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Entstehungsgeschichte
von
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Mayer & Müller.
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Entstehungsgeschichte
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Entstehungsgeschichte
von
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von
Bernhard Neuendorff.
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Berlin.
Mayer & Müller.
1903.
Entstehungsgeschichte
von
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Bernhard Neuendorff.
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1903.
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Druck von H. John. Halle a. S.
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gewidmet
in Dankbarkeit.
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Fast anderthalb Jahrhunderte waren seit dem Erscheinen
von Goldsmiths Vicar of Wakefield vergangen, ohne dass dem
so viel gelesenen Werke eine eingehende Untersuchung gewidmet
worden war. Eine solche erhielten wir erst vor einem Jahre
durch Willi Fischer: Goldsmiths Vicar of Wakefield, Anglia,
Band XXV, S. 129 ff.
So reich diese Arbeit an scharfsinnigen Einzelbeobach-
tungen und Einzelergebnissen ist, so macht doch die Einseitig-
keit und Eigenart der Betrachtungsweise eine neue, möglichst all-
seitig umfassende Untersuchung geradezu nötig. Als W. Fischers
Aufsatz in der Anglia erschien, schien mir somit kein Grund
vorzuliegen, meine Arbeit, die damals wohl zur Hälfte beendet
war, abzubrechen. Ob mein Weg ein besserer ist, mögen
andere entscheiden. Vielfach habe ich seine Einzelergebnisse
übernehmen können; nicht bei jeder Kleinigkeit habe ich ihn
als meine Quelle angegeben, nicht immer habe ich bei anderer
Auffassung ihm ausdrücklich widersprochen.
Wenn ich auf eine Untersuchung des Stils und der Com-
position verzichtet habe, so kann ich mich wohl mit dem Hin-
weise rechtfertigen, dass bei dem Mangel an Vorarbeiten auf
diesem Gebiete die zu bewältigende Arbeit eine zu grosse ge-
wesen wäre; hoffentlich kann ich die fehlenden Kapitel bald
nachliefern.
Zum Schluss sei erwähnt, dass diese Arbeit von der phi-
losophischen Fakultät der Berliner Universität im Herbste des
vorigen Jahres preisgekrönt wurde.
- II -
Inhalt
Seite
I. Abschnitt: Äussere Entstehungsgeschichte . . . 1 — 16
I. Kapitel: Abfassungszeit und Veranlassung.
Äussere Nachrichten ungenau. Datierung des Be-
ginns nach einem Brief. Datierung einzelner Teile.
Beendet nach dem Verkauf an Collins, nach dem
„arrest". Datierung der Beendigung nach einer
Äusserung Goldsmiths. — Veranlassung aus einem
Brief erschlossen 1 — 5
II. Kapitel: „The arrest".
Berichte und Glaubwürdigkeit derselben. Beur-
teilung der Widersprüche. Wann und wem ver-
kaufte Johnson? Drei Erklärungen besprochen.
Ergebnis: genaue Datierung unmöglich 5 — 16
II, Abschnitt: Innere Entstehungsgeschichte . . .17—105
I. Kapitel: Die Grundfabel und ihre Quellen.
Primrose — Hiob. Sechs Unglücksschläge: 1. Ver-
lust des Vermögens. Bedeutung des Motivs, Vor-
bild. 2. Entführung der Olivia. Pamela — Clarissa.
Ableitung der Olivia-Geschichte. 3. Brand des
Hauses. 4. Primrose ins Gefängnis. Abhängigkeit
von Pamela, Amelia, Bunyan. 5. Entführung der
Sophia — Sir Charles Grandison. 6. Georges Un-
glück — Tom Jones. Lösung — Tom Jones, doch
dramatischer. Verknüpfung der Handlungen unter-
einander 17 — 27
II. Kapitel: Zwei angebliche Hauptquellen.
The History of Miss Stanton, 1700. Ist Gold-
smith selbst der Verfasser? Beurteilung nach der
- III -
Seite
Gestalt des Pfarrers. Die Kunstlosigkeit des In-
halts bei Goldsmith gut erklärlich. Beurteilung
nach der Technik und dem Stil. Goldsmith wohl
der Verfasser. — The Journal of a Wiltshire
Curate, 1766. Abhängig vom Vicar of Wake-
field, nicht umgekehrt 27 — 34
III. Kapitel: Lebensanschauungen, die dem Vicar
of Wakefield zu Grunde liegen.
Ethische Anschauungen. Tugend wird belohnt,
trägt aber den Lohn auch in sich. Glück unab-
hängig von äusseren. Umständen. Rousseausche
Gedanken, ohne Abhängigkeit von ihm. Anschau-
ungen über die Ehe, über das Duell. — Politisch-
soziale Anschauungen. Anhänger des Königtums.
Stolz des Bürgertums. Über Gefängnisse, Todes-
strafe. — Anschauungen über die Tierwelt. Diese
Anschauungen in der ganzen Epoche 34 — 40
IV. Kapitel: Vorbilder für einzelne Personen.
Die Familie des Vicars und das Familienleben.
Für die Gestaltung der Familie Vorbild Gold-
smiths Familie mit Anlehnung an Adams* Familie.
Schilderung des Familienlebens beeinflusst durch
Wilsons Erzählung in Joseph Andrews und Ju-
genderinnerungen. Litt. Tradition in der Schilde-
rung des Familienbildes. Unterschied von allen
Vorgängern. — Der Pfarrer. Früher in der Litte-
ratur. Primrose steht höher als Adams. Ver-
gleich mit Lear. Übereinstimmungen mit Adams.
Vorbilder für Primroses hohen Charakter. — Die
Pfarrerin. Vorbilder in Adams 7 und Wilsons Frau,
auch sie aber gehoben. — George. Züge von
Adams' Sohn und Tom Jones; höherer sittlicher
Ernst. — Olivia — Sophia. Beliebte Gegenüber-
stellung. Vorbildlich Tatler No. 4. Züge von
Adams' Tochter. Sophia nach Miss Byron. Gold-
smiths Eigenes. — Moses. Goldsmith selbst mit
Zügen von Adams. — Dick — Bill. Das Kind in
der Litteratur. Fieldings Dick im Joseph Andrews
Soii
vorbildlich. — Burchell. Charakterentwicklung.
Verhältnis zu Goldsmiths Vater. Dann Vorbilder:
Charles Grandison, Allworthy. Eigenes. Unglück-
liche Vereinigung. — Thornhill. Gestalt der Ko-
mödie der Restaurationszeit. Vorbilder: Lord B — ,
Lovelace, Blifll. Eigenes. — Wilmot. Squire
Western mit weiser Beschränkung zum typischen
Geizhals abgeschwächt. — Arabella Wilmot. So-
phia Western, ganz abgeschwächt. — Jenkinson:
Betrüger, Robinson (Amelia), Nightingale (Tom
Jones). — Farmer Williams. Mr. Sohnes' Rolle. 40
V. Kapitel: Episoden
1. Episoden nach litt. Vorbildern. Nach dem Vor-
bilde von Sternes Tristram Shandy, Lesages
Gil Blas, Fieldings Joseph Andrews, Tom Jones,
Richardsons Pamela, Spectator, Tatler. 2. Epi-
soden nach Erlebtem. 3. Episoden nach litt. Vor-
bildern und Erlebtem. Georges Schicksale. . . 68-
VI. Kapitel: Die Umgebung.
Zeit, Stimmung, Ort; der G^itel 84-
VII. Kapitel: Eingeschobene Gedichte.
Stellung im Romane. 1. Edwin and Angelina.
Abfassungszeit. Balladennachahmung. Geschichte
derselben. Metrik. Alliteration. Stil. Sentenzen.
Direkte Rede; Ausbück auf das monologische
Epos. Epische Darstellung. Wahl der Personen.
Stimmung. Inhalt. Vorbilder. 2. An Elegy on the
Death of a Mad Dog. Abfassungszeit. Bänkel-
sängerballade. Vorbilder 87-
VIII. Kapitel: Zusammenfassung.
Conceptionsgefühl. Die Grundlagen: das Leben im
Goldsmithschen Hause. Unter dem Zwange der
litterarischen Tradition; so der leidende Held, bei
ihm zum Hiob. Überfülle von äusserer, z. T. über-
nommener Handlung. Vermutung über die Ver-
anlassung. Es fehlt an gründlicher Durchar-
beitung. Grund. — Literarhistorische Stellung
des Romans 99—
— 1 —
I. Abschnitt.
Äussere Entstehungsgeschichte.
I. Kapitel.
Abfassungszeit und Veranlassung.
Die äusseren Nachrichten, die uns sichere Schlüsse über
die Entstehungszeit des Vicar of Wakefield erlauben, sind äusserst
gering. Wir wissen, dass am 28. Okt. 1762 ein Drittel an den
Buchdrucker Collins verkauft worden ist; im Jahre 1766 erschien
im St. James 's Chronicle eine Ankündigung, wenige Tage darauf,
am 27. März 1766, der V. öf W. selbst. Aus viel späterer
Zeit haben wir dann mehrere, z. T. recht romantische Berichte,
dass Johnson einmal einen Teil oder den ganzen Roman an
einen Buchhändler verkauft habe. Wann dieses Ereignis statt-
gefunden habe, ist unbestimmt gelassen, nur hat es sicher vor
dem Erscheinen des Traveller sich ereignet. Alle diese Nach-
richten setzen aber voraus, dass schon ein Teil oder gar der
ganze Roman beendet war, und so sind wir, um die Zeit des
Beginnens zu bestimmen, auf innere Gründe angewiesen.
Bisher hatte man angenommen, dass Goldsmith im Jahre
1762 den V. of W. begonnen hätte; doch ich glaube, dass man
den Beginn viel weiter zurückdatieren muss, nämlich an das
Ende des Jahres 1757.
Zu dieser Zeit hatte Goldsmiths jüngerer Bruder Charles
ihn in London aufgesucht. Durch ihn wurde er wieder recht
an die Verwandten und Freunde, an das glückliche Leben in
seiner Heimat erinnert. Bald darauf, am 27. Dezember 1757,
l
— 2 —
schrieb er an seinen Schwager Hodson einen Brief, aus dem ich
einige Stellen citieren will: I fancied stränge revolutions at
home; but I find it was the rapidity of my own motion that
gave an imaginary one to objects really at rest. No alterations
there. Some friends, he teils me, are still lean, but very rieh;
others very fat, but still very poor. Nay, all the news T hear
from you is that you sally but in Visits among the neighbours,
and sometimes make a migration from the blue bed to the brown.
Man vergleiche damit die Stelle im V. of W. (Chapter I): The
year was spent in moral or rural amusements; in visiting our
rieh neighbours, and relieving such as were poor. We had no
revolutions to fear, nor fatigues to undergo; all our adventures
were by the fire-side and all our migrations from the blue bed
to the brown.
Wir haben hier drei übereinstimmende Punkte in beiden
Schilderungen: es finden keine revolutions statt; beide Male
wird über die Armen und Reichen gesprochen (die Reichen hin
und wieder besucht!); beide Male wird ihre Hauptthätigkeit
durch die eigentümliche Redewendung bezeichnet, sie make a
migration from the blue bed to the brown. Diese Überein-
stimmungen können nicht zufällig sein. Erklärlich werden sie
durch die Annahme, dass dieser Anfang des V. of W. etwa
gleichzeitig geschrieben sein muss; denn es ist wohl unmöglich
anzunehmen, dass Goldsmith etwa im Jahre 1762 eine Abschrift
(ich weiss nicht, ob Goldsmith überhaupt von seinen Briefen
Abschriften zu nehmen pflegte) hervorgesucht habe, um diese
wenigen Punkte für die Schilderung zu übernehmen.
Weit scheint Goldsmith aber damals nicht mit seinem Ro-
man gekommen zu sein; denn wir können nachweisen, dass ein-
zelne Teile beträchtlich später geschrieben wurden.
Goldsmith lässt die beiden Damen Lady Blarney und Miss
Skeggs von musical glasses reden, um ihre Gespräche als feine,
modische Tagesunterhaltungen zu charakterisieren. Da Forster
nachweist, dass at the close of 1761 and in 1762 musical glasses
were the temporary rage, so ist zu vermuten, dass dieser Teil
in oder gar noch nach dieser Zeit geschrieben wurde.
Da im Chapter XIX vom Auditor bereits die Rede ist
(he asked me if I had seen the last Monitor ? nor the
Auditor T suppose?), so kann dieser Teil erst nach dem 10. Juni
1762 geschrieben worden sein, da der Auditor seit diesem
Tage erschien. ') Auch diese Beobachtung hat Forster ge-
macht.
Wir kommen nun zur Präge: wann wurde der V. of W.
beendigt?
Es ist am naheliegendsten zu vermuten, dass er schon be-
endet war, als die beiden Verkäufe (vgl. S. 1) stattfanden. Ge-
wichtige Gründe sprechen dagegen.
Zur Zeit des Verkaufes an Collins scheint er nach einer
recht feinen Beobachtung im Athenseum 2 ) noch nicht beendet
gewesen zu sein. Der erste Druck zeigt das unverkennbare Be-
streben des Druckers, das Werk durch die seltsamsten Mittel
möglichst umfangreich zu machen. Der ungenannte Verfasser
dieser Arbeit im Athenseum schliesst daraus, indem er auf die 2 vols.
in Collins' Quittung hinweist, dass Goldsmith damals erst einen
Teil vollendet hatte, sich aber verrechnete, als er einen zwei-
bändigen Roman versprach und sich durch dieses Versprechen
natürlich dazu verpflichtete; dieses Mittels bedurfte es dann, da-
mit Goldsmith seiner Verpflichtung nachkommen konnte.
Auch zur Zeit des berühmten 'arrest', aus dem Johnson
Goldsmith löste (vgl. S. 1), war der V. of W. nicht beendet:
1. nach Mrs. Piozzis Bericht (über die Glaubwürdigkeit
vgl. S. 8 ff).
2. Nach Johnsons Aussage 8 ) hat Goldsmith noch mehr-
fach am Roman geändert, nachdem ihn Johnson eingesehen hatte.
Das wäre schwer möglich, wenn er bei Johnsons frühestem
Einsehen, dem 'arrest', schon beendet gewesen wäre, denn dann
hätte Goldsmith ihn garnicht in Händen behalten.
3. Johnson muss den V. of W. auch noch selbst nach
dem arrest, vor dem Druck aber, gesehen haben, da er ihn so
genau kannte, dass er später Veränderungen bemerkte und sich
der ursprünglichen Lesarten entsann; so genau hat er ihn un-
! ) Leider war es mir unmöglich zu erfahren, wann und wie lange die
übrigen Zeitschriften erschienen sind. Auch das zweite wäre vielleicht von
Wichtigkeit, da G. unmöglich zu jener Zeit nicht mehr erscheinende genannt hat.
*) Athenseum, 26. Dez. 1885.
s ) Boswell, Life of Johnson, edited by P. Fitzgerald, London 1897.
S. 367.
1*
— 4 —
möglich in der Situation des 'arrest' kennen gelernt. Auch das
wäre, wie das Vorige, nicht möglich gewesen, wenn der Roman
beendet gewesen wäre.
So geben uns diese Berichte über den Verkauf keine Ver-
anlassung, einer bestimmten Aussage über die Beendigung zu
misstrauen: Goldsmith soll einmal selbst Dr. Parr erzählt haben,
Newbery habe das Manuskript des V. of W. zwei Jahre bei
sich behalten. Ich sehe auch keinen einzigen anderen Grund
ein, warum wir diesem Zeugnis nicht trauen sollen oder es mit
Stillschweigen übergehen dürfen, wie dies Dobson und andere
thun. Es kann natürlich nur heissen: nachdem der Roman be-
endet war. Auch Johnson hat an einer andern Stelle l ) gesagt:
It was written and sold to a bookseller, before his Traveller,
d. h. also vor Ende 1764.
Warum Newbery den Roman so lange liegen liess, ist völlig
unklar. Man sollte denken, dass, nachdem The Traveller einen
so ungeheuren Erfolg gehabt hatte, es für die Verleger das
Günstigste gewesen wäre, den V. of W. so schnell wie möglich
erscheinen zu lassen. Forster 2 ), Regel 8 ) und Welsh 4 ) haben
vermutet, dass der Grund für die späte Herausgabe business ar-
rangements between John Newbery and his nephew Francis
waren. Man sollte denken, dass solche Unterhandlungen, falls
sie überhaupt stattgefunden haben, sich schneller erledigt hätten.
Somit haben wir folgendes Ergebnis: Goldsmith begann
den Vicar of Wakefield am Ende des Jahres 1757, er beendete
ihn gegen 1764 — die Länge der Zeit kann kein Bedenken er-
regen, da wir wissen, dass Goldsmith The Traveller schon zur
Zeit seiner grossen Reisen, im Jahre 1755, begonnen und doch
erst 1764 veröffentlicht hat.
Was den äusseren Anstoss zum Verfassen des Romans und
die Umstände dabei betrifft, so haben wir dazu zwei Nachrichten.
Sir John Hawkins berichtet, er wäre geschrieben worden under
a pressing necessity 5 ), und Cradock berichtet: The Vicar o f
l ) Boswell, Life of Johnson. S. 351.
*) Forster, Life and Times of Oliver Goldsmith. I. 409.
') Thackeray, Lectures . ed. von Regel. S. 95.
4 ) Welsh, A BookseUer of the Last Century. S. 59.
6 ) Forster, Life and Times of 0. G. I. 385.
— 5 —
Wakefield, to which he applied himself entirely for a fortnight,
to pay a journey to Wakefield. *) Wenn an diesen Nachrichten
überhaupt etwas Wahres ist, so können sie sich nur auf den
Abschluss des Vicar of Wakefield beziehen. Sicher indessen
ist: weder umfasst die ganze Abfassungszeit so wenige Tage,
noch dürfen wir in so äusserlichem Anstoss die Veranlassung
zur Abfassung des Romans suchen.
Ohne hier näher auf diesen Punkt einzugehen — diese
Frage bleibe der zusammenfassenden Darstellung der Entstehung
vorbehalten — , sei sie mit wenigen Worten beantwortet. Ich
hatte zu zeigen versucht, dass Goldsmith seinen Roman kurz
nach dem Besuch seines Bruders Charles begann. So liegt es
nahe, in diesem Besuche die Veranlassung zu sehen. Durch ihn
wurde er wieder recht lebendig an seine Jugendzeit, das stille
Leben im Elternhause, an seine Verwandten und Freunde erinnert;
aus dem schon erwähnten Briefe an seinen Schwager Hodson
sehen wir deutlich die Sehnsucht, die ihn nach seiner Heimat
ergriff, ihr und seinen Verwandten wollte er ein poetisches Denk-
mal setzen.
IL Kapitel.
The arrest.
Wenngleich für die Frage der Entstehungszeit des V. of W.
meines Erachtens die Zeit, zu der Johnson dieses berühmte Er-
lebnis bei Goldsmith hatte, keine Rolle spielt, da ich nicht
glaube, dass damals der V. of W. schon beendet war, so meine
ich doch, nicht über dieses Ereignis hinweggehen zu dürfen, da
wir bei solch einem wichtigen Werke der Litteratur den natür-
lichen Wunsch haben müssen, über alle Punkte unterrichtet zu sein.
Ich gebe zunächst sämtliche Berichte.
1. Mrs. Piozzis Bericht 2 ): I have forgotten the year, but
it could scarcely, I think, be later than 1765 or 1766, that he
(Johnson) was called abruptly from our house after dinner, and
1 ) Memoire, IV, S. 287.
2 ) Anec4otes of Dr. Johnson, S. U9,
— 6 —
returning in about three hours, said he had been with an en-
raged author, whose landlady pressed him for payment within
doors, while the bailiffs beset him without; that he was drinking
himself drunk with Madeira, to drown care, and fretting over a
novel, which, when finished, was to be his whole fortune, but
he could not get it done for distraetion, nor could he step out
of doors to off er it for sale. Mr. Johnson, therefore, sent away
the bottle, and went to the bookseller, recommending the Perform-
ance, and desiring some immediate relief; which when he
brought to the writer, he called the woman of the house directly
to partake of punch, and pass their time in merriment.
2. Bericht des Sir John Hawkins l ): In the latter (pover-
ty) he was at one time so involved, that for the clamours of a
woman, to whom he was indebted for lodging, and for bailiffs
that waited to arrest him, he was equally unable, tili he
had made himself drunk, to stay within doors, or go abroad to
hawk among the booksellers his Vicar of Wakefield. In this
distress he sent for Johnson, who immediately went to one of
them, and brought back money for his relief.
Von ihm giebt es noch einen zweiten Bericht, der mir
nicht zugänglich war, und den ich nach Forster *) citiere : Of
the booksellers whom he styled his friends, Mr. Newbery was
one. This person had apartments in Canonbury-house, where
Goldsmith often lay concealed from his creditors. Under a
pressing necessity, he there wrote his Vicar of Wakefield, and
for it received of Newbery forty pounds.
3. Boswells Bericht 3 ): Johnson informed me, that he had
made the bargain for Goldsmith and the price was sixty pounds.
— Mrs. Piozzi and Sir John Hawkins have strangely mis-stated
the history of Goldsmith's Situation and Johnson's friendly inter-
ference, when this novel was sold. I shall give it authentically
from Johnson's own exact narration:
'I received one morning a message from poor Goldsmith
that he was in great distress, and as it was not in his power
to come to me, begging that I would come to him as soon r
l ) Life of Johnson. S. 420/1.
') Life and Times of 0. G. I. 886.
*) Life of Johnson, S. 102.
possible. I sent him a guinea, and promised to come to him
directly. I accordingly went as soon as I was drest, and found
that his landlady had arrested him for his rent, at which he
was in a violent passion. I perceived that he had already
changed my Guinea, and had got a bottle of Madeira and a glass
before him. I put the cork into the bottle, desired he would be
calm, and began to talk to him of the means by which he might
be extricated. He then told me that he had a novel ready for
the press, which he produced to me. I looked into it, and saw
its merit; told the landlady I should soon return, and having
gone to a bookseller, sold it for sixty pounds. I brought Gold-
smith the money, and he discharged his rent, not without rating
his landlady in a high tone for having used him so ill.
Ein ander Mal berichtet Boswell als Johnsons Aussage 1 ):
His Vicar of Wakefield, I myself did not think would have had
much success. It was written and sold to a bookseller, before
his Traveller, but publisjied after; so little expectation had the
bookseller from it. Had it been sold after the Traveller, he
might have had twice as much money for it, though sixty gui-
neas was no mean price. The bookseller had the advantage of
Goldsmith's reputation from The Traveller in the sale, though
Goldsmith had it not in selling the copy.
4. Cookes Bericht 2 ), who lived in the dosest habits of
intimacy with the Dr. for the last ten years of his life: The
Doctor, soon after his acquaintance with Newbery, for whom he
held the pen of a ready writer removed to lodgings in Wine
Office Court, Fleet-Street, where he finished his Vicar of Wake-
field and on which his friend advanced him twenty guineas: *A
sum', says the Doctor, 'I was so little used to receive in a
lump, that I feit myself under the embarassement of Captain
Brazen in the play, „wether I should build a privateer or a play-
house with the money"'. — About the same time he published
The Traveller.
5. Cumberlands Bericht 8 ): I have heard Dr. Johnson
relate with infinite humour the circumstance of his rescuing
') Boswell, Life of Johnson, S. 851.
7 ) The European Magazine, Vol. 24. S. 92.
3 ) Memoire of Richard Cnmberland. S. 372 ff.
— 8 —
him (Goldsmith) from a ridiculous dilemma by the purchase
money of his Vicar of Wakefield, which he sold on his behalf
to Dodsley, and, as I think, for the sum of ten pounds only.
He had run up a debt with his landlady for board and lodging
of some few pounds, and was at his wit's-end how to wipe off
the score and keep a roof over his head, except by closing with
a very staggering pfoposal on her part, and taking his creditor
to wife, whose charms were very far from alluring, whilst her
demands were extremely urgent. In this crisis of his fate he
was found by Johnson in the act of meditating on the melancho-
ly alternative before him. He shewed Johnson the manuscript
of the Vicar of Wakefield, but seemed to be without any plan,
or even hope of raising money upon the disposal of it; when
Johnson cast his eye upon it, he discovered something that gave
him hope, and immediately took it to Dodsley, who paid down
the price above-mentioned in ready money, and added an even-
tual condition upon its future sale. Johnson described the pre-
cautions he took in concealing the amount of the sum he had
in hand, which he prudently administered to him by a guinea at
a time. In the event he paid off the landlady's score, and re-
deemed the person of his friend from her embraces.
Wir haben zunächst die Glaubwürdigkeit dieser Quellen
zu erwägen.
Mrs. Piozzis, Boswells und Cumberlands Berichte gehen
sämtlich, nach eigner Aussage, auf Johnsons Mitteilung zurück.
Woher Hawkins sein Wissen hatte, giebt er nicht an, doch ist
ziemlich sicher anzunehmen, dass es auch mittelbar oder unmittel-
bar von Johnson stammt, der ja mit dem Wiedererzählen recht
freigebig gewesen zu sein scheint; denn, hätte er seine Kunde
von Goldsmith selbst gehabt, hätte er es wohl sicher gesagt.
Cooke dagegen hat diese Erzählung von Goldsmith selbst. Da
ist sofort auffällig, dass alle die Berichte, die auf Johnson zu-
rückgehen, viele romanhafte Züge enthalten, dass aber Cookes
Erzählung davon völlig frei ist. Nimmt man dazu die Erzählung,
die George Steevens von Johnson mitteilt 1 ): I (Johnson) remem-
ber writing to him (Richardson) from a sponging-house, and was
so sure of my deliverance through his kindness and liberality
*) London Magazine, Vol. 55, S. 253 (ich citiere nach Förster, I, S. 38
— 9 —
that, before his reply was brought, I knew I could afford to
joke with the rascal who had me in custody, and did so, over
a pint of adulterated wine, for which, at that instant, I had no
money to pay, so wird man leicht zu einem Zweifel an der vollen
Glaubwürdigkeit Johnsons selbst getrieben. Malte er dieses
Ereignis nach jenem, jenes nach diesem aus? In den entscheiden-
den Zügen werden wir ihm aber doch Glauben schenken müssen.
Der älteste Bericht ist der der Mrs. Piozzi, 1786, dann der
des Sir John Hawkins: 1787, Boswells: 1791, Cookes: 1793,
Cumberlands: 1807.
Mit Ausnahme eines ungenannten Kritikers, der im Athe-
iiaeum, Dez. 1885, S. 835/7, über diese Frage schrieb, hat man
bisher stets Boswell am meisten Glauben geschenkt, ob mit
Recht, will ich hier versuchen zu entscheiden.
Als Boswell schrieb, lagen ihm die Berichte der Mrs.
Piozzi und des Hir John Hawkins vor. Er tadelt ihre Unge-
nauigkeiten, er will sie verbessern. Betrachten wir nun die
Unterschiede:
1. Mrs. Piozzi erzählt, Johnson habe sich in ihrem Hause
befunden, als er zu Goldsmith geholt wurde; über dessen Woh-
nung giebt sie nichts an. Hawkins sagt nur, das Ereignis habe
in Canonbury House stattgefunden. Boswell lässt Johnson von
seiner Wohnung ausgehen: sicherlich eine Verbesserung; denn
es ist unmöglich, dass Johnson in ihrer Wohnung war, da John-
son Mrs. Piozzi erst im Jahre 1765 kennen lernte, ! ) the arrest
aber sicherlich vor Ende 1764 sich ereignete (das beweist die
zweite Äusserung Johnsons [vgl. S. 7] völlig klar). Goldsmiths
Wohnung giebt er nicht an, er weiss sie selbst nicht.
2. Mrs. Piozzi sagt: his landlady pressed him for payment
within doors, while the bailiffs beset him without; ähnlich Haw-
kins, eine Lage, die sich durchaus durch den damaligen Rechts-
gebrauch gegenüber Schuldnern erklären lässt. Völlig unver-
ständlich und unklar sagt dagegen Boswell: his landlady had
arrested him for his rent, wohl nichts weniger als eine Ver-
besserung.
3. Mrs. Piozzi kennt nicht den Namen des Buchhändlers,-
Hawkins nennt Newbery; Boswell weiss wieder nichts Genaues,
r* - - i ■ ■ i
! ) Athenäum, Dez. 1885. S. 837.
— 10 —
4. Mrs. Piozzi sagt, dass das Ereignis stattfand scarcely
later than 1765 or 6. Hawkins macht gar keine Zeitangabe.
Boswell giebt diese Erzählung in seinem Bericht über das Jahr
1763, ohne aber auf dieses Jahr Bezug zu nehmen. Es weist
auch durchaus Nichts darauf hin, wie Dobson behauptet ! ), dass
Boswell zur Zeit dieses Ereignisses noch nicht mit Johnson in
jenem engen Verhältnis stand, geht doch unmittelbar eine Äus-
serung Johnsons voraus , die erst nach dem Erscheinen des
Traveller und V. of W., also frühestens 1766 gethan sein konnte.
So lässt Boswell auch die Zeitangabe völlig unbestimmt — er
weiss es selbst nicht.
5. Mrs. Piozzi sagt, der V. of W. wäre nicht vollendet
gewesen, Boswell dagegen: ready for the press, worin wir der
Mrs. Piozzi zustimmen (vgl. S. 3).
6. Mrs. Piozzi sagt nichts Bestimmtes über den Preis, je-
denfalls habe er nicht den Gesamtpreis erhalten, Hawkins sagt
40 £, Boswell 60 £. Boswell ist sicher im Unrecht (vgl. S. 12, 16).
Ziehen wir nun den Schluss aus diesem Vergleich: mit
einer Ausnahme, wo Boswell wirklich verbessert (1), finden wir
bei ihm allgemeine Ausdrücke gegenüber bestimmten Bezeich-
nungen (3, 4), Unklarheiten gegenüber klaren Darlegungen (2),
Fehler gegenüber richtigen Äusserungen (5, 6). Darnach erscheint
es mir als ein grosser Fehler, seinem Berichte vor dem der
Anderen den Vorzug geben zu wollen 2 ).
! ) Oliver Goldsmith, S. 115: And it is noticeable that Boswell, who
made Johnson's acquaintance in May, 1763, does not speak of the ineident
as if it had happened within his personal experience.
2 ) In dem erwähnten Aufsatz im Athenaeum, 26. Dez. 1885, ist mit
Recht gesagt : Boswell in writing his aecount of the story of the sale of the
V. of W. was certainly anxious to throw discredit on Mrs. Piozzi's versior
of the ineident. Man möchte beinahe vermuten, Boswell entsann sich bein
Niederschreiben sicher nur des Preises, den ihm Johnson noch 1778 gesag
hatte, schweisste Mrs. Piozzis und Hawkins* Berichte zusammen, änderte, wa
sich mit dem Preise nicht vereinigte (die Frage der Vollendung und d<
Preis selbst) ; natürlich liess er auch in seiner kleinlich- eifersüchtigen
(so war er stets gegen Johnsons Günstlinge) Johnson nicht von Mrs. Pi
Haus geholt werden; hätte er den Fehler nachweisen können, er hätt
sicher nicht unterlassen: wohl nur eine Verbesserung aus Eifersucht,
Wahrheitsliebe.
— 11 —
Was Mrs. Piozzis Bericht betrifft, so hat er den grossen
Vorzug, der älteste zu sein. Nicht zu leugnen ist, dass alle
Thatsachen überaus klar und natürlich berichtet sind. Sie sucht
nicht durch übergrosse Genauigkeit zu glänzen, sie begnügt sich
mit dem unbestimmten some immediate relief. Sicherlich ist sie
genauer als die übrigen in der Mitteilung, der V. of W. sei
noch nicht vollendet gewesen. Gegen sie spricht also nur ein
Punkt, mehrere aber für sie.
Schwer ist es, über Sir John Hawkins' Berichte zu ur-
teilen, die sich nicht widersprechen, also zusammengenommen
werden können. Er ist ziemlich früh geschrieben, — das spricht
für ihn. Andererseits empfiehlt das Verschweigen der Quelle,
bei grosser Genauigkeit in den Einzelheiten, grösste Vorsicht,
weil es leicht allgemeine und daher leicht entstellte Erzählungen
als Quelle vermuten lässt.
Cookes Bericht hat den Vorteil, dass er direkt auf Gold-
smith zurückgeht ; andererseits erweckt auch er Bedenken, da er
aus sehr später Zeit stammt.
Am meisten Vorsicht erfordert sicher Cumberlands Er-
zählung; Dobson 1 ) nennt ihn mit Recht garrulous; daher die
ganz romanhaften Zusätze. Er stammt ausserdem aus sehr später
Zeit, auch traut Cumberland selbst nicht zu viel, wie sein un-
sicheres as I think beweist. ~
So habe ich versucht, das Mass zu bestimmen, in dem wir
den Einzelnen Glauben schenken dürfen. Nun will ich die ein-
zelnen Punkte durchgehen und die widersprechenden Aussagen
auf Grund dieser Bestimmung gegen einander abwägen.
Dass die Situation (Goldsmith, von Gerichtsdienern be-
drängt, wagt nicht, das Haus zu verlassen) bei dem Verkaufe
richtig überliefert ist, ist mit Sicherheit nicht zu bezweifeln;
sicherlich hat sie Johnson so erzählt.
