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Full text of "Eranos vindobonensis"

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Alle Rechte vorbehalten. 




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All«> Rechte vorbehalten. 



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dvSca Koi KopiTuiic i\b' fi^tpOKac €ic 'Epävoio 
£ttX(koii(v CT(q>ov()V, ßoiä ^€v äXXü ipiXa. 



INHALT. 



Reit« 

I. ?^ Reise h, Der Dionysos des Alkamenes 1 

JI. W. Kelch el, Die mykenischen (Irabstelea 24 

IJl. R. Heberdey, Dir uiyinpischu AltarperieKese des PHiisuniaR 34 

IV. R. Weisshäupl, Attische (irabstatiicn 4H 

V. F. Löhr, Zur Marc Aiirel-Statue ft<> 

Vi. A. V. Domaszewski, Cura viarum (5<) 

VII. W. V. Harte], Ein Aepyptologe als Dichter (55 

VIII. Th. Gomperz, Das Schlusscapitel der Poetik 71 

IX. E. Kaiinka, Auszüge aus den lykischen RundesprotukoUen 83 

X. L. M. Hartmann, Ein „Consulat** im Datum einer Urkunde vom Jahre '.)21 1)3 

XI. E. Hula, Eine Judengemeinde in Tlos \)d 

XII. E. Szanto, Zum attischen Budgetrecht 103 

XIII. U. 8t. Sedlmayer, Kritisches und Exegetisches zu Horaz und Tacitus . 108 

XIV. J. Huemer, Gallische Rhythmen und gallisches Latein 113 

XV. A. Engelbrecht, Vermeintliche Spuren altgricchischer Astrologie . . . 125 

XVI. 0. Schenk], Adnotatiuncalae ad Himerium 131 

XVn. W. Klein, Der Contionans des älteren Kephiscniot 142 

XVIII. Th. Gottlieb, Wer ist der im cod. Montepessulanus 125 gouiumte Mathias? 145 

XIX. W.Jerusalem, Zur Deutung des Homo-mensura-Satzes 153 

XX. H. Sehen kl, Zur handschriftlichen Ueberliel'erung von M. Antoninus fiV 

iavTov 163 

XXI. C. Ziwsa, Beiträge zu Optatus Mileuitanus 168 

XXn. J. Zycha, Bemerkungen zur Italafrage 177 

XXIII. R. Bitschofsky, Kleine Beiträge zur Kritik und Erklärung einiger Stellen 

des Livius 185 

XXIV. S. Reiter, Uebor die antistrophische Resp<msion von zwei zwcizeitigen 
Längen und einer vierzeitigen in einem ionischen Chorlicd bei Euripides . 188 

XXV. A. Riegl, Zur Frage des Nachlebens der altegyptischen Kunst in der späten 

Antike 1*J1 

XXVI. S. Mekler, Ein Beitrag zur Orestie 108 

XXVII. C. Wotke. Zur handschriftlichen Uelierlicferung der Thebais des Statins . 211 
XXVIII. S. Frankfurter, Zur Frage der Autorschaft der Scriptores historiac 

Augustae 218 

b 



— VI — 

Seit» 

XXIX. F. Studniczkaf Ueber die Bnichstücke einer Vase des Sophilos ... 233 

XXX. ^. Wilhelm, Zur Geschichte von Tha.sos 241 

XXXI. Th. V. Grienberger, Niederrhein isi'he Matronennanien 203 

XXXII. E. Loewy, Zu griechischen Vasenbildem 2G9 

XXXIII. J. e h 1 e r , Genossenst^haften in Kleinasien und Syrien 276 

XXXIV. J. Krall, Zu Herodot 11, 111 283 

XXXV. P. BieÄküwski, „Malocchio" 28.") 

XXXVI. C. Radinger, Zu Bleleagros von Gadara 'MU 

XXXVII. J. .lüthner, (iymnastisches in Philostrats Eikones 3()9 

XXXVIII. J. Brun^llnid, Eine griechische Ziegelin.schrift aus 8irmium 331 

XXXIX. E. Hau 1er, Ein Bruch.stück de^ Menander und des Sutades 334 

XL. E. Hormann, Die älteste Gliederung Korns 340 

XLI. J. Zingerle, Zur Geschichte des zweiten athenischen Bundes 3.y.) 

XLII. 0. Benndorf, Altgriei'hisches Brot 372 



Erklärung der Vignetten von B. v. Seh neide r. 



Der Dionysos des Alkamenes 



von 

EMIL REISCH 



Lnter den Werken des Alkamenes nimmt seine Dionysosstatue 
durch die Kostbarkeit ihrer Technik und durcli ihren Standort im glän- 
zendsten Heiligthum des Gottes den ersten Rang ein. Dennoch ist sie 
bisher wenig gewürdigt, ja ein wichtiges Hilfsmittel, das wir für ihre 
Kenntniss in den nodi erhaltenen Fundamenten ihrer Basis besitzen, ist 
nocli gar niclit verwerthet worden. 

Bekanntlich werden von Tansanias I, 20, 3 im Dionysosheiligthum 
am Südfusse der Burg zwei Tempel und zwei Götterbilder erwähnt, S ve 
^Elev&egtvg (vergl. Pausan. 1, 28, 8) xort ov Jilxa^ivrig i/toirjoev iXi(pavrog 
Tcal x^taor. Beide Tempel sind, nur 10 Meter von einander entfernt, 
wiedergefunden worden, in beiden sind nur noch die argzerstörten Funda- 
mentmauern erhalten, vergl. Harri son, Myihology and inanuments of 
ancient Athens, 200; Curtius, Stadtgeschichte, 78; Dörpfeld u. Reisch, 
Das Dionysostheater zu Athen, T. 1 . Grössenverhältnisse und Baumaterial 
lassen darül)er keinen Zweifel, dass die in unmittelbarer Nachbarschaft 
der Skene befindlichen Fundamente dem älteren Tempel, die südlich 
gelegenen grösseren aber dem jüngeren Bau angehören, und in der That 
igt in der Olla des letzteren noch ein grosses, nahezu (juadratisches 
Fundament erhalten , das nur für die Basis des goldelfenbeinernen Cult- 
bildes bestinunt gewesen sein kann; wenn es also gelingt, die Zeit des 
Tempelbaues zu bestimmen, so ist damit auch die P^ntstehungszeit der 
Dionysosstatue gegeben. 

l'eber die Bauzeit des jüngeren Tempels gibt uns kein Schriftsteller, 
keine Inschrift Kunde. Ich hatte früher die Vennuthung gewagt (Griechische» 
Weihgeschenke, 100), dass der Tempel identisch sei mit jenem Bau, der von 
Plutarch, Nik. H unter den Anathemen des Nikias als o rolg x^^QW^' 

Eranofl Vindobon<>n»is. t 



— 2 — 

Tiolg vTcoxeiitevoi; tv Jiovvaov veiog aufgezählt wird.^) Aber dieser Annahme 
scheint mir jetzt eben der Wortlaut der Plutarchstelle entgegenzustehen, 
da man docli in der Zeit des Plutarch einer solchen Umschreibung nicht 
bedurft haben wird, um den grössten Culttempel des Gottes zu bezeichnen. 
Und die Kosten eines so grossen Baues, der in seinen oberen Theilen 
ganz aus Marmor l)estanden haben wird, dürften — ganz abgesehen von 
dem ungeheueren Materialwerth der Goldclfenbeinstatue — wolil selbst für 
das Vermögen und die Freigel)igkeit eines Nikias zu bedeutend gewesen 
sein. Es wird daher jener veiog des Nikias nicht im eigentlichen Sinne 
als Culttempel, sondern als tempelartiger Bau zu verstehen sein, der al» 
Vorläufer der choregischen Monumente des Nikias, 8. des Nikodemos, des 
Thrasyllos u. A. betrachtet werden muss; ob vielleicht das grosse Breccia- 
fundament, das im Dionysosbezirke südöstlich vom jüngeren Tempel noch 
in einigen Ueberresten erhalten ist, diesem Bau angehören könnte, wage 
ich nicht zu entscheiden. 

Wir sind also zur Bestimnmng der Bauzeit des Tempels, einerseits 
auf allgemeine Erwägungen, welche die athenische Stadtgeschichte an die 
Hand gibt, andererseits auf die dürftigen Reste angewiesen , die von ihm 
noch heute vorhanden sind. Von der Architektur des Oberbaues hat sich 
kein Stück wiedergefunden, aber das Material der Fundamentmauern 
— Brecciastein — gibt uns einen chronologischen Anhaltspunkt. Dörpfeld 
hat darauf hingewiesen -), dass die athenischen Bauten des o. Jahrhunderts 
regelmässig mit Piräusstein (Kalkstein), die des 4. Jahrhunderts mit Breccia 
(Kalkconglomerat) fundamentirt sind. Nicht nur am Parthenon, am soge- 
nannten Theseion, am Niketempel, sondern auch noch am Erechtheion, 
dessen Bau kaum vor 421 begonnen hat 3), fehlt die Breccia völlig; wir 
finden sie dagegen an der Chalkothek, an den Stützmauern des Zuschauer- 
raumes im Dionysosheiligthum , am Dipylon und seinen Thürmen, lauter 
Gebäuden, von denen leider keines genauer datirt werden kann, aber 
auch keines vor 400 nachweisbar ist.*) Man kann es also mit voller 



^) Es fehlt nicht an Beispielen dafür, dass einzelne Privatlente ganze Tempel mit- 
sammt dem Cultbilde aas eigenen Mitteln geweiht haben, vergl. Pausan.II, 7, 9 extr. (Sikyon), 
Bull, de corresp. hellen. VI, 336, Nr. 39 (Delos). (CIA n, 1316) Piräus, vergl. Dörpfeld 
und Koehler, Athen. Mittheil. d. Inst. IX, 286, 296. 

*) Athen. Mittheil. XTV, 313 und (für den Dionysostempel) Archeol. Jahrb. V, 276, 30. 

3) Michaelis, Athen. Mittheil. XIV, 263. 

*) Die Chalkothek wird zuerst 358 oder 354 (CIA II, 61) erwälhnt, kann aber 
schon beträchtlich früher bestanden haben; vergl. Dörpfeld, Athen. Mittheil. XIV, 304 ff. 
Den Bau des Theatron wird man nicht viel über 350 hinauf rücken können. Das Dipylon 
hat neuerdings Wachsmuth — ohne zwingende Gründe, wie mir scheint — der peri- 
kleischen Zeit zugewiesen (Stadt Athen 11, 218) ; man wird es eher mit den Mauerbauten 
in Verbindung bringen dürfen, die für die Mitte des 4. Jahrhunderts bezeugt sind. 



— 3 — 

(iewissheit aussprechen, dass ein grosser Tempelbau, dessen Fundamente 
aus Breceia bestellen, nicht in perikleischer Zeit und schwerlich vor 420 
erbaut ist. Es ist ohnehin kaum wahrscheinlich, dass während des 
10jährigen Krieges die Athener einen grösseren Neubau in Angriff ge- 
nommen haben; frühestens also der mit dem Nikiasfrieden beginnenden 
neuen Epoche der Bauthätigkeit werden wir den Dionysostempel zu- 
schreiben können. Aus der folgenden Periode könnte andererseits nur noch 
das Jahr 409/8 in Frage kommen, dem das Erechtheion seine Vollendung 
dankt (CIA IV, 3, S. 148), in den späteren Jahrzehnten hätten die 
Athener nicht mehr daran denken können, ein grosses Cultbild aus so kost- 
barem Material zu stiften, wie ja thatsächlich die Statue des Alkamenes 
das letzte Goldelfenbeinwerk ist, das (in vorrömischer Zeit) in Athen auf- 
gestellt worden ist. Allein auch ein im Jahre 409/8 begonnener Bau hätte 
schwerlich zu Ende geführt und mit jenem Cultbild ausgestattet werden 
können, bevor der neuerliche Zusammenbruch des attischen Reiches erfolgte. 
Smach wird man also den Bau des Tempels schwerlich unter die Jahre 420 
bis 413 herabrücken dürfen. Bald, nachdem die Tempel auf der Burg und 
in der Nähe des Marktes erneuert waren, musste der Wunsch, auch das 
IHonysosheiligthum neuzugestalten, rege werden. Den glänzenden Festen, die 
dem Dionysos im letzten Drittel des o. Jahrhunderts gefeiert wurden, sollte 
ein prunkvoller Tempel und ein Cultbild entsprechen, zu dessen Herstellung 
die Staatscasse das kostbarste Material geliefert hat, wie dies für die 
Parthenos des Phidias geschehen war. 

Wie aber der Tempel zweifellos von vornherein für die Aufnahme 
eines grossen Goldelfenbeinbildes bestimmt war, so scheint mir auch der 
Gemäldeschmuck, von dem Pausanias berichtet, schon bei der Anlage 
des Grundrisses vorgesehen zu sein ; die ausserordentliche Grösse der Vor- 
halle (die fast zwei Drittel der Cella gleichkommt) scheint sich am 
l>assendsten daraus zu erklären, dass hier Raum für einen grossen Cyclus 
dionysischer Gemälde geschaffen werden sollte. 

Es ergibt sich aus diesen Erwägungen , dass die Statue des Alka- 
menes, deren Modell bald nach dem Beginn des Tempelbaues oder gleich- 
reitig damit entworfen sein muss, den Jahren 420 — 415 zuzuweisen ist. 
Der Künstler wird gewiss mehrere Jahre daran gearbeitet haben ; möglich, 
dass auch die Kriegsläuftc die Vollendung des Werkes, etwa bis 408/7 
verzögert haben. Aber nicht blos zur Datirung des Cultbildes verhelfen 
uns die Reste des Tempels, wir können auch noch einige Aufschlüsse 
über die Grösse und Haltung der Figur aus den Fundamenten der Basis 
gewinnen. Diese sind, wenn wir die zufällig fehlenden Steine ergänzen, 
ungefähr 5 Meter breit und ebenso tief (genau 4*90 breit und ö'lO tief); 
die Miiglichkeit , dass die Basis sich noch etwas weiter nach vorne fort- 

1* 



— 4 — 

setzte, ist vorhanden, wird aber durch die Beobachtung, dass auch der 
gegenwärtige Vorderrand des Fundamentes nur etwa 5 Meter von der Cella- 
vorderwand absteht, wenig empfohlen. Die Basis, die auf diesem Funda- 
mente auflag und von der rückwärtigen Cellawand ebenso wie von den 
Seitenwänden nur etwa 1*20 Meter (in den Fundamenten nur 80 Cm.) 
abstand, mag etwa 4Va Quadratmeter in der Fläche (oder 4*50 X 4*70) 
gehabt haben. Wie muss das Bild beschaflFen gewesen sein, das einer 
solchen Basis bedurfte? EineVergleichung des Bathra anderweitig bekannter 
Cultstatuen wird uns in den Stand setzen, diese Frage zu beantworten. 

Von den Basen, welche die beiden grössten Goldelfenbeinbilder der 
Phidias'schen Zeit, den olympischen Zeus und die athenische Parthenos. 
trugen, können wir uns noch ein bis in's Einzelne genaues Bild machen. 
Die Basis im olympischen Zeustempel war, wie Dörpfeld (OhTnpia II, 
Baudenkmäler I, Text S. 13 f.) nachgewiesen hat, 6*65 Meter breit, 9*93 Meter 
tief und ungefähr 1*10 Meter hoch; das Sitzbild, das sich auf dieser Unter- 
lage erhob, war von so grossen Verhältnissen, dass der Beschauer den 
Eindruck empfing , der Gott würde , wenn er aufstehe , die Decke mit 
abheben, die er sitzend mit dem Haupte zu berühren schien (Strabo, VIII, 
S. 353). Da der Raum zwischen der Oberkante der Basis und der Cella- 
decke 12 — 12^/$ Meter hoch war, so muss die Sitzfigur eine Gesammthöhe 
von etwa 10, allerhöchstens IIV2 Meter gehabt haben; dies entspricht, 
wenn wir das Höhenverhältniss einer auf hohem Throne (mit Schemel) 
sitzenden und einer aufrecht stehenden Figur wie 4 : 5 ansetzen , einer 
7*/a (allerhöchstens Sy^fsLcheu) Lebensgrösse. Dazu stimmen die Maasse 
der Basis auf das Beste, wenn wir mit Dörpfeld als Orösseneinheit 
des Thrones ein Rechteck von etwa 75 Cm. Breite und 115 Meter Tiefe 
voraussetzen. Das ergibt für achtfache Lebensgrösse eine Fläche von 
6 X 9'20, wobei noch in Betracht zu ziehen ist, dass die Thronstützen 
nicht allzunahc an die Aussenränder der Basis herangerückt werden 
können.^) 

Im Gegensatz zu dieser Form hat die Basis der Parthenos die Gestalt 
eines Rechteckes (von 8*08 X 4*09 Meter), dessen längere Seite dem 
Beschauer zugekehrt ist 2), die Basis scheint genau ebensohoch gewesen zu 



^) Adler (Olympia IT, S. 16, Anmerk.) nimmt in der Cella statt der ebenen Decke 
eine schräg geneigte an und berechnet für den Zeus 7^/^fache Lebensgrösse. 

^) Diese Maasse hat zuerst Dörpfeld, Athen. Mittheil., VI, 394, aus den deutlich 
erkennbaren Aufschnürungen des Marmorfussbodons nachgewiesen. Es beruht auf einem 
Irrthum, wenn Schreiber, Abhandl. d. sachs. Gesellsch. d. Wissensch., VIII, S. 624; Arch. 
Zeit, XLI (1883), S. 300 nur den mittleren Poroskem als Basisfundament gelten lassen will ; 
dass der Marmorbelag des Fussbodens noch etwas unter die Basis eingreift, erklärt sich 
einfach aus den gegel>enen Grössenverhältnissen der Belegplatten. 



— 5 — 

sein wie die des Zeus, indem wir ähnliche Profile wie dort und für die 
lioehkantigen Reliefplatten nach der Zahl der dargestellten Figuren die 
gleiche Höhe voraussetzen dürfen.*) Die Höhe der Statue gibt Plin. 36, 18 
auf 26 Ellen an, wobei zweifelhaft bleibt, ob die Basis, deren Schmuck 
ja ebenfalls in Goldelfenbeintechnik ausgeführt war, einbegriffen ist oder 
nicht*); auch die Grösse der zugrundegelegten Elle ist zweifelhaft; je nach- 
dem, ob wir darunter die ältere (äginäisch-attische) zu 0*492 Meter (üörp- 
feld, Athen. Mittheil. XV, 167) oder die jüngere (griechisch-römische) zu 
0*444 Meter verstehen, stellen die 26 Ellen eine Höhe von 12*79 oder von 
11*54 Meter dar, woraus sich, falls die Basis von circa 1*10 Meter abzu- 
rechnen ist, für die Statue selbst eine Höhe von 11*70, bezw. 10*45 Meter 
ergibt. Da die Peristasis des Parthenon eine lichte Höhe von 13* 13 Meter 
hat, die Celladecke aber möglicherweise um ungefähr 1 Meter höher gelegt 
sein konnte, so kann eine sichere Wahl zwischen diesen vier Möglich- 
keiten nicht getroffen werden ; doch wird man geneigt sein, den kleinereu 
Maassen den Vorzug zu geben, da die ausserordentliche Uebereinstimmung, 
die in der Wahl des Platzes und in der Art der Anlage innerhalb der 
Tempelarchitektur den olympischen Zeus mit der Parthenos verknüpft, es 
nahelegt, für beide Statuen ungefähr gleiche Gesammthöhe anzunehmen. 
Die Parthenos wird also, wenn wir den Helmschmuck auf circa 25 bis 
30 Cm. veranschlagen, etwa 5V2 — 6fache Lebensgrösse gehabt haben; sie 
bedurfte somit, wenn wir für eine stehende weibliche Figur in ruhiger 
Haltung eine Standfläche von 65 — 70 Cm. voraussetzen, einer Basis von 
3*2 — 4 Meter im Geviert. Wenn nun die Basis in der Parthenoucella 
4 Meter tief, aber 8 Meter breit ist, so erklärt sich dies vollkommen aus 
der Nothwendigkeit , beiderseits einen Raum von circa 2 Meter für die 
zeitlich angebrachten Attribute zu schaffen. 

Als drittes Beispiel eines colossalen Bathron, dessen zugehörige 
Statuen wir kennen, mag die Basis im Tempel von Lykosura (Pausan. 
VIII, 37, 3) angeführt werden, die durch die Ausgrabungen von Leonardos 
und Kabbadias zu Tage gef()rdert worden ist (vergl. Deltian ardiaiol. 
1889, 160 f.; 1890,165); sie ist circa 70 Cm. hoch, 8*35 Meter lang und 

*) An der athenischen Basis waren 21 Personen auf einer Linie von 8 Meter, an 
der olympischen 17 Personen auf einer Linie von 6*/» Meter vertheilt ; beidemal waren an 
den Ecken Helios und Selene dargestellt, was für die Darstellung der Pandorageburt durch 
die Lenormaut'sche Statuette bezeugt wird (vergl. Puchstein, Arch. Jahrb. V, 116). 

') Da nach Pausan. I, 24, 5 die Nike 4 Ellen hoch war, das Verhältniss der Nike zur 
Hauptstatne an der Varvakionsstatuette aber nur dann dem Verhältniss 4 : 26 entspricht, 
wenn man in die Statue die Basishöhe einrechnet, so hat Lange, Athen. Mittheil. VI, 58 
gefolgert, dass auch ftlr die grosse Statue die Höhe von 26 Ellen nur einschliesslich der 
Basis zu verstehen sei. Der Schluss ist natürlich sehr unsicher; vergl. Schreiber, Arch. 
Zeit. XLI, 200. 



— 6 — 

rSO Meter tief; der Mitte dieses Rechteckes ist ein kleineres von circa 
4 Meter Länge und 1 Meter Tiefe vorgelegt, so dass auf die beiden 
thronenden Figuren der Demeter und üespoina ein Raum von 4 Meter 
Breite und 2*80 Meter Tiefe, auf die rechts und links stehenden Figuren 
der Artemis und des Anytos ein Raum von ungefähr 2 Meter im Ge\iert 
entfällt. Da nun die erhaltenen Köpfe der Statuen zeigen, dass die Sitz- 
figuren in mehr als 2Vafacher (nahezu Sfacher), die Standbilder in mehr 
als zweifacher Lebensgrösse dargestellt waren, so sehen wir, dass auch 
hier zwischen der Grösse der Basen und der Figurenhöhe dasselbe Ver- 
hältniss obwaltete, wie beim olympischen Zeus. 

Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, in welcher Weise in 
der Gkistalt der Basen die Grösse und der Gesammttypus der Statuen zu 
greifbarem Ausdruck kommen. Das quadratische Fundament im Dionysos- 
tempel würde sich demnach auf den ersten Blick scheinbar als Basis einer 
stehenden Figur darstellen ; dabei würde aber ein wichtiger Factor ausser 
Rechnung bleiben, die Höhe der Cella, die ja einen Rückschluss auf die 
Höhe der Statue erlaubt. Wenn wir auch von den Säulen des Tempels 
kein Bruchstück mehr besitzen, so lässt sich doch deren Höhe aus der 
Breite der Tempelfundamente (9*20 Meter) mit einiger Wahrscheinlichkeit 
feststellen. Vertheilen wir nämlich die Breite des Stylobates, die wir auf 
etwa 8^/2 Meter veranschlagen kimnen, auf drei Intercolumnien (vier Säulen 
oder zwei Säulen zwischen Anten), so ergibt sich für die Tempelfacjade 
eine Axweite von 2*65 Meter im Mittel , was ungefähr der Axweite am 
sogenannten Theseion (258 Meter) entspricht.^) Die Säulen des Theseion 
sind 5*7 Meter, Architrav und Fries 166 Meter hoch; ähnliche Verhältnisse 
dürfen wir aber auch für den Dionysostempel voraussetzen, dessen Cella 
also eine lichte Höhe von 7 — 7\'a Meter gehabt haben muss.^) 

Nehmen wir nun an, der Gott sei stehend dargestellt gewesen, so 
kann er nur etwa Sfache, allerhöchstens SVifache Lebensgrösse gehabt 
haben , da 0*75 — 1 Meter für die Basis und ungefähr ebensoviel für den 
Abstand des Kopfes von der Decke in Rechnung zu setzen ist. Für eine 
solche Figur, die (als Cultstatue) in ruhiger Haltung zu denken wäre, 
würde eine Basis von 2, allerhöchstens 2*75 Meter im Geviert vollkommen 
genügen; die grosse Tiefe des erhaltenen Fundamentes bliebe also voll- 



*) Die Annahme, dass der Tempel sechssäulig gewesen sei, ist durchaus unwahr- 
scheinlich , weil sich dann eine ausserordentlich geringe Axweite (von 1*60 Meter) ergeben 
würde. Dann müsste natürlich auch die Höhe der Cella und damit die des Cultbildes um 
ein Beträchtliches geringer sein; die Folgerungen, die wir aus den Grössen Verhältnissen 
der Basis und der Cella ziehen , würden damit nur noch grössere Kraft erhalten. 

') Vergl. die Tabellen bei Hittorf und Zanth, Architecture nntiqite de lu Sicile. 
Atlas S. 90, Text S. 369 ff. 



— 7 — 

kommen unaufgeklärt. Dagegen ist sie vollkommen zweckentsprechend, 
wenn die Statue des Alkamenes ein Sitzbild war. Wir sehen an dem 
Beispiel des olympischen Zeus, dass die antiken Bildhauer sich nicht 
scheuten, eine sitzende Figur in grcmserem ^laassstabe zu bilden, als es für 
eine stehende Figur innerhalb des gegebenen Raumes möglich gewesen 
wäre. Wenn auch anzunehmen ist, dass dieser Fehler in der Regel nicht 
80 auffällig war, wie beim Zeus, so werden wir doch innerhalb der Cella 
von 7 — 7Va Meter Höhe auch für den sitzenden Dionysos eine etwa 3Va 
bis 4fache Lebensgrösse (4*70 — 5*40 Meter) voraussetzen dürfen; dann 
bedurfte er aber eines Thrones von 2*70 — S^a Meter Breite und 4 bis 
4% Meter Tiefe, der auf einer Basis von 4V2 Meter Quadrat (4*40 X 4*60) 
trefflich Platz fand. Der Raum von 1 — 1*25 Meter Breite aber, der beider- 
seits neben dem Throne freibleibt, war wohl schwerlich wie bei der Basis 
von Lykosura für Nebenfiguren — etwa von Bakchen, wie bei dem Gold- 
elfenl>ein-Dionysos zu Sikyon (Pausan. II, 7, 5) — sondern eher wie bei 
der athenischen Parthenos, für die Attribute des Gottes bestinmit; sei es, 
dass diese von den seitlich vorgestreckten Händen des (}ottes gehalten 
wurden, sei es, dass sie selbstständig neben dem Throne angebracht waren 
oder dass der Gott etwa auf der einen Seite einen mächtigen Thyrsos 
aufstützte, während auf der anderen Seite ein Panther lag.*) 

Der Eindruck, den das (einschliesslich der Basis) etwa 5'50 bis 
6*25 Meter hohe Bild machte, muss ein gewaltiger, ja unserem Empfinden 
nach fast erdrückender und allzuwuchtiger gewesen sein; fast die Hälfte 
der Cella war durch die Statue ausgefüllt, die nur circa 5 Meter von der 
Cellathür abstehend, dem Beschauer in unmittelbarer Nähe entgegentrat. 
Man sieht, dass der Künstler oder sein Auftraggeber (ähnlich wie dies bei 
dem olympischen Zeus der Fall gewesen sein muss) den Wunsch hatte, 
ein möglichst grosses und durch seine Gr()S8e überwältigendes Bild zu 
schaffen. In der That steht hierin der Dionysos, soweit unsere zufälligen 
Nachrichten ein Urtheil erlauben, unter den Tempelstatuen der griechischen 
Blüthezeit nur dem Zeus und der Parthenos des Phidias nach. Die GiUter- 
mutter im athenischen Metroon war nach Pausan. VIII, 37, 3 ungefähr so 
gross, wie die Sitzbilder von Lykosura, hatte also ungefähr 2\;a — 3 fache 
Lebensgrösse; etwa die gleichen oder wenig kleinere Verhältnisse hatte, 
wie das erhaltene Bruchstück des Kopfes zeigt 2), die Nemesis des Agora- 

*) Ich erinnere an den Löwen neben der athenischen Göttermutter (Aman Peripl. 
Pont. Eox. 9), an Hund und Schlange neben dem Asklepio» des Thrasymedes, an Tympanon 
und Panther neben dem Thron des praxitelischen Dionysos zu Elis, vergl. Zeitschr. f. 
Nnmismatik, Xin, 384 (Weil). 

') Athen. Mittheii. XV, S. (U (Rossbach); A. H. Smith, Cataloyue of sculpture 
in the Brit. Museum. I, S. 264, Nr. 460. 



— 8 — 

kritos, deren Gesammthöhe (einschliesslich der Basis?) nach Antigonos von 
Karystos bei Zenobius, V, 82 (Schneidewin-Leutsch) 10 Ellen, d. i. 
nahezu 5 Meter ^), betrug. Die polykletische Hera im Heraion zu Arg08 
kann, da das Mittelschiff der Cella nur wenig über 4 Meter breit war 
und neben der thronenden Göttin, wie es scheint, noch die (wohl gleich- 
zeitig aufgestellte) Hebe des Naukydes stand*), kaum mehr als dreifache 
Lebensgrösse gehabt haben. Der goldelfenbeinerne Asklepios des Thrasy- 
medes endlich wird, da die Cella des Tempels zu Epidauros, in der er 
aufgestellt war, nur 4 Meter breit und etwa 6 Meter hoch war*), 3V2 his 
4V2 Meter, also etwa Sfache, höchstens S^/^fsLchQ Lebensgrösse gehabt haben ; 
damit stimmt es gut, dass Tansanias (H, 27, 2) berichtet, der Asklepios 
sei halb so gross wie der Zeus Olympios zu Athen, der, wie im Typus *), 
so auch in den Maassen **), dem Zeus zu Olympia nachgebildet gewesen 
zu sein scheint.«) 

Es wäre erstaunlich, wenn ein so grosses und berühmtes Cultbild 
wie das des Alkamenes keinerlei Spuren in der monumentalen IJeber- 
lieferung hinterlassen hätte; es hat daher schon Beule (Monnaies d'Athhies, 
S. 261) unter allgemeiner Zustimmung die Vermuthung aufgestellt, d^ws 
die Figur des thronenden bärtigen Dionysos, die auf athenischen Tetra- 
drachmen von Diokles t6 tqitov und Diodoros') als Beizeichen und dann 
in grösserem Maasstab auf Bronzemünzen der Antoninenzeit sich findet, 
eben die Statue des Alkamenes wiedergebe. Vergl. I m h f - B 1 u m e r und 
Gardner, Numiwiatic coinmervtary on Pausanias, S. \A2 {Joum. of hellen. 



^) Darauf, dass in einem Codex Bodleianus in Gaisford's Paroemiogr. Graeci n. 819« 
wie Posnansky Nemesis und Adrasteia 93 anführt, die Höhe der Statue mit 11 EUen 
angegeben wird, ist kaum Gewicht zu legen. 

') Pausan. IT, 17, 5. Imhoof-Blumer und Gardner, Numismatic commentary 
on Paiiaanias, S. 34 {Joum, of hellen, siud, VI, S. 83), T. JXV. Ov erb eck, Kunst- 
mythologie II, S. 43. 

') Dörpfeld und Kabbadias, Tlgoxriica tilg dg^aioX. haigiag. 1884, S. 56 f., T. 2. 
Die Axweite der Säulen beträgt 2*25 Meter. 

*) Vergl. die Bronzemünze bei Imhoof-Blumer und Gardner, a. a. 0. S. 137 
(Jourti, of hellen atud, Vm, S. 34), T. BBIV. 

') Das Mittelschiff des Olympieion ist 7 Meter breit, die Säulen haben eine H<')he 
von 17 Metern. Pen rose. An investigation of the principlea of Atheftian architecture. 
2. Aufl. 1888, S. 81 f., T. 40, hat in dem Grundrissplan des Olympieion ein Fundament von 
5*80 Meter Tiefe und etwa 5 Meter Breite eingezeichnet; doch scheinen die Abschluss- 
mauem dieses aus opua iftcertum bestehenden Bauwerks weder seitlich noch vorne genau 
bestimmbar gewesen zu sein. 

*) Die Angabe des Pausan. I, 18, 6, dass die Statue grö.sser gewesen sei als alle 
übrigen Tempelbilder Griechenlands, ist jedenfalls übertrieben. 

^) Um 90 V. Ohr. Vergl. Cafalogue of greek coins in the Bnt. Museum j Attica, 
p. L, T. Xn 8, S. 47. 



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9tud. Vm, S. 38), T. CC I— IV {Brü. Museum Catalogue, AUtca, S. 104, 758, 
T. XVIII, 6). Der Gott ist hier thronend dargestellt, mit dem Thyrsos in 
der gehobenen Linken, mit dem Kantharos in der vorgestreckten Rechten ; 
das Himation, das nm Unterleib und Beine geschlungen ist, liegt auf der 
linken Schulter auf, so dass die Brust fast völlig nackt bleibt ; im Haare, 
von dem beiderseits, wie es scheint, auch eine Locke nach vorn fällt, ruht 
ein grosser Epheukranz; der volle Bart ist von massiger Länge, etwa 
wie bei dem Zeus des Phidias. Auf zwei Erzmünzen ist diese Statue aus- 
drücklich als Cultbild dadurch bezeichnet, dass davor ein Tisch mit einer 
Raucherpfanne aufgestellt ist. Auf Grund der Thatsachen nun, die wir 
früher für den Dionysos des Alkanienes aus der Basis im Dionysostempel 
ermittelt haben, kann kein Zweifel mehr bleiben, dass die beschriebenen 
Münzen wirklich jenes Goldelfenbeinbild vor Augen stellen; in der That 
trägt der Dionysostypus, den sie wiedergeben, unverkennbar den Charakter 
der Zeit des Phidias an sich; in allen wesentlichen Zügen: in der Art, 
wie der Gott auf dem Throne mit hoher Rückenlehne sitzt, wie er mit 
hoch gehobener Linken an dem Stab hinangreift, in der Anordnung des 
Gewandes, wie es scheint auch in der Stellung der Ikine, finden wir die 
aufTälligst« Aehnlichkeit mit dem Zeus von Olympia. 

Lehrreich ist auch ein Vergleich mit dem Dionysos des Parthenon- 
frieses, den ich mit Fla seh (Zum Parthenonfries, 14, 31) in dem Jüngling 
nel)en Poseidon erkenne, lehrreich weniger durch die äusserlichen Ueberein- 
stimnmngen im Gewände und in der Haltung der Arme, als durch die tief- 
greifende Verschiedenheit in der geistigen Auffassung. Während im Friese 
der Gott jugendlich, wie man sich ihn im Kreise der Demeter vorzustellen 
gelernt hatte, lässig bewegt, fast weichlich bequem mit einem Anflug 
schwärmenden Sinnens im Antlitz gebildet ist, ist der Gott im Goldelfen- 
beinbild als reifer Mann hoheitsvoll und ehrfurchtgebietend, nicht blos als 
Zuschauer, sondern als Vorsitzender der dionysischen Feste gedacht. 

Freilich lassen uns die Münzbilder gerade darüber in rnkenntniss, 
worüber wir am liebsten unterrichtet würden, über die Art, wie Alkanienes 
das strenge Ideal des bärtigen Gotteskopfes umgebildet hat, wie er in 
Haltung und Ausdruck dem Wesen des Dionysos entsprechend, mit der Würde 
die Milde vereinigt hat, um den Gott im Gegensatz zu Zeus, dem erhabenen 
Herrscher der Welt, als mühelos waltenden Herrn der bewegten dionysischen 
Festschaaren zu kennzeichnen. Allerdings haben Imhoof-Blumer und 
Gardner, a. a. 0. zu T. CC V eine athenische Bronzemünze aus römischer 
Zeit (Beule, S. 376, 1 und 3. Catalogue Briu Museum, Auica, S. 86, 604) 
für die stilistische Würdigung des Dionysosbildes heranzuziehen versucht; 
aber auch wenn wir zugeben, dass dem Stempelschneider, der dem lorbeer- 
bekränzten Zeuskopf der einen Seite einen epheubekränzten Dionysoskopf 



— 10 — 

auf dem Reverse gegenübergestellt hat, wirklich die Statue des Alkamenes 
als Vorbild gedient hat, so wird man doch an eine in allen Einzelheiten 
und im Stil getreue Wiedergabe nicht denken kcinnen ; keinesfalls aber 
darf man aus der Anordnung des Haares und der (J estalt des spitz- 
zulaufenden Bartes, welche die Münze zeigt, auch für die Dionysosstatue 
einen noch archaischen (oder archaisirenden) Charakter erschliessen. Bei dem 
Stempelschnitt der kleinen Bronzemünzen musste sich von selbst für kurzes 
Haar und einen zugeschnittenen Bart einfachere, alterthümlichere Stilisirung 
ergeben. Die nach vorne fallenden Locken aber, wenn sie bei Dionysos 
wirklich als ein alterthümlicher Zug zu gelten haben — sie finden sich 
ja auch bei jugendlichen Dionysosbildern des 4. Jahrhunderts — wider- 
sprechen weder dem stilistischen Charakter, noch dem Zeitansatz, den virir 
für das Cultbild im jüngeren Dionysostempel erschlossen haben; wir finden 
die gleiche Lockentraeht ja an den nach 420 gefertigten Koren des 
Erechtheion, die wir gerne mit der Werkstatt des Alkamenes in Verbindung 
bringen werden , und wie es scheint auch an der wenig älteren Hekate 
Epipyrgidia desselben Künstlers. 

Das magere Bild, das uns die athenischen Münzen von der Statue 
im Dionysostempel hinterlassen haben, kann vielleicht durch einige Züge 
vervollständigt werden, welche ausserattische Bildwerke übemntteln. Wir 
dürfen ja erwarten, dass ebenso wie die Goldelfenbeinbilder in den Haupt- 
heiligthümern des Zeus, der Athena, des Asklepios, so auch die athenische 
Statue des Dionysos schon allein durch äussere Momente, die Grösse der 
Maassverhältnisse, die Kostbarkeit der Technik, die Berühmtheit der Cult- 
Htätte und des Künstlernamens eine nachhaltige und weittragende Wirkung 
geübt hat. Zwar ist es bisher, so wenig wie beim Zeus von Olympia, 
gelungen, eine statuarische Copie des Goldelfenbeinbildes nachzuweisen, 
wohl aber können >vir hier wie dort auf Münzen den Einfluss der neuen 
Schöpfung verfolgen. Denn es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass 
der Typus des thronenden Dionysos überhaupt erst in jener Statue des 
Alkamenes geschaffen worden ist und auch allen jüngeren Statuen, die den 
thronenden Gott nicht mehr bärtig , sondern jugendlich zeigen , zum Vor- 
bilde gedient hat.^) Eine ziemlich genaue Copie der athenischen Figur ist 
der thronende Dionysos auf den Münzen von Pagai (Zeit des Septimius 
Severus) Imhoof-Blumer und Gardner, A ÜI, S. 9 (Journ, of hellen. 



*) Yergl. die Münzen von Korinth Imhoof-Blumer und Gardner, E LXXXI 
{Brit. Museum Catalogue, Corinth. T. XX, 4), vonHerakleia am Pontus, Gardner, Typea, 
T. Xm, 4 (Brit. Museum Catalogue, Pofitus. T. XXX, 8) und vor Allem das pompejanlsche 
Wandgemälde , Museo Borb. VI, T. 53, H e 1 b i g 392 , das man ebenso wie die Demeter 
aus dem gleichen Hause Museo Borb, VI, T. 54, Heibig 175 gerne auf die „duodecim dei" 
des Euphranor zurückführen möchte. 



— 11 — 

8tud. VI, 58), nur hält der Gott, wie es scheint, statt des Thyrsos ein Scepter ; 
vor, d. h. wohl neben dem Thron liegt ein Panther, der, wie wir gesehen 
haben, vielleicht auch neben der Statue des Alkamenes vorausgesetzt werden 
kann. Belangreicher für unsere Untersuchung sind die schönen um 350 v. Chr. 
geprägten Mfinzen der kretischen Stadt Sybritia (S v o r o n o s, Numismatique 
de la ürHe ancienne, I, T. XXX, 12 und 13, S. 314), bei denen schon 
Percy Gardner {Types of gresk cains, S. 161 f. zu T. IX, 4) an die Statue 
des Alkamenes erinnert hat. Wir sehen hier einen bärtigen Dionysos, wie 
er auf hohem Sessel mit geschwungener Lehne sitzt, indem er mit der 
Rechten den Kantharos vorstreckt, mit der Linken nach dem im Arme 
lehnenden Thyrsos greift. Trotz der abweichenden Form des Sitzes und 
der veränderten Haltung des rechten Armes wird man behaujiten können, 
dass dem Stempelschneider keine andere Statue als die des Alkamenes 
zum Vorbilde gedient hat. Wie mich Svoronos, der gründlichste Kenner 
des kretischen Münzwesens, freundlich belehrt, entspricht die Annahme, 
dass der Stempelschneider von Sybritia eine berühmte athenische Statue 
copirt habe , durchaus dem Bilde , das die kretischen Münzstätten uns 
bieten; er erinnert daran, dass gerade auf den gleichzeitigen Münzen 
von Sybritia*) auch eine Copie des sandalenbindenden Hermes (Friede- 
richs -Wolters, Berliner Gypsabgüsse, 1533) begegnet, dessen Standort 
gewiss nicht in Sybritia zu suchen ist. 

Von grösserer Bedeutung wird nun die Erkenntniss dieses Zusammen- 
hanges dadurch, dass auf Münzen von Sybritia auch ein Dionysoskopf 
erscheint, der unzweifelhaft demselben Vorbild wie jener Typus des sitzenden 
Gottes entlehnt ist (Svoronos, T. XXX, 15 und 16. Numumatic chrontcle. 
Ser. m, Bd. X, 1890, T. XIX n. 11). Das Verhältniss, in dem dieser Kopf 
zu dem phidiasischen Zeustypus steht, würde gut zu dem Bilde passen, 
das wir von der Statue des Alkamenes gewonnen haben; wir finden hier 
dieselbe hohe ungegliederte Stirne, dieselben knappen Formen in Wangen 
und Untergesicht ; aber der sanften Neigung des Hauptes, welche die andere 
Münze bezeugt, entspricht ein weniger strenger Ausdruck des Antlitzes. 
Das Haar, auf dem ein mächtiger Epheukranz liegt, ist weniger straff 
stilisirt als beim Zeus und fällt in leichtgewellten Massen in den Nacken ; 
der kurzgehaltene Bart, der sich nach unten in einzelne Partien auflöst, 
verräth kaum noch eine Spur archaischer Formengebung. Leider erlaubt 
ja die Freiheit, mit der der sybritische Stempelschneider die Gesammtfigur 
des Dionysos auf der anderen Münze behandelt hat, nicht mit voller Sicher- 
heit hier den Kopf als getreues Nachbild der Statue in allen Einzelheiten 



Svoronos, Numismatique de la CrHe. T. XXX, 18. Catalogue of coins in the 
Brit, Museum, a-ete. T. XIX, 12. 



— 12 — 

zu betrachten, doch ist gerade im Kopfe von jener grösseren Laxheit und 
Weichheit der Bewegung, welche das Münzbild des sitzenden Dionysos 
zeigt, kaum etwas zu spüren. Andererseits sind wir von vornherein berechtigt, 
zu erwarten, dass Alkamenes nicht blos durch das Motiv der Statue, sondern 
auch durch den Typus, in dem er den Kopf gebildet hat, für die Dionysos- 
darstellungen der nächsten Jahrzehnte vorbildlich geworden ist. Es kann 
kaum ein Zufall sein, dass gerade Ende des 5. Jahrhunderts zeusähnliche 
Dionysosköpfe auch noch auf den Münzen von Thasos^) sowohl, wie auf 
denen von Theben*) erscheinen, erstere von etwas strengerer Stilisirung 
als derjenige auf den Münzen von Sybritia, letztere von weicheren, mehr 
gelösten Formen und schwärmerisch sinnendem Ausdruck. Deutlich verräth 
der Kopf der thebanischen Münze durch die leichte Neigung des Blickes, 
dass er als Theil einer Statue gedacht ist ') ; auch kann kaum ein Zweifel 
sein, dass die thebanischen Stempelschneider das Bild des Alkamenes 
gekannt haben ; doch lässt die grosse Selbstständigkeit, welche diese Künstler 
ander^veitig beweisen, die Annahme nicht zu, dass sie eine genaue Copie 
eines fremden Kunstwerkes zu geben beabsichtigen. Der Typus der theba- 
nischen Münzen wird daher schon als eine freiere, jüngere Umbildung 
des Dionysosideals zu gelten haben, aber er wird eben dadurch zu einem 
imiso werthvolleren Zeugniss für die Annahme, dass der strengere Typus, 
wie ihn die — wohl mit Recht erst einer etwas späteren Periode zuge- 
wiesenen — Münzen von Sybritia zeigen, mit vollem Rechte dem Ende des 
o. Jahrhunderts zugewiesen werden darf und besser als die späten athenischen 
Bronzemünzen geeignet ist, uns eine Vorstellung vom Dionysos des Alka- 
menes zu geben. 

Aus den Thatsachen, die wir für den chryselephantinen Dionysos im 
athenischen Heiligthum des Eleuthereus ermittelt haben, dürfen wir nun- 
mehr noch einige weitere Schlüsse über die Lebenszeit und die Kunst- 
richtung des Alkamenes ziehen. Wenn die Athener um 420 oder 415 aus 
der grossen Zahl von Bildhauern, die von Phidias in der Marmor- und Gold- 
elfenbeintechnik unterwiesen worden waren, gerade Alkamenes erwählten, 
um das chrysclephantine Colossalbild für den neuen Dionysostempel zu 
verfertigen, so ist dies ein Beweis dafür, dass der Künstler damals auf 
der Höhe seines Ruhmes stand und genügende Proben seines alle Kunst- 
genossen überragenden Könnens abgelegt hatte. Die Jahre also, in denen 
der Künstler das einzige Goldelfenbeinbild geschaffen hat, das die Ueber- 
lieferung von ihm kennt , dürfen geradezu als die ä'Kuri seines Schaffens 

*) 6 a r d n e r, Typest of greek cmtm T.VII, 8. BriL Museum Catalogue, llirace, S. 219. 
*) Gardner, Types T. VU, 25. Brit, Muneum Caiahgue, Centml Greece, S. 74 f., 
T.XIII, 5— 8 (Silber), S. 77 f., T. XIV, 1 und 2 (Elektron). 

*) Vergl. Thraemer bei Röscher, Lex. d. Mythol. I, 1113. 



— 13 — 

gelten, der gewiss schon 15 — 25 Jahre künstlerischer Bethätigung voraus- 
liegen werden. Damit stimmt es auf das Beste, einerseits dass Alkamenes von 
Plinins sowohl in der Aufzählung der Erzgiesser (XXXIV, 72), wie in 
dem Bericht über die Marmorbildner (XXXVI, 16) als Schüler des Phidias 
bezeichnet wird, andererseits, dass von Praxiteles, der rund um 360 (vergl. 
PI in. XXXIV, 50) gesetzt werden darf, gesagt wird, er hätte rgiTj] fAevä 
J^hLafihnjv VareQov yeve^ (Pausan. VlII, 9, 1), d. i. 60 — 70 Jahre nach 
Alkamenes gelebt. Da der Künstler noch ein Schüler des Phidias, d. h. 
wohl noch in dessen Werkstatt thätig war, so kann er kaum später als 
etwa 460 geboren sein; die lange Dauer seiner künstlerischen Wirksam- 
keit wird durch die Nachricht bezeugt, dass er noch 403 v. Chr. für 
Thrasybul eine Gruppe verfertigt hat (Pausan. IX, 11, 6); denn dass 
wirklich damals der Künster noch in Thätigkeit war, wird man jetzt, wo 
wir ihn um 415 noch an einem Colossalbild beschäftigt sehen, nicht mehr 
(mit Curtius, Arch. Zeit. XLI, 1883, 359) anzweifeln dürfen. So könnten 
wir sofort den Versuch machen, innerhalb des durch jene Jahreszahlen 
gegebenen Rahmens ein Bild von der künstlerischen Laufbahn des Alka- 
menes zu zeichnen, wenn wir nicht Rechenschaft abzulegen hätten, warum 
unter den Angaben, die zur Fixiruug der Chronologie des Künstlers ver- 
werthbar erscheinen, der Nachricht des Pausanias, Alkamenes habe den 
Westgiebel des Zeustcmpels verfertigt, kein Platz eingeräumt worden ist. 
So uner(|uicklich und unfruchtbar es auch sein mag, in eine Frage einzu- 
treten, in der subjcctivem Meinen ein so weiter Spielraum verstattet ist, 
8o kann doch an dieser Stelle eine Erörterung über die Künstler der 
olympischen Giebel nicht völlig vermieden werden. 

Bekanntlich berichtet Pausanias V, 10, 8, dass der Ostgiebel des 
olympischen Zeustempel von Paionios, der Westgiebel von Alkamenes, 
einem Zeitgenossen des Phidias (fjkixlav xar^ Oeidiav) verfertigt sei. Seit 
die Giebelfigurcn und die Nike des Paionios in Olympia zu Tage getreten 
sind, hat diese Nachricht erhöhtes kunstgeschichtliches Interesse gewonnen ; 
aber in ihrer Beurtheilung ist man trotz des in seltener Fülle vorliegenden 
Iteobachtungsmaterials heute weniger einig denn je. Vielmehr sind kaum 
irgendwo anders die Gegensätze kunstgeschichtlicher Betrachtungsweise in 
so schroffer Unversöhnlichkeit einander gegenüber getreten wie gerade hier, 
8^) dass ein Versuch, auf Grund einer erneuten Analyse der Sculpturen 
einen Gegner zu überzeugen, schier vergeblich erscheinen muss ; hat doch 
ein solcher Meister stilistischer Untersuchung, wie Heinrich v. Brunn, es 



*) Vergl. Wolters in der neuen Bearbeitung von Friederichs, Berliner Gyps- 
abgtisse, S. 136; Studniczka, Zeitschr. für österr. öyinnas. 18iK), 750 f. und neuerdings 
Collignon, Histoire de la Hculpture yrecque, I, 460. 



— 14 — 

für nothwendig erklärt, dass wir vor dem Buchstaben jener Ueberlieferung 
unser Urtheil, soweit es blos unserem Stilgefühl entspringt, beugen sollten 
(Sculpturen von Olympia 1 21). Wir wollen also zunächst von der Kunstart 
der wiedergewonnenen Giebel vollkommen absehen und uns bescheiden, die 
äusseren Thatsachen kritisch zu prüfen; es werden sich dabei gewichtige 
Bedenken gegen die Giltigkeit jener Nachricht ergeben, Bedenken, die 
übrigens schon von verschiedenen Seiten, zuerst von Förster, Rhein. 
Mus., XXXVra (1883), 421 ff., geltend gemacht worden sind.^) 

Tansanias nennt Paionios als den Künstler des Ostgiebels. Aber 
dieser Angabe des Periegeten scheint die eigene Aussage des Paionios wenig 
günstig zu sein. Dieser hat sich auf der Basis seiner Nike als denjenigen 
bezeichnet, og Td'AQioviJQia tiouov hi/M; wenn auch ein solcher Zusatz 
zunächst dadurch hervorgerufen sein sollte, dass die Nike nur eine Replik 
der Akroterienfiguren war ^), so wird man doch scldiessen dürfen , dass, 
wer sich der Akroterien berühmt, gewiss keinen der Giebel verfertigt hat. 
Wer also nicht den Ostgiebel einem „älteren" Paionios zuschreiben und 
so die bedenklich angewachsene Zahl der homonymen Künstler um einen 
weiteren Namen vermehren will, wird die Nachricht des Pausanias 
auf einen Irrthum zurückführen müssen. Dieser Irrthum könnte veranlasst 
sein durch eine missverständliche Deutung, die jener Inschrift in späterer 
Zeit gegeben wurde, oder aber durch den Wunsch, den Künstler, der 
durch seine augenfällige Nikestatue das Interesse aller Olympiabesucher 
erregte, auch noch mit dem berühmtesten Bauwerke Olympias, dem Zeus- 
tempel, in Verbindung zu bringen. Wenn aber Paionios und damit die erste 
Hälfte der Nachricht des Pausanias aufgegeben werden muss, ist es 
dann noch gestattet, deren zweite Hälfte festzuhalten oder gar, wie Pucli- 
stein, Arch. Jahrb., V, 97, thut, den Namen des Alkamenes auf beide 
Giebel auszudehnen? Sollte, wenn eine gute Ueberlieferung über Alka- 
menes als Verfertiger der Giebel vorlag, diese gerade nur für den West- 
giebel sich behauptet haben, für den Ostgiebel aber durch den Einfall 
des Exegeten verdrängt worden sein ? Die Thatsache, dass man mit dem 
Ostgiebel willkürlich einen berühmten Künstlernamen verbinden konnte, 
scheint allein schon die Annahme zu bestätigen, dass, wie dies ja bei 
architektonischen Sculpturen fast überall der Fall war, auch beim Zeus- 
tempel eine gesicherte Ueberlieferung nicht vorhanden war; zugegeben 
aber, sie sei vorhanden gewesen, wer bürgt uns dafür, dass der Name des 
Alkamenes nicht ebenso wie der des Paionios interpolirt ist? Die Fehler- 
quelle ist hier wie dort unschwer in den Erzählungen der olympischen 



*) Gurlitt, Aufsätze für E. Curtius 267. Vergl. Loewy, Inschriften griecli. Bild- 
haaer, S. 39f. 



— 15 — 

Exegeten aufzudecken. Die Ciceroni des Altertliums pflegten wie die der 
Neuzeit mit wenigen berühmten Namen ihr Auslangen zu finden, diese 
aber beständig und im Angesicht der verschiedenartigsten Werke im Munde 
zu führen. Wenn nun den olympischen Exegeten auch die Giebelsculpturen 
ihrem Stil nach zu verschieden von dem Cultbild des Zeustempels erscheinen 
mochten, um sie dem Phidias selbst zuzuschreiben, so musste ihnen doch 
die Annahme, dass der innere und äussere Schmuck des Tempels aus der 
gleichen Epoche stamme, selbstverständlich erscheinen.^) Wenn sie aber 
nach einem Künstler suchten, der mit Phidias zusammen genannt zu werden 
pflegte, also wohl auch als dessen Zeitgenosse erscheinen konnte, so bot 
sich als der Name, der neben dem des Meisters den besten Klang hatte, 
der des Alkamenes dar, dvÖQÖg fikixiav re Aavä Oeidiav xai devTegeia 
eveyyxzfiivov aotpiag ig Ttoirfliv dyakficcTCDv. Pausanias würde also auch 
liier mit seiner Angabe, nicht, wie Robert, Areh. Märchen, S. 51, 
annimmt, einer pergamenischen Quelle, sondern dem olympischen Exegeten 
(auf den er gerade bei der Beschreibung der Giebel kurz vorher ausdrück- 
lich sich berufen hat), gefolgt sein, ganz ebenso wie er beispielsweise tlir 
die elische Athena des Kolotes und die Rhamnunter Nemesis des Agora- 
kritos die Tradition der Exegeten wiedergibt, welche diese Statuen dem 
Phidias zuschrieb. Während uns aber bei jenen Tempelbildem anderweitige 
kunstgeschiehtliche Nachrichten von grösserer Zuverlässigkeit erhalten sind, 
entbehren wir bei den olympischen Giebeln einer derartigen Hilfe, die 
uns ermöglichen würde, die Irrthümer der Periegeten zu berichtigen; das 
kann aber noch kein Grund sein, sie zu theilen. 

Es ist ja natürlich und wohl gerechtfertigt, dass wir nur ungern 
eine durch Pausanias vennittelte Ueberlieferung als schlecht erfundene 
EJxegetenfabel preisgeben, und es werden vielleicht nicht Allen die hierfür 
vorgebrachten Argumente als völlig durchschlagend erscheinen. Wo eine Reihe 
rein subjectiver Erwägungen über Werth und IJnwerth einer Ueberlieferung 
einander gegenüberstehen, wird die Entscheidung immer eine schwankende 
bleiben. Aber die Frage, ob der Künstler der olympischen Giebel den Namen 
Alkamenes führte oder nicht, darf im Grunde als nebensächlich erscheinen ; 
für unser kunstgeschichtliches Wissen kann es sich nur darum handeln, ob 
jener Künstler wirklich identisch sein kann mit jenem Alkamenes, den das 
Alterthum neben Phidias als den grössten Schöpfer von Götterstatuen pries. 
Diese Frage ist von jenen Gelehrten schon lange im verneinenden Sinne 
beantwortet worden, welche mitLöschcke (Westl. (üebelgruppe d. olymp. 

^) Wir wissen jetzt durch die Untersuchungen Dörpfeld's, dass zur Zeit des 
Tempelbaues die AufsteHung eines so gewaltigen Cultbildes , wie die Statue des Phidias 
war, noch nicht vorgesehen war, so dass die Annahme, dass die Giebel um ein Beträcht- 
liches älter sind als die Zeusstatue, nichts weniger als unwahrscheinlich ist. 



— 16 — 

Zeustempels. Dorpat 1887, S. 7) die Giebelsculpturen hoch über die Mitte 
des 5. Jahrhunderts hinaufrücken und einem älteren Alkanienes zuweisen, 
der um 480 — 460 geblüht und mit dem Phidiasschüler nichts als den 
Namen gemein habe. Aber auch diejenigen , welche an den Giebelfiguren 
enge Beziehungen zu der Kunst des Phidias nachweisen zu können glauben, 
werden sich der Annahme, dass der Verfertiger der Giebel von Alkanienes, 
dem Schöpfer des chryselephantinen Dionysos, verschieden sei, nicht länger 
entziehen können. Denn die Thatsache, dass spätestens Ol. 81 (456 v. Chr.) 
der Zeustempel bis zu den Akroterien vollendet war, scheint mir durch 
die bekannten, zuletzt von Dörpfeld (Olympia 11, Baudenkmäler, 19 ff.) 
dargelegten Argumente zu fest gesichert, als dass sie durch die scharf- 
sinnigen Bemühungen Flasch's (Baumeister-Denkmäler d. class. Alter- 
thums. n, 1099 und 1104 GG) erschüttert werden könnte. Wir dürfen des 
Weiteren als selbstverständlich voraussetzen, dass die Eleer, die ihren Zeus- 
tempel möglichst prächtig zu gestalten wünschten, die Giebel nicht einem 
Anfänger, sondern einem bereits erprobten Meister übertragen haben werden, 
wie ja in der That die Giebelsculptiu-en durchaus nicht den Charakter einer 
Schülerarbeit an sich tragen. Dass aber ein Künstler, der spätestens um 
die Mitte des 5. Jahrhunderts — wahrscheinlich schon um ein Beträchtliches 
früher — zu selbstständiger Eigenart herangereift war, später ein Schüler 
seines Altersgenossen Phidias werden oder als solcher gelten konnte, wird 
nicht leicht Jemandem glaubhaft erscheinen. Jener Alkamenes aber, cuim sunt 
opera Athenis complura in aedibus sacria (Plin. XXXVI, 16), ist ausdrücklich 
als Schüler des Phidias bezeichnet und es ist kein Zweifel , dass er eben 
diesen Tempel Widern seinen Ruhm verdankt. Von diesem Künstler aber 
wird man gewiss den Schöpfer der Dionysosstatue nicht trennen dürfen 
(was Koepp, Archäol. Jahrb. V, 278, zu thun geneigt scheint); er wird 
allein schon durch die Thatsache , dass er zahlreiche Cultbilder zu ver- 
fertigen in die Lage kam, in die Epoche des peleponnesischen Krieges ver- 
wiesen ; denn erst nach 440, erst nachdem das Heiligthum der Burggöttin 
in glanzvoller Weise neugestaltet worden war, konnte man darangehen, 
auch die Tempel der anderen Götter zu erneuen, und einen wie langen 
Zeitraum diese Regeneration der alten Tempel und Cultbilder in Anspruch 
nahm , das zeigt zur Genüge der Umstand , dass man erst um 421 den 
Neubau des wichtigen Erechtheusheiligthums beginnen konnte. 

Mag mau also die Nachricht des Pausanias, V 10, 8 als genügende 
Grundlage betrachten, um darauf die Existenz eines älteren Alkamenes 
zu gründen oder nicht : auf keinen Fall kann der Künstler des olympischen 
Westgiebels identisch sein mit dem gefeierten Bildhauer, der in der antiken 
Literatur als Alkamenes schlechtweg bezeichnet wird. Es ist also voll- 
kommen unerlaubt, jene olympischen Sculpturen einer kunstgeschichtlichen 



— 17 — 

Würdigung des Phidiasschülers Alkamenes zu Grunde legen zu wollen. 
Andererseits sind wir berechtigt und verpflichtet, alle Nachrichten, die 
schlechtweg von einem Alkamenes erzählen, zunächst auf den berühmten 
Phidiasschnler zu beziehen. Die von Lösch cke auf den älteren Alkamenes 
bezogenen biographischen Angaben bei Suidas v. J^kxainiviig und Tzetzes, 
Chil., Vni, 340 können hierbei umso eher aus dem Spiele bleiben, als sie 
allein ebensowenig eine ausreichende Stütze für die Annahme eines zweiten 
Alkamenes gewähren können^), wie die summarische Notiz des PI in ins 
XXXIV, 49, in der Alkamenes Ol. 83 als aemulus des Phidias bezeichnet 
wird.ä) Von den Kunstwerken aber, die unter dem Namen des Alkamenes 
überliefert sind, darf ohne ausdrücklichen Beweis keines dem Phidias- 
schfiler entzogen werden. Wenn Six (Journ. of hellen, stvd. X, 110 f.) jene 
Werke in zwei Gruppen geschieden und die eine dem jüngeren, die andere dem 
älteren Alkamenes zugewiesen hat, so kann es von vornherein kein günstiges 
Vorurtheil für diese Auftheilung erwecken, dass dabei auch der Dionysos 
dem älteren Künstler dieses Namens zugesprochen worden ist. Eine genaue 
Prüfung aber der Umstände, die sich für die Entstehung der einzelnen 
Werke des Alkamenes ermitteln lassen, wird, glaube ich, ergeben, dass 
bei keinem einzigen die Nothwendigkeit vorliegt, einen älteren, von dem 
Schöpfer der Dionysosstatue verschiedenen Künstler anzunehmen. 

Am meisten Raum zu Zweifeln lässt die Ueberlieferung bei der Hera 
des Alkamenes, die in einem Tempel zwischen Athen und Phalenm auf- 
gestellt war. Pausanias berichtet nämlich 1,6,3, dass angeblich jener 
Tempel durch Mardonios verbrannt worden sei - - Maqdovidv (p aa i v 
avröv ifiTTQfjaai — was er mit der Angabe, dass das Cultbild von Alka- 
menes verfertigt sei, nicht vereinbar findet. Lösch cke hat (Westl. Giebel- 
gruppe d. Zeustempels von Olympia, S. 8), da er als Thatsache betrachtet, 
dass der Tempel vor 460 zerstört worden sei, gefolgert, dass auch die Statue 
in vorpersischer Zeit, also von einem älteren Alkamenes verfertigt worden 
sein müsse, den er in dem Künstler des olympischen Westgiebels wieder- 
findet. Allein es muss — wenn wir uns die neuerdings von Koepp, Arch. 
Jahrb.. V, 272 dargelegten Thatsachen vor Augen halten — als durchaus 
unglaubhaft erscheinen, dass ein von Mardonios verbrannter Tempel nach 
dem Abzug der Perser weder hergestellt, noch durch einen Neubau ersetzt 
worden sein sollte. Wenn wir ferner uns gegenwärtig halten, wie zahlreich 
zur Zeit des Pausanias die Teuipelruinen auch in solchen Gegenden 
waren, wo die Perser nie einen Fuss hingesetzt haben (z. B. im Peloponnes), 
und wie häufig andererseits die Perser in jüngeren Legenden fälschlich 



*) Ueber die Unzuverlässigkeit dieser Nachrichten vergl. Förster, a. a. 0. 

') Vergl. im AUgemeinen über diese Olympiadentabellen Robert, Arch. Märchen, 38 f. 

Erano« Vindobonensls. 9 



— 18 — 

für die Zerstörung verfallener Tempel verantwortlich gemacht worden sind, 
so werden wir viehnehr der Ansicht beitreten müssen, dass auch jener 
Heratempel nicht durch Mardonios, sondern durch irgend ein Ereigniss 
späterer Zeit beschädigt worden sei, nachdem er in jener Periode regster 
Bauthätigkeit, die durch die Jahre 450 — 415 bezeichnet wird, wieder her- 
gestellt oder neu gebaut worden war. 

