jahre 

Freie 

im  Jahre 

1    Freie 

im  Jahre 

Waaren, 

1551  (ein  Jahr  ror 

1558  (während  4er 

1554  (nach   Wie- 
derherstellung 
der  hans.  Priri- 
1           legien). 

welche  ron  den  Osterlingen 
eingeführt  wurden. 

Zurnclcn.  der  hans. 
Privilegien). 

;      Sieiirnng  der 
i  haue.  Privilegien). 

'       * 

sh  |    d 

Ä 

sh   |   d 

£ 

sh 

d 

Wachs,das  Hund.  (—100  U  ?) 

4 

__  |  _ 

3 

_ 

— 

4 

— 

—. 

Flachs,  der  Pack 

28 

1  

16 

28 

Anderer  Flachs,  der  Gentner 

— 

40  !- 

— 

26 

— 

— 

45     — 

Hanf,  der  Centner 

t 

50    — 

— 

40 

— 

— 

50    — 

Preuss.  Eisen  (spruse  iron), 

■ 

a 

i 

die  Tonne 

i    io 

—  .  — 

6 

10 

—  ! 

9 

— 

— 

Stabeisen  (ffagot  iron),  d.Ton. 
Vitriol,  das  Hundert 

'      6 

15    — 

6 

10 
12 

__ 

7 

28 

_^ 

Kupfer  (copperas),  d.  Hund. 



11     — 

— 

10 

—  ' 

— 

11 

— 

Bogenstäbe,  das  Hundert 

8 

— 

— 

12 

— 

1! 

13 

— 

— 

Stockfische,  die  Last 
Pech,  die  Last 

12 

— 

_^ 

13 

6 

14 

-^ 

— 

3 

— 

___ 

4 

5 

— 

6 

10    — 

Theer,  die  Last 

3 

— 

— 

;    3 

10 

— 

7 

—  ,  — 

Preu88.  Asche  (spruse  ashes), 

1     < 

die  Last 

3 

— 

i      2 

12 

— 

6 

—    — 

„Thran  of  de  greate  bonde" 
„Stiele  the  half  barrel" 

1 

15    — 

i      2 



—  , 

2 

<}      8 

10 

•  — 

12 



— 

15 

»Ossenbrigges  the  C 

40 

— 

— 

1    29 

— 

—  ! 

42 

— 

— 

s)  Auf  dem  berühmten  Hansetag  von  1535  mitten  in  der  Katastrophe 
des  lubisch-d&nischen  Streites  wurde  eine  dahin  zielende  Satzung  gemacht. 
Sartorius.  Gesch.  des  hans.  Bundes  HL  S.  321. 

4)  4.  März  1542.    „The  nsshmongers  adventurers  appered  before  the 


—    224    — 

Freilich  blieben  Heinrich  VIII.  und  seine  Minister  nicht 
theilnahmslos  gegenüber  diesen  mit  immer  grösserer  Wucht 
gegen  die  Hansen  herandrängenden  Wogen.  Die  gegen  die  Stahl- 
hofekaufleute  gerichteten  Gesetze  wurden  unnachsichtig  aus- 
geführt. Man  sieht  dies  deutlich  aus  der  Beschwerdeschrift, 
welche  das  Contor  in  London  den  1535  in  Lüneburg  versam- 
melten Vertretern  der  Hansestädte  überschickte. *)  Alle  die 
alten  Klagen,  denen  wir  1520  und  vorher  begegneten,  kehren 
hier  wieder.  Neu  sind  nur  manche  Belege  oder  Beispiele, 
welche  zur  Bekräftigung  angeführt  werden,  sowie  die  Erwähnung 
einer  Greuelthat,  welche  sich  Leute  aus  Bremen  und  Hamburg 
1532  gegen  englische  Kauf-  und  Seeleute  erlaubt  hatten,  wo- 
durch dem  Contor  bei  Untersuchung  der  Sache  einige  Kosten 
erwachsen  waren. 

Der  Hansetag  beschloss  ein  Intercessionsschreiben  an  den 
Kanzler  des  englischen  Reiches  als  an  den  „ordinarium  protec- 
torem"  wegen  Ablegung  dieser  „publica  gravamina"  abzusenden*). 
Wie  sich  erwarten  liess,  erreichte  man  damit  Nichts.  In  Folge 
des  Krieges  mit  Dänemark  hatten  die  Engländer  wieder  manche 
neue  Ursache  zur  Klage  gegen  Gewalttätigkeiten  der  Hansen 
erhalten,  und  wurden  die  Freiheiten  in  England  zeitweilig  be- 
schränkt, und  das  Contor  zur  Zahlung  einer  bedeutenden 
Strafsumme  verurtheilt.  1538  einigten  sich  die  Hansestädte 
dahin,  dass  eine  stattliche  Legation  nach  England  zur  Behaup- 
tung der  Privilegien  abgeschickt  werde3).  Es  scheint  aber, 
dass  dieser  Beschluss  entweder  nicht  ausgeführt  wurde,  oder 
dass  doch  diese  Gesandtschaft  keinen  Erfolg  erzielte.  1542 
finden  wir  abermals  hansische  Vertreter  beim  König  von  Eng- 
land mit  dem  Zweck;  um  die  Ansetzung  einer  Tagfahrt  zur 
Begleichung  der  gegenseitigen  Streitigkeiten  zu  erwirken4) 
Diese  Bitte  wurde  gewährt,  der  Congress  hernach  aber  auf 
Ansuchen  Lübecks  verschoben  und  kam  dann  zu  Heinrichs  VIII. 
Lebzeiten  überhaupt  nicht  mehr  zu  Stande 5). 

Die  Hansen  lebten  aber  während  dieser  ganzen  zehn- 
jährigen Epoche  in  steter  Besorgniss.  Sie  fühlten  nur  zu  gut, 
dass  ihre  Position  in  England  ernstlich  gefährdet  sei.  Die 
schon  früher  vom  Londoner  Contor  angeregte  Frage,  ob  es  sich 
nicht  empfehle,  den  Schatz  in  Sicherheit  zu  bringen,  wurde 
von  Hamburg  wieder  aufgegriffen  (1540),  und  dringend  gerathen, 
den  Vorrath  an  Baarschaft  und  Silbergeräthe  aus  dem.  Lande 

Cownsell  and  exhibited  on  bocke  off  complaynts  ageynst  the  men  off  Ham- 
burg and  Bresmen  and  another  to  be  enacted  towching  theyre  shypping." 
Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  of  the  Privy  Council  YIL  S.  318. 

*)  Dieselbe  findet  sieb  im  Lübecker  Stadtarchiv  AngUcana  Vol.  II. 

s)  Köhlersche  Sammlung  S.  248. 

*)  Sartorius,  Geschichte  des  hans.  Bundes  III.  S.  313. 

*)  Acts  of  the  Privy  Council  in  the  Privy  Council  Office  (ungedr.)  I. 
S.  351  und  Urk.  Beil.  105. 

*)  State  Papers  IX.  S.  221;  Urk.  Beil.  105. 


—    225    — 

zu  entfernen,  ehe  sie  unverhofft  verscherzt  würden.    Der  Vor- 
schlag wurde  denn  auch  in  der  That  theilweise  ausgeführt l). 

Trotzdem  unterblieb  die  Vertreibung  der  Hansen  und 
ebenso  die  vollständige  Entziehung  der  Privilegien,  im  Gegen- 
theil,  wir  stossen  sogar  auf  einen  Fall,  in  denen  wir  die  Hansen 
noch  begünstigt  sehen.  Sie  wurden  von  der  im  Jahre  1540 
erlassenen  Schiffahrtsacte  durch  einen  im  Hause  der  Lords  hinzu- 
gefugten Vorbehalt 2)  ausgenommen.  Freilich  konnte  diese  Ver- 
günstigung, wie  man  auf  den  ersten  Blick  meinen  sollte,  nur 
wenig  bedeuten;  denn  eine  Gleichstellung  der  Fremden  mit  den 
Einheimischen  im  Zoll  für  den  Fall,  dass  erstere  englische 
Schiffe  benützten,  wie  das  die  Acte  vorschreibt,  hatte  für  die 
Hansen  gar  keinen  Sinn,  weil  sie  geringeren  Zoll  zahlten,  als 
die  Engländer  selbst.  Da  aber  nicht  anzunehmen  ist,  dass  das 
Proviso  nur  eine  leere  Formel  war,  so  vermuthe  ich,  dass  das- 
selbe eine  Ausnahmestellung  der  Hansen  von  den  älteren  Na 
vigationsacten,  welche  in  diesem  Statut  auch  bestätigt  wurden, 
bezweckte.  Ist  diese  Vermuthung  richtig,  so  wurde  damit 
eine  Klage  beseitigt,  welche  sie  bei  allen  Verhandlungen 
vorgebracht  hatten.  Das  eine  Moment  würde  dann  auch 
genügen,  um  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  die  englische 
Regierung  um  jene  Zeit  nicht  die  gefürchtete  endgültige  Ver- 
treibung der  Hansen,  wenigstens  nicht  für  die  allernächsten 
Jahre  beabsichtigte 3).  An  dieser  Meinung  wird  man  auch  nicht 
irre  werden  können,  selbst  wenn  man  liest,  dass  gegen  ein- 
zelne Hansen  oder  gegen  die  einer  ganzen  Stadt4)  oder  sogar 
gegen  das  ganze  Contor  zur  Ahndung  von  Gesetzesübertre- 
tungen oder  zum  Zweck  der  Repressalie  strenge  vorgegangen 
wurde. 

Heinrich  VIII.  hatte  auch  seine  Gründe,  weshalb  er  die 
hansischen  Privilegien  dem  englischen  Bürgerthum  nicht  opferte. 
Diese  waren  vorwiegend  politischer  Xatur.     Der  Protestantis- 


1)  Köhler78cheSammlungS.249;Lappenberg,  StahlhofS.96undllO. 

*)  Lords  Journals  Vol.  I.  32  Hen.  V11I.  82°  die  Pari. 

3)  Ennen  macht  in  seinem  Aufsatz  „Der  hansische  Syndicus  H.  Suder- 
mann aus  Köln"  (Hans.  Geschichtsbl.  1876  S.  24)  auf  Grund  der  Copien- 
bücher  eine  Mittheilung,  welche  der  geäusserten  Ansicht  widerspricht  Er 
schreibt:  „Im  Jahre  1540  erging  der  erste  kgl.  Erlass,  durch  welchen  der 
Stahlhof  in  seiner  Existenz  aufs  Ernstlichste  bedroht  wurde:  Heinrich  VIII. 
verbot  den  deutschen  Kaufleuten  Waaren  aus  England  auszuführen.  Das 
kölnische  Drittel  rief  gegen  dieses  Edict  den  Schutz  des  Kaisers  an,  und 
durch  diplomatische  Vermittlung  erreichte  es  die  Hansa,  dass  diesem  Ver- 
bot keine  weitere  Nachachtung  gegeben  wurde. u  Ich  konnte  in  dem  Co- 
menbuche  von  1540—1541  nichts  finden ,  was  dieser  Stelle  entspräche,  so 
dass  zu  vermuthen  ist,  die  angegebene  Jahreszahl  sei  irrig.  A.  a.  0.  sind 
nur  einige  Schriftstücke,  aus  denen  hervorgeht,  dass  der  Herzog  von  Suffolk 
die  Güter  der  Kölner  beschlagnahmt  hatte  und  zwar  wegen  Vergehens  der 
Gebruder  Born;  („ein  rosinunt,  so  die  hertogis  van  Suffolk  up  unse  koip- 
luden  gelecht,  herkomen  van  Johan  und  Derick  Born  gebroedere"). 

*)  VgL  vorstehende  Note. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  15 


—    226    — 

mus  führte  Heinrich  VIII.  immer  wieder  zu  den  Hansestädten. 
Sie  waren  die  natürlichen  Bundesgenossen  Englands  gegen  den 
Kaiser  und  die  katholischen  Mächte.  Im  März  1538  gingen 
auf  Cranmers  Antrieb  Gesandte  Heinrichs  VIII.  nach  Hamburg, 
um  ein  engeres  Bündniss  herbeizuführen1).  1542  machte  die 
englische  Regierung  abermals  Versuche,  die  Städte  fester  an 
sich  zu  ketten.  1543  sollte  Secretär  Buckler  und  Dr.  Mount 
mit  Hessen,  Dänemark,  Holstein,  sowie  mit  Lübeck,  Hamburg 
und  Bremen  eine  Allianz  schliessen  *) ,  und  noch  1545  suchte 
der  König  durch  John  Dymock  von  Hamburg  und,  wie  es 
scheint,  auch  von  Lübeck  und  Bremen  Truppen,  Schiffe  und 
Geld  zu  erlangen  3).  Solange  Heinrich  VIH.  und  seine  Minister 
von  den  Hansen  politische  Unterstützung  erwarteten,  mussten 
sie  auch  ihre  Rechte  schonen. 

Gleichzeitig  vermieden  die  Hansen  mit  ängstlicher  Sorg- 
falt ADes,  was  einen  offenen  Bruch  herbeiführen  konnte,  such- 
ten vielmehr  jede  Gelegenheit,  dem  König  und  der  Regierung 
ihren  guten  Willen  an  den  Tag  zu  legen,  wofern  es  sich  nur 
nicht  um  positive  Aufgabe  ihrer  Ansprüche  und  Privilegien 
handelte.  Als  z.B.  1545  die  kgl. Räthe  in  Erfahrung  gebracht 
hatten,,  dass  14  Rostocker  und  Stralsunder  Schiffe  mit  Korn 
und  L  bensmitteln  nach  Frankreich  und  Schottland  fahren 
wollten,  und  in  Folge  dessen  eine  Verwarnung  ergehen  Messen4), 
wurde,  wie  man  aus  den  noch  vorhandenen  Briefen  ersieht5) 
hansischerseits  alles  gethan,  um  die  projectirten  Fahrten  und 
den  darin  liegenden  Verstoss  gegen  die  Privilegien ,  zu  ver- 
meiden 6).  Als  im  Jahr  darauf  in  JEngland  ein  fühlbarer  Korn- 
mangel  entstand,  waren  es  wieder  die  Hansen,  welche  durch 
eine  ausserordentlich  rasche  Hülfe  sich  auszeichneten,  so  dass 
der  König  nicht  umhin  konnte,  ihnen  bei  dieser  Gelegenheit 
das  Zeugniss  auszustellen:  „they  of  the  Styllyarde  had  at  all 
tymes,  when  they  were  calld  upon,  shewed  themselves  very 
willinge  jud  redye  to  execute,  whatsoevere  his  highnes  required 
of  them,  which  besides  thankes  deserved  such  gentlenes  and 


L 


*)  Lappenberg  in  der  Zeitsch.  des  Vereins  für  hamb.  Geschichte 
in.  S.  138—216. 

*)  Lappenberg,  Stahlhof  S.  95. 

8)  Hamburg  schreibt  4.  August  1545  an  Lübeck,  ein  Abgesandter  des 
Königs  sei  da  und  verlange,  dass  man  Heinrich  VIII.  im  NothfaU  2000 
Landsknechte  und  etliche  ausgerüstete  Schiffe  zur  Verfügung  stelle.  Ham- 
burg wünscht  Lübecks  Meinung  darüber  zu  erfahren.    (Lübecker  Archiv). 

*)  Der  König  will  nicht,  dass  seine  „feinde  von  denen  von  der  Anze 
gestärket  und  bespeiset  werden  solten,  in  ansehung  wes  staüich  begnadung. 
freiheit  und  Privilegien  die  gemeine  Anze  in  dem  reiche  Engelandt  bekomen 
und  noch  hettenu.  Hamburg  an  Lübeck  Sonnabends  post  Laetare  1545 
(Lübecker  Archiv). 

*)  Darüber  sind  sechs  Briefe  von  dem  Londoner  Contor,  von  Ham- 
burg, Lübeck,  Rostock  im  Lübecker  Archiv. 

«)  Das  Contor  schickte  sogar  den  betreffenden  Passus  des  Privilegs. 
Das  Contor  an  Lübeck  8.  Mai  1545  (Lübecker  Archiv). 


—    227    — 

favore  to  be  shewed.  them,  as  might  retayne  them  styll  in  like 
promptitude" *).  Lübeck  vollends  war  namentlich,  so  lange 
es  zum  König  im  Schuldverhältniss  stand,  gezwungen,  sich  ge- 
fügig zu  zeigen.  Bei  jeder  Gelegenheit  wurden  die  Wohlthaten, 
die  ihm  englischerseits  erwiesen  worden,  in  Erinnerung  ge- 
bracht2). Bei  etwaigen  Verletzungen,  welche  von  Lübeckern 
Engländern  zugefügt  worden  waren,  musste  der  Magistrat  rasche 
und  strenge  Justiz  üben s).  Ja  er  musste  sogar  den  englischen 
Kaufleuten  alle  Rechte  und  Freiheiten  einräumen,  welche  die 
Lübecker  in  England  genossen.  Der  Druck,  den  die  englische 
Regierung  auf  Lübeck  ausübte,  war  so  gross,  dass  das  Lon- 
doner Contor  die  letzten  10  000  Gulden  vorstreckte,  nur  um 
der  bedrängten  Stadt  wieder  Actionsfreiheit  zu  schaffen  (1543) 4). 

Die  Momente,  welche  zur  Zeit  Heinrichs  VIII.  den*  Fall 
des  Stahlhofes  noch  verhinderten,  verloren  nach  seinem  Tode 
meist  ihre  Bedeutung.  Selbst  das  gemeinsame  religiöse  Band 
erwies  sich  jetzt  zu  schwach.  Die  einheimischen  materiellen 
Interessen  trugen  endlich  den  lange  vorbereiteten  Sieg  davon. 
Nur  weniger  Jahre  bedurfte  es:  „Tunc  quoddam  coeptum  est 
cogitari  consilium,  cuius  felix  eventus  tot  divitias  in  Angliam 
derivavit  eamque  commercii  ac  rerum  nauticarum  adeor^ritam 
et  potentem  effecitu  5).  Eine  Zeit ,  welche  Revolutionen  auf 
allen  Gebieten  der  Gesellschaft  hervorbrachte,  die  selbst  die 
ererbte  Religion  einer  Reform  unterzog,  wie  sollte  sie  an  die 
vergilbten  Briefe  sich  kehren,  die  nichts  enthielten,  als  Wider- 
sprüche mit  den  Verhältnissen  der  neu  angebrochenen  Epoche? 

Noch  schwankte  der  Kampf,  zeitweilig  gelang  es,  für  kurze 
Zeit  in  die  alten  Rechte  wieder  einzutreten,  bis  schliesslich 
Elisabeth  für  immer  das  letzte  Gebiet  der  Handelsherrschaft 
den  Deutschen  entriss 6). 

*)  Acts  of  the  Privy  Council  vom  18.  Juni  1546.  Br.  M.  Harleian 
Mbcs.  256  fo.  222. 

*)  Als  z.  6.  1545  mehre  Lübecker  ihr  Schiff  nicht  dem  König  ver- 
kaufen wollten,  weil  das  ihnen  bei  schwerer  Strafe  verboten  sei,  sagte  der 
Kanzler:  „Et  hedd  de  Eonyngk  der  Stadt  Lübeck  woll  so  vele  tho  gude 
gedaen,  dat  man  sick  billich  so  nicht  tho  soken  machen  solde".  Lübecker 
brhifislente  an  den  Lübecker  Rath  Sonnabend  vor  dem  Sonntag  Laetare 
1545.    (Lübecker  Archiv). 

*)  Ein  Lübecker  and  mehre  Dithmarschen ,  welche  ein  mit  lombardi- 
schen Waaren  beladenes  englisches  Schiff  angefallen  hatten,  wurden  auf 
Anklage  des  Königs  1539  zum  Tod  verurtheilt,  obwohl  die  Uebelthäter 
Repressalien  vorschützten.     (Die  Processacten  im  Lübecker  Archiv.) 

*)  State  Papers  IX.  S.  221—223.    Lappenberg,  Stahlhof  S.  174. 

5)  Bischof  B  um  et,  Histor.  ref.  eccles.  Angl.  II  ad.  an.  1553. 

^  Vgl.  für  diese  Zeit  ausser  Sartori us,  Geschichte  des  hans.  Bundes 
auch  Ennen,  Der  hansische  Syndikus  Heinrich  Sudermann  aus  Köln  in 
den  Hans.  GeschichtsbL  1876  besonders  S.  23  fg. 

15* 


—    228     - 


England  und  Danzig. 

I.  Schon  im  Vorausgehenden  wurde  wiederholt  des  Ein- 
flusses, welchen  die  Beziehungen  Englands  zu  Danzig  auf  die 
englisch-hansische  Politik  ausübten,  gedacht.  Es  geschah  aber 
immer  nur  ganz  kurz.  Die  Frage,  wie  man  die  Hansa  eng- 
lischerseits  behandelte,  oder  welche  Politik  man  gegenüber  den 
nach  und  in  England  verkehrenden  Hansen  beobachtete,  war 
in  den  Vordergrund  geschoben  worden.  Es  erübrigt  noch,  zur 
Vervollständigung  auch  das  Gegenbild  zu  skizziren  und  klar- 
zustellen, wie  die  englischen  Kaufleute  ihrerseits  in  den  han- 
sischen Städten,  besonders  in  Danzig  dasselbe  Ziel  anstrebten, 
das  die  Hansen  lücksichtlich  Englands  erreicht  hatten,  auf 
welche  Schwierigkeiten  sie  hiebei  stiessen  und  in  welcher  Weise 
die  englische  Regierung  die  Bestrebungen  der  vorwärtsdringen- 
den  Kaufleute  unterstützte.  Schon  der  Uebersichtlichkeit  wegen 
musste  darauf  verzichtet  werden,  alles  diesen  Gesichtspunkt 
betreifende  Detail  der  vorausgehenden  Darstellung  einzuflechten. 
Es  ist  aber  nicht  blos  ein  äusserlicher  Grund,  der  hiezu  ver- 
anlasste, sondern  es  ergiebt  sich  die  Notwendigkeit  dazu  aus 
dem  Verhältniss  Danzigs  zur  Hansa  überhaupt.  Danzigs  Stellung 
gegenüber  den  übrigen  Hansastädten  war  sowohl  zur  Zeit  der 
Ordensherrschaft  als  zur  Zeit  polnischer  Oberhoheit  (seit  1454) 
eine  äusserst  selbständige.  Mehr  als  andere  Hansastädte  hat  es 
eine  Sonderpolitik  verfolgt.  Die  ganze  Art  und  Natur  seines 
Handels  deckte  sich  nicht  mit  der  seiner  westlichen  Genossen. 
Der  uralte  Gegensatz  zwischen  Ost-  und  Westsee,  dem  das  ver- 
mittelnde Dazwischentreten  Lübecks  die  Spitze  genommen  hatte, 
wurde  von  Danzig  und  aut  der  andern  Seite  von  Köln,  wenn  auch 
in  verändertem  Sinn,  lebendig  erhalten.  Auch  die  Engländer 
pflegten  deshalb  sehr  scharf  den  preussisch-englischen  Handel 
von  dem  der  übrigen  Osterlinge  zu  unterscheiden.  Ich  erinnere 
z.  B.  an  den  Libell  of  Englishe  Policye,  der  den  ersteren  wegen 
seiner  Vortheilhaftigkeit  preist,  da  Preussen  nicht  nur  viel 
Edelmetall  nach  England  bringe,  sondern  auch  ein  guter  Ab- 
nehmer der  gefärbten  englischen  Wollentücher  sei. x)  Noch 
schärfer  wird  der  Unterschied  gezogen  im  16.  Jahrhundert 
/ 

1)    Dann  kommt  die  Ausfuhr  Preussens  in  Betracht, 
Die  auf  zwei  Wegen  wird  von  dort  gebracht. 
Zwei  Arten  Leute  treiben  den  Versand: 
Die  Oberdeutschen  aus  dem  Preussenland 
Und  Osterlinge; 

Bei  uns  auch  führt  der  Preusse  Waaren  ein: 
Silbergeschirr  und  Barren,  echt  und  fein; 
In  Menge  kauft  er  die  in  Böhmen  auf 
Und  Ungarn  und  bringt  her  sie  zum  Verkauf. 


—    229    — 

Der  Verfasser  der  Denkschrift  „Treatise  concenringe  the  Staple 
and  the  Commodities  of  this  Realmea  bezeichnet  geradezu  den 
Handel  der  Preussen  für  nützlich,  den  der  übrigen  Osterlinge 
für  schädlich,  indem  er  den  Zwischenhandel  der  westlichen 
Hansestädte  namentlich  zwischen  den  Niederlanden  und  Eng- 
land verurtheilt J). 

Frühzeitig  bildete  Danzig2)  einen  Anziehungspunct  für  die 
englischen  Kaufleute.  Es  war  das  wohl  begründet.  Keine  Stadt 
war  für  eine  englische  Colonie  geeigneter;  als  Beherrscherin 
des  Weichselgebietes  war  sie  das  natürliche  Depot  für  die 
Producte    der    hinter  ihr  liegenden   Länder.     In  Folge   der 


Daraas  erwächst  viel  Vortheil  unserm  Land: 
Die  Preussen  nehmen  nämlich,  wie  bekannt, 
Vielfarb'ges  Wollentuch  als  Fracht  zurück, 
Das  hier  man  färbt  mit  vielem  Kunstgeschick. 

Vers  276—280  und  816—323.  üebers.  von  Hertzberg.  Vgl.  auch  die  Ein- 
leitung von  R.  Pauli  daselbst  S.  10. 

2)  „To  understand  ther  are  two  Haunces  of  the  Esterlyngs :  oon  is  the 
olde  Haunce  of  the  Sprusyners ,  that  owt  of  the  cold  contreys  in  the  este 
partes,  wher  is  frost  and  snow  on  eight  monthis  in  the  yere.  They  come 
bat  oons  in  the  yere,  bryngyng  ther  nedfull  comodites  for  England :  pitche 
tarre  bowstavis  wex  flesh  and  such  other.  And  what  they  hadd  nede  of 
more  wollen  clothe  th%n  Englond  hadd  nede  of  ther  comodites,  therfor 
they  wer  wont  to  bryng  gold  and  silver  uncoyned,  wherof  the  name 
of  sterlyng  silver  rose.  But  to  understand  that  other  Haunce  is  of  the 
Esterlyng  merchaunts  of  the  Hansteddes  in  Almayn.  They  do  England 
moche  hurt,  as  they  be  so  sufferd,  wer  wont  to  bryng  most  gold  and  Su- 
asburgh  logges  of  silver  into  England.  They  carye  owt  of  England  clothes 
great  quantitie  all  the  tymes  in  the  yere.  And  comonly  they  will  non  bve 
bat  white  only  spone  weyvid  and  fullid  withowt  any  other  werkmanship, 
wherwith  they  sett  ther  own  peple  to  werk.  And  wher  they  have  no  co- 
modites of  Almayn  to  bryng  into  England  for  all  such  clothes ,  for  which 
they  were  wont  to  bryng  great  plenty  of  gold  and  silver.  they  have  usid 
more  than  thirty  yers  for  ther  clothes  to  bryng  over  all  maner  straunge 
aliaunt  merchaundisez  of  all  contreys :  wode  of  Spayne .  alyme  of  Ytaly, 
mader  of  Flaunders,  yhe,  and  silke  lynyn  clothe  and  all  other  merchaun- 
disez from  the  marts  in  Flaunders  to  delyver  to  clothemakers  for  clothes 
and  to  seil  to  Londoners  to  pay  clothemakers,  so  as  they  never  bryng  no 
more  gold  and  silver  into  the  reame.  So  is  England  in  such  maner  alwey 
stuffid  storid  and  pesterid  so  füll  of  straunge  merchaundise ,  that  as  well 
English  merchaunts  and  Esterlyngs  hathe  so  usid  the  clothmakers  to  giff 
mony  and  wares  for  clothes,'  that  clothmakers  so  takyng  wares  hathe 
pesterid  all  pore  comon  peple  with  wares  and  litle  money,  that  litle  money 
is  to  be  fownd  in  the  holl  reame ,  which  must  nedes  cause  litle  störe  of 
money  to  the  use  of  the  kyng  and  of  his  lorda".  In  der  Denkschrift 
„How  to  reforme  the  Realme  in  settyng  them  to  worke  and  to  restore 
Tillage"  ist  derselbe  Gedanke  anachronistisch  ausgedrückt:  „Esterlvnges 
of  Spruse  and  of  other  parties  in  the  Estcontrey  hath  been  profitable 
mercnauntes  for  the  realme  in  olde  tyme,  before  they  toke  Coloners 
into  their  Haunce."    R.  Pauli,    Drei  volksw.  Denkschr.  S.  36  und  S.  77. 

*)  Für  die  Zeit  bis  Ende  des  15.  Jahrhunderts  ist  zu  vergleichen 
Hirsch,  Danzigs  Handels-  und  Gewerbsgeschichte  unter  der  Herrschaft 
des  deutschen  Ordens  1858.    S.  97  fg. 


—    230    — 

Yortheilhaften  Lage  war  es  Danzig  in  Kurzem  gelungen,  die 
andern  preussischen  Städte  Kulm,  Thorn,  Elbing,  Königsberg, 
Braunsberg  von  dieser  Rolle  auszuschliessen  und  zu  blossen 
Landstädten  herabzudrücken1).  Danzig  war  so  der  Haupt- 
platz im  Osten  geworden,  der  die  den  Engländern  genehmen 
Producta  aus  Polen,  Schlesien,  Reussen  (Galizien)  und  Ungarn 
sammelte2)  und  gleichzeitig  die  englischen  Manufacte  in  eben 
diese  Gebiete  bis  hinunter  an  die  Grenzen  des  osmanischen 
Reiches  zu  verschleissen  im  Stande  war3). 

Daraus  erklärt  sich  auch,  wie  die  Stadt  seit  Nowgorods 
Fall  in  so  glänzender  Weise  emporsteigen   konnte,   Lübecks 


x)  Hirsch,  Danzig  S.  187. 

2)  Für  die  Art  dieser  Waaren  haben  wir  neben  oben  (S.  229  Nr.  1) 
genannter  Denkschrift  mehrere  Quellen,  den  Libell  of  Englishe  Policye,  die 
des  Oeftern  von  uns  herangezogene  Parlamentsacte  32  Hen.  VIII.  c  14  §  2.  und 
die  den  Urkunden  entnommenen  Angaben  von  Hirsch  in  seiner  Geschichte  von 
Danzig  S.  116,  ausserdem  kommt  auch  C.  Sattler,  Der  Handel  des  deut- 
schen Ordens  in  Preussen  zur  Zeit  seiner  Blüthe  in  den  Hans.  Geschichtsbl. 
1877  S.  71  und  Wheeler,  Treatise  of  Commerce  S.  27  in  Betracht  Was 
zunächst  den  Libell  of  E.  P.  betrifft,  so  giebt  derselbe  zwar  nur  die  Ein- 
fuhr Preussens  nach  Flandern  an,  es  ist  aber  selbstverständlich,  dass  die 
Artikel  fast  dieselben  für  England  sind: 

Von  Preussen  dann  wird  Bier  und  Speck  gebracht 
Nach  Flandern,  als  weithin  beliebte  Fracht, 
Stahl,  Eisen,  Kupfer,  Bogenstäbe,  Wachs, 
Grauwerk,  Pelzwaaren,  Pech,  Theer,  Dielen,  Flachs, 
Pack-  und  Steifleinen,  Barchend,  Karden  auch 
Und  Garn  von  Cöln,  so  wars  seit  Alters  Brauch. 

Vers  306—310.  Uebers.  von  Hertzberg.  Die  Statuten  stellen  für  fol- 
gende Waaren,  die  von  „Daunske"  nach  London  (die  bekannte  Gesetzes- 
ausg.  übersetzt  am  Rand  Daunske  mit  Dänemark,  was  wohl  irrig 
ist;  vgl.  ürk.  Beil.  107)  gehen,  den  Frachttarif  fest:  Weizen  und  Roggen, 
Flachs,  Canvass,  Pech,  Theer,  Osemond,  Bogenstäbe,  Stabeisen,  Asche,  Störe, 
Aale,  Federn,  Wachs  (und  nest  of  Compters?)  Hirsch  nennt  Weizen, 
Roggen,  Holz  (als  Wagenschoss,  Klappholz,  Knarrholz  aus  Litthauen, 
Koggenborten  aus  dem  mittleren  Weichselgebiete  und  Masovien,  Riemen- 
holz, Masten,  Eiben-  und  Bogenholz  aus  Polen,  den  Karpathen  und  dem 
Salzburgischen):  Schiffsbaumaterialien  wie  Anker,  Schiffstaue,  Segelstangen, 
ganze  Schiffe;  Hauch  waaren,  insbesondere  „Litthauisches  Werk",  Grauwerk, 
Hermelin  und  Biberwannen;  ferner  Wachs,  Flachs,  Asche,  Pech  und 
Theer,  alles  aus  Preussen,  Litthauen  und  Masovien:  Kupfer  aus  Ungarn, 
Bütower  Landeisen,  preussiscbe  Leinwand  und  Pferde.  Wheeler  fuhrt  als 
Artikel ,  welche  die  Mercbant  adventurers  von  den  Osterlingen  kaufen,  auf: 
„flaxe,  hemp,  wax,  pitche,  tarre,  wainscot,  dealbordes,  oares,  corn,  furres, 
cables  and  cable  yearne,  tallow,  ropes,  mastes  for  shippes,  sopeashes, 
estrigd  wool  and  almost,  whatsoeuer  is  made  or  groweth  in  East  countries". 
*)  Die  Parlamentsacte  nennt  als  englische  Ausfuhrartikel,  die  nach 
Danzig  gebracht  wurden,  blos  „brode  clothu,  „sctt  cloth"  und  Kaninchen- 

Selze.  Hirsch  hebt  Wolle  und  Wollenzeuge,  namentlich  Laken  aus  Lon- 
on,  Beverley,  Colchester,  Londoner  Scharlachtuch,  Ulster  Leinwand,  Me- 
talle, besonders  Zinn  und  Osemond,  sowie  Heringe  hervor.  Die  englischen 
Tücher  wurden  erst  durch  die  Engländer  selbst  im  Osten  zur  Geltung  ge- 
bracht, da  die  Hansen  ursprünglich  flandrische  Tücher  vorziehen  mussten. 
Vgl.   Sartorius   II.    S.    441   und  487. 


—    231     — 

Hegemonie  aber  nicht  aufrecht  zu  erhalten  war1).  Lübeck 
war  seit  dieser  Zeit  auf  Danzigs  Stapel  angewiesen. 

Die  Engländer,  welche  die  Ostsee  schon  befahren,  als 
noch  Wisby  auf  Gothland  blühte s),  besuchten  in  regelmässiger 
Folge  Danzig  seit  dem  Anfange  des  14.  Jahrhunderts.  Die 
freundliche  Aufnahme  bewog  viele,  sich  daselbst  niederzulassen, 
und  die  Freiheiten,  die  man  ihnen  stillschweigend  einräumte, 
waren  gross  genug,  um  ihren  Handel  zu  bedeutender  Ausdeh- 
nung gelangen  zu  lassen.  Die  Kaufleute  von  London,  Hüll, 
York,  Lynn  und  Boston  waren  hauptsächlich  an  diesem  Ver- 
kehr betheiligt.  Der  Werth  ihrer  Ein-  und  Ausfuhr  belief  sich 
jährlich  ungefähr  auf  400  000  i£.8)  Allein  schon  1370  hatte 
die  Eifersucht  der  einheimischen  Bürger  sich  so  gesteigert,  dass 
die  Stadtbehörde  den  Engländern  die  Hausgenossenschaft  mit 
den  Eingebornen  und  den  Tuchhandel  im  Detail  verbot.  Aber 
im  Frieden  zu  Marienburg  1388 4)  wurde  die  alte  Gewohnheit 
wieder  hergestellt,  und  in  Folge  dessen  wuchs  die  Zahl  der 
Engländer  derart,  dass  sie  bereits  1391  eine  Art  Gemeinde 
bilden  und  sich  einen  eigenen  Consul  wählen  konnten5). 

Die  Erbitterung  der  Danziger  Bürgerschaft  nahm  eine 
bedrohliche  Gestalt  an,  und  der  Hochmeister  kündigte  1398 
den  Engländern  den  günstigen  Vertrag 6).  Nicht  eher  als  bis 
1409  gelang  es,  den^Frieden  wieder  herzustellen 7).  Das  Recht, 
mit  allen  Fremden  m  Preussen  handeln  zu  dürfen ,  wurde  den 
Engländern  zurückgegeben,  alle  andern  Fragen  blieben  unent- 
schieden. Bald  darauf  brach  zwischen  Polen  und  dem  Deutsch- 
orden Krieg  aus.  Danzig  trat  auf  Seite  Polens,  wurde  aber 
von  dem  Hochmeister  Heinrich  von  Plauen  wieder  unterworfen, 
und  nun  gestattete  dieser  den  Engländern  den  Ankauf  eines 
Hauses8);   letztere  konnten  auch  ihre  Genossenschaft  wieder 


*)  Schon  1499  sagte  der  Labecker  Magistrat,  dass  die  Londoner 
Factorei  hauptsächlich  den  Angelegenheiten  Danzigs  diene,  und  dass  es 
kaum  fünf  Kaufleute  gebe,  welche  mit  den  Danzigern  in  London  concur- 
rirten.  Weinreich,  Danziger  Chronik  S.  XL  1532  klagt  Wullen- 
werer,  dass  Lübeck  zu  Grunde  gehe,  und  dass  die  Gesellen  mit  lübschem 
Capital  sich  ganz  in  die  östlichen  Städte  setzten,  jahrelang  directen  Handel 
mit  dem  Westen  trieben,  ohne  dass  man  von  Kapital  und  Zinsen  etwas 
höre.   Waitz,  Jürgen  Wullenwever  L  S.  138  fg. 

*)  Man  kann  dies  daraus  schliessen,  dass  die  Städte  Kampen  und 
Zwolle  c  1235  an  Lübeck  die  Bitte  stellten,  den  Engländern  die  Ostsee 
gänzlich  zu  verschliessen.    Lübecker  Urk,  Buch  I.  Nr.  486. 

*)  Hirsch,  a.  a.  O.   S   145. 

*)  Koppmann,  Hanserecesse  III  Nr.  406. 

5)  Rymer  VII.   S.  693. 

e)  Vgl.  Koppmann,  Hanserecesse  IV.  Nr.  424,  433,  503. 

')  Ueber  die  Verhandlungen  sieh  Koppmann,  Hanserecesse  Bd.  IV 
und  Pauli.  Zu  den  Verhandlungen  der  Hansa  mit  England  1404 — 7. 
Hansische  Geschichtsbl   1877.    S.  125  fg. 

8)  Daselbst  wohnten  die  Engländer  gemeinschaftlich,  machten  ihre 
Geschäfte  und  Hessen  ihre  gerichtlichen  Handlungen  durch  den  Gubernator 
vornehmen.    Hirsch,  a.  a.  0.  S.  104. 


—    232     — 

herstellen.  Der  Danziger  Rath  benutzte  aber  das  Ausbleiben 
der  vom  englischen  König  früher  versprochenen  Entschädigungs- 
gelder, um  das  englische  Haus  kurz  darauf  wieder  zu  sperren 
und  den  Engländern  die  Ausübung  aller  Corporationsrechte  zu 
verbieten  (1414).  Die  Engländer  mussten  nun  in  einzelnen 
Häusern  wohnen.  Doch  gelang  es  ihnen,  1428  vom  Hoch- 
meister die  ausdrückliche  Erlaubniss  zu  erwirken ,  sich  einen 
Aeltermann  oder  Gubernator  wählen  zu  dürfen.  Es  währte 
nicht  lange,  so  wurde  ihre  Concurrenz  von  den  Danzigern 
abermals  schwer  empfunden;  man  verfolgte  sich  gegenseitig, 
der  Zustand  war  fortwährend  gespannt. 

Nach  mehrfacher  Unterbrechung  des  Verkehrs  knüpfte 
man  Friedensunterhandlungen1)  an,  und  der  englischen  Diplo- 
matie war  es  hierbei  gelungen,  den  Danziger  Vertreter  zu 
überlisten  und  sich  alle  Rechte  zu  sichern,  die  sie  zu  irgend 
einer  Zeit  besessen2).  Der  Hochmeister  setzte  aber  auf  den 
energischen  Einspruch  Danzigs  und  die  nun  von  den  Englän- 
dern gestellten  Forderungen  hin  die  Ratification  aus  (1438) 8). 
Die  Engländer  wurden  in  Danzig  strenger  denn  je  behandelt. 
Sie  verloren  das  Recht  des  unmittelbaren  Verkehre  mit  den 
Fremden,  wurden  mit  neuen  Abgaben  belastet,  mussten  ihre 
Häuser  räumen  und  mit  unterirdischen  Gewölben  sich  begnügen, 
sowie  andere  Leiden  ertragen 4).  Die  natürliche  Folge  war  ein 
feindseliges  Verhältniss  nicht  nur  zwischen  Danzig  und  Eng- 
land,  sondern  überhaupt  zwischen  der  ganzen  Hansa  und  Eng- 
land während  mehrerer  Jahrzehnte.  Ein  Glück  für  die  Hansen 
war  es ,  dass  gerade  damals  die  englische  Krone  hülfloser  und 
schwächer  war,  denn  je,  und  es  nicht  wagen  konnte,  die  von 
dem  englischen  Volk6)  gewünschten  energischen  Massregeln 
gegen  die  Hansen  auszufuhren. 

*)  von  der  Kopp,  Hanserecesse  I.  S.  874  fg.  und  II.  S.  18—95. 

*)  A.  *  0.  II.  Nr.  84. 

3)  A.  a.  0.  II.  S.  175—184. 

«)  A.  a.  0.  II.  S.  456—64,  besonders  Nr.  589  >  ferner  S.  537  Nr.  664, 
jedoch  in  Verbindung  mit  Nr.  638,  639,  655. 

ft)  Vgl.  Rot.  Pari.  IV.  S.  493-,  V.  S.  64,  ferner  Rot.  Pari.  VI.  S.  66, 
wo  der  König  gewissermassen  nur  unter  der  Bedingung  einer  günstigen 
Behandlung  der  Engländer  in  Preussen  die  alten  Rechte  der  Hansa  wieder 
anerkennen  lässt  (1473)  Wie  diese  günstige  Behandlung  gedacht  war,  zeigt 
der  Wortlaut  deutlich :  „ —  the  kjng's  subgetts  shall  mowe  as  ofte  as  theym 
shall  like,  repare  and  resorte  unto  the  londe  of  Pruce,  and  other  places 
of  the  Hanze,  freely  and  suerly  entre  the  same,  there  abide  and  departe 
fro  thens  at  their  pleasure,  to  byeand  seile  with  all  maner  persones, 
as  frely  and  largely  as  any  tyme  heretofore  they  have  t>e  wonte  to 
doo,  with  enjoying  all  and  everyche  their  liberties  and  free  custumes,  which 
they  have  used  and  enjoyed  resonably  eny  tyme  nassed;  and  no  prises, 
exactions  nor  prestations  shall  be  sette  uppon  their  persones  or  goodee, 
otherwise,  then  have  be  sette  uppon  theym  any  tyme  afore  this  C  yere  nowe 
last  past  or  above:  Wherunto  the  seid  merchauntes  of  the  Hanze  by  their 
oratours  have  assented  and  agreed(?)tf. 


—    233    — 

Der  Utrechter  Friede  führte  endlich  den  langersehnten  Ab- 
brach des  Krieges  (1474)  herbei.  Die  Umstände,  unter  denen 
er  zu  Stande  kam  *) ,  waren  den  Hansen  und  besonders  den 
Danzigern  günstig2).  Trotzdem  konnten  die  Städte  von  dem 
König  nicht  die  Concession  erlangen,  dass  die  Bestimmungen  be- 
züglich des  Verkehrs  der  Engländer  in  Preussen  ganz  in  der 
von  ihnen  gewünschten  Weise  redigirt  wurden8).  Die  Eng- 
länder, sagt  der  einschlägige  Artikel,  dürfen  nach  allen  Orten 
in  Preussen  kommen,  daselbst  verweilen  und  wieder  abziehen, 
frei  einkaufen  und  verkaufen,  mit  Jedwedem  handeln,  so 
frei  wie  zu  irgend  einer  Zeit.  Alle  Freiheiten  und  Rechte 
sollen  sie  geniessen,  welche  sie  vormals  billiger  Weise  (rationa- 
biliter)  besessen  und  gebraucht  haben4).  Steuern  und  Zölle, 
die  vor  100  und  mehr  Jahren  üblich  waren,  sollen  allein  be- 
rechtigt, neue  Abgaben  unzulässig  sein.  Das  Wort  „morari"  ist 
nicht  so  zu  verstehen,  dass  man  sich  dauernd  niederlassen  oder 
die  Rechte  eines  Bürgers  sich  anmassen  darf,  sondern  es  be- 
deutet nur  den  Aufenthalt  für  kürzere  Zeit6). 

Eine  Hauptforderung  der  Engländer,  nämlich  mit  den 
Fremden  in  Danzig  handeln  zu  dürfen,  schien  dem  Wortlaut 
nach  gewährt  zu  sein.  Freilich  hing  der  Erfolg  der  Bestim- 
mung immer  noch  davon  ab,  ob  sie  im  Sinne  Englands  aus- 
geführt wurde.  Danzig  war  nicht  gewillt,  dies  zu  thun.  So- 
lange England  nach  Aussen  nicht  stark  aufzutreten  vermochte, 
war  eine  wirkliche  und  dauernde  Besserung  nicht  zu  erwarten. 
Immerhin  war  es,  wenn  man  die  damalige  Lage  des  englischen 
Reiches  und  der  englischen  Regierung  ins  Auge  fasst,  von 
einiger  Bedeutung,  in  einem  so  wichtigen  Tractat,  wie  es  der 
Utrechter  war,  einen  Hauptpunct  wenigstens  theoretisch  be- 
willigt und  klar  ausgesprochen  zu  sehen. 

IT.  So  lagen  die  Dinge,  als  der  Tudor  die  Lenkung  der 
englischen  Handelspolitik  übernahm.  Mit  der  ihm  eigenen  Ge- 
schicklichkeit griff  er  auch  hier  ein. 

Wie  ungünstig  gleich  nach  der  Thronbesteigung  Hein- 
richs VII.  die  Beziehungen  zwischen  den  Hansen  und  England 
sich  gestalteten,  haben  wir  oben  bereits  angedeutet.  In  Bezug 
auf  Danzig  war  die  Entfremdung  grösser,  als  bei  den  anderen 
Hansestädten.    Namentlich  war  zwischen  den  Bürgern  von  Hüll 


')  Sieh  oben  S.  177. 

*)  Eduard  IV.  war  den  Danzigern  besonders  verpflichtet.  Vgl.  R. 
Pauli,  Die  Haltung  der  Hansestädte  in  den  Rosenknegen.  Hans.  Ge- 
schichtet) 1.  1874.  S.  90. 

*)  Vgl.  die  Instruction  an  seine  Gesandten.  Urk.  Beil.  82,  namentlich 
Artikel  3. 

*)  Diebelbe  Clausel  mussten  sich  freilich  auch  die  Hansen  gefallen  lassen. 

ß)  Diese  Bestimmung  war  zunächst  nur  für  die  Engländer  practisch, 
vnrde  aber  doch  später  auch  von  diesen  gegen  die  Hansen  ins  Treffen 
geführt 


—    234    — 

und  Danzig  seit  1488  bittere  Feindschaft  entbrannt.  Die  zur 
See  verübten  Gewaltthaten  trafen  fast  zur  Hälfte  auf  Danzig. 
Den  seit  dem  Utrechter  Frieden  von  den  Engländern  er- 
littenen Schaden  berechnete  Danzig  auf  der  Antwerpener  Tag- 
fahrt 1491  auf  5963  r£  14  sh  1  d1).  Schon  um  deswillen 
traten  bei  diesen  Verhandlungen  die  Danziger  Angelegenheiten 
sehr  in  den  Vordergrund.  Weit  mehr  war  es  aber  noch  aus 
einem  andern  Grunde  der  Fall.  Gerade  auf  Danzig  und 
Preussen  bezogen  sich  die  Hauptwünsche  des  englischen  Kö- 
nigs. Hier  dem  englischen  Kaufmann  grössere  Rechte  zu  ver- 
schaffen, war  das  Ziel,  das  Heinrich  VII.  fest  im  Auge  hatte, 
sie  waren  das  eigentliche  Object,  das  für  ihn  bei  den  Ver- 
handlungen von  1491  in  Betracht  kam,  dieses  Zieles  wegen 
hatte  er  zu  Dänemark  eine  freundliche  Stellung  eingenommen, 
auf  diese  Weise  wollte  er  einen  wirksamen  Druck  auf  die 
Hansen  ausüben*). 

Während  der  Berathungen  über  die  Schäden  ergab  sich 
bald  Gelegenheit  für  die  Engländer,  diese  Frage  einzuführen« 
Als  die  Hansen  baten,  die  englischen  Gesandten  möchten  dem 
König  vorstellen,  dass  er  ihre  Privilegien  halte,  erwiderten  jene, 
der  König  habe  mündlich  versichert,  dass  er  dies  thun  werde, 
wenn  seine  Kaufleute  die  gleiche  Freiheit  in  den  Städten  ge- 
messen dürften,  wie  die  Hansen  in  England.  Der  Utrechter  Artikel, 
dass  die  Engländer  sicher  und  frei  in  die  Städte  kommen  und 
mit  Jedermann  frei  handeln  könnten,  werde  aber  nicht  gehalten, 
sondern  man  vertreibe  die  Engländer  aus  den  Städten.  Hier 
müssten  feste  Garantien  geschaffen  werden,  dass  den  Engländern 
ihr  Recht  werde.  Die  Satzung  der  Danziger,  wonach  die  eng- 
lischen Kaufleute  nur  mit  den  Danziger  Bürgern  handeln 
dürften,  sowie  die  Satzung8)  des  deutschen  Kaufmanns,  wo- 
nach die  Hansen  mit  den  Engländern,  welche  wegen  Gut- 
habens vor  dem  Austrag  klagten,  nicht  handeln  sollten,  seien 


x)  Die  Klagen  der  Danziger  gegen  England  1491  (St.  A.  Danzig  XVI. 
7 8a  Hanserecesse  ed.  D.  Schäfer).  Die  Kölner  berechneten  für  dieselbe  Zeit 
10966  £  18  sh  11  d  (Kölner  Stadtarchiv.  ActaAngl.  1434-1521  fo.  225 
bis  43).  Daneben  beanspruchten  die  Kölner  eine  fast  gleich  hohe  Summe 
(9129  £  15  sh  7  d)  für  die  seit  1427  bis  zum  Utrechter  Vertrag  erlittenen 
Schäden  und  Nachtheile,  ohne  freilich  bei  Lübeck  und  den  andern  Städten 
dafür  grosse  Unterstüzung  zu  finden.  Die  Engländer  gaben  ihren  Schaden  zu 
14  670  £  18  sh  6  d  an  (St.  A.  Danzig  XXVII.  72  Hanserec.  ed.  D.  Schäfer). 

')  Für  das  Folgende  wurde  hauptsächlich  benützt  der  Danziger  Recess 
über  die  Verhandlungen  mit  den  Engländern  zu  Antwerpen  1491  (St  A. 
Danzig  XXVII.  70.    Hanserecesse  ed.  I).  Schäfer). 

*)  „dat  de  kopman  to  Londen  eün  Statut  gemakt  hadden,  zo  eün 
Engelssche,  de  eünem  Dudesschen  süne  gudere  vorkoft  unde  vorborged 
hadde,  wente  dat  overslagen  were  vor  erem  uthage,  dat  de  Engeischen  en 
baven  40  000  U.  vorborget  unde  vortruwet  hadden,  den  Dudesschen  manede 
unde  sün  geldt  adir  betalinge  hebben  wolde,  denne  were  ere  vorbunth,  dat 
nümandt  van  der  natien  mitten  Engeischen  adir  sünen  frunden  kopslagen 
mußte,  dat  denne  grote  bittercheüdt  makede."  a.  a  O. 


—    235    — 

es  hauptsächlich,  welche  unter  den  Engländern  Erbitterung 
gegen  die  deutsche  Nation  hervorrufe. 

Indem  die  englischen  Bevollmächtigten  in  geschickter  Weise 
in  der  Frage  der  Entschädigung  sich  sehr  zurückhaltend  zeigten, 
namentlich  den  Wunsch  der  Hansen,  dass  der  König  in  vielen 
Fällen  für  den  zugefügten  Schaden  aufkommen  solle,  nicht  be- 
willigen, sondern  entsprechend  ihrer  Vollmacht  nur  dem  König 
anheimstellen  zu  können  erklärten,  wurde  für  die  Städte 
die  Lage  in  jeder  Hinsicht  bedenklich,  wenn  man  nicht  dem 
Wunsche  des  Königs  möglichst  willfuhr. 

Unter  den  Abgesandten  der  Städte  kam  es,  wie  sich 
denken  lässt,  in  Folge  dessen  zu  häufigen  und  erregten  De- 
batten. Der  Danziger  Bürgermeister  erklärte  seinen  Collegen, 
Danzig  werde  niemals  zugeben,  dass  die  englischen  Kaufleute 
mit  allen  Nationen  in  Danzig  oder  in  Preussen ,  wie  mit  den 
Russen,  Polen,  Ungarn,  Litthauern,  Böhmen  Kaufgeschäfte 
trieben.  Das  wäre  für  Danzig  der  ewige  Verderb1).  Seine 
Vollmacht  laute  auch  ausdrücklich  dahin,  dies  nicht  zu  ge- 
statten 2).  Nur  das  könne  er  versprechen,  dass  die.  Engländer 
in  Danzig  Verkehr  treiben  dürften,  gerade  wie  die  Mitglieder 
einer  andern  Hansestadt.  Selbst  wenn  er  ein  Mehres  ein- 
räumen wollte,  so  würde  es  nichts  nützen,  zu  Hause  werde 
man  sich  nicht  daran  kehren,  und  er  verwahre  sich  gegen  die 
Folgen,  die  dann  entstehen  könnten.  Viele  seiner  Collegen 
fanden  diese  Erklärung  für  berechtigt.  Sie  sagten,  dass  sie 
auch  nicht  den  Engländern  zu  gestatten  dächten,  mit  Jedwedem 
in  ihren  Städten  zu  handeln;  es  werde  überall  so  gehalten, 
dass  „de  borgere  unde  inwonere  der  stede  jummers  meer  vor- 
deels  musten  hebben,  wen  andere  van  buten",  selbst  die  Ham- 
burger müssten  in»  Lübeck  und  umgekehrt  die  Lübecker  in 
Hamburg  sich  eine  solche  Beschränkung  gefallen  lassen 8). 


*)  „dat  de  van  Dantzike  keünerleü  wüse  den  Engeischen  inrumen  adir 
gönnen  wurden,  sulkt  ere  vornemen,  alse  ze  vormeneden,  mit  ailerleü  natien 
mit  en  to  kopslagen  to  to  laten,  ock  sunderges  boveel  darvan  hadden,  dat 
mit  richte  to  staden ,  wente  de  Engeischen  dar  lange  na  gestaen  hadden, 
et  hadde  en  nilwerlde  mögen  geboren,  wente  solden  de  Engeischen  to 
Dantzike  adir  in  Prussen  mit  allerleü  natien  als  Russen,  Palen,  Letawen, 
Hangaren,  Bemen  unde  anderen  kopslagen,  dat  were  der  borgere  to  Dantzike 
ewige  vorderff,  de  Engeischen  solden  de  neringe  hebben,  wente  ze  geldt 
unde  guth  hebben,  de  borgere  unde  inwaner  solden  moten  vorderven; 
dammme  dat  wü  dat  solden  to  laten,  steüt  uns  mit  nichte  to  doende  et  is 
en  upt  land  to  Prussen  to  doende,  ze  hebben  vormaels  in  vorgangenen  jaren 
zere  darna  gewesen,  de  herenn  homeister  unde  dat  landt  hebben  ze  darto 
nicht  willen  laten  komen."  a.  a.  0. 

*)  Dies  war  nach  dem  vorliegenden  Wortlaut  der  Instruction  thatsäch- 
Uch  der  Fall  (St.  A.  Danzig  XXVII.  66,  70.    Hanserecesse  ed.  D.  Schafer). 

*)  Einen  interessanten  Einblick  in  die  Art  und  Weise,  wie  Lübeck 
Hamburg  gegenüber  das  Gästerecht  handhabte,  erhalten  wir  durch  eine 
wahrscheinlich  in  die  erste  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  fallende  Bittschrift 
der  Lübecker  Bürger  und  coplude  in  Engelandt  hantirende  an  den  Lübecker 


—    236    — 

Die  Engländer  bestanden  auf  ihrer  Forderung;  die  Ver- 
suche der  Hansestädte,  die  Danziger  Vertreter  zur  Nachgiebig- 
keit zu  veranlassen,  misslangen.  •  Selbst  die  Drohung  der 
Schwesterstädte,  man  werde  den  fraglichen  Artikel  in  den  Re- 
cess  setzen  und  den  Engländern  gegenüber  sich  dadurch  sicher 
stellen,  dass  man  die  Städte,  welche  den  Artikel  nicht  halten 
wollten,  den  Engländern  anzeigen  (verkuntschoppen)  werde, 
verfehlte  seine  Wirkung.  Die  Danziger  erklärten,  der  Artikel 
sei  nur  dann  für  sie  annehmbar,  wenn  er  in  der  von  ihnen  oben 
angegebenen  Richtung  specificirt  würde.  Nach  dem  Utrechter 
Frieden  hätten  die  Danziger  ausdrücklich  gegen  den  4.  Vertrags- 
artikel  protestirt,   die   Schwesterstädte,    namentlich   Lübeck, 


Rath.  Es  wäre  möglich,  dass  in  Folge  der  Petition,  die  gerade  durch  die 
englischen  Laken  veranlasst  wurde,  eine  Verschärfung  des  Gästerechts  ein- 
trat. Obwohl,  heisst  es  in  der  Vorstellung,  nicht  nur  im  Jahre  70  (1470) 
die  Hansestädte  in  einem  Recesse  gemeinsam  die  Normen  für  den  Verkauf 
der  Laken  in  den  Städten  festgesetzt,  sondern  auch  die  Vorfahren  im  Re- 
giment zum  putzen  der  Bürger  noch  besonders  eine  Verordnung  publitiit 
haben,  wonach  allen  Fremden  und  Gästen  geboten  wurde,  „dat  se  kerne 
Engeische  oft  ander  lakene,'als  se  hir  in  de  stat  bringen,  anders  verkopen 
scholen,  dan  by  helen  terlingen  und  helen  packen,  als  de  in  der  lynnen 
beslagen  unde  se  van  buten  inbringen,  und  desulven  laken  nicht  delen  Wen 
der  lynnen  by  stucken  to  verkopende,  ock  d  arme  de  neyne  opene  kellere 
edder  boden  holden  by  pene  eyner  marck  goldes,  item  dat  alhie  in  der 
Stadt  neyn  gast  mit  gaste  schall  kopslagen  by  teyn  marck  sulvers,  mith 
mer  anderen  notturftigen  und  todrechtliken  artickelen ,  wie  .ungetwivelt  uth 
angetogenen  reces  ock  iwer  erb.  w.  upgerichten  ordinantien  unde  wedde- 
boke  wider  une  clerlyker  to  befinden  :  So  isset  dennoch  int  verlop  der  titt, 
dar  hen  gereden,  dat  sollicher  ordinantii  dorch  de  frombden  und  geste  nicht 
allene  in  ethliken  artickelen  ungepynet  entkegen  gehandelt,  sundern  ock  nu 
so  farn  gekamen,  dat  gar  nichts  darvan  geholden  wert,  und  so  depe  ist 
ingeret,  dat  de  geste  und  frümbden  mit  sollichen  ingebrachten  laken  opene 
kellere  holden,  desulvigen  kellere  unde  hüsere  so  mennichfoldich  syn,  dat 
se  de  so  woll  an  der  Wakenitze  in  der  Erlockger  strete  als  der'Traven 
in  der  Marlessgreven  to  kope  hebben  und  de  laken  dem  loslicken  reces 
der  steder  und  iwer  erb.  w.  verfaren  upgerichter  ordinantii  unde  wedde- 
boke  to  entkegen  nicht  allene  dem  eynen  und  anderen  bynnen  der  stat 
wonende,  Sündern  ock  gesten  und  frombden  von  buten  uth  Dennemarken, 
Sweden,  Lyfflant,  Preuteren,  ok  van  Rosstock,  Sundt,  Wissmar  und  anderby 
inkomende  offentlick  verkopen,  und  also  als  gast  mit  gaste  handelen  und 
koepslagen.  Und  geschüt  des  also  vele,  dath  wy  alle,  so  vele  unsrer  in 
Engelaut  mit  laken  härteren ,  dith  vorgangen  yar  den  wantsnideren  alhir 
bynnen  der  stat  baven  twe  off  6  laken  nicht  verkofft  hebben,  welche  vor- 
war desser  güden  stat  und  uns,  de  wv  de  last  und  borden  mede  dragen 
moten,  nicht  eyn  geringer,  Sündern  treffentlich  groter  schade  ist.  Und  ge- 
schult sollich  schade  vornemlich  und  am  meisten  dorch  de  Hamborger  und 
lakenboreder  darsulvest,  de  so  wydt  her  indrengen,  dat  se  ock  de  laken, 
als  se  hir  bringen  von  büten  von  Fleshi[ng]en  (?)  botteref?),  damede  8e  ore 
huser  und  schepe  Vorsorgen,  den  frombden  und  gesten  by  rocklacken,  by 
stücken  up  tide  vorkopen  und  also  desulven  lacken  in  Lyfflant  und  andere 
orde  gefort  werden,  welchs  allenthalven  upt  hogeste  beswerlich  wile,  dar- 
dorch  de  lakenhandelt  uns  gar  to  nichte  und  vorderve  geitt".  Die  Petenten 
verlangen  deshalb,  das  Verbot  des  öftern  einzuschärfen  und  die  Uebertreter 
zu  bestrafen.  (Lübecker  Archiv.  Das  Schriftstück  ist  vielfach  corrigirt,  also 
wahrscheinlich  ein  Concept  der  Petition). 


-    237     - 

hätten  aber  sie  beruhigt,  indem  sie  erklärten,  der  Artikel 
enthalte  nichts  Neues  und  solle  den  Danzigern  nicht  schädlich 
sein. 

Zu  einer  Specification  ähnlich  der  beim  Worte  morari  im 
Utrechter  Vertrag  hatten  die  übrigen  Hansen  keine  Voll- 
macht, auch  wollten  sie  an  dem  Utrechter  Vertrag  um  keinen 
Preis  rütteln;  ihn  äusserlich  ganz  unverändert  zu  erhalten, 
schien  nothwendig,  wenn  man  wieder  zu  den  Privilegien  in 
London  gelangen  wollte  und  dem  Kaufmann  kein  Schaden  er- 
wachsen sollte.  Würde  man,  sagten  die  Schwesterstädte,  den 
Utrechter  Artikel  den  Engländern  versagen,  so  werde  das  bei 
dem  englischen  König  böses  Blut  machen. 

Aber  die  Danziger  waren  nicht  umzustimmen,  sie  hielten 
starr  an  ihrer  Instruction  fest.  So  beschloss  man,  den  eng- 
lischen Commissären  die  Meinung  der  Danziger  vorzutragen.  Die 
Hansen  machten  die  Engländer  darauf  aufmerksam,  dass  das 
Land  Preussen  zur  Zeit  getheilt  sei,  ein  Theil  gehöre  zu  Po- 
len, ein  anderer  dem  Hochmeister;  hinsichtlich  des  letzteren 
hätten  die  Danziger  keine  Macht.  Auch  in  Danzig  selbst 
stehe  die  Sache  nicht  so,  dass  die  Engländer  von  Altersher 
mit  Jedwedem  gehandelt  hätten,  und  die  Danziger  wollten  dies 
auch  nicht  zugestehen.  Als  die  Engländer  erwiderten,  sie 
könnten  durch  Zeugen  erhärten,  dass,  wenn  ihre  Schifte  zu 
dem  Dominikmarkt  kämen,  sie  mit  Jedwedem  Kaufgeschäfte 
abschliessen  könnten,  erklärten  die  Hansen,  das  solle  ihnen 
auch  künftig  gestattet  sein,  ebenso  sollten  sie  den  Artushof 
besuchen  dürfen1),  aber  sie  sollten  nicht  das  ganze  Jahr  mit 
Jedermann  handeln. 

Die  Engländer  waren  damit  zufrieden.  Zwei  Rechte  we- 
nigstens waren  dadurch  für  sie  ausser  allen  Zweifel  gestellt 
und  von  den  Danzigern  selbst  wirklich  einmal  zugesagt.  Die 
Bestimmungen  des  Vertragsentwurfs  wurden  jedoch  nicht  ab- 
geändert, sondern  der  Utrechter  Artikel,  wonach  die  Engländer 
in  den  Hansastädten  mit  Jedermann  handeln  dürften,  wurde 
in  dem  Recess  belassen.  Man  findet  es  deshalb  wohl  erklär- 
lich, wenn  die  Danziger,  um  irrige  Folgerungen  zu  vermeiden, 
ein  öffentliches  Document  über  die  Concessionen  herstellen 
Hessen,  die  den  Engländern  gemacht  worden  waren  2). 

Die  Engländer  sahen  zwar  nicht  das  Ziel  ihrer  Wünsche 
befriedigt,  aber  ein  besserer  Zustand  als  früher  war  geschaffen. 


')  Der  Besuch  desselben  war  ihnen  unmittelbar  vorher  versagt  gewesen.  In 
den  Verhandlungen  von  1499  erklärten  deshalb  die  Hansen,  über  dieses  Haus 
„Antwerpie  sit  responsum.  Nam  eam  esse  Arcturi,  a  qua  propter  turbationem 
esaent  eiecti,  ab  illo  die  tractatus  denuo  adinissi,  in  qua  esset  honestorum 
conventio  mercatorum,  nee  in  eam  scothi  admitterentur"  (Kölner  St. A.  Acta 
Angl.  1434-1521  fo.  189). 

*)  Kölner  StA.  Acta  Anglicana  1434-1521  fo.  153.  Weinreich, 
Danziger  Chronik  Beil.  III.  S.  123  und  S.  73  Anm.  5. 


—    238     - 

Besonders  werthvoll  war  für  sie  die  Zulassung  zum  Artushof. 
Zu  diesem  hatten  nur  die  einheimischen  Kaufleute,  wie  die 
Grosshändler,  Gewandschneider,  Krämer,  Seefischer,  Brauer, 
sowie  die  von  diesen  eingeführten  Hansen  Zutritt.  Der  Artus- 
hof gewährte  nicht  nur  viele  gesellige  Freuden,  sondern  er 
war  auch  eine  Art  Börse.  Zu  gewissen  Stunden  trafen  sich 
hier  die  Handeltreibenden,  um  gegenseitig  Geschäfte  ab- 
zuschliessen.  Auch  wurden  hier  alle  amtlichen  Mittheilungen 
in  Betreff  des  Handels  zuerst  publicirt 1). 

Heiniich  VH.  genügte  das  Errungene  nicht.  Die  Stellung 
des  englischen  Kaufmanns  an  der  Ostsee  sollte  noch  mehr  ge- 
festigt, sein  Wirkungskreis  noch  bedeutender  erweitert  werden. 

Zunächst  lenkte  der  König  seinen  Blick  auf  die  Inländi- 
schen Städte.  Diese  standen  mit  dem  Hansabunde  nur  in 
loser  Verbindung  und  scheuten  sich  keineswegs,  im  eigenen 
Interesse  gegen  die  Mitglieder  des  letzteren  eine  rigorose 
Handelspolitik  zu  befolgen.  Das  seit  einiger  Zeit  verhanste 
Riga  schien  besonders  geeignet.  Der  Ordensmeister  Wolter 
von  Plettenberg  und  der  liebenswürdige  Erzbischof  Michael, 
welche  den  leitenden  Einfluss  in  Riga  hatten8),  konnten  leicht 
für  den  englischen  Plan  gewonnen  werden.  Das  gegensätzliche 
Verhältniss  zwischen  Danzig  und  dem  Deutschorden,  sowie  die 
damalige  Lage  der  Stadt,  die  nach  langen  Streitigkeiten  wieder 
etwas  zur  Ruhe  gelangt  war  und  eine  Wiederbelebung  des 
Handels  sehr  bedurfte,  Hessen  es  ganz  im  Interesse  Rigas  er- 
scheinen, wenn  es  mit  England  engere  Beziehungen  an- 
knüpfte. 

Gelang  dem  König  sein  Plan,  so  liess  sich  Danzig  ganz 
bei  Seite  schieben  oder  doch  über  dessen  Hartnäckigkeit 
gleichgültig  hinwegsehen;  gleichzeitig  war  die  Möglichkeit  ge- 
geben, einen  Verkehr  mit  den  Russen  anzubahnen 8),  ein  Punkt 
von  kapitaler  Wichtigkeit,  seit  1494  die  Hansen  ihr  Contor 
zu  Nowgorod  verloren  hatten. 

Riga  kam  den  Wünschen  Heinrichs  VH.  mit  Freuden  ent- 
gegen. Johannes  Prange  wurde  nach  London  gesandt,  und 
dieser  schloss  mit  dem  Bischof  Thomas  von  London  und  Wilh. 
Warham  am  26.  Nov.  1498  einen  Vertrag  ab,  der  geradezu 
glänzende  Bedingungen  für  die  Engländer  enthielt.  Dieselben 
waren : 4) 
1)  Zwischen  den  Angehörigen  beider  Contrahenten  soll  ein 
ewiger  Friede  herrschen. 


x)  Ueber  den  Artuehof  vgl.  Hirsch,  Danzig  S.  204. 

*)  S.  C.  £.  Napiersky,  Rigas  ältere  Geschichte  in  Uebersicht,  Ur- 
kunden und  alten  Aufzeichnungen  (4.  Bd.  der  Monumenta  Livoniae  Antiquae). 

8)  Ueber  die  frühen  engen  Handelsbeziehungen  Rigas  zu  Russland 
vgl.  Hildebrand.  Das  Rigische  Schuldbuch  1286—1351.  St  Peters b.  1872. 

*)  Rymer  XU.  S.  701. 


_    239    — 

2)  Den  Engländern  ist  gestattet,  in  alle  Orte,  die  zur  Stadt 
Riga  gehören  oder  mit  ihr  zusammenhängen,  zu  kommen, 
Waaren  englischer  Herkunft  dahin  zu  bringen,  daselbst 
zu  verweilen,  mit  Borgern  der  Stadt  sowohl,  als  mit  jed- 
wedem Andern  zu  handeln  und  Güter  jeglicher  Art 
überallhin  zu  expoiüren.  Die  von  den  Engländern  ein- 
und  ausgeführten  Waaren  sind  zollfrei1).  Den  Kauf- 
leuten aus  Riga  ist  erlaubt,  mit  Waaren  Rigaer  Ursprungs 
nach  England  zu  kommen,  dort  zu  handeln  und  die  er- 
worbenen sowie  andere  Güter  überallhin  zu  führen.  Für 
Waaren  Rigaer  Ursprungs  zahlen  sie  die  Zölle  der 
Hansen,  für  Waaren  fremden  Ursprungs  die  Zölle 
Fremder. 

3)  Alle  früheren  Obligationen  und  Geldversprechen,  durch 
welche  die  englischen  Kaufleute  oder  der  englische 
König  vom  preuss.  Ordensmeister  oder  von  den  Ruthenen 
oder  Riga^rn  beschwert  werden  könnten,  weiden  für 
null  und  nichtig  erklärt-,  namentlich  gilt  dies  von  einer 
vom  Jahre  1404  (?)  stammenden  Obligation  im  Betrage 
von  10  637  Nobel  2  sh  2  d. 

4)  'Johannes  Prange  verspricht  im  Namen  Rigas  die  eben 
erwähnte  Obligation  dem  Vorstande  der  englischen  Kauf- 
leute Johannes  Wiltshire  in  Antwerpen,  Brügge  oder 
sonst  in  den  Niederlanden  innerhalb  4  Monate  aus- 
zuliefern; geschieht  dies  nicht,  so  gelten  alle  Artikel 
dieses  Tractats,  soweit  sie  die  Rigaer  betreffen,  für  nicht 
geschlossen 2). 

5)  Die  Ratification,  beziehungsweise  der  Austausch  der  Ver- 
tragsdocumente  soll  innerhalb  5  Monaten  zu  Calais  statt- 
finden. 

Alle  Forderungen,  die  Heinrich  VII.  gegenüber  Danzig 
und  den  übrigen  Hansestädten  so  oft  vergeblich  gestellt,  waren 
hier  erfüllt.  Ein  ganz  klares  Recht  war  hier  den  Engländern 
gewährt. 

Der  Vertrag  wurde  vom  König  ratificirt,  und  das  Gleiche 
war  von  Riga  beabsichtigt3).  Danzig  scheint  auch  die  ein- 
getretene Wendung  sofort  empfunden  zu  haben.  Das  Aus- 
bleiben der  Engländer  erwies  sich  in  kürzester  Zeit  für  die 
Stadt  und  für  Preussen  verderblich.  Ihr  Schutzherr,  der  König 
von  Polen,  Johann  Albert,  machte  einen  Vermittlungsversuch. 
In  einem  Brief  an  den  König  Heinrich  VII.  und  die  englischen 

*)  „a  solutione  omnium  et  singulorum  vectigalium  pedagii,  augariagiae 
aut  costumarum  praestatione  quacumque  perpetois  futuris  temporibus  liberi 
erunt  et  quieti". 

')  Die  Freiheiten  der  Engländer  bleiben  also  auch  in  diesem  Fall 
bestehen. 

^Vgl.  Urk.  Beil.  99,  102.  Die  Ratification  von  Seite  Heinrichs  VII. 
ist  in  Kymers  Foedera  a.  a.  0.  enthalten. 


—    240     — 

Bevollmächtigten  versprach  er,  den  Engländern  in  seinen  Ge- 
bieten Handelsfreiheit  zu  gestatten,  wenn  man  auch  den  Hansen 
in  England  ihre  Privilegien  wieder  geniessen  lassen  wolle 
(April  1499).  Freilich  der  Kernfrage,  ob  die  Engländer  mit 
Jedermann  Handelsgeschäfte  abschliessen  dürften,  wich  er  vor- 
sichtig aus,  wenn  er  auch,  wie  aus  einem  gleichzeitigen  Brief 
an  Lübeck  hervorgeht,  die  Handelsfreiheit  eher  weit  als  eng 
aufzufassen  schien  1). 

Unter  diesen  Verhältnissen  war  Englands  Position  eine 
ziemlich  günstige,  als  die  Tagfahrt  zu  Brügge  im  Sommer  1499 
stattfand 2).  Der  König  hoffte  wohl,  dass  er  bei  dieser  Gelegen- 
heit die  Danziger  zu  weiteren  Concessionen  veranlassen  könne. 
Volle  Reciprocität  war  das  Ziel,  das  Heinrich  VII.  anstrebte. 
Die  Freiheiten  der  Engländer  in  Preussen  sollten  ganz  die- 
selben sein,  wie  die  der  Hansen  in  England.  Wie  diese  den 
^tahlhof  in  London  besassen,  so  sollte  auch  den  Engländern 
das  Haus  in  Danzig,  das  sie  früher  einmal  inne  hatten  und  aus 
dem  sie  gewaltsam  vertrieben  worden  waren,  wieder  eingeräumt 
weiden.  Wie  die  Hansen  in  London  mit  Bürgern  und  Nieht- 
bürgern  Handel  treiben  durften,  so  sollte  auch  den  Engländern 
gestattet  werden,  mit  Jedwedem  Handelsgeschäfte  zu  schliessen. 
Der  König  hielt  die  volle  Innehaltung  des  Artikels  4  des 
Utrechter  Vertrags  für  so  selbstverständlich,  dass  er  sogar 
seinen  Commissären  auftrug,  eine  Entschädigung  zu  stipuliren, 
welche  die  Danziger  wegen  Nichtbeobachtung  der  erwähnten 
Vertragsbestimmungen  zahlen  sollten  3). 

Die  Erwartungen  des  Königs  erfüllten  sich  jedoch  nicht. 
Es  scheint,  dass  die  Hansen  Riga  wieder  auf  ihre  Seite  zu 
ziehen  wussten4)  und  Aussicht  hatten,  den  englischen  Handel 
daselbst  etwas  zu  beschränken,  so  dass  das  Pressionsmittel  der 


*)  ürk.  Beil.  89.  90. 

*)  Das  Folgende  nach  dem  hansischen  Bericht.  Kölner  St  A.  Acta 
Angl.  1434—1521  fo.  189  fg.  und  ürk.  Beil.  91;  ferner  wurden  benützt 
Klagen  der  Engländer  gegen  Danzig  und  Antworten  der  Danziger  auf  die- 
selben (St.  A.  Danzig  XVI.  132  b.    Hanserecesse  ed.  D.  Schäfer). 

3)  Urk.  Beil.  94. 

*)  In  dem  hansischen  Bericht  über  die  Verhandlungen  mit  den  Eng- 
ländern zu  Brügge  1499  finden  sich  folgende  Stellen:  „Nuncius  quoqueRi- 
gonsium  literas  forte  ratificationis  ad  ea,  que  pridem  secretarius  eorum  com 
rege  tractavit  afferens.  Sed  cum  in  scriptis  eorundem  ad  consulatum  Lubi- 
cousem  haberetur,  quod  staret  concilio  hie  congregatorum  oratorum,  deposuii 
esis  apud  mercatores,  presertim  cum  in  preiudicium  tendere  putarentur  pu- 
blice utilitatis".  Im  hansischen  Vertragsentwurf  ist  folgender  Fassus :  „Item 
cum  sit  traetatu  Traiectensi  inter  alia  provisum,  quod  si  que  civitas  ab  Ulis 
pactis  se  subtrahet,  ea  regie  maiestati  insinuabitur  liberumque  sit  tali  sub- 
t  niete  civitati  ad  ceterarum  communionem  aeeeptatis  pactis  remeare. 
Que  res  cum  sit  de  Rigensi  civitate  practicata,  cuius  gubernatoribus  räum 
est  ad  ceterarum  communionem  redire  approbatis  placitis  Traiectensibus, 
i il  regie  celsftudini  per  presentia  sit  liquidatum ,  ut  in  reliquum  mercatores 
eius  ceteris  Anze  membris  parificentur".    Nach  einer  Unterredung  mit  den 


i 


—    241     — 

Engländer  seinen  Dienst  versagte.  Die  englischen  Bevoll- 
mächtigten versäumten  nicht,  mit  dem  grössten  Nachdruck 
ihre  Wünsche  zu  vertheidigen.  Die  Debatten  führten  aber  zu 
keiner  Verständigung.  Wenn  die  Engländer  darauf  hinwiesen, 
dass  zur  Zeit  Eduards  IV.  die  hansischen  Deputirten  Johann 
Vanrad,  Johann  Stengenbergh  und  Wilke  van  Houghs  ver- 
sprochen hätten,  dass  den  Engländern  ihr  Haus  in  Danzig 
zurückgegeben  werden  solle,  so  schützten  die  Hansen  ein  Miss- 
verständniss  vor,  indem  man  den  Artushof  im  Auge  gehabt 
habe,  zu  dem  ihnen  seit  1491  der  Zugang  gestattet  sei,  eine 
Untersuchung  habe  auch  nicht  einmal  Spuren  für  einen  der- 
artigen Besitz  eines  Hauses  ergeben,  Niemand  könne  sich 
einer  Wegnahme  desselben  durch  die  Bürger  erinnern,  worauf 
die  Engländer  erwiderten :  „Gedanenses  obliti  rerum,  ipsi,  qui 
passi  sunt,  non  obliti.  Qui  enim  infert,  scribit  in  pulvere,  sed 
qui  patitur,  notat  in  marmore."  Wenn  die  Engländer  freien 
Handel  mit  Jedwedem  in  Danzig  und  Preussen  verlangten,  wie 
es  der  Utrechter  Vertrag  aussprach,  so  recurrirten  die  Danziger 
auf  ihre  Erklärung  von  1491.  Die  Forderung,  dass  dann  auch 
die  Hansen  keine  Privilegien  vor  den  Einheimischen  in  Eng- 
land beanspruchen  sollten,  sondern  sich  ganz  dieselbe  Behand- 
lung wie  die  englischen  Kaufleute  gefallen  lassen  müssten,  da- 
mit volle  Reciprocität  bestehe,  wurde  energisch  zurückgewiesen ; 
die  Freiheiten  der  Hansen  seien  verbrieft,  die  der  Engländer 
in  Preussen  dagegen  beruhten  nur  auf  Gewohnheit;  der  Utrechter 
Vertrag  habe  nichts  Neues  stipulirt;  zudem  zahlten  die  Eng- 
länder geringere  Zölle  in  Preussen,  als  umgekehrt  die  Hansen 
in  England. 

So  eindringlich  die  englischen  Bevollmächtigten  ihre  Sache 
verfochten,  so  stark  sie  drohten,  die  Danziger  Bevollmächtigten 
M.  Tymmermann  und  Johann  Huxer  hielten  sich  an  ihre  In- 
struction 2),  die  irgend  eine  Concession  zu  machen  verbot  Der 
Widerstand  Danzigs  war  die  Ursache,  weshalb  der  Congress 
in  der  Hauptsache  resultatlos  verlief. 

HI.  Unter  Heinrich  VIII.  änderte  sich  der  Charakter  der 
Beziehungen  zu  den  Ostseestädten  in  der  Hauptsache  nicht. 
In  Riga  trat  mehr  und  mehr  eine  Wendung  zu  Ungunsten  der 


Engländern  heisst  es :  De  Rigensibus  convenit,  ut,  quam  in  tractatu  Traiec- 
tensi  haberetur,  quod  civitas  retracta  redire  cupiens  regie  maiestati  per 
literas  insinuaretur,  non  per  hoc  scriptum.  Itaque  susceptum  est,  ut  ea  de 
re  ßcriberet  consulatus  lmbicensis.  Tum  Rigensibus  bene  consuleretur, 
quamvis  famulus  eorum  indigne  ferret,  sibi  literas  non  reddi.  (Kölner 
Stadtarchiv  Acta  Angl.  1434—1521  fo.  190, 198.)  Sollten  die  Hansen  die 
Wiederaufnahme  Rigas  in  den  Bund  nicht  davon  abhängig  gemacht  haben, 
dass  es  sein  Verhältniss  zu  England  löse?  Das  Bestreben  war  jedenfalls 
da,  wenn  auch  bezweifelt  werden  muss,  dass  Riga  vollständig  den  Wünschen 
Danzigs  entsprach. 

l)  St  A.  Danzig  XVI.  182  b.    Hanserecesse  ed.  D.  Schäfer. 

Schinz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  Jß 


—    242    — 

Engländer  ein.  Der  Ordensmeister  hatte  allen  Grund,  Danzig 
gegenüber  möglichst  zuvorkommend  sich  zu  zeigen,  seit  diese 
Stadt  es  bereute,  dem  König  von  Polen  sich  verschrieben  zu 
haben 1).  Die  Bevorzugung  der  Engländer  in  Riga  auf  Kosten 
Danzigs  trat  etwas  zurück.  Die  englischen  Kaufleute  mussten 
auch  in  Riga  dem  Gästerecht  sich  fügen,  man  duldete  nicht, 
dass  sie  in  der  Stadt  mit  Fremden  handelten,  und  scheute 
sich  nicht,  schwere  Strafen  über  die  Engländer  zu  verhängen. 
Noch  weniger  waren  die  letzteren  mit  ihrer  Behandlung  in 
Danzig  zufrieden.  Sie  beschuldigten  die  Danziger,  bei  Schuld- 
klagen nicht  ihre  Pflicht  zu  thun,  hatten  sie  im  Verdacht,  dass 
von  ihnen  gegen  die  Engländer  Räuber  ausgeschickt  würden, 
um  sie  von  der  Fahrt  in  die  Ostsee  abzuschrecken,  waren  un- 
gehalten über  das  hansische  Verbot,  dass  ein  Hanse  die  Waaren 
eines  Engländers  nach  England  führe,  sowie  über  die  Erhöhung 
der  Zölle,  namentlich  des  Weinzolls,  indem  die  Danziger  ganz 
ebenso  wie  die  Engländer  behaupteten,  die  Zollprivilegien 
gälten  nur  für  Waaren  englischen  Ursprungs.  Die  Rückgabe 
des  englischen  Hauses  wurde  selbstverständlich  noch  ebenso 
wie  früher  verweigert  *).  Es  kam  nicht  selten  vor,  dass  Hein- 
rich VIH.  sich  unmittelbar  für  einen  seiner  Unterthanen  ver- 
wenden musste8).  Unter  diesen  Verhältnissen  ist  es  nicht  zu 
verwundern,  wenn  auf  der  Tagfahrt  zu  Brügge  1521  die  eng- 
lischen Commissäre  die  ungleiche  Behandlung  ihrer  Landsleute 
als  einen  Hauptgrund  hinstellten,  weshalb  die  Hansen  ihre 
Privilegien  in  England  verwirkt  hätten. 

Die  ganze  Folgezeit  dauerte  die  Unzufriedenheit  der  Eng- 
länder an.  1523  beklagte  sich  der  König  von  Neuem  über 
die  Misshandlung  seiner  Unterthanen.  Die  Antwort  der  Dan- 
ziger zeigt,  wie  wenig  sie  ihr  Vorgehen  rechtfertigen  konnten; 
sie  wissen  Nichts  vorzuschützen,  als  dass  sie  dem  mit  ihnen 
verfeindeten  Könige  von  Dänemark  nicht  Gelegenheit  geben 
dürften,  die  englischen  Schiffe  zu  kapern  und  auf  diese  Weise  mit 
Kriegsmaterial  und  Lebensmitteln  sich  zu  versehen.  Klug  fügen 
sie  bei,  der  König  möge  ihnen  nur  in  Dänemark  zu  ihren  Privi- 
legien verhelfen,  dann  wollten  sie  seine  Unterthanen  möglichst 
liberal  behandeln  und  ihnen  die  frühere  Handelsfreiheit  wieder 
gewähren4).  Die  beginnende  Verfolgung  der  Hansen  in  Eng- 
land wegen  ihrer  Zuneigung  zur  evangelischen  Lehre  traf  be- 


1)  Anfangs  der  20er  Jahre  des  16.  Jahrhunderts  suchte  Danzig  ernst- 
lich nach  Bundesgenossen,  um  mit  deren  Hilfe  das  polnische  Joch  abzu- 
schütteln. So  schickte  Danzig  1522  Schonbergk  zu  diesem  Behufe  nach  Eng- 
land, wo  dieser  aber  gar  keinen  Anklang  fand.  Der  ausführliche  Bericht 
Schonbergks  über  sein  Vorgehen  in  England  ist  im  geh.  Archiv  zu  Königs- 
berg erhalten. 

*)  ürk.  Beil.  100.    Art.  8,  4,  5,  8,  10,  11,  12,  27. 

»)  ürk.  Beil.  96. 

*)  ürk.  Beil.  108. 


—    243    — 

sonders  die  Danziger  und  war  sicherlich  nicht  geeignet,  diese 
den  Engländer  freundlicher  zu  stimmen 1).  Zehn  Jahre  später 
gaben  sie  neuerdings  ihrem  innern  Groll  gegen  die  Engländer 
Ausdruck,  indem  sie  während  des  Krieges  zwischen  Lübeck 
und  Dänemark  dahin  trachteten,  die  englischen  Schiffe  den 
Dänen  in  die  Hände  zu  spielen  *). 

Mit  aller  Schärfe  geriethen  die  Engländer  gegen  Ende  der 
30er  und  Anfang  der  40er  Jahre  mit  den  Danzigern  in  Streit. 
Seit  dem  Zusammenbruch  der  Lübeckschen  Hegemonie  ver- 
doppelten die  Engländer  ihre  Anstrengungen,  um  von  den  Vor- 
theilen  in  Danzig  zu  profitiren.  Wiederum  beanspruchten  sie 
das  so  viel  bestrittene  Hecht,  mit  den  nach  Danzig  kommenden 
Landbewohnern  direct  zu  verkehren,  und  pochten  um  so  mehr 
darauf,  als  die  Hamburger  und  Lübecker  die  gleiche  Concession 
bereits  gemacht  hatten 3).  Die  englische  Regierung  unterstützte 
ihre  Unterthanen  in  diesem  Ansprüche  und  drohte  gleich  der 
ganzen  Hansa  mit  Repressalien.  Lübeck  schickte  Joh.  v.  Verden 
nach  Danzig,  um  die  Sache  zu  untersuchen  und  gab  nach  ge- 
wonnener Information  eine  Antwort,  die  an  Bestimmtheit  und 
Klarheit  nichts  zu  wünschen  übrig  liess 4).  Niemals  sei,  lautete 
Lübecks  Bericht,  den  Engländern  ihr  wirkliches  Recht  ver- 
kümmert worden;  der  directe  Kauf  von  Fremden  stehe  ihnen 
nicht  zu,  das  sei  ein  Recht  der  Bürger,  aber  nicht  der  Gäste. 
Seit  Gründung  der  Stadt  sei  so  fest  daran  gehalten  worden, 
dass  nicht  einmal  den  Unterthanen  ihres  Schutzherrn,  den 
Polen,  dies  Privileg  zugestanden  worden,  und  die  Annalen  der 
Stadt  Hessen  auch  nicht  eine  Spur  entdecken,  die  auf  den 
Besitz  dieses  Rechtes  von  Seite  der  Engländer  hinweise.  Die 
jetzige  Uebung  in  Lübeck  oder  Hamburg  könne  für  Danzig 
weder  beweisend  noch  massgebend  sein 6). 

Aber  die  englische  Regierung  begnügte  sich  mit  dieser 
Auseinandersetzung  nicht.  So  oft  sich  eine  Gelegenheit  ergab, 
forderte  sie  die  Ansprüche  der  englischen  Kaufleute.    Als  die 


M  Der  König  von  Polen  musste  sich  wiederholt  der  Danziger  anneh- 
men. Vgl.  die  bereits  oben  citirten  Aufsätze  vonR.  Paul.i,  Die  Stahlhofs- 
kanfleute  und  Luthers  Schriften  in  den  Hans.  Geschichtsbl.  1871  S.  155  bis 
162  a.  1878  S.  159  fg.,  auch  Brewer,  Cal.  IV.  2168,  2169,  2179  etc. 

*)  ürk.  Befl.  107.  Man  muss  den  Verdacht  für  begründet  halten  in 
Anbetracht  der  offenen  Parteinahme  Danzigs  gegen  Lübeck  und  für  den 
König  von  Dänemark.  Christian  III.  wurde  sogar  mit  Geld  von  Danzig 
unterstützt.    Vgl.  Waitz,  Jürgen  Wullenwever  UI.  S.  5  fg.  18,  57. 

*)  Vgl.  oben  S.  227. 

*)  Es  ist  dies  einer  der  vielen  Züge,  die  Lübecks  Geschichte  jener  Tage 
so  ausserordentlich  anziehend  machen.  Niemals  stellt  Lübeck  sein  eigenes 
Interesse  allein  in  den  Vordergrund,  immer  ist  es  für  die  Schwesterstadte 
bedacht  und  ergreift  energisch  für  sie  das  Wort,  selbst  wenn  sie  es  Bind, 
die  Lübecks  Macht  untergraben  helfen,  wie  Danzig  es  that. 
^  *)  Der  Senat  der  Hansa  an  Heinrich  VIII.  Lübeck  7.  Juli  1540.  State 
Papers  VIII.    S.  382. 

16* 


—    244    — 

Eaufleute  von  Hüll,  die  immer  im  Kampfe  gegen  Danzig  an 
der  Spitze  standen,  am  4.  Oct  1541  eine  neue  Klage  vor- 
brachten, versprach  das  Privy  Council  Abhilfe1),  und  bei  Ber 
ginn  des  folgenden  Jahres  forderte  es  sogar  die  englische 
Kaufmannschaft  auf,  ihre  Beschwerden  gegen  Danzig  in  einer 
umfangreichen  Denkschrift  niederzulegen  und  ihm  dadurch 
eine  starke  Handhabe  gegen  die  hartnäckigen  Preussen  zu 
geben 2). 

Im  Besitz  dieses  Materials  ging  die  englische  Regierung 
auch  sogleich  gegen  die  ganze  Hansa  vor.  Am  18.  Februar 
lud  man  die  Kaufleute  des  Stahlhofes  vor  und  erklärte  sie 
insgesammt  für  verbindlich  für  alle  Uebelthaten  der  Danziger; 
es  nützte  nichts,  wenn  die  Hansen  behaupteten,  der  Bericht 
der  englischen  Kaufleute  sei  voll  van  Unwahrheiten,  oder  zur 
Kenntniss  brachten,  dass  kein  einziger  Danziger  momentan  unter 
ihnen  sei.  Man  gewährte  ihnen  nur  eine  längere  Frist,  inner- 
halb deren  sie  sich  zu  rechtfertigen  hatten3).  Möglich,  dass 
das  kräftige  Einschreiten  Heinrichs  VIII.  den  Zustand  in 
Danzig  wieder  für  einige  Jahre  verbesserte;  eine  dauernde 
Gewährung  der  verlangten  Rechte  vermochte  er  sicher  auch 
nicht  durchzusetzen. 

Unter  Eduard  VI.  wogten  die  Klagen  gegen  Danzig  stärker 
denn  je4),  und  Danzigs  constante  Weigerung,  den  Engländern 
volle  Reciprocität  zu  geben,  verursachte  nicht  zum  geringsten 
Theil  den  darauf  folgenden  Fall  des  englischen  Stahlhofs,  wie 
es  auch  früher  Lübecks  und  damit  der  Hansa  Einfluss  hatte 
erschüttern  helfen. 


Rückblick. 

Fassen  wir  die  Hauptmomente  des  dritten  Gapitels  noch 
einmal  zusammen. 

Der  Beginn  der  hansischen  Beziehungen  zu  England  zeigt 
gleich  einen  auffallenden,  aber  für  die  ganze  Geschichte  der  Hansa 
charakteristischen  Zug.  Es  ist  der  Gegensatz  zwischen  den 
Städten  der  West-  und  der  Ostsee.  Führte  auch  die  Not- 
wendigkeit dazu,  im  fremden  Lande  diesen  Gegensatz  etwas 
zu  mildern,  ganz  war  er  nie  zu  unterdrücken,  und  hier  lag 
bereits  der  Keim  der  Schwäche.  Natürlich  war  dieses  Moment 
von  geringer  Bedeutung,  solange  die  englischen  Könige  eine 
fremdenfreundliche  Politik  einzuhalten  ihrem  Interesse  und  dem 
des  Landes  für  erspriesslich  erachteten;  es  konnte  den  Deut- 


8)  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  of  the  Privy  Council  VI.  S.  252. 

*)  A.  a.  0.    S.  801. 

5)  A.  a.  0.  VII.    S.  308. 

4)  Sartorius,  Gesch.  des  bans.  Bundes  III.    S.  822. 


—    245    — 

sehen  darum  leicht  gelingen,  eine  Reihe  grosser  Privilegien 
sich  zu  sichern. 

Allein  früh  brach  sich  die  Opposition  gegen  die  Hansen 
Bahn,  das  englische  BQrgerthum  stand  hier  im  Bunde  mit 
seinen  Herrschern.  Die  Feindschaft  wurde  eine  ausgesprochene 
und  war  nicht  mehr  zu  beseitigen,  als  der  Versuch  der  Eng- 
länder, im  Osten  eine  den  Hansen  in  London  ähnliche  Stellung 
zu  gewinnen,  in  seinem  glänzenden  Anfang  durch  das  Ein- 
greifen der  mächtigen  Städte  gestört,  und  das  Gedeihen  der 
Colonie  verkümmert  ward. 

England  wehrte  sich  die  ganze  erste  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts hindurch;  im  Innern  zerklüftet,  war  es  aber  nicht 
im  Stande,  einen  entscheidenden  Schlag  auszuführen,  und 
Eduard  IV.  musste  schliesslich,  so  schwer  es  ihm  auch  wurde, 
die  hansischen  Freiheiten  nicht  nur  in  ihrem  vollen  Umfange 
wieder  herstellen,  sondern  auch  noch  erweitern  und  derart 
festigen,  dass  noch  viele  Jahrzehnte  nöthig  waren,  bis  dieser 
Wall  zerstört  wurde. 

Die  Elemente  begannen  aber  bereits  wirksam  zu  werden, 
welche  den  Fall  des  Stahlhofes  bedingten.  Der  Bund  fing  an, 
sichtlich  zu  kranken  und  an  seinen  innera  Gegensätzen  zu 
zerbröckeln ,  während  die  ringsumher  liegenden  Gemeinwesen, 
vor  Allem  England,  sich  consolidirten. 

Schon  unter  Heinrich  Vn.  müssen  die  Hansen,  ohne  dass 
England  auch  nur  einen  Tropfen  Blutes  vergoss,  Niederlage 
auf  Niederlage  erleiden.  Keine  wirkliche  Ausnahmestellung 
von  einer  Reihe  von  Gesetzen  wird  ihnen  gewährt,  ihr  Zwischen- 
handel nach  den  Niederlanden  wird  geschmälert  und  fortwährend 
bedroht,  Danzig  muss  seine  Opposition  nach  100  Jahren  zum 
ersten  Male  wenigstens  theilweise  aufgeben,  schliesslich  durch- 
bricht der  König  das  ganze  hansische  Handelssystem  durch 
das  Handelsbündniss,  das  er  mit  der  Hansestadt  Riga  schliesst. 

Nur  kurze  Zeit  vermögen  die  Hansen  beim  Thronwechsel 
die  Gunst  Heinrichs  VIII.  und  seiner  Minister  sich  zu  erhalten. 
Die  Stimmen  der  Bürger  und  die  neuen  Einschränkungen 
Danzigs  zwingen  die  Regierung,  gegen  die  Hansa  Stellung  zu 
nehmen.  Nur  die  Bedeutung  der  deutschen  Städte  bei  Lösung 
der  dänischen  Frage,  sowie  die  Notwendigkeit  Englands,  pro- 
testantische Bundesgenossen  zu  suchen,  rettete  noch  trotz  der 
wachsenden  Erbitterung  den  deutschen  Kaufmann. 

Die  ganze  Regierungszeit  der  beiden  ersten  Tudors  er- 
scheint als  eine  Vorbereitung  zum  letzten  Schlage  gegen  die 
Hansa,  und  selbst  Heinrichs  VIII.  Reformation,  obwohl  noch 
eine  Zeit  lang  der  Hansen  Schutz,  war  doch  ein  Grund  mit, 
der  auch  die  Achtung  vor  dem  echt  mittelalterlichen  Rechte 
der  Deutschen  in  England  untergrub  und  unter  Eduard  VI. 
und  Elisabeth  den  einheimischen  Gewalten  den  Sieg  ermög- 
lichte. 


—    246    — 

Der  einst  so  mächtige  deutsche  Handel  verlor  seinen 
letzten  Stützpunkt 

Mehr  als  irgendwo  hatte  hier  die  englische  Politik  für 
eine  billige  Sache  gestritten.  So  wehmuthsvoll  auch  des 
Deutschen  Herz  durch  das  Sinken  der  einstigen  hansischen 
Grösse  gestimmt  wird,  die  Gerechtigkeit  erheischt  ein  Urtheil, 
das  gegen  die  Hansen  lautet.  Es  war  unvernünftig,  die  Gleich- 
stellung mit  den  Engländern  zurückzuweisen,  und  es  war  un- 
billig, den  letzteren  die  Reciprocität  in  den  Ostseestädten  zu 
versagen.  Solche  Anomalien  liessen  sich  nur  aufrecht  erhalten 
durch  Gewalt,  die  der  Bund  nicht  mehr  besass  und  die  auch 
ein  Wullenwever  nicht  mehr  zu  schaffen  im  Stande  war.  Das 
nicht  erkannt  zu  haben,  war  der  politische  Fehler  der  Hansa 
im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts. 


L 


Viertes  Capitel. 

England  und  die  skandinavischen  Reiche. 


In  dem  vorangegangenen  Capitel  hatten  wir  bereits  Gele- 
genheit, von  der  Bedeutung  der  skandinavischen  Länder  für 
England  zu  sprechen.  Dort  wurde  hervorgehoben,  dass  diesen 
Ländergebieten  die  Natur  ihrer  Lage  die  Macht  in  die  Hand 
gegeben,  den  Verkehr  zwischen  der  Ost-  und  Westsee  zu 
sperren.  Die  Engländer  mussten  diesem  Umstände  Rechnung 
tragen,  weil  sie  ernstlich  darnach  strebten,  in  den  Ostseege- 
bieten sich  festzusetzen.  Die  Rücksicht  auf  diese  Verbindungs- 
strasse war  aber  nicht  das  einzige  Motiv,  welches  die  Eng- 
länder veranlasste,  mit  Dänemark  in  freundliche  Handels- 
beziehungen zu  treten.  Namentlich  war  sie  nicht  entscheidend 
für  das  erste  Auftreten  eines  englischen  Verkehrs  mit  dem 
skandinavischen  Norden.  Vielmehr  war  der  Handel  mit  Däne- 
mark und  besonders  mit  Norwegen  um  seiner  selbst  willen 
ursprünglich  gesucht.  Die  nordischen  Staaten  verhielten  sich 
hinsichtlich  ihrer  industriellen  Gesammtentwickelung  zu  England, 
wie  etwa  dieses  zu  den  Niederlanden;  sie  entbehrten  in  noch 
viel  höherem  Grade  als  England  eines  ausgedehnten  selbst- 
ständigen Gewerbebetriebes,  besassen  aber  gleich  diesem  einen 
grossen  Reichthum  an  Rohproducten.  Darunter  sind  beson- 
ders zu  nennen  Fische,  Fettwaaren  (Thran,  Wallfischspeck), 
gesalzenes  und  geräuchertes  Fleisch,  verschiedene  Holzarten, 
sowie  Theer,  Pech,  Asche  und  Harz.  Es  waren  vielfach  die- 
selben Erzeugnisse,  die  man  in  Preussen  vorfand.  Diese  Waaren 
dienten  als  Gegenzahlung  für  Getreide,  das  in  Norwegen  nicht 
blos  einen  zeitweiligen,  sondern  einen  ständigen  Importartikel 
bildete,  ferner  für  Honig,  Mehl  und  Getränke,  namentlich  Bier 
und  Wein,  endlich  für  Industrieproducte  aller  Art. 

Vor  dem  13.  Jahrhundert  waren  die  Engländer  diejenigen, 
welche  unter  allen  Fremden  wohl  am  zahlreichsten  im  skandi- 
navischen Norden    verkehrten.     Umgekehrt  kamen   auch   die 


—    248    — 

Dänen  und  Norweger  fleissig  nach  England.  Die  Eroberung 
Englands  durch  Knut  hatte  wesentlich  dazu  beigetragen,  die 
beiden  Völker  auch  in  commercieller  Hinsicht  einander  zu 
nahem.  Der  äussern  Herrschaft  der  Dänen  in  England  folgte 
die  geistige  der  Angelsachsen  in  Skandinavien.  Die  Cultur 
der  letzteren  drang  namentlich  in  Norwegen  vor,  der  englische 
Einfluss  war  daselbst  lange  massgebend.  Engländer  brachten  den 
Nordleuten  das  Christentum ,  Engländer  bauten  ihre  ersten 
Kirchen,  englische  Handwerker  verbreiteten  die  elementaren 
technischen  Kenntnisse  und  englische  Kaufleute  organisirten 
den  Handel1). 

Für  den  sich  ausdehnenden  Verkehr  waren  Privilegien  und 
Handelsverträge  die  Voraussetzung.  Die  ersten  Freiheiten 
sollen  schon  von  Olaf  Kyrre  den  Engländern  ertheilt  worden 
sein2).  Zur  Zeit  des  Plantagenets  Heinrich  III.  gestand  man 
sich  gegenseitig  freien  Handel  zu;  in  Folge  dessen  brauchten 
die  Kauf leute  nicht  Handelslicenzen  zu  erwerben 3).  In  dieser 
Periode  überwogen  noch  in  Norwegen  sowohl  der  englische 
Kaufmann,  als  die  englische  Waare.  Das  Letztere  ersieht  man 
deutlich  aus  dem  einen  Factum,  dass  König  Hakon,  als  er  er- 
fuhr, dass  der  vom  Papst  zu  seiner  Krönung  geschickte  Cardinal 
Wilhelm  unterwegs  sei,  sogleich  ein  Schiff  nach  England  ab- 
gehen liess,  um  dort  einzukaufen,  was  sich  für  die  Festlich- 
keiten irgendwie  nothwendig  erweisen  könnte4) 

Kurz  darauf  begann  jedoch  der  Verfall  des  englischen 
Einflusses.  Die  Deutschen  traten  massenhaft  in  Norwegen  auf; 
rasch  überholten  sie  die  Engländer;  der  Reichthum,  die  Cultur 
der  deutschen  Seestädte  erlangten  das  Uebergewicht,  ihre 
Lage  war  günstig,  die  Fülle  des  Hinterlandes  an  Getreide 
machte  sie  den  Norwegern  bald  unentbehrlich;  noch  unter 
Hakon  rückten  deutsche  Handwerker,  wie  man  sagt,  sogar  in 
dieselben  Quartiere  zu  Bergen  ein,  welche  früher  Engländer 
und  Schotten  inne  gehabt  hatten 5).  Bald  wurde  auch  der  eng- 
lische Zwischenhandel  von  diesem  Umschwung  berührt.  Schon 
1228  musste  Heinrich  III.  gestatten,  dass  sächsische  Kaufleute 
auf  norwegischen  und  mit  norwegischer  Schiffsmannschaft  aus- 

1)J.  Harttung,  Norwegen  und  die  deutschen  Seestädte  bis  zum 
Schlüsse  des  dreizehnten  Jahrhunderts.  Berlin  1877.  S.  5  fg.,  S.  8  fg. 
Für  diese  und  die  folgende  Periode  ist  auch  zu  vergleichen  Lindsay, 
History  of  merchant  shipping  and  ancient  commerce.  London  lö74.  IL 
S.    629. 

2)  J.  Nielsen,  Bergen  fra  de  aeldste  Tider  indtil  Nutiden  S.  137; 
Harttung,  Norwegen  S.  14. 

s)  Rymer  I.  S.  74.  Höhlbaum,  Hans.  Urkundenbuch  I.  Nr. 
227,  Anm.  1  und  Nr.  169;  Harttung^  Norwegen  S.  14.  Die  speciellen 
Privilegien  der  Dänen  und  Norwegen  sieh  im  Liber  Custumarum  ed. 
Riley.  S.  63,  64. 

4)  Harttung,  Norwegen  S.  17. 

fl)  Harttung,  Norwegen  S.  15  fg. 


—    249    — 

gerüsteten  Koggen  überall  an  die  Küsten  seines  Reichs,  ka- 
men und  daselbst  frei  verkehrten l). 

Dieser  Process,  einmal  begonnen,  machte  im  Laufe  der 
Zeit  immer  weitere  Fortschritte.  Die  politische  Freundschaft 
zwischen  den  norwegischen  Herrschern  und  den  englischen 
Königen  im  13.  Jahrhundert2)  konnte  höchstens  die  Umge- 
staltung verlangsamen,  aber  nicht  verhindern.  Man  arbeitete 
sogar  englischerseits  den  Hansen,  wenn  auch  vielleicht  unbe- 
wusst,  kräftig  in  die  Hände,  indem  man  ihnen  auch  in  England 
ausgedehnte  Privilegien  ertheilte  und  dadurch  den  englischen 
wie  norwegischen  Kaufleuten  die  Concurrenz  erschwerte.  Zu 
Anfang  des  14.  Jahrhunderts  konnten  die  Hansen  schon  als 
Ziel  die  alleinige  Herrschaft  auf  dem  Markte  ins  Auge  fassen; 
sie  dachten  darauf,  den  Handel  der  Norweger  nach  deutschen 
Ortschaften  zu  erdrücken  und  den  englischen  Kaufmann  all- 
mählich ganz  aus  Norwegen  zu  verdrängen.  Für  letzteren 
Zweck  kamen  ihnen  Zerwürfhisse  der  norwegischen  Könige  mit 
der  englischen  Regierung  sehr  zu  statten 3). 

Bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  schwankte  der  Kampf. 
1370  erlangten  die  Hansen  das  politische  Uebergewicht  im 
Norden  4).  In  dieser  Periode  wurde  auch  der  englische  Verkehr 
nach  den  mehrerwfrhnten  Gebieten  am  schwersten  geschädigt. 
Während  des  zweiten  Kriegs  der  Hansen  gegen  Waldemar 
hatten  die  Engländer  zwar  die  Gelegenheit  wahrgenommen,  um 
in  Bergen,  wo  die  Hansen  ihren  Stapelplatz  für  Norwegen 
hatten,  sich  wieder  auszubreiten  und  die  Rolle  derselben  sich 
anzueignen5);  aber  die  Hansen  suchten  eine  solche  Stärkung 
des  Feindes  mit  allen  ihnen  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  zu 
hindern6),  und  als  sie  wieder  in  den  Besitz  ihrer  Rechte  und 
Macht  gelangt  waren,  zwangen  sie  die  englischen  Kaufleute 
zur  Flucht7).  Die  diplomatischen  Verhandlungen  der  eng- 
lischen Regierung  hatten,  wie  es  scheint,  keinen  nennenswerthen 
Erfolg. 

Mit  jedem  Jahre  verschlechterte  sich  die  Lage  der  eng- 
lischen Kauffahrer.  Der  Handel  nach  den  skandinavischen 
Reichen  gewann  stossweise  eine  grössere  Ausdehnung,  so  oft 
die  Hansen  mit  den  dänischen  oder  norwegischen  Königen  sich 
entzweiten,   schrumpfte   aber  jedesmal  stärker  als  vorher  zu- 


l)  Höhlbaum,  Hans.  UrkundenbuchJ.  Nr.  227;  Harttung,  Nor- 
wegen S.  18. 

*)  Harttung,  Norwegen  S.  32  fg.,  37  fg.,  51  fg.,  60  fg.,  64  fg. 

8)  Harttung,  Norwegen  S.  95,  102. 

*)  D.  Schäfer,  Die  Hansestädte  und  König  Waldemar  von  Dänemark. 
Hansische  Geschichte  bis  1376.    Jena  1879. 

6)  Koppmann,  Hanserecesse  III.    Nr.  818.  §  1.  S.  311. 
*)  Schäfer,  Hansestädte  S.  487,  488. 

7)  Koppmann,  Hanserecesse  III.  Nr.  318:  II.  Nr.  89.  §  3.  S.  104. 
Me  Engländer  schätzten  ihren  Schaden  auf  10000  Mark. 


—    250    — 

sammen,  wenn  diese  wieder  das  Feld  beherrschten.  Nichts 
unterliessen  die  Hansen,  um  ihnen  den  Handel  zu  verleiden; 
sie  steckten  ihre  Häuser  in  Brand,  nahmen  ihre  Waaren  weg, 
verabredeten  unter  sich,  den  Engländern  keine  Lebensmittel 
oder  sonstige  Waaren  zu  verkaufen,  schonten  selbst  ihr  Leben 
nicht1).  Mögen  die  Engländer  zuweilen  auch  Anlass  zur  Ge- 
walttat gegeben  haben2),  an  der  systematischen  Verfolgung 
von  Seite  der  Hansen  kann  nicht  gezweifelt  werden.  Dazu 
kamen  die  Gefahren,  welche  zur  See  dem  Kauffahrer  drohten. 
Die  Vitalienbrüder  machten  mehrere  Decennien  hindurch  die 
Ost*  und  Nordsee  unsicher,  überfielen  selbst  Bergen  mehrere 
Male,  wobei  namentlich  die  Engländer  schwer  betroffen  wurden 8). 
Die  Verluste,  welche  die  englischen  Kaufleute  auf  diese  Weise 
fortwährend  erlitten,  standen  in  keinem  Verhältniss  zu  den 
Gewinnen,  und  man  muss  sich  in  der  That  wundern  über  die 
Zähigkeit,  mit  welcher  dieselben  den  Handel  fortzusetzen 
suchten. 

Der  Hauptgrund  für  diese  Erscheinung  ist  wohl  darin  zu 
suchen,  dass  man  mit  der  Preisgabe  des  Verkehrs  nach  Skan- 
dinavien gewissermassen  auch  auf  den  nachPreussen  verzichtet 
1  Lütte.  Wie  wenig  die  Engländer  gesonnen  waren,  den  Kampf- 
platz zu  räumen,  sieht  man  unter  Anderm  daraus,  dass  Hein- 
rich IV.  noch  1408  seinen  TJnterthanen,  welche  mit  Dänemark, 
Norwegen  und  Schweden  verkehrten,  das  Hecht  verlieh,  sich 
aus  ihrer  Mitte  Vorsteher  oder  Consuln  zu  wählen4).  Man 
wollte  offenbar  durch  diese  Organisation  die  bedrohte  Wider- 
standsfähigkeit der  Kaufleute  stärken.  Auch  sonst  nahm  die 
Regierung  die  Interessen  der  letzteren  wahr.  Im  Jahre  1400 
hatte  Heinrich  IV.  wegen  der  1390  und  1399  in  Bergen  gegen 
die  Engländer  verübten  Gewaltthaten  sechs  in  Boston  wohn- 
hafte Hansen  zur  Verantwortung  ziehen  lassen,  und  als  1411 
die  lynner  Kaufleute,  welche  überhaupt  als  die  Pioniere  dieses 

isch  -  skandinavischen  Handels  anzusehen  sind ,  abermals 
über  Misshandlung  in  Bergen  klagten,  zwang  Heinrich  IV.  die 
Hansen  in  Boston,  Sicherheit  bis  zum  Betrag  von  2000  Mark 
zu  leisten  und  gab  diesen  Cautionsschein  nicht  eher  heraus,  als 
bis  die  Vertreter  der  Hansen  in  Bergen  eidlich  versprochen 
hatten,  die  englischen  Kaufleute  in  Zukunft  freundlich  behan- 
deln zu  wollen5). 


J)  Koppmann,  Hanserecesse  II.  Nr. 41.  S.  51;  Nr. 89.  S.  104;  Nr. 
210,  S.  244,  245;  sieb  ferner  die  Klageschrift  der  Kauf  leute  aus  Lynn  über 
die  seit  1890  erlittenen  Misshandlungen  bei  Rymer  VIII.  S.  701. 

2)  Vgl.  z.  B.  v.  d.  Kopp,  Hanserecesse  I.    Nr.  385.  S.  801,  302. 

8)  Koppmann,  Hanserecesse  IV.  Einleitung.    Sieh  auch  v.  cL  Kopp, 
Zur   deutsch-skandinavischen   Geschichte  des  15.  Jahrhunderts. 
Leipzig,  1876.    S.  50. 

4)  Rymer  VIII.     8.  511. 

6)  Rymer  VIII.    S.  684,  701,  736;  sieh  auch  IX.    S.  325. 


—    251     — 

Trotz  alledem  konnte  der  englische  Verkehr  nach  diesen 
Gebieten  sich  nicht  recht  entwickeln.  Im  eigentlichen  Däne- 
mark bedeutete  derselbe  ohnehin  niemals  viel.  Auf  Schonen 
betheiligten  sich  zwar  die  Engländer  an  dem  einträglichen 
Heringsfang  und  Heringshandel1),  aber  auch  hier  hatten  die 
Hansen  in  frühester  Zeit  das  Geschäft  in  ihre  Hände  zu  bringen 
gewusst2).  Mit  ihnen  war  eine  Concurrenz  unmöglich.  Der 
norwegisch-dänische  Handelsstand  war  schon  lange  ganz  ab- 
hängig von  ihnen  geworden;  dänische  und  norwegische  Schiffe 
kamen  gar  nicht  mehr  nach  England8).  Nicht  mit  Unrecht 
stellt  deshalb  1436  der  Verfasser  des  Libell  of  Englishe 
Policye  das  Beispiel  Dänemarks  seinen  Landsleuten  warnend 
vor  Augen: 

In  Dänmark  gab's  wie  die  Geschichten  melden 
Gar  wackre  Krieger  einst  und  Siegeshelden 
Anch  dort,  nachdem  der  Handelsstand  zerstört, 
Riss  Armuth  ein;  die  Macht  hat  aufgehört; 
Recht  klaglich  geht  es  dort,  wie  ein  Bericht, 
Den  jüngst  ich  las,  besagt;  sie  leugnen's  nicht. 
Nehmt  euch  in  Acht,  ich  kann  nichts  bessres  lehren, 
Als  dass  euch  fremder  Schaden  mag  bekehren4). 

Besonders  schädlich  für  die  englischen  Kaufleute  war  die  Er- 
hebung Borgens  zum  einzigen  Stapelplatz  und  die  dadurch  be- 
dingte Ausschliessung  der  Engländer  vom  Handel  nach  Island. 
Stapelrechte  bald  grössern  bald,  geringern  Umfangs  hatte 
Bergen  seit  Alters  besessen.  Die  norwegischen  Könige  waren 
immer  bestrebt,  den  Verkehr  nördlich  von  Bergen  den  eigenen 
Unterthanen  zu  sichern6).  Die  Lage  an  sich  machte  diese 
Stadt  schon  zu  einem  Emporium  geeignet.  Doch  möchte  Allen 
Recht  haben,  wenn  er  annimmt,  dass  der  volle  Stapelzwang 
erst  seit  dem  15.  Jahrhundert  üblich  ward 6)..  Die  norwegische^ 
Regierung  fand  darin  ein  zweckmässiges  Mittel,  den  Gewalt- 


*)  Koppmann,  Hanserecesse  IL  Nr.  210—14.  S.  238  fg.;  III  Nr. 
319.    S.  314  fg.;  Rymer  VII     S.  693;  Rot.  Pari.  IL   S.  306,  391. 

*)  Vgl.  auch  Schaf  er,  Die  Hansestädte  S.  243  fg.,  423  fg.,  557. 

*)  „nul  de  eux  veignount  deinz  le  Roialme  d'Engleterre,  ne  riens  ount 
en  ycelle  u  Rot.  Pari.  IV.  8.  403  (1432).  Anders  war  es  noch  100  Jahre 
früher.    Rot  Pari.  I.    S.  200.  Nr.  56. 

4)  Hertzbergs  Uebereetzung.  Vers  474—81.  Ucber  die  damaligen 
Verhältnisse  in  Dänemark  vgl.  v.  d.  Ropp.  Zur  deutsch-skandinavischen 
Geschichte  des  15.  Jahrhunderts.    Leipzig  1876. 

B)Harttung,  Norwegen  S.  26,  101. 

*)  Allen,  De  tre  nordiske  Rigers  Historie  under  HanB,  Christiern 
den  Anden,  Frederik  den  Forste,  Gustav  Vasa,  Grevefeiden  1497—1536. 
1864  fg.  II.  S.  132,  133.  Damit  stimmt  überein,  Finn  Magnusen,  Om 
de  Engelskes  Handel  og  Foerd  paa  Island  i  det  15de  Aarhundrede,  isoer 
med  Hensyn  til  Columbus's  formeentlige  Reise  dertil  i  Aaret  1477,  og  hans 
Beretninger  des  angaaende.  Nordisk  Tidskrift  for  Oldkyndighed  1833 
Bd.  IL  S.  114. 


—    252    — 

thaten  der  Kaufleute  vorzubeugen  und  überhaupt  den  Handel  zu 
beaufsichtigen,  die  Zoll-Erhebungskosten  wurden  dadurch  ver- 
ringert und  der  Schmuggel  beschränkt.  Möglich  wäre  jedoch, 
dass  die  norwegischen  Könige  durch  Concentration  der  Fremden 
in  Bergen  zugleich  ein  Gegengewicht  gegen  die  Hansen  schaffen 
wollten,  welche  daselbst  ihr  Contor  hatten  und  wie  eigene 
Herren  schalteten. 

Als  Erich  in  den  dreissiger  Jahren  des  15.  Jahrhunderts 
mit  den  Hansen  verfeindet  war,  räumte  er  den  Engländern  in 
Bergen  sogar  dieselben  Rechte  wie  den  Hansen  ein,  mit  der 
Massgabe,  dass  sie  nicht  mehr  nach  Island  handelten  *).  Diese 
Concession  hatte  jedoch  nicht  den  erwarteten  Erfolg.  Die  Eng- 
länder richteten  nicht,  wie  sie  versprochen,  das  von  den  Hansen 
zerstörte  Stapel  auf,  sondern  mussten  auch  bald,  namentlich 
nach  1435,  den  Hansen  wieder  den  Platz  räumen  *).  Bei  dem 
nach  allen  Seiten  gefestigten  Uebergewicht  der  letzteren  und 
bei  der  Schwäche  der  norwegischen  Regierung,  welche  die 
Engländer  nicht  gegen  die  Hansen  in  Bergen  schützen  konnte, 
war  das  Verlangen  der  englischen  Kaufleute  nach  andern 
Orten  als  nach  Bergen  handeln  zu  können,  in  Folge  dessen 
ebenso  stark  als  zuvor.  Es  war  dies  besonders  der  Fall  hin- 
sichtlich Islands. 

Seit  Island  unter  die  norwegische  Herrschaft  gekommen 
war,  wurde  es  als  eiu  sogenanntes  Schatzland  oder  unmittel- 
bares Kronland  angesehen.  Neben  andern  Rechten  leitete 
daraus  der  König  auch  das  ab,  über  den  Handel  ganz  nach 
eigenem  Gutdünken  bestimmen  zu  dürfen.  Der  Handel  wurde 
entweder  mit  des  Königs  eigenen  Schiffen  und  für  eigene 
Rechnung  betrieben,  oder  das  Recht  zum  Handel  an  einzelne 
Kaufleute  verkauft.  Weit  entfernt,  dass  der  Fremdenverkehr 
seit  dem  Uebergang  Islands  unter  die  norwegische  Herrschaft 
erschlossen  worden  wäre3),  suchte  diese  ihn  erst  reetyt  zu 
binden.  Es  galt  als  grosses  Verbrechen,  wenn  ein  Fremder 
ohne  Erlaubniss  nach  Island  zu  kommen  wagte.  Das  Verbot 
durchzuführen,  war  schwierig,  der  Reiz,  dasselbe  zu  umgehen,  sehr 
gross.  Den  Isländern  waren  die  fremden  Kauf  leute  willkommen, 
weil  sie  von  diesen  im  Allgemeinen  bessere  und  billigere  Waare 
erhielten,  wenn  sie  kauften,  und  bessere  Preise  erzielten,  wenn 
sie  verkauften,  als  wenn  Alles  durch  die  Hände  der  Monopol- 
inhaber ging.     Die  fremden   Kaufleute  fanden  ihr  Interesse 


*)  „—  concedendo  dictis  Angiitis,  quod  ipsi  ibidem  gauderent  in  Om- 
nibus et  per  omnia  eisdem  favoribus,  privilegiis  et  praerogati  vis ,  quibus 
gaudebant  ipsi  de  Hansa."    Proclamation  v.  1432.    Rynfler  X.    S.  503. 

2)  v.  d.  Ropp,  Zur  deutsch-skandinavischen  Geschichte  des  15.  Jahr 
hunderte.  S.  51. 

s)  K.  Maurer,  Island  von  seiner  ersten  Entdeckung  bis  zum  Unter- 
gang des  Freistaates.    München  1874.    S.  421,  431. 


—     253    — 

ebenfalls  befriedigt.    Sie  entzogen  sich  den  Zöllen  und  sparten 
die  Ausgabe  für  die  Licenzerwerbung  *). 

Keine  Nation  betrieb  den  Schleichhandel  in  grösserem  Mass- 
stabe als  die  Engländer.  In  der  ersten  Zeit  waren  es  haupt- 
sächlich die  See-  und  Kaufleute  von  Scarborough,  welche  regel- 
mässige Fahrten  dahin  unternahmen 2).  Später,  etwa  seit  1424, 
wurden  solche  auch  von  den  Kaufleuten  anderer  Hafenplätze 
wie  Yarmouth,  Norwich ,  London ,  Boston ,  insbesondere  Bristol 
organisirt d).  Die  Isländer  waren  Käufer  fast  für  Alles.  Tuch, 
Mehl,  Brod,  Wein,  Wachs,  Gewerbsprodukte  jeglicher  Art 
waren  ihnen  genehm4)-,  als  Gegengabe  konnten  sie  ausser 
Thran  und  Stockfischen  den  Engländern  nicht  viel  bieten, 
aber  Stockfische  waren  in  reicher  Fülle  vorhanden  und  nicht 
nur  in  England5),  sondern  in  ganz  Europa  sehr  gangbar6). 
Zum  Theil  betrieben  die  Engländer  selbst  den  Fang  an  der 
isländischen  Küste. 

Die  norwegische  Regierung  hielt  aber  an  der  Stapelein- 
richtung fest.  Schon  das  finanzielle  Interesse  musste  dazu 
drängen,  da  die  Einnahmen  der  Krone  durch  den  Schleich- 
handel sich  minderten.  Die  Könige  sahen  sich  zudem  in  ihrem 
Bestreben  von  den  Hansen  unterstützt,  als  diese  erkannten, 
dass  ihnen  aus  dem  Stapel  von  Bergen  nicht  Schaden  sondern 
Vortheil  erwachse7).  Lübeck  besonders  war  stets  bemüht,  die 
Stapelgerechtigkeit  in  Bergen  nach  keiner  Seite  hin,  auch  nicht 


*)  Allen,  De  tre  nordiske  Rigers  Historie  IL    S.  131  fg. 
*)      Sie  gehn  und  kommen  ohne  Seegefahr, 

Wie  die  von  Scarborough  schon  der  Fahrten  pflogen, 
Die  vormals  zu  den  kalten  Küsten  zogen. 
Libell  of  Englishe  Policye,  üebers.  v.  Hertzberg  Vers  803  fg. 
*)  —    —    —    —    —  in  Wahrheit  treiben 

Von  Bristol  und  manch  anderm  Küstenort 
Mit  Stein  und  Nadel  Schiffahrt  sie  nach  dort 
Seit  kurzem  erst;  es  ist  das  zwölfte  Jahr. 

A.  a. O.Vers  799 fg.,  sieh  auch  Allen,  De  tre  nordiske  Rigers  Historie  ü. 
S.  134;  Finn  Magnus en,  Om  de  Engelskes  Handel  etc.  S.  113,  114 
fc;  18*  fg. 

4)  1440  klagt  der  Bischof  von  Island,  dass  es  ihm  an  Brod,  Wein, 
Bier  und  Tuch  fehle,  und  lässt  solche  Waaren  von  England  kommen. 
Rymer  X.  S.  762. 

*)  Unter  Heinrich  VIII.  musste  jedes  nach  Island  gehende  Schiff  jähr- 
lich eine  bestimmte  Zahl  Fische  auch  an  den  Hof  abliefern.  Brewer, 
Cal.  IV.  2220  (1526). 

*)         Island  giebt  weitern  Stoff  mir  nicht  zum  Schreiben, 

Als  von  Stockfischen 

Libell  of  Englishe  Policye.  üebers.  v.  Hertzberg  Vers  798,  799; 
sieh  auch  Maurer,  Island  S.  412  fg.,  425  fg.  Stockfische  vertraten  in  Is- 
land auch  Geldesstelle.  Finn  Magnus  en  a.  a.  0.  S.  147. 

')  Allen,  De  tre  nordiske  Kiger  Historie  IL     S.  133. 


—    254    — 

von  den  eigenen  Schwesterstädten  durchbrechen  zu  lassen1). 
Schwer  fiel  auch  ins  Gewicht  die  Rücksichtslosigkeit,  mit  der  die 
Engländer  den  Schleichhandel  nach  Island  trieben.  „Es  waren  in 
der  Mehrzahl  Leute  der  schlimmsten  Art,  ruchlose  Gewaltmenschen, 
denen  kein  Gesetz  heilig  war,  denen  ein  Mord  eine  Kleinigkeit 
und  fremdes  Eigenthum  eine  gute  Prise  war.  Sie  führten  sich 
auf  wie  Seeräuber  und  waren  in  vielen  Fällen  nicht  viel  besser. 
Die  isländischen  Jahrbücher  sind  voll  von  Berichten  über  die 
Gewaltsamkeiten,  welche  die  Engländer  auf  dieser  abgelegenen 
und  wehrlosen  Insel  ausübten.  Sie  plünderten  und  mordeten, 
raubten  Hornvieh  und  Schafe,  entführten  bisweilen  die  Ein- 
wohner mit  Gewalt.  Bessestadt  wurde  im  Laufe  von  wenigen 
Jahren  viermal  von  ihnen  geplündert.  Selbst  wenn  sie  sich 
den  Schein  des  Handels  zu  geben  versuchten,  geschah  das  oft 
in  der  Weise,  dass  sie  die  Einwohner  zwangen,  ihnen  die 
Waaren  zu  einem  Preise  zu  verkaufen,  den  sie  selbst  ansetzten, 
und  der  weit  unter  ihrem  Werthe  war.  Auf  diese  Weise  wurde 
der  Handel  der  Engländer  auf  Island  oft  eine  wahre  Plage  für 
die  Einwohner"*). 

Die  englische  Regierung  begünstigte  anfangs  den  Schleich- 
handel. Als  aber  die  Klagen  der  norwegischen  Könige  immer 
heftiger  wurden,  so  dass  es  einige  Male  beinahe  zum  offenen 
Krieg  kam,  konnte  jene  nicht  länger  dem  Andrängen  wider- 
stehen, zumal  die  eigene  politische  Lage  oft  eine  bedenkliche 
war.  Als  1415  die  norwegische  Regierung  von  neuem  zu 
einer  Cooperation  in  dieser  Angelegenheit  aufforderte,  ging 
der  englische  König  Heinrich  V.,  dessen  Schwester  Philippa 
an  den  norwegischen  König  Erich  vermählt  war,  auf  die  Bitte 
ein  und  proclamirte  auch  seinerseits  das  Verbot  des  Han- 
dels nach  Island3);   eine  im  Parlament  eingereichte   Gegen- 

*)  Es  waren  besonders  Hamburg  und  Bremen,  seit  1479  auch  Danzig, 
welche  mit  königl.  Erlaubniss  direct  nach  Island  handelten.  Lübeck  brachte 
die  Sache  auf  den  Hansatagen  vor,  ohne  aber  etwas  auszurichten.  Lübecks 
Einfluss  war  aber  gross  genug,  um  in  seinen  Bestrebungen  Unterstützung 
bei  dem  norwegischen  Reichsrath  zu  finden.  1481  missbilligte  dieser  die 
Ertheilnng  von  Handelslicenzen,  welche  einzelne  Städte  erlangt  hatten,  und 
forderte  deu  Hansabund  selbst  dazu  auf,  mitzuwirken,  dass  der  un- 
mittelbare Handel  mit  Island  verhindert  werde,  der,  wie  er  sich  aus- 
drückte, Norwegen  und  Lübeck  gleich  schädlich  sei.  Zwei  Jahre  später 
wurde  sogar  in  die  Handfeste  von  König  Hans  die  Bestimmune  aufgenom- 
men, dass  die  Hansastädte  nicht  mehr  nach  Island  fahren  dürften.  Da 
einzelne  Städte  nichts  desto  weniger  diese  Fahrt  fortsetzten,  kam  ein  neues 
Verbot.  Auf  Lübecks  Begehr  und  nach  Berathung  mit  dem  norwegischen 
Reichsrath  verbot  Christian  II.  abermals  im  Jahre  1513,  Bergens  Hafen  zu 
umgehen.    Allen,  De  tre  nordiske  Rigers  Historie  IL    S.  133,  134,  225. 

2)  Allen,  De  tre  nordiske  Rigers  Historie  II.    S.  135. 

8)  Das  Verbot  war  zeitlich  begrenzt.  In  demselben  heißst  es;  „quod 
nullus  ligeus  noster  usque  ad  finem  unius  anni  —  ad  partes  insulares 
regnorum  Daciae  et  Norwegiae  et  praesertim  ad  insulam  de  Island  piscandi 
causa  seu  aliis  causis  in  preiudicium  regis  regnorum  praedictorum  accedere 
praesumat  aliter,  quam  antiquitus  fieri  consuevit.    Rymer  IX.    S.  322. 


—    255    — 

Petition  der  Fischer  wies  er  zurück x).  1429  wurde  die  Pro- 
clamation  zu  einem  Gesetz  erhoben2),  1432  die  Beobachtung 
des  letzteren  eingeschärft8),  1434  besonders  den  Kauf-  und 
Seeleuten  von  Chepstow  bei  Bristol  ans  Herz  gelegt4),  1444 
dasselbe  abermals  publicirt6).  In  den  Verträgen  verachtete 
man  in  der  Folgezeit  darauf,  ausdrücklich  die  stricte  und  aus- 
nahmslose Einhaltung  des  Stapels  von  Bergen  zu  stipuliren; 
die  englischen  Kauf leute,  die  nach  Preussen  fuhren,  konnten  fast 
alle  Orte  in  Norwegen  besuchen6),  aber  das  Verbot  des  islän- 
dischen Verkehrs  wurde  in  allen  Tractaten  ausdrücklich  bei- 
behalten 7),  und  die  Strafe  für  Uebertretung  im  Laufe  der  Zeit 
noch  erhöht.  Eduard  IV.  gestand  1465  zu,  dass  diejenigen, 
welche,  ohne  einen  Erlaubnissschein  vom  norwegischen  König 
zu  haben,  nach  Island,  Helgoland  und  Finnmarken  führen,  mit 
dem  Verlust  ihrer  Habe  und  ihres  Lebens  den  Fehltritt  büssen 
sollten 8). 

Demnach  musste  jeder  Islandsfahrer  zwei  kostspielige  Li- 
cenzen  erwerben,  eine  vom  englischen  König,  um  von  der 
Pariamen tsacte  entbunden  zu  werden,  und  eine  vom  König 
in  Norwegen.  Wir  besitzen  auch  Beispiele  dafür,  dass  dies 
wirklich  geschah9).  Trotz  dieser  Erschwerungen  trat  kein 
Stillstand  im  Verkehr  Englands  mit  Island  ein,  ja  der  Libell 
of  Englishe  Policye  berichtet,  dass  1436,  also  sechs  Jahre  nach 
Erlass  der  Parlamentsacte  und  nach  zweimaliger  Einschärfung 
derselben,  soviel  Schiffe  nach  Island  gingen,  dass  sie  nicht 
genügende  Rückfracht  fanden10).  Was  man  sich  unter  dem 
„soviel"  ungefähr  zu  denken  hat,  dafür  mag  als  Beleg  dienen, 
dass  1419,  also  zu  einer  Zeit,  wo  nach  dem  genannten  Libell 
Bristol  und  einige  andere  Orte  mit  Island  noch  gar  nicht 
verkehrten,  bei  einem  Sturme  im  Laufe  von  drei  Stunden 
an  der  isländischen  Küste  25  englische  Schiffe  zu  Grunde 
gingen  "). 


s)  Rot  Pari.  IV.    S.  79. 

*)  Rot.  Pari.  IV.  S.  347;  8Hen.  VI.  c.  2;  die  Kaufleute  und  Fischer 
petitionirten  um  Aufhebung  des  Gesetzes;  der  König  versprach  sie  für  den 
Fall,  dass  die  schwebenden  Verhandlungen  mit  Dänemark  einen  günstigen 
Erfolg  hätten.    Rot.  Pari.  IV.    S.  378.    (1430/31). 

IRymerl     S.  503. 

4)  Nicolas,  Proceedings  etc.  IV.    S.  208;  Rymer  X.    S.  578. 

5J  Rymer  XI.  S.  57. 

«)  Rymer  XI.    S.  273. 

^  Rymer  XL    S.  267,  551;  XU.     S.  26,  57,  100,  119. 

*)  Rymer  XL    S.  522.  Art.  3. 

9)  Rymer  XI.    S.  273,  277. 

la)  Doch  jetzt  ziehn  so  viel  Schiffe  hin :  sie  machten 

In  diesem  Jahr  Verlust  an  ihren  Frachten. 
Island  bot  nicht  die  Fracht,  sie  vollzuladen 
Für  ihre  Häfen,  und  sie  litten  Schaden. 
Hertzhergs  Uebersetzung.  Vers  806  fg. 

!1)  Allen,  De  tre  noraiake  Rigers  Historie  H.     S.  134. 


—    256    — 

Die  englischen  Könige  liessen  wohl  auch  sehr  bald  trotz 
aller  offiziellen  Zusicherungen  wieder  eine  mildere  Praxis 
walten.  Sie  scheinen  wenigstens  die  Ertheilung  ihrer  Licenz 
nicht  von  dem  Nachweis  abhängig  gemacht  zu  haben,  dass  der 
norwegische  König  vorerst  seine  Erlaubniss  gegeben1);  das 
hatte  zur  Folge,  dass  die  Einholung  der  letzteren  häufig  unter- 
blieb. Richard  III.  bot  sogar  den  Islandfahrern  den  Schutz 
der  königl.  Schiffe  an  und  hielt  nur  darauf,  dass  seine  Licenz 
gekauft  wurde2).  Wenn  im  Uebrigen  die  Fahrt  wirklich  ge- 
lang und  ohne  Zwischenfall  ausgeführt  wurde,  so  war  es  ihm 
wohl  gleichgültig,  ob  die  norwegische  Regierung  ihre  Einwilligung 
gegeben  hatte.  Erfreulich  war  ein  solcher  Zustand  nicht.  Nur 
zu  leicht  konnten  Verwicklungen  daraus  entstehen.  Ziel  der 
englischen  Regierung  musste  sein,  den  Verkehr  mit  Island 
und  die  Fischerei  in  dem  umgebenden  Meere  zu  öffnen. 


Heinrich  VII.,  der  dem  englischen  Handel  so  vielfach 
neue  Grundlagen  gab,  fasste  frühzeitig  auch  die  Neuregelung 
der  Handelsbeziehungen  zu  Dänemark  ins  Auge.  Die  nationale 
Regung  im  Innern  der  hartbedrängten  und  sehr  zerklüfteten 
skandinavischen  Reiche  kam  ihm  als  ein  günstiges  Moment 
entgegen.  Bereits  1481  hatten  die  Reichsräthe  aller  drei  Reiche 
verlangt,  dass  in  Zukunft  den  Kaufleuten  von  allen  Ländern 
erlaubt  sein  sollte,  nach  Bergen  oder  einem  andern  Orte  des 
Reichs  gegen  den  üblichen  Zoll  Handel  zu  treiben,  und  dass 
der  König  ohne  ihre  Zustimmung  weder  die  Privilegien  aus- 
ländischer Kaufleute  bestätigen  noch  neue  zugestehen  möge. 
Mehr  denn  früher  suchte  sich  dem  entsprechend  das  dänische 
Königshaus  von  der  Vormundschaft  und  dem  Joch  der  Hansen 
zu  emancipiren,  und  naturgemäss  musste  sein  Blick  sich  auf 
die  Westmächte,  namentlich  auf  Schottland  und  das  sichtlich 
erstarkende  England  richten.  | 

Als  1488  Heinrich  VII.  bei  Johann  über  die  Bedrückungen, 
welche  die  Deutschen  in  Bergen  sich  gegen  die  Engländer  er- 
laubten, ernstliche  Klage  führen  Hess,  war  es  nicht  zu  verwun- 
dern, wenn  dieser  ein  sehr  williges  Gehör  geschenkt  wurde, 
und  mit  Freuden  ging  man  auf  den  Wunsch  des  Tudors  ein, 
einen  neuen  Handelstractat  zu  schliessen.  Die  günstige  Stim- 
mung benützend,  betrieb  Heinrich  VH.  mit  allem  Eifer  die 
Verhandlungen.  Am  6.  August  1489  war  der  Boden  soweit 
geebnet,  dass  der  englische  König  dem  Dr.  jur.  Jac.  Hutton, 
dem  Wappenherold  Thom.  Benolt  und  zwei  Lynner  Kauf leuten 
Joh.  Beles   und  Thom.  Carter   die  Vollmacht  zum  Abschluss 


*)  Rymer  XII.    S.  94,  180. 

a)  Crairdner,   Letten  and  Papers  of  Richard  III.  and  Henry  VH. 
Vol.  IL    S.  287. 


—    257     - 

eines  Vertrages  ertheilen  konnte1).  Diese,  in  der  Lage,  sich 
auf  die  eben  von  Heinrich  VII.  gewährte  Allianz  stützen  zu 
können,  brachten  auch  einen  Handelsvertrag  zu  Stande,  der 
die  Wünsche  Heinrichs  in  der  Hauptsache  befriedigte  und 
geradezu  einen  Wendepunkt  in  den  Handelsbeziehungen  zwischen 
beiden  Reichen  und  die  Grundlage  für  die  Folgezeit  bildet. 
Die  Artikel  dieses  wichtigen  Tractats  sind  folgende 2) : 

Den  Engländern  werden  alle  Privilegien  und  Freiheiten 
zugesichert,  die  sie  zu  irgend  einer  Zeit  im  dänischen  Reiche 
besessen  haben  (Art.  3  und  25). 

Der  Handel  nach  den  Inseln  des  Sunds,  nach  Seeland, 
Dragor  und  allen  andern  Theilen  des  dänischen  Reiches  ist  an 
keine  Licenz  gebunden  (Art.  5);  auch  in  Island  ist  den  Eng- 
ländern der  Zutritt  gestattet  sowohl  zum  Zwecke  des  Han- 
dels als  auch  der^Fischerei 3),  nur  sollen  sie  von  7  zu  7  Jahren 
beim  König  von  Dänemark  um  Erneuerung  dieses  Rechtes 
bitten  und  damit  die  königl.  Prärogative  anerkennen  *)  (Art.  4). 
Die  Engländer  geniessen  das  Recht  der  meistbegünstigten 
Nation  in  allen  Gebieten  des  dänischen  Königs  (Art.  8). 

Es  ist  ihnen  ferner  gestattet,  zu  Bergen  in  Norwegen,  zu 
Lund  und  Landskrona  in  Schonen,  zu  Dragor  auf  Seeland,  zu 
Loysa  in  Schweden  oder  irgendwo  in  Dänemark  Grundbesitz  zu 
erwerben  und  darüber  ganz  nach  Belieben  zu  verfügen  (Art.  8). 

Die  Engländer  dürfen  unter  sich  Gesellschaften  errichten 
and  Aldermänner  erwählen,  welche  ihre  Streitigkeiten  schlichten, 
und  wer  dieser  Autorität  sich  nicht  fügt,  soll  aller  Privilegien 
verlustig  gehen.  Hinsichtlich  der  Kriminalfälle  stehen  alle 
Engländer,  so  lange  sie  im  Königreiche  weilen,  unter  dem  be- 
sondern Schutz  des  dänischen  Königs  (Art.  9). 


*)  Der  Befehl,  die  Gesandten  sollten  ihre  Reise  so  sehr  als  möglich 
beschleunigen,  zeigt,  wie  wichtig  der  gewählte  Zeitpunct  in  den  Augen 
Heinrichs  VII.  war.  Sieh  den  Zahlungsbefehl  vom  25.  Juli  1489  bei 
Campbell,  Materials  for  a  history  of  Henry  VII.  Vol.  IL  Offenbar 
bangt  der  Wunsch  nach  Beschleunigung  mit  den  bevorstehenden  Verhand- 
lungen mit  der  Hansa  zusammen.    Sieh  oben  S.  187. 

2)Rymer  XII.    S.  381  fg. 

3)  Unverständlich  bleibt  dem  gegenüber  eine  Stelle  bei  Rafn,  Anti- 
qoitates  Americanae  sive  scriptores  septentrionales  rerum  antecolumbia- 
narura  in  America.  Ed.  Societas  Regia  Antiquariorum  Septentrionalium. 
Hamiae  1837.  S.  451 :  „Hie  (J.  Cabot)  in  oppido  Angliae  Bristol  commer- 
cialis  mandatarii  munere  fiinctus  anno  1495  transactione  cum  Danorum 
rege  facta  Bristoli  mercatoribus  Islandicae  mercaturae  partieipationem  pro- 
coraverat.  Hujus  transactionis  felix  successus  Caboto  tandem  regis  Anglie 
Henrici  VII Ini  fiduciam  comparavit,  ut  hie,  Londini  et  Bristoli  mercatorum 
awrilio  faltus  ei  procuraret  naves,  quibus  instruetus  expeditionem  terras 
caurum  versus  indagandi  causa  instituit."  Sollte  es  statt  1495  vielleicht 
1485  heissen  müssen?  —  1490  erhielten  auch  Amsterdam  und  andere  hol- 
ländische Städte  die  Erlaubniss,  in  Island  zu  handeln.  Handveste  der 
Stadt  Amsterdam  1748.  S.  55. 

*)  Auch  von  dieser  Verpflichtung  wurden  die  Engländer  von  Friedrich  IL 
1-VJ5  entbanden. 

S  ■*  a  m ,  Engl.  Handelspolitik.    I.  *  ' 


—    258    — 

Wegen  Contracte,  die  ausserhalb  des  dänischen  Reiches 
geschlossen  worden  sind,  können  die  englischen  Kaufleute  in 
Dänemark  nicht  zur  Rechenschaft  gezogen  werden  (Art.  9). 

Es  ist  den  Engländern  unbenommen,  in  Kopenhagen,  Malraö 
und  Landskrona  Agenten  und  Factoren  zu  bestellen,  und  soll 
diesen  sogar  gestattet  sein,  die  englischen  Tücher  im  Detail 
zu  verkaufen,  wofern  sie  nur  mindestens  ein  Jahr  lang  am 
betreffenden  Orte  verweilen  und  den  Städten  nach  Sitte  an- 
derer Kaufleute  willfahren  (Art  12). 

Die  liberalste  Zollbehandlung  wird  denen,  die  nach  Däne- 
mark und  Norwegen  kommen,  versprochen  (Art.  11);  auch 
sollen  englische  Schiffe,  die  durch  Sturm  in  den  Belt  getrieben 
werden,  den  Weg  frei  passiren  können,  nur  sollen  sie  zu  Ky- 
borg  dieselben  Zölle  zahlen,  die  sie  zu  Cronenborg  hätten  er- 
legen müssen,  wenn  sie  durch  den  Sund  gefahren  wären1); 
entgegenstehende  Gesetze  haben  für  sie  keine  Geltung;  die 
Schiffsleute  müssen  aber  durch  Eid  bekräftigen,  dass  ein  ausser- 
gewöhnlicher  Anlass  sie  gezwungen,  diesen  Weg  zu  wählen, 
auch  dürfen  die  Schiffe  Nichts  ausladen  (Art.  6). 

Nur  Beamte  dänischer  und  norwegischer  Abkunft  sollen 
zur  Zollerhebung  verwendet  werden,  damit  möglichst  alle 
Privatrücksichten  bei  Abwickelung  der  Zollgeschäfte  vermieden 
werden  (Art.  14). 

Die  englischen  Schuldner  und  Uebelthäter  sind  nur  per- 
sönlich haftbar  (Art.  13). 

Stirbt  ein  Engländer  in  Dänemark,  so  darf  dessen  Ver- 
mögen nicht  confiscirt  werden  (Art.  10). 

Bios  vier  Artikel  finden  sich  im  ganzen  Vertrag,  die  auch 
den  Handel  der  Dänen  berühren;  der  eine  betrifft  den  freien 
Verkehr  (Art.  2),  der  andere  die  Caution,  welche  die  beider- 
seitigen Schiffe  vor  dem  Auslaufen  leisten  müssen,  auf  dass  sie 
kein  Unrecht  verüben  wollen  (Art.  7);  der  dritte  Punkt  be- 
zieht sich  auf  den  Fall  des  Schiffbruchs,  indem  die  Waaren 
nicht  dem  Herrscher  des  Landes  anheim  fallen  sollen  (Art  15); 
der  17.  Artikel  endlich  trifft  Vorkehrungen  gegen  die  See- 
räuber *). 

Im  Besitz  dieser  Rechte  und  Freiheiten  konnten  die  Eng- 
länder mit  den  Hansen  den  Kampf  aufnehmen.  Es  dürfte 
ihnen  auch  gelungen  sein,  ihren  Handel  in  Dänemark  und 
Norwegen  etwas  zu  festigen.  So  oft  die  Unionskönige  mit  den 
deutschen  Städten  im  Hader  lagen,  verstärkten  die  Engländer 
ihre  Position.    Die  Periode,  während  welcher  nach  dem  Tode 


')  Der  sogenannte  Sandzoll  ist  hier  gemeint,  der  in  der  Zeit  von 
1425—29  errichtet  worden  zu  sein  scheint  D.  Schäfer,  Zar  Frage  nach 
der  Einführung  des  Sundzolls.    Hans.  Geschbl.  1875.    S.  31  fg. 

*)  Art  18—25  und  Art.  16  sind  politischer  Art  und  bereits  im  Friedens- 
vertrag vom  6.  Aug.  1489  (Eymer  XII.  S.  374)  enthalten. 


—    259    — 

des  schwedischen  Regenten  Sten  Sture  (1504)  die  Schweden 
im  Streite  aber  die  Nachfolge  von  den  Hansen  unterstützt 
wurden,  war  für  die  Engländer  jedenfalls  vortheilhaft;  denn  sie 
wurden  wie  die  übrigen  Fremden  für  die  Dauer  des  Zwistes 
von  allen  Zöllen  in  den  dänischen  Häfen  befreit. 

Der  Verkehr  mit  Island  aber  gab  trotz  des  Vertrags  noch 
immer  Anlass  zu  Klagen,  allerdings  weniger  den  Engländern, 
als  den  Dänen.  Dadurch,  dass  Jahrzehnte  lang  der  Handel 
nach  Island  nur  auf  ungesetzlichem  Wege  und  in  gewalt- 
samer Weise  möglich  gewesen,  wurde  es  schwierig,  denselben  in 
geordnete  und  friedliche  Bahnen  hinüberzuleiten.  Die  Eng- 
länder geberdeten  sich  an  den  schutzlosen  und  ausgedehnten 
Küsten  Islands  so  rücksichtslos  wie  zuvor.  Hierin  ist  wohl 
auch  der  Hauptgrund  für  die  auffallende  Erscheinung  zu 
suchen,  dass  trotz  des  Vertrags,  welcher  den  Handel  nach 
Island  freigab,  Heinrich  VH.  sich  nicht  zur  Zuiücknahme  des 
Gesetzes,  welches  den  Handel  dahin  verbot,  bewegen  Hess. 
Er  verlangte  nach  wie  vor,  dass  jeder  Islandsfahrer  von  ihm 
eine  Licenz  erwerbe 1).  Mag  auch  die  Neigung  des  Königs  nach 
Gelderwerb  dabei  nicht  einflusslos  gewesen  sein,  entscheidend 
für  die  Beibehaltung  des  Licenzensystems  war  sicher,  dass  das- 
selbe den  König  in  den  Stand  setzen  sollte,  den  Verkehr 
einigermassen  zu  überwachen  und  die  Ansammlung  gefähr- 
lichen Gesindels  in  Island  hintanzuhalten. 

Freilich  zeigte  die  Folgezeit,  dass  auch  dieses  Mittel  nicht 
ausreichte.  Seit  1501  tauchten  die  alten  Leiden  in  immer 
wachsender  Menge  auf2).  Wiederholt,  namentlich  1507  und 
in  den  folgenden  Jahren  wandte  sich  Christian  IL,  der  im 
Namen  seines  Vaters  die  Regierung  in  Norwegen  übernommen 
hatte,  an  Heinrich  VII.,  erhielt  aber  immer  die  stereotype 
Antwort,  er  möge  die  Namen  und  den  Wohnort  der  Schuldigen 
angeben,  so  werde  man  Abhilfe  schaffen 8).  Das  war  aber  eine 
reine  Unmöglichkeit,  der  dänische  König  konnte  die  Misse- 
thäter  nicht  fassen ;  wenn  sie  auch  wiederkehrten,  so  lagen  sie 
doch  das  eine  Jahr  im  Norden,  das  andere  im  Süden  und 
hatten  nie  Legitimationspapiere  bei  sich.  Man  sieht  aber 
daraus,  dass  Heinrich  VH.  entweder  nicht  abhelfen  wollte, 
oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  dass  die  Licenzenerholung  eine 
mangelhafte  war,  und  der  König  nicht  die  Namen  aller  der- 
jenigen kannte,  welche  nach  Island  fuhren. 

!)  In  den  Bot  Pat  Franc.  21  Hen.  VII.  m.  2  des  R.  0.  ist  eine 
ganze  Reihe  solcher  Licenzen  verzeichnet  Die  daselbst  genannten  Schiffe 
hatten  meist  einen  Gehalt  von  je  60—120  Tonnen. 

*)  Gairdner,  Letters  and  Papers  of  Richard  III.  and  Henry  VII.  IL 
8.249. 

*)  Allen,  De  tre  nordiske  Eigers  Historie  IL  S.  136. 


17  < 


j 


-     260    - 

In  ein  neues  Stadium  trat  diese  Angelegenheit  unter 
Heinrich  VIII.  Gleich  nach  seinem  Begierungsantritt  hob  er 
in  Uebereinstimmung  mit  dem  Parlament  die  mehrerwähnte 
Acte,  welche  den  Handel  nach  Island  verbot,  auf1).  Es  mag 
ein  populärer  Schritt  gewesen  sein,  die  Reihe  der  Gesetze 
gerade  mit  diesem  eröffnen  zu  lassen,  es  unterliegt  auch  kaum 
einem  Zweifel,  dass  der  Verkehr  und  die  Fischerei  der  Eng- 
länder in  Island  sich  sehr  ausdehnte9),  .aber  ebenso  gewiss  ist, 
dass  die  daraus  entspringenden  Gomplicationen  immer  umfang- 
reicher werden  mussten.  Die  englische  Regierung  scheint  zu- 
nächst aber  diesem  Moment  keine  Bedeutung  beigelegt  zu  haben« 
Auf  die  Schwäche  des  dänischen  Reichs  rechnend  gewährte  sie 
keinerlei  Abhilfe.  Die  Engländer  setzten  sich  nun  sogar  im 
Lande  fest  und  erbauten  sich  ein  Blockhaus.  Christian  II. 
schickte  (1510  oder  1511)  Hans  Rantzow  als  Befehlshaber  nach 
Island  und  Hess  sie  daraus  vertreiben.  Die  Engländer  flohen 
auf  ihre  Schiffe,  eines  wurde  ihnen  aber  genommen,  ein. an- 
deres in  den  Grund  gebohrt.  Das  nächste  Jahr  erschienen 
die  Engländer  unter  Führung  eines  gewissen  George  King  aus 
Yarmouth  in  um  so  grösserer  Zahl  und  fingen  ein  dem  König 
Christian  H.  gehöriges  Schiff  ab,  das  die  vereinnahmten  Zoll- 
und  Steuerbeträge  und  eine  kostbare  Ladung  Waaren  an  Bord 
hatte,  ermordeten  den  Secretär  des  Königs  und  8 — 10  Leute 
von  der  Mannschaft  Die  norwegische  Regierung  berechnete 
den  Schaden,  den  die  Engländer  auf  Island  angerichtet 
hatten,  auf  10  000  j£3).  Aber  auch  über  andere  Schäden  und 
Gewalttätigkeiten  hatte  Christian  II.  zu  klagen.  So  hatten 
die  Engländer  ein  Schiff  weggenommen  und  geplündert,  welches 
der  König  in  Folge  eines  Gelübdes  zu  einer  Pilgerfahrt  nach" 
St.  Jago  de  Compostella  in  Spanien  gesandt  hatte,  ebenso  ein 
anderes,  das  von  dem  südwestlichen  Frankreich,  nämlich  von 
Bruvasien,  mit  Salz,  Wein  und  andern  Waaren  befrachtet  kam, 
und  endlich  ein  drittes,  nach  Bruvasien  gehendes  Schiff,  an 
dem  ausser  zwei  Kaufleuten  von  Kopenhagen  die  vornehmsten 
Männer  des  Landes,  wie  Bischof  Niels  Clausen  in  Aarhuus, 
Dr.  Morten  Krabbe,  der  königl.  Hofmarschall  Niels  Eriksen 
Rosenkrands,  die  Reichsräthe  Predbjöm  Podebusk  und  Mogens 
Giö  Eigenthumsantheil  hatten,  und  das  sie  auch  gemeinschaft- 
lich mit  Waaren  hatten  beladen  lassen 4). 

Der  Anfang  der  Regierung  Heinrichs  VIH.  war  somit  für 
die  englisch-skandinavischen  Handelsbeziehungen  nichts  weniger 

')  1  Hen.  Vm.  c.  1. 

si  Ein  einziger  Hafen  in  Island,  Havnerjord,  wurde  am  diese  Zeit  in 
einem  Jahre  von  3—400  englischen  Handels-  und  Seeleuten  besucht  Allen, 
De  tre  nordiske  Rigers  Historie  IL  S.  184;  über  die  Art  des  englischen 
Verkehrs  dahin  vgl.  25  Hen.  Vin.  c.  4. 

»j  Allen  a.  a.  0.  H.    S.  137. 

4)  Allen  a.  a.  0.  II.  S.  138. 


—    261     — 

als  günstig.  Christian  II.  verlangte  Entschädigung,  hütete  sich 
aber  in  wohlverstandenem  Interesse,  mit  England  wegen  der 
Zögerang  zu  brechen.  Selbst  als  1513  England  von  den 
Schotten  angegriffen  und  Heinrich  VIII.  der  Allianz  gegen 
Frankreich  beigetreten  war,  benützte  Christian  IL,  der  nun 
auch  den  dänischen  Thron  inne  hatte,  diese  Situation  nicht  zur 
Repressalie.  Dass  er  grosse  Verlegenheiten  England  hätte 
bereiten  können,  wenn  er  auf  Frankreichs  Seite  getreten  wäre, 
ist  sicher.  Dies  sieht  man  auch  daraus,  dass  Papst  Leo  X. 
ihn  dringend  ermahnte  und  bat,  England  nicht  anzugreifen1). 
Dessen  bedurfte  es  nun  nicht.  Christian  IL  wusste  zu  gut, 
dass  als  etwaiger  künftiger  Bundesgenosse  England  besser  als 
Frankreich  und  Schottland  war,  und  um  die  Gewinnung  eines 
starken  politischen  Freundes  handelte  es  sich  ja  bei  der  un- 
sichern  Lage  in  Schweden  und  der  feindlichen  Gesinnung  der 
Hansestädte.  Er  war  daher  nur  darauf  bedacht,  wie  er  unter 
Benützung  der  gegebenen  Verhältnisse  sich  die  Stütze  Englands 
für  die  Zukunft  sichern  könnte.  Der  beste  Weg  hiezu  war, 
das  englische  und  dänische  Handelsinteresse  möglichst  eng  zu 
verknüpfen.  Jede  Kräftigung  des  dänischen2)  und  fremden 
Handels  war  gleichzeitig  ein  Schritt,  die  Herrschaft  der  Hansen 
zu  brechen.  Man  weiss  ja,  wie  Christian  U.  eben  deswegen 
auch  Beziehungen  zu  Russland  anknüpfte,  mit  den  Fuggera 
verhandelte,  eine  skandinavische  Handelsgesellschaft  gründete, 
Kopenhagen  zum  Stapelplatz  erhob  und  schliesslich  durch  Er- 
hebung neuer  Zolle  und  Erhöhung  der  alten  direct  in  die 
Privilegien  der  Hansen  eingriff 3). 

Der  Situation  entsprechend  musste  Heinrich  VIII.  eine 
entgegenkommende  Haltung  einnehmen.  Als  Christian  IL  den 
Thron  von  Dänemark  bestieg  (1513),  Hess  Heinrich  VHL  ihm 
alsbald  durch  einen  Herold  seinen  Glückwunsch  überbringen 
und  die  Erneuerung  des  Bündnisses  vorschlagen,  das  ihre  Väter 
zu  beiderseitigem  Nutzen  und  Vortheil  ihrer  Reiche  geschlossen 
hätten4). 

Christian  IL  erklärte  sich  bereit,  das  Bündniss  zu  er- 
neuern und  zu  befestigen;  er  machte  gleichzeitig  eine  Reihe 
von  Vorschlägen,  die,  wenn  verwirklicht,  die  englisch-skandi- 
navischen Handelsbeziehungen  vollständig  umgestaltet  hätten. 
Christian  II.  versprach,  die  englischen  Unterthanen,  welche  zum 
Oresund  kämen,  um  in  Helsingör  oder  Kopenhagen  zu  handeln, 
von  dem  Zoll  befreien,  sowie  überhaupt  verschiedene  Fesseln, 
die  auf  dem  Handel  der  Ausländer  lagen,  beseitigen  zu  wollen. 

l)  Allen  a.  a,  0.  II.   S.  130. 

*)  Ueber  das  aUm&lige  Erstarken  desselben  zu  Ende  des  15.  und  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  sieji  Allen,  a.  a.  0.  IV.    Abth.  I.    S.  137,  143. 
•)  Allen  a.  a.  0.  IL  S.  253  fg.,  269  fg.;  III.  Abth.  I.  S.  346  fg. 
4)  Allen  a.  a.  0.  II.  S.  130. 


—    262    — 

Dafür  verlangte  er  aber  folgende  Gegenconcessionen.  Hein- 
rich VIII.  sollte  sich  verpflichten,  dass  er,  wenn  Lübeck  und  die 
Ostseestädte  wieder  den  Frieden  mit  Dänemark  brächen,  auf 
ihre  in  England  befindlichen  Waaren  Beschlag  legen  und  ihnen 
für  die  Dauer  des  Krieges  allen  Handel  in  England  verbieten 
werde.  Christian  U.  meinte,  die  Fürsten  hätten  ein  gemein- 
sames Interesse,  gegen  die  republicanischen  Städte  zusammen- 
zustehen. Selbst  wenn  Fürsten  nicht  Bundesgenossen  seien  — 
und  weit  mehr  dann,  wenn  sie  es  seien  — ,  hätten  sie  schon 
um  ihres  königlichen  Standes  und  ihrer  königlichen  Würde 
willen  eine  Verpflichtung,  sich  gegenseitig  zu  helfen,  um  diesen 
plebejischen  Trotz,  der  jetzt  stärker  als  je  sich  geltend  mache, 
niederzuhalten.  Er  werde  auch  seinerseits  jeder  Zeit  Hein- 
rich VIII.  unterstützen,  wenn  Adel  oder  Katifmannsstand  sich 
gegen  ihn  aufzulehnen  wagten.  Feiner  sollten  die  Waaren 
zweier  Schiffe,  welche  er  jährlich  nach  England  zu  senden 
dachte,  frei  sein  von  Zoll  und  andern  Abgaben  und  den 
von  ihm  Beauftragten  erlaubt  werden,  Tuch  in  der  Lon- 
doner Tuchhalle  einzukaufen.  Weiter  wünschte  Christian  IL, 
dass  die  dänischen  Kaufleute  in  England  mit  den  hansischen 
auf  ganz  gleichen  Fuss  gesetzt  würden,  also  dieselben  Zoll- 
vergünstigungen und  Privilegien  erhielten,  wie  die  Stahlhofs- 
kauf leute.  Endlich  um  auch  den  Streitigkeiten  auf  Island  vor- 
zubeugen und  eine  von  dieser  Seite  kommende  Störung  der 
Freundschaft  zu  verhindern,  schlug  Christian  IL  vor,  dass 
fortan  jeder  englische  Schiffsführer  oder  Händler,  [der  nach 
Island  fahre,  einen  lateinisch  abgefassten  Pass  von  seiner  Obrig- 
keit bei  sich  führen  müsse.  Ueberhaupt  solle  nur,  wer  einen 
solchen  vorlegen  könne,  als  Engländer  betrachtet  werden  and 
die  den  Engländern  zugestandenen  Rechte  beanspruchen 
können 1). 

Christian  II.  betraute  mit  den  Unterhandlungen  Hans  Holm 
und  Ditlev  Smither.  Der  erstere  war  Kaufmann  und  Schiffs- 
rheder,  ein  Mann  von  reichen  Erfahrungen  und  persönlich  da- 
bei interessirt,  dass  die  Verhandlungen  zu  einem  glücklichen 
Ende  geführt  würden.  Ditlev  Smither,  Brabanter  von  Geburt, 
war  Professor  der  Rechtswissenschaft  an  der  Universität  und 
zweimal  deren  Rector,  zugleich  geistlicher  hoher  Würdenträger. 
Wegen  seiner  Umsicht  und  seines  diplomatischen  Geschickes 
wurde  er  fortwährend  von  Christian  II.  zu  Sendungen  in  Staats- 
angelegenheiten benützt  *). 

Bis  zum  Spätsommer  1514  zeigte  sich  Heinrich  VIQ.  den 
dänischen  Wünschen  sehr  geneigt.  Er  entschuldigte  die  Gewalt- 
taten der  englischen  Kreuzer,  war  zum  Schadensersatz  bereit 
und  sandte  John  Backer  nach  Dänemark  mit  Vollmachten  zum 


»)  Allen,  De  tre  nordiske  Rigers  Historie  II.    S.  139,  140. 
*)  Allen  a.  a.  0.  H.    S.  141. 


—    263    — 

Abschluss  eines  neuen  Bündnisses  (14.  März  1514) 1).  Am 
17.  März  1514  ratificirte  er  einstweilen  den  alten  Freundschaft^ 
vertrag  von  1489 a);  ob  der  Handelsvertrag  darin  mit  ein- 
begriffen war,  ist  ungewiss.  Sobald  aber  Heinrich  VIII.  mit 
Frankreich  Frieden  geschlossen  hatte  und  Schottland  voll- 
ständig niedergeworfen  war,  hörte  auch  das  Entgegenkommen 
auf.  Er  fand  die  Ersatzforderungen  nun  für  übertrieben  und 
unbegründet,  schob  die  Schuld  auf  die  Amtsleute  des  Königs 
und  die  Isländer,  kurz  suchte  Ausflüchte  und  zog  die  Sache  in 
die  Länge.  Ebenso  wenig  wollte  er  sich  verpflichten,  den 
Hansestädten  im  Falle  eines  Krieges  den  Handel  in  England 
zu  verbieten,  und  auch  die  zum  Besten  der  Kaufleute  vor- 
geschlagenen Veränderungen  in  den  Zollbestimmungen  gefielen 
ihm  nicht3).    So  blieb  zunächst  Alles  beim  Alten. 

Als  Christian  H.  seine  Hoffnungen  vereitelt  sah,  zögerte 
er  nicht  länger,  wenigstens  in  Island  Ordnung  zu  schaffen.  Er 
ernannte  einen  energischen,  kühnen  und  schnellen  Seekrieger, 
den  Sören  Norby  zum  Hauptmann  in  Island  und  verlieh  ihm 
die  ausgedehntesten  Vollmachten.  Um  sein  Interesse  für 
scharfe  Wahrnehmung  seiner  Amtspflichten  zu  erhöhen,  über- 
liess  ihm  der  König  den  ganzen  Zoll  als  Theil  seiner  Einnahmen. 
Er  war  verpflichtet,  zwei  starke  Blockhäuser  an  den  am  meisten 
gefährdeten  Punkten,  das  eine  auf  Vestmanö,  das  andere  auf 
dem  Festland  in  der  Nähe  von  Kongsgaarden  zu  errichten. 
Es  scheint  denn  auch  in  der  That,  dass  er  während  seines 
zwei-  oder  dreijährigen  Aufenthalts  die  Isländer  gegen  die 
Gewaltsamkeiten  und  Erpressungen  der  Engländer  vollständig 
zu  schützen  vermochte4). 

Als  die  Schweden  von  Christian  IL  abfielen,  machte  dieser 
einen  neuen  Versuch,  England  für  sich  zu  gewinnen.  Aber 
Heinrich  VIII.  weigerte  sich  nicht  nur,  irgend  welche  Hülfe 
gegen  die  Aufständischen  zu  versprechen 6),  sondern  that  auch 
keinerlei  Schritte,  um  die  Handelsbeziehungen  zu  regeln.  Im 
Jahre  1518  schickte  Christian  II.  abermals  Hans  Holm  nach 
England,  um  die- 1514  abgebrochenen  Verhandlungen  wegen 
der  commerciellen  Fragen  aufzunehmen.  Es  wiederholte  sich 
das  frühere  Spiel.  Heinrich  VIII.  hielt  Hans  Holm  mehre 
Monate  hin,  und  wartete  nur  auf  den  Ausfall  der  Unterhand- 
lungen, die  sein  Kanzler  Wolsey  zur  selben  Zeit  mit  Frank- 
reich führte.    Als  diese  einen  günstigen  Ausgang  nahmen,  gab 


*)  Allen  a.  a.  0.  IL    S.  141,  142. 

*)  Brewer,  CaL  I.  4889.  Allen  hält  die  dänische  Bestätigung  (1515) 
fcr  unsicher.  IL  S.  143. 

^  Allen  a.  a.  0.  IL   S.  142,  143. 

*)  Allen  a.  a.  0.  IL  S.  143,  144. 

5)  Heinrichs  VUL  Antwort  vom  Jahre  1516  ist  abgedruckt  bei  Dahl- 
mann,  Geschichte  Dänemarks  III.    S.  393  fg. 


—    264     - 

er  eine  ablehnende  Antwort1).  Christian  IL  wollte  natürlich 
in  seiner  Geldnoth  nicht  auf  die  Entschädigungen  verzichten, 
Heinrich  VIII.  war  aber  nicht  geneigt;  diese  zu  leisten,  solange 
Dänemark  machtlos  war. 

Nichtsdestoweniger  dürfte  es  politisch  unklug  und  kurz- 
sichtig gewesen  sein,  die  Wünsche  Christians  II.  so  schlecht- 
weg zurückzuweisen.  England  hätte  bei  richtiger  Benutzung 
der  Situation  die  grössten  Vortheile  sich  verschaffen  können. 
Der  dänische  König,  aller  Geldmittel  entblösst,  war  damals 
entschlossen,  Island  an  eine  fremde  Macht  zu  verpfänden.  Den 
Hansestädten  Island  auszuliefern,  konnte  nicht  Christians  II. 
Wunsch  sein,  er  dachte  an  die  nordholländischen  Städte  und 
England.  Beide  hatten  ja  in  der  That  den  grössten  Verkehr 
nach  Island  und  deshalb  das  nächste  Interesse  an  seinem  Be- 
sitz. Amsterdam  war  auch  geneigt,  auf  das  Anerbieten  ein- 
zugehen ,  aber  es  war  nicht  im  Stande,  allein  die  Mittel  auf- 
zubringen und  die  Schwesterstädte  konnten  sich  nicht  einigen. 
England  sollte  Hans  Holm  die  Insel  nur  anbieten,  wenn  Hein- 
rich VIH.  die  übrigen  von  Christian  H.  gemachten  früheren 
Vorschläge  in  Betreff  der  commerciellen  Angelegenheiten  ac- 
ceptire.  Diese  Voraussetzung  trat  aber  nicht  ein.  Hätte  die 
englische  Regierung  die  günstige  Gelegenheit  wahrgenommen, 
so  wäre  sie  um  50—100000  Gulden  in  den  Besitz  der  Insel 
gelangt,  und,  soweit  man  das  Schicksal  verpfändeter  Länder 
kennt,  Island  wäre  wahrscheinlich  heute  noch  englisch,  ähnlich 
wie  die  Orkneyinseln  auch  *). 

Abermals  Versuche,  an  England  einen  Rückhalt  zu  ge- 
winnen, machte  Christian  IL  1521.  Er  hatte  persönlich  mit 
Wolsey,  als  dieser  in  den  Niederlanden  mit  Kaiser  Karl  V. 
eine  Allianz  gegen  Frankreich  abschloss,  unterhandelt 3).  Auch 
als  Christian  H.  1523  seine  Herrschaft  verloren  und  Dänemark 
verlassen  musste,  war  es  wieder  England,  auf  das  er  seine 
Blicke  lenkte.  Mehr  als  eine  moralische  Unterstützung  aber 
war  Heinrich  VIH.  nicht  geneigt  zu  geben.  Er  beschränkte 
sich  darauf,  am  13.  Juni  1523  einen  Vertrag  mit  Christian  IL 
zn  bestätigen,  wonach  alle  Streitigkeiten  wegen  Seeräuberei, 
Fischerei  und  Handel  beigelegt  und  ein  Einverständniss  wegen 
gegenseitiger  Hilfeleistung  erzielt  werden  sollten 4).  Am  30.  Juni 
wurde  der  Vertrag  von  1490  erneuert5)  und  1524  schickte 
Heinrich  VIII.  Gesandte  nach  Hamburg6),   wo   die  Wieder- 


J)  Allen,  De  tre  nordiske  Rigers  historie  11.    S.  492,  493. 

>)  Allen  a.  a.  0.  IL    S.502:  III.    Abth.  1.  S.  113. 

s)  State  Papers  I.    S.  36  fg.;  Allen  a.a.O.  III.  Abth. 2.  8. 115 fg. 

*)  Brewer,  Cal.  II.  3101. 

*)  Rymer  XIII.    S.  798. 

e)  Rymer  XIV.    S.  12. 


—    265    — 

einsetzung  Christians  IL  betrieben  wurde1).  Der  letztere 
scheint  noch  zu  weiteren  Goncessionen  in  Bezug  auf  den 
Handel  bereit  gewesen  zu  sein,  für  den  Fall,  dass  die  eng- 
lische Regierung  ihm  helfen  wollte8).  Heinrich  VIII.  ver- 
weigerte aber  nicht  nur  jeden  materiellen  Beistand  an  Schiffen 
und  Mannschaft,  sondern  wies  auch  die  von  Christian  II.  aber- 
mals angebotene  Verpfändung  von  Island  zurück,  und  zwar 
diesmal  mit  Recht,  da  Christian  U.  das  Pfand  zu  besitzen  sich 
gar  nicht  mehr  rühmen  konnte8). 

Der  Wunsch  Heinrichs  VIII.,  Christian  II.  wieder  auf  dem 
Thron  zu  sehen,  ging  nicht  in  Erfüllung.  Friedrich  I.  blieb 
im  Besitze  der  Macht.  Die  englische  Regierung  gab  auch 
bald  ihre  Opposition  auf  und  gewählte  ihm  die  anfangs  ver- 
sagte4) Anerkennung6).  Friedrich  I.  aber  hütete  sich,  dem 
englischen  Handel  irgend  welche  Schwierigkeiten  in  den  Weg 
zu  legen.  Hatte  er  auch  im  Anfang  seiner  Regierung  nicht 
verhindern  können,  dass  die  Hansen,  denen  er  den  Thron  zu 
danken,  in  der  Nacht  vom  8.  auf  den  9.  November  1528  gegen 
die  nichtdeutschen  Kaufleute  einen  Ueberfall  ausführten,  so 
erkannte  er  doch  sein  Interesse  zu  gut,  als  dass  er  später  die 
Hansen  weiter  hätte  begünstigen  sollen.  Er  weigerte  sich 
nicht  nur,  die  Holländer  vom  Handel  auszuschliessen ,  sondern 
war  ernstlich  bemüht,  auch  die  Engländer  wieder  herbei- 
zuziehen. In  einem  Brief  an  Heinrich  VIH.  sicherte  er  feier- 
lichst den  Engländern  ungestörten  Handel  zu6),  und  es  ist 
kein  Grund,  weshalb  man  die  Aufrichtigkeit  seiner  Worte  in 
Zweifel  ziehen  sollte.  Englands  Freundschaft  war  bei  den  un- 
sicheren Zuständen  ebenso  willkommen  als  werthvoll. 

Nur  Island  hätte  beinahe  wieder  das  gute  Einvernehmen 
ernstlich  gestört.  Während  der  inneren  Kämpfe  in  den  skandi- 
navischen Reichen  konnten  die  Engländer  auf  Island  ganz  nach 
Willkür  schalten.  Brutaler  als  je  war  ihr  Benehmen.  Sie  ver- 
jagten die  Dänen  von  den  ergiebigsten  Fischplätzen,  beraubten 
und  bedrängten  die  Einwohner  und  zahlten  keinen  Zoll. 
Schliesslich  verlor  der  dänische  Gouverneur  die  Geduld.  Die 
anwesenden  Bremer  und  Hamburger,  welche  ohnehin  wegen 
eines  räuberischen  Anfalls  auf  eines  ihrer  Schiffe  erbost  waren 7), 


x)  Ueber  sonstige  Unterstützungen  des  Königs  von  Dänemark  durch 
England  vgl.  auch  Brewer,  Cal.  IV.  2548. 

*)  Brewer,  Cal.  III.  2773;  IV.  748. 

•)  Allen  a.  a.  0.  IV.    Abth.  2.    S.  115,  525. 

4)  Brewer.  Cal.  IV.  App.  76. 

B)  Lord  Calthorpes  Ms.    Vol.  XL  fo.  120. 

•)  Urk.  Beil.  106.  „We  do  permytt  and  suflre  vour  subiectes  for 
the  aundente  custome  to  nave  free  use  and  haunte  of  mercbaundise  in 
oar  realmes  and  domynions,  and  so  we  doo  right  hartelie  favor  and  love 
theym.u    Vgl.  über  diese  Periode  auch  Capitel  3. 

7)  Brewer,  Cal.  IV.  4740. 


—    266    — 

zu  Hilfe  rufend,  setzte  er  der  Gewalt  Gewalt  entgegen,  es  kam 
zum  Kampfe,  in  welchem  mehre  Engländer  ihr  Leben  ver- 
loren. 

Liess  es  auch  der  dänische  König  bei  einer  ernsten  Vor- 
stellung bewenden ! ),  so  musste  sich  doch  ein  etwas  gespanntes 
Verhältniss  entwickeln,  da  in  Folge  der  fortwährenden  Un- 
ruhen und  Kriege  in  und  um  Dänemark,  schwer  zu  vermeiden 
war,  dass  auch  die  neutralen  Engländer  bei  ihren  Fahrten  in 
dem  Sund  Unbilden  erlitten.  1535  schickten  die  englischen 
Kaufleute,  die  auf  der  Reise  nach  Danzig  und  auf  ihrer  Rück- 
kehr um  ihr  Eigenthum  kamen  und  gefangen  gehalten  wurden, 
einen  grossen  Beschwerdebrief  nach  London,  der  auch  Hein- 
rich VIEL  veranlasste,  diplomatische  Verhandlungen  einzuleiten2). 
Christian  III. ,  der  nun  den  Thron  inne  hatte,  stellte  Hein- 
rich VIII.  nicht  nur  in  dieser  Sache  zufrieden,  sondern  an- 
erkannte auch  die  früheren  Handelsfreiheiten  der  Engländer, 
soweit  der  Kriegszustand  es  zuliess.  Der  englische  Gesandte 
George  Everat,  der  an  den  dänischen  Hof  abgeschickt  wurde, 
erhielt  nämlich  die  bestimmte  Zusicherung ,  dass  der  freien 
Fahrt  der  Engländer  durch  Sund,  Skagerak  und  Belt,  sowie 
ihrem  Handel  nach  Lübeck  nichts  im  Wege  stehe,  wofern  sie 
kein  Korn  und  keiner  anderen  Leute  Güter,  sondern  nur  die 
ihrigen  führen,  feiner  zu  Elsenor,  wo  die  Zölle  zu  zahlen 
waren,  Sicherheit  geben  wollten,  dass  sie  Nichts  in  das  kaiser- 
liche Gebiet,  sondern  Alles  nur  nach  England ,  Schottland  und 
Cleveland  bringen  würden8). 

So  ward  der  englische  Handel  immer  bevorzugt,  und  es 
ist  sicher  anzunehmen,  dass  derselbe,  soweit  Dänemark  in 
Betracht  kam,  unter  Heinrich  VIII.  zu  einer  nicht  unbedeu- 
tenden Entwicklung  gelangte4). 

Nach  Heinrichs  VIH.  Tode  wurde  die  Freundschaft  zwischen 
England  und  Dänemark  noch  inniger.  Als  Eduard  VI.  den  eng- 
lischen Thron  bestiegen,  bat  Christian  HI.  um  Fortsetzung  des 
guten  Einverständnisses  und  sichelte  den  englischen  Kaufleuten 
eine  liberale  und  freundliche  Behandlung  zu 6).  Es  ist  bekannt, 
wie  man  damals  sogar  verschiedene  Heirathsprojecte  ins  Auge 


*)  Urk.  Beil.  106.  Friedrich  I.  entschuldigt  seinen  Gouverneur  und 
bittet,  den  Hamburgern  und  Bremern  ihre  Beihilfe  nicht  entgelten  zu  lassen, 
betont  aber  auch,  dass  er  bei  aller  freundschaftlichen  Gesinnung  gegen  Eng- 
land Acte  brutaler  Unterdrückung  nicht  dulden  könne. 

*)  Urk.  Beil.  108. 

*)  State  Papers  DL  S.  502—5.  Dauernd  wurden  die  Handels- 
beziehungen wohl  erst  wieder  1543  geordnet,  als  Watson  und  Eduard  in 
Dänemark  im  Auftrag  ihres  Herrn  wegen  des  Durchgangs  durch  den  Sund 
mit  dem  dänischen  Könige  verhandelten.  Die  Mission  beider  in  dieser  An- 
gelegenheit ist  erwähnt  Br.  M.  Cotton  Ms.  Nero  B.  III.  fo.  136. 

*)  1535  waren  13  Handelsschiffe  zu  gleicher  Zeit  in  Dänemark.  Urk. 
Beil.  10a 

*)  Urk.  Beil.  109. 


—    267    — 

fasste,  um  die  Dynastien  einander  näher  zu  bringen,  und  dass 
die  in  den  Zeiten  der  Tudors  angebahnte  Freundschaft  zwischen 
den  beiden  Reichen  bis  in  unsere  Tage  sich  erhalten  hat. 


Unsere  bisherige  Darstellung  hatte  immer  nur  Norwegen 
und  Dänemark  zum  Gegenstande.  Es  erübrigt,  mit  einigen 
Worten  noch  Schwedens  zu  gedenken. 

In  handelspolitischer  Beziehung  hatte  Schweden  für  die 
Periode,  deren  Betrachtung  wir  uns  zum  Vorwurf  gemacht 
haben,  ausserordentlich  geringe  Bedeutung.  Der  Handel 
zwischen  beiden  Ländern  war  so  schwach,  dass  sich  kein 
Vertragsverhältniss  herausgebildet  hatte.  Im  Laufe  des  ganzen 
15.  Jahrhunderts  wurde  derselbe  noch  auf  Grund  von  Special- 
licenzen  geführt1).  Auch  dann,  als  Schweden  aus  der  calmari- 
schen  Union  sich  herauslöste  und  zu  eigener  politischer  Selbst- 
ständigkeit gelangte,  war  noch  einige  Zeit  lang  kein  Platz 
für  engere  handelspolitische  Beziehungen.  1536—45  war  der 
Haupthandel  in  den  Händen  der  Lübecker;  erst  nach  dieser 
Zeit  gelang  es,  das  commercielle  Joch  derselben  abzuschütteln, 
nachdem  ihr  politisches  schon  früher  beseitigt  war. 

1545  forderte  G.  Wasa  die  schwedischen  Kaufleute  auf, 
Schiffe  für  das  atlantische  Meer  zu  befrachten  und  ging  selbst 
mit  seinem  Beispiel  voran,  indem  er  zwei  Fahrzeuge  nach 
Holland  und  Lissabon  ausschickte.  Im  Jahre  1548  verbot  er 
den  Handel  mit  Lübeck  ganz  und  gar,  1550  erfolgte  auf  sein 
Betreiben  eine  Uebereinkunft  der  Städte,  keinen  Handel  mit 
Lübeck  zu  unterhalten.  Damit  war  den  Engländern  wie  an- 
dern Nationen  der  Markt  eröffnet  Tegel  sagt:  „Nach  diesem 
Beschluss  begannen  Bürger  und  Kaufleute  hier  im  Reiche  ihre 
Schiffahrten  nach  Frankreich,  Spanien,  England  und  in  die 
Niederlande  und  besuchten  nicht  mehr  so  viel  wie  früher  die 
Städte  an  der  Ostsee,  dieweil  sie  grossen  Vortheil  hatten,  dass 
sie  westwärts  ausländische  Waaren  von  der  ersten  Hand  kaufen 
konnten,  welche  die  in  Lübeck  und  anderen  Städten  an  der 
Ostsee  aus  der  dritten  und  vierten  kaufen  mussten.tt 

Von  da  an  datiren  die  eigentlich  ersten  directen  Verbin- 
dungen mit  England.  Dass  der  Schiffahrts-  und  Handels- 
verkehr ein  gegenseitiger  und  nicht,  wie  es  nach  Tegel 
scheinen  könnte,  ausschliesslich  in  den  Händen  der  Schweden 
war,  davon  zeugt  der  Handelsvertrag,  der  zwischen  Schweden 
und  England  1551  zum  Abschluss  gelangte '). 

x)  Vgl.  die  Erwirkung  eines  'Schutebriefes  von  Heinrich  VI.  durch 
Karl  qua  König  von  Schweden,  als  1455  ein  schwedisches  Schiff  nach  Eng- 
land kommen  wollte,  um  schwedische  Waaren  zu  verkaufen.  Bymer  XI. 
S.  364. 

*)  Geyer,  Geschichte  Schwedens  II.    8.  120  u.  121. 


Fttnftes  Oapitel. 

England  und  Spanien. 


A\  ir  haben  die  handelspolitischen  Beziehungen  Englands 
zu  den  nördlichen  und  südlichen  Ländern  des  europäischen 
Continents  abgeschlossen,  und  es  erübrigt  uns  nur  noch,  den 
dazwischen  liegenden  Staaten  Spanien,  Portugal  und  Frank- 
reich unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Wir  beginnen  mit 
Spanien. 

Der  Anfang  eines  regelmässigen  Verkehrs  zwischen  Spanien 
und  England  fällt  wahrscheinlich  in  die  letzte  Hälfte  des  12. 
oder  in  den  Beginn  des  13.  Jahrhunderts.  Die  Initiative 
ging  von  dem  entwickelteren  Volke  aus,  und  das  war  un- 
streitig Spanien,  wo  die  maurische  Industrie  in  ihrer  schönsten 
Blüthe  stand,  und  gleichzeitig  die  Catalonier  namentlich  die 
Barcelonesen  durch  ihre  Seetüchtigkeit,  die  Ausdehnung  ihrer 
Schifffahrt  und  die  Grösse  ihres  Handels  ausgezeichnet  waren. 
Barcelona,  das  gleich  Venedig  mit  der  Berberei,  Aegypten  und 
Syrien  verkehrte1),  gebührt  wohl  auch  das  Verdienst,  die 
ersten  Bande  mit  England  geknüpft  zu  haben.  Die  Zeugnisse 
aus  dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  weisen  alle  darauf  hin, 
dass  sein  Verkehr  nach  England  schon  ziemlich  lange  bestanden 
haben  muss.  Die  Kaufleute  aus  Barcelona  besitzen  zu  London 
ihre  eigenen  Banken,  1303  werden  Catalonier  zu  Schieds- 
richtern berufen,  1303  und  1328  wird  ihrer  in  den  Privilegien- 
briefen der  Fremden  gedacht2),   1333  von  ihrer  Beraubung 

*)  Ausser  Capm|anv,  Memorias  historicas  sobre  la  marina  comercio 
y  artes  de  la  antiqua  cradad  de  Barcellona.  Madrid  1779 — 92.  4  YoL  und 
H.  Schäfer,  Geschichte  von  Spanien  m.  S.  397  fg.  ist  jetzt  zu  vgl. 
Heyd,  Geschichte  des  Levantehandels  im  Mittelalter  L  S.  359  fe.,  465  fg., 
521  fg.;  K.  S.  35  fg.,  290  fe. 

*)  So  auch  am  28.0ct.  1331,  als  Eduard  IR  die  in  der  allg.  Charte  von 
Eduard  L  gewährten  Privilegien  bestätigte,  insoweit  die  spanischen  Kauf- 


—    269    — 

durch  die  Engländer  erzählt.  Dass  sie  feste  Niederlassungen 
in  mehren  Häfen  Englands  besassen,  und  dass  sie  unter  den 
Wollexporteuren  eine  hervorragende  Stellung  einnahmen1), 
steht  ausser  allem  Zweifel 8). 

Neben  Catalonien  und  Aragonien  war  aber  auch  Gastilien 
frühzeitig  bemüht,  einen  Antheil  am  Handel  nach  England  sich 
zu  sichern.  Seine  Lage  weist  ohnehin  mehr  nach  dem  Norden, 
und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass,  wie  behauptet  wird5), 
die  Gastilianer  früher  nach  England  als  nach  den  mittelländi- 
schen Seehäfen  handelten.  Entscheidend  für  Gastilien  wurde 
die  Vermählung  Eleonores  von  Castilien  mit  Eduard  L;  auf 
ihre  Bitten  werden  die  „mercatores  regis  Hispaniae"  d.  h.  Casti- 
lianer  zugelassen  (1267),  und  damit  ihnen  das  Land  geöffnet4). 

Reger  musste  der  Verkehr  zu  Castilien  sich  gestalten,  seit 
England  durch  den  Erwerb  von  Gascogne  und  Guienne  gewiser- 
massen  sein  Nachbar  geworden5).  Der  schwarze  Prinz  hätte 
gerne,  als  er  in  Bordeaux  seine  Residenz  aufsehlug,  Biscaya 
mit  seinen  französischen  Landein  vereinigt6).  Fand  dieser 
Plan  auch  keine  Verwirklichung,  so  ward  doch  damals  der 
Grund  zu  einer  engeren  Handelsverbindung  mit  den  Nachbar- 
gebieten gelegt.  In  dem  zunächst  auf  20  Jahre  geschlossenen 
Vertrag  vom  1.  Aug.  1351  gestand  man  sich  gegenseitige  Be- 
schützung der  Kaufleute,  freien  Verkehr  mit  Waaren  jeglicher 
Herkunft,  rasche  Bestrafung  etwaiger  Uebelthäter  und  un- 
gehinderte Fischerei  zu  7). 

Die  Beziehungen  wurden  im  15.  Jahrhundert  eifrigst  fort- 
gesetzt8).   Der  englische  König  Eduard  IV.  war  besonders  auf 


leate  von  dem  städtischen  Pflaster-,  Mauer-  und  Brückengeld  frei  sein 
sollten.  Delpit,  Collection'gänerale  des  documents Francais,  qui  se  trouvent 
en  Angleterre.  Paris  1847.    Nr.  117.  S.  61  u.  62. 

s)  Dies  erhellt  ans  ihrer  Ausnahmestellung  in  Bezug  auf  das  Stapel 
(2  Rieh.  n.  Stat  1.  c  3  1378  etc.),  sowie  aus  dem  Gesetz ,  das  die  bare. 
Municipalbehörde  noch  1438  erliess,  um  für  die  feineren  Manufacte  die 
Vermischung  der  guten  englischen  Wolle  mit  anderer  zu  verhindern 
(Macpherson,  Annais  of  Commerce  I.    S.  654). 

*)  Ueber  den  Verkehr  der  Barcelonesen  nach  dem  Norden  vgl.  Gap- 
many  a.  a.  0.  HL  S.  193  fg. 

*)  Beer,  Geschichte  des  Handels  I.    S.  218. 

*)  Vgl  den  urkundlichen  Beleg  bei  Pauli.  Geschichte  Englands  m. 
S.  845  u.  Anm.  3.  Wie  sich  Spanier,  wohl  Castilier.  über  unbilliges  Wägen 
in  8outhampton  beschweren  (1290),  sieh  Bot  Pari.  I.  S.  47. 

*)  Vgl.  Rymer  ID.  S.  79.  170.  894.  561;  IV.  S.  118.  768.  839. 

9)  Ranke,  Engl.  Gesch.  I.  S.  95. 

Ti  Rymer  V.  S.  717.  Den  Anlass  zum  Tractat  gab  ein  vorangegan- 
gener Zwist,  der  in  Folge  des  Uebermuths  der  castilianischen  Handelsmarine 
entstanden  war  a.  a.  0.  V.  S.  556  u.  679. 

•)  Vgl.  Rymer  VIII.  S.  617.  1418  gewahrte  Alphons  von  Aragonien 
den  englischen  Kaufleuten  auf  3  Jahre  Geleit  (Rymer  IX.  S.  663).  Daraus 
moss  man  schliessen,  dass  dieselben,  jedenfaus  aber  von  Südfrankreich 
aus  und  zu  Land,  auch  nach  Barcelona  kamen.  Zur  See  besuchten 
sie  selbst  gegen  Ende   des    15.  und   zu   Anfang   des    16.  Jahrhunderts 


—    270    - 

ein  gutes  Einvernehmen  mit  dem  castilischen  Herrscher  be- 
dacht und  schloss  am  6.  August  1466  mit  König  Heinrich  nicht 
nur  einen  allgemeinen  Freundschaftsvertrag,  sondern  stellte 
die  castilianischen  Kaufleute  ganz  seinen  eigenen  Unterthanen 
gleich1),  wofür  auch  in  Castilien  den  englischen  Kaufleuten 
Aehnliches  gewährt  wurde  *).  Die  Bemühungen  Eduards  IV., 
seine  Tochter  Katharina  dem  castilianischen  Thronfolger  an- 
zutrauen und  dadurch  die  Handels-  und  Freundschaftsbande 
enger  zu  knüpfen8),  führten  zu  keinem  Abschluss.  Dies  war 
wohl  auch  der  Grund,  weshalb  sich  Eduard  IV.  hütete,  in  den 
folgenden  Handelsverträgen,  unter  denen  besonders  ein  mit 
den  Bewohnern  der  Provinz  von  Guipuscoa,  zum  grössern 
Schutz  der  Kauffahrer,  geschlossener  Tractat  hervorgehoben  zu 
werden  verdient4),  diese  Gleichstellung  der  spanischen  Kauf- 
leute mit  den  einheimischen  ausdrücklich  zn  wiederholen5). 

Hinsichtlich  der  Waaren,  die  die  Grundlage  des  Verkehrs 
zwischen  England  und  Spanien  bildeten,  ist,  soweit  das  15.  Jahr- 
hundert in  Betracht  kommt,  vor  Allem  auf  den  Libell  of  Eng- 
lishe  Policye6)  zu  verweisen: 

Ihr,  die  ihr's  wissen  wollt,  mögt  jetzt  erfahren, 
Was  aas  Hispanien  an  brauchbaren  Waaren 
Zorn  Handel  kommt.    Es  sind  dem  Lande  eigen 
Rosinen,  Datteln.  Bastardwein  and  Feigen, 
Sevilla-Oel,  Süssholz  zu  bürgen  Preisen, 
Castü'sche  weisse  Seife,  Wachs  und  Eisen7), 


Barcelona  so  gnt  wie  nicht  Capmany,  Memorias  etc.  IV.  S.  49  App.  Nr.  8 
nennt  nur  einen  Engländer,  W.  Brous,  der  während  des  ganzen  Zeitraums 
von  1497 — 1537  im  Jahre  1535  von  England  kommend  in  Barcelona  einlief. 

1)j,~  pertractentur  et  habeantur  (sc  mercatores  Cast.)  vere  et  sine 
aliqoa  actione  quoad  hospitationem  solutionemqae  consuetudinem  custa- 
maram  et  juriam  quorumcumaae  et  caetera  omnia  quaecumque  proinde  in 
omnibus  et  per  omnia,  ac  si  essent  originarii  et  subditi  nostri 
proprii  et  naturales,  juribus  libertatibas,  privilegiis  et  consaetadinibas 
oppiais,  viUis,  uniTersitatibas,  collegiis  et  societatibus  quibuscumque  retro- 
actis  temporibos  concessis  seu  competentibus  in  omnibus  salvis."  Rymer  XL 
8.  569. 

*)  Rymer  XL  S.  587.    10.  Sept.  1467. 

»)  Rymer  XIL  8.  110  u.  147.    Vgl  auch  Rymer  XIL  S.  86.  42. 

*)  Rymer  XIL  S.  148  u.  193  (198). 

*)  Tnats&chlich  wurde  aber  das  froher  Bewilligte  gehalten.  Auch 
Richard  UL  liess  keine  Aenderong  eintreten.    Rot  ParL  Vi.    8.  238. 

•)  V.  50—58.    Hertzbergs  Uebersetzong. 

*)  Dasselbe  wurde  in  den  Gebirgsbezirken  gewonnen  and  verarbeitet 
and  ging  so  stark  nach  England  ab,  dass  zu  Zeiten  Heinrichs  YIL  der 
Eisenpreis  in  England  für  den  in  Spanien  massgebend  war  (vgl.  den  Brief 
eines  Lagerhalters  in  Tortosa  an  den  Agenten  des  Diego  de  Soria  in  Lon- 
don 1495  in  Bergenroths  GaL 1. 117).  Weshalb  das  spanische  Eisen  so 
hoch  geschätzt  wurde,  darüber  gibt  ans  der  merkwürdige  dem  Herzog  Karl 
Ton  Orleans  zugeschriebene  and  zwischen  1458—1461  verfasste  Dialog  „Le 
De~bat  des  heraolx  d'armes  de  France  et  d'Engleterre"  Aufschluss.  Der 
französische  Herold  sagt:  „You  have  iron  in  England  and  we  have  abun- 
dance  of  it  in  France;  but  the  best  iron  that  there  is  for  shipbuilding  is 
the  iron  of  Biscay  of  Spain,  since  it  bends  and  does  not  easily  break. 


—    271     — 

Korn,  Wolle1),  Fries,  Ziegen  und  Lammsfell  auch, 
Für  Laschenmacher  trefflich  zum  Gebrauch, 
Quecksilber8),  Schwefel. 

Ausserdem  kamen,  solange  Barcelona  mit  Venedig  noch 
concumren  konnte,  von  Spanien  aus  die  bekannten  orientali- 
schen Waaren  und  Früchte  nach  England,  später  im  16.  Jahr- 
hundert auch  amerikanische  Producte.  Die  Bückfracht  bestand 
aus  den  oft  erwähnten  Stapelartikeln,  namentlich  aus  Tuch3). 

Ueber  die  Grösse  des  Verkehrs  ist  eine  genaue  Angabe 
unmöglich;  auch  das  lässt  sich  nicht  feststellen,  ob  er  mehr 
in  den  Händen  der  Engländer  oder  Spanier  war4).  Soviel  ist 
aber  sicher,  dass  gegen  Anfang  der  dreissiger  Jahre  des 
16.  Jahrhunderts  die  gesammte  jährliche  englische  Ein-  und 
Ausfuhr  den  Werth  von  428  571  Ducaten  nicht  überstieg6). 
Auch  scheint  der  Gang  der  Entwicklung  der  Art  gewesen  zu 


Now  we  dwell  near  Biscay  and  are  allies  of  the  king  of  Spain,  so  we  can 
procure  it  readily  and  cheaply.  But  for  your  part  you  cannot  procure  it 
except  by  meanes  of  safe  conduct  and  with  great  aifficulty."  H.  Pyne, 
England  and  France  in  the  fifteenth  Century  1870.  S.  52.  Im  13.  Jahr- 
hundert bezog  man  einen  Theil  Eisen  aus  der  Normandie.  Le  domesday 
de  Gippewyz  bei  Tr.  Twiss,  The  black  book  of  the  admiralty  II.  S.  191. 

x)  In  Betreff  der  spanischen  Wolle  verweise  ich  auf  S.  63.  Dass  die 
spanische  Wolle  im  14.  Jahrhundert  in  England  verarbeitet  wurde,  darüber 
haben  wir  ein|Zeugniss  an  der  Ordinance  of  the  tapicers  von  1331,  wo  ge- 
sagt wird,  dass  man  in  der  Gilde  nur  gute  englische  und  spanische  Wolle 
verarbeiten  dürfe.  Riley,  Memorials.  S.  179.  Sieh  auch  Li b er  Albus 
ei  Riley  S.  125,  423. 

*)  Sehr  interessante  und  werth  volle  Angaben  über  die  Ausbeutung  und 
den  Ertrag  des  spanischen  Quecksilbergruben  sind  enthalten  in  dem  Brief 
des  Bon  Martin  de  Saunas  an  den  König  von  Böhmen  und  Ungarn  vom 
19.  Aug.  1527.    Gayangos,  Cal.  HL  Pars  II.  S.  160. 

*)  Die  Parlamentsacte  32  Hen.  VIII.  14  bestimmt,  dass  für  je  5  Tonnen 
Waaren  ein  Pack  von  15  breiten  Wollentüchern  frachtfrei  nach  Spanien 
verschifft  werden  müsse.  Im  Uebrigen  gewährt  dieses  Gesetz  für  die  Art 
der  Waaren  keine  Ausbeute,  wohl  aber  hinsichtlich  der  Haupthafen,  die 
von  den  Englandern  besucht  wurden. 

4)  Nach  dem  Libell  of  Engl.  Pol.  könnte  es  scheinen,  als  ob  aller  Ver- 
kehr über  Flandern  gegangen  wäre  (Vers  59  fg.).  Allein  dem  widersprechen 
2a  viele  Zeugnisse.  Dass  namentlich  die  Spanier  im  15.  Jahrhundert  nicht 
blos  nach  Brügge,  sondern  auch  nach  Sandwich,  Dartmouth,  Southampton, 
Fowey  u.  s.  w.  kamen,  dafür  vgl.  nur  Rymer  XI.  S.  671.  720.  767;  ferner 
die  zahlreichen  Licenzen  bei  Bergenroth,  Cal. I.  passim;  vgl.  S.272N.1. 

*)  Im  Jahre  1545  gaben  die  Engländer  zu  Bourburg  (vgl.  Urk.Beil.  44) 
an,  dass  seit  1528  ihre  Schiffe  und  Waaren  1%  Zoll  zahlen  müssten,  was 
in  7  Jahren  30  000  Ducaten  betragen  habe.  Auf  Grund  dieser  Angabe  ist 
die  Zahl  im  Texte  berechnet.  Selbstverständlich  darf  dieselbe  nur  als  eine 
Grenzsumme  angesehen  werden.  Aus  2  Gründen  ist  die  Zahl  zu  hoch,  ein- 
mal weil  auch  die  Schiffe,  die  aus  Italien  und  dem  Orient  kamen,  diesem  Zoll 
unterworfen  worden  sein  sollen,  sodann  weil  die  Kaufleute  in  ihren  Beschwer- 
den regelmässig  den  erlittenen  Schaden  zu  übertreiben  pflegten.  Einigen 
Anhalt  gewähren  auch  die  erhaltenen  Notizen  über  erlittene  Beschädigungen. 
So  wurde  der  Schaden  der  Kauf leute  von  Guipuscoa  für  1472  auf  5000  Kro- 
nen, und  von  Beginn  1473  bis  28.  Mai  auf  6000  Kronen  (1  Krone  =  3  sh  4d) 
geschätzt  (Rymer  XL  S.  841).    Vgl.  ferner  Rymer  XL  S.  671. 


—    272    — 

sein,  dass  der  englisch  -  spanische  Handel  allmählich  mehr  von 
den  Engländern  als  Spaniern  geführt  wurde. 

Heinrich  VH.  hatte  grösseres  Glück  als  Eduard  IV.  in 
Bezug  auf  eine  Verschwägerung  der  englischen  und  spanischen 
Dynastie.  Heinrichs  und  Ferdinands  Geistesrichtung  war  eine 
so  ähnliche,  ihre  allgemeinen  Ziele  deckten  sich  so  wunderbar, 
die  moralische  Stütze,  die  sich  beide  Reiche  durch  einen  engern 
Bund  gewähren  konnten,  war  so  gross,  dass  die  beiden  Mo- 
narchen bereits  1489  sich  über  einen  Allianz-  und  Heiraths- 
vertrag zu  verständigen  vermochten. 

Dieser  Tractat  enthielt  auch  vier  auf  den  Handel  bezüg- 
liche Artikel:  Die  Unterthanen  der  contrahirenden  Parteien 
dürfen  in  den  beiderseitigen  Gebieten  frei,  d.  h.  ohne  speciellen 
Geleitsbrief  verkehren l)  und  sollen  ganz  auf  dem  nämlichen 
Fusse  wie  die  Bürger  desjenigen  Landes  behandelt  werden,  in 
welchem  sie  sich  gerade  aufhalten.  Die  Zölle  und  Privilegien 
sollen  gelten,  wie  sie  in  Friedenszeiten  vor  30  Jahren  waren 
(Art.  1).  Alle  Kaperbriefe  sind  zu  widerrufen.  Die  auslaufen- 
den Schiffe  müssen  Sicherheit  bis  zum  doppelten  Werthbetrage 
des  Schiffes  und  seiner  Ladung  geben.  Die  etwa  Geschädigten 
sollen  aus  der  genannten  Sicherheitssumme  befriedigt  werden. 
Wird  dies  Recht  verweigert,  so  muss  der  König  der  geschädigten 
Partei  zweimal  Abhilfe  vom  andern  Souverän  verlangen  (Art.  13). 
Im  Fall  einem  geschädigten  Unterthan  trotz  seiner  Bitte  keine 
Abhilfe  zu  Theil  wird,  können  Kaperbriefe  ausgegeben  werden 
(Art.  15).  Verletzungen  und  Zuwiderhandlungen,  welche  ein- 
zelne Unterthanen  begehen,  können  den  Vertrag  nicht  auf- 
lösen (Art.  14) 2). 

Der  Kernpunkt  lag  in  Artikel  1.  Es  stellte  sich  bald 
heraus,  dass  er  eine  Falle  für  die  Spanier  war.  Zuerst  er- 
klärte die  englische  Regierung,  dass  nur  die  Unterthanen  der 
Krone  Castüien  die  im  Vertrag  gewährten  Rechte  zu  geniessen 
hätten,  dann,  als  Ferdinand  gegen  diese  Auslegung  Protest 
einlegte s),  benützte  Heinrich  VII.  die  Klausel  mit  den  30  Jahren, 
entzog  den  Spaniern  alle  Privilegien  und  erhöhte  noch  den 
Zoll 4).  Der  König  konnte  nachweisen,  dass  vor  30  Jahren  die 
spanischen  Kaufleute  höhere  Zölle  zahlten5).    Er  hatte  zudem 

*)  Eigentümlich  muss  es  erscheinen,  wenn  gegenüber  dieser  Bestim- 
mung so  viele  Licenzen  und  Geleitsbriefe  an  die  spanischen  Kaufleute  bis 
ins  Jahr  1494  hinein  ertheilt  wurden  (vgl.  Bergenroth,  CaL  I.  50.  48. 
65.  76.  84.  87.  88  u.  s.  w.).  Entweder  waren  die  spanischen  Kaufleute  sehr 
misstrauisch  oder  Bergenroth  hat  wesentliche  Bestimmungen  der  Licenzen 
übersehen. 

*j  Bymer  XII.  S.  421  fg.  Der  Vertrag  wurde  erneuert  8.  März  1493. 
a.  a.  0*517.    Bergenroth,  Cal.  1.  20  u.  34. 

n)  Ferdinand  an  Heinrich  VII.  27.  Mai  1489.  Bergenroth,  Cal. I.  8.37. 

4)  Bergenroth,  Cal.  I.  107. 

*)  Vor  30  Jahren  zahlten  nämlich  die  Spanier  Fremdenzölle,  seit 
5  Ed.  IV.  (1466)  aber  blos  die  Zölle  der  Einheimischen. 


-     273    — 

die  Vorsicht  gebraucht,  im  Gegensatz  zu  Richard  III.  in  der 
Bewilligung  der  Waaren-Subsidie  durch  das  Parlament  über 
die  Rechte  der  Spanier  mit  Stillschweigen  hinwegzugehen,  so 
dass  er  auch  gesetzlich  ihnen  gegenüber  nicht  gebunden  war  *). 

Es  war  vergeblich,  wenn  Ferdinand  und  Isabella  bedeu- 
teten, die  Intention  beim  Abschluss  des  Vertrags  sei  nicht  die 
gewesen,  die  Zölle  zu  erhöhen,  sondern  zu  erniedrigen,  und  sie 
hätten  denselben  nur  bestätigt,  weil  sie  der  festen  Ueber- 
zeugung  gewesen,  dass  alle  Auflagen  während  der  letzten 
Bürgerkriege  gestiegen  seien  *).  Ebenso  fruchteten  die  Vor- 
stellungen des  Gesandten  Dr.  de  Puebla8)  nichts4).  Selbst 
bei  der  Erneuerung  des  Allianz-  und  Heirathsvertrages  ver- 
mochte die  spanische  Regierung  keine  Aenderung  durch- 
zusetzen6). Heinrich  VII.  behauptete  rundweg,  die  spanischen 
Kaufleute  hätten  überhaupt  nie  die  von  ihnen  jetzt  beanspruchten 
Privilegien  besessen,  und  die  letzteren  seien  ihnen  auch  nicht 
durch  den  Vertrag  eingeräumt  worden,  welchen  König  Edu- 
ard IV.  kurz  vor  seinem  Tode  geschlossen  habe6). 

Als  die  spanische  Regierung  Heinrichs  VH.  Hartnäckig- 
keit7) gewahrte,  so  dachte  sie  durch  Androhung  eines  Retorsions- 
zolls ein  grösseres  Entgegenkommen  von  Seite  des  Königs  zu 
erzwingen.  De  Puebla  erhielt  Auftrag,  bei  den  neuen  politi- 
schen Verträgen  in  einem  Separatinstrument  zu  stipuliren,  dass 
man  von  englischer  Seite  es  nicht  als  einen  Bruch  der  politi- 
schen Freundschaft  ansehen  dürfe,  wenn  Spanien  gleich  hohe 
Zölle  für  die  Engländer  festsetze 8). 

Diese  Drohung  hatte  wenigstens  soweit  Erfolg,  dass  Hein- 
rich VIT.  das  Versprechen  gab,  alle  neuen  Lasten  des  spanischen 


«)Rot  Pari.  VI.    S.  238,  270. 

s)  Ferd.  u.  Isab.  an  Diego  de  Guevara  und  Dr.  de  Puebla.  Jan.  1490. 
Bergenroth,  Cal.  I.  41. 

*)  Ueber  diesen  sieh  E.  Fischer,  Geschichte  der  auswärtigen  Politik 
und  Diplomatie  im  Reformationszeitalter  S.  159. 

4)  Bergenroth,  Cal.  I.  93. 

8)  Art  1.    Rymer  XII.    S.  517. 

€)  Heinrich  VÜ.  an  F«rd.  u.  Isab.  1495.  Bergenroth,  Cal.  I.  94. 
Nicht  nur  hier,  sondern  auch  in  einem  andern  Briefe  (vgl.  Bergenroth, 
tal.  I.  17)  erwähnt  Heinrich  VII.  den  Vertrag  Eduards  IV.  An  letzter  Stelle 
bebt  Heinrich  VII.  hervor,  dass  er  durch  die  Eaufleute  von  Bristol  Kennt- 
niss  von  diesem  21  Edw.  IV.  auf  10  Jahre  geschlossenen  Tractat  erhalten 
habe.  Soweit  die  zeitlichen  Bestimmungen  in  Betracht  kommen,  könnte 
der  Vertrag  mit  den  Bewohnern  von  Guipuscoa  gemeint  sein,  dem  wider- 
spricht aber  die  Behauptung  Heinrichs  VII.,  durch  den  Vertrag  Eduards  IV. 
seien  die  Engländer  berechtigt,  in  alle  Theile  Spaniens  Handel  zu  treiben 
(Bergenroth,  Cal.  1. 17).  Man  wird  deshalb  auf  die  Vermuthung  geführt, 
dass  noch  ein  Vertrag  zwischen  Spanien  und  England  aus  dieser  Zeit 
existirt 

*)  Vgl.  auch  den  Brief  Ferdinands  und  Isabellas  an  Dr.  de  Puebla  v. 
30.  Jan.  1496.    Bergenroth,  Cal.  I.  121. 

,  •)  Isabella  an  de  Puebla   12.  Sept.  1496.    Bergenroth,  Cal.  I.  158. 
Ferdinand  und  Isabella  an  dens.  15.  Jan.  1497.  a.  a.  0.  I.  172. 

Bilanz,  Ehr].  Handel spolitilc.    I.  lg 


—    274    — 

Handels  entfernen  und  selbst  noch  besondere  Privilegien  er- 
theilen  zu  wollen1).  Merkwürdig  ist  die  Art  und  Weise,  wie 
Heinrich  VII.  seinen  bisherigen  Widerstand  zu  rechtfertigen 
suchte.  Vor  Allem  kann  er  gar  nicht  begreifen,  dass  die  Spa- 
nier dieser  Angelegenheit  eine  so  grosse  Bedeutung  beimässen. 
Die  Franzosen,  Vlamen,  Bretonen,  Portugiesen,  Venetianer, 
Florentiner,  Genuesen,  Sienesen,  Luccaner  und  andere  lombar- 
dische Kaufleute  führten  grosse  Quantitäten  Waaren  ein,  ohne 
im  Mindesten  über  diese  Zölle  sich  zu  beklagen.  Sodann  was 
Eduard  IV.  anlange,  so  sei  richtig,  dass  dieser  Heinrich  von 
Castilien  ganz  specielle  Zugeständnisse  gemacht,  allein  das  sei 
eine  geheime  Abmachung  gewesen,  und  die  Voraussetzung  der- 
selben nicht  erfüllt  worden.  Endlich  scheine  es  ihm,  als  ob 
die  Spanier  sich  die  Wirkung  dieser  Zölle  nicht  vergegenwärtigt 
hätten.  Es  sei  doch  klar,  dass  um  den  Betrag  der  Zölle  und 
mehr  die  Spanier  ihre  Waaren  theurer  verkaufen, ''die  engli- 
schen Artikel  wie  Tuch  u.  s.  w.  aber  billiger  einkaufen  könnten. 
Die  Zölle  würden  somit,  bei  rechtem  Licht  besehen,  von  den 
Engländern  und  nicht  von  den  Spaniern  bezahlt9). 

Der  englische  Wirthschaftspolitiker  fand  jedoch  mit  dieser 
Theorie  der  Steuerabwälzung  keinen  Anklang  bei  der  spani- 
schen Regierung.  Bei  den  Verhandlungen  über  die  Ueber- 
siedlung  der  Infantin  Katharina  liess  sie  sich  von  Heinrich  VII. 
einen  schriftlichen  Attest  über  des  Königs  Versprechen  aus- 
stellen3), und  im  Vertrag  vom  10.  Juli  1499  wurde  endlich 
die  Klausel  wegen  der  30  Jahre  fallen  gelassen,  und  der  Wort- 
laut des  Eduardschen  Tractats  wieder  hergestellt4).  Indem 
auch  noch  den  übrigen  Klagen  der  Spanier  Rechnung  getragen 
wurde5),  gelang  es,  die  grosse  Unzufriedenheit  der  spanischen 
Kaufleute  zu  beschwichtigen. 

Der  Erfolg  der  neuen  Verträge  zeigte  sich  sofort.  Die 
Spanier,  in  der  Schiffahrt  den  Engländern  überlegen,  kamen 
nun  so  zahlreich  nach  England,  dass  die  Errichtung  eines  Con- 


')  Ferdinand  u.  Isabella  an  dePuebla  28. März  1497.  Bergenroth. 
Cal.  I.  175. 

*)  Heinrich  VII.  an  Ferdinand  u.  Isabella  25.  Juli  1497.  Bergenroth, 
Cal.  I.  182. 

s)  Vgl.  den  Brief  von  de  Puebla  an  Ferdinand  u.  Ißabella  v.  25.  Aug. 
1498.    Bergenroth,  Cal.  I.  221. 

4)  Art.  4.  Bergenroth,  Cal.  I.  244  und  Rymer  XIL  S.  744. 
Arnold,  Chronicle  or  Customs  of  London  ed.  by  F.  Douce,  London  1811. 
S.  193  enthalt  einen  ausführlichen  Zolltarif,  worin  die  Spanier  immer  den 
Einheimischen  gleich  gestellt  sind.  Da  eine  Abfassung  dieses  Chronicle 
unter  Eduard  IV.  unwahrscheinlich  ist,  so  ergibt  sich,  dass  dieselbe  in  die 
Zeit  von  1499—1504  zu  setzen  ist,  nicht,  wie  vielfach  geschieht,  ins  Jahr 
1490;  seine  erste  Publication  erfolgte,  wie  mit  ziemlicher  Sicherheit  an- 
genommen wird,  1504. 

»)  Vgl.  Art.  7,  8,  10  a.  a.  O.  und  Bergenroth,  Cal.  1. 110,  182,  175; 
auch  189,  147,  158. 


—    275    — 

sulats  in  London  nöthig  wurde.  Ferdinand  und  Isabella  über- 
trugen es  dem  Gesandten  de  Puebla1). 

Allein  die  spanischen  Kaufleute  und  Schiffahrer  waren  noch 
keineswegs  zufrieden.  Sehr  hinderlich  war  ihnen  die  englische 
Schiffahrtsacte  von  1489,  da  sie  zufolge  derselben  keinen  Tou- 
louser  Waid,  namentlich  aber  keinen  Wein  von  Gascogne  und 
Guienne  nach  England  bringen  konnten.  In  Spanien  war  aber 
noch  mehr  als  in  England  der  Flottenschutz  Tradition*),  und 
es  konnte  den  Schiffahrern  nicht  schwer  fallen,  die  spanische 
Regierung  für  ihre  Wünsche  zu  gewinnen.  Man  erliess  den 
Befehl,  dass  bei  der  Ausfuhr  spanischer  Waaren  den  spanischen 
Schiffen  der  Vorzug  vor  den  fremden  gegeben  werden  müsse. 
Der  Handel  der  Engländer  nach  Spanien  war  unmöglich.  Der 
Protest  Heinrichs  VII.  blieb  ohne  Erfolg,  indem  ihm  entgegnet 
wurde,  es  sei  geschehen  mit  Rücksicht  auf  die  vielen  und 
schweren  Abgaben,  welche  die  spanischen  Schiffe  zu  tragen 
hätten.  Uebrigens  geniesse  ja  die  nationale  Schiffahrt  in  allen 
andern  Ländern  das  gleiche  Privileg3). 

Ein  neuer  commerciell- politischer  Kampf  stand  bevor; 
Heinrich  VII.  scheint  sofort  einen  Extrazoll  auf  Tuch  und  son- 
stige Waaren  gelegt  zu  haben,  welche  in  spanischen  Schiffen 
exportirt  wurden4).  Die  Spanier  aber  rächten  sich,  indem  sie 
die  englischen  Unterthanen  auf  dem  Meere  belästigten  und  be- 
raubten*). 

Doch  nahm  die  Sache  keine  weiteren  Dimensionen  an,  da 
inzwischen  der  Prinz  von  Wales  Arthur  gestorben  war  (2.  April 
1502),  und  die  ebenso  sehr  von  England  als  Spanien  gewünschte 
Neuverlobung  der  Princessin  mit  dem  nunmehrigen  Thronerben 
Heinrich  Gelegenheit  zu  einer  gütlichen  Beilegung  des  Streites 
gab.  Isabella  bevollmächtigte  den  Herzog  von  Estrada,  Fer- 
dinand zu  erklären,  dass  man,  falls  Heinrich  VII.  zur  Verlo- 
bung seine  Zustimmung  gebe,  die  englischen  Schiffe  vom  Schiff- 
fahrteedict  eximiren  und  sie  ganz  ebenso,    wie  die  eigenen 


*)  Juni  1500.    Bergenroth,  Cal.  I.  273  u.  274. 

*)  1420  verbot  z.  B.  Johann  n.  von  Castilien  den  Hansen,  in  sein 
Reich  zu  kommen,  da  der  Transport  von  und  bis  Brügge  den  eigenen  Unter- 
thanen vorbehalten  bleiben  sollte.  (Anderson  IIL  S.  88  und  Werden- 
hagen II.  Pars.  IV.  S.  509).  Im  Vertrag  von  1448  mit  Danzig  wurde  den Preossen 
zwar  der  Zutritt  gestattet,  aber  sie  durften  nur  für  den  Betrag  der  ge- 
brachten SchiffBbaumateriaUen  ihre  eigenen  Schiffe  mit  Rückfracht  versehen, 
im  franz.  Rochelle  gar  nichts  auf  die  eigenen  Schiffe  laden  und  mussten 
sich  überhaupt  verpflichten,  unter  fremden  Schiffen  immer  den  spanischen 
den  Vorzug  zu  geben.  Vgl.  Art.  8,  4, 10  der  Urkunde,  abgedr.  bei  Hirsch, 
Danzig  S.  272—74.  Vgl.  femer  von  der  Kopp,  Hanserecesse,  II.  S. 
5-7  fc. 

")  Isabella  an  de  Puebla  28.  März  1501.    Bergenroth,   Cal.  I.  298. 

*)  Vgl.  Brief  Heinrichs  VH.  an  Ferdinand,  Herzog  von  Estrada,  und 
an  de  Puebla  10.  Juli  1508.    Bergenroth,  Cal  I.  867. 

»)  Bergenroth,  Cal.  I.  377. 

18* 


—    276    — 

behandeln  wolle1).  Heinrich  VII.  ging  auf  dieses  Anerbieten 
ein  und  nahm  auch  seinerseits  die  spanischen  Unterthanen  von 
der  englischen  Schiffahrtsacte  aus2). 

Trotz  dieser  Gegenseitigkeit  stiess  in  Spanien  die  Aus- 
führung des  Decrets  auf  grosse  Schwierigkeiten.  Der  Rath 
von  Castilien  geberdete  sich  „wie  vom  Teufel  besessen"  und 
wollte  um  keinen  Preis  dulden,  dass  fremde  Schiffahrer  in  An- 
dalusien ihre  Schiffe  befrachteten.  Dem  königl.  Erlass  liess 
der  erwähnte  Rath  sofort  einen  Gegenbefehl  folgen,  und  als 
die  Engländer  im  Vertrauen  auf  die  neuen  Abmachungen  nach 
Sevilla  Tuch  und  andere  Waaren  brachten  und  dafür  Wein 
und  Oel  einnehmen  wollten,  untersagte  man  es  und  zwang  800 
englische  Schiffsleute,  ihre  Schiffe  leer  zurückzufahren,  während 
die  Kaufleute  einen  Verlust  von  20  000  Ducaten  erlitten.  Die 
Aufregung  in  England  war  so  gross  und  der  König  über  ein 
solches  Verfahren  so  erbittert,  dass  die  spanische  Regierung 
ungesäumt  den  castilischen  Rath  zum  Vollzug  des  Verspro- 
chenen nöthigen  musste3). 

Das  Verfahren  des  castilischen  Rathes  erklärt  sich  aber 
nicht  blos  aus  dem  Streben,  die  einheimische  Schiffahrt  zu 
schützen;  es  gab  eine  sehr  starke  Partei  im  Lande,  welche 
überhaupt  den  Verkehr  mit  England  für  schädlich  hielt  und 
seinen  Abbruch  wünschte.  Keine  Frage,  dass  seit  der  Ver- 
treibung der  Juden  und  Mauren  (1492)  die  englischen  Kauf- 
leute in  Spanien  einen  äusserst  ergiebigen  Markt  vorfanden 
und  durch  die  Steigerung  ihrer  Einfuhr  eine  Reaction  bei  den 
Spaniern  erzeugten.  Mit  grosser  Unzufriedenheit  nahm  man 
wahr,  wie  die  englischen  Tücher  die  Tuchmacherei  in  Castilien 
vernichteten 4),  wie  die  englischen  Kauflente  viel  Geld  aus  dem 
Lande  zogen,  die  Spanier  aber  für  spanische  Waaren  nichts 
als  englische  Manufacte  zurückbrachten.  Unmittelbar  nach 
Arthurs  Tode  setzte  diese  Partei  am  spanischen  Hofe  alle  Hebel 
in  Bewegung,  um  den  König  von  Aragonien  zu  bewogen,  dass 
er  keinen  Eingebomen  des  Königreichs  Castilien  nach  England 
handeln  lasse5).     Da  dieser  Plan  misslang,    so  suchte  man 

J)  Isabella  an  Ferdinand,  Herzog  von  Estrada  11.  und  12.  April  1503. 
Bergenroth,  Cal.  1.  360. 

*)  12.  März  1505.  Bergenroth,  Cal.  407,  424  und  Kymer  XIIL 
S.  114.  Der  Erlass  des  spanischen  Decrets  war  am  16.  November  1504  er- 
folgt und  am  24.  November  wurde  das  Patent  an  Heinrich  VII.  geschickt 
(Bergenroth,  Cal.  I.  405),  407).  Dieser  fand  auffallig,  dass  d»s 
Document  in  castilianischer  Sprache  abgefasst,  nicht  auf  Pergament  ge- 
schrieben und  nicht  mit  einem  bleiernen  Siegel  versehen  war.  (Bergen- 
roth, Cal.  I.  394). 

*)  Vgl.  über  diese  Angelegenheit  die  Briefe  von  de  Puebla  an  Ferdi- 
nand von  Spanien  11.  u.  17.  August   Bergenroth,  Cal.  L  488,  439,  442. 

*)  „by  the  reson  of  tlie  muche  Yngelysche  clothe  hether  comeyng, 
that  the  cfothemakes  nue  ys  lost  in  Castvl".    Brief  Stiles;  sieh  f.  N. 

5)  Ueber  diese  Machinationen  werden  wir  unterrichtet  durch  einen 
Brief  Stiles  vom  26.  April  1509,  dem  diese  Vorgänge  von  dem  Bischof  Don 


*-    277    — 

«astilischerseits  auf  eigene  Faust  die  Engländer  zu  bedrücken 
und  benutzte  dazu  die  früheren  Schiffehrtsdecrete. 

Es  war  kein  Gnffld  gegeben,  weshalb  Heinrich  VIII.  die 
commerciellen  Beziehungen  zu  Spanien  hätte  ändern  sollen. 
Die  Behandlung  der  Kaufleute  auf  dem  Fusse  der  Einhei- 
mischen wurde  von  ihm  fortgesetzt  und  ihm  Aehnliches  spa- 
nischerseits  gewährt,  und  man  konnte  füglich  sich  gegenseitig 
nicht  mehr  geben  und  nicht  mehr  verlangen l).  Aber  die  Streitig- 
keiten dauerten  nichtsdestoweniger  fort  und  drehten  sich  auch 
wie  früher  hauptsächlich  um  die  Schiffahrt.  Zwei  Fälle  mögen 
das  illustriren. 

Als  der  König  von  England  und  seine  Unterthanen  von 
den  im  Schiffbau  wohl  erfahrenen  Spaniern  Schiffe  kaufte,  be- 
nutzte die  spanische  Regierung  das  Vorhandensein  eines  alten 
einheimischen  Gesetzes,  wonach  der  Verkauf  eine  Licenz  er- 
forderte, um  schwere  Strafen  über  die  Verkäufer  zu  verhängen. 
Erliess  man  auch  hinterher  diese  Bussen  mit  Rücksicht  auf 
Heinrich  VIII,  so  glaubte  doch  Ferdinand  das  Verlangen  stellen 
zu  dürfen,  dass  der  englische  König  sowohl  als  seine  Unter- 
thanen jeglichen  Schiffskaufs  in  Spanien  sich  enthielten  *).  Der 
andere  Fall  ging  von  den  Engländern  aus.  Als  die  spanischen 
Kauffahrer  in  England  Waaren  für  den  „Osten"  laden  wollten, 
fingirten  die  Engländer  die  Existenz  eines  alten  Statuts,  wo- 
nach hiezu  eine  besondere  Licenz  vom  Könige  erforderlich  sei. 
Dieser  wolle,  theilte  der  Rath  mit,  6  Schiffe  nach  dem  „Osten" 
schicken,  welche  das  Privileg  hätten,  zuerst  soviel  Waaren  zu 
laden,  als  sie  könnten.  Nur  der  Ueberschuss  könne  den  Spa- 
niern zum  Export  eingeräumt  werden3). 

Doch  blieben  solche  Differenzen  ohne  nachhaltige  Wirkung. 
Auch  die  politische  Kälte,  die  zwischen  beiden  Höfen  eintrat, 
als  Ferdinand  frühzeitig  von  dem  Bündniss  mit  England  sich 
trennte,  mit  Ludwig  von  Frankreich  sich  aussöhnte  und  da- 


Pedro  erzählt  wurden.  Dieser  merkwürdige  Brief  ist  von  J.  Gairdner  heraus- 
gegeben in  der  Historia  regis  Henrici  septimi  a  Bernardo  Andrea  Tholosate 
conscripta    AppencL  €.  S.  436.    London  1858. 

*)  Vertrag  zwischen  Heinrich  VIIL  und  Ferdinand  18.  April  1513. 
Bergenroth,  CaL  II.  101.  Art  1.  Auffallend  ist,  dass  in  den  Zollcom- 
puti  ans  der  zeit  Heinrichs  VIII.  die  Gleichstellung  der  Spanier  mit  den 
Einheimischen  im  Zoll  nicht  erwähnt  wird. 

*)  Ferdinand  an  seinen  Gesandten  Diego  de  Quiros.  'Juli  1513.  Ber- 
genroth, Cal.  IL  122. 

3  Luis  Caroz  de  ViUaragut,  spanischer  Gesandte  in  England,  an 
nan  de  Eztuniga,  Provincial  v.  Aragon.  6. Dez.  1514.  Bergenroth, 
CaL  IL  201.  Dass  die  Engländer  hier  vertragswidrig  handelten,  da  ein 
solches  Gesetz  nicht  existirte,  steht  ausser  allem  Zweifel.  In  dem  bekannten 
Patent  von  1505  hiess  es  ausdrücklich:  „ipsasque  merces  et  mercimonia  sie 
onoBta  ad  regna  sive  dominia  dicti  Serenissimi  fratris  nostri  seu  ad  alia 
regna  sive  dominia  praedieta  absque  impedimento  ducere  et  transferre, 
exceptiß  tarnen  rebus  prohibitis  per  leges  statuta  et  consuetudines  regnorum 
et  dominiorum  nostrorum."    Rymer  XHI.  S.  115. 


—    278    — 

durch  alle  kriegerischen  Pläne  des  jugendlichen  Königs  von 
England  gegen  Frankreich  durchkreuzte,  war  vorübergehend. 
Am  19.  October  1515  kam  ein  neuer  Fteundschaftsvertrag  zu 
Stande,  der  den  Status  quo  in  Betreff  des  Handels  bestätigte 1). 

Bald  darauf  starb  Ferdinand  (Febr.  1516),  und  Karl  kam  nach 
ihm  auf  den  spanischen  Thron.  Thatsächlich  wurde  im  Anfang  die 
Regierung  von  einem  spanischen  Rathe  geführt,  der  sofort  den 
Stimmen  des  Volks  in  Bezug  auf  die  englischen  Kaufleute  Ge- 
hör schenkend  einen  neuen  Schiffszoll  erhob,  namentlich  auch 
von  solchen  Schiffen,  die  von  Italien  und  dem  Orient  kamen 
und  nur  wegen  Sturm  oder  aus  Mangel  an  Lebensmitteln  die 
spanische  Küste  anliefen.  Ebenso  sah  man  es  auch  ganz  be- 
sonders auf  englische  Schiffe  ab,  wenn  es  sich  um  Dienste  für 
den  Herrscher  handelte  *).  Doch  darf  als  sicher  gelten ,  dass 
Karl  Y.  im  Jahre  1521  zu  Galais,  als  er  Englands  Freundschaft 
gegen  Frankreich  erhielt,  die  Privilegien  der  Engländer  in 
ihrem  vollen  Umfange  bestätigte  und  wieder  herstellte3). 

In  jenen  Jahren  war  es  den  Engländern 4)  auch  gelungen, 
in  Spanien  festeren  Fuss  als  bisher  zu  fassen,  ihrem  Handel  da- 
hin eine  bessere  Organisation  und  einen  sicheren  Rückhalt  zu 
geben.   Nicht  als  ob  sie  erst  jetzt  ein  Gonsulat  in  diesen  Gebiete- 
theilen  errichtet  hätten,  ein  solches  bestand  bereits,  sondern  die 
Festigung  des  Handels  lag  in  einer  Reihe  von  Specialprivilegien, 
welche  sie  von  Don  Alonso  Perez  de  Guzman,  dem  Herzog 
von  Medina  Sidonia  für  seine  Stadt  San  Lucar  de  Barrameda 
verliehen  erhielten. 
1)  Er  giebt  ihnen  einen  Bauplatz  nächst  dem  Flusse  und 
seinem  Lagerhaus  behufs  Errichtung  einer  Kirche    zu 
Ehren  des  heil.  Georg5). 


*)  Bergenroth,  Cal.  II.  215,  229;  Rymer  XIIL  S.  524. 

»)  Brewer,  Cal.  IL  2788.  §  17  und  19  auch  §  2.  Diese  Beschwerde- 
puncte  kamen  zur  Erledigung  auf  dem  in  den  Niederlanden  tagenden  Con- 
gress,  an  dem  Knight  und  Thom.  More  sich  betheiligten.  Sieh  oben  S.  49. 50. 

*)  Der  bezügliche  Artikel  des  Vertrags  v.  13.  Februar  1516  (Rymer 
XIII.  S.  583)  und  der  gleichlautende  Artikel  im  Vertrag  vom  18.  Juli  1519 
(Br.  M.  Harl.  Ms.  86.  fol.  19)  sind  nicht  mehr  so  bestimmt  und  klar  nament- 
lich in  Betreff  der  Zölle,  wie  die  froheren  Vertrage.  1521  regten  deshalb 
die  englischen  Kauf  leute  die  Frage  ihrer  Privilegien  an,  und  der  König  befahl 
Wolsey,  bei  dem  kaiserlichen  Kanzler  dahin  zu  wirken,  dass  der  Kaiser 
den  Engländern  dieselben  Privilegien  in  8panien  gewahre,  als  sein  Vor- 
ganger Taut  des  von  dem  Londoner  Burgermeister  überschickten  Schriftstücks 
zugestanden  habe.  Pace  an  Wolsey  81.  Oct  1521.  State  Papers  VoL  L 
S.  81. 

*)  An  dem  spanischen  Handel  betheiligten  sich  hauptsächlich  die  Bris- 
toler. Nach  einem  Portbook  (Mem.  of  the  Q.  R.  of  Exch.  Bdle.  198.  J.  P. 
R.  2202)  im  Public  Record  Office  gingen  im  Jahre  4—5  Hen.  VIII  von 
Spanien  nach  Bristol  12  und  von  Bristol  nach  Spanien  8  Schiffe.  Unter  den 
in  Spanien  handelnden  Bristolern  waren  die  Thornes  sehr  thatig. 

*)  DaBS  diese  Kirche  gebaut  wurde,  geht  hervor  aus  Brewer,  Cal. 
IV.  6654. 


—    279    — 

2)  Wenn  die  Zöllner  von  Sevilla,  Cadix  und  Xeres  die  eng- 
lischen Kauf  leute  misshandeln  sollten,  weil  sie  -ihre  Waaren 
nach  San  Lucar  bringen,  so  will  der  Herzog  alle  daraus 
erwachsenden  Processkosten  und  Schäden  tragen. 

3)  Er  verspricht  die  Beibehaltung  der  bisherigen  Zölle  und 
erklärt  sich  jederzeit  bereit,  etwaige  Zweifel  durch  Ver- 
ordnungen und  schriftliche  Tarife  zu  beseitigen 

4)  Die  Richter  sollen  fortan  in  Schuldklagen  sofort  die  Ur- 
theile  fällen  und  vollstrecken  lassen. 

5)  Die  englischen  Kauf  leute  können  von  den  Weinverkäufern 
Bescheinigungen  der  Steuererheber  verlangen  zum  Be- 
weis, dass  diese  dem  Herzog  nichts  schulden;  im  Besitz 
eines  solchen  Scheines  können  sie  Beschlagnahmungen 
ihrer  Ladung  von  Seite  der  Steuererheber  für  die  Schul- 
den der  Weinverkäufer  zurückweisen. 

6)  Zum  Verladen  ihrer  Waaren  können  sie  sich  jedes  Kahns 
in  der  Stadt  bedienen,  sind  also  an  keine  bestimmte 
Reihenfolge  gebunden. 

7)  Gäste  der  englischen  Kaufleute  dürfen  während  ihrer 
Abwesenheit  für-  diese  kaufen  und  verkaufen,  ohne  als 
Makler  besteuert  zu  werden,  wofern  sie  nur  keine  Makler- 
gebühr erheben. 

8)  Die  Engländer  stehen  unter  dem  besonderen  Schutz  des 
Herzogs  und  dürfen  in  keiner  Weise  belästigt  werden. 

9)  Die  Engländer  dürfen  Waffen  tragen  bei  Tag  und  bei 
Nacht.  Jeder  Excess  soll  von  den  Stadtrichtern  in  Ge- 
meinschaft mit  dem  Gouverneur  und  Rath  der  Engländer 
verhandelt  werden. 

10)  Das  Haus  des  englischen  Gouverneurs  und  acht  andere 
von  ihm  bezeichnete  Häuser  brauchen  Nichtengländer 
nicht  zu  beherbergen. 

11)  Civilfälle,  welche  die  Engländer  betreffen,  sollen  von  dem 
Gouverneur  und  Rath  der  englischen  Kaufleute  abgeur- 
teilt werden.  In  Criminalftllen  dürfen  die  Richter 
keinen  Engländer  ins  Gefängniss  setzen,  ohne  den  Gou- 
verneur und  Rath  der  englischen  Kaufleute  vorher  be- 
nachrichtigt zu  haben. 

12)  Sie  können  ihre  Waaren  ein-  und  ausladen  zwischen  dem 
Kloster  S.  Dominic  bis  zu  der  Alacaseria. 

13)  Sie  dürfen  im  Keller  alle  Weine  lagern,  welche  nach  der 
Beladung  ihrer  Schiffe  übrig  geblieben  sind  *). 

Durch  diese  grossen  Freiheiten  und  Rechte  war  San  Lucar  de 
Barrameda  zu  einem  wahren  Asyl  für  die  englischen  Kaufleute 
geworden2),  und  seine  Bedeutung  wuchs  um  so  mehr,  als  im 


x)  14.  März  J517.    Brewer,  Cal.  IV.  wo«. 
')  Wie  die  Engländer  von  San  Lucar  aus  auch  Tuch  nach  den  cana- 
riicben  Inseln  gelangen  Hessen,  vgl.  Hakluyt,  The  principal  navigations 

a*i*     IT     Q    Q 


etc.  IL  S.  8. 


—    280    — 

übrigen  Spanien  den  Engländern  viele  Schwierigkeiten  in  den 
Weg  gelegt  wurden.  Ganz  abgesehen  von  den  vielen  Misshand- 
lungen, welche  erfolgten,  wenn  die  englische  und  kaiserliche 
Politik  verschiedene  Wege  ging,  schmälerte  man  die  englischen 
Freiheiten,  wann  man  konnte. 

So  erhob  man  seit  1528  in  Andalusien  1  Procent  von  allen 
englischen  Schiffen  und  Waaren  zum  Schutz  und  zur  Erhal- 
tung der  indischen  Flotte,  und  alle  Bemühungen  der  englischen 
Kaufleute,  die  Zurücknahme  dieser  Abgabe  beim  Kaiser  zu 
erwirken,  blieben  ohne  ein  wirkliches  Resultat x).  Ebenso  wurde 
in  den  dreissiger  Jahren  ein  Gesetz,  „prematicha"  genannt, 
gegen  die  Engländer  wieder  in  Anwendung  gebracht,  wonach 
die  einheimischen  Schiffe  bei  der  Verfrachtung  den  fremden 
vorgezogen  werden  mussten2). 

Noch  weniger  richtete  man  hinsichtlich  der  Tuchzölle  aus. 
Von  Rechtewegen  hätten  die  englischen  Tücher  gleich  den 
spanischen  von  Zoll  ganz  frei  sein  sollen,  und  als  der  englische 
Gesandte  Lee  auf  Anregung  eines  spanisch^  Kaufmanns  diese 
Frage  zur  Erörterung  brachte,  gab  der  Stellvertreter  des  spa- 
nischen Kanzler^  Almain  die  Berechtigung  des  englischen  Ver- 
langens mit  Rücksicht  auf  die  von  Ferdinand  und  Isabella  ge- 
währten Privilegien  auch  zu  und  erklärte,  dass  Don  Jfligo  de 
Mendoga  bereits  einen  Auftrag  zur  Regelung  dieser  Frage 
habe3).  Wir  wissen,  dass  die  politischen  Verhältnisse  nicht 
gestatteten,  diesen  funct  in  Gemeinschaft  mit  vielen  andern 
zu  ordnen4).  Besonders  schwer  wurde  eine  spanische  Acte, 
von  den  Engländern  empfunden.  Dieselbe  war  von  den  spani- 
schen Tuchmachern  durchgesetzt  worden  und  bestimmte,  dass 
jedes  Tuch  eine  gewisse  Anzahl  von  Fäden  besitzen  solle.  Die 
Engländer  behaupteten,  die  vom  Statut  vorgeschriebene  Zahl 
nicht  zu  kennen  und  selbst  wenn  sie  dieselbe  kannten,  kein 
Tuch  eigens  für  Spanien  machen  lassen  zu  können ;  allein  unter 
der  zur  Hälfte  trügerischen  Begründung,  Spanien  müsse  sich 
gegen  das  verfälschte  schlechte  englische  Tuch  schützen,  wies 
der  Kaiser  die  Vorstellung  der  englischen  Kauf  leute  ab  *). 

Nur  ein  Recht  blieb  den  englischen  Kaufleuten  unver- 
kümmert  und  gelangte  erst  in  dieser  Periode  zu  voller  Gel- 
tung, und  das  war  das  Consulat  Heinrich  VHI.  bestä- 
tigte dasselbe  so,  wie  es  aus  der  Initiative  der  Kauf  leute 
selbst  hervorgegangen ") ,  und  war  gleichzeitig  darauf  bedacht, 

")  Vgl.  die  Verhandlungen  zu  Bourbourg  1545.    Lrk.  Beil.  44. 
~  Harrys   an   William   Castelyn    in  London.     2.  Juli   1534. 


Urk.  Beil.  138. 

s)  Lee  an  Wolsey,  25.  Mftrz  1527.    Brewer,  Cal.  IV.  2987  und  3052. 

4)  Sieh  oben  S.  64,  65. 

6)  Hall,  Chronicle  S.  706  und  707.  Hall  legt  irrthomlich  dieser  Acte 
den  Namen  Premetica  bei;  vgl.  oben. 

6)  Das  Wahlrecht  der  Kaufleute  blieb  auch  unangetastet;  dieselben 
konnten  sich  in  Sevilla,  Cadix,  San  Lucar  de  Barrameda  oder  im  S.  Maria- 


—    281    — 

dass  auch  Kaiser  Karl  V.  dieses  durch  ein  Patent  anerkannte 
(1530) O-  1588  wurden  die  Confirmationen  erneuert2),  und 
das  Consulat  vermochte  sich  auch  gegen  alle  Eingriffe  zu 
schützen 3). 

Die  übrigen  Nachrichten  über  den  spanischen  Handel  ent- 
behren eines  allgemeinen  Interesses.  Sie  betreffen  meist  Klagen 
und  Verhandlungen  über  Gewaltacte  gegen  einzelne  Kaufleute. 
Der  Grundton  der  spanisch  -  englischen  Beziehungen  in  der 
letzten  Periode  der  Regierungszeit  Heinrichs  VIII.  war  in  An- 
betracht der  bekannten  Vorgänge  in  England  und  der  streng 
katholischen  Richtung  der  Spanier  ein  unfreundlicher,  und  die 
Inquisition,  welche  sich  nicht  scheute,  auch  die  Engländer  in 
ihr  Bereich  zu  ziehen,  führte  zwar  nicht  zum  Abbruch  des 
Handels,  war  aber  doch  eine  nie  versiegende  Quelle  von  Leiden 
für  die  englischen  Kaufleute4). 

Wenn  wir  dem  Gang  der  gegebenen  Entwickelung  folgen, 
so  tritt  recht  augenlällig  zu  Tage,  welche  Energie  die  eng- 
lischen Kaufleute  -gegen  Ende  des  Mittelalters  entwickelten. 
Lange  beherrschten  die  Catalonier  und  Gastilianer  im  gegen- 
seitigen Wettbewerb  den  Handel  nach  und  von  England,  Schritt 
für  Schritt  eroberten  aber  die  Engländer  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert einen  grossen  Antheil  vom  spanischen  Verkehr.  Dies 
Streben  kräftigst  zu  unterstützen,  war  der  Hauptkern  der  Politik 
der  beiden  ersten  Tudorsr 

Heinrich  VH.  kämpfte  fast  während  der  ganzen  Regierungs- 
zeit, um  die  von  Eduard  IV.  bewilligte  Gleichstellung  der  spa- 
nischen Kaufleute  mit  den  englischen  rückgängig  zu  machen  und 


hafen  versammeln  und  auf  Anregung  und  mit  Zustimmung  der  Kauf  leute, 
die  in  London  wohnten,  zweier  aus  Bristol  und  zweier  aus  Southampton 
einen  oder  mehrere  Rathe  erwählen  und  wieder  entfernen  nach  Beliehen. 
Diese  Rathe  durften  12  alte  und  erfahrene  Personen  zu  Beisitzern  ernennen 
und  diese  zusammen  waren  ermächtigt,  Steuern  zu  decretiren,  Verordnungen 
zu  machen  etc.    1.  Sept  1530.    (Brewer,  CaL  IV.  6654). 

l)  28.  Sept  1530.    Brewer,  CaL  IV.  6640. 

*)  Von  Karl  V.  am  2.  September  1538.  (Br.  M.  Cot  ton  Ms.  Vesp. 
C  VII.  fo.  59b,  60  und  Harfeian  Ms.  36  fo.  28).  Die  darauffolgende 
Wahl  fand  am  6.  Dez.  1538  statt,  und  die  Kaufleute,  zum  grösseren  Theil 
wohnhaft  in  Cadix,  erschienen  am  24.  April  1539  vor  einem  Notar  und  er- 
klärten, dass  sie  dem  gewählten  Consul  in  Allem  gehorchen,  auch  die  fest- 
gestellte Abgabe  von  1  %  für  alle  ein-  und  ausgeführten  Waaren  zahlen 
wollten.    (Br.  M.  Cotton  Ms.  Vesp.  C.  VII.  fo.  100.) 