Hawkins sagt, Goldsmith habe damals in Canonbury-House
gewohnt, Cooke in Wine Office Court. Wir werden hier nicht
einer Aussage vor der anderen den Vorzug geben können, son-
dern müssen dieselbe als unbestimmt dahingestellt sein lassen.
Dass Johnson nicht aus dem Hause der Mrs. Piozzi abge-
holt worden sein kann, war schon dargelegt worden ; wir werden
Boswell Glauben schenken, da es so auch am natürlichsten ist.
') Oliver Goldamith, S. 112.
— 12 —
Ebenso war schon gezeigt, dass wir in der Frage der Voll-
endung der Mrs. Piozzi, entgegen der Aussage Boswells, Haw-
kins' und Cumberlands, Recht geben müssen.
Nach Cumberland verkaufte Johnson den V. of YV. an
Dodsley, nach Hawkins und Cooke an Newbery. Diese Aus-
sagen stehen uns zweifellos höher.
Nach Boswell und Cumberland erhielt Johnson den Ge-
samtbetrag, nach Mrs. Piozzi nur einen Teil (some immediate
relief), ebenso nach Wir John Hawkins (Johnson brought back
money for Ins relief) und nach Cooke (his friend advanced him
twenty guincas). Wir stellen sicherlich das Zeugnis dieser drei
höher (üobson schliesst umgekehrt!).
Was den Preis betrifft, so ist dieser auf andere Art voll-
kommen sicher festzustellen.
Die grösste Schwierigkeit bei der Erklärung dieses Ereig-
nisses sah man in der Vereinigung mit einer Eintragung, die
Welsh l ) in dem Rechnungsbuche des Buchdruckers B. Collins,
aus Salisbury, fand:
Vicar of Wakefield, 2 vols. 12 mo - l / s rd. B. Collins, Salis-
bury, bought of Dr. Goldsmith, the author, October 28, 1762.
21 £.
Zunächst wurde dadurch die Frage des Preises gelöst (wo-
bei sofort zu bemerken ist, dass, wie Croker gezeigt hat, an
guinea statt pound nicht Anstoss zu nehmen ist): der Gesamt-
preis muss, da '/s des Romans mit 20 £ bezahlt wurde, 60 £
betragen haben, wie Boswell auch mehrmals berichtet. Wenn
Hawkins von 40 £, Cooke von 20 £ spricht, so weist dies klar
darauf hin, dass der V. of W. in verschiedenen Teilen verkauft
wurde, was durch Welshs Entdeckung bewiesen wird.
Nun kommen wir zu der weiteren Frage: wann und wem
verkaufte Johnson?
Ich will die einzelnen Hypothesen durchgehen:
I. Johnsons Verkauf fand vor dem an Collins statt. Diesen
Standpunkt vertritt vor allem Dobson 2 ). Seine Ausführungen
haben ihren Angelpunkt in den Worten: Unless Boswell bungled
terribly in his „exact narration", it is most improbable th&t the
') A Bookseiler of the last Century, 1885,
•) Oliver Goldsmith, S. 111 ff.
— 13 —
Collins sale preceded the Johnson sale 1 ). Er meint eben, Bos-
well berichtet, Johnson habe den ganzen V. of W. verkauft;
das hätte er nicht thun können, wenn schon ein Drittel (an
Collins) verkauft gewesen wäre. Das ist zweifellos ein richtiger
Schluss, nur meine ich nach meinen Ausführungen, dass wir
weder an Boswells Bericht so treu glauben müssen noch dürfen.
Wir haben gefunden, dass Johnson nur einen Teil des Gesamt-
betrages erhielt (S. 12), der nach Hawkins 40 £, nach Cooke
20 £ betrug, also 8 / 8 oder l j% des Gesamtpreises, was sich also
gut mit dem Drittel des B. Collins verträgt; das macht geradezu
wahrscheinlich, dass Johnson auch nur einen Teil des Romanes
verkaufte, und damit ist Dobsons Beweis hinfällig, zum min-
desten ganz unsicher 2 ).
Dobson meint daher, the arrest habe sich im Jahre 1762
in Wine Office Court ereignet. Er stützt seine Ansicht dadurch,
dass er auf Cooke hinweist, der dies Ereignis dorthin verlegt —
eine ziemlich schwache Stütze, da andere, denen wir ebenso
trauen, anders aussagen, und indem er sagt: it is more likely
that Johnson, close at hand in Inner Temple Lane, would come
to Wine Office Court than to Islington 8 ). Das ist zweifellos
wahr; aber Goldsmith hat ja auch zu anderen Zeiten zwischen
1762 und 1764 nicht in Islington, Johnson nahe, gewohnt.
Somit hat Dobson weder die entgegengesetzte Meinung zu
widerlegen, noch die seinige durch gute Wahrscheinlichkeits-
gründe zu stützen vermocht.
Leslie Stephen *) folgt durchaus Dobsons Meinung, sodass
ich auf ihn nicht einzugehen brauch.
II. Johnson verkaufte, nachdem schon ein Drittel an Collins
verkauft war. Diese Ansicht vertritt W. Moy Thomas 6 ).
»TÖliver Goldsmith, S. 115.
2 ) Dobson fährt dann fort: Bat, if, on the other hand, the Johnson
sale came before the Collins sale, the not unreasonable explanation would be,
that Johnson, called in, as he says, to G-oldsmith's aid, went to Newbery or
Strahan (der dritte Teilhaber am V. of W.), settled upon the price of the ma-
nuscript, and procured for Goldsmith „immediate relief" in the shape of an
advance for one or two shares. Hier verlässt also Dobson plötzlich unlogisch
seine frühere Autorität Boswell selbst !
3 ) Oliver Goldsmith, S. 115.
4 ) Dictionary of National Biography, Vol. XXII.
6 ) Athenaeum, 1885. II, S. 808.
— 14 —
Er glaubt nicht so fest an Boswell. Er hält es für mög-
lich, dass Johnson, seiner Aussage entgegen, nur einen Teil,
nicht das Ganze verkauft habe, sodass also schon ein Teil ver-
kauft sein konnte. Er glaubt sogar, dass Johnson vom Hause
der Mrs. Piozzi zu Goldsmith geholt sein mag, was sicherlich
falsch ist ! ). Wahrscheinlichkeitsgründe hat er garnicht, da auch
dieser fällt; alles, was er behauptet, ist möglich (mit Ausnahme
dieses einen Punktes natürlich), aber nicht mehr.
Als Ergebnis der Besprechung beider Behauptungen haben
wir also : es besteht sowohl die Möglichkeit, dass Johnsons Ver-
kauf vor dem an Collins stattgefunden hat, als auch nach ihm.
Sicher ist nur (vgl. S. 9), dass er vor Ende 1764 sich ereignete,
also zwischen etwa 1761 (weiter wird man schwerlich zurück-
gehen dürfen) und Ende 1764.
Damit sind wir natürlich gezwungen, auch wieder auf
Forsters Auseinandersetzungen einzugehen , der es für sehr
wahrscheinlich hielt, dass the arrest im Jahre 1764 in Islington
stattfand.
Die einzige äussere Mitteilung, die auf das Jahr 1764
weist, ist die des Dr. Parr, Newbery habe nach Goldsmiths
Aussage das Manuskript zwei Jahre bei sich behalten, das kann
natürlich nur so gemeint sein: nachdem der V. of W. beendet
war. Da aber zur Zeit des 'arrest' dieses nicht der Fall war,
so kann diese Mitteilung hier garnicht in Betracht kommen,
wenigstens nur, wie schon Johnsons zweiter Bericht 2 ), als ter-
minus ad quem.
Bevor wir Forsters Gründe selbst untersuchen, will ich
auf die Frage eingehen: wem verkaufte wohl Johnson diesen
Teil des V. of W., da sie für die Beurteilung der Ausführungen
Forsters von Wichtigkeit ist.
Erschienen ist der Roman bei Francis Newbery. Hawkins
und Cooke teilen mit, Johnson habe ihn an den älteren New-
bery verkauft. Von einer Verwechslung wird man unmöglich
sprechen können; beide wussten wohl ganz sicher von den zwei
Newberys, beidemal ist das Ereignis zum Lobe des wohlwollen-
den älteren Newbery erzählt, also er gerade betont. Dazu
') Athenäum, 1885. II. S. 885.
') Boswell, Life of Johnson, S. 851 .
— 15 —
kommt noch, dass Goldsmith gerade im V. of W. Newbery ein
Denkmal gesetzt hat; auch das lässt vermuten, dass Newbery
zu dem Werke in näherer Verbindung stand. So sprechen viele
Gründe dafür und machen es recht wahrscheinlich, dass Johnson
den Teil des V. of W. an den älteren Newbery verkaufte, und
dass dieser ihn dann später, wie es oftmals unter den beiden
Newberys vorkam, an seinen Neffen übertrug.
Damit fiele aber schon eine Hauptstütze Porsters. Er
glaubt, eine Entfremdung zwischen Goldsmith und Newbery
feststellen zu können, eben weil er das Manuskript nicht an ihn,
sondern an seinen Neffen verkaufte, und glaubt, dass eine solche
Entfremdung zwischen beiden wirklich im Jahre 1764 einge-
treten ist, als er mit Dodsley in Verbindung trat. Aber es ist
wohl zu beachten, dass Goldsmith doch auch in dieser Zeit un-
unterbrochen mit Newbery in Verbindung blieb, dass dieser ihm
auch ferner Geld lieh, wie Quittungen beweisen. So steht
Forsters Behauptung, dass wirklich damals eine Entfremdung
bestanden hat, doch auf recht schwachen Füssen.
Und wenn wieder diese Entfremdung nicht bestand, warum
wandte sich Goldsmith, da er doch Newbery so nahe wohnte,
nicht direkt an ihn, der stets so freundlich beistand?
Ist es nicht höchst unwahrscheinlich, dass Goldsmith John-
son nach dem entfernten Islington holen Hess? *)
Und ist es wahrscheinlich, dass Mrs. Fleming, die, wie
Forster selbst nachweist, sich ungemein freundlich gegen Gold-
smith zeigte, so hart gegen ihn vorging?
Forster sagt, gerade damals habe Goldsmith überaus be-
scheiden gelebt, und schliesst daraus, dass seine Vermögensver-
hältnisse wenig glänzend waren; zieht man aber die Summe in
diesen Rechnungen, die er abdruckt, so sieht man, dass er da-
mals fast ganz genau eben so viel im Durchschnitt ausgab wie
in anderen Zeiten.
So bleibt schliesslich nur die eine unbezahlte Rechnung an
Mrs. Fleming in den Sommermonaten 1764 übrig — eine sicher-
lich sehr unsichere Stütze, denn daran war bei Goldsmith nie-
mals grosser Mangel.
') Hierauf weist auch Dobson, Oliver Goldsmith, S. 115.
— 16 —
So sprechen auch gegeu Forsters Ausführungen gewichtige
Gründe und machen sie sogar äusserst unwahrscheinlich. Es ist
viel eher anzunehmen, dass das Ereignis in der Stadt selbst
stattgefunden hat, vielleicht in Wine Office Court, vielleicht aber
erst im Anfang des Jahres 1764, zu welcher Zeit er auch nicht
in Islington war (in dieser Zeit muss es Goldsmith recht
schlecht gegangen sein, da er aus Grays Gasthaus, wo er vor-
übergehend wohnte, Dodsley dringend um eine Unterstützung
bat). Aber auch selbst in der Zeit zwischen 1762 und 64 hätte
sich 'the arrest' ereignen können, da Goldsmith damals sicherlich
nicht beständig in Islington war. Es aber genauer zu datieren,
wie bisher Alle versucht haben, ist, meiner Überzeugung nach, auch
nur mit annähernder Wahrscheinlichkeit unmöglich.
Unser Ergebnis über 'the arrest' ist demnach: 'the arrest'
hat sich in der Zeit zwischen 1761 und etwa Mitte 1764 zuge-
tragen, jedenfalls in der Stadt unmittelbar. Johnson wurde aus
seiner Wohnung zu Goldsmith geholt und verkaufte wohl zwei
Drittel des V. of W. an John Newbery für 40 £.
1? -
II. Abschnitt.
Innere Entstehungsgeschichte.
I, Kapitel.
Die Grundfabel und ihre Quellen.
Der Inhalt des Vicar of Wakefield, in wenigen Worten
dargelegt, ist folgender: ein frommer Geistlicher wird mit seiner
Familie von vielen Unglücksfällen betroffen, aber nicht durch sie
niedergeworfen und kommt am Ende doch zum Siege. Die Ähn-
lichkeit mit dem Geschicke Hiobs ist offenbar, worauf schon
Black *) und Stoddard 2 ) hinwiesen.
Von diesem Gesichtspunkte aus will ich die Fabel betrach-
ten, das heisst, die einzelnen Unglücksschläge, die den Vicar
und seine Familie treffen, dann die Lösung alles Unglücks, ohne
hier auf einzelne für die Entwicklung dieser Handlung unwich-
tige Ereignisse oder auf die Personen selbst und ihre Charaktere
einzugehen, die später behandelt werden. Jeden dieser Unglücks-
fälle will ich für sich betrachten, in seiner Entstehung, Ent-
wicklung und in seinen Folgen, soweit der Roman darüber be-
richtet.
1. Der erste Schlag ist der Verlust des Vermögens.
Ich möchte zunächst die Frage stellen, wozu hat Gold-
smith dieses Motiv eingeführt, d. h. die Familie im Anfange
reich dargestellt? Nur in zwei Punkten ist es für die Fabel
hernach von Wichtigkeit: einerseits in der Liebesgeschichte von
') William Black, Goldsmith (E. M. 0. L.), S. 87.
2 ) Stoddard, The Evolution of the ßnglish Novel, S. 48.
- 18 —
George und Arabella Wilmot. George ist ein Nebenbuhler für
Thornhill, weil er schon mit Arabella verlobt war, ohne Reich-
tum wäre es aber bei einem Vater wie Mr. Wilmot niemals zur
Verlobung gekommen. Doch wir sehen aus der Fabel von Fiel-
dings Tom Jones, die genau die gleiche Sachlage zeigt und
Goldsmith zum Vorbilde gedient hat, dass genau derselbe Conflikt
ohne eine Verlobung hätte herbeigeführt werden können (Tom
Jones ist nicht mit Miss Western verlobt). Also dieses wird
Goldsmith sicher nicht veranlasst haben, das Motiv — dass der
Vicar einstmals reich gewesen ist -- neu einzuführen.
Der andere Punkt, in dem dieser frühere Reichtum später
wichtig ist, ist der: der Vicar hat viel zu thun, die Familie an
die geringeren Ansprüche, ihrer ärmlicheren Lage entsprechend,
zu gewöhnen, die Familie trotz diesem äusseren Unglück
wieder zu innerem Glück zu führen.
Hierfür haben wir nun aber ein Vorbild in einer Erzählung
des Spectator, No. 375, vom 10. Mai 1712 (dem Vorbilde für
Richardsons Pamela). Auch hier verliert ein vornehmer Bürger
sein grosses Vermögen, und es ist ganz besonders darauf Ge-
wicht gelegt, wie er und seine Frau sich den neuen Umständen
anzupassen suchen (Goldsmith konnte sehr leicht schon dadurch
auf die Erzählung aufmerksam werden, weil sie viele Ähnlich-
keiten mit einem Conflikt des V. of W. hat). Also dasselbe
Motiv — Verlust des Vermögens, — die gleiche Wirkung, und
so ist es wohl anzunehmen, dass Goldsmith zu diesem Motiv,
das sonst so bedeutungslos für den ganzen Roman ist, durch
diese Erzählung des Spectator angeregt wurde.
Goldsmith hat dieses Motiv nun durchaus nicht roh über-
nommen; wir sahen schon, wie er es für die Liebe zwischen
George und Arabella ausnutzt; die Versuche des Vicars, den
Stolz seiner Angehörigen herabzudrücken, führen zu den ergötz-
lichsten Scenen (Ende des Chapter IV und des Chapter VI),
und durch diese vielfachen Versuche und Lehren erkennen wir
recht den durch reiche Lebenserfahrung abgeklärten Sinn des
Vicars.
2. Der zweite Unglücksschlag ist : die älteste Tochter Olivia
wird von einem jungen Adligen, Thornhill, entführt.
— 19 —
Wir haben auf der einen Seite das unschuldige, arme
Mädchen, auf der andern Seite den verwegenen, verdorbenen
Squire, der jene zu verführen sucht — das Motiv, das zuerst in
der erwähnten Erzählung des Spectator erscheint, unsterblich
aber durch Richardson in seiner Pamela geworden ist. Doch
sei es, dass Goldsmith seinem Vorbilde nicht allzusehr folgen
wollte : der Standesunterschied, das kühne Hinwegsetzen über
alte Vorurteile wird nicht mehr betont, und damit ist der eigent-
liche Kern von Pamela gefallen. Nur das äusserliche Gerüst,
die Zusammenstellung der Personen, ist geblieben, und nur hin
und wieder werden wir an den alten Kern erinnert, so wenn
Thornhill, wie Lord B — in Pamela, völlig sicher seines Erfolges
auftritt (Chapter V). Im übrigen stehen sie gleichwertig einan-
der gegenüber, wie Lovelace und Clarissa in Richardsons Cla-
rissa Harlowe, und dem Conilikte dieses Romans hat denn auch
Goldsmith den seinigen durchaus nachgebildet und nur soweit
verändert, wie es die veränderte Sachlage erfordert. Fischer *)
hat die übereinstimmenden Punkte aufgezählt, ich will versuchen,
Goldsmiths Handlung aus jener abzuleiten.
Bei Richardson bedrohen die Eltern Clarissa mit einer
Zwangsheirat, Lovelace hat nicht Zutritt zu ihr. Will er daher
seinen Plan durchsetzen, muss er sie zunächst von ihren Eltern
entfernen, die Flucht oder Entführung geht also voraus. Nun
erst kann er oder sein Helfershelfer auf sie persönlich einwirken,
nun erst kann er seine heimtückischen Mittel (die Einwirkung
der Lady Betty Lawrence und Miss Montague) anwenden, um
sie ganz in seine Gewalt zu bekommen.
Anders bei Goldsmith: hier, bei einem Manne wie Primrose,
musste natürlich das Motiv der Zwangsheirat in der Form wie
in Clarissa Harlowe fortfallen; Olivia konnte nicht zu Thornhill
in irgend ein Verhältnis treten* weil sie bei ihm Schutz sucht
(wie Clarissa), sondern sie muss es ganz freiwillig thun, sie muss
ihn lieben (dass hier noch Pamela vorschwebt, wie Fischer 2 )
meint, ist daher durchaus nicht anzunehmen). So verhält es
sich auch in der That bei Goldsmith. Thornhill muss be-
ständig ungehindert mit Olivia zusammenkommen können. So
1 ) Willy Fischer, Goldsmiths Vicar of Wakefield. Anglia, Band XXV,
S. 129 ff. m
2 ) Fischer, a. a. 0.
— 20 —
kann von einer Flacht natürlich noch keine Rede sein; warum
sollte Olivia fliehen? Der erste Teil bei Goldsmith muss also
dem zweiten bei Richardson entsprechen, in dem Lovelace oder
seine Helfershelfer auf Clarissa einwirken. Dementsprechend
wendet Thornhill schon hier seine niedrigen, versteckten Mittel
an, um Olivia völlig in seine Gewalt zu bekommen. Dazu führt
Thornhill angeblich Verwandte, Lady Blarney und Miss Carolina
Wilelmina Amelia Skeggs, bei dem Vicar ein, äusserlich sehr
feine, vornehme ladies, die über Tliornhills freie Redeweise sehr
entrüstet sind, aber selbst versehentlich ein paar recht gewöhn-
liche Redensarten gebrauchen und so beinahe in ihrer wahren
Gestalt erkannt werden. Das Ziel ist, sie sollen Olivia und
Sophia nach London bringen, damit Thornhill dort seinen Zweck
erreichen kann. Das Motiv ist ganz genau von Richardson
übernommen (vgl. Fischer, S. 146, bez. Clarissa Harlowe, Vol. V.
Letter LXIII — LXV). Wie bei Richardson, misslingt auch
hier der Versuch, doch ist die Art ganz verschieden ; hier greift
Burchell ein, eine Gestalt, die Richardson garnicht hat, und auf
sehr geschickte Art benutzt Goldsmith dies Eingreifen Burchells,
das der Vicar missversteht, um ihn auf lange Zeit vom Hause
des Vicars zu entfernen, da es sonst schon früher zur Lösung
hätte kommen müssen.
Sollte nun noch die Flucht eingeführt werden, so musste
es Goldsmith doch irgendwie zur Zwangsheirat kommen lassen,
einen Rivalen einführen, vor dem dann Olivia fliehen kann —
sicherlich hier eine sehr schwierige Aufgabe, die aber Goldsmith
ungemein geschickt gelöst hat.
Er benutzt dazu Deborah. Wie es vortrefflich zu ihrem
hausmütterlich-praktischen Sinn passt, versucht sie, ihrer Tochter
einen Gatten — Thornhill — zu verschaffen. Zunächst will sie
ihn nur zur Aussprache treiben. So hatte man versucht, Lovelace
zu einer Erklärung gegenüber Arabella Harlowe zu veranlassen.
Man gab ihm Gelegenheit, aber er war zu bashful. Diese
kurzen Andeutungen hat Goldsmith zu so ergötzlichen Scenen
ausgearbeitet (Chapter XVI), deren Wurzel aber sicher bei
Richardson liegen (auch bei Thornhill vermutet man, bashfulness
hindere ihn an der Aussprache).
— 21 —
Nun greift Deborah zu einem kräftigeren Mittel, das her-
nach so verhängnisvoll wird; sie führt einen Rivalen ein, den
rechtschaffenen, stillen und zurückhaltenden farmer Williams.
Dieser muss nun verhängnisvoll werden, wie Mr. Sohnes für
Clarissa. Dazu benutzt Goldsmith die Ehrenhaftigkeit des Vicars.
(Man beachte : Die Einführung des Rivalen war durchaus be-
gründet durch den Charakter Deborahs, sie entspricht ihrem
vorsorglichen Sinn; verhängnisvoll wird dieses Mittel durch den
Charakter des Vicars. Wie ungemein geschickt weiss Goldsmith
das fremde Motiv in den Roman hineinzuflechten!). Da dem
farmer solche Aussichten auf eine Verbindung mit Olivia gemacht
sind, lässt der so rechtschaffen denkende Vicar sich versprechen,
dass diese auch erfüllt werden, falls Thornhill sich nicht bis zu
einem bestimmten Tage ausspricht. Zu diesem Versprechen hätte
sich natürlich Olivia nicht bewegen lassen, wenn sie gegen Wil-
liams eine direkte Abneigung verspürt hätte, wie Clarissa gegen
Mr. Solmes. Deshalb erscheint farmer Williams in einer liebens-
würdigeren Gestalt als dieser. — Thornhill spricht sich natürlich
nicht aus. und so ist es Goldsmith gelungen, einen gefährlichen
Rivalen einzuführen, ja Olivia als gezwungen darzustellen, diesen
Rivalen zu heiraten, ohne dass Primrose, wie Clarissas Eltern,
in irgendwie schlechtem Lichte erscheint, im Gegenteil, Primrose
wird dadurch noch gehoben x ).
Nun kann Goldsmith es wirklich zur Flucht, halb Ent-
führung — genau wie in der Clarissa, unter genau gleichen
Verhältnissen — , kommen lassen. Wie Clarissa zuletzt noch
vor der Flucht zurückschreckt, so auch Olivia, doch der Ver-
führer siegt.
Thornhill hat nun Olivia völlig in seiner Gewalt, denn sie
liebt ihn innig (das war nicht der Fall bei Clarissa, dort mussten
Lovelaces Verführungsbesuche nach der Flucht beginnen, hier
bildet die Flucht aber den Beschluss. das Ziel!). Will Thorn-
hill sie aber ganz besitzen, so ist es bei einer Tochter Primroses
klar, dass es, wenigstens ihrer Meinung nach, rechtlich geschieht.
Deshalb lässt sich Thornhill mit ihr trauen, allerdings von einem
M Farmer Williams nimmt also genau die Stellung ein, die Mr. Solmes
in Clarissa inne hat. Nicht im Geringsten lässt sich aber seine Rolle mit der
des parson William in Pamela vergleichen, wie Fischer meint. (S. 145).
— 22 —
falschen Priester. Dieses Motiv ist aus Richardsons Pamela über-
nommen, wo diese Scheintrauung nicht ausgeführt, aber wohl
geplant wird; denn Pamela wird rechzeitig gewarnt (Vol. I,
S. 253 : he will marry you. You may expect a parson, for this
purpose, in a few days; but it is a sly artful fellow of a broken
attorney, that he has hired to personate a minister, und S. 305 :
You must know, then, my Pamela, that I had actually formed
such a project).
Nachdem Thornhill so sein Ziel erreicht hat, bringt er Oli-
via to two unhappy women more, whom, like me. he had de-
ceived, die Sally und Polly der Clarissa. Nur ist der Zweck
ein anderer, Thornhill will Olivia nur unterbringen, Lovelace
aber will Clarissa noch durch sie überwinden lassen.
Olivia erkennt nun, wie Clarissa, den wahren Charakter
ihres vermeintlichen Gatten; sie verlässt ihn. ohne Widerspruch
von Seiten Thornhills, denn er hat ja schon erreicht, was er
wollte, während Lovelace sich dem natürlich widersetzt. Mit
Recht weist Fischer darauf hin (S. 147), dass „das langsame
Hinsiechen Oliviens ähnlich geschildert wird, wie das Clarissens".
Im Ganzen genommen ist also die Geschichte Olivias eine
überaus geschickte Umbildung der Geschichte Clarissas, eine
Anpassung dieser an die gegebenen Voraussetzungen, an die
Primrosesche Familie, wodurch ein völliges Umkehren der ein-
zelnen Geschehnisse nötig wurde. Das Geschickteste aber ist,
dass Goldsmith die Entwicklung seiner Geschichte unmittelbar
durch die Charaktere seiner Personen eintreten lässt: nur eine
Deborah konnte auf den Gedanken kommen, einen Rivalen ein-
zuführen, um Thornhill zur Aussprache zu bewegen; nur durch
die strenge Ehrenhaftigkeit des Vicars konnte dieses Mittel ver-
hängnisvoll werden ; niemals wäre unter genau den gleichen Ver-
hältnissen eine Clarissa geflohen, dazu bedurfte es der etwas
leichten Olivia. — Wenn Fischer x ) meint, Goldsmiths Umar-
beitung mit dem Worte: ein guter Auszug aus der Clarissa cha-
rakterisieren zu können, so heisst das also, alles selbständige
völlig übersehen.
3. Bei der Heimkehr findet der Vicar sein Haus in Flammen.
*) W, Fischer, a. a. 0. S. 147,
— 23 —
Ein Vorbild hierfür ist mir nicht bekannt. Die Einführung
dieses Motivs wurde durch das folgende erforderlich : Primrose
kommt ins Gefängnis, weil er Schulden nicht bezahlen kann ; er
muss also völlig mittellos sein. (Auch Hiob verliert allen äusseren
Besitz.)
4, Primrose wird ins Gefängnis geworfen.
Thornhill hat Primrose Geld geliehen. Er benutzt dies
später, sobald der Vicar seinen Absichten entgegentritt, und
lässt ihn der Schulden wegen ins Gefängnis werfen. Alle Bitten,
milder zu verfahren, lehnt er ab, mit der Begründung, nun sei
es zu spät, er habe schon alles seinem Advokaten übergeben.
Dieses Motiv stammt wieder aus Ricbardsons Pamela. Ge-
nau so verfährt Lord B— gegen Williams, der ihn auch in
seinen Absichten hindern will. For I have ordered Mr. Shorter,
mj attorney, to throw hini instantly into goal, on an action of
debt, for money he has had of me, which I had intended never
to carry to account against him.
In der Schilderung des Gefängnisses ist wohl Fielding mit
seinem Romane 'AmeHa' vorbildlich gewesen. Mr. Booth, wie
Primrose, erwähnt the garnish, das beim Eintritt zu entrichten
ist. Beide erwarten, Trauer und Reue bei den Gefangenen zu
sehen, finden aber laughing, singing, riot, profaneness. Beide
finden dort im Gefängnis einen Mann, der sich ihrer, die an
diesem Platze so unerfahren sind, annimmt, dort Robinson, hier
Jenkinson ; jener will Mr. Booth noch betrügen, Jenkinson hat
Primrose schon betrogen (beide erweisen sich aber zuletzt als
gute Freunde und tragen wesentlich zur Klärung des Betruges bei).
Für Primroses Leben im Gefängnis hat Goldsmith, wie
Brandl sicherlich mit Recht vermutet, Bunvans Aufenthalt im
Gefängnis als Vorbild benutzt, aber wohl sicher nur die fast
sagenhafte Schilderung eifriger Nonkonformisten von seinem Leben
in Bedford Goal *), in Wahrheit war es wohl kaum so schlimm;
in seinen eigenen Schriften geht Bunyan auf das Leben im Ge-
fängnis nur sehr wenig ein, aber das Wenige lässt es in besserem
Lichte erscheinen. In jenen Schilderungen aber wurde von den
dumpfen Gefängnisräumen erzählt, dort wurde berichtet, wie
seine Frau mit ihren sechs Kindern Bunyan auf seinem Kranken-
! ) A. Fremde, Buuyan, S. 81.
— 24 —
lager umgaben. Das finden wir genau im V. of W. wieder.
Wie Bunyan, was sicherlich historisch ist, im Gefängnis seinen
Mitgefangenen gepredigt hat, so lässt auch Goldsmith Primrose
im Gefängnis predigen. (Es ist zu beachten, dass Bunyan im
XVI1L Jahrh. der meist gelesene Schriftsteller war.)
5. Der fünfte Schicksalsschlag ist die Entführung der
jüngeren Tochter Sophia.
Das Vorbild für dieses Motiv und die hier nötigen Verän-
derungen dieses Vorbildes giebt genau Fischer ! ), den ich eitleren
will: 'Das wichtigste äussere Ereignis, dass sich zwischen Miss
Byron und Grandison abspielt, ist folgendes: Miss Byron wird
von einem vornehmen Liebhaber zweifelhaften sittlichen Charak-
ters, den sie verachtet, gewaltsam entführt. Während sie in
einem Wagen fortgeschafft wird, bemüht sich der Entführer, sie
am Schreien zu verhindern. Da erblickt sie Grandison mit
seinem Gefährt und ruft laut um Hilfe. Grandison ist sofort
bereit zu helfen, ein kurzer Kampf entspinnt sich, und Miss
Byron ist befreit'. — 'Die Rolle des Entführers muss hier na-
türlich Thornhill spielen, da Goldsmith unmöglich eine neue Per-
son dafür einführen konnte. Andrerseits darf Thornhill nicht
persönlich mitwirken, er muss seine Creaturen dazu benutzen,
weil ja der Befreier Burchell sein Onkel ist und ihn erkennen
würde, was zu dieser Zeit noch nicht geschehen darf. Im Üb-
rigen verläuft die Entführung wie im Grandison (XXX). Sophia
bemüht sich, im Wagen verzweifelt zu schreien, bis sie endlich
Burchell sieht und ihn anruft. Auch hier wird Widerstand ge-
leistet, aber bald überwunden'.
Dieses Motiv der Entführung und Rettung ist also fast
ganz genau übernommen, doch ist zu beachten, dass es im V. of
W. sehr im Hintergrunde steht.
6. Der letzte Unglücksschlag für Primrose ist der: auch
sein Sohn George wird vom Unglück getroffen, er kommt eben-
falls ins Gefängnis.
Die Veranlassung geht weit zurück und liegt in dem Ver-
hältnis zwischen ihm. Arabella Wilmot und Thornhill. Dieser
4
Conflikt ist völlig von Pielding entlehnt, aus seinem Tom Jone«.
*) W. Fischer, a. a. 0. S. 148 f.
— 25 —
Der Vergleich von Goldsmiths Handlung mit der bei Fiel-
ding und die Ableitung aus ihr ist so klar und erschöpfend von
Fischer *) gegeben, dass ich, der Vollständigkeit wegen, seine
Zusammenfassung citieren will: 'George (Tom) liebt die reiche
Arabella (Sophia), die seine Liebe erwidert. Deren Vater, Wil-
mot (Western), will George (Tom) nicht, weil er arm ist. Der
unglückliche Freier geht in die weite Welt. Darauf bewirbt
sich um das Mädchen Thornhill (ßlifil), der Neffe des Landedel-
manns Burchell (Allworthy). Er wird unterstützt vom Vater
Mr. Wilmot (Mr. Western), von der Tante Mrs. Arnold (Mrs.
