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Entwickelimg und Stand
des
höheren Mädchenschulwesens
in Deutschland.
Im Auftrage
des Königl. Prenfsischen Mlnisterinms der geistlichen, Unterrichts-
und Medizinal-Angelegenheiten.
Von
Helene Lange.
Berlin 1893.
R. Gaertners Verlagsbuchhandlung
Hermann Heyfeider.
SW. Schönebergerstrafse 26.
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L I
Entwickelung und Stand des höheren Mädchenschul-
wesens in Deutschland.
A. Im allgemeinen.
Das frühere Mittelalter zeigt in Deutschland eine sehr
rege Förderung geistiger Kultur bei den Frauen. Weit eher
als bei den Männern aus dem Laienstande fand man bei ihnen
die Anfänge einer gelehrten Bildung, die schwierige Kunst des
Lesens und Schreibens sowie die zum Verständnis des Psalters
nötige litterarische Bildung. Das Psalmenbuch wurde daher
auch zu den der Frau zufallenden Erbstücken gerechnet.
Schon zur Zeit Karls des Grofsen, besonders aber unter
den Ottonen begegnen uns geistliche und weltliche Frauen,
die auf einer Höhe gelehrter Bildung stehen, wie sie selbst
von hervorragenden Verti'etern der Geistlichkeit selten er-
reicht wurde. Die feine Bildung der vornehmen Frauen be-
trachtete man später als einen besonderen Vorzug dieses Zeit-
alters. Einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher
Bildung gab es dabei nicht; hatte man die Elementarkennt-
"^ nisse errungen und die Fächer des Triviums absolviert, so
■7^ drang man auch wohl noch je nach Bedürfnis und Anlage in
^- die Geheimnisse des Quadriviums ein.
-*= Die wichtigsten Bildungsstätten waren die Klosterschulen.
r-Q Seit dem zehnten Jahrhundert war in den vornehmen
"^ Ständen Deutschlands die Sitte fast allgemein geworden, die
O Töchter in den Klöstern ausbilden zu lassen. Im elften und
^ zwölften Jahrhundert finden wir besonders in den süddeutschen
H. Lange, höheres Mttdchenschulwesen. 1
Frauenklüstem grofse Erziehungsanstalten für Töchter des
Adels. Aus den Klostemeuburgisclien Akten ergiebt sich
u. a., dafs in dem dortigen Frauenkloster eine stark besuchte
Schule bestand, welche Mädchen mit dem siebenten Lebens-
jahre aufnahm, ohne dals für sie die Verpflichtung galt,
der Welt zu entsagen. Solche Mädchen besuchten die soge-
nannte äufsere Schule, deren Unterricht sich in erster Linie
auf die Elemente des Wissens: Lesen, Schreiben und die
Psalmen erstreckte. Aufserdem wurden die Mädchen auch in
den verschiedensten weiblichen Handarbeiten unterwiesen.
Selbst als die gelehrte Laienbildung verfällt, bleiben
wenigstens die Frauen noch den lateinischen Büchern getreu.
Yornehme Eltern versäumen es selten, ihre Töchter „nach
Sitte der Yorfahren" in den Schuldisciplinen unterrichten zu
lassen. Noch immer galt es als höchstes. Lob für ein adliges
Mädchen, lateinische Bücher zu verstehen, wenn auch die
vornehmen Damen sich nicht mehr, wie das in der „guten,
alten Zeit" nicht selten geschah, in das Studium der Kirchen-
väter oder der römischen Klassiker vertieften, sondern lieber
kurzweilige Schriften, Romandichtungeu, Schwanke und
Lieder lasen.
Mit dem Ausgang des Mittelalters verfällt diese Bildung,
die übrigens nur ein Privileg der höchsten Stände w^ar,
schnell. Wenn auch eine Anzahl von Frauen sich noch
privatim eine „gelehrte Bildung" verschaift, so klagt doch
Ludwig Yives darüber, dafs das Geschlecht der Frauen
ausgeschlossen sei von jedwedem Licht der Erkenntnis, und
dringt auf Abhilfe. „Noch niemals," sagt er, „habe ich eine
gebildete Frau gesehen, die schlecht war, wohl aber unendlich
viele, welche nur darum verworfen und elend geworden, weil
sie nie die Segnungen der Wissenschaften und des durch sie
angeregten eigenen Nachdenkens genossen hatten." Eine ähn-
liche Auifassung finden wir bei den Reformatoren, zu deren
Bestrebungen es daher gehöii;, auch den Frauen die Bildung
wieder zugänglich zu machen. Aber die Ansichten darüber,
was ihren Inhalt auszumachen habe, sind andere geworden;
mehr und mehr bildet sich die Idee einer specifisch weiblichen
Bildung aus. Auch bei Vives finden wir deutliche Spuren
davon. „Des Weibes einziges Bildungsziel," betont er, „ist
die Sittlichkeit: hat man ihr das Wesen derselben genügend
auseinandergesetzt, so hat sie genug gelernt." Aus seinen
weiteren Auseinandersetzungen erfährt man freilich, dafs er
als Grundlage dafür umfassende Studien „in der Moralphüo-
sophie" und die Lektüre vieler alter Schriftsteller, die eine
weitgehende Kenntnis der lateinischen Sprache voraussetzen,
für nötig hält. Die eigentliche systematische Wissenschaft
aber behält er dem Manne vor.
Ein weiterer Gegensatz gegen das Mittelalter macht sich
mit dem Beginn der „neuen Zeit" darin geltend, dafs man der
Bildung eine weit gröfsere Ausdehnung geben will. Der von
Karl dem Grofsen schon angeregte Gedanke einer allgemeinen
Volksbildung wird von den Reformatoren praktisch zur
Geltung gebracht und kommt auch dem weiblichen Geschlecht
zu gute. Das Bedürfnis, auch den Bürgermädchen eine
gewisse Bildung zu übermitteln, hatte sich schon seit dem
13. Jahrhundert gezeigt. Zunächst hatte man ihm in den
Klosterschulen zu genügen gesucht; dann errichteten die auf-
blühenden Städte hie und da „Jungfrauenschulen", die von
„Lehrmüttern" geleitet wurden. Luther und Bugenhagen
gebührt vor allem das Verdienst, die Begründung solcher
Schulen gefördert zu haben. In seinem Sendschreiben: „An
die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dafs
sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen",
betont Luther die Notwendigkeit, „die allerbesten Schulen,
beide für Knaben und Maidlin an allen Orten auf-
zurichten", da die Welt feiner geschickter Männer und
Frauen bedürfe: „Dafs die Männer wohl regieren könnten
Land und Leute; die Frauen wohl ziehen und halten könnten
Haus, Kinder und Gesinde." Seine Ansprüche in Bezug auf
die Frauenbildung sind bescheiden genug: „Also kann ein
Maidlin ja so viel Zeit haben, dafs des Tages eine Stunde zur
Schule gehe und dennoch seines Geschäftes im Hause wohl
warte."
Fast alle Schul- und Kirchenordnungen der Reformations-
zeit heben nacli Luthers Vorgang die Notwendigkeit einer
allgemeinen Mädchenbildung hervor; so besonders die braun-
schweigischen von Johann Bugenhagen. Schon die vom
Jahre 1528 hat ein Kapitel von den „Jungfrauenschulen". Es
sollen ihrer vier errichtet werden „an vier Orten, der ganzen
Stadt wohl gelegen, darum dafs die Jungfrauen nicht ferne
von ihren Eltern sollen gehen. Die Schulmeisterinnen will
ein ehrbarer Rat verschaffen und annehmen, die in dem
Evangelio verständig sind und von gutem Gerüchte. Dann
soll man auch einer jeglichen aus dem Gemeindeschatzkasten
Geschenke geben und sie lassen keine Not leiden, als der
ganzen Stadt christliche Dienerinnen". Die braunschweigische
Kirchenordnung von 1543 verlangt die Ausdehnung dieser
Schulen auf alle Städte und Flecken. Das sehr bescheidene
Lehrpensum von 1528 ist erweitert; die Schulzeit soll vier
Stunden täglich betragen. Die Mädchen sollen lesen und
schreiben lernen, geistliche Lieder singen und in Bibel und
Katechismus wohl unterrichtet werden. In anderen Schul-
ordnungen, so in der Wittenberger und Strafsburger werden
auch die Anfangsgründe des Rechnens verlangt.
Die (für Hessen bestimmte) Homberger Reformations-
ordnung von 1526 sagt: „Aufserdem sollen in den grofsen
und kleinen Städten, womöglich auch in den Dörfern,
Mädchenschulen eingerichtet werden unter der Leitung ge-
bildeter, in den Jahren vorgerückter, frommer Frauen, welche
die Mädchen in den Hauptstücken der Religionslehre so wie
im Lesen und Spinnen unterrichten und zur Pünktlichkeit
und Geschäftigkeit anhalten sollen, damit sie später tüchtige
Hausfrauen seien."
Auch die Pommersche Schulordnung von 1563, sowie die
1573 durch Johann Georg erlassene Brandenburgische Yisi-
tations- und Konsistorialordnung verlangen die Errichtung
von Jungfrauenschulen. In der ersteren heifst es: „Die Jung-
frauen sollen des Werkeltages vier Stunden in die Schule
gehen; die andere Zeit sollen sie bei den Eltern lernen haus-
halten. Für allen Dingen sollen sie im Katechismo, in Psalmen,
christlichen Gesängen, Sprüchen aus der heiligen Schrift
unterrichtet, auch zum Gebet und zur Predigt gehalten
werden."
Besondere Sorgfalt wandte man auch den Mädchenschulen
in Sachsen zu. Als in Oschatz durch die Räte des Herzogs
Heinrich die Reformation eingeführt wurde, verlangten sie,
dafs unter den zehn anzustellenden Kirchen- und Schuldienern
auch „eine Weibsperson" zur Errichtung einer Jungfrauen-
schule sei. Im Jahre 1555 genehmigte Kurfürst August den
Antrag der Ritterschaft und der Städte auf Einrichtung dreier
Jungfrauenschulen (zu Freiberg, Mühlberg und Salza in Thü-
ringen), gewissermafsen als Parallelen der vom Kurfürsten
Moritz errichteten Fürstenschulen.
Vielfach mögen die über das Mädchenschulwesen ge-
troffenen Anordnungen auf dem Papier geblieben sein; in den
gröfseren Städten jedoch trat eine ganze Anzahl von Mädchen-
schulen ins Leben, in denen trotz des geringen Mafses von
Kenntnissen, das sie übermittelten, doch ohne Zweifel der
Anfang der höheren Mädchenschule zu suchen ist. Sie
scheinen hauptsächlich für die mittleren Volksschichten be-
stimmt, gewesen zu sein und über den sogenannten deutschen
Schreibschulen gestanden zu haben, in denen Knaben und
Mädchen miteinander unterrichtet wurden; schon die Abson-
derung des Geschlechts scheint ihnen einen vornehmeren Cha-
rakter gegeben zu haben.
Für die evangelischen Gebietsteile Deutschlands bleibt
der Typus der Mädchenschule, wie er durch Luther und
Bugenhagen festgestellt worden war, während der Folgezeit
bestehen. Auf katholischer Seite wird besonders durch die
Gründung des Ursulinerinnenordens, einer zum Zweck des
Jugendunterrichts und der Krankenpflege im Jahre 1537 ge-
stifteten freieren Schwesterschaft, und des Ordens der Eng-
lischen Fräulein (1609 gestiftet) dem Bedürfnis des Mädchen-
unterrichts Rechnung getragen.
Das siebzehnte Jahrhundert bringt einerseits in Come-
nius den Vertreter der weitherzigsten Theorie in Bezug auf
die Bildung der Frauen („denn sie sind gleicher Weise Gottes
Ebenbilder; in gleicher Weise Inhaber der Gnade und des
6
zukünftigen Reiches; in gleicher Weise mit beweglichem
Geiste und umfassender Weisheit [oft mehr als unser Ge-
schlecht] ausgerüstet; auf gleiche Weise steht ihnen der Zu-
gang zur Herrlichkeit offen, da Gott selbst sich ihrer bedient
hat zur Regierung der Yölker, den Königen und Fürsten die
heilsamsten Ratschläge zu geben, zur Wissenschaft der Heil-
kunde, und zu andern für das Menschengeschlecht wohl-
thätigen Zwecken"), andererseits in der Praxis einen starken
Rückgang derselben. Der Unterricht der Mädchen, dessen
Notwendigkeit am w^enigsten in die Augen sprang, litt am
meisten unter dem ungünstigen Einflufs, den die Verheerungen
des dreifsigj ährigen Krieges auf das ganze Unterrichtswesen
in Deutschland ausübten. Viele Mädchenschulen gingen ein
und machten Winkelschulen Raum, in denen wieder Knaben
nnd Mädchen zusammen unterrichtet wurden. Vielfach
wurden die Mädchenschulen auch Gegenstand der Privat-
spekulation ; wir finden gänzlich untaugliche und verkommene
Personen als Schulhalter. Erst die Wende des Jahrhunderts
bringt wieder eine Änderung. In den Fr an ck eschen Stif-
tungen zu Halle finden wir eine gesonderte Mädchenschule
für den Bürgerstand; daneben begründet Francke im Jahre
1698 eine „Anstalt für Herren Standes, adeliche und sonst
fürnehmer Leute Töchter", das sogenannte Gynaeceum. Es ist
daselbst „zur Aufsicht, Unterweisung in der französischen
Sprache, Anführung zu guter Manier mit Leuten umzugehen,
eine französische Demoiselle, die eine bewährte und wohl-
geübte Christin ist und viel bei Hofe gewesen, bestellet". Die
jungen Mädchen werden in weiblichen Handarbeiten, im Lesen,
Schreiben und Rechnen und „im Grunde des Christentums*
unterwiesen, auch die Möglichkeit eines Unterrichts im
Hebräischen und im Griechischen als den Ursprachen der
Bibel ist vorgesehen, sowie andererseits auf Verlangen auch
in Haushalt und Wirtschaft unterwiesen wird. Hier wie
anderswo ist der Einflufs der (ein Jahr vor der Begründung
des Gynaeceums) von Francke übersetzten F^nelonschen Schrift:
Äwr Veducation des jeimes jüles unverkennbar; andere Institute,
wie das vom Herzog Karl von Württemberg auf der Solitude
errichtete, sind direkt auf das Vorbild von Saint-Cyr zurück-
zuführen. So wurde besonders der „Institutserziehung" der
jungen Mädchen höherer Stände jener französierende Cha-
rakter gegeben, den sie noch bis in unser Jahrhundert hinein
behalten hat.
Inzwischen blieben die Bildungsgelegenheiten für Töchter
der mittleren Stände noch lange Zeit aufserordentlich dürftig.
Man eignete sich in den öifentlichen Schulen die Elementar-
kenntnisse an; allenfalls wurde dann noch eine Strickschule
besucht und ein Kursus im Französischen genommen; wenig-
stens klagt schon Justus Moser über das Eindringen des
französischen Elements in die Bildung der Bürgertöchter.
Der Aufschwung unserer nationalen Litteratur und die
damit verbundene geistige Regsamkeit, die auch die Frauen-
welt ergriff, gereichte der Frauenbildung und speziell der
Mädchenschule mächtig zur Förderung. Viel wurde schon
um die Mitte des Jahrhunderts, über Frauenbildung theore-
tisiert. „Von der Notwendigkeit des Studierens, insonderheit
der Frauenzimmer" (Leipzig 1753), „Über Frauenzimmer-
schulen" (Zürich, 1770), „Plan zur besseren Erziehung und
Belehrung gemeiner Bürgertöchter" (von Usteri, Zürich 1774),
„Über die Notwendigkeit der Anlegung öffentlicher Töchter-
schulen für alle Stände" (Wolfenbüttel 1786), „System der
weiblichen Erziehung, besonders für den mittleren und
höheren Stand" (1787) sind einige Schriften aus einer Reihe
anderer, die das Heraufdämmern einer neuen Zeit bezeichnen.
Über das Was und Wie der Frauenbildung ist man sich frei-
lich keineswegs einig. Auf der einen Seite vertritt Basedow
in seinem Methodenbuch auf das entschiedenste den
Rousseauschen Satz: „La femme est faite spöcialement pour
plaire ä l'homme", und will dem entsprechend die Bildung
der Frauen nicht auf ein sittliches Prinzip, sondern auf Klug-
lieitsregeln und vor allem auf diese angebliche Bestimmung,
zu gefallen, gegründet wissen: „Sie (die Frau) mufs ange-
wöhnt werden, ihre Person und ihren Umgang angenehm zu
machen und zu erhalten, das männliche Geschlecht als das
zum Vorzuge der Herrschaft bestimmte von Jugend auf an-
8
zusehen, sich dasselbe durch Sanftmut, Geduld und Nachgeben
geneigt zu machen" etc „Es ist eine vortreffUche
Übung für Mädchen, dafs man sie versuchen lä&t, in einer
grofsen Gesellschaft bald diesem, bald jenem und also einem
jeden etwas zu sagen, was entweder gefallen oder doch nicht
milsfallen kann." Andererseits hat seine Idee der Frauen-
bildung eine Richtung auf das Praktische, die sich überall
da geltend macht, wohin sein Einflufs reicht. So finden wir
bei der im Jahre 1786 durch den Fürsten Leopold Friedrich
Franz begründeten Herzoglichen Töchterschule zu Dessau
(heute Antoinettenschule), die auf Basedows Anregung zurück-
zuführen ist, in einer „den guten Müttern" gewidmeten Er-
öffnungsschrift bemerkt, dafs die Schule nicht sowohl be-
stimmt ist, „dem vornehmen, jungen Frauenzimmer eine
wissenschaftliche Bildung zu geben", als vielmehr „den
Töchtern der zahlreichen mittleren Stände einen für das
häusliche Leben brauchbaren und gemeinnützigen
Unterricht zu erteilen". In dem Lehrplan dieser Anstalt finden
wir auch eine von der ersten Lehrerin in der obersten Klasse
erteilte Stunde „Moral für Frauenzimmer und Haushaltungs-
rechnung"; auch ein Kursus in der Gesundheitslehre wird erteilt.
Eine weitherzigere Auffassung der Bestimmung und Bil-
dung der Frau, als sie Basedow zeigt, finden wir durchi
Jean Paul in der Levana vertreten. Die Bildung zur
Mutter ist ihm wichtiger als die zur Gattin; über der mütter-
lichen und ehelichen Bestimmung aber steht ihm die mensch-
liche. In gleichem Sinne sprechen sich zu Anfang des Jahr-
hunderts verschiedene Frauen aus. Karoline Rudolphi
versucht in ihren Gemälden weiblicher Erziehung
(1807), Betty Gleim in ihrem Buch: Erziehung und Un-
terricht des weiblichen Geschlechts (1810) eine päda-
gogische Theorie für die weibliche Erziehung aufzustellen, die
in der Ansicht wurzelt, dafs jedes weibliche Wesen in erster
Linie Mensch, erst in zweiter Linie Weib ist, und dafs nur
die freie Entwicklung aller Fähigkeiten die richtige Er-
füllung der Aufgabe gewährleisten könne, die der Frau in ihrer
zwiefachen Eigenschaft zufalle.