•)  ürk.  Beil.  110. 

*)  Vgl.  die  Erzählung  des  Tho.  Perry  über  seine  Verfolgung  beiEllis, 
Original  letters  illustrative  of  English  history  II.  Ser.  Vol.  II.  S.  139 
nnd  Nicolas,  Acts  of  the  Privy  Council  VI.  S.  86;  ferner  den  Brief  Wiats 
an  Heinrich  VIII.  v.  7.  Januar  1540,  den  Basyngs  an  Essex  vom  15.  Juni 
1540  und  an  Lord  Southampton  vom  15.  August  1540.  State  P  ap  ers  VHI. 
S.  219,  352,  426.  1545  wurden  die  Waaren  von  Rieh.  Gresham  und  an- 
deren Kaufleuten  in  Spanien  beschlagnahmt;  auch  beraubten  englische  und 
spanische  Schiffahrer  einander  auf  der  See  in  diesem  und  im  folgenden 
Jahre.  Br.M.Harl.Ms.256,  fo.  15.  68.  69.  70.  182.  Sieh  auch  obenS.  103. 


—    282    — 

gleichzeitig  die  Navigationsacte  gegen  die  Spanier  aufrecht  zu 
erhalten.  Die  nahen  verwandtschaftlichen  Beziehungen,  die 
spanischen  Repressalien,  sowie  die  ungünstige  Beurtheilung  des 
englischen  Handels  durch  eine  grosse  Zahl  Spanier  überhaupt, 
bewogen  endlich  Heinrich  Vn.,  seinen  Widerstand  aufzugeben. 
Der  König  durfte  dies  um  so  unbesorgter  thun,  als  durch  die 
Entdeckung  und  Eroberung  der  neuen  Welt  der  spanischen 
Schiffahrt  eine  neue  sie  hinlänglich  beschäftigende  Aufgabe  zu- 
gewiesen wurde. 

Man  darf  als  sicher  annehmen,  dass  dieses  Moment  auch 
die  in  der  Zeit  Heinrichs  VIEL  immer  wieder  lautbar  werden- 
den spanischen  Stimmen  für  Flotten-  und  Indusrieschutz  be- 
deutend abschwächte,  und  dass  es  in  Folge  dessen  den  englischen 
Kauf  leuten  so  leicht  glücken  konnte,  eine  Handelsniederlassung 
auf  spanischem  Boden  zu  gründen.  Eben  dieser  Umstand  befä- 
higte zum  nicht  geringsten  Theil  die  englische  Regierung,  die  Pri- 
vilegien der  Engländer  in  der  Hauptsache  zu  erhalten  und  ins- 
besondere das  englische  Consulat  zur  unumwundenen  Anerken- 
nung zu  bringen.  Diese  von  der  Macht  des  Inselreiches  ge- 
haltenen Schutzmauem  vermochte  weder  die  oftmalige  zwischen 
beiden  Ländern  ausbrechende  Feindschaft  noch  die  Inquisition 
hinwegzuschwemmen.  Die  englischen  Kaufleute  blieben  im 
Besitz  eines  Marktes,  der  wegen  der  Ansammlung  der  aus  der 
neuen  Welt  herüberströmenden  Edelmetalle  und  der  in  Spa- 
nien zuerst  eintretenden  Preissteigerung  für  den  Absatz  der 
englischen  Manufacte  immer  vorteilhafter  sich  gestaltete. 


Sechstes  Capitel. 

England  und  Portugal. 


Portugal  besass  im  mittelalterlichen  Verkehr  bei  weitem 
nicht  die  Bedeutung  wie  die  spanischen  Gebiete.  Das  Land 
hatte  mit  der  Armuth  zu  kämpfen,  und  die  Bewohner  waren 
frühzeitig  genöthigt,  zur  See,  namentlich  durch  Fischerei  sich 
einen  grössern  Unterhaltsspielraum  zu  verschaffen1).  Doch 
hatten  die  Portugiesen  einigen  Ueberfluss  an  gewissen  Waaren, 
die  zum  Austausch  gegen  die  Producte  Englands  sich  eig- 
neten. Der  Verfasser  des  Büchleins  von  der  englischen  Staats- 
klugheit  sagt: 

Sie  führen  Oel,  Wachs,  Feigen,  Korn  und  Wein 
Rosinen,  Corduan.  Honig  bei  uns  ein, 
Salz,  Datteln,  Felle,  derlei  Waaren  mehr.8), 

Der  Verkehr  zwischen  beiden  Ländern  begann  sehr  früh. 
1274  werden  portugiesische  Kaufleute  erwähnt,  die  auf 
einer  Reise  nach  England  begriffen  sind,  und  gleichzeitig  kamen 
englische  Händler  nach  Lissabon8).    Der  verständigen  Gesetz- 


*)  Hierin  lag  auch  ein  Grund  mit  für  die  späteren  Entdeckungen  der 
Portugiesen.  Bereits  Karl  V.  erkannte  das,  wenn  er  auch  seiner  Anschau- 
ung in  Folge  der  Umstände,  unter  denen  sie  ausgesprochen  wurde,  eine 
ögenthumliche  Wendung  gab:  „The  very  povertie  of  your  countrey  of 
Portagale  is  suche,  that  of  yourselfes  you  oe  not  able  to  live,  wherefore 
of  necessitie  you  were  driven  to  seke  livyng;  for  landes  of  princes  you 
were  not  able  to  purchase  and  lande  of  lordes  you  were  not  able  to  con- 
qnere.  Wherefore  on  the  sea  you  were  compellea  to  seke  that,  which  was 
not  found.  And  where  you  say,  that  you  have  found  landes,  I  say  those 
ludet  found  you  by  shipwrekes  of  the  sea  beyng  cast  theron,  before  you 
thontht  of  any  such  ground,  and  so  sought  farther  for  succours  in  necessitie, 
jet  they  say  not,  that  you  have  them  wonne,  but  they  ha?e  wonne  you  etc. 
Hall,  Chronicle  S.  677.    Brewer,  CaL  III.  2735. 

*)HertrbergB  Uebers.  Vers  182—184. 

^)  Schftfer,  Geschichte  von  Portugal  IL  S.  308—18,  gibt  eine  Ent- 
wicklung des  englisch-portugiesischen  Handels  bis  zum  15.  Jahrhundert 


—    284    — 

gebung  des  Königs  von  Portugal  Diniz  durfte  wohl  das  Haupt- 
verdienst für  die  Anknüpfung  dieser  Handelsbeziehungen  zu- 
fallen1). 

Der  einmal  begonnene  Verkehr  wurde  nicht  wieder  unter- 
brochen8), und  1308  konnte  der  König  von  England  bereits 
von  einer  alten  Freundschaft  zwischen  englischen  und  portu- 
giesischen Kaufleuten  sprechen8). 

Die  englischen  Besitzungen  in  Südfrankreich  trugen  dazu 
bei,  das  politische  wie  commercielle  Band  zwischen  beiden 
Reichen  fester  zu  knüpfen.  Besonders  fördernd  wirkte  auch 
die  Berufung  des  Genuesen  Manoel  Peganho  zum  Admiral  der 
portugiesischen  Flotte,  da  die  nächsten  Verwandten  desselben 
in  England  sehr  angesehen  waren  und  einflussreiche  Aemter 
bekleideten4).  Dadurch  war  den  portugiesischen  Schiffen  eine 
gute  Aufnahme  in  England  garantirt5). 

Der  erste  eigentliche  Handelsvertrag  auf  Gegenseitigkeit 
datirt  vom  Jahre  1353;  er  war  auf  50  Jahre  abgeschlossen, 
enthielt  jedoch  nur  allgemeine  Zusicherungen  und  bezog  sich 
nicht  auf  ganz  Portugal,  sondern  umfasste  blos  die  beiden 
Städte  Lissabon  und  Porto6).  Die  fünfzig  Jahre  waren  noch 
nicht  verflossen,  als  man  1386  einen  neuen  Tractat  einging, 
der  sich  auf  ganz  Portugal  erstreckte  und  eine  noch  innigere 
Feundschaft  zwischen  beiden  Reichen  bezweckte7).  Diese 
wurde  kurz  darauf  durch  ein  Ehebündniss  des  portugiesischen 
Königs  Johann  mit  der  Tochter  des  Herzogs  vonLancaster  vom 


*)  Vgl.  Schäfer  a.  a.  0.  I.  S.  807—17  über  die  Staatsverwaltung 
des  Diniz. 

*)  Rymer  II.  S.  627.  691.  Ueber  das1  Benehmen  der  Londoner  gegen 
die  Portugiesen  vgl.  jedoch  Lib.  Alb.  ed  Riley  S.  720;  sieh  auch  S.  540, 
541,  628. 

*)  „De  foedere  unionis  et  amoris,  quod  inter  vestros  et  nostros  merc&- 
tores  hactenus  extitit".  Rymer  III.  S.  107.  Daselbst  wird  den  portugie- 
sischen Kautleuten  die  Erlaubniss  zum  Handel  ertheilt. 

*)  Rymer  IIL  S.  676  und  IV.  S.  524. 

*)  Rymer  IV.  S.  517,  769;  V.  S.  372,  402,  740,  756. 

e)  Die  Artikel  lauten:  1)  Gutes  Einverstandniss  und  Bündnisa  soll 
auf  50  Jahre  bestehen.  2)  Keine  Partei  soll  der  andern  irgend  weichin 
Schaden  zufügen  oder  eine  Allianz  zum  Schaden  der ,  andern  eingehen.  3) 
Gegenseitig  freier  Verkehr  mit  jeglichen  Waaren.  Alle  Zwistigkeiten  sollen 
abgethan  sein,  und  geschieht  ein  Unrecht,  so  soll  es  von  den  Regenten 
oder  „Grauntz"  wieder  gut  gemacht  werden.  Die  geschadigte  Partei  muss 
für  die  Verfolgung  der  Klage  ihre  Auslagen  ersetzt  erhalten,  und  ist  Nichts 
vorhanden,  so  soll  der  Uebelthater  mit  seiner  Person  büssen.  4)  Einzelne 
Verletzungen  haben  keinen  Vertragsbruch  zur  Folge.  5)  Bei  Eroberung 
einer  Stadt  oder  Wegnahme  von  Schiffen  wird  man  die  Güter  dar  Portu- 
giesen, bezw.  Englander  schützen.  6)  Die  Bewohner  von  Lissabon  und 
Porto  dürfen  in  den  Hafen  Englands  und  der  Bretagne  frei  und  ungehindert 

Segen  Zahlung  der  Zölle  und  Abgaben  fischen.    Rvmer  V.  S.  763.    Wie 
er  Vertrag  bald  praktisch  wurde,  vgl.  Rymer  VI.  S.  14.   Neubestitigongen 
erfolgten  16.  Juni  1373  und  5.  Juli  1380.    Rymer  VIL  S.  15.  262. 
*)  12.  August  1386.    Rymer  VIL  S.  561. 


—    285    — 

2.  Februar  1387  besiegelt.  Die  Bestimmung,  dass  der  Vertrag 
bei  jedem  Regierungswechsel  neu  bestätigt  werden  müsse, 
wurde  genau  erftfflt *).  Sprechen  schon  diese  Documente  deut- 
lich für  die  Existenz  eines  regen  Verkehrs,  so  wird  uns  der- 
selbe doch  auch  noch  von  anderer  Seite  bestätigt.  In  der  „In- 
quisition taken  at  Queen borow"  vom  Jahre  1375  sind  auch  die 
Matrosenlöhne  für  die  gewöhnlichsten  Routen  festgesetzt.  Ausser 
Bayonne,  Bordeaux,  Rochelle,  Bourgneuf  Bay ,  Irland,  Calais, 
Flandern,  Skone  (in  Schottland),  Newcastle-upon-Tyne,  Berwick 
ist  nur  noch  Lissabon  als  eines  der  Reiseziele  aufgeführt  *). 

Selbstverständlich  konnten  bei  so  lebhaften  Handelsbe- 
ziehungen die  allgemeinen  völkerrechtlichen  Sätze,  wie  sie  die 
Verträge  enthielten,  den  Engländern  nicht  genügen.  Die  Ver- 
tragsbestimmungen waren  nur  der  äussere  Rahmen,  innerhalb 
dessen  sie  erst  bestimmte  positive  Vortheile  sich  verschaffen 
mussten.  Das  letztere  war  aber  um  so  notwendiger,  als  der 
englische  Activhandel  ohne  solche  Stützen  die  Goncurrenz  mit  an- 
dern Seefahrern  und  Kauf  leuten  noch  nicht  ganz  bestehen  konnte. 

Drei  Umstände  kamen  mit  der  Wende  des  14.  Jahrhun- 
derts den  Wünschen  der  Engländer  entgegen.  Einmal  war 
die  portugiesische  Regierung  seit  längerer  Zeit  bemüht,  durch 
verschiedene  Massregeln  Kaufleute  aus  den  blühendsten  See- 
städten nach  Portugal  zu  ziehen,  den  Verkehr  und  damit  die 
Zolleinnahme  zu  steigen! 3).  Sodann  waren  die  beiden  Dy- 
nastien verschwägert,  insofern  der  König  von  Portugal  eine 
Schwester  Heinrichs  IV,  Philippa,  zur  Gemahlin  hatte.  Endlich 
zeigte  sich  England  immer  bereit,  Portugal  gegen  seine  Feinde 
zu  schützen  und  hatte  sich  ihm  besonders  in  dem  Kampfe  gegen 
Castilien  angeschlossen 4). 


*)  16.  Februar  1404.  (Rymer  VIII.  S.  34);  18.  Februar  1486  durch 
Heinrich  VI.  von  England.  (Rymer  X.  S.  631);  11.  September  1439  durch 
König  Alphons  V.  von  Portugal  und  28.  Januar  1440  durch  Heinrich  VI. 
von  England.  (Rymer  X.  735  und  752);  11.  März  1472  durch  Eduard  IV. 
Ton  England  und  30.  August  1472  durch  Alphons  von  Portugal.   (Rymer 

XI.  S.  741):  8.  Februar  1482  durch  Johann  von  Portugal  und  13.  Sep- 
tember 1482  durch  Eduard  IV.  von  England.  (Rymer  XII.  S.  145 
und  163);  25.  Juni  1484  durch  Richard  III.  von  England.  (Rymer  XII. 
S.  228);  18.  Dezember  1489  durch  Heinrich  VII.  von  England.    (Rymer 

XII.  S.  380).  In  den  Bestätigungen  werden  Eduard  III.  uud  Heinrich  IV. 
faat  immer  erwähnt. 

*)  TraversTwiss,  The  black  book  of  admiraltyl.  139— 143.  —  Ueber 
den  Handel  der  Portugiesen  nach  Irland  sieh  Rot.  Pari.  III.  S.  86. 
(137980). 

*)  S.  Wappaeus,  Untersuchungen  über  die  geographischen  Ent- 
deckungen der  Portugiesen  unter  Heinnch  dem  Seefahrer.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  des  Seehandels  und  der  Geographie  im  Mittelalter.  Bd.  I.  S. 
3o4fg. 

4)  Daher  kommt  es ,  dass  England  auch  in  den  Waffenstillstand  1404 
mit  aufgenommen  ist;  vgl.  besonders  Walsingham,  Historia  Anglicana 
ed.  Riley  1864  II.  S.  134  und  135. 


—    286    - 

Johann  ertheilte  mit  Rücksicht  auf  diese  innige  Freund- 
schaft den  englischen  Kaufleuten  am  10.  August  1400  das 
Recht  der  meist  begünstigten  Nation  und  stellte  sie  mit  den 
Genuesen  gleich1).  Da  Genua  eine  sehr  alte  Handelsmacht 
war,  die  sich  ihre  Privilegien  erhalten  und  fortgebildet  hatte, 
so  ist  der  Schluss  berechtigt,  dass  die  den  Engländern  er- 
wiesene Gunst  keine  geringe  war.  Der  König  hebt  auch  aus- 
drücklich hervor,  dass  er  den  Engländern  damit  einen  neuen 
Beweis  seiner  Huld  geben  wolle,  nachdem  er  ihnen  schon  vorher 
Privilegien  ertheilt  habe. 

Wir  kennen  nicht  den  ganzen  Umfang  dieser  Freiheiten, 
aber  wir  wissen,  dass  sie  von  jeglicher  Steuer  und  von  allen 
persönlichen  Diensten  befreit  waren,  dass  kein  Polizeibeamter 
in  ihre  Wohnungen  eintreten  durfte,  es  sei  denn,  dass  die 
Justizbeamten  einen  Uebelthäter  verfolgten,  der  auf  frischer 
That  ertappt  worden  war;  dass  nur  der  vom  König  ihnen  spe- 
ciell  zugewiesene  Richter  sie  ins  Gefängniss  setzen  und  über- 
haupt Mandate  gegen  sie  erlassen  und  vollstrecken  durfte; 
dass  sie  zu  jeder  Zeit  des  Tages  und  der  Nacht  Waffen  tragen 
und  mit  ihnen  überall  hin  sich  begeben  konnten2). 

Allein  trotz  dieser  und  ähnlicher  Rechte  verstummten  die 
Klagen  der  Engländer  nicht.  Namentlich  waren  sie  mit  den 
Zollbeamten  und  den  Bediensteten  der  Lagerräume  gar  nicht 
zufrieden.  Die  Bestellung  oder  Neuernennung  eines  eigenen 
Richters,  der  über  alle  Dinge,  die  das  Zollhaus  und  Streitig- 
keiten  der  Engländer  mit  den  Portugiesen  betrafen,  entscheiden 
sollte,  und  der  ausdrücklich  angewiesen  war,  die  Engländer 
soviel  wie  möglich  zu  begünstigen  (1450) s),  scheint  nicht  den 
erwarteten  Erfolg  gehabt  zu  haben. 

Erst  im  Jahre  1458  wurde  vollständig  das  geschaffen,  was 
die  Engländer  wünschten.  In  einer  ausführlichen  Bittschrift 
von  42  Artikeln  hatten  sie  ihre  Beschwerden,  die  meist  die 
Willkür  der  Beamten  betrafen,  dargelegt.  Indem  der  König 
fast  all  ihren  Klagen  Rechnung  trag,  bildete  diese  Bittschrift 
mit  den  dazu  gefügten  Erlassen  gewissermassen  den  Schluss- 
punet  der  englischen  Privilegien  in  Portugal.  Das  Document 
wurde,  wie  dies  die  späteren  bis  gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts fortgesetzten  Bestätigungen  bekunden,  als  eine  der 
wesentlichsten  Grundlagen  und  Voraussetzungen  für  den  eng- 
lischen Handel  nach  Portugal  betrachtet4). 

*)  Postlethwayt,  The  universal  dictionary  of  trade  and  commerce. 
4th  ed.    London  1774  unter  dem  Artikel  Treaties. 

»)  A.  a,  0. 

8)  A.  a.  0. 

*)  Indem  ich  auf  Urk.  Beil.  112  verweise,  begnüge  ich  mich,  ftr 
diejenigen  Leser,  welche  des  Portugiesischen  nicht  machtig  sind,  kurz  einige 
Puncte  anzudeuten,  über  welche  die  Englander  Beschwerde  rührten:  Die 
Zollbehörden  visieren  in  Abwesenheit  der  Kaufleute  die  Waaren  und  ent- 
wenden dabei  einen  Theil  derselben.    Man  bevorzugt  bei  der  Zehntent- 


—    287    — 

Von  grösster  Bedeutung  war  es,  dass  die  Engländer  be- 
reits gegen  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  den  Besitz  so 
umfassender  und  ausgedehnter  Rechte  gelangt  waren.  Eine 
grosse  Wendung  der  handelspolitischen  Stellung  Portugals  trat 
in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  ein.  Durch  die 
Entdeckungen,  welche  die  kühnen  Seefahrer  des  kleinen  Lan- 
des machten,  schwang  Portugal  sich  zum  ersten  Handelsstaat 
der  Welt  empor,  der  ebenso  sehr  angestaunt  als  beneidet 
wurde 1).  Der  Verkehr,  den  die  Länder  des  Mittelmeers  bisher 
inne  hatten,  ging  jetzt  in  seine  Hände  über. 

richtung  andere  später  gekommene  Kaufleute  und  läset  die  englischen  oft 
8—14  Tage  warten.    Der  Hausmeister  für  das  Waarenlager  verwehrt  den 
Engländern  den  Eintritt,  so  dass  sie  nicht  zu  ihren  Waaren  kommen  können, 
schliesst  das  Thor   und  prügelt   sie  sogar.    In  Folge  der  Fahrlässigkeit 
des  Hausmeisters  wird  häufig  ihnen  Tuch  gestohlen.    Viele  zum  Theil  an- 
gesehene Leute  besuchen  die  Bediensteten  im  Lagerhaus,  und  suchen  sich 
entweder  im  Voraus  die  besten  Waaren  aus  oder  ziehen  die  Beamten  von 
der  Erfüllung  ihrer  Obliegenheiten  ab.    Die  Bediensteten  halten  ihre  Stun- 
den nicht  ein.    Man  hat  eine  Verordnung  erlassen,  wonach  nur  4  Käufer 
und  4  Verkäufer  gleichzeitig  im  Waaronhaus  sich  befinden  dürfen.    Dies 
wird  benutzt,    um  bekannte  Kaufleute  zn  bevorzugen,    während  Andere 
warten  müssen.    Die  Juden  werden  von  den  Beamten  auffallig  begünstigt. 
I>ie  Bediensteten   schädigen  die  Kaufleute,  indem  sie  den  Käufern  statt 
10  Ellen  auf  100  oft  15,  18  oder  20  zugeben.    Sie  bitten  dahin  zu  wirken, 
dass  die  Makler  (correitores)  jeden  Verkauf  notiren,  die  Waaren  innerhalb 
8  Tage  nach  dem  Verkauf  abgeholt  und  nach  weiteren  8  Tagen  bezahlt 
werden.   Oft  kauft  ein  Angehöriger  des  Waarenhauses  für  sich  Tuch,  wobei 
ihm  der  Beamte  reichlich  zumisst,  was  Raub  ist.  Gerichtstermine  werden  oft 
nicht  angesagt   Man  verlangt  für  den  Wein  zu  viel  Zoll,  oft  1500  Reis,  und 
das  erst  im  Augenblick  der  Abfahrt,  wo  man  Alles  zahlt,  um  nur  nicht 
aufgehalten  zu  werden.   Man  verzögert  in  sonstiger  Weise  die  Abfahrt,  gibt 
den  Dechargeschein  nicht  zur  rechten  Zeit.    Die  Beamten  verweigern  die 
Annahme  mancher  portugiesischer  Münzen.    Die  Kaufleute  werden,  wenn 
sie  Nachts  heimkehren,  oft  insultirt  und  wie  Landstreicher  behandelt.    Sie 
verlangen  eine  Uferwache.    Sie  bitten,   künftig  nicht  mehr  für  englische 
Diebe  Schadensersatz  leisten  zu  müssen,  werden  aber  hiemit  abgewiesen. 
Sie  verlangen  die  Aufstellung  eines  von  ihnen  bezahlten  Rechtsanwaltes. 
Wenn  die  Kauf  leute  ankommen,  wissen  sie  nicht,  wer  die  kgl.  „rendeiros" 
sind,  als  die  sich  besonders  die  Juden  geriren,  diese  kaufen,  und  wenn  sie 
zahlen  sollen,  leugnen  sie  ab.    Die  „rendeiros"  suchen  sich  das  beste  Tuch 
aas,  10—12  von  ihnen  sind  die  Pächter  des  Waarenhauses  und  beeinflussen 
die  Richter.    Der  Richter  des  Waarenhauses  will  den  Juden  zu  lieb  am 
Samstag  nicht  seines  Amtes  walten.    Die  Käufer  wollen  sich  nicht  beim 
Kaufe,  sondern  erst  hinterher  über  die  Qualität  des  Tuches  informiren. 
Tuch,  über  das  Streit  entsteht,  soll  vor  den  Richter  gebracht  werden.  Der 
Streit  soll  sofort  geschlichtet  werden.    Bei  den  grossen  Tuchmessen  soll 
sich  der  Richter  selbst  in  die  Verkaufshalle  begeben.  Man  bittet,  dass  auch 
im  Winter  die  Bediensteten  um  6  Uhr  früh  kommen,  weil  in  den  Winter- 
monaten der  meiste  Verkehr  ist.    Man  hält  nicht,  wie  bestimmt  ist,   die 
Zahlungstermine  ein;  'einige  zahlen  2—3  Monate  nicht,   der  Richter  aber, 
im  Einverständniss  mit  den  Schuldnern,  hält  die  klagenden  Kauf  leute  noch 
länger  hin. 

*)  Bekannt  auch  Luthers  Worte:  Engelland  sollte  wohl  weniger  Golds 
haben,  wenn  Deutschland  ihm  sein  Tuch  Hesse.  Und  der  König  von  Por- 
tugal sollt  auch  weniger  haben,  wenn  wir  ihm  seine  Würze  Hessen. 
Irmischer,  Luthers  Werke  Bd.  22.  S.  201. 


—    288    — 

Es  bedarf  keiner  nähern  Ausführung,  welche  Folgen  aus 
dieser  Thatsache  für  den  Handel  der  Engländer  entsprangen. 
Ausgestattet  mit  so  grossen  Freiheiten  konnten  sie  jetzt,  wo 
Portugal  das  Emporium  der  viel  begehrten  indischen  Producta 
wurde,  dem  bisher  schon  gewinnreichen  Handel  bedeutend 
grössere  Dimensionen  geben.  Die  Zahl  der  englischen  Kauf- 
leute in  Portugal  war  fortwährend  im  Wachsen  *)  und  nicht 
selten  waren  ihre  Geschäfte  so  ausgedehnt,  dass  sie  selbst  noch 
portugiesische  Schiffe  miethen  mussten  *). 

Dabei  kamen  so  gut  wie  keine  handelspolitischen  Diffe- 
renzen vor.  Die  Engländer  hatten  ja  alle  Vortheile,  die  sie 
sich  nur  wünschen  konnten,  und  in  Portugal  war  bei  den 
grossen  Unternehmungen  in  die  man  verwickelt  war,  auch  nicht 
im  Entferntesten  eine  Beschränkung  der  Freiheiten  zu  fürch- 
ten3). Anstandslos  bestätigten  die  Könige  von  Portugal  die 
Privilegien  der  Engländer4).  Aber  umgekehrt  wurden  auch 
die  Portugiesen  freundlich  und  liberal  in  England  behandelt6), 
und  die  Worte,  mit  denen  der  Libell  of  Englishe  Policye  den 
englisch-portugiesischen  Verkehr  preist,  kann  man  auch  für 
die  Zeit  der  Tudors  gelten  lassen: 

Dem  Portugiesen  schenken  wir  Vertraan; 
Er  lässt  sich  oft  am  Markt  in  England  schaon. 
Mit  uns  befreundet  sind  die  Handelsherrn. 
Und  wir  Englander  gehn  zu  ihnen  gern6). 

Das  Monopol  Portugals  auf  den  indischen  Handel  hätte 
zwar  auch  England  gerne  beeinträchtigt.  Die  Theilnahme  der 
Engländer  an   den  Entdeckungen  hatte  ja  hierin  ihr  Haupt- 


*)  Als  1489  eine  englische  Gesandtschaft  nach  Lissabon  kam,  traf  sie 
Thom.  Smith,  Thom.  Tirry,  Will.  Cabol,  Thom.  Baker  und  andere  Kauf» 
lente  aas  London,  dazu  noch  eine  Anzahl  Bristoler,  die  sich  vorzugsweise 
mit  Verladung  von  Zucker  abgaben  und  theils  eigene,  theils  fremde  Schiffe 
hiezu  benatzten.  Machados  Tagebuch  über  die  Gesandtschaft  nach  Spanien 
und  Portugal,  abgedr.  in  der  Historia  regia  Henrici  VII.  a  Bern.  Andrea 
Tholosate  conscripta  ed.  Gairdner  S.  196. 

*)  Sieh  auch  Hakluyt,  The  principal  navigations  etc.  IL  S.  96. 

")  ürk.  Beil.  112.  Die  eine  Bestätigung  unter  Heinrich  VIII.  ist 
von  1516,  die  andere  von  1536.  Die  portugiesische  Gesandtschaft,  die 
wir  1517  in  England  finden  und  deren  Vertreter  bei  dem  bekannten  Auf- 
stand in  London  fast  sein  Leben  verlor,  war  wohl  behufs  Bestatigungder 
alten  Vertrage  gekommen.  (Rymer  enthalt  diese  noch  von  Heinrich  vH, 
aber  nicht  mehr  die  von  Heinrich  VIII.  Ebenso  giebt  Brewer  in  seinen 
Calendars  keinen  Ausschluss). 

*)  Ich  erinnere  nur  daran,  wie  damals  auch  die  Deutschen  ihre  meisten 
und  besten  Privilegien  von  Portugal  erst  erhielten.  Ph.  Cassel,  Privflegia 
und  Handlungsfreiheiten,  welche  die  Könige  von  Portugal  ehedem  den 
deutschen  Kaufleuten  zu  Lissabon  ertheilet  haben.    Bremen  1771. 

*)  Zur  Zeit  als  die  Venetianer  noch  in  England  prävaürten,  war  dies 
besonders  der  Fall.  Als  1503  nicht  weniger  denn  5  portugiesische  Schiffe 
in  der  Themse  mit  380  Tonnen  Specereien  von  Calicut  zum  grossen  Gram 
der  anwesenden  Venetianer  Galeeren  lagen,  war  die  Schadenfreude  in  England 
sehr  gross.  Giustinian,  Four  years  at  the  court  of  Henry  VHI  transl. 
by  R.  Brown  IL  S.  76.  Anm.  1. 

6)  Hertzbergs  Uebers.  Vers  128 — 1:31. 


—     289    — 

motiv.  Direct  störte  jedoch  dieses  Streben  nach  einem  Antheil 
des  Gewürzhandels  keineswegs  die  guten  Beziehungen.  Der 
portugiesische  König  forderte  die  Engländer  auf,  nach  Portugal 
zu  kommen  und  sich  selbst  da  die  Gewürze  zu  holen,  anstatt 
sich  dieselben  von  Venedig  zubringen  zu  lassen *).  Eng« 
lands  Wünsche  gingen  über  bescheidene  Anforderungen  nicht 
hinaus.  1516  bat  Heinrich  VIII.  Manoel ,  dem  Engländer  Jo- 
hannes Wallop  zu  gestatten,  dass  er  unter  portugiesischer  Fahne 
in  den  neuen  Ländern  kämpfe2).  1530  stellte  Heinrich  eine 
ähnliche  Bitte  in  Betreff  des  Kapitäns  Franciscus  de  Matonte 3). 
1541  aber  benützte  die  englische  Regierung  das  Nachsuchen 
Portugals  um  eine  Licenz  für  Getreideausfuhr4),  um  die  For- 
derung zu  stellen,  der  König  von  Portugal  möge  als  Compen- 
sation  einigen  englischen  Kaufleuten  gestatten  an  der  nächsten 
Fahrt  nach  Calicut  Theil  zu  nehmen  und  England  mit  Ge- 
würzen zu  versehen5). 

Die  im  Vorstehenden  dargelegten  Handelsbeziehungen  Eng- 
lands zu  Portugal  sind  abermals  ein  Beweis  für  die  ener- 
gische Thätigkeit,  die  englische  Kaufleute  im  Beginn  des  15. 
Jahrhunderts  entwickelten,  um  sowohl  am  Handel  einen  grossen 
Theil  sich  zu  sichern,  als  auch  hier  wie  in  Spanien  eine  pas- 
sende Haltstelle  für  die  ins  Mittelmeer  segelnden  Schiffe  zu 
gewinnen.  Indem  die  Engländer ,  von  ihren  Monarchen  und 
der  traditionellen  Freundschaft  Englands  mit  Portugal  kräftigst 
unterstützt,  in  ihrem  Streben  Erfolg  hatten,  so  ist  auch  offen- 
bar, dass  die  Handelsherrschaft  Englands  in  Portugal  nicht 
erst  vom  Methuenvertrag  datirt.    Bereits  im  15.  Jahrhundert 

2)  Dieser  Aufforderung  geschieht  Erwähnung  in  einer  Depesche  der 
venetianischen  Signorie  an  Sanudo  in  Kairo  vom  14.  Dezember  1502. 
Fulin,  Archiv,  venet.  II.  S.  184.  Uebrigens  brachten  auch  die  Portugiesen 
selbst  Gewürze  nach  England;  bereits  1504  erschienen  5  portugiesische 
Schiffe  in  London  mit  380  Tonnen  Pfeffer.    Brown,  Cal.  I.  S.  «00. 

*)  Eine  Copie  des  Briefes  findet  sich  imR.  0.  unter  Rymers  Trans c. 
Forein  Countries.    Portugal  154.  Nr.  60. 

*)  A.  a.  Ö.  Offenbar  war  der  Zweck,  dass  beide  genau  über  die  Ver- 
hältnisse sich  unterrichten  sollten. 

*)  1541  ist  eines  der  vielen  Nothjahre  (vgl.  auch  Rymer  XV.  S.  84), 
die  Portugal  hatte,  seit  im  16.  Jahrhundert  durch  den  Zufluss  der  grossen 
Reichthümer  von  Aussen  im  Innern  Portugals  eine  stete  Abnahme  der  ein- 
heimischen Production  eintrat,  insbesondere  der  Boden,  den  frühere 
Herrscher  theils  durch  weisen  Zwang  hatten  cultiviren  lassen,  verdorrte 
und  in  Folge  der  mangelnden  Arbeitskräfte  wüste  ward. 

*)  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  of  the.Privy  Council.  VI.  14. 
October  1541.  Der  portugiesische  Gesandte  hielt  die  Sache  für  so  wichtig, 
dass  er  erst  bei  seinem  Herren  anfragen  wollte.  Ob  die  Bitte  gewährt 
wurde,  und  ob  die  Beraubungen  und  die  Heimsuchung  der  portugiesischen 
Kaufleute  mit  Preistaxen  (Nicolas  a.  a.  0.  VI.  S.  110,  174)  mit  Ver- 
weigerung früherer  ähnlicher  Wünsche  der  Engländer  zusammenhingen,  muss 
unentschieden  bleiben.  Ueber  die  Schwierigkeiten,  die  der  portugiesische 
König  von  Anfang  an  machte,  wenn  Kaufleute  an  den  von  ihm  ausgerüs- 
teten Expeditionen  sich  betheiligen  wollten,  vgl.  He  yd,  Geschichte  des 
Levante-Handels  im  Mittelalter  1879.  II.  S.  521  fg. 

Schanz,.  Engl.  Handelspolitik.    I.  19 


/ 

—    290    — 

gehören  die  Engländer  zu  den  meistprivilegirten  Nationen  in 
Portugal,  und  im  16.  Jahrhundert  wurde  ihre  Suprematie  nur 
noch  vollendet  Die  schwachen  industriellen  Keime  wurden 
damals  zerstört  und  der  englischen  Industrie  die  Thore  ge- 
öffnet1). Die  häufige,  in  der  Folgezeit  geleistete  politische 
Hilfe  Hess  sich  England  mit  immer  grösseren  Rechten  be- 
lohnen, und  die  Entwicklung  der  modernen  Zeit  war  damit 
vorgezeichnet. 


1 


*)  Wie  nach  dem  Tode  Manoels  die  Portugiesen  Alles  aus  dem  Steg- 
reif kauften,  sieh  Schäfer  III.  S.  323  fg. 


Siebentes  Capitel. 

England  und  Frankreich. 


Es  ist  bekannt,  dass  der  französische  Staat  zu  dem  Um- 
fange, den  er  zur  Zeit  der  Tudors  besass,  aus  vielen  ehedem 
mehr  oder  weniger  unabhängigen  Theilen  zusammengewachsen 
war.    Diese  Gebiete  knüpften  zur  Zeit  ihrer  Selbständigkeit 
je   nach  ihren  natürlichen  und  politischen  Verhältnissen  mit 
England  sehr  verschiedene  Beziehungen  an,  die  von  der  fran- 
zösischen Regierung   nicht   sofort  geändert   werden  konnten, 
sondern  im  Zustande  der  Verschmelzung  sich  befanden,  seit 
diese  Landestheile  im  französischen  Reiche  aufgegangen  waren. 
Aus  diesem  Grunde  empfiehlt  es  sich,  nicht  ganz  Frank- 
reich auf  einmal  in  der  bisher  eingehaltenen  chronologischen 
Reibenfolge  abzuhandeln,  sondern  zunächst  denjenigen  Theilen 
der  französischen  Monarchie,  welche  ein  politisches  Eigenleben 
oder  eine  besondere  Entwicklung  und  gleichzeitig  hervorragen- 
den commerciellen  Verkehr  mit  England  hatten,  eine  gesonderte 
Darstellung  zu  widmen  und  erst  zuletzt  diejenigen  Verhältnisse 
zu  berühren,   die  ganz  Frankreich  betrafen.    Nur  in  dieser 
Weise  dürfte  es  gelingen,  diese  eigentümlichen  Beziehungen 
leicht  zu  überblicken. 

In  Folge  der  geographischen  Lage  musste  der  Verkehr 
mit  dem  nördlichen  Frankreich  der  älteste  sein.  Schon  die 
um  das  Jahr  1000  gemachte  Aufzeichnung  de  institutis  Lon- 
doniae  führt  unter  den  Kaufleuten,  die  in  England  verkehrten, 
die  Leute  von  Ponthieu,  von  der  Normandie  und  dem  Herzog- 
thum  Francien  auf1).  Die  Herrschaft  der  Nonnannen  in  Eng- 
land war  geeignet,  diesem  Verkehr  eine  gewisse  Ausdehnung 
und  Stetigkeit  zu  geben.    Von  einem  eigentlichen  Handelsflor 


*)  Lappenberg,  -Stahlhof  S.  4  und  Urk.  Nr.  1. 

19  * 


—    292    — 

kann  man  jedoch  erst  im  13.  Jahrhundert  sprechen.  In  jener 
merkwürdigen  Zeit,  in  der  der  Handel  allerwärts  die  engen 
Fesseln  sprengte,  waren  es  die  Städte  des  nordöstlichen  Frank- 
reichs, welche  feste  Beziehungen  zu  dem  einsamen  Inselreich 
begründeten. 

Die  Erscheinung,  dass  gerade  hier  die  Initiative  ergriffen 
wurde,  kann  nicht  auffallen,  wenn  man  sich  erinnert,  dass 
diese  Städte  in  Gultur  und  industrieller  Entwicklung  ganz  auf 
gleicher  Stufe  mit  Flandern  standen  und  hinter  sich  die  be- 
rühmten französischen  Messplätze,  wie  Troyes,  Paris,  Provins, 
Lagny-sur-Marne,  Rheims,'  Bar-sur-Aube  hatten,  wo  Flamänder, 
Italiener,  Deutsche,  Franzosen  und  sonstige  Europäer  sich  be- 
gegneten *). 

Als  es  galt,  in  England  einen  festen  Haltepunkt  zu  ge- 
winnen, reichten  sich  die  Städte  der  Picardie  und  Flanderns 
die  Hand  und  vereinigten  sich  unter  dem  Namen  der  vlämi- 
schen  Hansa  von  London*).  Die  meisten  der  französischen 
Städte  hatten  in  England  noch  specielle  Vortheile  und  Frei- 
heiten, über  die  man  aber  noch  ganz  mangelhaft  unterrichtet 
ist8).  Die  ältesten  Rechte  konnten  wohl  Amiens,  Corby  und 
Nesle  geltend  machen4),  deren  Handelswaaren  Waid,  Knoblauch, 
Zwiebeln,  Wein,  dann  und  wann  auch  Korn  sie  den  Engländern 
unentbehrlich  erscheinen  Hessen. 


*)  Vgl.  namentlich  Bourquelot,  Etudes  sur  lea  faires  de  Champagne 
(Memoires  präsentes  pars  divers  savants  a  la  l'Academie  des  inscriptions. 
Part  2.    Antiquit&  de  la  France  T.  V.  part.  1.  2.) 

*)  Folgende  Städte  waren  hiebei  betheiligt:  „Bruges,  Dixmude,  Ypres, 
Ardenbourg  ou  Rodenbourg,  Oudenbourg,  Tournai,  Lille,  Orchies,  Farnes, 
Oostbourg,  Yzendyke,  Ter  Muiden,  Damme,  Thouront,  Bergues,  Bailleul  et 
Poperinghe;  Gand,  Douai,  Chalons,  Rheims,  Saint -Quentin,  Cambrai, 
Arras,  JPeronne, Huy,  Couvin,  Valenciennes ,  Saint  Omer,  Montreoil,  Abbe- 
ville,  Amiens,  Beauvais,  A  üben  ton  et  Provins."  Varenbergh,  Histoire 
des  relations  diploroatiques  entre  le  comte*  de  Flandre  et  l'Angleterre  an 
moyen  age.    Bruxelles  1874.    S.  149. 

8)  Sieh  auch  oben  S.  6. 

*)  Dieselben  reichten  mindestens  bis  ins  Jahr21287  zurück;  sie  wurden 
von  den  Londonern  um  hohe  Summ  verkauft.  Lib.  Cust  ed.  Rüey,  S.  64 fg. 
Als  in  Folge  der  Unduldsamkeit  der  Londoner  Bürgerschaft  diese  Franzosen 
in  viele  unangenehme  Zwistigkeiten  verwickelt  wurden,  fixirte  man  die 
Rechte  derselben  am  18.  Juli  1884.  Dieselben  lauteten:  1)  die  Bürger  von 
Amiens,  Corby  u.  Nesle  dürfen  ihren  Waid.  Knoblauch  und  ihre  Zwiebeln 
in  der  Stadt  ausladen  und  aufstapein,  2)  solche  ebensowohl  an  Fremde  als 
an  Londoner  Bürger  in  London  verkaufen,  Überhaupt  damit  in  der  für  sie 
vorteilhaftesten  Weise  handeln.  8)  Das  Gleiche  gilt  für  ihre  übrigen 
Waaren  mit  Ausnahme  von  Wein  und  Korn,  die  nur  an  Londoner  Borger 
verkauft  werden  dürfen.  4.  Sie  können  Gast  wirthschaft  halten  und  ihre  Ge- 
nossen aufnehmen,  müssen  aber  nach  Jahresfrist  London  verlassen.  5)  Die 
Kaufleute  sollen  ihre  alten  Freiheiten  gemessen,  d.  h.  sie  wählen  mit  den 
Londonern  gemeinsam  die  Messer  und  Makler  für  Waid.  6)  Der  Mayor  ist 
verpflichtet,  sie  bei  Erlangung  ihrer  Schuldgelder  zu  unterstützen.  7)  Es 
steht  ihnen  das  Versammlungsrecht  zu.  8)  Sie  sind  frei  von  Mauer-  und 
Pflastergeld.    Lib  er  Albus  ed.  Riley  I.  S.  418. 


—    293    — 

So  sehr  nun  auch  der  französische  Nordosten  im  englisch- 
französischen Handel  zu  Ende  des  13.  und  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts hervorragte,  so  ist  es  doch  unzweifelhaft,  dass  er  in 
der  Folgezeit  auch  nicht  im  Entferntesten  diesen  ehemaligen 
Glanz  aufrecht  zu  erhalten  im  Stande  war. 

Der  Ursachen  hiefür  gab  es  mehre.  Einmal  steckten  sich 
der  Handel  und  die  Schiffahrt  im  Lauf  der  Zeit  weitere  Ziele 
und  suchten  über  die  nächste  Nachbarschaft  hinauszukommen, 
sodann  verödeten  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  die  Messen  von 
Champagne,  und  es  verschwind,  wie  wir  bereits  wissen,  die 
vlämische  Hansa  in  den  zwanziger  Jahren  des  15.  Jahrhunderts, 
wodurch  die  französischen  Städte  den  Bückhalt  verloren,  end- 
lich verkümmerte  die  häufige  Feindschaft  zwischen  Frankreich 
und  England  gerade  diesen  Städten  die  gewährten  Freiheiten. 
So  kommt  es,  dass  diese  Pioniere  des  französisch  -  englischen 
Handels  unter  den  Tudors  keine  handelspolitische  Bolle  spielen. 


Ganz  anders  entwickelten  sich  die  Beziehungen  zu  Eng- 
land im  Nordwesten  Frankreichs,  in  der  Bretagne,  Hier  liegt 
ein  Landestheil  vor,  der  nicht  blos  wie  der  Nordosten  in  Folge 
der  allgemeinen  und  wirtschaftlichen  Zustände  eine  gewisse 
Einheit  bildete,  sondern  wir  haben  es  zugleich  mit  einem 
Kleinstaat  zu  thun,  der  bis  in  die  Zeit  der  Tudors  hinein 
seine  Selbständigkeit  wahrte. 

Wie  im  Osten,  so  war  sicherlich  auch  hier  die  Lage  für 
den  ersten  Verkehr  entscheidend.  Während  aber  dort  die  all- 
gemeine Staatspolitik  als  ein  Hemmniss  für  die  gedeihliche 
Weiterentwicklung  sich  erwies,  so  zeigte  sie  sich  hier  als  ein 
im  höchsten  Grade  begünstigendes  Element.  Die  Bretagne 
gehörte  der  ganzen  geographischen  Configuration  zufolge  not- 
wendig zum  grossen  französischen  Staatsgebiete.  Der  Erhaltungs- 
trieb zwang  ihre  Herrscher,  dieser  Naturnothwendigkeit  sich 
„entgegenzustemmen.  Aus  sich  war  die  Bretagne  zu  schwach, 
sie  konnte  der  Attractionskraft  des  französischen  Beiches  nur 
so  lange  Widerstand  leisten ,  als  ein  mächtiger  Freund  ihr 
seinen  Schutz  bot.  Diesen  suchte  und  fand  sie  naturgemäss 
in  England. 

Aus  diesem  Schutzbedürfniss  entwickelte  sich  eine  poli- 
tische Freundschaft  heraus,  die  für  die  Bretagne  fast  Abhängig- 
keit genannt  werden  konnte.  Aehnlich  wie  in  den  Niederlan- 
den das  Zusammenhalten  mit  dem  englischen  Könige  gegen 
Frankreich  für  den  Handel  so  bedeutsame  Folgen  hatte,  so 
war  es  auch  in  der  Bretagne  der  Fall.  Es  bildete  sich  ins- 
besondere ein  Vertragsverhältniss  *),  das  nahezu  mit  dem 
der  Niederlande   sich    deckte.     Die   mit   der  Bretagne    ab- 

»)  Yd.  für  das  15.  Jahrhundert  Rym er  VIIL  8.542(1408);  IX.  S.5U 
1417);  XI  S.  618  (1468). 


—    294    — 

geschlossenen  Tractate  kann  man  als  Copien  der  niederländi- 
schen Intercursus  betrachten1). 

Die  Zahl  der  von  der  Bretagne  gelieferten  Artikel  war 
nicht  gross: 

Als  Waaren  gehn  von  dort  und  gingen  ein: 
Batist  und  Segeltuch  und  Salz  und  Wein '). . 

Aber  diese  Producte  und  Manufacte  waren  sehr  wichtig- 
Für  Leinen,  grobes  wie  feines8),  war  die  Bretagne  Haupt- 
bezugsort; ebenso  für  Salz,  das  an  der  Meeresküste  daselbst 
gewonnen  wurde 4).    Zu  diesen  Waaren  gesellten  sich  zur  Zeit 


])  Vgl.  den  Tractatus  de  intercursu  mercandisarum,  der  am  2.  Juli 
1468  zwischen  Eduard  IV.  und  Herzog  Franz  auf  30  Jahre  abgeschlossen 
und  von  Heinrich  VII.  1486  erneuert  wurde,  mit  dem  Vorgänger  des  Magnus 
Intercursus,  dem  Vertrag  vom  5.  Juni  1467.    Rymer  XII.  S.  67—86. 

*)  Libell  of  Engl.  Policye,  Hertzbergs  üebers.  V.  152— 54. 

1  VgL  Parlamentsacte  21  Hen.  VIIL  c.  14  und  28  Hen.  VIH.  c  4. 

')  Das  Salz  wurde  namentlich  im  Hafen  Bay,  dem  heutigen  Bourgneuf 
Bay  geladen;  vgl.  Travers  Twiss,  The  black  book  of  the  admiralty  I.  S.139. 
lieber  die  Bedeutung  der  Salzproduction  in  der  Bretagne  mag  folgende 
Notiz  orientiren:  „Les  ventes  du  sei  y  (=  ä  Nantes)  depassaient  chaque 
annee  avant  la  Ligne  le  chiffire  de  cinq  cent  mille  tonneaux,  ce  qui  suppose 
un  mouvement  de  plus  de  deux  cent  mille  tonneaux."  Pitre  Chevalier, 
La  Bretagne  ancienne  et  moderne  1844.  S.  498.  Ausser  der  Bretagne 
kamen  für  die  Salzproduction  auch  die  übrigen  an  der  See  gelegenen  Pro- 
vinzen in  Betracht.  Rochelle,  sowie  Brouage  in  Saintonge  waren  Haupt- 
platze für  den  Salzhandel.  Es  mag  gleich  hier  darauf  hingewiesen  werden, 
wie  selbst  in  den  Vertragen  das  französische  Seesalz  eine  Rolle  spielt  Dem 
Tractat  von  1527  (Aug.)  zufolge  musste  Frankreich  einen  jährlichen  Tribut  an 
grobem  Salz  im  Werth  von  15  000  Kronen  (1  Krone  =-  35  Tours'scher  Schil- 
linge) während  der  Monate  Mai,  Juni  und  Juli  zu  Brouage  in  Saintonge 
geben  (Dumont,  Corps  diplom.  IV.  1.  S.476.  Art.  11.  Brewer,  Cal  Iv. 
3080).  Es  scheint,  dass  Franz  nicht  im  Stande  war,  diesen  Betrag  zu 
liefern.  Nachdem  die  englische  Regierung  mit  ihrem  Vorschlafe,  Frank- 
reich solle  England  40  Jahre  lang  jährlich  mit  40  000  Zentner  (der  Zentner 
=-  40  Bushel)  versehen,  wobei  England  sich  mit  einem  Gesammtzoll  von 
20  d  per  Ztr.  begnügen  wollte,  und  das  Salz  zu  5  d  per  Bushel  verkauft 
werden  sollte,  nicht  durchgedrungen  war,  verwandelte  man  die  Natural- 
lieferung  in  eine  Geldlieferung  (Dumont  IV.  2.  S.  74).  —  Sehr  merk- 
würdige Vorgänge  spielten  sich  wegen  des  Salzes  1542  in  Rochelle  ab.  Da 
ihr  Verlauf  rar  die  Engländer  nicht  gleichgültig  war.  so  dürfen  dieselben 
nicht  übergangen  werden.  Franz,  dem  die  grossen  Einnahmen,  welche  die 
Venetianer  aus  ihrem  Salze  zogen,  nicht  entgangen  waren  (vgl.  auch  Marino 
Cavallis  Bericht  1546  bei  Tommaseo,  Relations  etc.  I.  8.260),  wollte  zwar 
nicht  das  Salzmonopol  einführen,  aber  eine  grosse  Salzsteuerreform  ins  Leben 
rufen.  DieProducenten  sollten  20  Sous  vom  Ztr.  zahlen  und  die  Steuer  auf  den 
Preis  schlagen;  dadurch  rechnete  er  auf  eine  bedeutend  höhere  Einnahme; 
denn  bisher  war  die  Salzsteuer  um  4000  Mark  verpachtet  Aber  alle  seine 
Bemühungen,  den  Producenten  das  Einleuchtende  seiner  Theorie  beizubringen, 
scheiterten.  Er  drohte,  er  versprach  Freiheiten,  es  war  Alles  vergeblich. 
Wahrscheinlich  fürchteten  die  Salzproducenten ,  der  Salzhandel  Portugals 
werde  den  ihrigen  dann  überflügeln.  Schliesslich  wandte  der  König  Waffen- 
gewalt an,  und  die  Zollfrage  wurde  dann  so  gelÖBt,  dass  die  Producenten 
rar  100  Ztr.,  die  im  Kgr.  verkauft  wurden  812  J/i  Francs,  für  100  Ztr.,  die 
an  Fremde  abgegeben  wurden,  nur  121/*  Francs  zahlen  mussten.  Die  ganze 
Last  war  somit  auf  die  Franzosen  abgewälzt;  England  hatte  sein  billiges 
Salz  wie  früher  (State  Papers  IX.  S.  236  fg.). 


—    295    — 

der  Tudors  in  Folge  der  von  Franz  IL  zu  Vitro  und  Rennes 
errichteten  Manufacturen  noch  «Seidenwaaren  und  Tapeten1)« 
Umgekehrt  dienten  die  englischen  Producte  und  Gewerbs- 
erzeugnisse in  vorzüglicher  Weise  den  Bedürfhissen  der.  Bre- 
tonen. 

Im  15.  Jahrhundert,  namentlich  in  der  zweiten  Hälfte,  war 
der  Verkehr  zwischen  beiden  Ländern  für  damalige  Verhält- 
nisse ein  blühender8);  die  Bretagne  machte  um  jene  Zeit 
unter  ihrem  Herzog  Franz  H.  in  commercieller  Hinsicht  grosse 
Fortschritte,  sie  dehnte  ihren  Handel  bis  in  die  Levante  aus, 
knüpfte  neue  Beziehungen  mit  Portugal  (1459  und  1471),  mit 
den  Hansastädten  (1476  und  1478)  und  mit  Spanien  (1483) 
an3).  Sodann  verlor  sich  auch  gegen  Ende  des  bezüglichen 
Jahrhunderts  der  böse  Ruf,  in  dem  die  Bretonen  wegen  ihrer 
Seeräubereien  standen,  und  der  vom  Verfasser  des  „Büchleins 
der  Englischen  Staatsklugheitu  in  so  grellen  Farben  geschil- 
dert wird4). 

Heinrich  VH.  war  stark  genug,  um  Zucht  und  Ordnung 
im  Canal  zu  schaffen.  Nichtsdestoweniger  sollte  unter  ihm  in 
den  Beziehungen  zur  Bretagne  eine  völlige  Wendung  eintreten. 


*)  Pitre  Chevalier  a.  a.  0. 

*)  Als  1487  ein  Waffenstillstand  zwischen  dem  Herzog  von  Bretagne 
and  England  abgeschlossen  wurde,  gab  der  englische  König  10  Kauf  leuten 
von  Lentoiguer,  6  Kauf leuten  von  St  Malo  und  6  Kauf leuten  von  „Henbout" 
in  der  Nahe  von  -Blanet"  die  Erlaubniss,  für  1  Jahr  nach  England  zu  han- 
deln (Campbell,  Materials  for  a  history  of  Henry  VII.  II.  S.  150  u.  151). 
Aehnlichen  Licenzen  begegnen  wir  später  (5.  Juli  1498.  Br.  M.  Sloane  Ms. 
4618  Nr.  1  bezw.  R.  0.  Fr.  Rot.  lSHen.  VII.  m.  3).  Wenn  also  in  solchen 
Zeiten,  wo  die  Zahl  der  an  dem  Handel  sich  betheiligenden  Kaufleute  ab- 
sichtlich beschrankt  wurde,  der  directe  Verkehr  als  ein  nicht  unbeträcht- 
licher Erscheint,  so  darf  man  für  normale  Zeiten  ihn  blühend  nennen. 
*)  Pitre  Chevalier  a.  a.  0. 
4)      Wahr  aber  ist  es:  die  Bretagne  enthalt 

Die  grössten  Dieb'  und  Räuber  in  der  Welt 

Seit  Jahren  schon  durchkreuzen  sie  das  Meer 

Und  mancher  unsrer  Kaufherrn  büsst  es  schwer. 

Viel  Güter  haben  uns  an  diesen  Küsten 

Die  Plündrer  schon  geraubt  mit  bösen  Listen, 

Die  alle  —  von  St  Malo  sind  die  meisten  — 

Dem  eig'nen  Herzog  keine  Lehnspflicht  leisten. 

So  8chäöVgen  sie  mit  Arglist  unser  Land 

Und  falscher  Frieden  wird  kein  Krieg  genannt 

Sie  laufen  selber  Englands  Küsten  an, 

Bald  hier,  bald  dort,  mehr  als  ich  sagen  kann. 

So  haben  Norfolk  und  manch  andern  Ort 

Sie  heimgesucht  mit  Raub  und  Brand  und  Mord, 

Und  Stadt  um  Stadt  verheert  die  Küst'  entlang, 

Dass  laut  zum  Himmel  schon  ihr  Wehruf  drang 

Zu  Schand'  und  Schmach  für  uns;  der  Tadel  fallt 

Auf  sie,  in  deren  Schutz  die  See  gestellt 

Je  wen'ger  man  aus  der  Bretagne  macht, 

Je  mehr  hat  euch  St.  Malo  Schimpf  gebracht 

Hertzbergs  Uebers.    V.  159—177. 


—    296    — 

Die  Bretagne  war  nicht  mehr  im  Stande,  der  Uebermacht 
Frankreichs  länger  zu  widerstehen ,  1491  verlor  sie  —  nicht 
ohne  Schuld  Heinrichs  VII.  —  ihre  Selbständigkeit  und  hörte 
damit  auf,  ein  kräftiger  Stützpunkt  englischer  Politik  auf  dem 
Cop^inente  zu  sein. 
^<r  Der  Einfluss  dieser  Thatsache  zeigte  sich  sofort.*  Man 
~  behandelte  englischerseits  die  Bretonen  als  Franzosen.  Das 
bisherige  Vertragsverhältniss  wurde  zwar  nicht  gelöst,  allein 
das  Fremdenrecht  und  die  englischen  Gesetze  gegen  sie  strenger 
geübt.  Allerwärts  begegnete  man  ihnen  illiberal  und  feind- 
selig. Im  Jahre  1507  kam  es  darüber  zu  diplomatischen  Ver- 
handlungen; nicht  weniger  als  18  Beschwerdepunkte  brachten 
die  bretonischen  Kaufleute  vor.    Darin  heisst  es : 

Die  im  Vertrag  den  Bretonen  garantirte  Freiheit  des 
Verkehrs  wird  in  England  nicht  beachtet,  die  Einfuhr  *von 
Gascogner  Wein  und  Toulouser  Waid  in  eigenen  Schiffen  nicht 
gestattet,  beim  englischen  Küsten  verkehr  jede  erdenkliche 
Schwierigkeit  bereitet.  Der  Kauf  und  die  Ausfuhr  von  Zinn, 
Wolle,  rohen  Häuten,  ungeschomen  Tüchern  (panni  crudi) 
Wollengarn,  Zinnsteinen  (stannum  in  stannifodina),  Käse, 
Pferden,  Ochsen  und  anderen  Thieren  ist  an  eine  Licenz  ge- 
bunden, die  sie  nur  um  schweres  Geld  erhalten  können.  Der 
Export  des  Gelderlöses  ist  ihnen  untersagt.  Man  verlangt  von 
den  Kaufleuten  für  jede  Namenseintragung  einen  Groschen. 
Man  zwingt  sie,  bei  der  Einfuhr  eine  Obligation  auszustellen 
und  abermals  einen  Groschen  zu  erlegen,  wodurch  der  Grund- 
satz, dass  die  Zölle  nur  nach  dem  Werth  der  Waaren  sich 
w  bemessen  sollen,  verletzt  wird.  Man  nöthigt  sie,  Bürgschaften 
^  zu  stellen,  dass  sie  den  gesaramten  Erlös  der  eingeführten 
Waaren  auf  den  Einkauf  englischer  Artikel  verwenden  wollen; 
auch  sollen  sie  das  Königreich  von  demselben  Hafen  aus  ver- 
lassen, in  welchem  sie  eingelaufen  sind.  Sie  dürfen  Waaren,  die 
mehren  Kaufleuten  gehören,  nicht  unter  einem  einzigen  Namen 
verzollen,  wenn  sie  nicht  die  Confiscation  riskiren  wollen.  Für 
ihr  Leinentuch  zahlen  sie  20  %  mehr  Zölle  als  die  Engländer. 
Flandrische  Waaren  und  Malvasierwein  sollen  sie  nur  in  eng- 
lischen Schiffen  importiren.  Für  den  Ballen  Waid  verlangte 
man  früher  10  d,  jetzt  fordert  man  15  d.  Seit  ungefähr 
sieben  Jahren  zwingt  man  sie,  für  jeden  Zentner  Waaren 
1  d  Wägegeld  zu  entrichten.  Hinsichtlich  der  Tücher  behan- 
delt man  sie  nicht  wie  die  Engländer,  diese  zahlen  10  gr  und 
3  d  weniger  Zoll  als  die  Bretonen.  Bei  gewissen  Tuchsorten, 
wie  den  Bridgewater  Kersies  und  anderen,  wurde  eine  höhere 
Belastung  theils  durch  Steigerung  des  zu  Grunde  gelegten  Zoll- 
werths,  theils  durch  Kürzung  der  bisher  üblichen  Tuchlänge 
herbeigeführt.  Die  Zinnzölle  sind  für  die  Bretonen  um  die 
Hälfte  höher  als  für  die  Engländer.  Sie  müssen  bei  der  Aus- 
fuhr einen  Schein,  das  sogenannte  „quocquet"  sich  verschaffen 


—    297    — 

und  3  Groschen  dafür  zahlen.  Der  Sucher  von  London  er- 
presst  von  ihnen  bei  jedesmaliger  Ausübung  seines  Amtes  be- 
liebige Summen.  Für  Aufrechthaltung  des  Friedens  müssen  sie 
4  Bürgen  stellen,  welche  edler  Abkunft  sind  und  ein  Einkom- 
men von  mindestens  100  (£  besitzen.  Man  lässt  für  Vergehen 
eines  einzelnen  Bretonen  alle  haften1). 

Die  Engländer  waren  zwar  im  Stande,  manche  Beschwer- 
den zu  berichtigen,  in  den  meisten  Fällen  mussten  sie  aber 
doch  den  Hauptkern  der  Klage  umgehen  und  zu  nichtssagen- 
den Entgegnungen  ihre  Zuflucht  nehmen8).  Aus  Allem  geht 
hervor,  dass  die  Bretonen  aus  mehr  oder  weniger  Privilegirten 
für  die  Engländer  Fremde  geworden  und  in  Zoll-  und  sonstigen 
Fragen  alle  daraus  sich  ergebenden  Gonsequenzen  zu  tragen 
hatten 8). 

Alle  Wahrscheinlichkeit  spricht  dafür,  dass  unter  Hein- 
rich VIH.  die  von  seinem  Vater  angebahnte  commercielle  Po- 
,  litik  der  Bretagne  gegenüber  fortgesetzt  wurde 4). 

Eine  der  eben  geschilderten  ähnliche,  aber  viel  schärfer 
ausgeprägte  und  auch  reichere  Entwickelung  finden  wir,  wenn 
wir  die  Gebiete  des  südwestlichen  und  südlichen  Frankreichs 
ins  Auge  fassen. 

"  Die  Rolle,  welche  diese  Gebietsteile,  namentlich  Gascogne, 
Guienne  und  Poitou  in  der  englischen  Geschichte  spielen,  ist 
bekannt.  Calais  ausgenommen,  waren  die  genannten  Provinzen 
langer  im  Besitz  der  englischen  Krone,  als  die  übrigen  franzö- 
sischen Landestheile.  Das  gemeinsame  administrative  Band, 
das  durch  diesen  Umstand  um  die  britische  Insel  und  Süd- 
frankreich geschlungen  wurde,  wäre  schon  allein  genügend  ge- 
wesen, trotz  der  grossen  Entfernung  rege  Beziehungen  zu  be- 
gründen. Aber  auch  das  commercielle  Moment  war  für  diese 
von  nicht  geringem  Belang.  England  besass  so  gut  wie  keinen 
oder  doch  einen  kaum  geniessbaren  Wein6).  Im  11.  Jahr- 
hundert, als  England  noch  sehr  vereinsamt  war,  musste  man 
aus  Mangel  an  Wein  beim  Abendmahl  nicht  selten  zu  Bier 
und  Wasser  greifen 6).  Das  Weinbedürfniss  der  Engländer  war 
aber  stets  im  Wachsen  begriffen,  und  im  14  Jahrhundert  war 

l)  ürk.  Beil.  115. 

*)  Urk.  Beil.  115.  Die  Entgegnungen  der  Engländer  sind  für  viele 
Handelfifragen  sehr  instructiv,  weshalb  ich  nachdrücklichst  auf  dieselben 
verweise. 

*)  Ob  die  Engländer  ebenfalls  Klagen  gegen  die  Bretonen  hatten, 
bleibt  dahin  gestellt.  Es  scheint,  als  ob  der  Handel  der  letzteren  nach 
England  bedeutender  war,  als  der  der  Engländer  nach  der  Bretagne. 

4)  Die  Acte  24  Hen.  VIII.  c.  4  ist  hauptsächlich  gegen  die  Bretagne 
gekehrt. 

*)  Nähere  Angaben  hierüber  bei  Michel,  Histoire  du  commerce  et  de 
la  navigation  ä  Bordeaux  sous  l'administration  Anglaise  2  Vols.  1867 — 70. 
1.  S.  34  fg.    Vgl.  auch  Rot.  Pari.  I.    S.  315. 

*)  Kiesselbach,  Gang  des  Welthandels  im  Mittelalter.    S.  47. 


—    298    — 

der  Wein  bereits  ein  ziemlich  verbreitetes  Getränk  und  nicht 
blos  unter  „den  Weisen  und  Greisen"1),  sondern  überhaupt 
unter  den  Vornehmen  und  Reichen.  1350  gingen  von  Bordeaux 
141  Schiffe  mit  13429  Tonnen  Wein  nach  London8).  Der  süd- 
französische Wein  gab  den  bereits  künstlich  geschaffenen  Be- 
ziehungen die  natürliche  Unterlage3). 

In  Folge  der  beiden  Momente  hatten  sich  die  südfranzö- 
sischen Kaufleute  mancher  Bevorzugung  bei  den  englischen 
Königen  zu  erfreuen.  Im  13.  Jahrhundert  gewählte  Johann 
ohne  Land  den  Kaufleuten  von  Poitou,  Gascogne  und  Pärigord 
die  Freiheit,  mit  allen  Waaren  ihres  Landes  nach  England  zu 
handeln,  und  bewilligte  auch  sonst  manche  Erleichterungen4). 
Seinem  Beispiel  folgte  Heinrich  III.;  allein  die  Gewalttätig- 
keit der  Barone  und  königl.  Beamten  erwies  sich  unter  ihm 
und  unter  seinem  Vorgänger  noch  zu  gross,  ihre  Bedrückung 
der  Kaufleute  war  zu  empörend,  als  dass  diese  nicht  hätten 
abgeschreckt  werden  sollen6). 

Die  Eduarde  erzielten  besseren  Erfolg.  Ueberhaupt  be- 
strebt, den  fremden  Kaufmann  zu  schützen  und  ihm  das  Land 
zu  öffnen,  waren  sie  doch  ganz  besonders  geneigt,  die  Bewohner 
von  Gascogne  und  Guienne6)  durch  freundliche  und  liberale 
Behandlung  zu  gewinnen  und  dadurch  den  entfernten  Besitz 
fester  an  die  englische  Krone  zu  knüpfen.  Trotz  des  Wider- 
standes der  Londoner  erhielten  die  Bordolesen  und  übrigen 


*)  Vgl.  die  Antwort  des  Kaufmanns  Colloque  d'Africo,  als  ein  Spass- 
yogel  ihn  fragte,  warum  er  den  Wein  nicht  selber  trinke.  Th.  Wright, 
Yocabularies.  London  1857.    S.  8,  14. 

*)  Michel  I.  S.  402.  Ueber  den  Weinimport  nach  England  unter 
Heinrich  VIII.  vel.  Bd.  II.  S.  22,  23,  128  fg. 

*)  Von  Einnuss  für  den  Verkehr  waren  auch  die  Fahrten  der  Pilger 
nach  St  Jago  de  Compostella,  welche  meist  zur  See  blos  bis  nach  Süd- 
frankreich gingen.  Im  13.  Jahrhundert  hielt  man  eine  Marine  ohne  Pilger 
für  undenkbar,  und  es  war  geradezu  Spruch  wort:  „Point  de  marine  sans 
pelerinages".  Michel  I.  S.  503  und  Freviile,  Memoire  sur  le  commerce 
maritime  de  Ronen  I.  S.  141.  Sieh  auch  Sir  Travers  Twiss,  The  black 
book  of  the  admiralty  VoL  I.  S.  157.  Nr.  37. 

4)  Michel  I.  S.  39  fg. 

5)  Michel  I.  S.41.   vgl.  auch  Abschn.  II.  Cap.  3  unserer  Darstellung. 
e)  Ausser  den  Kaufleuten  von   Gascogne  und  Guienne  unterhielten 

auch  die  von  Languedoc,  namentlich  die  Burger  von  Montpellier  und  Nar- 
bonne  directe  Handelsbeziehungen  mit  England  und  besassen  sogar  Contore 
in  London.  Doch  darf  man  verxnuthen,  dass  die  Kauf  leute  von  Languedoc 
meistens  den  Weg  über  Bordeaux  und  die  Niederlande  nahmen.  Solange 
der  directe  Verkehr  der  Italiener  nach  England  gering  war,  war  Languedoc 
wichtig,  weil  ein  grosser  Theil  der  italienischen  Waaren  von  hier  aus  nach 
England  gelangte;  umgekehrt  gingen  im  12.  und  13.  Jahrhundert  die  für 
Florenz  bestimmte  englische  Wolle  und  sonstige  englische  Producte  nach  Li- 
bourne,  von  da  zu  Land  nach  Aigues-Mortes  und  dann  zu  Schiff  nach  Pisa. 
Vgl.  Germain,  Histoire  du  commerce  de  Montpellier  1861.  I.  S.4,  II.  S.18, 
38  u.  40;  Port,  Essai  ßur  1 'histoire  du  commerce  maritime  de  Narbonne 
Paris  1854.  Peruzzi,  Storia  del  commercio  e  dei  banchieri  di  Frenze 
S.  324. 


—    299    — 

französischen  Provinzialen  eine  Reihe  nicht  unbeträchtlicher 
Freiheiten1).  Den  Engländern  als  dem  herrschenden  Volk 
durften  ohnehin  keine  Hemmnisse  in  den  Weg  gelegt  werden, 
und  es  begreift  sich,  dass  der  Verkehr  bald  grössere  Dimen- 
sionen annahm.  Ausser  den  Weinen  waren  auch  Früchte*), 
Waid,  Eisen,  Waffen  und  Messerschmiedewaaren,  im  16.  Jahr- 
hundert auch  Harz,  Schiffstheer,  Terpentin,  Brasilienholz,  Tau- 
werk, Hanf  und  Böttcherholz  diejenigen  Artikel8),  welche  die 
englischen  Kaufleute  zu  erwerben  suchten.  Als  Gegenzahlung 
brachten  die  englischen  Häfen  London,  Hüll,  Exeter,  Dart- 
mouth,  Bristol  und  ehester4)  Korn,  Fleisch,  Käse,  Butter  und 
Talg,  Heringe,  Stockfische,  gesalzene  Salmen,  Wolle,  Zinn, 
Häute,  Tuch  und  Worsteds6),  ferner  eine  ganze  Reihe  von 
Mercerwaaren,  wie  Handschuhe,  Hüte,  lederne  Schnüre,  Kappen, 
Beutel,  Ledergürtel  und  Nesteln,  endlich  behufs  Schiffbelastung 
.Quadersteine6). 


*)  Michel  L  S.  98—97  u.  103  fg.  Bordeaux  hatte  auch  zu  London 
einen  eigenen  Weinkeller;  vgL  Stow,  Survey  of  London  8. 188.  Neben  Bor- 
deaux genoss  noch  Bayonne  viele  Rechte  in  London,  wenngleich  auch  hier 
die  Londoner  Ar  sich  mehr  beanspruchten,  als  sie  umgekehrt  zu  gewähren 
gewillt  waren.  London  wollte  1415  und  1488  namentlich  sein  Privileg  der 
Zollfreiheit  im  Gebiete  des  ganzen  englischen  Reiches  auch  für  Bayonne 
geltend  machen,  gab  aber  nach  langem  heftigem  Streit  seine  Opposition  in 
einem  Vergleich  auf,  da  sich  herausstellte,  dass  Bayonne  wegen  seiner  Grenz- 
lage zu  seiner  Vertheidigung  einer  bedeutenden  finanziellen  Einnahme  nicht 
entbehren  konnte.  Rot  Pari.  IV.  S.68,  77.  500;  Delpit,  Collection  des 
documents  francais  en  Angleterre  S.  255.  260.  262  und  Michel  a.  a.  0. 

*)  In  der  Relation  des  Marino  de  Cavalli  (1546)  heisst  es  namentlich 
mit  Rücksicht  auf  Languedoc  und  Provence:  „La  mercanzia  di  frutti  e  in 
yoto  di  maggior  importanza  di  quel  che  al  primo  tratto  si  possi  credere; 
perche  essendomi  stato  accertato  che  il  dazio  de*  susini  secchi,  che  6i 
traeno  di  una  parte  di  Francia  nerilnghilterra ,  Scozia  e  Fiandra,  si  ha 
affittato  dieeimifa  seudi;  l'anno,  mi  persuado  che  tanti  altri  frutti  di  tanti 
paesi  importino  quasi  un  estremitä/  N.  Tommaseo,  Relations  des  Am- 
Dauadeurs  Venitiens  sur  les  affaires  de  France  au  XVI.  siecle.  I.  S.  259. 

*)  Michel  L  S.  817.  458,  475,  483  fg. 

*j  Nähere  Details  über  den  Verkehr  dieser  Häfen  mit  England  sind 
bei  Michel  a.  a.  0.  zu  finden,  besonders  ausführlich  seine  Notizen  über 
den  Verkehr  mit  Hüll  im  Jahre  1440.  S.  845-58;  vgl.  auch  Rot  Pari. 
IV.  S.  85. 

*)  Ueber  die  vorübergehende  Reaction  gegen  das  englische  Tuch  im 
14.  Jahrhundert  vgl.  Michel  I.  S.  298;  ebenda  sieh  die  Bemerkung  über 
die  noch  Jahrhunderte  andauernde  Herrschaft  des  englischen  Tuchs  auf 
dem  französischen  Markt 

*)  Michel  L  S.  258  fg.  885.  Dazu  darf  man  auf  Grund  der  Re- 
lation von  Marino  de  Cavalli  (1546)  auch  noch  Blei  fugen.  Der  venetiani- 
sche  Gesandte  sagt  nämlich:  „tutti  li  piombi  sono  portati  d'Inghilterra" 
Tommaseo,  Relations  etc.  L  S.  254.  Man  vergl.  auch  sonst  über  die 
französischen  Producte  und  Hülftquellen  diese  Relationen.  Vorzüglich 
ist  ferner  nach  dieser  Seite  hin  Le  Debat  des  heraulx  d'armes  de  France 
et  d'Engleterre.  übersetzt  von  H.  Pyne,  England  and  France  in  the 
fifteenth  Century.  1870.  Da  jeder  Herold  die  Vorzüge  seines  Landess  schil- 
dert, so  tritt  der  Unterschied  zwischen  den  Producten  beider  Länder  be- 


—    300    — 

Ein  Riss  kam  in  die  regen  und  freundlichen  Beziehungen 
zwischen  Südfrankreich  und  England,  als  diese  Gebietsteile, 
namentlich  Guienne  und  Bordeaux  an  die  französische  Krone 
verloren  gingen.  Die  Handelspolitik  seit  Mitte  des  15.- Jahr- 
hunderts ist  deshalb  das  völlige  Gegenbild  zu  der  des  14.  Jahr- 
hunderte.  Das  Freundschaftsband  war  zerrissen,  die  Bordolesen 
und  ihre  Nachbarn  waren  aus  englischen  Unterthanen  Fremde 
geworden,  die  Engländer  aber  galten  in  Bordeaux  und  Guienne 
nicht  nur  als  Fremde,  sondern  als  allezeit  gefährliche  Feinde 1). 
Zur  Festhaltung  des  Eroberten  waren  die  Franzosen  gezwungen, 
gegen  die  englischen  Kaufleute  eine  höchst  strenge  Controle 
auszuüben2).-,  der  Hafen  von  Lune  wurde  ihnen  lange  ver- 
schlossen, das  Weingeschäft  ihnen  sehr  erschwert 3).  Die  Eng- 
länder wandten  sich  in  Folge  dessen  dem  französischen  Norden 
zu;  in  Rouen  und  Calais  tauschten  sie  die  Wolle  gegen  die 
Weine  von  Niederburgund  aus  und  gaben  so  den  Impuls  zur 
Entstehung  der  Tuchfabriken  in  der  Normandie,  während  die 
von  Bordeaux  zu  Grunde  gingen4). 

Gascogne  und  Guienne  verödeten;  viele  Bewohner  wan- 
derten aus  und  zogen  nach  England,  um  sich  dort  in  den 
Unterthanenverband  aufnehmen  zu  lassen5);  der  Handel  ging 
zum  grossen  Theil  an  bretonische  und  deutsche  Schiffe  über. 
So  kehrten  sich  die  Folgen  der  rigorosen  Politik  ganz  gegen 
das  eigene  Land. 

Natürlich  erregte  dieser  Zustand  die  Besorgniss  der  fran- 
zösischen Regierung.  Mit  Freuden  ging  Ludwig  XL  auf 
Eduards  IV.  Wunsch  ein,  dem  Handel  nach  Südfrankreich 
wieder  etwas  Luft  zu  schaffen,  sobald  er  sich  versichert  hatte, 
dass  Eduard  IV.  nur  formelle  Ansprüche  auf  Frankreich  mache 
und  gern  den  Frieden  sich  abkaufen  lasse6). 

Am  19.  August  1475  wurde  ein  Waffenstillstand  auf  7  Jahre 
abgeschlossen,  und  am  8.  Jan.  1476  kam  ein  Vertrag  zu  Stande, 
in  welchem  die  bisherigen  Beschränkungen  beseitigt T)  und  der 


sonders  hervor.  Zudem  war  der  Verfasser,  Herzog  Karl  von  Orleans,  in  Folge 
seines  25jährigen  Aufenthalts  in  England  und  in  Folge  seines  Talentes  ganz 
der  Mann,  der  hier  ein  sachkundiges  Urtheil  abgeben  konnte.  Erwähnt  sei 
noch,  dass  der  Dialog  1500  gedruckt  und  besonders  zur  Zeit  der  Tudors 
eifrig  in  England  gelpsen  wurde. 

1)  Vgl.  Beispiele  hei  Michel  I.  S.  372  fe. 

2)  Wie  lange  es  dauerte ,  his  England  au  seine  Ansprüche  auf  diese 
Gebiete  vollständig  und  auch  formell  aufgab,  ist  bekannt.  Noch  Jahre 
lang  wurde  für  diese  Provinzen  vom  englischen  König  ein  SeneschaU  in 
partibus  ernannt  1529  war  es  ernste  Absicht  Heinrichs  VIII.,  dieselben 
wieder  zurückzuerobern. 

*)  Michel  I.  S.  361. 
*)  Rot.  Pari.  V.  S.  118  fg. 
*)  Michel  I.  S.  366. 

e)  Pauli,  Geschichte  Englands  V.  S.  428—431. 
7)  Wie  man  französischerseits  Bordeaux  wieder  auf  seinen  alten  Glanz 
bringen  wollte,' darüber  vgl  Michel  I.  S.  370. 


—    301     — 

Verkehr  fast  ganz  unter  denselben  Bedingungen  wie  früher  er- 
laubt wurde1).  Während  der  sieben  Jahre  konnte  der  eng- 
lische Handel  in  dem  früheren  Markte  sich  wieder  heimisch 
machen.  Der  ganze  Besitz  dieser  Rechte  war  aber  bedroht, 
als  Richard  III.  gewaltsam  den  englischen  Thron  an  sich  riss. 
Schon  wagte  kein  englischer  Kaufmann,  nach  Bordeaux  zu 
fahren,  wenn  er  nicht  vorher  einen  Geleitsbrief  vom  französi- 
schen König  in  Händen  hatte9). 

Doch  die  kurze  und  trübe  Regierungszeit  Richards  III. 
lief  rasch  ab.  Heinrich  VH.  eroberte  die  Krone.  Jetzt  musste 
sich  zeigen,  was  aus  den  englischen  Freiheiten  werden  sollte. 
Nüchternen  Sinnes,  wie  der  erste  Tudor  war,  und  die  Stärke  seines 
Reiches  in  der  insularen  Lage  erkennend,  gab  er  alle  ernsten 
Gedanken  an  die  Eroberung  der  französischen  Besitzungen  auf. 
War  er  politisch  zu  vielen  Cüicessionen  bereit,  gestattete  er 
selbst  Gebietsvergrösserungen :  in  Bezug  auf  den  Handel  war 
er  fest  entschlossen,  seinen  Unterthanen  zu  retten,  was  zu 
retten  war,  und  keck  auf  Frankreichs  Interessen  loszuschlagen. 
Die  Fremdenzölle  gegenüber  den  Südfranzosen  in  Anwendung 
zu  bringen,  hatte  Heinrich  VII.  nicht  erst  nöthig.  Es  war  dies 
gleich  nach  der  Eroberung  der  Provinzen  durch  Frankreich 
geschehen 3).  Sein  Angriff  lag  auf  einem  andern  Gebiete. 
— * — 

*)  1.  Der  Handel  der  Engländer  ist  an  keinen  (kostspieligen)  Geleits- 
brief mehr  gebunden.  2.  Die  Engländer  werden  nicht  mehr  bei  der  Mihi 
dang  der  Gironde  zu  Nötre  Dame  angehalten,  bis  sie  eine  Licenz  erwirkt, 
dass  sie  nach  Bordeaux  kommen  dürfen;  ebenso  fällt  die  Untersuchung  ihrer 
Schiffe  zu  Blaye  und  der  dadurch  oft  Monate  lange  Verzug,  die  Wegnahme 
ihrer  Waffen«  Zahlung  von  Gebühren  hinweg.  3.  Ebenso  soll  von  dem 
nur  1  Monat  geltenden  Berechtigungsschein,  den  jeder  Engländer  haben 
muss  zum  Ausweis,  dass  er  die  Stadt  betreten  darf,  und  von  den  damit 
verbundenen  hohen  Gebühren  in  Zukunft  Abstand  genommen  werden. 
4.  Sie  können  sich  einlogiren,  wo  sie  wollen.  5.  Der  Bürgermeister  von 
Bordeaux  darf  nicht  mehr  die  Vorzeigung  des  Geleitsbriefes  fordern,  auch 
keine  bezügliche  Gebühr  verlangen.  6.  Die  englischen  Schiffe  dürfen  so 
lange  vor  Bordeaux  verweilen,  als  sie  wollen  (nicht  blos  14  Tage  wie 
früher).  7.  Die  Schiffsgebühr  wird  ermässigt.  8.  In  der  Gironde  dürfen 
die  Engländer  ihr  Schiff  ganz  allein  fuhren.  9.  Die  Polizeistunden  für  die 
Engländer  werden  aufgehoben.  10.  Gewisse  Gebühren  für  Schiffe,  die 
flussabwärts  fahren,  werden  ermässigt.  11.  Die  illiberale  Behandlung  in 
Betreff  des  Tuchmessend  soll  aufhören.  12.  Für  Eisen,  das  die  Engländer 
aus  Spanien  holen,  sollen  sie  keinen  Zoll  zahlen,  wenn  sie  solches  nicht 
ausladen.  18.  Die  englischen  Kaufleute  dürfen  über  das  Weichbild  von 
Bordeaux  hinausgehen  wie  früher.  14.  Der  Zoll  wird  auf  die  Hälfte  herab- 
gesetzt; ebenso  das  Tonnengeld  bedeutend  ermässigt;  die  Costumen  von 
Rouea,  de  la  Tour,  Cordouan  bleiben  wie  früher.  Pardessus,  Ordonnances 
des  Rois  de  France  de  la  troisieme  race  Vol.  XVIII.  S.  160  fg. 

m  *)  Vgl.  den  Brief  Richards  III.  an  Ludwig  XI.  vom  18.  Aug.  1483. 
Gairdner,  Letters  etc.  I.  S.  34;  sieh  auch  die  Instructionen  an  Grafton 
etc.  Juli  1483.  a.  a.  0.  I.  S.  18  und  das  französ.  Schreiben  an  Richard  III. 
vom  12.  Aug.  1484  bei  A.  Bern i er,  Proces  verbaux  des  slances  du  conseil 
de  Rlgence  du  roi  Charles  VIII.  pendant  les  mois  d'aoüt  1484  ä  janvier 
1485  S.  15;  endlich  Pauli,  Geschichte  Englands  V.  S.  499. 

s)  Der  erste  Versuch  hiezu  wurde  sogar  schon  1450  von  den  Zoll- 


—    302    — 

Kurz  nach  Heinrichs  VII.  Regierungsantritt  wurde  die 
Schiffahrtsacte  erlassen,  welche  die  Bordolesen  und  ihre  Nach- 
barn  fast  g&nzlich  vom  Weinhandel  nach  England  ausschloss; 
die  Weine  von  Gascogne  und  Guienne  durften  nämlich  nur  in 
englischen  Schiffen  importirt  werden  >).  Damit  nicht  zufrieden 
war  er  bestrebt,  auch  noch  die  Freiheiten  der  englischen  Kauf- 
leute in  diesen  Provinzen  zur  Anerkennung  zu  bringen.  Schon 
in  die  Verträge,  die  behufs  Aufrechterhaltung  des  Friedens 
geschlossen  wurden,  liess  er  Bestimmungen  aufnehmen,  welche 
nicht  nur  die  Freiheit  des  Handels,  sondern  auch  die  Besei- 
tigung aller  in  den  letzten  22  Jahren  neu  erhobenen  Zölle 
und  Abgaben  garantirten  *).  Als  man  aber  diese  Vertrags- 
artikel  in  England  ungünstigem  Sinn  interpretirte  und  in 
Bordeaux  die  englischen  Kaufleute  bedrückte,  benützte  Hein- 
rich VII.  die  Verwicklung  Karte  VIIL  in  auswärtige  Händel, 
um  auch  diese  Unklarheit  zu  beseitigen.  Noch  während  seiner 
Anwesenheit  in  Neapel  musste  der  französische  König  ein  De- 
cret  unterzeichnen8),  worin  er  den  englischen  Kaufleuten  alle 
Rechte  zusicherte,  die  sie  unter  seinem  Vater  genossen.  Damit 
waren  offenbar  die  oben  von  uns  erwähnten  Privilegien  tob 
1476,  sowie  andere  althergebrachte  Freiheiten  4),  wie  das  Recht 
des  Detailverkaufs,  der  Anspruch  auf  Erledigung  der  Streit- 
fälle innerhalb  dreier  Tage  und  ähnliche  Begünstigungen  ge- 
meint Auf  Grand  dieses  Zugeständnisses  gelang  es  auch 
Heinrichs  VII.  energischen  Protesten,  jeden  neuen  Versuch  der 
Bürger  von  Bordeaux,  durch  den  die  Engländer  mit  höheren 
Zöllen  belastet  werden  sollten,  abzuweisen5). 

Angesichts  dieser  Rechte  der  Engländer  in  Bordeaux  und 
der  gleichzeitig  harten  Behandlung  der  Franzosen  in  England 
begreift  man  den  Missmuth  und  die  Unzufriedenheit,  die  jetzt 
unter  den  Bordolesen  und  ihren  Nachbarn  sich  erhoben  •).  Hit 
Wehmuth  denken  sie  an  die  Zeiten  zurück 7),  wo  der  englische 
Kaufmann  nur  mit  einem  rothen  Kreuz  auf  dem  Rücken  das 


beamten  gemacht,  obwohl  erst  1451  die  Franzosen  die  Eroberung  vollführten, 
Rot  Pari.  V.    S.  200. 

*)  1  Hen.  VIL  c.  8  und  4  Hen.  VE.  c  10. 

2)  Vgl.  den  Vertrag  v.  17.  Jan.  1486  Art.  8  u.  4.  Rymer  XIL  S.  »1 
und  die  Erneuerung  v.  14.  Juli  1488.    Rymer  XII.  S.  344. 

8)  Das  Decret  ist  erwähnt  in  einer  (bei  Michel  I.  S.  876  Anm.  ab- 
gedruckten) Ordonnanz  vom  16.  Nov.  1495. 

«)  Michel  I.  S.  889  u.  392. 

*)  Befehl  Karls  VIIL  v.  16.  Nov.  1495.    Michel  I.  S.  876. 

fl)  ürk.  Beil.  113.    Brewer,  Cal.  II.  8521. 

7)  ürk.  Beil.  114.  Brewer,  Cal.  II.  8521.  Die  ürk.  BeiL  113  und 
1 14  sind  ohne  Datum.  Brewer  glaubt  sie  in  die  Zeit  vom  Juli  1517  setzen 
zu  müsse*.  Michel  I.  S.  377  hat  seine  Abschrift  den  Archives  d'Empir« 
entnommen  und  nimmt  für  die  Zeit  ihrer  Abfassung  das  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts an.  Ich  schliesse  mich  hier  Michel  an,  da  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts sicher  der  Contrast  noch  lebhaft  in  der  Erinnerung  war  und  eben 
deswegen  drückender  empfunden  werden  musste,  als  20  Jahre  spater. 


—    303    - 

Land  betreten,  nur  in  der  Stadt  handeln  oder  doch  nur  in  der 
Begleitung  eines  Polizeidieners  aufs  Land  gehen  durfte,  wäh- 
rend jetzt  die  Engländer  zu  Tausenden x)  in  Bordeaux  umher- 
schwärmten,  das  Land  auf-  und  abgehen,  den  Wein  aus  erster 
Quelle  kaufen  und  alle  bürgerliche  Nahrung  zu  Grunde 
richten  konnten8). 

Der  Jammerruf  verklang  ungehört  In  einem  Punkte  nur, 
nämlich  in  Betreff  der  Navigation,  gab  die  französische  Re- 
gierung der  Volksstimme  theil weise  Gehör.  1504  erliess  Lud- 
wig XII.  eine  Art  Schiffahrtsacte,  indem  er  allen  einheimischen 
Kauf  leuten  verbot,  in  den  Häfen  Frankreichs  ein  fremdes  Schiff 
zu  befrachten 3).  Man  muss  füglich  bezweifeln ,  ob  dies  den 
Engländern  irgendwie  geschadet.  Man  darf  sogar  vermuthen, 
dass  die  Acte  den  englischen  Kauf  leuten  noch  nützte;  die 
Fracht  des  Weins  war  den  Engländern  schon  reservirt,  jetzt 
wurde  ihnen  auch  der  Weinhandel  in  die  Hände  gegeben. 

Sieht  man  von  dem  vernünftiger  Weise  nicht  wieder  ein- 
zubringenden Gebieteverlust  ab,  so  war  England  durchweg  der 
gewinnende,  Frankreich  der  verlierende  Theil.  Heinrich  VII. 
hat  den  zweifelhaften,  schwankenden  Zustand,  den  er  beim 
Regierungsantritt  vorfand,  zu  Englands  Gunsten  entschieden. 


\)  Ihre  Zahl  wird  auf  6—8000  (!)  angegeben. 

*)  Nur  ein  Vortheil  erwuchs  den  Bürgern  von  Bordeaux  unter  der 
Herrschaft  der  Tudors;  Bordeaux  wurde  im  16.  Jahrhundert  der  Hauptplatz 
für  Waid,  und  es  exportirte  jährlich  200  000  Ballen,  während  dieser  Handel 
früher  ganz  in  den  Händen  der  Italiener  war  (Michel  I.  S.  308).  Ich  glaube 
mich  nicht  zu  täuschen,  wenn  ich  diese  Veränderung  hauptsächlich  der 
englischen  Navigationsacte  zuschreibe.  Da  neben  dem  Wein  von  Gascogne 
und  Guienne  auch  der  Toulouser  Waid  nur  in  englischen  Schiffen  nach 
England  gebracht  werden  durfte,  so  war  es  ganz  naturlich,  dass  der  Tou- 
louser Waid  Bordeaux  als  Stapel  suchte. 

*)  Miltitz,  Manuel  des  Consuls  I.  S.  261,  der  sich  auf  Martens, 
Gesetze  und  Verordnungen  LS.  1  stützt  Das  Verbot  wurde  erneuert  von 
Heinrich  II.  am  8.  Februar  1555.  Aber  erst  Karl  IX.  sab  der  Acte  eine 
grössere  praktische  Bedeutung,  indem  er  auch  den  Fremden  verbot  (8.  Febr. 
1-567),  französische  Waaren  in  den  französischen  Häfen  auf  fremde  Schiffe 
zu  verladen,  a.  a.  O.  Erwähnung  verdient,  wie  der  mehrerwähnte  Herzog 
Karl  von  Orleans  bereits  in  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  erkannte,  dass 
Krankreich  eigentlich  seine  Schiffahrt  schützen  und  nicht  länger  mehr  dul- 
den sollte,  dass  sich  die  englische  auf  Kosten  Frankreichs  vergrössere. 
„You  must  of  necesßity  have  such  wine  and  salt  from  the  kingdom  of  France 
either  by  safeconduct  or  by  smuggling,  otherwise  your  ships  would  have 
no  employment  and  would  perish  in  the  mire.  Besides  you  would  have 
nothing  wherewith  to  salt  yeur  fish,  which  is  the  chief  source  of  wealth 
and  employment  for  ships,  that  you  possess.  By  these  two  articles  of 
merchandise  your  great  Stripping  is  supported,  and  that  solely  by  means  of 
the  kingdom  of  France,  for  otherwise  you  would  not  have  a  sutficiencv  of 
them.  And  if  upon  good  consideration  of  the  matter  the  king  determined 
so  to  employ  bis  ships,  he  would  derive  a  great  revenue  from  them;  for 
bis  ships  would  gain  by  freight  or  otherwise,  what  foreigners  now  gain  in 
i>is  kingdom ,  which  would  be  a  great  profit  to  his  people,  and  the  money 
*onld  remain  in  his  country;  since  it  is  reasonable,  that  his  ships  should 
be  first  served."    Pyne,  England  and  France  in  the  15th  Century  S.53. 


—    304    — 

Unter  diesen  Verhältnissen  war  es  dem  Sohne  Heinrichs  VII. 
nicht  schwer,  die  commercielle  Politik  gegenüber  Frankreich  zu 
leiten.  Er  hatte  nur  nöthig,  zu  erhalten,  was  er  überkommen. 
Das  geschah  auch.  In  dem  ersten  Tractat  vom  23.  März  1510 
wurde  gleich  ausbedungen,  dass  diejenigen  Zölle  und  Abgaben 
zu  gelten  hätten,  welche  vor  47  Jahren  bestanden1),  und  im 
Jahre  1514  bestätigte  Ludwig  XII.  noch  besonders  die  Rechte 
der  Engländer  in  Bordeaux2).  Man  darf  mit  Sicherheit  an- 
nehmen, dass  auch  Franz  I.  in  Friedenszeiten  und  namentlich 
dann,  wenn  er  der  englischen  Hilfe  bedurfte,  die  englischen 
Freiheiten  in  Guienne  achtete  und  schützte,  zeitweise  wohl 
noch  vermehrte8). 

Die  französischen  Gebiete,  denen  wir  bisher  unsere  Auf- 
merksamkeit zuwendeten,  sind  alle  am  Meer  gelegen  und 
schliessen  Frankreich  nach  der  Seeseite  ein.  Es  ist  selbst- 
verständlich, dass  der  Verkehr  mit  dem  inneren  Frankreich 
schon  in  Anbetracht  der  Verkehrswege,  wie  in  Folge  der  un- 
zähligen Wege-,  Fluss-,  Provincial-  und  Stadtzölle  zu  keiner 
Bedeutung  gelangen  konnte.  Wohl  fehlte  es,  auch  nachdem 
die  Messen  von  Champagne  verfallen  waren,  im  Waarenverkehr 
nicht  an  einem  Gliede,  das  leicht  eine  commercielle  Verbin- 
dung Englands  mit  den  Binnenstädten  hätte  begründen  können, 
und  das  war  die  schon  damals  wie  noch  heute  hervorragende 
Luxusindustrie4).    Allein  es  gab  eine  Menge  indirecter  Wege, 

*)  Rymer  XIIL    S.  271. 

*)  Art  23  lautete:  Conventum  est,  quod  praefatus  christianiBsimus 
rex  Ludovicuß  tempore  confirmationis  nraesentis  tractatus  omnia  et  singula 

Srivilegia  mercatonbus  Angiitis  intra  civitatem  Burdegalensem  eis  per  eun- 
em  regem  aut  ejus  praedecessores  antehac  concessa  et  per  eum  confirmata 
ratificabit  et  confirmabit;  et  si  et  quatenus  petatur,  de  novo  concedet  in 
tarn  amplis  modo  et  forma,  quam  aliquando  habuerunt  aut  usi  fderunt. 
Rymer  XIIL  S.  420.  Der  Artikel  wurde  unmittelbar  darauf  practisch. 
Am  9.  Aug.  1514  hatte  Ludwig  XU.  eine  Zuschlagstaxe  von  4  ecus  d'or 
soleil  auf  jede  Tonne  Wein,  die  ausgeführt  werden  wurde,  gelegt,  ohne  die 
Engländer  ausdrücklich  auszunehmen.  Als  in  Folge  der  Beschwerden  der 
Franzosen  diese  Abgabe  auf  1  ecu  ermässigt  wurde,  erklärte  man.  dass  die 
Engländer  auch  diesen  kleinen  Zoll  nicht  zu  tragen  brauchten.  (Ordonnances 
etc.  XXL  S.  557  u.  564).  Als  dennoch  die  Zollbeamten  die  Weine  des 
Herzogs  von  Suffolk  dieser  Steuer  unterwerfen  wollten,  erkannte  daa  Parla- 
ment von  Guienne  auf  dessen  Klage  die  Ausnahmestellung  der  Engländer 
an.    Michel  I.  3.  390. 

*)  Um  so  schlimmer  erging  es  den  Engländern,  wenn  Krieg  zwischen 
Frankreich  und  England  entbrannte.  Wie  der  Handel  nach  Bordeaux  1521 
u.  1522  gefährdet  und  geschädigt  wurde,  darüber  vgl.  State  Papers  L 
52.  68  und  Brewer,  Cai.  IIL  1577.  1544.  1734.  1935.  194a  2022.  2155. 
2156.  2028.  2076.  2109.  2224.  2229.  2232.  2241;  Hall,  Chronicle  S.  633. 

4)  Ueber  die  französische  Industrie  macht  treffende  Bemerkungen  der 
Herzog  Karl  von  Orleans:  „As  you  boast.  Sir  Herald,  that  you  have  a  greater 
number  of  mechanics  and  common  people  than  there  are  in  France,  I  shall 
show  you  the  contrary;  since  for  one  walled  town  that  you  have,  we  have 
more  than  a  dozen  well  peopled  with  mechanics  and  other  inhabitants. 
Also  we  have  all  the  mechanical  crafts,  which  you  have,  and  we  have  others 


—    305    — 

auf  denen  die  Engländer  diese  Waaren  beziehen  konnten,  und 
die  hundertjährige  politische  Feindschaft  zwang  dazu,  jede 
Anbahnung  des  directen  Verkehrs  zu  vermeiden.  So  erklärt 
sich,  dass  von  eigentlichen  handelspolitischen  Fragen  mit  ganz 
wenigen  Ausnahmen1)  in  Bezug  auf  die  noch  übrigen  Theile 
Frankreichs  so  gut  wie  keine  Rede  sein  kann. 

Nur  zwei  auch  das  commercielle  Gebiet  streifende  Fragen 
durchziehen  in  geradezu  ermüdender  Weise  die  Verhandlungen 
der  beiden  Cabinete.  Die  eine  bezieht  sich  auf  die  Fischerei. 
Die  ganze  Politik  hinsichtlich  derselben  lässt  sich  in  den  einen 
Satz  zusammenfassen,  dass  die  Franzosen  die  Theilnahme  an 
derselben  sich  zu  sichern  und  auch  für  die  Zeit  des  Krieges 
derselben  eine  Art  Neutralität  zu  verschaffen  suchten  *).  Die 
andere  Frage  berührt  die  Sicherheit  auf  dem  Meere.  Durch 
die  ewigen  Kriege  zwischen  beiden  Nationen  war  die  Seeräuberei 
zu  einem  förmlichen  Gewerbe  geworden.  Es  mag  gestattet 
sein,  diese  Verhältnisse,  die   mit  diesem  Punkte  zusammen- 


besides;  for  we  have  people  employed  in  the  superior  kinds  of  textures, 
such  as  Arras  tapestry,  which  is  much  esteemed  and  highly  ornamental  in 
the  courts  of  kings  and  princes.  We  have  also  linen  of  the  most  excellent 
quality,  which  a  kingdom  can  possess,  at  Troyes  in  Champagne,  in  the  city 
of  Greton  and  generally  throughout  France.  We  have  iikewise  the  best 
jewellere,  who  produce  the  most  beautiful  specimens  of  workmanship,  which 
can  be  imagined.  Also  we  make  paper  and  verdigris  in  France,  and  you 
make  none  in  England.  You  have  no  workmen  to  make  the  things  betöre 
mentioned,  and  if  you  have  anv  of  the  things  themselves,  they  are  counter- 
feit  and  of  little  value.  Therfore  I  teil  you ,  we  have  more  of  all  things, 
th&n  you  have ;  and  whenever  vou  can  procure  any  articles  of  elegant  work- 
manship, they  are  made  in  France11.  Pyne,  England  and  France  in  the 
fifteenth  Century  S.  76  u.  77.  üeber  die  französischen  Tücher  vgl.  a.  a.  0. 
3.  79  und  Tommaseo,  Relations  des  Amb.  Yen.  etc.  I.  S.   254. 

')  Für  die  Zeit  Heinrichs  YHI.  kommen  hier  zunächst  die  Friedens- 
vertrage in  Betracht,  welche  die  Freiheit  des  Handels  und  die  Erhaltung 
der  bisherigen  Zölle  bestimmen;  vgl.  Rymer.  Sodann  sind  die  Verhand- 
lungen von  1527  zu  erwähnen,  in  denen  Frankreich  für  den  Fall  des  eng- 
lischen Beistandes  sich  bereit  erklärte,  den  Engländern  für  die  Dauer  des 
Krieges  dieselben  Rechte  einzuräumen,  die  sie  in  den  Niederlanden  ge- 
nössen. Vgl. Rymer XIV.  S.209,  232,  237.  Brewer,  Cal.  IV.  3449.  3466. 
Gayangos,  Cal.  HI.  Pars  II.  211.  Ferner  verdienen  genannt  zu  werden 
die  Bestimmungen  des  Vertrags  von  1532,  welche  gegenseitige  Beschützung 
des  Handels  nach  den  Niederlanden  bezwecken.  Rymer  XIV.  8.  434, 
Art  3,  5,  6,  7.  Endlich  gab  es  in  den  30er  und  40er  Jahren  eine  Reihe  | 
von  Punkten,  an  denen  die  Franzosen  Anstand  nahmen.  Dahin  gehörten  ! 
das  Gesetz,  dass  zwischen  Michel-  und  Lichtmess  kein  französischer  Wein ' 
eingeführt  werden  sollte  (vgl.  State  Papers  IX.  S.  236  fg.),  sodann  die 
widerrechtliche  Erhebung  des  Scavagiums,  die  Acte  wegen  des  Verbots  der 
Einfuhr  von  französischen  Hüten  und  Kappen  (21  Hen.  Vni.  c.  9.  State 
Papers  I.  S.  858  u.  854),  die  Heranziehung  der  Franzosen  zur  Zahlung  der 
Sabsidie  (State  Papers  I.  S.  647—50;  652,  682.  Nicolas,  Proceedings 
of  the  Privy  Council  VI.  S.  44,  48,  63,  101,  109),  die  Acte  gegen  die  Frem- 
den (vgL  unten  Capitel  3  des  Abschn.  IL),  die  bekannte  Schiffahrtsacte 
(State  Papers  Ia.  S.  236  fg.).  Keiner  dieser  Punkte  scheint  jedoch  zu~\ 
aasgedehnteren  Verhandlungen  geführt  zu  haben. 

*)  Rymer  VHI.  S.  336.  451  u.  s.  w. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.     I.  20 


—    306    -r 

hängen,  für  die  Zeit  der  Tudors  kurz  darzustellen;  sie  stehen 
so  sehr  im  Vordergrund,  dass  unsere  Darlegung  unvollständig 
wäre,  wenn  wir  diese  allerdings  wenig  interessante  Materie 
ganz  mit  Stillschweigen  übergingen. 

Wir  haben  bereits  früher  erwähnt,  dass  Heinrich  VIL  nie 
ernstlich  daran  dachte,  mit  Frankreich  einen  Krieg  zu  begin- 
nen. Er  musste  deshalb  mehr  als  alle  seine  Vorfahren  das 
Bedürfniss  fühlen,  dem  Unwesen  auf  der  See  im  Bunde  mit 
Frankreich  zu  steuern.  Der  Friede  von  Etaples  (Nov.  1492) 
und  die  getreue  Einhaltung  desselben  durch  Frankreich  bot 
die  Brücke  auch  zu  diesen  Verhandlungen.  Dieselben  führten 
zu  dem  Vertrag,  der  betitelt  ist:  Tractatus  contra  spolia  mari- 
tima et  pro  depredatoribus  cohercendis l). 

Dieser  am  18.  Juli  1498  erneuerte  Tractat  fasst  zwei  Ziele 
ins  Auge,  einmal  will  er  die  bereits  wegen  Seeraubs  anhängigen 
Prozesse  durch  ein  summarisches  Verfahren  rasch  aus  der  Welt 
schaffen2),  sodann  trifft  er  eine  Reihe  von  Vorkehrungen,  um 
inskünftig  dem  Seeraub  Einhalt  zu  thun8).    Die  energischen 


*)  Abgeschlossen  am  24.  Mai  1497.  Dumont,  Corps  dipl.  T.  III. 
2.  S.  876.  Die  Ernennung  der  englischen  Commissäre  sieh  bei  Rymer 
XII.  S.  650.    24.  April  1497. 

2)  Darauf  beziehen  sich  die  Artikel  1—4:  1)  Um  den  kostspieligen 
Processen  zu  begegnen  und  gleichzeitig  dieselben  beizulegen,  ohne  dass  die 
Betheilisten  das  vertrauen  verlieren,  hat  man  beschlossen,  dass  in  jedem 
der  beiden  Königreiche  in  passende  Städte  und  Seeplätze  Richter  abgesandt 
werden  sollen,  welche  die  Klagen  summarisch  und  ohne  Förmlichkeiten 
mindestens  vor  Ablauf  eines  Jahres  entscheiden.  Das  gefällte  Urtheil 
müssen  die  Beamten  sofort  vollziehen,  und,  wenn  nöthig,  selbst  militärische 
Macht  requiriren.  Die  Appellation  kann  den  Vollzug  nicht  verzögern. 
Halten  sich  die  Parteien  durch  das  Urtheil  für  beschwert,  so  können  sie 
an  die  obersten  Räthe  der  contrahirenden  Fürsten  recurriren;  diejenige 
Partei  aber,  welche  die  Execution  des  Urtheils  verlangt,  muss  hinlängliche 
Caution  für  den  Fall  eines  gegenteiligen  Urtheils  stellen.  Der  Recars 
muss  in  6  Monaten  verbeschieden  werden.  Im  Fall  der  Aufenthalt  der 
Seeräuber  nicht  ausfindig  zu  machen  ist,  so  genügt  vierzehntägige  Bekannt- 
machung, damit  das  Urtheil  rechtskräftig  werde.  2)  Um  rasch  eine  Ent- 
scheidung der  im  Appellationsweg  bei  den  obersten  Gerichtshöfen  anhängigen 
Processe  herbeizuführen,  wird  bestimmt,  dass  wenn  bereits  ein  Beschluss 
gefasst  wurde,  den  Parteien  in  sechs  Monaten  das  Urtheil  zugestellt  werden 
soll;  andernfalls  werden  für  die  Voruntersuchung  und  die  definitive  Er- 
ledigung je  6  Monate  bewilligt.  3)  Um  ebenso  cue  Processe,  welche  in 
diesem  Betreff  bei  den  niederen  Gerichtshöfen  anhängig  sind,  möglichst 
abzukürzen,  sollen  die  Betheiligten  verlangen  dürfen ,  dass  die  Processe  an 
die  sub  1  erwähnten  prov.  Gerichtscommissionen  verwiesen  werden.  Weigern 
sich  die  Gerichtshöfe,  diese  Ucberweisung  innerhalb  10  Tagen  vorzunehmen, 
so  trifft  sie  die  Strafe  von  30  Mark ;  eine  etwaige  Fortsetzung  des  Processes 

fegen  den  Willen  der  Betheiligten  ist  wirkungslos.    4)  Den    streitenden 
arteien  wird  im  fremden  Lande  kraft  königl.  Autorität  von  den  abgeord- 
neten Richtern  persönliche  Sicherheit  garantirt. 

8)  Die  hieher  gehörigen  Bestimmungen  lauten:  1)  Jedes  Schiff,  das  in 
See  gehen  will,  muss  für  seinen  Gesammtwerth  eine  Caution  stellen.  2)  Die 
Annahme  noch  nicht  verpflichteter  Mannschaft  ist  verboten.  Die  Verpflich- 
tung geschieht  durch  die  Admiralität  und  besteht  in  der  Einzeichnung  des 
Namens  in   ein  öffentliches  Register  und  Abnahme  eines  feierlichen  Eides, 


—    307    — 

Massregeln  und  Bestimmungen  des  merkwürdigen  Tractats, 
sowie  das  aufrichtige  Streben  auf  beiden  Seiten,  die  schweren 
Misstände  bei  der  Wurzel  zu  fassen,  lassen  vermuthen,  dass 
den  Worten  des  Vertrags  auch  die  That  folgte,  und  keine 
Frage,  der  Einfluss  und  Erfolg  muss  ein  grossartiger  gewesen 
sein.  Getrost  und  ohne  Furcht  konnte  jetzt  der  Kauffahrer 
der  See  mit  seinen  Schätzen  sich  anvertrauen. 

Der  Fortsetzung  des  Verfahrens  lag  natürlich  eine  not- 
wendige Voraussetzung  zu  Grunde,  das  war  der  Wille  nach 
einem  aufrichtigen  Frieden.  Dieser  Wille  fehlte  dem  Regiment 
Heinrichs  VIII.,  und  es  erklärt  sich,  dass  die  Errungenschaften 
des  Vaters  bald  zerbröckeln  mussten. 

Entschlossen,  aus  der  insularen  Zurückgezogenheit  heraus- 
zutreten und  England  in  der  europäischen  Diplomatie  Sitz  und 
Stimme  zu  verleihen,  gleichzeitig  die  romantischen  Eroberungs- 
pläne seiner  Vorfahren  wieder  erweckend,  sah  Heinrich  VIII.  sich 
bald  veranlasst,  an  Frankreich  den  Krieg  zu  erklären  (1513). 

Die  Folge  war,  dass  sofort  die  alten  Leiden  sich  einstellten. 
Im  Frieden  von  1514  schuf  man  nur  ungenügende  Garantien1); 
1515  nahm  man  zwar  die  Bestimmung  wegen  der  Gautionsleistung 
der  auslaufenden  Schiffe  wieder  in  den  Vertrag  auf2).  Allein 
auch  diese  Massregel  fruchtete  nichts,  das  wieder  eingerissene 
Uebel  wucherte  in  der  entsetzlichsten  Weise  weiter.  Die 
eigens  ernannten  Commissäre,  welche  die  vielen  schwebenden 
Klagen  beilegen  sollten,  richteten  Nichts  aus3).    Da  erinnerte 

während  der  Fahrt  kein  Unrecht  zufügen,  im  Fall  eines  stattgefundenen  Raubes 
zwei  oder  drei  höhere  Beamte  des  gekaperten  Schiffes  vor  den  Admiral 
zur  Vernehmung  bringen  und  an  den  Waaren  keine  eigenmächtige  Ver- 
änderung vornehmen  zu  wollen.  8)  Die  Schiffsbeamten  stellen  im  Einzel- 
falle dem  Admiral  Über  diese  Verpflichtung  eine  öffentliche  Urkunde  aus 
und  dieser  auch  umgekehrt  den  Schiffsbeamten,  auf  dass  sie  überall  hin 
frei  ziehen  können.  4)  Die  Schiffsbeamten  haben  auch  hierüber  vor  der 
Ausfahrt  eine  Caution  zu  stellen;  geschieht  dies  nicht,  so  haftet  der  Ad- 
miral. Durch  öffentliches  Edict  wird  den  Kauf  leuten  bei  Gefängniss  und 
Coofiscation  verboten,  eigenmächtig  und  ohne  vorherige  Entscheidung  der 
Admiralität  geraubte  Güter  anzunehmen  oder  zu  verheimlichen.  5)  Ist  eine 
Beraubung  eingetreten,  so  hat  die  Admiralität  innerhalb  40  Tage  nach  ge- 
machter Anzeige  die  hinterlegten  Cautionen  für  verfallen  zu  erklären;  wurde 
die  Beute  in  das  Gebiet  eines  der  Contrahirenden  gebracht,  so  soll  die 
Rückgabe  befohlen  und  sofort  der  'Fall  summarisch  entschieden  werden. 
Die  Execution  kann  durch  eine  Appellation  nicht  aufgehalten  werden.  6)  Den 
Streitenden  wird  für  die  Zeit  des  Processes  volle  Sicherheit  garantirt.  7) 
Diese  Bestimmungen  werden  in  allen  Häfen  und  Seeplätzen  der  beiden  Egr. 
veröffentlicht  In  der  Bestätigung  von  1498  sind  noch  2  weitere  Artikel 
über  die  Beendigung  der  Processe  in  bestimmten  Zeitfristen  beigefügt. 
Bymer  XU.  S.  690. 

l)  Die  Friedensbürgen  wurden  in  erster  Linie  als  Richter  aufgestellt; 
können  sich  diese  nicht  einigen,  dann  sollte  die  Streitsache  an  den  Rath 
eines  der  Fürsten  gehen.  Das  Verfahren  musste  summarisch  sein.  Art  24 
Bymer  XIIL  S.  420. 

*)  Art.  5.    Rymer  S.  XHI.  476. 

8)  Vgl.  hierüber  Brewer,  CaL  IL  8520.  3634.  8750.  3762.  8766.  3772. 
3786.  3803.  3805.  3861.  3968. 

20* 


—    308    — 

man  sich  wieder  des  unter  Heinrich  VII.  geschlossenen  Ver- 
trags *),  und  man  vereinbarte  nicht  nur  dessen  völlige  Wieder- 
herstellung, sondern  stipulirte  auch,  dass  wenn  ein  Urtheils- 
spruch  innerhalb  dreier  Monate  nicht  zur  Ausführung  gelange, 
die  contrahirenden  Fürsten  selbst  zur  Restitution  verpflichtet 
sein  sollten2).  Die  noch  während  der  Verhandlung  sich  er- 
eignenden Gewalttätigkeiten3)  zeigen,  wie  noth wendig  die 
Wiederinkraftsetzung  des  alten  Tractats  war. 

Die  kurze  Friedenszeit  war  nicht  genügend,  den  Vertrag 
ins  Bewusstsein  und  in  die  Gewohnheit  des  Volkes  einzuprägen. 
1521  brach  der  Krieg  von  Neuem  aus,  und  drei  Jahre  lang 
dauerten  die  gegenseitigen  Schädigungen  fort.  Als  nach  der 
Gatastrophe  von  Pavia  das  englische  und  französische  Cabinet 
sich  wieder  einander  näherten,  setzte  man  auch  den  Tractat 
wieder  in  Kraft 4),  schwächte  aber  seine  Bedeutung  wenigstens 
in  soweit  ab ,  als  man  die  Haftung  der  Fürsten  im  Fall  der 
Rechtsverschleppung  beseitigte.  Der  Krieg  von  1542—44  mit 
den  zahlreichen  Beschlagnahmungen,  die  von  den  Regierungen 
ausgingen6),  gab  dem  Seeraubsgewerbe  wieder  neuen  Boden. 
Im  Frieden  vom  7,  Juni  wird  des  Tractatus  contra  spolia  etc.  nicht 
gedacht6).  Es  bleibt  eine  offene  Frage,  ob  er  in  speciellen 
Verhandlungen  wieder  erneuert  wurde.  Vom  englischen  Stand- 
punkt aus  war  die  Erneuerung  nicht  dringend  geboten,  Hein- 
rich VIII.  hatte  inzwischen  nicht  nur  durch  zweckmässigem 
Einrichtung  des  Processverfahrens  die  Bestrafung  der  Seeräuber 
sehr  erleichtert7),  sondern  auch  eine  Staatsflotte  geschaffen, 
welche  im  Stande  war,  dem  englischen  Kaufmann  in  Friedens- 
zeiten den  nöthigen  Schutz  angedeihen  zu  lassen. 

Sucht  man  sich   einen  Gesammtüberblick  über  die  eng- 


2)  In  der  Einleitung  desselben  heisst  es:  Cum  inter  dictum  christi* 
nissimum  Francorum  et  potentissimum  ac  serenissimum  Henricum  Dei 
gratia  Angliae  reges  nonnulla  statuta  ordinaüonesque  pro  bono  pack 
utriusque  regni  maritimisque  ac  piraticis  depraedationibus  cohercendis, 
dampnis  et  injuriis  illatis  resartiendis  jam  olim  edita  fuerint,  ac  per  illustris- 
simos  principes  Ludovicum  quondam  bonae  memoriae  Francorum  doo- 
decixnum  et  Henricum  octavum  Angliae  reges  confirmata  et  innovata  cum 
quibusdam  praeteritarum  depraedationum  abolitionibus,  quibus  nolumns 
per  praesentes  derogare,  tarnen  cum  eadem  statuta  et  ordinationes  pronter 
utriusque  regni  subditorum  insolentiam  judicumque.  quibus  eorumaem 
statutorum  executio  commissa  est,  tum  injuriam  tum  difficultatem  Tel  nnlio 
modo  vel  parum  diligenter  provide  executioni  demandata  extiterunt,  usque 
adeo  ut  e  mentibus  subditorum  erasa  quasique  abolitaeiis- 
timentur,  nos  etc.  convenimus  etc.  Rymer  XIII.  S.  649. 

2)  Art  14.  a.  a.  0. 

3)  Ueber  dieselben  vgl.  Brewer  II.  4580.  4581;  III.  129.  ferner  auch 
D.  4613.  4663.  4664.  III.  56.  57.  114.  129.  212.  276.  320.  340.  875.  531. 

4)  Rymer  XIV.  S.  48.  70.  148.    Brewer,  Gal.  IV.  2100. 

*)  Vgl.  State  Papers  IX.  Nr.  793.  802.  800.  808.  810.  811.  812. 
827.  828.  867.  887  u.  s.  w. 
c)  Rymer  XV.  S.  93  fg. 
"•)  27  Hen.  Vni.  c  4;  28  Hen.  VIII.  c  15. 


—    309    — 

lisch-französischen  Handelsbeziehungen  zu  verschaffen,  so  er- 
gibt sich  ungefähr  Folgendes : 

Obwohl  die  Lage  der  beiden  Reiche  für  commercielle  Be- 
ziehungen wie  geschaffen  war,  so  Hess  die  traditionelle  Feind- 
schaft dieselben  im  Allgemeinen  zu  keiner  Entwicklung  ge- 
langen. Die  schönen  Airfänge  im  Norden  wurden  bald  zerstört, 
und  auch  im  Süden  ging  der  Handelsflor,  den  die  Engländer 
zur  Zeit  ihrer  dortigen  Herrschaft  entwickelt  hatten,  seit  der 
Unterwerfung  dieser  Gebietstheile  unter  die  französische  Krone 
zu  Grunde.  Nur  in  der  noch  unabhängigen  Bretagne  gedieh 
der  Verkehr,  nicht  zum  geringsten  Theil  in  Folge  der  daselbst 
befolgten  Handelspolitik. 

Das  Ende  des  15.  Jahrhunderts  brachte  eine  Wendung  in 
diese  Verhältnisse.  Zwei  Momente  waren  bestimmend.  Von 
englischer  Seite  war  von  grossem  Einfluss,  dass  noch  während 
und  besonders  nach  Beendung  der  Rosenkriege  die  englische 
Politik  den  Gedanken  an  eine  Eroberung  Frankreichs  mehr 
und  mehr  aufgab.  Von  französischer  Seite  war  von  entschei- 
dender Tragweite,  dass  die  grössere  innere  Concentration  zwar 
fortgesetzt,  gleichzeitig  aber  die  gewonnene  Stärke  zu  Frank- 
reich schwächenden  Eroberungen  verwendet  wurde.  In  Folge 
dieser  Umstände  war  es  möglich,  dass  Eduard  IV.  und  Hein- 
rich VH.  die  alten  Privilegien  im  Süden  wieder  zurückerobern 
und  befestigen  und  gleichzeitig  den  französischen  Kaufleuten, 
namentlich  den  inzwischen  Franzosen  gewordenen  Bretonen, 
ihre  bisherigen  Rechte  entziehen  oder  doch  eine  ungünstigere 
Position  aufzwingen  konnten.  Ebenso  war  der  Boden  geschaf- 
fen, um  eine  die  Interessen  beider  Länder  berührende  und 
brennend  gewordene  Frage  zu  lösen,  nämlich  gemeinsam  das 
Unwesen  auf  dem  Meere  zu  unterdrücken. 

Im  16.  Jahrhundert,  namentlich  während  der  Regierungs- 
zeit Heinrichs  VIII.  trat  ein  etwas  schwankender  Zustand  ein. 
Die  häufigen  Kriege  Heinrichs  VHI.  gegen  Frankreich  waren 
die  Ursache.  Uebrigens  vermochten  diese  Zwischenfälle  nicht 
eine  dauernde  Einbusse  der  englischen  Handelsprivilegien  zu 
veranlassen.  Heinrich  VHL  erhielt  seinen  Kaufleuten  die  alten 
Rechte,  insbesondere  auch  die  Zölle,  die  vor  einem  halben 
Jahrhundert  und  länger  bestanden  hatten,  ein  Vortheil  von 
grosser  Bedeutung,  wenn  man  die  in  jener  Zeit  von  den  fran- 
zösischen Königen  forcirte  Fiscalpolitik  *)  und  die  eintretende 
Geldentwertung  in  Betracht  zieht 

In  den  Tagen  der  beiden  ersten  Tudors  wurden  die  Keime 
zur  Handelssuprematie  Englands  über  Frankreich  gelegt.  Da- 
mals versäumte  Frankreich,  sich  wirtschaftlich  zu  kräftigen, 
und  vergeblich  war  all  sein  späteres  Ringen,  gegen  die  englische 
Handelsherrschaft  aufzukommen. 

*)  Charles  Gouraud,  Histoire  de  la  politique  commerciale  de  la  France 
LS.  122. 


Achtes  Capitel. 


Englands  Handelsbeziehungen  zu  Irland  und 
Sehottland. 


Irland  und  Schottland  sind  zwei  Gebiete,  von  denen 
das  erstere  nur  äusserlich  der  englischen  Krone  unterworfen 
war,  das  letztere,  noch  unabhängig,  der  Attraction  des  grössern 
Staates  sich  entgegensteramte 1).  Diese  politischen  Momente, 
noch  mehr  aber  die  eigentümliche  Industrie-  und  Culturstufe, 
auf  der  beide  Länder  standen,  waren  für  die  commerciellen 
Beziehungen  zu  England  entscheidend. 

Irland  war  gegen  Ende  des  Mittelalters  im  Zustand  völliger 
Barbarei.  Von  einer  administrativen  Ordnung  war  kaum  eine 
Spur  ersichtlich.  Die  Häuptlinge  lagen  beständig  untereinander 
im  Krieg,  und  die  englische  Krone  war  nicht  im  Stande,  Ord- 
nung zu  schaffen.  Es  war  ein  Land,  das  auf  der  Entwicklungs- 
stufe des  6. — 9.  Jahrhunderts  stehen  geblieben  war.  Der  Acker- 
bau lag  völlig  darnieder,  die  Gewalttätigkeit  der  Grundherren 
und  die  zahlreichen  aus  der  Clanwirthschschaft  entspringenden 
Missbräuche,  die  ausgedehnten  Jagden  erstickten  jede  Sorgfalt 
und  jedes  Interesse  für  den  Feldbau.  Industrie  konnte  sich  bei  der 
allgemeinen  Rohheit  und  Unsicherheit  natürlich  auch  nicht  ent- 
falten. Grobes  Leinentuch,  das  man  in  den  Städten  machte, 
war  das  einzige  irische  Manufact.  Die  Bevölkerung  war  be- 
jammerungswürdig.  „Wo  in  aller  Welt,  sagt  ein  amtlicher  der 
englischen  Regierung  übersandter  Bericht8),  ist  das  gemeine 
Volk  so  arm,  so  schwach,  so  erbärmlich  anzusehen  auf  dem 
Land  wie  in  der  Stadt,  wo  ist  es  so  viehisch,  so  gänzlich  nie- 
dergedrückt und  zertreten,  wo  geht  es  ihm  so  schlecht,   wo 

l)  Bekannt  ist  das  prophetische  Wort  Heinrichs  VIL :  „Schottland  wird 
an  England  kommen,  denn  das  Kleinere  geht  dem  Grösseren  nach". 
Pauli,  Geschichte  von  England  V.  S.  600. 

*)  Derselbe  ist  ans  dem  Jahre  1515  und  für  die  Erkenntniss  der  da- 
maligen irischen  Zust&nde  geradezu  grundlegend.    Brewer,  Cal.  IL  1367. 


—    311    — 

befindet  es  sich  in  so  grossem  Elend  und  führt  ein  so  jammer- 
volles Leben  als  in  Irland?  Keine  Zunge  vermag  es  zu  er- 
zählen, Niemand  kann  es  beschreiben. tf 

Auch  die  energischen  Tudors  zeigten  sich  unfähig,  diese 
chaotischen  Zustände  zu  bemeistern,  die  Versuche  Heinrichs  VIII., 
der  sich  den  Titel  eines  Königs  von  Irland  beilegte,  schufen 
eher  noch  eine  Reihe  neuer,  fast  unentwirrbarer  Verwick- 
lungen *). 

Was  den  Handel  betrifft,  so  lässt  sich  aus  dem  Gesagten 
das  Meiste  ableiten.  Von  einer  Handelsblüthe  konnte  natürlich 
bei  der  allgemeinen  Unsicherheit  keine  Rede  sein;  doch  war 
bei  der  Insellage  nicht  aller  Verkehr  unmöglich;  der  Kaufmann 
fand  Mittel  genug,  der  Gewalt  auszuweichen;  das  irische  Volk 
selbst  war  dem  Handel  mit  den  Engländern  nicht  abgeneigt8).  So 
roh  ein  Volk  auch  sein  mag,  für  eine  Art  Luxus  ist  es  nie 
unempfänglich;  und  im  Grunde  genommen  waren  ja  alle  eng- 
lischen Artikel  für  die  Iren  Luxuswaaren.  Die  irischen  Pro- 
ducte  der  Jagd,  des  extensiven  landwirtschaftlichen  Systems 
und  der  Fischerei  waren  genügend,  den  Austausch  zu  bewirken. 
Nach  dem  Hafen  Bristol  allein  kamen  in  einem  Jahr  (Mich. 
4—5  Henr.  VIII.)  nicht  weniger  als  106  Waarenschiffe  und 
Fischerboote,  von  Bristol  nach  Irland  gingen  58  Schiffe8). 

Die  irische  Einfuhr  nach  England  bildeten  folgendeWaaren : 
Salm,  Aale,  gesalzene  Fische,  Wachs,  gesalzene  Häute,  Ziegen-, 
Bocks-,  Schaf-,  Lamm-,  Marder-,  Wolfe-,  Otter-,  Fuchs-  und 
sonstiger  wilder  Thiere  Felle,  Leinentuch,  weisse  Decken, 
Falken,  Schiffsborden  u.  s.  w.4) 

Die  Ausfuhr  aus  England  nach  Irland  erstreckte  sich  auf: 
Eisen,  Bohrer,  Messer,  Stecknadeln,  Spiegel,  Tuch,  Barchent 
(fustian),  Steifleinwand  (buckrams),  Faden,  Quecksilber,  Salz, 
Alaun,  Hopfen,  Liqueure,  verdorbenen  Wein  (vinum  corruptum), 
Pfeffer,  Gewürznelken,  Zimmt,  Muscatnüsse,  Zucker,  Honig, 
Weidengeflechte  u.  s.  w. 4). 

In  handelspolitischer  Hinsicht  ist  wenig  zu  bemerken. 
Dem  Ausland  gegenüber  beanspruchte  die  englische  Regierung 


*)  R  Pauli,  Zur  Geschichte  Irlands  unter  den  Tudors.  In  Sybels 
ffistor,  Zeitschr.  1869.  Bd.  XXII.  8.  257—269. 

*)  Dass  der  Verkehr  Irlands  mit  dem  Ausland  nicht  ganz  unbedeutend 
war,  geht  daraus  hervor,  dass  die  Zölle  desselben  sich  jahrlich  auf  100  000 
Mark  beliefen.    Brewer,  Cal.  IL  1367. 

*)  Nach  einer  Zählung,  die  ich  auf  Grund  eines  Bristoler  Portbooks 
(R.  0.  Mise  of  Queen's  Remembr.  of  Exch.  Bdle.  193.  J.  P.  R.  2202) 
vornahm. 

')  Nach  einem  von  mir  gemachten  Auszug  aus  oben  genanntem  Port- 
book. Ausser  den  angeführten  Waaren  sind  bei  der  Einführ  nach  England 
noch  verzeichnet:  „mantell,  choker,  allec  alb.  et  rubr.,  corc.  niger,  cope- 
multon,  calowe,  bremis";  bei  der  Ausfuhr  nach  Irland:  „croc,  pflor.  tinet, 
legul.,  anues,  stokkard,  orchell  operat,  pell,  aur.,  zonae,  grocis  cuttis,  batr., 
comyn,  Redlesshe,  vurch.  oper,  gaide,  filom  blöd.,  wode  . 


—    312  — 

als  selbstverständlich,  dass  alle  Privilegien  der  englischen  Kauf- 
leute auch  für  die  blander  gälten,  unter  sich  verkehrten  aber 
Irländer  und  Engländer  wie  zwei  fremde  Nationen.  Die  Irländer 
zahlten  für  ihre  Producte  in  England  Zölle,  gerade  als  ob  sie 
dieselben  aus  der  Fremde  gebracht  hätten *).  Das  Gleiche  galt 
in  Bezug  auf  die  Engländer2).  Eigentliche  handelspolitische 
Verhandlungen  kamen  so  gut  wie  nicht  vor8). 

Schottland  war  um  Vieles  besser  als  Irland,  aber  es  hatte 
doch  viele  Berührungspuncte  mit  demselben,  namentlich  hin* 
sichtlich  der  industriellen  Verhältnisse.  Im  Ganzen  stand  es 
auf  einer  Culturstufe,  die  ungefähr  die  Mitte  hielt  zwischen 
der  von  England  und  Irland 4). 


*)  Vgl.  17.  Edw.  IL  c.  3. 

*)  Ob  Art.  10  des  Vertrags  vom  26.  Juli  1535  zwischen  O'Neyll  und 
England  so  auszulegen  ist,  dass  man  sich  gegenseitig  Zollfreiheit  zuge- 
stand, muss  ich  bei  dem  unbestimmten  Wortlaut  der  Cal.  unentschieden 
lassen.    Brewer  and  Bullen,  Cal.  of  the  Carew  Manuscr.  L  56. 

3)  Sie  betreffen  mindestens  untergeordnete  Puncte.  Vgl  Brewer  Ü. 
996.  III.  1182.  IV.  81  u.  s.  w. 

*)  Eine  ganz  vorzügliche  Schilderung  über  Schottland  gegen  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  besitzen  wir  von  einem  sehr  gesunden  Beobachter, 
dem  spanischen  Gesandten  Don  Pedro  de  Ayala.  Er  schreibt  an  Ferdinand 
und  Isabella  (25.  Juli  1498.  Bergenroth,  Cal.  I.  210):  Schotüand  ist 
in  seiner  Beschaffenheit  nicht  sehr  von  England  verschieden;  aber  die 
Schotten  sind  nicht  betriebsam,  und  das  Volk  ist  arm;  sie  verwenden  alle 
ihre  Zeit  auf  Krieg,  und  ist  keiner,  so  fuhren  sie  solchen  unter  einander. 
Es  mag  jedoch  bemerkt  werden,  dass  seit  der  gegenwartige  König  auf  den 
Thron  gelangt  ist,  sie  nicht  so  sehr  mit  einander  zu  streiten  wagen,  wie 
früher;  namentlich  ist  dies  seit  seiner  Grossjährigkeit  ersichtlich.  Sie  haben 
aus  Erfahrung  gelernt,  dass  er  das  Gesetz  übt,  ohne  Rücksicht  ob  es 
Reiche  oder  Arme  betrifft  Man  hat  mir  gesagt,  dass  Schottland  während 
seiner  Regierung  einen  grossen  Aufschwung  genommen  und  jetzt  dreimal 
mehr  werth  ist,  als  früher,  weil  Fremde  in  das  Land  gekommen  und  ihnen 
gelehrt  haben,  wie  man  lebt.  Sie  haben  mehr  Fleisch  von  grossen  und 
kleinen  Thieren,  als  sie  brauchen,  eine  Menge  Wolle'  und  Häute.  Spanier, 
die  in  Flandern  leben,  sagen  mir,  dass  der  Handel  Schottlands  jetzt  weit 
beträchtlicher  als  früher  und  noch  immer  in  der  Zunahme  begriffen  ist 
Unmöglich  ist  es,  die  ungeheure  Quantität  Fische  zu  beschreiben.  Ein  altes 
Sprüchwort  spricht  bereits  von  der  „piscinata  Scotia".  Man  exportirt  grosse 
Massen  Salm,  Heringe  und  eine  Art  getrockneter  Fische,  welche  sie  Stock- 
fische heissen.  Die  Quantität  ist  so  gross,  dass  sie  für  Italien,  Frankreich, 
Flandern  und  England  hinreicht.  Sie  haben  so  viele  wildwachsende,  ess- 
bare Früchte,  dass  sie  nicht  wissen,  wo  mit  hin.  Es  gibt  ungeheuere 
Heerden  Schafe,  hauptsachlich  in  den  wilderen  Theilen  Schottlands.  Häute 
verwendet  man  zu  vielen  Zwecken.  Man  findet  alle  Arten  Gartenfrüchte, 
welche  ein  kaltes  Land  produciren  kann.  Sie  sind  sehr  schmackhaft  Orangen, 
Feigen  und  dergleichen  findet  man  hier  nicht  Das  Getreide  ist  sehr  gut, 
aber  sie  produciren  nicht  so  viel  als  sie  könnten,  weil  sie  das  Land  zu 
wenig  bebauen.  Ihre  Methode  ist  folgende:  Sie  pflügen  das  Land  nur 
einmal  und  zwar  wenn  Gras  darauf  ist  das  Manneslänge  hat;  sodann  säen 
sie  das  Korn  und  bedecken  es  mit  Erde,  welche  sie  durch  Eggen  erzeugen. 
Dann  geschieht  nichts  mehr  bis  zum  Getreideschnitt  Ich  habe  nach  der 
Ernte  das  Stroh  so  hoch  stehen  sehen,  dass  es  bis  an  meinen  Gürtel  reichte. 
Eine  Art  Korn  wird  gegen  Johanni  gesäet  und  im  August  geschnitten.  Die 
Städte  und  Dörfer  sind  volkreich.    Die  Häuser  sind  gut,  alle  gebaut  aus 


-    313    — 

Für  den  Handel  waren  deshalb  zum  Theil  dieselben  Be- 
dingungen gegeben,  wie  bei  Irland,  zum  Theil  trat  aber  Schott- 
land auch  als  Concurrent  Englands,  namentlich  in  den  Nieder- 
landen auf1). 

Der  Verkehr  zwischen  England  und  Schottland  selbst  war 
hauptsächlich  ein  Grenzverkehr.  Zur  See  hatte  aber  der 
Handel  mit  Fischen  nach  England  grosse  Bedeutung;  diese 
waren  es  auch  hauptsächlich,  mit  denen  Schottland  die  eng- 
lischen Manufacte  zahlte. 

Zu  einem  gehörigen  Staats-  und  völkerrechtlichen  Ausbau 
der  Handelsbeziehungen  konnte  es  jedoch  bei  den  ewigen 
Kriegen  nicht  kommen.  Die  Vertragsbestimmungen  gingen  über 
die  allgemeinsten  Dinge  nicht  hinaus,  und  der  ganze  diplo- 
matische Verkehr  betraf  fast  nur  Beraubungen,  Entschädigungs- 
forderungen und  Gewährung  von  Geleitsbriefen2). 


behauenen  Steinen,  mit  vorzüglichen  Thüren  versehen,  ebenso  haben  sie 
Glasfenster  und  eine  grosse  Zahl  Kamine.  Alle  Möbel,  die  man  in  Italien, 
Spanien  und  Frankreich  gebraucht,  findet  man  auch  hier.  Es  ist  nicht 
erst  in  der  modernen  Zeit,  gekauft,  sondern  von  früheren  Jahren  her  ererbt. 
Die  Schotten  sind  nicht  "reich;  die  Schuld  an  diesem  Mangel  tragt  nicht 
das  Land;  auf  der  andern  Seite  sind  sie  aber  auch  nicht  so  arm,  dass  sie 
nicht  ebenso  gut  lebten,  als  andere,  die  viel  reicher  sind;  sie  haben  nur 
Nichts  in  ihre  starken  Beutel  zu  thun. 

l)  Vgl.  z.  B.  Brewer,  "Cal.  I.  3320.  III.  1022.  2784.  3071.  IV.  1110. 
1590.  2126,  2781.  2787.  3248.  3249.  3582.  3612.  3613.  3798.  3868.  4101. 
4178.  4671.  4926.  5045.  u.  s.  w.  Die  verhältnissmässig  bedeutendsten  Be- 
schwerden drehten  sich  meist  um  das  Stapel  zu  Berwick,  wohin  die  Schotten 
ihre  Waaren  bringen  sollten;  vgl.  darüber  auch  Rot  Pari.  VI.  S.  224. 


*)  Pedro  de  Ayala  gibt  die  Einnahmen  Schottlands  aus  den  Zöllen  auf 
25000  Ducaten  per  Jahr  an.    Bergenroth,  Cal.  I.  210. 


Neuntes  CapiteL 

Die  Stellung  der  beiden  ersten  Tudors  zu  den 
Entdeckungen. 


Wenn  wir  die  Frage,  welche  Stellung  die  englische  Re- 
gierung zu  den  Entdeckungen  einnahm,  im  Anschluss  an  die 
Betrachtung  der  Handelsbeziehungen  Englands  zum  Ausland, 
kurz  zu  beantworten  suchen,  so  geschieht  es,  weil  auch  die  Ent- 
deckungsfahrten ein  commercielles  Ziel  verfolgten.  Seit  der 
Weg  um  das  Cap  der  guten  Hoffnung  gefunden,  war  doch  das 
Problem  so  gestellt,  wie  man  durch  eine  Fahrt  nach  Westen 
ebenfalls  zu  den  Gewürzländern  gelangen  und  den  Portugiesen 
den  Reichthum  oder  doch  das  Monopol  entreissen  könne.  Die 
ganze  Frage  war  von  vornherein  nicht  eine  rein  wissenschaft- 
liche, sondern  eminent  handelspolitisch-practische ,  und  eben 
deshalb  gewinnt  sie  für  unsere  Aufgabe  ein  erhöhtes  Interesse. 
Sie  bildet  aber  auch  zugleich  den  natürlichen  Schluss  für  diesen 
Abschnitt;  denn  die  neuen  Welten  waren  die  letzten  Grenzen, 
bis  zu  denen  der  englische  Kauffahrer  vordrang  und  vordringen 
konnte. 

Heinrich  VII.  hatte  das  Glück ,  das  englische  Scepter  zu 
führen,  als  der  grosse  Cristobal  Colon  seine  kühnen  Ideen  zu 
verwirklichen  suchte.  Aber  nicht  blos  dessen  Thaten  zu  er- 
leben, war  ihm  beschieden,  das  Schicksal  stellte  ihm  auch 
anheim,  ob  er  bei  diesem  folgenschweren  Ereigniss  das  schönste 
Ruhmesjuwel  gewinnen  wollte. 

Man  weiss,  dass  Christ.  Columbus  nicht  nur  als  2ljähriger 
Jüngling  in  Bristol  war  (1477)  und  von  dort  aus  Island  be- 
suchte *),  sondern  auch  zur  Ausfuhrung  seiner  Pläne  die  Blicke 
auf  England  richtete.  Als  in  Portugal  und  Spanien  Columbus 
mit  grossen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hatte,  beauftragte  er 


')  P  esc  hei,  Geschichte  des  Zeitalters  der  Entdeckungen  S.  101. 


—    815    — 

seinen  Bruder  Bartolomeo,  den  englischen  König  zu  gewinnen 
(1487).  Heinrich  VII.  war  eine  nüchterne  und  vorsichtige 
Natur  und  schwer  zu  bewegen,  seine  Casse  zu  öffnen,  dass  er 
des  Erfolgs  nicht  völlig  sicher  war.  Man  begreift,  wenn  er 
auf  die  Projecte  Bartolomeos r)  nicht  einging.  Doch  benutzte 
er  dessen  Geschicklichkeit  im  Kartenzeichnen,  um  ihm  einen 
Unterhalt  an  seinem  Hofe  zu  gewähren. 

Als  1493  die  Kunde  der  grossen  Entdeckung  an  den  eng- 
lischen Hof  gelangte,  bereute  der  König  freilich  seine  Zurück- 
haltung und  wäre  gerne  „dieses  göttlichen  Wunders"  *)  auch 
theilhaftig  gewesen.  Sofort  liess  er  den  Bartolomeo  rufen  und 
schloss,  ohne  dass  er  diesem  von  dem,  was  vorgefallen  war,  et- 
was mittheilte,  einen  Vertrag  ab,  worin  er  alle  Forderungen 
Cristobals  im  Voraus  bewilligte.  Er  hoffte  Columbus  vielleicht 
noch  auf  seine  Seite  ziehen  zu  können.  Aber  es  war  zu  spät. 
Schon  in  Frankreich  erfuhr  Bartolomeo  von  Karl  VUL,  was 
sich  ereignet  hatte8). 

Die  Belehrung,  die  Heinrich  VII.  bei  dieser  Gelegenheit 
empfing,  scheint  genügt  zu  haben,  um  ihn  bei  neuen  Fällen 
dieser  Art  etwas  zugänglicher  zu  machen. 

Wie  so  viele  Italiener  hatte  sich  auch  ein  Genuese  John 
Cabot4)  mit  seinen  drei  Söhnen  Sebastiano,  Lodovico,  Sansio 
in  England  und  zwar  in  Bristol  niedergelassen.  Der  Entdeckungs- 
trieb und  der  damals  durch  die  Menschheit  gehende  divina- 
torische  Zug  hatte  auch  ihn  erfasst,  und  in  der  That  hat  er 
sich  mit  seinem  Sohne  Sebastian  nicht  den  geringsten  Platz 
unter  den  Entdeckern  erworben.  In  Bezug  auf  Originalität 
gebührt  John  und  Sebastian  Cabot  die  nächste  Stelle  nach 
Columbus 5). 

Die  Versuche  des  John  Cabot,  im  Westen  Land  zu  finden, 
gehen  vermuthlich  bis  ins  Jahr  1480  zurück.  Sicher  ist,  dass 
er  seit  1490  mit  Unterstützung  von  Bristolern  Fahrten  unter- 
nahm, und  am  24.  Juni  1494  auf  einer  Reise  das  amerikanische 
Festland  erblickte.    Vermuthend,  dass  das  neuentdeckte  Land 

l)  Dieser  war"  auf  dem  Wege  den  Seeräubern  in  die  Hände  gefallen; 
seit  Febiuar  1488  war  er  an  Heinrichs  VII.  Hof.    A.  a.  0.  S.  118. 

*)  In  London  hielt  man  die  Entdeckung  mehr  für  ein  göttliches 
Wunder  als  eine  menschliche  That.  Hakluyt,  The  principal  navigations 
etc.  III. S.  7.  und  Brief  des  Legaten Galeatius Butriganus.  Aiesselbach, 
Gang  des  Welthandels  im  Mittelalter  S.  316. 

*)Pe8chel  S.  260. 

*)  Von  Geburt  war  John  Cabot  Genuese;  durch  Einwanderung  war 
er  venetianischer  Bürger  geworden.  Friedrich  v.  Hellwald,  Seb.  Cabot 
Vortrag  geh.  17.  Mai  1870  in  der  k.  k.  geograph.  Gesellschaft  zu  Wien, 
in  der  Sammlung  gemeinverständlicher  wissenschaftlicher  Vorträge  heraus- 
gegeben von  Virchow  und  Holtzendorff  Berlin  1871.    Heft  124.  S.  4. 

*)  So  lautet  das  ürtheil  Peschels  über  Seb.  Cabot  (S.  281).  Allein 
schon  mit  Rücksicht  auf  das  Alter  ist  man  nicht  berechtigt,  John  bei 
Seite  zu  schieben.  Hellwalds  Deductionen  halte  ich  in  dieser  Frage  für 
ganz  richtig.    S.  18.    Vgl.  auch  den  Excurs  am  Ende  des  Bandes. 


—    316    — 

mit  dem  von  Columbus  gesehenen  in  irgend  einem  Zusammenbange 
stehe ,  suchte  John  bei  Heinrich  VII.  um  eine  Art  Schutz  Ar 
seine  eigenen  Entdeckungen  nach. 

Am  5.  März  1496  erhielten  die  Cabots  von  Heinrich  VH. 
ein  Patent,  kraft  dessen  er  ihnen  gestattete,  mit  fünf  Schüfen 
nach  allen  Ländern,  Meeren  und  Golfen  auf  Entdeckungen  aus- 
zugehen x).  Eine  materielle  Hülfe  wurde  versagt.  Die  Unter- 
nehmer mussten  auf  eigene  Kosten  sich  ausrüsten.  Die  einzige 
Belohnung,  die  er  ihnen  zusicherte,  bestand  in  dem  Versprechen, 
dass  sie  für  den  Handel  nach  den  neu  entdeckten  Ländern  ein 
Monopol  und  auch  die  Herrschaft  über  diese  Gebiete  unter 
englischer  Oberhoheit  erhalten  sollten.  Dagegen  bedang  sich 
der  König  gleichzeitig  den  fünften  Theil  des  Handelsgewinns 
aus  *). 

Die  Mittel  der  Cabots  und  ihrer  Unterstützer  waren  ge- 
ring, und  erst  im  nächsten  Jahr  konnten  sie  und  zwar  mit 
nur  einem  einzigen  Schiff,  dem  Matthew,  einen  neuen  Versuch 
machen 8). 

Die  Cabots  betraten  auf  dieser  Reise  das  Festland  von 
Amerika,  14  Monate  früher  als  Columbus.  J.  Cabot  glaubte, 
das  Territorium  des  Grand  Cham  gefunden  zu  haben4),  seine 
beredten  Schilderungen  blendeten  den  König.  Heinrich  VTL 
zeigte  sich  sehr  erfreut,  versprach,  im  Frühling  10  Schiffe  und 
zur  Bemannung  dieser  Flotte  ihm  alle  Gefangenen  (ausgenommen 
Hochverräther)  zur  Verfugung  stellen  zu  wollen5).  Er  sorgte 
für  den  Unterhalt  John  Cabots6)  und  zollte  „dem  grossen 
Admiral"  die  seltensten  Ehren.  Das  englische  Volk  aber  ver- 
götterte fast  den  Helden,  der  England  so  grosses  Glück  ge- 
schenkt 7). 


')  Rymer  XII.  S.  595—596. 

*)  H.  v.  Hellwald.  S.  8  glaubt,  dass  die  Verhandlungen  des  Königs 
mit  Dänemark  im  Jahre  1495,  bei  denen  John  Cabot  betheiligt  war  (vgL 
oben  S.  257,  Note  8)  bereits  mit  dem  Plane  der  nordwestlichen  Fahrt  zu- 
sammenhingen, und  dass  Island  zu  einem  Stapelplatz  auf  halbem  Wege  nach 
Chatai  gemacht  werden  sollte. 

8)  Ausser  Sebastian  und  John  Cabot  bestand  die  Bemannung  ans  18 
Seeleuten,  worunter  ein  Burgunder,  ein  Genuese,  die  andern  aber  Eng- 
lander und  zwar  meist  aus  Bristol  selbst  waren.    ▼.  Hellwald  S.  15. 

4)  Cabot  war  am  Lande  auf  ungeheuere  Baume,  auf  ThierfaUen  und 
auf  Nadeln  zum  Netzestricken  gestossen,  die,  wie  die  Seefahrer  nicht  zwei- 
felten, den  Unterthanen  des  chinesischen  Grosschans  angehörten. 

«)  Vgl.  Brown,  Cal.  750  und  752. 

«)  Der  König  gab  ihm(tohym  that  found  the  New  Isle)  10  jf .  Biddle, 
Meraoir  of  Cabot  London  1831.  S.  80.  Aus  Browns  Cal.  I.  752  geht 
jedoch  hervor,  dass  diese  Unterstatzung  nur  für  die  Zeit  bis  zur  Ausrüstung 
einer  neuen  Flotille  dienen  sollte. 

*)  Wie  rasend .  schreibt  Lorenzo  Pasqualigo  an  seine  Brüder  Alrise 
und  Francesco,  laufen  die  Engländer  ihm  nach,  so  dass  er  ausheben  kann, 
wen  er  nur  will,  und  eine  Zahl  unserer  eigenen  Schurken  dazu.  28.  Aug. 
1497.    Brown,  Cal.  L  752. 


—    317    — 

Am  8.  Februar  1498  erhielt  John  Cabot  ein  neues  Patent 
zur  Fahrt  nach  den  neuentdeckten  Ländern.  Zwei  Schiffe  mit 
300  Mann  liefen  aus.  Da  John  entweder  vor  dem  Beginn 
oder  während  der  Fahrt  starb,  so  lag  die  Leitung  nun  in  Sebas- 
tians Händen.  König  Heinrich  hatte  dieses  Mal  wirklich  einiges 
Geld  vorgestreckt,  und  auch  Londoner  Kaufleute  betheiligten 
sich  mit  Vorschüssen.  Bereits  war  eine  Ansiedlung  geplant, 
wie  aus  der  zahlreichen  Mannschaft  zu  schliessen  ist.  Auf 
dieser  Reise  berührte,  wie  es  scheint,  Cabot  Newfoundland  und 
suchte  wohl  auch  im  Norden  noch  weiter  vorzudringen. 

Als  Heinrich  VH.  sah,  dass  Seb.  Cabot  keine  Gewürze 
brachte,  und  auch  der  Colonisationsversuch  misslungen  sei1), 
war  es  mit  seinem  Eifer  vorbei.  Ein  neues  Anerbieten  Cabots 
1499  ward  von  ihm  abgewiesen.  Nachdem  Sebastian  noch  ein 
Schiff  ohne  öffentliche  Hülfe  ausgerüstet  und  auf  dieser  neuen 
Reise  noch  weiter  südlich  vorgedrungen  war 2),  verliess  er  Eng- 
land und  begab  sich  in  die  mehrverheissenden  spanischen 
Dienste3),  ohne  dass  wir  im  Stande  sind,  ein  genaues  Jahres- 
datum für  die  Abreise  von  England  anzugeben. 

Der  G&hrstoff  war  aber  einmal  unter  die  Engländer  ge- 
worfen. Keck  und  unternehmungslustig,  versuchten  sie  das 
Werk,  das  Cabot  begonnen,  fortzusetzen.  Zunächst  verbanden 
sich  vier  Bristoler  (Richard  Warde,  Hugo  Elyot,  Johann  Thomas 
und  Thomas  Ashehurst)  mit  drei  Portugiesen  oder  richtiger 
Eingebornen  von  den  Azoren  (Joäo  Fernandez,  Francisco  Fer- 
nandez  und  Joäo  Gonzalez) *)  zu  weiteren  Unternehmungen. 
Der  König  ertheilte  den  Unternehmern  das  Handelsmonopol 
nach  den  neu  zu  entdeckenden  Ländern  auf  10  Jahre  und  ver- 
lieh den  genannten  Portugiesen  das  englische  Bürgen-echt 
(19.  März  1501) ß). 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Fahrt  un- 
ternommen wurde.  Fraglich  bleibt,  ob  die  20  jg\  welche  der 
König  am  7.  Januar  1502  den  in  Newfoundland  gewesenen 
Kaufleuten  von  Bristol  anweist,  den  obengenannten  Unter- 
nehmern oder  andern  Bristolern  zufielen.  Letztere  entwickelten 
den  denkbar  grössten  Entdeckungseifer.  Nach  dem  Zeugnisse 
des  spanischen  Gesandten  Pedro  de  Ayala  schickten  die  Bürger 
von  Bristol  von  1492—98  jedes  Jahr  zwei  bis  vier  leichte  Schiffe 


!)  Die  Colonisten  kamen  in  Folge  der  Kälte  bereits  im  Juli  sammt 
and  sonders  um.    v.  Hellwald,  S.  18. 

*)  Die  Existenz  der  Fahrt  wird  angenommen  von  Biddle  (S.  91) 
und  Peschel  (S.  277),  dagegen  bezweifelt  von  Hellwald  (S.  18). 

')  Nach  dem  Tode  Amerigo  Vespuccis  wurde  er  in  Spanien  am  20. 
October  1512  zum  Reichspiloten  ernannt  und  hatte  als  solcher  die  amtlichen 
Seekarten  herzustellen,    v.  Hellwald,  S.  19. 

4)  Vgl.  auch  Rymer  XIH.  S.  41. 

*)  Gairdner,  Letters  and  Papers  of  Rieh.  HI.  and  Henry  VIL  II.  S. 
378.  Bacon,  History  of  Henry  VII.  bei  Kennet  I.  S.  624. 


—    318    — 

nach  der  neuen  Welt *),  es  wäre  denkbar,  dass  1501  zwei  Unter- 
nehmungen Statt  fanden.  * 

Doch  wie  dem  auch  sei,  als  gewiss  kann  gelten,  dass  unter 
der  früheren  Gesellschaft  ein  Streit  ausbrach,  der  die  Ausschei- 
dung einiger  alten  Mitglieder  zur  Folge  hatte.  In  dem  neuen 
Patent  vom  9.  Dezember  1502  werden  Rieh.  Warde,  Joh.  Tho- 
mas und  Joh.  Fernandez  ausdrücklich  von  den  neuen  Privi- 
legien ausgeschlossen.  Der  ganze  Tenor  des  Freibriefs  zeigt 
zugleich,  dass  die  englische  Regierung  die  Möglichkeit  einer 
Handelscolonie  in  der  neuen  Welt  bereits  fester  ins  Auge  fasste. 
Directe  Unterstützung  versagte  der  König  auch  jetzt  wieder. 
Die  ganze  Belohnung  die  er  versprach,  bestand  in  zeitlich  sehr 
vorsichtig  beschränkten  Vorrechten  in  den  zu  entdeckenden 
Ländern,  in  gewissen  Steuerfreiheiten  für  5  Jahre;  ausserdem 
wurde  das  Patent  tax-  und  stempelfrei  ertheilt*).  Das  Re- 
sultat, das  diese  Unternehmer  erzielten,  ist  nicht  bekannt 
Dass  aber  fort  und  fort  Fahrten  nach  Amerika  Statt  fanden, 
davon  geben  des  Königs  Ausgaben  Zeugniss8).  Der  Verkehr 
der  Engländer  nach  Newfoundland  und  ihre  Fischerei  daselbst 

*)  Bergenroth,  Cal  I.  210.    25.  Juli  1498. 

*)  Zur  Characterisirung  des  merkwürdigen  Patentes  mögen  die  wich- 
tigsten Bestimmungen  desselben  hervorgehoben  werden:  1)  Die  Unter- 
nehmer dürfen  überallhin  fahren;  doch  sollen  sie  bereits  in  Besitz  genom- 
mene Lander  des  Königs  von  Portugal  oder  anderer  befreundeter  Fürsten 
intact  lassen.  2)  Den  englischen  Unterthanen  (männlichen  und  weiblichen 
Geschlechts)  steht  das  Recht  zu,  in  die  neuentdeckten' Länder  und  Inseln 
überzusiedeln  und  unter  dem  Schutz  der  Entdecker  und  deren  Herrschaft 
zu  verweilen,  sich  anzubauen  und  dem  Erwerb  nachzugehen.  3)  Den  Ent- 
deckern steht  die  Regierung  und  Strafgewalt  in  den  neu  entdeckten  Lan- 
dern zu.  4)  Der  Handel  nach  diesen  Gebieten  ist  während  der  ersten  40 
Jahre  von  der  Licenz  des  Königs  und  der  Entdecker  abhängig.  5)  Bei 
jeder  Fahrt  sollen  die  Waaren  eines  120  Tonnen  haltenden  Schiffes  während 
5  Jahre  (keinen  Einfuhrzoll  zahlen.  6)  Der  Capitän  hat  4  Tonnen,  der 
Unterkapitän  2  Tonnen  und  jeder  Matrose  1  Tonne  zollfrei.  7)  Die  übrigen 
Kaufleute  müssen  von  allen  aus  den  neuentdeckten  Ländern  eingeführten 
Waaren  den  zwanzigsten  Theil  an  die  Entdecker  abtreten.  8)  Das  Recht 
der  Factorei  steht  blos  den  Entdeckern  zu.  9.  Wenn  Fremde  oder  sonst 
Unberechtigte  sich  einnisten  wollen,  so  dürfen  die  Entdecker  dieselben  ge- 
waltsam vertreiben,  selbst  wenn  die  Fürsten  dieser  Fremden  mit  dem  eng- 
lischen König  in  Freundschaft  stehen.  10)  Die  Bewohner  dürfen  sich  unter 
der  Oberaufsicht  der  Entdecker  ihre  Local-  und  Justizbehörden  wählen. 
11)  Die  4  Unternehmer  werden  zu  Admirälen  auf  Lebenszeit  ernannt.  12) 
Nur  die  Oberhoheit  Englands  sollen  die  Entdecker  anerkennen;  sie  sollen 
nicht  zur  Zahlung  eines  Tributs  verpflichtet  werden.  13)  Der  ungestörte 
Besitz  wird  den  Entdeckern  und  ihren  Nachkommen  garantirt  14)  Stellt 
sich  heraus,  dass  sie  Länder  entdeckten,  für  welche  bereits  Andere  Patente 
erhielten,  welche  aber  von  diesen  nicht  gefunden  wurden,  so  haben 
die  Entdecker  alle  Rechte  des  gegenwärtigen  Patentes  zu  beanspruchen. 
15)  Rieh.  Warde,  Joh.  Thomas  und  Joh.  Fernadez  werden  von  diesem 
Patente  ausgeschlossen.  16)  Joh.  Goncalez  und  Fr.  Fernandez  haben  auch 
für  ihren  übrigen  Handel  die  Zollprivilegien  Einheimischer-  zu  beanspruchen. 
Rymer  XIII.  S.  37. 

8)  17.  Nov.  1503  zahlte  Heinrich  YIL  l£  „to  one,  that  brought  hawks 
from   the  new-found  island".    8.  April  1504  gab  er  einem  Priester,   der 


—    319    - 

entwickelten  sich  so  rasch,  dass  dadurch  fremde  Nationen  sich 
aufgefordert  fühlten,  auch  dahin  ihre  Schiffe  zu  lenken*). 

Mehr  als  Heinrich  VII.  liess  sein  Sohn  Heinrich  Vm.  hin- 
sichtlich der  Unterstützung  von  muthigen  Entdeckern  erwarten. 
Freigebig,  jugendlich  kühn,  enthusiastisch,  für  alles  Grosse  be- 
geistert, sollte  ein  solcher  Monarch  diesen  weltbewegenden 
Fragen  unzugänglich  gewesen  sein? 

Sicher  ist  zu  bedauern,  dass  um  diese  Zeit  Seb.  Cabot 
nicht  mehr  in  England  war.  Keine  Frage,  dass  er  leicht  beim 
König  kräftige  Unterstützung  gefunden  hätte.  Es  gab  auch 
hellsehende  Männer,  welche  Heinrich  VIII.  in  diese  Bahn  zu 
drängen  suchten.  Als  Heinrich  VIH.  gleich  seinen  Vorfahren 
Frankreich  zu  erobern  beschloss,  mahnten  einige  Lords  ab  und 
zeigten  im  Hinblick  auf  die  Vergangenheit  nicht  nur  das  Un- 
vorteilhafte des  Planes,  sondern  auch  den  zweifelhaften  Er- 
folg, da  die  Feuerwaffe  den  englischen  Bogen  überholt  habe. 
„Lassen  wir",  fuhren  sie  fort,  „deshalb  in  Gottes  Namen  von 
unsern  Angriffen  auf  das  Festland  ab,  da  die  natürliche  Lage  der 
Inseln  zu  Eroberungen  dieser  Art  nicht  geeignet  ist.  Oder, 
wenn  wir  uns  ausbreiten  und  vergrössern  wollen,  so  lasst  es  in 
der  Richtung  sein,  in  der  wir  können,  und  zu  der,  wie  es 
scheint,  die  ewige  Vorsehung  uns  bestimmt  hat,  nämlich  zur 
See.  Die  indischen  Länder  sind  entdeckt  und  reiche  Schätze 
werden  von  dort  täglich  gebracht.  Dahin  lasst  uns  also  unsere 
Bestrebungen  richten,  und  sollten  die  Spanier  und  Portugiesen 
nicht  gestatten,  dass  wir  uns  mit  ihnen  vereinigen,  so  gibt  es 
noch  immer  Land  genug  für  Alle"  *). 

Die  Worte  verhallten  unbeachtet.  England  unterliess  es 
nicht,  unter  Wolsey  in  das  politische  Getriebe  der  europäischen 
Staaten  einzutreten.  Wolsey  war  aber  ein  viel  zu  umfassender 
Politiker,  als  dass  er  völlig  in  die  diplomatischen  Schachzüge 
jener  Zeit  aufgegangen  wäre.  Bereits  1516  machte  er  den 
Versuch,  England  einen  Theil  an  den  rasch  einander  sich 
folgenden  Entdeckungen  zu  sichern.  Der  Cardinal  lenkte  zu 
diesem  Behufe  seine  Blicke  wieder  auf  den  in  Spanien  wei- 
lenden Seb.  Cabot;  er  machte  diesem  die  günstigsten  Be- 
dingungen und  wollte  nicht  nur  die  Schiffe,  sondern  noch 
30  000  Ducaten  behufs  Ausrüstung  zur  Verfügung  stellen.  Se- 
bastian Cabot  ging  wohl  Anfangs  auf  das  Anerbieten  ein,  liess 


nach  dem  neuen  Eiland  sich  begeben  wollte,  2  £.  August  1505  kaufte  er 
«wild  cats  and  propinjays  of  Sie  new-found  island"  für  13  sh  4  d.  R 
Biddle,  Memöir  of  Cabot    S.  234. 

')  So  erschienen  1504  Bretonen  in  Newfoundland;  von  ihnen  stammt 
der  Name  der  Insel  Cap-Breton.  Später  (1519  und  1527)  kamen  auch  die 
Portugiesen  und  sollen  eine  Compagnie  zur  Colonisation  Newfoundlands  ge- 
bildet haben.    Peschel,  Entdeckungen  S.  278  und  334  Anm.  1. 

*)  Lord  of  Cherbourg  Herbert,  The  life  and  raigne  of  King  Henry 
the  Eighth.    London  1649.    S.  17  u.  18. 


—    320    — 

aber  im  letzten  Moment  nichtsdestoweniger  den  Cardinal  im 
Stich.  Mit  Rücksicht  auf  seine  Vaterstadt  Venedig  war  es  haupt- 
sächlich geschehen.  Cabot  hatte  den  Kaiser  gebeten,  die  Erlaub- 
niss  zu  seiner  Entlassung  aus  spanischen  Diensten  nicht  zu  er- 
theilen,  und  kehrte  nach  Sevilla  zurück *).  Ob  die  Expedition 
dann  überhaupt  erfolgte,  muss  vorläufig  dahin  gestellt  bleiben. 

Zehn  Jahre  später  widmete  die  Regierung  dieser  Frage 
wieder  grössere  Aufmerksamkeit.  Damals  tauchte  nicht  nur 
das  Project  auf,  die  Ansprüche  des  Kaisers  auf  den  ostindischen 
Gewürzhandel  an  den  englischen  König  zu  verkaufen  *),  sondern 
es  lief  auch  bei  der  englischen  Regierung  eine  Denkschrift  ein, 
welche  die  verdiente  Beachtung  auf  sich  zog 8).  Dieselbe  ging 
von  einem  intelligenten  Kaufmann  Robert  Thorne  von  Bristol 
aus 4),  der  in  Spanien  sich  aufhielt.  Der  unternehmende  Geist, 
der  in  den  fernsten  Ahnen  dieses  Geschlechts  schon  zur  Zeit 
der  Kreuzzüge  sich  kundgab,  war  auch  den  späten  Nachkommen 
eigen.  Der  Vater  des  R.  Thorne  hatte  sich  mit  Hugo  Elyot  an 
den  Fahrten  nach  der  neuen  Welt  betheiligt 6).  Der  Sohn  Robert 
war  einer  der  ersten,  der  der  von  Seb.  Cabot  1525  gegründeten 
Association  für  den  spanisch-westindischen  Handel  beitrat  und 
gehörte  sicher  auch  zu  den  Kaufleuten  aus  Bristol,  welche 
nach  Hakluyts  Zeugniss  von  San  Lucar  aus  den  englischen 
Handel  nach  den  canarisehen  Inseln  organisirten 6). 

Gleich  dem  Vater  verfolgte  und  studirte  R.  Thorne  den 
Gang  der  Entdeckungen  und  hatte  wohl  in  Folge  des  häu- 
figen Umgangs  mit  Cabot  die  Gründe  kennen  gelernt,  die 
für  das  Gelingen  der  nördlichen  Fahrt  zu  den  Molukken 
sprachen.  Er  ist  fest  überzeugt,  dass  die  Portugiesen  auf 
diese  Weise  überholt  werden  könnten,  und  wünscht,  dass  sein 
Vaterland  diese  gewinnreiche  That  vollbringe.    Instinctiv  fühlt 


*)  Sieh  hierüber  den  Ezcurs  am  Ende  des  Bandes. 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  2813.    Lee  an  Wolsey.  20.  Jan.  1527. 

*)  Gleichzeitig  musste  die  kurz  vorher  von  einem  Engländer  Tison 
(der  ein  Factor  von  M.  Thorne  und  anderen  engl.  Kauf  leaten  gewesen  sein 
soll)  unternommene  Fahrt  die  Aufmerksamkeit  erregen.  Hakluyt,  The 
principal  navigations  etc.  111.  3.  500. 

*)  R.  Thorne  übergab  dieselbe  dem  englischen  Gesandten  am  spani- 
schen Hofe  Dr.  Lee.  Das  Schriftstück  berührt  alle  damals  nach  dieser 
Richtung  hin  brennenden  Fragen  und  gehört  zu  den  merkwürdigsten  Docu- 
menten  der  Entdeckungsliteratur.  Dasselbe  ist  abgedruckt  bei  Hakluyt  I. 
S.  214  fg.:  auch  bei  Lind 8 ay,  History  of  merchant  shipping  and  anrient 
commerce  IL  S.  541  fg.-,  vgl  auch  Brewer,  Cal.  IV.  2814. 

*)  Der  Sohn  beansprucht  sogar  für  seinen  Vater  die  Entdeckung  New* 
foundlands. 

ö)  Hakluyt  U.  P.  2.  S.  8  nennt  besonders  Nich.  Thorne  undThom. 
Spacheford  und  hebt  hervor,  dass  2  Factoren  des  Nich.  Thorne  ständig  in 
Santa  Cruz  sich  aufhielten.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  Nich.  Thorne 
ein  Verwandter  des  Bob.  Thorne  und  von  diesem  beeinflusst  war.  Die  Eng- 
länder brachten  dahin  alle  Arten  von  Tuch,  Packfaden,  Seife  und  nahmen 
dafür  entgegen  Farbmaterialien,  Zucker  und  Bockhäute. 


—    321     — 

er  heraus,  dass  die  Entdeckung  der  nordwestlichen  Fahrt  ein 
vorwiegend  britisches  Problem  ist1),  und  bietet  dem  König 
seine  Dienste  an,  wenn  er  ihm  eine  kleine  Anzahl  von  Schiffen 
zur  Verfügung  stellen  wolle. 

Heinrich  VIII.  ging  auf  Thornes  Vorschlag  ein.  Man 
darf  hieher  die  von  dem  zeitgenössischen  Geschichtschreiber 
Hall  erzählte  Notiz  rechnen,  wonach  am  20.  Mai  19  Henr.  VIII. 
(1528)  zwei  stattliche,  gut  bemannte  und  mit  Lebensmitteln 
wohl  versehene  Schiffe  vom  König  unter  Leitung  geschickter 
Männer  auf  Entdeckungen  ausgeschickt  wurden.  „If  they 
sped  well",  fügt  der  Chronist  bei,  „you  shall  here  at  their 
retorne"2).  Er  meldet  aber  später  Nichts  mehr  von  ihnen. 
Hakluyt  will  von  Frobisher  und  Andern  erfahren  haben,  dass 
das  eine  Schiff,  der  „Dominus  vobiscum",  in  einem  Golf  schei- 
terte, das  andere,  die  „Meta  incognita",  im  October  zurück- 
kehrte3). 

Das  Misslingen  der  Expedition  lähmte  wieder  den  Eifer  der 
englischen  Regierung  für  einige  Jahre.  Die  Thatenlust  der 
englischen  Kauffahrer  erlosch  aber  nicht,  wuchs  vielmehr  von 
Tag  zu  Tag.  1530  unternahm  Hawkins  von  Plymouth  eine 
Fahrt  nach  Guinea  und  segelte  von  da  nach  Brasilien4).  Er 
machte  so  gewinnreiche  Geschäfte,  dass  er  1532  den  Besuch 
von  Brasilien  erneuerte5).  Der  englische  Handel  dahin  und 
nach  Guinea  war  damit  begründet.  1536  brachten  Engländer 
neuerdings  Waaren,  unter  Anderm  100  u  Gold^taub  von  Guinea 
zurück,  1540  und  1542  gingen  auch  Kaufleute  von  Southampton 6) 
nach  Brasilien,  und  die  Beziehungen  zu  diesem  Lande  blieben 
ungestört,  bis  1580  Spanien  Portugal  und  seine  Besitzungen 
sich  botmässig  machte. 

Auch  die  Versuche,  den  nördlichen  Weg  nach  Ostindien 
zu  finden,  ruhten  nicht  ganz.  Wie  hätte  eine  so  kräftige 
Nation,  wie  die  englische  war,  sich  beruhigen  können,  ehe 


l)  „Now  rest",  schreibt  R.  Thorne  an  Heinrich  VIII.,  „to  be  discovered 
the north  parts,  to  which  it  seemeth  unto  me  is  onely  your  highnes6 
Charge  and  dutie,  because  the  Situation  of  this  your  realme  is  there- 
unto  neerest  and  aptest  of  all  other."  Hakluyt,  The  principal  naviga- 
tions,  voyages,  trafnques  and  discoveries  of  the'English  nation.  London 
1599.  L  S.  212. 

*)  Hall,  Chronicle  S.  724. 

a)  Hakluyt  IU.  129.  Derselbe  fügt  auch^bei,  dass  ein  grosser  reicher 
Mathematiker  an  der  Spitze  des  Unternehmens  stand.  Ob  Thorne  an  der 
Fahrt  selber  sich  betheiligte,  ist  unbekannt;  die  Anregung  muss  man  aber 
sicherlich  ihm  zuschreiben. 

4)  Hakluyt  III.  S.  700.  Es  ist  unrichtig,  wenn  Beer,  Gesch.  des 
Handels  III.  S.  363  behauptet,  an  der  Westküste  Africas  sei  das  erste  eng- 
lische Schiff  erst  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  erschienen  unter  Füh- 
rung des  Th.  Wyndham. 

b)  Hakluyt  a.  a.  O. 

«)  Rob.  Reniger,  Thom.  Borey,  Poudley  und  Andere.  Hakluyt  III. 
S.  701. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  21 


—    322     — 

dieser  grossartige  Gedanke  auf  seine  Realisirbarkeit  geprüft 
war?  1536  munterte  Höre  von  London  verschiedene  Leute 
(„gentlemen")  auf,  mit  ihm  nochmals  eine  Lösung  des  Problems 
zu  versuchen;  Heinrich  VIH.  begünstigte  das  Unternehmen1). 
Das  gesteckte  Ziel  erreichte  auch  Höre  nicht;  aber  seinen  Be- 
mühungen gelang  es  trotz  fast  unüberwindlicher  Hindernisse, 
auf  Cap  Breton  und  Newfoundland  eine  kleine  englische  Co- 
lonie  zu  gründen  und  dadurch  der  vorteilhaften  englischen 
Fischerei  daselbst  einen  sicheren  Rückhalt  zu  geben2). 

Wir  brechen  hier  ab.  Aus  der  Darstellung  ergibt  sich  ein 
Doppeltes.  Sie  ist  auf  der  einen  Seite  ein  letzter  und  glänzender 
Beleg  für  die  Energie  und  den  Unternehmungsgeist  der  engli- 
schen Kaufleute  und  Seefahrer,  auf  der  andern  Seite  zeigt  sie 
ganz  entschieden,  dass  die  beiden  ersten  Tudors  den  Ent- 
deckungen nicht  die  Sorgfalt  zugewendet  haben,  die  man  von 
ihnen  erwarten  könnte.  Die  Rolle,  die  Heinrich  VII.  hinsicht- 
lich der  Entdeckungsfahrten  spielte,  war  eine  kleinliche.  Kein 
Monarch  der  Welt  besass  damals  die  Mittel  wie  er,  um  hier 
kräftig  einzugreifen.  Wie  sehr  sticht  von  seinem  Benehmen 
das  der  edlen  Isabella  ab,  die  behufs  Ausrüstung  der  Schiffe 
selbst  ihre  Juwelen  verpfänden  wollte,  als  Colon  im  Begriffe 
stand,  Spanien  den  Rücken  zu  wenden!  Die  Nachwelt  würde 
dem  König  seinen  Geiz  und  seine  Erpressungen  verziehen 
haben,  wenn  er  zu  dieser  Aufgabe  einen  Theil  der  gesammel- 
ten Schätze  geopfert  hätte. 

Bei  Heinrich  VIII.  war  der  Wille  vielleicht  grösser,  das 
Vermögen  sicherlich  geringer.  Zu  schwere  Aufgaben  ruhten 
bereits  in  seiner  Hand,  und  alle  Kraft  des  gebieterischen  Kö- 
nigs reichte  beinahe  nicht  aus,  das  Volk  und  den  Staat  in  die 
von  ihm  beliebten  Bahnen  zu  leiten.  Nach  Aussen  bestrebt 
England  im  europäischen  Völkerbunde  zu  einem  angesehenen 
Gliede  zu  machen,  wurde  Heinrich  VIII.  in  endlose  Schwierig- 
keiten verwickelt;  nach  Innen  entschlossen,  eine  folgenschwere 
religiöse  Bewegung  ins  Leben  zu  rufen,  hatte  er  fast  zwanzig 
Jahre  seines  Lebens  zu  wachen  und  zu  kämpfen ,  mit  guten 
und  mit  schlechten  Mitteln,  um  immer  an  ihrer  Spitze  zu 
bleiben. 

Da  war  kein  rechter  Raum  für  Entdeckungsfragen  und 
Colonialpolitik.  Die  ersten  passenden  Momente  gingen  vorüber, 
in  denen  es  möglich  war,  England  einen  grossen  Theil  der 
neuen  Welt  zu  gewinnen.    Und  dennoch  war  vielleicht  Hein- 


')  Hakluyt  in.  S.  129. 

*)  Anderson,  Historical  and  chronol.  deduction  of  the  origin  ot 
commerce  etc.  sub  anno  1536.  Dass  Fische  seit  dieser  Zeit  nicht  selten 
von  Newfoundland  („Newland")  nach  England  gebracht  worden,  erhellt  aus 
33  Hen.  VIII.  c.  2  und  2—3  Edw.  VI.  c.  6. 


i 


—    323    — 

richs  VII.  und  seines  Sohnes  Politik  in  dieser  Frage  für  Eng- 
land ein  Glück.  Wenn  unter  englischer  Flagge  die  Ent- 
deckungen und  Eroberungen  in  Amerika  gemacht  worden  und 
die  grossen  Reichthümer  und  Schätze  England  statt  Spanien 
zugeflossen  wären,  wie  leicht  hätte  es  sein  können,  dass  auch 
in  England,  ,wie  in  Spanien,  die  industrielle  Blüthe  von  dem 
giftigen  Hauche  getroffen  erlahmt  wäre,  und  wer  weiss,  ob 
die  in  der  Fülle  eintretende  Schlaffheit  des  Geistes  nicht  auch 
der  Reformation  den  Weg  in  England  versperrt  hätte.  Aber 
es  traf  sich,  dass  England  an  den  unseligen  Folgen  der  aus 
den  Entdeckungen  emporströmenden  Reichthümer  glücklich 
vorbeisteuerte  und  gleichzeitig  die  wichtigsten  inneren  Volk 
und  Geist  reformirenden  Fragen  in  der  Hauptsache  entschied. 
Jetzt  bedurfte  es  nur  des  belebenden  Rufes  einer  Elisa- 
beth, um  von  Neuem  den  Muth  der  Entdecker  anzufachen,  die 
im  Norden  Amerikas  bereits  gelegten  Keime  zu  entwickeln 
und  dem  kühnen  thatenlustigen  Volk  jene  Colonialmacht  zu 
verschaffen ,  auf  der  Englands  Reichthum,  Macht  und  Stolz 
sieh  erhob. 


21  ■ 


IL  ABSCHNITT. 


Erstes  Capitel. 

Die  Stapelkaufleute  und  Merchant  adventurers. 


Der  ganze  erste  Abschnitt  legt  Zeugniss  davon  ab,  wie 
der  englische  Handelstand  seit  der  Mitte  des  14.,  besonders 
aber  im  Laufe  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  eine  kräftige  Ini- 
tiative entwickelt,  die  frühere  Passivität  mehr  und  mehr  ab- 
schüttelt und  selbstthätig,  mit  vollster  Energie  den  Kiel  in 
ferne  Meere  lenkt. 

Das  Mark  des  englischen  Activhandels  lag  in  dem  Ver- 
kehr mit  den  Niederlanden.  Hier  bildete  der  englische  Kauf- 
mann den  wesentlichsten  Bestandteil  des  grossen  Weltmarktes, 
mächtig  und  achtunggebietend  stand  er  da,  die  wichtigsten 
Fäden  des  ganzen  Handelsgeflechtes  in  Händen  haltend.  Er 
begegnet  uns  weiter  im  Innern  Deutschlands,  namentlich  auf 
den  Frankfurter  Messen,  den  zürnenden  Kölnern  zum  Trotz x), 
er  tritt  uns  entgegen  im  fernen  Osten,  mit  den  tüchtigen 
Hansen  auf  skandinavischem  und  preussischem  Boden  im  Kampf, 
zeitweise  geschwächt,  nie  aber  ganz  unterliegend,  immer  wieder 
sich  emporraffend.  Er  besucht  den  höchsten  Norden,  in  Is- 
land handelnd  und  in  seinen  Meeren  fischend.  Wir  finden  ihn 
im  nördlichen  und  südlichen  Frankreich,  in  Portugal  und  Spa- 
nien und  beobachten,  wie  er  da  Fuss  fasst,  einen  regelmässigen 
Handel  dahin  organisirt  und  unterhält.  Selbst  die  Meerenge 
von  Gibraltar  sehen  wir  ihn  überschreiten  und  in  kühnem 
Fluge  mit  den  alten  und  gewandten  italienischen  Handels- 
mächten sich  messen.  Auch  die  neue  Welt  ist  ihm  nicht  zu 
fern,  auch  sie  wird  aus  commerciellen  Gründen  immer  wieder 
besucht  und  zur  Colonisation  in  Aussicht  genommen. 

Es  waren  thatkräftige  Männer,  welche  den  Bann  brachen, 
der  lange  Zeit  auf  dem  Handel  der  Engländer  lag,  und  der 
englischen  Flagge  und  dem  englischen  Kaufmann  eine  angesehene 
Stellung  im  Weltverkehr  verschafften.    Bescheiden  ist  anfäng- 

^ürk.  Beil.  100  fg. 


-     328     - 

lieh  ihre  Rolle,  da  die  Fremden  einen  beträchtlichen  Vorsprung 
hatten.  Um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  sind  in  ganz 
England  nur  169  reiche  Kaufleute,  an  die  der  König  im  Fall 
der  Geldnoth  sich  wenden  kann1).  Das  16.  Jahrhundert  da- 
gegen zählt  schon  mehr  als  3000,  welche  allein  dem  Seehandel 
oblagen  *). 

Die  Geschichte  hat  treu  das  Gedächtniss  der  hervorragend- 
sten englischen  Kaufleute  bewahrt8).  Das  13.  Jahrhundert 
nennt,  um  nur  auf  einige  hinzuweisen,  als  solche  Pioniere  den 
auch  als  Gründer  eines  College  bekannten  J.  Pultney,  ferner 
Gr.  de  Rokesly,  der  ein  grosser  Wollhändler  und  der  reichste 
Goldschmied  jener  Tage  war  und  später  zum  Inhaber  des 
Wechselamtes  und  zum  Münzvorstand  sich  emporschwang,  weiter 
das  Geschlecht  der  Thornes,  die  an  den  Kreuzzügen  sich  be- 
theiligten und  den  Handel  nach  dem  Mittelmeer  begannen4). 
Im  14  Jahrhundert  ragten  hervor  Richard  und  Wilhelm  de  la 
Pole,  zugleich  die  Hauptberather  Eduards  HI.,  besonders  aber 
R.  Whittington,  den  das  Lied  -so  herrlich  preist: 

Es  denkt  mein  Herz  mit  Ehrfurcht  und  mit  Wonne 

An  Richard  Whittington,  des  Handels  Sonne, 

Den  Angelstern  und  die  erlesn'e  Blume 

Der  Kaufmannschaft.    Was  hat  zu  Englands  Rahm 

Und  Vortheil  nicht  sein  Reichthum  uns  gewahrt  t 

Noch  heute  wird  sein  Name  hoch  geehrt 

Papier  und  Feder  thut  mir  nicht  genüge 

Zu  würd'ger  Schild'rung  seiner  edlen  zeige. 

Des  Kaufmanns  höchster  Ruhm  ward  ihm  zu  Theil; 

Mehr  sag*  ich  nicht    Gott  geh'  ihm  Ruh'  und  Heil5). 

Im  15.  Jahrhundert  glänzten  neben  Roger  Thornton  aus 
Newcastel,  neben  dem  Mercer  Geoflroy  Boleyn,  dem  Ururgross- 
vater  der  Elisabeth  mütterlicherseits,  vor  Allem  die  Kaufleute 
Barantyn,  W.  Cotton,  W.  Walderma  aus  London,  Rob.  Stunnyn 
aus  Bristol,  Taverner  aus  Hüll6),  welche  den  Handel  nach 
Italien  und  in  die  Levante  förderten,  Th.  Smith,  Th.  Tirry, 
W.  Cabol,  Th.  Baker  aus  London,  welche  im  Bunde  mit  den 
Bristolern  den  Verkehr  mit  Lissabon  unterhielten7),  das  Haus 
der  Jays  aus  Bristol,  das  an  den  Entdeckungsfahrten  sich  be- 
theiligte, W.  Cannyngs,  ebenfalls  aus  Bristol,  der  den  Fisch- 
handel in  seine  Heimathstadt  zog,    die  Fahrten  nach  Island 


l)  Rot  Pari.  H.  S.456,  wo  sie  mit  Kamen  aufgeführt  sind.  Einzelne 
unter  ihnen  sind  allerdings  sehr  reich:  vgl.  Longman,  The  history  of 
life  and  times  of  Edward  the  third.  I.  S.  4. 

')  Wheeler,  Treatise  of  commerce  S.  78  gibt  die  Zahl  der  nach  den 
Niederlanden  handelnden  Kauf  leute  im  Jahre  1601  auf  3500  an.  Sieh  auch 
Burgon,  Life  and  times  of  Th.  Gresham  I.  S.  485;  IL  S.  417. 

3)  Vgl.  besonders  Bourne,  English  merchants.  Memoire  in  Illustra- 
tion of  the  progress  of  British  commerce.  London  1866.  I. 

4)  Sieh  oben  S.  133. 

»)  Libell  of  English  Policye.    Hertzbergs  üebers.  Vers  486  ig. 
<)  Sieh  oben  S.  115,  116. 
7)  Sieh  oben  S.  288. 


—    329    — 

und  Preussen  betrieb ,  800  Seeleute  und  10  Schiffe  mit  einem 
Gehalt  von  2930  Tonnen  beschäftigte. 

Am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  ist  die  Unternehmungs- 
lust schon  so  allgemein,  die  Zahl  der  Kaufleute  so  gross1)» 
dass  es  schwierig  ist,  einzelnen  eine  hervorragende  Stellung 
einzuräumen.  Als  bedeutendere  Namen  darf  man  für  die  Zeit 
Heinrichs  VIII.  vielleicht  anführen  J.  Gerard,  Hugo  Clopton, 
Th.  Seymour,  J.  Aleyn,  H.  Eden,  Eic.  Fermour,  die  namentlich 
den  Handel  ins  Mittelmeer  pflegten  *),  Hob.  Thorne  von  Bristol, 
Hawkins  von  Plymouth,  welche  mit  Spanien,  den  canarischen 
Inseln  und  der  neuen  Welt  verkehrten,  ausserdem  den  vom 
König  hochgeschätzten  W.  Lambe  und  den  hochangesehenen 
Grosshändler  R.  Gresham,  Oheim  des  Gründers  der  Londoner 
Börse  Th.  Gresham,  endlich  die  Gouverneure  der  englischen 
Kaufleute  in  den  Niederlanden  John  Clyfford  (1515),  John 
Hewster  (1518/19),  John  Stile  (1529),  John  Hackett  (1534),  John 
Hutton  (1536/38),  Sturgepn  (1544),  Th.  Chamberlayn  (1545), 
Stephan  Vaughan  (1550)  W.  Dunsell  und  John  Fitzwilliam  (z.  Z. 
der  Elisabeth). 

Diese  und  andere  Eaufleute  haben  dem  englischen  Handel 
neue  Bahnen  gebrochen  und  die  Unterstützung  der  Regierung 
zu  seiner  Stärkung  und  Festigung  zu  gewinnen  gewusst.  Das 
gentigte  aber  nicht.  Den  mittelalterlichen  Verhältnissen  ent- 
sprechend war  ein  dauernder  Erfolg  nur  zu  erzielen,  wenn  die 
Kaufleute  im  Auslande  als  geschlossene  Macht  auftraten,  ge- 
meinsam ihre  Ziele  verfolgten.  Die  Vereinigungen  der  eng- 
lischen Kaufleute  und  die  daran  sich  emporrankenden  Bestre- 
bungen werden  so  für  die  Entwicklung  des  englischen  Activ- 
handels  in  der  mittlem  Zeit  von  einschneidender  Bedeutung. 
Die  erste  Organisation  der  englischen  Kaufleute  ward 
durch  die  Stapeleinrichtung  bewirkt,  wonach  alle  oder  die  wich- 
tigsten englischen  Ausfuhrartikel  nach  bestimmten  Plätzen  zum 
Verkauf  gebracht  werden  mussten,  und  eigene  Stapelvorstände 
mit  gewissen  Rechten  geschaffen  wurden.  Seit  wie  lange  diese 
existirte,  lässt  sich  nicht  genau  feststellen.  Die  Stapler  selbst 
pflegten  die  erste  Entstehung  bis  1248  und  noch  weiter  zu- 
rückzudatiren ;  mit  voller  Evidenz  glaubten  sie  aber  beweisen 
zu  können,  dass  ein  Wollstapel  mit  den  dazu  gehörigen  Be- 
amten im  Jahre  51  Hen.  III.  (1266/67)  bestanden  habe8). 
Für  sein  Vorhandensein  in  der  Zeit  Eduards  I.  liegen  auch 
heute  noch  zahlreiche  Beweise  vor.  Das  Stapel  war  jedenfalls 
nicht  aus  der  Initiative  der  Kaufleute,  sondern  aus  der  der 
Regierung  hervorgegangen.  Die  Stapeleinrichtung  wurde  sogar 
lange  und  wiederholt  bekämpft  und  als  im  Widerspruch  mit 

l)  Sieh  Bre wer,  Cal.  passim,  besonders  unter  den  jährlich  ertheilten 
Licenzen. 

*)  Auf  Grund  der  Enrolled  Accounts  of  Customs.    (R.  0.). 

3)  Malynes,  The  Center  of  the  circle  of  commerce  1628.    S.  93. 


-     330     - 

der  Magna  Charta  betrachtet1).  Zeitweise  hob  die  Regierung 
es  auf2),  stellte  es  aber  meist  nach  kurzer  Unterbrechung 
wieder  her.  Sie  sah  in  ihm  ein  zu  werthvolles  Mittel  zur  Er- 
reichung der  verschiedensten  Zwecke,  als  dass  sie  es  entbehren 
mochte. 

Das  Stapel  war  zunächst  ein  politisches  Machtmittel.  t  Da- 
durch, dass  die  englischen  Könige  die  heimischen  Rohstoffe 
nach  einem  bestimmten  Orte  im  Ausland  dirigirten,  verpflich- 
teten sie  sich  diese  Städte  und  ihre  ganze  Umgebung.  Die 
Verlegung  des  Stapels  übte  allezeit  einen  mächtigen  Druck. 
Wir  wissen,  dass  schon  Eduard  I.  dieses  Mittels  sich  bediente, 
um  Flandern  gefügig  zu  machen,  indem  er  den  Waarenstrom 
statt  nach  Brügge  mehrmals  nach  Dordrecht  oder  Antwerpen 
lenkte8).  Ebenso  ist  bekannt,  dass  Eduard  III.  durch  das 
Stapel  den  Herzog  von  Burgund  zu  gewinnen  suchte4).  Auch 
in  der  Folgezeit,  als  das  Stapel  nach  wiederholter  Verlegung 
schliesslich  in  Galais  fixirt  wurde,  diente  es  einem  politischen 
Zweck.  Es  war  der  Kitt,  durch  den  Calais  an  England  gefes- 
selt, blühend  und  stark  erhalten  wurde6).  Das  Stapel  war 
sodann  insbesondere  ein  finanzielles  Institut.  Die  Stapelein- 
richtung erleichterte  die  Controle  des  Zollwesens 6)  und  ermög- 
lichte in  Folge  dessen  eine  hohe  Belastung  der  Stapelwaaren, 


*)  Vgl.  z.  B.  Rot  Pari.  IL  S.  877. 

a)  2  Ed.  m.  c.  9;  Rymer,  (Rec.  Ed.)  IL  P.  IL    S.  879. 

s)  Varenbergh,  Relations  diplomatiques  entre  le  Comte*  de  Flan- 
dre  et  l'Angleterre.    1874.  S.  165,  180,  181,  267,  849. 

*)  Rymer  IV.  S.  720,  781.  745. 

ß)  „Caleys,  yat  by  ye  continuance  ofye  said  staple  hath  hiderto  been 
gretly  maintened  and  strengthed".  Rot  Pari.  IV.  S.  490;  vgl.  auch  Ry- 
mer V.  S.  618.  Dass  man  in  der  Belassung  des  Stapels  zu  Calais  bewusst 
zu  Gunsten  dieses  ein  Opfer  brachte,  ersieht  man  aus  den  Worten  des 
Kanzlers  M.  de  la  Pole,  der  wegen  dieses  Opfers  1385  im  Parlament  für 
seine  Verlegung  nach  England  plädirte :  „Unde  mter  cetera  motiva  de  dicta 
stapula  infra  regnum  Anglie  de  cetero  propter  effectus  multiplices  et 
commoditates  quam  plurimas  inde  subsequentes  tenenda  et  habenda  recitavit, 
qualiter  diversa  ville  et  loca,  utpote  Calesia,  Bruges  et  alia,  in  quibus  dicta 
stapula  prius  extiterat,  vehementer  ditata  fuerunt  et  promota  per  stapulam 
supra  dictam,  quodque  custuma  et  subsidium  lanarum  plus  valuerunt  domino 
regi  annuatim,  auando  stapula  fuit  in  Anglia,  per  mille  marcas,  auam  value- 
runt, quando  fuit  in  aliquibus  partibus  extens.  Et  sie  ex  premissis  liquere 
Sosset,  manifeste  fore  domino  regi  commodius  et  toti  regno  utUiu*,  habere 
ietam  stapulam  semper  infra  regnum u.  Rot  Pari  III.  S.  203.  Vgl.  auch 
Rot.  Pari.  IL  S.  268.  858:  V.  S.  234;  27  Hen.  VI.  c.  2;  19  Hen.  VII. 
c.  27;  7  Hen.  VIII.  c.  10;  Nichols,  Chronicle  of  Calais  in  the  reigns  of 
Henry  VII  and  VIII  to  the  year  1540.  London  1846.  Es  bleibt  iedoch  zu 
berücksichtigen,  dass  die  Festhaltung  des  Stapels  in  Calais  auch  gewisse 
handelspolitische  V ortheile  bot,  die  bei  der  Verlegung  nach  England  weg- 
gefallen wären.  Namentlich  wäre  im  letzteren  Fall  die  englische  Schiffahrt 
lahm  gelegt  worden.  Ueber  den  Rückhalt,  welchen  Calais  der  englischen 
Regierung  in  ihrer  Handelspolitik  gegenüber  den  Niederlanden  gewährte, 
sieh  oben  S.  66. 

6)  Vgl.  Rymer  V.  S.  273. 


—    331     - 

namentlich  der  Wolle x).  Die  Stapelkauf leute  hatten  das  grösste 
Interesse  daran,  dass  der  Schmuggel  hintangehalten  wurde2), 
weil  sonst  in  Folge  der  Concurrenz  der  Schmuggler  der  Preis 
herabgedrückt  wurde,  und  der  Zoll  auf  den  Staplern  liegen 
blieb.  Die  Stapler  waren  ferner  die  natürlichen  Bankhalter 
der  englischen  Regierung  •)  und  eine  Zeit  lang,  wie  wir  unten 
sehen  werden,  von  Wichtigkeit,  um  das  Geldwesen,  namentlich 
die  Einfuhr  des  England  notwendigen  Edelmetalls  zu  regeln 4). 
Kurz,  das  Stapel  war  vorwiegend,  wenn  nicht  ausschliess- 
lich eine  Schöpfung  der  englischen  Herrscher,  ein  Organ  des 
englischen  Finanzsystems. 

Man  begreift,  dass  dasselbe  an  sich  vollständig  unfähig 
war,  dem  englischen  Handel  neue  Wege  zu  eröffnen.  Es  war 
gewissermassen  zum  Stillstand  verurtheilt,  die  Richtung  war 
den  Staplern  vorgeschrieben,  nur  in  der  angewiesenen  Bahn 
durften  sie  sich  bewegen.  Das  Stapel  war  auch  kein  specifisch 
nationales  Institut  in  dem  Sinn,  dass  es  nur  den  Interessen  der 
einheimischen  Kauf  leute  diente.  Zeitweilig,  so  oft  nämlich 
dasselbe  vom  Festland  nach  England  verlegt  worden  war, 
wurde  den  Einheimischen  die  Ausfuhr  aus  dem  Stapel  ganz 
verboten5).  Aber  auch  wenn  dasselbe  in  Calais  war,  wurde 
den  Fremden  nicht  nur  der  Eintritt  in  die  Stapelgesellschaft 
sewährt,  sondern  sie  nahmen  auch  an  den  wichtigsten  Freiheiten 
Theil.  Bei  der  Rechtsprechung  konnten  sie  mit  herangezogen 
werden,  und  bei  der  Wahl  der  Stapelbehörden  waren  sie  stimm- 
berechtigt. Allerdings  gestaltete  sich  später  die  Sache  so, 
dass  factisch  die  einheimischen  Kaufleute  fast  allein  den  Ex- 
port nach  dem  Stapelplatz  besorgten,  aber  ursprünglich  war 
dies  nicht  der  Fall  und  nicht  unmittelbar  beabsichtigt 6). 

Mit  der  Stärkung  des  einheimischen  Kaufmanns  gegenüber 
dem  fremden  hat  die  Stapelorganisation  direct  nichts  zu  thun, 
sie  war  aber  von  indirectem  Einfluss.  Dieser  war  gegeben 
durch  die  Gerichtsbarkeit  und  die  ausgedehnte  Selbstverwal- 
tung, welche  den  Staplern  gewährt  wurde.  Am  Stapelplatz 
hatte  der  Stapelmayor,  der  ebenso  wie  seine  Beisitzer  von  den 
Kaufleuten  gewählt  wurde,  das  Recht  zu  handhaben  und  zwar 
nach  dem  „LeyMerchant",  das  eine  raschere  und  zweckmässigere 
Entscheidung  ermöglichte7),   als  der  gewöhnliche  Rechtsweg. 


*)  Bd.  IL  S.  6,  sowie  Stubbs,  Constitutional  history  of  England  passim. 

*  Rot  Pari,  passim  z.  B.  IV.  S.  359,  360.  VI.  3.  164. 

3)  Nicolas,  Proceedings  I.  S.305;  III.  S.  50.  67;  IV.  S.  52.  139.  178 
u.  s.  w.  Rymer  V.  S.  432;  4  Ria  II.  st.  2.  c.  2;  Rot.  Pari.  IL  S.  326; 
V.  8.  208.  249.  297.  420. 

*)  Abschn.  IL  Cap.  5. 

6)  So  durch  14  Ria  IL  c.  5  (1390). 

°)  27.  Ed.  III,  st  2.  c.  3.  21.  22.  24. 

*)  1427  verlangten,  aber  vergeblich,  die  Stapler  eine  Erweiterung  ihrer 
gerichtlichen  Privilegien,  namentlich  sollte  kein  bei  ihnen  anhängiger  Rechts- 
fall vor  denWestminsterer  Gerichtshof  gebracht  werden.  Rot  Pari.  IV.  S.328. 


—    332    — 

Er  bestellte  die  Makler  und  Waarentransporteure,  sorgte  für 
Magazine  und  Wohnungsräume,  er  übte  die  Aufsicht  über  den 
Handel 1),  setzte  in  Gemeinschaft  mit  Beisitzern  die  Preise  fest, 
unter  denen  nicht  verkauft  werden  durfte*),  erhob  Abgaben 
zur  Bestreitung  der  Kosten3).  Durch  diese  und  ähnliche 
Functionen  wurde  die  aus  dem  Kreise  der  Kaufleute  hervor- 
gegangene Stapelbehörde  der  natürliche  Beschützer  derselben 
und  der  Vertreter  ihrer  Interessen.  Da  diese  Organisation 
nicht  blos  im  Stapel  zu  Calais,  sondern  auch  an  den  Plätzen 
bestand ,  wo  die  Waaren  vor  ihrem  Export  gesammelt  werden 
mussten,  so  war  in  der  That  den  Kaufleuten  allerwärts  ein 
Muster  der  Organisation  vorgezeichnet,  das  sich  auch  sonst 
anwenden  liess.  Die  zahlreichen  Niederlassungen  fremder 
Kaufleute,  die  in  England  seit  ältester  Zeit  bestanden,  waren 
ebenfalls  geeignet,  zur  Nachahmung  zu  reizen. 

Diese  Aufgabe  nun,  den  Handel  ausserhalb  des  Stapels  zu 
organisiren,  zu  pflegen  und  zu  erweitern,  war,  wie  schon  er- 
wähnt, nicht  Sache  der  Stapler,  sie  fiel  einer  andern  Classe 
von  Handelsunternehmern  zu.  Merchant  adventurers,  die  wa- 
genden Kaufleute  nannten  sie  sich.  Schon  in  dem  stolzen 
Namen  documentirt  sich  ihr  Ziel.  Nicht  an  eine  bestimmte 
Route  oder  an  einen  bestimmten  Platz  gebunden,  nicht  als 
dienendes  Glied  der  Regierung  oder  blosses  Organ  des  Finanz- 
und  Geldwesens,  frei  und  selbstbestimmend  wagen  sie  sich 
hinaus  und  durchfurchen  die  Meere ,  überall ,  wo  immer  sie 
können,  Beziehungen  knüpfend,  Niederlassungen  gründend,  den 
englischen  Waaren  Geltung  verschaffend. 

Jeder  seefahrende  Nichtstapelkaufmann  war  ein  Merchant 
adventurer.  Es  gab  „adventurers  to  Iceland4),  to  Prussia,to 
Spain,  Italy"  etc.,  auch  „fishmongers  adventurers"6).  Wie  aber 
der  englische  Aussenhandel  weitaus  nach  dem  niederländischen 
Weltmarkte  gravitirte,  so  waren  auch  die  „M.  a.  to  Holland, 
Brabant,  Flanders"  etc.  die  Säule,  an  der  sich  die  übrigen 
ge wissermassen  nur  anlehnten,  wenn  schon  sie  wohl  zu  keiner 
Zeit  von  einer  einheitlichen  Organisation  umfasst  wurden.  Die 
nach  den  Niederlanden  handelnden  Kaufleute  hiessen  deshalb 
Merchant  adventurers  schlechthin.  Seit  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts war  dies  auch  ihr  officieller  Name.  Sie  sind  die 
Hauptträger  der  englischen  commerciellen  Politik.  Ihre  Ge- 
schichte verdient  deshalb  besonders  beleuchtet  zu  werden. 

Die  Literatur  über  die  Merchant  adventurers  ist  ausser- 
ordentlich dürftig;   die  Neuzeit  hat  dem  Gegenstand  so  gut 


*)  Sieh  Stapelstatut  27  Ed.  III.  c.  16,21,22,23.  Rot.  Pari.  II.  S.  246 fe. 
f)  Der  erste  Versuch  hiezu  wurde  um  1368  gemacht    Rot  ParLU. 
S.  276. 

3)  Rot  Pari.  II.  S.  276.  287. 

*)  25  Hen.  VIII.  c.  4. 

6)  Nicolas,  Proceedings  etc.  VII.  S.  318. 


—    333    — 

wie  keine  Beachtung  geschenkt.  Alle  Nachrichten,  die  man 
über  dieselben  gelegentlich  findet,  sind  direct  oder  indirect 
aus  Flug-  und  Parteischriften  des  17.  Jahrhunderts  geflossen. 

Die  Hauptquelle  in  dieser  Hinsicht  ist  Wheeler,  welcher 
Secretär  der  Merchant  adventurers  war  und  sich  nicht  nur  um 
die  Redaction  ihrer  Gesetze  und  Gebräuche  sehr  verdient 
machte *)*  sondern  auch  die  Verteidigung  seiner  Gesellschaft 
aufs  Nachdrücklichste  unternahm.  Er  verfasste  deshalb,  als  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  gegen  das  Monopol  der  Compagnie  eine 
scharfe  Reaction  sich  geltend  machte,  ein  Büchlein,  in  welchem 
er  die  Vorzüge  der  Gilde  darlegte,  und  widmete  dasselbe  dem 
Minister  der  Königin  Elisabeth,  Sir  Rob.  Cecil2).  Diese  1601 
«ileichzeitig  in  Holland  und  England  erschienene  Schrift  wurde 
die  Grundlage  aller  späteren  zu  Gunsten  der  Merchant  adven- 
turers geschriebenen  Flugschriften3),  aber  auch  für  die  histo- 
rischen Notizen  der  Schriftsteller  des  18.  und  19.  Jahr- 
hunderts4). 


*)  Diese  im  Jahr  1608  durch  Wheeler  vorgenommene  Redaction  be- 
findet sich  jetzt  im  britischen  Museum  (Add.  18918).  Der  sehr  schön  ge- 
schriebene Foliant  ist  betitelt:  „The  lawes  customes  and  ordinances  of  the 
fellowshippe  of  merchantes  adventurers  of  the  realm  of  England  collected 
and  digested  into  order  by  John  Wheeler,  secretairie  to  the  said  fellow- 
shippe, a°  domini  1608  and  sithence  continued  according  to  the  further 
Orders  from  time  to  tyme  made  for  the  government  of  the  said  ffellow- 
shipp.  Reddite  cuique,  quod  suum  est."  Die  Capitel  des  wichtigen  Buches 
lauten:  Nr.  1.  Of  government  and  courtes,  caput  primura  folio  3.  Nr.  2. 
Of  admi8sions  into  the  the  fellowshippe  with  Orders  conceminge  as  well 
ffreemen  as  apprentices,  caput  secundum  folio  23.  Nr.  3.  Of  shippinge, 
shewinge  sellinge  and  other  Orders  in  feat  of  merchandise,  caput  tertium 
fol.  41.  Nr.  4.  Of  bequest  monie  and  how  the  same  ys  to  be  disposed, 
caput  quartum  fol.  105.  Nr.  5.  Of  presentmentes  and  the  manner  of  pro- 
ceedinge  in  the  condemninge  and  levyinge  of  brokes,  cap.  quintum  fol.  117. 
Nr.  6.  Of  arrestes  of  persons  and  coodes  processe  and  pursuite  of  causes 
before  the  court,  caput  sextum  fol.  127.  Nr.  7.  Of  iniuries  in  woord  or 
deed,  quarrelinge,  fightinge,  misdemeanour,  excesse  and  playe,  caput  septi- 
kum fol.  143.  Nr.  8.  Of  impositions,  assessementes,  charges  and  duties  to 
the  house,  caput  octavum  fol.  155.  Nr.  9.  Of  maryage  and  purchase  foreign, 
caput  nonum  fol.  167. 

*)  Dasselbe  ist  betitelt:  „A  treatise  of  commerce,  wherein  are  shewed 
the  commoditie8  arising  by  a  wel  ordered  and  mied  trade,  such  as  that  of 
the  societie  of  merchantes  adventurers  is  proved  to  bee  written  principallie 
for  the  better  information  of  those,  who  doubt  of  the  necessarienes  of  the 
said  sodetie  in  State  of  the  Realme  of  Englande,  by  John  Wheeler  secre- 
torie  of  the  said  societie.  Middelburgh.  By  Richard  Schilder«,  Printer  to 
the  States  ofZeland  1601;  bezw.  London.  Printed  by  JohnHarrison  1601." 

r;  Ein  Tract  von  4  Quartoblättern  „The  advantages  of  the  kingdome 
of  England  both  abroad  and  at  home,  by  manageing  and  issuing  the  dra- 
pery  and  woollen  manufactures  of  this  kingdom  under  the  ancient  govern- 
ment of  the  fellowship  of  merchants  adventurers"  (Brit.  Mus.  Pressmarke 
M6  m  14/79)  ist  geradezu  ein  kurzer  Auszug  aus  Wheeler. 

')  In  Deutschland  hat  besonders  Justus  Mos  er  auf  das  Werkchen  auf- 
merksam gemacht.    Patriotische  Phantasien.    Bd.  III.    S.  170. 


—    334    — 

Weniger  Berücksichtigung  fanden  die  Schriften  zweier 
Kaufleute,  Namens  Gerard  Malynes  und  Eduard  Misseiden, 
welche  in  dem  zweiten  Decennium  des  17.  Jahrhunders  schrieben. 
Den  directen  Anlass  dieser  Flugschriften  gab  nicht  die  Com- 
pagnie  der  Merchant  adventurers,  sondern  die  damalige  Handels- 
lage überhaupt.  Eduard  Misseiden  veröffentlichte  zuerst  ano- 
nym, 1622  mit  Namen,  eine  kleine  Schrift:  „Free  trade  or 
the  means  to  make  trade  flourish,  wherein  the  causes  of  the 
decay  of  trade  in  this  kingdome  are  discovered."  Gegen  die 
Auseinandersetzungen  Misseldens  trat  Gerard  Malynes  mit  einer 
Broschüre  *)  auf  und  tadelt  als  genauer  Kenner  des  Monsieur 
Bodin,  den  er  den  „great  polititian  of  France"  nennt,  dass 
Misseiden  das  Hauptmittel  für  einen  blühenden  Handel,  näm- 
lich die  „operative  power  of  exchange"  unberücksichtigt  ge- 
lassen. Er  beleuchtet  die  verschiedenen  geltend  gemachten 
Gründe  für  den  Verfall  des  Handels  *)  von  einem  abweichenden 
Standpunkt  aus  und  differirt  auch  besonders  in  Rücksicht  auf 
die  Beurtheilung  der  kaufmännischen  Compagnien;  denn  wäh- 
rend Misseiden  diese  und  die  Merchant  adventurers  preist3), 
sieht  Malynes  in  den  „policies  of  merchants"  einen  Hauptgrund 
mit  zum  Verfall  des  Handels4).  Indem  nun  Misseiden  diese 
Angriffe  nicht  unerwidert  liess5),  und  Gerard  Malynes  auch 
diese   Entgegnung  wieder   einer    scharfen   Kritik   unterzog6). 


*)  „The  maintenance  of  free  trade  according  to  the  three  essentiall 
parts  of  traffique,  namely  commodities,  moneys  and  exchange  of  moneys 
by  bills  of  exchanges  for  other  countries,  or  an  answer  to  „a  treatise  of 
free  trade  or  the  meanes  to  make  trade  flourish"  lately  published.  By 
Gerard  Malynes  Merchant.    London  1622." 

-)  Als  solche  sind  genannt:  Geldmangel,  Wacher,  unpraktisches  Ge- 
richtsverfahren, freie  Zulassung  fremder  Nationen  zur  Fischerei  in  englischen 
Gewässern,  Missbräuche  in  der  Tuchmacherei ,  Ausfuhr  von  Wolle,  Zölle 
auf  Tuch  zu  Hause  und  in  der  Fremde,  Kriege,  übermässiger  Gebrauch 
fremder  statt  einheimischer  Waaren. 

n)  Free  trade  etc.  S.  74. 

*)  The  maintenance  of  free  trade  etc.  S.  50.  Er  erwähnt,  die  M.  adv. 
hätten  unter  dem  Vorwande  ihrer  Patente  den  gesammten  Export  der  weissen 
und  gefärbten  Tücher,  der  „kersies,baies,sayes,serges}perpetuanoesu  nach  den 
Niederlanden  und  Deutschland  an  sich  gerissen  und  den  Handel  gedrückt; 
die  fremden  Eaufleute,  die  Stapler  und  übrigen  Engländer  seien  an  der 
Ausfuhr  verhindert,  der  Tuchpreis  ^werde  herabgemindert,  und  die  Tuch- 
macher müssten  sich  durch  Fertigung  schlechten  Tuchs  entschädigen.  Aach 
der  Wollproducent  und  Landeigentümer  leide  darunter;  dazu  komme  die 
Concentration  dieses  Handels  in  London,  wodurch  die  anderen  Häfen  ver- 
armten. 

ß)  „The  circle  of  commerce  or  the  ballance  of  trade  in  defence  of 
free  trade  opposed  to  Malynes  Little  Fish  and  his^Great  Whale  and  poizeä 
against  them  in  the  Scale.  Wherin  also  Exchanges  in  generali  are  con- 
sidered  :  and  therein  the  whole  trade  of  this  kingdome  with  forraine 
Countries  is  digested  into  a  ballance  of  trade  for  the  benefite  of  the  Pu- 
blique. Necessary  for  the  present  and  future  times.  By  E.  M.  (Edward 
Misseiden)  Merchant.    London  1623." 

')  „The  center  of  the  circle  of  commerce  or  a  refutation  of  a  treatise 
intituled :   The  circle  of  commerce  or  the  ballance  of  trade,  lately  published 


_    335    - 

konnte  es  nicht  fehlen,  dass  die  Stellung  und  Geschichte  der 
Merchant  adventurers  nach  vielen  Seiten  hin  erörtert  wurde J). 

Immerhin  tragen  alle  die  genannten  Schriften  einen  Partei- 
charakter an  sich;  sie  entstellen,  sind  lückenhaft  und  geben 
nur  das,  was  ihrem  Parteizwecke  dient.  Obwohl  Wheeler  mit 
den  Rechten  und  Urkunden  der  Compagnie  bekannt  sein 
musste,  und  auch  Misseiden  wie  Malynes  sich  solcher  Kennt- 
niss  rühmten,  so  sind  sie  doch  nur  mit  Vorsicht  zu  benützen. 

Aus  diesem  Grunde,  sowie  um  die  grossen  Lücken  aus- 
zufällen, suchte  ich  so  viel  wie  möglich  auf  die  Documente 
selbst  zurückzugehen.  Ich  habe  nicht  geringe  Mühe  auf- 
gewandt, um  in  diese  dunkle  Materie  durch  neues  Material 
mehr  Licht  zu  bringen.  Zum  Theil  dürfte  mir  dies  auch  ge- 
lungen sein2).  Uebergrosse  Erwartungen  darf  man  jedoch 
nicht  hegen.  Die  Vorgeschichte  aller  mittelalterlichen  Corpo- 
rationen  pflegt  ziemlich  verschleiert  zu  sein,  und  die  Documente 
diessen  vor  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  bezüglich  der 
Merchant  adventurers  keineswegs  reichlich.  Ihre  ganze  Ent- 
wicklung bis  zu  dieser  Zeit  lässt  vermuthen,  dass  der  Urkunden- 
schatz derselben  nicht  gross  sein  konnte,  und  wir  werden  in 
dieser  Vermuthung  auch  bestätigt  durch  ein  von  uns  auf- 
gefundenes Verzeichniss  sämmtlicher  Documente8),  welche  die 
Merchant  adventurers  1547  besassen.  Dasselbe  muss  bis  auf 
Weiteres  als  die  Hauptquelle  der  älteren  Geschichte  dieser 
Compagnie  gelten.  Zum  guten  Glück  wurde  dasselbe  mit 
irrosser  Genauigkeit  abgefasst,  so  dass  es  in  vielen  Fällen  die 
Urkunde  ersetzt.  Nicht  selten  gelang  es  mir,  Copien  oder 
Originalien  der  erwähnten  Documente  noch  aufzufinden;  da- 
gegen war 'ich  nicht  im  Stande,  Einzelstücke  der  Sammelposten 


l»y  E.  M.  By  G er ard  Malynes  Merchant.  London  1623"  Malynes  zeigt 
sich  entschieden  dem  Misseiden  überlegen;  als  geborner  Flandrer  bewegt 
er  sich  in  seinen  Deductionen  viel  freier  als  Misseiden  und  verschmäht  des 
letzteren  scholastische  Beweisführung.  Malynes  stand  bei  Jacob  I.  in  eini- 
gem Ansehen.  Ausser  der  bekannten  Lex  Mercatoria  verfasste  er  auch 
noch  das  Schriftchen :  „Englands  view  in  the  unmasking  of  two  paradoxes 
with  a  replication  unto  the  answer  of  Maister  John  Bodine.  London  1603." 

l)  Die  grosse  Zahl  der  sonst  im  17.  Jahrhundert  erschienenen  ein- 
schlägigen Schriften  sind  in  Bezug  auf  die  ältere  Zeit  wenig  ergiebig.  Ge- 
nannt seien:  „A  discourse  consisting  of  motives  for  the  eulargement  and 
treedome  of  trade  especially  that  of  cloth  and  other  woollen  manufactures 
engiossed  at  present  contrary  to  the  law  of  nations  and  the  lawes  of  this 
kingdome.  By  a  Company  of  private  men  who  Stile  themselves  Merchant 
adventurers.  London  1645."  und  „Of  a  free  trade.  A  discourse  seriously 
recommending  to  our  nation  the  wonderfull  benefits  of  trade,  especially  of 
a  rightly  governed  and  ordered  trade.  Setting  forth  also  most  clearly  the 
relative  nature,  degrees  and  qualifications  of  libertie,  which  is  ever  to  be 
inlarged  or  restrained  according  to  that  Good,  which  relates  to,  as  that  is 
more  or  lesse  ample.   "Written  by  Henry  Parker,  Esq.  London  1648." 

*)  Vgl.  ürk.  Beil.  116  fg. 

s)  ürk.  BeiL  133. 


—    336     - 

ans  Licht  zu  ziehen.  Das  Verzeichniss  erwähnt,  dass  der 
Schrein  mit  den  Urkunden  bei  den  Mercern  deponirt  war;  der 
gegenwärtige  Clerk  der  Gilde,  Mr.  Watney,  mit  dem  ich  dieser- 
halb  in  Correspondenz  trat,  erklärte  jedoch,  nichts  auf  die 
Merchant  adventurers  Bezügliches  finden  zu  können. 

Ueber  den  Beginn  der  Gesellschaft  der  Merchant  adven- 
turers herrscht  grosse  Unsicherheit. 

In  einer  Petition  um  Aufhebung  der  Parlamentsacte 
12  Henr.  VIL  c.  6  datiren  die  M.  a.  ihren  Ursprung  vom 
Jahre*  1216  an.  Im  16.  Jahre  der  Regierung  Johanns  habe 
nämlich,  sagen  sie,  der  Herzog  von  Brabant  den  englischen 
Kaufleuten  ein  Privileg  ertheilt,  das  sie  zur  Wahl  eines  Con- 
suls  und  zur  Ausübung  eigener  Gerichtsbarkeit  berechtigte 2). 
In  einem  Rechenschaftsbericht,  den  die  M.  a.  1638  dem  Hause 
der  Gemeinen  übergaben,  sollen  sie  das  Jahr  1296  als  das 
ihres  Ursprungs  angegeben  haben,  indem  sie  dargelegt  hätten, 
dass  sie  in  diesem  Jahre  in  Antwerpen  sich  niedergelassen 
und  mit  allen  Kaufleuten,  die  dahin  kamen,  zu  einer  Gesell- 
schaft zusammengeschlossen  hätten 2).  Wheeler  beansprucht 
das  Jahr  1248  als  das  Geburtsjahr  der  Compagnie,  indem  er 
behauptet,  die  Brüderschaft  des  heil.  Thomas  Becket  von 
Canterbury  habe  damals  vom  Herzog  von  Brabant  Privilegien 
erhalten,  die  vom  König  bestätigt  worden  seien 8).  Misseiden  l\ 
Malynes6)  und  Andere  setzten  den  Beginn  in  die  Zeit  des 
englischen  Königs  Heinrich  IV. 

Diese  Abweichungen  beruhen  vielleicht  zum  Theil  auf  Un- 
genauigkeit,  zum  grösseren  Theil  dürften  sie  darin  ihren  Grund 
haben,  dass  die  verschiedenen  Gewährsmänner  eine  verschie- 
dene Phase  der  Entwicklung  als  den  eigentlichen  Ausgangs- 
punkt betrachteten. 

Als  sicher  kann  gelten,  dass  im  13.  Jahrhundert  —  ob 
nun  zuerst  1216,  1248,  1286 6),  muss  dahingestellt  bleiben  — 
der  Herzog  von  Brabant  Privilegien  ertheilte,  und  zwar  darf 
man  annehmen,  dass  diese  für  alle  Engländer  und  nicht,  wie 
Wheeler  behauptet,  blos  einer  Brüderschaft  galten.  Es  war 
eine  bekannte  Taktik  der  M.  a.,  alle  in  den  Niederlanden  den 


*)  Urk.  Beil.  134. 

*)  Anderson  I.  S.  253  In  wie  weit  diese  Angabe  Glauben  verdient 
und  ob  es  nicht  vielleicht  statt  1296  1216  oder  1286  heissen  soll,  muss 
dahin  gestellt  bleiben.  Die  gedruckte  Sammlung  der  Journals  of  the  house 
of  Common8  (des  Br.  M.)  enthält  keine  Angaben  für  das  Jahr  1638;  trotz- 
dem verweist  Herbert,  History  of  the  twelf  great  Livery  Companies  auf 
dieselben. 

8)  S.  8.    Middelb.  Ausg. 

A)  Circle  of  Commerce  S.  53. 

*)  Centre  of  circle  etc.  S.  88:  -This  (sc.  patent  of  Henr.  IVtb)  was 
the  first  originall  and  foundation  of  the  new  Merchants  adventurers.''' 

•)  Ygl.  Urk.  Beil.  133  §  27. 


—    337     — 

Engländern  gewährte  Privilegien  sich  allein  zuzusprechen.  Die 
uns  erhaltenen  Documente  beweisen,  dass  die  Rechte  allen 
Engländern  zugedacht  worden  waren1). 

Die  genannten  Privilegien,  denen  weitere  am  Anfang  des 
14.  Jahrhunderts  folgten8),  sollten  den  Handel  der  Engländer 
nach  Brabant  ermöglichen  und  fördern.  Sie  verschafften  den- 
selben die  Aufnahme  ins  niederländische  Recht,  d.  h.  es  wurde  • 
den  Engländern  gestattet,  bei  Streitigkeiten  mit  den  Ein- 
heimischen vor  den  Brabanter  Gerichten  zu  erscheinen  und 
Urtheil  zu  verlangen.  Ferner  durften  die  englischen  Kaufleute 
sich  aus  ihrer  Mitte  einen  Vorstand  wählen,  der  die  unter 
ihnen  entstandenen  Differenzen  schlichten  und  ihre  gemein- 
samen Angelegenheiten  ordnen  sollte3). 

Mit  dieser  Gerichtsbarkeit  war  der  Keim,  die  Möglichkeit 
zu  einer  Gesellschaft  gegeben.  Man  muss  aber  fuglich  be- 
zweifeln, ob  schon  damals  dieselbe  zu  einer  Organisation  der 
Merchant  adventurers,  wie  sie  uns  später  entgegentritt,  ge- 
führt habe.  Alle  Wahrscheinlichkeit  spricht  vielmehr  dafür, 
dass  diese  Gerichtsbarkeit  und  dieses  Consulat  anfangs  von 
den  Staplern  ausgeübt  wurde.  Der  Stapelmayor  war  zugleich 
der  Gonsul.  Nicht  genug,  dass  die  Existenz  des  Stapels  für 
die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  als  wahrscheinlich  gelten 
kann4),  wir  wissen  auch,  dass  in  den  späteren  Regierungs- 
jahren Eduards  I.  und  unter  Eduard  IL  dasselbe  in  Antwerpen 
sich  befand6).  Man  wird  sogar  kaum  fehlgehen,  wenn  man 
annimmt,  dass  die  Privilegien  geradezu  erst  mit  Rücksicht  auf 
die  Verlegung  des  Stapels  nach  Brabant  ertheilt  wurden.  In 
den  uns  noch  erhaltenen  Freiheiten  von  1305  und  1315  stehen 
denn  auch  die  Zollsätze  für  Wolle  und  Häute,  also  für  die 
zwei  wichtigsten  Stapelartikel  an  der  Spitze. 

In  der  Folgezeit  wurde  das  Stapel  häufig  verlegt,  bald 
nach  St.  Omer,  bald  nach  Brügge,  bald  nach  englischen 
Plätzen;  zeitweise  hob  man  es  auch  ganz  auf.  Seit  Ende  des 
14.  Jahrhunderts  wurde  es  endlich  in  Calais  belassen6).  Da- 
durch schrumpfte  der  englische  Handel  in  Antwerpen  wieder 
auf  ein  Minimum  zusammen. 

Der  Hauptverkehr  der  Stapler  bewegte  sich  also  fortan 


l)  Sieh  oben  S.  8. 

*)  Sieh  ebenda. 

*)  Das  Antwerpener  Privileg  von  1305  sagt:  ^Poterunt  etiam  eligere 
soae  nationis  consufem,  qui  de  rebus  omnibus  ad  ipsos  spectantibus  cog- 
noscat,  praeterquam  ubi  de  amissione  membri  vel  capitis  agitur.  Pape- 
brochius,  Annales  Antverpienses  ed.  Mertens  et  Buschmann  I.  S.  67. 

*)  Sieh  oben  S.  329. 

*)  Rymer  II.  S.  206;  vgl.  auch  Stubbs,  Constitutional  history  of 
England  Ü.  S.  411  fg.  und  oben  S.  830. 

6)  Sieh  21  Ria  IL  c.  17.  Vgl  anch  die  üebersicht  über  die  Ge- 
schichte des  Stapels  im  14.  Jahrhundert  bei  Craik,  History  of  English 
commerce  L  S.  12.  fg. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  22 


—    388    - 

zwischen  Calais  und  England.  Sie  besuchten  zwar  sicherlich 
von  Galais  aus  auch  die  niederländischen  Märkte,  namentlich 
Brügge,  aber  das  lag  eigentlich  schon  ausserhalb  ihres  Be- 
reiches. Es  war  ja  der  Zweck  des  Stapels,  fremde  Kaufleute 
an  den  Stapelplatz  zu  ziehen.  Diese  sollten  mit  Geld  und 
Waaren  nach  Galais  kommen  und  damit  die  englischen  Artikel 
eintauschen.  Alles,  was  diesen  Zweck  vereitelte,  war  dem 
Geist  des  Stapels  entgegen.  Es  war  darum  auch  ganz  con- 
sequent,  wenn  man  z.  B,  den  Ankauf  der  Stapelartikel  durch 
Commissionshäuser  in  Galais  verbot1). 

Für  den  directen  Verkehr  zwischen  England  und  den 
niederländischen  Handelsemporien  war  somit  ungenügend  ge- 
sorgt. Die  Lücke  wurde  theils  durch  englisch^  NichtStapel- 
kaufleute,  theils  durch  Fremde  ausgefüllt.  Man  sollte  meinen, 
damit  sei  auch  Anlass  genug  für  eine  besondere  Organisation 
der  namentlich  nach  Brügge  handelnden  englischen  Kaufleute 
vorhanden  gewesen.  Trotzdem  liegen  gar  keine  Beweise  für 
eine  derartige  Trennung  vor*).  Man  ist  zur  Annahme  ge- 
zwungen, dass  der  Stapelmayor  von  Calais  gleichzeitig  der 
Gouverneur  der  englischen  Kaufleute  in  Flandern  war.  Die 
Nähe  von  Calais  und  Brügge  und  die  Mitbetheiligung  der  Stapler 
am  Handel  nach  dem  letzteren  machten  eine  solche  einheit- 
liche Vertretung  möglich  und  vielleicht  auch  wünschenswert!). 

Darin  musste  aber  eine  Wandlung  eintreten,  als  mit  An* 
fang  des  15.  Jahrhunderts  der  Verkehr  der  Nichtstapelkauf- 
leute  sich  wieder  von  Brügge  nach  Antwerpen  zu  ziehen  be- 
gann. Jetzt  wurde  nicht  nur  die  Entfernung  zu  gross,  sondern 
auch  die  Grundlage  des  englischen  Handels  nach  Brabant  war 
eine  eigenartige,  der  des  Stapels  entgegengesetzte.  Die  eng- 
lische Tuchindustrie  war  allmälig  zur  Blüthe  gelangt  Mit  ihr 
verbanden  sich  die  Interessen  der  englischen  Nichtstapelkauf- 
leute.    Das  Tuch  war  und  wurde  immer  mehr  das  Fundament 


*)  8Henr.  VI.  c  20;  im  Jahre  1454  verlangten  die  Gemeinen  wiederum : 
„And  that  noo  merchaunt  continuelly  inhabitaunt  within  the  said  town  of 
Caleys  nor  any  other  persone  to  his  use  by  crafte  or  covyn  bye  or  by  wey 
of  eschaunge  aeeept  or  take  any  maner  of  merchandise  of  the  seid  staple.4* 
DieBitte  wurde  abgeschlagen.  Rot.  Pari.  V.  S.  277.  Sieh  ferner  VI.  S.  397. 

a)  Nur  ein  Fall  spricht  scheinbar  für  eine  solche.  In  den  Freiheiten, 
welche  Graf  Louis  de  Male  am  26.  Febr.  1359  verlieh,  ist  von  den  engli- 
schen Kaufleuten  die  Rede,  welche  in  Brügge  ihre  Gesellschaft  unter  einem 
Gouverneur  haben  (Varenbergh,  Relations  diplomatiques  entre  la  Flandre 
et  l'Angleterre  S.  447  fg.).  Gleichzeitig  befand  sich  seit  1353  das  Stapel 
an  verschiedenen  Plätzen  in  England  (Rot.  Pari.  II.  S.  246).  Der  Stapel- 
mayor in  England  konnte  nicht  wohl  zugleich  Gonsul  in  Brügge  sein,  man 
könnte  meinen,  damit  sei  die  Trennung  bewiesen.  Wenn  man  aber  bedenkt, 
dass  vorher  das  Stapel  in  Brügge  war,  die  genannten  Privilegien  nur  eine 
Bestätigung  der  früheren  sind  und  der  Graf  auf  Veranlassung  von  Brügge 
und  der  übrigen  flandrischen  Städte  sie  erneuerte,  um  dadurch  die  engli- 
cshen  Stapelkauf  leute  und  das  Stapel  erst  wieder  nach  Flandern  zu  ziehen, 
was  ihm  aber  nicht  gelang  (Varenbergh  S.  394,  395,  415),  so  ist  klar, 
dass  hier  kein  Gegenbeweis  für  das  im  Text  Gesagte  vorliegt 


—    339    — 

ihres  Exportes,  mit  ihm  erwarben  sie  die  Waaren  des  nieder- 
ländischen Weltmarktes  und  führten  sie  England  zu.  Je  besser 
die  Webereien  in  England  blühten,  um  so  grösser  war  das 
eigene  Gedeihen.  Diese  Uebersiedelung  nach  Antwerpen  war 
deshalb,  wie  wir  schon  früher  hervorhoben x),  einer  der  wich- 
tigsten Wendepunkte  für  die  englische  Industrie  und  den  eng- 
lischen Handel  im  Mittelalter,  ein  Act  der  Emancipation,  der 
beiden  erst  eine  wirkliche  Entfaltung  ermöglichte. 

Unter  diesen  Verhältnissen  war  eine  vom  Stapel  zu  Calais 
scharf  gesonderte  Vertretung  unumgänglich  geworden.  1407, 
also  im  selben  Jahr,  in  welchem  die  englischen  Kaufleute  in 
Antwerpen  ein  Haus  erwarben,  ertheilte  Heinrich  IV.  die  Con- 
sulatscharte s),  d.  h.  er  gab  den  Kaufleuten,  die  nach  den 
Niederlanden  handelten,  das  Recht,  sich  daselbst  an  einem 
Ort  zu  versammeln  und  einen  Gouverneur  zu  erwählen,  der 
unter  ihrem  Beirath  die  Handelsangelegenheiten  ordnen  und 
Recht  sprechen  sollte.  Die  Verleihung  ist  nicht  blos  auf  die 
Kaufleute,  die  nach  Brabant,  Holland  und  Seeland  handelten, 
beschränkt,  sondern  sie  hat  auch  Giftigkeit  für  Flandern,  ja 
sogar  ganz  allgemein  für  die  überseeischen  Gebiete.  In  dieser 
weiten  Fassung  wird  man  nicht  einen  Widerspruch  zu  unserer 
obigen  Darstellung  erblicken  dürfen,  sie  war  noth wendig,  weil 
der  Verkehr  mit  Brügge  noch  fortgesetzt  wurde,  und  es  sich 
Oberhaupt  darum  handelte,  die  NichtStapler  in  diesen  und  den 
anliegenden  Gebieten  zusammenzufassen.  Es  blieb  dann  den 
Merchant  adventurers  überlassen,  den  jeweils  günstigsten  Platz 
sich  auszusuchen.  Insofern  dieser  Freibrief  den  eigentlichen 
Rechtsgrund  für  die  gesonderte  Existenz  der  M.  a.  statuirt, 
kann  man  allerdings  mit  Misseiden  und  Malynes  von  da  den 
Anfang  der  Gesellschaft  datiren. 

Aus  der  vorstehenden  Entwicklung  ergibt  sich,  dass  die 
Gesellschaft  nur  lose  verbunden  war.  Das  Consulat,  der  Ge- 
horsam gegen  seine  Verordnungen,  die  Beitragspflicht  zu  seinem 
unterhalt  waren  die  einzigen  äussern  Banden  des  Zusammen- 
halts. Die  Schutzbedürftigkeit  und  die  Gemeinsamkeit  der  In- 
teressen waren  der  innere  Kitt.  Von  einer  eigentlichen  In- 
corporirung  war  noch  keine  Rede3)  und  eine  Gilde  im  mittel- 
alterlichen Sinn,  die  den  Menschen  völlig  umfasste,  nicht  vor- 
handen. Solchen  Aufgaben  war  die  Organisation  nicht  ge- 
wachsen.   Schon  der  Umstand,  dass  der  Schwerpunkt  derselben 


l)  Sieh  S.  7,  8.  107. 

^Rymer  VIII.  S.  464. 

8)  Malvnes'  Urtheil  über  die  Charte  von  1407  muss  als  richtig  an- 
gesehen werden.  Er  sagt  (The  circle  of  commerce.  London  1623.  S.  86): 
«Diese  Charte  gab  keine  ausschliessenden  Vollmachten,  sondern  nur  das 
Recht,  sich  zu  versammeln,  einen  Gouverneur  zu  wählen  und  die  Miss- 
bräuche unter  sich  abzustellen ;  an  diesen  Privilegien  participirten  alle  Kauf- 
und Seeleute  Englands  und  Irlands  ohne  Ausnahme  und  ohne  Beschränkung. 

22* 


-     340    — 

ausserhalb  des  Reiches  lag,  und  die  Gesellschaft  überhaupt 
keinen  localen  Charakter  hatte,  sondern  alle  wagenden  Kauf- 
leute Englands  umfassen  konnte  und  beinahe  auch  wirklich 
umfasste,  trat  hindernd  entgegen.    So  erklärt  sich  auch   die 

,  Erscheinung,  dass  die  M.  a.  in  England  selbst  besonderen 
Gilden  angehörten ;  in  London  waren  es  die  Mercers l),  die  aus 
Händlern  mit  Kleinwaaren  zu  Grosshändlern  und  Kauffahrern 
sich  emporschwangen  und  die  Seele  der  neuen  Gesellschaft 
wurden ;  an  andern  Orten  mögen  es  auch  die  Mercers,  vielfach 

j  aber  auch  andere  allgemeine  Kaufmannsgilden  gewesen  sein  *), 

I  welche  die  Mitglieder  zu  der  Gesellschaft  der  M.  a.  lieferten. 

1  Dieser  Zustand  erwies  sich  als  vollkommen  seinem  Zwecke 
entsprechend,  und  die  Könige  konnten  sich  lange  auf  die 
blosse  Bestätigung  des  Consulatsbriefs  beschränken8). 

i  Erst  unter  Heinrich  VII.  machte  sich  das  Streben  nach 
einer  stärkeren  Centralisation ,  mit  ihr  aber  auch  nach  einer 
grösseren  Abschliessung  geltend.  Unter  ihm  traten  auch  die 
M.  a.  aus  der  bisherigen  stillen  Wirksamkeit  heraus  und 
Hessen  merken,  welche  Macht  sie  besässen.  Als  Heinrich  VH. 
nach  seiner  Thronbesteigung  die  Zölle  erhob,  noch  bevor  sie 
vom  Parlament  bewilligt  waren,  verweigerten  sie  die  Zahlung 
derselben,  und  der  König  wagte  nicht,  ihre  Forderung  um  Er- 
lass  derselben  abzuweisen4).  Heinrich  VH.  liess  sie  überhaupt 
in  den  ersten  10  Jahren  seiner  Regierung  gewähren.  Als 
aber  die  äusseren  handelspolitischen  Fragen  ziemlich  gelöst, 
auch  im  Innern  die  königL  Autorität  gestärkt  und  über  alle 
Parteien  erhoben  war,  widmete  er  auch  diesem  Punkte  seine 
volle  Aufmerksamkeit.    Mit  klarem  Blick   hatte  er  erkannt, 


Als  die  Tuchindustrie  einige  Fortschritte  gemacht  hatte,  war  König  Hein- 
rich IV.  gewillt,  jeden  seiner  Unterthanen  gerade  so  wie  die  Stapler  zum 
Tuchexport  zu  ermathigen,  und  deshalb  gab  er  Vorschriften  oder  die  oben 

genannte  Charte  solchen  Kaufleuten,  die  nicht  zur  Stapelgesellschaft  ge- 
örten,  aber  doch  Lust  hatten,  unser  Tuch  nach  Flandern,  Brabant,  Hol- 
land und  andern  Ländern  zu  bringen." 

l)  Ihr  Alter  als  Metropolitangilde  reicht  wenigstens  bis  1172  zurück. 
Herbert,  History  of  the  twelve  great  Livery  Companies  of  London  1837 1.  S.  231 . 

*)  In  Bristol  waren  es  wohl  die  Mitglieder  der  von  W.  Cannynges 
gestifteten  Corporation  (George  Pryce,  Memorials  of  the  Cannynges  nunily 
and  their  times  1854.  8.  135)  und  in  Boston  die  Mitglieder  der  Guild  of  our 
Lady  in  St  Botolph's  church,  bekannt  auch  dadurch,  dass  sie,  um  wahrend 
der  Fasten  Fleisch  essen  zu  dürfen,  sich  jährlich  vom  Papste  einen  Pardon 
erwirkten  und  einmal  die  Dienste  des  Th.  Cromwell  hiebei  benutzten  (vgl.  Foxe, 
Acts  and  Monuments  V.  S.?364).  In  Newcastle  setzten  sich  die  Merchant  adven- 
turers  zusammen  aus  den  „crafts  of  mercers,  drapers  or  spicers".  (Nähere  Mit- 
theilungen über  die  M.  a.  in  Newcastle  bei  Mackenzie,  Descriptive  and 
historical  account  of  Newcastle  upon  Tyne  1827.    IL   S.  607,  664  fc.) 

8)  Sieh  die  Reihe  dieser  Bestätigungen  Urk.  Beil.  133.  Wie  alle 
Corporationen  damaliger  Zeit  führten  auch  die  M.  tu  die  ununterbrochene 
Fortdauer  ihres  Privilegs  mit  Vorliebe  für  ihre  Rechte  an.  Vgl.  Missei- 
den, Circle  of  commerce.    S.  53.  ' 

*)  Campbell,  Materials  for  a  history  of  Henr.  VH  L  S.  273.  4. 
Febr.  1486. 


—    341     - 

dass  von  der  richtigen  Lenkung  und  Leitung  dieser  englischen 
Handelsgesellschaft  die  Blüthe  des  englischen  Handels  und  der 
Industrie  selbst  vielfach  abhänge. 

Ein  schwerer  Entscheid  war  damals  zu  treffen.  Wie  die 
Entstehung  der  Gesellschaft  hauptsächlich  das  Werk  der  Lon- 
doner war,  so  waren  diese  auch  bestrebt,  alle  Gewalten  in 
ihre  Hände  zu  bekommen1).  Das  war  ihnen  frühzeitig  ge- 
lungen, und  sie  benützten  nun  ihre  Macht,  um  die  auswärtigen 
Mitglieder  zu  majorisiren,  zu  schätzen  und  auszuschliessen. 
Eine  Art  Steuerrecht  stand  jedenfalls  von  Anfang  an  den  Vor- 
ständen der  M.  a.  zu,  um  die  Consulatskosten  bestreiten  zu 
können.  Später  gesellte  sich  zu  diesen  Beiträgen  ein  neuer 
für  eine  Assecuranzkasse,  welche  die  Mercers  in  London  unter 
sich  errichtet  hatten  *),  und  zu  der  sie  auch  die  übrigen  Mit- 
glieder herbeizogen.  Die  Versicherungssumme  war  vorzüglich 
geeignet,  um  andere  Zwecke  zu  maskiren.  Während  der  Bei- 
trag anfangs  nur  6  sh  8  d  (1  Nobel)  war,  erhöhte  man 
ihn  bald  auf  100  fläm.  Schillinge  und  zuletzt  auf  20  fg  *).  Da 
nun  kein  Engländer  oder  junger  Kaufmann  nach  den  Nieder- 
landen handeln  durfte,  wenn  er  nicht  zuvor  diese  Summe  be- 
zahlte, so  war  der  Handel  nur  in  die  Hände  der  Reichen  ge- 
geben. Es  war  ein  Versuch  der  Abschliessung,  wie  er  uns 
auch  bei  den  Staplern  entgegentritt 4),  und  we  wir  ihm  so  oft 
bei  den  Gewerbszünften  begegnen6). 


l)  Die  Ernennung  des  Gouverneurs  lag  fast  ganz  in  ihren  Händen. 
Als  die  Kaufleute  1542  in  Antwerpen  einen  andern  wählten,  als  den,  wel- 
chen die  Londoner  wünschten,  klafften  die  letzteren  beim  Privy  Council,  in 
Folge  dessen  auch  die  Wahl  redressirt  wurde.  Urk.  Beif.  132.  Die 
Gouverneure  waren  meist  sehr  angesehene  Männer;  so  wissen  wir,  dass 
auch  Will.  Caxton  einer  war.  Delepierre,  The  fürst  printers  of  Belgium 
and  Engl.  Mise,  of  Bibliophil  Vol.  Vi.  S.  19—21;  sieh  auch  oben  S.  329. 

*)  Dies  geschah  unter  Heinrich  VI.,  der  1425  den  Mercers  eine  Charte 
gab,  worin  er  „grants  to  the  Mercers  to  have  a  chaplain  and  a  brother- 
hood,  for  the  reuef  of  such  of  their  Company  as  shall  come  to  decay  from 
misfortunes  of  the  sea".  Herbert,  History  of  the  12  great  livery  com- 
panies  I.    S.  226. 

•)  Preamble  des  Statuts  12  Henr.  VII.  c  6. 

4)  Das  Eintrittsgeld  bei  den  Staplern  betrug  100  M.  (Urk.  Beil.  129). 
Im  Jahre  1444  verlangten  die  Stapler,  dass  bei  der  Wahl  ihrer  Behörden 
in  Calais  nur  diejenigen  stimmberechtigt  sein  sollten,  welche  wenigstens 
10  Sack  Wolle  in  eigenem  Namen  verschifften,  wurden  aber  mit  diesem 
Verlangen  abgewiesen  (Rot  Pari.  V.  S.  105).  1454  wurden  abermals 
Stimmen  gegen  die  Stapler  laut.    In  einer  Petition  heisst  es :   „And  that  it 


8hal  be  leerall  for  every  of  youre  seid  liege  peple  from  this 
Urne  forwarde  to  bringe  the  seid  wolies  and  wolfelles  to  the  seid  staple 
of  Caleys  and  them  to  utter  and  seile  there,  and  to  be  free  —  there  to  enjoye 
and  have  at  all  times  all  maner  of  libertees  and  customes,  as  eny  of  tue 
felisship  of  the  seid  staple  hath  or  shal  have  without  any  fyne  makyng  or 
paying  therfore,  except  ordinarie  chargesu.  Dieses  Ansuchen,  welches  offen- 
bar die  stramme  Organisation  der  Stapelgesellschaft  zerstören  wollte,  wurde 
jedoch  abgelehnt.    Rot  Pari.  V.    S.  277. 

*)  Vgl.  22  Hen.  VHI.  c.  4  und  28  Hen.  VIII.  c.  5. 


—    342    — 

Gegen  diese  unberechtigte  Hemmung  und  Monopolisirung 
des  Handels  erhob  sich,  wie  man  denken  kann,  ein  lauter 
Protest  von  Seite  der  Benachteiligten.  Sie  legten  dar,  wie 
man  in  alle  übrigen  Länder  frei  und  ungehindert  handeln 
dürfe,  wie  dies  auch  früher  mit  den  Niederlanden  der  Fall 
gewesen  und  wie  schädlich  diese  Neuerung  sei.  Der  Absatz 
der  englischen  Tücher  und  Waaren  leide  darunter,  und  das 
Gewerbsvolk  verliere  seinen  Lebensunterhalt;  man  sei  genöthigt, 
die  Tücher  nur  nach  London  zu  bringen  und  daselbst  unter 
dem  Selbstkostenpreis,  meist  noch  auf  langen  Credit  zu  ver- 
kaufen. Die  Preise  der  von  den  Niederlanden  gebrachten  Artikel 
habe  man  erhöht,  so  dass  die  Käufer  nicht  dabei  bestdien 
könnten.  Die  Städte  und  Flecken  des  Königreichs  seien  in 
grossen  Verfall  gerathen  und  in  einem  trost-  und  hoffnungs- 
losen Zustand.  Die  Zölle  und  die  Schiffahrt  des  Landes 
drohten  gänzlich  zerstört  zu  werden. 

Der  König  und  das  Parlament  schlössen  sich  diesen  Aus- 
führungen an.  Es  kam  ein  Gesetz  zu  Stande,  wonach  jeder 
Engländer  nach  den  Niederlanden  frei  und  ungestört  handeln 
durfte,  wofern  er  10  Mark  (=  6  j£  13  sh  4  d)  an  die  Ge- 
sellschaft der  M.  a.  entrichtete 1). 

Der  Plan  der  Schliessung  der  Compagnie  war  somit  ver- 
eitelt, die  Uebergriffe  und  Missbräuche  der  M.  a.  waren  glück- 
lich unterdrückt  und  ein  bestimmter  Rahmen  vorgezeichnet, 
über  den  die  Kauffahrer  nicht  hinauszugehen  wagen  durften. 