Western), schliesslich auch vom Onkel Burchell (Allworthy), der
des Neffen wahren Charakter nicht kennt. Arabella (Sophia)
aber liebt ihn nicht, ihre Zuneigung gehört noch immer George
(Tom). Diese Liebenden treffen einmal bei Gelegenheit eines
Schauspiels zufällig zusammen, ohne dass ihre Sache dadurch
gefördert wird. George (Tom) wird bei Kiirchell (Allworthy)
und Arabella (Sophia) verleumdet. Thornhill (Blifil) versucht,
ihn ans dem Wege zu räumen. Durch ein Duell, bei dem er über-
fallen wird, kommt George (Tom) ins Gefängnis, Thornhill (Blifil)
bringt falsche Zeugen gegen ihn, um ihn sicher loszuwerden, und
er scheint dem Tode verfallen zu sein. Aber ein Freund [Jenkin-
son — Nightingale] beweist, dass der im Duell verwundete, der für
tot ausgegeben wurde, nur wenig verletzt ist. Die Gewandtheit
Thornhills (Blifils) verzögert die Entdeckung meiner Schurkerei
eine Zeit lang, schliesslich aber werden Burchell (Allworthy) die
Augen geöffnet. Er giebt seinen Neffen völlig auf und tritt für
die Heirat zwischen Arabella (Sophia) und George (Toni] ein,
mit der dann sofort auch Wilmot (Western) einverstanden ist".
Fischer ") hat für diese Übernahme nur Worte schärfsten
Tadels. So sagt er: „Es ist schon undenkbar, dass George,
dieser gute Sohn, während der Universitätsjahre nie daheim von
seinem Busenfreunde etwas erzählt hat'' ; er rechnet aus, dass
Georges Reise zeitlich unmöglich ist -- erinnert das alles nicht
ein wenig an Gottscheds Forderungen, der sich am liebsten mit
hervorgezogener Uhr in das Theater gesetzt hätte? Fischer ver-
langt von Wilmots zukünftiger vierter Gemahlin zu hören -
*) Fischer, a. a. 0. S. 156 f.
*) Fischer, a. a. 0. S. 183 ff.
— 26 —
freuen wir uns doch, dass Goldsmith sich wenigstens hier weise
Beschränkung auferlegt hat, ebenso, wenn er den Vergleich
zwischen Western und Wilmot „für Goldsmith sehr demütigend"
erklärt und so reichere Charakterisierung Wilmots fordert. Eben-
so ist die Auflösung der Verlobung zwischen George und Ara-
bella genau motiviert. Schon durch den heftigen Streit mit
Primrose w T ar der mürrische Wilmot sufficiently inclined to break
off the match, die plötzliche Verarmung entscheidet vollends : one
virtue he had in perfaction, which was prudence, too often the
only one that is left us at seventy-two. Denn diese Klugheit
ist offenbar Geiz, hier und nicht erst im Kapitel XXXI er-
fahren wir davon. So hat auch Fischer die Liebesgeschichte
zwischen George und Arabella missverstanden.
Man muss vielmehr auch hier zugeben, dass die Übernahme
im allgemeinen geschickt vollzogen ist, dass äusserst reizvolle
Scenen daran angeknüpft sind, dass er bisw r eilen selbständig sehr
gut motivierte, so w r enn er George schon aus früherer Zeit mit
Thornhill bekannt sein lässt, wenn er ein Mittel findet, durch das
Thornhill George bei ßurchell in schlechtes Licht setzt.
7. Wie Hiob aber nach allem Leiden doch zu seinem
Rechte, zu Glück kommt, so auch Primrose. Alle Intriguen
werden gelöst. Vorbildlich ist hier wieder Tom Jones gewesen.
Die Übeleinstimmungen habe ich schon nach Fischers Aus-
führungen unter dem vorigen Punkte citiert. Hineinverwoben
ist gleichzeitig die Auflösung des früheren Confliktes zwischen
Thornhill und Olivia — es ist. zweifellos, dass hier, wie stets in
solchen Enthüllungsscenen, die Lebenswahrheit gering ist.
Bemerken möchte ich noch : Bei Goldsmith findet die Lösung
im Gefängnis selbst statt, nicht so im Tom Jones. Es ist das
sicherlich eine wirksame Veränderung. Angeregt mag Goldsmith
hierzu auch durch Fielding sein; denn Allworthy will zunächst
Tom Jones auch im Gefängnis aufsuchen, giebt hernach aber
den Plan auf (Book XVIII, Chapter V : Shall we pay a Visit
to your friend? I promise you it is not the first visit I have
made in prison). Goldsmith, der eine starke Begabung für das
Lustspiel besass, mag diese Anregung ergriffen und daraufhin
jene Lösungsscene geschaffen haben, die, ungleich dramatischer
als bei Fielding, wohl den Schluss eines Lustspiels bilden könnte.
— 27 —
Wir sind am Schlüsse dieser Betrachtung, doch haben wir
bisher nur jede Handlung für sich verfolgt. Aber nicht getrennt
laufen die verschiedenen Handlungen nebeneinander her. Gold-
smith hat Verschmelzungen der Personen vorgenommen, überall
treten Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen zwischen diesen
Fabeln ein. Unbedingt ist hier zuzugeben, dass Goldsmith eine
völlige Auflösung der Schwierigkeiten nicht gelungen ist. Inner-
halb der Geschichte ganz unverständliche Widersprüche sind
stehen geblieben. Es wäre unnötig, sie aufzuzählen, sie sind
immer bemerkt worden. Fischers Arbeit hat das grosse Ver-
dienst gezeigt zu haben, wie dieselben entstehen konnten : durch
das Übernehmen mehrerer fremder Handlungen; das war Gold-
smiths Unglück. Aus ebenderselben Quelle tiiessen die mannig-
fachen Unwahrscheinlichkeiten. Dass Grandion Miss Byron bei
der Entführung trifft und rettet, erregt kein Befremden, weil
Grandison noch nicht im Romane eine Bolle spielt; wohl aber i^t
es unwahrscheinlich, dass gerade Burchell, den wir schon längst
als Sophias Liebhaber kennen, diese treffen und befreien muss.
Wie alles dies zu betrachten ist, soll in einer zusammen-
fassenden Darstellung der Entstehungsgeschichte (Kapitel VI11)
dargelegt werden.
II. Kapitel.
Zwei angebliche Hauptquellen.
In diesem Kapitel seien zwei Erzählungen behandelt, die
beide im British Magazine erschienen sind, und die man als Quelien
zu Goldsmiths Vicar of Wakefield ausgegeben hat. Nicht das
Vorbild zu einem Motive im Romane sollen diese Erzählungen
sein, sie sollen den völligen Keim des Romans enthalten, der nur
durch Ausweiten dieser Vorbilder entstanden sei. Deshalb (und
aus dem weiteren Grunde, weil sie für die Erklärung der Fabel
nicht in Betracht kommen) sei diese Frage hier in einem beson-
deren Kapitel erörtert.
— 28 —
Schon früh wurde man auf die erste Erzählung, The
History of Miss Stanton, aufmerksam. Sie war, wie schon er-
wähnt, im British Magazine, Juli 1760 erschienen. Da Gold-
smith in jener Zeit vielfach für diese Zeitschrift geschrieben hat,
tauchte bald die Vermutung auf: ist vielleicht Goldsmith selbst
der Verfasser? Eine eingehendere Untersuchung hat darüber
bisher aber noch Niemand vorgenommen.
Wir haben zwar gefunden, dass Goldsmith den Roman
1760 schon längst begonnen hatte, doch das entscheidet noch
nichts; denn wir wissen nicht, wie weit er ihn damals entworfen
hat. Es wäre also durchaus noch möglich gewesen, dass er
der Erzählung folgte.
Da äussere Nachrichten völlig fehlen, so müssen wir eine
Entscheidung durch innere Gründe versuchen. Betrachten wir
zunächst den Inhalt.
Züge aus Goldsmiths eigenem Leben sind nicht enthalten,
doch scheint mir die Schilderung des Pfarrers einigen Aufschluss
zu gewähren.
Schon oft war in der englischen Litteratur die Gestalt des
guten Pfarrers gezeichnet worden, von Chaucer, Dryden, Defoe,
Addison, Richardson, Fielding, Sterne u. s. w. Von allen diesen
Schilderungen unterscheidet sich die des Pfarrers in The History
of Miss Stanton in vier Punkten :
1. Hier wird der gute Pfarrer zum ersten Male durchaus
in seiner Häuslichkeit dargestellt, als Hausherr und Gastgeber,
als Vater und Erzieher (Soweit diese Züge schon bei Fielding
im Joseph Andrews vorkommen, sind sie nur ganz episodisch
verwandt).
2. Damit hängt zusammen, dass die Gastfreundlichkeit viel
stärker als in allen früheren Darstellungen betont wird': He
every morning sat by the wayside to welcome the passing stranger,
where he was brought in for the night, and welcomed to a cup
of cheerful ale, and a glimmering fire.
3. Er ist nicht nur der Erzieher seiner Kinder, sondern er
unterrichtet sie auch selbst, er ist ihr Lehrer.
4. Dabei herrscht ein reges Leben im Hause. Man sitzt
beim Biere, bespricht die Ereignisse des Tages und erzählt Ge-
schichten.
— 20 —
Das sind die vier Züge, die uns hier neu begegnen, im
Unterschiede von jenen, aber doch nicht zum allerersten Male;
denn wenige Monate vor dem Erscheinen von H. of M. St.
hatte Goldsmith im Letter XXVII von The Citizen of the World
das Bild eines guten Pfarrers — seines Vaters — gezeichnet,
und in ihm waren alle diese Zöge enthalten. Auch er ist durch-
aus als Hausvater geschildert, auch sein Haus ist voll von
Gästen, auch er undertook to instruct us (seine Kinder) himself.
und laut hallt bei seinen frohen Erzählungen das Haus vom
Lachen seiner Zuhörer wieder.
Es wäre wohl unmöglich anzunehmen, dass der Verfasser
von The H. of M. St. auf gerade eben diese Züge selbständig
so kurze Zeit darauf gekommen wäre. Entweder muss er sie
von Goldsmith entlehnt haben, oder aber wir müssen den gleichen
Verfasser für beide — Goldsmith — annehmen (Es ist auch
von Wichtigkeit, dass Goldsmith grossen Wert auf diese Züge
gelegt hat; bei jeder seiner Schilderungen eines guten Pfarrers —
in The Traveller, The Vicar of Wakcfield, The Deserted Village
kehren sie entweder alle oder doch fast alle wieder).
Nun besteht aber zwischen der Schilderung von Goldsmiths
Vater und der des Pfarrers in The H. of M. St. ein grosser
Unterschied.
Auch jener (im C of the W.) ist wahrhaft wohlthätig und
gastfreundlich, aber doch liegt ein Zug der Selbstgefälligkeit da-
rüber, er liebt es, gelobt zu werden, er kann Schmeichler wohl
um sich vertragen, er liebt lauten Frohsinn und ist erfreut, wenn
er als jovialer Wirt inmitten all der Fröhlichkeit steht, aber
auch in ihrem Mittelpunkt. Nichts davon hören wir in der
kleinen' Erzählung. Da ist es doch stiller und ernster im Hause.
Und grade eine solche Pfarrersgestalt, in Vielem verwandt mit
der im C. of the W., Letter XXVII, aber in diesem Punkte
von ihr unterschieden — ein ernster, stiller Charakter, dabei von
grOsstem Wohlwollen — ist die zweite, die Goldsmith später
gezeichnet hat, unmittelbar nach dem Leben : seinen Bruder
Henry, im Traveller und The Deserted Village. Nicht das laute
Gelächter der Schmeichler ist hörbar, sondern der gern aufge-
nommene, arme Gast.
— 30 —
kindly bade to stay,
Sat by his Are, and talked the night away;
(The Deserted Village, V. 156 f)
ganz ähnliches hören wir in The H. of M. St.
Es wäre seltsam, wollte man annehmen, dass ein Dichter
(der Verfasser von The H. of M. St. also) so viele Züge aus
der Pfarrersschilderang im C of the W., Letter XXVII, ent-
nommen hätte, aber den Charakter zufälligerweise in einem Zuge
(seine Art, sich als Hausherr gegen seine Gäste zu geben, wo-
durch der ganze Ton im Hause geändert wird; darüber hatte
noch niemals irgend ein Dichter ein Wort geäussert!) gerade so
verändert habe, wie ihn Goldsmith später so oft dargestellt hat,
da er ja solch einen Charakter im Leben vor sich gesehen hatte
(seinen Bruder Henry). Es wäre das sicher ein seltener Zufall.
Natürlicher ist jedenfalls die Erklärung, wir haben denselben
Verfasser: Goldsmith für alle diese Werke anzunehmen, der
schon einzelne Züge seines Bruders Henry in den Pfarrer der
Erzählung The H. of M. St. hineinlegte.
Was den Inhalt der Erzählung sonst betrifft, so muss sicher-
lich zugegeben werden, dass er recht kunstlos erdacht und ent-
worfen ist, vor allem der Schluss, in dem sich die Erzählung
ganz besonders vom V. of W. unterscheidet. Nimmt man Gold-
smith als Verfasser der Erzählung an, so liesse sich solch eine
Kunstlosigkeit und Nachlässigkeit recht gut erklären.
Es ist doch wohl vorauszusetzen, dass Goldsmith, als er
den Vicar of Wakefield begann, einen ungefähren Plan für die
Verwicklungen entworfen hatte. Verfasste er nun wirklich im
Jahre 1760 The H. of M. St., so konnte es sich für ihn im
wesentlichen wohl nur um einen Auszug handeln, und dass er
bei einem Auszuge nicht nach künstlerischer Vollendung strebte,
ist durchaus erklärlich; der konnte ihm, wenn der V. of W. da-
neben vorlag, keinen Ruhm bringen, wie er auch verzichten
musste, die Erzählung in die Sammlung seiner Essays aufzu-
nehmen. Er nahm daher aus dem an Motiven so reichen V. of
W. das eine der Liebe zwischen Thornhill und Olivia heraus,
beschränkte alles übrige so viel wie nur möglich (die ganze Fa-
— 31 —
milie auf die beiden unbedingt notieren Personen *)) und erfand
nur einen neuen Schluss (im V. of W. spielt hier ein pranz an-
deres Motiv herein), der ja an Gewaltsamkeit und Flüchtigkeit
nichts zu wünschen übrig lässt.
So Hesse sich also, wenn Goldsmith der Verfasser wäre,
die Kunstlosigkeit recht gut erklären.
Es bleibt nun nocli ein zweites Mittel, um über die Autor-
schaft zu entscheiden : Beobachtung der poetischen Technik und
des Stils. Zu einem einigermassen sicheren Resultat (soweit bei
solcher Stilvergleichung überhaupt von Sicherheit die Rede sein
kann) kann man hier natürlich nur kommen, wenn man einer-
seits H. of M. St. mit gleichzeitigen Werken aus dem British
Magazine vergleicht, andererseits mit gleichzeitigen Werken
Goldsmiths. Jenen Vergleich auszuführen, war mir unmöglich,
da mir das Material nicht zugänglich war; so musste ich mich
auf den zweiten beschränken, und zwar habe ich zum Vergleiche
kleinere Erzählungen aus The Citizen of the World (1760, 1) her-
angezogen.
The H. of M. St. beginnt mit der Nennung des Wohnortes.
Diesen Anfang liebt Goldsmith ungemein: Die Erzählungen von
Kabul (XV), von Bonbonnin (XLV1II), von Zelis (LX), von
l ) Ich möchte darauf hinweisen, dass der Verfasser von The iL of M.
St. sich auch nicht die Mühe gegeben hat, den einleitenden Teil, also das
eigentümliche Verhältnis zwischen Vater und Tochter und ihr Zusammenleben,
neu in entwerfen, sondern dass er sich streng an Fieldings Erzählung der
Miss Bennet von ihrem eigenen lieben in Amelia, Book VII, Cbapter II, ge-
halten hat.
Ich führe die Übereinstimmungen an : Ein frommer, armer aber wür-
diger Pfarrer, der seine Familie verloren hat (Fielding erzählt dies genau, in
unsrer Erzählung hören wir nichts davon), lebt mit der ihm einzig gebliebenen
Tochter zusammen, an der er mit treuester Liebe hängt; sie ist his only darl-
ing, his whole comfort, his all (Ganz ähnlich heisst es in H. of M. St.). He
committed the whole Charge of his house to my care ( H. of M. St. : and as
ehe grew up, she took the care of the family under her direction). Learning
was the chief estate I inherited of my father, in which he had instrueted me
from my earliest yonth. (H. of M. St.: He undertook to educate her him-
self, taught his lovely scholar all he knew, and found her sometimes even sur-
pass her master). So führen sie ein Leben of great tranquillity, I think I
might aluost say of perfect happiness. (H. of M. St.: A life of such tranquil-
lity and undisturbed repose seemed a foretaste of that to come). Und nun
bricht das Verhängnis in beiden Erzählungen herein.
— 32 —
Catharina Alexowna (LXLL) , von der indischen Fürstin
(LXXXVIII), von Takupi (CI), von Alcander und Septimius
beginnen ebenso. Fast durchgängig finden wir dann sofort Über-
gang auf die Hauptperson; so in H. of M. St. Bemerkenswert
ist die Art der Personeneinführung. Goldsmith führt fast nie
eine Person ein, ohne eine Bemerkung über den Charakter und
das Äussere zu machen (ganz im Gegensatze zu Fielding z. B.,
der stets erst dann darauf eingeht, wenn es von Bedeutung wird,
also etwa die Schönheit eines Mädchens erst dann erwähnt, wenn
sich jemand in sie verliebt). Indem so Goldsmith stets über den
Charakter seiner Personen unterrichtet, giebt es insofern nur
selten eine Überraschung bei ihm. Auch der V. of W. beweist
das; wir wissen schon ganz im Anfang, was für einen Charakter
Thornhill hat, und sehen voraus, dass es dort zum Conflikt kom-
men muss. Genau so verfährt der Verfasser von The H. of M.
St. ; Mr. Stanton, Miss Stauton werden genau geschildert, Daw-
son wird mit den Worten eingeführt; A travelling rake seldom
goes to church except with a design of seeing the ladies of 'the
country (auch hier sehen wir den Conflikt voraus!), und auch
dann noch wird sein Inneres und Äusseres geschildert. Wie
stets bei Goldsmith (mit ganz wenigen Ausnahmen) finden wir
auch in H. of M. St. keine Naturschilderungen. Die Erzählungs-
weise ist recht straff, Selbstverständliches wird möglichst über-
sprungen und dies Überspringen mit den Worten begründet: To
abridge the tediousness of the narrative. Genau diese Straffheit
begegnet uns in Goldsmiths kleinen Erzählungen ; in Alcander und
Septimius finden wir zweimal eine ganz ähnliche Rechtfertigung
der Straffheit: It would bat delay the narrative to describe —
und: to shorten a long story. Wenige Sentenzen oder allge-
meine Erfahrungssätze werden nur eingestreut, in H. of M. St.
zwei, in Zelis einer, in Alcander und Septimius einer; ganz wenige
lebendige Bilder oder Metapher, in H. of M. St. drei, in Zelis
zwei, in Catharina Alexowna eine, in Alcander und Septimius
keine : Personifikationen in H. of M. St. eine, in Zelis keine, in
Catharina Alexowna zwei, in Alcander und Septimius keine. Im
Ganzen ist also die Prosa überaus einfach, sowohl in H. of M.
St. als in Goldsmiths Erzählungen. Das beweist auch der Ge-
brauch der Adjektiva. Ich habe daraufhin einerseits Zelis,
— 33 —
Catharina Alexowna, Alcander und Septimius, andererseits H. of
M. St. untersucht: Ganz überwiegend ist der Gebrauch der
determinierenden Adjektiva (dort 75 °,'o im Durchschnitt, in H.
of M. St. 76 %), der Gebrauch der prägnanten und pleonastischen
Adjektiva auf beiden Seiten ganz gering, der der schmückenden,
was sehr beachtenswert ist, genau gleich.
Wir finden also im Ganzen, die poetische Technik und der
Stil in H. of M. St. spricht in keinem Punkte dagegen, dass
Goldsmith der Verfasser dieser Erzählung ist Allerdings mehr
zu behaupten, wage ich bei der Einseitigkeit dieser Untersuchung
nicht.
Fassen wir nun die Ergebnisse dieser ganzen Untersuchung
zusammen:
1. Der Inhalt, die Gestaltung des Pfarrers spricht für
Goldsmiths Autorschaft.
2. Die deutlich erkennbare Nachlässigkeit und Kunstlosig-
keit wäre, falls Goldsmith der Verfasser ist, sehr gut erklärbar.
IDobson 1 ) will daraufhin grade Goldsmith die Autorschaft ab-
sprechen).
8. Stil und poetische Technik sprechen in keinem Punkte
gegen Goldsmiths Verfasserschaft.
Somit können wir wohl für ziemlich wahrscheinlich halten,
dass Goldsmith wirklich der Verfasser von The H. of M. St. ist 2 ).
Auf die zweite angebliche Quelle wies zum ersten Male
hin P. W. Arnes, The supposed source of the Vicar of Wake-
Held, and its treatinent by Zschokke and Goldsmith 3 ). Es han-
delt sich hier wieder um eine Erzählung des British Magazine :
The Journal of a Wiltshire Curate, doch ist sie erst im Jahre
l ) Oliver Goldsmith, S. 76 f.'
*) Hinweisen möchte ich schliesslich auch noch darauf, dass die Er-
z&hlung der Zelis von ihrem eigenen Leben, in Citizen of the World, Letter
LX (etwa einen Monat nach The History of Miss Stanton erschienen), auf-
fallende Ähnlichkeiten mit jener Erzählung besitzt, die ganz offenbar wieder
für diese Quelle gewesen ist. Lässt es sich wohl denken, dass ein Schrift-
steller in einer kleinen Erzählung (auch The Citizen of the World erschien
in kleinen Abschnitten in einer Zeitschrift, in Public Ledger) einer ganz
kürzlich erschienenen, auch ganz wenig umfangreichen Erzählung eines anderen
Schriftstellers so sklavisch folgen wird, wie es hier der Fall ist? Dagegen
wissen wir wohl, dass Goldsmith sich selbst oftmals wiederholte.
*) Transactions of the Royal Society of Literat nie. See. Series. Vol. XIX.
3
— u —
1766 erschienen, und es ist daher geradezu unverständlich, wie der
Verfasser, ohne ein Wort über die Jahreszahl zu verlieren, seine
Ansicht, die sich nur auf die auffallenden Übereinstimmungen
gründet, dahin zusammenfassen kann, dass diese Erzählung pre-
sumably the nucleus of Goldsmith's story sei. Selbstverständlich
ist, dass es sich so nur dann verhalten kann, wenn es sich hier
um ein wirkliches Journal aus früherer Zeit handelt. Ob das
Arnes annimmt, ist nicht ersichtlich. Das ist aber sehr unwahr-
scheinlich. Es wäre sicherlich bemerkt worden, die Tage wären
genauer bezeichnet als durch blossen Namen der Wochentage,
und auch die Wahrscheinlichkeit der Erzählung ist recht gering.
Da nun diese Erzählung erst im Dezember 1766, also etwa
dreiviertel Jahr nach dem V. of W. veröffentlicht ist, Goldsmith
selbst aber in jener Zeit nicht Kssays für Zeitschriften schrieb,
so ist die Erzählung als eine Nachahmung des V. of W. durch irgend
einen unbekannten Schreiber zu betrachten, als eine Nachahmung
eines Motives, des Burchell-Motives. Die Tagebuchform war in
den Wochenschriften jener Zeit sehr beliebt.
m. Kapitel.
Lebensanschauungen, die dem Vicar of Wakefield
zu Grunde liegen.
1. Ethische Anschauungen.
Mit der Wiederaufrichtung der Monarchie war im eng,
lischen Leben ein frivoler Leichtsinn eingerissen — ein Rück-
schlag des überstrengen Puritanismus. So wie das Leben bietet
auch die Litteratur am Ende des XVII. Jahrhunderts ein Bild
sittlicher Verwilderung dar. Erst mit Colliers berühmter Schrift,
1698, tritt der Umschwung ein. Nun: „Nicht Sitte, Natur und
Wahrheit sind wie bisher die Geprellten, sondern das Laster, die
Heuchelei und die Lüge" *). Also auch jetzt noch finden wir
l ) Hettner, Geschichte der englischen Litteratur von 1660—1770, her-
aasgeg. von Brandl, Braunschweig, 1894. S. 119.
— 35 —
genug des Unsaubem, aber am Schlüsse siegt doch, meist in
einer grossen Enthüllung»- und Vergeltungsscenc, das Gute, die
Unschuld. Das ist die Anschauung, die von nun an herrscht:
die Tugend wird belohnt. Richardson nennt seinen Roman Pamela
auch 'Virtue Rewarded', Fielding lässt zuletzt Blifll entlarvt, Tom
Jones belohnt werden, und so sagt Goldsmith: Lot us be inflex-
ible, and fortune will at last (-hange in nur favour (Chapter XXX).
So muss der Pfarrer das gestohlene Geld wiedererhalten, Olivia
doch rechtmässig verheiratet sein, es müssen die treu Liebenden
vereinigt, Thornhill aber bestraft werden.
Daneben aber ist doch schon eine höhere Anschauung an-
gebahnt: Tugend trägt seinen Lohn in sich selbst, sie müsse er-
füllt werden ohne irgendwelchen Hinblick auf äusseren Gewinn;
das ist ein Hauptgedanke Goldsmiths. Diese Anschauung seinen
Kindern einzuprägen, wird der Vicar nicht müde, denn happiness
and misery rather tho result of prudence than of virtue in this
life. Temporal evils or felicities being regarded by hcaven as
things merely in themsclves trifling, and unworthy its care in
the distribution (Chapter XXVIII), ein Gedanke, der Goldsmith
sicherlich durch seine Lebenserfahrung sehr sympathisch war,
den er selbständig aus ihr gezogen haben mag.
Dieser Gedanke, unser Glück ist unabhängig von allen
äusseren Umständen, ist sogar noch bedeutend erweitert: je un-
abhängiger wir von äusseren Umständen sind, um so glücklicher,
ja um so besser sind wir auch. Diesen Zustand der Unabhängig-
keit von äusseren Umständen sieht Goldsmith noch am ehesten
verkörpert bei der von aller Verfeinerung entfernten Landbevöl-
kerung. Mit unverkennbarer Vorliebe spricht er denn auch von
ihr: farmer who tilled their grounds, and were equal strangers
to opulenco and povorty, As they had almost all the convenien-
ces of life within themsclves, they seldom visited towns or cities,
in search of superfluity. Remote from the polite, they still re-
tained the primaßval simplicity of manners, and frugal by habit,
they scarcely knew that temperance was a virtue (Chapter IV).
Beständig finden wir daher einen bösen Seitenblick auf die ver-
derbte Stadt gegenüber dem unschuldigen Leben auf dem Lande.
Solange die Familie abgeschlossen von jener Welt in ihrer Ein-
samkeit lebt, geht alles gut. Kaum kommt aber Moses, der
— 36 —
Pfarrer selbst auf den Markt einer grossen Stadt, so beginnt der
Betrug. Der verfeinerte Städter Thornhill bringt unsägliches
Leid über die Familie (nur Burchell bildet eine Ausnahme).
Es ist das sicherlich der Ansatz zu dem Gedanken, dessen
Fortführung Rousseau übernahm. Dass Rousseau damals Gold-
smith schon bekannt war, ist wohl anzunehmen (in The De-
serted Village ist der Einfluss dann ganz offenbar), denn die Er-
regung in dem Johnsonschen Kreise über seine Ideen war
gross, wie uns Boswell, wenn auch erst aus späterer Zeit,
berichtet. Aber von einem Einflüsse Rousseaus auf Goldsmith
hier schon zu sprechen, wäre sicherlich zu viel; denn in dieser
geringen Schärfe, ohne die gewaltigen Folgerungen, war der
Gedanke schon längst bei den Engländern ausgesprochen worden;
ich erinnere nur an Gray, Thomson, der bei den Lappländern
solch ein Naturleben schildert, das mit Goldsmiths Darstellung
viel Ähnlichkeit besitzt : ein armes, in der Natur lebendes Volk,
welches weder pleasure noch ambition kennt:
They ask no inore than simple Nature gives.
Darum: Thrice happy race! by poverty secured
From legal plunder and rapacious power;
In whom feil interest never yet has sown
The seeds of vice; whose spotless swains ne'er knew
Injurious deeds Winter, V. 881 ff.
Aber auch von einer Abhängigkeit Goldsmiths von Gray
oder Thomson können wir nicht etwa reden; das ist eben ein
Gedanke, der in der ganzen Zeit in der Luft lag.
Noch in zwei anderen Punkten nimmt Goldsmith eine be-
merkenswerte Stellung ein.
Einerseits in der Anschauung über die Ehe. Die Anschau-
ungen darüber in der Restaurationszeit waren der allgemeinen
sittlichen Verrohung durchaus entsprechend (vgl. Hettner). Auch
hierin trat mit der Wende des Jahrhunderts ein grosser Um-
schwung ein, der besonders deutlich in der nüchternen, bürger-
lichen Prosa erkennbar ist, wie sie in den moralischen Wochen-
schriften vertreten wurde. Der Wechsel wird recht klar, z. B.,
aus dem Spectator, No. 520, vom 27. Okt. 1712: Mr. Spectator,
the just value you have expressed for the matrimonial state is
the reason that I now venture to write to you, without the fear
— 37
of being ridiculous. Hier aber wird mit grosser Achtung ge-
sprochen (vgl. auch No. 500, 522).
Als einen Nachklang dieser Reaktion gegen die sittenlosen
Anschauungen darüber in der Restaurationszeit müssen wir die
Worte Goldsmiths über diesen Punkt auffassen; Goldsmith hat
aber nicht mehr wie jene eine Kampfstellung einzunehmen
— jede ernste Absicht ist natürlich bei ihm verschwunden — ,
80 ist bei ihm Alles ins Scherzhafte gewandt. Dass es
wirklich ein Nachklang ist, beweist die starke Anlehnung an
einen dieser Aufsätze im Spectator, No. 500, vom 3. Okt. 1712:
Der Vater betrachtet sich als priest and king. I look upon
my patriarchal sovereignty; das ist auch Primroses Auffassung.
Ganz besondere Übereinstimmung zeigen aber die Worte: I look
upon myself not only as a more useful, but as a much greater
and happier man than any bachelor in England of my own rank
and condition. — When I see my little troop before me, I re-
joiee in the additions which I have made to my species, to my
country and to my religion.
Andererseits erscheint Goldsmith als strenger Gegner des
Duells. Die Ansicht ist Burchell in den Mund gelegt und direkt
aus Richardsons Grandison übernommen, wie schon gezeigt worden
ist Dieser Kampf gegen das Duell zieht sich überhaupt durch
die so gern erziehende bürgerliche Littcratur, man vergleiche
nur die sehr zahlreichen Stellen im Tatler und Spectator *).
2. Politisch-soziale Anschauungen.
In seinen politischen Anschauungen ist Goldsmith (Chapter
XIX) ein Anhänger des Königtums, mit der Begründung, dass
unter einem Könige noch die meiste Freiheit herrsche. Mit
grosser Begeisterung hängt er sogar an dem Könige, und so
lftsst er Primrose zu George, der in den Krieg zieht, sprechen:
Remember how thy brave grandfather fought for his sacred king,
when loyalty among Britons was a virtue (Chapter XXI).
Am interessantesten sind in seinen Ausführungen über die
Freiheit der einzelnen Kreise die Worte, die sich auf die mitt-
! ) Diese Vorliebe für das Lehrhafte scheint yon dort auf Goldsmith
Überhaupt fibergegangen zu sein, wenn er gegen die Putzsucht oder die Spiel -
leideneehaft und Spieler ins Feld zieht, ein Thema, das im Tatler und Spec-
tator uni&hligemal behandelt wird.
— 38 —
lere, bürgerliche Schicht des Volkes beziehen: In this middle
order of mankind are generally to be found all the arts, wisdom
and virtues of society. This order aJone is known to be the
true preserver of freedom, and may be called the People. Dieser
Stolz des Bürgertums hat zum ersten Male seinen Ausdruck bei
Defoe gefunden, auf einer der ersten Seiten des Robinson Crusoe.
Durch die Revolution hatte das Volk seine Stärke kennen, sich
selbst schätzen gelernt. Durch den Tatler, Spectator hatte es
gesehen, dass es auch ein würdiger Gegenstand für die Kunst
sei, in Robinson Crusoe und jetzt im V. of W. sehen wir es in
selbstbewusster Kraft und berechtigtem Stolz.
Heftig spricht Goldsmith gegen die Gefängnisse, weil sie
unmenschlich und nicht zweckentsprechend seien, und gegen die
häufige Anwendung der Todesstrafe, was wir schon oftmals in
der schönen Litteratur vor Goldsmith finden, so im Rambler
(20. April 1751), in Joseph Andrews x ).
3. Anschauungen über die Tierwelt.
Diese Anschauungen stehen z. T. im engen Zusammen-
hange mit den S. 35 f. behandelten. Es war ausgeführt worden,
wie man zu dem Gedanken gekommen war: je näher der Mensch
dem Naturzustande steht, um so besser ist er. Man geht aber
noch weiter und schreibt dem Wesen, das noch im Naturzustande
steht, die höchsten, reinsten Tugenden zu. So sagt Goldsmith
in Edwin and Angelina, Str. 20:
And love is still an emptier sound,
The modern fair-one's jest:
On earth unseen, or only found
To warm the turtle's nest.