9
Während so theoretisiert wird, tritt auch zugleich eine
ganze Reihe von Töchterschulen, fast durchweg Privat-
schulen, ins Leben. In Berlin, Dresden, Hannover,
Göttingen, Görlitz (von Gersdorfsche Erziehungsanstalt),
Cüstrin (weibliche Lehr- und Erziehungsanstalt von Rektor
Knauert), Darmstadt, Bremen (unter Leitung von Betty
Gleim), Lübeck (J.H.Meyer), Frankfurt a. M., Hamburg,
Ansbach, Nürnberg (das Seideische Institut), Augsburg,
Heidelberg (Karoline Rudolphi) u. s.w. finden wir blühende
Privatschulen für Mädchen. Die grofse Bedeutung, die die
Litteratur damals für das nationale Leben hatte, brachte eine
starke Betonung des litterarisch-ästhetischen Prinzips mit
sich, die noch ein charakteristisches Merkmal der deutschen
Mädchenschule bildet. Die Lehrpläne sind noch sehr bunt-
scheckig. Die oben erwähnte Töchterschule in Dessau weist
neben den Elementarkenntnissen und den obengenannten
Fächern auf: „Verfertigung schriftlicher Aufsätze, vornehm-
lich über hauswii'tschaftliche Angelegenheiten, Briefe, Erzäh-
lungen u. s. w.. Biblische Geschichte und Religionsunterricht
nebst den wichtigsten moralischen und häuslichen Grund-
sätzen zur Führung eines nützlichen und zufriedenen Lebens,
Naturgeschichte, besonders eine Kenntnis der vaterländischen
Naturprodukte und deren ökonomischer Benutzung; einige
Kenntnis der Geographie, vorzüglich der vaterländischen; An-
weisung zu verschiedenen Handarbeiten eines häuslichen
Frauenzimmers, z. B. im Nähen, Stricken, Spinnen, Klöpfeln
u. dergl." — Auf anderen Lehrplänen finden wir die Mytho-
logie, die für das Verständnis der Klassiker wichtig erschien,
als besonderes Fach; auch Psychologie kommt vor. Wieder
auf anderen spielt die weibliche Handarbeit die wichtigste
Rolle.
Aber selbst da, wo gute Töchterschulen bestehen — der
Name „höhere" Töchterschule kommt (nach Wiese) vor den
zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts nicht vor — bleibt
doch die Bildung der Mädchen eine sehr lückenhafte, schon
weil die Schulbildung in der Regel mit vierzehn Jahren be-
reits ihren Abschlufs fand. Vielfach aber fehlte es auch an
10
Bildungsgelegenheiteii ganz. Im Jahre 1799 berichtet das
Konsistorium zu Berlin in seiner Relation an das Oberschul-
kollegium: kein Teil der öffentlichen Erziehung sei bisher
mehr zurückgesetzt worden als die Unterweisung des weib-
lichen Geschlechts. An zweckmäfsigen Töcliterschulen fehle
es fast überall. In den meisten Städten sei die Einrichtung,
dafs blofs der Küster, der oft nur sehr geringe Geschicklich-
keit habe, die Töchterschule halte, wo dann die kleineren und
gröfseren Mädchen durcheinander, ohne zweckmäfsige Ab-
sonderung nach dem Alter und den Fortschritten, einen
mechanischen Unterricht genössen, den sie obendrein noch
häufig mit den kleineren Knaben, die der Küster zur Ver-
mehrung seiner Einkünfte mit aufnehme, teilen müfsten.
So stieg das Bedürfnis, festere Zustände im Mädchen-
schulwesen zu schaffen, um so mehr, als in den Friedens-
jahren nach der „französischen Zeit" die Ansprüche an die
Bildung des weiblichen Geschlechts immer gröfser wurden.
Hier und da waren schon im Laufe des achtzehnten Jahr-
hunderts Staats-, Stiftungs- oder Genossenschaftsschulen ent-
standen. So wurde schon 1731 von Karl Alb recht von Bayern
das „Königliche Mädchen-Erziehungs-Institut der
Englischen Fräulein" zu Nymphenburg gegründet; 1748
die (seit 1827 königliche) Elisabethschule zu Berlin,
1749 auf Veranlassung des Kurfürsten Johann Friedrich Karl
die Englische Fräulein-Schule in Frankfurt a. M.;
1767 die Töchterschule zu St. Maria Magdalena in Breslau,
aus der später die Augusta- und die Victoriaschule hervor-
gingen; 1786 die Töchterschule zu Dessau. Etwa 25 solcher
öffentlichen Schulen entstehen zwischen 1800 und 1825,
dreifsig bis vierzig zwischen 1825 und 1850. Vielfach werden
auch gute Privatanstalteu von den Städten übernommen.
Von 1850 ab wächst das Interesse an der Begründung
öffentlicher höherer Mädchenschulen stetig. Wenig freilich
thut in den meisten Fällen der Staat; bei weitem die
meisten öffentlichen liöheren Mädchenschulen verdanken ihr
Entstehen der Opferwilligkeit der Gemeinden; einige wenige
sind Geuossenschaftsschulen. Mehr und mehr wird auch Ge-
11
wicht darauf gelegt, allen modernen Anforderungen an eine
würdige Ausstattung der Schulen sowohl in Bezug auf die
Baulichkeiten als auf die Lehrmittel zu entsprechen; auch
kleinere Städte bringen erhebliche Opfer für die Mädchen-
schulen. Seit 1850 entstanden auf diese Weise noch mehrere
hundert öffentlicher höherer, d. h. über das Ziel der Volks-
schule hinausgehender Mädchenschulen (Genaueres siehe
unter B.), von denen eine Anzahl die bisherige Unterrichtszeit
— acht Jahre — beibehielt, die Mehrzahl aber den Kursus
um ein bis zwei Jahre verlängerte und eine zweite Fremd-
sprache, das Englische, hinzufügte, so dafs sich allmählich
zwei (wenn auch noch nicht scharf geschiedene) Typen, die
mittlere und die höhere Mädchenschule, den Bedürfnissen
des mittleren und des höheren Bürgerstandes entsprechend,
herausbildeten.
Neben den von Staat und Gemeinden begründeten, als
öffentlich bezeichneten Schulen bestand die Privatschule fort.
Ihre glänzenden Tage, die sich an die Namen Basedow,
Campe, Salzmann, Pestalozzi, Fröbel, Betty Gleim, Karoline
Rudolphi anschliefsen, die Tage, in denen die Privatschule
der öffentlichen Schule erst die Wege gebahnt, waren freilich
vorüber; die eigentümlichen Vorzüge aber, die in der gröfseren
Freiheit der Bewegung liegen, sicherten den Privatschulen
immer noch ein Publikum. Füi" die Knaben zwar, die in das
öffentliche Leben eintreten sollten, wurde die öffentliche
Schule bald die Regel; für die Mädchen lagen die Dinge
wesentlich anders. Während einerseits auch auf dem Gebiet
des Mädchenschulwesens eine feste staatliche Organisation
verlangt wurde und eine solche sich thatsächlich schon zu
vollziehen begann, sprachen sich andererseits noch gewichtige
Stimmen dagegen aus (von Raumer, Riehl). Noch im Jahre
1865 erklärte L. Wiese ein weibliches Staatsschulwesen, dem
für die männliche Jugend entsprechend, für eine Vorstellung,
die für uns einen inneren Widerspruch in sich trüge, un-
natürlich und unausführbar. Besonders ist ihm das Zu-
sammendrängen grofser Massen von Mädchen, wie es die
öffentliche Schule vor allem in den grofsen Städten mit sich
12
bringt, gegen die weibliche Natur. Wenn er auch wünscht,
dafs in jeder Provinz wenigstens eine vom Staat gegründete
und erhaltene Schule bestände, die durch ihren Lehrplan und
die übrigen Einrichtungen zum Muster dienen könnte, so be-
fürwortet er andererseits, dafs der Staat sich im Interesse der
Mädchenerziehung der Aufstellung eines allgemein verbind-
lichen Normalplans für die höheren Mädchenschulen enthalte.
Die Zahl der in Deutschland bestehenden höheren Privat-
schulen für Mädchen übertrifft die der öffentlichen höheren
Mädchenschulen um das Zwei- bis Dreifache. Dagegen wird
sich die Zahl der Scliülerinnen der öffentlichen höheren
Mädchenschulen ungefähr mit der der Privatschiden decken;
ganz Genaues läfst sich darüber bei der Ungleichheit der
Schulstatistik in den einzelnen Staaten nicht ermitteln. In
Preufsen beträgt die Zahl der privaten circa 68,5 % aller
höheren und mittleren Mädchenschulen; die der Schülerinnen
nur circa 44 % aller Schülerinnen dieser Schulen. Dieses
Mifsverhältnis erklärt sich daraus, dafs eine Anzahl der
öffentlichen Schulen eigentlich mehrere Schulkomplexe nm-
fafst und dafs andererseits unter den Privatschulen sich viele
sehr kleine Organismen befinden. Obwohl diese in Bezug auf
Kursusdauer, Lehrerkollegium etc. keineswegs den Ansprüchen
entsprechen, die an eine höhere Schule zu machen sind, so
sind sie dennoch ein nicht unwichtiger Faktor für die weib-
liche Bildung, da sie in kleinen Städten oft die einzige Ge-
legenheit für die Töchter gebildeter Stände bieten, eine über
die Volksschule hinausgehende Bildung zu erwerben. Von
verschiedenen deutschen Staaten werden daher auch Privat-
anstalten, die in dieser Weise einem öffentlichen Bedürfiiis ab-
helfen, unterstützt. So erhält in Preufsen eine nicht unbe-
deutende Zahl von Privatschulen staatliche Unterstützung;
auch in Württemberg wird sie solchen Privatschulen zu teil,
die nicht auf Gewinn berechnet sind; — „denn es wäre un-
gerecht," sagt die Kommission für das betreffende Gesetz von
1877, „diejenigen Privatanstalten, welche sich einer Unter-
stützung durch die Gemeinden nicht zu erfreuen haben, von
der staatliclien Unterstützung von vornherein auszuschliefsen.
13
sofern die Verweigerung der Unterstützung seitens der Ge-
meinde an und für sich kein Beweis gegen das Bedürfnis
einer solchen höheren Mädchenschule ist, sondern oft Motive
hat, die durchaus nicht im Einklang mit der Forderung einer
höheren Bildung für die weibliche Jugend stehen."
Neben den kleinen Anstalten giebt es aber auch eine
grofse Anzahl vollausgestalteter Privatschulen. In Preufsen
beträgt z. B. die Zahl der privaten höheren und mittleren
Mädchenschulen mit 7 und mehr aufsteigenden Klassen 169,
d. h. ebensoviel wie die der öffentlichen höheren und mittleren
Mädchenschulen derselben Kategorie.
Selbstverständlich unterstehen die Privatschulen in Deutsch-
land in derselben Weise einer staatlichen Aufsicht und Leitung
wie die öffentlichen Schulen.
Im besonderen Gegensatz zu den öffentlichen Schulen
stehen die Privatschulen dadurch, dafs in ihnen die weibliche
Leitung, in den öffentlichen die männliche überwiegt. Yon
den öffentlichen höheren Mädchenschulen Preufsens sind 91
bis 92 % unter männlicher, nur 8 bis 9 ^ unter weiblicher
Leitung; von den höheren Privatmädchenschulen 87 bis 88 %
unter weiblicher, nur 12 bis Vi % unter männlicher Leitung.
Ähnlich steht es mit dem Ordinariat in den Oberklassen. Die
Thatsache, dal's die höheren Stände vielfach die Privatschule
trotz der oft mangelhaften äufseren Ausstattung derselben
bevorzugen, erklärt sich wohl zum Teil aus dem Umstände,
dafs der höhere Preis der Privatschule eine Garantie für eine
gewisse Auswahl des Publikums giebt, und sie dadurch in
mancher Augen vornehmer erscheint, zum grofsen Teil aber
auch daraus, dafs in diesen Ständen ein besonderes Gewicht
darauf gelegt wird, gerade die halberwachsenen Töchter unter
dem erziehlichen Einflufs von Frauen zu wissen.
Die weitere Geschichte der inneren Entwicklung des
höheren Mädchenschulwesens bietet einen bemerkenswerten
Gegensatz gegen die Entwicklung des Mädchenschulwesens
im Reformationsjahrhundert. Damals lagen klare Verhältnisse
vor in Bezug auf die Lebensaufgabe der Frau und das, was
dem entsprechend an intellektueller Bildung ihr zu bieten
14
war; dagegen sah man sich etwa um die Mitte unseres
Jahrhunderts hinsichtlich der Frauenbildung vor ganz
neue Fragen gestellt. Die gewaltigen Umwälzungen auf
dem Gebiet der Technik, durch die den Frauen im eigent-
lichsten Sinne die Arbeit aus der Hand genommen wurde,
hatten die Frauenfrage geschaffen, die in den fünfziger
und sechziger Jahren die Gemüter lebhaft beschäftigte
und den Gedanken einer Neuorganisation der Mädchen-
schulen nahe legte. Darüber, ob und wie weit die Schule den
neuen Bildungsansprüchen Rechnung zu tragen habe, gingen
die Ansichten weit auseinander. Während man auf der einen
Seite die Gestaltung der höheren Mädchenschule von den
neugeschaffenen Fragen garnicht berührt, sondern die All-
gemeinbildung von specifisch weiblichem Gepräge, d. h. mehr
oder weniger ästhetischem Charakter, festgehalten wissen
wollte, schlug man auf der anderen in Bezug auf Lehrfächer
und Lehrziele eine Annäherung an die Knabenschule vor.
Während man hier vor allem darauf drang, die Frauen er-
werbsfähig zu machen, wollte man dort dem häuslichen
Beruf durch Einführung von Nationalökonomie, Haushaltungs-
kunde u. s. w. zu Hilfe kommen. Während man endlich hier den
Mädchenunterricht besonders auf der Oberstufe vorzugsweise
akademisch gebildeten Männern übertragen wollte, legt« man
dort besonderes Gewicht auf Frauenunterricht, da ein Ver-
trauensverhältnis, wie es gerade zwischen dem weiblichen
Zögling und dem Erzieher wünschenswert sei, nur zwischen
Personen desselben Geschlechts stattfinden könne. Die in
Bezug auf diese und ähnliche Fragen des Mädchenschulwesens
geführten Kämpfe sind noch keineswegs abgeschlossen; zum
Teil sind die obwaltenden Gegensätze in Lehrer- und Lehre-
rinnenvereinen zum Ausdruck gelangt. Die Geschichte der
weiteren Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens in
Deutschland ist daher zum Teil identisch mit der Geschichte
dieser Vereinsbestrebungen. Die Unterrichts- Verwaltungen
haben sie mit Aufmerksamkeit verfolgt; einige Staaten sind
mit gesetzlichen Bestimmungen vorgegangen, sobald gewisse
Resultate sicher gestellt schienen; andere haben die not-
15
wendigen Anordnungen bisher nur auf dem Verwaltungswege
getroffen und verhalten sich der noch im Flufs befindlichen
Entwicklung gegenüber vorläufig abwartend.
Das Jahr 1872 ist für die innere und äufsere Entwicklung
der deutschen höheren Mädchenschule besonders wichtig ge-
worden; es bezeichnet geradezu einen Abschnitt darin.
Unter den Leitern der öffentlichen höheren Mädchenschulen
in Deutschland — es gab deren damals 160 bis 170 — war schon
lange der Wunsch rege geworden, auf Grund einer zu ver-
einbarenden Theorie über Wesen und Ziel der weiblichen
Bildung eine möglichst einheitliche Gestaltung des deutschen
höheren Mädchenschulwesens anzubahnen. Schon seit län-
gerer Zeit waren die einschlagenden Fragen in Zeitschriften
und Programmen diskutiert worden und in Bezug auf die
wesentlichsten Punkte war eine Übereinstimmung erzielt. Im
Sommer 1872 forderte nun der Direktor der städtischen
höheren Mädchenschule in Iserlohn, G. Kreyenberg, zu einer
„Töchterlehrerversammlung" in Weimar auf, die auch im
September desselben Jahres stattfand. Als hauptsächlichstes
Resultat derselben erscheint eine Denkschrift, ausgearbeitet
auf Grund einer Anzahl von Thesen, die von Direktor
Schornstein aus Elberfeld der Versammlung vorgelegt und
von dieser mit geringen Veränderungen angenommen worden
waren.
Diese Denkschrift .wurde noch im Laufe des Jahres sämt-
lichen deutschen Staatsregierungen überreicht und hat auf die
Gestaltung des Mädchenschulwesens in hohem Grade be-
stimmenden Einflufs geübt. Der wesentliche Inhalt der ihr zu
Grunde liegenden Thesen ist folgender:
Es ist eine gesetzliche Regelung des höheren Mädchen-
schulwesens sowohl in Bezug auf die äufsere wie auf die
innere Organisation desselben notwendig (These I). — Die
höhere Mädchenschule soll der heranwachsenden weiblichen
Jugend die ihr zukommende Teilnahme an der allgemeinen
Geistesbildung ermöglichen; ihre Organisation hat auf die
Natur und Lebensbestimmung des Weibes Rücksicht zu
nehmen (These II). — Die höhere Mädchenschule hat eine
16
lianiionisclie Ausbildung der iDtellektualität, des Gemütes und
des Willens in religiös-nationalem Sinne auf realistisch-ästhe-
tischer Grundlage anzustreben (These III). — Sie hat den
Elementarunterricht ebenso zu pflegen wie die Elementar-
schule, und auf der dadurch geschaffenen Grundlage eine ein-
heitliche Bildung in Wissenschaften und Sprachen (zwei
fremde Sprachen) aufzubauen (These TV). — Sie beansprucht
die Schülerinnen vom vollendeten 6. bis zum vollendeten 16.
Lebensjahre für 10 Jahreskurse in 3 Hauptstufen, welche sich
auf 7 — 10 Stufenklassen verteilen (These V). — Das Lehrer-
kollegium besteht aus einem wissenschaftlich gebildeten
Direktor, wissenschaftlich gebildeten Lehrern (namentlich für
die wissenschaftlichen Fächer), aus erprobten Elementar-
lehrern und geprüften Lehrerinnen (These YI). — Der Staat
hat für die Errichtung höherer Mädchenschulen nach Mafs-
gabe des Bedürfnisses zu sorgen; in Bezug auf Ressort-, An-
stellungs- und Pensionsverhältnisse ist die höhere Mädchen-
schule den übrigen höheren Schulen gleichzustellen (These VII).
— Es ist wünschenswert, dafs durch die Staatsbehörde nach
Anhörung tüchtiger Fachmänner ein Normal-Lehr- und
Einrichtungsplan festgestellt werde (These YIII). — Schulen,
welche den in diesem Plane gestellten Anforderungen nicht
entsprechen, dürfen den Namen „höhere Mädchenschule" nicht
führen (These IX).
Zwei weitere Abschnitte der Denkschrift beschäftigen sich
mit den Mittel- und den Fachschulen (einschliefslich der
Lehrerinnenbildungsanstalten).
Im November 1872 war die Weimarer Denkschrift den
deutschen Staatsregierungen überreicht worden. Noch am
Schlüsse desselben Jahres veranstaltete der preufsische Unter-
richtsminister Dr. Falk eine Untersuchung in Bezug auf das
Mädchenschulwesen und berief sodann zum 18. August 1873
eine Konferenz zur Beratung der Gestaltung des mittleren und
höheren Mädchenschulwesens nach Berlin. Die Ergebnisse
dieser Konferenz liegen vor in den Protokollen über die
im August 1873 im Königlich Preufsischen Unter-
richtsministerium gepflogenen, das mittlere und
17
höhere Mädchenschulwesen betreffenden Verhand-
lungen. (Berlin 1873. Wilhelm Hertz.) An der Konferenz
iiahmen teil: vier Ministerialbeamte, vier Vorsteherinnen von
Privatschulen, eine staatlich angestellte Lehrerin, sechs Dii'i-
genten von öffentlichen höheren Mädchenschulen, drei Vor-
steher von Privatmädchenschulen und zwei Direktoren von
Lehrerinnenseminaren. Die von dieser Versammlung nach
gründlicher Beratung gefafsten Beschlüsse sind, obwohl ihnen
von der preufsischen Regierung nicht Gesetzeskraft zuerteilt
worden ist, thatsächlich die Grundlage für die weitere Ent-
wicklung unseres höheren Mädchenschulwesens geworden. Im
grofsen und ganzen können sie als ein weiterer Ausbau der
Weimarer Thesen gelten; in einzelnen Bestimmungen, wie z. B.
in der über die Leitung der höheren Mädchenschule, weichen
sie davon ab.