Gerne  war  dagegen  der  König  bereit,  den  M.  a.  seine 
Unterstützung  zu  leihen,  wenn  sie  Forderungen  stellten,  die 
auf  der  einmal  gelegten  Basis  sich  bewegten.  Er  war  weit 
entfernt,  die  Gesellschaft,  die  sich  um  Ausbreitung  des  engli- 
schen Activhandels  so  verdient  gemacht  und  noch  fortwährend 
hiefür  thätig  war,  zu  schwächen  zu  einer  Zeit,  wo  es  galt,  die 
Herrschaft  der  fremden  Kaufleute  in  England  zu  brechen,  die 
einheimischen  zu  stärken  und  zu  noch  grösserer  Energie  zu 
spornen.  Mehr  als  wie  alle  seine  Vorgänger  auf  dem  Thron 
hatte  er  die  Worte  des  Libell  of  Englishe  Policye  sich  zur 
Richtschnur  gemacht: 

Wenn  man  den  Kaufmann  schätzt  so  furcht'  ich  nicht, 
Dasa  uns  die  Kraft  im  FaU  der  Koth  gebricht. 
Denn  ist  der  reich,  so  wird  auch  unser  Land 
Gedeihn,  der  Herren-,  wie  der  Bürgerstand2). 

Nachdem  er  der  Compagnie  1498  ein  eigenes  Wappen 
verliehen  und    1501   auch   ihren  Freibrief  bestätigt  hatte3), 


')  12  Hen.  VII.  c.  6. 

*)  Hertzbergs  üebersetzung  S.  82,  83.  Vers  482  fg. 

a)  Urk.  Beil.  138.  §  8  u.  §  9. 


—    343    — 

schritt  er  zu  einer  besseren  Regelung  ihrer  Befugnisse  und 
Gewalt  Den  Anstoss  gab  die  damals  vom  König  wegen  der 
obwaltenden  Differenzen  mit  Burgund  gewünschte  Uebersiede- 
lung  der  M.  a.  nach  Calais.  Die  bei  dieser  Gelegenheit  er- 
lassene Verfügung  enthielt  folgende  Bestimmungen :  Die  M.  a. 
sollen  das  Recht  haben,  sich  nicht  nur  einen  Vorstand,  sondern 
zugleich  24  Beisitzer  zu  erwählen.  Alle  Beschlüsse  und  Er- 
lasse sind  giltig,  sobald  sie  eine  Majorität  von  13  Mitgliedern 
besitzen  und  nicht  den  Prärogativen  der  Krone  oder  dem  ge- 
meinen Wohl  entgegenstehen.  Der  Vorstand  in  Gemeinschaft 
mit  den  Beisitzern  kann  alle  Verletzungen  der  Statuten  nach 
Gutdünken  bestrafen,  ohne  dass  eine  Appellation  möglich  ist. 
Ferner  sollen  sie  das  Recht  haben,  Beamte  zum  Einsammeln 
der  Strafgelder  zu  ernennen ,  denen  volle  Executivgewalt  über 
Person  und  Eigenthum  der  Uebelthäter  zusteht.  Auch  ist  ihnen 
gestattet,  ihre  eigenen  Packer,  Wäger  und  Messer  zu  wählen. 
Sie  dürfen  Jeden,  der  an  ihrem  Handel  sich  betheiligt,  zwingen, 
der  Compagnie  beizutreten  und  ihren  Statuten  sich  zu  fügen  *). 
Der  Gouverneur  und  seine  Deputaten  erhielten  die  Befugniss, 
alle  Merchant  adventurers  in  einem  Court  zu  London  oder 
sonstwo  zu  versammeln.  Jeder,  der,  obwohl  benachrichtigt; 
nicht  erscheint  oder  sonst  gegen  die  Gesellschaft  sich  ver- 
fehlt, kann  in  ein  königl.  Gefängniss  gebracht  und  vom  Gou- 
verneur und  seinen  Beisitzern  noch  weiter  bestraft  werden. 
Die  Hälfte  der  Strafgelder  fällt  dem  König  zu.  In  der  Hand- 
habung ihrer  Rechte  sollen  sie  durchweg  des  königl.  Beistandes 
sich  erfreuen  *).  Man  sieht  deutlich,  wie  bei  dieser  Regulirung 
die  definitive  Organisation,  welche  die  Stapelkauflente  wäh- 
rend der  Regierung  Eduards  HL  erhielten,  als  Muster  vor- 
schwebte. 

Diese  starke  Autorität,  mit  welcher  der  König  die  Gesell- 
schaft ausstattete,  war  hinreichend,  um  etwaigen  eentrifugalen 
und  in  Folge  des  oben  genannten  Gesetzes  sich  eindrängenden 
Elementen  zu  begegnen. 

Mit  welchem  Ernst  die  M.  a.  die  ihnen  gegebene  Gewalt 
gebrauchten,  dafür  fehlt  es  nicht  an  Beispielen.  Ein  strenges 
Regiment  wurde  von  den  Gouverneuren  und  ihren  Beisitzern 
gefthrt.  Der  ganze  englische  Handel  nach  den  Niederlanden 
wurde  von  ihnen  geleitet.  Sie  bestimmten,  ob  die  einzelne 
Messe  besucht  werden  durfte  oder  nicht.  Waren  die  Tuch- 
preise gedrückt,  so  suchten  sie  dieselben  durch  Verminderung 
der  Zufuhr  oder  durch  das  Verbot  des  Messebesuchs  wieder 
zu  heben.  Rasch  und  energisch  griffen  sie  ein,  wenn  man  in  den 
Städten  ihre  Privilegien  verkümmern  oder  den  Wünschen  des 


>)  ürk.  Beil.  121;  133  §  12. 
*)ürk.  Beil.  122;  133  §  13. 


—     344    — 

Kaufmanns  nicht  Rechnung  tragen  wollte,  sei  es,  dass  sie 
die  Zufuhr  ganz  verboten  oder  an  andere  Orte  lenkten;  immer 
war  die  Repressalie  von  Erfolg  gekrönt  Den  Niederländern 
war  diese  Gewalt  ausserordentlich  unbequem;  wiederholt  klagten 
sie  darüber  *)•  Am  deutlichsten  documentirt  sich  aber  die  er- 
starkende Executive  der  M.  a.  in  ihrem  Streit  gegen  die  Stapler. 
der  früh  anhebt  und  mit  wachsender  Leidenschaft  geführt  wird. 

Die  Bedeutung  der  Stapelkaufleute  lag  in  dem  Reichthum 
Englands  an  Rohproducten.  Sie  waren  ursprünglich  berufen. 
die  erstaunlichen  Massen  an  Wolle,  Blei,  Zinn,  Häuten,  Butter. 
Käse  und  sonstigen  englischen  Artikeln  dem  Continente  zuzu- 
führen. Im  Laufe  der  Zeit  wurde  ihr  Privileg  und  ihr  Handel 
auf  Wolle,  Wollfelle,  Häute,  Blei  und  Zinn  beschränkt  *).  Zur 
Zeit  Heinrichs  VHI.  war,  wie  es  scheint,  auch  Blei  und  Zinn 
dem  Stapel  zu  Calais  entzogen,  beide  wurden  auf  den  Markt 
nach  Antwerpen  gebracht  *).  Es  liegt  auf  der  Hand ,  dass  ihr 
durch  Alter  und  Wohlhabenheit4)  gesteigertes  Ansehen  ver- 
mindert werden  musste,  seit  durch  das  Erstarken  der  engli- 
schen Industrie  der  Export  der  Manufacte  sehr  beträchtlich 
wurde5)  und  das  Emporsteigen  einer  neuen  Gesellschaft  be- 
gründete, der  unstreitig  die  Zukunft  gehörte.  Im  Jahre  144iJ 
machten  die  Stapelkauf  leute  darauf  aufmerksam,  dass  die  Zoll» 
revenuen  aus  den  nach  Calais  gehenden  Waaren  zur  Zeit  Edu- 
ards HI.  viele  Jahre  hindurch  68  000  M.  und  mehr  betragen 
hätten,  nun  aber  12  000  M.  nicht  überstiegen 6).  Sie  glaubten 
den  Hauptgrund  in  den  vielen  Licenzen,  welche  vom  Transport 
nach  dem  Stapel  entbanden,  suchen  zu  müssen.  Weit  mehr  dürfte  er 
in  der  Abzweigung  des  Handels  der  M.  a.  liegen.  In  demselben 
Masse  als  die  Tochtergilde  reifte,  zu  grösserer  Lebenskraft  und 
Bedeutung  gelangte,  in  demselben  Masse  musste  die  Mutter- 
gilde vereinsamen  und  dem  Zustand  der  Schwäche  verfallen7). 
Es  war  auch  von  dem  Moment  an,  wo  die  M.  a.  sich  con- 
centrirten  und  den  Gegensatz  ihres  Handels  zu  dem  der  Stapler 
scharf  ausprägten,  ein  Zusammenstoss  der  beiden  Gesellschaften 
sehr  nahe  gerückt.  Den  Anlass  zum  Ausbruch  des  Streites 
gab  das  Brüderschaftsgeld,  das  die  M.  a.  von  ihren  Mitgliedern 


*)  Vgl.  z.B.  ürk. Beil.  33  u.  84  §  18;  sieh  auch  oben  S.  25.  26,  lü6. 

*)  Vgl.  z.  B.  Rot  Pari.  III.  S.  271;  S.  320;  IV.  S.  293;  V.  S.  24; 
S.  28;  S.  149. 

•)  Vgl.  Bd.  IL  S.  22  Note  1  und  Brewer,  Cal.  IV.  4638. 

*)  Ueber  den  Reichthum  der  Stapler  vgl.  auch  Lefebvre,  Histoire 
de  Calais  II.    S.  206. 

6)  Vgl.  die  einleitenden  Bemerkungen  zu  den  Zollregistern  Bd.  II 
S.  17  tg. 

fl)  Rot.  Pari.  V.  S.  149. 

7)  Ueber  die  kleine  Zahl  der  Stapelkaufleute  im  Jahre  1450  sieb 
Rot.  Pari.  V.  S.  208. 


—    845    — 

erhoben.  Unter  Heinrich  VI.  wollten  sie  demselben  diejenigen 
Stapler  unterwerfen,  welche  sich  am  Tuchexport  nach  den 
Niederlanden  betheiligten.  Stolz  und  Eigennutz  veranlassten 
die  Stapler,  dieser  Einordnung  in  die  Tochtergesellschaft  sich 
zu  weigern.  Sie  gingen  dabei  vom  Rechtsstandpunkt  aus1) 
und  bewiesen,  dass  sie  das  Recht  der  Tuchausfuhr  immer  be- 
sessen und  früher  geübt  hätten,  als  die  jetzigen  M.  a.  Wenn 
später  auch  Anderen  als  den  Staplern  der  Tuchexport  gestattet 
worden  sei,  so  könnten  doch  diese  jetzt  nicht  ihnen  das  Recht 
strittig  machen  oder  sie  deshalb  besteuern. 

Ihre  im  Jahre  1457  vorgebrachte  Klage  gegen  die  Be- 
lästigungen der  M.  a.  fand  Berücksichtigung,  indem  der 
König  in  der  Charte  der  Stapelkaufleute  erklärte,  dass  der 
Freibrief  Heinrichs  IV.  für  die  nach  den  Niederlanden  han- 
delnden Kaufleute  keineswegs  so  auszulegen  sei,  dass  die 
Stapler  unter  dem  Vorwand  desselben  in  ihrer  Person  oder  an 
ihren  Gütern  beunruhigt  werden  dürften2)  Auch  Philipp,  der 
Herzog  von  Burgund,  nahm  entschieden  für  die  Stapelkauf- 
leute Partei,  indem  er  offen  erklärte,  seinem  Lande  sei  es  nur 
erspriesslich ,  wenn  Stapelkauf leute  und  M.  a.  zugleich  und 
unter  gegenseitigem  Wettbewerb  die  niederländischen  Märkte 
besuchten  *). 

Seit  die  M.  a.  von  Heinrich  VII.  mit  so  grossen  Zwangs- 
mitteln ausgestattet  worden  waren,  erneuerten  sie  ihren  Ver- 
such gegen  die  Stapler4);  es  war  ihnen  unerträglich,  dass  die 
Stapler  das  feste  Gefüge  ihrer  Organisation  durchbrechen  und 
alle  ihre  handelspolitischen  Massregeln  durchkreuzen  konnten. 
Es  kam  zum  Process  vor  der  Stemkammer,  und  das  Ende 
desselben  war  ein  Decret  vom  17.  Dez.  20  Hen.  VII. ,  das 
erklärte,  die  Mitglieder  der  einen  Gesellschaft  müssten  die 
Lasten  der  andern  tragen ,  wenn  sie  in  den  Handel  der  an- 
dern sich  mischten6).  Damit  schien  die  Sache  der  Stapler 
endgültig  verloren. 


*)  Die  beste  Uebersicht  über  die  Gründe  der  Stapler  liefert  ein  Gut- 
achten von  1583,  das  ein  Richtercollegium  abgab,  zu  dem  Sir  Christopher 
Wray,  lord  chiet  justice,  Sir  Gilbert  Gerrard,  master  of  the  rolls  und  Sir 
Hoger  Manwood,  lord  chief  baron  gehörten;  dasselbe  ist  abgedruckt  bei 
Malynes,  Centre  of  the  circle  of  commerce  S.  93.  Eine  kurze  Andeu- 
tung dieser  Gründe,  sowie  die  Entgegnung  der  M.  a.  enthält  Urk.  Beil. 
135.    Man  kann  sie  als  typisch  für  den  ganzen  Streit  ansehen. 

*)  Urk.  Beil.  116;  nach  Malynes  a.  a.  0.  S.  95  hätten  die  M.  a. 
ihre  Beschwerde  im  Parlamente  im  Jahre  36  Hen.  VI.  vorgebracht.  Die 
Bot.  Pari,  enthalten  jedoch  keine  einschlägige  Petition,  und  im  besagten 
Jahr  wurde  auch  gar  kein  Parlament  berufen. 

•)  Urk.  Beil.  117. 

*)  Möglich  ist,  dass  auch  der  Process  des  Kaufmanns  Heron  aus  Lon- 
don gegen  die  Vorstände  der  Stapelgesellschaft  wenigstens  indirect  mit  dem 
Streit  zusammenhängt;  vgl.  Rot.  Pari.  VI.  S.  182  (1477). 

*)  Urk.  Beil.  119,  133;  §  10. 


—    346    — 

Kaum  im  Besitz  dieses  Urtheils,  beschlagnahmten  die  M. 
a.  die  wollenen  Tücher  derjenigen  Stapler,  welche  nicht 
in  die  Compagnie  eingetreten  und  die  vorgeschriebenen 
10  Mark  gezahlt  hatten.  Aber  sie  hatten  sich  verrechnet 
Der  König  intervenirte  und  erklärte  in  einem  Missive,  das 
Beeret  der  Sternkammer  habe  einen  ganz  anderen  Sinn.  Die 
M.  a.  seien  nicht  berechtigt,  die  Stapler  zum  Eintritt  in  ihre 
Genossenschaft  zu  zwingen,  es  sei  ihnen  nur  gestattet,  von  den 
Tüchern  und  Waaren  der  Stapler  diejenigen  Abgaben  zu  er- 
heben, die  sie  von  ihren  eigenen  Mitgliedern  pereipirten 1). 

Der  Streit  ruhte  bis  zum  Tode  des  Königs.  Derselbe  hatte 
kaum  die  Augen  geschlossen,  als  der  alte  Kampf  in  seiner 
ganzen  Heftigkeit  wieder  ausbrach.  Allein  auch  Heinrich  VIH. 
wich  nicht  von  dem  Standpuncte  seines  Vaters  ab.  Er  tadelte 
die  M.  a.  ob  der  seit  seines  Vaters  Ableben  verübten  Eingriffe, 
bezeichnete  das  Urtheil  seines  Vaters  als  ein  vernünftiges  und 
wohl  begründetes,  und  gebot,  jede  Belästigung  der  Stapler  zu 
unterlassen2).  Aber  die  Erbitterung  war  schon  zu  gross,  als 
dass  das  kgl.  Wort  den  Frieden  hätte  sichern  können.  Die 
M.  a.  fuhren  fort,  die  Stapler  zu  quälen,  verlangten  nach  wie 
vor  den  Gildebeitrag  und  waren  kühn  genug,  auch  die  Stapler 
vor  ihren  Richterstuhl  zu  ziehen8). 

Zur  Rechenschaft  aufgefordert  führten  die  M.  a.  eine  sehr 
stolze  Sprache.  Sie  bestritten  keineswegs  die  Privilegien  der 
Stapler  in  Calais,  sie  bestritten  aber  solche  in  den  Landen 
des  Erzherzogs.  Durch  die  Verlegung  des  Stapels  nach  Calais 
seien  die  Stapelkauf  leute  ihrer  Privilegien  in  den  Niederlanden 
verlustig  gegangen  und  genössen  dieselben  nur  für  den  Stapelort. 
Der  grösste  Theil  der  Stapelkaufleute  habe  auch  immer  diese 
Ansicht  getheilt;  73  Stapler,  darunter  14  Mayors,  seien  früher 
ihrer  Compagnie  beigetreten,  und  gegenwärtig  zählten  zu  der- 
selben nicht  weniger  als  33,  wobei  die  vom  Land  gar  nicht 
mitgerechnet  seien4).  Dem  Missive  Heinrichs  VH.  könnten 
sie  die  Parlamentsacte  und  das  Decret  der  Sternkammer  ent- 
gegenstellen. Wollten  sie  in  den  Handel  der  Stapler  sich 
mischen,  müssten  sie  100  Mark  Hansegeld  zahlen,  und  diese 
weigerten  sich,  den  Betrag  von  10  Mark  zu  erlegen.  Würden 
die  Stapler  sie  unentgeltlich  an  ihren  Freiheiten  partieipiren 
lassen,  so  seien  sie  gerne  bereit,  ein  Gleiches  gegen  sie  zu 
thun  *). 


*)  Urk.  Beil.  120. 

*)  13.  Juli  2  Henr.  VIII.    ürk.  BeiL  128. 
9)  VfL  die  Klageschrift  der  Stapler.    Urk.  Beil.  124. 
*)  Die  Namen  sind  einzeln  aufgeführt  in  den  Star  Chamber  Proceedings 
Hen.  VIII.  Vol.  IX.  S.  21.  (R.  0.). 
6)  ürk.  Beil.  125. 


—    347    — 

Nach  einer  darauf  erfolgten  sehr  sophistischen  Koplik  der 
Stapler1)  gab  der  König  den  Befehl,  dass  beide  Parteien 
einstweilen  alle  Klagen  und  Feindseligkeiten  einstellen  sollten, 
bis  die  Sache  genau  untersucht  und  entschieden  sei.  Aber 
auch  diesem  Befehl  verweigerten  die  M.  a.  den  Gehorsam. 
Auf  der  Messe  zu  Bergen  legte  der  Gouverneur  der  M.  a. 
wieder  einen  Stapler  in  Arrest2). 

Der  schliessliche  Ausgang  des  Streites  ist  unbekannt.  Der 
Versuch,  demselben  durch  ein  Gesetz  ein  Ende  zu  machen, 
misslang.  Das  Parlament  beschäftigte  sich  wiederholt  mit  der 
Angelegenheit,  verhörte,  um  sich  ein  Urtheil  bilden  zu  können, 
beide  Parteien8),  aber  eine  Acte  kam  nicht  zu  Stande.  Man 
darf  vermuthen,  dass  die  Entscheidung  Heinrichs  VII,  die  zur 
Hälfte  den  M.  a.,  zur  Hälfte  den  Staplern  Recht  gab,  in  der 
Hauptsache  auch  von  Heinrich  VIII.  festgehalten  wurde,  und 
dass  der  König  nur  unter  der  Bedingung,  dass  die  M.  a.  sich 
fügten,  wieder  ihren  Grundbrief  bestätigte4).  Man  wird  auch 
kaum  fehl  gehen,  wenn  man  annimmt,  dass  das  im  Jahre  1516 
zwischen  den  Staplern  und  M.  a.  geschlossene  Uebereinkommen6) 
auf  dem  gleichen  Boden  sich  bewegte. 

Während  der  ganzen  übrigen  Regierungszeit  Heinrichs  VIH. 
beschäftigten  noch  die  M.  a.  die  gesetzgebenden  Factoren. 
Als  Thom.  More  1529  das  Parlament  eröffnete  und  auf  die 
Notwendigkeit  von  Reformen  in  der  Gesetzgebung  hinwies, 
waren  unter  der  grossen  Zahl  der  wirthschaftlichen  ,Gesetz- 
entwürfe  auch  zwei  Bills  in  Betreff  der  M.  a.,  wovon  die  eine 
die  grossen  Strafen  und  Erpressungen  derselben  zum  Gegen- 
stand hatte 6).  Keiner  der  beiden  Entwürfe  wurde  zum  Gesetz 
erhoben.  Zwölf  Jahre  später  lag  dem  Parlament  abermals  eine 
Bill  in  Betreff  der  M.  a.  vor.  Sie  wurde  vom  Unterhause  und 
nach  Beifügung  eines  Amendements  auch  vom  Oberhause  an- 
genommen,  der  König   aber  verweigerte  seine  Sanction  und 


')  Urk.  Beil.  126.  So  fanden  die  Stapler  jetzt  plötzlich  heraas, 
dass  die  Parlamentsacte  verbiete,  Jemand  zum  Zahlen  der  10  M.  zu  zwingen. 
Nor  wer  zur  Gesellschaft  der  M.  a.  gehören  wolle,  müsse  sie  zahlen.  Man 
könne  aber  Handel  treiben,  ohne  beizutreten  und  ohne  zu  zahlen.  Ferner 
machten  sie  geltend,  das  Decret  der  Sternkammer  sei  mit  dem  Tode  Hein- 
richs VII.  erloschen,  das  Missive  aber  nicht  u.  s.  w. 

*)  ürk.  Beil.  127. 

3)  Lords'  Journals  I.  1  Hen.  VIII.  28°  die  Pari;  3  Hen.  VHI.  29° 
die  Pari,  und  fg. 

4)  11.  Oct.  4  Hen.  VIII.  Die  Bestätigung  ist  enthalten  Br.  M. 
Cotton  Ms.  Tiberius  D.  VIH.  f.  86.    Sieh  auch  Urk.  Beil.  138.  §  15. 

8)  ürk.  Beil.  183.  §  16. 

8)  Brewer,  Calendar  IV.  6043.  Leider  ist  nur  die  Liste  der  Bills 
erhalten,  während  die  letztern  fehlen.  Ich  habe  mich  eigens  hiervon  im 
R.  0.  überzeugt  In  Betreff  der  hohen  Strafen,  welche  die  M.  a.  verhäng- 
ten, vgl.  einen  Fall  in  State  Papers  VII.  S.  665  (Brief  von  Hutton,  Gou- 
verneur der  M.  a.,  an  Cromwell  12.  Aug.  1536). 


—    348     - 

zwar  nur  dieser  Acte *).  Was  mag  wohl  der  Inhalt  dieser  Bill 
gewesen  sein?  War  sie  ein  neuer  Versuch  scharfer  Abschües- 
sung  der  Compagnie,  war  sie  gegen  die  Stapler  oder  gegen 
die  Acte  Heinrichs  VII.  gerichtet,  enthielt  sie  einen  Angriff 
gegen  die  Hansen  oder  bezweckte  sie  die  Aufhebung  des  Ver- 
bots der  Ausfuhr  ungeschorner  Tücher  *),  betraf  sie  wieder  die 
starke  Executive  der  M.  a. ,  die  Manche  abgeschwächt  wissen 
wollten?  Leider  sind  wir  über  den  Zweck  der  für  die  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Gesellschaft  jedenfalls  bedeutungsvollen 
Bill  nicht  unterrichtet.  Dieselbe  oder  doch  eine  ähnlichen  In- 
halts wurde  im  darauffolgenden  Jahre  wieder  eingebracht,  aber 
gleich  in  erster  Lesung  im  Haus  der  Lords  begraben  s). 

Die  Politik  der  beiden  ersten  Tudors  gegenüber  den 
M.  a.  muss  als  eine  durchaus  gesunde  betrachtet  werden. 
Selten  versagten  die  beiden  Könige  und  ihre  Minister  der 
Gesellschaft  ihre  Unterstützung,  wenn  das  Verlangen  ein  be- 
rechtigtes war.  Der  ganze  erste  Abschnitt  unserer  Darstellung 
gibt  Zeugniss  hievon.  Wir  sahen  in  den  Kapiteln  über  die 
Niederländer,  Venetianer  und  Hansen,  wie  ernstlich  Heinrich  VII. 
und  VIIL  darauf  bedacht  waren,  den  Handel  aus  den  Händen 
dieser  Fremden  in  die  der  M.  a.  zu  leiten  und  die  letzteren 
zu  wahren  Pionieren  des  englischen  Handels  zu  machen.  Das 
gegenwärtige  Capitel  lehrt,  dass  die  Regierung  auchfbereitwillig 
ihre  Hand  bot,  um  die  innere  Organisation  der  Gesellschaft  zu 
kräftigen,  centrifugale  Elemente  einzuschränken  und  den  Vor- 
ständen eine  unbestrittene  Autorität  zu  verleihen.  Gleichzeitig 
liefert  es  aber  auch  den  Beweis,  dass  die  Könige  rücksichtslos 
den  Missbräuchen  der  M.  a.  entgegentraten.  Nicht  hoch  genug 
ist  ihnen  das  Verdienst  anzurechnen,  eine  frühzeitige  Abschlies- 
sung  der  Compagnie  verhindert,  den  Handel  nicht  zu  einem 
Oligopol  gemacht  zu  haben.  Leicht  hätte  ein  solches  ein  Er- 
lahmen der  Industrie  zur  Folge  haben  können. 

Es  ist  vielleicht  nicht  ungerechtfertigt,  wenn  man  auch 
den  Streit  der  M.  a.  mit  den  Staplern  von  diesem  Gesichtspunct 
aus  betrachtet.  Wohl  mag  die  Haltung  der  Regierung  von  dem 
hohen  Ansehen  der  altehrwürdigen  Stapelgesellschaft,  sowie 
von  der  Notwendigkeit,  mit  ihr  fortwährend  finanzieller  Ver- 
hältnisse wegen  in  Unterhandlung  zu  treten4),  beeinflusst  ge- 
wesen sein,  zum  nicht  geringsten  Theil  darf  man  aber  auch  ihre 
Parteinahme  aus  der  Absicht  herleiten,  die  Tuchausfuhr  mög- 
lichst offen  zu  halten. 

Heinrich  VH.  und  VHI.  waren  stark  genug,  diejeünftischen 
Gelüste  der  M.  a.  niederzuhalten.  Mit  dem  Antritt  Eduards  VI. 


*)  Lords'  Journals  I.  8.  143.  147.  150.  152.  162. 
*)  Vgl.  Urk.  Beil.  131. 

aj  Lords'  Journals  I.  S.  190.    Meine  Bemühungen,  die  Bill  im 
Record  Office  aufzufinden,  waren  von  keinem  Erfolg  begleitet. 
4)  Vgl.  Bd.  II.  S.  16.  17. 


—    349    — 

wurde  diese  weise  Bahn  verlassen.  Die  M.  a.  waren  eine 
Macht  geworden,  die  man  nicht  ignoriren  konnte.  Aus 
den  grossen  Erschütterungen,  welche  der  Gesellschaftsorga- 
nismus unter  den  beiden  Tudors  erlitten  hatte,  waren  die 
meisten  alten  Stände  geschwächt  und  gebrochen  hervorge- 
gangen. Die  Geistlichkeit  hatte  durch  die  Reformation  ihre 
frühere  Geschlossenheit  verloren  und  war  ein  dienendes  Glied 
der  Regierung  geworden.  Der  Adel  war  durch  die  Rosenkriege, 
durch  die  ausgedehnte  Gewalt  der  Sternkammer  und  durch 
Gesetze1)  niedergedrückt  oder  durch  Verschwendung  tief  verschul- 
det2),  der  kleine  Bauernstand   durch  die  Einhegungen  zum 


*)  Dies  geschah  namentlich  durch  2  Gesetze  aus  der  Zeit  Heinrichs  VII., 
von  denen  das  eine  den  Verkauf  der  Erbgüter  erleichterte,  das  andere  die 
clientarisch  abhängigen  Anhänger  unterdrückte. 

*)  Unter  Heinrich  VIII.  wunde  der  Verfall  des  Adels  oft  schwer 
beklagt: 

Somtyme  nobyll  men  levyd  in  ther  contre 
And  kepte  grete  howsoldis,  pore  men  to  socowur. 
But  now  in  the  cowrte  they  desyre  for  to  be 
With  ladys  to  dalv;  thys  ys  ther  pleasure. 
So  pore  men  dayly  may  famyshe  for  hunger 
Or  they  com  home  home  on  monyth  to  remayn. 
This  ys  the  trowthe,  as  I  here  certayne. 

Before  thys  tyme  they  lovyd  for  to  juste 
And  in  shotyng  chefely  they  sett  ther  mvnde. 
But  ther  landys  and  posessions  now  seil  they  moste 
And  at  cardis  and  dyce  ye  may  them  fiynde. 
Those  unhappy  vycis  do  them  so  blynde, 
That  playnly,  I  thynke,  perseyve  ye  may, 
Thys  realme  begynnythe  sore  to  dekey. 

Where  ben  the  lordes  of  valeaunte  corage 

That  som  tyme  were  wonte  to  serve  there  kynge? 

Now  go  they  daylv  with  a  boy  and  a  page 

In  gownus  of  golae  and  ryche  clothyng. 

There  landis  they  consume  aoodis  and  all  thyng, 

So  that  I  thynke,  non  can  denye, 

Thys  realme  decayeth,  ye  se  hyt  playnly. 
„The  ruyn  of  ream".    Furnivall,  Ballads  from  Ms.  I.  P.  I.  S.  159.   Mit 
gleichem  Schmerz  klagte  man  später  über  den  Ersatz  des  alten  Adels  durch 
die  Besitzbarone.    Es  galt,  wie  Becon  sagt,  der  Satz: 

As  riseth  my  good. 
So  riseth  my  blood. 

Derselbe  Becon  charakterisirt  die  Parvenüs:  „These  study  not,  as 
the  true  gentlemen  do1,  to  profit  many,  to  do  good  to  the  countrey, 
to  maintain  the  poor,  to  reueve  the  succourless,  to  nourish  the  weak, 
to  chirish  their  needy  tenants;  neither  seek  they  the  commodity 
of  the  commonweal,  but  their  own  private  advantage.  They  labour  to 
possess  much,  but  they  distribute  nothing.  —  If  they  once  creep  into  a 
town  or  village  they  for  the  most  part  never  cease,  tili  they  have  devoured 
and  eaten  up  the  whole  town.  —  So  likewise  are  there  many,  which  are 
called  gentlemen  and  are  no  gentlemen  indeed,  but  pollers  and  pillers, 
rakero  and  Catchers,  bribers  and  extortioners ,  yea,  and  very  caterpillars 
of  the  commonweal  For  they  abuse  the  name  of  a  gentleman,  which  is 
unfognedly  a  name  of  much  worship  and  great  honour  and  worthy  to  be 


—    350    — 

grossen  Theil  ruinirt  und  politisch  ohnmächtig,  nur  die  Kauf- 
leute theilten  nicht  das  gleiche  Loos.  Sie  waren  in  allen  Ver- 
hältnissen die  Gewinner.  Nicht  blos  der  täglich  sich  aus- 
dehnende Handel,  nicht  blos  die  Entdeckungen  führten  ihnen 
immer  mehr  Reichthümer  zu,  sogar  der  zunehmende  Luxus 
und  die  Münzentwerthung  welche  für  die  andern  socialen 
Gassen  ein  neuer  Grund  zur  Verarmung  und  zum  Verderben 
waren,  wurden  für  sie  eine  Quelle  des  Wohlstandes.  Da  kann  es 
nicht  Wunder  nehmen,  wenn  selbst  die  englische  Gentry  es 
schon  nicht  mehr  verschmähte,  in  die  vortheilhafte  Classe 
der  Kauffahrer  und  Kaufherrn  herabzusteigen1)  und  da- 
durch den  ganzen  Stand  zu  heben ;  ebenso  erscheint  es  wohl  be- 
greiflich, wenn  der  Einfluss  der  M.  a,  welche  den  Kaufmanns- 
stand in  seiner  höchsten  Potenz  darstellte,  immer  grosser 
wurde.  In  Kurzem  gelang  es  ihnen  denn  auch,  das  grund- 
legende Gesetz  Heinrichs  VII.  über  den  Haufen  zu  werfen8), 
die  förmliche  Incorporirung  der  M.  a.  von  ganz  England s)  und 
der  M.  a,  einzelner  Orte 4)  noch  im  Besondern  durchzusetzen  und 

had  in  reverence  and  high  estimation.  Without  the  true  gentleman  the 
commonweal  can  no  more  safely  be,  than  the  body  without  eyes.  For  as 
the  eyes  are  the  principal  comlort  of  an  whole  body,  ßo  likewise  are  the 

true  gentlemen  of  the  commonweal For  such  as  are  true  gentlemen, 

are  fathers  of  the  conntry,  maintainers  of  the  poor,  defenders  of  the  widows 
and  fatherless,  succourers  of  theneedy,  comforters  ofthecomfortless  and  uphol- 
ders  of  the  commonweal,  in  fine,  gentlemen  both  in  name  and  deedu.  Philemon 
in  Becons  Catechism.  ed  1564,  reedited  for  the  Parker  society  by  AyreS. 
599.  Eine  andere  zeitgenössische  Stimme  über  „The  lands  great  misery"  sagt: 

The  name  of  Nobilitie  in  England  beares  swaye, 

The  name  of  vertue  dothe  dayly  decaye; 

For  he,  that  is  noble  of  birthe,  without  mynde, 

Is  sib  to  the  Devell  to  his  contrye  unkinde. 

Wo  worthe  that  nobilitie,  that  goulde  nobles  regarde, 

When  povertie  is  pynched  and  hathe  no  rewarde, 

For  8tovir  in  feild,  in  towne,  nor  Citye, 

Disarte  findes  none,  which  is  great  pittye. 

Prelacy  is  throwne  downe  to  the  grownde, 

Temporall  lordes  have  geveh  the  wonde; 

With  tempering  so  longe  in  prelacies  fee 

The  lande  is  browght  to  greate  miserye. 
Furnivall,  ßallads  from  Ms.  I.  S.  294;  vgl.  ebenda  S.  805;    Vgl  ferner 
Starkey,   England  in  the  reign  of  Henry  VIII.  ed.  Cowper  S.  77.  129 
186.  188.  194. 

*)  Ein  Beleg  hiefür  ist  die  Geschichte  des  Hauses   Blake.    Sieh  R 
Pauli,  Aufsätze  zur  englischen  Geschichte.    S.  274. 

2)  Vgl.  eine  bezügliche  Petition  ürk.  Beil.  134.  Die  Zurücknahme 
des  Gesetzes  ist  namentlich  dem  Einfluss  des  Th.  Gresham  zuzuschreiben, 
der  es  verstand,  die  nicht  ganz  zu  vermeidenden  Nachtheile  der  Acte 
Heinrichs  VII.  mit  der  ihm  eigenen  Ueberzeugnngstreue  geltend  zu 
machen.  Vgl.  seinen  Brief  an  den  Herzog  von  JSorthumberland.  Antwer- 
pen, 16.  April  1 553  bei  B  u  r  g  o  n ,  Life  and  times  of  Th.  Gresham  I.  App.  fr 
VH.  S.  468—464.  Sieh  auch  R.  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  83. 
8)  G  Eliz. 

*)  Hieher  gehört  z.  B.  die  Incorporirung  der  Kaufleute  von  Exeter 
unter  Elisabeth.    (Vgl.  über  die  Geschichte  dieser  Kauf  leute  den  Aufsat? 


-    851     - 

die  Concurrenz  der  Fremden  namentlich  der  deutschen  Hansen 
zu  beseitigen.  Die  Gesellschaft  fing  an  zu  verknöchern,  und 
mit  der  Erschütterung  des  englisch-niederländischen  Verkehrs 
war  auch  ihr  Glanz  dahin.  Neue  Compagnien  schössen  empof 
und  traten  in  den  Vordergrund  r) ,  bis  auch  sie  nach  langem 
Kampf  sowohl  unter  sich  als  gegen  die  Industriellen  und  An- 
hänger des  freien  Handels  dem  ewig  umgestaltenden  Process 
der  Zeit  erlagen. 


„An  Elizabethan  guild  of  the  city  of  Exeter  in  Western  Times  10.  Dec. 
1872),  ferner  die  der  M.  a.  von  ehester  unter  Maria  am  30.  Mai  1554  (eine 
Copie  ihrer  Charte  ist  im  Br.  M.  Lansdowne  Ms.  3),  sodann  die  Ver- 
leihung neuer  Corporationsrechte  an  die  M.  a.  in  Newcastle  durch  Eduard 
VI.  1546.  Mackenzie,  Descriptive  and  historical  aecount  of  Newcastle 
1867.  S.  665 

l)  Russia  und  Hamburg  Company  1554,  Turkey  Company  1581,  Ma- 
roeco  Company  1585,  Guinea  Company  1588,  East  India  Company  1600. 


Zweites  CapiteL 

Die    Schiffahrtspolitik. 


Zur  vollen  Selbständigkeit  des  englischen  Kaufmanns,  der 
den  Handel  ins  Ausland  betrieb,  genügte  es  nicht,  seine  Ei- 
nigungen zu  fördern  und  seine  Stellung  im  Auslande  durch 
günstige  Verträge  zu  kräftigen,  es  war  auch  eine  ihm  dienst- 
bare starke  Marine  nothwendig.  Mehr  noch  wie  heute  galt 
damals  das  Sprüchwort:  „Trade  follows  the  flaga.  Der  Kauf- 
mann war  durchaus  auf  die  heimischen  Schiffe  hingewiesen, 
Schiffsbesitzer  und  Kaufleute  waren  nicht  selten  in  einer  Person 
vereinigt;  der  fremde  Frachtführer,  den  der  Engländer  be- 
nützen wollte  oder  konnte,  war  gar  häufig  zugleich  sein  Con- 
current.  In  manche  Gebiete  wäre  ihm  ohne  eigene  Schiffe 
geradezu  der  Besuch  verwehrt  gewesen.  Wie  sollten  die 
Merchant  adventurers  den  Hansen  zum  Trotz  den  Handel  in 
die  Ostsee  aufrecht  erhalten,  wenn  diese  sich  weigerten,  ihn 
und  seine  Waaren  in  ihre  Schiffe  aufzunehmen?  Wie  konnte 
man  gegen  die  Niederländer  Repressalien  üben,  wenn  man 
ihrer  Schiffe  nicht  entrathen  konnte?  Wie  wollte  man  einen 
Verkehr  nach  dem  Mittelmeer  organisiren,  wenn  Genuesen  und 
Venetianer  jedes  Eindringen  eines  Fremden  in  ihr  Geschäfts- 
bereich unmöglich  zu  machen  suchten?  Alle  Actionsfähigkeit, 
jede  kühne  Speculation  war  unterbunden,  wenn  nicht  ein  be- 
trächtlicher Stock  einheimischer  Schiffe  vorhanden  war.  Das 
Ueberwiegen  der  fremden  Flagge  im  englischen  Meere  war 
gleichbedeutend  mit  dem  Ueberwiegen  des  fremden  Kaufmanns 
im  englischen  Verkehr.  Der  Zusammenhang  der  Schiffahrts- 
politik mit  der  englischen  Handelspolitik  liegt  somit  klar  vor 
Augen. 

Dennoch  war  es  nicht  dieser  Zusammenhang  allein,  welcher 
von  Anfang  an  für  die  Schiffahrtspolitik  entscheidend  war. 
Bei  der  eigenthümlichen  Lage  Englands  mitten  im  Meer  war 
der  Zustand  der  Flotte  schon  aus  Rücksicht  auf  das  Staats- 


—    353    — 

wohl  von  eminenter  Bedeutung,  und  die  englischen  Herrscher 
mussten  in  den  frühesten  Epochen  erkennen,  dass  nicht  bloss 
Handel,  sondern  auch  Schutz  und  Eroberung  auf  den  beweg- 
lichen Kiel  gegründet  sei.  Jede  Massregel  aber,  die  aus  staats- 
politischen Küeksichten  für  die  Schiffahrt  getroffen  wurde, 
wirkte  auch  auf  das  commercielle  Gebiet  zurück,  beide  Mo- 
mente hingen  aufs  engste  zusammen. 

Das  Mittelalter  kennt  kein  stehendes  Heer  und,  wenn 
man  von  den  eigenthümlichen  italienischen  Stadtstaaten  mit 
ihrer  frühzeitigen  Entwicklung  absieht,  ganz  entsprechend  im 
Allgemeinen  keine  stehende  Flotte.  Die  Privatschiffe  mussten 
im  Fall  des  Bedürfnisses  den  Schutz  und  die  Ehre  des  Reiches 
sichern.  So  war  zur  Zeit  Ethelreds  IL  (978—1016)  jede  Graf- 
schaft verpflichtet,  im  Verhältniss  ihrer  Hundertschaften  Schiffe 
zu  stellen  l).  Das  Vorhandensein  der  letzteren  war  fast  aus- 
schliesslich durch  die  von  den  Angelsachsen  ausserordentlich 
schwunghaft  betriebene  Fischerei2)  bedingt.  Der  Schutz  der 
Küste  blieb  für  gewöhnliche  Zeiten  den  Bewohnern,  nament- 
lich aber  den  bedeutenden  Häfen  überlassen,  welch  letztere 
als  Ersatz  gewisse  Rechte  und  Freiheiten  erhielten.  Diese 
Hafenplätze  hatten  auch  dem  König  einige  Schiffe  zu  seiner 
beliebigen  Verwendung  für  eine  Anzahl  von  Tagen  im  Jahr  zu 
stellen 3). 

Die  Schwäche,  die  in  dieser  Decentralisation  und  Be- 
schränkung lag,  wurde  von  den  Monarchen  bald  gefühlt. 
Richard  I.  sah  sich  bereits  genöthigt,  für  seinen  Kreuzzug 
(1190)  wenigstens  einige  Kriegsschiffe  zu  erwerben  und  da- 
durch eine  grössere  Unabhängigkeit  in  seinen  Operationen  sich 
zu  sichern 4).  Es  war  der  erste  Keim  einer  stehenden  Flotte. 
Sein  Nachfolger  Johann  folgte  dem  Beispiel  und  suchte  den 
Besitzstand  zu  vermehren.  Er  wie  Richard  bemannten  ihre 
Schiffe  mit  gedungenen  Söldnern5). 

In  der  Folgezeit  verzichtete  man  aber  wieder  auf  die 
wirkungsvolle  Combination  der  Staats-  und  Privatflotte  und 
griff  zurück  auf  das  aus  der  Angelsachsenzeit  stammende 
System.  Eduard  I,  der  grosse  englische  Organisator  gab  dem-  . 
selben  eine  vervollkommnete  feste  Gestalt.  Während  bisher 
die  ganze  Administrativgewalt  in  Flottenangelegenheiten  von 
den  Behörden  der  Cinque  Ports  ausgeübt  wurde,  welche  nicht 
selten  einen  sehr  eigenmächtigen  fast  an  Seeraub  grenzenden 

*)  Stubbs,  Constitutioiial  history  of  England  I.  S.  116.  592. 

*)  Lappenberg,  Geschichte  von  England  I.  S.  622. 

*)  Stubbs  I.  S.593;  Gneist,  Gesch.  des  Selfgovernment.  1863.  S.lll. 

*)  Stubbs  a.  a  0.  Dass  Richard  I.  auch  der  Begründer  des  engli- 
schen Seerechts  wurde,  indem  er  die  Röles  d' Oleron  auch  für  England 
gültig  erklarte,  ist  bekannt.  Vgl.  Travera  Twiss,  The  blackbook  of  the 
admiralty  Vol.  I.  Introduction  S.  LXII  fg. 

5)  Stubbs  I.  S.  594. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  23 


—    354    — 

Gebrauch  von  der  ihnen  verliehenen  Gewalt  machten,  ver- 
einigte Eduard  I.  die  Fürsorge  für  Verteidigung  der  Küste, 
für  Erhaltung  und  Beschaffung  der  Kriegs-  und  Transport- 
schiffe und  die  allgemeine  Regelung  der  Schiffahrt  überhaupt 
unter  eine  einzige  Leitung,  indem  er  eine  unmittelbar  unter  dem 
König  stehende  Centralbehörde,  nämlich  das  Amt  der  Admira- 
lität schuf'  und  mit  genau  begrenzten  Befugnissen  ausstattete *). 

Ein  sicher  und  leicht  functionirender  Mechanismus  war 
vorhanden.  Es  war  nur  nöthig,  Acht  zu  haben,  dass  das  Ma- 
terial, die  Privat-  oder  Kaufmannsflotte,  nicht  verfalle.  Davon 
hing  die  Unabhängigkeit  und  Macht,  der  Ruhm  und  die  Ehre 
Englands  ab. 

In  Folge  der  zahlreichen  kleinen  Inseln,  die  rings  um 
England  liegen,  noch  mehr  später  in  Folge  des  Besitzes  auf 
dem  Continent  betrachteten  sich  frühzeitig  die  Herrscher  Eng- 
lands als  Herren  des  Canals  und  des  Meers  weit  im  Umkreis 
ihres  Landes 2).  Die  Berechtigung  dieses  Anspruchs  wurde 
auch  bald  anerkannt8).  England  stand  deshalb  die  Ausübung 
der  Gerichtsbarkeit  über  alle  Verbrechen,  die  innerhalb  der 
„englischen"  Meere  begangen  wurden,  und  damit  gewisser- 
maßen ein  Hoheitsrecht  über  fremde  Nationen  zu.  Im  Laufe 
der  Zeit,  namentlich  Ende  des  14.  Jahrhunderts  zog  man  aus 
der  Herrschaft  über  die  See  noch  mancherlei  andere  Con- 
sequenzen,  die  eine  ebenso  grosse  ideelle  als  praktische  Be- 
deutung besassen.    England  hatte  nicht   nur   seit   alter  Zeit 

*)  Stubbs  II.  S.  287—89. 

*)  Edgar  (959 — 975)  sagte  in  der  Charta  fundationis  ecclesiae  Wigor: 
„Altitonantis  Dei  largiflua  dementia,  qui  est  rex  regum,  Ego,  Edgarus 
Anglorum  Basileos  omniumque  earum  insularum  Oceani,  quae  Brittaniam 
circumjacent,  cunctarumque  nationum,  quae  infra  eam  includuntur,  imperator 
et  dominus  etc.a  The  soveraignty  of  the  british  seas.  Proved  by  records, 
history  and  the  municipall  lawes  of  this  kingdome.  Written  in  "the  yeare 
1633.  By  the  learned  Knight  Sr.  John  Boroughs,  keeper  of  the  records 
in  the  tower  of  London  S.  21.  Diese  Schrift  ist  überhaupt  für  die  obigen 
Fragen  relevant.  Die  Nutzanwendung  des  Buchleins,  von  dem  uns  auch 
noch  das  Ms.  (Br.  M.  Harl.  Ms.  1323)  erbalten  ist,  geht  der  Zeit  seiner  Ab- 
fassung entsprechend  darauf  hinaus,  „the  ineBtimable  riches  and  commodities 
of  the  british  seas"  (S.  108  fg.)  zu  zeigen  und  darzulegen,  wie  fremde  Na- 
tionen, vor  Allem  die  Holländer,  die  Vortheile  entzögen.  Durch  seine 
Stellung  war  der  Verfasser  im  Stande,  Archivalien  zu  benutzen,  was  er  auch 
mit  grossem  Fleisse  that 

*)  1299  stellten  die  Franzosen  diesen  Anspruch  Englands  in  Frage;  der 
französische  Admiral  Reyner  Grimbald  masste  sich  während  des  Krieges 
gegen  Flandern  die  Jurisdiction  in  den  englischen  Gewässern  an;  England 
erhob  Einspruch,  und  die  Vertreter  von  Genua,  Spanien,  Deutschland,  Hol- 
land ,  Zeeland,  Friesland .  Dänemark ,  Norwegen  traten  auf  Seite  Englands. 
Das  Document  ist  betitelt:  „De  superioritate  Maris  Anglie  et  jure  officii 
admirallatus  in  eodem."  Darin  wird  anerkannt,  dass  die  Könige  von  Eng- 
land seit  unvordenklichen  Zeiten  die  Herrschaft  über  den  Canal  besessen 
hätten  und  zur  Jurisdiction  in  demselben  berechtigt  seien.  Boroughs,  The 
soveraignty  etc.  S.  25.  27.  42.  Für  das  14.  Jahrh.  vgl.  Stubbs  IL  S.880; 
ferner  Macpherson,  Annais  of  commerce  I.  S.  489.  612.  IL  S.  61. 


—    355    —  ' 

verlangt,  dass  alle  Schiffe,  welche  auf  der  See  dem  englischen 
Admiral  oder  seinem  Stellvertreter  begegneten,  auf  den  Befehl 
des  letzteren  die  Segel  senkten1),  sondern  es  duldete  auch 
Dicht,  dass  in  seinen  Meeren  gefischt  werde,  ohne  dass  man 
von  ihm  eine  Licenz  hatte,  hielt  sich  für  berechtigt,  eine  Ab- 
gabe von  den  Kaufmannsschiffen  zu  fordern,  glaubte  befugt  zu 
sein,  den  Kriegsschiffen  Fremder  den  Durchgang  zu  gewähren 
oder  zu  verweigern2).  Nimmt  man  noch  die  Notwendigkeit 
des  Schutzes  und  der  Vertheidigung  hinzu,  so  konnte  den  engli- 
schen Herrschern  es  nicht  an  Antrieb,  die  Flotte  zu  heben,  fehlen. 

Wir  finden  denn  auch  das  Augenmerk  der  englischen  Re- 
gierung nicht  selten  auf  diesen  Punkt  gerichtet.  Schon  Athelstan 
erliess  925  ein  Gesetz  des  Inhalts,  dass  jeder  Kaufmann,  der 
auf  eigene  Rechnung  drei  Fahrten  in  das  mittelländische  Meer 
unternehme,  in  den  niederen  Adel  aufgenommen  werden  solle3). 
Heinrich  IL  befahl  1181  in  der  „Assize  of  arms",  dass  kein 
Schiff  ins  Ausland  verkauft  werde,  auch  kein  Seemann  sich 
verpflichte,  in  ausländische  Dienste  zu  treten4).  Um  dieselbe 
Zeit  bestand  bereits  das  Gebot,  dass  Schiffszimmerleute,  welche 
excessive  Löhne  verlangten  und  dadurch  die  Flotte  schwächten, 
von  dem  Admiral  bestraft  werden  sollten6).  Wie  Richard  I. 
und  Johann  ohne  Land  einen  Anlauf  zur  Schaffung  einer 
stehenden»  Staatsflotte  machten,  haben  wir  bereits  berührt. 

Seit  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  dürfte  jedoch  die 
englische  Marine  eher  zurückgegangen  als  vorwärts  geschritten 
sein 6).  Die  englische  Schiffsmacht  konnte  sich  zwar  noch  mit 
der  mancher  Nachbarstaaten  messen  und  sogar  im  14.  Jahr- 
hundert  über  die  französische  einen  glänzenden  Seesieg  er- 

*)  Schon  König  Johann  erklärte  am  30.  März  1201  zu  Hastings  mit 
Zustimmung  seiner  Räthe  diese  Bestimmung  als  Gesetz  und  JÜustome  of 
the  seau.  Sir  Travers  T  w  i  s  s ,  The  black  book  of  the  admiralty  Vol.  I.  S.  129 
und  Introd.  S.  XLIX  tg. 

*)  Vgl.  Lindsay,  Merchant  Shipping  Vol.  I.  S.  481.  Documentarische 
Beweise  sieh  bei  Boroughs.  The  soveraignty  of  the  british  seas  S.  56, 
69.  Vgl.  auch  Sir  Travers  Twiss,  The  black  book  of  admiralty  Vol.  L 
S.  153  Nr.  28  und  sonst,  sowie  Rot.  Pari.  III.  S.  391.  IV.  S.  126  Nr.  6. 

*)  Thorpe,  Ancient  laws  and  Institution 8  of  England,  London  1840. 
S.  81;  Schraid,  die  Gesetze  der  Angelsachpen  S.  389,  431.  Sieh  oben 
S.  133.  N.  3. 

4)  Macpherson.  Annals  of  commerce  I.  S. 344.  Später  wurde  auch 
die  Ausfahr  von  Schiffs  Baumaterialien  verboten;  vgl.  Rymer,  (Rec.  Ed.)  IL 
S.  938,  1223  (1336,  1343). 

f)  Eine  solche  Ordonnanz  wurde  erlassen  in  der  Zeit  von  Heinrich  I. 
bis  Eduard  I.  Sieh  Twiss,  The  block  book  of  admiralty  Vol.  I.  S.  87 
Nr.  38.  Diese  Verordnung  wurde  auch  später  noch  aufrecht  erhalten ;  vgl. 
a  a.  0.  S.  167  Nr.  66;  S.  228  Art.  23. 

6)  Heinrich  III.  brachte  nach  Matthew  Paris  etwas  über  1000  Schiffe 
auf,  worunter  300  gross,  d.  h.  mit  30  Matrosen  bemannt  waren.  1346 
wurden  in  England  etwas  über  700  Schiffe  mit  14151  Matrosen  gezählt 
(Macpherson  I.  S.  534,  535).  Zur  Belagerung  von  Calais  benützte 
Eduard  IH.  25  eigene  und  38  fr em de  Schiffe  (Lindsay,  Merchant  Shipping 
II.  S.  634).    Noch  bedeutender  wird  der  Abstand  der  englischen  Schiffs- 

23* 


—    356     - 

ringen,  aber  relativ  war  sie  doch  im  Sinken  begriffen,  und 
gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  bot  die  gesammte  englische 
Marine  einen  nichts  weniger  als  erfreulichen  Anblick  dar. 
Drei  Momente  waren  für  die  Entwicklung  der  Privatflotte 
verhängnissvoll  geworden. 

Einen  und  zwar  den  hauptsächlichsten  Grund  für  den 
Verfall  muss  man  in  den  häufigen  und  wuchtigen  Kriegen 
Eduards  III.  suchen.  Wie  aus  den  Petitionen  der  Gemeinen 
hervorgeht,  wurden  hiebei  an  die  Schiffsbesitzer  Anforderungen 
gestellt,  die  das  Mass  ihrer  Kräfte  überschritten x).  Es  traf  sich 
oft,  dass  der  König  die  Schiffe  lange,  bevor  er  sie  zu  seinem 
Zwecke  wirklich  verwendete,  anhalten  Hess;  während  dieser 
Zeit  mussten  die  Eigentümer  ihre  Matrosen  unterhalten  und 
sonstige  Kosten  tragen,  ohne  doch  eine  Einnahme  zu  haben. 
Man  zwang  die  Besitzer,  ihre  Schiffe  seetüchtig  zu  machen, 
gewährte  ihnen  aber  keine  Entschädigung.  Die  geschickteren 
Capitäne  wurden  genöthigt,  auf  den  Schiffen  des  Königs  zu 
dienen,  den  Privatschiffen  fehlte  in  Folge  dessen  eine  gute 
Leitung,  und  viele  gingen  zu  Grunde.  Im  Kriege  selbst  wur- 
den nicht  wenige  unbrauchbar  oder  gekapert.  Die  Matrosen 
gaben  in  Folge  der  häufigen  Beschlagnahmungen  den  Beruf 
auf  und  wandten  sich  andern  Beschäftigungen  zu. 

Ein  zweites  Moment,  das  auf  die  Handelsmarine*ungünstig 
einwirkte,  war  die  mittelalterliche  Rechtsübung,  wonach  ein 
Schiff,  wenn  Jemand  auf  demselben  starb  oder  aus  demselben 
ins  Wasser  fiel  und  dabei  ertrank,  in  den  Besitz  des  Königs 
oder  Grundherrn  überging.  Der  Verlust,  den  der  Besitzer  da- 
durch erlitt,  betrug  500  j£  und  mehr;  denn  soviel  kostete  damals 
der  Bau  eines  Durchschnittsschiffs 2).  Man  dehnte  dieses  Recht 
sowohl  auf  die  in  offener  See,  als  auf  die  in  Flüssen  befind- 
lichen Schiffe  aus;  erst  kurz  vor  seinem  Tode  versprach  Edu- 
ard III.  auf  Bitten  der  Gemeinen,  sein  Recht  nur  im  zweiter- 
wähnten Fall  geltend  machen  zu  wollen3). 

In  dritter  Linie  war  auch  die  namentlich  seit  Heinrich  III. 
in  grösserem  Massstab  befolgte  fremdenfreundliche  Politik  von 
Einfluss.  So  segensreich  diese  freihändlerische  Richtung  für 
England  im  Ganzen  war,  so  sicher  trug  sie  dazu  bei,  die  Kraft 
der  englischen  Flotte  zu  knicken.  Den  in  immer  grösserer 
Masse  herbeiströmenden,  vollkommener  construirten  fremden 
Schiffen  musste  die  einheimische  Marine,  die  mehr  durch  ihre 

macht  gegen  früher,  wenn  man  bis  in  die  Zeit  Edgars  zurückgeht.  Nach 
den  Schätzungen  des  Matthaeus  von  Westminster  hatte  Edgar  4700,  nach 
Florenz  von  Worcester  3600  Schiffe  (Pauli,  Einleitung  zum  Libell  of  Eng- 
lishe  Policye  hsg.  von  Hertzberg  S.  7).  Selbst  wenn  man  die  Schätzung 
als  um  die  Hälfte  zu  hoch  betrachtet,  so  ist  die  Zahl  noch  der  späteren  über- 
legen.   Die  Grösse  der  Schiffe  wird  in  beiden  Zeiten  nicht  viel  differirt  haben. 

*)  Rot.  Pari.  II.  S.  172,  307,  311  (1347,  1371,  1372). 

*)  Vgl.  Rot.  Pari.  III.    Sl  94  Nr.  7. 

*)  Rot.  Pari.  II.  S.  372  (1376/77). 


—    357    — 

grosse  Schiffszah]  als  durch  Gediegenheit  und  Grossartigkeit 
des  Baues  ausgezeichnet  war,  den  Platz  räumen.  Man  wird 
auch  den  Grund  nicht  ganz  von  der  Hand  weisen  können,  der 
im  Parlament  geltend  gemacht  wurde,  dass  nämlich  die  durch 
die  Fremdenpolitik  herbeigeführte  Schmälerung  der  städtischen 
Rechte  es  manchem  Kaufmann  erschwerte,  Schiffe  zu  unter- 
halten *). 

Jedenfalls  muss  man  auf  Grund  des  Bildes,  das  man  aus 
den  wiederholten  Klagen  der  Gemeinen  empfängt,  schliessen, 
dass  in  den  siebziger  Jahren  des  14.  Jahrhunderts  die  Marine 
im  vollsten  Sinn  des  Wortes  nothleidend  war.  Eduard  III. 
blieb  gegen  die  Hilferufe  meist  taub ;  er  fertigte  die  Bittsteller 
gewöhnlich  mit  der  vagen  Antwort  ab:  „die  Flotte  möge  er- 
halten bleiben".  Mit  Mühe  und  Noth  brachte  man  ihn  dazu, 
dass  er  wenigstens  Entschädigung  für  die  Matrosenlöhne  wäh- 
rend der  Zeit  der  Beschlagnahme  versprach,  wogegen  er  eine 
solche  für  Equippirung  ablehnte2). 

Richard  H.  zeigte  anfangs  auch  kein  tibergrosses  Entgegen- 
kommen. Als  im  Jahre  1377  die  Gemeinen  eine  EnquGte  über 
die  Ursachen  des  Darniederliegens  der  Marine  verlangten, 
machte  er  keine  bestimmte  Zusage8).  Hinsichtlich  der  Ver-. 
Wirkung  von  Schilfen,  auf  denen  Jemand  gestorben  war,  er- 
füllte er  gleichfalls  nicht  ganz  die  Wünsche  der  Schilfsbesitzer; 
denn  er  verachtete  nicht  auf  sein  Hoheitsrecht  (regalye),  son- 
dere versprach  nur  billige  Rücksichtnahme  in  jedem  ihm  zur 
Kenntniss  gebrachten  Fall;  hinsichtlich  der  Ansprüche,  die 
von  andern  Grundherrn  gemacht  wurden,  verwies  er  die  Pe- 
tenten auf  den  Rechtsweg4).  Den  wiederholten  Anforderungen 
der  Schiffseigner,  sie  auch  für  die  im  Dienste  des  Königs  er- 


')  „Item  monstrent  les  communes  pur  Testat  de  touz  les  citez,  portz 
et  burgha  et  pur  toute  la  navie  du  roialme,  qe  longtemps  ont  suffertz 
grantz  meschiefs  —  a  grant  anientisement  de  touz  les  dites  vüles  et  de 
tont  la  navie  et  grant  desasseurance  de  tout  ledit  roialme  — ,  franchises 
loor  estoient  grantez  —  a  cause  q'ils  n'avoient  dont  vivre  de  terre  par 
dehors  lour  boundes  fors  tout  soulment  par  talent  de  lour  franchise  a 
laborer  et  travailler  par  tout  la  monde  en  gainant  pur  enheriter  les  dites 
citez  —  et  tout  la  navie  —  sustenir  par  lour  occupation  et  les  bones  viUes 
encloser  des  meurs  et  tours  en  force  de  toute  le  pays,  si  mestir  estoit. 
Par  quel  talent  de  lour  franchise  ils  sustenoient  lour  mesons,  lour  navie  et 
lour  mesmes  et  de  tout  son  poeple  et  en  grant  doute  de  touz  estranges 
pais  pur  la  puissance  de  touz  les  marchantz  et  la  navie  de  ceste  roialme. 
Et  ore  depuis  qe  lour  dites  franchises  lour  ont  este  tolluz  — ,  la  tierce 
Partie  de  touz  les  dites  bons  vüles  —  sont  pres  desolatz  sans  habitation, 
les  meures  —  rumpuz  et  abatuz  et  la  navie  bien  pres  anientiz,  sanz  puis- 
sance de  ceux  refaire,  les  marchantz  en  povre  estat  par  tout  le  roialme, 
qe  au  payne  ils  lour  poent  sustenir  en  vivre."  Rot.  Pari.  II.  S.  306, 
307  (1371);  vgl.  auch  IL  S.  332,  347. 

*)  Rot.  Pari.  IL  S.  319  (1373). 

8)  Rot.  Pari.  HL  S.  25  Nr.  68. 

4)  Rot.  Pari.  IIL  S.  24  Nr.  64  (1377)  und  S.  94  Nr.  7  (1380). 


—    358    — 

littenen  Verluste  an  Schiff  und  Schiffsgeräthen  zu  entschä- 
digen und  ihnen  die  für  Ausrüstung  gemachten  Auslagen  zu 
ersetzen,  begegnete  er  durch  ausweichende  Antworten  *).  Erst 
auf  erneute  Bitte  der  Gemeinen  gewährte  er  im  Parlament 
von  1379  80,  dass  bis  Ostern  3  sh  4  d  per  Tonne  Schiffsgehalt 
für  je  ein  Vierteljahr  vergütet  werden  sollten,  „um  in  der 
Zwischenzeit  zu  erproben,  ob  die  Massregel  für  die  Vermehrung 
der  Marine  oder  in  anderer  Weise  nützlich  sei*  *). 

Gewiss  war  diese  passive  Haltung  der  Regierung  nicht 
geeignet,  die  Flotte  zu  heben.  Die  Klagen  der  Interessenten 
wuulen  immer  heftiger,  und  wie  so  oft,  wenn  die  Erwerbs- 
zweige darniederliegen ,  so  erklang  auch  jetzt  der  Ruf  nach 
Schutz.  Der  Gedanke  eines  Navigationsgesetzes  konnte  um 
so  leichter  zum  Durchbruch  gelangen,  als  andere  Nationen, 
mit  denen  man  in  Berührung  kam,  bereits  mit  gutem  Beispiel 
vorangegangen  waren.  Bei  den  am  Mittelmeer  gelegenen  Ge- 
meinwesen hielt  man  den  Schiffahrtsschutz  schon  im  13.  Jahr- 
hundert für  unentbehrlich.  1227  verbot  Jaime  I.  von  Ara- 
gonien,  Waaren,  die  nach  Alexandrien  oder  Syrien  bestimmt 
waren,  in  fremde  Schiffe  zu  verladen,  so  lange  ein  einheimi- 
sches Fahrzeug  zu  deren  Aufnahme  im  Hafen  von  Barcelona 
bereit  stehe.  Auch  Wein  sollten  fremde  Schiffer  nicht  ohne  Er- 
laubniss  der  Bürger  verfrachten.  1268  wurde  diese  Acte  noch 
verschärft3).  Das  Schutzsystem  der  italienischen  Seestädte, 
namentlich  Venedigs,  ist  uns  bereits  von  früher  her  bekannt  *). 
Auch  Manfred  von  Sicilien  stipulirte  1258  in  einem  Vertrag  mit 
Venedig  Bestimmungen,  wie  wir  sie  in  England  unter  Hein- 
rich VII.  finden 6).  Die  portugiesischen  Herrscher  sind  durch  die 
Sorgfalt,  die  sie  der  einheimischen  Schiffahrt  schenkten,  berühmt 
geworden.  Fernando  (1367—83)  liess  das  Holz  zu  neuen 
Schiffen,  welche  100  Tonnen  und  mehr  fassten,  unentgeltlich 
aus  den  königl.  Forsten  verabreichen,  die  zum  Bau  nöthigen 
Materialien  zollfrei  einführen,  die  Waaren  bei  der  ersten  Fahrt 
von  den  Zöllen  ausnehmen,  dies  Recht  auf  3  Jahre  für  die- 
jenigen ausdehnen,  welche  ihre  neuen  Schiffe  auf  der  ersten 
Reise  verloren  und  andere  dafür  kauften  oder  bauten,  die 
Seefahrer  von  vielen  persönlichen  Lasten  und  Diensten  be- 
freien, die  erste  bekannte  Seeassecuranz  errichten 6).  Wenden 
wir  uns  nach  Norden,    so  sehen  wir  dasselbe  Schutzsystem, 


>)  Rot.  Pari.  III.  S.  46  Nr.  67  (1378)  und  Rot.  Pari.  ID.  S.  66 
Nr.  24  (1379). 

*)  Rot.  Pari.  III.  S.  86  Nr.  47. 

8)  Capmany,  Memorias  etc.  II.  S.  11  fg.;  H.  Schafer,  Geschichte 
von  Spanien  III.   S.  408. 

f)  Sieh  oben  8.  116,  124  fg. 

ft)Wachsmuth,  Culturgeschichte IL  S.  294,  295.  Sieh  unten  S.  368 fg. 

6)  Schäfer,  Geschichte  von  Portugal  IL  S.  103.  AehnUch  befreite 
später  (1494)  Johann  die  Einfuhr  von  Mastenholz.   Hirsch,  Danzig  S.271. 


—    359    — 

das  im  Mittelmeer  galt,  in  der  Ostsee  in  vollster  Blüthe 
herrschen.  Der  Schutz  und  das  Monopol  der  Kauffahrteiflotte 
war  der  wesentlichste  Theil  der  hansischen  Handelspolitik  *). 
Diese  Versuche  gingen  kaum  unbemerkt  an  England  vorüber; 
denn  gerade  in  den  Tagen  Richards  II.  mussten  die  Engländer 
erfahren  und  erkennen,  wie  wenig  z.  B.  die  Hansen  geneigt 
waren,  von  diesem  System  zu  ihren  Gunsten  abzuweichen. 

In  dem  berühmten  nach  dem  Aufstand  der  Leibeigenen 
einberufenen  Parlament2)  wurde  auch  die  Navigationsfrage 
wieder  angeregt.  Mit  dem  Hinweis  darauf,  dass  das  Ansehen 
und  die  Sicherheit  des  Reiches  auf  der  einheimischen  Flotte 
beruhe,  verlangte  man  Abhilfe  gegen  die  mehrerwähnte  Ver- 
wirkung  von  Schiffen  und  Schutz  gegen  die  Concurrenz  der 
fremden  Kauffahrer.  In  ersterer  Hinsicht  stellte  sich  der  König 
so  ziemlich  auf  den  Standpunkt  Eduards  III.;  er  verzichtete 
auf  sein  Recht  nur  bei  einem  Unfall  auf  offenem  Meer,  nicht 
aber  in  süssen  Gewässern.  In  Bezug  auf  die  Frage  des 
Schutzes  bestimmte  er,  dass  kein  Engländer  Waaren  in  andern 
als  englischen  Schiffen  verfrachten  dürfe  bei  Strafe  der  Con- 
fiscation  der  betreffenden  Waaren  oder  ihres  Werthes,  wovon 
ein  Dritttheil  dem  Anzeiger  als  Belohnung  zufallen  sollte3). 

Die  englischen  Gesetzgeber  des  Mittelalters  stellten  selten 
gleich  auf  den  ersten  Wurf  ein  Gesetz  als  dauerndes  auf;  sie 
machten  immer  erst  einen  Versuch  für  kürzere  Zeit,  um  Er- 
fahrungen zu  sammeln,  die  Wirkung  zu  beobachten,  den  Ge- 
schädigten Gelegenheit  zu  Gegenvorstellungen  zu  gewähren. 
Das  geschah  auch  hier.  Die  Navigations-Ordonnanz  sollte  vor- 
läufig nur  bis  Ostern  gültig  sein.  Es  zeigte  sich  denn  auch 
sofort,  dass  die  Acte  nicht  aufrecht  zu  erhalten  war.  Man 
hatte  das  Ziel  mit  einem  Schlag  erreichen  wollen,  eine  all- 
mälige  Entwicklung  verschmäht,  die  grosse  Ausdehnung  des 
Verfalls  vielleicht  unterschätzt,  überhaupt  zu  abrupt  von  einem 
System  in  das  gegentheilige  sich  gestürzt.    Im  nächsten  Par- 


1503  gewährte  Emanuel  den  Deutschen  die  Rechte  der  Portugiesen ,  falls 
sie  portugiesischer  Schiffe  sich  bedienten.  1509  verbot  er  die  Verladung 
Ton  Zucker  in  fremden  Schiffen.  Joh.  Phil.  Cassel,  Privilegia  und  Handels- 
freiheiten, welche  die  Könige  von  Portugal  ehedem  den  deutschen  Kauf- 
leuten zu  Lissabon  ertheilt  haben.    Bremen  1771. 

x)  In  der  Skra  für  den  deutschen  Handelshof  zu  Nowgorod  von  1838 
z.  6.  heisst  es:  „Neman  scal  ok  Walen  gut,  noch  Engeischen  gut,  noch 
borgen,  noch  to  kumpanie  to  sendeve  in  den  hof  to  Nogarden  voren.u 
▼.Bunge,  Liv-,  Est-  und  Curlandisches  Urkundenbuch  Bd.  VI.  S.  502. 
Vgl.  auch  Wurm,  Eine  deutsche  Colonie  und  deren  Abfall  in  Schmidts 
Zeitschrift  für  Geschichte  Bd.  V.  S.  247,  248.  Wurm  hält  auch  die  Ol.  Crom- 
wellsche  Schiffahrtsacte  für  eine  Nachahmung  des  hansischen  Systems  vom 
15.  u.  16.  Jahrh.  a.  a.  0.  Bd.  V,  VI. 

*)  Ueber  die  Parteiconstellation  desselben  Tgl.  Stubbs,ll.  S.  460  fg. 
und  Pauli,  Geschichte  von  England  IV.  S.  536. 

s)  Kot.  Pari.  IIL    S.  120.  121;  5  Rieh.  II.  st  1  c.  3. 


—    360    — 

lament  wurde  die  Acte  auf  eine  Petition  hin  bedeutend  ab- 
geschwächt. Es  wurde  den  englischen  Kaufleuten  gestattet,  für 
den  Fall,  dass  keine  passenden  englischen  Schiffe  in  genügen- 
der Zahl  zu  haben  wären,  auch  fremde  Schiffe  zu  beladen. 
Auch  sollten  die  englischen  Kaufleute  fremde  Schiffe  miethen 
und  mit  ihren  Waaren  befrachten  dürfen1). 

Diese  Form  der  Acte  war  überaus  mild,  die  zweiterwähnte 
Bestimmung  dürfte  leicht  Gelegenheit  zur  Umgehung  geboten 
haben. 

Eine  abermalige  Modification  des  Navigationsgesetzes  wurde 
1391  beliebt.  Die  Kaufleute  des  Königreichs  England,  hiess 
es  jetzt,  dürfen  zu  Hause  nur  einheimische  Schiffe  befrachten, 
die  geschützten  Rheder  aber  auch  nur  massige  Frachtgelder 
verlangen  *).  Die  Acte  war  gegenüber  dem  bisher  geltenden 
Recht  eine  theilweise  Verschärfung,  sie  schloss  das  Miethen 
ganzer  Schiffe,  die  Ausländern  gehörten,  aus  und  verbot  Be- 
frachtung der  fremden  Schiffe  selbst  für  den  Fall,  dass  es  an 
passenden  englischen  Schiffen  in  genügender  Zahl  fehlte.  Auf 
der  andern  Seite  war  sie  aber  auch  mit  neuen,  sehr  bedeu- 
tenden Abschwächungen  verbunden.  Eine  solche  lag  einmal 
darin ,  dass  gleichzeitig  mit  dem  Gesetze  die  Rückverlegung 
des  Stapels  an  englische  Plätze  beschlossen  ward.  Es  war 
eine  fast  mit  Notwendigkeit  sich  ergebende  Folge  dieser  Mass- 
regel, dass  den  einheimischen  Kaufleuten  die  Ausfuhr  der 
Stapelartikel  untersagt  und  den  Fremden  vorbehalten  blieb. 
In  der  That  wurde  auch  den  englischen  Kaufleuten  der  Export 
von  Wolle,  Wollfellen,  Leder  und  Blei  verboten3).  Ging  dies 
Verbot  direct  nur  die  Kaufleute  an,  indirect  musste  es  auch 
auf  die  einheimische  Schiffahrt  zurückwirken.  Solange  das 
Stapel  in  England  blieb,  waren  die  englischen  Kauffahrer  nicht 
rechtlich,  wohl  aber  factisch  vom  Transport  der  genannten 
Waaren  ausgeschlossen4).  Eine  andere  Modification  war 
damit  gegeben,  dass  das  Gesetz  nur  die  Befrachtung  in  Eng- 
land, nicht  auch  die  im  Ausland  ins  Auge  fasste,  der  Schutz 
galt  nicht  für  die  Import- ,  sondern  nur  für  die  Export-  und 
Küstenschifferei;  es  war  dies  jedenfalls  eine  zweckmässige 
Aenderung;  denn  eine  Bestrafung  für  eine  an  fremden  Plätzen 
begangene  Gesetzesübertretung  musste  auf  die  grössten 
Schwierigkeiten  stossen,  eine  unmittelbare  Durchführung  der 
Acte  im  Ausland  war  unmöglich  und  brachte  leicht  Verwick- 


')  Rot.  Pari.  III.  S.  137  Nr.  4  (1382)  und  6  Rieh.  IL  st.  1  c  8. 

*)  Rot.  Pari.  III.  S.  278  Nr.  11;  14  Rieh.  II.  c  6. 

n)  Rot  Pari.  III.  S.  278  Nr.  70;  14  Rieh.  II.  c.  5. 

A)  Einem  Beispiel  ähnlicher,  wenn  auch  nicht  ganz  so  unpractischer 
Politik  begegnen  wir  unter  Eduard  III.  Den  englischen  Kaufleuten  wurde 
1368  verboten,  selbst  in  Gascogne  Wein  zu  kaufen,  gleichzeitig  aber  ver- 
langt, dass  man  in  Bordeaux  die  gascognischen  und  englischen  Schiffe  bei 
der  Befrachtung  bevorzuge.    Rot.  Pari.  IL    S.  296. 


—    361     — 

luDgen  mit  fremden  Regierungen.    Endlich  waren  die  Schiffs- 
eigner noch  ausdrücklich  zu  massigen  Preisen  verpflichtet. 

Man  darf  keineswegs  glauben,  dass  diese  allgemein  ge- 
haltene Vorschrift  von  den  massigen  Preisen  bedeutungslos 
war.  Wir  wissen ,  dass  es  zu  den  ständigen  Aufgaben  des  i 
Admiralitätsamtes  gehörte,  der  Uebertretung  des  Gesetzes1 
nachzuforschen *),  dieses  hatte  ein  Urtheil  darüber,  ob  der 
Frachtpreis  entsprechend  war,  und  war  wohl  im  Stande,  den 
Kaufmann  gegen  ungebührliche  Forderungen  der  Rheder  zu 
schützen.  Die  Auflegung  einer  solchen  Schranke  gegenüber 
den  Geschützten  entsprach  ganz  der  mittelalterlichen  Preis- 
politik2). Man  begreift  aber,  dass  ein  weiterer  Schritt  sehr 
nahe  lag.  Die  Schiffseigner  konnten  keine  massigen  Fracht- 
preise machen,  solange  die  Matrosen  ihre  Löhne  hinauftreiben 
durften.  Eine  solche  Steigerung  war  in  der  That  seit  einiger 
Zeit  eingetreten 3),  und  man  wird  zur  Annahme  berechtigt  sein, 
dass  mehr  die  hohen  Lohnforderungen  der  Matrosen,  denn  die 
milde  gefassten  Navigationsgesetze  eine  Erhöhung  der  Fracht- 
gelder hervorriefen  und  damit  den  Anstoss  zu  der  oben  erwähn- 
ten Gesetzesbestimmung  gaben.  Wahrscheinlich  hatten  die  Ma- 
trosen, wie  alle  übrigen  Lohnarbeiter  die  nach  der  Pest  ziem- 
lieh lange  andauernde  günstige  Situation  benützt,  um  bessere 
Bezahlung  sich  zu  verschaffen.  Es  ist  gewiss  kein  Zufall,  wenn 
wir  1375  dem  Versuch  von  Seite  der  Regierung  bzw.  der 
Admiralität  begegnen,  die  früher  üblichen  Löhne  durch  Ge- 
schworne  festzustellen  und  deren  Einhaltung  durchzusetzen4). 
Wie  aber  die  andern  Arbeiter  gegen  solche  Festsetzungen  re- 
agirten,  so  auch  die  Matrosen.  Sie  waren  nicht  gewillt,  ihren 
Gewinn  sich  schmälern  zu  lassen.  Dies  erhellt  aus  den  Klagen 
der  Schiffseigner.  In  demselben  Parlament,  in  welchem  die 
neue  Navigationsacte  beschlossen  worden  war,  lief  eine  Petition 
der  Rheder  ein,  worin  sie  Abhilfe  gegen  die  Verabredungen 
und  excessiven  Lohnforderungen  der  Schiffsleute  verlangten  und 
zwar  in  der  Weise,  dass  die  Behörden  der  Städte,  wo  solche 
Seeleute  sich  befänden,  auf  vorgebrachte  Klage  die  Uebelthäter 
bestrafen  dürften.  Ihre  Bitte  wurde  nicht  in  der  von  ihnen 
gewünschten  Form  bewilligt;  die  Regierung  hielt  an  der  bis- 


J)  Tr.  Twiss,  The  black  book  of  the  Admiralty  I.    8.  167  Art.  65;   , 
S.  228  Art.  21. 

*)  Vgl.  unten  Capitel  9. 

*)  Damit  stimmt  überein,  dass  die  Lohnvergütung  von  3— 4  d  per  Tag, 
wenn  die  Schiffsleute  im  staatlichen  Dienste  arbeiteten,  von  diesen,  wie  von 
den  Schiffseignern  als  eine  ganz  ungenügende  Bezahlung  angesehen  wurde, 
und  doch  durfte  nach  dem  Arbeitergesetz  von  1350  z.  B.  ein  Schreiner- 
meister nur  3  d  per  Tag  beanspruchen.  Rot  Pari.  III.  S.66  Nr.  24 (1379) 
S.  253  Nr.  1  (1377/8);  S.  283  Nr.  37  (1390);  25  Ed.  III.  st.  1. 

*)  Tr.  Twiss,  The  black  book  of  Admiralty  I.  S.  138  fg. 


—    362     — 

herigen  Uebung  *)  fest,  indem  die  Admiräle  massige  Heuer  an- 
befehlen mussten,  und  nur  ihnen  die  Strafgewalt  zustehen  sollte*). 

Jedenfalls  lag  hier  ein  wirklich  wunder  Punkt  für  die 
Rhederei  vor.  Die  Lohntaxen  Hessen  sich  gegenüber  den 
Schiifsleuten  schwer  durchsetzen;  sie  waren  ein  leicht  beweg- 
liches und  unzuverlässiges  Volk  )  und  suchten  lieber  fremden 
Dienst,  als  dass  sie  sich  Verkürzungen  gefallen  Hessen 4).  Fasst 
man  dies  Moment  ins  Auge,  erwägt  man  ferner,  dass  die  staat- 
liche Benützung  der  einheimischen  Schiffe  gegen  ungenügende 
Entschädigung  ebenfalls  fortdauerte5),  so  wird  man,  obwohl 
manche  Bestimmungen  des  Navigationsgesetzes  eine  practischere 
Gestalt  gegen  früher  erhalten  hatten,  auch  das  Stapel  von 
England  wieder  nach  Calais  verlegt  worden  war,  keine  grosse 
Wirkungen  von  der  Navigationsacte  erwarten  dürfen. 

Die  Rheder  waren  denn  auch  mit  dem  neuen  Zustand 
durchaus  unzufrieden.  Schon  in  den  beiden  folgenden  Sessio- 
nen 6)  wünschten  sie  die  Verschärfung  der  Navigationsacte,  in- 
dem dieselbe  rund  und  nett  dahin  lauten  sollte:  Kein  engli- 
scher Kaufmann  darf  das  Schilf  eines  Fremden  beladen,  wenn 
ein  englisches  zu  haben  ist.  Es  fiel  also  diesem  Vorschlag 
gemäss  die  den  Schiffseignern  so  lästige  Schranke  der  massigen 
Frachtgelder,  die  Clausel  von  dem  Vorhandensein  „genügender 
uud  passender"  englischer  Schiffe,  sowie  die  Begrenzung  der 
Acte  auf  Befrachtungen  in  England  hinweg.  Geschickt  hatten 
die  Interessenten  darauf  hingewiesen,  wie  bei  dem  gegen- 
wärtigen Zustand  die  einheimische  Marine  sich  vermindere  und 
verschlechtere,  der  Schutz  des  Reichs  von  der  Erhaltung  der- 
selben abhänge,  sie  selbst  dem  Ruin  entgegengingen 7).  Die 
Regierung  konnte  oder  wollte  diese  Ueberzeugung  nicht  ge- 
winnen. Der  König  meinte,  es  sei  bereits  ein  gutes  Heilmittel 
in  den  bestehenden  Statuten  geschaffen. 


*)  Tr.  Twiss,  The  black  book  of  Admiralty  I.  S.  167  Art  64. 
.   *)  Rot.  Pari.  III.  S.  283. 

3)  Vgl   Rot  Pari.  III.    S   48  Nr.  77  (1378). 

4)  „Et  nientmeyns  lea  ditz  mariners  ne  voillent  passer  oveaqe  les 
Engleys,  mes  soulement  ovesqe  aliens,  si  ascuns  y  soient,  en  grant  arieriase- 
ment  de  Testat  des  ditz  possessours  et  de  la  navie  d'Engleterre"  a.  a.  0. 

6)  Rot.  Pari.  IIL  S.  212  Nr.  28  (1385);  S.  223  Nr.  30  (1386);  S.  253 
Nr.  1  u.  2  (1387/88);  S.  554  Nr.  47  (1404);  IV.  S.  12  Nr.  17  (1413);  S.  79 
Nr.  8  (1415). 

*)  Rot  Pari.  III.  S.  296  Nr.  50;  S.  305  Nr.  24. 

7)  „Item  suppliont  voz  poveres  liges  les  possessours  des  niefe,  qe  come 
si  bien  en  votre  temps  come  es  temps  de  voz  nobles  orogenitours  grantz 
prosperite,  honours  et  profitz  ont  eschuez  al  roialme  a'Engleterre  par  la 
navye  du  dit  roialme;  quelle  navie,  si  remede  ne  soit  hastivement  ordeine, 
est  a  poi  destruit  et  les  possessours  d'icelle  navye  anientiz  a  toutz  jours, 
dont  dolour  est  et  grant  pite:  Que  plese  considcrer  as  honours  et  profitz 
et  auxi  as  grantz  forteresse  et  defense  du  dit  roialme  encontre  les  enemys 
en  chescune  partie,  si  la  dite  navye  soit  bien  governe  et  suetenu,  ordeiner 
—  ascune  remede  des  ditz  meschiefs,  en  relietment  de  la  navye  et  defens 
de  roialme  sus  ditz."    Rot.  Pari  III  S.  305.  Nr.  24. 


— .    363    — 

Das  zweimalige  Fiasco  entmuthigte  die  Petenten.  Erst 
als  Richard  IL  gestürzt  war  und  Heinrich  IV.  den  Thron  be- 
stieg, wagten  sie  wieder  einen  Anlauf1).  Indem  sie  ihre  For- 
derung noch  stärker  an  das  bisherige  Recht  anzuschliessen 
suchten  und  gleichzeitig  das  Fiscalinteresse  des  Königs  mit  in 
den  Wurf  brachten,  hofften  sie  wohl  durchzudringen.  Kein 
Engländer  soll,  lautete  die  Bill,  ein  fremdes  Schiff  behufs  einer 
Fahrt  ins  Ausland  in  einem  englischen  Hafen  bei  Verwirkung 
der  betreffenden  Waaren  befrachten,  wenn  genügende  englische 
Schiffe  in  dem  Hafenplatz  vorhanden  sind.  Diese  Fassung  war 
sogar  enger  als  das  bestehende  Recht,  denn  der  Schutz 
erstreckte  sich  danach  nicht  auf  die  Küstenschiffahrt.  Kein 
fremder  Schiffer  heisst  es  aber  dann  weiter,  darf  von  einem 
Engländer  Waaren  zur  Verladung  annehmen  bei  Strafe  der 
Verwirkung  des  Schiffes  an  den  König.  Eine  Garantie  für  die 
unnachsichtige  Durchführung  des  Gesetzes  war  somit  das  Ziel, 
die  Frage  wegen  Beschränkung  der  Frachtgelder  dagegen  war 
absichtlich  mit  Stillschweigen  übergangen.  Aber  auch  Hein- 
rich IV.  verweigerte  dieser  Aenderung  seine  Zustimmung  und 
gewiss  mit  Recht.  Die  Confiscation  fremder  Schiffe  würde  eine 
endlose  Kette  von  politischen  Complicationen  nach  sich  gezogen 
haben,  der  König  hatte  aber  alle  Ursache,  solche  zu  ver- 
meiden. Stiess  doch  seine  Anerkennung  im  Ausland  ohnehin 
auf  grosse  Schwierigkeiten  *).  Für  Hebung  der  Flotte  geschah 
unter  Heinrich  IV.  nichts,  wir  besitzen  keinerlei  Nachrichten, 
aus  denen  man  auf  ein  grosses  Interesse  des  Königs  für  die 
Schiffahrt  schliessen  könnte. 

Unter  den  Lancasterkönigen  widmete  nur  Heinrich  V.  der 
Flotte  grosse  Aufmerksamkeit.  Sein  Eingreifen  war  von  Be- 
deutung, obgleich  es  nicht  in  der  Richtung  der  Schutzpolitik 
lag,  das  Navigationsgesetz  scheint  überhaupt  in  der  Folge  so 
ziemlich  der  Vergessenheit  anheimgefallen  zu  sein.  Heinrich  V. 
war  einerseits  bestrebt,  den  englischen  Kauffahrern  die  Wege 
in  die  Fremde  offen  zu  halten  und  ihnen  durch  günstige  Ver- 
träge einen  grösseren  Spielraum  zu  verschaffen 8),  andererseits 
knüpfte  er  wieder  an  die  Traditionen  und  Politik  Richards  I. 
an;  nicht  nur,  dass  er  durch  Verordnungen  das  Seerecht  klarer 
stellte  und  in  der  Admiralität  Verbesserungen  einführte,  gleich 
jenem  war  er  besonders  bestrebt,  eine  stehende  Staats-  oder1 
Königsflotte  zu  schaffen 4).  Das  war  wirklich  ein  Bedürfhiss. 
Er,  der  siegreiche  Eroberer,  konnte  eine  eigene  Flotte  kaum 
entbehren,  wenn  er  seiner  Politik  Nachdruck  geben  und  die 


*)  Rot  Pari.  III.  S.  444.  Nr.  153  (1399). 

s)  Vgl.  Hingeston,  Royal  and  historical  letters  during  the  reign  of 
Henry  the  Fourth  I. 

»)  8ieh  oben  S.  116. 

4)  Stnbbs,  Constitntional  history  of  England  III.  S.  88.  Libell  of 
Engl.  Policye  Vers  1010  fg. 


—    364    — 

gewonnenen  Besitzungen  auf  dem  Continente  festhalten  wollte. 
Die  Verhandlungen  mit  den  Rhedern  behufs  Schutz  der  Küsten 
hatten  unter  seinen  Vorfahren  auf  dem  Thron,  namentlich  unter 
Heinrich  IV.  eine  Gestalt  angenommen,  welche  dem  Ansehen 
der  Staatsgewalt  nur  schädlich  sein  musste x).  Auch  im  Krieg 
war  eine  Anzahl  gut  ausgerüsteter  Schiffe  nothwendig,  um  den 
Kauffahrteischiffen  einen  festen  Halt  im  Kampf  zu  gewähren 
Der  einheimischen  Rhederei  konnte  es  aber  nur  förderlich  sein, 
von  den  schlecht  belohnten,  immer  in  rauher  und  willkürlicher 
Weise  befohlenen  Dienstleistungen  etwas  entbunden  zu  sein 
und  statt  dessen  des  Schutzes  der  königl.  Schiffe  sich  erfreuen 
zu  dürfen.  Heinrich  V.  erwies  dem  Lande  wirklich  einen 
Dienst,  wenn  er  Kriegsschiffe  erbauen  liess2),  und  das  Lied 
preist  ihn  mit  Recht,  wenn  es  sagt: 

Er  hat  sich  so  bewährt  auf  See  und  Land, 

Dass,  denk1  ich  d'ran,  mir  schwindelt  der  Verstand. 


Denn  nie  hat  über  uns  ein  Fürst  gewaltet, 
Der  auf  dem  Meer  so  kräftiglich  geschaltet; 
Hättf  er  bis  heut  gelebt  in  diesen  Reichen, 
So  nennte  man  ihn  König  sonder  Gleichen. 
War1  er  zum  Zweck,  den  er  sich  vorgenommen, 
Mit  seinen  grossen  Schiffen  nur  gekommen, 
So  zweifl*  ich  nicht,  dass  er  geworden  wäre: 
Der  Herr  und  Meister  ringsum  auf  dem  Meere. 
Er  hat*'  es  sicher  vor  dem  Feind  bewacht, 
Uns  reich  gemacht  und  es  dahin  gebracht, 
Dass  auf  dem  Meer  sich,  ohne  dass  er's  wollte 
Und  es  erlaubte,  Niemand  rühren  sollte*1). 

Leider  lebte  Heinrich  V.  zu  kurze  Zeit,  um  eine  völlige 
Kräftigung  der  Flotte  herbeizuführen.  Unter  seinem  schwachen 
Nachfolger  gerieth  die  einheimische  Schiffahrt  in  völligen  Ver- 
fall. Namentlich  galt  dies  von  der  königl.  Flotte,  welche  den 
festen  Kern  der  ganzen  Marine  bilden  sollte.  Gleich  im  ersten 
Jahre  der  Regierung  Heinrichs  VI.  wurden,  wahrscheinlich  in 
Folge  financieller  Verlegenheit,  einige  grosse  königliche  Schiffe 
verkauft4).  Mit  Kummer  und  Schmerz  sahen  es  die  Freunde 
des  Vaterlandes,  wie  im  Innern  Englands  die  Parteien  sich 
befehdeten,  die  Seeräuber  immer  frecher  ihr  Unwesen  trieben 5), 
die  fremden  Nationen  immer  kecker  auf  dem  Meere  sich  ge- 
behrdeten,  die  engliche  Flagge  alle  Achtung  verlor.   Da  konnte 


')  Vgl.  Rot.  Pari.  III.  S.  569,  610.    Rymer  VIII.  S.  437,  439,  455. 

*)  Die  Zahl  und  die  Namen  seiner  Schiffe  im  Jahre  1417  finden  sich 

bei  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  ot  the  Privy  Council  II.  S.  202. 

3)  Lib.  of  Engl.  Pol.  V.  1046  fg. 

4)  Nicolas,  Ordinances  and  Proceedings  of  the  Privy  Council  IE. 
S.  53.  Wie  man  in  drohender  Gefahr  in  Folge  dessen  wieder  Privatschiffen 
den  Schutz  zur  See  übertrug  und  diese  für  gemeinsames  Operiren  organi- 
sirte,  darüber  vgl.  Rot.  Pari.  V.  S.  59  (1442). 

6)  Vgl.  Rot  Pari.  IV.    S.  350  u.  376. 


—    365    — 

ein  hellsehender  Patriot  sich  nicht  mehr  halten,  eindringlich 
seinen  Landsleuten  die  Aufgabe  Englands  und  dessen  natur- 
liche Machtstellung  vor  Augen  zu  fuhren : 

Wohin  sind  Schiff'  und  Schwerter  uns  gekommen? 
Der  Feind  sagt:  Setzt  anstatt  des  Schiffs  ein  Schaaf. 
Weh,  unsre  Macht  hinkt,  sie  ist  uns  genommen. 
Wohl  sagt  man:  Herrschaft  hüte  sich  vor  Schlaf! 
Wenn  es  mein  Herz  gleich  bis  zum  Weinen  traf, 
Versuch'  ich's  doch,  ob  wir  denn  nimmermehr, 
War's  auch  aus  Scham  nur,  hüten  unser  Meer. 

Der  wahre  Weg  für  Englands  Staatsklugheit 
Zum  Schirm  des  Reichs  vor  Unruh  und  Gebresten 
Von  aussen  her,  ist  ohne  Widerstreit 
(Und  wer  nicht  lügt,  erklärt  ihn  Tür  den  besten ! ) 
DasB  wir  zur  See  nach  Nord,  Süd,  Ost  und  Westen 
Den  Handel  schützen  und  mit  starker  Wehr 
Als  Herren  walten  auf  dem  engen  Meer. 

Der  grosse  Kaiser  Sigmund  war  einst  hier 
(Er  herrscht  noch  heute)  zum  Besuch  im  Land 
Beim  fünften  Heinrich,  unsere  Thrones  Zier, 
Da  er  denn  Vieles  hier  ruhmwürdig  fand: 
Ein  mächtig  Land,  das  mit  sieghafter  Hand 
Frankreich  bezwang  trotz  blut'ger  Gegenwehr 
Und  stets  in  fester  Haft  rings  hielt  das  Meer. 

Und  sprach  zum  König,  als  er  die  zwei  Städte 
Calais  und  Dover  sah:   „Mein  Bruder  werth, 
Wenn  ich  die  Wahl  von  allen  Städten  hätte 
Zum  Schutz  der  See,  dass  drüben  auch  das  Schwert 
Ihr  rasch  stets  fuhren  mögt  für  Reich  und  Herd, 
Wie  Eure  beiden  Augen  rieth'  ich  sehr 
Die  zwei  zu  hüten  und  durch  sie  das  Meer." 

Denn  wenn  dies  Meer  Ihr  schliesst  bei  Kriegsgefahren, 
Wer  kann  hindurch  dann  ohne  Harm  und  Leid  ? 
Wer  kann  entfiiehn  und  sich  vor  Unheil  wahren? 
Wo  bleibt  dem  Handel  sonst  ein  Weg  bereit? 
Entsagen  muss  dann  jeder  Feind  dem  Streit 1). 

Weder  Spanier  noch  Flandrer  *),  weder  Portugiesen 8)  noch 
Bretonen4),  weder  Schotten5)  noch  Osterlinge6),  weder  Ge- 
nuesen7) noch  Venetianer ö),  weder  Franzmann9),  noch  Ire, 
noch  Seeräuber10)   sollen,    wie    es  jetzt  geschieht,   England 


J)  Libell  of  Englishe  Policye.    Hertzbergs  Uebers.  Vers  1  fg. 
*)  V.  27.  110  fg. 

3)  V.  135  fg. 

4)  V.  150  fg. 
*)  V.  270  fg. 
«)  V.  326  fg. 
7)  V.  340  fg. 
*)  V.  600  fg. 
*)  V.  344  fg. 

'«)  V.  602  fg. 


—    366    — 

höhnen  und  schädigen  können,  wenn  sie  wissen,  dass  England 
den  Canal  beherrscht.  Bedenkt  den  Schaden,  der  uns  aus 
der  Nachlässigkeit  erwächst,  schützet  unsern  Kaufmannsstand1», 
beherziget  das  Bild,  das  uns  der  Nobel  zeigt2),  nehmt  Euch 
ein  Beispiel  an  Edgars,  Eduards  III. ,  Heinrichs  V.  Grossthaten 
auf  der  See,  haltet  Irland,  Wales  und  besonders  Calais  fest3). 
Vor  Allem  aber  seid  einig,  ohne  innere  Einigkeit  keine  Gewalt 
zur  See. 

um  Christi  Huld  und  Liebe  willen 

Helft  unsers  Englands  Angst  und  Leiden  stillen. 

Fasst  euch  ein  Herz,  setzt  klug  ein  Regiment, 

Dass  nicht  ein  Kopf  sich  von  dem  andern  trennt, 

Einstimmig  alle  und  in  Eintracht  walten, 

Um  festen  Sinns  die  See  uns  zu  erhalten. 

So  schaffen  wir  uns  selbst  Ehr*  und  Gewinn 

Und  züchtigen  der  Feinde  bösen  Sinn. 

Reichthum  und  Achtung  wird  uns  so  erstehe 

Und  unserm  Nobel  wird  kein  Schimpf  geschehn, 

Dass  mit  der  That  er  trage  sein  Gepräge, 

Uns  selber  Muth,  den  Feinden  Schreck  errege. 

Sie  müssen  rasch  zum  Frieden  sich  bequemen, 

Sonst  wird  ihr  Wohlstand  bald  ein  Ende  nehmen. 

Wahrt  drum  die  See.  ringsum  in  jedem  Fall; 
Denn  sie  ist  Englands  rechter  Schirm  und  Wall. 
Denn  England  ist  vergleichbar  einer  Stadt, 
Die  rings  umher  die  See  al9  Mauer  hat 
Schützt  drum  die  See,  den  Wall  um  unser  Land, 
Und  England  ist  geschützt  durch  Gottes  Hand4). 

Die  von  glühender  Vaterlandsliebe  dictirten  Worte  ver- 
hallten unbeachtet.    Schou  überwucherte  die  Parteileidenschaft 


a)  V.  485  u.  486;  vgl.  auch  475  fg. 

*XSieh  unsern  Nobel,  viererlei  zeigt  der: 
Schiff,  König,  Schwert  und  Herrschaft  übers  Meer  (V.84  u.85). 

Dem  Nobel  nach  soll  mit  dem  Schwert  zugleich 

Das  Schiff  beherrschen  unsers  Meers  Bereich  (V.  596  u.  597). 

Nun  sehn  wir  Alle,  dass  dies  Meeresrund 

Wie  unser  Nobel  giebt  im  Bilde  kund, 

Unter  dem  Schiff  wogt,  das  die  Segel  schwellt; 

Drauf  ist  der  König  fürstlich  dargestellt 

Mit  blossem  blankem  Schwert,  zum  Hieb  erhoben 

Zu  züchtigen  der  Feinde  wildes  Toben. 

Der  sollt1  als  Herr  rings  auf  dem  Meere  walten, 

Im  Zaum  die  Feinde  drin  und  draussen  halten 

Und  heissen  durch  die  ganze  Christenheit 

Des  Meeres  Herr  und  Meister  weit  und  breit; 

Gefürchtet  und  geehrt  ob  seiner  Würde, 

Auf  dass  sein  Reich  dann  auch  gefürchtet  würde.  (V.  852  fg.) 

8)  V.  852—1063;  696  fg.;  784  fg. 

*)  V.  1064 fg.  Auch  Capgrave,  Liber  de  illustribus  Henricis  (vollendet 
zwischen  1446  u.  1453)  ed.  Hingeston  S.  134, 135  kann  nicht  umhin,  die  traurige 
Lage  der  Flotte  zu  beklagen;  man  sieht  deutlich,  wie  der  L.  of  Engl.  F. 
auf  ihn  eingewirkt  hat.    Nachdem  er  Edgars  Beispiel  vorgeführt,  fahrt  er  fort: 


—    367     - 

und  der  Streit  im  königl.  Haus  alle  andern  Fragen.  Die  Einig- 
keit, die  der  Staatspolitiker  so  eindringlich  gepredigt,  sie  war 
dahin.  Der  Bürgerkrieg  brach  aus  und  drängte  alle  andern 
Fragen  zurück.  Die  gerade  damals  mächtig  erwachende  Ini- 
tiative der  englischen  Kauffahrer  farfd  keinerlei  Unterstützung 
von  Seite  des  Reichs.  Schon  oben  wurde  darauf  hingewiesen, 
wie  die  eigenen  Fahrten  der  Engländer  ins  Mittelmeer  um 
diese  Zeit  nicht  mehr  selten  waren,  und  dass  man  (1439)  im 
Haus  der  Gemeinen  den  Wunsch  aussprach,  die  Italiener  zu 
Gunsten  der  einheimischen  Kaufleute  und  Seefahrer  vom 
Zwischenhandel  auszuschliessen1).  War  nun  dieser  Wunsch  ver- 
früht, auch  bei  der  damaligen  Lage  kaum  ausführbar  und  die 
Ablehnung  deshalb  berechtigt,  so  fehlte  es  doch  an  einer 
kräftigen  Unterstützung  auch  da,  wo  sie  am  Platze  war 2).  Es 
macht  einen  eigentümlichen  Eindruck,  wenn  z.  B.  Taverner  aus 
Kingston,  der  ein  grosses  Schiff  baute  und  schon  äusserlich  den 
Zweck  desselben  documentirend  ihm  den  für  die  genuesischen 
Schiffe  üblichen  Namen  Carraka  geben  liess,  zwar  die  Erlaub- 
niss  nach  dem  Mittelmeer  zu  fahren8),  aber  keinerlei  Zoll- 
vergünstigung erhielt,  vielmehr  für  die  Stapelartikel  die  in  sol- 
chem Fall  gesetzlichen  hohen  Fremdenzölle  entrichten  musste4). 
Ebenso  wenig  geschah  wirkliche  Abhülfe  auf  die  berechtigten 
Klagen  der  englischen  Kauf leute  über  die  Hansestädte,  welche 
ihnen  verwehrten,  in  ihren  Gebieten  Schiffe  zu  kaufen  und  zu 
bauen5),  oder  fanden  die  Beschwerden  über  die  Verwirkung  von 
Schiffen,  wenn  diese  durch  Zusammenstoss  Schaden  erlitten, 
Beachtung6).    Zu  all  dem  kam  die  indirecte  Schädigung  der 


„Quid  nobis  prosunt  exempla  horum  illustrium  virorum  legere  et  non  imitari  ? 
Opioio  enim  multorum  est,  quod,  si  mare  navigio  nostro  seiraretur,  multa 
bona  inde  provenirent,  mercatoribus  salvum  daret  conductum,  piscatoribus 
secarum  accessum,  regni  habitatoribus  pacificam  pausationem,  ipsi  quoque 
regi  Dostro  magiium  gloriae  comulum.  Cachfrmant  de  nobis  inimici  et  aicunt : 
„Tollite  navem  de  pretiosa  moneta  vestra  et  imprimite  ovem,  vecordiam 
vestram  in  hoc  arguentes",  quoniam  qri  solebamus  victores  esse  omninm 
popalorum,  ab  omnibus  jam  populis  vincimur.  Dictum  est  ab  antiquis,  quod 
murus  Angliae  mare  Bit;  et  cum  inimici  nostri  supra  murum  sint,  quid 
putas  facient,  accolis  improvisis?  Quoniam  hoc  negotium  jam  per  multos 
annos  neglectum  est,  idcirco  hoc  contigit,  quod  jam  naves  paucae  sunt, 
nautae  quoque  rari  et  ii  ineruditi,  quoniam  non  exercitati.  Auferat  Domi- 
nas opprobrium  nostrum  et  suscitet  spiritum  fortitudinis  in  gente  nostra! 
Falsas  et  fictas  amicitias  aliarum  uationum  denudat,  ne  subito  veniant  super 
n<>8,  dum  non  timemus." 

*)■  Sieh  S.  122. 

*)  Eine  unbedeutende  Ausnahme  ipt  erwähnt  in  Rot.  Pari.  IV.  S.492 
Nr.  7. 

*)  Vgl.  auch  Rot.  Pari.  III.  S.  662  (1411). 

4)  Rymer  XI.  S.  258  (1449). 

6)Rot  Pari.  V.  S.  64. 

•)  Rot  Pari.  V.  S.  29;  vgl.  auch  ebenda  S.  55,  138. 


—    368     — 

englischen  Flotte  durch  den  Verlust  der  südfranzösischen  Ge- 
biete1). 

Unter  Eduard  IV.  wurde  ein  kurzer  schüchterner  Versuch 
zur  Stärkung  der  einheimischen  Marine  gemacht,  indem  man 
die  alte  Bestimmung,  wohach  die  Engländer  bei  der  Befrach- 
tung die  einheimischen  Schiffe  bevorzugen  sollten,  wieder  ins 
Leben  rief;  allein  das  Gesetz  galt  nur  für  die  Dauer  von  drei 
Jahren  und  wurde  dann  nicht  wieder  erneuert*).  Dass  die 
einheimische  Schiffahrt  in  Folge  der  inneren  Wirren  keine 
Fortschritte  machte,  sondern  beträchtlich  litt,  ist  von  vorne- 
herein wahrscheinlich.  Eine  königliche  Flotte  existirte  zwar 
noch3),  aber  sie  war  schwach. 

Diese  Zustände  waren  unhaltbar,  rasch  und  energisch 
musste  eingegriffen  werden.  Wer  konnte  es  besser,  als  die 
Tudors,  welche  den  Zwist  und  Streit  im  Reiche  beendeten,  die 
geschlagenen  Wunden  heilten  und  ein  verstärktes  Staatsgefühl 
wieder  erweckten?  

Noch  im  ersten  Jahre  der  Regierung  Heinrichs  VII.  wurde 
dem  Parlament  ein  Gesetzentwurf  zur  Abhilfe  vorgelegt,  indem 
man  auf  die  Schwäche  und  Schutzlosigkeit  des  Reiches  und 
die  Unthätigkeit  der  Matrosen  hinwies4).  Vorsichtig  ging 
Heinrich  VII.  vor.  Er  musste  auf  der  einen  Seite  verhüten, 
durch  das  Gesetz  die  fremden  Mächte  zu  erbittern  und  die 
Wiederankntipfung  und  Neuregelung  der  Handelsverhältnisse 
sich  zu  erschweren,  auf  der  andern  Seite  galt  es,  die  Fehlen 
die  seine  Vorfahren  auf  dem  Thron  durch  Ueberstürzung  be- 
gangen hatten,  zu  vermeiden  und  vorläufig  durch  Zuweisung 
einer  geringen  Aufgabe  die  englische  Schiffahrt  wieder  all- 
mälig  zu  heben. 

Beiden  Zielen  wurde  die  Acte  in  vorzüglichem  Masse  ge- 
recht5).   „Weine  der  Herzogtümer  Guyenne  und  Gascogne-, 


*)  In  einer  Beschwerde  über  die  Hindernisse,  die  man  in  Südfrank- 
reich finde,  heben  die  englischen  Kaufleute  diesen  Punkt  1444  hervor. 
Früher  gab  es  „more  pleinte  of  shyppes  and  other  nave  in  this  reaume  of 
Ingelonde  by  the  half  thanne  is  nowe,  as  it  apperith  opynly  to  every  man 
by  experience;  the  which  was  in  tho  dayes  gret  plesnr  to  all  estatez  and 
degreez,  grete  richesse,  and  by  the  myght  of  such  nave  gret  defence  for 
all  this  londe  and  grete  fere  to  all  thayme,  thet  ben  enemyes  to  this  lond.** 
Rot.  Pari.  V.  S.  113. 

*)  Rot.  Pari.  V.  S.  504;  3  Ed.  IV.  c.  1  (1463V 

n)  Von  ihrer  Existenz  unter  Richard  III.  gibt  z.B.  Beweis  Gairdner, 
Letters  and  Papers  of  Richard  III.  and  Henry  VII.  IL  S.  287. 

*)  „the  $rete  mynishing  and  decaye,  that  hathe  ben  now  of  late  tyme 
to  youre  navie  within  this  Reame  of  Englond  and  ydelnesse  of  the  ma- 
rinere within  the  same,  by  the  whiche  this  noble  Reame  within  short  pro- 
cesse  of  tyme,  without  reformacion  be  had  therein,  shall  not  be  of  habilite 
and  power  to  defend  itself."  Die  Initiative  ging  wohl  von  den  Staplern  oder 
den  Merchant  adventurers  aus. 

*)  Vgl.  oben  Cap.  7  des  1.  Abschn.  S.  301,  302  mit  Rücksicht  auf  den 
Zusammenhang  der  Acte  mit  der  englisch -französischen  Politik.    Ferner 


—    369    — 

hiess  es,  „sollen  nur  in  Schiffen,  die  englisches  Eigenthum  und 
zum  grösseren  Theil  mit  Engländern  bemannt  sind,  importirt 
werden."  Als  Strafe  wurde  die  Confiscation  der  Weine  fest- 
gesetzt, von  denen  die  Hälfte  dem  Anzeiger  zufiel.  Die  Acte 
hatte  bis  zum  Beginn  des  nächsten  Parlaments  zu  gelten1). 
Merkwürdigerweise  wurde  aber  in  der  folgenden  Session  das 
Gesetz  nicht  erneuert  (1487).  Vielleicht  wollte  man  den  Effect 
beobachten,  den  das  Ausserkrafttreten  des  Gesetzes  haben 
werde.  Die  Folgen  waren,  wie  es  scheint,  der  Art,  dass  das 
Statut  für  nützlich  und  nothwendig  erachtet  wurde.  1489  er- 
klärten König  und  Parlament  die  früheren  Bestimmungen  nicht 
nur  für  dauernd  gültig,  sondern  erweiterten  sie  noch,  indem 
zum  Wein  auch  noch  der  Toulouser  Waid  als  einzig  den  eng- 
lischen Schiffen  zustehender  Importartikel  gefügt,  und  auch  die 
alte  Richardsche  Satzung,  wonach  fremde  Schiffe  überhaupt 
nur  dann  befrachtet  werden  durften,  wenn  keine  englischen 
Fahrzeuge  in  dem  betreffenden  Hafen  vorräthig  waren,  wieder 
erneuert  wurde*). 

Selten  gestattete  Heinrich  VII.  Ausnahmen3)  von  diesem 
Gesetze,  und  man  kann  in  der  That  mit  Bacon  sagen,  dass  der 
erste  Tudor  der  eigentliche  consequente  Begründer  einer  neuen 
Schiffahrtepolitik  für  England  geworden  ist4). 

Auch  den  Bau  eigener  Kriegsschiffe  unterliess  Heinrich  VII. 
nicht.  Während  seines  Aufenthalts  in  der  Bretagne  hatte  er 
sich  mit  dem  ganzen  Schiffswesen  sehr  vertraut  gemacht  und 
soll  in  Folge  dessen  eingehendere  nautische  Kenntnisse  als 
irgend  einer  seiner  Vorfahren  auf  dem  Thron  besessen  haben. 
Seine  grosse  Sparsamkeit  Hess  aber  nicht  zu,  dass  er  nach 
einem  grossartigen  Besitz  einer  Reihe  stattlicher  Schiffe  trach- 
tete. Auch  für  die  kleine  von  ihm  erbaute  Flottille  suchte  er 
sich  bezahlt  zu  machen,  indem  er  sie  den  Kaufleuten  oft  gegen 
ihren  Willen  als  schützende  Escorte  aufdrängte5). 

Fast  schien  es,  als  ob  diese  Bahn  verlassen  werden  sollte, 
als  Heinrich  VIH.  den  Thron  bestieg.  Die  freigebige  Natur 
des  Königs  übte  ihren  Einfluss  in  den  ersten  Jahren  aus.   Eine 

beachte  man  die  weise  Wahl;  gerade  der  Wein  konnte  am  leichtesten  eine 
etwaige  Frachtvertheaerung  ertragen. 

l)  1  Hen.  VII.  c.  8.  fe 

*)  4  Hen.  VII.  c.  10. 

a)  Vgl.  einige  bei  Bergenroth,  Cal.  I.  3.  4.  25ö. 


4)  „The  kinff  Henry  VII.  having  care  to  make  his  realm  potent  as  well 
by  sea  as  by  land  for  the  better  maintenance  of  the  navy  ordained,  that 
wines  and  woades  from  the  parts  of  Gascoign  and  Languedoc  should  not 
be  brought  bat  in  English  buttoms,  bowing  the  ancient  policy  of 
thiB  estate  from  consideration  of  power.  For  that  almost  all 
the  ancient  Statutes  incite  by  all  means  merchant- strangers  to  bring  in  all 
sorte  of  commodities,  having  for  end  cheapness  and  not  looking  to  the 
point  of  state  concerning  the  naval  power."  Bacon,  History  of  Hen. VII. 
in  Kennets  bist.  I.  S.  797. 

h)  Yonge,  The  history  of  the  British  navy.  London  1863.  Vol.I.  S.19. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  24 


370     — 


Licenz  vom  König,  welche  den  Weinimport  in  fremden  Schiffen 
erlaubte,  war  für  jeden  Besitzer  eine  gut  verkäufliche  Waare. 
Immer  reichlicher  ertheilte  Heinrich  VIII.  solche  Licenzen,  von 
Jahr  zu  Jahr  stieg  die  Tonnenzahl  des  in  fremden  Schiffen 
importirten  Weins  und  Waids,  bis  dieselbe  eine  Höhe  erreichte, 
welche  das  ganze  Gesetz  zur  Lächerlichkeit  machte1).    Die 


*)  In  Brewers  CaL  sind  glücklicherweise  die  Licenzen  bei  den  ein- 
zelnen Jahren  vorgetragen.  Da  die  archivalische  Grundlage  eine  grosse 
Reihe  von  Rollen  bildet ,  und  diese  wahrscheinlich  noch  alle  erhalten  sind, 
so  ist  es  erlaubt,  auf  Grund  der  Brewerschen  Angaben  eine  Statistik  der 
Licenzen  zu  versuchen.  Ich  habe  die  Vorträge  jedes  Jahres  zusammen- 
gezogen. Auf  Grund  dieser  Rechnung  lässt  sich  eine  Uebersicht  geben,  wie 
sie  unten  folgt.  Dass  die  Licenz  nicht  auf  den  Import  des  Weins  als  sol- 
chen, sondern  auf  den  Import  des  Weins  in  fremden  Schiffen  sich  er- 
streckt, davon  habe  ich  mich  durch  viele  Stichproben  überzeugt,  indem  ich 
die  Urkunden  in  dem  R.  0.  zu  Rathe  zog.    Ein  Beispiel  gibt  Urk. Beil.  136. 


'3  d 

Die  Licenz 

lautet  auf 

Tonnen  Gas- 

Jahre 

il 

cbgner  Wein 
oder  Tou- 

Bemerkungen. 

ü 

louserWaid. 

Tonnen. 

1509 

5 

470 

Darunter  100  „casks"  u.  „70  tuns  of  Burgundy- 
wine." 

1510 

6 

585 

Darunter  „1  cargo",  der  zu  100  Tonnen  von  mir 
gerechnet  wurde. 

1511 

4 

600 

1512 

4 

1050 

1513 

14 

6800 

Darunter  2000  Tonnen ,  die  innerhalb  5  Jahre 
importirt  werden  durften. 

1514 

12 

10680 

Darunter  480  Tonnen,  die  innerhalb  4  Jahre 
importirt  werden  durften. 

1515 

15 

10522 

Darunter  100  Tonnen,  die  innerhalb  2  Jahre 
importirt  werden  durften,  und  400  „casks". 

1516 

10 

9  549 

1517 

5 

1575 

1518 

6 

1970 

1519 

4 

1100 

1520 

5 

1700 

1521 

8 

1100 

1522 

1 

— 

Die  Tonnenzahl  ist  nicht  angegeben. 

1528 

5 

3980 

1524 

3 

4  500 

Darunter  200  Tonnen,  die  in  drei  Jahren  im- 
portirt werden  durften;  bei  4000  Tonnen  sind 
auch  andere  Waaren  inbegriffen. 

Darunter  3000  -Tonnen,  die  in  drei  Jahren  im- 

1525 

5 

2700 

portirt  werden  durften;  bei  1200  Tonnen  sind 

auch  andere  Waaren  einbegriffen. 

1526 

8 

3000 

In  2  Fällen  ist  die  Tonnenzahl  nicht  angegeben. 

1527 

10 

1380 

"1  "        n        »     n              n                 n              n 

1528 

5 

900 

Iß  "         n          p      71                n                   ri                T> 

1529 

3 

1700 

1530 

1 

200 

Weiter  sind  die  Publikationen  noch  nicht  gediehen.    Vgl.  diese  Be- 


—    371     — 

Commoners  des  im  7.  Jahre  seiner  Regierung  zusammen- 
gerufenen Parlaments  führten  laute  Klage  über  diesen  Unfiig 
und  verlangten  ein  Gesetz,  durch  welches  alle  bereits  gewähr- 
ten Licenzen,  welche  vor  den  nächsten  Pfingsten  nicht  benützt 
seien ,  für  null  und  nichtig  erklärt  würden l).  Der  König 
wagte  dieser  sein  Verfahren  indirect  tadelnden  Actö  die 
Zustimmung  nicht  zu  versagen.  Auf  das  Recht  der  Licenzen- 
ertheilung  verzichtete  er  freilich  nicht2),  und  unsere  Tabelle 
gibt  den  sprechenden  Beweis,  dass  er  diese  Prärogative  nach 
wie  vor  ausübte.  Aber  er  legte  sich  doch  Zwang  an,  und 
niemals  erreichte  die  Tonnenzahl  wieder  die  frühere  Höhe3). 
Die  Vorstellung  des  Parlaments  hatte  wohl  auch  zur  Folge, 
dass  man  wenigstens  für  kurze  Zeit  dieSchiffahrtsacte  schärfer 
ausführen  Hess.  Es  ist  kaum  Zufall,  wenn  wir  unter  den  zahl- 
reichen4) Verhandlungen  der  Cinque  Ports  gerade  im  Jahre 
1517  und  1520  zwei  Processe  wegen  Bevorzugung  fremder 
Schiffe  verzeichnet  finden5). 

In  den  darauffolgenden  Jahren  wurden  jedoch  die  Schiff- 
fahrtsgesetze wieder  weniger  streng  beobachtet.  Die  einheimi- 
schen Schiffe  konnten  und  wollten  den  Wein  nicht  so  billig 
importiren  als  die  Fremden 6),  und  Wolsey  legte  auf  die  Billig- 
keit grösseren  Werth. 

Das  Jahr  1531 ,  das  nach  vielen  Seiten  hin  und  nament- 
lich in  wirthschaftlicher  Hinsicht  einen  Wendepunkt  bezeichnet, 
brachte  auch  hier  eine  Aenderung  mit  sich7).  Die  gefährliche 
politische  Position,  in  die  man  durch  die  Reformation  gerieth, 
machte  eine  Stärkung  der  Defensivkraft  des  Reichs  zu  ge- 
bieterischer Notwendigkeit.  Jetzt  nahm  man  wahr,  dass  die 
einheimische  Schiffahrt,  die  früher  ein  starker  Schutz  in  Kriegs- 
zeiten und  von  grossem  Vortheil  für  den  Transport  der  Waaren 
gewesen,  wunderbar  verfallen  und  viele  Schiffseigenthümer  und 


träge  mit  der  Grösse  des  Weinimports  überhaupt  in  unsern  Zollreg.  Tab.VQL 
Bi  IL  S.  128  fg. 

l)  7  Hen.  VIIL  c.  2. 

*)  Das  Licenzenwesen  war  überhaupt  auf  allen  Gebieten  der  Ruin  der 
Gesetze.  Nicht  vergeblich  war  unter  den  5  Rathschlägen,  welche  Thom. 
Graham  der  Elisabeth  gab,  auch  der.  so  wenig  als  möglich  Licenzen  zu 
ertheilen.  Burgon,  Life  and  times  of  Thom  Gresham  I.  App.  21.  S.  488  fg. 

■)  In  den  Jahren  1523—26  war  die  Steigerung  allerdings  wieder  be- 
trächtlich, weshalb  der  Magistrat  von  London  damals  gegen  die  Licenzen- 
inhaber  vorging.    Hall,  Chronicle  S.  718. 

4)  Vgl.  Brewer,  Cal.  z.B.  IL  3526.  3632.  8636.  3642.  3650;  III.  355. 
m.  618.  638.  1372.  2814.  3066;  IV.  403.  957.  1820  etc. 

ß)  Brewer,  Cal.  IL  3541;  III.  656.  (29.  Juli  1517  u.  5.  März  1520.) 

•)  Vgl.  Brewer,  Cal.  III.  1544. 

7)  Vermuthlich  hängt  hiemit  auch  der  Befehl  Heinrichs  VIII.  an  Crom- 
*ell  (Oct.  1531)  zusammen,  wonach  dieser  eine  Bill  entwerfen  sollte  des 
Inhalts,  dass  für  die  Gascogner  und  süssen  Weine  (Malvasier  etc.)  Fremden- 
zölle zu  zahlen  seien,  wenn  die  Einfuhr  von  den  Niederlanden  und  nicht 
von  den  Ursprungsländern  aus  geschehe  (State  Papers  I.  S.  380). 

24* 


-     372     — 

Matrosen  ihrem  Berufe  mehr  und  mehr  entfremdet  seien  und 
im  Zustande  der  Verarmung  sich  befänden,  ja  dass  die  Gefahr 
drohe,  die  Seekunde  möchte  bei  den  Engländern  ganz  ver- 
schwinden. Man  erneuerte  deshalb  die  bekannten  Statuten 
Richards  IL  und  Heinrichs  VII.  und  fixirte  ihre  Dauer  bis  zum 
Ende  des  nächsten  Parlaments1).  Da  das  Parlament  am  4. 
April  1536  aufgelöst  und  das  nächste  erst  mit  Ablauf  der 
dreissiger  Jahre  einberufen  wurde  (1539),  so  hätte  das  Gesetz 
über  10  Jahre  beobachtet  und  gehandhabt  werden  sollen. 

Allein  auch  jetzt  wurde  die  Acte  wenig  beobachtet  Sonst 
hätte  nicht  der  Factor  eines  englischen  Kaufmanns  in  Spanien 
zwei  Jahre  später  in  einem  Brief  an  seinen  Committenten  auf 
den  Contrast  in  der  Handhabung  der  Navigationsgesetze  in 
England  und  Spanien  hinweisen  2)  und  auch  nicht  Starkey,  der 
Caplan  Heinrichs  VIII.,  in  dem  um  1536  verfassten  bekannten 
Dialog  den  Cardinal  Pole  für  den  Schiffahrtsschutz  plädiren 
lassen  können9).  Der  Grund  lag  wie  früher  in  den  hohen 
Frachtgeldern,  welche  die  einheimischen  Schiffer  verlangten.  Die 
Differenz  war  so  gross,  dass,  als  Heinrich  VIII.  durch  eine 
Proclamation  vom  26.  Februar  1539  die  Gleichstellung  der 
fremden  Eaufleute  mit  den  einheimischen  vom  6.  April  an  für 
7  Jahre  befohlen  hatte,  die  Fremden  den  Küstenhandel  sogar 
an  sich  zu  reissen  begannen.  Cromwell  aber,  der  diese  Folgen 
jedenfalls  vorausgesehen,  hatte  inzwischen  zum  Schutz  der 
.einheimischen  Schiffahrt  eine  Bill  ausarbeiten  lassen4),  welche 
er  dem  Parlament  vorlegte,  und  welche  auch  zum  Gesetz  er- 
hoben wurde. 

Die  Acte  betitelt  „The  mayntenance  of  the  navytt  war  ein 
grosser  Fortschritt  auf  dem  Gebiete  der  Schiffahrtsgesetzge- 
bung und  ein  wahres  Meisterstück. 

Kurz,  aber  trefflich  sind  die  Motive;  sie  gipfeln  in  drei 
Puncten :  England,  rings  von  der  See  umgeben,  ist  hinsichtlich 
der  Waaren  auf  den  Seetransport  angewiesen.  Eine  grosse 
Zahl  eigener  Schiffe,  wie  sie  das  Königreich  in  vergangenen 
Zeiten  besessen,  ist  für  den  Verkehr  der  Kaufleute  ebenso 
nothwendig  als  vortheilhaft.  Ferner  erheischt  die  Sicherheit  des 
Landes  eine  starke  Privatflotte.  In  der  Defensive  und  Offen- 
sive ist  England  auf  den  Schutz  und  die  Unterstützung  der 
Schiffe  hingewiesen.  Eine  ausgedehnte  Marine  fördert  endlich 
die    einheimische  Arbeit.    Sie  beschäftigt   und    ernährt  eine 

*)  23  Hen.  VIII.  c.  7.  1531/32.  Gleichzeitig  wurde  die  Zeit  der  Wein- 
einfuhr und  der  Weinpreis  geregelt. 

*)  Urk.  Beil.  138. 

*)  „Hyt  schold  be  also  no  »mal  furtherance  many  ways,  as  I  tbynke, 
yf  hyt  were  ordeynyd,  that  our  owne  marchauntys  schold  cary  out  and  bryng 
in  wyth  our  owne  vessellys,  and  not  vse  the  straungerys  schyppys,  as 
they  no w  d o ;  by  the  reson  wherof  our  owne  marynerys  oft-tymys  lye  iduJ.a 
Starkey,  England  during  thereign  of  king  Henry  VIII.  ed.  Cowper  S.H4. 

*)  Wahrscheinlich  vom  Trinity  House  of  Deptford. 


—    373    — 

grosse  Menschenzahl.  Nicht  nur  die  Seeleute  mit  ihren  Fa- 
milien, sondern  auch  die  Gewerbsleute  in  den  an  der  Seeküste 
gelegenen  Orten  wie  die  Bäcker,  Brauer,  Metzger,  Schmiede, 
Seiler,  Schiffszimmerleute,  Schneider,  Schuhmacher  und  Andere 
ziehen  aus  ihr  grösstenteils  ihre  Nahrung  und  ihren  Unter- 
halt. Schon  öfter  wurden  Gesetze  zur  Erhaltung  der  Schiff- 
fahrt erlassen,  allein  es  gibt  Leute,  welche  den  eigenen  Ge- 
winn höher  stellen,  als  den,  der  dem  ganzen  Lande  aus  der 
Erhaltung  der  Flotte  erwächst,  und  sich  nicht  scheuen,  die 
Gesetze  zu  verletzen.  Die  Flotte  ist  verfallen l) ,  eine  grosse 
Zahl  Leute  verarmt,  die  Städte  und  Ortschaften  an  der  See 
sind  zerstört  und  ruinirt.    Abhilfe  thut  noth. 

Wie  half  man  nun?  Natürlich  man  bestätigte  und  erneu- 
erte die  alten  Gesetze.  Aber  damit  begnügte  man  sich  nicht.  # 
Die  Navigationsacten  hatten,  wie  alle  protectionistischen  Ge-# 
setze  den  Missstand,  dass  sie  hohe  Preise  veranlassten  und  die 
Fracht  oft  über  alles  vernünftige  Mass  verteuerten.  Nicht 
selten  trat  der  Fall  ein,  dass  der  englische  Kaufmann  nur  ein 
einziges  englisches  Schiff  im  Hafen  fand.  Er  war  dann  ganz 
der  Gnade  dieses  einzigen  Schiffsherrn  überantwortet.  Schon 
oben  erwähnten  wir  die  Versuche,  die  man  machte,  um  über 
diese  Schwierigkeit  hinweg  zu  kommen2).  Diese  Vorkehrungen 
scheinen  in  der  Folgezeit  und  namentlich  unter  Heinrich  VHI. 
nicht  ausgereicht  zu  haben.  Man  darf  nicht  vergessen,  dass 
wir  es  mit  der  Periode  zu  thun  haben,  in  der  die  Münzver- 
schlechterung und  die  allgemeine  Geldentwerthung  begann. 
Von  dem  Gesetz  23  Hen.  VIII.  c.  7  hatte  man  wohl  vergeblich 
gehofft,  die  Beschränkung  der  Weinpreise  werde  auch  die 
Frachtgelder  in  gewissen  Grenzen  halten.  Ein  ernstlicherer 
Versuch,  den  Kaufmann  gegen  allzu  grosse  Uebergriffe  von 
Seiten  der  Schiffsherrn  zu  schützen,  wurde  deshalb  in  der 
Navigationsacte  gemacht.  Sie  enthält  einen  Maximaltarif  für 
eine  Reihe  von  Waaren  und  Stücken,  die  von  dem  Londoner 
Hafen  nach  Flandern,  Danzig,  Bordeaux,  Biscaya,  Portugal, 
Südspanien  u.  s.  w.  oder  in  umgekehrter  Richtung  verschifft 
wurden3).     Ferner  wurde   den  Schiffseigen thümern   die  Ver- 


l)  An  einem  zahlenmassigen  Ausdruck  hiefur  fehlt  es.  Nur  über  die 
Grösse  der  englischen  Schiffe  besitzen  wir  zwei  Angaben.  Der  Secretar  der 
Merchant  adventurers  Wheeler  schrieb  1601  (Treatise  of  commerce.  Middelb. 
Ausg.  S.  79),  dass  vor  60  Jahren  (whitin  these  three  skore  yeares),  also 
circa  1540  kaum  mehr  als  4  Privatschiffe  auf  der  Themse  waren,  die  über 
120  Tonnen  hielten.  Maillac  der  1539 — 43  den  französischen  Gesandtschafts- 
posten in  England  inne  hatte,  berichtet,  dass  es  um  diese  Zeit  nicht  über 
«  Schiffe  in  England  gegeben  habe,  die  mehr  als  500  Tonnen  fassten. 
Bänke,  Engl.  Gesch.  I.  S.  222. 

a)  Sieh  oben  S.  361. 

3)  32.  Hen.  VIII.  c.  14.  S  2.  Der  Maximaltarif  bezog  sich  ausdrück- 
lich nur  auf  die  Schiffe  des  Londoner  Hafens  (§  4),  wahrscheinlich  weil 
man  hier  die  meisten  Klagen  führte,  ferner  weil  die  Ausdehnung  der  Acte 
auf  andere  Hafenplätze  auch  die  Ausfuhrung  sehr  complicirt  hätte. 


-    374    — 

pflichtung  auferlegt,  immer  eine  Woche  zuvor  die  beabsichtigte 
Fahrt  in  der  Lombard-Street  zu  annonciren,  wobei  der  Be- 
stimmungshafen und  der  Name  des  Schiffes  genannt  werden 
sollten.  Endlich  schuf  die  Acte  noch  ein  wichtiges  Prämien- 
system. Die  früher  erwähnte  Gleichstellung  der  fremden  Kauf- 
leute mit  den  einheimischen  in  den  Zöllen1)  wurde  nur  denjenigen 
fremden  Kaufleuten  gewährt,  welche  bei  der  Verfrachtung  ihrer 
Waaren  englischer  Schiffe  sich  bedienten  oder  vor  den  kgl. 
Beamten  den  Nachweis  führten,  dass  kein  englisches  Schiff  er- 
hältlich war.  Damit  war  auch  die  Küstenschiffahrt,  wie  be- 
absichtigt, den  Engländern  wieder  zurückgegeben. 

Wie  ein  Blitzschlag  fuhr  dieses  Gesetz  auf  die  fremden 
Kauffahrer,  die  in  den  englischen  Gewässern  sich  umher  zu 
tummeln  beliebten,  hernieder.  Ein  Zetergeschrei  erhob  sich 
•von  Seite  der  tödtlich  getroffenen  Nationen,  Protest  und  Wider- 
stand kam  von  allen  Ländern.  Jahre  lang  musste  die  englische 
Regierung  ob  dieses  Gesetzes  kämpfen,  bis  schliesslich  die  Re- 
pressalien der  andern  Staaten  und  die  gefährliche  politische 
Situation  Heinrich  VIII.  zwangen,  wenigstens  das  Prämien- 
system einzelnen  Nationen  wieder  zu  opfern2). 

Noch  mehr  als  durch  diese  Gesetze  ragt  Heinrichs  VIII.  Re- 
gierung durch  zweckmässige  Organisirung  der  Seemannschaft  her- 
vor. Die  Seeleute  bildeten  schon  lange  eine  Corporation  unter 
sich 8).  Die  wechselvollen  Geschicke  der  Matrosen  und  der  Schiffs- 
lenker mussten  früh  zu  einer  religiösen  Vereinigung  führen, 
die  dem  Stand  einen  Zusammenhalt  und  im  Unglücksfall  dem 
Einzelnen  und  seinen  Hinterbliebenen  Hilfe  und  Unterstützung 
angedeihen  Hess.  Heinrich  VIII.  benutzte  aber  diesen  Kern 
zur  Lösung  einer  Reihe  der  wichtigsten  Fragen.  Nachdem  er 
die  Officiere  und  Matrosen  der  kgl.  Flotte  zu  einer  Gilde  am 
19.  März  1513  vereinigt4)  und  im  folgenden  Jahr  (20.  Mai 
1514)  die  Privatbrüderschaften  der  sämmtlichen  englischen 
Seeleute  mit  der  obigen  zu  einer  neuen  Corporation  verschmol- 
zen5) und  ihr  alle  Corporationsrechte  und  damit  öffentliche 
Anerkennung  und  Berechtigung  verliehen  hatte,  wies  er  dem 
nunmehrigen  Trinity  House  of  Deptford  Strond  die  Prüfung  der 
Seeleute6),   die  Fürsorge  für  die  Leuchttürme  und  sonstige 


1)  Sieh  oben  S.  86. 

2)  Vgl.  unsern  I.  Abschnitt,  namentlich  Capitel  1.  S.  87  fg. 

*)  Jos.  Cotton,  Memoir  on  the  origin  and  incorporation  of  the  Tri- 
nity House  of  Deptford  Strond.  London  1818.  Seine  Beweise  für  den  im 
Text  aufgestellten  Satz  S.  15  fg.  scheinen  mir  völlig  stichhaltig. 

4)  Brewer,  Cal.  I.  3808. 

*)  Brewer,  Cal.  I.  5108.,  So  muss  man  wohl  die  Sache  auffassen. 

8)  Die  Prüfungen  hatten  schon  die  Vereinigung  der  Mannschaft  der 
kgl.  Flotte  veranlasst.  Vgl.  Brewer,  Cal  I.  8808.  Der  Ritter  Fortunato 
Spert  scheint  die  erste  Anregung  gegeben  zu  haben ;  wenigstens  wird  er  in 
der  Literatur  vielfach  als  Gründer  angegeben;  sieh  z.  B.  Brown,  L'ar- 
chivio  di  Venezia  S.  135.  Anm.,  bezw.  Introduction  zu  s.  Cal.  Bd.  1. 


—    375     - 

Schutzmassregeln,  die  Entscheidung  der  Streitigkeiten,  welche 
Seeofficiere  und  Matrosen  im  kaufmännischen  Dienst  hatten, 
und  ähnliche  Befugnisse  zu  *).  Später  errichtete  er  das  Tri- 
nity  House  zu  Newcastle  upon  Tyne  und  betraute  auch  dieses, 
wenngleich  in  beschränkterem  Kreise,  mit  den  oben  genannten 
Aufgaben  (1537)  *).  Heinrich  VIII.  folgte  damit  dem  Beispiel 
der  Venetianer,  welche  1476  die  berühmte  Scuola  di  San  Nicolo 
gegründet,  und  Karl  V.,  der  ein  ähnliches  Institut  in  der  Casa 
de  contratacion  zu  Sevilla  geschaffen  hatte.  Diese  Incorpori- 
rung  der  Seeleute  war  auch  für  die  Frage  des  Schiffahrts- 
schutzes von  grosser  Bedeutung;  denn  die  Corporation  war 
auf  ihren  Nutzen  bedacht.  Der  Gesellschaftsvorstand  (unus 
raagister,  quatuor  guardiani  et  octo  assistentes)  konnte  Ver- 
ordnungen erlassen  „in  relevamen  et  augmentationem  navium 
Anglicarumtf,  und  er  dehnte  seine  Befugnisse  auch  auf  fremde 
Schiffe  aus.  Er  beanspruchte  z.  B.  für  seine  Mitglieder  das  aus- 
schliessliche Recht,  fremde  Schiffe  aus  der  Themse  zu  führen3). 
Das  Wichtigste  aber  war,  dass  durch  diese  Vereinigung  den 
Schiffahrtsinteressen  ein  weit  stärkerer  Einfluss  verschafft  wurde, 
als  dies  bisher  möglich  war.  Schon  die  Navigationspolitik 
unter  Heinrich  VIII.  zeigt  dies  auffällig  genug,  noch  mehr 
aber  die  Folgezeit.  Jedenfalls  hat  das  Trinity  House  eine  im 
Ganzen  rühmliche  Geschichte.  Noch  heute  ist  diese  Schöpfung 
Heinrichs  VIII.  eine  Zierde  englischer  Einrichtungen  und  erfüllt 
Aufgaben  öffentlicher  Natur,  wie  sie  sonst  nur  vom  grössten 
Gemeinwesen,  dem  Staate,  erfüllt  zu  werden  pflegen. 

Endlich  ist  noch  der  Fürsorge  zu  gedenken,  die  Heinrich 
VIII.  der  Staatsflotte  schenkte.  Er  war  keineswegs,  wie  man 
vielfach  in  der  Literatur  findet 4),  der  erste  englische  Monarch, 
der  ständig  Kriegschiffe  hielt,  aber  er  war  der  erste  Souverän 
in  der  Christenheit,  welcher  einen  Stand  von  Officieren  aus- 
schliesslich dem  Seedienste  bestimmte5) ;  auch  gab  er  der  eng- 
lischen Staatsflotte  eine  Ausdehnung,  die  sie  zu  den  geachtetsten 
der  Zeit  machte.  Gleich  seinem  Vater  besass  Heinrich  VHI. 
Talent  für  die  Nautik.  Es  ist  bekannt,  dass  er  Experimente 
in  der  Construction  von  Schiffsrumpfen  und  in  der  Schiffs- 
artillerie anstellte.  Frei  von  der  engherzigen  Sparsamkeit 
seines  Vaters  ging  er  mit  Freude  an  die  Schaffung  einer  statt- 
lichen kgl.  Flotte6).    Namentlich  war  er  dem  Zuge  der  Zeit 


^Macpherson,  Annals  of  commerce  IL  S.  44.  Diese  Seeämter 
bildeten  eine  Ergänzung  zu  dem  Court  of  Admiralty  und  den  Cinque  Ports. 

*)  Lindsay,  History  of  merchant  shipping  III.  S.  32. 

*)  ürk.  Beil.  97.  Art.  13  und  98  Art.  13. 

')  Vgl.  Macpherson,  Annals  of  commerce  II.  S.  44. 

6)  Yonge,  The  history  of  the  British  navy.  London  1863.  I.  S.  19. 

6)  Wie  gern  er  auch  die  Erbauung  neuer  Schiffe  durch  Private  schon 
an  Anfange  seiner  Regierung  sah,  davon  zeugt  Urk.  Beil.  137. 


—    376 


entsprechend3)  darauf  bedacht,  grosse  Schiffe  zu  bauen.  Der 
„Regent"  und  „Harry  Gräce  ä  Dieutt  *)  mit  je  1000  Tonnen, 
der  „Gabryell  Royall"  mit  700  Tonnen,  die  „Mary  Rose"  mit 
600  Tonnen  Gehalt  waren  Schiffe,  welche  damals  die  Aufmerk- 
samkeit der  ganzen  Welt  auf  sich  zogen  und  selbst  den  vene- 
tianischen  Gesandten  mit  Bewunderung  und  Furcht  erfüllten 5). 
Im  October  des  Jahres  1525  hatte  der  König  im  Hafen  von 
Portsmouth  und  in  der  Themse  allein  26  Schiffe  liegen,  die  alle 
erst  unter  seiner  Regierung  gebaut  worden  und  von  denen  nur 
10  nach  damaligen  Begriffen  klein  waren4).   In  den  ersten  un- 


2)  Vgl.  Hakluyt  in.  700;  auchPeschel,  Gesch.  des  Zeitalters  der 
Entd.  S.  31.  Nach  von  mir  angestellten  Berechnungen  betrag  die  Beman- 
nung eines  Schiffes  unter  Eduard  in.  (vor  Calais  1347)  21,  unter  Heinrich 
VIII.  147  Leute. 

s)  Dieses  Schiff  wurde  gebaut,  als  der  Regent  im  Krieg  unterging. 
Die  Kosten  für  den  Harry  und  drei  kleine  Galeeren  beliefen  sich  auf 
7708  £  5  sh  8  d.  (Brewer,  Cal.  I.  5228).  Um  ihn  von  Erith  nach  Bar- 
king zu  bringen,  brauchte  man  4  Tage  und  400  Leute  (Charnock,  His- 
tory  of  manne  architecture  London  1801).  Ueber  seine  Ausrüstung  vgl. 
Lindsay,  Merchant  Shipping  IL  S.  559.  IH.  S.  95. 

8)  Vgl.  Giustinians  Brief  vom  29.  Ocl  1515.  G  i  u  s  t  i  n  i  a  n ,  Letten  firom 
the  Court  of  H.  VIII.  Transl.  by  Brown  I.  S.  140. 

*)  Folgende  auf  Grund  der  Brewer  sehen  Angaben  Cal.  IV.  1714 
gemachte  Zusammenstellung  gibt  ein  Bild. 


Namen  der  Schiffe. 


The  GabryeU  Royall .    .    . 

Mary  James 

The  prize  taken  by  Sperte 

Mary  Bosse 

Pet.  Pomgarnet  .... 
Bark  of  Bullen      .... 

The  Graffyn 

Mary  George 

John  Baptiste 

The  Grette  Barke  .... 
The  Lesse  Barke  .... 
The  John  of  Grenewyche  . 
The  Trinity  Henry  .  .  . 
Mary  and  John  .... 
Maudellen  of  Depforde  .  . 
Katerine  Barke      .... 

Swepstake 

The  Grett  Sabra  .... 
The  Lessere  Sabra    .    .    . 

The  Hulke 

The  Primerosse  .... 
M«ry  Impereall      .... 

Mary  Gylforde 

The  Minion 

The  Bark  of  Morlaix  .  . 
The  Swalowe 


Tonnengehalt 


700 

260 

60 

600 

340 

80 

80 

240 

400 

200 

160 

50 

80 

200 

120 

100 

65 

50 

40 

160 

160 

120 

160 

180 

60 

60 


Jahr  der 
Erbauung. 


1509 
1509 
1510 
1511 
1511 
1511 
1511 
1510 
1512 
1513 
1513 
1513 
1519 
1521 
1522 
1522 
1522 
1522 
1522 
1522 
1523 
1523 
1524 
1525 
1525 
1525 


—    377     - 

ruhigen  Reformationsjabren  unterblieb  der  Bau  neuer  Schiffe. 
Als  aber  durch  Einziehung  der  Klöster  viele  Mittel  flüssig 
wurden,  die  Unsicherheit  auf  dem  Meere  wuchs *),  die  Feinde 
Englands  allenthalben  sich  mehrten,  da  wünschte  die  öffentliche 
Meinung  wieder  die  Hebung  der  Flott«,  und  die  Regierung 
benützte  die  Stimmung,  liess  sich  noch  besondere  Subsidien 
zur  Befestigung  und  Instandsetzung  der  Häfen  bewilligen2) 
und  betrieb  mit  fieberhaftem  Eifer  die  Restaurirung  der  kgl. 
Flotte.  Am  Ende  der  Regierung  Heinrichs  VIII.  standen  über 
ein  halbes  Hundert  (53)  stattlicher  Schiffe3)  mit  5136  Matrosen, 
1885  Soldaten,  759  Artilleristen,  235  Erz-  und  2752  Eisen- 
kanonen (pieces)  kriegsbereit  da 4).  Sorgloser  als  früher  konnte 
der  Kaufmann  mit  seinem  Schiff  in  allen  Gewässern  sich  zeigen 
und  selbst  in  Ländern  handeln,  deren  Haltung  eine  feindselige 
war;  denn  er  war  eines  höheren  starken  Schutzes  sicher. 

Die  vorstehenden  Erörterungen  möchten  zur  Genüge  dar- 
gelegt haben,  wie  das  Interesse  an  der  Stärkung  der  Flotte 
im  selben  Masse  wuchs,  als  das  centralisirtere  Staatswesen  über 
das  mittelalterliche  den  Sieg  davon  trug.  Verschieden  waren 
die  benützten  Mittel.  Theils  suchte  man  den  Zweck  zu  er- 
reichen durch  organisatorische  Massregeln,  theils  durch  den 
Schiffahrtsschutz.  Die  ersteren  wirkten  unstreitig  günstig,  über 
den  letzteren  ist  ein  abschliessendes  Urtheil  unmöglich.  Die 
Ausführung  der  Navigationsgesetze  war  mangelhaft,  wurde 
oft  unterbrochen  und  abgeschwächt.  Aber  die  Schutzpolitik 
war  doch  seit  Ende  des  14.  Jahrhunderts  zum  stehenden  System 
geworden. 

Von  hervorragender  Bedeutung  war  unstreitig  das  Ein- 
greifen der  ersten  Tudors.  Im  Gegensatze  zu  den  schwachen 
Versuchen  der  Vorfahren  haben  sie  ziemlich  consequent  das 
Ziel  im  Auge  behalten  und  verfolgt. 

Vor  Allem  gebührt  ihnen  das  Verdienst,  den  Schiffahrts- 

')  Namentlich  in  den  Jahren  1536  und  1537.  Kaum  glaublich  ist  es, 
was  Fr ou de,  Hist.  of  Engl.  III.  S.  248  behauptet,  dass  1536  im  ganzen 
Canal  kein  einziger  kgl.  Kreuzer  war,  der  die  englische  Flagge  trug.  Wo 
sollten  denn  die  Schifte  von  1525  alle  hingekommen  sein?  Es  war  in  der 
That  nur  nöthig,  dass  die  kgl.  Schiffe  sich  sammelten  und  mit  einigen 
Privatschiffen  sich  vereinigten,  um  in  kürzester  Frist  den  Canal  zu  säubern 
und  dem  König  mittheilen  zu  können:  „Your  subjects  shall  not  only  pass 
and  repass  without  danger  of  takiug ,  but  your  Majesty  shall  be  known  to 
be  lora  of  these  seas\    (State'Papers). 

2)  32  Hen.  VIII.  c.  50. 

*)  24  Schiffe  hatten  je  20—140,  16  Schiffe  je  140—400,  12  Schiffe  je 
400-700,  1  Schiff  1000  Tonnen  Gehalt. 

4)  Die  einzelnen  Schiffe,  ihr  Tonnengehalt,  ihre  Bemannung  und  Aus- 
rüstung (am  5.  Januar  1  Ed  VI.)  sind  angegeben  in  der  Archaeologia 
Vol.XXVl.  und  bei  Lindsay,  Merchant  Shipping  II.  S.  5(31  und  562.  Die 
gesammte  englische  Flotte,  also  einschliesslich  der  Privatschiffe  bestand 
nach  Barbaros  Relation  v.  1551  aus  500  Schiffen  (Alberi,  Relazioni  Ser. 
L  Vol.  II.) 


—    378    — 

acten  eine  practische  Gestalt  gegeben  zu  haben,  die  von  den 
nächsten  Nachfolgern  nicht  wesentlich  abgeändert,  sondern  nur 
weiter  ausgebaut  werden  konnte 1).  Heinrich  VIII.  war  es  so- 
dann, welcher  den  Seeleuten  einen  Vereinigungspunct  und 
eine  Selbstcontrole  über  die  Tüchtigkeit  der  einzelnen  Standes- 
genossen verliehen,  eine  Administrativbehörde  für  das  See- 
wesen, sowie  ein  ständiges  Seeofficierscorps  gegründet  und  eine 
achtunggebietende  Staatsflotte  geschaffen  hat. 

Die  nachfolgenden  Machthaber,  vor  Allem  Elisabeth  und 
Oliver  Cromwell,  glänzen  durch  grössern  Ruhm  bei  der  Nach- 
welt wegen  des  von  ihnen  durch  und  für  die  Schiffahrt  und 
den  Handel  Geleisteten.  Möge  man  aber  nie  vergessen,  dass 
Heinrich  VIL  und  VIII.  diesen  Ruhm  vorbereitet  haben.  Unter 
ihnen  gewann  die  englische  Marine  erst  einen  festen  Halt,  und 
ihrer  Förderung  war  es  vornehmlich  zu  danken,  dass  der  eng- 
lische Activhandel  seit  dieser  Zeit  kräftiger  sich  entfalten  und 
ausdehnen  konnte. 


6)  Ich  erinnere  daran,  wie  Heinrichs  VII.  Gesetze  schon  die  2  wesent- 
lichsten Bestimmungen  der  Oliver  Cromwell'schen  Acte  enthalten,  nämlich 
1)  dass  die  Schiffe  englisches  Eigenthum,  2)  die  Bemannung  aus  englischen 
Unterthanen  bestehen  soll.  Die  B.  wesentliche  Bestimmung,  dass  die  Schiffe 
im  Inland  gebaut  sein  müssen,  fehlt  noch.  Ebenso  wissen  wir,  dass  Heiii- 
Tichß  VIII.  Absicht  war,  die  Fremden  von  der  Küstenschiffahrt  auszu- 
schliessen. 


Drittes  Capitel. 

Das  englische  Fremdenreelit. 


In  dem  ersten  Abschnitt  unserer  Darstellung  waren  es 
fortwährend  zwei  Gesichtspunkte,  unter  denen  wir  die  eng- 
lische Handelspolitik  zu  betrachten  hatten;  der  eine  bezog 
sich  auf  die  Stellung  des  englischen  Kaufmanns  im  Ausland 
und  die  damit  zusammenhängenden  Bestrebungen,  der  andere 
auf  die  Rolle  des  fremden  Kaufmanns  im  englischen  Verkehr 
und  auf  die  daran  sich  anknüpfenden  Verhältnisse.  Die  beiden 
vorigen  Capitel  dienten  dazu,  gewisse  Punkte  der  in  der  ersten 
Richtungslinie  sich  bewegenden  Politik  darzulegen,  soweit  es 
nicht  bereits  im  ersten  Abschnitt  geschehen  konnte.  Das  fol- 
gende Capitel  soll  in  ähnlicher  Weise  die  zweiterwähnte  Seite 
ergänzen,  sich  also  mit  der  Frage  beschäftigen,  wie  die  Eng- 
länder den  Fremden  auf  ihrer  Insel  begegneten. 

I.  Periode  (750-1272). 

Es  ist  eine  ganz  allgemeine  Erscheinung  des  frühesten 
Mittelalters,  dass  der  Fremde  als  ein  Feind  und  Rechtsloser, 
mindestens  als  ein  höchst  Verdächtiger  betrachtet  wurde.  In 
Folge  der  durch  die  Insellage  herbeigeführten  Abgeschlossen- 
heit war  in  England  die  Abneigung  gegen  den  Fremden  stärker 
und  allgemeiner  als  anderswo.  Natürlich  war  aber  ein  Handel 
der  Fremden  unmöglich,  solange  eine  solche  Anschauung  die 
herrschende  blieb.  Sie  musste  gebrochen  werden,  wenn  die 
vollständige  Isolirung  aufhören  sollte.  An  Anreiz  hiezu  konnte 
es  nicht  fehlen.  Wir  begegnen  deshalb  auch  frühzeitig  Ver- 
suchen, den  Verkehr  der  Fremden  zu  ermöglichen. 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  wurde  schon  in  der  sächsi- 
schen Zeit  den  Fremden  der  Besuch  Englands  wenigstens 
während  der  vier  jährlichen  Messen  gestattet,  mit  der  Mass- 


—    380    — 

gäbe  jedoch,  dass  sie  das  Königreich  nach  40  Tagen  wieder 
verlassen  mussten J).  Ausser  der  Messezeit  blieb  dem  fremden 
Kaufmann  das  Betreten  des  Landes  verboten.  Wollte  dieser 
dennoch  England  besuchen,  so  musste  er  sich  hiezu  erst  den 
nöthigen  Rechtsschutz  sichern,  und  das  geschah  dadurch,  dass 
er  sich  eine  Licenz  vom  König  erwirkte.  Dieser  Rechtsschutz 
wurde  anfangs  einzelnen  Kaufleuten,  später  den  Angehörigen 
ganzer  Städte  und  Länder  verliehen-).  Ein  frühes  Beispiel 
einer  solchen  Verleihung  liefern  die  Verhandlungen  zwischen 
Offa  und  Karl  dem  Grossen  vom  Jahre  797.  Die  Handels- 
leute, hiess  es  da,  sollen  im  Reiche  des  andern  Herrschers 
geschützt  sein  und  an  die  Richter  oder  den  König  sich  wenden 
können3).  Sehr  bald  bildete  sich  im  Gefolge  dieses  Rechts- 
schutzes die  völlige  Aufnahme  des  Fremden  ins  einheimische 
Recht  aus,  d.  h.  bei  Streitigkeiten  mit  den  Eingebornen  konnte 
der  auswärtige  Kaufmann  nicht  nur  vor  dem  Gerichte  des 
Landes,  sondern  auch  nach  dem  Rechte  desselben  klagen,  als 
wäre  er  selbst  ein  Landesangehöriger.  Auch  hier  waren  die 
Deutschen  wahrscheinlich  die  ersten,  denen  dieses  Privileg 
eingeräumt  wurde.  Die  Leute  des  Kaisers  wurden,  wie  das 
Londoner  Stadtrecht  des  Königs  Aethelred  (978—1016)  sich 
ausdrückt,  für  guter  Gesetze  würdig  erachtet,  gleich  den  Lon- 
donern selbst4).  Die  Aufnahme  der  Fremden  ins  einheimische 
Recht  wurde  mehr  und  mehr  Regel,  die  Personalität  des 
Rechts  musste  der  Territorialität  weichen;  im  12.  Jahrhundert 
war  der  Umschwung,  wie  allerwärts,  so  auch  in  England  voll- 
zogen5). Wenn  aber  die  Kauf  leute  einer  fremden  Nation  unter 
sich  in  Streit  geriethen,  konnten  sie  ihr  einheimisches  Recht 
im  Ausland  anwenden,  oder  sie  suchten  doch  diese  Freiheit 
sich  zu  sichern. 


*)  „Defendu  fuit,  que  nul  merchant  alien  ne  hantast  Angleterre  forsque 
aux  4  foires,  ne  nul  demurrast  in  la  terre  ouster  40  jours.  Mirroir  I. 
§  3. 

8)  Sieh  oben  S.  6. 

s)  „De  negotiatoribus  quoque  scripsisti  nobis,  quos  volumus  ex  man- 
dato  nostro  ut  protectionem  et  patrocinium  habeant  in  regno  nostro  legi- 
time iuxta  antiquain  consuetudinem  negotiandi.  Et  si  in  aliquo  loco  injusta 
affligantur  oppressione,  reclament  se  ad  nos  vel  nostros  judices  et  plen&m 
jubebimus  justitiam  fieri.  Similiter  et  nostri,  si  aliquid  sub  vestra  potestate 
injusti  patiantur,  reclament  se  ad  vestrae  aeauitatis  Judicium,  ne  aliqua  inter 
nostros  alicubi  oboriri  possit  perturbatio44.  Wilkins,  Concilia  Magnae  Bri- 
tanniae  et  Hiberniae.  London  1737.  I.  S.  158;  vgl.  auch  Lappenberg, 
Geschichte  Englands  I.  S.  227. 

*)  ~Et  homines  Imperatoris,  qui  veniebant  in  navibus  suis,  bonarom 
legum  digni  tenebantur,  sicut  et  nos.u  Schmid,  Die  Gesetze  der  Angel- 
sachsen. 2.  Aufl.  Leipzig  1858.  S.  218. 

6)  0.  Stobbe,  Personalität  und  Territorialität  des  Rechts  und  die 
Grundsätze  des  Mittelalters  über  die  Collisio  statutorum  im  Jahrbuch  des 
gemeinen  deutschen  Rechts  VI.  S.  21  fjg.,  84  fg. 


—    381     — 

Auf  Grund  solcher  Concessionen 2)  war  der  Fremdenverkehr 
möglich,  und  Hessen  sich  seine  Wirkungen  beobachten.  Der 
König,  der  Adel  und  die  Geistlichkeit  nahmen  bald  wahr,  dass 
die  ausländischen  Kaufleute  für  sie  vorteilhaft  seien.  Die- 
selben befriedigten  die  Bedürfnisse  der  Aristokratie  in  vorzüg- 
lichem Grade,  weckten  neue  und  waren  zugleich  die  besten 
Käufer  für  die  Masse  der  Rohproducte,  die  sich  in  den  Hän- 
den dieser  Grossgrundbesitzer  und  deren  Pächter  befanden. 
Eine  selbstverständliche  Folge  war  das  Wachsen  der  Zölle. 
Der  fremde  Kaufmann  trat  in  den  Schutz  der  Mächtigen,  und 
wenn  von  Seite  dieser  einzelne  Gewaltacte  gegen  die  Kauf- 
leute vorkamen ,  sie  arteten  in  England  nie  in  jene  systema- 
tische Feindschaft  aus,  wie  sie  sich  bei  den  Rittern  des  Con- 
tinents  so  lange  erhielt5*). 

Von  dem  gegen  früher  eingetretenen  Umschwung  gibt  der 
Befehl  Zeugniss,  den  König  Johann  kurz  nach  seinem  Regie- 
rungsantritt an  alle  Behörden  erliess3).  Danach  sollen  alle 
fremden  Kaufleute  beim  Kommen  und  Gehen  sicheres  Geleit 
für  ihre  Person  und  ihre  Waaren  erhalten,  wofern  nur  die 
Engländer  in  fremden  Ländern  ähnlich  behandelt  würden4). 
Indem  dieser  Erlass  am  5.  April  1200  ausgefertigt  wurde, 
kann  man  ihn  als  eine  Devise  des  13.  Jahrhunderts  betrachten. 
Noch  war  aber  diese  Maxime  in  die  Willkür  des  Monarchen 
gestellt,  und  nur  zu  oft  war  es  der  Fall,  dass  der  König,  ge- 
trieben von  einer  momentanen  Geldnoth,  von  ihr  abwich  und 
den  Kaufmann,  dessen  er  gerade  habhaft  werden  konnte, 
schätzte  und  bedrückte. 

Erst  in  der  Magna  Carta,  dem  merkwürdigen  Freibriefe 
Englands,  wurde  auch  die  Sicherheit  und  Freiheit  des  Handels 
jrarantirt  und  als  ein  von  der  Verfassung  des  Landes  nicht  zu 
trennender  Grundsatz  proklamirt  Zwei  Artikel  sind  der  Klar- 
stellung dieses  Rechts  gewidmet: 


M.Recht  charakteristisch  für  die  den  Kaufleuten  günstige  Stimmung 
sind  auch  zwei  Artikel  in  Betreff  der  Kauffahrteischiffe  in  Aethelreds  Ge- 
setzen (Foedus  Anglorum  et  Danorum) :  „Et  omnis  ceapscip,  i.  e.  navis  in- 
stitoris,  pacem  habeat,  quae  in  portum  veniet,  licet  navis  sit  inimicorum, 
si  non  sit  abacta  tempestatibus.  Et  licet  abacta  sit  et  applicetur  ad  aliam 
curiam  pacis,  et  homines  evadant  in  ipsam  curiam,  pacem  habeant,  et  quod 
attulerint  secum."    Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  285. 

')  Vgl.  unter  Anderm  Kl  öden,  Die  Stellung  des  Kaufmanns  während 
des  Mittelalters  1841—44. 

*)  Hardy,  Rotuli  Chartarum  in  Turri  Londinensi  asservati.  London 
1837.  S.  60;  vgl.  ferner  Travers  Twiss,  The  black  book  of  the  admiralty 
Vol.  I.  S.  72  fg.,  wonach  König  Johann  den  Beamten  untersagte,  wider- 
rechtliche Zölle  zu  erheben  und  dadurch  die  Kaufleute  und  Seefahrer 
zu  vertreiben,  ihnen  einschärfte,  für  Waaren,  die  nicht  zum  Verkauf  ge- 
langten, keinen  Zoll  zu  verlangen,  und  überhaupt  volle  Zollgleichheit  im 
ganzen  Königreich  wünschte. 

4)  „eandem  habeant  pacem." 


—    382    — 

§  41.  Omnes  mercatores  habeant  salvum  et  securum  exire 
ab  Anglia  et  venire  in  Angliara,  morari  et  ire  per 
Angliam  tarn  per  terram  quam  per  aquam   ad  emen- 
dum  et  vedendum  sine  omnibus  malis  toltis   per  an- 
tiquas  et  rectas  consuetudines,  preterquam  in  tempore 
guerre,  et  si  sint  de  terra  contra  nos  guerrina;   et  si 
tales  inveniantur  in  terra  nostra  in  principio  guerre, 
attachientur  sine  dampno  corporum  et  rerum,  donec 
sciatur  a  nobis  vel  capitali  justiciario  nostro,  quomodo 
mercatores  terre  nostre  tractentur,  qui  tunc  invenientur 
in  terra  contra  nos  guerrina,  et  si  nostri  salvi  sint 
ibi,  alii  salvi  sint  in  terra  nostra. 
§  42.  Liceat  unicuique  de  cetero  exire  de  regno  nostro  et 
redire  salvo  et  secure  per  terram  et  per  aquam  salva 
fide  nostra,  nisi  tempore  guerre  per  aliquod   breve 
tempus  propter  communem  utilitatem  regni,   exceptis 
imprisonatis  et  utlaghatis  secundum  legem   regni  et 
gente  de  terra  contra  nos  guerrina  et  mercatoribus, 
de  quibus  fiat,  sicut  predictum  est. 
Allein  selbst  mit  der  Aufnahme  des  Grundsatzes  in  die 
Verfassung  war  noch  lange  nicht  genug  geschehen.    Die  beiden 
Artikel  tragen,  wie  ersichtlich,  einen  Charakter  der  allgemeinsten 
Natur  an  sich.    Was  sind  mala  tolta?  Was  Freiheit  und  Sicher- 
heit des  Verkehrs?  Wer  wollte  behaupten,  die  Garta  sei  ver- 
letzt, wenn  der  König  nach  wie  vor  die  Erlaubniss  des  Han- 
dels an  eine  theure  Licenz  knüpfte  und  nur  auf  diese  Weise 
dem   Kaufmann   volle  Sicherheit   garantiren  zu  können  vor- 
schützte ? *).    Wer  wollte  von  einem  Verfassungsbruch  sprechen, 
wenn   die  städtischen  Bürger   den  Handel   der  Fremden  be- 
schränkten.-*-sHatten  sie   nicht  auch  alle  ihre  Freiheiten  und 
Rechte  bestätigt  erhalten  ? 2)  Konnten  sie  nicht  geltend  machen, 
dass  sie  diese  durch  ihren  Beistand,   den  sie  den  Magnaten 
bei  Erlangung  des  Freibriefes  geleistet,  erkauft  hätten?3). 


*)  Dass  der  Licenzenverkauf  nach  der  Magna  Carta  noch  fortbestand, 
steht  ausser  Zweifel.  123t»  verkaufte  Heinrich  III.  den  Kaufleuten  von 
Hennegau  und  Flandern  das  sichere  Geleit  um 400 Mark  (Diericx,  Memoires 
sur  la  ville  de  Gand  I.  S.  146).  Andere  Beispiele  sind  zu  finden  im  Or- 
kondenboek  van  Holland  and  Zeeland,  sowie  bei  W a u t e r s ,  Table  chrono- 
logique  des  chartes  et  diplömes  imprimäs  conc.  l'histoire  de  laBelgique  1866fg. 

*)  Art.  13  der  M.  C. :  „Et  civitas  Londoniensis  babeat  omnes  antiquas 
libertates  et  Hberas  consuetudines  suas  tarn  per  terras  quam  per  aquas. 
Preterea  volumus  et  concedimus,  quod  omnes  alie  tivitateß  et  burgi  et  ville 
et  portus  habeant  omnes  libertates  et  consuetudines  suas." 

s)  Montesquieu  spricht  »ich  in  seinem  Esprit  de  lois  ausserordentlich 
begeistert  über  das  Paradoxon  aus,  dass  die  Engländer  den  Schutz  der 
f r e m d e n  Kauf leute  zu  einem  Artikel  ihrer  nationalen  Freiheit  machten. 
Blackstone,  Commentaries  on  the  laws  of England  (9^  Edit  I.  c.  7  S.260) 
und  auch  noch  Stephen  in  den  neuesten  Ausgaben  folgten  ihm  hierin.  Dass 
dieser  Auffassung  eine  ganz  unhistorische  Betrachtung  zu  Grunde  liegt,  ist 
offenbar.    So    sehr  auch  ilie  M.  C.  einen  allgemeinen  Charakter  hat,  den 


—    383    — 

Man  weiss,  welch  harte  Feuerprobe  die  Magna  Garta  im 
Ganzen  noch  bestehen  musste,  bis  ihre  Artikel  volle  und  un- 
gestörte Anerkennung  fanden.  Wie  viel  mehr  ist  dies  hier  zu 
erwarten?  Galt  es  doch,  den  Bestimmungen  41  und  42  über- 
haupt erst  einen  festen  Inhalt  zu  geben. 

Am  frühesten  wurden  die  Zweifel  beseitigt  über  die  Frage, 
was  mala  tolta  wären.  Das  war  ein  Punkt,  bei  dem  auch  die 
einheimischen  Kaufleute  betheiligt  waren,  und  an  dem  auch 
die  Magnaten  ein  Interesse  hatten,  daher  die  baldige  Ent- 
scheidung. Im  Laufe  der  Verfassungskämpfe  wurde  festgestellt, 
dass  als  mala  tolta  alle  ohne  Zustimmung  des  Parlaments  er- 
hobenen Zölle  zu  gelten  hätten.  Der  Kampf  hierüber  wogte 
von  Heinrich  III.  bis  Eduard  III.1).  In  Folge  des  heftigen 
Widerspruchs  von  Seite  des  Parlaments,  sowie  belehrt  durch 
den  Schaden,  der  ihnen  aus  solchen  willkürlichen  Erpressungen 
durch  Rückgang  des  Handels  erwuchs,  gewöhnten  sich  jedoch 
die  Könige  allmälig  daran,  die  Zölle  immer  sich  bewilligen  zu 
lassen. 

Viel  complicirter  und  schlimmer  lag  die  Sache  rücksicht- 
lich der  Freiheit  der  fremden  Kaufleute.  Gar  bald  stellte  sich 
heraus,  dass  König  und  Lords  dieselbe  anders  aufgefasst  wissen 
wollten,  als  die  städtischen  Bürger.  Die  ersteren  wollten  ihrer 
Interessen  halber  eine  möglichst  freie  und  ungehinderte  Be- 
wegung der  fremden  Kaufleute  in  Stadt  sowohl  wie  auf  dem 
Lande.  Die  Städter  dagegen  wünschten  eine  Freiheit  für  die 
fremden  Kaufleute,  die  nur  in  ganz  engen  Grenzen  gelten 
sollte. 

An  zwei  Beispielen  mag  gezeigt  werden,  wie  sie  sich  die- 
selbe vorstellten.  Als  typisch  können  einmal  gelten  die  Rechte, 
welche  die  Bristoler  von  dem  Grafen  von  Morton,  dem  späteren 
König  Johann,  verlangt  und  Ende  des  12.  Jahrhunderts  be- 
stätigt erhielten.  Die  Bristoler  fordern  1)  dass  kein  fremder 
Kaufmann  innerhalb  der  Stadt  von  einem  Fremden  (d.  h.  Nicht- 
bürger)  Leder,  Koni,  Wolle  oder  sonstige  Waaren  kaufe,  son- 
dern nur  von  den  Bürgern  der  Stadt ;   2) .  dass  Jtein  fremder 


Umstand,  dass  sie  ein  Vertrag  zwischen  den  Baronen  und  den  damals  von 
den  Baronen  geleiteten  Städtern  ist,  kann  sie  doch  nicht  ganz  verläugnen 
(vgl.  Stubbs,  Constit.  history  I.  S.530;  IL  S.2,8).  Der  Schutz  der  Kauf- 
leute war  eine  Interessenfrage  der  Barone.  Aber  auch  die  Bürger  waren 
bei  den  Artikeln  interessirt  wegen  der  mala  tolta,  wie  oben  gezeigt  Durch 
Verqoickung  dieser  Bestimmung  mit  einer  sehr  allgemein  gehaltenen  Garan- 
tirung  der  Freiheit  und  Sicherheit  der  fremden  Kaufleute  hatte  man  diese 
Artikel  allen  annehmbar  gemacht,  und  das  Paradoxon  erweist  sich  nur 
scheinbar  als  solches. 

')  Eine  gute  Uebersicht  über  die  mala  tolta  ist  in  Cottons  Abhand- 
lung „How  the  kings  of  England  have  supported  and  repaired  their  Estates" 
in  dessen  Posthuma  8.  188  fg.  Eingehend  über  diesen  Gegenstand  unter- 
richtet W.  Stubbs,  Constitutional  history  of  England  Bd.  IL  bes.  S.  526 
bis  529. 


—     384    — 

Kaufmann  in  der  Stadt  eine  Gastwirthschaft  halte,  sondern 
nur  in  seinem  Schiff1);  3)  dass  die  Fremden  Tuch  blos  an 
Markttagen  nach  der  Elle  verkaufen;  4)  dass  sie  mit  ihren 
Waaren  nicht  länger  als  40  Tage  in  der  Stadt  verweilen2). 
Das  andere  Beispiel  sei  aus  London  genommen,  für  welches 
diese  Frage  am  brennendsten  war.  Der  fremde  Kaufmann 
musste  hier  im  Hause  eines  Bürgers,  das  er  sich  jedoch  wählen 
konnte,  wohnen,  durfte  weder  Tücher  noch  andere  Waaren  im 
Detail  verkaufen,  kein  englisches  Tuch  in  London  färben  und 
keine  gewerbliche  Operation  vornehmen,  die  den  Bürgern  zu- 
stand. Er  sollte  nur  von  den  freien  Bürgern  und  auch  Nichts 
kaufen,  um  es  in  der  Stadt  wieder  zu  verkaufen.  Der  Tuch- 
verkauf war  den  Nichtbürgern  überhaupt  nur  an  drei  Wochen- 
tagen und  der  Handel  mit  den  gebrachten  Waaren  blos  im 
Umkreis  von  drei  Meilen  gestattet.  Wollte  ein  Fremder  Etwas 
kaufen,  was  ein  Stadtbürger  zu  erwerben  wünschte,  so  musste 
er  sein  Angebot  zurückziehen.  Er  durfte  nicht  länger  als  40 
Tage  in  London  verweilen,  ausgenommen  er  wurde  krank  oder 
hatte  noch  Guthaben  bei  Bürgern  der  Stadt.  Blieben  inner- 
halb der  40  Tage  Waaren  unverkauft,  so  konnte  er  sie  nicht 
mitzurücknehmen,  sondern  musste  sie  dem  Wirth  bis  zur 
Wiederkunft  anvertrauen3).  Auch  war  den  Fremden  nicht 
gestattet,  ihre  Waaren  in  der  Stadt  umhertragend  feilzubieten, 
sie  sollten  vielmehr  bei  ihrem  Wirth  den  Verkäufer  erwarten  4> 


1)  «may  have  a  tavern,  but  in  bis  ship." 

a)  Die  Charte  wurde  auch  von  Heinrich  III.  (17.  Aug.  1252)  und  den 
übrigen  Nachfolgern  bestätigt.  Bristol,  The  city  charters.  Containing 
the  original  Institution  of  mayors,  recorders,  sheriffs,  townclerks  and  all 
other  officers  whatsoever,  as  also  of  a  common  -  Council  and  the  ancient 
laws  and  customs  of  the  city.  1736.  S.  57,  58;  The  Maire  of  Bristowe 
ed.  L.  Toulmin  Smith  S.  92. 

8)  Früher  lautete  diese  Bestimmung  noch  rigoroser.    Sieh  folg.  Note. 

*)  Die  Urkunde,  betitelt  „Us  atours  que  eil  de  Londres  fissent  sor  les 
aliens",  ist  abgedruckt  bei  Varenbergh,  Rel  dipl.  entre l'Angleterre  et  la 
Flandre  S.  218,  219,  theilw.  auch  im  Li b.  Alb.  3.  674.  V.  setzt  sie  in  die 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts.  Mit  den  im  Texte  vorgeführten  Bestimmungen 
sind  die  Vorschriften  zu  vergleichen,  welche  der  L  ib.  Custum.  I.  S.  68  ent- 
hält, und  welche  nach  Riley  in  die  Zeit  vor  1237  zu  setzen  sind.  Dieselben 
lauten:  „Omnes  mercatores  foranei  et  maxime  Wesdarii  etalii,  cum  venerint 
citra  metas,  quae  vocatur  „la  Newe  Were"?  non  possunt  nee  debent  seeun- 
dum  antiquas  consuetudines  et  libertates  civitatis  et  regni  alieubi  venire  vel 
applicare,  nisi  solummodo  Londonias.  Et  cum  ibi  venerint  Wesdarii,  debent 
ponere  wesdam  suam  super  kayum  et  includere  eam,  si  voluerint,  cum 
claiis  et  hechiis,  nee  in  domibus  vel  cellariis  possunt  illam  ponere,  sed 
tantum  super  kayum;  et  ibi  debent  illam  vendere  vel  ad  alias  merces  cam- 
biare,  et  hoc  tantum  hominibus  civitatis  et  nullis  aliis,  et  per  rationabilem 
et  antiquam  mensuram  civitatis.  De  qua  mensura  Dominus  Rex  capiat  ad 
theolonium  obolum. 

Neque  debent  vel  possunt  aliquid  foraneis  vendere  nee  a  foraneis 
emere,  nisi  tantum  ab  hominibus  civitatis;  vel  illud  in  civitate  vel  Portsokne 
vendant;  sed  quod  voluerint,  ab  hominibus  civitatis  emant  et  in  trans- 
marinis  partibus  abducant. 


—    385    — 

Manche  dieser  dem  13.  Jahrhundert  angehörigen  Bestimmungen 
waren  unzweifelhaft  schon  im  12.  Jahrhundert,  vielleicht  sogar 
schon  in  der  angelsächsischen  Zeit  in  Uebung1). 

Es  war  ganz  natürlich,  dass  man  die  Fremden  den  Bür- 
gern nicht  gleichstellen  wollte.  Die  Städter  hatten  Lasten  zu 
tragen,  von  denen  die  nur  kurze  Zeit  im  Lande  verweilenden 
Fremden  frei  waren,  während  sie  doch  an  den  Yortheilen  viel- 
fach participirten.  Man  darf  nicht  glauben,  dass  die  Bristoler 
und  Londoner  mit  ihren  Forderungen  allein  standen.  Auch  in 
andern  englischen  Städten,  wie  z.  B.  in  Ipswich  waren  die 
Bürger  in  ihrer  Nahrung  gegen  die  Fremden  wenigstens  theil- 
weise  geschützt 2).  Auf  dem  Continent  waren  ebenfalls  gewisse 
Beschränkungen  üblich.  Die  deutschen  Stadtrechte  liefern 
hiefOr  viele  Beispiele3).  Selbst  an  dem  grossen  Weltstapel- 
platz Brügge,  wo  man  doch  dem  auswärtigen  Kaufmann  den 
weitesten  Spielraum  gönnen  musste,  war  der  Stadtbürger  vor 
dem  Fremden  bevorzugt.    Bei  einer  grossen  Zahl  von  Waaren, 

Neque  possunt  ad  nundinas  vel  alias  exire  causa  aliquant  mercandisam 
lacere,  neque  Vicecomes  vel  alius  Ballivus  potent  eis  licentiam  dare.  Et 
si  ita  percepti  et  versus  nundinas  occupati  nierint,  omnia  catalla  sua  amit- 
tantur,  quia  omnis  eorum  venditio  et  emptio  debet  fieri  in  civitate  et  tan- 
tum  ab  hominibus  civitatis. 

Praeterea  non  possunt  neque  debent  ultra  quadraginta  dies  morari, 
quin  in  patriam  suam  eant  aut  alias  ultra  mare,  tarn  longius  quam  venerint, 
neque  aliquid  emere  vel  inplicare  debent,  cum  merces  suas  vendiderint,  nisi 
ab  hominibus  Londoniarum.  Provideatque  sibi  foraneus,  quod  infra  quadra- 
ginta dies  omnes  merces  suas,  sine  ullo  retenemento,  vendat  vel  cambiat, 
quia,  cum  ad  terminum  illum  pervenerit  et  abire  debuerit,  non  potest  ali- 
quam mercem  suam  bospiti  suo  vel  aliis  tradere  neque  secum  asportare. 
bed  videat,  quod  infra  terminum  ad  melius  quam  potent  illam  vendat;  et 
si  ultra  terminum  inventum  fuerit,  penitus  ei  amittatur. 

Neque  possunt  de  aliquibus  pannis,  quos  ferunt,  vel  de  aliis,  si  ernennt, 
tincturam  facere,  neque  aliquam  mercem  suam  mutare,  sed,  secundum  quod 
eas  deportant,  communiter  vendere."    Sieh  auch  a.  a.  0.  S.  61  fg. 

x)  Im  Cod.  Harl.  746  ist  unmittelbar  an  die  Leges  Edwardi  Confessoris 
eine  Libertas  civitatum  angeschlossen,  von  der  möglicherweise  einige  Ar- 
tikel aus  der  angelsächsischen  Zeit  stammen.  Die  auf  die  Fremden  bezüg- 
lichen Satzungen  lauten:  „Item  de  Londonia.  Mercator  itaque  foranus,  post- 
quam  civitatem  introierit,  quocumque  placuerit,  ei  hospitetur.  Sed' videat, 
ne  ad  incißionem  merces  suas  vendat  (folgen  spezielle  Festsetzungen  über 
die  Quantitäten).  Mercator  itaque  foranus  nequit  pannum  madidum  emere 
vel  tincturam  in  urbe  facere  vel  operam  aliquam,  qui  ad  cives  operari  per- 
tineat  Item.  Nequit  Herum  mercator  foranus  cum  socio  suo  infra  civi- 
tatem mercatum  afiquem  facere  ad  revendendum  illud  in  civitate,  nee  ali- 
qaem  mercatum  faciendum  nequit  civi  pervenire,  nee  magis  in  urbe  prehen- 
ainare  potent"  Euer  bricht  das  Schriftstück  ab,  so  dass  man  nicht  sicher 
entscheiden  kann,  ob  auch  die  übrigen  oben  im  Texte  erwähnten  Bestim- 
mungen in  der  Libertas  civitatum  enthalten  waren.  Schmid,  Die  Gesetze 
der  Angelsachsen.    S.  LXXII  u.  520. 

2)  Le  domesday  de  Gippewyz  Art.  26,  44,  59,  61,  66  bei  Tr.  Twiss, 
The  black  book  of  the  admiralty  Vol.  IL  S.  115  fg.,  129,  147,  153,  159. 

s)  W.  Stieda,  Zur  Entstehung  des  deutschen  Zunftwesens  in  Hilde- 
tands  Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und  Statistik.  Bd.  XXVII  (1876) 
S.  68  fg. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  25 


—  ■  386    — 

namentlich  bei  Gewürzen  und  Früchten  durften  die  fremden 
Kaufleute  keinen  Detailhandel  treiben,  andere  Waaren  sollten 
sie  nur  an  bestimmten  Wochentagen  zum  Verkauf  ausbieten; 
in  Betreff  der  Tücher  waren  sie  einer  ganzen  Reihe  von  Be- 
schränkungen unterworfen 1). 

Immerhin  ergibt  ein  Vergleich  des  englischen  mit  dem 
continentalen  Gästerecht,  dass  die  Auffassung  der  englischen 
Städte,  namentlich  der  Londoner,  eine  übermässig  strenge  und 
vielfach  unbillige  war.  Eine  Auseinandersetzung  mit  den  Bür- 
gern über  das  Berechtigte  und  Unberechtigte  ihrer  Forderungen 
war  unvermeidlich  geworden. 

Unter  Heinrich  III.  war  eine  Entscheidung  nicht  zu  er- 
warten. Noch  waren  alle  Zustände  zu  unfertig,  die  meisten 
Institutionen  erst  im  Krystallisationsprocess  begriffen,  die  in- 
neren Kämpfe  zu  heftig.  Seine  Begierungszeit  war  aber  eine 
Periode  der  Vorbereitung  im  eigensten  Sinn,  die  ganze  Frage 
gewann  unter  ihm  ihre  volle  Schärfe.  Verursacht  wurde  diese 
hauptsächlich  durch  die  bedeutenden  Fortschritte,  welche  die 
Ausbreitung  der  fremden  Kaufleute  in  England  damals  machte. 
Der  grosse  Einfluss,  den  der  König  den  Ausländern  in  der 
Regierung  gönnte,  sowie  die  Feindschaft  zwischen  London  und 
dem  König,  seit  diese  Stadt  mit  den  Baronen  gegen  den 
König  sich  verbunden  hatte,  trug  wesentlich  hiezu  bei.  Unter 
Heinrich  III.  fassten  die  Deutschen,  Niederländer,  Italiener, 
Gascogner,  Provengalen  und  Bretonen  festen  Fuss  auf  der 
Insel,  unter  ihm  traten  an  Stelle  der  Einzellicenzen  die  Li- 
cenzen  für  ganze  Städte  und  Gebiete,  unter  ihm  wurde  es 
Sitte,  dass  die  Fremden  anstatt  bei  Bürgern  in  eignen  Häusern 
wohnten  *).  Auf  der  andern  Seite  war  es  den  Städten,  nament- 
lich während  der  Regierungszeit  von  Richard  Löwenherz  und 


')  Vgl.  die  Keuren  von  1804  u.  1423  bei  Gilliodts  van  Severen. 
Archires  de  la  ville  de  Bruces.  T.  VL  S.  5  fg. 

*)  Die  folgende  Ausführung  eines  gleichzeitigen  Chronisten  ist  ein 
Beleg  für  das  oben  Gesagte  und  veranschaulicht  zugleich  die  Art  und  Weise, 
wie  die  Kaufleute  in  England  handelten.  „Memorandum,  quod  secundum 
consuetudinem  civitatis  omnes  mercatores  extranei,  venientes  in  Londoniis, 
solebant  hospitari  com  mercimoniis  suis  in  hospitiis  Civium,  et  averium 
eorum,  guod  venditur  per  centenarium,  ut  cera,  alumen,  et  bujusmodi. 
ponderan  per  Stateram  Domini  Regis.  Alia  vero  averia,  qui  afforantur  per 
libras,  ut  piper,  gingiber,  brasilium,  grana,  et  hinusmodi,  solebant  ponderan 
per  ulnas,  stateras,  pleicias  hospitum  vel  per  baskettum  suum,  ita  quod 
emptor  habuit  ad  quemlibet  centinarium  IVor  libras  pro  tractu,  ponderato 
per  medium  clavium,  sicut  aurum  et  argentum.  Postea  Ytallici,  Kaarcinü 
et  mercatores  de  Provincia,  inprirais  vero  perpauci,  venientes  in  Civiutem 
cum  mercimoniis  suis  eodem  modo  se  gerebant;  sed  processu  tempore. 
cum  quamplures  mercatores  de  predictis  partibus,  qui  erant  valide  divites. 
adduxissent  in  Civitatem  maximam  copiam  mercimoniorum ,  ut  quantitas 
mercimoniorum  illorum  lateret  Civibus,  non  voluerunt  hospitari  in  hospitiis 
Civium,  sed  construxerunt  domos  in  Ci  vi  täte,  et  in  illis  cum  bonis  &ui5 
manserunt  per  se.    Et  tunc  quidem  per  stateras  suas  proprias  ponderando 


—    387    — 

Johann  ohne  Land  gelungen,  selbständiger  zu  werden  und  den 
Grund  zur  Selbstverwaltung  zu  legen >).  Das  Selbstbewusstsein 
und  die  Begehrlichkeit  der  Bürger,  vor  Allem  der  Londoner  *), 
war  fortwährend  im  Wachsen  begriffen,-  und  seit  Simon  von 
Montforts  Versuch,  die  Städte  in  die  Repräsentation  des  Reichs 
zu  ziehen3),  der  Keim  zu  einer  geordneten  Opposition  von 
Seite  dieser  Glasse  gelegt. 


vendiderunt  mercimonia  sua  contra  consuetudinem  Civitatis;  et  etiam,  que 
yendebantur  per  centenaria,  que  scilicet  deberent  ponderari  per  Stateram 
Regis,  ipsi  ponderaverunt  per  stateras  suas  in  prejudicium  Domini  Regis 
et  ad  dampnum  et  jacturam  pesagii  soi  et  sie  fadebant  per  plures  annos. 
Postea  com  Dominus  Rex  deaisset  Civibus  unam  novam  cartam  super  liber- 
taübus  eorum,  in  quo  continetur,  quod  nullus  mercator  extraneus  emat  vel 
vendat  aliquid  avenum,  quod  ponderari  debeat  vel  tronizari,  nisi  per  sta- 
teram  et  troniam  Domini  Regis,  super  forisfacturam  totius  averii,  et  hoc 
scilicet  per  totam  Civitatem  proclamatum,  ilü  mercatores  nichilominus 
ponderaverunt  sicut  antea  fecerunt.  Quod  cum  datom  fuisset  intelligi  Do- 
mino Regi  et  conailio  suo,  Ballivi  sui  per  preeeptum  suum  ceperunt  omnes 
stateras  et  pondera  dictorum  mercatorum,  et  ipsos  per  salvos  plegios 
attaebiaverunt  Postea,  boc  anno,  die  Jovis  ante  festum  apostolorum  Si- 
monis et  Jude,  fecit  Dominus  Rex  venire  coram  se  et  consilio  suo  dictos 
mercatores  apud  Westmonasterium ,  et  quia  ipsi  convicti  sunt  ponderasse 
per  stateras  eorum  contra  prohibitionem  Regis  et  post  proclamationem 
raetam  in  Civitate,  et  quia  statere  et  pondera  eorum,  quando  examinata 
fuenmt  in  Escambio  Regis,  fuerunt  falsa,  ut  dicitur,  inventa,  ipsi  adjudicati 
fuerant  in  misericordia  et  ad  prisonem;  qui  statim,  numero  circiter  XXti, 
addueti  sunt  ad  Tnrrim  et  ibi  imprisonati.  In  crastino  autem  statere  eorum 
et  pondera  in  Westchep  fuerunt  concremata,  et  quod  per  ignem  non  potuit 
conBumi,  malleis  ferreis  mit  fractum  et  penitus  conquassatum.  Et  hoc 
factum  fuit  in  absentia  Custodis  et  Ballivorum  Civitatis,  sed  solummodo 
per  Walterum  Hervi.  Tunc  fecerunt  predicti  mercatores  finem  versus  Regem 
pro  mille  libris  sterlingorum  et  quasi  coacti,  quia  in  turpissimo  carcere 
intrudi  formidabant"  De  antiquis  legibus  Liber.  Cronica  Maiorum 
et  Vicecomitum  Londoniarum  1178  —  1274.  Ed.  Th.  Stapleton  1846 
(Camden  Society)  S.  118,  119;  Translation  by  Riley  1863.    S.  123. 

x)  Stubbs,  Constitutional  history  of  England  I.    S.  628  fe. 

*)  Den  sprechendsten  Beweis  hiefür  liefert  folgende  Schilderung  des 
Chronisten  1262  (20.  Juli):  „Tunc  temporiß  predicti  Barones  ad  captandam 
a  Civibus  majorem  benevolenciam  affati  sunt  eos,  dicentes,  ut  ipsi  pro- 
vidissent,  si  quid  subtractum  misset  de  libertatibus  suis,  et  etiam  alia;  que 
Mssent  justa  et  honesta  ad  libertates  suas  augmentandas,  et  illa  posita  in 
Bcriptis,  Barones  ostenderent  Regi  et  consilio  suo,  qui  ea  sigülo  suo  con- 
finnaret,  predictis  Civibus  et  heredibus  eorum  imperpetuum  possidenda. 
Maior  vero  fecit  summoniri  Universum  populum  Civitatis,  dicens  eis,  ut 
bomine8  de  quolibet  officio  providissent,  que  raissent  eis  utilia,  et  ipse  ea 
fsceret  clamare  in  Civitate  et  firmiter  observare;  unde,  postea,  de  die  in 
diem  singuli  de  quolibet  officio  per  se  fecerunt  nova  statuta  et  provisiones, 
que  magis  possunt  dici  abhominationes,  et  solummodo  ad  commodum 
ipsorom  et  ad  intollerabilem  jacturam  omnium  mercatorum  venientium  in 
Londoniis  et  in  nundinis  Anj^lie,  et  ad  maximum  dampnum  universorum 
regnl  Et  tunc  nichil  actum  mit  sive  traetatum  de  communi  utilitate  Civi- 
tatis neque  de  augmentatione  libertatum  ejusdem,  sed  tarnen  predieta  sta- 
tuta et  provisiones  ad  nulluni  pervenerunt  effectum.u  De  antiquis  le- 
gibus Liber  ed.  Stapleton  S.  56.    RiWs  Translation  S.  60. 

*)  Pauli,  Simon  von  Monfort,  Grat  von  Leicester.  der  Schöpfer  des 
Hauses  der  Gemeinen.  Tübingen  1867;  Stubbs,  Constitutional  history  IL 
8.  220  fg. 

25* 


—    388    — 

Die  Klügeren  unter  den  Fremden  beugten  einem  Zusam- 
menstoss  mit  den  Städtern  vor,  indem  sie  mit  den  letztem 
sich  verglichen  und  gewisse  Lasten  für  die  gewährten  Frei- 
heiten zu  tragen  sich  bereit  erklärten.  So  die  Kaufleute  von 
Amiens,  Corby,  Nesle1),  ferner  die  von  Damme8)  und  die 
Hansen8).  Andere,  wie  die  Italiener,  Spanier,  Gascogneru.  s.w. 
thaten  dies  augenscheinlich  nicht  und  waren  deshalb  der  Ziel- 
punkt steter  Anfeindung  und  Verfolgung.  Die  Lösung  der 
daraus  entspringenden  Schwierigkeiten  fiel  Eduard  L  zu. 


IL   Periode.     1272—1377, 

Als  Eduard  I.  zur  Regierung  gelangte,  war  für  ihn  die 
Fremdenfrage  nicht  mehr  neu.  Bereits  als  Erstgeborner  hatte 
er  derselben  nahe  treten  müssen;  denn  im  Jahre  1266  war  er 
von  Heinrich  III.  zum  Protector  aller  in  England  Handel  trei- 
benden Ausländer  eingesetzt  und  mit  dem  wichtigen  Licenzen- 
amt  ausgestattet  worden4).  Man  geht  kaum  fehl,  wenn  man 
die  in  den  letzten  Jahren  Heinrichs  III.  so  hervorstechende 
Bedeutung  der  fremden  Kaufleute  der  liberalen  Ausübung  des 
Amtes  durch  Eduard  zuschreibt.  Manche  mochten  vermuthen, 
dass  er  als  König  auf  der  eingeschlagenen  Bahn  fortschreiten 
und  gegen  die  Städter  entschieden  Front  machen  werde.  Das 
war  aber  wenigstens  am  Anfang  nicht  der  Fall. 

Kurz  nach  seinem  Regierungsantritt  bestätigte  er  die  Frei- 
heiten der  Londoner 5).  Zu  wichtige  Aufgaben  warteten  seiner, 
als  dass  er  durch  einen  Streit  mit  den  Städtern  sich  hätte  die 
Hände  binden  dürfen. 

Das  Jahrhundert,  in  dem  der  König  lebte,  war  ein  ge- 
setzgeberisches in  ganz  Europa;  auch  Eduards  Ruhm  lag  auf 
diesem  Gebiete;  nicht  mit  Unrecht  wird  er  der  englische  Jus- 
tinian  genannt  Seine  Gesetzgebung  ist  die  Basis  aller  späteren 
in  England  geworden,  sie  übertraf  an  organisatorischer  Bedeu- 
tung die  der  zwei  folgenden  Jahrhunderte.    Unter  ihm  wurde 

l)  Liber  Custumarum  ed.  Riley  8.  65. 

*)  Nicolas,  Proceedings  and  Orainances  of  the  Privy  Council  DL 
S.  113. 

8)  Höhlbaum,  Hansisches  Urkundenbuch  L|S.  902.  Sieh  auch  Liber 
Custumarum  ed.  Riley  S.  6*6,  67. 

4)  Pauli,  Geschichte  von  England  HI.  S.  845. 

»)  6.  März.  1  Edw.  I.  Liber  Albus  ed.  Riley  1859.  L  S.  145  und 
Norton,  Commentaries  on  the  history,  Constitution  and  chartered  fran- 
chi8es  of  the  city  ot  London  8.  Edit  London  1869.  3.  845.  Der  Charte 
gemäss  standen  den  Londonern  4  bezügliche  Rechte  zu:  1)  Es  durften  nur 
Wirthe  sein  solche,  die  das  Bürgerrecht  erlangt  hatten;  2)  die  Makler 
mussten  vom  Mayor  und  den  Aldermen  zugelassen  und  beeidigt  sein;  8) 
die  Fremden  durften  nur  40  Tage  in  der  Stadt  verweilen;  4)  sie  sollten  bei 
dem  ihnen  zugewiesenen  Wirth  und  nicht  in  eigener  Gesellschaft 
wohnen. 


der  Regierung  und  Verwaltung  die  feste  Form  gegeben,  die 
Rechte  und  Jurisdiction  wurden  festgestellt  und  alle  Zweige  des 
Staates  definitiv  abgegrenzt1). 

Diese  innere  Ordnung  war  für  den  Handel  von  ausser- 
ordentlicher Bedeutung.  Jetzt  konnten  die  innern  Quellen 
sich  öffnen  und  der  Verkehr  lebendig  werden,  zumal  Eduard  I. 
der  rechtlichen  Regelung  des  Credites  besondere  Aufmerksam- 
keit zugewendet  hatte.  Das  bekannte  Statut  von  Acton- 
Burnell  (1283)  war  ein  Fundament,  auf  dem  sich  der  Handel 
der  Fremden  erst  recht  aufbauen  und  eine  ganz  andere  Ent- 
wicklung als  bisher  nehmen  konnte8). 

Mit  dieser  indirecten  Förderung  war  Eduard  I.  aber  noch 
keineswegs  zufrieden.  Kaum  waren  die  wichtigsten  administra- 
tiven und  gesetzlichen  Fragen  erledigt,  als  er  auch  seine 
Stellung  zu  den  städtischen  Rechten  änderte.  Den  Anlass  gab 
London  durch  seine  Opposition  gegen  die  Justizreform.  Sofort 
nahm  der  König  die  Freiheiten  der  Stadt  in  seine  Hand  und 
gab  sie  14  Jahre  lang  (1285—1298)  nicht  zurück 8).  Sorgfältig 
wachte  er  in  dieser  Periode  über  die  gute  Behandlung  der 
Fremden.  Er  duldete  nicht,  dass  man  die  ausländischen  Kauf- 
leute oft  acht  Tage  hinhielt  und  ihnen  die  Waaren  nicht  aus- 
laden Hess;  er  stellte  die  Rechtsverzögerungen  ab  und  befahl 
den  Sheriffs,  jeden  Tag  die  Klagen  der  Fremden  anzuhören; 
er  zwang  die  Stadt,  rechtschaffene  fremde  Kaufleute  auf  ihren 
Wunsch  unter  denselben  Bedingungen  ins  Stadtrecht  aufzu- 
nehmen, wie  Einheimische 4),  und  war  darauf  bedacht,  dass  die  ' 
Gascogner  nicht  in  ihrem  Weinhandel  von  den  Londonern  ge- 
hemmt und  bedrückt  wurden 6).  Als  die  Londoner  die  durch 
die  Vertreibung  der  Juden 6)  und  durch  das  Vorgehen  anderer 
Fürsten,  namentlich  des  Königs  von  Aragonien,  gegen  die  Ita- 
liener7) von  Neuem  angefachte  fremdenfeindliche  Stimmung 
benützten,  um  auch  die  Ausweisung  der  ausländischen  Kaufleute 
ans  England8)  und  die  Zurückgabe  der  städtischen  Freiheit 


*)  Stubbs,  Constit  history  TL  S.  100—804.  bes.  S.  102,  105,  107: 
vgl  auch  Edward  I. ,  the  greatest  of  all  the  Plantagenets.  An  historical 
sketcb,  London  1860  und  The  life  and  reign  of  Edward  L  by  the  same 
(anonym)  author.  London  1872. 

*)  Vgl  unten  Cap.  6. 

*)  Norton,  Commentaries  3.  Ed.  Ed.  S.  86;  Stubbs,  Constitutional 
history  of  England  IH.  S.  571. 

')  Liber  Albus  ed.  Riley  1859.  I.  S.  287,  295. 

*)  Rot  ParL  I.  S.  87.  (1292);  S.  99  (1298). 

•)  Stubbs  H.  S.  122.  123  und  529-51. 

*)  Schafer,  Geschichte  von  Spanien  HL  S.  451. 

8)  Die  Petition  der  Gemeinen  lautet:  „Item  petunt,  quod  Res  apponat 
remedium  de  eo,  quod  alienigene  mercatores  dominantur  et  ditantur  de 
mercandisis  in  civitate  et  cives  depauperantur,  qui  onera  sustinent,  quotiens 
necose  est;  non  enim  consueverant  morari  ultra  quadraginta  dies,  infra 
quog  solebant  vendere  aliis  de  regno,  qui  de  lucro  vivebant.  Et  nunc 
eitranei  illud  lucrum  asportaverant"    Rot.  Pari.  I.  S.  55. 


—    390    — 

durchzusetzen,  trat  er  ganz  entschieden  für  die  fremden  Kauf- 
leute ein  mit  der  Begründung,  dass  dieselben  den  Grossen 
des  Reichs  nützlich  seien A).  Doch  liess  er  sieh  bewegen,  1298 
der  Stadt  London  ihre  früheren  Freiheiten  gewissennassen 
versuchsweise  zurückzuerstatten.  Er  musste  sich  aber  bald 
überzeugen,  dass  die  städtische  Behörde  nicht  gesonnen  war, 
eine  mildere  Praxis  eintreten  zu  lassen.  Im  Besitz  ihrer  Rechte 
erneuerte  die  Stadt  sofort  die  alten  Fremdengesetze  und  drang 
auf  deren  Durchführung2). 

Nur  kurze  Zeit  sollten  die  Londoner  sich  der  Restauration 
freuen.  Eduard  L  war  etwa  noch  bereit,  die  Bürger  von  Lin- 
coln gegen  die  Cistercienser  in  Schutz  zu  nehmen,  wenn  diese 
auf  dem  Lande  durch  ihre  Brüder  Wolle  und  andere  Artikel 
aufkaufen  Hessen  und  dadurch  den  Städtern  angeblich  die 
Nahrung  entzogen3),  aber  er  war  nicht  gesonnen,  auch  die 
fremden  Kaufleute  den  egoistischen  Gelüsten  der  Bürger  voll- 
ständig preiszugeben.  Veranlasst  wurde  der  entscheidende  Schlag 
wie  es  scheint,  durch  die  Streitigkeiten  zwischen  den  Gas- 
cognern  und  Londonern.  Bereits  im  ersten  Abschnitt  (S.  298) 
wurde  bemerkt,  wie  die  englischen  Könige  die  Gascogner  durch 
Privilegien  enger  an  das  Herrscherhaus  zu  knüpfen  suchten. 
Der  in  dieser  Rücksicht  ertheilte  Freibrief  war  aber  fortwäh- 
rend Gegenstand  des  Angriffs  von  Seite  der  Londoner.  Sie 
benützten  geschickt  den  Krieg,  in  welchen  Eduard  I.  mit  Schott- 
land und  Frankreich  verwickelt  war,  um  die  Ausübung  des 
Privilegs  hintanzuhalten4)  Nach  langem  Streit  setzten  die 
Londoner  sogar  im  Parlament  den  Beschluss  durch,  dass  den 
Gascognern  zwar  gestattet  sein  solle,  mit  ihren  Weinen  nach 
London  zu  kommen,  dass  sie  im  Ganzen  aber  wie  Nichtbürger 
behandelt  werden  müssten6).  Dem  entsprechend  zwangen  sie 
auch  die  Bordolesen,  bei  Bürgern  sich  einzulogiren,  und  gaben 
dem  König  auf  seine  Anfragen  nur  stolze  Antworten6). 


x)  „Rex  intendit,  quod  mercatores  extranei  sunt  ydonei  et  utiles  mag- 
natibus,  et  non  habet  consilium  eos  expellendi.  Rot.  Tal. LS.  55. — An- 
dersons Angabe  (Annais  of  commerce  I.  S.  242  unter  dem  Jahr  1283), 
dass  die  Lombarden  vertrieben  und  1289  wieder  zurückgerufen  worden 
seien,  ist  wohl  irrthümlich. 

2)  Sieh  z.  B.  Liber  Custumarum  ed.  Riley  I.  S.  69,  70,  7L 

»)  Rot  Pari.  I.  S.  156,  157.  (1802> 

*)  Vgl.  Michel,  Histoire  du  commerce  de  Bordeaux  I.  S.  "93  fg.; 
auch  Rot  Pari.  I.  S.  87. 

*)  „eodem  statu  et  eodem  termino  in  omnibus,  quibus  mercatores  pro- 
vinciales  utantur  et  gaudent"  21  Edw.  I.  Rot  Pari.  I.  S.  99.  Sieh  auch 
Liber  Custumarum  ed.  Riley  I.  S.  70. 

6)  So  schrieben  sie  am  29.  August  1801,  „quod  non  licet  eis  seu  aliis 
mercatoribus  extraneis  quibuscumque  hospicia  sie  condueta  pro  mercan- 
di8is  suis  imponendis  inhabitare,  nee  alios  mercatores  secum  hospitari, 
nee  ad  mensam  suam  teuere;  sed  debent  illi  et  auivis  alii  mercatores  extranei 
in  domibus  civium  Londoniensium  hospitari  et  infra  eorum  clausuni  habitare 
et  hoc  per  spacium  XL.  dierum  tantum."  Delpit,  Collection  S.  85.  Nr.  74 


—    891    — 

Diese  fortwährende  Hartnäckigkeit  Londons,  das  in  Folge 
der  Kriege  wachsende  Geldbedürfniss  und  sicher  auch  die  Ein- 
sicht, dass  eine  weitere  Ausdehnung  des  Handels  selbst  auf 
Kosten  der  Städter  dem  Lande  im  Ganzen  erspriesslich  sei, 
veranlassten  Eduard  I.  energische  Schritte  zu  thun.  Am  13. 
August  1302  bewilligte  er  den  Gascognern  gegen  eine  Zu- 
schlagstaxe von  2  Sous  per  Tonne  Wein  die  ausgedehntesten, 
ja  wahrscheinlich  alle  Rechte,  die  sie  überhaupt  verlangt 
hatten 1).  Im  darauffolgenden  Jahre  dehnte  er  diese  Freiheiten 
gegen  verschiedene  Zollerhöhungen,  welche  die  fremden  Kauf- 
leute ihm  bewilligten  *) , '  auf  alle  ausländischen  Kauf  leute  aus. 
Diese  berühmte  Charta  mercatoria  ist  ein  Markstein  in  der 
englischen  Fremden-  und  Handelspolitik. 

Der  Hauptinhalt  der  Charte  lautet:  Der  König,  durch- 
drungen von  dem  Wunsche,  dass  die  Kaufleute,  die  aus  Deutsch- 
land, Frankreich,  Spanien,  Portugal,  Navarra,  der  Lombardei, 
Toscana,  Provence,  Catalonien,  Aquitanien,  Toulouse,  Quercy, 
Flandern ,  Brabant  und  allen  andern  fremden  Ländern  in  sein 
Reich  kommen,  Ruhe  und  volle  Sicherheit  gemessen,  errichtet 
folgende  Bestimmungen,  die  von  ihm  und  seinen  Nachfolgern 
für  immer  beobachtet  werden  sollen: 

1)  Alle  fremden  Kauf  leute,  die  das  englische  Reich  besuchen, 
gemessen  volle  Sicherheit;  sie  dürfen  alle  Arten  von  Waaren 
bringen  und  sind  frei  von  dem  städtischen  Mauer-,  Brücken- 
und  Pflastergeld.  Es  ist  ihnen  gestattet,  im  Grossen  sowohl 
an  englische  Bürger  als  an  Nichtbürger  und  Fremde  zu  ver- 
kaufen; Gewürze  und  Krämerwaaren 3)  dürfen  sie  wie  bisher 
im  Detail  an  Jedweden  verkaufen.  Nach  Zahlung  der  Zölle 
können  die  fremden  Kauf  leute  sowohl  das  Eingeführte  als  dass 
im  englischen  Reiche  erst  Erworbene  in  alle  Länder  bringen,  die 
nicht  mit  England  im  Kriege  sich  befinden.  Für  den  Export 
des  importirten  Weins  aber  ist  eine  Licenz  nöthig. 

2)  Eine  Beschränkung  in  Bezug  auf  Wohnung,  Aufenthalt 
und  Waarenbergung  ist  unstatthaft. 

3)  Jeder  Kaufcontract   soll  fest  und  gültig  sein,   sobald 


*)  Dieselben  sind  abgedruckt  beiChampollion,  Lettres  des  rois,  reines 
etc.  II.  S.  5 — 9.  Dass  sie  ein  Vorläufer  der  Charta  mercatoria  sind,  kann 
bei  einer  aufmerksamen  Vergleichung  mit  derselben  nicht  bezweifelt  werden. 
Die  Privilegien  der  Gascogner  wurden  bestätigt  1828  1888.  1840.  1855. 
1388.  1401.  1420.  1422.  Michel,  Histoire  da  commerce  de  Bordeanx  I. 
S.  106. 

*)  Eduard  I.  hatte  auch  von  einer  eigenen  Versammlung  von  einhei- 
mischen Kaufleuten,  die  er  nach  York  berufen  (je  2  aus  den  42  Städten), 
die  Zollerhöhung  zu  erlangen  gesucht,  erhielt  aber  eine  abschlägige  Ant- 
wort. Ueber  die  legale  Berechtigung  des  Königs,  von  den  Kaufleuten  se- 
parate Beiträge  zu  verlangen  und  zu  erhalten  vgl.  Stubbs  II.  S.  191  fg. 
und  524. 

s)  «ita  tarnen,  quod  merces,  quae  mercerie  vocantur,  ac  species  minua- 
um  vendi  posBint,  prout  antea  fien  consuevit." 


—    392    — 

der  Gottespfennig  gegeben  und  genommen  worden  ist;  im  Streit- 
fall entscheidet  die  Uebung  des  Ortes. 

4)  Das  kgl.  Recht  der  Prisage  bleibt  im  Ganzen  beste- 
hen, der  König  will  aber  den  Preis  zahlen,  den  die  Kauf  leute 
auch  von  andern  erlangen  könnten 1).  Der  König  wird  keine 
Preistaxe  auf  ihre  Waaren  setzen. 

Die  Markt-  und  Stadtbehörden  sollen  die  Klagen  der 
Kauf  leute  anhören  und  gemäss  der  lex  mercatoria  sofort  Recht 
widerfahren  lassen.  Im  Fall  der  Verzögerung  trifft  den  Be- 
amten auch  dann  die  Strafe,  wenn  der  Kaufmann  seinen  Scha- 
den wieder  vergütet  erhält. 

6)  In  allen  Processen  zwischen  einem  Kaufmann  und  einem 
Inländer  —  Kapitalverbrechen  ausgenommen  —  soll  die  eine 
Hälfte  der  Jury  aus  Einheimischen,  die  andere  aus  Fremden 
des  Orts  zusammengesetzt  werden. 

7)  Es  soll  nur  ein  Maas  und  Gewicht  in  England  gelten 
und  dem  Kaufmann  eine  richtige  Wägung  zu  Theil  werden. 

8)  Den  fremden  Kauf  leuten  wird  ein  besonderer  Richter 
bestellt,  der  ihre  Processe  und  Schuldklagen  sofort  erledigen 
kann  für  den  Fall,  dass  die  Bürgermeister  und  Sheriffs  die 
Rechtsprechung  verzögern. 

9)  Alle  diese  Freiheiten  sollen  nicht  von  den  Nachfolgern 
des  Königs  beschränkt  oder  aufgehoben  werden  können. 

10—15)  Für  diese  Freiheiten  bewilligen  die  Kaufleute 
eine  Reihe  von  Zuschlagstaxen  etc.  Der  Werth  der  Waaren 
soll  durch  Briefe  der  Handelsleute  oder  Eid  bestimmt  werden. 
Fremde  Kaufleute  dürfen  Wolle  an  andere  fremde  Kaufleute 
innerhalb  des  Königreichs  verkaufen,  ohne  dass  sie  Zölle  zahlen 
müssen.  Der  König  verspricht  für  alle  Zukunft,  keine  weiteren 
Abgaben  von  den  Kaufleuten  zu  verlangen2). 

Diese  Charte,  welche  noch  heute  die  Grundlage  des  Pro- 
cesses  bildet  und  Vortheile  der  mannigfachsten  Art  dem 
fremden  Kaufmann  gewährte,  war  «der  denkbar  schwerste  Ein- 
griff in  das  bestehende  Gästerecht.  Fast  das  ganze  System 
hatte  der  König  hinweggefegt,  nur  den  Detailhandel  hatte  er 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  gegen  das  Eindringen  der  Fremden 
geschützt  Wie  auf  so  vielen  Gebieten  hatte  der  schöpferische 
Eduard  I.  auch  auf  dem  des  Handels  eine  neue  Bahn  vorge- 
zeichnet; er  gab  erst  den  Artikeln  41  und  42  der  Magna 
Charta  den  Inhalt,  wie  er  von  vielen  der  damals  betheiligten 
Contrahenten  gedacht,  wenn  auch  unklar  ausgesprochen  war  *). 

*)  Der  König  durfte  zuvor  vonjedem  Weinschiff  das  10.  Fass  zu  20 
sh  beanspruchen.    Stubbs  II.  S.  522. 

*)  RymerIV.S.361fg.;Hakluyt,Theprincipalnayigationsetc.LS.133. 

*)  Stubbs  IL  S.  525  wählt  einen  unrichtigen  Ausdruck,  wenn  er 
sagt,  die  neuen  Zölle  der  Charte  widersprachen  der  durch  die  M.  Ch.  ga- 
rantirten  Freiheit  des  Handels.  Sie  waren  nur  ein  Verstoss  gegen  das 
Versprechen,  keine  „mala  tolta"  erheben  zu  wollen.  Trotz  der  höheren  Zölle 
athmete  die  Charte  von  1303  ganz  den  Geist  freien  Handels. 


—    393    — 

Dass  die  Opposition  nicht  ausbleiben  werde,  war  nicht  zu 
bezweifeln.  Kaum  hatte  Eduard  I.  seine  Augen  geschlossen, 
und  der  schwache  unverständige  Sohn  das  Scepter  ergriffen, 
als  die  dem  Freihandel  widerstrebenden  Stimmen  sich  zu  sam- 
meln begannen. 

Mit  seltener  Klugheit  gingen  die  Bürger  zu  Werke.  Um 
sich  die  Unterstützung  aller  Parteien  zu  sichern,  verlangten 
die  Städter  in  dem  Parlament  von  1309  blos  die  Abschaffung 
der  neuen  Zölle,  indem  sie  geltend  machten,  dass  die  Preise 
durch  dieselben  beträchtlich  gestiegen  seien.  Es  gelang  ihnen, 
diesen  Punkt  zu  einem  der  11  vom  gesammten  Parlament 
eingereichten  Beschwerdeartikel  zu  machen 1).  In  einer  Ver- 
sammlung der  Barone  zu  Stamford  musste  der  König  der  Pe- 
tition Gehör  geben  und  versprach,  diese  Zölle  zu  uspendiren, 
um  zu  sehen,  ob  die  Preise  wirklich  davon  beeinflusst  würden  *). 
Das  Versprechen  wurde  gehalten8).  Sofort  kam  die  wahre 
Absicht  der  Städter  zum  Vorschein.  Sie  verlangten  von  den 
Gascognern  Mauer-  und  Brückengeld  und  Hessen  das  frühere 
Fremdenrecht  wieder  walten.  Zur  Rechenschaft  gezogen,  ant- 
worteten die  Londoner,  die  Befreiung  der  Gascogner  datire 
erst  von  der  Charte  von  1303  her,  und  da  der  König  im  Par- 
lament von  Stamford  die  Zölle  dieser  Charte  zurückgenommen, 
so  seien  auch  die  Privilegien  erloschen,  welche  für  diese  Zölle 
gewährt  worden 4).  Die  Erbitterung  nahm  bald  solche  Dimen- 
sionen an,  dass  die  Gascogner  zu  den  Waffen  griffen,  und  der 
König  kaum  im  Stande  war,  die  Buhe  aufrecht  zu  erhalten 5). 
Im  Jahre  1310  Hess  Eduard  II.  auch  die  Zuschlagstaxen  wieder 
erheben,  weil,  wie  er  sagte,  ihre  Abschaffung  die  Preise  nicht 
reducirt  habe6). 

Die  dem  König  vom  Parlament  aufgenöthigte  Regierung 
musste  aber  wieder  eine  Aenderung  eintreten  lassen.  In  dem 
Kampfe  gegen  die  Willkürlichkeiten  des  Königs  waren  die 
Stimmen  der  Bürger  wichtig,  man  musste  ihre  Interessen  be- 
rücksichtigen. Der  Einfluss  der  Städte  ist  auch  nachweisbar. 
Die  Zölle,  die  man  seit  der  Krönung  Eduards  I.  neu  erhob, 


*)  Vgl.  auch  Stubbs  IL  S.  323  und  324. 

*)  „Et  quant  a  les  custumes,  que  le  Roi  prent  par  ses  ministres,  c'est 
assavoir  de  chescun  tonel  de  vin  II  s .  de  chescun  drap ,  que  marchaundz 
aliens  fönt  venir  en  sa  terre,  II  s,  et  de  chescun  livre  de  aver  de  poys  in  d, 
voet  le  Roi  a  la  requeste  de  ses  dites  bonea  gentz,  que  les  dites  custumes 
de  rhu,  draps  et  aver  de  poys  cessent  a  sa  volonte  par  saver  et  estre 
räse,  quel  profit  et  quel  avantage  acrestera  a  lui  et  a  son  poeple  par  cesser 
de  la  prise  de  celes  custumes,  et  puis  avera  le  Roi  conseil  solonc  ravantage 
q'ü  t  Terra;  sauveez  totevoies  au  Roi  les  auncienes  prises  et  custumes 
aonoenement  dues  et  approvees.    Rot.  Pari. 

*)  Stubbs  II.  S.  325.  Anm.  1. 

*)  Delpit,  Collection  etc.  S.  42  Nr.  89.    9.  Mai  1809. 


J)  Delpit,  Collection  etc.  S.  42  und  43. 
e)  Stubbs  II.  S.  325.  Anm.  1. 


—    394    — 

wurden  1311  abgeschafft.  Die  Begründung  lautet  schon  ganz 
anders  wie  früher.  Die  Charte,  die  Eduard  I.  den  fremden 
Kaufleuten  gegeben,  komme  nicht  in  Betracht,  sie  widerspreche 
der  Magna  Charta,  sowie  insbesondere  der  Freiheit  Londons  und 
sei  auch  ohne  Zustimmung  der  Barone  erlassen  worden.  Die 
neuen  Zölle  hätten  verursacht,  dass  die  fremden  Kaufleute 
seltener  kämen ;  weniger  Güter  ins  Land  brächten,  insbe- 
sondere sich  auch  länger  aufhielten,  als  sie  zu  thun  gewohnt 
gewesen  seien J). 

Es  muss  jedoch  beachtet  werden,  dass  der  Freibrief  Edu- 
ards I.  nicht  ausdrücklich  für  ungültig  erklärt  wurde;  nur  in 
Betreff  der  Zölle  sollte  ihm  kein  Einfluss  zukommen.  Welche 
Anwendung  von  dieser  jedenfalls  von  den  Baronen  absichtlich 
herbeigeführten  Unklarheit  gemacht  wurde,  ist  schwer  zu  ent- 
scheiden. Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  der  König  zu 
manchen  Concessionen  in  dieser  Hinsicht  sich  verstehen  musste. 
Am  25.  April  1312  gab  er  seine  Zustimmung  zu  der  Verord- 
nung ,  dass  die  Fremden  nur  40  Tage  in  London  weilen  dürf- 
ten2), im  Jahre  1316  untersagte  er  den  Fremden  mit  Aus- 
nahme der  Hansen  den  Kleinhandel,  den  Besitz  eigener  Häuser 
und  die  Makelei8),  1319  schloss  er  alle  Nichtbürger  vom  De- 
tailhandel mit  Wein  und  andern  Waaren  aus4). 

Selbstverständlich  kehlten  nun  auch  sofort  die  Klagen  über 
die  Städter  wieder.  Namentlich  lief  von  der  Universität  Ox- 
ford eine  sehr  umfangreiche  Petition  ein,  in  welcher  Schutz  für 
die  seit  dem  letzten  Parlamente  bedrückten  auswärtigen  Kauf- 
leute verlangt  wurde.  Der  König  versprach  sofortige  Abhilfe, 
insoweit  es  sich  um  die  Belästigung  der  Lebensmittelverkäufer 
durch  fingirte  Klagen  von  Seiten  der  städtischen  Kaufleute 
handelte6).  Als  er  dann  zwei  Jahre  später  über  die  Barone 
einen  grossen  Sieg  erfocht,  setzte  er  die  fremden  Kaufleute 
ganz  allgemein  wieder  in  ihren  früheren  Stand  ein.  Man  muss 
dies  daraus  schliessen ,  dass  er  die  Zuschlagstaxen  wieder  er- 
neuerte6); denn  für  diese  waren  ja  die  Privilegien  der  fremden 
Kaufleute  die  Voraussetzung.  Die  Reaction  in  den  bürger- 
lichen Kreisen  nahm  einen  bedrohlichen  Charakter  an.  Der 
Hass  richtete  sich  vornehmlich  gegen  die  Italiener,  die  einige 
Jahre  zuvor  mit  Genehmigung  des  Königs  den  ganzen  Zinn- 


l)  5  Edw.  II.  Ordin.  c.  11. 

*)  Vgl.  die  Urkundenstelle  beiVarenbergh,  Histoire  des  relat  etc. 
S.  267.  Anm.  3;  ferner  Rot.  Pari.  I.  S.  282  Nr.  11  am  Eingang. 

8)  Luffmann,  The  Charters  of  London  complete  S.  109. 

4)  Liber  Albus  ed.  RUey  1859.  S.  142,  143  und  Pat  12.  Edw. 
IL  p.  2.  m.  2  (Tower  Records)  2.  Strypes  Edit  of  Stowe  S.  864.  Mai- 
land, History  L  S.  115. 

*)  Rot  Pari.  I.  S.  373  (1820). 

cj  Stubbs  II.  S.  525.  Ihre  vollständig  legale  Anerkennung  erhielten 
diese  Zuschlagstaxen  erst  1353;  a.  a.  0. 


—    395    — 

handel  zum  grossen  Verdruss  der  Zinner  von  Comwall  und 
Devon  monopolisirt  hatten1),  und  in  deren  Hände  gerade  da- 
mals 118  000  j£  Zollrevenuen  für  gemachte  Darlehen  flössen. 
Das  Londoner  Volk  war  so  erbittert,  dass  es  die  Häuser  der 
Bardi  plünderte  und  verbrannte2);  die  Stadtbehörde  aber 
fasste  den  Beschluss,  dass  alle  fremden  Kaufleute  des  erwor- 
benen Bürgerrechts  verlustig  gehen  und  Neuaufnahmen  nur 
unter  gewissen  erschwerenden  Bestimmungen  gestattet  wer- 
den sollten8). 

Nach  dem  traurigen  Ende  seines  Vaters  kam  Eduard  HI. 
zur  Regierung.  Er  vermied  bei  seinem  Antritt  den  Städtern 
offene  Opposition  zu  machen ;  seine  Politik  war  noch  eine  ver- 
deckte und  zuwartende.  Er  gab  den  Loridonern  zunächst 
die  allgemeine  Zusicherung,  dass  all  ihre  alten  Rechte  gewahrt, 
ihre  Freiheiten  und  Gewohnheiten  in  Gemässheit  der  Magna 
Charta  geschützt  und  „alle  Usurpationen  und  Hemmnisse*  in 
dieser  Beziehung  beseitigt  werden  sollten 4).  Die  Bürger  waren 
von  dieser  allgemeinen  Zusage  nicht  befriedigt.  Sie  verlangten 
deshalb  mit  Hinweis  auf  die  Magna  Charta  und  die  Bereiche- 
rung der  Fremden,  die  zum  Schaden  des  Königs  und  Gemein- 
wesens gereiche,  dass  die  ausländischen  Kaufleute,  denen  der 
„übelberathene  Vorfahre" 6)  beliebig  langen  Aufenthalt  gestattet 
habe,  fortan  nur  40  Tage  in  England  verweilen  und  auch  nur 
an  Einheimische  verkaufen 6)  sollten 7).  Indem  der  König  die 
Forderungen  bewilligte,  waren  den  Städtern  zwei  starke  Waffen 
in  die  Hand  gegeben,  im  Gebrauch  derselben  zeigten  sie  sich 
nicht  müssig 8).  Bereits  im  nächsten  Parlament  wurden  starke 
Klagen  gegen  London  laut,    die  Regierung  gab  aber  zunächst 


')  Die  Zinner  von  CornwaU  behaupteten,  der  Monopolinhaber  Antonio 
aus  Pisa  gebe  nur  42  sh ,  wo  man  von  andern  Kaufleuten  SO  sh  haben 
könnte;  in  Folge  dessen  sei  die  Zahl  der  Zinner  von  8000  auf  500  herab- 
gesunken. Die  Leute  von  Devon  dagegen  meinten:  „Similiter  magis  est  ad 
commodum  regis,  quod  illi  et  alii  de  comitatus  illius  emptionem  et  ven- 
ditionem  stagminis  habeant,  quam  aliqui  extranei  mercatores.u  Eot.  Pari.  I. 
S.  308,  812  (1314/15). 

»)  Villani,  Jstorie  Fiorentini  B.  10.  Cap.  8. 

*)  Riley,  Memorials  of  London  S.  151. 

*)  Norton,  •  Commentaries  1869.  S.  845.  Sieh  auch  Rot.  Pari.  II. 
S.  425.  App.  Nr.  11. 

^„la  grant  donze  q'il  unt  done  a  maveis  conseillers  le  Roy  qi  rat" 
arl.  ü.  S.  9.  Nr.  17. 
<)  Rot  Pari.  IL  S.  9,  11.  Die  Antwort  lautete:  „Quant  a  la  petition 
tochante  la  venue  des  marchantz  estranges  et  leur  demoere  en  Engleterre 
sott  ordene  de  ce  par  commune  assent" 

"    *)  Also  das  Kaufen  der  Fremden  von  Fremden  blieb  unberührt.   Dieser 
Ponct  war  aber  auch  wenig  practisch. 

8)  Liber  Albus  ed.  Riley  1859.  S.  600,  657,  674;  vgl.  auch  Rilev, 
Memorials  of  London.  S.  179  die  Petition  der  Metzger  1881 ,  und  S.  166 
Die  Beschwerden  der  Wirthe  und  Heuhändler  1827 :  ßieh  ferner  2.  Edw. 
HL  c.  15  und  5.  Edw.  Iü.  c.  5. 


—    396    — 

denselben  kein  Gehör,  sondern  verwies  die  Bittsteller  auf  den 
Rechtsweg1). 

Ermuthigt  durch  diesen  Erfolg,  gingen  die  Städter  noch 
weiter  in  ihren  Prätensionen  und  machten  ihre  Rechte  nicht 
nur  gegen  die  Ausländer,  sondern  auch  gegen  die  Gascogner  f ) 
und  selbst  gegen  die  Kaufleute  anderer  englischer  Städte  gel* 
tend3).  Gleichzeitig  scheinen  sie  nicht  geduldet  zu  haben, 
dass  die  Fremden  ihre  Waaren  aufs  Land  brachten4).  Durch 
diese  Uebertreibungen  wurde  die  Opposition  verschärft,  und 
hatte  man  früher  bereits  die  Behelligung  der  andern  Stadt- 
bürger zurückgewiesen,  so  erklärte  man  jetzt  im  Parlament 
die  neuerdings  eingelaufene  Klage,  dass  durch  die  Zwischen- 
hand der  Bürger  alle  Waaren  vertheuert  würden,  für  voll- 
kommen begründet.  Der  Verkehr  zwischen  Einheimischen  und 
Fremden  wurde  wieder  frei  gegeben  und  zur  nachdrucksvollen 
Durchführung  dem  Könige  die  Verhängung  schwerer  Strafen 
und  selbst  das  Recht  zugestanden,  bei  fortgesetzter  Weigerung 
die  Freiheiten  der  Städte  ganz  zu  suspendiren 6). 

Ein  Theil  der  städtischen  Rechte  war  somit  verloren  ge- 
gangen. Aber  den  Hauptkern  derselben  besassen  die  Bürger 
noch.  Der  Kleinverkauf  war  den  Städtern  noch  erhalten, 
ebenso  durften  die  Fremden  nicht  länger  als  40  Tage  im 
Lande  bleiben.  Die  einmal  eingetretene  Reaction  beruhigte 
sich  nicht  mit  dieser  Errungenschaft.  1343  liess  man  auch 
die  Beschränkung  des  Aufenthaltes  fallen,  nur  mussten  die 
fremden  Kaufleute  bei  längerem  als  vierzigtägigem  Verweilen 
auf  ihre  Steuerfreiheit 6)  verzichten 7).  1351  wurde  den  Frem- 
den zu  dem  Bisherigen  auch  noch  der  Detailverkauf  gestattet 
und  bestimmt,  dass  die  Stadtbehörden  sich  nicht  in  den  Ver- 
kauf der  Lebensmittel  mischen  dürften,  und  dass  die  Freiheiten 


*)  Rot  Pari.  IL  S.  87.  Nr.  32.  1330. 

*)  Rot.  Pari.  II.  S.  74  (8  Ed.  III.);  namentlich  über  London  and 
Bristol  wurde  geklagt. 

*)  So  verlangten  die  Kauf  leute  von  Southampton,  dass  die  Leute  von 
Winchester  and  Salisbury  in  Southampton  nur  von  Stadtbürgern  kauften. 
Rot  Pari  II.  S.  87.  Nr,  59.  Das  Gleiche  verlangten  die  Burger  von  Lynn 
von  den  Handelsleuten  der  Stadt  Ely  und  Grafschaft  Cambridge.  Rot 
ParL  II.  S.  93. 

4)  Urk.  Beil.  139.  Obwohl  der  lat  Text  nur  das  Verbot  enthalt, 
den  Preis  in  die  Höhe  zu  treiben,  so  scheint  man  doch  die  dunkle  Fassung 
der  Verordnung  zu  andern  Auslegungen  benutzt  zu  haben;  vgL  die  eng- 
lische Uebersetzung  ebenda. 

«)  9  Edw.  m.  stat  1.  c  1.  1335. 

*)  Vgl.  einen  Process  der  Aquitanier  bei  Madox,  Firma  Burgi  S.277 
und  278. 

')  Rot  Pari.  H.  S.  137  (17  Edw.  III).  Ob  in  der  Zwischenzeit  von 
1335—1343  eine  Unterbrechung  des  Gesetzes  9  Edw.  III.  stat  1.  c  1  ein- 
trat, ist  zweifelhaft.  Durch  14  Edw.  III.  st  2  c.  2  wurde  erklart,  dass  alle 
ICaufleute  frei  und  ungehindert  in  das  Land  kommen  könnten.  Im  15.  Jahre 
seiner  Regierung  aber  gab  Eduard  III.  den  Londonern  eine  Bestätigung 


-    397    — 

und  Gerechtsamen  der  Städte  das  Gesetz  überhaupt  nicht 
wirkungslos  machen  könnten,  da  dieselben  dem  König  und 
seinem  Volk  zum  Nachtheil  seien x).  Zwei  Jahre  später  wurde 
die  Acte  wieder  bestätigt*). 

Nebenher  gingen  eine  ganze  Reihe  Gesetze,  welche  alle 
mehr  oder  weniger  auf  eine  Begünstigung  der  Fremden  hinaus- 
liefen. Als  Missstände  wegen  Anerkennung  von  Schulden  vor- 
kamen, bestimmte  man,  dass  der  designirte  Beamte  in  eigener 
Person  sein  Amt  ausüben  müsse  und  auch  mit  einem  ent- 
sprechenden Landbesitz  zu  haften  habe 8).  Später  erklärte  man 
auch,  dass  für  nichtgezahlte  Schulden  nur  diejenigen  Fremden 
zu  haften  brauchen,  welche  ein  und  derselben  Gompagnie  an- 
gehören4), und  im  darauf  folgenden  Jaljre  beschränkte  man 
diese  Haftbarkeit  nur  auf  die  Person  des  Schuldners  und 
Uebelthäters 6).  In  der  Praxis  wurde  dieses  Gesetz  noch  unter 
Heinrich  VIH.  nicht  vollständig  beachtet,  es  war  aber  doch 
schon  etwas  werth,  dass  der  Grundsatz  gesetzlich  anerkannt 
wurde.  Man  gestattete  ferner,  Waaren  auf  dem  Schiff  im 
Hafen  zu  verkaufen6),  milderte  das  Strandrecht7),  gewährte 
den  Kaufleuten  bei  Ausbruch  des  Kriegs  eine  Frist  zum  Ver- 
kauf ihrer  Güter8).  Feiner  sollten  der  Kanzler  und  Schatz- 
meister jederzeit  die  Klagen  und  Beschwerden  der  fremden 
Kaufleute  entgegennehmen,  beziehungsweise  Stellvertreter  zum 
Anhören  derselben  bestimmen9).  Eine  liberale  Behandlung 
bei  der  Verzollung  wurde  den  fremden  Kauf  leuten  zugesichert, 
den  Zollbeamten  namentlich  geboten,  mit  dem  Eid  der  Kauf- 
leute bei  der  Zolldeclaration  sich  genügen  zu  lassen10).  Die 
sog.  Purveyors  sollten  fortan  fremde  Kaufleute  nicht  belästigen11). 


aller  froheren  Charters,  wie  es  scheint,  ohne  besondere  Zustimmung  des 
Parlaments.  (Norton,  Commentaries  1869.  S.  364.  Anm.  4).  Ob  der 
König  darauf  hin  das  Gesetz  durch  die  Städter  verletzen  liess ,  wissen  wir 
nicht;  dagegen  ist  bekannt,  dass  1844  den  Ecclesiasten ,  namentlich  den 
Cistercienser  Mönchen,  verboten  wurde,  Handelsgeschäfte  zu  treiben.  Pryce, 
Man.  of  the  Canyngs  S.  82.    Sich  auch  oben  S.  390. 

')  25  Edw.  In.  stat  8.  c  2.  1350/51. 

*)  27  Edw.  HL  stat.  2.  c  11.  1358. 

')  14  Edw.  HL  stat.  1.  c.  11.  1340. 

*)  25  Edw.  ÜI.  stat.  5.  c.  23.  1851/52. 

»)  27  Edw.  in.  stat  2.  c.  17  u.  19.  1358. 

•)  28  Edw.  Kl  c.  18.  1854;  vgl.  auch  20  Rieh.  II.  c.  4.  1896/97. 

')  27  Edw.  IIL  stat  2.  c.  13.  1358. 

')  27  Edw.  III.  stat  2.  c.  17.  1853. 

9)Rot  Pari.  n.  S.  262.  1854. 

")  21  Edw.  in.  st.  2.  c.  26.  1353. 

")  27  Edw.  UI.  st.  2.  c  2.  1858.  Zugleich  wurde  den  fremden  Kauf- 
leuten der  besondere  Schutz  des  Königs  versprochen  „pur  replener  lez  ditz 
roialmes  et  terres  de  monei  et  de  plat  d'or  et  d'argent  et  des  marchandises 
dez  autres  terres  et  pur  doner  talent  as  marchauntz  estraunges  de  venir 
ove  lez  mercez  et  marchandisez  de  autres  terres  en  les  roialme  et  terres 
avaunditz  et  pur  plus  assurere  lez  marchauntz  estraunges  et  autres  mes- 
nauntes  bien  et  marchaundises  es  dites  Roialme  et  terres. u 


Schliesslich  ging  man  soweit,  dass  man  die  einheimischen  Kauf- 
leute, wenn  auch  hauptsächlich  aus  financiellen  Rücksichten 
und  nur  vorübergehend,  von  einem  Theile  des  auswärtigen 
Handels  ganz  ausschloss x). 

Damit  war  der  Höhepunct  der  Fremdenbegünstigung  er- 
reicht, und  eine  Gegenströmung  war  fast  unausbleiblich.  Die 
Erbitterung  der  Städter  kannte  keine  Grenze.  1369  suchten 
sie  ihrem  Groll  durch  einen  Angriff  auf  die  meist  bevorzugten 
Lombarden  und  Flamänder  Luft  zu  schaffen.  Der  König  gab 
aber  die  fremden  Kaufleute,  denen  er  hohe  Summen  schuldete, 
nicht  preis *).  Es  blieb  den  Bürgern  nichts  Anderes  übrig,  als 
auf  dem  Weg  der  Bitte  wieder  zu  ihren  Rechten  zu  gelangen. 
Es  verging  denn  auch  kein  Parlament,  in  welchem  nicht  ein 
Gesuch  um  Wiederherstellung  der  städtischen  Freiheiten  ein- 
gelaufen wäre s).  Die  Antworten,  die  darauf  erfolgten,  lauteten 
entweder  ganz,  ablehnend,  oder  waren  doch  an  den  Vorbehalt 
geknüpft,  dass  die  städtischen  Verordnungen  und  Gewohnheiten 
nicht  dem  gemeinen  Nutzen  entgegenstehen  dürften.  Im  Jahre 
1368  Hessen  der  König  und  das  Parlament  sich  zu  einer  be- 
stimmteren Concession  herbei.  Den  Londonern  wurde  hin- 
sichtlich der  Lebensmittel  das  Recht  des  Detailverkaufe  re- 
servirt  und  den  Fremden  verboten,  solche  direct  von  Fremden 
zu  kaufen 4).  Obwohl  das  Gesetz  schon  einen  ausserordentlich 
kleinen  Spielraum  hatte,  so  ward  es  doch  nur  bis  zum  nächsten 
Parlament  und  nur  unter  der  Voraussetzung  gewährt,  dass  es 
verständig  und  zum  allgemeinen  Nutzen  gebraucht  werde5). 
Ebenso  durfte  es  den  Charten  der  Fremden  nicht  präjudiciren. 
Die  Acte  wurde  im  folgenden  Parlament  (1372)  nicht  erneuert, 
und  allen  Petitionen  der  Städte  eine  ausweichende  Antwort 
gegeben. 

Endlich  nachdem  der  König  ein  halbes  Jahrhundert  das 
Scepter  geführt,  wollte  er  nicht  länger  den  Bürgern  sich  un- 
gnädig zeigen.  Als  im  Jahre  1376  abermals  eine  Bittschrift6) 
einlief,  welche  die  Lage  der  Städter  in  den  grellsten  Farben 


*)  38  Edw.  III.  c.  6:  42  Edw.  HI.  c  8. 

*)  Liber  Albus  ed.  Riley  1859.  S.  621. 

»)  Rot  ParL  IL  8.  287  Nr.  11.  38  Ed.  IIL  1364/65;  IL  8.  906.  Nr. 
31.  45  Edw.  III.  1871;  IL  S.  314.  Nr.  83.  46  Ed.  DL  1372;  IL  8.  318 
Nr.  4.  47  Edw.  HL  1373. 

*}  Rot  Pari.  IL  S.  296.  Nr.  16.  42  Edw.  IIL  1868. 

B)  „q'il  soit  bien  reale  et  governee  en  le  meen  temps  a  commune 
profit" 

•)  Darin  heisst  es:  „que  toute  manere  de  gent  aliens  et  aatres,  qi  ne 
sont  pas  fraancs  en  les  dites  citees  et  borgto,  poent  venir  illeoqes  de- 
moarrer  aussi  longement  come  lour  plest,  et  tenir  overts  hostils  et  reoepter 
qiconqes  persones  qe  lour  plerra.  Et  s'ils  eiount  ascunea  marchandisea, 
Ha  les  vendent  as  autres  estraangers  pur  revendre  si  bien  par  retail  come 
autre  qiconqe  manere  qe  lour  mieltz  semble  pur  lours  profitz  demeisne. 
Par  qi  les  marchauntz  denizeins  sont  trop  anientiz,  la  terre  voide  de  mo- 


—    399    — 

schilderte,  forderte  die  Regierung  die  Städte  auf,  ihre  Charters 
dem  königl.  Rathe  vorzulegen  und  verbot  zugleich  den  directen 
Handel  zwischen  Fremden  bis  zum  nächsten  Parlament  (4.  Dez.). 
In  diesem  solle  dann  die  Frage  gründlich  erörtert  und  nament- 
lich festgestellt  werden,  ob  das  bisher  den  Fremden  gewährte 
Recht  zum  Yortheil  oder  Nachtheil  des  Publicums  sei 1).  Das 
geschah.  Das  Resultat  der  Enquäten  und  Debatten  war,  dass 
den  Fremden  das  Recht,  Wirthschaft  zu  halten  und  das  Mak- 
lergeschäft *)  sowie  Detailhandel  zu  betreiben,  entzogen  wurde  *). 
Die  andern  Artikel  des  Gästerechts,  die  Beschränkung  der  Auf- 
enthaltszeit und  des  directen  Verkehrs  der  Fremden  unter  sich, 
wurden  verweigert.  Ein  Versuch  der  Londoner,  auch  die  bei- 
den letzten  Rechte  zurückzuerlangen,  schlug  fehl 4). 

ffl.  Periode  1377  —  1461. 

Die  erste  Bresche  war  in  die  Privilegien  der  Fremden  ge- 
schossen; die  Londoner  ermüdeten  nun  nicht,  Stück  für  Stück 
der  noch  fehlenden  städtischen  Freiheiten  zurückzuerobern. 
An  dem  schliesslichen  Erfolg  war  beim  Beginn  des  Kampfes 
nicht  zu  zweifeln.  Unter  den  drei  Eduards  war  die  eigent- 
liche parlamentarische  Gewalt  mehr  und  mehr  an  die  Gom- 
moners  übergegangen.  Im  Streit  suchte  Krone,  Geistlichkeit 
und  Ritterschaft  die  Hilfe  des  unverwüstlichen  Standes  der 
Gemeinen,  und  je  mehr  die  Barone  sich  in  Parteien  auflösten, 
je  mehr  der  hohe  Clerus  mit  seiner  geistlichen  Stellung  sich 
begnügte,  um  so  mehr  wurde  die  letzte  Entscheidung  der 
wichtigsten  Fragen  Aufgabe  der  Gemeinen  *).  Eine  je  schärfere 
Gestalt  diese  Entwicklung  annahm,  um  so  günstiger  wurden 
die  Chancen  für  die  Städter;  im  Haus  der  Gemeinen  hatten 
sie  den  grössten  Einfluss. 


oeie,  les  closures  des  citees  et  borghs  des  apparraillez,  la  nayye  de  la 
terre  bien  pres  destruite,  le  conseil  de  la  terre  par  tout  descovert,  toute 


ae  qi  n'ad  mestier  de  autres  tesmoignes  tors  qe  senür  et  newe  qe  molt 
appertement  en  touz  degreez  la  provent"    Bot.  Pari.  IL  S.  382  Nr.  8. 
*)  Lib er  Albas  1.    S.  492.    Die  gleichzeitig  verlangte  Ausweisung 


der  lombardischen  Makler  wurde  von  der  Regierung  abgelehnt  Bot. Pari. 
IL  S.  382.  Nr.  7. 

>)  Rot  Pari.  H.  S.  847;  HI.  8.  17. 

s)  Jedoch  sind  die  Kaufleute  der  deutschen  Hanse  ausgenommen. 
Rot.  Pari.  II.  S.  547  und  Liber  Albus  ed.  Riley  1859.1.  492. 

4)  Rot.  ParL  IL  S.  867  (51  Ed.  III.).  Wofern  die  Rot  Pari.  IL 
S.  891  erwähnte  Petition  der  Gascogner  Weinkauf  leute  in  diese  Zeit  zu 
setien  ist,  so  wollten  trotz  der  früheren  Abweisung  die  Londoner  nicht 
dulden,  dass  die  Gascogner  ihren  Wein  direct  an  die  I^eute  des  Oberlandes 
Terkanften. 

6)  Vgl.  Stubbs  IL  S.  306  fg.  u.  sonst. 


—    400    — 

Als  Richard  II.  den  Thron  bestieg,  verlangten  die  Lon- 
doner die  Bestätigung  aller  ihrer  Privilegien  mit  der  Clause! : 
„Licet  usi  non  fuerint  vel  abusi  fuerint  et  nient  contreesteantz 
aucuns  estatuz,  Privileges,  chartres  ou  juggementz  faitz  ou  a 
faire  au  contraire",  mit  andern  Worten  rückhaltlose,  unzwei- 
deutige Anerkennung  aller  ihrer  Rechte.  Um  jeglichen  Zweifel 
zu  beseitigen,  forderten  sie  noch  ganz  besonders,  dass  aller 
directe  Handel  zwischen  Fremden  schlechtweg  untersagt  werde. 
Ihre  Wünsche  wurden  in  der  Hauptsache  erfüllt;  die  Be- 
schränkungen gingen  dahin,  dass  die  zweite  der  oben  genann- 
ten Clausein  erst  im  Zusammenhalt  mit  den  bestehenden  Sta- 
tuten geprüft,  die  Bestimmung  wegen  des  directen  Verkehrs 
nur  bei  Kauf  leuten  in  Anwendung  kommen  dürfe  und  auf  die 
Aquitanier  sich  gar  nicht  erstrecke *).  Man  sieht,  die  Londoner 
hatten  jetzt  nur  noch  die  Begrenzung  des  Aufenthalts  der 
Fremden  sich  zusichern  zu  lassen,  um  wieder  so  ziemlich  in 
den  Besitz  ihrer  Rechte  zu  gelangen. 

Allein  bevor  sie  nur  dieses  Restes  theilhaftig  werden 
konnten,  verloren  sie  schon  wieder  das,  was  sie  bereits  in 
Händen  hatten.  Im  Parlament  des  darauffolgenden  Jahres  lief 
eine  ausführliche  Petition  ein,  die  auf  die  eingetretene  Ver- 
teuerung sowie  auf  den  grossen  Schaden  hinwies,  der  dem 
König  dadurch  erwachse,  dass  die  fremden  Kaufleute  gehindert 
würden,  umherzureisen  und  direct  von  den  Landbewohnern  zu 
kaufen.  Auch  verstiessen  die  Londoner  Freiheiten  gegen  die 
Statuten  Eduards  III.2).  Die  Regierung,  damals  den  Commoners, 
besonders  aber  den  Bürgern  zürnend,  fand  Mittel,  um  eine 
Majorität  für  das  Gesetz  2  Rieh.  IL  st.  1.  c.  1  zu  erhalten,  in 
welchem  für  das  ganze  Königreich  das  städtische  Gästerecht 
beseitigt  wurde;  nur  die  Weine  und  die  sogenannten  Gross- 
waaren,  wie  die  goldgewirkten,  silbergewirkten  und  seidenen 
Tücher,  Leinentücher,  Ganvass  etc.  blieben  dem  Detailhandel 
der  Fremden  entzogen.  Die  dem  Gesetz  entgegenstehenden 
Charters  wurden  als  dem  allgemeinen  Wohl  schädlich  und  die 
Unterdrückung  des  Volks  bezweckend  für  nichtig  erklärt9). 
Drei  Jahre  später  sicherte  der  König  den  Fremden  ausdrück- 
lich seinen  Schutz  und  die  Erlaubniss  beliebig  langen  Auf- 


>j  Rot  Pari  UI.  S.  16,  27  (1977).  Vgl  über  dieses  Parlament 
auch  Stubbs  II.  S.  443  u.  444.  4.  Dez.  1  Sich.  IL  erhielten  die  Bürger 
Londons  eine  dem  Gesetz  entsprechende  Charte;  sieh  Norton,  Comment 
1869  S.  867.  Kote  1).  Das  Inspeximos  derselben  von  7  Rieh.  IL  befindet 
im  Liber  Albus  ed.  Rüey  1859  S.  155  fg. 

*)  Rot  Pari.  HL  S.  47.  2  Rieh.  IL  1378. 

■)  Dem  Gesetz  entsprechend  wurde  auch  die  gleichzeitige  Bittschrift 
der  Norwicher,  welche  das  Recht  des  Detailverkaufe  zugestanden  haben 
wollten,  mit  den  Worten  yerbeschieden:  „Ilya  Estatat  en  mit  en  ce  Par- 
lement  et  selonc  la  forme  de  mesme  l'Estatut  uoit  ce  eux  grante.  Rot. 
Pari.  III.  S.  41.  Nr.  38.  2  Rieh.  IL 


—    401     — 

enthalte  zu x).  Der  erneuten  Bitte  der  Londoner,  ihre  Freiheiten 
nebst  der  Licetclausel  im  Interesse  grösserer  Ruhe  und  bessern 
Friedens8)  zu  bestätigen,  entsprach  Richard  II.  nur  halb;  denn 
er  knüpfte  seine  Zustimmung  an  die  Bedingung,  dass  die 
Freiheiten  den  Kaufleuten  fremder  Nationen  keinen  Schaden 
brächten,,  und  die  Lebensmittel  Verkäufer  direct  dem  Mayor 
unterstellt  blieben3). 