Für die Verfertigung des Cultbildes bleibt freilich auch unter dieser 
Voraussetzung ein so grosser Zeitraum oflFen, dass es unmöglich scheint, 
unter den Heratypen jener Epoche die Statue des Alkamenes ohne ander- 
weitige Kriterien herauszufinden. Petersen hat für sie den durch die 
capitolinische Statue, Salone Nr. 24 (Overbeck, Knnstmythologie. IH. 
Demeter. S. 461 , T. XIV, 20 und 13) und mehrere — allerdings nicht 
völlig übereinstimmende — Repliken vertretenen Typus in Anspruch 
genommen, der auch auf zwei athenischen Urkundenreliefs (Schöne, 
Griech. Reliefs, T.X, 54. Deltion archaiol. 1888, 124) wiederkelirt.^) Aber 
ich sehe nicht, warum man nicht beispielsweise dem von Puch stein, 
Arch. Jahrb., V, 91 gewürdigten Heratypus, der durch die vorzügliche 
Pergamener Figur im Berliner Museum imd das llrkundenrelief Friederichs- 
Wolters, 1162 (Arch. Zeit. XXXV, T. 15, l) vertreten ist, ebenso berech- 
tigten Anspruch auf die l'rheberschaft des Alkamenes zugestehen könnte, 
solange keine neuen Argmuente zur Entscheidung der Frage beigebracht 
werden. Den Vergleich mit der sogenannten Venus Genetrix kann ich 
auch, wenn die enge Zusammengehörigkeit der Köpfe für zweifellos 
gelten dürfte, umso weniger für beweisend halten, als die Autorschaft 
des Alkamenes auch für diese Venusfigur durchaus nicht als gesichert 
gelten darf. 

Bekanntlich hat zuerst Furtwängler (Rose her 's Lexikon der 
Mythol. I, 413) die Vemiuthung ausgesprochen, dass die sogenannte Venus 
Genetrix (Friederichs -Wolters, 1208) eine Copie der Aphrodite h 
•/,i]/cotg sei, und zahlreiche Fachgenossen haben ihm zugestimmt.^) Allein auch 
wenn wir bereit wären, zuzugeben, dass an der Genetrix der „Phidias'sche 
Stil in Proportionen, Brust, Gewand, Haar und besonders Gesicht unver- 
keinibar*^ sei. so müsste doch erst der Nachweis erbracht werden, dass für 



M Rom. Mittheil. d. Inst. IV, (55 f. Antike Denkmäler. I, 45 und S. 55. Vergl. Heibig, 
Führer durch die röm. Antikensammlungen, Nr. 297. 503. 

2) Reinach, Gaz, archeol. 1885, 91; vergl. XII (1882), 230 f. Wolters, Athen. 
Mittheil. d. d. Inst. XU, 325 flf. Conze, ebenda XIV, 199. Petersen, Röm. Mittheil. IV, 72. 
Antike Denkmäler. I, 45 zu T. 55. Widersprochen hat Winter, 50. Berliner Winckelmanns- 
programm, S. 118 f., der das Original der Statue um die Mitte des 5. Jahrhunderts oder 
noch etwas friiher ansetzen möchte. Vergl. auch H e 1 b i g, Führer durch die röm. Antiken- 
sammlungen. II, Nr. 908. 



— 19 — 

eine solche Statue aus der grossen Zahl der für die Phidias'sche Epoche 
literarisch bezeugton Aphroditefiguren gerade nur die „(iartenaphrodite*^ 
in Betracht kommen könne. Die Thatsache, dass einerseits die „Genetrix" 
in der Kaiserzeit vielfach copirt, andererseits die Aphrodite iv y,i]7C(ug von 
den römischen Kunstrichtem besonders hochgeschätzt worden ist, kann 
hierfür allein nicht ausreichen, wenn Bedenken anderer Art der Identification 
entgegenstehen. 

Jenes Tempelbild der Aphrodite iv nrjTcoig war doch gewiss, wie die 
bei dem Tempel aufgestellte Aphroditeherme, ein Bild der Aphrodite 
OvQavia (Pausan. I, 19, 2), ihr gilt das Opfer, das tfj OvQavi(f rij iv xfjTtoig 
gebracht wird (Luk. Dial. Meretr. 7, 1). Sollte der Schüler des Phidias 
ein Cttltbild dieser „himmlischen" Aphrodite, die als TtQeaßvTdrrj Moigiov 
(Pausan. I, 19, 2), als nqeaßuieQa (im Vergleiche zur Pandemos) xai ä^rjVcoQ, 
OvQavov d'vydvTjQ (Plat. SjTnpos. 8, p. 180 D) bezeichnet wird, wirklich in der 
anmuthig bewegten Art der Genetrix und nicht in feierlicherer Haltung, 
in mehr matronaler Gestalt gebildet haben, ähnlich etwa der Urania, die 
Phidias fiir die Eleer gearbeitet hatte, oder der Nemesis des Agorakritos? ') 
Mir ist die Vermuthung äusserst wahrscheinlich, dass die Aphrodite, mit 
der Alkamenes den Sieg über die später als Nemesis verwendete Figur 
des Agorakritos errungen haben soll (Plin. XXXVI, 17), eben jene in den 
Gärten aufgestellte Statue sei.-) Wenn die Geschichte, wie gewöhnlich 
angenommen wird *) , erfunden ist , dann ist sie nur ein umso stärkerer 
Ifeweis dafür, dass die beiden Gultbilder in ihrem (Jesammtcharakter und 
wohl auch in ihrer Typik einander verwandt waren. Dass aber die Genetrix 
keine Berührungspunkte mit einer Nemesis der phidiasischen Epoche hat, 
wird wohl allseits zugegeben werden. Auch Petersen ist geneigt (Rom. 
Mittheil. VII, 61), die Genetrixfigur für eine Göttin „leichteren Wesens" zu 
halten , aber er zieht daraus umgekehrt den Schluss , dass also auch die 
Statue iv xr^jcing, die ihm als Original der Genetrixfigur gilt, keine Urania 
gewesen sei. 

Leider fehlt für die Entstehungszeit jener Aphrodite des Alkamenes 
jeder Anhaltspunkt; nur dies eine wird man vennuthen dürfen, dass die 
Statue vor 415 und nach der Urania des Phidias verfertigt worden ist, 
denn es ist wahrscheinlich , dass die Athener erst das neben dem Markt 
gelegene Heiligthum der Göttin mit einem neuen Cultbild geschmückt haben 

') Der Priester Ovoaviag Ns^eoe cog, der einen Sitz im athenischen Theater halt« 
(CIA m, 289), ist wohl als Priester der athenischen Aphrodite Urania anzusehen (vergl. 
Prell er-Robert, Griech. Myth., S. 358). Der Cult der Nemesis in Rhamnus wird durch 
l'riesterinnen versehen. 

") Vergl. M n r r a y, Hisi. of gr. sctdptin'e II, 189 ; F u r t w ä n g 1 e r bei Röscher 1, 418. 

•) V. Wilamowitz, Antigonos v. Karystos. 10 f.; Robert, Arch. Märchen, 44. 



— 20 — 

werden, ehe sie daran dachten, auch im Heiligthum in den Gärten eine 
neue Cultstatue aufzustellen.^) 

Eine solche obere Zeitgrenze können wir auch für die Hekate des 
Alkamenes festsetzen ; denn die Annahme 2), dass das neue Bild der drei- 
gestaltigen Wegegöttin nach der Vollendung der neuen Propylaeen und 
des neuen Aufgangweges zur Burg . d. h. wohl bald nach 432 aufgestellt 
worden sei, hat die grösste Wahrscheinlichkeit für sich. 3) 

Dagegen entbehren wir völlig jedes Hilfsmittels, den Pentathlos des 
Alkamenes (Plin. XXXIV, 72) zu datiren. Zwar hat Kekule, Arch. Zeit., 
1866, S. 169, vorgeschlagen, den Diskobol der Sala della biga (Friede- 
richs- Wolters, 465; Heibig, Führer durch die röm. Antikensamm- 
lungen, 330), den er auf Grund stilistischer Merkmale als ein Werk des 
athenischen Künstlerkreises aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts 
überzeugend erwiesen hat, eben auf jene Bronzefigur des Alkamenes 
zurückzuführen, welcher die Ueberlieferung bei Plinius XXXIV, 72 den 
Namen Enkrinomenos beilegt; aber dieser Vermuthung scheint durch Klei ns 



*) LoUing C^t^va in, 1891, S. 601) nimmt an, dass Pausanias 1, 14, 7 irrthüm- 
licher Weise ein Heiligthnm der Aphrodite Pandemos der Aphrodite Urania zugesprochen 
habe und dass die dort erwähnte Statue des Phidias in Wirklichkeit nicht verschieden 
sei von der I, 19, 2 erwähnten Statue des AUcamenes in den Gärten, an die nach 
Plin. XXXYI, 16 Phidias die letzte Hand angelegt haben soUte. Ich vermag diesen scharf- 
sinnigen Combinationen nicht zu folgen, solange nicht durch unumstössliche Thatsachen 
erwiesen ist, dass wir in der athenischen Periegese des Pausanias so schreiende Iirthümer 
und leichtsinnige Verwechslungen vorauszusetzen berechtigt sind, ganz abgesehen davon, 
dass mir die Annahme, der in der Nähe des Theseion gefundene Altar der Aphrodite 
'Hyef4,6vrj xov di]fiov sei der Aphrodite IldvSrjfiog gehörig, nicht ohne Weiteres selbstver- 
ständlich scheint. Die Gremeinschaft der Chariten passt ebenso wohl zur Urania, wie der 
Fundort zu jenem von Pausanias beim Hephaistostempel erwähnten Heiligthum. Uebfr 
die Gründungszeit des HeiUgthums in den Gärten fehlt es an einer bestimmten Ueberliefe- 
rung. Wachsmuth, Stadt Athen I, 411 hat angenommen, Pausanias habe blos irrthüm- 
lich die Nachricht, dass das Heiligthum der Urania von Aigens gestiftet sei, von dem 
Heiligthum ev xrinoig auf das städtische Heiligthum übertragen, vergl. v. Wilamowitz, 
Ans Kydathen 158. Ich kann das nicht für zwingend halten. Dagegen liegt es natürlich 
nahe , für die Notiz über die Arrhephoren Pausan. I, 27, 3 eine Verwechslung der beiden 
Urania-Heiligthümer anzunehmen. 

*) Arch.-epigr. Mittheü. aus Oesterreich. V, 17 ff. Vergl. IV, 172. Röm. Mittheil. IV, 173 
(Petersen). 

') Die Gruppe von Prokne und Itys, Pausan. I, 24, 3, welche Michaelis, Athen. 
Mittheil. I, 304, wie ich trotz der Bedenken Sauer's (Aus der Anomia 109^) annehmen 
möchte, mit Recht in der Marmorgruppe, Arch. Zeit. 1859, T. 123, 3 (Le Bas Voy, arch^oL, 
Monum. fig.) T. 24, wiedererkannt hat, kann zwar, trotz ihrer massigen Arbeit, in das letzte 
Viertel des 5. Jahrhunderts gehören ; doch fehlt natürlich der Annahme jede Stütze , dass 
der Alkamenes , der nach Pausanias die Gruppe geweiht hat , eben der Künstler dieses 
Namens war. Ein anderer Alkamenes begegnet in der Namensliste gefallener Krieger 
CIA I, 447, Col. II, 7, 19 (aus den letzten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts). 



— 21 — 

pegen jene Ueberlieferung erhobene Einwände (Arch.-epigr. Mittheil. XIV, 9) 
der Boden entzogen zu sein. Mehr noch als die von Klein betonte 
Schwierigkeit, für das Wort eyvLqiveiv eine passende Erklärung zu finden, 
scheint mir gegen die Bezeichnung „Enkrinomenos" die Thatsache zu 
sprechen, dass der absolute Gebrauch eines Passivparticips des Präsens 
dem griechischen Sprachgeist sehr wenig geläufig gewesen zu sein scheint. 
Klein's Coniectur iyxQiSf^evog ist verführerisch, aber nicht zwingend; 
jedenfalls aber bedarf die von ihm hingeworfene Vermuthung, dass uns in 
dem das Oel auf die Hand giessenden Athleten der Münchener Glyptothek 
Nr. 165 (Friederichs- Wolters, 462) das gesuchte Werk des Alka- 
menes erhalten sei, noch sehr eines eingehenden Beweises. 

Etwas Sicheres glaube ich über den Hephaistos des Alkamenes 
ermitteln zu können. Es darf als ausgemacht gelten, dass diese bei Cicero 
de not, deor. I, 30 und bei Va 1er ins Maxim. VIII, 11, 3 so sehr gerühmte 
Statue nicht verschieden ist von dem Cultbild im Hephaistostempel , das 
nach Pausau. I, 19 den Gott mit Athena in einer Gruppe verbunden 
zeigte; diese Gruppe wiederum darf man mit Sicherheit in den Statuen 
wiedererkennen, über deren Herstellungskosten uns die Inschriften CIA. 
318. 319 aus den Jahren 424 — 420 v. Chr. berichten. Der ausführliche 
Nachweis hierfür soll an anderer Stelle gegeben werden; hier genügt es, 
darauf hinzuweisen , dass jene Statuengruppe Ol. 90, 4 (421/20) vollendet 
gewesen sein muss und dass die Athenestaiue der Villa Borghese (Sachs. 
Sitzungsber. XIII, 1861, T. 1 und 2; Heibig, Führer durch die röm. 
Antikensammlungen. II, Nr. 928), in der ich eine Replik jener mit Hephaistos 
verbundenen Athena erkennen zu dürfen glaube, wiederum engsten Anschluss 
an die ihrer Idee nach nächstver>vandten Werke des Phidias'schen Kreises 
- die Casseler Athena und die Athena des Parthenonfrieses — zeigt. 

In dieselbe Zeit aber, in welcher der Hephaistos entstanden ist, oder 
wenig später wird man auch den Asklepios setzen dürfen, den Alkamenes 
f ur Mantinea gearbeitet hat (Pausan. VIII, 9, 1). Man wird berechtigt sein, 
bei dem einzigen Werk, das der durch athenische Staatsaufträge so sehr 
beschäftigte Künstler für eine fremde Stadt verfertigt hat, nach einem 
besonderen Anlasse zu suchen; es hat daher schon K.O.Müller {De 
Phidiae vita et operihus, I, § 19) auf das Bündniss hingewiesen, das Mantinea 
im Jahre 420 mit Athen, Elis und Argos gesclilossen hat; in demselben 
oder einem der nächstfolgenden Jahre — 418 ist Mantinea schon wieder 
in der Gewalt Spartas — mag der athenische Künstler seinen Asklepios 
geschafien haben, was sich gut zu der Thatsache fügt, dass gerade im 
letzten Viertel des 5. Jahrhunderts der Asklepioscult von Epidauros aus 
weitere Verbreitung und erhr»htes Ansehen gewann. Was den Tyi)us dieses 
Asklepios betrifft , so wird man trotz der auflFallenden Ver>vandtschaft, 



— 22 — 

welche zwischen dem epidaurischen Asklepios des Thrasymedes ^) und der 
athenischen Goldelfenbeinstatuc des Dionysos unleugbar vorhanden ist, die 
Schöpfung des thronenden Asklepiostypus nicht auf Alkamenes selbst 
zurückführen dürfen , da dieser Typus auf Votivreliefs , wie es scheint, 
nicht vor der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts, d. h. nicht vor Thrasy- 
medes vorkommt; erst die gesteigerte Verehrung, die dem Heilgott in 
jener jüngeren Zeit zu Epidauros gezollt wurde, hat dazu geführt, ihn in 
zeusähnlicher Gestalt darzustellen. Alkamenes aber wird den Gott in 
weniger majestätischer Gestalt als aufrecht stehenden , bärtigen Mann 2), 
der nicht unähnlich den bärtigen Männern des Parthenonfrieses, bequem 
auf seinen Stab sich stützt , gebildet haben , wie ihn die ältesten Votiv- 
reliefs aus dem athenischen Asklepieion zeigen; vergl. vor Allem das 
schöne Relief, Athen. Mittheil. II, T. 15; Brunn-Bruckmann, Denkmäler 
ant. Sculptur, T. 34. Es ist sehr möglich, dass dieser Typus, der im Stand- 
motiv und in der Haltung der Arme mit dem Asklepios auf den athenischen 
Tetradrachmen des Menedemos und Epigenes (zwischen 186 und 147) überein- 
stimmt 3), auf die um 410 geschaffene Cultstatue im athenischen Asklepieion 
zurückgeht, die sehr wohl von Alkamenes selbst oder einem seiner Schüler 
herrühren kann. 

Endlich wird man auch den Ares des Alkamenes am wahrschein- 
lichsten dieser Epoche zuweisen dürfen; denn, wenn im Allgemeinen die 
Neuschöpfung der athenischen Tempel und Tempelbildcr erst in die zweite 
Hälfte des 5. Jahrhunderts tallt, so wird der Kriegsgott schwerlich der 
erste von den Göttern ausserhalb der Burg gewesen sein, dem die Athener 
ein neues Cultbild geweiht haben ; andererseits darf auch hier das Ende 
des Nikiasfriedens als eine untere Grenze erscheinen. 

Soweit also die unter dem Namen des Alkamenes überlieferten 
Werke sich zeitlich fixiren lassen, fallen sie alle innerhalb jener Zeit- 
periode, die wir oben für die Thätigkeit des Alkamenes, der den Dionysos 
verfertigt hat, zu erschliessen versucht haben. Die Annahme, dass der 
Künstler in der Zeit des Nikiasfriedens auf dem Höhepunkt seines Ansehens 
— und also wohl auch seines Könnens — stand, liess sich durch eine 

^) Vergl. die Reliefs Athen. Nationalmaseum, 173 and 174 (Eabbadias). Brunn- 
Bruckmann, Denkm. griech. und röm. Sculptur, T. 8, die Münzen bei Imhoof- Blumer 
und Gardner, I^umismatic Coinmeyitary on PausaniaSy GKjVII, L IIT. Numismatic chro- 
nicle, 1892, T. 1. 

^) Unbärtig war der chryselephantine Asklepios des Ealamis zu Sikyon. Pausan. 
II, 10, 3. 

^) Beul 6, Monnaies d*ÄthhieSj S. 332 f. Brit. Museum Cafalogue 0/ coifiSf Aitica, 
S. 63, T. XI, 6. Imhoof- Blumer und Gardner, Numism. comment. on Pausanias 
EE II — 4, S. 150. Vergl. verbeck, Griech. Plastik.^ 1,274. Einen etwas abweichenden 
Typus zeigen Münzen von Mantinea. Imhoof- Blum er und Gardner, XV, S. 93. 



— 23 — 

Reihe anderweitiger Erwägungen bekräftigen. Es hat in der That den 
Anschein, dass Alkamenes in den Jahrzehnten von 438 — 408 eine ähnliche 
leitende Stelle im künstlerischen Leben Athens eingenommen hat, wie vor- 
dem Phidias; insbesondere aber finden wir ihn fast an allen von Staats- 
wegen errichteten Bauten beschäftigt, so dass wir berechtigt sein werden, 
auch vor den erhaltenen Sculpturen jener Zeit, in erster Linie vor denen 
des sogenannten Theseion seinen Namen zu nennen. Neben ihm tritt 
Agorakritos auffälliger Weise in den Hintergrund, sei es, dass er wirklich, 
wie die pointirte Kunstgeschichte bei Plin. XXXVI, 17 berichtet, als Parier 
von den Athenern ungerechterweise hinter den Athener Alkamenes zurück- 
gesetzt w^orden ist. sei es, dass er, der Lieblingsschüler des Phidias. an 
Jahren älter war und daher früher seine küustlOTsehe Laufbahn abge- 
schlossen hat als sein Werkstattgenossc. Als derjenige, der in Athen das 
von Phidias begonnene Werk, die Neuschöpfung der Tempelbilder, fort- 
setzte, muss jedenfalls Alkamenes gelten. Nur im Zusammenhang mit 
Phidias kann die Stellung, die Alkamenes in der attischen Kunstgeschichte 
einnimmt, gewürdigt werden.^) In Phidias war den Griechen der Meister 
entstanden , der die Götterbilder im Sinne der neuen Weltanschauung 
um/usehaflfen. den neuen Idealen, die in dem gew altigen Ringen der Perser- 
zeit herangereift waren, würdige Gestalt zu geben vermochte. Aber eines 
Mannes Kraft und Lebenszeit reichte nicht aus, den ganzen Olymp umzu- 
gestalten. Als der Meister verschied, war nur ein kleiner Theil der Bauten, 
in denen die Athener ihren Göttern neue glänzendere Wohnsitze anzuweisen 
beschlossen hatten, vollendet. Aber er hatte einen würdigen Erben seiner 
Kunst in Alkamenes hinterlassen; ihm danken, wie es scheint, neben 
Dicmysos noch eine ganze Reihe Göttergestalten ihre künstlerische Wieder- 
geburt im Geiste des Phidias. Wenn ihm das Alterthum neben Phidias 
nur den zweiten Rang in der Verfertigung der Tempelbilder zuerkannt 
hat, so geschah dies wohl nicht, weil seine Werke nach Idee und Form 
geringer waren, sondern, weil schon einer vor ihm gelebt und die Bahnen 
gewiesen hatte, von denen ein Nachfolger nicht abweichen konnte, ohne 
das Kunstideal, das ihm mit jenem gemein war, preiszugeben. 

') Vergl. Brunn, Künstlergeschichte. I, 23i). 



Die mykenisclien Grabstelen 



▼on 



WOLFGANG REIGHEL 



Die Bedeutung des von Sehliemanii 1876 am Abhänge des Burg- 
berges von Mykenä aufgedeckten Gräberrundes ist namentlich in Bezug auf 
Pausanias II 16, 4 in letzterer Zeit mehrfach besprochen worden. 
Die Grabstelen aber, die sich theils innerhalb des sogenannten Platten- 
ringes in Bruchstücken zerstreut, theils noch ziemlich wohlerhalten über 
den Gräbern selbst befestigt vorfanden, haben noch keine genauere Unter- 
suchung erfahren. Am ausführlichsten behandelte sie C. Schuchhardt, 
der ihnen in seinem bekannten Buche „Schliemann's Ausgrabungen etc.", 
S. 199 — 209, ein eigenes Capitel widmete. Ihm verdanken wir die werth- 
volle Beobachtung, dass die sculpirten Stelen sich nur auf die Männer- 
leichen beziehen, während für die Frauen glatte Steine ohne Reliefschmuck 
verwendet waren. Im Uebrigen aber begnügt sich Schuchhardt, die 
vier besterhaltenen Stelen und zwei Bruchstücke nach den Schliemann- 
schen Abbildungen gegenständlich zu erläutern ; er glaubt auf den übrigen 
Bruchstücken nur Spiralornamente erhalten und fasst das Technische dieser 
Werke dahin zusammen, dass ihre Figuren und Ornamente nicht modellirt, 
sondern wie Laubsägearbeit auf einen Hintergnmd geklebt seien, wodurch 
sie gegen das plastisch behandelte Relief des Löwenthores erheblich zurück- 
ständen und für beträchtlich älter gelten müssten. Damit ist aber der 
Sache, wie ich glaube, keineswegs genug gethan. 

Die mykenisehe Sammlung bewahrt fünf fast vollständig erhaltene 
sculpirte Stelen und ausserdem noch 29 Fragmente von solchen. Unter 
den letzteren zeigen neun figürlichen Schmuck, die übrigen ornamentale 
Verzierungen. Ich habe mich bemüht, das Zusammengehörige zu vereinigen, 
war aber bei der Kleinheit der einzelnen Stücke nicht im Stande, das 
Vorhandene in vier weitere Stelen aufzutheilen , welche nach Schuch- 



— 25 — 

hardt's einleuchtender Feststellung der Anzahl von Männerleiehen zu 
envarten wären : nur eine neue Stele war so zu gewinnen. Sie setzt sieb 
aus drei Stücken zusammen und zeigt innerhalb des üblichen glatten 
Rahmens ein doppeltes Ornament vertical verbundener Voluten, die analog 
dem doppelten Bandgeschlinge der Stele Schliemann 142 = Schuch- 
hardt loo durch einen glatten Steg in der Mitte getrennt sind. Die 
Breite des Steges beträgt hier aber nur 0*05 Meter und die Stele ist unter 
den erhaltenen die schmälste, da ihre Gesaramtbreite 0'47 Meter misst, 
gegen 0*76 Meter der eben verglichenen, die die nächstschraälste ist. Ihre 
gegenwärtige Höhe beträgt ungefähr 1*2 Meter. Von den anderen Frag- 
menten werde ich hier nur die mit Figuren geschmückten auftuhren. Vor- 
erst aber ist zu den von Schliemann -Schuchhar dt publicirten 
Stelen Einiges nachzutragen. Dass die bisherigen Erläuterungen desselben 
nicht erschöpfend waren , liegt nicht sowohl an der schwierigen Erkenn- 
barkeit von Einzelheiten, als vielmehr daran, dass die Abbildungen ledig- 
lich nach Photographien hergestellt sind und daher die Glanzlichter der 
Photographien als Lücken der Darstellung behandeln, während die Steine auch 
an diesen Stellen so deutlich sind wie anderwärts. Die wichtigeren Stücke 
verdeutlichen Umrisszeichnungen , die ich vor den Originalen herstellte. 
Nr. 1.1) Fig. 1. Schliemann 24 = Schuchhardt 154. - Gegen- 
wärtige Höhe 112 Meter, Breite 123 Meter, Dicke 0145 Meter. — 
Innerhalb eines Rahmens von feinen Schlingomamenten ist in flachem 
Relief eine doppelte Darstellung angebracht, die nach unten von drei 
parallelen Rillen, die durch glatte Stege getrennt sind, abgeschlossen wird. 
Auf einem Streitwagen mit hoher Antyx, der von einem Hengste in 
gestrecktem Laufe gezogen wird, steht aufrecht die Figur eines Mannes, 
in der Linken den doppelten Zügel haltend, die Rechte an den Griff des 
Schwertes gelegt, das ihm zur Seite hängt. In Schliemann's Holz- 
schnitt sind am Kopfe des Mannes Haare angedeutet und ein Rest über 
dem Haupte könnte einen Helmbusch vorstellen. Gegenwärtig ist der Stein 
an dieser Stelle abge^tossen, so dass die Richtigkeit jener Zeichnung in 
diesem Punkte nicht mehr zu controliren ist. Unter dem Bauche des Pferdes 
liegt ein gerüsteter Krieger auf dem Rücken. Die Beine links sind mit 
den Zehen nach oben gerichtet und der Schild, der den KiJrper bis zum 
Halse verhüllt, ist correct in der Seitenansicht gezeichnet. Wie bei dem 



^) Die Nammem entsprechen denjenigen des Kataloges der mykenischen Sammlung, 
an dessen Abfassung ich arbeite. Die Stele Nr. 1 glaubte ich von den zwei anderen, die 
mit ihr vereint über dem fünften Grabe gefunden wurden, aus Gründen, die unten dar- 
gelegt werden, trennen zu sollen. — Nr. 2 ist die Stele mit dem Bandomament Schlie- 
mann 142 = Schuchhardt 155. — Nr. 3 die oben er^'ähnte neue mit den parallelen 
▼ertical verbundenen Voluten. 



ähnlichen Schilde des vierten Kriegers von linke aiil' der bekannten Dolch- 
klinge (Schnohhardt 237), sehe ich auf seinein unteren Halbkreise 
die Zacken einee grossen Sternes, also eine Art Sebildzeiehen eingeschnitten. 
Der Kopf des Gefallenen scheint, wenn ich die ihn durch£ichen<icn Ritz- 
hnien richtig verstehe, von einer HelnikapiMs hedeckt, die wohl von einem 
Busche überwallt wird. Schuehhardt allerdings hat diesen Bogen für 
die Homer des nnter dieser Scene von einem Löwen verfolgten „Stein- 
bocks" gehalten. .\ber abgesehen davon, dass Steinböcke keinen langen 
Sehweif haben, reicht der Bügel um den Kopf des Hannes bis /.n seinem 
Genick hernnter nnd ist von dem Contnr des Thieres getrennt. Die Hiirner 

des letztem glaube ich riel- 
melir als kurze eehwach- 

gcl)ogene Spitzen nach 
vonie gerichtet zu sehen, 
erkenne also eine Antilope 
derselben .\rt, wie sie auf 
einein Goldkästchen vom 
fünften < Jrabe (S c h 1 i e- 
ui n 47 1 — S c b n c b- 
h a r d t 275. nicht 274, das 
ist ein Hirsoli) und auf der 
Dolchklinge des vierten 
Grabes (S e h u c h li a r d t 
238) ebenfalls von Löwen 

gejagt ersciieinen. — 
Beiderseits der Haujitdar- 
stelluiig sind im Bildfelde 
^'*' '■ Fiillomaincnte angebracht. 

Links scheint sich eine Art Staudengewächs emporzuranken , die Dar- 
stellung rechts ähnelt einem imirahmten Fleehtwerk. 

Kr. 4. Fig. 2. Schlicmann 141 — Öchuchhardt 152. — Höhe 
225 Meter, Breite 102 Meter, Dicke 014 Meter. Innerhalb eines glatten 
Steinrahniens eine doppelte, durch einen Steg getheilfe Darstellung. Die 
untere zeigt zwei ineinander übergehende Kreise, die je mit einem ßand- 
geschliiige gefiillt sind. Oben wird von einem galoppirenden Hengste ein 
Streitwagen mit sehr niedrigem, viereckigem Kasten gezogen. Der Gegen- 
stand links von diesem Wagen ist als ein an demselben hängendes Schwert 
oder als eine Fortsetzung des Wagenkastens gedeutet worden. Ein Schwert 
in solcher Weise anzubringen wäre unerhört. Gegen die zweite Deutung 
ist einzuwenden, dass der Gegenstand nach hinten spitz, ausläuft; dass er 
nicht wie bei Schliemann-Schnehhardt mit dein Wagenkasten ver- 




— 27 — 

banden, eundern von ihm deutlich gelrennt ist (auch etwas tiefer sitzt als 
es da den Anschein hat); dass drittens bei einem doppelten Diphros das 
Rad nicht unter dem vorderen Theile wie hier, sondern in der Mitte 
zwischen beiden angebracht sein rousste (vergl. z. B. ein derartigcB fSefährte 
auf der kyprisclien Amphora bei Furtwängler-Lüschcke, Mykenische 
Vasen, Fig. 17). Ich halte das Ding, dessen Oberfläche stark Verstössen 
ist, fiir ein ungeschickt angebrachtes Fiillomaraent, wie sich ein ähnliches 
auch bei der Ktele Fig. 3 hinter dem Wagen Kndct. Auf dem Fahr- 
zenge steht vorgebeugt ein 
Mann , der mit der unförm- 
lich grossen linken Hand den 
Zügel führt. Gegen ilm scheint 
einFiiBs^nger rechts mit der 
Lan/.e zu stossen ; der Anaatz 
am Lanzenschafte über den 
Pferdeohren scheint seine 
vcrschroWn gehaltene linke 
Hand zu sein, (ilaublieher 
aber ist, dass die Lanze viel- 
mehr ihn durchbohrt, da sie 
auf seinem Leibe kein Relief 
hat und nach rechts hinter 
seinem Rücken in eine Spitze 
endet. Diese Auffassung em- 
pfiehlt sich auch deshalb, weil 
es sich in diesen Darstellungen 
sichtlich um eine Glorificirnng 
des Fahrenden handelt und ein 
Vorgang , der Zweifel über seinen Ansgang zulässt , dieser Absicht kaum 
entepräclie. Die Möglichkeit, dem Fahrenden die Lanze zuzutheilen, ergibt 
sieh aus der Darstellung des Fragmentes Nr. 13; HalUmg nnd Itewegimg 
des Geepiessten veranschaulicht beispielsweise die entsprechende Figur einer 
Kämptergruppe in den Reliefs von GjÖlbawhi Taf. XI A Ö. — 1,'iiter dem 
Bildfelde hat der Steinmetz ein schildartiges Ornament , wie es älinlicli 
Mykenä514, .'>17,.'7l8 in Gold wiederkehrt, roh eingeschnitten; in Schiie- 
mann's Abbildung ist das theilweise au8gebliel>en. 

Nr. ö. Fig. 3. Schiiemann 140 = Sehuchhardt 153. — Höhe 
1-38 Meter, Breite 106 Meter, Dicke 014 Meter. Wieder in glattem 
Rahmen durch eine Leiste gotheilt, zwei DarBtelhingen. Otien mehrere 
Reihen vertieal und horizontal verbundener .Spiralen. Unten in einem mit 
plumpen Ornamenten überfüllten Felde ein galoppirender Hengst vor einem 




— 28 — 

niedrigen Wagen, dessen Beendigung nach links sich der Steinmetz erspart 
hat. Ueber dem Wagenstuhle ist der Oberkörper eines bartlosen Mannes 
sichtbar, der mit der rechten Hand den Zügel hält und mit der Linken 
den Griff eines breiten Schwertes mit dickem Knaufe gefasst hat, das an 




Fig. 3. 

einem Riemen über seiner rechten Schulter hängt. Vor dem Pferde flieht 
ein nackter, wie es scheint, spitzbärtiger Feind, der ein breites Hauschwert 
in der Linken hält. Ob einige Ritzlinien über den Pferdeleib eine Gtirtung 
desselben andeuten sollen , ist mir ungewiss. Die Zeichnung zeigt, wie 
ich die Linien sehe. 

Nr. 6. Aus drei Stücken zusammengesetzt. Es fehlt die linke obere 
Hälfte und auch nach unten ein Stück. Jetzige Höhe 1'06 Meter, Breite 
0*955 Meter, Dicke 0'15 Meter. Die Darstellung ist auch hier doppelt und 
durch einen Steg getheilt. Oben wie bei Nr. 5 mit einander verbundene 
Spiralen, daninter innerhalb eines breiten Spiralenrahmens drei übereinander 
(gemeint ist wohl perspectivisch nebeneinander) galoppirende Pferde. Das 
obere Stück ist bei Schliemann 144 = Schuchhardt 157 wieder- 
gegeben. Letzterer sieht in der Darstellung zwei von einem Baume 
fressende Ziegen. Dass es Pferde sind hat schon Schliemann gesehen, 
der auch eines der beiden anderen Bruchstücke abbildete (Fig. 149), ohne 
die Zusammengehörigkeit zu erkennen. Dieses zweite Stück zeigt den 
Unterkörper des mittleren Pferdes und bis auf die Hinterfüsse die ganze 
Figur des untersten, daneben links einen Rest des Spiralenrandes. An 
dieses zweite Fragment schliesst nach rechts das dritte mit der Fortsetzung 
der absteigenden Spiralen. 

Nr. 7°, 7*. Zwei Bruchstücke. Das erste 0*37 Meter hoch, 041 Meter 
breit, 012 Meter dick 5 das zweite 044 Meter hoch, 026 Meter breit, 
0*12 Meter dick. 7** zeigt rechts ein Stück des glatten Doppelrahmens, 



— 29 — 

der durch eine Leiste horizontal getheilt war. Das obere Feld ist aber 
(wenigstens in der Höhe von 0*13 Meter, soweit es erhalten ist) ganz 
leer. In dem unteren das Vordertheil eines nach rechts galoppirenden 
Pferdes, durchaus identisch mit dem von Nr. 4. Doch steht diesmal rechts 
davon keine Figur, auch sehe ich keinen Zügel angegeben. — Auf 7* ein 
Stück der unteren Randleiste, darüber das Hinterbein des Pferdes. Ob es 
vor einen Wagen gespannt war, ist auch hier nicht zu sehen. 

Nr. 8*, 8\ 8*. Die Stele war mit einem mäanderartig gefalteten Bande, 
wie es auch Nr. 2 zeigt, umlaufend geschmückt und durch einen horizon- 
talen Steg wie sonst getheilt. Oben waren, nach 8*" zu schliessen, Spiralen 
aneinander gereiht. Von der unteren Darstellung ist wenig erhalten. 8* ist 
0*48 Meter hoch, 0*24 Meter breit und 012 Meter dick. Man sieht auf 
ihm einen menschlichen Arm, der ein breites Schwert zu schwingen scheint, 
darüber wohl eine Spirale als Füllomament. — 8* (abgebildet S ch He- 
rn an n 146) ist 0*30 Meter hoch, 0*38 Meter breit und gibt ein Stück 
des unteren Randes mit dem Hinterfusse eines galoppirenden Pferdes. Es 
wird sich also um eine Wagenfahrt handeln. 

Nr. 9. Ein Bruchstück, 029 Meter hoch, 040 Meter breit, 011 Meter 
dick. Erhalten ein Stück des linken spiralengeschmückten Rahmens, rechts 
davon zwei Drittel eines Rades, dicht darunter der Oberkörper eines 
Mannes, der in der Rechten ein Schwert hält und umzusinken scheint. 

Nr. 10. Ein Bruchstück, ungenau abgebildet bei Schliemann 143 = 
Schuchhardt 156. Höhe 038 Meter, Breite 029 Meter, Dicke 016 Meter. 
Erhalten ein Stück des linken glatten Doppelrahmens, rechts davon eine 
mit geknickten Beinen stehende männliche Figur, die die Rechte ohne 
Attribut vor die Brust hält und mit der Linken einen gebogenen Gegen- 
stand gefasst hält, der sicher kein Pferdeschweif ist, wie Schuchhardt 
meint. Ebensowenig kann es ein Wagenkasten sein: die Rundung nähert 
sich mehr der Kreisform als auf dem Holzschnitte und darunter ist leeres 
Feld. Auch ein runder Schild ist nicht wahrscheinlich. Kurz ich weiss 
die Sache so wenig zu deuten, wie den Rest, der über dem Haupte des 
Mannes sichtbar ist. 

Nr. 11. Bruchstück. Höhe 0*29 Meter, Breite 024 Meter, Dicke 017 Meter. 
Ein Stück des unteren glatten Randes, darüber die Unterbeine eines nach rechts 
laufenden Mannes (an Nr. 10 nicht anpassend), davor der Rest eines Rundes. 

Nr. 12. Bruchstück. Höhe 024 Meter, Breite 034 Meter , Dicke 016 Meter. 
Ein Theil des rechtsseitigen glatten Doppelrahmens, davor ein Kopf mit 
dem zu Schlag oder Stoss erhobenen rechten Arme einer Figur. Der Kopf 
hat so spitzen Gesichtswinkel, dass man ihn kaum einem Mensclien zutheilen 
mcichte ; Hals- und Schulterform schliessen aber eine andere Deutung aus. 
lieber dem Kopfe ein bogenförmiger unkenntlicher Rest. 



— 30 — 

Nr. 13. Rechte obere Ecke einer Stele. Höhe 0*42 Meter, Breite 
0*52 Meter, Dicke 0*155 Meter. Innerhalb eines glatten Doppelrahmens 
war eine Wagenfahrt sehr roh dargestellt. Erhalten ist das langgestreckte 
nach rechts laufende Pferd bis zum Ansätze der Hinterbeine, lieber seinen 
Hals und Rücken läuft der Zügel, darüber ist eine Lanze sichtbar, die 
von dem Wagenlenker ausging, ohne dass sie sich jedoch gegen eine Figur 
richten könnte, da das Bildfeld dicht vor dem Kopfe des Pferdes endet. 
Unmittelbar unter dessen Vorderhufe ein undeutlicher Rest. 

Man pflegt die mykenischen Grabstelen irrthümlich als eine einheit- 
liche Masse zu behandeln. Sie scheiden sich schon nach dem Materiale. 
Nr. 1 besteht aus einem weichen grauen Kalkstein, der aus der Umgegend 
von Mykenä stammt; Nr. 2 — 9 und sämmtliche hier nicht angeführten 
Bruchstücke sind aus gelblichem porösem Muschelkalk, demselben Steine, 
aus dem auch die Platten des Gräberringes bestehen und dessen Herkunft 
noch immer unbekannt ist. Nr. 10—13 sind aus einem Kalkstein, ähnlich 
dem von Nr. 1, aber dichter und von anderer Farbe: Nr. 12 ist röthlich, 
die anderen sind fast weiss. Ein weiterer Unterschied ergibt sich aus ihrer 
Technik. Bei der genannten Hauptmasse der Stelen ist der Stein tadellos 
geebnet, die Zeichnung der Figuren und Ornamente mit sicherer Hand 
etwa einen Centimeter tief eingeschnitten und der Grund umlier sorgfältig 
ausgehoben und geglättet. Die Wagenräder sind mit dem Zirkel vorgezogen, 
die doppelten Rahmenleisten, wie jede Einzelheit an den Spiralen und 
Bändern durch scharfkantige Furchen reinlich von einander getrennt. Von 
alledem geben freilich S c h 1 i e m a n n 's Abbildungen keine Vorstellung. — 
Dagegen ist Nr. 1 merkwürdig roh behandelt. Man kann heute noch sehen, 
dass der Stein vor seiner Bearbeitung nur oberflächlich geglättet war. 
Die Figuren sind mehr eingerissen als herausgeschnitten , der umgebende 
Hintergrund ist nur mit flüchtigen Meisselhieben bald mehr, bald weniger 
vertieft und nirgends geglättet. — Noch auffallender ist die Herstellung 
von Nr. 10 — 12. Sic haben die Glättlmg des Steines und das Schema der 
Figiu-en mit der ersten Grui)pe gemein, die Darstellungen sind aber über- 
haupt nicht mehr herausgehoben , sondern wie schlechtes reltpf eti creujr 
nur mit der Kante des Meisseis roh umzogen. Bei ihnen, noch mehr bei 
Nr. 13, kann man eigentlich überhaupt nicht mehr von Technik sprechen. 
Trotz der zweiten Stele, die in solcher Hinsicht die Stele 1 einzunehmen 
scheint, kann kein Zweifel sein, dass sie allein annähernd dem entspricht, 
was wir von einem in der Zeit der Schachtgräber entstandenen Werke 
dieser Art verlangen würden. Hier lebt etwas von der künstlerischen 
Eigenart dieser grossen Epoche. Figuren und Ornamente sind bei aller 
Flüchtigkeit mit der Sicherheit entworfen, wie sie sieh in einer Periode 



— 31 — 

intensiver organischer Kunstpflege einstellt. Inhaltlicli ist daran alles alt- 
inykeniseh, nicht nur das feine Rahmenornament, der Wagen mit seiner 
eigenthümlichen Antyx, sein Lenker in der flotten Haltung, der Todte in 
der charakteristischen Rüstung. Das Pferd hat seine regulären vier Beine 
und seinen ordentlichen, sogar geflochtenen Schweif; die Antilope ist zwar 
ziemlich missglückt, dafür ist der Löwe his auf die Öpecialität der steif 
gereckten Hinterbeine, ein echter Ver>vandter derer auf den Dolchklingen 
und (joldgefässen der Gräber. Und die Uebereinstimmung >\ird vielleicht 
noch grösser gewesen sein. Die Güte der Zeichnung bildet jetzt einen 
auffallenden Contrast zu der Vernachlässigung der Oberfläche des Steines. 
Dieser Mangel schwindet aber, wenn wir uns den schlechten Kalkstein 
mit einer feinen bemalten Stuckschichte überzogen denken, unter der seine 
Unebenheiten verschwanden und das, was wir heute sehen, dem Künstler 
nur als Gerippe diente zur Anbringung von Feinheiten , die sein Werk 
jenen seiner Zeitgenossen ebenbürtig machten. Anders steht es mit den 
übrigen Stelen. Auch sie werden ja wohl bemalt gewesen sein, obzwar 
schwerlich über einer Stuckschichte, aber die Plumpheit der zu Grunde 
liegenden Formen war sicher nicht zu überdecken. In ihnen steckt gar 
keine Ver^vandtschaft mit den Schachtgräberwerken. Zwar die Ornamente 
sind mykenisch , aber es sind aus dieser reichen Fonnenwelt die primi- 
tivsten, die man fast zeitlose nennen kann. Echten alten Eindruck macht 
noch am ehesten das gekritzelte Schildornament auf Stele 4 , aber auch 
dieses gibt in Wahrheit keinerlei Anhalt. J. Bö h lau hat in einem Auf- 
satze, Jahrb. H, S. 42, nachgewiesen, dass es noch auf den sogenannten 
frtihattischen Vasen Verwendung findet. Ebenso fenie stehen die Figuren. 
Das Schema der Schlachtfahrt ist beibehalten, aber Menschen und Thiere 
sind fast zu Carricaturen geworden. Auch der niedere Wagenkasten steht 
ausser Beziehung zu dem altmykenischen , wie wir ihn jetzt aus einem 
halben Dutzend von Darstellungen kennen. Für ihn fände sich die nächste 
Analogie auf attisclien Vasenbildeni der sogenannten Dipylonperiode ; wie 
da der Wagenlenker auf der Kante' des Wagenkastens zu stehen scheint, 
erblicken wir auch die Füsse des Fahrenden auf Nr. 4 ül)er dem Wagen- 
rande. Die Sauberkeit der Ausiührung kann hier nichts ausmachen , sie 
stellt die innere Kläglichkeit der Dinge in nur noch helleres Licht. Histo- 
risch können wir sie nur begreifen durch zufällige äussere Momente, dio 
uns zu Hilfe konmien. 

Auf diese und andere Beobachtungen gestützt, denke ich mir di(* 
Entwicklungsgeschichte der Gräberanlage zu Mykenä etwa folgendeniiassen. 
Die .Schachtgräber'' waren ursprünglich in dem Felsen unterhalb der 
Rampenmauer des Thorweges in drei Terrassen absteigend, unter freiem 
Himmel angelegt. Der Ort lag ausserhalb der eigentlichen Burg und war 



— 32 — 

daher in Friedenszeit verhältnissmässig abgesondert. Dass er aber schon 
in ältester Zeit von der allgemeinen Umfassungsmauer eingeschlossen war, 
wird wohl anzunehmen sein. Wenigstens scheinen mir die von Steffen, 
Karten von Mykenä, S. 30, 31, dafür vorgebrachten Gründe auch durch 
die neuesten Ausgrabungen nicht entkräftet.^) Dass die Gräber gruftartig 
in den Stein gehauen wurden , war wohl durch die localen Verhältnisse 
Mykenäs bedingt, denn die Ausmauerung der Grabwände mit Bruchsteinen, 
die bei solchen Grüften sinnlos ist, weist nach einer scharfsinnigen 
Bemerkung Dörpfeld's darauf hin, dass in den „ Schach tgräbeni" keine 
primäre Grabform vorliegt, sondern dass ihr Vorbild das Erdgrab war. 
Damit erkläre ich mir auch die den Leichen unterlegte Schichte von 
Kieselsteinen, die ursprünglich nur den Zweck haben konnte, die Körper 
vor der Feuchtigkeit des Bodens zu schützen, wie die Mauern vor der 
der Erdwände. Die Gräber waren in der bekannten Weise durch Stein- 
platten geschlossen und darüber vermuthlich je ein niederer Erdtumulus 
aufgeschüttet. Letzteres schliesse ich aus Schliemann's Angabe, dass 
in den Gräbern vielfach reine Erde gefunden wurde und das erste Grab 
sogar damit gefüllt war. Sie muss nach Einsturz der Deckplatten als die 
nächste über diesen liegende Schicht hineingekommen sein. Auf den 
Anschüttungen standen nun Grabstelen je nach Anzahl der darunter bei- 
gesetzten Leichen und über dem vierten Grabe stand ausser ihnen als 
gemeinschaftliche Cultstätte der Altar. 2) Die Stelen waren nach Westen 
gewendet, also von der Burg ab nach der Strasse, die, wie ich gegen 
Steffen anderwärts zeigen zu können hoflFe, hier dicht längs der Aussen- 
mauer zum grossen Thore, dem späteren Löwenthore, hinlief. Als solchen 
freiliegenden Friedhof denke ich mir die Gräberanlage auch nach Schliessung 
des letzten Grabes noch durch längere Zeit; für so lange, bis mit einem 
neuen Herrengeschlechte oder mit einer veränderten Weise des Todten- 
actes oder was immer als Ursache denkbar sein mag, eine neue Grabform, 
das Kuppelgrab, in Aufnahme kam. Als der Prachtbau des Löwenthores 
(wahrscheinlich doch an Stelle einer bereits bestehenden Thoranlage) auf- 
geführt wurde, der selbst eine nicht zu verkennende Verwandtschaft mit 
dem Dromos eines Kuppelgrabes zeigt, möglicherweise aber auch erst 

*) Nur der erste von Steffen's Gründen, dass, wenn man die Rampenmauer als 
älteste Bargmauer nähme, die beschildete linke Seite der Angreifer ihr zugekehrt gewesen 
wäre, ist hinfällig wie alles, was er aus diesem Gesichtspunkte an der Festungsanlage von 
Mykenä zu tadeln findet. In der mykenischen Zeit gibt es keine linke Schildseite. 

*) Dass ein ähnliches Bauwerk, wieesbei Schliemann Plan F = Schuchhardt 149 
abgebildet ist, wirklich vorgefunden wurde, bezeugen Stamatakis und der gegenwärtige 
Phylax der Burg, der bei den Ausgrabungen mitthätiger Zeuge war. Die genannte Abbildung 
davon ist aber werthlos. Sie wurde erst nach Zerstörung des Bauwerks auf Grund von 
Schliemann's Angaben hergestellt. 



— 33 — 

8päter, ^ng man daran, auch die alten Kiinigsgräber , soweit thunlieh, 
der neuen Crrabfonn anzunähern. Dazu höhte man zunächst mittelst einer 
Stützmauer und Erde den Felshang soweit auf, dass man einen horizon- 
talen Kreis herstellen konnte. Ihn mit einer Kuppel zu überwölben ver- 
bot der Festungscharakter der Burg^), einige herumgefülirte »Steinschichten 
hätten immer den Kindruck des Unfertigen gemacht, auch hätte eine 
solche unvollendete Mauer, der Witterungseinflüsse wegen, doch irgendwie 
abgedeckt werden müssen. So zog man eine nicht ganz mannsliohe Lehm- 
mauer und überkleidete sie mit Platten von feinem Muschelkalk, wo])ei 
man den Eingang nach dem Muster des Kuppelbaues mit der Andeutung 
von schmalen, aber tiefen Thürpfosten flankirte. Mit Steffen nehme ich 
an, dass man zugleich mit dieser Anlage die äussere Ringmauer aus 
Gründen der Communication längs derselben in der jetzt noch sichtbaren 
Weise hinausschob. Die Stelen , die unten auf den Cfräbern gestanden 
hatten, nahm man dabei mit herauf, mochte aber flnden, dass sie mit Aus- 
nahme von einer, für eine Neuaufstellung bereits zu vermorscht waren. 
So stellte man die eine (Nr. 1) wieder auf, alle anderen erneuerte man 
'jxm dem widerstandsfähigeren Material, das zur Herstellung des Platten- 
ringes gedient hatte. Den Stempel einer solchen raschen Arbeit, die zwar 
bis zu einem gewissen Grade handwerklich sauber, aber trotz allen Reich- 
thums an Ornamentik inhaltlich roh und leblos ist, trugen sie deutlich an 
sich. Es ist möglich , dass man sich hinsichtlich des Schemas der Orna- 
mentation im Allgemeinen nach den alten Mustern richtete; genaue ('opien 
anzunehmen, würde sich für diese Zeit von selbst verbieten. Die oben 
genannten Stücke dritter Kategorie können nur vor oder nach dieser 
E|)oehe ebenfalls als Ersatz für Verdorbenes hergestellt sein. 

Ich halte also <lie Hauptmasse der Grabstelen nicht nur nicht für 
beträchtlich älter als das Löwenthor, sondeni höchstens flir gleich alt. 
An sich betrachtet, würde, wie ich oben anzudeuten versuchte, kaum eine 
Schwierigkeit bestehen, sie um Jahrhunderte herabzurücken. 

Athen, Januar 1893. 

') Anderwärts, wo dieses HindemiKs nicht vorlag, hat man das gethan. So hat 
(Jh. Tsonntas nenestens in dem Knp|>elgrabe nördlich vom Löwenthor drei Schachtgräber 
gefanden. Auch sie lagen nicht im Centnim des Kreises, sondern an einem Punkte der 
I'feripberie beisammen. Das fügte man gewiss absichtlich so, um bei den Cnltushandlungen 
nicht auf die Gräber treten zu müssen. Daher gehört auch das Schachtgrab im Tholos zu 
Amyklä. Nicht hierher gehört das ebenfalls jüngst von Tsountas entdeckte Fraucngrab 
im Dromos des Kuppelgra1>es II. Dass man in vollendete Kuppclgräl)er nachträglich Schacht- 
gräber gegraben hätte, scheint mir ausgeschlossen. 



EranoB Vindoboneniiifl. 



Die olympische Altarperiegese des Pausanias 



von 



RUDOLF HEBERDEY 



Pausanias' Periegese von Olympia zerfällt in vier grosse Abschnitte, 
denen eine historische Einleitung (V 7, 6 — 9, 6) vorausgeschickt ist: der 
erste derselben (V 10, 1 — 20, 10) beschäftigt sich mit den Hauptbauwerken 
innerhalb der Altis und den in ihnen untergebrachten Weihgeschenken, 
der zweite (V 21, 1 — 27, 11) und dritte (VI 1, 1 — 18, 7) mit den frei in 
der Altis aufgestellten ävad-Tfjpiata und ävdQLdvteg (so vom Schriftsteller 
selbst geschieden V 21, 1 vergl. VI 1, 1), den Beschluss bilden die ausser- 
halb der Altis gelegenen Bauten (VI 20, 1 — 21, 3). 

Von dieser im Allgemeinen wohl festgehaltenen Eintheilung bildet 
eine auflTällige Ansnalmie die sogenannte „Altarperiegese", welche sich im 
Anschlüsse an den grossen Zeusaltar, der mit vollem Rechte unter den 
Bauwerken erscheint, in Cap. 14, 4 — 15, 11 zwischen diesen und die Be- 
schreibung des Heraion einschiebt. Es ist dies eine Aufzählung sämmt- 
licher Altäre Olympias nach der Reihenfolge, in welcher das allmonatliche 
Opfer von den Eleern an ihnen dargebracht wurde (V 14, 4 f.TtcmoXov&ijaei 
di i^oyog (xol zä ig avrobg rd^ei, xad^ ijv xiva ol 'Hkeloi d^eiv krtl tiov 
ßco^Mv vo^i^ovat, vergl. V 15, 10): ausdrücklich wird 14, 10 hervorgehoben, 
dass auf topographische Anordnung dabei Verzicht geleistet ist. Der Gegen- 
satz, in welchen die Altarperiegese dadurch zu den übrigen Theilen der 
Periegese tritt, nicht minder die scharfe Abgrenzung derselben nach oben 
und unten charakterisiren sie als einen dem ursprünglichen Plane fremden 
Einschub und lassen vermuthen, dass wir es mit einer Einlage aus einer 
literarischen Quelle zu thun haben. Diese Möglichkeit lä«st auch Gurlitt 
(S. 347 , vergl. S. 402) neben der anderen bestehen , dass das ganze Ver- 
zeichniss einem in Olympia aufgestellten officiellen Docuraente entnommen 
sei, während Kalkmann (S. 95 ff.) und Robert (Hermes XXin S. 430) 



— 35 — 

auf Contamination aus einer periegetischen und einer gacralen Quelle 
pchliessen. Eine Lösung der Frage wäre auch vom topographischen Ge- 
sichtspunkte erwünscht, weil die Altarperiegese vielfach Gebäude und 
Anlagen zur Orientirung benützt, über welche sich sonst bei Tansanias 
keinerlei Angaben finden. Die Annahme einer Contamination aus zwei 
Quellen ist an sich wenig wahrscheinlich und die dafür vorgebrachten 
Argumente scheinen mir durch Gurlitt (S. 399 flF.) im Wesentlichen wider- 
legt. Aber selbst wenn hie und da Nachträge aus anderen Quellen statt- 
gefunden haben sollten, so ist doch der Grundstock ein einheitlicher, seine 
primäre Quelle die Opferordnung und die Hauptfrage die, ob dieselbe von 
Pausanias direct oder durch literarische Vermittlung benützt worden ist. 
Zur Entscheidung derselben gehe ich aus von der zeitlich jüngsten 
Angabe, welche wir in dem ganzen Abschnitte vorfinden V 16, 1/2. (JWiaw 
de (vom iQyaaTtJQiov (DeiSiov) ävaavQexpavri aid-ig ig tyjv ^Jälrtv eariv 
anavTiyLQv tov yleioviSaiov. toSe ixtbg fxiv tov TteQißoXov xov leqov xb 
^iewvidaiov, tmv di iaoScjv TteTtoLrjfvai twv ig Tfjvuäkriv xarh vfjv Tto^rcixrpfy 
5 fionj Toig ftofXTievovaiv iaxiv bdog. Bekanntlich haben im Anschlüsse 
an diese Worte längere Zeit Meinungsverschiedenheiten über die Ansetzung 
von Leonidaion und Festthor bestanden: der Fund der Bauinschrift des 
ersteren (Treu, Ath. Mitth. 1888, S. 317 flF.) und die Auseinandersetzungen 
Dörpfeld's (a. a. 0. S. 327 flF.) über die Altismauer haben dieselben, wenig- 
gtens soweit unsere Stelle in Frage kommt, beseitigt. Nach den Dar- 
legungen des letzteren steht fest, dass die Altismauer, welche man bis 
dahin als die einzige betrachtet und in die makedonische Epoche versetzt 
hatte, erst aus den letzten Jahren des Nero stammt und eine ältere, besonders 
im Süden weniger ausgedehnte Umfriedung ersetzt hat. Die Feststrasse 
aber betritt, von Süden her der Ostfront des nunmehr als Leonidaion 
Mchergestellten Südwestbaues entlang verlaufend, die Altis durch das 
iSüdwestthor der römischen Mauer, biegt dann nach Osten um und behält 
von da ab parallel der sogenannten südlichen Terrassenmauer, in welcher 
Dörpfeld's Scharfsinn die ältere Altismauer erkannt hat, bis zu den 
Munmiiusbasen im Südosten eine westöstliche Richtung bei. Somit ist 
die Bezeichnung des Südwestthores als no^Ttixij iaodog gesichert und die 
Worte des Pausanias finden sich in vollem Einklänge mit dem Zustande 
»einer Zeit. So einleuchtend aber auch diese Folgerungen sein mögen, 
m befinden sie sich doch in Widerspruch mit anderen Angaben des 
Pausanias, auf welche jene Gelehrten sich stützten, die Festthor und 
Leonidaion im Osten der Altis suchen zu müssen glaubten. Da dieselben 
das Fundament unserer weiteren Untersuchung bilden werden, so mag eine 
kurze Darlegung, der Hauptsache nach im Anschlüsse an Dörpfeld, der 
diese Schwierigkeit wohl erkannt hat, gestattet sein. 

3* 



— 36 — 

Die TtofiTtixi] laodog wird von PauBanias noch zwei Male erwähnt 

V 15, 7 iaeKd-ovviDv di aid-ig diä r^g TtofiTtixrig ig ttjv I^Xtiv xik, und 
VI 20, 7 ioTC de ivvdg ti^g uäktemg %axa Tfjv nofiTtixrjv iaodov ^iTVTtoddfieiov 
AaXovfievov Saov TtXed-qov xmQtov, TteQuxoixevov &QLy}U(, Genauere Be- 

Tirachtung beider Stellen führt auf eine Ansetzung des Festthores im Süd- 
osten. V 15, 7 gehört noch der Altarperiegese an: die im Vorausgehenden 
§ 5 und 6 genannten Altäre liegen an den Zugängen und im Inneren der 
atpeatg und des Ifißolog des Hippodroms, also (vergl. VI 20, 10) süd- 
östlich ausserhalb der Altis, die mit den ausgeschriebenen Worten ein- 
geführten ßü}/dol dagegen in der Altis OTviad-ev tov ^H^alov im Nordwesten. 
In den Eingangsworten kann also nur die Absicht verfolgt sein, den Be- 
sucher von Olympia auf dem kürzesten Wege nach dem genannten Ziele 
zu führen. Dieser Anforderung entspricht nur ein Thor im Südosten, in 
keiner Weise aber das am entgegengesetzten Ende der Altis gelegene 
Südwestthor. 

Nicht so einfach ist es, an der zweiten Stelle zu einem bestimmten 
Resultate zu gelangen. Der Anfang des Capitels ist den auf dem Kronion, 
also im Nordosten der Altis gelegenen Heiligthümem , der Rest von § 4 
ab den Anlagen im Osten, Stadion und Hippodrom, gewidmet. Da- 
zwischen schiebt sich die Beschreibung des in der Mtis gelegenen 
Hippodameion ein, für welches xorrA ti)v TtofÄTttx^v toodov als nähere 
topographische Bestimmung beigefügt ist. Die Ausgrabungen haben für 
dasselbe keinerlei Anhaltspunkte geliefert : indess spricht schon der in der 
Aufzählung ihm angewiesene Platz entschieden für den Nordosten, mehr 
noch die bereits von Dörpfeld hervorgehobene Thatsache, dass ein 
Raum von der erforderlichen Ausdehnung nur im Osten verfügbar ist. ') 
Ebendahin führt auch die zweite Erwähnung des Hippodameion bei Pau- 
sanias V 22, 2. Wir befinden uns (V 22, 1 Motl de ßwfAÖg iv rrj ^mItbi t?;$ 
iaoSov Ttlrfiov r^g äyovarig ig tö axddiov) beim Stadioneingang im Nord- 
osten : daran schliesst der Perieget mit den Worten na^ä de tö ^iTtTtoSdfieiov 
das von Myron für die Apolloniaten gearbeitete Anathem. Unglücklicher- 
weise hat gerade in diesem Theile der Altis die Herstellung des Glacis 
für die byzantinische Festung alle Spuren aus antiker Zeit veniichtet; 
indes zeigt doch der nächste feste Punkt, die iaoSog ig zb ßovlevrrjQiov 

V 28, 1, dass die Perie^ese bis dahin sich im Osten gehalten hat. Alles 



') Flasch's Versuch, Reste des Hipi)odameion in dem hinter den Basen des Maecilius 
Rufus etc. aufgefundenen „schlechten, aus Architekturtheilen und Inschriftblöcken zusammen- 
geflickten Gemäuer" (Ausgrabungen IV zu Taf. V S. 9) zu erkennen, ist durch Dörpfeld's 
Nachweis, dass diese Weihgeschenke längs der Feststrasse aufgestellt waren und diesem 
Umstände ihre Anordnung verdanken, hinfällig geworden, abgesehen davon, dass auch hier 
der Raum nicht zureicht. 



— 37 — 

also, wa» wir vom Hippodameion wissen, spricht dafür, dasselbe im Osten 
anzusetzen; dann aber kann es xarii ttjv nofiTtixi^ iaodov nur genannt 
werden, wenn auch das Festthor im Osten gelegen war. 

Von zwei Seiten her gelangen wir so zu demselben Resultate : aller- 
dings steht dasselbe in schroffem Gegensatze zu den ausdrücklichen Worten 
des Periegeten V 15, 2. Dieser innere Widerspruch fordert eine Erklärung: 
die verschiedenen Möglichkeiten einer solchen hat bereits Dörpfeld 
{ a. a. 0. S. 335) aufgezählt. Da die Annahme einer Textverderbniss schon 
dadurch ausgeschlossen ist, dass verschiedene sachliche Erwägungen sich 
zu demselben Endresultate vereinigen, so bleibt für den, der alle peri- 
ogetischen Angaben des Pausanias auf eigene Erkundung zurückführen 
will, nur der eine Ausweg, welchen Dörpfeld a. a. 0. angedeutet hat. 
Nahe der Südostecke der römischen Altismauer liegt nämlich der soge- 
nannte römische Triumphbogen, den Dörpfeld einleuchtend richtig mit 
dem feierlichen Einzüge des Nero aus dem Hippodrom zusammengebracht 
hat. Dieser soll nun den Namen TtofXTtixr) ^aodog geführt und so zu den 
Angaben de« Periegeten, welche in den Osten der Altis weisen, Anlass 
«i^geben haben. Gegen diese Hypothese erheben sich aber sofort gewichtige 
Einwände. Vorbedingimg ist natürlich die Möglichkeit, den Bogen überhaupt 
als Tvo^TciTifj laodog zu bezeichnen: da nun aber die von Dörpfeld selbst 
nachge>viesene Feststrasse nicht durch ihn, sondern nördlich an ihm vorüber 
führt, sind wir zu der weiteren Annahme genöthigt, dass die Eleer gleich- 
zeitig mit der Erweiterung der Altis auch die uralte heilige Feststrasse 
radical verlegt hätten. Schon an sich ist dies recht unwahrscheinlich : weder 
in den Fundthatsachen, noch im Texte des Pausanias findet sich dafür der 
geringste Anhaltspunkt ; geradezu dagegen spricht aber die Anlage des Süd- 
westthores in der neuen Grenzmauer gerade an dem Punkte, wo die alte 
Feststrasse die Altis betreten musste. Andererseits ist der Bau des Triumph- 
bogens durch den Einzug des Kaisers genügend motivirt, und man wird 
zugeben müssen, dass es völlig dem Charakter des N e r o entsprach, einen 
solchen Prachtbau nur zu diesem Zwecke und nur für sich allein zu 
errichten. Aber selbst wenn man sich über diese 8chwer^viegenden Be- 
denken hinwegsetzen wollte, so stehen wir immer vor der unglaublichen 
Erscheinung, dass zur Zeit des Pausanias zugleich zwei Thore den Namen 
Tco^Tciyiij Saodog geführt haben müssen , von denen doch nur das eine, 
und dieses ausschliesslich (vergl. 15, 2 ^ jLiovri xrA.) für den Einzug 
der Festtheilnehmer benützt wurde, dass ferner der Autor selbst, ohne 
auch nur mit einem Worte dieser aufTälligen Thatsache zu gedenken, 
gerade das nicht mehr benützte zu orientirenden Beisätzen gebraucht, 
wo es ihm doch vor Allem auf Genauigkeit und Deutlichkeit ankommen 
nmsste. 