Die Frage:
Welche Aufgaben haben diejenigen Mädchen-
schulen, welche über die Ziele des Volksschul-
unterrichts hinausgehen?
wurde von der Konferenz folgendermafsen beantwortet:
Diejenigen Mädchenschulen, welche über die Ziele der Volks-
schule hinausgehen, haben die Aufgabe, der weiblichen Jugend
in einer ihrer Eigentümlichkeit entsprechenden Weise eine ähn-
liche allgemeine Bildung zu geben, wie sie auch die über die
Volksschule hinausgehenden Schulen für Knaben und Jünglinge
bezwecken, und sie dadurch zu befähigen, sich an dem Geistes-
leben der Nation zu beteiligen und dasselbe mit den ihr eigen-
tümlichen Gaben zu fördern. Das Bedürfnis einer Vorbildung
für eine künftige Berufsstellung ist durch besondere Einrichtungen
ins Auge zu fassen.
Unter den Mitgliedern der Konferenz bestand Einstimmig-
keit darüber, dafs eine Sonderung in mittlere und höhere
Mädchenschulen notwendig sei. In Bezug auf die Aufgabe
beider Schulgattungen wurden folgende Bestimmungen ein-
stimmig angenommen:
Die Mittelschule für Mädchen, im ganzen entsprechend der
Mittelschule für die männliche Jugend, wie sie in den Allge-
meinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872 aufgefafst ist, hat
einerseits eine höhere Bildung zu geben, als dies in der mehr-
H. Lange, höheres Mädchenschulwesen. 2
18
klassigen Volksschule geschieht, andererseits aber auch die Be-
dürfnisse des sogenannten Mittelstandes in gröfserem Umfange
zu berücksichtigen, als dies in den höheren Lehranstalten regel-
mäfsig der Fall sein kann. Insbesondere wird sie eine neue
Sprache (die französische oder die englische) in ihren Lehrplan
aufzunehmen haben.
Die höhere Mädchenschule erstrebt jene allgemeine Bildung,
wie sie den höheren Lebenskreisen eigen ist. Die Lehrgegen-
stände werden zu dem Zweck in der höheren Mädchenschule, der
Mittelschule gegenüber nicht sowohl weiter zu vermehren, als in
ausgedehnterem Umfange mit mehr Vertiefung und in mehr
wissenschaftlicher, namentlich imierlich verbindender Weise zu
behandeln sein. Zwei fremde Sprachen (die französische und die
englische) und deren litterarische Haupterscheinungen sind unbe-
dingt heranzuziehen.
Man stellte ferner fest:
Die vollständig organisierte höhere Mädchenschule bean-
sprucht ihre Schülerinnen vom vollendeten 6. bis zum vollendeten
16. Lebensjahre.
Als Norm gilt, dafs die Mädchen in mindestens sieben
selbständigen, streng voneinander gesonderten, aufsteigenden
Blassen, welche sich auf drei Hauptstufen verteilen, unterrichtet
werden.
Als diejenigen Gegenstände, welche in der höheren
Mädchenschule zu betreiben sind, bezeichnete die Konferenz
einstimmig :
1. Religion, 2. deutsche Sprache, 3. französische
Sprache, 4. englische Sprache, 5. Geschichte, 6. Geo-
graphie, 7. Rechnen resp. Raumlehre, 8. Naturbe-
schreibung, 9. Naturlehre, 10. Zeichnen, 11. Schreiben,
12. Gesang, 13. weibliche Handarbeiten.
Über die Ziele, welche in den einzelnen Lehrgegen-
ständen zu erreichen sind, einigten sich die Mitglieder der
Konferenz folgendermafsen :
1. In der Religion sind die Ziele im allgemeinen dieselben, wie
in der Mittelschule für Knaben unter besonderer Betonung der
ethischen Seite und mit der durch die vorgeschrittene allge-
gemeine Bildung der Mädchen bedingten Erweiterung.
2. In der deutschen Sprache:
Befähigung der Schülerinnen zu richtiger und gefälliger zu-
k
19
sammenhängeiider mündliclier und schriftlicher Darstellung von
Gegenständen, die in ihrem Anscliauungskreisc liegen, Kenntnis
der Grammatik der Muttersprache.
Bekanntschaft mit den dem Bildungsstande der Mädchen
entsprechenden Hauptwerken der deutschen Dichtung und mit
den Hauptepochen der deutschen Litteraturgeschichte unter
Bevorzugung der Zeit nach Luther.
3. In der französischen Sprache:
Kenntnis der Grammatik, Formenlehre und Syntax,
Befähigung, Briefe und kloine Aufsätze über Dinge aus
dem Anschauungskreise der Mädchen im ganzen richtig in
französischer Sprache zu schreiben und über solche Gegen-
stände in einfachen Sätzen mit richtiger Aussprache französisch
zu sprechen,
Befähigung, ein französisches Buch zu lesen,
Bekanntschaft mit den Hauptwerken der französischen
Litteratur aus den klassischen Perioden.
4. In der englischen Sprache sind die Ziele dieselben, wie in
der französischen Sprache, namentlich ist auch Bekanntschaft
mit den Hauptwerken der englischen Litteratur zu verlangen.
5. In der Geschichte:
Kenntnis der Hauptthatsachen der allgemeinen Geschichte, be-
züglich der alten Geschichte besonders aus der der Griechen
und Römer. Kenntnis der vaterländischen, d. i. der deutschen
Geschichte in ihrem Zusammenhange und in ihren Beziehungen
zu den Nachbarstaaten.
C. In der Geographie:
Bekanntschaft mit der physischen und politischen Geographie
aller fünf Erdteile; nähere Kenntnis der Geographie Europas
und genauere Kenntnis der Geographie Deutschlands.
Die Hauptsachen aus der mathematischen und physika-
lischen Geographie.
7. Im Rechnen:
Bekanntschaft mit den bürgerlichen Rechnungsarten, den
geltenden Münz- und Mafssystemen; Befähigung, Aufgaben aus
denselben in ganzen und gebrochenen Zahlen, beziehungsweise
Dezimalbrüchen selbständig sicher und richtig zu lösen ; Fertig-
keit im Kopfrechnen; Raumberechnungen.
8. In der Naturbeschreibung:
Bekanntschaft mit der Naturgeschichte aller drei Reiche,
namentlich mit den hervorstechenden Typen und Familien,
speziell aus der Heimat; nähere Bekanntschaft mit den Kultur-
20
und Giftpflanzen. Einige Kenntnis von der Bildung und dem
Bau der Erde.
9. In der Naturlehre:
Allgemeine Bekanntschaft mit den magnetischen, elektrischen,
mechanischen Erscheinungen, sowie mit denjenigen des Lichtes,
der Wärme, des Schalles, insbesondere Verständnis derjenigen
physikalischen Gesetze, welche im gewöhnlichen Leben und
in den Hauptgewerben Anwendung finden. Bekanntschaft mit
den Elementen der Chemie, soweit sie zum Verständnis der
gewöhnlichsten, im Hause vorkommenden Erscheinungen er-
forderlich ist.
10. Im Zeichnen:
Bis zum perspektivischen Zeichnen.
11. Im Schreiben
müsse jeder einzelne Lehrer auf gute Schrift halten, dann sei
in den Oberklassen ein besonderer Schreibunterricht nicht not-
wendig.
In Bezug auf die mittlere Mädchenschule wurden fol-
gende Bestimmungen festgesetzt:
Die Mädchen sollen die mittlere Mädchenschule vom voll-
endeten 6. bis zum vollendeten 14. Lebensjahre besuchen.
Die mittlere Schule soll mindestens fünf aufsteigende Klassen
haben.
Bei fünf Klassen sind zwei für die Unterstufe, zwei für die
Mittelstufe, eine für die Oberstufe bestimmt.
Zahl der Lehrstunden wie in der höheren Mädchenschule.
Die häuslichen Arbeiten sind noch mehr zu beschränken, wie in
der höheren Mädchenschule.
Es sind folgende Gegenstände mit folgenden Zielen zu
betreiben :
1. Der Religionsunterricht.
Es sind in der Mittelschule für Mädchen die Ziele hier im
allgemeinen dieselben wie in der für Knaben. Der Unter-
schied zwischen beiden liegt nur in der Methode und in der
Auswahl der Stoffe (Schriftabschnitte, Sprüche, Lieder), w^elche
zur Veranschaulichung herangezogen werden.
2. Die deutsche Sprache.
Ziel ist die Befähigung zum korrekten mündlichen Ausdrucke,
zur selbständigen Abfassung von Briefen, leichten Geschäfts-
aufsätzen und dergleichen. Sicherheit in der Orthographie
und Bekanntschaft mit den Hauptregeln der deutschen Gram-
matik; Kenntnis der wichtigsten Dichtungsarten und Formen,
k
21
vermittelt an Proben aus den Meisterwerken deutscher Prosa
und Poesie, sowie Kenntnis von dem Leben der hervorragendsten
Dichter aus der Zeit nach der Reformation.
3. Die französische, bezw. englische Sprache.
Ziel ist richtige Aussi)raclie, Sicherheit in der Orthographie
und Kenntnis der Ilauptregeln der Grammatik, Befähigung,
leichtere prosaische Scliriftsteller in der französischen Sprache
zu lesen, einen leichten Geschäftsbrief selbständig aufzu-
setzen, bezw. leichte Sprachstücke aus dem Deutschen zu
übertragen.
4. Geschichte.
Hier ist das Ziel die Kenntnis von der Lcbensgeschichte der
bedeutendsten Männer und von den Hauptsachen aus der
Weltgeschichte aller drei Zeitalter, nähere Bekanntschaft mit
der vaterländischen, d. i. der deutschen Geschichte, namentlich
der neueren Zeit.
5. Geographie.
In dieser ist das Ziel dasselbe, wie bei den höheren Mädchen-
schulen, der Unterschied kann nur in dem geringeren Um-
fange der Detailkenntnisse gefunden werden.
6. Rechnen und Raumlehre.
Die Ziele sind dieselben wie bei der höheren Mädchenschule.
7. Naturkunde; und zwar ist Ziel:
a) in der Naturbeschreibung: Bekanntschaft mit der Natur-
geschichte aller drei Reiche, vermittelt an hervorstechenden
Repräsentanten, welche vorzugsweise aus der Heimat und
in dem Tierreich aus den höheren Ordnungen, im Pflanzen-
reich aus den Phanerogamen gewählt sind, sowie mit deren
Nutzen oder Schaden im menschlichen Haushalte.
b) In der Ph5'sik und Chemie: Kenntnis der Hauptsachen aus
der Pliysik und der Elemente der Chemie, insbesondere
derjenigen Gesetze, welche den Naturerscheinungen und den
gewöhnlichsten Vorgängen im Haushalt und in den Haupt-
gewerben zu Gninde liegen.
8. Aufserdem ist in der mittleren, wie in der hölieren Mädchen-
schule in den technischen Gegenständen (Schreiben, Zeichnen,
Singen, Turnen, weiblichen Handarbeiten) obligatorischer Unter-
richt zu erteilen, dessen Ziele von den betreffenden Technikern
zu bestimmen sind.
Die Zusammensotzuiig des Lehrerkollegiums betreffend
wurde folgendes bestinnnt:
22
I. Es ist wünschenswert, dafs das Lehrerkollegium der höheren
Mädchenschule aus akademisch und seminarisch gebildeten
Lehrern und aus Lehrerinnen bestehe, und dafs die Erst-
genannten die philologischen oder theologischen Prüfungen be-
standen haben.
IL Dabei gilt als Regel, dafs die Leitung der Anstalt, der Reli-
gionsunterricht, sowie der in den ethischen Fächern und den
fremden Sprachen, soweit letzterer nicht in den Händen von
Lehrerinnen liegt, in den oberen Klassen akademisch ge-
bildeten Lehrern übertragen wird, welche die Prüfungen für
das höhere Lehramt oder die theologischen Prüfungen be-
standen haben.
III. Sofern die Lehrer die Prüfung für das höhere Lehramt nicht
bestanden haben, erwerben sie die Befähigung zum Unterrichte
in den oberen Blassen der höheren Mädchenschulen durch
Ablegung der Prüfung für Lehrer an .Mittelschulen.
IV. Die Befähigung zur Leitung von höheren Mädchenschulen wird
unterschiedslos von allen Lehrern durch Ablegung der Prüfung
für Rektoren erworben.
V. Die Lehrerinnen haben die Berechtigung zur Leitung von
höheren Mädchenschulen und zum Unterricht in denselben
durch Ablegung der für sie besonders angeordneten Prüfung
zu erwerben.
VI. Die Befähigung zum Unterrichte in den unteren Klassen wird
durch Ablegung der Prüfung für Volksschullehrer gewonnen.
Die Frage:
Welche Bedeutung hat es für die Entwicklung
des höheren Mädchenschulwesens, ob dasselbe
dem Ressort der Königlichen Provinzial - Schul-
kollegien oder dem der Königlichen Regierungen
überwiesen wird?
wurde einstinimig wie folgt beantwortet:
• •
Die Überweisung der höheren Mädchenschulen in das Ressort
der Provinzial-Schulkollegien würde der Gleichstellung derselben
mit den anderen höheren Lehranstalten einen bestimmten Aus-
druck geben, sie würde aufserdem die gleichmäfsige Behandlung
der Angelegenheiten derselben wenigstens für je eine Provinz
sicher stellen und endlich eine unmittelbare Verbindung der be-
treffenden Schule mit der Ober-Aufsichtsbehörde zur Folge haben
und dadurch die Verwaltung der Schule erleichtem.
Die Beratung wandte sich nunmehr den Fortbildungs-
kursen für Mädchen zu.
i
_ 23
Man kam überein:
dafs die in Rede stehenden Fortbildungskurse aucli dann nicht
entbehrlich seien, wenn die höheren Mädchenschulen die im Ab-
schnitt I bezeichnete Organisation erlangen und die dort unter
No. 4 bezeichneten Ziele erreichten.
Die Abhaltung der Kurse sei der freien Vereinsthätigkeit
zu überlassen und wo sie unter den Formen einer Lehranstalt
auftreten, nur Personen zu gestatten, welche die Befähigung zum
Unterricht in den Oberklassen höherer Mädchenschulen erworben
haben.
Wünschenswert sei es, dafs sich das Lehrerkollegium
höherer Mädchenscliulen zur Abhaltung solclier Kurse vereinige.
Dieselben hätten aber in strenger Absonderung von der Schule
selbst zu bestehen.
Die nun folgenden Beratungen über die Vorbildung und
Prüfung der Lehrerinnen liegen nicht mehr innerhalb des
Rahmens dieser Schrift.
Der Einfluis der Berliner Konferenz zeigte sich bald in
der erhöhten Beachtung, die dem Mädchenschulwesen in ganz
Deutschland seitens der Regierungen und der Gemeinden zu-
gewendet wurde. Um eine möglichst einheitliche Durch-
führung der in Weimar und Berlin aufgestellten Ansichten zu
gewährleisten, erschien es den Veranstaltern der Weimarer
Versammlung wichtig, die einmal hergestellte Verbindung
nicht wieder aufzulösen. Es wurde daher im September 1873
eine zweite Hauptversammlung von „Dirigenten, Lehrern und
Lehrerinnen an h()heren Töchterschulen Deutschlands" nach
Hannover berufen und auf dieser die Begründung eines Ver-
eins beschlossen, der sich: „Deutscher Verein von Dirigenten
und Lehrenden höherer Mädchenschulen" nannte. Er hat im
Jahre 1876 diesen Namen mit dem kürzeren: Deutscher
Verein für das höhere Mädchenschulwesen vertauscht.
Ausgesprochener Zweck des Vereins ist, die innere und äufsere
Entwickelung und Ausgestaltung des mittleren und höheren
Mädchenschulwesens auf dem im Jahre 1872 zu Weimar ge-
legten Grunde zu fördern. Der Verein entwickelte sich in
den nächsten Jahren schnell; heute umfal'st er 15 Zweig-
vereine und zählt ca. 3350 Mitglieder.
24
Von Seiten der Staatsregierungen wurde dem Verein ent-
schiedenes Wohlwollen bezeugt; Vertreter derselben wurden
zu den Vereinsversammlungen entsandt. Auf diesen Ver-
sammlungen ist im Laufe der Jahre eine grofse Anzahl päda-
gogischer und methodischer Fragen zur Erörterung gekommen
und vielseitige Anregung gegeben worden. Im übrigen waren
die Hauptbestrebungen des Vereins auf die Erlangung fester
Bestimmungen in Bezug auf die äufsere Stellung der höheren
Mädchenschule, resp. Einreihung derselben in die Zahl der
höheren Schulen, und eines Normal-Lehr- und -Einrichtungs-
plans gerichtet; mit welchem Erfolg, wird bei der Darstellung
der Entwickelung des höheren Mädchenschulwesens in den
Einzelstaaten hervortreten. Besonders bedeutungsvoll war die
von dem Verein im Jahre 1874 gegebene Anregung zur Be-
gründung einer Pensionsanstalt für Lehrerinnen und Er-
zieherinnen, die durch die lebhafte Teilnahme, welche die zur
Protektorin erwählte Kronprinzessin Victoria von Preufsen,
spätere Kaiserin und Königin Friedrich, sowie die oberste
preufsische Schulbehörde, besonders der Ministerialdirektor
Greiff, der Sache schenkten, sehr rasch gefördert wurde.
Die Anstalt, nach den Grundsätzen eingerichtet, die der
Rentenversicherung zu Grunde liegen, ist allen Lehrerinnen
und Erzieherinnen Deutschlands zugänglich; ein mit derselben
verbundener Hilfsfonds, auf den alle Mitglieder ein Anrecht
haben, gewährt die Möglichkeit, in Notfällen sofortigen Bei-
stand zu leisten. Die Zahl der Mitglieder der Pensionsanstalt
belief sich am 31. Dezember 1891 auf 2391; der Vermögens-
bestand auf 3609794,49 Mk. Hiervon entfielen auf den
Pensionsfonds 3164978,63 Mk., auf den Hilfsfonds 444815,86 Mk.
265 Mitglieder bezogen bereits Pension. Einmalige Beihilfen
waren in dem vergangenen Rechnungsjahre in 142 Fällen
gewährt worden, Beitragserlasse in 53.
Schon auf dem Tage zu Weimar hatte sich ein gewisser
Gegensatz zwischen den Anschauungen der Vertreter der
öffentlichen und denen der Privatschule gezeigt. Die letzteren
hatten auch in der Versammlung mehrfach ihren abweichenden
Überzeugungen Ausdruck gegeben, und der Verein für
k
_ 25
höhere Töchterschulen zu Berlin hatte diese Über-
zeugungen später gleichfalls in einer Denkschrift niedergelegt,
die auch den deutschen Staatsregierungen übeiTeicht wurde.
Es wird darin den Gegnern der Vorwurf gemacht, eine ge-
lehrte Richtung in die Mädchenschule hineinbiingen zu wollen
und die erziehliche Seite gering zu achten, indem ein
Kollegium gelehiier Männer an die Spitze der Mädchenschule
gestellt und der FmueneinfluFs zu niedrig angeschlagen werde.