Diese  zurückhaltende  Politik  war  gegenüber  den  mono- 
polistischen Gelüsten  der  Londoner  nur  heilsam.  Wie  stark 
die  letzteren  gegen  jedwede  Concurrenz  sich  zu  schützen 
suchten,  zeigt  ein  Beispiel,  das  Walsingham  erzählt.  Im  Jahre 
1383  kam  infolge  eines  Sturms  eine  genuesische  Carraka 
reichbeladen  nach  Sandwich.  Die  Londoner  hatten  noch  ziem- 
lich Vorräthe  an  alter  Waare,  namentlich  an  Früchten,  Ge- 
würzen, Oel,  und  fürchteten  nun,  diese  nicht  oder  nur  billig 
absetzen  zu  können.  Sie  trafen  deshalb  mit  den  Genuesen 
ein  Uebereinkommen ,  dass  diese  England  wieder  verliessen 
und,  ohne  Etwas  verkauft  zu  haben,  nach  Flandern  segelten. 
Der  Chronist  fügt  bei :  „ita  propter  paucorum  avaritiam  magnum 
dispendium  sensit  totum  regnuma  4). 

Obwohl  dieser  und  andere  Fälle  offenkundig  zeigten,  was 
man  von  den  Städtern  zu  erwarten  hatte,  sobald  man  ihren 
Wünschen  entgegenkam,  so  sollten  doch  die  Londoner  ganz 
unverhofft  wieder  in  den  Besitz  ihrer  Freiheiten  gelangen. 
Durch  ihre  Opposition  gegen  den  Rebellen  Wat  Tyler  gewan- 
nen die  Londoner  die  Gunst  des  Königs;  zum  Dank  für  ihre 
bewiesene  Loyalität  bestätigte  er  in  Uebereinstimmung  mit 
dem  Parlament  ihre  früheren  Rechte  mit  den  beiden  von  ihnen 
gewünschten  Clausein,  versprach  auch,  dass  7  Meilen  im  Um- 
kreis von  der  Stadt  kein  neuer  Markt  errichtet  werden  solle5). 

Bei  den  fortwährenden  inneren  Kämpfen  war  keine  Aus- 
sicht gegeben,  dass  dieses  letzte  Gesetz  eine  lange  Dauer 


*)  5  Rieh.  IL  st.   1.  c.  1.    Die  Petition,  auf  welche  dies  Statut  ßich 

rdete,  suchte  in  versteckter  Form  den  fremden  Kaufleuten  zu  schaden. 
Stadter  verlangten  Dämlich  den  Erlass  einer  Proclamation,  wonach  alle 
Kaufleute  beschützt  und  freundlich  behandelt  werden  sollen,  und  ihnen  er« 
laubt  werde,  „franchement  vendre  a  qi  qe  lour  plest,  en  grosse,  sanz  un 
estrange  pur  vendre  a  autre  estraunge  pur  re vendre,  paiantz  les  custumes 
ent  dues"  etc.  Denn  dann  werde  man  Alles  billiger  erhalten.  Einer  damals 
ziemlich  geläufigen  Praxis  zufolge  (vgl.  über  die  Behandlung  der  Petitionen 
Stubbs  II.  8.  571  fg.)  nahm  die  Regierung  Alles,  was  für  die  fremden 
Kaufleute  in  der  Petition  sprach,  heraus  und  bestätigte  es,  Hess  aber  den 
übrigen  Inhalt  unberücksichtigt.    Rot.  Pari.  III.  S.  120. 

2)  Vgl.  auch  Rymer  (Rec.  Ed.)  IV.  S.  134  (1381). 

")  Rot.  Pari.  III.  S.  147;  5  Ria  11.  st.  2  c.  1  (1382). 

4)  Th.  Walsingham,  Hist.  Angl.  ed.  Rileyai.  S.  83,  84. 
^      R)Rot.  Pari.  III.  S.  160  (1383  ;  Liber  Albus  ed.  Riley  1859  1. 
^  162,  163.    Namentlich  wurde  auch  ein  Privileg  von  15  Ed.  III.  erneuert, 
wonach  die  Stadt  ermächtigt  war,  im  Zweifelfall  die  Freiheiten  „to  explain 
and  regulate  by  bylawsu. 

-chanz,  Engl.  HanMspolitilc.    I.  2G 


—    402    — 

haben  werde.  Richard  II.  reizte  durch  seine  Missregierung 
Volk  und  Adel  gegen  sich  auf  und  musste  sich  1387  in  die 
Gewalt  Gloucesters  und  seines  Anhangs  ergeben.  London  hatte 
kurz  vor  der  entscheidenden  Wendung  für  den  König  Partei 
genommen,  und  die  nothwendige  Folge  war,  dass  das  so- 
genannte unbarmherzige  Parlament  die  Charte  Londons  an- 
nullirte  und  den  Hauptinhalt  der  Acten  9  Edw.  III.  st.  1.  c  1 
und  25  Edw.  III.  st.  3.  c.  2  wieder  in  Kraft  setzte1).  Auch 
nachdem  der  König  sich  für  volljährig  erklärt  und  die  Leitung 
der  Regierung  in  seine  Hände  genommen,  wagte  er  nicht  so- 
gleich diese  Richtung  zu  verlassen.  1390  wurde  gesetzlich 
befohlen,  man  solle  die  fremden  Kaufleute  freundlich  und  ge- 
recht behandeln,  damit  sie  grösseren  Muth  hätten,  in  das 
Königreich  zu  kommen*). 

Bereits  1393  kehrte  aber  Richard  IL  zu  dem  früheren 
Standpunct  zurück.  Es  schien  ihm,  als  ob  die  genaue  Durch- 
führung der  bekannten  Eduardschen  Acten  grossen  Schaden 
über  die  Stadt  London  und  alle  übrigen  Städte,  Burgen  und 
Märkte  bringe,  und  er  änderte  sie  deshalb  soweit  ab,  dass  er 
den  directen  Handel  zwischen  Fremden  und  den  Detailverkauf 
der  Ausländer,  wenn  er  nicht  Lebensmittel  betraf 3),  aufhob 4). 
1398  bestätigte  Richard  II.  noch  ausdrücklich  die  Charters 
und  Privilegien  der  Städte5),  und  sogar  berechtigte  Wünsche 
der  Fremden  blieben  nun  unberücksichtigt6). 

Bald  darauf  entriss  der  Lancaster  Heinrich  Richard  IL 
Thron  und  Freiheit.  Der  neue  Herrscher,  wie  überhaupt  die 
ganze  Lancastersche  Dynastie  musste  bei  dem  mangelhaften 
Anrecht  auf  die  Krone  noch  sorgfältiger  als  die  Plantagenets 
auf  die  Stimmen  des  Volkes  achten  und  den  Wünschen  be- 
sonders des  dritten  Standes  Rechnung  tragen.  Heimich  IV. 
hatte  speciell  Grund  genug,  den  Londonern  günstig  sich  zu 
erweisen.  Sie  hatten  ihn  nicht  nur  in  seiner  Usurpation  unter- 
stützt, sondern  fast  allein  einen  gegen  den  König  ausbre- 
chenden Aufstand  niedergeschlagen.     Er  bestätigte,   deshalb 


J)  11  Rieb.  II.  c.  7.  Rot  Pari  III.  S.  247;  vgl.  auch  Rot  Pari 
III.  S.  254  Nr.  6. 

*)  Die  Bestimmung,  dass  die  fremden  Kaufleute  behandelt  werden 
sollten,  wie  die  Engländer  in  den  Landern  dieser,  nahm  der  König  nicht 
mit  in  seine  Antwort  auf.  Rot  Pari.  III.  S.  281  und  14  Rieh.  II.  c.  9. 
Vgl.  auch  die  den  Fremden  günstigen  Statuten  14  Ria  II.  a  4  u.  c.  5. 

*)  Bereits  7  Rieh.  II,  also  kurz  nach  Bestätigung  der  städtischen  Pri- 
vilegien wurde  proclamirt,  dass  die  Fremden  mit  fischen  und  Lebensmitteln 
ohne  Hinderung  kommen  könnten.   Liber  Albus  ed.  Riley  1859.  L  S.467. 

4)  Auch  Weine  und  Gewürze ,  obwohl  zu  den  Lebensmitteln  gehörig, 
durften  nur  in  Grossem  von  den  fremden  Kaufleuten  verkauft,  Gewürze 
überhaupt  nicht  wieder  ausgeführt  werden.  16  Rieh.  IL  c  1  1392  93.  Für 
diese  Rechte  suchte  der  König  die  Londoner  häufig  mit  willkürlichen 
Schätzungen  heim.    Sieh  Norton,  Commentaries  1869.    S.  118. 

5)  21  Rieh.  IL  c.  1. 

«)  Vgl.  Rot.  Pari.  III.  S.  319  (139394). 


—    403    — 

den  Städten  ihre  Freiheiten  (1401)  *),  sanctionirte  auch  die  noch 
von  seinem  Vorfahren  verweigerte  Bill,  wonach  die  Fremden 
geradeso  wie  die  Engländer  bei  ihnen  behandelt  werden  sollten 
(1404) 2),  ja  er  gewährte  mehr,  als  die  Petenten  im  Parlamente 
verlangten.  Als  nämlich  die  Gemeinen  sich  über  die  durch 
die  Fremden  betriebene  Geldausfuhr  beklagten  und  forderten, 
man  möge  zwei  rechtschaffene  Männer  in  den  Orten,  in  denen 
die  Fremden  verkehrten,  aufstellen,  damit  sie  darauf  sähen, 
dass  aller  Erlös  auf  englische  Waaren  verwendet  werde,  und 
vorsichtig  noch  hervorhoben,  dass  dieser  Petition  nicht  die  Ab- 
sicht zu  Grunde  liege,  die  fremden  Kaufleute  aus  dem  König- 
reich zu  treiben,  setzte  der  König  nicht  nur  fest,  dass  fortan 
die  Zollbeamten  sich  von  den  fremden  Kaufleuten  Sicherheit 
geben  lassen  müssten,  damit  sie  ihren  Erlös  zum  Ankauf  eng- 
lischer Artikel  benützten,  sondern  er  fügte  noch  aus  freien 
Stücken  bei,  dass  die  Fremden  innerhalb  dreier  Monate  nach 
ihrer  Ankunft  die  mitgebrachten  Waaren  verkaufen,  blos  mit 
Bürgern  handeln  und  bei  den  ihnen  zugewiesenen  Wirthen 
wohnen  sollten3). 

Die  Opposition  erhob  sich  sofort  gegen  diese  Bestimmungen 
und  fand  Unterstützung  sowohl  aus  dem  Lager  der  Fremden, 
als  auch  aus  dem  der  Inländer. 

Von  den  Ausländern  w#ren  es  die  Italiener,  die  dem  Ge- 
setz sich  zu  entziehen  suchten.  Ihre  Petition  wurde  auch 
theilweise  berücksichtigt.  Sie  konnten  ihre  Waaren  behalten, 
so  lange  sie  wollten,  nur  durften  sie  das,  was  einmal  eingeführt 
war,  nicht  wieder  exportiren.  Auch  versprach  man  ihnen, 
darauf  zu  sehen,  dass  die  Zollbeamten  sich  ordentlich  gegen 
sie  benähmen.  Dagegen  wies  man  ihr  Verlangen,  bei  eignen 
Wirthen  wohnen  zu  dürfen,  ab.  Auch  wurde  ihnen  nicht  ge- 
währt, dass,  wie  sie  wünschten,  all  ihre  Streitsachen  mit  Eng- 
ländern vor  dem  königl.  Rath  oder  der  Stadtbehörde  nach 
dem  „ley  merchantu  anstatt  „pär  enqueste"  entschieden  wür- 
den 4).  Da  die  italienischen  Makler  so  oft  den  Anlass  zur  Klage 
gaben,  indem  sie  nicht  selten  mit  grossen  Summen,  die  man 
ihnen  anvertraut,  entflohen  oder  sonst  betrogen,  verlangten  die 
übrigen  Italiener  selbst,  der  Kanzler  möge  jeden  Makler,  der 
ihnen  verdächtig  scheine,  verbannen,  um  nicht  fortwährend 
wegen  solcher  Individuen  gefährdet  zu  sein.  Der  König  war 
damit  einverstanden,  nur  machte  er  die  Verbannung  abhängig 
von  dem  wirklichen  Nachweise,  dass  der  betreffende  Makler 
unzuverlässig  sei5). 


»)  2  Henr.  IV.  c  1. 

*)  Rot  Pari.  III.  S.  542  und  5  Hen.  IV.  c.  7. 
»)  Rot  Pari.  III.  S.  542,  548  und  5  Hen.  IV.  c.  9. 
4)  Ueber  das  damalige  Gerichtsverfahren  vgL  Gneist,  Geschichte  des 
Selfgov.  1863  S.  159  fe. 

*)  Rot  Pari.  Ifl.  S.  553  und  6  Hen.  IV.  c.  4. 


—    404    - 

Unter  den  Engländern  waren  die  Beschwerdeführer  die 
Tuchmacher  und  Eaufleute  des  platten  Landes  und  der  klei- 
neren Städte.  Diese  kamen  meist  auf  den  Londoner  Markt, 
kauften  und  verkauften  im  Grossen  und  wollten  natürlich  di- 
rect  mit  den  Fremden  verkehren.  Sie  wiesen  darauf  hin,  wie 
das  Gesetz  nur  den  Vortheil  der  Londoner,  dagegen  den 
Schaden  der  Lords  und  Commoners  des  Reichs  bezwecke  und 
dass  man,  falls  nicht  Abhilfe  geschehe,  ganz  von  London  sich 
zurückziehen  müsse.  Keine  Frage,  hier  lag  der  wundeste 
Punct  des  Gästerechts,  und  nur  diesem  ist  es  wohl  zuzuschrei- 
ben, weshalb  schon  früher  so  oft  das  Haus  der  Gemeinen 
gegen  die  Städter  stimmte.  Man  machte  deshalb  den  weisen 
Versuch,  diese  Frage  abzutrennen  und  im  Sinne  der  Bittsteller 
zu  erledigen.  Man  gestattete  nämlich  allen  Kaufleuten,  im 
Grossen  ihre  Waaren  nicht  blos  an  die  Londoner,  sondern 
überhaupt  an  englische  Unterthanen  zu  verkaufen.  Der  Ver- 
kehr unter  Ausländern  selbst  blieb  aber  verboten1). 

So  milde  und  berechtigt  dieses  Gesetz  nun  auch  war,  die 
Londoner  waren  nicht  damit  zufrieden2).  Durch  ihre  Hand 
allein  sollte  aller  und  jeglicher  Handel  gehen.  Im  nächsten 
Parlament  verlangten  sie  Zurücknahme  des  Gesetzes  und 
Wiederherstellung  ihrer  Freiheiten,  und  der  König  war  schwach 
genug,  seine  Zustimmung  zu  geben,  allerdings  mit  der  Modi- 
tication,  dass  den  englischen  Unterthanen  gestattet  sein  müsse, 
von  den  Fremden  direct  zu  kaufen,  wenn  sie  dies  im  Grossen 
und  behufs  eigener  Verwendung  des  Gekauften  thäten5). 

Die  glänzendsten  Tage  der  Fremden  waren  vorüber. 
Keiner  der  folgenden  Könige  wagte  die  städtischen  Privilegien 
völlig  zu  annuliren,  wie  dies  so  oft  unter  den  Plantagenets 
geschehen  war.  Es  zeigte  sich,  wie  die  wirtschaftliche  Gesetz- 
gebung so  recht  eine  bürgerliche  geworden.  Das  alte  städti- 
sche Fremdenrecht  war  Dank  der  Ausdauer  und  Zähigkeit  der 
Bürger,  welche  zwei  Jahrhunderte  lang  für  dasselbe  gestritten, 
zur  Anerkennung  gelangt.  Aufgabe  derselben  konnte  jetzt 
nur  sein,  über  die  Ausführung  zu  wachen  und  der  Mittel  sich 
zu  versichern,  die  das  Eecht  zur  Wahrheit  machten. 

Die  stricte  Durchführung  des  Fremdenrechts  war  früher 
bei  der  Einfachheit  und  Publicität  des  Verkehrs  ziemlich 
leicht.  Anfangs  tvar  es  kaum  anders  möglich,  als  dass  die 
englischen  Kaufleute  bei  den  englischen  Bürgern  wohnten. 
Indem    man  nun    diese   anfängliche  Uebung    von    Seite    der 

M  Rot.  Pari.  III.  S.  598  und  7  Hen.  IV.  c.  9.  1406. 

2)  Wie  um  jene  Zeit  auch  den  Fremden,  namentlich  Italienern,  ge- 
wisse Schranken  auferlegt  wurden,  indem  ihre  Zolidefraudationen  (wohl 
unter  Mitwirkung  der  Städter)  ans  Licht  gezogen  wurden,  darüber  vgl. 
Nicolas,  Proceedings  etc.  I.  S.  289. 

"    Rot.  Pari.  III.  S.  613  und  9  Henr.  IV.  c.  1.  1407. 


—    405    — 

Stadt  zur  Regel  und  zum  Gesetz  erhob,  zudem  nur  vierzig* 
tagigen  Aufenthalt  gestattete,  so  war  alle  Möglichkeit,  Waaren 
aufzustapeln  und  zu  verheimlichen,  ausgeschlossen.  Auch 
dürften  die  Fremden  der  Sitte  gemäss  nur  auf  dem  öffent- 
lichen Markte  verkaufen,  und  es  waren,  wie  man  meinen 
sollte,  viele  Garantien  gegeben,  um  jeden  Verkauf  oder  Kauf 
zwischen  Fremden  sofort  zu  entdecken.  Allein  die  Kaufleute 
fanden  doch  Mittel,  das  Verbot  des  directen  Verkehrs  zu  um- 
gehen. Die  Fremden  konnten  einen  Bürger  gewinnen,  der  ihre 
Güter  als  sein  Eigenthum  erklärte,  oder  noch  lieber  hiezu  sich 
eines  Maklers  bedienen,  dem  es  leicht  war,  das  wahre  Eigen- 
thumsverhältniss  zu  verdunkeln,  oder  die  Fremden  kauften  die 
Waaren  auf,  ehe  dieselben  ins  Bereich  der  Stadt  kamen. 

Gegen  dergleichen  Künste  suchte  sich  die  Stadt  durch 
zahlreiche  Byelaws  in  Betreff  der  Makler x)  und  des  Vorkaufs 2) 
zu  schützen.  Mit  dem  Fortschreiten  der  Zeit  wurden  aber  die 
Schwierigkeiten  immer  grösser.  Der  Handel  wuchs  und  brei- 
tete sich  aus,  die  einfachen  Verhältnisse,  unter  denen  er  früher 
geführt  wurde,  machten  complicirteren  Platz.  Die  Fremden 
fanden  es  unerträglich,  nur  eine  bestimmte  Zeit  in  England 
bleiben,  nur  bei  Engländern  wohnen,  nur  mit  Stadtbürgern 
und  nur  auf  offnem  Markte  handeln  zu  dürfen. 

Alle  diese  Momente  waren  im  15.  Jahrhundert  viel  wirk- 
samer als  im  14.;  und  doch  waren  jetzt  erst  die  Rechte  der 
Städter  im  Princip  anerkannt.  Sollten  die  Bürger,  nachdem 
sie  200  Jahre  gestritten,  auf  die  Früchte  des  endlichen  Sieges 
verzichten?  So  begannen  sie  denn  mit  den  alten  rigorosen 
Mitteln  zu  operiren. 

Zunächst  richteten  die  Städter  ihre  Aufmerksamkeit  auf 
das  Zusammenwohnen  der  Fremden.  Solange  sie  dieses  nicht 
beseitigen  konten,  war  eine  Controle  unmöglich.  Im  Jahre 
1410  nahmen  sie  zunächst  einen  Vorwand  zu  Hilfe.  Sie 
machten  geltend,  dass  die  Fremden  in  den  Häusern,  wo  sie 
allein  beisammen  wohnten,  in  einem  Jahre  oft  1—2000  feine 
weisse  Tücher  färbten ,  zerschnitten  und  zu  Gewändern  ver- 
arbeiteten und  in  dieser  Form  ausser  Landes  schickten.  Auf 
solche  Weise  entzögen  sie  sich  dem  Tuchzoll  und  fänden  Ge- 
legenheit, Gold  und  Silber  durch  Dazwischenpacken  aus- 
zufahren. Das  Verlangen,  dass  diese  Gewänder  der  Verzollung 
unterworfen  und  insbesondere,  dass  auch  Commissäre  ernannt 
würden,  welche  nachforschten,  ob  nicht  gegen  die  Statuten  etwas 


l)  Die  Makler  mussten  Einheimische  sein,  schwören,  dass  sie  keinen 
Verkauf  zwischen  Fremden  machen  woUen,  durften  keinen  Eigenhandel 
treiben,  auch  nicht  Fremde  aus  der  Stadt  führen,  ausserhalb  der  Stadt 
keine  Geschäfte  vermitteln;  vgl.  Lib er  Albus  S.  269,  368,401,  402,  586 fg. 

*)  Gr.  Norton,  An  exposition  of  the  Privileges  of  the  Citv  of  London 
in  regard  to  the  Claims  of  non-freemen  to  deal  by  wholesale  within  its 
Jurisdiction  London  1821.  S.  40  u.  62. 


—    406    - 

verübt  werde,  wurde  durch  Erlass  eines  bezüglichen  Gesetzes  er- 
füllt1). Eine  Art  Aufsicht,  die  Möglichkeit,  zu  jeder  Zeit  in  die  Häu- 
ser der  Fremden  einzudringen,  hatten  siesich  damit  schon  gesichert 

Ein  Jahr  darauf  sprachen  sie  schon  deutlicher.  Sie  ver- 
langten, dass  die  Fremden  behandelt  würden,  wie  die  Engländer 
in  Flandern  und  sonst  jenseits  der  See.  Was  sie  damit  mein- 
ten, specificirten  sie:  Der  Fremde  solle  bei  einem  englischen 
Bürger  wohnen,  Nichts  kaufen  und  keinen  Handel  ohne  dessen 
Kenntniss  machen,  innerhalb  40  Tagen  alle  seine  Waaren  ver- 
kaufen; auch  möge  man  neuerdings  durch  Gesetz  aussprechen, 
dass  kein  Fremder  Makler  sein  dürfe.  Diese  Waffen  den  Bür- 
gern in  die  Hände  zu  geben,  konnte  die  Regierung  sich  jedoch 
nicht  entschliessen,  sie  suchte  die  Sache  zu  vertagen*);  ehe 
sie  wieder  aufgegriffen  wurde,  starb  der  König. 

Der  Nachfolger  Heinrich  V.  wollte  und  musste  bei  seinem 
Begierungsantritt  das  englische  Volk  für  sich  gewinnen,  und 
wie  er  deshalb  allen  Ständen  einige  Zeichen  seiner  Huld  zu 
erweisen  suchte,  so  beglückte  er  auch  die  Städter  mit  einer 
freilich  vorläufig  nur  theoretischen  Gnade.  Er  gab  nämlich 
der  Bill,  welche  die  Zuweisung  der  in  England  sich  aufhalten- 
den Fremden  an  Wirthe  verlangte,  seine  Zustimmung,  behielt 
sich  aber  die  Dispensation  vor3).  Als  aber  die  Städter  zur 
Unterstützung  seiner  kühnen  Eroberungspläne  sich  sehr  bereit 
und  opferwillig  zeigten,  musste  er  auch  das  Statut  5  Hen.  IV. 
c.  7  und  c.  9  bestätigen  und  versprechen,  dass  in  Zukunft 
den  Fremden  wirklich  Wirthe  angewiesen  werden  sollten4). 

Von  den  übrigen  früher  gestellten  Forderungen  der  Städte 
ist  keine  Bede;  aber  auch  die  Ausführung  des  Gewährten  blieb 
offenbar  hinter  den  Wünschen  der  Gemeinen  zurück;  denn 
vier  Jahre  später  sahen  sie  sich  veranlasst,  neuerdings  auf 
dieselbe  zu  dringen 6).  Es  scheint  jedoch ,  als  ob  die  Commo- 
ners  noch  immer  nicht  ganz  zufrieden  gestellt  wurden,  denn 
nach  dem  Tode  des  Königs  bewilligten  sie  dem  Sohne  Heinrich 
VI.  das  Tonnengeld  nur  unter  der  Bedingung,  dass  alle  Frem- 
denrechte streng  ausgeführt  würden6).     Die  Regierung  hielt 

*)  11  Hen.  IV.  c  7.  1410. 

s)  Der  König  gab  die  Antwort,  die  bereits  in  Betreff  dieses  Puncto 
existirenden  Statuten  sollten  beobachtet,  ausserdem  eine  Commission  ernannt 
werden ,  welche  die  erwähnten  Statuten,  sowie  die  Petition  prüfe  und  dann 
Beriebt  erstatte.    Rot  Pari  HL    8.  661. 

8)Rot  ParL  IV.  S.ia  U18. 

*)  Rot.  Pari.  IV.  8.  104  und  4  Hen.  V.  c.  5. 

*)  Rot.  Pari.  VI.  S.  126. 

•)  Ihre  Bedingungen  lauten:  „That  al  the  merchantz  strängen  sballe 
be  ander  hoost  withyne  XV  dayes  after  thair  commyng,  and  or  thay  make 
any  sale  of  thaire  merchandise.  And  yt  alsoo  that  wythinne  XL.  dayes, 
alter  thay  bee  under  booste,  ihe  merchantz  straungers  shail  seile  and  emploie 
all  thaire  merchandises.  And  aU  the  said  merchandises  of  the  saide  mer 
chants  straungers,  that  leren  unsoold,  delivered  and  unemploied  aftre  y* 
XL.  daies  forsaid,  sball  bee  forfaited  to  oure  said  soverayn  Lord  the Kyng.- 
Rot  Pari.  IV.  S.  276  1425. 


-     407  - 

ihr  Versprechen  nicht,  und  die  dadurch  erzeugte  Gähning  im 
Volke  war  so  gross,  dass  der  Kanzler  über  London  den  Be- 
lagerungszustand verhängen  musste1). 

Lange,  namentlich  während  die  Regentschaft  bestand, 
waren  die  Bürger  nicht  im  Stande,  irgend  eine  bedeutende 
Concession  zu  erlangen.  Die  Erbitterung  derselben  zeigte  sich 
aber  auch  bei  jeder  Gelegenheit  Ein  weises  Statut  des  Vor- 
gängers hatte  festgesetzt,  dass  als  Richter  in  gewissen  Fällen 
nur  diejenigen  berufen  werden  durften,  die  ein  bestimmtes 
Landeinkommen  besassen2).  Sofort  dehnte  man  böswilliger 
Weise  diese  Bestimmung  auf  die  Handelsgerichte  aus  und  ver- 
hinderte dadurch  die  Theilnahme  der  Fremden  bei  der  Recht- 
sprechung, bis  das  Parlament  eine  authentische  Inteipretation 
gab8).  Andere  Gesetze,  die  ihrem  Fremdenhass  entsprangen, 
waren  so  unvernünftig,  dass  die  Wirkung  gegen  die  Bürger 
sich  kehrte,  und  diese  selbst  um  Wiederaufhebung  der 
Acten  bitten  mussten.    So  hatte  man  1420  bestimmt4),  dass 

')  „And  at  that  Parlyament  was  grauntyd,  that  all  maxier  of  alyentys 
shulde  be  put  to  hoste  as  Englysche  men  benne  in  othyr  landys,  and  ovyr 
that  condyscyon  was  tbe  tonage  grauntyd;  tbe  wbyche  condyscyon  was 
brokyn  in  tbe  same  yere  by  the  Byschoppe  of  Wynchester,  as  tbe  moste 
pepylle  sayde,  he  beyng  Cbaunseler  the  same  tyme,  and  therefore  tbere 
was  moche  hevynesse  and  trowbylle  in  thys  londe.  And  that  yere  the  XIII 
Feverer  at  nygbt,  were  caste  many  byllys  in  the  cytte  and  in  the  subarbys 
a-gayne  the  Flemyngs,  and  sum  were  set  in  the  byschoppeys  gate  of  Wyn- 
chester  and  in  othyr  biscboppys  gatys.  And  in  the  morowe  the  Byschoppe 
of  Wynchester  sent  Richarde  Woodevyle,  squyer,  to  kepe  the  Towre  of 
London  with  men  of  armys,  as  thoughe  hyt  hadde  bene  in  the  londe  of 
warre,  and  so  induryd  tylle  the  feste  of  Symon  and  Jude  nexte  aftyr  fo- 
lowynge."  3.  Hen.  Vi.  1425.  Will.  Gregory,  Chronicle  of  London  ed. 
J.  Gairdner  S.  157. 

9)  2  Hen.  V.  st.  2  c  3.  1414. 

8)  8  Hen.  VI.  c.  29.  1429. 

4)  In  ihrer  Petition  hatten  die  Bürger  folgende  Stelle  eingeflochten: 
^Consideryng  yat  yorowe,  ve  grete  apprestes,  yat  has  been  made  hem  in 
yis  roiaume,  thai  have  ful  greteli  encresed  and  avaunced  her  merchan- 
dises and  broght  doune  to  noght  ye  pris  of  ye  commodite  of  yis  roiaume 
makyng  them  riebe  and  üb  pouere,  yat  ig  shame  and  abusion.  For  hit 
may  wel  be  remembred,  yat  in  ye  tyme  of  kyng  Edward  and  kyns  Richard, 
in  whoos  dayes  was  halden  in  yis  roiaume  ful  grete  astate  and  rialte  in 
honseholdes  amanges  many  worthy  Lordes  bothe  spirituell  and  temporell, 
yer  come  into  yis  lande;  mit  oone  galye,  and  yan  ye  merchandises  yat 
come  was  half  endele  withynne  ye  price,  yat  yai  been  nowe,  when  yere 
commeth  4  or  5  galeys  yerely,  withouten  carakes;  yat  is  to  say,  gyngever 
vas  at  IX  d,  piper  VIII  <L  clowez,  macez,  synomom'  canell  and  grene 
gynger  bytweyn  XII  and  XIII  d,  Malvesies,  Tires  and  Romeneys  at  4  marc' 
apd  5  marc'  att  ye  moste.  And  yat  tyme  yai  boughten  fyn  Streites  of 
Bssex  for  XXIV  s.  a.  pece,  commen  Strettes  XYI  s,  Westorn  Blankett  of 
Vyse  and  Benkenton  XXYI  s,  wher  hit  is  nowe  broght  doune  into  hälfe  ye 
price,  yat  hit  war  wonte.  and  yair  merchandise  encresed  ye  double,  so 
yat  ye  gretter  quantite  ot  merchandises,  yat  yai  bringyn  into  yis  roiaume, 
ye  derrer  hit  is,  and  ye  more  ye  byen  ayen.  the  better  chepe  yai  make  hit; 
fne  whiche ,  but  has^r  remedy  be  purvoiea  in  short  tyme ,  wil  be  ye  de- 
Btruction  of  yis*  roiaume ,  yat  God  defende.  Rot  Pari.  IV.  S.  360  und 
361.1429. 


—    408    — 

an  fremde  Kaufleute  nur  gegen  baar  verkauft  werden  solle1); 
die  Folge  war  eine  solche  Stagnation  des  Handels,  dass  den 
Bürgern  fast  all  ihre  Tücher  liegen  blieben  und  man  wieder 
gestatten  musste,  den  Fremden  auf  6  Monate  zu  creditiren  -). 

Nur  mit  Mühe  konnte  die  Regierung  dem  Andrängen  der 
Gemeinen  Stand  halten.  Diese  hatten  1427  eine  Erneuerung 
und  Verschärfung  des  Statuts  5  Hen.  IV.  c.  7,  9  verlangt, 
wonach  unter  Anderm  der  Mayor  für  jeden  Fremden ,  dem  er 
nicht  einen  einheimischen  Wirth  zuweise,  60  {£  Strafe  zahlen 
sollte3)  —  man  schlug  es  ab.  Sie  erneuerten  fünf  Jahre  später 
ihre  Bitte  —  der  König  suchte  auszuweichen,  versprach  nur, 
von  den  betreffenden  Gesetzen  Einsicht  zu  nehmen,  und  behielt 
sich  die  Art  der  Ausführung  vor4).  Sie  nahmen  1433  ihre 
Zuflucht  zu  der  in  allen  Kreisen  populären  Forderung,  dass 
die  Fremden  kein  Geld  ausführen  sollten,  und  wünschten  die 
Aufstellung  zweier  Leute  in  jedem  Hafen,  welche  sie  mit  ge- 
radezu unerträglichen  Vollmachten  ausrüsten  wollten,  so  dass 
die  Fremden  ohne  deren  Wissen  Nichts  thun,  am  allerwenigsten 
an  Nichtbtirger  verkaufen  konnten6)  —  auch  diese  rigorosen 
Anträge  wurden  zurückgewiesen,  Die  Stapler  griffen  1437 
wieder  die  Frage  der  Baarzahlung  auf  und  suchten  dadurch, 
dass  sie  für  Wolltücher  die  Creditirung  erlauben  wollten,  ein 
Gesetz  möglich  zu  machen 6)  —  der  Versuch  scheiterte  wiederum 
am  Widerstände  der  Regierung.  Endlich  baten  sie  den  Koni? 
1422  und  1433,  er  möge  wenigstens  im  Lande  keine  fremden 
Makler  dulden  *)  —  aber  auch  das  war  vergeblich ,  obwohl 
schon  Eduard  III.  ein  solches  Statut  erlassen  hatte,  und  die 
Petenten  das  Beispiel  anderer  Länder,  den  Geldexport,  die 
Schädigung  der  Zölle,  die  Preissteigerung  der  fremden  WTaaren, 
wie  des  Weins  und  die  Preisminderung  der  englischen  Artikel, 
namentlich  des  Tuchs  und  sonstige  Missstände  als  von  den 
fremden  Maklern  herrührend  ins  Treffen  führten. 

Je  mehr  die  endlosen  Kriege  mit  Frankreich  die  Mittel 
der  englischen  Regierung  erschöpften,  je  öfter  sie  die  Hilfe 
des  Parlaments  in  Anspruch  nehmen  musste,  je  grösser  auch 
das  öffentliche  Aergerniss  war,  das  die  Eremden  in  sittlicher 
Hinsicht  gaben8),  um  so  schwächer  musste  der  Widerstand 
gegen  das  Begehren  der  Bürger  werden.  Wohl  wagte  die 
Regierung,  ein  6  Rieh.  II,  erlassenes  Gesetz  noch  zu  verschär- 
fen, indem  40  £  Strafe  denjenigen  treffen  sollten,  der  einen 


*)  8  Hen.  VI.  c.  24. 

*)  9  Hen.  VI.  c.  2. 

8)  Rot.  Pari.  IV.  S.  328. 

*)  Rot.  Pari.  IV.  S.  402. 

R)  Rot.  Pari.  IV.  S.  453. 

fl)  Rot.  Pari.  IV.  S.  509;  vgl.  auch  S.  450.  . 

7)  Rot.  Pari.  IV.  S.  193   449. 

8)  Vgl.  die  Petition  der  Vorstadt  Southwark.  Rot.  Parl.'lV.S.  511(1437). 


—    409    — 

Fremden  im  Gross-  oder  Detailhandel  mit  Lebensmitteln  störte1), 
und  befreite  in  Uebereinstimmung  mit  den  Lords  die  Fremden 
von  einem  ihnen  zuerkannten  Extrazoll  *).  Aber  es  war  klar, 
dass  dieReaction  nur  um  so  stärker  ausfallen  musste,  sobald  es 
gelang,  den  Widerstand  der  Regierung  zu  brechen.  Diese  konnte 
aber  das  Feld  nicht  mehr  behaupten,  als  aus  ihrem  eigenen 
Schoosse  ein  Mann  sich  erhob  und  in  dem  berühmten  einem 
Mitglied  des  Geh.  Raths  gewidmeten,  von  diesem  „so  wahr  wie 
das  Evangelium"  befundenen  Büchlein  von  der  englischen 
Staatsklugheit  für  die  Bürger  Partei  nahm.  Er  gab  der  öffent- 
lichen Meinung  den  prägnanten  Ausdruck,  und  aus  Aller  Munde 
schallte  es  den  Ministern  jetzt  entgegen: 

Warum  wohl  müssen  wir  ins  Wirtbshaus  gehn 

In  ihrem a)  Land,  wenn  sie  sich  nicht  verstehu 

Bei  uns  zu  Gleichem,  sondern  mehr  sich  frei 

Bewegen  als  wir  selbst?    Gott  steh  mir  bei! 

Warum  lasst  man  nicht  die  Geschenke  sein, 

Die  sichtlich  hemmen  unsers  Volks  Gedeihn? 

Denn  Solches  sehn  wir  klärlich  alle  Tage: 

Das  Volkswohl  schäd'gen  Gaben  und  Gelage. 

Nun  mögen  Narren  sein  —  sie  oder  wir: 

Am  schlechtsten  fahren  wir  doch  immer  hier. 

Drum  lasst  sie  hier  ins  Wirthshaus  ziehn;  wo  nicht, 

Befreie  man  auch  uns  von  dieser  Pflicht 

Bei  ihnen.   Wollen  sie's  nicht  zugestehn, 

So  zwingt  sie  hier  dazu:  ihr  werdet  sehn: 

Es  kommt  davon  mehr  Vortheil  und  Gewinn 

Als  zu  beschreiben  ich  im  Stande  bin4). 
Die  nächste  Folge  war  das  Gesetz  18.  Hen.  VI  c.  4  (1439), 
das  nicht  blos  in  allgemeinen  Zusicherungen  bestand ,  sondern 
die  deutliche  Tendenz  verräth,  wirklich  das  Gästerecht  prac- 
tisch  werden  zu  lassen6). 

Fremde,  heisst  es  in  demselben,  dürfen  keine  Waaren  an 
Fremde  verkaufen  unter  Strafe  der  Confiscation.  Die  aus- 
wärtigen Kaufleute  stehen  unter  Aufsicht  der  ihnen  zugewie- 
senen Aufseher  oder  Wirthe.  Jeder  von  ihnen  hat  deshalb 
drei  Tage  nach  seiner  Ankunft  sich  vor  der  Behörde  zu  stellen, 

^Rot.  Pari.  IV.  S.  492  (1435). 

«)  Rot  Pari.  IV.  S.  890  (1482). 

8)  Sc.  der  Fremden,  bezw.  Italiener. 

*)  The  Libell  of  Englishe  Policye  1436.  Uebers.  von  Hertz- 
berg.   Leipzig  1878.    8.  83.  V.  496-511. 

*)  Die  Motive  lauten :  Grosser  Schaden  und  Verlust  erwachsen  täglich 
dem  König  und  seinem  Volk  dadurch,  dass  die  fremden  Kaufleute  ganz 
nach  ihrem  Gutdünken  kaufen  und  verkaufen  können,  ohne  hiebei  von 
einem  Engländer  beaufsichtigt  zu  sein.  Dadurch  ist  es  ihnen  möglich,  sich 
mit  einander  zu  verabreden  und  den  Preis  der  englischen  Waaren  zu  drücken, 
den  der  ihrigen  aber  zu  erhöhen.  Die  Fremden  bereichern  sich,  die  Ein- 
beimischen verarmen,  grosse  Reichthümer  werden  aus  dem  Lande  geführt, 
die  Zölle  und  Subsidien  sehr  vermindert  und  die  Flotte  des  Reiches  ge- 
schädigt und  zerstört.  Durch  verschiedene  Statuten  (sieh  oben  S.  403,  406.) 
wurde  bestimmt,  dass  in  jeder  Stadt  und  jedem  englischen  Seehafen  den 
fremden  Kaufleuten  von  den  Behörden  ein  Wirth  angewiesen  werden  soll, 
und  dass  dieselben  nur  bei  diesem  wohnen  dürfen.  Diese  Bestimmungen 
haben  sich  aber  als  unzureichend  erwiesen. 


—    410    — 

und  diese  in  spätestens  vier  Tagen  die  Zuweisung  vorzu- 
nehmen. Der  Wirth  soll  eine  zuverlässige  Person,  englischer 
Abkunft  und  im  Handel  erfahren  sein,  aber  zur  Zeit  der  Auf- 
sicht nicht  denselben  Handel  treiben  wie  der  Fremde.  Der 
Wirth  ist  verpflichtet,  in  Betreif  der  Waaren  und  Transactionen 
seines  Gastes  Stillschweigen  zu  beobachten.  Die  fremden  Kauf- 
leute dürfen  nur  unter  Aufsicht  ihrer  Wirthe  und  innerhalb 
acht  Monaten  ihre  Waaren  zum  Verkauf  bringen.  Für  den 
Gelderlös  müssen  sie  Waaren  englischen  Ursprungs  erwer- 
ben bei  Strafe  der  Confiscation  des  nicht  so  verwendeten 
Geldes.  Die  in  acht  Monaten  nicht  verkauften  Waaren  kön- 
nen sie  zollfrei  wieder  ausführen,  verkaufen  sie  nach  dieser 
Zeit  noch  Etwas,  so  ist  es  verwirkt.  Jeder  Wirth  muss  von 
Zeit  zu  Zeit  alle  Waaren,  Käufe,  Verkäufe,  Gontracte  und 
Verwendungen  des  Gastes  registriren  und  zweimal  des  Jahres, 
Ostern  und  Michaeli,  einen  Auszug  aus  dem  geführten  Buch 
in  das  Schatzamt  abliefern.  Für  seine  Mühewaltung  hat  der 
Wirth  2  d  von  je  1  £  Werth  der  Waaren,  welche  die  Fremden 
kaufen  oder  verkaufen,  zu  beanspruchen.  Der  Wirth  ist  eidlich 
zu  verpflichten;  kommt  er  seinen  Obliegenheiten  nicht  nach, 
so  wird  er  von  den  Behörden  entsetzt  und  nach  ihrem  Er- 
messen bestraft.  Weigert  sich  ein  fremder  Kaufmann,  den 
Wirth  anzunehmen,  oder  sträubt  er  sich  gegen  die  Aufsicht,  so 
wird  er  von  den  Behörden  ins  Gefängniss  gesetzt  Das  Löse- 
geld, die  Sicherheitsleistung,  die  Strafe  wird  von  dem  König  be- 
stimmt. Verheimlicht  der  Gast  seinem  Wirthe  Waaren,  Käufe 
oder  Verkäufe,  so  verwirkt  er  die  betreffenden  Werthe.  Be- 
hörden, welche  den  Fremden  keinen  Wirth  zuweisen  oder  einen 
Fremden  nicht  ins  Gefängniss  werfen,  wo  es  das  Gesetz  ver- 
langt, unterliegen  einer  Strafe  von  20  jg  für  jeden  Fall.  Wer 
sich  weigert,  Wirth  zu  sein,  zahlt  für  jede  Weigerung  10  £• 
Die  Kläger  erhalten  einen,  der  König  drei  Theile  der  Strafen. 
Die  Kaufleute  der  Hansa  werden  nicht  von  dem  Gesetz  be- 
troffen, auch  bleiben  bereits  geschlossene  Verträge  in  Kraft. 
Die  Spitze  des  Gesetzes,  dessen  Gültigkeitsdauer  man  auf 
acht  Jahre  festgesetzt  hatte,  war  vorwiegend  gegen  die  zahlreich 
in  England  handelnden  Italiener  gerichtet.  Ein  Chronist  sagt 
deshalb  gerade  zu:  In  diesem  Jahr  beschloss  das  Parlament, 
dass  die  Lombarden  zu  einem  Wirthe  gehen  mussten l).  Auch 
verlangten  in  demselben  Parlament  die  Commoners  noch  ein 
anderes  Gesetz  gegen  die  Lombarden,  indem  diese  keine 
Waaren  von  den  Landein,  die  jenseits  der  Meerenge  von  Gib- 
raltar lägen,  bringen  sollten  *),  wurden  aber  damit  abgewiesen. 

')  18.  Hen.  VI.  1440.  „Ande  that  yere  was  the  Parlyment  concludyd 
and  ordaynyd,  that  Lnmbardys  sholde  goo  to  hoste."  Gregory,  Chronicle 
ed.  Gairdner.   S.  182. 

*)  Die  Gründe,  die  man  geltend  machte,  waren  dieselben,  wie  in  der 
Fremdenacte.    Rot  Pari.  V.  S.  31. 


—    411     — 

Das  Fremdengesetz  wurde  nach  Ablauf  der  acht  Jahre, 
für  die  es  zu  gelten  hatte,  ebenfalls  nicht  wieder  erneuert. 
Sein  Gharacter  war  zu  rigoros,  als  dass  die  Fremden  sich  dem- 
selben hätten  fügen  mögen.  Ein  Theil,  namentlich  viele  Italiener 
z.  B.  Dandolo  1442,  liess  sich  von  der  Regierung  das  Bürger- 
recht ertheilen,  ein  anderer  Theil  entzog  sich  dem  Verbot  des 
Handels  mit  Nichtbürgern  einfach  dadurch,  dass  sie  die  Käufer 
und  Verkäufer  auf  dem  platten  Lande  aufsuchten  und  nicht 
wie  bisher  in  London  und  Southampton  erwarteten.  Zwar  pe- 
titionirten  die  Gommoners  auch  dagegen,  indem  sie  geltend 
machten,  die  fremden  Eaufleute  kannten  die  Armuth  des  Lan- 
des, böten  deshalb  den  Landbewohnern  für  Wollentücher, 
Wolle,  Wollfelle  und  Zinn  baares  Geld  an  und  drückten  den 
Preis  dieser  wichtigen  Artikel  herab  M ;  man  möge  deshalb 
den  Italienern  nur  gestatten,  in  den  Häfen  von  London,  South- 
ampton und  Sandwich  zu  kaufen,  und  sie  zwingen  innerhalb 
vier  Monate  ihre  eigenen  Waaren  zu  verkaufen.  Dieses  ganz 
und  gar  ungerechtfertigte  Verlangen  wies  aber  der  König 
zurück  *). 

Die  Anfeindungen  und  Quälereien  von  Seite  der  Städter 
gegen  die  Fremden  hörten  nicht  auf.  Bald  entdeckten  die 
Städter,  dass  die  fremden  Kaufleute  die  Wolle  in  gepresstem 
Zustande  ausführten  und  dadurch  den  König  in  seinen  Zöllen 
und  die  Tuchmacher  in  ihren  Preisen  schädigten8);  bald  ver- 
langten sie,  dass  man  gegen  die  Genuesen  und  übrigen  Lom- 
barden vorgehe,  weil  sie  es  mit  den  Sarazenen  hielten  oder  in 
Schiffen  der  Feinde  Waaren  hätten4),  bald  waren  ihnen  die 
Gewürze  der  Italiener  nicht  rein  genug5),  bald  beantragten 
sie,  um  den  Geldexport  der  Fremden  zu  verhindern,  so  harte 
Bestimmungen,  dass  —  ein  höchst  seltener  Fall  —  gleich  die 
Gemeinen  die  Bill  verwarfen  •) ;  schliesslich  drangen  sie  neuer- 
dings darauf,  dass  die  städtische  Vorschrift,  wonach  in  London 
fremde  Makler  sich  nicht  etabliren  sollten,  auf  das  ganze  Reich 
ausgedehnt  werde7). 


J)  Auch  die  Stapler  hatten  sich  1487  über  die  Einwirkung  der  „Lom- 


S.  509. 

*)  Rot  Pari.  V.  8.  884  (1455). 

')  Rot  Part  V.  8.  277  (1454).  Bei  dieser  Gelegenheit  forderten  sie 
abermals,  dass  die  fremden  Eaufleute  innerhalb  3  Monate  ihre  Waaren 
an  die  Englander  verkauften;  vgl.  auch  noch  Y.  8.  882  (1455). 

*)  Rot  Pari.  V.  S.  61  (1442). 

>)  Rot  Pari  Y.  S.  156  (1449);  sieh  auch  unten  Gap.  8. 

«)Rot  ParL  V.  8.  32(1439). 

•)  Rot.  Pari.  V.  8.  56  (1442).  In  der  Begründung  heisst  es  unter 
Inderm,  dass,  wenn  die  Londoner  Verordnung  zu  einem  für  das  ganze 
Königreich  geltenden  Gesetze  gemacht  würde,  „hit  sholde  growe  to  grete 
avafll  aswele  to  the  merchaunts   as  to  the  commune  peple  of  this  land 


—    412    - 

All  das  sind  nur  kleine  Züge,  die  uns  die  Parlamentsver- 
handlungen an  die  Hand  geben.  Es  läset  sich  denken,  dass 
die  Stadtbehörden  auch  noch  reichlich  Mittel  fanden,  um  aus 
eigner  Machtvollkommenheit  die  Fremden  zu  drücken  und  ihnen 
das  Leben  sauer  zu  machen.  In  Bristol  z.  B.  war  dafür  ge- 
sorgt, dass  die  Gewinne  der  fremden  Händler  nicht  übergross 
ausfielen *),  und  in  London  trieben  es  der  Mayor  und  die  Mer- 
cers  zeitweise  so  toll,  dass  die  Lombarden  ernstlich  Anstalten 
trafen,  um  an  einen  andern  Platz  überzusiedeln*). 

In  einer  Hinsicht  aber  konnten  die  Bürger  und  Gemeinen 
doch  eines  vollständigen  Sieges  sich  rühmen.  Sie  proponirten, 
die  Fremden  mit  einer  Kopftaxe  zu  belegen.  Die  Berechtigung 
hiezu  stand  seit  langem  fest;  schon  1343  wurde  ausgesprochen, 
dass  diejenigen  Fremden,  welche  länger  als  40  Tage  im  Lande 
weilten,  keine  Steuerfreiheit  zu  beanspruchen  hätten8).  Das 
Geldbedürfniss  der  Krone,  die  Ausnahmestellung  der  Fremden 
im  Staate,  ihre  grossen  Gewinne  liessen  es  sogar  gerecht- 
fertigt erscheinen ,  wenn  man  ihnen  höhere  Lasten  auferlegte, 
als  den  Einheimischen  und  Naturalisirten.  1439  wurden  die 
Fremden,  wenn  sie  Haushalter  waren,  mit  einer  Kopftaxe  von 
16  d,  wenn  sie  keine  waren,  mit  6  d  belastet,  1449  wurde 
eine  weitere  Steuer  von  6  sh  8  d,  bezw.  1  sh  8  d  hinzugefügt; 
1453  war  der  Betrag,  welchen  die  nur  6  Wochen  im  Königreich 


consideryng,  that,  where  merchauntz  ßtraungers  be  brocours  or  exertise 
the  occupation  of  brocage  within  the  lond,  the  preferre  specially  and  sin- 
gulerly  tue  straungers,  aswell  the  merchaunts  aß  other  straungers,  in  all  the 
bargeynes  of  brocage.  And  over  that  by  the  mene  thereof  tnei  knowe  the 
privite  of  this  lond  and  the  necessite  of  the  peple  within  the  roialme,  by 
the  which  they  se  the  weyes  and  menes;  how  to  prevaile  the  straungers 
and  hemself  and  how  to  hurte  the  deniseins  to  grete  universell  hurt  of  all 
the  peple.4* 

l)  Der  berühmte  Kaufmann  Will.  Canynges  erliesa  in  Betreff  der  Kauf- 
leute in  Bristol  im  letzten  Jahre  seines  Bürgermeisteramts  (1466/67)  ein 
grösseres  Statut;  darin  heisst  der  4.  Artikel:  „All  rules  ior  selling  to 
straungers  of  any  of  the  four  merchandizes  to  be  kept  on  pain  of  twenty 
Shillings  for  every  default;  one  half  to  be  paid  to  the  socaetv  and  the  other 
to  the  Corporation  Chamber11;  und  der  5.  Artikel  lautet:  „No  merchant  to 
seil  goods  to  any  stranger  under  the  regulated  price,  under  a  penalty  of  twenty 
Shillings  to  be  disposed  of  as  above  mentioned."  George  Pryce,  Me- 
morials of  the  Cannynges'  family  and  their  timeß  1854.  S.  135. 

')  Der  Chronist  erzahlt  vom  Jahre  83  Hen.  VI.  1456 :  „Here  was  the 
rvsynge  and  wanton  reule  of  the  mayre  and  the  mercers  of  London  a-gayne 
tue  Lombardys.  The  Lombardys  were  so  yntretyd  that  they  were  ferne 
to  voyde  the  Cytte  of  London,  and  many  of  them  come  to  Sowthe  Hampton 
and  unto  Wynchester  for  to  be  an  habyte  there.  And  they  toke  grete 
olde  mancvons,  the  londe  lordys  to  do  grete  coste  in  reparacyons,  and  when 
alle  was  don,  they  come  not  there,  and  that  causyd  grete  loste  unto  the 
londe  lordys.  Also  sum  of  the  Lumbardys  were  take  and  put  in  warde 
and  the  comyn  talkynge  and  noyse  was,  that  they  shulde  nevyr  be  delyveryd, 
butt  contynue  in  perpetualle  preson."  Gregory,  Chronicle  ed.  Gäirdner 
8.  199. 

3)  Vgl.  oben  S.  89G. 


—    413    — 

weilenden  fremden  Kaufleute  entrichten  mussten,  bereits  auf 
1  £,  bei  Nichtbürgern  auf  2  SS  gestiegen x).  Fortan  zog  man 
die  fremden  Kaufleute  stets  zur  Staatssteuer  bei,  meist  hatten 
sie  die  doppelte  Summe  der  Einheimischen  zu  zahlen  *). 

IV.  Periode    1461  —  1547. 

Hatten  die  Lancasterkönige  schon  ihre  Hauptstütze  im 
Borgerstande  suchen  müssen,  so  war  das  noch  mehr  der  Fall 
bei  den  Regenten  aus  dem  Hause  York.  Eduard  IV.  beson- 
ders war  bei  den  Bürgern  Londons  und  der  übrigen  grösseren 
Städte  äusserst  beliebt  und  behielt  seine  Popularität  bis  zu 
seinem  Tode.  Demnach  zu  schliessen,  muss  er  es  verstanden 
haben,  in  vorzüglicher  Weise  den  bürgerlichen  Interessen 
Rechnung  zu  tragen.  Nichtsdestoweniger  finden  wir  unter 
ihm  keine  systematische  oder  directe  Bedrückung  der  fremden 
Kaufleute  s).  Er  stand  viel  zu  sehr  selbst  im  Handelsgetriebe, 
als  dass  er  so  kurzsichtig  und  engherzig  hätte  verfahren  sollen. 
Die  Gunst  der  Bürger  verdankte  Eduard  IV.  theils  seinem 
herablassenden  Wesen  im  persönlichen  Verkehr  mit  den  Bür- 
gern, theils  und  vornehmlich  der  Gewährung  eines  ausgedehn- 
ten Industrieschutzes4).  In  letzterer  Hinsicht  ist  Eduards  IV. 
Eingreifen  auch  wichtig  für  die  Fremdenfrage  geworden.  Unter 
ihm  wurde  der  erste  umfassendere  Versuch  gemacht,  die  mehr 
oder  weniger  ausserhalb  des  staatlichen  und  städtischen  Orga- 
nismus stehenden  gewerblichen  Fremdencolonien  in  England 
mit  dem  einheimischen  Gewerbe  zu  verschmelzen  und  den 
Landesinstitutionen  unterzuordnen.  Vereinzelt  war  diese  Frage 
schon  früher  aufgetaucht6).  Den  ersten  Anlass  gaben  wohl 
die  flandrischen  Weber,  welche  Eduard  III.  ins  Land  gezogen 
und  yon  der  Jurisdiction  der  Londoner  Webergilde  befreit 
hatte.  Die  Londoner  Weber  sahen  in  diesem  Vorgehen  einen 
unberechtigten  Eingriff  in  die  ihnen  von  Heinrich  I.  verliehenen 
Privilegien 6),  weil  diesen  zufolge  Niemand  in  London  und  den 
dazu  gehörigen  Orten  in  ihr  Geschäft  sich  mischen  sollte,  wenn 
er  nicht  zu  ihrer  Gilde  gehörte,  und  sie  fanden  es  auch  un- 
billig, weil  die  Fremden  am  Nutzen  des  Geschäfts  participirten, 


*)  Rot.  Pari.  V,  S.  4,  144,  230;  vgl.  auch  Stubbs  III.  S.  124,  128, 
143,163,219. 

»)  Rot  Pari.  VI.  S.  192,  198,  401;  die  Statuten  1  Hen.  VIII.  c.  20; 
o  Hen.  Vin.  c.  17;  6  Hen.  VIII.  c.  26;  14/15  Hen.  VIII.  c.  16;  26  Hen. 
VIII  c.  19;  32 Hen.  VIII  c  50;  34/35 Hen.  VIII  c.  27:  vgl.  auch  Sinclair, 
History  of  the  public  revenue  of  the  British  empire.  3.  Ed.  1803.  I.  S. 
U9-154. 

s)  Vgl.  einige  Beispiele  im  2.  Capitel  des  I.  Abschn.  S.  123. 

*)  Vgl.  unten  Cap.  4. 

*)  Sieh  auch  Riley,  Memorials  of  London  S.  239,  246,  568. 

e)  Sieh  Liber  Custumarum  ed.  Riley  I.  S.  33. 


—    414    — 

aber  nicht  die  Lasten  zu  tragen 1),  namentlich  nicht  wie  die 
Londoner  für  ihre  Privilegien  jährlich  20  M.  2  sh  in  Silber  an 
den  Exchequer  abzuliefern  hatten  *).  Die  Londoner  Weber 
verlangten  deshalb  wiederholt  die  Eingliederung  der  Fremden 
in  ihre  Gilde,  was  sie  auch  schliesslich  durchgesetzt  zu  haben 
scheinen8).  Eduard  IV.  verallgemeinerte  diese  Politik,  indem 
er  diejenigen  in  England  lebenden  fremden  Handwerker,  welche 
Artikel  verfertigten,  deren  Einfuhr  verboten  war,  unter  die 
Aufsicht  der  Ortsbehörden  und  deren  Sucher  stellte,  wenn  sie 
nicht  an  näher  bestimmten  privilegirten  Plätzen  sich  befanden 4). 
Die  Ausnahmestellung  der  fremden  Gewerksieute  wurde  da- 
durch nicht  unwesentlich  beschränkt 

Noch  bedeutsamer  als  Eduards  Politik  wurde  die  Richards  HL 
für  die  Fremdenfrage.  Durch  Verbrechen  hatte  Richard  den 
Thron  an  sich  gerissen,  aussergewöhnliche  Mittel  musste  er  er- 
greifen, um  die  Gunst  des  Volkes  zu  erringen.  Wohl  hatte 
derselbe  in  einer  Proclamation,  die  er  vor  seiner  Krönung  er- 
lassen, den  Fremden  persönliche  Sicherheit  versprochen 6).  Aber 
das  gab  ihm  noch  einen  weiten  Spielraum  für  Gesetze  gegen 
die  Fremden.  In  der  That  kam  eine  Acte  zu  Stande 6),  welche 
zu  den  merkwürdigsten  Gesetzen  seiner  Regierung  gehört. 
Hauptsächlich  gegen  die  am  wenigsten  im  Volk  beliebten 
Italiener  gerichtet,  versucht  das  Statut  doch  die  Fremdenfrage 
in  ihrer  ganzen  Tragweite  zu  erfassen  und  zu  regeln. 

Der  Hauptinhalt  des  Gesetzes  und  seiner  Motive  ist  fol- 
gender: Die  Venetianer,  Florentiner,  Apulier,  Sicilianer,  Luc- 
caner,  sowie  die  Gatalonier  halten  in  London  und  andern 
Städten  Häuser,  Lager  oder  Keller,  in  denen  sie  ihre  Waaren 
betrügerisch  einpacken,  vermischen  und  so  lange  aufbewahren, 
bis  die  Preise  derselben  sehr  hoch  gestiegen  sind.  Sie  kaufen 
die  Landesproducte  auf,  verkaufen  dieselben,  wenn  es  ihnen 
beliebt,  verwenden  einen  grossen  Theil  des  Gelderlöses  nicht 
auf  den  Ankauf  englischer  Waaren,  sondern  senden  ihn  ausser 


1)  „les  ditz  aliens  supplantent  et  preignent  les  profitz  du  dit  mestier, 
et  les  ditz  suppliantz  portent  les  charges."    Rot  ParL  IU.  S.600  (1406). 

*)  Pipe  Koll  31  Hen.  I.  S.  144. 

•)  Vgl.  Rot  Pari.  UI.  S.  000  (1406);  IV.  S.  50  (1414);  S.  162  (1421). 

4)  Rot  Pari.  V.  S.  507  und  8—4  Ed.  IV.  c.  4.  Die  fremden  Gold- 
schmiede wurden  den  Wardeinen  der  Londoner  1477  untergeordnet.  Rot 
Pari.  VL  S.  185. 

s)  „And  also  our  said  soverain  lord  considring,  how  it  is  unto  hym 
and  this  bis  land  both  honoursble  and  profitable,  that  straungers  and 
aliens,  being  at  this  tyme  within  the  said  citie  and  places  thereunta  aäjoy- 
nyng,  upon  the  trust  of  amitie,  confederacions  or  treustes  bee  peasibly  and 
laofolly  entreated,  chargeth  therfor  and  commaundeth  under  peyn  of  deth, 
that  noo  manere  persone  make  any  bodily  banne  or  hurt  to  any  of  the 
said  estraungers  or  aliens,  nor  robbe  or  oispoille  any  of  thaym  in  thair 

foodes  or  catailles  in  any  wise."    July  1483.    Gairdner,  Letters  and 
»apers  of  Richard  III.  and  Henry  VII.  I.  S.  17. 

•)  An  act  touching  the  merchaunts  of  Italy.    1  Rieb.  M.  c  9. 


—     415     - 

Landes  zum  grossen  Nachtheile  der  Zolleinkünfte  des  Königs 
und  zum  Schaden  seiner  Unterthanen.  Die  Italiener  und  an- 
dere fremde  Kaufleute  sind  selbst  Wirthe,  nehmen  Leute  an- 
derer Nation  bei  sich  auf  und  treiben  mit  ihnen  geheimen 
Handel.  Sie  kaufen  viel  Wolle,  Wollzeuge  und  andere  Waaren 
in  den  verschiedenen  Orten  des  Reichs  auf  und  verkaufen  sie 
wieder  im  Land.  Eine  grosse  Menge  Handwerksleute  und 
anderer  Fremden  kommen  sammt  ihren  Familien  täglich  zu- 
gewandert und  lassen  sich  in  den  St&dten  nieder;  daselbst 
machen  sie  Tuch  oder  geben  sich  mit  sonstigen  leichten  Ge- 
schäften ab,  anstatt  dass  sie  mühsamen  Beschäftigungen,  wie 
der  Feldarbeit  u.  s.  w.  sich  zuwenden;  sie  bringen  auch  aus 
andern  Ländern  sehr  viele  Waaren  zu  den  Märkten  und  Messen 
und  verkaufen  sie  zum  grossen  Schaden  der  Unterthanen  im 
Grossen  wie  im  Detail.  Die  Italiener  gebrauchen  zu  ihren 
Arbeiten  nur  ihre  eigenen  Landsleute,  infolge  dessen  herrscht 
soviel  Diebstahl,  Massiggang  und  Bettelei  im  Land.  Haben 
diese  Fremden  ein  grosses  Vermögen  erworben,  so  begeben 
sie  sich  ins  Ausland  und  verzehren  ihr  Geld  nicht  selten  bei 
den  Feinden  des  Reichs.  Es  wird  deshalb  verordnet:  1)  Alle 
italienischen  Kaufleute,  die  das  Bürgerrecht  nicht  besitzen, 
dürfen  ihre  Waaren  nur  im  Grossen  und  nur  an  englische 
Unterthanen  verkaufen,  und  zwar  soll  dies  innerhalb  acht  Mo- 
nate nach  der  Einfuhr  und  in  dem  Hafen,  wo  sie  englische 
Waaren  verladen  wollen,  geschehen ;  sie  dürfen  den  Erlös  nur 
auf  englische  Artikel  verwenden  und  keineswegs  durch  Wechsel 
übermachen.  Bleiben  ihnen  Waaren  unverkauft,  so  dürfen  sie 
mit  denselben  noch  zwei  Monate  lang  von  Hafen  zu  Hafen 
fahren,  nach  dieser  Zeit  müssen  sie  aber  dieselben  zurück- 
nehmen. 2)  Kein  fremder  Kaufmann  soll  einen  andern  bei 
sich  beherbergen,  es  müsste  denn  derselbe  der  gleichen  Nation 
angehören.  3)  Kein  italienischer  Kaufmann,  der  nicht  engli- 
scher Bürger  ist,  soll  Wolle,  Wolltücher  oder  andere  Waaren, 
die  er  in  England  gekauft,  daselbst  wieder  verkaufen.  Auch 
soll  er  nicht  die  gekaufte  Wolle  auf  seine  Rechnung  im  König- 
reich verarbeiten  lassen,  sondern  die  Wolle,  Wolltücher  und 
andere  Waaren  über  die  See  nach  Gebieten  jenseit  der  Meer- 
enge von  Gibraltar  bringen.  4)  Kein  neu  ankommender 
Fremde  darf  künftig  als  Handwerksmeister  sich  etabliren,  son- 
dern muss  entweder  bei  einem  englischen  Handwerksmeister 
Geselle  werden  oder  das  Reich  verlassen.  5)  Kein  Fremder 
soll  Tücher  machen  oder  sonstwie  Wolle  zur  Verfertigung  von 
Stoffen  gebrauchen.  6)  Die  fremden  Handwerksleute,  die  be- 
reits im  Lande  sind,  dürfen  ausser  ihren  eigenen  Kindern  nur 
englische  Lehrjungen  verwenden.  7)  Der  Detailverkauf  der 
Bücher,  sowie  der  Druck  derselben  bleibt  den  Fremden  un- 
benommen. 


—    416    — 

Die  Acte  beschäftigt  sich,  wie  ersichtlich,  theils  mit  dem 
kaufmännischen  Gästerecht,  theils  mit  der  Stellung  der  frem- 
den Gewerbsleute.  In  ersterer  Hinsicht  ist  bezeichnend,  dass 
das  Gesetz  über  manche  Puncte  des  Gästerechts  mit  Still- 
schweigen hinweggeht;  so  ist  über  die  Ausübung  des  Makler- 
gewerbes und  das  Kaufen  der  Fremden  von  Bürgern  Nichts  ge- 
sagt. Andere  Puncte  verdunkelt  es  oder  mildert  sie.  Wenn 
nur  den  Italienern  der  Detailverkauf'  und  der  directe  Verkehr 
mit  Fremden  untersagt  wird,  so  scheint  die  Annahme  gerecht- 
fertigt, dass  man  den  übrigen  Fremden  beides  stillschweigend 
gestatten  wollte,  oder  wenn  man  das  Zusammenwohnen  nur 
solcher  Fremden  verbot,  die  verschiedener  Nation  angehörten, 
so  lag  doch  darin  eine  grosse  Concession  gegen  früher,  wo  die 
Städter  fort  und  fort  verlangten,  dass  auch  die  Fremden 
gleicher  Nation  nicht  gemeinsame  Herberge  hielten,  sondern 
jeder  bei  einem  Bürger  sich  einlogire.  In  mancher  Hinsicht 
schuf  man  allerdings  auch  neues  Recht,  wie  die  auf  die 
Italiener  sich  beschränkende  Bestimmung  3)  zeigt.  Aus  dem 
ganzen.  Tenor  der  Acte  aber  geht  hervor,  dass  sie  nicht  direct 
dem  Geiste  der  städtischen  Rechte  entstammt;  sie  will  nur 
verhüten,  dass  Fremde  sich  länger  in  England  aufhalten  und 
bereichern,  ohne  englische  Unterthanen  zu  werden.  Das  be- 
stätigen besonders  auch  die  Bestimmungen  über  die  fremden 
Handwerker.  Die  selbständigen  Colonien  der  letzteren  sollen 
mit  der  Zeit  aussterben,  in  das  englische  Handwerkerthum 
aufgehen,  ihre  Geschicklichkeit  soll  sich  den  Engländern  mit- 
theilen oder  doch  ihnen,  da  sie  im  Lande  bleiben,  zu  gute 
kommen.  Die  anormale  Stellung  der  angesiedelten  Hand- 
werker darf,  das  war  der  Gedanke,  nicht  ewig  fortdauern. 


Schon  das  Richardsche  Gesetz  ist  ein  schlagender  Beleg, 
welchen  ausserordentlichen  Einfluss  die  veränderten  commer- 
ciellen  Verhältnisse  übten.  Bestimmungen,  wie  sie  noch  unter 
Heinrich  VI.  gegen  die  ausländischen  Handelsleute  erlassen 
wurden,  waren  jetzt  eine  bare  Unmöglichkeit.  So  streng  hin- 
sichtlich der  fremden  Gewerksieute  die  Anschauungen  waren, 
die  städtischen  Rechte  hinsichtlich  der  fremden  Kaufleute 
waren  sichtlich  im  Verfall,  auch  ein  Richard  IH.  wagte  sie 
nicht  in  aller  Schärfe  wieder  herzustellen.  Wie  viel  weniger 
kann  man  es  von  Heinrich  VII.  erwarten,  der  doch  mit  viel 
grösserer  Sicherheit  seinen  Thron  inne  hatte,  als  seine  Vor- 
gänger. 

Noch  im  ersten  Jahre  liess  der  König  die  Strafen  des 
Richardschen  Statuts  wieder  zurücknehmen,  beziehungsweise 
behielt  sich  deren  Verhängung  vor1).    Damit  war  den  frem- 


M  1  Hen.  VII.  c.  10.  1485. 


—    417    — 

<len,  besonders  den  italienischen  Kaufleuten  wieder  freier  Spiel- 
raum gegeben,  allerdings  auch  die  einer  Lösung  harrende 
Frage  in  Betreff  der  fremden  in  England  angesiedelten  Gewerks- 
ieute vertagt.  In  Uebereinstimmung  mit  diesem  Schritt  zeigte 
sich  Heinrich  VII.  nicht  gewillt,  irgendwelche  Uebergriffe  der 
Londoner  zu  gestatten.  Das  zeigte  sich  1487,  als  die  City 
■lie  centrifugalen  Kräfte,  die  schon  so  oft  eine  Emancipation 
von  London  herbeizuführen  strebten,  gewaltsam  zu  bändigen 
versuchte.  Die  Londoner  wollten  nämlich  nicht  mehr  dul- 
den, dass  die  Gewerbsleute  ihre  Waaren  auf  Messen  und 
Märkte  ausserhalb  Londons  brächten 1),  damit  alle  Käufer  und 
Kaufleute  nach  London  kommen  müssten  zum  Gewinn*  der 
Stadt.  Wirklich  erliess  das  Common  Council  of  London  ein 
Verbot  in  diesem  Sinn,  das  zunächst  sieben  Jahre  gelten  sollte. 
Die  benachbarten  Märkte,  sowie  Salisbury,  Bristol,  Oxford, 
Cambridge,  Nottingham,  Ely,  Coventry  legten  Protest  ein,  und 
das  Parlament  mit  dem  König  trat  den  Beschwerdeführern 
bei  *). 

In  einem  andern  Punct  musste  dagegen  der  König,  we- 
nigstens äusserlich,  sich  willfährig  zeigen.  In  Folge  der 
Fremdenacten  war  es  sehr  üblich  geworden,  dass  Fremde  sicli 
lurch  Patent  das  Bürgerrecht  ertheilen  Hessen  und  dadurch 
allen  Schwierigkeiten,  welche  die  Städter  bereiteten,  sich  ent- 
zogen. Diese  Uebung  war  unter  Eduard  IV.  sogar  noch  im 
Zunehmen,  weil  die  Fremden,  die  ein  solches  Bürgerrecht 
hatten,  auch  nur  die  Zölle  der  Einheimischen  zu  zahlen 
brauchten.  Die  Commoners  verlangten  nun,  dass  solche  künst- 
liche Bürger,  die,  „sobald  sie  reich  geworden,  in  ihr  Heimath- 
land sich  zurückzögen",  Fremdenzölle  zahlen  sollten.  Der 
König  stimmte  zu 3),  beachtete  aber  das  Gesetz  so  wenig,  dass 
man  1495  seine  Erneuerung  verlangte4).  Vermuthlich  war 
der  Zollausfall  doch  geringer,  als  der  Gewinn,  den  der  König 
aas  den  Patenten  wie  aus  der  grösseren  Aus-  und  Einfuhr  von 
Waaren  erzielte.  Gleichzeitig  waren  diese  Begünstigungen  ge- 
eignet, tüchtige  Gewerbsleute  in  das  Land  zu  ziehen  und  eine 
Fremdencolonie  zu  schaffen,  welche  den  Einheimischen  durch  ihre 
^lössere  Geschicklichkeit  vorleuchten  konnte. 

Unter  diesen  Verhältnissen  begreift  man,  dass  unter  Hein- 
rieh VII.  das  ganze  System  des  Fremdenrechts  zerbröckelte. 
Ein  recht  anschauliches  Bild   von  diesem   Zersetzungsprocess 


*)  Als  Waareo,  die  besonders  von  den  Londonern  zu  den  Messen  ge- 
bracht wurden,  sind  bezeichnet:  Kirchengeräthe;  Kelche,  Bücher,  Gewänder, 
Haiishaltungsgegenstände,  Lebensmittel  für  die  Fastenzeit,  Leinentuch, 
Wollentuch,  Zinngeräthe,  Waschzeug,  Osemond,  Eisen,  Flachs,  Wachs  etc. 

%)  3  Hen.  Vfl.  c.  10  und  Northouck,  A  new  history  of  London 
1773.    S.  107. 

3)  1  Hen.  VII.  c.  2.  1485. 

4)  11  Hen.  VII.  c.  14.  1495. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  -• 


—    418    — 

gibt  eine  noch  erhaltene  Petition  der  Bürger  an  den  Magistrat 
von  London  aus  der  Regierungszeit  Heinrichs  VII.1).  Der 
grösste  Theil  derselben  betrifft  die  Fremden.    So  heisst  es: 

Eine  Unzahl  (infinite  nombre)  Kaufleute,  die  nicht  das 
Bürgerrecht  besitzen,  verkaufen  im  Detail  Wollentuch  und 
andere  Waaren  des  Landes,  Leinentuch,  Seide,  Weine  u.  s.  w. 
Franzosen  und  auch  Engländer,  die  ausserhalb  Londons  an- 
sässig sind,  bringen  ihre  Waaren,  wie  Canvass,  Leinentuch, 
Worsteds,  Sayes,  Stamyns,  Decken,  Wollfelle,  Leder,  Nägel, 
Garnwerk  u.  s.  w.  nicht  mehr  nach  Leadenhall,  wo  diese  Ar- 
tikel aufbewahrt  und  an  drei  Wochentagen  zum  Verkauf  aus- 
gestellt werden  sollten,  sondern  in  Wirths-  und  Privathäuser 
und  verkaufen  sie  daselbst  direct  an  Fremde.  Leider  gibt  es 
eine  ganze  Menge  schlechter  Bürger,  die  sich  herbeilassen,  die 
Güter  der  Fremden  zu  bergen  und  deren  Verfahren  zu  unter- 
stützen. Manche  von  ihnen  kaufen  für  die  Fremden  und  mit 
deren  Geld  Tuch,  gehen  sogar  mit  ihnen  aufs  Land,  um  da- 
selbst im  Kaufen  ihnen  behilflich  zu  sein.  Unter  die  Nichts- 
würdigen gehören  besonders  die  Böttcher,  welche  den  Malvasier- 
und  andern  WTein  der  Fremden  als  ihnen  gehörig  ausgeben 
und  an  Nichtbtirger  verkaufen.  Ein  weiterer  Missstand  ist, 
dass  so  viele  Bürger  in  die  Umgegend  Londons  sich  begeben, 
auf  diese  Weise  den  Lasten  der  Stadt  sich  entziehen,  aber 
doch  alle  Freiheiten  gemessen  wollen. 

Noch  lebhafter  waren  die  Klagen  über  die  fremden  Hand- 
werker. Diese,  wird  erzählt,  richteten  die  Londoner  Bürger 
beinahe  vollständig  zu  Grunde,  und  man  möge  deshalb  ver- 
ordnen, dass  kein  Bürger  irgend  welche  Waaren  kaufen  dürfe, 
die  von  einem  Fremden  in  England  gefertigt  seien.  Die  eng- 
lischen Handwerker  könnten  die  Bürger  bedienen  und  sollten 
beim  Chamberlain  100  £  Caution  deponiren,  auf  dass  sie 
nicht  die  Preise  erhöhten,  sondern  eben  so  gute  und  billige 
Waaren  lieferten,  wie  die  fremden  Handwerker-  Auch  solle 
man  nicht  gestatten,  dass  ein  Bürger  fortan  einen  Ausländer 
oder  Nichtbtirger  zu  gewerblicher  Arbeit  dinge  und  zu  diesem 
Behuf  in  sein  Haus  nehme2). 

J)  Die  Petition  ist  bei  Arnold,  Chronicle  ed.  by  F.  Douce  London 
1811  S.  80  fg.  abgedruckt,  lieber  die  Zeit,  in  welche  die  Abfassung  dieses 
Chronicies  fallt,  haben  wir  uns  bereits  S.  274.  N.  4  ausgesprochen.  Was 
diese  Petition  selbst  anbelangt,  so  sei  erwähnt,  dass  dieselbe  von  Eduard  IN  • 
als  einem  verstorbenen  König  und  von  Lord  Mayor  M.  Purches  (M.  ist  wohl 
fehlerhaft  für  W.)  spricht,  dessen  Majorat  dem  Jahre  13  Hen.  VII.  an- 
gehörte. 

*)  1485  machten  die  Londoner  auch  ein  Statut,  um  sich  gegen  das 
Eindringen  des  Landvolks  zu  schützen,  das  dahin  lautete,  es  dürfe  kein 
Lehrling  angenommen  werden  oder  die  Stadtfreiheit  erhalten,  der  nicht  als 
„gentleman"  geboren,  entsprechend  dem  Eide  des  freeman:  „Ye  shall  take 
none  apprentice,  but  if  he  be  free  born ;  that  is  to  sav,  no  bondsman's  son 
nor  tlie  son  of  an  alien."    Northouck,  History  of  London.  1773.  S.  107. 


-    419    — 

Ebenso  solle  Niemand  mehr  das  Bürgerrecht  kaufen  kön- 
nen, wenn  er  nicht  als  englischer  Unterthan  geboren  sei. 

Die  Tucher  und  Brauer  hatten  noch  ihre  ganz  besonderen 
Anliegen.  Die  ersteren  beschwerten  sich,  dass  die  fremden 
Kaufleute  nicht  mehr  wie  früher  allen  Kunden  reine  und  gute 
Farbe  auf  Wunsch  lieferten,  sondern  in  ihren  Häusern  die 
beste  ausläsen  nnd  damit  die  von  ihnen  gekauften  Tücher 
färbten,  diese  dann  entweder  in  die  Heimath  schickten  oder 
in  England  im  Detail  verkauften.  So  kämen  die  Engländer 
um  die  gute  Farbe,  und  es  sei  nöthig,  dass  man  den  Bürgern 
verbiete,  für  einen  Ausländer  oder  Nichtbürger  zu  färben.  Die 
Brauer  aber  beklagten  sich,  dass  die  fremden  Brauel*  in  London 
der  Zunft  sich  nicht  fügen  wollten.  Sie  hielten  ihre  eigenen 
Zusammenkünfte  und  beschäftigten  nur  flämische  und  hollän- 
dische Arbeiter,  ohne,  wie  es  Gildestatut  sei,  für  diese  Er- 
laubniss  zu  haben  oder  Geld  zu  erlegen.  Man  solle  dieser 
Absonderung  begegnen  und  der  Zunft  zu  ihrem  Aufsichtsrecht 
verhelfen,  das  ihr  durch  eine  Charte  von  Eduard  IV.  verliehen 
worden  sei. 

In  wie  weit  der  Magistrat  aus  eigener  Machtvollkommen- 
heit den  reactionären  Wünschen  der  Bürger  Rechnung  zu 
tragen  suchte,  wissen  wir  nicht  Von  der  Regierung  durfte 
die  Stadt  so  gut  wie  keine  Hilfe  erwarten. 

Das  zeigt  das  Beispiel  der  sogenannten  Galeymen  ]).  Als 
nämlich  die  Stadtbehörde  diesen  verbot,  ihre  Kleinwaaren  im 
Detail  und  in  eigenen  Läden  zu  verkaufen,  intervenirte  der 
König,  indem  er  behauptete,  diese  hätten  schon  immer  dies 
Recht  besessen8).  Die  Londoner  gestanden  die  Erklärung 
des  Königs  nicht  zu  und  opferten  nicht  weniger  als  5000  r£, 
um  von  Heinrich  VU.  sowohl  die  ausdrückliche  Bestätigung 
ihrer  Privilegien  überhaupt8),  als  insbesondere  das  Recht  zu- 


*)  Wer  die  Galeymen  waren,  ist  nicht  ganz  sicher;  Furnivall,  Ballads 
from  Mscr.  I.  Pt.  1.  S.  105  folgt  Kersey's  Ed.  o(  Philipps  und  glaubt,  es 
seien  Genuesen.  Vielleicht  darf  man  den  Namen  eher  für  die  Venetianer 
in  Anspruch  nehmen;  die  flandrischen  Galeazzen  der  Venetianer  wurden 
von  den  Engländern  „Galeys"  genannt,  während  die  genuesischen  Schiffe  mehr 
den  Namen  „Carakes"  führten.  Für  die  Venetianer  würde  auch  sprechen, 
dass  im  Decret  der  Stadtbehörde  die  Glaswaaren  besonders  genannt  sind 
(Urk.  Beil.  140).  Dagegen  sind  sie  in  einer  späteren  Petition  zwischen 
den  „Frensshemen"  und  „Pycardis"  aufgeführt  und  ausserdem  noch  die  „Lum- 
bardis"  genannt,  so  dass  man  auch  denken  könnte,  es  wären  französische 
Provinzialen.  Vgl.  auch  Political  Poems  and  Songs  from  Edw.  III. 
to  Rieh.  m.  ed.  Th.  Wright  I.  64—65. 

«)  Urk.  Beil.  140. 

■)  Am  21.  Mai  1498  erklärte  Heinrich  VII.  auf  Ersuchen  des  Londoner 
Majors  W.  Purchase  die  von  Eduard  III.  (sieh  oben  S.  395,  399)  gewährten 
Privilegien,  wonach  Fremde  vom  Betrieb  der  Gastwirthschaft,  des  Makler- 
geschäfts und  Detailhandels  namentlich  mit  Wein  ausgeschlossen  sein  soll- 
ten, für  rechtskräftig  mit  der  Massgabe,  dass  die  hansischen  Freiheiten  be- 
stehen blieben.    London  City  Records.  Charters  box  Nr.  29. 

27* 


—    420    — 

gestanden  zu  erhalten,  dass  sie  alle  zwischen  fremden  Kauf- 
leuten direct  gekauften  oder  verkauften  Waaren  confiscireo 
dürften x).  Nun  glaubte  der  Magistrat  doch  berechtigt  zu  sein, 
gegen  die  Galeymen  einschreiten  zu  dürfen.  Allein  der  König 
intervenirte  wieder  und  bewirkte,  dass  wenigstens  die  bereits 
eingeführten  Waaren  noch  nach  alter  Gewohnheit  verkauft 
werden  durften2). 

Verhältnissmässig  still  verlief  die  Entwicklung  der  Fremden- 
frage unter  Heinrich  VII.  Stürmisch  und  gefahrlich  schien  sie 
unter  seinem  Sohne  werden  zu  wollen.  Es  war  klar,  dass  der 
völlige  Zersetzungsprocess  in  einer  heftig  gährenden  Zeit  leicht 
aus  seinem  ruhigen  Verlauf  heraustreten  und  zu  Explosionen 
Anlass  geben  konnte. 

Formell  anerkannte  Heinrich  VIU.  die  Rechte  der  Stadt 
London3),  war  aber  wenig  geneigt,  im  besonderen  Fall  seinen 
Wünschen  Schranken  zu  setzen.  Wie  oft  London  seine  eiserne 
Hand  fühlen  musste,  dafür  sind  das  Schicksal  eines  nicht  ge- 
fügigen Mayors,  die  Zurücknahme  der  öffentlichen  Waage  mit 
ihren  Erträgnissen  auf  9  Jahre4)  bekannte  Belege.  Jedenfalls 
war  sicher,  dass  mit  der  blossen  Bestätigung  der  Charters 
sehr  wenig  geholfen  war,  und  dass  der  König  und  das  Parla- 
ment durch  besondere  Bestimmungen  unterstützend  eingreifen 
mussten. 

Im  2.  Jahre  der  Regierung  Heinrichs  VIII.  wurde  laut  geklagt, 
wie  die  Uebung  des  Kaufens  von  Fremden  („foreign  buying")  in 
erschreckender  Weise  überhandnehme.  Die  Stadt  suchte  dem 
Missbrauch  zu  wehren  durch  eine  Acte  des  Common  Council, 
wonach  derjenige,  der  eine  auf  diese  Weise  gekaufte  Waare 
dem  Chamberlain  bringe,  ein  Vierttheil  derselben  erhalten 
sollte5).  Bald  darauf  (1514)  bat  man  beim  Parlament  um 
Schutz  wegen  des  Detailverkaufs.  Die  Masse  der  gesammten 
Handels-  und  Gewerbetreibenden  in  den  englischen  Städten 
und  Märkten  vertrat  die  Petition6). 

Die  Bittsteller  legten  dar,  wie  eine  übergrosse  Anzahl 
Fremder,  namentlich  Franzosen,  Italiener,  Picarden,  Fläminger, 

x)  23.  Juli  1505.  Northouck.  London  S.  111  u.  App.  Nr.  36  S.799; 
Norton,  Commentaries  1869.    S.  384. 

2    Urk.  Beil.  140. 

n    Die -Bestätigung  der  Londoner  Charte  ist  vom  12.  Juli  1  Hen.VHI. 

4  Vom  18.  Juni  13  Hen.  VIII.  —  13.  Apr.  22  Hen.  VÜI.  Die  Ur- 
kunde bei  Northouck,  London.    App.  Nr.  38.    S.  81. 

ftN  Norton,  An  exposition  etc.  S.  32;  vgl.  auch  die  von  ihm  erwähnten 
Gerichtsurtheile  S  39. 

6)  Namentlich  aufgeführt  sind:  Die  Mercers,  Grocers,  Tucher,  Gold- 
schmiede, Kürschner,  Bandkrämer  (haberdashers),  Schneider,  Lederhändler, 
Beutler,  Nestler,  Handschuhmacher,  Taschner,  Sattler,  Messerschmiede, 
Zinngiesser,  Böttcher,  Gürtler,  Giesser,  Seiler,  Weinschenker,  Sporer, 
Schreiner. 


—    421     — 

Spanier,  Schotten,  Lombarden  und  andere  in  England  lebten, 
so  dass  die  Gewerbtreibenden  gar  nicht  mehr  wüstsen,  welches 
Geschäft  sie  ihre  Kinder  erlernen  lassen  sollten.  Die  Gesetze 
schrieben  vor,  dass  die  Fremden  in  den  Häusern  der  Eng- 
länder wohnen,  ihre  Waaren  nur  im  Grossen  verkaufen  und 
ohne  Licenz  diesen  Verkauf  nicht  über  ein  Monat  nach  ihrer 
Ankunft  ausdehnen  sollten  bei  Strafe  der  Confiscation.  Die 
oben  genannten  Fremden  kümmerten  sich  aber  wenig  dämm, 
gingen  mit  ihren  Waaren  von  Haus  zu  Haus,  errichteten  Schau- 
buden und  böten  ihre  Waaren  innerhalb  und  ausserhalb  der 
Stadt  aus;  ja  Viele  von  den  Erwähnten  dangen  noch  eigene 
Handelsreisende,  aber  auch  nur  wieder  aus  ihrer  Nation,  und 
sendeten  sie  über  das  ganze  Land.  Werde  diesem  Unwesen 
nicht  gesteuert ,  so  seien  sie  der  Verarmung  preisgegeben  und 
könnten  unmöglich  die  vielen  Lasten  tragen  und  hohe  Steuern 
zahlen,  wenn  es  gelte,  den  Erbfeind  Englands,  die  Franzosen 
mit  ihren  Anhängern  niederzuschlagen.  Sie  baten  deshalb, 
dass  keinem  Fremden  gestattet  werde,  die  bereits  bestehenden 
Statuten  zu  verletzen,  namentlich  nicht  seine  Waaren  zum 
Verkauf  auszubieten  an  irgend  einem  Platz  innerhalb  oder 
ausserhalb  der  Stadtfreiheit1). 

Der  Kernpunct  der  Petition  lag  offenbar  in  dem  Handel 
der  Fremden  auf  dem  platten  Lande.  Es  ist  kaum  glaublich, 
dass  die  Stadt  den  Detailverkauf  der  Fremden  innerhalb  Lon- 
dons in  grossem  Umfang  gestattete.  In  Betreff  des  ersten 
Punctes  fehlte  es  aber  den  Londonern  an  einem  genügenden 
Rechtsgrunde;  ebenso  war  wirtschaftlich  der  Einspruch  der 
Bürger  hier  wenig  berechtigt.  Die  Bill  hatte  keinen  Erfolg; 
vermuthlich  brachte  das  Haus  der  Lords  dieselbe  zu  Fall,  da 
bei  Annahme  des  Gesetzes  ihre  und  der  Landbesitzer  Interessen 
besonders  geschädigt  worden  wären. 

Der  Handel  der  Fremden  blieb  somit  frei  von  neuen  Be- 
schränkungen. Gleichzeitig  setzte  der  König  das  System  der 
Bürgerrechtsverleihungen  fort2).  Die  Gesetze,  welche  die  Ein- 
fahr gewisser  Artikel  verboten,  wurden  vielfach  gebrochen  und 
durch  immer  stärkere  Einwanderung  von  Fremden,  die  rings 
um  London  ausserhalb  der  Jurisdiction  der  Stadt  sich  ansie- 
delten, wenigstens  im  Sinne  der  Bürger  illusorisch  gemacht 

*)  Urk.  BeiL  141.  Ich  glaube  nicht  irre  zu  gehen,  wenn  ich  diese 
von  John  Colyn  uns  überlieferte  Bill  hieher  setze.  In  den  Lords' Journals 
LS.  41.  (1514.  58°  die  Pari.)  wird  eine„Billa  conc.  les  retayling  per  merca- 
tores  extraneos"  erwähnt:  da  in  unserer  Petition  die  Franzosen  als  Feinde 
genannt  werden  und  England  mit  Frankreich  1518  Krieg  geführt  hatte,  so 
kann  kaum  ein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  das  Colynsche  Schriftstack 
mit  der  in  den  Lords  Journals  erwähnten  Bill  identisch  ist.  Ob  die  eben- 
falls in  den  Lords  Journals  (1514  53  °  die  Pari.)  erwähnte  „billa  concernens 
mercatores  deltatia"  ähnliche  Tendenzen  verfolgt,  muss  dahin  gestellt  bleiben. 

*)  Vgl.  6  Hen.  Vm.  c.  25  §  3.  und  22  flen.  VIII.  c.  8  und  zahlreiche 
Beispiele  in  Brewer,  Cal.  1.  4003,  4246  u.  s.  w. 


—    422    — 

Die  Fremdenfrage  nahm  jetzt  noch  entschiedener  den  Cha- 
racter  an,  den  sie  schon  unter  den  Hause  York  gezeigt.  Vom 
Gebiete  des  Handels  spielte  sie  sich  fast  ganz  auf  das  des 
Gewerbes.  Nothwendig  musste  der  Streit  dadurch  viel  hef- 
tiger und  erbitterter  werden.  Von  dieser  Seite  her  war  der 
Unwille  wohl  begreiflich.  In  Folge  der  unaufhaltsam  fort- 
schreitenden Agrarrevolution  war  es  schon  schwer,  den  Andrang 
der  Landbevölkerung  zur  Industrie  abzuwehren;  wie  unbequem 
mussten  da  die  fremden  Handwerker  sein,  die  viel  geschickter 
sich  erwiesen  und  zudem  sich  freier  bewegen  konnten,  da  sie 
nicht  gleich  den  Bürgern  in  die  Fesseln  der  kostspieligen  Stadt- 
Zunft  geschlagen  waren?  Das  Richardsehe  Gesetz,  wonach 
kein  neuankommender  Fremder  ein  selbständiges  Geschäft  er- 
öffnen sollte,  war  ein  todter  Buchstabe,  seit  die  Strafen  weg- 
genommen, und  wollte  der  Londoner  Magistrat  auf  Grund  des- 
selben die  Fremden  einschränken,  so  intervenirte  meistens  der 
König *). 

Die  Stimmung  des  Volkes  wurde  immer  bedrohlicher. 
Ostern  1516  wurden  am  Thor  der  Paulskirche  und  sonst  Pas- 
quillen gegen  den  König  und  seinen  Rath  gefunden,  in  welchen 
diese  beschimpft  waren,  weil  sie  die  Fremden  zum  Ruin  der 
Engländer  so  sehr  begünstigten  *).  Das  Aufsehen  war  ein  un- 
geheures, es  gelang  aber  dem  erzürnten  König  und  seinem 
Rath  trotz  aller  rigorosen  Untersuchungen 3)  nicht,  den  Uebel- 
thäter  zu  finden. 

Im  folgenden  Jahre  kam  ein  Bürger  John  Lincoln,  der 
ein  Makler  in  London  wai\  auf  eine,  wie  er  hoffte,  noch  wirk- 
samere Idee.  Die  Prediger  der  niedern  Orden  standen  meist 
auf  Seite  des  Volks  und  liehen  nicht  selten  den  Bedrängten 
ihre  Stimme.  So  suchte  Lincoln  den  später  durch  seinen  Streit 
mit  Erasmus  sehr  bekannt  gewordenen  Dr.  Henr.  Standish, 
den  Vorstand  der  Bettelbrüder,  auf  und  ersuchte  ihn,  der  der 
populärste  Prediger  seiner  Zeit  war,  am  Ostermontag  im  St. 
Mary  Spital  durch  eine  ernste  Predigt  den  Bürgermeister  und 
die  Alderleute  zum  Einschreiten  gegen  die  Fremden  zu  be- 
wegen. Dr.  Standish  lehnte  wohlweislich  ab.  Der  Makler 
liess  sich  aber  nicht  entmuthigen,  sondern  ging  zu  einem  an- 
dern Geistlichen  des  nämlichen  Spitals  Dr.  Beale,  und  es  ge- 
lang ihm  wirklich,  diesen  durch  seine  ergreifende  Schilderung 


')  Vgl.  den  Befehl  Heinriehs  VIII.  an  die  Londoner  Gemeinde  in  Be- 
treff der  fremden  Schuhmacher  (straungiers  courvysours)  v.  19.  Jan.  1515. 
Brewer,  Cal.  II.  39. 

*)  Brewer,  Cal.  II.  1832.  28.  April  1516;  vgl.  auch  Brewer,  Pre£ 
zu  Vol.  II.  Pt.  1.  S.  215;  er  glaubt,  gewisse  den  Campucci,  Cavalcanti  und 
Frescobaldi  ertheilten  Concessionen  seien  der  nächste  Anlass  zu  dieser 
Kundgebung  gewesen. 

*)  Fast  alle  Leute  in  London,  die  schreiben  konnten,  mussten  in 
Gegenwart  einer  Commission  schreiben. 


—    423     - 

zu  gewinnen.  Die  Engländer,  stellte  er  ihm  vor,  hätten  keinen 
Absatz,  die  fremden  Kaufleute  importirten  Alles,  Seide,  gold- 
gewirkte Tuche,  Wein,  Oel,  Eisen  u.  s.  w.  Niemand  wolle 
von  einem  Engländer  kaufen,  selbst  die  Ausfuhr  von  Wolle, 
Zinn  und  Blei  sei  grossentheils  in  ihren  Händen.  Die  Fremden 
sässen  ringsherum  in  den  Vorstädten  Southwark,  Westminster, 
Temple-Bar,  Holborn,  St.  Martin,  John  Street,  Aldgate,  und 
St.  Katherine  und  kauften  *)en  Markt  vor,  so  dass  nichts 
Gutes  in  die  Stadt  komme;  die  Engländer  verhungerten,  die 
Fremden  aber  lebten  in  Ueberfluss  und  Ueppigkeit,  ihre  Zahl 
wachse  immer  mehr;  am  Sonntag  habe  er  nicht  weniger  als 
600  Fremden  bei  einem  Fest  mit  Bogen  schiessen  sehen1), 
die  Deutschen  und  Niederländer  brächten  lauter  fertige  WTaaren  *). 
Dr.  Beale  sei  ja  auch  in  London  geboren,  und  als  Londoner 
möge  er  sein  Wort  erheben  gegen  diese  fremden  Räuber  und 
Vernichter  des  Landes. 

Beale  versprach,  ein  ihm  von  Lincoln  übergebenes  Memo- 
randum studiren  zu  wollen,  und  am  Osterdienstag  predigte 
er 3),  der  Gewohnheit  gemäss  auf  offenem  Felde,  über  den  Text: 
„Coelum  coeli  domino,  terram  autem  dedit  filiishominum,  pugna 
pro  patria."  Unter  Zugrundelegung  dieser  Worte  führte  er 
aus,  wie  Gott  allen  Nationen  ihre  eigenen  Grenzen  und  Wohn- 
orte gegeben  und  so  das  Land,  auf  dem  seine  Zuhörer  ständen, 
den  Engländern  angewiesen  habe.  Wie  die  Vögel  ihre  Nester 
vertheidigten ,  so  möchten  die  Engländer  für  ihr  Land  die 
Waffen  ergreifen  und  gegen  die  Eindringlinge  und  zuchtlosen 4) 
Fremdlinge  sich  schützen. 

Der  zündende  Funke  war  in  die  Masse  geworfen,  die 
hochmüthigen 5)  Fremden  wurden  fortan  mit  Drohungen  über- 

')  Francesco  Chieregato  in  einem  Briefe  an  Vigo  da  Campo  San 
Pietro  v.  19.  Mai  1517  schätzt  die  Zahl  der  in  London  lebenden  Fremden 
auf  6-7000.  Brown,  Cal.  IL  887.  Später,  in  den  20er  Jahren,  wird  die 
Zahl  der  Fläminger  auf  30  000  und  die  der  ansässigen  allein  auf  15  000 
geschätzt,  was  aber  kaum  glaublich  ist.  Brewer.  Cal.  IV.  5016.  5255. 
Gayangos,  Cal.  in.  R  II.  621. 

3)  Genannt  sind:  „iron,  timber,  leather,  and  wainscot  ready  wrought, 
nails,  lockß,  baskets,  cupboards,  stools,  tables,  chests,  girdles  with  points, 
saddles  and  painted  ciotbs."    Hall,  Chronicle  S.  587. 

s)PolydorVergil,  Historia  Angliae  libri  27.  Leyden  1651  S.  39 
behauptet,  es  hatten  2  Mönche  in  diesem  Betreff  gepredigt:  „Duo  de  nu- 
mero  istorum  doctorum  monachi,  alter  Dominicanus,  alter  Canonicus  regu- 
laris,  hoc  tempore  cupientes  de  patria  bene  mereri,  ita  concionando  multi- 
tndinem  cito  concitaverunt  concitatamque  temeritate  armarunt  certatim  et 
frequenter  clamantes  non  esse  diutius  perferenda  tanta  detrimenta  atque 
daüna  cum  permultis  aliis  ezternorum  hominum  maleficiis,  ut  eorum  prae- 
ceptis  ac  talibus  monitis  facile  aures  paremptitiorum  patuerint"  etc. 

4)  Giußtinian  in  seinem  Briefe  (Four  years  at  the  court  of  Henry  VIII. 
Dispatches  transl.  R  B  r  o  w n  II.  S.  68—72)  v.  5.  Mai  1517  hebt  dieses  Moment 
der  Predigt  besonders  hervor.  Tgl.  bei  Hall  die  Geschichte  der  Entfuhrung 
einer  Terheiratheten  Frau  mit  sammt  dem  Silbergerath  durch  einen  Lombarden. 

8)  Sieh  bei  Hall  den  Vorfall,  der  sich  zwischen  einem  Zimmermann 
und  einen  Fremden  beim  Kauf  von  2  Stocktauben  abspielte. 


—     424    — 

schüttet;  der  1.  Maitag  wurde  zum  Rachetag  von  der  Menge 
ausersehen,  den  man  in  Folge  der  Vorgänge  den  „Evil  May  Daytt 
seitdem  nannte1). 

Die  Lehrlinge  erhoben  sich  mit  einer  Anzahl  von  Ban- 
diten, im  Ganzen  2000,  befreiten  alle  Gefangenen,  welche  wegen 
Beleidigung  der  Fremden  eingesperrt  waren,  plünderten  die 
Häuser  vieler  Fremden  namentlich  eines  Franzosen  Mutuas2), 
der  viele  seiner  Landsleute  beschäftigte  und  die  Worsteds  nach 
einer  neuen,  vom  Gesetz  aber  nicht  erlaubten  Methode  zuzu- 
bereiten verstand  und  damit  alle  Concurrenten  aus  dem  Felde 
schlug.  Die  Aufrührer  tödteten  und  verwundeten  die  Wider- 
stand Leistenden ,  hörten  weder  auf  die  Stimme  des  beliebten 
Sir  Thom.  More,  der  damals  Untersheriff  war3)  noch  achteten 
sie  die  Autorität  des  Cardinais  Wolsey,  bis  schliesslich  mit 
Waffengewalt  von  dem  mit  einem  Heere  herannahenden  Herzog 
von  Norfolk  der  Wuth  Einhalt  geboten  und  strenges  Gericht 
geübt  wurde4).  Zwar  traf  dieses  meist  nur  die  Rädelsführer, 
aber  die  Art  und  Weise  wie  es  geübt,  und  die  nach  Ansicht  des 
Volkes  ungerechte  Parteinahme  der  Regierung  für  die  Fremden 
bestärkten  nur  noch  die  Londoner  in  ihrem  Hasse  gegen  die 
Adeligen,  die  ihre  Waffen  gegen  das  Volk  geführt  hatten5). 

Fünf  Monate  später  brach  ein  neuer  Aufstand  aus,  wurde 
aber  sofort  im  Keime  erstickt6). 

War  die  Feindschaft  bereits  bis  zur  Gewalt  geschritten, 
so  lässt  sich  denken,  dass  des  Streites  zwischen  Engländern 
und  Fremden  auf  legalem  Wege  kein  Ende  war7).  In  der 
That  lag  jetzt  die  Sache  so,  dass  die  Regierung  sich  dem  Druck 
der  öffentlichen  Meinung  nicht  mehr  entgegenstemmen  konnte. 
Als  1523  Cardinal  Wolsey  die  Londoner  Kauf-  und  Gewerbs- 
leute von  Neuem  besteuern  wollte,  nachdem  sie  zwei  Monate 
vorher  25  000  fß  gegeben  hatten,  versprach  er,  ihren  Be- 
schwerden wegen  der  Fremden  abhelfen  zu  wollen8). 


*)  Vgl.  das  Gedicht  „The  story  of  ill  Mayday  in  the  time  of  king 
Henry  the  Eighth,  and  why  it  was  so  called,  and  how  Queen  Catharine  beggea 
the  lives  of  two  thousand  London  apprentices"  bei  Ch.  Mackay,  A  coflec- 
tion  of  Songs  and  ballads  relative  to  the  London  prentices  and  trade«  and 
to  the  affairs  of  London  generally  during  the  14^  15**  and  16t*  cent 
Printed  for  the  Percy  Society.  S.  17-22. 

*)  Giustinian  spricht  von  Meutas,  dem  französischen  Secretär  des 
Königs. 

*)  Vgl.  Th.  Radhart,  Thomas  Monis.    Nürnberg  1829.  S.  162. 

4)  Vgl.  die  Einzelheiten  bei  Hall  a.  a.  O.,  Giustinian  a.  a.  0,  m 
Sagudinos  Brief  ebenda  II.  S.  74.  Note  6;  in  Francesco  Chieregatos  Brief 
an  Vigo  da  Campo  San  Pietro  vom  19.  Mai  1517  bei  Brown,  CaL  II. 
887.  Stow,  Annais  ed.  1615,  cont  by  Edw.  Howes. 

•)  Brewer,  Pref.  zu  Vol.  II.  S.  222. 

*)  Brewer,  Cal.  IL  S.  8697. 

7)  Das  beweisen  die  Riagen  zwischen  den  Zünften  und  den  Fremden; 
▼gl.  z.  B.  Brewer,  Cal.  III.  1580  u.  s.  w. 

8)  „I  dare  sweare,"  sagte  der  Cardinal  bei  dieser  Gelegenheit,  „the  sub- 
stance  of  London  is  no  lesse  worth  then  two  myllions  of  golde.    Then 


—    425    — 

Noch  im  nämlichen  Jahre  kam  ein  Gesetz  zu  Stande, 
dessen  Tendenz  eine  zweifache  ist,  einmal  die  fremden  Ge- 
werbtreibenden  der  verschiedenen  Vorstädte  den  Zünften 
unterzuordnen  (§  3  und  §  4),  ferner  das  Gewerbe  mehr  und 
mehr  in  die  Hände  der  Einheimischen  zu  leiten,  beziehungs- 
weise die  Geschicklichkeit  der  Fremden  zu  verallgemeinern. 
Es  war  eine  Rückkehr  zu  den  Principien  der  Acte  Richards  HI. 
Man  wies  deshalb  auch  die  fremden  Meister  nicht  aus,  son- 
dern verbot  ihnen  nur,  mehr  als  2  fremdgeborne  Gesellen  zu 
beschäftigen  oder  überhaupt  einen  in  der  Fremde  gebornen 
Lehrling  anzunehmen.  Die  Universitätsstädte  Oxford  und  Cam- 
bridge, sowie  die  Freistätte  St.  Martin  le  Grand  in  London 
wurden  ausgenommen,  auch  den  Lords,  sowie  den  Gutsbesitzern, 
welche  ein  Einkommen  von  100  üf  jährlich  nachweisen  konn- 
ten, gestattet,  fremde  Schreiner  und  Glaser  von  Zeit  zu  Zeit 
zu  beschäftigen 2). 

Die  Acte  war  gewiss  ein  weiser  Coinpromiss;  es  wurde 
den  Wünschen  des  turbulenten  Volks  Rechnung  getragen,  aber 
doch  kein  zu  rigoroses  Verfahren  gegen  die  Fremden  in  An- 
wendung gebracht. 

Das  Gesetz  war  gut,  die  Ausführung  aber  schlecht.  Fünf 
Jahre  nach  dem  Erlass  desselben  reichten  die  Londoner  bei 
der  Sternkammer  eine  grosse  Klageschrift  ein,  in  der  sie  dar- 
thaten,  dass  die  meisten  Bestimmungen  einfach  umgangen  wür- 
den. Die  Fremden  missachteten  die  Statuten,  solle  ein  Fremder 
die  Zunftvorstände  begleiten,  um  eine  Untersuchung  vorzu- 
nehmen ,  so  weigere  er  sich  entweder  oder  er  warne  heimlich 
seine  fremden  Genossen,  damit  sie  ihre  „betrügerischen  Waarenu, 
die  sie  täglich  an  die  Unterthanen  zu  unvernünftig  hohen 
Preisen  verkauften,  entfernten.  Komme  der  Zunftvorstand,  so 
verbärgen  sie  ihre  Gehilfen  und  Lehrlinge.  Zudem  schafften 
sie  fortwährend  Lebensmittel  über  die  See,  wie  Speck,  Käse, 
Geflügel,  Rindfleisch  und  Hammelfleisch  und  verteuerten  da- 
durch, sowie  durch  ihren  Aufenthalt  im  Land  den  Einheimischen 
den  Lebensunterhalt.  Manche  Handwerker,  namentlich  die 
Schuhmacher,  seien  durch  die  Fremden  geradezu  brodlos  ge- 
macht, und  man  dürfe  sich  nicht  wundern,  wenn  sie  fortwäh- 
rend auf  Diebstahl,  Mord  und  andere  Verbrechen  verfielen. 

Eine  besondere  Petition  der  Schuhmacherzunft  unterrichtet 
uns  des  Nähern  über  die  Lage  ihres  Gewerbes.  Die  Gewerbs- 
leute führten  an,  dass  den  fremden  Schuhmachern  der  Aufent- 


aayd  the  citezens,  we  would  to  God,  it  were  so,  and  the  citie  is  sore  ap- 
paired  by  the  great  occupying  of  straungers.  Well,  sayd  the  Cardinall,  it 
shalbe  redressed,  if  I  live.1*  Hall,  Chromcle  S.  645.  lieber  die  Beweggründe, 
welche  damals  die  Regierung  zum  Einschreiten  gegen  die  Fremden  be- 
stimmten, sieh  auch  Gayangos,  CaL  III.  P.  II.  600,  621.     Brewer, 

cu.nr.h77. 

»)  14,  15  Hen.  VIII.  c.  2.    1523. 


—    426    — 

halt  im  Königreich  erlaubt  worden  sei,  wofern  sie  die  Zahl 
von  44  Haushaltungen  nicht  überschreiten  wollten;  nichtsdesto- 
weniger seien  220  Haushaltungen  über  obige  Zahl  vorhanden  und 
mehrten  sich  noch  täglich;  ja  40  Geschäfte  seien  erst  ganz 
neu  seit  der*  letzten  Parlamentsacte  eröffnet  worden.  Die  Zahl 
der  von  diesen  Fremden  beschäftigten  Gesellen  und  Lehrlinge 
belaufe  sich  auf  1400  Personen.  Die  einheimischen  Geschäfte 
nähmen  rapide  ab ;  von  den  140,  welche  früher  bestanden,  seien 
nur  noch  20  vorhanden.  20  Haushaltungen  seien  erst  seit  dem 
letzten  Gesetz  in  Folge  der  Fremden  dem  Bankerott  verfallen. 
Die  Ausländer  machten  sich  noch  lustig  über  die  „worship- 
ful  actu.  Sei  einer  reich  geworden,  so  verlasse  er  mit  seinem 
Erwerb  das  Königreich  und  setze  einen  andern  Fremden  in 
das  Geschäft,  der  dann  denselben  Vorgang  wiederhole.  Sie 
baten  daher,  man  mögQ  das  kgl.  Decret,  wonach  nur  44  Hans- 
haltungen geduldet  werden  sollen,  zur  Wahrheit  machen.  Ob- 
wohl sogar  diese  Concession  gegen  verschiedene  Parlaments- 
acten  Verstösse,  so  wollten  sie  doch  dann  zufrieden  sein-  Aber 
man  müsse  ihnen  und  den  44  fremden  Haushaltungen  Macht 
geben,  die  übrigen  Fremden  zu  beaufsichtigen,  Bestimmungen 
ihrethalben  zu  erlassen  und  die  Güte  ihrer  Waaren  zu  über- 
wachen. Dies  Verlangen  sei  nicht  unberechtigt,  man  gestatte 
ja  auch  auf  dem  Continent  keinem  englischen  Gewerbsmann, 
ein  Geschäft  zu  eröffnen  oder  in  die  Schusterzunft  einzutreten, 
wenn  er  nicht  übergrosses  Beitrittsgeld  zahle J). 

Diese  Vorstellungen  hatten  Erfolg.  Am  3.  Dezember  1528 
wurden  Commissäre  durch  kgl.  Patent  beauftragt2),  zu  unter- 
suchen, wie  viele  Haushälter  ausserhalb  Englands  geboren  seien, 
und  wie  viele  fremde  Gehilfen  von  ihnen  beschäftigt  würden. 
Die  10  reichsten  fremden  Schuhmacher  mit  je  2  ausländischen 
Gesellen  könnten  in  England  bleiben,  alle  übrigen  aber  sollten 
entweder  einem  englischen  Meister  dienen  oder  das  Königreich 
verlassen a). 

Nachdem  die  Enquete  abgeschlossen  war,  erliess  die  Stern- 
kammer ein  Decret,  das  die  frühere  Parlamentsacte  ergänzte. 
Die  fremden  Handwerker,  welche  Haus  halten,  sollten  nicht 
nur  den  Zünften  unterworfen  sein,  sondern  gleichgültig,  ob  sie 
das  Bürgerrecht  hatten  oder  nicht,  alle  Lasten  der  einheimi- 
schen Handwerker  tragen  und  dem  König  auch  Treue  schwören. 
Die  Fremden  durften  keine  eigene  Versammlung  halten  und 
fortan  auch  nicht,  so  lange  sie  nicht  ansässig  waren,  ein  neues 
Geschäft  gründen.  Gegen  Gesetzesverletzungen  konnten  nicht 
nur  die  Strafen  der  letzten  Parlamentsacte,   sondern  auch  die 


*)  ürk.  Beil.  142. 
2)  Brewer,  CaL  IV.  4997. 

s)  Du  Bellay  verallgemeinert  in  einem  Briefe  an  Montmorency  ur- 
thümlich  obige  Bestimmung.    Brewer,  Cal.  IV.  5016. 


—    427    — 

des  Richardschen  Gesetzes  angewendet  werden.  Man  sieht, 
wie  der  Gedanke,  die  fremden  im  Lande  weilenden  Gewerbs- 
leute mit  den  einheimischen  zu  verschmelzen  und  zu  Englän- 
dern zu  machen  oder  sie  zum  Verlassen  des  Königreichs  zu 
zwingen,  im  Princip  immer  schärfer  zum  Ausdruck  gelangt, 
aber  auch  nur  im  Princip  und  in  der  Theorie;  denn  hatte  man 
für  einen  Moment  gründlichen  Ernst  an  den  Tag  gelegt,  zeigte 
sich  doch,  dass  der  Eifer  sehr  rasch  erlahmte,  wenn  es  zur 
Ausführung  kam.  Die  fremden  Gewerbtreibenden  verweigerten 
dem  Decrete  der  Sternkammer  den  Gehorsam,  und  ein  Theil 
von  ihnen,  namentlich  die  Schuhflicker  fanden  sogar  Schutz  bei 
der  Regierung.  Als  sich  nun  die  Engländer  abermals  be- 
schwerten, konnte  die  letztere  doch  nicht  umhin,  die  Beobach- 
tung des  Erlasses  von  Neuem  zu  befehlen1)  und  Hess,  um 
seine  Gültigkeit  ausser  allen  Zweifel  zu  stellen,  denselben 
durch  das  Parlament  zum  Gesetz  erheben 2). 

Das  Statut  enthält  eine  Fortbildung,  insofern  es  das  Ge- 
setz 14—15  Hen.  VIII.  c.  2  für  dauernd  erklärt  und,  um  auch 
die  allzu  starke  Ansammlung  der  Fremden  und  ihren  förm- 
lichen Fabriksbetrieb  in  den  bisher  privilegirten  Plätzen  Ox- 
fort,  Cambridge  und  Saint  Martin  1.  G.  zu  hemmen,  die  Zahl 
der  daselbst  zu  beschäftigenden  Lehrlinge  auf  10  für  je  einen 
fremden  Gewerbsmann  beschränkt 3).  Bald  darauf  gelang  es, 
die  Fremden  auch  ganz  vom  Zinnhandwerk  auszuschliessen  *). 
Allein  bei  all  dem  blieb  die  Ausführung  vielfach  im  Rück- 
stande, und  wie  früher,  so  waren  auch  jetzt  Befreiungen  durch 
den  König  nicht  gerade  selten6).  1540  weiss  sich  ein  eng- 
lischer Gesandte  nur  noch  schwach  der  Acte  zu  erinnern6). 

Die  Klage  über  Umgehung  des  Gesetzes  war  allgemein; 
Bürgerpatente,  die  in  sehr  unbestimmten  Ausdrücken  abgefasst 
waren,  dienten  besonders  zu  diesem  Zwecke.  Ein  neues  von 
dem  Parlament  gewünschtes  Gesetz  sollte  auch  dieser  Uebung 
vorbeugen.  Im  Statut  32  Hen.  VIII.  c.  16  wird  die  Ertheilung 
solcher  Licenzen  verboten  und  unter  Hinweis  auf  das  Richard- 
sche  Gesetz,  wie  auf  die  beiden  Heinrichschen  Acten  befohlen 
dass  fortan  alle  in  der  Fremde  geborne  Handwerker,  welche 
nicht  das  Bürgerrecht  legaliter  sich  erworben  haben,  aufhören 
müssen,  selbständig  ihr  Gewerbe  auszuüben,  und  nur  im  Dienste 
eines  Engländers  als  Gehilfen  weiter  arbeiten  dürfen,  wenn 
sie  in  England  bleiben  wollen;  ferner  sollen  die  Fremden  in 


')  ürk.  Beil.  148. 

*)  21  Hen.  VIII.  c  16. 

a)  Von  der  Acte  wurden  ausgenommen  Bäcker,  Brauer,  Wundärzte 
nnd  Schreiber.    22  Hen.  VIIL  c.  13. 

4)  25  Hen.  VIU.  c  9. 

4)VgL  Brewer,  Cal.  IV.  4231,  4445,  6542,  6709.  Gayangos, 
Cal.  m.  P.  n.  621. 

•)  Sieh  State  Papers  Vol.  Vni.  S.  481—433. 


—    428     — 

Oxford,  Cambridge  und  St.  Martin  fortan  nur  zwei  fremde  Ge- 
hilfen beschäftigen.  In  den  übrigen  Orten  darf  die  Zahl  der 
fremden  Gehilfen  bei  einem  Gewerbsmeister  4  nicht  über- 
steigen. Die  Vermiethungen  von  Häusern  und  Läden,  die 
einem  Fremden,  der  nicht  Bürger  ist,  gewährt  werden,  sind 
nichtig  *). 

Die  Acte  wurde  von  allen  Parteien  gebilligt,  sogar  im 
Haus  der  Lords  in  der  dritten  Lesung  mit  Stimmeneinhellig- 
keit angenommen*). 

Die  Bestürzung  unter  den  fremden  Handwerkern  war  an- 
fänglich sehr  gross3).  Allein  es  zeigte  sich  bald,  dass  der 
König  das  Gesetz  nur  zu  einer  finanziellen  Quelle  zu  benutzen 
gedachte  und  den  Effect  desselben  sehr  abschwächte.  Das 
Fest  von  St.  Michael  war  als  Tennin  für  das  Inkrafttreten  des 
Gesetzes  bestimmt.  Durch  eine  Proclamation  verschob  Hein- 
rich VIII.  denselben  bis  Ostern4);  als  diese  gekommen,  ge- 
währte er  nochmals  eine  Frist  bis  zum  24.  April  und  forderte 
alle  Fremden  auf,  innerhalb  dieser  Zeit  das  Bürgen-echt  sich 
zu  verschaffen.  Um  die  Erwerbung  des  Indigenats  zu  er- 
leichtern, sollten  sie  nur  ein  einfaches  Gesuch  beim  Kanzler 
einreichen  und  wohl  auch  eine  bestimmte  Geldsumme  zahlen5). 
Der  Londoner  Magistrat  erhielt  Befehl,  die  Fremden  gegen  die 
feindliche  Menge  zu  schützen9).  Diese  langmüthige  Politik 
wurde  Jahre  hindurch  fortgesetzt.  1544  wurde  ein  Erlass  pu- 
blicirt,  dass  alle  Franzosen,  die  nicht  das  Indigenat  besässen, 
innerhalb  20  Tage  das  Königreich  verlassen  sollten.  Viele 
meldeten  sich.  Um  sich  den  finanziellen  Vortheil  nicht  ent- 
gehen zu  lassen,  gab  der  König  noch  6  Tage  zu  den  20  Tagen 
hinzu7).  Nun  wählte  der  König  unter  den  Angemeldeten  die- 
jenigen aus,  denen  er  den  Aufenthalt  gestatten  wollte,  und 
befahl,    dass   die   Betreffenden   ihre  Patente    erwerben,   die 


x)  Ueber  die  Interpretation  und  Tragweite  der  Acte  geben  die  State 
Pap  er  s  VIII.  S.  429 — 430  trefflichen  Aufechluss,  indem  der  französische 
Gesandte,  der  ein  besorgter  Mann  gewesen  zu  sein  scheint,  eine  Reihe  von 
Fragen  gestellt  hatte,  die  von  der  Regierung  beantwortet  wurden. 

*)  Lords'  Journals.  Sie  wurde  erst  durch  27  Vict  cap.  25  wieder 
zurückgenommen. 

a)  Mari  11  ac  schrieb  21.  Juli  1540  an  Franz  I.:  „Parliament  concludes 
to-morrow.  All  foreigners  residuig  in  this  realm  are  required  to  leare  it 
before  Michaelmas,  excepting  such  as  are  engaged  in  trade,  and  of  those, 
who  are  so  engaged,  none  may  be  householders,  unless  they  are  married, 
or  unless  they  have  letters  granted  them  of  nationality.  A  numberof 
poor  creatures  are  in  consternation  at  this  order,  especiallr 
Flemings,  who  are  here  in  large  numbers".  W.  Thomas,  Pilgrim  ed.  by 
Fronde  S.  151.    Note  F. 

*)  Lrk.  Beil.  145. 

5)  Urk.  Beil.  146;  vgl.  auch  Nicolas,  Proc.  andOrdin.  of  thePmy 
Council  VII.  S.  lb,  21,  23,  28. 

6)  Nicolas  a.  a.  0.  S.  7. 
-')  ürk.  Beil.  147. 


-     429    — 

Uebrigen  aber  aus  dem  Lande  sich  entfernen  sollten x).  Das  war 
im  Juli  geschehen;  aber  schon  im  September  gestattete  Hein- 
rich VIII.  allen  Franzosen,  die  bisher  noch  nicht  das  Bürger- 
recht erworben  hatten,  den  ungestörten  Aufenthalt2).  Wenn 
man  so  milde  gegen  die  Angehörigen  einer  mit  England  ver- 
feindeten Nation  verfuhr,  wie  darf  man  eine  strenge  Hand- 
habung des  Gesetzes  gegen  die  übrigen  Fremden  erwarten  ? 8) 
Man  ist  wohl  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  die  Acte  unter 
Heinrich  VIII.  ohne  bedeutenden  Einfluss  blieb. 

In  Anbetracht  dieser  den  fremden  Gewerbsleuten  gegen- 
über befolgten  Politik  leuchtet  ein,  dass  die  Regierung  kaum 
geneigt  sein  konnte,  gegen  die  fremden  Kaufleute  ernsthaft 
einzuschreiten 4).  Hier  waren  auch  im  Volk  die  Ansichten  viel 
mehr  getheilt.  Den  feindlichen  Stimmen6)  stand  eine  grosse 
Zahl  solcher  gegenüber,  welche  die  fremden  Kaufleute  aus 
Rücksicht  auf  das  Staatsganze  für  wohlthätig  hielten6).  Die 
Commoners  ermüdeten  zwar  nicht,  auch  fort  und  fort  Gesetze 


')  ürk.  Beil.  148. 

J)  ürk.  Beil.  149. 

3)  Nicolas,   Proc.    and  Ord.   of  the  Privy  Council  VII.  S.  265.  1 
Nov.  1541. 

')  Auch  gegen  nichtprivilegirte  Nationen  wurden  nur  dann  und  wann 
Beschränkungen  der  Richardschen  Acte  gemäss  vollzogen;  vgl.  State 
Papers  VIII.  S.  429—30  bezügl.  des  Verkaufs  der  Waaren  innerhalb  6—8 
Monaten. 

*)  Als  eine  solche  sei  eine  Prophezeiung  vom  Jahre  1534  angeführt, 
in  der  es  heisst: 

„When  that  Remeueth  into  England 

Enyghtes  and  Enavvs  booth  be  Ciothyd  in  a  lyke  Clothynge, 
Godes  fleshe  and  his  blöd  ys  sworne  in  euery  mans  herynge, 
Lordes  and  Knyghttes  bee  made  that  Neuer  wane  Armys, 
Marchaunte  ötrayngers  berythe  the  Rowme, 
Englishmen  wot  neuer  howe  for  to  goo,  but  after  oother  landes  fashyonys, 
Ana  euery  man  fayne  to  begyle  other, 

Than,  England,  take  Bede  sone  after! 

Furnivaii,  Ballads  from  Manuscr.  I.  S.  317. 
*)  Als  Vertreter  dieser  Stimmen  mag  der  Verfasser  einer  gleichzeitigen 
Denkschrift  gelten.  Derselbe  sagt :  „The  kinges  grace  for  direrse  considera- 
cions  moste  take  the  fredome  of  London  into  his  handes  to  make  his  staple 
at  Ledyn  Hall  free  for  all  strangers,  wher  as  to  tbis  day  strangers  and 
clothmakers  cannot  bye  and  seil  togetheres  in  London  but  by  the  meanes 
of  a  freman  of  London ,  by  whome  all  strangers  beyeth  clothes  ad  the  se- 
conde  hande,  therfor  bringeth  all  maner  of  merchandizes  to  London  to 
baner  for  clothes  and  no  money,  and  likewise  Londoners  barteryth  mer- 
channdizes  for  clothes  with  the  clothers  and  iittle  money.  In  the  charter 
of  Londons  wretyn,  how  the  fredome  shall  not  be  takyn  away  for  no  fence 
"f  any  one  man  but  for  the  offence  of  the  holl  citie  agenste  the  common 
veale  of  the  holl  realme,  as  it  is  not  convenyent  to  suffer  on  man  to 
distroy  an  holl  occupacion  or  an  occupac.on  to  distroy  a  holl  citie  nor 
one  citie  to  distroy  tte  common  weale  of  a  holl  realme.  Therfor  the  king 
hath  nede  to  take  the  fredome  of  the  citie  into  his  handes,  unto  his  grace 
hath  reformed  diverse  causes  for  the  common  weale  of  the  holl  realme. 


—    430    — 

einzubringen  *),  sie  hatten  aber  keinen  Erfolg.  Nur  das  Recht 
des  Kleinverkaufs  wurde  den  Bürgern  noch  ganz  besonders 
zugesichert.  Ausserdem  kam  nur  ein  Gesetz  zu  Stande,  das 
auf  die  Stellung  der  fremden  Kaufleute  Bezug  hatte8).  Es 
betraf  den  Verkauf  von  ungefärbtem  Wolltuch  an  die  letzteren. 
Das  Statut  verbot,  dass  ein  Engländer  an  fremde  Kaufleute 
weisses  breites  Wolltuch  verkaufe,  in  Blackwell  Hall  in  London 
durfte  dies  jedoch  geschehen,  sobald  das  Tuch  8  Tage  un- 
verkauft geblieben  war.  Sehen  wir  von  den  Ausnahmsbestim- 
mungen zunächst  ab,  so  ist  beachtenswerte  einmal,  dass  hier 
der  directe  Verkehr  zwischen  Nichtlondonern  und  Fremden, 
wenn  auch  unter  Einschränkung,  in  der  Hauptstadt  überhaupt 
zugelassen,  sodann  dass  das  Tuchgeschäft  noch  mehr  als  bis- 
her in  London  concentrirt  wurde.  Es  war  eine  Art  Compromiss- 
politik,  die  man  hier  befolgte.  Was  London  auf  der  einen 
Seite  an  seinen  alten  Rechten  einbüsste,  wurde  ihm  auf  der 
andern  Seite  durch  eine  Vergünstigung  ersetzt.  Die  wahr- 
scheinlich intendirte  Wirkung  trat  auch  ein.  Vom  Jahr  14/15 
Hen.  VIII.  an  zeigt  in  London  die  Ausfuhr  der  ungefärbten 
Tücher  bei  Einheimischen  und  Fremden  eine  ganz  plötzliche 
bedeutende  Steigerung3). 

Jedenfalls  ist  auch  dieses  Gesetz  trotz  der  dasselbe  ein- 
leitenden missliebigen  Motivirung  ein  Zeichen,  wie  behutsam 
und  milde  man  voranging,  wenn  es  sich  um  fremde  Kaufleute 
handelte.  Der  treffendste  Beleg  aber  und  für  die  ganze  Re- 
gierung Heinrichs  VIII.  characteristisch  ist,  dass  um  dieselbe 
Zeit,  in  der  das  schärfste  Gesetz  gegen  die  fremden  Gewerbs- 
leute erlassen  wurde  (1540),  Heinrich  VIII.  die  fremden  Kauf- 
leute in  den  Zöllen  mit  den  einheimischen  gleichstellte.  Die 
Städter  mussten  sich  begnügen,  aus  eigener  Initiative  und  mit 
eigenen  Mitteln  die  fremden  Kaufleute  in  engere  Schranken 
zu  weisen;  dass  sie  das  auch  vermochten,  dafür  besitzen  wir 


The  salve  muste  worke  the  remedy  in  London,  wher  the  sore  is  forste. 
The  langes  staple  in  Ledyn  Hall  muste  be  made  free  for  all  strangers  therm 
to  bye  all  wollen  clothes  of  the  very  cloth  makers  and  pay  theym  redy 
money  not  to  be  interrupte  ne  letted  by  no  fredome  of  the  citie.  And  yf 
a  fewe  Citizens  now  lyving  thinke  their  bying  and  selling  of  wollen  clothes 
shal  be  distroyed  by  that  meanes,  all  riebe  men  being  agyde  ar  oat  of 
nede  and  yoni  men  may  set  upe  draping  of  fyne  wollen  clothes  like  aa 
afore  tyme,  and  therby  gete  their  lyving  truiy  withowt  any  crafte  or  policy* 
etc.    R.  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.  S.  72  u.  78. 

*)  So  1533  eine  Bill  des  Inhalts  „nulluni  alienigenum  infra  hoc  regnum 
commune  diversorium  tenturum".  Dieselbe  gelangte  im  Oberhaus  zu  drei- 
maliger Lesung,  wurde  aber  nicht  Gesetz.  LordfsJournals25  Henr.  VIIL 
7°  89°  49°  die  Pari.;  1548  wurde  wieder  eine  „BiU  contra  mercatores  forin- 
secus"  gelesen,  a.  a.  0.  I.  S.  256.  257.    (8.  10.  12.  Mz.). 

*)  14/15  Hen.  VIIL  c.  1. 

*)  Sieh  Bd.  II.  S.  86. 


—    431     — 

die  Beweise 1).  Kein  Wunder,  wenn  der  üble  Ruf  der  Eng- 
länder, dass  sie  die  Fremden  hassten  und  verfolgten,  ym  die 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  noch  ebenso  stark  und  verbreitet 
war,  wie  früher2). 


*)  So  erzahlt  Hall:  Durch  Vermittlung  von  Hofleuten  hatten  die  Frem- 
den Licenz  erlangt,  Waid  in  fremden  Schiffen  zu  importiren,  so  dass  ganz 
London  voll  von  ihrem  Waid  war.  Sie  sandten  ferner  ihren  Waid  aufs 
platte  Land,  so  dass  der  der  Engländer  in  London  unverkauft  blieb.  Der 
damalige  Bürgermeister  John  Allen  Hess  die  Hauptsächlichsten  dieser  frem- 
den Kaufleute  zu  sich  kommen  und  zeigte  ihnen,  welche  Gewinne  sie  in 
der  Stadt  gemacht  hätten,  sie  sollten  deshalb  die  Stadt  fördern  und  nicht 
schädigen  und  ihren  Waid  nur  an  die  Londoner  verkaufen.  Die  Fremden 
wohl  wissend,  dass  der  Burgermeister  sich  auf  ungesetzlichem  Boden  mit 
diesem  Ansinnen  befand,  antworteten  stolz,  sie  würden  für  ihren  V ortheil 
jeden  Platz  aufsuchen,  und  gingen  in  spottender  Weise  weg.  Der  Lord 
Major  berief  darauf  einen  gemeinsamen  Rath  im  Monat  August,  und  in 
diesem  wurde  beschlossen,  dass  kein  Bürger  irgendwo  mit  gewissen  Frem- 
den, als  „Anthony  Bonvizi,  Lorenzo  Bonvixi,  Anthony  Vivaldy,  Anthony 
Caveler,  Franc,  de  Bardi,  Thomas  Calvicante"  etc.  handeln  oder  verkehren 
dürfe,  bei  Verlust  seiner  Stadtfreiheit.  Wirklich  hatte  diese  Verordnung 
Erfolg,  indem  sich  die  Italiener  und  sonstige  Fremden  mit  den  Londonern 
zu  vergleichen  suchten.    17  Henr.  VIII.    Hall,  Chronicle  S.  718. 

*)  In  dem  zu  Bologna  geführten  Dialog  des  Erziehers  Eduards  VI., 
W.Thomas  heisst  es:  „Yea  butwhat  meaneth  it,  said  they,  that  your  nation 
supporteth  no  strangers,  as  by  daiiy  proofitis  right  weil  seen!  When  an 
outlandish  man  passeth  by,  you  call  him  whore  son,  knave,  dog  and  other 
like.    This  seemeth  unto-us  a  very  barbarous  part. 

I  shall  teil  you  why,  said  I.  In  times  past  our  nation  hath  practised 
as  little  abroad  in  stränge  countries  as  any  nation  of  the  world;  and  the 
commoditie8  of  our  country  are  so  great,  that  the  ignorant  persona,  seeine 
strangers  resort  unto  them  for  traffic,  and,  as  it  iß  true  for  gain,  imagined 
they  came  not  to  buy  their  commodities,  but  to  rob  them,  and  that  they, 
who  so  used  to  traffic,  for  lack  of  living  in  their  own  countries  applied 
merchandize  of  England  as  of  necessity.  But  at  this  day  it  is  all  other- 
wise;  for  like  as  your  merchants  do  praetdse  in  England,  so  our  merchants 
do  now  traffic  abroad  and  by  travel  have  attained  such  knowledge  of  civi- 
lity,  that  I  Warrant  you,  those  strangers,  who  now  repair  into  England,  are 
as  well  reeeived  and  seen  and  as  much  made  of  as  in  any  other  kingdom 
of  all  Europe,  especially  in  the  Prince's  Court  and  among  the  nobles,  where 
surely  hath  evermore  been  seen  all  hon  our  and  courtesey."  Thomas,  The 
Klgrim  1546,  hsg.  von  Fronde  London  1861.  S.  6.  Mit  dieser  Aeusserung 
ist  zu  vergleichen  der  Ausspruch  des  venezianischen  Gesandten  Soranzo,  der 
in  seiner  Relation  vom  18.  Aug.  1454  sagt:  „Li  nobili  per  loro  natura  sono 
molto  cortesi  e  massime  colli  forestieri,  ma  i  popoli  sono  superbissimi  ed 
inimicissimi  coi  forestieri,  parendo  loro,  che  quella  utilita  cne  cavano  li 
mercanti  di  fuori  del  regno,  sia  loro  tolta,  e  immaginando,  che  senza  ii 
commercio  da  per  loro  potrebbero  vivere."  Alb  er  i,  Relazioni  Ser.  I. 
Vol.  III.  S.  52.  Dem  ganz  entsprechend  blieb  auch  das  Common  Law  von 
einer  fremdenfeindlichen  Tendenz  wie  früher  beherrscht.  Ein  Jurist  der 
Ehsabethschen  Periode,  der  die  Errichtung  eines  neuen  Amtes  zur  Ueber- 
wachung  der  Fremden  verlangte,  legte  das  in  einer  Denkschrift  ausführlich 
dar.  Fortwährend  kehren  in  derselben  Sätze  wieder,  wie:  „The  law  will 
not,  that  trust  shouid  be  putt  in  hym  (alien),  whom  the  lawe  supposethe 
not  trostworthy."  „It  weare  no  good  politye  to  put  confidence  in  straungers* 
u.  s.  w.    Br.  M.  Harleian  Ms.  7021  fo.  22. 


—    432    — 


Rückblick. 


Die  vier  Perioden,  welche  wir  unterschieden,  sind  nicht 
blos  willkürliche  Zeitabgrenzungen,  sondern  sie  characterisiren 
sich  als  innerlich  verschiedene  Phasen  der  Entwicklung. 

Die  erste  Periode,  welche  etwas  über  500  Jahre  (750—1272) 
umfasst,  ist  die  Zeit,  in  welcher  England  gleich  allen  Staaten 
Mittel-  und  Nordeuropas  aus  der  Isolirung  herauszutreten  be- 
ginnt Unter  dem  belebenden,  die  Völker  einander  nähernden 
Hauch  der  Kreuzzüge  minderte  sich  allerwärts  die  Kluft, 
welche  die  verschiedenen  Nationen  trennte.  An  Stelle  der 
Rechts-  und  Schutzlosigkeit  des  fremden  Kaufmanns  gelangte 
allmälig  ein  anderes  System  zur  Herrschaft.  Die  Ausländer 
traten  in  den  Schutz  des  Gebieters  und  der  ihn  unterstützen- 
den Grossen.  In  England  vollzog  sich  dieser  Umschwung 
hauptsächlich  unter  den  ersten  Königen  aus  dem  Hause  Plan- 
tagenet. 

Die  zweite  ungefähr  100jährige  Epoche  (1272—1377)  zeigt 
ein  ganz  entschiedenes  Fortschreiten  auf  der  eingeschlagenen 
Bahn.  Die  Einführung  der  Verkehrsfreiheit,  die  Gleichstellung 
der  Fremden  mit  den  Einheimischen  war  das  Ergebniss.  Durch 
das  Interesse  der  Könige  und  Lords,  sowie  durch  die  Einsicht, 
dass  die  fremden  Kaufleute  für  das  ganze  Land  von  Nutzen 
seien,  war  diese  Politik  hervorgerufen  und  begründet  worden. 
Nichtsdestoweniger  litt  sie  an  einer  gewissen  Einseitigkeit. 
Die  städtischen  Rechte,  welche  in  der  Staatsverfassung  wurzel- 
ten, waren  in  rauher  Weise  verletzt,  den  bürgerlichen  Inter- 
essen war  nicht  die  gebührende  Rücksicht  geschenkt  worden. 
Die  Städte  machten  deshalb  Opposition,  die  Könige  und  der 
Adel  blieben  aber  zunächst  und  in  der  Hauptsache  Sieger. 

In  der  dritten  Periode  (1377—1461)  dagegen  gelingt  es, 
dem  mächtig  emporstrebenden  Bürgerthum  seinen  Ansprüchen 
Geltung  zu  verschaffen.  Im  Princip  wird  der  Kampf  unter 
Richard  II.  und  Heinrich  IV.  zu  Gunsten  der  Städter  ent- 
schieden; das  Gästerecht  gelangt  in  Kurzem  auf  seinen  Culmi- 
nationspunct,  seine  Aufrechterhaltung  scheitert  aber  an  dem 
lebhaften  Verkehr.  Ein  grosser  Theil  der  fremden  Kaufleute 
muss  sich  zwar  höheren  Steuern  und  Zöllen  unterwerfen,  ver- 
mag aber  den  eigentlichen  Beschränkungen  des  Gästerechts 
sich  zu  entziehen. 

Das  Charakteristische  der  vierten  Periode  (1461—1547) 
ist,  dass  die  Fremdenfrage  auf  das  gewerbliche  Gebiet  sich 
hinüberspielt.  Die  fremden  Gewerbscolonien,  die  in  England 
sich  gebildet  und  durch  ihre  eximirte  Stellung  in  den  grös- 
seren Städten,  vor  Allem  in  London  sehr  gewachsen  und  durch 
ihre  Concurrenz  den  Bürgern  unangenehm  geworden    waren, 


—     433    — 

drängten  zum  Eingreifen.  Diese  Angelegenheit  beschäftigte 
bereits  Eduard  IV.  und  Richard  HI.,  sie  rückte  noch  mehr  in 
den  Vordergrund  unter  den  beiden  ersten  Tudors.  Schwere 
Gährungen  nöthigten  sie,  die  Ausnahmestellung  der  ausländi- 
schen in  England  angesiedelten  Gewerbsleute  zu  beseitigen 
oder  doch  wesentlich  zu  beschränken.  Heinrich  VII.  und  VIII. 
weigerten  sich  dagegen  vielfach,  den  städtisch -bürgerlichen 
Interessen  ihren  Arm  auch  dann  zu  leihen ,  wenn  es  sich  um  Be- 
schränkung der  fremden  Kaufleute  handelte.  Um  so  wuchtiger 
wurden  die  Stimmen  gegen  die  letzteren  unter  den  Nachfolgern 
auf  dem  Throne.  Das  Resultat  war  nicht  sowohl  eine  Ver- 
schärfung des  Fremdenrechts,  die  nur  in  engen  Grenzen  mög- 
lich und  von  geringer  praktischer  Tragweite  gewesen  wäre,  als 
die  Beseitigung  der  letzten  Reste  der  privilegirten  kaufmänni- 
schen fremden  Golonien.  Durch  Aufhebung  der  hansischen 
Freiheiten  in  Verbindung  mit  der  Eingliederung  der  fremden 
Gewerbsleute  streifte  das  englische  Staatswesen  zwei  der  be- 
deutendsten mittelalterlichen  Eigenthümlichkeiten  ab,  und  er- 
langte die  Homogenität,  welche  man  schon  länger  erstrebt 
hatte.  England  war  eine  geschlossene,  einheitliche  wirt- 
schaftliche Macht  dem  Auslande  gegenüber  geworden. 

An  dem  Beispiel  und  mit  Hilfe  der  Fremden  hatten  sich 
die  Engländer  emporgearbeitet,  bis  sie  sich  stark  genug  fühlten, 
um  deren  Joch  abzuschütteln  und  in  deren  Rolle  selbst  ein- 
zutreten. Der  auswärtige  englische  Handelsverkehr  ruhte 
nun  auf  der  Nation  selbst.  Mit  voller  Kraft  konnte  sich  jetzt 
die  Initiative  und  Expansionslust  ihrer  Kaufleute  entfalten  und 
der  Wettkampf  mit  dem  Ausland  im  wahren  Sinn  des  Worts 
beginnen.  N 

So  stellt  sich  uns  die  Entwicklungsgeschichte'  des  engli- 
schen Fremdenrechts  nicht  nur  als  ein  Kennzeichen  dar  für 
die  Rotte,  welche  das  städtische  Element  im  englischen  Ver- 
fassungsleben spielte,  sondern  auch  als  ein  deutlicher  Indicator 
für  die  Veränderungen  in  den  commerciellen  Verhältnissen  und 
handelspolitischen  Anschauungen  selbst. 


Seil  ans.  Engl.  Handelspolitik.   I.  28 


Viertes  Capitel. 

Der  Industrieschutz. 


Im  Handel  war  die  englische  Nation,  wie  wir  geseheu 
haben,  durch  mehrhundertjährige  Anstrengung  selbständig  ge- 
worden oder  war  doch  unter  Heinrich  VIII.  diesem  Ziel  äusserst 
nahe.  Im  Gewerbe  strebte  sie  nach  der  gleichen  Unabhängig- 
keit. Ein  bedeutsamer  Schritt  hiezu  war  schon  geschehen  in 
der  im  vorigen  Capitel  geschilderten  allmäligen  Eingliederung 
oder  Aufsaugung  der  in  England  lebenden  fremden  Gewerbs- 
colonisten.  Ein  weiterer  kam  hinzu  im  Industrieschutz  oder 
in  der  Regelung  der  Ein-  und  Ausfuhr  der  Waaren,  welche 
eine  Begünstigung  der  einheimischen  Gewerbsproducte  und 
Gewerbsproducenten  gegenüber  den  ausländischen  bezweckte. 
Unsere  Aufgabe  ist,  diesen  den  internationalen  Verkehr  beein- 
flussenden Massregeln  der  englischen  Politik  zu  folgen,  den 
Umfang  derselben  und  die  denselben  zu  Grunde  liegenden 
Tendenzen  darzulegen. 

Wir  beginnen  mit  derjenigen  Industrie,  welche  nicht  nur 
nach  dieser  bestimmten  Seite  hin,  sondern  überhaupt  in  dem 
englischen  Gesammtgewerbe  die  wichtigste  Stellung  einnahm, 
mit  der  Tuchindustrie. 

Wir  hatten  schon  öfter  Gelegenheit,  auf  den  Reichthura 
Englands  an  feiner  Wolle  hinzuweisen.  Sein  Klima  wie  sein 
im  Mittelalter  nothwendig  extensives  landwirtschaftliches 
Betriebssystem  waren  der  Production  dieses  dem  Tuchgewerbe 
unentbehrlichen  Rohstoffs  besonders  günstig.  Die  Wolle  in 
Verbindung  mit  der  Schiffahrt  sind  denn  auch  der  Ausgangs- 
punkt und  die  Quelle  des  englischen  Reichthums  geworden, 
und  mit  Recht  konnte  ein  Politiker  des  15.  Jahrhunderts  an 
die  Spitze  eines  Pamphletes  das  stolze  Motto  stellen:  „Anglia, 
propter    tuas    naves    et    lanas    omnia   regna   te    salutare 


—    435    — 

deberent" l).  Eben  diese  Fülle  an  Wolle  rausste  auch  den  An- 
stoss  zur  Verarbeitung  geben.  Den  ei-sten  Unterricht  hiezu 
verdankten  die  britischen  Inselbewohner  den  Römern,  die  in 
Yorkshire  und  zu  Winchester  Tuchmanufacturen  zur  Bekleidung 
ihrer  Armee  errichteten 2).  Zur  Zeit  der  angelsächsischen  Kö- 
nige bestand  eine  nicht  ganz  unbedeutende  Hausindustrie3), 
Wichtig  für  die  Weiterentwicklung  des  Tuchmachergewerbes 
wurde  dann  in  der  Folgezeit  der  Contact  und  die  Einwirkung 
der  gewerbskundigen  Flamänder.  Mit  Wilhelm  dem  Eroberer 
kamen  viele  vlämische  Weber  nach  England  und  Hessen  sich 
in  Norwich  nieder4);  beim  Einbruch  der  See  im  Jahre  1111 
zog  Heinrich  I.  gleichfalls  eine  grosse  Menge  derselben  dahin6). 
Im  12.  und  13.  Jahrhundert  mehren  sich  denn  auch  die  Belege 
filr  das  verbreitete  Vorkommen  der  Tuchmachergewerbe6). 
Der  Beobachtungssatz,  dass  ein  Volk  zur  ausgedehnteren  und 
successive  feineren  Verarbeitung  seiner  Rohstoffe  schreitet, 
wenn  ein  anderes,  höher  cultivirtes,  in  seine  unentwickelten 
Verhältnisse  eingreift 7),  bewährte  sich  auch  hier.  Jahrhunderte 
lang  hat  die  englische  Tuchmanufactur  durch  niederländische 
Colonisten  immer  neue  Nahrung  und  Erfrischung  erhalten. 

Zunächst  war  aber  die  Industrie  noch  vollständig  auf  die 
Fertigung  der  ordinärsten  Sorten  gerichtet,  und  die  Haupt- 
masse der  Wolle  wurde  an  den  Continent  abgegeben.  Von 
dort,  besonders  von  den  Niederlanden,  bezog  man  die  feineren 
Tücher8). 

Nur  sehr  langsam  und  allmälig  konnte  hierin  eine  Aen- 
derung  eintreten.  Das  Wachsthum  der  Bevölkerung,  das  Ein- 
flussreicherwerden der  Städte,  das  Abstreifen  der  rauhen  Sitten 


*)  Political  poems  and  songs  relating  to  English  history  composed 
diiring  the  perioa  from  the  accession  of  Edward  III.  to  that  of  "Richard  III. 
Ed.  Thom.  Wright.    Vol.  II.  S.  283. 

*)  James,  History  of  the  Woreted-Manufacture  in  England  1857. 

«)  A.  a.  0. 

*)  A.  a.0.;  vgL  auch  Varenbergh,  Relations  diplomatique  entre  le 
Comtä  de  Flandre  et  l'Angleterre  au  moyen  äge  S.  54,  55. 


?  Varenbergh  a.  a.  0.  S.  66. 
-  -      —  -     -  --    -   - 


,  1180  zahlte  Robert  Iß  £  für  die  Webergilde  in  London  an  den 
Eichequer,  die  Weber  von  Oxford  zahlten  2  Mark,  um  eine  Gilde  zu  er- 
balten, die  Weber  von  Huntingdon  40  sh,  die  von  Lincoln  1  Mark  Gold, 
1210  hatten  Walker  und  Färber  in  Lincoln  mit  der  Stadtbehörde  Streit. 
Hunt  er,  Magnum  Rotulum  Pipae  de  anno  81°  reoni  Henrici  primi  1888. 
S.  2,  48,  109,  144.  Piacitorum  in  Domo  Capitulari  Westmonasteriensi 
asservatorum  abbreviatio :  temporibus  regum  Ric.  I.,  Joh.,  Henr.  HI.,  Ed.  L. 
Ed.  IL  London  1811.  S.  65;  vgl.  auch  Hardy,  Rotuli  Chartarum  in  turn 
Londoniensi  asservati  1887.    Bd.  I.  P.  I.  S.  89,  94,  218. 

*)  W.  Röscher,  Studien  über  die  Naturgesetze,  welche  den  Stand- 
ort der  Industriezweige  bestimmen.  Deutsche  Yierteljahrsschrift.  28.  Jahrg. 
1865.   L  Abth.    2.  Heft.    S.  184. 

*)  Matt h.  West m.  sagte  deshalb  rühmend  in  seinen  Flor,  bist  ad  an. 
1265  -.  „Tibi  (o  Anglia)  de  tua  materia  Testes  pretiosas  tua  textrix  Flandria 
texuit.* 


—     436    — 

waren  die  Voraussetzung.  Diese  Momente  waren  in  der  That 
wirksam;  besonders  wichtig  war,  dass  zahlreiche  Städte  im 
12.  und  13.  Jahrhundert  Freibriefe  und  dadurch  eine  grössere 
Selbständigkeit  erlangten1).  Aber  auch  die  Massnahmen  der 
englischen  Regierung  hinsichtlich  der  Ein-  und  Ausfuhr  blieben 
nicht  ohne  Einfluss. 

Der  erste  hieher  gehörige  Regierungsact  von  grösserer 
Bedeutung  fällt  in  die  zweite  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts;  er 
ging  von  dem  willenskräftigen  Grafen  von  Leicester,  Simon 
von  Montfort  aus.  Während  des  yon  ihm  geleiteten  Kriegs 
der  Barone  gegen  den  König  verbot  er  das  Tragen  aller 
wollenen  Tücher,  die  ausserhalb  des  Reichs  verfertigt  waren. 
Die  Massregel  hatte  ihren  Grund  in  politischen  Erwägungen. 
Es  galt,  auf  Flandern,  woher  ein  Angriff  zu  erwarten  stand, 
einen  Druck  auszuüben.  Natürlich  litt  auch  England  darunter. 
In  Folge  der  Handelssperre  entbehrte  man  des  Waids  und 
war  gezwungen,  nur  weisse  Tücher  zu  tragen.  Obwohl  Simon 
v.  Monfort  darüber  ganz  entzückt  gewesen  sein  soll,  so  waren 
die  Engländer  doch  nicht  gewillt,  auf  jeden  Luxus  zu  ver- 
zichten, nach  kurzer  Zeit  wurde  das  Verbot  wieder  aufgehoben. 
Immerhin  ist  bemerkenswerth,  dass  bei  dieser  Gelegenheit  der 
Satz  ausgesprochen  wurde,  England  könne  hinreichend  zum 
eigenen  Auskommen  produciren  und  bedürfe  keiner  Zufuhr 
durch  Fremde2).  Damit  war  doch  der  Gedanke,  die  Idee  des 
Industrieschutzes  einmal  hingeworfen. 

Freilich  konnte  von  einer  consequenten  eigentlichen 
Industrieschutzpolitik  damals  noch  keine  Rede  sein.  Die  ein- 
heimische Tuchindustrie  vermochte  unmöglich  sich  so  rasch 
auszudehnen,  dass  sie  die  erstaunlichen  Mengen  inländischer 
Wolle  hätte  verarbeiten  können;  die  Lords  und  Geistlichen 
als  die  Hauptproducenten  von  Wolle3)  waren  nicht  gesonnen, 
ihren  Absatz  einschränken  zu  lassen  und  auf  die  hohen  von 
den  Fremden  gezahlten  Preise  zu  verzichten;  die  Könige  selbst 
endlich  waren  nicht  in  der  Lage,  auf  die  Haupteinnahmequelle, 
die  Wollzölle,  zu  verzichten. 

So  blieben  zunächst  die  politischen  Factoren  bei  Behin- 
derung der  Ein-  und  Ausfuhr  massgebend.  Je  häufiger  aber 
diese  wenn  auch  nur  kurz  andauernden  Verbote  des  Tuch- 


')  Stubbs,  Constitution**!  history  of  England  I.    S.  628. 

*)  Sim.  v.  Monforts  Worte  waren :  „quod  sine  commeatu  «xfraneorum 
posaunt  indigenae  bonifi  propriis  suBtentan."  Pauli.  Geschichie  von  Eng- 
land 1IL  S.  785. 

*)  In  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  betheiligten  sieh  nicht  weniger 
als  102  Abteien  am  Wollexport;  vgl.  Varenbergh,  Relation*  diplomatique« 
S.  152,  214.  Der  Orden  der  Cisterzienser  producirte  am  meisten;  vgl. 
Smith,  Memoire  of  wooi.  I.  S.  16.  Die  Florentiner  bezogen  um  1315 
Wolle  von  c.  200  englischen  und  schottischen  Conventen;  Peruzzi,  Storia 
del  commercio  e  dei  banchieri  di  Firenze  S.  71  fg. 


—    437    — 

imports  und  der  Wollausfuhr  wiederkehrten  *),  um  so  näher 
wurde  auch  der  Gedanke  des  Industrieschutzes  gerückt,  um 
so  schärfere  Gestalt  musste  derselbe  gewinnen.  Es  kam  zwar 
vor,  dass  die  Könige  aus  politischen  Erwägungen  sich  zu 
Schritten  drängen  Hessen,  welche  die  Tuchindustrie  sogar 
schädigten,  aber  theils  wurden  solche  immer  seltener,  theils 
schufen  die  Herrscher  immer  mehr  Massregeln,  welche  ganz 
bestimmt  einen  Schutz,  eine  Förderung  des  Gewerbes  be- 
zweckten. Während  noch  Eduard  I.  1304  die  Flamänder  aus- 
nahmslos vertrieb,  um  dafür  als  Gegenconcession  die  Verban- 
nung der  Schotten  aus  Frankreich  zu  erlangen *),  nahm  schon 
Eduard  IL  in  gleichem  Fall  (1315)  diejenigen  Flamänder  aus, 
welche  englische  Frauen  hatten *),  verbot  ferner  1326  die  Aus- 
fuhr der  zum  Tuchmachen  nöthigen  Materialien,  sowie  der 
Karden  und  Farberde4).  Weiter  ging  wieder  Eduard  III. 
Unter  ihm  sind  diesbezügliche  Massregeln  noch  häufiger,  als  unter 
den  Vorfahren.  Bei  vielen  derselben  lagen  keine  rein  industrie- 
politischen Motive  zu  Grunde,  aber  der  Effect  derselben  lief 
doch  auch  auf  eine  Beförderung  der  Industrie  hinaus. 

Hieher  gehören  zunächst  die  zahlreichen  Verbote  der  Aus- 
fuhr von  Wolle  sowie  von  Häuten  und  Fellen5).  Sie  dienten 
meist  nur  Steuerzwecken,  sei  es  um  zu  verhindern,  dass 
die  Wolle  ausgeführt  werde,  bevor  die  Steuer  in  natura  er- 
hoben war,  sei  es,  um  dem  König  für  die  ihm  bewilligte 
Wolle  einen  guten  Verkaufspreis  zu  sichern6).  Nur  insofern, 
als  den  Niederländern  und  andern  Nachbarn  der  Preis  erhöht, 
der  Bezug  des  Rohstoffs  längere  Zeit  vorenthalten  und  dadurch 
die  Productionsbedingungen  erschwert  wurden,  waren  diese 
Verbote  auch  für  die  industrielle  Entwicklung  Englands  nicht 
gleichgültig.  Einen  bereits  ausgeprägteren  handelspolitischen 
Charakter  hatte  das  Verbot,  englische  Widder  nach  dem  Con- 
tinent  zu  verschiffen  (1338) 7);  doch  beschuldigt  man  Eduard  III., 
dass  er  selbst  dem  König  von  Spanien  eine  Heerde  Schafe 


x)  So  bereits  unter  Heinrich  III.  (1271)  und  unter  Kduard  I.  (1274). 
Varenbergh,  Relations  diplomatiques  S.  138, 139. 

*)  Varenbergh,  Relations  diplomatiques  S.  203. 

8)  Varenbergh,  Relations  diplomatiques  S.  274. 

*)  „Royal  letter  to  theMayor  of  London  as  to  prohibiting  the  export 
of  matenals  for  making  cloth  und  writt  forbidding  the  exportation  of  te- 
asels  and  fullers  earth."    Riley,  Memorials  of  London  S.  149. 

5)  Solche  wurden  z.B.  erlassen  12.  Aug.  1336;  10.  März  1338;  27.  Sept. 
1362;  31.  Jan.  1363;  1.  Sept.  1375.  Rymer  (Rec.  Ed.)  II.  P.  II.  S.  943, 
1022;  III.  S.  677,  760,  1039;  sieh  auch  15  Ed.  III.  c.  5. 

*)  Rymer  V.  S.  66,  73;  11  Ed.  III.  c.  L  Knighton,  De  eventibua 
Angliae  1652  col.  2570;  auch  Stubbs,  Const.  hist.  of  England  III.  S.  414, 
525-28. 

7)  In  der  Begründung  heisst  es:  „ad  nostrum  pervenit  auditum,  quod 
diyersi  homines  de  partibus  exteris,  tarn  mercatores  quam  alii,  diversos 
arietes  vivos  infira  Tegnum  nostrum  emerunt  et  eos  usque  ad  dictum  portum 
duxerunt  et  ultra  mare  ad  dictas  partes  exteras  in  fraudem  et  aeterio- 


—    438     — 

geschenkt  und  dadurch  den  Grund  zur  Verbesserung  der  spa- 
nischen Wolle  gelegt  habe  (1348)  *).  Die  Inhibirung  des  Ex- 
ports von  Wollengarn  (1376)  war  gleich  der  vorigen  Massregel 
neu,  sie  war  aber  nicht  von  den  Webern,  sondern  den  Rittern 
und  Kaufleuten  von  Wiltshire,  Bristol,  Sommersetshire  Glou- 
cestershire  und  Dorsetshire  angeregt  worden;  dieselben  hatten 
geltend  gemacht,  dass  der  König  durch  den  steigenden  Garn- 
export  nach  der  Normandie  und  Lombardei  in  seinen  Zöllen 
zu  kurz  komme,  die  Spinner  nicht  bei  der  Getreide-  und  Heu- 
ernte helfen  wollten,  ihre  grosse  Mehrung  eine  Gefahr  in  sich 
berge2).  Auch  das  Gesetz,  dass  kein  Tuch  exportirt  werden 
dürfe,  welches  nicht  zuvor  gewalkt  worden  sei  (1337) 3),  ver- 
dankte seine  Entstehung  zunächst  nicht  industriepolitischen 
Gründen,  sondern  Steuerzwecken4);  doch  spielten  erstere 
herein,  sonst  hätte  man  doch  wohl  nicht  gleich  zum  Ausfuhr- 
verbote, sondern  zur  angemessenen  Verzollung  der  ungewalkten 
Tücher  gegriffen.  Das  Statut,  welches  das  Tragen  und  die 
Einfuhr  fremden  Tuchs  für  unstatthaft  erklärte5),  wurde  wohl 
nur  kurze  Zeit  beobachtet,  jedenfalls  aber  der  Import  den 
Fremden  leicht  gegen  Licenz  gestattet6).  Dass  der  König 
nicht  anstand,  wenn  andere  Rücksichten  es  geboten,  die  Tuch- 
industrie sogar  zu  drücken,  dafür  haben  wir  einen  Beleg  in 
der  Schaffung  des  Tuchzolls  *)  und  in  dem  gelegentlichen  gänz- 
lichen Verbot  der  Tuchausfuhr8). 

Nichtsdestoweniger  würde  es  unrichtig  sein,  wenn  man 
glauben  wollte,  die  Beförderung  der  englischen  Tuchindustrie 
habe  Eduard  III.  fern  gelegen.  Seine  in  grösserem  Massstab 
versuchte  Colonisation  ist  der  sprechendste  Gegenbeweis.  Als 
man  in  Flandern  die  Weber  auf  den  Dörfern  und  in  den 
kleinen  Städten  sehr  belästigte9),  überhaupt  das  Tuchmacher- 
gewerbe unter  den  fortwährenden   Gährungen  und  Unruhen 


rationem  pretii  lanae  infra  regnum  nostrum  praedictum  et  emendattonem 
lanae  in  uictis  partibus  exteris  ducere  intendunt,  quod,  si  toleraretur,  in 
nostri  praejudiciam  et  totius  populi  regni  nostri  dampnum  et  jacturam 
cederet  manifeste. u    R  y  m  e  r  V.  S.  86. 

l)  Macpherson,  Annais  of  commerce  I.  S.  539. 

*)  Die  Petenten  nannten  die  Spinner  ,1a  plns  fols  da  corps" ;  sie  hatten 
verlangt,  dass  das  Wollgarn  gar  nicht  mehr  zum  Verkauf  ausgestellt,  son- 
dern nur  zum  Tuchmachen  verwendet  werde;  der  König  verbot  aber  nur 
die  Ausfuhr.    Rot.  Pari  IL    S.  358. 

')  51  Ed.  IIL  c.  7. 

*)Rot  Pari.  H.  S.  869.  370. 

*)  11  Ed.  III.  c.  2,  8.  Statutes  of  the  realm  L  S.  280;  der  König 
und  die  königl.  Familie  durften  jedoch  fremde  Tücher  tragen. 

•)  Vgl.  z.  B.  Rvmer  V.  S.  78. 

')  Rot  Pari.  IL  8.  168. 

8)  Rymer  (Rec.  Ed)  UL  P.  IL  S.  688. 

»j  Die  Weber  von  Gent,  Ypern,  Brügge  waren  es  namentlich,  weiche 
den  kleinen  Städten  das  Tuchmachen  wehrten.  Sie  wollten  auch  nicht 
dulden,  dass  Fremde  in  Brügge  englische  Wolle  .kauften  und  von  da  weg- 


—    439    — 

stark  litt1),  Hess  Eduard  III.  die  Unzufriedenen  auffordern, 
nach  England  zu  kommen.  Mit  kräftiger  Hand  schützte  er 
Diejenigen,  welche  seinem  ßufe  folgten,  gegen  die  eifersüch- 
tigen englischen  Weber2).  Wie  wohlthätig  dieser  Zufluss  sein 
musste,  wird  klar,  wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  in  welch 
einseitiger  und  monopolistischer  Weise  die  Londoner  Weber 
unter  Eduard  II.  sich  geberdeten.  Sie  sollen  es  dahin  gebracht 
haben,  dass  von  300  Webstühlen  in  London  nur  80  in  Thätig- 
keit  waren8). 

Man  hat  längst  der  Meinung  entsagt,  als  ob  Eduard  in. 
der  Begründer  der  englischen  Tuchmanufactur  gewesen,  und 
auch  unsere  Angaben  zeigen,  dass  das  irrig  ist 4).  Wohl  aber 
darf  man  behaupten,  dass  er  durch  seine  Colonisation  den  An- 
stoss  zur  Blüthe  der  Worstedmanufactur  in  Norfolk  gegeben ö), 
und  überhaupt  der  Manufactur  feiner  Wolltücher  Vorschub  ge- 
leistet hat.  Seit  Eduard  III.  begann  der  Export  englischen 
Tuchs  sich  zu  entwickeln6),  unter  ihm  wurden  die  Engländer, 
wie  Füller  richtig  bemerkt,  sich  des  grossen  Gewinnes  bewusst, 
den  namentlich  die  Niederlande  aus  der  Verarbeitung  der 
englischen  Wolle  zogen 7),  unter  ihm,  fügen  wir  bei,  wurde,  so 
wenig  consequent  seine  Industriepolitik  auch  war,  das  Ziel 
aufgestellt,  nach  dem  man  zu  streben  hatte. 

Die  nächsten  Nachfolger  Eduards  III.  verhielten  sich  jedoch 
noch  vorwiegend  passiv.  Nur  einzelne  Massnahmen  derselben 
waren  geeignet  oder  sollten  doch  dazu  dienen ,  die  Tuchindustrie 
zu  fördern.  Ich  rechne  hieher  die  Gesetze,  denen  zufolge  kein  Tuch 


fahrten.  Vgl.  Rot  Pari.  II.  S.  142,  149,  202.  Diegerick,  Inventaire 
des  archives  de  1&  ville  d'Ypre  Nr.  818,  360,  363;  ferner  879,  516,  577, 
680,  857,  882.  1100,  1108,  1124,  1144,  1148,  1167;  1363,  1365,  1867,  1370, 
1394>  1395,  1396  etc. 

')  Als  die  vläm.  Grossstädte  die  Löhne  für  die  Walker  reduciren  wollten, 
kam  es  zu  Thatiichkeiten  (2.  Mai  1845),  wobei  500  Handwerker  getödtet 
worden.  Graf  Ludwig  hetzte  noch  die  Walker  gegen  die  Weber  auf,  weil 
diese  es  mit  den  Engländern  hielten;  1849  kam  es  abermals  zum  Zusammen- 
stoss,  wobei  600  Weber  getödtet  und  noch  viele  hingerichtet  wurden. 
Longman,  History  of  life  and  times  of  Edward  III.  Bd.  L  S.  284.  817, 

*)  Rymer  IV:  S.  496,  723,  751;  V.  S.  429;  (Rec  Ed.)  H.  P.  H. 
S.  849:  ffl.  P.  L  S.  299.  Die  Erlasse  sind  vom  28.  Juli  1881,  12.  Dez. 
1386;  3.  Mai  1837;  12.  Oct  1344;  30.  Jan.  1383;  4.  Mai  1855;  sieh  ferner 
11  Ed.  III.  c.  1-5. 

*)  Liber  Gustumarum  ed.  Riley  S.  416  fg. 

*)  Sieh  oben  S.  435;  in  Northampton  waren  1384  800  -overours  de 
drap";  freilich  wissen  wir  nicht,  ob  und  wieviel  darunter  auch  Golonisten 
waren.    Rot  Pari.  II.  S.  85. 

')  Vgl  James,  History  of  the  Worsted-Manufacture  in  England  1857. 

•)  BdTlL  S.  18. 

')  „The  king  and  State  began  now  to  grow  sensible  of  the  great  gain, 
the  Netherlands  got  by  our  English  wooll,  in  memory  wherof  the  duke  of 
Burgundy  not  long  alter  instituted  the  order  of  Golden  Fleece,  wherein 
indeed  the  Fleece  was  our's,  the  golden  their's,  so  vast  their  emolument 
hy  the  trade  of  clothing."    Füller,  Church  history  S.  110. 


—    440    — 

zum  Verkauf  ausgestellt  werden  durfte,  das  nicht  vorschrifts- 
mässig  gefertigt  war ]),  femer  das  Statut,  welches  bestimmte,  dass 
die  Engländer  nur  für  das  Stapel  und  zum  Tuchmachen,  nicht 
aber  zum  Wiederverkauf  Wolle  kaufen  sollten*).  In  wie  weit 
beide  Gesetze  wirklich  ausgeführt  wurden,  dafür  fehlt  es  an 
Anhaltspunkten.  Unter  Heinrich  VI.  erneuerte  man  wieder 
und  zwar  unter  Motivirung  des  Schadens,  der  aus  einer  Ver- 
mehrung und  Verbesserung  der  continentalen  Heerden  dem 
König,  den  Zöllen  und  den  Staplern  erwachsen  könne,  das 
Verbot  der  Schafausfuhr,  als  dasselbe  in  Vergessenheit  zu  ge- 
rathen  schien 3).  Ein  Gleiches  geschah  hinsichtlich  des  Garns 4). 
Seine  Ausfuhr  wurde  untersagt,  und  festgesetzt,  dass  auch 
Niemand  Wollengarn  kaufe,  es  sei  denn,  um  Tuch  daraus  zu 
machen.  Eine  Petition  gegen  die  letztere  Bestimmung  wies 
der  König  zurück5).  Ebenso  beugte  man  der  Umgehung  des 
Garnausfuhrverbots  vor0).  Dieselbe  wurde  durch  die  sogenann- 
ten „thrums"  bewerkstelligt.  Wie  heute  noch  7);  so  war  auch 
damals  das  Garnmetzen  üblich.  Die  Weber  schnitten,  wenn 
sie  ein  Tuch  zu  Ende  gearbeitet  hatten,  den  unverwobenen 
Faden  ab  und  verkauften  diese  Reste  an  Leute,  welche  sie 
wieder  nach  Flandern  und  andern  Landein  exportirten.  Diese 
Garnreste  zahlten  als  Zoll  die  einfache  Subsidie  undCostume*). 
Es  ist  nur  zu  leicht  erklärlich,  wenn  man  in  dßr  Form  der 
„thmms"  Garn  ausführte  und  die  hohen  Wollzölle  umging. 
Eine  Denkschrift  schätzt  diese  Garnausfuhr  gleich  500  Säcken 
Wolle9).  Aber  auch  hier  muss  es  auffallend  erscheinen,  dass 
man  statt  des  Verbotes  nicht  einen  dem  Wollzoll  entsprechen- 
den Steuersatz  für  die  „thrums"  aufstellte,  ähnlich  wie  man  es 
früher  auch  mit  dem  Tuch  gethan  hatte 10).  Es  möchte  da 
doch  die  Erklärung  nahe  liegen,  dass  auch  industriepolitische 
Motive  von  Einfluss  waren. 

Wichtiger  als  all  diese  Gesetze  war  für  die  Förderung  der 
Tuchindustrie,  dass  die  Woll-  und  Wrollfellexportzölle  mit  Be- 
nutzung der  hiezu  vorzüglichen  Stapeleinrichtung  rasch  erhöht 


*)  Sieh  unten  Capitel  8. 

*)  14  Ric.  IL  c.  4. 

8)  3  Hen.  VI.  c.  2  (1425);  unter  schweren  Strafen  wurde  die  Ausfuhr 
von  Widdern,  Lämmern  und  Schafen  wieder  verboten  1566.  8  £1.  c  3. 

*)  8  Hen.  VI.  c.  23  (1429);  23  Hen.  VI.  c.  2  (1444,5). 

*)  Rot.  Pari.  IV.  S.  378  (1430/31). 

6)  Rot  Pari.  IV.  S.  360;  8  Hen.  VI.  c.  23;  28  Hen.  VI.  c.  2. 

T)  Carl  Röscher.  Zur  Kritik  der  neuesten  wirthschaftlichen  Ent- 
wicklung im  Deutschen  Reiche.  Gutachten  im  Auftrage  der  Handels-  und 
Gewerbekammer  zu  Zittau.  1877.  S.  57—63. 

*)  this  yarn  „is  not  custumede  aftir  the  price  of  such  woll,  but  oonW 
after  the  price  of  thrumes  or  of  grete  wollen  yerne."  Rot  Pari.  v. 
S.  104. 

l)  Br.  M.  Harl.  Ms.  187». 
10)  Rot  Pari.  IL  S.  168. 


—    441    — 

wurden,  wogegen  die  Tuchzölle  auf  dem  früheren  geringen 
Stand  verharren  durften  l).  Während  zur  Zeit  Heinrichs  VII. 
und  VIII.  der  Wollzoll  hei  Stapelkaufleuten  ungefähr  33%,  bei 
Nichtstapelkauf  leuten  70%  desWerthes  betrug,  war  der  Tuch- 
zoll für  Einheimische  und  Hansen  nicht  ganz  2  % ,  und  für 
Fremde  nicht  ganz  8%  des  Werths*).  Und  diese  grosse 
Differenz  dauerte  fort  bis  1557!  Nimmt  man  noch  hinzu,  dass 
auch  die  Transportkosten,  Lagergelder,  die  grossen  Unternebmer- 
gewinne  der  Stapler  vom  Auslande  getragen  werden  mussten, 
ferner,  dass  selbst  der  geringe  Tuchzoll  vielfach  umgangen 
wurde3),  so  begreift  man  den  Ungeheuern  Vorsprung,  den  die  . 
englische  Tuchindustrie  gegenüber  den  Nachbarländern  hatte. 
Diese,  besonders  die  Niederlande,  sahen  sich  denn  auch  immer 
mehr  genöthigt,  andere  als  englische  Wolle,  leichtere  und  ge- 
ringere Qualitäten  zu  verarbeiten 4).  Nichtsdestoweniger  wurde 
die  englische  Concurrenz  immer  empfindlicher.  Das  englische 
Tuch  war  ein  Weltartikel  geworden.  Wir  hatten  fcchon  im 
ersten  Capitel  des  ersten  Abschnittes  Gelegenheit,  darauf  hin- 
zuweisen, wie  eben  deswegen  seit  Beginn  des  15.  Jahrhunderts 
eine  mächtige  Reaction  in  den  Niederlanden  gegen  das  eng- 
lische Tuch  sich  erhob,  und  wie  der  Kampf  beider  Concur- 
renten  um  diese  Zeit  heftig  entbrannte6).  Es  dürfte  hier  der 
Platz  sein,  das  beiderseitige  Bingen  etwas  näher  zu  verfolgen. 
In  Flandern  war  es  in  der  älteren  Zeit  gar  nicht  gestattet, 
englisches  Tuch  zu  verkaufen.  Dies  mu6s  man  schon  daraus 
schliessen,  dass  die  grossen  flandrischen  Centren  der  Tuch- 
manufactur  nicht  einmal  die  Industrie  in  den  kleinen  flandri- 
schen Städten  und  auf  dem  Lande  dulden  wollten,  sondern  seit 
dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  mit  aller  Macht  bekämpften 6). 
Meist  genügten  auch  die  gegen  die  Landindustrie  gerichteten 
Erlasse,  um  dem  Versuch,  fremdes  oder  englisches  Tuch  zu 
verkaufen,  entgegenzutreten7).    Es  scheint,  als  ob  man  selbst 

')  Schon  Wheeler,  der  Secretär  der  Merchant  adventurers,  machte 
auf  dieses  Moment  aufmerksam.  Treatise  of  commerce  1601.  S.  88.  —  Na- 
mentlich gelang  es  den  Hansen  und  Engländern,  das  Tuch  vom  Subsidien- 
loll  frei  zu  halten;  vgl.  31  Hen.  VI.  c.  8  (1458). 

*)  Bd.  II.  S.  6. 

*)  So  wird  erzählt,  dass  die  Ausländer  bedeutende  Mengen  Tuch 
kauften,  daraus  Kleidungsstücke  machten  und  diese  abgabenfrei  ausführten. 
11  Hen.  IV.  c.  7. 

*)  „sleightes  laines*.  Rot.  Pari.  IV.  S.  251  (1423);  die  Engländer 
waren  sehr  ungehalten  über  das  Eindringen  fremder  Wolle:  de  verlangten 
wiederholt  von  den  Flamändero,  entweder  nur  englische  Wolle  zu  verarbei- 
ten oder  den  englischen  Tüchern  Eingang  zu  gestatten.  Rot.  Pari.  IV. 
S.  126,  146  (1420/1).    Sieh  auch  oben  S.  68. 

*)  S.  7. 

e)  Sieh  oben  S.  438,  439. 

7)  So  heisst  es  in  der  Ordonnanz  für  Gent  1314  ganz  allgemein,  dass  in 
Gent  oder  (!)  in  den  Hallen  keine  Tücher  verkauft  werden  dürften,  die  nicht 
in  der  Stadt  gemacht  oder  gewalkt  worden  seien.  Diegerick,  Inventaire 
des  archives  de  la  ville  d'Ypre.    Nr.  813. 


—    442    — 

in  dem  Handelsemporiuiu  .Brügge  nicht  nur  die  Weiterver- 
arbeitung und  das  Tragen  englischer  Tücher,  sondern  auch 
den  Verkauf  im  Grossen  und  an  Fremde  vor  1470  nicht  ge- 
stattete. In  einer  Petition  der  englischen  Gemeinen  von  1420 
wird  erwähnt,  dass  ein  Vertrag  zwischen  Flandern  und  Eng- 
land existire,  worin  der  Graf  von  Flandern  sich  verbindlich 
gemacht,  den  Bezug  von  Wolle  aus  Schottland,  Aragonien. 
Catalonien  und  Spanien  einzustellen,  wogegen  die  Engländer 
dem  flandrischen  Verbot  entsprechend  keine  englischen  Tücher 
in  Flandern  einführen  wollten  l).  Ebenso  wird  in  einer  nieder- 
ländischen Verordnung  von  1434  hervorgehoben,  dass  seit  ur- 
alter Zeit  die  englischen  Tücher  verboten  seien  *).  In  Brabant, 
Holland  und  Zeeland  lag  die  Sache  anders.  Hier  hatten  die 
englischen  Tücher  ungehinderten  Eingang,  sie  durften  im  De- 
tail verkauft,  sie  konnten  verarbeitet  und  getragen  werden8). 
Es  war  ja  dies  der  Hauptgrund,  weshalb  die  englischen  Kauf- 
leute seit  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  Flandern  mehr 
und  mehr  den  Rücken  wandten  und  in  Antwerpen  sich  fest- 
setzten. Als  aber  diese  Uebersiedlung  grössere  Dimensionen  an- 
nahm, und  in  Folge  dessen  der  Tuchimport  in  diesen  Gebieten 
sich  mehrte,  da  wurden  auch  hier  die  Industriellen  unwillig 
und  wollten  sich  nicht  im  Interesse  Antwerpens  geopfert  wissen. 
Diese  erwachende  Opposition  in  Brabant.  Holland  und 
Zeeland  traf  mit  den  immer  stürmischer  werdenden  Klagen  der 
vlämischen  Städte  zusammen.  In  den  dreissiger  Jahren  des 
15.  Jahrhunderts  gelangte  die  Missstimmung  zum  offenen  Aus« 
bruch.  Den  Anlass  gaben  die  Stapler.  Diese  waren  immer 
bestrebt,  den  Preis  der  Wolle  in  Calais  möglichst  in  die  Höhe 
zu  schrauben,  und  hielten  strenge  darauf,  dass  das  Stapelrecht 
nicht  durchbrochen  werde.  Sie  mussten  dies  schon  um  des- 
willen thun,  weil  sie  sonst  ausser  Stande  gewesen  wären,  den 
hohen  Wollzoll  zu  tragen.  1432  hatten  sie  im  Parlament  eine 
Verschärfung  der  Strafe  für  diejenigen  durchgesetzt,  welche 
mit  Umgehung  des  Stapels  in  Galais  und  der  Zölle  Wolle  di- 
rect  nach  den  Niederlanden  brachten  und  dadurch  die  Woll- 
preise tief  herabdrückten*).    Das  Gesetz  zeigte  sich  wirksam, 


')  „et  nnlles  draps  d'Engleterre  serront  amesnez  en  les  ditz  parties  de 
Flaunares  sur  peyne  de  forfaire  les  ditz  draps  d'Engleterre;  laquell  ordi- 
nance  de  draps  se  tient  unquore  en  Flaundres"  Rot  Pari.  IV.  S.  126; 
▼gl.  auch  a.  a.  0.  S.  146. 

*)  Urk.  Beil.  171. 

*)  Urk.  Beil.  171.  Dies  behauptet  auch  ausdrücklich  eine  Instruction 
des  endischen  Königs  von  1449.  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances 
of  the  Privy  Council  VI.  S.  70,  80.  Ganz  in  Uebereinstunmnnp  mit  diesen 
Äusserungen  steht  die  1421  im  englischen  Parlament  an  die  Regierung 
gestellte  Forderung,  dahin  zu  wirken,  dass  «les  draps  mitz  en  Engtaterre 
pourront  avoir  coors  d'estre  mys  an  vende  dedeins  la  dite  paus  de  Flandren 
si  come  üb  sont  en  Brabant,  Holande,  Gelände  et  autres  contres  et  paus 
an  mesme  celni  paus  de  Flandres  adgisans."    Rot  ParL  IV.  S.  146. 

*)  Rot  Pari.  IV.  S.  410. 


—    443    — 

die  Stapelkaufleute  dictirten  wieder  den  Preis.  Die  Unter- 
handlungen der  vlämischen  Städte  mit  ihnen  blieben  ohne  Er- 
folg1). Die  heimische  Industrie  war  in  Gefahr.  Es  war  ganz 
natürlich,  wenn  nun  in  ganz  Burgund  der  Ruf  gegen  das  eng- 
lische Tuch  erscholl.  England  sollte  Wolle  liefern,  aber  kein 
Tuch  machen.  Dieser  Concurrent  musste  vernichtet  werden, 
damit  die  Niederländer  wieder  billig  die  Wolle  beziehen  konnten 
und  als  einzige  oder  Hauptconsumenten  den  Markt  beherrschten. 
Dazu  war  vor  Allem  nöthig,  dass  auch  die  östlichen  Theile  der 
Niederlande  dem  englischen  Tuch  den  Weg  versperrten. 

Die  Regierung  erliess  1434  ein  Verbot  gegen  die  eng- 
lischen Tücher,  vermuthlich  das  erste,  das  für  ganz  Burgund 
Geltung  hatte  *).  Um  dasselbe  zur  Wahrheit  zu  machen,  hatten 
Brügge,  Gent,  Ypern  und  Le  Franc  mit  den  Hansen  sich  da- 
hin verständigt ,  dass  diese  auf  ihr  Privileg  der  freien  Durch- 
fuhr englischer  Tücher  bis  auf  Weiteres  verzichteten 3).  Die 
Durchführung  erwies  sich  trotzdem  schwer.  Man  scheute,  als 
die  Vorschläge  der  flandrischen  Städte  wegen  der  Wolle  eng- 
lischerseits  abermals  zurückgewiesen  wurden4),  auch  die  strengsten 
Massregeln  nicht.  Man  schärfte  die  Verordnung  wiederholt 
ein,  ergänzte  sie  und  schuf  ein  sehr  lästiges  Controlsystem 5). 
Seit  der  Herzog  von  Burgund  sich  mit  Frankreich  ausgesöhnt 
(1435)  und  dadurch  England,  das  um  die  Herrschaft  in  Frank- 
reich kämpfte,  sich  verfeindet  hatte,  diente  diese  Massregel 
zugleich  als  politische  Repressalie.  Die  Verhandlungen  fühlten 
meist  zu  keinem  Ziel  oder,  wenn  doch  ein  Vertrag  zu  Stande 
kam,  so  wurde  er  nur  ganz  kurze  Zeit  gehalten 6). 

Am  9.  Juni  1445  wurde  das  Verbot  erneuert 7);  das  Gleiche 
geschah  am  12.  Januar  1447 8),  indem  die  am  6.  August  1446 
ertheilten  Privilegien,  soweit  sie  auf  englische  Tücher  sich 
bezogen,  wieder  zurückgenommen  wurden.  Die  Erbitterung 
unter  den  Engländern  war  sehr  gross.  Die  Merchant  adven- 
turers,  die  eben  ihre  Stellung  in  Antwerpen  gefestigt  glaubten, 
sahen  wieder  plötzlich  die  Grundlage  des  Handels  entzogen9). 

*)  ürk.  BeiL  170. 

■)  ürk.  Beil.  171;  sieh  auch  Pauli,  Geschichte  von  England  V.  S. 
240,241. 

*)  Die  Hansen  gingen  auf  den' Vorschlaff  ein,  weil  sie  hofften,  dass 
dann  in  den  Niederlanden  „de  neringhe  van  aer  draperie  wedder  verbredet 
worde,  und  dat  (sy)  wedderumme  de  lakene  beters  kopes  mochten  kopen". 
Ueber  die  Verhandlungen  sieh  v.  d.  Kopp,  Hanserecesse  I.  S.  132—187. 

*)  Nicolas,  Proceedings  and  Orcunances  of  the  Privy  Council  in 
England  IV.  8.  298. 

*)  ürk.  Beil.  172,  173. 

•)  Rymer,  X.  S.  619,  686,  654,  713,  714,  780,  733,  736.  XL  S.  24, 
67,  125,  129,  132. 

*)  Genter  Stadtarchiv.  Partie  confisqule  par  Charles  V. 
Tan  1589. 

•)  Verachter,  Inventaire  des  archives  d'Anvers.  8.  122. 

•)  Vgl.  oben  S.  9  fg. 


—    444  — 

Die  Industriellen  in  England  geriethen  in  Noth1).  Unter  den 
Walkern  und  Spinnern  traten  die  Folgen  dieser  schweren  Krise 
sehr  offenkundig  zu  Tage.  Das  Parlament  verlangte,  als  es 
sich  überzeugt,  dass  die  Vorstellungen  des  Königs  und  seiner 
Minister  bei  der  burgundischen  Regierung  fruchtlos  blieben  *), 
die  Wiederherstellung  der  Repressalie,  welche  der  König  schon 
1436  aus  eigener  Machtvollkommenheit  angewendet  hatte9). 
Demzufolge  wurde  durch  Gesetz  die  Einfuhr  aller  niederlän- 
dischen Waaren  bis  zur  nächsten  Session  verboten,  wofern 
nicht  in  der  Zwischenzeit  in  firabant,  Holland  und  Zeeland 
die  englischen  Tücher  wieder  zugelassen  würden*). 

Mit  dieser  Waffe  in  der  Hand  konnte  man  eine  Verstän- 
digung versuchen.  Heinrich  VI.  schickte  im  März  und  im 
Juli  1449  Bevollmächtigte  an  die  Herzogin  von  Burgund5); 
die  letztere  war  zu  einem  Vergleich  bereit,  wofern  ihre  Be- 
dingungen hinsichtlich  des  Wollbezugs  erfüllt  würden.  Die 
englische  Regierung  zögerte  anfangs6),  wies  aber  schliesslich 
die  Stapler  an,  nachzugeben7).  Nichtsdestoweniger  kam  keine 
Einigung  zu  Stande.  Die  Folge  war,  dass  man  in  England 
das  Verbot  der  Einfuhr  niederländischer  Waaren  auf  weitere 
sieben  Jahre  verlängerte8). 

Ein  solcher  Zustand  war  für  die  Dauer  unerträglich.  Am 
15.  April  1452  Hess  Herzog  Philipp  „im  Interesse  des  Landes* 
den  Verkauf  englischer  Tücher  in  Antwerpen  zu9),  bis  allge- 
meine Massregeln  in  dieser  Angelegenheit  getroffen  wären.  Es 
war  dieser  Schritt  aber  nur  eine  Art  vorübergehenden  Waffenstill- 
stands. Der  Herzog  schritt  sehr  bald  zu  neuem  Angriff,  wählte 
aber  sehr  zweischneidige  Waffen.  Er  unterwarf  die  englische 
Wolle,  die  von  Galais  nach  Gravelingen  kam,  einem  Extrazoll 
und  verbot  gleichzeitig  die  Durchfuhr  von  Edelmetall  zum 
Ankauf  von  Wolle  in  Galais.  Er  erreichte  dadurch  zwar,  dass 
in  England  die  Wollpreise  stark  sanken 10),  förderte  aber  durch 


*)  Sieh  ihre  Petition  im  Parlament  1449.    Rot  Pari.  V.  S.  150,  151. 

2)  Nicolas,  Proceedings  etc.  VI.  8.  71. 

«)  Rymer  X.  S.  654. 

*)  27  Hen.  VI.  c.  1.  H449). 

5)  Sieh  die  beiden  Instructionen  für  die  Gesandten  bei  Nicolas, 
Proceedings  etc.  VI.  S.  69—73;  S.  76—85 •,  igL  auch  Rymer  XI.  8.  220,  233. 

•)  In  der  ersten  Instruction  waren  die  Gesandten  angewiesen,  hin- 
sichtlich des  Wollverkaufs  sich  zu  äussern  „as  colourably  as  thay  can.u 
Nicolas,  a.  a.  0.  S.  72. 

*)  Die  Regierung  hatte  plötzlich  entdeckt,  dass  durch  die  Politik  der 
Stapler  der  "W  oll  verkauf  und  damit  die  englischen  Zölle  abnahmen.  Ni- 
colas, a.  a.  0.  S.  84. 

8)  Rot.  Pari.  V.  S.  201. 

p)  Verachter,  Inventaire  S.  181. 

10)  Die  Wollproducenten  verlangten  deshalb  hohe  Preistaxen,  wollten 
aber,  dass  die  Tuchfabrikanten  davon  nicht  betroffen  wurden.  Die  Stapel- 
kaut leute  vereitelten  das  Zustandekommen  dieser  Bill,  wünschten  aber 
ihrerseits,  dass  der  Wollverkauf  an  die  Niederlande  ganz  eingestellt  werde, 


—    445    — 

seine  Massregel  nur  den  Gegner,  um  den  es  sich  handelte, 
nämlich  die  englische  Tuchindustrie. 

Bald  darauf  wurde  der  offene  Kampf  für  einige  Jahre  be- 
schwichtigt') ,  aber  nur  um  im  Jahre  1464  um  so  heftiger 
wieder  auszubrechen2).  Die  Niederlande  wollten  um  jeden 
Preis  die  englische  Concurrenz  erdrücken.  Aber  auch  dieser 
letzte  Kraftversuch  wurde  und  zwar  mit  denselben  Mitteln8) 
und  demselben  Erfolg  wie  früher  zurückgewiesen4).  Bei  dieser 
Gelegenheit  griff  auch  der  König  wieder  zu  der  schon  zur  Zeit 
Heinrichs  III.  und  Eduards  HL  vorübergehend  getroffenen 
Massregel  zurück  und  liess  die  Einfuhr  fremden  Wolltuchs 
verbieten ö). 

Die  englische  Tuchindustrie  hatte  aber  nun  ihre  Feuer- 
probe bestanden.  In  rascherem  Tempo  als  bisher  konnte  sie 
sich  jetzt  ausdehnen.  Die  Arbeitsteilung  nahm  der  wachsenden 
Production  entsprechend  grössere  Dimensionen  an,  es  gab 
nicht  nur  selbständige  Weber  und  Spinner,  sondern  auch  eigene 
Wollkrämpler,  Walker,  Scheerer  und  Färber6).  Der  Capital- 
factor  begann  in  der  Tuchbranche  wichtiger  zu  werden.  Mehr 
als  früher  tratTder  Unternehmer  in  den  Vordergrund,  der  nur 
den  Rohstoff  zur  Bearbeitung  lieferte7),  im  Uebrigen  aber 
hauptsächlich  den  Absatz  organisirte  und  leitete8).  Die  Mer- 
chant  adventurers  und  die  reichen  Tucher  bildeten  diese  Classe 
von  Unternehmercapitalisten.  Die  niederländische  Manufactur 
dagegen  gedeih  immer  stärker  ins  Gedränge  und  musste  zu 
Gunsten  der  neuaufstrebenden  englischen  Industrie  zu  immer 
bedeutenderen  Concessionen  sich  verstehen.  Selbst  die  Fla- 
mänder  sahen  sich  im  Interesse  ihres  Marktes  genöthigt,  in 
Brügge  den  Verkauf  englischen  Tuches  seit  1470,  wenn  auch 
nur  im  Grossen  und  an  Fremde,  zu  gestatten 9). 

bis  die  Beschränkungen  beseitigt  waren*  Der  König  verweigerte  aber  auch 
tiezu  seine  Zusage.    Rot.  Pari.  V.  S.  274  fg. 

s)  RymerXL  8.  478,  493,  497.  507,  541,  542. 

*)Gachard,  Collection  des  aocuments  in&üte  concemant  l'histoire 
de  Belgique.  IL  S.  177. 

»)  4  Ed.  IV.  c.  5;  4  Ed.  IV.  c  l. 

*)  Der  Herzog  von  Burgund  bot  1466  einen  Waffenstillstand  an,  der 
1467  auf  80  Jahr  verlängert,  schon  1478  aber  von  Maximilian  durch 
einen  Vertrag  ersetzt  wurde,  der  eine  Versöhnung  der  Gegensatze  und  na- 
mentlich eine  bestimmte  Regelung  der  Wollfrage  versuchte...  Rymer  XL 
S.  562,  577,  580:  XII,  S.  66,  67  fg. 

*)  4  ÄL  lf .  c  1. 

•)  In  London  trat  die  Theilung  am  frühesten  ein.  Sieh  Liber  Cus- 
tumarum  ed.  Riley  L  S.  127  fg.;  4  Ed.  IV.  c  1;  über  die  Arbeitsteilung 
in  der  mittelalterlichen  Gewebeinoustrie  sieh  G.  Schmoller,  Die  Strass- 
burger  Tucher-  und  Weberzunft  1879.    S.  410  ig. 

*)  Später  lieferte  er  auch  die  Webstuhle;  vgl.  2/3.  Ph.  u.  M.  c.  11. 

")  VgL  auch  oben  S.  71,  72. 

*)  8o  nach  den  Eeuren  und  Statuten  des  Stapels  von  Brügge  vom 
4.  März  1470.  Die  Eeuren  bestehen  aber  aus  mehren  Theilen,  die  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  abgefasst  wurden-,  ein  Theil  wurde  1304,  ein  anderer 


—    446    — 

Wie  die  englische  Politik  später,  namentlich  unter  den 
.  beiden  ersten  Tudors  noch  weitere  Erfolge  nach  dieser  Seite 
hin  erzielte,  wie  sie  der  niederländischen  Industrie  schwere 
Schläge  versetzte,  haben  wir  früher  ausführlich  dargelegt. 

Mit  dem  Anwachsen  der  Tuchindustrie  erhielt  auch  die 
englische  Schutzpolitik  eine  neue  Richtung.  Bisher  übten  auf 
die  Wollausfuhr  die  finanziell^  Bedürfnisse  der  Regierung, 
d.  h.  die  Zölle  und  die  Preisregulirung  der  Stapler  den  grössten 
Einfluss  aus.  Nun  kam  aber  ein  neuer  wichtiger  Factor  hinzu; 
die  Spinner  und  Weber  nahmen  zur  Frage  des  Wollexports 
Stellung.  Selbstverständlich  war  die  Stimmung  bei  den  In- 
dustriellen eine  dem  Wollexport  ungünstige.  Der  Industrielle 
glaubte  sich  immer  geschädigt,  jede  Wollausfuhr  veranlasste 
eine  ihm  unerwünschte  Verteuerung  des  notwendigen  Ma- 
terials ,  er  wollte  billige ,  der  Wollproducent  hohe  Preise.  Es 
war  ein  Gegensatz  der  Interessen,  der  hier  vorlag,  zugleich 
aber  ein  Gegensatz  der  socialen  Stände;  die  Geistlichkeit,  der 
Adel,  überhaupt  der  Grundbesitzer  rang  mit  dem  Handwerker, 
mit  dem  Städter  um  den  grossem  Antheil  des  Einkommens 
und  damit  des  Einflusses. 

Es  dauerte  denn  auch  nicht  lange,  so  fand  sich  für  diese 
Missstimmung  ein  beredter  Mund,  ähnlich  wie  es  früher  der 
Fall  gewesen,  als  der  allgemeine  Hass  auf  die  Fremden  ge- 
richtet war.  Der  Autor  unseres  Pamphlets,  der  gegen  die  un- 
gehinderte Ausfuhr  der  Wolle  zu  Felde  zieht,  hatte  sich  sogar 
ausdrücklich  den  Verfasser  des  Libell  of  Englishe  Policye  zuni 
Vorbild  genommen ').  Obwohl  weder  in  Form  noch  im  Inhalt 
dem  Büchlein  der  englischen  Staatsklugheit  gleichstehend  war 
das  Gedicht  doch  geeignet,  die  ganze  hier  einzuschlagende 
Politik  zu  formuliren  und  dafür  wirksam  Propaganda  zu 
machen. 

Gleich  im  Motto8)  deutet  der  Verfasser  an,  dass  nicht 
blos  die  Hebung  der  Seemacht,  sondern  auch  die  der  In- 
dustrie, vor  Allem  der  Wollmanufactur  Sache  der  politischen 
Erwägung  sein,  und  dass  durch  die  Lösung  dieser  zwei  Auf- 
gaben Englands  Suprematie  gesichert,  werden  müsse.  Jeder, 
heisst  es  in  dem  Pamphlet,  hat  drei  absolute  Bedürfnisse,  nämlich 
das  nach  Speise,  Trank  und  Kleidung.    England  besitzt  diese 


1428,  und  ein  dritter,  zu  dem  die  Bestimmung  wegen  der  englischen  Tücher 
gehört,  wie  es  scheint,  erst  1470  erlassen.  Gilliodts  van  Severen, 
Archive«  de  la  ville  de  Bruges  T.  VL  8.  5  fg.  —  Im  Jahre  1475  bestritt 
der  Vorstand  der  Brüsger  Verkaufehallen  den  Parmentiers  das  Recht,  Tücher 
von  Schottland,  Irland  etc.  zu  kaufen  und  zu  verkaufen;  der  Rath  von  Flan- 
dern entschied  aber  zu  Gunsten  der  Pannentiers.  Diegerick,  Infant«« 
des  archives  de  la  ville  d'Ypre  IV.  S.  20.  Nr.  1049. 

3  Das  Gedicht  beginnt  sogar  mit  einem  Vers,  den  der  Libell  of  Eng- 
lishe Policye  enthält 

')  Sieh  oben  S.  434. 


—    447     - 

drei  Mittel  in  genügender  Menge,   eines  sogar  in  überreich- 
licher  Fülle.     Aber  das   englische   Volk  vernachlässigt,    aus 
diesem  Umstände  Vortheil  zu  ziehen.    Die   andern  Nationen 
haben  zwar  Nahrungsmittel ,  aber  es  mangelt  ihnen  das  Tuch. 
Von  den  fernsten  Theilen  Europas  kommen  die  Kaufleute,  um 
entweder  englische  Wolle  oder  Tuch  zu  kaufen.    Englands  In- 
teresse erfordert,  dass  man  nu^  Wolle  der  schlechtesten  Qualität 
exportiren  lässt.    Tücher,  die  man  aus  solcher  verfertigt,  sind 
grob  und  billig,  fünf  Ellen  grobes  Zeug  sind  erst  soviel  werth, 
als  eine  Elle  feines,  und  doch  betragen  die  Herstellungskosten 
beim  feinen  Tuch  nicht  viel  mehr  als  beim  groben.    Solange 
die  englische  Tuchindustrie  nur  auf  Fertigung   grober  Zeuge 
sich  beschränkt,  erwächst  dem  Königreich  nur  geringer  Gewinn. 
Will   man   aber  ein  solches  Ziel  sich   stecken,   so  muss  man 
zugleich  eine  andere  Reform  in  Angriff  nehmen.    Keine  feine 
Industrie  ist  möglich   ohne  einen  gutgelohnten  Arbeiterstand. 
Die  seit  einiger  Zeit  eingerissene  Unsitte,  dass  Kaufleute  und 
Tucher  ihre  Spinner,  Weber,  Scheerer,  Walker,  Carder,  Färber 
zwingen,  ihren  Lohn  zur  Hälfte  in  Waaren  zu  nehmen,  ist  ein 
schweres  Unrecht     Was  theuer  genug  wäre  für  3  d,   nöthigt 
man   den  Arbeitern   auf  zu  6  d.    Auch  sonst  sucht  man  die 
Werkleute  zu  benachtheiligen ,   es  ist  ganz  gewöhnlich  gewor- 
den, die  Spinner  beim  Gewicht  der  Wolle  zu  betrügen.    Die 
Armen   haben    die    Arbeit,    die  Reichen  den  Gewinn.     Man 
muss  deshalb  die  Arbeitgeber  veranlassen ,  ihre  Löhne  in  Geld 
zu  zahlen ;  der  König  soll  mit  gutem  Beispiel  vorangehen  und 
in  der  Nähe  jeder  Mine  eine  Münzwerkstätte  errichten.     Das 
geprägte  Geld    muss   in    erster  Linie   zur  Zahlung  von  Ar- 
beitern verwendet  werden.    Durch  Wiedereinführung  der  Geld- 
löhnung und  durch  Verhinderung  der  Wollausfuhr l)  wird  Eng- 
land zu  Wohlstand  gelangen  und  die  feindlichen  Nationen  in 
Abhängigkeit  halten. 

Diese  eindringliche  Mahnung  blieb  nicht  ohne  Früchte. 
Eine  ganze  Parlamentssession  (1464/65)  beschäftigte  sich  mit 
der  angeregten  Frage.  Der  König,  der  grosser  Geldbewilligung 
bedurfte8),  war  bereit,  alle  Wünsche  des  Parlaments  gutzu- 
heissen.  Es  wurden  viele  Vorschriften  zur  Erhaltung  der 
Tuchgüte  erlassen;  es  wurde  feiner  dem  mit  der  Grossunter- 
nehmung eingerissenen  Trucksystem  begegnet,  der  Import 
fremden  Tuchs  verboten,  insbesondere  aber  auch  der  Wollkauf 
beschränkt.  Schon  1463  hatte  man  einen  milden  Versuch  in 
der  vom  Volk  gewünschten  Richtung  gemacht;  den  Fremden 

*)  „And  lulle  fayne,  tbat  they  (sc.  enemies)  may  be  subyet  to  this  lond, 
Yf  we  kepe  the  wollys  straytly  owt  of  theyre  hond; 
For  bv  the  endraperyng  theroff  they  have  theyre  sustynaunce, 
And  thus  owre  enmys  by  supportya  to  owre  gret  hynderaunce." 
Political  Poems  and  Songs  ed.  Th.  Wright  II.  3.  283  fg. 

*)  Stubbs,  Constitutional  history  of  England  III.  S.  198,  199. 


—    448     — 

war  verboten  worden,  Wolle  direct  aus  England  zu  exportiren. 
Insofern  dadurch  alle  Ausländer  auf  das  Stapel  angewiesen 
wurden,  war  ihr  Wollbezug  etwas  erschwert l).  Das  Gesetz 
hatte  nur  drei  Jahre  Gültigkeit  und  wurde  auch  nicht  erneuert, 
als  diese  Frist  abgelaufen  war.  Dies  war  auch  nicht  nöthig, 
da  die  Industriellen  noch  1464  unter  dem  Einfluss  des  Pam- 
phlets ein  viel  wirksameres  Gesetz  erlangt  hatten.  Diesem 
zufolge  sollten  bis  1467  in  näher  bezeichneten  Grafschaften1) 
nur  die  Garn-  und  Tuchmacher  und  die  Unternehmer,  welche 
solche  beschäftigten,  Kaufcontracte  in  Betreff  noch  ungeschorener 
Wolle  in  der  Zeit  vom  19.  März  bis  zum  St.  Bartholomeusfeste 
eingehen  dürfen8).  Freilich  hatte  auch  dieses  Gesetz  keine 
lange  Dauer.  Als  1464  im  Parlament  um  eine  Verringerung 
des  Statuts  nachgesucht  wurde,  versagte  der  König  seine  Zu- 
stimmung4). Dagegen  genehmigte  Eduard  IV.  eine  Bill,  durch 
welche  einige  Massregeln  Eduards  III.  wieder  erneuert  wurden. 
Die  Ausfuhr  von  Garn  und  ungewalkten  Tuchs  wurde  verboten5). 
Die  Beschäftigung  einer  grossem  Zahl  Arbeiter  und  das  fisca- 
lische  Interesse  waren  die  Motive 6),  und  sie  genügten  auch,  um 
den  König  zu  veranlassen,  dass  er  das  Verbot  durchführte  und 
aufrecht  erhielt. 

Aus  Allem  ist  ersichtlich,  dass  auch  Eduard  IV.  kein  con- 
sequenter  Schutzpolitiker  war.  Manche  seiner  Schritte  waren 
den  englischen  Interessen  sogar  positiv  schädlich.  Ich  rechne 
hieher  die  Licenz,  wonach  die  Herzogin  von  Burgund  für  die 
Dauer  ihres  Lebens  jährlich  2000  Widder  zollfrei  ausführen 
durfte7). 

Richard  III.  kam  den  Wünschen  der  Industriellen  mehr 
entgegen.  Unter  ihm  wurde  die  Forderuug  des  oben  genannten 
Pamphlets,  wonach  nur  geringwerthige  Wolle  ausgeführt  werden 

*)  3  Ed.  IV.  c.  1.  In  der  Begründung  wird  geltend  gemacht,  dass 
eine  hinlängliche  Menge  Wolle  im  Königreich  verbleiben  müsse,  damit  die 
englischen  Tuchmacher  und  alle  Glieder  der  Manufactur  genügend  beschäf- 
tigt, die  Einwohnerschaft  der  verfallenden  Städte  vermehrt,  die  Lasterhaf- 
tigkeit und  Unzufriedenheit  vermindert  und  die  alte  Freude  und  der  alte 
Wohlstand  wieder  hergestellt  werde. 

*)  Nämlich  Berkshire,  Oxfordshire,  Gloucestershire,  Shropshire,  Her- 
fordshire,  Worcestershire,  Wiltshire,  Sommersetshire.  Dorsetshire,  Hamp- 
shire, Essex.  Cambridgeshire,  Norfolk,  Suffolk,  Kent.  Surrey,  Sussex. 

*)  4  Ed.  IV.  c.  4.  In  Betreff  der  deutschen  Wollausfuhrverbote  vgl. 
Röscher,  Geschichte  der  Nationalökonomie  S.  185,  247,  316,  870. 

«)Rot  Pari.  V.  8.  680. 

*)  Rot  Pari.  V.  S.  621;  7  Ed.  IV.  c  3. 

*)  Die  Garne  und  ungewalkten  Tücher  zahlten  blos  Subsidie,  wo- 
gegen für  die  vollendeten  Tücher  auch  Costume  und  Vermessungsgeld  zu 
entrichten  war. 

')  Rymer  XIL  8. 187  (1480).  Wahrscheinlich  bezieht  sich  auf  Ed.  IV. 
die  Stelle:  „And  further  they  say  and  hold  an  opynyon,  that  by  carieng 
certayn  shepe  owt  of  England  into  Spayn  by  kyng  Edwarde«  dayes ,  that 
by  the  bodyes  of  the  shepe  then  robbid  England  of  our  speciau  gift  of 
fynes  and  goodnes  of  our  staple  wolle. tf  Pauli,  Drei  volkswirthsch.  Denk- 
schriften S.  24. 


—    449    — 

sollte,  theilweise  verwirklicht.  Man  gestattete  den  Italienern 
nicht,  die  Wolle  zu  sortiren,  verlangte  vielmehr,  dass  sie 
gute  und  schlechte  zusammen  nähmen 1). 

Heinrich  VII.  behielt  sich  ausschliesslich  die  Verhängung 
der  Strafen  des  letztgenannten  Gesetzes  vor8),  liess  aber  die 
Acte  so  gut  wie  unbeachtet,  dagegen  gewannen  einzelne  der 
Eduard'schen  Massregeln  unter  ihm  erst  festen  Bestand.  Die 
unter  Eduard  IV.  hinsichtlich  der  Wolle  versuchte  Verkaufs- 
ordnung wurde  neu  geregelt.  Vom  1.  März  bis  zum  Fest  der 
Maria  Himmelfahrt  sollte  der  Kauf  ungeschorner  Wolle  nur  den 
Wollverarbeitern  gestattet  sein;  fremden  Kaufleuten  war  aber 
auch  nicht  gestattet,  geschorne  Wolle  vor  dem  2.  Februar  zu 
kaufen.  Dieselben  konnten  also  Contvacte  bezüglich  unge- 
schorner Wolle  nur  in  der  Zeit  vom  September  bis  zur  Schur 
im  Frühjahr,  und  bezüglich  geschorner  nur  in  der  Zeit  vom 
2.  Februar  bis  1.  März  schliessen 3).  Es  war  ein  Verkauis- 
system  geschaffen,  dem  sicher  die  mittelalterliche  Uebung  beim 
Getreideverkauf  als  Muster  gedient  hatte*).  Insofern  der 
erstere  Theil  des  Gesetzes  auch  die  Stapler  traf6),  darf  man 
annehmen,  dass  das  Gesetz,  dessen  Gültigkeitsdauer  zunächst 
auf  10  Jahre  festgesetzt  war,  ganz  den  Wünschen  der  Manu- 
facturisten  entsprach.  Ebenso  hielt  Heinrich  VII.  an  der  Acte 
in  Betreff"  der  verbotenen  Ausfuhr  von  Wollengarn  und  unge- 
walkten  Tuchs  fest;  „zur  Ermuthigung  der  Handwerker,  die 
das  Scheeren  und  Rauhen  besorgten",  fügte  er  das  Verbot 
der  Ausfuhr  ungeschorner  und  ungerauhter  Tücher  hinzu6). 
Endlich  wird  behauptet,  dass  er  eine  neue  Colonie  niederlän- 
discher Tuchmacher  nach  England  gezogen  und  in  York,  Leeds, 
Wakefield,   Halifax  angesiedelt  habe7);   auch  soll  unter  ihm 


r)  1  Ria  III.  c.  8.  Die  Beliebtheit  des  Königs  Richard  III.  beim 
Bürgerthum  war  deshalb  auch  sehr  gross.  Bekannt  ist  die  Scene,  in  der 
Wotaey  zu  den  Londonern  sagte:  „Sir  J  marvell,  that  you  speak  of  Richard 
III.,  which  was  a  usurper  and  a  murtherer  of  his  own  nephews.  Then  of 
so  evila  man,  how  can  the  acts  be  good?  Make  no  such  allegations,  his 
acte  be  not  honorable".  Darauf  erwiderten  die  Londoner:  „An't  please, 
your  Grace,  although  he  did  evil,  yet  in  his  time  were  many  gooa  acts, 
made  not  by  him  only,  but  by  the  consent  of  the  body  of  the  whole  realm, 
which  is  the  Parliament"    Brewer,  Cal.  IV.  Pref.  S.  LXXXI. 

*)  1  Hen.  VII.  c.  10. 

3)  4  Hen.  VII.  c.  11.  (1488'89) 

*)  Danach  kauften  im  ersten  Zeitraum  die  Bürger,  im  zweiten  die 
Backer,  im  dritten  die  Fremden.  Vgl.  auch  Liber  Albus  edRiley  S.270. 

*)  Sieh  jedoch  auch  Urk.  Beil.  35. 

6)  3  Hen.  VH.  c.  11.  In  wie  weit  Heinrich  VII.  die  Acte  wirklich 
durchführte,  lässt  sich  nicht  sagen.  In  den  Rot.  Pat  Franc.  18  Hen.  VII. 
m.  2.  des  Rec.  Office  ist  eine  Licenz  vom  11.  April  verzeichnet,  wonach 
die  Londoner  Merchant  adventurers  bis  zum  letzten  Juli  „pannos  non  bar- 
batos,  non  mundatos,  non  tonso&u  ausführen  durften. 

T)  Anderson,  Annais  of  commerce  III.  S.  328 

Schanz,  Engl.  Handpolitik.     I.  29 


—    450    — 

durch  einen  italienischen  Kaufmann  die  Fabrication  der  De- 
vonshire  Kersies  und  Corall  Clothes  aufgekommen  sein1). 

Heinrichs  VIII.  Politik  war,  soweit  der  Woll verkauf  in 
Betracht  kam,  anfangs  eine  liberale.  Das  Gesetz  seines  Va- 
ters trat  1509  ausser  Kraft.  1514  lag  dem  Parlamente  eine 
einschlägige  Bill  vor*),  sie  wurde  aber  augenscheinlich  nicht 
Gesetz.  22  Jahre  lang  bestand  somit  Verkehrsfreiheit.  Als  aber 
die  Wollproduction  in  Folge  von  Schafseuchen  sehr  nachliess  s), 
während  gleichzeitig  die  Tuchindustrie  sich  beträchtlich  aus- 
gedehnt hatte  und  noch  immer  im  Wachsen  war4),  und  da  ferner 
Cromwell,  der  einer  protectionistischen  Politik  huldigte,  ans 
Ruder  kam,  erstand  auch  das  Gesetz  wieder  zum  Leben.  Die 
Tuchmacher  legten  dar,  wie  seit  dem  Erlöschen  des  Statuts 
die  Makler  und  Aufkäufer  in  den  Grafschaften  die  Wolle  weg- 
nähmen, sei  es  für  Fremde  oder  für  Engländer,  welche  die 
Wolle  nicht  zu  Tuch  verarbeiteten,  und  wie  diese  Preise  an- 
setzten, zu  denen  man  die  Tuchmanufactur  entweder  gar  nicht 
oder  nicht  mehr  in  so  ausgedehntem  Grade  wie  früher  be- 
treiben könne.  Die  Acte  Heinrichs  VII.  wurde  auf  10  Jahre 
erneuert,  ferner  wurden  den  Worstedmachern  und  Handwerkern 
verwandter  Art,  selbst  den  Hut-  und  Kappenmachern  die 
Rechte  des  Gesetzes  eingeräumt.  Auch  bezog  man  eine  Zahl 
neuer  Grafschaften  in  die  Acte  ein  und  verbot,  für  Fremde 
Wolle  zu  kaufen  oder  Contracte  abzuschliessen 6). 

Nach  Verfluss  der  10  Jahre  erneuerte  man  nicht  sofort 
das  Gesetz.  Den  Staplern  war  es  vornehmlich  zu  danken, 
wenn  es  modificirt  wieder  in  Kraft  gesetzt  wurde.  Dieselben 
hatten  das  Recht,  für  ihre  einzelnen  Wollexporte  keinen 
Zoll  zahlen  zu  müssen,  sondern  die  Gesellschaft  kam  mit  dem 
König  überein,  für  eine  bestimmte  Zeit  jährlich  eine  Pauschal- 
summe zu  zahlen.  Ein  solcher  Vertrag  war  damals  abgelaufen, 
die  Stapler  benützten  dies  Moment,  um  auf  die  geldbedürftige 
Regierung  einen  Druck  auszuüben 6).  Man  sieht  dies  aus  der 
Berücksichtigung  ihrer  Interessen  in  dem  neuen  Gesetz.  Es 
werden  ihnen  nämlich  die  gleichen  Rechte  beim  Wollkauf  ein- 


*)  Nach  Stow  kam  1505  Antonio  Bonvisi  nach  England  und  „taught 
English  people  to  spin  with  a  distuff;  at  which  time.he  adds,  begann  the 
making  of  Devonshire  kersies  and  corall  clothes".  Burgon,  Life  of  Th. 
Gresham.  II.  S.  454. 

*)  Vgl.  Bd.  IL  S.  15  fg. 

8)  Bd.  II.  S.  18  und  105. 

4)  Lords'  Journals.   6  Hen.VIII.  11°  die  Pari. 

*)  22  Hen.  VIII.  c.  1 ;  über  die  Wirkung  des  Gesetzes  sieh  Bd.  II. 
S.  15,  16. 

6)  Die  Stapler  wollten  sich  nicht  mehr  auf  eine  bestimmte  Aversal- 
summe  einlassen ,  weil  der  Wollexport  nicht  in  entsprechender  Höhe  ge- 
halten werden  konnte.  Sieh  Nicolas,  Proceedings  of  the  Privy  Council 
1540—43.  S.  20,  32,  74,  SC,  109,  295,  308,  314  und  die  Einleitung  zu  un- 
sern  Zollregistern  in  Bd.  iL  S.  16  fg. 


—    451    — 

geräumt,  wie  den  Industriellen,  sie  durften  also  in  Concurrenz 
mit  den  letzteren  gleich  nach  der  Schafschur  am  Einkauf  sich 
betheiligen.  Der  ganze  Wollhandel  wurde  überhaupt  in  die 
Hände  der  Stapler  und  Manufacturisten  gegeben;  um  aber  die 
Wollproducenten  doch  nicht  ganz  schutzlos  zu  machen,  war 
noch  die  Bestimmung  eingefügt,  dass  wenn  Stapler  oder  Tuch- 
macher die  Wolle  nicht  kaufen  wollten,  die  Producenten  ganz 
nach  Belieben  darüber  verfügen  dürften x). 

Noch  besonderen  Schutzes  erfreute  sich  die  Grafschaft 
Norfolk.  Wie  schon  früher  erwähnt,  befand  sich  hier  das 
Centrum  der  Fabrication  der  Worsteds  und  Stamyns.  Den 
Ausführungen  der  Norfolker  zufolge  war  die  Wolle  der  Graf- 
schaft allein  geeignet,  um  diese  Fabricate  zu  fertigen,  die 
Fremden  aber  trachteten  den  Gewinn  zu  zerstören  und  nament- 
lich Holland  und  Zeeland  die  Wolle  und  mit  ihr  die  Fabrication 
zuzuwenden.  Wirklich  setzten  die  Petenten  durch,  dass  jeder 
Export  der  Norfolker  Wolle  bis  zum  nächsten  Parlament  unter- 
sagt und  auch  jede  entgegenstehende  Licenz  für  ungiltig  und 
ungesetzlich  erklärt  wurde 2).  Sei  es,  dass  schwere  Klagen  da- 
gegen laut  wurden,  oder  sei  es,  dass  Wolseys  Abneigung  gegen 
dergleichen  Gesetze  ausschlaggebend  war,  die  Acte  ward  beim 
nächsten  Parlament  (1523)  nicht  wieder  erneuert  und  trat  so- 
mit ausser  Kraft. 

Die  Weber  und  Tuchmacher  sannen  auf  einen  neuen  Weg, 
Eine  ihnen  günstige  Zeitströmung  benutzend  legten  sie  dem 
Parlament  ihre  Klagen  vor.  Wiederum  ist  es  die  specifische 
Eigentümlichkeit  der  Norfolker  Fabrication ,  die  geltend  ge- 
macht wird.  Aber  dieses  Mal  war  es  nicht  die  Wolle,  sondern 
das  Garn,  um  dessen  Beschränkung  es  sich  handelte.  Die  Auf- 
käufer, hiess  es,  kaufen  das  Worstedgarn  in  ganz  kleinen 
Quantitäten  zusammen,  lassen  es  aber  nicht  in  der  Grafschaft 
verweben  und  verarbeiten,  sondern  verkaufen  es  nach  Frank- 
reich, Flandern  und  anderen  Plätzen  jenseit  der  See,  wo  die 
Fremden  mit  dem  Garn  sog.  Russeis  und  Worsteds  und  ver- 
schiedene andere  Tücher  herstellen.  Dieselben  führt  man  dann 
wieder  in  England  ein  und  ruinirt  so  Norwich  und  die  übrigen 
Städte  in  Norfolk.  Das  Parlament  und  die  Regierung  gab 
diesen  Stimmen  Gehör.  Das  in  Norfolk  gesponnene  Garn 
durfte  nicht  mehr  exportirt  werden3). 

Nichtsdestoweniger  gerieth  die  Worstedindustrie  in  immer 


x)  87  Hen.  VIII.  c  15.  Die  Acte  galt  bis  zum  nächsten  Parlament 
und  wurde  durch  1  Edw.  VI.  c.  6  zum  Theil  abgeändert;  vgl.  auch  5—6 
Edw.VI.  c.  7  und  2—3  Phil,  und  Mar.  c.  13,  welche  die  Missstände  dieser 
Gesetzgebung  für  die  Spinner  darlegen. 

*)  6  Hen.  VHI.  c.  12. 

*)  33  Hen.  VIII.  c.  16;  erneuert  bis  zum  Ende  des  nächsten  Parla- 
ments 37  Hen.  VHI.   c.  23. 

29* 


—    452    — 

grösseren  Verfall.  Man  muss  dies  aus  der  rapiden  Abnahme 
des  Exports  schliessen.  In  den  ersten  19  Jahren  der  Regie- 
rung Heinrichs  VIII.  wurden  noch  jährlich  6185  Stück,  in  den 
letzten  9  nur  noch  1601  Stück  exportirt.  Es  Hesse  sich  zwar 
denken,  dass  der  Ausfall  im  Export  durch  einen  grössern 
Consum  im  Innern  ausgeglichen  worden  wäre,  es  ist  dies  aber 
nicht  wahrscheinlich1). 

Wenden  wir  uns  zu  den  Gesetzen  Heinrichs  VIII.,  welche 
die  Zurichtung  der  Tücher  betreffen,  so  sehen  wir,  dass  der 
König  und  seine  Minister  frühzeitig  und  immer  mit  grossem 
Ernste  diesen  Punkt  ins  Auge  fassten.  1512  erneuerte  Hein- 
rich VHI.  nicht  nur  das  Gesetz  seines  Vaters  in  Betreff  der 
verbotenen  Ausfuhr  ungerauhter,  ungeschorner  und  ungewalkter 
Tücher,  sondern  er  sicherte  auch  dessen  strenge  Durchführung, 
indem  er  den  Process  gegen  die  Uebertreter  erleichterte*). 
Ferner  ernannte  er  eigene  Inspectoren,  welche  die  Ausführung 
des  Gesetzes  überwachen  mussten 3).  Unter  seiner  Regierung 
wurde  das  Statut  in  erweiterter  Form  auch  auf  die  Worsteds 
ausgedehnt,  dieselben  sollten  nicht  exportirt  werden,  bevor  sie 
nicht  geschoren,  gefärbt  und  dekatirt  wären  4).  Diese  letztere 
Massregel  darf  kaum  als  zweckmässig  angesehen  werden. 
Wahrscheinlich  wurde  durch  diese  Bindung  der  Rückgang  der 
Industrie  nur  noch  beschleunigt. 

Aber  auch  das  erstgenannte  Gesetz  war  fortwährend 
Gegenstand  des  Angriffs.  Wir  haben  oben  bereits  geschildert, 
wie  unermüdlich  die  Hansen  diese  Acte  bekämpften5).  Sie 
sahen  sich  hierin  von  ihren  bittersten  Gegnern  unterstützt; 
auch  die  Merchant  adventurers  bemühten  sich  fortwährend,  die 
englische  Regierung  von  der  Unzweckmässigkeit  des  Gesetzes 
zu  überzeugen.  Wir  besitzen  eine  solche  Denkschrift  aus  dem 
Anfang  der  30er  Jahre6).  Darin  wird  auseinandergesetzt, 
dass  die  Eaufleute  jenseits  des  Canals  durchaus  nicht  die  zu- 
gerichteten Tücher  annehmen  wollten,  wenn  sie  dieselben  nicht 
ausserordentlich  billig  erhielten.  Bringe  ein  englischer  Kauf- 
mann  zur  Hälfte   zubereitete  und  zur   Hälfte  unzubereitete 


*)  üeber  die  Ursachen  des  Verfalls  sieh  Bd.  II.  S.  20.  In  Ueberein- 
stimmung  mit  dem  dort  Gesagten  möchte  ich  hier  nur  noch  besonders 
hervorheben,  dass  in  der  Erschwerung  des  Zugangs  von  Lehrlingen  zum 
Handwerk  nicht  der  Hauptgrund  des  Verfalls  liegen  kann;  denn  obwohl 
die  Acte  7  Heu.  IV.  c.  17,  welche  verlangte,  dass  nur  Kinder,  deren  Eltern 
wenigstens  ein  Jahreseinkommen  von  20  sh  hätten,  Lehrlinge  werden  dürf- 
ten, durch  11  Hen.  VII.  c  11  aufgehoben  wurde  und  im  Allgemeinen  der 
Zudrang  zur  Weberei  in  Folge  der  agrarischen  Umwälzungen  sehr  gross 
war,  so  blühte  die  Worstedmanufactur  doch  nicht  wieder  auf. 

*)  3  Hen.  VIII.  c.  7. 

fl)  Brewer,  Cal.  I.  5008;  IL  1018;  IV.  4632. 

*)  14/15  Hen.  VIII.  c  3,  erneuert  und  für  dauernd  erklärt  26  Hen.VIlI 
c.  16. 

6)  Sieh  S   183  fg.,  206  fe. 

6)  ürk.  Beil.  131. 


—    453    — 

Tücher  auf  den  Continent,  so  mache  er  regelmässig  die  Er- 
fahrung, dass  er  für  die  nicht  geschorenen  5  Schilling  per 
Stück  mehr  erhalte,  als  für  die  andern,  und  dass  er  auf  500 
unzubereitete  erst  1  zubereitetes  verkaufe.  Das  öffentliche 
Wohl  erheische  somit,  dass  man  alle  Arten  von  Tuch  in  un- 
zubereitetem  Zustande  ausführe,  und  nur  das  Privat-  und 
Einzelwohl  könne  das  Gegentheil  verlangen.  Die  Zahl  derer, 
die  vom  Tuchmachen  und  Tuchverkauf  lebten,  sei  grösser,  als 
die  Zahl  derer,  welche  vom  Tuchzubereiten  sich  ernährten. 
Die  Merchant  adventurers  müssten  in  kürzester  Frist  den 
ganzen  Markt  verlieren,  wenn  nicht  bald  Aenderung  eintrete. 
Das  gemeine  Volk  in  den  Niederlanden  trage  gewisse  Farben, 
die  in  England  nicht  üblich  seien;  durch  die  Zubereitung 
werde  das  Tuch  aber  so  verändert,  dass  es  die  Farben  nicht 
annehme.  Der  Tuchhandel  blühe  jetzt,  wie  nie  zuvor,  man 
solle  ihn  nicht  gefährden.  Den  Engländern  sei  der  Kauf-  upd 
Verkauf  der  Wolle,  das  Kardiren,  Spinnen,  Weben,  Walken 
und  der  erste  Verkauf  der  Tücher  gesichert,  man  möge  den 
Leuten  jenseits  des  Canals  den  kleinen  Verdienst  des  Scheerens 
und  Zurichtens  gönnen  und  nicht  Repressalien  hervorrufen. 

Die  Merchant  adventurers  vermochten  so  wenig  wie  die 
Hansen  die  Zurücknahme  des  Gesetzes  zu  bewirken;  wieder- 
holte Anträge  im  Parlament  scheiterten1).  Die  Tuchhändler 
stellten  sich  auf  den  Standpunkt  der  Gegenwart,  und  von 
diesem  aus  waren  ihre  Argumente  vollkommen  richtig;  die 
Regierung  und  das  Parlament  hatten  dagegen  die  Zukunft  im 
Auge,  und  da  sie  sahen,  dass  trotz^  des  Gesetzes  der  Export 
von  Jahr  zu  Jahr  wuchs,  so  konnten*  sie  nicht  veranlasst  wer- 
den, das  Statut  aufzuheben.  Heinrich  VIII.  duldete  auch  nicht, 
dass  man  das  Gesetz  durch  künstliche  Interpretationen  zu- 
nichte mache;  man  stellte  z.  B.  die  Behauptung  auf,  dass  das 
Tuch  erst  in  die  fremden  Landestheile  gebracht  sein  müsse, 
ehe  man  die  Strafen  verwirke.  Das  Parlament  registrirte  aber 
eine  authentische  Erklärung,  wonach  schon  die  Verladung  des 
betreffenden  Tuchs  in  ein  Schiff  strafbar  sein  sollte  *).  Es  fehlt 
auch  nicht  an  Beweisen,  dass  man  das  Gesetz  ausführte3). 

In  zweifacher  Hinsicht  wurde  die  Acte  nichtsdestoweniger 
abgeschwächt.    Es  geschah  dies  einerseits  durch  die  Licenzer. 

*)  8o  lag  am  4.  Mai  84  Hen.  VIII.  eine  Bill  dem  Parlament  vor, 
ohne  dass  sie  einen  Erfolg  hatte  (Lords'  Journals). 

*)  33  Hen.  VIII.  c.  19. 

s)  Aus  einem  Brief  des  John  Aleyn  and  Raff  Waren  an  Cromwell  vom 
21.  August  1539  geht  hervor,  dass  noch  immer  eigene  Inspectoren  die 
Beobachtung  des  Gesetzes  überwachten.  Die  beiden  Genannten  waren  als 
solche  aufgestellt  und  hatten  20  Tücher  des  Robert  Harrys  beschlagnahmt, 
weil  sie  nicht  zugerichtet  waren,  mussten  dieselben  aber  wieder  freigeben, 
als  beeidigte  Tuchmacher  und  Kaufleute  erklärten,  keines  der  Tücher  sei 
4  ä  werth.  Der  Brief  befindet  sich  im  Br.  M.  Cotton  Ms.  Titus  B.  L 
fo.  404. 


—    454    — 

Wie  kein  englisches  Gesetz,  so  war  auch  das  genannte  hin- 
gegen nicht  gesichert.  Man  benutzte,  wie  es  scheint,  die  Li- 
cenzen  hauptsächlich  zu  Gunsten  der  englischen  Kaufleute, 
wodurch  die  Zollungleichheit  derselben  gegenüber  den  Hansen 
etwas  compensirt  wurde 1).  Andrerseits  war  das  Ausfuhrverbot 
der  ungeschornen  Tücher  überhaupt  kein  absolutes,  sondern 
die  Ausfuhr  war  bis  zu  einer  gewissen  Preisgrenze  erlaubt. 
Die  Rücksicht  auf  die  Färber  war  hiebei  theilweise  mass- 
gebend. Die  Tücher  wurden  vor  dem  Färben  geschoren; 
wollte  man  sie  exportiren,  so  hätte  man  sie  nochmals  scheeren 
müssen,  was  solche  von  geringer  Qualität  bzw.  geringem  Preis 
nicht  vertrugen.  Man  berücksichtigte  auch  stets  das  Steigen 
der  Tuchpreise,  indem  man  successive  die  Grenze  erweiterte; 
im  Jahre  1512  wurde  der  bisher  übliche  Satz  von  40  sh  für 
das  Stück  Tuch  auf  53  sh  4  d,  1514  auf  66  sh  8  d,  1536  auf 
80  sh  erhöht8).  Tücher  von  geringerem  Preise  konnten  also 
ungeschoren  exportirt  werden. 

Als  letztes  der  hier  einschlägigen  Gesetze  aus  der  Zeit 
Heinrichs  VIII.  ist  noch  zu  erwähnen  das  in  Betreff  des  Ver- 
kaufs der  breiten  weissen  Wolltücher  an  Fremde.  Wir  haben 
schon  oben  über  das  Gesetz  einige  Andeutungen  gegeben3). 
Es  ist  denkbar,  dass  auch  die  Londoner  Färber4)  bei  dem 
Gesetze  mitwirkten,  und  ähnlich  wie  die  Weber  und  Spinner 
hinsichtlich  der  Wolle,  so  ihrerseits  hinsichtlich  der  ungefärbten 
Tücher  die  Concurrenz  einzuengen  suchten.  In  den  Motiven 
wird  hervorgehoben,  dass  fremde  Kaufleute  auf  Mittel  und 
Wege  sännen,  um  das  Volk  fremder  Gebietsteile  in  Arbeit  zu 


*)  In  der  Beschwerdeschrift  des  Lübecker  Contors  von  1585  (Lübecker 
Stadtarchiv)  heisst  es:  „Szo  werden  ock  danne  noch  de  lange  Kentische 
laken  ungescharen  unde  gaer  unbereth  by  den  Engeischen  copluden  unde 
nu  noch  dachlikes  uth  den  rike  van  Engellant  by  auctoritate  van  licentien 
geforet,  vor  elck  laken,  deme  de  licentie  gegranteret  is,  12  d  sterlinge  be- 
llende, unde  de  fze  doen  bereden  moten  betalen  vor  elck  laken  is  6  ah 
8  d  Sterling  werden  doch  intberedent  deselvigen  laken  gaer  nae  vordem 
der  copman  begerende  wu  he  sych  by  gemelten  laken  int  uthforent  holden 
sali,  syn  dan  noch  etlvke  coplude  nu  off  late  baven  dede  van  oeldea  dar- 
mede  oesweret  meer  ingesteken  by  den  selvigen  scherluiden  int  etzecker 
dede  noch  dachlikes  in  varen  staen  darup  vervolget  mögen  werden.8 

*)  8  Hen.  VIIL  c.  7;  5  Hen.  VIII.  c.  8:  27  Hen.  VIH.  c  18. 

*)  Sieh  S.  480. 

*)  Ueber  den  Zustand  der  Färberei  zur  Zeit  der  beiden  ersten  Tudors 
ist  es  schwer,  etwas  Sicheres  anzugeben.  Das  Libell  of  Englishe  Policye 
sagt  1486  Vers  821  fg. : 

Die  Preussen  nehmen  nämlich,  wie  bekannt, 
Vielfarbiges  Wollentuch  als  Fracht  zurück, 
Das  hier  man  färbt  mit  vielem  Kunstgeschick. 
Unsern  Zollregistern  zufolge  aber  machten  unter  Heinrich  VÜJL  die  ge- 
färbten und  halbgefarbten  Tücher  noch  kein  halbes  Procent  des  gesammten 
Tuchexports  aus  (Bd.  IL    S.  17,  86  fg.).    Entweder  musste  das  Farber- 
gewerbe  ganz  in  Verfall  gerathen  sein,  oder  aber  die  Enrolled  Acconnts 
lassten  den  Begriff  des  gefärbten  und  halbgeiarbten  Tuchs  auaterordent- 
lieh  eng. 


—    455    — 

setzen  und  den  Engländern  die  Beschäftigung  zu  rauben.  Sie 
erwürben  die  breiten  weissen  Wolltücher,  um  sie  jenseits  des 
Meers  färben  und  fertig  stellen  zu  lassen.  Indem  sie  Alles 
auf  Credit  kauften,  könnten  sie  höhere  Preise  bewilligen,  nur 
zu  oft  hätten  aber  die  Tuchmacher  zuletzt  den  Schaden.  Es 
war  natürlich  sehr  schwer,  hier  die  Wünsche  der  Interessenten 
zu  befriedigen,  ohne  dem  Tuchhandel  zu  nahe  zu  treten.  Das 
Gesetz  hatte  denn  auch  einen  ziemlich  milden  Charakter.  An 
fremde  Kaufleute  sollte  kein  Engländer  verkaufen;  wenn  er 
aber  Tücher  auf  den  gemeinen  Markt  nach  Blackwell  Hall  in 
London  brachte  und  sie  nicht  in  8  Tagen  an  Einheimische 
verkaufen  konnte,  so  durfte  er  sie  auch  an  Fremde  verkaufen, 
aber  nur  gegen  Baar  oder  einmonatlichen  Credit;  gewisse  Tuch- 
sorten waren  ganz  ausgenommen,  und  ebenso  galt  das  Gesetz 
nicht  für  Messen  und  Märkte  und  an  Hafenplätzen ;  auch  durf- 
ten Tücher,  die  ausserhalb  der  Stadt  London  an  einen  Bürger 
oder  Freeman  verkauft  wurden,  direct  in  das  Haus  des  letztern 
mit  Umgehung  von  Blackwell  Hall  geliefert  werden1). 

Gegenüber  der  Tuchindustrie  haben  die  auf  andere  In- 
dustriezweige bezüglichen  schutzpolitischen  Massregeln  nur 
ein  untergeordnetes  Interesse.  Es  kehren  zumeist  dieselben 
Erwägungen  und  dieselben  Mittel  wieder. 

Ein  Analogon  für  die  Beschränkung  des  Wollexports  bildet 
die  Beschränkung  der  Hörn-  und  Häuteausfuhr.  Die  Londoner 
Hornarbeiter  waren  unzufrieden,  dass  die  Fremden  soviel 
Hörner  von  den  Gerbern  und  Metzgern  kauften  und  über  die 
See  schafften.  Entsprechend  ihrem  Verlangen  verbot  man,  diese 
Materialien  an  Fremde  zu  verkaufen  oder  über  die  See  zu  schicken, 
so  lange  die  Hornarbeiter  nicht  vorerst  ihren  Bedarf  ausgewählt 
hätten ;  den  Fremden  (jedenfalls  auch  den  in  London  ansässigen) 
wurde  jeder  Ankauf  24  Meilen  im  Umkreis  von  London  unter- 
sagt; den  Vorständen  der  Hornarbeiter  sollte  innerhalb  der 
24  Meilen  die  Aufsicht  und  die  Aufsuchung  der  schlecht  ge- 
arbeiteten Waaren  zustehen8). 

Aehnlich  setzten  die  Schuhmacher8)  unter  Heinrich  VIII. 
durch,  dass  die  Ausfuhr  von  Salzhäuten,  ungegerbten  Häuten, 
und  von  Leder  an  eine  Licenz  gebunden  wurde 4).   Das  Gesetz 
hatte  ganz   den  von  den   Interessenten  gewünschten  Erfolg, 
indem  die  Ausfuhr  um  ein  Beträchtliches  sank6). 

5  14/15  Hen.  VHI.  c  1. 

*)  4  Edw.  IV.  c  8.  1465. 

*)  Ich  erinnere  an  die  im  ersten  Capitel  dieses  Abschnitts  geschilderte 
Lage  der  Schuhmacher. 

4)  27  Hen.  VIII.  c.  14.  Erlaubt  war  der  Export  der  Salzhäute  im 
Krieg*  ebenso  war  er  den  Seefahrern  nach  Island,  Danzig,  Norwegen  und 
über  die  Strasse  von  Gibraltar  hinaus  gestattet. 

6)  Vgl.  Bd.  IL  Tab.  VI.  S.  109  fg.  Die  Leder  verarbeitenden  Industriellen 
damit  aber  noch  nicht  zufrieden,  sondern  wussten  unter  Eduard  VI. 


—    456    - 

Einen  etwas  verschiedenen  Charakter  haben  die  Gesetze 
in  Betreff  der  Seidenarbeiter  beziehungsweise  der  Londoner 
„Seidenflauen"  und  Seidenspinner.  Ihre  Zahl  war  nicht  un- 
beträchtlich, sie  selbst  behaupteten,  dass  es  ihrer  nicht  weniger 
als  1000  gebe1).  Sie  beklagten  sich  1455,  dass  verschiedene 
Lombarden  und  sonstige  Fremde  darauf  ausgingen,  ihr  Hand- 
werk zu  Grunde  zu  richten,  sich  zu  bereichern  und  das  Gewerbe 
in  fremden  Ländern  zu  heben.  Sie  brächten  deshalb  keine  un- 
verarbeitete Seide  mehr  wie  früher,  sondern  nur  verarbeitete,  dazu 
meist  betrügerische  Arbeit8).  Das  Parlament  und  der  König 
verboten  versuchsweise  auf  5  Jahre  die  Einfuhr  der  Manufacte 
und  gaben,  was  besonders  werthvoll  war,  dem  Major  das  Recht 
der  Controle  für  die  sorgfältige  Einhaltung  des  Gesetzes.  Die 
Acte  erlosch,  wurde  aber  1463,  ohne  dass  man  des  Gesetzes 
von  Heinrich  VI.  erwähnte,  auf  weitere  5  Jahre  erneuert,  zu- 
gleicfi  jedoch  etwas  gemildert  durch  Herabsetzung  des  Straf- 
masses von  20  jg  auf  10  r£ 8).  Nach  Verfluss  der  oben  ange- 
gebenen Frist  blieb  das  Gesetz  12  Jahre  ausser  Kraft  Dieser 
Zeitraum  genügte,  um  neue  Erfahrungen  zu  machen.  Die 
Klagen  der  Seidenarbeiter  waren  heftiger  denn  je.  Seit  die 
Acte  ausser  Wirksamkeit  getreten,  sei  die  Einfuhr  der  Fremden 
an  fertigen  Seidenmanufacten  geradezu  erdrückend.  Eduard  IV. 
und  das  Parlament  verboten  die  Einfuhr  auf  4  Jahre 4) ;  die- 
selben waren  aber  noch  gar  nicht  verflossen,  als  Richard  DI. 
im  1.  Jahre  seiner  Regierung  gesetzlich  bestimmen  liess,  dass 
nach  Ablauf  der  vierjährigen  Frist  die  Acte  noch  weitere  10 
Jahre  dauern  sollte5).  Heinrich  Vn.  suchte' aber  sich  noch 
beliebter  zu  machen  und  stellte  gleich  im  1.  Parlament  statt 
der  10  Jahre  20  Jahre  ein6),  und  im  19.  Regierungsjahre 
wurde  das  Statut  mit  einigen  Abänderungen7)  für  allgemein 
gültig  und  dauernd  erklärt8). 


auch  noch  eine  Acte  gegen  die  Lederhändler  durchzusetzen,  die  aber  bald 
wieder  aufgehoben  werden  musste.  3—4  Edw.  VI.  c.  9;  5 — 6  Edw.  VI. 
c.  15;  1  Mar.  st.  3.  c  8.  Die  Häute-  und  Lederausfuhr  blieb  aber  ver- 
boten.   1  £1.  c  10;  14  El.  c.  4;  18  EL  c.  9. 

^Rot.  Pari.  V.  S.  325. 

*)  „such  silk  so  made,  wroughtj  twined,  ribbands  and  chaines  falsely 
and  deceitfully  wrought  all  manner  girdles  and  other  things  concerning  the 
Baid  mystery  and  occupation."    35  Ben.  VI.  c.  5. 

»)  3  Edw.  IV.  c.  3.  (1463). 

4)  22  Edw.  IV.  c  3  (1482/3). 

*)  1  Rieh.  in.  c.  10  (1483  4). 

*)  1  Hen.  VU.  c.  9  (1485). 

7)  19  Hen.  VII.  c.  21  (1503/4).  Dass  das  Gesetz  auch  unter  Heinrich  VIH. 
im  Ganzen  aufrecht  erhalten  wurde,  bezeugen  die  Klagen  der  Hansen  und 
Licenzen,  denen  man  vereinzelt  begegnet.  Brewer,  Cal.  1. 1693;  IV.  2839. 

8)  Verboten  wurden  ganz-  oder  halbseidene  „ribandes,  laces,  gyrdyUs, 
corses,  calles  corses  of  tissues  or  poyntesu ;  alle  andern  Artikel  von  Seide 
durften  eingeführt  werden.  Es  mag  bemerkt  sein,  dass  dies  Gesetz  von 
späteren  Schriftstellern  vielfach  angeführt  und  commentirt  wurde,  während 


—    457    - 

Bacon  von  Verulam,  der  die  Geschichte  Heinrichs  VII. 
schrieb^  sagt  bei  Gelegenheit  dieses  Gesetzes  die  bekannten 
Worte:  „This  law  pointed  at  a  tme  principle,  that,  where 
foreign  materials  are  bat  superflaities,  foreign  manufactures 
should  be  prohibited.  For  that  will  either  banish  the  super- 
fluity  or  gain  the  manufacture" 1). 

Zur  völligen  Wahrheit  suchte  man  diesen  Satz  unter  Th. 
Cromwell  zu  machen,  wo  ein  Agent  des  letztern  im  Vertrauen 
auf  die  tiefe  wirtschaftliche  Einsicht  des  leitenden  Ministers 
den  Muth  hatte,  gleich  24  Seidenweber  für  Southampton  ein- 
zuschiffen und  noch  weitere  Colonisten  warb,  um  in  der  sehr 
verfallenen  Stadt  die  Seidenindustrie  zu  begründen  und  von 
da  aus  über  das  ganze  Land  zu  verbreiten  *).  Man  wird  wohl 
annehmen  dürfen,  dass  Cromwell  diesem  Plane  seine  Unter- 
stützung nicht  versagte;  hatte  er  doch  kurz  vorher  ein  Gesetz 
geschaffen,  das  ebenfalls  die  Verpflanzung  einer  neuen  Industrie, 
nämlich  die  der  Leinenmanufactur,  nach  England  bezweckte. 
Durch  eine  Acte  hatte  er  nämlich  bestimmen  lassen,  dass  jeder 
Bauer  für  je  60  Acres,  die  er  unter  dem  Pfluge  hätte,  Vi 
Acre  mit  Flachs  oder  Hanf  bebauen  solle 8).  Man  muss  je- 
doch füglich  bezweifeln,  ob  er  durch  dies  Gesetz  einen  nennens- 
werthen  Erfolg  erzielte;  denn  noch  zur  Zeit  Elisabeths,  welche 
ebenfalls  diese  Absicht  Cromwells  zu  verwirklichen  suchte*), 
stiess  die  Acte  auf  Widerstand 5), 

Das  Beispiel  der  Londoner  Seidenarbeiter  und  der  Tuch- 
industriellen wirkte  ansteckend.  Mit  einem  Male  wollte  das 
ganze  Londoner  Handwerkerthum  gegen  die  fremde  Concurrenz 
geschützt  sein.  Die  Annehmlichkeiten  der  Absperrung  der 
ausländischen  Artikel,  welche  sie  schon  einige  Mal  während 
des  Kampfes  zwischen  England  und  den  Niederlanden  um  die 
Tuchindustrie  gekostet  hatten 6),  wünschten  sie  dauernd  zu  be- 
sitzen. Eduard  IV.  bewilligte  im  Jahre  1464,  dass  die  meisten 
Fabricate  und  Kurzwaaren  fremden  Ursprungs  nicht  mehr 
eingeführt  werden  dürften7).    Doch  behielt  er  sich  das  Recht 


man  die  vorausgehenden,  auf  denen  es  fusst ,  ganz  ignorirte,  so  zwar,  dass 
die  Meinung  Boden  gewann,  dass  Heinrich  VII.  der  Schöpfer  des  Ge- 
setzes sei. 

a)  Bacon,  History  of  Henry  VH.  in  Kennets  hist  I.  S.  631. 

*)  Vgl.  den  in  vieler  Hinsicht  merkwürdigen  Brief  des  Ant.  Gwydote 
an  Thomas  Cromwell  vom  20.  März  1536,  worin  die  Colonisten  dem  Schatz 
und  der  Förderung  Cromwells  anempfohlen  werden.    Urk.  Beil.  176. 

*)  24  Hen.  VII.  c.  4;  verlängert  durch  28  Hen.  VIII.  c.  9;  31  Hen. 
VIII.  c  7;  33  Hen.  VIH.  c  17;  37  Hen.  VIU.  c  23. 

*)  5  El.  c  5. 

*)  „I  see  no  successe  of  that  good  and  wholesome  law,  sith  it  is  rather 
contemptuonslie  rejected,  than  otherwise  dutifullie  kept  in  any  place  of 
England."    W.  Harrison,  The  description  of  Britaine  I.  c.  18.  S.  111. 

ö)  Sieh  oben  S.  444,  445. 

*)  Rot  Pari.  V.  S.  507;  3  Ed.  IV.  c.  4. 