— 38 — 

Es wird genügen, diese Momente hervorgehoben zu liaben, um die 
Unhaltbarkeit dieses Erklärungsversuches, den übrigens auch Dörpfeld 
nur als Möglichkeit hingestellt hat, darzuthun. Immerhin fusst derselbe 
auf der richtigen Erkenntniss, dass nur der Nachweis eines Festthores im 
Südosten der Altis aus den aufgezeigten Schwierigkeiten herauszuhelfen 
vermag. Es entsteht somit die Frage, ob nicht ein anderer Eingang auf- 
zufinden sei, dem mit grösserem Rechte der Name TtofiTtixfi iaodog zuer- 
kannt werden kann. 

Ein solcher Eingang existirt in der That, besser gesagt, er existirte, 
so lange die Altis ihre Erweiterung noch nicht erfahren hatte. Wir haben 
bereits oben erwähnt, dass die Feststrasse sich von der Nordostecke 
des Leonidaion bis zu den Mummiusbasen verfolgen lässt; diese ganze 
Strecke liegt nun zwar innerhalb der erweiterten, aber ausserhalb der 
älteren Altis : daraus ergibt sich, dass in diese letztere die TcofXTvtxfj odbg 
irgendwo im Südosten eingetreten sein muss, am wahrscheinlichsten da, 
wo auch im Inneren des Bezirkes die Anordnung der Weihgeschenke, 
sowie die Führung einer Wasserleitung auf eine grössere Strasse schliessen 
lässt. Gerade in jener Gegend aber finden wir die ältere Altismauer durch- 
brochen, ebenda hat sich „im Norden des römischen Festthores in grösserer 
Tiefe" ein Estrich aufgefunden, dessen Beziehung auf eine ältere Thor- 
anlage ich sonach nicht mit Ausgrabungen, V S. 21, kurz von der Hand 
weisen möchte. Hier haben wir also eine Tro^Tci-Kfj iaodog, an welcher 
dieser Name Jahrhunderte lang haftete, an eben der Stelle, wo wir sie 
oben aus anderen Gründen vermuthen mussten. Gegen diese Lösung lässt 
sich auch der Einwand nicht mehr vorbringen, den wir gegen die Be- 
nennung des römischen Bogens als Festthor geltend machen mussten. 
Denn nunmehr handelt es sich gar nicht um zwei gleichzeitig bestehende 
TtofiTtmai iaodot — als der festliche Zug sich durch das Südwestthor 
bewegte, war das Südostthor als solches nicht mehr vorhanden — sondern 
um zwei Anlagen, von welchen die eine die andere ablöste und mit ihren 
Functionen auch den Namen überkam. Dagegen ergibt sich uns die 
TOchtige Folgerung, dass die Angaben des Pausanias an den oben ge- 
nannten Stellen nicht seiner eigenen Zeit entsprechen, also weder auf 
persönliclie Anschauung, noch auf mündliche Ueberlieferung zurückgeführt 
werden können — mit anderen Worten, dass uns eine ältere Quelle vor- 
liegt, welche die römische Altismauer noch nicht kennt. 

Ich verzichte darauf, die daraus für VI 20, 7 sich ergebenden 
Schlüsse zu ziehen, und beschränke mich hier blos auf die Altarperie- 
gese: bevor ich jedocli den angeregten Gesichtspunkt weiter verfolge, 
gilt es der eingangs angeführten Stelle V 15, 2 genaueres Augenmerk zu 
widmen. 



— 39 — 

Gar viel des Auffälligen findet sich in den wenigen Sätzen, welche 
den zweiten Abschnitt des 15. Capitels bilden. Ueber die Eingangs- 
worte ist bereits zur Genüge gesprochen: aber schon der Beisatz rj f^orrj 
TOig TcofiTtevovaiv iariv ödog muss einigermassen befremden. Wozu diese 
ausdräckliche Hervorhebung einer Thatsache, die sich im Grunde aus dem 
Namen selbst ergibt ? Immerhin mag man diese Worte als eine — freilich 
fiberflüssige — Erklärung der Benennung auffassen, oder >ielleicht einen 
Bezug auf die übrigen Eingänge in die Altis erkennen. Schlimmer steht 
es mit den folgenden Worten: roirro di ävÖQbg juiv rwv imywQuov iaviv 
ävd&Tjfia ^iewvidovy welche nach Ausweis der Weihinschrift (yfecovidrig 
yfeiüTov Nd^tog BTtoiriae xtL Treu, a. a. 0. S. 320) eine thatsächliche 
Unrichtigkeit enthalten. Eine Zeile weiter lesen wir: diiaTtpce de äyvtitv 
anb xrig iaöSov Tf^g noiiTcixfjg ' Tovg yccQ S^ vTtb ^D-qvaiMv %aXov^hovg 
GTtvüiTtovg dyviäg y,ai/)vaiv ol ^HXehn , eine Bereicherung antiker Dia- 
lektologie, wie sie kaum ihresgleichen haben dürfte. Die richtige Er- 
klärung ist bereits von Dörpfeld gefunden: die stattliche, über 10m 
breite Feststrasse führte mit vollem Rechte den Namen äyvtd und behielt 
denselben natürlich auch bei, als sie in ihrem nordöstlichen Theile durch 
die Erweiterung de^ Leonidaion fast auf die Hälfte ihrer Breite beschränkt 
worden war.^) Tansanias hörte in Olympia diese Bezeichnung, fand ihre 
Anwendung auf die zu seiner Zeit allerdings zu einem ziemlich schmalen 
Wege zusammengeschrumpfte Strasse auffällig und sucht nun in seiner 
Weise eine Erklärung zu geben. 

Allen diesen auffälligen Angaben ist das Eine gemeinsam, dass sie 
auf die Verhältnisse zur Zeit des Periegeten Bezug nehmen und aus diesen 
ungezwungen ihre Erklärung finden. Völlig klar liegt dies für den Beginn 
und Schluss des Abschnittes. Für die Behauptung, dass Leonides ein Eleer 
gewesen, ist wenigstens Treu zu demselben Resultate gelangt und auch 
Di eis' bestechende Vermuthung (bei Treu, a. a. 0. S. 325), H^iEIOI sei 
aus N^SI02 verlesen , lässt eine solche Erklärung zu , ja sie gewinnt 
durch dieselbe, da ein Verlesen der Inschrift um so leichter begreiflich 
wird , je weiter man sich von der Zeit der Anbringung entfernt und je 
mehr die allmählich fortschreitende Zerstörung der Buchstaben die Lesung 
erschwert. 2) Damit steht in bestem Einklänge, dass auch die einzige noch cr- 



*) Die Erhaltung des Namens, auch nachdem er durch die römischen Neubauten 
unzutreffend geworden war, bildet ein weiteres Argument gegen die Annahme einer Ver- 
legung der Feststrasse. 

*) An sich erscheint mir noch immer Treu's Vermuthung wahrscheinlicher, dass 
bereits zu Pausanias' Zeit die Inschrift mit dem Kalkputze bedeckt war, der sie auch den 
Augen der Jetztzeit anfänglich verbarg, und der Perieget nur die örtliche Ueberlieferung 
wiedergibt. Sicherlich steht dieser Verputz mit dem römischen Neubau der ganzen Anlage 



— 40 — 

übrigende thatsächliclie Bemerkung xax if^i di ig avzb ^PO)fJLaimv ia<itxi^ovuo 
Ol TTjv ^EXkdda iTticQOTcevovreg ausdriicklich auf die Zeit des Periegeten 
Rücksicht nimmt. Dadurch charakterisirt sich dieser Abschnitt als durchaus 
eigenes Gut de» Pausauias, welches ganz und gar auf mündlicher Ueber- 
liefenmg, beziehungsweise eigener Anschauung berulit. 

Es könnte scheinen, als ob diese Behauptung dem oben gewonnenen 
Ergebnisse, dass für die Altarperiegese eine ältere Quellenschrift als Grund- 
lage vorauszusetzen sei, widerspreche: dass gerade das Gegentheil der 
Fall ist, lehrt eine Betrachtung der Stellung des Paragraphen innerhalb 
des ganzen Abschnittes. Die handschriftliche Ueberlieferung des Schlusses 
von § 1 und des Beginnes von § 2 hat lange Anstoss erregt: nach ver- 
scliiedenen Versuchen durch Coniectur abzuhelfen, haben Hitzig (Festschrift 
des philol. Kränzchens in Zürich zur Philologen Versammlung 1887, S. 72) und 
Kern (De Orphei, Eptmenidts, Pherecydis theogoniis quaesU. crüt. thes, YH) 
die L()sung des Räthsels gefunden, indem sie § 2 als Parenthese erkannten, 
so dass der unterbrochene Satz § 1 tin. ianv dnavTiAQv tov ^ieiovidaiov 
in § 8 ftxTi di iv rfj ^Jikiei tov ^ieiovidaiov neqav^) (n^iivai) (AeXkoni 
ig dQiazEQav xtL wiederaufgenommen wird. Nur einen kleinen Schritt weiter 
bedeutet es, wenn ich §. 2 nicht niur stilistisch, sondeni auch sachlich als 
TtaQev&eaig des Pausanias in ein ihm vorliegendes zusammenhängendes 
Ganze betrachte. Nicht nur wird aber dann die stilistische Unform leichter 
begreiflich, es erklärt sich nun auch, warum gerade in diesem Abschnitte 
sich blos Angaben aus der Zeit des Periegeten finden, und mit einem 
Schlage schwinden auch die Bedenken, welche die Doppelexistenz der 
TtofATtcxf) iaodog noch bereiten könnte. Indem Pausanias einerseits eine 
ältere Vorlage ausschreibt und so unvermerkt 2) auch die ältere tvo^tcltl^ 
iaoöog mit herübemimmt, andererseits aus Eigenem eine Reihe von Notizen 
einfügt , schaflt er den Widerspruch in seinen Angaben , den wir oben zu 
präcisiren versucht haben. Gerade der Umstand aber, dass sich diese 
Stelle oline Zwang fast von selbst ausscheidet, die yrofi^tixf) laodog im 



in Verbindang : für diesen aber lässt sich keine bessere Veranlassung ausfindig machen, als 
die Einrichtung derselben als Absteigequartier der Statthalter. Da diese jedenfaUs lange 
vor Pausanias anzusetzen ist, war für die Ausbildung einer dem Localpatriotismus g^änstig^n 
Tradition genügend Zeit (faUs man nicht, was gar nicht so unwahrscheinlich, das ganze 
als Autoschediasma des Periegeten auffassen will). Indessen haben Restaurationen nach- 
weislich zu verschiedenen Zeiten an dem Grebäude stattgefunden, die Inschrift kann also 
auch zu Pausanias' Zeit noch sichtbar gewesen sein. 

*) lieber die HersteUung dieser Worte s. u. S. 41. 

') Fast möchte man indes geneigt sein, den Zusatz tj juovtj xtX. auf ein dunkles 
Bewusstsein dieses Widerspruches zurückzuführen, und aus dem Bestreben des Autors zu 
erklären, da er sich schon nicht im Stande fühlte, über den wahren Sachverhalt in's Reine 
zu kommen und die nöthigen Correcturen vorzunehmen, doch wenigstens den That bestand 
zu seiner Zeit energisch hervorzuheben. 



— 41 — 

Osten dagegen, das Kennzeichen der älteren Quelle, in der Altarperiegese 
festsitzt, liefert den besten Beweis für die Richtigkeit unserer oben auf- 
gestellten Hypothese. Als untere Zeitgrenze für die Abfassung und als 
charakteristisches Merkmal der für die Altarperiegese vorausgesetzten 
Quellenschrift erscheint demnach die Thatsache, dass sie die Erweiterung 
der Altis um die Mitte des I. Jahrhunderts n. Chr. noch nicht kennt. 

Versuchen wir nun mit Hilfe dieses Kriteriums weitere Bestätigungen 
unserer Ansicht zu finden, so bietet der erste Abschnitt der Altarperiegese 
(14, 4 — 10) keinerlei Anhaltspunkte : er bewegt sich, wie die vorkommenden 
Ortsbezeichnuugen zeigen, ganz innerhalb der Altis in dem nördlichen Theile 
derselben.^) Ausserhalb der Altis finden wir uns zum ersten Male 15, 1. fort de 
oixrjfÄa i'Azbg Tljg ^Jälrecjg: dieser Umstand wird auch ausdrücklich hervor- 
gehoben, ebenso wie der Wiedereintritt in die Altis STciao) de dvaavQe- 
tfHxvTi aix^ig ig Ttjv l^ltiv. Weitere Schlüsse zu ziehen, mangelt jeder 
Anlass, da im Westen der Altis jüngere und ältere ftrenzmauem nahezu 
zusammenfallen. Im Folgenden glaube ich trotz Robert die Lesung 
Hitzigs a. a. 0. annehmen zu müssen: weniger das OTta^ Xeyofievov 
Tteqäv, als die Nothwendigkeit, ein dem dnavrrKQv § 1 entsprechendes Glied 
auch in § 3 herzustellen , scheint mir für die Annahme einer Lücke — 
falls nicht etwas an ^eXlovti zu ändern ist — entscheidend. Für die 
.\n8etzung der in diesem Paragrai)hen aufgezählten Altäre ist es von' 
Wichtigkeit, sich darüber klar zu werden, an welcher Stelle der Wieder- 
eintritt in die Altis gedacht ist. Die Entscheidung ist nicht schwer: da 
als Ortsbestimmung dTcavuxQv (jteqav) tov yfecoviöaiov gegeben wird, so 
kann nur an das kleine Thor, welches in der älteren Altismauer sich 
ganz nahe der Südwestecke findet, gedacht sein : ebenda findet sich auch 
ein Altar, den ich nicht anstehe, als den der Aphrodite in Anspruch zu 
nehmen.^) ^Eg ägiavegäv ist dann natürlich vom Leonidaion zu verstehen; 

*) Allerdings hat Curtiu8 (Altäre von Olympia, S. 25 f.) gemeint, die § 10 genannten 
Ijocalitäten, Gaios und Stomion, in dem nördlich der byzantinischen Kirche ausserhalb der 
Altis gelegenen Gtebände wiedererkennen zu sollen: indess scheinen mir die Erwägungen, 
welche ihn zu dieser Ansetzung geführt haben, nicht durchschlagend. Man begreift nicht recht, 
warum gerade der Altar der (oder des) Heroen innerhalb des Graios selbst angebracht sein soll, 
während der der Ge ausserhalb sich befand. Auch scheint das Opfer an die Heroen neben 
dem Steinring viel eher auf eine Form des heroisirenden Ahnencultus zu deuten, wie sie in 
Mykenae mit seinem Plattenring über den Schachtgnräbem die entsprechendste ParaUele 
findet. Beachtung verdient endlich auch, dass sonst in der Altarperiegese stets angemerkt 
wird, wenn ein Altar oder eine Gruppe von solchen ausserhalb der Altis zu suchen sind 
(die Belege werden unten zur Sprache kommen): wenn dies hier nicht geschieht, so wird 
man diesen Umstand bis auf Weiteres noch als Argument für die Ansetzung von Oaios und 
Stomion im Inneren der Altis verwerten dtirfen. 

') So hat auch Dörpfeld schon seit Jahren denselben gelegentlich der alljährlich 
von ihm in Olympia gehaltenen Vorträge bezeichnet. Cur t ins (a. a. 0. S. 26) hält ihn 



— 42 — 

zwar hat dasselbe, als quadratisches Gebäude, das rings von Säulen um- 
geben war, keine eigentliche Front, doch versteht sich von selbst, dass, 
wenn von einer Hauptseite die Rede sein soll, nur an die der Feststrasse 
zugekehrte gedacht werden kann. Dem ig ägiaTegäv entspricht auch ganz 
logisch iv de^i^ §4, ersteres weist nach Norden, letzteres nach Süden; 
dazu stimmt vorzüglich , dass der letzte der § 3 genannten Altäre Ttazä 
TÖv OTtiad-odofAüv fidkiava genannt wird. Weiter lesen wir fort ff ixt h- 
zdg zfig *JilT€iog : da wir bisher in der Altis uns befanden, ist anscheinend 
Alles in bester Ordnung; stutzig macht der Beisatz iv de^i^ de tov 
uiEwvidaiov — denn was so gelegen ist, kann zum Mindesten tiir die 
Quelle des Tansanias nicht hxbg trig *Jilv€(og sein. FahFcn wir einst- 
weilen weiter fort, so haben wir nach Ici ivrbg zfig udXrewg auch die 
weiterhin aufgeführten Altäre in der Altis zu suchen. Da die TtQoedQia bis 
jetzt noch nicht sicher anzusetzen gelungen ist, vermag ihre Erwähnung 
§ 4 nicht zu entscheiden. Auch die § 5 mit iovri di ini ttjv äg)€aiv twv 
'iTtTvwv eingeleitete Reihe vermöchte man sich noch innerhalb des heiligen 
Bezirkes zu denken, dagegen treten wir mit §5 tv de twv Innwv Ttj 
ä(peaeL völlig aus dem Bereiche der älteren wie der jüngeren Altis heraus 
und bleiben es, bis § 7 der Wiedereintritt ausdrücklich vermerkt wird: 
iael&t'tvTwv de avd-ig diä rfig no^TtvKrig ig ttjv ^Jälriv. Es muss befremden, 
dass wir über den Zeitpunkt, in welchem die Periegese die Altis verlässt, 
so völlig im Unklaren bleiben ; da femer, wie die Erwähnung der älteren 
TcofXTtix^ iaodog beweist, diese Worte sicherlich der alten Quelle angehören, 
sind wir völlig berechtigt, eine dem eaeXd^ovnav tlvL entsprechende Notiz 
im Früheren unbedingt vorauszisetzen ; fraglidi bleibt nur, wo wir die- 
selbe vorauszusetzen haben. Hier kommt uns der von ganz anderem 
Gesichtspunkte aus schlagend richtig geführte Nachweis Robert's zu 
statten (Herme« XXHI, S. 429) , dass , da die ayogaloi d^eoi ihren Platz 
auf der äyogä haben, diese aber unmöglich innerhalb der Altis gedacht 
werden kann, das ivrog § 4 unrichtig sein muss. Bereits oben wurde 
darauf hingewiesen, dass die beiden Bestimmungen ivrbg r^g ^Jäkrewg 
und iv de^i^ roO uieiavidaiov sich schwer vereinigen lassen ; auch an sich 
ist der Beisatz iwbg trig ^SiXxewg auffällig, da wir ja den heiligen Bezirk 
nicht verlassen haben. Setzen wir also mit Robert i'ATbg ein, so ist 
.wenigstens für die ältere Altarperiegcsc und damit auch für die Opfer- 
ordnung selbst, Alles in bester Ordnung ; sie wendet sich an der Südwest- 



für den kurz darauf genannten N3rmphenaltar ; aber weder ist die Bezeichnung xaxa tov 
omo^oöofiov dann zutreffend, noch ist es nothwendig zur Erhaltung eines Oelbaumes adf 
dem fruchtbaren Boden der Altis künstlicher Wasserzufluss vorauszusetzen. Zudem bleibt 
so kaum ausreichend Platz für die jedenfalls zwischen Südwestecke und Nymphenaltar 
unterzubringenden ßco/ioi der Aphrodite und der Musen. 



— 43 — 

ecke, der Mauer zunächst, nach links zu den Altären der Aphrodite etc., 
sodann nach rechts auf die Agora — welche wir darnach in dem Räume 
zwischen Leonidaion und Buleuterion anzusetzen haben — verfolgt sodann 
die Feststrasse bis zum Hippodrom, um nach dessen Erledigung durch 
das Festthor in den Nordwesten der Altis zurückzukehren. In der V^orlage 
des Pansanias stand also sicherlich iurbg zfjg 'Jälreug; anders freilich 
steht die Sache, wenn wir den Ausschreiber und Ucberarbeiter selbst in 
Betracht ziehen. Ist unsere Auffassung des Ganges der Opferordnung und 
der Lage der Agora richtig, so ergibt sich, dass durch die römische 
Erweiterung ein Stück des Marktes in die Altis einbezogen wurde ; nichts 
hindert, einen oder auch mehrere der Marktaltäre in diesem Theile zu 
denken — die Nachbarschaft der Feststrasse lässt diese Annahme nur 
glaublicher erscheinen. Dann war der Perieget in vollem Rechte, wenn er 
das ixTÖg der Vorlage, den Verhältnissen seiner Zeit entsprechend, in ivcög 
corrigirte. So erklärt sich auch das^^r^ ungezwungen als polemische Bezug- 
nahme auf die Quelle , ähnlich wie wir § 2 /) fiovrj atL zu verstehen 
gesucht haben; setzt man mit Robert sKTÖg ein, so bleibt hi stets eine 
Schwierigkeit, da der Autor doch nach einer Reihe ivfdg vrjg ^JdkTecjg 
genannter Altäre logischerweise nicht mit einem noch ausserhalb, 
sondern nur mit einem schon ausserhalb fortfahren kann. 

In anderer Weise, aber ebenso deutlich, verräth sich Benützung einer 
Vorlage in § 7 xbv piev dr) Ttaqä ^Hleioig &€q,uiov 'Aal avnf) fioi rtaqi- 
axato eixdCeiVy (hg xarä ^^zd-ida yXioaaav et'ij GeofÄiog (diese richtige 
Beobachtung seiner Quelle hat Pausanias wohl auf die Einkleidung seiner 
eigenen absonderlichen Weisheit über äyvid und arevwTtog gebracht), dvd-* 
Stov de uigre^tv kTcovofjtdZovai Koxxdßxav, ovx oid te fjv fxoi didax- 
&^vai. Wir lernen hieraus, dass die Quelle des Periegeten sich auch auf 
Erläuterung der Götterbeinamen einlies«, und werden daher Stellen wie 
14, 5 (Hd-rivä ^Eqydvri), 46 (Zeig ^Jägeiog), § 7 (Z, KeqavvLog), § 9 ('Hqo- 
'Aliig), § 10 (Tri und Fdlog), 15, 3 (KalhaTeg)avoLj, § 5 (MoiQayevag), und 
wohl auch die verwandten 14, 6 (Mlcpelog - udQre^ig) , § 8 (^^Ttokkwv- 
^Eqfjirig), 15, 4 (Jeanoiva) , 14, 7 ("Idag - üxeoidag), § 9 (KaiQog) zur 
Charakterisirung derselben heranziehen dürfen. 

Noch einmal lässt sich im Folgenden ein Einschub des Pausanias 
nachweisen : § 8 heisst es vom Prytaneion TteTtoirjTai Tcaqä t^v SSodov, 
i'- ioTL Tov yvfivaaiov Tceqav, Nun findet sich zwar in der römischen Mauer 
das der TtofATtix^ gleichartige Nordwestthor, dagegen fehlt in dem Mauer- 
zuge, den wir w^en seines Zusammenhanges mit der „S. Terrassenmauer" 
für die ältere Grenzmauer halten müssen, jede Andeutung eines Ausganges 
an dieser Stelle. Diese Bestimmung kann also der Quelle des Pausanias 
nicht angehören, dagegen entspricht sie ganz der Lage der Dinge, welche 



— 44 — 

der Perieget selbst in OljTnpia vorfand. Dazu kommt ein Weiteres : wo 
die Altarperiegese nach Gebäuden oder Anlagen orientirt, werden diese 
fast ausnahmslos blos mit Namen genannt, ihre Lage und, was sonst 
wissenswert erscheinen könnte, als bekannt vorausgesetzt. Wir werden 
daraus den Schluss ziehen dürfen, dass solche Erläuterungen ausserhalb des 
Planes der Quellenschrift gelegen waren, mit anderen Worten, dass sie nicht 
einen eigentlich periegetischen Zweck verfolgt, oder doch nur insoweit, 
als der unmittelbare Gegenstand, die Altäre Olympias, in Betracht kommt. 
Eine Bestätigung dieser Ansicht liefern die wenigen Ausnahmen : 15, 1 
(eQyaavrjQLov Oeidiov), 15, 2 (ytewvidaiov), 15, 6 (JiyvdTcrov avod), 15, 8 
(TtQVTaveiov und yvfxvdaiov). In zwei Fällen (15, 2, 15, 8) haben wir nach- 
weisen können, dass einzelne Angaben der Vorlage nicht entstammen 
können : was sonst an Thatsächlichem geboten wird, war durchgängig an 
Ort und Stelle ohne Weiteres in Erfahrung zu bringen, zum Theile, wie 
bei dem igyaavi^Qiov Oeidiov, nur wertlose Paraphrase der gangbaren 
Bezeichnung. Inhaltlich steht also nichts im Wege, die wenigen Notizen 
auf Pausanias' eigene Thätigkeit zurückzuführen ; formell sondern sie sich 
ohne Anstand aus, ja an den meisten Stellen lässt ein deutliches Wieder- 
ansetzen den Einschub ganz klar hervortreten. So 15, 1 ^gti de 6ixrjf4a 
i/,TÖg TTig ^Jälveog, xaXeltaL de iQyaocrjQiov Oeidioü .... laviv ovv ß(Ofidg 
ev Tip olxijfxaTi, 15, 2/3 ist bereits oben besprochen. 15, 6 aTtd de TTjg 
arnäg, Tjv oi ^Hleloi naXovaiv JiyvdTvvov .... arrb tavzrjg knavurvtL xrk, 
und auch 15, 8 liest man anstandslos von tovtov de iv ycavlq tov oi'Arj- 
iiavog Ilavög 'iögwai ßwfAog auf TtQvzccveiov de ttqö fiiv tiov d-VQMV ß(oiu)g 
BaxLv yiQTe^idog hinüber. 

Scheiden wir diese wenigen Zusätze aus, so gewährt die gesammte 
Altarperiegese nach Form und Inhalt ein einheitliches Bild. Klar und deutlich 
ist die Aufgabe derselben in den einleitenden Worten ausgesprochen und 
das aufgestellte Princip der Aufzählung nach der Opferordnung wird man 
sicherlich, wenn vielleicht nicht als das einzig mögliche, so doch als das 
vortheilhafteste anerkennen müssen. 2) Auf topographische Anordnung wird 
verzichtet, dafür aber sind zahlreiche Verweise auf die Lage der einzelnen 
ßwfuol zueinander, zur Altis und zu benachbarten Bauten angebracht, diese 



^) Man beachte, wie unmotivirt sich hier die Notiz über das Gymnasion eindrängt, 
blos nm der ?^oSog jiaga t6 yvfivdoiov willen, während von einem Altare in oder bei dem- 
selben gar keine Rede ist. 

^) Aus demselben erklärt sich auch, dass einzelne Altäre, wie der im Qymnasioii 
oder der Altar der Heroen keine Aufnahme gefunden haben ; wenn Pansanias freilich 14, 4 
von allen Altären spricht, so ist das eine üngenauigkeit , die man dem flüchtigen and 
mit dem gesammten Material keineswegs vertrauten Periegeten wohl zutrauen und bei der 
Fülle des ihm von seiner Quelle Gebotenen auch verzeihen wird. 



— 45 — 

letzteren aber als bekannte Fixpunkte blos mit Namen genannt. Beigefügt 
sind femer ahia über den Ursprung einzelner Culte, Stifter einzelner Altäre, 
an dieselben sich knüpfende Sagen, selbst kritische Erörtenmgen (vergl. 
über ^'Idag und ^'Keaidag und den Heraklesaltar beim Sikyonierschatzhaus) 
fehlen nicht. 

Aus dem Gesagten ergibt sich , dass wir e^^i nicht mit einem Stücke 
einer Gesammtperiegese (vergl. das oben S. 40 Gesagte), sondern mit einer 
selbstständigen Einzelschrift zu thun haben, für welche die Ergebnisse von 
E. Weber's (Quaeetionum lacanicarum capüa duo, Göttingen 1887) Unter- 
suchungen über Sosibios' Trtqi twv h yfoxeöal^ovi dvaiwv die nächste 
Parallele liefern; nach Inhalt und Tendenz muss die vorauszusetzende 
Quelle des Pausanias dieser Schrift sehr nahe gestanden haben.') 

Damit geht vortrefflich zusammen, was wir in unmittelbarem Anschlüsse 
an die „Altarperiegese" lesen (15, lOflF.): Angaben über den Opferritus und 
das Opferpersonal, woran sich ursprünglich vielleicht (vergl. die folgende 
Anm.) auch wertvolle Notizen über die Opferformeln und Hymnen schlössen, 
welche Pausanias in sein Werk nicht aufnahm. Dass dieser Abschnitt (§ 10 
und 1 1 bis aal zavva ig rdv koyov 2) noch zum Vorausgehenden zu ziehen ist, 
findet darin eine Stütze, dass sich auch für ihn nahezu derselbe termimis ante 
quem wahrscheinlich machen lässt. Wie nämlich Ditten berger (Arch. Zeit. 
1880, S. 58/9) gezeigt hat, entspricht die Angabe des Pausanias §10 f. 
ßiiisi Si Tct ig ritg d-vaiag S-eri'KohiJ xe .... tuxI fidvteat ytal avtovdcHpo- 
Qing, hl de i^fffrirrj re xai avkrjty aal rt^ ^vkel, was den vorletzten 
Punkt betrifft, nicht den Verhältnissen seiner Zeit, wie wir sie aus den 



^) Es bedarf wohl kaum eines ausdrücklichen Hinweises, dass Gnrlitt's Gedanke 
an eine in der Altis aufgestellte Opferordnung als Quelle des Pausanias abzuweisen ist. 
Wenn ein solches Document bestand — was an sich ja wohl möglich ist — so war es 
sicherlich als trockene Aufzählung gefasst (vergl. CIA I 5.) und kann nach dem oben Ge- 
sagten wohl die primäre, niemals aber die unmittelbare Quelle des Periegeten gewesen sein. 

*) Aus anderer Quelle stammt wohl § 12; man stelle nur gegenüber § 11 6jt6aa de 
ijii toug anovdoug Xiyßtv otpioiv iv r(5 JtovxaveU^ xa^eoTrjXtv ^ xai vfivovg ojioiovg q.- 
60V01V, ov fu tjv elxog ejieiaayayea&at xai xavxa ig tov Xoyov und § 12 onoaa de qiöovotv 
ev t(p jtotftaveiq), qjoyvff fiev eaxiv avtcjv t) A(OQiog xzX. Dass die Vorlage sich über den 
Gegenstand des Weiteren ausliess, wird man aus der Art, wie Pausanias denselben ablehnt, 
schliessen dürfen (vergl. besonders xai raDra); möglich wäre, dass die kurze Notiz §12 
ein Nachtrag aus derselben ist, ebensowohl kann sie aber auch einen anderen Ursprung 
haben; dagegen ist die Angabe über das Hestiatorion an ganz unpassender Stelle blos des 

Pryianeions wegen angeschlossen. Fraglich bleibt, wie der Absatz &eoTg exovoiv zu 

beurtheilen ist; sachlich fäUt er aus dem Vorhergegangenen heraus , indes konnten in 
einem Anhange der Vorlage auch die nicht in den monatlichen Opfergaug eingeschlossenen 
Culte behandelt sein, aus welchen Pausanias die vorliegende Auswahl getroffen hätte. Dann 
wäre auch für 14, 4 eneX^cofiev xa ig ä:iavxag xovg iv *0).v ^iTiirt ßwfioi'g eine 
gewisse Rechtfertigung gefunden. 



— 46 — 

erhaltenen Verzeichnissen des Cultpersonals nachweisen können. Während 
der Perieget von einem avkrivijg berichtet, weisen die Inschriften schon 
im f.iere%exBLQov 113 — 116 p. Chr. den Namen OTtovdavXrig auf, der von 
da ab constant gebraucht wird. Auch die weitere Vermuthung Ditten- 
berger's, dass diese Namensänderung in Zusanmienhang stehe mit der 
Erhöhung der Zahl (von 1 auf 3), hat Alles für sich, wenn sie sich auch 
nicht so sicher inschriftlich beweisen lässt. Aber sollte sich auch dieses 
Letztere als unrichtig erweisen, so scheint mir doch gegen Gurlitt die 
DiflFerenz in dem Namen ausreichend zu beweisen, dass die Liste von 
Pausanias aus einer literarischen Quelle übernommen ist. Leider reichen 
weder die erhaltenen Verzeichnisse hoch genug hinauf, noch ist auf die 
Vollständigkeit des Periegeten hinlänglich fest zu bauen, um weitere Zeit- 
grenzen gewinnen zu können. Wir müssen uns daher b^nügen, die Ab- 
fassung der Quelle zwischen die Erbauung des Leonidaion 350 — 300 v. Chr. 
(vergl. Treu, a. a. 0. S.326) und den olympischen Si^ des Nero 67 p. Chr. 
anzusetzen, und auf genauere Fixirung innerhalb dieses Zeitraumes ver- 
zichten. 

Interessant und wichtig ist zu beachten, wie Pausanias mit seiner Vor- 
lage verfahren ist. Inhaltlich hat er sie, wenn auch gekürzt, im Wesentlichen 
unverändert herübergenommen; formell wird die Umgestaltung tiefer ein- 
gegriflfen haben, obzwar Stellen wie 15, 1 fin. und 15, 7 in. wieder ziemlich 
engen Anschluss zu bezeugen scheinen. Doch beschränkt sich seine Thätigkeit 
nicht darauf allein: wir haben oben eine Reihe von Zusätzen zusammen- 
gestellt, welche mit grösster Wahrscheinlichkeit auf den Periegeten selbst 
zurückgeführt werden konnten. Ihr gemeinsamer Ursprung zeigt sich auch 
in dem gleichen Zwecke, die ursprünglich gar nicht als Periegese gedachte 
Vorlage organisch in das Gefiige einer solchen einzugliedern. Dies geschieht, 
indem einerseits kurze periegetische Notizen an verschiedene, in derselben 
erwähnte Gebäude angeschlossen werden, andererseits — und dies ist für 
die Beurtheilung des Pausanias das Wichtigste — dadurch, dass er Angaben, 
welche veraltet waren oder ihm als solche erscheinen mussten, corrigirt. 
Nur so erklärt sich sein Vorgehen in 15,4 und der parallelen Stelle 15, 2. 
Freilich ist der Antheil, den dadurch seine Autopsie an dem Werke 
gewinnt, ein recht beschränkter: er verbessert, was er als offenbaren 
Fehler zu erkennen glaubte, ohne zu beachten, dass er nur noch grössere 
Unklarheiten schaflFt, oder begnügt sich, wie 15, 2, nachdrücklich den 
Zustand zu seiner Zeit hervorzuheben, w^eil er sich nicht im Stande 
fühlt, damit in Widerspruch stehende Angaben seiner Quelle zu corrigiren. 
An eine durchgängige Controle derselben wird also kaum zu denken 
sein, vielmehr sind seine „Verbcsserungen" wohl nur zufällig gemachten 
Beobachtungen oder im Gedächtniss haften gebliebenen Erinnerungen zu 






— 47 — 

danken. Immerhin ist die Erkenntniss wertvoll, das» auch die Autopsie 
einen Einfluss auf sein Werk genommen hat, einen Einfluss, der sehr wohl 
in anderen , rein periegetischen Partien des Buches ausgedehnter gewesen 
sein mag. 

Die vorstehende Arbeit beschränkt sich blos auf den Bereich der 
Altarperiegese einerseits, weil ich dieselbe aus einer Einzelschrift geflossen 
und darum einer Sonderbetrachtung wert erachtete, andererseits, weil die 
Heranziehung des überreichen Stoffes der übrigen „Periegesen'* den Um- 
fang des Aufsatzes allzusehr vergrössert hätte. Doch will ich wenigstens 
zum Schlüsse darauf hinweisen, dass der Gesichtspunkt, von dem die 
vorliegende Untersuchung ausgegangen ist, auch für die übrigen Theile der 
Beschreibung von Olympia sich fruchtbar erwiesen hat, und auch für diese, 
wie ich zu zeigen hoflFe, Benützung einer oder mehrerer Quellen nach- 
zuweisen gestattet, welche vor der Erbauung der römischen Altismauer 
geschrieben sind. 



Attische Grabstatuen 



von 



R. WEISSHÄUPL 



Xis ist bekannt, dass unter den Denkmälern aus der Blütezeit attischer 
Kunst die Grabstatue einen recht untergeordneten Rang einnimmt ; und es 
ist dies um so auffälliger, als die archaische Periode mit ihren zahlreichen 
Werken sepulcraler Rundsculptur das Gegentheil vermuthen Hesse. Man 
führt diese eigenthümliche Erscheinung gewiss mit Recht zum Theil auf 
den Zufall, zum Theil auf mangelhafte Fundbeobachtungen zurück: unser 
Vorrath attischer Statuen enthält zweifellos auch Sepulcrales ; die attischen 
Stelen und die Funde Unteritaliens fordern zu Rückschlüssen auf die 
sepulcrale Rundplastik der Athener geradezu heraus; vergl. Conze, ftrab- 
statue in Tarent, Sitzungsber. der Berl. Akad., phil.-hist. Cl., 1884, S. 621 flF. 

Erhalten sind uns an sicheren Beispielen von attischen GrabstÄtuen 
nachpersischer Zeit nebst ein paar Sirenen , Sphingen , Löwen , Hunden, 
Böcken (Sybel, 260 = Fried. -Wolt., 1706) und dem Stier der Hagia 
Trias blos der Bogenschütze Sybcl 262 f., Rev. arch. N. S. IX (1864), 
Taf. 12 (vergl. Brückner, Ornam. und Form der att. Grabstelen, 8. 35), 
die trauernden Dienerinnen des Berliner Museums, Furtwängler, Samml. 
Sab., Taf. 15—17, und die ähnliche Gestalt Athen. Mittheil. X (1885). 
S. 404, 3. Ob die drei letztgenannten Figuren Abbilder der Wirklichkeit 
oder ähnlich den Sirenen Personificationcn der Todtenklagc sein sollen, ist 
nicht mit Bestinmitheit auszumachen. Eher für Letzteres spricht die Zwei- 
zahl der Berliner Statuen und die Analogie der traueniden Areta an dem 
Grabhügel des Aiax (Anth. Pal. VII, 145, Abb. des arch.-e])igr. Sem. der 
Wiener Universität VII, 92, 4). 

Wahrscheinlich ist die allegorische Bedeutung auch für den Typus 
der sogenannten Klagefrau (vergl. Brückner, a. a. 0. S. 35); die Nackt- 
heit , in der sie auf Reliefs wenigstens einmal (vergl. unten) , auf wgr. 



— 49 — 

Lekythen zweimal ^) erscheint, ist mit attischer Sitte nicht vereinbar. Ich 
reihe diesen Typus hier ein, weil es mir nur Zufall scheint, dass er bis 
jetzt nicht als Rundbild aufgetreten ist. Gerade bei ihm hält es schwer, 
nicht jenen Grundsatz anzuwenden, der sonst überall auf das Deutlichste 
zutage kommt: was ursprünglich selbständiges Bildwerk ist, tritt mit der 
Zeit zurück und muss sich mit einem untergeordneten Platze begnügen. 
Und auf ausserattischem Boden ist die Klagefrau ja wirklich statuarisch 
verwendet worden (Mon. dell' Inst. I Taf. XLIV). 

Einiges Material für die Reconstruirung der sepulcralen Rundplastik 
Attikas bieten die attischen Grablekythen. Die Bilder derselben zeigen in 
ihren Stelenformen und, wenn auch in geringerem Masse, in ihren Gesammt- 
compositionen solche Verwandtschaft mit der entsprechenden Plastik, dass 
Schlüsse von der einen auf die andere Kunstübung unvermeidlich sind; 
Schlüsse allerdings nicht in dem Sinne, als ob der Lekythenmaler die 
Natur copiert hätte; aber er hat nach ihr seine Entwürfe gestaltet. 

Der Typus der Sphinx tritt uns in folgenden Beispielen entgegen: 

1. Wgr. Lek. Athen Polji. 817, abgeb. Benndorf, Vasenb., XIX, 4. 
Gefässtypus im Allgemeinen Furtwängler, Vasenkat., S. 524 cß (der 
Unterbauch fehlt zum Theil); der Mäander über und unter dem Bilde. 
Darst. : Sphinx auf Basis zwischen Asphodelosstauden. 

2. Wgr. Lek. Paris Cah, des Mdd, 12b ^ abgeb. Luynes, Descript, de 
mses, pl. XVI; Gaz, arch. 1885, S. 282, 11, vergl. Benndorf, a. a. 0. 
S. 39. Gefässtypus, soviel zu ersehen, wie Nr. 1. Darst.: Sphinx auf Basis ; 
rechts davon ein. bewaffneter Jüngling. — Die Lekythos soll aus Lokri 
stammen. Wie viel auf solche Fundnotizen zu geben ist, mag das „Nola" von 
Luynes, pl. XXIX zeigen, wozu Luynes selbst bemerkt : „Ce vase d*un 
dessein qui aiteste manifestemerU la fabrtque de Nola, a 4td trouvd h Vtdci," 
Die Vase ist vermuthlich ebenso attischer Provenienz wie L u y n e s , pl. XVIII. 

3. Rf. Lek. Athen Polyt. 2797 aus Tanagra, abgeb. Ephem. Arch. 1893. 
Darst. : Die Sphinx sitzt mit ausgebreiteten Flügeln auf der Basis , rechts 
stilisierter Lotos, links Spuren von Inschrift. 2) — Die genannten Lekythen 
gehören etwa den Fünfziger- Jahren des V. Jahrhunderts au. 

*) BerUn 2466 ; Americ. Jonrn. II , Taf. XII f. 9 ; allerdings mnss gerade bei den 
Lekythenbildem die MögUchkeit festgehalten werden, dass die Umrisse doP Gewandung 
▼erachwimden sind. 

*) Nicht hieriier gehören die wgr. Lek. BerUn 2028 (?) wegen der schwarzfigurigen 
Technik ; die wgr. Lek. Stackeiberg, Taf. XXXVII (vergl. Berlin, 2234) : Sphinx vor Sänle ; 
^e rf. ArybaUi Triest Mns. Ciy., besehr. arch. epigr. Mitth. III, S. 65 D, 3 (wohl gleich Arch. 
Zeit 1861, 202**, Benndorf, a. a. 0. S. 39, Anm. 200, nnd dann ans Attika stammend): 
Qpkmn links von schmalem Pfeiler ; Athen Kentr. Mns. Delt. 1889, S. 142, 21 : eine Sphinx 
tiigt einen nackten Jüngling nach links znm Grabe. In den drei letzteren FäUen ist die 
Sphinx nicht Theil des Grabes, sondern handelnder Todesdämon. 

Xnuun Viadobonensis. 4 



— 50 — 

Hierzu treten folgende Rundbilder der menschlichen Gestalt: 

4. Bonner wgr. Lek., Six Bonner Studien, Taf. X, S. 154 ff., vergl. 
Furtwängler, Samml. Sab., S. 50, Jahrb. des Inst. IV, S. 11 J. Inmitten 
der Leidtragenden steht auf hoher Basis ein nackter Jüngling. Nach 
Technik und Typik der Figuren gehört die Vase in die Mitte des V. Jahr- 
hunderts. 

5. Wgr. Lek. Athen Polj t. 3478 , abgeb. Ephem. Arch. 1886, Taf. 4. 
Zwischen den Hinterbliebenen erhebt sich auf hoher Basis eine statuarische 
Gruppe : eine Frau reicht einem Knaben eine Traube. Das G^fäss stammt 
aus Eretria , und zwar aus demselben Grabe wie Polyt. 3477 , abgeb. 
Bonner Stud. , Taf. XH ») , Polyt. 3479 und 3480. ^) Seine Entstehung 
um die Mitte des V. Jahrhunderts , die schon an und für sich nicht zu 
bezweifeln war, wird hierdurch nur bestätigt. 

6. Wgr. Lek., Benndorf, Vasenb. XVIIII, 5, vergl. Dumont- 
C h a p 1 a i n , II, S. 70. In höchst flüchtiger Zeichnung erhebt sich auf drei- 
stufiger Basis eine breite Giebelstcle, vor welcher auf hohem, mit Spiegel 
und Tänie behangenem Postament eine Frau mit Kranz sitzt. Weder 
Relief noch Gemälde ist in der Darstellung zu erkennen, sondern eine 
Vereinigung von Stele und Statue; vergl. zu solchen Familiengräbern 
Lekythen wie Benndurf, a. a. 0. Taf. XX, 2, Taf. XXIV, 1, 3; Amcric. 
Journ. II, Taf. XII f. 5; Stackeiberg, Gräber der Hell., Taf. XLIV; 
Birch, HtM. of Anc, PotL, S. 395 ; Buri. F. A. Cl. Exp. Kat. Nr. 120 u. a. 
Der Kranz in den Händen der Sitzenden ist ein Schmuckgegenstand, wie 
ihn die Frau in ihrem Gemache so oft in der Hand hält. Spiegel und 
Tänie an der Basis der Statue sind ebenso wenig auffällig wie Gefässe, 
Waffen und Tänien an gewöhnlichen Stelen in der Natur und im Gemälde. 
Nach Technik und Stil gehört auch diese Vase in die Mitte des V. Jahr- 
hunderts oder noch etwas höher hinauf. 

7. Wgr. Lek. München Nr. 198, aus derselben Zeit und derselben 
Fabrik wie die vorhergehende Nummer. Durch die Güte Herrn Arndt's 
liegt mir von dem Bilde eine Banse vor. Vor einem Tumulus sitzt auf 



^) H. 0*425, U. 043 ; Ueberzug weiss ; Schulter : drei Palm. , deren Blättchen ab- 
wechselnd fimisschwarz nnd niattroth sind, daiüber Eierstab. Bauch: oben Mäander mit 
Kreozmuster, unter der Bildfläche Mäander. 

*) Die beiden Lekythen werden Ant. Denkm. 1893 abgebildet werden. Der Typus 
der Gefässe ist derselbe wie bei Polyt. 3477, der Mäander unter dem Bilde fehlt, die 
Zeichnung ist meisterhaft. 3479: Zwei Frauen, die eine mit Deckelschale, die andere mit 
Alabastron, stehen einander gegenüber. Hinter der Frau links ein lehnenloser Stuhl, im 
Felde Spiegel und Haube. Fällfarben : Verschiedene Both und Mattschwarz. Bauch durch- 
bohrt, vergl. Ath. Mitth. 1890, S. 49 ff., Nr. 5, 6. — 3480: Zu Seiten einer hohen Giebel- 
stele links Frau mit Deckelbüchse, rechts Ephebe; in allem Ann. 1842, Tav. L ähnlich; 
die Farben wie bei dem vorhergehenden Gefässe. 



— 51 — 

einem niedrigen Steinwürfel (?) ^), der auf derselben Basis ruht wie jener, 
eine Frau nach rechts. Der rechte Arm geht horizontal vor, die verlorene 
Hand hat irgend etwas, wohl wieder einen Kranz oder ähnliches, gehalten. 

Dass derartige Sitzbilder statuarisch auf attischen Gräbern vorkamen, 
kann somit wohl als gesichert betrachtet werden. Der Einfluss zeigt sich 
nun auch in den erweiterten Darstellungen Pottier, Etüde sur les Uc, bl.^ 
S. 140, 14: Neben der Stele einerseits eine Frau auf Stuhl, andererseits 
ein Ephebe, und besonders bei der Pariser Prachtlekythos Dumont- 
Chaplain, I, pl. XXV f. 2): Die auf dem Stuhle sitzende Verstorbene im 
Kreise ihrer Angehörigen. 

Die erwähnten Bilder sind allerdings in erster Linie Nachahmungen 
von Grabreliefs. Der schmale Raum der Stele hinderte den Maler, sein 
Bild in das Grabmal hineinzucomponieren ; wohin sclavisches Copieren des 
wirklichen Grabsphmuckes führte, konnte er ja an Darstellungen wie 
Benndorf, a. a. 0., Taf. XIX, 2 ersehen (vergl. Berlin 2246). So griff er 
zu dem Auskunftsmittel, das Bild von der Stele zu trennen. Durch den 
Hintergrund bekam es einen sepulcralen Charakter, welchen der Maler 
der Pariser Lekythos — die athenische kenne ich nur aus Pottier — noch 
dadurch verstärkte, dass er in Anlehnung an die gewöhnlichen Oj)fcrscenen 
am Grabe die Hinterbliebenen wenigstens zum Theile ausgesprochen sepul- 
crale Gaben darbringen lässt. Der Verstorbene wird so zum Schatten *), 
der, bei seiner Behausung weilend, die gebührenden Spenden entgegen- 
nimmt. Aber eine Umformung, wie sie hier Composition imd Gedanken- 
inhalt erfahren haben, bleibt ein kühnes Unternehmen. Man fragt unwill- 
kürlich, woher der Künstler die äussere Anregung hierzu empfangen hat. 
In unserem Falle geben die Antwort jene vorausgesetzten Rundsculpturen, 
beziehungsweise die beiden oben angeführten Grablekythen. Der Haupt- 
theil des Pariser Bildes, das Grabmal mit der sitzenden Frau war damit 
gegeben ; die anderen Figuren brauchten nur hinzucom])oniert und geistig 
verknüpft zu werden.*) 



*) Die Zeichnung, schleuderhafte Fimiszeichnimg , hat gerade an dieser SteUe viel 
gelitten. 0. Jahn erkennt in dem Sitze einen Stuhl, was durch die Bause nicht be- 
stätigt wird. 

*) Das Gefäss ist ausserdem abgebildet Gaz. des beaux arte, I (1874), 128; Duruy, 
Hist. des Gr^cs, I, 261, theUweise bei Rayet-Coll., CSr, Gr., S. 237, Fig. 88 und darnach 
Ath. Mitth. 1891, S. 401, wo man die Ausführungen von Wolters vergleiche. 

') Vergl. die Schatten auf den Charon- und Hermesbildem , auf den Reliefs der 
Schiffbrüchigen, und unten S. 53. 

*) Nach Analogie dieses Bildes wird doch wohl auch der Grabstein Sy bei 150 (vergl. 
Wolters, Ath. Mitth. 1891, S. 386) aufzufassen sein: neben einer sitzenden Frau steht 
eine Lutrophoros, ihr eigenes Grabmal. Kästchen und Korb sind ebenso zu erklären, wie 
die entsprechenden Beigaben auf den Todtenbildem der Lekythen. 

4* 



— 52 — 

8. CharakteriBtisch für die Einwirkung der stataarischen Gräberknnst 
auf die Vasenmalerei ist die Lutrophoros Ath. Mitth. 1891, Taf. VIII: 
Eine Stele und daneben die Statue des reitenden Jünglings, mit welchem 
der Begleiter ebenso attributiv verbunden ist, wie der trauernde Sclaven- 
knabe mit dem Palästriten. ^) Die Jünglinge links sind beide von der 
Mitte abgewendet, so dass die Hauptgruppe um so schärfer hervortritt. 
Aber auch ich glaube mit Wolters, dass die Statue erst secundär, das 
heisst eine Folge der Scheidung von Stele und Stelenbild ist. Der Künstler 
konnte sich hierbei wieder an vorhandene Monumente anlehnen. Nach 
Paus. I, 2, 3 befand sich nicht weit vom Dipylon ein Grab im&rifia ^uv 
öTqaxubrrpf %7t7ti^ TtaQearrpidTa. Der folgende Satz : ^'Ovviva fxiv ovyt olda, 
JlQa^irelrjg di xal zbv %7t7tov xal töv azQtxTLwrrjv iTcoirjoev beweist, dass 
in dem Grabaufsatze ein Werk der Rundsculptur zu erkennen ist. Der 
Perieget weiss wohl den Namen des Künstlers, nicht aber den des Ver- 
storbenen anzugeben. Letzterer wird also auf der Basis der Statue nicht 
zu lesen gewesen sein und mag etwa auf einer Stele nebenan gestanden 
haben, wodurch die Aehnlichkcit der ganzen Anlage mit dem obigen 
Lekythenbilde noch auffälliger würde. 

9. Die Grabreliefs der griechisch-römischen Periode zeigen zu wieder- 
holten Malen das deutliche Bestreben, Grabstatuen zu bieten: Die Figur 
des Verstorbenen wird auf eine Basis gestellt. Beispiele hiervon sah ich 
vor einigen Jaliren im Wiener Grabrelief-Apparat. Hierher gehören die 
Stelen des Pomponianos, Athen Privatbes. 20 (CIA. III, 2488), der Eutycho, 
ebenda Privatbes. 214, einer anderen Frau, ebenda Privatbes. 27, und des 
Diophantos und Phileros im Kertschsaal der Ermitage (Skizze Conzes). 

Aber auch die Grabreliefs der griechischen Blütezeit lassen den 
Edaflnss der Rundsculptur nicht selten vermuthen (vergl. C o n z e , a. a. 0.). 
Vor Allem dürfte ein solcher für das Melite-Denkmal Sybel58, abgeb. 
Lebas, Voi/, arch, Ul. pl. 66; mit seiner für ein Relief redtki eigenthüm- 
liehen Stütze anzunehmen sein. Femer aber möchte ich hier auf drei 
Reliefs hinweisen, die durch ihre Eigenthümlichkeiten schon lange die 
Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben, die Stücke: 

a) Sybel 57, abgeb. Rev. arch. 1875, 1 pl. 14 und Ann. äM Inst. 

1876, tav. H ; 
h) Sybel 53 = Friederichs-Wolters 1011, abgeb. Stephani, 

Ausruh. Herakles, Taf. 6, 1 und 
c) Sybel 49, ein Fragment, das nach h zu ergänzen ist. 



^) Wie ist die Handbewegung dieses Begleiters zu erklären ? Etwa als Ausdruck des 
Erstaunens, wie die entsprechenden Gesten der Myrrina-Vase ? Und wem gilt sie? Dem Ver- 
storbenen oder einem Vorgang jenseits der Stele? 



— 53 — 

Die Aehnlichkeiten dieser Stelen sind schon von Conze in den 
Sitzungsber. der Wiener Akad., plül.-hist. Cl., Bd. LXXX, S. 618 hervor- 
gehoben worden. In allen (drei) Fällen haben wir einen nackten Jüngling, 
der an einer Stele lehnt, am Fasse der letzteren einen trauernden Sclaven- 
knaben und gegenüber den klagenden Vater. 

Der Sinn der Darstellungen ist klar. Die Klage der Hinterbliebenen 
um den Verstorbenen lebt, wie in den Grabepigrammen im Worte, so hier 
im Bilde fort. Es ist die realistische Gestaltung des Princips, das in den 
Sirenen und wohl auch in den „ Klagefrauen ^ idealisiert zutage tritt. Zumal 
auf eine auflTällige Analogie möchte ich verweisen, die Stele eines Kalli- 
mandros im Piräus-Museum : Rechts lehnt an einem Baumstamme ein 
nackter Jüngling — blos seine Beine sind erhalten — , dessen Chlamys 
längs der Stütze herabfallt, links kniet jammernd die Klagefrau, auch sie 
mit Ausnahme eines Gewandes, das die Unterbeine umschlingt, nackt. 
Hier wie auf den obigen drei Stelen wurde der Grundsatz, all das, was 
auf dem Grabe in Wirklichkeit zu sehen ist, Tänien, Kränze, Gefässe und 
sonstige Weihegaben, im Bilde wiederzugeben, auch auf die Nebenpersonen 
angewendet. Und noch auf zwei Punkte mache ich aufmerksam. Wenn 
irgendwo, so zeigt sich an diesen Darstellungen so recht deutlich, wie all- 
mählich aus den älteren einfigurigen Stelenbildern durch anfangs ganz 
äusserliche Hinzufügung von Nebenpersonen mehrfigurige Compositionen 
entstanden sind. Und dann bieten sie neue Beispiele für den immer mehr 
zutage tretenden Parallelismus von Lekythen- und Stelenbildem : Der Ver- 
storbene neben seiner Behausung und daneben die klagenden Hinter- 
bliebenen. Denn dass auch der Jüngling der Palästritcnstelen als ver- 
storben, und nicht als lebend gedacht ist, kann nicht zweifelhaft sein. 
Dies lehrt erstlich die Trauer desselben auf b: sie gilt, wie so oft auf 
Lekythenbildem und in Epigrammen, dem eigenen Tode. Hierzu stimmt 
die Haltung des Dieners, der, wie bei a der Augenschein zeigt, nicht 
schläft, sondern trauert (vergl. auch Wolters zu Friederichs-Wolters 
1011). Was soll diese Trauer, wenn der Jüngling als Lebender dargestellt 
ist, wie er von den Anstrengungen der Palästra oder der Jagd ausruht? 
Und endlich die Stele. Bei b und c könnte man sie als Svmbol der 
Palästra fassen. Man ist dann zur Annahme gezwungen, dass sie der 
Künstler von a unpassend in seine eigene Composition herübergenommen 
hat, oder dass er den Jüngling zugleich als Palästriten und Jäger 
charakterisieren wollte. Und wie wir sehen werden, leidet die Dar- 
stellung von a ja thatsächlich an gewissen Unklarheiten. Aber auch 
die zweistufige Basis der Stele auf a — auf c ist sie einstufig, auf b ist 
die Stele stark vernachlässigt — muss gegen jene Auft'assuug Bedenken 
erregen. Und endlich will die ganze Situation, wie sie oben dargelegt 



— 54 — 

wurde, die ausgesprochene Trauer der betheiligten Personen, dazu nicht 
recht stimmen. 

Alles ist hingegen in der schönsten Ordnung, sobald wir in jenem 
Pfeiler eine Grabstelc erkennen : Der Jüngling lehnt an seinem eigenen 
Grabe. Eine Bestätigung für diese Auffassung kann vielleicht das Bild 
einer wgr. Lekythos des Polytechnions geben (Im. Nr. 3791, Pottier, 
a. a. 0. S. 144, 40). Das Gefäss ist, einige Brüche abgere<;hnet, intact und 
schliesst sich anFurtwängler 2677 f. an; als Füllfarben sind aber nur 
Roth und Kothbraun verwendet. Die Darstellung gehört zu jenen oben 
erwähnten Friedhofsbildern. Zwei Stelen nebeneinander bezeichnen das 
Local. Die eine links ist ziemlich breit, von dreifachem, flachem Gebälk 
abgeschlossen und mit drei Tänien umwunden. Auf der zweistufigen Basis 
sitzt eine Frau in Chiton und Himation nach rechts und betrachtet einen 
undeutlichen Gegenstand , etwa ein kleines , feines Tuch , da« sie in der 
erhobenen Linken vor sich hinhält. In der ganzen Haltung erinnert sie, 
wie manche ähnliche Gestalt der wgr. Lekythen, einigerma«sen an die 
barberinischc „Schutzflehende". ^) Die Stele rechts ist ein schmaler, oben 
horizontal abgeschnittener Pfeiler, der sich auf einstufigem Postament bis 
etwas ü])er halbe Manneshöhe erhebt. An ihr lehnt mit aufgestütztem 
linken Unterann und gekreuzten Beinen ein Jüngling nach links, der in 
der Rechten einen langen Stab trägt. Ein Himation, das den Oberkörper 
frei lässt, bildet die einzige Bekleidung desselben. Der Blick ist nicht so 
sehr auf die gegenübersitzende Frau, als in die Ferne gerichtet. Als Ueber- 
bleibsel früherer Compositionsfomien hängt links von der Frau am untersten 
Parallelkreise ein Kranz, dessen Blättchen verblasst sind, oder ein Haarband. 

Die Umrisse der Darstellung und die Haare sind rothbraun, der 
Himationsaum der Frau, jenes „Tuch'' und die Tänien roth. Spuren der 
letzteren Farbe finden sich auch auf dem Gebälk der einen Stele und, 
wie es scheint, auf dem Himation des Jünglings. Die Zeichnung ist flott 
und schim und weist ebenso wie Form und Technik des Gefässes und 
Fonn der grösseren Stele in das IV. Jahrhundert. 

Es lässt sich nicht nachweisen, dass der Jüngling unserer Lekythos 
als verstorben gedacht ist, wenngleich es an und für sich nicht unwahr- 
scheinlich ist. Jedenfalls aber bietet das Lekvthenbild dasselbe künst- 
lerische Motiv wie jene Marmorsculpturen, den an der Grabstele lehnenden 
Jüngling; und berücksichtigt man auch die ungefähre Gleichzeitigkeit der 
in Rede stehenden Werke, so kann die Frage gerechtfertigt erscheinen, 
ob nicht der Maler der Lekythos von demselben Originale der Plastik 
seine Anregung empfangen habe, wie die Künstler der drei obigen Stelen. 

*) SoUte der Typus der letzteren nicht anch auf Grabstatuen zurückweisen? 



— 00 — 

Dieses vorausgesetzte Original kann weder b noch c sein, wegen der 
handwerksmässigen Arbeit dieser Stelen, noch auch a. Letzteres steht dem 
Vorbilde sogar femer als b und c. Beweis hierfür ist einerseits die anspruchs- 
volle Haltung des Verstorbenen. Derselbe ist halb e. f. gestellt und wie 
für den Betrachter geschaffen. In seinem Antlitz liegt im Gegensatze zu 
dem Jüngling auf J mit seinem stillen, traurigen Sinnen eine gewisse Energie. 
Eine ähnliche Steigerung des Pathos zeigt die Figur des Greises. Kommt 
dessen Schmerz bei b in ruhiger Trauer zum Ausdruck, so äussert er sich 
bei a in lauter Klage. Hierzu tritt aber bei a noch eine Unklarheit in der 
Composition. Auf b (und c) ist der Verstorbene als Palästrit gedacht. Er 
ist als solcher gekennzeichnet durch seine Nacktheit und durch den Knaben 
mit Stlengis und Oelfläschchen. Auf a hingegen ist er durch Hund und 
Knotenstock als Jäger charakterisiert. Ganz folgerichtig entfielen hierdurch 
auch die palästrischen Geräthe. Aber auf den Knaben wollte der Künstler 
ebensowenig verzichten als auf die Nacktheit des Jünglings. Und doch 
gehört beides zum Typus des Palästriten und nicht des Jägers. 

Das Original ist also nach b und c zu reconstruiren , das Grabmal 
eines jugendlichen Palästriten aus der Wende des V. Jahrhunderts. — Das- 
selbe bis in Einzelheiten bestimmt zu vergegenwärtigen ist mit den bis- 
herigen Mitteln nicht möglich, aber alles vereinigt sich in ihm, eine Rund- 
sculptur zu erkennen. Dafür spricht die starke Relieferhebung bei a und 
vor Allem der Umstand, dass die Figuren auf den drei Stelen verschieden 
orientiert sind : bei a ist der Jüngling nach rechts, bei b und c nach links 
gewendet. Auch scheint nicht nur die Nebenfigur des trauernden Knaben 
(vergl. Conze, Anzeiger der Wiener Akad. phil.-hist. Cl. 1875, S. 54; 
Wolters, a. a. 0.), sondern auch die Gestalt des alten Vaters (Sybel 55) 
von späteren Künstlern als Einzelbild frei nachgeahmt worden zu sein ; zu 
dem Jüngling vergl. oben. Und dass auch sonst statuarische Gruppen zum 
Gräberschmucke verwendet werden , beweisen das Bild der eretrischen 
Lekythos und in gewissem Sinne das Werk des Praxiteles. 

Pola, October 1892. 