Dem gegenüber betont diese Denkschrift , dafs neben den
Lehrern auch Lehrerinnen bis in die obersten Klassen,
und hier besonders, wissenschaftlichen Unterricht erteilen
und ausreichende Einwirkung auf die jungen Gemüter be-
halten müfsten. Diese Forderung war auch von den
Lehrerinnen selbst unter Führung von Frl. Stoephasius
und Frl. Mithöne auf der Weimarer Vei'sammlung vertreten
worden. Zu ihrer Durchführung wurde Gleichberechtigung
der Lehrerinnen mit den Lehrern und für jene die Gelegenheit
zu einer wirklich wissenschaftlichen Ausbildung auf einer
„Akademie" gefordert. Diese Forderung hatte scharfe Ab-
wehr erfahren; die darin liegende allgemeine Tendenz war
jedoch nachträglich, wenn auch wesentlich modifiziert, in
der Begründung zu These VI der Weimarer Beschlüsse zum
Ausdruck gekommen
Das Verhalten der W^eimarer Versammlung, die Stellung
femer, die der deutsche Verein auf den Tagen zu Dresden
(1875) und Köln (1876) den Fordeningen der Lehrerinnen
gegenüber einnahm, legte diesen die Auffassung nalie, dafs
ihre Interessen durch den Deutschen Verein nicht genügend
vertreten seien. Besonders in Köln hatte man vergebens ver-
sucht, der auch seitens verschiedener Privatschulvorsteher ver-
tretenen Auffassung: auch zu dem Unterricht in den oberen
Klassen der Mädchenschulen sei die Mitwirkung wissenschaft-
licher Lehrerinnen unentbehrlicli, Geltung zu verschaffen;
die Mehrzahl der anwesenden Herren wollte diese Mitwirkung
nur für zulässig erklären; die Mehrzahl der ganzen Ver-
sammlung erklärte sie für wünschenswert. Als dann die
Eisenacher Versammlung im Jahre 1888 sich für die Ansicht
26
aussprach, die erziehliche Aufgabe der Schule sei in der
Weise am besten zu lösen, dafs auf der Unterstufe vorwiegend
Lehrerinnen unterrichten, auf der Mittelstufe Lehrer und
Lehrerinnen sich in den Einflufs teilen, auf der oberen Stufe aber
der männliche Einflufs überwiege, da glaubten diejenigen unter
den Lehrerinnen, die der Meinung waren, dafs gerade in den
Entwickelungsjahren dem Mädchen weiblicher Einflufs doppelt
not thue, den Augenblick gekommen, um sich zur Vertretung
dieser Ansicht und der daraus sich ergebenden Konsequenzen
zusammenzuschliefsen.
Schon im Herbst 1887 war von einigen Berliner Frauen
dem preufsischen Unterrichtsministerium und dem preufsischen
Abgeordnetenhaus eine Petition eingereicht worden, welche
die nachfolgenden beiden Anträge enthielt:
1. dafs dem weiblichen Element eine gröfsere Beteiligung an
dem wissenschaftlichen Unterricht auf Mittel- und Oberstufe der
öffentlichen höheren Mädchenschule gegeben und namentlich
Religion und Deutsch in Frauenhand gelegt werde;
2. dafs von Staats wegen Anstalten zur Ausbildung wissen-
schaftlicher Lehrerinnen für die Oberklassen der höheren
Mädchenschulen möchten errichtet werden.
Der Petition war eine Denkschrift, verfafst von Helene
Lange, beigegeben. Die Verfasserin ging von der Ansicht
aus, dafs in der Begründung der Weimarer Denkschrift zu
These II über die Notwendigkeit und die Art der weiblichen
Bildung insofern ein verhängnisvoller Mifsgriff begangen sei,
als die Bildung der deutschen Frau nur um des Mannes
willen verlangt werde. Auf die Tendenz, die sich aus dieser
Begründung ergiebt, glaubt sie mannigfache Mil'sgriife zurück-
führen zu dürfen, die ihrer Auffassung nach in der Organi-
sation der öffentlichen höheren Mädchenschule begangen sind,
vor allem den Umstand, dafs die Erziehung der heran-
wachsenden Mädchen viel zu ausschliefslich in die Hand von
Männern gelegt sei. Während den Lehrerinnen meistens nur
Sprachunterricht und die technischen Fächer zuerteilt werden,
seien Schul- und Klassenleitung und meistens auch noch alle
schwerwiegenden (sogenannten ethischen) Unten-ichtsfächer
i
2 7
und somit die eigontliche orzieliliche Tliätigkeit dem Manne
übergeben. Sie sieht hierin, da nur die Frau ein un-
mittelbares Verständnis für die Mädcheiniatur liaben
könne, da ferner der Älann manches Tadehisvverte bei
Mädchen gar niclit bemerke, anderes nicht ohne Verletzung
des Gefühls zur Sprache bringen köime, eine Schädigung für
die sittliche Erziehung. Von einer Änderung dieses Prinzips,
von der thatsächlichen DuiThführung der Anschauung, dafs
Mädchen in erster Linie durch Frauen erzogen Averden
müssen, ein Prinzip, für dessen Verwirklichung jedoch eine
Vertiefung der Lehrer in nenbildung unabweis liehe
Bedingung sei, glaubt sie eine Besserung der von ihr be-
zeichneten Schäden erwarten zu düifen.
Die preufsische Regierung verhielt sich der Petition
gegenüber ablehnend, zeigte aber ihre Geneigtheit, den
Lehrerinnen eine tiefere Bildung gerade in den ethischen
Fächern und damit die Möglichkeit eines weitergehenden Ein-
flusses zu gewähren, in(h»ni sie den im Herbst 1888 am
Victoria - Lyceum zu B(»rlin ins Leben tretenden Fort-
bildungskursen für Lehrerinnen im Deutschen und in
der Geschichte materielle Unterstützung und , durch Ent-
sendung eines Kommissars zu den Prüfungen , staatliche
Sanktion verlieh.
Die unter den Lehrerinnen begonnene Bewegung ging in-
dessen ihren Gang weiter fort. Im Mai 1890 trat in Friedrich-
roda in Thüringen die erste allgemeine Versanmilung deutscher
Lehrerinnen auf den Kuf von Auguste Schmidt (Leipzig),
Marie Loeper-Housselle (Ispringen in Baden) und Helene
Lange (Berlin) zusammen. Die Frucht der Versammlung
war die Begründung des Allgemeinen Deutschen
Lehrerinnenvereins. Nach § 1 seiner Statuten will der-
selbe die Hebung des Ijehrerinnenstandes nach jeder Richtung
hin fordern, insbesondere aber für die Lehrerinnen folgendes
anstreben:
a) eine gröfsere Beteiligung an der Volksbildung,
b) eine zu einem gründlichen Unterncht an den oberen Klassen
der Mädchenschulen befähigende Vorbildung,
28
c) eine gröfscre Beteiligung am wissenscliaftliehen Unterricht in
den oberen Klassen aller Mädchenschulen,
d) Förderung ihrer praktischen Interessen.
Schon auf der Generalversammlung 1891 wurde be-
schlossen, durch eine Petition an die deutschen Staats-
regierungen Gelegenheit zu einer gründlichen wissenschaft-
lichen Vorbildung für die Lehrerinnen nachzusuchen. Von
der preufsischen Regierung erfolgte eine wohlwollende Ant-
wort mit dem Hinweis darauf, dafs einschlägige Erwägungen
bereits im Ministerium stattfänden.
Dieselbe Antwort war kurz zuvor dem Deutschen Verein
auf eine Petition verwandten Inhalts zu teil geworden. Der
Verein hatte inzwischen den Bestrebungen der Lehrerinnen
gröfsere Fördei'ung widerfahren lassen und auf seiner Heidel-
berger Versammlung im Herbst 1890 eine besondere „Ab-
teilung für Angelegenheiten der Lehrerinnen" begründet.
Ohne sich zu den ausgesprochenen Zielen des Allgemeinen
Deutschen Lehrerinnenvereins zu bekennen, sucht der Vor-
stand dieser Abteilung die Interessen der Lehrerinnen, be-
sonders auch die geistigen Interessen, nach Kräften zu fördern.
Der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein hat sich in-
zwischen über Erwarten schnell entwickelt. Schon am
Schlufs des ersten Vereinsjahres zählte er über 3000 Mit-
glieder; heute umfafst er 37 Zweigvereine und zählt im ganzen
ca. 5000 Mitglieder. Auch die deutschen Lehrerinnenvereine
im Auslande (in England, Frankreich, Italien und Amerika)
gehören ihm an. Durch Erörterung methodischer und päda-
gogischer Fragen, Einrichtung von Fortbildungskursen u. s. w.
sucht er die geistigen, durch eine weitverzweigte Stellenver-
mittelung, Begründung von Krankenkassen, Ferien- und Alters-
heimen die praktischen Interessen seiner Mitglieder zu fördern.
Die weiteren Bestrebungen der verschiedenen Vereine
werden bei Preufsen zur Erörterung kommen.
l
B. In den einzelnen deutschen Staaten.
Vorbemerkung;. Da es eine einheitliche Statistik des
ganzen deutschen Schulwesens nicht gicbt, so ist es leider auch
nicht möglich gewesen, die Anj^aben über den augenblicklichen
Stand des höheren Mildchenschulwesens in allen deutschen Staaten
nach demselben Schema zu ordnen. Vor allen Dingen war der
Umstand erschwerend, dafs die Mittelmädchenschulen nicht tiberall
nach demselben Grundsatz behandelt, sondern teils den höheren
Mädchenschulen, teils den Volksschulen zugezählt und zum Teil
untrennbar in deren Zahl eingerechnet worden sind. Die Schiile-
nnnenzahl war bei den öffentlichen Schulen meistens mit Sicher-
heit, bei den Privatschulen häufig nur in ungefährer Höhe zu
ermitteln ; an einer Stelle sind die Schtüerinnen sämtlicher höherer
Schulen zusammengezogen. Über die an den Privatschulen be-
schäftigten Lehrkräfte und deren Vorbildung fehlte es auch viel-
fach an zuverlässigen Angaben. Viele Lehrkräfte, besonders
Lehrer, sind ohne Zweifel doppelt gezählt worden, als vollbe-
schäftigte Lehrkräfte an einer öffentlichen, als Hilfskräfte an
einer Privatschule. Von einer Ubersichtstabelle über das ge-
samte höhere Mädchenschulwesen Deutschlands ist daher auch
Abstand genommen; eine solche vilXrdo nach dem hier vorUegen-
den Material doch keine Übersicht gewährt haben. — Die
äufsere und innere Ungleichheit der einzelnen Berichte hängt
mit dem zur Verfügung stehenden Material zusammen.
1. Königreich Preufsen.
In Bezug auf die Entwicklung der höheren Mädchen-
schule in Preufsen ist im allgemeinen auf Absclmitt A. zu
verweisen. Über die Geschichte derselben seit 1873 ist folgen-
des nachzutragen.
Seitdem Preufsen im Jalire 1873 mit der Aiigustkonferenz
in der Regelung des höheren Mädclienschulwesens die
30
Initiative ergriffen und in deren Beschlüssen, wenn sie auch
nicht Gesetzeskraft erhielten, eine Richtschnur für die höheren
Mädchenschulen geschaffen hatte, hat es sich im wesentlichen
der weiteren Entwicklung gegenüber abwartend verhalten.
Die nötig erscheinenden Anordnungen erfolgten auf dem Ver-
waltungswege. So wurden durch die Ministerialerlasse vom
8. Mai und vom 13. Juni 1883, vom 19. März 1884 und vom
9. Juli 1885 ergänzende Anordnungen hinsichtlich der Lehr-
ziele und Methoden, sowie der Ressort- Verhältnisse (siehe
diese) getroffen.
Der Wunsch nach festen gesetzlichen Bestimmungen in
Bezug auf die äufsere und innere Organisation der höheren
Mädchenschule veranlafste den Preufsischen Verein öffent-
licher höherer Mädchenschulen'), im Juni 1891 dem
damaligen preulsischen Kultusminister Grafen Zedlitz die
Bitte vorzutragen, derselbe wolle nach Regelung der neuen
Lehrpläne für die höheren Knabenschulen nunmehr auch die
Ordnung des Mädchenschulwesens im preufsischen Staat in
die Hand nehmen. Auf Veranlassung des Ministers formu-
lierte der Verein seine Wünsche und Vorschläge und reichte
sie im März 1892 dem Ministerium ein. Diese Vorschläge
bringen keine nennenswerten Änderungen in den Lehrzieleu
der Mädchenschulen, sehr wesentliche dagegen auf dem Gebiet
der Organisation. Die Trennung zwischen höheren und mitt-
leren Mädchenschulen soll streng durchgeführt werden.
Aufser den Unterschieden in Lehrzielen und Kursusdauer soll
ein wesentlicher Unterschied in der Zusammensetzung des
Lehrkörpers gemacht werden. Für die Mittelmädchenschulen
lauten die Vorschläge:
„Der Lehrkörper der Mittel-Mädchenschulen besteht zu
gleichen Teilen aus seminaristisch gebildeten Lehrern und aus Lelire-
riniien. Für die Hälfte der ersteren ist Mittelschullehrer-Be-
^) Im Jahre 1886 hatte sich eine gröfsere Anzahl preufsischer Lehrer
vom Deutschen Verein losgelöst und hatte 1887 einen neuen Verein be-
gründet Dieser Preufsische Verein für öffentliche höhere Mäd-
chenschulen beschränkt den Kreis seiner Mitglieder auf Lehrer und
Lehrerinnen an öffentlichen höheren Mädchenschulen einer bestimmten
Kategorie.
%
31
fähiguiig, für die Hälfte der letzteren die Lelirbefähigung für
höhere Mädchenschulen erforderlich.
Die Befähigung zur Leitung der Mittel-Mädchenschulen wird
durch die Ablegung der Prüfung für Kektoren oder der Schul-
vorsteherinnen-Prüfung erworben. ^
Für die höhere, sogenannte Oberinädchenschule lauten die
Vorschläge ;
^Der Lehrköri)er setzt sich aus akademisch gebildeten
Lehrern, aus seminaristisch gebildeten Lelirern und aus Lehre-
rinnen zusammen. Die Zahl der akademisch gebildeten Lehrer
entspricht in der Regel der Zahl der Klassen der Oberstufe.
Die Leitung der Schule liegt in der Hand eines akademisch
gebildeten Mannes, der den Titel Direktor führt."
Verwendung der Lelirkräfte.
,,Die Beschäftigung der einzelnen Kategorieen von Lehr-
kräften ist keineswegs auf die eine oder andere bestimmte Stufe
beschränkt, insbesondere sind weder die akademisch gebildeten
Lehrer von dem Unti'rricht auf der Unter- und Mittelstufe, noch
die seminaristisch gebildeten Lehrer und die Lehrerinnen von
dem wissenschaftlichen Unterricht auf der Oberstufe ausge-
schlossen."
Da durch diese Vorschläge die Lehrerinnen von der
Leitung der höheren Mädchenschulen ganz ausgeschlossen
werden sollten, so reichte der Allgemeine Deutsche
Lehrerinnenverein in Vertretung ihrer Interessen am
12. September 1892 dem preul'sischen Kultusminister, Herrn
Dr. Bosse, eine Petition ein mit der Bitte, es möchten bei
einer (vom Minister in Aussicht gestellten) Konferenz in
dieser Angelegenheit auch Lehrerinnen und zwar in gleicher
Anzahl wie Lehrer zugezogen werden. Die Bitte wurde
folgendennafsen begründet:
^Wir sind der festen Überzeugung, dafs es zu einer ge-
sunden Entwicklung unserer weiblichen Jugend durchaus not-
wendig ist, dafs dieselbe auch in der Scliule hinreichenden weib-
lichen Einflufs erführt. Ganz besonders aber tliut ihr dieser
not auf der Oberstufe der Schulen, in den Jahren, in denen es
gilt, Lebeasgewohnheiten und sittliche Anscliauungen zu bilden,
die mit der besonderen Lebensaufgabe der Frau zusammenhängen.
Die erziehliche Einwirkung der Frau ist gerade in diesen Jahren
in keiner Weise durch die des Mannes zu ersetzen.
32
Die Möglichkeit einer tiefgehenden erziehlichen Einwirkung
steht nun aber im Schulleben im engsten Zusammenhange einer-
seits mit der Art der unterrichtlichen Thätigkeit, andererseits
mit der Art der Stellung im Schulorganismus: mit der Schul- und
Klassenleitung.
In den Regelungsvorschlägen des Preufsischen Vereins finden
wir nun die Schulleitung der höheren, sogenannten Obermädchen-
schulen, ausschliefslich dem Manne zuerteilt. Es liegt femer, da
die Zahl der akademisch gebildeten Lehrer in der Regel gleich
sein soll der Zahl der Klassen der Oberstufe, die hohe Wahr-
scheinlichkeit vor, dafs, dem jetzigen Gebrauch entsprechend,
sowohl die Klassenleitung (das Ordinariat) als die meistens damit
verbundenen ethischen Fächer in der Regel in die Hände von
Männern gelegt werden sollen. Die Mitbeteiligung der Lehre-
rinnen beim Unterricht auf der Oberstufe ist keineswegs als not-
wendig, nur als nicht ausgeschlossen hingestellt, so dafs jede
Garantie dafür fehlt, dafs an den öffentlichen höheren Mädchen-
schulen den Lehrerinnen in Zukunft ein gröfserer Einflufs auf
die Erziehung der heranwachsenden Mädchen eingeräumt werden
wird, als der durchaus ungentigende, den man ihnen jetzt ge-
stattet
Wir sind uns nun sehr wohl bewufst, dafs es den Lehre-
rinnen i. a. an der wissenschaftlichen Durchbildung fehlt, die zur
Ei'füllung der Aufgaben, die wir ihnen vorzugsweise zugewiesen
sehen möchten, notwendig ist. Wir haben uns aus diesem Grunde
schon im vorigen Jahre an das preufsische Kultusministerium
mit der Bitte gewandt, den Lehrerinnen eine gründliche wissen-
schaftliche Bildung zu ermöglichen; die günstige Antwort, die
uns zu teil wurde, läfst uns hoffen, dafs die wissenschaftliche
Bildung der Lehrerinnen zu den ersten Gegenständen gehören
wird, die bei den Beratungen über das Mädchenschulwesen zur
Sprache kommen werden."
Eine Petition ähnlichen Inhalts wurde von der „Abteilung
für die Angelegenheiten der Lehrerinnen" des Deutschen
Yereins für das höhere Mädchenschulwesen am 25. September
1892 eingereicht. In der Begründung heifst es:
„Drei Gründe sind es besonders, welche uns zu dieser Bitte
(auch Lehrerimien zu den Konferenzen zuzuziehen) bewegen.
Einmal greift die Feststellung der inneren Verhältnisse der
höheren Mädchenschulen aufs tiefste in die Existenz vieler
Tausende von Lehrerinnen, die schon jetzt keinen leichten Lebens-
kampf zu vollbringen haben.
33 __
Sodann erscheinen die vom Preufsischen Verein gemachten
Vorschläge nicht geeignet, den Einflufs wirklich ttichtiger
Lehrerinnen auf die reiferen Schülerinnen, welcher gerade in
den öfifentlichen Schulen noch sehr gering ist, zu vermehren:
ein Umstand, welcher eine Gefahr für die weibliche Jugend,
aber auch eine Schädigung der idealsten Bestrebungen tüchtiger
Lehrerinnen in sich schliefst.
Endlich fehlt den Lehrern zum grofsen Teil die persönliche
Erfahrung von den Bedürfnissen und Schwierigkeiten der kleineren
Privatschulen, welche in zahlreichen Städten ganz unentbehrlich
sind, dort aber oft nur durch die Aufopferung und Selbstlosig-
keit hart arbeitender Lehrerinnen erhalten werden können."
Auch seitens der Mittelsclmllelirer, die sich durch die
Vorschläge des Preursisclien Vereins gleiclifalls von der
Leitung der höheren Mädchenschulen, die ihnen bisher nach
Ablegung der Prüfung pro rectoratu übertragen werden
konnte, ausgeschlossen sahen, ist eine Petition beim Kultus-
minister eingereicht worden. Rückäulserungen auf diese
Petitionen sind bis jetzt noch nicht erfolgt. Die Regelung
des höheren Mädchenschulwesens wiid als demnächst bevor-
stehend angesehen.
Gegenwärtiger Stand des preufsischen höheren
Mädchen schul Wesens.