Dem entsprechend blickt er auf die Tiere mit warmer Em-
pfindung und bemitleidet sie, die von Menschen hart gequält und
getötet werden:
Str. 6: No flocks that ränge the Valley free,
To slaughter I condemn;
Taught by that Power that pities me,
I learn to pity them, und im Chapter V sagt er über
den gejagten Hirsch: We had not much time to reflect upon
') vgl. Dobson, S. 365 f. in seiner Ausgabe des V. of W.
— 39 —
the poor animaTs distress. Ja, er geht so weit, den Mörder
der Tiere geradezu einer Schuld zu zeihen:
Str. 7: But from the mountain's grassy side
A guiltless fcast I bring;
A scrip with herbs and fruit supply'd,
And water from the spring.
Beers l ) hat sicherlich recht, wenn er sagt, dass diese
Auffassung was in the air. Es begegnen uns früher solche
Äusserungen in der Litteratur nur ganz vereinzelt. Shakspere
spricht im fünfzigsten Sonett einmal Mitgefühl mit seinem Pferde
aus:
The bloody spur cannot provoke him on
That sometimes anger thrusts into his hide,
Which heavily he answers with a groan
More sharp to me than spurring to his side.
Stärker noch ist es in einer Volksballade ausgesprochen: King
Henry (Child, I, S. 298):
whan he slew his berry-brown steed,
Wow but his heart was sair! und später:
whan he slew his good gray-hounds,
Wow but his heart was sair!
Doch das sind einzelne Stimmen; jetzt aber kehren sie beständig
wieder. Schon der so kühl und nüchtern (lenkende Pope schrieb
im Essay on Man, Epistle I:
The lamb they riot dooms to bleed to-day,
Had he thy rcason, would he skip and play?
Plcascd to the last, he crops the flowcry food
And licks the hand just raised to shcd his blood.
Thomson hatte gegen jedes Quälen der Tiere geschrieben,
gegen das Einsperren von Vögeln schon, gegen die Hasenjagd.
Hogarth stellte als erste Stufe der Verrohung das Quälen von
Tieren hin und sieht den Menschen von hier aus fortschreiten
bis zum Morde (in einem seiner Bildercyclen). Fielding spricht
im Joseph Andrews (III, 6) against the barbarity of worrying
a poor innocent defencelcss animal out of its lifc, and putting it
to the extremest torture for diversion. Laurence Sterne wird
*) H. A. Beers, A History of English Roman ticism in the XVIIIth
Century. S. 113.
— 40 —
nicht müde, sein Mitgefühl für den Esel auszusprechen, und eins
der schönsten Kapitel im Tristram Shandy stellt Uncle Toby mit
warmem Gefühle für die Fliege dar. Auch gegen den Gebrauch
des tierischen Fleisches als Nahrungsmittel hatte schon Thom-
son geschrieben (wie dann Shelley konsequent zum Vegetarismus
fortschritt), und wie Goldsmith (Strophe 20) die Tiere mit ihren
Eigenschaften über die Menschen stellt, so sagt in Fieldings
Tom Jones the Man of the Hill: There is not an insect, not a
vegetable, of so low an order in the creation as not to be ho-
noured with bearing marks of the attributes of its great Creator ;
marks not only of his power, but of his wisdom and goodness.
Man alone, the king of this globe, the last and greatest work
of the Supreme Being, below the sun; man alone has basely
dishonoured his own nature (Tom Jones, VIII, 15).
So steht Goldsmith auch mit diesen Gedanken in seiner
Zeit — wir vernehmen deutlich Vorklänge der Romantik.
IV. Kapitel.
Vorbilder für einzelne Personen.
Die Familie des Vicars und das Familienleben.
In der Gestaltung der Primroseschen Familie ist deutlich
zu sehen, wie sich bei Goldsmith zwei Vorbilder in einander
verschieben: einerseits die eigene Familie, seine Eltern und
seine Geschwister, andererseits die Familie Adams'.
Im elterlichen Hause waren sechs Geschwister (wenigstens
starben die übrigen beiden schon im frühen Alter). Auch Adams
hat sechs Kinder (Joseph Andrews, Book I, Chapter III), so
sind auch in Primroses Familie sechs Kinder. Goldsmith hatte
zwei Schwestern, drei Brüder — genau die gleichen Verhältnisse
wie bei Primrose. Vergleichen wir das Alter: Catherine geb.
1721, Henry und Jane geb. 1722 (?), dann Oliver geb. 1728,
Maurice 1736, Charles 1737 (der früh verstorbene John geb.
1740). Im Roman ist eine Verschiebung eingetreten. Henry,
— 41 —
der wie Adams' Sohn schon in das Leben hinaustritt und auch
einem gelehrten Berufe gewidmet war, wird wie dieser der
Älteste der Geschwister; so rücken .Jane und Catherine zu-
sammen — Olivia, Sophia, die auch Züge von Adams* Tochter
erhalten. Wie dann im Abstand von sechs und sieben Jahren
auf George Moses folgt, so hier Oliver auf Henry. Der Alters-
unterschied zwischen Moses und dem jüngeren der beiden kleinen
Burschen, Bill, ist 12 Jahr — ungefähr wieder das gleiche Ver-
hältnis, wie in Goldsmiths Familie, denkt man an den verstorbe-
nen Bruder John gerade das gleiche. So fielen diese äusserlich
wieder mit Adams' jüngstem Sohn zusammen, von dem der eine
sogar den Namen erhält. Wir sehen also: Primroses Familie
entspricht fast genau Goldsmiths Familie. Zufällig entspricht
dieser ebenfalls fast genau Adams' Familie in der Gruppierung
(soweit die Mitglieder hervortreten); wo Abweichungen vorhan-
den sind, richtet sich Goldsmith nach Fielding.
Bedeutsam ist aber zwischen beiden Schilderungen der
Unterschied: Fieldings ist nur episodisch, bei Goldsmith steht sie
im Mittelpunkte. So ist der Vicar durchaus vorwiegend
inmitten seiner Familie dargestellt, Adams ist dagegen ganz
überwiegend der in der Welt wirkende Pfarrer, nur einen flüch-
tigen Blick werfen wir in die Familie. Wie kommt Goldsmith
zu dieser Veränderung? welchen Anlass hat er dazu?
In der Litteratur vor Goldsmith finden wir für eine solche
Darstellung des Pfarrers nirgends ein Vorbild; als Veranlassung,
den Pfarrer so überwiegend als Familienvater aufzufassen, wer-
den wir sicher eine Jugenderinnerung betrachten müssen. So,
im Kreise der Familie, fern von der Welt und ihr fremd, hatte
er seinen Vater, seinen Bruder vor Augen, so liebte er, sie sich
vorzustellen. Zweimal (vielleicht sogar dreimal: History of Miss
Stanton!) hat er ihn sonst noch so — Citizen of the World,
The Traveller — dargestellt, nur einmal in seiner Thätigkeit
nach aussen.
Doch nicht zum ersten Male begegnet uns hier bei Gold-
smith die Darstellung solch eines stillen Familienlebens über-
haupt in idyllischer Umgebung.
Zunächst, wenn auch nur in wenig detaillierter Ausführung,
in dem für den englischen Roman so vielfach vorbildlichen Gil
— 42 —
Blas des Le Sage. Er ist der Welt müde, er sehnt sich nach
Ruhe und sucht so die Einsamkeit des Landlebens auf. Den-
selben Gedanken nimmt Fielding im Joseph Andrews auf: Wil-
son zieht sich von der Welt zurück und lebt still und zurück-
gezogen mit seiner Familie auf dem Lande. Obwohl Goldsmith
aus dieser Schilderung des Familienlebens viele Züge entnommen
hat *), ist bei ihm von solch einer Weltflucht nicht die Rede,
und auch diese bewusste Veränderung des Vorbildes spricht für
die Annahme, dass in dieser Schilderung des Familienlebens
noch andere Vorbilder existierten, die Erinnerungsbilder von dem
Familienleben im Hause seines Vaters.
Die Züge, die Goldsmith aus Wilsons Erzählung nahm,
sind folgende:
Wie Wilson selbst fleissig im Garten arbeitet, so Primrose
mit Moses; indess bereitet ihnen seine Frau das Frühstück.
Und ist das Wetter warm und schön, dann sitzen die Eltern in
schattiger Laube, die Kinder singen und spielen bei ihnen. Auch
ein ähnlich praktischer Sinn herrscht in beiden Familien: since
my girls have been growing up she (Wilsons Frau) is unwilling
to indulge them in idleness, und auch in Primroses Haus greifen
die Töchter tüchtig in der Wirtschaft zu; denn Wilson sowohl
wie Primrose intend not to breed them above the rank they are
likely to fill hereafter, nor to teach them to despise or ruin a
piain husband.
Doch neben dieser einen Quelle für die Ausmalung von
Primroses Familienleben, Wilsons account of himself, haben wir
noch die andere: die Erinnerung an das Leben im elterlichen
Hause Goldsmiths, und diese Quelle haben wir als die primäre
anzunehmen, wie im letzten Kapitel dargelegt werden soll.
Zwar herrscht auch bei Wilson Gastfreundschaft — er
beweist es ja durch die That — , aber doch sammeln sich nicht
so, wie bei Primrose, die Gäste, zum Teil aus niedrigstem Stande,
in seinem Hause. Das ist ein Zug, den Goldsmith in das Bild
einer bürgerlichen Familie neu hereinzeichnet, und zweifellos be-
ruht er auf seiner eigenen Erfahrung, auf der Erinnerung an
\) Auf die beiden litterarischen Quellen für Primroses Familienleben
wies schon hin: Hazlitt, Lectures on the English Comic Writers, S. 235:
an almost entire plagiarism from Wilson's account of himself, and Adam 8 '3 do-
mestic history.
— 43 —
das Elternhaus und das seines Bruders, wie er es ganz ent-
sprechend in The Traveller und The Desertcd Village zeichnete.
Dann werden Geschichten und Scherze erzählt, alte Balladen
und Lieder gesungen, ein Zug, der, meines Wissens, bisher nur
von Lyrikern benutzt wurde, so von Milton, L'AUcgro:
V. 99: Till the livelong daylight fail:
Then to the spicy nut-brown ale,
With stories told of many a feat,
How Faery Mab the junkets eat u. s. w.
oder von Thomson, Winter, V. 617:
Meantime the village rouses up the fire:
While well attested, and as well believed,
Heard solemn, goes the gobiin story round,
Till superstitious horror creeps o'er all.
Wenn schliesslich Goldsmith im letzten Kapitel die Familie
schildert assembled once more by a cheerful fireside. My two
little ones sat upon each knee, the rest of the Company by
their partners, so entwirft er damit ein Familienbild, wie es im
XVIIL Jahrhundert durchaus traditionell gegeben zu werden
pflegt. So war es schon in The Traveller:
Biest be that spot where cheerful guests retire
To pause from toil, and trim their evening fire —
Biest be those feasts, with simple plenty crown'd,
Where all the ruddy family around — — .
Früher schildert Thomson den Vater, wie er am stillen Herbst-
abend in seinem Hause ist:
the little strong embrace
Of prattling children, twined around his neck,
And emulous to please him, calling forth
The fond parental soul. (Autumn, V. 1341).
So finden wir, dass im Joseph Andrews Wilson mit seiner Fa-
milie und seinen Gästen sat cheerfully round the fire. In der
gleichen Situation schildert Fielding oftmals auch Adams' Fa-
milie, die Beispiele liessen sich beträchtlich häufen. Erwähnt
sei, dass auch in der neueren Litteratur diese Tradition nach-
wirkt; nur an zwei berühmte Gedichte sei erinnert: Burns hat
solch ein Familienbild in The Cottar's Saturday Night, Tennyson
noch im Enoch Arden:
— 44 —
And on the right hand of the hearth he saw
Philip, the slighted suitor of old times,
Stout, rosy, with his babe aeross his knees,
And o'er her second father stoopt a girl, —
And on the left hand of the hearth he saw
The mother glancing often toward her babe,
But turning now and then to speak with him,
Her son, who stood beside her tall and strong.
Ziehen wir nun einen Schluss: das idyllische Familienleben
war schon vor Goldsmith für die dichterische Darstellung ge-
wonnen worden, doch Niemand hatte sich so liebevoll darein
versenkt, es so ausgemalt wie Goldsmith.
In der äusseren Gestaltung der Familie, in der Wahl der
Familienglieder schweben ihm die Verhältnisse seines Eltern-
hauses vor. Unter dem Zwange eines litterarischen Vorbildes —
Adams' Familie — nimmt er Verschiebungen vor.
In der Schilderung des Familienlebens ist Goldsmith ab-
hängig von Wilsons Schilderung seines Lebens; andererseits hat
ihm das Leben in seines Vaters und Bruders Haus vorgeschwebt.
Ganz selbständig aber ist Goldsmith in einem Punkte:
ein völlig anderer Geist herrscht in Primroses Familie als in
Adams' Familie (bei Wilson hören wir davon zu wenig). The
little republic nennt Primrose selbst seine Familie. Jeder
spricht frei seine Meinung heraus, jedes Meinung wird gern ge-
hört und erwogen — ein freier Geist herrscht in allen Gliedern
der Familie. Und doch sind alle von höchster Ehrerbietung
erfüllt gegen alles Höhere. Diese Züge, die die ganze Art des
Zusammenlebens bestimmen, die diesem Familienleben einen so
eigenen Charakter aufprägen, sind Goldsmiths Eigentum, und es
ist sicher, dass gerade sie einen der grössten Reize von Gold-
smiths Roman ausmachen, Hessen doch gerade sie Goldsmiths
Bild vom Familienleben als ein Idealbild des englischen Familien-
lebens überhaupt erscheinen.
Der Pfarrer.
Eine grosse Reihe von Schilderungen des guten Pfarrers
waren schon vor Goldsmith in der englischen Litteratur.
Chaucer hat ihn als erster gezeichnet in den Canterbury
Tales, Dryden liess diesen wieder aufleben; Defoe zeichnete den
— 45 —
guten Pfarrer im Robinson Crusoe, Addison im Spectator, Ri*
chardson in der Pamela (Williams) und in der Clarissa Harlowe
(Dr. Lewen), im Sir Charles Grandison (Dr. Bartlett), Fielding
im Joseph Andrews (Adams) und N im Dr. Harrison der Amelia.
So ist eine lange Tradition zu verfolgen, denn in der That finden
wir im wesentlichen stets dieselben Züge wieder, die Züge, die
schon Chaucer geschaffen hatte: der Pfarrer ist gelehrt, wirk-
lich fromm und würdig, im Unglück geduldig, wahrhaft, wohl-
thätig gegen Arme, während er selbst genügsam ist. Er ist
eifrig in seinen Amtspflichten, in Allem ein Vorbild für seine
Pfarrkinder. Nicht verachtet er die Sünder, sondern er sucht
sie auf, um sie zur Reinheit wieder emporzuziehen. Nur wer
hartnäckig in der Sünde verharrt, wird scharf von ihm vorge-
nommen, gleichgültig ob hoch oder niedrig.
Sei es nun, dass der Pfarrer in den Zeiten der Aufklärung
auch aufklärerischen Ideen huldigt, in den Zeiten des Sentimen-
talismus sentimental angehaucht ist und ihm unglückliche Liebe
wehmütige Seufzer entlockt, die Grundzüge seines Charakters
sind in allen Schilderungen die gleichen, wie sie bei Chaucer
voigezeichnet waren, bis zu Fielding, der zwar viele der alten
Zöge übernommen, aber ihn doch dabei so umgestaltet hat,
dass wir wirklich von einem neuen Typus reden können.
Die neue Darstellung Fieldings ist begründet durch das
neue Ideal, das er aufstellt, das des völlig natürlichen Menschen.
Sein Held Tom Jones folgt in seinen Handlungen nicht ethischen
Regeln und Gesetzen, er folgt stets den unmittelbaren Regungen
seines Herzens, seinen Leidenschaften. Er ist durch und durch
ein natürlicher Mensch. Hand in Hand geht damit seine Vor-
liebe für die einfacheren Menschen, die unnatürlichen Verfeine-
rungen am fernsten stehen.
Das ist die Grundlage, auf der Fieldings Pfarrersgestalt
Parson Adams im Joseph Andrews erwuchs. An seinem Cha-
rakter müssen wir zwei Seiten unterscheiden, die sein Wesen
bestimmen. Auf der einen Seite Religiosität, Gläubigkeit, auf
der anderen Seite reinste Natürlichkeit; diese beiden Züge er-
schöpfen sein Wesen restlos. Meist findet zwischen beiden
bewegenden Momenten in seinem Charakter, der Religiosität und
Natürlichkeit, kein Widerstreit statt, denn Adams ist eben im
— 46 —
Kerne Heiner Natur wirklich gut, sodass, wenn er nur den Re-
gungen »einet* Innern folgt, er auch nach den Geboten seiner
Religion handelt; stimmen aber seine natürlichen Regungen nicht
mit dem überein, was seine Religion ihm gebietet, dann ist er
leidenschaftlicher Mensch genug, um rückhaltlos seiner Natur
zu folgen ').
Das ist Adams* Wesen; gehen wir nun zu Primrose über.
Kine Episode, in der Goldsmith zweifellos Fielding gefolgt ist,
zeigt uns deutlich den Unterschied zwischen Adams und Prim-
rose (Joseph Andrews, Book IV, Chapter VIII; V. of W. Chap-
ter XVII).
Adams wird die Nachricht gebracht, sein jüngster Sohn,
sein Liebling, wäre ertrunken. He stood silent a moment, and
Koon bogan to stamp about the room and deplore his loss with
tho bittorost agony. Man versucht ihn zu trösten, aber he
weilt on lamonting, whilst the tears trickled down into his bo-
som. Die Nachricht erweist sich indessen als falsch. Gleich
darauf ermahnt er Joseph, nicht seinen Leidenschaften so blind
zu folgen. «Joseph aber weist ihn ein wenig bitter zurück, er
habe auch bei ihm wenig diese Beherrschung der Leidenschaft
bomorkt, als ihm der Tod seines Kindes gemeldet worden wäre.
Boy, ropliod Adams, raising his voice, it does not become green
heads to advise groy hairs. Thou art ignorant of the tenderness
of fathorly affeotion; when thou art a father thou wilt be capa-
blo thon only of knowing what a father can feel. No man is
obüged to impossibilities; and the loss ofachild is one ofthose
groat trials whoro our griof may be allowed to become immode-
rate.
Ganz ähnlich ist dio Situation bei Goldsmith. Auch Prim-
rosc wird der Verlust seines Kindes berichtet: Olivia ist ent-
führt worden, also auch bei ihm the tenderness of fatherly affec-
tion. Primrose lässt sich aucli dadurch hinreissen und flucht
dem Kntführcr. Sein Sohn ruft ihm zu: It ill suited you and
vour reverend eharaetor, thus to eurse vour irreatest enemv. —
1 did not eurso htm« child, did 1? - lndeed. Sir. vou did: vou
curst him twice. Tlien mav heaven fonrive me and him if l did.
^ Mit Recht rühmt Bierbauin iHistorj of the English Language and
Literatur*. S. 95> Fielding *s taient of deducing their actions as the natural
and necessary oonjeqteüoe* fron their natoras.
— 47 —
Es ist deutlich, wie viel höher Primrose als Adams steht,
vom christlichen Standpunkt gesehen. Adams ist allen Leiden-
schaften unterworfen, er weist den Versuch als eine Unmöglich-
keit zurück, sie zu unterdrücken. Auch Primrose ist nicht frei
von ihnen; er aber unterwirft sie, er stellt sich über sie.
Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden, aber
er geht weiter. Dieses Sich-Erheben über die eigene Natur
führt bei Primrose zu einer fast durchgängigen Leidenschaftslosig-
keit, die wiederum bei seiner natürlichen Güte jene „heitere Nach-
giebigkeit und lächelnde Duldung eigener und fremder Fehler'* 1 )
hervorruft, und gerade die leise Ironie dabei gegen sich selbst
zeigt die Feinheit seines Denkens, von der Adams weit entfernt ist.
Und wie Primrose über seinen Leidenschaften steht, so ist
er hoch erhaben über irdischem Glück und Unglück. Nicht oft
genug kann er betonen, dass alles Glück in uns selbst liegt:
Even the humblest fortune may grant happiness which depends
not on circumstances but Constitution. Mit philosophischem
Gleichmut nimmt er die Nachricht von dem Veiiust seines Vermö-
gens hin; nicht kann ihn in Verzweiflung stürzen, däss man ihn
ins Gefängnis wirft. Und da auch dort ihn noch Unglück über
Unglück trifft, da erscheint er in seinem bald heiteren, bald
pathetischen Ernst wie losgelöst von allen irdischen Händen, im
„Besitze einer wahrhaft poetischen Welt" 2 ).
Um zusammenzufassen: Fielding hat in Adams die Grösse
eines einfachen, urnatürlichen, der Welt fremd und unerfahren
gegenüberstehenden, wahrhaft guten Menschen gezeichnet, der
sich durch eine verderbte Welt kämpft und den Weg bahnt und
sich in ihr einen Platz sichert, docli immer i n ihr stehen bleibt.
Goldsmith aber geht darüber hinaus; in Primrose lässt er den
durch seine Güte und Einfachheit schon grossen Menschen sich
vermittels seiner abgeklärten Weltanschauung über diese verderbte
Welt erheben.
Nicht uninteressant ist es, hier als Parallele eine Gestalt
heranzuziehen, auf die auch unsägliches Leid, Schlag auf Schlag
gehäuft wird: König Lear. Wie verhält er sich?
Es ist zwar von vornherein offenbar, dass das Unglück,
das Lear trifft: unnatürlichste Undankbarkeit gegen ihn selbst,
*) u. *) Goethe, Aus meinem Leben, II. Teil, Bach 10.
— 48 —
viel tiefer gehen muss, als das bei Primrose, oder gar Adams;
aber darauf kommt es nicht an. — Lears ganzes Fühlen und
Denken ist von der Undankbarkeit der Töchter erfüllt:
the tempest in my mind
Doth from my senses take all feeling eise
Save what beats there (III, 4).
Er ruft sich zur Thatkraft auf:
But I will punish home:
No, I will weep no more.
Aber vergeblich! Er verfällt wieder in Klagen:
O Regan Goneril!
Your old kind father, whose frank heart gave all — .
Wir sehen, Lear ist nicht ein Mann, wie Adams, der sich durch
das Widerwärtige hindurchkämpft. — Lear ruft sich zur Ge-
duld: I will be the pattern of all patience, und er denkt an die
überirdischen Mächte, denn auch er glaubt an solche. Aber er
ruft sie nur zur Rache gegen die Sündenden auf — er ist ohne
jede höhere und reinere Auffassung, wie Primrose sie besitzt;
Lear hat nichts, an das er sich halten, in das er sich retten
kann — er verfällt dem Wahnsinn.
Wir haben so drei verschiedene Typen: Adams überwindet
alle Hindernisse durch thatkräftiges Eingreifen; Primrose erträgt
das Unglück durch seinen philosophischen Gleichmut und seine
hohe Weltanschauung, Lear aber, dem es an beidem fehlt, bricht
unter ihm zusammen.
Kehren wir nun zu Primrose und Adams zurück. Neben
dem grossen Unterschiede stimmen sie in einer grossen Reihe
kleinerer Züge überein.
1. Beide besitzen wahrhaft christliche Tugenden; sie ver-
geben gern, sie helfen gern denen, die in Not sind, wenn sie
auch selbst nur wenig besitzen (so hilft Adams dem Joseph An-
drews, Primrose Burchell).
2. Sie sind beide von strengster Wahrheitsliebe. Es ist
unnötig, die zahlreichen Beispiele anzuführen.
3. Beide besitzen eine grosse Naivetät, da sie die Welt
nicht kennen. Sie halten die Menschen für eben so gut, wie sie
selbst sind. Wie sie jede Wahrheit vertragen können, meinen
sie, müsse es auch jeder andere können. Aber Barnabas weist
4<>
Adams, der butler Primrose die Thür. Primrose venimtct keinen
Betrüger, und mit Leichtigkeit betrügt ihn der alte, ehrwürdige
Mann um seinen Esel. Aber ein Unterschied ist doch auch hier
zwischen Adams und Primrose zu bemerken. Adams ist as en-
tirely ignorant of the ways of this world as an infant just en-
tered it could possibly be. Auch Primrose kennt zwar nicht
die Wege der Welt, aber er hat doch in seinem kleinen Kreis
reiche Erfahrungen gesammelt. Reichen sie auch nicht völlig
für die grosse Welt aus. so bewahren sie ihn doch stets vor
dem Aussersten. Nie kann Primrose seine persönliche Würde
verlieren, ein bequemer ("Jegenstand des Spottes und Gelächters
werden. Adams bleibt in der Gesellschaft des öquire bis zum
Schlüsse das Objekt de»' gröbsten Witze, Primrose bringt aber
nach wenigen Minuten die Gefangenen durch sein würdiges
Wesen und kluges Auftreten von ihren »Scherzen ab.
4. Wenn aber auch beide nachgiebig <>;Q^m gelinge Fehler
sind, so besitzen sie doch Entschlossenheit und Würde, wenn
es sicli um ihre Ehre, um ihre Pflicht handelt. Adams wider-
spricht mit Entschlossenheit der Lady Hooby, da sie verlangt.
dass er iregen seine Pflicht, nicht mehr das Aufgebot Jo-
sephs und Fannys in der Kirche verkündige, und mannhaft tritt
Primrose Thornhill gegenüber, sobald er über seine niedrigen
Absichten im Klaren ist, wenn er auch daraus Unglück für
sich entstehen sieht.
5. Heide haben die gleiche Achtung vor allen Mitmenschen,
auch den ireiintrsten. I should be ashamed of mv cloth if I
thought a poor man, who is honest, below my notice or my fa-
miliarity. I know not how those who think otherwise can pro-
fess themselves followers and servants of Hirn who made no
distiuetion, unless peradventurc. by preferring the poor to the
rieh, sagt Adams (Joseph Andrews. 111.2), und Primrose hat
an seinem Kamin the blind piper als Gast und verschmäht nicht
den Versuch, die Gefangenen zu bekehren.
6. Heide werden aller dieser Eigenschaften wegen von
ihren Pfarrkindern aufrichtig verehrt und geliebt. Sie ver-
suchen sogar, Primrose mit Gewalt aus den Händen der Obrig-
keit zu befreien.
4
— 50 —
7. Beide haben zwar höhere Interessen für die Wissen-
schaft (Adams führt ja seinen geliebten Aeschylus stets bei sich).
Aber was die neuere Zeit hervorgebracht hat, hat sie in ihrer
Abgeschiedenheit nicht berührt. Und wie solche gründliche
Einseitigkeit so oft als Ergebnis ein wenig Stolz und Eitelkeit
hat, so auch bei Adams und Primrose. Adams zeigt, wo er nur
kann, sein Wissen und wird ungehalten, wenn ihm jemand in
Schul- oder Erziehungsfragen widerspricht. Wenn Primrose auch
nicht in den ersten, etwas lächerlichen Fehler verfällt, so kann
er es doch auch nicht dulden, wenn erzählt wird, ein anderer
habe ihn run down fairly in the argument (Chapter VI).
8. Aus eben dieser Beschränkung folgt bei Adams eine
grosse Vorliebe für bestimmte Themata; er liebt es vor allem,
auf seine Predigten anzuspielen. Doch wäre es falsch, wollte
man schon bei Adams von einem Steckenpferde sprechen, denn
nur in einem kleinen Teile des Joseph Andrews ist überhaupt
von diesen Predigten die Rede und auch dort nicht viel, her-
nach werden sie aber garnicht mehr erwähnt. Primrose hat
aber wirklich ein Steckenpferd in der ihm so wichtigen Lehre
von der Monogamie der Geistlichkeit. Angeregt zu diesem
Gedanken wurde Goldsmith wohl sicher durch Fielding — beide
haben auch verwandte, kirchliche Themata — , aber diesen An-
satz bei Fielding in dieser humorvollen Weise auszubilden, dazu
hat ihn jedenfalls Sterne durch seine liebenswürdigste Schöpfung,
den Uncle Toby im Tristram Shandy, veranlasst, bei dem wir
zum ersten Male solch ein Steckenpferd, den Festungsbau, finden.
Versuchen wir nun, einen Überblick über die übereinstim-
menden Züge zu gewinnen. Die unter 1, 2, 4, 5, 6 behan-
delten sind durchweg die alten, wie wir sie in all den Schilde-
rungen des guten Pfarrers linden. Neu war bei Fielding die
natürliche Naivetät, die, wenn auch durch Primroses Weisheit
gemässigt, Goldsmith übernommen hat. Ebenso hat er von Fiel-
ding ein paar Schwächen seines Adams' für Primrose übernom-
men: seine geringe P]itelkeit und das Versessensein auf ein
bestimmtes Thema. Andererseits hat aber Goldsmith eine ganze
Reihe von Schwächen nicht übernommen, weil sie sich zu wenig
mit Primroses natürlicher Weisheit vertragen hätten:
— 51 —
1. Primrose ist nicht abergläubisch, während Adams gesteht:
Though I am not afraid of ghosts, I do not absolutely disbe-
lieve them.
2. Primrose besitzt nicht Adams' übergrosse Einfältigkeit (was
schon früher, unter 3 der übereinstimmenden Züge, erwähnt wurde).
3. Primrose ist nicht so ungemein zerstreut, noch
4. so neugierig wie Adams.
5. Primrose lässt sich niemals zu Raufereien hinreissen.
Versuchen wir nun, im Ganzen über beide Charaktere
einen Schluss zu ziehen.
Wie stets der gute Pfarrer, ist auch Adams und Primrose
von grosser Herzensgüte und Frömmigkeit. Wie Adams besitzt
Primrose grosse Natürlichkeit, die bei beiden durch ihre Welt-
unerfahrenheit bis zur Naivetät gesteigert ist. Das ist der
Kern ihres Wesens, und Fischer hat somit völlig recht, wenn
er sagt, dass „das Wesen beider völlig das gleiche ist", aber
das ist noch hinzuzufügen: nur im Kern. Und während Adams'
Wesen damit völlig erschöpft ist, kommt bei Primrose das We-
sentliche hinzu, dass er von wahrer Weisheit ist (deshalb die
Unterschiede in ihrem Charakter, vgl. oben) und zu einer Welt-
anschauung gelangt ist, die ihn über alle Wirklichkeit zu er-
heben vermag. Wenn daher Fischer behauptet: „Primrose ist
also Adams im Familienkreise", so ist Primrose damit durchaus
nicht erschöpft; auch ist Adams in Wahrheit im Hause genau
derselbe wie auf der Landstrasse: er prügelt auf beau Didapper
genau so im Hause wie sonst; Adams lässt sich im Hause ge-
nau so von seinen Leidenschaften hinreissen wie sonst; er er-
scheint, als er Dicks lateinische Kenntnisse zeigen will, genau
so lächerlich wie sonst; das wahre Verhältnis zwischen beiden
ist das: Adams ist ein Primrose ohne jene Weisheit und Lebens-
und Weltanschauung. Fischer hat recht, wenn er sagt, „dass
wir ohne einen Adams nie einen Primrose gehabt haben würden",
aber sicher ist, dass gerade das, was uns Primrose so lieb macht,
von Goldsmith neu hinzugeschaffen ist.
Wir müssen uns zum Schlüsse fragen, wie kam Goldsmith
zur Darstellung eines solchen Charakters?
Es ist sicher, dass Goldsmith selbst niemals zu dieser
ruhig-heiteren Lebensauffassung gelangt ist, wir brauchen nur
4*
— 52 —
an seine letzte Antwort zu denken auf die Frage: if his mind
was at ease: 'No, it is not!'
Die gleiche hohe Auffassung, dies Erhabensein über allen
Leidenschaften, über allem irdischen Glück und Unglück, die
Überzeugung von der Nichtigkeit aller dieser Sorgen hatte Gold-
smith schon früher in einen Charakter gelegt, in die Gestalt des
Citizen of the World. Welche Vorstufe hierfür Goldsmith hatte,
wie weit er etwa chinesischen Vorbildern und Lehren gefolgt
ist (in jener Zeit herrschte ein reges Interesse für diese östliche
Welt!), war mir nicht möglich zu verfolgen.
Sonst hatte Goldsmith eine ähnliche Leidenschaftslosigkeit
und Zufriedenheit mit dem Geringsten in dem Helden der His-
tory of the distresses of an English disabled solcher gezeichnet
(Citizen of the World, Letter CXIX), einer Gestalt, die jeden-
falls aus einer Schöpfung Voltaires, Candide, entstanden ist 1 ).
Indessen ist diese Ähnlichkeit auf diesen einen Punkt beschränkt.
Einen anderen Zug, den leichten Humor bei der Beurteilung
anderer Menschen, aber auch bei der der eigenen Person, also
die Selbstironie, die auch für einen hohen Standpunkt bezeich-
nend ist, finden wir seit Burton häufig in der englischen Litte-
ratur, vor allem in den moralischen Wochenschriften, dem
Spectator (etwa No. 17) und Tatler (No. 242, doch auch sonst
an vielen Stellen), die wohl auf Goldsmith gewirkt haben mögen.
So finden wir nur in jener einen Gestalt die gleiche hohe
Lebensauffassung, sonst nur einzelne Züge verstreut, nie aber
in Vereinigung mit solch einer liebenswürdigen Gestalt, wie in
Primrose, die eben durch diese Vereinigung Goldsmiths völliges
Eigentum wird.