Zur Marc Aurel- Statue 

▼oa 

FRIEDRICH LÖHR 



Die sonderbare Geschichte, die in den Mtrabilia Romae wenig ge- 
schmackvoll über den Anlass erzählt wird, dem die Marc Aurel-Statue od^ 
wie es dort heisst der cabaUus aereus qui dicüur Constantini die Ent- 
stehung danke, ist allbekannt. Man hat Manches vorgebracht, am den 
sonderbarsten Zug darin zu erklären. Zum Schlüsse heisst es nämlich 
darin : ipsum quoque regem qui parvae personae fuercU retro ligatis manibus 
aiciU ewn ceperat sub ungida equi memarialüer deatinaverurU. Also unter 
dem erhobenen (rechten) Pferdehufe läge eine kleine Gestalt, meldet der 
Erzähler. Man hat das Eindringen dieser Behauptung als einer sagen- 
haften zu erklären versucht und sich doch inmier wieder vor der Annahme 
gescheut, dass diese Behauptung ganz auf Wahrheit beruhen, die erwähnte 
Gestalt wirklich einmal an der bezeichneten Stelle vorhanden gewesen 
sein kann. Es liegen aber, glaub' ich, zwingende Gründe vor, dies anzu- 
nehmen. Mögen hier wie anderwärts die Wege recht dunkel sein, auf 
welchen die Phantasie aller Historie zu Trotz solche Geschichtchen erfindet, 
um so deutlicher ist es in den einzelnen Zügen nachweisbar, wie der 
Anstoss nur von dem Geschauten selbst ausgieng. Durchaus soll Augen- 
fälliges au der Statue und zu damaliger Zeit an einer Statue Auffälliges 
durch die Erzählung motivirt werden ; selbst recht Unwesentliches. So ist 
ausdrücklich in dem erzählten Begebnisse betont „qut ascendü equum sine 
sella**. Man sah in dem Haarbüschel zwischen den Ohren des Pferdes 
wunderbarerweise eine Eule: daher meldet der Erzähler „per plurimas 
enim noctes viderat illum regem ad pedem cuitLsdam arbaria pro necessario 
venire, in cuius adventu cocovaia quae in arbore aedebat aemper 
cantabat^ und „in capite equi menwriam, cocovaiae ad cantum cuitia 
victoriam fecerat^ , Zur Gebärde der Rechten heisst es „extenta manu dextra 
qua ceperat regem^. Auch der frühere Standort der Statue auf dem 
Lateransplatze, also in der Nähe der südöstlichen Stadtmauer (vergl. 
Müllen hoff, Haupt-Zeitsclir. 12, S. 326), ist nicht ohne Einfluss auf die 



— 57 — 

Fonnalirang der Erzählung geblieben. Da femer das Bildniss Marc A n r e Fs 
jedes imperatorischen Abaeichens entbehrt, konnte aus ihm der „qnidam 
armiger magnae farmae** werden. Sehen wir so die motivirenden Fictionen 
der Erzählnng bis zur Plumpheit sich an den Thatbestand heften, so 
entsprechen sicherlich nun zunächst auch die im Schlusssatze angeführten 
Details des B^ebnisses in derselben Art Details an der Statue selbst: 
„regem — gut parvae personae fuerat — retro ligcUis manibus — 
sicuti eum ceperat — stA ungula equi m. d.**. Die Zusätze motiviren 
>viederum. Haben wir diese Formel für die Zusammensetzung der ganzen 
Erzählnng erkannt, so kommt nun entscheidend hinzu, dass, sowie Einzeln- 
heiten des Kunstwerkes einzelne Züge lieferten, umso vielmehr sichtlich 
nnr das ganze Motiv der Statue die Erzählung überhaupt hervorgerufen 
haben kann. Eine Yolksmeinung lag da im Kampfe mit der andern; 
das ist ja auch noch ganz deutlich aus dem Eingangspassus der Geschichte 
zu ersehen. jj)et Constantin soll es sein, das ist aber nicht möglich, 
d^mm Leser halte dich an die hier folgende Wahrheit. " Wegen des Stand- 
ortes bei der ursprünglichen Constantinsbasilica hatte man das Bildniss 
kurzweg auf den Namen Constantin getauft. Aber es sah doch gar 
nicht recht darnach aus, — im späteren Mittelalter wurde aus dem armiger 
in den Büchern ein rusticua und im Volksmund der gran villano — , vielleicht 
auch mochte der Umstand mit beitragen, dass ja der echte Constantin 
auf dem Forum vor Augen stand. So war freie Bahn für eine andere 
Fabel, und da wirthschaftete man nach Belieben, aber wohl mit dem, was 
die Statue selbst an die Hand gab. Wir haben uns also einfach zu fragen, 
ob das dermassen bezeugte, veränderte Motiv der Statue ein antikes ist, 
und ob wir ein Abhandenkommen der erwähnten Figur einräumen können. 
Der zweite Punkt ist bald erledigt. Die Statue steht ja nicht auf ihrer 
antiken Basis, wir haben also freien Spielraum. Auch ist laut dem Zeug- 
nisse vorhandener päpstlicher Urkunden an der Statue genug im Mittel- 
alter restaurirt worden: was, ist freilich bis heute noch nicht constatirt 
worden. Bei meinem Aufenthalte in Rom (1891) erwies es sich als zu 
schwierig, die Erlaubniss zu einer gründlichen Untersuchung der Statue 
daraufhin zu erhalten. Immerhin aber lehrt der erste Blick — übrigens 
auch auf eine gute Photographie — , dass gerade an dem erhobenen Vorder- 
hufe ein Stück eingesetzt ist, welches die Berührungsfläche gegeben haben 
kann. — Was nun das Motiv anbelangt: Der Reiter auf sprengendem 
Ross mit einem besiegten Gegner gruppirt und die Verwendung dieses 
Motivs in der römischen Kunst zur Verherrlichung des Imperatorentriumphs 
ist bekannt. Da ich eine zusammenfassende Untersuchung über Entwick- 
lang und Ausbreitung dieses wichtigen Typus bald veröffentlichen zu können 
hoffe, beschränke ich mich für unsern Fall hier auf folgende Bemerkungen. 



— 58 — 

Die Typen für Sieg iind Triumph stammen aus den Sehlaclitendarstellungen ; 
dass dies aueh für die Reiterstatue als Ehrenbild überhaupt gilt, hat Gustav 
Hirschfeld (Arch. Ztg. 1882, S. 127) mit Recht aufgestellt. So wie die 
plastische Variirung und erfindungsreiche Gruppenbildung in dieser Typen- 
quelle selbst eine äusserst mannigfaltige ist, so auch in dieser specicllen 
symbolischen Anwendung. Entsprechend einer Differenzirung in der 
Schlachtendarstellung, gemäss der Unterscheidung von Kampf zu Fuss und 
zu Ross, stehen auch in den symbolischen Siegesdarstellungen neben- 
einander, zum Ausdrucke derselben Idee, zwei eigenthümliche auch statuarisch 
ausgeführte Typen des Imperators, der über „den Feind" triumphirt, 
stehenden Fusses oder hoch zu Ross. Im ersteren Falle kommt es vor, 
dass er dem Rebellen den Fuss auf den Nacken setzt, im zweiten schreitet 
der Huf seines Rosses über ihn weg. Beide Tj'pen sind völlig gleichwerthig, 
Darstellungen der einen Art können für solche der anderen Zeugniss ablegen. 
Aus einer sich zusanunenschliessenden Reihe von Darstellungen hebe 
ich hier folgende Beispiele aus: 1. Silberrelief von Neuwied (Cohorten- 
zeichen); Linden seh mit, Denkmäler uns. heidnischen Vorzeit. I. VI, 5 
(Wiener Vorlegeblättcr , B. VI, 6). 2. Hadrianstatue von Hierapytna. 
Gaz. arcJt, 1880, Tab. ^^. 3. Römische Imperatorenstatue aus Greta; Römi- 
sche Mittheilungen d. arch. Inst. 1890 (V), S. 143. 4. Fragment einer 
römischen Lnpcratorenstatue im Museum von OhTnpia: Rechtes Bein auf- 
wärts bis zum Knie, mit daneben knieender kleiner Figur, die die Hände 
auf dem Rücken gefesselt hat ; letztere ist ganz erhalten und reicht gerade 
bis zu dem bereits zerstörten Knie der Statue. — Wälirend 1 und 2 den 
Fall exemplificiren, dass der Imperator mit dem Fusse auf den Besiegten 
tritt , begnügt sich die Art von 3 und 4 mit den Symbolen der Fesselung 
imd des Knieens. Immer repräsentirt die beigegebene Figur ein be- 
zwungenes Land oder Volk (auch bei 1 unter der Gestalt eines gefesselten 
Barbaren und gewiss nicht unter der des Rhein, wie man angenommen hat). 
Das Motiv des mit dem Fusse Tretens ist altgriechisch, sowohl in den 
Schlachtendarstellnngen als auch schon herausgehoben zur präcisen Be- 
zeichnung des tapfern (siegreichen) Kriegers angewendet, \vie in dem 
korinthischen Grabrelief: Athenische Mittheilungen XI, Taf. V. Und dass 
auch die ganze Sphäre von Vorstellungen, in welcher sich die uns hier 
beschäftigenden römischen Denkmäler bewegen, an schon früher gefundene 
künstlerische Gedanken und Typen anknüpfte , kann uns das Bild des 
A pell es bezeugen: von ihm bewunderte man in Rom (Pliu. h. n. XXXV 93) 
„bellt imaginem, restricids ad terga manibus, Alexandra in curru triumphante*' . 
Neu aber meines Wissens in der Antike, menschlich und künstlerisch gleich 
unschön, ist die allen den erwähnten römischen Darstellungen gemeinsame 
tendenziöse Kleinheit der dem Imperator beigegebenen Gestalt. Man er- 



— 59 — 

innert sich unwillkürlich an die Despoten der egyptischen Reliefs, die die 
erbärmlich kleinen Kerle von Feinden und Gefangenen erhaben nieder- 
metzeln. Es ist gut möglich, dass die bildende Kunst der römischen 
Despotie hier ganz selbständig wieder auf diese Art, den Herrscher und 
die matestm des eigenen Volkes zu verherrlichen, verfallen ist; auch die 
damalige Hofpoesie lässt es glauben. Kehren wir wieder zur Marc Aurel- 
Statue zurück, so haben wir nun die in der literarischen Ueberlieferung 
bezeugte ^kleine" Gestalt und das sich damit ergebende Motiv durch 
einen Paralleltypus auch bildlich gesichert. Einen Beleg speciell für die 
statuarische Gruppirung des Reiters mit dem überrittenen Feinde kann die 
von Statins besungene Domitian-Statuc des Forums bieten, die ja ohne 
Zweifel ganz ähnlich gedacht war, nur dass hier das Bildnis« des Rheins 
unserer Beurtheilung entzogen ist. Es bedarf aber kaum dieses Beleges 
bei dem so sehr häufigen Vorkommen solcher Motive in Relief und Münz- 
darstellungen. Ich m()chte indessen auf eine andere Gemeinsamkeit beider 
Werke noch kurz hinweisen, die eine charakteristische Weiterbildung des 
aus den Schlachtcndarstellungcn hervorgegangenen Motivs bedeutet. Hier 
ist nicht melir Handlung dargestellt, wie wenn der Sieger dem Feinde den 
Todesstoss versetzt, oder auch noch in gewissem Sinne, wenn er ihm auf 
den Nacken tritt, sondern Ideelles, die Folgen des Sieges, der Feind ist 
bezwungen und die pathetisch ausgestreckte Rechte des Siegers heischt 
Frieden: „dextra vetat pugnis Latiuni^ wie q% vom Domitian heisst, und 
Marc Aurel entbehrt bereits jedes kriegerischen Abzeichens. Das ist aber, 
glaub^ ich, im Sinne einer wesentlich neuen Kunstrichtung gestaltet, welche 
dem Besten an antiker Kunstweise, der warmen Sinnlichkeit auch im 
Symbol, die pathetische Phrase vorzieht. 

Man kann in der Erklärung der Marc Aurel-Statue noch weiter 
kommen, wenn man annimmt, dass der „quidam rex potentisaimus^ ^ der 
^de orientis partibus Italiam venü^ ersonnen wurde, weil die unter 
dem Rossehufe liegende Gestalt orientalisches Gepräge hatte, vielleicht einen 
Parther vorstellte. Gewiss ist mirs, dass die Statue ihrerzeit gerade kein 
Hauptw^erk war. Das Ross bleibt bei aller individuellen künstlerischen 
Caprice ein vortreffliches Gebilde. Der Reiter ist wohl von ausdrucksvoller 
Charakteristik, aber technisch mittelmässig ausgeführt, besonders auch in 
der Modellirung der Beine. Und wenig am Platze war es, einem Kaiser, 
der, wenn nicht nach Wahl und Beruf, so in musterhafter Pflichterfüllung 
schwierige Kriege jahrelang kraftvoll geführt hat, eine so unerlaubte 
Reiterhaltung zu geben. Dass übrigens der ganze Reiter nach rechts über- 
hängt, ist wohl modernen Ursprungs. 

Wien. 



Cura viarum 

▼on 

A. V. DOMASZEWSKI 



Als Augustus bald nach der Begründung des Principates die Ober- 
leitung des italischen Strassenwesens übernahm, fand er auch für diesen 
Zweig der Verwaltung Einrichtungen der republikanischen Periode vor, 
. die er seinem politischen Systeme anzupassen wusste.^) Die von den 
Kaisem aus den Prätoriem bestellten curatores viarum finden ihr Vorbild 
in den gleichnamigen Beamten der Republik, wenn auch die staatsrechtliche 
Stellung des Amtes durch Augustus wesentliche Aenderungen erfahren hat. 

Die cura viarum der Republik besser zu beurtheilen , als dies nach 
den Inschriften allein möglich wäre, gestatten zwei Zeugnisse 2) aus der 
letzten Zeit der Republik, die in's rechte Licht zu setzen nothwendig ist. 
Cicero sagt von den Bewerbern um das Consulat für das Jahr 64: 

Ad Atticum 1, 1, 2: Noatris rationibus maxime conducere videtur 
Thermum fieri cum Caesare; nemo est enim ex iia, qai nunc petunt, qui, si in 
nostrum annum rectderit, firmior candidatua fore videatur, propterea quod 
est curator viae Flaminiae, quae tum erit absoluta.^) Demnach war dem 
curator viarum nicht nur die Bewerbung im Amte, sondern auch die 
Cumulation seines Amtes mit einem Jahresamte gestattet.*) Es kann daher 

*) Mommsen, Staatsrecht. H, S. 1077. 

*) Die Stellen sind, wie ich nachträglich sehe, auch bei Pauly B. E. viae, S. 2245, citirt. 

') Die folgenden Worte sind schwer verdorben. Nach einer Mittheilung 0. £. S c h m i d t's 
hat die erste Hand des Medicens: sane facile eum libenter nunc ceteri con- 
8uli acciderim. Nunc ist jedenfalU richtig überliefert und bezeichnet wie im ganaen 
Briefe die Zeit der Wahlcomitien des Jahres 65. YieUeicht ist dann zu lesen ceteri con- 
8ulem acceperint, wobei unter ceteri die competitar es Qic&ro'^ zu verstehen wären. 

*) Denn die Vollendung des Baues nimmt Cicero erst für 64 in Aussicht und setzt 
zugleich voraus, dass Thermus in diesem Jahre das Consulat verwalten könnte. Der 
Termin, den Cicero im Auge hat, sind die Wahlcomitien, also der Juli des Jahres 64. 



— 61 — 

die cura viarum nicht zu den ständigen ordentlichen Aemtern gleich den 
stehenden JahrcBämtern gezählt haben. Damit steht im Einklang, dass 
für die Bewerbung keine feste Qualification ausser der allgemeinen der 
Zugehörigkeit zum Senate bestand. Denn der College des Prätoriers 
Thermuß ist der Aedil Caesar gewesen. Plutarch berichtet in der 
Lebensbeschreibung Caesar's c. 5. ^EtibI de tovto fiiv oSov rfig JlTtTciag 
aTtoÖEix^^is iTViinekrjTfjg ^) 7rdiH7vo?.Xa ^f^j^^ara TtQooavähüoe twv eavrovy 
Torro de ayogccvo/iuiv ^et'yij fiovo^udxo^y TQiaiioaia %ai eivLoai Ttaqeaxe x. t. A. 
Wenn auch die gleichzeitige Verwaltung der cura viarum und der Aedilität 
nur durch die Partikelverbindung angedeutet ist, so lässt sich doch, da für 
die Aedilität Caesar's das Jahr 65 feststeht *) , die Cumulation der Aemter 
weiter begründen. Denn nach Cicero verwaltete auch Thermus im Jahre 65 
die cura viarum und für eben dieses Jahr waren Lutatius Catulus und 
Lieinius Crassus zu Censoren gewählt, die sicher antraten, wenn sie auch 
nicht lustrirten.') Da femer aus der Inschrift des Censors L. Metellus vom 
Jahre 115 feststeht*), dass die curatores viarum nur die von den Censoren 
verdungenen Strassenbauten überwachten und abnahmen und mit den Cen- 
soren gleichzeitig im Amte sind, so werden Thermus und Caesar mit den 
Censoren für 65 zu curatores gewählt worden sein. Vielleicht wird man 
dagegen einwenden, dass jene Inschrift der vorsuUanischen Periode angehört, 
Sulla also die Bestimmungen über das italische Strassenwe^en geändert 
haben könnte. Doch erscheint dies von geringem Gewichte, weil die Censur 
un Jahre 70 wieder in's Leben getreten ist und ihre alten Competenzen 
wieder erlangt hat.*^) Die Ansicht, dass die curatores viarum nach Sulla's 
Reform ohne die Censoren thätig gewesen sind, beruht nur auf der Identi- 
ficimng der beiden in den Inschriften CLL I n. 204 und 593 genannten Colle- 
gien. Es ist allerdings richtig, dass die 3 in der ersteren Inschrift, und 
zwar in dem Präscript der lex ArUonia de Terme^sibus erhaltenen Namen 
der Volkstribunen des Jahres 71 in der letzteren Inschrift, die den curator 
viarum nennt, wiederkehren. Aber die Reihenfolge der Namen ist ver- 
schieden und ich halte es für unmöglich, dass in ofticiellen Urkunden dieser 
Art die Reihenfolge der Mitglieder des CoUegiums keiner festen Ordnung 



*) htifieXrixrig ist die stehende üebersetzung von curator in den griechischen In- 
•chriften römischer Beamten. 

*) Dramann, 3, 143. 

') Die Lnstration bedingt nicht die Bechtsgiltigkeit der Tuitionsacte ; Mommsenf 
Staatnecht. 11, S. 425. 

*) E^em. epigr. U. S. 199 = C. VI, S. 3824. 

*) Tuitionsacte sind bezeugt für die Censoren des Jahres 64. C. I. L. I n. 608—614, 
l^chfalls nicht lostrirten. 



— 62 — 

folgte. ^) Vielmehr wird die Reihenfolge der Namen, die Reihenfolge der 
Renuntiation wiedergeben, so dass die bei der schliesslichen Verkündigung des 
Wahlresultates ^) als zuerst gewählt erscheinende, auch an erster Stelle steht. 

Dann aber sind die in beiden Inschriften genannten CoUegien nicht 
identisch. Es werden die in der Inschrift n. 593 genannten als curatores 
viarum dem Censorjahre 70 angehören , wobei es nicht befremden kann, 
drei der Volkstribune des Jahres 71 unter den curatores wieder zu finden. 
Die Fassung der Inschrift i. Fa . . . . cura(tor) mar (um) e lege Vtsellia de 
conlfegnjsen/tfentta)/ — es folgen 9 Namen — zwingt in keiner Weise 
in den Genannten Volkstribunen zu sehen. Auch dürfte meines Erachtens 
das Volkstribunat, dessen Thätigkeit die Bannmeile gesetzlich nicht über- 
schreiten darf, am wenigsten geeignet sein, mit einen Amte cumulirt zu 
werden , das nothwendig ausserhalb der Stadt verwaltet werden muss. 
Vielmehr wird das CoUegium der Inschrift das CoUegium der curatoi-es 
viaruin selbst sein, das demnach 10 Stellen zählte. Diese Zahl ist bei der 
Ausdehnung des italischen Strassennetzes keineswegs übergross, besonders, 
wenn wir sehen, dass im Jahre 115 die Aufsicht über die via Salaria unter 
drei curatores vertheilt war. Es werden demnach die 10 Oompetenzcn, 
welche für die cura viarum der Kaiserzeit nachweisbar sind ') , den 
10 Stellen des Collegiums entsprechen und es spricht keineswegs dagegen, 
dass unter diesen Competenzen auch die der via Traiana erscheint, da 
diese durch das Zusanmienlegen zweier früher getrennten Competenzen frei 
geworden sein kann.*) 

In der Kaiserzeit endet das italische Strassennetz am Po ; die Strassen 
der Transpadana sind nie von senatorischen curatores verwaltet worden. 
Diese Erscheinung ist bedingt durch die Sonderstellung, welche die Trans- 
padana unter den italischen Regionen einnimmt. Seit der Entdeckung 
der Senatusconsults über die Gladiatorenspiele ^) wissen wir mit Bestimmt- 
heit , dass noch im 2. Jahrhundert die Transpadana , wenn sie auch zu 
Italien gehörte, eine Mittelstellung zwischen Italien und den Provinzen 
einnahm. Mommsen hat auch in seinem Commentare einige Spuren 
nachgewiesen, welche darauf führen, dass die Transpadana in der älteren 



^) Auf eine feste Reihenfolge weist die Angabe Cicero's hin de l. agr. 2, 9, 22; 
colJegas auos adscriptores legis agrariaCy a quihua ei locus primus 
in iudice et in praescriptione legis concessus est. 

') Mommsen, Staatsrecht. III, S. 411. 

') Mommsen, Staatsrecht. II, S. 1078. 

**) Die Competenzen des 1. Jahrhunderts festzustellen ist schwierig, weil die Inschriften 
der curatores viarum nicht immer aUe Strassenzüge, die eine Competenz bildeten, zu nennen 
scheinen. Auch steht es nicht fest, ob der Umfang der Competenzen im Laufe der Zeit 
nicht noch aus anderen Bücksichten modificirt worden ist. 

*) Ephem. eingr. VU, S. 388 f. 



— 63 — 

Kaiserzeit eine den Provinzen entsprechende Verwaltung besass. Im 
Jahre 739/15 sprach in Mailand ein Proconsul Recht , der demnach an 
der Spitze der Venvaltung stand. Damit ist die Nachricht zu verbinden, 
welche uns Dio erhalten hat über den Krieg, welchen der Proconsul 
S i 1 i u 8 im Jahre 738/16 in der Transpadana geführt. 

54, 20 : Ka^fnovviot aal Ovewov 34k7trKä yevri ünka xe ävrrJQavTO xai 
viyLY^evTEg vvth TlovTtkiov ^iliov ixeiQco&riaav' aal oJ IJawovioi rtjv xt 
^loTQictv juerä NoQiTLißv yLazedga/Ltov aal avToi xe Ttqog ze toO 2iliov xai 
t€ov vTtoOTQcttriyuiv avrov xaxcod-evTeg aud-ig iofioXdyrjffav , r.al rolg NcjQi- 
xoig aiTioi TT^g avtrig dovXeiag iyevovzo. zd re Iv rij Jal^iazi(f veox^M- 
aavra dl dkiyov xorTtcTTij. 

Das Commando des 8 i 1 i u s erstreckte sich demnach über den ganzen 
Kriegsschauplatz, der die Transpadana und das illyrische Littoral umfasste.^) 
Es hat also Augustus bei der Begründung des Principates das Commando 
in Oberitalien und den angrenzenden Districten, das vor der Unterwerfung 
der Alpen unentbehrlich war, in die Hände eines Proconsuls gelegt und 
so die Dyarchie in militärischen Dingen gerade an der verwundbarsten 
»Stelle des Senatsregimentes zur Wahrheit gemacht. Bis zur Zeit, wo die 
Verwaltung von Illyricum auf den Kaiser überging, galt lUyricum, wie 
Augustus eigene Worte im Ancyranum zeigen ^), als ein Theil Italiens. Für 
die spätere Verwaltung der Transpadana besitzen wir nur ein sicheres 
Zeugnis aus der Zeit Traians, unter welchem ein legatus pro praetore dem 
Gebiete vorstand.») Dazu treten u(x?h zwei andere Angaben, welche aller- 
dings durch Corruptel ♦) und Verstümmlung ^) so entstellt sind , dass sie 



») Ver^l. die Inschrift des Silius. C. I. L. lU n. 297B. 

«) Vergl. Mommsen, S. 98. 121. 

») C. 1. L. X, 6658. 

*) C. I. L. X, 3870 : L, Vitrasio L. f. Pos. (sie) Flaminino cos. pt'o cos. provincime 
Africae leg. pr. pr. (sie). Italiae Tranttpadanae et provinciae Moesiae supei-ioris et exercitus 

prorinctae Dalmatiae curatori ahei Tiberis riparum cloacarum urbis Wie die 

Inschrift überliefert ist gibt sie dem leg. [Aug.] pr, pr, Jtaliae Transpadanae consu- 
lyrischen Bang. Dies kann nicht richtig sein, weil der consxüarische Rang nur Statt- 
halter jener Provinzen zukommt, in welchen zwei Legionen stehen oder doch in einem 
früheren Entwicklungsstadium der Provinz standen, wie in Dalmatien, Spanien. Nicht 
minder anstössig ist der exercitus provinciae Dalmatiae neben der Nennung der Provinz 
Moesia superior, welche auf eine Zeit führt, wo in Dalmatien kein Heer stand. Auch die 
SteUnng von riparum hinter alvei Tiberis ist sonderbar. Es scheint, dass Fragmente falsch 
aneinandergereiht und durch Interpolation entstollt sind. 

*) C. VI, 1546 qitinjque [fjas(calis) reg[(ionis) Transpadanae leg. leg. VJII Cl. 
[pj /. praetari. yLommsenerglkTizt reg [ni NoriciJ. Analog wäre Cagnat annie epigraphi- 
JM«, ni (1890) n. 136 [jtgeaßevtrfv JteJvTaQaßdov *Patxiag. Nur nehme ich Anstoss an der 
Beieichnong Noricums als eines regnum in einer Zeit, wo ein Legat senatorischen Ranges 
die Proyinz verwaltet. 



— 64 — 

keine Biehere Zeitbestimmung zulassen. Doeh gehören sie allem Anscheine 
nach noch der Zeit vor Antoninus Pius an, der den Jnridicus für die 
Transpadana einsetzte. Die Ursache dieser Aosnahmsstellung der Trans- 
padana unter den italischen Regionen sehe ich in militärischen Rücksichten. 
Die Transpadana ist das natürliche Uebergangsland zwischen der östlichen 
und westlichen Reichshälfte und durch dieses Crebiet führten die einzigen 
gangbaren Strassen, so lange das Donauufer noch nicht militärisch besetzt 
war. Aber auch späterhin musste diese bequeme Communication ihren 
Werth behalten, da der Verkehr auf den Donaustrassen im Winter oft 
schwierig gewesen sein wird. Schon aus diesem Grunde musste es 
wünschenswerth erscheinen, dass dieses Gebiet dem proconsularischen 
Imperium des Kaisers unterworfen blieb, weil in Italien selbst die con- 
stitutionellen Schranken, die den Oberbefehl des Kaisers einengten, in der 
besseren Periode des Principates kein leeres Wort waren. Auch die starke 
Aushebung der Transpadaner für den Legionsdienst im ersten Jahrhundert 
der Kaiserzeit, während das übrige Italien regelmässig von der Conscription 
frei blieb ^), zeigt, dass in diesem Gebiete andere Rechtsregeln galten und 
der Oberbefehl des Kaisers hier wirksam war wie in den kaiserlichen 
Provinzen. Bei dieser Stellung der Landschaft ist es einleuchtend, dass 
die Kosten für die Erhaltung der Strassen auf die kaiserliche Casse 
fielen 2) und die senatorische Verwaltung demgemäss keinen Raum fand. 
Heidelberg. 



^) Es ist sehr möglich, dass die Italiener, welche aus den Landschaften südlich des Po 
in die Legionen eintreten, Freiwillige sind. Wenn wirkliche Ck)n8cription vorliegt, so war dies 
gewiss einer jener FäUe, wo in den Anfangen des Principats die Zastimmung des Senates 
erforderlich war. 

*) Die Erhaltung des italischen Strassennetzes fiel dem Aerarium zur Last. Vergl. 
Mommsen, Staatsrecht. II, 1079. Deshalb floss auch der Ertrag der Steuern aus dem 
Lande diesseits des Po, obwohl sie von kaiserlichen Finanzbeamten verwaltet wurden, noch 
im 3. Jahrhundert in das Aerarium C. I. L. III, Suppl. 6753 : proc(urator) vectigalior(um) 
[p]opul{i) R(omani) quae »unt citra Padum. Unter Marcus scheinen die curatores 
ffiarum selbst die Erhebung beaufsichtigt zu haben. Vita Marci 11: dedit eurat&ribus 
regionum et viarutn potestatem, ut vel punirent vel <td praefectum urbi puniendos 
remitterent eos, qui tdtra vtctigalia quicquam ab aliquo exegiaaent. Vergl. Mommsen, 
Staatsrecht. U, S. 1081. 



Ein Aegyptologe als Dichter 



von 

W. V. HARTEL 



In jenem Gemach des Ramcsseums in Theben, dessen Decke die 
astronomischen Darstellungen zieren, findet sich auf einer Säule, etwa 
4 Meter über dem Boden, folgende in schönen archaisirenden Buchstaben 
eingemeisselte Inschrift, welche Herr Professor Dr. J. Krall gelegentlich 
seiner ägyptischen Reise im Jahre 1885 abschrieb und von der er einen 
jetzt im archäologisch - epigraphischen Seminar unserer Universität auf- 
bewahrten Abklatsch mitbrachte. 

.XAn>(EMAA\AirrnTOUTnOAICa>0IM6NHn6l*6OYCA 

XAIPeeKATONTenTAOTMNHMAAIOCIIOAIOC 
ACirnA\AineP60NTIKAT6ICAPXAIONAOIAQ 

ICTOPIHCTenATHP0ÄT\IAM6rAICTOP66I 
HA0OMeNaMeTAKTMAriOCaN\PO>OCOIA66MATTii> 

IIÜCT6C60ATIVlÄCAM61NTHA6nP6n6IC6A!Al 
OC«I>l»6CINAICT6TX6nT6PIK A A A6 A AÜW ATAHTKN A IC 

YIAAIOCOCT66AinONMNHMATOAATTOC6rQ 
M6\INHC0Airee4>IAOrNOIKeiMAAA'rHAeiPIXAPAOr 

TH verA TOiAenATHPßcrei icoiAenA pöin 

niiCAirrnTIAKHC0eOAllPG6CIAONTAAGrAlHC 
OIIvAAeMHCn6rA6ICCIierAGMAAAGN0AMA0HC 

AriOCIAOYCGK A AeiK AlICÜC'M2N6riNTOC A ROTHC 
6N<PPeCIN6lA6nATHPOMMACIIlAlC I e A6CAC . 

1 Xaiqe (id}^ , ^lyvnToio nöXtg, g)0-ciitivtj ntq ioDaa, 
XaiQB fxaTOvreftvXov fivijfia Jtoa7t6h.og. 
'Jdarc TtdXai ntq iov xi '/.Xveig agiy^alov docdt^, 
'larOQiTjg re Jtarijq ^aC'^a /.liy laiogiei, 
5 "Hk&ofisv & ftsTä xvfAü Tc6a(ov, xq6vos oiÜ', iviavvcöv. 

Eranot Vindobonenti*. 5 



— 66 — 

ITuig Te a id-avfxaaafxeVy Tjjde TtqeTtu oeXiöi, 
Og (pQealv alg zevxe 7tTeQr/,aklea öcj^axa TtvAvaig 

Yiddiog, Sg t iXtTzov ^vrifjia x6S aixhg kyd), 
Me/AVT^ad^ai y iipi'kovv, oixu fxaXa, Tfjde ngi/agdov 
10 Trike yäQ cilde TcarrjQy uig yi zig olde Tta^dtv. 

^Tlwg ^lyvTtzicmfjgj QeödcjQe, iaidov rdde yalrjg, 

Olxdde /Ä7j OTteideig - ane^defxa^- ^v&a fid&tjg; 
^vrbg idov ae xaXei 'Aal ^iatag qxovevwog dxovrjg. 

Ev (pQeaiv eide TtaviJQ, ofifiiaai 7t al zekeaag. 
Die Insclirift bietet nur solche Eigenthümlichkeiten und kleine Ver- 
sehen, welche echte alte Inschriften aus dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. 
zeigen, an welche Zeit auch die Buchstabenformen erinnern, gibt aber an 
nicht wenigen Stellen zu Zweifeln und Bedenken über Sinn und Ver- 
bindung der Worte Anlass. 

Im 1. Verse steht fälschlich ^irYnTOIQ statt ^lyvTtToio. Vers 2 
würde man die homerische Form des Epithetons (I 381 Qrjßag-al ^r/,at6^- 
Tzvkoi eiaiv) erwarten. Aber ivMvdv re nvXov ergäbe eine Tmesis, welche 
weder durch homerische Fälle, wie ^377 diä ^ äfXTceQig, noch durch 
die von Cobet, Nov. lect., S. 142 f. besprochenen gerechtfertigt werden 
könnte und schon durch die Anapher ausgeschlossen wäre. Der Verfasser 
wird also die fehlerhafte Form hcatovreTtvlov gebildet, oder der Stein- 
metz auf solche Art hMTowaTtvlov oder eAorovvoTtvXov entstellt haben. 
Die Form mit o findet sich in dem Gedicht des Markellos nach 
dem Corp, inscr. gr, III, 6280 yeiroveg dyxiO-VQOc ^PcojLirig kAaTovroTtvloio, 
während K a i b e 1 , Epigr, gr, nr. 1046, h) 63 ohne Bemerkung hLaTovvaTtvXoio 
drucken lässt, und hat ihre Stütze an Bildungen wie Polybius, 4, 47, 
eY,avovv6diOQOv, was R e i s k e in hMTÖvdcjQov änderte ; Aischylos, 
Prmn, 853, SuppL 320 rvewrinovroTcaig , Homer I, 579 TcevvTfiAovröyvov 
und anderen Zusammensetzungen mit nevTjljKOvia, Hingegen erscheint 
häufiger die Form mit a erhalten, \\ie in exarovxaddxog^ exaTovTadQaxfiog, 
eTLaTowaezriQig y enaTovraet^g, hcavovta'AdQrpfog u. a. — Vers 3. rceg ver- 
stärkt hier wie Vers 1 ohne concessive oder adversative Färbung den 
Begriff" wie F 201 dg r^agpij ev drjfiii) ^Id-d/.rig y,Qavafig tvcq iovarig, q 47 
fii] f40i yöov 0Qvv&t-g)vy6yTi tveq o'ud-qov (vergl. Schol. H. t6 Tteq dvti tov 
dr} und Schol. zu Apoll. Rh. I, 299 b vt e q avvdeafiog fi&evai Ttolhbug 
dvti Tod ye /ml d ij, ^131 o^ixiog IdQiavaQyßg dTtedwxev^ dyad-bg d^ (ov, luxl 
Q 47 (pvydvTi örj), — Ungewöhnlich ist (Vers 3) die Stellung von ti, welches 
so viel wie XQW^ ^^^^ ^^'^ (vergl. Demosth. 2, 12 &7tag luiv X6yog, av 
aTtfl Ttt 7tQdyfAaTa, fudzaiov xi q)alv£Tai xal '/.evdv). — Der Artikel fehlt 
bei den als Eigennamen gebrauchten Gattungsnamen doidtp = zip /rotijrj, 
\vie auch sonst (Kühner, A. G. II, S. 521, 6). 



— 67 — 

Grössere Schwierigkeiten bietet Vers 5 rild'OjLievw. Der nächste Ge- 
danke ist, in Erinnerung an den Fehler im 1. Vers u^lyvTcroia), ein Ver- 
sehen anzunehmen und Eld-o^hq) oder ild^o^ivo) zu schreiben. IX^o^hfj) 
mit iaroqhi verbunden gäbe einen schiefen Sinn: „Herodot erzählt dem 
nach ungezählten Jahren Kommenden von dem grossen Wunder" ; denn 
die Jahre zwischen Herodot und dem Verfasser des Epigramms sind 
bestimmbar und für das Alter Thebens, auf das es ankommt, gleichgiltig. 
Schreiben wir aber den Dual lld-ofAtvio, so scheint dieser in den voraus- 
gehenden oder nachfolgenden Versen seine Stütze zu finden; denn hier 
wie dort ist von zweien die Rede: dort von Homer und Herodot, 
welche wohl als viele Jahrhundertc nach dem Ursprung Thebens „kommend" 
bezeichnet werden durften. Die leichte Anakoluthie, welche darin liegt, 
dass nur ein Nominativ vorausgeht (laroQirig ze TtartJQ), bedarf im Hinblick 
auf viel freier angewandte Nominative des Particips, wie sie unter anderen 
Kühner (A. G. H , S. 661 f.) verzeichnet, kaum einer Entschuldigung. 
Hier von anderen zweien dg revxe und üg t^/utcov. Aber die grammatische 
Verknüpfung des Verses ilO^ofiivoj fierä 'Kfj^ia Ttöaiav XQ^'^^S o«^ hiav- 
Twv mit dem folgenden Verse Uiog xi a id^avfddaainev verbietet die Par- 
tikel T€, wenngleich es von diesen letzten Besuchern um vieles passender 
hiesse, dass sie nach dem Verlauf ungezählter Jahre Thebens Ruhm ver- 
künden. Diese Beziehung lässt sich jedoch aufrecht halten, wenn wir ohne 
Annahme eines Fehlers lesen: rjkd^ofAsv (S fAcrä Y.v^a Ttoaiav, xQovog old\ 
ivLavriov, und diesen Relativsatz (= xolv kQxofxivoLv) mit 'tGToqeet verbinden. 
Die Ergänzung des demonstrativen Pronomens (tovtolv w l^ld-o^evj wäre 
nicht härter als bei T buk yd. 4, 26 ä&v^iiav xe Ttleiaxriv b xqdvog 7ca- 
QtiX^ ^ccQ^ koyov iTtLyiyvüiAEvog (sc. xovxoig)^ ovg (Jiovxo ijjLieQwv d?U'yo)v 
ixTTohoQ'Kijaeiv oder Xenoph. Anab. 5, 1, 8 eidivat xfjv dvvafiiv (sc. xomiov) 
t(p ovg av iioaiv. Ganz modern aber muthet in diesem Verse das Bild 
.der Woge unzähliger Jahre" an, nicht minder die Personification des 
\Q(')vog, welcher wisse, wie Wele Jahre von Thebens Blüthe bis auf die 
Gegenwart des Sprechenden verflossen seien. Auch das fragende oder 
exclamative Ttdawv entbehrt nicht der Kühnheit. 

Wie die Beiden, die nach Theben gekommen waren, die Stätte alten 
Ruhmes bewunderten, verkündet dieses Epigramm. Das bedeutet aeUg, 
ein in diesem Sinne „beschriebenes Blatt" späteren Epigrammatikern 
geläufiger Ausdruck; vergl. Kaibel, nr: 618, ep. 20 novkv de %ai XQ^' 
aöio xal fjliTLXQOio q>aeivov \ ^aaex^ äei xQeaawv Tjv iXiTteg oüAda, nr. 979, 8 
yMyv} ix^ xevx^iv laxoQiTLfiv aeUda. Dieselben werden aber genauer 
bezeichnet Vers 7 und 8 mit den Worten : Sg x iltTtov jLiv^fia xoS avxbg iy(o, 
der Dichter des Epigramms, der sich zur Heimkehr anschickt, mit Namen 
sogar der andere Yiddiog. Wer aber unter der seltsamen Namensform 



— 68 — 

sich verbirgt, ist eben so dunkel, wie klärlich die Worte dg q>Qeaiv alg 
T€vx^ TtTeQiTLakUa diüfiora mmvalq auf den Erbauer des Tempels, in 
welchem sich die Inschrift findet, zu gehen scheinen, was auch das singu- 
lare nach der Analogie von TTzegoTcoLTulog (Aristoph. ^v. 248, 1411) 
gebildete Epitheton verbürgt; TcreQd sind die Seitenmauem ägyptischer 
Tempel. Aber wie könnte unser Dichter sich und den altehrwürdigen 
Ramses als Besucher und Bewunderer zusammen nennen und wie wenig 
passte diesem alten Erbauer gegenüber das Object der Bewunderung aef 
Unter diesen Umständen werden wir den Satz, so sehr uns sein Wortlaut 
abhält, nicht von dem Erbauer, sondern lieber von einem Antiquar oder 
Architekten, welcher den alten Bau beschrieb oder reconstruirte, verstehen. 
Der Dativ q>Qeaiv alg kann in dieser Vermuthung nur bestärken. 

Die Erwähnung des gelehrten Forschers weckt die Erinnerung des 
Dichters an den gelehrten Vater fem in der Heimat, der ungeduldig des 
Sohnes Rückkehr erwartet; denn das ist wohl der Sinn des folgenden 
Distichons: „ich erinnerte mich hier gerne — es ziemte sich wohl — an 
Prichardes; denn fem von da kennt der Vater (Aegypten), wie einer, 
der da war." Für fiefivija&ai y ^q)Llovv, vergl. Pindar, N. I, 12 ^leya- 
hx)v d* ded-Xwv Mdtaa ixe^iväad-ai (pilel, — oicxec steht deutlich auf dem 
Stein und kann nur das zu jon. oixa augmentlos gebildete Präteritum 
sein; für eY/xi oder olxev ist es wohl nicht verschrieben. Die dorische 
Locativform ol'xft wiche von dem streng festgehaltenen Dialect des Epi- 
gramms ab und fügte sich weder der Construction, noch dem Sinn. Solche 
parenthetische Einfügungen liebt auch der Dichter; so Vers 12 OTtevöe 
fddla, und vergleichbar ist auch 5 XQ^^^S oldev. Dass aber otTcei fidla 
nicht blos auf das Verhältniss des Sohnes zum Vater, sondem vielleicht 
auch auf das des Schülers zum Lehrer geht, lässt sich vermuthen, indem 
von Prichardes in der Begründung gerühmt wird, dass er Aegypten 
kenne, als ob er selbst dort gewesen, und im letzten Verse der Autopsie 
des Sohnes das iv (pQBolv Idelv des Vaters entgegengesetzt wird. Nach- 
dem also der Dichter alle diejenigen aufgezählt hat, welche Thebens 
Lob gesungen, will er des Vaters nicht vergessen, dem er seine Begeiste- 
rung für das alte Wunderland verdankte. Seine räthselliaft andeutende 
Art, die sich besonders in dem objectlosen oide fühlbar macht, mag halb 
Absicht, halb Unvermögen sein. Mehr Unvermögen des Ausdrucks spricht 
aus den folgenden Versen, welche die Rede des zur Rückkehr malmenden 
Vaters enthalten, die der Sohn zu vernehmen glaubt: „Willst du nicht 
nach Hause eilen — o eile doch ! — wo du erfahren sollst, wie ich diesen 
Theil ägyptischen Landes bewundemd geschaut. Sieh ! er selber ruft dich 
und vielleicht wirst du seine Stimme vernehmen. In seinem Geiste sah 
der Vater, o Sohn, der du es mit den Augen vollbracht." Wie Vers 11 



— 69 — 

und 12 die Sätze zu verbinden, zeigt die Uebersetzung. Die Construction ist 
unbeholfen. Mit rdde sind wohl die fir/jiuara Thebens gemeint und iaidov 
soll, wie sonst hie und da elaogäv, die Vorstellung des Staunens erwecken, 
wodurch dieser Theil des Epigramms in engere Beziehung zu dem 
vorausgehenden , besonders Vers 6 ^ttog ri a kd^avpiäaaiiev, gebracht wird. 
Der Conjunctiv /^dS^g vertritt das Futurum , wie auch Vers 13 aKovrjg. 
Vers 14 fällt in elde die gleiche Unbestimmtheit auf, wie Vers 10 in olde. 
Ich habe diese Verse mit grösserer Ausführlichkeit behandelt als sie 
verdienen, um zu zeigen, dass dieselben nicht so ganz des Sinnes und 
Zusammenhanges entbehren, wie es Manchem bei flüchtiger Durchsicht 
scheinen wollte. Die Unbeholfenheiten des Ausdruckes und die Undeutlich- 
keiten der Beziehungen wären so wenig wie die singulären Formen hiarov- 
t€7njXov, TtTegoxakkea oder oIltul ausreichend, das Epigramm zu einer 
modernen Stilübung zu stempeln, wenn nicht der räthselhafte Name Yiddiog 
und der unzweifelhaft moderne Prichard an einen Engländer oder Fran- 
zosen denken Hessen, welcher mit seinen paläographischen Kenntnissen und 
seiner sprachlichen Gewandtheit sich diesen Scherz erlaubte. Der ägyptische 
Boden hat manchen Betrug solcher Art, wenn man das Betrug nennen darf, 
gezeitigt, wovon die Sammlungen ägyptischer Alterthümer zu erzählen 
wissen. Ueber den Verfasser des Epigramms vermochte ich in den mir 
zugänglichen biographischen Sammlungen nichts zu finden. Da es ihm 
darauf ankam, seinen Namen zu verewigen, hiess er ohne Zweifel Theodor 
Prichard. Der Vater ist unschwer zu ermitteln. Unter den bekannten 
Trägem dieses Namens eignet sich allein James Cowles Prichard, über 
welchen die Nouvdle Biographie g^n4rale (Bd. 41, S. 22) folgende Daten 
bietet: „P. ethnologiste anglais, nd en 1785 h Boss (C, d^Hereford), 
mort le 22 d^cembre 1848 , ä Londres, Destind h la carrih'e mddicale, 
il fit ses dtudes h JSdimbourg^ et y prit le dipl&ine de docteur, ayant choisi 
pour sujet de sa tMse Vhistoire physique du genre humain. Tl aUa se fi^xer 
h Bristol, et en 1810 il fut nommd mddecin de Vhopital Saint- Pierre. 
A travers les devoirs multiplids de sa profession, il rCavait pa^ perdu de 
vtie le sujet de sa th^e, et en 1813 il pvhlia ses „Besearches into the phy- 
sical history of mankind^, Cet ouvrage ne formait alors qu^un voluine; il 
s^accrut avec les dditions ä la seconde (1826); il en avait deux, et ä la 
trotsihne, qui acheva de paraitre en 1849 , il alla jusqvlh dnq, Prichard 
se mit ainsi au premier rang des ethnologistes. En 1843 il 4crivit, h Fusage 
du peuple, un rdsumd de ses travaux saus le titre de „The Natural history 
of man^ y rÜmprimi en 1845 et traduit en frangais et en allemand, 
Plusieurs autres mimoires ou dcrits de moindre importance roulent sur le 
mhne sujet, entre autres „ On the eastern origin of the celtic language*^ et 
„Analysis of egyptian mythology^, — Nommd en 1845 memhre du comitd 



— 10 — 

des altendsj il quüta Bristol pour venir demeurer ä Londres. 11 fit partie 
de la SodiUd royale et prdsida la Soddtd ethnologique. 

Die weiter aufgezählten medicinischen und psychiatrischen Werke 
interessiren uns hier nicht weiter; wohl aber die in der Biographie nur 
nebenbei genannte „Analysis of egyptian mythology^ , welche in Deutsch- 
land durch L. Haymann's, von A. W. v. Schlegel mit einem Vorwort 
begleitete Uebersetzung („Darstellung der ägypt. Mythologie, verbunden 
mit einer kritischen Untersuchung der Ueberbleibsel der ägypt. Chrono- 
logie von J. C. Prichard M. D. Uebersetzt und mit Anmerkungen begleitet 
von L. Haymann, Bonn bei Ed. Weber, 1837") bekannt wurde, und 
eine Schilderung ägyptischer Cultur, deren lebendige Anschaulichkeit unser 
Epigramm zu preisen scheint, enthält. Was aber den Reisecompagnon 
Theodor Prichard's betriflft, so war Herr Maspero, an welchen sich 
mein College Professor Jac. Krall gewandt hatte, so glücklich, den 
Mann zu eruiren. Er schreibt : Le nom YUddiog r^pondrait dssez exactement 
ä Wide, mais je crois qu*il s^agit plutot du Campte Vidua, un PiSrnmi- 
tais, qui voyagea en Orient vers 1826 , et qui a public un volume de notes 
de voyage et d^inscriptions surtout sur VAsie Mineure, San nom s^t^ale en 
gros caract^res non loin de celui de Prichard avec la date sur le mur 
extdrieur Ouest du grand temple de Philae: on retrouve les deux noms 
assodds h Dend^rah et ailleurs aussi, h Th^hes, atäant qu'il m*en souvient. 
Mit Recht macht Maspero darauf aufmerksam, dass der Ausgang -diog 
dem Hexameter zu lieb gewählt wurde ; dass der gelehrte Verfasser fidnog 
durch Ylddiog wiedergeben wollte, wird man nicht annehmen mögen. 
Letronne hat sich der Copien Vidua's wiederholt bedient und dieselben 
im Journal des Savants des Jahres 1827 behandelt (vergl. Letronne, 
Oemres choisies. 2. S., T. I, S. 252 fg., 261—263). 



Das Schlusscapitel der Poetik 



von 



THEODOR GOMPERZ 



Auch dieser Abschnitt des unschätzbaren Büchleins bedarf noch hier 
und da einer kritischen Nachhilfe, manch eines Wortes der Erläuterung 
(mag nun dieses überhaupt noch nicht gesprochen oder mag es von den 
Interpreten nicht gehört -sein), nicht am mindesten freilich der Abwehr 
manch eines grund- und nutzlosen, wenn nicht gar sinnstörenden Aende- 
mngSYorschlags. Was ich nach diesen verschiedenen Richtungen zu bieten 
habe, glaube ich dem Leser am besten und bequemsten in dem Gewände 
eines Commentars darreichen zu können, der nur solche Punkte berührt, 
die bisher nicht ausreichend behandelt oder nicht endgiltig erledigt scheinen. 
Dieser Ergänzung zu den vorhandenen Commentaren schicke ich den Text 
in der Gestalt voraus, die ich ihm geben zu müssen glaube, wobei die 
wenig zahlreichen Abweichungen von dem besten, d. h. dem Vahlen'schen 
Texte, besonders vermerkt und begründet werden, und stelle diesem eine 
üebertragung gegenüber, die nur dort originell sein will, wo die bisherigen 
üebersetzungen mir kein Genüge thun, während sie im Uebrigen ihren 
Vor^ngerinnen manche gelungene Wendung entlehnt zu haben gern bekennt 
und dort nichts ändert, wo ändern nur verschlechtem hiesse. Bei der 
Begründung meiner textkritischen und exegetischen Vorschläge bin ich der 
Polemik, so weit dies irgend th unlieb war, ausgewichen, und zwar nicht 
nur dort, wo ich Ttgbg q)iXovg ävdqag zu sprechen genöthigt gewesen wäre. 
Ich habe mich lieber bemüht, eine neue Schreibung oder Deutung auf 
positive Gründe zu stützen , indem ich dem Schwergewicht der Wahrheit 
vertraute, und habe der Darlegung nur dort eine streitbare Form geliehen, 
wo besonders scheinbare, aber meines Erachtens unhaltbare Meinungen 
der mir als richtig geltenden Ansicht den Weg verlegten. 



— 72 — 

1461** 26 TtOTEQOV de ßelriwv fj iTroTtouTcr) fii/irjais ^ fj tQctyiY.ri, 

dLanoqrfiEtey äv rig' ei yicg fj Jjttov 90^^x7} ßeXriwv, zoiavrt] 
(f fj TtQÖg ßeXriovg d^eards ioTiv äei, Xiav di^Xov Sri fj 
ärtavTa ^i^ov^evri q^OQTty.rj' ütg yicQ oix aia&ccvofieviov av 

30 f^fj ctvrbg TtQoa&iJ, 7tok).fjv uhrjOiv xivovvtai, oTov ol (pavhn 
avXrjval yLvlLüf^evoi av dlanov der} fiLfielad'ac, aal l'k'novTeg 
TÖv 'aoQvq)aiov av 2'/,^klav avXwocv' fj fiiv ovv TQay(itdia 
TOLaiivri iariv, dtg aal 01 Ttqtrveqov xoig laxeqovg avrdiv qiovro 
bTtoyLQirdg. wg Uav ydtq VTteqßäkXovra md'rj'/,ov 6 Mt^wiaxog 

35 TÖv KaXXiTCTtidrpf iyid)^i, TOLoikrj de do^a 'aal Tteql JOLlv- 
1462* ddqov fjv vag dt o^toi [(f]?x^t'<T^ Ttqbg abtovg, ij SAij xexvfl 

Ttqbg T7)v eTtOTtoiiav ix^i' rijv fdiv ovv Ttqbg S'eariig kTtieixelg 
q)aaiv elvai ^o^y oidev deowai raiv oxrjfddrwv, rrjv de rqayi- 
y,r)v Ttqbg <pavXovg* ei ovv (poqTLY,rj xeiqiov d^lov Utl av el'ij. 
5 TtqioTOv fjtev ov t^$ TtOLrjTiyLfjg fj TcaTTjyoqia dkkä t^^ VTtonqiTi- 
x^$, iTtei ioTL Tteqieqydtea&aL röig arjfieioig aal ^axpt^tdovvta, 
STteq [earl] SwaioTqarogy y.ai dit^dovra, brceq iTtoiei Mva^i- 
d-eog 6 ^ OnoijvTtog, elra ovde "aivrjoig ajcaaa ärcodo'Kifj.aaTea, 
el'Tveq fAijS* oqxriaig, dXli ij <pavl(ov, S^req nai KaXkiTtmdr] 

10 kTteTLfxäro aal vvv älkoig log orx elev&eqag ywalnag fiifiov- 
fieviov. in ij xqayiiidia aal ävev Tuvijaewg Ttoul rb air^g, 
(OGTteq ij kfcOTCoua' diic yiiq tov dvaytviüGiieLV g)aveqd ÖTtola 
rig iariv ei ovv ioTi xd y äkla nqeiTTWv, tovto ye ovx dvay- 
nalov avrfj V7cdqxet[v], iort dteTtet Tic jtdvr tx^i SoaTteq ij krto- 

15 Ttouay "aal yicq T(p fÄErqoj e^ean XQ^^'^^^i ^^rt fet ov fiixqdv 
fAeqog tijv fAOvaiyLfjv, di Jjg a\ ijdovai awiarav- 
rat ivaqyearata, "nai ricg oxpetg, elra aal rb ivaqyig ^x^l xa/ 

iv TTj dvayvib- 
aei nai hni tcov iqywv, hi tö iv ildvrovi fiijxec rb reXog 
1462** TTig iii^njaeiog eivai' rb yitq dd^qodyveqov ijdcov }] TüoXhp iMxqa- 
fÄBvov \tQ Xßov</>], Aeyw dtoiov et rig rbv OidiTtow d-eirj [^€«ij] 
TÖV 2()y)07(,leovg ev ifceaiv Saoig ^ ^Ihdg. ht Ijttov [fj] uia 
fAifiTjatg ij twv inoTcoiGv' arj^elov de, h, yäq OTtoiaoovv 
5 [!^i(4.j^eu)g\ TtXeiovg Tqayqfdiai yivovzav äoTe eäv ^ev Vva 
f4v&ov Ttoiwaiv, llj ßqaxeiog deiyLvvfievov fxeiovqov (paivea&ai, J; 
d%oXov^ovvTa Tift tov fxkrqov fiipcet vdaqfiy (JiXXwg de Ttomikovy • 

liyo) de 
olov iäv h. Tcleiovojv Ttqd^ewv /J avyxeifievrj, äaneq ij ^Ikidg 
ix^L TtoXkd Totavra fdeqr^ nai ij ^Odvaaeca <S) y.ai nad-' 

10 eatrrii ^x^i f^eyed-og' naiTOL Tovra Tic TcoujfxaTa avveOTrpiev 
(hg ivdexeToi äqiara nat Stc fidhoTa uiäg Ttqd^ewg f^iin}- 



— 73 — 

aig, ei ovv toikois t€ dta(pequ Ttäaiv "Kai tri Ti^ in^g rexv^g 
^QYVf <JfiZ yicQ ov rf/v tvxoixsav fjdovrjv Ttoieiv avrdcg ällct 
Ti)v elQfifAivrpfj q)aveQbv Sri TLqeirrwv Sv eirj fiällov tov 
15 Tikovg Tvyxdvovaa rrig iTtOTzouag, 

Ileqi ^iv ow rqayiiidiag Aal inoTtouag^ nal airtcov 
%ai rcSv eldiov y,ai riov fiEQwv, nat nma aal zl dLaq)€Qec, 
nai TOV €v }] fxij liveg aiTiai, xal tvbqI kntTifjirfje(av Y,ai 
)jjae(aVy eiQrjod-cj Toacn/ca, 
Ob die epische oder die tragische Darstellung höher stelle, dies ver- 
lohnt sich wohl zu erörtern. Ist es richtig [so kann man zuvörderst meinen], 
dass die feinere Darstellung höher steht, sie aber in dem Maasse feiner 
ist, als sie sich an ein h()her stehendes Publikum wendet, so ist [zunächst] 
diejenige, die Alle« versinnlicht , augenscheinlich gar sehr unfein. Denn 
als ob dem Publikum Alles dunkel bliebe, wenn es der Darsteller nicht 
selbst hinzuthut, ergehen sich diese in unaufhörlichen Bewegungen, wie 
die schlechten Flötenspieler, die sich fönnlich wälzen, wenn es den Diskos- 
>vurf nachzuahmen gilt , und den Chorführer am Kleide zerren , wenn sie 
die Skylla blasen. Der Tragödie [so sagt man nun] ist dasselbe eigen, 
was den älteren Schauspielern an dem 8piel der jüngeren auffiel; einen 
Affen nämlich schalt Mynniskos den Kallippides, weil er allzu stark auf- 
trug, und dasselbe Urtheil traf auch den Pindaros. Wie diese [Schau- 
spieler verschiedener Generationen] sich zu einander verhalten, so verhalte 
sieh die ganze tragische Kunst zur Epopöe. Diese [so meint man] wendet 
sich an ein gebildetes Publikum, das des Geberdens nicht bedarf, die 
Tragödie aber an ein gemeines. Ist sie nun in der That unfeiner, so steht 
sie offenbar tiefer. Zunächst nun [so kann man erwidern] gilt diese 
Anklage nicht der Dichtkunst, sondern der Schauspiel- und der Vortrags- 
knnst [überhaupt]; denn in der Pointirung ein Uebriges leisten, das kann 
auch der Rhapsode, wie Sosistratos, und der Concertsänger , wie Mnasi- 
theos der Opuntier es that. Fenier ist auch nicht jede Bewegung ver- 
werflich, sonst müsste es ja auch der Tanz sein, sondern nur jene gemeiner 
Personen ; war doch dies der Tadel, den man gegen Kallippides erhob und 
jetzt gegen Andere erhebt, denen man vorwirft, sie stellten [in ihren 
Frauenrollen] keine freien Frauen dar. Endlich thut die Tragödie auch 
ohne jede Bewegung ihre Wirkung, nicht anders als das Epos; gibt sich 
doch der Werth jedes ihrer Werke auch bei der blossen Leetüre kund. 
Verdient sie nun aus anderen Gründen den Vorzug, so darf man dieses 
Element, da es ihr nicht als ein nothwendiges [und wesentliches] anhaftet, 
nicht mit in Rechnung stellen. Sie verdient ihn aber, weil sie all das 
besitzt, was dem Epos eigen ist (steht ihr doch sogar auch sein Versmass 
zu Gebote) und überdies ein nicht gering anzuschlagendes Kunstmittel, die 



— 74 — 

Musik, welche dem Gemiss die höchste Lebendigkeit verleiht, und die 
Seenerie. Ferner eignet ihr das Packende des Eindrucks, und zwar sowohl 
bei der Lcctüre als bei der BühnenauflTuhrung , nicht minder der Vorzug, 
dass die Darstellung sich in einem engeren Rahmen abspielt. Ist doch das 
einigermassen Concentrirte genussreicher als das stark Verdünnte. Ich 
denke hierbei an Fälle der Art, wie wenn Jemand den Oedipus des 
Sophokles in so viele Verse brächte, als die Dias enthält. Schliesslich ist 
die Darstellung der Ependichter eine minder einheitliche, was daraus 
erhellt , dass jedes ihrer Werke den Stoff zu mehreren Tragödien abgibt. 
So geschieht es denn, dass, sobald sie einen einheitlichen Stoff behandeln, 
die Bearbeitung bei knapper Ausführung wie abgehackt erscheint, wenn 
sie aber die dem Versmass entsprechende volle Entfaltung gewinnt, den 
Eindruck des Verwässerten hervorbringt. (Im andern Fall aber erhält sie 
ein buntscheckiges Ansehen.) Ich meine dann, wenn das Epos aus mehreren 
Handlungen besteht, wie ja auch die Ilias viele derartige Partien enthält 
und desgleichen die Odyssee, — Partien, die auch für sich genonmiein eine 
gewisse [zur Selbstständigkeit ausreichende] Ausdehnung besitzen; und 
doch ist der Bau dieser Dichtwerke der denkbar beste, und sie sind so 
weit als möglich Darstellungen einheitlicher Handhmgen. Wenn somit die 
Tragödie in all diesen Punkten und ausserdem noch in der specifischen 
Kunstleistung einen Vorzug besitzt — denn die Dichtungen sollen nicht 
jede beliebige Lust, sondern die hier schon oft genannte gewähren — so 
ist es klar, dass sie das [gemeinsame] Ziel vollständiger erreicht und mithin 
höher steht als das Epos. 

Ueber Tragödie und Epos nun, über sie selbst, ihre Arten und Theile, 
deren Zahl und Beschaffenheit und über die Ursachen des Gelingens und 
Misslingens, desgleichen über Ausstellungen und Rettungen mag das 
Gesagte gentigen. 

Commentar. 

Der Beweisgang im Beginn dieses Abschnitts ist einigermassen ver- 
schieden von demjenigen, den man von Vornherein erwarten würde. Er 
lautet auf seinen bündigsten Ausdruck zurückgeführt also: „Eine Dar- 
stellung, die sich an ein höher stehendes Publikum wendet, ist feiner und 
steht darum selbst höher. Nun wendet sich die dramatische Darstellung 
— so behaupten ihre Verkleinerer — vermöge der Reichhaltigkeit ihrer 
Action, die geringe Intelligenz voraussetzt, an ein tiefer stehendes 
Publikum. Darum ist sie unfeiner als andere Darstellungsweisen, und weil 
sie unfeiner ist, steht sie tiefer." Man möchte gerne zwischen dem höher 
stehenden Publikum und der höher stehenden Kunstdarstellung einen 
directen Zusammenliang herstellen; man erwartet das Eine durch das 



— 75 — 

Andere begründet zu sehen, etwa so: weileine ^ufiriaLg sich an ßekrwveg 
d'earal richtet, darum ist sie selbst ßekrimv. Der überlieferte Text gestattet 
aber eine derartige Beziehung nicht , und ich vermag Vahlen nicht bei- 
zupflichten, wenn er durch seine Deutung des Wortes To^ortTij, ^i. e. ßel- 
xiiav^ eine solche herzustellen versucht. Der Zusammenhang lässt vielmehr 
keinen Zweifel darüber bestehen, dass man erklären muss „roioftJrij i. e. 
j^TTov (poQTt'Krj^, Das Unfeine, g)OQTLXüVy und sein Gegen theil bildet das 
Mittelglied zwischen dem tiefer, beziehungsweise höher stehenden 
Publikum und dem tieferen, beziehungsweise höheren, Rang der künstle- 
rischen Darstellung. Auch dass die ärtavTa ^^^or^fvij-Darstellung eine 
„überaus unfeine" (Uav (pogriyci]) ist, glaubt der Autor beweisen zu müssen, 
indem er zwischen beide Begriffe die oht aiad^avof^evoi, d. h. die xe/poveg 
^earai, in die Mitte stellt, in dem begründenden Satze: wg yäq oux 
alad'ccvofi€V(ov xrf. An der geringen Qualität des von dieser Darstellungs- 
weise vorausgesetzten Publikums wird allerdings die geringe Qualität der 
Darstellungsweise selbst erkannt, aber nicht unmittelbar, sondern durch 
die Vermittlung des Begriffes q)OQTixüv. Die ärravTa fitfiovfÄSvr^ fÄifÄrflig 
läs&t auf ov% ala&av6f4evoi , d. h. auf xeiQoveg ^eatai schliessen ; darum 
ist sie liav ^po^tx^, und weil sie dies ist, ist sie x^/pwv. So enthält der 
Beweisgang v i e r Begriffsglieder und nimmt seinen Anfang von dem, was 
als äusserlich wahrnehmbare Thatsache allein keiner Begründung bedarf, 
nämlich von dem Reichthum an Darstellungsmitteln, der das Drama kenn- 
zeichnet, von der Alles versinnlichenden dramatischen Action. Dass 
der allgemeine Theil des Schlusses in dem Satze )uav — (fOQiT/,i] vorweg- 
genommen, und ein Theil der Begründungen unmittelbar nachgeschickt 
wird, die Anwendung auf das Drama aber erst mit den Worten ei ovv 
tpoqfiLA.^ XelQiov dfjlov Stl av et'ij nachfolgt, ist klar und Aristotelischer 
Manier, wie ich meine, vollkommen gemäss. Ungern entbelirt man ein 
fiäkXov vor q)OQTiy.i], was die Responsion zu ijttov cpOQTrMi zu fordern 
scheint. Doch mag es immerhin möglich sein, dass der Verfasser der Poetik 
doreh die unmittelbar vorher gebrauchten Ausdrücke inteLTLelg und 9?cri;- 
lovg (nicht iTtteLKeareQovg und (pavloxsQovg) veranlasst ward, jene strenge 
Responsion aufzugeben und hier statt eines Gradunterschiedes einen abso- 
luten einzuführen. Zu dem Satze üg yitQ — TCQoa&fj will ich bemerken, 
dass, wenn Vahlen TcqoaiHj im Sinne des Uebertreibens auifasst und 
sich für diese Deutung auf den Gebrauch von Ttgoatid-evreg c. 24.1460 a 18 
beruft, ich ihm hierin nicht beizupflichten vermag. Dort ist von den 
Znthaten die Rede, durch welche Jedermann eine empfangene Mit- 
theilung auszuschmücken liebt. Da nun solche Zusätze darauf abzielen, 
den durch eine derartige Mittheilung hervorgerufenen Gefühlseindruck zu 
verstärken, mithin eine Schreckenskunde noch schreckhafter, eine Glücks- 



— 76 — 

botschaft noch erfreulicher, als sie an sich ist, zu gestalten, so fällt in 
diesem Zusammenhang das Hinzuthun in der That mit dem Uebertreiben 
zusammen, ohne dass uns daraus das Eecht erwüchse, dem Worte fCQoa- 
TidivaL auch in anderen Verbindungen diese Bedeutung zuzuerkennen. 