—    458    — 

vor,  die  Acte  zu  jeder  Zeit  wieder  aufzuheben,  auch  waren  die 
Hansen  von  dem  Gesetze  ausgenommen.  Die  verbotenen  Ar- 
tikel waren:  wollene  Mützen,  wollene  Zeuge,  Spitzen,  grobe 
Zeuge,  Bänder,  Franzen  von  Seide  und  Zwirn,  Kanten,  Zwirn, 
gezwirnte  Seide,  gestickte  seidene  Zeuge,  Tressen  von  Gold 
und  Silber,  Sättel,  Steigbügel  und  andere  Gerätschaften,  die 
zum  Sattel  gehören,  Sporen,  Buckeln  zu  Zäumen,  Feuerböcke, 
Roste,  Schlösser,  Hämmer,  Nagelzangen,  Feuerzangen,  Brat- 
pfannen, Würfel,  Bälle,  Nestnadeln,  Beutel,  Gürtel  von  Eisen, 
Blech,  Stahl  und  Zinn;  feiner  gegerbte  Häute,  alle  Leder- 
manu&cte,  wie  Sturmhauben,  Schuhe,  Ueberschuhe  und  Pan- 
toffeln; ferner  Messer,  Dolche,  Holzsägen,  Haarnadeln,  Schnei- 
derscheeren,  kleine  Scheeren,  Barbiermesser,  Schachsteine, 
Spielkarten,  Kämme,  Weiberschuhe,  Packnadeln,  gemalte  Waa- 
ren, Brecheisen,  Helme,  Ringe  von  vergoldetem  Blech  oder 
Kupfer,  Kohlpfannen,  Hängeleuchter,  Glocken,  Ringe  zu  Vor- 
hängen, hölzerne  Löffel,  Schaumlöffel,  Näpfe,  Eimer,  Bürsten, 
Wollkratzer,  schwarzer  Eisendraht,  weiser  Draht.  Diese  Waaren 
dürften  so  ziemlich  die  wichtigsten  des  damaligen  englischen 
Gewerbfleisses  gewesen  sein.  Da  gleichzeitig  die  Fremden, 
welche  in  England  solche  Producte  verfertigten,  der  Aufsicht 
der  Ortsbeamten  und  deren  Sucher  unterstellt  wurden,  so 
konnten  die  englischen  Handwerker  zufrieden  sein,  und  das  um 
so  mehr,  als  auch  Richard  III.  ein  ähnliches  Gesetz  erliess, 
ohne  seine  Dauer  zeitlich  zu  beschränken 1). 

Die  beiden  ersten  Tudors  Heinrich  VII.  und  VHI.  sahen 
von  der  Durchführung  dieses  Gesetzes  gänzlich  ab.  Wir  be- 
sitzen hiefür  zahlreiche  Belege8).  Wahrscheinlich  erkannte 
man  doch,  dass  ein  so  hermetischer  Abschluss  gegen  die  Pro- 
ducte des  Auslandes,  wie  er  hier  beabsichtigt  war,  ebenso  un- 
möglich als  schädlich  sei;  die  Entwicklung  des  englischen 
Exports  war  gebunden,   wenn  aller  Waarenimport  gehindert 

x)  Die  Acte  verbot  die  Einfuhr  aller  Artikel,  welche  von  Gürtlern, 
Nadlern.  Beutlern,  Handschuhmachern,  Tischlern,  Malern,  Eartenmachern, 
Drahtziehern ,  Webern,  Kammmachern,  Glasern  und  Kupferschmieden  ge- 
fertigt wurden.  Diese  Waaren  decken  sich  nicht  ganz  mit  denen  des 
Eduardschen  Gesetzes.    1  Ric.  III.  c  12. 

*)  ürk.  Beil.  Hl;  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S. 37  fg.;  in 
ahnlicher  Weise  spricht  sich  auch  ein  Vers  in  „Now  a  day8M  um  1520  ans: 

Alyauntes  here  have  ther  way 

And  Englysshmen  cleane  decay 

the  one  half  mußt  nedes  play; 

this  is  a  common  welth! 

Other  landes  avaunced  bee 

and  by  and  seil  among  vs  free, 

and  thos  our  own  commodite 

Doth  clene  vndo  our  selff. 
Furnivall,  Baüads  from  Msc.  I.  P.  I  S.  104;  Im  Jahre  1543  lag  dem 
Parlament  ein  „Statutum  conc.  bringing  in  of  French  wares"  tot,  wurde 
aber  nicht  Gesetz.    Lords'  Journals  VoL  I.  35  Hen.  Y1U.  11°  die  Pari 


—    459    — 

wurde.  Zudem  handelte  es  sich  hier  um  Waaren,  welche  die 
englischen  Handwerker  eingestandnermassen  nicht  gleich  billig, 
gut  und  geschmackvoll  herzustellen  vermochten.  Vielleicht 
gab  man  auch  der  Erwägung  Raum,  dass  durch  die  laxe  Hand- 
habung des  Gesetzes  das  fortwährende  Zuströmen  der  Gewerbs- 
leute nicht  noch  mehr  befördert  werde,  denn  schon  hatte  man 
wegen  dieser,  wie  wir  oben  sahen1),  Schwierigkeiten  genug, 
die  nicht  weiter  vermehrt  werden  durften.  Nicht  eher  als  bis 
unter  Elisabeth,  wo  ja  auch  die  Fremdenfrage  keine  bren- 
nende mehr  war,  griff  man  wieder  zu  dem  Verbote  zurück*)- 
Nur  bei  den  Kappen  und  Hüten  machte  Heinrich  VIII.  den 
Versuch,  die  fremde  Waare  auszuschliessen ').  Obwohl  auch 
das  Tragen  verboten  war,  somit  die  Verletzung  des  Gesetzes 
leicht  erkannt  werden  konnte,  so  scheint  doch  die  Durch- 
führung auf  unüberwindliche  Hindernisse  gestossen  zu  sein. 
Die  Mode,  die  nun  einmal  die  fremden  Mützen  wollte,  war 
nicht  zu  brechen.  Heinrich  VIII.  sah  sich  veranlasst,  nicht 
nur  den  wegen  Einfuhr  solcher  Kappen  und  Hüte  bestraften 
Personen  die  Strafe  zu  erlassen4),  sondern  gleich  auf  dem 
Wege  der  Licenzen  den  Import  zu  gestatten6).  1529  hob  er 
das  Verbot,  fremde  Hüte  und  Mützen  zu  tragen,  ganz  und  gar 
auf  und  begnügte  sich,  durch  einen  niedrigen  Preisansatz  die 
Einfuhr  zu  drücken 6). 

Ausserdem  sind  noch  drei  Schutzgesetze  aus  Heinrichs  VIII. 
Zeit  zu  nennen.  Das  eine  setzte  zu  Gunsten  der  Zinngiesser 
eine  Beschränkung  der  fremden  Zinnwaaren  fest7).  Das  an- 
dere suchte  auf  allgemein   ausgesprochenes  Verlangen8)  die 

*)  S.  420  fg. 

*)  5  El.  c  7.  (1562/3);  sieh  auch  8  El.  c.  3,  14:  89  El.  c.  14. 

3)  3  Hen.  VIII.  c.  15.  Wie  die  Kappen-  und  Hutmacher  gegen  die 
Walkmühlen  opponirten,  darüber  sieh  22  Ed.  IV.  c  5. 

4)  So  am  28.  Nov.  1516  20  Mercers  aus  Conventry.  Brewer,  Cal. 
IL  2606. 

*)  Brewer,  Cal.  1.8784,  3794,  5144,  5239.  5690,  5701,  5711;  IL  404, 
1129,  1502,  8878,  3946;  III.  206,  1151;   IV.  5510,  5906. 

•)  21  Hen.  VIH.  c.  9.  Unter  Elisabeth  kamen  die  wollenen  Kappen 
ausser  Mode.  Dadurch  geriethen  die  8000  Londoner  und  andere  Engländer, 
die  mit  Verfertigung  derselben  beschäftigt  waren,  in  solche  Noth,  dass 
man  das  Gesetz  erliess,  jeder  müsse  an  Sonn-  und  Feiertagen  eine  wollene 
Kappe  tragen.    18  EL  c  19  (1571). 

*)  25  Hen.  VIÜ.  c.  9. 

•)  „Where  as  there  was  a  commawndement  came  downe  from  the 
kynges  most  honorable  cownsell  10  or  12  wekes  past  to  all  prynters,  that 
they  ßholde  prynt  no  maner  of  new  thyng,  onlesse  it  be  sene  of  those, 
which  know  what  is  necessary  to  be  comen  among  the  kynges  subiectes, 
the  which  is  nedfull  to  be  observyde.  But  I  thynke  it  wäre  good,  that  a 
commawndement  shulde  come  to  all  such,  the  whiche  do  prynte  or  cawse 
to  be  pryntyde  any  maner  of  Englishe  boke  grete  or  smafl,  that  they  nor 
none  for  theym  prynte  any  maner  of  thynges  in  Englysh  withowte  the 
kynges  domynyon  upon  payne  of  the  kynges  dyspleasure  and  to  forfite 
the  same.  For  although  that  bokes  pryntyde  beyonde  the  see  8  or  10 
yeres  paste  hath  done  myche  good  to  the  comen  people  of  this  realme 


—    460    — 

Buchbinderei  und  Buchdruckerei  im  Lande  zu  heben,  enthielt 
aber  äusserst  vorsichtige  Bestimmungen,  um  nicht  die  Bildung 
und  Belehrung  zu  hemmen;  durch  das  Gesetz  wurde  nur  der 
Wiederverkauf  der  in  der  Fremde  gebundenen  Bücher,  sowie 
der  Detailverkauf  der  auswärts  gedruckten  Werke  verboten  ■). 
Ein  drittes  Gesetz  untersagte  zu  Gunsten  der  Stecknadelmacher 
die  Einfuhr  der  fremden  Stecknadeln ,  war  aber  nur  von  vor* 
übergehender  Bedeutung,  indem  es  nach  zwei  Jahren  wieder 
aufgehoben  werden  musste9). 

Eine  letzte  Gruppe  von  Gesetzen  sowie  Ein-  und  Ausfuhr- 
verboten hing  mit  kriegspolitischen  Rücksichten  zusammen  und 
zwar  nach  zwei  Seiten  hin;  sie  dienten  entweder  als  momen- 
tane Repressalie,  als  ein  Mittel,  dem  Feinde  möglichst  grossen 
Schaden  zuzufügen,  oder  aber  sie  bezweckten  eine  dauernde 
Steigerung  der  Wehrhaftigkeit  des  Landes. 

Die  Massregeln  ersterer  Art  waren  ausserordentlich  häu- 
fig8) und  konnten  sich  auf  Alles  beziehen.  Lebensmittel, 
Pferde,  Waffen,  Wolle  und  sonstige  Stapelartikel 8),  die  sämmt- 
lichen  Waaren  fremder  Nationen  mochten  längere  oder  kürzere 
Zeit  am  Aus-  oder  Eingang  verhindert  werden ;  ein  drohender 
Ueberfall  zur  See  genügte,  um  die  Zurückhaltung  der  eng- 
lischen Waaren  zu  veranlassen.  Die  Ein-  und  Ausfuhrverbote 
als  Kriegsmittel  waren  natürlich  immer  zweischneidig,  aber 
die  Schärfe  war  nicht  auf  beiden  Seiten  gleich.  Es  scheint, 
als  ob  der  grössere  Vortheil,  die  Fähigkeit  grösserer  Ausdauer 
zumeist  auf  Seite  Englands  war.  Wiederholt  zwang  es  auf 
diese  Weise  die  Nachbarn,  seinen  Wünschen  zu  entsprechen. 

Unter  den  Gesetzen,  welche  die  Wehrhaftigkeit  im  Auge 
haben,  ist  das  Ausfuhrverbot  junger  guter  Pferde  und  Stuten 
zunächst  zu  nennen 4) ;  allerdings  war  auch  die  Preissteigerung, 
welche  die  Ausfuhr  hervorrief,   nach  damaliger  Anschauung 


for  the  knoledge  of  such  thynges.  which  the  papistes  did  what  they  colde 
to  hide,  yit  I  thynke  for  as  mocn  as  it  is  the  kynges  most  gracious  wyU, 
that  auy  thyng,  which  may  do  good  to  his  lovyng  subiectes,  shulde  be 
set  four  the  here  within  this  realme.  This  consyderide  I  thynke,  it  wäre 
goode  none  to  be  sufierde  to  prynt  any  thyng  withowt  this  realme,  ye, 
and  also  that  all  haberdashers  to  be  commawndyd  not  once  to  bryng  any 
maner  of  primers  from  any  place  beyonde  the  see  nor  no  other  boke  to 
seil  here  within  this  realme  which  be  or  shalbe  here  after  pryntyde  beyonde 
the  see  and  brought  frome  thence  bj  strangers  or  other.  And  in  shorte 
tyme  it  shulde  well  be  sene,  that  the  pryntyng  shalbe  a  comodions  syence 
and  shulde  set  many  of  the  kynges  subiectes  to  worke,  wherby  many  shulde 
wex  rieh,  which  now  are  in  maner  but  beggers"  etc.  R.  Pauli,  Drei 
volksw.  Denkschriften  S.  58. 

*)  25  Hen.  VIII.  c.  15. 

8)  34/85  Hen.  VIII.  c  6;  87  Hen.  VIIL  c.  13. 

8)  Rymer  passim. 

4)  11  Hen.  VII.  c.  13:  als  momentanes  Kriegsmittel  wurde  die  Aus- 
fuhr schon  1355  verboten.  Rymer  (Rec.  Ed.)  HL  P.  I.  S.  293;  sieh  auch 
P.  IL  S.  694,  724. 


—    461    — 

schon  an  sich  genügend,  um  einen  solchen  Schritt  zu  begründen. 
Die  Niederlande  traten  hauptsächlich  als  Käufer  der  englischen 
Pferde  auf1).  Das  Verbot  war  kein  absolutes.  Nur  Stuten» 
die  mehr  als  6  sh  8  d  kosteten,  und  Pferde,  die  unter  drei 
Jahre  alt  oder  3  sh  4  d  werth  waren,  sollten  nicht  exportirt 
werden.  Der  Zoll  betrug  6  sh  8  d  per  Stute,  und  Jeder  hatte 
das  Recht,  im  Ausgangshafen  eine  Stute,  die  exportirt  wer- 
den sollte,  für  7  sh  zu  beanspruchen.  Als  die  Acte  vielfach 
umgangen  wurde,  traf  Heinrich  VIII.  neue  Massregeln  *),  verbot 
den  Verkauf  nach  Schottland s)  und  dehnte  die  Acte  auch  auf 
anderes  Vieh  aus.  Durch  das  berühmte  Gesetz  „For  breed 
of  horses"  regelte  er  schliesslich  die  Aufzucht,  indem  schwäch- 
liche Stuten  getödtet  und  nur  grosse  Pferde  gezogen  werden 
sollten,  und  legte  damit  den  Keim  zu  den  vortrefflichen  eng- 
lischen Pferdera<jen 4). 

Wie  hier  die  Vortheile  der  Pferdezüchter  andern  Rück- 
sichten geopfert  wurden,  so  mussten  auch  zu  Gunsten  der 
englischen  Nationalwaffe  manche  andere  Interessen  zurück- 
stehen. Die  Bogen  und  Pfeile  sollten  den  Unterthanen  gut 
und  billig  geliefert  werden.  Als  die  Tellermacher  in  London 
und  in  andern  Orten  Teller  und  sonstige  Geräthe  aus  Aspen- 
holz herstellten,  welches  auch  die  Pfeilmacher  brauchten,  und 
die  letzteren  über  die  daraus  resultirende  Preissteigerung 
klagten,  wurde  den  Tellermachern  1416  die  Verwendung  des 
Aspenholzes  untersagt5).  Nun  konnten  die  Pfeilmacher  zwar 
ihre  Pfeile  billiger  als  früher  verkaufen  *) ,  aber  die  Londoner 
Tellerverfertiger  waren  unzufrieden.  Sie  machten  geltend,  dass 
das  Aspenholz  ihren  Zwecken  besonders  dienlich  sei,  dass  es 
viel  von  demselben  gebe,  welches  die  Pfeilmacher  gar  nicht 
gebrauchen  könnten,  dass  die  Schreiner,  Holzhändler  und 
Köhler  jährlich  grosse  Quantitäten  verschwendeten.  Eduard  IV. 
trug  diesen  Bedenken  Rechnung,  er  gestattete  ihnen,  Espen- 
holz, das  man  nicht  zu  Bogen  benützen  könne,  zu  verarbeiten 7). 
Die  Bogenstäbe  wurden  von  auswärts  bezogen;  um  auch  sie 
billig  zu  erhalten,  zwang  man  die  fremden  Kauf leute,  nament- 
lich die  Venetianer,   bestimmte  Quantitäten  Bogenstäbe  von 

s)  Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  V.  S.  369. 

*)  22  Hen.  VIll  c.  7;  verlängert  durch  28  Hen.  VIII.  c.  6;  81  Hen. 
VIIL  c.  7;  33  Hen.  VIII.  c.  17;  37  Hen.  VIII.  c.  23;  über  die  nieder- 
ländische Gesetzgebung  vgl.  Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgique 
V.  S.  367  fg. 

*)  23  Hen.  VIIL  c.  16;  32  Hen.  VIH.  c.  6. 

4)  32  Hen.  VIIL  c.  13;  schon  im  Jahre  1533  beschäftigte  eine  Jbilla 
concernens  educationem  equorum"  das  Parlament,  wurde  aber  vom  Ober- 
haus  in  dritter  Lesung  verworfen.  Lords1  Journals  25  Hen.  VIIL  66° 
die  Pari. 

*)Rot.  Pari.  IV.  S.  103. 

8)  „soo  that  the  tlechers  thorough  the  reame  may  seil  their  arrowes 
at  more  esy  price  then  they  were  wonte  to  doo.u 

7)Rot  Pari.  V.  S.  567. 


—    462    — 

denselben  einzufahren l).  Als  aber  die  Feuerwaffe  herrschend 
wurde,  musste  man  aucn  diesem  Industriezweig  seine  Aufmerk- 
samkeit zuwenden8).  Man  verbot  in  Anbetracht,  dass  alle 
andern  Königreiche  voll  Munition  seien,  während  England  daran 
Mangel  leide,  die  Ausfuhr  aller  Metalle8),  ausgenommen  Blei 
und  Zinn,  aber  auch  der  Export  von  ersterem  wurde  durch 
Licenzen  vielfach  erschwert4).  Heinrich  VIII.  zog  ferner  Fremde, 
welche  grosse  Geschützkunde  besassen,  ins  Land.  Peter  van 
Collen  und  der  Franzose  Peter  Bawd  kamen  so  auf  des  Königs 
Wunsch  nach  England,  um  die  von  ihnen  erfundenen  Feuer- 
mörser für  Bomben  herzustellen.  Bawd  stellte  auch  noch 
Eduard  VI.  seine  Dienste  zur  Verfügung6).     \ 


.  Die  Gründe,  welche  für  die  Ein-  und  Ausfuhrbeschrän- 
kungen massgebend  waren,  sind  sehr  mannigfach  gewesen. 
Neben  den  in  den  zuletzt  erwähnten  Massregeln  zum  Ausdruck 
gelangenden  militärischen  Rücksichten  waren,  wie  wir  bereits 
hervorhoben,  nicht  selten  finanzielle  Motive  von  Einfluss;  bei 
einer  grossen  Gruppe  von  Fällen  bestand  die  Ansicht,  den 
Consumenten  die  Waaren  billig  zu  erhalten ,  es  gehört  hieher 
die  ganze  Getreide-  und  Lebensmittelhandelspolitik,  auf  die 
wir  später  zurückkommen  werden;  aber  auch  Artikel  von 
sonstiger  allgemeiner  Notwendigkeit,  wie  Eisen,  konnten  in 
solcher  Weise  behandelt  werden.  Meist  hatten  die  aus  ge- 
nannten Motiven  erlassenen  Massregeln  zugleich  eine  Wirkung, 
welche  die  Industrie  förderte  oder  hemmte.  Es  gab  aber  auch 
solche  Erlasse  und  Gesetze,  welche  in  bewusst  industriepoli- 
tischer Absicht  beschlossen  worden  waren.  Die  hiebei  einge- 
schlagenen Wege  waren  verschieden,  bald  suchte  man  einer 
Industrie  den  Rohstoff  billig  und  gut  zu  erhalten  durch  Be- 
schränkung der  Ausfuhr,  bald  gewisse  Gewerbe  auf  eine  höhere 
Stufe  zu  bringen  durch  ausgedehnte  Colonisationen  und  Er- 
zwingung von  gewissen  Veredlungsprocessen,  bald  schützte  man 


*)  12  Ed.  IV.  c.  2;  1  Ric.  III.  c.  11;  in  Betreff  der  Erhaltung  der  Bogen- 
kunst  vgl.  3  Hen.  VIII.  c.  13;  33  Hen.  VIII.  c.  9;  Roger  Ascham,  Toio- 
philus  1545.  ed  Arber.   London  1868;  auch  noch  13  El.  c.  14 

*)  Das  Interesse  Heinrichs  VIIL  für  die  Kriegstechnik  ist  bekannt; 
Marillac  sagt  in  einem  Brief  an  Franz  I.  vom  16.  November  1540:  „The 
king  wantea  to  see  certain  machines  of  war  and  contrivances  for  throwing 
fire,  invented  by  his  German  and  Italian  workmen."  Thomas,  The  Pilgrim 
ed.  Froude.  Note  F.  S.  156.  Schon  1515  nahm  EL  VIIL  einen  Fremden,  Namens 
Hans  Wolf,  in  seinen  Dienst,  der  das  Land  bereisen  und  nach  einem  Stoff 


4)  Sieh  oben  S.  190,  194  und  Bd.  II.  S.  307. 
r)  Stow,  Ann.  Ed.  1600.  S.  983. 


—    463    — 

durch  Einfuhrverbote  gegenüber  gewissen  Fabricaten.  Die 
ganze  Gesetzgebung  zeigt  keine  starre  Consequenz,  viele  Ge- 
setze tauchten  zunächst  nur  einmal  vorübergehend  auf,  um 
wieder  auf  längere  Zeit  zu  verschwinden  oder  unbeachtet  zu 
bleiben;  oder  sie  wurden  auf  eine  kleine  Zahl  von  Jahren 
gültig  erklärt  und  dann  unterbrochen.  Die  meisten  kehrten 
aber  wieder,  bei  den  meisten  zeigt  sich  gewissermaßen  die 
Tendenz,  sich  auszudehnen  und  ständig  zu  werden.  Vor  der 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  war  der  Schutzgedanke  zwar  vor- 
handen, aber  er  war  noch  wenig  entwickelt,  soweit  es  sich  um 
internationale  Verhältnisse  handelte.  Von  da  an  aber  sahen 
wir  ein  wachsendes  Umsichgreifen  der  Schutzidee,  ein  immer 
lauter  werdendes  Verlangen  nach  Schutz,  eine  Politik,  die  noch 
nicht  consequent  ist,  aber  immer  bewusster  und  weniger  durch 
andere  Motive  durchkreuzt  oder  getrübt  wird. 

Die  Gründe  hiefür  sind  unschwer  zu  finden.  Ein  wichtiges 
Moment,  auf  das  wir  im  Laufe  der  Darstellung  schon  wieder- 
holt aufmerksam  machen  mussten,  war  der  steigende  politische 
Einfiuss  des  Bürgerthums.  Eduard  IV.  und  Richard  III.  bauten 
auf  diesen  und  bewirkten,  dass  die  städtischen  Wünsche  sich 
hervordrängten.  Heinrich  VII.  und  Heinrich  VIII.  begünstigten 
noch  entschiedener  die  bürgerlichen  und  gewerblichen  Kreise, 
indem  sie  den  altenglischen  Adel  zerstörten,  das  Ansehen  des 
Clerus  schmälerten.  Sie  regierten  mehr  nach  bürgerlichen 
als  nach  feudalconservativen  Grundsätzen. 

Dazu  kam  als  zweites  Moment,  dass  nach  Beendigung  der 
Rosenkriege  und  des  innern  Zwistes  der  Staats-  und  Nationa- 
litätsgedanke wieder  stärker  denn  je  auflebte,  dass  England 
gleich  den  übrigen  europäischen  Gemeinwesen  in  politischer 
administrativer  und  wirtschaftlicher  Hinsicht  sich  zu  consoli- 
diren  begann.  Eine  fast  nothwendige  Folge  hievon  war  die 
Schutzpolitik.  Frankreich,  wo  der  königliche  Absolutismus  et- 
was früher  zum  Siege  gelangt  war,  hatte  England  hierin  den 
Weg  bereits  gezeigt *).  Und  in  der  That  musste  durch  einen 
theilweisen  Abschluss  nach  Aussen  das  Bewusstsein  der  staat- 
lichen Zusammengehörigkeit  und  der  Einheitlichkeit  im  Innern 
geweckt  und  erhöht  werden.  Instinctiv  fühlte  man  das  in 
England.  „Das  Königreich  muss  mehr  auf  sich  selbst  und 
unabhängig  gestellt  werden"  war  das  Losungswort 2).  Dieselben 
Gedanken  und  Tendenzen,  welche  die  Fremdenpolitik  be- 
herrschten, kamen  zum  Theil  auch  hier  wieder  zur  Geltung. 

Eine  solche  Politik  befand  sich  auch  im  Einklang  mit  den 
wirthschaftlichen  Anschauungen   der  Zeit,   oder  richtiger  sie 

a)  Clement,  Histoire  du  Systeme  protecteur  en  France  S.  8.  Gou- 
rand,  Histoire  de  la  politique  commerciale  de  la  France  1854.  I. 

a)  „The  realme  may  subsist  more  of  itself."  Rede  Mortons  im  Par- 
lament von  1487.  Bacon,  Life  and  reign  of  Henry  VII  in  Kennets  com- 
plete  history  of  England  I.  S.  593. 


—     464    — 

war  eine  Consequenz  derselben.  Die  letzteren  waren  nun  ein- 
mal mehr  oder  weniger  von  der  Notwendigkeit  der  Privilegien 
und  Ausschliesslichkeit  beherrscht  Stadt  gegen  Land,  Gilden 
gegen  Gilden  standen  mit  festgezogenen  Grenzen  und  bestimmten 
Rechten,  aber  auch  mit  gewissen  Pflichten  einander  gegenober. 
Es  lag  so  nah,  dieses  System,  das  die  ganze  Gesellschaft  durch- 
drang, auch  auf  den  Staat  und  dessen  Verhältnis  zu  andern 
Staaten  zu  fibertragen.  Freilich  wurden  auch  dem  Zunftsystem 
oder  doch  seinen  eigentlichen  Sitzen  um  jene  Zeit  schwere 
Schlage  versetzt.  Die  alten  blühenden  Städte  begannen  mit 
wenigen  Ausnahmen  zu  verfallen,  die  zunftlosen  nicht  incorpo- 
rirten  Orte,  das  platte  Land  und  die  Vorstädte  traten  in  den 
Vordergrund1).  Sie  waren  frei  von  den  mancherlei  Fesseln, 
die  in  den  alten  Gewerbsorten  bestanden,  die  peinliche  Auf- 
sicht der  Zunftvorsteher  blieb  ihnen  erspart,  die  siebenjährige 
Lehrzeit  war  fttr  sie  nicht  erforderlich,  ihre  Production  war 
ungehemmt,  sie  waren  namentlich  befreit  von  den  bedeutenden 
städtischen  und  zünftischen  Lasten.  Unter  dem  von  den  Tu- 
dors  geschaffenen  allgemeinen  Rechtsschutz  konnten  sie  sich 
leicht  zu  blühenden  Gewerbscentren  einer  neuen  Zeit  ent- 
wickeln. Von  dem  Verfall  einzelner  Hafenplätze  und  Städte 
wird  uns  schon  Ende  des  14.  Jahrhunderts  berichtet  *),  am 
Anfang  des  15.  Jahrhunderts  wird  dieser  Thatsache  immer  häu- 
figer gedacht 3).  Seit  1433  sah  sich  das  Parlament  veranlasst, 
bei  jeder  Bewilligung  eines  Fünfzehnten  oder  Zehnten  aller  be- 
weglichen Habe  zu  bestimmen,  dass  ein  Abzug  von  der  Steuer- 
summe behufs  Erleichterung  der  verfallenen  Städte  und  Flecken 
gemacht  werde4).  Nach  Beendigung  der  Rosenkriege  und 
unter  Heinrich  VUI.  war  diese  Frage6)  fortwährend  Gegen- 
stand der  Gesetzgebung 6).  Gewiss  gab  es  mannigfache  Ursachen, 


x)  Seit  ältester  Zeit  strebten  die  Städte  dahin,  in  der  nächsten  Um- 
gebung den  concurrirenden , Gewerbebetrieb  zu  verhindern.  In  den  Privi- 
legien von  Nottingham  vom"  19.  März  12  z.B.  heisst  es:  „nee  aliquis  infra 
decem  leucas  in  cirenitu  de  Notingham  tinetos  pannos  operari  debet  nisi 
in  burgo  de  Notingham.    Hardy,  Rot  Chart  5.  39. 

»)  Rot  Pari.  III.  S.  447. 

8)  Rot.  Pari.  EL  S.  621,  640;  IV.  S.  58,  444,  469. 

4)  „the  summe  of  4000  £  fully  to  be  deduete  of  the  summe,  that  the 
XV™.  and  X">«  atteigneth  unto,  in  partie  of  relefe  and  discharge  of  the 
poure  tounes,  citees  and  burghes  desolate,  wastud  or  destrued  or  over 
gretly  empoverysched  or  elles  to  the  saide  taxe  over  gretly  charged."  Später 
betrug  die  Summe  6000  £.  Rot.  Pari.  IV.  S.  425,  487,  502;  V.  S.  4, 
37,  69,  142,  228,  236,  623;  VI.  S.  39,  113,  197:  vgl.  ferner  Rymer  XU 
S.  213,  258;  12  Hen.  VII.  c  12;  Archaeologia  1770.  h  S.  91—9«. 

*)  Sieh  auch  Brewer,  Cal.  IL  236. 

6)  26  Hen.  VIII.  c.  8,  c.  9;  27  Hen.  VIII.  c.  1,  c.  22;  32  Hen.  VIII. 
c  18;  32  Hen.  VIII.  c.  19;  33  Hen.  VUI.  c.  36;  35  Hen.  VIII.  c.  4.  In 
diesen  Gesetzen  sind  genannt:  York,  Lincoln,  Canterbury,  Coventry,  Bath, 
Chichester,  Salisbury,  Winchester,  Bristol,  Scarborough,  Hereford,  Colches- 
ter,  Rochester,  Portsmouth,  Poole,  Lynne,  Faversham,  Worcester,  Stafford, 
Buckingham,  Pomfret,  Grantham,  Exeter,  Ipswich,  Southampton,  Great- 


—    465    — 

welche  den  Verfall  herbeiführten.  Bei  der  notorisch  schlechten 
Bauart  konnte  leicht  ein  Ort  zur  Ruine  werden;  manche  Ver- 
ödungen hatte  schon  die  Pest  verursacht  x).  Die  Kriege 
mochten  auch  die  Zerstörung  und  den  Verfall  einzelner  Städte 
und  Flecken  herbeigeführt  haben  *).  Die  Edelleute  zogen  mehr 
und  mehr  den  Aufenthalt  auf  dem  Lande  vor8). 

Die  Hauptursache  aber  war  sicherlich  die  vor  sich  gehende 
Deplacirung  der  Industrie,  eine  Bewegung,  wie  sie  vorher  in 
den  Niederlanden  sich  auch  schon  gezeigt  hatte4).  Die  Bürger 
und  Handwerker  dieser  Städte  befanden  sich  in  einem  Noth- 
stande.  Wie  immer  in  dergleichen  Fällen  sahen  sie  den  Grand 
des  Leidens  nicht  blos  im  Innern,  sondern  machten  auch  die 
auswärtige  Concurrenz  für  ihre  Lage  verantwortlich  Wie  sie 
Beschränkung  der  in  England  angesiedelten  Fremden,  Aufhe- 
bung der  in  Vorstädten  und  privilegirten  Orten  üblichen  Frei- 
heiten, Unterwerfung  der  ländlichen  Industrie  unter  städtische 
oder  gemeinsame  staatliche  Aufsicht  und  Gontrole  oder  gleich 
Verbot  der  auf  dem  Lande  als  Concurrent  auftretenden  In- 
dustrie verlangten 5),  so  wünschten  sie  auch  eine  Begünstigung, 
einen  Schutz  des  einheimischen  Gewerbes  gegen  das  aus- 
ländische. 

Diese  ganze  Entwicklung  erreichte  ihren  Höhepunct  durch 
eine  nebenherlaufende,  schon  seit  Decennien  wirksame  Agrar- 
revolution, welche  den  Grundstock  der  Bevölkerung,  die  kleinen 
Ackerbauer  mit  einer  erschreckenden  Kiisis  heimsuchte.  Die 
Einhegungen  und  die  mit  ihnen  eingeführte  Eoppelwirthschaft 
war  ohnstreitig  rein  öconomisch  aufgefasst  ein  grosser  Fort- 
schritt6).    Aber    die   Umwandlung   vollzog  sich    nicht   ohne 

Yannouth,  Oxford,  Great- Wycomb ,  Guildford,  Estredforde,  Kingston  upon 
Hüll,  Newcastle  on  Tyne,  Beverlev,  Bedford,  Leicester,  Berwick,  Shafton, 
Sherborne,  Bridport,  Dorchester,  Weymouth,  Plymton,  Barnstaple,  Tavistock, 
Dartmouth,  Launceston,  Liskeard,  Lowestwithiel,  Bodmin,  Truro,  Heiston, 
Bridgwater,  Taunton,  Somerson,  Ilchester,  Maldon,  Warwick.  Den  Eigen- 
thümern  der  Baustellen  wurde  befohlen ,  die  verfallenen  Häuser  innerhalb 
eines  bestimmten  Termines  aufzubauen,  widrigenfalls  der  Boden  an  die 
Commnnen  fallen  sollte. 

^Kot.  Pari.  III.  S.  447,  621. 

»)  Sieh  z.  B.  Rot.  Pari.  IE.  S.  640. 

9)  „Euery  gentylman  flyth  into  the  cuntrey.  Few  that  inhabyt  cytes 
or  townys;  few  that  haue  any  regard  of  thern."  Starkey,  England  in 
the  reign  of  king  Henry  VIII.  ed.  Cowper  S.  93. 

4)  Der  theilweise  Verfall  der  engl.  Städte  hat  nicht  gleich  dem  der  Dörfer 
und  Einöden  die  Einhegungen  zum  Grunde,  wie  Cowper  in  der  Preface  zu 
Stärkere  Dialog  S.  CV,  meint;  auch  die  Begründung,  wonach  die  Gesetz- 
gebung der  Mode  folge  und  immer  einen  Punct  längere  Zeit  behandle 
Macpherson  II.  S.  94),  reicht  nicht  aus.  Dass  die  Deplacirung  der 
Industrie  der  wahre  Grund  war,  das  erhellt  aus  21  Hen.  VIII.  c.  12; 
5/6  Ed.  VI.  c  24;  1/2  P.  und  M.  c.  7;  2/3  P.  und  M.  c.  12;  4/5  P.  u.  M 
c  5;  1  El.  c.  14;  18  El.  c  16;  27  El.  c.  23. 

*)  Sieh  unten  Gap.  8. 

6)  E.  Nasse,  Die  mittelalterliche  Feldgemeinschaft  und  die  Ein- 
begnügen  des  16.  Jahrhunderts  in  England  1869.    S.  61,  62. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  30 


—    466    — 

herbe  Rechtsverletzungen  *) ,  und  jedenfalls  gehört  die  Ueber- 
gangszeit  mit  zu  den  traurigsten  Perioden  in  der  Geschichte 
der  englischen  Landwirtschaft*). 

Ein  grosser  Theil  der  ländlichen  Bevölkerung  sah  sich  in 
eine  abhängige  Stellung  herabgedrückt,  ganze  Massen  der 
wackersten  Bauern  mit  Weib  und  Kind  wurden  obdachlos  und 
ohne  Aussicht  auf  ein  Brod  oder  eine  Beschäftigung  auf  die 
Strasse  geworfen 8).  Die  Schilderungen  der  Zeitgenossen  über 
dieses  sociale  Elend  sind  wahrhaft  erschütternder  Natur4),  und 


x)  Nasse  a.  a.0.  S.  68,  69;  der  Materialienreichthum  der  englischen 
Archive  über  diese  Frage  ist  sehr  gross,  namentlich  sind  die  Acten  der 
Sternkammer  im  R.  0.  mit  hieherbezüglichen  Processen  angefüllt 

*)  lieber  den  Fortgang  der  Einhegungen  unter  den  beiden  ersten  Tu- 
dors  sieh  ürk.  Beil.  180. 

.  s)  In  den  verschiedenen  Grafschaften  war  die  Ausdehnung  des  Leidens 
verschieden  gross.  Der  Dialog  W.  Staffords,  auf  den  Nasses  Arbeit  haupt- 
sächlich gegründet  ist,  enthält  verschiedene  Angaben  über  die  Abnahme  der 
Bevölkerung  durch  die  Einhegungen.  Ich  habe  diese  Notizen  gesammelt 
und  reducirt  und  da  ergab  sich  das  Verhältniss,  dass  wo  ein  Mann 
war,  früher  3,  6,  13,  20,  70,  100  waren.  Die  Abweichungen  sind  ebenso 
sehr  Folge  der  subjectiven  Schätzung,  als  Folge  der  verschiedenen  Ge- 
genden, die  die  Schätzenden  im  Auge  hatten.  Eine  anschauliche  Durch- 
schnittsschätzung der  brodlos  gewordenen  Bevölkerung  ist  in  der  kleinen 
Schrift:  Certayne  causes  gathered  together  wherein  is  shewed  the  decaye 
of  England,  only  be  the  great  multitude  of  shepe,  to  the  vtter  decay  of 
houshold  keping ,  mayntenance  of  men,  dearth  of  corne  and  other  notable 
dyscommodities  approved  bv  syxe  olde  Prouerbes  1550 — 53.  ed.  by  Gowper 
in  der  Supplicacion  of  the  beggers.  Early  text  soc.  Extra  Ser.  XIII.  S.  101: 
„It  is  to  vnderBtande  and  knowen,  that  there  is  in  England  townes  and  villages 
to  the nomber  of  fifty  thousand  andvpward  and  for  every  towneand  vyl- 
lage  —  take  them  one  with  an  other  throughout  all  —  there  is  one 
plowe  decayed  sens  the  fyrste  yeare  of  the  raigne  of  kynge 
Henry  theSeventh.  And  in  som  townes  and  vyllages  all  the  hole  towne 
decayed  sens  that  time;  and  yf  there  be  for  euery  towne  and  village  one 
plough  decayed  sens  the  first  yeare  of  the  raygne  of  kyng  Henry  the  Se- 
ventn,  then  ifl  there  decayed  L  thousande  plowes  and  vpwarde.  Tlie  which 
L  thousande  plowes,  euerye  ploughe  were  able  to  mainteine  VI  persona: 
That  is  to  saye,  the  man,  the  wyfe  and  fower  other  in  his  house,  lesse 
and  more.  L  thousande  plowes,  six  persona  to  euery  plough,  draweth  to 
the  nomber  of  thre  hundred  thousand  persons  were  wont  to 
haue  meate,  drynke  and  rayment,  vprysing  and  down  lyinge,  paying  akot 
and  lot  to  God  and  to  the  kyng.  And  now  they  haue  nothynge,  trat  goeth 
about  in  England  from  dore  to  dore  and  axe  theyr  almose  for  Goddes 
eake.  And  because  they  will  not  becge,  some  of  them  doeth  sterile  and 
then  they  be  hanged  and  thus  the  Realme  doeth  decay  and  by  none  other 
wayeB  eis,  as  we  do  thynke."  Nach  einer  Denkschrift  des  16.  Jahrhunderts 
wären  innerhalb  60  Jahren  4—500  Dörfer  in  Mittelengland  durch  Ein- 
hegungen zerstört  worden.    Pauli.  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  26. 

4)  Die  Zeugnisse  hierüber  sind  fast  zahllos.  Einige  mögen  zur  Illustra- 
tion hier  Platz  finden.  In  der  Utopia  des  Thom.  More  heisst  es  (Ham- 
burger Edition  1752.  S.  20):  „Oves  vestrae,  quae  tarn  mites  esse  tamque 
exiguo  solent  ali,  nunc  uti  fertur  tarn  edaces  atque  indomitae  esse  coeperunt, 
ut  homines  devorent  ipsos,  agros,  domos,  oppida  vastent  ac  depopulentur. 
Nempe  quibuscunque  regni  partibüs  nascitur  lana  tenuior  atque  ideo  pre- 
tiosior,  ibi  nobiles  et  generosi  atque  adeo  Abbates  aliquot,  sancti  viri,  non 
his  contenti  reditibuB  fructibusque  annuis,  qui  majoribus  suis  solebant  ex 


—    467    — 

es  ist  ja  auch  bekannt,  wie  der  allgemeine  Jammer  in  dem 
furchtbaren  Aufstande  von  1549  sich  Luft  zu  schaffen  suchte. 
Alle  diese  Brod-  und  Beschäftigungslosen  drängten  sich  zu  den 

praediis  crescere  nee  habentes  satis,  quod  otiose  ac  laute  viventes,  nihil  in 

Sublicum  prosint,  nisi  etiam  obsint,  arvo  nihil  relinquunt,  omnia  clau- 
unt  pasenis,  demolinntur  domos,  diruunt  oppida,  templo  duntaxat 
stabolandis  ovibus  relicto.  Et  tamouam  param  soli  perderent  apud  tos 
ferarnm  saltus  ac  vivaria,  illi  boni  viri  habitatjpnes  omnes  et  quidquid  us- 
quam  est  eulti,  vertun t  in  solitudinem.  Ergo  ut  unus  helluo,  inexplebilis 
ac  dira  pestis  patriae,  continuatis  agris,  aliquot  millia  jugerum  uno  cir- 
cumdet  septo,  ejiciuntur  coloni  quidam,  suis  etiam  aut  circumscripti  fraude 
aut  vi  oppressi  exuuntur,  aut  fatigati  injuriis  adiguntur  ad  venditionem. 
Itaque  quoquo  pacto  emigrant  miseri,  vin,  mulieres,  mariti,  uxores,  orbi, 
viduae,  parentes  cum  parvis  liberis  et  numerosa  magis  quam  divite  familia, 
ut  multiß  opus  habet  manibus  res  rustica;  emigrant,  inquam,  e  notis  atque 
assuetis  lanbus,  nee  inveniunt,  quo  se  reeipiant,  supellectilem  omnem  haud 
magno  vendibilem,  etiam  si  manere  possint  emtorem,  cum  extrudi  necesse 
est,  minimo  venundant:  id  cum  brevi  errando  insumserint,  quid  restat  aliud 
deniaue,  quam  uti  fürentur  et  pendeant  juste  scilicet  aut  vagentur  atque 
mendicent:  quamquam  tum  quoque  velut  errones  conjiciuntur  m  carcerem, 
quod  otiosi  obambulent,  quorum  operam  nemo  est  qui  conducat,  cum  Uli 
cupidissime  offerant  Kam  rusticae  rei,  cui  assueverunt,  nihil  est,  quod 
agatuT,  ubi  nihil  seritur.  Si  quidem  unus  opilio  atque  bubulcus  auffielt  ei 
terrae  depascendae  pecoribus,  in  cujus  eultum,  ut  sementi  faciendae  suffi- 
ceret,  multae  poscebantur  manuä." 

Aehnlich  spricht  sich  Bastards  „Chrestoleros"  lib.  IV.  Epigr.  20. 
(1598)  aus: 

Sheepe  have  eate  vp  our  medows  and  our  downes, 
Our  corne,  our  wood,  whole  villages  and  townes, 
Yeaj  they  haue  eate  vp  raany  wealthy  men, 
Besides  widowes  and  orphane  childeren, 
Besides  our  Statutes  and  our  iron  lawes, 
Which  they  haue  swailowed  down  into  their  maws. 
Till  now  I  thought  the  prouerbe  did  but  iest, 
Which  said  „a  blacke  sheepe  was  a  biting  beast" 

In  diesem  Sinn  ist  auch  die  Stelle  in  Ashams  Brief  an  Duke  oi 
Somerset  vom  21.  Nov.  1547  aufzufassen,  in  der  es  heisst  (Ashams  Works 
ed.  Giles  I.  S.  140—141):  „Qui  auetores  sunt  tantae  miseriae?  —  Sunt 
illi,  qui  hodie  passim  in  Anglia  praedia  monasteriorum  pravissimis  annuis 
redditibus  auzerunt  Hinc  omnium  rerum  ezauetum  pretium:  hi  homines 
expilant  totam  republicam.  Villici  et  coloni  universi  laborant,  pareunt, 
corradunt,  ut  istis  satisfaciant  —  Hinc  tot  familiae  dißsipatae,  tot  domus 
collapsae.  Hinc  quod  omnium  miserrimum  est,  nobile  illud  decus  et  robur 
Anghae,  nomen,  inquam,  Yomanorum  Anglorum  fractum  et  collisum  est 
Kam  vita,  quae  nunc  vivitur  a  plurimis,  non  vita,  sed  miseria  est.u 

Tyndale  sa^t  1528  in  „The  duty  of  Landlords":  „Let Christian  land- 
lords  be  content  with  their  rent  and  old  customs ;  not  raising  the  rent  or 
fines  and  bringing  up  new  customs  to  oppress  their  tenants ;  neither  letting 
two  or  three  tenantnesunto  one  man.  Let  them  not  take  in  their  commons, 
neither  make  parkes  nor  pastures  of  whole  parishes:  for  God  gave  the 
earth  to  man  to  inhabit  and  not  unto  sbeep  and  wild  deer". 

HugoLatimer  predigte 8.  März  1549  (Seven  Sermons  before  Edw.  VI. 
Arber's  reprints  S.  40):  „Furdermore,  if  the  kinges  honour,  as  sum  men 
say,  standeth  in  the  great  multitude  of  people,  then  these  grasiers,  in- 
closers  and  renterearers  are  hinderers  of  the  kings  honour.  For  wher 
as  haue  bene  a  greate  meany  of  householders  and  inhabitauntes ,  ther  is 
nowe  but  a  shepherd  and  bis  dogge,   so  thei  hynder  the  kinges  honour 

30* 


—    468    — 

Gewerben  heran,  sei  es  a\jf  dem  Lande,  sei  es  in  Vorstädten 
oder  nicht  ineorporirten  Plätzen;  es  gab  nur  noch  einen  Ruf, 
und  das  war  der  nach  Arbeit. 


most  of  al.  Mylordes  and  meistere.  I  say  also,  that  all  suche  procedynges 
which  are  agaynste  the  kynges  honoure,  as  1  haue  a  part  declared  before, 
and  as  far  as  I  cane  perceiue,  do  plainly,  to  make  the  yomanry  ala?ery 
and  the  cleargye  slauery". 

In  der  Satire  gegen  Wolsey  „Rede  me  and  be  nott  wrothe"  heisst  es: 

Wat    I  have  hearde  seye  of  myne  eiders 
That  in  Englonde  many  fermers 
Kept  gaye  houßholdes  in  tymes  passed. 

Jef.    Ye,  that  they  did  with  liberalite 
Sheawynge  to  povre  people  charite 
But  nowe  all  together  is  dasshed. 
Of  riche  farme  places  and  halles 
Thou  seist  nothynge  but  bare  walles 

The  rofes  fallen  to  the  grownde, 
To  tourne  fayre  houses  into  pasture, 
They  do  their  diligent  core, 
The  commen  well  to  confownde. 
(Furnivall,  Bai  lad  s  from  Ms.  Pt  IL  S.  109-111). 

In  Now  a  days  1520  (a  a.  0.  I.  S.  93  fg.): 
Envy  waxith  wonders  strong 
the  Kich[e]  doth  the  poore  wrong 
God  of  his  mercy  sufferith  long 
the  devill  his  workes  to  worke. 
The  townes  go  down,  the  land .  decayes ; 
Off  cornefeyldes,  playne  laves 
Gret  men  makithe  now  a  aayes 
A  shepecott  in  the  churche. 

The  places  that  we  Right  holy  call 
Ordeyned  ffor  christyan  buriall 
off  them  to  make  an  ox  stall 

thes  men  be  wonders  wyse. 
Commons  to  close  and  kepe; 
Poor  folk  for  bred  [to]  cry  and  wepe; 
Towns  pulled  downe  to  pastur  shepe; 

this  ys  the  new  gyse. 

In  einer  Liturgie  Eduards  VI.  war  sogar  ein  Gebet,  dass  Gott  den 
harten  Sinn  der  Grundherrn  erweichen  möge:  „Give  them  erace  also,  that 
they  may  be  content  with  that  is  sufficient  and  not  ioin  house  to  house 
nor  couple  land  to  land  to  the  impoverishment  of  other,  but  so  behove 
themßelves  in  letting  out  their  tenements,  lands  and  pastures ,  that  after 
this  life  they  may  be  received  in  everlastinc  dwelling-places".  Entnommen 
der  Einleitung  von  Cowper  zu  Rob.  Crowley,  Select  works  S.  XXII. 

Ebenso  eiferte  Rob.  Crowley,  An  informacion,  an  peticion  agaynst 
the  oppressours  of  the  pore  Comons  of  this  Realme  compiled  and  imprinted 
for  this  onely  purpose  that  amongest  them  that  haue  to  do  in  the  Parli- 
amente,  from  godlye  mynded  men,  may  hereat  take  occacion  to  speake 
more  in  the  matter  then  the  Authoure  was  able  to  write.  London  (1548?) 
fo.  56  gegen  die  engrossers  of  farms  und  beklagt  f.  8  die  durch  die 
letzteren  herbeigeführte  Zerrüttung  der  Familie  und  Zerstörung  der  Sittlich- 
keit. Vgl.  ferner  Crowley,  The  way  to  wealth,  wherein  is  plainly  tanght 
amost  present  remedy  for  sedicion  1550.  S.  182  und  sonst  in  Select  works 
ed.  by  Cowper;  Pauli,   Drei  volksw.  Denkschriften  S.  54  und  passim; 


—    469    — 

Die  Rücksicht  auf  die  einheimische  Arbeit  findet  sich  in  den 
Gesetzen  Eduards  IV.  und  Richards  III.  bereits  stark  betont x). 
Beherrschende  Maxime  wurde  sie  unter  den  ersten  Tudors. 
Als  Heinrich  VII.  durch  seinen  Minister,  den  trefflichen  Car- 
dinal Morton2),  1487  dem  Parlament  gewissermassen  sein 
Wirthschaftsprogramm  vortragen  Hess,  war  der  rot  he  Faden, 
der  die  einzelnen  Vorschläge  und  Erörterungen  durchzieht,  der 
Wunsch,  dem  Volk  durch  Handel  und  Manufacturen  zu  Ar- 
beit zu  verhelfen 3). 

„Des  Königs  fester  Wille  ist  es,  dem  Lande  Ruhe  und 
Frieden  zu  sichern.  Dieser  Friede  soll  Euch  nicht  blos  Blätter 
erzeugen,  unter  deren  Schatten  Ihr  ruhig  und  ungestört  sitzen 
könnt,  sondern  er  soll  Euch  Früchte  des  Reich thums,  Wohl- 
standes und  Ueberflusses  tragen.  Deshalb  bittet  der  König 
Euch,  Eure  Aufmerksamkeit  auf  den  Handel  und  die  Manu- 
facturen des  Königreichs  zu  lenken.  Er  wünscht  Euren  Bei- 
stand behufs  Unterdrückung  des  Wuchers,  auf  dass  das  Geld 
wieder  auf  den  Handel  und  die  Gewerbe  verwendet  werde, 
ferner  behufs  Massregeln,  welche  dem  englischen  Volk  in 
Künsten  und  Gewerben  Arbeit  verschaffen,  das  Königreich  un- 
abhängiger vom  Ausland  machen,  die  Unthätigkeit  beseitigen 
und  den  Abfluss  des  Geldes  für  fremde  Manufacte  verhin- 
dern. Aber  hiebei  dürft  Ihr  nicht  stehen  bleiben,  sondern  Ihr 
müsst  weiter  Vorsorge  treffen,  dass  der  Erlös  jeglicher  Waare, 


Thomas  Lever,  Sermons  1550  in  Arbeits  reprints  S.  29;  Strype, 
Eccles  Mem.  Ed.  1822.  II.  2.  S.  861;  Ha  weis,  Sketches  of  the  reformation 
1844.  S.  269,  271,  299,  301  j  Thomas  Becon,  ThePolicy  of  war,  wherein 
is  declared,  how  the  enemies  of  the  Christian  public  weal  may  be  over- 
come  and  subdued  in  dessen  Early  Works  written  ander  Henry  VIII  ed. 
by  Ayre  S.  253:   Harris on,  Description   of  Britaio.    Hollinsheds   Aus- 

r>e  S.  189,  221;  Bacon,  History  of  Henry  VII.  Ed.  London  1676. 
43-45:  Northouck,  History  of  London  1773.  S.  113. 

Die  Krone  der  zeitgenössischen  Stimmen  bildet  die  „Vox  populi,  vox 
Dei.  A  complaynt  of  the  comons  against  taxes".  Reprinted  by  Woodfall 
London  1821;  neuerdings  abgedruckt  bei  Für niv all,  Ballaas  frorn  Ms. 
VoL  I.  P.  I.  Das  Gedicht,  das  aus  11  grössern  Abschnitten  besteht  und 
circa  1548  geschrieben  wurde,  schildert  in  der  ergreifendsten  Weise  das 
allgemeine  Elend.  Der  eigentümliche  Rhythmus,  der  dumpf  melancholische 
Ton,  die  volle  Verzweiflung,  die  sich  in  ihm  wiederspiegelt,  sind  von  er- 
schütternder Wirkung. 

*)  So  heisst  es  7  Ed.  IV.  c  3  (1467):  „ Würde  daß  Garn  im  Lande 
verwoben  und  das  Tuch  gewalkt,  so  würde  der  König  seinen  Vortheil  haben, 
and  die  Weber  sowie  Walker  beschäftigt  sein,  während  sie  so  verarmen  una 
die  Fremden  sich  bereichern."  Sieh  auch  3  Ed.  IV.  c.  3;  1  Ric.  III.  c.  9, 
c  12  und  oben  S.  446,  447. 

2j  Vgl.  die  Schilderung,  die  Thomas  More  von  ihm  entwirft.  Utopia, 
Hamburger  Edition  von  1752.    S.  14,  15. 

*)  Vgl.  auch  die  Begründung  der  oben  erwähnten  Industriegesetze 
Heinrichs  VII.;  ferner  die  Proclamation  bei  Errichtung  eines  Metallstapels 
vom  24.  Juni  1492.  Gairdner,  Letters  and  Papers  of  Richard  III.  and 
Henry  VII.  II.  S.  373. 


-     470    - 

welche  vom  Continent  eingeführt  wird,  zum  Ankauf  englischer 
Artikel  verwendet  werde,  damit  nicht  ein  allzu  ausgedehnter 
Handel  der  Fremden  den  Metallschatz  des  Königreichs  zer- 
störe und  vermindere" *). 

Aehnliche  Gedanken  waren  unter  Heinrich  VIH.  die  hell- 
sehenden. Viele  der  früher  hervorgehobenen  Momente  kamen 
während  seiner  Regierungszeit  erst  zu  ihrer  vollen  Wirkung 
und  wurden  durch  die  von  Heinrich  VIH.  vollzogene  Aufhebung 
der  Klöster  noch  um  ein  weiteres  vermehrt  *).  Volk,  Prediger, 
Staatsmänner  und  sonstige  Politiker  wetteiferten  in  der  Er- 
läuterung des  Werths  und  der  Notwendigkeit  der  einheimi- 
schen Arbeit. 

„Der  ganze  Wohlstand  des  Staatskörpers,  sagte  man,  ent- 
springt aus  der  Arbeit  und  der  Thätigkeit  des  gemeinen 
Volkes3).  Aufgabe  des  Königs  ist  es,  zu  erwägen,  welche 
Gaben  Gott  seinem  Reiche  geschenkt  hat,  und  wie  das  Volk 
entsprechend  der  Natur  und  Beschaffenheit  derselben  in  Arbeit 
gesetzt  werden  kann4).    Die  Lenker  und  Leiter  des  Staates 

■)  Bacon  ofVerulam,  The  life  and  reign  of  Henry  VII.  in  Kennets 
history  of  England  I.  3.  593.  In  Betreff  der  bei  Francis  Bacon  sich  fin- 
denden Reden  sagt  Pauli,  Geschichte  Englands  V.  S.  703:  „Die  häufigen 
Reden  des  Lord  Canzlers  Morton  und  der  französischen  Gesandten  sind 
im  Geschmack  der  eigenen  Zeit  erdichtet,  doch  sind  sie  in  der  Regel  auf 
die  Parlamenterollen  und  andere  urkundliche  Ueberlieferungen  zurück- 
zufuhren". 

*)  Dass  die  Aufhebung  am  Anfang  von  allen  Nothleidenden  schwer 
empfunden  wurde,  kann  nicht  bezweifelt  werden:  deshalb  jammert  auch 
das  Volk  1536: 

„Abbas  to  suppresse  we  haue  lytyll  nede 

the  whyche  off  charyte  gude  men  dyd  fownde; 

to  them  vt  wais  thowght  it  wais  great  meide; 

but  boldly  now  downe  streght  to  the  grownde 

many  are  besy  them  to  dekay, 

And  them  profanyth:  non  dar  say  nay. 
AnExhortacyon  to  the  North  1536.  Furnivall,  Ballads  fromMs.  I.  S.805, 
8)  „The  holl  welth  of  the  body  of  the  realme  riseth  out  of  the  la- 
bours  and  workes  of  the  common  people.  —  Suerly  the  common  weale  of 
Englonde  muste  rise  out  of  the  workes  of  the  common  people."  Pauli, 
Drei  volksw.  Denkschriften  S.  61,  75. 

4)  „And  that  every  kyng  within  hiß  realme  ought  to  consyder,  what 
comodytie  God  hath  plantya  within  precynete  of  his  domynyon  and  acor- 
dyng  äs  God  by  his  ordynary  law  gevith  the  encrease  theroff,  so  ought  all 
kynges  and  mynysters  to  receave  it  of  the  gyft  of  God,  that  is  he  shulde 
se  his  people  »et  to  worke  the  saide  gyfte  acordyng  to  the  nature  or  qua- 
litie  of  the  gyft,  and  that  the  workers  thereoff  to  receave  there  lyvyng  by 
theire  laboures,  and  that  the  thyng  to  have  the  increase,  so  ought  all  kynges 
to  have  all  proffytes  or  increase  within  there  realmes,  the  which  is  over 
and  above,  that  all  theire  subiectes  hath  no  nede".  Pauli,  a.  a.  O.  51,  52. 
„Also  it  is  ye  kinges  honour,  that  the  commen  wealth  be  auaunsed,  that 
the  dearth  of  these  forsaied  thinges  be  prouided  for,  and  the  commodities 
of  thys  Realme  so  emploied ,  as  it  may  be  to  the  setting  his  subiectes  on 
worke,  and  kepyng  them  from  idlenes.  And  herin  resteth  the  kinges  ho- 
nour  and  hys  Office.  So  doynge,  his  aecompte  before  God  shalbe  alowed 
and  rewarded.  (8.  M&rz  1549)  Hugo  Latimer,  Seven  Sermons  before 
Edward  VI.  Reprints  of  Arber.  8.  39  und  40. 


—    471    — 

müssen  als  gute  Staatsmänner  fortwährend  darüber  nachdenken, 
auf  welche  Weise  man  dem  Volk  Arbeit  geben,  seinen  un- 
ruhigen Geist  beschäftigen  und  Alles,  was  ausserhalb  des  Kö- 
nigreichs gemacht  wird,  im  Königreiche  fertigen  könne1). 

Das  Verfallen  der  Handwerke  mit  seinen  schädlichen 
wirtschaftlichen  Folgen*),  der  Ruin  der  Städte8),  das  Stehlen 
und  Betteln,  die  Armuth,  der  Mangel  an  Geld*)  wurzeln  in 
der  geringen  Achtsamkeit,  die  man  der  einheimischen  Arbeit 
schenkt. 

Alle  nicht  notwendigen  Waaren  des  Auslandes  und  alle 
diejenigen,  die  man  im  Inlande  fertigen  kann,  nutyss  man  aus- 


*)  „It  wäre  a  good  policie  for  governers  and  rulers  of  a  realme  alway 
to  Studie,  which  way  to  set  all  comen  people  to  laboures  to  kepe  theire 
frowarde  myndes  well  occupiede  and  not  to  suffer  such  thynges  to  be 
wrought  owte  of  this  realme,  the  which  may  easely  be  wrought  within  the 
realmetf.    R.  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  8.  59. 

*)  A.  a.  0.  S.  39  und  40,  wo  das  Ueberwuchem  der  Kramerei  und 
Wirthshauser  aus  dieser  Ursache  abgeleitet  wird.  „For  lakke  that  pore 
peple  hath  noo  labour  and  levyng  by  handy  craft.  causith  aü  such  mor- 
dinate  rule.  If  all  peple  may  have  labour  and  levyng  well  and  besyly 
occupied,  shuld  cause  moche  more  quietnes  in  London  and  thorowt  all 
the  realme". 

3)  Many  craftesmen  and  half  beggers, 

both  in  townes  and  cyty: 

ffrenche  wäre  hither  ys  browght 

and  englishe  hand  craft  gothe  to  nowght 

Halff  this  Realme,  it  ys  vnwrowght, 

Alas,  for  pure  pytty! 

In  Now  a  dayes  (1520).    Furniyall,  Ballads  from  Ms.  I.  S.  98  fg. 

*)  Pauli  a.  a.  0.  S.  67.  And  by  reason  of  gret  abundaunce  of  stränge 
merchaundyses  and  wares  brought  yerly  into  Englonde  hath  not  only  cau- 
sid  scarsite  of  money,  but  hath  diBtroyed  all  handycraftes,  wherby  gret 
nombre  of  common  people  shuld  have  workes  to  gete  money  to  pay  for 
their  mete  and  drinke,  which  of  very  necessite  mußte  lyf  idelly  and  begg 
and  stele  or  seke  their  lyving  by  suche  faulse  meanes,  as  it  is  to  see,  how 
people  cannot  lyve  in  right  oraer  one  with  an  other,  because  the  king 
Deine  the  hede  of  his  lordes  knyghttes  and  squiers  which  ar  his  harmes 
handes  and  fyngers,  doo  not  mynystre  to  all  common  people  bodyly 
members  suche  giftes  of  grace  as  God  yerly  gevith  to  theym,  which 
they  shuld  worke  for  the  common  weale  of  the  hole  realme.  Wheras 
now  so  grete  nombre  of  idull  people  ar  in  Englonde  besyde  all  such  that 
workith  husbandry  havyng  no  workes  or  artificialite  to  gete  money  wher- 
with  to  by  there  meat  and  drinke  of  the  workes  of  husbandry.  And  all 
the  Barne  idull  people  havyng  lyff  iu  theym  must  nedys  have  lyving.  Ergo 
yf  they  be  workes  of  artificialite  gete  no  money,  wherewith  to  gete  their 
'Trog*  muste  nedes  bege  or  stele  their  lyvinge  from  them,  that  workith 
husbandry,  or  otherwise  by  craftie  meanes  of  beying  and  sellyng  or  by 
policy  to  stody  howe  of  plentie  to  make  scarsite  for  their  singulare  weale 
to  distroy  the  common  weale,  that  is  the  wisdome  of  this  worlde.  For 
yf  all  people  be  not  sett  to  labour  and  worke  to  lyve  out  of  necessite,  elles 
muste  they  nedyB  sike  their  lyvinge  by  their  wisedome  and  policye". 
Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  63,  67.  Tgl.  auch  Starkey,  Eng- 
land in  the  reign  of  EL  VIR  S.  172. 


—    472    — 

schliessen  *),   selbst  wenn   man  für  das  einheimische  Product 
etwas  mehr  zahlen  muss*). 

Der  Luxus,  der  so  gerne  die  fremden  Artikel  bevorzugt, 
ist  schädlich  und  zu  verpönen8). 

1)  „Also  I  thynke  it  were  good,  that  the  kynges  most  honerablecownseJl, 
yf  they  wyll  reforme  the  realme,  to  make  an  act  of  Parlement  or  other  wyse  a  decre 
in  the  Starre  Chamber,  that  all  cities  and  townes  within  this  realme  to  make  ordy- 
nawnce  for  the  welth  of  the  saide  cities  and  townes,  and  that  than  the  inhabytaance 
of  all  cities  and  townes  to  have  in  commawndement,  that  they  do  make  aod 
ordeyne  among  them,  that  no  thyng  be  brought  by  any  of  the  kynges  sabiectes 
frome  any  stränge  place  beyonde  the  see,  the  which  may  be  wrought  in  any  partie 
of  the  kynges  domynyon  upon  payne  of  forfit  of  body  and  goodes  to  the 
kynges  highnes  and  that  all  workers  of  artificialitie  to  be  set  to  worke  as  well 
strangers  as  Englyshmen  — .  Also  it  wolde  be  decreed,  that  what  stranger 
so  ever  he  warr  that  brought  any  maner  of  workes  of  artificialitie  into 
this  realme  at  any  tyme,  that  they  may  costome  it  and  do  with  it  what 
they  wolde  and  as  they  now  do  and  to  earne  it  or  way  or  gane  at  theire 
pleasure,  so  that  no  inhabitaunt  within  this  realme  do  by  it  upon  pane  to 
forfit  it  and  theire  bodie  and  goodes  to  be  at  the  kynges  pleasore  excepte 
such  thynges  which  cannot  be  wrought  within  this  realme,  which  decre 
shall  cawse  no  stryffe  nor  variance  betwene  prynce  and  prynce  in  that  it 
shall  not  be  agenst  no  contracte  made  in  any  tretie  of  peace,  so  that 
ether  subiectes  as  marchantes  mav  carie  what  comoditie  they  lyst  and 
whether  they  lyst  And  yf  it  shall  be  thought  nedfull  at  any  tyme  that 
some  certayn  workes  of  artyficialytie  to  be  bowght  of  any  stranger,  yit  shall 
it  be  bought  by  the  consentes  of  the  comynaltie".  Pauli  a.  a.  0.  S.  56. 
„They  marchaunt  must  be  prohybytyd  to  bryng  in  any  such  thyngys  wych 
may  be  made  by  the  dylygence  of  our  owne  men".  Starkey,  England  in 
the  reign  of  King  Henry  the  Eighth  ed.  Cowper  S.  174. 

*)  „Better  it  were  to  pay  6  d  for  any  thyng  made  in  the  reame  than 
to  pay  but  4  d  for  a  thyng  made  owt  of  the  reame,  for  that  6  d  is  owres 
so  spent  in  the  reame  and  the  4  d  spent  owt  ot  the  reame  is  lost  and  not 
oursa.    Pauli  a.  a.  0.  S  32;  vgl.  auch  S.  31. 

")  „For  now  you  se  ther  yß  almost  no  man  content  to  were  cloth  hexe 
made  at  home  in  our  owne  cuntrey,  n  other  lynyn  nor  wolen,  but  euery 
man  wyl  were  such  as  ys  made  beyond  the  see,  as  chamlet,  says,  fustyanys 
and  sylkys;  by  the  reson  wherof  dyuers  craftys  here  fal  in  dekey,  as 
clothyera,  weuerys,  worstydmakyrs ,  tukkarys  and  fullarys  wyth  dyuerse 
other  of  the  same  sort  Thys  thyngys  folow  and  be  annexyd  as  commyn 
effectya  to  the  bryngyng  in  ef  such  thyngys  as  we  myght  bettur  lake,  then 
haue  in  such  abundaunce  as  we  haue  now  commynly".  Starkey,  England 
in  the  reign  of  king  Henry  the  Eighth  ed.  Cowper  S.  95;  vgl.  auch  S.  174. 
In  dem  Steeleglas  von  George  Gascoigne  (a  satyre  1576)  wird  gesagt 
(Arber's  reprints  S.  70): 

0  painted  fooles,  whose  hare  brainde  heads  must  have 

More  clothes  att  ones  than  might  become  a  king: 

For  whom  the  rocks  in  forain  Realmes  must  spin, 

For  whom  they  carde,  for  whom  they  weaue  their  webbes 

For  whom  no  wool  appeareth  fine  enough 

(I  speake  not  this  by  english  courtiers 

Since  en^iisb  wool     as  euer  thought  most  worth), 

For  whom  al  seas  are  tossed  to  and  fro, 

For  whom  these  purples  come  from  Persia, 

The  crimosine  and  liuely  red  from  Inde: 

For  whom  soft  silks  do  sayle  from  Sericane, 

And  all  queint  costs  do  come  from  fardest  coasts: 

Whiles  in  meane  wile  that  worthy  Emperour 


—    473    - 

Die  Rohproducte  Englands,  vor  Allem  die  Stapelwaaren, 
muss  man  im  Lande  behalten  und  im  Lande   verarbeiten,  *) 


Which  rulde  the  worlde  and  had  all  welth  at  wil, 

Could  be  content,  to  tire  his  wearie  wife, 

His  daughters  and  his  niepces  euery  chone 

To  spin  and  worke  the  clothes  that  he  shuld  weare. 

And  neuer  carde,  for  silks  or  sumpteous  ccst, 

For  cloth  of  gold  or  tinsel  tigurie 

For  bandkin,  broydrie,  cutworks  nor  conceite 

He  set  the  shippes  of  merchantmen  on  worke 

With  bringing  nome  oyle,  graine  and  savrie  salt 

And  such  like  wares,  as  serued  common  vse. 

Bei  W.  deWorde,  Treatyse  of  this  galaunt  (1520)  heisBt  es  (8trophe  tf6): 
60 od  makynge  of  a  man  is  nowe  layde  on  syde 
This  newe  araye  is  bronght  up  in  this  lande  to  wyde 
And  yet  for  all  that  it  may  not  last  a  yere 
Englande  may  wayle  that  euer  it  came  here. 

Besonders  waren  es  die  Prediger,  welche  gegen  den  Luxus  zu  Felde  zogen. 
In  einer  in  den  90er  Jahren  des  15.  Jahrhunderts  gehaltenen  Predigt  eines 
Boy-bishop's  at  St.  Pauls  hiess  es;  „Here  all  vayne  merchaundyses  of 
the  worlde  bene  brought,  to  the  whiche  is  very  prone  and  redy  oure  youth 
of  Englonde ,  as  we  may  see  dayly.  There  is  no  vanyte  in  no  partye  of 
the  worlde  but  we  bene  redy  to  bye  it:  longe  heres  and  shorte  collers  of 
Almayns,  evyll  fasshenyd  garmentes  and  deyyllisshe  shoone  and  slyppers 
of  Frensmen;  powches  and  paynted  gyrdylles  of  Spanyardes;  newe  founde 
hattes  of  Romayns:  and  so  is  fulfylled  the  wordes  ot  oure  Lord  wryten 
in  holy  scrypture  (Jeremiae  XI  °) :  Elongarerunt  a  me  et  ambulaverunt  post 
vanitatem  et  vani  facti  sunt.  —  This  alterable  vanytees  in  garmentes  is  a 
trae  argument  and  faythfull  conclusyon  to  all  wyse  straungers,  that  Eng- 
lysshemen  bee  as  chaungable  in  theyr  maners  and  wyttes  as  they  be  in 
outwarde  garmentes.  And  yf  this  vayne  marchaundyse  were  oonly  in  youth 
of  the  reame,  it  were  more  tollerable,  but  inveterati  dierum  malorum, 
boyes  of  fyfty  yere  of  age  are  as  newe  fangled  as  one  yonge  men  be.  The 
whiche  by  reasons  holde  torne  theyr  face  from  the  worlde,  considerync  the 
ende  of  theyr  lyfe.  But  lytell  that  is  consydered;  ye,  rather  in  tnejrr 
vanytees  they  bene  praysed.  Quoniam  laudatur  peccator  in  desidenis 
animae  suae  et  iniquus  benedicitur  (Psalm.)".  Two  Sermons  preached  by 
the  boybishop  at  St.  Pauls  temp.  Hen.  VIL,  and  at  Gloucester,  temp.  Mary 
ei  by  John  Gough  Nichols  S.  10.  Camden  Society.  Nr.  17.  1875.  Aehn- 
Hch  A  Bupplycacion  to  our  moste  Soueraigne  Lorde  Kynge  Henry  the  Eyght 
etc.  (1544)  ed.  by  Cowper  London  1871.  S.  52:  „Somtyme  cappe,  somtyme 
hoode;  nowe  the  Frenshe  fasshyon,  nowe  the.  Spanyslie  fasshyon;  than  the 
Italyan  fasshyon,  and  then  the  Myllen  fasshyon;  so  that  there  is  noo  ende 
of  consumynge  of  substaunce,  and  that  vaynely  and  all  to  please  the 
prowde  folyshe  man  and  womens  fantasy.  Hereof  spryngethe  great  myserve 
and  neade  etcu.  Vgl.  ferner  37  Edw.  III.;  22.  Edw.  IV.  c.  1;  1  Hen.  VIII. 
c.  14;  6  Hen.  VIII.  c.  1;  7  Hen.  VIII.  c;  24  Hen.  VIII.  c.  13. 

')  This  realm  hath  three  commodities, 

Wool  tin  and  lead, 

Which  being  wrought  within  the  realm, 
Each  man  might  get  his  bread.   C  r  0  w  1  e  y ,  Epigramms  (1550). 

„Take  hede  you  Marchauntes  of  London  that  ye  be  not  Marchauntes 
of  myschyefe  conueying  away  to  much  old  lead ,  wol ,  lether  and  such 
substanciall  wares  as  wold  set  many  Englyshmen  to  work  and  do 
euery  manne  good  seruyce  and  bryngynge  home  sylkes  and  sables, 
fol 


cattayls    and   folyshe    fethers    to   fil    the   realm   füll   of  such    baggage 


-    474    — 

nicht  aber  die  Fremden  auf  Kosten  der  Einheimischen  be- 
reichern l). 

as  wyll  neuer  do  ryche  or  poore  good  and  necessary  seruyce.  Be  ye  sure, 
if  thys  realme  be  ryen,  ye  shall  not  nede  to  be  poore,  yf  thys  realme  be  poore; 
you  shall  not  be  able  to  kepe  and  enioy  your  ryches.  Take  hede  than 
that  your  marchaundise  be  not  a  seruynge  of  folysh  mens  fansies,  whyche 
wyll  destroye  the  realme :  but  lette  it  be  a  prouydyng  for  honest  diserete 
mens  commodities ,  whych  wyll  be  the  vpholdyng  and  enrychyng  of  you 
and  the  whole  realme".  Thom.  Lever,  Sermons  1550.  Arbert  repr.  S.  ISO. 
„Yf  all  wulles  wäre  drapede  in  the  realme,  the  workes  of  the  people 
shulde  be  moch  more  worth  than  the  wull,  so  that  yf  there  wäre  but  hälfe 
the  wull  that  now  is,  and  that  it  shulde  be  drapede,  it  wolde  be  more 
worth  to  the  realme,  than  now  is  all  the  wull  and  the  shepe  that  berith  it 
IL  Paul,  Drei  volkw.  Denkschriften  S.  57;  ferner  ebenda  S.  75  und  77. 
„—  thys  ys  the  chefe  poynte:  that  the  marchauntys  cary  out  only  such 
thyngys  as  may  be  wel  lakkya  wythin  our  owne  cantre,  wythoot  eommyn 
detryment  to  our  natyon;  and  bryng  in  such  thyngys  agayn  as  we  habe 
nede  of  here  at  home  and  as,  by  the  dylygence  oi  our  owne  men,  can 
not  be  made.  Thys  thyng,  put  in  vse  and  in  executyon  shold  be  a  grete 
ground  of  al  abundance  and  plenty.  For  fyrst,  to  begyn  wyth  thys: 
the  caryage  out  of  wolle  to  the  stapul  ys  a  grete  hurte  to 
the  pepul  of  Englond;  though  hyt  be  profytabul  both  to  the  prpce 
and  to  the  marchant  also.  For  by  thys  mean  the  clothyng  of  Englond  ts 
in  Tttur  dekey,  the  gretyst  destructyon  that  euer  cam  to  our  reame  and  the 
gretyst  ruyne  of  many  craftys  wych  long  to  the  same.  Werfor  yf  thys 
stapul  were  broken  or  otherwyse  redressya,  and  clothyng  set  vp  in  finglond 
agayne,  thys  ys  sure:  the  commodyte  of  our  wolle  and  cloth  schold 
bryng  in  al  other  thyngys  that  we  haue  nede  of  out  of  al  other  straooge 
partys  beyond  the  see.  Te  and  though  our  cloth  at  the  fyrst  begynBjng 
wold  not  be  so  gud  perauenture,  as  hyt  ys  made  in  other  partys,  yet,  in 
processe  of  tyme,  1  can  not  see  wy  but  that  our  men,  by  dylygence,  myght 
attayne  therto  ryeht  wel;  specyally  yf  the  prynce  wold  study  therto,  in 
whose  powar  hyt  lyth  chefely  such  thyngys  to  helpe.  Ther  be  marchant 
men  that,  by  the  helpe  of  the  prynce,  wyl  yndertake  in  few  yerys  to  brvng 
clothyng  to  as  grete  perfectyon  as  hyt  ys  in  other  partys,  wych,  vf  w* 
were  downe,  hyt  schold  be  the  gretyst  bunryte  to  increse  the  ryches  of 
Englond  that  myght  be  deuysyd.  They  wych  now  fach  our  wol  schold  be 
fflad  to  fach  our  cloth  made  m  oure  reame;  wherby  schold  be  oocapyd  in* 
rVnyte  pepul,  wych  now  lyue  in  idulnes,  wrechyd  and  pore.  And  the  same 
thyng  ys  to  be  sayd  both  of  lede  and  tyn.  Our  marchantys  cary  them 
out  at  plesure  and  then  bryng  the  same  in  workyd  agayn  and  made  ressei 
therof.  And  so  of  infynyte  other  thyngys  we  myriit  say  the  wych  the 
gudnes  of  nature  hath  to  our  yle  gyuen,  the  wych  now  ys  not  nede  to 
reherse  but  thys  generally".  Starkey,  England:  in  the  reign  of  Henry 
vm.  S.  172,  173. 
The  other  sorte  of  Allayes  Alasl  is  not  thys 

that  be  agaynste  kynae,  a  greate  over  syght? 

Do  make  my  harte  wepe  Ye  Aldermen  and  other 

whan  they  come  to  my  mind.  that  t^e  Allay  rente, 

For  there  are  pore  people  Why  bestowe  ye  not  the  riebe» 

welmoste  innumerable,  thatGod  hath  you  sente 

That  are  dryven  to  begge  in  WOule  or  in  flaxe 

and  yet  to  woreke  they  are  able,         to  finde  them  oecupied, 
If  they  might  haue  al  thinges  That  nowe  lye  and  begge 

prouided  aright.  by  every  highe  waye  aide? 

Crowley,   Epigr.  in  den  Select  works    of  R   Crowley  ed.  by  Cowpff 
1872.  S.  10.  A     . 

x)  wSo   they   aecownt  ther  clothes  sewerly   made  to   provyde  »^ 


-     475     - 

Auch  andere  Massregeln  müssen  eventuell  zur  Erreichung 
des  Zieles  getroffen  werden,  wie  die  Reduction  der  Wollpreise x), 
die  Verlegung  des  Tuchstapels  nach  London*),  die  Gleich- 
stellung der  fremden  Kaufleute  mit  den  einheimischen  bei  den 
Tuchzöllen  8) ,  die  Verpflanzung  einer  Reihe  von  Industrien 4) 
nach  England". 

Das  waren  die  Raisonnements  der  Zeit.  Welche  Regierung 
hätte  sich  ihnen  verschliessen  können?  In  den  einschlägigen 
Statuten  Heinrichs  VIII.  kehren  denn  auch  diese  Gedanken 
wieder  und  werden  in  immer  lebhafterer  Weise  geltend  ge- 
macht Am  vollständigsten  und  prägnantesten  fand  dies  statt 
in  der  Acte  für  die  Einführung  der  Leinenindustrie  in  Eng- 
land. Wie  das  gleichzeitige  Gesetz  in  Betreff  der  Beschützung 
der  Buchdrucker  einer  Anregung  aus  dem  Volke  seine  Ent- 
stehung verdankte6),  so  war  auch  diese  Acte  hervorgerufen 
durch  eine  grössere  Denkschrift6).  Cromwell,  der  solchen 
Kundgebungen  aufmerksames  Gehör  schenkte 7),  folgte  den  ihm 
zugebrachten  Ausführungen  und  liess  sie,  indem  er  den  Haupt- 
kern derselben  dem  König  in  den  Mund  legte,  sanctioniren 
und  als  künftige  Richtschnur  hinstellen. 

Mit  Sorge,  heisst  es  im  Gesetz  *),  nimmt  der  König  wahr, 
wie  die  Zahl  der  unbeschäftigten  Leute  täglich  im  Königreich 
wächst.    Er  glaubt  die  Hauptursache  darin  finden  zu  müssen, 


own  werkmen   settyng  besyly  to   werke".     Pauli,   Drei  volkdw.   Denk- 
schriften S.  42  und  passim. 

*)  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  64. 

*)  A.  a.  0.  S.  42  und  65. 

B)  A.  a.  0.  8.  66. 

Ha  0.  S.  58,  60,  76. 

5)  Sieh  oben  8.  459,  460. 

6)  Die  bezugliche  Stelle  in  derselben  lautet:  „And  wheras  merchaun- 
dizes  is  now  brought  into  Englond  yerly  to  the  value  of  a  400  000  markes 
more  then  was  in  old  tyme,  which  myght  be  spared  or  made  within  the 
realme  not  only  to  save  so  moch  money  spent  out  of  the  realme,  but  also 
to  sete  common  people  daily  to  worke  in  a  right  ordre  of  the  common 
weale  to  kepe  theym  out  of  idelnes  frome  working  syne  and  myschif,  ther 
is  now  brought  out  of  other  contreys  into  Englonde  to  the  value  of  a 
100  000  poundes  of  lynnyn  cloth  every  yere.  In  example  if  every  parishe 
in  Englonde  spente  but  40  s  in  shertes  and  smokkes  and  other  lynnyn 
besyde  that  that  is  made  within  the  realme,  grete  nombre  of  yonge  may- 
dens  and  women  may  be  set  to  spyne  lynnyn  cloth,  which  lyvith  idully  in 
hordome  and  bawdery,  marvelvng  to  see  the  foly,  how  Inglishe  merchauntes 
spendith  in  Flaunders  a  »100  000  marckes  a  yere  for  lynnyn  cloth,  and  they 
have  banysshid  Englishe  wollen  clothes  and  ther  will  suffer  non  to  be 
booght."  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  76.  Ueber  die  Frage,  in 
welche  Zeit  dies  Memorandum  zu  setzen  ist,  vgl.  unsere  Recension  im 
Uterar.  Centralblatt  1879.  Nr.  4.  S.  118. 

7)  Sieh  oben  S.  83. 

■)  24  Hen.  Vm.  c.  4. 


—    476    — 

dass  eine  grosse  Menge  Waaren  in  völlig  fertigem  und  durch 
Handarbeit  zugerichtetem  Zustande  aus  überseeischen  Ländern 
in  das  Königreich  eingeführt  werden.  Unter  diesen  importirten 
Manufacten  ist  ein  Hauptartikel  das  Leinentuch.  Durch  die 
Verfertigung  und  den  Verkauf  desselben  bereichern  sich  die 
fremden  Länder  in  hohem  Grade  und  setzen  eine  erstaunlich 
grosse  Zahl  ihrer  Bevölkerung  in  Arbeit  zur  grossen  Beför- 
derung und  Steigerung  ihres  Staatswohls1)-  Umgekehrt  aber 
sind  die  Unterthanen  Englands  in  Ermangelung  einer  gleichen 
Industriepolitik,  welche  die  Auffindung  und  Ausübung  solcher 
Beschäftigungen  ins  Auge  fasst,  gezwungen,  fast  all  ihr  Leinen- 
tuch in  der  Fremde  um  grosse  Summen  Geldes  zu  kaufen. 
Männer  und  Frauen,  die  bei  Anwendung  gleicher  Politik  spin- 
nen, weben  und  Tuch  bereiten  könnten,  sind  genöthigt,  in  Un- 
thätigkeit  zu  leben  zum  hohen  Missfallen  des  allmächtigen 
Gottes,  zur  grossen  Verminderung  des  Volkes,  zum  Verfall, 
zum  äussersten  Ruin  und  zur  Verarmung  des  Königreichs. 
Dem  König  aber  ist  nichts  so  sehr  am  Herzen  gelegen,  als 
dass  der  Wohlstand  des  Königreichs  wachse  mit  der  ehrbaren 
Thätigkeit  seiner  geliebten  Unterthanen,  und  dass  die  Sünde 
der  Trägheit  ausgerottet  werde,  und  er  hat  deshalb  mit  dem 
Parlament  Vorsorge  getroffen  etc.  Die  Bestimmungen  dieser 
Acte  haben  wir  bereits  oben  kennen  gelernt2). 

Die  Aufgabe  und  das  Ziel  waren  somit  klar.  Die  prac- 
tische  Gestaltung  blieb  aber  doch  erheblich  hinter  dem  Er- 
strebten zurück.  Der  Umfang  der  Schutzgesetze  war  ein  be- 
schränkter. Selten  wurden  die  Massregeln  nach  allen  Seiten 
erwogen,  nur  zu  häufig  handelte  es  sich  um  blosse  Befriedigung 
kleinlicher,  engherziger  Interessen.  Manche  Gesetze  führten 
desshalb  die  Tudors  gar  nicht  aus.  Am  consequentesten  war 
man  in  der  Beschtitzung  und  Förderung  der  Tuchindustrie. 
Seit  Decennien,  man  könnte  beinahe  sagen  Jahrhunderten  war 


1)  „by  reason  wherof  not  only  the  said  straunge  countres,  where  the 
seid  lynnen  clothe  is  made,  by  the  policie  and  industrie  of  makyng  and 
ventyng  therof  are  greatly  enriched,  but  also  contrario  wise  the  inhabi- 
tauntz  and  subjectes  of  this  Realme,  for  lake  of  like  policie  and  industrie 
aboute  the  invenüng  practisyng  and  putting  in  excercise  like  occupacion 
(are)  compelled  to  bye  all  or  moost  narte  of  the  said  lynnen  clothe 
spent  and  consumed  within  this  realme  amountyng  to  inestymable 
Bornes  of  money  in  other  regions  and  countreis".  Freamble  zu  24  Hen. 
VIII.  c.  4. 

8)  Dass  es  in  Irland  eine  Leinenmanufactur,  wenn  auch  nur  eine  auf 
niedere  Sorten  gerichtete  gab,  haben  wir  bereits  erwähnt  In  England 
scheint  im  13.  Jahrh.  sogar  die  feine  Industrie  in  Wiltshire  und  Sussex  (vgl. 
Macphersonl.  S.  403)  geblüht  zu  haben.  Später  wurde  sie  wahrscheinlich 
durch  die  Concurrenz  der  fremden  Fabriken  von  Renn  es,  Champagne,  Flan- 
dern, Brabant  etc.  erdrückt.  Im  15.  Jahrhundert  wurde  alles  bessere  Leinen 
importirt.    Vgl.  oben  S.  13;  auch  Rymer  IX.  S.  384  und  3B5. 


—    477    — 

hinsichtlich  dieses  wichtigsten  Gewerbszweiges  der  Gedanke 
lebendig,  dass  man  das  Ausland  erreichen  oder  noch  überholen 
müsse.  Aber  auch  hier  fehlte  es  nicht  an  Missgriffen.  Jeden- 
falls mehr  als  durch  manche  der  Schutzmassregeln  gelang  den 
Tudors  die  Hebung  der  Tuchmacherei  durch  ihre  auswärtige 
Handelspolitik,  welche  den  englischen  Tüchern  einen  grossem 
Markt  zu  schaffen  suchte.  Wir  sahen  im  ersten  Abschnitt, 
welche  Erfolge  Heinrich  VII.  und  VIII.  in  dieser  Hinsicht  er- 
zielten. In  der  That  lässt  sich  statistisch  nachweisen,  dass 
der  Export  englischer  Tücher  unter  ihnen  sehr  stark  stieg  und 
dass  dementsprechend  die  Tuchindustrie  sich  sehr  ausgedehnt 
haben  musste.  Wir  machten  auch  bereits  darauf  aufmerksam, 
wie  unter  dem  Einfluss  dieser  öconomischen  Umwälzung  der 
ganze  Betrieb  einen  modernen,  grossartigeren  Character  er- 
hielt. Aber,  so  paradox  es  klingt,  ein  Nothstand,  eine  Krisis 
war  doch  vorhanden.  Die  Blüthe  kam  vielfach  dem  Lande  zu 
Gute,  während  gleichzeitig  doch  viele  Städte  zurückgingen. 
Alle  verfügbaren  Arbeitskräfte  wurden  trotz  der  allgemeinen 
Zunahme  der  Production  nicht  aufgesogen.  Dem  Aufschwung 
der  Tuchindustrie  stand  theilweise  eine  Abnahme  anderer 
Gewerbszweige  gegenüber.  Vielen  bisher  in  der  Landwirth- 
schaft  beschäftigten  Personen  war  der  Uebergang  zum  Gewerbe 
nicht  möglich  oder  nicht  gelungen,  manche  waren  träge.  In 
der  Tuchindustrie  selbst  wurden  durch  den  Umschwung,  der 
sich  mit  dem  grössern  Einfluss  des  Capitals  vollzog,  viele  der 
darin  beschäftigten  Personen  in  eine  abhängigere  Stellung 
herabgedrückt  und  waren  mehr  als  früher  den  Wechselfällen 
und  Conjuncturen  des  grossen  Marktes  preisgegeben.  So  kommt 
es  denn  auch,  dass  das  Bettler-  und  Vagabundenthum  gerade 
damals  rapide  anwuchs l)  und  die  Schwierigkeiten,  das  Armen- 
wesen gesetzlich  zu  regeln,  immer  mehr  sich  steigerten 2). 
Ueberblickt  man   die  gesammten   vorstehend    erörterten 


')  Darin  stimmen  alle  Zeitgenossen  überein.  Starkey,  England  in 
the  reign  of  Henry  the  Eighth  ed.  Cowper  S.  89,  91  sagt  z.  B.:  „For 
thys  ys  sure ,  that  in  no  cuntrey  of  Chrystundome ,  for  the  nombar  of 
pepul,  you  schal  fynd  so  many  beggarys  as  be  here  in  Englond  and  mo 
now  then  haue  byn  before  tyme;  —  although  perauentore  our  ctmtrey 
benot  so  pore  as  many  other  be,  yet  thys  ys  sure,  hyt  ys  more  pore 
then  yt  hath  byn  in  tyme  past,  and  such  pouerty  reynyth  now,  that 
in  no  case  may  stond  wyth  a  veray  true  and  florysching  common  wele". 
Aehnlich  Mors,  Lamentacyon  of  a  Christen  agaynst  the  cytye  of  London 
1545  ed.  Cowper  S.  90:  „—  now  London,  beyng  one  of  the  nowers  of  the 
worlde  as  touchinge  wordlye  riches  hath  so  manye,  yea  innumerable  of 
poore  people  forced  to  go  from  dore  to  dore,  and  to  syt  openly  in  the 
stretes  a  beggynge  and  many  not  able  to  do  for  other,  but  lye  in  their 
howses  in  most  greuous  paynes,  and  dye  for  lacke  of  ayde  of  the  riche, 
to  the  greate  shame  of  the,  oh  London  !u 

*)  Ueber  die  Ausbildung  der  Armengesetzgebung  in  dieser  Zeit  sieh 


—    478     - 

Bestrebungen,  so  erkennt  man  unschwer,  dass  wie  auf  dem 
gesammten  Wirtschaftsgebiete  so  auch  hier  alle  Keime  der 
Wirthschaftspolizei  des  aufgeklärten  Absolutismus,  welche  man 
das  Mercantilsystem  nennt,  vorhanden  waren.  Wir  begegneten 
mancherlei  Versuchen,  die  Ausfuhr  von  Rohproducten  zu  ver- 
mindern und  die  Einfuhr  von  Fabricaten  zu  hindern,  wir  fanden 
ein  Streben,  die  Industrie  zu  heben  und  zu  vervollkommnen, 
wir  beobachteten,  wie  diese  Tendenz  mehr  und  mehr  sich  ver- 
allgemeinerte und  stärker  wurde.  Es  war  nicht  blosse  Abwehr 
gegen  das  Ausland  oder  Beschränkung  auf  das  eigene  Gebiet, 
welche  massgebend  waren,  sondern  England  trat  als  Kämpfer 
auf  dem  Weltmarkte  auf.  Man  braucht  sich  nur  die  Politik 
Englands  zu  den  Niederlanden,  namentlich  in  Bezug  auf  die 
Tuchindustrie,  zu  vergegenwärtigen *),  um  jeden  Zweifel  daran 
auszuschliessen.  Es  ist  auch  nicht  die  Sicherung  des  Unter- 
halts und  die  Fernhaltung  des  Reichthums,  welche  die  Stellung 
der  Regierung  in  dieser  Frage  beherrscht.  Der  Gedanke,  dem 
Auslande  möglichst  viel  abzuverdienen,  auf  Kosten  des  Aus- 
landes sich  zu  bereichern,  die  Industrie  des  Auslandes  zu 
schwächen,  die  heimische  zu  fördern,  war  vorhanden.  Als 
noch  die  Wolle  im  englischen  Auslandshandel  den  ersten  Platz 
einnahm,  war  das  ganze  Sinnen  und  Streben  der  Regierung, 
des  Parlamentes  und  der  Kaufleute  darauf  gerichtet,  wie  man 
dieselbe  den  Fremden  zu  möglichst  hohem  Preise  aufzwingen 
könne.  In  den  Parlamentsverhandlungen  und  Gesetzen  wird 
es  mehrmals  als  eine  Art  nationaler  Aufgabe  hingestellt,  den 


Gneist,  Die  Geschichte  des  Selfgovernment  in  England  1863.  S.  278  ig. 
Interessant  nach  dieser  Richtung  hin  ist  ein  im  Br.  M.  Casley  King 's 
Catalogue  18  C  VI  vorhandener  Entwarf  einer  Parlamentsacte  vom  Jahre 
1586,  der  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  Heinrich  VIII  selbst  herrührt 
Derselbe  beabsichtigt,  alle  beschäftigungslosen,  aber  arbeitsfähigen  Bettler 
zur  Staatsarbeiten  zu  verwenden.  Der  Hafen  von  Dover  und  andere  Schiffs- 
hafen sollen  reparirt,  Strassen  und  Befestigungen  angelegt  und  die  Wässer- 
l&ufe  im  Königreich  gereinigt  werden;  diese  Werke  sollten  1.  März  1536 
in  Angriff  genommen  und  bis  Michaeli  1540  fertig  werden.  Alle  arbeits- 
fähigen Vagabunden,  heisst  es  weiter,  müssen  in  das  nächstliegende  Werk 
sich  begeben,  wo  sie  für  ihre  Arbeit  Nahrung  erhalten;  der  Lohn  wird  so- 
lange inne  behalten,  bis  sich  eine  grössere  Summe  angesammelt  hat.  Jeder 
ist  berechtigt,  einen  Vagabunden  zwangsweise  ans  Werk  liefern  zu  lassen. 
Weigert  sich  ein  solcher  zu  arbeiten,  so  wird  ihm  am  nächsten  Markttag 
auf  die  rechte  Hand  ein  Merkmal  eingebrannt.  Behufs  Organisation  wird 
ein  „Councell  to  avoid  vacabunds"  mit  verschiedenen  Befugnissen  errichtet 
Das  Geld  soll  beschafft  werden  durch  Steuern,  zu  denen  ieder  mit  selb- 
ständigem Einkommen  beitragen  muss,  ferner  durch  Zuschüsse  aus  der 
kgl.  Gasse,  endlich  durch  freiwillige  Guben,  deren  Einsammlung  neu  ge- 
ordnet wird.  Der  Entwurf  wurde  in  dieser  Gestalt  nicht  Gesetz.  Die 
Acte  27  Hen.  VIII.  c.  25  gestattete  nur  den  Behörden,  die  Vagabunden  in 
zweckentsprechender  Weise  zur  Arbeit  zu  zwingen. 

*)  Vgl.  ausser  den  Ausführungen  dieses  Capitels  besonders  Abschn.  1. 
Capitel  1. 


—    479    — 

Wollpreis  möglichst  hoch  zu  halten1),  und  das  gleiche  Ziel 
wurde  bei  Abschliessung  von  Handelsverträgen  verfolgt  Als 
die  Tücher  in  den  Vordergrund  rückten,  war  es  nicht  anders. 
Ein  Politiker  des  15.  Jahrhunderts  verlangte  die  Pflöge  der 
feinern  Tuchindustrie,  weil  da  mehr  dem  Auslande  abgewonnen 
werden  könne,  als  bei  der  groben  Manufactur  *).  Die  Merchant 
adventurers  des  16.  Jahrhunderts  beanspruchen  es  als  ein 
Verdienst,  dass  es  ihnen  gelungen  sei,  den  Preis  des  englischen 
Tuchs  auf  dem  Markte  immer  mehr  in  die  Höhe  zu  schrau- 
ben3); es  war  nur  eine  missliebige  Minderheit,  welche  anderer 
Meinung  war,  aber  selbst  diese  wünschte  einen  niedrigen  Tuch- 
preis, blos  um  den  Absatz  englischer  Tücher  zu  verstärken 
und  die  Concurrenz  der  Fremden  niederzuwerfen4). 

Das  englische  Volk  war  sich  des  Gegensatzes  seiner  und 
der  fremden  Interessen  auf  diesem  Gebiete  wohl  bewusst,  und 
es  verzichtete  auf  keinen  Vortheil,  der  auf  Kosten  des  Aus- 
landes möglich  war.  Man  war  auch  weit  entfernt,  die  Be- 
reicherung der  Kaufleute,  wenn  sie  in  dieser  Weise  geschah, 
mit  ungünstigen  Augen  anzusehen.  Nur  wenn  im  Inlande  selbst 
die  Interessen  sich  kreuzten,  mussten  die  einen  hinter  den 
andern  zurückstehen;  so  wurden  vielfach  die  Agrarinteressen 
den  Industrieinteressen  untergeordnet.  Um  den  Gewerbs- 
leuten billige  Lebensmittel,  billige  Rohproducte  zu  liefern, 
wie  dies  in  mercantilistischer  Weise  gewünscht  wurde,  mussten 
die  Landbesitzer  und  Ackerbauer  Opfer  bringen5).    Man  ver- 


*)  Edgars  Ges.  bei  Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  198; 
Rot  Pari.  IL  S.  138;  14  Ric.  IL  c.  4;  Rot.  Pari  IV.  S.  859;  V.  S. 
275,  276,  381,  382;  VI.  S.  164. 

■)  Sieh  oben  8.  447. 

8)  ürk.  Beil.  181. 

4)  „Somme  will  obiect,  and  say  it  is  a  comon  welth  tho  bryng  the 
comodyteys  of  the  realme  to  an  high  pryce;  which  I  vtterly  denye  to  be 
a  comon  welth ;  for  what  maketh  ryddance  or  good  sale  so  moch,  as  whan 
a  eomodyte  is  at  a  pryce  resonable?  As  afore  is  sayd.  whan  Englyssh 
clothes  were  sold  at  a  pryce  resonable,  than  all  other  toren  cloth  steyd, 
tri  that  was  sold.  Bnt  now  is  Englyssh  cloth  brought  to  so  high  a  price, 
that  the  cloth  of  many  contres  is  sold  afore  Englyssh  cloth.  Ana  that 
causeth  merchantes  to  kepe  their  clothes  long  vpon  their  handes,  many 
tymes  to  their  gret  damage.  I  will  say  fnrther.  In  case  this  matter  be 
not  wel  loked  vpon,  the  soner  it  will  be  a  gretter  decay  than  is  yet  per- 
ceyued.  For  cloth  will  be  brought  to  so  high  a  price,  that  thei  will  marre 
all.  Aboue  all  thyngs  beware  of  extremyte;  for  that  euer  sekyth  a  mis- 
cheffe  for  a  remedy.  For  what  with  the  abundance  of  woll,  that  goth 
owt  by  licencys  and  by  the  staple,  foren  realmes  myxing  it  with  their 
course  wollys,  thei  make  better  chepe  cloth  than  Englissh  marchantys  can 
seil;  yea  and  better  for  the  price  etce.  Henry  Brinklow,  Complaynt 
of  Roderyck  Mors  ed.  Cowper  S.  11. 

6)  „—  if  his  grace  will  call  down  the  pryce  of  his  owne  landes  as 
thei  went  ouer  fyfty,  yea  forty  yearys,  and  compell  all  other  landed  men 
to  the  same,  —  a  reformacion  may  be  had,  to  the  Singular  ease  and  com- 
modyte  of  the  comon  welth ,  and  that  many  wayes.  For  this  being  refor- 
med,  aboue  all  other  actes  shal  bryng  the  cloth  of  England  to  a  contynuall 


—    480     - 

folgte  dabei  den  Nebenzweck,  den  Fortgang  der  Einhegungen 
zu  hemmen1). 

Der  industrielle  Fortschritt  und  ein  blühendes  Gewerbe 
werden  in  unserer  Periode  angestrebt,  weil  dadurch  Beschäf- 
tigung gewährt  und  die  Arbeit  gefördert,  der  Müssiggang  mit 
allen  seinen  Lastern  ferngehalten,  die  Sicherheit  und  Ruhe 
des  Landes  garantirt  und  die  Macht  des  Reiches  gestärkt  wird. 
Die  Rucksicht  auf  die  Geldbilanz  kam  auch  in  Frage.  Wir 
werden  im  folgenden  Capitel  diesen  Zusammenhang  näher 
kennen  lernen.  Vorgreifend  können  wir  aber  schon  jetzt  sagen, 
dass  man  zwar  die  Wichtigkeit  des  Geldes  den  damaligen  Ver- 
hältnissen entsprechend  sehr  wohl  zu  schätzen  wusste,  dass 
man  aber  nicht  in  ihm  allein  den  Reichthum  und  das  Wohl 
des  Königreichs  suchte,  wie  dies  zuweilen  später  geschah. 
Freilich  war  auch  bei  den  bessern  Mercantilisten  die  Ueber- 
schätzung  des  Geldes  etwas  Nebensächliches,  für  die  meisten 
war  ein  blühender  mit  Hilfe  der  Regierung  geschaffener  Zu- 
stand des  Handels  und  der  Industrie,  die  Beförderung  der 
Arbeit  die  Hauptsache.  Aber  darin  waren  die  Mercantilisten 
sich  gleich,  dass  sie  einen  Gesammtausdruck  für  die  Handels- 
bewegung suchten.  Dieser  Zusammenfassung  aller  Fäden  in 
der  Handelsbilanz  begegnet  man  in  unserer  Zeit  noch  nicht, 
oder  doch  nicht  in  vollem  Masse.  Es  sind  nur  mancherlei 
Ansätze  dazu  da.  Man  rechnet  bei  einzelnen  Zweigen  nach, 
wie  viel  das  Land  gewinnt  oder  verliert8),  man  sprach  im 
Allgemeinen  von  einem  zu  grossen  Import  gegenüber  dem  Ex- 
port 3)>  aber  man  verzichtete  darauf,  ein  rechnerisches  Ge- 
sammtresultat  zu  gewinnen  und  dasselbe  in  einer  positiven 
oder  negativen  Grösse  aufzumachen.  Bei  der  Anlage  der  eng- 
lischen Zollregister  war  es  allerdings  auch  schwierig,  eine 
solche  Rechnung  anzustellen4). 


vent,  and  all  vytellys  to  a  resonable  price,  that  all  clothys  of  other  con- 
tryea  shal  stey,  whereas  Englyssh  cloth  shal  come  in  place,  aa  in  tymys 
past  hath  done,  which  thing  old  marchantes  and  all  clothvere  can  tel".  H. 
krinklow,  Complaynt  of  Roderyck  Mors  ed.  Cowper  S.  10,  11.  Sieh 
auch  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  60,  62,  70,  73,  74  und  die 
folgende  Note. 

l)  „■—  a  thousand  comon  people  shall  hold  with  the  lang  —  for 
the  mynyshing  of  all  sortes  of  woles  to  the  half  prices  lyke  as  they  were 
in  old  tvme.  Yt  shall  cause  the  pasturers  of  shepe  to  open  their  dosiers 
and  suner  the  more  erth  to  be  wrought  by  workes  of  husbandry  to  encrese 
the  more  plentie  of  vitales  in  the  holl  realme,  that  clothmakers  and  all 
other  artificers  may  kepe  their  howsholdes  good  chepe  and  geve  lesse 
wages  to  all  artificerB  to  make  Inglishe  clothes  and  all  other  thinges  good 
chepe".    Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  64. 

*)  Sieh  oben  S.  88. 

s)  So  schon  1381.  Rot.  Pari.  III.  S.  126.  Sieh  oben  S.  475,  ferner 
33  Hen.  VHI.  c.  2. 

«)  Bd.  D.  S.  5. 


Fünftes  Capitel. 

Die  Geld-  und  Münzpolitik. 


Die  vorausgegangenen  Erörterungen  haben  mit  den  fol- 
genden einen  unmittelbaren  Berührungspunct,  insofern  die 
englische  Geldpolitik  sich  vielfach  solcher  Mittel  bediente,  die 
direct  auf  die  einheimische  Industrie  einwirkten.  Selbstver- 
ständlich ist  dies  aber  nicht  der  einzige  Gesichtspunct,  unter 
dem  wir  diesen  Gegenstand  zu  betrachten  haben.  Bei  der 
fundamentalen  Wichtigkeit,  die  das  Geld  im  Handel  besitzt, 
müssen  wir  vielmehr  die  hervorragendsten  Seiten  des  englischen 
Geldwesens  überhaupt  kennen  lernen.  Noch  heute  gehört  es 
zu  den  schwierigsten  Aufgaben  der  Volkswirthschaftspolitik, 
diesem  grossen  Tauschapparat,  durch  dessen  Vermittlung  die 
Vertheilung  der  Güter  sich  vollzieht,  die  richtige  Organisation 
zu  geben.  Ein  um  so  grösseres  Interesse  dürfte  deshalb  die 
Politik  einer  Zeit  und  eines  Staates  beanspruchen,  welche  noch 
ganz  im  Stadium  der  Versuche  sich  befanden,  gewissermassen 
nur  das  roheste  Gefüge  des  Apparates  besassen  und  mit  allen 
Unvollkommenheiten  desselben  zu  kämpfen  hatten. 

Hier  ist  nun  gleich  auf  einen  Grundmangel  hinzuweisen, 
an  dem  das  ganze  mittelalterliche  Geldwesen  krankte  und  von 
welchem  alle  übrigen  relevanten  Erscheinungen  gewissermassen 
nur  als  Folgen  sich  darstellen,  nämlich  auf  den  geringen  Ge- 
sammtvorrath  an  Edelmetall,  der  nicht  genügte,  das  allgemein 
herrschende  Bedürfniss  nach  Geldverkehr  vollständig  zu  be- 
friedigen. 

Man  braucht  zum  Beweise  hiefür  nicht  auf  den  Zustand 
etwa  unmittelbar  nach  der  Völkerwanderung  hinzuweisen.  „Die 
lebende  Münze"  jener  Zeit  ist  ja  hinlänglich  bekannt 1).    Aber 


ft)  Irland  rechnete  noch  1331  nach  Viehwahning.  Macpherson  I. 
S.  505.  Vgl.  auch  v.  Inama-Sternegg,  Deutsche  wirthschaftsgeschichte 
1879.  B.  I.  S.  180  fg.;  W.  Wackernagel,  Kleinere  Schriften  1.  Ab- 
handlungen zur  Deutschen  Alterthumskunde  und  Kunstgeschichte  S.  55  fg. 

Schanz,  EngL  Handelspolitik.    I.  31 


—    482    — 

auch  viel  später,  als  die  Sicherheit  schon  grösser  geworden, 
die  continentalen  Bergwerke  bereits  Tüchtiges  leisteten,  war 
die  Menge  des  Edelmetalls  noch  sehr  beschränkt.  Im  15.  Jahr- 
hundert nahm  dieselbe  sogar  wieder  ab,  und  zwar  nach  Man- 
cher Meinung  um  die  Hälfte 1). 

Die  Ursache  lag  in  Asiens  Bedürfniss  nach  Edelmetall 
Nimmt  der  Orient  in  der  modernen  Zeit  allen  lästigen  Ueber- 
fluss  in  sich  auf,  so  entzog  er  im  Mittelalter  dem  Abendland 
selbst  den  notwendigen  Bedarf.  Die  Specereien  des  Ganges- 
und Indusgebietes  konnten  seit  urdenklichen  Zeiten  nur  mit 
baarem  Gelde  bezahlt  werden,  ja  sie  sind  die  erste  Veran- 
lassung geworden,  dass  die  Edelmetalle  die  Geldfunction  über- 
nahmen2). Der  Zusammenhang  zwischen  der  Bewegung  der 
Edelmetalle  und  den  morgenländischen  Specereien  war  so  gross, 
dass  im  Mittelalter  Orte,  wie  Goslar,  Hauptmärkte  für  die 
Droguen  und  Gewürze  werden  konnten,  nicht  etwa,  weil  sie 
durch  ihre  Lage  an  sich  besonders  geeignet  dazu  waren,  son- 
dern blos,  weil  sie  Silberbergbau  trieben.  Dieser  Geldabfluss 
nach  dem  Morgenland  war  auch  bekannt.  Als  die  Portugiesen 
den  Gewürzhandel  an  sich  zogen,  stellten  ihre  Feinde  und 
Neider  wiederholt  dies  Moment  in  den  Vordergrund 3). 

1492  soll  Europa  nicht  mehr  als  eine  Milliarde  Francs 
Baargeld  gehabt  haben 4) ,  während '  heute  Deutschland  allein 
über  2  Milliarden  Mark  Münzen  besitzt.  Daher  der  hohe 
Geldwerth  jener  Zeit,  daher  jenes  das  ganze  Zeitalter  charac- 
terisirende  beinahe  krankhafte  Suchen  nach  neuen  Goldländera 
und  nach  der  chemischen  Formel  zur  Darstellung  der  edlen 
Metalle,  daher  theilweise  auch  die  Münzverschlechterungen 
während  des  Mittelalters;  selbst  die  Erscheinung  des  rascheren 
Uml  ufs  des  Geldes  mit  der  Wende  des  15.  Jahrhunderts  auf 
dem  Continente  kann  man  als  eine  Folge  der  Geldnoth  be- 
trachten, so  wenig  auch  verkannt  werden  soll,  dass  noch  an- 
dere sehr  wesentliche  Momente  wie  die  grössere  Rechtssicher- 
heit  hiezu    beitrugen.     Selbstverständlich    wurde   auch    eine 


*)  P  e  s  c  h  e  1 ,  Werthschwankungen  der  Edelmetalle.  Deutsche  Viertel- 
jahrsschrift Nr.  64,  S.  16  fg.;  Derselbe.  Geschichte  des  Zeitalters  der 
Entdeckungen  S.  26—29. 

*)  Kiesselbach,  Einleitung  in  die  europäische  Handelsgeschichte. 
Ulm  1852.  Derselbe,  Gang  des  Welthandels  und  die  Entwicklung  des 
europäischen  Völkerlebens  im  Mittelalter.  1860. 

s)  Hall,  Chronicle  S.  677  lässt  den  Kaiser  Karl  V.  gegenüber  den 
Portugiesen  sich  äussern :  „I  am  able  to  disturbe  your  doynges  nerer  hand. 
But  for  a  suertie  you  Portyngales  be  enemies  to  all  Christendome;  for  to 
the  Indyans  you  cary  nothyng  but  coyne,  whiche  is  hurt  to  all  countreys, 
wherefore  at  this  tyme  you  may  depart,  tili  you  be  better  advised".  Als 
Italien  den  Gewürzhandel  an  Portugal  verloren  hatte,  beklagte  es  Trerisani 
in  den  Verhandlungen  mit  dem  Sultan  (1512)  sehr,  dass  das  Silber  nach 
Portugal  für  Pfeffer  abfliesse,  in  Italien  aber  immer  seltener  werde.  Ma- 
rin, Storia  del  commercio  veneziano  VII.  S.  297. 

*)  Pechel  a.  a.  0. 


-     483     - 

Reihe  von  andern  Verhältnissen  von  diesem  Zustand  des  Geld- 
wesens beeinflusst;  namentlich  gilt  dies  von  der  gesammten 
Preisbewegung. 

Dieser  geringe  Geldvorrath  erklärt  auch,  weshalb  damals 
alle  Staaten  gleichzeitig  über  die  Geldausführ  sich  beklagten x). 
Sieht  man  von  dem  Abfluss  nach  Asien  ab,  so  war  es  doch 
unmöglich,  dass  alle  nur  verloren,  nicht  auch  einzelne  ge- 
wannen. Aber  an  der  Klage  ist  soviel  wahr,  dass  man  das 
Ungenügende  der  Gesammtmenge  fühlte  und  jeder  auch  kurz 
andauernde  z.  B.  durch  ungünstige  Ernte  oder  Krieg  veran- 
lasste Geldexport  sofort  sehr  stark  wirkte2);  diese  Erscheinung 
konnte  leicht  verallgemeinert  oder  als  etwas  Dauerndes  ange- 
sehen werden. 

Dieser  Characteristik  entsprechen  vollständig  die  Angaben, 
die  wir  über  England  besitzen.  Auch  England  hatte  nur  einen 
massigen  Edelmetallschatz.  Unsere  gesammten  späteren  Aus- 
führungen werden  dies  beweisen.  Hier  nur  einige  Data,  die 
diesen  Satz  erhärten. 

Zunächt  verweise  ich  auf  die  englischen  Ausprägungen. 
Von  Eduard  I.  bis  zum  Tode  Heinrichs  VII.  wurden  nur  für 
1 185 198  £  Silber  und  von  Richard  IL  bis  zum  Tode  Hein- 
richs VH.  nur  für  446  908  j£  Gold  ausgemünzt,  der  jährliche 
Betrag  von  12V2— 1509  war  somit  6886  g  heutiger  Währung8). 
Kann  nun  auch  nicht  bestritten  werden,  dass  viel  fremdes 
Geld  in  England  circulirte,  mehr  als  das  Doppelte  oder  Drei- 
fache des  einheimischen  Geldes  wird  es  doch  nicht  betragen 
haben.  Eine  weitere  Bestätigung  findet  die  Annahme  einer 
geringen  Geldmenge  in  den  grossen  Störungen,  die  einzelne 
Geldentzüge  hervorriefen.  Bekannt  ist,  wie  schwierig  es  war, 
nachdem  Richard  Löwenherz  für  seinen  Kreuzzug  den  10.  Theil 
der  beweglichen  Habe  an  sich  gezogen  und  grössere  Summen 
exportirt  hatte4),  das  Lösegeld  von  150  000  Mark  Silber  Kölner 
Gewichts  aufzubringen.  Selbst  das  Kirchengeschiri-,  namentlich 
die  Kelche,  mussten  eingeschmolzen  werden6).  Als  im  13. 
Jahrhundert   Richard    von    Cornwall    behufs    Belohnung    der 


*)  Vgl.  Schmoller,  Zur  Geschichte  der  nationalöconomischen  An- 
sichten in  Deutschland  während  der  Reformationsperiode.  Tüb.  Zeitschr. 
für  ges.  Staatswissenschaften  1860.  S.  639,  640. 

*)  Beispiele  dafür  lassen  sich  sogar  noch  aus  der  2.  Hälfte  des  16. 
Jahrhunderts  beibringen;  vgl.  Burgon,  Life  and  times  of  Thom.  Gresham 
I.  S.  151  fg.;  289  fe. 

*)  Ruding,  Annais  of  the  coinage  of  Great-Britain.  Vol.  I.  S.  135. 
Jacob,  An  historical  inquiry  into  the  production  and  consumption  of  the 
precious  metals  1831.  I.  S.  369  fg.  Deutsche  Uebers.  von  Eleinschrod  I. 
S.  264  fg. 

')  Angeblich  90  000  U  nebst  3060  Mark  Silber  und  305  Mark  Gold. 
(M.  Paris). 

*)Hoveden,  Cronica  in  S.  210;  IV.  S.  LXXXIIL  M.  Paris, 
Historia  minor  ed.  Madden  IL  S.  11,   43;  III.  S.  209,  213. 

31* 


—    484    — 

Fürsten,  die  ihn  zum  Kaiser  gewählt,  700  000  Pf.  Silber  nach 
Deutschland  exportirte,  wurde  dieser  Entgang  im  Lande  schwer 
empfunden  und  laut  beklagt1).  Während  des  ganzen  14.  und 
15.  Jahrhunderts  beschwerten  sich  die  Gemeinen  im  Parlament 
über  den  Mangel  an  Münze*).  Man  hatte  nicht  Geld  genug, 
um  auch  nur  die  nächsten  Bedürfbisse  zu  bestreiten.  Zwar 
deutet  das  zunächst  daraufhin,  dass  man  nicht  ausreichende  Mengen 
Kleingeld  ausmünzte,  womit  auch  die  in  den  Parlamentsver- 
handlungen erwähnte  Thatsache  übereinstimmt,  dass  Viele  ihre 
Münze  zerschnitten,  um  nicht  beim  Einkauf  den  ganzen  Werth 
derselben  zu  verlieren 3).  Der  Münzer  hatte  ein  Interesse 
daran,  nur  die  grossen  Stücke  auszuprägen,  weil  hier  die  Kosten 
für  ihn  am  geringsten  waren4).  Die  Kleinmünze  war  auch 
am  meisten  bedroht,  weil  die  Ausprägung  hier  eine  sehr  un- 
gleiche war,  und  die  guten  Stücke  sofort  von  den  Goldschmie- 
den eingeschmolzen  wurden.  Trotzdem  dürfte  diese  Erklärung 
nicht  ausreichen.  Vielmehr  macht  die  lange  Dauer,  durch 
welche  die  Beschwerden  steh  hinziehen,  während  die  Könige 
immer  Abhilfe  versprechen  und  die  Sache  durch  Verträge 
später  sogar  durch  Gesetz  regeln,  es  wahrscheinlich,  dass  die 
Geldmenge  überhaupt  nicht  ftir  den  innern  Verkehr  genügte. 

An  diesem  Zustande  hatte  sich  unter  den  beiden  ersten 
Tudors  wenig  geändert.  Wohl  vermochte  Heinrich  VII.  durch 
den  Aufschwung,  den  er  dem  Handel  gab,  sowie  durch  Auf- 
geben der  Kriegspolitik  und  unterstützt  durch  die  fehlerhafte 
Münzpolitik  der  Niederländer5)  einen  für  damalige  Verhältnisse 
beträchtlichen  Edelmetallschatz  zu  sammeln 6),  aber  dieser  kam 
nur  in  geringem  Masse  der  Circulation  zu  Gute,  unter  seinem 
Sohne  floss  der  grösste  Theil  davon  rasch  im  Kriege  gegen 
Frankreich  ab.  Aber  auch  Heinrich  VII.  hatte,  ungeachtet 
von  ihm  die  schlummernden  wirthschaftlichen  Kräfte  seines 
Landes  geweckt  worden  waren,  den  Schatz  nicht  zusammen- 
bringen können,  ohne  einen  Druck  auf  die  Geldcirculation 
auszuüben;  denn  damit  wird  es  doch  wohl  zusammenhängen, 


*)  „Asportata  recesserunt  irreditura  septies  centena  librarum  millia, 
multis  peccatis  cruentata  absque  quotidianis  ejus  redditibue  in  Anglia  suc- 
crescentibus  diatim  asportandis.  Unde  terra  Anglicana  hie  et  aliis  multis 
bonis  praeeipue  numismate  spoliata  coepit  miserabiliter  egere  et  de  spoliis 
alieni  gloriari".    M.  Paris,  Historia  major  ed.  Wate  1640.  S.  949. 

8)  Vgl.  unter  Anderm  Rot  Pari.  IL  8.  62,  160,  276;  III.  8.  64,  319, 
498,  658;  IV.  S.  200,  257,  258;  V.  S.  108. 

*)  Die  Annahme  der  getheilten  Denare  durfte  in  der  altern  Zeit  nicht 
verweigert  werden,  wenn  die  Theilstücke  die  rechte  Form  hatten.  Liber 
Custumarum  ed.  Riley  I.  S.  105. 

4)  Im  Jahre  1444  bewilligte  man  dem  Münzmeißter  für  die  kleinem 
Stücke  einen  grössern  Schlagschatz.    Rot.  Pari.  V.  S.  108. 

Henne,  Histoire  du  regne  de  Charles-Quint  en  Belgique  V.  S.  331. 
1  800  000  £.    Bacon,  History  of  Henry  VIL 


??. 


—    485    — 

wenn  wir  lesen,  dasa  unter  ihm  sogenannte  „private  tokens" 
als  Ersatz  mangelnder  Silbermünzen  benutzt  wurden *). 

Einen  recht  interessanten  Einblick  in  das  Verhältniss  des 
Geldes  zum  Gesammtvermögen  gestatten  uns  die  Parlaments- 
verhandlungen im  Jahre  1523.  Die  herrschende  Meinung  ging 
dahin,  dass  nicht  viel  über  1  Million  £  in  England  circulire  *). 
Als  Wolsey  für  den  König  1523  4  sh  per  jß  Vermögen  ver- 
langte, erklärten  die  Commoners  diese  Abgabe  geradezu  für 
eine  unmögliche.  Sie  hielten  zwar  die  Schätzung  Wolseys, 
dass  das  ganze  englische  Volksvermögen  4  Millionen  j£  betrage, 
für  zutreffend,  benützten  aber  diese  Angabe  zu  ihrer  Opposi- 
tion. Man  hob  nämlich  hervor,  dass  nur  der  vierte  Theil  des 
Nationalvermögens  auf  das  Geld  treffe,  indem  1  Million  auf  die 
Grundbesitzungen  und  2  Millionen  auf  die  bewegliche  Habe  zu  rech- 
nen seien8).  Nehmeman  nun  den  fünften  Theil  des  Vermögens  weg, 
wie  Wolsey  wünsche,  so  besitze  die  Bevölkerung  fast  gar  kein 
Geld  mehr,  und  man  müsse  wieder  wie  einstens  zu  Leder- 
geld greifen4).  Nun  auch  das  würde  man  ertragen ,  aber  es 
sei  doch  auch  die  Möglichkeit  ins  Auge  zu  fassen,  dass  der 
König  im  Krieg  in  Gefangenschaft  gerathe.  Womit  wolle  man 
ihn  dann  auslösen?  Die  Franzosen  verlangten  jetzt  schon  für 
ihre  Weine  nichts  als  Gold,  würden  sie  den  Fürsten  um  Leder 
wieder  hergeben6)?  Andere  machten  auch  auf  die  ungleiche 
Vertheilung  des  Geldes  aufmerksam.  Sie  legten  dar,  dass 
zwar  der  vierte  oder  fünfte  Theil  des  Volksvermögens  in  Geld 
bestehen  könne.  Das  treffe  aber  nicht  für  jeden  Einzelnen  zu. 
Fünf  Personen  seien  ganz  gut  mit  Geld  versehen ,   dafür  aber 

*)  Ruding,  Annais  of  the  coinage  of  Great-Britain  II.  S.  69.  Solche 
Geldzeichen  wurden  jedoch  auch  noch  später  gebraucht.  Sieh  Cotton, 
Posthuma  S.  197,  200. 

*)  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  wo  besonders  der  Edelmetallzufluss 
aus  Amerika  sich  geltend  gemacht  hatte,  wurde  die  umlaufende  Geldmenge 
auf  4  Mill.  £  geschätzt  (Hume,  History  of  England  Gh.  44.  App.).  unter 
Karl  II.  auf  6  Mill.  bei  einer  Bevölkerung  von  6  Mill.  Menschen.  (Petty, 
Seyeral  essays  179),  jetzt  anf  131  Vs  Mill.  £  mit  31,8  Mill.  Einwohner 
(Jevons,  Geldverkehr  1876.  S.  168). 

a)  Im  Jahre  1224  ergab  Vis  von  allem  beweglichen  Vermögen  rund 
57839  *;  im  Jahre  1233  %  =  16475  £  ;  im  Jahre  1237  780  «22594 
*,  unter  Eduard  III.  V15  und  VM  —  60  000  £.  Das  bewegliche  Vermögen 
stellte  sich  sonach  auf  867  580  £,  659  000  €\  677  820  £,  600000  £\  sieh 
Liber  Ruber  Scaccarii;  Hunter,  Three  Gatalogues  S.  22;  sowie 
Stubbs  II.  S.  549.  Vergleicht  man  mit  diesen  Daten  die  Schätzung  von 
2  Mill.  £  beweglicher  Habe  für  die  Zeit  Heinrichs  VIII.,  so  wird  man 
diese,  wenn  die  Geldverschlechterung  und  die  Zunahme  des  Reichthums  in 
Rechnung  gezogen  wird,  nicht  unwahrscheinlich  finden.  Vielleicht  ist  sie 
noch  etwas  zu  niedrig. 

4)  Solches  wurde  von  Johann  ausgegeben.  Jacob.  Produktion  und 
Consumtion  der  edlen  Metalle  I.  S.  216.  Auf  dem  Continent  emittirten 
Kaiser  Friedrich  II.  und  Ludwig  d.  H.  in  Zeiten  grosser  Noth  Ledergeld. 
Wachsmuth,   Culturgeschichte  II.  S.  312. 

6)  Brewer,  Cal.  IH.  S.  2958.  Die  Rede  wurde  wahrscheinlich  von 
Oromwell  gehalten. 


—    486    — 

5000  auch  nicht;  der  Landedelmann  habe  nicht  den  fünften 
Theil  seines  Besitzes  in  Geld1),  eben  so  wenig  der  Kaufmann, 
der  reich  an  Seide,  Wolle,  Zinn,  Tuch  und  dergleichen  Waaren 
sei  oder  der  Landbauer,  der  Koni  und  Vieh  besitze,  oder  der 
Productenhändler  und  Handwerker,  der  Ueberfluss  an  Haus- 
haltungsstoffen habe.  Ziehe  der  König  alles  Geld  an  sich, 
dann  müsse  man  wieder  zum  rohen  Tausche  zurückkehren  und 
wieder  Tuch  für  Fleisch,  Brod  für  Käse  u.  s.  f.  einhandeln2). 

Obwohl  die  Regierung  mit  dem  10.  Theil  (statt  mit  dem  fünf- 
ten) des  Volksvermögens  sich  begnügte,  so  stiess  selbst  da  die 
Erhebung  auf  die  grössten  Schwierigkeiten,  so  dass  ein  weiser 
Mann  an  Lord  Surrey  schrieb:  „Ich  bete  zu  Gott  dem  All- 
mächtigen, man  möge  das  Geld  gut  und  friedlich  erheben, 
ohne  dass  der  König  den  guten  Willen  und  die  treuen  Herzen 
seiner  Unterthanen  verliere,  die  ich  als  einen  weit  grossem 
Schatz  für  einen  König,  denn  Gold  und  Silber  erachte"  3). 

Wie  berechtigt  die  Klagen  der  Gemeinen  waren,  zeigte 
sich  namentlich,  als  kurz  darauf  der  König  noch  eine  sogen, 
freiwillige  Anleihe  beanspruchte.  Eine  förmliche  Krisis  trat 
ein.  Das  Geld  wurde  entsetzlich  theuer;  der  Geldmangel  war 
allgemein.  Die  Steuercommissäre  berichteten  an  Wolsey,  die 
Leute  müssten  Korn,  Vieh  und  andere  Waaren  mit  grossem 
Verlust  losschlagen 4).  Männer,  die  man  früher  auf  1—200  £ 
geschätzt,  könnten  keine  20  Nobel,  manche  nicht  einmal  40  sh 
in  baarem  Gelde  zahlen5).  Selbst  in  reichen  Städten  ver- 
mochten die  Leute  nicht  zu  geben,  was  die  Regierung  verlangte. 
In  Norwich,  dem  Centrum  der  Worstedmanufactur ,  boten  die 
Fabricanten  ihr  vergoldetes  Geschirr  und  ihr  Silbergeräthe  an. 
Geld  aber,  erklärten  sie,  könnten  sie  nicht  geben,  das  Ge- 
deihen ihrer  Stadt  hänge  davon  ab,  Tausende  von  Webern  und 
Spinnern  wollten  jede  Woche  in  baarem  Gelde  bezahlt  sein6). 

x)  Hollinshed  sagt  von  der  Geldarmuth  der  Farmer  um  1500 :  nIf  one  of 
them  did  cast  down  bis  purse  and  therein  a  noble  or  six  Shillings  in  süver 
(for  such  men  cared  not  for  gold,  because  it  was  not  so  ready  payment 
and  they  wer  often  enforced  to  give  a  penny  for  the  exchange  of  an  angel), 
it  was  very  likely,  tbat  all  the  rest  could  not  lay  down  so  much  against  it*. 

*)  Hall,  Chronicle  S.  656.  Wie  Thomas  More  das  Parlament  in 
Betreff  eines  Geldmangels  zn  beruhigen  suchte,  sieh  Herbert,  Life  and 
reign  of  Henry  the  Eighth  bei  Kennet  IL  S.  55.  Unter  anderm  sagt  er  auch 
/  da:  „You  need  not  fear  the  scarceness  of  money;  for  the  intercourse  being 
'  so  established  throughout  the  world,  there  always  will  be  a  perpetual 
circulation  of  all,  thatis  necessary".  Üeber  die  Erbitterung  des  Volkes  bei 
der  Geldausfuhr  behufs  Unterstützung  des  französischen  Königs  im  Jahr 
1528  sieh  Hall,  Chronicle  728. 

a)  Brewer,  Cal.  III.  3024. 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  1662.  Auf  den  Märkten  in  Kent  kehrten  die 
Leute  mit  Vieh  und  andern  Waaren  wieder  heim,  weil  sie  nur  Kaufer 
hatten  finden  können,  wenn  sie  unter  dem  halben  sonst  üblichen  Nominal- 
preise ihre  Verkaufsartikel  abgegeben  hätten.    Brewer,  OaL  IV.  1305. 

B)  Brewer,   Cal.  IV.  1272. 

«)  Brewer,  Cal.  IV  1235. 


—    487     - 

Wenn  noch  in  der  Zeit  Heinrichs  VIII.  eine  allerdings 
starke  Anziehung  der  Steuerkraft  eine  so  intensive  Geldkrisis 
hervorrufen  konnte,  dann  wird  man  den  verhältnissmässig  ge- 
ringen Edelmetallvorrath  auch  bei  England  als  erwiesen  an- 
nehmen dürfen.  Zugleich  ergibt  sich  aus  den  vorgeführten 
Momenten,  wie  sehr  die  Geldcirculation  auf  dem  platten  Lande 
noch  der  Steigerung  fähig  war,  und  welche  Bedeutung  das  Volk 
dem  Geldverkehr  gegenüber  dem  Tauschverkehr  beilegte1). 
In  dieser  Thatsache  einer  geringen  und,  fügen  wir  gleich  bei, 
mangelhaft  organisirten  Geldcirculation  ist  gewiss  auch  eine 
der  Ursachen  zu  erkennen,   weshalb  die  Volkswirtschaft  im 


*)  Hiefür  sind  noch  besonders  die  drei  volksw.  Denkschriften  heraus- 
gegeben von  Pauli  zu  vergleichen.  Alle  Ausfuhrungen  sind  hier  von  dem 
Gedanken  durchdrungen,  dass  die  Politik  des  Staates  das  Ziel  verfolgen 
müsse,  dem  Lande  Geld  zuzuführen,  damit  die  Geldcirculation  stattfinde 
und  der  Herrscher,  wenn  die  Noth  es  erheischt,  hinlängliche  Geldsteuern 
erhalten  könne,  ohne  dass  das  Land  in  eine  Geldkrise  verwickelt  werde. 
So  heisst  es  S.  32.  „The  holl  welthe  of  the  reame  is  for  all  our  riche 
comodites  to  gete  owt  of  all  other  reamys  therfore  redv  money;  and  alter 
the  money  is  brought  into  the  hoU  reame,  so  eball  all  people  in  the  re- 
ame be  made  riche  therwith.  —  It  shall  be  the  gret  welth  tho  the  kyng  and 
all  his  lords  to  sett  as  moche  peple  as  can  be  to  artificialite,  for  as  moch 
äs  they  labour  and  werke  all  for  money,  that  ther  money  may  alwey  rönne 
owt  of  ther  hands  into  the  hands  of  such  as  occupieth  housbondry  for 
ther  mete  and  drynk,  which  money  shuld  so  rönne  owt  of  the  housbonds 
hands  into  the  hands  of  the  kyng  and  of  his  lords  of  the  erth. 

S.  63.  After  the  moste  parte  of  his  common  people  to  sett  to  the 
workes  of  husbandry  to  encresse  plentie  of  vitalies ,  the  other  lesse  parte 
of  his  people  to  be  set  the  workes  of  artificialite  to  make  clothing  and  to 
make  all  other  thinges  nedfull  and  necessary,  wherby  to  encresse  plentie 
of  money,  wherwith  to  by  ther  bodyly  lyving.  So  shall  all  the  workers 
of  husbandry  have  plentye  of  money  for  their  vitalles  of  the  workes  of 
artificialite  and  so  shall  the  one  parte'  of  the  people  worke  for  meate  and 
drinke  and  that  other  parte  for  money. 

S.  69.  Therfor  all  the  gold  anj|  silver  brought  into  Englonde  by 
strangers  shall  be  in  market  townes  by  clothmakers  paied  for  wages  to 
their  artificers,  which  with  the  same  money  shall  bye  vitalles  of  husbande 
men  and  fermers  in  all  contreys  in  the  realme  and  by  their  handes  the 
same  money  shall  come  to  the  handes  of  the  king  and  his  lordes  and  so 
shall  gold  and  silver  encresse  yerly  in  Englonde  and  make  the  holl  body 
of  the  realme  riche,  and  so  shall  the  lang  and  his  lordes  be  riche  like 
as  in  old  tyme  to  have  no  nede  to  stody,  how  to  gader  money,  out  of 
that  title  quantitie  of  money,  which  is  in  the  handes  of  the  commons,  in 
the  realme  to  make  scarsite. 

S.  61.  Our  sovereign  lorde  the  king  of  Englonde  cannot  gather  ha- 
bundaunce  of  golde  and  silver  out  of  the  Landes  of  common  people  in  the 
body  of  his  realme  without  they  have  it.  Therfor  his  grace  muste  firste 
percyve  and  knowe,  what  plenty  of  golde  and  silver  is  in  the  realme  and 
that  golde  and  silver  may  be  brought  out  of  other  realme  and  contreys  into 
Englonde  as  moche  yerly,  as  the  king  thinkith  to  gather  out  of  the  han- 
des of  the  comon  people,  or  elles  muste  nedis  make  scarsite  of  money  in 
so  moche,  as  no  gold  nor  silver  growith  in  Englonde,  but  that  shuld  be 
brought  out  of  other  contreys  into  Englond  for  the  rieh  commodities  gro- 
wing  therin  which  Godd  yerly  gevith  to  all  the  common  people  to  worke 
for  the  welth  of  the  body  of  the  realme".    Vgl.  auch  noch  S.  42,  71  und  72. 


—    488    — 

Mittelalter  überhaupt  und  namentlich  auch  die  englische 
nur  langsam  sich  entwickeln  konnte.  Das  Resultat,  zu  dem 
wir  gelangten,  möchte  auffallend  erscheinen,  nicht  sowohl  des- 
wegen, weü  Amerika  schon  lange  entdeckt  war  —  denn  es 
ist  ja  bekannt,  dass  erst  seit  1547  der  Edelmetallzufluss  von 
dem  neuen  Welttheil  in  grösserem  Massstab  stattfand1)  — , 
sondern  deswegen,  weil  es  kaum  einem  Zweifel  unterliegen 
kann,  dass  die  Handelsbilanz  für  England  während  des  Mittel- 
alters günstig  war.  Der  Ueberschuss  des  Ausfuhrwerths  über 
den  Einfuhrwerth  nahm  zwar  im  Laufe  der  Zeit  ab,  aber  es 
kann  doch  ein  solcher  selbst  noch  für  die  Zeit  Heinrichs  VIIL 
angenommen  werden ;  er  betrug  c.  6  °/0  des  Gesammthand  eis  *). 
Nimmt  man  hinzu,  dass  der  englische  Aussenhandel  mehr  und 
mehr  in  die  Hände  Einheimischer  geleitet  wurde,  so  dass  der 
Handels-  und  Frachtgewinn,  der  früher  vorwiegend  den  Fremden 
zugekommen  war,  nun  dem  Inlande  erhalten  blieb3),  so  sollte 
man  meinen,  die  mehre  Jahrhunderte  lang  im  Durchschnitt 
günstige  Handelsbilanz  habe  England  einen  mehr  als  genügenden 
Antheil  am  Edelmetallvorrath  verschaffen  müssen.  Auch  hätte 
seine  Volkswirtschaft  gewiss  noch  eine  sehr  grosse  Menge  von 
Edelmetallgeld  festhalten  können4);  denn  die  Arbeitsteilung 
und  Geldwirthschaft  waren  noch  unendlich  steigerungsfähig. 
Allein  es  ist  zu  erwägen,  dass  der  günstigen  Handelsbilanz  sehr 
häufig  eine  ungünstige  Geldbilanz  gegenüberstand.  Der  Ur- 
sachen, welche  das  Geld  wieder  ausser  Landes  führten,  gab 
es  viele. 

Vor  Allem  war  es  die  Politik,  welche  den  heimischen 
Geldbestand  fortwährend  schwächte.  Ein  geringer  Posten  traf 
auf  die  Gesandtschaften,  ein  um  so  grösserer  auf  die  Kriege. 
Namentlich  der  hundertjährige  Kampf  mit  Frankreich  erschöpfte 
fortwährend  den  Edelmetallbestand  des  Reichs 6).   Nach  glück- 


)  Soetbeer,    Edelmetallproduction    in    Petermanns   Mittheilungen, 


Ergänzungsheft  Nr.  57.  1879.    S.  107 
*)  Sieh  Bd.  IL  8.  35. 


2) 

s)  Sieh  Abschn.  I  und  Capitel  2  des  Abschn.  IL  Dass  es  sich  dabei 
um  nicht  unbeträchtliche  Summen  handelt,  mag  man  daraus  entnehmen, 
dass  beim  Weiu  sowohl  im  14.  Jahrhundert  (vgl.  Rot  ParLI.  S.  409. 
1321/22),  als  zur  Zeit  Heinrichs  VIII.  (Tgl.  Brewer,  Cal.  IV.  5109)  der 
Fracbtgewinn  \/4 — V8  des  englischen  Weinpreises,  in  Summa  c  20000  £ 
betrug. 

4)  Ueber  die  dem  Geldverkehr  in  England  günstigen  Bedingungen  sieh 
unter  Anderm  auch  J.  G.  Hof  mann,   Die  Lehre  vom  Gelde  S.  178,  180. 

s)  Ueber  den  Kriegsaurwand  gibt  es  nur  vereinzelte  Notizen.  Für  die 
Zeit  Eduards  HI.  z.  B.  vgl.  Longmann,  The  history  of  life  and  timee 
of  Edward  III.  Vol.  L  1869.  S.  15,  17,  28,  89,  91,  116,  117,  118,  147,  157, 
160,  170,  264.  Rymer  IV.  S.  762,  799,  816,  817  u.  s.  w.;  Stubbs  IL 
S.  368-442;  für  die  Zeit  Heinrichs  VI.  Stevenson,  Letters  and  Papera 
illustrative  of  the  wars  of  the  English  in  France  during  the  reign  of  Henry 
the  Sixth.  Vol.  I  u.  II  18öl/64;  für  die  Zeit  Heinrichs  VHI.  sieh  Bre- 
wer s  Cal.,  auch  Henne,  Histoire  du  regne  de  Charles-Quint  en  Belgique. 


-    489    - 

liebem  Erfolg  wurde  ein  kleiner  Theil  der  Kosten  zuweilen 
ersetzt,  es  flössen  Lösegelder  dem  Lande  zu,  und  die  Gemeinen 
im  Parlament  stellten  sogar  einige  Male  das  Ansinnen,  der 
König  möge  doch  mit  den  französischen  und  schottischen  Löse- 
geldern1) den  Krieg  weiter  fQhren  und  sie  nicht  fortwährend 
mitSubsidien  quälen1).  Das  war  natürlich  vergeblich.  Wenn 
man  Gewinn  und  Verlust  aufmachte,  fiel  die  Rechnung  immer 
zu  Ungunsten  Englands  aus.  Die  Festhaltung  des  Eroberten 
kostete  immer  sehr  viel  mehr,  als  die  Einnahmen,  die  man 
aus  den  neuen  Gebieten  zog.  Ein  Beispiel  hiefür  lieferte 
unter  Anderm  Calais.  Unter  Heinrich  VII.  und  VIII.  pflegte 
fast  der  ganze  Wollzoll  zu  seiner  Befestigung  und  Verwaltung 
aufgewendet  zu  werden  3). 

Einen  andern  recht  beträchtlichen  Posten  der  Geldausfuhr 
bildeten  die  kirchlichen  Schätzungen4).  Papst  Innocenz  IV. 
bezeichnete  England  geradezu  als  seine  unerschöpfliche  Geld- 
quelle, und  ganz  ähnlich  äusserte  sich  das  Parlament  im  Jahre 
1377  dahin,  dass  der  Papst,  so  oft  er  Geld  für  seine  Kriege  in 
der  Lombardei  oder  für  Auslösung  seiner  französischen  Freunde 
aus  englischer  Gefangenschaft  brauche,  Subsidien  vom  eng- 
lischen Clerus  verlange6).  Die  für  kirchliche  Zwecke  hinaus- 
gehenden Summen  wurden  besonders  bedeutend,  seit  der  Papst 
eine  Reihe  von  vacanten  Stellen  an  Ausländer  verlieh,  die  gar 
nicht  persönlich  ihres  Amtes  in  England  walteten,  sondern, 
nachdem  sie  das  Einkommen  des  ersten  Jahres  an  den  Papst 
abgetreten,  auch  ihrerseits  die  übrigen  Revenuen  im  Ausland 
bezogen.  In  einer  Petition  vom  Jahre  1350/51  wird  behauptet, 
der  Betrag,  der  an  den  römischen  Hof  gelange,  sei  grösser, 
als  das  Einkommen  des  Königs 6),  und  in  einer  andern  Petition 
vom  Jahr  1377  wird  mit  Verdruss  darauf  hingewiesen,  dass 
der  päpstliche  Collector  zu  London  einen  grossen  Palast  be- 
wohne, ein  ganzes  Heer  von  Schreibern  und  Beamten  habe, 
als  wie  wenn  er  für  einen  Herzog  oder  Fürsten  die  Steuern 
einnehme7).  Die  heftige  Reaction,  welche  in  England  gegen 
die  päpstlichen  Uebergriffe  sich  erhob,   schränkte  auch  diese 


*)  Ueber  diese  vgl.  Longmann  a.  a.  0.  I.  S.  48,  294:    II.  S.  58. 

*)  Rot  Pari.  IL  S.  823.  (1376). 

s)  Zur  Zeit  Richards  IL  wurden  24  000  £  für  Calais  aufgewendet; 
Bot  Pari.  III.  S.  346.  Ueber  spatere  Kosten  vgl.  Rot.  Pari.  V.  S. 
234  (1458).  Gbronicle  of  Calais  ed.  J.  6.  Nichols.  London  1846 
(Camden  Society)  u.  Brewer,  Cal.  passim. 

4)  Vgl.  über  diese  besonders  Hoveden,  Chronica  ed.  Stubbs  IV.  S. 
188;  M.  Paris,  Historia  minor  ed.  Madden  IL  S.  478,  492,  501,  502, 
503,  507 ;  III.  S.  12,  17,  19  etc.  Für  die  Zeit  Heinrichs  VIU.  sieh  Starkey, 
England  in  the  reign  of  King  Henry  the  Eighth  ed.  Cowper  S   199. 

«)  Rot.  Pari.  50  Ed.  III.  Nr.  45,  46. 

6)  „Et  si  amount  ele  annuelment  plus  qe  le  roi  empört  de  son  roialme." 
Rot  Pari.  IL  S.  228. 

7)  Rot  Pari  50  Ed.  III.  Nr.  45,  46. 


—    490    — 

Missbräuche  ein;  doch  betrugen  die  in  der  Zeit  von  2  Hen. 
VII.  bis  23  Hen.  VIII.  nach  Rom  geflossenen  Annates  noch 
80000  Ducaten1),  der  Peterspfennige,  Dispensgelder  u.  s.  w. 
gar  nicht  zu  gedenken.  Darüber  kann  also  kein  Zweifel  be- 
stehen, dass  bis  zur  Reformation  die  Kirche  den  Geldvorrat h 
um  nicht  wenige  Procente  erleichterte. 

Eine  weitere  Ursache  des  Geldexportes  lag  in  den  häufi- 
gen Reisen  nach  dem  Continent.  Die  grosse  Reiselust  der 
Engländer  stammt  nicht  erst  von  heute,  sie  war  schon  im 
Mittelalter  vorhanden.  Durch  die  Wallfahrtsorte,  namentlich 
die  spanischen  *),  wurden  sogar  die  Massen  des  niedern  Volkes 
veranlasst,  den  Continent  zu  besuchen.  Allerdings  gab  es  auch 
solche  in  England,  denen  fleissig  von  den  Bewohnern  des  Con- 
tinents  zugesprochen  wurde.  Wer  der  gewinnende  Theil  war,  lässt 
sich  natürlich  nicht  bestimmt  sagen.  Von  nicht  untergeordneter 
Bedeutung  waren  feiner  die  persönlichen  Ausgaben,  welche  die 
englischen  Kaufleute  auf  dem  niederländischen  Markte  mach- 
ten. In  den  Denkschriften  aus  der  Zeit  Heinrichs  VIII.  wer- 
den hiefür  20  000  Mark  angesetzt3)  und  diese  als  ein  Verlust 
angesehen,  weil  man  meinte,  derselbe  Betrag  würde  England 
zufliessen,  wenn  der  Markt  anstatt  in  Antwerpen  in  London 
wäre. 

Schwer  geschädigt  wurde  das  englische  Geldvermögen  auch 
durch  die  häufige  Ausfuhr  des  guten  Geldes  und  Einfuhr  des 
schlechten.  Geschah  diese  Ersetzung  des  guten  Standards 
durch  den  schlechten,  wie  vorwiegend,  durch  die  Fremden,  oder 
benützten  Einheimische  den  Gewinn  zur  Verstärkung  des  Waa- 
ren-Imports,  so  war  nicht  eine  blose  Vermögensverschiebung 
unter  den  Engländern  eingetreten,  sondern  England  war  tat- 
sächlich um  die  Differenz  an  Geld  ärmer  geworden.  Häufig 
war  der  Export  in  Folge  fehlerhafter  Münzpolitik  verschuldet; 
wir  begegnen  wiederholt  Beispielen,  dass  man  das  Werthver- 
hältniss  zwischen  Gold  und  Silber  unrichtig  normirte4). 

Sehr  gross  war  ferner  der  Verlust  an  Geld  durch  die  Ab- 
nützung. Man  darf  als  sicher  annehmen,  dass  diese  viel  be- 
deutender war,  als  in  der  Neuzeit;  denn  die  Ausprägung  war 
eine  unvollkommenere,  und  die  Münzen,  namentlich  die  für  den 
Kleinverkehr,  waren  viel  zu  fein. 

Endlich  wurde  der  Circulation  eine  grosse  Menge  Geld 
durch  Einschmelzen  zu  Gold-  und  Silberwaaren  entzogen.  Das 
war  allerdings  kein  Verlust,  wie  in  den  vorangegangenen  Fällen, 
veranlasste  jedoch  eine  Verschlechterung  des  Münzfasses,  inso- 


')  23  Hen.  VIII.  c.  20. 

*)  Vgl.  Rymer  IX.  S.  8,  16,  375  fe. 

3)  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  aus  d.  Z.  Heinrichs  VIII  S. 67. 

*)  So  namentlich  auch  unter  Heinrich  VIIL  zur  Zeit  der  Munzrer- 
ßchlechterung,  wo  die  Relation  auf  1 : 5  herabsank,  wodurch  natürlich  alles 
Gold  aus  dem  Lande  getrieben  wurde.     Sieh  unten  S.  537. 


—    491    — 

fern  die  Goldschmiede  die  neu  und  best  ausgeprägten  Stücke 
einschmolzen.  Den  Goldschmieden  wurde  wiederholt  untersagt, 
Münzen  statt  Barrenmetall  zu  ihren  Arbeiten  zu  verwenden l) ; 
das  Verbot  war  aber  vergeblich,  da  man  seine  Uebertretung 
nicht  controliren  konnte.  Die  Massen  Edelmetalls,  die  der 
Luxus  verschlang,  müssen  geradezu  enorm  gewesen  sein.  Es 
entspricht  dies  nicht  nur  einem  bekannten  Entwicklungsgesetz, 
wonach  der  Luxus  anfangs  mehr  auf  grosse  Pracht,  als  Be- 
quemlichkeit gerichtet  ist2),  sondern  das  in  dieser  Form  aufbe- 
wahrte Edelmetall  war  auch  eine  Art  Rettungsanker  für  den 
Fall  der  Noth.  In  den  vornehmen  Kreisen  bestand  ein  grosser 
Theil  des  Vermögens  aus  Gold-  und  Silbergeschirr.  Als  Hein- 
rich VI.  vom  Cardinal  Beaufort  Geld  geliehen  haben  wollte, 
hatte  dieser  keines,  an  Geschirr  wollte  er  aber  für  4000  £ 
leihen  3).  Etwas  später  verpfändete  er  seine  Edelsteine  und 
sein  Geschirr  für  20  000  jg 4).  Wolseys  Besitz  an  dergleichen 
Dingen  war  bekanntlich  enorm6).  Aber  auch  in  den  Mittel- 
classen  war  diese  Art  von  Luxus  sehr  verbreitet.  Dies  muss 
man  aus  einer  Relation,  die  ungefähr  um  1500  abgefasst  wurde, 
schliessen,  wenn  gleich  nicht  zu  verkennen  ist,  dass  sie  an  Ueber- 
treibungen  leidet.  Darin  heisst  es  unter  Anderm.  dass  in  Lon- 
don am  Strand  nicht  weniger  als  52  Goldschmiedläden  sich  be- 
fänden, so  reich  und  voll  von  Silber,  dass  sie  mehr  enthielten, 
als  die  Goldschmiedläden  von  Rom,  Mailand,  Venedig  und 
Florenz  zusammengenommen;  es  gebe  keinen  kleinen  Haus- 
halter, so  arm  und  einfach  er  auch  sei,  der  nicht  sein  silber- 
nes Tischzeug,  und  keinen,  der  nicht  bis  zum  Betrag  von 
100  £  Silbergeschirr  im  Hause  habe6). 


s)  9  Ed.  m.  st.  2  c.  8;  17  Ria  IL  c.  1;  4  Hen.  IV.  c  10;  17  Ed. 
IV.  c  1:  auch  Rot  Pari.  V.  8.  108. 

*)  Koscher,  Ansichten  der  Volkswirtschaft  aus  dem  geschichtlichen 
Standpnncte  1861.  S.  415  fg. 

»)  Nicolas,  Proceediugs  etc.  V.  S.  199.    (1442). 

«)  Stubbs  in.  S.  182. 

b)  Vgl.  Brewer,  Cal.  IV.  6184,  6789.  6790. 

*)  „Et  a  ciö  che  l'oro  et  l'argento,  che  una  volta  e  entrata  nel  Regno 
vi  rimanga,  e  piü  non  torni  fuora,  hanno  ordinato,  et  osservano  gia  gran 
tempo,  che  ne  moneta  ne  vasi  d'oro  ne  anco  d'argento  possino  sotto  gra- 
vissime  pene  essere  transportati  fuori  d'Inghilterra :  E  ciascnno  che  vadia 
a  torno  per  l'Isola  ben  presto  comprendera  questa  infinita  richezza,  si  come 
havra  potuto  comprendere  V.  Mapificencia  perciö  che  ogni  minimo  hos- 
tiero,  per  povero  et  abietto  che  sia,  nubito  mette  in  tavola  piatti  d'argento, 
et  altn  vasi  per  bere:  ne  reputano  gl'Inglesi  huomo  d'alcuna  consideratione 
quell o  che  non  habbia  in  casa  vasi  d'argento  al  manco  per  100  libre  di 
Bterlini,  che  sono  de  nostri  500  sc.  d'oro:  E  sopra  tutto  tale  richezza  si 
conosca  espressamente  nelli  tesori  ecclesiastici :  Imperö  che  in  tutto  quel 
Regno  non  vi  e  parocchia  si  vile,  dove  non  sieno  croci,  candellieri,  turribili, 
bacüi  e  boccali  crargento :  ne  e  si  povero  conveoto  di  mendicanti,  dove  non 
sieno  tutte  le  medesimi  cose  d'argento  e  molti  altri  ornamenti  pur  d'argento, 
conyenienti  ad  una  chiesa  cathedrale  etc.  —  ma  sopra  tutto  in  Londra  h 
mirabil  copia  di  argenti  lavorati,  non  parlo  di  case  private,  che  l'hoste  in 


—    492    — 

Fasst  man  all  diese  Momente  zusammen,  dann  wird  man 
den  oben  geschilderten  Geldzustand  sehr  begreiflich  finden. 
Ebenso  erklärlich  ist  es,  dass  die  Regierung  dieser  so  eigen- 
thtimlich  gearteten  und  wichtigsten  Seite  der  Wirtschaftspoli- 
tik ihre  Aufmerksamkeit  zuwendete.  Man  fühlte  instinctiv 
heraus,  dass  jeder  Geldzufluss  ein  positiver  Gewinn  für  die 
Volkswirtschaft  sei,  einen  weitern  Fortschritt  in  der  Geldwirth« 
schalt  und  Arbeitsteilung  begiiinde  und  damit  eine  Summe 
neuer  öconomischer  Kräfte  zu  Tage  fördere.  Man  war  sich 
bewusst  der  grossen  Störungen,  die  ein  starker  Abfluss  von 
Geld  und  ein  falsch  geordnetes  Geldwesen  im  Verkehr  erzeugte. 
Man  war  sich  endlich  vollkommen  klar  darüber,  dass  ein  be- 
deutender Edelmetallschatz  im  Lande  der  wesentlichste  Factor 
für  die  politische  Macht  des  Staates  sei !).  In  der  That  ver- 
lieh bei  der  geringen  Creditausbildung  ein  grosser  im  Lande 
circulirender  Geldvorrat!)  einen  ausserordentlichen  Zuwachs  an 
Stärke.  Das  im  Lande  vorhandene  Baargeld  und  Gold-  und 
Silbergeschirr  waren  fast  das  einzige  Reservoir,  aus  dem  man 
schöpfen  konnte.  Nur  sehr  schwer  Hessen  sich  politische  Un- 
ternehmungen auf  den  Staatscredit  gründen. 


Untersuchen  wir  zunächst,  welche  Massregeln  man  hin- 
sichtlich der  Geldbeschaffung  ergriff. 

Das  erste  Material  zur  Ausprägung  von  Münzen  wurde  in 
England  durch  eigene  Minen  geliefert.  Im  13.  Jahrhundert 
muss  ihre  Ausbeute  an  Silber  nicht  ganz  unbedeutend  gewesen 
sein ;  dies  darf  man  daraus  schliessen,  dass  zeitweilig  von  dem 
Silber  an  fremde  Regierungen  verkauft  wurde 8).    Auch  im  14. 


casa  del  quäle  habitava  l'Ambasciatore  Milanese,  ne  haveva  per  100  scudi, 
ma  delle  botteghe  che  sono  in  Londra  »52  d'orefici  in  una  strada  sola,  che 
si  chiama  la  Strada,  che  va  k  San  Paolo,  sono  le  dette  botteghe  tanto 
rieche  e  ripiene  di  vasi  d'argento  grandi  e  piecoli,  che  nelle  botteghe  di 
Milano,  Roma,  Venetia,  e  Fiorenza  insieme  al  parer  mio  non  ne  hanno 
tanti  di  quella  grandezza,  quanti  se  ne  vede  in  Londra:  £  detti  vasi  ser- 
vono  tutti  ö  per  metter  aale,  ö  da  bere,  ö  per  dare  Facqua  alle  mani: 
Imperö  che  nel  mangiare  usano  vasi  di  qnel  nobile  stagno  poco  differente 
in  quanto  alla  bellezza  dello  argento:  Ne  sono  questi  cosi  grandi  richezze 
in  Londra,  perche  vi  sieno  cavalieri  6  baroni  habitanti:  anzi  sono  tutti 
popolari  et  artifici  congretati  da  tutta  l'Isola,  e  della  Fiandra  e  di  qualunque 
altro  luogo".  A  relation  of  the  Island  of  England  abont  tne 
year  1500.  Ed.  and  transl.  by  Ch  A.  Sneyd  London  1847.  Camden 
Sodetv.  S.  28,  29,  42,  43. 

{)  Selbst  für  das  Zeitalter  des  Mercantilismus ,  wo  die  Edelmetall- 
schätze Americas  bereits  geöffnet  und  die  Creditinstitute  schon  ziemlich 
ausgebildet  waren,  wird  dies  Moment  geltend  gemacht  von  Helferich, 
Schwankungen  im  Werth  der  edlen  Metalle.    Nürnberg  1843.  S.  1. 

*)  So  bezog  Graf  Florence  von  Holland  1284  Silber  aus  England. 
Rymer  II.  S.  284. 


—    493    — 

Jahrhundert  wurde  der  Silberbergbau  noch  betrieben.  Die  Ir- 
länder  wollten  wegen  der  Entleerung  der  Insel  an  Edelmetall, 
welche  die  Kaufleute  veranlasst  haben  sollten,  die  Minen  wie- 
der in  Gang  setzen x) ,  und  von  der  Grafschaft  Devon  wissen 
wir  bestimmt,  dass  es  nicht  beim  blosen  Vorsatz  blieb,  son- 
dern dass  zeitweilig  337  Bergleute  thätig  waren  *).  Im  15.  Jahr- 
hundert holte  die  Ergiebigkeit  der  Minen  auf,  der  Abbau  wurde 
allenthalben  eingestellt.  Im  Jahre  1454  petitionirten  die  Ge- 
meinen, der  König  möge  wegen  des  grossen  Geldmangels  die 
Wiederinbetriebsetzung  der  Silberminen  in  Devonshire,  Com- 
wall,  Dorsetshire  und  Sommersetshire  gestatten,  die  Bitte  wurde 
aber  abgeschlagen8).  Ein  Grund  ist  nicht  angegeben.  Der- 
selbe lag  aber  unzweifelhaft  in  den  Bedingungen,  welche  die 
Gemeinen  gestellt  hatten.  Die  Regierung  munterte  direct  wenig 
zum  Silberbergbau  auf,  um  so  mehr  konnte  sie  es  aber  indirect 
thun,  indem  sie  für  ihr  Regal  geringe  Abgaben  forderte.  In 
der  Licenz  von  1338,  in  der  sie  den  Leuten  von  Devon  das 
Graben  nach  Gold  und  Silber  gestattete*),  bedang  sich  der 
König  nicht  weniger  als  Vs  des  raffinirten  Metalls  aus.  Gün- 
stiger lautete  der  Bescheid  gegenüber  der  Petition  der  Irlftn- 
der.  Jeder  durfte  6  Jahre  hindurch  auf  eigenem  Boden  Gold 
und  Silber  suchen  und  ausbeuten,  wofern  der  König  */•  des 
Ertrags  erhielt.  Der  Rest  musste  aber  an  die  Münzstätte  in 
Dublin  zum  Austausch  gegen  Münzen  gebracht  werden,  die 
Barren  durften  nirgendwohin  ausser  nach  England  exportirt 
werden.  In  der  erwähnten  Petition  von  1454  aber  hatten  die 
Gemeinen  nicht  nur  gewünscht,  unter  Aufsicht  kgl.  Beamten 
auf  fremdem  Boden  mit  der  Erlaubniss  des  Eigenthümers  die 
Adern  ausbeuten  zu  dürfen,  sondern  sie  wollten  auch,  der  ge- 
sunkenen Rentabilität  entsprechend,  nur  geringe  Abgaben  be- 
willigen. Der  König  sollte  nur  Vis  der  Ausbeute,  der  Bodeneigen- 
thümer  V16  von  dem  Rest  erhalten.  Man  begreift,  dass  eine 
fiscalisch  gestimmte  Regierung  lieber  auf  ein  besseres  Angebot 
wartete.    Dabei  blieb  aber  der  Bergbau  ganz  liegen. 

Erst  Heinrich  VII. 5)  und  namentlich  Heinrich  VIH.  mach- 
ten wieder  energische  Versuche,  um  einen  lebenskräftigen  Berg- 
bau für  Edelmetalle  zu  schaffen.  Der  grosse  Aufschwung  der 
deutschen  Silberproduction 6)  mag  die  Anregung  gegeben  haben. 
Wolaey  musste  ohnehin  zur  Prüfung  der  Erze  deutsche  Chemi- 
ker verwenden7).    Im  Jahre  1520  schritt  man  zur  Ausbeutung 

*)  Rot.  Pari.  III.  S.  86.  (1379/80). 

•)  Pennant,  Tour  in  Wales.    London  1778.  I.  S.  90,  91. 
8)  Rot.  Pari.  V.  8.  272. 
4)  Rymer  V.  8.  71. 

*)  Sieh  Gairdner.  Letters  and  Papers  of  Richard  III.  and  Henry 
VII.  Vol.  II.  S.  373. 

6)  Soetbeer,  EdelmetaUproduction  S.  15  fg. 

7)  Brewer,  Cal.  IV.  4024,  4639,  4698,      ~ 


—    494    — 

einiger  Adern  in  Devon1),  1524  wurden  Generalsucher  aufge- 
stellt, welche  das  Recht  hatten  Jedermanns  Land  aufzubrechen 
und  nach  Gold  und  Silber  zu  schürfen.  Jeder,  der  eine  Ader 
fand,  war  verpflichtet,  davon  die  Generalsucher  zu  benachrich- 
tigen. Dem  Bodeneigenthümer  wurde  für  den  Fall  eines  Ab- 
baus der  9.  Theil  des  rohen  Erzes  zugesichert  *).  Die  Unter- 
suchungen des  Bodens  wurden  lange  fortgesetzt,  der  Erfolg  war 
aber  unbedeutend.  Späteren  Nachrichten  zufolge  lag  der  Grand 
an  der  Unkenntniss  der  Werkleute 8),  und  damit  stimmen  auch 
andere  Data  überein.  So  war  es  den  englischen  Zinnern  bis 
zum  Jahre  1545  entgangen,  dass  die  Zinnsteine  etwas  Gold 
enthielten,  und  auch  da  lenkte  erst  ein  Fremder  die  Aufmerk- 
samkeit der  Regierung  auf  diese  Thatsache 4). 

Aus  all  dem  ersieht  man,  dass  die  Edelmetallmenge,  die 
England  aus  den  Bergwerken  zog,  wenigstens  seit  dem  Aus- 
gang des  14.  Jahrhunderts  verschwindend  klein  war,  und  dass 
von  da  an  das  Ausland,  beziehungsweise  der  Handel  den  Be- 
darf liefern  musste. 

Wie  schon  oben  erwähnt,  konnte  es,  soweit  der  Handel 
an  sich  in  Betracht  kam,  an  Geldzufluss  nicht  fehlen,  da,  von 
ganz  besonders  schlechten  Erntejahren  abgesehen,  die  Bilanz 
zu  Gunsten  Englands  stand.  Aber  selbst  wenn  die  der  Geld- 
zufuhr  entgegenstehenden  Momente  thatsächlich  wirkten,  so 
wird  doch  immer  wegen  der  geringen  Ausbildung  des  Credit* 
ein  grosser  Theil  des  Ueberschusses  nach  England  gelangt  sein, 
um  freilich  rasch  wieder  abzufliessen.  Vor  Eduard  III.  scheint 
man  gar  nicht  oder  wenig  sich  darum  gekümmert  zu  haben, 
ob  und  wie  dieser  Zugang  stattfinde.  Nur  dafür  war  gesorgt 
dass  Wechselstellen  an  der  Grenze  das  fremde  Geld  aufnahmen 
und  gegen  englisches  vertauschten.    Als  aber  Eduard  HI.  sich 


')  Brewer,  Cal.  HL  644. 

*)  Brewer,  Cal.  IV.  297. 

*)  1563  baten  einige  Deutsche  in  England  um  Incorporation  und  am 
die  Erlaubni88,  von  jeder  Haushaltung  zur  Ausbeutung  der  Minen  Beitrage 
erheben  zu  dürfen.  In  dem  Gesuch  heisst  es  unter  Anderm:  „The  Ute 
Mng  Henry  VUL  and  Charles  Duke  of  Suffolk  were  not  discouraged  firom 
practising  the  working  and  trial  of  metals  by  the  vast  sums  laid  out  t herein 
by  the  great  Turk  in  Syderatopie  etc.  The  late  King  and  Duke  worked 
long  to  discover  the  riches  of  the  country  in  metals,  but  were  stayed  by 
the  ignorance  of  the  workmen".  State  Papers  Cal.  Dom.  Ser.  1601 — 1603 
with  Addenda  1547—1565.  Ed.  Green. 

*)  „One  named  St  Clere  declared,  that  certaine  gould  caled  hoppes 
and  gould  ore  in  every  tynne  werke  belüge,  a  streme  worke  in  the  county 
of  Devon  and  Cornewall  is  by  ignorance  or  necligence  ot  the  tynneres 
moulten  with  the  tynne  and  so  unwares  convaied  into  forraine  partes,  wher 
it  is  devided  to  the  greate  luker  of  the  strangers  for  a  certaine  proofe  and 
tryall  of  the  same".  Die  Regierung  befahl,  (fiesen  Mann  1  Monat  lang  in 
den  Zinnwerken  zuzulassen  und  dann  über  den  Erfolg  zu  berichten.  Acts 
of  the  privy  Council  vom  29.  Mai  1545.   Br.  M.  Harleian  Ms.    256  fo.  13. 


-     495    — 

zum  Krieg  gegen  Frankreich  rüstete,  richtete  sich  das  Interesse 
auch  auf  die  Geldbewegung. 

Man  verhehlte  sich  nicht,  dass  der  Krieg  grosseSummen 
ausser  Landes  führen  werde.  Schon  ehe  nur  der  König  mit 
seinem  Heer  England  verlassen  hatte,  wurde  durch  Concentra- 
tion  der  Geldmittel  in  den  Händen  der  Regierung  der  Geld- 
»mangel  stark  fühlbar.  Es  entstand  die  Frage,  wie  man  der 
bevorstehenden  oder  bereits  begonnenen  Crisis  die  Schärfe 
nehmen  könne.  Man  musste  Sorge  dafür  tragen,  dass  die  Lücke 
möglichst  rasch  wieder  ausgefüllt  werde.  Die  Gemeinen  schlu- 
gen den  „Grossen"  vor,  dass  gewisse  fremde  gute  Münzsorten 
zur  Circulation  zuzulassen,  insbesondere  aber  von  den  Kauf- 
leuten die  Einfuhr  von  Silbermetall  zur  Ausprägung  zu  ver- 
langen sei *).  Dieser  Vorschlag  wurde  acceptirt.  1339  be- 
stimmte Eduard  III.  in  Uebereinstimmung  mit  dem  Parlament, 
dass  für  jeden  Sack  Wolle,  der  expoiürt  werde,  Silber  („plate 
of  silver")  bis  zum  Werth  von  2  Mark  zurückgebracht  und  bei 
dem  kgl.  Wechselamt  gegen  Geld  ausgetauscht  werden  müsse. 
Dieser  Verpflichtung  war  innerhalb  dreier  Monate  nach  ge- 
schehenem Export  nachzukommen,  und  die  Wardeine  des 
Wechselamts  hatten  auf  Grund  der  Zolllisten  dreimal  im  Jahre 
zu  prüfen,  ob  die  Acte  wirklich  durchgeführt  wurde  *). 

Mit  diesem  Gesetz  hatte  man  einen  Weg  beschritten,  der, 
wie  die  Erfahrung  zeigte,  nicht  so  rasch  wieder  verlassen 
werden  sollte.  Es  war  eine  scharfe  Linie  gezogen,  bis  zu 
welcher  der  Exporteur  für  den  Werth  seiner  Ausfuhr  Waaren 
importiren  durfte.  Was  jenseit  der  Linien  lag,  musste  in 
Baarem  dem  Königreich  zugehen.  Man  brauchte  nur  noch 
den  Fremden  zu  verbieten,  dass  sie  für  ihren  Import  Geld  aus- 
führten, um  den  erlangten  Geldbestand  auch  zu  sichern,  und 
wir  werden  sehen,  wie  dies  auch  später  geschah.  Jedenfalls 
lag  aber  in  diesem  Zwang  zum  Geldimport  ein  indirecter  In- 
dustrieschutz, und  lange  festgehalten,  musste  auch  dieses  Mittel 
in  solcher  Weise  wirken. 

Zunächst  wurde  die  Massregel  willig  ertragen,  was  nicht 
zu  verwundern  ist,  weil  sie  eigentlich  nur  einen  factischen 
Zustand  bestimmt  ordnete.  Ihr  Druck  konnte  erst  in  der  Zu- 
kunft sich  offenbaren.  Man  erneuerte  das  Gesetz  1343,  ohne 
dass  ein  Widersprach  laut  wurde.  Um  den  Zufluss  noch  zu 
erleichtern  und  zu  vermehren,  wurde  beschlossen,  den  Woll- 
preis 3  Jahre  lang  in  jeder  Grafschaft  zu  erhöhen  und  Jeden 
zu  bestrafen,  der  unter  dem  Preise  verkaufte;  feiner  wurden 
alle  bisher  üblichen  Münzstätten  wieder  geöffnet s).  Acht  Jahre 
nach  Erlass  der  Acte  wurde  die  erste  Klage  laut.    Die  Fla- 


*)  Rot.  Pari.  IL  S.  105,  113,  127. 

J)  13  Ed.  UI  st  1.  c.  21;  U  Ed.  III.  st  2.  c.  4. 

*)  Rot  Pari.  IL  S.  137  fg.  Rymer  V.  S.  369. 


—    496    — 

mänder  hatten,  vennuthlich  weil  Eduard  HI.  das  Stapel  tob 
Brügge  nach  Calais  verlegt  hatte  JX  die  Ausfuhr  von  Geld  ver- 
boten. Die  Kaufleute  konnten  nur  schwer  dem  Gesetz  genügen, 
weil  sie  das  gewünschte  Silber  nicht  fanden,  und  Viele  ent- 
hielten sich  lieber  des  Wollgeschäfts.  Diese  Vorstellungen 
hatten  aber  nicht  das  Resultat,  dass  die  Acte  aufgehoben 
wurde;  der  König  verwies  vielmehr  auf  die  Motive  des  Ge- 
setzes, wonach  es  dazu  dienen  sollte,  das  Land  wieder  mit 
Geld  zu  füllen8)  und  versprach  deshalb,  nur  mit  Flandern 
wegen  Aufhebung  des  Verbots  unterhandeln  zu  wollen. 

Das  einmal  eingeschlagene  System  begann  eine  stehende 
Einrichtung  zu  werden.  Unter  Richard  II.  verpflichtete  man 
1397  alle  Kaufleute,  fremde  wie  einheimische,  für  jede  Last 
Häute  und  jeden  Sack  Wolle,  die  exportirt  wurden,  eine  Unze 
Gold  fremden  Gepräges  innerhalb  eines  halben  Jahres  nach 
der  Verschiffung  an  die  Londoner  Münzanstalt  zu  bringen, 
eventuell  13  sh  4  d  mehr  an  Zoll  zu  zahlen8).  Zeitweilig 
zwang  man  nicht  blos  die  Exporteure  von  Stapelartikeln,  son- 
dern auch  die  Importeure  von  Luxuswaaren,  als  von  Gold- 
und  Seidentuch,  Edelsteinen,  Pelzwaaren  u.  s.  w.  für  jedes 
Pfund  12  sh  in  Barrenmetall  in  den  Tower  zu  London  zn 
Hefern4).  Der  Gedanke,  dass  der  steigende  Luxus  eine 
Hauptursache  der  Edelmetallausfuhr  sei,  gewann  hier  zum 
ersten  Mal  concreto  Gestalt.  Man  sieht  dies  auch  daraus,  dass 
die  Gemeinen  unmittelbar  an  diese  Bestimmung  den  Wunsch 
anschlössen,  dass  keinem  Adeligen  gestattet  werde,  solche 
Luxuswaaren  zu  tragen ,  es  sei  denn ,  dass  er  40  jj?  jährliches 
Einkommen  besitze,  was  jedoch  der  König  ablehnte. 

Der  Mechanismus,  der  den  Geldzufluss  regeln  sollte,  er- 
fuhr neue  Modificationen,  seit  der  Besitz  von  Galais  nicht  mehr 
ernstlich  gefährdet  erschien,  und  man  glaubte,  das  Stapel 
dauernd  dort  belassen  zu  können.  Es  lag  nahe,  durch  Er- 
richtung einer  Münzanstalt  in  Calais  die  Geldeinfuhr  zu  sichern. 
Das  nach  Calais  von  den  Fremden  gebrachte  Geld  konnte  so- 
fort in  englische  Münze  verwandelt  werden ,  und  war  dies  in 
rationeller  Weise  geschehen,  so  war  es  wahrscheinlich,  dass 
die  neue  Münze  vorwiegend  dem  englischen  Verkehr  zuströmte. 
Ein  weiterer,  gar  nicht  zu  unterschätzender  Vortheil  war  der, 


2)  Varenbergh,  Relations  diplomatique  entre  le  comtö  de  Flandre 
et  l'Angleterre  au  moyen  age.    Bruxelles  1874.    S.  379. 

»)  -pur  replener  la  terre  de  monoie."    Rot.  Pari.  II.  S.  202  (1348). 

*)  Rot  Pari.  III.  S.  840. 

4)  Die  Motivirung  ebenfalls  wieder:  „pur  encresser  Tor  et  I'argeDt 
deinz  le  roialme".  Rot  Pari.  III.  S.  66  (1379).  Die  Bestimmung  hatte 
bis  zum  nächsten  Parlament  zu  danern,  um  zu  erproben,  ob  der  Modus 
nützlich  oder  schädlich  sei.  Die  Proclamation  erfolgte  am  6.  Juni  1379 
(Rymer  Rec  Ed.  IV.  S.  62)  und  wurde  erneuert  1381  (Rot  ParL  1IL 
S.  392). 


—    497    — 

dass  sich  England  dadurch  besser  als  bisher  vor  dem  Ein- 
dringen fremder  und  schlechter  Münzen  schützen  konnte,  das 
fremde  GeW  wurde  nicht  erst  von  den  Wechselstellen  in  Eng- 
land aufgefangen,  sondern  schon  ausserhalb  der  Landesgrenze 
einer  Art  Läuterungsprocess  unterworfen.  Endlich  war  die 
Errichtung  einer  Münzanstalt  für  den  Verkehr  in  Calais 
ausserordentlich  wichtig.  Sie  beförderte  die  Ausdehnung  des 
Marktes.  Es  konnten  die  Kaufleute  von  allerwärts  mit  ihren 
einheimischen  Münzen  oder  mit  rohem  Metall,  selbst  mit  Ge- 
schirr kommen,  ohne  Zurückweisung  von  den  Staplern  be- 
fürchten zu  müssen.  Man  kann  geradezu  deshalb  sagen,  dass, 
seit  man  das  Stapel  von  Brügge  weg  verlegt  hatte,  eine  Eigene 
Münzanstalt  in  Calais  unentbehrlich  war,  wenn  der  Handel 
nicht  verkümmern  sollte. 

Schon  Eduard  III.  richtete  eine  solche  ein.  Wir  wissen 
bestimmt,  dass  wenigstens  nach  dem  Frieden  von  Bretigny 
eine  solche  in  Thätigkeit  war.  Es  sind  Ernennungen  von 
Münzmeistern  uns  überliefert1).  Auch  kennen  wir  Verord- 
nungen aus  dieser  Zeit,  in  denen  der  König  den  Wollkäufern 
befiehlt,  einen  Theil  der  Kaufsumme  (5  Soldz)  in  Gold-  oder 
Silberbarren  an  die  Prägeanstalt  in  Calais  abzuliefern3). 
Eigentümlich  war  nur,  dass  man  nebenher  auch  noch  an  den 
früheren  Bestimmungen  wegen  Ablieferung  von  Barrenmetall 
an  die  Londoner  Münze  festhielt.  Dadurch  war  nicht  nur  die 
Münzstätte  von  Calais  in  ihrem  Wirkungskreis  beengt,  sondern 
diese  mehrfache  Verpflichtung  erzeugte  auch  einen  sehr  fühl- 
baren Druck.  Die  Stapelbehörde  verlangte  Abhilfe  im  Parla- 
ment. Sie  wünschte,  dass  man  die  Kaufleute  von  der  bisher 
fortbestehenden  Verpflichtung,  2  Mark  in  den  Tower  zu  London 
bringen  zu  müssen,  entbinde;  als  Ersatz  schlug  sie  eine  Reihe 
anderer  Massregeln  vor,  die  freilich  noch  weit  ungeschickter 
und  lästiger  waren,  als  der  bisherige  Zustand. 

Nach  diesen  Propositionen  werden  die  fremden  Kaufleute, 
die  nach  Calais  kommen,  einem  Wirthe  zugewiesen.  Diesem 
müssen  sie  ihren  ganzen  Edelmetallvorrath  übergeben.  Der 
Wirth  liefert   im  Beisein  des  Fremden  die  Werthe  an   den 


x)  Rymer  Rec.  Ed.  in.  P.  II.  S.  727  (1.  Apr.  1364). 

*)  Rymer  Rec.  Ed.  III.  P.  II.  S.  725,  727  (1.  u.  16.  Mz.  1364).  Es 
ist  somit  nicht  genau,  wenn  der  Verfasser  einer  Denkschrift  aas  der  Zeit 
Heinrichs  VIII.  die  Münze  von  Calais  erst  von  Richard  II.  an  datirt:  „Than 
at  the  first  hegynyng  of  the  staple  at  Calais,  whan  was  hut  a  certayn 
nomber  of  Staplers,  than  was  the  certayn  quantite  of  staple  wolle  receyvcd 
of  Godd  by  werk  of  housbondry  ordynaryly  sold  at  Caleis  alwey  for  redy 
money  and  for  bullion,  which  that  tyme  the  Loo  contreys  in  Flaanders  was 
gladd  to  bryng  to  Calais  to  pay  for  wolle  at  the  staple  in  hand ,  which 
bullion  in  a  mynt  at  Caleis  was  coyned  ther  firom  the  dayes  of  Richard 
the  W  duryng  Henry  the  IVth,  the  VN*  and  the  VI«*  to  Edward  more 
than  sixty  yers,  which  was  encrese  of  plenty  of  money  to  the  holl  welth 
of  the  reame".    Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  15. 

Schani,  Engl.  Handelspolitik.    L  32 


—    498    — 

Münzmeister  ab.  Der  letztere  prüft  etwa  darunter  befindliche 
englische  Nobel,  gibt  die  gut  befundenen  zurück,  während  er 
diejenigen,  deren  Gewicht  das  gesetzliche  Remedium  nicht  er- 
reicht, sowie  alles  fremde  Geld  und  Barrenmetall  in  englische 
Münze  umprägt  und  dann  dem  Wirth  in  Gegenwart  des 
Fremden  zurückgibt.  Alles  Gold  und  Silber,  das  die  Fremden 
nach  Calais  gebracht  hätten,  wäre  auf  diese  Weise  in  eng- 
lische Münze  umgewandelt  worden,  selbst  dasjenige,  das  die 
fremden  Kaufleute  gar  nicht  zum  Ankauf  verwendetes, 
eine  ungerechtfertigte  Zumuthung,  wenn  man  bedenkt,  dass 
das  Münzen  eine  kostspielige  Sache  war.  Den  Interessen  der 
Münzstätte  aber  war  gedient,  und  auch  dem  Eindringen  frem- 
den Geldes  begegnet.  Es  galt  nur  noch,  das  Geld  dem  eng- 
lischen Verkehr  auch  wirklich  zuzuführen,  und  dahin  zielten 
die  übrigen  Vorschläge.  Der  Wirth  hat  den  Fremden  bei 
allen  Geschäften,  die  dieser  mit  Engländern  macht,  auf  Schritt 
und  Tritt  zu  begleiten  und  die  Zahlungen  zu  leisten,  aber 
auch  nicht  direct  an  den  Verkäufer,  sondern  diese  Zahlungen 
geschehen  in  der  Weise,  dass  bei  dem  Münzmeister  der  Erlös 
deponirt  wird.  Dieser  gibt  dem  englischen  Wollverkäufer  so- 
viel, dass  er  seine  Zehr-  und  Reisekosten  bestreiten  kann;  den 
Rest  schliesst  er  in  einen  Beutel  ein,  welchen  der  Schatzmeister 
versiegelt.  Darüber  wird  ein  doppeltes  Document  angefertigt 
Der  Kaufmann  erhält  den  versiegelten  Beutel  mit  einem 
Schein  und  überbringt  beides  dem  Mayor  von  London.  Dieser 
prüft,  ob  der  Inhalt  des  Beutels  mit  den  Angaben  überein- 
stimmt, händigt  dem  Stapler  das  Geld  aus  und  hebt  den 
Schein  auf.  Nach  Michaeli  jeden  Jahres  liefern  der  Schatz- 
meister von  Calais  und  der  Mayor  von  London  ihre  Documenta 
an  das  Exchequeramt  ab.  Stellt  sich  nun  heraus,  dass  ein 
Kaufmann  das  Geld  nicht  abgeliefert  hat,  so  verwirkt  er  die 
betreffende  Summe.  Die  englischen  Kaufleute  sollen  aber  nur 
dann  zu  diesen  Bestimmungen  verpflichtet  werden,  wenn  sie 
wenigstens  10  j£  für  den  Serpier  Wolle  erhalten l).  Den  eng- 
lischen Stapelkauf] euten  wäre,  wie  man  sieht,  jeder  unmittel- 
bare Waarenimport  versagt  geblieben. 

Der  König  ging  auf  diese  complicirte  Einrichtung  nicht 
ein,  sondern  liess  es  bei  den  bisherigen  Gesetzen  bewenden. 
Neben  vielen  andern  Erwägungen  war  wohl  die  ausschlag- 
gebend, dass  die  Regierung  fürchtete,  der  Zufluss  der  fremden 
Kaufleute  nach  Calais  möchte  unter  der  ihnen  zugedachten 
Bevormundung  sich  mindern;  das  hätte  aber  den  Wollverkauf 
beeinträchtigt  und  in  letzter  Linie  den  Interessen  der  Woll- 
producenten  und  den  Zolleinnahmen  geschadet  Dagegen  ver- 
vollkommnete Heinrich  V.  das  bisherige  System  insofern,  als 
er  es  auch  auf  diejenigen  Kaufleute,  welche  vom  Stapel  ent- 


*)Rot  Pari.  IV.  S.  125  (1420). 


—    499    — 

bunden  waren,  also  namentlich  auch  auf  die  Italiener  aus- 
dehnte. Dieselben  hatten  für  jeden  Sack  Wolle,  Sowie  für  je 
3  Stück  Zinn  eine  Unze  Barrengold  oder  seinen  Werth  in 
Barrensilber  dem  Münzmeister  im  Tower  zu  bringen1).  Man 
legte  anfangs  das  Gesetz  so  rigoros  aus,  dass  die  Beamten  den 
Münzwerth  für  das  erhaltene  Metall  nicht  zurückerstatten 
wollten 2). 

Man  hielt  also  an  dem  ganzen  System  in  seiner  ursprüng- 
lichen Anlage  fest.  Dasselbe  fand  auch  bald  Nachahmung  bei 
dem  schottischen  Nachbar.  Während  aber  in  Schottland  das- 
selbe im  Laufe  des  15.  Jahrhunderte  mehr  und  mehr  ver- 
schärft wurde3),  begann  es  in  England  langsam  zu  zer- 
bröckeln. 

Die  Münze  in  Calais,  die  vor  1421  ganz  stille  gestanden 
hatte4),  wurde  auf  Bitten  der  Stapler  wieder  in  Thätigkeit 
gesetzt 6).  Sie  wollte  aber  nicht  mehr  recht  prosperiren.  War 
auf  dem  Gontinent  kein  englisches  Geld,  so  zahlten*  die  Nieder- 
länder in  flandrischen  Nobeln,  die  Stapler  aber  brachten  sie 
nicht  an  die  Münze,  sondern  importirten  dieselben  direct  nach 
England  6).  Sie  thaten  dies  um  so  lieber,  als  sie  dabei  profi- 
tirten.  Der  Schlagschatz  fiel  weg,  und  nicht  selten  brachten 
sie  die  geringhaltige  Münze  zu  hohem  Gurs  an  den  Mann, 
Gab  es  dagegen,  sei  es  in  Folge  von  Krieg  oder  aus  einer 
anderen  Ursache,  viel  englisches  Geld  in  Flandern,  so  be- 
nutzten natürlich  die  Flamänder  dieses  zum  Ankauf  von  Wolle, 
and  die  Münze  von  Calais  war  erst  recht  zur  Unthätigkeit 
verurtheilt 7). 

Diese  Gründe  werden  in  den  dem  Parlament  vorgelegten 
Petitionen  erwähnt.  Sie  reichen  aber  kaum  aus.  Es  wirkten 
viel  stärkere  Ursachen,  welche  die  ganze  künstliche  Regelung 
des  Geldzuflusses  unterwühlen  mussten. 

Das  Luxusbedürfniss  auf  der  britischen  Insel  war  fort- 
während im  Steigen  begriffen.    Die  unzähligen  geschmackvollen 


*)  8  Hen.  V.  c  2  (1420). 

*)  Auf  Grund  der  Eingabe  der  KaufleuteTim  Br.  M.  Harl.  Ms. 
1878  fo.  6.  Im  Jahre  1433  wurde  vom  königl.  Rath  dem  Schatzmeister 
Vollmacht  gegeben  nto  graunte  hem  for  the  lnngis  availle  suche  dayes  of 
respite  of  brioging  yn  thair  sommes  to  the  ballion  as  bitwix  him  and  thaim 
shal  mowe  be  accorded,  taking  of  thaim  therfore  sufficeante  seurtee."  Ni- 
colas, Proceedings  etc.  IV.  S.  145. 

*)  Nach  dem  Beschluss  des  Parlaments  von  Schottland  im  Jahre  1436 
hatten  die  Exporteure  9  Unzen  für  jede  Last  Häute,  3  Unzen  für  einen 
Serpier  Wolle  oder  andern  gleichen  Waarenwerth,  nach  dem  von  1488 
4  Unzen  geschmolzenes  Silber  für  je  224  Steine  Wolle,  eine  Last  Lachse 
oder  400  Ellen  Tuch,  6  Unzen  für  eine  Last  Häute  und  2  Unzen  für  eine 
Last  Heringe  dem  Münzmeister  zu  überbringen  (Macpherson). 

4)Rot.  Pari.  IV.  S.  146. 

*)  Nicolas,  Proceedings  etc.  II.  S,  332  (1422). 

6)  Rot.  Pari.  IH.  S.  470  (1400/1). 

')  Rot  Pari.  IV.  S.  252. 

32* 


—    500    — 

Artikel  und  fremden  Producte  des  niederländischen  Marktes 
wurden  iminer  stärker  begehrt.  Die  Niederländer  wie  die 
Merchant  adventurers  kamen  diesem  Bedürfniss  entgegen.  Seit 
dem  15.  Jahrhundert  bildeten  den  hauptsächlichsten  Gegen- 
werth  die  englischen  Tücher.  Diese  reichten  aber  nicht  ganz 
aus.  Ein  Theil  der  exportirten  Wolle  musste  mit  zur  Deckung 
dienen.  Unter  dem  Einfluss  der  wollkaufenden  Niederländer 
bürgerte  sich  zugleich  das  Creditgeben  im  Wollgeschäft  ein, 
und  nichts  war  natürlicher,  als  dass  die  Merchant  adventurers 
behufs  Begleichung  mit  ins  Spiel  gezogen  wurden.  Da  zugleich 
der  Markt  der  Stapler  und  der  der  Merchant  adventurers  örtlich 
auseinander  lagen,  so  waren  alle  Vorbedingungen  zu  einem  regen 
Wechselbriefgeschäft  gegeben.  Der  ganze  Verkehr  und  die 
alte  Geldbewegung  erhielt  dadurch  eine  Umgestaltung,  wie  sie 
der  Verfasser  einer  Denkschrift  aus  der  Zeit  Heinrichs  VIII. 
so  anschaulich,  wenn  auch  grollend  darstellt1).  Sie  war  auch 
nicht  plötzlich  entstanden,  sondern  hatte  ganz  allmälig  sich 
vollzogen.    Dass  bei  den  englischen  Kaufleuten  schon  am  An- 


*)  „So  many  Staplers  was  encresid,  for  whose  occupieng  so  moch  the 
more  staple  wolle  in  England  was  encresid  and  brought  to  Caleis,  that  the 
Dowch  tong  perceyvid,  they  shald  never  lakk  non,  but  bave  it  soo  plen- 
tuous,  which  causid  theym  to  forsake  to  pay  redy  money  and  buUion  at 
the  staple  to  bye  it  for  respite.  By  that  meanes  the  mynt  in  Caleis  desol- 
vyd,  and  so  was  it  ordenyd,  that  the  Dowch  tong  with  the  Staplers  con- 
cludid  to  pay  for  wolle  but  a  certayn  money  in  hande  at  the  staple  and 
the  residew  to  be  payde  at  dayes  apoyntid  at  the  marte  in  the  Loo  con- 
treys  after  the  mart  at  Brügge  desolvyd,  and  other  marte  was  made  at 
Andwarpe  and  Barow  and  Myddelborow.  Now  take  hedd  after  that  con- 
clusion  a  Standard  rate  was  made  at  Calis,  how  moche  Flemysh  money 
shuld  make  the  sterlyng  pownde,  abowt  28  Shilling  Flemysh  the  pownde, 
after  which  rate  the  Staplers  recyvyd  ther  payments  for  ther  wolle  at  the 
marte.  Which  Staplers  after  that  tyme  never  usid  for  ther  wolle  to  bryng 
no  money  into  England,  as  they  didd  before,  but  alwey  patisid  and  con- 
venauntia  with  the  adventurers  in  London  to  delyver  ther  money,  that  rose 
of  ther  wolle  sales  to  theym  by  exchaunge.  So  begane  the  Staplers  and 
the  adventurers  for  ther  own  singler  profite  to  make  ther  exchaunge  to- 
geders  in  kepyng  owt  of  the  reame  all  such  monev,  as  yerly  shuld  be 
brought  into  the  reame  of  our  riche  comodites.  Whan  the  ßowch  tong 
hadd  so  aggred  with  the  Staplers  of  England  to  sett  ther  money  at  a  cer- 
tayn rate  of  28  Shilling  the  sterlyng  pownde  to  pay  so  to  the  Staplers  at 
the  marte,  than  ratid  they  ther  money  in  ther  contreys  at  the  marte  at 
hygher  value,  that  rather  than  the  Staplers  shuld  carve  ther  money  for  ther 
wolle  into  England,  they  shuld  gayn  more  profite  to  delyver  it  by  exchaunge 
to  adventurers  of  London  for  8d  or  124  lesse  in  the  pownde  to  wyne  soo 
moche  by  that  exchaunge  in  every  pownde  to  receyve  ther  monev,  after 
they  come  home  or  sende  into  England  at  ther  day  to  receyve  it  in  Lon- 
don. Which  money  the  adventurers  of  London,  receyvyng  it  at  the  marte 
of  the  Staplers,  bestowith  it  ther  upon  all  straunge  merchaundise  and 
bryngith  it  over  into  England,  wher  before  that  tyme  the  Staplers  for  ther 
wolle  brought  ther  money  into  England  so  long,  as  they  eold  ther  wolle 
for  redy  money  at  the  staple  and  kept  a  mynt  ther.  Now  see  another  ex- 
chaunge, that  the  Staplers  than  begänne  to  make  with  the  adventurers  in 
London.  After  such  constitucion  made  of  wolle  to  be  sold  for  respite,  and 
the  money  therfor  paid  at  marte  was  sold  at  the  staple  by  ther  tyme  of 


—    501    — 

fang  des  14.  Jahrhunderts  die  Wechsel  nicht  gerade  selten 
waren,  ersieht  man  daraus,  dass  unter  den  im  Jahre  1305  vom 
Herzog  Johann  von  Brabant  ertheilten  Privilegien  auch  das 
war,  dass  sie  ihre  Zahlungen  in  Baar  oder  in  Wechseln 
machen  durften  *).  Die  ganze  Bewegung  wurde  nur  beschleu- 
nigt, seit  die  Merchant  adventurers  durch  den  Wegzug  nach 
Antwerpen  sich  selbständiger  entwickelten. 

Die  Folge  dieser  Umwandlung  war,  dass  nicht  nur  die 
Münze  von  Calais  verödete,  sondern  dass  die  Einfuhr  von 
Edelmetall  zur  Begleichung  der  Handelsbilanz  immer  geringer 
wurde.  Dies  wurde  um  so  schwerer  gefühlt,  als  auch  die 
Fremden,  die  sonst  Edelmetall  importirt  hatten,  wie  die 
Preussen,  sehr  bald  es  vortheilhafter  fanden,  fremde  Waaren 
statt  dessen  zu  importiren  *). 

Selbstverständlich  blieb  dieser  Process  nicht  unbeobachtet. 
Man  erkannte  sehr  früh,  dass  die  Wechsel  den  Geldzufluss 
schmälerten.  Ob  eine  Petition  der  Gemeinen  von  1363 3), 
worin  verlangt  wird,  dass  für  den  grösseren  Theil  von  Wolle, 
Zinn,  Blei  den  englischen  Kaufleuten  Goldzahlung  geleistet 
werde,  damit  zusammenhängt,  und  ob  das  1364  erlassene  Ver- 
bot, Geld  gegen  Zinsen  in  Calais  darzuleihen4),  hieher  zu  be- 
ziehen ist,  lasse  ich  dahingestellt;  sie  gestatten  wenigstens  auch 
andere  Deutungen.  Sicher  aber  hatte  den  Zusammenhang  ein 
vor  das  Parlament  geladener  Sachverständiger  Namens  Crantren 
erkannt,  der  geradezu,  um  den  Zufluss  von  Edelmetall  zu  ver- 
stärken, die  flandrischen  Wechsel  in  England  verboten  wissen 
wollte 5).  Auch  in  einer  Petition  von  1402  wird  es,  wenn  auch 
in  etwas  anderem  Sinn,  beklagt,  dass  die  englischen  Kaufleute 
das  Königreich  ohne  Waaren  verlassen,  in  überseeischen  Län- 
dern mit  Baargeld  und  Wechseln  Waaren  kaufen6). 

ages  brought  theder,  the  Staplers  in  England  apoyntid  to  receyve  ther  pay- 
menta  in  such  wise  at  marte,  consideryng  ther  shyppyng  of  wolle  in  Eng- 
land, thougkt  to  wyne  more  by  the  age  of  ther  wolle  brought  to  Caleis  than 
to  receyve  ther  money  them  seif  at  the  marte  to  make  lt  over  first  into 
England  and  afterward  therwith  to  bye  ther  woll  and  so  lose  a  shippyng, 
hadd  lever  lose  the  profite  of  ther  exchaunge  beyonde  see  to  receyve  so 
moch  money  in  London  of  the  adventurer,  therwith  to  bye  wolle  to  save 
a  shippyng  and  wyn  so  moche  more  money  by  the  age  of  ther  wolle  at 
Caleis,  and  the  adventurer  therfor  to  receyve  the  money  owyng  to  the 
Stapler  at  the  marte.  Thus  by  theis  two  kyndes  of  exchaunges  never  was 
brought  into  England  no  money"  etc.  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften 
S.  18-20.  ' 

*)  Mertens  en  Torf,  Geschiedenis  van  Antwerpen  II.  S.  548:  vgl. 
auch  Bd.  IL  8.  249. 

*)  Vgl.  oben  S.  228.  229. 

>)  Rot  Pari.  IL  S.  276. 

4)  Ryroer  Rec.  Ed.  III.  P.  II.  S.  727. 

6)  „Eschaunges  ou  antres  paiements  par  letres  ne  soient  faitz  hors  de 
Flaodres,  ne  antres  parties  de  part  dela  pour  paier  en  Engleterre  a  cause 
d'ascun  merchandise."    Rot.  Pari.  IIL  S.  64. 

«jRot.  Pari.  IU.  S.  509. 


—    502    — 

Die  Gesetzgebung  glaubte  der  Entwicklung  sich  entgegen- 
stemmen  zu  können.  Das  bisherige  System  wurde  verschärft. 
Eine  Parlamentsacte  befahl,  dass  fortan  Wolle,  Wollfelle  und 
Zinn  nur  gegen  Baargeld  verkauft  werden  dürften  und  dass  für 
jeden  Serpier  Wolle  Barrenmetall  im  Werthe  von  4,  5  oder  6  £ 
an  die  Münze  von  Calais  abgeliefert  werden  müssten,  je  nachdem 
der  Serpier  zu  8,  10  oder  12  Mark  verkauft  worden  sei1). 
Mit  diesem  Gesetz  wurde  gleichzeitig  eine  eigentümliche 
Neuerung  eingeführt,  welche  dazu  beitragen  konnte,  die  Durch- 
führung zu  sichern.  Die  Wolle  der  einzelnen  Grafschaften 
sollte  in  Calais  eine  einheitliche  selbständige  Masse  bilden. 
Derjenige  Stepler,  der  den  von  ihm  gebrachten  Theil  ver- 
kaufte, musste  den  oben  festgesetzten  Betrag  an  die  Münz- 
stätte abliefern.  Aber  er  erhielt  nicht  die  volle  Summe  nach 
der  Umprägung  zurück,  sondern  dieselbe  wurde  auf  die  ein- 
zelnen Stapler,  welche  ebenfalls  Wolle  dieser  Gegend  in  Calais 
hatten,  nach  dem  Verhältniss  ihrer  Menge  vertheilt  und  an 
Jeden  in  England  geschickt.  Erst  wenn  die  ganze  Quantität 
dieser  Gegend  verkauft  war,  hatte  der  Einzelne  seinen  vollen 
Erlös 2).  Dadurch  war  eine  wechselseitige  Controle  geschaffen, 
ein  Unterschleif  von  Seite  des  Einzelnen  war  sehr  schwer,  weil 
die  Interessen  aller  übrigen  Stapler  sich  gegen  ihn  vereinigten. 
Die  Ordonnanz  war  von  der  Stapelbehörde  selbst  ausgegangen 
oder  angeregt  worden,  und  zwar  waren  für  ihren  Erlass  mehr 
preis-  als  geldpolitische  Gründe  entscheidend.  Die  Stapel- 
behörde betrachtete  es  als  eine  ihrer  wesentlichsten  Aufgaben, 
eine  Cöncurrenz  unter  den  Staplern  hintanzuhalten,  um  den 
Fremden  einen  möglichst  hohen  Wollpreis  dictiren  zu  können. 
Seit  längerer  Zeit  setzte  sie  die  Taxen  fest  Wenn  man  aber 
dem  Einzelnen  die  Möglichkeit  nahm,  seine  Waare  so  gut  es 
eben  ging,  loszuschlagen,  dann  war  es  auch  unbillig,  es  ge- 
wissermassen  dem  Zufall  zu  überlassen,  ob  seine  Waare  sofort 
verkauft  wurde  oder  Monate  lang  liegen  blieb.  Durch  dieses 
Theilungsverfahren  wurden  alle  gleichmässig  behandelt. 

Sieben  Jahre  lang  fungirte  diese  Einrichtung,  ohne  Wider- 
stand zu  erfahren.  Dann  aber  bildete  sich  eine  Opposition  im 
Schooss  der  Stapelgesellschaft  selbst.  Man  griff  aber  auch 
jetzt  nicht  das  Theilungsverfahren  an,  sondern  suchte  nur  die 
Verpflichtung  zur  Ablieferung  von  Barrenmetall  zu  eliminiren. 
Die  bezügliche  Petition  kennzeichnet  recht  deutlich,  wie  ver- 
schieden der  Verkehr  geworden  war.  Nach  derselben  waren 
Kaufleute  von  Leyden,  Amsterdam  und  andern  Plätzen  Hol- 
lands und  Zeelands  nach  Calais  gekommen  und  hatten  neben 
Baarzahlung     verschiedene     andere    Begleichungsmittel     an- 


»)  8  Hen.  VI.  c.  18,  durch  11  Hen.  VI.  c.  13  auf  3  Jahre  verlängert. 
2)  üeber  die  bezügliche  Petition  ist  besonders  zu  vgl.  Rot  Pari.  V. 

S.  256. 


—    503    — 

geboten1).  Die  Stapler  mussten  die  letzteren  zurückweisen, 
und  die  Folge  war,  dass  ein  grosser  Theil  der  Wolle  an- 
abgesetzt blieb.  Die  Bitte,  jede  Zahlungsart  annehmen  zu 
dürfen  und  für  die  Theilung  erst  in  England  aufkommen  zu 
müssen,  erhielt  jedoch  nicht  die  Zustimmung  des  Königs '). 

Mit  besserem  Erfolg  wurde  der  Kampf  1442  wieder  auf- 
genommen. Diesmal  war  er  auch  gegen  die  Theilung  selbst 
gerichtet  Den  Anstoss  hatte  das  Vorgehen  verschiedener 
fremder  Fürsten  gegeben.  Dieselben  hatten  als  Antwort  auf 
das  englische  Verlangen  der  Baarzahlung  die  Verbote  gegen 
die  Ausfahr  von  Edelmetall  verschärft  und  strenge  Controle 
angeordnet.  Die  Münze  in  Calais  gerieth  trotz  des  Gesetzes 
in  Verfall.  Viele  Stapler  gaben  das  Wollgeschäft  auf,  weil  sie 
nicht  frei  über  ihre  Waaren  verfügen  durften3),  oder  kauften 
Licenzen4),  oder  sie  verlegten  sich  auf  den  Schmuggel.  Je 
grössere  Dimensionen  diese  letztere  Uebung  annahm,  um  so 
schwieriger  wurde  es,  den  Preis  in  Calais  hoch  zu  halten. 
Derselbe  sank  fortwährend,  und  die  Interessen  Vieler,  nament- 
lich auch  solcher,  die  im  Parlament  sassen,  wurden  geschädigt. 
Man  willfahrte  denn  auch  dem  Wunsche  der  Petenten  und  hob 
das  Theilverfahren  für  7  Jahre  auf.  Es  musste  jedoch  Jeder 
nach  der  von  der  Stapelbehörde  festgesetzten  Preistaxe  ver- 
kaufen und  Va  des  Preises  der  verkauften  Wolle  in  Silber- 
barren an  die  Münze  von  Calais  liefern.  Unter  Aufsicht  der 
Stapelbehörde  erhielt  der  Kaufmann  das  geprägte  Geld  zurück 
und  unter  Controle  hatte  er  es  nach  England  zu  bringen6). 

Obwohl  nun  der  Betrag  des  abzuliefernden  Edelmetalls 
sehr  reducirt  worden  war,  so  sträubten  sich  doch  jetzt  die 
Stapler  auch  gegen  diese  Schranke.  Sie  baten  den  königl. 
Rath,  sie  von  der  Acte  zu  entbinden,  und  als  dieser  ihrem 
Gesuch  nicht  entsprach6),  dispensirte  der  Stapelmayor  aus 
eigener  Machtvollkommenheit,  indem  er  sich  auf  das  Verbot 
des  Herzogs  von  Burgund  stützte.  Der  König,  den  Staplern 
sehr  verschuldet,  musste  wohl  oder  übel  das  Fait  accompli  an- 
erkennen7).   Im  Jahre  1454  erhob  sich  eine  neue  Agitation 


l)  „offring  süffisant  contentement,  plein  agrement  and  redy  paiement." 

*)  Rot  Pari.  IV.  S.  508  (1437). 

8)  «because  they  may  not  be  rulers  of  their  owen  goodes." 

*)  Rot.  Pari.  IV.  8.  490  (1435). 

6)  Rot.  Pari.  V.  S.  64;  20  Heu.  VI.  c.  12. 

*)  Der  Cardinal  sagte,  „that  they  Flemyngis  have  now  that,  that  thei 
wolde  have  etc.  And  vif  thei  coude  feele,  that  the  kyng  for  [this  hisj 
necessitee  sholde  thus  dispense  with  thestatut  of  bringing  in  of  bullion  etc., 
he  8hulde  never  hereafter  by  constreint  make  hem  bringe  in  any  bullion" 
etc.    Nicolas,  Proceedings  V.  S.  216,  217. 

7)  Jedoch  „so  alweys,  that  ye  put  youe  in  your  treue  devoire  and  dili- 
gence  to  bring  in  for  the  seid  wolles  as  moche  bullyon  as  ye  shall  mowe 
godely  gete."    Nicolas,  Proceedings  etc.  V.  S.  219,  221  (1442). 


—    504    — 

zu  Gunsten  des  alten  Systems1),  eine  Gegenpetition  der  ein- 
flussreichen Stapelkaufleute  genügte,  um  diese  reactionären 
Pläne  sofort  bei  ihrem  Auftauchen  zu  Boden  zu  schlagen8). 

Unter  Eduard  IV.  machte  man  einen  letzten  Versuch,  das 
System  zu  retten.  Eine  Acte  bestimmte,  dass  die  Wolle  nur 
gegen  Edelmetall  verkauft  werden  dürfe.  Dasselbe  sollte 
zur  Hälfte  entweder  aus  englischem  Geld  oder  aus  Geschirr, 
Gold-  und  Silberbarren  bestehen.  Letztere  waren  an  die 
Münze  in  Galais  zu  bringen.  Das  daraus  geprägte  Geld  musste 
mit  dem  übrigen  innerhalb  dreier  Monate  nach  England  ge- 
schafft werden3).  Als  die  dreijährige  Giltigkeitsdauer  ab- 
gelaufen war,  wurde  die  Acte  nicht  wieder  erneuert,  später 
auch  ausdrücklich  der  Geldexport  von  Calais  überall  hin  ge- 
stattet*). 

Auch  Heinrich  VIL,  der  doch  einen  ausserordentlich  grossen 
Werth  auf  die  Vermehrung  des  Geldvorrates  legte,  wagte  nicht 
mehr  die  Bestimmungen  zu  erzwingen.  In  der  Acte  „Pro  Sta- 
pula  Calesiae"  (19  Hen.  VII.  c.  27)  sind  sie  nicht  erwähnt. 
Heinrich  VHI.  Hess  es  bei  einigen  Scheinversuchen  bewenden. 
Bei  der  Erneuerimg  des  Stapelvertrags  verpflichtete  er  die 
Kaufleute,  für  je  3  Serpier  Wolle,  die  in  Calais  an  Ober- 
deutsche verkauft  würden,  innerhalb  zweier  Jahre  eine  Gewichts- 
mark Silber  oder  den  entsprechenden  Werth  in  Gold  ein- 
zuführen, beziehungsweise  den  Beamten  vorzuzeigen.  Die 
ganze  Bestimmung  war  so  gefasst,  dass  sie  von  keinem  prak- 
tischen Werth  sein  konnte6).  Vom  rechtlichen  Standpunkt 
aus  hielt  man  die  früheren  Statuten  noch  für  giltig 6),  aber  auf 
ihre  strenge  Durchführung  wurde  verzichtet.    Fortan  benützte 


*)  Die  Wollk&afer  sollten  die  H&lfte  des  Wollpreises  sofort  baar  er- 
legen, für  die  andere  Hälfte  Sicherheit  stellen;  bestimmte  Preisquoten  waren 
an  die  Münze  in  Calais  abzuliefern.  Die  Verkäufer  hatten  dem  Käufer 
Quittungen,  die  im  Stapel  gesiegelt  wurden,  auszustellen  „to  th'entent  that 
noo  merchaunt  shall  leeve  to  any  merchaunt  straunger  any  maner  of  money 
of  him  received  neither  of  wolles  ne  of  wolfelles,  but  that  the  same  money 
mowe  be  brought  into  this  youre  reaume  without  subtilte  or  fraude."  Die 
Partition  sollte  auf  sämmtliche  Stapelkaufleute  ausgedehnt  werden,  so  dass 
die  gesammte  in  Calais  befindliche  Wolle  eine  einheitliche  Masse  bildete- 
Um  den  Widerstand  des  Herzogs  von  Burgund  zu  brechen,  der  nicht  ein- 
mal die  Durchfuhr  von  Silberbarren  nach  Calais  gestatten  wollte,  schlug 
man  vor,  keine  Wolle  eine  Zeit  lang  nach  den  Niederlanden  gelangen  zn 
lassen.  Endlich  wünschte  man  die  Festsetzung  hoher  Preistaxen,  welche 
die  Stapler,  aber  nicht  die  Tuchmacher  in  England  zahlen  sollten.  Rot. 
Pari.  V.  S.  276. 

*)  Rot  Pari.  V.  S.  256. 

*)  3  Ed  IV.  c.  1. 

«)  17  Ed.  IV.  c.  1. 

Ä)  7  Hen.  VIH.  c  10.  §  12—18. 

6)  Dies  sieht  man  aus  dem  Generalpardon  7  Hen.  VDI.  c.  1 1 ,  der 
unter  Anderm  auch  ertheilt  wird  für  „not  bryngyng  in  of  bolyon  into  this 
roialme  of  England  oute  of  the  parties";  sieh  auch  7  Hen.  VIII.  c.  10  §  17. 


—    505    — 

die  Regierung  theils  die  Cursregulirung *),  theils  kaufte  sie 
direct  das  zum  Prägen  nöthige  Silber  auf  dem  Markte.  Wir 
wissen  wenigstens  von  Wolsey,  wie  er  hiezu  im  Jahre  1519 
sich  des  sachkundigen  Käthes  von  Hermann  Rink  bediente8). 
Ausserdem  suchte  man  durch  mancherlei  Facilitäten  bei  der 
Ausprägung  die  Privaten  zu  veranlassen,-  Edelmetall  an  die 
Münzanstalt  zu  bringen.  Solche  waren  schon  seit  längerer 
Zeit  gewährt  worden.  Der  Einfluss  des  Parlaments  machte 
sich  hier  in  günstigster  Weise  geltend.  Es  war  z.  B.  als  Regel 
aufgestellt,  dass  Jeder,  der  Barren  einlieferte,  in  8  Tagen  das 
geprägte  Geld  zurückerhalten  musste3).  Es  wurde  dafür  ge- 
sorgt, dass  die  Münzwardeine  bei  der  Rückgabe  nicht  betrügen 
konnten4).  Die  Kosten  der  Probe  des  eingelieferten  Metalls 
trug  nicht  der  Ueberbringer,  sondern  die  Münzanstalt 6).  Kluge 
Leute  schlugen  schon  im  14.  Jahrhundert  als  ein  wirksames 
Mittel,  die  Ausprägungen  zu  vermehren,  vor,  den  Schlagsatz 
herabzusetzen  *) ;  derselbe  wurde  denn  auch  später,  wenn  man 
die  damals  viel  grösseren  Prägungskosten  in  Rechnung  zieht, 
sehr  massig  fixirt.  Unter  Heinrich  V.  betrug  er  für  Gold  l1/»0/«), 
für  Silber  4,2  %  *). 

Die  Regierung  Heinrichs  VIH.  suchte  den  Import  von 
Edelmetall  eine  Zeit  lang  dadurch  zu  fördern,  dass  sie  den- 
jenigen, welche  Barren  an  die  Münze  brachten,  eine  Prämie 
von  2  sh  per  Ä  versprach8).  Von  grosser  Bedeutung  wäre 
eine  andere  Reform  nach  dieser  Richtung  hin  gewesen,  wenn 
nicht  gleichzeitig  die  Münzverschlechterung  inscenirt  worden 
wäre.  Heinrich  VIII.  hob  nämlich  den  Unterschied  zwischen 
Tower  &  und  Troyer  &  auf.  Die  Kaufleute  mussten  bisher 
das  Metall  zu  Troyer  Gewicht  abliefern,  erhielten  aber  das  ge- 
prägte Geld  nach  Tower  Gewicht  zurück ,  was  auf  30  &  einen 
Verlust  von  2  &  ausmachte9). 

Jedenfalls  sieht  man,  dass  das  alte  System,  den  Geld- 
zufluss  zu  regeln  und  zu  steigern,  definitiv  aufgegeben  war 
und  einer  neuen  Ordnung  Platz  gemacht  hatte.  Dasselbe  hatte 
eine  Zeit  lang  einige  Berechtigung,  insofern,  als  es  das  ein- 


*)  Urk.  Beil.  152. 
*)  Brewer,  Cal.  HL  S.  568. 
»)Rot  Pari.  H.  S.  183  (1347). 
*)  Rot  Pari.  II.  S.  242  (1351/52);  IV.  S.  257  (1428). 
*)  Eot  Pari.  IV.  S.  177,  199  (1422/23). 

*)  Vgl.  die  Aussagen   der  Sachverständigen   Rieh.   Leye  und  Rieh. 
Aylesbury  vor  dem  Parlament.    Rot.  Pari.  III.  S.  64  (1381/82). 
')  Rot.  Pari.  IV.  S.  154  (1421).    Sieh  auch  unten  S.  532. 

8)  Brewer,  Cal.  IV.  2338  §  6. 

9)  Brewer,  Cal.  IV.  2609.  Ruding,  Annais  L  S.  184.  —  Selbst- 
verständlich veranlasste  das  Streben,  den  Münzstätten  das  nöthige  Metall 
zuzufahren,  zuweilen  auch  Missgriffe.  Ein  solcher  war  z.  B.  das  Gesetz, 
dass  Silber  nicht  höher  als  zu  30  sh  das  Pfund  im  Verkehr  gekauft  werden 
dürfe.    2  Hen.  VI.  c.  16. 


—    506    — 

heimische  Münzwesen  gegen  Verschlechterung  schützen  half. 
Bei  der  grossen  Schwierigkeit,  den  Import  des  falschen  Geldes 
hintanzuhalten,  war  es  gewiss  kein  ganz  verfehlter  Gedanke, 
den  Theil,  der  überhaupt  baar  zuströmte,  in  einen  bestimmten 
Ganal  zu  leiten,  den  das  Edelmetall  erst  nach  vorgenommener 
Läuterung  verliess.  Da  der  Wollexport  im  14.  und  anfangs 
auch  noch  im  15.  Jahrhundert  den  Hauptposten  des  Exports 
bildete,  so  konnte  und  durfte  man  das  Stapel  zur  Lösung  der 
Aufgabe  benützen.  Ihr  Monopol  rechtfertigte  es  auch,  wenn 
man  ihnen  eine  Last  zumuthete,  wofern  diese  nur  selbst  ver- 
nünftig war.  Die  ganze  Frage  ist  aber  anders  zu  beurtheilen. 
sobald  man  in  dem  System  ein  Mittel  sieht,  dem  Lande  das 
nöthige  Edelmetall  zu  beschaffen.  Nach  dieser  Seite  hin  war 
dasselbe  unberechtigt  und  schädlich,  und  es  hemmte  und 
vertheuerte  bald  den  Waarenimport.  Die  Umprägung  des 
Geldes,  sein  Transport  nach  England,  sein  wegen  des  Verbots 
der  Geldausfuhr  gefährlicher  Rücktransport  veranlassten  Kosten, 
die  zu  dem  Waarenpreise  hinzukamen.  Darin  lag  allerdings 
eine  Art  Industrieschutz ;  wenn  man  aber  einen  solchen  wollte, 
dann  gab  es  viel  einfachere,  ebenso  wirkungsvolle,  aber  gleich- 
zeitig weniger  den  ganzen  Verkehr  belästigende  und  lähmende 
Mittel.  Man  brauchte  nur  die  Eingangszölle  zu  erhöhen.  Man 
durfte  aber  nicht  den  ganzen  Edelmetallzufluss  in  solcher 
mechanischer  Weise  regeln.  Wenn  man  den  Handel  mehr  in 
die  einheimischen  Hände  leitete  und  dadurch  dem  Lande  den 
Handels-  und  Frachtgewinn  sicherte,  wenn  man  den  englischen 
Export  zu  heben  suchte,  wenn  man  gewisse,  die  Geldausfuhr 
bewirkende  Ursachen  beseitigte,  namentlich  der  auswärtigen 
Kriegspolitik  entsagte,  dann  vermochte  der  Waarenimport  zu 
steigen,  und  das  englische  Geldwesen  war  noch  keineswegs 
bedroht,  konnte  vielmehr  sich  weiter  ausdehnen.  Diese  Mo- 
mente trafen  zum  Theil  unter  Heinrich  VII.,  weniger  unter 
Heinrich  VIH.  zu. 

Neben  den  Massregeln,  Edelmetall  ins  Land  zu  ziehen 
und  diesen  Zufluss  in  bestimmter  Weise  zu  ordnen,  gingen 
andere  nebenher,  um  das  gewonnene  zu  erhalten. 

Das  nächstliegende  Mittel  war  das  Verbot  der  Geldausfuhr. 
Vorübergehend  wurde  dasselbe  wohl  seit  ältester  Zeit  angewendet. 
Gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  begegnen  wir  ihm  häufiger: 
Besonders  kehrte  sich  dasselbe  gegen  die  zahlreichen  päpst- 
lichen Sammlungen1).  Die  Statuten  fangen  um  diese  Zeit 
ebenfalls  an,  mit  der  Geldausfuhr  sich  zu  beschäftigen.  Wie 
aber  bei  der  Regelung  des  Geldzuflusses  der  Gedanke,  das 
Eindringen  fremder  und  schlechter  Münze  zu  begrenzen,  ur- 
sprünglich vorwog,  so  war  es  auch  hier  der  Fall.    Man  glaubte 

l)  Vgl.  Rymer  IL  S.  201  (1282);  S.  250  (1288). 


^ 


—    507     - 

sich  am  besten  zu  schützen,  wenn  man  von  vorneherein  die 
einheimische  Münze  nicht  hinausgehen  Hess.  Dem  widerspricht 
nicht,  dass  sowohl  in  dem  Statut  de  falsa  moneta  von  1299 
als  in  dem  Edict  von  1307  neben  dem  Export  des  englischen 
Silbergeldes  auch  der  von  Silberbarren  und  Silbergeschirr  ver- 
boten war.  Ohne  diese  Ergänzung  wäre  der  beabsichtigte 
Zweck  nicht  erreicht  worden.  Um  das  englische  Geld  zu  ex- 
portiren,  hätte  man  es  nur»  einzuschmelzen  gebraucht.  Diese 
Ansicht  findet  eine  weitere  Bestätigung  darin,  dass  Eduard  I. 
bei  der  Ausfuhr  fremden  Geldes  Concessionen  machte.  Er 
gestattete  solche  z.  B.  den  päpstlichen  Nuntien 1).  Das  fremde 
Geld  dachte  man  sich  gewissermassen  als  in  einem  gesonderten 
Ganal  bewegend.  Wenn  der  Export  der  einheimischen  Münze 
wirklich  hintangehalten  und  das  Eindringen  des  fremden  Gel- 
des in  den  Verkehr  selbst  durch  die  Wechselstellen  unmöglich 
gemacht  wurde,  dann  konnte  an  den  letzteren  das  fremde 
Geld  zu-  und  abströmen,  ohne  dass  der  einheimischen  Circu- 
lation  daraus  ein  Schaden  erwuchs. 

Bald  wurde  jedoch  das  System  durchbrachen.  Schon 
Eduard  IL  suchte  als  Schwiegersohn  des  französischen  Königs 
den  französischen  Kaufleuten  eine  Gunst  zu  erweisen,  indem 
er  sie  von  dem  Gesetz  entband*).  Damit  war  eine  beträcht- 
liche Lücke  gerissen,  da  ein  grosser  Theil  des  Weinimports 
gegen  Baar  erfolgte.  Unter  Eduard  III.  musste  man  ein  wei- 
teres Zugeständniss  zu  Gunsten  der  fremden  Fischer  machen. 
Es  lag  nicht  im  Geschäftsbereich  derselben,  für  die  gebrachten 
Fische  Waaren  anzukaufen  und  ebenso  schwer  war  es,  für  die 
Fische  immer  fremdes  Geld  bereit  zu  halten.  Wollte  man  die 
Fischer  zur  Erholung  einer  Licenz  in  jedem  Fall  zwingen,  so 
musste  der  Fischhandel  ganz  beträchtlich  leiden.  Man  ge- 
stattete ihnen  deshalb,  ihren  Erlös  ohne  Licenz  zu  exportiren 
(1331) 3).  Im  Uebrigen  hielt  man  nicht  nur  an  den  Bestim- 
mungen fest,  sondern  verschärfte  sie  noch.  Den  päpstlichen 
sog.  Provisoren  und  Procuratoren  wurde  bei  Todesstrafe  das 
Betreten  der  königl.  Gebiete  untersagt4).  Gleichzeitig  unter- 
warf man  auf  Anregung  des  Parlaments5)  die  Religiösen  und 
Pilger  dem  Gesetz  und  zwang  sie  behufs  Gontrolermöglichung 


1)  „Concedimus  vobis  (papal  agents),  quod  totam  pecuniam  ad  Roma- 
nanu  Ecclesiam  rationabiliter  spectantem  per  vos  infra  regnum  nostrum 
collectam  tradendo  eam  mercatoribus  infra  idem  regnum,  possitis  per  viam 
cambii  dicto  domin  o  summo  pontifici  destinare,  ita  quod  monetam  aliquam 
de  cuneo  nostro  seu  argentum  aliquod  in  massa  extra  idem  regnum  minime 
deferatis  seu  per  alios  deferri  aliqualiter  faciatis."  Rot.  Pari.  I.  S.  222 
(1307). 

*)  Rymer  II.  S.  1050. 

8)  Rymer  IV.  S.  500. 

4)  Rot  Pari.  IL  S.  9  (1326/27);  vgl  auch  Rymer  IV.  S.  789. 

6)  Rot.  Pari.  IL  S.  377  (1384). 


-    508    — 

über  Dover  zu  reisen,  stellte  eigene  Inspectoren  auf,  denen 
für  jede  Entdeckung  einer  Gesetzesverletzung  der  vierte  Theil 
des  Confiscirten  zufallen  sollte,  liess  Kaufleute  und  Schiffs- 
meister schwören,  die  Acte  beobachten  zu  wollen.  Nur  gegen 
Licenz  sollte  die  Ausfuhr  erlaubt  sein1). 

Mochte  es  in  dieser  rauhen  Weise  gelungen  sein,  den  hei- 
mischen Edelmetallschatz  zu  hüten  und  unverfälscht  zu  er- 
halten ,  so  musste  doch  das  ganee  System  seinen  Dienst  ver- 
sagen, als  Eduard  III.  seine  Kriege  mit  Frankreich,  Spanien 
und  Schottland  begann.  Zwar  wurde  schon  beim  ersten  Krieg 
gegen  die  Franzosen  ein  grosser  Theil  der  Rüstungskosten 
durch  Bewilligung  von  Wolle  aufgebracht,  die  der  König  nach 
den  Niederlanden  bringen  liess,  um  dort  unmittelbar  das  Geld 
in  Empfang  zu  nehmen.  Aber  das  reichte  auch  nicht  im  Ent- 
ferntesten hin.  Namentlich  musste  der  König  in  sehr  aus- 
gedehnter Weise  den  Credit  in  Anspruch  nehmen  und  durch 
Anlehen  bei  einheimischen  und  fremden  Kaufleuten  einen 
grossen  Theil  des  einheimischen  Geldes  an  sich  ziehen.  Man 
wird  kaum  hinter  der  Wirklichkeit  zurückbleiben,  wenn  man 
annimmt,  d'ass  die  Hälfte  der  gesammten  Geldcirculation  aus 
England  gezogen  wurde9). 

Schon  oben  machten  wir  auf  die  aus  dieser  Geldentziehung 
entspringende  Krisis  und  auf  die  Versuche,  das  Land  wieder 
mit  Geld  zu  füllen,  um  beim  Wiederausbruch  des  Krieges 
abermals  auf  den  Edelmetallschatz  des  Landes  greifen  zu  kön- 
nen, aufmerksam  *).  Selbstverständlich  that  man  auch  Schritte, 
um  den  Geldexport  in  engen  Grenzen  zu  halten.  Deijenige 
Geldausgang,  den  man  am  ersten  hemmen  konnte  und  durfte, 
war  der  für  die  an  Fremde  verliehenen  kirchlichen  Pfründen 
und  für  Anstellungstaxen  und  sonstige  Zahlungen  an  den  päpst- 
lichen Hof,  weshalb  auch  hiegegen  wiederholt  petitionirt  und 
eingeschritten  wurde4). 

Grösseres  Interesse  hat  für  uns,  wie  man  die  aus  dem 
Handel  herrührenden  Veränderungen  des  Geldbestandes  neu 
zu  ordnen  suchte.  Den  Anstoss  gab  nicht  blos  die  Geldlage 
im  Allgemeinen,  sondern  ebenso  sehr  der  Curswechsel  und  die 
Münzverschiedenheit  in  England  und  Flandern,  über  welche 
sich  die  englischen  Kauf leute r wiederholt  beklagten,  weil  sie 
sehr  oft  in  Folge  dessen  nur  geringe  Preise  erzielten 5).  Um 
dieser  Unbequemlichkeit  zu  begegnen,  hatte  Eduard  HL  schon 
1340,  als  er  mit  den  niederländischen  Städten  eine  politische 
Allianz  einging,   den  Wunsch  ausgesprochen,  dass  eine  Gold- 


*)  9  Ed.  III.  st.  2  c.  1 — 11. 

*)  Sieh  oben  S.  488  Note  5. 

s)  S.  495  fg. 

*)  Rot  Pari.  IL  S.  148,  232. 

fi)  Rot.  Pari.  II.  S.  143  (1343);  vgl.  auch  II.  8.  166  (1347). 


—    509    — 

münze  geschaffen  werde,  die  in  England  und  Flandern  circu- 
liren  sollte1).  Im  Parlament  vom  Jahre  1343  wurde  das  Pro- 
ject  besondere  lebhaft  discutirt,  indem  man  gleichzeitig  Kauf- 
leute, Goldschmiede  und  Münzbeamte  zur  Berathung  beizog 2). 
Es  ist  in  der  That  interessant,  wie  man  sich  die  Sache  dachte. 
Nach  diesen  Propositionen  sollte  eine  neue  Goldmünze  geprägt, 
die  bisherigen  in  England  und  Flandern  circulirenden  Gold- 
münzen dagegen  vollständig  eingezogen  werden.  Das  neue 
Goldgeld  sollte  für  die  Kaufleute  das  legale  Währungsgeld 
bilden,  keiner  sollte  dasselbe  zurückweisen  können,  Nichtkauf- 
leute dagegen  brauchten  die  Goldmünze  nicht  anzunehmen, 
durften  sie  aber  annehmen.  Der  Export  der  Goldmünze  war 
gestattet,  nicht  aber  der  von  Silber;  nur  die  „Grossen"  konn- 
ten ihr  Silbergeschirr  mit  auf  den  Gontinent  nehmen.  Die 
Sucher  hatten  strengste  Weisung,  kein  Silber  ausser  Landes 
gehen  zu  lassen,  und  um  ihren  Eifer  recht  zu  erhöhen,  sollten 
sie  nicht  den  vierten,  wie  bisher,  sondern  den  dritten  Theil 
des  Erspähten  als  Belohnung  erhalten.  Wer  das  lieich  ver- 
liess,  musste  bei  den  bestellten  Wechslern  sein  Silbergeld- 
gegen  Gold  umtauschen.  Kaufleute,  die  Waaren  importirten, 
mussten  als  Bezahlung  entweder  Waaren  oder  Gold  annehmen. 

Man  wollte,  wie  man  sieht,  ein  selbständiges  nationales 
und  internationales  Währungsgebiet  schaffen;  das  nationale 
sollte  vor  den  Fluctuationen  des  internationalen  vollständig 
bewahrt  bleiben.  Das  englische  Silbergeld  sollte  nicht  exportirt 
werden ,  aber  auch  das  fremde  möglichst  wenig  in  den  engli- 
schen Verkehr  treten.  Wenn  die  Flamänder  Silbergeld  von 
gleicher  Legirung  prägen  wollten,  als  es  das  „Ersterlinggeld"  war, 
dann  sollte  es  auch  in  England  zwischen  Kaufleuten  und  denen, 
welche  sonst  es  nehmen  wollten,  cursiren  dürfen,  aber  es  bildete 
kein  eigentliches  Währungsgeld,  und  sein  Zufluss  war  schon 
dadurch  beengt,  dass  es  nicht  wieder  exportirt  werden  durfte. 
Das  Ganze  war  ein  System,  das  sich  mit  keiner  der  modernen 
Währungen  deckt,  aber  viel  verwandte  Seiten  sowohl  mit  der 
Parallel-  als  Doppelwährung  als  mit  dem  System  der  beson- 
deren Handelsmünzen  z.  B.  den  Trade  dollars  hat.  In  gewissem 
Sinn  kann  man  selbst  die  einfache  Währung  mit  ihrer  selbst- 
ständig nebenherlaufenden  Scheidemünze  zum  Vergleich  heran- 
ziehen. Man  wird  nicht  verkennen  können,  dass  die  ganze 
Autfassung  des  Geldwesens  schon  eine  ziemlich  gereifte  war. 

Die  neue  Goldmünze,  der  Nobel,  wurde  thatsächlich  ge- 
schaffen 8),  die  übrigen  Bestimmungen  konnten  aber  ihre  Probe 


^Varenbergh,  Histoire  des  relations  diplomatiques  entre  le  comte* 
de  Flandre  et  l'Angleterre  S.  362. 

*)Rot.  Pari.  IL  S.  187  fg. 

s)  Eduard  III.  ging  bereits  1344  selbständig  mit  der  Pr&guDg  der 
Goldmünze  vor  (Rymer  V.  S.  403,  416),  machte   aber  anfangs  aus  ver- 


—    510    — 

gar  nicht  recht  bestehen,  weil  der  Krieg  .bald  alle  Cautelen 
über  den  Haufen  warf.  Die  Geldausfuhr  dauerte  fort  und 
wurde  noch  verstärkt,  als  Eduard  III.  wiederholt  die  Münzen 
verschlechterte J).  Was  man  that,  war  gegenüber  den  Haupt- 
ursachen nebensächlich  oder  nutzlos.  Man  schlug  die  Bitte 
der  Kaufleute,  das  alte  gute  Geld  im  Interesse  ihres  Handels 
exportiren  zu  dürfen,  ab  *)  und  gebot  in  naiver  Weise,  nur  die 
neuen  Esterlinge  zu  exportiren3).  Im  Jahre  1364  griff  man 
wieder  auf  den  Erlass  von  1331  zurück  mit  der  Modificatkm, 
dass  der  Kanzler  die  Fischer  dispensiren  konnte4).  Wichtig 
war,  dass,  wie  es  scheint,  zum  ersten  Male  auch  auf  die 
Wechsel  im  Zusammenhang  mit  der  Frage  des  Geldexports 
die  Aufmerksamkeit  gelenkt  wurde.  Das  Parlament  verlangte, 
dass  weder  ein  Lombarde  noch  ein  Anderer  Wechsel  ausstelle 
oder  in  dieser  Form  Geld  ins  Ausland  übermache5).  Die 
Massregel  war  wieder  vorwiegend  gegen  die  Aussaugungen  der 
päpstlichen  Gollectoren  gerichtet,  die  man  auch  in  der  Zwischen- 
zeit fortwährend  bekämpfte 6).  Der  König  war  zwar  auch  der 
Meinung,  dass  „das  Geld  solange  dem  Lande  erhalten  werden 
müsse,  als  die  Kriege  dauerten",  scheute  sich  aber  einer  so 
tief  in  den  Creditverkehr  eingreifenden  Massregel  zuzustimmen, 
suchte  vielmehr  durch  diplomatische  Unterhandlungen  und  di- 
rectes  Anhalten  der  fremden  Procuratoren  die  Geldausfuhr  zu 
hemmen. 

Wie  die  ganze  Politik  Eduards  III.  einen  schwankenden, 
unsichern,  tastenden  Charakter  hat,  so  war  es  auch  im  Geld- 
wesen der  Fall.  Es  fehlte  nicht  an  guten  Ansätzen.  Den  Plan 
der  internationalen  Münze  kann  man  sogar  grossartig  nennen, 
aber  niemals  gestatteten  die  Verhältnisse,  eine  Massregel  con- 
sequent  durchzuführen.  Sieht  man  von  seinem  nicht  un- 
berechtigten Kampf  gegen  die  päpstlichen  Schätzungen  ab,  so 
dürfte  seine  ganze  Politik  die  Ausfuhr  des  Geldes  so  gut  wie 
nicht  verhindert  haben.    Im  Gegentheil,  der  Export  war  unter 


schiedenen  Ursachen  keine  guten  Erfahrungen  damit;  vgl.  Rot  Pari.  II. 
S.149,  150,  151,  156, 161.  Ruding,  Annalp  of  the  coinage  etc.  I.  S.  217. 
Leake,  Historical  account  of  English  money  S.  93.  üeber  die  Verhand- 
lungen mit  Flandern  wegen  gemeinsamer  Goldmünze  sieh  R  y  m  e  r  Rec.  Ed.  HI. 
P.  I  S  59,  77,  80. 

')  Sieh  unten  S.  531,  532. 

*)  Rot.  Pari.  H.  8.  228  (1350/51);  vgl.  auch  IL  S.  306  (1371),  wo  die 
englischen  Kauf  leute  sich  beklagen,  dass  die  Hansen  in  Schonen  von  ihnen 
verlangen,  nur  Baargeld,  aber  keine  Waaren  zu  bringen. 

8)  Rot.  Pari.  IL  8.  249;  27  Ed.  III.  st  2  c  14.  ^ 

4)  38  Ed.  III.  st.  1.  c.  2;  vgl  auch  Rymer  Rec.  Ed.  HI.  P.  IL  S.  728, 
733,  739,  741,  748. 

*)  Rot.  Pari.  IL  S.  338  (1376).  Dass  dabei  nicht  der  Handwechsd 
gemeint  ist,  sieht  man  an  dem  Ausdruck  „letre  de  Lumbard";  vgL  auch 
Rot  Pari.  III.  S.83. 

6)  Rot  Pari.  II.  S.  228,  286,  312,  320. 


—    511    — 

ihm  grösser  als  unter  irgend  einem  seiner  Vorfahren  auf  dem 
Thron.  Er  hinterliess  das  Reich  in  einem  erschöpften  und  ge- 
schwächten Zustand.  Die  Geldnoth  wurde  besonders  hart 
empfunden,  weil  die  Preise  seit  der  Pest  beträchtlich  in  die 
Höhe  gegangen  waren.  Unter  Richard  IL  war  deshalb  die 
Frage  wegen  des  Geldwesens  brennender  als  je. 

Bereits  1379  wurde  im  Parlament  auf  den   traurigen  Zu- 
stand des  Geldwesens  hingewiesen,   es  fliesse  kein  Geld  zu, 
vielmehr  immer  wieder  ab,  was  davon  in  England  sei,  werde 
durch  das  Kippen  immer  schlechter 1).    Dass  der  Mangel  recht 
gross  war,  sieht  man  aus  der  früher  erwähnten  Belastung  der 
importirten  Luxuswaaren,  sowie  daraus,  dass  die  Münzbeamten 
sogar  gegen  ihr  eigenes  Interesse  vorschlugen,  man  solle  von 
dem  Umwechseln  und  Umprägen  des  nach  England  kommen- 
den fremden  Geldes  ganz  absehen,  vielmehr  dasselbe,  wenn  es 
gut  sei,   circuliren  lassen.    Ob  die  von   der  Regierung  vor- 
genommene Enqudte  stattfand,   ist  zweifelhaft.    Im  Parlament 
von  1381  wogten  die  Klagen  lauter  denn  je.    In  kurzen,  aber 
treffenden  Strichen  wird  hier  die  Armuth  und  der  Rückgang 
des  Reichs,   wie  er   „seit  16  Jahren"    eingetreten,   gekenn- 
zeichnet;   darin   spielt  nicht  die  geringste  Rolle   der  grosse 
Gold-  und  Silberabfluss  und  die  wachsende  Verschlechterung 
der  Münze2).    Fünf  Sachverständige  wurden  vor  das  Parla- 
ment geladen,  um  sich  über  verschiedene  Punkte  zu  äussern. 
Während  die  Münzbeamten  des  Tower  in  ihrer  Petition  die 
Hauptursache  der  Geldausfuhr  in  dem  geringeren  Gehalt  der 
fremden,  namentlich  der  flandrischen  und  schottischen  Gold- 
und  Silbermünzen  sahen 8),  tritt  dieser  Punkt  in  den  Aussagen 
der  Sachverständigen  ziemlich  zurück.    Nur  ein  Einziger  und 
zwar  ein  Goldschmied  hielt  es  für  nöthig,  dass  der  Nobel  in 
seinem  Preis  erhöht  werden  müsse,  von  anderer  Seite  wurde 
ausdrücklich  jede  Aenderung  als  allgemein  schädlich  zurück- 
gewiesen, obwohl  man  zugab,  dass  das  Werthverhältniss  zwischen 
Gold  und  Silber  unrichtig  gewählt  sei.    Die  Mehrzahl  hielt  in 
ganz   vernünftiger  Weise   es  für   das  Beste,   wenn  man  das 
fremde,  namentlich  schottische  und  flandrische  Geld  ganz  ver- 
biete und  wie  Barrenmetall  behandele.    Viel  wichtiger  erschien 
augenscheinlich  .den  competenten  Personen  in  der  Frage  der 
Edelmetallbewegung,    dass    die   Geldausgänge    für    geistliche 
Zwecke4),    auch  f&r  Pilgerfahrten ,   ferner   der  Wechselbrief- 
yerkehr  beschränkt,  insbesondere  aber  der  Waarenimport  nur 
in  der  Weise  gestattet  werde,   dass  für  den  gleichen  Betrag 


*)  Rot  Pari.  III.    S.  64. 
*)  Rot  Pari.  IIL    S.  102;  vgL  auch  8.  104. 
»)  Rot  Pari.  EI.  S.  126. 
,     4)  Ric  Aylesbury  schlug  vor,  dass  „la  monoie  dupape  fast  envoie  a 
toi  en  merchandie  et  nemye  en  monoie."    Rot  Pari.  III.  S.  64. 


—    512    — 

englische  Waaren  exportirt  würden.  Einer  behauptete  geradezu, 
England  gebe  viel  zu  viel  für  Luxuswaaren  l)  aus,  ein  anderer 
brachte  auch  das  Gästerecht  mit  der  Frage  in  Zusammenhang, 
indem  er  dasselbe  liberal  gestaltet  wissen  wollte,  damit  die  ein- 
heimischen Artikel  im  Preis  stiegen,  die  fremden  in  Folge  der 
Fülle  sänken. 

Die  Vorschläge  fanden  Zustimmung  beim  König  und  beim 
Parlament.  Durch  eine  Acte  wurde  jeder  Geld-  und  Edel- 
metallexport, wofern  eine  Licenz  vom  Gesetz  nicht  entband, 
strenge  verboten;  auch  die  Wechsel  sollten  nicht  von  Seiten 
des  Ausstellers  durch  Wegsendung  von  Gold  oder  Silber  be- 
glichen werden2).  Um  eine  Controle  zu  ermöglichen,  sollte 
sowohl  der  Aussteller  des  Wechsels,  als  die  Person,  welche  die 
Zahlung  jenseit  des  Ganais  zu  machen  hatte,  eine  specielle  Licenz 
vom  König  sich  erwerben,  in  der  die  Wechselsumme  verzeichnet 
werden  musste.  Ferner  war  auch  verordnet,  dass  fortan  Nie- 
mand das  Königreich  ohne  Licenz  verlasse8);  die  letztere 
durfte  nur  in  den  grösseren  näher  bezeichneten  Ausgangshäfen 
ausgestellt  werden ;  doch  wurden  die  Lords  und  andere  „Grossen", 
sowie  die  als  ehrlich  bekannten  Kaufleute  und  des  Königs 
Soldaten  ausgenommen.  Verliess  aber  ein  Nichtberechtigter 
das  Königreich  ohne  Licenz,  so  verwirkte  er  die  gesammte 
Habe,  die  er  bei  sich  führte,  und  der  SchifFsherr,  der  einen 
solchen  aufnahm,  das  Schiff.  Den  fremden  Kaufleuten  wurde 
eine  freundliche  Behandlung  zugesichert4).  Gegen  das  Gesetz 
reagirten  sofort  besonders  die  italienischen  Kaufleute.  Sie 
suchten  im  Parlament  des  folgenden  Jahres  klar  zu  machen, 
dass  die  Wechselbeschränkung  schliesslich  dem  König  und  sei- 
nem Reiche  schade,  weil  dann  die  englischen  Artikel  nicht 
mehr  so  gut  verkauft  würden ,  als  ehedem.  Ihre  Vorstellung 
war  aber  vergeblich6). 

Eine  Milderung  trat  später  nur  gegenüber  den  Pilgrimen 
ein,  indem  man  ihnen  die  Erholung  einer  Licenz  erliess,  wenn 
sie  über  Dover  oder  Plymouth  gingen 6).  Auf  der  andern  Seite 
verschärfte  man  das  ganze  System.    Man  that  nämlich  jetzt 


*)  Genannt  sind  von  Ric.  Leye:  „grocerie,  mercerie,  .peltrie,  yris,  ver- 
maffles,  bläuliches  et  lenetz."   Rot  Pari.  III.  S.  64. 

*)  „Et  voet  le  roi  notre  seigneur,  qe  les  marchantz,  qi  ensi  ferront  lee 
ditz  esckaunges  par  licence.  soient  examinez  diligeaument  et  jurrez  en  lour 
propres  persones  a  tantz  des  foitz  come  ils  averont  la  dite  licence  q'üs 
n'envoieront  aucnn  manere  .d'or  ne  d'argent  en  plate  vesseil  monoie 
n'autrement  de  par  dela  souz  colour  de  mesme  l'eschaunge.  Et  s'il  soit 
atteint  q'il  avera  fait  envoier  or  ou  argent  de  par  dela  countre  ceste  orde- 
nance,  forface  devers  le  roy  la  somme  oa  la  value  d'y Celle."  Rot.  Pari.  III. 
S.  119. 

8)  Vgl  Rymer  IX.  S.  8,  16,  375  fe.  etc. 

«)  Rot.  Pari.  HI.  8.  119;  5  Ric.  n.  st  1  c.  2. 

6)  Rot  Pari.  III.  S.  138. 

6)  13  Ric.  II.  st  1  c  20. 


—    513    — 

auch  noch  einen  Schritt,  um  einen  früher  erwähnten  von  den 
Sachverständigen  gemachten  Vorschlag  zu  verwirklichen.  Man 
zwang  die  fremden  Kaufleute,  eine  Sicherheit  zu  stellen,  dass 
sie  wenigstens  für  die  Hälfte  ihres  Imports  Wolle,  Leder,  Blei, 
Zinn,  Butter,  Käse,  Tücher  oder  andere  Landesartikel  kaufen 
wollten *).  Feiner  mussten  fortan  alle  Kauf  leute,  welche  Wechsel 
für  Rom  oder  einen  andern  auswärtigen  Ort  ausstellten,  in  der 
Kanzlei  des  Königs  sich  verpflichten ,  innerhalb  dreier  Monate 
für  den  Wechsel  betrag  Stapel  waaren  ausführen  zu  wollen  *). 

Durch  diese  Bestimmungen  waren  die  Geldgesetze  wesent- 
lich fortgebildet  worden  und  hatten  einen  ausgeprägten  Cha- 
rakter erhalten.  Ihr  Bestand  war  um  so  gesicherter,  als  viele 
Interessen  dabei  betheiligt  waren.  Wenn  die  Gesetze  voll- 
zogen wurden  —  und  es  fehlt  hiefür  nicht  an  Beweisen 3)  — 
war  nicht  nur  der  Geldabfluss,  soweit  er  nicht  direct  von  der 
Regierung  veranlasst  war,  sehr  eingeengt,  sondern  auch  die 
Producenten  waren  befriedigt,  weil  der  Export  der  englischen 
Artikel  befördert,  ihr  Preis  gesteigert  wurde,  ebenso  der  König, 
weil  seine  Zolleinnahmen  sich  mehrten,  endlich  die  einheimi- 
schen Kaufleute,  weil  sie  vorläufig  von  der  Leistung  einer 
Caution  für  ihren  Import  entbunden  waren. 

Die  Lancasterkönige  stellten  sich  ganz  auf  den  Boden  der 
Richardschen  Gesetze.  In  den  Statuten  wurde  wiederholt  hervor- 
gehoben, dass  das  Geldausfuhrverbot  sich  als  nützlich  erwiesen 
habe4).  Selbst  unparteiische  Ausländer  hielten  die  englischen 
Geldgesetze  für  weise.  Wir  wissen  dies  z.  B,  von  dem  in  Eng- 
land lange  sich  aufhaltenden  Karl  von  Orleans ö).  Heinrich  IV. 


*)  Der  Export  des  andern  halben  Waaren-Erlöses  war  nicht  schlecht- 
hin, sondern  auch  nur  nach  erholter  Licenz  den  fremden  Kaufleuten  ge- 
stattet    Rot  Pari.  IU.  S.  468;  2  Hen.  IV.  c.  5. 