Die Pfarrerin.
Wie Adams' Frau im wesentlichen gekennzeichnet ist durch
ihren Gegensatz zu ihrem Gatten, so zunächst Deborah. Zwischen
beiden finden wir denn auch eine Reihe von Übereinstimmungen :
1. Beide sind im Grunde ihres Wesens einfach und gut,
Primrose nennt Deborah a good-natured woman (Chapter I),
Adams seine Gattin a very good sort of woman (IV. 11).
') Forster, I, 247.
— 53 —
2. Bei beiden wird die grosse Sparsamkeit gerühmt.
3. Ganz besonders gross ist ihn; Liebe zu ihrer eigenen
Familie. Beständig entwerfen sie Plane, um den Ihrigen fortzu-
helfen. Mrs. Adams will Sohn und Tochter im Dienste der
Lady Booby anbringen. Mrs. Primrose ihre beiden Töchter bei
den ladievs. Sie ist auch beständig um Ehemänner für ihre
Töchter besorgt.
4. Beider Liebe für die Familie ist geradezu blind ; ehe
diese leidet, wollen sie lieber Unrecht begehen. Darum rät
Mrs. Adams ihrem Manne, nicht mehr das Aufgebot zu ver-
künden, Mrs. Primrose dem Vicar, sich dem Verführer der
Tochter zu unterwerfen.
5. Beide sehen mit grosser Achtung, fast Unterwürfigkeit
zu den höheren Stünden, zu jedem Angehörigen derselben empor.
Fischer leitet aus eben diesem „übergrossen Familiensinn",
der sie -gegen andere Menschen, wenn sie arm sind und ihnen
irgendwie bei der Herrschaft schaden können, lieblos und hart"
macht, ihr Verhalten gegen Burchell ab. Davon kann hier gar
keine Rede sein, und es kann unmöglich in eine Parallele zu
Mrs. Adams' Auftreten gegenüber Joseph gestellt werden, denn
ßurehell erscheint der Familie als Verleumder und Heuchler,
und somit ist ihre Härte durchaus am Platze. So niedrig ist De-
borah doch nicht gezeichnet.
Ein wenig beeinfiusst ist Goldsmith in seiner Zeichnung
der Deborah auch von Fieldings Mrs. Wilson (Joseph Andrews,
Book 111. Chapter IV). Von hier ist der Zug entnommen, dass
Deborah eine so ausgezeichnete Hausfrau ist (bei Mrs. Adams
war nur von Sparsamkeit die Rede). Mr. Wilson schildert seine
Frau in folgender Weise: My Harriet is a notable housewife,
and few gcntlemcn's housekeepers understand cookery or con-
feetionary better. Hier hat. Goldsmith auch die Anregung zu
dem vielberühmten gooseberry-wine de»* Mrs. Primrose gefunden:
the wine you commanded so much last night at supper was of
her own making.
Fischer geht, wie fast in seiner ganzen Arbeit, auch hier
in dem Feststellen von Goldsmiths Unselbständigkeit zu weit.
Manche der recht groben Züge bei Mrs. Adams sind stark ge-
mildert: Deborah ordnet sich stets ihrem Manne unter, wenigstens
— 54 -
in allen wichtigen Fragen; Mrs. Adams ist weit davon entfernt:
she had always the last word but at church (IV. 8). Mrs.
Adams fehlt jedes Verständnis für das ideale Thun ihres Man-
nes: he talks a pack of nonsense that the whole parish are his
children (IV. 11). Davon hören wir nicht bei Deborah, im Ge-
genteil, es ist doch auch mancher hohe Zug von ihr angeführt,
so im Chapter I, wo von ihren Verwandten die Rede ist: Some
of them did us no great honour by these Claims of kindred; as
we had the blind, the maimed, and the halt amongst the number.
However my wife always insisted that as they were the same
flesh and blood, they should sit with us at the same table. So
hat Fischer nicht ganz recht, wenn er behauptet, dass „das
ganz eigenartige Verhältnis zwischen Pfarrer und Pfarrerin,
dieser köstliche Gegensatz zwischen dem geistlichen Herrn und
der stark weltlichen Frau in beiden Romanen ganz gleich sind".
Deborah ist, trotz diesem garnicht zu leugnenden Gegensatz, von
Anfang an gehoben. Vor allem aber — und das hat Fischer
völlig übersehen — wird dieser Gegensatz im Laufe des Ro-
mans kleiner und kleiner; Goldsmith stellt eine Entwicklung in
Deborahs Charakter dar: je mehr Unheil die Familie trifft, um
so mehr erhebt sich Deborah aus ihren kleinlichen Anschau-
ungen: Our distresses are great, but I could bear this and more,
if I saw you but easy. They may take away my children, and
all the world, if they leave me but you (Chapter XXVIII).
Jeder Gedanke an Vergeltung und Rache, der so stark in ihr
war, ist unterdrückt durch ihr Gewissen und durch ihre heisse
Liebe zu ihren Kindern, und sie ruft aus: Hut, thanks be to
Him that directs all things, it has miscarried, and I am at rest.
Diese Entwicklung in Deborahs Charakter, diese Läuterung
und Erhebung durch das Unglück und das Vorbild ihres Man-
nes, dem sie sich nicht wenig annähert, ist durchaus Goldsmiths
Eigentum.
So herrscht ein ähnliches Verhältnis zwischen Deborah
und Mrs. Adams, wie zwischen dem Vicar und Mr. Adams.
Der Kern ist übernommen, einige kleinere Züge sind hinzuge-
fügt (z. B. nach der Mrs. Wilson), das Ganze ist in ganz eigen-
tümlicher und selbständiger Weise von Goldsmith weitergebildet,
— 55 —
George.
George verdankt seine Entstehung wiederum Fielding.
Adams erwähnt im Joseph Andrews (Hook II, Chapter VIII)
einen Sohn, der fern vom Vaterhause weilt, who hath an infinite
stock of learning, dennoch he was never at a university. So
liegt es genau mit George. Und weiter sagt Adams von ihm:
I do not distrust him, for he is a good boy; and if Providence
should throw it. in his way to be of as much consequence in a
public light as his father once was, l can answer for him he
will use his talents as honestly as I have done. Genau ein
gleiches Vertrauen hat Primrose zu seinem Sohn und spricht es
deutlich aus: As he was possessed of integrity and honour, I
was under no apprehensions from throwing him naked into the
amphitheatre of life; for I knew he would act a good part
whether vanquished or victorious.
Über seinen Charakter erfahren wir sonst nur wenig.
Er hat einen etwas abenteuerlichen Sinn, wie wir aus seiner
selbstbiographischen Erzählung erkennen; dabei ist er von wah-
Ter Leidenschaft, mit Blut will er die Beleidigung der Familie
riehen. Diese Züge entsprechen dem Wesen des Tom Jones
und sind auch sicherlich von dort genommen, da ja George in
der aus dem Tom Jones entlehnten Handlung genau die Stelle
des Tom Jones einnimmt (vgl. S. 21 ff).
Aber auch hier hat Goldsmith Eigenes hinzugefügt. Tom
Jones ist die reine Natur: alles, was er thut, thut er aus In-
stinet, aus reiner Empfindung und Leidenschaft. Bald hierhin,
bald dorthin wird er von ihr gerissen. Während er bei der
Verfolgung seiner Geliebten in einem Augenblicke fast ver-
zweifelt, verführt ihn seine Leidenschaft im nächsten Augen-
blicke zu den gewagtesten Liebesabenteuern. George ist
nicht solch ein Spielball seiner Leidenschaften, er zeigt sittlichen
Ernst und sittlichen Halt, besonders, als er dem Tode gegenüber
steht (Chapter XXVIII). Seine vergebliche Liebe macht ihn
wirklich unglücklich (man vergleiche den Brief an seine Eltern,
XXVIII) und erfüllt ihn mit Gleichgültigkeit und Verachtung
gegen das Leben, wodurch er in so eigentümlicher Rauheit er-
scheint.
— 56 —
Olivia — Sophia.
Während in Adams' Familie nur eine Tochter genannt
wird, hat Primrose deren zwei, man vergleiche hierzu S. 40 f.
Bei Goldsmith werden die beiden Töchter ausdrücklich
mit einander kontrastiert. Solche paarweise und dabei gegenüber-
stellende Einführung von Personen war überaus beliebt. In der
Comödie der Restaurationszeit ist diese Gegenüberstellung noch
ziemlich roh, etwa: der tugendhafte Liebhaber — der lasterhafte
Liebhaber. Mehr und mehr wurde dann verfeinert, und so fin-
den wir unzählige Heispiele in den Wochenschriften; um nur
eins anzuführen: Tatler No. 54.
Durch die unmittelbaren Vorbilder — Olivia entspricht
Pamela-Clarissa (vgl. S. 18 ff), Sophia der Miss Byron (vgl.
S. 24) — war dieser strenge Gegensatz noch nicht gegeben.
Zwar ist der Charakter der Miss Byron beibehalten, Sophia ist
ebenso sanft, bescheiden, tief innerlich (Chapter L), dabei klug
(Chapter XXVIII: she had almost the wisdom of an angel),
aber weder Pamela noch Clarissa zeigen die Eigenschaften Oli-
vias, die ihr ganzes Wesen bestimmen: Lebhaftigkeit, Koketterie
und Eitelkeit.
Möglicherweise sah Goldsmith von vornherein ein, dass für
die Rolle der Olivia ein Richardsonsches Tugendideal durchaus
nicht passte, dass er den Charakter vermenschlichen musste.
Für die besondere Art, wie er den Charakter aber umbog, war,
wie mir es scheint, ein Essay des Tatler vorbildlich, No. 4, vom
19. April 1709. Ich eitlere den in Frage kommenden Teil:
The beauty of Clarissa is soft, that of Chloe piercing. When
you look at Clarissa, yoü see the most exaet harmony of feature,
complexion and shape; you find in Chloe nothing extraordinary
in any one of those particulars, but the whole woman irresistible.
Clarissa looks languishing ; Chloe killing; Clarissa never fails of
gaining admiration; Chloe of moving desire. The gazers at Cla-
rissa are at first unconcerned, as if thev were observiiiir a fine
picture; they who behold Chloe, at the first glance discover
transport, as if they met their dearest friend. These different
perfections are suitably represented by the last great painter
Italy has sent us, Mr. Jervas. Clarissa is by that skilful hand
placed in a manner that looks artless, and innocent of the tor-
— 57 —
ments she gives; Cliloc is drawn with a liveliness tliat shews
she is conscious of, but not aflected with. her perfections. Hier
entspricht Clarissa der Sophia, ( 1 hloe der Olivia. Die Züge je-
ner sind soft, modest and alluring, not so striking at iirst, sie
vanquished by cttbrt successfully re])eated. Dagegen Olivia had
that luxuriancy of bcauty, with whieh painters generally draw
Hebe; open, sprightly and eommanding. Sie vanquished by a
Single blow.
Die Übereinstimmungen sind in die Augen springend, und
es ist zu betonen, dass von keinem dieser kleinen eingehenden
Züge in den Vorbildern, Pamela, Clarissa, Miss Uyroii, die JRede
war. Die gleiche Art, die Gegensätze in beiden Personen hin-
tereinander aufzuzählen, die Ausdehnung dieses Vergleiches auf
das Äussere, das bei beiden dem Charakter genau entspricht,
die genauen Übereinstimmungen in den Einzelheiten lassen sicher
darauf schliessen, dass diese, Schilderung im Tatler Goldsmith
als Vorbild «redient hat; beide kommen auch auf malerische Dar-
stellungen!
Damit ist aber Olivias und Sophias Charakter noch nicht
erschöpft. Goldsnrith hat ihnen sonst noch recht weibliehe Züge
nicht gerade idealster Art gegeben, wobei zu bemerken ist. dass
(roldsmith fast durchgängig beiden Schwestern die gleichen,
kleinen Schwächen beilegt, die garnicht recht zu dem Charakter
der Sophia, wie er im ersten Kapitel geschildert ist, passen, und
dies, glaube ich, ist auch eine Stütze für die Annahme, dass
Goldsmith dort ein fremdes Vorbild benutzt hat.
Olivia und Sophia sind putzsüchtig, auf jede Eroberung
erpicht (wie stimmt das zu der bescheidenen, sanften, innigen
Sophia! aber Goldsmith sagt klar: it had a very ditferent efl'ect
upon my daughters, whose features seemed to brighten with the
expeetation of an approaehing triumph, im Chapter III); sie sind
eben echte Evastöchter. Vor der Zeichnung solcher schwind-
süchtiger Idealgestalten, wie sie Richardson liebte, hätte Gold-
smith ja schon sein gesundes Gefühl bewahrt, aber sicherlich
ist hier auch Goldsmith von den wenigen Andeutungen Fieldings
über den Charakter von Adams* Tochter beeinflusst worden.
Dort fand Goldsmith solche recht menschlichen, echt weiblichen
Züge; allerdings hat er auch hier gemildert, so das entschieden
grobe Empfinden von Adams' Tochter.
— 58 —
Zwei Züge hat Goldsmith unmittelbar von ihr für Olivia
und Sophia entlehnt:
1. Sophia und Olivia haben wie sie die kleine, weibliche
Schwäche, dass sie keine Schönheit neben sich dulden können:
jene sind die einzigen, die in Arabella keine Schönheit ent-
decken, diese kann Fanny nicht für hübsch halten.
2. Wie Adams' Tochter in allen Meinungsverschieden-
heiten zwischen ihren Eltern eifrig* zu ihrer Mutter hält, so
Olivia und Sophia.
So kommen wir zum Schluss.
Für Sophia hatte Goldsmith zunächst zwei Vorbilder: im
wesentlichen Miss Byron, in einigen Zügen Clarissa im Tatler
No. 4; für den Charakter der Olivia Chloe. Auf die Gestaltung
beider als Menschen mit manchen kleinen Schwächen hat Adams'
Tochter eingewirkt, die auch ein paar Einzelzüge geliefert hat
Was Goldsmith seinen Vorbildern gegenüber Eigenes und
Neues geleistet hat, ist, dass er die im Grunde doch reinen imd
unschuldigen Charaktere mit manchen menschlichen Schwächea
ausgestattet und so wirkliche, lebenswahre Menschen geschaffen
hat.
Moses.
Von einem Sohne in Adams' Familie, der Moses entspräche,
hören wir nichts. Moses hat Goldsmith selbständig hinzuge-
fügt.
Fischer meint, Goldsmith habe die Gestalt Adams' in zwei
zerlegt, in Primrose und Moses. Den ersten Teil der Behaup-
tung haben wir schon zu einem guten Teile einschränken müssen;
möglicherweise hat er aber in dem zweiten Punkte recht: eine
Ähnlichkeit zwischen Moses und Adams ist nicht zu leugnen,
wenn auch Moses viel pedantischer, auch geweckter erscheint.
Viel wahrscheinlicher ist, dass Goldsmith hier an sich
selbst dachte und ein Bild von sich entwerfen wollte, wie er als
Knabe war.
Betrachten wir genauer das Alter. Etwa ebenso gross
wie der Altersabstand zwischen George und Moses ist, so ist er
auch zwischen Henry, seinem ältesten Bruder, und ihm gewesen,
sechs bis sieben Jahre; so wie zwischen Moses und Dick, Bill,
so zwischen ihm und seinen jüngsten Brüdern, etwa 12 Jahre
— 59 —
(Charles geb. 1737, John 1740 % Auch manche Züge erinnern
stark an ihn. Moses citiert beständig Ovid, so hören wir von
Goldsmiths Vorliebe für diesen, als er noch ein Knabe war 2 ).
In der Familie wird Moses allgemein als der Kluge angesehen,
alle vertrauen seiner Geschicklichkeit und Umsicht, und wie
wenig bewährt sie sich bei der ersten Probe! Gerade so war
es Goldsmith ergangen. Von seiner Familie, von seinem Vater,
von seinem ihm so wohlwollenden Onkel wurde er fast als ein
Genie betrachtet, doch keine Erfolge, nur Enttäuschungen wur-
den bei seinem Hinaustreten in die Welt sichtbar. Am meisten
erinnert aber eine stelle an ihn selbst (Chapter V), die er schon
in der zweiten Auflage gestrichen hat, wohl sicher, weil ihm
klar wurde, dass dieser Zug ihm noch in seinem späteren Leben
genau so eigen war, wie einst in seiner Jugend. Dort heisst
es: — while Moses, on the contrary, gave him a question or
two from the ancients, for which he had the satisfaction of be-
ing laughed at: (es folgen nun die später gestrichenen Worte)
for he always ascribed to his wit that laughter which was la-
vuihed at his simplicity. Gerade dieses nachträgliche streichen
erscheint mir wie eine Bestätigung der Vermutung von Gold-
smith selbst.
Moses haben wir also als ein Abbild von Goldsmiths eigener
Person als Knabe mit Zügen von Adams zu betrachten.
Dick — Bill.
Es ist bedeutsam, welch eine grosse Rolle bei Goldsmith
die beiden Kinder Dick und Bill, fast ist ja auch Moses noch
zu ihnen zu zählen, spielen. Wenn auch Goldsmith in der
Zeichnung wenigstens der beiden kleinen Burschen kein Ver-
dienst hat, so ist es doch von Bedeutung und litterarhistorisch
als Fortechritt zu bezeichnen, dass Goldsmith sie so stark be-
tont und mit in den Vordergrund rückt; dass er sie für wichtig
und poetisch genug hält, sie in den Vordergrund zu rücken.
Nicht immer wurde das Kind so angesehen. In der Lit-
teratur des XVI., XVII. Jahrhunderts begegnen uns nicht
Kinder im Vordergrunde der Handlung. Rückt Shakspere im
Riehard III. die beiden Knaben von fürstlichem Blute ein wenig
J ) Forster, I, S. 9.
9 IForster, I, S. 18.
— 60 —
mohr nach vorn, so darf man nicht vergessen, mit dem historischen
Zwange zu rechnen. Erst im XVIII. Jahrhundert beginnt man.
die Kinder poetischer zu erfassen — zur gleichen Zeit, da da# ;
Interesse für die Tierwelt erwacht. Fielding entwirft, wenn
auch nur episodisch, seine reizenden Kinderscenen, Home hat
einen knabenhaften Helden in seinem „Douglas"; nun rückt
Goldsmith die Kinder in den Vordergrund seines Romans. Das
Interesse wächst beständig, bis wir es dann bei den Romantikern,
vornehmlich bei Wordsworth und Coleridge, beinahe zu einer
Verehrung gesteigert sehen. Ihnen sind die Kinder (wie auch
die Tiere) die unverbildeten und unverdorbenen Wesen, in denen
die Weltseele noch rein zu spüren ist.
Dick gehört durchaus Fielding an, bei dem er sogar den
gleichen Namen trägt. Er tritt bei Goldsmith in ganz ähnlichen
Situationen hervor wie bei Fielding (vgl. S. 72, 75). Der Cha-
rakter, der naturgemäss ein ganz einfacher ist, ist bei bevka
Dichtern der gleiche: der Knabe zeigt eine kindliche Gutherzigkeit
Bill spielt eine kleinere Rolle; er war zwar noch nicht bei
Fielding, doch ist er, sow r eit er hervortritt, genau der gleiche
wie Dick, also auch Fieldings Eigentum. Nachdem Dick seinen
Teil des mit dem Bruder geteilten Bettes Burchell angeboten
hat, sagt Bill: and I will give Mr. Burchell my part, if
my sisters will take me to theirs. Also auch er ist ein kleiner
gutherziger Bursche, eine Zwillingsfigur zum Dick.
Burchell.
Burchell ist der einzige, von dem Goldsmith die Entwick-
lung giebt (Chapter III). Es ist dies in der Art geschehen,
wie sie eingeleitet wurde durch die Character-Writers des XVII.
Jahrhunderts, welche die Charaktere bald nach Ständen oder/
Berufen, bald nach dem Naturell oder nach einer hervorstechendedr
Eigenschaft, etwa Geiz, Ehrsucht, zerlegten. Vorbilder wurden
sie später vor allem einerseits den Verfassern der moralischen
Wochenschriften, andererseits Richardson. Man versteht den
menschlichen Geist völlig und restlos. Im Charakter ist das
und das gegeben, auf ihn wirkt das und das ein: folglich muss
sich das und das ergeben. Diese Tradition setzt die von Gold—
smith gegebene Charakterbeschreibung und -entwicklung Bur—
chells voraus.
— 61 —
Was den Inhalt betrifft, so besteht eine fast wörtliche
Übereinstimmung mit einer Schilderung, die Goldsmith im Citizen
of the World, Letter XXVIT, gegeben hat, und die sicher das
Leben in seinem Elternhause wiedersieht.
Dort sagt Goldsmith von seinem Vater: he loved all the
world, so Burchell: he loved all mankind. Jener wound us
(seine Kinder) up to be mere machines of pity, and rendered us
incapable of withstanding the slightest impulse made either by
real or fictitious distress; so steht es genau mit Burchell: Phy-
sicians teil us of a disorder, in which the whole bodv is so ex-
quisitely sensible, that the slightest touch gives pain: what some
have thus suffered in their persons, this gentleman feit in his
mind. The slightest distress, whether real or fictitious touched
him to the quick, and his soul laboured under a sickly sensibility
of the miseries of others. Beide sind denn auch reichlich von
Schmeichlern umgeben, die sie tüchtig ausnutzen. Die Polgen
bei beiden sind aber verschieden. 80 ist wohl ersichtlich. Bur-
chell ist hier im ersten Teil ein Mann, der mit dem eigentüm-
lichen Goldsmithsehen Familiencharakter in hohe und weite Yer-
hJUtnkfie gesetzt ist.
Doch in der weiteren Handlung des Romans erscheint
Burchell durchaus als ein anderer, da er durch das Unglück, in
das ihn seine Charakteranlage gestürzt hat, völlig geläutert ist.
Dort erscheint er in zweierlei Rollen; einerseits als der
Liebhaber der Sophia, ernst, ruhig, sich selbst beherrschend,
ritterlich und freundlich, dämm bei allen beliebt, gebildet und
erfahren, mit Recht selbstbewusst, dabei ein treuer Liebhaber,
der nicht nach äusserem Glänze wählt, sondern nach dem in-
neren Werte; dementsprechend ist er auch noch jung (30 Jahre).
Diese Züge sind durchgängig der Gestalt des Sir Charles Gran-
amon entnommen (dessen Fabel ja auch Goldsmith in den Haupt-
%en übernommen hat, in der Burchell auch die gleiche Stellung
annimmt wie Grandison, vgl. S. 24). Auch Grandison ist
®& ruhig denkender Mensch, voller Selbstbeherrschung, überaus
ritterlich ; jeden gewinnt er durch sein freundliches, gerechtes
Wesen. Durch viele Reisen ist er, wie Burchell, sehr erfahren
^d gebildet. Auch er liebt in seiner ruhigen Weise ein Mäd-
chen, das grossen inneren Weit besitzt. — Von Grandison ist
— 62 —
auch der Charakterzug Burchells übernommen, dass er ein hef-
tiger Gegner des Duells ist (aber dieser Zug wird gerade in
dem Teile der Fabel wichtig, der aus dem Tom Jones entlehnt
ist; man sieht, wie ungemein geschickt Goldsmith Motive be-
nützt und verbindet). Ebenso ist von dort der Zug genommen,
worauf besonders Fischer hinweist, dass die Diener der beiden
durch das Vorbild ihrer Herren innerlich gehoben sind.
Andererseits spielt Burchell am Schlüsse eine andere Rolle:
die des Richters. Da Goldsmith die Handlung des Tom Jones
verwandt hat (vgl. S. 24 ff), so brauchte er einen Allworthy,
und so liess Goldsmith Grandison und Allworthy zu einer Ge-
stalt, Rurchell-Sir William Thornhill zusammenfliessen.
Es war dies eine nicht so schwere Aufgabe, da ja All-
worthy und Grandison schon viele Ähnlichkeiten haben und, was
von dem einen gesagt ist, genau so gut von dem andern gesagt .
werden kann ; so ist auch der Charakter Burchells ganz Wfee-
richtig durchgeführt. Da nun Burchell am Schluss genau <fib-
selben Tugenden zeigt, wie Allworthy (Grossmut, Milde, Klag*
heit, ja Weisheit, Gerechtigkeit, dabei grosse Vornehmheit des
Wesens und dadurch Überlegenheit über die andern), so hat
hier, wenn auch Grandison die gleichen hat, sicherlich Allworthy
vorgeschwebt, da er ja auch dessen Stelle einnimmt, und so ist
es sicher falsch, wenn Fischer von Grandison als der einzigen
Quelle für Burchells Charakter spricht.
Fassen wir also zusammen: drei Quellen hat Goldsmith
für die Gestalt des Burchell gehabt:
1. Goldsmiths eigene Person in die Verhältnisse eines hoch-
gestellten und reichen Mannes gesetzt.
2. Sir Charles Grandison.
3. Squire Allworthy.
Was ist nun Goldsmiths Eigentum an der Gestalt .Bur-
chells?
Goldsmith zeigt uns die Entwicklung von Burchells Cha-
rakter, er zeigt, wie sein Charakter entstehen konnte. Er stellt
ihn nicht von Beginn als einen Engel hin, wie es Richardson
beim Grandison gethan hatte, er stellt sein jetziges Wesen als
begründet durch seine Lebenserfahrungen dar, als das Ergebnis
derselben. Dadurch hat er ihm grosse Lebenswahrheit gegeben :
— 63 —
wir sehen, Weiss und Schwarz ist in ihm vermischt. Das ist
der Grund, warum man sich niemals über Hurehell „lustig ge-
macht" hat, wohl aber über Grandison, nicht der sehr äusser-
liche, den Fischer angiebt.
»Sonst ist sicherlich zuzugeben, dass die Verbindung der
drei Charaktere äusserst unglücklich ist, worauf auch Fischer
nachdrücklich hingewiesen hat. Wir hören zunächst von den
reichen Erfahrungen Hurchells, von seinen Reisen, wie er sich
wieder heraufgearbeitet und die Achtung aller erworben hat —
man möchte schon hier glauben, ein Leben gehörte zu alledem.
Nun sehen wir ihn als ernsten, gesetzten Menschen, schliesslich
gar in der Rolle des weisen Richters über einen erwachsenen
Neffen, und dann hören wir, er steht im 30. Lebensjahre, sehen
ihn vor uns als Liebhaber. Wie so oft hat auch hier die zu
grosse Zahl der benutzten Quellen geschadet.
Thornhill.
Die Gestalt des gewissenlosen Verführers hat ihren Ur-
sprung in der sittenlosen Comödie der Restaurationszeit. Ethe-
red#e hat ihn im Sir Frederick Frolick (The Comical Revenge),
im Dorimant (The Man of Mode) gezeichnet, Oongreve im Mask-
well (The Double Dealer), Farquhar im Roebuck (Love and a
bottle), im Sir Harry Wildair (The Constant Couple) und im
Benjamin Wouldbe (The Twin Rivals), Sir /John Vanbrugh im
Don John de Alvarada (The False Fricnd, nach dem Franz.:
La Trahison Funie von Dancourt). Teils sind diese im Grunde
ihres Wesens nicht ganz so schlimme Gesellen, sodass sie sich
am .Ende doch noch zu Ehemännern bekehren lassen, teils sind
sie unverbesserliche Hösewichte und werden dann am Schlüsse
als solche nur entlarvt. Aus diesen beiden Typen haben sich
die vielen Gestalten dieser Art im Roman entwickelt. Zu dem
ersten Typus gehört Lord H — in Richardsons Pamela, zum
zweiten Lovelace in Richardsons Clarissa Harlowe und Blifil
in Fieldings Tom .Jones, dessen Schurkereien allerdings auf
anderem Gebiete liegen. Das sind die Gestalten dieser Art, die
Goldsniith vorlagen.
Es ist schon gezeigt worden, dass Thornhill im V. of W.
zunächst die Stelle des Lord B — , dann die Lovelaces, schliess-
— 64 —
lieh die Blifils einnimmt. Alle diese Charaktere sind ja emr
verwandt, natürlich kommt hier nur der Lord B — des ersten
Teiles der Pamela in Betracht, und so ist es möglich, dass
Thornhills Charakter eine Vereinigung beider zunächst darstellt.
Tm Übrigen gehört er zu dem zweiten Typus, das heisst, derer,
die am Ende nur entlarvt werden.
Von Lord B— allein ist folgender Zug entlehnt: Beide
treten mit der gleichen sicheren Unverschämtheit ihren Opfern
gegenüber auf, da beide auf Grund ihrer früheren Erfahrungen
und, nicht zu wenig, ihrer hohen Stellung (sie stehen ja beide
einem armen Mädchen gegenüber) überzeugt sind, dass sie jedes
Mädchen für sich gewinnen.
Von Lovelacc allein sind folgende Züge entlehnt:
1. Der Zug der Verstellungskunst. Beide haben ihre
Liebe soweit durch ihr Wesen deutlich gemacht, dass die Eltern
jeden Tag die Aussprache erwarten. Beide sind aber in Wahr-
heit von nichts weiter entfernt, als von der Absicht, sich klar
auszusprechen, und so suchen sie nun hinzuziehen, stellen sich
zurückhaltend und sind schweigsam; obwohl man ihnen Gelegen-
heit zur Erklärung giebt, ja sie dazu zu treiben sucht, schweigen
sie, und das alles treiben sie mit solchem Geschick, dass man
als Grund 'bashfulness' annimmt.
2. Beide sind überaus eitel. Wer sich Lovelacc unterord-
net, gewinnt ihn für sich, und Thornhills desire of flattery in-
creased every day (XX).
Die Züge, die beiden gemeinsam sind, und die Goldsmith
für seinen Thornhill entlehnt hat, sind folgende:
1. Sie haben ein sehr gewinnendes Äussere.
2. Sie sind überaus liebenswürdige, gewandte Menschen.
3. Sie sind sehr unterhaltend.
4. Sittlich aber stehen sie überaus niedrig. Kein hübsches
Mädchen ist vor ihnen sicher.
5. Ihre Klugheit unterstützt sie im Ersinnen und Aus-
führen ihrer niedrigen Pläne.
(>. Eine grosse Härte und Erbarmungslosigkeit kennzeichnet
sie gegen alle, die es wagen, ihren Plänen entgegenzutreten.
Es ist so deutlich sichtbar, dass Thornhills Charakter dem
Lord B — s und Lovelaces nachgebildet ist. Doch auch einige
— 65 —
bedeutsame Unterschiede sind vorhanden:
1. Thornhill ist von Anfang 1 an als oberflächlich dargestellt,
er weiss zwar über alles zu reden, doch ohne Gehalt. Aber
von Lovelace hören wir, dass er ein wirklich gebildeter Mann
ist, so auch von Lord B — (Vol. I. S. 377).
2. Von Thornhill ist nichts über sein Verhältnis zu seinen
Pächtern gesagt, während wir ausdrücklich sowohl von Lord R —
als auch von Lovelace hören, dass sie gegen dieselben ungemein
gütig sind und sich ihre volle Liebe gewonnen haben.
Diese Züge fehlen bei Thornhill, das heisst, Goldsmith
hat ihn nicht so glänzend, nicht mit solchen Tugenden darge-
stellt. Er war offenbar der Ansicht, die er Burchell in den
Mund gelegt hat (Chapter XV) : Perhaps there may be some such
monsters as you describe, of great vices joined to great virtues ;
yet in my progress through life I never yet found one instance
of their existence; on the contrary, I have ever pcrceived, that
where the mind was capacious, the affections were good. *) So
hat Goldsmith die Extreme, die im Lord B — und im Lovelace
unmittelbar vereinigt waren, aus Thornhill verbannt. Seine Vor-
züge beruhen sämtlich auf Ausserlichkeit, anf Schein; insofern
ist Thornhill sicherlich ein wahrerer Charakter als seine Vorbilder.
(Man kann Lovelace nicht etwa einen gemischten Charakter nennen,
wie ihn in höchster Lebenswahrheit der moderne realistische Ro-
man — Thackeray — ausgebildet hat; in Lovelace sind zwei
Typen zusammengeschmolzen: der blendende Wüstling — der
freundliche Gutsherr.) Diese standen den Verführern in der
Comödie der Restaurationszeit näher, in denen solche uns
widersprechend dünkenden Eigenschaften eher möglich waren,
da sie eben nach und bei der allgemeinen, unglaublich
sittenlosen Anschauung der Zeit nicht so widersprechend
waren. Aber in Richardsons, Goldsmiths Zeiten hatten sich die
moralischen Anschauungen geändert, und eben diese Änderung
kommt in Goldsmiths Thornhill zum Ausdruck, noch nicht aber
in Lord B — oder Lovelace, die in dieser Beziehung mit festeren
*) Dagegen sagt Richardson, entsprechend seinem Lovelace (OL H.
Vol. III, Letter XLV): Great faults and great virtues are often found in the
same person.
5
— 66 —
Fäden an ihre Vorstufen geknüpft sind, als Thornhill an die seinigen.
Schliesslich hat Goldsmith einen Charakterzug von Blifil über-
nommen : sobald Thornhill erkennt, dass alles verloren ist, legt er
sich auf erbärmliches Flehen; genau so Blifil: in short he was
now as remarkably mean as he had been before remarkably
wicked (Tom Jones, XVIII, Chapter XI).