Dass die Z. 32 erwähnte Skylla ein Dithyrambos war und bei den 
„Flötenspielern" daher an den einen Auleten zu denken ist, dem jedesmal 
die musikalische Begleitung des Dithyrambos oblag, diese Vermuthung 
Twining's, welche Susemihl als möglich gelten Hess, glaube ich in einem 
andern Zusammenhange festgestellt und zugleich Timotheos von Milet als 
den Dichter dieser „Skylla" erwiesen zu haben (vergl. Anz. d. k. Akad. 
d.Wissensch. 1886, Nr. 5; Jahrb. f. class. Philol. 1886, 771—775). 

1462 * 1 habe ich statt des herkömmlichen avrovs vielmehr avrovs 
geschrieben. Die übliche Uebersetzung des Wortes scheint mir unmöglich, 
da, wenn von dem Verhältniss dieser Schauspieler zu jenen die Eede 
wäre, nicht avTovg, sondern ixeivovg dastehen müsste. Aristoteles will viel- 
mehr sagen: „wie diese Schauspieler sich untereinander verhalten, so ver- 
hält sich die Tragödie zum Epos". Dass avrovg hier angemessener ist als 
ein etwaiges dlli^lovg, kann dem, der es nicht selbst fühlt, ein Blick in 
Krüger's Griech. Gramm. 51. 2. 16 zeigen. 

7 hat Christ neuerlich das treffliche di^dovra der Apographa, 
welches auch der Parisinus, wenn auch mit falschem Accente (diadovra) 
— denn das iota subscnptiim fehlt in der Handschrift gemeiniglich — 
darbietet, in Uebereinstimmung mit den zweifelnden Vorschlägen früherer 
Kritiker durch ^dovra ersetzt. Da hier nicht von einem Singenden schlecht- 
weg, sondern von einem öffentlich, d. h. nach griechischer Weise in einem 
Agon auftretenden, also einem berufsmässigen oder Concertsänger die 
Rede sein niuss, so ist ÖK^dovra das allein Mögliche und Zulässige ; darauf 
hat Tyrwhitt längst hingewiesen mit der Bemerkung: ^ÖKfdetv enim est 
certatim sive in certamine canere^. Dem von diesem und von 
Valckcnaer zu Herodot V, 18 (auf welchen Tyrwhitt verweist) und vom 
Thesaurus s. v. diifdu) Dargebotenen will ich nur ein Apophthegma des 
Kynikers Diogenes beifügen, das zur Beleuchtung der in derartigen Com- 
positis erkennbaren Bedeutungsnuance vorzüglich geeignet erscheint: Ji- 
oyevrjg Heye 6 l a Ttahxiovxag fuiv TvoXlobg bqäv y,al d i a TQixovrag , öta- 
vialoyiayad^ii^Ofxevovg de ov (Stob. Floril. IV, 112). 

9 werden die Worte äl'^ fj (pa^Xiov meines Erachtens von den neueren 
Uebersetzern und Erklärem, so \iel ich sehen kann, fast durchgängig miss- 
verstanden. Schon der Ausdruck äTrodoxijaaaTia scheint zu stark für das 
blosse Missfallen an der Darstellung von „Stümpern". Er spielt in das 
Gebiet des Ethischen hinüber und lässt sofort vermuthen, dass der Tadel 
hier nicht dem Geschick der Darsteller, sondern, wie Aristoteles dies aus- 



— 77 — 

zadräcken liebt, den Gegenstäuden oder, wie wir zu sagen pflegen, dem 
Stil und der Manier der Darstellung gilt (vergl. c. 2 und Vahlen, Bei- 
träge, I, 7); jeden Zweifel beseitigt das nachfolgende log otx ikevd-sQag 
ywalxag ^ufiovfiivwv, wobei die unfreien Frauen nothw endig als eine 
Species jenes Genus (der q)avkoi) zu gelten haben. Dass hier ein ethischer 
Gesichtspunkt inmitten einer ästhetischen Betrachtung auftritt, kann den 
unbefangenen Leser der Poetik, der sich des Inhalts der Capitel 2, 4 
und 7 erinnert, keineswegs befremden. Dass Körperbewegungen und Ge- 
berden des Schauspielers oder Tänzers dem Aristoteles nich t in geringerem, 
sondern ihres lebendigeren Eindruckes wegen in noch höherem Masse als 
die „Formen und Farben** plastischer Kunstwerke als ethisch bedeutsam, 
beziehungsweise als moralisch anstössig gelten können oder müssen, ist 
selbstverständlich. In Betreff der letzteren vergleiche man seine Aeusserung 
in der Politik V (VIII) 5 : hi di oök San Tocavra dfioiibfiara nov ijd-cjVj 
dklä arifisla ^äXXov rä ytvofxeva axrj^aia Tcal ^fpeÄuaror rcov '^d-iov . . . ov 
fifjv äXÜ Saov diaq>iQ€c xal tcbqI xtjv rovvcjv d^ecjQiav, del /nfj xä navaiovog 
&€WQ€lv Tovg veovg äkkä xa IIokvyvcjTov ute. Die in neuerer Zeit laut 
gewordenen Vorschläge, ywacTiag durch ninjaetg entweder thatsächlich 
oder unter Tilgung des Wortes im Gedanken zu ersetzen (ersteres wollte 
Vitelli, letzteres Wecklein), werden schwerlich Anklang finden und dürfen 
zunächst wohl unberücksichtigt bleiben. Ebenso wenig thut es Noth, die 
gesellschaftliche Schicht, welche der euphemistische Ausdruck „unfreie 
Frauen** wohl vorzugsweise, wenn nicht ausschliesslich bezeichnen soll, 
besonders namhaft zu machen. (Das richtige Verständniss finde ich bei 
Pietro Vettori, der (paihav in der üebersetzung durch „nequam honimum^, 
im Commentar durch „turpium peraonarum^ wiedergibt, bei Twining, der 
Aristoteles von „unbecoming gesttculatian*^ , bei G. Hermann , der ihn von 
den „matua peiorum^ sprechen lässt und bei B. St. Hilaire, der die Worte 
mit „gestes inconvenarUs^ übersetzt. Das Missverständniss begegnet zuerst 
bei Robortelli, der qpotJAcov durch „meptorum^ wiedergibt, dann bei A. Stahr, 
bei Mor. Schmidt, Susemihl und Ueberweg.) 

13 schliesst der negative Theil dieser ganzen Erörterung ab, und 
die Brücke zwischen diesem und dem positiven Theile bildet der Satz: 
ei ovv (au xd y&khx xQeixrwv xxL Die hier nur bedingungsweise 
behauptete üeberlegenheit der Tragödie über das Epos wird nun im 
Folgenden durch eine Reihe von Argumenten thatsächlich erhärtet. Das 
erste und hauptsächlichste derselben wird jedoch der Uebcrlieferung zufolge 
mit irtecxa dukc eingeführt, gerade als ob es nicht an der Spitze, 
soDdem inmitten einer Reihe stünde, und als ob jene bedeutsame Wendung 
fehlte, mittelst deren der Autor den ganzen Abschnitt in zwei deutlieh 
geschiedene Hälften gliedert, deren erste die zu Gunsten der vermeint- 



— 78 — 

liehen Siiperiorität des Epos vorgebrachten Beweisgründe entkräftet, während 
der zweite ausschliesslich dem positiven Erweis der Ueberlegenheit der 
Tragödie gewidmet ist. Auch vermisst man zwischen jenem Bedingungs- 
satze „wenn die Tragödie höher steht'' und den diese These erhärtenden 
Beweisgründen ein Sätzchen des Inhalts: „sie steht aber höher". Alle 
diese Uebelstände weisen auf einen Textesfehler hin, den man zumeist 
durch Interpretationskiinste vergeblich zu verdecken gesucht hat, und der 
sich in Wahrheit mit den gelindesten Mitteln heilen lässt. Statt tTt eiva 
dtoTi Tcdvu tx^L xr6. lese ich ^axt d' iTcel tä Tcävr^ l^u. Bei fort 
habe ich mich mit Usener begegnet, der (wie Susemihl mittheilt) iavi de 
bvi vorschlug. Meine Aenderung dürfte als die paläographiseh leichtere 
wohl den Vorzug verdienen. Ifcetta findet sich auch 1460* 14 im Pari- 
sinus, wo die Apographa das anerkanntennassen allein mögliche i^ei vä 
darbieten. Auch dort hat die falsche Verbindung der beiden Worte eine 
weitere Corruptel zur Folge gehabt durch die Scheinbesserung ^fteira rd. 
An unserer Stelle ist dem Schreiber (cn^lTAJ^Cri statt eCTIJ^neiTA 
in die Feder gekommen, und der aus der unrichtigen Wortverbindung 
entspringenden Umstellung ist die Verderbniss von ^U^lTAJ^CTl zu 
(cII^lTAJIOTl auf dem Fusse gefolgt, wobei die Aenderung der zwei 
I^uchstaben ^C in 10 nicht einmal nothwendig eine absichtliche, auf noth- 
dürftige Herstellung des Zusammenhanges gerichtete gewesen seüi muss. 
Konnte doch nicht nur C hier wie so häufig zu O verlesen werden, auch 
die schlanke, wenig gekrümmte Form des 6 mit schwachem Mittelstrich 
ist in den herculanischen Rollen mitunter von / kaum zu unterscheiden. 
Auch in dem überleitenden Satze glaubte ich einen Buchstaben tilgen zu 
müssen, indem ich vTtäQxec statt vftaQxeiv schrieb. Der hier erforderte 
Gedanke ist der folgende: „dieses (die Alles versinnlichende und verdeut- 
lichende dramatische Action) ist kein wesentliches oder nothwendiges 
Element der Tragödie", da diese auch bei der blossen Leetüre — wie 
Aristoteles hier und anderwärts kühn genug behauptet — ihre volle Wirkung 
thut. Die überlieferte Schreibung rovro de ovvl ävayycalov airfj vTcäQxeiv 
ergibt aber den falschen Gedanken, dass die Tragödie nicht in allen 
Fällen mit jenem Uebelstände behaftet sein müsse, als ob dieser zwar 
häufig, aber nicht immer vorhanden wäre. Von etwas Derartigem kann 
aber hier keine Rede sein. Jene Action ist nicht ein Element, welches 
manchen Tragödien eigen ist und andern wieder fehlt. Es ist vielmehr 
allen Tragödien, ja allen Dramen ohne Ausnahme eigen, aber es ist (so 
meint wenigstens Aristoteles), wie der durch die Leetüre erzeugte Eindruck 
lehrt, ein äusserliches, von der Sache ohne Schädigung ihres Kernes ablös- 
bares und eben darum nicht wesentliches oder nothw^endiges Element der- 
selben. Zu dva/KOLov b/taQxeL vergleiche man Analyt. prior. I, c. 8 in,: 



— 79 — 

inei d" VT€Q(iv iartv VTtdqx^iv re ymI e^ dväyy.njg v7cdqxELv '/,at ivdexe- 
ai^ai vTtdg^ei/if %zh, 

15 ff. liest man in der Handschrift xcri hi ov hl'aqov fitQog rijv /jov- 
ai'ÄfjV xai läg oxptig^ di r^g ccl fjdoval awidTavtac ivaQyiatava. Die Unmög- 
lichkeit de 7)g auf oxpeig zu beziehen , hat die mannigfachsten kritischen 
Versuche hervorgerufen: die Tilgung der Worte xai rag otpeig, die 
Ersetzung von rag oxpeig durch Tt)v iitpiv, von di Ijg durch de Sg oder aig — 
Aenderungen, die insgesammt sachlich oder sprachlich unmöglich oder 
doch überaus gewaltsam sind. Auf einen Ausweg hat Vahlen (Keitrilge, 
IV, 398) gelegentlich hingewiesen, doch nur um vor ihm zu warnen. Ich 
meine die Umstellung von xai zag otpeig, die ich im Texte vorgenonunen 
habe. Dieselbe beseitigt jeden Anstoss und hält sich von aller Gewalt- 
samkeit ferne. Denn die bei Aristoteles beliebte eng Zusammengehöriges 
nicht auch eng verbindende Wortstellung kann sehr wohl diesmal von 
einem alten Correetor halb unwillkürlich beseitigt worden sein, wie sie 
wenige Zeilen später (1462^ 8 uiaTtEQ ^ 'Ihäg ix^i 7to).lä Toiavra juepij 
Tuxi fi ^Odvaahia) von modernen Kritikern angefochten worden ist. Die 
Voranstellung der Musik aber stimmt ganz und gar zu der von Aristoteles 
in der Poetik und ausserhalb derselben vielfach geäusserten und stark 
betonten Werthschätzung jener Kunst. Man vergl. c. 6fin., wo die Melopoie 
lieyiOTov Tcüv ijdvafAdvwv genannt wird, während der scenische Apparat, 
die oxpig, dort zwar als tpvxaywyixbv bezeichnet wird, zugleich aber auch 
als drexyorarov und ij/uara oiAeiov xrig TtoirjTiy.^g, Und während es von 
jener Politik VIII, f) (1339^20) heisst: zf^v da ^ovaixtjv Tzdvveg elvai 
(pafisv ziüv fjdiazcjv xori xpeltjv ovaav xal fiezä (iEhijdiag, wird dem 
äosserliehsten Bestandtheil des Dramas durchgängig nur eine gleichsam 
widerwillige Anerkennung gezollt. Erinnert man sich ferner der wieder- 
holten und nachdrücklichen Behauptung, dass die Tragödie auch ohne 
schauspielerische Aufführung mittelst der blossen Leetüre ihre Wirkung 
thue (vergl. c. 6fin. und unser Cai)itel), desgleichen des Aussj)ruchs, dass 
die Kunst des Maschinenmeisters bei der Scenerie mehr in Frage komme 
als jene des Dichters (c. 6), nicht minder der abfälligen Bemerkungen, 
welche das Capitel 14 enthält, so wird man sich sagen müssen, dass der 
Verfasser der Poetik hier, wo er auch dieses verachtete Element zu Gunsten 
des mit allen Mitteln verfochtenen Vorrangs der Tragödie in's Feld führen 
mnss, sich in einer gewissen Verlegenheit befindet. Nichts begreiHicher 
daher, als dass er jenen, ein so wannes Lob enthaltenden Satz unmittelbar 
an die Erwähnung der Musik anschliesst, die oxptg aber nur gleichsam 
der Vollständigkeit halber mit aufnimmt und an der letzten, mindest 
gewichtigen Stelle ohne jedes ihr speciell gewidmetes rühmende Wort 
nachhinken lässt. Nur ein Bedenken bleibt übrig: der Ausdruck ivagye- 



— 80 — 

arara, der die höchste Lebendigkeit und, wenn man so sagen darf, Leib- 
haftigkeit des Eindrucks bezeichnet, scheint so trefflich für die otpcg zu 
passen, dass man sieh nur schwer entschliesst , ihm einen anderen Bezug 
zu leihen. Allein dieser Scrupel schwindet, sobald wir den unmittelbar 
folgenden Satz in's Auge fassen. Hier erkennt Aristoteles eben das 
haqyes dem durch die Lectüre vermittelten nicht minder als dem durch 
die scenische AuflPührung hervorgebrachten Eindruck zu. War es ihm da 
bei aller an die Eristik erinnernden geistigen Beweglichkeit und Gewandt- 
heit im Verschieben der Gesichtspunkte auch nur möglich, gerade vorher 
an die häqyeia zu erinnern, die der sccnischen xVufführung eigen ist, jene 
Wirkung diesem Kunstmittel, wenn auch im Superlativ, zuzuschreiben und 
dadurch das sofort folgende Argument von vornherein abzuschwächen? 

18 habe ich nicht das mindeste Bedenken getragen, das rm der 
Handschrift mit Susemihl in xb zu verändern und dadurch den gramma- 
tischen Anschluss an ^xei. (Z. 14) zu ermöglichen. Man beachte, dass die- 
selbe Buchstabenvertauschung sogleich in dem zweitnächsten Worte, iAdr- 
Tojvi statt ildvuovL in der Handschrift wiederkehrt, gleichwie die entgegen- 
gesetzte Verwechslung, rb statt rtji, 1460* 3 auftritt und endlich 1454* 23 
statt TMi vor ävÖQeiav fast sicherlich mit den Apographis rb zu lesen ist. 
(Ich glaube, nebenbei bemerkt, den ganzen Satz also schreiben zu sollen : 
XQtiotbv ydcQ dvdqeiov /iiiv tb fjd'og dl^ oöx &qih()ttov ywaiyu rb dvÖQeiav 
^ deivrjv elvat. Schon Vahlen hat xq^örbv in diesem Zusammenhange, 
wenn auch nicht genau an derselben Stelle, und dvdqeiov hat üsener 
vorgesclüagen ; überliefert ist das sinnlose ^otiv yicq dvdQelov fiiv nxk) 

1462^ If. rb yäq d&QOiüTegov ijdtov 1} TtoXh^ yte'AQajuevov [zif XQ^^^]- 
Die zwei letzten Worte halte ich für die Zuthat eines Interpolators (wohl 
desselben , der 1450^ 39 den schönen Satz avyx^lraL yaq i) d^ewqia iyyvg 
rov dvaiad-ijrov yivofÄtvT] durch den von Bonitz erkannten Einschub von 
XQ('fvov vor yivofĀvrj verpfuscht hat). Und zwar einfach darum, weil dieser 
Zusatz eine Ungeschicklichkeit enthält, die wir dem Stagiriten immöglich 
zutrauen können. Warum sollte er den allgemeinen Satz: „das Concen- 
trirte ist stets erfreulicher als das Verdünnte'' in dieser seiner Allgemein- 
heit beginnen, seinen Sclduss aber dadurch abschwächen, dass er die 
specielle, hier erforderliche Anwendung, die er dem denkenden Leser — 
und nur auf solche rechnet er — füglich überlassen kann, in ihn hinein- 
zwängt , und zwar mittelst eines Ausdruckes , über dessen Seltsamkeit 
uns ein geistreicher Uebersetzungswitz, wie Moriz Schmidt's: „eine Bei- 
mischung von langer Weile" nicht zu täuschen vermag. Die hier dem 
Autor vorschwebende Metapher ist ihm übrigens geläutig genug, mag er 
nun in der Politik ü, 4 von der verwässerten Verwandtcnliebe , die im 
Platonischen Staate herrschen würde, oder hier Z. 7 von der verwässerten 



— 81 — 

Handlang im Epos sprechen. Auch an unserer Stelle ist noXh^t '/£y,Qaf4€vov 
Yollkommen gleichbedeutend mit vdaQeg. 

4 — 5 arjfielov <Je, in yäg ÖTtoLaoovv [i^i^riaewg\ Ttkeiovg XQaydjdLat 
yivovvai — . Auch das hier eingeklammerte Wort zu tilgen veranlasst mich 
die Erwägung, dass es zu viel oder zu wenig besagt. Zu wenig für denjenigen, 
der die kleine, echt Aristotelische Ellipse nicht aus eigenen Mitteln zu er- 
gänzen versteht; denn diesem kann das kahle fÄCfiijaewg nicht genügen; 
zu viel für denjenigen, der die Brachylogie des Stagiriten kennt und zu 
dnoiaaovv sofort inoTtouag hinzudenkt oder den Begriff aus den unmittelbar 
vorangehenden Worten f?rt fjXTov fxia fdifirjoig fj twv irtOTcoiiov) ergänzt. 

5 ff. üare iäv ^iv Vva fiv&ov TtouoatVy ij ßQaxecjg der/,vvjLitvov laeiou- 
Q()v (palvead-at Vj ävioXovd'OvvTa rqt tov f.ierQov fjirp^ei idaqfj (^älkcjg di 
TcoLTLihw^. Xeyo) di xrl. — . neiovqov schreibe ich statt des sinnlosen jjtSovgoVy 
das schon Tyrwhitt, wenn auch nicht bestimmt genug, beanstandet hat. 
Nicht der lange und dünne Schweif der Mäuse, sondern der künst- 
liche Stutzschwanz von Hunden und zumal von Pferden ist das allein 
passende Vergleichungsobject. Die richtige Schreibung, welche hier schon 
der alte Johann Baptist Camotius einführte und Rhetorik III, 9 (1409^ 18) 
ein Theil der Handschriften darbietet, ist von neueren Herau8gel)em 
beharrlich verschmäht worden. Die mit völlig grundlosen Aenderungsvor- 
schlägen heimgei^uchten Worte ä'Äolovd^ovvta rii} tov /nevQov /aiptei sind 
von dem einzigen Ueberweg richtig übersetzt, aber von Niemandem, so 
viel ich sehen kann, ausreichend erklärt oder gerechtfertigt worden. Der 
Verfasser der Poetik sagt uns selbst 1460* 2 f. in einem Athem, dass 
noch Niemand eine ^axqä avavaaig in einem andern als im heroischen 
Versmass gedichtet, und dass die Natur selbst die Menschen da« (dem 
Inhalt und der Kunstform) entsprechende Versmass wählen gelehrt hat. 
Aus beidem zusammen erhellt zweifellos, dass er der Meinung war, das 
mächtig dahinroUende hexametrische Versmass sei für eine fortlaufende 
umfangreiche Darstellung vorzugsweise geeignet. Es kann uns daher nicht 
im Mindesten befremden, wenn er den weiten Umfang epischer Darstel- 
lungen als durch das dem Epos eigenthümlichc Versmass geboten oder 
von ihm gefordert bezeichnet und eben dies besagen die hier vorliegenden 
Worte. Die Lücke vor Xeyu) di olov Iäv i/. Ttkeumov Tcgd^ecov ij öv)^/,ti- 
fievri mit unbedingter Sicherheit ausfüllen zu wollen , wird sich Niemand 
vermessen. Mein Vorschlag, zu dem ich nach manchen Fehlversuchen 
gelangt bin, empfiehlt sich zum Mindesten dadurch, dass er nicht gleich 
anderen Vorschlägen schon das vorwegnimmt, was erst im Folgenden 
gesagt wird. Auch bürdet er dem knappen Styl des Stagiriten keir.e 
nnnöthige Weitläufigkeit auf und setzt nichts Anderes voraus als den Aus- 
fall einer aus 15 Buchstaben bestehenden Zeile. 

Eranot Vindobonentii. (5 



— 82 — 

10 habe ich die alte, zweifellos richtige Besserung ycahoi vadra rä 
Ttoiij^iaTa statt des überlieferten sinnlosen xat roiavr ärra TtoirjfÄCcca mit 
so ziemlich allen Herausgebern in den Text aufgenonmien. 

11 — 12. Zur Rechtfertigung des zunächst befremdenden und von 
Spengel angefochtenen Singulars ^ifirjacg sei ausser auf die von Vahlen 
(Beiträge IV, 437) angeführte Parallele 1457* 22 auch und vornehmlich 
auf Rhet. in, 14 in. hingewiesen : Tcdvva yäq äqfxjal xavt elaiv y.ai olov 
ödoTcoi rjotg T(p iTtLOvti.. 

Wien, den 8. November 1892. 



Auszüge aus den lykischen Bundesprotokollen 



Ton 



ERNST KALINKA 



Die österreichische Expedition des vorigen Jahres berührte auch 
Kyaneai in Lykien. Unter Anderem fand sich hier eine aus Borghesi, VIII, 
276 bekannte Inschrift wieder, die um ihres eigenartigen Inhaltes willen 
besonderes Interesse verdient. Sie ist in einem byzantinischen Steinbau 
vermauert, der, von Schutt und Gestrüpp halb verdeckt, neben zwei 
grossen Tonnengewölben liegt. Der Inschriftstein steht aufrecht da, 
2-31 Meter hoch, 061 Meter breit, 039 Meter tief. Die beiden Schmal- 
seiten tragen ein durchgehendes Profil (ähnlich dem bei J. Durm, Bau- 
kunst der Griechen. 179, Fig. 4), das ihn als Epistyl kennzeichnet. Auf 
der ehemaligen Lagerfläche des Ei)istyls ist die Inschrift angebracht, 
die vom obersten Rand an 94 Centimeter weit herabreicht und fast die 
ganze Breite der Fläche einnimmt. Aus der Form des Steines ist ohne 
Weiteres klar, dass derselbe, ehe er an seinen jetzigen Platz gestellt 
wurde, zweimal Dienste geleistet hatte. Als die Inschrift zur Geltung 
kommen sollte, war er vermuthlich, die Inschrift an der Stiniseite, ehier 
Ante o<ler einem Pfeiler einverleibt. Si)äter wurde er zu einem Gebälkstück 
zugeschnitten und ohne Rücksicht auf die Inschrift, welche nur durch einen 
glücklichen Zufall unverletzt geblieben war, aufgesetzt. Wir lassen nun 
«lie Inschrift nach eigener Co])ie folgen: 

EniAPXIEP 

TAIOYIOYAI YTAHnOAEMOY 
M-INOIAYlTPOY-©YnOTA 
n-IEnilTOAHIKAAYAlOY 
\ N T I M A X O Y O Y P- K P_ N I P- I A X A 
HEPITEIMP. N<AIANTirPA<|>IIIA 
ZAKAIIZrPA + AIKAITEIMAlYnO 
TOYE©NOYIIAIONinANO|K|0 



— 84 — 

Eni^nATONIAABIAI-INOYIKI 
niONOlOP+lTOYKAlIOIIloY 

nPEIZKO Y 
EniAPXIEPEOlTONIEBAZTON 
O Y H P A N I O Y T A H n O A E M O Y M-l 
NOIAElOY-r- -YnOTATAI 
YI-I + IZMATON-MYPEON 
KAIEniZTOAl-IZlOYAlOAYElTA 
KAIANTirPA + l-IZAYElTOY 
K A I T l-l + I Z M A T il N n A T A P E il N 
AHEPAEITON rATATiVN 
EHIYHATONvIAPKOYKIONIOY 
ZIABANOYKAIZEPPlOYAYfoYPEINOY 
EniAPXIEPEOZTilNZEBAZTON 
APXEnOAEOZTOYTEIMAPXOY 
M-N OZAPTEMEIZIOY -KZ* 
n A T A P E A N 

Falov ^lovXi\o\v T^rjTtole^ov 
firp^bg JvavQOV [&']i7roTa- 
yfj ETtLöToXrig Kixn^diov 
5 ^vTLfjidxov OöioyLCDviü) 2d^a 

^a aal layqaipal %ai zeifdat irtb 

Tov l&vovg ^Idaovi navoinio) 

BTti vTtdxwv JSalßidrjvov 2'/,i- 
10 7ziu)vog 'OqtpLTov xai 2oaalov 

IlQeia'Kov, 

EtvI äQXi€Qeog tiov ^eßaaxiav 

OvrjQctviov Tlri7col€fxov firj- 

vbg zfeiov y vTvovayal 
15 ipri<ptaiiidT(i)v Mvqewv 

Ttai iTtiavokrig ^lovXLu) ^Iveitcj 

xal dvTiyQay>fig ^veirov 

Tcal x/jTi^iafÄdTCJv TlaTaQscjv 

MTteqXtLTiov FayaTOßv 
20 i^l iTtdrcjv MdQXOv Koviov 

^iXßavov Ttal Seqquw ^4vyovQeivov, 
EtvI aQxteQSog nov J^ßaavwv 

yiQXETtoheog tov TeijudQxov 

firivbg MqTEfxuaiov x^' 
25 navaQecov. 

E. Löwy knüpft im zweiten Band der Eeisen im südwestlichen 
Kleinasien 125 an den Text dieser Inschrift, den er damals nur nach der 



— 85 — 

ungenüg enden Publieat ion Borghesis wiedergeben konnte , folgende 

Bemerkungen : „Dieselbe enthält die Protokolle d. i. Inhaltsangaben oder 

Register von Acten, wie sie unter den an der Spitze verzeichneten Daten 

zur Eintragung in das Archiv offenbar nicht der Stadt Kyaneai, sondern 

des Bundes gelangten. Auch hier betriift die vTtoray^ Psephismen von 

Städten, ausserdem Schreiben an die römischen Beamten, sowie deren 

Antworten. Wegen der Anbringung der Ccmsulatsdatirung vergl. z. B. 

Mommsen, Hermes, XII, 120 zu den pompejanischen Quittungstafeln. Wie 

die Zusammenstellung der um Jahre auseinanderliegenden Schriftstücke 

auf demselben Stein zu erklären sei, ist umso schwerer zu sagen, als 

Angaben über dessen Aussehen fehlen, woraus sich seine ursprüngliche 

Bestimmung erkennen Hesse. Julius A vi tus, über dessen Verhältniss zum 

(^rossvater des Elagabal (Borghesi, IV, 507 ff.) ich keine Aeusserung 

wage, ist anscheinend kaiserlicher Procurator. Statthalter von Lykien im 

Jahre des Bundespriesters Veranios .Tlepolcmos war Rupilius Severus. 

Klaudios Antimaehos scheint die Uebemiittlung des Schreibens an Voco- 

nius Saxa als Lykiarch zu besorgen.** 

Zu dieser Inschrift kommt nun noch aus demselben byzantinischen 

(iebäude ein Seitenstück. Es ist eine mächtige Quader, 1*42 Meter hoch, 

r07 Meter breit, 0'66 Meter tief, deren rechte Schmalseite roh behauen 

ist, während die linke geglättet ist. Die Inschrift beginnt an der obersten 

Kante, die leider arg Verstössen ist, und nimmt bei einer Breite von 

0'50 Meter oben , 0'75 Meter unten fast die Hälfte der Höhe des Steines 

ein. Die nach einem Abklatsche controlirte Abschrift gibt folgenden Text : 

2. . \Nn| A r'lC lOi 

AIONOIAAOY-III 
-P. AOYNArOYAAlOYHO 
AYXAPMOYlirPA + AITEIMOl 
IITOE0NOIMAYZC//AOY 
TOYlAIONOZKAIAnOAOroi 
TCYAYKIP.NE0NOYZ-KAI 
EHIITOAI-IAIKINNIO rTTAZI 
0EMIAOZAYKIAPXOY 
+ A A Y I o A n P P- l-r E M O N I K A I 
ANTirPA + l-IAnPOY- 

EHIAPXIEPEOZTONZEBAZTP. NAIKIN 
NlOYAONrOY M-N OZZANAIKOYAYH+IZ 
MAMYPEP-NIAZONI- 

EHIAPXIEPEOZTP. NZEBAZTP.r^vlAPKoY 
I O Y A I O Y H A I O A il P O Y M-N OZAEIOY-KZ 
nATAPEilN-ZAN0l-.aN-POAIAnOAEITON 

^Enl dqxuqeos tiov JS£-] 

ßaaTid]v 31ava[Mov] tov 

^I]daovog ^wov t[ij' 31av- 



— 86 — 

a]üßkov NayovkXiov IJo- 
5 XvxdQfAOv layQaq>ai T£t/uc(>[v 
ig TÖ Idyos Mavaiükov 
Tov ^läaovog xat aTtoloyog 
Tov yfvxiwv l&vovg xai 
iTCiaroh) ^ütliwiov Staat' 

10 ^i/Äidog kirKKXQX^^ 

Okaviw ^JdTCQw fjyefKwi xal 

ävTiyQag)rj "Sircqov, 

^EtcI äqxuQEog ziov Seßaardiv uiixtv- 

viov yfovyov f.trivbg ^avdixov [k']ip^g)ia' 
15 fia MvQSwv ^Idaovi. 

^E'/tl aQXiSQSog riov ^ßaanov MdQX.ov 

^lovkiov ^HhodioQOv firivög Jeiov x^' 

naraQewv Savd-ioyv PodtaTToXeiTiov, 

Der Inhalt , der Sehriftcharakter *) , die Grösse der Buchstaben 
(2V2 Centimeter) stimmt bei beiden Inschriften so vollkommen überein, 
dass man mit Zuversicht die Zusammengehörigkeit beider behaupten kann. 
Unter der landesüblichen Datirung nach dem aQxuQSvg, dem „makedoni- 
schen'^ Monat und dem Monatstag sind sechs Gruppen von Actenstücken 
angeführt. In drei von den sechs Fällen werden ausschliesslich Psephismen 
einzelner Städte genannt. Denn dass zu den schliessenden Genetiven der 
einen Inschrift naxaqkcjv ^avd-iwv PodLa7cokeiTi7)v das Wort xprifpia^aia 
zu ergänzen ist, wie xf)i](piaf.ia zu dem Schlusswort der andern, IJaTaQiiov, 
zumal da in beiden Fällen gerade Psephismen vorausgehen, ist an sich 
wahrscheinlich und wird durch die Verbindung t//ijgpt(T/Marwv llaraQiwv 
JiTcegkeiTCüv rayarwv zur Gewissheit erhoben. 

Die drei anderen Absätze erfordern eine längere Uesprechung. Die 
erste Gruppe der neuen Inschrift umfasst vier Punkte, die layQa<pai zei/niov, 
den dmdoyog, die hciaroXri und die dyriyQatpi], Für die iaygaq^ai TetfAiov 

*) Man beachte ferner die Gleichheit in den Ligaturen nnd in der Schreibung layoa- 
<pai. Dagegen ist das Omikron in der Endung von doxtegeog ohne Bedeutung, weil diese 
dem Uniform irungstrieb der Sprache entsprungene Bildung in der späteren hoivtj sehr weit 
verbreitet ist. Die Verschiedenheit der Zeilenlänge fällt gar nicht in die Wagschale; denn 
auf der neuen Inschrift umfasst die Zeile anfangs 11—20, am Schlüsse aber 28 — 29 Buch- 
staben , während die andere Inschrift mit ihrer gleichmässigen Zeilenlänge von durch- 
schnittlich 22 Buchstaben gewissermasscn die Mitte zwischen diesen Extremen einnimmt, 
ein Yerhältniss, das sich sehr gut erklärt, wenn der Steinmetz, der anfangs die Zeilen so 
kurz nahm, dass er nicht einmal die Aufschrift f-T« aQxtegeog t(ov üeßaaratv in einer Zeile 
unterbrachte, und dadurch vom nächsten Absatz an zu einer übermässigen Ausdehnung der 
Zeilenlänge gezwungen war, beim anderen Stein endlich das richtige Maass einhielt, indem 
er mit den Worten ijii dgxteoeog xwv Eeßam&v gerade eine Zeile füUte. 



— 87 — 

k(»iiimt eine Stelle der grossen Opramoasinschrift IX D in Betracht : rag 
di Tc5y xarä Ttokiv imlx hog xeifitov avTov elayQaq>äs yeivead-at vtvö tmv 
xarä hog dQxovrtav elg t4 . . . d^aigiata. E» handelt sich also augen- 
scheinlich auch in unserem Falle um die Eintragung von Ehren für Mau- 
solos, Sohn de« lason, der gleichzeitig das Amt eines d^tf^iJff versieht, 
in die Acten der Bundesversammlung seitens eines Mausolos Nagullios 
PcJycharmos; denn von den beiden Genetiven gehört der erste offenbar 
zu iayQaq>ai\ der zweite zu xeifiuiv. Da es jedoch an sich kein actenmässiges 
Interesse hat, nur denjenigen ausdrücklich hervorzuheben, der die Ein- 
tragung thatsächlich vorgenommen hat, so wird Mausolos Nagullios Poly- 
charmos als der intellectuelle Urheber der Eintragung, mit anderen 
Worten als Antragsteller, Eiseget zu betrachten sein. ^) War nun aber die 
definitive Zuerkennung der beantragten Ehren von der Einwilligung des 
Statthalters abhängig, was nach der Opramoasinschrift die Regel gewesen 
zu sein scheint (Reisen II, 121, iTh. Mommsen, eph. epigr. VII, 406), 
so ist es nahegelegt, dass das im Folgenden erwähnte Sclireiben des 
Lykiarchen die Genehmigung des Statthalters ^j eingeholt, die an letzter 
Stelle erwähnte Antwort des Statthalters (vergl. Opramoasinschrift V F, 
XII A) sie gewährt habe. Statthalter und Lykiarch sind anderweitig 
bekannt. F^in Likinnios Stasithemis erscheint in einer Grabschrift (C. I. G. 
4224 dadd.) als äqxf'^Q^^S; er ist sicher nicht identisch mit dem in der 
Opramoasinschrift genannten ä^uQEvg Likinnios . . ., weil der Beiname 
Stasithemis zu umfangreich für die Lücke (XVIII A) ist. Für die Persem 
des Statthalters können in Betracht kommen der M. Flavius Aper, der 
130 mit Q. Fabius Catullinus Consul war, und der M. Flavius Aper, der 
176 zum zweiten Male den Ccmsulat bekleidete. Unter ämiloyog ist wolil 
im unmittelbaren Anschluss an die vorausgehenden layqatpal xeifuov der 
diesbezügliche Kostenüberschlag (vergl. f ■. I. G. II, 2448, viii 36) zu ver- 
stehen, der so bedeutend war, dass man es immer nachdrücklich betonte, 
wenn der Geehrte die Kosten aus eigenen Mitteln bestritt.^) 

Bei den Acten aus dem Jahre des lulios Tlepolemos fällt der Aus- 
dmck vTtoxayri auf, der ursprünglich gewiss die Unterbreitung vcm Acten 
an die Bundesversammlung bedeutete, später jedoch synonym mit avay^afpi] 
gebraucht wurde (Reisen II, 124). Der Statthalter Voconius Saxa und 
Rlaudios Antimachos {aQX^tqtvg 141/2) sind aus der Opramoasinschrift 



') H. Swohoda, Die griechischen Volksbeschlüsse. 33, 2()4; dagegen s. 206. 

*) tiyeiAiov hat in der Opramoasinschrift an aUen Stellen , in den übrigen lykischen 
Inschriften meistens die Bedeutung „Statthalter". 

') Vergl. Opramoasinschrift II G, IX D und viele anden^ Inschriften , so eine neu 
gefundene Basis aus Ryaneai mit der Aufschrift: Meyioxog 'Idaovog rgig lov Pifidgov 
dyoQavofii^ag ix r&v idlcav xa&oig jy ßovXfj sxgeivty. 



— 88 — 

bekannt. Der Inhalt des an den Statthalter gerichteten Selireibens ist 
durch den Znsatz negt rei^iov angedeutet; vermuthlich sind es dieselben 
TBifdai, welche nachher von der Bundesversammlung für lason Panoikios 
beschlossen worden sind. In diesem Falle also hat sich der Antragsteller 
(wohl Klaudios Antiraachos) im Voraus der Zustimmung des Statthalters 
versichert. Es konnte mithin der im Sinne des Antrages (laygaipai) gefasste 
Bcschluss der Bundesversammlung sofort in Rechtskraft erwachsen, und 
dies dürfte der Grund sein, warum neben layQaq>ai hier ausdrücklich 
TEifiai gesetzt ist. 

Ob in der letzten Gruppe das durch eine Anfrage provocirte Schreiben 
des Julius Avitus in Verbindung mit den danebenstehenden Psephismen 
von Städten zu setzen ist oder eine selbständige Kundgebung enthielt, 
mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber scheint aus der Setzung des 
Wortes vTtorayai, das hier offenbar dieselbe Bedeutung hat wie im ersten 
Absatz, hervorzugehen, dass die in diesem Zusammenhang genannten 
Psephismen und somit auch die anderen der Bundeskanzlei vorgelegt und 
in die Bundesprotokolle aufgenommen wurden. 

Schon bei der vorausgehenden Erklärung der Inschriften begegneten 
einzelne Ungleichheiten in ihrer Stilisirung, die sich einfach damit 
erledigen, dass wir es nur mit flüchtig verzeichneten Titeln von Acten- 
stückcn zu thun haben, die man hier zusammengestellt hat. Die Beispiele 
lassen sich leicht vermehren. In der Datirung fehlt vor uiwov das sonst 
ausnahmslos gesetzte firivog. In zwei von den sechs Fällen ist die Jahres- 
angabe genauer präcisirt durch Hinzufügung der Consuln am Schluss. Nach 
inoTay^ , das einmal im Singular , einmal im Plural ^) steht, sind in dem 
einen Falle alle folgenden Bestimmungen in den Genetiv gesetzt, in dem 
anderen nur die erste, während die drei übrigen selbständig construirt 
sind. Bei den Schreiben an die römischen Behörden ist zweimal der 
Absender genannt, das dritte Mal nicht. Die amtliche Stellung der im 
Text erwähnten Personen wird nur einmal angegeben. 

Für die chronologische Bestimmung unserer Inschriften bietet die 
Nennung der Consuln den festesten Anhaltspunkt. Darnach fallen die 
Actenstücke aus dem Jahre des lulios Tlepolemos ins Jahr 149, die unter 
Vcranios Tlepolemos aufgezeichneten in den Anfang de^ Jahres 156. Für 
die zeitliche Einreihung der anderen Insclirift haben w^ir gar keine sichere 
Handhabe. Es lässt sich nicht einmal mit Bestimmtheit entscheiden, ob sie 
ihrem Inhalt nach der erstgenannten zeitlich vorausliegt oder nachfolgt. 
Ninnnt man jedoch gemäss unserer obigen Auseinandersetzung (S. 86, Anm. 1) 

*) Es ist dies eine Attraction des Numenis neben ytjqptaftaTtov wie bei iaygatpai 
xeificor. 



— 89 — 

an, daHS die Inschrift mit den äqxuqels Mausolos, Likinnios, Heliodoros 
nicht blos früher eingemeisselt sei, sondern auch frühere Daten betreffe, 
so darf man vielleicht unsem M. lulios Heliodoros mit dem lulios Helio- 
doros der Opramoasinschrift (140/1)^) identificiren , den Licinius Longus 
unter Beibehaltung der hypothetischen Chronologie E. Löwy's etwa ins 
Jahr 136/7, den Mausolos mit dem Statthalter Flavius Aper ins Jahr 133/4 
und den aQX'-^Q^S Likinnios Stasithemis vor 126 ansetzen. Der Statthalter 
Flavius Aper wäre dann wohl identisch mit dem einen Consul des Jahres 
130; denn es kam damals häufig genug vor, dass prätorische Pro- 
\inzen von gewesenen Consuln ver\valtet wurden (Marquardt, Staats- 
venvaltung. 1, 547). 

Man sollte glauben, dass das genaue Datum an der Spitze der ein- 
zelnen Absätze sich auf die officiclle Ausfertigung der Actenstücke beziehe, 
sowie der Brief des Statthalters Conielius Proculus (Opr. VH F) von dem 
nämlichen Tage (a. d. XI. Kai. Oct.) datirt ist, unter w^elchem er angeführt 
wird (21. Panemos). Dies ist jedoch dadurch ausgeschlossen, dass die ver- 
schiedenen Schriftstücke, die hier unter demselben Datimi zusammengefasst 
sind, unmöglich an einem Tage entstanden sein können. Ebenso wenig 
zulässig ist die Annahme E. Low y 's, es sei das Datum der gemeinsamen 
Eintragung gemeint; denn in diesem Falle müsste man, um von anderem 
zu geschweigen, erst wieder eine künstliche Erklärung dafür suchen, dass 
jedesmal Schreiben und Antwort an demselben Tage eingetragen worden 
sind. Eine andere Möglichkeit wäre es, dass dasjenige Datum voran- 
gesetzt worden sei, an welchem die einzelnen Stücke der Bundesversamm- 
lung zur Kenntnissnahme oder Berathung vorgelegt worden sind. Allein 
diese Praxis sehen wir nicht einmal bei den Bundesbeschlüssen befolgt, 
sondern die Daten, welche die in der Opramoasinschrift vorkommenden 
Bundesbeschlüsse tragen, fallen in die ersten Monate nach der Bundes- 
versammlung, sowie eben die Beschlüsse nach und nach eingetragen 
wurden (Reisen II, 125). Die Daten unserer Inschriften aber sind vollends 
über das ganze Jahr verstreut (18 I, 30 IX, 27 IV; 9 VIII, 3 IV, 27 X); 
dazu kommen noch aus der Opramoasinschrift für das Jahr de*i lulios 
Tlepolemos ein Ehrendecret vom 16, II (XVIII B), für das des Veranios 
Tlepolemos ein Statthalterbrief (XII A) vom Panemos (XII) und Beschlüsse 
des Bundesrathes (XVIII D) von demselben Monat. Man müsste also, 
wollte man die Daten unserer Inschrift gleichfalls in Zusammenhang mit 
Bundesversammlungen bringen, ilirer zwei und drei im Jalire annehmen, 
ohne dass dadurch alle Schwierigkeiten beseitigt wären. Es geht daher 



*) Ein dgxifQevs twv Seßaaziov laiog 'lotdiog 'HXiö6o)oog 6 xai Aioqavrog erscheint 
in einer Grabschrift von Tlos. C. I. G. III, 4247. 



— 90 — 

nicht an, in unseren Inschriften Tagesordnungen jener Bundesversamm- 
hmgen zu sehen, für welche man Kyaneai als Ort der Zusammenkunft 
gewählt hatte ^), ein so ansprechendes Motiv für die Auswahl dieser in 
Kyaneai inschriftlich verewigten Verzeichnisse dies auch sonst wäre. 

Es scheint mir am wahrscheinlichsten, dass das Princip, nach welchem 
diese zeitlich weit auseinanderliegenden Acten ausgewälilt wurden, durch 
rein persönliches Interesse bedingt war. Wir haben oben dargelegt, dass 
die beiden Berichte aus den Jahren de« Mausolos und des lulios Tlepo- 
lemos sich als Einheiten auffassen lassen , als je eine , mehrere Stadien 
durchlaufende Action zum Zwecke der Auszeichnung eines verdienten 
Mannes. Was übrig bleibt, sind ausser dem Schreiben an Julius Avitus 
und seiner Antwort lauter Psephismen, und bei dem Charakter der parla- 
mentarischen Thätigkeit jener Zeit darf man von voniherein in den Pse- 
phismen Ehrendecrete vermuthen. Weiteren Aufschluss bringen die Namen. 
Unter Mausolos werden in der Bundesversammlung Ehren für Mausolos, 
den Sohn des lason, beantragt. Unter Licinius Longus fasst man in Myra 
einen Be^chluss zu Gunsten, wohl zu Ehren des lason. Unter lulios 
Tlepolemos wird an den Statthalter ein amtliches Schreiben TreQt reijuav 
gerichtet, und in demselben Jahre werden einem lason Panoikios vom 
Bunde Ehren decretirt. Diese wenigen Andeutungen der wortkargen Ver- 
zeichnisse genügen, um es wahrscheinlich zu machen, dass Alles sich auf 
dieselbe Familie bezieht, in der etwa der Vater lason, die Söhne Mausolos 
und lason Panoikios geheissen haben. Diese vornehme Familie hielt es fiir 
angezeigt, von Zeit zu Zeit durch grossmüthige Spenden sich die Gre^ammt- 
heit der Lykier oder einzelne Städte zu verbinden ; der Dank stellte sich, 
in die Form von Ehrendecreten gekleidet, jedesmal sofort ein. Die Vater- 
stadt der Familie war, wie aus dem Fundort der Inschriften hervorgeht, 
Kyaneai ; und wenn auch in der ganzen Liste kein Psephisma von Kyaneai 
genannt ist, so muss dei^swegen durchaus nicht ein zugehöriger Inschrift- 
block verloren gegangen sein, sondern es ist sehr wohl möglich, dass die 
beiden Ehrendecrete des Bundes ausschliesslich oder doch hauptsächlich 
von Kyaneai angeregt worden sind. Am häutigsten unter allen Städten 
erscheint Patara, nächst dieser Metropole Myra, die beide auch gerade in 
dieser Ordnung eine hervorragende Rolle in der Opramoasinschrift spielen 
(Reisen II, 117). Vielleicht dürfen wir aus dieser Bevorzugung ^j der Stadt 
Patara schliessen, dass sie damals die Hauptstadt Lykiens war (Reisen 1, 119). 



') Strabon. XFV, B, 3 avveoxoitai de. s^ exdartjg jioXecog eig xotvov avviÖQiov §v 
av doHiftdöiooi n6),iv ikofieroi. 

-) Aus Patara sind die Statthalterbriefe Opr. VII F, VIII A datirt. Nach Patara 
erscheint C. I. G. III, 4224 d add. das Bundesarchiv verlegt. In Patara fanden sich neuestens 
zu einer bereits bekannten noch weitere Inschriften in lateinischer Sprache und einige 



— 91 - 

Die aufilülige Gleichheit des Datums bei mehreren zeitlich getrennten 
Acten glaabe ich durch eine eigene Art der Buchfülirung erklären zu 
müssen, derznfolge zur Förderung der Uebersichtlichkeit immer das sach- 
lich Zusammengehörige unter Beibehaltung des dem ersten Act voran- 
gesetzten Datums aneinander gereiht wurde. Diese Voraussetzung gewinnt 
eine Stütze darin, dass in dem Jahre des Mausolos, dem einzigen Fall, 
wo wir das Datum des ersten Actes nach Analogie der Opramoasinschrift 
annäherungsweise bestimmen können , das vorliegende Datum wirklich 
damit übereinstimmt. ^) Nachdem einmal unter dem 18. Loos (Opr. VI F : 
12. Loos, 6 : 23. (?) Loos) des Jahres des Mausolos der in der kurz vorher- 
gegangenen Bundesversammlung eingebrachte Antrag des Mausolos Nagullios 
Polycharmos und der damit verbundene Kostenüberschlag aufgezeichnet 
war, wurde das dadurch veranlasste Schreiben an den Statthalter und 
seine Antwort im Protokoll kurzweg angeschlossen, ohne jedesmal das neue 
Datum voranzuschicken ; denn schon die Opramoasinschrift lehrt, wie wenig 
genau man es in der Bundeskanzlei mit den Datirungen nahm. Ebenso 
schrieb man im Jahre des lulios Heliodoros, nachdem am 27. Deios das 
Psephisma von Patara eingetragen worden war, später, als noch zwei 
andere Psephismen zu Ehren derselben Person vorgelegt wurden, auch 
diese unvennittelt hinzu ; vergl. Opr. V F. 

Bei einem besonderen Anlasse hat die Familie des lason das amt- 
lich erhobene Verzeichniss der Actenstücke, in welchen ihr Ehren zuerkannt 
worden waren, in Stein hauen lassen. Am ehesten möchte man, wie schon 
gesagt, die beiden Inschriftsteine in Anten oder Pfeilern untergebracht 
denken. 3) Ob es ein Grabgebäude, ob es ein öffentlicher Bau war, an 

griechische mit römischem cursiis hoftorum, wie: [Ti]ß('eoiov) KX(avSiov) ^Xaoviavov 
TixiavQv KoivToy Ovlkiov JIqoxXov Aovxiov MaQxiov Kelega Mdgxov KcÜJiovoviov Aovyor, 
dixa ävögatv ;roe6r[<ü]v, ^^lUaQXOv JtXaivarjfiov keyetovog jtsfiTitijg MaxeSoyix^g, Tafn\a]v 
Kvjigov , S-^fiao^ov [«]«[«] aT[ga]Tijy6v Sr^fiov PcDfialcov , ngeofievri^v JI6vtov xal Bef&v- 
viag f f.:tao[xo\v oeixofiBXQlov Sijftov Pcofiai(ov , [a]vi^vjtaTOv Kvjtqov , i:tifieXi]Trf[y 6d'\ov 
KXcadiag Kaaoiag *Aw([ag irt/4]«V[v]aff hi de xai ^Xaßiviag, OviUa [/ZJßoxAa xov \(piX\Ta- 
Tov naxioa; vergl. dagegen 0. Treuber, Geschichte der Lykier, 229. 

*) Nicht von zwingender Beweiskraft, aber als Bestätigung willkommen ist die kanm 
zofäUige Aehnlichkeit des Datums in den beiden Absätzen , welche nach Psephismen von 
* Patara datirt sind: es ist der 27. Deios (= Januar) und der 27. Artemeisios (= Juli), 
die von einander genau durch ein halbes Jahr getrennt sind. In den beiden Absätzen 
wiederum, welche nach Psephismen von Myra datirt sind, erscheinen der 30. Xandikos 
(= Juni) und der 3. Deios; also auch in Myra versammelte sich in diesen l)eiden Fällen 
der Stadtrath in Terminen, die fast genau ein halbes Jahr auseinanderliegen. Daraus 
allgemeinere Schlösse für Zahl und Termin der in den einzelnen Städten stattgehabten 
Versammlungen zu ziehen, reicht das Material nicht aus. 

') Die roh behauene Nebenscite des neugefundenen Steines kann, sofern sie ursprüng- 
lich ist, verdeckt gewesen sein. 



— 92 — 

dessen Stirnseite sie den Ruhm der Familie verkündeten, mag zweifelhaft 
sein ; für beides liegen Beispiele vor : für jenes im Heroon des Opramoas, 
für dieses im Stadtthor von Patara, wo die noch erhaltenen Inschriften 
auf sieben von den zwölf Consolen beweisen, dass die Familie des Mettius 
Modestus, welche vermuthlich die Kosten des Baues bestritten hatte, die 
Büsten ihrer Mitglieder dort aufgestellt hatte. In jedem Falle aber war 
noch an augenfälliger Stelle des Gebäudes der Name des Stifters genannt 
und dadurch die innerliche Beziehung unserer Inschriften gesichert. Der- 
artige Bauinschriften fanden sich merkwürdigerweise gerade in dieser 
Gegend von Kyaneai.^) Insbesondere liegt in unmittelbarer Nähe unserer 
beiden Inschriften ein in demselben byzantinischen Hause verbauter ioni- 
scher Episty Iblock, 2 Meter lang, 0*56 Meter hoch, 0*63 Meter tief, dessen 
Aufschrift ungefälir in folgender Weise zu ergänzen ist: fO ÖEiva xal b 
delva 7ce7tol€LT€v/ÄevoL iv Talg xaiä u^vxiav noXe^at Ttdaacg, yeyovoxeg 
[öi ägxovreg tov ^vmwv Idyovg KvaveiTdJv r^ Ttolei tö ß]ovlevT7^Qiov 
Y,aTea[x€vaaav]. Vielleicht haben die Namen, welche auf dem zweitvoran- 
gehenden Epistylblock standen, lason und Mausolos gelautet. 



^) Drei solcher Blöcke Hessen sich zu einem fast 7 Meter langen ionischen Epistyl 
zusammensetsüen , dessen drei Fascien in 8 Centimeter hohen Bachstaben die Inschrift 
tragen: NsixooxQaxog Sav&{\3i\itov KvaveiTtjg ro S'&eviXeiov xai tov dvögiavta xat to 
xfjg ve[<ür€ßa]? ävd[Qi\av\TeC\diov \ xal tov Ttegi tov ävögiavta xai t6 ävbQiavxsidioiyi 
xööjLiov xai xa Xoutä xä iv x^ i^iÖga Jtdvxa xa^cog dis\xd^a^xo Av[x{]a ^ xai ^^sveXij \ 
JIxolefiaiov xov 'HysXoxov KvaveTxig, Daneben liegt, von nna blossgelegt, eine Basis mit 
der Inschrift: Avxiav xijv xai Z^eviXrjv JlxoXe/naiov KvavsTxiv , xa&d}g Ötexd^axo, Avgrj- 
Xiaros ^Ejiaq?g6öetxog Kvaveixtjg vetxijaag dydiva jidXijg dvÖgiov xai 3tai6(ov im fitäg ij/i«- 
gag Jievxaextjgixov Z&sveXeiov dveqpeÖQog d/nsaoXdßtjxog äjixwxog. Lykia-Sthenele also hatte 
sich testamentarisch nicht nur eine prächtige Grabanlage mit Exedra und Statuen, sondern 
auch die Einführung von Festspielen zu ihrem Andenken ausbedungen, und die Sieger in 
diesen Spielen mnssten immer wieder Statuen der Verstorbenen in ihr Heroon stiften. 



Ein ^Consulat^ im Datum einer Urkunde vom 

Jahre 921 

von 

L. M. HARTMANN 



Vielleicht erregt die vorliegende Urkunde vom Jahre 921, die älteste 
aus dem Archive von St* Maria in Via Lata zu Rom, auch bei dem Philo- 
logen ein wenig Interesse. Nicht etwa dass das Millennium, das verstrichen 
war, seitdem Cicero seine wohlcadenzirten Perioden sprach und nieder- 
schrieb, spurlos an der Sprache vorbeigezogen wäre ; vielmehr drückt sich 
der tabellio Johannes aus Nepe — ebenso übrigens seine CoUegen in 
Rom und sonst in Italien — in einem Latein aus, das die barbarischesten 
Kühnheiten des letzten Tertianers bei weitem übertrifft und einem Cicero- 
nianer die Haare sträuben lassen muss. Da aber die modernen Philologen 
über das Vorurtheil des allein selig machenden Cicero schon lange hinaus 
sind und sich immer mehr bestreben, aus späteren Denkmälern die Gold- 
kömer der echten Volkssprache herauszufinden, so bitte ich sie auch gelegent- 
lich das vorliegende Document als ein typisches Beispiel dafür zu beachten, 
wie vielerlei auch in anderer Beziehung seinen Weg aus dem Alterthume 
in's Mittelalter gefunden hat. Könnte man doch beinahe behaui)ten, dass 
gewisse Verhältnisse, die uns nur in ihrem Umrisse aus dem Alterthume 
her bekannt sind — ausser vielleicht durch die ägyptischen Papyri — 
nur durch Privaturkunden des früheren Mittelalters illustrirt werden können. 

Odocia^ Aebtissin des Marienklosters in Nepe^ gibt dem Oemusu 
und dessen Frau Leonina einen Baugrund mit Strasse auf drei 

Generationen in Paclit. 921^ Dec. 

In nomine *) domtni dei saluatorta noatri. Je.su Christi, Imperante domino 
nostro jnissimo perpetuo agusto Bernigario a deo Corona [to] \ magno impe- 

*) Ich habe beim Abdrucke der Urkunde von der Verzeichnung der Abkürzungen 
abgesehen. 



— 94 — 

ratore anno septimo in mense december tndictione decima, Quisquis [acjti- 
onihus benerabilium locorum presens dinoadtur, incuntanter earum /titi/li- 
tatibus ut profidat, suma diligentia procurare featinent. Placuit igitur cum 
Christi atixilio adque conbenit inter donna Odocia uenerahilia diacona et 
abbatissa uenerabilis monasterii sancte dei genetrida Marie semperque bir- 
gini ancillarum dei qui ponitur intro ciuitatem Nepemnam ad posterula 
subteranea consentientem sibi cunta cangregatianem eiusdem uenerabilis iiene- 
rabilis (sicJ) monasterii et e dibosis Oemusu vir honesttis cum Leonina 
ho7iesta femina iugalibus, ut cum domini adiutorium subscipere debeant con- 
ductionis titulo a predicta domna Odocia uenerabili diacona et aibatissa 
uenerahilis monasterii sancte dei genetricis senperqtte birginis Marie ancillarum 
dei bei a cunta congregationem sibi cunsentientem , sicut et subsceperunt 
supra^cripti Oemusu et Leonina iugalibus^ id est: petium de tei'ra ad casa 
faciendum, qui est ad mensura per longitudine pedes publica in omne latum 
triginta et septe et per latitudine in omne cupu pedis publice biginti et tres 
posito intro ciuitatem Nepesinam iusta ipsu uenerabile monasterium, iuris 
iam dictus monasterium inter adfines a tribus lateribus cortem et terra de 
suprascripto monasterio et a quarto latere ortuo in quod fuit domum quan- 
dam Demetrius super ista, infra iste suprascripte finis ipsu suprascriptum 
petium de terra cum bia carrara tragente inde itsque in bia publica qui 
pergit ad sanctum Prancatius, ita ut suo studio suoque labore suprascripti 
Oeimisu et Leonina iugalibus ipsu suprascriptum petium de t^erra in inte- 
tegrum (sie!) ad casa fadendum cum omnibus a se pertinentibus cum bia 
carrara trageiiie usque in bia publica qui pergit ad sanctum Prancatius cum 
omnibus a se pertinentibus rezelare et defendere debeat et ad meliorem faden- 
dum deo iubantem cultu perducat, sibi heredibusque suis prqfuturum usque 
in tertiam generationem, tertium gradum,, tertia[mj personam, tertiam heredes, 
fioc est ipd filiis aut nepotesque eius filii legitimi procreatis , quod d bero 
ßliis aut nepotes minime fuerit , uni etiam exictranea persona , cui boluerit, 
relinquendi abeat licentiam escepto piis locis, publicuin seum bandum mili- 
tum^ serbata dumtaxat in omnibus propnetatibus suprascriptum monasterium, 
pro quam etiam suprascriptum petium de terra cum bia carrara usque in 
bia publica qui pergit ad sanctum Prancatius cum omnibus a se pertinentibus 
dare adque inferre debeat suprascripti Gemusu et Leonina iugalibus heredes- 
que eius singulis quibusque annis proximis sine aliquam mora bei dila- 
tionem denarios quatuor bonos nobos ; et conpleta bero tertiam generationem, 
ut superius legitur, tunc suprascriptum petium de terra in integrum cum bia 
carrara cummomnibus a se pertinentibus in integrum cum suis meliorationi- 
bus ad ius suprascriptum monasterium modis omnibus modis omnibus (sie!) 
rebertatur cui proprietas, et uty quisquis eiusdem suprascdpta ecdesia curam 
gererit y iterum locandi quibus maluerit abeat dne aaliquam (sie!) ambi- 



— 95 — 

guikUem licentiam. De qua res, de quibus omnibtis suprascripti turantea 
dieuni utraqttes partes per deum omnipotentem sancteque sedis apostolici 
princtpatu a deo coronato domino nostro Bemigario magno imperatore, qui 
Bomanum reget imperium, seum salutem bir becUissimi et apostolici domnus 
noster Johannes sumi pontifice et unibersali decimi pape suprascript/aj omnia 
que ttius pre^ens plcunti charta seriens testus eloquitur inMolabiliter conserbare 
adque adimplere promittunt. Quod si quisquam contra uitis chartula placiti 
seriens in toto partebe eins quolibet modo benire tentaherint, tunc nan solum 
periurii reaatum (sie!) incurrat, berum etiam daturo se heredes successoresque 
suos promittunt pars parti /ßj dem serbatiti ante omnem litis initiumpene nomine 
auriuncie quatuor et et (sie!) pos penem absolutionis manentein cuius chartula 
placiti seriens in sua nihilominus maneat ßrmitatein. As autem de [ejarum 
forme charta mihi Johannis . . . ^) ^ tabellio duitatis Nepesinae /...../ n/ojto 
et et (sie!) rogatorioque suo scribendam pariter dictaberunt easque propriis 
manibus roborantes et testibus a se rogiti octulerunt subscribendam , sibi 
inbicem tradiderunt sub stipvlationem esponsioneiu sfojlemniter interpositam. 
Actum Nepe die anno imperatore consolu et indictione suprascrijyta decima. 

+ Signum + manu suprascripti Gemusu et Leonina iugalibus , qui 
uic charta placiti conbentionisque fierit rogabit, 

+ Johannis uir magnißcus uic chartule placiti conbentionisque de 
suprascriptum petiu de terra cum bia carrara et cum omnibits a se perti- 
nentibus facta Gemusu et Leonina iugolihus inn Odocia abbatissa monasterii 
puellarumy sicut superius legitur, rogatus ab eis teste suhscripsi, eins etiam 
sibi inbicem traditam bidit. 

+ Leo uir magnißcus uic charta placiti conbentionisque de supra- 
scriptum petium de terra in integram cum bia carrara cum omnibus a se 
pertinentibus facta Gemusu et Leonina iugalibus in Odocia abbatissa mona- 
sterii puellarum , sicut superius legitur , rogatiis ab ei teste subscrijysi , ens 
charta sibi inbicem traditam bidit, 

+ Leo bir magnißcus uic charta placiti conbentionisque de supra- 
scriptum petium de terra cum bia carrara in integrum facta Gemusu et 
Leanina iugalibus in domna Odocia uenerabili diaco7ia et abbatissa mona- 
sterii puellarum, sicut superius legitur, rogatus ab eis teste subscripsi et 
[e]as charta sibi inbicem traditam bidit, 

+ Ego Johannes • • • ^) ^^ tauellio duitatis Nepesine facta complevit 
et absoluit. 



^) Es folgen hier drei Buchstaben mit einem Abkürziingsstriche, die zu entrüthseln 
oder zu deuten mir nicht gelungen ist; man könnte „tVe" oder „/«7" lesen; es acheint hier, 
wie 90 häufig, mit dem Amte des tabellio ein anderer Titel verbunden zu sein. 

*) Vergl. z. B. Marini, Pap. dipl. Nr. 136 (n. 1). Die meisten römischen Privat- 
nrkunden jener Zelt haben einen der folgenden Anfänge: „Quisquis actiouibutf" ; „A vobia 
peümtis** ; „Quotiiam certum est** — deren jedem ein bestimmter Inhalt entspricht. 