2)  14  Ria  IL  c.  2. 

B)  Vgl.  Ruding,  Annals  of  the  coinage  HL  S.15;  Rymer  VIII.  S.441; 
Michel,  Histoire  du  commerce  et  de  la  navigation  a  Bordeaux  soub  Pad- 
ministration  Anglaise  I    S.  327. 

*)  Vgl.  z.  B.  4  Hen.  IV.  c.  16. 

5)  Er  lässt  den  englischen  Herold  sagen:  „Moreover  there  is  an  ancient 
law  in  England,  that  the  merchants  shall  never  carry  out  of  the  kingdom 
into  foreign  countries  either  gold  or  silver,  except  it  be  a  very  8 mall  sum: 
bat  they  can  export  in  abundance  the  before  mentioned  merchandise  ana 
seil  it  frr  gold  and  silver,  which  they  bring  home  mto  their  own  kingdom ; 
and  thus  they  cunningly  withdraw  and  bring  to  their  own  home  and  king- 
dom the  money  of  the  neighbouring  countries.  Also  when  foreign  merchants 
bring  wmes  or  other  commodities  into*  England,  the  English  let  them  seil 
their  merchandise,  but  never  suffer  them  to  carry  away  much  gold  or  silver; 
and  hence  such  merchants  must  of  necessity  buy  merchandise  or  barter  their 
own  for  that  of  England.  Thus  it  is  no  wonder,  that  there  should  be  great 
ricbes  of  gold  and  silver  in  England,  since  they  are  constantly  imported 
and  it  is  not  permitted  to  carry  them  away.  In  truth,  Lady  Prudence,  I 
think  it  certain,  that  considering  the  size  of  England  there  is  not  so  rieh 
a  country  in  Chris tendom".  Pyne,  England  and  France  in  the  fifteenth 
Century  1870.    S   64,  65. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  33 


—    514    — 

machte  zwar  aus  politischen  Gründen  zuweilen  gegenüber  den 
päpstlichen  Sammlungen  Goncessionen x),  willigte  auch  nicht 
ein,  als  die  Gemeinen  verlangten,  dass  man  die  fremden  Kauf- 
leute an  ihrem  jeweiligen  Aufenthalsotrt  durch  zwei  rechtschaffene 
Leute  tiberwachen  lassen  solle,  damit  sie  für  ihre  Wechsel  und 
ihren  Erlös  wirklich  Waaren  exportirten 2),  aber  im  Ganzen 
bezweckte  die  Gesetzgebung  unter  ihm  eine  wesentliche  Ver- 
schärfung. So  wurde  das  Statut  14  Ric.  II.  c.  2  in  Betreff  der 
Wechsel  durch  Hinzufügung  einer  bestimmten  Controleinrich- 
tung  verbessert3),  und  den  Lombarden  wurde  verboten,  durch 
Geheimschrift  den  Inhalt  ihrer  Wechselbriefe  zu  verdecken4). 
Die  wichtigste  Neuerung  war  aber  die,  dass  nicht  blos  der 
halbe,  sondern  der  ganze  Erlös  aus  importirten  Waaren,  wobei 
jedoch  ein  entsprechender  Abzug  für  Reise-  und  Frachtkosten 
gestattet  war,  auf  englische  Artikel  verwendet  werden  musste, 
und  dass  diese  Bestimmung  auch  auf  die  einheimischen  Kauf- 
leute ausgedehnt  wurde 6).  Die  Italiener  verlangten  vergeblich, 
dass  man  sie  von  der  Verpflichtung,  für  ihre  Wechsel  Waaren 
ankaufen  zu  müssen,  entbinde,  oder  ihnen  nur  gestatte,  ihren 
Waarenerlös  zum  Wollkauf  in  Calais  benützen  zu  dürfen6). 
Die  Geldausfuhr  wurde  immer  mehr  eingeschränkt.  Um  die 
Ueberwachung  zu  verstärken,  versprach  man  auch  den  Nicht- 
inspectoren  den  dritten  Theil  des  erspähten  ohne  Licenz  zur 
Ausfuhr  bestimmten  Geldes7).  Unter  Heinrich  V.  änderte 
man  in  der  Hauptsache  an  diesen  Gesetzen  nichts,  ausser  dass 
man  den  Wechselausstellern  auf  ihre  Bitte  hin  den  Termin, 
innerhalb  dessen  sie  Waaren  über  die  See  schicken  mussten, 
von  drei  auf  neun  Monate  verlängerte 8). 

Man  sollte  meinen,  dass  in  Folge  der  mehre  Decennien 
lang  fortgesetzten  Politik  das  Königreich  verhältnissmässig  gut 


*)  Rot.  Pari.  in.  S.  599  (1406):  sieh  aber  auch  III.  S.  616,  621  (1407). 

a)  Rot.  Pari.  III.  S.  548  (1403/4),  auch  III.  S.  (526  (1409/10),  wo  es 
unter  Andern  heisst:  „Et  qe  les  ditz  eschanges  soient  faitz  par  controllement 
des  loialx  et  süffisante  persones  Enriois  neez  a  ceo  assigners  par  le  coun- 
seill  avant  dit,  en  absence  de  qi  null  eschange  soit  fait;  et  qe  en  chescun 
brief  d' eschange  a  faire  soit  fait  mention  de  la  fourme  et  manere  avant 
ditz  etc". 

a)  Der  Kanzler  sollte  alle  14  Tage  Auszüge  aus  den  Wechselbriefen 
an  den  Exchequer  schicken,  der  auf  Grund  dieser  Mittheilungen  bei  den 
Zollbeamten  recherchiren  lassen  konnte.  Rot.  Pari.  III.  S.  626;  11  Ben. 
IV.  c.  8. 

4)  Nicolas,  Proceedings  etc.  I.  S.  289  (1406). 

e)  Rot.  Pari.  III.  S.  509,  510;  4  Hen.  IV.  c.  15  (1402):  vgl.  auch 
SirTraversTwiss,  The  black  book  of  the  admiralty  Vol.  I.  S.  159. 

6)  Rot.  Pari.  III.  S.554  (1404);  die  gleiche  Vergünstigung  verlangten 
1437  die  Niederländer,  hatten  aber  auch  keinen  Erfolg.  Kot  ParL  IV. 
S.  508. 

7)  4  Hen.  IV.  c.  16;  dauert  bis  zum  nächsten  Parlament 

8)  9  Hen.  V.  st.  2  c.  9  (1421),  dauert  bis  zum  nächsten  Parlament  und 
wird  durch  1  Hen.  VI.  c.  6  (1422)  bis  zum  nächsten  Parlament  verlängert. 
Rot.  Pari.  IV.  S.  155,  178. 


—    515    — 

mit  Geld  angefüllt  sein  musste.  Trotzdem  sah  man  mit  grosser 
Besorgniss  dem  drohenden  Geldverlust  entgegen,  als  der  König 
zu  seinem  Kampfe  gegen  Frankreich  sich  rüstete.  Um  den 
Export  an  gemünztem  Geld  möglichst  zu  beschränken,  unter- 
liessen  die  Gemeinen  nicht,  dem  König  Vorschläge  zu  unter- 
breiten. Sie  verlangten,  und  es  wurde  ihnen  auch  zugesagt, 
dass  von  dem  Ertrag  der  bewilligten  Steuer  Getreide,  Tücher 
und  was  sonst  der  König  und  seine  Soldaten  für  den  Feldzug 
brauchten,  in  England  angekauft  werde;  auch  die  Löhnung  der 
Soldaten  sollte  nicht  direct  mit  englischem  Gelde  bezahlt,  son- 
dern ihr  Betrag  in  der  Weise  aufgebracht  werden,  dass  man 
mit  einem  Theil  der  Steuer  in  England  Wolle  kaufe  und  sie 
in  der  Normandie  wieder  verkaufe J).  Es  scheint  aber  bei  all 
dem  nicht  gelungen  zu  sein,  die  Krisis  ganz  zu  verhüten ;  denn 
unter  den  Gründen,  welche  für  die  Berufung  des  Parlaments 
im  folgenden  Jahre  angegeben  wurden,  ist  auch  der  grosse 
allgemeine  Geldmangel  erwähnt 2).  Offenbar  hatten  die  Steuern 
für  den  Kriegsbedarf  nicht  genügt,  der  König  wird  vielmehr 
wie  seiner  Zeit  Eduard  HI.  genöthigt  gewesen  sein,  einen 
grossen  Theil  des  circulirenden  Geldes  durch  Creditoperationen 
an  sich  zu  ziehen.  Das  Parlament  wusste  keinen  andern  Rath, 
als  dass  man  wenigstens  die  sonstige  Geldausfuhr,  also  die  für 
Waaren  und  für  kirchliche  Zwecke  vollständig  unmöglich  mache 
und  deshalb  wie  Felonie  bestrafe,  wozu  aber  der  König  seine 
Hand  nicht  bot,  indem  er  blos  die  bereits  bestehenden  Sta- 
tuten auszuführen  versprach8). 

Unter  Heinrich  VI.  zeigten  sich  beträchtliche  Schwierig- 
keiten bezüglich  der  Geldgesetze.  Der  fortwährende  Krieg, 
aber  auch  der  Verkehr  an  sich  durchbrach  die  Schranken. 
Vor  Allem  war  es  das  Gold,  das  schwer  im  Lande  zu  halten 
war.  Dasselbe  eignete  sich  nicht  nur  besondere  gut  zum  Ex- 
port, indem  es  viel  leichter  zu  bergen  war,  sondern  es  war 
offenbar  auch  das  Goldgeld  in  seinem  Verhältniss  zum  Silber 
zu  niedrig  geschätzt4).  Italien  und  durch  dieses  Aegypten,  wo 
im  Mittelalter  das  Gold  die  factische  Währung  bildete,  zogen 
es  an  sich.  Der  Libell  of  English  Policye  sagt  von  den 
Venetianern : 

Auch  tragen  sie  das  Gold  aus  unserm  Land 
Und  saugen  uns  den  Wohlstand  aus  der  Hand5). 

1423  mussten  deshalb  die  fremden  Kaufleute  und  zwar 
jede  Gesellschaft  für  ihre  Mitglieder  Sicherheit  leisten,    dass 


r)  Rot  Pari.  IV.  S.  118  (1419). 
*)  Rot.  Pari.  IV.  8.  123  (1420). 
8)Rot  Pari.  IV.  S.  126. 

190 

4)  Im  Jahr   1412   war   das   Verhältniss    1  :  10-p=n-;  vgl.  damit  die 

Wechselcurse  von  Venedig  auf  London  bei  Brown,  Cal.  II.  Pref.  S.LXXM. 

5)  Hertzbergs  üebersetzung  V.  396,  397.    S.  80. 

33* 


—    516     - 

keiner  von  ihnen  Gold  oder  Silber  gegen  die  Statuten  aus- 
führe1). 1429  verbot  man  ihnen,  einen  Engländer  zur  Zahlung 
in  Gold  zu  verpflichten  oder  die  Zahlung  in  Silber  zu  ver- 
weigern2). Andere  Vorschläge  des  Parlaments,  welche  die 
Verhinderung  des  Geldexports  betrafen,  wurden  von  der  Re- 
gierung zurückgewiesen,  weil  sie  gleichzeitig  eine  zu  grosse 
Bevormundung  der  fremden  Kaufleute  involvirten  *).  Eine  Bill 
wurde  sogar  gleich  von  den  Gemeinen  verworfen.  Darin  war 
verlangt,  dass  jeder  fremde  Importeur  von  Getreide,  Lebens- 
mitteln oder  andern  Waaren  persönlich  beim  Zollbeamten  de- 
clarire  und  schwöre,  dass  er  den  gesammten  Erlös  auf  eng- 
lische Waaren  verwenden  wolle;  beim  Verlassen  des  Landes 
sollte  er  wieder  zu  dem  Zollbeamten  gehen  und  im  Allgemeinen 
angeben,  in  welcher  Weise  dies  geschehen  sei ;  die  Zollbehörden 
sollten  nichts  für  die  Abnahme  des  Eides  verlangen  dürfen. 
Wenn  sie  die  Ordonnanz  nicht  genau  ausführten,  war  ihnen 
die  Strafe  des  Meineids,  Vertreibung  vom  Amt  neben  Geld- 
bussen angedroht4).  Man  änderte  diese  Bestimmungen  dahin  ab, 
dass  man  die  Beamten  ermächtigte,  die  ankommenden  Schiffe 
anzuhalten  und  Sicherheit  von  den  Fremden  zu  fordern,  auch 
Jedermann  gestattete,  einen  pflichtvergessenen  Zollbeamten  in 
Anklagestand  zu  versetzen5). 

Eduard  IV.  scheint  am  Anfang  seiner  Regierung  die  Geld- 
gesetze milde  ausgeführt  zu  haben;  man  erleichterte  sogar 
etwas  den  fremden  Kaufleuten  die  Sicherheitsleistung  für  die 
Verwendung  des  Erlöses  auf  englische  Artikel 6).    Später  aber 


*)  2  Hen.  VI.  c.  6. 

*)  In  den  Motiven  heisst  es,  dass  die  Fremden  nur  Nobel  nehmen 
wollen,  „les  queux  de  temps  en  temps  ils  amesnent  hors  da  roi&lme  en 
aatres  estraunges  paus,  loa  ils  sount  chaungiez  a  lour  encrece  et  forgez 
en  autres  coignes  ensy  q'ils  gaignent  en  l'allai  de  chescan  noble  20  d  en- 
contre  le  tenure  des  estatatz  ent  raitz  a  graunde  prejadice  du  roi  et  de 
son  roialme  universel".  Das  Gesetz  wurde  noch  unter  Heinrich  VIII.  an- 
gewendet; denn  in  den  Verhandlungen  der  Hansen  mit  den  Engländern 
vom  Jahre  1520  heisst  es:  „Item  conqueruntur  generalem  legem  essein 
Anglia  semper  hactenus  observatam,  ne  alicui  forensi  ab  Anglico  aurum 
solvatur.  Alioquin  solvens  tantundem  eciam  regi  solvere  cogitur.  Qae  cum 
generalis  sit  et  nostris  optime  nota,  male'  illos  agere,  qui  contra  illam  con- 
trahunt,  cum  sciant,  se  rem  vetitam  et  interdictam  agere,  propterea  merito 
eorum  securitati  imputandum  fore  et  suo  periculo  agere,  si  hoc  faciant 
Bon  um  itaque  et  salubre  consilium  esse,  ut  vel  a  tau  vetito  contractu  ab- 
stineant,  vel,  dum  contrahunt,  monetam  grossam  argenteam  solvi  conveniant 
adiecta  pena,  si  contrarium  fiat,  hoc  modo  raturis  ut  legalem  monetam  re- 
cipiant  et  legi  regie  se  conforment"  Kölner  St.  A.  Acta  Anglicana  1434 
bis  1521. 

8)  Rot.  Pari.  IV.  S.  328,  449,  453  (1427/33);  vgl.  auch  18  Hen.  VL 
c.  4  und  Rot.  Pari.  V.  S.  25,  442. 

4)  Rot   Pari.  V.  S.  156  (1449). 

£)  27  Hen.  VI.  c.  3. 

,J)  4  Ed.  IV.  c  6;  das  Statut  wurde  beim  nächsten  Parlament  nicht 
erneuert. 


—    517    — 

regten  die  Gemeinen  die  Frage  des  Geldexports  an  und  Hessen 
bei  Bewilligung  der  Steuern  durch  ihren  Sprecher  den  König 
bitten,  sowohl  gegen  die  offenen  Erpressungen  im  Innern  ein- 
zuschreiten, als  auch  bezüglich  der  Bewachung  des  Meers  und 
der  Geldausfuhr1)  vorzusorgen. 

Im  Jahre  1477  unternahm  denn  auch  die  Regierung  eine 
vollständige  Neuordnung  der  wichtigsten  Geldgesetze,  von  denen 
gesagt  wird,  dass  sie  sehr  häufig  übertreten  würden.  Man 
griff  nicht  blos  wieder  auf  die  Statuten  9  Ed.  in.  st  2  c.  1  fg., 
17  Ric.  IL  c.  1,  2  Hen.  IV.  c.  6,  2  Hen.  VI.  c.  6  zurück, 
welche  die  Circulation  fremden  schlechten  Geldes  und  das  Ein- 
schmelzen der  Münzen  durch  die  Goldschmiede  betrafen,  son- 
dern man  verbot  auch  wieder  strengstens  jede  Ausfuhr  von 
Geld  und  Edelmetall,  für  die  nicht  vorerst  eine  Licenz  erholt 
worden  war,  setzte  sogar  auf  die  Verletzung  die  Strafe  der 
Felonie.  Die  Licenz  sollte  nur  in  bestimmten  Fällen  gewährt 
werden,  so  wenn  es  sich  um  den  Betrag  handelte,  den  die 
Soldaten  mitnähmen  und  um  Lösegelder  für  Gefangene,  ferner 
um  Gesandte  oder  Fremde.  Den  Weinimporteuren  war  ge- 
stattet, einen  Weinbecher  auszuführen;  ebenso  war  auf  hoch- 
gestellte Personen,  Klöster  und  Geistliche  gebührend  Rücksicht 
genommen;  aus  Calais  durfte  sieben  Jahre  hindurch  überall 
hin  Geld  exportirt  werden.  Die  letztere  Bestimmung  zeigt, 
wie  vollständig  man  mit  der  früheren  Regelung  des  Geld- 
zuflusses von  Calais  aus  nach  England  gebrochen  hatte  und  die 
Wichtigkeit  der  freien  Geldbewegung  für  den  Stapelverkehr 
erkannte.  Bezüglich  der  Verwendung  des  Erlöses  für  impor- 
tirte  Waaren  in  England  unterwarf  man  im  Anschluss  an  das 
Gesetz  5  Hen.  IV.  c  9  die  Fremden  einer  strengeren  Controle, 
indem  sie  vor  ihrer  Abreise  dem  Controleur  ein  Schreiben  des 
Kaufmanns,  von  dem  sie  ihre  Waaren  gekauft  oder  an  den  sie 
Zahlung  geleistet  hatten,  vorlegen  oder  sonst  sich  ausweisen 
mussten  *). 

Heinrich  Vü.  war  noch  weniger  als  Eduard  IV.  gewillt, 
das  bestehende  Recht  zu  mildern  oder  ausser  Uebung  kommen 
zu  lassen,  er  sah  vielmehr  in  den  Geldgesetzen  eine  der  wich- 
tigsten Handhaben,  um  die  Füllung  seiner  Koffer  möglich  zu 
machen.  Er  verschärfte  die  Acte  wegen  Verwendung  des 
Waarenerlöses,  indem  er  die  Sicherheitsleistung  der  Kaufleute 
nicht  mehr  dem  Ermessen  der  Zollbeamten  überliess,  sondern 
obligatorisch  machte;  er  unterwarf  die  Irländer  und  die  Kauf- 
leute von  Guernsey  dem  Gesetz,  erhöhte  die  Belohnung  des 


*)  „necnon  auri  et  argenti  ad  partes  exteras  eductione  nimis  damp- 
nosa,  unde  regnum  Anglie  et  communes  ejusdem  erant  graviter  depauperati, 
reraedium  oportunum  celeriter  providere  placeret"    Rot.  Pari.  VI.  S.  111 

*)  Rot  Pari.  VI.  S.  183  fg.;  17  Ed.  IV.  c.  1. 


—    518     — 

Entdeckers  von  Uebertretungen  um  die  Hälfte,  hielt  darauf, 
dass  für  die  auszustellenden  Wechsel  eine  Licenz  nachgesucht 
werde J).  Die  oben  erwähnte  Acte  Eduards  IV.  galt  nur  bis  zum 
Jahre  1484,  wurde,  aber  in  etwas  erweiterter  Gestalt  1489  auf 
20  Jahre  erneuert,  weil,  wie  die  Motive  behaupten,  seit  dem 
Erlöschen  des  Gesetzes  die  Ausfuhr  von  Gold  und  Silber  nach 
Flandern,  der  Normandie,  Bretagne,  Bordeaux,  Irland  und  an- 
dern überseeischen  Gebieten  grosse  Dimensionen  angenommen 
hatte2).  Die  strenge  Handhabung  der  Acte  unter  Heinrich  VII. 
ist  bekannt.  Sogar  Erasmus  musste  es  ertragen,  dass  ihm,  als 
er  das  Land  verliess,  der  Sucher  in  Dover  seinen  ganzen  im 
Land  erworbenen,  aus  20  SS  bestehenden  Verdienst  wegnahm. 
Das  Gesetz  trat  gerade  mit  dem  Tode  Heinrichs  VH.  ausser 
Kraft,  wurde  unter  Heinrich  VIH.  aber  sofort  bis  zum  Ende 
des  nächsten  Parlaments  und  dann  abermals  erneuert,  „da  es 
zum  grössern  Theil  für  gut  und  nothwendig  befunden  worden 
war";  nur  ersetzte  man  die  Strafe  der  Felonie  durch  einen 
Geldbetrag,  der  das  Doppelte  des  widerrechtlich  Exportirten 
ausmachen  sollte 3).  Mit  dem  Jahr  1523  lief  der  Gültigkeitstermin 
der  Acte  ab,  ohne  dass  wir  von  einer  Wiedererneuerung  lesen. 
Man  möchte  aus  einer  Aeusserung  des  Königs  gegenüber 
dem  niederländischen  Gesandten  Jouglet,  derzufolge  er  sich 
weigerte,  die  Ausfuhr  der  Angelotten  zu  verbieten,  weil  eine 
solche  Massregel  in  die  Handelsspeculationen  seiner  Unter- 
thanen  eingreife4),  schliessen,  dass  der  Geldexport  vollständig 
frei  war.  Das  wäre  aber  unrichtig.  Seit  man  den  bedenk- 
lichen Weg  der  Münzverschlechterung  beschritten,  trat  zwar 
sicherlich  eine  laxere  Uebung  ein5).  Aber  rechtlich  blieb  der 
Export  immer  verboten,  wenn  auch  die  Erneuerung  des  oben 
genannten  Gesetzes  3  Hen.  VHL  c.  1  unterblieben  war;  denn 
die  alten  Statuten  waren  nicht  zurückgenommen,  bestanden 


»)  3  Hen.  VII.  c.  6.  9. 

«)  4  Hen.  VH.  c.  23. 

8)  1  Hen.  VIII.  c.  13;  vgl.  auch  Lords'  Journals  1  Hen.  Vül. 
11°  u.  16°  die  Pari.  3  Hen.  VIII.  c.  1.  Ein  Beispiel  dafür,  dass  die  Acte 
noch  1521  beobachtet  wurde,  liefert  die  Licenz  an  A.  Pinelli;  Brewer, 
Cal.  III.  1531. 

*)  Sieh  oben  S.  62,  63. 

3)  So  heisst  es  bei  W.  Thomas,  Pilgrim  1546  ed.  Froude:  „Sureto 
these  jour  commodities  rehearsed  are  very  notable,  and  I  marvel  not  though 
your  Island  be  rieh  and  wealthy  (as  it  is  reported)  seeing  that  it  h&th  so 
many  means  to  draw  money  into  it,  when  on  the  other  side  that  money 
that  cometh  into  your  hands  can  never  be  had  out  again;  for  your  king 
hath  kept  the  passage  so  straitly,  that  no  man  could  carry  out  of  tbe 
realm  in  ready  money  above  10  ducats;  so  that  it  is  no  marvel,  said  he, 
though  he  had  mountains  of  gold ,  as  they  sav  he  had.  No,  said  anotber 
of  them  that  law  is  finished.  Itis  true,  that  whilst  the  English  money 
was  better  than  other  money.  no  man,  as  von  Bay,  could  carry  it  away; 
but  now  that  the  said  king  for  his  own  private  gain  hath  made  it  worse 
than  any  other  money,  each  man  may  carry  away  so  much  as  him  liketh". 


—    519    — 

vielmehr  fort.  In  der  Tbat  begegnen  wir  einzelnen  Beispielen, 
die  diese  Ansicht  bestätigen.  So  wurde  1541  das  in  einem 
schottischen  Schiff  befindliche  Geld  confiscirt,  weil  es  zum  Ex- 
port bestimmt  war *)  und  1546  (Dez.)  ein  französischer  Courier 
vom  Sucher  zu  Dover  auf  Grund  des  geltenden  Rechtes  visi- 
tirt  und  dabei  die  Beschwerde  des  ersteren  von  der  Regierung 
dahin  beschieden,  dass  allerdings  kraft  Gesetzes  keine  Person 
Geld  aus  England  ausführen  dürfe,  dass  aber  Gouriere  und 
Posten  immer  ausgenommen  worden  seien2). 

Auch  die  Beschränkungen  in  Betreff  der  Wechsel  wurden 
noch  ziemlich  lange  aufrecht  erhalten.  Der  Beweis  dafür  liegt 
in  der  ununterbrochenen  Besetzung  des  Wechselbriefamts8). 
Die  allerersten  Keime  zu  demselben  darf  man  vielleicht  in  den 
für  Andere  ausgestellten  Creditbriefen  des  Königs  Johann  ohne 
Land  suchen4).  Seine  wirkliche  Entstehung  dagegen  hängt 
wohl  mit  dem  früher  erwähnten  Gesetz  Richards  IL  zusammen, 


*)  Nicolas,  Proceedings  etc.  VII.  S.  222. 

*)  State  Papers  XL  S.  394;  vgl.  auch  X.  S.  593—95. 

")  Von  diesem  Amt  nahm  man  bisher  keine  Notiz  in  der  Literatur. 
Die  doppelte  Bedeutung  des  Wortes  cambium  und  escambium  (exchange) 
machte  es  möglich,  dass  man  Alles,  was  dahin  gehörte,  einfach  mit  den 
H&ndwech8el8tellen  (ezchanges)  zusammenwarf.  Die  Aufgabe  der  letzteren 
war,  Münzen  aus  einem  Metall  gegen  solche  aus  einem  andern  umzutauschen, 
verarbeitetes  Geschirr,  Barren  und  fremde  Münzen  entsprechend  ihrer 
Feinheit  anzunehmen,  fremde  Münzen  gegen  einheimische  und  umgekehrt 
umzuwechseln,  bei  Neuprägungen  die  alten  einzuziehen  und  neue  dafür  aus- 
zugeben. Diese  Exchanges  waren  wahrscheinlich  von  der  frühesten  Zeit  an 
königl.  Regal,  das  Geldwechseln  durfte  wenigstens  von  Niemand  zu  einem 
Erwerbszweige  gemacht  werden.  (Vgl.  M.  Paris,  Historia  Maior  ed.  Wil. 
Wate  1640.  S.  948  ad  annum  1257  •  5  Ed.  IL  Ordinances  c.  30  17  Ed.  III. 
16  Ed.  III.  stat.  2  c  6.  25  Ed.  III.  st.  5  c.  12  u  s.  w.;  ferner  Ruding, 
Annais  of  coinage  III.  S.  VII.  XIII  fg.).  Dieselben  sollen  bis  in  die  Mitte 
der  Regierungszeit  Heinrichs  VIII.  bestanden  haben;  von  da  an  habe  man 
sie  wegen  der  Münzverschlechterungen  nicht  mehr  aufrecht  erhalten  können; 
die  Goldschmiede  rissen  das  Geschäft  an  sich  (vgl.  Ruding  a  a.  0.;  ebenso 
über  den  Versuch  unter  Elis.,  das  Amt  wieder  zu  errichten  S.  XXVII;  sieh 
ferner  Cotton,  PosthumaThe  manner  and  meanes,  how  the  kings  of  Eng- 
land had  from  time  to  time  supported  and  repaired  their  estates  S.  197; 
derselbe  glaubt,  der  König  könne  bei  Wiedereinführung  dieses  Regals 
10  000  £  jährlich  gewinnen).  Dass  von  diesen  Exchanges  die  Custody  of 
Exchange  for  foreign  countries  etc.,  oder  das  Wechselbriefamt  zu  trennen 
ist,  dürfte  aus  der  im  Text  gegebenen  Entwicklung  von  selbst  folgen.  Auch 
der  gelehrte  Ruding  hat  die  Verwirrung  nicht  beseitigt,  sondern  noch  ge- 
fördert. Er  nimmt  cambium  und  excambium  immer  nur  als  Geldwechseln; 
deshalb  fasst  er  auch  die  Proklamationen  von  1530  und  1539  in  diesem 
Sinne  auf.  Zuweilen  ist  man  allerdings  kaum  im  Stande,  mit  Sicherheit  zu 
entscheiden,  ob  man  es  mit  der  einen  oder  andern  Institution  zu  thun  hat; 
ja  wir  wissen,  dass  schon  zur  Zeit  der  Elisabeth  Zweifel  bestanden,  wie 
das  Wort  Exchange  in  den  verschiedenen  Gesetzen  zu  interpretiren  sei; 
vgl.  Urk.  Beil.  164. 

4)  Bond,  Extracts  relative  to  the  loans  supplied  by  Italian  merchants 
to  the  kings  of  England  in  the  13th  and  \4ih  Centimes  in  der  Archaeologia 
London.  XXVIIL    S.  217,  218. 


—    520    — 

das,  wie  wir  wissen,  die  Ausstellung  eines  Wechsels  an  eine 
Licenz  knüpfte.  Die  letztere  wurde  anfangs  vom  Kanzler  er- 
theilt1).  Bald  beanspruchte  aber  die  Regierung  mehr.  Sie 
gestattete  den  Kaufleuten,  nur  für  ihre  Waaren  Wechsel  aus- 
zustellen, die  Ausstellung  der  übrigen  monopolisirte  sie  und 
verpachtete  dieses  Monopol.  Dadurch  wurde  aber  das  geltende 
Recht  hinsichtlich  der  Wechseldeckung  nicht  alterirt,  die 
Deckung  durch  Hinaussenden  von  Geld  blieb  vielmehr  nach 
wie  vor  verboten 2). 


x)  Sieh  oben  S   512,  513. 

8)  Als  Beleg  für  die  obige  Darstellung  kann  die  Verleihung  an  Ludwig 
Johann  im  Jahre  1414,  Mai  26,  gelten,  die  wir  der  Wichtigkeit  wegen  folgen 
lassen:  „Sciatis,  quod  de  gratia  nostra  speciali  concessimus  dilecto  senrienti 
no8tro  Lodowico  Johan,  quod  ipse  per  se  et  deputatos  suos  a  data  prae- 
sentium  usque  finem  trium  annorum  proximo  sequentium  de  tempore  in 
tempus  recipere  possit  de  quibuscumque  personis,  quae  versus  curiam  Ro- 
manam,  civitatem  Venetiae  vel  ad  loca,  ubi  sanctissimus  pater  Papa  pro 
tempore  extiterit,  aut  alias  partes  transmarinas  transire,  vel  quae  ad  dictas 
civitates  et  partes  nuncios,  procuratores  vel  attornatos  suos  pro  eorum  ne- 
gotiis  inibi  taciendis  destinare  voiuerint,  tales  et  tantas  sumraas  monetae 
prout  eisdem  personis  praefato  Lodowico  aut  deputatis  suis  praedictis  con- 
ferre  aive  mittere  melias  placuerit,  et  quod  idem  Lodowicus  et  deputati 
sui  praedicti  litteras  escambii  hujusmodi  personis,  prout  melius  sibi  vide- 
bitur,  pro  solutione  summarum,  quas  eaedem  personae  sibi  conferent  aot 
mitteilt,  debite  facienda  de  tempore  in  tempus  libere  facere  possint,  reddendo 
nobis  ad  finem  cujuslibet  anni  dictorum  annorum  ducentas  marcas  ad  scac- 
carium  nostrum,  proviso  semper,  quod  idem  Lodowicus  aut  deputati  sui 
praedicti  aut  aliquis  alias  eorum  nomine  et  colore  praesentis  concessionis 
nostrae  aurum  vel  argentum  in  massa  vel  moneta  ad  partes  praedictas  non 
tran8mittant  Et  ulterius  concessimus  eidem  Lodowico,  quod  canoellarius 
Angliae  vel  "custos  magni  sigilli  nostri,  qui  infra  terminum  praedictum  erit, 
non  concedet  aliquod  breve  de  escambio  alicui  alten  personae,  nisi  dum- 
taxat  praefato  Lodowico  et  deputatis  suis  durante  termino  praedicto.  Con- 
cessimus etiam  ei,  quod  nulla  alia  persona,  cujuscumque  nationis  sea  con- 
ditionis  existat,  nisi  tantum  mercatores  —  et  hoc  mercatorie  et  pro  mercan- 
disis  et  nulla  alia  causa  —  faciat  escambia  vel  literas  escambii  durante 
termino  praedicto  infra  regnum  nostrum  praedictum  aut  extra  sub  poenis 
inferius  aeclaratis  nee  aliquam  monetam  usque  Brügges  aut  aliam  civitatem 
aut  villam  ultra  partes  transmarinas  pro  hujusmodi  escambiis  versus  curiam, 
civitates  et  villas  aut  alia  loca  praeaieta  faciendis  eodem  termino  durante 
mittet  seu  mitti  faciat  sub  poena  amissionis  talis  summae,  de  qua  literas 
hujusmodi  escambii  fecerit,  de  cujus  summae  una  medietate  nobis  et  de 
altera  medietate  praefato  Lodowico  erit  responsum,  et  sub  poena  impri- 
sonamenti  et  faciendi  nobis  finem  et  redemptionem  ex  causis  praedictis;  et 
quod  idem  Lodowicus  vigore  praesentis  concessionis  nostrae  arestare  possit, 
vel  per  officiarios  nostros  facere  arestari  omnes  illos,  qui  hanc  concesBionem 
in  aliquo  contravenerint;  et  quod  idem  Lodowicus  habeat  brevia  de  pro- 
clamationibus  faciendis  et  omnia  alia  brevia  in  hac  parte  competentia  et 
necessaria,  prout  casus  exigerit,  extra  cancellariam  nostram  et  alias  curias 
noBtras,  quotiens  opus  fuerit  et  sibi  videbitur  expedire  absque  aliquo  feodo 
sigilli  pro  eis  solvendou.  Rymer  IX.  S.  130.  Entsprechend  dieser  Ein- 
richtung bat  1440  der  Collector  des  Papstes  um  die  Licenz,  „quod  ipse  to- 
tam  ouantitatem  dietae  monetae  perantea  collectae  et  exnunc  colligendae  — 
per  literas  nostras  (sc.  regias)  cambii  —  mittere  possit**.   Rymer  X.  S.  764. 


—    521    — 

Unter  den  Tudors  behielt  das  Institut  seinen  Character 
in  der  Hauptsache  bei.  Nur  beschränkte  man  seinen  Wirkungs- 
kreis noch  etwas  bestimmter  auf  den  Wechselverkehr  nach 
Italien1).  Auch  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  man  den 
Geldezport  zur  Deckung  dieser  Wechsel  gestattete.  In  einer 
Verleihungsurkunde  von  1509 *)  fehlt  der  Passus,  der  noch 
in  der  vom  Jahre  1414  die  Geldausfuhr  für  diesen  Zweck 
untersagt  Im  Jahre  1510  ging  man  mit  dem  Gedanken  um, 
zu  verbieten,  dass  die  Deckung  der  auf  Rom,  Wien,  Paris  und 
andere  continentale  Plätze  lautenden  Wechsel  durch  Hinaus- 
senden von  Baargeld  geschehe.  In  dem  noch  erhaltenen 
Concept  einer  bezüglichen  Bill  sind  die  Kauf  leute  ausdrücklich 
ausgenommen,  sie  sollten,  wie  bisher,  frei  und  ungehindert 
Wechsel  ausstellen  können.  Der  ganze  Entwurf  scheint  übrigens 
gar  nicht  an  die  gesetzgebenden  Körper  gelangt  zu  sein 3). 

Aus  all  dem  möchte  man  schliessen,  dass  man  unter 
Heinrich  VIII.  die  Gesetze  in  Betreff  der  Wechsel  nur  noch 
benützte,  um  den  dadurch  hervorgerufenen  Geldexport  zu  be- 
steuern, nicht  aber  eigentlich  zu  verhindern.  Anfangs  setzte 
vermuthlich  die  Regierung  dem  Inhaber  des  Wechselamts  die 
Provision  fest,  die  er  nehmen  durfte,  später  überliess  sie  die- 
sem, nach  Massgabe  der  Ortsentfernung,  Zeitdauer  und  Gefahr 
die  Gebühr4)  zu  berechnen  für  die  von  ihm  oder  seinem  Be- 
vollmächtigten ausgestellten  Wechsel.  Unter  Eduard  IV.  hatten 
W.  Hatteclyf  und  M.  Burghill,  unter  Heinrich  VII.  Rieh.  Fox, 
Bischof  von  Winchester,  das  Amt  inne 5),  gegen  Ende  der  Re- 
gierung Heinrichs  VII.  Henry  Tofft  aus  London6).  Unter 
Heinrich  VIII.  wurde  dasselbe  am  20.  Juli  1509  an  Thom. 
Boleyn  bis  auf  Weiteres  verliehen7);  1511  übertrug  Heinrich 
VIII.  das  Amt  an  George  Ardeson,  einen  Genuesen8);  1512 
trat  mit  letzterem  John  Sharp  in  Verbindung,  und  beide  er- 


')  Die  Stapelkaufleute  wurden  ganz  speciell  von  den  Gesetzen  in  Be- 
treif des  Wechselge8ch&ftes  ausgenommen.  Sieh  Rot.  Pari.  VI.  S.  897, 
525  (1487  und  1503). 

*)  Rymer  XIII.  S.  258:  vgl.  ausserdem  Brewer,  Cal.  I.  5156  und 
ürk.  Beil.  115. 

8)  R.  0.  Brewer,  Cal.  I.  814. 

4)  So  heißet  es  in  dem  Verleihungsbrief  Boleyn' s  vom  20.  Juli  1509 : 
rpereipiendo  pro  eisdem  escambiis,  quotiens  per  ipsum  aut  deputatos  seu 
tttignatos  8Uos  facti  fuerint,  —  prout  attentis  locorum  hujusmodi  discrimi- 
nibus  ac  mora  et  periculis  pro  tempore  imminentibus  potent  concordare". 
Rymer  XIIL  S.  258. 

6)  Rot.  Pari.  V.  S.  377,  529;  Brewer,  Cal.  L  5156. 

6)  Vgl.  Brewer,  Cal.  I.  2015.  Die  Auswechslung  der  italienischen 
Ducaten  gegen  englisches  Geld  und  umgekehrt  war  gleichzeitig  dem  Peter 
Corsy  auf  ein  Jahr  übertragen.    (1508.  20.  Juli.    Rymer  XIIL  216). 

"')  Rymer  XIIL  S.  258;  der  Vorstand  des  Geldaustauschamtes  von  1 — 4 
Heu.  VIII.  war  Henry  Wiatt    Ruding,  Annais  of  coinage  I.  S.  121. 

8)  Brewer,  Cal.  I.  1816.    Urk.  Beil.  151. 


—    522    — 

hielten  das  Privileg  auf  30  Jahre1).  1520  starb  John  Sharp, 
und  Thomas  More  rückte  in  seine  Stelle  ein*).  Dass  George 
Ardeson,  der  als  der  eigentliche  Geschäftsleiter  angesehen 
werden  muss,  im  Interesse  seines  Vortheils  streng  sein  Privi- 
leg wahrte,  dafür  fehlt  es  nicht  an  Beispielen3).  Ob  nach 
seinem  Tode,  beziehungsweise  nach  Ablauf  des  Privilegs  (1532) 
das  Amt  erneuert  wurde,  muss  bezweifelt  werden.  Seit  der  Re- 
formation hörten  die  Geldsendungen  für  den  päpstlichen  Hof 
auf,  und  auf  diese  sowie  auf  die  von  der  Verleihung  kirch- 
licher Aemter  an  Ausländer  herrührenden  Geldsendungen  war 
es  doch  in  erster  Linie  abgesehen,  sie  waren  auch  noch  am 
sichersten  zu  controliren,  kamen  somit  für  den  Inhaber  des 
Wechselamts  zunächst  in  Rechnung.  Man  darf  also  annehmen, 
dass  auch  die  Ausstellung  und  Gelddeckung  der  Wechsel  für 
Italien  an  keine  bestimmte  Organisation  mehr  gebunden,  viel- 
mehr für  sie  ähnliche  Freiheit  wie  hinsichtlich  der  kaufmän- 
nischen Wechsel  gestattet  wurde. 

Den  letzteren  drohte  freilich  nach  dem  Tode  Wolseys 
grosse  Gefahr.  Die  Münzverschlechterung  trieb  das  alte  gute 
Geld  aus  dem  Lande,  und  man  hoffte  wahrscheinlich  durch 
eine  Beschränkung  der  Wechselfreiheit  einen  wirksamen  Ge- 
gendruck zu  schaffen.  Man  berief  die  höchsten  Richter,  durch- 
forschte die  Landesgesetze,  ob  nicht  ein  Statut  zu  einer  dieses 
Uebel  hemmenden  Proclamation  benützt  werden  könnte4). 
Man  fand  schliesslich  das  uns  bekannte  Gesetz  5  Rieh.  II.  c. 
2  zu  diesem  Zwecke  geeignet.  Keine  Person  sollte  fortan  der 
genannten  Acte  entgegen  einen  Wechsel  ausstellen,  beziehungs- 
weise durch  Geld  decken,  sondern  die  Kaufleute  sollten  ihren 
Erlöss  auf  englische  Artikel  verwenden,  damit  diese  zu  Absatz 
kämen  zürn  Vortheil  des  Königs  und  der  Unterthanen.  Die 
Befügniss  zur  Licenzertheilung,  wenn  ein  Wechsel  aus- 
gestellt werden  sollte,  wurde,  wie  es  scheint,  dem  bekannten 
Audeley  übertragen5).  Der  erste  Eindruck,  den  die  Procla- 
mation machte,  war  sehr  gross;  sogar  die  Chronikschreiber 
der  Zeit,  welche  so  selten  öconomische  Vorgänge  der  Beach- 
tung für  werth  hielten,  nahmen  Notiz  davon.  Nach  Hall  war 
der  unmittelbare  Effect  ein  guter6),  in  „Kurzem  war  aber  die 
Verordnung  vergessen" 7).  Der  Chronist  hätte  beifügen  sollen, 
dass  sie  auch  zurückgenommen  wurde.    Richard  Gresham,  der 

*)  Brewer,  Cal.  I.  3265;  gleichzeitig  war  custos  cambii  et  monete 
John  Coppinger.  (4  Hen.  VIII )  und  Thomas  Pope  (26  Hen.  VIII).  Ru- 
ding  I.  S.  121. 

2)  Brewer,  Cal.  III.  1073. 

')  Vgl.  Brewer,  Cal.  I.  5156. 

4)  ürk.  Beil.  155. 

6)  Vgl.  ürk.  Beil.  158. 

°)  Zollregister  Nr.  II.  lässt  für  die  betreffende  Zeit  keine  Steigerung 
erkennen.    Bd.  II.   S.  48  fg. 

7)  „After  this  proclamacion  many  clothes  and  other  commodities  of  this 


—    523    — 

Onkel  des  berühmten  Thom.  Graham  war  während  seines 
Bürgermeisteramts  (1538) x)  für  die  Kaufleute  eingetreten;  er 
legte  dar,  wie  die  Wechsel  vielfach  gerade  geeignet  seien,  das 
Geld  im  Lande  zu  erhalten,  und  dass  die  Kaufleute  ohne 
Wechsel  ebenso  wenig  bestehen  könnten,  wie  die  Schiffe  in 
der  See  ohne  Wasser2).  Seiner  einflussreichen  Stimme  wurde 
Gehör  geschenkt  Der  König  Hess  die  völlig  gebührenlose 
und  ungehinderte  Wechselfreiheit  anfangs  mit,  später  ohne 
zeitliche  Begrenzung  proclamiren 8).  Ganz  gegen  Ende  seiner 
Regierung  machte  Heinrich  VIII.  nochmals  den  Versuch,  zwar 
nicht  direct  das  Wechselbriefgeschäft  lahm  zu  legen,  aber  doch 
die  Bestimmung  wegen  Verordnung  des  Waarenerlöses  zu  er- 
zwingen. Er  verlangte  1546  von  den  Kauf  leuten  eine  Caution, 
dass  sie  sicher  während  der  Dauer  eines  Jahres  dem  Gebot 
nachkommen  wollten 4).  Unter  Eduard  VI. 5)  und  Elisabeth  6) 
wurden  erneute  Ansätze  gemacht,  die  Wechselfreiheit  zu 
beschränken  oder  doch  zu  besteuern,  man  musste  aber  nach 
kurzer  Zeit  immer  wieder  zum  alten  Zustande  zurückkehren  7). 
Die  vorstehenden  Ausführungen  möchten  ein  ungefähres  Bild 
geben,  wie  man  die  Regelung  des  Geldimports  durch  möglichste 
Verhinderung  des  Exports  zu  ergänzen  suchte.  Sie  zeigen,  wie 
aus  vereinzelten  momentanen  Massnahmen  allmählig  ein  festes 
System  sich  herausbildete.  Die  betreffenden  Gesetze  fassten 
Wurzel,  so  dass  man  sie  lange  für  ganz  unentbehrlich  hielt. 
Aehnlich  wie  aber  die  Ordnung  des  Geldimports  schliesslich 
durch  die  Macht  des  Verkehrs  unterwühlt  wurde,  so  war  es, 
wenn  auch  in  schwächerem  Masse,  mit  den  Gesetzen  gegen  den 


realme  were  well  sohle,  but  shortly  after  merchauntes  feil  to  exchaunge 
agayne  and  proclamacion  was  shortly  forgotten.    Hall,   Chronicle  S.  781. 

*)  Bekannt  ist  auch,  wie  derselbe  Rieh.  Gresham  zuerst  die  Errich- 
tung einer  Börse  ins  Auge  fasste  (Urk.  Beil.  156),  nachdem  die  Kaufleute 
das  Angebot  des  Königs,  die  Leadenhall  ihren  Zusammenkünften  zur  Ver- 
fügung zu  stellen,  abgelehnt  hatten  (1534  oder  1535).  Burgon,  Life  of 
Gresham  I.  S.  30.  Kurze  Zeit  nach  Greshams  Brief  beschäftigte  sich  auch 
das  Parlament,  allein  es  scheint  ohne  Erfolg,  mit  dieser  Angelegenheit. 
Eine  „billa  concernens  novum  edificium  pro  mercatorum  congregatione 
Londini  fiendum"  wurde  im  Oberhaus  der  ersten  und  zweiten  Lesung  un- 
terzogen 31  Hen.  VIII.  23°  und  25°  die  Parliamenti  (Lords  Journals). 

*)  Urk.  Beil.  156. 

*)  Urk.  Beil  157. 

')  Br.  M.  Cotton  Ms.  Galba  B.  X.  fo.  247. 

*)  Eduard  VI.  hob  die  Wechselfreiheit  auf  im  Juni  1552 ,  stellte  sie 
aber  auf  Bitten  der  Kaufleute  wieder  her  durch  Proclamation  vom  23  März 
1553.    Eine  Copie  der  letztern  in  Lord  CalthorpesMs.  Vol.  XX.  fo.  65. 

•)  Vgl.  die  interessanten  Ausführungen  der  Urk.  Beil.  163,  164; 
auch  G.  Malynes,  The  maintenance  of  free  trade  S.  15  fg.  Ueber  die 
Anschauungen  in  Betreff  des  Geldezports  unter  Elisabeth  vgl.  Urk. 
Beil.  165. 

7)  Erwähnt  sei,  dass  in  den  Lords' Journals  (6  Hen.  VIII.  16,  20, 
45,  54,  57,  60°  die  Pari,  und  28  Hen.  19,  23°  die  Pari.)  „billae  concer- 
nentes  escambium  monete"  notirt  sind;  was  sie  enthielten,  wissen  wir  nicht 


—    524    — 

Geldexport  der  All.  Wir  sehen  sie  namentlich  unter  Heinrich 
VIII.  mehr  und  mehr  zerbröckeln,  das  Geldwechselgesehtit 
sucht  sich  von  den  alten  ihm  angelegten  Fesseln  zu  emanri- 
piren,  und  es  gelingt  fortan  nicht  mehr  dieselben  wieder  anzu- 
legen, der  Wechselbriefverkehr  stösst  die  mittelalterlichen 
Schranken  weg,  die  man  der  Geldausfuhr  wegen  errichtet;  die 
Statuten,  in  Bietreff  der  Verwendung  des  Waarenerlöses  auf 
den  Ankauf  englischer  Artikel  wurden  nur  noch  ausnahmsweise 
beobachtet  und  zur  Geltung  gebracht 

In  wie  weit  die  ganze  Politik  berechtigt  war,  ist  sehr  schwer 
zu  beurtheilen.  Unser  modernes  Geldwesen  ist  so  ausserordentlich 
verschieden,  dass  dasselbe  keinen  Massstab  abgeben  kann. 
Heute  wird  selbst  ein  grosser  Edelmetallexport  verhältniss- 
mässig  leicht  ertragen;  die  Geldmasse  ist  sehr  viel  grossen  so 
dass  der  abfliessende  Theil  immer  nur  ein  kleines  Procent  von 
dem  gesammten  Vorrath  ausmacht,  der  erstere  wird  in  der 
Regel  gar  nicht  der  Circulation  direct  entzogen,  sondern  den 
sog.  Hoards  der  Banken,  jeder  Abfluss  wird  zudem  leicht  er- 
setzt durch  die  verschiedenen  Creditmittel,  welche  die  Function 
des  Geldes  im  Tauschverkehr  übernehmen.  Dazu  kommt  noch 
die  Leichtigkeit,  mit  der  die  Centralnotenbanken  auf  den  Geldzu- 
und  Geldabfluss  ganz  direct  einwirken  können.  Die  Münzver- 
schlechterungen von  Nachbarländern,  das  ewige  Durchei- 
nander aller  möglichen  Münzen,  das  Fehlen  einer  vor  den 
internationalen  Schwankungen  bewahrten  Scheidemünze  sind 
lauter  Momente,  die  heute  für  die  Frage  des  Geldexport« 
so  gut  wie  nicht  in  Betracht  kommen,  damals  aber  in  der 
Geldpolitik  eine  hervorragende  Rolle  spielten.  In  rauher  und 
ungeschlachter  Weise  musste  man  in  jener  Zeit  diese  Ver- 
hältnisse regeln.  Man  wird  auch  nicht  annehmen  dürfen,  dass 
die  betreffenden  Gesetze  ganz  wirkungslos  gewesen  seien.  So 
lange  man  sie  dem  Verkehr  aufzwingen  konnte,  erreichten  sie 
gewiss  theilweise  den  gewünschten  Zweck.  Nur  versäumte 
man ,  einen  Vergleich  anzustellen ,  ob  die  allzustarke  Bindung 
des  Handels  nicht  zuweilen  ein  grösserer  Schaden  war,  als 
der  Nutzen  für  das  Geldwesen  oder  die  Industriebeförderung. 
Immerhin  wird  der  letztere  nicht  geläugnet  werden  dürfen, 
ßemerkenswerth  bleibt  es,  dass  manche  Bestimmungen  der 
englischen  Geldpolitik  uns  auch  bei  Staatswesen  begegnen, 
welche  die  Wirkung  handelspolitischer  Vorschriften  richtiger 
zu  beurtheilen  verstanden  als  die  Engländer1). 

Gleichzeitig  sehen  wir  in  der  That  bestätigt,  was  wir  oben 
schon  erwähnten2),  dass   das  Geld  in  seiner  Beziehung  zum 


*)  Die  Deutschen  war  den  z.  B.  in  Venedig  am  Anfang  des  15.  Jahrhun- 
derts gezwungen,  den  Erlös  ihrer  Waaren  wieder  in  Waaren  anzulegen. 
Heyd,  Geschichte  des  Levantehandels  im  Mittelalter  II.  S.  722. 

»)  S.  480. 


—    525    — 

auswärtigen  Handel  und  in  seiner  Bedeutung  für  den  inländi- 
schen Verkehr  sehr  wohl  erkannt  wurde,  und  dass  man  ganz, 
wie  die  sogenannten  Mercantilisten,  die  Erhaltung  und  Steigerung 
des  Geldvorrates  zu  fördern  suchte,  ohne  aber  zu  einer  Ueber- 
schätznng  desselben  sich  fortreissen  zu  lassen.  Wir  fanden 
das  Streben  nach  einem  genügend  grossen  Antheil  an  der 
Edelmetallmenge  nicht  nur  erklärlich,  sondern  auch  wohl  be- 
gründet. 


So  gross  die  Schwierigkeiten  waren,  um  einen  genügenden 
Edelmetallbestand  sich  zu  sichern,  ebenso  stark  oder  noch 
stärker  waren  die  Hemmnisse,  um  das  Münzwesen  auch  in 
gutem  Zustand  zu  erhalten  und  dasselbe  zweckmässig  zu  ord- 
nen. Wir  hatten  bereits  im  Vorausgehenden  Gelegenheit,  die 
Frage  zu  streifen;  die  Politik  über  den  Geldimport  und  Geld- 
export hing  vielfach  mit  ihr  zusammen,  ja  verdankte  sogar 
derselben  theilweise  ihren  Ursprung.  Es  kann  nicht  unsere 
Aufgabe  sein,  die  Darlegung  der  Entwicklung  des  gesammten 
englischen  Münzwesens  zu  versuchen.  Im  Folgenden  wollen 
wir  nur  einige  Puncte  noch  berühren,  die  geeignet  sein  möchten, 
theils  das  bereits  über  die  englischen  Geldverhältnisse  Gesagte 
zu  ergänzen,  theils  den  gebrechlichen  Character  des  damaligen 
Geldinstituts  überhaupt  schärfer  zu  kennzeichnen,  theils  die  Münz- 
politik der  beiden  ersten  Tudors  etwas  zu  illustriren.  Die  Haupt- 
hemmnisse, die  sich  im  England  damaliger  Zeit,  wie  überhaupt 
im  Mittelalter  einer  guten  Münze  entgegenstellten,  waren  die 
unansgebildete  Münztechnik,  die  nur  schwer  ganz  gleiche  und 
als  unvollkommen  leicht  erkenntliche  Stücke  zu  liefern  ver- 
mochte, ferner  die  ursprüngliche  Decentralisation  im  Münz- 
wesen ,  der  zu  lange  Umlauf  des  Geldes  und  die  Unfähigkeit 
des  damaligen  Staatsorganismus,  die  böswilligen  Beschädigungen 
zu  verhindern,  das  Fehlen  einer  eigentlichen  Scheidemünze, 
endlich  das  unvermeidliche  Eindringen  fremder  Münzen  und 
die  fortwährende  Noth  der  Münzherrn  bei  einem  nur  kleine 
Summen  liefernden  Steuerapparat  und  einer  geringen  Ausbil- 
dung des  Staatscredits. 

Beim  Vergleich  mit  den  continentalen  Staaten  kann  nicht 
geläugnet  werden,  dass  es  im  Grossen  und  Ganzen  an  gutem 
Willen  nicht  fehlte,  und  dass  deshalb  die  angeführten  Momente 
bei  England  vielfach  nur  abgeschwächt  auftraten,  aber  vor- 
handen waren  sie. 

In  Bezug  auf  die  mangelhafte  Münztechnik  ist  die  That- 
sache  so  bekannt,  dass  man  nicht  erst  viele  Beispiele  dafür 
zu  sammeln  braucht.  Wenn  in  Deutschland  vom  Ende  der 
Karolingerzeit  bis  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  Münzen  des- 
selben Herrn  und  aus  derselben  Prägeanstalt  oft  um  40  %  im 


—    526    — 

Gewicht  differirten x) ,  so  wird  es  in  England  gewiss  nicht 
besser  gewesen  sein.  Noch  300  Jahre  später  klagte  man  über 
die  Verschiedenheit  neugeprägter  Münzen,  so  dass  1422  der 
Rath  des  Königs  den  Münzbeamten  befahl,  nicht  blos  die 
Gesammtsumme,  sondern  jedes  einzelne  Goldstück  dem  Pri- 
vaten vorzuwiegen,  die  mangelhaften  Stücke  zurückzunehmen 
und  auf  eigene  Kosten  umzuprägen2).  Die  Methoden,  den 
Feingehalt  zu  bestimmen,  waren  sehr  unvollkommen,  und  wir 
wissen,  dass  noch  zur  Zeit  Heinrichs  VIII.  die  englische  und 
niederländische  Regierung  über  den  wahren  Gehalt  bestimmter 
Münzsorten  abweichender  Meinung  sein  konnten 8). 

Was  die  Decentralisation  anlangt ,  so  sah  England 
freilich  nie  den  chaotischen  Zustand,  wie  er  in  Deutschland 
im  Lauf  des  Mittelalters  sich  herausbildete.  Das  ausschliess- 
liche Münzrecht  des  Königs  wurde  ausdrücklich  zur  Zeit 
Aethelreds  (978 — 1016)  anerkannt4).  Hielt  man  auch  nicht 
dasselbe  in  aller  Strenge  aufrecht,  indem  ebenso  wie  auf  dem 
Continente  die  Fürsten  Theile  ihres  kgl.  Vorrechtes  abgaben, 
so  namentlich  einzelnen  Bischöfen  die  Befugniss  ertheilten, 
eine  Münzanstalt  zu  halten5),  so  Hessen  sich  die  englischen 
Könige  doch  niemals  ihre  volle  Münzhoheit  entreissen.  Unter 
Heinrich  I.  und  IL  wurde  dem  Versuch  der  Städte  und  Barone, 
die  gemeine  Münze  in  ihre  Gewalt  zu  bekommen,  mit  aller 
Entschiedenheit  entgegengetreten 6).  Auch  für  die  Bischöfe,  die 
Münzen  prägen  durften,  hatte  das  Privileg  immer  nur  die  Bedeu- 
tung, dass  sie  eine  Einnahme  aus  der  Münzprägung  bezogen, 
sie  unterstanden  aber  ganz  den  kgl.  Verordnungen  und  Ge- 
setzen, die  über  das  Münzwesen  erlassen  wurden.  Später  hörte 
die  Prägung  in  nichtköniglichen  Münzen  ganz  auf;  Cranmer, 
Erzbischof  von  Canterbury,  und  Lee,  Erzbischof  von  York  waren 
unter  Heinrich  VIH.  die  letzten,  welche  das  Recht  ausübten 7). 
Es  war  dem  innern  Handel  Englands  gewiss  sehr  förderlich, 
dass  in  dieser  Weise  die  Zersplitterung  wenigstens  des  ein- 
heimischen Münzwesens  und  damit  die  Zerlegung  des  Reiches 
in  mehre  Wirthschaftskreise  vermieden  blieb.    Zustände  wie 


t>erg, 
sehen  Kaiserzeit  S.  12. 

a)  Nicolas,  Proceedings  etc.  II.  S.  817. 

8)  Urk.  Beil.  153. 

4)  In  Aethelreds  Gesetzen  heisst  es  IIL  c.|8:  „Et  nullus  habeat  aliquem 
monetarium,  nisi  rex".  S  ch  m  i  d ,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  1858.   S.  217. 

*)  Vgl.  Domesday  Book.  London  1783—1816.  I.  8.  172,  179.  IL 
S.  117. 

°)  So  heisst  es  in  den  Leges  Henrici  primi  c.  1,  §  5:  „Monetagium 
commune,  quod  capiebatur  per  civitates  et  per  comitatns,  quod  non  mit 
tempore  Edwardi  regis,  hoc  ne  amodo  fiat  omnino  defendo."  Schmid, 
Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  433;  vgl.  ferner  Leake,  An  historical 
aecount  of  English  money.  2.  Ed.  1745.    S.  49,  53. 

*)  Ruding,  Annais  of  the  coinage  III.     S.  V. 


-    527     - 

die  in  Deutschland *),  dass  man  in  jedem  kleinen  Territorium, 
ja  zuweilen  sogar  in  jeder  Stadt  desselben  Gebietes  die  Münzen 
umwechseln  musste,  oder  dass  man  willkürlich  blos  der  Ein- 
nahme wegen  jährlich  sämmtliche  Münzen  einrief,  waren  ent- 
weder in  England  ganz  ungekannt  oder  wurden  doch  bald  un- 
möglich gemacht2).  Das  Parlament  sicherte  sich  in  dieser 
Frage  sehr  bald  einen  bestimmten  Einfluss  und  wusste  zu 
verhindern,  dass  die  ganze  Einrichtung  des  Geldwechsels  fisca- 
ltsch  ausgebeutet  oder  auch  nur  ohne  seine  Zustimmung  die 
Einrufung  des  Geldes  zur  Umprägung  vorgenommen  wurde3). 
Hinsichtlich  der  Münzverfälschungen  zeigte  man  immer 
grossen  Einst.  Die  angelsächsischen  und  normannischen  Ge- 
setze bestimmten,  dass  ein  schuldig  befundener  Münzer  die 
Hand  verliere,  derjenige,  der  im  Wald  oder  an  entlegenen 
Plätzen  präge,  das  Leben  verwirke.  Den  Falschmünzern  wur- 
den gleich  geachtet  diejenigen  Kaufleute,  welche  ihr  gutes 
Geld  bei  den  Falschmünzern  umtauschten,  dasselbe  beschnitten 
oder  sonst  beschädigten 4).  In  den  Statuten  wird  die  Beschnei- 
dung und  Nachprägung  der  Münze  seit  Eduard  III.  wie  Fe- 
lonie angesehen5);  man  hielt  diese  Verbrechen  für  so  schwer, 
dass  in  den  Generalpardons  in  der  Regel  die  Münzfälscher 
ausgenommen  wurden6).  Aber  trotz  aller  Strenge  konnte  die 
Gesetzgebung  nicht  recht  gegen  das  Unwesen  aufkommen. 
Wie  stark  das  Kippen  und  Wippen  noch  gegen  Ende  des  14. 
Jahrhunderts  betrieben  wurde,  ersieht  man  aus  den  Parlaments- 
verhandlungen von  1381/82.  In  einer  Petition  der  Münzbe- 
amten des  Tower  wird  behauptet,  dass  das  Gold-  und  Silber- 
geld durch  das  Beschneiden  um  10  °/0  verloren  habe  *).  Einige 
schlugen  vor,  den  Münzfuss  um  diesen  Betrag  zu  verschlech- 
tern, die  Mehrzahl  der  Sachverständigen  dagegen  meinte,  es 
solle  Jeder  Goldgeld  nur  nach  dem  Gewicht  annehmen8). 
Wirklich  wurde  der  letzte  Vorschlag  40  Jahre  später  Gesetz, 
indem  Jeder  bei  Annahme  von  Gold  als  Zahlung  dasselbe  erst 
wiegen  lassen,  und  wenn  es  nicht  volles  Gewicht  hätte,  an  die 
Münzanstalt  zum  Umprägen  bringen  sollte.  Wegen  des  Ver- 
lustes, der  daraus  dem  Ueberbringer  erwuchs,  verzichtete  der 

*)  Vgl.  Th.  Eheberg,  Ueber  das  ältere  deutsche  Münzwesen  und 
die  Baugenossenschaften  besonders  in  volkswirtschaftlicher  Beziehung  1879. 
8.  51,  67  fg.  u.  s.  w. 

*)  Häufige  Umprägungen  scheinen  nur  bis  Eduard  I.  vorgekommen 
zu  sein;  vgl.  Leake  S.  68. 

»)  Vgl.  z.  B.  Rot.  Pari.  I.  S.  285;  IL  S.  161,  241,  276,  452;  IV.  S. 
154;  V.  S.  684. 

*)  Aethelstans  Gesetze  II.  c.  14.  §  1 ;  Aethelreds  Ges.  IV.  c.  5 ;  Cnuts 
Ges.  IL  c.  8;  Leges  Henrici  primi  c.  13,  §  3.  Schmid,  Die  Gesetze  der 
Angelsachsen  S.  141,  221,  275,  445.  Sieh  auch  Hoveden,  Cronica  ed. 
Stubbs  III.  S.  363. 

8)  25  Ed.  in.  st.  5.  c.  2;  4  Hen.  V.  c.  6;  Rot  Pari.  IV.  S.  82. 

*)  Rot  Pari.  IL  S.  280;  III.  S.  544;  IV.  S.  504. 

')  Rot.  Pari.  III.  S.  126. 

8)  Rot.  Pari.  III.  S.  64  fg. 


—    528    — 

König  auf  seine  Gebühr,  die  man  Seignorage  nannte  und  neben 
dem  eigentlichen  Schlagschatz  erhob 1).  Dieser  Schritt  beweist, 
wie  tief  das  Uebel  gerissen  war.  Es  ist  dies  um  so  mehr  zu 
verwundern,  als  man  sechs  Jahre  vorher  das  Gerichtsverfahren 
für  die  Fälle  der  Beschneidung  und  Verfälschung  erleichtert 
hatte.  Da  nämlich  diese  Verbrechen  der  Felonie  gleich  geachtet 
wurden,  so  stand  die  Untersuchung  und  Aburtheilung  nur  den 
höchsten  Gerichten  zu.  Die  Folge  war,  dass  viele  Verletzungen 
gar  nicht  zur  Kenntniss  der  Richter  gelangten.  Im  Parlament 
hatte  man  gewünscht,  dass  auch  die  Friedens-  und  Assisen- 
richter  zuständig  sein  sollten ;  der  König  gab  jedoch  den  ers- 
tem blos  das  Recht  der  Untersuchung,  und  nur  den  letztern 
auch  das  der  Entscheidung2).  Immerhin  war  es  eine  Ver- 
besserung. 

Ein  anderes  Hauptgebrechen  des  englischen  Münzwesens 
war,  dass  kein  Unterschied  zwischen  Scheidemünze  und  Courant- 
münze  bestand.  In  Folge  dessen  war  das  Kleingeld  ebenso 
wie  das  eigentliche  Grobgeld  dem  Export  unterworfen  und 
wurde  auch  mit  Vorliebe  von  den  Goldschmieden  eingeschmolzen. 
Im  Jahre  1444  machte  man  einen  Anlauf,  um  einen  Unter- 
schied zu  statuiren,  indem  man  verlangte,  dass  anstatt  30  sh  aus 
einem  Pfund  33  sh  an  Farthings  und  Halfpence  ohne  Aen- 
derung  der  Legirung  geprägt  werden  sollten,  und  man  zog 
auch  die  richtige  Gonsequenz  derScheidemünze ,  indem  man 
festsetzte,  dass  halbe  und  viertel  Pfennige  nur  im  Betrage  von 
12  d,  Groschen  und  Halbgroschen  nur  im  Betrage  von  20  sh 
angenommen  zu  werden  brauchten.  Die  Bestimmung  hatte 
aber  nur  2  Jahre  zu  dauern  und  konnte  auch  in  dieser  Zeit 
vom  König  aufgehoben  werden3).  Es  scheint  nicht,  dass  in 
Zukunft  an  dieser  wichtigen  Neuerung  festgehalten  wurde. 

Weitaus  die  grösste  Gefahr  drohte  dem  Bestand  einer 
guten  Münze  durch  die  Einfuhr  fremden  schlechten  Geldes4). 
Schon  oben  wurde  erwähnt,  wie  die  Ordnung  des  Geldzu- 
flusses zum  nicht  geringsten  Theil  die  Absicht  verfolgte,  das 
fremde  Geld  nicht  direct  in  den  einheimischen  Verkehr  treten 
zu  lassen.  Die  an  das  Stapel  angelehnte  Organisation  konnte 
jedoch  nicht  genügen,  weil  das  Stapel  ja  nicht  den  gesammten 
englischen  Aussenhandel  umspannte,  und  weil  die  ganze  Art 
dieser  Geldregelung  später  ausser  Uebung  kam.  Thatsächlich 
waren  auch  die  Wechselstellen  in  den  Hafenplätzen  noch  da, 
um  die  fremden  Münzen  aufzufangen  und  den  Münzstätten  zu- 

x)  Rot.  Pari.  IV.  S.  130;  9  Hen.  V.  st.  1.  c.  11;  Nicolas,  Procee- 
dings  IL  S.  316. 

*)  Rot.  Pari.  IV.  S.  35,  82;  4  Hen.  V.  c.  7. 

8)  Rot.  Pari  V.  S.  108. 

*)  Die  älteste  Bestimmung  gegen  Kaufleute,  welche  falsches  Geld  ein- 
fuhren, finde  ich  in  Aethelreds  Ges.  IV.  c.  7.  Schmid,  Die  Gesetze  der 
Angelsachsen  S.  221. 


—    529    — 

zuführen.  Sicherlich  schien  «es  der  einfachste  Weg  zu  sein, 
wenn  man,  um  das  beimische  Münzwesen  in  gutem  Stand  zu 
erhalten,  grundsätzlich  die  fremden  Münzen  von  der  Girculation 
ausschloss.  In  der  angelsächsischen  Zeit  und  auch  noch 
später  verfuhr  man  in  der  That  so  oder  suchte  doch  diesem 
Ziele  nahe  zu  kommen1).  Von  Heinrich  II.  wissen  wir,  dass 
er  1156  eine  neue  Münze  prägen  liess  und  gleichzeitig  den 
Umlauf  alles  andern  Geldes  verbot  *).  Ebenso  verfuhr  Eduard  I., 
als  er  die  unter  seinem  Vorfahren  vollständig  verdorbene 
Münze  wieder  herstellte.  Er  rief  das  entwerthete  Geld  ein, 
liess  es  1292  in  einer  vollkommeneren  Gestalt  durch  eigens 
herbeigezogene  Fremde 8)  aus  Marseille  und  Florenz  umprägen, 
verbot  den  Umlauf  jedes  andern  als  englischen,  irischen  und 
schottischen  Geldes  und  traf  Anstalten,  dass  die  Zahlungen 
der  Kauf leute  überwacht  wurden 4).  Trotzdem  wollte  es  ihm 
nur  schwer  gelingen,  die  Einfuhr  schlechten  Geldes  zu  ver- 
hindern. 1299  drohte  er  allen  Importeuren  solchen  falschen 
Geldes  mit  dem  Tode  und  der  Confiscation  des  ganzen  Ver- 
mögens und  verschärfte  die  Gontrole  bei  den  eingeführten 
Waaren  der  Fremden,  welche  mit  diesen  falsche  Münzen  ein- 
schmuggelten 6). 

Mit  dem  Nachlassen  der  einheimischen  Minenproduction, 
mit  dem  Abfluss  des  Geldes  in  Folge  der  Kriege,  mit  der  Zu- 
nahme des  auswärtigen  Handels  wurde  es  immer  schwieriger, 
fast  unmöglich,  die  Circulation  des  fremden  Geldes  grundsätzlich 
zu  verpönen.  Schon  oben  erwähnten  wir,  wie  man  1339  wegen 
Mangels  an  Münzen  gewisse  fremde  Geldsorten  ausdrücklich 
als  gesetzliches  Zahlungsmittel  zuliess6).  In  der  Folgezeit 
bildete  nach  Mancher  Meinung  das  fremde  Geld  den  Haupt- 
stock der  in  England  circulirenden  Münze7).  Unter  Hein- 
rich VHI.  musste  die  Regierung  sogar  bei  Steuern  fremdes 
Geld  annehmen8).  Es  war  diese  Zulassung  fremder  Münzen 
eine  Concession  an  den  Handel;  in  den  grossen  Verkehrscentren 

*)  In  Aethelstans  Ges.  heisst  es  IL  c.  14:  „Placuit  nobis,  ut  una  mo- 
neta  sit  in  toto  regiß  imperio";  in  Cnnts  Ges.  II.  c.  8:  „De  correctione 
pecuniae  (sc.  agamus),  ut  una  moneta  per  totas  has  nationes  sine  omni 
falso  teneatur  et  nemo  repudiet  eam" ;  in  Edgars  Ges.  „Et  sit  una  moneta 
per  totum  regis  Imperium,  et  nemo  sonet  eam".  Schmid,  Die  Gesetze 
der  Angelsachsen  S.  139,  193,  275;  Sieh  auch  Kemble,  Die  Sachsen  in 
England  II.  S.  57. 

*)  Leake,  An  historical  account  of  English  money  S.  67. 

*)  Leake,  a.  a.  0.  S.  72,  73. 

4)  Vgl.  das  Stat.  de  moneta  (20  oder  12  Ed.  I);  Macpherson, 
Annais  of  commerce  1.  S.  451. 

6)  Vgl.  den  Erlass  gegen  die  Hansen  bei  Höhlbaum.  Hans.  Urkun- 
denbuch  I  S.  439  Nr.  1306:  Liber  Custumarum  ed.  Riley  II.  S. 
196;  ferner  S.  187  fg. 

8)  Sieh  oben  S.  495. 

7)  Jacob,  Ueber  Production  und  Consumtion  der  edlen  Metalle. 
I.  S.  258,  254. 

*)  34/35  Hen.  VIII.  c.  27.  §  25;  37  Hen.  VII.  c.  25.  §  26. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    1.  34 


—    530    — 

war  ihre  Menge  wegen  der  damals  so  ausgedehnten  Begleichung 
des  internationalen  Handels  durch  Baargeld  ausserordentlich 
gross.  Wir  wissen,  dass  die  niederländische  Regierung  über 
ein  halbes  Hundert  verschiedener  Münzsorten  als  Zahlungsmittel 
zu  festbestimmtem  Curs  gestattete1).  In  dieser  Freiheit  lag 
immer  eine  grosse  Gefahr.  Die  fremden  Kaufleute  waren  stets 
darauf  bedacht,  von  den  erlaubten  Sorten  nur  minderwerthipe 
und  gefälschte  Stücke  zu  importiren,  und  ehe  man  sich  versah, 
hatten  diese  alles  gute  Geld  verdrängt.  Von  Irland  und 
Luxemburg  aus  wurde  die  Falschmünzerei  gewerbsmässig  be- 
trieben2). Dazu  kam,  dass  die  Nachbarstaaten  sehr  häufig 
und  nicht  selten  lange  unbemerkt  ihre  Münzen  schlechter 
ausprägten. 

Meist  suchte  man  sich  durch  Verbot  solchen  Geldes  zu 
schützen.  Bald  wurde  dem  schottischen8),  bald  dem  flandri- 
schen Geld 4)  die  Eigenschaft  eines  gesetzlichen  Zahlungsmittels 
entzogen,  bald  erklärte  man  den  von  den  Genuesen,  Venetianem 
und  andern  Italienern  importirten  Galey  halfpence  den  Krieg6), 
bald  verpönte  man  die  irischen  Groschen  und  Pfennige6). 
Man  lag  in  ewigem  Kampf  mit  den  von  allen  Seiten  dem  eng- 
lischen Geldwesen  drohenden  Feinden.  Derselbe  war  meist 
vergeblich.  Der  ganze  Beamten-  und  Polizeiapparat  genügte 
nicht,  das  Publicum  sah  sich  nicht  selten  in  Folge  der  fort- 
währenden Fiinschmelzungen  der  Münzen  durch  die  Gold- 
schmiede und  der  zu  sparsamen  Ausprägung  von  Kleingeld 
zur  Annahme  der  fremden  schlechten  Münzen  genöthigt 7),  und 
je  grösser  der  Unterschied  der  englischen  Münze  und  der 
ursprünglich  mit  ihr  gleichwerthigen  und  gleichnamigen  fremden 
im  Laufe  der  Zeit  wurde,  um  so  drohender  wurde  die  Gefahr 
für  die  englische  selbst.  Schliesslich  war  die  Differenz  eine 
derartige,  dass  man  sich  nicht  mehr  schützen  konnte,  es  blieb 
dann  kein  anderer  Ausweg,  als  selbst  dm  Münzfuss  zu  ändern, 
insoweit  die  Minderwertigkeit  der  fremden  Münzen  es  ver- 
langte. Die  Abnutzung  und  die  Beschneidung  kamen  oft  als 
weitere  Motive  hinzu,  da  weder  der  König  noch  die  Privaten 


*)  Henne,  Histoire  du  regne  de  Charles  -  Quin  t  en  ßelgique  V. 
g    2S1 339 

*)  Rot  Pari.  II.  S.  16,  160,  167,  239;  17.  Ed.  IV.  c.  1. 

*)  Rot.  Pari.  II.  S.  308  (1371)  S.  318  (1373);  III.  S.  280  (1390);  HL 
S.  600  (1406);  2  Hen.  IV  c.  6;  17  Ed.  IV  c.  1. 

')  Rymer  VII.  S.  452  (1385);  Rot.  Pari.  III.  S.  470  (1400/1401). 

6)  So  wohl  zuerst  am  24.  Juni  1399  (Br.  M.  Cotton  Ms.  Nero  B. 
VII.  fo.  4  b;  spater  noch  öfter,  vgl.  Rot.  Pari.  III.  S.  644  (1410);  11 
Hen.  IV.  c.  5;  13  Hen.  IV.  c.  6  (1411);  Rot.  Pari.  IV.  S.  69  (1415);  3  Hen. 
V.  c.  1;  2Hen.  VI.  c.  9  (1423);  sieh  auch  Giustinian,  Four  years  at  the 
court  of  Henry  VIII.  ed.  R.  Brown  II.  S.  293  Nr.  1;  Th.  Walsingham, 
Ypodigma  Neustriae  ed.  Riley  S.  470. 

6)  17  Ed.  IV.  c.  1  und  unten  S.  533. 

7)  Rot.  Pari.  III.  S.  498  (1402). 


—    531     — 

die  Kosten  für  die  Wiederherstellung  des  früheren  Mtinzfusses 
zu  tragen  geneigt  waren. 

In  dieser  Weise  sind  die  meisten  der  vor  dem  16.  Jahr- 
hundert in  England  vorgenommenen  Münzverschlechterungen 
zu  deuten.  Der  dem  Monarchen  dadurch  erwachsende  Gewinn 
kam  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht.  Der  Beweis  hiefür  liegt  in 
dem  fast  regelmässig  zu  beobachtenden  Vorangehen  von  Er- 
lassen, welche  die  Einfuhr  fremden  Geldes  verboten,  wenn  eine 
Aenderung  des  Münzfusses  vorgenommen  wurde,  ferner  darin, 
dass  in  den  Verordnungen  ausdrücklich  diese  Begründung  an- 
gegeben, auch  in  den  Parlamentsverhandlungen  wiederholt 
dieser  Schritt  als  nothwendig  bezeichnet  wurde l),  endlich  darin, 
dass  man  mit  den  Aenderungen  offen  hervortrat  und  nament- 
lich im  Gegensatze  zu  den  continentalen  Staaten  es  verschmähte, 
die  viel  schwieriger  zu  controlirende  Feinheit  der  Münze  zu 
verschlechtem.  Die  Zahl  der  während  des  Mittelalters  in 
England  vorgenommenen  Münzfussänderungen  ist  auch  nicht 
gross,  der  Grad  der  Verschlechterung  im  Vergleich  zu  andern 
Ländern  nicht  sehr  bedeutend  2) ,  man  darf  nicht  vergessen, 
dass  sie  wegen  der  allgemeinen  Geldvertheuerung  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  sogar  eine  Wohlthat  war. 

Dieses  relativ  massvolle  Einhalten  auf  einem  so  gefährlichen 
Weg,  wie  es  eine  Münzverschlechterung  ist,  müss  wohl  auch  theil- 
weise  dem  Einfluss  des  Parlaments  zugeschrieben  werden.  Wir 
wissen  z.  B.,  wie  dieses,  als  Eduard  III.  wiederholt  und  zuletzt 
sehr  bedeutende  Münzverschlechterungen  vornahm,  von  wei- 
teren Schritten  abmahnte  und  wiederholt  in  ihn  drang,  den 
alten  Münzfuss  wieder  herzustellen3). 

Aus  Allem  erhellt,  dass  das  englische  Münzwesen  trotz 
des  überwiegend  guten  Willens  von  Seite  der  Regierung  eine 
schwache,  stets  bedrohte  Institution  war. 

Wie  auf  allen  Gebieten  des  wirtschaftlichen  Lebens  die 
beiden  ersten  Tudors  die  deutlichsten  Spuren  ihres  Wirkens 
hinterliessen ,  so  war  es  auch  bei  dem  Mtinzwesen  der  Fall. 
Ihr  Eingreifen  war  theils  segensreich,  theils  verhängnissvoll. 
Nachdem  schon  Eduard  IV.  einen  ernstlichen  Anlauf  gemacht 
hatte,  um  in  das  Geld-  und  Münzwesen  durch  Klarstellung 
und  Amendirung  der  Gesetze  wieder  etwas  Ordnung  zu 
bringen,  bemühte  sich  Heinrich  VII.,  auf  administrativem 
Wege  den  Gesetzen  auch  die  nöthige  Geltung  zu  verschaffen. 
Das  Streben  desselben  war  besonders  darauf  gerichtet,  ein  sicheres 
von  allen  Zweifeln  befreites  legales  Zahlungsmittel  zu  schaffen. 


»)  Rymer,  Rec.  Ed.  111.  P.  I.  S.  223;  Rot.  Pari.  III.  S.  126,  203; 
sieh  auch Ru ding,  Annais  I.  S.226;  Leake,  Historical  acconntS.  130,  192. 

2)  Ueber  das  englische  Münzwesen  in  der  Zeit  vor  den  Tudors  gibt 
die  auf  folgender  Seite  stehende  der  Ascher'schen  Uebersetzung  von  Tookes 
Geschichte  der  Preise  II.  S.  503  entnommene  Tabelle  Aufschluss. 

*)  Rot  Pari.  II.  S  240,  260,  271;  vgl.  auch  LS.  444;  II.  S.  143. 

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532 


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—    533    — 

Die  Münzen  Irlands  wurden  gänzlich  vom  Verkehr  in 
England  ausgeschlossen1).  Alle  fremden  Münzen  durften  nur 
als  Barrenmetall  angenommen  werden1).  Gewisse  englische 
Münzen  wurden  auf  ihren  wirklichen  Werth  herabgesetzt3). 
Die  als  legal  geltenden  Stücke  wurden  genau  beschrieben  und 
mit  leicht  erkenntlichen  Zeichen  versehen4).  Beschnittene 
Münzen  durften  nicht  circuliren 6) ;  um  auch  hier  leicht  fest- 
stellen zu  können,  ob  eine  Beschneidung  stattgefunden,  Hess 
er  alles  neu  zu  prägende  Geld  mit  einem  Ring  am  Rande  ver- 
sehen6). Auch  erneuerte  er  die  Todesstrafe,  die  auf,  das 
Kippen  gesetzt  war 7).  Dass  Heinrich  VII.  die  ersten  Silber- 
schillinge, die  seit  der  Eroberung  blosse  Rechnungseinheit 
waren8),  ausprägen  und  England  auf  diese  Weise  mit  einer 
bequemen,  noch  heute  bestehenden  Münze  bereichern  liess9), 
ist  bekannt 10).  Dagegen  hielt  der  König  bei  seinen  Reformen 
daran  fest,  dass  die  Abnützung  des  Geldes  nicht  dem  Gelde 
seinen  legalen  Charakter  nehme.  Nur  bei  den  Goldmünzen 
sollte  volles  Gewicht  erforderlich  sein  n).  Er  meinte  offenbar, 
es  sei  unmöglich,  das  nun  seit  Decennien,  ja  Jahrhunderten 


')  Unter  Richard  III.  wich  die  irische  Silbermünze  in  Gewicht  und 
Legirung  von  der  englischen  ab;  er  liess  zur  Unterscheidung  die  neu  zu 
prägenden  mit  einem  Merkmale  versehen  und  hob  alle  irischen  Münzstätten 
bis  auf  Dublin  und  Waterford  auf  (Oairdner,  Letters  and  Papers  etc.  ü 
S.  286.  18.  Juli  148:5).  Heinrich  VII.  half  in  obiger  Weise  ab  (a.  a.  0. 
8.  876.  16.  Jan.  1499  und  19  Hen.  VII.  c.  5).  Der  Export  von  Münzen 
und  Geschirr  und  Barren  nach  Irland  wurde  auch  beschränkt;  der  Import 
nach  England  durfte  nur  8  sh  4  d  betragen;  der  Export  nach  Irland  6  sh 
8  d.  Noch  unter  Heinrich  VIII.  war  Irland  der  Herd  der -Fälscher;  eine 
bezügliche  Proclamation  exisürt  vom  19.  Nov.  1540  (Br.  M.  Cotton  Msc. 
Titas  B.  XL  fo.  871). 

*)  Gairdner  IL  S.  876.  27. Febr.  1498;  besonders  genannt  sind  die 
„Romans  grotes"  und  „Romans  penstt.  Zeitgenossen  tadelten  mit  Unrecht 
diese  Massregel.    R.  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.  8.  71  u.  72. 

*)  Gairdner  IL  S.  379.  27.  April  1505  und  19  Hen.  VII.  c.  5.  So  sollten 
die  »pens  with  spurres  or  the  molet  bytwixt  the  barres  of  the  Crosse"  nur 
Vi  d  gelten. 

*)  Gairdner  IL 

')  19  Hen.  VII.  c  5. 

«)  19  Hen.  VH.  c.  5  §  2. 


%  Gairdner  n.  S.  879.  27.  April  1505  §  1  und  4  Hen.  VII.  c  18 
(1488/9).  Auch  unter  Heinrich  VIII.  wurde  dieses  Gesetz  beobachtet. 
Als  1538  ein  junger  Mensch  Gold  bis  zum  Werth  von  30  £  beschnitt, 
wurde  er  enthauptet,  sein  Kopf  an  London  Bridge  und  die  vier  Theile  seines 
Korpers  an  den  verschiedenen Thoren  der  Stadt  aufgesteckt.  Wriothesley, 
A  chronicle  of  England  during  the  reigns  of  Tudors  1485—1559.  Ed.  Ha- 
milton 1875.  S.  73. 

8)  Lappenberg,  Geschichte  Englands  I.  S.  627  glaubt,  dass  in  der 
frühen  angelsächsischen  Zeit  bereits  einige  geprägt  wurden. 

»)  Im  Jahre  1505  (Macpherson  II.  S.  28). 

*•[  Ueher  Heinrichs  VII.  Münzreform  vgl.  auch  Gairdner,  Historia 
regig  Henrici  VII.  a  Bern.  Andrea  Tholosate  conscripta  S.  81. 

")  Nämlich  beim  sovereign,  V*  sovereign:  beim  „ryal",  *  a  r.  u.  */«  *•; 
beim  angel.  und  Vi  angel.  19  Hen.  VII.  c.  5  §  1. 


—     534    — 

durch  den  Umlauf  entwerthete  Geld  wieder  völlig  herzustellen. 
Ein  Erfolg  wäre  nur  denkbar  gewesen,  wenn  er  aus  seiner 
Kasse  grosse  finanzielle  Opfer  hätte  bringen  wollen.  Er 
wählte  die  andere  Alternative.  Eine  nothwendige  Folge  war 
es  dann,  dass  die  neugeprägten  Stücke  mitten  vorhandenen 
entwerteten  Stücken  in  Uebereinstimmung  gesetzt  werden 
mussten.  Daraus  erklärt  sich  wohl  zur  Hauptsache,  wenn 
auch  er  den  Münzfuss  zweimal  änderte1).  Der  Gewinn  der 
königl.  Kasse  wurde  dabei  natürlich  auch  in  Anschlag  ge- 
bracht, und  man  muss  die  Annahme  zulassen,  dass  die  Rück- 
sichtnahme auf  den  eigenen  Vortheil  selbst  den  Sieg  über  das 
allgemeine  Interesse  davon  trug  *).  Immerhin  functionirte  unter 
Heinrich  VII.  der  ganze  Geld-  und  Münzapparat  verhältniss- 
mässig  gut,  wenn  auch  das  Ansammeln  des  königl.  Schatzes 
nicht  ganz  spurlos  am  Verkehr  vorüberging3). 

Unter  Heinrich  VIII.  stand  nach  kurzer  Zeit  die  Münz- 
und  Geldpolitik  wieder  im  Vordergrunde.  Die  rege  Betheili- 
gung an  der  auswärtigen  Politik  brachte  die  empfindlichsten 
Störungen.  Die  erste  Krisis  im  Jahre  1514  scheint  übrigens 
verhältnissmässig  rasch  vorübergegangen  zu  sein.  Heinrich  VIII. 
verlangte  damals  von  den  Niederlanden  eine  Curserhöhung  des 
englischen  Geldes.  Die  Regentin  wollte  aber  nur  eine  kleine 
Steigerung  gestatten;  ganz  richtig  die  Consequenzen  eines 
solchen  Schrittes  erkennend,  legte  sie  dar,  dass,  im  Falle  sie 
die  starke  Curserhöhung,  wie  sie  Heinrich  VIII.  wünschte,  zu- 
gestände, die  Kaufleute  und  sonstige  Speculanten  sich  beeilen 
würden,  das  niederländische  Geld,  sowie  Gefässe,  Geschirre 
u.  s.  w.  einzuschmelzen  und  in  englisches  Geld  verwandeln  zu 
lassen.  Geschickt  wies  sie  darauf  hin,  dass  man  am  Münz- 
wesen nur  in  den  allertriftigsten  Fällen  rütteln  dürfe;  das 
Geld,  die  Münze,  sei  der  allgemeine  Werthmesser 4),  wenn 
dieser  ins  Wanken  komme,  so  entstehe  endlose  Verwirrung. 

1)  Die  neugeprägten  Stücke  wären  sonst  ausser  Landes  gegangen. 
Nach  Ruding  IL  S.  65  hätte  Heinrich  VII.  keine  Alteration  im  Standard 
der  Münze  vorgenommen;  dagegen  sagt  Jacob,  er  habe  im  ersten  und 
24.  Regierungsjahre  sich  solcher  schuldig  gemacht,  indem  er  aus  dem 
U.  Silber  erst  45,  dann  48  Schillinge  ausprägte.    Deutsche  Ausg.    S.  213. 

*)  Hiefür  liegt  dasZeugniss  des  sehr  klugen  Beobachters  Pedro  de  Avals, 
des  spanischen  Gesandten,  vor.  Derselbe  schreibt  an  Ferdinand  und  Isabella 
26.  März  1499 :  „The  king  saves  the  money.  If  gold  coine  once  entered  bis 
strong  boxes ,  it  never  comes  out  again.  He  alwavs  pays  in  depreciated 
coin.  Farliament  has  lately  made  him  a  grant  of  800  000  crowns  on  con- 
dition,  that  he  leave  the  money  of  the  country  unaltered.  According  to 
the  laws  of  England  any  person  can  have  his  own  gold  or  silver  coined 
in  the  mint;  he  has,  nevertheless,  altered  the  laws.  He  is  said  to  gain, over 
and  above  the  usual  profits,  seven  reals  in  the  mark  of  silver."  Bergen- 
roth,  Cal.  I.  239. 

8)  Sieh  oben  S.  484,  485. 

*)  „by  the  same  the  revenues  of  the  princes  and  of  the  noble  meo, 
the  rente,  fees  and  wages  of  all  his  subiects  are  taxed,  and  by  the  which 
all  marchandise  is  mied  and  governed".    Urk.  Beil.  152;  vgl.  auch  153. 


—    535     - 

Die  folgenden  zehn  Jahre  waren  hinsichtlich  der  Münz- 
verhältnisse ziemlich  normal.  Wolsey  that  Schritte,  um  der 
Einfuhr  schlechter,  namentlich  italienischer  Münze  zu  begegnen1), 
ebenso  trag  man  Sorge,  dass  das  nöthige  Kleingeld  geschaffen 
werde.  Bisher  ^uirde  das  Verhältnis«,  in  welchem  die  ver- 
schiedenen Münzsorten  auszuprägen  waren,  durch  Vertrag  des 
Königs  mit  dem  Münzmeister  festgestellt.  Darin  sah  man 
offenbar  keine  genügende  Garantie,  dass  der  Münzmeister 
seinen  Verpflichtungen  wirklich  nachkam2).  Man  stellte  des- 
halb durch  Gesetz  fest,  wie  viel  Procent  der  auszuprägenden 
Gesammtmasse  auf  jede  Münzsorte  entfallen  sollten.  Gleich- 
zeitig wurden  einige  Verbesserungen  in  der  Ausprägung  und 
Kenntlichmachung  der  Münzsorten  eingeführt3). 

Die  grösste  Bedeutung  für  das  englische  Geldwesen  hatte 
stets  die  niederländische  Geldpolitik.  Der  Verkehr  Englands 
nach  den  Niederlanden  war  weitaus  der  wichtigste,  so  dass 
schon  um  deswillen  eine  stete  Vermischung  der  Münzen  beider 
Handelsgebiete  unausbleiblich  war4).  In  den  Niederlanden 
liefen  zudem  alle  Adern  des  europäischen  Geldwesens  zusam- 
men, hier  wurden  alle  Conjuncturen  ausgenützt,  hier.  Baisse 
und  Hausse  organisijt 6).  Jede  münzpolitische  Massregel  der 
Niederlande  wirkte  sofort  auf  England  zurück. 

Wir  wiesen  früher  bereits  darauf  hin,  dass  seit  1523  die 
niederländische  Regierung,  von  den  Ständen  bestürmt,  zu  einer 
Aenderung  ihrer  gesunden  Geldpolitik  sich  fortreissen  Hess, 
dass  hiedurch  der  ohnehin  erschöpfte  Münzbestand  Englands 
schwer  bedroht  wurde,  dass  Wolsey  sich  aber  vergeblich  be- 
mühte, mit  der  niederländischen  Regierung  ein  Uebereinkommen 
herzustellen 6).  Nach  längerem  Zuwarten  schritt  Wolsey  zu 
einer  Aenderung  des  Mtinzfusses  als  zu  dem  zweckmässigsten 
Mittel,  um  wieder  das  nöthige  Gleichgewicht  herzustellen 7).  Ob- 
wohl die  Finanzverhältnisse  des  Königs  keine  glänzende  waren,  so 
glaube  ich  doch  nicht,  dass  diese  erste  Verschlechterung  von 
1526  lediglich  dem  Motive  entsprungen  .ist,  auf  diesem  Weg 
die  nöthigen  Mittel  sich  zu  verschaffen 8).  Für  diese  Ansicht 
spricht  auch,  dass  Heinrich  VIII.  gleichzeitig  den  Unterschied 
zwischen  Tower  &  und  Troyer  &  aufhob  und  dadurch  eines 
grossen  Gewinns  sich  begab. 


*)  Brown,  Cal.  II.  1259;  III.  135. 

2)  Sieh  oben  S.  484. 

8)  14  15  Hen.  VIII.  c.  12  (1523). 

*)  Vgl.  bes.  ürk.  Beil.  104. 

8)  ürk.  Beil.  161,  165.    Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.  S.  19. 

6)  Sieh  oben  S.  58  fg. 
n      7)  ürk.  Heil.   154:  vgl.  ferner  Brewer,   Cal.  IV.  2423;  IV.  2595, 
2609  und  auch  Hall,  Chronicle  (18  Hen.  VIII.)  S.  718. 

*)  Auch  Leake,  Historical  account  of  English  money  S.  192  ist  dieser 
jleiDung.    Die  Curserhöhung  und  Verringerung  des  Münzrasses  wurden  da- 


-    536    — 

Kein  Grund  ist  vorhanden,  die  späteren  Münzverschlech- 
terungen, die  in  den  40er  Jahren  vorgenommen  wurden1),  zu 
entschuldigen.  Zwar  schützte  der  König  auch  hier  den  Vor- 
gang der  auswärtigen  Fürsten  vor8),  und  Heinrichs VIII.  Lob- 
redner machten  von  dieser  Rechtfertigung  Gebrauch  *).  Allein 
die  exorbitante  Höhe  der  Münzverschlechterung  und  ein  Blick 
hinter  die  Coulissen  straft  sie  Lügen4). 

Die  Folgen  dieser  verderblichen  Münzpolitik  für  den  Handel 
blieben  nicht  aus5);  der  innere  Verkehr  wurde  schwer  ge- 
troffen.   Vor  Allem  wich   das  im  Handel  unbedingt  nöthige 


mals  ganz  allgemein  als  die  Mittel  angesehen,  die  man  vornehmlich  an- 
wenden müsse,  um  den  nöthigen  Edelmetallvorrath  sich  zu  erhalten.  Als 
Beispiel  mag  eine  Stelle  aus  der  Relation  des  venetianischen  Gesandten 
Marino  de  Cavalii  von  1546  gelten,  der  von  Frankreich  sagt:  „Xon  ha 
questo  regno  miniera  alcuna,  salvo  che  di  ferro.  Perö  e*  forzato  servirsi 
di  Spagna  e  Portogallo,  di  oro,  il  quäl  trae  di  quelli  regni  contratt&ndo 

Spannil  delle  lane,  non  grezzo  ma  stampato  in  ducati  e  doble,  deUe  quak" 
anno  li  scudi.  £  vero,  che  adesso  per  la  nuova  provisione  dell'  imperatore 
che  non  vuole,  che  si  stampi  piü  simil  danari,  ma  solo  scudi  alla  valuta  e 
carata  delli  Francesi,  non  vi  essendo  guadagno,  si  e  cominciato  a  sentir 
mancamento  di  chi  ne  conduchi  piü  a  tale  che  si  jaiö  far  giudicio,  ch'essendo 

3uella  sola  la  via  che  porta  l'oro  in  Francia,  biscognerä  0  sminuire  U  peso 
elli  scudi  0  crescere  il  prezzo  di  essi,  perche  il  guadagno  mova  li  mer- 
canti  a  portargline."  Tommaseo,  Relations  des  ambassadeuro  Vänitiens 
sur  les  affaires  de  France  au  XVI.  siecle  I.  S.  254. 

')  Ueber  die  Munzanderungen  unter  Heinrich  VIII.  gibt  die  auf  folgender 
Seite  stehende,  der  Ascher'schen  Uebersetzung  von  Tookes  Geschichte  der 
Preise  IL  S.  508,  504  entnommene  Tabelle  Aufechluss  : 

*)  ürk.  Beil.  159. 

n)  So  heisst  es  bei  W.  Thomas ,  Pilgrim  1546.  ed.  Froude  S. 8:  „Why, 
said  I,  can  ye  blame  him  (sc.  king  Henry  VUltb )  to  take  his  advantage  as 
all  other  Pnnces  do?  See  you  not,  that  all  the  gold  and  «ilver  is  abased 
in  all  the  new  money,  that  is  now  made  any  where?  I  suppose,  he  should 
have  been  reported  a  very  simple  man  to  have  holden  up  his  fine  money 
for  a  bait,  when  other  men's  money  decayed ;  and  as  touching  the  Prinee's 
gain  (how  weU  in  common  1  cannot  see  where,  any  man  thereby  sustaineth 
any  loas)  1  think  he  did .  better  to  gain  so  upon  his  own  money,  than  as 
other  princes  do,  to  borrow  so  of  their  private  subjects  and  never  pay. 

4)  State  Papersl.  S.  835  fg.,  wo  Wriothesley  die  Münze  als  den 
„holy  ancre"  bezeichnet  (5.  Nov.  1545);  a.  a.  0.  S.  873  schreibt  derBath  in 
London  an  den  des  Königs:  „thExchequer  hath  nothing;  the  Chamber  my- 
nistreth  uttrely  nothin«;  soo  that  all  resteth  uppon  the  Mynthe  aod 
thAugmentacion  with  Mr.  Coferers  receipt  of  the  contribucion^:  vgl.  auch 

5.  830,  831,  878.    X.  S.  89. 

6)  In  dem  1549  verbreiteten  Vox  populi  vox  Dei   heisst  es  im 

6.  Abschnitt: 

Thus  mm)  s  the  rwmer  abowtt 
Amowngs  the  holle  rowtt 
Thay  cane  nott  brvng  abowt 
Hit  hathe  suche  night  degree 
The  towne  it  ys  soo  skaatt 
That  every  man  dothe  wantt 
And  somethynke  not  so  skarese 
But  even  as  moch  to  basse 
Your  marchant  men  doe  saye 


-    537    — 


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Vertrauen;  bei  den  fortwährenden  Aenderungen  der  Münze 
sahen  die  Verkäufer  und  noch  mehr  die  Käufer  sich  fort- 
während benachteiligt.  Es  gab  eine  Menge  Münzen  gleichen 
Namens,  aber  mit  sehr  verschiedenem  Feingehalt1),  die  Ver- 
wirrung war  grenzenlos;  der  Waarenumsatz  musste  geschwächt, 
der  Gang  des  gesammten  Handels  verlangsamt  werden.  Die 
Preise  stiegen  nicht  blos  um  den  Betrag  der  Entwerthuns, 
sondern  noch  höher*).    Die  Kaufkraft  der  Consumenten  nahm 


Thaye  fynde  it  daye  by  daye 
To  be  a  matter  stränge 
When  thay  showH  make  excange 
One  thother  syde  of  the  see 
They  are  dryven  to  there  plee 
For  were  oure  pounde  some  tyme 
Was  better  then  theres  by  nene 
Now  onrs  when  it  comythe  forthe 
No  better  then  thers  is  worthe 
Noe  cor  skant  sooe  gude 
They  saye  so  by  the  roode 
How  may  the  merchant  man 
Be  able  to  occupye  than 
Except  when  he  comes  here 
He  seil  his  wäre  to  dyre 
He  needeß  must  have  a  lyvinge 
()r  ells  fye  one  the  wyning 
This  coyne  by  alteracyon 
Hath  brought  this  desolacon 
Which  is  not  yet  all  knowen 
What  myschiff  it  hathe  sowen. 
Thay  saye  wo  worthe  that  man 
That  fyrst  that  coyne  began 
To  put  in  anye  heade 
The  mynde  to  such  a  reed 
To  come  to  such  a  hiere 
For  covites  desyre. 
I  knowe  not  what  it  menythe 
But  thus  thay  saye  and  dremethe 
Ve  ille  per  quem  skandalum  venit. 
But  this  wyll  upe  graett  pene 
Befor  it  be  well  agayne 
Graett  pene  and  sore 
To  make  this  as  was  before 
Youre  commons  thus  doe  saye 
Yf  thay  hade  it  thay  wolde  paye. 

Vox  populi  vox  Dei 

0  most  nobell  kyng 

Gonsyder  well  this  thinge. 

*)  Vgl   die  auch  für  die  Coursverhältnisse  wichtige  Urk.  Beil-  161. 

s)  So  war  es  schon  nach  der  ersten  Münzversduechterung  der  Fall. 
Von  Guisnes  wurde  an  Wolsey  im  März  1528  geschrieben :  „Great  scantaes 
of  money  and  every  other  thing  by  mean,  that  the  kings  coins,  which 
were  wont  to  be  current,  by  these  parties  been  now  ....  and  that  all 
manner  of  victual  with  all  other  necessary  things  been  raised  in  their 
prices  after  the  raate  of  .  .  .  .  or  rat  her  far  above;  it  is  not  possible 
for  the  ßoldiers,  who  ben  now  in  8  d,  by  the  day,  to  live  so  well  on  their 


—     539    — 

ab.  Alles  bessere  Geld  musste  allmälig  aus  dem  Königreiche 
gehen,  und  trotz  hoher  Preise  ergab  sich  die  Erscheinung,  dass 
allgemeiner  Geldmangel  gefühlt  wurde1).  Alle  diejenigen, 
welche  ein  festes  Nominaleinkommen  bezogen  und  nicht  in  der 
Lage  waren,  eine  Steigerung  desselben  zu  veranlassen,  ver- 
armten2). Die  Staatscasse  selbst  litt3)  bald  am  meisten 
unter  der  verschlechterten  Münze.  Den  Geldspeculanten  ge- 
hörte der  Tag. 

Nur  einen  Vortheil  hatten  all  die  vielen  Störungen.  Die 
so  abrupt  vorgenommenen  Aenderungen  und  die  durch  sie 
hervorgerufenen  Erscheinungen  intensivster  Art  klärten  die 
Principien  der  richtigen  Münzpolitik.  Es  ist  kein  Zufall,  dass 
kurz  darauf  Sir  Thomas  Gresham  die  zwei  Fundamentalsätze 
derselben  verkündete  und  zum  Gemeingutmachte:  „Schlechtes 
Geld  vertreibt  gutes  Geld"4)  und  „Gutes  Geld  kann  schlechtes 
Geld  nicht   vertreiben",    wie  es  auch  nicht  Zufall  ist,   dass 


pay  as  those  of  6  d  by  the  day  before  the  reysing  of  the  king's  coin8.u 
ßrewer,  Gal.  IV.  4122.  Was  der  venetianische  Gesandte  Soranzo  1564 
schrieb,  gilt  auch  von  der  Zeit  Heinrichs  VIII. :  „Ne  resterö  di  dire  dl  un 
modo,  che  il  re  Enrico  VIII.  usö  per  ritrovare  danari,  il  quäle  come  fu  di 
quasi  totale  rovina  de)  regno,  cos\  portö  a  lui  stesso  infamia  grandissima, 
che  fu  l'abbassar  che  fece  delle  monete,  avendole  per  bisogno  di  danaro 
abbassate  un  quarto,  e  con  questo  mal  esempio  dopo  la  morte  sua  li  con- 
siglieri  che  governavano  il  re  Edoardo  le  sbassarono  talmente,  che  sebbene 
del  1551  in  due  volte  cercarono  di  migliorarle,  perö  restarono  ancora  molto 
triste.  Pur  se  questo  danno  del  regno  fosse  ritornato  in  beneficio  del  Re, 
sarebbe  stato  piü  sopportabile ;  ma  essendosi  li  signori  fra  di  loro  accor- 
dati,  ne  fecero  stampare  una  grandissima  quantita  a  beneficio  loro,  e  non 
contenti  di  questo,  essendoli  pagate  le  loro  entrate  di  queste  monete  coai 
basse,  cominciarono  ad  alzare  li  affitti,  da  loro  chiamati  ferme,  con  in- 
tenzione  di  alzarli  tanto  quanto  era  il  danno  delle  monete;  ma  ne  anco  in 
questo  avendo  ritegno  le  alzarono  molto  e  molto  piü,  dal  che  ne  e  poi 
successo  che  conoscendo  li  fermieri  il  mal  stato  nel  quäle  si  ritrovavano 
se  non  vendevano  ancor  loro  le  robe  ad  equivalenti  prezzi,  cominciarono 
ad  alzarli,  ed  essendo  anche  in  loro  la  stessa  cupidita  che  nelli  padroni  li 
fecero  talmente  alzare,  che  Ja  carne  di  bove  e  di  vitello  vaieva  ....  8  in 
9  la  libbra,  il  frumento  scudi  5  lo  staro,  e  cos\  ogni  altra  sorte  di  robe ;  e 
se  pure  se  ne  avesse  potuto  avere,  ancora  si  avrebbe  potuto  sopportare; 
ma  sebbene  e  per  il  predetto  calo  deUe  monete  e  per  altre  provvisioni, 
anco  fatte  per  il  Parlamento  si  sforzassero  di  rimediare,  perö  nol  poterono 
fare  come  era  il  bisogno,  ne  mai  lo  faranno  fino  a  che  non  provvedano  al 
calo  delle  ferme".  Alberi,  Relazioni.  Ser.  I.  Vol.  III.  S.  64,  65.  Brown, 
Cal.  V.  S.  984;  sieh  auch  V.  S.  703. 

')  Vgl.  Starkey,  England  in  the  reign  of  king  Henry  the  Eighth  ed. 
Cowper  S.  89  und  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.  S.  27. 

s)  So  sagtHugh  Latimer  in  der  bekannten  Predigt  vom  8.  März  1549: 
-the  vicar  that  serueth  hath  but  XII  or  X111I  markes  by  yere,  so  that  of 
thys  Pension  he  is  not  able  to  by  him  bokes,  nor  geue  nys  neyghboure 
dryncke".    Arbers  Reprints  S.  40. 

*)  Mit  voUer  Klarheit  wird  dieser  Gedanke  übrigens  schon  1423  aus- 
gesprochen.   Rot.  Pari.  IV.  S.  257. 

*)  „le  entrate  non  suppliscono  alla  spesa,  —  parte  per  la  mala  am- 
niinistrazione  del  danaro,  che  e  stata  usata."  Soranzo 's  Report  von  1554. 
Alberi,  Relazioni.    Serie  I.    Vol.  III.  S.  67. 


-    540    — 

gerade  von  ihm  die  Regierung  mit  dem  ganzen  Getriebe  und 
Wesen  des  Geld-  und  Wechselcurses  bekannt  gemacht  und 
dass  von  ihm  diese  Eenntniss  zum  Nutzen  des  Staates  in  um- 
fangreichster Weise  verwerthet  wurde1). 

Dem  Einfluss  Greshams  gelang  es,  dass  Elisabeth  wieder 
Ordnung  im  Münzwesen  schaffte  (1560)  *).  Die  Erfahrungen, 
welche  man  in  Betreff  der  Münzpolitik  Heinrichs  VIII.  ge- 
macht, blieben  für  alle  Zukunft  ein  warnendes  Beispiel8). 


')  Ueber  seine  Finanzoperationen,  als  er  Agent  der  englischen  Re- 
gierung war,  vffL  Burgon,  Life  and  times  of  Thom.  Gresham  2  Bde. 

*)  Unter  den  5  Rathschlägen,  die  Gresham  der  Königin  Elisabeth  bei 
ihrem  Regierungsantritt  gab,  stellte  er  die  Herstellung  des  Münzwesens  an 
die  Spitze.    Burgon,  Life  of  Gresham  I.  Nr.  21  App.  S.  483  fg. 

*)  Beispiele  aus  dem  17.  und  18.  Jahrundert  gibt  die  Select  Col- 
lection  of  scarce  and  valuable  tracts  on  money.  R.  Cotton  z.  B. 
sagte  in  einer  Rede  vor  dem  Privy  Council :  „  When  Henry  VIII.  had  gained 
aß  much  of  power  and  glory  abroad,  of  love  and  obedience  at  home,  as 
ever  any,  he  suffered  shipwreck  of  all  on  this  rock.  A.  a.  0.  S.  126. 
Harris,  Essay  on  money  and  coins  a.  a.  0.  S.  502  u.  503  spricht  sich 
ähnlich,  wenn  auch  allgemeiner  aus. 


Sechstes  CapiteL 

Die  Creditpolitik. 


Von  ähnlicher  Wichtigkeit  als  das  Geldwesen  ist  für  den 
Handel  der  Credit.  Erst  wenn  dieser  als  gewissermassen 
neues  Verkehrsmittel  sich  dem  Gelde  beigesellt,  gewinnt  der 
Handel  eine  grössere  Operationsbasis.  Der  Credit  ermöglicht, 
die  Gegenleistung  von  Gütern  auf  die  Zukunft  zu  verschieben. 
Dieses  Vertrauen,  welches  die  Menschen  einander  gewähren, 
indem  sie  auf  die  Gegenleistung  zeitweilig  verzichten,  ist  aber 
lediglich  ein  Product  der  Cultur,  das  erst  dem  fohen  Natur- 
stande abgerungen  werden  muss.  Die  Ausbildung  des  Credits, 
sowie  der  dazu  erforderlichen  Sitten  und  rechtlichen  Institutionen 
bedarf  langer  Zeit. 

Entsprechend  dem  Charakter  der  von  uns  behandelten 
Epoche  werden  wir  deshalb  ähnlich  wie  beim  Gelde  nur  ersten 
Versuchen,  das  Creditwesen  zu  ordnen,  begegnen  können.  Zwei 
Fragen  sind  es,  die  für  uns  in  Betracht  kommen.  Wir  müssen 
zusehen,  einerseits  wie  man  die  Gegenleistung,  da  sie  der  Zu- 
kunft angehört,  zu  sichern  suchte,  andererseits  wie  man  die 
Vergütung  des  gewährten  Credits  beurtheilte  und  regelte. 

Um  das  Creditobject  sicher  zu  stellen,  ist  vor  Allem  not- 
wendig, dass  man  leicht  das  zu  Grunde  liegende  Rechtsver- 
hältniss  im  bestimmten  Falle  erkennen  könne.  Sobald  des- 
halb der  Handel  etwas  grössere  Dimensionen  annimmt  und 
das  Greditbedürfniss  gefühlt  wird,  tauchen  sogleich  Orga- 
nisationen auf,  welche  das  obige  Ziel  verfolgen.  Es  ist  hier 
besonders  der  sogenannten  Schuldbücher  zu  gedenken.  Schon 
unter  Heinrich  III.,  also  in  der  Periode  der  Kreuzzüge,  sind 
sie  vorhanden  *).    Wahrscheinlich  war  man  bei  ihrer  Einführung 

*)  Michel,  Histoire  du  commerce  k  Bordeaux  I.  S. 85,  86;  Delpit, 
Collection  etc.    Einleitung  S.  XC. 


—    542    — 

nur  Beispielen  auf  dem  Continent  gefolgt1).  Am  Anfang  war 
das  Schuldbuch  eine  städtische  und  blos  für  Kaufleute  geltende 
Einrichtung.  Ihre  Bedeutung  kann  man  daran  ermessen,  dass 
Plätze,  deren  Handel  sich  mehrte,  deren  Behörden  aber  nicht 
das  Recht  hatten,  Schuldbekenntnisse  entgegen  zu  nehmen, 
sich  veranlasst  sahen,  um  diese  Vergünstigung  nachzusuchen-). 

Eduard  I.  benützte  und  verallgemeinerte  diese  Organi- 
sation in  dem  bereits  früher  erwähnten  Statute  of  Acton 
Burneil  von  1283 3).  Auf  Grund  dieses  Gesetzes  konnte  der 
Gläubiger  seinen  Schuldner  vor  einem  königl.  Secretär  und 
vier  Zeugen  zum  Anerkenntniss  seiner  Schuld  zwingen  und 
verlangen,  dass  dies  Anerkenntniss  in  ein  öffentliches  Buch 
eingetragen  werde.  War  dies  geschehen,  und  erfolgte  am  be- 
stimmten Termin  keine  Zahlung,  so  war  der  Gläubiger  berech- 
tigt, sofort  Execution  der  Mobilien  zu  beantragen.  War  der 
Schuldner  vermögenslos,  so  trat  die  Schuldhaft  bezw.  Execution 
gegen  den  Bürgen  ein4).  Anfangs  suchten  die  Sheriffs  das 
Statut  durch  erkünstelte  Interpretationen  in  der  Ausführung 
abzuschwächen,  wurden  aber  daran  verhindert,  die  neue  Acte 
erlaubte  sogar,  dass,  wenn  der  Schuldner  drei  Monate  im  Ge- 
fängniss  war,  ohne  dass  der  Gläubiger  befriedigt  wurde,  der 
letztere  auch  das  Land  des  Schuldners  in  Besitz  und  Nutz- 
niessung  nehmen  durfte,  bis  sein  Guthaben  gedeckt  war5). 
Dem  Kaufmann,  der  creditiren  musste,  war  somit  nicht  nur 
Gelegenheit  gegeben,  seinen  Rechtsanspruch  ausser  allen  Zweifel 
zu  stellen,  sondern  zugleich  eine  rasche  Execution  zugesichert 
In  letzterer  Hinsicht  war  auch  wichtig  die  Charta  mercatoria 
von  1303,  in  der  Eduard  I.  Institutionen  schuf,  welche  eine 
ungesäumte  Rechtspflege  garantirten 6). 

Ganz  im  Einklang  mit  dieser  dem  kaufmännischen  Credit 
günstigen  Politik  und  nur  eine  nothwendige  Folge  derselben 
war  die  bald  folgende  Organisation  der  Stapelgerichtsbarkeit. 


»)  Vgl.  z.  B.  H.  Hildebrand,  Das  Schuldbuch  der  Stadt  Riga. 
St.  Petersburg  1872;  Koppmann,  Das  Hamburger  Schuldbuch.  Ztschr. 
für  Hamb.  Geschichte  VI.  S.  482  fg. ;  über  eine  bezugliche  Einrichtung  in 
den  Genter  Verkaufshallen  sieh  die  Coutume  de  la  viUe  de  Gand  bei 
Gheldorf,  Recueil  des  anciennes  coutumes  de  la  Belgique  S.  484. 

2)  So  Lancaster  1432.    Rot.  Pari.  IV.  S.  415. 

fl)  Sieh  oben  S.  389. 

*)  Ueber  die  Art,  wie  das  Gesetz  zu  Stande  kam,  vgl.  Stubbs,  Con- 
stitutional  history  of  England  11.  S.  116. 

*)  Stat  merc.  1285;  durch  die  Acte  5  Ed.  n.  c.  33  wurde  erklärt, 
dass  das  Gesetz  nur  auf  Kaufleute  Anwendung  finde.  Unter  Eduard  III. 
suchte  man  der  zu  niedrigen  Einschätzung  der  Landgüter  zu  begegnen. 
Rot.  Pari.  II.  S.  210. 

6)  Sieh  oben  S.  39 1 ,  392.  Die  Hansen  hatten  noch  einen  besondern  Richter ; 
Lappenberg,  Stahlhof  S.  20  fg.  In  Betreff  der  Schuldklagen  ist  auch 
zu  vgl.  6  Rieh.  II.  st.  1  c  2  (1382.)  Welch  hohen  Werth  man  auf  die 
Behandlung  der  Schuldklagen  nach  Handelsrecht  legte,  darüber  vgL  Rot 
Pari.  III.  S.  554. 


—    543    — 

Die  Stapel  -Mayors  und  ihre  Beisitzer  hatten  in  allen  Schuld- 
angelegenheiten oder  Contracten,  die  das  Stapel  berührten, 
volle  Jurisdiction,  und  zwar  war  diese  nach  dem  Merchant 
Law  und  nicht  nach  dem  Common  Law  auszuüben.  Weder 
die  königl.  Richter  noch  die  Beamten  des  königl.  Hauses  durften 
sich  in  diese  Gerichtsbarkeit  einmischen.  Die  vor  den  Stapel- 
behörden abgeschlossenen,  bezw.  von  ihnen  gesiegelten  Con- 
tractu waren  rechtsgiltig  und  ohne  Einrede  vollziehbar.  So- 
bald der  Schuldtermin  verflossen  war,  konnte  der  Stapelmayor 
den  Schuldner  ins  Gefängniss  setzen  und  seine  Waaren  zur 
Deckung  des  Gläubigers  benützen.  War  der  Schuldner  nicht 
an  dem  betreffenden  Stapelplatz,  dann  war  Vorsorge  getroffen, 
dass  der  Kanzler  sofort  die  Schuldner,  sowie  sein  im  König- 
reich befindliches  Vermögen  in  Gewahrsam  nehmen  Hess  und 
die  Befriedigung  des  Gläubigers  sicherte1).  Als  man  die  vom 
Stapelgericht  verhängte  Schuldhaft  durch  allerlei  Mittel  illu- 
sorisch zu  machen  suchte,  wurde  auch  diese  Gefährdung  des 
Credits  beseitigt2). 

All  diese  Einrichtungen  waren  von  grosser  Tragweite,  der 
Handel  erst  durch  sie  möglich.  Mit  dem  Ausgang  des  Mittel- 
alters nahm  das  Creditsystem  grösseren  Umfang  an,  und  es 
machten  sich  demzufolge  auch  neue  gesetzgeberische  Bedürf- 
nisse geltend.  Vor  Allem  ergab  sich  die  Notwendigkeit,  die 
Einrichtung  des  Schuldbuchs  auch  Nichtstapelkaufleuten,  über- 
haupt Nichtkaufleuten  zugänglich  zu  machen.  Es  hatte  sich 
nämlich  gezeigt,  dass  fortwährend  bei  den  Stapel  -  Mayors  An- 
erkenntnisse zur  Eintragung  gelangten,  bei  denen  entweder 
der  Gläubiger,  oder  der  Stapler  die  Waare  gar  keine  Beziehung 
zum  Stapel  hatten.  Cromwell  ermächtigte  deshalb  durch  ein 
1532  eingebrachtes  Gesetz  den  Chiei  Justice  of  the  King's 
Bench  und  den  Chief  Justice  of  the  Common  Place  und  in  ihrer 
Abwesenheit  den  Stapel -Mayor  zur  Entgegennahme  von  An- 
erkenntnissen solcher  Leute,  welche  keine  Stapler  waren 8). 

Auch  hinsichtlich  der  nach  Common  Law  erfolgenden 
Schuldklagen  wurde  im  Laufe  der  Zeit  grössere  Bestimmtheit 
und  Sicherheit  angebahnt.  Man  war  z.  B.  von  Seite  des  Par- 
laments streng  darauf  bedacht,  die  Einmischung  des  Exchequer- 
Court  oder  der  königl.  Hofbeamten  in  Schuldklagen  zu  be- 
schränken und  fem  zu  halten 4);  ebenso  trat  da,  wo  das  Process- 
verfahren  ungebührliche  Härten  oder  wesentliche  Unvollkommen- 


*)  27  Edw.  IIL  st.  2  c.  9.  §  9.  10.  11.  12.  13;  vgl.  ausserdem  10 
Hen.  VI.  c  1;  Rot.  Pari.  IL  S.  248,  250,  271,  352;  III.  S.  67,  286;  IV. 
S.  401. 

*)  11  Hen.  VI.  c.  10. 

8)  23  Hen.  VIII.  c.  6. 

4)  Vgl  Rot.  Pari.  I.  S.  284,  456;  IL  S.  189,  228,  286;  IIL  S.  18, 
118,  141,  265  etc. 


—    544    — 

heiten  zeigte,  meist  Abhilfe  ein ').  Ferner  geschahen  Schritte, 
um  —  und  das  war  für  die  nach  Common  Law  oder  Merchant 
Law  erfolgenden  Schuldklagen  gleichmässig  wichtig  —  den 
Evasionen  des  Schuldners  zu  begegnen8).  Eine  solche  war 
z.  B.  möglich  durch  einen  königl.  Schutzbrief,  welchen  der 
Schuldner  sich  verschaffte.  Immer  wieder  kämpfte  das  Parla- 
ment gegen  diesen  Missbrauch  an  *).  Seit  dem  15.  Jahrhundert 
scheinen  die  Könige  auch  nur  selten  ihre  Prärogative  in  diesem 
Sinne  benützt  zu  haben.  Nimmt  man  dazu,  dass  frühzeitig 
Vorkehrungen  getroffen  waren  gegen  Schuldner,  die  sich  vor 
der  Fällung  des  Urtheils  in  betrügerischer  Weise  ihres  Besitz- 
tums zu  entledigen  suchten4),  sowie  dass  seit  1414  eine  Be- 
freiung von  der  persönlichen  Schuldhaft  durch  Bürgschafts- 
leistung nicht  mehr  möglich  war6),  so  sollte  man  meinen,  filr 
die  Sicherheit  des  Credits  sei  vom  Staate  den  damaligen  Ver- 
hältnissen entsprechend  in  genügender  Weise  gesorgt  gewesen. 
Das  war  aber  doch  nicht  der  Fall;  denn  es  fehlte  im  System 
nicht  an  Lücken;  den  böswilligen  Hinterziehungen  war  nicht 
vollständig  gesteuert 

Besonders  schädlich  wirkten  die  Asyle,  in  die  sich  Ver- 
brecher und  Schuldner  flüchten  konnten,  ohne  dass  man  sie 
darin  verfolgen  durfte.  Beamte,  die  dennoch  in  dieselben  ein- 
drangen, wurden  excommunicirt  und  sonst  von  der  Kirche  ge- 
straft6). Der  Credit  musste  dadurch  in  der  schwersten  Weise 
geschädigt  werden,  und  das  um  so  mehr,  als  die  Zahl  solcher 
privilegirten  Plätze  durch  die  Bemühungen  der  Aebte  fort- 
während grösser  zu  werden  drohte 7).  Es  konnte  nicht  aus- 
bleiben, dass,  als  der  Missbrauch  zu  schreiend  wurde,  auch 
hier  auf  die  Vorstellungen  des  Parlaments  hin  eingegriffen  wurde. 
Der  Anfang  hiezu  wurde  bereits  unter  Eduard  III.  gemacht. 
Es  war  ganz  gewöhnlich  geworden,  dass  ein  Schuldner  mit  dem 
grösseren  Theil  seiner  Habe  an  einen  privilegirten  Platz  sich 
begab,  dann  zuwartete,  bis  der  Gläubiger  durch  gerichtliches 
Erkenntniss  auf  den  kleinen  zurückgelassenen  Rest  verwiesen 
war,  um  hernach  wieder  an  seinen  früheren  Aufenthaltsort  zu- 
rückzukehren. Man  machte  natürlich  einen  solchen  Betrug  für 
die  Zukunft  unmöglich 8).   Während  der  Regierung  Richards  IL 


*)  Sieh  z.  B.  Rot.  Pari.  II.  S.  287,  357.  III.  S.  137,  162,  200,  270, 
271.    IV.  S.  77,  115,  121,  382,  508. 

2)  Sieh  auch  Liber  Albus  ed.  Riley  S.  261,  262,  263. 

8)  Rot  Pari.  I.  S.  286;  II.  S.  242,  359,  368;  HL  S.  23,  28,  164,  593. 

*)  Vgl.  R  o  t  P a r  1.  II.  S.  266:  L i  b.  A 1  b.  ed.  Riley  S.  216,  219,  220,  449. 

5)  Rot.  Pari.  IV.  S.  20.  Unter  Heinrich  VIII.  worden  jedoch  Parla- 
mentsmitglieder für  die  Dauer  der  Session  von  der  Schuldhaft  befreit. 
Froude.  History  of  England  IV.    S.  147  fg. 

c)  Vgl.  Rot.  Pari.  III.    S.  345  (1397). 

7)  Vgl.  Rot  Pari.  III.    S.  321,  469;  sieh  auch  III.  S.  504. 

8)  Rot.  Pari.  II.  S.369  (1377).  Gegen  die  Asyle  wurde  schon  vorher 
geklagt;  vgl.  Rot.  Pari.  II.  S.  187  (1347). 


—    545    — 

geschah  noch  ein  Weiteres.  Der  König  setzte  fest,  dass  die 
Westminster  Abtei  nur  für  solche  Schuldner  ein  Asyl  bilden 
solle,  welche  ohne  eigenes  Verschulden,  also  durch  Unglück 
verarmt  wären  und  nun  gegen  Gefangennahme  sich  schützen 
wollten *).  Betrügerische  Schuldner  dagegen ,  welche  in  Asyle 
geflüchtet  waren,  konnten  durch  eine  in  gewisser  Weise  zu 
erfolgenden  Bekanntmachung  gezwungen  werden,  vor  Gericht 
zu  erscheinen  *).  Die  Hinterziehungen  waren  damit  noch  keines- 
wegs beseitigt.  Wenn  einer  seine  Güter  zum  Schein  an  Freunde 
verschenkte,  ins  Ausland  sich  begab  und  dort  von  den  Renten 
lebte,  so  fehlte  es  in  England  an  jedem  Rechtsmittel,  die 
Güter  des  Betrügers  zu  ergreifen;  diese  Frage  wurde  auch 
keineswegs  genügend  gelöst;  in  einem  ganz  speciellen  Fall  ge- 
stattete man  ein  Con tumacial verfahren 3),  aber  dasselbe  wurde 
nicht  verallgemeinert;  jeder  Gläubiger,  der  in  eine  solche  Lage 
kam,  musste  also  erst  durch  jedesmalige  Petition  ans  Parla- 
ment ein  ähnliches  Vorgehen  erwirken.  Ebenso  war  der  Gläu- 
biger in  der  Zeit  vor  Heinrich  VII.  ziemlich  schutzlos,  wenn 
ein  Schuldner  seine  Güter  und  sein  Vieh  scheinbar  verschenkte 
und  von  deren  Nutzung  im  Asyl  lebte.  Im  Jahre  1487  wurde 
aber  diese  letztere  Uebung  beseitigt,  indem  man  alle  der- 
gleichen Schenkungen  für  nichtig  erklärte4). 

Waren,  wie  man  sieht,  die  Missbräuche,  die  mit  den  Asylen 
zusammenhingen,  nach  vielen  Richtungen  hin  eingeschränkt,  ganz 
verstummten  die  Klagen  auch  unter  Heinrich  VIH.  nicht5). 
Das  Zeitalter  Heinrichs  VIII.  brachte  aber  eine  Besserung.  Es 
wurde  nämlich  die  Zahl  der  Freistätten  begrenzt  und  die  hin- 
sichtlich derselben  anzuwendenden  Grundsätze  genau  fest- 
gestellt Ausser  den  Kirchen  und  Kirchhöfen  wurden  Wellis, 
Westminster,  Manchester,  Northampton,  Norwich,  York,  Derby, 
Launceston  zu  Freistätten  erklärt6).  Manchester  opponirte 
gegen  die  ihm  zugedachte  Vergünstigung;  unter  Anderm 
machte  es  geltend,  dass  seine  Woll-  und  Leinentuchmanufactur 
darunter  leide.  Die  Fremden,  welche  bisher  Leinen-  und 
Wollengarn  und  andere  zum  Tuchmachen  nöthige  Artikel  nach 
Manchester  brachten  und  den  Käufern  creditirten,  bis  diese 
das  Garn  verwoben  und  das  Tuch  verkauft  hatten,  zogen  sich 
zurück,   seit  das  Gesindel   nach  Manchester  gekommen  war. 


*)  Rot  Pari.  IU.  S.  37,  51. 

*)  2  Rieh.  n.  st.  2  c.  8  (1379). 

8)Rot.  Pari.  IV.  S.  39  (1414). 

4)  3  Hen.  VII.  c.  4  (1487);  vgl.  auch  Pauli,  Drei  volkswirthsch.  Denk- 
schriften S.  35. 

*)  Starkey,  England  in  the  reign  of  king  Henry  the  Eighth  ed.  Cowper. 
S.  140,  141. 

6)  32  Hen.  VIII.  c.  12  An  jedem  privilegirten  Platz  durften  nur  29 
der  betreffenden  Leute  sein.  Gewisse  schwere  Verbrecher  konnten  den 
Schutz  der  Freistätte  nicht  in  Anspruch  nehmen. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  35 


—     546    — 

An  Stelle  von  Manchester  wurde  ehester  substituirl; 1).  Die 
definitive  Beseitigung  sämmtlicher  Freistätten  erfolgte  erst  im 
Jahre  1624*).  Aus  der  Zeit  Heinrichs  VIII.  sind  noch  zwei 
Gesetze  hervorzuheben,  welche  Missbräuchen  im  Greditwesen 
entgegenwirkten.  Das  eine  ist  betitelt:  „Contentation  of  debts 
upon  executions"  8).  Bei  dem  verwickelten  englischen  Recht 
war  es  nicht  schwer,  durch  verschiedene  Mittel  Ländereien, 
welche  durch  gerichtliches  Erkenntniss  dem  Gläubiger  behufs 
Deckung  seines  Guthabens  zu  zeitweisem  Besitz  übergeben 
worden  waren,  noch  vor  völliger  Befriedigung  des  letzteren 
wieder  zurückzuerlangen,  worauf  dem  Gläubiger  jedes  Rechts- 
mittel abgeschnitten  war.  Durch  die  genannte  Acte  wurden 
Massregeln  getroffen,  welche  der  Unsitte  vorbeugten.  Das  an- 
dere Gesetz  schuf  eine  noch  gänzlich  mangelnde,  in  Folge  der 
stets  complicirter  und  grösser  sich  gestaltenden  Verkehrs- 
verhältnisse aber  dringend  nöthig  gewordene  Concursordnung. 
Die  öffentliche  Meinung  hatte  eine  solche  sehr  laut  gefordert4). 
Dem  Parlament  vom  Jahre  1542  lagen  zwei  Entwürfe  vor6). 
Das  Resultat  der  Berathungen  war  die  Acte  gegen  die  Ban- 
kerottirer.  Das  Privy  Council  und  die  Präsidenten  der  beiden 
Gerichtshöfe  erhielten  die  Befugniss,  auf  eingelaufene  Klage  hin 
mit  der  Person  und  dem  Eigenthum  desjenigen,  der  das  er- 
borgte Vermögen  anderer  Leute  leichtsinnig  vergeudete,  nach 


*)  33  Hen.  VIII.  c.  15. 

a)  21  Jac.  1.  c.  28. 

8)  32  Hen.  VIII.  c.  5. 

*)  Brinklow,  Complaynt  of  Roderyck  Mors.  c.  1542  ed.  Cowper 
S.  41  sagte:  „Another  thing  very  nedeftül  to  be  loked  vpon  in  this,  that 
whan  any  marchant  or  other,  by  losse  of  goodes,  by  forfune  of  the  see, 
euel  seruantys,  eayl  detters,  by  iyre,  or  otherwyse,  come  to  an  after  deale 
and  not  able  to  pay  bis  credyte  at  hiß  due  tyme,  bat  by  force  of  pouertve 
is  constrayned  to  demand  longar  tyme,  —  than  ye  have  a  parcyall  lawe  in 
making  of  tachmentys,  first  come,  first  seruyd;  so  one  or  II  shall  be  all 
payd ,  and  the  rest  shal  haue  nothyng.  And  comonly  euer  the  rych  shal 
haue  the  fordeale  therof  bv  this  tachement,  to  the  gret  dammage  and 
oppressyon  of  the  pore.  For  lyghtly  the  rieh  haue  the  first  knoulege  of 
soch  thmgs.  Wherfor,  in  that  case  it  were  a  godly  way  to  make  it  in 
Ingland,  as  it  is  in  dvuerse  contryes,  whan  any  such  Chance  falleth,  that 
than  the  most  in  nomber  of  the  credytors  and  most  in  somme,  shal  bynde 
the  rest  to  doo  and  gyue  lyke  tyme  as  doo  the  most  of  the  credytors. 
And  if  it  be  duly  founa  that  the  man  be  so  farre  at  after  deale,  that  he 
be  not  able  to  pay  his  whole  credite  in  reasonable  tyme.  that  than  the 
lawe  may  bynd  them  that  euery  man  may  haue  pound  An[a]  pound  alyke, 
as  farre  as  nis  goodys  will  goo,  leauyng  him  some  whan  as  the  lawe  snall 
thynck  good.    And  this  lawe  shal  be  both  neyhborly  and  godly." 

*)  In  den  Lords'  Journals  heisst  es  am  19.  Febr.:  1»  vice  leeta  est 
billa  for  merchants  that  run  away  with  other  mens  goods;  am  20  Febr.: 
sec.  vice;  am  21.  Febr.:  commisa  est  to  mvlord  chief  justice ;  am  24.:  tertia 
vice  est  leeta;  am  27.:  3ft  vice  leeta  est  billa  et  commissa  doctori  Layton 
et  sollicitori  domini  regis  ad  domum  communem  deferenda.  Am  10.  Apr.: 
An  act  for  bankrupts  of  another  8 ort,  than  the  bill  Which  before  was 
sent  down  to  them.  1»  vice  leeta  est  nova  billa  for  bankrupts;  am  11.  Apr.: 
2&  et  3a  vice  leeta  est  billa  et  conclusa. 


—    547    — 

Gutdünken  zu  verfahren,  ein  erschlichenes  Vorzugsrecht  ein- 
zelner Gläubiger  zu  verhindern  und  Massregeln  zu  treffen  gegen 
den  flüchtigen  Bankerotterer,  der  seine  Habseligkeiten  ausser 
Landes  brachte1). 

Mit  diesem  wichtigen  Gesetz  war  die  Grundlage  für  die 
weitere  Entwickelung  auf  einem  Gebiete  geschaffen ,  auf  dem 
die  nachbarlichen  continentalen  Gemeinwesen,  namentlich  die 
Niederlande  *)  und  Hansestädte 8)  bereits  vorangegangen  waren. 
Elisabeth  knüpfte  im  13.  Regierungsjahre  an  die  erwähnte 
Heinrichsche  Acte  an,  liess  in  einem  Gesetz  deutlicher  defi- 
niren,  was  Bankerott  sei,  und  schrieb  genauer  das  Verfahren 
vor,  welches  bis  in  die  Neuzeit  sich  erhalten  hat. 

Mögen  nun  nach  manchen  Seiten  hin  zur  Sicherung  des 
Creditobjects  noch  Verbesserungen  möglich  gewesen  sein4),  so- 
viel zeigt  unsere  Skizze,  dass  hier  die  sonst  so  langsam  sich 
entwickelnde  englische  Gesetzgebung  nicht  Unbedeutendes  ge- 
leistet hat  Dass  den  Bedürfnissen  des  Verkehre  nach  dieser 
Seite  hin  billige  Rechnung  getragen  wurde,  ergibt  sich  auch 
daraus,  dass  in  den  uns  überlieferten  Specialklagen  der  Kauf- 
leute bei  commerciellen  Unterhandlungen  selten  über  Rechts- 
verschleppung bei  Schuldklagen  Beschwerde  gefltthrt  wurde. 
Meist  bezieht  sich  letztere  auf  Ansprüche  wegen  Beraubung 
oder  sonstiger  Gewaltacte. 

Wir  gehen  über  zur  zweiten  Frage,  welche  von  der  für 
den  Credit  zu  leistenden  Vergütung  handelt  Es  ist  bekannt, 
welchen  beherrschenden  Einfluss  die  kanonistischen  Ideen  hier 
übten5).  Von  früher  Zeit  an  erklärte  die  Kirche  in  Ueber- 
einstimmung  mit    den   damaligen   einfachen  Verkehrsverhält- 


*)  34  u.  35  Hen.  VIII.  c  4. 

*)  Es  kommen  in  Betracht  die  Edicte  Karls  V.  vom  7.  Octob  1531, 
4.  Oct  1540  u.  20.  Oct  1541.  Vgl.  Henne,  Histoire  du  regne  de  Charles- 
Quint  en  Belgique.    V.  8.  349—58. 

*)  Statuten  hierüber  lagen  schon  aus  den  Jahren  1398,  1442,  1447, 
1470,  1507  vor;  neue  wurden  1549  hinzugefugt.  Sartorius,  Geschichte 
des  bans.  Bundes  IL  S.  705.  III.  S.  539;  Hirsch,  Danzig  8.  239.  In  Riga 
war  es  um  1540  Sitte,  dass  derjenige,  welcher  mehr  borgte,  als  er  bezahlen 
konnte,  gleich  einem  Diebe  gehängt  wurde. 

4)  1532  beschwerte  man  sich  z.  B.,  dass  Obligationen  und  Wechsel, 
welche  auf  fremdes  Geld  lauteten,  in  England  nicht  klagbar  waren.  Urk. 
Beil  30.  15°  die  Pari.  1540  heisst  es  in  den  Lords'  Journals:  „Billa  per 
quam  debita  in  transmarinis  partibus  per  singraphas  concessa,  habilia  effi- 
ciuntur  in  hoc  regno  Anglie  implacitari,  que  quidem  billa  jam  1»  vice  est 
lecta  et  rejecta."  Ob  die  Acte  23  Hen.  VIII.  c.  15,  wonach  bei  Schuld- 
klagen, in  denen  der  Klager  unterlag,  dieser  die  Kosten  tragen  musste,  be- 
ziehungsweise gestraft  wurde,  ein  Fortschritt  oder  Rückschritt  war,  muss 
dahin  gestellt  bleiben. 

*)  Vgl.  die  kurze,  aber  treffliche  Uebersicht  über  die  Geschichte  der 
Wucherlehre  bis*  zum  Ausgang  des  17.  Jahrh.  bei  Ende  mann,  Studien 
in  der  romanisch  -  canonistischen  Wirthschafts  -  und  Rechtslehre  1874.  I. 
8-  9  fg. 

35* 


—    548    — 

nissen1)  und  im  Anschluss  an  das  neue  Testament,  das  die 
Nächstenliebe  predigt,  es  als  eine  Moralpflicht,  keinen  Zins  für 
Darlehen  zu  nehmen;  aus  dieser  Moralpflicht  entwickelte  sich 
in  kürzester  Frist  ein  den  Priesterstand  bindendes  Disciplinar- 
gebot,  das  dann  auch  auf  die  Laien  ausgedehnt  wurde.  Wie 
auf  dem  Continent  die  sogenannte  Wucherlehre  successive  in 
alle  Poren  des  Verkehrsrechts  eindrang,  so  blieb  sie  auch  in 
England  nicht  ohne  die  nachhaltigsten  Wirkungen. 

Frühzeitig  lieh  der  weltliche  Arm  der  Kirche  seine  Unter- 
stützung. Bereits  Eduard  der  Bekenner  (1042—1066)  verbot 
den  Wucherern  den  Aufenthalt  im  Lande  und  bestimmte,  dass 
Jeder,  der  des  Zinsennehmens  überführt  werde,  sein  Vermögen 
verlieren  und  für  rechtlos  gelten  solle2).  Der  im  12.  Jahr- 
hundert reger  werdende  Verkehr,  namentlich  in  den  Städten, 
Hess  aber  ein  auf  Vergütung  basirtes  Anlehen  als  unentbehrlich 
erscheinen.  Dem  Bedürfniss  dienten  die  Juden3),  welche 
ausserhalb  des  kirchlichen  Gebotes  standen 4)  und  unter  Wil- 
helm dem  Eroberer,  Heinrich  I.  und  II.  in  grosser  Menge  in 
England  sich  angesiedelt  hatten 5).  Wie  in  den  continentalen 
Staaten,  so  war  auch  ihre  Rolle  in  England  eine  sehr  bedeu- 
tende. Unter  dem  persönlichen  Schutz  des  Herrschers  stehend  *) 
nützten  die  Juden  ihr  Monopol  in  grausamer  Weise  aus'), 
mussten  dafür  aber  den  Fluch  und  Hass  des  Volkes  ertragen 
und  schwere  Schätzungen  und  Gonfiscationen  von  Seite  der 
Herrscher  selbst  erdulden 8).  Grundsatz  der  letztern  war,  die 
Juden  so  lange  zu  schützen,  bis  sie  reich  geworden,  um  dann 
ihren  Reichthum  abzunehmen. 


*)  Röscher,  Grundlagen  der  Nationalökonomie  §190. 

*)  In  den  Legee  Edwardi  Confessoris  c  82  (textus  Kogeri  de  Hoveden) 
heisst  es:  „Usurarios  quoque  defendit  rex  Eadwardus,  ne  remanerent  in 
regno;  et  si  quis  inde  convictus  faerit,  quod  foenus  exigeret,  omni  sab- 
stantia  propria  careret ,  et  pro  exlege  haberetnr.  Hoc  autem  asserebat  ipse 
rex,  in  curia  regia  Francorum  se  audisse,  dum  ibidem  moraretur,  quod 
usura  summa  radix  est  omni  um  vitiorum.u  Schmid,  Die  Gesetze  der 
Angelsachsen  1858.  S.  518. 

*)  Vgl.  auch  W.  Röscher.  Die  Stellung  der  Juden  im  Mittelalter 
betrachtet  vom  Standpunct  der  allgemeinen  Handelspolitik,  in  der  Tübinger 
Zeitschr.  für  Staatsw.  1875.   S.  510. 

4)  Den  Juden  wurde  unter  Heinrich  III.  ausdrücklich  der  Wucher 
erlaubt.  Margoliouth,  The  history  of  the  Jews  in  Great- Britain  L 
S.   179. 

6)  Margoliouth,  The  history  of  the  Jews  in  Great-Britain  I.  1851. 
S.  50  te. 

fl)  Vgl.  Stubbs,  Constitutional  history  of  England  IL  S.  529  fg. 

7)  Die  Zinsenhöhe,  der  man  begegnet,  war  sehr  verschieden.  Bei 
einer  Landverpfandung  1198  war  sie  nur  10  %  (Macpherson  L  S.  358), 
unter  Heinrich  III.  durften  die  Juden  etwas  über  43  0/0  Zinsen  nehmen. 

8)  Vgl.  M.  Paris,  Historia  minor  ed.  Madden  H.  S.  9,  121,  328,  496; 
III.  S.76, 118,292,322,334,343;  Stubbs  IL  S.  530;  -  M.  Margoliouth, 
The  history  of  the  Jews  in  Great-Britain  I.  passim;  die  Summen,  welche 
man  ihnen  von  1230 — 71  abnahm,  sind  aufgerührt  S.  237,  238. 


—    549    — 

Im  13.  Jahrhundert  wurde  die  Judenfrage  brennend;  die 
Stimmung  gegen  ihre  Erpressungen  nahm  einen  höchst  bedroh- 
lichen Character  an.  Der  katholische  Clerus  unterstützte  die 
Bewegung1).  Die  Regierung  konnte  einer  Ordnung  der  An- 
gelegenheit nicht  mehr  ausweichen.  Die  Könige  konnten  nicht 
mehr  die  Judenpolitik  ausschliesslich  vom  Standpunct  ihrer 
eigenen  Interessen  aus  leiten  und  mit  Erpressungen  sich  be- 
gnügen, sondern  sie  mussten  auch  Schritte  thun,  um  das  wu- 
cherische Treiben  der  Juden  selbst  einzuschränken.  1235  entzog 
man  die  Unmündigen  dem  Wucher  *).  1239  wurden  die  Mass- 
regeln, welche  Richard  I.  zur  Erschwerung  der  Fälschung  von 
Urkunden  getroffen  hatte3),  verbessert.  Der  kgl.  Rath  in 
Verbindung  mit  zwei  rechtschaffenen  Londoner  Bürgern  hatte 
2  Christen  und  2  Juden  zu  wählen,  welchen  die  Lade  für  die 
Schuldurkunden  übergeben  wurde,  ausserdem  2  Schreiber  zu 
ernennen  und  eidlich  zu  verpflichten,  welche  in  Gegenwart  des 
das  Geld  empfangenden  Christen  und  des  das  Darlehen  machen- 
den Juden  das  Schulddocument  abfassen  mussten.  Die  Ur- 
kunde wurde  in  3  Theile  zerschnitten,  den  obersten  erhielt 
der  Schuldner,  den  mittlem  der  Jude,  der  unterste  mit  dem 
Wachssiegel  musste  spätestens  10  Tage  nach  der  Ausstellung 
in  die  Lade  gelegt  werden.  Dieser  Theil  war  auch  mit  einem 
den  Namen  des  Schuldners  enthaltenden  Siegel  zu  versehen. 
Während  des  ganzen  folgenden  Jahres  sollte  kein  Jude  ohne 
ausdrücklichen  kgl.  Befehl  seinen  Wohnort  wechseln.  Das 
bisher  ihnen  gestattete  Zinsmaximum  durften  sie  nicht  über- 
schreiten, also  ausser  dem  Capital  nicht  mehr  als  2  d  vom  £ 
pro  Woche  (—  43Vs  %)  verlangen 4).  1271  fand  man  es  be- 
denklich, dass  dieselben  einen  grossen  Theil  des  liegenden  Be- 
sitzes in  ihre  Hände  zu  bringen  wussten 6).   Man  traf  dagegen 


')  Margoliouth,  The  history  of  the  jews  in  Great-Britain  L  8. 
188  fe.,  203  fe. 

a)  20  Hen.  III.  st  Morton  c.  5. 

*)  Sieh  die  Capitata  Judaeorum  von  1194  beiHoveden,  Chronica  ed. 
Stubbs  HI.  8.  266;  Margoliouth,  The  history  of  the  jews  in  Great- 
Britain  I.  8.  111.  fg. 

*)  De  antiqnis  legibus  liber  ed.  Stapleton  184$  (Camden  Society) 
Appendix  8.  284. 

ft)  Die  Juden  veranlassten  diese  Reaction  durch  die  weitgehenden 
Ansprüche,  die  sie  im  Jahre  1270  gestellt  hatten ;  „petierunt  a  Domino  Rege 
et  consilio  suo;  ut  ipsi  possent  habere  custodias  et  maritaria  heredum  infra 
etatem  existentium  Christianornm,  et  etiam  advocationes  ecclesiarum,  quorum 
terras  ipsi  Judei  habuerunt  in  seisifiam.  Quod  quidem  per  aliquos  ae  con- 
silio Domini  Regis  muneribus  corruptos  fere  concessum  fuit;  quod  in* 
telligens  quidam  vir  religiosus  de  ordine  fratrum  minorum  contra  hoc 
virihter  se  opposuit,  accedens  ad  Dominum  Regem  et  consilium  suum,  et 
(liiit,  quod  lila  petitio  fuit  omnino  contra  honorem  Dei  et  ad  mazimum 
dedecus  totius  Christianitatis,  cum  Christiani  deberent  subjici  Judeis  et 
per  eos  maritari.  Dixit  etiam,  quod  Judei  multa  illicita  faciebant  contra 
honorem  Dei  et  detrimentum  totius  regni,  quod  predictus  vir  coram  Domino 
Hege  et  consilio  multis  rationibus  evidenter  ostendit".    A.  a.  0.  S.  234. 


—    550    - 

Vorkehrung ;  in  Zukunft  durften  sie  ausser  ihren  Wohnhäusern 
keine  liegenden  Güter  haben1).  Eduard  I.  verbot  den  Juden 
dann  überhaupt  Wucher  zu  treiben.  Durch  gesetzlichen  Handel 
und  durch  Arbeit  sollen  sie,  hiess  es,  gleich  andern  Unter- 
thanen  ihren  Unterhalt  verdienen 2).  1278  Hess  er  293  Juden 
wegen  Verdachts  der  Münzfälschung  hinrichten,  im  Jahre  1287 
alle  Juden  aufgreifen  und  nur  gegen  Erlegung  von  20  OOOPfiznd 
Silber  wieder  frei;  aus  der  Gascogne  wurden  sie  1288  voll- 
ständig vertrieben 3).  Gleichzeitig  organisirte  die  Königin-Mutter 
eine  Hetze,  bis  denn  endlich  Eduard  I.  auf  Andrängen  des 
Volks  1290  verkünden  Hess,  dass  alle  Juden,  16511  an  der  Zahl, 
das  Land  verlassen  müssten4). 

Man  könnte  meinen,    der  Greditverkehr  hätte  unermess- 


*)  Das  Statut  war  schon  früher  beschlossen,  aber  nicht  publicirt  wor- 
den. In  demselben  heisst  es:  nnllus  Judeus  liberum  tenementum  habeat 
in  maneriis,  terris  tenementis,  feodis,  redditibußj  vel  tenuris  quibuscum- 
que  per  cartam,  donum,  feofamentum,  confirmationem ,  seu  quamcumque 
Obligationen),  vel  quocumque  alio  modo ;  ita  tarnen  quod  domos  suas,  quas 
ipsimet  inhabitant  in  civitatibuö,  burgis  seu  allis  villis  inhabitent  de  cetero 
et  eas  habeant  sicut  habere  consueverunt  temporibus  retroactis,  et  etiam 
alias  domos  suas,  quas  locandas  haben  t,  licite  locare  possin t  Judeis  tantum 
et  non  Christianis :  ita  tarnen  quod  non  liceat  Judeos  nostros  Londoniarum 
plures  domos  quam  nunc  habent  emere,  sive  quocumque  alio  modo  Der- 
quirere  in  civitate  nostra  Londoniarum,  per  quod  ecclesie  parochiales  ejusaem 
civitatis  vel  rectores  earumdem  jacturam  incurant.  —  De  terris  autem  et 
tenuris,  de  quibus  Judei  ante  presens  statutum  feofati  fuerunt,  volumos 
quod  huioßmodi  infeodationes  et  dona  penitus  adnullentur,  et  terre  et  tene- 
menta  ifla  Christianis,  qui  sibi  ea  dimiserint,  remaneant;  ita  tarnen  quod 
Christiani  satisfaciant  ipsis  Judeis  de  pecunia  seu  catallo  contento  in  cartis 
et  cyrographis  suis  sine  usura,  quod  Judei  pro  hujus  dono  vel  infeodatione 
dederint  Christianis.  Hac  etiam  adjecta  conditione,  ut  si  Christiani  Uli  hv 
continenter  inde  satisfacere  non  possint,  liceat  Judeis  predicta  tenementa 
illa  aliis  dimittere,  donec  inde  per  rationabilem  extentam  secundum  verum 
valorem  eorumdem  catalla  sua  sine  usura  levari  possint,  salvo  tarnen  Chris- 
tianis Ulis  herbegagio  suo,  ita  quod  Judeus  pecuniam  suam  seu  catallum 
suum  per  manus  Christianorum  et  non  Judeorum  inde  recipiat,  ut  predictum 
est."  etc.  A.  a.  0.  S.  285,  236.  Als  Motive  zu  diesem  Statut  werden 
erwähnt:  Ohne  dieses  Vorgehen  würde  der  Fall  eintreten,  „quod  fideles  in- 
fidelibus,  ratione  talium  tenementorum  de  fidelitate  sibi  facienda  sacra- 
mentum  corporale  prestarent.  Insuper  fideles  infidelibus,  tamquam  suis 
dominis,  homagia  facerent,  et  similiter  fidelibus  infideles.  Ad  ecclesias 
ratione  tenementorum  Judei  etiam  presentarent;  custodie,  maritagia  et  es- 
kaete  ad  manus  infidelium  pervenerent.  In  assisis  et  recognitiooibus  et 
juratis  ratione  tenementorum  frequentius  ponerentur,  et  Judei  equiparentur 
fidelibus  quoad  placita.    Esset  quoque  ex  regni  Christianis  eadem  et  Judeis, 

?uod  est  contra  sacrosanctas  Christiane  religionis  et  nostre  sanctiones. 
ossent  etiam  mediante  pecunia  situs  et  liberum  tenementum,  ita  etiam  ba- 
ronias,  que  de  Domino  Rege  immediate  tenentur,  futuris  temporibus  occu- 
pare.    A.  a.  0.  S.  234,  235. 

»)  Statutes  of  iewry  im  Statutenbuch  I.  S.  221  fg. 
s)  M.  Margoliouth,    The  history  of  the  jews  in  Great-Brit&in  I. 
S.  263  fg.:   R.  Pauli,  Geschichte  Englands  IV.  S.  32  fg.    üeber  die  con- 
stitutionelle  Bedeutung  des  Schrittes  sieh  Stubbs  II.  S.  531. 

*)  Vgl.  unser  Cap.  2  des  Absehn.  I-,  ferner  Peruzzi,  Storia  del 
commercio  e  dei  banchieri  di  Firenze  S.  134  fg.  S.  167  fg. 


—    551    — 

lieh  unter  dieser  plötzlichen  Verbannung  der  Juden  leiden 
müssen.  Dies  war  aber  keineswegs  der  Fall.  Seit  den  Tagen 
Richards  I.  *)  hatten  die  italienischen  Kauf  leute  und  Banquiers 
begonnen ,  in  England  sich  einzunisten  und  schon  unter  Jo- 
hann und  Heinrich  III.  Verwendung  zum  Einsammeln  der 
Zölle  und  Steuern  gefunden  und  als  Gelddarleiher  gedient2). 
In  Folge  der  vielen  continentalen  Beziehungen  der  Italiener 
erfüllten  sie  bei  der  wachsenden  Ausbreitung  des  internationalen 
Handels  das  Greditbedürfhiss  weit  besser  als  die  Juden,  um 
so  mehr,  als  sie  doch  im  grossen  Durchschnitt  mit  massigeren 
Gewinnen  sich  begnügten  und  auch  begnügen  konnten  als  jene. 
Immerhin  fehlte  es  auch  bei  ihnen  nicht  an  Hartherzigkeit, 
und  bereits  Heinrich  III.  verbot  seinen  Unterthanen  von  frem- 
den Kauf  leuten  Geld  zu  leihen 3).  Wie  stark  sie  es  gelegent- 
lich trieben,  dafür  mag  das  eine  Beispiel  genügen-,  dass  die 
Florentiner  im  Jahre  1278  für  ein  Darlehen  von  300  Mark  von 
der  Abtei  Bordesley  sich  42  Sack  Wolle  ausbedangen.  Die 
Mönche  berechneten  den  Werth  der  letztem  auf  378  Mark  und 
wollten  nur  12  Sack  liefern,  die  Florentiner  beharrten  aber 
auf  der  Erfüllung  des  Vertrags,  weshalb  dieser  Wucherfall  vor 
das  Parlament  gebracht  wurde4).  Es  gab  darum  Stimmen 
genug,  welche  nicht  blos  die  Vertreibung  der  Juden,  sondern 
auch  die  der  Lombarden  wünschten 5).  Kein  Zweifel,  die  italie- 
nischen Wechsler  traten  das  Erbe  der  Juden,  den  Gewinn 
wie  den  Hass  derselben  an. 

Doch,  wird  man  fragen,  schritt  denn  die  Kirche  nicht  wie 

*)  Walsingham,  Cronica  et  Annales  ed  Riley  S.  116. 

*)  So  glaubt  Stubbs.  Math.  Paris  freilich  datirt  ihren  Einzug  erst 
von  1235  an.  „Per  idem  tempus  ex  partibus  ultramarinis  venerunt  Lon- 
donias  quidam  ignoti,  qui  se  esse  domini  papae  mercatores  vel  scambiatores 
asserebant,  cum  tarnen  manifesti  existerent  usurarii.  Quorum  usurae  duri- 
ores  erant  conditionis  quam  Judaeorum.  Ist!  autem  maxime  religiosos  suis 
debitis  studuerunt  illaqueare,  quia  illos  literis  papalibus  pro  voluntate  im- 
petratis  poterant  exagitare.  Episcopus  vero  Londoniensis  ....  literatus 
et  sanetus,  cum  intellexisset  hos  dictos  Caursinos  ....  frequentare  et  in- 
sontes  cives  Londonienses,  talis  pestis  penitus  ignaros,  intoxicare  et  multös 
sed  maxime  praelatos  et  religiosos  fatigare  iratus  et  ...  .  illos  tanquam 
scismaticos,  famam  papae  non  medioenter  denigrantes,  ab  urbe  decrevit 
excommunicatoB  longius  amovere,  ut  sie  saltem  poenitentiam  agerent  de 
commissis.  At  ipsi  Caursini  tumentes,  et  de  suis  peeuniis,  quibus  abun- 
dabant,  confidentes  ....  Romana  literas  pro  voluntate  impetrarunt  cita- 
torias,  ut  .  .  .  valitudinarius ,  citaretur  .  .  .  Caursinis,  familiaribus  soeiis, 
ut  .  .  .  pariturus.  Episcopus  vero  .  .  .  tumultum,  illum  paeifice  ac  pru- 
denter  sedavit  suscitatum.  Et  haec  ....  dissimulatione,  quia  senuit,  per- 
transiens  ....  mercatores  vel  cambiatores  esse  cum  jaetantia  profitentes, 
consuetum  quaestum,  foenora  cum  poenis  adjunetis  et  variis  exaetionibus, 
impune  et  sine  contradictionis  repagulis  exercuerunt.  Et  sie  inter  Christi- 
anos  usura,  auae  in  utroque  Testamento  detestabilis  habebatur,  proh  dolor, 
suscitatur  reaiviva."    Historia  minor  ed.  Madden  III.  272. 

^  Rot  Pari.  29  Hen.  III.  m.  6. 

')  Rot.  Pari.  I.  S.  1. 

6)  Sieh  oben  S.  389,  390. 


-     552  - 

anderwärts  selbständig  gegen  den  Wucher  ein?  Allerdings 
hielt  die  Kirche  am  Wucherverbote  fest  und  Ende  des  13.  and 
im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  begann  erst  eigentlich  die 
wissenschaftliche  Deduction,  die  canonistische  Lehre,  die  Wahr- 
heit des  Wucherverbots  darzuthun  und  auszubreiten1).  Das 
Dogma  gerieth  aber  in  immer  stärkern  Widerspruch  mit  dem 
einen  bezahlten  Credit  erfordernden  Verkehr.  -Immer  neue 
Wege  wurden  ausgesonnen,  um  in  irgend  einer  Form  das  Ver- 
bot zu  umgehen.  Die  Darstellung  dieser  Mittel  liegt  ausser 
unserer  Aufgabe.  Aber  sicher  ist,  dass  die  italienischen  Camp- 
soren  den  nicht  geringsten  Antheil  an  der  Lösung  der  Aufgabe 
hatten2).  Aus  dem  sogenannten  Handwechsel  entwickelten 
sie  in  Anlehnung  an  die  Handelsbedürfnisse  den  Anweisungs- 
und Wechselverkehr,  also  die  Zahlung  nach  andern  Orten  hin; 
derselbe  bot  Gelegenheit,  Gewinne  unter  verschiedener  Be- 
gründung zu  machen.  Nichts  lag  näher,  als  auch  Darleihen 
unter  dieser  Form  zu  geben  und  zu  nehmen.  Das  musste  in 
England  noch  besonders  der  Fall  sein,  da  die  Münzausfuhr- 
verbote zum  Wechselverkehr  hindrängten. 

Dazu  kam  noch  ein  Weiteres.  Mehr  als  irgendwo  reagirte 
man  in  England  gegen  die  geistliche  Gerichtsbarkeit  Unter 
Heinrich  III.  und  Eduard  I.  wurde  sie  wesentlich  einge- 
schränkt3). Die  Laien  wiesen  wiederholt  das  Eingreifen  %der 
geistlichen  Gerichte,  namentlich  der  bestechlichen  päbstlichen 
Beamten 4)  bei  Schuldklagen  zurück.  Die  Competenzfrage  aber 
war,  wie  es  scheint,  hier  nicht  ganz  klar  geordnet.  Im  Jahre 
1341  beschwerte  sich  die  Geistlichkeit  darüber,  dass  die  kgl. 
Richter  sich  die  Jurisdiction  über  den  Wucher  aneigneten. 
Die  Entscheidung  des  Königs  war  präcise  und  deutlich.    Er 


')  W.  Endemann,  Stadien  in  der  romanisch-canonistischen  Wirth- 
schafts-  und  Rechtslehre  bis  gegen  Ende  des  siebenzehnten  Jahrhunderts. 
1874.  I.  S.  16  fg. 

*)  Endemann  a.  a.  0.  S.  102  fg. 

8)  Stubbs,  Constitutional  history  of  England  HL  S.  346,  347. 

4)  So  hiess  es  in  einer  Petition  des  Parlaments  Ton  1306 :  „Enaement, 
par  la  ou  un  homme  est  oblirie  a  an  aatre  en  dette,  et  les  creannceoun 
▼eigne  as  ditz  clercs  l'apostoill  et  les  promette  la  moite  ou  plus  ou  mejrns 
de  la  dite  dette,  pur  lui  faire  avoir  le  remenant,  meismes  le  clercs  mein- 
tenaunt  fount  somondre  et  destreyndre  le  dettur  a  responder  devant  eux 
de  cele  dette,  en  apert  desheritezon  du  roy  et  de  sa  coroune.  Et  d'aotre 
part,  par  la  ou  un  nome  du  dit  roialme  se  oblige  a  une  aatre  en  un  certain 
jour,  et  8'il  ne  face,  qu'il  soit  tenuz  en  X  IL  ou  en  une  autre  some,  d'aToir 
a  paer  au  primer  passage  de  gentz  d'armez  en  la  terre  seinte.  les  ditz 
clercs  l'oppostoill  fönt  enquere  parmi  tut  le  roialme  des  tieles  obiigatiouns 
faites  avant  ces  houres,  dont  les  paies  ne  sont  mie  faites  as  jours  contenux, 
tut  eient  les  detturs  fait  gre  a  lour  creaunceours  ou  par  jugement  de  la 
court  le  roy,  a  qi  les  conussaunces  des  tieles  obligacions  appendent,  eient 
les  dette«  ensemblement  oue  les  damages  a  lour  creaunceours  rendutz,  ia 
le  meynß  il  destreynent  les  dettours  pur  l'avoir,  issint  a  la  terre  seinte  oblige 
al  oeps  l'appostoiU  liverer".   Rot  Pari.  I.  S.  220. 


-    553    — 

behielt  sich  die  Bestrafung  bei  gestorbenen  Wucherern  vor1), 
die  Gerichtsbarkeit  über  die  lebenden  dagegen  erkannte  er 
der  Geistlichkeit  zu  und  zwar  deswegen,  „weil  sie  die  lebenden 
Wucherer  zu  zwingen  hätte,  die  Wuchergelder  zurückzuer- 
statten, da  anders  eine  Besserung  ihrer  Seelen  unmöglich  sei"  *). 
Da  aber  Eduard  I.  sämmtliche  Statuten  dieses  Parlaments 
noch  im  selben  Jahre,  in  welchem  sie  erlassen  worden  waren, 
wieder  zurücknahm3),  blieb  den  kgl.  Richtern  nach  wie  vor 
Befagniss,  lebende  Wucherer  zu  bestrafen.  Die  geistliche  Ge- 
richtsbarkeit ging  wohl  selbständig  nebenher.  Eine  neue  Be- 
schwerde im  Parlamente 4),  wonach  die  Geistlichen  die  Schuld- 
klagen fortwährend  unter  dem  Vorwand  der  fidei  laesio  vor 
ihr  Forum  zögen,  wurde  vom  König  mit  Verweisung  auf  das 
Common  Law  abgefertigt5). 

An  einem  ernsten  Vorgehen  gegen  den  Wucher  oder  das 
Zinsennehmen  fehlte  es  gänzlich.  Die  Fremden,  namentlich 
Italiener,  konnten  in  ungestörtester  Weise  ihren  Creditgeschäften 
obliegen. 

Da  ergriff  die  Stadt  London  die  Initiative  und  schritt 
gegen  den  Wucher  ein.  Wahrscheinlich  war  die  Abneigung  der 
Bürger  gegen  die  Italiener  das  Hauptmotiv  des  Eingreifens. 
Der  Mayor  John  Notte  erliess  1364  eine  Ordonnanz,  welche 
dem  Wucher  und  der  Erpressung  in  London  und  seinen  Vor- 
städten steuern  sollte 6).  Der  König  wurde  dadurch  aufmerksam 
gemacht  und,  sei  es  dass  ihm  jetzt  an  den  Italienern  nichts 
mehr  gelegen  war  oder  dass  er  sich  in  seinem  Gewissen  be- 
schwert fühlte,  er  beglückwünschte  die  Stadt  zu  ihrem  rühmens- 
werthen  Bestreben,  bat  sie  nicht  zu  dulden,  dass  die  Makler 
wucherischem  Handel  zustimmten,  befahl  feiner  2  Aldermen 
und  4  Bürger  zur  Entscheidung  aller  vorkommenden  Fälle  zu 
wählen  und  fügte  noch  eine  eigene  Proclamation  bei,  in  welcher 
er  namentlich  gegen  den  unter  dem  Scheine  gesetzlichen  Han- 
dels ausgeübten  Wucher  zu  Felde  zog.  Die  Ordonnanz  er- 
streckte sich  auf  Einheimische  und  Fremde  in  der  Stadt7). 
Gleichzeitig  verbot  Edutyrd  III.  das  Geldverleihen  gegen  Zins 
in  Galais8).  Eine  neue  Proclamation  des  folgenden  Jahres 
zeigt  deutlich,   dass  es  sich  hauptsächlich  um  die  von  den 

')  Sieh  auch  Horeden,  Cronica  III.  S.  264;  IV.  S.  62;  Liber 
Custumarum  ed.  Riley  I.  8.  849. 

8)  Rot.  Pari.  H.  S.  129,  130;  15  Ed.  III.  st  1.  c.  5. 

•)  Rot.  Pari.  II.  S.  139;  Stubbs  IL  S.  391;  auch  892  Nr.  3. 

*)  Darin  ist  auch  gesagt,  dass  ein  früheres  Statut  bestimme,  „qe  nul 
court  cristiene  deit  aver  Jurisdiction  ne  conisance  dees  pleez  ne  de  contractz 
touchant  al  corone  nostre  seigneur  le  roi  ne  a  ses  courtz"  Rot  Pari.  II. 
8.  319  (1373). 

s)  -La  commune  loy  sert".    A.  a.  0. 

6)LiberAlbus  ed.  Riley  1859.  I.  S.  399  im  Eingang  der  Urkunde 
„Declaratio  Usuraeu. 

*)  Liber  Albus  ed  Rüey  1859.  I.  S.  367—71. 

»)  22.  Febr.  1364.    Rymer  Rec.  Ed.  III.  P.  IL  S.  724. 


—    554    — 

Fremden  gemachten  Gewinne  bei  den  Wechseln  handelte1). 
Die  Londoner  Behörden  sollten  genaue  Nachforschungen  an- 
stellen, wer,  gleichviel  welcher  Nation  er  angehöre,  solche 
Wechsel  mache,  fQr  wen,  aus  welchem  Grunde,  in  welcher 
Weise,  auch  feststellen,  auf  welches  Land,  welche  Stadt  oder 
welchen  Platz  solche  Wechsel  gezogen  würden.  Kaufleute, 
welche  des  Wechselziehens  verdächtig  seien,  sollten  bei  Verlust 
ihres  Lebens  und  Eigenthums  ohne  kgl.  Licenz  nur  mit  einem 
allgemein  bekannten  Kaufmann  Wechselverkehr  unterhalten. 
Der  Letztere  durfte  sich  nur  auf  Waaren  und  Dinge  gründen, 
die  gesetzlich  gehandelt  werden  konnten  und  importirt  oder 
exportirt  wurden 2). 

In  der  Stadt  London,  wo  natürlich  der  sogenannte  Wucher 
am  meisten  blühte,  waren  auf  diese  Weise  Mittel  geschaffen, 
durch  welche  derselbe  zwar  sicher  nicht  verhindert  wurde, 
die  aber  doch  dem  Ausbeutungssystem  der  Italiener  einige 
lächranken  setzten.  Ausserhalb  der  Hauptstadt  fehlte  es  an 
solchen  Vorkehrungen.  Im  Jahre  1376  wünschten  die  Ge- 
meinen des  platten  Landes,  dass  man  die  Londoner  Wucher- 
bestimmungen nach  einer  von  dem  kgl.  Rath  und  dem  Bischof 
des  Landes  vorgenommenen  Berathung  mit  passenden  Modiß- 
cationen  auf  das  ganze  Königreich  ausdehne.  Eine  Masse  Leute 
(prosdes  hommes)  war  nach  den  Ausführungen  der  Petenten 
durch   die  Wucherer  in   Armuth   gerathen,   die  Tugend  der 


')  „Nous  8umes  continuelment  presses  par  diverses  pleintz  des  grann- 
dez  et  comunes  de  nostre  roialme  stur  ceo  qe  plusours  marchauntz  et 
autres  demnrantz  en  nostre  citee  de  Londres  colourement  et  subtüment 
ont  feit  et  fönt  de  jour  en  autre  diverses  eschaunges  de  moneye  et  d'autres 
choses  qe  ne  tonchent  fait  de  loial  marchandie."  L ib.  Alb.  ed.  Riley  S.371. 

*)  „Facez  diligeaumentet  du  temps  en  temps  enquerir  de  tili  eschanges 
et  dez  persones  qont  fait  et  ferront  en  apres  semblables ,  soient  ils  Lmn- 
bardez,  Frauncis,  Engleis  ou  dautre  nacioun  ou  condicioun  qeconques;  et 
pur  qi  et  pur  quele  cause,  coment  et  quele  manere  et  devers  quelle  ville 
pais,  ou  Heu,  tielx  eschaunges  ontpasseez  oupasseront  enavaunt;  et  quanqes 
vou8  poiez  ent  trover  par  tielx  enquestez  ou  par  autres  enfonnaceons  crei- 
ablea  etc.  —  Et  oultre  ceo,  facez  appeller  «pardevaunt  vous  touz  les  mar- 
chauntz et  autres  singulers  persones  qi  fönt  et  qi  vous  pensez  vraisemble- 
ment  ou  avez  en  suspecioun  qont  fait  ou  ferront,  ascuns  eschaungez  deüiz 
nostre  dite  citee  et  par  touz  voz  poairs ;  et  les  facez  jurer  sur  lez  Seintz 
Evangeles  Dieu  et  les  chargez  de  par  nouß,  sur  peyne  de  forfeire  corps  et 
biens,  qils  saunz  nostre  counge  especiale,  par  lettres  desouz  nostre  Secre 
Seal  ne  facent,  ne  nesoeffrent  estre  feite,  ascune  eschaunge  ove  nulle  per- 
sone  autre  qe  loial  et  conu  marchaunt,  ne  pur  nully  pereone,  ßinon  tut 
soulement  pur  loial  marchaunt  conu,  et  par  cause  de  loial  marchaundie 
et  des  chosez  marchandables,  ieeantz  de  nostre  roialme  ou  amesnez  en  ycelle, 
saunz  favour,  conforter,  eider  ou  sustenir,  de  souz  lombre  ou  colour  de 
eux,  ascuns  autre  de  quele  condicioun  qils  soient  pur  faire  ascun  empört 
ou  paiement  hors  de  nostre  dite  roialme,  en  deceyt  fraude,  ou  defesance, 
de  leffette  et  tenure  del  lordinance  ent  fait  Et  ceste  chose  facez  si  due- 
ment  et  dilegealment  garder  et  mettre  en  execurcioun,  qe  fraude  ny  soit  fait 

§army  qeconqes  eschaunges  ne  eschaungeours  contre  leffette  ne  entencioun 
e  nostre  present  mandement"  etc.    A.  a.  0.  S.  372,  873. 


—    555     - 

Nächstenliebe  ganz  verschwunden.  Die  Gemeinen  beanspruchten 
auch  für  die  Behörden  sämmüicher  Städte  die  gleiche  Juris- 
diction, wie  sie  London  besass.  Eduard  III.  ging  auf  diese 
Vorschläge  nicht  ein,  sondern  wollte  das  bisherige  Recht  er- 
halten wissen1).  Ebenso  wies  er  das  abermals  gestellte  Ver- 
langen der  Gemeinen,  alle  Lombarden  zu  vertreiben,  welche  sich 
ausschliesslich  mit  der  Maklerei  abgäben,  zurück.  Er  stellte 
nur  in  Aussicht,  dass  er  den  Charten  Londons  entsprechend 
den  Fremden  die  Ausübung  des  Maklergeschäfts  verbieten 
werde  *). 

Mehr  Glück  hatte  das  Parlament  beim  König  mit  dem 
Antrag  der  Bestrafung  zweier  Hauptwucherer,  in  deren  Hände 
Eduard  IU.  in  seinen  finanziellen  Nöthen  gefallen  war.  Rieh. 
Lyons  und  Latimer  hatten  dem  König  20  000  M.  geliehen, 
aber  30  000  M.  sich  zurückzahlen  lassen 3).  Das  Wucherverbot 
war  überhaupt  eine  bequeme  Handhabe  für  den  König,  um  sich 
von  lästigen  Schuldverbindlichkeiten  zu  befreien,  aber  es  ver- 
sagte in  kürzester  Zeit  seinen  Dienst,  indem  es  der  Regierung 
die  Möglichkeit  der  Greditbenutzung  ausserordentlich  er- 
schwerte. 

Das  sollte  sich  besonders  1382  zeigen.  Nicht  lange  vorher 
hatten  verschiedene  Kaufleute,  namentlich  der  später  zum 
Kanzler  beförderte  W.  de  la  Pole,  J.  Wesenham,  J.  Malewyn, 
W.  Chiryton  dem  König  Richard  IL  Darlehen  gemacht.  Da 
sie  sich  aber  eine  Vergütung  (un  poy  de  gayn)  hatten  geben 
lassen,  so  wurden  sie  darob  verfolgt  und  einige  zu  Grunde 
gerichtet.  Man  begreift,  dass  die  Kaufleute  angesichts  dieses 
Beispiels  sich  weigerten,  abermals  60  000  £  der  Regierung  zu 
borgen,  wie  man  es  1382  wünschte.  Wenn  die  Magnaten, 
war  ihre  Antwort,  Etwas  ohne  Gewinn  leihen  wollten,  so  wür- 
den sie  gegen  Sicherheit  dasselbe  thun;  aber  auf  sogenannte 
„chevances"  Hessen  sie  sich  durchaus  nicht  ein.  Richard  II. 
musste  in  der  That  auf  ein  Anlehen  verzichten,  und  auf  die 
Zolleinnahmen  sich  vertrösten,  die  er  dadurch  zu  erhöhen 
suchte,  dass  er  allen  Fremden  die  beste  Aufnahme  zusicherte 
und  die  Ausfuhr  von  Stapelartikeln  allen  gestattete4). 

Aus  dem  Auftreten  der  Kaufleute  sieht  man,  wie  ganz 
allgemein  der  Zinsbezug  geworden  war.  In  London  wurde  es 
immer  schwieriger,  die  früheren  Ordonnanzen  durchzuführen. 
Die  Mayors  Hessen  sie  ausser  Uebung  kommen.  Ihre  Executive 
wurde  ihnen  auch  fortwährend  durch  den  Einspruch  des  geist- 
lichen Gerichts  verkümmert.  Im  Parlament  verlangte  man  Be- 
stätigung der  städtischen  Wucherverordnungen  und  ausdrück- 
liche Verpflichtung  des  jeweiligen  Bürgermeisters  zur  Einhaltung 

*)  „Y  courge  la  loy  ancienement  usee".    Rot.  Pari.  IL  S.  850. 

*)  Rot.  Pari.  IL  S.  332  (1376).  Sieh  auch  Lib.  Alb.  S.  315,  686. 
■)  Rot.  Pari.  IL  S.  324  (1376).    Stubbs  IL  S.  430. 
4)  Rot  Pari.  III.  S.  122  fg. 


—    556    — 

derselben.  Der  König  aber  gab  eine  sehr  zweideutige  Ant- 
wort. Der  Jurisdiction  der  Kirche  solle  in  keiner  Weise  prä- 
judicirt  werden.  Im  Uebrigen l),  meint  er,  genüge  das  Common 
Law  mit  den  guten  Coutumes  der  Stadt9). 

*  Im  Jahre  1390  machten  die  Gemeinen  einen  neuen  Ver- 
such. Indem  sie  über  das  Umsichgreifen  des  Wuchere  bei 
Geistlichen  und  Weltlichen  klagten,  baten  sie  ein  Statut  vom 
25.  Regierungsjahre  Eduards  III.  und  die  von  dem  Bürger- 
meister Not  mit  Zustimmung  des  letztgenannten  Königs  für 
London  erlassenen  Bestimmungen  wieder  in  Kraft  zu  setzen, 
die  letzteren  auf  alle  Städte  auszudehnen,  insbesondere  aber 
unter  strenger  Strafe  zu  befehlen,  dass  kein  Geistlicher  die 
Bestrafung  des  verabscheuungswürdigen  Lasters  verzögere  und 
durch  seine  Jurisdiction  störe,  solange  als  der  Schuldige  lebe. 
Der  König  versprach,  von  den  betreffenden  Statuten  Einsicht 
nehmen  und  sie  bestätigen  zu  wollen,  wenn  sie  gut  seien3). 
Ob  das  letztere  geschah,  wissen  wir  nicht.  Dagegen  liegt  uns 
eine  neue  Ordonnanz  der  Stadt  London  vom  12.  Mai  desselben 
Jahres  vor,  worin  der  Versuch  gemacht  wird,  der  schwierigen 
Frage,  was  eigentlich  Wucher  (usure  et  chevissance  illicite) 
und  deshalb  strafbar  sei,  Herr  zu  werden4).  In  den  Defi- 
nitionen spielt  nun  der  Wechsel,  ganz  im  Gegensatz  zu  den 
früheren  Verordnungen,  so  gut  wie  keine  Rolle;  es  erklärt 
sich  dies  daraus,  dass  man  den  auf  Waaren  sich  gründenden 
Wechsel  nur  in  Ausnahmefällen  unter  die  Wuchergeschäfte 
stellte  und  der  auf  Geldexport  beruhende  durch  die  Gesetze 
Richards  II.,  wie  wir  früher  sahen,  schon  verboten  oder  unter 
Controle  gestellt  war. 

Auch  mit  dieser  Neuregelung  reichte  man  nicht  durch. 
Aus  einer  Petition  ans  Parlament  vom  Jahre  1403/4  muss  man 
schliessen,  dass  es  namentlich  nicht  gelang,  den  fremden  Geld- 
maklern beizukommen.  Sie  wussten  immer  neue  subtile  For- 
men zu  finden,  um  das  Gesetz  zu  umgehen,  und  so  konnten 
sie  Geistliche  und  Weltliche,  wie  es  heisst,  immer  von  Neuem 


*)  Wenn  nämlich  Jemand .  in  der  Stadt  Schaden  geschieht  npar  Toie 
d'accompte  nient  renduz,  trespas,  extoraion,  oppreasion,  fauxetez,  aeeeite*. 

»)TUt  Pari.  m.  S.  142,  148  (1382). 

8)  Rot.  Pari.  111.  S.  280,  281. 

4)  Wucher  soll  vorhanden  sein:  „Cest  assavoir  si  ascum  apreste  ou 
mette  en  mavns  dascuny  or  ou  argent,  pur  gaigne  eut  recevire  ou  promys 
en  certeigne  sanz  aventure,  eit  la  punissement  pur  usurera  en  la  dite  ordi- 
nance  compris.  Et  si  ascun  home,  deinzein  ou  f er  ein,  vende  aacun  mar- 
chandise  et  le  reteigne  devers  luy,  ou  meintenant  sur  la  vente  rechate 
mesme  la  marchandise,  a  perde  del  achatour,  dicelle  eit  la  punissement. 
Et  si  ascuns  companons  en  marchandise,  par  covyngne  avaunt  fait,  vendeat 
marchandisez  a  cnevisance  et  lande  eux  vende  mesmes  les  marchandises  et 
un  de  eux  meintenant  sur  la  vente  lez  achate  de  cellui  qest  chevyase,  pur 
meindre  pris  qils  ne  furent  jprimerement  venduz,  eient  mesme  la  punisse- 
ment."   Liber  Albus  ed.  Kiley  1859  I.  S.  399. 


-     557    — 

um  Hab  und  Gut  bringen.  Man  wünschte,  dass  Niemand  in 
Zukunft  sich  als  ein  Geldmakler  (brokour  de  usure)  etablire. 
Der  König  lehnte  aber  eine  Einmischung  ab.  Diese  Angelegen- 
heit, lautete  seine  Antwort,  soll  behandelt  werden  nach  dem 
Gesetz  der  heiligen  Kirche,  solange  solche  Wucherer  leben1)- 
Auch  die  Thätigkeit  des  Londoner  Magistrats  wurde  lahm  ge- 
legt. Im  Jahre  1421  zog  der  königl.  Rath  die  Londoner  Stadt- 
behörde zur  Verantwortung,  weil  sie  sich  die  Bestrafung  des 
Wuchers  anmasse  und  Strafgelder  einziehe.  Diese  berief  sich 
auf  den  Eduardschen  Erlass  vom  Jahre  1364  und  auf  ihre 
„potestas  condendi  leges  de  novo."  Es  wurde  in  Folge  dessen 
bis  auf  Weiteres  ihr  die  Nachforschung  und  Festnahme  der 
Wucherer  gestattet,  aber  nicht  auch  das  Recht  zuerkannt, 
Urtheil  zu  fällen  und  Strafgelder  zu  erheben2).  Damit  war 
dem  Magistrat  der  Impuls  genommen,  gegen  den  Wucher  ein- 
zuschreiten. Der  Schwerpunkt  der  Handhabung  des  Zinsverbots 
lag  wieder  bei  der  Kirche8). 

Die  kanonistische  Lehre  hatte  sich  inzwischen  genöthigt 
gesehen,  dem  gestiegenen  Creditverkehr  manche  Concessionen 
zu  machen;  namentlich  galt  dies  hinsichtlich  der  Wechsel;  die 
Scholastik  suchte  und  fand  Beweise,  um  die  in  dieser  Form 
bezogenen  Zinsen  zu  rechtfertigen.  Der  Wechsel  war  denn 
auch  das  wichtigste  Greditinstrument,  dessen  sich  die  italieni- 
schen Kaufleute  im  englischen  Verkehr  bedienten.  Baar- 
zahlung  war  bei  ihnen  eine  Ausnahme4).  Die  Summen  für 
Wolle,  Zinn,  Tuch  und  andere  englische  Artikel,  die  sie  nach 
Italien  exportirten,  wurden  erst,  nachdem  in  Italien  der  Ver- 
kauf effectuirt  war,  bezahlt  und  zwar  durch  Wechsel,  die  man 
in  Flandern  von  Landsleuten  sich  ausstellen  liess.  Andere 
kauften  Wolle  in  Calais  auf  Credit,  brachten  sie  nach  Brügge, 
schlugen  sie  dort  um  billigen  Preis  los  und  wucherten  mit  dem 


*)  Rot  Pari.  III.  S.  541. 

*)  Nicolas,  Proceedings  etc.  II.  S.  289. 

8)  Vgl.  auch  Rot  Pari.  IV.  S.  20  (1414). 

4)  In  einer  Petition  von  1437  heisst  es :  „suche  Lombardes  and  straun- 
gers  beyng  in  yis  land,  at  Vaire  commyng  nrst  into  yis  roialme,  bringe 
with  hem  lytel  goode  or  noght;  and  within  short  tvme  after,  yai  byen  no- 
table BubBtance  of  gode  to  apprest  and  to  long  dayes  to  content  for  ve 
same  with  merchandise  at  ye  same  dayes.  And  yef  ye  merchandi6e  faule 
and  come  not  at  ye  dayes,  yan  yai  take  newe  dayes,  muche  lenger  yan  Ve 
first  daies  were  to  paie  for  ye  same  gode  redy  money;  thurgh  whicne 
apprestes  yai  have  been  and  yet  beth  daily  gretly  enriched,  yair  merchaun- 
diä*  double  avanced  and  encressed,  and  ye  pris  of  ye  commoditos  of  yis 
roialme  gretly  abated  and  broght  doune,  and  many  man  of  yis  roialme  by 
vaire  nonpaiement  undoone:  and  ye  more  quantitee  of  merchandis'  yai 
bringe  into  yis  roialme,  ye  aarrer  it  is,  ye  more  yai  byen  ageyne  ot  mer- 
chandise of  yis  roialme,  ye  better  chepe  ye  make  it:  The  which  but  yef  it 
be  remedied  in  short  tyme,  wille  be  distruction  of  ye  merchandis'  of  vis 
roialme  and  grete  hurt  to  ye  commen  wele  of  ye  same."  Rot  Pari.  IV. 
S.  509. 


—    558    — 

Gelderlös  so  *),  dass  sie  nicht  nur.  nach  einem  gewissen  Termifl 
den  Kaufpreis  zahlen  konnten,  sondern  sie  hatten  inzwischen 
von  den  gemachten  Gewinnen  auch  gelebt*).  Wohl  waren 
Verluste  der  Engländer  hiebei  keine  Seltenheit8),  man  verbot 
zeitweilig ,  den  Fremden  zu  creditiren 4),  man  verdammte  ihre 
ungeheueren  Vortheile  und  Spesen  an  den  Wechseln  als 
Wucher6),  aber  der  schliessliche  Effect  war,  dass  die  Eng- 
länder mehr  und  mehr  mit  der  Creditwirthschaft  sich  vertraut 
machten  und  auch  ihrerseits  den  Handel  auf  Credit  gründeten 
Unter  Heinrich  VI.  nnd  Eduard  IV.  war  der  ganze  Ver- 
kehr mit  den  Niederlanden6)  auf  dem  Credit  aufgebaut 
Stapler  und  Merchant  adventurers  zogen  beständig  auf  ein- 
ander Wechsel7),  es  konnten  auch  weniger  reiche  Kaufleute 
sich  an  den  Geschäften  dieser  Corporationen  betheiligen8), 
während  die  Grosskauf  leute  mehr  und  mehr  sich  mit  der  Ver- 
mittlung der  Geld-  und  Creditgeschäfte  in  den  Niederlanden 
abgaben ö). 


l)  Vgl.  auch  Brown,  Cal.  I.  [447.  Der  venetianische  Senat  erfahr, 
dass  venetianische  Kauf  leute  viele  vortheilhafte  Wechselgeschäfte  von  Lon- 
don nach  Brügge  und  umgekehrt  machten,  und  wollte  diese  deshalb  besteuern. 
(26.  Sept.  1475). 

*)  Vgl.  den  Libell  of  Engl.  Pol.  Vers  484  fg.  und  396  fg.;  Bot 
Pari.  IV.  S.  360  (1429);  450  (1433);  509  (1437). 

*)  Sieh  Rot  Pari.  IV.  S.509  (1487)  und  14/15  Hen.Vm.  c.  1(1528). 
Ein  Beispiel  aus  früherer  Zeit  liefert  eine  Beschwerde  der  Stadt  Lincoln 
gegen  die  Lombarden.    Rot  Pari.  IL  S.  350  (50  Ed.  III.  1376). 

*)  Sieh  oben  S.  407,  408;  nach  einer  Acte  von  1523  sollten  die 
Fremden  die  gekauften  Tücher  entweder  baar  oder  spätestens  in  einem 
Monat  zahlen;  14/15  Hen.  VIII.  c.  1. 

*)  Soll  Englands  Kaufmann  sich  damit  begnügen 
Und  sich  in  solche  Wechselkünste  fügen, 
Wie  von  Venedig  und  Florenz  die  Leute 
Sie  treiben,  die  mit  ihrem  Gold  als  Beute 
Zurück  nach  Flandern  wieder  sich  begeben 
Und  dort  zu  Land  wie  hier  in  London  leben? 
Und  uns  durch  ihres  Wechselspieles  Schlingen 
Das  Wucher  ist,  Verlust  und  Schaden  bringen? 
Libell  of  Engl.  Pol  Vers  427  fg.;  ein  Beispiel  ihrer  Spesen  sieh 
Vers  415  fg. 

6)  Bald  darauf  auch  mit  den  Hanseaten.  Pauli,  Drei  volkswirthsch. 
Denkschr.  S.  35. 

7)  Vgl.  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.  S.  18,  20. 


•)  A.  a.  O.  S.  33,  35. 


A.  a.  0.  S.  34.  „Than  began  old  merchaunts  to  forsake  occupieng 
of  clothes  to  occupie  ther  money  by  exchaunge,  which  is  not  only  pleyn 
usary,  but  also  it  hath  and  yitt  doth  helpe  to  distroye  the  welth  of  the 
kyng  of  his  lords  and  comons,  for  that  occupieng  hynderith  die  reame 
bothe  weys  owtward  and  inward.  —  — 

In  such  wise  rieh  old  merchaunts,  many  men  seeng  the  price  of  clothe 
and  the  daunger  and  trouble  of  byeng  stränge  merchaundiBes  is  so  casuall 
for  a  more  ease  and  lesse  labour,  they  thus  occupie  ther  money  by  ex- 
chaunge, wynnyng  profite  bothe  in  ward  and  owtward,  which  is  pleyne 
usary"  etc. 


—    559    — 

Die  Creditvergütung  war  ganz  allgemein,  als  Heinrich  VII. 
den  Thron  bestieg.  Auch  dieser  König  war  keineswegs  mit 
der  vor  sich  gehenden  Umwandlung  zufrieden.  Der  Wucher, 
das  Zinsennehmen  in  seinen  verschiedenenen  Formen  hielt  er 
für  verderblich,  nicht  aber  etwa  aus  religiösen  Motiven,  son- 
dern aus  wirthschaftlichen  Gründen.  In  dem  bekannten  Wirth- 
schaftsprogramm  von  1487  liess  er  das  Parlament  durch  Morton 
auf  die  Schädlichkeit  des  Wuchers  aufmerksam  machen 1).  Die 
Möglichkeit  des  Zinses  entziehe  dem  Handel  und  Gewerbe  das 
Capital;  alle  diejenigen,  welche  jetzt  von  Geldgeschäften  lebten, 
würden  es  dem  Handel  und  Gewerbe  zuwenden2).  In  der 
That  Hess  er  dem  Parlament  zwei  Gesetzentwürfe  vorlegen, 
deren  Zweck  war,  den  Wucher  aus  der  Welt  zu  schaffen. 
Beide  erhielten  die  Zustimmung  des  Parlaments.  In  dem 
einen,  „an  act  against  usury  and  unlawful  bargaynes",  wurde 
das  Zinsnehmen  unter  den  verschiedenen  in  Uebung  befind- 
lichen Formen  verboten8),  und  da,  wie  es  heisst,  der  Sitz  des 
Wuchers  hauptsächlich  in  den  Städten  war,  welche  ihre  eigene 
Gerichtsbarkeit  hatten,   so  sollten  der  Kanzler  von  England 


*)  Sieh  Gap.  4  des  Abschn.  IL  S.  469,  470. 

*)  Aeholich  ungünstig  beurtheilte  man  in  den  Niederlanden  das  Geld- 
leihgeschaft.    Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Belgiqae  V.  8.  380. 

*)  3  Hen.  VII.  c.  6.  Der  Wortlaut  der  Acte  ist  folgender:  „For 
so  moch  as  ys  ymportable  damages  losses  and  enpoveryssliyng  of  this 
realme  ys  had  by  dampnable  bargayns  groundyt  in  usurye,  colorde  by 
the  name  of  newe  chevesaunce,  contrarie  to  the  lawe  of  naturell  justis 
to  the  comen  hurt  of  this  land  and  to  the  greate  displesur  of  God: 
the  kyng  for  the  reformacion  therof  and  of  all  corrnpt  and  unlefull 
bargaynes,  by  the  assent  of  the  Lordes  spirituell  and  temporell  and  the 
Comens  in  this  present  parlyament  assembled  and  by  the  auctorite  of  the 
same  ordyneth  and  enacteth,  that,  yff  herafter  eny  bargayne  covenaund 
by  bying  of  eny  obligacion  or  bill  or  by  eny  pleg  put  for  suertie  or  by 
bill  or  otherwise,  by  the  name  of  drye  exchaunge  or  otherwyse  wherby 
eny  certeyn  somme  shali  be  lost  by  eny  covenaund  or  promys  betwyx  eny 
peroone  or  persones  by  theym  seife  or  eny  other  to  their  knowleg  within 
this  realme  or  of  eny  bargayne  or  lone  wherby  eny  of  the  partes  shaU 
lose  or  paye  for  eny  somme  certen  that  ys  to  sey  havyng  C  li  in  money 
or  in  mercnandys  or  otherwyse  and  therfor  to  pay  or  to  fynd  suertie  to 
pay  120  li  or  more  or  lesse  in  and  for  eny  more  or  lesse  somme  after  eny 
manner  rate,  that  all  such  bargeyns  covenaundes  promys  and  suertes  therfor 
made  and  all  thyng  therof  dependyng,  be  utterly  voide  and  of  none  effecte. 
And  over  this  that  yt  be  ordyned  by  the  same  auctorite,  that  yff  eny 
merchaundyses  oblygacions  billes  or  plate  be  premysed  to  be  delyverea 
uppon  such  corrnpt  bargayns  and  never  delyvered,  or  delyvered  and  had 
agevn  to  hym,  that  ou&ht  such  merchaundises  obligacions  billes  or  plate 
or  knoweth  by  env  other  man  by  assent  agrement  knowleg  in  eny  maner 
forme  of  hym  or  nis  factour  or  broker  that  such  merchaundises  ought  and 
ar  preve  to  suche  bargayns,  that  all  such  bargayns  covenaundes  premysses 
and  all  suerties  therfor  made  be  utterly  voide;  and  seller  and  owner  bar- 
gayner  or  promyser  of  such  corrupte  bargayns  Or  goodis  lease  for  every 
such  bargayne  made  by  hym  or  hys  factour  C  li  and  who  so  ever  will  sue 
therfor  to  have  an  accion  of  dette,  in  which  the  party  shall  not  wage  hys 
lawe,  the  kyng  to  have  the  one  hälfe  and  he  that  will  sue  the  oder  halte. 


—    560    — 

und  die  Friedensrichter  die  Befugniss  erhalten,  solche  Fälle 
abzuurtheilen.  Der  Kirche  wurde  nicht  benommen,  noch 
ihrerseits  Strafen  zu  verhängen.  Die  andere  Acte  wurde 
schon  früher  von  uns  erwähnt.  Sie  erneuert  die  alten  Sta- 
tuten bezüglich  der  Wechsel,  will  deshalb  nur  solche  gestatten 
für  welche  eine  Licenz  gewährt  worden  ist,  und  verbietet  alle 
unstatthaften  Gewinne,  die  man  daraus  zu  ziehen  pflegt«; 
ebenso  wurden  bezüglich  der  Makler  strenge  Bestimmungen 
getroffen *). 

Die  Verworrenheit  und  Dunkelheit  der  Wucheracte  wurde 
benützt  zu  Umgehungen.  Als  deshalb  1495  das  Parlament 
wieder  zusammentrat,  sprach  bei  der  Eröffnung  der  Kanzler 
unter  Zugrundelegung  des  Mottos  „Custodias  et  facias  legem8 
(Josue  Gap.  1)  namentlich  ausführlich  über  die  verschiedenen 
Formen,  unter  denen  Wucher  begangen  werde,  und  wies  nach, 
wie  die  Absicht  des  Gesetzes  nicht  erreicht  worden  sei 2).  Man 
erklärte  zur  Beseitigung  aller  Zweifel  drei  Fälle  für  strafbare 
Wucher;  derselbe  sollte  vorliegen  bei  Zins  für  Gelddarleihen, 
sodann  bei  Verkauf  von  Gutem,  Vieh  und  Waaren  an  den- 
jenigen, von  dem  man  sie  im  Lauf  der  vorangegangenen  drei 
Monate  zu  einem  niedrigeren  Preise  gekauft  hat ;  endlich  beim 
Bezug  der  Revenuen  von  verpfändeten  Gegenständen,  für 
welche  ein  Darlehen  gegeben  worden  war 3).  Das  wichtigste  und 
meisten  Gewinn  abwerfende  Creditmittel ,  der  Wechsel,  wurde 
also  diesmal  nicht  mit  aufgeführt  Das  Gesetz  musste  auch 
in  dieser  Gestalt  ohne  Erfolg  bleiben. 

Heinrich  VIII.  erneuerte  die  Wuchergesetze  nicht  Er 
legte  der  noch  immer  fortschreitenden  Umwälzung  4)  auf  dem 
Gebiete  des  Handels  keinerlei  Schranken  an.  Wohl  predigten 
die  Geistlichen  fort  und  fort  gegen  den  Wucher,  nach  der 
Reformation  sogar  noch  lauter  als  zuvor.  Wie  in  Deutschland, 
go  waren  auch  in  England  die  Reformatoren  entschieden  der 
Wucherlehre  zugethan6).  Allein  der  Verkehr  spottete  allen 
ihren  Klage-  und  Wehrufen.  Ein  in  den  dreissiger  Jahren 
gemachter  Versuch,  die  Wechselfreiheit  der  Kaufleute  zu  be- 
schränken, musste  von  Heinrich  VIH.  nach  kurzer  Zeit  wieder 


')  3  Heu.  VII.  c.  6. 

»}  Rot.  Pari.  VI.  S.  458. 

*)  11  Hen.  VII.  c.  8  (1495). 

1 )  Vgl.  auch  den  interessanten  Brief  Huttons  an  Cromweil  vom  20.  Od 
15B7,    SUte  Papers  VII.  S.  7,  718;  sieh  auch  VII.  S.  706.    Note. 

*)  Wie  Behr  sich  beide  in  ihren  Anschauungen  deckten,  ergibt  sieb, 
wenn  man  die  bekannte  Wiske mann  sehe  Darstellung  der  in  Deutsch- 
land zur  Zeit  der  Reformation  herrschenden  national -ökonomischen  Ad- 
sichten  1861  oder  Seh  mollers  Abhandlung  „Zur  Geschichte  der  national- 
ökonomischen  Ansichten  in  Deutschland  während  der  Reformationsperiode' 
(Tübinger  Zeitschr.  für  Staatsw.  1860.  S.  461—716.  Abschn.  5)  mit  den 
1  -"i&s ernten  der  englischen  Reformationsprediger  über  Wucher  bei  Ht- 
t.  Sketches  of  Reformation  1844.   S.  235—248  vergleicht 


_ 


—    561    — 

aufgegeben  werden1).  Aber  auch  das  directe  Zinsennehmen 
liess  sich  nicht  mehr  verhindern.  König  wie  Parlament  wussten 
schliesslich  keinen  andern  Ausweg,  als  dass  man  mit  der 
Wucherlehre,  d.  h.  dem  absoluten  Verbot  des  Zinses  zunächst 
brechen  müsse.  Die  Gestattung  von  Zinsen  war  zudem  nicht 
neu.  Abgesehen  von  den  zahlreichen  Formen,  unter  denen 
man  schon  lange  Zins  erhielt  und  selbst  nach  der  kanonischen 
Lehre  mit  Berechtigung  erhielt,  hatten  auch  manche  Fürsten 
schon  selbständig  eingegriffen.  So  erlaubte  Ludwig,  Graf  von  der 
Provence,  den  Bürgern  von  Marseille  1406,  zu  10%  Geld  aus- 
zuleihen*). Am  einflussreichsten  dürfte  jedoch  der  Vorgang 
Karls  V.  gewesen  sein.  Durch  Edict  vom  4.  Oct.  1540  ge- 
stattete3) derselbe  die  Darlehen  gegen  Zins,  wofern  nur  die 
beiden  Parteien  sich  mit  Handelsgeschäften,  sei  es  direct  oder 
durch  Assoctes,  abgäben,  ferner  nicht  mehr  als  12  %  stipulirten; 
auch  durfte  die  Geldleihe  sich  nicht  über  ein  Jahr  erstrecken. 
Alle  andern  Vereinbarungen  sollten  als  Wucher  gelten4). 

So  ging  denn  auch  die  englische  Regierung  im  letzten 
Parlament  Heinrichs  VIII.  an  das  bedeutende  Reformwerk. 
Sie  stellte  sich  auf  einen  noch  freieren  Standpunkt  als  die 
niederländische  Regierung.  Das  Gesetz  setzte  zwar  den  Zinsfuss 
auf  nur  10  °/0  fest,  gewährte  aber  diesen  Bezug  in  jeder  Form 
und  fast  bedingungslos.  Nur  der  Verkauf  von  Waaren  und  ihr 
Rückkauf  innerhalb  dreier  Monate  zu  geringerem  als  dem 
Verkaufspreise  blieb  untersagt.  Alle  früheren  Wuchergesetze 
wurden  für  null  und  nichtig  erklärt5).  Wie  Karl  V.,  so  hätte 
auch  Heinrich  VIII.  dem  Worte  „Wucher"  einen  ganz  neuen 
Begriff  unterlegen  lassen.  Früher  war  jedes  Zinsnehmen,  jetzt 
das  Zinsennehmen  in  gewisser  Höhe  Wucher. 

Lauten  Protest  legten  die  Geistlichen6)  der  strengeren 
Richtung   gegen    diese    Begriffsverdrehung    ein.     Die   Worte 


')  Sieh  oben  S.  522,  523. 

2)  Anderson,  Gesch.  d.  Handels.  Deutsche  Ausg.  1773—77.  III.  S.41. 

8)  Natürlich  galt  das  Edict  nur  für  die  Niederlande;  die  deutschen 
Keichspolizeiordnungen  von  1530,  1548,  1577  gestatteten  Mos,  dass  mit 
100  Golden  nicht  mehr  als  5  Gulden  Rente  gekauft  werde. 

*)  Sieh  die  interessante  Geschichte  der  Wucherfrage  unter  Karl  Y.  bei 
Henne,  Regne  de  Charles-Quint  en  Beigigue  V.  S.  324—330. 

5)  37  Hen.  VIII.  c.  9  (1545).  In  dem  Preamble  heisst  es:  „before  this 
tyme  diverse  and  soundrie  actes  statutis  and  lawes  have  bene  ordeyned  had 
and  made  within  this  realme  for  thavoydinge  and  punyshment  of  usurye, 
beinge  a  thinge  unlaufull  and  of  other  corrupte  bargaynes  shiftis  and  che- 
vaunses,  which  actes  statutis  and  lawes  ben  soe  obscure  and  darke  in  sen- 
tencis  wordes  and  termes  and  upon  the  same  soe  many  doubtis  ambiguyties 
and  questions  have  risen  and  growen  and  the  same  actes  statutis  and  lawes 
bene  of  so  litle  force  and  effect,  that  by  reason  therof  litle  or  noe  punysh- 
ment hath  ensued  to  thoffendors  of  the  same,  but  rather  hath  encouraged 
them  to  use  the  same."  Vgl  auch  Lords' Journals  vom  2. Dez.,  5. Dez., 
9.  Dez.,  21.  Dez.    37  Hen.  VIII. 

6)  Andere  dagegen,  freilich  eine  Minderzahl,  handelten  ganz  der  Acte 
gemäss.    In  der  Supplication  of  the  poore  commons  1546  (ed.  Cowper  S.  85) 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.   L  gß 


—    562    — 

Crowleys  können  als  ein  Beispiel  für  viele  gelten *).  Den  un- 
unterbrochenen Mahnungen  des  Klerus  gelang  es,  eine  Reactiön 
hervorzurufen.  Durch  5/6  Edw.  VI.  c.  20  wurde  das  Gesetz 
Heinrichs  VIII.  aufgehoben,  weil  Geldzinsen  überhaupt  gern 
Gottes  Gebot  seien.  Die  Lebensverhältnisse  ertrugen  natürlich 
diese  künstliche  Reaction  nur  auf  kurze  Zeit.    Elisabeth  stellte 


heisst  es:  „Before  it  was  passed  by  acte  of  parliament  that  men  xnrghte 
take  X  li  by  yeare  for  an  hondreth  pound  lone,  how  vehement  were"  they 
in  the  matter?  All  theyr  sermons  were  lytle  other  then  invectives  agara: 
usery.  Then  they  coula  alleage  both  Christ  and  the  Psalmist  to  prove  tha: 
Christen  men  ought  to  lende  what  they  may  spare  and  to  loke  for  no  gaynes 
therof :  But  nowe  they  do  not  onlye  holde  them  selves  styU  as  concernjiure 
thys  matter,  but  also  they  endeuoure  to  imitat,  yea  and  to  passe  the'  ei- 
ample  of  extorsyoners  and  userers." 

*)  Nowe,  with  your  pacience,  I  wil,  with  like  breuitie,  speak  of  the 
great  and  intollerable  usurie,  whych  at  this  daie  reigneth  so  frely  this 
realme  oueral,  and  chiefly  in  the  citie  of  London,  that  it  is  taken  for 
most  learal  gaines.    Yea  it  is  welmost  heresie  tonreproue  it,  for  men  saye 
it  is  alowed  by  Parliament    Well,  the  most  parte,  I  am  sure  of  this  most 
godlye  assemble  and  Parliament  do  knowe,  that  the  occasion  of  the  acte, 
that  passed  here  conceraynge  usurie.   was   the  unsaciable  desyre  of  the 
usurers,  whoe  coulde  not  be  contentea  with  usurie.  ynlesse  it  were  nuet- 
sonable  muche.    To  restrayne  thys  gredy  desyre  or  theyrs,  therfore,  it  was 
communed  and  agreed  vpon  and  by  thauthoritie  of  Parliament  decreai, 
that  none  should  take  aboue  X  li.  bi  yere  for  the  lone  of  an  C  IL    Alas 
that  euer  any  Christian   assemble   shoulde  bee  so    voyde  of  Gods  Holy 
Spirit,  that  thei  should  alowe  for  leafull  any  thyng,  that  Gods  worde  for- 
bedeth.    Be  not  abashed  (most  worthy  counsaylours)  to  call  this  act  into 
question  agayne.    Scan  the  wordes  of  the  Psalmist  concernyng  this  mattier. 
pLord"  sayeth  he,  ^who  shal  enter  into  the  tabernacle  and  who  shal  rest 
in  thy  holy  mountaroe?"    He  answereth:  „That  entreth  without  spot  and 
worketh  nghte.    That  speaketh  truth  in  his  herte  and  hath  not  aeceraed 
with  his  tonge;  that  hath  done  his  neybour  no  härme  nor  accepted  any 
reproch  against  his  neibour.    He  regardeth  not  the  wicked,  but  them  that 
feare  the  Lorde  he  glorifieth  and  prayseth.    He  that  swereth  to  his  neiboor 
and  deieiurth  hym  not.    He  that  hath  not  geuen  his  money  vnto  ysutt  and 
hath    not  taken  giftes  and  rewardes  against  the  innocent."    If  you  (most 
Christian  counsaylours)  do  glory  in  the  knowledge  of  Gods  Spirite,  who 
hath  epoben  these  wordes  by  the  Prophet,  how  can  you  suffer  this  acte  to 
stände,  wbvrh  shalbe  a  witnesse  agaynste  you  in  the  later  daye  that  von 
alo^e  th;it'which  Gods  Spirite  forbideth?    If  he  that  geueth  not  bvs  mo- 
ney to  usury  shal  dwell  in  the  Lords  tabernacle,  wher  shal  he  dwel,  that 
geueth  his  inoney  to  usuri?    Shal  he  not  be  shut  out  and  caste  intortter 
oarcknea?    Their  workes  be  contrary  and  why  shoulde  not  theyr  rewarde 
be  ateo  contrary?    If  the  one  be  receyued  in,  the  other  muste  be  shat 
out,    Yea ,  and  you  that  haue  made  this  lawe.  ynlesse  you  do  revoke  i' 
and  establysh  an  act  to  the  contrary,  the  Bryaegroume,  the  onely  sonne 
1  :  fn  l       i.al  at  the  last  daye  deny  you  and  saye  that  he  neuer  knewe 
you;  „Deport  from  me"  shal  fie  saye,  „al  ye  workers  of  iniquitie."    Scanne 
the  wordes  of  the  Prophete  therfore  and  scanne  the  wordes  of  oure  Saui- 
oure  ( -briste  also  in  the  VI.  of  Luke,  wher  he  sayeth  thus:  „Do  you  lend* 
lokynge  ibr  no  gaynes  therof  and  your  rewarde  shalbe  plentuouse  and  yoa 
shall   he  üonnes  of  the  Hygheste,  because  he  is  gentle  and  liberal  tovanl 
■*■  vnthnukful  land  wicked".   Crowley,  Select  works  ed.  byCowperS.l^ 
jboh    in   Crowleys  Epigramms   das   „Of  Usurars"  betitelte  :.Select 
nL  <  owper  S.  49). 


—    563    — 

die    eine   neue   Epoche   begründende  Acte   ihres  Vaters   im 
13.  Jahre  ihrer  Regierung  wieder  her1). 

Ueberblickt  man  die  Entwicklung  des  englischen  Gredit- 
wesens   und   der  englischen   Creditpolitik   bis  zur  Mitte   des 
16.  Jahrhunderts,  so  erkennt  man  unschwer,  dass  ähnlich  wie 
auf  allen  bisher  betrachteten  Gebieten  auch  auf  dem  des  Cre- 
dits  seit  dem  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  eine  grossartigere, 
verwickeitere  Gestaltung  Platz  greift.    Der  Credit   wird   ein 
immer  wichtigeres  Glied  im  Verkehr;  neben  dem  Consumtions- 
credit,  der  in  den  vorangegangenen  Jahrhunderten  vorwog,  ge- 
langt auch  der  Productionscredit  zur  Geltung  und  gewinnt  an 
Ausdehnung,  der  auswärtige  Handel  der  Engländer  baut  sich 
nicht  ohne  Einwirkung  des  Geldausfuhrverbots  mehr  und  mehr 
auf  dem  Credit  auf  und  erhält  dadurch  eine  nicht  unwichtige 
Verflechtung,  parallel  mit  dem  neuen  Unternehmerthum  er- 
scheinen englische  Capitalisten  und  Bankiers3)   auf  der  Bild- 
fläche.    Die  ganze  Wirthschaft  befindet  sich  im  vollsten  Ueber- 
gang  zu  neuen  Zuständen. 

Regierung  und  Gesetzgebung  waren,  wie  immer  im  Mittel- 
alter, der  Bewegung  nicht  voran,  sondern  folgten  ihr,  standen 
ihr  halb  indifferent,  halb  feindlich  gegenüber.    Soweit  es  sich 
um  die  Sicherung  des  Creditobjects  handelte,  griffen  die  gesetz- 
gebenden Factoren  mit  kräftiger  Hand  ein  und  wurden  den  Ver- 
kehrsbedtirfnissen  auch  wohl  ziemlich  gerecht    In  der  Zinsfrage 
dagegen  konnte  man  sich  nur  schwer  von  der  Jahrhunderte  lang 
festgehaltenen   Tradition  und  Anschauung  los  machen.     Von 
einem  unbefangenen,  richtigen  Einblick  in  das  Wesen  und  die 
Bedeutung  des  Credits  und  in  die  neuen  Bedürfnisse  des  Ver- 
kehrs war  keine  Rede.    Selbst  noch  Heinrich  VII.,  ein  guter 
Kenner  des  practischen  Lebens,  beurtheilte  den  Credit  in  ganz 
schiefer  Weise.     Während   wir    heute   im   Credit   ein  Mittel 
sehen,  durch  welches  das  Capital  in  die  Hände  desjenigen  ge- 
langt, der  es  am  productivsten  verwendet,  hält  Heinrich  VII. 
das  Zinsennehmen  für  schädlich,  weil  dadurch  das  Capital  dem 
Gewerbe  und  Handel  entzogen  werde.    Eine  solche  Anschauung 
wäre  doch  nur  dann  richtig  gewesen,  wenn  die  Gläubiger  aus- 
schliesslich an  solche  ausgeliehen  hätten,  welche  das  Capital 
in  unproductiver  Weise  verzehrt  hätten.    Das  dürfte  aber  da- 
mals nicht  mehr  für  den  Durchschnitt  der  Fälle  zugetroffen 
haben.    Der  krampfhafte  Versuch  Heinrichs  VH.,  fast  alle  und 
jede  Creditvergtitung  zu  verhindern,   beruhte  auf  einer  Ver- 
kennung  des  neuen  Zustandes  und  musste  deshalb  scheitern. 

*)  13  El.  c.  8;  verlängert  27  El.  c  11;  29  El.  c.  5;  31  El.  c.  10; 
35  El.  c.  7 ;  für  dauernd  erklärt  39  El.  c.  18.  1624  wurde  der  Zinsfuss 
auf  8°/0;  1661  auf  6%;  1714  auf  5%  erniedrigt;  die  völlige  Zinsfreiheit 
wurde  am  10.  Aug.  Iö54  eingeführt.  An  die  Stelle  der  Zinstaxen  ist  seit- 
dem die  Regulirung  der  Zinsen  durch  grosse  Creditinstitute  getreten  (Knies. 
Credit  S.  376). 

*)  Pauli,  Drei  volkaw.  Denkschr.  S.  34. 

36* 


—    564    - 

In  noch  rascherem  Tempo  als  zuvor  drang  trotz  Heinrich  VII. 
der  Credit  in  alle  Poren  der  Wirthschaft.  Es  blieb  nichts 
übrig,  als  der  Macht  der  Thatsachen  sich  zu  fügen,  und  man 
musste  froh  sein,  wenn  es  gelang,  den  noth wendig  mit  jeder 
Neuerung  zugleich  eintretenden  Missbräuchen  einigermassen 
zu  begegnen.  Es  ist  bezeichnend,  dass  gerade  damals  die 
Bankerottgesetzgebung  ihre  erste  Ausbildung  erhielt.  Während 
man  so  auf  der  einen  Seite  die  schrankenlosen  Elemente  zu 
bändigen  suchte,  machte  man  auf  der  andern  bedeutende  Con- 
cessionen.  Die  wichtigste  war,  dass  an  Stelle  des  Zinsverbots 
das  Zinsmaximum  trat.  Die  volle  Zinsfreiheit  wäre  damals 
kaum  angezeigt  gewesen.  Dazu  war  die  Creditwirthschaft 
noch  viel  zu  lose  organisirt,  die  ökonomische  Macht  und 
Rücksichtslosigkeit  der  Besitzenden  noch  viel  zu  stark,  die 
Zahl  der  consumtiven  Anleihen  noch  viel  zu  gross.  Es  ge- 
nügte, dass  das  Zinsverbot  beseitigt  ward,  die  Fessel  des  Zins- 
maximums war  erträglich  und  sogar  noch  heilsam.  Jedenfalls 
konnte  der  Creditverkehr  nun  rasch  zur  glänzendsten  Ent- 
faltung gelangen.  Mit  Stolz  rief  unter  Elisabeth  der  erste 
Kaufmann  Englands,  Thom.  Gresham  aus:  „Mein  bescheidener 
Name  und  mein  Credit  sind  der  grösste  Reichthum,  den 
mir  Gott  gegeben  hattt  *\  Und  wie  bei  Privaten,  so  war  auch 
in  der  Staatswirthschatt  der  Credit  wichtig  geworden.  Er 
bildete  einen  Factor,  der  mehr  und  mehr  auch  für  die  Macht 
des  Staates  von  Einfluss  wurde2). 


*)  Gresham  an  W.  Cecil  15.  Aug.  1563:  „I  praye  you  Sir,  for  this 
ae  to  consider  what  great  moment  it  is  unto  me  to  ran  upon  the  Ei- 
mge  for  the  preserving  of  my  poore  name  and  creadit,  which  is  chefest 
substance,  that  God  hath  seilt  me.  —  as  you  doe  right  well  knowe.* 
Burgon,  Life  of  Thomas  Gresham  IL  S.  26.  Dies  Werk  ist  auch  zu 
vergl.  hinsichtlich  der  Rolle,  welche  der  Credit  unter  Eduard  VI.,  Mari« 
und  Elisabeth  im  englisch-niederländischen  Verkehr  spielte. 
*)  Sieh  unter  Andern  Burgon,  a.  a.  0.  I.  S.  115  fg. 


Siebentes  Capitel. 

Fürsorge  für  die  Verkehrswege. 


Die  Entwicklung  der  Verkehrewege  pflegt  der  Grösse  des 
Verkehrs  und  der  volkswirtschaftlichen  Blüthe  parallel  zu 
gehen.  Ein  guter  Zustand  der  ersteren  ist  Voraussetzung  für 
die  letztere.  Das  langsame  Fortschreiten  der  mittelalterlichen 
Volkswirtschaft  und  der  ganze  Gharacter  derselben  beruhten 
zu  einem  guten  Theil  auf  dem  mangelhaften  Wegewesen  der 
damaligen  Zeit.  Namentlich  gilt  dies  von  der  Mehrzahl  der 
Continentalstaaten.  England  war  diesen  gegenüber  insofern 
im  Vortheil,  als  die  Meeresnähe  die  Communication  sehr  er- 
leichterte; die  wichtigsten  Orte  und  Theile  des  Landes  konnten 
zur  See  oder  auf  den  in  dieselbe  sich  ergiessenden  Flüssen 
erreicht  werden.  Unzweifelhaft  lag  in  diesem  Vorzug  ein  Grund 
mit,  weshalb  England  trotz  vieler  andern  Hindernisse  den 
Character  der  localen  Wirthschaft  theilweise  abstreifte  und 
diejenigen  Verhältnisse  grösseren  Stils  herausbildete,  wie  sie 
uns  in  der  bisherigen  Darstellung  entgegengetreten  sind. 

Die  englische  Gesetzgebung  beschäftigte  sich  nur  wenig 
direct  mit  dem  Wege-  und  Brückenbauwesen.  Staatsmittel 
wurden  natürlich  keine  für  diesen  Zweck  verwendet.  Die 
Wegelast  lag  den  einzelnen  Gemeinden,  die  Brückenlast  der 
ganzen  Grafschaft  ob.  Die  Instandhaltung  der  Wege  und  Brücken 
wurde  durch  die  gewöhnlichen  Polizeibussen  erzwungen,  d.  h. 
sie  beruhte  auf  dem  Anklageverfahren;  die  Anklage  war  ent- 
weder eine  dienstliche  Anzeige  vor  der  King's  Bench  oder  sie 
war  eine  gewöhnliche  Klage  von  Privaten  gegen  die  verpflich- 
tete Gemeinde,  oder  bei  Brücken  gegen  irgend  einen  Besitzer 
eines  beitragspflichtigen  Grundstückes,  dem  dann  der  Regress 
gegen  sämmtliche  Beitragspflichtige  der  Grafschaft  zustand- 
Statt  dieser  Anklagen  konnte  aber  auch  ein  fiscalisches  Straf- 
verfahren ex  officio,   die  sogenannte  criminal  Information,    bei 


—    566    — 

den  Reichsgerichten  eintreten.  Handelte  es  sich  um  Er- 
weiterung, Verlegung  oder  Schliessung  von  Wegen,  so  wurde 
der  Sheriff  durch  einen  Gabinetsbefehl  aus  der  Ganzlei  ange- 
wiesen, mittels  einer  Untersuchungscommission  festzustellen, 
ob  die  beabsichtigte  Aenderung  nicht  dem  Publicum  nach- 
theilig sein  werde.  Bei  den  zweimal  im  Jahr  stattfindenden 
Polizeirevues  der  SherifFs  und  an  den  Gerichtstagen  der  Patri- 
monialgerichte  musste  nach  Instandhaltung  von  Landstrassen 
und  Brücken  gefragt  werden1). 

Ueber  die  Art  und  Weise  der  Wegeanlage  waren  keine 
bestimmten  Normen  vorgeschrieben.  Nur  eine  gewisse  Breite 
wurde  für  die  Strassen,  welche  Marktorte  mit  einander  ver- 
banden, durch  das  Statut  Winch.  13  Ed.  I.  c.  5  (1285)  fest- 
gesetzt Das  geschah  aber  nicht,  weil  der  bisherige  innere 
Verkehr  sehr  an  Ausdehnung  gewonnen  hatte,  sondern,  wie 
aus  dem  Wortlaut  des  Statuts  hervorgeht,  der  Lichthaltung 
und  Sicherheit  wegen.  Das  Gehölz  sollte  zu  beiden  Seiten 
weit  entfernt  sein,  damit  man  nicht  unversehens  von  Säubern 
überfallen  werden  konnte  *). 

Aus  Allem  ersieht  man,  dass  die  ganze  Ordnung  des  Wege- 
wesens schwerfällig  war  und  nur  den  allerdringendsten  Bedürf- 
nissen Rechnung  tragen  konnte.  In  demselben  Masse  als  der 
Verkehr  unter  den  Tudors  grössere  Dimensionen  annahm,  wurde 
auch  das  Ungenügende  der  Organisation  empfunden. 

Einigen  Ansätzen  zur  Besserung  begegnen  wir  schon  unter 
Heinrich  VIII.  Den  Grafschaften  Kent  und  Sussex  wurde  ge- 
stattet, unter  Aufsicht  und  Zustimmung  der  Friedensrichter 
und  12  Leuten  aus  den  betheiligten  Hundertschaften  alte  Wege, 
die  zu  tief  lagen,  nicht  bequem  waren  und  nicht  die  kürzeste 
Linie  einhielten,  eingehen  zu  lassen  und  an  ihrer  Stelle  neue 
zu  bauen.  Wahrscheinlich  hatten  die  Einhegungen  zu  diesem 
Schritt  gedrängt8).  Ferner  wurde  der  Keim  zur  Einrichtung 
ständiger  Strassenwärter  für  die  Hauptstrassen  gelegt,  indem 
ein  solcher  für  eine  21/2  Meilen  lange  Strecke  bei  Chester  be- 
stellt und  durch  Gewährung  von  Landbesitz  und  des  Hechtes, 
an  der  Hochstrasse  sich  ein  Haus  zu  bauen,  für  seine  Dienste 
entschädigt  wurde4).  Weiter  wurde  die  Pflasterung  der  Stadt- 
strassen energischer  betrieben.  Die  Bewilligung  von  beson- 
deren Pflasterzöllen,  aus  deren  Ertrag  man  die  Pflasterung 
herstellen  konnte,   wurde  immer  seltener6).  ^Es  drang  mehr 

*)  Gneist,  Geschichte  und  heutige  Gestalt  der  englischen  Communal- 
Verfassung  oder  des  Seifgovemment  2.  Aufl.  1863.  L  S.  281  fg. 

.    9)  Hinsichtlich  der  Fürsorge  Eduards  1.  für  die  Wege  vgl  auch  die 
Carta  de  Foresta  im  Statutenb.  L  S.  121. 

«)  14/15  Hen.  VIH  c.  6:  26  Hen.  VUL  c.  7. 

*)  37  Hen.  VIII.  c.  8. 

*)  In  Betreff  früherer  Pflasterungen  vgl.  Rot  Pari.  I.  8.  802,  396, 
397,  423;  V.  8.  338;  VL  8.  49,  179,  180,  333,  396;  Rymer  VUL  S.  634; 
IX.  S.  447. 


—    567    — 

und  mehr  der  Grundsatz  durch,  dass  die  Kosten  von  den 
Eigentümern  des  angrenzenden  Bodens  zu  tragen  seien,  gleich- 
viel ob  die  Besitzer  in  der  Stadt  wohnten  oder  nicht1)-  In 
Cambridge  und  London  wurden  umfangreiche  Pflasterungen 
nach  diesem  Princip  vorgenommen2).  Endlich  wurde  die 
Brückenbaulast  bestimmter  geregelt  Wie  bereits  erwähnt,  lag 
dieselbe,  wofern  nicht  einzelne  Privatbesitzer  in  Folge  von 
Grund-  und  Abgabenverleihungen  sie  zu  tragen  hatten3),  der  Graf- 
schaft ob.  Strittig  war  aber,  wer  in  der  Grafschaft  eigentlich 
zur  Bestreitung  der  Kosten  verpflichtet  war4).  Das  hatte  fort- 
währende Processe  und  meist  auch  das  gänzliche  Unterbleiben 
der  nöthigen  Reparaturen  zur  Folge5).  Es  kam  deshalb  vor, 
dass  die  Nächstinteressirten  aus  dem  eigenen  Vermögen  und 
mittels  freiwilliger  Beiträge  Brücken  erbauten  und  nicht  auf 
die  ganze  Grafschaft  recurrirten e).  Um  der  herrschenden  Un- 
klarheit ein  Ende  zu  machen,  sprach  das  Gesetz  von  1530 
aus ,  dass  die  Beitragspflicht  auf  allen  Haushältern  ruhen  soll, 
mögen  sie  Ländereien  besitzen  oder  nicht,  und  auf  allen  Grund- 
stücken der  Grafschaft,  mögen  die  Besitzer  in  den  Grafschaften 
wohnen  oder  nicht.  Auch  diese  Bestimmung  weist  wie  Anderes 
darauf  hin,  dass  das  Fluctuiren  der  Bevölkerung  im  Innern  Eng- 
lands nicht  ganz  unbedeutend  war.  Gleichzeitig  wurde  bestimmt,  , 
dass  die  Anzeigen  wegen  Instandhaltung  der  Brücken  nicht 
Mos  vor  den  Criminalassisen ,  sondern  auch  vor  den  General- 
sitzungen der  Friedensrichter  gemacht  werden  könnten.  Die 
letztern  erhielten  das  Recht,  Nachforschungen  anzustellen,  alle 
Beschwerden  in  dieser  Sache  zu  entscheiden,  und  in  den  Fällen, 
in  denen  nicht  zu  erweisen  war,  wer  die  Brücken  herzustellen 
hatte,  eine  Umlage  der  nächstliegenden  Städte  und  Bezirke 
anzuordnen  und  einsammeln  zu  lassen,  sowie  zwei  Aufseher  zu 
ernennen  zu  dem  Zweck,  dass  die  Arbeit  wirklich  und  in  ge- 
höriger Weise  geschehe.  Die  gleichen  Rechte  wurden  hin- 
sichtlich der  nächstliegenden  Chausee  verliehen7). 

*)  Diese  letzte  Bestimmung  war  wichtig,  weil  viele  Landlords  nicht 
in  der  Stadt  wohnten.  In  der  Acte  25  Hen.  VIII.  c.  8  wurde  geradezu 
der  schlechte  Zustand  der  Stadtstrassen  damit  in  Zusammenhang  gebracht 
Aehnlich  sagt  Lupset:  „Euery  gentylman  flyth  into  the  cuntrey,  Few  that 
inhabyt  cytes  or  townys;  few  that  haue  any  regard  of  them;  by  the  reson 
wherof  in  them  you  shal  fynd  no  pollycy,  no  cyuyle  ordur  almost,  nor 
rule.u  Starkey,  England  in  the  reign  of  Henry  the  Eighth  ed.  Cowper 
S.  98.    Vgl.  »uch  die  Motive  zur  Acte  87  Hen.  YHI.  c.  14. 

*)  24  Hen.  VIII  c.  11:  25  Hen.  VIII  c.  8;  32  Hen.  VM  c.  17;  34/35 
Hen.  VIII  c.  12;  35  Hen.  VIII  c.  15. 

*)  In  diesem  Falle  waren  die  Brücken  meist  in  schlechtem  Zustand. 
Vgl.  z.  B.  Rot  Pari.  IL  S.  32. 

4)  Sieh  auch  Liber  Custumarum  ed.  Riley  I.  S.  352. 

*)  Vgl.  Rot.  Pari.  I.  S.  308. 

«)  Rot  Pari.  IV.  S.  156  (1421). 

'*)  22  Hen.  VIII.  c.  5.  Für  die  Verbindungsbrücke  von  Rochester 
and  Strood  war  schon  zur  Zeit  Richards  II.  aus  den  Personen  der  Graf- 


—    568    — 

In  vollen  Fluss  kam  die  Gesetzgebung  in  Betreff  der  Ver- 
kehrswege erst  unter  den  nächsten  Tudors.  Der  bedeutsamste 
Schritt  geschah  zur  Zeit  Marias.  Um  das  Schwerfällige  und 
Unzureichende  des  Anklageverfahrens  zu  beseitigen,  wurde  ein 
neues  Gemeindeamt  gebildet,  das  des  Surveyor  of  Highways. 
Dieses  Organ  der  Ortsgemeinde  war  zunächst  zur  Instandhal- 
tung der  Wege  verpflichtet  und  demgemäss  auch  ermächtigt 
die  Einwohner  zu  Hand-  und  Spanndiensten  heranzuziehen  und 
zwar  sowohl  die  Besitzer  von  Land,  wie  die  Besitzer  eines 
Gespanns,  überhaupt  alle  Haushälter,  also  auch  Büdner  und 
Arbeitsleute  mit  eigenem  Hausstand.  Das  Gesetz  verlangt, 
dass  vor  Mittsommer  mindestens  vier  Tage  zur  Ausbesserung 
der  Wege  verwendet  werden  müssen1). 

Wichtiger  als  die  Landstrassen  waren  wie  bereits  erwähnt, 
für  den  Verkehr  des  mittelalterlichen  Englands  die  Wasser- 
wege. Ihnen  folgte  die  Ansiedlung  *),  und  sie  trugen  am 
meisten  zur  Entwicklung  des  Handels  bei.  Aber  auch  ihr 
Zustand  war  keineswegs  ein  durchaus  befriedigender.  Uner- 
müdlich hatten  die  Handelsplätze  zu  kämpfen,  um  ihren  Strom, 
die  Lebensader  ihres  Verkehrs,  durch  keinerlei  Hemmnisse 
unterbinden  zu  lassen. 

Natürlich  trat  dies  am  schärfsten  bei  London  und  der 
Themse  zu  Tage.  Die  Fischer,  Müller  und  sonstige  Industrielle 
verursachten  bald  da,  bald  dort  Hindernisse  für  die  Schiffahrt 
Allerwärts  fanden  sich  Wehren  im  Fluss,  und  ihre  Zahl  war 
noch  fortwährend  im  Wachsen.  Im  12.  Jahrhundert  konnte 
die  Regierung  dieselbe  zu  einem  ergiebigen  Steuerobjecte 
machen.  Da  aber  gerade  um  jene  Zeit  der  Handel  etwas  le- 
bendiger und  reger  geworden  war,  mussten  die  fiscalischen 
Rücksichten  auf  das  immer  ungestümmer  hervortretende  Ver- 
langen der  Kauffahrer  unterdrückt  werden.  Richard  I.  Löwen- 
herz yersprach  in  dem  den  Londonern  gegebenen  Freibriefe 
1197,  dass  fortan  alle  Wehren  in  der  Themse  beseitigt,  die 
Errichtung  neuer  nicht  mehr  geduldet  und  auf  diese  Steuer- 
quelle verzichtet  werden  solle3).     Johann    bestätigte   diesen 

schaft  eine  eigne  Körperschaft  (une  communalte  pur  7a  sustentation  et  gaber- 
nation  da  dit  pont)  gebildet  worden,  welche  jährlich  2  Beamte  wählte. 
Seit  1421  worden  die  Aechte  dieser  sowie  der  Corporation  Überhaupt  er- 
weitert.   Rot.  Pari.  IV.  S.  148.    Sieh  auch  IV.  S.  468. 

')  2/3  PhiL  and  Mary  c.  8.  Sieh  ferner  5  El.  c.  13;  18  £1.  c  10,20; 
27  El.  c.  11,  19,  26;  29  Et  c.  5;  35  El.  c.  7;  39  El.  c.  18,  19;  43  EL  c  9. 

*)  Im  Liber  Albus  ed.  Riley  S.  497  heisst  es  deshalb:  „Cujus 
(sc.  civitatis  Londoniarum)  quidem  funaationis,  aedificationis  et  constructionis 
causa  erat  Thamensis  fluvius". 

*)  „Concessit  et  firmiter  praecepit,  ut  omnes  kideUi,  qui  sunt  in  Tha- 
mi8ia,  ammoveantur,  ubicumque  fuerint  in  Thamisia,  et  ne  de  caetero  ki- 
delli alicubi  ponantur  in  Thamisia.  Quietum  etiam  clamavit  omne  id,  quod 
custodes  Tunis  suae  Londoniis  annuatim  percipere  solebant  de  praecüctis 
kidelli8.    Satis  enim  sibi  constabat  et  per  venerabilem  primatem  säum, 


—    569    — 

Artikel  im  1.  Jahre  seiner  Regierung.  Welche  Bedeutung 
man  demselben  beilegte,  ersieht  man  daraus,  dass  zur  Sicherung 
seiner  Durchführung  die  Städte  und  Barone  ihn  in  die  Magna 
Charta  mit  aufnahmen;  die  Bestimmung  wurde  für  ganz  Eng- 
land yerallgemeinert x) ,  sie  blieb  auch  keineswegs  ein  todter 
Buchstabe;  wir  besitzen  noch  die  Documente2),  welche  den 
Beweis  liefern,  dass  unter  Heinrich  III.  der  Verfassung  in  die- 
sem Puncte  volle  Geltung  verschafft  wurde.  Auch  Eduard  I. 
erneuerte  den  Artikel  der  Magna  Charta,  und  von  ihm 
darf  man  annehmen,  dass  er  auf  seine  Beobachtung  sah.  We- 
nigstens wissen  wir,  dass,  als  die  Schiftbarkeit  der  Flusses 
Wels  bei  London  unterhalb  Holborn-  und  Fleet-Bridge  durch 
die  Verunreinigungen  der  Gerber,  durch  Errichtung  von 
Wehren  und  eine  Ablenkung  des  Wasserlaufes  im  Interesse 
einiger  Mühlen  völlig  zu  Grunde  gerichtet  worden  war,  während 
vorher  10—12  Kauffahrtei-Schiffe  bis  an  die  Brücke  fahren 
konnten,  Eduard  I.  die  Sache  durch  die  Stadtbehörden  unter- 
suchen, daraufhin  den  Fluss  reinigen  und  die  Mühlen  beseitigen 
liess 3). 

Mehr  noch  als  die  Könige  war  London  darauf  bedacht, 
dass  namentlich  die  Themse  von  Hindernissen  frei  bleibe4). 
Die  Stadt  beanspruchte  deshalb  unter  Heinrich  U.,  dass  die 
Themse  bis  ans  Meer  zu  London  gehöre5),  um  dadurch  be- 
rechtigt zu  sein,  alle  unbefugt  errichteten  Wehren  aus  eigener 
Machtvollkommenheit  zu  beseitigen.  Dieser  Anspruch  wurde 
aber  der  Stadt  von  den  königlichen  Beamten  strittig  gemacht 6). 
In  Folge  dieser  Jurisdictionsstreitigkeiten  mag  es  vielleicht  ge- 
kommen sein,  dass  das  Gesetz  überhaupt  unter  Eduard  II. 
und  im  Anfang  der  Regierung  Eduards  III.  laxer  gehandhabt 
wurde.  In  Kurzem  war  wieder  der  ganze  Strom  voll  von 
Wehren,   Mühlen  und   sonstigen  Hemmnissen   der  Schiffahrt. 


Hubertum,  Cantuariensem  archiepiscopum  et  per  alios  fideles  suos,  eidem 
Domino  Regi  sufficienter  datum  fiüt  intelligi,  quod  maximum  detrimentum 
et  incommodum  praedictae  civitati  suae  Londoniarum  necnon  et  totl  regno 
Angliae  occasione  illorum  kidellorum  proveniebat".  Liber  Albus  ed. 
Riley  8.  499. 

')  Art.  33.  „Omnes  kidelli  de  cetero  deponantur  penitus  de  Tamesia 
et  de  Medewaye  et  per  totam  Angliam,  nisi  per  costeram  maris." 

5  Vgl.  Li b  Alb.  S.  500—503  und  Lib.  Cust.  Part  I.  ed.  Riley 
1860  S.  39-42.  Sieh  auch  The  black  book  of  the  admiralty  ed. 
Sir  Trayers  Twiss  Vol.  I.  S.  77.  Nr.  28;  ferner  S.  81  Nr.  34. 

")  35  Ed.  I.  (1307);  doch  brachte  man  den  Fluss  nicht  wieder  zu 
seiner  früheren  Tieie  und  Breite,  weshalb  er  ganz  den  Namen  eines  Flusses 
verlor  und  seitdem  Turnmill  oder  Tremill  Brooke  genannt  wurde  nach  den 
vielen  Mühlen,  die  man  später  daselbst  errichtete. 

*)  Sieh  auch  Lib.  Alb.  ed.  Riley  S.  577  fg. 

B)  „Et  justiciarii  dixerunt,  quod  aqua  Thamisiae  pertinet  ad  civitatem 
Londoniarum,  a  Londoniis  usque  ad  mare".  Lib.  Cust.  ed.  Riley  II. 
S.  408. 

•)  A.  a.  O. 


—    570    — 

Die  Klagen  der  Kaufleute  wurden  lauter  denn  je;  namentlich 
die  Strecke  zwischen  Oxford  und  London  war  nur  unter  den 
grössten  Gefahren  zu  passiren.  Man  musste  sich  schliesslich 
doch  zu  einer  Untersuchung  bequemen,  und  das  Ergebniss 
derselben  war,  dass  das  Parlament  mit  dem  König  ein  Gesetz 
erliess,  wonach  alle  seit  Eduard  I.  errichteten  Hinderungen 
wieder  beseitigt  werden  und  die  Sheriffs  die  Ausführung  über- 
wachen mussten1).  Es  zeigte  sich  aber,  dass  die  Ausführung 
mit  jedem  Jahre  schwieriger  wurde,  und  man  kann  sich  des 
Eindrucks  nicht  erwehren,  dass  der  Grund  hievon  darin  lag, 
dass  man  den  Interessen  der  Industrie,  welche  die  Wasserkraft 
benützen  wollte,  gar  keine  Berücksichtigung  schenkte,  sondern 
ihre  Ansprüche  einfach  mit  den  wirklich  nicht  gerechtfertigten 
Hemmnissen  zusammenwarf.  Unter  Eduard  HI.  noch  wurde 
z.  B.  die  Errichtung  einer  Mühle  mit  100  Mark  bestraft'). 
Um  den  gesetzlichen  Bestimmungen  Geltung  zu  verschaffen, 
übertrug  Richard  II.  mit  Zustimmung  des  Parlaments  ihre 
Ueberwachung  den  Friedensrichtern  jeder  Grafschaft,  welche 
noch  Subcontroleure  aufstellen  konnten8);  später  genehmigte 
er,  dass  besondere  Commissionen  ernannt  würden  und  diese 
als  Richter  fungiren  könnten4).  Unter  Heinrich  IV.  wurde 
vorgesehen,  dass  diese  Commissionen  Diäten  erhielten6).  Am 
schärfsten  ging  man  gegen  die  Fischer  vor,  die  allerdings  auch 
Grund  genug  dazu  gaben.  Sie  füllten  nicht  nur  mit  ihren 
Geräthen  und  Vorrichtungen  die  Flüsse  an,  sondern  richteten 
zugleich  fast  die  ganze  Fischerei  zu  Grande.  Sie  trieben  den 
Fischfang  so  rücksichtslos ,  dass  sie  sogar  die  Schweine  mit 
Fischen  fütterten 6).  Die  Fischer  waren  auch  am  meisten  über 
das  Gesetz  erbittert.  Als  ein  Untercontroleur  in  London  seines 
Amtes  waltete,  sah  er  sich  plötzlich  von  nicht  weniger  als 
2000  Personen  aufs  heftigste  verfolgt7).  Gelang  es  auch,  den 
Widerstand  zu  brechen,  es  blieb  immer  eine  schwere  Aufgabe, 
allen  neuen  Versuchen  zu  begegnen.  Heiniich  V 8),  Heinrich  VI9) 


*)  25  Ed.  m  st  3.  c.  45  Lib.  Alb.  I.  S.  505,  506.  Auf  die  Schif- 
fahrt ist  ausdrücklich  als  Motiv  hingewiesen:  „qe  pur  ceo  qe  comunes  passa- 
ges  des  niefs  et  bateux  en  les  graundes  rivers  d'Engleterre  ßi  feurent  aovent 
foit  de8tourbez  par  le  lever  des  gors,  molyns,  estankes,  estaches  et  kydels, 
en  graunde  damage  da  peple."  Vgl  auch  Tr.  Twiss,  The  black  book  of 
the  admiralty  I.  S.  153.  Nr.  26. 

*)  45  Ed.  IIL  c.  2:  Lib.  Alb.  S.  506. 

8)  Lib.  Alb.  8.  508. 

4)  21  Rieh.  II.  c.  19;  Lib.  Alb.  S.  509  fe. 
*)  4  Hen.  IV.  c.  11;  Lib.  Alb.  S.  513,  514     Die  früheren  Gesetze 
hatte  Heinrich  IV.  schon  bestätigt  durch  1  Hen.  IV.  c.  12. 
•)  Rot.  Pari.  m.  S.  499. 
')  Lib.  Alb.  8.  514-518. 
•)  1  Hen.  V.  c.  2  (1413);  Rot. Pari.  IV.  S. 36.  (1414);  Lib.  Alb.  & 518. 

9)  2  Hen.  VI.  c.  12  und  9  Hen.  VI.  c  9;  in  letzterem  Gesetze  wird 
namentlich  über  Missstande  im  Lee  geklagt.  Die  Commisaäre  erhielten 
auf  3  Jahre  das  Recht,  Geld  zu  borgen  und  Zoll  zu  erheben  behufs  Reinigung 
des  Flusses. 


—    571     — 

und  Eduard  IV *)  mussten  fort  und  fort  mit  den  widerstrebenden 
Elementen  kämpfen  und  mit  immer  schärferen  Massregeln 
vorgehen  *). 

Unter  den  Tudors  wurde  die  Frage  der  Flussverschlech- 
terung nicht  zurückgedrängt,  sondern  sie  gestaltete  sich  durch 
die  mancherlei  ganz  neuen  Umstände,  die  sie  begleiteten,  zu 
einer  brennenden. 

Hinsichtlich  der  Wehren  und  anderer  Schiffahrtshinderaisse 
beschwerte  sich  während  der  Regierung  Heinrichs  VII.  haupt- 
sächlich Southampton.  Das  Mittel,  das  man  gewährte,  war 
ausserordentlich  einfach;  man  gestattete  Jedem,  solche  Dinge 
eigenmächtig  zu  beseitigen,  und  verhängte  über  denjenigen, 
der  Widerstand  leistete,  eine  Strafe;  die  Neuerrichtung  sollte 
mit  100  £  geahndet  werden3).  Die  Acte  hatte  nur  20  Jahre 
zu  dauern  und  wurde  unter  Heinrich  VUI.  nach  Ablauf  dieser 
Frist  nicht  sofort  wieder  erneuert.  Es  waren  noch  keine  8 
Jahre  verflossen,  als  die  alten  Missstände  wieder  auftauchten, 
weshalb  das  Gesetz  für  dauernd  erklärt  wurde 4).  1532  wurde 
eine  ähnliche  Klage  von  Seite  Yorks  und  Hulls,  deren  Wasser- 
verbindung die  Fischereivorrichtungen  hinderten,  von  der  Re- 
gierung und  dem  Parlament  berücksichtigt5). 

Weit  ernsterer  Natur  waren  die  unter  Heinrich  VIH.  ganz 
neu  auftauchenden  Beschwerden  über  die  Versandungen  der 
Flüsse  und  die  Verunreinigung  derselben  durch  die  Bergwerke. 
Dies  heute  so  moderne  Capitel  der  Wohlfahrtspolizei  ist  in 
England,  wie  man  erkennen  kann,  schon  alten  Datums6). 

Ein  gewisser  Richard  Strode  lenkte  zuerst  die  Aufmerk- 
samkeit auf  die  von  den  Bergwerken  herrührenden  Gefahren 
für  die  Flussschiffahrt.     In  einem  Meeting  hatte  er  gewagt, 


•)  Rot.  Pari.  VI.  S.  158;  12Edw.  IV.  c.  7  (1472);  am  Anfang  seiner 
Regierung  hatte  Eduard  IV.  sich  geweigert,  die  Statuten  25  Ed.  III.  st  3 
c.  4  und  45  Ed.  III.  c.  2  zu  bestätigen.    Rot  Pari.  V.  S.  569  (1464). 

*)  Nach  dem  oben  über  das  Brückenwesen  Gesagten  bedarf  es  nicht 
besonderer  Ausfuhrung,  dass  häufig  auch  diese  wegen  zu  geringer  Höhe 
ein  Schiffahrtshinderniss  bildeten  Ein  Beispiel  hiefur  findet  sich  in  den 
Rot  Pari.  V.  S.  43  (1442). 

*)  11  Hen.  VII.  c.  5  (1495). 

*)  14/15  Hen.  VIII.  c.  13  (1523). 

*)  23  Hen.  VIII.  c.  18.  Der  Kanzler  soll  jetzt  und  so  oft  das  Be- 
dürfhiss  hiezu  sich  herausstellt,  eine  Commission  von  8  Personen  ernennen, 
welche  nach  genommener  Einsicht  den  Eigentümern  befehlen,  die  Schiff- 
fahrtshindernisse in  den  Flüssen  Ouse  und  Humber  zu  beseitigen.  Alle 
Figchereivorrichtungen  wurden  nicht  verpönt,  die  Eigenthumer  waren  aber 
gezwungen,  Pfahle  einzusetzen,  die  eine  Elle  über  der  Wassermarke  her« 
vorstanden,  so  dass  die  Schiffe  den  Wasserlauf  unbehindert  durch  die 
Figchereivorrichtungen  verfolgen  konnten.    Vgl.  auch  24  Hen.  VIII.  c.  15. 