Wilmot.
Mr. Wilmot steht in der aus dem Tom Jones übernommenen
Handlung genau an der Stelle des Squire Western, jener so un-
gemein lebensvollen Gestalt Fieldings. Goldsmith konnte bei
der schon vorhandenen Fülle nichts an der breiten Ausmalung
dieser Gestalt liegen. Nur eine Eigenschaft legt er ihm zu, die
eben für den Gang der Handlung erforderlich ist, die daher auch
Squire Western hatte, nämlich den Geiz, und so ist Squire
Western zu dem Typus des Geizhalses, wie er aus der Comödie
der Restaurationszeit bekannt und dort ausgebildet war, umge-
wandelt.
Arabella Wilmot.
Wie Wilmot, ihr Vater, steht auch sie sehr im Hinter-
grunde. Sie steht an der Stelle der Sophia Western, aber nur
wenig ist von dem Charakter derselben übrig geblieben. Sie ist
ebenso sanft und schön wie Sophia; während diese aber einen
starken Willen hat und sehr aktiv auftritt, ist Arabella Wilmot
durchaus passiv, ist nur ein Schatten von jener. Es wäre natür-
lich falsch, darum einen Tadel aussprechen zu wollen; Goldsmith
hat sicherlich diese Abschwächung vorgenommen, weil er die aus
dem Tom Jones übernommene Handlung so viel als möglich kür-
zen und in den Hintergrund rücken wollte.
J enki nson.
In Jenkinson sind mehrere Personen zusammengeflossen.
Zunächst tritt er uns als Betrüger entgegen; später erfah-
ren wir, dass er in dieser Zeit noch eine andere Rolle ge-
spielt hat, die Rolle eines Helfershelfers Thornhills, wie uns
solche Gestalten, die Gehülfen eines Wüstlings, in allen Romanen
Richardsons begegnen.
— 07 —
£)ann aber beginnt eine zweite Periode in Jenkinsons Leben
mit seinem Aufenthalte im Gefängnis.
Wie sich schon S. 23 zeigte, geht dieser Jenkinson auf
Robinson in Pieldings Amelia zurück, und er ist eine typische
Figur bei Fielding und Smollett überhaupt. Robinson nimmt sich
des Mr. Booth im Gefängnis an, allerdings betrügt er ihn, so-
bald er nur die Gelegenheit findet. In gleicher Weise sorgt
Jenkinson für Primrose, als er in das Gefängnis kommt; er be-
trügt ihn allerdings nicht — er hat ihn schon betrogen und wird
sofort von Primrose erkannt. Sowohl Robinson wie Jenkinson
tragen dann .wesentlich zur Lösung der Intriguen bei, beide
haben schon früher eine Rolle gespielt, Robinson bekennt auf
dem Sterbebett. So war also hier eine Figur gegeben, die aus
einem Betrüger einen Freund macht. Goldsmith brauchte aber
noch einen thätig eingreifenden Freund, da er die Rolle des
Mr. Nightingale aus dem Tom Jones zu besetzen hatte,
der durch sein energisches, freundschaftliches Eingreifen die In-
triguen aufdecken hilft. Für diese Rolle nahm Goldsmith denn
auch Jenkinson in Anspruch. Da er aber nun nach seiner
Umkehr zum Guten thätig eingreifen muss, konnte Goldsmith
diese Umwandlung nicht, wie es bei Robinson der Fall gewesen
war, bei dem es sich nur um Bekenntnisse handelt, durch die
Todesfurcht motivieren, und so verzichtet Goldsmith auf eine
Begründung dieser seltsamen, plötzlichen Umwandlung ins Ex-
trem, vom Bösen zum Guten, völlig. Zweifellos fehlt es dieser
Gestalt an Lebenswahrheit, indessen ist doch Jenkinson eine so
nebensächliche Figur, dass wir kaum an diesem Mangel Anstoss
nehmen werden.
Um zusammenzufassen: in Jenkinson ist die Gestalt eines
blossen Betrügers, des Helfershelfers eines Wüstlings, Robinsons
und Nightingales zusammengeflossen.
Farmer Williams.
Williams spielt durchaus nicht die Rolle des Parson Wil-
liams der Pamela, wie Fischer meint, sondern die des Mr. Sol-
mes der Clarissa Harlowe; das ist S. 21 dargelegt worden.
Während jener handelnd eingreift, dem Squire widersteht, ist
Farmer Williams durchaus passiv; während jener noch auf Er-
-— 66 -^
taöning hoffen kann, da Pamela dem Squire abgeneigt ist, waren
des Farmers Versuche von Anfang an aussichtslos.
Der Charakter des Mr. Solmes ist völlig geändert worden ;
( die Notwendigkeit war schon gezeigt. Williams ist eben ein
!guter Mensch. Wollte man nun aber behaupten, dass sein Cha-
rakter dem des Parson Williams nachgebildet sei, so wäre da-
mit viel zu viel gesagt, denn Farmer Williams ist von Goldsmith
zu unindividuell gezeichnet worden, weil er völlig im Hinter-
grunde steht; das einzige, was wir von ihm hören, ist, dass er
ein rechtschaffener, treu liebender, wohlhabender Mensch ist; in
seiner völligen Passivität widerspricht er sogar gradezu dem Cha-
rakter des Parson Williams.
V. Kapitel.
Episoden.
In die Haupthandlung hat Goldsmith eine grosse Zahl
kleiner, zum grössten Teil ungemein reizvoller Episoden hinein-
gewoben, die hier, soweit mir Vorbilder für sie bekannt gewor-
den sind, behandelt werden mögen.
1. Einzelmotive nach litterarischen Vorbildern.
Wie in Sternes Tristram Shandy (Chapter X)
bei Yorick so viel von seinem abgetriebenen either clapped, or
spavined, or greased Pferde die Rede ist, das er auf dem Markte
losschlagen muss, so ist auch Primrose mit solch einem Pracht-
hengste gesegnet. Auch er sucht, es auf dem Markte loszu-
werden.
Zu der Darstellung des Betruges, der dort an Primrose
geübt wird, ist Goldsmith sicherlich angeregt worden durch L e
Sage, Gil Blas (Livre I, Chapitre H). 1 ) Gil Blas hat eben
seinen guten Esel verkauft, wobei der Käufer dem Esel eine
grosse Zahl von Krankheiten angedichtet und so Gil Blas gründ-
lich betrogen hat. Da kommt ein anderer Bursche, der Gil Blas
*) Nachdem ich diese Übereinstimmung gefunden hatte, sah ich, dass
Dobson schon darauf hingewiesen hat (G.s Vicar of W. ed. von Dobson, S. 289).
— 69 —
mit den Worten anredet: Je viens d'apprendre que vous etes le
seigneur Gil Blas de Santillana, l'ornement d'Oviedo, et le flam-
beau de la Philosophie. Est-il bien possible que vous soyez ce
savantissime, ce bei esprit dont la reputation est si grande en ce
pays-ci? — Vous (zu den Wirten) avez un tresor dans votre
maison: vous voyez dans ce jeune gentilhomme la huitifone
merveille du monde. Durch seine Schmeicheleien erlangt er völ-
lig Gil Blas' Vertrauen und ein feines Abendessen. Also: 1.
Durch Vorspiegelungen betrügerischer Käufer verkauft Gil Blas
sein Tier thörichterweise sehr billig. 2. Ein Schmeichler tritt auf,
der seine wissenschaftlichen Fähigkeiten rühmt, da sich angeblich
sein Ruhm schon über die ganze Welt verbreitet habe. 3. Der
Eitle wird geprellt.
Diese drei Punkte finden sich in Goldsmiths Schilderung
von Primroses Verkauf sämtlich, die Schmeicheleien sind beide-
mal einander sehr ähnlich, und so ist sicher anzunehmen, dass
Goldsmith Le Sage hier nachgeahmt hat. Doch es ist zu be-
tonen, dass Goldsmith diese entlehnte Episode geschickt mit
festen Fäden in seine Handlung hineingezogen hat und sie
seinen Charakteren durchaus anpasste, die rohe Anhäufung von
Missgeschicken, wie sie noch bei Gil Blas ist, vermied und so
recht selbständig änderte. Daher hat der Verkauf noch nicht
stattgefunden, keiner wollte das Pferd kaufen ; der Betrüger hat
es eben auf dieses abgesehen, nicht auf ein blosses Abendessen.
Also beide Betrügereien sind in eine zusammengezogen. Der
Betrüger kommt in der Maske eines alten, ehrwürdigen Mannes
— der Vicar steht zu hoch, als dass ihn jeder beliebige täuschen
könnte — , der schon durch eine Handlung von grosser Mildthä-
tigkeit Primroses Aufmerksamkeit erregt hat. Dazu fasst er
Primrose noch bei seiner schwächsten Seite : er lobt ihn als den
grossen Monogamisten. Das sind in der That vortreffliche Än-
derungen jener noch recht rohen Erzählung. Wohl mit Recht
weist Fischer x ) daraufhin, dass wir noch eine Episode in Smol-
lettsRoderickRandom, Chapter X, mit als Vorbild anzunehmen
haben. Dort treffen Random und sein Freund Strap a venerable
old man, with long gray hair im Wirtshaus, der sie lateinisch
l ) Fischer, S. 164.
— 70 —
anredet und sich als Wirt herausstellt. Durch sein gelehrtes,
lateinisches Gespräch gewinnt er ihr Vertrauen, sodass sie freie
Zeche erwarten, um sie dann bei der Rechnung tüchtig zu prellen.
Eine grosse Reihe von Einzelzügen ist aus Fieldings
Joseph Andrews entlehnt.
Adams wird die Nachricht gebracht, dass sein Söhnchen
soeben ertrunken sei. Er vermag sich nicht zu beherrschen, er
bricht in laute Klagen aus. Da erinnert ihn Joseph an die
Lehren, die er ihm eben selbst gegeben hat : man müsse seine
Leidenschaften unterwerfen. Adams aber weist den Vorwurf
zurück: No man is obliged to impossibilities. Hier handelt es
sich also darum : Ein alter Geistlicher, der stets die Beherrschung
der Leidenschaften lehrt, lässt sich von der Verzweiflung hin-
reissen; ein jüngerer, der fast wie ein Sohn zu ihm steht, muss
ihn zur Mässigung zurückrufen.
Goldsmith hat diese Episode zweimal nachgeahmt. Als er
von der Flucht seiner Tochter Olivia hört, lässt er sich zum
Verfluchen des Verführers hinreissen. Sein Sohn Moses muss
ihn erst an die christliche Lehre des Vergebens erinnern
(Chapter XVII). Genau dasselbe wiederholt sich, als George
gefesselt zu ihm in« Gefängnis geführt wird (Chapter XXVIII).
Der Schluss ist beide Male allerdings ein anderer als bei Fielding,
Goldsmith verfuhr eben auch hier durchaus frei. Über die be-
deutsame Änderung vgl. S. 46.
Ganz richtig weist Fischer darauf hin, dass die Reise
Primroses ,.im Kleinen eine Nachbildung von Adams' grosser
Pilgerfahrt ist." Wie Adams oft ohne Geld in den Wirtshäusern
ist, so begegnet es auch Primrose. Dort unterstützt ein be-
liebiger Fremder Adams, Primrose wird durch einen 1 bekannten
zufällig erlöst, wobei Goldsmith dem Buchhändler Newbery ein
Denkmal gesetzt hat. Angeregt, grade einen Buchhändler hier
einzuführen, wurde wohl Goldsmith durch eine andere Stelle bei
Fielding (I, 7), wo Adams hofft, durch einen Buchhändler unter-
stützt zu werden, dem er seine neuen Bände „sermons" anbietet.
Adams kommt einmal auch zu einem gütigen Wirt, der
ihn unentgeltlich aufnimmt. Im Eifer des Gespräches kommt
es zu einem heftigen Streit, Adams niässigt sich durchaus nicht
seinem gütigen Gastgeber gegenüber, der Schluss ist, der Wirt
— 71 —
weist Adams die Thür. So wird Primrose auf seiner Reise von
einem äusserlich sehr feinen Herrn freundlich aufgenommen
(Goldsmith hat das echte Lustspielmotiv hinzugefügt, dass dieser
sich nur als solcher ausgiebt, in Wahrheit aber der Diener ist;
er wird natürlich hernach von dem wahren Herrn überrascht);
auch er spricht hier seine Meinung so unumwunden frei heraus,
dass er von seinem Gastgeber hinausgewiesen wird. Die Situation
ist also genau die gleiche. Dass wir es wirklich mit einer Ent-
lehnung zu thun haben, beweist auch der Umstand, dass bei
Fielding wie bei Primrose die Rede auf die Zeitungen kommt.
Adams spricht seine völlige Unkenntnis derselben, Primrose seine
Abneigung gegen dieselben aus.
Wie Adams dann zu einer guten Familie kommt, den
Wilsons, so auch Primrose, den Arnolds, wobei Goldsmith eine
geschickte Verbindung mit dem vorigen Erlebnis dadurch herbei-
geführt hat, dass die Herrschaft dieses butler's (der sich als
Herr ausgiebt) eben jene Arnolds sind. Bei beiden ist die Be-
gegnung eine bedeutungsvolle, denn jedesmal trifft Vater und
Sohn zusammen, einmal allerdings ohne ihr Wissen. Jedesmal
wird dort eine lange Lebensgeschichte erzählt (die in einzelnen
Punkten auch noch Verwandtschaft zeigt, vgl. S. 77 ff.). Beide
Male unterbricht der Pfarrer, dort Adams, hier Primrose, die
Erzählung vielfach durch (hört mehr einfältige, hier mehr eifrige
Fragen, die beide Male belustigend wirken, hier allerdings in
geringerem Grade.
Die Situation, in der Primrose seine Tochter verlassen im
Wirtshaus findet, hat wieder ihr Vorbild bei Fielding. Dort ist
Joseph in derselben Lage. Bei beiden geraten Wirt und Wirtin
in Streit. Beide Male ist die Wirtin diejenige, welche die ihr
lästige Person hinauswerfen will, während der Wirt zum Guten
rät. Wie Adams zufällig an der Livree bemerkt, dass es sich
um Joseph handelt, so erkennt Primrose Olivia zufällig an der
Stimme.
Als Primrose im Gefängnis einmal den Gefangenen predigt,
versuchen sie, ihn auf jede mögliche Weise zu verspotten und
lächerlich zu machen. Z. T. machen sie ihre Spässe ganz offen,
z. T. in versteckter Weise, wie zufällig, und entschuldigen sich
dann. Ganz ähnlich war es bei Fielding Adams in der Gesell-
— 72 —
schaft des Squire ergangen. Auch dort verhöhnen ihn einige
ganz offen; einer aber giesst ihm, wie zufällig, die Suppe in
den Ärmel und entschuldigt sich dann höflichst. Ganz verändert
hat aber Goldsmith die Art, wie der Verhöhnte sich daraufhin
verhält. Adams merkt die Spässe zunächst garnicht, will dann
aber mit der Paust dazwischen fahren, Primrose sieht über sie
völlig hinweg und gewinnt durch sein würdiges, ruhiges Wesen
selbst die Achtung dieser Menschen, — also auch hior passt
Goldsmith die entlehnte Episode völlig dem neuen Rahmen an.
Wie die Figur des Dick durchaus aus Joseph Andrews
übernommen ist (vgl. S. 60), so auch fast alle Scenen, in denen
er hervortritt.
Adams' älteste Tochter hat soeben in Bezug auf Fanny
gesagt: I would not give such a vagabond slut a halfpenny,
though I had a million of money; no, though she was starving.
— Indeed, but I would, cries little Dick; and, father, rather
than poor Fanny should be starved, I will give her all this
bread and cheese — (offering what he held in his hand). Adams
smiled on the boy, and told him, he rejoiced to see he was a
Christian, and that, if he had a halfpenny in his pocket, he would
have given it him; telling him it was his duty to look upon all
his neighbours as his brothers and sisters, and love them
accordingly, und hernach ist noch einmal die Rede vom little
Dick, to whom Joseph gave a Shilling, when he heard of his
intended liberality to Fanny (IV, 11).
Eine ganz ähnliche Situation finden wir im V. of W.,
Chapter VI. Die Veranlassung ist hier allerdings eine andere:
die Familie weiss nicht, wie sie Burchell unterbringen soll
während der Nacht, da alle Betten besetzt sind ; da bietet Dick
ihm sein Bett an. Well done, my good children (Bill ist nämlich
dem Beispiele seines Bruders gefolgt!), cried I, hospitality is
one of the first Christian duties u. s. w. Deborah, my dear,
cried I to my wife, give those boys a lump of sugar each, and
Jet Dick's be the largest, because he spoke first. Also in beiden
Fällen haben wir: Dick verzichtet gefällig zu Gunsten eines
Anderen; der Pfarrer fügt eine christliche Ermahnung daran;
der Knabe erhält eine Belohnung — dass wir es mit einer
Nachahmung zu thun haben, liegt auf der Hand.
— 73 —
Ein ander Mal (Book IV, Chapter 10) schiebt Fielding
eine Erzählung ein, indem er sie von Dick vorlesen lässt. In-
zwischen hat sich ein heftiger Streit zwischen den Zuhörern
entwickelt. So muss (Chapter XIII) Dick die Geschichte vom
Dwarf and Giant im V. of W. erzählen ; inzwischen sind Deborah
und Burchell in heftigen Zank geraten.
Es ist dies nur ein ganz äusserliches, bedeutungsloses Mo-
tiv, und die blosse Übernahme eines solchen bedeutet in der
That einen hohen Grad von Unselbständigkeit. Aber Goldsmith
hat es ein wenig vertieft, und deshalb kann diese Nachahmung
nicht so betrachtet werden. Goldsmith hat nämlich dies Motiv
als Mittel gebraucht, den folgenden Sturm wirkungsvoller, be-
deutungsvoller zu machen, dadurch, dass er eine grosse Stille
vorausgehen lässt — jenes von Goldsmith so oft angewandte
Compositionsmittel. (So war es noch nicht bei Fielding verwandt;
dort soll nur dem närrischen Junker Gelegenheit gegeben wer-
den, sich Fanny zu nähern.)
Auch die Art, wie Fielding im Joseph Andrews Personen
eingeführt hat, hat Goldsmith mehrmals zum Vorbilde gedient.
Ruhig sitzt Primroses Familie in ihrer Laube beisammen
(Chapter V), da bricht plötzlich aus dem Walde ein Hirsch her-
vor, doch we had not much time to reflect upon the poor ani-
mal's distress, when we perceived the dogs and horsemen sweep-
ing along at some distance ' behind, and making the very path
it had taken. Als letzter kommt Thornhill, mit dem nun die
Familie bekannt wird.
So sitzen (Book IV, Chapter 6) Adams, Joseph und Fanny
beieinander; Adams ist eingeschlafen, auch die Liebenden wissen
ihre Zeit zu vertreiben. Whilst they amused themselves inthis
harmless and delightful manner they heard a pack of hounds
approaching in füll cry towards them, and presently afterwards
saw a hare pop forth from the wood, and crossing the water,
land within a few yards of them in the meadows. — This affect-
ed the tender heart of Fanny, who exclaimed with tears in her
eyes, against the barbarity of worrying a poor innocent defen-
celess animal out of its life, and putting it to the extremest
torture for diversion. She had not much time to make reflec-
tions of this kind, denn die Jäger kommen schon vollends heran,
- 74 -
unter ihnen der Squire, mit dem sie nun bekannt werden. Also:
zuerst der Friede und die Stille; ein ermüdetes Tier, von
Jägern verfolgt, bricht plötzlich herein; die Zuschauenden empfin-
den inniges Mitleid; unter den Jägern befindet sich ein vor-
nehmer Adliger, mit dem sie bekannt werden. Diese vier Punkte
befinden sich bei beiden und beweisen die Entlehnung.
Auch die Einführung des Chaplain, Chapter VIII, hat ein
Vorbild im Joseph Andrews (Book II, Chapter 7). Eine Ballade
wird gelesen, die ganze Familie ist in die (Schönheit derselben
vertieft; but our tranquillity was soon disturbed by the report
of a gun just by us, and immediately after a man was seen
bursting through the hedge to take up the game (eine Amsel)
he had killed. — So loud a report, and so near, startled my
daughters. So sitzt Adams ruhig im Grünen, auch mit einem
litterarischen Werke beschäftigt — in seinen Aeschylus vertieft;
he had not sat long here before a gun going off very near, a
little startled him; he looked up and saw a gentleman within a
hundred paces taking up a partridge which he had just shot.
Mithin stimmen folgende Punkte überein (dazu ist der Wortlaut
fast derselbe!): Man liest vorher; in unmittelbarer Nähe ertönt
ein Schuss, ein Vogel fällt nieder; ein grosses Erschrecken ist
die natürliche Folge ; beide Male wird nun der Jäger selbst ein-
geführt.
Auch diese episodische Einführung ist sehr fest und hübsch
von Goldsmith mit seiner Erzählung verbunden worden : bei der
plötzlichen Überraschung fliegt Sophia ängstlich in Burchells
Arme ; ihre Liebe wird so offenbar. Auch die Beute spielt noch
eine Rolle.
Ich glaube, dass Fischer sich irrt, wenn er eine andere
Situation (Book III, Chapter 4) als Vorbild ansieht. Dort sitzt
Adams mit Wilsons in deren Garten zusammen. Plötzlich fällt
ein Schuss, doch in ziemlicher Entfernung: der Squire hat den
Hund einer Tochter erschossen. Das Ganze dient nicht zur
Einführung einer Person. Es ist w r ohl ganz deutlich, dass die
Übereinstimmung mit der vorigen Situation weit grösser ist.
Schliesslich hat Goldsmith noch im letzten Kapitel seines
Romans einen Zug aus Joseph Andrews übernommen. Fielding
lässt Lord Booby und Pamela in der Kirche lachen, was Adams
— 75 —
streng rügt — eine satirische Spitze gegen Richardson. So ist
auch die Hochzeitsgesellschaft bei Goldsmith überaus lustig, und
Primrose was often tempted to turn back in indignation. Hier
hat dieser Zug natürlich gar keinen Sinn, um so weniger, als er
zu dem gemessenen, würdigen Charakter eines Burchell, zu dem
herben George nicht im Geringsten passt, ja gradezu störend
wirkt. Man wird gestehen müssen, dass diese Entlehnung recht
oberflächlich und unglücklich ist, wie Fischer mit Recht hervorhebt.
Eine Episode des Tom Jones (Book XIV, Chapter VI)
scheint Goldsmith übernommen zu haben. Dort spricht Tom
Jones mit Betsy, der jungen Tochter der Mrs. Miller : And are
you not afraid to die, my little Hetsy? said Jones. Yes, answered
she, I was always afraid to die ; because I must have left my mamiua
and my sister ; but I am not afraid of going any where with those
I love. Ähnlich heisst es bei Goldsmith. Primrose sagt : I hope
you are not afraid to lie in this room dark as it appears. No,
papa, says Dick, I am not afraid to lie any where where you are.
And I, says Bill, who was yet but four years old, love every place
t»8t that my papa is in.
Ein Motiv hat Goldsmith wohl aus Richardsons Pamela
entlehnt.
Als Pamelas Vater von dem Verschwinden seiner Tochter
gehört hat, bricht er sofort auf und kommt bei dem Squire an
soon after daylight, at the gate of the gentleman, before the
family was up (I. S. 99.). Gerade dieses frühe Ankommen —
der alte Mann muss lange warten, ehe er den Squire sprechen
kann — charakterisiert die gewaltige Unruhe des Vaters. Genau
das Gleiche — in derselben Situation — linden wir .bei Prim-
rose, nachdem seine Tochter Olivia mit dem Squire Thornhill
verschwunden ist: I therefore went to the young Squire's, and
though it was yet early, insisted upon seeing him immediately
(Chapter XVIII). Beide Male der angsterfüllte Vater, der vom
Squire sein Kind zurückfordern will, der in seiner Unruhe schon
•
ltt * frühesten Morgengrauen zu ihm kommt — die Entlehnung
ls t deutlich.
Wenn Primrose (Chapter I) unter den little rubs which
**"ovidence sends to enhance the value of its favours auch auf-
zählt: The Squire would sometimes fall asleep in the most
— 76 —
pathetic parts of my sermon, so schwebt ihm hier wohl Sir
Roger de Coverley vor, von dem Addison im Specta tor vom 9. Jufi
1711 (No. 112) Ähnliches erzählt, wobei man bedenken muss,
wie vertraut jedem Engländer die Gestalten des Spectator mit
ihren vielen köstlichen Zügen waren und ja noch sind: As Sir
Roger is Landlord to the Congregation, he keeps them in very
good Order, and will suffer no Body to sleep in it besides him-
self ; for if by Chance he has been surprized into a short Nap
at Sermon, upon recovering out of it, he Stands up and looks
about him, and if he sees any Body also nodding about him,
either wakes them himself, or sends his Servants to them.
Burchells berühmtes Pudge, das er am Ende jedes Satzes
der ladies einstreut, erinnert ein wenig an eine Geschichte, die
im Tatler No. 80, vom 11. Oktober 1709, erzählt ist. Dort
wird eine Hochzeitsfeier geschildert, bei der ein Gast eine sehr
unpassende Geschichte zum Besten giebt, wobei ein lieutenant
of mariners beständig dazwischenruft: Knock him down, knock
him down. Es wäre vielleicht möglich, dass diese Erzählung
Goldsmith vorgeschwebt hat, um so eher als man einen äusseren
Anlass vermuten möchte, da Goldsmith dieses Fudge erst später,
nach der ersten Auflage, eingeschoben hat.
2. Einzelmotive nach Erlebtem.
Hierfür weiss ich nur einen Zug anzugeben, und auch
dieses ist nicht mehr als eine unsichere Vermutung.
Olivia ist mit Thornhill aus dem elterlichen Hause ent-
flohen — reumütig und gebrochen kehrt sie nun wieder zurück.
Ein überaus harter und rauher Empfang wird ihr von ihrer
Mutter zuteil. Fischer meint, es wäre das ein Reflex der Härte
der Harloweschen Familie gegen Clarissa. Es ist nicht zu
leugnen, dass dieser Zug durchaus nicht zu dem Primroseschen
Familiencharakter stimmt; wir wissen aber, wie streng und
konsequent Goldsmith im übrigen diese fremde Fabel seinen
Verhältnissen anzupassen wusste. So ist es wohl wahrschein-
licher, sicher ansprechender, hier an ein eigenes Erlebnis Gold-
smiths zu denken. Im Jahre 1752 hatte er, reich mit Geld
versehen, auf einem stattlichen Esel, das mütterliche Haus ver-
lassen, mit dem abenteuerlichen Plane, sich nach Amerika zu
begeben. Doch schon nach sechs Wochen kehrte er, völlig
— 77 —
mittellos, auf einem ganz elenden Tiere zurück; von der erzürnten
Mutter wurde ihm ein harter Empfang- zu teil, worauf er die
charakteristischen Worte äusserte: And now, my dear mother,
after having struggled so hard to come home to you, T wonder
you are not more rejoiced to see me. 1 )
3. Einzelmotive nach litterarischen Vorbildern und
nach Erlebtem.
Als letzte Episode will ich die Erzählung Georges von
seinen Erlebnissen behandeln.
Das Einschieben von solchen Selbstbiographien war sehr
beliebt seit der Zeit des Abenteuerromans. Dort soll viel vor-
geführt werden. Jede neue Person muss so ihre Erlebnisse er-
zählen. Man denke nur an die ungeheuere Zahl von Selbst-
biographien, die in Le Sages Gil Blas eingestreut sind. Fielding
und Smollett, die in so vielem der Tradition des Abenteuer-
romans gefolgt sind, haben auch oftmals dieses Mittel gebraucht,
ran ihre Romane bunter zu machen, den Gesichtskreis zu er-
weitern. So erzählen bei Fielding Wilson, the Man of the Hill
ihre Lebensgeschichte.
Diesem Vorbilde ist Goldsmith gefolgt, und zwar ist Georges
Erzählung im besonderen nach dem Vorbilde der Wilsonschen
Erzählung eingeschoben, worauf schon S. 71 gewiesen wurde.
Goldsmith hat ihm den Namen the philosophic vagabond
gegeben. Derselbe ist nicht von Johnson geprägt, 2 ) denn
schon im Citizen of the World, Letter II (also vom 29. Jan. 1760,
das ist, bevor Goldsmith ihn kennen lernte), heisst es: For all
thy favours accept my gratitude and csteem, the only tributes a
poor philosophic Wanderer can return, und noch mehr entsprechend
Letter VII: a man who leaves home to mend himself and others,
is a philosopher ; but he who goes from country to country, guided
by the blind impulse of curiosity, is only a vagabond. Der
Sinn ist ja schon hier völlig der gleiche, es bedurfte nur noch
des Einsetzens des letzten Wortes in den ersten Ausdruck.
Ich will nun zu Georges Erzählung selbst übergehen und
die einzelnen Punkte behandeln.
*) Forster, I, 42.
*) Dobson S. 99. Die Stelle selbst habe ich nicht gefunden.
— 78 —
George kommt zunächst in die Stadt und sucht seinen
Vetter auf, an den er Empfehlungen hat, den er also, wie
aus allem hervorgeht, als grossen Mann anzutreffen hofft; aber
dieser Vetter was himself in little better circumstances than I.
Hier liegt wohl eine Erinnerung an das eigene Leben bei Gold-
smith vor : er ist der Vetter selbst. Grade so 1 ) kam zu ihm im
Jahre 1757 sein Bruder Charles und glaubte, ihn als berühmten
Mann in den glänzendsten Verhältnissen zu finden, wurde aber
bitter enttäuscht.
Von diesem Vetter erbittet George einen Rat betreffs der
Stellung eines usher. Mehrmals hat Goldsmith in seinen Werken
über eine solche Stellung gesprochen, in the Bee, No. VI, in
seinem Essay On Education, stets in der gleichen, scharfen und
abfälligen Weise. Goldsmith war selbst Unterlehrer gewesen
bei Dr. Milner in Peckham ; wir müssen uns deshalb fragen:
haben wir es hier mit Erinnerungen an diese Zeit zu thun?
Wir haben über diese Unterlehrerzeit die widersprechendsten
Berichte.
Die Tochter Dr. Milners, Miss Hester Milner, hat einen
Bericht über sein Leben in Peckham gegeben, nach dem man
unbedingt vermuten müsste, dass er dort ein sehr glückliches
geführt hätte. Doch es ist zu betonen, dass Miss Hester Milner
nicht unparteiisch war, ihr Bericht nicht objektiv sein konnte,
um so weniger, als sie ihren Bericht erst am Ende der 90er
Jahre schrieb, wo also Goldsmiths Ruhm ein völlig gefestigter
war. Der Bericht John Evans', 2 ) im gleichen Sinne, ist ebenso
unzuverlässig, da er auf jenen zurückgeht. Dagegen erzählt
a person who lived in the dosest habits of intimacy with the
Doctor for the last two years of his life, 3 ) Mr. Cooke: The
circumstances of his being usher at Peckham Academy was the
only sera of Goldsmith's life that he was vain enough to be
ashamed of, forgetting that a man cannot become mean by a
mean employment — and when an old friend one day very
innocently made use of that common phrase: „Oh, that's all a
') Dobson S. 52.
2 ) European Magazine, Vol. 58.
8 ) European Magazine, Vol. 24.
— 79 —
holiday at Peckham," he reddened with great indignation, and
asked whether he meant to affront him.
Ich glaube, einerseits Goldsmiths durchgängig bittere und
abfällige Urteile über die Stellung eines Unterlehrers, anderer-
seits diese Anekdote, die doch zweifellos einen sehr wahren Ein-
druck macht, weil sie so gut zu Goldsmiths Charakter passt,
müssen uns zu der Überzeugung bringen, dass sein Leben dort
ein für ihn sehr unglückliches war, dass wir hier im V. of W.
einen autobiographischen Zug haben (vielleicht ein wenig über-
trieben). Goldsmith hätte die Milnersche Familie auch gradezu
beleidigt, wenn er in seiner einzigen Unterlehrerstelle, also bei
ihnen, ein wirklich gutes Leben gehabt hätte, und dennoch solche
Schilderungen davon gab.
Es ist natürlich wohl möglich, dass einige der Anekdoten,
die ihn als den alten, fröhlichen Oliver zeigen, darum doch wahr
sind ; aber ein paar fröhliche Augenblicke machen noch nicht
ein Leben glücklich. Es mag wahr sein, dass Mrs. Milner ihm
mütterlich sein Geld aufbewahrt hat, damit er es nicht verschleu-
dere; es mag übertrieben oder gar unwahr sein, wenn er sagt:
I was hated for my ugly face by the mistress, dann dachte
er an andere Situationen seiner Jugendzeit, wo er oft genug des-
wegen verspottet wurde: dadurch kann unser Schluss nicht ge-
ändert werden.
Campbell l ) berichtet, Goldsmith habe schon vor seiner
'grand tour' eine Unterlehrerstelle innegehabt. Auch wenn dies
wahr wäre, so könnten wir doch nicht alle schlechten Erfahrun-
gen auf diese Stelle schieben ; denn mit der Änderung des Ortes
wird Cookes Bericht völlig sinnlos.