— 96 — 

Ich will hier nicht die antiken Rerainiscenzen in der Kaisertitulatur 
betonen, die sich ja aus der Uebertragung des imperium ganz natürlich 
ergeben und bekannt genug sind ; und den Ursprung der bei dieser Gattung 
von Urkunden regelmässigen Arenga: ryQuiaquia actionibus'^^) kann 
ich nicht im Alterthume nachweisen. 

Aber die eigenthiimliche und sehr gebräuchliche Art der Verpachtung 
auf drei Generationen geht auf Bestimmungen römischer Kaiser zurück, 
die in ihrer Fürsorge für das Kirchengut dessen Veräusserung verboten 
und die gestattete Pachtzeit auf drei Generationen oder 30 Jahre 
einschränkten^); ja, man kann in einem wichtigen Monumente, dem in 
München aufbewahrten Registerbuche der Kirche von Ravenna eine 
ununterbrochene Reihe derartiger Urkunden vom X. in das VII. Jahr- 
hundert zurückverfolgcn. Auch die Nebenbestimmungen des Contractes 
weisen auf den Ursprung hin. Manche Urkunden statuiren das Ausweisungs- 
recht des Verpächters für den Fall, dass der Pachtzins durch zwei Jahre 
nicht gezahlt würde, ganz wie es Justini an bestimmt hatte. 2) Andere, 
zu denen auch die unsere gehört, nehmen juristische Personen (pptts 
locisy publicum seum b an du vi milttum*^) von der Erbfähigkeit 
nach einem Emphyteuten aus^), um die Beschränkung der Pachtzeit auf 
drei Lebensalter nicht zu vereiteln, und statuiren die Verpflichtung des 
Pächters zur Melioration des anvertrauten Gutes, ganz wie es im Codex 
bestimmt ist.*) Sicherlich Hessen sich auch noch andere Einzelheiten auf 
antike Tradition zurückführen. '^) 

Aber auch dass uns derartige Urkunden überhaupt und in grosser 
Anzahl erhalten sind, scheint seinen Grund in antiken Bestimmungen zu 
haben, die sich auf die Art und Weise des Abschlusses der Pachtcontracte 
beziehen , bei denen eine Kirche oder fromme Stiftung Verpächter war. 
Denn kaiserliche Gesetze bestimmten, dass solche Contracte schriftlich 
abzuschliessen seien. «) Wenn ferner gefordert w^urde, dass in diesen Con- 

^) Cod. Just. I, 2, 24, 5 ; Nov. Just. 7 c. 3. Dazu Mitth. d. Inst. f. österr. Gesch. XI, 3(>4 
und Mommsen, Zeitschr. f. Soc- u. Wirthsch.-Gesch. I, 44, n. 3. Dazu auch Diurn. 74. — 
üebrigens linden sich auch Urkunden , die nach der Formel von Nov. 120 c. 1 §. 2 in f. 
abgcfasst sind. 

') Vergl. Mitth. a. a. 0. n. 2 und Marini, a. a. 0. Nr. 132 etc. 

^) Vergl. Gregorovius, Gesch. d. St. Rom im MA. 11*, 410, n. 3. 

*) Cod. Just. I, 2, 24, 6. 

^) Z. B. die Bestimmung des Grundstückes „int er affines** und die Strafformel. 

«) Vergl. Mommsen, a. a. 0. 44; Nov. 120, 6, 2; C. J. I, 2, 17, 2. — yivexat avfißo- 
Xaia fivtjfiovevovra tcov airtwv xai rijg xatv v:jofivff/idT€Ov jigd^ecog xal xfjg JiQogtjyooia^ 
Twv :iaQaysvofiir(ov xai Jtag' rp owioTtj, Eine Urkunde aus Sa. Maria in Via Lata, in 
deren Original ich Einsicht nehmen durfte, erinnert selbst an die Bestimmungen Justinian's 
ttber die Kirchengüter. Sic ist bei Galletti, dd primicero, S. 260, abgedruckt, aber falsch 



— 97 — 

tracteu einer der als gesetzlich anerkannten Gründe für die Verpachtung 
angegeben werden niÜ8«e^), damit keine dem frommen Verpächter schäd- 
licheu Contracte a))ge8chlo88en würden, wenn der Eid ^) und l)ei Kleistern 
die Zustimmung der Mönche zur Giltigkeit de« Vertrage« verlangt wurde *) 
— 8() haben wir darin die rechtlichen Bestimmungen zu sehen, die ver- 
anlassten, dass in die Arenga die „utilttates venerabilium locorum^ , in den 
Satz, der der Sanction vorhergeht, das „iurantes** und schliesslich in 
den Satz, der die Vertragsbestimmungen enthält, diis y^amsentientem sibt 
cunta congregationeni^ eingefügt wurde. 

All diese Anknüpfungen an das antike Recht sind unserer Trkunde 
mit den übrigen der gleichen Familie gemeinsam. Eigenthümlich dagegen 
ist ihr das Wort „consolu^ in der Schlussdatirung, in der wohl zum 
letzten Male der alte Titel im Zusammenhange mit dem Datum, wenn 
auch ganz gedankenlos, von einem Tabellio gebraucht wurde. Es ist bekannt, 
dass Justini an die dreifache Datirung nach dem Herrscherjahre, dem 
Consnlate und der Indiction officiell vorschrieb ; dass dann an die Stelle 
cle>< wirklichen (V>nsulates der Postconsulat des Kaisers trat und dass diese 
Datirungsweise von der päpstlichen Kanzlei auch unter den Karolingern 
beibehalten wurde ; als letztes Beispiel dieser Datirungsweise wird eine 
Trkunde Sergius' III. vom Jahre 9i)4 angeführt.*) Auch die Postconsulate 
der griechischen Kaiser scheinen in Italien im IX. Jahrhundert zu ver- 

datirt; sie ist vom 14. Juni 1029, also bald nach dem Rescripte K. Konrad's über das 
nimische Recht. Das Citat — gemeint sind Bestimmungen der 120. Novelle — ist folgender- 
massen in die Arenga eingefügt: Ea quae inter pia et uenernbilia loca verbo conueniunt 
pro utraque jmrtiitm rompendiOj illa potiiis j)erpetuifafe mandantur j qua vnrtift inter- 
uenientihuH scriptwe teatimonio rohoranfiir, quafemus ohUuione repulaa futuriH tcmporibus 
nulla rerum incertitudo aut quaelibet iurgiorum ambiguitas geheretur. Nam et diuus 
fimlperator JustinianuM auguslua in centesimo octogcaimo octaiw kapitulo primae ptßrtin 
nouellae ita promufgauit et talem se/njtenfinm dedit: iit licent errleMÜs et ah'in uenera- 
bilibus loriM perpetiws ifiter se rontractus emphyteiuieos farere decreto svilicet ante 
celehrato, dum tarnen ita fiat , ut emphyteitsis ad priiiatam perttonam omnino non 
extcndatur ; sed huius legis licentia ei-npiatur magna ConstantinofHßlitanae ecchsiaef 
quemammodum in anterioribus conatitutionibua. Placnit idcirro etc. Es handelt sich um 
einen cmph3rtent. Vertrag zwischen dem Bischof Benedict von Portus und dem Kloster 
SS. Cyriaous und Nicolaus. 

') ('od. a. a. 0. : to St- yFvoftevov ovx oXIok io/vei, ei fiif pia tojy Fi()i]fiFvo)r atrtojy 
rr v:!toftvrifiaai (pareoto&fj. 

•) Nov. a. a. 0. : xfXf.vopfv t'yyodfpeaf^ai to) avpßokaio} fiF&* ooxov , (o^ ov noog 
ßidßffv fj neQiyoaq>i)v rwr avuor evayfov oTx(ov to nnäypa rtodziFTat. Cod. a. a. 0. : uqo- 
xetpiv(ov Tiüv ayiotv ygarpwv. 

*) Cod. a. a. <). : fjti de tioy povaoxrjoiwv AeT sraoeTvai rot'g j'/yovfifvorg xai Toi*<; 
aJJLovg pova/ovg. Nov. a. a. 0. : fjii Sf kov evayojv poyaorrfoioyv xovg f)yoi'pevovg avT(or 
fitJii Tov jfkelovog pegovg tmv exetoF XFixovoyovvnov iiot'ax<or to avrdXXaypa :toieT(j{^at. 

*) Bresslau, Urkundenl., S. 830. J-L. 353H; Mommsen im N. A. XVI, 54 f. 

Eranoa Vindobonensis. 7 



— 98 — 

schwinden. ') An die Datirung nach irgend welchem wirklichen Consulate 
ist damals im römischen Gebiete auch nicht zu denken, obwohl ja Beamte 
und grosse Herren auch damals den Consultitel fülirten. Es ist also 
nur die alte Formel, die der Notar niederschrieb, abermals eine antike 
Reminiscenz in jenen barbarischen Zeiten. 2) 



^) Cod. Caietanus, Tabul. CWm.I, 1 n9 2 vom Jahre 830 ist das letzte Postconsulat, 
das ich hier gefunden habe. Das Verschwinden mag hier damit zusammenhängen, dass die 
Zählung: „anno x. considatus domni N,*^ aufkommt, in welcher der Consulat die wirkliche 
Regierung des dortigen „consul et dtix" bezeichnet. 

*) Etwas Aehnliches begegnet (vergl. Brunner, Rg. d. ürk, I, 252 f.) in bayrischen 
Urkunden im VIII. Jahrh. ; Meichelbeck, bist. Fris., instr. Nr. 7, 13, 14, 16, 17 ff. etc.; 
die missverstandene Formel ist: „8uh die consule". 



Eine Judengemeinde in Tlos 



von 



E. HULA 



Nördlich von der Akropolis der Gemeinde Tlos zieht sich ein wild- 
nimantisches Thal hin, das Gräberthal der alten Stadt. In seiner Sohle 
fliesst durch üppige Vegetation ein Bach , der von den Ausläufern des 
Masikytos kommt und zum Xanthos geht. Unmittelbar unter dem Plateau 
der Akropolis beginnen die Felsengräber und reichen fast bis zum Bache 
lierunter. Die Tafel XLII des Werkes „Reisen in Lykien und Karlen" von 
Benndorf- Niemann gibt davon den besten Begriff. Weniger hoch 
steigt die Nordseite des Thaies an: hier finden sich viele Sarkophage. 
Aber auch am Bache selbst standen einst Grabbauten: sie sind verfallen 
und grösstentheils von Erde und Vegetation bedeckt. 

In einer dieser Trümmerstätten , unterhalb des Bellerophongrabes, 
taiul ich im Frühling des Vorjahres einen Felsblock, der als Thürsturz 
eines grösseren Grabbaues gedient haben muss. Die Vorderseite des Blockes, 
welche die untenstehende Inschrift trägt, ist ähnlich gegliedert, wie die 
Thürstürze vieler Felsengräber, die den Holzstil vollständig abgestreift 
haben und in der Fa^ade nur eine mehr weniger gegliederte Thür, mit 
oder ohne Giebel, zeigen.^) Doch müssen wir in diesem Falle an einen 
von allen Seiten freien Grabbau denken, dessen Fa^ade derjenigen solcher 
Felsengräber entsprach. Ich konnte zwar den Block nicht ganz freilegen, 
aber doch feststellen, dass er nach allen Seiten hin regelmässig bearbeitet 
war, so dass an seiner Verweildung in einem frei errichteten Bau nicht 
gezweifelt werden kann. Weiter unten im Thale, mehr gegen die Xanthos- 
ebene zu, sind noch die Unterbauten derartiger Grabanlagen erhalten. 2) 

») Vergl. Reisen II Taf. XU. 

') Eine weitere Entwicklungsstufe zeigen die römischen Grabbauten ; vergl. Reisen I 
Ö. 79 ff. 



— 100 — 

Die Breite des Blockes beträgt 11 7 Meter, die Höhe 0*45 Meter, 
die Dicke konnte ich nicht bestimmen. Die Vorderseite ist beschrieben. 
Die drei ersten Zeilen der Inschrift haben Buchstaben von 35, die anderen 
von 3 Centimeter Höhe. 




nTOAEMAlOZA E> — -^ ) 

OYTAQEYZkATEZKEYAZENEk 

>^ TQNI AIQNTOIHPQONAnO0EMEAIQNA Y 

TOZK AI Y TT EP T O Y Y I O Y A Y TJD J TTT^OA E^MjM O^Y B 
T O Y A E Y K I 0~Y Y n E P A P X O N t E I A Z T E A O Y , 

MENAZnAPHMEINlOYAAlOlZQZTEAY 
TOEINAinANTQNTQNlOYAAlQNKAI 
M H AJ NAJ ZO N^m^ IJ TEPONTE0 H N A I 
E N !A Y T Q E A N A E T I Z E Y P H E I H Tj I N A 
JIO QNOOEIAEZEITAOEQNTQj UjiMQ 



Tlcokeftdioq [A]e\y- 

y.iov Tkwevg xarecrKevaaev i/, 

Twv löiwv rb fjQwov oiTth d-ef^eklwr av- 

rbg xat V7t€Q rof) viov avroP ITuoXeiialov ß' 
5 Tov ytevxlov vTteq aQ/ovrelag zsXov- 

fnivag Ttaq fj/nelv *Iovdaioig cf'gre av- 

vb elvac TtdvTiov xwv ^Iovdaio)v xai 

f.irjöeva i^bv elvat I'teqov red-rivai 

iv avzio* iiev öe rig evQed-eirj nvd 
10 r/[^]wv, 6q>eiXea£i TX[u}\kov reo dijfdoj 

[ÖQaxuäg 

Der Name AeuKiog Z. 5, der Schriftcharakter, orthographische und 
lautliche Erscheinungen (^pwov Z. 3, a^rt5 Z. 9, tw djjjuw Z. 10, iJ/icivZ. 6, 
dffeikeaei, Z. 10 — eine Form, die auf lykischen Inschriften öfters begegnet — 
Tid^iov Z. 10), wohl auch der dem römischen a fundarrmvtis nachgebildete 
Ausdnick a-rcb &€fi€Xiwv Z. 3 weisen die Inschrift in römische Zeit , in 
das Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus, lieber dieses hinauszu- 
gehen hält die Sorgfalt ab, mit der die ganze Inschrift geschrieben ist, 
vielleicht auch die Form ^^eijxiog statt Aovxiog, Freilich findet sich die 
Form Aevxtog noch in christlichen Inschriften: C. I. Gr. 9165. 9423; im 
Allgemeinen aber scheint für die Länder mit regerem römischen Verkehr 
Salomon Rein ach Recht zu haben, wenn er Tratte d'dpigr, S. 520 die 
Regel aufstellt : vers Vdpoque de Claiule, la transcription ylo&Mog prMomvie 
de plus en plus en dehors d^ Äthanes. Vergl. Michel C 1 e r c , Bull, corr. 
hdL X S. 401; Viereck, Sermo Qraecus S. 49. In Zeile 10 sind das 
^ von Ti&i7)v und das erste w von Tlioicov durch Beschädigung des Steines 



— 101 — 

undeutlich geworden. Eigenheiten, wie relovfiivag Z. 5. 6 und iäv . . evQe- 
O-elri Z. 9, möchte ich auf Rechnung der Nationalität des Stifters setzen. 

Ptolemaios war Jude. Sein Name erinnert uns an jene glücklichen 
Zeiten des Volkes Israel, in denen es sich unter dem mächtigen Schutze 
der Nachfolger Alexanders in den gräcisirten Gebieten weiter als vordem 
ausgebreitet hatte. Semitische Zuwanderung bezeugten in Lykien bisher 
<lie in Limyra gefundenen Inschriften (vergl. Reisen II S. 66 A. 5) , doch 
ist nur eine derselben mit Sicherheit auf einen Juden zu beziehen, und 
gerade diese scheint späteren Ursprungs. Dass Juden zumal nach der Zer- 
8tr)rung des Tempels sich auch in Lykien weiter ansiedelten, zeigt nun 
die neue Inschrift. Besonderes Interesse aber gewinnt sie dadurch, dass 
sie uns einen Einblick in die Organisation der Gemeinde eröflFnet. 

Das von Ptolemaios gestiftete Grab war für alle Juden bestimmt. 
Man darf daraus niclit folgern, dass wirklich alle Juden darin beigesetzt 
werden mussten, eher dass sie es durften. Eine kleine Anzahl weniger 
wohlhabender Juden werden wir jedenfalls annehmen können (vergl. die 
Stiftung eines Grabes durch eine Jüdin in Smyma für ihre Freigelassenen : 
Bevue des äudea juives, VII S. 161). Die Veranlassung zur Freigebigkeit 
des Ptolemaios war die väterliche Freude über die Ehre, die seinem Sohne 
zutlieil geworden war: die Juden von Tlos hatten diesen zu ihrem 
Archonten gemacht. Während er das Amt noch bekleidete (relovfievag), 
erfolgte die Stiftung der Grabstätte, welche damit zugleich als Ausfluss 
seiner Amtsführung erschien. Die Erwähnung des Archontats nun beweist, 
dass die Gemeindeorganisation der Juden von Tlos die allgemeinen Züge 
festhielt, wie sie insbesondere Emil Schür er in seiner Arbeit „Die 
(remeindeverfassung der Juden in Rom in der Kaiserzeit ** (Giessen 1879) 
aus dem geringen Materiale seiner Tage zu zeichnen versucht hat. Seine 
Beobachtungen wurden durch Rein ach ergänzt auf Grund neu hinzu- 
gekommener Inschriften {Revue des itudes juives, VII S. 161 AT. ; Revue 
des itudes juive^, XII S. 236 if. = BulL corr, hell X S. 327 if.). 

Die Arclionten waren Beamte der jüdischen Gemeinde, die in diesem 
Titel, wie aucli in anderen Dingen die hellenistische Communalverfassung 
adoptirte. Wie viele Archonten die Synagoge von Tlos gehabt hat, können 
mr nicht sagen. Dass das Amt jährig war, dafiir sclieint der Ausdruck 
relov^evag zu sprechen. ') Die Stiftung hat ihre vollständige Analogie in 



*) Die Jährigkeit der jüdischen Archonten und ihr Amtsantritt zu Beginn des bärger« 
liehen Jahres der Juden im September konnte schon Schürer aus einer Stelle des Chrysos- 
tomus erschliessen, welche sich nur in der Pariser Ausgabe von 1687 findet und die er nur 
nach Wesseling de ludaeorum archontibus zu citiren vermochte, ohne das Citat verificiren 
zu können. Auf meine Bitte hat FI. Weigel die Ausgabe in Paris eingesehen und die Stelle 
in Tom. II derselben S. 521 in einer Homilie gefunden, welche als erste einer gemeinsamen 



— 102 — 

griechischen Verhältnissen, >vie wir sie z. B. aus der Opramoasinschrift 
kennen, wo der Vater den Dank für die Ehren seiner Söhne ab trägt J) 
Soll man eine Vermuthung über das Alter des Archonten wagen, so wird 
man wohl eher an einen jüngeren Mann zu denken haben. Auch in den 
jüdischen Inschriften Roms, die Schürer gesammelt hat, erscheint das 
Archontat als eine einem jüngeren Manne zuerkannte Ehre (1. 1. n. 5 und 
14 = C. I. G. n. 9906). 

Der Sohn hiess IlvoXeualog ß' to€ ^ievyJov, Sicher ist dies aufzu- 
lösen Uvokefialog UToXe/Liaiov rod ^ievxiov, was neuerdings beweist, wie 
unverlässlich die von Rein'ach, TraM cTdpig. Gr., S. 508 aufgestellte Regel 
ist: ß plac4 avarvt le nom du pere indique que le phre et Vaieid ont porte 
le meme nom (ß = au second degr^). 

Als Name des Vaters wäre nach Z. 4, 5 anzunehmen IlTolefAaiog 
(toD)^) AevKiov, Die Reste, welche Z. 1 auf iTroAc^criog folgen, stimmen, 
wenn man die erste Zeile als kürzer annimmt und in dem J der Abschrift 
vielmehr ein A erkennt, mit dieser Vermuthung überein. Für die vor- 
geschlagene Lesung spricht auch, dass rechts von ytev keine Buchstaben- 
reste vermerkt sind. 

Wie die letzte Zeile zu er^nzen ist, muss dahingestellt bleiben. Die 
Ergänzung ÖQaxfidg ist möglich auch in der Kaiserzeit (vergl. Treuber, 
„Wesen, Ursprung etc. der auf griech. Inschr. Lykiens angeordneten Gral)- 
bussen etc." G. Pr. Tübingen, S. 18, A. 1), die Casse wohl die des dfiuog. 



Gruppe steht mit dem gemeinsamen Titel: Homüiae in loca quaedam S. Lucae. Sie 
beginnt mit den Worten: de solstüiis et aequinoctiis et nativitatis domini nostH Jesu 
Christi et Joannis Baptistae nescio an quisquam ausus sit arcanunty fratreSy ante 
Christi nativitatam intellegere. Das Citat bei Scbürer ist bis auf unwesentliche ortho- 
graphische Einzelheiten genau. 

») Reisen II S. 116, 117. 

*) In der Mehrzahl der Fälle wird der Artikel beim Vatersnamen nicht gesetzt, 
wohl aber in der weiteren Filiation. 



Zum attischen Budgetrecht 



von 



EMIL SZANTO 



Jiinzelne Spuren des Antheils der attischen Gesetzgebung an der 
Finanzvenvaltung des Reiches sind wiederholt aufgedeckt, im Ganzen sind 
Inhalt und Grenzen des Budgetrechts niemals klargestellt worden. Wir 
wissen insbesondere aus der Inschrift CIA II 1156 und den Erklärungen, 
welche Ditten b erger ^) und Rudolf Scholl 2) zu derselben gegeben 
haben, dass es für gewisse unvorhergesehene Staatsausgaben eines legis- 
lativen Actes bedurfte. Denn in diesem Volksbeschlusse wird der Schatz- 
meister des Volkes ermächtigt, dem Delier Peisitheides , der gleich- 
zeitig mit dem attischen Bürgerrecht beschenkt wird, für die Dauer 
seiner Verbannung aus Delos ein Taggeld von einer Drachme auszuzahlen, 
l^m aber diese Auszahlung zu ermöglichen , werden der Epistat und die 
Proedren angewiesen, in der ersten Nomotheten Versammlung ein Zusatz- 
gesetz des Inhaltes zu erwirken , dass die Apodekten als Generalschatz- 
meister Jahr für Jahr den entfallenden Betrag an den Schatzmeister des 
Volkes anzuweisen hätten. Daraus folgt, dass die Anweisung von Tag- 
geldem eines Gesetzes bedurfte, während wir sonst wissen, dass manche 
andere Auszahlungen des Schatzmeisters, wie z. B. die für Beschreibung 
und Aufstellung einer Inschriftstelc, rechtsgiltig durch einen blossen Volks- 
beschluss angeordnet werden konnten, ohne dass ein Gesetz erwirkt werden 
mnsste. Wenn aber ein Gesetz nothwendig war, um eine verhältnissmässig 
80 geringe Summe zu votiren , wie es jene Taggelder waren , so werden 
wir vermuthen dürfen , dass jene anderen auf blossen Volksbeschluss ge- 
statteten Zahlungen nur deshalb mi)glich waren , weil schon vorher ein 
Gesetz bestand, das den Volksbeschluss hierzu für comi)etent erklärte. Der 

SyU. 105 not 5. 

•) Sitzungsber. d. bayr. Akad. 1886, S. 113 f. 



— 104 — 

Budgettitel, aus welchem der Volksschatzmcister seine Zalilungen machte, 
heisst Tö '/Mxä xprjg)ia/daTa dvakiaxofieva und wahrscheinlich bestand ein 
Gesetz, welches aus diesem Titel zwar unmittelbar aus dem Volksbeschluss 
sich ergebende Zahlungen gestattete, wie die für Aufschreibung desselben, 
nicht aber weitere Ausgaben in sein Belieben zu stellen beabsichtigte. 

Ebenso war bis ziun Jahre 335 kein Gesetz vorhanden , auf Grund 
dessen durch einen Volksbeschluss die Gelder für die Bekränzung von 
gewissen uns nicht näher bekannten Hieropen hätten bewilligt werden 
können. Denn in der aus diesem Jahre stammenden Inschrift *E(p7iu. ä^ 
1885, S. 131 werden Epistat und Procdren gleichfalls angewiesen, in der 
ersten Nomotheten Versammlung ein darauf abzielendes Gesetz vorzulegen. 

Zwischen Volksbeschluss und Gesetz sind eben auch auf dem Gebiete 
des Budgetrechts scharfe Grenzen gezogen, deren Kenntniss wesentlich durch 
eine jüngst im Heiligthum des Amphiaraos in Oropos gefundene attische 
Inschrift getV)rdert wird. Die Insclirift ^), welche aus dem Jahre 329/8 
stammt, bck>bt eine Abordnung von 10 Männern zu den gymnischen und 
hippischen Agonen im Amphiareion und verordnet, dass ihnen der Betrag 
von 100 Drachmen für die Ausrichtung des Opfers und die Aufstellung 
eines Anathems ausgezahlt werden sollen. Den Betrag soll der Schatz- 
meister des Volkes leihweise vorschiessen , in der ersten Nomothetenver- 
sammlung soll aber für den Schatzmeister ein ihn zur Auszalilung be- 
rechtigendes Gesetz eingebracht werden. '-*) Um also die Ausrichtung des 
Opfers augenblicklich möglich zu machen, obgleich es kein Gesetz gab, 
welches die Kosten dafür bewilligt hatte, sollte der Schatzmeister die 
100 Drachmen als Darlehen vorstrecken , bis durch das Zustandekommen 
des betreffenden Gesetzes die Schuld an ihn ipsa lege getilgt war. Als 
Darlehen wurde diese vorläufige Auszahlung auch ohne Zweifel eingetragen, 
wobei Gläubiger die Casse des Volksschatzmeisters ist, Schuldner aber 
entweder die Empfänger des Geldes oder die Antragsteller des Volks- 
beschlusses sein müssen, möglicher aber nicht wahrscheinlicher Weise auch 
eine andere Casse, die an sich ohne ein neues Gesetz berechtigt gewesen 
wäre, die Zahlung vorzunehmen, aber erschöpft war. Ausserdem \vird in 
der Inschrift bestimmt, dass der Volksschatzmeister den gewählten Zehn- 
männern 30 Drachmen auszalüe, welche jedoch nicht erst durch ein neues 
Gesetz zu bewilligen sind, sondern deren Bezahlung bereits durch ein be- 
stehendes Gesetz angeordnet oder gestattet war. ^) 

») 'E(f, oLQx. 1891, S.89 =CIGS42r)4. 

*) To de dgyvgtov t[o] elg trjv ^i^oiav jt godaveiaat xov xafiiav tov dfjf*ov, iv df 
ToTg TrgcoToig vofioOeraig 7tQOovofio^sii}oat xoJi xafiiai. 

') dovvai öe xai xag xotdxovxa Sgay^dg xov xa/iiav xof) S^tiov xoTg aSoe^eiot i:ii 
xov dycova äg ftotfxai didovai iv xon vopicci xöji aigr&svxt em xi)v evxa^iav. 



— 105 — 

Dieses Gesetz muss denjenigen Personen, die die Liturgie der Eutaxie 
zu iibeniehmen hatten, einen Beitrag garantirt haben, wie auch die spär- 
lichen reberreste der bisher einzigen attischen Inschrift, welche diese Liturgie 
erAvähnt(CL\ II 172), verrathen, in der oifenbar je eine Drachme für den 
Mann und wahrscheinlieJi auch für den Tag bewilligt waren. Die Gering- 
fiigigkeit dieser Summe gegenüber dem Hetrage der Liturgie, die sich für 
den Mann auf 50 Drachmen stellt , beweist , dass der Sinn dieser He- 
stimmung nicht war, dem die Liturgie Leistenden die Last zu erleichtern, 
was ja auch dem Wesen derselben widersprochen hätte, sondern dass 
der Staat denjenigen Theil der Leistung übernehmen musste, der ihm 
gesetzmässig zukam. Es ist denkbar, dass diese Drachme auch nichts 
anderes war als ehi Taggeld, welches dem Liturgie Leistenden für den Fall 
des durch die Liturgie nothwendigen Aufenthaltes in einer anderen Stadt 
gebührte, und dass den Zehnmänneni unserer Inschrift je drei Drachmen 
gezahlt wiu'den, weil sie drei Tage in der Feme weilen mussten, wovon 
einer auf die Hin-, einer auf die Rückreise und einer auf die Zeit des 
Agrms fällt. Die Inschrift CIA II 172 fällt in demosthenische Zeit etwas 
vor unsere Inschrift und setzt die Existenz dieses Gesetzes voraus. Die 
Inschrift für Peisitheides fällt noch etwas früher und es ist nicht unmöglich, 
dass das bestehende Gesetz, auf welches sich die Inschrift aus dem Am- 
phiareion beruft und dessen Existenz CIA II 172 vorauszusetzen scheint, 
dasjenige gewesen ist, welches auf Grund des Volksbeschlusses für Peisi- 
theides gegeben wurde, wenn dieses die Frage der Taggelder nicht ])er- 
sönlich für Peisitheides, sondern grundsätzlich durch Aufzählung der Fälle, 
in denen Taggelder zu je einer Drachme gestattet werden sollten, ge- 
regelt hatte. 

Aus diesen Er>vägungen folgt, dass die Bewilligung der Gelder von 
der Volksversammlung nur dann vorgenommen werden kcmnte, wenn ein 
Gesetz die Ausgaben generell für alle subsumirbaren Fälle oder speciell 
für den einzelnen Fall gestattete, dass aber in dringlichen Fällen auch 
der Volksbeschluss gegen Ansuchung der nachträglichen Indemnität durch 
ein Gesetz die Auszahlung der Beträge bewilligen und die Beamten zu 
einer solchen anweisen konnte. Ebenso kann in modernen Staaten unter 
Umständen die Regierung Beträge bewilligen, die regulär nur durch das 
Finanzgesetz bewilligt werden könnten und für welche sie unter ihrer 
Verantwortung die nachträgliche Indemnität der gesetzgebenden K(Jri)er 
ansucht. Der Act, durch welchen die Regiening eine solche Bewilligung 
vornimmt, ist eine Verordnung, welche also auch in diesem Falle dem \'olks- 
beschlusse des Alterthums entspricht. 

Aber oflfenbar wurde das Budget nicht als jährliches Finanzgesetz 
eingebracht. Auch bestand es nicht in einer ])ilancirten Nebeneinander- 



— 106 — 

Stellung von Krforderniss und Bedeckung. Es Avar ein rudimentäres Budget, 
dessen Analogie mit dem modernen nur darin besteht, dass es duieli ein 
(iesetz bewilligt \Mirde. Gewisse Ausgaben waren gesetzlieh bestinnnt, und 
zwar für so lange, als das bewilligende Gesetz nieht aufgehoben war. Die 
])etreffenden Summen waren daher nieht Jalir für Jahr neuerdings zu be- 
willigen, sondern da ohnehin die Gesammtheit der Gesetze in jedem Jahr 
dureh die in der Volksversammlung zu stellende Frage, ob die bestehen<len 
Gesetze genügen , bestätigt werden musste , so war dureh die Bejahung 
dieser Frage das Budget wie jedes andere Gesetz bewilligt, d. h. es war 
die Erlaubniss ertheilt, gewisse Sunmien iür gewisse Zwecke auszugelien. 
Eine Abänderung des Budgets war daher nur auf demselben eomjjlicirten 
Wege m(*>glieh, auf dem eine Aenderung der Gesetze möglieh war, und 
die theoretische Antinomie des modernen Staatsrechtes, die darin besteht, 
dass das Parlament das Budget verweigere, der Staat aber auf die Er- 
füllung seiner Zahlungen, deren Leistung ihm nur durch die Bewilligung 
des Budgets mr)glich ist, geklagt werden kann, war in Athen unmöglich. 

Für gewisse Zahlungen des Staates bedurfte es nichts weiter als des 
Gesetzes. Dass z. B. den Richtern ihr Sold ausgezahlt werde, war durch 
das Gesetz bestimmt und es bedurfte nicht erst eines Volksbeschlusses, 
um gemäss dem Gesetze diese Auszahlung vorzunehmen. Dagegen gab es 
auch Ausgaben, die nur dann gemacht werden konnten, wenn ein Volks- 
beschluss auf (Jrund des Gesetzes sie anordnete, so di(» Ausgaben für einen 
Ehrenkranz, deren Maximalhöhe sicherlich das Gesetz, deren Bewilligung 
fiir den einzelnen Fall der Volksbeschluss l)estimmte. 

Daher können Ausgaben, welche nicht im Budget stehen, die a])er 
df>ch im Laufe des Jahres sich als nothwendig ergeben, nur durch ein 
Zusatzgesetz bewilligt werden, weil das Ordinarium des Budgets durch die 
Epikyrosis der Gesetze feststeht. Der rechtliche Ausdruck für die Ein- 
bringung eines solchen Nachtragscredites ist auch in allen drei oben citirten 
Fällen TtQogvofjoO^erfjaai, Für dieses Zusatzgesetz ]>edarf es auch nicht 
der Epicheirotonie , die sonst für Gesetze nothwendig und nur einmal im 
Jahr am 11. Tag der ersten Prytanie mi*>glich war. Diese wird vielmehr 
durch das Psephisma ersetzt, welches das gesetzliche Verfahren anordnet. 

Durch die eingehende Beweisführung SchölTsM ist weiter fest- 
gestellt, dass die Gesetzessannnlung der Athener nach den Behl^rden ge- 
ordnet war, die mit ihrer Handhabung betraut gewesen sind. Hatte nmn 
also Raths-, Archonten-, Strategengesetze u. s. w. und waren die Ausgaben 
ebenfalls durch (Jesetze bestimmt, so ist es wahrscheinlich, dass die einzelnen 
Budgetposten in den (iesetzen derjenigen Behiirden enthalten waren, welche 

•) a. a. O. S. 8<) ft'. 



— 107 — 

die betreffenden Auszahlungen vorzunehmen hatten. Die Mehrzahl der 
Budgetposten oder alle werden daher in den Gesetzen der Finanzbeaniten 
enthalten gewesen sein. Dies scheint durch die oben erwähnte Inschrift 
aus dem Amphiareion bestätigt, in welcher bestimmt wird, dass das die 
Ausgabe ermöglichende Zusatzgesetz fiir den Volksschatzmeister erwirkt 
werden soll ^), was offenbar so viel heisst, als dass das neu zu beschliessende 
Gesetz zu derjenigen Abtheilung des Gesctzescorpus hinzutreten solle, 
welche die Gesetze enthielt, die durch den Volksschatzmeister auszuführen 
waren oder sich sonst auf ihn, seine Bestellung und Competenz bezogen. 

Es ist klar, dass ein Volksbeschluss, der eine im Gesetze nicht be- 
gründete Auszahlung anordnete, so gut durch eine yoafpt) Ttagavouiov 
anfechtbar ist, wie jeder andere Volksbeschluss. Der einzige überlieferte 
Fall einer vorgreifenden Geldbewilligung trägt daher der Verfassung inso- 
weit Rechnung, als er die aufgetragene Auszahlung bis zur Erwirkung 
des Finanzgesetzes für ein Darlehen erklärt, obwohl die Sunnne den Betrag 
von 100 Drachmen nicht übersteigt. 

Die Zweckmässigkeit dieser Einrichtungen, welche im Ausgaben- 
budget die Starrheit des Gesetzes mit der Volubilität des Volksbeschlusses 
verbanden , konnte sich natürlich nur nn Frieden bewähren , oder wenn 
keine besonderen ausserordentlichen AiLsgaben in Aussicht standen. Aber 
es scheint, dass sie auch nur für normale Zeiten oder besser gesagt für 
das Ordinarium des Budgets bestanden. Die Ausgaben für einen Krieg 
wurden gewiss nicht durch ein Gesetz bewilligt, sondern die Einnahmen 
aus einer ausserordentlichen Vermögenssteuer oder aus anderen Quellen 
wurden einfach durch Volksbeschluss den Militärbehörden überwiesen. Die 
oben ausgeführten Bestimmungen beziehen sich thatsächlich nur auf die 
Staatsverwaltung. 

*) jTooövoftoi&ezrjoai riov ra/iiai. 



Kritisches und Exe£:etisches zu Horaz und Tacitus 



von 



HEINRICH STEPHAN SEDLMAYER 



I. 

Horat. carni. I, 3, 5f. : navis y quae tibi creditum debes V^ergilium: 
finibtts Atttcis reddas incoluniem , precor. Es miis8 auflallen, dass Horaz 
von dem Schifffc, welches ihm den Freund entführt, nichts weiter begehrt, 
als dass es das ihm anvertraute Gut wohlbehalten nach Attika schafl*e, 
und einer glücklichen Heimkehr des Freundes nicht gedenkt. Das mochte 
schon Porphyrio fühlen, der vorschlug nach ßnibus Atttcis zu interpungieren 
(so auch Kiessling). 

Ich möchte mir hier nur die bescheidene Anfrage erlauben: kann 
ßnibus Atticis nicht Ablativ sein und f, A, reddas incolumetn be- 
deuten : „bring ihn unversehrt zurück aus den attischen Landen" ; mir 
scheint eine solche Bitte des Dichters an das Schiff", das ihm den theueren 
Freund entführt, besonders passend; damit, dass der Freund am Ziele 
seiner Reise glücklich ankömmt, kann es dem Dichter nicht genug sein; 
damit wird ihm auch noch nicht dimidiuvi animae erhalten; denn der 
Freund kann auf der Rückfahrt verunglücken. 

n. 

Horat. carm. I, 22: ,,Der Schuldlose, der Sittenreine braucht keine 
Gefahr zu furchten; dies habe ich an mir selbst erfahren. Wie ich auf 
meinem Sabinergute lustwandle, da taucht vor mir ein Wolf auf, ein Un- 
geheuer, wie die Erde kein zweites trägt; doch wie er sieht, dass ich es 
bin, der Sittenreine, da flieht er vor mir, dem Unbewafliieten ; dämm, 
versetze mich an das Ende der Welt, immer und überall — will ich mein 
Liebchen besingen.'* Dass dies reizende Lied nicht ernst genommen werden 
kann, hat längst der geistvolle Commentator Kiessling erkannt. Abgesehen 
davon, dass der Schluss eine heitere Ueberraschung bringt (nach dem 



— 109 — 

Tenor des Ganzen würden wir erwarten: „immer und überall werde ich 
mich sicher fühlen"), müsste Horaz der gesclunackloseste Geselle gewesen 
sein, hätte er beim Moralisieren so faustdick aufgetragen ; wir wissen von 
den Satiren und Episteln her, dass dies nicht die Manier des Dichters war. 
Es handelte sich also jedenfalls um einen Scherz. Aber man wird zugeben, 
dass dieser Scherz nicht weit her wäre, hätte er nicht einen besonderen 
Anlass; ohne diesen wäre es auch nicht recht erklärlich, wie Horaz auf 
die Idee dieses scherzhaften Gedichtchens gekommen. Ich möchte nun die 
Vermuthung wagen, dass'wir es mit der Parodie eines Gedichtes aus 
Horazens Zeit zu thun haben. Es mag in jenen Tagen irgend ein von 
Moral triefendes Gedicht aufgetaucht sein, ein Gedicht in der Manier, die 
Horaz stets verschmähte und die nur seinen Spott herausfordern konnte. 
Horaz überarbeitete es in parodistischer Weise und nahm dabei \ielleicht 
sogar Verse und ganze Strophen aus dem Original in seine Ode hinüber, 
in der ja Ernstes mit Schalkhaftem wechselt. So gehören vielleicht die 
Verse 1 — 8 und 17 — 22 dem Originale an. Von wem ein solches Gedicht 
herrühren konnte? Vielleicht hatte sich ein Dichter aus dem Kreise des 
Mäc^nas so weit verstiegen; vielleicht hatte es gar der lustige Aristius, 
der Adressat der Ode, selbst in einer schwachen Stunde verbrochen ; ver- 
sucht man sich doch so gern in dem, wozu man nicht geschaifen ist ; oder 
ein Stoiker vom Schlage des triefäugigen Crispinus, dessen fatale Krank- 
heit verrieth, dass er nur für andere Moral predigte. 

III. 

Taciti Germ. III: Sunt üliahaec quoque carmina, quorum relatu, quem 
barditum vocant , accendunt animos fiUuraeque pugnae fortunam ipso cantu 
augurantur. Eine vielbesprochene Stelle. Mir hat sich beim Lesen der- 
selben stets der Gedanke aufgedrängt, dass die Lieder, welche Tacitus an 
dieser Stelle erwähnt , und die Lieder auf Hercules , von welchen im 
unmittelbar vorhergehenden Satze die Rede ist, ein und dieselben sein 
müssen, und ich glaube, dass sich jedem, der unbefangen beide Stellen 
im Zusanmienhange liest , diese Auifassung von selbst ergeben muss. 
Beidemal ist von Liedern die Rede, die vor Beginn der Schlacht gesungen 
werden, warum müssen dies um jeden Preis zweierlei Lieder sein? 
Mir scheint das vielversuchte hae<'. ein Glosscm zu sein, zur Stütze des 
folgenden quarum eingefügt. Streicht man haec, so geht alles gut und glatt 
ab: „Die Germanen besingen vor dem Kampfe den Hercules; auch sie 
haben ihre Schlachtenlieder (wie andere Völker, z. B. die Spartaner), durch 
deren Vortrag sie den Muth entflammen." Logisch reicht der Vergleich 
natürlich nur bis acc^endunt a^iimos, was, zumal bei Tacitus, nicht auftallen 
kann, selbst bei den Classikem nicht auifallen würde. 



— 110 — 

IV. 

Taciti Germ. XXV : Ceteris servis non in nostrum moretn discrijytis 
per familiain ministerüs tUuntuv : suam quisque aedem , suos penates regit 
und damit verglichen ib. cap. XX : dominum ac servum nidlis educationis 
deliciis dhiosca^: inter eadem pexiora , in eadein hwno degunty donec aetas 
separet ingenuos, mrtiis agnoscat. An der erstgenannten Stelle sagt Tacitus 
ganz unzweideutig, dass es bei den Deutschen keine Haussclaven gab; 
an der zweiten Stelle spricht er — nach der gewöhnlichen Auifassung 
wenigstens — von dem gemeinsamen Aufwachsen der Herren- und Sclaven- 
kinder auf ein und demselben Hofe. Wie lässt sich beides vereinigen? 
Mag Tacitus an der ersteren Stelle immerhin irren und es schon damals 
ein „ingesiude" gegeben haben, mag er die „liti" , die Hörigen, mit den 
Sclaven verwechseln, für die Deutung beider Stellen ist dies ohne Belang, 
denn diese kann sich nur daran halten, was der Schriftsteller thatsächlich 
sagt. Will man nicht annehmen , dass er sich an beiden Stellen in der 
That widerspricht, dann müssen nach meiner Meinung die Worte inter 
e^dem peeora, in eadem liumo anders gedeutet werden als bisher. Sattsam 
bekannt ist der eigenthümliche attributive Gebrauch von ceteri, aliusj 
ällos bei einem Nomen, das logisch eigentlich als Apposition zu dem sub- 
stantivisch zu fassenden ceteri etc. zu fassen ist; ein Beispiel davon ent- 
hält die Fortsetzung der oben citirten Stelle aus c. XXV : cetera dojnus 
officia vxor ac liheri exequuntur , d. h. „das Uebrige, nämlich die Ver- 
richtungen im Hause '^ ; man denke ferner an Ausdrücke wie ol ^'Elkr^veg 
/.ai ol alXoL ßdqßaQoi und vieles Aehnliche. Ebenso möchte ich den 
Gebrauch von idem an unserer Stelle deuten, die dann den Sinn enthält: 
„In derselben Umgebung, nämlich zwischen dem Vieh, an derselben 
tStätte, nämlich auf der blossen Erde, findet man den Sohn des Herrn 
wie den des Sclaven'' (jeden im Gehöfte seines Vaters). Damit ist jeder 
Widerspruch beseitigt. Ich meine überhaupt, dass jener eigenthümliche 
attributive Gebrauch weiter verbreitet ist, als man annimmt, dass er bei 
jedem Adjectivum mi'iglich ist und dass sich in diesem Sinne manche noch 
dunkle Stelle sehr einfach erklären Hesse , so beispielsweise Germ. IX : 
Deorum maxiine Mercurium colunt, cui certis diebics hurnanis quoque hostiis 
litare fa^ liaheid. Martern et Herculeni concessis animalibii8 placaiit, wo 
c oncessis beanständet wird (dafür schreibt R e i f f e r%(t\\^\A. consuet ts\ 
Die Stelle besagt: „Dem Mars und dem Hercules oi)feni sie Erlaubtes 
(vom Standpunkte des Römers aus), nämlich Thiere", im Gegensätze zu 
hurnanis hostiis. Auch Seh weize r- Sied 1er deutet concessis als „er- 
laubt, ohne aber dabei an die erörterte Ausdrucksweise zu denken; dann 
raüsste man animalia als „Opferwesen'' im Allgemeinen oder als „blutige 
Opfer'' fassen. 



- 111 -- 

V. 

Taeiti Ann. II, 59: Genua nicus in Aeyi/ptum jyroßcwcitur cognoscendae 
nntiquitatis und III, 9 : [PisoJ ah Narnta vitandae ausjnownis an quia pa- 
ridis vonsilta in tncerto sunt, Nare ac mox Tiberi devectus au^cit vulgi iras. 
In diesen beiden Stellen culminiert bekanntlich der ^elliptische" Oebrauch 
des (Tenetivus (Jenindii, welcher hier ^schlechthin, ohne sich an irgend 
ein Nomen des Satzes anzuschliessen , die von dem Subjecte ausgesagte 
Handlung bestimmt" (K. Hoffmann, Studien auf dem Gebiete der 
lateinischen Syntax, S. 114). Dass es sich hier und an vielen anderen 
verwandten Stellen weder um eine Ellipse, noch um einen Gräcismus, 
noch um einen causalen oder finalen Gebrauch des (ienetivus Genmdii 
handelt, hat Hoffmann's scharfsinnige rntersuchung unwiderleglich dar- 
gt^than. und wer sich noch weiter mit der Sache beschäftigt, darf, will er 
nicht irregehen, principiell von der Hoffmann'schen Erklärung nicht ab- 
weichen. Ind so fällt (»s auch mir nicht ein, die einstige Erklärung durch 
Atmahme einer Ellipse wieder aufzuwärmen, wenn ich im Folgenden dar- 
zuthun versuche, dass der (iebrauch des Genetivus Gerundii an den beiden 
in Rede stehenden Stellen in vollster IJebereinstimmung steht mit dem 
Ciebranche in jenen Fällen, wo er augenscheinlich attributiv oder i)rädicativ 
ein Nomen bestimmt und wo man auch schon früher nicht an eine Ellipse 
dachte. Alle Erscheinungen jenes (lebrauches lassen sich nach meiner 
Meinung in ganz gleicher Weise erklären, und zwar einfach aus der Natur 
des lateinischen Genetivs. Der Genetiv ist in seiner Hedeutung von den 
übrigen Casus wesentlich verschieden. Während diese nur wieder den 
<hirch den Nominativ ausgedrückten Begriff bezeichnen . nur in seinen 
l)esonderen Verhältnissen , führt der Genetiv einen neuen lk*griff in die 
Sprache ein. Patrln ist keineswegs mehr der durch den Nominativ pntcr 
ausgedrückte Hegriff, sondern ein wesentlich davon verschiedener; pat*n\ 
der Vater; patris, «was des Vaters ist*", (zö rov) Ttargoc:, die Accidenz der 
Substanz pater. Demnach ist es klar, dass dem (ienetiv zunächst die 
Functionen eines Adjectivums zukonunen (ist der Begriff kein Individual-. 
»ondcni ein Allgemeinbegriff, dann — aber auch nur dann — kann ja 
die Accidenz direct durch das abgeleitete Adjectiv g(»geben werden); er 
kann attributiv stehen ((hnnus patrts) oder ]>rädicativ (domus est patr!s): 
er kann aber auch, wie jedes Adjectiv. substantivisch gebraucht werden und 
wie ein i n d ec 1 i n a b 1 e s N o m e n (diese meine Deutung hat S c h e i n d 1 e r 
in seine Grammatik aufgenommen) für alle Casus stehen (in der Stelle 
Cic. Att. 12, 27, 1 : Cottacy quod ne(jas te nosffe, tdtra HtUanam rlllaiu est, 
ist jenes Indeclinabile als Nominativ und als Subjc^ct des Satzes gebraucht); 
er kann, einen Accusativ repräsentierend, selbst von PrUi)ositionen abhängen : 
ad Vestae, ad lovi^ Statorw u. A., wo man vernünftigerweise ebensowenig 



- 112 — 

an eine Ellipse denken sollte wie in Verbindungen wie Ptoleinaeus Lagt u. A. 
Findet denn im Deutsehen eine Ellipse von „Haus** oder ^Familie" statt, 
wenn ieb sage: «Ich bin bei Doctors", oder eine Ellipse von ^Sohn*, wenn 
ich sage: „Ich bin Müllers Hans '^V! 8ed haec liaetenusi Kehren wir nun 
zum Genetivus Gerundii zurück. Unschwer erledigen sich Stellen wie Caes. 
b. (j. 4, 17, 10: f^i arborum trunci sioe naves deiciendi operia essent a bar- 
baris missaey oder Sali. Cat. 6, 7 : regxum Imperium, quoil initio coiisercandae 
Itbertatts atque augendae rei pMicae fiierat; im ersten Falle (die Beispiele 
sind der Stellensanmilung bei Hoff mann entnommen) ist der Genetiv 
attributive, im zweiten prädicative Bestimmung. Nach dem oben Ausgeführten 
erklärt sich auch ohne Mühe Terent. Ad. 269: ah, verehr coram in os 
te laudare amplius, ne id adsentandi magis quam quo habeam gratum 
facere existume^. Hier vertritt das durch den Genetiv ausgedrückte in- 
declinable Nomen einen Prädicatsaccusativ. Und so werden sich endlich 
auch die beiden in Rede stehenden Tacitusstellen aus der Natur des 
Genetivs erklären lassen. Bekanntlich lässt sich jedes Verbiun mit einem 
(stamm- oder sinnverwandten) inneren Objecte construiren: laudem laudo, 
pugnam pugno , profectiauem proßciscor. In der Natur dieser inneren 
Objecte liegt es, dass sie nur dann wirklich ausgedrückt werden, wenn 
sie durch ein Attribut qualitativ bestimmt sind; pugnam pugno zu sagen 
wäre müssig; gekämpft kann nur ein Kampf werden; wohl aber hat e** 
einen Sinn , zu verbinden : pugnam atrocem pugno. Kommt aber selbst 
dieser Ausdruck in der Praxis häutig vor? Gewiss nicht; die Sprache hat 
datlir eine äusserst sinnreiche Abkürzung gefunden. Die ausdrückliche 
Setzung des Substantivums kann entbehrt werden, da es sich aus dem 
Stamm oder Sinn des Verbums von selbst ergibt; es wird nicht aus- 
gedrückt und seine Function überninnnt das adjectivische Attribut, das 
substantiviert wird: multum laudo, magnum clatno. Auf diese Weise er- 
klären sich bekanntlich die sogenannten Adverbia auf -um. Doch das 
Attribut des iimeren Objectes kann auch der Genetiv eines Nomens sein. 
Wie ich sagen könnte proßciscor profectionem periculosam , so kann ich 
auch sagen proßciscor profeHionem cognoscendae antiquitatis, und auch in 
diesem Falle kann die eben erörterte Verkürzung eintreten. Denn, wie 
oben gezeigt , ist das indeclinable Nomen , als welches jeder Genetiv be- 
trachtet werden kann, auch der Substantivierung fähig; ich kann darum 
auch hier mit Beseitigung des Nomens den attributiven Genetiv sub- 
stantivieren und er steht nunmehr als alleiniger Ausdruck tür das innere 
Gbject. So wird der Genetivnis Gerundii in den Fällen, wo er der Stütze 
durch ein Nomen zu entbehren scheint, einfach als inneres Object des 
Verbums zu fassen sein, und in diesem Sinne möchten sich auch die beiden 
erörterten Stellen der Annalen erledigen. 



Gallische Rhythmen und gallisches Latein 



von 



J. HUEMER 



Dondurand hat durch die vollständige Mittheilung des Liber 
manualis^) der Dhuoda, welcher im Jahre 843 verfasst ist, die Quellen 
d^ gallischen Latein 2) um ein gutes und \vichtige8 Stück erweitert. Die 
Ausgabe fusst auf dem Cod. Par. (= P) 12293 s. XVII und auf den Frag- 
menten eines Codex von Nimes (= N) s. IX/X. Bond u ran d stellt das 
Verhältniss der beiden Hdss. kurz mit den Worten dar : Quoique ind^pen- 
dants Tun de Tautre, N et P n'ofFrent entre eux aucune diif(6rence essen- 
tielle. DaBondurand es hauptsächlich darum zu thun war, den cidtur- 
historisch sehr wichtigen Inhalt dieser Schrift einem grösseren Leserkreise 
zu vermitteln, so hat er die Eigenthümlichkeiten der Sprache vielfach 
verwischt, indem er an die Stelle ungewöhnlicher Formen und Construc- 
tionen das schulmässige Latein einsetzte oder doch in den Anmerkungen 
zur Paraphrase heranzog. 

Obwohl die Ausgabe keine kritische genannt werden kann, so bietet 
sie doch eine feste Grundlage, auf der eine weitere Untersuchung des 
Werkes nach der sprachlichen Seite hin möglich ist. Eine derartige 
Öpecialuntersuchung ist seit dem Erscheinen der Ausgabe nicht erfolgt; 
nur die in demselben mitgetheilten Verse, soweit sie als solche erkannt 
wurden, hat L. Traube*) einer näheren Behandlung gewürdigt. Diese 
Verse, von denen letzterer vermuthet, dass sie einer grösseren Dichtung 



^) L'^ducation Carolingienne. Le Manuel de Dhuoda. Pnblie sous les auspicen de 
M. le ministre de rinatruction publique et de Tacademie de Nimes par E. B. Paris 1887. 

*) Vergl. Gröber, Wölfflins Archiv. I, S. 66 f., Sittl, ebenda. II, S. 555, P. Geyer, 
Beitr. zur Kenntniss des gall. Lateins, ebenda. II, S. 25 ff. 

•) Schriften zur germanischen Philologie. Herausgegeben von Roediger. I.Heft. 
Karolingische Dichtungen, S. 136 ff. 

EnuKM Vindobonensis. 8 



— 114 — 

moralischen Inhalts eines Dichters^) angehören, wollen wir zunächst 
eingehender untersuchen. Wie Traube richtig bemerkt, müssen hier die 
Lehren des Grammatikers und Rhythmikers Virgilius M a r o berücksichtigt 
werden. 2) 

S. 114 lautet nach Bondur and die Ueberlieferung : Est etenim uims 
Creator atque reformator. Tamen omnium hie vel his *) pertinentibus formis 
hominem praeesse secundum quendam poetam dictum est. Eligere *) digna- 
tus est ad summa. Ait etiam '^) in suis carminibus ita : 

Virgo creavit arva, virginem virgo. 
Ex virgine factus homo; 
Heu, proh dolor! corruptus virgo 
Proh dolor, heu! corrupta virgo 
Omniumque reptis utrisque cedens. 
Daraus stellte Traube mit Vergewaltigung der Ueberlieferung 
folgende Zeilen her (S. 139): 

[hominem] virgo 
creavit ar\'a, 
virginem virgo, 
ex virgine factus 
[post deus] homo. 
heu pro dolor: 
corruptus virgo, 
[p]omumque serpentis 
uterque e[om]edens. 

^) Mit derselben Formel ut ait quidam poeta werden S. 66 Verse des Prüden t ins 
angeführt, vergl. S. 114, 146, 147, 161. 

*) Vergl. S. 140 „Durch diese Verse und die merki^ürdige Erscheinung der Dhnoda 
selbst beginnen für mich die Spukgestalten (sie!) Virgils Leben zu gewinnen." 

') Traube klammert vel his ein; es ist vielmehr zu lesen his vel hie, vergl. dazu 
222 in hac statt in has, 237 his breviatos statt hie breviat^^s u. ö. Dem entsprechend ist 
auch S. 222 zu verbessern : Et cetera hie (statt his) pertinentium multa. Zu vel = et bieten 
die Indices zu den spätlateinischen Autoren Beispiele. Wie vel wird auch seu gebraucht, 
wofür in der Vita S. WandregisiU (vergl. Arndt, Kleine Denkmäler aus der Merowinger 
Zeit, Hann. 1874) häufig seo steht, z. B. S. 40 domum et agrus seo reliqua, S. 42 in eva 
et lucolenta seo dccorabile senectudine. 

*) Traube wiU verbessern cum eligere (d. h. deus). Eligere steht für eligi, wie oft in 
diesem Texte die passive Form mit der activen vertauscht wird vergl. S. 55, 66, 85, 121 
(adstare), 127, 147, 155, 172, 191, 192, 193, 216, 228. Graphisch erklärt sich diese Ver- 
tauschung aus elige (vergl. 110 tellis = telluris), daraus wurde eligi zunächst durch Ver- 
wechslung von e und i. Die Unsicherheit der Aussprache dieser Vocale kennzeichnet in 
unserem Texte sehr gut die Leseart S. 173 desineint, woraus Bondurand desinerint 
hersteUte, während der Zusammenhang desinent fordert. 

*) enim ändert Traube; vergl. die widersprechende SteUe S. 60 Scio enim (Bon- 
durand En interligne: Scio etiam). 



— 115 — 

Im engeren Anschluss an die Ueberlieferung bilde ich folgende 

Zeilen : 

Virgo ereavit arvam virginem ^), 

Virgo ex virgine factus liomo; 

Heu, proh dolor, corruptus virgo, 

Heu 2), proh dolor, corrupta virgo, 

Demono') repti utrique*) cedens/) 

Dadurch haben wir gereimte neunsilbige Zeilen gewonnen ; die Verse 
selbst enthalten ein interessantes Wortspiel zwischen virgo und corruptus. 
Unmittelbar vorhergeht, dass der Mensch des Höchsten gewürdigt wurde 
und zum Höchsten bestimmt war. Die Verfasserin schliesst die Worte des 
Dichters an: Er wurde von der reinen Gottheit nach ihrem Ebenbilde 
aus der jungfräulichen Erde geschaffen, das reine Gebilde, Mann und 
Weib*), ach, sündigte, indem sie beide der teuflischen Schlange folgten. 

Dhuoda sagt weiter nach Bondurand: Relinqueft] [quam] ob 
rem [homo] patrem matremque, et adhaerebit sibi uxorem, eruntque una 
in came duo, cuncta domantes sibi subjecta, ratio capax, scandentes Ahui. 
Daraus bildete Traube folgende rhythmische Zeilen: 

Relinquet^) ob rem 
patrem matremciue 
et adhaerebit 
sibi uxorem: 
eruntque una 

*) Hier wie in der folgenden Zeile ist mit Elision zu lesen virjr(i)nem, virg(i)ne, 
Z. 5 deni(o)no. 

*) Die Wortumstellung empfiehlt der Anklang an Sedulius P. c. II, Gff. , eine 
Stelle, welche Vergil (Ecl. V, 48, 49) nachgebildet ist (verpl. Zeitschr. f. österr. Gymn. 1870, 
S. 422). 

*) Vielleicht ist demonoque zu lesen; die SteUe wurde nach dem Text der Dhuoda 
S. 127 corrigiert, sie sagt daselbst vom Teufel: lUe etenim miUeformis demonnm tortuo- 
susque serpens non quiesccns perfodi domos et templa subverti in fide solidantium adstare 
Christi, circuit etc. 

*) s, w^elches in der Volkssprache verstummt war, hängt der Schreil)er des Manual is 
oder die Verfasserin der Schrift selbst ganz willkürlich an oder unterdrückt es; vergl. 
Ö. 83 periculi(s), 109 praelati(8), 121 dupli(s), 199 taU(s), 212 possidente(s), — 132, 179 
corpori[8l, 148 tanto[8], 172 inmundo[s], 196 di[s|cas, 229 praesuli (= praesules), 156 fra- 
temitate (= tis) u. a. 

*) Vielleicht ist uterque cedens zu lesen, doch da in diesem Werke wiederholt das 
Particip im Singular mit einem Beziehungswort im Plural sich verbindet, so muss die 
Ueberlieferung geschützt werden. Ueber die Erklärung der Form sieh unten. 

*) Vergl. Genes. I « 27 Et ereavit Dens hominem ad imaginem suam , ad imaginem 
Dei ereavit illum, masculum et fcminam, ereavit eos. 

') So schreibt auch Bondurand, nicht wie Traube angibt, relinque. 

8* 



— 116 — 

in carne diio 
ciincta domaiites 
sibi subiecta, 
8[pJatio p[ostJ ax[emj 
Bcandentes almi. 

Ich vermuthe, der Ueberlieferung folgend, dass folgende Zehnsilber 
herzustellen seien : 

Relinquet ob rem patrem matremque 
Et adhaerebit sui *) uxorem ^) : 
Eruntqne una in carne duo 
Cuncta domantes sibi subiecta, 
Rationis *) capax, candentes almi. 

Dhuoda setzt fort: Item ipse. Ipse homini qui cuncta dedit, quae 
polus humusque aut pelagus, aere, gurgite, rure creans, quae visu cernens 
manuque palpans haec illis subdens et eos sibi, est sensus, tili, V. Daraus 
bildete Traube folgende Verszeilen: 

Ipse homini 
qui cuncta dedit, 
quae polus humusque 
aut pelagus er|o] 
se*) gurgite rure 
[aethere] creant: 
quae \dsu cernens 
manuque palpans, 
haec illis subdens 
et eos sibi. 



^) So ist für sibi zu schreiben; zu dieser Aenderung rathen folgende SteUen des 
Textes, in denen das Pronomen personale für das possessivum gesetzt ist : S. 183 dives fuit 
Abraham prolesque sui (sna erklärt B.), 225 in sui personam iUi alinm transcriberem 
libelhim, 210 oro enim ut talis sermo inauditor (lies -tos) sit tui, 228 invenies facile 
placida tui(s), 111 humilitatis exempla tui praelatos esse congaudeas obsocro (tibi erklärt B.), 
12^) Tili tamen est ad me directa poreeptio (tibi conic. B.). 

^) Trotz Gen. II, 24 Et adhaerebit nxori suae ist an uxorem nicht zu ändern; vei^gl. 
S. 1(X) adherere pios, 101 adh. bonos. 

') Rationis (dreisilbig, das nach der Ueberlieferung zu schliessen vielleicht zweisilbig 
in der Aussprache klang, vergl. raison) verlangt der Zusammenhang. Das überlieferte 
capaxscandentes ist zu trennen in capaxs candentes, zur Form capaxs vergl. Schachard t, 
Der Yokalismus des Vulgärlateins. II, 47. Beispiele für epithetisches s bieten die Formen 
S. 244 non (s)celcritate , et (s)celerrime u. a. ; capax = capaces findet sich auch S. 110 ut 
inferiores cum firmis capax vigonim ad alta valeant scandere promissa maiomm. Capax iKt 
entstanden aus capac(e)s. 

*) OtTenbar Druckfehler für e. 



— 117 — 

Ich meine, der Ueberlieferung mich enger anschliessend, dass folgende 
o Zehnsilber herzustellen sind: 

Ipse homini qui cuncta dedit, 

Qnae peius humusque aut pelagus 

Aere^) rure gurgite creans^), 

Quae visu cernens quae manu palpans, 

Haec illis subdens et eos sibi. 

Während in den bisher behandelten Versen das Princip der Silben- 
zählung vorherrschend erschien, werden wir in den folgenden das Princip 
der Wortzählung ausgebildet finden. Vor der letzten Hebung stehen 
gewöhnlich zwei Senkungen. S. 147 gibt Bondurand: 

Stultus carens cor loqui non valet; 
Vocum in strepitu rumpens^) tacere 
Unquam nee potest; prestus ad iram, 
Tardus ad pacem, flectitur*) in peius. 

Traube formte folgende Zeilen: 

stultus 

[iusjta rancore 
loqui non valet, 
vocem in strepitu 
penitus tacere 
unquam nee potest: 
prestus ad iram 
tardus ad pacem 
flectit in peius. 

Es ist nicht nöthig, grössere Fehler in der Ueberlieferung anzunehmen. 
Ich construire nach dem oben ausgesprochenen Gesetz folgende Zeilen: 

Stultus carens '^) cor loqui non valet, 
Vocum in strepitu tarnen **) penitus tacere 



^) I>em polus humas und pelagus entspricht a6r rus und gurges. 

') creans; Participien stehen an Stelle von Verbis iinitis; vergl. S. 182 quia exina- 
nivit eoH nt argentum et probans nt aurum und Krusch im Index zn Gregor von Tours, 
Dhuoda setzt auch die mit dem Part. un)8chriel)ene Verbalform statt der einfachen; vergl. 
S. 285 Licet ita sint, de Dei misericordia nunquam disperans ero, nee sum ero nee unquam. 

') in strepiturum penitus P. 