Über die Lehrfächer und Lehrerkollegien vgL die
Protokolle der Augustkcmfereuz. In Bezug auf die Lehrziele
gelten gleichfalls die in der Augustkonferenz festgestellten
Normen, mit einigen, teils durch den Minister! alerlafs vonj
9. Juli 1885 gebotenen, teils sonst als notwendig erkannten
Beschränkungen. Für die Berliner Schulen ist ein Normal-
lehrplan erlassen worden. Die genaue Lehrordnnng der ein-
zelnen Schulen ist aus den Programmen zu ersehen, die von
den preufsischen wie von den übrigen deutschen höheren
Mädchenschulen alljährlich ausgegeben werden. Einem Teil
derselben sind wissenschaftliche Beilagen hinzugefügt.
Die Ilessortverhältnisse sind noch nicht einheitlich
geordnet. Der Ministerialerlals vom 13. Juni 1883 führt aus,
dafs die Entwickeluiig des höheren Mädchenschulwesens nocli
H. Lange, höheres M&dchenschulwesen. 3
in vollem Flusse begriffen sei und dafs es darum bedenklich
sein würde, schon jetzt durch uniformierende Normativ-
bestimmungen in dieselbe einzugreifen. Es heifst daselbst:
„Insbesondere macht es die Vielgestaltigkeit der in Betracht
kommenden Schulen, sowie die Verschiedenheit der Bedürfnisse^
welchen sie genügen sollen, und der Lebensverhältnisse an den
Orten, an welchen sie sich befinden, nicht möglich, eine Unter-
scheidung zwischen höheren und mittleren Schulen zu treffen,
auf welche eine Sonderung in der höheren Aufsichtsinstanz ge-
gründet werden könnte.
Dagegen hat sich allerdings das Bedürfnis herausgestellt, die
örtliche und die Kreisschulaufsicht nach Lage der besonderen
Verhältnisse der einzelnen Mädchenschulen ihrem Charakter ge-
mäfs besonders zu ordnen. In dieser Beziehung sind schon jetzt
verschiedene Wege eingeschlagen worden.
Was zunächst die Ortsschulaufsicht betrifft, so ist diese bei
voll ausgestalteten höheren Mädchenschulen mehrfach, unter
gleichzeitiger Bildung von Kuratorien, den Dirigenten der An-
stalten selbst übertragen worden.
In der Kreis-Schulaufsichtsinstanz sind derartige Schulen
nicht ohne weiteres dem Wirkungskreis des mit der Beauf-
sichtigung des Volksschulwesens beauftragten Kreis-Schulinspektors
zugewiesen; vielmehr ist in jedem einzelnen Falle eine Prüfung
eingetreten, ob dieses zu geschehen habe, oder ob ein besonderer
Kreis-Schulinspektor für diese Kategorie von Schulen zu bestellen
sei, oder ob die Königliche Regierung etc. dieselbe an sich
nehmen wolle. In den Bezirken, in welchen eine derartige
Ordnung der Angelegenheit noch nicht stattgefunden hat, wird
eine solche nicht länger aufzuschieben sein."
Thatsächlich liegen die Verhältnisse zur Zeit so, dals
einige Anstalten direkt dem Provinzial-SchulkoUegium unter-
stehen \vie die höheren Knabenschulen, andere den königlicheu
Regierungen, wieder andere den Kreisschulinspektionen oder
den städtischen Schuldeputationen, die nach dem Gesetz den
Kreisschulinspektionen gleich zu achten sind. — Die Privat-
schulen stehen unter der Kreisschulinspektion bezw. unter der
städtischen Schuldeputation.
Die Zahl der in Preufsen bestehenden öifentlichen höheren
Mädchenschulen beträgt 206. Das neueste Verzeichnis der-
selben bringt das Centralblatt für die gesamte Unterrichts-
\>
35
Verwaltung in Preufsen (Januar-Februarbeft 1893), jedoch mit
dem Bemerken, daJs durch die Aufnahme einer Schule in das
Verzeichnis an ihren Rechtsverhältnissen nichts geändert
wird. Von diesen 206 höheren Mädchenschulen sind vier
königlich: die Elisabethschule in Berlin (die älteste
öffentliche höhere Mädchenschule in Preufsen), die Augusta-
schule in Berlin, die Luisenschule in Posen und die
höhere Mädchenschule in Trier. Die übrigen sind, bis auf
einige wenige Stiftungs- oder Genossenschaftsscbulen, städtische
Anstalten.
Neben diesen öffentlichen Schulen bestehen 647 private
mittlere und höhere Mädchenschulen (davon werden 532
als höhere angesehen). Aufserdem bestehen einige Privat-
anstalten, die dazu bestimmt sind, den Mädchen und Frauen
eine über die Schul- und etwaige Oberklassen- oder Selekta-
bildung hinausgehende wirkliche wissenschaftliche Bildung zu
geben. Es sind dies:
1. das Victoria -Lyceam zu Berlin, unter dem Pro-
tektorat I. M. der Kaiserin Friedrich, welches neben
Unterrichts- und Vortragscyklen für Frauen seit 1888 wissen-
schaftliche Fortbildungskurse für Lehrerinnen im Deutschen
und in der Geschichte, neuerdings auch im Englischen und
Französischen eingerichtet hat. Diese Kurse bezwecken die
«
Erlangung einer der akademischen annähernd gleichwertigen
Bildung. Die Anstalt erhält für diesen Zweck einen Staats-
zuschufs.
2. Zwei Anstalten des Wissenschaftlichen Central-
vereins zu Berlin:
a) Die Humboldt- Akademie.
Sie bezweckt, „solchen Personen, welche die Universität
nicht besuchen können oder bereits verlassen haben, durch
systematische Vortragscyklen und andere geeignete Mittel
Gelegenheit zu einer höhereu harmonischen wissenschaft-
lichen Weiterbildung zu geben und sie in Zusammenhang
mit den Fortschritten der sich entwickelnden Wissenschaft
zu halten".
3*
8_n _ _
Seit Errichtung der Humboldt- Akademie (1878) wurden in
88 Quartalen zusammen 739 Vortragscyklen von 18859 ein-
geschriebenen Hörern besucht. Von diesen waren etwa 40 ^
Frauen.
b) Die Realkurse für Frauen.
Sie beabsichtigen im allgemeinen, den Frauen Gelegenheit
zu einer etwa der des Realgymnasiums entsprechenden Bildung
zu geben, insbesondere die Vorbereitung für das Studium auf
ausländischen (Schweizer) Universitäten. (Auf deutschen Uni-
versitäten werden Frauen als ordentliche Hörerinnen überhaupt
nicht, als aufserordentliche nur in ganz seltenen Fällen zu-
gelassen.)
Übersicht über die höheren Mädchenschulen in Preufsen.
I. Öffentliche höhere Mädchenschulen. Zahl.
1. Öffentliche höhere Mädchenschulen 206
2. Unter den Schulen sind solche
mit 1 aufsteigenden Klasse 6
mit Schülerinnen 132
„ 2 aufsteigenden Klassen 12
mit Schülerinnen ' . . 395
„ 3 aufsteigenden Klassen 14
mit Schülerinnen 839
„ 4 aufsteigenden Klassen 16
mit Schülerinnen 1315
„ 5 aufsteigenden Klassen 18
mit Schülerinnen 1940
„ aufsteigenden Klassen 20
mit Schülerinnen . . 2810
„ 7 und mehr aufsteigenden Klassen ... 120
mit Schülerinnen 37504
3. Gesamtzahl der Scliülerinnen 44935')
4. Vollbcscliäftigte Lehrer 973
f). Yollbeschäftigte Lehrerinnen 866
6. Nichtvollbeschäftigte Hilfslehrer 295
7. Nicht vollbeschäftigte Hilfslehrerinnen 58
8. Aufserdem nichtvoUbeschäftigte Handarbeitslehrerinnen 368
IL Öffentliche Mädchen-Mittelschulen.
1. Öffentliche Mädchen-Mittelschiüen 92
^) Darunter beündeu sieh 157 Knaben.
•
37
2. Unter den Schulen sind solche
mit 1 aufsteigenden Klasse 1
mit Schtilerinnen 12
„ 2 aufsteigenden Klassen 5
mit Schülerinnen 197
„ 3 aufsteigenden Klassen 4
mit Schülerinnen 252
„ 4 aufsteigenden Klassen 5
mit Schüleriimen 438
„ 5 aufsteigenden Klassen 9
mit Schülerinnen 1452
55 6 aufsteigenden Klassen 19
mit Schülerinnen 6101
55 7 und mehr aufsteigenden Klassen ... 49
mit Schülerinnen - . . 20250
3. Gesamtzahl der Schülerinnen 28702')
4. Vollbeschäftigte Lehrer 461
5. Vollbeschäftigte Lehrerinnen 356
6. Nichtvollbeschäftigte Hilfslehrer 65
7. Nichtvollbeschäftigte Hilfslehrerinnen 28
8. Aufserdem nichtvollbeschäftigte Handarbeitslehrerinnen 153
Dazu kommen noch 68 öffentliche Mittelschulen für
Knaben und Mädchen. Die Zahl der sie besuchen-
den Mädchen beträgt 8893
III. Abgelegte Prüfungen der vollbeschäftigten Lehrkräfte an
den öffentlichen höheren Mädchen- und Mädchen-Mittel-
schulen.
1. Öffentliche höhere Mädchenschulen.
a) Lehrer: Volksschullehrer-Prüfung 350
Mittelschullehrer-Prüfung 122
Prüfung pro rectoratu 117
Prüfung für das höhere Lehramt bezw.
geistliche Amt 367
Fachlehrer-Prüfung 2
Unbesetzte Stellen 15
Zusammen: 973
b) Lehrerinnen: Prüfung für Volksschullehrerinnen . 95
Prüfung für Lehrerinnen an höheren
Mädchenschulen 617
Prüfung als Schulvorsteherin .... 55
1) Desgl. 23 Knaben.
38
Fachlehrerinnenprüfung • 13
Nicht geprüft 20
Geprüfte vollbeschäftigte Handarbeits-
lehreriniien 58
Nichtgeprüfte Handarbeitslehrerinnen . . 6
Unbesetzte Stellen 2
Zusammen : 866
2. Öffentliche Mädchen-Mittelschulen.
a) Lehrer: YolksschuUehrer-Prüfung 278
Mittelschullehrer-Prüfung 75
Prüfung pro rectoratu 82
Prüfung für das höhere I^ehramt bezw.
geistliche Amt 24
Fachlehrer-Prüfung —
Unbesetzte Stellen 2
Zusammen: 461
b) Lehrerinnen: Prüfung für Volksschullehrerinnen . 47
Prüfung für Lehrerinnen an höheren
Mädchenschulen 239
Prüfung als Schulvorsteherin .... 13
Nicht geprüft 5
Geprüfte vollbeschäftigte Handarbeits-
lehrerinnen 40
Nichtgeprüfte Handarbeitslehrerinnen . . 10
Unbesetzte Stellen 2
Zusammen: 356
IV. Private höhere Mädchen- und Mädchen-Mittel-
schulen.
1. Private höhere Mädchen- und Mädchen-Mittelschulen 647
2. Unter den Schulen sind solche
mit 1 aufsteigenden Klasse •. . 126
mit Schülerinnen 1682
„ 2 aufsteigenden Klassen 75
mit Schülerinnen 1897
„ 3 aufsteigenden Klassen 81
mit Schülerinnen 3422
„ 4 aufsteigenden Klassen 86
mit Schülerinnen 5845
„ 5 aufsteigenden Klassen 69
mit Schülerinnen 6481
k
39
mit 6 aufsteigenden Klassen 41
mit Schülerinnen 4863
„ 7 und mehr aufsteigenden Klassen . . . 169
mit Schülerinnen 33752
3. Gesamtzahl der Schülerinnen 57942
4. Vollbeschäftigte Lehrer 130
5. Vollbeschäftigte Lehrerimien 2733
6. NichtvoUbeschäftigte Hilfslehrer 1690
7. Nichtvollbeschäftigte Hilfslehrerimien 499
8. Handarbeitslehrerinnen 1072
Aufserdem bestehen 291 von Knaben und Mädchen
besuchte Privatschulen mit einem über die Volks-
schule hinausgehenden Lehrziele. Die Zahl der sie
besuchenden Mädchen beträgt 7824
Übersicht
betreffend die Beteiligung der Lehrerinnen am wissenschaftlichen Unter-
richt in den Oberklassen der höheren Mädchenschulen.
Es werden wissen-
schaftliche Lehr-
stunden erteilt
wöchentlich
in in
lau. Ib IIa u. IIb
Summe der
wissen-
schaftlichen
Lehrstunden
pro Woche
in I u. II
Von
Stundei
a
Lehrer
den
a fallen
af
Lehre-
rinnen
Die Leitung^
der Anstalt
liegt in den
Händen
eines einer
Lehrers Lehrerin
A) Öffentliche
■
Schulen ....
6059
6112
12171
7914
4257
195')
19
B) StaatHch sub-
ventionierte
Privatanstalten
1858
1569
3427
544
2883
10
72
C) Reine Privat-
schulen . , . .
10541
10775
21316
5353
16163
58
392
Überhaupt
18458
18456
■
36914
1361]
23303
263
483
2.
Könignreich Bayern.
Die bayerischen höheren Mädchenschulen sind, soweit sie
nicht klösterliche Anstalten sind, wie im übrigen Deutschland
auf die Entwickelung des höheren Bürgertums zurückzuführen.
Unter den Privatschulen ist eine der ältesten das Seideische
Institut in Nürnberg (1804 gegründet). Besonders bemerkens-
^) Die Gesamtzahl der öffentl. höheren Mädchenschulen ist bei dieser
Erhebung mit 214 angeg^eben.
40
wort ist auch das von Stettensche Töchtererziehungsinstitat
in Augsburg. Nach dem Willen der Stifterin, Anna Barbara
von Stetten, hatte es vorzüglich den Zweck, einer früh-
verwaisten Jugend den Verlust der elterlichen Liebe und
Pflege zu ersetzen. — In Augsburg, Nürnberg und Ansbach
wurden durch die Initiative Stephanis höhere Mädchenschulen
geschaffen oder neu organisiert.
In Bayern finden wir vielfach die Einrichtung, dafs die
höheren Mädchenschulen nicht organisch mit den Elementar-
klassen verbunden sind, sondern sich auf der Volksschule
aufbauen. In München ist dieses System ganz streng durch-
geführt. Die höhere Mädchenschule zu München nimmt ihre
Schülerinnen nicht vor dem zehnten (und nicht nach dem
zwölften) Lebensjahre in ihre unterste Klasse auf. Die ersten
drei Jahre werden sämtliche Kinder in der Volksschule unter-
richtet. Die Volksschule umfafst das Alter von sechs bis
dreizehn Jahren und ist für alle Kinder ohne Ausnahme un-
entgeltlich. Die ersten vier Schuljahre muls jedes Kind
durchmachen (in ganz vereinzelten Fällen wird der Volks-
schulunterricht durch Privatunterricht ersetzt; dies bedarf
aber der Genehmigung der Lokalschulkommission). Die
Töchter der sogenannten höheren Stände treten nach dem
vierten oder fünften Schuljahr in der Regel in ein Privat-
institut oder in eine öffentliche höhere Mädchenschule ein.
Die gleiche Einrichtung finden wir in einer Anzahl
anderer Städte. Anderswo sind \vieder die höheren Mädchen-
schulen organisch mit Elementarklassen verbunden, so z. B.
in Nürnberg, Erlangen und in vielen klösterlichen Anstalten.
Als Muster eines Lehrprogramms für die höhere weib-
liche Bildung in Bayern, in dessen Rahmen sich mit mehr
oder weniger Einschränkung des Unterrichtsstoffes die meisten
der gleiche Zwecke verfolgenden weiblichen Erziehungs-
anstalten bewegen, kann das der städtischen höheren Töchter^
schule in München gelten. Die Schule umfafst sechs Klassen
(vom fünften bis zum zehnten Schuljahr). Die Aufnahme
einer Schülerin ist aufser durch ein bestimmtes Alter auch
durch eine Prüfung bedingt, bei welcher der in der IV. Klasse
41
der Münchener Volksschule behandelte Lehrstoif vorausgesetzt
wird. Der Lehrplan schreibt in Bezug auf Unterrichts-
gegenstände und Lehrziele Folgendes vor:
1. Unterrichtsgegenstände.
a) obligatorische: dieselben wie in den preufsischen Schulen.
b) fakultative: weibliche Handarbeiten in den drei oberen
Jahresklassen und Stenographie.
II. Lehrziele.
1. Religion.
In der Rehgion ist das Lehrziel für jede einzelne Klasse
angegeben, wie es im Einverständnis mit den kirchlichen Be-
hörden sowohl für die katholische, als für die protestantische
und die israehtische Religion festgestellt worden ist.
2. Deutsche Sprache.
Der Unterricht in der deutschen Sprache hat die Schüle-
rinnen zur Auffassung prosaischer und poetischer Lesestücke,
zu richtigem, dialektfreiem Sprechen, zu ausdrucksvollem Lesen
und verständnismäfsigem Vortrage anzuleiten und sie im
mündhchen und schrifthchen Gebrauch der Muttersprache zu
einem gewandten, stiHstisch angemessenen, auf klarem Ver-
ständnis der Sprachgesetze beruhenden Gedankenausdruck zu
befähigen. Er soll ferner die Kenntnis der hervorragendsten
Erzeugnisse unserer NationaUitteratur, soweit dieselben sich
für die weibhche Jugend eignen, vermitteln und dadurch mit
dem Gefühl für das Schöne und Edle die Hochachtung vor
dem Geistesleben des deutschen Volkes, sowie die Vaterlands-
liebe in den Herzen der Jugend wecken und nähren.
3. Französische Sprache.
Einführung in die Formenlehre und Syntax der franzö-
sischen Sprache, Sicherheit und Gewandtheit im mündlichen
und schriftlichen Gedankenausdrucke über Gegenstände aus
dem Anschauungskreise der Schülerinnen und im Geiste des
fremden Idioms; Fähigkeit, das von andern mündHch und
schrifthch hierüber Ausgedrückte aufzufassen. Kenntnis der
hervorragendsten französischen Schriftsteller und ihrer für die
weibhche Jugend geeigneten Hauptwerke, sowie Bekanntschaft
mit den wichtigsten Momenten aus der Geschichte der fran-
zösischen Litteratur.
4. Englische Sprache.
Richtige Aussprache, Kenntnis der grammatikaUschen
Formen und Gesetze. Sicherheit in der Orthographie. Be-
42
fähigung zum mündlichen und schriftlichen Gedankenausdruck
über Gegenstände aus dem Anschauungskreise der Schülerinnen
und zur Auffassung des von anderen hierüber mündlich oder
schriftlich Ausgedrückten. Besonders aber Einführung in die
englische Litteratur und Verwertung derselben für die intel-
lektuelle und ethische Bildung durch unterrichtliche Be-
handlung einzelner für die weibliche Jugend bedeutsamer
Werke.
5. Rechnen und Raumlehre.
a) Im Rechnen Sicherheit und Fertigkeit in der mündlichen
und schriftlichen Anwendung der vier Grundrechnungsarten
mit reinen, benannten* und angewandten ganzen und ge-
brochenen Zahlen. Kenntnis der Mafse, Münzen und Ge-
wichte. Unter Anwendung des Schlufsrechnens Sicherheit
und Gewandtheit in der Lösung von Aufgaben aus dem
bürgerlichen Leben. Die üblichen Rechnungsvorteile und
Reclinungsabkürzungen zur Erzielung von Gewandtheit und
möglichster Kürze im rechnerischen Verfahren.
b) In der Raumlehre Kenntnis und Vorstellung der einfachsten
geometrischen Gebilde. Fertigkeit in den im praktischen
Leben vorkommenden Berechnungen der einfachen Raum-
gröfsen.