George giebt den Plan auf, Unterlehrer zu werden, und
wendet sich der Schriftstellerlaufbahn zu. (Goldsmith trat ent-
sprechend vom Lehrerstande zum Litteratenstande über !) Mit
einem Schlage will er sich durch neue Theorien berühmt machen.
Es misslingt völlig, er sieht sich genötigt, to write for bread.
Das stimmt nicht zu Goldsmiths eigenem Leben. Er hatte bei
Dr. Milner zufällig Griffith kennen gelernt und wurde durch ihn zu
der neuen Laufbahn veranlasst ; er hatte statt der grösseren
l ) Philosophical Survey of the South of Ireland (Forster I, 74,75).
— 80 —
eine kleinere Plage gewählt und war sofort ein hackney-writer
geworden. Das wäre für einen Roman zu prosaisch, zu undrir
matisch gewesen, da diente ihm die so nahe liegende Lebens-
beschreibung Wilsons als Vorbild. Dieser hat dieselbe Absicht:
ein Drama soll ihn aus aller Not herausreissen, zum berühmten
Manne machen. Es wird nicht angenommen, er wird ein haek-
ney-writer, zuerst allerdings bei den lawyers, dann ebenfalls bei
einem Buchhändler.
Wenn Goldsmith diese Zeit beschreibt, so denkt er wohl
sicherlich an die, da er angestrengt bei Griffith arbeitete, ohne
das Geringste ausser dem Nötigsten für das Leben zu verdienen,
kehrte er doch sogar noch einmal zu Dr. Milner zurück! The
easy simplicity of my style bezieht sich sicherlich auf seine eigene
Schreibweise.
Wie Wilson hier ein paar Worte über die betrügerischen
Subskriptionen eingeschoben hat, so konnte auch Goldsmith das
nicht unterlassen, wenngleich es hierher gar nicht passte und
Goldsmith so die Subskription einen anderen abhalten lassen
muss. Dobson (Anm. zu seiner Ausgabe S. 300) wies auf die
Ähnlichkeit mit einer Scene in Fieldings Anthor's Farce hin,
Act 2, Scene IV.
George kommt nun mit Thornhill zusammen, — damit
kommen wir in die Fabel selbst hinein, über die schon früher
gesprochen ist.
Eingeschoben wird darein, wieder ohne Bedeutung für
Georges Leben, eine Audienz bei einem Lord. Solche halb
lächerlichen Audienzen darzustellen, scheint besonders beliebt
geworden zu sein seit der berühmten Johnsonschen Affaire mit
dem Earl of Chesterfield im Jahre 1755. (Goldsmith hatte schon
im Citizen of the World, Letter XXX, eine solche beschrieben).
Direkt angeregt, hier eine Audienz einzuschieben, obwohl sie
völlig bedeutungslos ist, wurde Goldsmith wieder durch Wilsons
Selbstbiographie, der bei Gelegenheit der Subskription von
solchen Audienzen spricht.
Laun 1 ) will diese Audienz in Verbindung bringen mit der,
die Goldsmith bei dem Earl of Nugent gehabt hat, und nennt
die Erzählung im Citizen of the World von einer Audienz und
*) Laun, 0. G., sein Leben, sein Charakter and seine Werke, 1876.
•»- 81 —
die im V. of W. zwei Versionen dieser Audienz bei dem Earl
of Nugent, deren Verlauf uns von Hawkins *) geschildert ist.
Davon kann natürlich gar keine Rede sein, da der Earl so lie-
benswürdig gegen Goldsmith war, wie nur möglich, und da Gold-
smith der zurückweisende Teil war.
Wenn schliesslich Percy erzählt, dass Goldsmith wirklich
einmal einen Diener für den Herrn gehalten habe, so ist hier die
allergrösste Vorsicht anzuwenden, da es sehr leicht möglich ist,
dass dieses Erlebnis aus dem V. of W. erst später herausver-
mutet wurde, um so mehr, als er es in ganz unbestimmter Weise
nur mitteilt. Betrachten wir aber die grosse Ähnlichkeit, die
diese Episode mit einer Fieldingschen in Amelia, Book VII,
Chapter V, hat, so müssen wir wohl annehmen, dass Goldsmith
hier nur im Banne der litterarischen Tradition steht.
George lässt sich darauf für Ost-Indien anwerben; wie
Goldsmith auf dieses Motiv kam, ist mir nicht gelungen heraus-
zufinden. Diese Anwerbung wird verhindert, und George beginnt
seine grossen Reisen.
Es ist überaus schwer zu beurteilen, wie weit hier die
Wahrheit, wie weit die Dichtung geht, um so schwerer, als
Goldsmiths Briefe aus dieser Zeit verloren sind. Die Urteile
der Biographen sind daher auch völlig verschieden.
Was Boswell (he disputed his way through Europe), was
Cooke im European Magazine mitteilt: He frequently used to
talk of his distresses on the continent, such as living on the
hospitalities of friars in convents, sleeping in barns and picking
up a kind of mendicant livelihood by the German flute with
great pleasantry, ist alles nach dem Erscheinen des V. of W.
geschrieben und kann also sehr leicht von diesem beeinflusst
sein, und da ein Teil in Georges Erzählung offenbar autobiographisch
ist, lag es wohl für viele allzu nahe, alles für autobiographisch
zu halten. Nur wenige Zeugnisse haben wir aus der Zeit vor
dem Erscheinen des V. of W. ; zwei sind von Goldsmith selbst.
Er sagt in dem Enquiry : A man who is whirled through Europe
in a post-chaise, and the pilgrim who walks the grand tour on
foot, will form very different conclusions. Haud inexpertus loquor
(die letzten Worte nur in der ersten Auflage). Diese Äusserung,
so völlig frei von jeder romantischen Beimischung, ist sicherlich
l ) Sir John Hawkins, The life of Samuel Johnson. 1787. 6
/• »
— 82 —
wahr. Also sicher hat Goldsmith seine Reisen zu Fuss gemacht.
Und wenn Goldsmith, der so bedacht auf äussere Anerkennung
war, der dieses Haud inexpertus loquor ängstlich strich, ein
ander Mal ausrief, dass er unter den Bettlern von Paris ge-
lebt habe, so wird dies sicher nicht ganz erfunden sein ; er muss
auf seinen Reisen bettelarm gewesen sein. Schliesslich hat ein
Dr. Ellis, der Goldsmith in Leyden traf, berichtet, dass er dort
Sprachunterricht gegeben habe.
So sehen wir, dass Goldsmith sicherlich bettelarm, zu Fuss
durch die Länder gewandert ist, dass er in Leyden Sprachunter-
richt gab, um sich zu erhalten. Ausserordentlich berühmt war
damals des dänischen Grafen von Holberg romantische Art zu
reisen geworden (Goldsmith schrieb darüber im Enquiry, ChapterV).
Auch er war zu Fuss gereist, mittellos, auch er hatte sich durch
Sprachunterricht durchgeschlagen, andererseits durch seine musi-
kalische Geschicklichkeit. Wir sehen also, dass Goldsmith ver-
sucht hat, das Holbergsche Leben noch einmal durchzuleben,
und gern werden wir deshalb glauben, dass Goldsmith auch das
andere Mittel Holbergs durchzukommen benutzt hat: sich durch
das Land zu singen und zu disputieren. So müssen wir also
auch diese Zöge wenigstens im wesentlichen für autobio-
graphisch halten, wenn sie auch im Grunde auf Holberg zurück-
gehen.
Gehen wir nun auf die Einzelheiten ein. George geht nach
Leyden, so Goldsmith im April 1774. Wie er geht George von
dort aus nach Louvain. Worauf sein Erlebnis betreffs des
griechischen Unterrichts zurückgeht, ist unbekannt. Jedenfalls
liegt darin ein schlimmes Urteil für die Holländer, wie auch
schon Holberg in seiner lateinischen Selbstbiographie in Briefen
schlecht über die Holländer geurteilt hatte.
Wie Goldsmith kommt George auf seiner Wanderung nach
Paris. Er lebt dort als „Kunstkenner" — was daran wahr ist,
ist völlig unbekannt, denn von Goldsmith wissen wir bis auf
wenige, sich fast widersprechende Andeutungen nicht, wie er
dort gelebt, was er dort getrieben hat. Recht hübsch ist Blacks
Vermutung, 1 ) dass Goldsmith bei der Belehrung über die two
rulcs. die jeden Menschen zum Kunstkenner machen, an die few
J ) Black, Oliver Goldsmith, S. 28. (English Men of Letters).
- öä -
tricks dachte, die er einst bei Griffith für die Schriftstellerei
gelernt hatte. Vielleicht hat Fischer 1 ) recht, wenn er die An-
regung zur Einführung dieses Motivs auch in litterarischen Vor-
bildern findet, in Smolletts Peregrine Pickle, der auch in Frank-
reich mit einem Maler zusammenkommt.
George wird dann tutor bei einem grossen Geizhals; auch
was hieran wahr ist, ist nicht deutlich. 2 )
Während Goldsmith noch Deutschland, die Schweiz berührte,
dann sich erst nach Italien wandte, reist George sofort dorthin;
von dort zurück nach England, wie Goldsmith.
Dort trifft George auf Schauspieler und schliesst sich ihnen
an. Dasselbe wird von Goldsmith behauptet, er habe in Kent
in einer Schauspielertruppe mitgewirkt. Laun zieht dazu die
Worte Primroses heran : and as I once had some theatrical ppwers
myself I disserted on such topics with my usual freedom, und
meint, dass hier nur Primrose für Goldsmith steht. Das ist alles
möglich, um so mehr, als Goldsmith schon einmal in seinem
4. Essay solch einen wandernden Schauspieler gezeichnet hatte,
aber genaueres zu sagen, ist unmöglich; schon Launs Urteil
„ziemlich glaubhaft" klingt zu sicher.
Nun trifft George seinen Vater, und damit hört die Epi-
sode auf.
Die Veranlassung zum Einschieben derselben gab also
Fieldings Joseph Andrews mit Wilsons Erzählung. Diese hat
denn auch in mehreren Zügen zum Vorbilde gedient. In der
Mehrzahl haben wir es aber mit autobiographischen Zügen zu
thun, die indessen nicht ein genaues Bild von seinem Leben geben,
da sie einerseits nur eine Auswahl darstellen, andererseits aus
verschiedenen Lebensperioden genommen sind.
1 ) Fischer, S. 163.
2 ) Forster, I, 62.
^
- 84 —
VI. Kapitel.
Die Umgebung.
Im Vicar of Wakefield ist keine genau? Zeitangabe, wie
etwa Smollett Roderick Random in einem bestimmten Jahre in
Epgland ankommen lässt, und wie Fielding eiijen seiijßr Ij^mane
genau datiert. Goldsmith wählte auch keinen bestimmten poli-
tischen Hintergrund, wie ihn jene beiden Schriftsteller haben.
Die Wellen des Weitgetriebes schlagen nicht in das friedliche
Leben der Pfarrersfamilie hinein, nur durch George hören wir
ein fernes Rauschen. Goldsmith ist weit davon entfernt, ein Bild
von dem bewegten Treiben des Lebens zu geben, wie Fielding
etwa im Tom Jones, Smollett im Roderick Random, im Peregrine
Pickle; Goldsmith lässt seine Personen sich im engen Kreise
bewegen, wie Richardson es gethan hatte (auch im zweiten
Teile, wo die Pfarrersfamilie mehr mit der Welt zusammenkommt,
bleiben sie im wesentlichen doch im abgeschlossenen, engen Kreise).
Eine seltsame Anschauung aber ist es, wenn Gosse 1 ) in diesem
Punkte Goldsmiths Roman als einen Rückschritt bezeichnet, als
wäre es, nachdem Fielding mit weitem Blick das bewegte Leben
dargestellt hatte, die jedem Schriftsteller einzig würdige Aufgabe,
das Leben in dieser selben Form zu beschreiben: sicherlich eine
verkehrt einseitige Auffassung! In der That, ein ganz neuer
Geist liegt in Goldsmiths Roman; von jener wildbewegten Dar-
stellung ist er zur ruhigen, idyllischen übergegangen. Nicht
Unrecht mag Perry 2 ) in seiner historischen Begründung dieses
Überganges haben: Its idyllic tone was essentially that which
we frequently observe in literature before the French Revolution.
There are the mutterings of that storm, too, in the denunciations
of the rieh which are to be found in the novel, and the appeal
for sounder conduet.
Der idyllischen Darstellung angemessen, ist die Stimmung
im ganzen Romane freundlich-heiter, schon durch den Optimismus,
der überall hindurchscheint. In den Personen ist Gefühlswärme
mit Verstandesmässigkeit ungemein glücklich gemischt. Die
Personen sind weit entfernt von der Trockenheit der Popeschen
J ) Gosse, A History of Eighteenth Century Literature, S. 349.
*) Th. 8. Perry, English Literature in the Eighteenth Century, S. 399 f.
— 85 —
Zeit, da sie wirkliches Gemüt, wirkliches Gefühl besitzen, weit
entfernt von der verschwommenen Gefühlsschwärmerei Richardsons,
aber auch von der wilden, ungezähmten Leidenschaftlichkeit
Fieldingscher und Smollettscher Gestalten, da ihnen allen genug
von eindämmender und regelnder Verstandesmässigkeit eigen ist;
eine Mischung aller dieser Extreme stellen eben seine Personen dar.
Goldsmith bat selbst den Roman fest lokalisiert, in Wake-
field. Oft ist bemerkt worden, dass der Titel ungemein schlecht
passt, verlässt doch der Pfarrer Wakefield schon im III. Chapter
des Romans, erlebt er doch seine Hauptschicksale garnicht als
Vicar of Wakefield. In einem anonym erschienenen Aufsätze 1 )
wurde daher vermutet, dass vielleicht Newbery oder Collins, nicht
aber Goldsmith, den Titel gegeben habe. Der Verfasser sucht
seine Vermutung dadurch zu stützen, dass er an der Hand von
Mr. Gilberts Memorials zeigt, Goldsmith habe sehr viel auf den
Titel gegeben (The title, Sir, why, the title is everything). Nun,
gerade durch diesen Nachweis (wir wissen es auch von einer
seiner Comödien her) widerlegt er selbst seine Vermutung; denn,
wenn Goldsmith eben so viel auf den Titel gab, dann wird er
sich wohl schwerlich dazu verstanden haben, seinen Roman von
einem andern, dazu noch recht sinnlos, betiteln zu lassen.
Schon durch diese Erwägung wird man zu der Annahme
getrieben, dass hier ein tieferer Grund sein muss, warum Gold-
smith gerade Wakefield in den Titel gesetzt hat. Diese Schwierig-
keiten wären in der That gelöst, wenn Goldsmith, wie Ed. Ford 2 )
nachzuweisen versucht hat, aus dem Leben gegriffene Verhält-
nisse verwandt hat, vielleicht gar durch sie zu seinem Romane
angeregt wurde. Leider war es mir unmöglich, diese, anscheinend
so überaus wichtige, Arbeit zu erlangen und zu benutzen, und
so muss ich auf den Versuch einer Nachprüfung völlig verzichten,
die allerdings mit Sicherheit wohl nur an Ort und Stelle selbst
vorzunehmen wäre.
Bemerken möchte ich hierzu noch, dass Dobson einen Be-
richt mitteilt,') nach dem Goldsmith oft in Yorkshire gesehen
worden sein soll.
1 ) Notes and Queries, 7*h Series. XI. 10. Jan. 1891. S. 28,
2 ) National Review, May 1883.
8 ) Vicar of Wakefield, hrsg. von Dobson, Anm. S. 294,
— 86 —
Wir wissen sogar, dass man schon im Jahre 1777 den V.
of W. nach Wakefield lokalisiert hat. Damals machte der
Amerikaner Samuel Curwen eine Reise durch England. Von
ihm besitzen wir sein Tagebuch l ) ; unter dem Datum 30. Mai
1777 beschreibt er Wakefield und sagt schliesslich : The principal
character in the novel called The Vicar of Wakefield was taken
from the late vicar of this church (Episcopal church), named
Johnson, whose peculiarly odd and Singular humour has exposed
his memory to the ridicule of that satire. Dem guten Ameri-
kaner hat zwar sicherlich die Kenntnis unsres Romans nicht grade
das Gedächtnis beschwert, immerhin bleibt doch bestehen, dass
die Wakefielder schon damals (man muss bedenken, Goldsmith
war erst drei Jahre tot, viele seiner vertrauten Freunde aber
lebten noch, die wohl hätten widersprechen können!) den Roman
für ihren Ort in Anspruch nahmen. Zu bedenken ist doch auch,
dass die Beziehungen auf wirkliche Umstände und Personen,
die Ford nachweisen zu können glaubt 2 ), kaum den so be-
stimmten Titel „The Vicar of Wakefield" rechtfertigen. So
ist es vielleicht doch nicht unmöglich, dass ein Funken von
Wahrheit in Curwens Bericht ist. Wenn wir auch unmöglich an-
nehmen werden, dass er das genaue Vorbild für Goldsmith
war, so könnte solch ein wirklicher Vicar of Wakefield ihn doch
in irgend einem Zuge beeinflusst haben; dadurch könnte Gold-
smith darauf gekommen sein, die übrigen Verhältnisse Wakefields
hineinzuziehen, und alles dies mag ihn dann zu dem Titel
veranlasst haben. Sicherlich dürfen wir nicht aus der uns bis
jetzt noch unklaren Titelbezeichnung auf eine „ oberflächliche Ar-
beitsweise" schliessen, wie es Fischer (S. 196) gethan hat.
1 ) Journal and Letters of the Late Samuel Curwen, S. 130 f.
2 ) Dobson giebt eine kurze Angabe der Resultate: 0. Goldsmith, S. 119.
— 87 —
VTL Kapitel.
Eingeschobene Gedichte.
Goldsmith hat drei Gedichte in seinen Roman eingestreut.
Dobson ') behauptet, dass die Veranlassung zum Einschieben we-
nigstens des einen Gedichtes die sei, er ultimately stopped a gap
with Edwin and Angelina. Es ist das eine zu äusserliche Be-
gründung, die wahre liegt tiefer. Es begegnet uns dieselbe Vor-
liebe bei den deutschen Prosaikern der Romantik, vor allem
Eichendorff. Die starke und enge Verbindung und Durchdringung
des Lebens mit der Poesie ist ja für die Romantik charakteristisch —
Goethe a ) spricht von der „wahrhaft poetischen Welt", zu der
Primrose sich erhebt. So verstehen wir, wenn Goldsmith an der
Schwelle zur Romantik die reine Poesie in die prosaische Dar-
stellung des Lebens hineinzieht.
Aber auch aus einem anderen Grunde kann von einem
Stopfen eines Loches keine Rede sein: sicher mit Überlegung
hat Goldsmith sämtliche Gedichte kunstvoll in den Roman hinein-
komponiert, denn jedesmal hat er sie benutzt, um eine starke
Contrastwirkung, die er überhaupt liebt, herauszuarbeiten: nach-
dem Burchell seine Ballade vorgetragen hat, unterbricht der
Kaplan die friedliche Stimmung mit einem Schuss; kaum ist die
Elegie gesungen, so kommt die Nachricht von Olivias Flucht;
sobald Olivia ihr Liedchen beendet hat, erscheint Thornhill, und
es kommt zu der entscheidenden Katastrophe.
Wir gehen nun zu den einzelnen Gedichten über.
1. Edwin and Angelina.
Über die Abfassungszeit dieser Ballade haben wir eine,
wenn auch nicht völlig bestimmte, Mitteilung von Hawkins: 3 )
As he wrote for the booksellers, we at the club, looked qn him
as a merely literary drudge — he had nevertheless, unknown
to us, written and addressed to the countess, afterwarks duchess
of Northumberland, one of the finest poems of the lyric kind
that our lauguage has to boast of, the ballad' Turn gentle Hermit
*) Oliver Goldsmith, S. 117.
2 ) Aus meinem Leben, II. Teil, X. Buch,
*) Life of Johnson, S. 420,
— 88 —
of the Dale\ Das beweist klar, dass die Ballade im Anfange des
Jahres 1764, zu welcher Zeit der club gegründet wurde, ver-
fasst war. Wann Goldsmith sie sonst geschrieben hatte, ist ganz
unsicher, gewiss nur, nachdem Percy begonnen hatte, seine Reliques
zu sammeln, das heisst nach 1761 — dies beweist seine Quelle.
Nicht zum ersten Male ist die Ballade im Vicar of Wake-
field erschienen, schon früher hat Goldsmith sie drucken lassen,
im Jahre 1765, aber nur privatim für die bereits erwähnte
Gräfin von Northumberland. Mit Recht begründet sicherlich
Dobson diese private Drucklegung damit, that Goldsmith wanted
to use it, or had already used it, in the forthcoming Vicar of
Wakefield. Über die Textgeschichte giebt Black 1 ) und Forster)
genauen Aufschluss.
Über die unmittelbare Quelle sind wir unterrichtet. Man
vermutete, Percys Ballade The Friar of Orders Gray habe ihm
zum Vorbilde gedient, doch wies noch Goldsmith selbst in St.
James's Chronicle darauf hin, dass grade seine Ballade (zusammen
mit Versen von Shakspere) für Percys Gedicht die Quelle
war. Percy hat dies dann selbst auch im Memoir bestätigt, und
dabei hat er die wahre Quelle für Goldsmiths Ballade genannt;
es ist dies die alte Ballade: Gentle Herdsmann, teil to me, die
schon im Folio-Manuscript enthalten war. Im weiteren Sinne
ging sie überhaupt aus Goldsmiths näherer Beschäftigung mit
den alten Balladen hervor, zu der er durch Percy angeregt wurde.
(Erwähnt sei noch, dass im Jahre 1797 behauptet wurde, Gold-
smith habe ein französisches Gedicht als Quelle benutzt; doch
auch hier liegt das Verhältnis umgekehrt, vergl. Dictionary of
National Biography und Forster, I. 377, Anm.)
Mit einer kunstmässigen Nachahmung alter Volksballaden
haben wir es also zu thun.
Schon im XV. Jahrhundert begegnen uns die ersten Nach-
ahmungen, am Anfange die Feenballade vom Thomas of Ercel-
doune, mit gut volkstümlicher Metrik, doch zu ungewohnten
Fremdwörtern, zu genauem Motivieren und mit einer ausge-
sprochenen Tendenz; dann am Ende des Jahrhunderts die Ballade
vom Nut-Brown-Maid mit äusserst kompliziertem Reimsystem.
') Oliver Goldsmith, S. 85.
2 j Life and Times u. s. w, IL S„ 379.
— 89 —
Reichsr fliesst der Strom der Nachahmungen unter Elisabeth;
Deloney und Warner in Albion's England sind die wichtigsten
unter den Nachahmern. Mit dem Sinken der Volkspoesie selbst
am Beginn des XVII. Jahrhunderts hören zunächst auch die
Nachdichtungen auf, erst am Ende des Jahrhunderts steigt wieder
das Interesse: Prior hält sich in seiner Ballade Henry and Emma
an die schon getrübte Quelle der Volkstümlichkeit The Nut-
Brown-Maid. In Schottland, wo im XVII. Jahrhundert kein
Sinken der Volksppesie gewesen war, dichtet Lady Grissel Baillie
das kleine Gedicht: There was ance a May, and she lo'ed na
men. Im Anfang des XVIII Jahrh. steigt die Zahl der Nach-
ahmungen stark — ungefähr zur gleichen Zeit hört die lebendige
Produktion im Volke völlig auf, die letzte echte Volksballade
entstand im Jahre 1720 — , hier hat wohl nicht zum wenigsten
Addison gewirkt. Addisons Freund Tickel schreibt — unge-
schickt genug — Lucy and Colin. Als erste Fälscherin von
Volksballaden, eine Vorgängerin von Macpherson, tritt Lady
Wardlaw 1719 mit Hardyknut, dann mit Gilderoy hervor. Der
Schotte David Mallet verfasst 1729 Margareth's Ghost, Glover,
der Verfasser des Leonidas, zehn Jahre später, Admiral Hosier's
Ghost, Shenstone 1745 Jemmy Dawson, Hamilton, sehr geschickt,
1760 The braes of Yarrow, und nun als letzter vor dem Er-
scheinen von Percys Reliques, aber schon auf ihnen fussend,
Goldsmith: Edwin and Angelina.
Wie ist Goldsmith der Versuch dieser Nachahmung ge-
lungen?
Zunächst die Metrik.
Die alte, vorbildliche Ballade beginnt :
Gentle herdsman, teil to me
Of curtesy I thee pray
Unto the towne of Walsingham
Which is the right and ready way,
metrisch zerlegt also:
/ X / x I / X / x
X / x / I / X / a
X / X / I X / X / x
x/ x / I X / x/ a
— 90 —
Die alte Ballade ist also im Kurzreimpaar verfasst. Gold-
smiths Ballade dagegen beginnt:
Turn, gentle Hermit of the dale,
And guide my lonely way,
To where yon taper cheers the vale
With hospitable ray, metrisch bezeichnet:
X / X / X / X / a
X / X / x / t>
X / X / X I / X / *
x / x / x / b
Goldsmith hat also ein andres Versmass gewählt, Septenar-
paare, auch ein echtes, volkstümliches Balladenversmass, das er
aus Percys Sammlung als ein volkstümliches erkannt haben wird.
In der Behandlung des Septenarpaars aber ist Goldsmith
durchaus kunstmässig. Die Bindung des ersten und dritten
Verses durch den Reim begegnet uns in alten Volksballaden nur
sehr selten, niemals im ganzen Gedichte durchgeführt, wie hier
bei Goldsmith. Nur in jüngeren, im XVII. Jahrhundert, finden
wir ihn bisweilen durch alle Strophen, wie in der Wildererballade
Erlinton (Child, The English and Scottish Populär Ballads, I,
S. 1 09). Eine gute Nachahmung wird aber nur das in den Vor-
bildern Regelmässige übernehmen, nicht ihre seltenen Ausnahmen.
Umgekehrt verwendet Goldsmith niemals den in alten Balladen
gern gebrauchten Binnenreim.
Durchaus widerspricht dem Gebrauche der Volksballaden
der regelmässige Wechsel von Hebung und Senkung bei Gold-
smith; dort kann die Senkung mehrsilbig sein, kann aber
auch ganz fehlen. Diese unbeschränkte Freiheit konnte dem
Zeitalter, das noch im Banne Popes stand, nicht gefallen. Eben-
so macht Goldsmith nicht von der volkstümlichen Freiheit Ge-
brauch, den Auftakt bisweilen fehlen zu lassen, wohl aber sein
Vorbild, wie auch aus dem Schema ersichtlich ist.
Während in der Volkspoesie die Verse dipodisch gebaut
sind, das heisst: in jedem Halbverse ist eine der zwei Hebungen
stärker betont als die andere, sind bei Goldsmith oft beide Heb-
ungen gleich stark betont. Unvolkstümlich ist es ferner, wenn
dem Sinne nach stark betonte Wörter in der Senkung stehen, wie
— 91 —
Str. 1: Turn, gentle Hermit of the dale.
Str. 6: Taught by that Power that pities nie (taught
neben der völlig unbetonten Präposition by!)
Str. 38: Turn, Angelina, ever dear.
Dagegen ist die schwerfällig anmutende Setzung eines Teils
vom Nominalkompositum in die Senkung (Str. 8: earth-born,
Str. 21: love-lorn, Str. 38: long-lost) häufig in der Volksballade.
So begegnet dort auch oft die Verschiebung des Wortaccents,
bei Goldsmith
Str. 29: Wisdom and worth were all he had.
Sehr volksballadenmässig ist bei Goldsmith der häufige Ge-
brauch der Alliteration:
Str. 2: Por here for/orn and /ost I tread (ein Ausdruck,
der durch den formelhaften Gebrauch besonders volkstümlich ist)
Str. 3 : Por yonder /aithless /Aantom /lies.
Str. 6: Taught by that Power that pities me.
Str. 13: And skill'd in /egendary /ore,
The /ing'ring hours beguil'd.
Str. 14: The Kricket chirrups in the hearth,
The crackling faggot flies,
uod sonst noch: Str. 15, 3 . 17, 3 , 4 . 18, 3 . 19, 4 . 21, 4 . 27, 4 . 29, x .
«9, 3. 34, 3, 4 . o5, 3, 4 . 36,2« 37, !• 38,3« 40,2«
Während in der Volksballade stets hinter die zweite Hebung eine
Cäsur tritt, fehlt sie bei Goldsmith sehr oft, besonders auffallend in
Str. 10: Par in a wilderness obscure.
Str. 11: No stores beneath its humble thatch, u. s. w.
Im allgemeinen sind bei Goldsmith die Strophen inhaltlich
wie syntaktisch geschlossen, wie stets in der Volksballade; doch
auch hier giebt es eine Ausnahme
Str. 12, 3 : The Hermit trimm'd his little fire,
And cheer'd his pensive guest:
Str. 13, ! : And spread his vege table störe
And gaily press'd, and smil'd.
Auch die syntaktische und inhaltliche Geschlossenheit der
Halbstrophe ist durchbrochen, so vor allem
Str. 31: The blossom opening to the day,
The dews of Heav'n refin'd,
Could nought of purity display,
To emulate his mind.
— 92 —
Selten findet sich in der Volksballade so enge Verbindung
zwischen den einzelnen Zeilen, wie Goldsmith sie oft liebt, besonders
Str. 25: Who sceks for rest, but finds despair
Companion of her way.
Nun der Stil. Meist ist in kurzen Sätzen erzählt, wie stets
in der alten Ballade, aber auch hier gibt es auffällige Ausnah-
men, die z. T. schon citiert sind.
Wiederholungen, wie gleich im Anfaug der alten Ballade:
unto the towne of Walsingham, verwendet Goldsmith garnicht;
volkstümlich aber ist die Wiederholung desselben Wortes zur
Verstärkung in
Str. 39: And shall we never, never part.
Viel häufiger, als die Inversion in der Volkspoesie gebraucht
wird, bedient sich Goldsmith dieser syntaktischen Freiheit. Auch
der sächsische Genitiv bei Leblosem, wie in Goldsmiths Ballade:
the mountain's grassy side, ist selten in der Volkspoesie (immerhin
kommt er vor, es sei nur an the warldis room im Edward erinnert).
Durchaus entgegen dem Gebrauch der alten Balladen ist
Goldsmiths sehr reiche Verwendung von Fremdwörtern, die noch
als solche empfunden werden; es seien nur die schlimmsten an-
geführt: hospitable, immeasurably, phantom, portion, pensive (die
alte Volksballade würde, anstatt dieses Lieblingswort des XVIII.
Jahrhunderts zu gebrauchen, vorziehen, die Gedanken, die Angelina
bedrücken, in direkter Rede anzugeben), sympathetic, solitude.
Sehr oft begegnet bei Goldsmith der lateinisierende Ge-
brauch von alleinstehenden Participien, die in der Volkspoesie
auserordentlich selten verwandt werden ; so Str. 2.3. ß,3. 7,3. 10, 4 .
11,3. 13, 3 . 16, 2 . 17,i u. s. w., u. s. w. Ebenso sind die Participien
in Compositen unvolkstümlich, wie earth-born, love-lorn, long-lost.
Unmittelbar vor der Ballade giebt Goldsmith als charak-
teristisch für sie den Mangel an epithets an. Es ist zweifellos,
dass Goldsmith sich Beschränkung auferlegt hat, aber die Ein-
fachheit der Volksballaden hat er doch nicht erreicht, sie sind
bedeutend ärmer an schmückenden Adjektiven. Ganz unvolks-
tümlich ist aber die Ballade durch ihren Reichtum an prägnanten
Adjektiven, das heisst an solchen, deren Sinn verschoben ist,
wie in lonely way, hospitable ray, a guiltless feast, hupable thatch,
sympathetic mirth.
— 93 —
Niemals gebraucht die Volksballade bildliche Ausdrücke, wie
ldsmith mehrere verwendet; bei ihm begegnet die Figur der
tapher: Str. 1 the taper cheprs, der Personifikation: Str. 4
ld of want, Str. 5 my cell bestows, Str. 8 earth-born cares,
. 25 whom love has taught, Str. 25 who finds despair Coin-
lion of her way, der Synekdoche: Str. 16 the sorrors of tliy
ast. Un volkstümlich sind auch di<? Vergleiche Goldsmiths:
. 9 Soft as the dew from Hpav'n de$cends;
Str. 19: And what is friendbhip but a name,
A charm that lulls to sleep;
A shape that follows wealth or fame,
But leaves the wretch to weep.
Str. 22: Surpriz'd he sees new beauties rise,
Swift mantling to the view;
Like colours o'er the morning skies,
As bright, as transcient too.
Besonders ausgeklügelt und reflektierend sind die Ver-
iche in
Str. 31: The blpssom opening to thQ day,
The dews of Bfcav'n refin'd,
Could nought of purity display, s
To eipulate his mind. j
I in Str. 32: The dew, the blossom on the tree. \
/ * n
H
With charms inconstant shine;
Their charms were his, but woe to me, i
Their constancy was mine.
Überhaupt fallen die vielfachen Reflektionen völlig aus dem
. der alten Balladen, dazu liebt Goldsmith noch die sentenziöse
spitzung:
Str. 8: All earth-born cares are wrong;
Man wants but little here below,
Nor wants that little long.