*) Bondurand vermuthet richtig flectit. Für die Verwechslung der activen und 
patfiven Form, woran hinsichtlich der Verwechslung von -t und -tur die Schreibweisen wie 
flectit schuld waren, bietet unser Text mehrere Beispiele : S. 73 continet, 139 privaret, 191 
addit, dagegen 144 militantur, 191 inter se differantur; vergl. auch oben S. 114, Anm. 4. 

*) carere mit Acc, vergl. S. 83 vitam finivit regnum carens terrenum. 

*) tarnen oder tum ist wohl nnch der Ueberlieferung des Cod. P wahrscheinlich. 



— 118 — 

Unquam nee potest; prestiis^) ad irara, 
Tardns ad pacem, flectit in peius. 
S. 147. De qna pace ait quidam in carmine sno: 
Pax eomprimit iram ; 
Litis metuit pacem. 
Pax secura per ampla (luiescit; 
Consors amica ad alta transcurrit. 
Traube: Pax eomprimit irara, 

lis metuit pacem. 
pax [scmper] secura 
per ampla (juiescit, 
consors amica 
ad alta transcurrit. 
Hier ist mit Unrecht die gallische Nominati^^'orm litis entfernt; 
vergl. Sittl, a. a. 0. S. 559 ff. und Stünkel, Verhültnis der Sprache 
der Lex Komana Utinensis, S. 596. Dagegen verlangt Z. 3, aber auch Z. 5 
eine Einschaltung. Für letztere schlage ich vor Et consors amica. Der 
Ausfall des Wortes wird durch das vorausgehende (piiescit genügend erklärt. 
S. 161. Esto et mitis. In omni etenim negotio utilitatis formam, miti« 
semper incedere festina. Ait ([uidani in carmine: 

Mitis corpus con:eret suum, 
Manus illustris animis fultor, 
Condix glutino agitatur aulae. 
Traube: ... mitis corpus 

conteret suum 
manus illustris 
animi fultor, 
ce[u sajndix gluthio 
levigatur aulae. 
Mit der Bemerkung: „ich beziehe die Worte auf den Firnis der 
Töpferware, mit mitis ist die Liebenswürdigkeit der Erscheinung gemeint." 
Richtiger werden Zeilen, bestehend aus je 2 Wörtern, mit unreinem Reime 
hergestellt : 

Mitis corpus 
Conteret sui/m, 
Manus illustr/s 
Animi -) fultor ; 

') Zu vergl. S. 119 Dicti sunt presbvteri pro eo qnod ad opus Dei parati et praestl 
sunt semper. 

*) animis P; da s im Auslaut verstummt war, wurde es von den Schreibern vielfach 
fälschlich den Wörtern angehängt; für diese Erscheinung gibt unser Text viele Belege; vergl. 
oben S. 116, Anm. 3. 



— 119 — 

Cordax*) glutinura-) 
Agitat») aiila<^. 

Dem raitis wird der cordax, der Stolze, Ungestüme (vergl. Diefen- 
bach im Glossarimn s. v.) entgegengesetzt. Mit diesen metrisch-rhythmi- 
schen Citaten, die Bondurand und Traube als solche erkannt haben, 
ist die Zahl derselben in diesem Werke nicht erschöpft. 8. 154 sagt die 
Verfasserin des Manualis: Est dives invidens pauperi et est pauper cupiens 
eftici dives, sicut indoctus litteratus effici malens vult omnino nee valet. 
De talibus dicit quidam: Dives et pauper simul peribunt, simulcjue in 
egestate torquescunt , dives non largiens , pauper non habens spiritum 
hnmilitatis. Daraus können ohne Schwierigkeit folgende rhythmische ge- 
reimte Zeilen gebildet werden: 

Dives et pauper 

Simul peribunt, 

In egestate 

Simul torquescunt: 

Dives non largiens*), 

Pauper non habens 

Spiritum humilitatis.'^) 

S. 106 lesen wir: Ama munditiam et sociaveris claro fulgentique 
praelucido cunctis. Dicit quidam: Ama puer castitatem: mundus eris a 
peccato. Diese zwei Zeilen sind zu schreiben: 

Ama, puer, castitatem, 

Mundus eris a peccato. 
Darauf folgt: Et item alius eiusdem: Ama, iuvenis, castitatem: 
flagram ♦*) nitens magnam ^) tenebis hodorem mundusque a peccato, nubila 
poli velox per alta transibis ^) cursim».) Daraus sind folgende rhythmische 
Zeilen zu bilden: 

M cordax steUe ich aus condix her. 

') glntino P, für die Vertauschung von um und o vergl. u. a. S. 78 in (>amino ignis 
nuHsi, 75 crede in iUo, 88 cuius tipum scelera purgantur, 129 velut muscipilo ad decipien- 
dnm tendunt, 182 futurum in studio, 148 cadere in gladio etc. 

') agitatur P, vergl. oben S. 117, Anm. 4. 

*) largiens ist zweisilbig zu lesen; vergl. Formulae Senon. Nr. o, V. 28 (ed. Zeumer, 
Pormulae aevi Merovingici et Car. I, S. 226) Nolite, domne, at^^ue prudentis Vcstras non 
i'onfrangat mentis, Et non derelinquere serventes. 

^) humilitatis reimt mit egestate wie in den genannten Formeln Nr. 1, V. 10 Dum 
Dens servat tua potestate In (jua cognovimus tarn grandc lurgitatis. 

*) nam gratia P. 

') magnum P. 

**) transibilis P. 

•) cursnm P. 



— 120 — 

Ama iuvenis ^) castitatem : 
Nara gratia *) nitens 
Magnum tenebifi 
Odorem. mundus 
Qui*) a peccato, 
Nubila») poli 
Velox per alta 
Transibit*) cursim. 

Mit Ausnahme der einleitenden Zeile sind die übrigen Fünfsilber 
mit unreinen Reimen. 

Auf einen Rhythmus deutet die Einleitung und die Beschaffenheit 
folgender Zeilen S. 95: Tu ergo, fili, ora, pete, sicut quidam orator in 
suis carminibus aiebat, dieque cum illo: 

Te decet laus 
Honorque potestas, 
Qui es dives in omnibus 
Da mihi^) sapientiam. 

Die Zeilen erscheinen nur diurch die abwechselnde Endconsonanz 
gebunden. 

Wie diese rhythmischen Zeilen nach Inhalt und Form an die Hymnen 
erinnern , so werden die folgenden der Spruchpoesie beizuzählen sein ; 
S. 95 : Hortor te ut uon solum cum senioribus tantum, sed cum iuvenibus 
Dominumquc diligentibus et sapientiam discentibus assiduus esse non 
pigeas, quod in iuventa viget florentis senecta. Dicit quidam: 

Quae non congregasti in iuventa, 
Quomodo invenies in senecta? 

Vorlage fiir diese Formirung waren die Worte im Eccl. XXV, 5 
Quae in iuventute tua non congregasti, quomodo in senectute tua invenies. 
Damit die biblischen Worte und Lebren besser im Gedächtnisse haften, 
wurde ihnen seit Commodian's Zeiten die rhythmische, gereimte Form 



*) Zweisilbig zu lesen; vergl. oben S. 119, Anm. 4. 

*) que (P) ist die genereUe Form des Pronomens (vergl. franz. que) ; sieh S. 64 littera 
quid, S. 83 scriptura qui, S. 193 gratia qui. 

') Vielleicht nubilla zu schreiben; vergl. bei dem Grammatiker Virgilius Marc, 
S. 14 fistilla neben fistula. 

*) Für die Verwechslung von s und t in dieser Schrift vergl. 153 nam panper et 
inops nomen domini clamans laudansque, 217 ita ut per tres quinas graduum partes ad 
summum sit (lies sis) usque perdnctus. 

^) mihi = mihi, ebenso ist Silbenvermindening in sapientiam vorausgesetzt. 



— 121 — 

gegeben. ^) Denselben Zwecken wie der Reim dient die Alliteration. 
Auch dafür bietet, wie es scheint, der Text der Dhuoda ein Beispiel; 
S. 78 : Ora ore, clania corde, roga opere . . . ; vielleicht auch S. 226 : Et 
ut legas ore, teneas corde, admonere non cesso. Teber die drei grösseren 
akrostichisch gebauten Rhythmen der Dhuoda vergl. Traube, a.a.O. 
S. 141 ff. 

Wie in Bezug auf die Rhythmik der merovingisch-carolingischen 
Zeit die Schrift der Dhuoda unser Interesse fesselt imd unsere Kenntnisse 
bereichert, so gilt dies auch in besonderem Grade von den sprachlichen 
Eigenthümlichkeiten, von denen schon mehrere Erwähnung gefunden 
haben. Ich will hier nur noch einige hervorstehende Erscheinungen anführen, 
da eine Gesammtdarstellung den Raum dieser Blätter weit überschreiten 
würde. Was zunächst die Formenlehre anlangt, so fällt an verschiedenen 
Stellen die oft in Folge des Gleichklangs der Casusendungen verursachte 
Mischung und Verwechslung derselben auf, z. B. S. 103 his atque aliis exenipla 
repletus, 109 minores ad formam praelatis erigi ne dubites culmen (Bond, conic. 
ad formam praelatam culminis oder praelati), S. 111 Scriptum est de dantis, 
ebenda utrumque tibi agenda sunt, 113 in fluctuationis mare undarum (statt 
in fluctuatione maris u.), 114 in fluctuationem vel gurgitis maris libidinum, 
123 venera cos dignis Deo fanmlantium saeerdotes, 162 licet multe sint 
elemosinarum medicamenta, tarnen inter plures genera trium tibi obto mi- 
litari, 152 beatus eris et quasi inter epulas iugis convivantium turmis, 168 
tribulationes atque tristitias sive angustias tentationum multis in seculo 
volvuntur modis. Wie schon bemerkt wurde, ist oft der äussere Gleich- 
klang der Endungen schuld, z. B. S. 104 vocis alternis, 104 proliscfue 
dignis, 144 de continentiam sectantibus et carnalibus concupiscentiae, 169 fer- 
culis in pomis. Auf einem Missverständniss des Numeralsuffixes mit einer 
Casusendung beruht die Construction S. 193 per quindecies graduum, ähnlich 
ist wohl auch ebendaselbst articulatores peritissimorum *) zu erklären. 

Die Verwechslung der einzelnen Casusendungen hatte dann eine Ver- 
wirrung des genus der nomina zur Folge. Vergl. S. 78 pla8ma(ae), 80 tuas 
capitulas, 85 saecula (Abi.), 98 fuerunt retro saecula multi digni, 113 erectio 
capitanim, 121 lucrarum, 145 stupras inlicitasque , 175 gaudia (Sing.). 
181 ceteri membra diaboli, 191 computor metrarum, 135 ex ima ad caelos. 
210 toUerabiliora pena manent — 91 malum ortus, 98 bonum utilem 
nexj alieni sublimem, 105 fidelem servitium, 95 verbum utilem, 145 magna 

*) Vergl. meine Untersuchungen über die ältesten lateinisch-christl. Rhythmen S. 49 
nnd für die spätere Zeit vergl. meine Schrift, Zur Geschichte der mitteUatciniscben 
Dichtung. II. 

*) Eine derartige aufTällige Umstellung des Casus lesen wir S. (51 ab utero egres- 
sionis nostrae usqne ad extremum obitus nostri. 



— 122 — 

vigor splendorque assidua, 152 talem negotio (= negotium) sectari, 175 lap- 
snm peccati, 213 iiomen apellatus est, 225 (228) proles secundiis, 245 titu- 
liim est. Visus declinirt M nach der II.Decl. S. 149 visui eapax vergl. dazu S. 95 
sensui. Die Endung ibus der III. Decl. ist in is zusammengeschrumpft in 
den Formen virtutis (= virtutibus) S. 223, fellis S. 241, ist mit us ver- 
wechselt S. 221 quinquies corporum suorum sensibus, mit um an der 
unsicheren Stelle S. 154 Idcirco in vocum carminis laudem coniitebor. 
Vereinzelt steht die Form octium S. 145 in partes octium beatitudinis. Auch 
die Endungen der Adjcctiva schwanken, vergl. S. 106 tene iirmis (firmius 
conic. Bond.j, S. 89 fidel i obtcmperantes iussa, S. 169 nihil aliud per fune- 
bra carminum rcstat, S. 235 in elemosinis pauperorum. S. 119 praestus, 
94 cucarus (eija^jigj. Von Comparationsformen verdienen hervorgehoben 
zu werden: S. 120 viciniores, S. 207 valde-) bonus, 209 valde malus, 
196 valde in cunctis perlucide amatrix, 211 maxime crebrius.^) 

Beliebt sind in der Schrift der Dhuoda die Adverbien auf im*) 
vergl. psaltim (88), popidatim (148), articulatim (192, 195), cursim (156), 
tirmatim (240). 

Von auffälligen Pronominalformen gebraucht D., wie schon an anderer 
Stelle bemerkt wurde, die besonders aus dem Grammatiker Vi rgil ins ^) 
bekannte Form mismi (S. 48) und mis •*) (S. 49); nobis steht für nos S. 129: 
nobis ut perquirentes faciamus in exemplum per omnia dimiserunt; cuius 
anscheinend im Sinne von quibus S. 155 : Aaron et Lcvi et ceteri cuius 
non sum digna conputari. Der Gebrauch von suus würde eine specielle 
Behandlung erfordern, nur ein Beispiel sei erwähnt S. 48 In te suus semper 
vigilet sensus.^) 

Von Verbalformen fallen auf S. 51 malis = mavis (vergl. Geyer, a. a. 0. 
S. 47) allerdings in einem Relativsatz; S. 171 restavit, 175 transiet. S. 121 
gibt die Hds. : Et si tot et tantis nominibus atquc virtutibus pollent ut 
talis illorum in saeciüo fultuit dignitas hortor te ut cos... honorem 



\) Vereinzelt, daher unsicher ist die Form ambrc = nmbra S. 72 cum sub iliceui se- 
deret in ambre. 

^) Vergl. Wölfflin, Die lateinische und romanische Comparation, S. 12. 

^) senior = dominus S. 53, 80, 88, 90, 91, IIG, 208 u. s. w. , davon senioratus 
( — dominatio) S. 80. 

*) Vergl. Wölfflin's Arch. VII, iS'oS, und VIII, 77 ff. 

') Vergl. S. 47 meiner Ausgabe. 

") Diese Form will Traube, S. 148 auch an zwei anderen Stellen gewinnen: S. 59 
quid putas in terris (terrenis) meis (mis) similibas ; ferner S. 88 quod in multis non tuis 
(tis) similibus audivimus opus non patratum. Näher liegt mei und tui zu schreiben, vergl. 
auch oben S. 116. 

') Nur auf einem Schreibfehler beruht die Ueberlieferung S. 160 quia pater vis 
( = vester) misericors est. 



- 123 — 

iuipendc. B. stellt aus fultuit fulserit her mit Unrecht; iit verbindet sich 
mit dem Indicativ ^) , daher wohl die vulgäre Form fulcivit aufzunehmen 
sein wird. Ueber die Vertauschung der Activ- und Passivformen vergl. oben 
S. 114, 117.^) Piget wird regehnässig persönlich construirt vergl. S. 22. 
95, 1 23 u. 8. 

Rection und Gebrauch der Präpositionen würde eine gesonderte 
Behandlung erheischen. Nur einzelne Fälle sollen angeführt werden: ob 
meritis 181, 187, pro possidcntes 212 (daneben pro seniori 203), sine 
niolestiam 186, de quosdam pracdictis 237, erga Pharaonis 96, incontra 
ca»>titatem 143 (cf. W.'s Archiv V 351), — licet ex multis sim occupata 
angustiis 53, qualis hie sensus volvatur, non latet a^) doctis 113, est enim 
ar?? a peritissimis digna 196, in quas virtutes et dona volo ut vigeas 
seniper 136. 

Negation beim Imperativ ist neben dem reguliiren ne auch non z. B. 
H3 non sis immemor, 143 non praestes; auffälliger jedoch ist der häutige 
Gebrauch der doppelten Negation*), dessen Eigenthümlichkeit B. in dem 
Texte vielfach zu verwischen suchte, z. B. S. 87 Quod de Cham vel 
(*ius similibus referam, nescire tibi non est necesse, 129 Hoc fuerunt in 
jiraeteritis, hoc liortor ut fugia« in praesentibus atcjuc futuris, si sunt aut 
fuerint qucKl permittat Dens, ut non tibi sors cum illis iungatur in nuUo. 
Derselbe vermochte auch dem bedeutungslos angehängten que*^) nicht ge- 
recht zu werden, vergl. S. 128 Et velut columbae . . . conspiciunt erodios 
at(iue rapaces accipitres, ne ab eis capiantur, evaduntque, congratulantes 
et transvolantes ubi eis ampla libuerit voluntas, sie tu ... 1 70 Homo natus 
de muliere, brevi vivens tempore, multis que repletur miseriis. 

In lexikalischer Hinsicht springt der häufige Gebrauch von Substantiven 
auf tor in die Augen, vergl. 84 inauditor dicta«), 88 fruitor saeculi, 
92 scrvator tuus tibi in omnibus prosper atque benignus, tutor, rector almi- 
ficus atcjue protector et in cunctis adiutor atque defensor assiduus dignetur 
adesse, 99 illuminator mundi, 103 servitor, certator, 104 regnor (= regna- 
tor): lege regnor um vel aliorum patrum volumina librorum, 105 retri- 

') Auch ne, vergl. S. 1,-59 ne videmur. 

-) S. 187 Si in prosperis atque in adversis recto gradiens traniite, es ist zu 
emendiren gradies nicht mit B. an gradieris zu denken. 

•**) B. setzt das Wort in Klammer. 

*) Vergl. A. Fuchs, Die romanischen Sprachen in ihrem Verhältnisse zum Lateinischen. 
S. 857 f. 

*) Vergl. KruBch im Index zu Gregor v. Tours I, S. 957. Leo im Index zu Venantius 
Fortnnatus, S. 414 u. s. 

*) Die Kiaft des Verbums wirkt fort wie auch sonst S. 181 adiutorium mihi, adiu- 
vare verbindet D. mit dem Dat. — obliviosus mortem 199 ; vergl. dazu S. 210 ut talis 
jsermo inauditor sit tui. 



— 124 — 

butor, largitor, 110 formator, creator, gubernator, acceptor, 114 Creator 
atque reformator, 120 auctoritatis lator, 123 uiins est enim creator, for- 
mator rectorque et gubernator, 133 formator, 138 hospitalium sectator, 
moerentium consolator, 152 exsulcator operis boni, 156 inobliviosus le<5tor 
factorque operis, 168 quidam captor somnii, 188 possessor atque fruitor, 
192 articulator, 194 triumphator, 207 doctor (oft), 214 nutritor atque ama- 
tor, 223 adiutor, defensor, 229 compensor, dator und Feminina auf trix, 
95 assistrix, 196 amatrix, 223 oratrix, 242 ordinatrix. 

Von seltenen Wortformen und unbekannten Wörtcni sind zu nennen : 
agonisari (franz. agoniser) S. 61, die Lexika kennen nur die Form agoni- 
zari(e).i) Davon wurde neu gebildet agonisatorius, S. 58 in tali sub- 
intrare agonisatorio acumine laboris — commisericors, S. 70 — din- 
drum, S. 83 nee tacendum est Absalonis dindrum, 128 a praesentibus 
mundo volventibus tendentibusque dindras poteris evadere — erodius, 
S. 128 Et velut columbae . . . conspiciunt erodios ^) atque rapaces accipitres 
(vergl. franz. h^ron, von herodius) — exsulcator, S. 152 Si mitis atque 
exsulcator operis boni fueris, vergl. exsulcare bei Paul. Diac. (Migne 95, 
1534 c.) — fruitor, S. 88 (188) speciosus valde fruitorque saeculi, vergl. 
fruitio (Paucker, Supplem. Lex. lat. IV, S. 302) — incolumen, S. 120 
qui mundo apparuit salus et incolumen omnium est factus nostrum — 
ordinabiliter, S. 185 — paginda*) = pagina, S. 230 hortor ut pa- 
gindas . . . exaratas assidue legas ' — propositiuncula, S. 111 Nos 
hanc propositiunculam in bonam vertentes partem — sequestrate, S. 136 
non sequestrate sed pluraliter militando (sequestratim gebraucht Cassiodor) — 
tensare bedeutet nach Du Gange expilare, im anderen Sinne steht es bei 
Dhuoda S. 104 ab hostium inimicorum undique adsurgentium cuneis ten- 
sare atque defendere, demnach = beschirmen (vergl. Diefenbach, Gloss. 
s. V.) — V 1 u t i o (vergl. franz. voute), 8. 98. In hac volutione nescit homo 
quem eligat consiliatorem. Daneben könnten interessante Fälle von Be- 
deutungswandlungen bekannter Wörter angeführt werden. 



') Vergl. Ron seh, Itala, S. 247; Funck, in Wölffl. Arch. UI, S. 422. 
^) Bond. 11 est U pour erodentes. Unrichtig. 

') Damit lässt sich vergleichen perendis = perennis bei Iiivenc. III, 14 adn. (meiner 
Ausgabe). 



Vermeintliche Spuren altgriechischer Astrologie 



von 



AUGUST ENGELBRECHT 



üb die alten Griechen die eigentliche, sogenannte judiciarische oder 
apotelesniatische (genethlialogische) Astrologie gekannt und geübt haben 
oder nicht, ist eine Streitfrage, zu deren Lösung die folgenden Zeilen 
Einiges beitragen mögen. — Dem Homer wird die Bekanntschaft mit 
den astrologischen Lehren zugeschrieben, weil er nach II. I 607, wo 
Hephaistos der Erbauer von getrennten Häusern für die einzelnen Götter 
genannt wird, Kenntniss der Lehre von den bekannten astrologischen 
olxoi vwv 7tXavr\i(ov zeige, Eustath. z. d. St.: ^Ojlh/jqov toIvvv ivraVd-a 
HTTovTog, bti 6 ^'Hcpaiarog e'/.ciati() tiov d-eiov dtofia aTtolriae, yQclipovaiv ol 
TtaXaioi^ Sri TCQiotog ^'Oftrioog Iöcokc rolg aTtb f-iad-rnjäTOJv ä(pOQutjv vf^g 
toicrörrig dd^rig eItclüv ivravO-a V'Kaaiov kov x^-efov Ydiov oVkoi' ^xeiv. In 
gleicher Weise wird als Ergebniss astrologischer Speculation bezeichnet, 
wenn Homer Aineias, Minos, Askalaphos und Autolykos von Aphrodite, 
Zeus, Ares und Hermes abstammen lüsst, Ps.-Lucian de astrol. 20: ofroi 
Vxaavog avriiov d'€0(pileeg iyivovuo xal acpioL yevo^ivotaL Tip iiiv t) Mq^Qo- 
diTtij T(p de 6 Zevgy rrp de o ^JdQTjg, [tiT) de ü^EQf.ifigJ knißXexffav, 6y.6- 
aoL yaQ St) ävd'QVJTcoLöL Iv xfj yevefj xavirj oi'/.odea not iova lv, o^col 
H'Atüg TO'Ateg eiovTolat Ttdvra TzeAa i/^TeXeovac '/ml XQoitjv xal inoQq)t)v xori 
igya tloI diavolrjv xrA. und ebenda 22: iJalLava ftc t€ ^O^tjqov toü Ttoir^ 
THo xal Tiov ^Hawdov iTciiov fidd'oi av rig rä ndhxL Totg aaiQoXoyiovaiv 
ößÄO(po)v€ovta. Indess wird kein Vernünftiger durch diese Stellen Homers 
sich verleiten lassen, in ihnen die Spuren der ältesten griechischen Astro- 
logie zu finden: das astrologische Moment ist in sie nur gewaltsam von 
späteren Anhängern dieser Disciplin hineingetragen worden *), wenngleich 

M Vergl. anch Manetho, Apotel. VI, 12 ff., wo homerische Ai>ophthcginata von dem 
Afterdichter im a8trologischen Sinne ausgebeutet werden. 



— 126 — 

un8 auch das Gegentheil nicht Wunder zu nehmen brauchte , da wir 
licut/Aitage doch genau wissen, in wie vielfacher Hinsicht der Einfluss des 
Orients, der Wiege der Sterndcuterei, sich in den homerischen Gedichten 
geltend macht. 

Interessant ist es aber, dass bereits der EphesierHeraklit den 
Homer zum astrologischen Adepten machen wollte, Heraclif, fragm.l^o, 
Schuster (Schol. II. XVIII, 251 ed. Bekker, S. 495, bö): "HqoxUito^ 
hvevd^ev (nämlich w^eil Homer erwUhnt, dass zwei, die zur selben Stunde 
geboren wurden, doch ganz verschieden geworden seien) dGVQoXdyov 
(pfjol Tov ^'OiiTiQOVj 'Kai tv oig (fxiai. ' f-iolgav ö* ov rivd (prjiJL Ttefpvyuivov 
luf.t€rai, uvdQiov, od xa'KÖv oudi juiv iad')^6v, krt^v vtt TtQwia yevriTLn 
(11. VI, 488). Paul Schuster {A(^.. mc. phil, LIps, III, 339, A. 1) behauptet, 
dass hier Heraklit das Wort uaxQohr/oc; schon in der späteren schlimmen 
Bedeutung gebraucht habe, indem er auf Fragment 132 verweist, wo die 
uayoi miter den vvATOTtoloi und ßdxxoi als SjTionyma für «Betrüger'' 
angeführt werden, und beide Fragmente in engsten logischen Zusammen- 
hang gebracht wissen will. Dass jedoch Heraklit den Homer mit 
c}aTQo?Myog nicht Betrüger nennen , sondern nur constatiren wollte , dass 
der Dichter den Einfluss der äaiga auf das Geschick der Menschen lehre, 
scheint mir richtiger zu sein, wenngleich ich des Ausspruches Ileraklit's 
eingedenk bin, dass Homer verdient hiitte, mit Ruthen gestrichen zu werden. 
Freilich ist in den Stellen Homers gerade die Hauptsache, dass niimlicli 
die Sterne das auf das Schicksal der Menschen Einfluss nehmende Moment 
seien, durch kein Wort ausgesprochen und so bleibt für uns das Fragment 
Heraklit's nur insoweit lehrreich, als wir daraus ersehen, dass der 
Philosoph aus Ephesos die eigentliche Astrologie kannte. Darüber werden 
wir uns aber nicht besonders wundern können bei einem Manne, der in 
Asien lebte und deshalb nicht aus griechischen Quellen jene Kenntniss 
geschöpft zu haben brauchte. 

Wir kommen nunmehr zu der bekannten Stelle des Herodot II, 82: 
xori Tclde aXXa ^4lyv7VTioiai eavt e^evQr^/.ieva, ^c/t; re yml fjuiqri h.darri 
x^€0)v bvev tiJTiy 'Kai %y V'Kaaiog ^)l^£Q]] yevojLievog uveoiai iy'/.VQtja€i, xai S'/.wg 
TeXevTijöEi 'Aal ÖKoiog rtg ^Grai' ycai rotivoiat twv ^Ekkifiviov oi iv 
Tcottjaet yevo^evoL ixQt](fccvTO, Es ist klar, dass Herodot hier 
jene Kunst der Aegypter im Auge hatte, deren Quintessenz sie in der- 
gleichen astrologischen Kalendern niedergelegt haben, wie deren einer in 
den Gräbern des 6. und 9. Ramses zu Theben gefunden und von Biot in 
den Memolres de VacmUmie des sciences XXIV, 549 flf besprochen ist. In 
solchen Kalendern wird der Einfluss bestinnnter Gottheiten auf die einzelnen 
Monate und Tage fixirt und das Schicksal der Geburt, des Lebens und 
Sterbens des an jedem einzelnen Tage Geborenen vorausgesagt. Damit stehen 



— 127 — 

die Worte des Herodot vollständig im Einklänge, bis auf den letzten 
Satz, nach welchem in der hellenischen Poesie Nachahmungen jener ägyp- 
tischen astrologischen Litteraturproducte sich fanden. Sind Herodot's Worte 
cum (jrano salin zu nehmen, so hat es auch eine althellenische Astrologie 
gegeben, denn, dass jene erwähnte Art ägyptischer Weissagung auf der 
Constellation der (rcstinie beruhe, ist sicher, obwohl Herodot dies nicht 
ausdrücklich hervorhebt. Aber eben dieser Mangel an Deutlichkeit des Aus- 
druckes beweist auch, dass Herodot keine allzuklare Vorstellung von 
dem Wesen der zu beschreibenden ägyptischen Erfindung hatte; was Wunder, 
wenn er also mit dieser Erzeugnisse der griechischen Poesie in Verbindung 
brachte, die allerdings eine gewisse Analogie darboten, aber keineswegs 
in engeren directen Zusammenhang gebracht werden dürfen. Wer erinnert 
sich dabei nicht an Dichtungen, wie die iqya ymI fjuegac des Hesiod, 
der ja auch die guten und bösen Tage schildert (V. 769 ff.) , wann man 
ein Weib heimführen soll, an welchem Tage die Geborenen gedeihen u. s. w. 
Offenbar mit Bezug auf diese Stelle des hesiodischen Werkes, die allerdings 
heute wolil einstimmig als nichthesiodiscli bezeichnet wird, aber doch antik 
ist, sagt Tzetzes (Chil. 12, 174) xcri iv ifj ^ißXcj fj^eqiov dorQoloyei de 
7€oaa, obwohl der Dichter selbst dem zu widersprechen scheint, wenn er 
Pcin Einschiebsel mit den Worten schliesst (V. 825 ff.) : 

uk?.OTe iiriuQvit) seilet J'^/if^^, liXXoie jj/jrr^Q' 
idcov evdaijucjv re ymI oXßiog:^ bg zdde Ttdvva 
eldojg iQyd^rjiai dvaiviog dO-avdroiaiVj 
OQvid-ag XQivwv y,ai l'TteQßaaiag dkeeivtov. 

Also nicht die Sterne, sondern die Vögel weissagen die guten und 
die bösen Tagel Und doch konnte Herodot für seine Zwecke ganz gut 
jenen Prophezeiungen der Aegypter als Analogon diese hesiodischen , be- 
ziehungsweise altgriechischen Prophezeiungen zur Seite stellen, so gut wie 
Heraklit in den obigen H o m e r-Stellen astrologische Beziehungen finden 
wollte. 1) 

Unter solchen Verhältnissen halte ich es für verfehlt, mit Lob eck 
(Aglaophamus I, 427) unter den herodotcischen tiov ^Elh]vo}v tu iv Ttoirjoei 
ytvopievot an Dichter der orphischen und pythagoreischen Schule zu denken, 
y,quon in hoc quoqiie doctrinae gener e decreta Äegyptiorum aemxdatoa esse 
admodum credibile eM"^. Würde Herodot wirklich, wenn er dergleichen 
Dichter gemeint hätte, dieselben kurz mit ol ev Tcoitjoei yevouevoij also 

*) Vergleiche Letronne, Obaervations critiques et archeolot/iques sur Vohjet des 
repr4»entation8 zodiacales, Paris 1824, ö. 58, N. 8 : „ü est plus que probable quc Vhistorien 
a can/ondu la doctrine Syyptienney dont il nUtvait qu* une id4e confuse, avec fes proiwstics 
tires de Vinfluetice de la lune, qH*on trouve jusque dans H4siode.^ 



— 128 — 

als Dichter xar i^ox^v bezeichnet haben? Ich verneine diese Frage und 
behaupte, dass jene Bezeichnung im Munde Herodot's nur auf (Homer 
und) Hesiod passt. Rückhaltslos hat sich in neuerer Zeit der Ansicht 
L ob eck's angeschlossen Albin Hab 1er in dem sonst sehr verdienstlichen 
Programmaufsatz (Zwickau 1879) „Astrologie im Alterthum"^, S.U. 

Wie es mit jenem Werke bestellt gewesen sein mag, das unter dem 
Titel aatrologia und äavQovofiia Plinius (nat. htsL XYlIl^ 25, 213) und 
Athenaeus (XI, 491c) dem Hesiod zuschreiben und auf das sich auch 
die Worte des Scholions zu Aratus V. 254 (S. 73, 37 Bekker) ilv (seil. 
^Ydäcjv) xal ^Haiodog iv davQt/Sj avxov xh ovofiura diddaxei ßi^ihi) be- 
ziehen , vermögen wir nicht mehr zu cruiren : es kann uns als sicherlich 
apokryphe Schrift nicht sonderlich interessiren. So viel ist mir indess auch 
von dieser Schrift klar, dass sie nicht so sehr astrologischen als vielmehr 
astro-meteorologischen Inhaltes gewesen sein wird. 

Für seine Ansicht von dem relativ hohen Alter der griechischen Astro- 
logie macht Hüb 1er auch die bekannte Geschichte von Thaies und seiner 
reichlichen Olivenernte, die dieser vermöge seiner astrologischen Kennt- 
nisse voraussah (z. B. Aristot. Pol. I 11, 1259a, 6 u. ö.), geltend: „Konnte 
der Philosoph durch rein astronomische Erwägungen zu solcher angeblichen 
Voraussicht der Zukunft gelangen? Ich denke schwerlich" (ibid. S. 11). 
Häblcr imd mit ihm viele Andere irren darin, dass sie ausser Acht lassen, 
dass zwischen der „reinen Astronomie" und der „reinen Astrologie" es ein 
Mittelding gibt, welches ich „prognostische Astronomie" oder „Astro-Meteoro- 
logie" nennen möchte, welches den Einfluss der einzelnen Gestirne, vor 
Allem des Mondes, auf die Erde und erst indircct auf deren Bewohner 
lehrt. Ihr verdanken die bekannten griechischen astro-meteorologischen 
Kalender (parapegmata) ihre Entstehung, ihre Keime finden sich in voller 
Deutlichkeit ^) bereits bei H e s i o d 2) und sie ist gemeint , wenn es Plat. 
Epinom. 990 A heisst : (aofpwvaiov dvdyxri rhv dkrjö-üig doTQOvdfiov elvaij 
fiij TÖv xad-^ '^Haiodov davQOvo^odvTa /,ai Ttdvvaq xobg Towijvovg, 
oiov dvajLidg re y,al dvaroXiig iaxeinfiivov (d?.Xä rbv tiov dxTO) TteQiddcov 
riig sTciä TveQwdovg). Wie hier die prognostische Astronomie der reinen 
Astronomie entgegengestellt wird, so wird bei Sextus Emptncus adv. astrol. 
Anfang p. 728 Bekker jede dieser beiden Arten von der reinen Astro- 
logie unterschieden: tceql daiqoXoylag )) f-iad-rnjarixTig TCQdyteitai CrjTf^aai 
or'rt T^g reXeiov e^ dQid'firjuxfig nat yeio^evqiag aweaztoarig (Astronomie), 
ovie rrig Ttaqä Tolg Tceqi Ecdo^ov xal ^'iTtTtaQxov ycal rovg OfÄoiovg tcqoqqi]- 



*) Eine Spur auch bei H m e r II. XXII 29, wo der verderbenbringende Einfluss des 
Sirius erwähnt ist. 

^) Vergleiche beispielsweise den Abschnitt der eoya xai y/xeQai über die Schiffahrt 
V. 618 ff. 



— 129 — 

tiTLfjg dvvd/.i€0)g, fjv di) ycal äatQOvofÄiav Tivig 'Kalodaiv (r/jQrjaig ydg laviv 
tTci gHxivoijavoig (og yewQyia xal xvßeQvrjvix^, &(f ^g Sariv avx^ovg ve xort 
in^ofißgiag Xoiuoig re xort aeiajLioig y.al äXixzg roiovriodeig toC TtEQuxovrog 
ueraßoHiig n^od-eanlteLv) (Astro-Meteorologie), äXkä Ttqhg yeve&XiaXoylav 
(Astrologie). Dieselbe Art der Astro-Meteorologie ist gemeint in dem Euri- 
pides-Fragraent bei Clemens Alex, ström. I 15, 306 6 BrjQvnog "EQf.u7V7tog 
XeiQwva TÖv KivcavQOv aofpöv xaAel, Jqp' ov xal u rfjv Ti vavo^axiav ygaipag 
tprpiv ibg TcqwTog oivog 

e]'g le dmaioaivT^v dyrindv yivog Yjyaye del^ag 
Sq/^ov '/ml dvoiag \Xaqag 'Kai oxrif^ac OXvfÄTtov, 

^ItcttCo de f] dvydrriQ avTüV avvüixrjoaaa til) ^IdXiit ididd^aTo avxhv 
T^v (pvai'Arjv d-eiOQiav 

?! TCQuiva fiiv ttt d-ela TcgoufiavTevaaro 
XQriaf.iolaL aacpeaiv äaTf.Qiov eTcavxoXalg, 

In einem Scholion des Proclus zu Platon's Timäus (IV, 285 F p. 681 f. 
Schneider), das auf Theophrast's Buch Tttql arifieiiov zurückgebt, wird 
die astro-meteorologische Prognostik (xd xoivd Ttgoyivioaneiv) ebenso als 
Theorie der Chaldäer wie die Astrologie (rd Ydia TCQoyivaKTxeivJ hingestellt, 
jedoch in einer Weise, dass man deutlich erkennt, die letztere, aber auch 
nur diese, sei für die Griechen zu Theophrast's Zeiten etwas Neues und 
liewunderungserregendes gewesen^): d-av^aatcoTdxrp^ eivai q>r\atv 6 Qed- 
(fQaaxog iv xolg xar avibv XQ^'^o^Q '^^ ^^5v Xaldaiiov Ttegl xaüxa ^eioqiav 
fd xe äXXa Ttqokiyovaav xal xovi^ ßlovg f-xdaxcov xal xovg d-avdvovg^ y,al 
ov xä xoiva fiovovy oiov ;f€£^/t5)'ors xort evdlag, üaneq vmI ibv darsQa xoü 
' EquoÜ x^//M(f5vog ^iv i/,(favfj yevdfievov tpvx^ aijuaiveiv^ nai^axa de d-eQOvg, 
ilg iy^eivovg uvaTti^iTtei, Txdvia d^ oiv avxovg xat xd Ydia xal xd y.oivä 
rtQoyivLoa'ABiv aTtb xiov ovqaviiov iv xij Tvegl arifieitov ßißh'j <priaiv i'/,elvog. 

Es ist bekannt, dass die Ausdrücke doxQovofiia und daxgoloyia 
ursprünglich synonym waren und dass zu des Aristoteles Zeiten, ja noch 
viel später, eine endgiltige Differenzirung beider noch nicht stattgefunden 
hatte. Es ist daher interessant, dass in Xenophon's Memorabilien des 
Sokrates an einer Stelle ein ganz bestimmter Unterschied zwischen beiden 
Ausdrücken gemacht wird (Xen, comm. IV 7, 4): ineXtve de ymI daxqo- 
koyiag ifiTxeioovg yiyvea^ai ymI xavxrig juevroi fUXQ^ ^^^^ vvAxdg xe üqav 
'/Mi firjvdg "Kai iviavxoC dvvaad-ai yiyvdtaxeiv Vve'/.a Ttoqeiag xe vmI nkov 
/ML <pv?M'Kr^g xal üaa dXXa )) vv/.xbg lij ^irivbg fj eviavioü nqdxuexai Ttqbg 
la^t Ix^iv xe'/,f.iriQioig x^^a^a/ xdg aiqag x(dr eiqriuevwv diayiyvwOKOvxag 
iclas ist also Astro-Meteorologie). xb de uexqi^ t^ovxov daxqovo/.iiav uav- 

*) VieUeicht verstand Theophrast unter der üecoQt'a Xa).6aio)v die Lebren des 
damals in Grriechenland gefeierten Baipriesters Berosns, vergl. H ab 1er a. 0. S. 14ft'. 
Eranof Vindobonensis. U 



— 130 — 

^dvELv fitXQC Tov %ai xit fifj iv xfj avrfj TzeQKpOQ^ ovva %ai rovg TtkdvtjTdi; 
T€ '/.al äarad'firJTOvg äariQag yviovat aal ritg aTcoaTaaeig avTiov dTtb rr^g 
yfig Kai Tag TvsQcddovg xal rag aliiag aörußv J^rjzovvrag xaraTQißead-ai 
laxvQwg dTtergsTcev. axpelecav juiv ydiq ov3* iv Toiiotg ^(pr^ bqäv (reine 
Astronomie). Hieraus ersieht man nicht nur den Unterschied zwischen grie- 
chischer Astrologie und Astronomie, sondern es geht auch deutlich aus 
dieser Stelle hervor, dass eine judiciarische, also eigentliche Astrologie die 
Griechen zu Sokrates' (Xenophon's) Zeiten nicht kannten. 

Wenn wir also von einer eigentlichen Astrologie mindestens bis zum 
vierten vorchristlichen Jahrhundert keine positiven, wohl aber negative 
Spuren in den Schriftwerken finden, wenn wir weiters bedenken, dass 
Aristophanes es sicher nicht unterlassen hätte, sicli über die Weisheit der 
Astrologen lustig zu machen, wenn ihre Afterwissenschaft damals schon 
in Griechenland in ausgedehnterem Masse Eingang gefunden gehabt hätte, 
während wir nirgends in seinen Komödien auch nur eine leise Anspielung 
darauf finden ^), so werden wir wenigstens für die Zeit des freien Griechen- 
land als richtig gelten lassen müssen, was S i m p 1 i c i u s sogar fiir eine 
viel spätere Zeit behauptet, dass nämlich zu des Posidonius Zeiten die 
apotelesmatische Astrologie bei den Hellenen noch nicht bekannt gewesen 
und deshalb der Name Astrologie für Astronomie verwendet worden sei 
(Auscult. H, 65 A) : rh T^g dazQoXoyiag ovo^a ^^7to) t6t€ zrjg aTto- 
T eXeo fiar ixrig eig rovg ^'ElXrivag ild-ovGTjg knl r-^g v^v xaXor- 
fiivrig doTQOvoiniag l(p€QOv,^) 

Wien. 



^) Nichts anzufangen ist mit dem Fragment bei Athenäus III, 114 C (F. C. Gr. 11 "2, 

S. 1047) : AlyvJiTioi de tov vjto^iCovxa ägxov xvlXdartv xoLAovai. ^vrjfiovevei ö* avtov 'Agtaro- 

qxxvrjg iv Aavataiv ' 

xal TOV xvXXdoTtv qpt^eyyov xai tov JIstooiqiv. 

Hier ist der Name des Pet-osiris offenbar nicht als der einer astrologischen Autorität 
gesetzt, vergl. E. Riess, Nechepsonü et Petosiridis fragmenta magica. Disaeft. inavy. 
Bonn 1890, S. 15. 

*) Unsere Ausführungen bestätigen das, was einst Let rönne a. 0. S. 73 als unbe- 
wiesene These niedergeschrieben hat: „an fie aaurait doiUer d^abord, ce me setnble qae 
Vastrologie n^a jamais jeU de profondes racities chez les Greaf. On ne trouverait peut- 
etre pas, avani Alexandre^ de traces certaines de ce genre de dicination parmi tous cetix 
dont ils fiiüaient usage.*^ 



Adnotatiunculae ad Himerium 

Bcripeit 

CAROLUS SCHENKL 



111 Himerii reliquiis lectitaiidis occupatus cum eclogas Photianas per- 
Instrabani, eadem mihi quac Duebnero nata est 8iisi)icio libnuii preti- 
osisHiiniim Bessarionis, qui nunc est bybliothecae s. Marci (X'CCL, ab I. 
Bekkero, (jui cum littcra A insignivit, ncciuaquam ca qua par erat dili- 
gentia excussum esse, (luam ob rem cum ante hos tres annos Venetias 
profectus essem, eum denuo cxaminare constitiii. atcpie opus adgrcssus 
mox intellexi mc opinionc illa falsum non esse, omnibus igitur eclogis 
iterum comparatis iam C(mstitit Bekkerum non solum manum librarii et 
maniis correctorum, (juos is liber complures expertus est, saepe nuniero 
non distinxisse ac ])ro manus primariac scripturis eas (juae a correctoribus 
profectae sunt protulisse, sed etiam scripturas aliquot egregias vel certe 
meinorabiles eis (|uae in editione Hoescheliana leguntur dcceptum silentio 
transmisisse. (luid (piod nonnumquam Marciani et Parisiensium scri])turas 
in eodem exemplari a sc enotatas confudit. cuius rei luculenta in eis quae 
mox ex|)08ituru8 sum adlata invenies exempla. correctus autem est Marci- 
anus potissimum ab homine quodam, qui in ea re libro usus est simillimo 
Parisiensi MC(.'LXVI a Rckkero littcra B insignito. cuius ope lacunas in 
libro antiquo extantes explevit, simul autem innumeris fere locis scriptura 
YCtusta erasa vel oblita aliam ingessit, plerumquc eain (piae in B conspi- 
citar. sed haec oninia corrigere eins erit inunus, qui novam Bybliothecae 
Photianae editioncm parabit; mihi nihil aliud hoc loco propositum est 
nisi ut ostendam quid Marciano iterum excusso ad eclogas Ilimeriana* 
emendandas conferatur simutquc solidiorc innisus fundamento harum reli- 
qniarum cmendationi pro viribus consulam. 

Quo in negotio mihi imposito hac via proficiscar, ut ])rimum brcviter 
perstringam eos locos, quibus in A aut vera scriptura servata esse videtur 



— 132 — 

aut talis, (luali etsi corrupta vcl confirnieiitur coniecturae a viris doctis 
propositac vel genuiiiae Hinierii raaims indagandae via moiistretur, aut 
denique qiiadam ex causa meraorabilis, adnotatiunculis liic illic adspersis. 
deinde secjuentur loci accuratius tractandi, de quibus in hoc opusculo agere 
constitui. in sin^lis auteni locis iudicandis nuraeris utar, quibus paginae 
et versus editiouis Himerii a Duebnero curatae significantur. 

Prions igitur generis sunt hi loci: 4, 35 Tvxrjg m2 in ras., ml 
scriptiun fuisse videtur a^x^s' — ^? 25 toaovtog ml, elg ToooVTüvm2 — 
6, 20 TtovijQslag ml^ TtovrjQiag in 2 — 7, 2 fjytjaaaai ml, iiyr/aoad-ai m 2, 
unde fulcitur Duebneri coniectura iyyiaaaac — 9, 8 S'e?.ec ml, quod reci- 
piendum, d-ikri m2 — 34 jurjSi (di eras.), sine dubio recte — 54 q^oQa 
ymI oni. re, quod saepe numero illatum est in deterioribus^) — 11, 42 
tvx^iv ml, dvarvxiav m2; verum est rvxriv — 12, 3 e/tißakiav ml, eTti- 
ßaliov ii\2-^ recte Bekker scripsit kTtißdXhov; saepe enim in ^ pro duplici 
Simplex consonans legitur — 29 elha distincte exaratum in A, quod 
temptandum non erat — 13, 2 ä&Qiag ml, dd-gocog m2 — 15, 28 ^rgög 
vovg ßagßaQOvg Jid-rivaloL — 40 chg rodro — 16, 34 dvo^äl^eig cum 
recentioribus , quibuscum in eis quae antecedunt TtQoaßdU^ig , ecpioTrig, 
ÖLOQvtreig recipienda sunt; nam et flagitatur ipsa sententia adlocutio et 
saepius in A talia qualia sunt ^x^ig et ^x^i confunduntur — 19, 20 avavQa- 
revead-ai — 51 tö IToaeiStdvog ml, tov 11, m 2 — 53 T($7rovm2, tvtvov 
m2 — 20, 12 TtaoataTvmievoi ^ quod sane ferri potest — 21, 40 h\yov, 
non diaXnyov — 25, 33 r^t \jXriL — 51 dygiaivei ml, dygiaiveiv m2 — 

26, 34 Toaovtov Tzlrjd^og — 43 kevTLOv ibv — 28, 26 vrjaatoL — 29, 38 
7tQo^€V(J)v re ml, Ttgo^evovvreg re m2 — 41 Tcolrjv ml, Ttoliv m2 — 
30, 16 dvijyaye, quod recipiendum esse adparet — 31, 1 ovqaviav om. xrjv; 
eodem modo antea dictum est navdi^iKiK in hoc versu et verbis quae mox 
sequuntur xpvxctl veozeXeig (cf. 22, 49) Convivii Platonici conspicitur imi- 
tatio, cf. 1801), 195 E — 3 XQ^"^^ ^^ ^^ (^^ ^^^' ^^^) t^ovriav xal ßiltj. 
aut delendum est rd aut inserendum ante ßelri; desumpta haec ex Philo- 
strato 11 302, 5 K., aj)ud quem fortasse eadem restitui oportet: fxaij 
XQvaä <()6> aal xtt iv avualg ßekri, eundem (ibid. 28 S(iq.) paulo post respe- 
xit Himerius v. 4 — 25 f}liy,iai' om. Tfjr — 26 yewiojLtevoi ex yeivduevoi ; 
praecepit librarius Lobeckii emcndationem ad Phryn. p. 320 — 34 ro^a 
om. T(k — 32, 3 tja ml, rjxei m2 — 29 t]di ml , eide m2 — 36, 45 
oitog ml, quod coniecit Reiske , ol'io)g m2 — 37, 18 x^i/ic5vog, quod 
restituerat Wernsdorf, non Xei^mvog — 39, 11 aTcevöei ml, OTtevöei m2 
— 40, 35 f.TtiQQein (7couauiov) ml, tTciQQevaoi m2 — 45,52 «IVrijt ml, 



*) P. 22, 49, quo loco in A legitur veoiekh ßfßrjXoVf in B v. ts xal /?., fortasse solnm 
xai inserendum ent. 



— 133 — 

£tWot in2 — 49, 32 S^o in ras. m2, Sa ut videtur ml — 93, 34 lyxev 
m 1, elx^ m2. 

lam veniamus ad locos, de (luibus ut accuratius exponatur eorum 
condicio flagitare videtur. p. 6, 38 intellexit Duebner in verbis : vöorjfAa 
yäg, lü ävÖQeg Jld-rp^aioiy xazic t(ov ^Eklijvwv rij (foqtf nov MD^ri- 
vaiwv ovvi]xuaa€v illud zaiv Jid-rivaiwv ortum esse librarii errore ad id quod 
praecedit ^x^rjvaloL aberrantis. simul animadvcrtit Hinierium ante oeulos 
habuisse Demosthenis locum XVIIII 259, undc Twr TtQodoTiov scribendum 
esse suspicatus est, aptissime sane, si sententiam spectes et alterum 
Demosthenis locum, quem rhctor respexit, XVIII 61, (juarnquam eodem 
iure de öwgoSoxcov vel simili verbo restitucndo cogitare possis. sed male 
Aara tiov 'El?,r^v(ov mutare voluit in xai ttüvtcov *£. , cum in scriptura 
tradita nihil insit, quod offensioncm moveat. — 44 Ti olv oix f^dri 7t qo- 
ayyeXlo); tl de ov% l^eif^t toO ßiov . . . Wernsdorf ut cmendaret cor- 
riiptum TtQoayyeXXo) aut TtQoanaXXdTcio aut TtQoaTtaXldctouai proposuit, quo- 
mm illud a prosae orationis usu alienum est, hoc longius a librorum 
scriptura recedit. Duebner eis (juae 92, 37 leguntur coUatis 7CQoa7tfil^ov 
conieeit ratus Photium id in 7CQoa7cel&(o mutavisse atque inde TCQoayyeXXo) 
natum esse, sed (|uid Photium ad eiusmodi mutationem impulerit, nemo 
puto intelleget, adde quod aoristus non convcnit ei quod secpiitur i^eiui, 
quae cum ita sint, id quod mihi in mentem incidit dubitanter sane 
profero TtQovekevuo. — 12, 43 S Trjv Ttgoad^rjAriv ovx l^ovra vewg rrjv 
äAiTcov jUCT f.Sovaias fTtQaTreTO sine dubio restitucnda est libri A scriiv- 
tura ddixiav. sed num ea recepta cum Duebnero prius rrjv ex])ungendum 
sit, equidem dubito. praestat fortasse äuva rej)oncre; nihil enim frequen- 
tius in A quam litterarum rj et t confusio. — 13, 29 recte Duebner offendit 
in verbis ix^Q^ ^tort Tilovau, «piae integra esse negat. et re vera ])ost 
Tuxi vocativus adiectivi cum ixO'QS coniunctus veluti xarccQare cxcidisse 
videtur, id quod verlüs insequentibus Sxpi ydq jue vag aeavuT} TCQEfcovaag 
iTrcjyvfdlag idiSa^ag confirmatur. — 25, 31 TCQonoc yaq (DQvyeg ahiav 
ixovaiv adktp ze i^Ttvevaai '/,al raig reletaig ävafu^ai xä xvfißaka 
minim sane est editores ex libris recentioribus rec^pisse xv^tßa?M codicis^, 
in quo legitur xuxliouara, scriptura neglecta. patet enim sophistam hunc 
locum integrum ex Euripidis Bacchis (cf. vv. 124 sqq.) de8um])sis8e. sed 
ipse velim eos versus inspicias: ßigaotorov '/.vxXco^ia , . . dvä de ßdxyja 
awfdvii) xiqaffav ädvßdq 0Qvyio)v avl(7)v 7cvEVfiaTi. re])rehenda8 for- 
tasse, quod simpliciter xvxliofiara dixit pro zv^ijcava adiectivo non addito. 
verum ea res non tanti est, ut de scripturae integritate dubitemus. ac 
fortasse post xvx.ldffjaTa adiectivum quäle est apud Euripidem ßvQodzovog 
aut Photii ipsius aut librariorum culpa intercidit. — 26, 37 eixtb ziva r^g 
iiuirov aoq>iag zolg %^g tpvxfig ifpeqov (ifiqov A; an (piQovcegi) dyakfiaaiv 



— 134 — 

scribendum esse videtur ev rdig, iqtEQov autem cur cum Duebnero in ^(pai- 
vov mutemiis causam non video. respexit scriptor Platonis Convivium 217 A, 
222 A, quod in Diogene (cf. ecl. X) simul cum Phaedro (cf. Teuberi 
Quaest. Him. p. 44 sqq.) expilavit. etenim quae legimtur 23, 30 conspirant 
cum eis quae extant Conv. 217 A, avfÄTtaQaardTrig v. 50 desmnptum est ex 
Agathonis oratione 197 E, denique quae pauto post de Amore adulescente 
dicta sunt v. 53s(i(i. eflficta esse patet ad similitudinem locorum quorun- 
dam eiusdem orationis, 195 AB. corruptam autem illud r^t; aTriar/or^ 24, 1, 
cum iusto parcior fuerit Photius in eo loco excerpendo, vereor ut umquam 
probabiliter emcndari possit. id tantmn certum est aliquid (luod ad lauda- 
tionem, non cpiod ad vituperationem Amoris pertineat hoc loco requiri. 
quam ob rem Reiskii coniectura äTtlriaziag , etsi proxime ad litterarum 
apices accedit, non habet quo commendetur ; dTtlniaiia enim, nisi addatur 
genetivus, quo res honesta vel pulchra significetur , in laude esse non 
potest. cogitavi quondam de voce evTciariag restituendo. sed ne hoc qui- 
dem sententiae convcnire videtur. — 26, 53 deivrj /ah /.QVTtreiv xQdiTu) 
kavS^dvEiv optime sententiae consuluit Duebner vocula S ante xgeiTrcü 
inserta. sed eodem iure rä addere possis, quod propter praecedens x^i;- 
TtTEiv intercidisse veri similius est. — 27,3 in verbis dvdhovog g)tlt<jc, 
yewalog iv (poiioig corruptum esse patet (piXlq, neque Duebner ei quam 
temptavit huius verbi interpretationi quicquam tribuisse videtur, idc^ue 
merito; nam cum paulo ante dixisset sophista Jy'rrtov y^A/acjita, ut ea lau- 
dandi causa ])ronuntiaret, quomodo mox dvdkcDvog (piliq de eodem homine 
— nam eundem significari persuasum habeo — eo sensu scribere potuit, 
qui inest in enuntiato a Duebnero collato p. 36, 16? mihi ytA/p librarii 
errore ortum esse exploratum est ad id quod antecedit cptllag aberrantis. 
atque hoc modo saepius peccatum est in bis excerptis; cf. 6, 39; 11,3. 
iam cum tria sint paria, in quibus singula membra inter se respondent, 
intellegitur re((uiri aliquid, (juod conveniat cum verbis yevvaiog tv g^ößoig, 
Reiske deiliag (recte (Je/Aa/) proposuit; sed tum idem fere quod in altero 
membro Himerius dixisset. quam ob rem f.tala'/,l(^e praefero. ambo voca- 
bula, dico deiXia et fialaxia, coniuncta habes p. 5, 3. — 27, 16 TteQi rrjv 
TcoXtv Ixeivriv, ^v d7cb radeigiov Evqcotcij hjyovaa TtoQV-fxt^ d-aXdoarig Ttqög 
TYjv Maiav u€Qi^€Tat. Duebner JJr delendum esse censuit. haud recte; nam 
nihil impedit quominus statuamus Photium in excerpendo hoc enuntiatum 
imperfectum relicjuisse. cum autem vix T^v praepositione Tiegi ex ante- 
cedentibus repetita explicari possit, fj reponendum esse videtur. — 27, 25 
in A legitur tloI -/mt airhv {v erasum) ro f.ieQog eddo/^ijut^OTi, in recenti- 
oribus '/MC xaz avrb . . ., (juod iure Duebner se intellegere negavit. quam 
ob rem suasit. ut Y,avd tovto rö ueQog scriberetur; cf. p. 95, 36. sed for- 
tasse leniore remedio adhibito sanari potest hie locus ita, ut xar avcoü 



— 135 — 

rd jLiiQog restituatur: „et quantum in ipso sitiim esset gloriam naiici- 
seeretur." litterae v et v in A haud raro confunduntur. — 29, 1 ^xfV re 
hei TÖv areg^avirriv fjovog xal TtQioTog elx^ (elxs m2 in ras. Ä) xhv ata- 
tfavov. Duebner ut difficultates quibus hie locus laborat expediret, fAÖvog 
in uüvov mutant, recte ut videtur '), sed a vero aberravit hac explicatione 
adieeta: ^quod Glaucus tot victorias rettulit, ut sola prope praesentia sua 
eoronas auferre videretur, id sophista tribuit tempori reete capto", certe 
non hoc voluit Hinierius dicere, sed Glaucum artificio (juodam loco et tem- 
l)ore oportuno adhibito Olympiae victoriam rettulisse. sine dubio autem 
signifieatur celeberrimum illud räv ä/t äQÖrQov, cf. Paus. VI 10, 2, Philostr. 
de gymn. 20. ceterum cum e/^e manu altera in rasura scriptum sit , non 
improbabile est primitus h^e exaratum fuisse, quamquam me non fugit 
apud Pausaniam 1. c. eandem rem verbis avxUa elxe tfjv vUriv signiticari. 
— 29, 9 Zeq^Qif) TtQog ((jöfjv i/,öiö6vai (.leXkiav väg TtTSQvyag Lobeckii emen- 
datio ivdtdovai confirmatur Philostr. II 308, 6 sq., unde haec sum])sit Himerius. 
ex eodem (II 300, 23) mutuatus est eclogae insequentis initium (29, 12 sqq.), 
(|Uo loco reiciendum est iM*V^<>>, ({uod ex libris detcrioribus Duebner temere 
invexit. — 30, 44 male huc uscjue distinctus est hie locus, cuius structura 
intellegetur hac interpunetione recepta: '/.elevovaiv, '/,al — Idei yttQ . . . 
daiuova — iavacai jLtfv ... — 31, 12 in codicibus legitur: tjv de ö fiiv 
otQothg Bay^xcei xai ^drvQog , (juod editores interpretati sunt „exereitus 
eins constabat Bacchis et Satyris'^. nihihmiinus tamen intactum reli(iuerunt 
^TVQog, quod quin in ^dcvQoi mutandum sit nuUus dubito; cf. 70, 14 
2^TVQ0ig t€ '/,ai BdxxciLg, 72, 29 ^arvgovg . . . Ttal Bd/^x^S- plane alia est 
ratio loci ([ui legitur 66, 19 töv ^eiXrjvöv y,al töv 2drvQ0Vy (juo numerus 
singularis »Sileni commemoratione eiusciue cum Satyro coniunctione expli- 

F F 

catur. — 33, 28 haec in A extant: ßaatXkog c (oyg t m2 in ras.; dete- 
riores praebent fiaaileiog re ai) xpricpoc xal tmv aQxouevojv ol Tvöd-oi, 
Reiske, cum haue sententiam generatim pronuntiatam esse intellexisset, 
ßaaiXiwv scribendum esse coniecit. neque improbabile est id m. pr. in A 
scriptum fuisse , xe. autem ex ai ((uod necessario reciuiritur natum esse, 
re . . . na! pro sim])Iici xa/ saepius a librariis invectum esse iam supra 
diximus. — 33, 32 riva dt) trjg (fvaeiog voCde yvogiaiaaTa. in A legitur 

Tor, ex ([uo eodem iure vel loviov vel covrwv elieere possis (cf. Bastii 
comm. pal. in Greg. Cor. edito a Schaefero, p. 782). vovzov igitur reponi 
(»portet, quod iam Wenisdorf commendavit, non ro^de^ i\\\oA in libris C et 
E legitur. — 34, 21 dSixwv dwQiov l^e/Mvag fpvaiv, Reiske (p{^aiv in xpadotv 
nrntavit eumque Due])ner secutus est. sed patet in q^voiv nihil aliud latere 

*) Alia de qua cogitavi huia.s loci eniendandi ratio, eam dico, ut verbis transpoRitis 
et particula 9eai inserta scribatur xai .TowrOb xai fioroQ, longius recedit a scriptura tradita. 



— 136 — 

quam (fvQOiv; nam ^ijgeiv eodeni modo quo ftohiveiv transferri potest. ac 
re Vera hac vi usurpatur de convitiantibus a Plutarcho Mor. 89 D quam- 
quam in imagine ab athletis desumpta. — 36. 6 8 y^v ^iv ii^eig %ivTQov 
ixelvov Tov d-eiov /.oofÄov vo(.iiC,o(jiev. Duebncr alteram Wcrnsdorfii coniec- 
turam qua ille %ai ante /.twQov inseruit recepit, alteram qua yfpf a lectore 
quodam aut a Photio interpretationis gratia adiectum esse statuitur, ne 
uno quidem verbo commemoravit. ac tarnen haec, ut mihi quidem pereuasi, 
illi praeferenda est. nam neque quid sibi velit o y^v vof.iiLouev intellego 
ne(}ue quomodo yriv cum vcrbis xevvgov e/^ivov rov d-eiov xdofiov apte 
hoc loco particula y,ai coniungi possit. neque vero desunt loci, quibus 
comprobetur vel interpretationes vel varias lectiones in excerptis Photianis 
extare, quae res mihi librariorum potius quam Photii ipsius opera orta 
esse \idetur. luculentum exemplum habes 4, 51, quo loco post crrijA/ri^r 
TtaQit Ttj d-etp haec leguntur: dvrl toO ^i' orr^hß d^QLaußevöfjievov lov irök- 
^TflEv, ((uibus in libro E adscriptum est aij axdXiov. alterum extat 11, 45, 
ubi Sx^iv aut corrcctio aut interpretatio est a librario verbo evTcoQeiv ad- 
picta, id quod iam animadvertit Th. Stenzel Coni. in Him. soph. decl. p. 8. 
tertium profero 23, 40 c^e^i^rijaor üj iSijaxrjaa. Scaliger }] i^jcxriaa glossam 
verbi IS^eC^rjcrfa esse statuit eique adsensit Reiske. rectius de ea re iudi- 
cavit Bekker, qui eh^rjTriöa Y} uncis inclusit. veri similius enim est libra- 
rium quendam J/ e^e^jjvriaa adlevisse. quartum accedat 26, 3 laviov hprih'iv, 
^erdgaiov. merito offendit Duebner in adiectivis vxprilov, f.utdQaiov conso- 
ciatis, quam ob rem in eam suspicionem incidit, ut Photium ipsum voca- 
bulum ineraQGiov ut proprium et quo in tali re utendum esset adiecisse 
Statueret. sed quis quaeso credat juerdgaiov interpretandi causa adscriptum 
esse, praesertim cum frecjuentissimum eins usum apud Himerium respexerit ; 
cf. 22, 44; 28, 47; 39, 12 et 35; 71, 2; 79, 21; 83, 5. immo itprilbv ad 
explicandum illud lAecaQöLov, quod elegans sane est, quendam adpinxisse 
patet. quintum denique mox adferam. — 37, 31 Bekker egregiam libri A 
scripturam neglexit, dico utof^og in verbis ävoD^ev /Miä tcjv dgiazcov Tolg 
ekdcToaiv f^Küfuog (pvecaij et rec<»pit cpMvov, quod in deterioribus a librario 
indocto propter id quod paulo post sequitur (fx^ovovvveg illatum est. cetenmi 
non hoc solum loco Himerius eo verbo usus est, sed etiam aliis duobus 
locis p. 88, 47 et 90, 18. 