6)  Die  erste  Notiz,  die  ich  in  dieser  Hinsicht  finde,  stammt  aus  dem 
Jahre  1399.  Great- Yarmouth  bat  in  diesem  Jahre  und  wieder  1407  um 
Nachlass  der  Summen,  die  es  an  den  König  zu  zahlen  hatte,  weil  sein 
Hafen  ganz  versandet  sei.    Rot.  Pari.  III.  S.  447,  620. 


—    572    — 

eine  Bill  gegen  gewisse  Besitzer  von  Zinnbergwerken  in  De- 
vonshfre  zu  proponiren,  weil  dieselben  durch  die  Art  ihres  Be- 
triebes die  Häfen  zu  Grunde  richteten.  Der  Vorschlag  fand 
Anklang,  die  Bill  wurde  in  das  Parlament  geschickt  Die 
wohlgemeinte  Absicht  kam  aber  dem  Reformer  theuer  zu  stehen. 
Die  Zinner  von  Devon  waren  durch  Privileg  Eduards  I.  (10. 
April.  33  Ed.  I) l)  von  jeder  fremden  Gerichtsbarkeit  ausge- 
nommen, soweit  der  Fall  nicht  „Land,  Leben  oder  Glied*  be- 
traf8); sie  hatten  einen  kgl.  Gustos  zum  Richter;  gleichzeitig 
bildeten  sie  unter  sich  gewissermassen  ein  kleines  Parlament 
Der  König  konnte  Vertreter  der  einzelnen  Zinnwerke  zusammen- 
rufen und  die  Gesetze  und  Verordnungen,  welche  diese  Ver- 
sammlung beschloss,  waren  gültig3).  Im  Jahre  1510  hatten 
nun  die  Delegirten  mit  Zustimmung  des  kg].  Deputirten  die 
Verordnung  erlassen,  dass  Jeder  Zinn  graben  dürfe,  wo  er  es 
finde,  auch  das  Wasser  zu  seinen  Werken  führen  könne  ge- 
mäss alter  Gewohnheit,  und  dass  jeder,  der  hierin  sie  zu  stören 
wage,  von  den  12  Richtern  am  Gerichtstag  zu  40  £  verur- 
theilt  werden  solle4). 

Dieses  Statut  bot  den  Zinnern  eine  Handhabe,  um  gegen 
Strode  vorzugehen.  Sie  erklärten,  er  habe  dasselbe  verletzt, 
indem  er  ihnen  die  ungehinderte  Benützung  des  Wassers  be- 
streiten wolle,  verurtheilten  ihn  in  die  Geldbusse  von  40  j£, 
und  als  er  sie  nicht  zahlen  konnte  oder  wollte,  warfen  sie  ihn 
in  ein  dumpfes,  höchst  ungesundes  Gefängniss,  wo  er  in  Eisen 
geschlagen  blos  Wasser  und  Brod  erhielt.  Nur  ein  günstiger 
Umstand,  nämlich  dass  er  Steuereinnehmer  war,  dessen  Dienste 
man  gerade  damals  brauchte,  befreite  ihn  aus  der  dreiwöchent- 
lichen Haft.  Obwohl  •  die  Zinner  dem  Befehl  des  Königs  ge- 
horchten und  Strode  freiliessen,  so  zwangen  sie  ihn  doch  noch 
bei  seiner  Befreiung,  eine  Obligation  von  100  jg  zum  Ersatz 
der  Kosten  zu  übergeben.  Der  Fall  war  auch  von  constitutio- 
neller  Bedeutung.  Das  Parlament  erklärte  Urtheil  wie  Obli- 
gation für  nichtig  und  sprach  aus,  dass  Niemand  wegen  Bills, 
die  beim  Parlament  eingereicht  würden,  oder  wegen  gehaltener 
Reden,  die  sich  auf  eine  im  Parlament  zu  behandelnde  Sache 
bezögen,  verfolgt  werden  dürfe5).  Der  eigentliche  Missstand 
aber,  der  zu  dieser  Affaire  Anlass  gegeben,  blieb  unerledigt. 

Erst  20  Jahre  später,  in  der  Cromwellschen  Epoche  wurde 


*)  Thom.  Pearce,  The  laws  and  customs  of  the  stannaries  in  the 
counties  of  Cornwall  and  Devon.  London  1725.  S.  186  ist  die  Charte  ab- 
gedruckt 

8)  In  welcher  Weise  die  Zinner  ihren  privilegirten  Gerichtsstand  aus- 
nützten, dafür  fehlt  es  nicht  an  Beispielen.  Rot.  Pari  IL  8. 190.  (21  Ed.  III). 

8)  Pearce  a.  a.  0.    Pref.  S.  IV. 

*)  Pearce  a.  a.  0.    S.  190  und  191. 

*)  4  Hen.  VIII.  c.  8. 


—    573    — 

die  Angelegenheit  wieder  aufgegriffen.  Die  Schäden  waren  zu 
gross,  als  dass  man  länger  die  Augen  verschliessen  konnte. 
Die  Häfen  in  Devon  und  Cornwall  wie  Plymouth,  Dartmouth, 
Fynemouth,  Falmouth  und  Fowey  waren  ganz  versandet,  und 
während  früher  Schiffe  bis  zu  800  Tonnen  Gehalt  selbst  bei 
geringem  Wasserstand  leicht  einfahren  konnten,  so  vermochte 
jetzt  ein  Schiff  mit  100  Tonnen  Gehalt  bei  halbem  Wasserstand 
kaum  einzulaufen.  Die  Ursache  lag  bei  den  Zinnern.  Diese 
Leute,  sagt  die  Parlamentsacte,  berücksichtigen  ihren  Privat- 
vortheil  mehr  als  das  gemeine  Wohl  und  die  Sicherheit  des 
Königreichs ;  ihre  Arbeiten  mittels  Flusswerke  und  ihr  Graben, 
Suchen,  Waschen  in  der  Nähe  von  Gewässern,  welche  in  die 
Häfen  sich  ergiessen,  haben  in  die  letztem  eine  erstaunliche 
Menge  von  Sand,  Kies,  Steine,  Erde,  Schlamm  und  Schmutz 
geführt". 

Das  Gesetz  verbot  deshalb  die  Benützung  der  Flüsse, 
welche  sich  direct  in  die  Häfen  ergossen,  und  verlangte  für 
die  Flusswerke  Vorrichtungen,  welche  die  Erdmaterialien  der 
Erzwäschereien  abhielten  und  nicht  in  den  Hafen  gelangen 
liessen.  Gleichzeitig  traf  man  verschiedene  Bestimmungen, 
um  den  Kläger  gegen  etwaige  Verfolgungen  der  Beamten  von 
den  King's  Courts  of  Stannery  zu  schützen.  Dem  Anzeiger 
sollten  5  £  als  Belohnung  zufallen J). 

Die  Erfahrung  lehrte  aber,  dass  Niemand  Lust  hatte,  wegen 
einer  so  kleinen  Summe  mit  den  mächtigen  Herren  einen  Pro- 
cess  anzufangen.  Die  Regierung  beklagte  sich  bitter  über  den 
geringen  Eifer  und  das  geringe  Interesse  der  geschädigten 
Hafenbewohner.  Um  diese  zur  Initiative  anzuspornen,  erhöhte 
man  die  Belohnung  aufs  Doppelte2). 

Fortan  liess  man  diese  und  verwandte  Missstände  nicht 
mehr  aus  den  Augen.  Als  die  Themse,  „der  wichtigste  und 
vortheilhafteste  Fluss  des  Königreichs" ,  der  Schiffahrt  gefähr- 
lich zu  werden  begann  dadurch,  dass  die  Ufer-  und  Flussdämme 
durch  Einwerfen  von  Schmutz  und  Dung,  durch  Wegnahme 
von  Dammmaterialen  beschädigt  wurden,  ordnete  man  unter 
Strafe  an,  dass  als  Ballast  der  Schiffe  nur  der  Sand  und  Kies 
in  der  Themse  benützt  werden  dürfe,  und  dass  es  Jedermann 
freistehe,  den  Sand  auf  den  Sandbänken  in  der  Themse  weg- 
zuführen8).   Später  veranlasste  das  missbräuchliche  Benehmen 


*)  23  Hen.  VIH.  c.  8  (1531/82). 

*)  27  Hen.  VIII.  c.  23.  (1535/36).  1539  legte  die  Regierang  dem 
Parlament  eine  neue  Bill  in  Betreff  der  Zinner  vor,  drang  aber  nicht  mit 
derselben  durch.  14°  die  Pari.  31  Hen.  VIII.  heisst  es  in  den  Lords' 
Journ.:  „Per  cancellarium  quaedam  est  introducta  biUa  concernens  stag- 
narios,  auequidem  biUa  1»  vice  est  lecta  et  rejecta". 

*)  27  Hen.  VIII.  c.  18  und  Verordnung  der  Stadt  auf  Grund  dieses 
Statuts  abgedr.  bei  Northouck,  London  App.  Nr.  39.  S.  803. 


—    574    — 

der  auf  Schmuggel  ausgehenden  Getreideschiffe  in  der  Severn 
ein  Gesetz,  wonach  Niemand  Ballast,  Steine  und  dergl.  in 
einen  Hafen  oder  Fluss  bei  einer  Stadt  innerhalb  der  Hoch- 
wassermarken werfen  durfte1). 

Unter  der  Regierung  Heinrichs  VHI.  wurde  auch  die  Ver- 
sandung des  Flüsschens  Exe  beseitigt.  Obwohl  dasselbe  nur 
klein,  so  hatte  es  für  den  Handel  doch  einige  Bedeutung. 
Früher  brachte  man  nämlich  alle  Waaren  nach  dem  landein- 
wärts gelegenen  Exeter  per  Schiff;  seit  der  Versandung  war 
man  aber  schon  lange  genöthigt,  Alles  per  Achse  vom  Hafen 
in  die  Stadt  zu  führen,  was  einen  jährlichen  Schaden  von 
400  Mark  und  eine  Verteuerung  aller  Waaren  im  Verhältniss 
dieses  Betrages  zur  Folge  hatte,  ohne  dass  hiebei  die  seitdem 
häufigeren  Ueberschwemmungen  mit  in  Anschlag  gebracht  waren. 
Man  ertheilte  der  Stadt  das  Recht,  den  Fluss  zu  reinigen  und 
alle  Hindernisse  zwischen  der  Stadt  und  der  See  zu  beseitigen; 
man  ermächtigte  sie  auch,  die  angrenzenden  Grundstücke,  so- 
weit sie  hiebei  unterminirt  wurden,  nach  dem  20-jährigen 
Kaufpreis  oder  nach  dem  Ausspruch  der  Richter  in  der  Graf- 
schaft zu  expropriiren  *). 

Welche  Sorgfalt  Heinrich  VHI.  in  den  letzten  10  Jahren 
seiner  Regierung  im  Interesse  der  Landesverteidigung  den 
Küstenplätzen  und  Seehäfen  zuwandte,  ist  bekannt8).  Dieselben 
kamen  natürlich  auch  dem  Handel  zu  Gute.  Der  Hafendamm 
von  Dover4),  der  allein  65  000  j£  kostete;,  war  sein  Werk. 
Die  Häfen  Hüll5),  Southampton 6) ,  Calais,  Newcastle  upon 
Tyne 7),  Berwick  wurden  verbessert  und  mit  50  andern  Küsten- 


*)  34  und  35  Hen.  VHI.  c.  9.  §  4  (1542/48). 

*)  31  Hen.  VEL  c.  4.  Ein  ähnliches  Expropriationsrecht  gegen  Mahlen 
wurde  1515  der  Stadt  Canterbury  zuerkannt,  als  dieselbe  den  Verfall  der 
früher  so  blühenden  Wallfahrt  wieder  zu  beseitigen  hoffte  durch  eine  Ver- 
tiefung des  Flusses,  so  dass  die  Boote  bis  zur  Stadt  kommen  konnten. 
6  Hen.  V1H.  c.  17.  —  Yon  indirectem  Einfluss  auf  die  Regulirung  und  In- 
standhaltung der  Flüsse  waren  natürlich  auch  die  sogenannten  Deichver- 
bande (Commissions  of  sewers),  welche  eine  sehr  reiche  Gesetzgebung 
hatten  und  namentlich  durch  23  Hen.  VIII.  c.  5  geregelt  wurden.  VgL 
auch  Gneis t,  Geschichte  des  Selfgovernment  S.  288,  285. 

*)  Vgl.  Ranke,  Engl.  Geschichte  I.  S.222;  Henry,  History  of  Great- 
Britain  VI.  S.  631  und  632;  besonders  Froude,  History  of  England  HL 
S.  255  fg. 

*)  In  Betreff  der  Fürsorge  für  Dover  in  früherer  Zeit  sieh  Rot  Pari. 
IV.  S.  364;  V.  8.  568. 

6)  Um  der  Stadt  Hüll  die  Aufbringung  der  Kosten  zu  erleichtern, 
hatte  der  König  ihr  gewährt,  dass  kein  Fremder  oder  Forense  ausserhalb 
der  Stadt  von  einem  Fremden  oder  Forensen  kaufen  dürfe,  sondern  nur 
auf  den  Märkten  in  der  Stadt.  In  Folge  dieses  Patentes  fühlten  sich 
Lincoln ,  Beverley ,  New- Castle ,  Nottingham ,  sowie  das  damals  ganz  ver- 
fallende York  und  andere  Städte  in  den  Grafschaften  Lincolnshire,  Notting- 
hamshire  und  Yorkshire  sehr  beschwert  und  verlangten  die  Zurücknahme. 
24  Hen.  VHI.  c.  15. 

fl)  Vgl.  auch  22  Hen.  VIII.  c.  20  (1530/31). 

7)  Vgl.  auch  21  Hen.  VIU.  c.  18  (1529). 


—    575    — 

platzen  befestigt;  ebenso  traf  er  Massregeln,  dass  der  Hafen- 
damm von  Scarborough  wieder  aufgebaut  wurde1). 


')  Bereits  am  3.  Oct  1541  beschäftigte  sich  das  Privy  Council  mit 
dieser  Frage,  namentlich  wegen  Abgabe  von  Holz  an  Scarborough  (Nico- 
las, Proceedings  etc.  YL  S.  251).  Energische  Massregel  traf  erst  die  Acte 
37  fien.  VUL1.  c.  14  (1545),  als  der  Verfall  von  Scarborough  bedenkliche 
Dimensionen  annahm.  Man  schuf  ein  öffentliches  Amt  aus  2  Personen 
(keepers  of  the  key  or  nere  of  Scarborough),  welche  ein  eigenes  Siegel 
hatten,  Klage  stellen,  1/a  der  gesammten  Rente  aller  derjenigen,  welche  Be- 
sitzungen in  der  Stadt  hatten,  erheben  durften  und  mit  den  erhaltenen 
Geldern  gegen  Rechnungsablage  den  Damm  aufbauen  lassen  mussten. 


Achtes  CapiteL 

Mass  und  Gewicht,  Güte  der  Waaren. 


^iV  ie  eine  bestimmte  Ordnung  der  Verkehrswege,  des  Geld- 
und  Creditwesens  die  Voraussetzung  ist,  dass  der  Handel  sich 
entwickle,  so  und  noch  mehr  ist  dies  hinsichtlich  von  Mass 
und  Gewicht  der  Fall.  Der  einfache  Naturaltausch  kann  ohne 
Geld  und  Credit  gedacht  werden,  nicht  leicht  aber  ohne  Mass 
und  Gewicht.  Sie  sind  gewissermassen  mit  dem  Auftreten  des 
Menschen  gegeben,  woher  es  auch  theilweise  rühren  mag,  dass 
ihre  Einführung  von  rohen  Völkern  unmittelbar  auf  die  Gott- 
heit zurückgeführt  zu  werden  pflegt. 

Die  Aufgabe,  die  der  öffentlichen  Gewalt  mit  Bezug  auf 
das  Mass-  und  Gewichtswesen  zufällt,  ist  zu  allen  Zeiten  eine 
schwierige.  Doch  treten  die  Schwierigkeiten  auf  den  fort- 
geschrittensten Stufen  der  Volkswirtschaft  zurück ;  mit  Hilfe 
eines  zahlreichen  und  geschulten  Beamtenstandes  und  in  Folge 
der  allgemeinen  Schulbildung  gelingt  es,  derselben  Herr  zu 
werden.  Je  weiter  man  aber  zurückgeht,  um  so  grösser  wer- 
den die  Hindernisse,  auf  welche  die  Regelung  dieser  wichtigen 
Verkehrsinstrumente  stösst.  Bei  wenig  entwickelter  Volks- 
wirthschaft  sind  es  besonders  die  localen  Verschiedenheiten, 
denen  der  Kampf  gilt.  Sie  machen  eine  gründliche  Ueber- 
wachung  fast  unmöglich  und  sind  eine  Schranke  für  die  Aus- 
dehnung des  Verkehrs.  Wenn  die  Entwicklung  des  letzteren 
nicht  leiden  soll,  so  müssen  einzelne  Gebiete  mit  dem  ihnen 
durch  Sitte  und  Gewohnheit  Liebgewordenen  brechen. 

Für  das  früh -mittelalterliche  England  waren  wenige  Be- 
dingungen gegeben,  die  eine  Unificirung  des  Masses  und  Ge- 
wichtes hätten  erleichtern  können.  Ja  man  darf  wohl  be- 
haupten, dass  nicht  einmal  die  Verkehrsverhältnisse  schon  da- 
mals eine  solche  gebieterisch  verlangten;  denn  der  Handel 
war  doch  noch  vorwiegend   localer  Natur.    Es   darf  deshalb 


—    577    - 

nicht  verwandern,  wenn  die  ersten  Versuche,  das  Mass-  und 
Gewichtswesen  einheitlich  zu  regeln,  so  gut  wie  gänzlich 
scheiterten. 

Der  sächsische  König  Edgar  (959—75)  hatte  schon  ver- 
langt, dass  die  Masse  und  Gewichte,  die  in  London  und  Win- 
chester üblich  waren,  allgemein  anerkannt  würden1).  Dass 
das  ein  frommer  Wunsch  blieb,  darf  man  schon  daraus 
schliessen,  dass  keiner  der  folgenden  Könige  diese  Satzung 
ausdrücklich  erneuerte.  Knut  und  Wilhelm  der  Eroberer 
sprechen  in  ihren  Gesetzen  nur  von  der  Aufrechterhaltung 
richtiger  und  gestempelter  Masse  und  Gewichte2).  Erst 
Richard  I.  Löwenherz  machte  wieder  einen  ernstlichen  Ver- 
such, der  grossen  Verschiedenheit  zu  steuern  und  gewisse 
Masse  und  Gewichte  in  ganz  England  zur  Geltung  zu  bringen. 
Gleich  bei  seinem  Regierungsantritt  erfolgte  eine  dahin  gehende 
Proclamation 3).  Noch  grössere  Energie  wandte  er  dieser  An- 
gelegenheit acht  Jahre  später  zu.  Auf  Verlangen  und  unter 
Zustimmung  der  Grossen  und  Bischöfe  des  Reichs  erliess  er 
eine  sehr  umfangreiche,  auch  nach  andern  Richtungen  hin  in- 
teressante Verordnung,  der  eine  grundlegende  Bedeutung  bei- 
gelegt werden  darf4).    Besonders  wichtig  war,    dass   in   den 


*)  Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  193. 

*)  Schmid  a.  a.  0.    S.  275,  355,  431. 

s)  „Omnia  vero  commercia  rerum  venalium  per  totum  regnum  consti- 
luta  sunt  legaliter  et  hrefragabiliter  unius  ponderis  et  mensurae".  M. Paris, 
H;storia  minor  ed.  Madden  IL  S.  10  unterm  Jahre  1189. 

4)  Haec  est  assisa  facta  per  dominum  Ricardum  regem  Angliae  per 
petitionem  et  consilium  episcoporum  et  cunctorum  baronum  suorum  de 
mensuris  per  totum  regnum  Angliae  in  festo  Sancti  Edmundi  apud  West- 
monasterium  anno  VIII0  regoi  Ricardi  regls  Angliae.  Constitutum  est, 
quod  omnes  mensurae  totius  Angliae  sint  ejusdem  quantitatis,  tarn  de  bladis, 
quam  de  leguminibus  et  de  rebus  consimilibus,  scilicet,  una  bona  summa; 
et  haec  mensura  sit  rasa  tarn  in  civitatibus  et  burgis  quam  extra.  Mensura 
etiam  vini  et  cervisiae,  et  cunctorum  liquorum  sit  ejusdem  quantitatis  se- 
cundum  diversitatem  liquorum.  Pondera  etiam  et  librae  et  ceterae  pesiae 
sint  ejusdem  quantitatis  in  toto  regno,  secundum  diversitatem  mercaturarum. 
Mensurae  etiam  bladorum  et  liquorum,  vini  et  cervisiae,  inclaventur  in  eis 
daves,  ne  per  dolum  possint  falsaii.  Constitutum  est,  ut  lanei  panni,  ubi- 
cunque  fiant,  fiant  de  eadem  latitudme,  scilicet,  de  duabus  ulnis  infra  li- 
suras,  et  ejusdem  bonitatis  in  medio  et  in  lateribus.  Eadem  etiam  ulna 
sit  in  toto  regno  et  ejusdem  quantitatis,  et  ulna  sit  ferrea.  Prohibitum  est 
Omnibus  mercatoribus  per  totum  regnum,  ne  quis  mercator  praetendat  seldae 
suae  rubros  pannos  vel  nigros,  vel  scuta,  vel  aliqua  alia,  per  quae  visus 
emptorum  saepe  decipiuntur  ad  bonum  partium  eugendum.  Prohibitum  est 
etiam,  quod  nulla  tmctura  vendenda,  nisi  solummodo  nigra,  fiat  alicubi 
in  regno  nisi  in  civitatibus  aut  capitalibus  burgis.  Constitutum  est  etiam, 
ut  in  singulis  civitatibus  aut  burgis  quatuor  aut  sex  legales  homines  de 
ipsa  villa,  secundum  quantitatem  villae,  similiter  in  vicecomitatu ,  aut  cum 
praepositis  civitatis  aut  burgi,  si  in  manu  vicecomitis  non  fuerint,  assignentur 
ad  assisam  custodiendam  sub  hac  forma;  ut  ipsi  videant,  et  certi  sint,  quod 
omnia  vendantur  et  emantur  per  eandem  mensuram,  et  omnes  mensurae 
sint  ejusdem  quantitatis  secundum  diversitatem  mercium.    Et  si  aliquem 

ßchanz,  Engl.  Handelspolitik.     I.  37 


—    578    — 

einzelnen  Städten  und  Grafschaften  4—6  Leute  zur  Durch- 
führung und  Aufrechterhaltung  der  Assise  gewählt  werden 
sollten.  Alle  Masse  wurden  geprüft,  und  ein  Urmass  in  Lon- 
don niedergelegt l).  Obwohl  die  Verordnung  von  dem  ernst- 
lichsten Willen  zeugt,  so  hatte  sie  doch  nicht  die  gehoffte 
Wirkung.  Die  Selbstverwaltung  versagte  ihren  Dienst.  Die 
mit  der  Obercontrole  betrauten  Richter,  obwohl  wiederholt 
zum  Einschreiten  aufgefordert2),  scheuten  sich,  die  Gewohn- 
heiten des  Volkes  zu  verletzen.  Sie  verhängten  die  angeord- 
neten schweren  Strafen  nicht.  In  den  ersten  Jahren  der  Re- 
gierung Johanns  waren  die  Erlasse  des  Vorgängers  so  gut  wie 
vergessen 3). 

Inzwischen  hatte  der  Handel  Englands  etwas  grössere  Di- 
mensionen angenommen.  Käufer  und  Verkäufer  aus  den  ver- 
schiedenen Theilen  Englands  trafen  sich  häufiger  als  früher. 
Es  begann  auch  die  Periode,  in  der,  wie  wir  wissen,  die  Insel 
dem  Ausland  erschlossen  wurde.  Eine  einheitliche,  feste  Ord- 
nung des  Mass-  und  Gewichtswesens  wurde  jetzt  schon  in  vielen 
Kreisen  als  ein  wirkliches  Bedürfniss  gefühlt.  Die  Barone  und 
die  Städter  drangen  deshalb  -darauf,  dass  diese  Angelegenheit 
auch  in  der  Magna  Charta  behandelt  werde.  Es  geschah  im 
Artikel  35,  der  lautet:  „Una  mensura  vini  sit  per  totum  reg- 
num  nostrum  et  una  mensura  cervisie  et  una  mensura  bladi, 
scilicet  quartarium  Londoniense  et  una  latitudo  pannorum  tine- 
torum  et  rusettorum  et  halbergettorum,  scilicet  due  ulne  infra 
listas.  De  ponderibus  autem  sit  ut  de  mensuris."  Damit  war 
die  Einheit  von  Mass  und  Gewicht  eine  Forderung  der  engli- 
schen Verfassung  und  des  englischen  Rechts  geworden.    Bei 


in veneriiit,  qui  confessus  vel  convictus  fuerit,  quod  per  aliam  quam  per 
statutam  mensuram  vendiderit,  corpus  ipsius  capiatur,  et  in  prisonem  mit- 
tatur,  et  omnia  catalla  sua  in  manu  domini  regia  saisiantur,  nee  deliberentnr, 
nisi  per  dominum  regem  aut  capitalem  ejus  jußtitiam.  De  ipsis  custodibos 
statutum  est,  quod  si  ipsi  hanc  custodiam  ita  negligenter  fecerint,  quod  per 
alios  quam  per  eos  attenientur  coram  justitiis  domini  regia,  aliquam  traos- 
scriptam  assisam  transire,  vel  de  mensuris  victualium  vel  aliarum  mensura- 
rum,  vel  latitudine  pannorum,  ipsi  cnstodes  de  catallis  suis  in  misericordii 
domini  regia  remaneant  Praeceptum  est  etiam,  ut  post  festum  Purifica- 
tionis  Sanctae  Mariae  nullus  in  aliquo  comitatu  venaat  aliquid  nisi  per 
scriptam  mensuram,  quae  ejusdem  sit  quantitatis;  nee  post  fairam  Mediae 
Quadragesimae,  quae  erit  apnd  Stanford,  vendat  aliquem  pannum  minoris 
latitudinis  quam  duarum  ulnarum  infra  lisuras".  Roger  Hoveden,  Cronica 
ed.  W.  Stubbs  IV.  S.  88,  84.  Sieh  auch  Stnbbs,  Constitutional  history 
of  England  I.  S.  509:  575. 

1)  „tempore  regis  Ricardi  —  anno  regni  ipsius  VIII0  —  omnes  xnen- 
surae  Angliae  examinatae  fuerunt  et  faetae  concordes  et  in  Londoniis  stan- 
darda  regia  posita."    Liber  Custumarum  ed.  Riley  S.  888. 

*)  Sowohl  1194,  als  1198  ist  dieser  Punkt  in  der  Agende  der  reisen- 
den Richter  erwähnt.    Hoveden,  Cronica  ed.  Stubbs  DI.  S. 268;  IV.  S.62. 

*)  Hoveden,  Cronica  ed.  Stubbs  IV.  S.  172;  Stubbs,  Constitutional 
history  of  England  II.  S.  509. 


—    579    - 

keinem  Artikel  der  Magna  Charta  hatten  die  englischen  Kö- 
nige weniger  Grund,  gegen  die  Durchführung  sich  zu  sträuben. 
Wir  sehen  in  der  That  dieselben  bemüht,  dem  Artikel  Geltung 
zu  verschaffen. 

Von  Heinrich  in.  wird  berichtet,  dass  er  sehr  häufig  auf 
seinen  Reisen  die  Masse  und  Gewichte  prüfen,  die  falschen 
zerbrechen  und  verbrennen  Hess *).  Nicht  minder  eifrig  war 
Eduard  I.  in  der  Sache2).  In  dem  bekannten  Freibrief  von 
1303,  den  er  den  fremden  Kaufleuten  ertheilte8),  versprach 
er,  dafür  sorgen  zu  wollen,  dass  nur  ein  Mass  und  Gewicht 
in  seinen  Gebieten  geduldet  werden  solle.  Die  im  Statuten- 
buch befindliche  Mass-  und  Gewichtsordnung4),  in  welcher 
genau  die  Grösse  der  einzelnen  Masse  und  Gewichte  fest- 
gestellt ist,  wird  denn  auch  der  Regierungszeit  Eduards  I. 
und  zwar  dem  Jahre  1303  zugetheilt.  Wie  aus  dieser  Assise 
hervorgeht,  hat  man  sich  die  Einheit  von  Mass  und  Gewicht 
nicht  so  zu  denken,  als  ob  sie  innerhalb  des  Systems  bestan- 
den hätte,  nach  dieser  Richtung  liess  sie  viel  zu  wünschen 
übrig,  nicht  einmal  das  Gewicht  war  ein  einheitliches,  für 
Gewürze  z.  B.  war  das  Pfund  ein  anderes  (=  20  sh),  als  für 
andere  Waaren  (=  25  sh),  man  verstand  vielmehr  unter  der 
Einheit  von  Mass  und  Gewicht  nur  die  allgemeine  und  aus- 
schliessliche Giltigkeit  der  in  der  Assise  vorgetragenen  Masse 
and  Gewichte  im  ganzen  Königreich.  Aber  auch  das  war  nicht 
zu  erreichen.  Der  einfache  Befehl  gentigte  eben  nicht.  Es 
mussten  Massnahmen  ergriffen  werden,  welche  die  practische 
Durchführung  ermöglichten.  Ein  Anfang  dazu  wurde  von  dem 
Schatzmeister  Eduards  II.,  dem  Bischof  von  Exeter,  gemacht, 
der  wenigstens  für  die  Elle  und  den  Scheffel  Normalmasse  aus 
Erz  anfertigen  und  in  die  einzelnen  Grafschaften  schicken 
liess6).  Sein  Vorgehen  wurde  als  richtig  erkannt;  das  Parla- 
ment beschloss  unter  Eduard  III.,  dass  dies  für  alle  Masse 
und  Gewichte  geschehen  sollte,  und  verlangte  auch  die  Wieder- 
ernennung eigener  Gommissionen  zur  fortwährenden  Prüfung 
und  Ueberwachung 6).    Wie  wirksam  diese  Massregeln  waren, 


')  „Et  protinus  inde  recedens  versus  Londonias  properavit,  in  quo 
itinere  mensuras  bladi,  vini  et  cervisiae  falsitatis  arguens  quasdam  confregit 
aut  combussit  et  vasa  subsütuens  capaciora,  panem  majoris  ponderis  fieri 
et  hujus  statuti  contemptores  poena  gravi  pecuniaria  militari  praecepit" 
M.  Paris,  Historia  minor  ed.  Madden  II.  S.  299  unterm  J.  1228. 

*)  Sieh  auch  Rot  Pari.  L  S.  207. 

')  Sieh  oben  S.  892. 

4)  Statute  book  I.   S.  204,  205. 

*)  „Episcopos  Exoniensis,  thesaurarios  domini  regia,  fecit  per  omnes 
comitatus  Augliae  mensuras  concordantes  et  misit  per  singulos  comitatus 
singulas  legenas  et  bussellos  de  aere."    14  Ed.  IL   liib.  Cust  ed.  Riley 

'  "  6)  14  Ed.  IDL  st  1  c.  12;  25  Ed.  HL  st  5  c.  10;  31  Ed.  HL  st.  1 
c  2;  34  Ed.  HL  c.  6. 

37* 


—    580    — 

ersieht  man  aus  dem  Widerstände  der  Bevölkerung.  Die  un- 
teren Classen  wurden,  als  sie  sahen,  dass  man  Ernst  mache, 
unwillig,  namentlich  waren  ihnen  die  Gommissionen  verhasst, 
die  sie  beschuldigten,  dass  sie  ihre  Strafgewalt  missbrauchten1). 
Das  mag  in  einzelnen  Fällen  zugetroffen  haben,  aber  sicher 
ist,  dass  ohne  diese  Commissionen  dem  Gesetz  keine  Geltung 
verschafft  werden  konnte.  Es  war  eine  Schwäche  von  Seiten 
des  Parlaments,  dass  es  mit  Rücksicht  auf  die  eingelaufenen 
Petitionen  die  Gommissionen  wieder  abschaffte  und  zugab,  dass 
nur  nach  jedesmaliger  Klage  ein  Eingreifen  stattfinden  solle1); 
das  Gesetz  war  dadurch  ein  Messer  ohne  Klinge  geworden. 
Die  Durchführung  der  Mass-  und  Gewichtsordnung  besserte 
sich  wieder  etwas,  als  16  Jahre  später  die  Friedensrichter  mit 
derselben  betraut  wurden8);  denn  es  waren  dies  Kreispolizei- 
herrn, welche  vom  König  ernannt  wurden,  also  mit  der  nöthigen 
Energie  auftreten  konnten4),  aber  die  entgegenstehenden  Ele- 
mente ganz  zu  unterdrücken,  waren  sie  nicht  im  Stande.'  Am 
besten  wurde  noch  in  den  grossen  Städten  das  Gesetz  aufrecht 
erhalten.  Die  Stadt-  und  Marktbehörden  nahmen  hier  die 
Sache  in  die  Hand5).  Von  London  liegen  uns  eine  Menge 
Zeugnisse  vor,  aus  denen  hervorgeht,  dass  man  fortwährend 
die  Masse  und  Gewichte  controlirte 6) ;  es  kam  vor,  dass  die 
Stadtbehörde  sogar  gegenüber  der  Regierung  die  Einheit  der 
Masse  unter  Berufung  auf  die  Magna  Charta  vertreten  musste  O- 
Unter  Richard  IL  machte  man  einen  neuen  Anlauf.  Für 
Denjenigen ,  der  ein  anderes  Mass  oder  Gewicht  als  das  ge- 
setzlich festgestellte  gebrauchte,  wurde  die  Strafe  von  einem 
halben  Jahr  Gefängniss  und  doppelter  Ersatz  des  Verlustes  an 
die  geschädigte  Partei  verordnet.  Nur  die  Grafschaft  Lancaster 
durfte  ihre  bisherigen  Masse  beibehalten,  weil  dieselben  grösser 
waren,  als  alle  übrigen  im  Königreich 8).  Die  Begründung  ist 
eigentümlich  genug,  da  doch  klar  ist,  dass  dem  Vortheil  des 


*)  Rot  Pari.  IL  S.  155,  156  (18  Ed.  III). 

*)  18  Ed.  III.  st.  2  c.  4.  Ein  Jahr  zuvor  war  der  Eifer  noch  nicht 
erloschen.    Rot.  Pari.  IL  S.  141  (17  Ed.  III.). 

*)  34  Ed.  III.  c.  5;  bei  den  Weinmassen  hatte  sich  der  König  schon 
vorher  die  directe  Ueberwachung  vorbehalten.    27  Ed.  III.  st.  1  ab. 

4)  Vgl.  über  ihre  definitive  Einreihung  in  den  StaatsorganiBmas  durch 
84  Ed.  III.  c  1.    K.  Gneist,  Geschichte  des  Selfgovernment  1863  S.  178. 

*)  Vgl.  z.  B.  die  strenge  Marktpolizei  des  Bischofs  von  Winchester 
nach  dieser  Richtung.  Rot.  Pari.  I.  S.  152;  ferner  Le  domesday  de 
Gippewyz  Art.  80  bei  Twiss,  The  black  book  of  the  admlralty  II.  S.  177; 
auch  I.  S.  81  Nr.  81,  82. 

6)  Liber  Albus  ed.  Riley  S.  266.  273,  278,  355,  586  fe.  Sieh  auch 
Lib.  Gust.  ed.  Riley  S.  107,  108,  348,  382;  Man.  Gildh.  Lond.  ed. 
Riley  III.  S.  432. 

7)  Man  wollte  14  Ed.  IL  regierungsseitig  das  Biermass  grösser  machen 
als  das  Weinmass.    Lib.  Gust.  S.  382. 

8)  Rot.  Pari.  IIL  S.  270;  18  Ric.  IL  st.  1  c  9;  sieh  auch  Rot 
Pari.  in.    S.  272. 


—    581    - 

Käufers  ein  ebenso  grosser  Nachtheil  des  Verkaufers  gegen- 
über stand.  Noch  vor  Erlass  des  Gesetzes  waren  die  königl. 
Marktcommissäre  angewiesen  worden,  für  falsches  Mass  und 
.Gewicht  keine  Strafgelder  zu  erheben,  weil  sonst  nach  Zahlung 
der  Strafe  Alles  beim  Alten  bleibe,  sie  sollten  vielmehr  die 
falschen  Masse  und  Gewichte  stets  confisciren  und  unbrauchbar 
machen *). 

Auch  jetzt  wurde  der  Zustand  nicht  viel  besser.  Für 
manche  Masse  konnte  man  eine  allgemeine  Anerkennung  nicht 
durchsetzen,  der  Quartergehalt  z.  B.  blieb  über  ein  Jahrhundert 
lang  schwankend  und  unsicher  5  die  Städter  wollten  unaufhör- 
lich 9  Bushel  haben,  die  Landleute  aber  nur  8  geben 2).  Unter 
Heinrich  VI.  schrieb  man  durch  das  Gesetz  vor,  dass  jeder 
Flecken  und  jede  Stadt  zu  Jedermanns  Benützung  eine  gemeine 
Waage  und  ein  Bushelmass  halte,  und  verbot  wegen  des  da- 
mit getriebenen  Missbrauchs  die  sogenannten  Auncels  (wahr- 
scheinlich eine  Art  Schnellwaagen)8);  ausserdem  wurde  die 
Grösse  der  Weinmasse,  als  diese  immer  kleiner  wurden,  neu 
geordnet.  Ob  diese  Gesetze  allgemein  beachtet  wurden,  darf 
man  in  Anbetracht  der  unruhigen  Zeitverhältnisse  billig  be- 
zweifeln. Eduard  IV.  wich  dieser  heiklen  Frage  möglichst  aus, 
er  beschränkte  sich  darauf,  die  Fischmasse  gesetzlich  reguliren 
zu  lassen4). 

Der  Zustand,  den  der  erste  Tudor  vorfand,  war  somit  ein 
völlig  unbefriedigender.  Es  konnte  Heinrich  VII.  nicht  ent- 
gehen, dass  die  Mannigfaltigkeit  und  Ungewissheit  in  Betreff 
der  Masse  und  Gewichte  die  Entwicklung  des  Handels  störte 
und  hemmte.  Als  deshalb  die  äussere  Ruhe  im  Reich  einiger- 
massen  hergestellt  war,  und  von  Seiten  des  Unterhauses  eine 
Anregung  erfolgte,  nahm  er  diese  Angelegenheit  in  Angriff. 

Die  Commoners  hatten  in  ihrer  Bill  hervorgehoben,  dass 
die  seit  der  Magna  Charta  über  diesen  Punkt  erlassenen  Ge- 
setze alle  vergeblich  gewesen  seien.  Den  Hauptgrund  sahen 
sie  darin,  dass  die  Nonnalmasse  und  -Gewichte  zu  wenig  be- 
kannt und  zugänglich  seien6).  Die  Gemeinen  baten  deshalb 
den  König,  er  möge  auf  seine  eigenen  Kosten  Normalstücke 


*)  Rot  Pari.  III.  S.  267  (1389). 

*)  15  Ric.  II.  c.  4  (1891);  17  Ric.  II.  c.  4  (1394);  1  Hen.  V.  c  10 
(1418);  11  Hen.  VI.  c.  8  (1483);  11  Hen.  VH.  c.  4  (1495). 

*)  8  Hen.  VL  c.  5;  11  Hen.  VI.  c.  8.  Wie  aber  die  Einführung  der 
„poises  couchantz"  auch  wieder  zur  Benachtheiligung  des  Publicums  be- 
nützt wurde,  darüber  sieh  Rot.  Pari.  IV.  S.  881  (1430/31).  Die  Auncels 
hatte  übrigens  schon  Eduard  IH.  verboten.  25  Ed.  III.  st  5  c.  9;  34 
Ed.  III.  c.  5. 

4)  22  Ed.  IV.  c.  2  (1483)  bestätigt  und  erweitert  11  Hen.  VH.  c.  23 
(1495). 

6)  Die  von  Eduard  IL  und  in.  in  die  Grafschaften  geschickten  Normal- 
masse  und  -Gewichte  waren  wohl  während  der  anderthalb  hundert  Jahre 
verloren  gegangen  oder  unbrauchbar  geworden. 


—    582    — 

aus  Erz  in  gehöriger  Menge  herstellen  und  in  die  einzelnen 
Städte  und  Grafschaften  senden  lassen,  wo  sie  von  den  Be- 
hörden in  dauernde  Verwahrung  genommen  werden  sollten. 
Ferner  hielten  sie  für  noth wendig,  dass  nach  diesen  Normal- 
Stücken  die  Gewichte  und  Masse  berichtigt  und  angefertigt, 
sowie  von  der  Behörde  zum  Zeichen  ihrer  Genauigkeit  mit 
einer  Marke  versehen,  alle  nicht  markirten  aber  verboten 
werden  müssten1). 

Der  König  war  mit  all  diesen  Vorschlägen  einverstanden, 
liess  auch  wirklich  Nonnalmasse  fertigen,  hielt  aber  ihre  Ver- 
theilung  zurück,  offenbar,  weil  er  nicht  gewillt  war,  die  Kosten 
zu  tragen,  welche  das  Parlament  ihm  zugeschoben  hatte.  Im 
Jahre  1495  einigte  man  sich  deshalb  über  eine  neue  Acte,  in 
welcher  man  über  den  Kostenpunkt  mit  Stillschweigen  hinweg- 
ging, aber  bestimmte,  dass  jedes  Parlamentsmitglied  die  Normal- 
masse ausgehändigt  erhalten  und  der  Behörde  der  Stadt  oder 
des  Districts,  wo  das  Parlamentsmitglied  gewählt  worden  war, 
überbringen  müsse.  43  namentlich  aufgeführte  Städte  wurden 
verpflichtet,  die  Normalstücke  aufzubewahren.  Ausserdem  ver- 
schärfte und  ergänzte  man  einige  Theile  der  früheren  Acte'). 
Wichtig  war  namentlich  die  Bestimmung,  dass  die  Ortsbehörden 
wenigstens  zweimal  im  Jahr  alle  Masse  und  Gewichte  prüfen 
sollten. 

So  war  anscheinend  Alles  geschehen,  um  dem  wichtigen 
Reformwerk  Leben  und  Wirkung  zu  verschaffen;  doch  war  es 
von  einem  Zwischenfall  begleitet.  Die  Verwirrung  in  Betreff 
der  Masse  und  Gewichte  war  so  gross,  dass  die  Regierung 
selbst  unrichtige  Normalmasse,  namentlich  bei  den  Busheis 
und  Gallonen  hatte  zu  Grunde  legen  lassen.  Auf  die  Be- 
schwerden des  Parlaments  hin  mussten  die  mangelhaften  Stücke 
wieder  eingezogen,  zerbrochen  und  statt  ihrer  neue  ausgegeben 
werden 3). 

Natürlich  hing  der  ganze  Effect  der  Gesetze  noch  davon 
ab,  ob  wirklich  das  Normalmass  zur  Herrschaft .  gelangte. 
Manche  Stadtbehörden  sollen  es  am  gehörigen  Ernst  haben 
fehlen  lassen4),  und  die  Folge  sei  gewesen,  dass  auch  unter 
Heinrich  VII.  die  Unregelmässigkeit  nicht  ganz  beseitigt  wurde. 
Immerhin  war  ein  brauchbarer  und  ernster  Schritt  in  der 
Sache  gethan;  die  Nivellirung  war  jedenfalls  um  ein  Beträcht- 
liches vorgerückt,  und  vor  Allem  war  die  Methode  fest  be- 
gründet, nach  welcher  allein  die  vollständige  Einheit  erreicht 
werden  konnte  und  musste. 


*)  7  Hen.  VII.  c  3  (1491). 
*)  11  Hen.  VII.  c.  4. 
8)  12  Hen.  VII.  c.  5. 

*)  Hob.  Henry,  The  history  of  Great-Britain.  London  1771—9 
Bd.  Vt   S.  628. 


—    583    — 

Unter  Heinrich  VIII.  beschäftigte  sich  die  Gesetzgebung 
wenig  mehr  mit  der  Sache1);  nur  die  Weinmasse  blieben 
noch  Gegenstand  der  Aufmerksamkeit8);  man  bestätigte  aber 
eigentlich  auch  nur,  was  bereits  galt3). 


Die  mittelalterliche  Gesetzgebung  begnügte  sich  nicht  mit 
der  Regelung  der  Verkehrsmittel,  sie  nahm  auch  eine  sehr 
active  Stellung  tu.  den  in  den  Verkehr  tretenden  Waaren  selbst 
ein.  Wie  sie  richtiges  und  einheitliches  Mass  und  Gewicht 
aufrecht  zu  halten  und  durchzuführen  suchte,  so  verlangte  sie, 
dass  auch  die  Waaren  von  guter,  zuweilen  genau  bestimmter 
Qualität  und  Grösse  seien.  Bei  näherer  Betrachtung  kann  das 
nicht  auffallen. 

Sobald  das  Gewerbe  den  engen  Rahmen  der  Hausindustrie 
überschritten  hatte,  auch  nicht  mehr  vorwiegend  mit  fremdem 
Rohstoff  und  auf  unmittelbare  Bestellung  hin,  sondern  für  den 
Markt  arbeitete,  hörte  die  Waarenproduction  auf,  blose  Privat- 
angelegenheit zu  sein,  es  kam  der  öffentliche  Glaube  ins  Spiel. 
Die  Gefahr,  dass  der  durchschnittlich  noch  sehr  unerfahrene 
und  wenig  bemittelte  Consument  tibervortheilt  werde,  war  um 
so  grösser,  je  vereinzelter  noch  Tausch  und  Kauf,  je  sparsamer 
und  zufälliger  die  Versorgung  der  Märkte,  je  brutaler  der 
ganze  Verkehr  noch  waren.  Organe  der  öffentlichen  Meinung, 
welche  die  Bildung  von  Treu  und  Glauben  im  Verkehr  hätten 
befördern  können,  gab  es  noch  nicht,  der  einfachste  Weg,  eine 
betrügerische  Herstellung  der  Waaren  zu  verhindern,  war,  eine 
bestimmte  Qualität  und  Grösse  der  Marktwaaren  vorzuschreiben. 
Je  einfacher  noch  die  ganze  Technik  war,  um  so  leichter  und 
natürlicher  erschien  es,  wenn  dieProduction  weniger  fester  Typen 
befohlen  wurde.  Dazu  kam,  dass  nach. solchen  auch  das  all- 
gemeine Bedürfniss  ging;  die  Grenze  zwischen  Geld  und  Waaren 
blieb  lange  eine  flüssige,  viele  Artikel  dienten  zugleich  als 
Zahlungsmittel,  und  es  war  für  die  allmälige  Ausbildung  fester 
Werthvorstellungen  von  grösster  Bedeutung,  dass  Qualität  und 
Grössenverhältnisse  der  wichtigsten  Marktwaaren  nicht  beliebig 
und  fortwährend  geändert  wurden4).     Später  gesellten   sich 


*)  Gegen  betrügerische  Waagen  und  Gewichte  ist  ein  Theil  der  Acte 
4  Hen.  VIII.  c.  7  (1512)  gerichtet.  Gegen  betrügerische  Kohlenmasse  wurde 
34  n.  35  Hen.  VIII.  c  3  erlassen  (vgl,  auch  9  Ben.  V.  st  1.  c.  10).  Dass 
aber  auch  die  Regierung  Heinrichs  YHI.  Privatgewichte  neben  dem  gesetz- 
lichen gestattete,  ersieht  man  aus  den  Beschwerden  der  Niederländer  1545: 
vgl.  Bd.  II.  S.  301. 

«)  23  Hen.  Vin.  c.  7  und  28  Hen.  VIII.  c  15. 

»)  Für  die  Zeit  von  1275—1459  ist  auch  Lib.  Alb.  ed.  Riley  1859 
I.  S.  586—89;  886  zu  vergl.:  ferner  App.  IL  8.  432. 

*)  Sieh  hierüber  besonders  Schmoller,  Die  Strassburger  Tucher- 
und "Weberzunft  1879.    S.  870  fg. 


—    584    - 

andere  Motive  hinzu,  wie  Hebung  der  Industrie,  Stärkung 
ihrer  Leistungsfähigkeit,  Erhaltung  und  Vermehrung  des  Ex- 
ports, immer  aber  war  noch  das  andere  Moment,  der  Miss- 
brauch des  öffentlichen  Vertrauens  das  Entscheidende.  Wenn 
die  Waare  nicht  die  Qualität  und  Grösse  hatte,  die  man  all- 
gemein von  ihr  erwartete,  so  war  das  strafbarer  Betrug  und 
wurde  genau  so  angesehen,  wie  die  Benützung  von  falschem 
Gewicht  oder  die  Fälschung  von  Geld. 

Was  aber  auch  die  Ursachen  für  das  frühzeitige  Eingreifen 
in  das  fragliche  Gebiet  sein  mögen,  jedenfalls  haben  wir  es 
hier  mit  Massregeln  zu  thun,  die  nicht  ausschliesslich  vom 
Standpunkt  der  Gewerbepolitik  zu  betrachten  sind,  sondern 
die  auch  ein  handelspolitisches  Interesse  haben.  Ihre  Folgen 
mussten  notwendigerweise  den  Handel  in  günstigem  oder  un- 
günstigem Sinn  beeinflussen. 

Massgebend  für  die  Art  der  Lösung  war  aber  allerdings 
die  gewerbliche  Organisation,  wie  sie  jeweils  bestand.  Es  ist 
bekannt,  dass  das  Zunftwesen  mit  dieser  Frage  auf  das  engste 
zusammenhängt,  und  dass  die  Grundzüge  in  dieser  Hinsicht 
für  das  ganze  westliche  Europa  die  gleichen  waren,  freilich 
mit  nicht  zu  verkennenden  Unterschieden  im  Einzelnen.  Fassen 
wir  nur  die  drei  grossen  Nachbargebiete  Deutschland,  Frank- 
reich und  England  ins  Auge,  so  treten  solche  scharf  genug 
hervor. 

In  Deutschland  geht  in  Folge  der  fortschreitenden  De- 
centralisation  die  Aufsicht  über  die  Güte  der  Waaren  in  aus- 
gedehntem Masse  in  die  Hände  der  Stadtbehörden  und  in 
weiterer  Folge  in  die  der  Zünfte  über.  Doch  darf  man  sich 
hievon  keine  übertriebene  Vorstellung  machen.  Selbst  da,wo 
die  Zünfte  zur  grössten  Macht  gelangten,  blieben  sie  immer 
in  einer  gewissen  Abhängigkeit  von  der  Stadtbehörde.  Sie 
mussten  ihre  Statuten  vom  Rath  genehmigen  lassen,  konnten 
ohne  dessen  Zustimmung  in  wichtigen  Punkten  keine  gütigen 
Beschlüsse  fassen,  übten  zwar  ganz  allgemein  die  Gewerbe- 
polizei, hatten  aber  nur  selten  auch  eigenes  Gericht,  waren 
also  in  der  Controle  über  die  Güte  der  Waaren  vielfach  ein- 
geengt und  von  der  höhern  Gewalt  in  Schranken  gehalten. 
Später,  in  der  Zeit  des  aufgeklärten  Absolutismus  brachte  der 
Territorialstaat  ohnehin  die  Aufsicht  über  das  Gewerbe  und 
die  Gewerbsproducte  in  seine  Hände  *). 

In  Frankreich  behauptete  die  centrale  Gewalt  ihre  Macht; 
der  Staatsgedanke  blieb  lebendig,  die  Zünfte  bildeten  keinen 
integrirenden  Theil  der  politischen  Verfassung,  trugen  vielmehr 
nur  den  Charakter  privilegirter  Corporationen.  Sie  übten  des- 
halb  die  Gewerbepolizei  nur  als  Delegirte  ohne  gerichtliche 

*)  Hierüber  ist  jetzt  zu  vergl.  Neu  bürg,  Zunftgerichtsbarkeit  und 
Zunftverfasßong  in  der  Zeit  vom  13.  bis  16.  Jahrhundert    1880. 


—    585    — 

Selbständigkeit    Die  Aufsicht  des  Gewerbebetriebs  war  Sache 
öffentlicher  Beamten,  besonders  der  Prevöts 1). 

Die  englische  Entwicklung  unterscheidet  sich  von  der 
deutschen  und  französischen  vor  Allem  dadurch,  dass  das 
Zunftwesen  nicht  so  allgemein  in  England  verbreitet8)  und 
auch  die  Scheidung  zwischen  Stadt  und  Land  nicht  so  aus- 
geprägt war,  wie  auf  dem  Continent.  Im  Uebrigen  gleicht 
die  Stellung  der  englischen  Zünfte  mehr  der  der  französischen 
als  der  deutschen.  Die  Königs-  und  Staatsgewalt  war  im 
mittelalterlichen  England  das  beherrschende  Element.  Wohl 
setzte  ihr  im  späteren  Verlauf  das  Parlament  Schranken  und 
duldete  nicht  das  Ueberwuchern  der  Willkürherrschaft,  allein 
durch  die  Cooperation  der  Könige  mit  dem  Parlament  wurde 
das  anarchische  Auseinandergehen  vermieden.  Die  Reichs- 
polizei war  eine  selbstverständliche  Notwendigkeit;  weit  ent- 
fernt zu  zerbröckeln,  gewann  sie  noch  an  Ausdehnung  mit  dem 
Wachsthum  der  Staatsidee.  Die  Macht  der  Zünfte  blieb  des- 
halb in  England  immer  beschränkt,  die  Staatsgewalt  wachte 
sorgfältig  darüber,  dass  sie  zu  keiner  vom  Ganzen  losgelösten 
Selbständigkeit  gelangten s).  Für  die  normannische  und  spätere 
Zeit  besteht  hierüber  nicht  der  mindeste  Zweifel.  Daraus  folgt, 
dass  auch  die  Controle  über  die  Güte  der  Waaren  nicht  den 
Zünften  schlechthin  zufiel.  Der  Schwerpunkt  in  dieser  Hinsicht 
lag  vielmehr  bei  den  Communalbehörden.  Dies  war  nament- 
lich der  Fall,  solange  noch  der  locale  Verkehr  überwog.  Die 
Ortsbehörden  überwachten  als  Träger  der  öffentlichen  Gewalt 
die  Ortsgewerbe  und  griffen  ein,  wo  es  sich  nothwendig  zeigte. 
Da,  wo  Zünfte  bestanden  oder  sich  zuweilen  sogar  auf  Antrieb 
der  Behörden  bildeten,  bediente  man  sich  ihrer  Mitwirkung. 
Die  Zünfte  hafteten  gewissennassen  für  die  Durchführung  der 
Bestimmungen,  welche  die  Ortsbehörden  mit  ihrem  Beirath 
erliessen.  Die  Zünfte  erhielten  zumeist  das  Recht  der  Suche 
nach  reglementwidrig  gefertigten  Waaren  und  das  Recht  der 
Anzeige,  die  Aburtheilung  blieb  aber  fast  ausschliesslich  den 
Behörden  und  Gerichten  vorbehalten4).  Aus  sich  hatte  die 
Zunft  kein  Recht  zur  Suche,  dazu  war  ebenso  wie  zur  Existenz- 
berechtigung der  Zunft  selbst  entweder  ein  königl.  Privileg 
oder  städtische  Genehmigung  oder  besonderes  Gesetz  noth- 
wendig. 

»)  Neuburg  a.  a.  0.    S.  211. 

*)  Vgl.  in  3  Ed.  IV.  c.  4  die  Stelle:  „in  every  city,  town,  borough 
and  village,  where  any  such  craft  or  mistery  is  used  or  occapied,  where 
no  such  masters  nor  wardens  of  any  such  craft  or  mistery  De":  ferner 
Brewer,  Cal.  IV.  2735. 

»)  8ieh  z.  B.  RotParl.  IV.  S.507;  V.  S.  290,  291;  Toulmin  Smith, 
Engiish  Gilda.  S.  299  fg.;  15  Hen.  VI.  c.  6;  19  Hen.  VII.  c.  7;  22  Hea  VIII. 
c  4;  28  Hen.  VIII.  c.  5. 

')  Vgl.  hierüber  jetzt  auch  v.  Ochenkowski,  Englands  wirthschaft- 
liche  Entwicklang  im  Ausgange  des  Mittelalters  1879.    S.  81  fg. 


—    586    — 

Wir  können  darauf  verzichten,  diese  Communalaufeicht 
und  die  Mitwirkung  der  Zünfte  hiebei  im  Einzelnen  zu  ver- 
folgen. Aus  den  Urkunden,  die  über  London  publicirt  sind, 
lässt  sich  aber  ersehen,  dass  wohl  bei  jedem  Gewerbe  Vor- 
schriften, welche  die  Güte  der  Waaren  garantiren  sollten, 
existirten  und  dass  die  Aufsicht  eine  strenge  war *).  Wie  in 
London  dürfte  es  in  allen  grösseren  Städten  gewesen  sein. 
Auf  dem  Lande  und  in  denjenigen  kleineren  Städten,  in  denen 
Zünfte  fehlten,  war  dagegen  die  Gewerbeaufsicht  nur  eine  ganz 
allgemeine.  Hier  hatte  die  Reichsgesetzgebung  ergänzend  ein- 
zugreifen. Das  war  aber  auch  aus  andern  Gründen  noth- 
wendig.  Häufig  genügte  in  den  grösseren  Städten  die  Com- 
munalthätigkeit  nicht  oder  gab  zu  Klagen  Veranlassung,  oder 
es  geriethen  die  Zünfte  unter  einander  oder  mit  der  Orts- 
behörde in  Streit,  insbesondere  aber  gab  es  eine  Reihe  von 
Fällen,  in  denen  man  für  das  ganze  Königreich  einheitliche 
Nonnen  aufzustellen  für  nöthig  fand.  Dieses  unmittelbare  Ein- 
greifen der  Reichsgesetzgebung  musste  erklärlicher  Weise  im 
Laufe  der  Zeit  immer  grössere  Dimensionen  annehmen;  das 
stufenweise  Fortschreiten  von  der  localen  Wirthschaft  zur  na- 
tionalen, die  stetige  Ausdehnung  des  Handels,  die  Ausbreitung 
der  Industrie  auf  dem  Lande  stellten  der  Landesgewerbepolizei 
immer  neue  und  erweiterte  Aufgaben.  Aber  gerade  weil  die 
Reichsgesetzgebung  auf  den  ganzen  Verkehr  wirkte,  ist  sie 
besondere  wichtig,  und  für  uns  von  Interesse. 

Weitaus  am  umfassendsten  und  mannichfaltigsten  ist  die 
Thätigkeit  gewesen,  die  man  gegenüber  der  Tuchindustrie  ent- 
wickelte. Die  älteste  Verordnung,  die  wir  nach  dieser  Seite 
hin  besitzen,  reicht  bis  ins  12.  Jahrhundert,  also  in  eine  Zeit 
zurück,  wo  die  Weberei  eben  aus  der  blos  häuslichen,Frauenarbeit 
herausgewachsen  war  und  für  den  Markt  arbeitete,  und  wo  des- 
halb allenthalben2)  Vorschriften  über  die  Tücher  auftauchten. 
Im  Jahre  1197  ordnete  Richard  Löwenherz  an,  dass  alle  im 
Reich  gefeitigten  Wolltücher  2  Ellen  breit  und  in  der  Mitte 
und  an  den  Seiten  von  gleicher  Güte  sein  sollten,  ferner  dass 
nichts  mit  den  Tüchern  vorgenommen  werde,  wodurch  sie  ein 
täuschendes  Aussehen  erhielten,  endlich  dass  nur  in  den 
grösseren  Städten  die  Farben  ausser  der  schwarzen  zum  Ver- 
kauf zubereitet  werden  dürften.  Es  ist  bezeichnend  und  ganz 
mit  dem,  was  oben  über  die  Ursachen  solcher  Verordnungen 
gesagt  wurde,  zutreffend,   dass  diese  Bestimmungen  in  einem 


*)  Vergl.  z.  B.  Lib.  Alb.  ed.  Riley  S.  139,  264,  279,  316,  600  fe, 
637  fg.,  691  fg.,  733  fg.;  App.  S.  411  fg.,  441.  Lib.  Cust  ed.  Riley  L 
S.  59,  80,  83,  85,  101,  121,  127,  275  fg.,  425,  426;  Riley,  Memorials  of 
London  passim. 

*)  Schmoller,  Die  Strassburger  Tucher-  und  Weberzunft  S.  372, 873. 


—    587     — 

Erlass  sich  finden,  der  gleiches  Mass  und  Gewicht  im  König- 
reich anbefahl *).  Das  auf  Anregung  und  mit  Zustimmung  der 
Barone  erlassene  Statut  wurde  jedoch  nur  kurze  Zeit  ausge- 
führt. Als  im  Jahre  1201  die  Richter  zur  St  Botolphs  Messe 
kamen  und  die  Tücher,  die  nicht  zwei  Ellen  breit  waren,  con- 
fisciren  wollten,  setzten  die  Kaufleute  durch,  dass  die  Assise 
Richards  nicht  mehr  gehalten  zu  werden  brauchte 2). 

Man  begreift  unschwer,  weshalb  dies  so  kommen  musste. 
So  einfach  auch  noch  die  Technik  war,  so  gab  es  doch  schon 
einige  Tuchsorten,  und  es  war  entschieden  zu  weit  gegangen, 
wenn  man  für  sämmtliche  Wolltücher  eine  einzige  Breite  vor- 
schrieb. Man  war  aber  keineswegs  nun  etwa  gesonnen,  die 
Production  ganz  frei  zu  lassen.  Die  Barone  hielten  die  Frage 
für  so  wichtig,  dass  sie  derselben  in  der  Magna  Charta  eine 
Berücksichtigung  schenkten.  Man  trug  aber  jetzt  dem  Be- 
dürfhiss  des  Verkehre  mehr  Rechnung  und  verlangte  nur  für 
drei  näher  bezeichnete  Tuchsorten  die  gleiche  Breite 8).  Trotz- 
dem dürfte  auch  bei  dieser  Beschränkung  die  vorgeschriebene 
Breite  nicht  durchgedrungen  sein.  Wir  wissen  z.  B.  ganz  be- 
stimmt, dass  die  Londoner  Weber  um  1300  Tücher  machten, 
die  nur  1  Vi  Elle  breit  waren  *).  Die  Gesetzgebung  beschäftigt 
sich  überhaupt  fast  100  Jahre  nicht  mehr  mit  dem  Gegenstand. 
Um  so  eifriger  scheinen  die  Localbehörden  während  dieser 
Zeit  dafür  gesorgt  zu  haben,  dass  der  Betrug  in  der  Tuch- 
industrie möglichst  fem  gehalten  wurde.  In  den  Statuten,  die 
der  Londoner  Mayor  mit  den  Webern  und  Walkern  während 
der  Regierungszeit  Eduards  I.  vereinbarte,  waren  wenigstens 
sehr  eingehende  Bestimmungen,  welche  eine  gute  Fabrication 
sichern  sollten6). 

Aber  auch  die  oberste  Centralgewalt  verlor  die  Sache  nie 
ganz  aus  den  Augen.  Schon  um  des  Zusammenhangs  mit  dem 
fiscalischen  Interesse  willen  war  das  nicht  möglich.  Einen  Beleg 
hiefür  haben  wir  in  dem  „Statute  for  estreits  of  the  exchequer" 
vom  Jahre  18255.    Alle  Tücher,  die  zum  Verkauf  gelangten, 


*)  Sieh  oben  S.  577  N.  4. 

*)  „Eodem  anno  Hugo  Bardulfi ,  et  alii  quidam  justitiarii  regia ,  vene- 
rnnt  ad  nundinas  Sancti  Botulfi ,  volentes  capere  in  manu  regia  pannos 
laneos  qui  non  habebant  duas  ulnas  de  latitudine  infra  lisuras.  secundum 
assisam  Ricardi  regis.  Quo  audito,  mercatores  effecerunt  adversus  prae- 
dictos  justitiarios,  quod  panni  eorum  non  capiebantur,  et  quod  diutius  non 
teneret  assi&a  illa  Ricarai  regis,  neque  de  latitudine  pannorum,  neque  de 
mensoriß  bladi;  et  ut  liceat  eis  de  caetero  facere  pannos  suos  latos  vel 
strictos  sicut  eis  placuerit  Unde  praedicti  justitiarii  magnam  adepti  sunt 
pecuniam  ad  opus  regis,  in  damnum  multorum.  Vitanda  est  turpis  lucri 
causa".    Roger  de  Hoveden,  Cronica  ed.  W.  Stubbs  IV.  S.  172. 

*)  Art.  35:  —  „et  una  latitudo  pannorum  tinctorum  et  russettorum 
et  halbergettorum,  scilicet  due  ulne  infra  listas". 

4)  „Et  qe  chescun  drap  soit  de  la  leour  de  VI  quartes  de  une  aune 
dedens  la  liste".    Ordinationes  telariorum.    Lib.  Cust.  ed.  Riley  S.  126. 

*)  Lib.  Cust  ed.  Riley  S.  121  fg. 


—    588    — 

mussten  vom  kgl.  Tuchmesser  gemessen  werden,  woraus  dem 
König  eine  Einnahme  erwuchs.  Es  war  zu  natürlich,  dass  sich 
damit  eine  Art  Aufsicht  über  die  Tücher  verband.  In  der 
That  war  dem  erwähnten  Statut  zufolge  der  Warden  of  Aulnage 
angewiesen,  jährlich  an  das  Schatzamt  einen  Bericht  zu  er- 
statten, worin  alle  Fehler,  die  er  als  gegen  die  Assise  ver- 
stossend  an  den  Tüchern  im  Königreich  gefunden  hatte,  die 
Eigenthümer,  der  Preis  u.  s.  w.  angegeben  werden  mussten1). 
Daraus  kann  man  schliessen,  dass  die  fehlerhaften  Tücher  con- 
fiscirt  wurden.  Zweifelhaft  ist  aber,  welche  Assise  in  dem 
Statut  gemeint  ist 

Wir  haben  keine  Nachricht,  dass  vor  1328  auch  die  aus- 
ländischen Tücher  einer  Controle  unterworfen  wurden.  Es 
war  aber  selbstverständlich,  dass  dieselben  Gründe,  welche  für 
eine  Beaufsichtigung  der  einheimischen  Tücher  sprachen,  auch 
für  eine  solche  der  importirten  gelten  mussten.  Im  ge- 
nannten Jahre  sehen  wir  denn  auch  die  Gesetzgebung  diesen 
Weg  beschreiten.  Alle  Tücher  mussten  beim  Eintritt  ins 
Land  vom  kgl.  Tuchmesser  in  Gegenwart  der  Ortsbehörde  ge- 
messen werden,  jedes  gefärbte  Tuch  (cloth  of  colour)  sollte 
26  Ellen  lang  und  13/8  Ellen  breit,  jedes  gestreifte  Tuch  (cloth 
of  ray)  28  Ellen  lang  und  6/4  Ellen  breit  sein.  Tücher,  die 
dieser  Vorschrift  genügten,  waren  sowohl  vom  Tuchmesser  als 
von  der  Ortsbehörde  zu  markiren,  Tücher,  die  geringeres 
Mass  hatten,  fielen  dem  König  anheim2).  Ueber  die  Qualität 
ist  nichts  geäussert,  wahrscheinlich  weil  dieselbe  als  bekannt 
vorausgesetzt  werden  konnte.  Die  Acte  verlor  übrigens  ihre 
Bedeutung,  als  einige  Jahre  darauf  (1336)  Eduard  III.  den 
Versuch  machte,  das  Tragen  und  die# Einfuhr  fremder  Tücher 
ganz  zu  verbieten.  Neben  einer  Reihe  von  Massregeln,  welche 
die  Tuchindustrie  so  verbreiten  sollten,  dass  sie  das  einheimische 
Bedürfhiss  zu  befriedigen  im  Stande  sei,  gestattete  er,  die 
Tücher  im  Inlande  beliebig  lang  zu  machen8).  Das  Verbot 
der  ausländischen  Manufacte  liess  sich  nicht  aufrecht  erhalten. 
Das  Statut  über  die  Länge  und  Breite  der  Tücher  wurde  des- 
halb wieder  in  Kraft  gesetzt.  Während  aber  das  frühere  nur 
auf  die  importirten  Tücher  sich  bezog,  galt  die  neue  Acte 
überhaupt  von  Tüchern,  die  in  England  verkauft  wurden,  also 
auch  von  den  in  England  gemachten;  auch  verschärfte  man 
die  Controle,  indem  man  den  Kauf  leuten,  die  einen  Tuchmesser 
der  Nachlässigkeit  überführten,  die  Hälfte  des  mangelhaften 
Tuchs  versprach4).  Die  Folge  war,  dass  die  Kaufleute  eine 
grosse  Masse  Tuchs  verwirkten  und  den  Tuchimport  aufgaben. 


*)  Statutebook  L  S.  192. 

*)  2  Ed.  III  st  North,  c.  14. 

«)  11  Ed.  IE.  c.  2. 

*)  25  Ed.  HI.  st  3.  c.  1  (1350/51). 


—    589    — 

Da  machte  das  Parlament  einen  Vermittlungsvarschlag,  es  be- 
willigte nämlich  ausser  dem  üblichen  Messgeld  eine  besondere 
Subsidie,  die  der  Verkäufer  des  Tuchs  entrichten  musste,  wo- 
gegen der  König  auf  die  Confiscation  der  Tücher,  die  nicht 
die  vorgeschriebene  Länge  und  Breite  hatten,  verzieh  ete. 
Alles  Tuch  musste  jedoch  gemessen ,  ebenso  mit  einer  Marke 
versehen  werden,  aus  der  man  erkennen  konnte,  wie  viel  Ellen 
das  Tuch  hatte.  Man  hielt  für  nöthig  noch  hinzuzufügen, 
dass  dem  Käufer  ein  entsprechender  Preisabschlag  bewilligt 
werden  müsse,  wenn  das  Tuch  nicht  die  vorschriftsmässige 
Grösse  habe1). 

Aber  auch  mit  diesem  Zustand  war  man  nicht  lange  zu- 
frieden. Es  waren  kaum  10  Jahre  vergangen,  als  die  Gemeinen 
die  Bitte  stellten,  es  möge  das  gestreifte  Tuch  in  England  von  glei- 
cher Grösse  wie  das  Genter  Tuch  gemacht  werden2).  Diese 
Petition  war  ganz  berechtigt.  England  fing  jetzt  an,  für  den 
ausländischen  Markt  zu  arbeiten,  es  war  von  grösster  Bedeu- 
tung, dass  man  sich  an  ein  Tuchmass  anschloss,  das,  wie  es 
beim  Genter  der  Fall  war,  im  ganzen  Abendland  bekannt  war 
und  in  weiten  Kreisen  verlangt  wurde.  Die  Antwort  des  Kö- 
nigs lautete  dahin,  dass  das  hierüber  erlassene  Statut  gehalten 
und  ausgeführt  werden  solle.  Es  lässt  sich  nicht  entscheiden, 
ob  das  in  zustimmendem  oder  ablehnendem  Sinn  aufzufassen 
ist,  da  man  nicht  weiss,  ob  die  früher  verlangte  Länge  und 
Breite  der  Genter  entsprach.  Sicher  ist  nur,  dass  bald  wieder 
Klagen  laut  wurden,  weil  die  in  England  gemachten  Woll- 
tücher nicht  mehr  die  gewöhnliche  Grösse  hatten.  Man  setzte 
deshalb  wieder  ein  bestimmtes  Mass  fest,  machte  aber  ver- 
schiedene Concessionen.  Bei  dem  gefärbten  Tuch  wurde  die 
Breite  um  Vs  Elle,  und  beim  gestreiften  Tuch  wahrschein- 
lich3) —  die  Lesarten  sind  unsicher  —  um  V4  Elle  geringer 
normirt  als  früher.  Die  für  den  eigenen  Haushalt  und  die 
zum  Verkauf  an  geringe  Leute  gefeitigten  Tücher  fielen  nicht 
unter  die  Bestimmungen  des  Gesetzes,  ebenso  wurden  später 
ausdrücklich  die  aus  irischer  Wolle  gemachten  Tücher,  die 
sogenannte  „Frizeware"  von  der  Acte  und  der  Tuchmessung  aus- 
genommen. Die  fremden  vom  Ausland  importirten  Tücher  sind 
nicht  erwähnt,  offenbar  blieben  sie  vollständig  frei4). 

Die  ganze  einschlägige  Gesetzgebung  Eduards  HL  verräth 
einen  tastenden  unsicheren  Character.  Die  verschiedenen 
Interessen,  die  sich  hiebei  geltend  machten,  lagen  mit  einander 
im  Kampf.  Der  König  wollte  viel  Strafgelder,  aber  auch  viel 
Zoll  einnehmen,  die  Kaufleute  und  die  Consumenten  verlangten, 


*)  27  Ed.  UI.  Bt.  1.  c.  4  (1353). 

*)  Rot  Pari.  IL  S.  286.  Nr.  9  (1364/65). 

*)  Vgl.  auch  12  Kic.  II.  c.  14. 

4)  47  Ed.  UI.  c.  1  (1373);  50  Ed.  III.  c.  8  (1376/77). 


—    590    — 

soweit  es  sich  um  inländische  Waaren  handelte,  gutes  Tuch 
von  fest  bestimmter  Qualität  und  Grösse ,  waren  aber  unter- 
einander uneins,  soweit  es  importirtes  Tuch  betraf,  indem  ffor 
dieses  die  Kauf  leute  grössere  Freiheit  wünschten ,  die  heimi- 
schen Tuchmacher  endlich  hätten  wohl  am  liebsten  gesehen, 
wenn  ihnen  gar  keine  Vorschriften  gemacht  worden  wären. 
Diesen  verschiedenen  Interessen  gerecht  zu  werden,  war  un- 
möglich, es  trat  bald  das  eine,  bald  das  andere  mehr  in  den 
Vordergrund. 

Dasselbe  Spiel  wiederholte  sich  in  der  Folgezeit,  wie  sich 
gleich  unter  Eichard  IL  zeigte.  Die  Strömung  war  anfangs 
der  Strenge  günstig.  Man  hielt  an  dem  letzten  Gesetz  Edu- 
ards III.  fest,  zog  gegen  einen  neuaufgekommenen  Unfug,  wo- 
nach die  Tuchvei-fertiger  oder  Tuchverkäufer  verschiedene 
Tuchstücke  zusammenhefteten *),  zu  Felde,  bestrafte  die  Tuch- 
messer ,  die  ein  solches  mangelhafte  Tuch  siegelten ,  mit  Ver- 
lust des  Amtes,  versprach  den  Anklägern  den  dritten  Theil 
des  fraglichen  Tuchs  oder  Tuchwerths 2).  Als  nichts  desto- 
weniger  die  Klagen  der  Tuchexporteure  immer  heftiger  wurden, 
indem  sie  darlegten,  dass  sie  im  Ausland  Gefängniss,  Confis- 
cation  der  Tücher  erdulden  müssten,  ja  nicht  selten  ihr  Leben 
bedroht  sähen3),  schrieb  man  vor,  dass  alle  Tücher  beim 
Verkauf  geöffnet  werden  und  die  Weber  wie  Walker  ihre 
Marke  auf  die  von  ihnen  gemachten  Fabricate  setzen 
müssten4),  und  suchte  auch  das  Strecken  der  Guildforder 
Tücher  durch  die  Walker  unmöglich  zu  machen ö).  Damit  war 
gewissermassen  der  Höhepunct  erreicht,  und  es  erfolgte  die 


1)  „en  desceite  du  poeple  et  tres-grant  esclaundre  notre  dit  sr.  le 
roi,  nomement  es  parties  dela  la  mer".    Kot  Pari.  III.  S.  81. 

*)  Rot  Pari.  HI.  S.  81:  8  Ria  II  c.  2  (1879/80);  7  Ria  II.  a  9 
(1883):  12  Ric  IL  c.  14  (1388). 

*)  .Forasmuch  as  divers  piain  cloths,  that  be  wrought  in  the  coun- 
ties  of  Somerset,  Dorset,  Bristol  and  Gloucester,  be  tacked  and  folded 
together  and  set  to  sale,  of  the  which  cloths  a  great  part  be  broken, 
broused  and  not  agreeing  in  the  colour,  neither  be  accoraing  in  breadth, 
nor  in  no  manner  to  the  part  of  the  same  coths  shewed  outwards,  bat 
be  falsely  wrought  with  divers  wools,  to  the  great  deceit,  loss  and  damage 
of  the  people,  in  so  mach  that  the  merchants,  that  bny  the  same  cloths 
and  carry  them  out  of  the  realm  to  seil  to  strangers,  be  many  times  in 
danger  to  be  slain  and  sometime  imprisoned  and  put  to  fine  and  ransom 
by  the  same  estranffers,  and  their  said  cloths  burnt  or  forfeit  because  of 
the  great  deceit  and  falsehood ,  that  is  found  in  the  cloths ,  when  they  be 
untacked  and  opened  to  the  great  slander  of  the  realm"  etc.  13  Ria  IL 
st  1.  a  11;  Rot  Pari.  IIL  S.  272. 

4)  Die  Cogware  und  Kendal  Cloths,  die  9/4  Elle  breit  nur  40  d— 5  ah 
kosteten,  aus  der  schlechtesten  Wolle  gefertigt  und  nur  an  Cogmen  im 
Ausland  und  an  geringe  Leute  in  England  verkauft  wurden,  waren  von  der 
gesetzlichen  Assise  ausgenommen.  13  Ric.  IL  st  1.  c.  10  (1389/90).  Aehn- 
liche  Freilassungen  geschahen  unter  Heinrich  IV.  Rot  Pari.  HL  S.  487, 
614;  1  Hen.  IV  a  19  (1399);  9  Hen.  IV.  c.  2  (1407). 

5)  15  Ria  IL  a  10  (1391). 


—    591     — 

Reaction.  Zwei  Jahre  nach  dem  letztgenannten  Gesetz  gab 
man  die  Fabrication  frei,  jedes  beliebige  Tuchmass  wurde  ge- 
stattet, nur  sollte  kein  Tuch  zum  Verkauf  gestellt,  bevor 
der  kgl.  Tuchmesser  es  gemessen  und  gesiegelt  hatte,  und  keine 
betrügerische  Fabrication  der  Kerseys  geduldet  werden1). 
Dieser  Zustand  dauerte  10  Jahre.  Während  dieser  Zeit  ruhte 
diese  Gesetzgebung  nicht  ganz,  sie  betraf  aber  nur  unter- 
geordnete Puncte. 

Der  gemachte  Versuch,  ohne  festes  Tuchmass  und  mit  dem 
blosen  öffentlichen  Siegel  auszukommen,  schlug  fehl.  Die 
Tücher  wurden  immer  kleiner ,  die  Preise  blieben  aber  jeden- 
falls die  gleichen.  So  griff  man  denn  wieder  auf  die  von  Edu- 
ard III.  vorgeschriebenen  Grössenverhältnisse  zurück8).  Aber 
es  waren  noch  keine  zwei  Jahre  verflossen,  als  auch  dieses 
Statut  wieder  annullirt  und  die  Strafen  erlassen  wurden3). 
Zur  Begründung  dieses  auffälligen  Schrittes  ist  nichts  weiter 
angegeben,  als  dass  das  Gesetz  sehr  drückend  und  nachtheilig 
gewesen  sei.  An  der  Richtigkeit  dieser  Begründung  kann 
allerdings  nicht  gezweifelt  werden.  Denn  nicht  genug,  dass 
man  den  Tuchverfertigern  und  Tuchverkäufern  gar  keinen 
Tennin  gönnte,  bis  zu  welchem  sie  sich  dem  Gesetz  gemäss 
einrichten  konnten,  man  hatte  auch  sonst  Unbilliges  verlangt. 
Das  neu  festgesetzte  Mass  für  die  gestreiften  und  gefärbten 
Tücher  war  identisch  mit  dem  der  Acte  27  Ed.  III.  st.  1.  c.  4, 
man  wollte  also  eine  Tuchbreite  erzwingen,  die  nicht  einmal 
von  Eduard  III.  und  von  Richard  II.  später  festgehalten  wor- 
den war.  Es  wäre  weit  gefehlt,  wenn  man  glauben  wollte,  es 
habe  die  Absicht  bestanden,  nun  wieder  zu  der  früheren 
Freiheit  zurückzukehren;  im  Gegentheil,  die  Aufhebung  des 
Gesetzes  war  nur  erfolgt,  um  den  momentanen  Druck  zu  be- 
seitigen. Im  folgenden  Parlament  wurde  wieder  auf  die  Acte 
7  Hen.  IV.  c.  10  zurückgegriffen,  die  Art  seiner  Durchführung 
war  aber  verschieden.  Man  beschloss,  sämmtlichen  Tuchmes- 
sern ein  neues  Siegel  auszuhändigen.  Die  mit  dem  alten  Siegel 
versehenen  Tücher  sollten  bis  zu  einem  gewissen  Termine 
straflos  passiren.  Von  da  an  aber  sollte  das  neue  in  Anwen- 
dung kommen;  es  wurde  besonders  eingeschärft,  dass  kein 
Tuch  gefaltet  werde,  bevor  die  Tuchmesser  dasselbe  untersucht 
hätten  —  eine  Uebung,  wie  sie  im  Westen  des  Reichs  seit 
einiger  Zeit  aufgekommen  war  *).  Dass  man  entschlossen  war, 
diese  Bestimmungen  festzuhalten,  sieht  man  daraus,  dass  zwei 
Jahre  später  dieselben  in  ihrem  vollen  Inhalte  bestätigt  wur- 


l)  17  Ria  II  c.  2  (1393/94). 

*)  7  Hen.  IV  c.  10  (1405/6);  Rot  Pari.  III.  8.  598. 
»)  9  Hen.  IV.  c.  6  (1407);  Rot.  Pari  HL  S.  541,  618. 
4)  11  Hen.  IV  c.  6  (1409/10);  Rot  Pari.  HI.  S.  644. 


—    592    — 

den1).  Ob  man  aber  auch  wirklich  seine  Absicht  erreichte, 
das  ist  zweifelhaft. 

Man  sollte  meinen,  dass  bei  so  häufigem  Wechsel  und  bei 
dem  Fortbestehen  von  widersprechenden  Gesetzen  einige  Ver- 
wirrung hätte  vorhanden  sein  müssen.  In  der  That  hatten 
schon  früher  einmal  die  Verfertiger  der  gestreiften  Tücher 
hervorgehoben,  dass  man  oft  nicht  mehr  wisse,  was  eigentlich 
Rechtens  sei  *).  Im  Schatzamt  selbst  wurden  die  Gesetze  ver- 
schieden ausgelegt.  1433  musste  z.  B.  der  König  erklären, 
dass  unter  dem  in  den  Statuten  17  Ric.  II  c.  2,  7  Hen.  IV  c  10, 
11  Hen.  IV  c.  6  vorkommenden  Ausdruck  „clothesa  immer  nur 
ganze  Stücke,  sog.  „broad  clothsa  und  „broad  dozens"  zu  ver- 
stehen seien,  nicht  aber  die  „Streits".  Die  Tuchmesser  sollten 
die  letzteren  passiren  lassen,  wenn  sie  14  Ellen  lang  und  1 
Elle  breit  waren 8).  Es  ist  das  erste  Mal,  dass  uns  die  „broad 
cloths"  gegenüber  treten,  während  die  früher  so  oft  genannten 
„cloths  of  colour"  und  „cloths  of  ray"  aus  den  Statuten  ver- 
schwinden. Wahi-scheinlich  liegt  hier  nicht  eine  blose  Namens- 
änderung vor,  und  waren  wohl  die  neuen  Tücher  ungefärbt 
und  breiter  als  die  früher  üblichen,  so  dass  sie  in  Folge  eines 
doppelten  Gegensatzes  breite  Tücher  hiessen.  Die  „broad 
cloths"  waren  von  nun  an  die  wichtigste  Tuchsorte  im  Ver- 
kehr. Wodurch  diese  Aenderung  veranlasst  wurde,  wissen  wir 
nicht.  Einigen  Einfluss  dürfte  jedoch  das  Aufkommen  der 
„streitsa  gehabt  haben;  diese  waren  1  Elle  breit,  es  war  ganz 
natürlich,  dass  der  Verkehr  nun  wünschte,  die  „broad  cloths* 
möchten,  wie  sie  doppelte  Länge  hätten,  auch  doppelte  Breite 
haben.  Wir  sehen  denn  auch  bald  darauf  die  Gesetzgebung 
diesen  Standpunct  einnehmen. 

50  Jahre  lang  ruhte  dieselbe,  soweit  es  sich  um  die  Tücher 
handelte,  fast  ganz,  mit  erneuter  Energie  wandte  sie  sich 
unter  Eduard  IV.  der  Angelegenheit  zu.  Die  Veranlassung 
hiezu  soll  wieder  der  schlechte  Ruf  der  englischen  Tücher 
im  Ausland  und  die  wachsende  Einfuhr  aus  andern  Ländern 
gewesen  sein 4).    Für  einzelne  Tuchsorten  mochte  dieser  letzte 


*)  13  Hen.  IV  c.  4  (1411). 

8)  Rot.  Pari.  III.  8.  664:  sieh  auch  ebenda  S.  254. 

a)  11  Hen.  VI  c.  9  (1433). 

4)  In  der  Petition  der  Gemeinen  heisst  es :  „in  the  time  of  anncien 
prosperitee  of  the  reame  of  Englond ,  —  the  ferne  of  renommy  of  the  iio- 
nour  and  pollicie  therof  reched  into  all  cristen  londes,  sechyng  and  desnyng 
the  commodite  therof;  the  makyng  of  cloth  of  the  woiles  of  the  growyng 
of  the  seid  reame,  and  the  ordre  and  conveyaunce  therof  in  the  labour  of 
every  man  and  woman  required  to  the  seid  makyng  was  of  auch  trouth, 
fynesse  and  parfitnesse,  that  the  seid  cloth  excelled  the  cloth  of  enyother 
region  or  cuntre  and  was  desired  and  caried  into  all  reames  of  Cristen- 
dome;  by  the  which  mpkyng  every  man  and  woman  of  reeonable  age  un- 
occupied  desired  to  be  put,  and  were  put  unto  labour  of  some  membre  of 
the  seid  makyng;  wherbv  ydelnes  and  the  braunches  of  mvBgovernannce, 
riot  and  vices  growyng  fro  it  were  hated  rebuked  and  exilea.    And  irhere 


—    593    — 

Grund  zutreffen,  für  die  gesainmte  Tuchmenge  dürfte  die  Rich- 
tigkeit bezweifelt  werden;  denn  gerade  damals  beschwerten 
sich  die  niederländischen  Tuchmacher  bitter  über  die  eng- 
lische Concurrenz.  Wie  dem  aber  auch  sei,  jedenfalls  muss 
man  in  den  neuen  Parlamentsacten  eine  wesentliche  Fortbil- 
dung der  bisherigen  Gesetze  erkennen. 

Nach  der  von  dem  Parlament  1463  vorgelegten  Bill  sollten 
die  Broad  Cloths  24  Ellen  und  24  Zoll  lang  und  2  oder  wenig- 
stenz  l3/4  Ellen  breit  sein,  die  Streits  die  halbe  Länge  und 
Breite  haben  und  die  Kerseys  18  Ellen  und  18  Zoll  lang  und 
1  Elle  2 V4  Zoll  oder  wenigstens  1  Elle  breit  sein.  Die  Länge 
bezog  sich  auf  die  Tücher  in  nassem  Zustand,  sie  erfuhr  gegen 
früher  keine  Veränderung,  da  die  frühere  Länge  von  28  Ellen 
von  trocknen  Tüchern  galt *) ;  die  Breite  dagegen  war  grösser 
geworden.  Die  Vermischung  mit  Baumwolle,  Flocken,  Talg, 
Kork  wurde  gänzlich  untersagt.  Aenderungen  des  Musters 
und  der  Webungsart  oder  sonstige  Unregelmässigkeiten  mitten 
im  Stück,  zu  kleines  Mass  sollten  durch  ein  eigenes  an  der 
Anfangsstelle  angebrachtes  Bleisiegel  kenntlich  gemacht,  Tücher 
aber,  die  in  Grösse  und  Qualität  untadelhaft  waren,  mit  einem 
andern  Bleisiegel  versehen  werden.  Jedes  Tuch  musste  am 
Ende  eine  Ursprungsmarke  haben.  Das  Parlament  ver- 
langte femer,  dass  fortan  mit  der  Untersuchung  und  Aus- 
messung der  Tücher  nur  Leute,  die  im  Tuchmachen  Erfahrung 
hätten  und  in  der  Grafschaft  wohnten,  nicht  aber  Edelleute, 
Juristen,  Gerichtsbeamte,  kgl.  Diener  oder  Fremde  betraut 
würden.  Das  Amt  sollte  nicht  verpachtet  werden,  sondern  die 
Inspectoren  waren  zu  besolden.  Gleichzeitig  wurden  Bestim- 
mungen gegen  das  Trucksystem,  gegen  das  betrügerische  Zu- 
gegen von  Rohstoff  an  die  Arbeiter  getroffen2),  die  Einfuhr 
fremden  Wolltuchs,  die  Verwendung  von  Krämpeln  (cardes) 
statt  Karden  (tasseis)  beim  Walken  und  die  Walkmühlen  sollten 
untersagt  werden 8).  Diese  Bill  wurde  übrigens  in  der  nächsten 
Parlamentssession  zurückgenommen  und  durch  eine  andere  er- 
setzt.    Das  neue  Gesetz  war  in  der  Hauptsache  mit  dem 


many  yeres  it  hath  been,  and  in  thees  dayes  it  is  soo,  that  the  makyng  of 
cloth  and  the  membres  and  reqnisites  therunto  have  and  be  of  such  fraude, 
deceyte  and  untrouth  that  in  other  londes  it  is  not  oonly  had  and  reputed 
miworthy,  bat  also  brent  to  the  grete  rebuke  of  the  seid  reame;  and  by 
th'occasion  therof  the  cloth  of  other  straunffe  londes  been  brought  in  grete 
quantite  into  the  same  reame  and  there  sold  of  high  and  excessive  price; 
shewyng  clerely  th'offence,  detaute  and  untrouth  in  makyng  of  cloth  of 
the  seid  wolle,  the  speciall  cause  and  grounde  of  the  grete  ydelnes  and 
of  the  myschief  therof  nowe  reignyng  in  the  seid  reame".  Rot.  Pari. 
V.  S.  501. 

*)  „au  fyne  qe  l'une  drape  et  Pautre  entier  ewe  et  tondue  seroit  en 
longure  de  XXIV  aulnes".    7  Hen.  IV  c.  10. 

*)  Sieh  oben  S.  447. 

3)Rot  Pari.  V.  S.  501  fg. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  38 


-     594    — 

früheren  identisch,  enthielt  aber  im  Einzelnen  mancherlei  zum 
Theil  abschwächende  Modificationen,  Das  Verbot  der  Walk- 
mühlen wurde  fallen  gelassen,  die  Strafe  für  Vermischung  des 
Tuchs  mit  Baumwolle,  Flocken,  Talg,  Kork  gemildert,  an  Stelle 
der  Confiscation  trat  eine  Geldstrafe  von  20  sh;  man  gestattete 
Tücher  aus  reiner  Baumwolle  zu  machen,  und  Kork  beim 
Färben  zu  benutzen.  Tücher,  die  mehr  als  die  vorschrifts- 
mässige  Länge  hatten,  sollten  ebenso  durch  Siegel  kenntlich 
gemacht  werden,  als  die  zu  kleinen.  Die  Uebertragung  des  Tuch- 
messeramtes wurde  an  keine  schwierigen  Bedingungen  geknüpft, 
der  Schatzmeister  sollte  dasselbe  Jedem  verleihen  können,  der 
ihm  passend  schien ,  wofern  er  nur  kein  Fremder  war.  Die 
Strafe  für  Nachlässigkeit  des  Tuchmessers  wurde  von  10  £ 
auf  1  l£  herabgesetzt,  endlich  die  Bestimmungen  über  das 
Anzeige-  und  Gerichtsverfahren  in  Betreff  nicht  vorschrifts- 
mässig  gezahlter  Löhne  klarer  und  schärfer  gefasst1). 

Die  Hauptrichtung  dieser  Gesetzgebung  ist  klar.  Man 
stellte  eine  Normalgrösse  als  Richtschnur  auf,  erzwang  sie  aber 
nicht,  sorgte  nur  dafür,  dass  die  Abweichungen  sofort  ersicht- 
lich wurden.  Ebenso  geschah  es  mit  Rücksicht  auf  die  Qualität 
Es  war  ein  durchaus  richtiger  Weg  eingeschlagen.  Wie  sehr 
man  bestrebt  war,  der  Industrie  soweit  thunlich  entgegenzu- 
kommen, sieht  man  daraus,  dass  einigen  Hundertschaften  in 
Devonshire  auch  das  Einsetzen  von  Flocken  gestattet  wurde, 
als  sie  darlegten,  dass  die  bei  ihnen  erzeugte  Wolle  so  rauh 
sei,  dass  sie  ohne  dieses  Hilfsmittel  gar  nicht  Tücher  her- 
stellen könnten8). 

Mit  dem  neuen  Modus  waren,  wie  es  scheint,  alle  Bethei- 
ligte zufrieden ,  ausgenommen  der  König.  Seine  Einnahmen 
aus  dem  Tuchmesseramt  waren  geringer  als  zu  irgend  einer 
Zeit  vor  der  Acte,  und  man  musste  gestatten,  dass  er  das 
Ausmessungsamt  wieder  verpachtete  und  das  Bleisiegel  ausser- 
halb Londons  und  Bristols  durch  zwei  billigere  aber  leichter 
zu  fälschende  Wachssiegel  ersetzte3). 

Die  grosse  Acte  4  Ed.  IV  c.  1  umfasste  nicht  alle,  son- 
dern nur  3  Tuchsorten.  Im  Jahre  1468  wurde  auch  eine  Re- 
gelung der  „sett  cloths"  vorgenommen  und  zwar  auf  Ansuchen 
der  Weber  in  den  Grafschaften  Norfolk,  Suffolk  und  Essex 
selbst.  Sie  legten  dar,  dass  ihre  Industriebranche  sehr  dar- 
niederliege, weil  einige  Tuchmacher  die  genannten  Tücher  von 
kleinerer  Länge  und  Breite  und  geringerem  Gewichte  machten 
als  bisher.  Der  Absatz  ins  Ausland  habe  sehr  abgenommen, 
5—6000  Personen    seien  beschäftigungslos.     Ihrer  Bitte  ent- 


*)  4  Ed.  IV  c.  1  (1464/65);  Rot.  Pari.  V.  S.  561  fg. 
■)  7  Ed.  IV  c.  1  (1467). 

8)  17  Ed.  IV  c.  5;  Rot  Pari.  VI.  S.  190.    Vgl.  auch  Rot.  ParL 
III.  S.  496.  541;  4  Hen.  IV  c.  23;  17  Ric.  II  c.  5. 


—    595    — 

sprechend  wurde  das  früher  übliche  Grössenverhältniss  und 
Gewicht  fixirt,  und  der  kgl.  Tuchmesser  angewiesen,  nur  die 
vollkommenen  Tücher  mit  einem  Wachssiegel  zu  versehen1). 

Ganz  selbständig  geordnet  war  die  Controle  über  die 
Worsteds,  die  ebenfalls  in  der  Grafschaft  Norfolk  verfertigt 
wurden.  Es  wird  ihrer  schon  1328  in  den  Rot.  Pari,  gedacht. 
Die  königl.  Beamten  wollten  diese  Tücher  dem  Statut  von 
Northampton  unterwerfen,  während  sie  doch  nur  in  einer 
Grösse  von  8—9  Ellen  verfertigt  wurden,  man  musste  denn 
auch  die  Anwendung  der  Assise  auf  dieselben  aufgeben  *).  Die 
Worsteds  waren  nun  aber  ein  wichtiger  Exportartikel,  und  man 
musste  darauf  bedacht  sein,  dass  dieser  Export  nicht  durch 
die  Gewinnsucht  Einzelner  verloren  gehe3).  Diese  Gefahr  lag 
aber  sehr  nahe,  weil  die  Industrie  nicht  blos  auf  die  Stadt  Norwich 
beschränkt,  sondern  in  der  ganzen  Grafschaft  Norfolk  verbreitet 
war.  Unter  Heiniich  IV.  wurden  die  ersten  Klagen  laut.  Er 
tibertrug  1410  der  Stadtbehörde  von  Norwich  das  Recht  der 
Controle  in  der  ganzen  Grafschaft  auf  10  Jahre.  Dieselbe 
hatte  alle  Tücher  zu  prüfen,  und  nur  die  von  ihr  gesiegelten 
sollten  zum  Verkauf  gestellt  werden.  Dieser  Modus  wurde 
augenscheinlich  nicht  wieder  erneuert.  Die  Grafschaftsweber 
waren  eifersüchtig  und  fühlten  sich  durch  die  städtische  Ober- 
aufsicht verletzt.  1442  versuchte  man  deshalb  eine  andere 
Organisation,  die  Weber  der  Stadt  Norwich  sollten  vier  War- 
deine aus  ihrer  Mitte  wählen  und  noch  zwei  Grafschaftsweber 
sich  beigesellen.  Diesen  sechs  wurde  die  Aufsicht  übertragen 
und  die  Hälfte  der  Bussen  versprochen.  Sie  hatten  aber  nur 
polizeiliche  Vollmachten,  die  gerichtliche  Verhandlung  und  Ent- 
scheidung stand  in  der  Stadt  dem  Mayor,  auf  dem  Lande  der 
Friedensrichtern  zu4).    Aber  auch  damit  waren  die  Grafschafts- 


*)  Ein  „broad  sett  cloth"  sollte  28  Ellen  28  Zoll  lang,  V«  Ellen  breit 
sein  und  38  Pfand  wiegen,  das  „streit  sett  cloth"  eine  Länge  von  14  EUen 
14  Zoll,  eine  Breite  von  7/8  Ellen  und  ein  Gewicht  von  91/»  Pfund  haben. 
8  Ed.  rV  c.  1  (1468). 

«)  Rot  Pari.  IL  S.  28,  204,  409. 

8)  „Lesquelles  worstedes  —  sount  —  disseyvablement  faitz  —  en 
graund  esclaundre  et  arerisment  si  bien  de  les  loialx  merchauntz  de  la  dit 
citee  et  de  la  paiis  envyron,  come  a  grand  damage  des  seigneurs,  gentielx 
et  autres  gentz  qaeconqes  de  la  roiaulme,  qi  soloient  achatier  worstedes 
pour  lonr  oeps  et  en  overt  destruction  des  marchantz  qi  passent  ovec  les 
worstedes  suis  ditz  devers  Flaundres,  Selond  et  autres  diverses  lieux  par 
dela.,  Si  qe  les  merhcauntz  aliens  sount  en  purpos  de  faire  serchier  et 
alner  toutz  les  worstedes  venantz  de  par  dela  et  Celles  qi  sont  trovez  de- 
fectyfs  de  forfaire,  et  outrement  ordeigner  horribles  et  esclaundreus  peyns 
as  vendours  des  ditz  worstedes ,  qi  serroit  graund  esclaundre  et  reprof  a 
la  roiaume,  si  bien  come  a  la  dite  citee,  et  a  la  countee  de  Norffolk  et 
final  destruction  des  merchauntz  come  a  la  dite  citee,  qi  ne  usent  autres 
merchandise  en  substance,  forsqe  soulement  les  ditz  worstedes".  Bot. 
Pari.  III.  S.  637  (1410). 

4)  20  Hen.  VI  c.  10;  Rot  Pari.  V.  S.  60.  In  der  Petition  ist 
wieder   auf  den  Export  hingewiesen:    „worsted  was  somtyme  faire  mer- 


—    596    — 

weber  noch  nicht  zufrieden  gestellt.  Sie  verlangten  und  er- 
hielten gleiches  Recht  wie  die  Stadtweber,  sie  wählten  also 
ihre  eigenen  Vertreter  und  zwar  vier.  Die  acht  Wardeine  zu- 
sammen durften  Verordnungen  machen,  welche  jedoch  erst  der 
Regierung  zur  Genehmigung  vorzulegen  waren,  und  hatten  die 
Befugniss,  auch  in  Suffolk  nach  Norfolker  Manufacten  zu  forschen. 
Jeder  Verfertiger  von  Worsteds  war  verpflichtet,  seine  Marke 
einzuweben 1).  Das  Gesetz  hatte  nur  eine  Giltigkeitsdauer  von 
drei  Jahren,  es  scheint  aber,  dass  die  neue  Organisation  einen 
befriedigenden  Erfolg  hatte  und  deshalb  entweder  stillschwei- 
gend oder  mit  königl.  Licenz  auch  nach  dem  Erlöschen  des 
Gesetzes  geduldet  wurde.  Denn  Eduard  IV.  knüpfte  unmittel- 
bar an  dieselbe  an.  Die  acht  von  den  Webern  gewählten 
Wardeine  erhielten  ein  ziemlich  unbeschränktes  Verordnungs- 
recht und  die  Befugniss  der  Controle  auch  für  Cambridge.  Sie 
nrussten  in  Norwich  und  an  ein  oder  zwei  Plätzen  der  Graf- 
schaft an  gewissen  Tagen  die  Untersuchung  der  gebrachten 
Worsteds  vornehmen  und  die  gut  befundenen  mit  einer  Marke 
versehen.  Der  Verkauf  unmarkirter  Tücher  war  verboten. 
Ihre  Vereidigung  geschah  durch  den  Bürgermeister  von  Nor- 
wich und  den  Steward  of  the  Duchy  of  Lancaster.  Von  den 
letzteren  wurde  auch  das  Gericht  geübt,  sie  mussten  aber 
sechs  Stadt-  und  sechs  Grafschaftsweber  zuziehen.  Der  Major 
oder  Steward  konnte  diese  12  Beisitzer  auch  jederzeit  ver- 
wenden, um  wieder  die  acht  Wardeine  sowohl  in  ihrer  Amts- 
thätigkeit  als  in  ihrem  eigenen  Geschäft  zu  controliren  *). 

So  sehen  wir  die  Regierung  Eduards  IV.  nach  allen  Seiten 
hin  bemüht,  der  englischen  Tuchindustrie  ihren  guten  Ruf  zu 
erhalten,  unter  weiser  Abwägung  aller  ins  Spiel  kommenden 
Interessen.  Vielen  schien  die  Gesetzgebung  nicht  streng  genug, 
und  unstreitig  wurde  es  immer  schwieriger,  die  schlechten  Ele- 
mente zu  zügeln.  Um  diese  Zeit  nahm,  wie  schon  früher  dar- 
gethan  wurde,  die  Tuchmacherei  einen  neuen  Charakter  an. 
Sie  trat  aus  den  bescheidenen  Grenzen  mehr  und  mehr  heraus, 
der  Export  war  in  stetem  Wachsen.  Neue  Zwischenglieder 
schoben  sich  in  die  Production  ein,  die  Arbeitsteilung  ward 
ausgedehnter,  und  damit  auch  die  Zahl  der  Geschäfte  und 
Personen,  welche  das  Tuch  fälschen  konnten,  grösser.  Es  ist 
nicht  zu  verwundern,  wenn  nach  verhältnissmässig  kurzer  Zeit 
die  Klagen  über  die  betrügerischen  Manipulationen  wieder  lauter 
denn  je  wogten.  Namentlich  waren  die  Londoner,  in  deren 
Händen  der  Hauptexport  lag,  für  eine  grössere  Strenge  ein- 


chandise  and  greetly  desired  and  loved  in  the  parties  beyonde  the  see» 
nowe  because  it  is  of  untrue  stuffe,  no  man  setteth  therby,  which  is  greet 
härme  and  prejudice  unto  your  true  liege  people". 

J)  23  Hen.  VI  c.  3;  Kot.  Pari.  V.  S.  105  (1444).  Auch  dieses  Ge- 
setz hatte  eine  Gültigkeitsdauer  von  3  Jahren. 

8)  7  Ed.  IV.  c.  1;  Rot.  Pari.  V.  S.  619  (1467/68). 


—    597    — 

genommen ,  aber  auch  die  fremden  Kauf leute,  wie  die  Hansen 1) 
und  Italiener  *),  beschwerten  sich  und  übten  Repressalien. 
Richard  III.  schenkte  diesen  Stimmen  Gehör.  Wohl  haupt- 
sächlich um  den  Kaufleuten  zu  gefallen,  und  unter  ihrem  Bei- 
rath  erliess  er  eine  Acte,  die  an  Strenge  die  bisherigen  über- 
traf. Die  Tuchmasse  der  Acte  4  Ed.  IV.  c.  1  wurden  mit 
geringen  Veränderungen  beibehalten,  aber  sie  galten  nicht 
mehr  blos  als  Normalmasse,  von  denen  auch  abgewichen  wer- 
den konnte,  sondern  ihre  Beobachtung  wurde  stricte  anbefohlen. 
Jedes  Tuch  sollte  fortan  zwei  Bleisiegel  erhalten,  das  eine 
musste  die  Grafschaft,  das  andere  den  Ort  der  Production  be- 
zeichnen. Kein  Tuch  sollte  geschoren,  exportirt  oder  im  Detail 
verkauft  werden,  das  nicht  genetzt  war.  Das  Strecken  von 
genetztem  Tuch  wurde  verboten.  Niemand  durfte  im  eigenen 
Haus  eine  Spannvorrichtung  haben,  solche  sollten  nur  auf 
offenen  Plätzen  aufgestellt  werden,  damit  die  Stadtbehörden 
leicht  die  Controle  üben  konnten.  Kalk  durfte  nicht  benützt 
werden,  um  die  Tücher  weiss  zu  machen,  alle  betrügerischen 
Vermischungen  mussten  unterbleiben.  Gewisse  Farbmaterialien 
und  der  Verkauf  der  mit  ihnen  gefärbten  Tücher  wurde  ver- 
boten. Tuch  und  Saum  mussten  mit  derselben  Farbe  gefärbt 
sein.  Den  Fremden  wurde  untersagt,  die  Wolle,  die  sie  zum 
Export  zu  kaufen  gedachten,  auszulesen.  Auf  die  Umgehung 
dieser  Bestimmungeu  waren  schwere  Strafen,  meist  die  Confis- 
cation  der  Tücher  gesetzt8). 

Wohl  jammerten  die  Tuchindustriellen  und  erklärten,  es 
sei  ganz  unmöglich,  dem  Gesetz  in  allen  Stücken  nachzukom- 
men ,  sie  mussten  unter  den  Strafen  erliegen ;  aber  lange  ver- 
geblich. Erst  im  zwölften  Jahre  seiner  Regierung  dispensirte 
Heinrich  VII.  von  der  Anwendung  der  Strafen4).  Aber  auch 
das  geschah  nur  bis  zum  nächsten  Parlament.  Wir  wissen 
nicht,  ob  die  Einsicht,  dass  ohne  das  Gesetz  nicht  auszukom- 
men sei,  oder  die  Habsucht  des  Königs  bewirkten,  dass  er  die 
Acte  nicht  dauernd  aufhob.  Es  war  einer  der  ersten  gesetz- 
geberischen Acte  Heinrichs  Vni.,  die  Strafen  des  mehrerwähnten 
Richard'schen  Statuts  wieder  für  unanwendbar  zu  erklären5). 
Eine  völlige  Lücke  sollte  aber  nicht  eintreten.  Das  wäre  in 
der  That  gefährlich  gewesen;  denn  gerade  während  Hein- 
richs VHL  Regierung  begannen  „die  Tuchmacher  mehr  darauf 
zu  denken,  wie  man  viele,  als  wie  man  gute  Tücher  mache4* 6). 


*)  Vgl  Urk.  Beil.  82,  §  27. 

*)  Sieh  oben  S.  132. 

*)  1  Ria  m  c.  8  (1483/84). 

«)  12  Hen.  VII  c.  4  (1496/97). 

*)  1  Hen.  VIII  c  2  (1509/10). 

*)  Der  Satz  „they  stnddye  rather  to  make  manye  then  to  make  goed 
cLothes"  in  5—6  Ed.  VI  c.  6  gilt  schon  für  die  Zeit  Heinrichs  VIII.  Sieh 
Bd.  IL  S.  86  fg. 


—     598    — 

Die  Ueberzeugung ,  dass  im  Interesse  des  Gemeinwohles  die 
Industrie  nicht  sich  selbst  überlassen  werden  dürfe,  scheint 
auch  ganz  allgemein  gewesen  zu  sein.  Man  kann  dies  unter 
Anderem  auch  aus  der  Schrift  des  durch  seine  während  Hein- 
richs VII.  Regierung  verübten  Erpressungen  bekannten  Edmund 
Dudley  schliessen,  welche  derselbe  vor  seiner  Hinrichtung 
schrieb,  und  die  für  Heinrich  VIII.  bestimmt  gewesen  sein 
soll ').  Die  Regierung  legte  denn  auch  dem  1512  neugewäblten 
Parlament  einen  Gesetzentwurf  vor,  der  der  betrügerischen 
Fabrication  zu  steuern  suchte.  Von  der  Abgabe  der  Wolle  an 
den  Spinner  bis  zum  Verkauf  des  Tuches  verfolgte  und  verpönte 
man  die  üblichen  Unterschlagungen  und  Betrügereien.  Nament- 
lich war  die  Acte  gegen  das  Strecken  der  Tücher  gerichtet, 
das,  wie  schon  aus  dem  Rieh  ardsehen  Gesetze  zu  ersehen  ist, 
allgemein  verbreitet  war.  Es  sollte  deshalb  kein  Tuchmacher 
Tuch  verkaufen  dürfen ,  das  mehr  als  eine  Elle  in  der  Länge 
und  ein  Viertel  in  der  Breite  zusammenschrumpfte,  wenn  es 
genetzt  wurde.  Den  Tuchkäufern  war  das  Strecken  ausser 
zur  Prüfung  verboten,  über  die  See  durfte  kein  gestrecktes 
Tuch  geschickt  werden.  Gefärbte  Wolle  und  gefärbte  wollene 
Garne,  bei  denen  ein  Betrug  leicht  möglich  war,  durften  nur 


*)  —  „the  commodities  of  this  noble  realme  be  soe  noble  and  with 
tbat  soe  plenteous  yt  they  canot  be  spended  or  all  employed  within  the 
same,  bat  necessarilie,  there  mäste  be  entercourse  betwene  this  realme  and 
outward  partes  for  the  atteraunce  thereof  and  speciallie  for  the  wooll  and 
cloth.  tonne  and  leade,  feil  and  hide,  besides  divers  other  commodities, 
that  doth  greate  ease  to  the  subiectis.  Howbeit  I  feare  that  the  best  com- 
modities of  this  realme  be  so  xnuch  appared  by  subtiltie  and  falshoode, 
that  they  be  not  reputed,  esteemed  or  soe  mach  made  of  as  they  hare 
bene.  First  the  woolls  of  this  realme  be  not  soe  well  ordered  in  the  gro- 
wers  handes  as  they  have  bene,  bat  for  lacke  of  good  order  they  be  mach 
impared  in  fynenes,  that  when  it  commeth  to  the  handes  of  the  merchantis, 
by*  them  ana  theire  packers  it  is  subtillie  appared  and  altered.  In  lue 
wise  the  clothes  of  this  realme,  what  by  untrue  making  and  what  by  the 
ßubtdll  demeanour  in  the  handes  of  thadventurers  and  merchantis,  they  be 
little  sett  by  in  all  outward  partes,  not  onlie  to  the  greate  preiudice  of 
the  kinge  and  hü  subiectis,  but  alsoe  to  the  infamy  and  reboke  of  people 
of  this  realme,  I  doubte  me  there  is  like  crafte  and  subtiltie  used  in  lead 
and  other  commodities  of  this  realme.  But  I  praie  god,  it  maye  be  put 
in  the  minde  of  our  soverayne  lorde  to  commaunde  his  councell  with  such 
wise  and  expert  men  as  they  will  call  unto  them  to  take  some  Studie  and 
paine  for  the  reformacion  hereof  and  that  betymes,  least  other  euntries 
take  all  the  practice  of  our  commodities  from  üb  and  then  percase  it  will 
be  past  remeaie.  And  for  reformacion  hereof  the  reward  of  our  soyerayne 
lord  shalbe  merit  honour  and  profit.  Howe  great  merit  shall  it  be  to  von 
to  reduce  those  falsenes  to  truthesl  Howe  mach  shalbe  your  honour,  that 
by  your  Studie  and  polUcy  the  commodities  of  your  realme  shalbe  in  as 
gooa  reputacion  as  they  have  bene  in  old  timel  What  larg  profitis  and 
customes  by  reason  hereof  and  otherwise  shall  growe  to  the  kinge  by 
greate  entercourse,  that  will  ensue  therebiel"  Edmonde  Dudlay,  Thetree 
of  common  wealth.  Now  first  printed  from  a  copy  of  his  Ms.  for  the 
brotherhood  of  the  Rossy  Cross.    Manchester  1859.    S.  21—28. 


—    599    — 

auf  offenem  Markte  gekauft  werden *).  In  der  nächsten  Par- 
lamentssession wurden  die  White  Streits  der  Grafschaft  Devon- 
shire  einer  Neuregelung  unterworfen.  Jeder  Verfertiger  musste 
auf  das  von  ihm  gemachte  Tuch  wieder  seine  Marke  setzen 
und  jedes  zum  Verkauf  ausgestellte  Stück  sollte  lVs  Elle  breit 
und  15  Ellen  lang  sein2). 

Ferner  gaben  die  Worsteds  wieder  Anlass  zum  Eingreifen. 
Wir  haben  oben  gesehen,  wie  die  Aufsicht  und  Vermessung 
derselben  den  königl.  Inspectoren  entrückt  war,  und  wie  in 
der  Grafschaft  Norfolk  die  Controle  durch  die  Worstedsweber 
selbst  geübt  wurde.  Nur  die  Norwicher  Worsteds -Scheerer 
waren  unzufrieden ;  sie  erklärten,  dass  das  Scheeren  von  vielen 
ungelernten  und  unkundigen  Leuten  getrieben  werde,  woraus 
der  Worstedsmanufactur  der  Ruin  drohe.  Sie  verlangten,  dass 
nur  solche,  die  eine  siebenjährige  Lehrzeit  hinter  sich  hätten 
oder  ihre  Geschicklichkeit  vor  den  Scheermeistern  und  dem 
Bürgermeister  darthäten,  selbständig  das  Handwerk  ausübten, 
dass  Niemand  ausser  den  Meisten!  Scheerleute  in  seinem  Hause 
beschäftige  und  dass  sie  das  Recht  zur  Suche  erhielten.  Diese 
Forderungen  wurden  bewilligt  mit  dem  Vorbehalt,  dass  das 
Handwerk  keine  Verordnung  ohne  Zustimmung  der  Stadtbehörde 
erlasse3).  Die  Vorrechte  der  Worstedsscheerer  wurden  zwar 
bald  annullirt,  weil  sich  zeigte,  dass  sie  dieselben  missbrauch- 
ten, das  Erforderniss  der  siebenjährigen  Lehrzeit  oder  beson- 
derer Prüfung  für  sämmtliche  Norwicher  Tuchscheerer  wurde 
ausdrücklich  aufrecht  erhalten4).  Später  zog  man  gegen  eine 
neue  Methode,  die  Worsteds  zu  decatiren,  zu  Felde.  Auf  dem 
Continent  hatte  man  gelernt,  die  Worsteds  mit  Zuhilfenahme 
von  Oel  und  mittels  Pressung  trocken  zu  decatiren  und  einem 
Stück,  das  nur  26  sh  8  d  werth  war,  einen  Anschein  und 
eine  Gestalt  zu  geben,  als  ob  es  eines  von  40  sh  oder  grösserem 
Werth  wäre.  Wurde  ein  solches  Tuch  nass,  dann  kam  freilich 
der  Betrug  an  den  Tag5).  In  den  Niederlanden  hatte  man 
die  Methode  deshalb  verboten.  Nun  aber  waren  diese  Trocken- 
decatirer  nach  England  gegangen  und  übten  da  ihren  Unfug 
aus.    Man  untersagte  auch  in  England  das  Trockendecatiren 

*)  3  Hen.  VIII  c.  6.    Die  Acte  hatte  bis  zum  nächsten  Parlament  zu 

Selten,  wurde  aber  dann  ohne  zeitliche  Beschrankung  mit  geringen  Modi- 
cationen  erneuert  6  Hen.  VIII  c.  9.  Die  Ausführung  des  Gesetzes  war 
streng.  In  der  Acte  7  Hen.  VIII  c.  11  wurden  28  Schuldige  sogar  vom 
Generalpardon  ausgenommen  und  mussten  396  £  Strafe  zahlen;  vgl.  ferner 
Brewer,  Cal.  II.  1985;  IV.  3915.  Die  geringern  Tuchsorten  waren  dem 
Gesetz  nicht  unterworfen.  8  Hen.  VIII  c.  6;  6  Hen.  VIII  c.  9;  14-15 
Hen.  Vin  c.  11. 

*)  5  Hen.  VIII  c.  2  (1513  14),  durch  6  Hen.  VIII  c.  8  bis  zum  nächsten 
Parlament,  also  bis  zum  15.  April  1523  verlängert. 

»)  11  Hen.  VII  c.  11  (1495). 

«)  19  Hen.  VH  c.  17  (1503/4). 

*)  „incontynent  it  wolle  skowe  spotte  and  shewe  foule". 


—     600  — 

und  machte  ähnlich,  wie  es  bei  den  Tuchscheerern  geschehen 
war,  zur  Bedingung,  dass  fortan  nur  solche  das  Decatirge werbe 
selbständig  ausübten,  welche  sieben  Jahre  lang  Lehrling  bei 
einem  Meister  gewesen  und  ihre  Fähigkeit  vor  dem  Norwicher 
Stadtmayor  und  zwei  jährlich  in  Norfolk  gewählten  Meistern 
dargethan  hätten1). 

Aehnlich  war  man  zwanzig  Jahre  früher  gegen  eine  neue 
Methode  bei  Bereitung  der  Barchente  vorangegangen.  Diese 
wurden  ungeschoren  eingeführt  und  erst  in  England  vollends 
fertig  gestellt.  Dies  geschah  lange  mit  einer  einfachen  grossen 
Scheere.  Unter  Heinrich  VII.  benützten  einige  Handwerker 
ein  neu  erfundenes  eisernes  Instrument,  mit  dem  sie  den  Bar- 
chent lockerten,  worauf  sie  die  hervorstehenden  Fäden  mit 
einem  Licht  abbrannten.  Es  wurde  nun  behauptet,  dass  bei 
diesem  Verfahren  die  Fäden  zerrissen  und  der  Grund  zerstört 
würden,  so  dass  die  Stücke  statt  zwei  Jahre  oft  keine  drei 
Monate  mehr  hielten.  Man  verpönte  die  Methode  und  über- 
trug dem  Mayor  und  den  Wardeinen  der  Scheerer  von  London 
die  Controle2). 

Man  sieht,  dass  in  der  Technik  eine  Gährung  beginnt. 
Bei  der  wachsenden  Production  machte  sich  das  Bedürfniss 
nach  kürzeren  und  wirksameren  Verfahrungsweisen  geltend, 
die  alten  reichten  nicht  mehr  aus.  Wie  noch  heute  bei  neuen 
Erfindungen  einzelne  Unvollkommenheiten  sich  zeigen,  so  war 
es  auch  damals.  Die  Gesetzgeber  hatten  dafür  aber  kein  Yer- 
ständniss.  Sie  nahmen  meist  eine  schlechtweg  ablehnende 
Haltung  ein.  Die  Statuten  sind  immer  einseitig  gefärbt.  Gar 
oft  wurde  von  interessirten  Handwerkern  die  schlechte  Arbeit 
als  Vorwand  benutzt,  um  wirkliche  Verbesserungen  von  Seite 
der  Concurrenten  zu  verpönen.  Es  ist  bekannt,  wie  dies  bei 
den  Walkmühlen  der  Fall  war3). 

Inzwischen   waren   neue  Klagen    aufeetaucht.     Die  Ent- 
deckung der  neuen  Welt  hatte  auch  neue  Farbmaterialien  ge- 
bracht.   An  Stelle  des  theuren  Waids  und   anderer  Farben 
J  war  das  Brasilienholz  getreten.    Aber  auch   diese  Neuerung 

|  wurde  zurückgewiesen.     1532  wurde  durch  Gesetz  bis  zum 

nächsten  Parlament  die  Benützung  von  Brasilienholz  verboten4). 
Die  Acte  wurde  später  nicht  erneuert,  vermuthlich  hatte  sich 
allmälig  die  neue  Farbe  doch  nicht  so  verwerflich  gezeigt,  als 
anfangs  dargestellt  wurde5). 

')  5  Hen.  VIII  c.  4  (1518/14),  durch  25  Hen.  VIII  c.  5  für  dauernd  erklärt 

*)  11  Hen.  VII  c.  27  (1495). 

•)  Vgl.  Lib.  Cust.  ed  Riley  L  S.  127;  Man.  Gildh.  Lond.  ed 
Riley  HL  S.  431;  22  Ed.  IV  c.  5. 

*)  24  Hen.  VIfl  c  2. 

*)  Ihre  Zurücknahme  wurde  sogar  noch  vor  diesem  Termine  verlangt 
Wenigstens  heisst  es  in  den  Lords  Journals  13°  und  28°  die  Pari. 
25  Hen.  VIII:  „billa  concernens  revocationem  actus  concernentis  tinctionem 
pannorum  nuper  editi  semel  est  lecta  —  denuo  lecta". 


—  601       - 

Weiteren  Anlass  zum  Eingreifen  gab  das  fremde  Leinen. 
Seit  dem  verunglückten  Versuch  Eduards  III.  hatte  man  darauf 
verzichtet,  hinsichtlich  fremder  Tücher  Vorschriften  über  die 
Grösse  oder  Güte  derselben  zu  erlassen.  1529  begab  man 
sich  aber  wieder  auf  diese  Bahn,  allerdings  mit  gleich  schlech- 
tem Erfolg.  Den  Anlass  hatten  die  importirten  Dowlas  und 
Lokerams  der  Bretagne  gegeben.  Es  hiess,  seit  20  oder  30 
Jahren  fehlten  an  jedem  Halbstück  ä  50  Ellen  vier  bis  fünf 
Ellen.  Das  Gesetz  verlangte,  dass  alle  eingeführten  Stücke 
das  frühere  Mass  wieder  hätten1).  Wenn  man  erwägt,  dass 
die  Uebung  des  kleineren  Masses  schon  30  Jahre  bestand,  also 
eine  allgemeine  und  den  Käufern  wohlbekannte  war,  und  dass 
diese  jedenfalls  ihren  Preis  auch  danach  eingerichtet  hatten, 
so  muss  es  auffallen,  dass  man  nun  plötzlich  den  alten  Zustand 
wieder  herstellen  wollte.  Es  möchte  deshalb  die  Erklärung 
nicht  ganz  ausgeschlossen  sein,  dass  der  schon  länger  bestehende 
Unwille  über  die  grosse  Leineneinfuhr  dabei  mitwirkte.  Die 
Bretonen  weigerten  sich  aber  mit  aller  Entschiedenheit,  ihre 
Fabrication  zu  ändern,  sie  antworteten  mit  Repressalien  gegen 
die  englischen  Wolltücher,  der  schliessliche  Effect  war,  dass 
der  Absatz  der  englischen  Tücher  nach  der  Bretagne  sich  sehr 
verminderte.  Nach  sieben  Jahren  hob  man  die  Acte  wieder 
auf  und  verlangte,  dass  die  Länge  und  Breite  genau  durch 
Siegel  angegeben  werde2).  Man  konnte  um  so  eher  zu  dieser 
Concession  sich  verstehen,  als  man  inzwischen  in  anderer  Weise 
für  die  Aufbringung  der  Leinenindustrie  in  England  gesorgt 
hatte 3). 

Wir  sind  in  die  dreissiger  Jahre  des  16.  Jahrhunderts 
eingetreten.  Schon  oben  wurde  darauf  hingewiesen,  wie  um 
diese  Zeit  mehr  und  mehr  die  wirtschaftlichen  Fragen  in  den 
Vordergrund  traten  und  besonders  die  Folgen  der  Agrarrevo- 
lution mit  immer  grösserer  Heftigkeit  sich  geltend  machten. 
Sie  gaben  allen  öconomischen  Massregeln  der  Zeit  ihre  Fär- 
bung, auch  für  unsere  Frage  mussten  sie  ihren  Einfluss  zeigen. 
Vor  Allem  war  klar,  dass  eine  Steigerung  des  Exports,  wie 
man  sie  wegen  der  vielen  arbeitsuchenden  Hände  wünschte,  nur 
möglich  war,  wenn  man  strenge  darauf  sah,  dass  die  Güte  der 
Tücher  nicht  leide.  Die  Wirthschaftspolitiker  jener  Tage  machten 
ausdrücklich  darauf  aufmerksam.  Ist  das  englische  Tuch,  sagte 
man,  billig  und  gut,  geniesst  es  einen  guten  Ruf,  hemmt  man 


*)  21  Hen.  VIII  c.  14  (1529). 

*)  28  Hen.  VIII  c  4  (1536).  In  London  mussten  seit  8  Hen.  VIII 
alle  continentalen  Tücher  von  dem  „common  meator"  gemessen  werden. 
Nach  dem  Tode  Heinrichs  VIII.  sah  man  aber  davon  ab.  Die  gedruckte 
Procl.  hierüber  ist  erhalten  im  Antwerpener  Stadtarchiv,  Vol.  betitelt: 
Engeische  Natie  1501—48. 

*)  Sieh  oben  S.  457. 


—    602    — 

nicht  seine  Ausfuhr,  dann  kann  es  den  Engländern  nicht  an 
Arbeit  fehlen. 

Die  englische  Regierung  wendete  auch  ihr  Augenmerk  der 
Frage  von  Neuem  zu.  Am  28.  November  1534  erliess  Hein- 
rich VIII.  eine  Proclamation,  worin  er  die  Beobachtung  der 
Statuten,  die  in  Betreff  der  Länge,  Breite  und  Güte  der  zum 
Verkauf  bestimmten  Tücher  gemacht  worden  waren,  anbefahl l) 
und  beim  nächsten  Zusammentritt  des  Parlaments  wurde  auf 
Betreiben  der  Merchant  adventurers 2) ,  namentlich  der  Kauf- 
leute Pol  Withipol  und  Sir  Richard  Gresham  noch  ein  beson- 
deres Gesetz  gemacht.  Die  Rücksicht  auf  die  Ausfuhr  ist  in  dem- 
selben besonders  betont.  In  Folge  des  schlechten  Rufs,  den 
die  englischen  Tücher  in  den  überseeischen  Ländern  sich  zu- 
gezogen hätten,  werde  der  Verkauf  der  Tücher  sehr  gehemmt 
und  das  Gemeinwohl  des  Königreichs  geschmälert.  Es  wurde 
deshalb  wieder  strenge  befohlen,  dass  die  Tuchmacher  in  jedes 
ihrer  zum  Verkauf  bestimmten  Tücher  ihre  Marke  einweben  Hessen. 
Femer  mussten  sie  fortan  ein  Bleisiegel  an  ihrem  Manufact 
anbringen,  worauf  sie  selbst  die  Länge  unter  Zugrundelegung 
der  Wasserprobe  anzugeben  hatten.  Bestand  das  Tuch  die 
Probe  eines  Käufers  nicht,  so  verlor  der  Tuchmacher  an  den 
Käufer  den  doppelten  Werth  des  Fehlenden,  nachdem  zwei 
unbetheiligte  Personen  die  fraglichen  Stücke  nachgemessen. 
Kein  Tuch  durfte  zum  Verkauf  ausgestellt  oder  verschickt 
werden,  ohne  dass  es  auch  noch  vom  Ausmesser  der  Graf- 
schaft gesiegelt  war.  Dem  letztem  war  aber  strengstens  unter- 
sagt, des  Königs  Siegel  daraufzusetzen,  wenn  die  Angabe  des 
Verfertigers  über  die  Tuchgrösse  fehlte.  Jedes  Broad  Cloth 
sollte  in  der  Breite  nach  der  Wasserprobe  1/4t  und  nicht  zwei 
Ellen  enthalten,  wie  früher  bestimmt  worden  war,  jedes  Kersey 
musste  eine  Elle  breit  sein8).  Den  Käufern  war  verboten, 
die  Tücher  zu  strecken4). 

Der .  Standpunct  der  Acte  ist  nicht  ohne  Interesse.    Man 


*)  Dieselhen  stützten  sich  wohl  hauptsächlich  auf  die  plötzliche  Ab- 
nahme der  Tuchausfuhr  im  Jahre  25—26  Hen.  VIII  gegenüber  den  beiden 
Vorjahren.    Sieh  Bd.  II.  S.  102,  105. 

')  Br.  M.  Harl.  Ms.  442  fo.  127;  der  Eingan;  lautet:  „The  kingis 
highnes  our  most  loving  and  dred  soveraigne  lord  for  certaine  great  and 
weightie  causes  and  consideracions  specially  moveing  his  highnes  for  con- 
cervacion  of  the  auncient  honor  of  this  his  realme  concerning  the  true 
making  of  all  sortes  of  wollen  clothes,  whereby  a  great  multitude  of  hu 
true  and  loving  subiectes  daily  be  sett  in  worke  and  preserved  from  idlenes". 

*)  27  Hen.  VIII  c.  12.  Gewisse  geringe  Tuchsorten  der  Grafschaft 
Suffolk  waren  ausgenommen,  ebenso  die  in  Worcestershire  gefertigten 
Tücher,  weil  für  diese  eigene  Sucher  aufgestellt  waren. 

4)  Wie  verbreitet  das  Strecken  war,  sieht  man  daraus,  daas  sogar  die 
Prediger  oft  dagegen  eiferten.  So  sagte  Latimer  in  der  Predigt  vom 
22.  März  1549:  „I  here  saye  there  is  a  certayne  connyng  come  up  in 
myxyng  of  wares.  Howe  saye  you,  were  it  not  wonder  to  here  that  clothe 
makers  should  become  poticaries.    Yea  and  as  I  heare  saye,  in  suche  a 


—    603    — 

erkennt  deutlich,  wie  man  die  kgl.  Inspectoren  mehr  und  mehr 
entlastet,  und  die  eigentliche  Controle  zu  einer  Sache  zwischen 
Käufer  und  Verkäufer  macht.  Die  Aufsicht  beschränkt  sich 
hauptsächlich  darauf,  dass  sie  das  Fehlen  der  Ursprungs- 
marke mit  Inhaltsangabe  verhindert.  Diese  Fortbildung  der 
Gesetzgebung  war  wohl  nothwendig.  Es  war  schlechterdings 
für  die  kgl.  Messbeamten  unmöglich,  für  die  Tadellosigkeit 
der  Tücher  einzustehen,  seit  die  auf  den  Markt  kommende 
Zahl  jährlich  sich  mehrte  und  seit  die  Prüfung  wegen  Zu- 
grundelegung der  Wasserprobe  eine  viel  umständlichere  ge- 
worden war. 

So  zweckmässig  die  Acte  nach  dieser  Seite  zu  sein  schien, 
so  stiess  ihre  Durchführung  doch  auf  Schwierigkeiten.  Das 
Gesetz  verlangte  eine  andere  Breite,  als  früher  üblich  war, 
und  zwar  eine  geringere.  Wir  wissen  nicht,  weshalb  man  diese 
Aenderung  wünschte.  Vielleicht  war  es  für  den  Verkehr  be- 
quemer, wenn  das  Tuch  im  ungenetzten  Zustand  gerade  zwei 
Ellen  ma8S.  Obwohl  die  Breite  verringert  werden  sollte,  so 
waren  nichtsdestoweniger  viele  Weber  dagegen;  denn  die  Neu- 
erung bedingte  eine  Aenderung  der  Webstühle.  Man  hatte 
zwar  einige,  wahrscheinlich  reiche  Londoner  Tuchfabricanten 
vor  dem  Erlass  des  Gesetzes  zugezogen,  und  diese  hatten  sich 
mit  demselben  einverstanden  erklärt1),  aber  die  grosse  Masse 
der  armen  abhängigen  Weber  war  nicht  genügend  berücksichtigt 
worden.  Man  musste  deshalb  den  Einführungstermin  zweimal 
um  je  ein  Jahr  verlängern2).  Als  nun  im  Oktober  1538  das 
Gesetz  endlich  in  Kraft  treten  sollte,  stiess  man  auf  neuen 
Widerstand  und  zwar  bei  den  Kerseymachern  von  Berkshire 
und  einigen  andern  Grafschaften.   John  Winchcombe  von  New- 


place,  where  as  they  have  professed  the  gospell  and  the  word  of  god  most 
earnestly  of  a  longe  tyme.  Se  how  busie  the  devell  is  to  sclauiider  the 
word  of  god?  Thus  the  pore  gospel  goeth  to  wracke.  Yf  hiß  clothe  be 
XV1U  yerdes  longe,  he  wyl  set  hym  on  a  racke  and  streach  hym  out  wyth 
ropes  and  racke  hym,  tyll  the  senewes  shrinke  agayne,  whyles  he  hath 
bronght  hym  to  XXVII  yardes.  "When  they  have  brought  him  to  that  per- 
fection,  they  have  a  prety  feate  to  thycke  him  againe.  He  makes  me  a 
pouder  for  it  and  playes  the  poticary,  thei  cal  it  floke  pouder,  they  do  so 
mcorporate  it  to  the  cloth,  that  it  is  wonder  tull  to  consider  truely  a 
goodly  invention.  Oh  that  so  goodly  wittes  shold  be  so  yl  applyed,  they 
maye  wel  deceyve  the  people  bat  they  can  not  deceyve  god.  They  were 
wont  to  make  beddes  of  flockes  and  it  was  a  gooa  bea  to,  nowe  they 
have  turned  theyr  flockes  into  a  pouder  to  playe  the  false  theaves  with 
it.  0  wicked  devil  what  can  he  invent  to  blaspheme  goddes  worde?  These 
myxturs  come  of  covetousnes.  Thei  are  playne  theft.  Woo  worthe  that 
these  flockes  should  so  slander  the  worde  of  god?"  Latimer,  Seven  Ser- 
mons before  Edward  VI.    Arbers  Reprints  S.  86,  87. 

')  Vielleicht  hofften  diese  Fabncanten  dadurch  ein  neues  Mittel  zu 
erlangen,  um  die  Weber  von  sich  abhängig  zu  machen.  Man  war  wider- 
holt genöthigt,  die  letztem  zu  schützen.  Sieh  4  Ed  IV.  c  1;  3  Hen.  VIII 
c  6;  ürk.  Beil.  174;  2—3  Phil,  and  Mary  c.  11. 

*)  Br.  M.  Harl.  Ms.  442  fo.  134,   148.    Sieh  auch  ürk.  Beil  175. 


—    604    — 

bury,  der  Sohn  des  bekannten  „Jack  of  Newbury"  stand  an 
der  Spitze  der  Opponenten.  Sie  verlangten  Suspension  oder 
vollständige  Zurücknahme  der  Acte.  Ihre  Fabrication,  legten 
sie  dar,  erstrecke  sich  ausschliesslich  auf  grobe  Kersies,  welche 
seit  Menschengedenken  nicht  von  solcher  Breite  gemacht  wor- 
den seien,  als  das  Statut  verlange.  Diese  Sorte  werde  nur 
in  überseeischen  Ländern  getragen,  die  geringe  Qualität  der 
benützten  Rohstoffe  mache  es  unmöglich,  diese  Kersies  so  zu 
arbeiten,  dass  sie  bei  der  Wasserprobe  eine  bestimmte  Grösse 
hätten.  Der  König  suspendirte  das  Gesetz,  soweit  es  die 
Kersies  betraf1),  und  ordnete  eine  gründliche  Untersuchung 
an,  indem  er  eine  Anzahl  Tuchmacher  und  diejenigen  Mer- 
chant  adventurers,  welche  die  Acte  so  eifrig  betrieben  hatten, 
vorlud,  damit  sie  gegenseitig  ihre  Gründe  vorbrächten *).  Aus 
der  vor  dem  kgl.  Rath  geführten  Enquete  gingen  die  Merchant 
adventurers  geschlagen  hervor.  Die  Kerseyfabricanten  wiesen 
durch  practische  Versuche  nach,  dass  sie  im  Rechte  waren3). 
In  einer  neuen  Bill  gestattete  man  deshalb,  dass  Kerseys, 
von  denen  die  Elle  20  bis  22  d  kostete,  keine  festbestimmte 
Grösse  zu  haben  brauchten,  aber  unter  eine  Minimalgrenze 
durfte  ihre  Breite  nach  der  Wasserprobe  auch  nicht  herab- 
sinken, überhaupt  sollten  sie  nicht  betrüglich  gefertigt  und 
mussten  auch  nach  wie  vor  gesiegelt  werden.  Im  Uebrigen 
wurde  die  frühere  Acte  aufrecht  erhalten,  namentlich  hatten 
die  im  Königreich  verkauften  besseren  Kerseysorten  derselben 
zu  genügen4). 

Trotz  alledem  war  es  höchst  schwierig,  den  immer  und 
immer  auftauchenden  Versuchen  des  Betrags  zu  begegnen5). 
Ein  Factor  kam  unter  Heinrich  VIII.  hinzu,  der  die  Lösung 
der  Aufgabe  besonders  complicirte,  das  war  die  Deplacirung 
der  Tuchindustrie.  Solange  die  Tuchmacherei  fast  ausschliess- 
lich auf  die  Städte  beschränkt  war,  wenigstens  soweit  es  sich 
um  Marktwaare  handelte,  solange  konnte  auch  die  Controle 
wirksam  geübt  werden.  Die  Tücher  kamen  hier  auf  offenen 
Markt,  der  Verkauf  ausserhalb  des  Marktplatzes  und  der 
Marktzeit  war  meist  verboten6),  die  Tücher  konnten  nicht 
leicht  den  Augen  des  kgl.  Tuchmessers  entzogen  werden.  An- 
ders lag  die  Sache  auf  dem  Lande.    Die  da  mit  einem  Male 

x)  Am  17.  März  bisJohanni,  dann  wieder  am  1.  Juni  bis  Weihnachten 
und  nochmals  am  7.  Dez.  bis  nächsten  Johanni.  Br.  M.  HarL  Ms.  442  fo. 
166,  178.  178. 

*)  Nicolas,  Proceedings  and  ordinances  of  the  Privy  Council  VIL 
S.  156  (15.  Man  1541);  Ellis,  Original  letters.  8  *  Ser.  III.  S.  289. 

*)  Nicolas,  Proceedings  etc.  VIL  S.  192.  (20.  Mai  1541). 

*)  83  Hen.  TEL  c  18  (1541/42). 

*)  In  Nord- Wales  versachte  man  um  jene  Zeit  wieder  durch  Zu- 
sammenrollen der  Tücher  die  Käufer  aber  die  Breite  des  Stucks  zu  tau- 
schen.   83  Hen.  VIII  c.  3  (1541/42). 

e)  Vgl.  14-15  Hen.  VIII  c.  1. 


—    605    — 

emporwachsende  Industrie  war  sich  selbst  Überlassen.  Die 
Gewerbsleute  waren  vielfach  ungeschulte  Neulinge.  Ihre  Waaren 
gelangten  zum  guten  Theil  nicht  auf  den  offenen  Markt,  die  In- 
spectionen  fehlten  und  bei  der  weiten  Zersplitterung  war  die 
Ueberwachung  schwer  zu  handhaben.  Unlösbar  war  aber  die 
Aufgabe  nicht  Hatte  man  doch  schon  ein  grösseres  Beispiel 
sogar  vor  Augen  in  der  Norfolker  Worstedmanufactur.  Auch 
in  dieser  Grafschaft  wurde  ein  Theil  der  marktgängigen  Waare 
auf  dem  Lande  producirt.  Dort  war  es  gelungen,  gewisser - 
massen  die  ganze  grafschaftliche  Worstedindustrie  zu  organi- 
siren  und  eine  Art  Selbstcontrole  auf  dem  Lande  herzustellen. 
Ob  dieselbe  ihrer  Aufgabe  gewachsen  blieb,  lässt  keine  sichere 
Antwort  zu;  denn  wenn  auch  mancherlei  andere  Gründe  für 
den  spätem  Verfall  dieses  Industriezweiges  sich  denken  lassen, 
so  kann  man  doch  die  etwaige  mangelhafte  Aufeicht  auch  als 
eine  der  möglichen  Ursachen  ins  Treffen  führen.  Immerhin  liessen 
sich  mancherlei  Wege  finden,  um  auch  die  neuerstehende  Land- 
industrie in  den  Rahmen  der  Beaufsichtigung  aufzunehmen 
und  der  von  dieser  Seite  her  drohenden  Gefahr  für  die  Ver- 
schlechterung der  Tücher  zu  steuern.  Man  brauchte  also  nicht 
gleich  das  Lebensmark  der  Industrie  zu  tödten.  Die  Nivel- 
lirung  der  Unterschiede  von  Stadt  und  Land  konnte  für  die 
Entwicklung  des  Reichs  nur  von  Vortheil  sein.  Allein  die 
ausserordentliche  Raschheit  der  ganzen  Bewegung,  das  laute 
Wehklagen  der  neidigen,  zum  Theil  wirklich  in  trauriger 
Lage  befindlichen  Städte  konnte  zu  radicaleren  Mitteln  führen. 
Einflussreiche  Wirtschaftspolitiken  sahen  die  vor  sich  gehende 
Neuerung  mit  durchaus  scheelen  Augen  an.  Gerade  die- 
jenigen, die  am  wärmsten  für  die  Aufrechterhaltung  der  Tuch- 
güte sprachen,  verlangten  eine  vollständige  Unterdrückung  der 
ländlichen  Tuchindustrie.  Dieser  Schritt  schien  ihnen  uner- 
lässlich 1).    Auch  die  Gesetzgebung  neigte  wenigstens  am  An- 


x)  „Whernpon  it  may  please  our  gracious  king  of  Englond  to  make  a 
staple  of  all  wollen  clothes  in  London,  and  that  all  clothe  makers  with 
their  artificers  dwell  togethers  in  market  townes  like  as  in  old  tyme,  and 
that  every  market  towne  of  clothe  making  have  a  common  seale  and  erery 
wollen  clothe  made  within  the  pre&inct  and  libertie  and  fredome  of  the 
towne  to  recoorde  the  trew  making  of  all  wollen  clothes  so  sealed  with 
the  sealles  of  the  townes,  wherin  they  be  made,  theruppon  to  be  brought 
to  the  kinges  staple  of  wollen  clothe  in  London  ther  to  be  sealed  with 
the  kinges  seale  of  his  staple  to  recorde  all  the  wollen  clothes  made  in 
Englond,  bought  and  sold  by  way  of  the  kinges  staple,  having  the  staple 
seale,  shal  be  openly  knowen  to  be  trewe  made  clothes,  whersoever  they 
be  bought  and  sold.  So  shall  all  Englishe  clothers  never  be  slaundered  in 
no  other  realmes  and  contries  for  false  making,  like  as  merchaunte  ad- 
venture«  in  London  hath  cansed  fauls  clothes  to  be  made  in  Englonde 
for  low  prices  to  trncke  and  barter  theym  for  merchaundizes  and  slayte 
wares  in  other  contris  for  iorcyng  for  their  owne  felshod  nor  tor  the 
slander  and  dishonor  of  the  realme.  And  ander  the  pretence  of  the  same  slander 
merchanntes  in  Anwarpe  and  other  contrys  and  townes  in  the  Loo  contries 


—    606    — 

fang  einem  möglichst  strengen  Standpunct  zu,  und  doch  lag 
die  Kurzsichtigkeit  einer  solchen  Politik  so  offen  zu  Tage. 
Wie  wollte  man  die  Folgen  der  Agrarrevolution  mildern,  wenn 
man  auch  diesen  Ausgang  versperren  wollte? 

Den  Reigen  der  das  Land  bekämpfenden  Städte1)  eröff- 
neten Worcester,  Evesham,  Droitwich,  Kidderminster,  Broms- 
greve.  Ihre  Tuchmanufactur  befinde  sich,  erklärten  sie,  in 
völligem  Verfall,  die  City  und  die  Towns  seien  ganz  entvölkert, 
seit  in  den  Dörfern  und  Weilern  nicht  nur  gewisse  Leute  viele 
Pächtereien  in  ihren  Händen  vereinigten,  sondern  auch  das  Tuch- 
machen betrieben.  Die  Fabrication  wurde  deshalb  auf  dem  Lande 
in  Worcestershire  ausser  zum  Hausgebrauch  verboten  und  die 
Gontrole  über  die  daselbst  gefertigten  Tücher  noch  besonders 
verschärft,  den  städtischen  Hausbesitzern  aber  befohlen,  keine 
höhere  als  die  seit  20  Jahren  übliche  Rente  zu  verlangen1). 
Ihnen  folgte  acht  Jahre  später  die  Stadt  York.  Hier  beklagten 
sich  die  Bettdeckenmacher  über  die  auf  dem  Lande  das  Ge- 
werbe ausübenden  Leute.  Die  von  diesen  gemachten  Stücke, 
hiess  es,  seien  von  schlechtem  Stoff  und  hätten  nicht  die  rich- 
tige Grösse.  Die  Verfertiger  verdeckten  aber  ihre  Betrügerei 
dadurch,  dass  sie  ihre  Manufacte  nicht  auf  offenen  Markt 
brächten,  sondern  durch  Hausirer  verkaufen  Hessen.  Auch 
hier  verbot  man  die  Fertigung  von  Bettdecken  in  der  Graf- 
schaft York,  gestattete  nur  den  Verkauf  auf  offenem  Markt 
und  ermächtigte  die  Vorstände  der  Bettdeckenmacher  von  York, 
auf  allen  Märkten  nördlich  vom  Trentfluss  Umschau  zu  halten, 
dass  nur  ordentlich  gemachte  Bettdecken  zum  Verkauf  ausgestellt 
würden3).  Ein  dritter  Fall  betraf  diesogenanntenFrises  und  Cottons 
in  Wales.  Es  waren  hier  den  Webern  der  Städte  und  Flecken 
zufolge  die  reichen  Tuchmacher,  die  sich  aufs  Land  begaben, 
daselbst  Viehzüchter  und  Landwirthe  wurden,  zugleich  aber 
ihre  auf  eigenem  Gute  gezogene  Wolle  in  Ermanglung  einer 
Controle  auf  die  betrügerischeste  Weise  verarbeiteten  und  auf 
dem  Lande  direct  zum  Verschleiss  brachten.  Merkwürdiger- 
weise schwenkten  die  Gesetzgeber  hier  schon  von  der  rigorosen 


hath  and  doth  use  to  streche  Englishe  clothes  upon  tayntora  five  or  six 
yerdes  longer  in  every  clothe  and  so  seil  theym  unto  the  Almavnes,  which 
moste  nedes  shrynk  ageyn.  And  the  Almayns  complaynyng  of  that  falshod, 
the  merchaunte8  of  the  Low  contryes,  which,  doth  so  falsily  excusith  them- 
self  saying:  Englishe  wole  is  the  beste,  bat  the  clothes  araped  therof  ar 
falsely  made,  which  saying  helpeth  the  sale  of  their  owne  contrey  clothes 
made  with  Englishe  wolles  and  Spaynyshe  wolles,  which  will  not  suffer 
to  be  streched.  And  their  ontrae  saying  slaanderith  the  sale  of  Englishe 
clothes  for  lake  that  their  true  making  of  theym  is  not  recordyd  by  a 
staple  sealeu.    R.  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  65;  vgl.  auch  S. 42. 

*)  Noch  etwas  früher  gingen  die  Seiler  von  Barport  voran.  21  Hen. 
Vffl  c.  12. 

*)  25  Hen.  VIII  c  13. 

s)  34-35  Hen.  Vm  c.  10  (1542/43). 


—    607    — 

Politik  ab.  Man  verbot  nicht,  wie  vielleicht  die  Industriellen 
gewünscht  hatten,  die  Tuchmacherei  auf  dem  platten  Land, 
sondern  stellte  nur  genau  das  Gewicht  und  die  Grösse  der 
fraglichen  Sorten  fest  und  verlangte  die  Einhaltung  derselben 
bei  allen  für  den  Verkauf  bestimmten  Stücken  *). 

In  der  Folgezeit  nahm  die  Tuchmacherei  und  die  Industrie 
überhaupt  auf  dem  Lande  immer  grössere  Dimensionen  an. 
Die  Städte  Hessen  Nichts  unversucht,  um  die  Hilfe  des  Staates 
zu  ihrer  Unterdrückung  zu  gewinnen.  Die  Gesetzgeber  folgten 
aber  nicht  so  schlechthin  allen  städtischen  Wünschen.  Man 
begnügte  sich  zumeist,  die  siebenjährige  Lehrlingszeit  als  Be- 
dingung der  selbständigen  Ausübung  des  Tuchmachergewerbes 
auf  dem  Lande  zur  Geltung  zu  bringen  und  die  ländlichen 
Ortsbehörden  zur  Aufsicht  heranzuziehen a).  Die  Vorschrift  der 
siebenjährigen  Lehrlingsschaft  war  wohl  eine  Beschränkung, 
aber  keine  unbillige.  Dieselbe  war  in  den  Städten  ganz  all- 
gemein, und  in  Anbetracht  der  schwierigen  Lage  der  letztern 
durfte  man  das  Land  nicht  noch  in  dieser  Hinsicht  begüns- 
tigen. Die  siebenjährige  Lehrzeit  war  zugleich  das  wirksamste 
Mittel,  um  die  ländliche  Tuchindustrie  auf  einer  gewissen  Höhe 
zu  halten,  da  die  Controle  daselbst  immer  nur  eine  summa- 
rische sein  konnte.  Und  von  der  Erhaltung  der  Tuchgüte 
hing  doch  zum  nicht  geringsten  Theil  die  gesunde  commer- 
cielle  und  wirtschaftliche  Entwicklung  Englands  ab. 

Es  bedarf  deshalb  nicht  wohl  näher  ausgeführt  zu  werden, 
dass  die  Vorschriften  über  die  Grösse  und  Qualität  der  Tücher 
auch  unter  den  folgenden  Tudors  nicht  aufhörten,  sondern  fort- 
während erweitert  und  verbessert  wurden3). 

Schon  das  Vorausgehende  l&sst  ersehen,  dass  bei  den  ge- 
werbepolizeilichen Massregeln  sehr  verschiedene  Motive  sich 
geltend  machten.  Namentlich  bewiesen  mehre  Fälle  deutlich, 
dass  das  Princip  von  der 'Erhaltung  der  Waarengüte  nicht 
selten  als  Vorwand  diente,  um  unbequeme  Concurrenz  einzu- 
schränken oder  zu  unterdrücken.  Es  musste  sich  dies  beson- 
ders bei  den  Zünften  zeigen.  Weit  entfernt,  einen  Schutz 
gegen  schlechte  Arbeit  zu  bilden,  waren  sie  sehr  oft  ein 
Mittel,  den  Schlendrian  zu  conserviren,  und  ihre  Organisation 


i)  84-35  Hen.  VIII  c.  11  (1542/43). 

3)  5—6  Ed.  VI  c.  8;  1  Mar.  st.  3.  c.  7;  1—2  PhU.  u.  Mar.  c.  14; 
2—8  Phil.  u.  Mar.  c.  11;  4—5  Phil.  u.  Mar.  c.  5;  1  El.  c.  14;  5  El.  c,  4. 
18  El.  c.  16-,  27  El.  c.  23. 

8)  Vgl.  3-4  Ed.  VI  c.  2;  5—6  Ed.  VI  c.  6,  22;  7  Ed.  VI  c.  9; 
2—3  Phil,  and  Mar.  c.  11.  12;  4-5  Ph.  and  M.  c.  5;  1  EL  c.  12;  8  El. 
c  6,  7,  12;  14  El.  c.  10,  12;  23  EL  c.  9;  27  El.  c.  17,  18;  35  Ei.  c.  7,  9,  10; 
39  EL  c.  11,  18,  20;  43  El.  c.  9,  10.  Die  meisten  Bestimmungen  der  ge- 
nannten Gesetze  sind  ins  Deutsche  übersetzt  und  in  eine  Art  System  ge- 
bracht bei  Marquardus,  De  jure  mercatorum  1663.    S.  560— 5?1. 


—    608    — 

'äusserte  geradezu  einen  verderblichen  Einfluss,  wenn  die  Zahl 
der  Gewerbtreibenden  nicht  gross  war.  Die  Incorporirung 
sämmtlicher  Gewerbe  in  Oxford  um  1526  liefert  hiefür  einen 
drastischen  Beleg  \).  Es  liegen  uns  auch  sonst  mancherlei  Beispiele 
aus  den  verschiedenen  Gewerken  nach  dieser  Richtung  vor. 

In  älterer  Zeit  war  man  in  London  sehr  darauf  bedacht, 
dass  die  Kappen  von  guter  bestimmter  Qualität  seien2).  1311 
verpönte  die  Stadtbehörde  die  Kappen,  welche  aus  „Flocken" 
statt  aus  Wolle  gefertigt  waren  und  zwang  sogar  die  fremden 
Kaufleute,  namentlich  die  Deutschen,  alle  derartigen  impor- 
tirten  Kappen  bis  zu  einem  gewissen  Termine  wieder  ausser 
Landes  zu  schaffen3).  Der  Beschluss  wurde  in  London  aus- 
geführt4). 1318  eigneten  sich  auf  Betreiben  der  Londoner 
Kappenmacher  der  König  und  das  Parlament  diese  und  einige 
andere  Bestimmungen  an  und  dehnten  sie  auf  das  ganze  König- 
reich aus.  Der  König  beauftragte  die  Ortsvorstände  mit  der 
Controle  und  drohte,  im  Fall  der  Kachlässigkeit  eigene  Auf- 
sichtscommissäre  zu  ernennen.  Damit  erlangte  die  Massregel 
ihre  volle  Wirksamkeit.  Die  Kappenmacher  missbrauchten 
diese  aber  so  sehr  zu  ihrem  eigenen  Vortheil  und  Nachtheil 
der  Kauf  leute  und  Consumenten,  dass  der  König  eine  Unter- 
suchung der  Angelegenheit  anordnen  musste6).  —  In  London 
waren,  wie  wir  schon  bei  Betrachtung  der  Fremdenpolitik  sahen, 
die  Zünfte  besonders  den  Handwerkern  in  den  Vorstädten 
gram.  Ihr  Streben  ging  dahin,  dieselben  ihrer  Controle  zu 
unterwerfen.  Die  Güte  der  Waaren  spielte  dabei  eine  Haupt- 
rolle. 1415  beschwerten  sich  die  Londoner  Gürtelmacher, 
welchen  Eduard  III.  und  seine  Nachfolger  eine  Reihe  von 
technischen  Vorschriften  zur  Einhaltung  anbefohlen  hatte,  dass 
die  Vorstädte  ihre  ganze  Industrie  in  Misscredit  brächten,  und 
verlangten  das  Recht  der  Suche  eine  Meile  im  Umkreis  von 
London;  es  wurde  ihnen  nur  innerhalb  der  Freiheit  von  Lon- 
don, nicht  aber  in  den  Freistätten* die  Controle  eingeräumt6). 
Aehnlichen  Misserfolg  hatten  die  Londoner  Sticker,  als  sie 
1423  ein  Sucherecht  auf  den  Messen  Steresbrugg,  Ely,  Oxford 
und  Salisbury  begehrten,  weil  die  Handwerker  der  Vorstädte 
aus  Furcht  vor  den  Londoner  Zunftvorständen  den  Markt  der 
Hauptstadt  mieden  und  auf  die  genannten  Messen  ihre  an- 
geblich betrügerische  Arbeit  brachten 7). 

Aber  nicht  blos  die  concurrirenden  Handwerke  derselben, 
sondern  auch  die  verschiedener  Branche  benutzten  den  mehr 


*)  Brewer,  Cal.  IV.  2785. 

*)  Lib.  Cust.  ed.  Riley  I.  S.  101. 

8)  Lib.  Cust  ed.  Riley  I.  S.  102,  108. 

4)  Man.  Gildh.  Lond.  ed.  Riley  III.  S.  488. 

*)  Lib.  Cust.  ed.  Riley  I.  S.  428 fg. 

c)  Rot  Pari.  IV.  S.  78. 

7)  Rot.  Pari.  IV.  S.  255. 


-     609    - 

oder  weniger  berechtigten  Vorwand  schlechter  Waarenverfer- 
tigung  zu  gegenseitiger  Bekämpfung. 

Die  Schuhmacher1)  gerbten  in  alter  Zeit  ihr  Leder  viel- 
fach selbst,  verkauften  auch  den  einen  oder  andern  Theil  und 
hatten,  wenigstens  in  London,  die  Aufsicht  über  die  Güte  des- 
selben. Daran  wurde  auch  durch  das  Gesetz  37  Ed.  III  c. 
6,  welches  vorschrieb,  dass  jeder  Handwerker  nur  ein  Gewerbe 
betreibe,  nichts  geändert.  Als  die  selbständigen  Gerber  sich 
aber  mehrten ,  sahen  sie  ungern  die  Mitwerbung  der  Schuh- 
macher und  beschuldigten  diese ;  dass  sie  nur  schlechtes  und 
falschgegerbtes  Leder  lieferten.  Man  trennte  deshalb  die  bei- 
den Handwerke  und  verbot,  dass  das  eine  in  das  Gebiet  des 
andern  übergreife  *).  Bald  fand  aber  das  Publicum,  dass  damit 
die  Sache  keineswegs  besser  geworden  sei.  Auf  die  Bitte  der 
Gemeinen  gestattete  man  den  Schuhmachern  wieder  zu  gerben, 
nur  musste  alles  Leder,  gleichviel  von  wem  es  gegerbt  war, 
von  der  Ortsbehörde  oder  ihrem  Bevollmächtigten  vor  dem 
Verkauf  geprüft  und  mit  einem  eisernen  Stempel  markirt  sein. 
Die  Acte  hatte  nur  eine  beschränkte  Dauer8).  Unter  Hein- 
rich VI.  fertigten  Schuhmacher  und  Gerber  um  die  Wette 
schlechtes  Leder.  Man  verbot  den  ersteren  wieder  das 
Gerben,  machte  sie  aber  zu  Aufsehern  über  das  Leder,  das 
sie  zu  Schuhen  verarbeiteten.  Die  Friedensrichter  und  Mayors 
hatten  die  Strafgewalt4).  Die  Gerber  richteten  nun  manchmal 
auch  das  von  ihnen  gegerbte  Leder  zu,  schwärzten  und  ver- 
feinerten es.  Da  fühlten  sich  die  Lederzurichter  beschwert  und 
beschuldigten  die  Gerber,  sie  verdeckten  auf  diese  Weise  nur 
ihr  schlecht  gegerbtes  Leder.  Man  trennte  auch  diese  Ge- 
werbe, untersagte  den  Lederbereitern  unter  Strafe  schlecht 
gegerbtes  Leder  zu  weiterer  Bearbeitung  anzunehmen6)  und 
verbot  auch  den  Schuhmachern  das  Zurichten 6).  Kaum  war  auch 
diese  Trennung  vollzogen,  als  man  wieder  eine  neue  Ursache 
zur  Beschwerde  fand.  Man  beschuldigte  nun  die  fremden  in 
London  und  seinen  Vorstädten  wohnhaften  Schuhmacher,  dass 
sie  in  Wirthshäusern  und  in  verborgenen  Winkeln  ungenügend 
gegerbtes  Leder  kauften,  anstatt  auf  offenem  Markte,  wo  die 
Prüfung  und  Siegelung  stattfand,  dass  sie  dann  dies  so  ge- 
kaufte Leder  im  Geheimen  zurichteten  und  an  die  Unterthanen 
zum.  allgemeinen  Schaden  verkauften.  Durch  Gesetz  wurde 
den  Fremden  geboten,  ihr  Leder  nur  auf  dem  offenen  Markte 
zu  kaufen  und  den  Zunftvorständen  der  Lederzurichter  Voll- 

')  Ueber  diese  sieh  auch  Mun.  Gildh.  Lond.  ed.  Riley  III.  S.  441 
und  Riley,  Memorials  S.  392. 

2)  13  Ric.  IL  st.  1  c.  12  (1390),  erneuert  21  Ric.  II  c.  16  (1398). 

3)  Nämlich  bis  zum  nächsten  Parlament.    4  Hen.  IV  c.  35  (1402). 

4)  2  Hen.  IV  c.  7  (1423). 
*)  1  Hen.  Vn  c.  5  (1485). 

6)  19  Hen.  VH  c.  19  (1504). 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I.  39 


—    610    — 

macht  ertheüt,  nach  schlechtem  Leder  zu  suchen,  dasselbe  zu 
confisciren,  ja  sogar  die  Uebelthäter  mit  Gefängniss  zu  strafen !). 
Der  Gebrauch,  den  die  Zunft  von  ihrem  ausserordentlichen 
Machtzuwachs  machte,  war  nicht  der  beste.  Die  Lederzube- 
reiter wollten  nicht  dulden ,  dass  die  Fremden  anderes  als  zu- 
gerichtetes Leder  kauften  und  bedrückten  sie  im  Preis.  Auf 
die  Beschwerde  der  fremden  Schuhmacher,  welche  in  London 
eine  eigne  Brüderschaft  bildeten,  wurde  den  Mitgliedern  der 
letzteren  und  den  Niederländern  gestattet,  gegerbtes  Leder  zu 
kaufen  und  zuzurichten.  Ale  Massregeln  aber,  welche  die 
Güte  des  Erzeugnisses  bezweckten,  wurden  aufrecht  erhalten 
und  sogar  noch  erweitert.  Trotz  dieser  Trennung  der  Ge- 
werbszweige und  der  fortwährenden  Controlverbesserungen  war 
die  Klage  über  den  Verfall  der  Lederindustrie  allgemein. 
Eine  Acte  behauptet,  es  sei  eine  Seltenheit  geworden,  dass 
Jemand  in  Schuhen  trocken  gehen  oder  eine  dauerhafte  Rüstung 
für  das  Pferd  oder  sonst  ein  aus  Leder  bestehendes  gutes 
Fabricat  erhalten  könne.  Nachdem  man  schon  1530  den 
Metzgern  die  angemasste  Ausübung  der  Gerberei  verboten 
hatte2),  schuf  man  1533  ein  eingehendes  Gesetz,  das,  wie 
man  hoffte,  dem  Uebelstande  abhelfen  werde.  In  London  und 
drei  Meilen  im  Umkreis  sollte  alles  gegerbte  Leder  nur  in 
Leadenhall  und  auf  offenen  Märkten  verkauft  werden.  Man 
verschärfte  die  Untersuchung  und  gewährte  den  Beschauem, 
um  ihren  Eifer  anzuspornen,  eine  kleine  Gebühr 8).  Die  Hoff- 
nungen erfüllten  sich,  wie  es  scheint,  nicht;  denn  schon  am 
9.  Mai  1542  beschäftigte  das  Oberhaus  eine  neue  einschlägige 
Bill 4),  und  auch  unter  Heiniichs  VIII.  Nachfolgern  war  häufig 
die  Lederindustrie  Gegenstand  gesetzgeberischen  Eingreifens5). 
Ein  anderes  nicht  uninteressantes  Beispiel ,  wie  man  das 
Motiv  der  Waarengüte  verwerthete ,  geben  uns  die  Mälzer  in 
der  Grafschaft  Kent.  Daselbst  pflegten  die  Brauer  ihr  Mal« 
auf  offenen  Märkten  zu  kaufen.  Um  1455  aber  beschlossen 
dieselben,  ihr  Malz  selbst  zu  machen  und  in  der  Grafschaft 
nur  Gerste  zu  kaufen.  Die  grössern  Brauer,  die  vorher  100 
Quarter  Malz  im  Haus  gemacht  hatten,  machten  nun  1000 
oder  1800  Qr.  Man  darf  sicher  annehmen,  dass  in  diesem  Ver- 
fahren ein  technischer  Fortschritt  lag,  und- vom  allgemeinen 
Standpunct  lässt  sich  auch  wenig  dagegen  sagen,  wenn  die 
Brauer  durch  Beseitigung  dieses  Zwischengliedes  öconomisch 
zu  profitiren  suchten.  Damit  waren  aber  die  Mälzer  nicht 
einverstanden.    Sie  führten  an,  dass  nicht  nur  der  Malzmarkt 

*)  3  Hen.  VIII  c.  10  (1511/12). 
*)  22  Hen.  VIII  c.  6. 
8)  24  Hen.  VIU  c.  1. 

*)  „billa  for  true  tanning  and  currying  of  leather  and  against  regra- 
ting  and  forestalling  of  the  same".    Lords'  Journals. 

*)  2-3  Ed.  VI  c.  9,  11;  7  Ed.  VI.  c.  11;  5  El.  c.  8;  27  El.  c.  16. 


—    611     — 

verloren  gehe,  die  Pächter  und  Gersten  Verkäufer  Schaden 
litten  (?),  eine  grosse  Zahl  junger  Leute,  die  ihren  Wohlstand 
damit  angefangen  hätten,  dass  sie  1,  2  oder  2  Vi  Qr.  Malz 
machten,  in  Unthätigkeit  geriethen,  sondern  insbesondere  dass 
die  Brauer  schlechtes  und  gutes  Malz  zusammenwürfen,  Würmer 
mit  vermahlten  und  so  die  Gesundheit  gefährdeten  (?).  Sie 
verlangten  deshalb,  dass  in  den  folgenden  12  Jahren  Niemand 
im  eigenen  Haus  mehr  als  100  Qr.  Malz  mache.  Der  König 
bewilligte  die  Bitte  auf  5  Jahre *). 

Selbstverständlich  musste  auch  behufs  Beschränkung  der 
auswärtigen  Concurrenz  die  Schlechtigkeit  der  fremden  Waaren 
einen  Vorwand  bilden.  Als  z.  B.  Heinrich  VI.  zu  Gunsten  der 
Londoner  Seidenfrauen  die  Einfuhr  gewisser  fertiger  Seiden- 
waaren  verbot,  diente  auch  die  angeblich  betrügerische  Her- 
stellung durch  die  Italiener  zur  Begründung  der  Massregel2). 
Das  Gleiche  geschah,  als  Eduard  IV.  den  Import  fast  sämmt- 
licher  Kurzwaaren  untersagte 3).  1543  setzten  die  Stecknadel- 
verfertiger durch,  dass  nur  solche  Stecknadeln  verkauft  werden 
dürften,  die  nach  der  in  England  üblichen  Methode  verfertigt 
würden4).  Allein  noch  ehe  zwei  Jahre  verflossen  waren,  trat 
ein  so  grosser  Mangel  an  Stecknadeln  ein,  und  das  Publicum 
wurde  so  schlecht  bedient,  dass  man  das  Gesetz  wieder  auf- 
hob5). Auch  die  Zinngiesser  verwerteten  das  mehrfach  ge- 
nannte Moment,  um  die  fremden  Waaren  auszuschliessen. 
Gegen  die  in  diesem  Gewerbe  leicht  möglichen  Betrügereien 
war  von  Heinrich  VII.  in  umfassender  Weise  eingeschritten 
worden,  indem  der  Londoner  Legirungszustand  für  das  Zinn- 
und  Messingzeug  auf  das  ganze  Königreich  ausgedehnt,  der 
Kauf-  und  Verkauf  dieser  Waaren  möglichst  öffentlich  gemacht 
und  den  Zunftvorständen,  wie  Friedensrichtern,  ja  falls  diese 
ihre  Pflicht  nicht  erfüllten,  Jedermann  das  Recht  der  Suche 
eingeräumt,  den  Zinngiessern  aber  befohlen,  ihre  Waaren  durch. 
Marken  zu  kennzeichnen 6).  Die  Acte  wurde  später  für  dauernd 
erklärt7),  und  die  Zinngiesser  behaupteten,  das  Statut  habe 
wesentlich  dazu  beigetragen,  ihr  Gewerbe  zu  heben  und  den 


*)  33  Hen.  VI.  c.  4;  Rot.  Pari.  V.  S.  324. 

9)  „8ericum  operatum  filatum  ribanas  et  torques  falso  et  fraudulenter 
operata  —  in  regnum  predictum  adduzerunt"    33  Hen.  VI.  c.  5. 

*)  „dount  la  greindre  part  en  substaunce  est  deceivable  et  nient  vail- 
lable."    3  Ed.  IV.  c.  4. 

4)  «bat  oonelie  suche  as  sbalbe  double  beaded  and  have  the  heades 
goudered  faste  to  the  shanke  of  the  pynne  well  smethed  the  shanke  well 
shaven  the  pointe  well  and  rounde  fyled  cauted  and  sharped."  34  —  35 
Hen.  VUL  c.  6. 

*)  37  Hen.  VIII.  c.  13. 

6)  19  Hen.  VII  c.  6  (1504).  1539  lag  dem  Parlament  eine  Bill  vor, 
welche  auch  das  Markiren  von  Rohzinn  verlangte,  wurde  aber  im  Ober- 
hause verworfen.    Lords*  Journ.    47°  die  Pari.  31  Hen.  VHI. 

7)  4  Hen.  VHI.  c.  7  (1512). 

39* 


—    612    — 

englischen  Waaren  im  Auslande  einen  guten  Ruf  zu  verschaffen. 
Das  Gesetz  drohe  aber  illusorisch  zu  werden.  Viele  Engländer 
seien  in  die  überseeischen  Länder  gegangen,  wo  sie  nicht  nur 
den  Fremden  das  Zinnhandwerk  lehrten,  sondern  selbst  lauter 
gefälschte  Waaren  machten,  in  England  einführten  und  die 
gute  Arbeit  verdrängten.  Man  begnügte  sich  nun  aber  nicht 
mit  einer  Controlirung,  sondern  verbot  ganz  und  gar  das  Kaufen 
fremder  Zinnwaaren.  Man  gestattete  den  Zinngiessern  nicht, 
einen  fremden  Lehrling  anzunehmen  oder  sich  behufs  Ausübung 
des  Gewerbes  in  die  Fremde  zu  begeben,  untersagte  den  Hausir- 
handel mit  Zinn-  und  Messingwaaren  und  drang  noch  mehr 
wie  früher  darauf,  dass  Zinnwaaren  nur  auf  offenem  Markte 
oder  im  Hause  des  Zinnverfertigers  verkauft  würden  *).  Man 
erneuerte  die  Acte  nachmals  immer  nur  auf  kurze  Zeit  *) ;  man 
überzeugte  sich  aber  während  ihrer  Dauer,  dass  sie  „not- 
wendig und   förderlich    sei,   und   erklärte   sie  für   dauernd 

gültig8). 

Im  Vorstehenden  haben  wir  den  grösseren  Theil  der  eng- 
lischen Gesetzgebung  in  Betreff  der  Waarengüte  kennen  ge- 
lernt. Es  könnte  leicht  der  Gedanke  entstehen,  dass  dieselbe 
nur  bei  Tüchern  und  da  eingriff,  wo  es  sich  um  Befriedigung 
zünftischer  Wünsche  bandelte.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Der 
höhere  Gesichtspunkt,  den  Consumenten  vor  Uebervortheilung 
und  Betrug  zu  schützen,  blieb  immer  bestehen,  und  nach  dieser 
Seite  hin  gab  es  für  die  Gesetzgebungstbätigkeit  keine  Grenze. 
Wir  sehen  sie  denn  auch,  wo  immer  das  Bedürfoiss  sich  ein- 
stellte, eingreifen.  Seit  ältester  Zeit  bestand  so  die  strengste 
Controle  über  die  Lebensmittel,  wie  Brod,  Bier,  Wein,  Fleisch, 
Fisch,  Geflügel  und  Mehl 4).  Die  Aufsicht  lag  den  localen  Be- 
hörden ob &),  die  Gesetzgebung  regelte  aber  zumeist  das  Straf- 
recht in  einheitlicher  Weise 6).  Die  gründliche  Reinigung  des 
für  London  bestimmten  Malzes  wurde  unter  Richard  IL  durch 
Gesetz  vorgeschrieben 7),  ebenso  war  die  der  importirten  Ge- 
würze vorgesehen8).  Die  Verfälschungen  von.Oel  und  Wacha- 
fabricaten  suchte  man  unter  Heinrich  VIII.  abzustellen,  indem 
man  den  Wachskerzenmachern,  Talglichtverfertigern  und  LocaJ- 


*)  25  Hen.  VIÜ.  c.  9  (1533/34). 

*)  28  Hen.  VHI.  c.  9  (1586);  31  Hen.  VIH.  c.  7  (1539). 

»)  33  Hen.  VHI.  c.  4  (1541). 

*)  Statutebook  I.  S.  201  fg.;  Hoveden,  Cronica  1H.  S.263,  IV. 
S.  62;  Twiss,  The  black  of  the  admiralty  H.  S.  105,  145, 146,  177:  4  Ed. 
111.  c  12;  27  Ed.  m.  st  1  c.  8. 

«)  Lib.  Alb.  ed.  Riley  S.  464  fg.  App.  S.  411—29. 

«)  Statutebook  I.  S.  201  fg. 

')  17  Ria  IL  c.  4;  für  den  Continent  vgl.  z.  B.  Wehrmann,  Lüb. 
Zunftr.  Nr.  8. 

8)  Lib.  Alb.  ed.  Riley  S.  736;  Rot.  Pari.  V.  S.  32;  Brewer,  CaL 
III.  1379. 


—    613    - 

behörden  die  Ermächtigung  ertheilte,  nach  verfälschten  Pro- 
ducten  zu  suchen,  dieselben  zu  zerstören  und  die  Uebelthäter 
zu  bestrafen1).  Die  Füllung  der  zum  Verkauf  bestiinmten 
Federbetten  und  Matratzen  mit  verschiedenen  Stoffen  wurde 
unter  Heinrich  VII.  auf  Bitten  der  Londoner  Tapezierer  unter- 
sagt, der  Zunft  aber  ausserhalb  Londons  kein  Sucherecht  ein- 
geräumt2). Eine  gute  Packung  der  Wolle  wurde  wiederholt 
in  den  Handelsverträgen  zugestanden9),  später  auch  durch 
Gesetz  verboten,  dass  man  Wollvliesse,  die  nicht  gehörig  ge- 
waschen waren,  zusammenrollte  oder  gar  Steine,  Erde  oder 
schlechtere  Wollsorten  dazwischen  packte4).  Aehnlich  verfuhr 
man  bei  andern  Gegenständen6).  Im  Interesse  der  Landes- 
sicherheit und  Wehrfähigkeit  schrieb  man  1406  vor,  dass  alle 
Pfeilspitzen  und  Bolzen  gut  geschmiedet  und  gehärtet  und  mit 
einer  Marke  des  Verfertigers  versehen  werden  müssten6). 
Eduard  IV.  suchte  die  mangelhafte  Ziegelfabrication  durch 
eingehende  Reglements  zu  heben.  Die  Zubereitung  der  Ziegel- 
erde, die  Grösse  und  Dicke  der  Ziegeln  wurde  vorgeschrieben. 
Die  Friedensrichter  konnten  eigene  Sucher  aufstellen,  ein  Be- 
weis, wie  grossen  Werth  man  auf  die  Durchführung  des  Statuts 
legte7). 

Besondere  Aufmerksamkeit  wendete  man  endlich  auch  den 
Gold-  und  Silberwaaren  zu.  Die  grosse  Sucht  nach  glänzendem 
Schmuck,  die  Bedeutung  des  Schatzes  an  Gold-  und  Silber- 
geräthen  als  eines  Werthauf bewahrungsmittels 8),  die  Schwierig- 
keit für  den  Laien,  den  Betrug  zu  erkennen,  mussten  früh- 
zeitig die  Notwendigkeit  einer  Gontrole  nahe  legen.  Schon 
Eduard  I.  nahm  die  Sache  in  die  Hand.  Silberwaaren,  statuirte 
er,  müssen  mindestens  Sterlinglegirung  haben  oder  noch  feiner 
sein.  Kein  Silbergegenstand  darf  von  den  Silberschmieden 
verabreicht  werden,  bevor  die  Wardeine  des  Handwerks  ihn 
untersucht  und  mit  dem  Leopardenkopf  markirt  haben.  Gold- 
waaren  dürfen  nicht  geringer,  als  die  Pariser  Legirung  sein. 
Die  Wardeine  der  Zunft  sollen  von  Laden  zu  Laden  gehen 
und  sich  überzeugen,  ob  das  der  Fall  ist.  Goldwaaren,  welche 
nicht  die  vorgeschriebene  Legirung  haben,  werden  an  den 
König  verwirkt    Nur  natürliche  Steine  sollen  irj  Gold  gefasst 


')  3  Hen.  Vm.  c.  14  (1511/12);  Bfrewer,  Cal.  IL  3305. 

«)  11  Hen.  VII.  c.  19. 

»)  Urk.  Beil.  8  fg. 

4)  28  Hen.  Vm.  c  17,  verlängert  durch  28  Hen.  VHI.  c.  8;  81  Hen. 
VHI.  c.  7;  33  Hen.  VIIL  c.  17;  87  Hen.  Vm.  c.  23.  Das  Wollgewicht 
wurde  schon  durch  25  Ed.  UI.  st  5  c  9;  34  Ed.  IIL  c.  5.  geregelt 

*)  VgL  z.  ß.  4  Hen.  VH.  c.  22;  Lib.  Alb.  ed.  Riley  S.  279,  378. 

•)7  Hen.  IV.  c.  7  (1406). 

*)  17  Ed.  IV.  c  4  (1477/78).  üeber  die  Dachbedeckung  in  früherer 
Zeit  vgl.  Lib.  Alb.  Introd.  S.  XXIX,  XXXII;  S.  334. 

8)  Sieh  oben  S.  491. 


—    614    — 

werden.    Die  Graveure,  Stein-  und  Siegelschneider  haben  Ju- 
welen von  geringhaltigerem  Gold  so  rasch  als  möglich  zu  ver- 
kaufen und  wenn  sie  solche  kaufen,  sollen  sie  dieselben  nur 
weiter  verarbeiten,  aber  nicht  veräussern.    In  allen  Städten 
Englands,  wo  es  Goldschmiede  gibt,  haben  diese  dem  Statut 
zu  genügen,   wie  die  von  London.    Von  jeder  solchen  Stadt 
soll  ein  Goldschmied  nach  London  kommen,  um  die  Legirung 
kennen  zu  lernen 1).    Dieses  Statut  erfüllte  seinen  Zweck  nicht 
1363   erliess  Eduard  III.  neue  Bestimmungen.    Jeder    Gold- 
schmied musste  seine  eigene  Marke  haben.    Der  König  behielt 
sich    die   Ernennung   der  Aufseher   vor.     Kein  Goldschmied 
durfte  seine  Marke  anbringen,  bis  die  Aufseher  die  Waare 
geprüft  und  des  Königs  Stempel  darauf  gesetzt  hatten.    Die- 
jenigen, welche  Silbergeschirr  machten,  sollten  sich  nicht  mit 
dem  Vergolden  abgeben  und  umgekehrt.    Die  in  jeder  Stadt 
Aufgestellten  hatten  die  Controle  vorzunehmen,  so  oft  es  be- 
fohlen wurde 2).    Auch  dieses  Gesetz  genügte  nicht.    1379  gab 
eine  Petition  ans  Parlament  als  Grund  des  Misslingens  an,  das 
die  Goldschmiede  ihre  eigenen  Richter  seien.    Es  scheint  so- 
nach,  dass  der  König  die  Aufseher  auch  wieder  aus  der  ein- 
flussreichen und  wohlhabenden  Zunft  der  Goldschmiede  nahm. 
Die  Petenten  vertraten  einen  richtigen  Standpunkt,   wenn  sie 
verlangten,  die  Probe  solle  den  Stadtbehörden  zustehen  und 
als  technischer  Beistand  der  Münzmeister  füngiren.    Wäre  dies 
geschehen,  so  wäre  eine  unparteiliche  Controle  vorhanden  ge- 
wesen.   Der  König  gab  aber  eine  ausweichende  Antwort  und 
versprach  nur  Prüfer  ernennen   zu  wollen,   welche  ihm  gut 
schienen8).     Offenbar  wurde  an   dem  alten  Modus  zunächst 
nichts  geändert.    Die  Goldschmiede,  die  Bankiers  jener  Tage, 
hatten  sich  gute  Privilegien  verschafft  und  besassen  eine  grössere 
Selbständigkeit,   als  vielleicht  irgend  eine  Zunft  in  England. 
Sie  spielten  in  der  staatlichen  Finanzgebahrung  die  erste  Rolle, 
die  Könige  wagten  nicht  schroff  gegen  sie  vorzugehen.    Die 
Goldschmiede  von  London  behaupteten  auch  zu  Anfang  des 
15.  Jahrhunderts,  seit  Menschengedenken  hätten  ihre  Vorstände 
die  Controle  in  ganz  England  gehabt  und  unterdrückten  einen 
Versuch  der.  Londoner  Messerschmiedzunft,  ihrer  Controle  und 
ihrer  Strafgewalt  sich  zu  entziehen4).  Es  wurden  wohl  mancherlei 
Gesetze  erlassen,  aber  sie  betrafen  nicht  die  Kernfrage.    So 
ordnete   man  an,   dass  Niemand   kupferne  oder   messingene 


*)  28  Ed.  I.  c.  20  (1300). 

»)  Rot.  Pari.  II.  S.  281;  87  Ed.  IIL  c  7.  Lib.  Alb.  ed.  Rilev  S.637. 
Vgl.  auch  ähnliche  Vorschriften  auf  dem  Continent  für  Hamburg  bei  Rü- 
diger, Hamburger  Zunftrollen  Nr.  17;  für  Paris  in  den  Reglements  snr 
les  arts  Nr.  11;  für  Amiens  bei  Thierry,  Recneil  des  doctnnents  inädits 
de  rhiBtoire  da  tiers  etat  1850     L    Nr.  276. 

8)  Rot  Pari.  IIL    8.  66,  67. 

*)  Rot  Pari.  DI.    8.  586. 


—    615     — 

Gegenstände  vollständig  vergolden  dürfe,  damit  der  Verkäufer 
sehe,  woraus  die  Masse  des  Gegenstandes  bestehe1).    Später 
verlangte  man,  dass  nur  Silber  und  die  Ornamente  der  Kirche 
vergoldet  und  nur  die  Rüstungen  und  Geräthe  des  Adels  ver- 
silbert werden  dürften2).    Ferner  verbot  man,  unter  die  gold- 
und  silbergewirkten  Stoffe  Messing  zu  mischen8).    Eine  erste, 
wenn  auch  zunächst  kleine  Aenderung  in  der  Controle  ver- 
suchte man  1423  in  Betreff  der  Silberharnische.    Zwar  blieb 
in  London  die  Stempelung  mit  dem  Leopardenkopf  neben  der 
Fabricationsmarke  augenscheinlich  nach  wie  vor  in  den  Händen 
der  Zunft.    Aber  für  die  Städte  Newcastle  upon  Tyne,  Lincoln, 
Uorwich,  Bristol,   Salisbury  und  Coventry  sollten  die  Stadt- 
behörden verschiedene  Stempel  festsetzen,  und  man  darf  an- 
nehmen, dass  sie  auch  den  Stempelinhaber  ernannten.   Ferner 
wurden  die  Friedensrichter  und  die  ihnen  Gleichgestellten  be- 
auftragt, über  die  Durchführung  der  Acte  zu  wachen4).    Da- 
durch  wurden  die  Goldschmiede   dem   ordentlichen   Gerichte 
untergeordnet.    Aber  auch  dieser  Versuch   schlug  fehl.    1477 
erklärte  die  Regierung,   dass  der  König  noch  keinen  einzigen 
Strafantheil   aus    Anlass  dieses   Statuts   erhalten   habe.     Die 
Zunftvorstände  setzten  fort  und  fort  den  Leopardenkopf  auf 
die  Waaren,  auch  wenn  sie  nicht  die  vorgeschriebene  Feinheit 
hatten.    Man  verschärfte  die  Strafen  gegen   den  Inhaber  des 
Leopardenstempels  und  erklärte  die  ganze  Zunft  für  diesen 
haftbar.    Den  Anzeigern   wurde  die   Hälfte   der  Strafe   ver- 
sprochen.   Ausserdem  unterwarf  man  die  fremden  Goldschmiede 
in  London  und  den  Vorstädten  der  Aufsicht  der  Zunftvorstände 
und  zwang  sie,  in  offenen  Strassen  zu  wohnen6).    Diese  Neu- 
ordnung scheint  nicht  ohne  Erfolg  gewesen  zu  sein;  denn  die 
Goldschmiede  beschäftigten  unter   den   beiden  ersten  Tudors 
nicht  mehr  die  Gesetzgebung,  wohl  aber  war  dies  hinsichtlich 
eines    allerdings   naheliegenden   Gewerbszweigs,    nämlich    der 
Affinirung  geschehen.    Die  Affinirer  hatten  früher  ihr  Gewerbe 
unter  unmittelbarer  Aufsicht  der  Münzer   betrieben,   hatten 
aber  nun  vielfach  auch  an  andern  Orten  dasselbe  begonnen. 
Dadurch  war  eine  verschiedene  Legirung  entstanden.     Man 
schränkte  ihren  Betrieb  ein,  indem  sie  blos  an  die  Münze  und 
an  die  Goldschmiede  ihr  legirtes  Metall   verkaufen  durften, 
schrieb  ihnen  das  einzuhaltende  Korn  vor  und  zwang  sie,   das 
Metall  mit  ihrer  Marke  zu  versehen6). 


*)  Rot  Pari.  III.  S.  541;  5  Hen.  IV.  c.  18  (1404). 

a)  8  Hen.  V.  c.  8  (1420). 

8)  2  Hen.  VI.  c.  10. 

*)  2  Hen.  VI.  c  17. 

*)  17  Ed.  IV.  c  1  (1477/78);  Rot.  Pari.  VI.  S.  185. 

6)  4  Hen.  VI.  c.  2  (1489). 


—    616    — 

Es  ist  ein  mühsamer  Weg,  den  wir  gegangen  sind;  aber 
die  Erzählung  dessen,  was  der  Staat  auf  diesem  schwierigen 
Gebiete  versuchte,  dürfte  am  besten  und  unmittelbarsten  eine 
Vorstellung  gegeben  haben  von  dem  Ziel,  das  man  anstrebte, 
den  Motiven,  durch  die  man  sich  leiten  Hess,  von  den  Organen, 
deren  man  sich  bediente,  der  Wirkung,  die  man  erreichte. 

Frühzeitig  sehen  wir  in  England  eine  Reichsgesetzgebung 
über  Mass  und  Gewicht,  Güte  der  Waaren  sich  entwickeln. 
Die  stark  centralisirte  Polizeigewalt,  wie  sie  die  normannische 
Eroberung  erzeugte,  und  wie  sie  sich,  wenn  auch  etwas  ab- 
geschwächt, im  weiteren  Verlauf  erhielt1),  war  einer  um- 
fassenden Regelung  auch  dieser  Punkte  günstig.  Man  blieb 
sich  stets  bewusst,  dass  der  Staat  die  Einheit  der  Masse  und 
Gewichte  im  ganzen  Reiche  durchzuführen  hätte.  Wurde  dies 
auch  noch  lange  nicht,  selbst  nicht  in  der  Zeit  der  Tudors 
vollständig  erreicht,  so  ist  doch  unverkennbar,  dass  die  Nivel- 
lirung  fortschritt,  und  eine  weitere  Zersplitterung  vermieden 
wurde.  Jedenfalls  genügte  der  polizeiliche  Apparat,  um  den 
aus  Anlass  von  Mass  und  Gewicht  im  Verkehr  vorkommenden 
Uebervortheilungen  ziemlich  zu  steuern. 

Den  Betrug  zu  hindern  und  Nachtheile  vom  Consumenten 
fem  zu  halten,  war  auch  der  Zweck  der  Ueberwachung  der 
Waarengüte.  Die  moralische  Verwerflichkeit  einer  betrügeri- 
schen Fabrikation  stand  lange  im  Vordergrund,  aber  die 
Nützlichkeit,  die  aus  der  Unterdrückung  der  Missbräuche  er- 
wuchs, wurde  nicht  vergessen.  Dieses  Moment  wird  vielmehr 
im  Laufe  der  Zeit  immer  stärker  betont  und  gewann  immer 
mehr  an  Bedeutung,  seit  der  englische  Export  sich  vergrösserte. 
Wir  sehen  denn  auch  gerade  bei  der  Industrie,  die  dem  Be- 
trug am  leichtesten  zugänglich,  zugleich  aber  für  die  englische 
Ausfuhr  am  wichtigsten  war,  nämlich  bei  der  Tuchmanufactur, 
die  Gesetzgebung  besonders  eingehende  Massregeln  ergreifen. 
Die  letzteren  erhalten  dadurch  theilweise  einen  commerciell- 
poli tischen  Charakter.  Den  englischen  Tüchern  und  sonstigen 
Waaren  sollte  der  Ruf  der  Solidität  in  der  ganzen  Handels- 
welt zukommen,  das  englische  Siegel  sollte  genügen,  um  alle 
Zweifel  an  dem  richtigen  Mass  und  an  der  guten  Qualität  zu 
beseitigen. 

Die  Organe,  die  man  zur  Ausführung  der  Gesetze  benützte, 
waren  hauptsächlich  die  Friedensrichter  und  Stadtbehörden. 
Dieselben  reichten  nicht  aus.  Die  Friedensrichter  konnten 
die  Fälle  aburtheilen,  die  ihnen  zur  Kenntniss  kamen,  sie 
konnten  zur  Anzeige  auffordern,  durch  die  Ortsvorstände  sich 
berichten  lassen,  zuweilen  auf  Wunsch  der  Gesetzgeber  eigene 
Gommissionen  ernennen,  das  war  aber  nicht  wirkungsvoll  genug 

M  Gnei8t,  Die  Geschichte  des  Selfgovernment  in  England  1868.  S.91, 
171  fg.,  291  fg. 


—    617    — 

bei  einer  so  schwierigen  Materie,  wie  sie  die  Verschlechterung 
der  Waaren  war.  Die  Entdeckung  des  Betrugs  war  nicht  leicht, 
die  Grenze,  wo  er  begann,  flüssig  und  schwer  zu  bestimmen. 
Es  lag  nahe,  die  Gewerbetreibenden  selbst  mit  zur  Controle 
heranzuziehen.  Sie  waren  mit  den  üblichen  Praktiken  ver- 
traut, konnten  das  Uebel  leicht  an  die  Oeffentlichkeit  bringen. 
Eine  organisirte  ständige  Controle  hatte  natürlich  einen  ganz 
andern^ Effect,  als  wenn  man  sich  auf  zufällige  Anzeigen  ver- 
lassen "musste.  Die  Stadtbehörden  bedienten  sich  sehr  früh- 
zeitig dieses  Mittels,  ihrem  Beispiele  folgte  der  Staat.  Besonders 
war  dies  gegen  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  der  Fall.  Die 
Zünfte  machten  in  dieser  Zeit  all  ihren  Einfluss  geltend,  um 
das  Machtmittel  eines  ausgedehnten  Sucherechts  zu  erlangen, 
die  starke  Vertretung  des  städtischen  Elements  im  Unterhause 
und  die  Unmöglichkeit,  die  immer  eingehendere  und  viel- 
gestaltigere Gesetzgebung  allein  durch  die  Stadtbehörden  und 
Friedensrichter  wahrnehmen  zu  lassen,  waren  den  Bestrebungen 
der  Zünfte  nur  günstig.  Das  Mittel  war  ein  unvollkommenes, 
es  versagte  zuweilen  seinen  Dienst  und  führte  sogar  nicht 
selten  zu  neuen  Missbräuchen.  Die  zünftigen  Sucher  nahmen 
oft,  wie  unsere  Darstellung  zeigt,  ihre  Genossen  in  Schutz  und 
hielten  eine  strafrechtliche  Verfolgung  von  ihnen  fern,  oder  sie 
benützten  ihre  Macht,  unbequeme  Concurrenten  zu  chicaniren. 
Es  kam  vor,  dass  man  den  Zünften  ihr  Sucherecht  wegen  des 
damit  getriebenen  Missbrauchs  wieder  entziehen  musste1). 
Relativ  am  besten  scheint  die  Controle  bei  dem  grössern  Theil 
der  Tuchfabrication  gewesen  zu  sein.  Die  königl.  Tuchmesser, 
durch  deren  Hände  die  Tücher  beim  Verkauf  auf  offenem 
Markt  gingen,  waren  unabhängig  und  schon  durch  ihr  finan- 
zielles Interesse  veranlasst,  die  vorgefundenen  Gebrechen  zu 
ahnden  oder  ahnden  zu  lassen. 

Die  Gesetzgebung  versuchte  auf  verschiedenen  Wegen  ihr 
Ziel  zu  erreichen.  Einhaltung  bestimmter  Grössenverhältnisse, 
gewisse  Verpackungsarten,  ausgedehnter  Markirungszwang,  Be- 
günstigung des  öffentlichen  Marktes,  Verbot  gewisser  techni- 
scher Operationen,  Trennung  naheliegender  Gewerbe,  das  Er- 
forderniss  siebenjähriger  Lehrzeit  sind  die  hauptsächlichsten 
Mittel,  denen  wir  begegnen. 

Die  Wichtigkeit  und  den  Einfluss  dieser  Politik  wird  man 
nicht  unterschätzen  dürfen.  Für  eine  werdende  Industrie,  die 
anfangs  local  zerstreut  war,  deren  Zweige  lange  weder  unter 
sich  noch  mit  dem  allgemeinen  Markt  grosse  Fühlung  hatten 
und  die  nur  sehr  langsam  und  allmälig  eine  gegenseitige  Con- 
currenz  entwickelten,  waren  einheitliche  Nonnen  ein  Erziehungs- 
mittel und  geeignet,  die  stete  Gefahr  der  Nachlässigkeit  und 


x)  So  war  es  der  Fall  bei  den  Londoner  Tailors  1442.    Nicolas, 
Proceedings  etc.  V.  S.  196. 


—    618    — 

den  Hang  zum  Betrug  abzuschwächen.  Dass  es  ein  verbreitetes 
Gebrechen  der  englischen  Wirthschaft  war,  gegen  das  man  den 
Krieg  führte,  dafür  liefert  unsere  Darstellung  Beispiele  in  Ge- 
nüge. Auch  andere  Zeugnisse  liegen  hiefür  vor.  Statt  vieler 
erinnere  ich  an  das  eine,  dass  die  Mitglieder  der  vlämischen 
Hansa  sich  verpflichteten,  mit  keinem  englischen  Kaufmann 
mehr  handeln  zu  wollen,  der  einen  Theilnehmer  ihrer  Gesell- 
schaft im  Gewicht  oder  in  der  Qualität  der  Waaren  betrogen 
hatte  *). 

Die  erlassenen  Vorschriften  waren  übrigens  keine  arbi- 
trären, schlechthin  aufoctroirte  Reglements,  wie  es  im  Zeitalter 
des  aufgeklärten  Absolutismus  in  den  continentalen  Staaten 
vielfach  der  Fall  war.  Die  Anregung,  die  Initiative  ging  viel- 
mehr immer  vom  Publicum  aus,  die  verschiedenen,  sieh  wider- 
streitenden Interessen  kamen  zu  Wort  und  zwangen  die  Gesetz- 
geber zu  wählen  und  abzuwägen.  Das  Spiel  dieser  Interessen 
äussert  sich  lange  in  einem  wechselnden  Nachgeben  bald  nach 
der  einen,  bald  nach  der  andern  Seite,  es  bildet  sich  aber  aus 
diesen  Versuchen  schliesslich  doch  eine  Art  Diagonale,  eine 
feste  Richtschnur  heraus.  Von  einer  Bedrückung  der  Industrie 
kann  somit  keine  Rede  sein.  Die  betreffenden  Bestimmungen 
wurden  meistens  als  Gesetze  erlassen,  bei  deren  Zustande- 
kommen die  Städter,  d.  h.  vielfach  die  Gewerbtreibenden  den 
Ausschlag  gaben.  Selbst  die  Tudors  griffen  nicht  eigenmächtig 
ein,  sondern  folgten  nur  äusseren  Impulsen,  Hessen  die  Gegen- 
gründe, die  man  geltend  machte,  sorgfältig  untersuchen.  So- 
weit es  möglich  und  soweit  es  mit  dem  vorgenommenen  Zweck 
verträglich  war,  wurde  den  Wünschen  der  Industriellen  und 
der  Freiheit  des  Verkehrs  Rechnung  getragen,  ja  zuweilen 
siegten  sogar  die  Gewerbtreibenden  über  die  bessere  Ueber- 
zeugung. 

Wie  bei  allen  Polizeigesetzen  war  der  Kampf  nicht  von 
einem  vollständigen  Erfolg  begleitet,  aber  an  der  Notwendig- 
keit von  Massregeln  hielt  man  fest,  trotz  mancherlei  Schwan- 
kungen kam  man  immer  wieder  auf  das  Princip  zurück.  Auch 
die  Zeit  der  beiden  ersten  Tudors  zeigt  hierin  keine  Aenderung 
gegen  früher.  Ihre  Regierung  ist  vielmehr  sehr  eifrig  nach 
dieser  Richtung  hin  thätig,  sie  stiess  aber  freilich  auf  grössere 
Schwierigkeiten,  als  es  früher  der  Fall  gewesen  war,  da  die 
Gewerbe  und  der  Handel  complicirter  sich  gestalteten  und 
fortwährende  Modificationen  und  Erweiterungen  der  Gesetze 
nothig  machten. 

Man  ist  heute  in  weiten  Kreisen  geneigt,  diese  Politik  als 
eine  verkehrte  .zu  verurtheilen ,  man  lässt  sich  dabei  zu  sehr 
von  modernen  Verhältnissen  leiten.    Die  unendliche  Mannich- 


*)  V arenbergh,  Relationa  diplomatique  entre  la  Flandre  et  TAngle- 
terre  au  moyen  age.    S.  148. 


—    619    — 

faltigkeit  des  heutigen  Verkehrs  und  der  neuzeitigen  Production 
würden  es  allerdings  unmöglich  machen,  eine  gleiche  Ueber- 
wachung  durchzuführen.  Man  muss  und  kann  einen  grossen 
Theil  der  freien  Concurrenz  überlassen.  Aber  ganz  ist  jene 
auch  heute  nicht  zu  entbehren.  Sie  ersteht  vielfach  wieder 
ganz  neu,  wie  bei  Lebensmitteln,  Gold-  und  Silberwaaren  etc. 
Diese  Aufsicht  wird  sicher  noch  etwas  weitere  Ausdehnung 
gewinnen.  Wie  man  aber  auch  darüber  denken  mag,  für  das 
damalige  England  war  die  Politik  trotz  mancher  Missgriffe  eine 
gute.  Es  war  schon  ein  grosser  Gewinn,  dass  das  Gefühl  für 
das  Unrecht  einer  betrügerischen  Fabrication  stets  lebendig 
erhalten  wurde.  Wenn  wir  sehen,  wie  die  englische  Tuch- 
industrie aus  schwachen  Anfängen  sicher  und  rasch  empor- 
wuchs, in  Kurzem  zum  europäischen  Ruf  gelangte  und  selbst 
erfolgreich  mit  der  niederländischen  Manufactur  in  die  Schranken 
treten  konnte,  sollte  da  die  Ansicht  so  ganz  unberechtigt  sein, 
dass  gerade  den  überwachenden  Massregeln  ein  guter,  viel- 
leicht der  grösste  Theil  am  Erfolge  zuzumessen  ist? 


Neuntes  CapiteL 

Die  Preispolitik. 


Bei  der  .grossen  Aufmerksamkeit,  die  der  englische  Ge- 
setzgeber dem  wirtschaftlichen  Leben  schenkte,  lässt  sich  von 
vorneherein  vermuthen,  dass  er  auch  die  wichtigste  wirth- 
schaftliche  Thatsache,  den  Preis  ins  Auge  fasste.  An  Veran- 
lassung hiezu  konnte  es  nicht  fehlen.  Einmal  kam  gerade 
hier  der  Kampf  der  einzelnen  Stände  und  öconomischen  Classen 
mit  ihren  verschiedenen  Rechten  und  Interessen  am  schärfsten 
zum  Ausdruck,  sodann  mussten  schon  die  weitgreifenden  und 
die  ganze  mittelalterliche  Wirthschaft  durchdringenden  An- 
schauungen vom  Wucher,  wonach  jeder  aussergewöhnliche  Ge- 
winn meist  als  unberechtigt  galt,  eine  fortwährende  Bewachung 
der  Preise  erzeugen.  In  der  That  sehen  wir  die  ausgedehn- 
teste Beeinflussung  der  Preisgestaltung  im  mittelalterlichen 
England.  Es  braucht  kaum  besonders  hervorgehoben  zu  wer- 
den, dass  der  Handel  damit  in  seiner  Richtung  und  Ausdeh- 
nung bestimmt  ward,  dass  überhaupt  erst  mit  dieser  letzten 
Betrachtung  ein  abschliessendes  Urtheil  über  die  Auffassung 
des  Handels  gewonnen  werden  kann. 

Es  mag  nun  gleich  hervorgehoben  werden,  dass  das  Bild, 
das  sich  bei  Beleuchtung  dieser  meist  innern  Vorgänge  uns 
darbietet,  ein  wesentlich  verschiedenes  ist  von  dem,  welches 
wir  bisher  kennen  lernten.  Während  der  äussere  Handel  der 
Engländer  nach  Kräften  gefördert  und  gestützt  wurde,  wird 
der  innere  vorwiegend  mit  ungünstigen  Augen  angesehen.  Der 
Händler  wurde  als  schädlich  präsumirt,  die  Zwischenhand 
führte,  wie  man  glaubte,  zu  einer  ungerechtfertigten  Vertheu- 
erung,  nur  wenn  Consument  und  Producent  sich  unmittelbar 
begegneten,  dachte  man,  werde  sich  ein  angemessener  Preis 
bilden.  In  dieser  Auffassung  wurde  man  um  so  mehr  bestärkt, 


—    621    — 

je  schwächer  die  Communicationswege  noch  entwickelt  waren, 
je  mehr  die  Concurrenz  fehlte  *)  und  je  häufiger  die  ganze 
Gesellschaft  unter  dem  brutalsten  Missbrauch  einzelner  gewinn- 
süchtiger Menschen  litt8). 

Ihren  unmittelbarsten  Ausdruck  fand  diese  ganze  Vor- 
stellung in  dem  Verbot  des  Vor-  und  Aufkaufs;  ausserdem 
hing  auch  die  Bekämpfung  der  städtischen  Gerechtsamen  zu 
Gunsten  der  Fremden  mit  dieser  Frage  zusammen,  wofür  wir 
jedoch  auf  Früheres  verweisen  können8).  Unter  Aufkauf 
konnte  jedes  Sammeln  von  Vorräthen  zum  Wiederverkauf  ver- 
standen werden,  als  Vorkäufer  galt  aber  hauptsächlich  der- 
jenige, der  Waaren,  die  für  den  Markt  bestimmt  oder  schon 
auf  dem  Wege  zu  demselben  waren,  von  den  Zubringern  er- 
warb und  dann  selbst  mit  denselben  auf  dem  Markt  erschien. 
Gerade  gegen  diese  letztere  Operation  zog  man  vorwiegend  zu 
Felde,  und  es  kann  nicht  geläugnet  werden,  dass  hier  meistens 
ein  wirklicher  Missbrauch  vorlag. 

Wie  weit  das  Verbot  zurückreicht,  lässt  sich  nicht  sagen. 
Es  erscheint  aber  schon  in  der  Libertas  Civitatum  4)  und  in 
den  Assisen  und  Erlassen  von  Johann  ohne  Land5),  Heinrich 
in.  und  Eduard  I.  Das  Iudidum  pillorium  und  Statutum  de 
pistoribus  schildert  den  Vorkäufer  in  den  grellsten  Farben 6). 
Derselbe,  heisst  es  in  letzterem,  ist  ein  offener  Unterdrücker 
des  armen  Volkes  und  des  ganzen  Gemeinwesens,  ein  Feind 
der  Grafschaft  und  des  Königreichs.  Aus  Gier  nach  eigenem 
Gewinn  verhindert  er  Andere  am  Kauf  von  Korn,  Fischen, 
Heringen  oder  irgend  einer  andern  verkäuflichen  Waare,  die 
man  zu  Wasser  oder  zu  Lande  bringt;  er  unterdrückt  die 
Armen  und  täuscht  die  Reichen ;  er  führt  die  Waaren  weg,  um 
sie  theurer  zu  verkaufen,  er  geht  den  fremden  Kaufleuten  ent- 
gegen, bietet  sich  zum  Kauf  ihrer  Waaren  an  oder  benach- 
richtigt sie,  dass  sie  ihre  Güter  theurer  verkaufen  könnten, 
als  sie  beabsichtigten;  eine  ganze  Stadt  oder  ein  ganzes  Land 
wird  durch  solche  Künste  betrogen. 

Während  des  Mittelalters  hielt  man  ununterbrochen  an 
dieser  Anschauung  fest1).    Die  Zeit  der  Tudors  steht  noch 


l)  Ueber  die  Einfachheit  und  Schwerfälligkeit  des  Handels  in  angel- 
sächsischer Zeit  vgl.  Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  111,  139, 
150,  171,  181,  197,  203,  285,  355.  Es  war  die  Arbeit  von  Jahrhunderten, 
bis  eine  lebhaftere  Concurrenz  sich  bildete. 

s)  Ausser  den  im  Folgenden  erwähnten  Beispielen  sieh  oben  S.  401; 
ferner  Lib.  Cust.  I.  S.  115;  Rot.  Pari.  IL  S.  823  fg. 

»)  Sieh  Cap.  3  dieses  Abschnittes  S.  379  fg. 

*)  Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  519. 

*)  Tr.  Twiss,  The  black  book  of  the  admiralty  I.  S.  70,  71,  78,  79; 
II.  S.  101  fg. 

*)  Statutebook  I.  S.  202,  208. 

7)  Sieh  die  vielen  Beispiele  im  Folgenden.  Ausserdem  vgl.  auch  Rot 
Pari.  II.  S.  261,  404;  III.  S.  48;  14  Ric.  IL  c.  4.  Lib.  Cust.  I.  S. 81, 296, 
303;  Lib.  Alb.  S.  193. 


-     622    — 

ganz  auf  demselben  Standpunct,  ja  man  kann  sagen,  dass  der 
Kampf  unter  Heinrich  VIII.  und  Eduard  VI.  erst  den  Höhe- 
punct  erreicht,  was  sich  leicht  erklärt,  wenn  man  bedenkt, 
wie  damals  das  ganze  volkswirtschaftliche  Leben  rascher 
pulsirte,  die  Preise  stiegen,  viele  neue  Zwischenglieder  auf- 
tauchten und  der  Handel  im  Innern  mit  aller  Energie  um  seine 
Existenzberechtigung  rang1). 

Reichte  das  Verbot  des  Vor-  und  Aufkaufe  nicht  aus,  sei 
es,  dass  es  zu  dehnbar  und  bei  der  wirklichen  Ausfuhrung  zu 
complicirt  war,  oder  sei  es,  dass  schon  die  Producenten  ihre 
Preise  nach  damaliger  Anschauung  ungebührlich  erhöhten,  dann 
ergriff  man  auch  andere  Massregeln,  worunter  die  Preistaxen 
am  meisten  hervorragten.  Jedenfalls  wurde  das  Interesse  des 
Gonsumenten  sehr  warm  und  in  ausgedehntem  Masse  wahrge- 
nommen. Der  Grad,  bis  zu  dem  dies  geschah,  die  Mittel,  die 
angewandt  wurden,  selbst  die  Motive,  die  mitwirkten,  waren 
aber  sehr  verschieden,  je  nach  den  Waaren,  um  die  es  sich 
handelte.  Bei  dem  fortwährenden  Interessenkampf  und  den 
immer  neu  auftauchenden  Erscheinungen  ist  die  Geschichte 
der  gemachten  Versuche  nach  vielen  Richtungen  hin  lehrreich. 
Die  wichtigeren  Züge  mögen  im  Folgen  dargestellt  werden. 

Am  nächsten  lag  erklärlicherweise  das  Eingreifen  in  die 
Preisgestaltung  bei  den  Lebensmitteln.  Hier  war  der  Wucher, 
d.  h.  die  Ausbeutung  der  augenblicklichen  Noth  der  Mit- 
menschen am  offenbarsten,  jedes  Preissteigern  und  Monopoli- 
sten zeigte  sich  gleich  in  seiner  ganzen  Verderblichkeit,  und 
dämm  galt  auch  hier  als  unumstössliche  Wahrheit  der  Satz, 
wie  ihn  Heinrich  VIII.  einmal  aussprach:  „vitayll  being  a 
necessary  sustenaunce  for  the  bodye  shuld  not  be  esteemed  at 
the  sellers  libertie,  lest  he  shuld  abuse  his  merchaundise  and 
enforce  men  for  want  to  bye  at  his  pryce"  2).  Sehen  wir  von 
den  Einzel  versuchen ,  deren  wir  später  gedenken  werden,  ab, 
so  verlangen  deshalb  die  Statuten  im  Allgemeinen  von  den 
Lebensmittelverkäufern  die  Einhaltung  massiger  Preise,  wobei 
als  Massstab  der  Beurtheilung  der  Preis  der  umliegenden 
Gegend  und  die  Entfernung  in  Betracht  gezogen  werden  soll- 
ten,   und   übertrugen   die    Controle  den   Stadtbehörden  und 


x)  Sieh  deshalb  auch  das  erhöhte  Eifern  der  Prediger  gegen  den  Anf- 
and Vorkauf;  z.  B.  Thom.  B  e  c  o  n ,  Early  woorks  written  under  Henry  VIII  *** 
ed.  bv  Ayre  S.  253;  Thomas  Lever,  Sermons  1550  in  Arbers  Reprints 
S.  128;  K.  Crowley,  Select  works  ed.  by  Cowper  S.  88.  Ausserdem  Tgl. 
Brewer,  Cal.  IV.  3761.  §  10;  Lavtons  Brief  an  Cromwell  bei  Ellis, 
Original  letters  Ser,  III.  Vol.  III.  S.  212.  Ueber  den  Gegenstand  ist  auch 
zu  Käthe  zu  ziehen  Girdler,  Observation  on  the  pernicious  conseqoences 
of  forestalling  regrating  and  ingrossing  with  a  list  of  the  Statutes. 
London  1800. 

*)  ürk.  Beil.  34. 


—    623    — 

Friedensrichtern1).  Die  Ortsbehörden  hatten  den  Ueber- 
tretnngen  nachzuforschen.  Die  Friedensrichter  ahndeten  die- 
selben, setzten  aber  auch  vielfach  die  einzuhaltenden  Preise 
fest*).  1423  wurde  ihnen  ausdrücklich  die  Befugniss  einge- 
räumt, die  Lebensmittelverkäufer  vor  sich  zu  laden  und  ihnen 
die  Preise  zu  fixiren.  Doch  war  die  Dauer  dieses  Gesetzes 
beschränkt9).  In  den  grösseren  Städten  übten  der  Mayor  und 
die  Aldermen  die  Polizei  und  vielfach  auch  das  Gericht4). 
Bei  dem  grossen  Einfluss  der  Ortsbehörden  in  der  gegebenen 
Frage  war  es  natürlich  wichtig,  sich  ihrer  Unparteilichkeit 
zu  versichern.  Schon  ein  Gesetz  Eduards  IL  verordnet  des- 
halb, dass  kein  Ortsbeamter,  dem  die  Lebensmittelpolizei  oblag, 
während  seines  Amtes  selbst  mit  Lebensmitteln  handele ö). 
Obwohl  die  Ausführung  zuweilen  auf  Schwierigkeiten  stiess 6), 
wurde  das  Gesetz  doch  1382  sogar  noch  erweitert,  indem  ein 
Lebensmittelverkäufer  in  einer  Stadt  überhaupt  keine  gericht- 
liche Stelle  bekleiden  sollte  oder  doch  bei  Mangel  an  geeigneten 
Personen  nur  dann,  wenn  er  für  die  Dauer  des  Amtes  sein 
Geschäft  niederlege7).  Daran  hielt  man  auch  fest,  bis  unter 
Heinrich  VIII.  Da  während  des  Letztern  Regierung  in  Folge 
des  Verfalls  der  Städte  und  Flecken  ausser  Bäckern,  Brauern, 
Weinschenkern,  Fischhändlern  und  sonstigen  Productenhändlem 
oft  gar  keine  vermögenden  und  passenden  Leute  vorhanden 
waren,  die  man  zu  Gemeindebeamten  und  damit  zu  Aufsehern 
und  Preistaxatoren  hätte  erwählen  können,  wurde  gestattet, 
dass  in  einem  solchen  Fall  der  Lebensmittelverkäufer  sein 
Geschäft  fortbetreibe,  verlangte  aber,  dass  er  bei  Festsetzung 
der  Preise  zwei  ebenfalls  gewählte  rechtschaffene  Personen 
zuziehe  8). 

Aus  diesen  und  andern  Zügen  ersieht  man,  eine  wie  grosse 
Wichtigkeit  man  dieser  Angelegenheit  beilegte.  In  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  reichte  die  Organisation  auch  aus,  Innerhalb 
dieses  Rahmens  trafen  die  Ortsbehörden  noch  mancherlei  Mass- 
regeln,   aber  auch   der  Gesetzgebung  blieb  die  unmittelbare 

*)  23  Ed.  HI  st.  of  lab.  c.  6;  25  Ed.  in  st  2.  c.  5;  st.  8.  c.  2;  27. 
Ed.  HI  st.  1.  c.  3;  7  Ric.  II  c.  11;  13  Ric.  II  st.  1.  c.  8;  4  Hen.  IV  c.  25. 

*)  Sieh  auch  28  Ed.  III  c  5  (1354).  Vielleicht  ist  auch  in  13  Ric.  II 
Bt  1  c.  8  der  Satz:  „victuallers  shall  have  reasonable  gains  according  to 
the  discretion  and  limitacion  of  the  said  justices"  als  Preistarifirung  durch 
die  Friedensrichter  aufzufassen. 

*)  2  Hen.  VI  c.  18. 

4)  31  Ed.  m  st  1  c.  10  (1857);  7  Ric.  II  c.  11  (1388).  Rot.  Pari. 
IL  S.  258;  III  S.  147,  160.  Sieh  auch  Gneis t,  Geschichte  des  Self- 
government  1863.    S.  194—204. 

s)  12  Ed.  II  st  Ebor.  c.  6  (1318). 

«)  Rot.  Pari.  II.  S.  42  (1330). 

*)  6  Ric.  II  st  1.  c.  9.  Schon  1371  hatten%die  Gemeinen  eine  ver- 
schärfte Anwendung  des  Gesetzes  von  1318  verlangt.   Rot  Pari.  II.  S.  306. 

8)  3  Hen.  VIII  c.  8  (1511  12);  ausgenommen  blieben  London,  York, 
Coventry. 


—    624    - 

Bethätigungnicht  erspart.  Die  einzelnen  Erscheinungen ,  die  hiezu 
Anlass  gaben,  und  die  ihnen  gegenüber  eingenommene  Stellung 
sind  besonders  geeignet,  die  damalige  Preispolitik  zu  illustriren. 

Zu  den  verbreitetsten  Nahrungsmitteln  im  mittelalter- 
lichen England  gehörten  die  Fische.  Für  die  Ernährung 
des  Volkes  waren  sie,  den  Berichten  nach  zu  schliessen,  fast 
so  wichtig  als  das  Brod.  Gerade  bei  ihnen  war  aber  die 
Möglichkeit  von  Collisionen  besonders  gross.  Den  Fischern 
war  es  wohl  an  den  Seeplätzen  möglich,  ihre  Fische  direct  zu 
verkaufen,  ebenso  den  Flussfischem  im  Innern  des  Landes, 
ganz  konnte  man  aber  eines  Zwischengliedes  nicht  entbehren; 
denn  der  Verschleiss  der  Fische  war  doch  eine  Thätigkeit,  der 
sich  viele  Fischer  nicht  unterziehen  konnten,  ohne  ihr  Fischerei- 
gewerbe zu  beeinträchtigen.  Auch  das  Publicum  wurde  besser 
bedient,  wenn  die  regelmässige  Versorgung  des  Marktes  von 
besonderen  Leuten  wahrgenommen  wurde.  Es  traten  darum 
frühzeitig,  namentlich  in  den  grössern  Städten,  besondere 
Fischhändler  auf,  die  das  Fischereigewerbe  nur  nebenbei  oder 
gar  nicht  ausübten,  auch  Wirthe  und  andere  Leute  versuchten 
zuweilen,  in  den  Fischhandel  sich  zu  mischen.  Da  war  nun 
die  Aufgabe  zu  lösen,  dass  kein  missbräuchlicher  Auf-  und 
Vorkauf  entstand.  Das  Problem  war  besonders  schwierig, 
wenn  die  Fischändler  eine  Zunft  bildeten  und  nicht  nur  die 
Goncurrenz  der  Einheimischen,  sondern  auf  ihre  städtischen 
Gerechtsamen  sich  berufend,  auch  die  der  Fremden  einzu- 
schränken suchten. 

In  London  war  die  Frage  des  Fischhandels  vor  Allem 
wichtig.  Seit  Eduard  I.  war  man  bemüht,  eine  befriedigende 
Ordnung  zu  schaffen.  Die  in  der  Zeit  von  1282—1290  er- 
lassenen städtischen  Vorschriften  waren  grundlegend1).  Die- 
selben verboten  nicht  -nur  denen  entgegen  zu  gehen,  welche 
Fische  zur  Stadt  bringen  wollten,  sondern  untersagten 
auch  den  Fischhändlern,  mit  einem  -Auswärtigen,  der  vom 
Meere  Fische  zur  Stadt  liefere,  Theilhaberschaft  zu  unterhalten. 
Zur  Begründung  dieses  Verbots  ist  angefühlt,  dass  die  Aus- 
wärtigen, von  der  Lage  der  Stadt  unterrichtet,  den  Preis  höher 
hielten,  als  sie  es  ohne  diese  Kenntniss  thäten,  und  die  Stadt- 
händler, wenn  sie  die  Fische  nicht  nach  ihrem  Belieben  ver- 
kaufen könnten,  dieselben  aufbewahrten  und  theurer  verkauf- 
ten, als  die  Auswärtigen,  die  ohne  Theilhaberhaft  kämen  und 
keine  Unterkunft  finden  könnten.  Femer  sollte  Niemand 
frische  Fische  vor  Sonnenaufgang  oder  Salzfische  vor  einer  be- 
stimmten Morgenstunde   kaufen;   den  Fischhändlern   war  der 

* 
*)  Die  älteste,  die  Fische  betreffende  Ordonnanz,  die  man  kennt,  ist 
wohl  die  Preistarifirung  der  Lampreten   durch  Johann  im  Jahre   1207. 
Hardy,  Rot  Lit.  Pat  S.  68. 


—    625    — 

Kauf  erst  nach  3  Uhr,  d.  h.  nachdem  die  andern  Leute  ihren 
Bedarf  gedeekt  hatten,  gestattet  Sämmtliche  Fische,  die  auf 
den  Markt  gelangten,  mussten  am  Tag  der  Ankunft  losge- 
schlagen werden.  Ausgenommen  waren  Salzfische  und  Fische, 
die  erst  nach  3  Uhr  auf  den  Markt  kamen.  Die  letztern 
sollten  am  darauffolgenden  Tage  zum  Verkauf  ausgestellt  wer- 
den. Den  Fischhändlern  wurde  zur  Auflage  gemacht,  die  ver- 
schiedenen Fische  so  zu  kaufen,  dass  sie  dieselben  zu  einem 
näher  bezeichneten  Maximalpreis  abgeben  könnten.  Die  Austern 
sollten  ausschliesslich  von  den  Austernfischern  verkauft  werden 
und  zwar  im  Detail.  Nur  den  am  Nachmittag  noch  übrigen 
Rest  durften  Wiederverkäufer  erwerben;  diese  sollten  die 
gekauften  Austern  nur  in  ihren  Läden,  nicht  aber  auf  dem 
Boot  weiter  verschleissen.  Auch  die  von  Nantes  nach  London 
gelangenden  Lampreten  dürften  nur  die  sie  bringenden  Frem- 
den verkaufen.  Erst  am  vierten  Tag  nach  der  Ankunft  konnten 
auch  Wiederverkäufer  solche  erwerben.  Es  war  strenge  unter- 
sagt, Fische,  welche  zur  Nachtzeit  in  die  Stadt  gelangten,  vor 
Sonnenaufgang  zu  entfernen.  Wurden  Fische  zu  Lande  in 
Körben  gebracht,  so  durften  sie  nicht  in  Läden  oder  Häusern 
aufbewahrt  werden,  sondern  waren  vor  den  Läden  zu  ver- 
kaufen. Nur  ehrbaren  Männern  wurde  gestattet,  unter  Auf- 
sicht ihre  Fische  im  Haus  zu  bergen,  sie  mussten  aber  mit 
dem  ganzen  Vorrath  am  Morgen  auf  dem  Markt  erscheinen. 
Nimmt  man  noch  dazu,  dass  bald  darauf  den  Fischhändlern 
auch  verboten  wurde,  vor  den  Marktstunden  ihren  eigenen 
Fischen  entgegenzugehen,  so  dürften  die  Vorstellungen  über 
den  damaligen  Fischhandel  hinlänglich  klar  gezeichnet  sein1). 
Es  ist  genau  dasselbe  Bild,  das  wir  bereits  andeuteten.  Die 
Speculation  ist  verderblich,  der  Händler  denkt  nur  an  Miss- 
brauch und  muss  auf  einem  möglichst  engbegrenzten  Wege  sich 
halten.  Das  Interesse  des  Consumenten  wird  allein  wahrge- 
nommen. 

Die  Schwierigkeit  war  nur,  nun  auch  wirklich  die  Fisch- 
händler in  diesen  Rahmen  zu  bannen.  Zwar  besassen  sie  keine 
abschliessenden  Rechte  in  London,  wenigstens  nicht  zur  Zeit 
Eduards  II.  *),  aber  dass  sie  keine  Freunde  grosser  Concurrenz 
waren,  sieht  man  aus  ihrem  Vorgehen  gegen  drei  ihrer  Ge- 
nossen, als  diese  wegen  der  Nähe  ihrer  Läden  am  Fischquai 
ihre  Fische  im  Detail  billiger  abgaben,  denn  die  übrigen3). 
Im  Jahre  1382  brachte  die  Stadtbehörde  selbst  eine  Beschwerde- 


*)  Lib.  Cust.  S.  117  fg.,  120;  Lib.  Alb.  S.  289,  377,  878,  380  fg., 
686  fg. 

*)  „Bene  licet  cuilibet  libero  dictae  civitatis  piscem  in  grosso  et  ad 
retalliam  vendere  infra  domos  suas  in  ci  vi  täte  praedicta".  Lib.  Cust. 
S.  404,  406. 

")  Sehr  eingehende  und  nach  vielen  Richtungen  hin  interessante  Ein- 
zelheiten enthalt  hierüber  der  Lib.  Cust  S.  385—406;  sieh  auch  Rot. 
Pari.  I.  S.  370. 

Schanz,  Engl.  Handelspolitik.    I*  40 


—    626     — 

schritt  gegen  die  Fischhändler  beim  Parlament  ein.  Die- 
selben wurden  beschuldigt,  die  Auswärtigen,  welche  Fische 
nach  London  brachten,  unbillig  behandelt  zu  haben.  Sie  nähmen 
diesen  die  Fische  ab,  ohne  über  den  Preis  zu  unterhandeln,  ihre 
Bezahlung  decke  oft  nicht  die  Kosten,  durch  das  Monopolisiren 
gelinge  es  den  Londonern,-  die  Fische  theurer  zu  verkaufen, 
als  es  sonst  der  Fall  wäre,  die  Misshandelten  wagten  aber 
aus  Furcht  vor  Schlimmerem  nicht  zu  klagen.  Die  Fisch- 
händler massten  sich  für  die  Streitfälle  unter  sich  eigenes  Ge- 
richt an,  hätten  zu  kleines  Mass  und  umgingen  die  städtischen 
Ordonnanzen.  Der  König  nahm  in  Folge  dieser  Anzeige  alle 
Fremden,  welche  Fische  und  andere  Lebensmittel  brachten,  in 
seinen  besondern  Schutz,  gestattete  ihnen  den  Detailverkauf, 
verbot  den  Wirthen,  Fische  vorzukaufen  oder  überhaupt  in 
den  Fischhandel  sich  zu  mischen,  den  Fischhändlern  aber  und 
Stadtfreien  wurde  ganz  und  gar  untersagt,  frische  Meeres-  oder 
Flussfische,  ausgenommen  Hechte  und  Aale,  zum  Wiederver- 
kaufe zu  kaufen.  Endlich  wurde  bei  dieser  Gelegenheit  die 
schon  oben  erwähnte  Bestimmung  getroffen,  dass  kein  Lebens- 
mittelhändler ein  Amt  bekleiden  dürfe,  da  einige  Fischhändler 
als  Mayors  ihre  Gewalt  missbraucht  hatten.  Die  Fischhändler 
erschienen  im  Parlament  und  flehten  um  Schutz,  der  König 
nahm  aber  die  Bill  nicht  zurück,  sondern  versprach  nur  Ab- 
hilfe auf  einzelne  Beschwerden  hin 1).  Die  Fischhändler  hatten 
diese  ungünstige  Behandlung  wesentlich  dem  Umstände  zuzu- 
schreiben, dass  sie  im  Verdacht  standen,  am  letzten  Aufstände 
gegen  den  König  theilgenommen  zu  haben.  Es  gelang  ihnen 
aber,  allem  Anschein  nach,  sich  vollständig  zu  reinigen,  denn 
das  gegen  sie  erlassene  Gesetz  wurde  im  folgenden  Jahre  auf- 
gehoben8) und  ihnen  sogar  eine  Charte  gegeben,  wodurch  die 
Goncurrenz  der  Nichtbürger  ausgeschlossen  ward.  In  der  Folge- 
zeit war  ähnlich  wie  die  Fremdenpolitik  auch  ihre  Behandlung 
eine  wechselnde.  Heinrich  IV.  nahm  gleich  im  ersten  Regie- 
rungsjahre ihr  Privileg  wieder  zurück  und  auch  Heinrich  VI. 
bestätigte  diese  Zurücknahme3).  Aehnlich  beschäftigte  sich 
1512  das  Parlament  mit  einer  Bill,  welche  die  vollstän- 
dige Aufhebung  der  Stockfischhändlersgilde  bezweckte4).  Je- 
denfalls ist  ersichtlich,  dass,  selbst  wenn  die  Londoner  Fisch- 
händler im  Genuss  ihrer  Rechte  waren,  sie  vor  allzugrossem 
Missbrauch  wegen  der  ihnen  stets  drohenden  Gefahr  sich 
hüten  mussten. 

Es  war  London  nicht  allein,  wo  der  Fischhandel  zur  Klage 
Anlass  gab.    Im  Parlament  von  1314/15  beschwerten  sich  die 


*)  Rot.  Pari.  in.  S.  141—148;  6  Ric  II  st  1.  c  II. 

8)  7  Ric  n  c  11. 

»)  Rot  Pari.  Iü.  8.  444  (1899);  IV.  S.  492  (1435). 

4)  Lords'  Journals  3  Hen.  vm.  12°,  14°,  89»  die  Pari. 


—    627    — 

Lincolner,  dass  gewisse  Leute  der  Stadt  den  Fisch-  und  Lebens- 
mittel Verkäufern  entgegengingen,  die  Fische  vorkauften  und 
den  Kommenden  fast  gewaltsam  ihre  Waaren  abnähmen,  um  sie 
dann  um  den  zwei-  bis  dreifachen  Preis  verkaufen  zu  können 1). 
1357  brachten  eine  ähnliche  Klage  die  Leute  von  Yarmouth 
bezüglich  der  Heringe  vor.  Auch  hier  wurden  die  Fischer, 
die  zur  Messe  kommen  wollten,  belästigt,  und  besonders  ver- 
langten die  Wirthe,  bei  denen  die  Fischer  wohnten,  zuerst 
berücksichtigt  zu  werden,  oder  wollten  gar  nicht  dulden,  dass 
die  Fischer  selbst  Fische  verkauften.  Das  Statut,  das  darauf 
erlassen  wurde,  galt  für  alle  Plätze,  wo  Heringe  gefangen  und 
verkauft  wurden.  Kein  Hering  sollte  auf  offener  See  verkauft 
werden ,  sondern  erst  dann ,  wenn  das  Schiff  im  Hafen  ange- 
langt war.  Den  Wirthen  wurde  untersagt,  die  Fischer  zu 
stören,  sie  mussten  im  Hafen  vor  allen  Leuten  ihren  Vorrath 
kaufen.  Damit  sie  nicht  vorher  über  einen  ihnen  günstigen 
Preis  übereinkamen,  durften  alle  Kauflustigen  Heringe  zum 
gleichen  Preis  verlangen.  Aber  auch  mehr  als  40  sh  sollte 
Niemand  für  die  Last  Heringe,  d.  h.  10  000  Stück  geben. 
Der  Verkauf  durfte  nur  am  Tage  geschehen.  Schiffe  von 
London  oder  andern  Plätzen  sollten  nicht  einfahren,  um  den 
Preis  hinaufzutreiben,  sondern  mussten  an  den  übrigen  Küsten- 
plätzen ihre  Einkäufe  machen.  Sieben  Meilen  im  Umkreis 
von  Yarmouth  sollten  die  Fischer  nur  noch  nach  Eston,  Weston 
und  Southton  ihre  Heringe  bringen  dürfen.  Den  Wirthen 
wurde  die  Verpflichtung  auferlegt,  ihre  Gäste  so  gut  wie  früher 
zu  bedienen.  Verkauften  sie  Heringe  an  Kaufleute  zum  Wie- 
derverkauf, so  sollten  sie  nicht  mehr  als  40  d  per  Last ,  von 
ihren  Genossen  aber  gar  Nichts  als  Gewinn  nehmen,  da  ihr 
Vortheil  gross  genug  sei,  den  sie  von  ihren  Gästen  hätten. 
Der  Gewinn  der  Yarmouther  Kaufleute  war  auf  eine  halbe 
Mark,  der  der  Londoner  auf  eine  Mark  per  Last  festgesetzt  *). 
Der  Erfolg  der  Acte  war  nach  damaliger  Ansicht  ein  schlechter. 
Seit  durch  das  Gesetz  ein  wirklicher  Markt  in  Yarmouth  ge- 
schaffen und  das  Geschäft  nicht  ausschliesslich  in  die  Hände 
der  Wirthe  gegeben  war,  kamen  viele  Kaufleute,  auch  Bauern 
und  Arbeiter,  um  Heringe  zu  kaufen;  es  entwickelte  sich  eine 
lebhafte  Concurrenz.  Wenn  Einer  40  q)i  bot,  so  wollte  ein 
Anderer  50,  ein  Dritter  60  sh  geben,  und  am  Schluss  der 
Messe  war  der  Preis  regelmässig  sehr  hoch  geworden.  Weit 
entfernt,  darin  einen  Vorzug  zu  sehen,  beschuldigten  die  Gesetz- 
geber die  Bieter  eines  böswilligen  habsüchtigen  Handelns.  Als  ein 
weiterer  Uebelstand  wurde  die  Bestimmung  angesehen,  wonach 
Jeder  einen  Theil  der  Heringe  nach  dem  bewilligten  Preise 


*)  Rot  Pari.  I.  S.  290,  330. 
*)  31  Ed.  ffl  st.  2.  c.  1,  2. 

40* 


-     628    — 

verlangen  konnte.  Der  Fischer,  hiess  es,  komme  zu  Nachtheil 
und  werde  verzögert  dadurch,  dass  er  von  so  vielen  Personen 
sein  Geld  einsammeln  müsse.  Als  dritten  Missstaäd  führten  die 
Petenten  an,  dass  man  nur  während  des  Tags  Fische  kaufen 
dürfe.  Man  fange  häufiger  Fische  bei  Nacht  als  bei  Tag,  auch 
kämen  oft  die  Fischer  kurz  nach  Sonnenuntergang  und  wären 
dann  unter  grossem  Verlust  gezwungen,  bis  zum  andern  Morgen 
mit  dem  Verkauf  zu  warten.  Das  Parlament  und  der  König 
hielten  die  Klagen  für  berechtigt.  Fortan  sollten  deshalb  die 
Fischer  ihre  Fische  verkaufen  können,  wann  immer  sie  an- 
langten, die  Käufer  sollten  offen  mit  den  Fischern  über  die 
Preise  sich  einigen,  aber  Niemand  sollte  einen  Andern  im 
Handel  unterbrechen  oder  überbieten,  vielmehr  warten,  bis 
der  Erstere  mit  seinem  Geschäft  fertig  wäre1). 

Durch  diese  Verordnung  war  ein  grosser  Theil  des  früheren 
Statuts  ausser  Kraft  gesetzt.  Fünfzehn  Jahre  später  wogten 
aber  die  Klagen  aufs  neue.  Die  reichen  Wirthe  wurden 
wieder  beschuldigt,  alle  Heringe  in  Händen  zu  haben  und  mit 
dem  Verkauf  behufs  Preissteigerung  zurückzuhalten,  und  ebenso 
beklagte  sich  eine  ganze  Reihe  Grafschaften,  dass  man  die 
Fischer  zwinge,  sieben  Meilen  im  Umkreis  nur  in  Yarmouth 
während  der  Messe  zu  verkaufen;  die  meisten  Fischer  seien 
Fremde  und  gingen  ungern  in  die  Stadt,  weil  sie  dort  nur 
nach  dem  Wunsche  der  Bürger  verkaufen  könnten.  ■  Ein  billiger 
Preis  sei  nur  zu  erzielen,  wenn  diese  Beschränkung  zurückge- 
nommen werde,  was  auch  geschah8).  Trotzdem  blieben  die 
Heringe  theuer,  was  zu  erneuten  Untersuchungen  führte8). 
Unter  Richard  IL  gelang  es  den  Yarmouthern  wieder  ihre 
Vorrechte  bestätigt  zu  erhalten;  als  aber  die  Gemeinen  von 
Suffolk  und  Norfolk  darlegten,  dass  sie  bei  ungünstigem  Wind 
in  Yarmouth  nicht  einfahren  könnten,  sondern  in  Kirkelrode 
bleiben,  und  wegen  des  Gebots,  daselbst  nicht  auszuladen,  ihre 
Fische  ins  Meer  werfen  müssten,  wurde  die  Charte  wieder 
zurückgenommen 4). 

So  war  man  nach  20  Jahren  so  ziemlich  wieder  zu  dem 
Zustand  zurückgekehrt,  der  vor  dem  obigen  Statut  vorhanden 
war.  1382  machte  man  nochmals  einen  Versuch,  den  Wirthen 
in  London,  Yarmouth,,  Scarborough,  Winchelsea,  Rye  und  allen 
übrigen  Städten  den  Fischhandel  ganz  und  gar  zu  verbieten, 
nahm  aber  schon  im  nächsten  Jahr  das  Verbot  zurück  *). 

Auf  Grund  dieser  misslungenen  Experimente  wird  man 
annehmen  dürfen,  dass  auch  die  ähnlichen  für  den  Salzfisch- 


')  35  Ed.  III;  ordinatio  facta  de  altece.  (1360/61). 
*)  Rot.  Pari.  IL  S.  334,  353  (1376). 
»)  Rot.  Pari.  II.  S.  370  (1376/77). 
«)  Rot.  Pari.  DI.  S.  95,  117  (1380/81). 
5)  6  Ric.  II  st.  1.  c.  11;  7  Ric.  II  c.  11. 


.      —    629     - 

markt  zu  Blakeney  erlassenen  Bestimmungen  von  keiner  langen 
und  practischen  Bedeutung  waren1). 

Jedenfalls  geht  aus  den  wenigen  Zügen  hervor,  dass  an 
dem  Vorhandensein  von  wirklichen  Missbräuchen  nicht  ge- 
zweifelt werden  kann,  dass  aber  die  ergriffenen  Mittel  un- 
zweckmässig waren.  In  der  Beurtheilung  des  Fischhandels 
zeigte  sich  kein  nennenswerther  Fortschritt;  denn  wenn  man 
auch  nothgedrungen  den  Handelsinteressenten  und  dem  Ver- 
kehr Gpncessionen  machte,  so  musste  doch  jeder  neu  auf- 
tauchende Zweig  gewissennassen  erst  seine  Berechtigung  be- 
weisen und  erkämpfen.  Recht  klar  zeigt  dies  ein  Vorgang 
aus  der  Regierungszeit  Heinrichs  VIII. 

Zu  den  bedeutendsten  Fischmärkten  jener  Tage  gehörten 
Sturbridge,  St.  Ives  und  Ely.  Die  Londoner  und  andere  Eng- 
länder gingen  vor  der  Messe  an  die  östliche  Seeküste,  kauften 
sowohl  die  Fische,  welche  von  Island  kamen,  als  diejenigen, 
welche  im  Südosten  von  England  gefangen  wurden,  auf,  um 
sie  nach  Sturbridge  und  den  andern  genannten  Märkten  zu 
führen.  Gleichzeitig  erwarben  sie  aber  auch  alle  Salz-  und 
Stockfische  und  andere  Fische,  welche  Kleinhändler  zu  Markte 
bringen  wollten.  Theuerung  und  Mangel  soll  die  Folge  dieses 
Vor-  und  Aufkaufs  gewesen  sein.  Sofort  wurde  die  Zwischen- 
hand wieder  verboten.  Die  Fischer  und  Islandsfahrer  sollten 
selbst  ihre  Waaren  zum  Markte  bringen,  in  der  Umgebung 
des  Marktes  war  jeder  Vorkauf  untersagt,  und  auch  die  Wirthe 
sollten  keinen  grössern  Vorrath  sich  anschaffen,  als  sie  während 
der  Marktzeit  benöthigten.  Damit  die  Händler  nicht  durch 
Teilhaberschaft  sich  zu  Islandsfahrern  aufwarfen  und  auf  diese 
Weise  das  Statut  umgingen,  wurde  bestimmt,  dass  als  Islands- 
fahrer nur  diejenigen  zu  gelten  hätten,  welche  mindestens  eine 
Ladung  von  20  j£  im  Schiffe  hätten2).  Die  Acte  erwies  sich 
nach  zehnjähriger  Dauer  als  ein  vollständiger  Missgriff,  die 
neuen  Uebelstände  waren  grösser  als  die  früheren.  Die  Fahrt 
nach  Island  war  wirklich  ein  Wagniss,  und  seit  Langem  war 
es  deshalb  üblich,  das  Risico  zu  vertheilen.  Die  einzelnen 
Kaufleute  übergaben  nur  eine  geringe  Menge  Waaren  bei  der 
einzelnen  Fahrt.  Die  Vorschrift  nun,  dass  man  bei  einer  ein- 
zigen Fahrt  mindestens  für  20  jg  Waaren  nach  Island  zum 


])  Unter  Anderm  wurde  bestimmt,  dass  alle  Fischer  von  Blakeney 
und  Umgegend  nur  in  Blakeney  ihre  Fische  ausladen  dürften.  Bei  Beginn 
des  Marktes  sollten  Kaufleute  und  Schiffseigenthümer  einen  Preis  festsetzen! 
der  dann  während  der  Dauer  der  Messe  nicht  überschritten  werden  durfte. 
Sämmtliche  zu  Markt  gebrachten  Fische  mussten  verkauft  werden.  Niemand 
sollte  aus  Anlass  dieses  Gesetzes  das  Fischergewerbe  aufgeben.  31  Ed.  III. 
st.  3  c.  1,  2  (1857),  bestätigt  1362.    Rot.  Pari.  H.  S.  276. 

*)  25  Hen.  VIII.  c.  4.  —  An  der  Klippe  des  Aufkaufs  scheiterten 
auch  die  beiden  Fischmessen,  welche  Lynn  1538  vom  König  erhalten  hatte ; 
als  die  andern  Messplätze  geltend  machten,  durch  das  Aufkaufen  der  Lynner 
würden  die  Fische  vertheuert,  nahm  der  König  das  Privileg  zurück. 


—    680    — 

Erwerb  der  Fische  schicken  sollte,  veranlasste  viele  Kaufleute 
vom  isländischen  Handel  sich  zurückzuziehen.  Noch  schlim- 
mere Folgen  hatte  die  Ausschliessung  der  Zwischenhändler. 
Früher  als  die  Londoner  Kaufleute  und  sonstige  Engländer  an 
die  Ostküste  kamen  und  den  Islandsfahrern  ihre  Fische  ab- 
nahmen, hatten  diese  gleich  Baargeld,  konnten  ihre  Matrosen 
zahlen  und  sich  wieder  zu  neuer  Fahrt  rüsten.  Jetzt  aber 
mussten  sie  selbst  mühsam  die  Messen  und  Märkte  aufsuchen 
und  sich  mit  einem  Handel  abgeben,  der  ihnen  fremd  war, 
während  die  Londoner  und  andere  Fischhändler  den  Verschleiss 
über  das  Königreich  zu  ihrer  besonderen  Aufgabe  gemacht 
und  leicht  besorgt  hatten.  Das  Statut  wurde  deshalb  annul- 
lirt  und  damit  die  Existenzberechtigung  dieses  schon  das  locale 
Gepräge  abstreifenden  Handelszweiges  anerkannt1). 

Dagegen  wurde  ein  anderer  Fall  des  Auf-  und  Vorkaufs 
nicht  zugelassen,  weil  wichtige  andere  Interessen  mitspielten. 
In  den  Grafschaften  Kent*  und  Sussex  war  das  Fischergewerbe 
verfallen  und  in  die  Hände  der  Picarden,  Normannen,  Fran- 
zosen und  Vlamen  übergegangen.  Die  englischen  Fischer  und 
Fischhändler  fuhren  diesen  Fremden  entgegen,  nahmen  ihnen 
ihre  Ladung  gegen  Baargeld  ab  und  verkauften  sie  dann  an 
den  Küstenplätzen  zu  beliebigen  Preisen.  Das  war  nun  nicht 
nur  offenkundiger  zur  Verteuerung  führender  Vorkauf,  son- 
dern es  schädigte  auch  die  Schiffahrt,  verminderte  in  den 
beiden  von  der  Agrarrevolution  ohnehin  am  schwersten  heim- 
gesuchten Grafschaften  die  Arbeit  und  war  mit  einem  Edel- 
metallverlust von  20  000  Mark  jährlich  verbunden.  Den  Eng- 
ländern wurde  deshalb  untersagt,  in  den  überseeischen  Ge- 
bieten oder  auf  der  See  von  Fremden  Fische  zum  Wieder- 
verkaufe zu  erwerben,  man  gestattete  aber  den  Fremden  selbst, 
mit  ihren  Fischen  die  englischen  Hafenplätze  zu  besuchen  *). 

Fast  gleichwichtig  als  die  Fische,  namentlich  im  Innern 
des  Landes  war  das  Fleisch«  Dasselbe  war  ein  regelmässiges 
Nahrungsmittel  selbst  bei  den  geringsten  Leuten3).  Wegen 
der  ausgedehnten  Weideflächen,  des  dem  Graswuchs  förder- 
lichen Klimas  und  des  extensiven  landwirtschaftlichen  Betriebes 


*)  35  Hen.  VIII.  c.  7  (1543/44). 

*)  38  Hen.  VIII.  c  2  (1541/42),  erneuert  87  Hen.  VHI.  c.  28  (1545). 
Die  Acte  fand  keine  Anwendung  auf  Personen,  welche  Fische  in  Island, 
Schottland,  den  Orkneyinseln,  Irland  und  „Newland"  kauften,  ebenso  nicht 
auf  Störe  und  eine  Zeit  landauf  Heringe. 

*)  In  der  Acte  24  Hen.  YlH.  c.  4  heisst  es:  „beoffe  mutton  porke  and 
veale  —  is  the  common  fedyng  of  the  meane  and  poore  persones".  Damit 
stimmen  auch  andere  Angaben  überein.  London  hatte  um  1532  80  Metzger, 
welche  per  Jahr  (=-46Wochen)  33120  Ochsen  schlachteten  (Northouck, 
History  of  London  1773  S.  117).  Nach  dem  Bericht  des  renetianischen 
Gesandten  Lodoyico  Falier  v.  10.  Nov.  1531  hatte  London  eine  Einwohner- 
zahl von  70000,  nach  Soranzos  Relation  t.  18.  Aug.  1554  180000  Seelen. 


—    631     — 

war,  wie  dies  schon  der  beträchtliche  Häuteexport  beweist, 
das  Land  reich  an  Vieh  und  der  Zutrieb  zu  den  Märkten  ein 
genügender.  Nur  ganz  ausnahmsweise  und  für  kurze  Zeit 
wurde  das  grosse  Schlachtvieh  Preistaxen  unterworfen x).  Man 
begnügte  sich  hier  mit  den  Bestimmungen  über  Vor-  und  Auf- 
kauf. Die  Metzger  wurden  dagegen  strenge  überwacht,  und 
in  den  meisten  Städten  Fleischtaxen  vorgeschrieben2).  Das 
letztere  war  auch  der  Fall  mit  Geflügel  und  Wildpret8). 
Wiederholte  Versuche,  für  diese  von  Reichs  wegen  die  Preise 
zu  regeln,  mussten  bald  aufgegeben  werden 4). 