Str. 18: Alas! T\& JQy^ t^t, fortjupp. brings,
Are tyifling aM, 4?c^y;
And thof$ whp, ]jriz# t]p$ palfo-y things,
34,orc, trifljng still tftap tjiey,
— 94 —
Str. 19: And what is friendship but a name,
A charm that lulls to sleep;
A shade that follows wealth or fame,
But leaves the wretch to weep?
Str. 20: And love is still an emptier sound,
The modern fair-one's jest:
On earth unseen, or only found
To warm the turtle's nest.
Sehr auffallend überwiegt bei Goldsmith die direkte Rede:
auf die 40 Strophen des ganzen Gedichtes kommen nicht weniger
als 30 Strophen in direkter Rede. Das ist volkstümlich, die
alten Balladen lieben die Rede — Goldsmiths unmittelbares Vor-
bild, die Ballade Gentle Herdsman teil to me, enthielt nur Rede-
strophen. So sehen wir hier, wie die Vorliebe zur direkten Rede
aus der Volkspoesie in die Kunstpoesie dringt. Dasselbe sehen
wir später bei den Romantikern: Wordsworth giebt im Idiot Boy
sogar Bettys Gedanken in direkter Rede wieder, Coleridge hat
im Ancient Mariner, in The Ballad of the dark Lady ganz über-
wiegend Redestrophen, Keats nur solche in La belle Dame sans
Mercy. Andererseits stellt sich Wordsworth selbst auch als Zu-
schauer und Zuhörer dar, der die Ereignisse miterlebt, so im
Idiot Boy, Lucy Gray; noch ein Schritt weiter wird gethan: die
Hauptperson selbst erzählt, so in Byrons Mazeppa, und weiter-
hin kommen wir dann zu den monologischen Epen Tennysons
und Brownings.
In der Darstellung ist Goldsmith ruhig, episch; die in der
Volkspoesie beliebten, erregten Fragen und Ausrufe sind ver-
mieden. Auch die sprunghafte Erzählungsweise, welche nur die
Gipfel der Handlung berücksichtigt, verwendet Goldsmith nicht
Alles wird motiviert, das Gehen zur Hütte wird nicht vergessen,
das Öffnen der Thür genau erwähnt; das Detail wird reichlich
ausgemalt :
Str. 11: The wicket, op'ning with a latch.
Str. 14: Around in sympathetic mirth,
Its tricks the kitten tries,
The cricket chirrups in the hearth,
The crackling faggot flies.
Das widerspricht durchaus dem Stil der Volksballaden.
- tt -
Auch die Wahl der Personen ist nicht volkstümlich. In
keiner der alten Balladen begegnet uns ein Eremit. Er erschien
allem warmen Leben mit seinem Ideale der Abtötung entgegen-
gesetzt und so unpoetisch. Erst durch die Italiener — Ariost,
Bandello — und durch die Spanier — Guevara — wurde er in
eine poetische Sphäre erhoben, indem sie ihn ein idyllisch-poeti-
sches Leben führen liessen. Durch Brooke — Lilly — Spenser,
die sich an fremde Vorbilder anschlössen, wurde er dann in der
englischen Litteratur eingebürgert, ist also eine Figur der Kunst-
poesie; und dieser weiche sentimentale Eremit ist dazu noch der
Held selbst bei Goldsmith — ein völlig unvolkstümlicher Gebrauch.
Die Stimmung der Ballade ist die jener weichen Periode,
nicht aber die der Volksballaden. Der Liebhaber ist in seiner
Verzweiflung ein Eremit geworden und vertrauert so sein Leben;
die reuige Liebhaberin, die ihn tot wähnt, will die Einsamkeit
seines Grabes aufsuchen, um dort zu sterben — so liegt eine
weiche, elegische Stimmung über dem ganzen Gedicht. Zufällig
finden sich die Liebenden, und es kommt nun doch noch zur
Vereinigung und so zu einer rührenden, empfindsamen Scene;
Thränen fliessen, und Seufzer bedrücken die Brust. Von dieser
Empfindsamkeit sind die alten Balladen — auch die Quelle —
weit entfernt. Dazu ein Weltüberdruss, ein völliges Verzweifeln
an der Treue der Menschen. Sie ist nur bei Tieren zu finden,
denen man mit warmem Gefühl gegenübersteht, die man nicht
zu töten wagt — also im Ganzen eine sentimental-romantische
Stimmung.
Betrachten wir nun den Inhalt; zunächst den der alten Ballade.
Ein verkleidetes Mädchen fragt einen Hirten nach dem
Wege; er meint, .dass er zu schwer für sie sei. Sie aber er-
widert, kein Weg könne schwer genug für ihre Sünde sein. Da
er zweifelt, erzählt sie ihm, dass sie ihren Liebhaber durch ihr
Zurückhalten zu Tode gequält habe, und dass sie jetzt den
Wunsch habe, in der Einsamkeit, wie er, zu sterben. Der Hirt
schweigt nun, weist ihr den Weg und empfiehlt sie Gott —
sicherlich ein herber Schluss!
Nun der Inhalt bei Goldsmith.
Hier trifft ein verkleidetes Mädchen einen Eremiten — es
darf kein Hirt sein, denn er ist ja der Liebhaber selbst, der sich
^ de —
von der Welt zurückgezogen hat. Es ist schon fast Nacht, sie
fragt nach einer Hütte, denn sie will übernachten. Das ist die
zweite Veränderung. Davon hören wir in der alten Ballade
nicht, alles spielt sich auf dem Wege ab. Hier folgt Goldsmith
einer Tradition der Kunstpoesie, Seit Spensers Fairie Queen ist
der Eremit fast stets mit einer einfachen Hütte in lieblicher,
idyllischer Umgebung verbunden. Damit hat Goldsmith auch
Gelegenheit, feineres Detail zu geben, zugleich auch genauer zu
motivieren, worauf in der Volksballade wenig geachtet wurde:
es mag ihm unnatürlich vorgekommen sein, dass der Jüngling
sein Geständnis an einer Wegkreuzung macht. Bei Goldsmith
ist nun die Möglichkeit, dass sie länger zusammen sind; da-
bei kann der vermeintliche Jüngling seinen Kummer nicht
verbergen. Hier hat Goldsmith, entgegen seinem Vorbild, eine
längere Rede eingeschoben, über die Verderbtheit der Welt und
des weiblichen Geschlechtes, denn der Eremit ist ja selbst der
Liebhaber. Hierbei offenbart sich erst das wahre Geschlecht,
der Angelina, während sie in der alten Ballade schon bei den.
ersten Worten diese Verkleidung gesteht. Auch diese Verände-
rung beruht auf dem Umstände, dass der Eremit Edwin selbst
ist und das Erkennen so weit wie möglich hinausgeschoben
werden muss. Die Erzählung ihrer Schuld ist ganz gleich der.
in der alten Ballade. Nun aber gehen beide völlig auseinander
Dort der herbe, harte Schluss, hier ein durchaus versöhn-
licher. Mit Recht wird in der Ausgabe von Percys Foüo-
Manuscript (ed. von Haies und Furnivall) III, S. 524 ff. gesagt,
der alte Schluss konnte jener empfindsamen Epoche nicht ent-
sprechen. Dieser vermeintliche Eremit erweist sich als der
totgewähnte Edwin selbst, und die Liebenden sind vereint. Da-
durch ist also folgende Situation geschaffen: die Liebhaberin
gesteht ihrem Liebhaber selbst ihre tiefe Liebe zu ihm ein, ohne
dabei erwarten zu können, dass das Geständnis für sie von
Nutzen sein kann (sie weiss nicht, wem sie ihr Geständnis macht).
Da offenbart sich seine wahre Gestalt, und sie wird für ihre
Treue belohnt. Diese Situation findet sich schon einmal ia einer
Ballade, worauf Biandl hinwies, in The Nut-Brown-Maid. Auch
dort gestellt die Liebhaberin ihrem Geliebten, dessen wahre Ge-
stalt sie nicht kennt, in uneigennütziger Weise ihre Liebe, er
- öf —
erweist sich als Sohn eines Earl, und die treue Liebe wird be-
lohnt. Es ist wohl anzunehmen, dass diese Ballade (und wir
wissen, dass Goldsmith sich in jener Zeit viel mit diesen alten
Balladen beschäftigte) für ihn vorbildlich war.
Fassen wir nun zusammen:
Der erste Teil ist gedichtet nach dem Vorbilde der alten
Ballade: Gentle herdsman, teil to me. Veränderungen sind teils
durch den neuen Schluss, teils durch Einflüsse der Kunstpoesie
herbeigeführt. Der Schluss der Volksballade war für jene Zeit
zu hart, so entlieh Goldsmith dazu ein neues Motiv aus einer
kunstmässigen Volksballade The Nut-Brown-Maid. Obwohl so
Volksballaden als Quellen vorlagen, ist bei Goldsmith der Inhalt
seinem Charakter nach durch die Vereinigung der Inhalte zweier
Balladen durchaus unvolkstümlich; ebenso ist Stil, Darstellungs-
weise, Wahl der Personen und Stimmung durchaus anders als in
den Volksballaden.
Zum Schluss will ich auf Übereinstimmungen in einzelnen
Zügen und Versen hinweisen. In der alten Volksballade : 1, 1 :
Turn gentle Hermit of the dale, erinnert au : 1, 1. Gentle heards-
man, teil to me — . VIII, 3. Man wants but little here below,
Nor wants that little long, ist eine deutliche Nachahmung
von Young, Night Thoughts, Night IV, V. 118: Man wants
but little, nor that little long, worauf schon hingewiesen wurde
in Heirigs Archiv, XVII.
Die Strophen 33, 34 entsprechen genau den Strophen 10,
11 der alten Ballade, doch nur dem Sinne, garnicht den Worten
nach ; in den beiden nächsten entsprechen sich nur einige Zeilen :
35,2 entspricht 12,2; 36,2 : 13, a ; 36, 3 , 4 : 13,4.
Die Schilderung der Lage der Eremiten wohnung und des
Lebens des Eremiten erinnert recht an den Anfang von dem
Gedicht The Hermit von Thomas Parnell, das Goldsmith sicher
kannte, nannte er es doch in seinem 'Life of ParnelP als dessen
bestes Gedicht:
Far in a wild, unknown to public view,
From youth to age a reverend Hermit grew;
The moss his bed, the cave his humble cell,
7
— §8 — '
flis food the fruits, his drink the crystall weli;
Remote from men, ; bei Goldsmith entsprechen
diesen Strophen 10,1,2 und 7, s , 4 .
Schliesslich erinnert der Zug in Strophe 13, 3 , 4 an Spenser,
Faerie Queen, Book I, Canto I, Strophe XXXV:
Arrived there, the litle house they All,
Ne looke for entertainement where none was;
Rest is their feast, and all thinges at their will:
The noblest mind the best contentment has.
With faire discourse the evening so they pas;
For that olde man of pleasing wordes had störe,
And well could file his tongue as smooth as glas :
He told of Saintes and Popes, and evermore
He strowd an Ave- Mary after and before.
Im ganzen ist die Selbständigkeit in den einzelnen Versen
mithin doch recht gross.
2. An Elegy on the Death of a Mad Dog.
Wann diese Elegie geschrieben ist, ist nicht mit Sicherheit
zu sagen ; da aber das Ereignis in Islington lokalisiert ist, glaubt
man allgemein, c^ss Goldsmith sie in den Jahren 1762 — 4 ge-
schrieben hat, als er dort seinep ständigen Aufenthalt hatte.
Das Versmass ist das gleiche, wie in der besprochenen
Ballade, also ein volkstümliches.
GjQldsmith hat die Elegie in der Art der Bänkelsängerbal-
lade geschrieben, darauf weist schon der niedrige, ein wenig
wunderbare Inhalt hin. Wie in allen Bänkelsängerballadeji ist
der Wechsel von Hebungen und Senkungen regelmässig, werden
Fremdwörter gebraucht, sind die Verse ziemlich geschlossen.
Der Dichter tritt, wie meist, im Anfange hervor und fordert zur
Aufmerksamkeit auf: man muss gestehen, dass die Ballade in
vielen Zügen wirklich den Eindruck einer Bänkelsäng§rbajLl&de
macht.
Die scherzhaften Wendungen in I, 3, 4; II, 3, 4; III, 3, 4
erinnern an die sehr ähnlichen, die er in dem Gedichte On the
death of the Right Honourable — (Citizen of the World, Let-
ter CVI) und in An Elegy on that Glory of Her Sex, Mrs.
— 99 —
Mary Blaize gebraucht hatte. Sie gehen nach Dobson 1 ) auf
einen 'old French song of Monsieur de la Palisse (sometimes
Galisse)' zurück, den ich nicht vergleichen konnte.
Was sonst den Inhalt betrifft, so ist ein Gedicht Voltaires
Vorbild gewesen, worauf, meines Wissens, zuerst H. Delevinge 2 )
hinwies. Goldsmith hatte wohl diese Verse kennen gelernt, als
er Voltaires Biographie schrieb. Die betreffenden lauten:
L/autre jour, au fond d'un vallon,
Un serpent piqua Jean Fr6ron,
Savez-vous ce qu'il arriva
Ce fut le serpent qui creva. Es ist dies ein uraltes
Motiv. Dobson 3 ) wies auf ein französisches Vorbild für Vol-
taire hin, Norgate 4 ), E. Yardley 4 ) zeigten, dass schon im La-
teinischen . ein Gedicht gleichen Inhalts, J. Carrick Moore 4 ),
dass ein ähnliches griechisches Epigramm gedichtet worden ist.
Die Elegie ist also eine gut nachgeahmte Bänkelsängerbal-
lade, die mit ihrem Inhalt direkt auf französische Vorbilder zu-
rückgeht, einerseits von Palisse, andererseits von Voltaire. Blicken
wir weiter zurück, so ergibt sich, dass es sich um ein uraltes
Motiv handelt.
VHI. Kapitel.
Zusammenfassung.
Nachdem wir so die äussere Entstehungsgeschichte des
Vicar of Wakefield untersucht und damit kennen gelernt haben,
wo wir die Ursprünge der Dichtung zu vermuten haben; nach-
dem wir die Quellen durchforscht und so das Goldsmith Eigene
erkannt haben; nachdem wir durch die notwendige Zerlegung
die durchgehenden, haltenden Fäden in dem Gewebe gesehen,
dabei das Wesentliche vom Unwesentlichen geschieden haben,
will ich nun versuchen, das Werden der Dichtung darzulegen,
') Vicar of Wakefield, Ausgabe von Dobson, Notes, S. 291.
2 ) Notes and Queries, 7th Series, 1887, S. 227.
:{ ) ibidera, S. 358.
4 ) ibidem, S. 335,
30152(1
— 100 —
ohne natürlich dabei auf mehr hoffen zu können, als sprunghaft
gewisse Zusammenhänge aufzuzeigen.
Aus den Selbstbeobachtungen und Äusserungen der Dichter
wissen wir, dass wir als die tiefste Veranlassung zur Entstehung
eines echten Kunstwerkes eine mächtige Stimmung, ein über-
quellendes Gefühl zu betrachten haben. Nur in seltenen Fällen
können wir, soweit es sich nicht um die unmittelbare, reine Ge-
fühlsäusserung handelt, wie oft in der Lyrik, dieses Conceptions-
gefühi mit Sicherheit feststellen (vorausgesetzt, dass uns keine
Äusserungen des Dichters, wie dies beim Vicar of Wakefield der
Fall ist, vorliegen). Solch ein Beispiel haben wir in unserem
Roman.
Im ersten Kapitel ergab sich, dass die Anfänge des Vicar
of Wakefield bis in das Jahr 1757 zurückreichen, dass sie eng
mit dem Briefe vom 27. Dezember 1757 an Goldsmiths Schwager
Hodson zu verbinden waren. In diesem Briefe haben wir die
reine, von jeder künstlerischen Umfärbung ungetrübte und unbe-
rührte Gef ühlsäusserung : Liebe zur Heimat und Sehnsucht nach
ihr. So stark sind diese Gefühle, dass er unter ihnen leidet:
I confess I carry this spirit sometimes to the souring the plea-
sures I at present possess. If I go to the opera where Signora
Columba pours out all the mazes of melody, I sit and sigh for
Lishoy fireside, and Johnny Armstrong^ Last Good Night,
from Peggy Golden. If I climb Flamstead hill, than where na-
ture never exhibited a more magnificent prospect — I confess
it fine — but then, I had rather be placed on the little mount
before Lishoy gate, and there take in, to me, the most pleasing
horizon in nature. Das ist die Stimmung, die Goldsraith be-
herrschte, als er seinen Roman begann; dies sehen wir deutlich
aus der schon früher erörterten Übereinstimmung zwischen Teilen
des Briefes und dem einleitenden Teile des Vicar of Wakefield.
Die Liebe zu seiner Heimat und die Sehnsucht nach ihr, von
der er solange getrennt war — und er hatte seitdem wenig
Gutes erfahren — , mag in jener Zeit durch den unmittelbar
voraufgegangenen Besuch seines Bruders Charles bei ihm in Lon-
don und durch die Erinnerungen, die dieser Besuch in ihm er-
weckte, übermächtig geworden sein , sie drängte nach einem
Ausdruck, nach einer Kntladung und fand den bei ihm einzig
— 101 —
gemässen, den künstlerischen Ausdruck. Sie haben wir als das
Conceptionsgefühl zu betrachten, und es ist bedeutsam, dass
dieses Gefühl auch sonst künstlerisch fruchtbar für Goldsmith
war; aus ihm ist ihm später The Deserted Village entstanden.
Es ist aber nicht eine allgemeine Liebe zur ganzen Heimat, die
ihn beherrscht; er giebt sich genau Rechenschaft darüber: But
now to be serious, let me ask myself what gives me a wish to
see Ireland again ? The country is a fine one, perhaps ? No.
There are good Company in Ireland? No. The conversation
there is generally made up of a smutty toast, or a bawdy song;
the vivacity supported by some humble cousin, who has just
folly enough to earn his dinner. Then perhaps there's more
wit and learning among the Irish? Oh, lord, no! und er kommt
dann zum Schluss : Why the plague then so fond of Ireland ?
Then, all at once, because you, my dear friend, and a few more,
who are exceptions to the general picture, have a residence
there. This it. is that gives me all the pangs I feel in sepera-
tion. Die Heimat also im engsten Sinne ist es, was ihn zurück
nach Irland zieht, Verwandte und wenige Freunde. So liegt
ihm nichts daran, ein Bild von irischer Landschaft, vom irischen
Volksleben zu geben, und in der That ist der Vicar of Wake-
field völlig frei davon, hier liegt die Erklärung; die Pfarrkinder
werden kaum erwähnt, von einem Lokalton kann man garnicht
reden. Indem er nun die Heimat poetisch verherrlichen will, ist
es natürlich, dass ihm die Familie in den Mittelpunkt rückt.
Die Familie Primrose ist im Kerne die Familie Goldsmith; das
Familienleben und die Charaktere der Familienmitglieder zu
zeichnen, ist ihm die vornehmste und sicherlich liebste Aufgabe.
Nicht müde wird Goldsmith denn auch, das stille Familienleben
in den wundervollsten Bildern auszumalen. Auch sich selbst
reiht er in die Zahl der Familienmitglieder, zunächst als Moses;
dann stellt er sein späteres bewegtes Leben, reich an Erfahrungen,
aber auch Enttäuschungen, natürlich mit vielen Änderungen,
als Georges Schicksale wild kontrastierend dem Familienidyll
gegenüber. Sein Vater und sein Bruder Henry fliessen ihm in
dem Hilde des Familienhauptes zusammen. Aber kein Dichter
vermag seine Vorstellungen völlig rein wiederzugeben, sie ver-
einen sich mit Bildern, (Kc ihm die litterarische Tradition auf-
— 102 —
zwingt. Goldsmith will einen Pfarrer zeichnen: Fieldings un-
sterblicher Pfarrer Adams (aus Joseph Andrews) verfliesst mit
ihm, Goldsmiths Pfarrerfamilie mit der Adams'; er will ein Bild
vom stillen Familienleben geben, Züge aus dem verwandten
Leben, das Wilson (Tom Jones) mit seiner Familie führt, ver-
vollständigen es, wobei unwesentliche Züge von Wilsons Familien-
mitgliedern auf Primroses übergehen. Unbewusst steht Gold-
smith auch im Banne der litterarischen Tradition, indem er seinen
Helden zu einem leidenden macht, den Unglück auf Unglück
trifft, oft wird es von tückischen Gegnern auf ihn gehäuft; so
war es ungefähr schon bei Robinson Crusoe, dann ausgeprägter
in der Pamela, Clarissa, so beim Joseph Andrews, Adams, Tom
Jones, bei der Amelia u. s. w. Dabei aber wird ihm der mehr
passive Pfarrer Primrose mit seiner idealen Weltanschauung zur
Hiobsgestalt. Das Unglück trifft, schlägt ihn aber nicht nieder,
er triumphiert darüber, und mit ihm Deborah. In Goldsmiths
optimistischer Weltanschauung, die er mit den zeitgenössischen
Romanschriftslellern teilt, liegt es, dass am Schluss die Familie
auch zu äusserem Glück wieder kommen muss.
Das ist der vielbewunderte Kern des Vicar of Wakefleld,
die innere Handlung, wie er in natürlich-künstlerischer Weise
in Goldsmith entstand.
Aber noch fehlt die bewegte äussere Handlung, die Schick-
salsschläge. Unglück auf Unglück muss ihn treffen — episoden-
artig, der Vicar selbst ist fast durchgängig nur indirekt dabei
beteiligt; diese Unglücksschläge entsprechen im Grunde den Ver-'
lusten, von denen Hiob betroffen wird, nur verinnerlicht Gold-
smith diese; es sind die Ranken, die sich um den festen Stamm
schlingen. Sechs Nebenhandlungen — sechs Schicksalsschläge
nimmt Goldsmith in den Roman hinein. Im wesentlichen lehnte
er sich an drei Vorbilder an (wie weit wir mit bewusstem, wie
weit mit unbewusstem Anlehnen zu rechnen haben, wage ich
nicht zu entscheiden), die Handlungen von drei grossen Romanen
übernimmt er. von Richardsons Clarissa, Grandison und von
Fieldings Tom Jones. Zum Teil hat er das Überkommene meis-
terhaft mit dem in ihm schon Feststehenden verknüpft, wir
haben es vor allem bei dem Clarissa-Motiv gesehen. Die Kin-
der Primroses werden die Helden in je einer der übernommenen
- ioä -
Handlungen. George in der des Tom Jones, Sophia in der des
Grandison, Olivia in der der Clarissa. Natürlich ist es, dass
sich die Charaktere der Helden und Heldinnen in diesen Romanen
über die bei Goldsmith werfen und sie nach sich umformen; so
erhält George Züge von Tom Jones, Sophia von Miss Byron,
nur Olivia erhält nichts von der Clarissa. Es mussten Personen
eingeführt werden für Lovelace, Grandison, Allworthy, Blifil,
Sophia Western und für einige weniger wichtige Personen:
Squire Western, Nightingale u. s. w. Für den wenig umfäng-
lichen Roman kombinierte Goldsmith mehrere Charaktere, das
hat Fischer gut gezeigt; die schlechten, Lovelace — Blifil, die
guten, Grandison — Allworthy, werden vereint. Wir haben ge-
sehen, dass die Vereinigung nicht durchweg glücklich, so bei
Burchell, gelungen ist.
Ein Überfülle von Motiven und Verwicklungen war nun
vorhanden. Eine Vermutung mag hier Platz finden: wurde Gold-
smith zu dem Hineinstopfen so vieler Stoffe vielleicht durch den
Zwang veranlasst, sein Werk möglichst umfangreich zu machen?
(vgl. I. Absch. I. Kap.) Stellt vielleicht The History of Miss
Stanton einen Auszug aus dem Vicar of Wakefield dar. wie
Goldsmith ihn sich zuerst nur mit einem der drei Motive dachte,
möglicherweise nur mit anderem Ausgange (selbstverständlich
mtissten wir für diese Urform auch die Familienschilderung an-
nehmen)? l ). -r- Jetzt war ein Gewirr von Motiven entstanden,
widersprechende und unwahrscheinliche Thatsachen prallten auf
einander. Ob es Goldsmith, der in der Umformung und An-
passung schon ungemein geschickt verfahren war, wirklich so
schwer gewesen wäre, diese auszugleichen? Er hat darauf ver-
zichtet und sich mit einer nur allzu leicht durchschauhapen
Übertünchung begnügt. Craik (History of the English Litera*
ture and Language, Band II, S. 300 ff.; hat eine, vielfach be-
lustigende Blütenlese der noch vorhandenen Widersprüche gege-
ben (Fischer hat einige fälschlich zu finden gemeint, die sich
doch völlig auflösen lassen). Manche Flüchtigkeiten sind stehe»
geblieben, so wenn Burchell (ChapteF XXXI) ausruft: Wkat a
') Zur Unterstützung dieser Vermutung ist zu betonen, dass gerade
dieses erste, das Clarissa-Motiv, bei weitem am sorgfältigsten in den Roman
hineingewoben ist.
— 104 —
Viper have I been fostering in my bosom? (Fischer, S. 174).
Das ist noch Allworthy, der es sagt, nicht Burchell. Es ist,
mit einem Worte gesagt, eine gründliche Durcharbeitung, die wir
vermissen. Goldsmith war sich dieses Mangels wohl bewusst;
sein advertisement beginnt sehr berechtigt mit den Worten:
There are an hundred faults in this thing.
Warum unterliess Goldsmith die Überarbeitung? Es lassen
sich zwei Erklärungen dafür angeben. Die eine stützt sich auf
eine Äusserung von Goldsmith selbst, welche wohl verständlich
ist, wenn wir einerseits an seinen irischen Leichtsinn denken (er
zeigte ihn im praktischen Leben wie in der Kunst; so ist auch
aus seiner theoretischen Erklärung „a book may be amusing — u
nicht ein solcher Schluss zu ziehen, wie Fischer, S. 203, es
thut; das widerlegt Fischer, S. 207, selbst durch die berichtete
Anekdote), und wenn wir andererseits annehmen, dass sein tiefe-
res, inneres Interesse an dem Werke bei seiner Beendigung er-
loschen war (und das ist sicherlich begreiflich). Im Percy Me-
moir, 1801, wird berichtet: Dr. Goldsmith, speaking to his
medical friend, to whom we have before alluded, and by whose
Communications we have been greatly obliged, asked him his
opinion of this fascinating Performance [The Vicar of Wakefield].
'I spoke of it', said his friend, 'in the warm terms I thought it
deserved, pointing out, however, certain parts which I wished,
had he more time for the purpose, had been altered or corrected'.
Goldsmith concurred with me in my remarks, but added that it
was not from want of time it had not been done, as Newbery
kept it by him in manuscript two years before he published it;
4 he gave me', I think, he said, '60 £ for the copy, and had 1 made
it ever so perfect or correct, I should not have had a Shilling
more'. Es ist sicher, das sind für einen Dichter nicht die ideal-
sten Anschauungen, die uns vollendete Kunstwerke verschaffen.
Aber halten wir uns an das Werk: ist dabei dennoch ein
Roman wie der Vicar of Wakefield entstanden, dann werden wir
ähnlich wie Grillparzer von Shakspere, so von Goldsmith sagen
dürfen: nur weil er ein Genie war, ist er hinter seinem eigenen
Rücken ein so grosser Dichter geworden.
Die zweite Erklärung für den Verzicht auf eine Durchar-
beitung ist die: die abenteuerlichen Verwicklungen, in denen
— 105 —
die groben Widersprüche liegen, waren ihm überhaupt nur Neben-
werk, auf sie legte er geringen Wert, hier hatte er ja auch auf
die eigene Erfindung verzichtet. —
Wir können nun Goldsmiths Vicar of Wakefield in seiner
literarhistorischen Stellung bestimmen. Zwei Gattungen von
Romanen hatten sich im 18. Jahrhundert in England entwickelt.
Auf der einen Seite war aus den Essays der Wochenschriften
der intim das Milieu schildernde, die Charaktere zerlegende Ro-
man Richardsons entstanden, auf der andern Seite war aus dem
spanischen und französischen Roman der abenteuerliche Roman
Defoes, Swifts, Fieldings hervorgegangen.
Goldsmith steht auf Seiten des Richardsonschen Romans;
er verbindet mit der feinen Schilderung der unmittelbaren Um-
gebung die Charakterzeichnung. Aber er geht einen Schritt
vorwärts, von der Charakterzeichnung geht er zur Charakterent-
wicklung über. Während mit Fielding der abenteuerliche Cha-
rakterroman entstand, bildet Goldsmith den idyllischen Milieu- und
Charakterroman aus.
— 106 —
Personenverzeichnis.
Addison 28, 45, 76, 89.
Aeschylus 50, 74.
Arnes P. W. 33 f.
Ariost 95.
Baillie Lady Grissel 89.
Bandello 95.
Beers 39.
Bierbaum 46.
Black 17, 82, 88.
Boswell 3, 6—14, 36, 81.
Brandl 23, 34, 96.
Brooke 95.
Browning 94.
Bunyan 23 f.
Bums 43.
Burton 52.
Byron 94.
Campbell 79.
Chaucer 28, 45.
Child 39, 90.
Coleridge 60, 94.
Collier 34.
Collins 1, 3, 12—14, 85.
Congreve 63.
Cooke 7—9, 11-14, 78 f., 81.
Cradock 4.
Craik 103.
Croker 12.
Cumberland 7—9, 11 f.
Curwen 86.
Dancourt 63.
Defoe 28, 38, 45, 102, 105.
Delevinge 99.
Deloney 89.
Dobson 4, 10-13, 15, 33, 38, 68, 77 f.,
80, 85-88, 99.
Dodsley 8, 12, 15 f.
Dryden 28, 44.
Eichendorff 87.
Elisabeth (Kon.) 89.
Ellis Dr. 82.
Etheredge 63.
Evans John 78.
Farquhar 63.
Fielding 28, 32, 67, 77, 84 f., 105;
Joseph Andrews 28, 38-46, 48-60,
70—75, 77, 80, 83, 102; Tom
Jones 18, 24—26, 35, 40, 45, 55,
62—64, 66 f., 75, 77, 84, 102, 103;
Amelia 23, 31, 45, 67, 81, 102;
Author's Farce 80.
Fischer 19-22, 24—27, 51, 53, 58,
62 f., 67, 70, 74-76, 83, 86, 103,
104.
Fitzgerald 3.
Fleming Mrs. 15.
Ford Ed. 85 f.
Forster 2-4, 6, 8, 14-16, 52, 59,
77, 79, 83, 88.
Froude 23.
Furnirall 96.
Gilbert 85.
Glover 89.
Goethe 47, 87.
Goldsmith Catherine 40 f.
Goldsmith Charles 1, 5, 40, 78, 100.
Goldsmith Henry 29 f., 40 f., 58, 101.
Goldsmith Jane 40 f.
Goldsmith John 40 f.
Goldsmith Maurice 40.
Gosse 84.
Gottsched 25,
107 —
Gray 36.
Griffith 79 f., 83.
Grillparzer 104.
Guevara 95.
Haies 96.
Hamilton 89.
Hawkins 4, 6, 8-14, 81, 87.
Hazlitt 42.
Hettner 34, 36.
Hodson 2, 5, 100.
Hogarth 39.
Holberg 82.
Home 60.
Johnson Pfarrer SQ.
Johnson Samuel 1, 3—16, 36, 77, 80.
Keats 94.
Laun 80, 83.
Lesage 42, 68 f., 77.
Lilly 95.
Macpherson 89.
Mallet 89.
Milner Dr. 78-80.
Milner Miss Hester 78 f.
Milton 43.
Moore J. Carrick 99.
Newbery Francis 4, 14 f.
Newbery John 4, 6 f., 9, 12—16, 70,
85.
Norgate 99.
Ovid 59.
Palisse 99.
Parnell 97.
Parr 4, 14.
Percy 81, 88—90, 96.
Perry 84.
Piozzi Mrs. 3, 5 f., 8—12, 14.
Pope 39, 84, 90.
Prior Matthew 89.
Regel 4.
Richardson 8, 28, 57, 60, 66, 75, 84 f.,
105; Pamela 18 f., 22 f., 35, 45, 56 f.,
63—65, 67 f., 75, 102; Clarissa 19
—22, 45, 56 f., 63-65, 67 f., 76,
102 f.; Grandison 24, 27, 37, 45,
56—58, 61—63, 102 f.
Rousseau 36.
Shakspere 39, 88, 104; Lear 47 f.;
Richard III. 59.
Shelley 40.
Shenstone 89.
Smollett 67, 77, 85; Random 69, 84;
Pickle 83 f.
Spenser 95 f., 98.
Steevens 8.
Stephen Leslie 13.
Sterne 28. 39 f., 50, 68.
Stoddard 17.
Strahan 13.
Swift 105.
Tennyson 43, 94.
Thackeray 4, 65.
Thomas W. Moy 13.
Thomson 36, 39 f., 43.
Tickel 89.
Vanbrugh 63.
Voltaire 52, 99.
Wardlaw Lady 89.
Warner 89.
Welsh 4, 12.
Wordsworth 60, 94.
Yardley E. 99.
Young 97.
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c&