6. Geographie.
Unter Verzichtleistung auf unwichtige und leicht dem
Vergessen anheimfallende Einzelkenntnisse ist eine verständige
Anschauung der geographischen Verhältnisse einerseits der
wichtigeren Kulturländer, besonders Deutschlands, andererseits
der Erdoberfläche im allgemeinen und der Stellung der Erde
im Weltall zu erzielen und zugleich das Verständnis der Gesetz-
mäfsigkeit geographischer Verhältnisse und die Erkenntnis des
ursächlichen Zusammenhangs, welcher zwischen der Länder-
natur und der bürgerlichen und geschichtlichen Entwickelung
der Bevölkerung besteht, anzubahnen.
7. Geschichte.
Der Geschichtsunterricht hat einerseits die Aufgabe, den
Schülerinnen eine übersichtliche Kenntnis der Geschichte der
wichtigsten Kulturvölker zu vermitteln und sie mit grofsen
Persönlichkeiten und Ereignissen, mit Zeitverhältnissen und
Kulturzuständen, namentlich des deutschen Volkes, bekannt zu
machen. Andererseits soll der Geschichtsunterricht durch Be-
trachtung des Geisteslebens der Völker und ihrer Entwickelung
ein selbständiges und richtiges Urteil über geschichtliche
Thatsachen und Verhältnisse anbahnen und soU durch Weckung
43
der Vaterlandsliebe, durch Begeisterung für das Grofse und
Gute und durch die Erkenntnis einer höheren göttlichen Welt-
ordnung die allgemeine sittliche Veredlung fördern.
8. Naturkunde.
Dem naturkundlichen Unterricht kommt die Aufgabe zu,
richtige Vorstellungen von den Naturkörpern, deren Entwicke-
lung, Eigenschaften und Beziehungen untereinander und zum
Menschen (Nutzen und Schaden), sodann eine hinreichende
Kenntnis der ins praktische Leben am meisten eingreifenden
Naturerscheinungen, ihres gesetzmäfsigen Verlaufes und ihrer
Ursachen zu vermitteln, femer richtige Vorstellungen von dem
Leben der Natur sowohl wie dieselbe an sich als auch wie
sie im Verhältnis zum Menschen erscheint, zu erzeugen, die
Sinne für das Beobachten der Naturkörper und der Natur-
erscheinungen empfänglich zu machen, das Interesse für das
Naturleben und die Naturschönheiten sowie die Liebe zur
Natur zu erwecken und das Gemüt zu pflegen.
9. Zeichnen.
Weckung und Läuterung des Gefühles für das Schöne
im allgemeinen, besonders für ästhetisch schöne Formen und
Farben in Natur und Kunst. Anregung der Phantasie zur
erfinderischen Thätigkeit auf dem Gebiete der Verzierung
weiblicher Handarbeiten, Übung der Fertigkeit, ebene Zier-
formen und einfache körperliche Gegenstände richtig aufzufassen
und in freier Zeichnung darzustellen.
10. Schönschreiben.
Einerseits Erlangung einer deutlichen, gefälligen Hand-
schrift in der deutschen und lateinischen Schrift, anderseits
Hebung des Sinnes für Sauberkeit, Ordnung und Schönheit;
Einübung der Rundschrift.
11. Gesang.
Der Gesangsunterricht hat die Einsicht in die Elemente
der Tonkunst zu vermitteln, das Ohr zu rascher und sicherer
Auffassung der verschiedenartigen Tonverhältnisse zu bilden
und die Stimme sprachlich und gesanglich zu schulen. Auf
Aneignung eines entsprechenden Schatzes von Liedern, nament-
lich von Volks- und religiösen Liedern, soll besonders Bedacht
genommen werden.
12. Turnen.
Naturgemäfse Entwickelung und Kräftigung des Körpers
mit besonderer Berücksichtigung der Atmungsorgane; natür-
liche gefällige Haltung des Körpers in Bewegung und in Ruhe;
44
Bildung des Schönheitssinnes und des rhythmischen Gefühles;
Schärfung der Geistesgegenwart und Förderung heiteren ge-
selligen Sinnes. Der Gesang bildet ein wichtiges Hilfs- und
Belebungsmittel des Turnunterrichtes.
13. Weibliche Handarbeiten.
Praktische Verwertung der Formen- und Farbenlehre im
Anschlufs an den Freihand- und den geometrischen Zeichen-
unterricht. Pflege des Ordnungs- und Reinlichkeitssinnes,
Gewöhnung an Arbeitsfreudigkeit und Ausdauer, Erweckung
des Verständnisses von der Wichtigkeit elementarer Bestand-
teile für die Hervorbringung eines Ganzen, unter Berücksich-
tigung der späteren Bedürfnisse des häuslichen Lebens.
An der höheren Töchterschule wirken männliche und
weibliche Lehrkräfte, zumeist als ordentliche, der Schule ganz
angehörige Hauptlehrer und Hauptlehrerinnen; die Hauptlehrer
I. Klasse, zur Zeit 5, müssen die staatliche Prüfung für das
höhere Lehramt bestanden haben.
Die Oberaufsicht über die höhere Töchterschule hat die
königl. Kreisregierung von Oberbayern; Verwaltung und
Oberleitung der Stadtmagistrat, der sie innerhalb einer ge-
wissen Grenze von einer Schulvorstandschaft ausüben läfst.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Königreich Bayern.
Nach den neuesten statistischen Erhebungen (Schuljahr 1890/91).
Zahl der höheren, d. h. über das Ziel der Volks- .
schule hinausgehenden Mädchenschulen in Bayern 127 *)
hiervon haben öffentlichen Charakter 24
„ „ privaten „ 103')
Die Gesamtzahl der aufsteigenden Abteilungen,
in denen sie unterrichten, beträgt .... 639
Die Zahl der Lehrkräfte
a) männliche 592
b) weibliche 1077*-)
Die Zahl der Schülerinnen am Schlüsse des Schul-
jahres 13336^)
aufserdem noch Hospitantinnen 334
^) Hierunter 61 klösterliche Anstalten.
■-) Davon ca. 9G0 wissenschaftliche, die übrigen technische Lehrerinnen.
^) Wieviel von den Abteilungen, Lehrkräften, Schülerinnen auf die
öffentlichen, wieviel auf die privaten Anstalten entfallen, war aus dem vor-
handenen Material nicht zu ersehen.
45
3. Königreich Sachsen.
In Bezug auf die Regelung des liolieren Mädchenschul-
Avesens im Königreich Sachsen ist folgendes zu bemerken:
Schon im Jahre 1875 war dem Landtage der Entwurf
eines neuen Gesetzes für die höheren Lehranstalten des Landes
zugegaijgen, in welchen auch die höheren Mädchenschulen
aufgenommen waren. Der Landtag lehnte zwar die betreffende
Bestimmung in dieser Allgemeinheit ab, forderte aber die Re-
gierung auf, höhere Mädchenschulen, die so eingerichtet sind,
dafs sie die Ziele der „höheren Volksschule" übersteigen, nach
dem (am 22. August 1876 vom Könige bestätigten) Gesetz
über die höheren Schulen zu verwalten. Diesem Gesetz
wurden nunmehr durch Ministerial Verordnung zwei höhere
Mädchenschulen (s. unten) unterstellt.
Die Lehrfächer und Lehrziele der höheren Mädchen-
schule sind dieselben wie in Preufsen. Über die Zusammen-
setzung des Lehrkörpers aus akademisch und seminarisch
gebildeten Lehrern und aus Lehrerinnen bestehen gesetzliche,
für das ganze Land gültige Feststellungen nicht. Doch wird
gefordert, dafs der wissenschaftliche Unterricht auf der Ober-
stufe in den Händen akademisch gebildeter Lehrer liege; so
viel Oberklassen einschlielslich der Parallelklassen vorhanden
sind, so viel akademisch gebildete Lehrer sind anzustellen.
Nach dem amtlichen Bericht über die gesamten Unter-
richts- und Erziehungsanstalten im Königreich Sachsen
(Dresden, 1890) bestanden am 2. Dezember 1889 in Sachsen
zwei den höheren Lehranstalten im Sinne des Gesetzes vom
22. August 1876 eingereihte höhere Schulen für Mädchen,
welche, nach 10 Jahresklassen gegliedert, ihre Zöglinge mit
dem vollendeten 6. Lebensjahre aufnehmen.
1. Die städtische höhere Töchterschule in Dresden, früher
eine lialböffentliche Stiftuugsschule, seit 1868 in städti-
scher Verwaltung.
2. Die städtische höhere Schule für Mädchen in Leipzig,
1871 gegründet.
46
An diesen beiden Schulen betrug die Zahl der
Lehrer- amtierenden Haupt- Parallel- Schti le-
steilen Lehrkräfte klassen Massen rinnen
in Dresden 19 19 10 5 360
in Leipzig 21 23 10 6 450
Sa. 40 42 20 11 810
darunter 8 Neben- 31
lehrer
Mit Ausschluls der 3 Nebenlehrer, die in technischen
Fächern thätig waren, zählte man unter den am 2. Dezember
1889 thätigen Lehrern ihrer amtlichen Stellung nach:
Direktoren Ständige bez. Oberlehrer Hilfslehrer Fachlelirer Vikare
mannl. weibl. mSniil. weibl. m&nul. weibl. mKniiL weibl.
2 22 8 — — 1 4 2 —
27 4- 12 = 39
Die genannten beiden höheren Mädchenschulen werden
durch den Rat der betreffenden Städte verwaltet und vertreten.
Die oberste Instanz für alle inneren und äufseren Angelegen-
heiten bildet das kgl. Ministerium des Kultus und des öffent-
lichen Unterrichts. Die Schulen erhalten einen Zuschuls aus
Genieindemitteln. Der Staat giebt zum Schulbetrieb keinen
Zuschuls, übernimmt aber die Alters- und Reliktenversorgung,
Unter den Privatmädchenschulen mit höheren Unterrichts-
zielen gab es nach der obengenannten amtlichen Quelle am
2. Dezember 1889 nur eine staatlich anerkannte (d. h. die
Rechte einer öffentlichen Anstalt geniefsende), eine Stiftungs-
schule mit Internat in Dresden. Es ist die höhere Töchter-
schule des Vereins „Zum Frauenschutz", gegründet 1846.
Sämtliche privaten und aufser den beiden obengenannten
auch sämtliche übrigen städtischen sogenannten höheren
Mädchenschulen werden, auch wenn sie in ihrer inneren und
äufseren Einrichtung den beiden gesetzlich als höhere Schulen
anerkannten mehr oder weniger nahestehen, nur zu den
höheren Volksschulen gerechnet, die etwa den preufsischen
Mittelschulen entsprechen. An städtischen höheren Mädchen-
schulen dieser Art zählt der Mushackesche Schulkalender
1892/93 eine in Bautzen, zwei in Chemnitz auf; aufserdem
47
eine höhere Bürgerschule für Mädchen und zwei für beide
Geschlechter in Leipzig.
An Privatinädchenschulen mögen etwa 30 — 40 in Sachsen
bestellen; darunter verschiedene voll ausgestaltete, die ihrem
Lehrplan nach den öffentlichen Schulen gleichstehen.
4. Könign^^ich Württemberg.
In Württemberg wurde schon im Jahre 1818 durch die
Königin Katharina eine höhere Mädchenschule, das K. Katha-
rinenstift, ins Leben gerufen. Doch war im übrigen bis zum
Jahre 1878 für die höhere Mädchenbildung nicht viel mehr
geschehen, als dafs eine Anzahl öffentlicher und privater so-
genannter höherer Töchterschulen Staatsbeiträge erhielten. In
Bezug auf sämtliche Organisationsfragen, Lehrziele etc.
herrschte die bunteste Mannigfaltigkeit. Der Württembergische
Zweigverein für die Lehrer und Lehrerinnen an mittleren und
höheren Mädchenschulen hatte nach dieser Richtung hin schon
klärend zu wirken gesucht. Im Jahre 1877 erschien dann ein
Ministerialerlafs, durch den der Begriff, der L.ehrplan, die Zu-
sammensetzung des Lehrpersonals, die Aufsichts- und Pensions-
verhältnisse etc. der Mädchenschulen festgestellt wurden. Ein
gleichfalls 1877 erlassenes „Gesetz, betreffend die Rechtsverhält-
nisse der Lehrer und Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen,
sowie die Aufsicht über die letzteren" regelte dann endgültig
einige der betreffenden Punkte. Im Sinne dieses Gesetzes gilt
im Königreich Württemberg als höhere Mädchenschule „eine
Schule, welche ihre Zöglinge bis zum 16. Lebensjahre, wo-
möglich in 9jähriger Schulzeit oder doch jedenfalls von der
Mittelstufe (vom 4. Schuljahr) an unterrichtet und denselben
den Besitz der zur höheren weiblichen Bildung gehörigen
ethischen, sprachlichen und realistischen Kenntnisse und Fertig-
keiten gewährt. Demgemäfs hat der Lehrplan zu umfassen:
Religion (einschliefslich der Kirchengeschichte), Geschichte,
deutsche Sprache und Litteratur, französische und englische
Sprache, Rechnen, Naturkunde (Naturgeschichte, das Wich-
tigste aus Physik und Chemie, Gesuudheitslehre), Geographie,
fei-ner Schönschreiben, Zeichnen, Handarbeiten, Singen, Turnen.
48
Die Lehrziele sind im wesentlichen dieselben, wie in
den preufsischeu Schulen. In Bezug auf das Lehrer-
kollegium spricht sich der Ministerialerlafs dahin aus, dafs
in der Kegel ein akademisch gebildeter Vorstand zu wünschen
sei, wie auch womöglich ein oder einige akademisch gebildete
Lehrer.
Die höheren Mädchenschulen sind in Württemberg nicht
staatlich, sondern werden entweder von einer Gemeinde auf
ihre Rechnung gegründet und unterhalten, oder sie sind
private, d. h. von Einzelpersonen oder einem Elternverein,
oder einer Aktiengesellschaft gegründete. Doch werden zur
Gründung und Unterhaltung der höheren Mädchenschulen an-
gemessene Staatsbeiträge gegeben. Diese werden auch solchen
Privatanstalten gewährt, die nicht auf Gewinn berechnet sind.
Die Aufsicht über die höheren Mädchenschulen führt eine
besondere Kommission, die „Königliche Kommission für die
höheren Mädchenschulen". Die Mittelschulen stehen unter der
Aufsicht der Volksschulbehörden.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Königreich Württemberg (vom 31. Dezember 1890).
I. Öffentliche höhere Mädchenschulen.
1. Öffentliche höhere Mädchenschulen im Sinne des
Art. 1 des Gesetzes vom 30. Dez. 1877 (Mittel-
schulen ausgeschlossen) 9
2. davon haben
9jährigen Kursus 4
10jährigen Kursus 5
3. Zahl der Schülerinnen 1853
4. Zahl der Lehrer 62
davon
a) akademisch gebildete 20
b) seminaristisch gebildete 25
Die übrigen sind Fachlelirer, für die der Unter-
richt an den betr. Schulen nur Nebenfunktion ist.
5. Zahl der Lehrerinnen (Hilfslehrerinnen eingeschlossen) 42
Anhang. Es bestehen aufserdem zwei auf könig-
licher Privatstiftung beruhende höhere Mädchen-
schulen :
a) das K. Katharinenstift
49
b) das K. Olgastift
beide haben 9jährigen Kursus.
Zahl der Schülerinnen 997
Zahl der Lehrer 35
Zahl der Lehrerinnen 41
Endlich giebt es noch 26 öffentliche Mittelschulen
für Mädchen (Schulkomplexe mit je 1 — 12 Schul-
klassen).
IL Private höhere Mädchenschulen.
1. Private höhere Mädchenschulen im Sinne von Art. 2
des Gesetzes vom 30. Dez. 1877 2
2. davon haben
9 jährigen Kursus 2
10jährigen Kursus —
3. Zahl der Schülerinnen 610
4. Zahl der Lehrer 21
5. Zahl der Lehrerinnen 14
Aufserdem existieren noch vielleicht ein Dutzend
Privat-Mädchenschulen, die nicht unter den Art. 2 des
Gesetzes von 1877 fallen.
5. Grofsherzogtum Baden.
Bis in die dreifsiger Jahre unseres Jahrhunderts hinein
war im Grofsherzogtum Baden seitens des Staates oder der
Gemeinden keinerlei Fürsorge in Bezug auf eine über das Ziel
der Volksschule hinausgehende Mädchenbildung getroffen. Sie
galt einfach als eine Angelegenheit der Familie. Privat-
anstalten im Lande selbst, „Pensionen" in den Familien von
Geistlichen oder Lehrern und „Institute" im Auslande, be-
sonders in der französischen Schweiz, gaben den Mädchen der
gebildeten Stände Gelegenheit, sich einiges Wissen und gesell-
schaftliche Gewandtheit anzueignen. In den dreifsiger Jahren
aber entstehen hier und da neben den Privatsclmlen öffentliche,
d. h. von Gemeinden oder Korporationen gegründete und
unterhaltene Schulen.
Das in diesen Schulen übermittelte Wissen war noch
düi'ftig, wie im ganzen übrigen Deutschland. Den höheren
Charakter sollte auch hier das Französische und etwa die
Mythologie geben; doch unterschied sich, dem Bildungsgrad
der Stände entsprechend, aus denen die Töchterschulen be-
H. Lange, höheres Madchenschulwesen. 4
50
sucht wurden, auch die Behandlung der Lehrfächer von der
in der Volksschule üblichen.
Die durch die Weimarer Versammlung von 1872 ge-
gebene Anregung hatte auch eine Regelung des badischen
Mädchenschulwesens zur Folge. Durch eine landesherrliche
Verordnung vom 29. Juni 1877 wurde „das Mittelschulwesen ^)
für die weibliche Jugend" geregelt. Aus dieser Verordnung
ist folgendes hervorzuheben:
Gemeinden, bezw. Stiftungen, welche auf Grund der nach-
folgenden Bestimmungen höhere Mädchenschulen einrichten,
können nach Mafsgabe der hierfür zur Verfügung stehenden
Mittel Beiträge aus der Staatskasse erhalten.
Die höhere Mädchenschule hat einen siebenjährigen Lehr-
kursus; zur Aufnahme in die unterste Klasse ist das zurück-
gelegte 9. Lebensjahr erforderlich.
Die Lehrgegenstände dieser Schulen sind die in der
Augustkonferenz festgesetzten.
Die Zahl der akademisch gebildeten Lehrer mufs ein-
schliefslich des Vorstandes wenigstens drei betragen; aufser
diesen sind wenigstens zwei sogen. Reallehrer und die erfor-
derliche Anzahl geprüfter Lehrerinnen anzustellen.
Die unmittelbare Leitung der Anstalt liegt dem Vorstand ob ;
die örtliche Aufsicht führt ein Aufsichtsrat, in den auch Frauen
berufen werden können; die obere pädagogische Leitung und
Aufsichtsführung etc. kommt dem Oberschulrat zu.
Die Lehr ziele entsprechen im ganzen den Bestimmungen
der Augustkonferenz; eine Verfügung von 1886 bringt noch
einige Stoffbeschränkung.
Den hier gestellten Bedingungen entsprechen zur Zeit
sieben Schulen des Grofsherzogtums, die demgemäfs gesetz-
lich als höhere Mädchenschulen bezeichnet werden: die städti-
schen Schulen in Karlsruhe, Heidelberg, Freiburg,
^) Als Mittelschulen werden in Baden die zwischen den Volksschulen
(als niederen) und den Universitäten (als höheren) stehenden Schulen be-
zeichnet, also auch die Gymnasien, Eealschulen, höheren Bürgerschulen etc.
für Knaben. Die badische Mittelschule ist also nicht Mittelschule im preufsi-
schen Sinne.
51
Baden, Konstanz und Offenburg und eine Stiftungsschule
in Mannheim. Diese Schulen erhalten also der obigen Ver-
ordnung entsprechend einen Staatszuschufs; der Staat über-
nimmt auch die Zahlung der Ruhegehälter. Die Schulen
werden daher auch als staatlich-städtische bezeichnet.