Die  Ordnung  dieser  Verhältnisse  blieb  auch  bis  zur  Zeit 
Heinrichs  VHI.  den  localen  Behörden  überlassen.  Während 
dessen  Regierung  begann  aber  in  den  Jahren  1525—28  das 
Fleisch  plötzlich  und  bedeutend  zu  steigen.  Einer  zeitgenössi- 
schen Denkschrift  zufolge  war  diese  Preiserhöhung  durch  eine 
ganze  Reihe  von  Ursachen  bewirkt  worden.  Die  lang  an- 
dauernden Kriege  gegen  Frankreich,  in  denen  die  Truppen 
hauptsächlich  mit  eingesalzenem  Fleisch  ernährt  wurden 5),  eine 
nach  Beendigung  der  Kriege  unter  dem  englischen  Schlacht- 
vieh eingetretene  Seuche,  deren  Intensität  grösser  war,  als  man 
sie  seit  40  Jahren  beobachtet  hatte,  vier  auf  einander  folgende 
trockene  Sommer  hatten  den  englischen  Viehstand  decimirt. 
Der  Futtermangel  veranlasste  die  Landwirthe,  die  Aufzucht 
von  Kälbern  und  Lämmern  zu  unterbrechen,  die  aufgezogenen 
waren  durch  Hunger  herabgekommen  und  nichts  werth.  Die 
grosse  Dürre  im  Sommer  und  die  Winterfröste  zerstörten  auch 
viele  Süsswasserfische  und  das  Morastgeflügel,  so  dass  ihr 
Preis  aufs  Dreifache  stieg.  Die  Zahl  der  Schweine  verminderte 
sich,  da  Bohnen  und  Erbsen  missrathen  waren  und  für  Pferde 
und  Rindvieh  verwendet  werden  mussten,  um  diese  gegen  den 
Hungertod  zu  schützen.  Die  Theuerung  des  Schlachtviehs  zog 
dann  auch  wieder  die  des  Geflügels  nach  sich6).  Dabei  ist 
die* Münzverschlechterung,  die  im  Jahre  1526  vorgenommen 
wurde,  nicht  zu  vergessen. 

Ein  Theil  der  Bevölkerung ,  darunter  auch  der  Verfasser 
oben   genannter  Denkschrift,   erwartete   eine  Besserung   vom 


(Brown,  Cal.  IV.  694-  V.  934).  Legen  wir.  die  Zahl  170000  zu  Grunde 
und  nehmen  wir  an,  dass  das  Durchschnittsgewicht  eines  Ochsen  4  Ztr. 
betrug,  so  würde  allein  an  Ochsenfleisch  auf  jede  Person  taglich  */•  & 
getroffen  haben. 

*)  Rot.  Pari.  I.  S.  295. 

*)  Lib.  Alb:  S  274,  712;  Lib.  Cust.  S.  304. 

8)  Lib.  Alb.  S.  465,  466,  715  fg.;  Lib.  Cust.  S.  82. 

4)  Rot.  Pari.  1.  S.  295,  351;  II.  S.  277;  37  Ed.  III.  c.  8;  38  Ed. 
in.  c.  2. 

6)  1512  schrieb  der  venetianische  Consul:  „The  lang  has  salted  25000 
oxen,  so  that  the  price  of  meat  had  risen  froni  1  d  to  3  d  per  pound." 
Brown,  Cal.  IL  168. 

c)  Brewer,  Cal.  IV.  3761. 


—    632    — 

Wiedereintritt  günstigerer  Witterung  und  von  Erhaltung  der 
Einhebungen,  ein  anderer  aber  sah  gerade  in  den  letzteren 
den  Grund  der  Preissteigerung1).  Jedenfalls  war  die  Masse 
des  Volkes  unzufrieden  und  über  die  Vertheuerung  eines  ihrer 
wichtigsten  Nahrungsmittel  erbittert.  Gleichzeitig  unterliessen 
die  ökonomischen  Politiker  jener  Tage  nicht,  auf  die  Con- 
sequenzen  dieser  Thatsache  hinzuweisen.  Sie  machten  unter 
Anderem  darauf  aufmerksam,  wie  notwendiger  Weise  die  auf 
Export  arbeitenden  Industrien  mit  grösseren  Kosten  producirten, 
der  englische  Ausfuhrhandel  gefährdet  sei  und  die  Beschäftigung 
der  Einheimischen  vermindert  werden  könnte2). 

So  drängte  man  von  allen  Seiten  die  Regierung.  Die- 
selbe war  nicht  säumig.  Sie  handhabte  nicht  nur  mit  er- 
neutem Eifer  das  Recht  in  Betreff  des  Auf-  und  Vorkaufs, 
besonders  bei  Schlachtvieh'),  sondern  traf  auch  mit  dem  Par- 
lament eine  Reihe  von  Bestimmungen,  welche  der  Preissteigerung 
entgegenwirken  sollten.  Um  die  Aufzucht  und  Fleischproduction 
wieder  zu  verstärken,  wurde  für  mehre  Jahre  das  Schlachten 
neugebomer  Kälber  und  überhaupt  Kälber  und  Stiere,  die 
unter  zwei  Jahre  alt  waren,  verboten4).  Ferner  wurde  auf 
vielfach  geäusserten  Wunsch6)  die  Ausfuhr  von  Vieh  irgend 


*)  Ueber  beide  Ansichten  sieh  Starkey,  England  in  the  reign  of 
king  Henrv  the  Eighth  ed.  Cowper  S.  97  fg.;  vgl.  auch  S.  87,  89,  90,  91. 
Thomas  More  gehörte  zu  denen,  welche  in  den  Einhegungen  einen  Grund 
zur  Preissteigerung  sahen:  „Reciderunt  enim  fere  in  manus  paucorum 
eorundemque  divitum,  quos  nulla  necessitas  urget  ante  vendenai,  quam 
Übet,  nee  ante  übet,  quam  liceat,  quanti  übet  Jam  cetera  quoque  pecoram 
genera  ut  aeque  cara  sint,  eadem  ratio  est,  atque  hoc  etiam  amplius,  quod 
dirutis  viUis  atque  imminuta  re  rustica  non  sint,  qui  foeturam  euren t. 
Neque  enim  divites  illi  ut  ovium  sie  etiam  armentorum  foetus  educant,  sed 
aliunde  macra  emta  vili,  posteaquam  suis  paseuis  pinguerint,  magno  reven- 
dunt;  idque,  sicuti  reor,  noudum  sentitur  totum  hujus  rei  incommodum. 
Nempe  adhuc  his  locis  reddunt  cara,  ubi  vendunt,  ceterum  ubi  aliquamdiu 
celenus  extulerint  illinc,  quam  nasci  possint,  tum  demum  ibi  quoque  paul- 
latim  decrescente  copia,  ubi  coemuntur,  necesse  est,  hie  insigni  laboretur 
inopia.  Ita  qua  re  vel  maxime  felix  haec  vestra  videbatur  insula,  jam  ipsam 
paucorum  improba  cupiditas  vertat  in  perniciem.  Nam  haec  annonae  Ca- 
ritas causa  est,  cur  quisque  quam  possit  plurimos  e  familia  dimittat*. 
Utopia  Hamb.  Ed.  1752  S  22,  23. 

*)  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschr.  S.  60,  62,  64,  70,  78,  74. 

3)  Unter  den  damals  des  Aufkaufs  von  Vieh  Beschuldigten  waren  9 
aus  Middelsex,  19  aus  Essex,  8  aus  Bedfordshire,  4  aus  Sussex  und  Kent, 
37  aus  den  Grafschaften  Buckingham,  Oxford,  Leicester,  Stafford,  Nort- 
hampton,  1  aus  Hertfordshire ;  ausserdem  waren  sammtüche  Meteger  der 
Vorstädte  und  einige  von  London  des  Vorkaufe  angeklagt  R.  0.  Star 
Chamber  Proceedings  H.  VIII.  Vol.  XV.  fo.  188,  189. 

4)  21  Hen.  VHI.  c.  8;  24  Hen.  VUI.  c.  7,  c  9:  25  Hen.  VIII.  c.  1: 
28  Hen.  VIII.  c.  8;  31  Hen.  VIIL  c.  7;  33  Hen.  VIII.  c.  17;  37  Hen.  VIII. 
c.  23;  vgl.  aber  auch  27  Hen.  VHI.  c.  9. 

A)  „ther  ys  convehauns  of  many  thyngys  necessary  to  the  use  of  our 
pepul  more  tuen  may  be  wel  sufferyd,  both  of  catayl  and  corne"  etc. 
Starkey,  England  in  the  reign  of  lang  Henry  the  Eighth.  S.  93. 


—    633    — 

welcher  Gattung  und  sonstigen  Lebensmitteln  erschwert,  indem 
dieselbe  von  einer  Liccnz  abhängig  gemacht  wurde1).  Weiter 
zog  man  gegen  die  Einhegungen  zu  Felde,  indem  die  Meinung 
derjenigen  durchdrang,  welche  die  Ursachen  der  Theuerung  in 
der  geringen  Zahl  der  Verkäufer  suchen  zu  müssen  glaubten  *). 
Endlich  wurde  dem  Lordkanzler  in  Verbindung  mit  andern 
Mitgliedern  des  kgl.  Rathes  die  Vollmacht  ertheilt,  von  Zeit 
zu  Zeit  die  Preise  von  Geflügel  und  auch  von  Käse  und  Butter 
durch  Proclamation  für  die  verschiedenen  Gegenden  festzu- 
stellen3), für  das  Fleisch  aber  bestimmte  man  gleich  durch 
Gesetz  gewisse  Maximaltaxen4).  Eine  Folge  dieses  Gesetzes 
war  auch  die  Neuerung,  dass  alles  Fleisch  nach  Gewicht  ver- 
kauft werden  musste,  während  es  vorher  üblich  gewesen  zu 
sein  scheint,  dass  man  für  eine  bestimmte  Summe,  z.  B.  1  d 
Fleisch  verlangte  und  je  nach  den  Marktverhältnissen  eine 
grössere  oder  geringere  Menge  erhiflt. 

Die  starke  Controle,  der  sich  die  Metzger  nun  ausgesetzt 
sahen ,  und  der  niedrige  Preis 5),  den  das  Gesetz  vorschrieb,  er- 
zeugte grosse  Tumulte.  Auch  sonst  hatte  die  Acte  mancherlei 
Misshelfigkeiten  im  Gefolge.  In  Cambridge  kam  es  darüber 
zu  einem  grossen  Zerwürfniss  zwischen  der  Stadt  und   Uni- 


*)  22  Hen.  VIII.  c  7  §  1  ■  25  Hen.  VIII.  c.  2  §  3. 

2)  25  Hen.  VIII.  c.  13.  Daselbst  heisst  es:  „within  fewe  yeres  have 
dayly  studyed  practised  and  invented  ways  and  meanes  how  they  myght 
accumulate  and  gatfaer  tegether  into  fewe  handes  as  well  greate  multitude 
of  ferme8  as  greate  plentie  of  catall  and  in  especiall  shepe  — ,  but  also 
have  raysed  and  enhaunsed  the  prises  of  all  maner  of  corne,  catall,  woll, 
pygges,  geese,  hennes,  chekyns,  egges  and  suche  other  almoste  doble  above 
the  prices,  which  hath  byn  accustomed,  by  reason  wherof  a  marvaylous 
multitude  and  nombre  of  the  people  of  this  realme  be  not  able  to  provyde 
meate,  drynke  and  clothes  necessary  for  theymselfes,  theire  wyres  and 
chiidern,  but  be  so  discoraged  with  myserye  and  povertie,  that  they  fall 
day  by  day  to  thefte,  robbery  and  other  inconvenience  or  pitifully  dye  for 
banger  and  colde." 

*)  25  Hen.  VIII.  c  2.  In  dem  Preamble  wird  gesagt:  „it  is  very 
harde  and  difficile  to  put  any  certavne  prices  to  any  suche  thingis,  and 
yet  never  the  lesse  tt»e  prices  of  such  victualles  be  raany  tymes  inhaunsed 
and  raysed  by  the  gredy  covetousnes  and  appetites  of  the  owners  of  suche 
victuals  by  occasion  of  ingrossyng  and  regratyng  the  same  more,  then  apon 
any  resonable  or  juste  grounde  or  cause". 

4)  24  Hen  VIII.  c.  3;  das  iL  Rind-  und  Schweinefleisch  sollte  J .  d, 
das  €6  Hammel-  und  Kalbfleisch  zu  %  a  abgegeben  werden.  Kopf,  Nacken, 
Beine  und  andere  geringwerthige  Fleischtheile  waren  billiger  zu  verkaufen. 
Die  Stadtbehörden  hatten  das  Recht,  niedrigere  Preise  als  das  Statut  fest- 
zustellen. 

A)  Dass  der  Preis  zu  niedrig  angesetzt  war,  das  beweist  der  heftige 
Widerstand  der  Metzger.  Das  machen  auch  die  Viehpreise  wahrscheinlich. 
Für  diese  besitzen  wir  eine  sichere  Quelle  in  dem  Durham  household 
b  o  o  k  or  the  accounts  of  the  bursar  of  the  monasterv  of  Durham  from 
Pentecost  1530  —  Pentecost  1534  ed.  by  the  Surtees  Society.  1844.  Ich 
habe  die  einzelnen  Eintrage  ausgezogen  und  für  jedes  Jahr  den  Durch- 
schnitt berechnet.    Das  Resultat  ergibt  sich  aus  folgender  Tabelle: 


—    684    — 

versität,  das  von  Aufläufen  der  Studentenschaft  und  langwierigen 
Processen  vor  der  Sternkammer  begleitet  war1).  An  andern 
Orten ,  voran  in  London ,  verweigerten  die  Metzger  geradezu 
den  Gehorsam,  indem  sie  erklärten,  der  Acte  unmöglich  ge- 
nügen zu  können,  solange  die  Viehverkäufer  mit  ihren  Preisen 
nicht  herabgingen.  Auch  die  erlassenen  kgl.  Proclamationen 
fluchteten  nichts2).  Man  übertrug  deshalb  in  einem  neuen 
Gesetz  den  Behörden  die  Vollmacht,  gegen  die  Uebelthäter 
unmittelbar  einzuschreiten  und  die  Widerspenstigen  zum  Ver- 


Gattung. 

Zahl  der  Stacke,  aus  denen 
der  Durchschn.  gen.  w. 

Durchschnittspreis 

1590/81 

1581/82 

1532/33 

1533/34 

1530/31 

1531/82 

1532/33 

1533.84 

Ochsen 

59 

69 

65 

54  i 

15,7    1  15,8 

14,9 

15,7 

sh 

Kühe 

165 

140 

163 

166  ! 

10,7 

10,6 

9,8 

10 

sh 

Schafe 

111 

151 

40 

79   i 

2,0 

1,9 

M 

1,7 

sh 

Widder 

629 

671 

850 

166 

2,2 

2,4 

2,1 

2,3 

sh 

Lämmer 

279 

229 

266 

264 

11,5 

13,3 

13,7 

10,7 

d 

Schweine 

44 

47 

42 

33 

3,2 

2,8 

2,7 

3,4 

sh 

Nimmt  man  das  Fleischgewicht  eines  Ochsen  zu  4  Ctr.  an,  so  würde 
bei  dem  gesetzlichen  Preise  von  */*  d  per  iL  der  Metzger  161/«  sh  für  das 
Fleisch  erhalten  haben.  Eine  rohe  Ochsenhaut  kostete  3  sh  4  d.  Der 
Arbeitslohn  und  Gewinn  des  Metzgers  könnte  danach  nur  4 — 5  sh  be- 
tragen. Dieser  Betrag  verminderte  sich  noch  bedeutend  in  London,  wo  die 
Viehpreise  sicher  höher  standen  als  in  Durham,  wurde  vielleicht  sogar  eine 
negative  Grösse.  Dem  gegenüber  kann  unmö  lieh  richtig  sein,  was  Stowe, 
Chronicle  Ed  1592  S.  959  zu  der  Acte  25  Hen.  VIII.  bemerkt:  „It  was 
this  yeere  enacted,  that  butchers  should  seil  their  beefe  and  mutton  by 
weight,  beefe  for  a  halfepenny  the  pound  and  mutton  for  three  farthingB; 
which  being  devised  for  the  great  commodity  of  the  realme,  as  it  waa 
thought,  hathe  prooved  larre  otherwise;  for  at  that  time  fat  oxen  were 
solde  for  sixe  and  twenty  Shillings  and  eight  pence  the  peece,  fat  weathers 
for  three  Shillings  and  foure  pence  the  peece,  fat  calves  of  the  like  price, 
a  fat  lamb  for  twelve  pence.  The  butchers  of  London  solde  penny  peeces 
of  beefe  for  the  reliefe  of  the  poore,  every  peece  two  pounde  and  a  hälfe, 
sometime  three  pounde  for  a  penny  and  tnirteene,  sometime  foureteene  of 
these  peeces  for  twelve  pence;  mutton  eight  pence  the  quarter  and  an 
hundred  weight  of  beefe*  for  four  Shillings  and  eight  pence ;  what  price  it 
hath  growen  to  since,  it  needeth  not  to  be  set  downe.  At  this  time  also 
and  not  before  were  forraine  butchers  permitted  to  seil  their  flesh  in 
Leadenhall  market  of  London." 

J)  R.  O.  Star  Chamber  Proceedings  Hen.  VIII.  Vol.  VIII.  S.  51 
bis  65,  68—72.  Soweit  ich  sehen  konnte,  hatte  der  Proctor  der  Universität, 
welchem  die  Ueberwachung  der  Lebensmittel  zustand  (Rot.  ParL  III.  S.109JL 
höhere  Preise,  als  das  Statut  festgesetzt,  nämlich  für  das  Rindfleisch  **  d 
und  für  das  Kalbfleisch  aL  d.  Der  Lordmayor  beanspruchte  die  Ausführung 
der  neuen  Acte  und  proclamirte  sie,  wodurch  der  Proctor  der  Universität 
und  die  ganze  Studentenschaft  sich  in  ihren  Rechten  verletzt  glaubten. 

s)  Procl.  vom  8.  Juli  1533  und  vom  29.  Jan.  J584.  In  der  enteren 
befahl  der  König  auch,  dass  die  Viehverkaufer  ihr  Vieh  entsprechend  billig 
abgeben  sollten;  in  der  letzteren  gab  er  seinen  Unwillen  über  den  offenen 
Ungehorsam  der  Metzger  kund  und  schärfte  das  Gesetz  von  Neuem  ein. 
Br.  M.  Harl.  Ms.  442  fo.  115,  117. 


—    635    — 

kauf  zu  zwingen.  Den  Viehverkäufern  aber  befahl  man  ein- 
fach, zu  solchen  Preisen  ihr  Vieh  abzugeben,  dass  die  Metzger 
noch  einen  massigen  Gewinn  machen  könnten.  Im  Weigerungs- 
fall sollten  auf  Klage  der  letzteren  die  Ortsbehörden  das  Vieh 
abschätzen,  indem  sie  die  vom  Gesetz  aufgestellte  Fleischtaxe 
zu  Grund  legten  und  für  den  Metzger  einen  Zuschlag  machten. 
Mit  Gewalt  und  der  natürlichen  Preisbildung  zum  Trotz  sollte 
das  Gesetz  durchgeführt  werden.  In  einem  Punkt  Hess  man 
sich  aber  doch  zu  einer  Concession  an  den  Verkehr  herbei. 
Man  gab  zu,  dass  in  gewissen  Zeiten  des  Jahres  das  Vieh 
seltener  und  theurer  sei,  und  es  unbillig  wäre,  während  dieser 
Perioden  die  Metzger  zur  Einhaltung  der  gesetzlichen  Preise 
oder  die  Viehverkäufer  zur  Abgabe  unter  den  Normalwerth  zu 
zwingen.  Der  König  behielt  sich  deshalb  vor,  für  beschränkte 
Zeiten  und  gewisse  Gegenden  den  Detailverkauf  durch  Pro- 
clamation  zu  regeln,  sei  es,  dass  er  vom  Verkauf  nach  Gewicht 
ganz  entbinde,  sei  es,  dass  er  besondere  Preise  festsetzen 
wollte *). 

Von  diesem  Recht  machte  der  König  auch  sofort  Gebrauch 
und  gestattete  vom  14.  März  bis  24.  Juni  etwas  höhere  Preise2). 
Im  Jahr  darauf  bewilligte  er  dieselben  Preise  den  Londoner 
Metzgern  vom  12.  Juli  bis  2.  Februar,  indem  er  anerkannte, 
dass  diese  nicht  unter  den  gleichen  Bedingungen,  wie  die 
Metzger  auf  dem  Lande  oder  in  kleineren  Städten  arbeiteten8). 
Unermüdlich  waren  nun  die  Fleischer  thätig,  um  die  Acte 
vollends  zu  nichte  zu  machen.  Am  Anfang  des  Jahres  1536 
setzten  sie  durch  den  Hinweis  auf  die  in  letzter  Zeit  eingetre- 
tenen Viehseuchen  eine  Suspension  des  Gesetzes  vom  12.  April 
1536  bis  24.  April  1540  durch4).  Im  letzteren  Jahr  wurde 
ihnen  für  einige  Zeit  auch  wieder  die  Erlaubniss  gegeben, 
Kälber  ohne  alle  Restriction  zu  schlachten6).  1542  endlich 
wurden    die    zwei    den    Metzgern    so    unbequemen    Gesetze 


*)  25  Hen.  VIII.  c.  1  (1533/34). 
»)  ürk.  Beil.  166. 

3)  -For  as  much  aß  thefkinges  Magestie  is  credibly  advertized  and 
enfonned,  that  the  bouchers  Citizens  occupying  within  the  said  citie  have 
byn  and  daylie  be  at  farre  higher  charges,  as  in  housrent,  leaserent,  ser- 
vauntes,  wages  and  otherwise  then  anie  forraine  buchen  dwelling  without 
the  said  citie  be  at,  by  reason  whereof  the  said  bouchers  Citizens  cannot 
have  a  lyving,  if  they  should  continually  be  constreyned  to  seil  beeffes, 
muttons.  veales  and  porkeß  bv  weight  by  retaile  within  the  said  citie  at 
such  prices  as  be  limited  in  the  act  made  for  selling  of  flesh  by  waight, 
onles  yt  should  be  to  their  utter  losse  and  undoing"  etc.  Br.  M.  Harl. 
Ms.  442  fo.  128. 

4)  27  Hen.  VIII.  c.  9,  proclamirt  am  14.  April  1536.  Br.  M.  Harl. 
Ms.  442  fo.  129. 

*)  ProcL  vom  4.  März  und  27.  Oct.  1540.  Br.  M.  Harl.  Ms.  442  fo. 
157,  163. 


/    ' 

—    636    — 

24  Hen.  VIII.  c.  3  und  25  Hen.  VIII.  c.  9  ganz  und  gar  zurück- 
genommen 1). 

Aber  keine  vollen  zwei  Jahre  erfreuten  sich  die  Metzger 
der  Freiheit.  1543  nahm  die  Regierung  eine  neue  Münz- 
verschlechterung vor,  gleichzeitig  brachen  wieder  verheerende 
Viehseuchen  aus  und  traten  grosse  Fröste  ein  *).  Die  Fleisch- 
preise schnellten  rasch  empor,  das  durch  Steuern  hart  be- 
drückte und  durch  fortschreitende  Revolutionen  auf  ökonomi- 
schem Gebiet  zum  grossen  Theil  verarmte  Volk  aber  murrte 
über  die  abermalige  Verteuerung  mehr  wie  früher.  Der 
König  suchte  die  gährenden  Massen  zu  beruhigen.  Auf  die 
Parlamentsacte  31  Hen.  VIII.  c.  8  sich  stützend,  kraft  welcher 
die  von  ihm  mit  Zustimmung  des  Raths  erlassenen  Proclama- 
tionen  Gesetzen  gleich  zu  erachten  waren,  schrieb  er,  weil  die 
Fleischverkäufer  nur  ihren  eigenen  Gewinn ,  nicht  aber  das 
Gemeinwohl  beachteten  und  die  Preise  unvernünftig  gesteigert 
hätten,  neue  Fleischtaxen  vor 3).  Dieselben  waren  etwas  höher 
als  die  in  dem  früheren  Gesetz  bestimmten  und  auch  nach 
Jahreszeiten  verschieden.  Ob  sie  den  Viehpreisen  entsprachen, 
wissen  wir  nicht.  Jedenfalls  konnte  die  Proclamation  nicht 
auf  die  Dauer  aufrecht  erhalten  werden.  Denn  selbst  wenn 
man  die  Angabe  eines  Pamphletes  vom  Jahre  1547 4),  wonach 
ein  einigermassen  gut  gemästeter  Ochse  4  bis  5  jg?  gekostet 
haben  soll,  für  übertrieben  hält,  so  ist  doch  klar,  dass  die 
rapid  vor  sich  gehende  Münzverschlechterung  stabile  Preis* 
taxen  unmöglich  machte.  Darüber  konnte  sich  auch  der  König 
nach  den  vorausgegangenen  Erfahrungen  keiner  Täuschung  hin- 
geben. Wenn  er  dennoch  durch  Proclamationen  Unmögliches 
anbefahl,  so  geschah  es  wohl  nur,  um  scheinbar  der  Masse  des 


J)  SS  Hen.  VIII.  c.  11.  In  ihrer  Petition  hatten  die  Metsger  gesagt: 
„Actes  before  rehearsed  concerninge  the  sellinge  of  fleshe  by  weight,  as  ys 
aforesaide,  yf  they  sholde  hereafter  be  put  in  execucion  —  sholde  be  to 
the  utter  undoinge  of  your  said  oratours  for  ever." 

8)  „Also  at  Ester  (1543)  by  reason  of  the  greate  morren  of  cattell  the 
last  winter  fleshe  was  exceechnge  dere  and  skant  and  specyally  mottons 
and  lambee,  which  wäre  at  nnreasonable  pryses  as  a  quarter  of  motton 
at  2  ßh  and  2  sh  4  d,  and  a  lamb  at  8  sh  4  d,  which  was  skant  worth 
16  d.  —  Also  this  yere  by  reason  of  the  greate  cold  and  frost  Lentton 
vitaUes  wäre  exceedinge  dere  as  saltfyshe  with  other  salt  meates,  so  that 
the  mayre  and  aldermen  were  feyne  to  seet  wardens  of  divers  Companys 
to  kepe  the  markettes  in  Fyshe-Streate,  Stockes  and  Old  Fyshe-Streate 
and  to  see  the  people  served  at  reasonable  peny  worthes  after  ther  dis- 
cretions".    Wriothesley,  Chronicle  S.  141. 

s)  Vom  15.  Juni  bis  Weihnachten  war  als  MaximalpreiB  festgesetzt  für 
1  U.  Rindfleisch  5/s  d,  1  U.  Schaffleisch  1  d,  \  U.  Kalbfleisch  1  d;  von 
Weihnachten  bis  15.  Juni  waren  die  entsprechenden  Preise  */4  d,  1  d,  ?/«  d. 
Schweinefleisch  sollte  das  ganze  Jahr  über  nicht  mehr  als  *j4  d  per  iL 
kosten.    Proclam.  v.  22.  Mai  1544.    Br.  M.  Harl.  Ms.  442.  fo.  199. 

*)  Vox  populi,  vox  Dei.  London.  Reprinted  1821  und  Furni- 
vall,  Ballads  from  Ms.  I. 


—    637    — 

Volkes  seine  Theilnahme  zu  bezeugen,  bis  diese  in  das  Un- 
vermeidliche sich  gefunden. 

Mit  grösserem  Glück  als  bei  den  Fischen  und  bei  Fleisch 
versuchten  die  englischen  Gesetzgeber  eine  Regelung  beim  dritt- 
wichtigsten Nahrungsmittel,  dem  Brod.  Noch  vor  dem  13.  Jahr- 
hundert war  der  Brodpreis  von  Reichs  wegen  geregelt;  in  einer 
Proclamation  von  1202  befahl  König  Johann,  die  Assise  über 
Brod  zu  beobachten.  Dieselbe  ist  nach  dem  Wollpreisedict 
Edgars1)  und  nach  dem  von  Richard  I.  in  Messina  mit  König 
Philipp  von  Frankreich  gemeinsam  getroffenen  Reglement  für 
Lebensmittel2)  die  Älteste  englische  Preistaxe,  von  der  wir 
Kenntniss  haben.  Sie  ist  zugleich  dadurch  ausgezeichnet,  dass 
sie  bereits  eine  gleitende  Scala  enthält,  indem  der  Brodpreis 
den  Schwankungen  des  Getreidepreises  zu  folgen  hatte3).  An 
Stelle  dieser  Regulirung  des  Brodpreises  trat  unter  Heinrich  III. 
eine  vollkommenere,  die  „Assisa  panisu  vom  Jahre  1266 4). 
Ihre  Bestimmungen  waren  in  der  Hauptsache  so  glücklich  ge- 
troffen, dass  sie  über  ein  halbes  Jahrtausend  Bäcker  wie  Pu- 
blicum befriedigte  und  in  Zeiten  der  Noth  wie  des  Ueberflusses 
sich  bewährte ö).  Wie  das  gewöhnliche  Brod  sollte  auch  Pferde- 
brod 6)  und  das  Bier 7)  je  nach  dem  Getreidepreis  verschieden 
viel  kosten.  Anfangs  hatten  sechs  vereidigte  Personen  des 
Orts  den  letzten  Marktpreis  des  Getreides  festzustellen  und 


')  Schmid,  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  193. 

*)  Hoveden,  Cronica  III.  S.  60. 

8)  „Eodem  anno  rex  fecit  generaliter  acclamari,  ut  legalis  assisa  panis 
inviolabuiter  sab  poena  colüstngiali  observaretur.  Qoae  probate  füit  per 
pistorem  Galfridi,  filii  Petri  justiciarii  Angliae,  et  pistorem  Roberti  de  Thur- 
nam,  ita  quod  pistor  potent  sie  vendere  et  in  quolibet  quarterio  lucrari 
tres  denarios,  exceptis  brennio  et  duobus  panibus  ad  furnarium  et  quataor 
servientibus  quataor  obolos,  duobus  garcionibas  unam  qaadrantem,  et  in 
sale  obolum,  et  in  gesta  obolum,  et  in  candela  qaadrantem,  et  in  busca 
tres  denarios  et  in  buletello  obolum.  Quando  frumentum  venditur  pro  sex 
solidis,  tunc  ponderabit  panis  de  ouadrante  albus  et  bene  coctus  sexdecim 
solidos  de  viginti  lora;  et  panis  de  toto  blado  debet  esse  bonus  et  bene 
coctus,  ita  quod  nihil  subtrahatur,  et  ponderabit  viginti  quatuor  solidos" 
etc.    M.  Paris,  Chronica  maior  ed.  Luard  IL  S.  480,  481. 

4)  Statu tebook  I.  S.  199  fg.  Der  Preis  setzte  sich  aus  vier  Fac- 
toren  zusammen ;  er  enthielt  1)  Ersatz  der  Kornkosten,  2)  ein  Plus  als  Ge- 
winn, der  letztere  war  13%  vom  Kornpreis  und  blieb  unverändert  von 
1266—1758;  8)  die  Money  Allowance  oder  Auslagen  für  das  Backen;  dieser 
Betraff  wurde  per  Quarter  festgesetzt  und  variirte  mit  der  Geldentwertung 
und  dem  Theurerw erden  der  Arbeit:  er  war  zur  Zeit  der  Assise  71/«  d, 
unter  Eduard  I.  1  sh  1  d,  unter  Heinrich  Yil.  2  sh,  unter  Elisabeth  6  sh 
10  d,  später  6  sh  für  die  Stadt,  4  sh  fürs  Land.  Ausführlicheres  hierüber 
sieh  bei  Atwood,  Review  of  the  Statutes  and  ordinances  of  assize  which 
have  been  established  in  England  from  the  4th  year  of  the  king  John  1202 
to  the  37tfa  of  this  present  Majesty.  4°.  London  1801.  S.  4  fg.  und  App. 
VI.  u.  VII. 

Ä)  18  Ria  II.  st.  1  c.  8  (1389/90). 

6)  Statutebook  I.  S.  200;  sieh  auch  Lib.  Alb.  139,  316,  358  fg. 


—    638    — 

die  Einhaltung  der  Assise  zu  überwachen1),  später  fiel  diese 
Aufgabe  den  Ortsbehörden  und  Friedensrichtern  zu2). 

Der  Schwerpunkt  der  ganzen  Preisgestaltung  lag  somit 
beim  Getreide.  Diesen  musste  man  günstig  gestalten,  wenn 
man  billiges  Brod  und  Bier  haben  wollte.  Nichtsdestoweniger 
begegnen  wir  keinen  Getreidetaxen.  Der  fortwährende  Wechsel 
des  Ernteausfalls  von  Jahr  zu  Jahr,  von  Gegend  zu  Gegend 
machte  solche  schwierig.  Selbst  in  London  beschränkte  man 
sich  darauf,  Leute  aufzustellen,  die  zusehen  sollten,  dass  Nie- 
mand sein  Getreide  zu  einem  übermässigen  Preis  verkaufe*). 
Im  Uebrigen  legte  man  freilich  in  den  grösseren  Städten  den 
Kornverkäufern  und  Konihändlern  allerlei  Schranken  auf.  Der 
Verkauf  auf  Probe  war  untersagt;  das  in  die  Stadt  gebrachte 
Getreide  durfte  nicht  wieder  ausgeführt  werden,  der  Kauf  zum 
Wiederverkauf  war  entweder  ganz  verboten,  oder  nur  gestattet, 
nachdem  die  Bürger  sich  versorgt,  oder  man  erlaubte  den  Ver- 
kauf an  Händler  erst,  nachdem  das  Getreide  drei  Tage  lang 
zum  Verkauf  ausgestellt  war4). 

Ein  theilweises  Gorrectiv  gegen  diese  Benachtheiligungen 
lag  in  der  Möglichkeit  des  Getreideexports;  die  Ausfuhr  ins 
Ausland  war  für  gewöhnlich  Jedem  gestattet.  Nur  in  Noth- 
jahren  und  in  Kriegsfällen  trat  die  Sperre  ein5).  Eine  stän- 
dige Massregel  drohte  sie  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  15. 
Jahrhunderts  zu  werden,  als  in  Folge  der  Pest  die  Löhne  der, 
Landarbeiter  bedeutend  stiegen  und  eine  Erhöhung  der  Getreide- 
preise veranlassten 6).  Wie  man  nun  auf  der  einen  Seite  die 
früheren  Lohnsätze  wieder  herzustellen  suchte,  so  sollte  auf 
der  andern  Seite  auch  der  vor  der  Pest  übliche  Durchschnitts- 
preis vom  Getreide  wieder  herbeigeführt  werden.  Es  lag  zu 
nahe,  zu  diesem  Behufe  auch  den  seit  dem  grösseren  Contact 
mit  dem  Ausland  wachsenden  Export  zu  hemmen.  So  geschah 
es  im  Jahre  1355  durch  kgl.  Proclamation 7),  1360  durch  Ge- 
setz 8).  Nur  nach  den  englischen  Besitzungen  Calais  und  Gas- 
cogne  war  sie  nach  erholter  Licenz  gestattet.  Das  Statut 
wurde,  wie  aus  den  Klagen  des  Parlaments  hervorgeht,  an- 
fangs schlecht  ausgeführt 9).    Als  man  aber  seine  Beobachtung 


a)  Statutebook  I.  S.  199. 

*)  18  Ria  II.  st.  1  c  8;  Lib.  Alb.  UL  S.411  fg. 

*)  „Homines  jurati  ad  scrutandum,  ne  oute  bladum  Buum  ultra  justuni 
pretium  vendat"    1291—1307.    Lib.  Alb.  8.  692. 

')  Lib.  Alb.  S.  261,  262,  460.  461,  692  fg. 

*)  Rot.  Pari.  IL  S.  106;  Delpit,  CoUection  des  documents  inädits 
fran$ais  I.  S.  70,72;  Tr.  Twiss,  The  black  book  of  the  admiralty  I.  S.37; 
Rymer  passim. 

*)  Rogers,  History  of  agriculture  and  prices  in  England  I.    S.  246. 

*)  Rymer  (Rec.  Ed.)  in.  P.  1.    S.  298. 

8)  34  Ed.  ül.  c.  20;  Rymer  (Rec.  Ed.)  III.  P.  1.    S.  553. 

•)  Rot.  Pari.  IL  S.  277  (1363). 


—    639    — 

strenger  controlirte 1),  Hessen  auch  die  Kornproducenten  sich 
vernehmen.  Es  waren  nun  zwanzig  Jahre  seit  der  Pest  ver- 
flossen. Die  grossen  Grundbesitzer,  welche  in  Folge  der  Be- 
wegung ihre  Güter  in  Pacht  gegeben  hatten,  erfuhren,  dass 
die  Gesetze  ihren  Renten  schadeten.  Die  kleine  Gentry,  welche 
die Eigenbewirthschaftung  hatte  übernehmen  müssen,. fühlte  es 
doppelt  schwer,  ihre  sociale  Lage  durch  den  künstlichen  Preis- 
druck noch  verschlechtert  zu  sehen.  Ein  Rückgriff  auf  die 
früheren  Naturaldienste  war  unmöglich,  wie  bald  der  Aufstand 
der  Landbevölkerung  zeigte2).  Die  Arbeitergesetze  mit  ihren 
Lohntaxen  hatten  trotz  aller  Zwangsmassregeln  einen  zweifel- 
haften Erfolg,  die  Verteuerung  der  Production  blieb  bestehen. 
Das  Interesse  der  Landwirthe  und  auch  einer  grossen  Zahl 
Kaufleute,  die  mit  dem  Kornhandel  sich  abgaben,  ging  also 
dahin,  das  Kornausfuhrverbot  wieder  zu  beseitigen. 

1871  verlangten  deshalb  die  Gemeinen  Wiederherstellung 
der  im  gemeinen  Recht  begründeten  Handelsfreiheit3).  Der 
König  gewährte  die  Bitte,  machte  aber  die  Ausfuhr,  wie  es 
scheint,  von  der  Erholung  einer  Licenz  abhängig.  Die  Ge- 
stattung des  Exports  rief  zwar  1376  Gegenvorstellungen  her- 
vor, Eduard  III.  aber  hielt  an  dem  eingenommenen  Standpunct 
fest.  Die  Unterthanen,  lautete  seine  Antwort,  sollen  ihr  Ge- 
treide ausführen  oder  sonst  damit  nach  ihrem  Vortheil  ver- 
fahren dürfen,  es  sei  denn,  dass  der  ständige  Rath  ein  Aus- 
fuhrverbot erlässt4). 

Von  dieser  letzteren  Befügniss  wurde  ein  reichlicher  Ge- 
brauch gemacht,  so  dass  thatsächlich  die  Ausfuhr  ohne  Licenz 
selten  möglich  war5).  1393  beklagten  sich  die  Ackerbauer  im 
Parlament;  dadurch,  sagten  sie,  dass  man  nur  nach  Erwerbung 
einer  kostspieligen  Licenz  Getreide  exportiren  dürfe,  sei  der 
Preis  so  gedrückt,  dass  sie  unmöglich  ihre  Pachtschillinge  und 
Grundlasten  entrichten  könnten.  Es  wurde  nun  durch  Gesetz6) 
allen  Engländern  gestattet,  wohin  immer  Korn  zu  exportiren, 
doch  sollten  sie  solches  nicht  zu  den  Feinden  des  Königs 
bringen,  auch  blieb  dem  kgl.  Rath  vorbehalten,   die  Ausfuhr 


n  Sieh  Rymer  (Rec.  Ed.)  HL  P.  2.    S.  710;  Rot.  Pari  IL  S.  275. 

*J  Rogers,  History  of  agricultare  and  prices  in  England  I.  S.  81. 

*)  „Chescun  soit  a  la  commune  leye  sanz  estre  restreint  par  nulle 
ordinance  mite  a  l'encountre  de  vendre  ou  acheter  tote  manere  des  bledz 
et  toutes  autres  maners  de  vitaiUes  et  biens  qiconqes  deinz  le  roialme  come 
avant  ces  heures  ont  feit,  sanz  empeschement  ou  a'estre  restreint  par  nulle 
commission  notre  seigneur  leRoi."  Rot  Pari.  IL  8.305.  Damais  setzten 
die  Barone,  Ritter  u.  s.  w.  auch  unter  dem  Hinweis,  dass  sie  nicht  den  „wahren 
Preis*  erhielten,  durch,  dass  die  Geistlichen  ihnen  beim  Verkauf  von  20  bis 
4Qjahrigem  Holz  keinen  Zehnten  abverlangen  durften:  a.  a.  0. 

*)  Rot  Pari.  n.    S.  350. 

5)  Rymer  VII.    8.  869. 

o)  Rot  Pari.  HL  8.  320;  17  Ric.  H.  c.  7;  dss  Gesetz  wurde  be- 
stätigt durch  4  Hen.  VI.  c.  5;  sieh  dazu  Rot.  Pari.  IV.  S.  307  (1425). 


—    640    — 

zu  beschränken,  wenn  es  das  Wohl  des  Reichs  erfordere1). 
Allein  auch  diese  gesetzliche  Regelung  befriedigte  die  Korn- 
producenten  nicht.  Noch  immer  war  der  Willkür  der  Regierung 
der  grösste  Spielraum  gewährt.  Sie  hemmte  den  Export  gar 
oft,  blos  um  Einnahmen  aus  den  Licenzen  erzielen  zu  können. 
Als  die  Pächter  und  Grundbesitzer  deshalb  wieder  klagten2), 
griff  das  Parlament  zu  einem  andern  Mittel.  Auf  sein  Be- 
treiben kam  ein  Gesetz  zu  Stande,  wonach  zur  Ausfuhr  keine 
Licenz  erforderlich  sein  sollte,  so*  lange  der  Preis  eines  Quarter 
Weizen  6  sh  8  d  und  der  eines  Quarter  Gerste  3  sh  nicht 
überstieg8).  Das  Statut  hatte  nur  bis  1439  Geltung  und  da 
gleichzeitig  in  Folge  geringer  Ernten  der  Preis  beträchtlich 
stieg,  wurde  die  Ausfuhr  wieder  nur  gegen  Licenz  erlaubt 
Die  Regierung  nützte  dies  so  aus,  dass  sie  sogar  Licenzerholung 
forderte  beim  Transport  von  Grafschaft  zu  Grafschaft  oder  von 
einem  Hafen  zum  andern,  und  liess  nicht  davon  ab,  selbst  als 
man  im  Parlament  auf  die  Notwendigkeit  und  den  Vortheil 
dieser  Ausgleichung  der  Erntevorräthe  hinwies  und  als  Ga- 
rantie, dass  das  Getreide  nicht  ins  Ausland  gehe,  eine  Cautions- 
leistung  der  Transporteure  festsetzen  wollte4). 

Man  begreift,  dass  unter  solchen  Verhältnissen  die  Acker- 
bauinteressenten zunächst  darauf  bedacht  waren,  wenigstens 
die  Wiederherstellung  des  früheren  Gesetzes  durchzusetzen. 
Das  gelang  ihnen  auch  nach  einigen  Jahren 6),  und  1445  wurde 
das  Statut  sogar  für  dauernd  erklärt6).  Ausserdem  hatten 
sie  noch  einen  Erfolg  zu  verzeichnen.  Die  Ausfuhr  von  Butter 
und  Käse,  welche  von  Eduard  III.  und  Richard  II.  zu  Stapel- 
artikeln erklärt  worden  waren,  wurde  völlig  frei  gegeben 7). 

Kaum  waren  die  Gesetze  errungen,  als  die  Getreidepro- 
ducenten  ein  Mehres  verlangten.  Seit  bei  einer  bestimmten 
Preishöhe  die  Ausfuhr  gestattet  war,  nahm  der  hansische  Im- 
port von  preussischem  und  polnischem  Getreide  sehr  starke 
Dimensionen  an.  Das  Risico  bewegte  sich  in  engeren  Grenzen 
als  früher,  der  Gewinn  war  mit  grösserer  Sicherheit  voraus- 
zu  berechnen,  als  wenn  man  einer  plötzlichen  ungewissen  Sperre 
sich  ausgesetzt  sah.  Bei  einigermassen  günstiger  Ernte  auf 
dem  Continente  waren  sie  auch  im  Stande,  die  englischen 
Producenten  zu  unterbieten.  Man  begreift,  dass  die  Land- 
wirthe  wegen  der  neuen  Concurrenz  grossen  Lärm  schlugen 

*)  Davon  wurde  Gebrauch  gemacht  bereits  1396.  Rot  ParL  EL 
S.  896. 

*)  „fermours  et  autres  hommes  qi  usent  manuovrement  de  loure  terre 
ne  poent  vendre  lour  blees  einon  a  baes  prise  a  graunde  damage  de  tont 
le  roialme". 

8)  15  Hen.  VI  c  2.  (1436  37). 

*)  Rot.  Pari.  V.  S.  31  (1439). 

*)  20  Hen.  VI  c  6  (1441/42).    Die  Acte  sollte  10  Jahre  gültig  sein. 

')  28  Hen.  VI  c.  5. 

7)  18  Hen.  VI  c.  3  (1489). 


—    641     — 

und  Abhilfe  verlangten 1).  Auch  diesmal  war  ihnen  der  Erfolg 
günstig.  Man  übertrug  das  für  den  Export  in  Anwendung  ge- 
brachte System  nun  auch  auf  den  Import  und  verbot  die  Ein- 
fuhr, solange  der  Preis  vom  Quarter  Weizen  6  sh,  der  vom 
Roggen  4  sh,  der  von  Gerste  3  sh  im  Importhafen  nicht 
überstieg 2). 

So  waren  denn  die  Ackerbauinteressen  vor  dem  Antritt 
Heinrichs  VII.  zum  völligen  Sieg  gelangt.  Es  war  dafür  ge- 
sorgt, dass  der  Getreidepreis  eine  gewisse  Höhe  behauptete. 
Unter  den  Tudors  trat  eine  Wendung  ein.  Der  Adel,  der  als 
Grossgrundbesitzer  eifrig  auf  seinen  Vortheil  bedacht  war, 
wurde  von  Heinrich  VII.  zertrümmert;  der  Thron  der  neuen 
Dynastie  ruhte  auf  dem  Bürgerthum.  Dazu  kam  der  absolu- 
tistische Character  des  Tudorschen  Regiments.  Noch  weniger 
als  ihre  Vorgänger  waren  Heinrich  VII.  und  VIII.  geneigt,  in 
den  Gesetzen  unübersteigbare  Schranken  zu  sehen.  An  der 
Prärogative,  durch  Proclamationen  und  Licenzen  über  die  Sta- 
tuten sich  hinwegzusetzen,  hielten  sie  fest. 

Heinrich  VII.  verbot  am  19.  September  1491  wegen  des 
angeblich  beabsichtigten  Kriegs  gegen  Frankreich  und  in  den 
letzten  Jahren  eingetretenen  Getreidemangels  wieder  jeden 
Getreideexport,  für  den  nicht  der  kgl.  Rath  eine  Licenz  aus- 
stellte3). Man  darf  sicher  annehmen,  dass  er  von  dem  für 
seine  Casse  nicht  uneinträglichen  System  während  seiner  üb- 
rigen Regierungszeit  nicht  mehr  abliess.  Heinrich  VIII.  unter- 
sagte 1512,  als  der  Krieg  gegen  Frankreich  bevorstand,  gleich- 
falls die  Ausfuhr  von  Weizen  und  andern  Lebensmitteln  ganz 
und  gar4).  Wir  begegnen  in  den  publicirten  Staatsdocumenten 
vor  1515  kaum  einer  Licenz.  Von  da  an  tauchen  solche  mit 
einer  gewissen  Regelmässigkeit  auf.  Es  ist  aber  bezeichnend, 
dass  dieselben  ausdrücklich  nicht  blos  für  den  Fall  gewährt 
wurden,  dass  der  Weizenpreis  6  sh  8  d  überstieg,  wobei  eine 
wirkliche  Befreiung  vom  Gesetz  nöthig  gewesen  wäre,  sondern 
-man  verlangte  sie  auch  dann,  wenn  der  Preis  unterhalb  der 
Grenze  sich  bewegte,  die  Ausfuhr  also  gesetzlich  gar  keiner 
Licenz  hätte  benöthigt  sein  sollen5).  Mit  andern  Worten, 
jeder  Getreideexport  musste  erst  von  der  Regierung  genehmigt 
werden.    Die  factische  Uebung  erkannte  dann  das  Parlament 


*)  „les  laborers  et  occupiours  de  husbondrie  deins  ceste  reame  de 
jour  en  autre  sont  grevousment  endamages  par  ameignance  des  blees  hors 
d'autres  terres  et  parties  en  cest  roialme,  quaunt  blees  del  creissance  d'icelle 
roialme  sont  de  bas  price". 

2)  3  Ed.  IV  c.  2  1463. 

a)  Gairdner,  Letters  and  Papers  of  Richard  III  and  Henry  VII. 
Vol.  IL  S.  372. 

A)  Die  Proclamation  ist  erwähnt  in  den  Notizen  Starkeys.  Br.  M. 
Harl.  Ms.  604  fo.  130. 

5)  Brewer,  Cal.  IL  2595,  2786,  2817. 

Scb an z,  Engl.  Handelspolitik.    I.  41 


—    642    — 

in  den  kritischen  dreissiger  Jahren  durch  Gesetz  an1).  Erst 
1554  wurde  die  Getreideausfuhr  wieder  nach  Massgabe  des 
Gesetzes  von  1463  gestattet;  doch  war  damit  nicht  wieder  der 
frühere  Zustand  hergestellt.  Der  Getreidepreis  stieg  in  Folge 
der  allgemeinen  Geldentwerthung  so,  dass  die  Erlaubniss  der 
Ausfuhr  bei  dem  Preise  von  6  sh  8  d  einem  Verbot  der  Aus- 
fuhr gleich  kam.  Auf  der  andern  Seite  standen  eben  des- 
wegen der  Getreideeinfuhr  alle  Wege  offen. 

Die  Regierung  der  Tudors  war  somit  den  Getreideprodu- 
centen  weniger  günstig,  und  diese  Politik  stimmt  ganz  mit 
der  Rücksichtslosigkeit  überein,  mit  der  man  in  Nothjahren 
vorging3).  Nebenbei  mag  bemerkt  werden,  dass  man  hier 
mit  Bezug  auf  die  Agrarbewegung  einer  Inconsequenz  sich 
schuldig  machte.  Wenn  man  die  Ausfuhr  der  Pferde,  Ochsen. 
Kühe,  Kälber  und  Schafe  verbot,  die  Fleischpreise  herabsetzte, 
den  Viehpreis  zu  drücken  versuchte,  die  Nachfrage  nach  Wolle 
einschränkte,  so  lag  darin  eine  Art  System,  um  im  Verein 
mit  andern  Gesetzen3)  die  agrarische  Umwälzung  einzu- 
schränken ;  denn  die  Ausdehnung  der  neuen  Wirtschaftsweise 
hing  ja  wesentlich  von  dem  günstigen  Absätze  des  Viehs  und 
der  Viehproducte  im  Verhältniss  zu  dem  des  Getreides  ab. 
Indem  man  aber  bestrebt  war,  sämmtliche  Lebensmittel  billiger 
zu  machen,  musste  der  Versuch,  die  Agrarbewegung  auch  nur 
zu  verlangsamen,  scheitern. 

An  dem  Preise  der  bisher  betrachteten  Lebensmittel  hatte 
die  grosse  Masse  der  Bevölkerung  ein  Interesse.  Nicht  in 
gleichem  Grade  war  es  mit  dem  Wein  der  Fall.  Der  Kreis 
der  Consumenten  war  kleiner,  aber  um  so  ausgewählter,  der 
Adel,  der  Clerus.  später  die  wohlhabenderen  Classen  überhaupt 
zählten  dazu.  Gerade  diese  Stände  übten  lange  auf  die  Ge- 
setzgebung den  grössten  Einfluss,  und  schon  deshalb  zeigt 
die  Preisgestaltung  hier  einen  besonderen  Character.  Die 
Eigenartigkeit  wurde  noch  dadurch  erhöht,  dass  der  Wein  nur 
vom  Continente  bezogen  werden  konnte,  und  die  Interessen  der 
Schiffsführer,  der  französisch  -  englischen  Provinzen,  der  eng- 
lischen Stadtbürger  hereinragten,  sich  gegenseitig  vielfach 
kreuzten  und  die  Angelegenheit  complicirten.  Im  Vordergrund 
standen  allerdings  die  Consumenten  mit  ihren  bezüglichen 
Wünschen.  Sie  wollten  selbstverständlich  reiche  Zufuhr  und 
billigen  Wein. 

')  Sieh  oben  S.  683  Note  1.  Beispiele  für  die  Handhabung  des  Ge- 
setzes sieh  bei  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  of  the  Privy  Council 
VII.  S.  142,  162,  168,  170,  264,  265.  Einen  Fall  einer  organisirten  Um- 
gehung des  Gesetzes  liefert  die  Acte  34 — 35  Hen.  VIII  c.  9. 

s)  Sieh  den  Anhang  am  Ende  des  Bandes. 

a)  6  Hen.  VIII  c.  5;  7  Hen.  VIII  c.  1;  24  Hen.  VÜI  c.  24;  25  Hen. 
VIH  c  12,  13. 


—    643    — 

Seit  ältester  Zeit,  wahrscheinlich  seit  Wilhelm  dem  Er- 
oberer oder  sogar  noch  früher  war  der  Wein  der  Preistaxe 
unterworfen.  Sichere  Belege  für  das  Vorhandensein  einer 
solchen  liegen  aus  dem  12.  Jahrhundert  vor1).  Die  Festsetzung 
des  Preises  geschah  durch  königliche  Proclamation,  die  Ueber- 
wachung  des  Tarifs  anfangs  durch  12  zu  erwählende  Stadtbürger. 
Die  angeblich  aus  der  Zeit  Heinrichs  III.  herrührenden  Assisen 
des  Statutenbuchs  stehen  im  Wesentlichen  noch  auf  demselben 
Boden2).  Nur  scheint  es,  dass  man  sich  mehr  und  mehr 
darauf  beschränkte,  für  den  Detailhandel  Preise  festzusetzen, 
wogegen  man  den  Verkauf  im  Gebinde  freiliess.  Einen  güns- 
tigen Preis  suchte  man  im  Uebrigen  vornehmlich  dadurch  zu 
erzielen,  dass  man  die  Ausfuhr  des  einmal  eingeführten  Weines 
verbot  und  die,  Hansen,  wie  die  Gascogner  zum  Detail  verkauf 
zuliess3).  Unter  Eduard  III.  wurde  auch  die  einheitliche  Re- 
gulirung  der  Detailpreise  nicht  mehr  durchweg  festgehalten. 
Man  muss  dies  aus  den  Vorgängen  im  Jahre  1330  schliessen. 
Das  Parlament  hatte  über  die  Vertheuerung  und  Verschlech- 
terung des  Weins  geklagt  und  die  Ursache  in  der  übergrossen 
Zahl  von  Schankwirthen  und  darin  gesucht,  dass  für  die  Wein- 
verkäufer nicht  die  gleiche  Strafe  bestehe,  wie  in  Betreff  von 

1)  3  Hen.  II.  1157.  „Concedo,  ut  homines  Colonienses  vendant  vinum 
suum  ad  forum,  quo  venditur  vinum  Franciginum,  scilicet  sextarium  pro 
3  denariis"  etc.  Höhl  bäum,  Hans.  Urkb.  1.  S.  8.  Besonders  wichig  ist 
die  Verordnung  Johanns  von  1199:  „Eodem  anno  Johannes,  rex  Angliae 
statuit,  quod  nullum  tonellum  vini  Pictavensis  vendatur  carius  quam  pro 
viginti  solidis,  et  nullum  tonellum  vini  Andegavensis  carius  quam  pro  vi- 
ginti  quatuor  solidis,  et  nullum  tunellum  vini  Francigenae  carius  quam  pro 
viginti  quinque  solidis,  nisi  vinum  illud  adeo  bonum  sit,  quod  aliquis  velit 
pro  eo  dare  circa  duas  marcas  ad  altius.  Praeterea  statuit,  quod  nullum 
sextercium  vini  Pictavis  vendatur  carius  quam  pro  quatuor  denariis,  et 
nullum  sextercium  vini  albi  vendatur  carius  quam  sex  denariis.  Statuit  etiam, 
quod  omnia  tunella  qaae  de  caetero  venient  in  Angliam,  postquam  venerint 
de  Rech  post  tempus  praesentis  musti,  sint  de  mutatione;  et  hoc  statuit 
teneri  ab  octavis  Sancti  Andreae  deinceps  et  praecepit  ad  hoc  servandum, 
in  singulis  civitatibus  et  burgis,  in  quibus*  vina  vendantur,  duodecim  con- 
stitui  custodes,  et  jurent,  quod  nanc  assisam  facient  teneri  et  observari.  Si 
vero  vinatorem,  qui  vinum  vendat  ad  brocam,  contra  haue  assisam  invene- 
rint,  corpus  ejus  capiat  vicecomes  et  salvo  custodiri  faciat  in  prisona  do- 
mini  regis,  donec  inde  habeat  aliud  praeeeptum;  et  omnia  tenementa  sua 
capiantur  ad  usum  domini  regis  per  visum  praedictorum  duodecim  hominum. 
Si  quis  etiam  inventus  fuerit,  qui  tunellum  vel  tunella  contra  praedietam 
assisam  vendiderit  vel  emerit,  capiatur  uterque  et  salvo  in  prisona  custo- 
diatur,  donec  inde  aliud  praeeipiatur.'  Et  quod  nullum  vinum  ematur  ad 
regratariam  de  vinis,  quae  applicuerint  in  Anglia."  Ueber  den  Erfolg  be- 
merkt der  Chronist :  „Sed  hoc  primum  regis  statutum  vix  inchoatum  statim 
est  adnihilatum,  quia  mercatores  hanc  assisam  sustinere  non  poterant  Et 
data  est  eis  licentia  vendendi  sextercium  de  vino  rubio  pro  sex  denariis, 
et  sie  repleta  est  terra  potu  et  potatoribus".  Hoveden,  CronicalV.  S.  99. 

*)  Statutebook  1.  S.  202,  203.  Wirthshäuser,  in  denen  die  Gallone 
Wein  höher  als  zu  12  d  verkauft  wurde,  sollten  geschlossen  werden.  In 
Betreff  der  Controle  sieh  auch  6  Ed.  I  st.  Glouc.  c.  15  (1278). 

*)  Sieh  oben  S.  390,  391. 

41* 


—    644    — 

Brod  und  Bier.  Bezeichnenderweise  wurden  aber  keine  Preis- 
taxen beschlossen,  sondern  nur  die  Einhaltung  massiger  Preise 
anbefohlen.  Dabei  sollte  der  Preis  in  den  Häfen,  von  denen 
der  Wein  geholt  wurde,  und  die  Transportkosten  von  da  bis 
zum  Consumtionsort  berücksichtigt  werden1).  Man  hat  auch 
Grund  zur  Annahme,  dass  in  der  That  nur  ausnahmsweise  und 
bei  stärkeren  Preisüberschreitungen  für  gewisse  Gegenden  und 
Orte  die  Taxen  direct  vorgeschrieben  wurden,  aber  auch  dann 
bildete  die  vom  Gesetz  aufgestellte  Regel  die  Grundlage  der 
Tarifirung  *).  .  Jedenfalls  ist  ersichtlich,  dass  die  Preise  in  den 
Importhäfen,  welche  zumeist  Engrospreise  waren,  einen  ent- 
scheidenden Einfluss  hatten.  Waren  diese  massig,  so  wurde 
der  Wein  billig  im  ganzen  Lande.  Man  rechnete  also  mit  einer 
durchaus  variablen  Grösse,  mit  einer  Grösse  wie  sie  der  Handel 
lieferte,  und  nur  dafür  war  gesorgt,  dass  diese  unter  den 
Händen  der  Detaillisten  nicht  noch  weiter  übermässig  anschwelle. 

Es  begreift  sich,  dass  damit  die  Weintrinker  nicht  zu- 
frieden waren.  Sie  hatten  keine  Garantie  für  einen  billigen 
Wein.  Eine  solche  konnte  nur  geschaffen  werden,  wenn  man 
auch  den  Import  des  Weines  in  bestimmter  Weise  beaufsich- 
tigte und  lenkte.  Das  geschah.  Nach  der  grossen  Pest,  welche 
wahrscheinlich  auch  von  einer  Preissteigerung  der  Weine  be- 
gleitet war,  kam  die  Gesetzgebung  in  Fluss,  und  mehre  Jahr- 
zehnte hindurch  wurden  die  Versuche  nach  dieser  Richtung 
hin  fortgesetzt.  Zunächst  wandte  man  sich  mit  erhöhtem  Eifer 
wieder  gegen  den  Vorkauf  des  Weins.  Es  wurde  strenge  ver- 
boten, Weine  zu  kaufen,  noch  ehe  sie  ausgeladen  und  ans 
Land  gesetzt  waren 3) ;  sodann  untersagte  man  den  Engländern, 
vor  der  Weinlese  nach  der  Gascogne  zu  gehen  und  selbst  oder 
durch  Agenten  Kaufcontracte  zu  schliessen  oder  anderswo  als 
in  Bordeaux  oder  Bayonne  Weine  zu  kaufen.  Kurz  auch  in 
der  Gascogne  sollte  jeder  Auf-  und  Vorkauf  unmöglich  gemacht 
werden.  Man  verlangte  sogar,  dass  die  Engländer  den  Wein 
zu  den  Preisen  abgäben,  welche  in  Gascogne  allgemein  üblich 
seien,  und  nicht  die  Seegefahr  oder  einen  andern  Vorwand 
zur  Preissteigerung  benützten.  Die  Gascogner  und  andere 
fremde  Kaufleute  dagegen  durften  ihre  Weine  nach  England 
bringen  so  frei  wie  zuvor4). 

Wenn  anders  das  Statut  sprachlich  correct  abgefasst  und 
wörtlich  zu  interpretiren  ist,  muss  man  annehmen,  dass  die 
Absicht  bestand,  den  Engländern  das  Weinholen  unmöglich  zu 
machen.  Dass  der  Gesetzgeber  den  Einfluss  der  Fracht  auf 
den  Preis  kannte,   darüber  besteht  nach  Früherem  nicht  der 


*)  4  Ed.  III  c.  12.  (1830). 

*)  Rymer,   (Rec.  Ed.)  HL  P.   I.  S.  294,  303,  811;  sie  auch  Rot 
Pari.  I.  S.  48,  III.  S.  25. 

3)  Rot  Pari.  IL  S.  231,  249  (1350/51,  1853). 

«)  27  Ed.  III  st.  1.  c  5,  6,  7.  (1353).  * 


—    645     — 

mindeste  Zweifel,.  Wenn  trotzdem  die  Engländer  den  Wein 
zu  den  in  der  Gascogne  üblichen  Preisen  ablassen  sollten,  so 
mussten  sie  mit  Schaden  arbeiten.  Wie  es  sich  aber  auch 
damit  verhalten  mag,  jedenfalls  ist  aus  dem  Ganzen  ersichtlich, 
dass  man  die  Speculation  englischer  Kaufleute  durchaus  un- 
günstig beurteilte,  und  dass  man  von  ihrem  Eingreifen  nichts 
Gutes  erwartete.  Das  ist  auch  wohl  zu  erklären.  Die  Zahl 
der  Engländer,  die  an  dem  Weinimport  sich  betheiligten,  war 
eine  relativ  kleine;  es  mag  auch  vorgekommen  sein,  dass  sie 
den  Gascognern,  die  selbst  nach  England  fahren  wollten,  hohe 
Preise  boten,  um  schlieslich  in  England  den  Markt  zu  beherr- 
schen. Brachten  dagegen  die  Gascogner  selbst  den  Wein,  so 
war  mehr  Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  dass  der  Preis  sich 
niedrig  stellen  werde.  Die  Gascogner  verkauften  eigenes  Ge- 
wächs, durften  den  eingeführten  WTein  nicht  wieder  exportiren, 
mussten  ihn  zuweilen  sogar  innerhalb  40  Tagen  absetzen. 

Nichtsdestoweniger  dauerten  die  Klagen  über  die  Wein- 
theuerung,  namentlich  in  London,  Bristol,  Hüll,  Boston,  Ever- 
wyck  fort.  Die  Hauptschuld  scheint  aber  an  den  Stadtbehörden 
gelegen  zu  sein,  indem  diese  die  Detailverkäufer  schützten1). 
Der  Plan,  den  Wein  dadurch  billiger  zu  machen,  dass  die 
Weinschenker  nur  auf  den  Weinhandel  sich  beschränken  sollten, 
war  natürlich  ein  unglücklicher  und  unhaltbarer 2).  Inzwischen 
waren  aber  auch  Zweifel  an  der  Zweckmässigkeit  des  früheren 
Gesetzes  wach  geworden.  1363  wurde  die  Strafe  der  Felonie 
zurückgenommen,  dafür  allerdings  ein  neues  Controlnüttel  ein- 
geführt, indem  jedes  Jahr  nach  den  verschiedenen  Hafenplätzen 
in  Gascogne  geschickt  und  die  dortigen  Preise  und  sonstige 
Kosten  ermittelt  werden  sollten3).  Im  Jahr  darauf  gewährte 
der  König,  um  den  Weinimport  zu  verstärken,  geradezu 
allen  englischen  Kaufleuten  das  Weinholen.  Dieser  neue  Ver- 
such erprobte  sich  nicht.  Die  Gascogner  überliessen  zwar 
bereitwillig  den  Engländern  den  Import,  steigerten  aber,  wenn 
diese  nach  der  Weinlese  in  grosser  Zahl  kamen  und  eine  leb- 
hafte Nachfrage  entwickelten,  den  Preis,  zugleich  darauf  rech- 
nend, dass  die  Engländer  nicht  ohne  beträchtliche  Kosten  ihren 
Aufenthalt  verlängern  und  bessere  Chancen  abwarten  könnten. 
Auch  blieb  nicht  unbemerkt,  dass  die  englischen  Kaufleute 
zur  Zahlung  des  Weins  viel  Gold  exportirten,  was  vermieden 
blieb,  wenn  die  Gascogner  den  Wein  brachten,  da  diese  für 
den  Erlös  Waaren  kaufen  mussten. 

So  wurde  man  von  Neuem  in  der  früher  gewonnenen  An- 
sicht bestärkt,  dass  ein  billiget*  Preis  am  ehesten  erzielt  und 
der  allgemeine  Vortheil  am  besten  gewahrt  werde,  wenn  nur 

*)  Rot.  Pari.  II.  S.  258,  260.  (1354,  1362). 

*)  Rot.  Pari.  II.  S.  278  (1363). 

*)  Rot.  Pari.  IL  S,  277,  279,  282;  37  Ed.  III  c  16  (1363). 


-     646    — 

die  Gascogner  und  sonstigen  fremden  Producenten  den  Wein 
importirten.  Im  Parlament  wurde  denn  auch  der  Vorschlag 
gemacht,  versuchsweise  die  Passage  den  Engländern  längere 
Zeit  vollständig  zu  verhieten,  und  vom  König  acceptirt1). 

Das  Experiment  war,  wie  das  Parlament  im  darauffolgen- 
den Jahre  anerkannte,  vollständig  geglückt  und  der  Weinpreis 
beträchtlich  gesunken.  Nun  aber  waren  viele  Gascogner  un- 
zufrieden, am  meisten  aber  der  schwarze  Prinz,  dessen  Zoll- 
einkünfte sich  sehr  minderten.  Da  eine  Abnahme  der  Aus- 
fuhr mit  einer  gleichzeitigen  Preissenkung  in  England  schwer 
vereinbar  ist,  muss  man  annehmen,  dass  die  Engländer  in  der 
Gascogne  höhere  Zölle  zahlten,  als  die  Einwohner,  und  dass 
daher  der  Ausfall  rührte.  Sowohl  die  Gemeinen  als  die  Grossen 
in  England  wünschten  die  Aufrechthaltung  des  Gesetzes ,  und 
nur  nach  langen  Debatten  trug  man  den  Beschwerden  des 
schwarzen  Prinzen  Rechnung.  Der  König  durfte  allen  Eng- 
ländern, die  nicht  Handwerker  waren,  „unter  gewissen  Be- 
dingungenu  gestatten,  nach  Gascogne  zu  gehen.  Das  frühere 
Statut  wurde  ausdrücklich  nicht  annullirt,  sondern  nur  sus- 
pendirt,  bis  man  sehe,  ob  die  neue  Ordnung  dem  Königreich 
Vortheil  oder  Nachtheil  bringe.  Die  Bedingung  aber,  unter 
der  man  den  Import  den  Engländern  gestattete,  bestand  darin, 
dass  der  englische  Importeur  mindestens  100  Tonnen  bei  der 
Fahrt  kaufen  und  dafür  Sicherheit  hinterlegen  musste*).  Die 
englischen  Kaufleute  reichten  1371  und  1372  Gegenpetitionen 
ein,  richteten  aber  Nichts  damit  aus3). 

Zwölf  Jahre  lang  blieb  die  neue  Ordnung  bestehen.  Da 
schien  auch  sie  nicht  mehr  dem  Zwecke  zu  genügen.  Man 
ging  einen  Schritt  weiter.  Hatte  man  bisher  die  Zufuhr  so  zu 
lenken  gesucht,  dass  ein  billiger  Preis  entstehe,  so  machte 
man  jetzt,  im  Parlament  den  Vorschlag,  die  Weinpreise  der 
Engländer  im  Grossen  und  im  Detail  gleich  direct  zu  fixiren 
und  den  Letzteren  zu  verbieten,  ausser  Landes  zum  Weinkauf  zu 
gehen,  wenn  sie  diesen  Preis  nicht  einhalten  könnten.  Die  Pe- 
tenten meinten,  wenn  dieser  Modus  ein  oder  zwei  Jahre  an- 
dauere, so  werde  der  Markt  für  alle  Zeit  nachher  billig  sein, 
es  sei  denn  dass  aussergewöhnliche  Ereignisse  einträten.  Die 
Spitze  ist  wieder  nur  gegen  die  englischen  Importeure  und 
englischen  Weinverkäufer  gerichtet.  Der  Vorschlag  fand  Bei- 
fall, man  setzte  die  Preise  fest,  auf  dem  Land  durfte  für  je 
50  Meilen  Fracht  Vi  d  pro  Tonne  zugeschlagen  werden.  Der 
Detailpreis  war  so  normirt,  dass  den  Detailhändlern  ein  kleiner 
Gewinn  blieb,  die  Importeure  durften  sich  aber  nicht  weigern, 
den  Wein  im  Gfebinde  nach  den  festgesetzten  Preisen   abzu- 


')  Rot.  Pari.  IL  S.  296;  42  Ed.  III  c.  (1868). 
2)  Rot.  Pari.  IL  S.  301;  43  Ed.  III  c.  2  (1369). 
•)  Rot.  Pari.  IL  S.  306,  314. 


—    647     - 

geben1).  Das  Gesetz  erprobte  sich  nicht.  Wahrscheinlich 
war  die  einfache  Folge  des  Gesetzes,  dass  die  Zufuhr  abnahm. 
1383  versprach  der  König,  durch  Proclamation  das  Statut  zu- 
rücknehmen zu  wollen,  erklärte  aber,  dass  an  dem  Gesetz  seines 
Grossvaters  37  Ed.  III  c.  16  festgehalten  werde2). 

Demnach  blieb  also  der  Vorkauf  in  Gascogne  untersagt, 
die  Zeit  des  Weineinkaufs  war  beschränkt  und  die  Preise  in 
den  französisch-englischen  Häfen  wurden  amtlich  ausgekund- 
schaftet. Die  Festsetzung  der  Preise  auf  Grund  dieser  Er- 
kundigungen überliess  man  in  London 3)  und  wohl  vielfach  auch 
an  andern  Plätzen  der  Localbehörde,  an  manchen  Orten  sah 
man  vielleicht  von  Preistaxen  ganz  ab.  1420  verlangte  zwar 
das  Parlament  eine  einheitliche  Normirung  des  Detailpreises 
für  ganz  England,  der  König  machte  aber  keine  bindende 
Zusage.  Ueber  100  Jahre  ruhte  nun  die  Gesetzgebung  in  Be- 
treff der  nichtsüssen  Weine. 

Was  die  süssen  Weine  anlangt,  so  lagen  hier  die  Ver- 
hältnisse vielfach  anders.  Dieselben  wurden  bis  gegen  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  fast  ausschliesslich  von  den  Italienern 
importirt.  An  Zufuhr  Hessen  sie  es  nicht  fehlen.  Die  Preis- 
politik beschränkte  sich  hauptsächlich  auf  den  Detailverkauf. 
Mit  diesem  nahm  man  mancherlei  Experimente  vor.  Anfangs 
war  man  Willens,  denselben  zu  einer  ergiebigen  Finanzquelle 
zu  machen.  Im  Jahre  1365  wurden  in  London  die  Schenken 
für  Süssweine  bis  auf  drei  unterdrückt,  welche  die  Stadt  in 
Verwaltung  nahm ,  um  den  Gewinn  aus  dem  Verkauf  und  et- 
waige anfallende  Strafgelder  zur  Ausbesserung  der  Mauern, 
Gräben  und  sonstigen  öffentlichen  Zwecken  zu  verwenden4). 
1376  erlangte  ein  Londoner  Alderman  John  Peche  vom  König 
das  Verkaufsmonopol,  indem  er  letzterem  einen  grossen  Theil 
des  Gewinnes  versprach,  musste  aber  seinen  Versuch  mit  Aus- 
stossung  aus  dem  Amte  büssen5).  Gleichzeitig  wurde  der 
Detailverkauf  wieder  jedem  Bürger  unter  Aufsicht  des  Mayor, 
der  auch  die  Preise  festsetzen  konnte,  gestattet 6).  Das  dauerte 
bis  1381 7),  .wo  man  den  Detailverkauf  von  Neuem  verbot,  ohne 
dass  aber  finanzielle  Rücksichten  massgebend  waren8).    Aber 


*) i  Rot.  Pari.  Hl.  S.  121,  394;  h  Ric.  II.  c.  4.  (1381).  «Möglich  ist, 
dass  die  Tarifirung  auch  mit  dem  gleichzeitigen  Erlass  des  Schiffahrtege- 
setzes  zusammenhing,  insofern  in  Folge  des  letztern  eine  Steigerung  der 
Preise  befurchtet  werden  musste. 

•*)  Rot.  Pari.  III.  S.  161  (1383). 

s)  7  Ric.  II  c.  11. 

4)  Rot  Pari.  IL  459. 

b)  Rot.  Pari.  II.  S.  328;  Brentano,  Noch  ein  Wort  über  die 
wirtschaftliche  Freiheit  im  mittelalterlichen  England.  Zeitschrift  für  die 
ges.  StaatswiBsenschaft.    34.  Bd.  1878.  S.-271. 

6)  Rot.  Pari.  IL  S.  323,  336. 

7)  Sieh  auch  Rot.  Pari.  III.  S.  43. 

8)  5  Ric.  II  st.  1.  c.  4;  Rot  Pari.  III.  S.  121;  daselbst  ist  das 
Verbot  des  Kleinverkaufs  motivirt :  „entendantz  qe  moelt  de  mal  et  deceite 
en  advenuz  par  le  retaille  dudite  suffrance". 


—    648    — 

schon  im  Jahre  darauf  gestattete  man  den  Detailverschleiss 
wieder,  wofern  nur  der  süsse  Wein  nicht  höher  als  der  andere 
verkauft  werde1),  und  1383  überliess  man  auch  hier  die  Re- 
gelung der  Stadtbehörde 2).  Der  Wunsch  nach  Aufhebung  des 
Detail  Verkaufs  tauchte  zwar  nochmals  auf,  es  ist  aber  zu  be- 
zweifeln, ob  demselben  stattgegeben  wurde3).  Auch  auf  die 
wiederholten  Klagen,  dass  die  Fremden  den  Preis  so  sehr  in 
die  Höhe  getrieben  hätten*),  geschah  nichts  bis  zu  Richard III., 
der  aber  auch  keinen  Engrospreis  festsetzte,  sondern  nur  das 
zu  klein  gewordene  Gemäss  abstellte6).  Erst  unter  Hein- 
rich VII.  trat  hier  eine  Aenderung  ein.  Als  er  1491  behufs 
Retorsion  den  Venetianern  einen  Zuschlagszoll  auferlegte,  war 
natürlich  die  Preistaxe  unvermeidlich,  damit  nicht  die  Vene- 
tianer  sich  durch  einen  höheren  Preis  entschädigen  oder  die 
Engländer  ihr  Monopol  unvernünftig  ausbeuten  konnten6). 

Hinsichtlich  der  Gascogner  und  Guienner  Weine  traf  Hein- 
rich VII.  keinerlei  Aenderung,  selbst  dann  nicht,  als  die  Schiff- 
fahrtsacte  erlassen  worden  war,  und  in  Folge  dessen  die  ge- 
nannten Weine  nur  in  englischen  Schiffen  importirt  werden 
durften.  Das  Gleiche  geschah  anfangs  unter  Heinrich  VIIL, 
der  allerdings  auch  die  Schiffahrtsgesetze  in  der  ersten  Zeit 
seiner  Regierung  vielfach  durchbrechen  liess 7).  Als  man  aber 
mit  dem  Navigationsschutz  wieder  grösseren  Ernst  machte,  als 
ferner  die  Weinpreise  in  Folge  der  in  England  vorgenommenen 
Münzverschlechterung  und  der  in  Spanien  und  Frankreich  sich 
schon  vollziehenden  allgemeinen  Geldentwerthung  eine  steigende 
Tendenz  hatten,  versuchte  man  auch  hier  wie  damals  auf  so- 
vielen  Gebieten  mit  Gewalt  die  Preissteigerung  einzudämmen. 
An  die  Stelle  der  städtischen  Regelung  trat  wieder  die  durch 
Gesetz. 

Dieselbe  Acte,  welche  die  Navigationsgesetze  erneuerte, 
schrieb  die  Preise  der  im  Detail  verkauften  Weine  vor  und 
ermächtigte  den  Rath  des  Königs,  auch  für  den  Engros- 
verkauf solche  zu  bestimmen 8).  Es  lag  darin  das  Zugestand- 
niss,  dass  der  Grosshandel  grösseren  Schwankungen  ausgesetzt 
sei  und  demnach  auch  individueller  behandelt  werden  müsste. 
Freilich  der  Rath  des  Königs  verstand  seine  Aufgabe  nicht  so. 
Er  setzte  'einen  Engrospreis  fest,  bei  dem  wohl  die  Detaillisten 
sehr  gut  bestehen  konnten,  der  aber  unter  dem  zuletzt  üb- 


J)  Rot  Pari.  III.  S.  138;  6  Ric.  II.  st.  1  c.  7.  (13821 

*)  7  Ric.  II.  c.  11. 

*)  Rot.  Pari.  IV.  S.  126  (1420). 

«)  Rot  Pari.  IV.  S.  193,  449.  (1422,  1433). 

*)  1  Ric.  III.  c.  13  (1483/84). 

6)  Im  Uebrigen  sieh  hierüber  oben  S.  140  fg. 

7)  Vgl.  oben  S.  369,  370. 

8)  23  Hen.  VIIL  c.  7  (1531/32);  28  Hen.  VIIL  c.  14  (1536). 


—    649    — 

liehen  sich  befand  ').  Als  in  Folge  dessen  die  Londoner  Gross- 
händler mit  dem  Verkaufe  an  sich  hielten  in  der  Hoffnung, 
dass  dann  höhere  Preise  angesetzt  würden,  erliess  man  eine 
neue  Acte,  wonach  die  Weinhändler  auf  Verlangen  Wein  nach 
dem  vorgeschriebenen  Preise  abgeben  und  im  Weigerungsfalle 
sogar  gewaltsame  Abnahme  durch  die  Behörden  sich  gefallen 
lassen  mussten.  Nur  ein  Ausweg  blieb  dem  Engroshändler 
offen;  er  durfte  die  Abgabe  des  Weins  verweigern,  wenn  er 
eidlich  erklärte,  den  Wein  selbst  abziehen  und  im  Detail  ver- 
kaufen zu  wollen 2).  Bei  dem  verhältnissmässig  guten  Gewinn, 
welchen  das  Gesetz  dem  Detailhändler  gestattete s),  wird  wohl 
auch  der  grössere  Theil  der  bisherigen  Engrosverkäufer  dieses 
ihm  gebotene  Mittel  gewählt  haben.  Ein  anderer  Theil  traf 
mit  den  Käufern  ein  heimliches  Uebereinkommen  und  ent- 
schädigte sich  durch  geringeres  Mass4),  wenngleich  auch  das 
durch  Gesetz  verboten  war6),  ein  dritter  endlich  half  sich 
durch  Weinfälschung 6).  Auf  diese  Weise  war  es  möglich,  dass 
die  Gesetze  und  niedrigen  Taxen  einige  Jahre  scheinbar  gut 
funetionirten. 

Mit  dem  Beginn  der  vierziger  Jahre,  wo  die  verschiedenen 
Momente  der  Preissteigerung  in  verstärktem  Masse  zusammen- 
wirkten, genügte  die  bisherige  Ordnung  nicht  mehr.  Wohl 
hatte  .die  Regierung  in  die  neue  SchifFahrtsacte  32  Hen.  VIII. 
c.  14  sogar  einen  Frachttarif  für  die  Weine  aufgenommen,  so 
dass  die  englischen  Weinhändler  keinen  Anlass  hatten,  über 
die  excessiven  Forderungen  der  Schiffahrer  sich  zu  beklagen. 
Allein  die  Preissteigerung  der  Weine  hatte  in  den  Transport- 
kosten nicht  ihren  einzigen  und  nicht  einmal  ihren  vornehm- 
lichsten  Grund,  sie  war  den  übrigen  Verhältnissen  zufolge  un- 
vermeidlich. Wollte  der  kgl.  Rath  die  Einfuhr  nicht  unmög- 
lich machen,  so  musste  er  den  wirklichen  Preisen  folgen.    Er 


*)  Aus  24  Hen.  VIII.  c.  6  geht  hervor,  dass  der  angesetzte  Preis  für 
die  Tonne  unter  5  £  stand.    Vgl.  auch  Bd.  II.    S.  33,  34. 

*)  24  Hen.  VIH.  c.  6  (1532/33).  die  Acte  sollte  zunächst  nur  für  Lon- 
don gelten,  konnte  aber  auch  auf  aas  übrige  England  ausgedehnt  werden. 

3)  Am  7.  November  1534  setzte  der  kgl.  Rath  die  Weintaxe  auf  4  £ 
per  Tonne  fest  (Br.  M.  Harl.  Ms.  442  fo.  126).  1  Gallone  berechnete  sich 
danach  auf  3,84  d,  der  Acte  23  Hen.  VIH.  c.  7  gemäss  durfte  der  Detail- 
händler 8  d  verlangen. 

*)  In  der  Acte  34-35  Hen.  VIII.  c  7  heisst  es  deshalb:  „the  mar- 
chaunt  in  no  wyse  will  seil  his  wynes,  ooneless  the  byers  doo  indent  pro- 
mise  and  covenaunte  with  the  saide  merchaunt  or  otherwyse  bynde  them- 
self,  that  they  shall  take  none  advauntage  of  the  acte  of  gauging. 

*)  23  Hen.  VIII.  c.  7. 

6)  In  Betreff  der  Weingesetze  bemerkt  ein  alter  Schriftsteller  unter 
dem  Jahr  1536:  „And  though  this  prevented  much  cousenage,  yet  order 
being  not  taken  to  punish  those,  who  falsified  and  corrupted  wines,  much 
abuse  in  this  kind  followed."  Herbert.  Life  of  Henry  VIII.  Edit.  1649. 
S.  401. 


—    650    — 

erhöhte  in  der  That  successive  die  Engrospreise *).  Je  mehr 
aber  das  geschah,  um  so  rascher  näherte  man  sich  dem  Puncto, 
wo  der  Detailverkäufer,  der  die  ein  für  alle  Mal  vom  Gesetz 
vorgeschriebene  Taxe  nicht  überschreiten  sollte,  mit  geringem 
oder  gar  keinem  Gewinn  arbeitete2).  1543  riefen  die  Detail- 
listen um  Hilfe.  Man  gewährte  sie  dadurch,  dass  die  Com- 
missi on,  welche  die  Preise  für  den  Grosshandel  normirte,  auch 
die  für  den  Kleinhandel  den  schwankenden  Verhältnissen  ent- 
sprechend bestimmen  durfte 3).  Wie  die  Engrospreise,  so  wur- 
den nun  auch  die  Detailpreise  in  rascher  Folge  so  erhöht, 
dass  der  Gewinn  des  Eleinverschleissers  wieder  so  ziemlich  seinen 
früheren  Stand  erreichte4). 

Die  Preistaxen  hatten  beim  Wein  ihren  Zweck  oder  doch 
den  Zweck,  den  Heinrich  VIII.  verfolgte,  verfehlt.  Den  natür- 
liehen  Preismomenten  zu  trotzen,  w$r  hier  noch  weniger  mög- 
lich, als  bei  Waaren  des  Inlands.  Im  günstigsten  Fall  waren 
die  Taxen  im  Stande,  eine  übermässige,  blos  durch  Speculation 
bedingte  Preissteigerung  zu  verhindern. 

Wir  haben  damit  die  preispolitischen  Versuche  auf  dem 
Gebiete  der  Lebensmittel  dargelegt.  Ihnen  am  nächsten  stehend, 
aber  von  minder  grosser  Bedeutung  waren  die  Gesetze,  dass 
die  Wirthe  bei  Hafer  und  Heu  massige  Preise  einhalten  sollten 5), 
und  die  Vorkehrungen ,  welche  man  traf,  wenn  das  Holz  in 
seinem  Preise  beträchtlich  stieg6). 


*)  Die  Tonne  besten  Gascogner  Weins  war  festgesetzt  am  7.  Nov.  1584 
auf  4  £\  1.  Dez.  1537  auf  4  i  13  sh  4  d;  15.  Dez.  1540  auf  4  £;  am 
1.  Dez.  1541  auf  5  £,  am  20.  Mai  1544  auf  8  £.  Br.  M.  Harl.  Ms.  442 
fo.  126,  150,  177,  198;  Nicolas,  Proceedings  and  Ordinances  of  the  Privy 
Council  VII.  S   93. 

*)  Wahrend  der  Gewinn  des  Detailhändlers  1537  beim  Gascogner  Wein 
sich  noch  zu  3,6  d,  beim  franz.  Wein  zu  4,2  d,  beim  Mahrasierwein  zu 
4,4  d  per  Gallone  berechnete,  war  er  1543  auf  0,4  d,  2,4  d  und  2,5  d 
herabgesunken. 

8)  34—35  Hen.  VIII.  c.  7;  37  Hen.  VIII.  c  23. 

4)  Im  Detailverkauf  zu  London  durfte  die  Gallone  besten  Weins  zu 
12  d,  die  Gallone  Sack  und  Rumney  zu  10  d,  die  Gallone  Rheinwein  und 
Malvasier  zu  12  d  abgegeben  werden  (Br.  M.  Harl.  Ms.  442  fo.  219).  Legt 
man  die  Engrospreise  von  1544  zu  Grunde,  so  berechnet  sich  der  Gewinn 
beim  Gascogner  Wein  auf  4,5  d,  beim  übrigen  französischen  Wein  auf  6,4  d 
per  Gallone. 

5)  13  Ric.  II.  st.  1  c.  8;  4  Hen.  IV.  c.  25.  Die  Wirthe  sollten  nicht 
mehr  als  1/«  d  per  Bushel  über  den  allgemeinen  Marktpreis  nehmen.  Die 
Acten  des  Privy  Council  enthalten  am  17.  Mai  1545  folgenden  Eintrag: 
„An  order  was  taken  in  consideracion  of  the  excessive  pricesse  demaunded 
for  haye  and  oates  by  the  inhoulderes  of  Londone  upon  strangeres,  who 
were  come  hether  for  the  kings  Service,  that  they  should  demaunde  but 
2  d  ob.  a  daye  and  night  for  haye  and  lytter  and  16  groates  tor  a  quarter 
of  oates."    Br.  M.  Harl.  Ms.  256  fo.  5. 

6)  In  London  lag  die  Tarifirung  der  Stadtbehörde  ob.  Am  17.  Jan. 
1543  schrieb  das  Privy  Council  an  den  Mayor  „for  to  see  the  reformacion 
in  the  unreasonable  prices  of  fewell"  (Acts  of  the  Privy  Council  in  dem 
Privy  Council  Office  I.  S.  432).    Ueber  die  Ursache  der  Theuerung  schrieb 


—    651     — 

Wichtig  dagegen  war  wieder  die  grosse  Masse  der  Ge- 
werbsproducte  und  sonstigen  Artikel,  die  in  England  eingeführt 
oder  im  Lande  selbst  verfertigt  wurden.  Dass  man  hier  einen 
grösseren  Spielraum  lassen  musste,  lag  in  der  Natur  der  Sache. 
So  einfach  auch  noch  die  Verkehrsverhältnisse  waren,  so  war 
es  doch  selbst  damals  eine  Unmöglichkeit,  den  Preis  jeder 
Waare  zu  regeln  oder  zu  normiren.  Im  Allgemeinen  waren 
die  Preistaxen  hier  die  Ausnahme,  es  fand  ein  Einschreiten 
nur  von  Fall  zu  Fall  statt,  d.  h.  dann,  wenn  Missbräuche 
sich  ergaben.  An  solchen  konnte  es  freilich  nicht  fehlen.  Mit 
den  zünftigen  Verbindungen  der  Kaufleute  und  Handwerker 
waren  sie  unvermeidlich  verbunden.  Nach  einer  Seite  hin 
haben  wir  die  Bestrebungen  der  Genannten  bereits  kennen 
gelernt.  Der  Fremdecpolitik  lag  ja  genau  genommen  nichts 
als  ein  grossartiger  Preiskampf  zu  Grunde,  den  die  städtischen 
Kauf-  und  Gewerbsleute  gegen  die  concurrirenden  Fremden 
mit  wechselndem  Erfolge  führten.  Aber  selbst  wenn  die  Zu- 
lassung der  letzteren  eine  ziemlich  unbeschränkte  war,  so  gab 
ihnen  die  natürliche  Lage  der  Verhältnisse  immer  noch  einen 
Yorsprung  und  die  Möglichkeit,  die  Preise  zu  ihren  Gunsten 
zu  gestalten;  Klagen  darüber  mussten  um  so  häufiger  sein,  je 
enger  die  Auffassung  des  innern  Handels  und  je  geringer  das 
Verständniss  für  das  Wesen  der  Speculation  überhaupt  war. 

So  eiferte,  was  die  Kaufleute  betrifft,  1363  das  Parlament 
gegen  die  Gilde  der  Grocers,  weil  sie  jede  Art  verkäuflicher 
Waaren  zusammenkauften  und  den  Preis  hinauftrieben,  indem 
sie  die  billigen  Waaren  zurückhielten  und  für  die  Zeit  des 
Mangels  und  der  Theuerung  aufspeicherten.  Man  verfiel  auf 
den  unglücklichen  Gedanken,  durch  Gesetz  vorzuschreiben, 
dass  jeder  Kaufmann  nur  mit  einer  Waare  handle.  Die 
Theuerung  wurde  natürlich  grösser  als  zuvor,  und  schon  im 
folgenden  Jahre  musste  man  das  Gesetz  zurücknehmen x).  1411 
schuldigte  man  abermals  die  Grocers  und  mit  ihnen  die  Lom- 
barden und  andere  fremde  Kaufleute  an;  man  sagte,  dass  sie 
von  „dem  verbreitetsten  Gewürze  im  Königreich",  dem  Pfeffer, 
viele  Ballen  in  Händen  hätten  und  ihn  nicht  abgeben  wollten,  um 
exorbitante  Preise  zu  erzielen.  Der  König  befahl  den  ge- 
nannten Kaufleuten,  das  Pfund  Pfeffer  zu  20  d  abzulassen, 
nach  Ankunft  einer  neuen  Ladung  den  Preis  aber  niedriger 
zu  setzen2).    Unter  Heinrich  VIII.  sollten  wiederum  die  Con- 


Wriothesley,  Chronicle  S.  141:  „This  winter  (1543)  by  reason  of  the 
wett  6ommer,  that  wood  could  not  be  caryed  for  the  high  flowdes  to  the 
watter  syde,  wood  was  so  skante  in  London,  that  a  thousand  bylettes  wäre 
soulde  for  a  marke  and  16  sh  the  mille,  and  coles  also  was  sold  for  12  d 
and  14  d  the  sacke" 

*)  Rot.  Pari.  II.  S.  277,  278,  280,  286;  37  Ed.  III.  c.  5;  38  Ed.  III. 
st.  1  c.  2. 

*)  Rot  Pari.  III.  S.  662.  Bekanntlich  durften  Gewürze  auch  nicht 
wieder  ausgeführt  werden.    Rot.  Pari.  III.  S.  308  (1392/93). 


—    652    — 

^puuDooen  der  Importeure  und  Verkäufer  im  Lande  es  sein. 
weiche  den  Preis  der  Gewürze  und  namentlich  des  Zuckers 
steigerten ,  während  die  wahre  Ursache  ganz  anderswo  lag. 
Am  ~  Januar  1541  musste  die  Londoner  Stadtbehörde  aus- 
kundschaften,  wie  der  Preis  des  Zuckers  und  der  Gewürze  in 
Lissabon  und  Antwerpen  sei,  damit  man  anlässlich  der  An- 
kunft vier  portugiesischer  Schiffe  eine  Verordnung  erlassen 
kCttne*  Am  12.  Januar  wurde  auch  geboten,  dass  kein  Eng- 
Uauier  oL*s  Pfund  Zucker  höher  als  zu  8  d  verkaufe1).  Am 
i    Vidi    1544    erfolgte    eine    neue  Proclamation   an   Gesetzes 

Bei  den  Handwerkerzünften  mögen  Taxen  häufiger  gewesen 
seiu-  Die  Stadtbehörden  schrieben  wohl  solche  vor.  In  Lon- 
kü  ^ab  es  deren  eine  ganze  Menge3):  Es  ist  aber  zu  be- 
bten, dass  sie  fast  ausschliesslich  auf  Dienstleistungen  be- 
schränkt sind  und  dass  es  zweifelhaft  ist,  ob  sie  das  ganze 
Mittelalter  hindurch  festgehalten  wurden;  die  Zeugnisse,  die 
wir  in  Betreff  derselben  besitzen,  fallen  meist  in  die  zweite 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  welche  wegen  der  Pest  anormale 
Preiserscheinungen  aufwies 4).  Man  wird  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit annehmen  dürfen,  dass  bei' Markt-  und  Ladenartikeln  die 
Preisbewegung  nur  ausnahmsweise  beeinflusst  wurde.  Die 
volle  Bedeutung  dieser  Thatsache  wird  ersichtlich,  wenn  man 
sich  erinnert,  welche  Rolle  im  mittelalterlichen  Verkehr  die 
Messen  und  Märkte  spielten5).  Zu  den  schon  im  13.  Jahr- 
hundert bestehenden  grossen  Messen  von  Stamford,  Saint  Yves. 
Boston,  Winchester,  Northampton 6)  kamen  durch  Verleihung 
der  drei  Eduarde  (1272—1377)  noch  eine  grosse  Zahl  kleinerer 
Märkte7);    in    schwächerem   Masse   dauerte    die   Begründung 

')  Nicolas,  Proceedings  etc.  VII.  S.  104, 113.  Nach  Brewer,  CaLIV. 
5405  zu  schliessen,  war  wahrscheinlich  die  Taxe  zu  niedrig,  da  die  Münz- 
Verschlechterung  inzwischen  eingetreten  war. 

«)  ürk.  Beil.  168. 

8)  Lib.  Cust.  I.  S.  94;  Lib.  Alb.  S.  238,  278,  620,  621,  680,  691 
697,  727,  733,  737.    Riley,  Memorials  S.  253. 

4)  Hieher  gehört  auch  die  reichsgesetzliche  Regelung  in  Betreff  der 
Efeenpreise.    Rot  Pari.  IL  S.  260;  28  Ed.  IH.  c.  5  (1354). 

*)  In  Betreff  ihrer  gesetzlichen  Ordnung  vgl.  Schmid,  Die  Gesetze 
der  Angelsachsen  S.  356;  Kern ble,  Die  Sachsen  II,  2.  S  61;  Lib.  Alb. 
S,  551;  Lib.  Cust  I.  S.  7,  275,  349;  13  Ed.  L  st  Wynton  c  6;  13Ed.I. 
«t.  Merc;  13  Ed.  I.  st.  Westm.  2,  c.  24:  2  Ed.  III.  st  North,  c  15:  5Ed.m. 
c.  5;  13  Ric.  II.  c  4;  16  Ric.  II.  c.  3;  31  Ed.  III.  st  1  c.  10;  27  Hen.U. 
c,  5j  4  Ed.  IV.  c  7;  17  Ed.  IV.  c.  2;  1  Ric  IIL  c.  6;  14—15  Heu.  Vffl. 
c.  9;  Lords1  Journ.  27°  die  Pari.  3  Hen.  VIII;  Gneist,  Geschichte  der 
englischen  Communal Verfassung  I.    S.  625. 

e)  Ueber  ihre  Dauer  sieh  die  Urkunde  bei  Varenbergh,  Relaöons 
diplomatiques  entre  la  Flandre  et  l'Angleterre.  S.  220.  Die  Messe  von 
Wystminster  wurde  von  Heinrich  in.  errichtet  M.  Paris,  Historia  minor 
ed+  Madden  III.  S.  35,  36. 

7)  Die  meisten  rühren  aus  der  Zeit  Eduards  I.  her,  wie  sich  ersehen 
Hess  aus  dem  „Catalogue  of  market  and  fair  towns  with  their  first  esta- 


, 


—    653    — 

solcher  auch  im  15.  Jahrhundert  noch  fort;  selbst  die  Re- 
gierung Heinrichs  VIII.  weist  noch  einzelne  Beispiele  auf1). 
Das  Marktwesen  breitete  sich  aus  bis  in  die  kleinsten  Flecken, 
und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  weitaus  der  grösste 
Theil  der  Bedürfhisse  nach  gewerblichen  Erzeugnissen  hier 
befriedigt  wurde.  Zur  Ergänzung  diente  noch  ein  ausgedehnter 
Hausirhandel,  der  aber  gleichfalls  frei  von  Preisschranken  war. 
Auf  den  Märkten  und  Messen  fehlte  es  nicht  an  Concurrenz, 
da  die  Gewerbtreibenden  vieler  Städte  und  auch  zahlreiche 
Ausländer  mit  ihren  Producten  sich  einfanden2).  Ausser  der 
Messzeit,  bei  Producten  blos  localen  Absatzes  waren  aber  die 
Zünfte  im  Stande,  möglichst  vorteilhafte  Preise  zu  erzielen8). 
Von  ihrer  Thätigkeit  nach  dieser  Richtung  liegen  mancherlei 
Beispiele  vor.  Zur  Zeit  Eduards  IL  verabredeten  die  Mit- 
glieder der  Webergilde  eine  Erhöhung  des  Weblohnes  und 
verminderten  ihre  Zahl,  um  ihre  Absicht  mit  Erfolg  durch- 
zuführen 4).  1394/95  beschuldigten  die  Schuhmacher  die  Gerber- 
zunft, dass  deren  Mitglieder  bezüglich  der  rohen  Häute  ge- 
ringe Einkaufspreise  unter  sich  ausmachten6).  Die  Zunft  der 
Lederzubereiter  in  London  missbrauchte  ihre  grosse  Aufsichts- 
gewalt über  die  Güte  der  Waaren,  um  die  fremden  in  London 
wohnhaften  Schuhmacher  im  Preis  zu  bedrücken6).  1414  klagte 
man  über  die  Goldschmiede,  weil  sie  ihre  Waaren  um  den 
doppelten  Preis  des  Silbergewichts  verkauften,  weshalb  befohlen 
ward,  dass  alles  Silber  die  Sterlingslegirung  besitzen  müsse 
und  vergoldet  das  Troypfund  nicht  höher  als  zu  46  sh  8  d 
verkauft,  für  das  Vergolden  übergebener  Gegenstände  nur 
massige  Forderungen  gemacht  werden  dürften7).  1415  be- 
schwerten sich  die  Leute  von  Coventry  über  die  geheimen 
Abmachungen  und  Preissteigerungen  der  Färber,  verlangten 
aber  vergeblich,  behufs  besserer  Ordnung  vier  Aufsichtspersonen 
wählen  zu  dürfen 8).  1433  erregten  die  Wachskerzenmacher 
den  Unwillen,  weil  sie  die  frommen  Leute  ausbeutend  sich  für 
ein  verarbeitetes  Pfund  Wachs  2  sh  und  mehr  bezahlen  liessen, 


blishment  found  by  search  in  the  Tower  1599  and  1600"  in  Br.  M.  Harl. 
Ms.  6700  fo.  19,  49. 

»)  Brewer,  Cal.  III.  233;  IV.  1049,  6248;  14-15  Hen.  VIII.  c  27. 

')  In  Betreff  des  Bepuchs  der  verschiedenen  Messen  durch  die  Lon- 
doner Gewerbsleute  vgl.  Lib.  Cust  I.  S.  179  fg.;  3  Hen.  VII.  c.  10. 

8)  Was  von  den  Kappen-  und  Hutmachern  in  4  Hen.  VII.  c.  9  gesagt 
wird,  dürfte  auf  viele  andere  Gewerbe  angewendet  werden:  „And  by  cause 
they  knowe  well,  that  every  man  must  occupie  theym,  they  wille  seile  theym 
at  none  esear  price,  to  the  grete  charoe  and  damages  of  the  kynges  sub- 
gettes  and  agaynst  all  good  reason  and  conscyence." 

4)  Lib.  Cust.  I.  S.  416  fg. 

*)  Rot.  Pari.  III.  S.  330. 

«)  5  Hen.  VIII.  c.  7.  (1513/14). 

')  2  Hen.  V.  st.  2  c.  4  (1414). 

8)  Rot.  Pari.  IV.  S.  75. 


—    654    — 

während  es  ihnen  nicht  mehr  als  6  d  kostete1).  1488  sah 
man  sich  genöthigt,  den  Schnittwaarenhändlern  Maximalpreise 
vorzuschreiben,  die  sie  beim  Verkauf  des  Wollentuchs  nach  der 
Elle  nicht  überschreiten  durften  *),  und  die  Zunft  der  Tailore 
in  Exeter  hatte  man  1482  wegen  ihrer  Missbräuche  ganz  auf- 
gelöst ö).  1495  sonderten  sich  in  Norwich  unter  dem  Vorwand 
besserer  Beaufsichtigung  die  Worstedscherer  als  eigene  Zunft 
von  den  übrigen  Tuchscherern  ab  und  suchten  dann  durch  Aus- 
schluss der  letzteren  und  Verabredung  den  Scherpreis  zu  er- 
höhen4). Aehnliches  Verfahren  war  bei  den  Zünften  ziemlich 
allgemein  und  gab  den  Anlass,  dass  seit  Heinrich  VI.  die  be- 
hördliche Ueberwachung  derselben  verschärft  wurde5).  Eine 
Acte  Heinrichs  VH.  hebt  dies  ausdrücklich  hervor6). 

Am  grössten  war  die  Gefahr  eines  Missbrauches  von  Seiten 
der  Gewerbszünfte  dann,  wenn  die  Einfuhr  der  Waaren  ge- 
hemmt oder  sonst  die  Concurrenz  in  ausserordentlicher  Weise 
beschränkt  war.  Als  1464  Eduard  IV.,  um  gegen  die  Nieder- 
lande Repressalien  zu  üben,  die  Einfuhr  aller  niederländischen 
Waaren  verbot,  fürchtete  er  eine  grosse  Preissteigerung  und 
beauftragte  deshalb  die  Stadt-  und  Marktbehörden,  mit  zwei 
Männern  des  Orts  geeignete  Massregeln  zu  treffen ').  Auch 
bei  den  eigentlichen  Schutzgesetzen  wurde  nicht  selten  durch 
Preistaxen  ein  Gegengewicht  geschaffen.  Bei  der  Industrie- 
schutzacte  Eduards  IV.  und  der  Richards  IH.  geschah  es  nicht  •». 
Wir  haben  aber  bereits  gesehen,  wie  die  Preistaxen  für  Wein 

theilweise    mit    den    Navigationsgesetzen    zusammenhingen*) 

t 

*)  11  Hen.  VI.  c  12;  sie  durften  fortan  nicht  mehr  als  3  d  über  den 
Preis  des  Rohwachses  per  U  verlangen. 

2)  „wollen  cloth  of  the  fynest  making  scarlet  grayned  or  othre  cloth 
grayned.  what  colour  soever  it  be,  -  16  s  a  brode  verde,  and  a  brode 
verde  or  wollen  cloth  of  any  othre  colour  out  of  grayne ,  or  eny  maner 
russet  of  the  fynest,  not  above  the  price  of  11  8."  4  Hen.  VH.  c=  8;  vgl. 
damit  die  Engrospreise  Bd  II  S.  31,  32.  Das  Statut  wird  in  schiefer 
Weise  von  Bacon  commentirt:  „Henry  VII.  made  also  Statutes  for  the 
maintenance  of  drapery  and  the  keepmg  ot  wools  within  the  realm,  a»d 
not  only,  but  for  stinting  and  limiting  the  prices  of  cloth  one  for  the  finer 
and  another  for  the  courser  sort,  which  I  note  both,  because  it  was  a  rare 
thing  to  set  prices  by  Statute  especially  upon  our  home-commodities,  and 
because  of  the  wise  model  of  this  act  not  prescribing  prices,  but  stinting 
them  not  to  exceed  a  rate,  that  the  clothier  mieht  drape  accordingly  as 
he  might  afford."  Bacon,  History  of  Henry  VII.  London.  1676.  S.  47; 
Kennets  hist.  I.  S.  597. 

8)  Rot.  Pari.  VI.  S.  219. 

4)  11  Hen.  VII.  c.  11 ;  19  Hen.  VH.  c.  17. 

6)  15  Hen.  VI.  c.  6. 

e)  „maister  wardens  and  people  of  guyldes.  fraternytees  and  other 
companyes  corporate  —  made  amonge  them  seife  meny  unlawefull  and 
unresonable  ordinaunces  aswell  in  pricis  of  weyres  as  other  thingii" 
19  Hen.  VH.  c  7. 

')  4  Ed.  IV.  c.  5. 

8)  3  Ed.  IV.  c.  4;  1  Ric.  IH.  c.  12. 

9)  Vgl.  oben  S.  648. 


—    655    — 

1532  verbot  man  den  Brauern,  ihre  Fässer  selbst  zu  machen; 
damit  aber  die  Fassbinder  ihre  Preise  nicht  steigerten,  wurden 
solche  für  die  verschiedenen  Fassarten  festgesetzt  und  10  Jahre 
später  wegen  der  inzwischen  gestiegenen  Holzpreise  ent- 
sprechend erhöht,  zugleich  aber  den  Böttchern  erlaubt,  für 
Fässer,  die  zum  Bierexport  nach  Flandern  dienten,  zu  ver- 
langen, so  viel  sie  wollten1).  1534  schützte  man' die  engli- 
schen Buchdrucker  und  Buchbinder,  die  Regierung  behielt 
sich  aber  das  Kecht  vor,  auf  eingegangene  Beschwerden  über 
excessive  Preissteigerungen  durch  eine  vereidigte  Commission 
oder  auf  irgend  eine  andere  Weise  den  Sachverhalt  unter- 
suchen zu  lassen,  und  im  Fall  die  Klagen  sich  als  begründet 
zeigten,  für  die  Bücher  und  das  Einbinden  Taxen  zu  ver- 
ordnen 2).  Anton  Marler  hatte  für  vier  Jahre  das  Monopol  des 
Bibeldrucks  erhalten,  er  musste  sich  aber  verpflichten,  das 
Exemplar  von  grossem  Fonnat  ungebunden  zu  10  sh  und  ge- 
bunden zu  12  sh  zu  verkaufen3).  Aehnlich  war  man  1451 
gegenüber  der  Regierung  verfahren,  als  diese  den  Alaun- 
verkauf für  einige  Zeit  monopolisirte  4).  1543  setzten  die 
Stecknadelmacher  den  Ausschluss  der  fremden  Stecknadeln 
durch,  aber  sie  mussten  versprechen,  das  Publicum  gut  zu 
bedienen  und  nicht  zu  höheren  Preisen  zu  verkaufen,  als  sie 
in  den  zwei  vorangegangenen  Jahren  üblich  waren.  Da  sie 
aber  dieser  Bedingung  nicht  genügten,  nahm  man  das  Gesetz 
wieder  zurück5).  Als  man  die  Bewohner  von  Lynn  und  Yar- 
mouth  zwang,  ihre  Worsteds  ausschliesslich  in  Norwich  scheren, 
färben  und  decatiren  zu  lassen,  schärfte  man  den  Norwicher 
Geschäftsleuten  ein,  dass  sie  nicht  übermässige  Preise  ansetzen 
sollten6).  Im  Jahre  1512  verbot  Heinrich  VIII.  die  Einfuhr 
fremder  Mützen  und  Hüte.  Da  aber  nach  früheren  Erfahrungen 
zu  erwarten  stand,  dass  die  Kappenmacherzunft  den  Schutz 
zur  ungebührlichen  Ausbeutung  des  Publicums  benützenwerde7), 
wurde  gleichzeitig  eine  detaillirte  Preistabelle  aufgestellt8). 
Kurz  es  war  zur  Zeit  der  Tudors  ziemlich  allgemeine  Regel, 
dass  Gewerbsprivilegien,  welche  das  Gesetz  neu  schuf,  nicht 
zu  ungebührlichen  Preissteigerungen  oder  sonstigen  Missbräuchen 
benützt  werden  dürften9). 

«)  23  Hen.  VIII.  c.  4  (1532):  35  Hen.  VIII.  c  8  (1644);  ürk.  Beil.  167. 

«)  25  Hen.  VIII.  c.  15  (1534). 

")  Nicolas.  Proceedings  and  Ordinances  of  the  Privy  Council  VII. 
S.  XLIV.  183. 

«)  Rot.  Pari.  V.  S.  214,  116;  der  König  durfte  den  Centner  nicht 
höher  als  zu  2  sh  verkaufen  lassen. 

*)  34-35  Hen.  Vni.  c  6;  37  Hen.  VIII.  c.  13. 

*)  14—15  Hen.  VIII.  c.  3. 

*)  Sieh  oben  8.  608  und  4  Hen.  VH.  c.  9. 

")  3  Hen.  VIII.  c.  15;  luxuspolizeiliche  Gründe  hatten  die  Taxen  in 
3  Ed.  IV.  c.  5;  21  Hen.  VIH.  c.  9. 

*)  Sieh  auch  ^1  Hen.  Via  c.  17;  25  Hen.  VIII.  c  18. 


—    656    — 

Ausser  den  genannten  Fällen  ist  es  nur  noch  eine  kleine 
Gruppe  von  Gewerbserzeugnissen,  deren  Preise  die  Regierung 
oder  Gesetzgebung  zu  ordnen  suchte.  Dieselbe  umfasst  die 
Waffen  zur  Landesverteidigung.  Schon  Eduard  III.  liess  den 
Londoner  Waffenschmieden  Taxen  festsetzen,  als  diese  exor- 
bitante Preise  forderten1).  Seit  Eduard  IV.  wurde  auch  für 
den  Bogen  ein  Maximalpreis  gesetzlich  vorgeschrieben2)  und 
gleichzeitig  die  Fremden  zur  Einfuhr  von  Bogenstäben  ge- 
zwungen 8).  Verlangten  die  Importeure  trotzdem  hohe  Preise 
für  das  Bogenholz,  so  kam  es  vor,  dass  der  kgl.  Rath  auf 
Klage  der  Bogenmacher  hin  niedrige  dictirte,  was  1545  einem 
Stahlhofskaufmann  widerfuhr4).  Um  dieselbe  Zeit  fixirte  die 
Regierung  die  Preise  für  alle  Theile  der  gesammten  Kriegs- 
rüstung5). 

Einen  von  den  bisherigen  Versuchen  wesentlich  verschie- 
denen Character  zeigt  die  Preispolitik  hinsichtlich  der  im  eng- 
lischen Verkehr  so  hervorragenden  Stapelartikel  Wolle,  Zinn, 
Häute,  später  bei  den  Tüchern.  Sie  dienten  dem  Export,  und 
das  englische  Interesse  erforderte  hier  dem  Auslande  gegenüber 
möglichst  hohe  Preise.  Seit  frühester  Zeit  war  man  sich  dessen 
bewusst.  Schon  zu  Edgars  Zeit  (959—75)  tfurde  untersagt, 
Wolle  unter    einem  gewissen  Preise  abzugeben 6).    Ein  ähn- 


*)  Rymer  V.  S.  244,  817  (1841,  1355). 

9)  Die  Begründung  lautet:  „the  bowyers  in  every  part  of  this  realm 
do  seil  their  bows  at  such  a  great  and  excessive  price,  that  the  kings  sob- 
jects  perfectly  disposed  to  shoot  be  not  of  power  to  buy  to  them  bows, 
whereby  shooting  iß  greatly  diminished  and  left,  and  unlawful  games  be 
used.u  22  Ed.  IV.  c.  4;  3  Hen.  VII.  c.  13;  33  Hen.  VIII.  c.  9.  Sieh  auch 
3  Hen.  VIII.  c.  3;  6  Hen.  Vi  II.  c.  3,  wonach  die  Behörden  zwei  oder  drei 
Bogenmacher  in  jede  Grafschaft  schicken  konnten,  um  billige  Bogen  zu 
machen. 

8)  12  Ed.  IV.  c.  2;  1  Ric.  III.  c.  11.  In  dem  Preamble  zu  dem  letzt- 
erwähnten Gesetz  wird  gesagt,  dass  100  Bopenstäbe  früher  40—46  sh  8  d, 
nun  aber  in  Folge  der  subtilen  Mittel  der  Lombarden  8  £  kosteten. 

<)  Urk.  BeiL  169. 

*)  Am  31.  Aug.  1542  wurden  folgende  Maximalpreise  aufgestellt:  Kor 
Bogen  erster,  zweiter,  dritter  Qualität  3  sh  4  d,  2  sh  6  d,  2  sh.  „Every 
sheft  of  lyverie  arrowes  2  sh.  Every  girdle  2  d.  Every  sheft  of  arrowes 
of  eight  ynche  or  nyne  ynche  the  fcather  2  sh  4  d.  Every  Crosse  of  bo- 
westnnges  conteyning  twelve  dossen  3  sh  4  d.  Every  demylaunce  with 
curasse  vambrase  polren  hed  peece  with  a  bever  45  sh.  Every  demilaunce 
called  a  coUyn  cliff  readv  made  and  hedded  2  sh  8  <L  Every  arming  sword 
for  an  horseman  2  sh  8  d.  Every  paire  of  gauntlettes  with  jointes  2  sh  8  d. 
Every  Almaine  ryyett  of  the  best  sort  7  sh  6  d;  of  the  second  sort  6  sh 
8  d.  Every  javelin  of  the  best  sort  ungilt  14  d.  Every  fighting  bill  ready 
helmed  12  d.  Every  Flemish  halberd  of  the  best  sort  20  d,  of  the  second 
sort  16  d."  Am  18.  Aug.  1544  wurde  durch  Proclamation  befohlen,  dass 
die  Almayne  ryvettes  öffentlich  ausgestellt  wurden.  Das  beste  Paar  nebst 
Zubehör  sollte  nicht  mehr  als  9  sh  6  d  kosten.  Br.  M.  Harl.  Ms.  442 
fo.  185. 

c)  Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  S.  193. 


—    657     - 

liches  Verbot  erliess   1343  Eduard  III.,   hob  es  aber  im  fol- 
genden Jahre  wieder  auf1). 

Seit  sich  die  Stapeleinrichtung  zwischen  die  Wollproducenten 
und  das  nachfragende  Ausland  eingeschoben  hatte,  war  eine 
Scheidung  der  Interessen  eingetreten.  Die  Stapler  wollten  in 
England  natürlich  niedrige  Preise,  während  sie  in  Calais  mög- 
lichst hohe  verlangten  und  durch  verschiedene  Mittel  auch 
wirklich  erzielten2).  Das  entsprach  nicht  den  Schafzüchtern. 
Diejenigen,  welche  sehr  viel  Wolle  producirten,  traten  vielleicht, 
um  an  dem  Gewinn  zu  participiren ,  selbst  in  die  Reihen  der 
Stapler  ein.  Der  Mehrzahl  aber  war  aus  Standesrücksichten 
dies  nicht  möglich.  Im  Allgemeinen  war  den  Wollproducenten 
das  Stapel  verhasst.  Mit  unverhohlenem  Neid  bemerkten  1363 
die  Seigneurs  und  Gemeinen  im  Parlament,  dass  im  Stapel  die 
Preise  zwar  hoch  seien,  der  Hauptvortheil  aber  in  den  Händen 
der  Kaufleute  bleibe8).  Die  Bekämpfung  des  Stapels  war 
aber  vergeblich,  da  die  Könige  aus  finanziellen  Rücksichten 
dasselbe  stützten.  Eduard  III.  verbot  jede  Conspiration  und 
jedes  Murren  gegen  dasselbe4).  Unter  Richard  IL  wurden 
zwar  die  Italiener  und  Spanier  zu  directem  Wettbewerb  mit 
den  Staplern  zugelassen,  indem  man  die  Wolle,  die  über  die 
Meerenge  von  Gibraltar  gebracht  wurde,  vom  Stapelzwang  be- 
freite 6),  aber  da  hieftir  beträchtlich  höhere  Zölle  gezahlt  wer- 
den mussten6),  so  fiel  der  Vortheil  mehr  dem  König,  als  den 
Wolle  verkaufenden  Landwirthen  zu.  Durch  die  stramme 
Stapelorganisation  in  den  Stand  gesetzt,  in  Calais  den  Preis 
zu  dictiren,  verstanden  sich  die  Stapelkauf leute  im  Lauf  der 
Jahre  wohl  dazu,  auch  den  Landwirthen  höhere  Preise  zu  be- 
willigen, aber  ganz  wurden  diese  nicht  zufrieden  gestellt. 
Immer  wieder  klagten  die  Schafzüchter.  1454  verlangten  sie, 
dass  Minimaltaxen  festgesetzt  wurden,  unter  denen  die  Wolle 
in  England  nicht  gekauft  werden  sollte.  Die  gewünschten 
Preise  waren  beträchtlich  höher  als  die  zu  Calais  üblichen,  in 
denen  doch  auch  noch  der  grosse  Zoll  enthalten  war.  Es  ge- 
lang aber  den  Stapelkauf  leuten,  nicht  nur  das  Zustandekommen 
dieses  Gesetzes  zu  hintertreiben,  sondern  auch  zu  verhindern, 
dass  die  den  Wollverkäufern  schädlichen  Praktiken  beim  Sor- 
tiren der  Wolle  abgestellt  wurden 7).    Die  Stapler  blieben  im 


*)  Rot.  Pari.  IL  S.  138,  151,  156;  Rymer  (Rec.  Ed.)  IL  S.  1225. 
*)  Sieh  auch  oben  S.  382. 

3)  Rot.  Pari.  II.  S.  276,  287. 

4)  27  Ed.  III  st.  2  c.  25. 

3)  2  Ric.  II  st.  1.  c.  3  (1378). 

6)  Sieh  Bd.  IL  S.  6. 

7)  Rot.  Pari.  V.  S.  256,  275.  27 1>,  331,  332.  An  letztgenannter 
Stelle  heisst  es :  „  Whiche  maner  of  buyng  hath  be  oon  of  the  grete  caases 
of  the  seid  amenusing  the  prices  of  the  seid  wolles  and  overe  grete  em- 
poTeryshing  of  the  growers  of  the  samea. 

Schanz,  Engl.  Handelspol itik.    1 .  42 


—    658    — 

Besitz  der  Macht  und  wachten  auch  eifrig  darüber,  dass  der 
König  durch  Licenzen  diese  nicht  durchbrach1). 

Ein  gefährlicher  Concurrent  blieb  aber  den  Staplern  doch ; 
es  war  dies  die  englische  Tuchindustrie,  deren  Interessen  von 
dem  Gesetzgeber  vor  Allem  berücksichtigt  wurden.  Ihrethalben 
unterdrückte  man  unter  dem  Titel  Vor-  und  Aufkauf  nicht 
nur  den  Detailhandel  mit  Wolle  *) ,  bis  dieser  seine  Nützlich- 
keit erwiesen  und  seine  Existenzberechtigung  sich  erkämpfte  s), 
sondern  die  Stapler  und  noch  mehr  die  Fremden  mussten  sich 
gefallen  lassen,  dass  den  Wollverarbeitern  beim  Einkauf  ein 
gesetzliches  Vorzugsrecht  eingeräumt  wurde.  Schloss  dies  das 
Steigen  der  Wollpreise  zu  Gunsten  der  Wollproducenten  auch 
nicht  ganz  aus,  und  verbesserte  sich  die  Situation  der  letztem 
gegen  früher,  wo  sie  den  Staplern  in  die  Hände  gegeben 
waren,  ganz  wesentlich,  so  sieht  man  doch,  dass  den  Gewinnen 
der  Wollverkäufer  Schranken  gesetzt  waren.  Der  Kampf  gegen 
die  der  Schafzucht  förderlichen  Einhegungen4),  die  Vorschrift, 
nicht  über  eine  bestimmte  Zahl  Schafe  zu  halten 5) ,  und  der 
Befehl  an  die  Wollproducenten,  ihre  Wolle  nicht  länger  als 
zwölf  Monate  unverkauft  zu  lassen 6) ,  sind  weitere  Belege. 

Das  Zinn  nahm  im  englischen  Export  eine  minder  wichtige 
Stelle  ein.  Aber  es  war  eine  Waare,  nach  der  lebhafte  Nach- 
frage bestand.  Wie  aber  die  Wollproducenten,  hatten  auch 
die  Zinner  nicht  den  unmittelbaren  Vortheil  davon.  Im  14. 
Jahrhundert  hatte  die  Regierung  den  Zinnkauf  monopolisirt 
und  das  Monopol  veräussert,  was  aber  begreiflicher  Weise  so- 
wohl bei  den  Producenten  als  bei  den  Kaufleuten  den  heftigsten 
Protest  hervorrief7).  Später  überliess  man  den  Staplern  und 
Merchant  adventurers  seinen  Verschleiss,  und  unter  Hein- 
rich VIEL  wurde  sein  Export  nur  gegen  Licenzerholung  ge- 
stattet, was  die  Preiserhöhung  einengte. 

Die  Häute  hatten  freie  Preisbewegung,  bis  ebenfalls  unter 
Heinrich  VIII.  auf  Wunsch  der  Gerber  die  Ausfuhr  beschränkt 
wurde. 

Was  endlich  die  Wolltücher  betrifft,  so  war  im  Engros- 
handel die  Speculation  nicht  gehemmt  Im  Gegen theil,  die 
Preissteigerung  wurde  mit  grösster  Befriedigung  wahrgenommen. 


*)  Vgl.  Rot.  Pari.  II.  S.  169;  IV.  S.  359;  VI.  S.  164:  21  Ric  II 
c.  17;  8  Hen.  VI  c  21;  10  flen.  VI  c  7;  11  Hen.  VI  c.  14;  14  Hen.  VI 
c.  2,  c.  5;  27  Hen.  VI  c.  2. 

*)  Vgl.  14  Ric.  II  c.  4;  4  Ed.  IV  c.  4;  4  Hen.  VII  c  11;  22  Heil. 
VHI  c.  1;  37  Hen.  VIH  c.  15;  5-6  Ed.  VI  c  6. 

8)  1  Ed.  VI  c.  6;  2—3  Ph.  and  M.  c  13. 

*)4  Hen.  VII  c.  16,  c.  19;  6  Hen.  VIH  c.  5;  7  Hen.  VHI  c.  1;  24 
Hen.  VHI  c  24. 

*)  25  Hen.  VHI  c.  12,  13. 

•)  5—6  Ed.  VI  c.  7. 

7)  Sieh  oben  S.  395  Note  1;  Rot.  Pari.  II.  S.  168,  180,  203  (1347/48). 


—    659    — 

Mit  den  Merchant  adventurers,  welche  die  Hauptmasse  expor- 
tirten,  concurrirten  beim  Ankauf  die  Stapler,  welche  das  Recht 
der  Ausfuhr  beanspruchten,  ferner  die  Hansen,  welche  ge- 
ringern Zoll  als  die  Engländer  selbst  zahlten  und  dämm  den 
Producenten  bessere  Preise  bieten  konnten,  die  Fremden, 
welche  unter  Heinrich  VIII.  eine  Zeit  lang  sogar  gleich  günstig 
wie  die  M.  a.  gestellt  wurden,  und  endlich  die  einheimischen 
Consumenten.  Eine  gleiche  Macht  gegenüber  den  Verkäufen!, 
wie  sie  die  Stapelkauf leute  bei  der  Wolle  übten,  konnten  sie 
auch  nicht  entfernt  geltend  machen.  Später,  als  sie  die  Ver- 
treibung der  Hansen  durchsetzten,  und  die  Fremdenzölle  beträcht- 
lich erhöht  wurden,  war  ihre  Stellung  allerdings  eine  ähnliche. 
Sie  wurden  aber  dann  auch  sehr  heftig  von  der  öffentlichen 
Meinung  bekämpft. 

Zur  Vollendung  des  Bildes,  wie  man  in  die  natürliche 
Preisgestaltung  eingriff,  und  zum  Verständniss  der  gesammten 
Preispolitik  erübrigt  uns  nur  noch,  einen  Blick  auf  die  Lohn- 
regulirung  zu  werfen.  Lohntaxen  von  Seite  der  Städte  kamen 
seit  alter  Zeit  vor.  Wir  besitzen  z.  B.  noch  den  Tarif,  der 
nach  dem  grossen  Londoner  Brande  von  1212  für  die  Bau- 
handwerker erlassen  wurde1).  Zu  einer  Sache  des  Reichs 
ward  aber  die  Lohnpolitik  erst  seit  dem  14.  Jahrhundert.  Da- 
mals war  die  Masse  freier  Arbeiter  nicht  mehr  auf  die  Städte  be- 
schränkt, sondern  es  auch  den  Bauern  gelungen,  die  dem  Grund- 
herrn schuldigen  Frohnarbeiten  durch  Geldzinse-  abzulösen  und 
zu  einem  unabhängigen  Taglöhnerstand  sich  emporzuschwingen 2). 
Diese  neue  Classe  mit  den  Dienstboten  war  es  hauptsächlich, 
welche  die  Gesetzgeber  in  der  Folgezeit  so  vielfach  be- 
schäftigte. 

In  dem  Zeitraum  von  1308—22  war  eine  Erhöhung  des 
Arbeitslohns  um  10  °/o  eingetreten.  Eine  grosse  Zahl  Miss- 
ernten  und  die  sich  daran  anschliessende  Sterblichkeit  hätten  den 
Anlass  gegeben3).  Gegenüber  dieser  ersten  Steigerung  ver- 
hielt sich  die  Gesetzgebung  passiv.  Erst  als  der  schwarze  Tod 
im  Jahre  1348  auch  England  heimsuchte,  fast  die  halbe  Be- 
völkerung dahin  raffte  und  eine  Lohnerhöhung  um  50  °  0  zur 
Folge  hatte,  suchte  man  die  Arbeitgeber  gegen  die  exorbitanten 
Forderungen  der  Arbeitnehmer  zu  schützen  und  die  drohende 
Verschiebung  aller  bisherigen  Standes-  und  Wirthschaftsver- 
hältnisse  hintanzuhalten.  Da  wegen  der  Pest  der  Zusammen- 
tritt des  Parlaments  unmöglich  war,  erliess  der  König  Eduard  III. 
1349  aus  eigner  Machtvollkommenheit  eine  Proclamation ,   in 

*)  Lib.  Cust.  ed.  Riley  I.  S.  86,  87,  99. 

*)  Nasse,  Ueber  die  mittelalterliche  Feldgemeinschaft.  Bonn  1869. 
S.  50—52. 

*)  Rogers,  A  history  of  agriculture  and  prices  in  England.  I.  S. 
291,  292. 

42* 


—    660     - 

welcher  er  die  Beibehaltung  der  bisherigen  Löhne  anbefahl  *)• 
Das  Gebot  des  Königs  blieb  unbeachtet.  Die  Forderungen  der 
Lohnarbeiter  mussten  erfüllt  werden,  wollte  man  die  Ernte 
nicht  verfaulen  lassen.  Weder  die  Bestrafung  der  Arbeiter 
noch  die  der  ungehorsamen  Aebte,  Barone  und  sonstiger  Kron- 
lehensbesitzer  fruchtete  etwas.  Die  Arbeiter  flohen  in  die 
Wälder,  ganze  Herden  Vieh  und  Schafe  zogen  umher  ohne 
Hirten  und  Eigenthtimer 2).  Mit  Rücksicht  auf  diese  Vor- 
gänge berief  der  König  1850  das  Parlament,  und  an  Stelle 
der  kgl.  Ordonnanz  trat  nun  das  vielgenannte  erste  Statute  of 
Laborers8).  Um  die  1317  bestandenen  Löhne  gewaltsam  zu- 
rückzuführen und  alle  Zweifel  auszuschliessen,  wurde  für 
manche  der  ländlichen  Arbeiter  und  ebenso  für  die  Bauhand- 
werker ein  bestimmter  Lohn  gleich  fixirt ;  die  übrigen  Gewerbs- 
leute mussten  schwören,  ihr  Gewerbe  so  wie  im  Jahre  1347 
auszuüben.  Kein  Taglöhner  durfte  im  Sommer  den  Ort  ver- 
lassen, an  dem  er  sich  im  Winter  aufhielt  Dienstboten,  welche 
von  einer  Grafschaft  zur  andern  flohen,  sollten  ins  Gefängniss 
gesetzt  werden.  Commissäre  mussten  viermal  im  Jahre  und, 
wenn  nöthig,  auch  öfter  eine  Sitzung  in  allen  Grafschaften  be- 
hufs Ausführung  dieses  Gesetzes  halten  i).  Die  Strafgelder 
sollten  zu  Steuernachlässen  verwendet  werden5). 

Die  Acte  stiess  auf  denselben  Widerspruch  wie  früher  die 
Proclamation.  Die  Handwerker  fanden  mancherlei  Wege,  die- 
selbe zu  umgehen.  Die  Landarbeiter  blieben  so  störrisch  wie 
zuvor.  Sie  wollten  sich  nur  tageweise  verdingen,  verweigerten 
jede  Löhnung  in  Getreide,  liefen  beim  geringsten  Anlass  fort, 
um  entweder  der  Bettelei  obzuliegen  oder  in  die  Stadt  zu  ge- 
hen und  dem  Handwerk  sich  zu  widmen 6).  Auch  da,  wo  man 
äusserlich  den  Buchstaben  des  Gesetzes  beobachtete,  wurde 
der  Arbeiter  noch  auf  irgend  eine  Weise  besonders  entschädigt7). 
Der  König  selbst  musste  erfahren,  dass  die  Handwerker,  die 
für  ihn  beschäftigt,  waren,  wegliefen,  weil  sie  bei  Adligen  und 
Geistlichen  mehr  bekamen8).  Man  ersetzte  die  Geldstrafe 
durch  Gefängnissstrafe  verbot  die  Verbindungen  und  Verab- 
redungen der  Maurer  und  Zimmerleute,  verschärfte  die  Mass- 
regeln gegen  flüchtige  Arbeiter,  erklärte  die  übliche  Umgehung 
des  Statuts  durch  Einbedingen  von  Lohn  für  Festtage  für  un- 
statthaft9).    Trotzdem    drang   man   nicht   durch.     Bei  aller 

*)  Statute-book  I.  S.  307;  Eden,  State  of  Poor  L  S.  34. 

2)  Rogers  I.  S.  297,  298-,  Rot.  Pari.  II.  S.  225,  227. 

3)  25  Ed.  III  st.  1.  1350. 

*)  Lieber  die  Bedeutung  dieser  Commissäre  für  die  Institution  des 
Friedensrichteramts  sieh  Gneist,  Die  Geschichte  des  Selfgovernment 
S.  177  fg. 

«)  Rot.  Pari.  IL  S.  228;  auch  S.  238,  258,  273,  410;  31  Ed.  III  st. 
1  c.  (3;  36  Ed.  III.  c  14. 

«)  Rot.  Pari.  IL  S.  261. 

7)  Rogers  I.  S.  800. 

*)  Rot.  Pari.  IL  S.  458  (1361). 

9)  34  Ed.  III  c.  9;  c.  10  (1360). 


—    661     — 

Strenge  musste  man  doch  auch  manche  unvermeidliche  Con- 
cessionen  machen,  welche  wie  die  Accordarbeit  die  Gesetze 
durchlöcherten.  Die  Friedensrichter  versagten  offenbar  sehr 
oft  den  Dienst,  wie  schon  daraus  hervorgeht,  dass  man  1378 
ihnen,  um  ihren  Eifer  anzuspornen,  einen  Theil  der  Strafgelder 
versprechen  musste1).  Die  Lohnsteigerung  war  so  allgemein 
und  durchdrang  so  sehr  alle  wirtschaftlichen  Verhältnisse, 
dass  auch  die  Priester  mit  ihren  Gebühren  nicht  mehr  zu- 
frieden sein  wollten,  und  die  Gesetzgeber  gegen  sie  einzu- 
schreiten sich  genöthigt  sahen  *).  Fast  kein  Parlament  ver- 
ging, ohne  das  nicht  die  Lohnfrage  behandelt  wurde8).  Die 
Gutsherrn  wurden  immer  heftiger  in  ihren  Klagen.  Der  Auf- 
stand von  1381  hatte  sie  belehrt,  dass  die  früher  üblichen 
Dienste  sich  nicht  ganz  wieder  erzwingen  Hessen ;  deshalb  wollten 
sie  wenigstens  die  niedrigen  Löhne  wieder  hergestellt  wissen. 

Im  Jahre  1388  wurde  ein  erneuter  ernstlicher  Versuch 
gemacht4).  Man  lenkte  sein  Hauptaugenmerk  auf  die  fluctu- 
irende  Bewegung  der  Arbeiterbevölkerung.  Ohne  einen  vom 
Friedensrichter  ausgestellten  Pass  durfte  kein  Dienstbote  oder 
Arbeiter  in  eine  andere  Grafschaft  sich  begeben.  Wurde  ein 
solcher  ohne  Pass  aufgegriffen,  so  musste  er  in  den  Stock  ge- 
schlagen werden,  bis  er  genügende  Sicherheit  geleistet,  dass 
er  zu  seinem  früheren  Herrn  zurückkehren  werde.  Die  Hand- 
werksleute, deren  man  nicht  dringend  benöthigt  war,  sollten 
mit  ihren  Gesellen  und  Lehrlingen  während  der  Erntezeit  den 
Landwirthen  behilflich  sein.  Personen,  welche  bis  zum  12. 
Lebensjahre  in  der  Landwirtschaft  dienten,  durften  nicht  mehr 
Lehrlinge  werden,  sondern  sollten  bei  der  landwirtschaftlichen 
Beschäftigung  bleiben.  Diese  Fesselung  der  agrarischen  Be- 
völkerung wurde  1405  noch  vervollständigt,  indem  nur  Leute, 
die  ein  Einkommen  von  1  jg  hatten,  ihre  Kinder  Handwerke 
erlernen  lassen  durften0).  Der  grösste  Theil  der  Bevölkerung 
sollte  der  Landwirtschaft  dienstbar  werden. 

Die  Lohntaxen  waren  aber  nicht  durchzuführen.  Man  sah 
schliesslich  ein,  dass  einheitliche  Löhne  bei  dem  wechselnden 
Ausfall  der  Ernten  gegenr  die  Natur  des  Verkehrs  verstiessen, 
und  gab  den  Friedensrichtern  Vollmacht,  jeweils  durch  Pro- 
clamation  festzustellen,  wieviel  Lohn  der  Theuerung  der  Lebens- 
mittel entsprechend  ein  Maurer,  Schreiner,  Ziegeldecker  und 
sonstiger  Handwerksmann,  sowie  andere  Taglöhner  verlangen 
durften 6).  So  vernünftig  dieser  Schritt  auch  war,  die  Gefahr, 
dass  unter  der  localen  Regulirung  die  Löhne  mehr  und  mehr 
den  wirklichen  sich  näherten,  war  sehr  gross,  und  diess  wohl 

*j  Rot.  Pari.  IL  S.  252,  271;  in.  S.  45. 
*)  36  Ed.  III  c  8  (1862). 

»)  Rot.  Pari.  II.  6.  296,  812,  840;   III.  S.  17,  45,  46,  158;  42  Ed. 
m  c.  6  (1368);  2  Ric.  II  st  1.  c.  8  (1378);  8  Ric  II  c  1  (1884). 
4)  12  Ric.  II  c.  3:  c  4;  c.  5  (1388). 
ß)  7  Hen.  IV  c.  17. 
6)  13  Ric.  H  st  1.  c  8  (1389/90):  Rot  ParL  m.  S.  268. 


-    662    - 


auch  der  Anlass,  weshalb  man  zeitweise  wieder  auf  die  älteren 
Gesetze  zurüekgriff x). 

Die  Versuche,  das  Ziel  zu  erreichen,  wurden  fortgesetzt. 
Man  zwang  die  Arbeiter  und  Handwerker,  alle  Jahre  zu  schwö- 
ren, dass  sie  die  Statuten  beobachten  wollten,  die  Friedens- 
richter sollten  sie  in  den  vier  jährlichen  Sessionen  eidlich  dar- 
über vernehmen;  man  verbot  die  wochenweise  Vereinigung, 
die  Verabreichung  vollen  Lohns  für  Feiertage  oder  halbe  Tag- 
arbeit; man  entband  die  Meister  und  Landwirthe  von  der 
Strafe,  als  sich  zeigte,  dass  sie  deshalb  über  die  mehrgezahlten 
Löhne  keine  Angabe  machen  wollten,  hob  die  Bestimmung 
wieder  auf,  als  auch  davon  kein  Erfolg  bemerkbar  war8). 
Am  hartnäckigsten  waren  die  Bauhandwerker,  ihre  Coalitionen 
so  weitverzweigt,  das  man  ihre  Zusammenkünfte  und  Capitel 
mit  der  Strafe  der  Felonie  belegte s). 

Nach  weiteren  vergeblichen  Versuchen 4)  und  nachdem  der 
Kampf  fast  100  Jahre  gedauert,  Hess  man  sich  endlich  zu  einer 
Concession  herbei.  Die  Grundbesitzer  im  Parlament  konnten 
zustimmen,  weil  sie  ja  auch  grosse  Ausfuhrerleichterungen  ftr 
ihr  Getreide  erlangt  hatten  und  in  Folge  dessen  günstigere 
Kornpreise  zu  erzielen  vermochten6).  Das  neue  Statut  ver- 
ordnete bedeutend  höhere  Lohnsätze,  als  bisher  erlaubt  waren6). 


*)  So  wurden  25  Ed.  III  st.  1  und  12  Ric.  II  c.  3  durch  7  Hen.  IV  c  17 
bestätigt.  Ueber  die  damaligen  Klagen  der  Arbeiter  gegen  die  Reichen 
sieh  „Fraier  and  complaynte  of  the  Ploweman"  c.  1400  und  Complaint  of 
Scotland".    Harl.  Mise  1804  I.  S.  176  fg.  190  fe. 

*)  4  Hen.  IV  c.  4;  2  Hen.  V  st.  1  c.  4;  4  Hen.  V  c.  4;  2  Hen.  VI 
c  18;  Rot.  Pari.  IV.  S.  146. 

8)  3  Hen.  VI  c.  1. 

*)  6  Hen.  VI  c.  3;  8  Hen.  VI  c.  8. 

»)  Sieh  oben  S.  640. 

6)  Folgende  Angaben  gestatten  einen  Vergleich: 


Bezeichnung 
des  Arbeiters. 


A  bailiff  in  husbandry 
A  master  bind,  Carter, 

shepherd 
A  woman  servant 


A  mower 
A  reaper 

A  master  carpenter 
A  free-mason 
A  tiler 

A  common  carpenter 
A  rough  mason 
A  common  workman 
(servant) 


Mit 
Kost 


Ohne  Kost 
s     1     d~ 


Mit 
Kost 


Ohne  ' 
Kost 


1388       Jahrlich    1445 


13  |  4  I  und  Gewand 


z3  I  4  und  5  s  für  Gewand 


10  i  —  ohne       „         20  —  iund  4  s  für  Gewand 
6  —  ohne       „         10 1  —  und  4  s  für  Gewand 
1350         taglich     1445 


5 

1 

1 

4 

3 

1 

8 

— 

3 

-«Vi 

— 

4 

57. 

— 

3 

— 

<7t 

— 

2 

— 

47, 

— 

3 

— 

47. 

— 

i1/. 

— 

37, 

Von 

Ostern 

bis 

Michaeli. 


663    — 


Vergleicht  man  aber  die  neuen  Lohntaxen  mit  den  früher 
wirklich  gezahlten,  so  findet  man,  dass  sie  meist  höher  standen, 
als  im  Jahre  1263—1350,  dagegen  zum  Theil  hinter  den  von 
1351  — 1400  gezahlten  zurtickblieben  *).  Da  die  Ursachen, 
welche  unmittelbar  nach  1350  hohe  Löhne  hervorriefen,  gegen 
die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  sehr  abgeschwächtem  Masse 
fortbestanden,  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  die  neuen 
Lohntaxen  ziemlich  den  im  Verkehr  wirklich  üblichen  Löhnen  ent- 
sprachen. Ausserdem  regelte  das  Gesetz  die  Art  der  Kün- 
digung und  Verdingung  von  Seite  der  Dienstboten,  verpönte 
jede  Beschäftigungslosigkeit  und  liess  die  Ausrede,  dass  das 
Ackerland  nicht  eine  ganzjährige  Arbeit  ermöglicht  habe,  nicht 
gelten2).  Trotzdem  war  das  Gesetz  ein  unvollkommenes,  die 
mancherlei  Verschiedenheiten,  wie  sie  der  Verkehr  mit  sich 
brachte,  waren  nicht  berücksichtigt.  Die  Gesetzgeber  gestanden 
selbst  zu,  dass  die  Acte  zum  Theil  nicht  ausgeführt  werde, 
zum  Theil  den  Anlass  zu  fortwährenden  Unzuträglichkeiten 
zwischen  den  Arbeitgebern  und  Arbeitnehmern  gebe,  nament- 
lich aber  auch  nicht  schnelle  Abhilfe  gewähre. 

Heinrich  VII.  erliess  deshalb  ein  neues  Statut3).  Die 
wichtigsten  Aenderungen  bestanden  darin,  dass  es  den  Contract- 
bruch  der  Bauhandwerker  bestrafte,  Arbeiter,  welche  gegen 
einen  Aufseher  sich  zusammenrotteten  oder  ihn  angriffen,  mit 
einem  Jahr  Gefängniss  bedrohte,  insbesondere  die  tägliche  Arbeits- 
zeit und  die  zu  gestattenden  Pausen  festsetzte4).  Die  Löhne 
wurden  gegen  1445  nominal  abermals  erhöht5).    Die  Steigerung 


*)  Vgl.  Rogers,  History  of  agriculture  etc.  Bd.  I. 

*)  23  Hen.  VI.  c.  12. 

s)  11  Hen.  VII  c.  22;  vgl.  auch  11  Hen.  VH  c.  2. 

4)  Von  Mitte  März  bis  Mitte  September  sollte  die  Arbeit  5  Uhr 
Morgens  beginnen  und  zwischen  6—7  Uhr  Abends  enden,  während  der 
übrigen  Jahreszeit  sollten  Tagesanbruch  und  Eintritt  der  Nacht  die  Grenzen 
bilden.  Als  Pausen  waren  gestattet  Vs  Stunde  zum  Frühstück  und  l1/« 
Stunden  zum  Mittagessen. 

*)  Für  folgende  Angaben  ist  der  Vergleich  der  Nominallöhne  möglich!: 


Bezeichnung 
des  Arbeiters 

An 
Lohn 

Für 
Kleidung 

An 
Lohn 

F 

Klei 

ttr 
düng 

Bemer- 
kungen. 

8 

d 

8 

d 

8 

d 

s 

1445 

1495 

Die  Löhne 
sind  Jahres- 
löhne; die 
Arbeiter 
erhielten 
ausserdem 

Ver- 
köstigung. 

A  bailiff  of  husbandry 
A  chief  hind,  a  Carter 

or  chief  shepherd 
A  common  serrant  of 

husbandry 
A  woman  serrant 
A  child  under  14  years 

of  age 

23 

20 

15 
10 

6 

4 

5 

4 

8 
4 

3 

4 

1 

26 

20 

16 
10 

6 

8 

8 
8 

5 

5 

3 
4 

4 

— 

-     664     - 

entsprach  aber  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  der  inzwischen 
eingetretenen  Münzverschlechterung x).  An  einem  ganz  sichern 
Massstab  der  Vergleichung  fehlt  es  freilich,  weil  man  nicht 
weiss,  ob  die  von  dem  Gesetz  vorgeschriebene  Arbeitszeit  mit 
der  früher  üblichen  übereinstimmte. 

Die  Acte  stiess  auf  so  entschiedenen  Widerstand,  dass  der 
König  noch  im  folgenden  Jahre  in  Gemeinschaft  mit  dem  neu- 
berufenen Parlament  dieselbe,  soweit  sie  die  Lohnfestsetzung 
betraf,  wieder  aufhob2). 

Die  Reaction  blieb  nicht  aus.  Heinrich  VIII  liess  sogar 
das  alte  Richardsche  Gesetz  12  Ric.  II  c.  4  mit  seinen 
niedrigen  Löhnen  wieder  in  Anwendung  bringen,  nahm  aber 
durch  eine  neue  Acte  die  Arbeitgeber,  welche  höhere  Löhne 
zahlten,  von  der  Bestrafung  aus*).  Die  Arbeitnehmer  waren 
dem  Arbeitsherrn  ganz  in  die  Hände  gegeben.  Der  letztere 
zahlte  ihnen  einen  etwas  höheren  als  den  gesetzlichen  Lohn, 
diese  mussten  dann  aber  ihm  in  Allem  willfährig  sein,  sonst 
warteten  ihrer  alle  möglichen  Strafen.  Ein  weiteres  Beispiel 
der  herrschenden  Strömung  liefert  das  Gesetz  gegen  die  Boot- 
führer, die  wohl  mit  Recht  nicht  mehr  mit  den  seit  Menschen- 
gedenken üblichen  Bootslöhnen  und  Kahngeldern  zufrieden  sein 
wollten4).  Ja  man  setzte  im  selben  Jahre  wieder  das  Ar- 
beitergesetz Heinrichs  VII.  in  Kraft,  obwohl  doch  die  Erfahrung 
gezeigt  hatte,   dass  dasselbe  unhaltbar  und  ungerecht  sei*). 


Bezeichnung 

Mit 
Kost 

Ohne   "     Mit 
Kost    „    Kost 

Ohne 
Kost 

des  Arbeiters 

— 



s  j  d 

s  |   d  ||  s      d 

s       d 

1445      Täglich 

L495 

-;  6 

Free   mason,   master 

—       4 

_ 

5V.1-U 

|       Von 
1      Ostern 

carpenter 

ll 

i 

A  rough  mason 

— 

3 

— 

41/*    - 

4 

—     6 

(       bis 
j  Michaeli 

A  tiler 

Other  labourers 

— 

3 
2 

— 

41/* 
3Vt 

z 

4 
2 

— 

6 
4 

Free   mason,    master 

carpenter 

3 

— 

41/, 

!  — 

3 

— 

5 

\       Von 

A  rough  mason 

— 

2\ 

— 

4 



3 

— 

5 

1    Michaeli 

A  tiler 



21'! 



4 



3 



5 

/       bis 

Other  labourers 

~~ 

1% 

— 

3 

— 

IV« 

— 

3 

1     Ostern. 

*)  Und  doch  hatten  1463  die  Landwirthe  auch  Schutz  gegen  die  Ge- 
treideeinfuhr erlangt,  konnten  also  höhere  Löhne  bewilligen.  Sieh  oben 
S.  641. 

*)  12  Hen.  VII  c.  3. 

*)  4  Hen.  VIII  c.  5. 

4)  6  Hen.  VIII  c.  7. 

*)  6  Hen.  VIII  c.  3;  die  einzige  Aenderung  gegen  früher  war,  dass 
das  Gesetz  die  Arbeitgeber  von  der  Strafe  von  2  £  befreite  und  die  Berg- 
werks- und  Kohlengrubenarbeiter  ausnahm. 


—    665    - 

Durch  ein  gleichzeitig  erneutes  Luxusgesetz  hoffte  man  das 
Arbeitergesetz  stützen  zu  können 1). 

Dem  Chronisten  zufolge  riefen  beide  Statuten  viel  Unruhe 
hervor.  Die  Arbeiter  wollten  nicht  gegen  Taglohn,  sondern 
nur  gegen  Stücklohn  arbeiten,  weil  sie  unter  dieser  Form  die 
Lohntaxe  umgehen  konnten.  An  den  Gerichtstagen,  besonders 
während  der  Erntezeit  gab  es  viel  Unzuträglichkeiten;  die 
Landwirthe  konnten  kaum  Arbeiter  bekommen  *).  Am  meisten 
aber  lärmten  die  Londoner  Bauhandwerker.  Sie  legten  dar, 
dass  es  unbillig  sei,  ihnen  den  nämlichen  Lohn  zu  dictiren, 
wie  er  im  übrigen  England  verlangt  werde,  wo  sie  doch  höhere 
Miethe,  theurere  Lebensmittelpreise,  weit  beträchtlichere  Ab- 
gaben und  Steuern  zahlen  müssten  und  dazu  noch  mit  ver- 
schiedenen Aemtern  und  Diensten  belastet  würden.  Das  Be- 
rechtigte dieser  Vorstellungen  Hess  sich  nicht  verkennen,  und 
man  musste  für  London  die  vor  der  Acte  üblichen  Löhne  er- 
lauben, ausserhalb  Londons  aber  und  bei  den  Bauten  des 
Königs  sollten  sie  sich  mit  den  Lohntaxen  des  Gesetzes  be- 
gnügen 3). 

Im  Uebrigen  handhabte  Wolsey,  wenigstens  im  Anfang, 
das  Arbeitergesetz  sehr  strenge,  er  schickte  nicht  selten  eigene 
Commissionen  in  alle  Grafschaften,  um  seine  Durchführung, 
namentlich  gegenüber  den  ländlichen  Arbeitern  zu  sichern4). 
Es  liesse  sich  denken,  dass  der  Minister  und  das  Parlament 
niedrige  Lohne  erzwingen  wollten,  um  indirect  die  für  das 
niedere  Volk  noch  unheilvollere  Agrarrevolution  zu  hemmen; 
denn  es  ist  natürlich,  das  hohe  Arbeitslöhne  die  Einhegungen 
beförderten.  Ein  irgendwie  sicherer  Beleg,  dass  man  diese 
Absicht  verfolgte,  liess  sich  nicht  auffinden.  Thom.  More,  der 
sehr  conservativ  gesinnt  war  und  die  Umwälzung  des  beste- 
henden Agrarsystems  in  den  härtesten  Ausdrücken  geisselte, 
sah  in  den  Arbeitergesetzen  nichts  als  eine  beabsichtigte  Un- 
terdrückung der  Armen  durch  die  Reichen6),  und,  zieht  man 

")  1  Hen.  VIII  c  14;  6  Hen.  VIII  c.  1. 

*)  6  Hen.  VIII.  —  „one  was  the  acte  of  apparayll  and  the  other  the 
acte  of  laborers,  of  these  2  actes  was  muche  commonynge,  and  mache 
busynes  arose;  for  the  laborers  woulde  in  no  wise  labour  by  the  daye, 
but  all  by  taske  and  in  grette,  and  therefore  mache  troable  feil  in  the 
coarte  and  in  especial  in  harrest  tyme:  for  then  hosbandmen  coulde  scace 
get  workmen  to  nelpe  in  their  harvesr.    Hall,  Chronicle  S.  581. 

»)  7  Hen.  VIII  c  5.    1515. 

4)  Brewer,  CaL  EL  Pref.  8.  CCLH;  doch  gab  es  auch  Licenzen. 
Sieh  z.  B.  Brewer,  Cal.  IV.  804. 

B)  „Nam  quae  haec  justitia  est,  ut  nobilis  quispiam  aut  anrifex  aut 
foenerator  aut  denique  alias  qaisqaam  eorom,  qui  aut  omnino  nihil  agunt, 
aut  id,  quod  agunt,  ejus  generis  est,  ut  non  Bit  reipublicae  magnopere  ne- 
cessarium,  lautam  ac  splendidam  vel  ex  otio  vel  snperrocuo  negotio  con- 
sequatur.  cum  interim  mediastinus,  auriga,  faber,  agricola  tanto  tamque 
assiduo  labore,  quem  vix  jumenta  sustineant  tarn  necessario,  ut  sine  eo  ne 
unum   quidem  annum  possit  ulla  durare  respublica,  victum  tarnen  adeo 


—    666    — 

andere  Stimmen  über  die  grosse  Interessenherrschaft  im  Un- 
terhaus in  Betracht  J) ,  so  wird  man  ihm  beipflichten  müssen. 
So  wenig  eignete  sich  Heinrich  VIII.  den  Schutz  der  untern, 
politisch  einflusslosen  Classen  an,  dass  sogar  zweifelhaft  ist, 
ob  er  nur  das  Trucksystem  energisch  fernzuhalten  suchte. 
1512  verpönte  er  noch  diesen  weit  verbreiteten  Unfug  *),  15£3 
trat  aber  das  Gesete  ausser  Kraft ,  ohne  das  wir  von  seiner 
Erneuerung  erfahren. 

Wie  später  das  Arbeiterstatut  ausgeführt  wurde,  dafür 
fehlt  es  an  Anhaltspuncten.  Aber  sicher  dürfte  sein,  dass  es 
geradezu  eine  Barbarei  war,  wenn  man  auch  nach  der  ersten 
Münzverschlechterung  (1526)  und  ihren  späteren  Wiederholungren 
seine  Anwendung  erzwang.  Das  Moment  der  Münzveränderung 
und  der  Preissteigerung  aller  Lebensmittel  versessen  diejenigen, 
welche  geltend  machen,  dass  durch  die  Einhegungen  viele 
Arbeitskräfte  frei  und  die  Löhne  so  gedrückt  wurden,  dass 
das  Arbeitergesetz  mit  seinen  Lohntaxen  sich  als  ein  Schutz 
für  die  arbeitenden  Classen  erwies,  oder  welche  wie  Froude  *\ 


mali$num  parant,  vitam  adeo  miseram  ducunt  ut  longe  potior  videri  pos&it 
conditio  jumentorum,  auibus  nee  tarn  perpetuus  labor  nee  victus  multo  de- 
terior  est,  et  ipsis  etiam  suavior,  nee  ulius  interim  de  futuro  timor?  At 
hos  et  labor  sterilis  atque  infruetuosus  in  praesenti  stimulat  et  inopis  re- 
cordatio  senectutis  occiait  qaippe  quibus  parcior  est  diurna  merces,  quam 
ut  ei  dem  possit  diei  sufficere,  tantum  abest,  ut  exereseat  et  supersit  aliquid, 
quod  quotidie  queat  in  senectutis  usum  reponi.  Annon  haec  iniqua  et  in- 
grata  respublica,  quae  generosis,  ut  vocant,  et  aurifieibus  et  id  genas  reli- 
quiB  aut  otiosis  aut  tantum  adulatoribus  et  inanium  voluptatum  artificibua 
tanta  munera  prodigit,  agricolis  contra,  carbonariis,  mediastinis,  aurigis  et 
fabris,  sine  quibus  nulla  omnino  respublica  esset,  nihil  benigne  prospicit, 
sed  eorum  forentis  aetatis  abusa  laboribus,  annis  tandem  ac  raorbo  graves 
omnium  rerum  indigos,  tot  vigiliarum  immemor,  tot  ac  tantorum  oblita 
beneficiorum  miserrima  morte  repensat  ingratissima?  Quid?  quod  ex  diurno 
pauperum  demenso  divites  quotidie  aliquid  non  modo  privata  fraude,  sed 

Sublicis  etiam  legibus  abradunt,  ita  quod  ante  videbatur  injustum,  opüme 
e  republica  mentis  pessimam  referre  gratiam,  hoc  isti  depravatum  etiam 
fecerant,  tum  provulgata  lege  justitiam.  Itaque  omnes  has,  quae  hodie  ns- 
quam  florent  respublicae,  animo  intuenti  ac  versanti  mihi  nihü,  sie  me  amet 
Deuß,  oecurrit  ahud,  quam  quaedam  conspiratio  divitum  de  suis  commodis 
reipublicae  nomine  tituloque  traetantium,  comminiseunturque  et  exeogitant 
omnes  modos  atque  artes,  quibus,  quae  malis  artibus  ipsi  congeeserunt,  ea 
primum  ut  absque  perdendi  metu  retineant,  post  hoc  ut  pauperum  omnium 
opera  ac  laboribus  quam  minimo  sibi  redimant  eisque  abutantur.  Haec 
machinamenta  ubi  semel  divites  publico  nomine,  hoc  est  etiam  pauperum 
decreverunt  observari,  jam  leges  Sunt".  Th.  More,  Utopia  1516.  Hamb. 
Ed.  1752  S.  164  fg. 

a)  Pauli,  Drei  volksw.  Denkschriften  S.  6°,  69. 

*)  3  Ben.  VIII  c.  6. 

s)  „Never  at  any  period  were  tbe  labouring  classes  in  England  more 
generously  protected,  tnan  in  the  reign  of  Henry  VIII;  never  cBd  any  go- 
vemment  strain  the  legislation  more  resolutely  in  their  favour ;  and  I  sup- 
pose,  they  would  not  themselves  objeet  to  the  reenactement  of  Henrys 
penalties  against  dishonesty,  if  they  might  have  with  them  the  shelter  of 
Henry  iaws."    Froude,  History  of  England  II.  S.  449. 


—    667    - 

Röscher1),  Gneist*)  sogar  glauben,  Heinrich  VII.  und  VIH. 
hätten  direct  und  bewusst  diesen  Zweck  verfolgt3).  Dieser 
Ansicht  widersprechen  alle  von  uns  vorgefahrten  Thatsachen 
und  Umstände. 

Zu  keiner  Zeit  sank  der  gemeine  Arbeiter  tiefer  in  seiner 
socialen  Lage,  als  unter  den  ersten  Tudors.  Während  noch 
am  Anfang  der  Regierung  Heinrichs  YH.  der  Arbeiter  einen 
Quarter  Weizen  in  20  Tagen  verdienen  konnte,  verschlechterte 
sich  seine  Lage  so  rasch,  dass  er  unter  Elisabeth  bereits  48 
Tage  zu  gleichem  Zwecke  aufwenden  musste.  Die  Geschichte 
der  damaligen  Armengesetzgebung  ist,  sollte  man  meinen,  der 
deutlichste  Beleg  für  die  Situation,  in  der  sich  die  untersten 
Classen  damals  befanden.  Sehr  langsam  ging  der  Lohn  gegen 
Ende  des  16.  Jahrhunderts  und  während  des  17.  Jahrhunderts 
wieder  in  die  Höhe4). 

Fassen  wir  den  Gesammteffect  der  englischen  Preispolitik 
zusammen,  so  ergiebt  sich  etwa  Folgendes: 

Dem  Grundbesitzer  war  die  Gesetzgebung  lange  günstig, 
und  zwar  sowohl  rücksichtlich  der  Getreidepreise  als  auch 
insbesondere  in  Bezug  auf  die  den  ländlichen  Arbeitern  zu 
zahlenden  Löhne,  welche  herabzudrücken  König  und  Parlament 
ununterbrochen  bestrebt  waren.  Für  Wolle  und  Häute  konnten 
die  Producenten  zwar  nicht  die  besten,  aber  doch  immer  noch 
einen  guten  Preis  erhalten.  Das  Vieh  war  nur  ganz  ausnahms- 
weise Taxen  unterworfen.  Unter  den  Tudors,  besondere  unter 
Heinrich  VIH.  wurde  diese  Richtung  vielfach  modificirt,  durch 
Ausdehnung  des  Licenzenwesens  erschwerte  man  die  Ausfuhr 
von  Getreide,  Häuten,  Fleischthieren  und  Lebensmitteln,  ver- 
suchte den  Verkauf  von  Schlachtvieh  im  Inland  nach  ziemlich 
willkürlich  normirten  Fleischpreisen  zu  erzwingen,  verbot  die 
Tödtung  von  Jungvieh  eine  Zeit  lang  ganz  und  legte  auch  dem 
Wollverkauf  und  der  Wollproduction  manche  Schranke  auf. 
Diesem  Druck,  der  auf  der  landwirtschaftlichen  Production 
lastete,  waren  die  kleineren  Landwirthe  nicht  gewachsen,  die 
Grundherrn  aber  entschädigten  sich  durch  die  Einhegungen, 
Annexion  der  Gemeinweide,  verbesserte  Production,  geschicktere 
Leitung  des  Angebots  und  beharrliche  Umgehung  der  gegen 
sie  gerichteten  Gesetze. 

Die  Gewerbsleute  hatten  im  Ganzen  während  des  Mittel- 
alters guten  Verdienst.    Zwar  unterlagen  sie  bei  Arbeiten  nach 

3)  Röscher,  Grandlagen  der  Nationalökonomie  §  175  Note  1. 

a)  Gneist.  Das  englische  Verwaltungsrecht  2.  Aufl.  1867  I.  S.466,  467. 

*)  Richtig  beurtheilen  die  Gesetze  Arnos,  Observation  on  the  Sta- 
tutes of  the  reformation  Parliament  in  the  reign  of  King  Henry  VIII.  1859. 
S.  95;  Brewer,  Cal.  II.  S.  CCLH;  Furnivall,  BaUads  from  Ms.  I.  S.  42. 

4)  Helfer  ich.  Von  den  periodischen  Schwankungen  der  Edelmetalle 
S.  91,  101;  etwas  abweichend  Wade,  History  of  the  middle  and  working 
classes  3.  Ed.  1835.  S.  589. 


—    668    — 

Taglohn  den  Lohngesetzen,  konnten  jedoch  durch  ihre  wohl 
organisirten  Verbindungen,  durch  Stückarbeit  und  Production 
für  die  Märkte  und  Messen  den  Bestimmungen  des  Gesetzes 
ausweichen.  Zur  Zeit  der  Tudors  kamen  aber  auch  die  Hand- 
werker vielfach  in  Bedrängniss,  theils  durch  die  Decentrali- 
sation  der  Industrie,  theils  durch  die  Concurrenz  der  im  Lande 
oft  nur  vorübergehend  angesiedelten  Fremden,  theils  durch 
den  wachsenden  Import  billiger  Waaren  vom  Continent  Die 
Tücher,  welche  unter  den  englischen  Gewerbserzeugnissen  die 
wichtigste  Stelle  einnahmen,  hatten  allerdings  fortwährend 
steigende  Preise ,  der  Hauptvortheil  davon  fiel  aber  wohl  vor- 
wiegend den  grösseren  Unternehmern  und  Verschleissern  zu. 
Die  Händler  und  Kaufleute  hatten,  soweit  nur  der  Binnen- 
verkehr in  Betracht  kam,  einen  sehr  schweren  Stand.  Jedes 
Mittelglied,  das  sich  zwischen  die  einheimischen  Produceriten 
und  Consumenten  einschob,  war  fortwährend  durch  die  Gesetz- 
gebung über  Vor-  und  Aufkauf  bedroht,  und  es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dass  in  Folge  dieses  Umstandes  der  innere 
Handel  sich  nicht  voll  entwickeln  konnte.  Den  Stadtbürgern 
gelang  es,  gegenüber  dem  Handel  der  Landbewohner  und 
Fremden  die  Zwischenhand  in  ausgedehntem  Masse  sich  zu 
sichern,  sie  machten  aber  nicht  immer  den  besten  Gebrauch 
davon.  Sehr  strenge  waren  die  Lebensmittelverkäufer  con- 
trolirt,  von  grossen  Gewinnen  war  bei  ihnen  sicher  keine  Rede. 
Nicht  viel  besser  erging  es  den  Weinverschleissern  und  engli- 
schen Weinimporteuren,  denen  die  Gesetze  die  Gewinne  durch 
die  verschiedensten  Mittel  möglichst  bescheiden  zuzumessen 
suchten.  Die  Ausfuhr  der  Stapelartikel  wurde  lange  begünstigt, 
und  den  Staplern  gewährte  man  solche  Vortheile,  dass  sie  sich 
bereichem  konnten,  zur  Zeit  der  Tudors  mussten  aber  auch 
sie  im  Interesse  der  Industrie  auf  die  beste  Preisgestaltung 
verzichten.  In  um  so  vorzüglicherer  Lage  befanden  sich  die 
Merchant  adventurers,  welche  die  englischen  Industrieproducte, 
besonders  das  Tuch,  exportirten  und  die  dafür  eingetauschten 
ausländischen  Artikel  England  zuführten.  Dieser  Handel  war 
nach  beiden  Seiten  ziemlich  frei  und  lucrativ,  selbst  die  ein- 
geführten Waaren  wurden  nur  selten  der  Taxe  unterworfen. 
Hier  im  auswärtigen  Handel  waren  grosse  Vermögen  zu  er- 
werben, da  konnte  man  sein  Kapital  gut  verzinslich  anlegen, 
ohne  durch  Wuchergesetze  oder  Zinsmaxima  beschränkt  zu 
sein,  hier  stiess  man  nicht  auf  Statuten,  welche  das  Eindringen 
des  speculativen  Elementes  zu  hemmen  suchten,  wie  es  bei 
der  Landwirtschaft  der  Fall  war,  auch  hatte  man  nicht  Krank- 
heiten zu  überwinden,  an  denen  das  städtische  Handwerk  litt 
Die  thatkräftigsten  Elemente  wandten  sich  deshalb  dem  Aussen- 
handel  zu,  und  der  Andrang  zur  Gilde  der  Merchant  adven- 
turers war  so  gross,  dass  diese  den  Zugang  zu  erschweren 


—    669    — 

suchten 1).  Die  englische  Freispolitik  liefert  somit  einen  letzten 
Erklärungsgrund  für  die  rasche  Zunahme  des  auswärtigen 
Handels  und  den  wachsenden  Antheil,  den  die  Engländer  an 
demselben  hatten. 

Aus  der  Geschichte  der  Preisgesetze  konnten  wir  ersehen, 
dass  sie  häufig  verletzt  wurden,  oft  gegen  die  Natur  des  Ver- 
kehrs verstiessen  *)  und  in  rauhester  Weise  eingriffen,  aber 
ganz  einflusslos  blieben  sie  in  ihrer  Gesammtheit  nicht.  Das 
Emporsteigen  gewisser  Stände  war  zum  Theil  durch  sie  be- 
dingt. Die  Interessenfrage  stand  im  Vordergrund.  Die  poli- 
tisch mächtigen  Classen  suchten  die  Preisgesetzgebung  für  sich 
so  vortheilhaft  als  möglich  zu  gestalten.  Erst  daneben  kamen 
allgemeinere  Gesichtspunkte  in  Betracht,  wie  die  Rücksicht 
auf  die  Landesverteidigung  oder  der  Schutz  der  zahlreichen 
Consumenten  gegen  ausbeutungslustige  Zünftler,  Kaufleute  und 
geschützte  Industriellen.  Der  Preiskampf  war  zugleich  ein 
Ständekampf,  wie  er  sich  auch  in  den  parallel  gehenden  Luxus- 
gesetzen ausdrückt,  ein  Kampf  der  conservativen,  die  jeweiligen 
Productions-,  Preis-  und  Classenverhältnisse  zu  erhalten  suchen- 
den und  der  über  dieselben  hinausgreifenden,  fortschrittlichen, 
aufstrebenden  Parteien,  in  gewissem  Sinn  ein  Kampf  der 
Naturalwirtschaft  mit  der  Geldwirthscbaft  und  ihren  Con- 
sequenzen.  Dieser  Kampf  durchzog  das  ganze  Mittelalter,  in 
manchen  Momenten  nahm  er  aber  eine  besonders  heftige  Ge- 
stalt an ,  so  zur  Zeit  der  grossen  Preisrevolutionen,  wie  sie  in 
England  im  14.  Jahrhundert  und  abermals  zur  Zeit  der  Tudors 
sich  vollzogen  und  eine  Verschiebung  der  ökonomischen  und 
socialen  Classen  mit  sich  brachten.  Bei  der  ersten  Bewegung 
waren  die  durch  die  Pest  bewirkte  Verminderung  der  Volks- 
zahl, sowie  ein  erstes  Aufblühen  des  internationalen  Handels, 
im  andern  Fall  eine  agrarische  Umwälzung,  das  Vorhandensein 
arbeitsloser  Volksmassen,  die  Münzverschlechterung,  das  Auf- 
kommen eines  modernen  capitalistischen  Unternehmerthums 
von  entscheidender  Bedeutung.  Diese  Factoren  wirkten  auch 
noch  nach  Heinrich  VIII.  fort,  wurden  theilweise  sogar  durch 
die  allgemeine  Geldentwertung,  Colonialpolitik  und  die  grosse 
Ausdehnung  des  Handels  verstärkt,  weshalb  denn  auch  unter 
Eduard  VI.  /  und  Elisabeth  mit  erneuter  Energie  das  alte 
System  festzuhalten  gesucht  wurde a). 

Man  kann  sagen,  dass  das  Zeitalter  Heinrichs  VII.  und 
VIII.,   sowie  der  Tudors  überhaupt  in  der  Preispolitik  noch 

*)  Sieh  oben  S.  842;  ein  weiteres  Beispiel  ist  die  von  den  Merchant 
adventurers  zu  Newcastle  upon  Tyne  1553  beschlossene  Erhöhung  der  Lehr- 
zeit auf  10  Jahre  und  ihr  verbot,  Lehrlinge  unter  16  Jahre  anzunehmen. 

*)  Ausser  den  früher  erwähnten  Beispielen  vgl.  auch  noch  2  Hen.  VI. 
c.  16. 

s)  Sieh  2—3  Ed.  VI.  c.  15;  3—4  Ed.  VI.  c.  21:  5-6  Ed.  VI.  c  14, 
15;  7  Ed.  VI.  c.  7;  5  El.  c   5;  12  El.  c.  12;  13  El.  c.  25;  81  El.  c.  5. 


—    670    — 

ganz  auf  dem  Boden  des  Mittelalters  steht  und  in  den  An- 
schauungen desselben  befangen  ist.  Ihre  Politik  zeigt  zwar 
manche  Besonderheiten,  neue  Schwierigkeiten,  aber  keinen 
reellen  Fortschritt  in  der  Auffassung.  Nach  Elisabeth  hatte 
die  Preisrevolution  in  der  Hauptsache  sich  zollzogen,  ein  ge- 
wisses Gleichgewicht  zwischen  den  um  das  höchste  Einkommen 
ringenden  Classen  war  eingetreten.  Von  da  an  Hess  der  Eifer 
der  Gesetzgebung  langsam  nach,  bis  im  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts die  bezüglichen  Gesetze  vollständig  aus  dem  Statuten- 
buch verschwinden.  Der  auswärtige  Handel  hatte  fort  und 
fort  neuen  Gährstoff  in  die  alten  Verhältnisse  geworfen  und 
die  Preis-,  Vor-  und  Aufkaufsgesetze,  die  bei  stabiler  Wirt- 
schaft erträglich  gewesen  wären,  immer  wieder  unterwühlt 
gleichzeitig  war  der  innere  Verkehr  ein  so  complicirter  ge- 
worden, dass  man  auf  die  bisherigen  Beschränkungen  verzichten 
musste. 


Schlussbetrachtung. 


Langsam,  aber  stetig  und  sicher  sehen  wir  den  englischen 
Handel  und  die  englische  Wirthschaft  seit  den  Tagen  Wilhelms 
des  Eroberers  fortschreiten.  Das  Mittelalter  war  für  England 
keine  Zeit  des  Stillstandes.  Die  öconomischen  Verhältnisse 
zeigen  einen  noch  unbeholfenen  Character,  aber  das  Sichempor- 
ringen, das  Erstarken,  das  Streben,  den  überlegenen  Nationen 
gleichzukommen,  die  Wahrnehmung  des  englischen  Interesses 
ist  auf  allen  Gebieten  ersichtlich. 

Nicht  den  geringsten  Einfluss  hatte  an  diesem  allmähligen 
Wachsthum  die  Ausbildung  der  englischen  Staatsverfassung. 
Die  starke  Königsgewalt  und  doch  wieder  die  frühe  Beschrän- 
kung ihrer  Willkür,  die  glückliche  und  zweckmässige  Schaffung 
staatlicher  Polizei-  und  Gerichtsorgane,  die  damit  zusammen- 
hängende effective  Durchführung  der  Friedensbewahrung  mussten 
der  industriellen  und  commerciellen  Entwicklung  in  hohem 
Masse  forderlich  sein.  Die  volle  Bedeutung  dieser  Reichsherr- 
schaft für  Englands  Handel  vermag  der  zu  ermessen,  der  die 
deutsche  Entwicklung  im  Geiste  gegenüberstellt.  Lange  in 
Cultur  England  tiberlegen,  nahm  doch  in  Folge  der  staat- 
lichen Zersplitterung  die  öconomische  Entwicklung  Deutsch- 
lands eine  rückläufige  Bewegung  und  war  dessen  Kraft  ge- 
schwächt in  dem  Moment,  wo  die  Golonialpolitik  begann  und 
eine  concentrirte  Macht  erforderte.  Die  Staatsgewalt,  welche 
in  den  deutschen  Territorialstaaten  erst  zur  Zeit  des  aufge- 
klärten Absolutismus  wieder  hergestellt  wurde,  war  in  England 
während  des  ganzen  Mittelalters  vorhanden,  und  die  wirth- 
schaftliche  Einheit,  wie  sie  in  den  deutschen  Landestheilen  im 
16.  bis  18.  Jahrhundert,  für  Gesammtdeutschland  erst  in  diesem 
Jahrhundert  eintrat,  war  in  England  etwas  Selbstverständ- 
liches seit  Wilhelm  dem  Eroberer.  Man  begreift  leicht,  wie 
schon  den  Engländern  des  Mittelalters  die  vielen  deutschen 
Binnenzölle  unverständlich  waren  und  ein  Th.  Wiccius  im  14. 
Jahrhundert    dieselben    eine  „miram  Germanorum  insaniam" 


—    672    — 

nennen  konnte.  Und  doch  welche  Bedeutung  liegt  in  dieser 
einen  Thatsache! 

Schwer  hatte  gleichwohl  das  englische  Reich  zu  kämpfen. 
Capitalarmuth ,  dünne  wiederholt  decimirte  Bevölkerung,  ge- 
ringe gewerbliche  Geschicklichkeit  waren  lange  die  Signatur. 
Engherzige  Interessen  im  Innern,  eingewurzelte  Zustände  und 
Gewohnheiten,  Vorurtheile  aller  Art  standen  dem  Fortschritt 
entgegen.  Jede  Neuerung  musste  erst  das  Schwergewicht  der 
mittelalterlichen  Wirthschaft  überwinden.  Trotzdem  war  kein 
Stillstand  möglich,  ununterbrochen  warf  der  auswärtige  Handel 
neue  Fermente  in  die  zum  Stillstand  neigende  Volkswirtschaft, 
aus  jeder  Gährung  ging  England  vollkommener  hervor ,  stieg 
es  um  eine  Stufe  höher  auf  seiner  Bahn.  Der  einflussreichste 
Factor,  der  im  Zusammenhang  mit  dem  äussern  Handel  in 
England  wirksam  wurde,  war  das  Auftreten  der  Fremden. 
Man  konnte  ihrer  Beihilfe  nicht  entbehren,  und  lange  beherr- 
schen sie  den  englischen  Verkehr,  aber  es  gelingt  schliesslich, 
ihre  Herrschaft  zu  brechen  und  auf  eigene  Füsse  sich  zu  stellen. 

Hochbedeutsam  war  der  Antheil,  welchen  die  beiden  ersten 
Tudors  an  dieser  mehrhundertjährigen  Arbeit  nahmen.  Mit 
ihnen  war  eine  Zeit  angebrochen,  in  der  das  öconomische  und 
geistige  Leben  rascher  pulsirten  und  auf  allen  Gebieten  die 
überkommenen  Anschauungen  und  Zustände  zerbröckelten. 
Neue  Welttheile  tauchten  vor  den  Augen  der  eretaunten  Zeit- 
genossen auf,  die  seit  Jahrtausenden  Ar  wahr  gehaltene  Welt- 
ordnung wurde  von  Gopernicus  für  unrichtig  befunden,  die 
religiösen  Vorstellungen  einer  Reform  und  Aenderung  unter- 
zogen. Auf  staatlichem  Gebiete  zeigten  sich  allerwärts  neue 
Bestiebungen,  welche  eine  neue  Politik  bedingten,  auf  wissen- 
schaftlichem eine  freiere  Forschung,  welche  den  Fesseln  der 
Scholastik  sich  entwand  und  den  Humanismus  mit  seinen  Blüthen 
erzeugte,  auf  commerciellem  neue  Wege  und  neue  Quellen, 
welche  ungeahnte  Frische  und  ungekannten  Reichthum  brachten. 
Ein  Zug  ging  durch  die  Welt,  der  zersetzte,  was  er  berührte, 
und  zu  neuen  Bildungen  drängte. 

Mitten  in  diese  Bewegung  war  das  Herrschergeschlecht 
der  Tudors  gestellt.  Aber  schon  ihr  Erscheinen  selbst  bedeutete 
einen  Wendepunct  zwischen  Vergangenheit  und  Zukunft  An 
die  Stelle  einer  Dynastie  von  Kriegern  war  eine  solche  von 
Staatsmännern  getreten.  Mit  sicherer  Hand  befreiten  sie  das 
Reich  von  dem  Einfluss  des  Auslandes,  dem  England  so  oft 
als  Spielball  gedient,  und  gaben  ihm  eine  achtunggebietende 
Stellung  in  Europa.  Die  volle  politische  Unabhängigkeit  Eng- 
lands war  die  grosse  Aufgabe,  welche  Heinrich  VII.  verfolgte, 
die  kirchliche  das  Ziel,  welches  sich  Heinrich  VIII.  gesteckt. 
Der  ganze  Character  des  Staates  änderte  sich.  Adel  wie  Geist- 
lichkeit verloren  Leben  und  Einfluss,  die  Mittelclassen  kamen 
empor,   die  stolze  normannische  Mobilität   wurde   durch  eine 


—    673    — 

Geld-  und  Beamtenaristokratie  ersetzt.  Mehr  noch  als  bisher 
erhielt  das  Staatswesen  einen  bürgerlichen  Gharacter.  Stärkere 
Ceutralisation,  grössere  Rechtssicherheit,  eine  Alles  beherr- 
schende und  durchdringende  Königsgewalt  waren  seine  Eigen- 
thümlichkeiten. 

Unmittelbar  wurde  die  Handels-  und  Wirthschaftspolitik 
von  diesen  tiefgreifenden  Aenderungen  erfasst  Neben  den 
rechtlichen  und  religiösen  Vorstellungen,  von  denen  die  wirt- 
schaftliche Ordnung  während  des  Mittelalters  getragen  und  in 
deren  Licht  sie  besehen  wurde,  tauchten  neue  Gesichtspuncte 
auf.  Mit  dem  verstärkten  Hervortreten  des  Nationalbewusst- 
seins  fühlte  man,  dass  zwischen  einheimischer  und  fremder 
Wirthschaft  ein  starker  Gegensatz  bestehe ,  dass  auf  commer- 
ciellem  und  gewerblichem  Gebiete  die  einheimischen  Kräfte 
mehr  zu  entwickeln,  dass  wie  in  der  staatlichen  Politik  so  auch 
hier  eine  grössere  Selbständigkeit  und  Unabhängigkeit  anzu- 
streben seien.  Eine  noth wendige  Folge  dieser  Grund- 
tendenz war,  dass  man  die  Handelspolitik  nicht  mehr  aus- 
schliesslich vom  finanziellen  Standpuncte  aus  leiten  durfte  und 
konnte,  sondern  auch  allgemeineren  Maximen  Rechnung  tragen 
musste. 

Diese  neue  Richtung  wurde  durch  manche  Vorgänge  un- 
terstützt, ja  zu  einer  gebieterischen  Notwendigkeit.  Nament- 
lich waren  die  Agrarumwälzung  und  die  nebenhergehende 
Deplacirung  der  Industrie  mit  der  daraus  hervorgehenden  Brod- 
und  Beschäftigungslosigkeit  eines  grossen  Theils  der  Bevölkerung 
Factoren,  welche  mit  unmittelbarer  Gewalt  sich  geltend  mach- 
ten. Eine  schwere  sociale  Crisis  wuchs  heraus.  Unter  Hein- 
rich VH.  beginnend  verschärfte  sie  sich  noch  unter  Heinrich 
VIII.  durch  die  Klosteraufhebung,  durch  häufige  Kriege,  durch 
Missernten,  durch  die  Preissteigerung  und  die  hohen  Steuern, 
welche  wiederholt  gleich  den  zehnten  Theil  des  Vermögens 
und  nicht  unbeträchtliche  Quoten  vom  Einkommen  absorbirten. 
Der  Gegensatz  zwischen  Reich  und  Arm  trat  stärker  denn  je 
hervor,  ein  neuer  Stand,  ein  vorzugsweise  auf  das  Capital  sich 
stützendes  Unternehmerthum  mit  seinen  grossen  Vorzügen,  aber 
auch  mit  seinten  Schattenseiten  erschien  auf  der  Bildfläche,  die 
Moral  und  das  Rechtsgefühl,  durch  die  voraufgegangenen  dy- 
nastischen Streitigkeiten  ohnehin  schwer  erschüttert,  begannen 
in  weiten  Kreisen  zu  schwinden. 

Das  unvermittelte  Eindringen  so  vieler  neuer  Ideen  und 
Verhältnisse  hatte  einen  im  Ganzen  schwankenden  Zustand 
geschaffen.  Mit  Besorgniss  sahen  die  denkenden  Männer  der 
Nation  dieser  von  starkem  Egoismus  und  einem  rücksichts- 
losen Erwerbsinn  begleiteten  Bewegung  zu  und  suchten  nach 
Mitteln,  mit  denen  man  den  krankenden  Staatskörper  heilen 
und  die  Zersetzung  der  alten  öconomischen  Glassen  lindern 
könne.    Die  Einen  wie  Th.  More  construirten  sich  einen  Ideal- 

Seh  ans,  Engl.  Handelspolitik.   I.  43 


—    674    — 

Staat,  der  frei  von  den  Gebrechen  der  Zeit  und  durch  sein  an 
Tugenden  reiches  Beispiel  zur  Umkehr  spornen  könnte,  Andere, 
wie  Starkey,  Vaughan,  Armstrong  knüpften  an  die  historisch 
gewordenen  Institutionen  an  und  bemühten  sich,  durch  Vor- 
schläge verschiedenster  Art  Pfade  zu  weisen,  die  aus  dem 
Elend  herausführten.  Wurde  von  diesen  Reformern  mit  Recht 
erkannt,  dass  eine  durchgreifende  Besserung  nur  von  der 
Läuterung  der  moralischen  Zustände  zu  erwarten  sei  —  eine 
Anschauung,  in  der  sie  sich  mit  den  Predigern  der  Zeit  be- 
rührten — ,  so  hielten  sie  doch  für  unumgänglich  nothwendig, 
dass  auch  auf  materiellem  Gebiete  eingegriffen  werde.  Ganz 
allgemein  kehrt  hier  der  Gedanke  wieder,  dass  durch 
Hebung  der  einheimischen  gewerblichen  Arbeit  und  eine  we- 
niger auf  fremden  Luxus  gerichtete  (Konsumtion  die  vorhandene 
Noth  beseitigt  werden  könnte.  Man  forderte  in  der  Hauptsache 
schon  damals  eine  mercantilistische  Praxis,  wie  sie  etwas 
später  (1581)  W.  Stafford  schärfer  formulirte. 

Die  Regierung  der  beiden  ersten  Tudors  ist  von  diesem 
Gedankengange  beherrscht,  er  gab  den  Ausschlag  für  die  Rich- 
tung ihrer  Handelspolitik.  Die  gesammte  Leitung  der  aus- 
wärtigen commerciellen  Beziehungen  hatte  unverrückt  das 
Ziel  im  Auge,  den  englischen  Artikeln  und  Manufacten  den 
Eingang  in  andere  Länder  frei  zu  halten,  neue  Verkehrs- 
gebiete ihnen  zu  öffnen,  überhaupt  den  englischen  XTnterthanen 
möglichst  günstige  Bedingungen  zu  sichern.  Diese  Bestrebungen 
waren,  wie  unsere  Darstellung  zeigte,  nicht  ganz  neu.  Sie 
heben  sich  mit  immer  grösserer  Deutlichkeit  schon  im  15.  Jahr- 
hundert ab.  Man  brauchte  also  an  das  Vorhandene  nur  an- 
zuknüpfen, aber  gradweise  Hess  sich  diese  Unterstützung  der 
aufkeimenden  Energie  des  englischen  Volkes  noch  unendlich 
verstärken.  Wie  sehr  nun  zur  Zeit  der  Tudors  die  Rücksicht 
auf  eine  ausgedehnte  Ausfuhr  der  englischen  Gewerbsproducte 
überwiegend  war,  geht  unter  Anderm  daraus  hervor,  dass  so- 
gar die  unverkennbare  Absicht,  den  Handel  aus  den  Händen 
Fremder  mehr  in  die  der  Einheimischen  zu  lenken,  zeitweilig 
sich  unterordnen  musste.  Die  Merchant  adventurers  wurden 
zWar  nach  Kräften  gefördert,  aber  sie  sahen  sich  nicht  nur  in 
ihrem  Wunsche  gehindert,  den  Handel  zu  monopolisiren ,  son- 
dern auch  die  grossen  Privilegien  der  Hansen  blieben,  obwohl 
schon  ernstlich  bedroht,  doch  noch  immer  aufrecht  erhalten. 
Auch  scheute  sich  Heinrich  VHI.  nicht,  als  in  Folge  seiner 
Kriege  und  der  inneren  Zerrüttung  der  Handel  abzunehmen 
drohte,  die  Fremden  mit  den  Einheimischen  im  Zolle  gleich- 
zustellen, um  durch  eine  Steigerung  der  Ausfuhr  die  industriellen 
Kräfte  des  Landes  von  Neuem  zu  spornen.  Es  entsprach  dem- 
selben Systeme,  wenn  man  die  schon  von  den  Vorfahren  ge- 
machten Versuche,  die  Einfuhr  ausländischer  Manufacte  und 
die  Ausfuhr  der  einheimischen  Rohproducte  zu  hemmen,  aller- 


—    675    — 

dings   nicht  ganz  consequent,  fortsetzte,    wenn  man   die   be- 
stehenden Industrien  schützte  und  förderte,  neue  ins  Land  zu 
ziehen  suchte  und  namentlich  die  zahlreichen  in  England  zu 
vorübergehender  Bereicherung  sich  aufhaltenden  fremden  Ge- 
werbetreibenden zwang,  ihre  grössere  Geschicklichkeit  zur  Er- 
ziehung der  Engländer  zu  verwerthen  und  in  den  englischen 
Staatsverband  zu  treten.    Auch  die  Ordnung  des  Credits  wurde 
von  einem  neuen  Gesichtspunct  aus  unternommen.  Heinrich VII. 
freilich  hielt  noch  an  der  alten  Wucherpolitik  fest,  aber  das 
Motiv  ist  nicht  mehr  ein  den  rein  mittelalterlichen  Vorstellungen 
entstammendes;   durch  Verbot   des  Zinsennehmens  hoffte   er 
nämlich  zu  erreichen,  dass  die  ersparten  Gapitalien  der  In- 
dustrie zuflössen.    Die  Regierung  Heinrichs  VIII.  überzeugte 
sich  jedoch ,  dass  gerade  im  Interesse  des  Gewerbes  und  in 
Anbetracht  der  veränderten  wirthschaftlichen  Verhältnisse  eine 
Creditvergütung  erlaubt  werden  müsse.    Man  brach  mit  einer 
Jahrhunderte  langen  Tradition,  während  die  aus  der  Vorzeit 
zur  Sicherung  des  Creditobjects  überkommenen  Einrichtungen, 
und  Bestimmungen  beibehalten  und  nur  den  Bedürfnissen  des 
Verkehrs  entsprechend  weiter  ausgebaut  wurden.    Auch  in  der 
Frage  des  Geldexports  und  der  Wechselfreiheit  kam  man  den 
Forderungen  der  Kaufleute  wenigstens  practisch  nach.    Eine 
zwar  keineswegs  neue,  aber  doch  wesentlich  verstärkte  und 
ausgebreitete  Fürsorge  für  die  Güte  der  Waaren,  umfassende 
Massregeln   zur  Verbesserung  der  Verkehrswege ,  namentlich 
der  Flüsse  und  Häfen,  Hebung  der  Privatmarine  durch  Wieder- 
belebung und  Weiterbildung  der  von  den  Vorfahren  inaugu- 
rirten,    aber   nicht   stetig   verfolgten   Navigationspolitik,    die 
gleichzeitige  Schaffung   einer  beträchtlichen   Staatsflotte   und 
Organisation  der  Schiffsmannschaft,  einige  neue  und  passende 
Schritte  zur  Erreichung  der  seit  alter  Zeit  angestrebten  Ein- 
heit von  Mass   und  Gewicht  waren  endlich  gleichfalls  Mittel, 
welche  mehr   oder  weniger   zu   dem  gesteckten   allgemeinen 
Ziele  trafen. 

Die  Wirkung  war  eine  langsame  und  von  Gegenwirkungen 
begleitet  Die  Staatspolitik  war  keineswegs  immer  auf  eine 
Schonung  der  productiven  Kräfte  gerichtet,  viele  Opfer  legte 
sie  ihnen  auf,  darunter  manche  in  einer  Form,  welche  nur 
verderblich  wirkte.  Man  erinnere  sich  derMttnzverschlechterung, 
welche  wegen  der  mit  ihr  verbundenen  Aenderung  in  der  Ver- 
mögensvertheilung  die  innere  Consumtion  schwächte  und  schliess- 
lich auch  auf  Handel  und  Gewerbe  einen  lähmenden  Einfluss 
übte.  Am  schwersten  wurden  die  untersten  Massen  betroffen, 
welche  ohnehin  seit  der  Pest  im  14.  Jahrhundert  durch  Lohn- 
gesetze sich  bedrückt  und  niedergehalten  sahen.  Allgemein 
war  darum  die  Unzufriedenheit,  und  als  auch  die  kirchliche 
Politik  grosse  Gährungen  erzeugte,  kamen  Momente,  in  denen 
es  schien,  als  ob  die  Zügel  der  gewaltigen  Hand  Heinrichs  VIII. 

43* 


-    676    — 

entfallen  würden.  Der  König  bezähmte  die  widerspenstigen 
Elemente.  Mit  jener  Mischung  von  Gewaltsamkeit  und  Für- 
sorge, wie  sie  seine  Regierung  characterisirt,  benützte  er  haupt- 
sächlich die  Preisregulirung,  um  sich  populär  zu  machen. 
Dass  dieses  Mittel  die  tiefliegenden  Schäden  keineswegs  heilte, 
zeigt  der  grosse  Aufstand  bald  nach  des  Königs  Tod. 

Die  Handelspolitik  Heinrichs  VII.  und  VIII.  bildet  ein 
Ganzes.  Persönlich  überragte  in  wirtschaftlichen  Fragen  der 
Vater  an  Tiefe,  Vorsicht  und  Weitblick  den  Sohn.  Bacon  sagt 
mit  Recht  von  ihm,  er  sei  nach  Eduard  I.  der  beste  Gesetz- 
geber für  sein  Volk  gewesen.  Die  Neuordnung  der  äussern 
und  eines  grossen  Theils  der  innern  commerciellen  Verhält- 
nisse war  das  Werk  Heinrichs  VIL  Wie  sehr  sein  Streben 
vom  Eifolg  begünstigt  war,  zeigt  die  Handelsbewegung  in  den 
letzten  15  Jahren  seiner  Regierung.  Heinrich  VIII.  konnte 
nur  auf  der  vorgezeichneten  Bahn  fortschreiten.  So  sehr  bei 
Wolsey  die  allgemeine  Politik  und  das  Streben,  England  zur 
Grossmacht  zu  erheben,  die  wirthschaftlichen  Fragen  in  den 
Hintergrund  drängte,  er  besass  Scharfsinn  genug,  um  die 
äussere  Handelspolitik  Heinrichs  VII.  zu  verstehen,  und  hin- 
länglich diplomatisches  Geschick,  um  ganz  in  ihrem  Geiste  zu 
wirken.  Noch  mehr  Aufmerksamkeit  wurde  der  Wirthschafts- 
politik,  namentlich  auch  der  innern  zugewendet,  als  die  Staats- 
leitung aus  geistlicher  in  weltliche  Hand  überging.  Solange 
Thom.  Gromwell  an  der  Spitze  stand,  war  eine  originale  Kraft 
gepaart  mit  Kühnheit  und  Sicherheit  unverkennbar.  Man  ver- 
misst  sie,  seit  Heinrich  VHI.  dieses  erfahrenen  Rathgebers 
entbehrt. 

Trotz  mancher  Fehlgriffe  und  Schwankungen  nehmen  so- 
mit die  beiden  ersten  Tudors  einen  hervorragenden  Platz  in 
der  Geschichte  der  englischen  Wirtschafte-  und  Handelspolitik 
ein.  Es  wird  immer  das  Verdienst  ihrer  Regierung  bleiben, 
schärfer,  als  es  vor  ihnen  geschah,  den  nationalen  Gesichtspunkt 
betont  und  den  Zusammenhang  der  verschiedenen  productiven 
Kräfte  zwar  nicht  völlig  erkannt,  aber  doch  schon  theilweise 
geahnt  zu  haben.  Heinrich  VII.  und  VIII.  bringen  die  mittel- 
alterlichen Verhältnisse  zu  einem  gewissen  Abschluss,  sie  leiten 
in  eine  neue  Zeit  über,  bereiten  eine  neue  commercielle 
Aera  vor.  Unter  ihnen  war  England  eine  wirtschaftliche  und 
politische  Macht  geworden,  an  deren  Herstellung  zwar  das 
ganze  Mittelalter  gearbeitet,  zu  deren  Concentrirung  aber  die 
Tudors  das  Meiste  beitrugen.  Diese  öconomische  Sammlung  war 
die  Voraussetzung  für  Englands  spätere  Grösse.  Ohne  eine 
solche  Kräftigung  wäre  es  England  unter  Elisabeth  nicht  mög- 
lich gewesen,  Spanien  zu  trotzen,  an  dem  Colonienerwerb  sich 
zu  betheiligen  und  die  reichsten  und  mächtigsten  Nationen  zu 
überflügeln. 


/ 


Anhang. 


1)   Excurs  zu   S.  320   über   die  angebliche  Entdeckungsfahrt 
Sebastian  Cabots  im  Jahre  1517. 

xLs  wird  allgemein  angenommen,  dass  Seb.  Cabot  1517  im  Auftrag  der 
englischen  Regierung  eine  Expedition  unternahm  und  dabei  die  nordwest- 
liche Durchfahrt  vollständig  ausgeführt  hätte,  wenn  er  nicht  durch  die 
Verzagtheit  des  Thomas  Perte  zur  Rückkehr  gezwungen  worden  wäre.  Wie 
aus  der  S.  319,  320  gegebenen  Darstellung  hervorgeht,  neige  ich  der  An- 
sicht zu,  dass  Seb.  Cabot  im  Jahre  1517  die  Reise  nach  Amerika  gar  nicht 
angetreten  hat.    Zur  Begründung  führe  ich  Folgendes  an: 

Die  einzige  Quelle  für  das  Datum  dieser  Expedition  ist  Richard 
Edens  Vorrede  zur  Ausgabe  des  Sebastian  Münster,  die  noch  zu  Lebzeiten 
Cabots  erschien  (1553) *).  Die  Zuverlässigkeit  dieses  Zeugnisses  kann  be- 
mängelt werden.  Nicht  nur  ist  Richard  Eden  überhaupt  als  ein  leicht- 
fertiger und  ungenauer  Schriftsteller  bekannt*),  sondern  es  widersprechen 
seiner  Erzählung  auch  andere  Berichte,  wozu  noch  innere  Wahrscheinlich- 
keitsgründe kommen.  So  wird  die  fragliche  Reise  ausdrücklich  in  die  Re- 
gierungszeit Heinrichs  VII.  gesetzt  von  Ramusio,  der  ebenfalls  ein  Zeit- 
genosse Seb.  Cabots  war  und  seine  Angabe  sogar  auf  Grund  eines  von 
Cabot  an  ihn  geschriebenen  Briefes  macht 8).    Wie  Ramusio,  verfuhren  noch 

*)  Peschel,  Geschichte  de«  Zeitalters  der  Entdeckungen.  8.  279  Note  4.  Die 
betreffende  Aufgabe  de«  Seb.  Münster  war  mir  nicht  zugänglich. 

*)  Sieh  Hellwald.  Sebastian  Cabot.  Sammlang  gemeinverständlicher  wissen- 
schaftlicher Vorträge  hsg.  Ton  Yirchow  nnd  Holtzendorff.  Heft  124.  S.  5.  8.  40  Note  53, 
S.  41  Note  56. 

*)  „Neil'  ultima  parte  dl  qaesto  rolame  sono  State  poste  alenne  relationi  dl  messer 
Giovanni  da  Verazsano  Florentino  e  dl  an  capltano  Francese  con  le  due  navigatlonl 
del  capltano  Laoqaes  Gartier,  II  quäle  narlgb  alla  terra  posta  fotto  la  tramontano  gradl 
60  detta  la  Nnova  Francla:  delle  qaall  fin'hora  non  slamo  chlarl,  s'ella  sla  congionta 
con  la  terra  ferma  della  provlnela  della  Florida  e  della  Nnova  Spagna  o  vero  s'ella 
sia  divisa  tutta  In  fsole ,  e  se  per  qaella  parte  sl  possa  an  dar  e  alla  provlnela  del  Cataio, 
eome  ml  fa  serltto,  gia  moltl  annl  sono»  dsl  Slgnor  Sebastian  Gabotto  nostro  Vlnltlano, 
haomo  dl  grande  esperienaa  e  raro  nell'  arte  del  navtgare  e  nellasclensa  dl  cosmografla: 
ü  quäle  havea  navlcato  dl  sopra  dl  questa  terra  della  Nnova  Francla  a  spese  del  re 
Henrico  VII.  d'Ingfallterra  e  ml  dlceva,  come  essendo  egll  andato  lnngamente  alla  volta 
dl  ponente  e  qoarta  dl  maestro  dietro  queste  isole  poste  lungo  la  detta  terra  flno  a 
gradl  sessantasette  e  mezzo  sotto  11  nostro  polo  a*  II  Glagno  e  trovsndosl  11  mare 
aperto  e  senza  inipedlniento  aleuno,  pensava  fermamente  per  qaella  via  dl  poter  passare 
alla  volta  del  Cataio  Orientale  e  Thavrebbe  fatto,  se  la  mallgnita  de  patrone  e  dl  marlnarl 
•ollevati  non  l'haveseero  fatto  tornare  a  dietro.  Ma  Iddlo  forse  riserba  !o  scroprir  di 
qaesto  viagglo  al  Cataio,  ll  qaal  per  condar  Je  spetie  sarebbe  pin  facile  e  plu 
breve  dl  tatti  gll  altrt  fin  ad  hora  trovatl ,  a  qaalche  gran  principe ,  eome  fa  ancho 
U  diseoprlr  l'altra  parte  della  terra  verso  1'A.ntartleo.  11  che  fino  al  presente  non  vi 
e  alcano,    che  abbia  rolato  o  tentato    di  fare,   e  .veramente  sarebbe  la    maggiore  e 


—    678     - 

eine  ganze  Reihe  alter  Geographen x).  Mubb  schon  diese  Uebereinstimmung 
vieler  Autoren  ernstliche  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Edenschen  Be- 
hauptung wach  rufen,  so  wird  man  darin  besonders  bestärkt  durch  den 
Bericht  des  venetianischen  Gesandten  Gasparo  Contarini  vom  31.  Dez.  1522 
über  eine  mit  Seb.  Cabot  zu  Valladoiid  gehabte  geheime  Unterredung.  Der 
an  den  Rath  der  Zehn  adressirte  Bericht  wurde  unmittelbar  nach  der  Be- 
sprechung niedergeschrieben  und  verdient  deshalb,  sowie  wegen  der  an- 
erkannten Tüchtigkeit  venetianischer  Gesandten  in  getreuer  Berichterstattung 
allen  Glauben.  Aus  dem  eigenen  Munde  Cabots  erhalten  wir  hier  gewisser- 
massen  unsere  Ansicht  bestätigt.  Cabot  sagte  nämlich  zu  dem  Gesandten 
unter  Anderm  Folgendes: 

„My  Lord  Ambassador,  to  teil  you  the  whole  truth,  I  was  bom 
at  Venice,  but  was  brought  up  in  England  and  then  entered  the  Service 
of  their  Catholic  Majesties  of  Spain  and  king  Ferdinand,  who  made  me 
captain  with  a  salary  of  50000  maravedis.  Subsequently  bis  present 
Majesty  gave  me  the  office  of  Pilot  Major  with  an  additional  salary  of 
50000  maravedis  and  25  000  maravedis  besides  as  a  gratuitv,  forraing 
a  total  of  125  000  maravedis  equal  to  about  300  ducats.  Now  it  so 
happened  that,  when  in  England  some  three  years  aso,  if  I  mistake 
not,  Cardinal  Wolsey  offered  me  high  terms,  if  I  would  saii  with  an 
armada  of  his  on  a  voyage  of  discovery.  The  vessels  were  almost 
ready  and  they  had  together  30  000  ducats  for  their  outfit.  I  answered 
him,  that  being  in  the  Service  of  the  king  of  Spain,  I  could  not  go 
without  his  leave,  but  if  free  permission  were  granted  me  from  hence, 
I  would  serve  him.  At  that  period,  in  the  course  of  conversation  one 
day  with  a  certain  friar,  a  Venetian,  named  Sebastian  Collona,  with 
whom  1  was  on  a  very  friendly  footing,  he  said  to  me:  „Master  Se- 
bastian, you  take  such  great  pains  to  benefit  foreigners  and  forget  your 
native  land,  would  it  not  be  possible  for  Venice  likewise  to  derive 
some  advantage  from  you?"  At  this  time  my  heart  smote  me  and 
I  told  him.  I  would  think  about  it  So  on  returning  to  him  the  next 
day,  I  saia,  I  had  the  means  of  rendering  Venice  a  partner  in  this 
navigation  and  of  showing  her  a  passage,  whereby  she  would  obtain 
great  profit,  which  is  the  truth;  for  I  have  discovered  it  In  con- 
sequence  of  this  as  bv  serving  the  king  of  England  I  could  no  longer 
benefit  our  country,  I  wrote  to  the  Emperor  not  to  rive  me  leave  to 
serve  the  king  of  England,  as  he  would  injure  himself  extremely  and 
thus  to  recall  me  forthwith.  Being  recalled  accordingly  and  on  my 
return  residing  at  Seville  contracted  a  close  friendship  with  this  Ra- 
gusan,  who  wrote  the  letter  you  delivered  to  me"2). 
Cabot  behauptet  also  hier,  dass  er  von  Wolsey  zu  einer  Reise  auf- 
gefordert worden  sei,  aber  die  Aufforderung  schliesslich  abgelehnt  habe. 
Man  kann  es  fast  als  zweifellos  betrachten,  dass  der  von  Cabot  erzählte 
Vorgang  ins  Jahr  1517  fallt,  die  angebliche  Fahrt  von  1517  somit  nicht 
unternommen  wurde. 

Die  Unterredung  Cabots  mit  dem  venetianischen  Gesandten  fand  im 
December  1522  statt,  die  Verhandlung  mit  Wolsey  dagegen  „some  three 
years  ago".  Das  würde  allerdings  nicht  auf  1517,  sondern  1519  hinweisen. 
Allein  Cabot  will  die  Möglichkeit  eines  Irrthums  in  seiner  Angabe  durch- 
aus nicht  ausgeschlossen  haben,  wie  die  Zusätze  „somett  und  pti  I  mistake 
not"  deutlich  documentiren.    Ein  Irrthum  von  zwei  Jahren  ist  sehr  ver- 


plu  gloriosa  lmpreaa,  che  aloaoo  imaginär  tl  poteese  per  fare  il  tno  nome  molto  piu 
eterno  e  immortale  a  tuttl  1  eeooll  futurl,  dl  quello  che  non  farano  tantt  travagll  dl 
guerre,  che  dl  contlnovo  »\  veggono  f ra  i  mlseri  chrUttanl".  Ramnsio,  NavIgaUonl  e 
Ylaggi.  Vol.  III.  Tenetia  1566.    Vorrede  fo.  4. 

*)  »Ramnsio,  wie  so  viele  andere,  «eist  die  Reite  fälschlich  In  die  Regierung« 
seit  Heinriche  VII."  PeechelB.  280.  Zu  den  „vielen  andern"  gehört,  wenn  in  meine 
Notiaen  sich  kein  Irrthum  eingeschlichen  hat.  anoh  der  Englander  Häkln  yt,  The  prin- 
cipe navigation«,  voyage«,  trafflque«  and  dUcoverle«  of  the  Engllah  nation.  London 
1599.  III.    S.  16. 

2)  Brown,  Cal.  IIL  607. 


—    679    — 

zeihlich,  da  es  ja  eine  bekannte  psychologische  Thatsache  ist,  dass  man 
das  Erlebte  immer  der  Gegenwart  zu  nahe  schiebt  und  oft  ziemliche  Geistes- 
mühe aufwenden  muss,  um  das  richtige  Datum  einer  an  sich  erlebten  Sache 
zu  finden.  Dass  15191)  und  ebenso  1518  das  von  Gabot  gemeinte  Jahr 
nicht  sein  kann,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  er  am  5.  Februar  1518, 
also  nach  seiner  Rückkehr  von  England  zum  Reichspiloten  unter  Ver- 
doppelung seines  bisherigen  Gehaltes  ernannt  wurde.  Es  ist  undenkbar, 
dass  er  kurz  nach  einer  solchen  glänzenden  Beförderung  Spanien  wieder 
verliess  und  in  England  Dienste  suchte.  Diese  findet  sogar  nun  erst  ihre 
▼olle  Aufklärung.  Es  ist  bekannt,  wie  eifersüchtig  die  Regierungen  damals 
in  Bezug  auf  Entdeckungen  waren2).  Cabot  wusste  dies,  und  mochte  er 
auch  im  Innern  seines  Herzens  stille  Pläne  für  Venedig  hegen,  so  lag  für 
ihn  doch  kein  Grund  vor,  weshalb  er  die  ihm  sich  darbietende  günstige 
Gelegenheit  nicht  benützen  sollte,  um  zunächst  seine  äussere  Lage  zu  ver- 
bessern. Er  brauchte  also  der  spanischen  Regierung  nur  die  günstige 
Offerte  Wolsevs  mitzutheilen,  um  diese  zu  veranlassen,  dass  sie  ihm  im 
Fall  der  Ablehnung  der  englischen  Anträge  und  sofortiger  Rückkehr  eine 
bessere  Position  versprach.  Aber  auch  vor  das  Jahr  1517  darf  man  die 
fragliche  Fahrt  kaum  setzen.  Man  würde  sich  dadurch  immer  weiter  von 
Cabots  Angabe  entfernen.  Ferner  ist  zu  erwägen,  dass  Cabot  1516  noch 
in  Spanien  war  und  im  Frühling  dieses  Jahres  mit  einer  Flotte  auf  neue 
Entdeckungen  auslaufen  sollte.  Der  Tod  Ferdinands  (23.  Jan.  1516)  war 
augenscheinlich  die  Ursache,  dass  die  Vorbereitungen  hiezu  unterbrochen 
wurden.  Gabot  hat  nun  gewiss  erst  einige  Versuche  gemacht,  um  unter  der 
neuen  Regierung  in  Spanien  seine  Zwecke  zu  erreichen.  Darüber  vergingen 
einige  Monate,  und  es  ist  jedenfalls  unwahrscheinlich,  dass  Wolsey  noch 
für  das  Frühjahr  1516  die  Schiffe  bereit  stellte  und  am  22.  April  1516 
Cabot  von  England  auslief.  Mit  mehr  Grund  darf  man  annehmen,  dass 
letzterer  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1516,  nachdem  er  nämlich 
die  feste  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  er  bei  der  spanischen  Regierung 
nichts  ausrichte,  und  vielleicht  inzwischen  von  Wolsey  aufgefordert  nach 
England  sich  begab. 

Es  bliebe  nur  noch  eine  Annahme,  nämlich  die,  dass  Seb.  Cabot  den 
Gesandten  aus  Selbstsucht  belogen.  Cabot  hatte  von  seiner  Mutter  und 
einer  sehr  alten  Tante  in  Venedig  Vermögen  zu  erwarten,  dessen  Heraus- 
gabe auf  Schwierigkeiten  stiess ").  Es  Hesse  sich  somit  denken,  Cabot  habe 
aus  diesem  Beweggrund  nicht  nur  Venedig  als  seinen  Geburtsort  fingirt, 
während  er,  wie  viele  glauben,  in  Bristol  geboren  worden  sei4),  sondern 
auch  diesen  ganzen  Vorgang  erdichtet  Die  Namen  und  die  gesaminten 
Details  der  Erzählung  sprechen  gegen  eine  solche  Annahme.  Hätte  er  die 
Expedition  unternommen,  so  musste  er  fürchten,  sofort  Lügen  gestraft  zu 
werden.  Zudem  befand  er  sich  damals  in  guten  Verhältnissen,  und  obwohl 
er  das  Geld  seiner  Verwandten  zu  Expeditionen  oder  anderen  Zwecken 
wünschen  mochte,  so  lag  doch  kein  dringender  Grund  vor,  ein  derartiges 
Lügengewebe  zu  ersinnen  und  wahrhaft  edle  Herzensgüte  so  zu  miss- 
brauchen.  % 


*)  Die  Annahme,  dass  1519  Cabot  nenerdings  In  England  gewesen  sei  und  der  ganze 
Vorgang  auf  1519  sich  beziehe,  wird  ron  Hellwald  8.  22  gemacht,  der  hierin  dem  mir 
unzugänglich  gebliebenen  Schriftchen  ron  D'Avezac,  Navigation»  terre-nenviennea 
de  Cabot  1869  folgt. 

*)  Schon  1496  musste  der  spanische  Gesandte  de  Pnebla  gegen  jede  Unternehmung 
Cabots  beim  König  von  England  Vorstellungen  machen.  Ebenso  wissen  wir,  dass 
Karl  V.  Cabot  wieder  zurückrufen  wollte,  als  dieser  1548  ron  Neuem  nach  England  sich 
begeben  hatte.  Der  Kaiser  bat  die  Königin  Maria,  ihm  Cabot  zurückzuschicken,  er 
wolle  „commnnlqaer  aueuns  affaires  concernans  la  sheurte''  de  la  navigation  de  noz 
royaulmes  et  pays  avec  le  capitaine  Cabote,  eidevant  pilote  de  nos  royaulmes  d'Espagne 
et  leqnel  de  nostre  grö  et  oontentement  s'est  puis  aueunes  annies  passe  en  Angleterre. 
Compt.  rend.  Belg.  8er.  3.  T.  8.  8.  198. 


*)  Brown,  CaT.  III.  670,  710.  711. 
4)  Nach  ein* 


j  einer  eben  erst  erschienenen    mir  aber  nicht  mehr  zugänglich  gewesenen 

Schrift  des  Cavaliere  Bullo  wären  John  und  Sebastian  Cabotte  Chioggioten  gewesen. 


—    680    — 

Nach  all  dem  Gesagten  durfte  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass 
Seb.  Gabot  die  vielgenannte  Expedition  von  1517  nicht  unternahm,  sondern 
nur  eine  Aufforderung  zu  einer  solchen  hatte.  Die  nordwestliche  Passage, 
die  er  erst  1517  entdeckt  haben  soll,  war  von  ihm  bereits  gefunden,  wie 
er  selbst  sagt  (I  have  discovered  it),  und  zwar  augenscheinlich  in  Ueber- 
einstimmung  mit  dem  Zeugnisse  Ramusios  und  Anderer  noch  wahrend  der 
Regierung  Heinrichs  VII.  Die  Frage,  in  welches  Jahr  speciell  die  wichtige 
Fahrt  zu  setzen  ist,  ob  sie  mit  einer  der  früher  erwähnten  zusammenfallt, 
oder  ob  sie  als  eine  besondere  gerechnet  werden  muss,  sowie  die  weitere 
Frage,  ob  nun  nicht  doch  der  Vater  John  Cabot  der  eigentliche  Schöpfer 
des  grossartigen  Gedankens  war,  muss  einer  andern  Untersuchung  vorbehalten 
bleiben. 


2)  Nachträge  zum  neunten  Capitel  des  zweiten  Abschnittes. 

S.  642  wurde  auf  die  Getreidehandelspolitik  in  Nothjahren  hingewiesen, 
eine  nähere  Betrachtung  derselben  aber  unterlassen,  um  den  Zusammenhang 
nicht  zu  zerreissen.  Da  der  Gegenstand  nicht  unwichtig  ist,  so  mögen  einige 
nachträgliche  Bemerkungen  aber  denselben  gestattet  sein. 

Als  Nothjahre  aus  der  Regierungszeit  Heinrichs  VI1L  werden  in  den 
Quellen  hauptsächlich  genannt  1520—22;  1527—29;  1544—46.  Hinsichtlich 
der  letzterwähnten  Jahre  (1544—46)  wissen  wir  wenig  mehr  als  dieThatsache1). 
1520—22  trug  die  Missernte  keinen  sehr  acuten  Character,  und  die  über  diese 
Zeit  vollständig  publicirten  Actenstücke  melden  nichts  weiter,  als  dass  die 
Regierung  viele  Unterhandlungen  mit  fremden  Staaten  behufs  Versorgung  mit 
Getreide  führte8),  und  dass  die  Stadt  London  anlässlich  ihrer  hiebei  ge- 
getroffenen Massregeln  in  einen  über  ein  halbes  Decennium  andauernden 
Streit  mit  ihren  Bäckern  gerieth8). 


*)  Wriothesley.  Chrontele  ed.  Camden  Society  8. 147  sagt  1544 :  „Also  thls  yeare, 
by  renton  that  wbeate  and  otber  gralne  was  very  tkant  In  England  and  11k«  to  be  at 
high  prlces,  the  major  and  aldermen  bad  a  prest  of  m.  1.  of  tbe  common«  of  the  eitle 
of  London,  whlch  was  gut  he  red  of  tbe  oraftes  for  wheate  that  came  out  of  Danske  and 
Breinbreland,  which  Sir  William  Bowyer  had  provlded  for  In  hla  tyme  after  13  s  4  d 
or  14  s  per  quarter  for  payment,  whereof  tbe  Cbamberlalne  of  London  made  bondes  to 
every  crafte  to  be  repaid  agalne  at  Michaelmas  next  com  Inge4-.  8.  156.  —1645:  nThis 
yeare  was  great  dearth  of  corne  and  vitualles ,  wherefore  Provision  was  made  out  of 
Danske  and  Bremberland,  whlch  sayd  oorne  came  to  London  thla  month  (of  Jnne)  to 
the  nombre  of  4000  quarter»,  wherefore  certalne  sotnes  of  mooy  was  leavyd  of  Ute  < 


panles  of  the  cltye  of  London,  whlch  the  Cbamberlalne  of  London  was  bound  to  repaye 
agalne  at  AU  Haflow  tyde  next  coinminge".  8.  168.  —  1546:  „This  yeare  all  manner  of 
vlctoalls  was  dere  and  at  high  prlces.  and  wheate  was  solde  at  87  s  and  £8  s  the  quarter, 
wherefore  my  Lord  Major  fenring  great  penurie  made  Provision  of  oorne  from  beyond 
seas,  whlch  corne  oame  to  London  In  Jane.  And  also  the  kinge  cbarged  the  ciitte  to 
take  twentie  thonsand  quarters  of  wheate  and  rye,  whlch  be  had  provided  for  bis  warres 
beyonde  the  seas;  wherfore  my  lord  mayor  was  feine  to  levle  great  sommes  of  mooty 
of  the  Company  of  the  said  clttie  for  the  payment  of  the  same,  and  also  to  restraine 
meale  and  corne  from  the  said  clttie,  tili  they  had  uttred  it,  and  sett  all  the  mills  seven 
mlles  oompasse  about  London  to  grlnde  the  same".  Sieh  tauch  8.  175,  185  und  State 
Paper s  I.  8.  831,  835;  XI.  8.  14,  75,  77. 

2)  So  mit  Frankre«oh  and  den  Niederlanden.  Brown,  Cal.  III.  134,  142;  Bre- 
wer,  Cal.  III.  1057,  1092,  1104,  1133,  1145.  1194,  1248. 

*)  Die  Londoner  Stadtbehörde  hatte,  wie  gewöhnlieh  In  solchen  Fällen,  aof  An- 
suchen der  Backer  rechtzeitig  Leute  In  verschiedene  Gegenden  geschickt,  um  Getreide 
kaufen  zu  lassen.  Diese  waren  ausserordentlich  thätlg,  so  dass  In  den  Kirchspielen ,  in 
die  sie  kamen  ,  der  Preis  von  6  s  und  6  s  8  d  anf  7  s  und  8  s  stieg.  Man  hatte  aber 
die  Noth  überschaut,  und  das  Getreide  fl«  1  rasch  wieder  im  Preis.  Die  8:adt  hatte  jetxt 
den  grossen  Vorrath  daliegen,  und  um  nicht  mit  Schaden  verkaufen  su  müssen,  verbot 
sie  anderweitigen  Kauf.  Die  Preisdifferenz  oder,  wie  die  Bäcker  sich  ausdrückten,  der 
Gewinn  der  Stadtbehörde,  belief  sich  auf  1738  £  6  s  8  d.  Die  Bäcker  weigerten  steh, 
von  der  8tadt  das  Getreide  zum  fixlrten  Preis  anzunehmen ;  worauf  dieselben  aas  dem 
8tadtrath  ausgeschlossen  und  ins  Gefängnis«  geworfen  wurden.  Die  Vermögenden  stellten 
das  Backen  ein,  weshalb  der  Magistrat  Regiebäckereien  errichtete.  Die  Bäcker  zeigten 
sich  nun  nachgiebiger,  Anginen  aber  bald  darauf,  das  aus  dem  Mehl  das  städtieoban 
Getreides   gebackene  Brod  sei   mtlfflg,    bis  YYolsey  die  Unwahrheit  dieser  Behauptung 


—    681    — 

Ein  Nothjahr  in  der  vollsten  Bedeutung  des  Wortes  war  das  Ernte- 
jahr 1527/28,  und  da  uns  über  die  damals  befolgte  Politik  und  die  sie  be- 
gleitenden Umstände  die  amtlichen  Materialien,  soweit  sie  erhalten,  alle  vor- 
liegen, so  mag  dieser  Fall  als  ein  typisches  Beispiel  etwas  ausführlicher 
behandelt  werden. 

Die  Ursache  der  völligen  Missernte  war  ein  sehr  lange  andauernder 
Regen  im  Monat  Mai1).  Obwohl  die  Preise  schwacher  als  sonst  stiegen*), 
da  durch  die  vorangegangenen  Steuererhebungen  das  Volk  ganz  erschöpft 
war,  so  war  doch  das  Elend  weit  grösser  als  seit  langem.  Schon  im  An- 
fang November  bestand  die  Hälfte  des  genossenen  Mehles  aus  Bohnenmehl 8), 
und  es  war  um  die  gleiche  Zeit  keine  seltene  Erscheinung,  dass  Yolks- 
haufen  zwei  Meilen  weit  von  der  Stadt  sich  wegbegaben ,  um  diejenigen  zu 
plündern,  welche  Brod  zu  Markte  bringen  wollten.  Der  Erbrach  der  Läden 
war  ganz  gewöhnlich.  Der  französische  Gesandte  musste  Leute  ausschicken, 
um  den  eigenen  Brodbedarf  beim  Bäcker  gegen  Angriffe  zu  schützen4). 
Leute  starben  täglich  vor  Hunger.  London  wurde  vor  der  äussersten  Ca- 
lamität  nur  dadurch  gerettet,  dass  der  König  in  einem  der  bedenklichsten 
Momente  im  Stande  war,  600  Quarter  aus  seiner  Vorratskammer  abzugeben6). 
Der  Zustand  wurde  verschärft  dnrch  eine  Menge  Nebenerscheinungen.  Der 
Winter  war  strenger  wie  sonst,  das  Bevorstehen  eines  Krieges  mit  den 
Niederlanden  lähmte  den  Handel  und  erzeugte  eine  völlige  Stockung  in  den 
Gewerben,  namentlich  in  der  weit  verbreiteten  Tuchindustrie,  die  Unter- 
drückung der  kleinen  Klöster  durch  Wolsey,  sowie  die  Agrarbewegung  hatte 
die  Unzufriedenheit  schon  lange  genährt  und  Angesichts  der  historisch  er- 
härteten Thatsache,  dass  Theuerungen  grosse  politische  Gefahren  und  Um- 
wälzungen vorzubereiten  und  ins  Kollen  zu  bringen  pflegen8),  muss  man 
sich  wundern,  dass  Wolsey  die  Elemente  damals  zu  zähmen  und  zu  be- 
herrschen im  Stande  war. 

Was  geschah  nun  von  Seite  der  Regierung?  Der  nächste  Schritt  in 
solchen  Lagen  war  damals  darauf  gerichtet,  von  fremden  Staaten  eine  Aus- 
fuhrlicenz  zu  erwirken,  um  von  Aussen  eine  Zufuhr  von  Getreide  zu  er- 
halten. In  Folge  der  politischen  Situation  war  man  vorzüglich  auf  Frank- 
reich angewiesen.  Der  venetianische  Gesandte  erzählt,  dass  man  die  Ehren- 
bezeugungen an  den  französischen  Gesandten  geradezu  verschwende,  damit 
er  in  dieser  Richtung  bei  seinem  Herrn  sich  verwende7).  Obwohl  in  der 
Picardie,  Bretagne  und  Normandie  die  Ernte  auch  nur  spärlich  ausgefallen  war, 
so  erklärte  sich  Franzi,  doch  bereit,  seinen  Bundesgenossen  zu  unterstützen8). 
Doch  knüpften  sich  an  die  Unterhandlung  im  Laufe  noch  so  viele  Schwierig- 
keiten9), dass  es  zweifelhaft  erscheint,  ob  eine  irgendwie  bedeutende  Lin- 
derung durch  französisches  Getreide  herbeigeführt  wurde.    Von  den  Nieder- 


durob  Untersuchung  feststellte.  Noch  1526  mussten  die  Bäcker  angeblich  muffigen 
Weizen  su  12  •  abnehmen,  wahrend  ale  guten  an  7  und  8  a  haben  konnten.  Die  sich 
Weigernden  wurden  nleht  nur  mit  Schliessung  ihres  Ladens  und  11- tagigem  Gefängnis« 
bestraft,  sondern  der  Magistrat  gestattete  auch  den  Bäckern  der  benachbarten  Dörfer, 
mit  Brod  In  die  Hauptstadt  su  kommen  und,  wann  sie  wollten,  und  im  Umbersiehen  ihr 
Brod  zu  Terkanfen.  Die  Londoner  Bäcker  bestürmten  daraufhin  abermals  Wolsey,  wir 
wissen  aber  nicht,  weleher  Entscheid  getroffen  wurde.  Brewer,  Cal.  III.  1528,  1629; 
IV.  2748,  2750;  Hall,  Chroniele  8.  660;  Rob  Bicart,  The  Malre  of  Bristowe  ed.  L.  T. 
Smith  B.  49. 

')  Brown,  Cal.  IV.  188;  Hall,  Chroniele  8.  786. 

*)  Der  Weizen  stand  sur  Zeit  sehr  grosser  Moth  15  s  per  Quarter  und  hob  sloh 
erst  langsam  auf  20  und  26  s  8  d.  Hall  a.  a.  O.  Zu  Pontefraot  kostete  der  Weizen 
um  3.  Nov.  24  s  und  hatte  noch  steigende  Tendenz.    Brewer,  Cal.  IV.  8562. 

•)  Brown,  Cal.  IV.  208,  210. 

*)  Du  Bellay  an  Franz  J.  26.  Nov.  1527.    Brewer,  Cal.  IV  App.  128. 

ö)  Hall,  Chroniele  8.  736. 

•)  W.  Boscher,  Ueber  Konihandel  und  Theuerungspolitik  8.  65. 

*)  Brown,  Cal.  IV.  208. 

•)  Franz  gesund  Wolsey  persönlich  200  Busbel  Weizen,  ausserdem  noch  600—700 
,me  wyts"  zollfrei  zu.    B  r  e  w  e  r ,  CaL  IV.  8542,  8548 ;  B  r  o  w  n ,  Cal.  IV.  205. 

•)  Die  Schwierigkeiten  lagen  Jedoch  in  England.  Wolsey  sollte  Faetoren  naoh 
Frankreich  sohieken,  welche  das  Getreide  nach  England  schafften;  W.  wtlnsohtc  nun 
dass  die  nothleldenden  Gegenden  sich  dieser  Aufgabe  unterzögen.  Norfolk  unterhandelte 
mit  den  vermögenden  Männern  von  Colcheater,  Ipawleb,  Hadleigh,  Bergholt,  Maayngtre, 


—    682    - 

landen  war  Nichts  zu  erwarten  wegen  der  politischen  Feindschaft,  obwohl 
daselbst,  nach  den  Brüsseler  Marktpreisen  zu  urtheUen1),  die  Ernte  ein  ver- 
haltnissmasBig  gutes  Resultat  gehabt  hatte.  Weiter  im  Süden  hatte  man  selbst 
Missernten.  Den  Bewohnern  von  Biscaya  drohte  der  Hangertod2);  die 
Staaten  des  Mittelmeers  waren  gleichfalls  auf  den  Import  angewiesen,  wie 
die  Beschlüsse  des  Senats  von  Venedig  zeigen*).  Selbst  die  Getreide- 
importeure par  excellence,  die  Osterlinge,  konnten  dieses  Mal  nur  wenig 
hilfreiche  Hand  bieten,  da  der  sehr  strenge  Winter  ihre  Schiffahrt  vielfach 
hemmte. 

Die  Zufuhr  von  Aussen  war  also  unbedeutend4).  Die  Regierung  musste 
vor  Allem  auf  den  Vorrath  im  Lande  sich  stützen  und  diesen  so  geschickt 
als  möglich  zu  vertheilen  suchen.  Rasch  wurden  für  die  einzelnen  Graf- 
schaften grosse  Commißsionen  von  je  27—35  Personen  gebildet,  welche  wieder 
in  mehre  Subcommissionen  zerfielen.  Eine  vierfache  Aufgabe  wurde  ihnen 
und  den  bereits  bestehenden  Organen  zugetheilt  Sie  hatten  eine  Procla- 
mation  gegen  den  Auf-  und  Vorkauf  zu  publiciren  und  in  den  einzelnen 
Districten  zur  strengen  Durchführung  zu  bringen,  damit  nicht  der  Mangel 
grösser  erscheine,  als  er  wirklich  war6).  Durch  Verkündung  und  Durch- 
führung einer  anaern  Proclamation  hatten  sie  zu  bewirken,  dass  alle,  welche 
mehr  als  ihren  Bedarf  hatten,  den  Ueberschuss  auf  den  Markt  brachten. 
Sie  sollten  in  jedem  Flecken  und  Dorf  die  Speicher  durchsuchen  und  den 
Verkauf  des  Ueberfiüssigen  zwangsweise  betreiben,  namentlich  aber  auch 
selbst  mit  gutem  Beispiel  vorangehen,  ihr  eigenes  Korn  auf  den  Markt 
führen  und  dem  kgl.  Rath  den  Nachweis  darüber  liefern.  Sie  mussten 
ferner  über  den  Stand  der  Vorrathe  eine  genaue  Aufnahme  machen  und 
das  Resultat  der  statistischen  Erhebung  vorlegen.  Endlich  las  ihnen  die 
Friedensbewahrung  in  der  gefahrvollen  Zeit  ob;  die  bestehenden  Gesetze 
in  Betreff  der  Bettler  und  Vagabunden ,  der  ungesetzlichen  Spiele,  der 
zwangsweisen  Niederreissung  von  Wirtbshäusern  und  Schenken  ausserhalb 
der  Stadt-  und  Ortsgrenzen  sollten  zur  Vermeidung  von  Mord  und  Dieb- 
stahl unnachsichtlich  durchgeführt  werden6). 

Es  gelang,  auf  diese  Weise  die  öffentliche  Ordnung  aufrecht  zu  er- 
halten und  der  Noth  zu  steuern1).  Sobald  die  Regierung  die  statistischen 
Angaben  aus  den  verschiedenen  Grafschaften  in  Händen  hatte8),  wurden 
die  Käufer,  welche  die  Versendung  in  andere  Plätze  übernahmen,  durch  die 
Commissäre  schriftlich  verpflichtet,  das  Getreide  an  bestimmte  Plätze  zu 
bringen,  ebenso  wurde  der  Preis  geregelt0).  Es  war  nicht  sowohl  ein 
Handel,  als  eine  von  der  Regierung  vorgenommene  Vertheilung  des  Ge- 
sammtvorrathes.    Dass  dabei  viele  Privatinteressen  verletzt  wurden,  ist  na- 


Harwloh,  Stratferd,  Dedham,  Boxford,  Wayland  and  andern  kleinem  Flecken,  10  Meilen 
im  Umkreis  von  London;  die  relohen  Leute  waren  aber  nioht  geneigt,  auf  WoUeya 
Vorschlag  einzugehen.  8ie  für  sieh,  äusserten  sie,  könnten  Korn  kaufen,  und  die  Armen 
sollten  es  auch.  Sie  hätten  kein  Geld ,  um  es  blos  für  die  Armen  auszugeben.  Das 
Getreide  koste  1  Mark  per  Quarter  in  Frankreich,  und  es  werde  da  sich  nur  ein  geringer 
Yortheil  für  sie  ergeben  u.  s.  w.    Brewer,  CaL  IT.  8625. 

i)  Vgl.  den  Marktzettel  Ton  Brüssel  von  1580—44  bei  Altmeyer,  Hlstoire  des 
rel.  comm.  des  Pays-Bas  avec  le  Nord  de  l'Europe  S.  499. 

*)  Brown,  Cal.  IV.  233. 

8)  Schon  Im  Sept.  und  Oct.  setzte  der  Senat  eine  Prämie  Ton  40  Soldi  per  Bushel 
für  diejenigen  fest,  welche  Getreide  von  Flandern  oder  England,  und  SO  s  für  diejenigen, 
welohe  solches  von  Spanien  und  sonstigen  L&ndern  Jenseits  der  Strasse  ron  Gibraltar 
bis  su  einem  gewissen  Termine  holen  würden.  Sehr  weise  gestattete  man  ein  Drttttbeil 
der  Einfuhr  wieder  auszuführen,  so  dass  die  Speculation  thellweise  gedeckt  war.  Brown. 
Cal.  IV.  171,  186. 

*)  Dass  einiges  Getreide  importlrt  wurde,  ersieht  man  aus  Brown,  Cal.  IV.  245; 
Brewer,  Gal.  TV.  4198. 

*)  In  Folge  des  Aufkaufs  „more  soarcity  of  com  is  pretended  to  be  wlthin  this 
our  said  realm  than  God  be  tbanked  there  is  in  very  truth".    Brewer,  Cal.  IV.  3567. 

6)  Brewer,  Cal.  IV.  3672,  3687,  4998.  üeber  die  energische  Ausführung  rergl. 
Brewer,  Cal.  IV.  3712,  3822. 

7)  Vgl.  auch  Brewer,  Cal.  IV.  8687.. 

*)  Einige  der  Interessanten  Berichte,  welche  auch  über  die  Grösse  des  Verbrauchs 
und  die  Mitgliederzahl  der  Haushaltungen  orientlren,  sieh  bei  Brewer,  Ca!.  IV.  3587, 
3665,  3712.  8819. 

9)  Brewer,  Cal.  IV.  8883,  4012. 


türlich1).  Nichtsdestoweniger  wird  man  die  Politik  der  Regierung  billigen 
müssen.  Dia  bedrohliche  Lage  des  Volkes,  die  allgemeine  Furcht  vor  der 
Zukunft,  das  Fehlen  jeglicher  Uebersicht  über  den  Stand  der  ganzen  Lan- 
desernte von  Seite  des  Publicums,  die  in  Folge  der  geringen  Zahl  guter 
YerkehrB8trassen  und  schwerfälligen  Transportes  sehr  langsam  vor  sich 
gehende  Ausgleichung  von  Ueberfluss  und  Mangel  durch  den  Handel  machten 
ein  rücksichtsloses,  energisches  Eingreifen  der  Regierung  zu  einer  wohl 
unvermeidlichen  Notwendigkeit1).  Wenn  man  nun  auch  hier  einen  Aus- 
nahmefall annehmen  kann,  so  zeigt  sich  doch  im  Uebrigen,  dass  das  Ver- 
standniss  für  das  Wesen  des  Getreidehandels  in  weiten  Kreisen  fehlte8). 
W.  Guildford  verlangte  1528  geradezu,  man  solle  die  Aufkäufer  von  Getreide 
zwingen,  zu  dem  Einkaufspreise  zu  verkaufen.  Der  Einzige,  der  etwas 
klarere.  Anschauungen  hatte,  war  Th.  Audeley,  der  in  einem  Brief  an 
Cromwell  1535  vorschlug,  der  König  möge  zwar  einen  Preis  festsetzen,  aber 
erst  dann,  wenn  man  über  den  wirklichen  Vorrath  orientirt  sei,  auch  müsse 
man  demjenigen,  der  vom  Bauer  Getreide  kaufe,  um  es  wiederzuverkaufen, 
einen  Gewinn  von  12—16  d  gestatten4). 

Ein  anderer  Punct,  der  noch  zur  Vervollständigung  der  Geschichte 
der  Preisbeeinflussung  kurz  zu  berühren  ist,  betrifft  die  Porveyance.  Diese 
missbräuchliche  Institution  geht  in  ihren  Anfangen  bis  auf  die  Zeit  der 
Angelflachsen  zurück6).  Man  verstand  darunter  das  Recht  des  Königs, 
Lebensmittel  zu  dem  niedrigsten  Preise  zu  kaufen,  die  Eigenthümer  zum 
Verkauf  zu  zwingen  und  sie  beliebig  wann  zu  zahlen.  Dem  entsprach  die 
Prärogative  des  Prisage  bei  Wein  und  Waaren  der  Kaufleute6).  Wie  die 
Sache  gehandhabt  wurde,  konnte  man  kaum  mehr  von  einem  Kauf  oder  Ver- 
kauf sprechen,  es  war  vielmehr  eine  willkürliche  Wegnahme. 

Schon  in  der  Magna  Charta  versuchte  man  die  Prärogative  der  Krone 
nach  dieser  Richtung  hin  zu  beschränken  und  die  Wegnahme  zu  einem 
Kaufgeschäft  zu  machen,  wenigstens  insoweit  die  Schlossbeamten  dies  Recht 
beansprucht  hatten7).  Eduard  I.  versprach,  die  Purveyors,  welche  das 
erhaltene  Geld  den  Verkäufern  vorenthielten,  bestrafen  und  zur  Zahlung 
zwingen  zu  wollen8).  Im  Jahre  1300  gestand  er  zu,  dass  eine  Purveyance 
nur  für  das  kgl.  Haus  gemacht,  die  Waaren  nicht  ohne  Uebereinkommen 
mit  dem  Eigenthümer  weggenommen ,  eine  Wegnahme  ohne  besondern  Be- 
fehl sogar  wie  Felonie  bestraft  werden  solle*).  Die  Ausführung  blieb  aber 
so  (sehr  hinter  dem  Versprochenen  zurück,  dass  sie  1310  zu  einer  Be- 
dingung der  Steuerbewilligung  gemacht  wurde10).  Nichtsdestoweniger  ver- 
jüng fast  kein  Parlament,  das  nicht  in  immer  heftigerer  Weise  über  die 
fortwährenden  Missbräuche  sich  beklagte11). 

Immer  enger  wurden  durch  das  Gesetz  die  Grenzen  gesteckt;  als  aber 
sich  kein  Erfolg  zeigte  und  Eduard  III.  fühlte,  dass  er  zum  nicht  geringsten 
Theil  gerade  dadurch  die  Zuneigung  seiner  Unterthanen  verloren,  da  er- 

i)  Die  Küstengegenden  waren  besondere  Aber  das  Verbot  Jeglicher  Lebensmlttel- 
ansfnhr  angehalten.  Wenn,  tagten  die  Bewohner,  Fische,  Klee  and  Butter  nioht 
exportirt  werden  dürften,  könnten  sie  ihre  Renten  nieht  bezahlen.  Brewer,  Cal.  IV. 
3640,  8664,  3708,  3048. 

*)  Ueber  die  Tbeuernng  von  1527—29  Tgl.  aneh  noch  Brewer,  Cal.  IV.  3669,  8651, 
3665,  8669,  4414,  4466,  4872;  8tate  Papers  I.  8.  308. 

>)  Sieh  auch  State  Papers  I.  8.  888;  Th.  Lerer,  Sermona  1660.  Arber's  Re- 
prints 8.  188. 

$  State  Papers  I.  S.  447. 

6)  Kemble,  Die  Sachsen  II.  8.  49  fg. 

«)  Stnbbs,  Constitution»!  history  of  England  II,  8.  636  fg.;  L ib.  Alb.  S.  247; 
Lib.  Cast.S.  407,  408. 

i)  Art.  28.  „Nnllas  consUbalarias  Tel  alias  balÜTns  n oster  oaplat  blada  Tel  alia 
catalla  alloujns,  nisi  statim  inde  reddat  denarios  aut  respectam  Inde  habere  possit  de 
Tolnntate  Tendltoris".    VgL  anch  Art  29  und  30. 

9)  3  Edw.  I.  stat.  Westm.  c.  32  (1276). 

9)  28  Edw.  L  o.  2. 

*9  Stnbbs  a.  a.  O. 

ii)  Stat.  Staanford  3  Edw.  IL;  Norae  Ordin.6  Ed.  II.  c.  10;  4  Edw.  IIL  c.  3,  4 ; 
6  Edw.  ID.  c.  2;  10  Edw.  III.  st,  2.  c  1;  14  Edw.  III.  stat.  1.  c.  19;  18  Edw.  Ol.  st.  2. 
c.  7;  26  Edw.  III.  st.  6.  c,  1;  28  Edw.  III.  c.  12;  84  Edw.  III.  c.  2  3  u.  a. 


—    684    — 

klärte  er  1362  aus  eigener  Initiative,  die  Missstande  beseitigen  zu  wollen.  *) 
Die  Purveyances  sollten  nur  für  den  Haushalt  des  Königs  und  der  Königin 
gegen  Baargeld  stattfinden  dürfen,  und  zwar  sollte  der  Marktpreis  gezahlt 
werden.  Entsprechend  dieser  veränderten  Grundlage  wurde  der  verkante 
Name  Purveyor  in  Byer  verwandelt.  Konnten  die  kgl.  Kaufer  mit  den 
Verkäufern  sich  nicht  einigen,  so  sollten  die  Behörden  in  Gemeinschaft 
mit  vier  Mannern  der  Stadt  die  Waare  schätzen  und  über  Quantität  und 
Preis  einen  Vertrag  aufnehmen.  Ausserdem  war  noch  eine  Reihe  von  Be- 
stimmungen beigeragt,  welche  alle  zum  Schutz  der  Verkäufer  dienten. 
Aber  auch  damit  verschwand  die  Angelegenheit  nicht  vom  Schauplatze2). 
Unter  Heinrich  VI.  Hess  sich  das  Parlament  die  Zusicherung  geben,  dass 
man  offenen  Widerstand  leisten  dürfe,  wenn  der  Purvevor  nicht  wenigstens 
die  Beträge  unter  40  Schillinge  beim  Empfang  der  Waaren  baar  erlege*); 
ja  die  nächstliegenden  Städte  sollten  dem  armen  Volk  beistehen  und  die 
Verfolgung  und  Klage  selbst  in  die  Hand  nehmen  können4).  Trotz  aller 
Energie,  welche  das -Parlament  entwickelte5),  dieser  Angelegenheit  konnte 
es  nicht  Herr  werden.  Durch  Ausscheidung  bestimmter  Einnahmen  und 
Zuweisung  derselben  an  den  Schatzkanzler,  damit  er  daraus  die  Ausgaben 
des  kgl.  Haushaltes  bestreite,  wurde  das  Uebel  auch  nicht  vollständig 
abgestellt.«). 

Die  Tudors,  eifersüchtig  auf  ihre* Prärogativen,  waren  nicht  geneigt, 
auf  das  Recht  der  Purvevance  zu  verzichten.  Von  Heinrich  VIII.  wissen 
wir  gewiss,  dass  er  dasselbe  beanspruchte7)  und  in  der  zweiten  Hälfte  seiner 
Regierung  auch  starken  Gebrauch  davon  machte8).  H.  Brinklow  konnte 
nicht  umhin,  in  seiner  erbitterten  Klage  über  die  Missstände  der  Zeit  (1542) 
die  Handlungen  der  Purveyors  mit  harten  Worten  zu  züchtigen  *).  Hein- 
richs VIII.,  Nachfolger  auf  dem  Thron10),  die  grosse  Elisabeth  voran11), 
machten  es  nicht  besser,  und  nicht  eher  als  unter  Karl  II.  wurde  diese 
das  monarchische  Ansehen  schwer  schädigende  Institution  für  immer 
beseitigt1*). 


i)  36  Edw.  III.  «r.  1  r.  2—4  und  6. 

*)  Vgl.  die  Sutaten  1  Hieb.  II.  c.  3;  6  Rloh.  II.  st.  2.  c.  2;  7  Rieb.  IL  c  8;  8  Rieb. 
II.  c.  lj  20  Rieb.  II.  c.  6;  2  Hen.  IV.  e.  14;  1  Hen.  VI.  c.  2. 

9)  20  Hen.  VI.  c.  & 

<)  23  Hen.  VI.  c.  1. 

*)  23  Hen.  VI.  c  13 ;  28  Hen,  VI.  c.  2;  in  letztem  Statut  handelte  et  eich  haupt- 
sächlich am  Abschaffung  der  Patente,  welche  Wlrtbe,  Breuer  n.  s.  w.  erhalten  hatten, 
kraft  deren  sie  berechtigt  waren,  auf  Lebeneselt  Pferde  and  Wagen  fttr  dea  Könige  Dienet 
xu  fordern,  was  diese  dann  anm  eigenen  V orthell  mißbrauchten. 

«)  Rot.  Pari.  VI.  8.  198,  290,  497. 

3  27  Hen.  VI.  c.  24,  *  9. 

*)  Vgl.  einen  Fall  in  Ellis,  Orig.  Letters  T.  Serie  Vol.  I.  8.  239,  sowie  Brewer, 
Cal.  III.  2065,  2220,  2628.  Einen  andern  Fall  fand  iob  in  den  noch  nicht  edirten  Acts  of 
the  Privy  Connoil  (in  dem  Privy  Conoil  Office)  Vol.  I.  8.  419:  „At  saynt  James  (19.  Des. 
1542).  Upon  an  Information  off  one  off  the  klngis  highnes  pourveyouris  waynskotr,  tbat 
sir  Humfrey  Browne  bering  eertayne  waynskott  to  seil  and  belng  required  off  the  sayde 
pourvcyour  to  have  parte  thoroffupon  reasonable  pricis  for  the  kingis  highnes  necessatre 
affair  refased  ner ertheles  to  make  sale  theroff  ander  suche  pricis  es  wer  estemed  to  b© 
fax  aboTe  reason ,  a  lettre  was  sent  to  the  sayde  sir  Humfrey  advlslng  the  same  to  »eil 
the  sayde  wainskott  for  the  purpos  aboves  aide  otber  at  »yoh  a  pryce,  as  »holde  be  to 
bim  appoynted  by  his  highnes  offlclers ,  other  ells  at  such  a  prlce  as  the  same  by  fonre 
indifferent  men  i holde  ludgid  to  be  worth".  Vgl.  ferner  Nioo las,  Prooeedings  etc.  TO. 
8.  20  (30.  Ang.  1540);  8. 320  (9.  Marx  1542),  und  82  Hen.  VIII.  c  8. 

*)  Heniy  Brinklow,  Complaynt  of  Roderyok  Mors  ed.  Gowper.  London  1874  8. 
19,  20:    Of  the  Iniuryes  done  to  the  communalty  by  the  kyngs  takers  etc. 

W)  Unter  Eduard  VI.  wurde  im  4.  Jahre  der  Regierang  die  Prärogative  beseitigt, 
im  darauffolgenden  Jahre  aber  wieder  hergestellt.  Die  Rechnungen  dea  kgl.  Haushalte» 
zeigen,  welchen  Einfluss  dies  hatte.  2  Edw.  VI  kaufte  man  fttr  den  kgl.  Haushalt  70 
Ochsen,  das  Stück  xu  53  s  4  d;  4  Edw.  VI  25  Ochsen  a  100  s;  5  Edw.  VI.  dagegen  wie- 
der 189  Ochsen  a  57  s  7  d.  Bei  den  Schafen  waren  die  Preise  4s,12st6s4d.  Br. 
ÜHarl.  Ms.  689.  fo.  27. 

u)  Ihre  Purveyors  zahlten  t.  B.  au  Faversham  6  s  8  d  für  einen  Quarter  Weisen, 
während  der  Durschnltttpreis  116i4d  war.  Henry  Brinklow,  Complaynt  of  Rode- 
ryok Mors  ed.  Cowper  S.  125. 

")  Stubbs,  Constitutione!  hlstory  of  England  IL  8.  687. 


Pierer'sche  Hoflrachdruckerei.   Stephan  Geibel  k  Co.  in  Alteubuxg. 


i     3  2044  058  227  232 


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