Von den genannten Schulen haben fünf durch Anfügung
von drei Vorschulklassen (als Vorschule) einen zehnjährigen
Unterrichtskursus. Zwei Anstalten überlassen wie in Bayern
die Vorbereitung der Schülerinnen in den drei ersten Schul-
jahren der Volksschule und machen den Eintritt in die
unterste Klasse von einer Aufnahmeprüfung abhängig. —
Zwei Anstalten haben auch noch Oberklassen zur Vorbereitung
auf die Lehrerinnenprüfung.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Grofsherzogtum Baden.
I. Öffentüche Schulen (Schuljahr 1890/91).
Zahl
der
Schu-
len
unter
8
Jah-
ren
Kursi
8
Jahre
isdauer
9
Jahre
10
Jahre
Zahl
der
Schüle-
rinnen
Zäh
Le]
akade-
misch
büdet
l der
iirer
semi-
narisch
ge-
bildet
Zahl
Lehrei
wissen-
schaft-
liche
der
innen
tech-
nische
J. öffentliche höhere
Mädchenschulen
im Sinne der Ver-
ordnung V. 1877
7
2
(da die
Vor-
schul-
klassen
fehlen)
5
2548
20
27
40
9
2. Neben diesen höheren Mädchenschulen giebt es noch eine
Anzahl städtischer Anstalten mit annähernd gleichem Lehrplan, die
aber nicht aus der Staatskasse unterstützt, sondern nur aus Gemeinde-
mitteln unterhalten werden. Auch Mittelschulen im preufsischen Sinne
(Volksschulen mit 8 Jahrgängen, die Französisch auf ihrem Lehrplan
haben) finden sich in verschiedenen Städten. Alle diese Schulen stehen
wie die Volksschulen unter dem Kreisschulrat.
n. Privatschulen.
Es bestehen in Baden 23 Lehr- und Erziehungsanstalten von
Privaten mit annähernd gleichem Lehrziel wie die öffentlichen höheren
4*
52
Mädchenschulen. Sie unterstehen der Aufsicht des Kreisschulrats.
Genaues statistisches Material ist darüber nicht vorhanden.
6. Grofsherzogtum Hessen J)
Wir finden schon im Jahre 1829 in Darmstadt eine
höhere Mädchenschule, die jetzige Victoriaschule. Der
heutige Stand des höheren Mädchenschulwesens in Hessen ist
folgender.
Die Lehrfächer der höheren Mädchenschule sind die
durch die Augustkonferenz festgestellten; die Lehr ziele sind
nicht einheitlich geregelt, halten sich aber im wesentlichen in
dem sonst in Deutschland üblichen Rahmen. Die öffent-
lichen höheren Mädchenschulen des Grofsherzogtums . sind
städtische Anstalten, welche durch einen zwischen der Regie-
rung und dem Stadtvorstand geschlossenen Vertrag zu be-
stimmten Leistungen verpflichtet sind; dagegen ist ihnen der
Charakter einer höheren Lehranstalt zugebilligt worden. Die
Unterhaltungskosten tragen die Gemeinden; die Pensionen sind
auf die Staatskasse übernommen. Die Lehrerkollegien be-
stehen aus akademisch und seminarisch gebildeten Lehrern
und aus Lehrerinnen. Feste Bestimmungen über die Zahl der
akademisch gebildeten Lehrer bestehen nicht; doch wird im
Prinzip daran festgehalten, dafs der wesentlichste Teil des
Unterrichts auf der Oberstufe von akademisch gebildeten
Lehrern gegeben wird. Die Schulen haben einen 10jährigen
Kursus. Sie ressortieren vom Ministerium des Innern und
der Justiz, Abteilung für Schulangelegenheiten, sind also da-
mit im Prinzip den höheren Lehranstalten für die männliche
Jugend gleichgestellt.
Aufser diesen öffentlichen höheren Mädchenschulen giebt
^) Bei der Kürze der zur Beschaffung des statistischen Materials ge-
gebenen Frist ist es bei einigen Staaten (Hessen-Darmstadt, den Mecklen-
burgischen Grofsherzogtümern, Sachsen-Koburg-(iotha und den Fürstentümern
K-eufs) nicht möglich gewesen, direktes amtliches Material zu erhalten. Die
für diese Staaten geraachten Angaben dürfen jedoch als durchaus zuverläfsig
«feiten, da sie teils direkt von Fachleuten aus den betreffenden Ländern ge-
liefert worden, teils deren gedruckten Mitteilungen neuesten Datums (s. Litte-
ratur (entnommen sind.
53
es noch erweiterte Volksschulen, in den gröfseren Städten
Mittelschulen genannt. Es giebt deren 6 ausschliefslich für
Mädchen, 12 sind gemischt. Die Zahl der dort unterrichteten
Mädchen beträgt 1725.
Die Privatschulen verfolgen in den gröfseren Städten die-
selben Lehrziele wie die öffentlichen höheren Mädchenschulen;
in den kleineren wii'd ihre Eigenschaft als höhere Schule oft
nur durch den Betrieb der Fremdsprachen bezeichnet. Sie
unterstehen den Grofsherzoglichen Kreisschulinspektionen.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Grofsherzogtum Hessen.
Zahl
der
Schu-
len
Kiirsusdauer
Zahl
unter
der
8
8
9
10
Schüle-
Jah-
Jahre
Jahre
Jahre
rinnen
ren
Zahl der
Lehrer
akade-
misch
gebildet
semi-
narisch
gebildet
Zahl der
Lehrerinnen
wissen-
schaft-
liche
tech-
nische
1. Öffentl. höhere
Mädchenschu-
len (Mittel-
schulen ausge-
schlossen) . .
2. Private höhere
Mädchenschu-
len (darunter
5 Schulen für
Knaben und
Mädchen) . .
6
39
6
Genaues statistisches Material nicht
vorhanden. Die gröfseren Institute
(in Darmstadt, Mainz, Offenbach
etc.) haben 10jährigen Kursus.
2172
ca.
2500
24
34
138')
1) Meistens nur
als Hilfskräfte
thätig.
32
10
132
7. Grofsherzog:tuin Mecklenburg -Schwerin.
Es giebt im Grofsherzogtum Mecklenburg-Schwerin keine
gesetzlichen Feststellungen in Bezug auf die Kursusdauer,
Klassenzahl, Zusammensetzung des Lehrerkollegiums etc. der
höheren, insbesondere der öffentlichen höheren Mädchenschule.
Thatsächlich haben die Leiter und Leiterinnen der höheren
Mädchenschulen sich den Ansichten angeschlossen, die durch
den Deutschen Verein für das höhere Mädchenschulwesen ver-
treten werden; sie verfolgen dem entsprechend auch im Prinzip
54
die in der Augustkonferenz aufgestellten Lehrziele, wenn auch
viele Privatschulen in kleineren Städten, durch die Verhält-
nisse gezwungen, mehr oder weniger dahinter zurückbleiben
müssen. Die öffentlichen höheren Mädchenschulen haben teils
einen eigenen Schulvorstand, teils stehen sie unter der Kom-
mission für das Volksschulwesen.
Es bestehen drei öffentliche höhere Mädchenschulen (zu
Wismar, Waren und Ludwigslust). Von diesen hat eine
9jährigen, zwei haben 10jährigen Kursus. Es unterrichten
an diesen Schulen 10 akademisch und 9 seminarisch gebildete
Lehrer und 19 Lehrerinnen (von den Lehrern viele nur als
Hilfskräfte). Aufser den drei höheren bestehen noch fünf
etwa den preufsischen Mittelschulen entsprechende Mädchen-
schulen. An sämtlichen acht öffentlichen Schulen werden ca.
1280 Schülerinnen unterrichtet.
Es bestehen ferner in den 42 Städten Mecklenburg-
Schwerins 48 Privatmädchenschulen. Wenn man auch die
Mädchenschulen in den Flecken und die ganz kleinen Orga-
nismen in den Städten hinzurechnet, so giebt es sogar 67 so-
genannte höhere Privatmädchenschulen, von denen allerdings
manche das Ziel der Volksschule kaum erheblich überschreiten
dürften. Die beiden gröfsten Städte des Landes, Schwerin
und Rostock, besitzen keine öffentliche höhere Mädchenschule;
dagegen hat Schwerin 6 und Rostock 5 Privatmädchenschulen.
In den Privatmädchenschulen werden etwa 4540 Schüle-
rinnen unterrichtet, und es sind an ihnen ca. 280 Lehrerinnen
und eine Anzahl akademisch und seminarisch gebildeter Lehrer
als Hilfskräfte thätig. In sämtlichen höheren Mädchenschulen
liegt der Unterricht auch auf der Oberstufe vorzugsweise in
den Händen von Lehrerinnen ; nur an der städtischen höheren
Mädchenschule in Wismar wird er vorwiegend von Lehrern
erteilt.
8. Grofsherzogtum Sachsen -Weimar ■ Eisenach.
Gesetzliche Bestimmungen über Lehrziele, Kursusdauer etc.
der höheren Mädchenschulen giebt es in Sachsen -Weimar
nicht; im allgemeinen sind die für das übrige Deutschland
55
geltenden Bestimmungen hier gleichfalls mafsgebend. An
öffentlichen höheren Mädchenschulen bestehen zwei: die 1854
unter dem Namen Sophienstift von der regierenden Grofs-
herzogin errichtete Bildungsanstalt für Töchter höherer Stände
in Weimar und die Karolinenschule (1848 gegründet,
1873 umgestaltet) in Eisenach. Von diesen Schulen steht
die erstere direkt unter dem Protektorat und der obersten
Leitung I. K. H. der Frau Grofsherzogin, die letztere unter
derselben Aufsichtsbehörde wie die höheren Knabenschulen.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Grofsherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach.
Zahl
der
Schu-
len
unter
8
Jah-
ren
Kursu
8
Jahre
sdauer
9 10
Jahre Jahre
Zahl
der
Schüle-
rinnen
Zahl der
Lelirer^)
akade- semina-
misch risuh
gebildet gebildet
Zahl der
Lehrerinnen
wissen- . ,
Schaft- tecb-
liche nische
1. Öffentl. höhere
Mädchenschu-
len
2. Private höhere
2
2
529
7
5
und 4
Fach-
lehrer
13
6
Mädchenschu-
len
8
1
6
1
573
10
19
21
11
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ilfslehr
private
ist.
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n höhe-
9. Grofsherzogtum Mecklenburg -Strelltz.
In Bezug auf das Allgemeine gilt von Mecklenburg-Strelitz
das bereits bei Mecklenburg-Schwerin Gesagte. Die Zahl der
öffentlichen höheren Mädchenschulen beträgt 2. Davon ist
eine (die höhere Mädchenschule in Neustrelitz) grofsherzog-
lich, die andere (in Neubrandenburg) städtisch. Beide haben
9jährigen Kursus. Die erstere ist dem Konsistorium, die
zweite dem Magistrat untergeordnet. Es unterrichten an den
beiden Schulen 4 akademisch, 4 seminarisch gebildete Lehrer,
9 Lehrerinnen und 2 Hilfslehrer.
Es bestehen aufserdem noch 2 öffentliche Mittelschulen.
56
In den 4 öffentlichen Schulen zusammen werden etwa
772 Schülerinnen unterrichtet.
Aufserdem bestehen 2 Privatschulen, in denen etwa
110 Schülerinnen von 7 Lehrerinnen und einigen Hilfslehrern
unterrichtet werden.
10. Grofsherzogtum Oldenburg.
Schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde in
der Stadt Oldenburg eine Art von höherer Schule, von
Knaben und Mädchen zugleich besucht, für die Kinder der
sogenannten Kanzleisässigen, d. h. der Hof-, Civil- und Militär-
bediensteten, gegründet, die in ihren oberen Klassen wesent-
lich Mädchenschule war, da die vorgeschrittenen Knaben
meistens in das Gymnasium übertraten. Im Jahre 1836 rief
dann Prinz Peter von Oldenburg eine nach dem Muster des
Württembergischen Katharinenstifts eingerichtete höhere
Mädchenschule, die Cäcilienschule, ins Leben, die aber zu
Ostern 1857 ihrer ungünstigen Geldverhältnisse wegen wieder
einging. Das nächste Jahrzehnt hindurch war nur durch
Privatschulen für eine höhere Bildung der Mädchen gesorgt,
bis im Jahre 1867 eine städtische höhere Mädchenschule, die
gleichfalls den Namen Cäcilienschule führt, eingerichtet wurde.
Die Lehrgegenstände und Lehrziele der höheren
Mädchenschule sind in Oldenburg dieselben wie in Preufsen.
Über die Zusammensetzung des Lehrerkollegiums bestehen
bestimmte gesetzliche Vorschriften nicht.
Im Herzogtum Oldenburg selbst giebt es aufser der
Cäcilienschule nur noch eine zweite öffentliche höhere Mädchen-
schule, und zwar in Varel. Von diesen beiden Schulen hat
die in Oldenburg 10 Jahreskurse in 10 Klassen, die in Varel
9 Jahreskurse in 6 Klassen. In diesen beiden Schulen werden
zusammen 355 Schülerinnen unterrichtet, und zwar von 5 aka-
demisch und 6 seminarisch gebildeten Lehrern und 8 wissen-
schaftlichen und 3 technischen Lehrerinnen. In dem amtlichen
Staatshand buch für 01denbu]*g werden die beiden genannten
Schulen als höhere aufgeführt. Aufser diesen beiden Anstalten
besteht noch eine kleine öffentliche höhere Mädchenschule im
57
Fürstentum Birkenfeld, in der 40 Schülerinnen untemchtet
werden. Im ganzen Groisherzogtum giebt es ferner noch
8 höhere Privatmädchenschulen und eine Anzahl von gemischten
Bürgerschulen und sogenannten Stadtmädchenschulen mit
einer über die Volksschule hinausgehenden Bildung, aber ohne
fremdsprachlichen Unterricht.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Grofsherzogtum Oldenburg.
Zahl
der
Schulen
Zahl
der
Schüle-
rinnen
Zahl der Lehrer
akade-
misch
gebildet
semina-
risch
gebildet
Zahl d. Lehrerinnen
wissen-
schaft-
liche
tech-
nische
1 . Öffentl. höhere Mädchen-
schulen (mit Einschlufs
der Mittelschulen) . . .
2. Privatschulen
6
(davon 3
Mittel-
schulen)
1144
(davon 749
in Mittel-
schulen)
6
19
17
8
484
nicht ermittelt
32')
') Darunter
11 katho-
lische Lehr-
schwestem.
11. Herzogtum Braunschweig.
Im Herzogtum Braunschweig war bis zum Jahre 1863
für eine höhere Bildung der w^eiblichen Jugend nur durch
Privatanstalten gesorgt. Unter diesen war vor allen die
höhere Töchterschule des Frl. Pott in Braunschweig, im
Jahre 1815 gegründet, bemerkenswert. Sie wurde im Jahre
1863 von der Stadt Braunschweig übernommen und in eine
öffentliche höhere Mädchenschule verwandelt. Die Leitung
wurde zunächst von dem Direktor der städtischen Volksschule
mit übernommen, bis die Anstalt 1875 einen eigenen Direktor
erhielt, der sie allmählich den seit der Augustkonferenz mafs-
gebend gewordenen Bestimmungen anpafste. Heute hat die
Schule zehn Jahreskurse, zehn Oster- und neun Michaelis-
klassen. Von den Klassenlehrern der Oberstufe wird akademische
Bildung verlangt. In Bezug auf die Zusammensetzung des
Lehrkörpers ist im übrigen nur bestimmt, dafs derselbe aus
58
Lehrern und Lelirerinnen bestehen soll; ein Zahlen Verhältnis
ist nicht angegeben. Die oberste Leitung und Beaufsichtigung
der Schule hat das herzogliche Konsistorium.
Für die sämtlichen höheren Mädchenschulen Braunschweigs
gelten im Prinzip die sonst in Deutschland üblichen Lehrziele ;
dieselben unterliegen jedoch im einzelnen je nach der Gröfse
der Schule und den sonstigen Verhältnissen mannigfachen
Veränderungen.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Herzogtum Braunschweig.
Zahl
der
Schu-
len
unter '
8
Jah-
ren
Kursui
8
Jahre |
i
sdauer
9
Jahre
i
10
Jahre
Zahl
der
Schüle-
rinnen
Zahl der
Lehrer
akade- semi-
miscli narisch
gebildet i gebildet
1
Zahl der
Lehrerinnen
wissen- tech-
schaft- nißche
liehe
1. Öffentl. höhere
1
■
Mädchenschu-
1
len (Mittel-
schulen ausge-
schlossen) . .
5
3
1
1
1234
16
23
23
16
2. Private höhere
Mädchenschu-
len (Mittel-
schulen ausge-
schlossen) . .
7
5
1
2
776
19')
14')
41
18
12. Herzogtum Sachsen-Melnlngen-Hildburghausen.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
in Sachsen-Meiningen-Hildburghausen.
Privatschulen
Zahl
der
Schüle-
rinnen
311
Zahl der Lehrer
akade-
misch
gebildet
semina-
risch
gebildet
Zahl d. Lehrerinnen
1
anfserdem 19 Hilfslehrer
fUr einzelne Stunden
^) Zum gröfsten Teil nur als Hilfslehrer beschäftigt.
wisssen-
scliaft-
liche
18
tech-
nische
i
59
Aufserdem besteht in Saalfeld a. S. schon seit ]851 eine
städtische Schule, die mit einer 4 klassigen gemischten Vor-
schule zusammen einen 8 klassigen Organismus bildet. Die
oberen 4 Klassen bilden eine höhere Töchterschule. Die ganze
Anstalt trägt den Namen I. Bürgerschule.
13. Herzogtum Sachsen-Altenburg.
In der Stadt Altenburg besteht
1. das Carolinum, ursprünglich eine Privatanstalt, 1810
eröffnet, 1819 erweitert und am 1. Januar 1891 von
der Stadt Altenburg übernommen. Die Schule zählt
gegenwärtig etwa 200 Schülerinnen in 9 aufsteigenden
Klassen. Der Lehrkörper besteht aus 2 akademisch
und 4 seminarisch gebildeten Lehrern und 4 Lehre-
rinnen. Die staatliche Aufsicht übt der Bezirksschul-
inspektor aus.
2. eine private höhere Mädchenschule.
Aufserdem besteht noch in Eisenberg eine öfi'entliche
höhere Mädchenschule.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Herzogtum Sachsen-Altenburg.
1. Öffentl. höhere
Mädchenschu-
len
2. Private höhere
Mädchenschu-
len
Zahl
Kursusdauer
der
unter
Schu-
8
8
9
10
len
Jah-
ren
Jahre
Jahre
Jahre
Zahl
der
Schüle-
rinnen
262
124
Zahl der
Lehrer
akade-
misch
gebildet
semina-
riscli
gebildet
6
(Hilfslehrer ein-
gerechnet)
Zahl der
Lehrerinnen
wissen-
schaft-
liche
tech-
nische
60
14. Herzogrtum Sachsen-Koburg-Gotha.
In Gotha befindet sich eine städtische höhere Töchter-
schule, welche in 14 Klassen 340 Schülerinnen zählt, die von
10 Lehrern und 7 Lehrerinnen unterrichtet werden. Aufser-
dem besitzt Gotha noch eine öffentliche Mädchen-Mittel-
schule mit 8 Jahresklassen. In Koburg besteht eine evan-
gelische höhere Töchterschule unter dem Protektorat I. H. der
Herzogin Alexandrine (die Alexandrinenschule). Sie zählt
8 Klassen, von denen die oberste 2jährigen Kursus hat.
144 Schülerinnen werden daselbst von 6 Lehrern und 5 Leh-
rerinnen unterrichtet.
Daneben bestehen in Gotha, Waltershausen und Neu-
dietendorf Privatschulen.
15. Herzogrtum Anhalt.
Das Anhaltische höhere Mädchenschulwesen hat sich
schon früh staatlicher Fürsorge zu erfreuen gehabt. Fürst
Leopold Friedrich Franz führte den von Basedow an-
geregten Gedanken, eine ähnliche Anstalt wie das für Knaben
bestimmte Philanthropin auch für Mädchen ins Leben zu rufen,
im Jahre 1786 durch die Begründung der Herzoglichen
Töchterschule zu Dessau selbständig durch (s. Näheres
in Abteilung A.). Mit der Zeit hat die Herzogliche Töchter-
schule mehrfache Wandlungen durchgemacht. 1869 wurde
sie in zwei selbständige Anstalten zerlegt, eine Mädcheu-
bürgerschule und eine höhere Töchterschule, die nunmehr den
Namen Herzogliche Antoinettenschule (nach der regieren-
den Herzogin) erhielt. Sie ist heute eine vollständig ausge-
staltete, zehnstufige höhere Mädchenschule.
. Neben derselben existieren im Herzogtum Anhalt noch
drei andere staatliche höhere Mädchenschulen, sämtlicli zehn-
stufig. Im ganzen also:
1. die 1786 gegründete höhere Mädchenschule zu Dessau
2. „ 1806 „ „ „ „ Zerbst
61
3. die 1809 gegründete höhere Mädchenschule zu Bernburg
4.
n
1815
59
»
59
55
Cötlien.
Der gesamte Aufwand für diese höheren Mädchenschulen
wird vom Staat bestritten. Die Lehrgegenstände sind die von
der Augustkonferenz festgesetzten, auch die Lehrziele sind im
wesentlichen dieselben. Die Lehrerkollegien bestehen aus
akademisch und seminarisch gebildeten Lehrern und aus
Lehrerinnen.
Die Aufsicht wird direkt von der Oberschulbehörde aus-
geübt; durch das Schulgesetz von 1850 sind die höheren
Mädchenschulen ausdrücklich als höhere Schulanstalten an-
erkannt.
Neben den höheren Mädchenschulen bestehen in Dessau,
Cöthen, Bernburg, Zerbst und verschiedenen kleineren Städten
noch sogenannte Bürgerschulen, teils für Mädchen allein, teils
für beide Geschlechter, und 2 höhere Privatmädchenschulen.
Ü^bersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Herzogtum Anhalt.
Zahl
der
Schu-
len
unter
8
Jah-
ren
Kursu
8
Jahre
sdauer
9
Jahre
10
Jahre
Zahl
der
Schüle-
rinnen
Zah]
Lei
akade-
misch
gebildet
l der
irer
semi-
nariRch
gebildet
Zahl
Lehre
wissen-
schaft-
liche
l der
rinnen
tech-
nische
1. Öffentl. höhere
Mädchenschu-
len (Mittel-
schulen ausge-
schlossen) . .
4
4
1206
13
21
13
12
2. Private höhere
1
Mädchenschu-
1
len (Mittel-
schulen ausge-
• schlössen) . .
1
2
1
1
1
i
1
1
162
6')
3')
8
2
1
1
1
1) Nur
1 ehrer be
als Hilfs-
schäftigt.
62
16. Fürstentum 8ch\irarzburg:-Kudolstadt.
Die Schwarzburgischen Fürstentümer verfolgen gleichfalls
in Bezug auf die höhere Mädchenschule die im übrigen Deutsch-
land mafsgebenden Ziele.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt.
Zahl
der
Schu-
len
unter
8
Jah-
ren
Kursu
8
Jahre
sdauer
9
Jahre
10
Jahre
Zahl
der
Schüle-
rinnen
Zahl der
Lehrer
akade- semi-
misch narisch
gebildet gebildet
Zahl der
Lehrerinnen
wissen- tech-
schaft- nigche
liehe
• •
1. Offentl. höhere
1
Mädchen-
schulen ....
2
1
1
125
4
5
2
2
2. Private höhere
Mädchen-
schulen ....
2
2
19
1
1
2
17. Fürstentum Sch\irarzburg-Sondershausen.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen.
Kursusdauer
Zahl der
Zahl der
Zahl
Zahl
Lehrer
Lehrerinnen
der
unter
der
I
Schu-
8
8
9
10
Schüle-
akade-
semi-
wissen-
tAch<»
len
Jah-
ren
Jahre
Jahre
Jahre
rinnen
misch
gebildet
narisch
gebildet
schaft-
liche
nische
Öffentliche höhere
Mädchenschulen
2
1
1
261
4
voll-
4
voU-
6
3
und
beschftf- beschftf-l
tigt,
ügt.
1
5
1
Hilfb-
lehrerin.
als
als
Hilfs-
Hilfs-
lehrer.
lehrer.
^
63
18. Fürstentum Waldeck und Pyrmont.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
im Ftirstentum Waldeck und Pyrmont.
Xursusdauer
Zahl der
Zahl der
Zahl
Zahl
Lehrer
Lehrerinnen
der
unter
der
1
Schu-
8
8
9
10
Schüle-
akade-
semi-
wissen-
tpch-
len
Jah-
ren
Jahre
Jahre
Jahre
rinnen
misch
gebildet
narisch
gebildet
schaft-
liche
nische
Öffentliche höhere
Mädchenschulen
(Mittelschulen
eingeschlossen) .
4
4
132
8
6
8
1
(6 jähr. 1
nur als Hilfs-
3
als
Kursus
vom
lehrer beschäftigt
voll-
' Hilfs-
endeten
lehrerin-
9.
nen.
Lebens-
jahre an.)
19. Fürstentum Keufs ältere Linie.
Die einzige städtische höhere Mädchenschule des Landes
befindet sich in Greiz. Sie ist aus einer im Jahre 1817 ge-
gründeten Privatschule entstanden. Sie wird von 137
Schülerinnen besucht, die sich auf 9 Klassen verteilen und
von 8 Lehrern und 4 Lehrerinnen unterrichtet werden. Von
den Lehrern sind 5 nur als Hilfskräfte thätig.
Daneben besteht eine Mädchen-Bürgerschule, deren eine
Abteilung etwa der preufsischen Mittelschule gleich zu'
rechnen ist.
20. Fürstentum Reufs jüngere Linie.
In Gera besteht eine öffentliche, die sogenannte Zabelsche
höhere Töchterschule (genannt nach Frau Henriette Zabel, die
der Schule ein bedeutendes Vermögen vermachte, durch das
dieselbe finanziell völlig sichergestellt ist). Es wurden an der
Schule 1890/91 309 Schülerinnen in 9 aufsteigenden Klassen
unterrichtet. Das Lehrerkollegium besteht aus 3 akademisch,
4 seminarisch gebildeten Lehrern, 2 Fachlehrern, 2 wissen-
schaftlichen und 2 technischen Lehrerinnen. Die Aufsicht
führt ein besonderer Schulvorstand.
In Schleiz und in Ebersdorf bestehen aufserdem Privat-
anstalten.
64
21. Fürstentum Schauniburg-Lippe.
Im Fürstentum Schaumburg-Lippe besteht nur eine höhere
Mädchenschule und zwar die zu Bückeburg, welche unter
dem Protektorat der regierenden Fürstin steht. Die Aufsichtsbe-
hörde ist das Fürstliche Konsistorium. Sie hat 10jährigen Kursus
und verfolgt die sonst in Deutschland üblichen Ziele. Die Zahl
der Schülerinnen beträgt 90. Sie werden von 3 akademisch, 3 se-
minarisch gebildeten Lehrern und 4 Lehrerinnen unterrichtet.
22. Fürstentum Lippe.
Ln Fürstentum Lippe bestehen 5 private höhere Mädchen-
schulen (darunter die bedeutendste in Detmold unter dem
Protektorat der Fürstin- Witwe Elisabeth zur Lippe). Sie ver-
folgen die sonst in Deutschland üblichen Lehrziele. Es werden
in ihnen insgesamt 340 Schülerinnen unterrichtet.
23. Freie und Hansestadt Lübeck.
In Lübeck überwiegt wie in den Hansestädten überhaupt
das Privatschulwesen bei weitem. Lehrfächer und Lehrziele
sind die sonst in Deutschland üblichen. Die älteste und be-
deutendste unter den Lübecker Schulen ist die schon 1804
begi'ündete Ernestinenschule.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
in der freien und Hansestadt Lübeck.
Zahl
der
Schu-
len
unter
8
Jah-
ren
Kursu
8
Jahre
sdauer
9
Jahre
10
Jahre
Zahl
der
Schüle-
rinnen
Zahl
Lei
akade-
misch
gebildet
l der
irer
semi-
narisch
gebildet
•
Zah]
Lehre
wissen-
schaib-
liche
[ der
rinnen
tech-
nische
1. Öffentl. höhere
Mädchenschu-
len (Mittel-
schule) ....
1
1
349
4
6
2
2. Private höhere
Mädchenschu-
len, Mittel-
schulen (5) ein-
geschlossen . .
10
2
3
3
2
1335
37
38
49
22
davon
neben
bescl
66 nur
amtlich
i&ftigt
65
24. Freie und Hansestadt Bremen.
In Bremen ist das höhere Mädclienschulwesen durcliaus
der Privatthätigkeit überlassen, und die Privatschule hat sich
daher dort zu hoher Blüte entwickeln können. Auch hier
gab das Jahr 1872 die Anregung zur Feststellung bestimmter
Normen für die höliere Mädclienschule. Die Bremer Schul-
vorstände traten zu freien Beratungen zusammen, in welchen
ein Lehrplan für die Bremer Schulen unter Zugi'undelegung
des Weimarer Programms entworfen wurde, der die Billigung
der vorgesetzten Behörde erhielt. Diese ist die Senats-
kommission für Schulangelegenheiten.
Die meisten höheren Mädcliensclmlen Bremens werden
von Vorsteherinnen geleitet; auch die Lehrkollegien bestehen
im wesentlichen aus Lehrerinnen. Der Unterricht in Geschichte,
Litteratur und Naturwissenschaften wird in den Oberklassen
vielfach durch akademisch gebildete Hilfslehrer erteilt.
Übersicht über den Stand des höheren Mädchenschulwesens
in der freien und Hansestadt Bremen
mit Einschlufs der Hafenstädte (Vegesack und Bremerhaven).
Private höliei*e
Mädchenschulen,
die Mittelschulen
(deren es 2 gicbt)
ausgeschlossen .
Zahl
Kursusdauer
der
unter
1
Schu-
8
8
9
len
Jah-
ren
Jahre
Jahre
10
Jahre
10
1
(da die
Vor-
schul-
klassen
fehlen)
4
Zahl
der
Schüle-
rinnen
2363
Zahl der
Lehrer
akade-
misch
semi-
narisch
gebildet gebildet
23
30
die Lehrer sind
bis auf 3 nur
nebenamtlich
beschäftigt
Zahl der
Lehrerinnen
wissen-
schaft-
liche
tech-
nische
115
8
25. Freie und Hansestadt Hamburg.
Auch iu Hamburg tiberwiegt das Privatschulwesen bei
weitem. Bis zum Jahre 1872 gab es an öffentlichen Mädchen-
schulen nur einige Stiftungsschulen, die den Charakter von
H. Lange, höheres Mädchenschulwesen.
66
Mittelschulen trugen. Mit diesem Jahre trat die vom
St. Johanniskloster gestiftete öffentliche höhere Mädchen-
schule ins Leben, die bis heute die einzige öffentliche höhere
Lehranstalt für das weibliche Geschlecht bildet.
Für Lehrfächer, Lehrziele etc. sind die im übrigen
Deutschland geltenden Bestimmungen mafsgebend.
Übersicht über den Stand des höheren Müdchenschulwescns
in der freien und Hansestadt Hamburg.
Zahl
der
Schu-
len
unter
8
Jah-
ren '
Kursu
8
Jahre
sdauer
9
Jahre
10
Jahre
Zalil
der
Schüle-
rinnen
Zahl der
Lehrer
akade- semi-
misch narisch
gebildet gebildet
Zahl
Lehre
wissen-
schaft-
liche
[ der
rinnen
tech-
nisciio
1. Öffentl. höhere
Mädchenschu-
len , die ( 5)
Mittelschulen
1
eingeschlossen
6
3
2
1
2244
8
15
70
10
2. Private höhere
(4 Stif-
tungs- u.
2 Ge-
ineinde-
schulen)
(davon 6
zugleich
a\a tech-
nische)
Mädchenschu-
1
len, die Mittel-
j
schulen einge-
schlossen . . .
53
12
21
20
6350
j
72 86
35<J 82
(die I
grOfstenl
nebenan)
schäl
jehxer
»ils nur
tlich be-
Ptigt)
26. Reichsland EIsafs-Lothringen.
In Elsafs-Lothringen sind im allgemeinen dieselben Be-
stimmungen und Ziele für das höhere Mädchenschulwesen
mafsgebend, \vie im übrigen Deutschland. Es bestehen zur
Zeit 9 öffentliche (städtische) höhere Mädclienschulen und zwar
in Bischweiler, Buchsweiler, Markirch, Mülhausen,
Pfalzburg, Saargemünd, Strafsburg, Weifsenburg und
Zabern. Von diesen stehen 3 unter männlicher, 6 unter
weiblicher Leitung.
67
Neben cliesoii öflfen fliehen Anstalten bestehen 55 private,
teils von Privatpersonen, teils von Stiftungen oder Genossen-
schaften nnterhaltene höhere Mädchenschulen; etwa die Hälfte
wii'd von Schulschwestern geleitet. Einige dieser Schulen
sind volhiusgebaute Anstalten, andere ganz kleine Organismen,
die sich nur durcli den lietrieb der Fremdsprachen als höhere
Schulen kennzeichnen. Die Privatschulen werden mit Aus-
nahme dei* beiden Schulen in Metz und Schlettstadt von
Vorsteheriinien geleitet. Sie sind vielfach mit Pensionaten ver-
bunden.
Übersicht über den Stand dos höheren Müdchenschuhvesens
in Elsass-Lothringen.
Zahl
der
Sclm-
len
unter
Jah-
ren
Kur SU
, 8
Jahre
sdauer
1)
Jahre
1
10
Jalire
Zald
der
Scliülc-
riunen
Zahl der
Lehrer ^)
akado- semi-
inisch narisch
gebildet ! gebildet
1
Zahl der
Lehrerinnen
wissen- tecli-
schatt- „ißche
liehe
1. Öifentliche hö-
1
here Mädchen-
1
1
schulen ....
4
2
3
1337
24 24
50
3
2. Private höhere
1
1
Mädchenschu-
1
len
55
10
31
9
5
5941
67
57
411
91
V Bei den Lehrern sind sänitliclie Hilfslehrer mitgezählt. Die Zahl
der akademisch gebildeten Lehrer ist darum verhältnismäfsig grofs, weil
selbst an kleineren Schulen der Keligionsunterricht häuüg durch Geistliche
der 3 Konfessionen erteilt wird. — Die Kursusdauer an den privaten höheren
Mädchenschulen und Pensionaten ist nur schätzungsweise nach dem Lebens-
alter der Schülerinnen berechnet worden.
5*
Litteratur.
A. Die umfassendste Zusammenstellung der einschlägigen Litte-
ratur von 1700 bis auf die Gegenwart findet sich in G. Krusche,
Litteratur der weiblichen Erziehung und Bildung in Deutschland von
1700 — 1886. Langensalza, Beyer, 1887. Nachträge dazu werden in
den Programmen der Höheren Schule für Mädchen zu Leipzig ver-
öffentlicht.
B. Zu der vorstehenden Arbeit sind aufser den direkten Mit-
teilungen von den betreffenden Behörden resp. Fachleuten, und son-
stigem amtlichen Material besonders folgende Schriften benutzt, resp.
verglichen worden:
Wattenbach, Deutschlands Gcschichtsquellen im Mittelalter.
Berün, Hertz, 1873.
Specht, Geschichte des Unterrichtswesens in Deutschland von
den ältesten Zeiten bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Stuttgart,
Cotta, 1885.
Juan Luiz Vives Schriften über Weibliche Bildung. Von
Wychgram. Wien und Leipzig, 1883.
Richter, die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahr-
hunderts. Weimar, 1846.
Vormbaum, Alte Schul- und Kirchenordnungen.
J. A. Comenius, Pädagogische Schriften. Langensalza, Beyer, 1883.
Karl Weinhold, Die Deutschen Frauen im Mittelalter. 2. Aufl.
Wien, 1882.
Karl Strack, Aus dem deutschen Frauenlcben. Leipzig,
Schücke, 1873.
Karl Strack, Geschichte der weiblichen Bildung in Deutschland.
Gütersloh, Bertelsmann, 1879.
A. H. Franckes pädagogische Schriften. Langensalza, Beyer, 1876.
Dr. Karl Schmidts Geschichte der Pädagogik. Köthen, Schett-
1er, 1876.
Dr. K. A. Schmidts Pädagogische Encyklopädie. 2. Auflage.
Gotha, Besser, 1876.
Wickenhagen, Geschichte der Herzoglichen Töchterschule zu
Dessau. Dessau, 1886.
Basedows Ausgewählte Schriften. Langensalza, Beyer, 1880.
Jean Paul, Levana.
i
69
Karoline Rudolph!, Gemälde weiblicher Erziehung. Heidel-
berg, 1807.
Betty Gleim, Erziehung und Unterricht des weiblichen Ge-
schlechts. Leipzig, Göschen, 1810.
Wiese, Über weibliche Erziehung und Bildung. Berlin, 1865.
Den Hohen Deutschen Staatsregierungen gewidmete Denkschrift
der ersten deutschen Hauptversammlung von Dirigenten und Lehrenden
der Jiöheren Mädchenschulen, betreffend eine gesetzliche Normierung
der Organisation und Stellung des höheren Mädchenschulwesens. Ge-
druckt bei Samuel Lucas. Elberfeld, 1872.
Den Hohen Deutschen Staatsregierungen gewidnäete Denkschrift
des Berliner Vereins für höhere Töchterschulen, über Stellung und
Organisation der höheren Töchterschulen. Berlin, 1873, gedruckt bei
Franz Krüger.
Protokolle über die im August 1873 im Königlich Preufsischen
Unterrichts-Ministerium gepflogenen das mittlere und höhere Mädchen-
schulwesen betreffenden Verhandlungen. Berlin, Hertz, 1873.
Dr. K. Schneider und E. von Bremen, Das Volksschulwesen
im Preufsischen Staate. Berlin, 1886, W. Hertz.
G. Kreyenbcrg, Die Deutsche Höhere Mädchenschule. Frank-
furt a. M., Diesterweg, 1887.
Cauer, Die höhere Mädchenschule und die Lehrerinnenfrage.
Berün, Springer, 1878.
Nöldeke, Von Weimar bis Berlin. Berlin, Appelius, 1888.
Sc hörnst ein -Buchner, Zeitschrift für weibliche Bildung. Heft 7,
1891: Wulckow, Das höhere Mädchenschulwesen im Grofsherzogtum
Hessen. Heft 8, 1891: Sommer, Das öffentliche höhere Mädchen-
schulwesen im Herzogtum Braunschweig; Wöbeken, Das öffentliche
höhere Mädchenschulwesen im Grofsherzogtum Oldenburg. — Heft 14,
1891: Wickenhagen, Das Anhaltische höhere Mädchenschulwesen. —
Heft 21, 1891: Mailänder, Das öffentliche höhere Mädchenschulwesen
im Königreich Württemberg. — Heft 3, 1892: Buchner, Das höhere
Mädchenschulwesen in den Hansastädten. — Heft 18, 1892: Buch-
ner, Das öffentliche höhere Mädchenschulwesen in Thüringen. —
Heft 1, 1893: A. Sprengel. Das öffentliche höhere Mädchenschul-
wesen in den Grofsherzogtümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklen-
burg-Strelitz.
Mus hacke. Statistisches Jahrbuch der höheren Schulen. XHI. Jahr-
gang 1892/93, Leipzig, Teubner.
9/'330B
Druck von I.coiiliurd äinifoii in Kerllii SW.
^
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]
k
liAR 21 194t
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