His (piae modo de eclogis Photianis exposuimus iam observ^ationes 
ali(]Uot adiungamus ad orationem primam et alteram, quae in solo Augu- 
stano, nunc Monacensi graeco DLXIIII servatae sunt. C(mtulit eum librum 
Wernsdorf, si rem universam spectes, non utique indiligenter, quamquam 
in eis quae ex hoc codice enotata sunt in editione ab eo confecta nonnulla 
corrigenda sunt vel supplenda , veluti 40, 37 avv s. v., 45, 31 iTtiazaco, 
46, 40 de s. v., 47, 27 TCQodywveg, 49, 4 atfif^iaxiag rag icüv, 50, 48 Tovg 



— 137 — 

yfaxedat^oviiwg, 51, 8 äycavag ^vQiovg, 20 post äyrjQwv spatium est sex 
fere litterarum. porro ut ex scripturis in margine adpictis (luasdam pro- 
feraiu , 48, 36 in M legitur eiatrjKEi , in margine TteQULaTtjxei, 50, 37 ai 
^iiv, in margine yg xä fiiv.'^) graviora quaedam menda n(m ij)8iu8 Werns- 
dorfii, sed eonim culpa irrepserunt, qui illo mortuo librum in publicum 
emiserunt. sie 43, 23 M praebet ^x tov TteXdyovg xov yehovog; intercide- 
runt in editione typothetae ncglegentia verba Ttekdyovi; roD, qua re ad- 
dnetus est Duebner, ut ad lacunam explendam ^iyaiov toO insererct. 
50, 45 in M legitur cooavirig do^rjg äTtoaveQelv TCQorjyoviLievog, Wernsdorf 
recte Tcgoriyov^tvog mutavit in nQoaiQoi^evog. sed cum cxcidisset dTroavE' 
Qeiv, Duebner ver])i TtQoriyovf^Evog loco scripsit TvaQatQov^ievog, non repu- 
tans insanum paene fuisse homiuem Wcrnsdorfium, si talem coniecturam 
proposuisset , atque illud ^QoaiQovjuevog iam per se indicare infinitivum 
verbi j)rivandi hoc loco intercidisse. 49, 37 in M legitur xal ojQäeo ^evSag 
7fe?,dytj; rursus ^ev^ag in editione omissum est. sed quanta tuerit typothe- 
tarum correctorumque incuria ex corrigendis et emendandis in calce editi- 
onis adiectis facile cognoscitur. Augustani autem quam misera sit condicio 
utpote lacunis, f<r>edissimis interpolationibus aliisque vitiis incpiinati edoce- 
mur exeerptis Photianis. qua de re post Duebnerum, qui p. VI praefaticmis 
exeinpla aliquot collegit, exponere nihil aliud profecto esset nisi rem aetam 
agere. lubrica igitur via in re critica factitanda incedentibus nobis, ne 
fallente ve«tigio cadamus, magno opere verendum est. 

Iam accedamus ad loox)s, quos hoc opusculo tractare eonstituimus. 
38, 13 haec praebet M: xb (Jiev ttqwtov f^egog tov Ttgitnov ix^L Idyov. 
merito dubitavit de scripturae integritate Wernsdorf, sed (piod proposuit 
ad eam emendandam xod TtQooiiiiov ixet kdyov neque aptum est neque 
prope ad litteras traditas accedit. Duebner, quam(|uam negat se exemj)lum 
habere, (luo confirmctur tov nqunov Idyov idem significarc quod xh tvqo- 
oifuov, tamen libri scripturam tuetur. mihi huic loco, quem vitio laborare 
persuasum liabeo, ita succurrendum esse videtur, ut scribatur xb 7tQ(7ßxov 
Bxn ^yov. quodsi xov kdyov requiras, animadvertas velim Himerium non 
raro articulum neglexisse. ad dictirmem autem conferas Plat. Prot. 343 C 
ib TtqCixov xov (iof-tarog, — locum multifariam in examen vocatum qui 
extat 39, Isqq. nunc ita constitueudum esse exploratum est: xä de M(pqO' 
dixfjg oQyia TcaQ^av xfj ^eaßitf 2a7tq)ol ^decv Ttqbg Xiqav xal Ttoielv xbv 
i^dka^ov. ?i %ai eiariXd-e fiexä xovg dywvag eig d-dka^iov, Ttkexet Ttaaxddoy 
rb lexog }^O^i]qov] axQwvvvaiVy äyei (äyei coniecit Stenzel p. 9, yqdcpei, 
legitur in M) Ttaqd'evovg, vvfiq)iov ayu aal 31<pQodixriv i(f ciQfAa(^ciy Xagi- 



*) Cnm in Photii quoque exeerptis al legatur, non cum Duebnero ra, sed ä cum Bek- 
kero re^tituendom esse puto. certe in tali scriptore non oifendnnt ä /nh et t6 6f inter se 
coninncta. 



— 138 - 

Tcov xofl x^^Q^^ 'Eqcovwv ovfXTtaioioqa. coniectura a Stenzelio proposita 
confinnatur qiiodam modo Philostrati loco II 330, lösqq., quem Himerius 
ante oculos habuisse videtur. eerte plane similis est huius et eins de quo 
agitur condicio atipie Philostratus item verbo äyeiv geminato usus estJ) 
yQd(f€L autem natum est ex varia lectione nota yg indicata. in eodem versu 
glossa ^OutjQov irrepsit, qua lector significare voluit locutionem rb leyßc; 
aTQüJwvaiv ex hoc poeta sumptam esse, eetenim «V ^Qf^^ct^f' Xagiriov 
sophista mutuatus est ex epigrammatis Anth. Pal. XIII 28, v. 10 (cf. Bergk 
PLO* III 497), quod earmen Simonidi vel Bacchylidae adseribebatur, 
aQfiaaiv h Xagizcüv (pogr^d^dq, unde quin äg/nari quod conieeit Duebner 
vel ag^arog verum sit, dubitari non potest. — 39, 22 oiif av 6 Xeigwv 
tu 34xill€0)g iaiyrjaev, ei uf) roug ^I7t7cüda/Lieiag Igcozag ixleiliev, mirum 
sane est puelhim ah Aehille amatam Hippodamiac nomine signitieari ; nam 
Deidamiam, non Rrisei tiliam, quae testibus seholiasta ad II. A 392 et 
Hesychio s. v. 'iTrmtddfAeia eodem quo Peloj)is sponsa nomine utebatur, 
hoc loco designari certum est. potuit utique Himerius in scribendo errorem 
committere — nam inscitia cum la])sum esse non credo neque veri sinülc 
est eum Ilippodamiae nomen ex fönte (|uodam nobis ignoto hausisse — 
sed nihil im])edit, (juominus eam rem librario potius (juam sophistae vitio 
vertamus, praesertim cum paulo post de Hipi)odamia Oenomai filia agatur. 
- male tractarunt interpretes post Wernsdorfium locum 40, 3s(|q. sie in M 
traditum ; rnn ^'Lrrgog rfig fiev xorrA Boanogov d-aXdTxrig iggety '^Pr^vog 
de rfig zi7)v Kelroiv TtoXeiog yeirovog. toiivovg rovg noTajtiovg ex. ^läg Ttriyfig 
dviöxovvag ayi^wv 6 ^'Egtog . . . Duebner recepit ((uidem Wernsdorfii egre- 
giam emendationom )]ga^ ((uae eo quod sequitur vvfjKpiov confinnatur, sed 
temere Ttulewg in oiTO)g mutavit ac Reiskii coniectura yehovog recej)ta 
xof£ post TtoTafiovg intrusit. eandem fere viam ingressus est Stenzel p. 14, 
(pii 7c6),eo)g in Skiog mutavit idemque yeirovag probavit, ita tamen ut xor/ 
non insereret. aberraverunt autem a vero, eum quae esset \i8 vocis Ttöhijg 
ignorarent. etenim Ttöhg non solum apud poetas, sed etiam apud prosae 
orationis scriptores certe inde a ((uarto saeculo a. Chr. n. (cf. [Lys.] or.VI6) 
usurpatur de terris vel regionibiis. qua de re iam exposuit Casaubonus ad 
Strab. VIII 306.-) ac nc de Himerio dubites vide quaeso quae leguntur 
30, 40 ^ yag Kvngog ^eydkr^ 7t6hg, yenovog autem ita defendi potest, ut 
l)er anticipationem quandani dictum esse statuamus. terrae enim Celticae 
amore ductus Rhenus cursum suum eo direxit atque ita vicinam eam sibi 

M Alias Philostrati imitationeH habes paulo post, 39, HO et 35 (40, 47) cf. Phil. II 819, 
26 et 3eM), 18. 

^) Cf. llesyth. s. v. no/ug , Harpocr. s. v. KfToi , Thes. Steph. VI 13478q. item non 
recte in .sctholio ad Pind. Pytli. IV 246 .lokfrog olim a Larchero ad Herod. VII 129 in 
skor^ ac nuper in libro qiii inscribitnr ^Aus der Anomia" p. 134 in jrsdtädog mutatum est. 



— 139 - 

fecit. adde quod veri similias est Toikovg primum in enuntiato locum ob- 
tinuisse. — haud recte 40, 20 Ducbiier post ^vylav lacuiiam statuit. pre- 
menduni enini est tvyiav, iyvcofiev autein eadem ratione dictum est qua 
apud Lucianum patr. enc. 6 d-eovg iyvioQiaev. — 41, 17 t£ post ngoveleia 
Olli. My legitur id apud Photium. sed ibi ortum est ex eo, quod di post 
Idovaav in te corruptum est. — 41, 46 in M et excerptis Photianis haec 
extant : dx/nd^ovai /itiv yag Itz iaijc; üantq iJQival (iaQivai A) 'KalvTceg äg>^ 
f-vög keijjcovog (llj add. M) ßörgveg, orV xa&^ Vva xacgöv xai ßXaatdvovoiv 
UfAa aal oxiCoviai, patet ())) ßdcQieg iani propter id (piod secpiitur ai fern 
non posse. Duebner ßörgveg in ßg^vrog mutavit; mihi (^) ßörgveg varia 
lectio esse videtur a librario verbo xdlv'/.eg adscripta. — locum 43, 14 sqq. 
male a Duebnero tractatum sie eonstituo^): all' ei yuQ iyw rtonfiTiTLog 
ng fjv (tig fjv omittit Photius; exeiderunt hae voculae j)ropter similitu- 
dinem eius quod sequitur rrjv) rtjv cpvaiv^ alare äfpelvat %a%d r^g 
r'Vfiq^rjg yXiOTxav avxovofxov (ri)v (fvaiv xal ylioxtav eixcv aÖTÖvo/itov M), 
iog'^) xat avxhg zb nclXlog rrjg x(>^ijs' einov xad-waTteQ^'O/urjQog' Sattjoa yäg 
(iv avTfjv ov Ttagä ßw^iov 347c6kXa)vog ^), aAA' ev ^g)Qi)diTr)g äXaeat XQ^-- 
ijolg^) TLOTclatiTiTov, yoQÖv de XctQitwv Tcle^duevog Sdioxa (sie Wernsdorf, 
tdw'Äev M) Gv raig x^ealg tavcr^v oviiTiaiLOvaavJ*) Y^yayov de , . , paulo pcMSt 
ante äTtiayvQi^ojyiai Wernsdorf eivai inseruit, quem Duebner secutus est. 
Kcd elvai hf>c loeo non magis necessarium est quam in loeutione voui^eiv 
vel iiyelad-ai rivog. multo minus adeo probari potest (piod Teuber coniecit 
livai iaxi'Qi^(ovTai ; nara ne de vi adfirmandi vel adseverandi. rpiae inest in 
verbo aTtiaxvqiCeoO^ai, dubites, conferas exemj)la in Stepb. thes. vol. I, p. 1331 
congesta. — 44, 37 scicj. neque Wernsdorf nerpie Duebner cnuntiati structuram 
iiitellexerunt, (juae nierabris recte distinctis facile explicatur. sie enim velim 
liaec legas : li^i ovv ovx f-'xeQov f.iev tcov TtQoyovcjv, tzeQov de tiov Tcaidtov 
i) loiv iyynviov iyxotiuioVy dkl , (oaneQ älXo ci (fv/iißoXov ev TtäiJt ravcbv 
rfjg evyeveiag vticIox^l yvwQtOjja, 'AOivrjv xal rijv edcpQoavvrjv ^Ttaat Tt)v 
cfjg Evxpr^^lag Igya^erai. verbis ojOTteQ . . . yvioQiaua signiticantur notae 
gentibus (juibusdam nobilibus velute Pelopidis proi)riae. unde iam intelle- 

*) Verba a Photio excerpta litteri« diductis significavimus. 

-) Pessime ok deleri iussit AVernsdorf, (luem Duebner inconsiderate secutus est. 

^) Respicit sine dubio pulcherrimam imagineni, qua Od. s 102 Ulixes in Nausicaae 
forma describenda utitur. 

*) ;i;pt;norc neque cum älaF.m ne([ue cum xardartxxov ai)te coniungi potest. fortasse 
/ovaioig scribendum est. 

*) Verba x,0(jov . . . ovftjraii^ovoav, quae in M ante (W* ei lepuntur, Werasdorf jiost 
xaiaauxtov transtulit. sie 48, 44 in M verba toze ng xai xara ron'joovg oÄ7jg vai'rtxt'jg 
{ravTixog Pbotius) oxoaxiiorrjg hokftrjon' alieno loco jwst :taoax(oo/ioo)otr v. 40 iK)sita esse 
I'botii testimonio edocemur. ravrtxo^ axoaTiu'nfjQ autem hoc loeo idem est ac „militcm 
ilassiarium se fferens** vel ^miles classiarius ex hoplita factus." 



— 140 — 

gitur coniecturas, (luibus hie locus temptatus est, inanes esse. — 45, 13 
SO^ev ovv ixQ^j^ ^^^^ xavä yivog evegyerag (sie Weriisdorf, EVQeväg M) 
vov yevovg Tf)v ägxrjv kaf^ßdveiv, ivuev&ev d^ kaußavovatv, dubium non 
est, quin yevog librarii socordia ortum sit ad id quod sequitur yevovg oculis 
aberrantis. deinde eertuni est in yivog nomen latere pendens a xaid et 
siinilitudine quadam cum prava illa scriptura coniunctiun. quam ob rem 
neque xa^agutg sufficit quod coniecit Wernsdorf neque xaiaacdvvag a 
Duebnero propositum, ut ta(*eam illud scnnonis usui repugnare, hoc nimis 
languidum esse, fortasse xorrclf navvbg Himerius scripsit. ceterura iam hoc 
loco conspicitiur orationis Panathenaicae ab Aristide compositae imitatio 
(cf. inprirais 108, 12 sqq. 1.), qua de re disputavit Teuber p. 39 sqq. — 

48, 13 sqq. rQVipiov /.tav oi'v tvqo tiov StvIcuv liatnleifg Jageiog xarA r^c? 
Tzölewgy f.iä}J,ov de xai 7tQh Jageiov Jäiig y,ai ^Egeiglag xal Nd^ov rä 
TcagaTcli^aia. recte lacunam post Jäiig statuit Duebner et xar ^EQEVQiag 
scripsit, sed senteutiam huius loci non intellexit et dlÜ od ante xott inserto 
plane pervertit. tcqo enim hoc loco non respondet latino „ante", sed voculae 
,,loco''. corrigit scriptor quae antea dixerat his B,dieQXi^ fnäkkov de xal tcqö 
JaQiiov Jäcig „vel potius qui Darii loco res gerebat Datis"*. deinde non 
diversam, sed plane eandem Eretriensium et Naxiorum sortem fuisse ex 
eis coUigitur quae sequuntur. nam dirutis urbibus incolae a Persis abducti 
sunt, quae cum ita sint post Järig nihil nisi verbum veluti eTtoirfft inter- 
cidisse videtur. adparent autem in hac narratione permultae Aristidis irai- 
tationes, veluti v. 17 cf. 123, 4, 24 cf. 123, 8, 49, 16 cf. 128, 13; 129, 7, 
22 cf. 128, 13, 25 cf. 128, 20, 37 cf. 129, 4, 44 cf. 123, 16 (130, 6). sed 
longmn est haec omnia indicare. — 48, 38 Tfj jLtiv yaQ ovtl elxov, mirum 
sane est Duebnerum non animadvertisse oux eVaov scribendum esse, prae- 
sertim cum haec emendatio iam significata esset interpretatione latina „non 
concedebant"^, et dvrelyov intulisse. — 48, 44 cum et Photius et M in 
scriptura tore Tig consentiant, periculosum sane videtur röre in 6 de mu- 
tare, praesertim cum huic coniecturae Tig adiectum refragetur. quam ob 
rem vide num potius vb de tig scribendum et statuendum sit Himerium 
oratione variata tamquam praecessisset tö f.iev yuQ rig id posuisse. — 

49, 4 verba Magad-iov fiev ix^i rä Oiofjiaza, tag de xpi^äg oi avarQarKTnai 
^eoi in memoriam revocant verba epigrammatis apud Kaibel. Ep. gr. 21, 5 
ai&i^Q laev ifwxäg aTteöe^aio, Gio/ttata de x^^^^ ''^(^vde. — 49, 14 sqq. offen- 
dimur et sententiis male inter sc cohaerentibus et quod maximi est momenti 
eodem enuntiato oidev xi7)v Ttdvrwv fja^x^^^^ v. 15 et 20 molestissirae 
repetito.^) ac turbata esse haec omnia iam Duebner intellexit. improbabile 

M Cf. V. 16 avvsaeiezo et 23 ioeioyto, quamquam ea res non mnltnm valet, quia 
eiusmodi iterationes saepius in Himerio inveniuntiir. 



— 141 — 

profecto per se noii est niiseram huius loci coiidicionem ei culpae vertendiun 
esse, qiii haue orationem compluribiis locis turpisnimis interpolatioiiibus iiuiiii- 
navit, sed fortasse de duplici huius loci receiisione ab ipso Hinierio protocta 
cogritandum est, qua usus interpolator ille ea quae nunc extant consuit. 
etenim si comparamus ea quae ille intulit, haud veri siinile esse videtur cum 
talia scripsisse, qualia leguntur inde a v. 14. adde quod iani supra diximus in 
V. 16 inesse duplicem Aristidis imitationem 128, 13 iaeusev et 129, 7 /uvoifd- 
voig. — 49, 19 Wernsdorf ßovlo^Bvog post Ttdlewg inseruit , mihi j)otiu8 
höv post fdäXlov excidisse videtur. — 49, 42 roaovvov toivvv ^ogvßov dtä 
yris Ttdoiig {yfig ändarig oni. diä Photius) f]xri(JccvTog. sumpta haec sunt ex 
Aristide 129, 18 d-oQvßov Toaoixov diä yfig äTtdarjg xaraQQayevtog , unde 
patet in Himerii (juoque loco diä yrig ctTcdarig restituendum esse. — 49, 53 
in Photii libris A et B desunt verba xal TtQÖ zrig Tcelgag aiiot'?.€va€v \) ; 
deinde A praebet m 1 aAA' a/ri, m 2 cum B dllä Aal TtQÖ. qua re edoce- 
mur verbonun in A omissorum saltem partem quandam in B servatam 
esse. — 50, 21 d rolg negaiov roSeiJiaaaiv ov xaArr/^^rireg (sie 3/ et Photius) 
rb q>güvri/iia, Duebner ex codicibus recentioribus Photii nafitp^evreg recepit. 
sed sophista respicit eelebratam illam fabulam, cuius iam antea 49, 35 
mentionem fecerat. et conferri possunt Sophoclis versus Oed. Col. 282 ^vv 
oig av jMjy xdlvme rag evdaifAOvag iqyoig yid-rjvag dvoaioig VTcijQenov, (juo 
exemplo usus Himerii locum ita interpretari possis: quorum splendida 
fidncia Persarum sagittis obscurata non est. — 51, 5 male Duebner spre- 
vit scripturam Photii dllä yäg 34d^rivaiwv rä ratus dlla yäg M&rivaUov 
a Photio ad sententiam explendam adiecta esse, talia enim Photium fecisse 
quo quaeso exemplo comprobari potest? et sane optime procedit oratio, 
si verbo ^ ElXr]a7tovTOv enuntiatura quod antee^dit finiri et inde a verlns 
(ik)2i yciQ ^d-rivaiwv tci, quae ut permulta alia in M interciderunt, novum 
€>rdiri statuimus. 

*) In .4 m2 in mg. adiectum est :iEnoujxEVt quod in B quoqnc lejfitur. 



Der Contionans des älteren Kepliisodot 



von 



W. KLEIN 



Vom Meister der Eirene führt P 1 i ni u s im Buche der Erzbildner nm* 
zwei Werke mit folgenden Worten (34, 87) an : priaris (Cephisodoti) est 
Mercurius Liberum pairem in infantia nutriens; fectt et ayntionantem manu 
elata , persona in incerto est. Diesem Contionans , den R e i n a e h in der 
bekannten auf den Namen Germanicus getauften Statue des Kleomenes im 
Louvre wiedererkennen wollte M, sollen die folgenden Zeilen gelten. — 
Vorausgeschickt mag die Bemerkung werden, dass die Fassung der plini- 
anischen Notiz mit Rücksicht auf die sonstigen Gewohnheiten dieses Autors 
auffällig genannt werden muss. Plinius gibt gelegentlieh wohl die Aetion 
einer Figur an, er erzählt auch ab und zu, was die eine oder die andere 
in einer oder beiden Händen hielt, aber diese Angabe einer Geste im 
Stile unserer Museumskataloge ist bei ihm, so viel ich sehe, ohne Beispiel. 
Und nun gar das merkwürdig vorsichtige persona in incerto est. Wie 
fremd sind ihm solche Scrupel, wenn er von den Soldaten, Athleten, Wett- 
reitern, Jägern, Betern, Opfernden, Philosophen seiner Meister spricht, wie 
wenig kümmerte ihn der Name des i^olneratus dejiciens, des Bruti ^>w^r, 
des splancJinojytes, des citharoedus yfqui dic<jeus appellatus est^ , der stepha- 
nusa pseliu77wtie , der digitis cxymputaiis und Dutzend ähnlicher. Allem 
Anscheine nach steckt hinter diesen Worten irgend eine antike Contro- 
verse. Aber hat R e i n a c h den rechten Contionans gefunden, dann haben 
diese Vorfragen nur secundäres Interesse. — Fast möchten wir glauben, 
der französische Gelehrte habe, als er in jener Statue eine allerdings freie 
Copic nach Kepliisodot vermuthete, für einen Augenblick völlig den 
Hermes Ludovisi vergessen, der uns das Urbild des kleomenischen Werkes 

*) Gazette archiologique 1887, S. 285. 



— 143 — 

repräsentirt und zunächst beweist, dass dieses Urbild vielleicht schon eine 
Cfoneration vor Kephisodot existirte.^) Ferner erklärt der Hermes auch die 
ideale Ciewandlosigkeit jenes zum neuen Hermes gewordenen Menschen. 
Aber ein (/Ontionans, offenbar eine üebersetzung des Motivnamens Ago- 
reuon^), also ein oflScieller Redner vor der Volksversammlung in solcher 
IHiisse, diese Vorstellung erinnert zu lebhaft an Carlyles ^nackten Herzog 
von Haspelstroh, vor dem nackten Obcrhause eine Rede haltend^, um ernst 
genommen zu werden. Wie man es zu Athen mit derlei Dingen hielt, 
lehrt eine archäologisch höchst interessante Controverse zwischen Aischines 
und Demosthenes anlässlich eines concreten Pralles. ^) Aischines wirft in 
d(T Rede gegen Timarchos diesem sein ungebührliches Betragen in einer 
der letzten Volksversammlungen vor. Er habe damals in der Hitze des 
Kampfes den Mantel abgeworfen und sich wie ein Pankratiast geberdet. 
Der Redner trägt in diesem Punkte eine besonders strenge Auffassung zur 
Sehau, er missbilligt sogar o vvvi 7cdvreg ev ^&ec TtQazrn^ev, xh r/)v yeiQa 
eSiü ixovT^g kiyeiv, schon dies bedeute ein Abfallen von der guten alten 
Sitte, von den Traditionen des Perikles, Themistokles, Aristides, der alten 
grossen Redner überhaupt. Zum Beweise dafür citirt er ein monumentales 
Zeugniss, die Statue des Solon auf der Agora in Salamis .... xal avml 
fia^vQrjoaiT aV, Srt iv xfj äyoQu rij 2akafiiviwv dvd/.eLvai o ^()),iov ivrbg 
Tt]v x^r^of ix^^' ^^'^^^* tirziv, 10 J^d-rjvaloCy {'TtdfAvrjtiia xal juiur^fia xov J^oAw- 
vog axrifjLaTogj ov TQorcov ^x^'^ avrbg dukeyero Tif) dtjino) tu Jdd-rjraUov. 
Timarchos' Verbündete blieben ihrem grimmen Gegner den Hohn über dies 
missglückte Citat nicht länger schuldig, als es der schleppende Gang des 
(iesandtschaftsprocesses nöthig machte. Demosthenes weist darauf hin, 
ganz Salamis wisse, jenes als Beispiel der alten Volksrednersitte angerufene 
Bildwerk stünde dort noch keine 50 Jahre, seit Solon aber seien es zur 
Zeit 240 Jahre, daraus folge nur (ogS-^ o Sri^tovQybg ö rovto rckdaag ib 
ox^uct od f.t6v()v oux avrbg ?]v nac ixelvoVy dXk ovd b 7td7t7iog avrov. — 
Diese Sohmstatue ist durch die von solchen Kämpen über sie geführte 
f Vmtroverse weiteren Kreisen bekannt geworden. Bei Diogenes von Laerte 
(I 62) findet sich noch ihr Epigramm und der Verfasser der Rede, die als 
die 37ste des Dio (^ysostomus überliefert ist, erwähnt ihrer (HS. lOHR), 
er bezeichnet sie ausdrücklich als eine Ikonze und hält an der Authenti- 

') Vergl. Winter, Bonner Studien, S. 153. 

*) Vergl. Arch.-epigr. Mittheil, aus Oeaterreieh XIV S. 7. 

') Aeschines c. Tim. 25. Demosthenes de falsa leg. 251; vergl. Overbeck. 
Schriftq. 1395 — 1397. Eine miss verstandene Auffassung des incriminirten Thatbestandes 
bei Schäfer, Demosthenes ' IT S. 335 : „Bei einer Verhandlung der Art trat Timan;hos \\\ 
der Volksversammlung aUer Sitte zuwider, ähnlich wie einst Kleon , einem Ringer 
f^leich, gegürtet auf.^ 



— 144 — 

cität im aeschiueischen Sinne fest. Das sehlagendste Beispiel der Nach- 
wirkung jener Controverne bieten jedoch die Standbilder der beiden 
Streitenden selbst, die Neapler Statue des Aeschines stellt ihn in dem von 
ihm gefeierten Schema der alten Redner dar, während Polycuktos dem 
Demosthenes die Arme freiliessJ) Das Datum jener demosthenischen Rede 
ist bekanntlich Ol. 109, 2 = 343 v. Chr. Rechnen wir nun die 50 Jahre 
für voll zurück , so kommen wir zu Ol. 97 = 393 , also so recht in die 
Blüthezeit unseres Kephisodot. Und nun bietet sich uns ein merkwürdiges 
Schauspiel. Der contionans manu elata hat in jener salaminischen Solon- 
statue ein zeitgenössisches Gegenstück, das überraschende Analogien auf- 
weist. Zunächst war es auch eni contionans^ stand als solcher sogar auf 
der Agora, war gleichfalls aus Bronze und hatte eine besonders hervor- 
gehobene Ilandhaltung. IJeber die Person des Dargestellten herrschte dies- 
mal freilich kein Zweifel, aber eine in ihrer Erregung noch lange nach- 
zitternde Controverse galt der Authcnticität der Darstellung. Da wir nun 
ausreichende Erfahrungen haben , wie sich solche Controversen auf Jahr- 
hunderte langen Wegen bis zu ihrem letzten Niederschlage im Zettelkasten 
des Excerptensammlers zu verändern pflegen und da die Kunstgeschichte 
des Plinius uns eine reiche Fundgrube dieser Erfahrungen bietet, so würden 
wir in dieser Verschiebung des Streitobjectes allein eher eine Empfehlung 
als ein Hinderniss für eine Identification erblicken dürfen, die uns nur 
der als verschieden überlieferte Oestus der Hand verwehrt. Er gestattet 
uns zunächst nichts weiter, als diese Statue ins Erzbuch des Plinius an 
die Seite ihres Gegenstückes nachzutragen. Versuchen wur dies, so haben 
wir uns zu fragen, wie wohl das demosthcnische eiau zf^y x^e^a ^^^v dva- 
ße^iXrifAhov auf plinianisch heissen wird? Ich denke manu velata. Die 
Lösung des Räthscls liegt nun klar zu Tage. Der Ausfall eines zweiten u 
nach einem ersten, also eine Corruptel allerleichtester Art, fand hier statt, 
die sich nicht durch eine sprachliche, wohl aber durch eine sachliche 
Unmöglichkeit verräth. Ihre Heilung bringt sofort volle Klarheit über die 
autfällige Fassung der plinianischen Notiz und verleiht ihr überdies einen 
ungeahnten Werth. Die gefeierteste aller erhaltenen antiken Porträtstatuen, 
der Sophokles des Lateran, gibt uns jetzt eine Vorstellung von dem 
Uontionans des Kci)hisodot, die des Meisters würdig ist. 

Prag, October 1892. 

*) Ueber die Statue des Polyeuktos vergl. Michaelis Bildnisse des Demosthenes l»ei 
Schäfer - III S. 424. 



Wer ist der im cod. Montepessulanus 125 genannte 

Mathias ? 



von 



THEODOR GOTTLIEB 



Die Beantwortung dieser Frage ist nur auf einem kleinen Umwege 
möglich und da ich nicht annehmen kann, dass der Sachverhalt, um den 
es sich hier handelt und die Schlüsse, die aus ihm gezogen wurden, allen 
Lesern bekannt sind, will ich einige Worte darüber vorausschicken. Die 
Handschrift Nr. 125 der ficole de medecine zu Montpellier enthält Persius 
und Juvenal; ihr Aeusseres findet sich eingehend beschrieben bei Rudolf 
Beer, Spicilegium Juvenalianum, Lipsiae. 1885. S. 21 wird dort der Cod. 
Baec. IX med. gesetzt. Nach S. 11 schrieb auf den oberen Rand des 
Perg.-Bl. 1* eine Hand saec. XV die Namen Persius und Juvenalis unter- 
einander, in die andere Ecke: Mathias 1864^), wozu eine andere Hd. 
gaec. XV — X\T beischrieb : d. dyonysii festo. Dann steht auf dieser Seite 
auch : MDLXXHl und die inscriptio : Ex Libris Oratorii (.'ollegii Trecensis, 
^cui subscripta est nominis cuiusdam nota, quam enucleare ncqueo; certe, 
cum P et t litterae quasi in semct ipsas implicatae in ea facilc cognos- 
eantur nescio an recte ad Pithoeum conferenda sit" (S. 11). Unter den 
Kritzeleien auf der Rückseite des letzten Blattes sind zu nennen: Lauris- 
heim (zweimal), dann P. PITIIEV und von einer Hd. saec. X die alte 
Provenienznotiz: Codex sei Nazarii Martiris XPI | Qui cupit hunc libru 
sibimet contendere pum (wohl : primm) | Hie flegetonteas patiatur sulphuro 
flammas. Dazu von der Hand Pithou« : Monasterii D. Nazarii Bergstrasse 
Wormacensium agri | Laria|nutere m jubi Thassilo Baiuvarum dux 1570 
Pithou. Die Hs. ist auf Grund des eingeschriebenen Namens vrm fielen 

') S. 20 wird dies für 14(54 erklärt, S. 23 aber als Uiy\) und ebenso Wiener 
Studien VI, 305. 

Bruio« Vindobonenai«. 10 



— 146 — 

als ein IJeberbleibsel der Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Oor- 
vinus angesehen worden. Diese Ansicht hat zuerst Peter Pithou in der von 
ihm veröffentlichten Ausgabe des Juvenal und Persius (Paris 1586) mit den 
alten aus dieser Hs. entnommenen Schollen geäussert, wo es in der Vorrede 
heisst: (exemplar) quod deBudensis cladis reliquiis in Thassilonis 
quondam ducis coenobimn relatum fuisse ex Matthiae adscripto 
nomine facile adductus sum ut crederem.^) Von Pithou haben diese 
Ansicht dann A. G. Cramer^), Otto Jahn im Persius, Ikrlin 1841, 
C. Fr. Hermann, Vindiciae Juvenalianae (Götting. ind. schol. 1854) über- 
nommen. L. Fischer, König Mathias Cornnus und seine Bibliothek, 
Wien 1878 (Progr. d. k. k. Staats-l^ntergjTnn. im II. Bez.) übergeht diese 
Hs. mit Stillschweigen, ebenso Czontosi in Könj^szemle 1881. Eugen 
Abel in den Literarischen Berichten aus Ungarn 1878, S. 580 fgg., wo er 
zeigen will, dass auch alte Hss. in der Bibliothek des Matthias Corvinus 
waren, führt darunter den Juvenal- und Persiuscodex auf (S. 581).*) Später 
hat er brieflich seine Meinung zuriickgenomnien (vergl. Beer, a. a. 0. S. 24, 
Note) indem er erklärte, die sonderbare Angabe „Mathias 1469" allein sei 
für ihn von keiner Beweiskraft, um die Handschrift als einstigen Besitz 
des Königs Matthias anzusehen. Beer, Spie. Juv., S. 23 schliesst sich 
diesem Urtheile vollständig an , schw^ächt es aber durch eine Bemerkung 
auf S. 24 wieder ab.*) Der einzige Erfolg der bisherigen Discussion 
über den Codex war also ein überwiegend negativer, d. h. der im 
cod. Montepcssulanus 125 genannte Mathias ist nicht Matthias Corvinus. 
Umsomehr muss es überraschen in dem neuesten Werke über den Ungar- 
könig, diese auf so schwachen Füssen stehende Annahme v(m der 
Zugehörigkeit des fraglichen Codex zur bibliotheca Corvina ohne Angabe 
eines Bew^eises wiederholt zu finden. ^•) Aber die positive Sicherheit, dass 
der im Codex genannte Mathias mit dem Ungarkönig nicht identisch sei 
und dass überhaupt nicht die mindeste Beziehung, nicht der minderte 



*) Und imuiittelbar anschliessend: Id ad nos tandem pervenit Francisci fratris carissimi 
dono. Ich benutzte die Ausgabe : Junii Juvenalis satyrae sexdecim cum veteris scholiastae 
et Joan. Britannici commentariis, quibus accesserunt P. Pithoei .... notae etc. Lutetiae 1603. 
4«. S. 07(5. 

*) In D. Junii Juvenalis Satiras commentarii vetusti. Post P. Pithoei curas auxit etc. 
D. A. G. Cramer, Hamburgi 1823, 4<>. S. G. 

') „Der berühmte Budensis (Pithoeanus) des Juvenalis aus dem 9. Jahrhundert bildet 
die Grundlage unseres Juvenalis-Textes.** 

*) Si omnino rationcm quandam int<}r notam illam et regem Hungariae statuere 
voluerimus, de librarii adnotatione qui codicem regis iussu describere 
instituit cogitarim. 

*) Wilh. Fraknoi, Mathias Corvinus König von Ungarn, Freiburg i. Br. 1891, S.301 
j,Ein Corvin-Codex aus dem 9. Jahrhundert bildet die Grundlage unseres Juvenal-Textes.^ 



— 147 — 

Zusammenhang zwischen beiden bestanden habe, würde sich nur dann 
ergeben, wenn es gelänge, zu zeigen, dass der im Codex genannte Mathias 
jemand anderer ist und wer es ist. Dies will ich nun im Folgenden zu 
beweisen suchen. 

Auszugehen ist dabei von einigen lateinischen Handschriften der 
Bibliotheca Palatino -Vaticana. Der Cod. 1547 besteht aus fünf ursprüng- 
lich selbständigen Hs. ; auf fol. 1* des 1. Theiles (Seneca de beneficiis) 
steht oben a m. s. XV die Angabe des Inhaltes, femer mathias pnta* und 
auf derselben Seite eine Provenienznotiz aus Lorsch. Dieses Stück ent- 
spricht der Nummer 381 des alten Catalogs (Gust. Becker, Catalogi bibl. 
antiqui. Bonn 1885, Nr. 37). Palat. 886 aus acht verschiedenen Stücken 
zusammengebunden hat auf fol. 125'' (Beginn des 7. Stückes) oben die 
Inhaltsangabe dieses Theiles : Excerpta macrobii etc., rechts unten : math' 
pnta'. Eine Provenienznotiz aus Lorsch fehlt, der Codex findet sich aber 
im alten Verzeichnisse als Nr. 543. Im Palat. 1341 steht auf fol. 62" (dem 
1. Bl. des zweiten, einst selbständigen Theiles der Hs.) die Angabe des Inhaltes 
von einer Hd. s. XV : Libellus calculatori(us) artis helbricj und knapp 
daneben: mathias k. Eine Provenienznotiz s. XV aus Lorsch steht zu 
Anfang des ersten Theiles (f. 1") im Codex. Im alten Cataloge ist keines 
von beiden sehr alten Stücken zu finden. Palat. 887 endlich hat zum 
Schlüsse 4 von einer Hd. s. XII ergänzte Blätter (f. 63—66) ; auf fol. 66* 
steht nun : mathias kemnateü LX°. Einen bestimmten Hinweis auf Lorsch 
konnte ich nicht entdecken, doch macht das Vorkommen deutscher Namen 
im ('odex nach Analogie mehrerer anderer Hss. aus Lorsch die Her- 
kunft von dort wahrscheinlich. Was eigentlich die mit dem Namen 
Mathias versehene kurze Note bedeuten soll, kann ich mit Sicherheit nicht 
sagen , nur das geht daraus hervor , dass jener Mathias die betreffenden 
Hss. in Händen gehabt, dass er den Beinamen Kemnatensis geführt hat 
und dass er im 15. Jahrhundert lebte, worauf die Schriftzüge hinweisen. 
Für drei dieser Hss. steht die Zugehörigkeit zum Kloster Lorsch fest, bei 
der vierten spricht wenigstens nichts dagegen. 

Den deutschen Historikeni ist der Schreiber dieser Notizen gut 
bekannt , es ist der Geschichtsschreiber und Biograph Friedrichs I. des 
Siegreichen von der Pfalz, Matthias Wi dm an ') aus Kemnat in der Ober- 
pfalz. Dass hier an einen anderen Mann dieses Namens nicht gedacht 
werden kann, \vird bekräftigt durch den cod. pal. Vindob. 13428 über den im 
Neuen Archiv d. Ges. f. ä. d. Gesch. Bd. 5 (1880), S. 144 von Martin Mayr 
Einiges beigebracht ist, was H artfei der entgangen zu sein scheint. Dass 



^) Den Familiennamen hat zuerst Wattenbach in der Zeitscbr. f. Gesch. d. Oberrh. 
Bd. 22, S. 36 festgesteUt. 

10* 



— 148 — 

die dort auf fol. 10 unten stehenden Worte Mathias k. 1459 (also in ganz 
ähnlicher Manier wie die oben aufgeführten Notizen aus den codd. Pala- 
tinis in Rom) nur auf den oben genannten Mann bezogen werden können, 
beweisen mehrere Verse, in denen der Name des Pfalzgrafen Friedrieh 
ausdrücklich genannt ist, ferner der Umstand, dass den auf f. 41* stehenden, 
von Mayr, a. a. 0. abgedruckten Versen die miniirte Aufschrift vorgesetzt 
ist : Mathias kemnaten(sis). Ueber ihn existirt eine kleine Litteratur. Einige 
kurze Angaben bei Chr. Jac. Kremer, Geschichte des Kurfürsten Fried- 
richs I. von der Pfalz in sechs Büchern , Mannheim 1766 , Vorrede S. 1 ; 
Rudhart im Archiv f. Gesch. des Obermainkreises, herausg. von E. C. Hagen, 
Bd. 2, Bayreuth 1835, S. 94 (über die Warnung des Pfalzgrafen Friedrieh 
auf Grund astrologischer Indicicn); Conrad Hof mann in Quellen und 
Erörterungen zur bayr. u. deutsch. Gesch. Bd. 2, München 1862 (auch Bd. 3); 
W. Wattenbach in der Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins Bd. 22, S. 33; 
Bd. 23, S. 21; Bd. 33, S. 439; Neues Arch. d. Ges. f. ä. d. Gesch. IX, 630; 
am Ausführlichsten Karl Hartfelder, Forschungen zur deutschen Gesch. 
Bd. 22, Göttingen 1882, S. 331—349; ders. in Vierteljahrsschr. f. Kultur u. 
Litterat. d. Renaiss. Bd. 1, S. 494 — 499 (vergl. Gedichte Wimpfclings an 
Matthias Bd. 1, 122 sq.); ders. in Zeitschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins N. F. 
Bd. 6 (1891) S. 145, wo noch andere Litteratur citirt ist; Dr. N. Fe es er, 
Friedrich der Siegreiche, Neuburg a. D. 1880, theilt noch die alten Ansichten 
über Matthias ; Martin Mayr, Neues Arch. d. Ges. f. ä. d. Gesch. Bd. 5 (1880 ), 
S. 144 ; Ott. Lorenz, Deutschi. Geschqu. im Mittelalter 3. Aufl., Berlin 1887. 
Bd. 1, S. 135—137. 

Daraus geht hervor, dass Matthias ca. 1430 geboren wurde, in Heidel- 
berg studirte, bei einem italienischen Humanisten in die Lehre ging, mit 
dem neuen Wissen auch die Zügellosigkeit des Humanistenlebens annahm, 
was ihn in seiner Stellung als Caplan des Pfalzgrafen, mit dem er auf 
sehr vertraulichem Fusse stand, nicht beschwert zu haben scheint. Seine 
Ausschreitungen in Baccho et Venere rächten sich durch langwierige 
Krankheit (Podagra). Er starb 1. April 1476. Für seine litterarischen 
Interessen zeugt ausser seiner Geschichte des Pfalzgrafen Friedrich, 
sein Briefwechsel mit zeitgenössischen Humanisten. 1466 leistete er den 
vorgeschriebenen Eid, um die bibliotheca superior der Universität benützen 
zu können (vergl. Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh. Bd. 22, S. 46). Ueber seine 
Benutzung von Hss. des Klosters Lorsch war bisher nichts bekannt; durch 
die oben aufgeführten Zeugnisse ist sie nunmehr bewiesen. Ob diese 
Benutzung in Lorsch selbst oder in Heidelberg stattfand, lässt sich nicht 
feststellen, doch liegt die erste Vermuthung näher. Mir ist über Gebrauch von 
Hss. aus Lorsch in dieser Zeit sonst nicht viel bekannt ; bei der erwiesenen 
Thatsache, dass Matthias von Hss. des Klosters Kenntniss gehabt habe 



— 149 — 

einerseits, bei dem regen Verkehr der Humanisten anderseits, erscheint mir 
dieses allgemeine Schweigen auffallend. Ein späteres Zeugniss für die 
Kenntniss der Lorscher Hss. liegt vor in einem Briefe des Johannes 
Vigilius*), seit Sommer 1496 Bibliothekar des Bischofs Dalberg von 
Worms, an Conrad Celtes] in Wien vom 18. October 1496 (Cod. pal. 
Vind. 3448, fol. 63*) : Est in manibus meis monasterium Lorsch | cui loco 
hao estate prelatnm nomine principis dedi, ubi venerandas quam pluri- 
morum | vetustissimorum librorum et eorum visu dignissimorum [reliquias 
evolvi. Summo tibi esset gaudio haec Volumina et] reliqua videre si 
adesses. | et hec omnia in sola mea sunt manu et potestate utorque eis ad 
arbitrium meum. | tu dum a lectione curaque domestica opportune vacare 
potes descende visurus speculum diuinitatis librarie. Vale. raptim. In festo 
Symonis et Jude 96.^) Celtes kam aber nicht dazu, sonst wäre ihm und 
der kais. Bibliothek in Wien damals schwerlich das einzige Exemplar der 
Bücher 41 — 45 des Livius entgangen; dass es noch 1531 in Lorsch war, be- 
weist die von De«iderius Erasmus verfasste Vorrede zur editio Frobeniana, 
Basel 1531, worin die Bücher der fünften Decade zuerst bekannt gemacht 
wurden.') Nun ist der Codex auf anderem Wege doch in die kais. Bib- 
liothek gekommen. 

Dass Bischof Dalberg eine Hs. aus Lorsch benutzt hat — das 
epistolare Theodorici regis — ist sicher (vergl. Carl Morneweg, Johann 
von Dalberg etc., Heidelberg 1887, S. 308 [358]), dass sie jedoch irgend 
jemals in sein Eigen thum überging, lässt sich nicht beweisen; noch weniger 
i.st für andere Lorscher Hss. der Beweis eines Besitzwechsels in der ange- 
deuteten Richtung erbracht. Diese Hs. war vielmehr nur entlehnt, wurde 
wieder zurückgestellt und kam mit den meisten anderen Lorscher Hss. 
nach Auflösung des Klosters 1555*) in die Heidelberger Palatina und ist 
mit dieser 1623 nach Rom gewandert, wo sie noch heute ist. 

Kehren wir nunmehr zum Cod. Pithoeanus zurück, so kann es wohl 
keinem Zweifel unterliegen, dass diese Hs. des Klosters Lorsch von dem- 



*) üeber ihn (eigentlich Johannes Wacker de Sinsheim Spir. dioc.) vergl. jetzt 
Hartfelder, Zeitachr. f. G. d. Oberrh., N. F. Bd. 6, S. 1528qq. 

') Das in Klammem stehende ist von mir versuchsweise ergänzt, femer religa und 
hecomnes der Hs. in reliqoa und hec omnia geändert. 

') Er nennt diesen Livius quinque libris modo repertls auctum, quos bono quodam 
genio in bibliotheca monasterii Laurisseni, aut ut \nilgo, Lorsensis repperit Simon Grynaeus ; 
das Kloster sei libroram copiosissima supellectile instractum. Das Mscr. sei wegen seiner 
litera continua schwer lesbar: unde non param negocii füit in parandoexemplari, 
qaod typographicis operis traderetur utendum. — Datum : Apud Friburgum Brisgoiae, Galen. 
Martiis Anno MDXXXI. 

*) G. Hei wich ii antiquitates Laurishamenses im Abdmck der Script, bist. Mogunt. 
tom. novos cnrante J. Chr. Joannis, Francof. 1727 in fol., S. 105 (201). 



— 150 — 

selben Matthias Wi dm an n aus Kemnat 1469 benutzt wurde, der seinen 
Namen in die oben aufgeführten Hss. in ähnlicher Weise eingetragen hat. 
Die beiden bestimmten Daten, das eine von 1460, das andere von 1469, 
stehen einerseits mit den aus anderen Quellen gewonnenen Nachrichten 
über sein Leben in keinem Widerspruche, anderseits zeugen sie für eine 
durch mehrere Jahre geübte Beschäftigung mit Hss. des Klosters. Ist dieser 
Sachverhalt aber richtig, dann wird jede Beziehung der Hs. auf 
Matthias Corvinus, in welcher Weise auch immer, hinfällig. 
Demnach bedürfen auch die Worte Beer's, a.a.O., S. 23: Usque ad 
finem saeculi sexti decimi qua fortuna (codex) usus sit aliquid certi proferri 
nequit, einer gewissen Einschränkung. 

Aber nach meiner Meinung lässt sich noch ein anderes historisches 
Datum für den Codex gewinnen, wenn man der folgenden Erwägung Raiun 
gibt. Die auf fol. l"* stehenden verschlungenen Buchstaben P und t (Beer, 
a. a. 0. S. 11) geben nämlich die Chiffre eines der grössten Philologen, 
nur ist sie nicht richtig aufgelöst — ex ungue leonem — Josephus 
Scaliger.^) Dass gerade der fragliche Codex Seal ige r bekannt war, 
von ihm benutzt und theilweise abgeschrieben wurde, beweist einer seiner 
Briefe an Casaubonus-): Laudo quod glossas veteres ad Persium 
attexueris. Scito illas ita a nobis excerptas a Pithoeo editas fuisse. 
Chirographum earum meum una cum veteribus glossis Juvenalis, 
quas itidem ex prisco exemplari Juvenalis Pithoeano, et 
ex editione Georgii Vallae collegeram in aedibus meis Aginni, 
invenies apud Puteanos fratres, si modo non periit. Patri enim eorum dedi : 
et fortasse Pithoeus quaedam aliter edidit, ac ego seripsi : quod tamen non 
puto. Ego illarum omnium glossarum eclogarius fui. (Datum: 
Lugd. Bat. V. kal. Aprilis Juliani, 1605). Wir sind sogar im Stande, aus 
den Lettres frauQaises inedites de Joseph Scaliger publiees et annotees 
par Philippe Tamizey de Larroque, Agcn-Paris, 1879 das genaue Datum 
der Benutzung zu ersehen. J'ai receu tout maintenant le Probus in Juvenalem 
(Tamizey a. a. 0. S. 152). L'aultre [lettre] datee du XI de septembre je 
Tai receue avant hier, avec le Juvenal, dont je vous remercie bien 
humblement (a. a. 0. S. 155). Beide Briefe, denen diese Stellen entnommen 
sind, tragen dasselbe Datum, Agen 17. septembre 1583, beide sind an 



^) Also S und I, so dass die hasta des I durch den unteren Bogen des S bis zum 
Körper desselben geführt erscheint. Bei Ose. Edm. Bis-Paqnot, Dictionnaire encydopMiqne 
des marques et monogrammes etc. Paris (1893), 2 Voll, fehlt diese Chiflfre. Wer die Unter- 
schrift Scaliger*s sehen wiU, mit deren Buchstaben die Züge unserer Chiffre überein- 
stimmen, vergl. das Facsimile auf dem Titelbilde bei Jac. Be r n a y s, Joseph Jnstns Scaliger, 
Berlin 1855. 

*) Jos. Justi Scaligeri opuscula varia antehac non edita, Parisiis 1610. 4®, S. 515. 



— 151 — 

Pierre Pithou selbst gerichtet. Die Chiflfre des Persius- und Juvenal- 
codex ist aber nicht etwa eine singulare, sie ist auch in einigen Hss. 
der Palatina ebenso wie in der hier besprochenen auf fol. 1** zu finden. Dass 
Scaliger die Heidelberger Bibliothek überhaupt gekannt hat, würde eines 
Zeugnisses bei der damaligen Bedeutung der Palatina kaum bedürfen, es geht 
übrigens aus einer Stelle der Scaligerana sive excerpta ex ore Josephi S c al i- 
ge r i. Per F. F. P. P., Genevae. 1666 (s. v. Bibliotheca) deutlich herv^or : il y a de 
belies choses dans la Bibliotheque Palatine, mais ils ne les entendent pas, 
ny ne les s^avent lire, surtout les livres Grecs ; und etwas später : Gruter 
m'a envoy^ le Catalogue de la Bibliotheque Palatine, mais il n'y a que le 
centiesme partie. Ich will nur zwei Hss. aufführen, Palat. lat. 920 (Jordanis 
historia) und Pal. lat. 290 (Liber Albini quem edidit contra heresim Felicis) : 
beide sind bestimmt aus Lorsch, tragen darauf bezügliche Provenienznoti/en 
von sehr alter Hand und sind identisch mit den Nummern 88 und 347 des alten 
Cataloges. Es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass Scaliger diese zwei 
Hss., die zufällig auch aus Lorsch stammen, nach 1555 entweder in 
der Bibliothek zu Heidelberg oder, da aus Heidelberg in liberalster Weise 
Hss. verschickt wurden, irgendwo anders eingesehen, benutzt und mit 
seiner Chiffre versehen habe, ein Gebrauch, der damals nicht unge- 
wöhnlich war, wie das Beispiel des Nicolaus Heinsius zeigt, dessen Chiffre 
in vielen von ihm benutzten Hss. zu finden ist. Es ist möglich, dass der 
Persius-Juvenal-Codex bei der Aufhebung des Klosters Lorsch verliehen 
war und dann nicht mehr zurückgestellt wurde oder dass einer der Mönche 
ihn mit sich nahm und diese Hs. somit nicht das Loos der anderen Lorscher 
Hss. theilte, also nicht nach Heidelberg kam. Mir scheint es jedoch wahr- 
scheinlich, dass auch sie einst der Heidelberger Bibliothek angehörte. 
Auf welchem Wege der Codex dann von dort einige Zeit vor 1576 ^) in die 
Hände des Franz Pithou gekommen, der ihn seinem Bruder Peter schenkte, 
vermag ich nicht zu sagen. Einigen Zweifel über die Rechtmässigkeit 
des Vorganges könnte das hervorrufen, was Bernay s über Franz Pithou 
in seinem Buche über Scaliger S. 144 beigebracht hat. Dass Franz 
Pithou gerade in der hier in Betracht kommenden Zeit in Heidelberg sich 
befand und in der Bibliothek Studien oblag, wird von (Grosley) Vie de 
Pierre Pithou avec quelques m^raoires sur son pfere et ses freres, Paris 
1756 T. 2, S. 108—110 berichtet. 



^) Die Hs. war jedenfaUs schon 1573 im Besitze zuerst des Franz and dann des 
Peter Pithou. Dies beweist der vom 23. August 1573 datirte Brief Scaliger's an P. Pithou 
(bei Tamizey de Larroquea. a. 0. S. 20 fg.): Monsieur vostre fröre m'a parl6 d'un 
Censorinus et Probus sur .Tuvenal, qu'il vous avoit laissö et m'a asseurö que si je vous 
les demandois , que vous ne me refuseri^s pas en ceUa : ains que de bon coenr vous me 
les ferlte tenir. Die auf Fol. 1 der Hs. befindliche Zahl MDLXXIII dürfte also das Datum 
der Erwerbung der Hs. bezeichnen. 



— 152 — 

Das fernere Schicksal der Hb. ist ganz klar. Pierre Pithou starb 
1596 und dessen Bruder Franz erbte seine Bibliothek, von der Theile an 
De Thou verkauft wurden. Dass jedoch diese Hs. bei Franz Pithou ver- 
blieb , zeigt der von G r o s 1 e y a. a. 0. T. 2 gedruckte Catalog seiner 
Hss., wo sie auf S. 282 steht. In seinem Testamente 25. November 1617 
bestimmte er sein Haus und die ganze Bibliothek zur Gründung eines 
Collegiums, das erst 1630 eingerichtet wurde (Collegium PP. Oratorii 
Trecense). In der Revolutionszeit wurde aus der Bibliothek des Oratoriums 
mit den Büchern und Hss. anderer Klöster und Kirchen die Biblioth&que 
de rficole Centrale in Troyes gebildet. Im Jahre 1804 sollte aus dieser 
Bibliothek eine Auswahl von Mss. und Büchern für die Biblioth^ue Nationale 
zu Paris getroffen werden, womit Chardon-la-Rotte und le docteur Pru- 
n e 1 1 e, professeur k la faculte de m^decine de Montpellier beauftragt wurden. 
Unter den vom ersteren ausgewählten 147 Stücken erkenne ich unter Nr. 33 
(Persius Satirae in 4® sur parchemin , 1 . vol) unsere Hs. (vgl. Catal. g^n. 
des mss. des bibl. publiques de France. T. II in 4*>, Paris 1855, pag. X). 
Später wurde die Absicht geändert und die im Ganzen ausgewählten 323 
Hss. der medicinischen Schule in Montpellier abgetreten, darunter auch 
der Cod. Pithoeanus des Persius und Juvenal, der dort heute die Nr. 125 
führt. 



Zur Deutung des Homo-mensura-Satzes 



Ton 

WILHELM JERUSALEM 



Theodor Gomperz, Apologrie der Heilkunst. Wien 1890. (G.) 

Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen. 5. Anfl. I. 2. (Z.) 

Paul Natorp, Protagoras und sein Doppelj^nger : Philologus. N. F. IV. 262 ff. (N.) 



Der bekannte Ausspruch des Protagoras vom Menschen als Mass 
der Dinge ist in jüngster Zeit wieder Gegenstand lebhafter Erörterungen 
gewesen. Theodor Gomperz ist (G. 26 ff. — 147 ff.) energisch für die von 
Grote, Laas und Halbfass ausgesprochene Deutung eingetreten, wor- 
nach äv&QWTcog generell zu fassen und (hg mit „dass" und nicht mit „wie" 
zu übersetzen sei. Eduard Zell er (Z. 1094 ff.) und Paul Natorp (N. 262 ff.) 
haben die herkömmliche, namentlich durch Piatons Theaetet gestützte 
Deutung des Satzes, wornach Protagoras gelehrt haben soll, jede Meinung 
sei wahr, zu vertheidigen und Gomperz' Argumente zu entkräften 
gesucht. In dem Streite ist nun vielfach neues Licht auf die Lehre des 
Abderiten gefallen, und dies hat mich angeregt, die Frage nochmals zu 
untersuchen. 

Der Satz lautet bekanntlich nach übereinstimmender Ueberlieferung : 
TtdvTtav xQTJ/^crrcjv /xergov äv&QWTrog , xiov /aiv vvtcjv dig lari, xwv de ufj 
ortiav (hg ovy, faxiv. Der Ausspruch stand an der Spitze einer Schrift, als 
deren Titel einmal äXrjd-eLa, ein zweites Mal yLaxaßdklovTeg und ein 
drittes Mal rceqi tov ovrog angegeben wird. Dieselbe war nach einem, 
auch von Z e 1 1 e r und Natorp nicht angefochtenen, durchaus glaubwürdigen 
Zeugnisse Porphyrs (bei Euseb. Praep. ev. X 3) gegen die Eleaten gerichtet 
(ftQÖg rovg tv rö ov elgdyowag). Endlich glaube ich als sicher annehmen 
zu dürfen, dass für Piaton in dem citirten Satze das Urtheil enthalten 
war; aia&rjaig iniavij/jrj. Dies scheint mir aus Plato Theaet. 152 A klar 
hervorzugehen. Kaum hat nämlich Theaetet, von Sokrates zu einer 
bestimmten Antwort auf die Frage „was ist Wissen?" gedrängt, die Ant- 
wort gegeben „Wahrnehmung ist Wissen", bemerkte Sokrates sofort „Du 
hast da keineswegs einen unbedeutenden Satz ausgesprochen, vielmehr 



— 154 — 

einen, den auch Protagoras aussprach". Allerdings hat er eben dasselbe 
in einer anderen Form ausgesprochen (tQimov de xtva ällov eiQrjxe tä 
avvä zavta). Die nachdrücklich an den Schluss gesetzten Worte rd 
avzä ravra erlauben keinen Zweifel daran, dass Sokrates und folglich 
Plato überzeugt ist, trotz der anderen Form, besage dennoch der Satz des 
Protagoras dasselbe und sei inhaltlich gleich der Behauptung Theaetets 
ai'a&rjaig iTnarijiiiri.^) 

Fragen wir uns nun, wie wir wohl den Ausspruch des Protagoras 
deuten würden, wenn uns nichts anderes bekannt wäre, als das eben 
Zusammengestellte, d. h. also den Wortlaut des Satzes, die Thatsache, 
dass er den Anfang einer gegen die Eleaten gerichteten Sclirift über das 
Seiende bildete, und dass für Plato in dem Satz das Urtheil enthalten war, 
„Wahrnehmung ist Wissen''. Die Eleaten lehren, dass die Sinneswahr- 
nehmung durchaus trügerisch sei ; vLcoffoi ofuwg Tvtpkol re red-yiTtdreg ä/^iva 
€pv)uxy sind nach Parmeuides (V. 49, Mullach) diejenigen, welche den Sinnen 
vertrauen, und er warnt davor vwuäv äaxoTtov ofi^a xal i)xrjeaaav dxov^v 
xai yhoaaav (V. 55). Wenn wir nun hören, Protagoras habe diese Lehren 
in einer Schrift bekämpft, die mit dem Satze anficng: «Das Mass der 
Dinge ist der Mensch, der Seienden, dass sie sind, der Nichtseienden, dass 
sie nicht sind'', so werden wir, durch Plato geleitet, zunächst annehmen, 
Protagoras habe unter dem Menschen vornehmlich den sinnlichen, leib- 
lichen, wahrnehmenden Menschen verstanden und die Glaubwürdigkeit des 
Sinnenzeugnisses den Eleaten gegenüber vertheidigt. Was der Mensch 
wahniimmt, das ist, was er nicht wahrnimmt, das ist nicht. Dass >vir 
dabei gewiss zunächst, wenn wir nicht ausdrücklich eines Bessern belehrt 
werden, an den Menschen im Allgemeinen und nicht an das Individuum 
in seiner Besonderung im Gegensatze zu anderen Individuen denken werden, 
hat Gomperz (G. 28) sehr richtig hen^orgehoben. Allein auch den nega- 

^) So fasst auch Sc haster, Hcraklit, S. 81 die Stelle auf und meint, Protagoras 
habe gelehrt, es gebe eine ijtiozijjtit) und dass sie dasselbe sei wie aio^aig und die auf 
ihr beruhende Meinung. Zell er jedoch wiU das nicht zugeben. Er sagt (Z. 1095 Anmk) 
der Satz atadtfotg imarfifitj habe hier nicht die Bedeutung, es gebe ein Wissen und dieses 
bestehe in der Wahrnehmung, sondern vielmehr den entgegengesetzten : es gebe kein Wissen, 
weil es keines gibt, das etwas anderes als Wahrnehmung wäre, diese aber blosse Erscheinung 
und weiter nichts sei. Hier scheint Zeller zweierlei zu verwechseln: Flatons Ansicht 
über das Problem und Piatons Auffassung der Lehre des Protagoras. Plato hält die Defi- 
nition aio&fjotg estiartjfit) für falsch und bekämpft sie mit allen ihm zu Gebote stehenden 
Mitteln. Er glaubt aber mit den Beweisen gegen den Satz ataOtjstg htiarrj/irj auch die 
Lehre des Protagoras und die des Heraklit zu treffen. Er muss also diese Lehren fär 
identisch halten und das betont er auch 152 C und 160 D ganz ausdrücklich. Wie könnte 
dem Sokrates, der die Definition des Theaetet : aTa{^tjatg ejrimy^i^ hört, überhaupt der Sati 
des Protagoras in den Sinn kommen , wenn er darin nicht wirklich denselben (bedanken 
gefunden hätte, der in dem Satze: „Wahrnehmung ist Wissen '^ ausgesprochen ist? 



— 155 — 

tiven Theil des Satzes „der Mensch ist Mass des Nichtseienden , dass es 
nicht isf*, werden wir bei unbefangener Interpretation so auslegen, dass 
Protagoras nur das Wahrnehmbare für existirend gehalten habe und werden 
es nur natürlich finden, dass er in der Vertheidigung des Sinnenzeugnisses 
ebenso zu weit gegangen ist, wie seine Gegner die Eleaten in der Ver- 
werfung desselben. Diese Deutung der Lehre des Protagoras wird uns 
auch von Hermias (Irrisio gentil. 9, D i e 1 s Doxogr. 633) überliefert : äkÜ 
Irti d'äxeqa IlQCjTayoQag «arijxwg ävd-iXxei fie (faaxiov bQog xai XQiaig 
TiTßv TrQayfidrwv ö äv^Qoyrtog xal xä f^iv vTcoTtlnTovca zalg alaO-Yjaeac (otl 
TtgäyfiaTa, xa de /i^ iTcoTtijttovxa ovtc iaxcv iv xolg ei'deai xrjg ovaiag, 
Zell er nennt zwar Hermias den geringwerthigsteu Zeugen, allein es 
finden sich doch bei ihm, wie Di eis hervorhebt (Doxogr., S. 263), auch 
über andere Philosophen wichtige und eigenartige Angaben. Femer 
muss er ja diese Deutung der Lehre des Protagoras irgendwo gefunden 
haben, und so darf diese Ueberlieferung doch nicht so ohne Weiteres als 
nicht vorhanden betrachtet werden. 

Nimmt man nun dies als den Sinn des Homo-mensura-Satzes , so 
stimmt auch , wie ich gleich zeigen will , alles was uns sonst von Prota- 
goras' Lehren überliefert ist, vortrefflich zusammen. Da ist vor Allem das 
Götterfragment. In einer eigenen Schrift, wegen deren er aus Athen ver- 
bannt wurde, hat bekanntlich Protagoras sich über die Götter ausgesprochen, 
lind der erste Satz dieser Schrift lautete: ^Betreffs der Götter kann ich 
nicht sagen, weder dass sie sind, noch dass sie nicht sind, denn vieles 
verhindert mich das zu wissen : die Dunkelheit der Sache und die Kürze 
des Menschenlebens." Natorp meint, hier hätte sich Protagoras geradezu 
gegen den Schluss von der Unerkennbarkeit auf die Nichtexistenz ver- 
wahrt, und desshalb kann er nicht gelehrt haben : was nicht wahrgenommen 
wird, das ist nicht (N. 264). Mir scheint jedoch die Aeusserung des Prota- 
goras über die Götter vielmehr für meine Annahme und namentlich gegen 
die herkömmliche Deutung des Homo-mensura-Satzes zu sprechen. Prota- 
goras sagte nicht, die Götter seien unerkennbar, sondern nur, es sei schwer 
darüber ins Klare zu kommen. Er kann nicht behaupten , so interpretire 
ich seine Aeusserung, dass die Götter existiren, denn er hat sie nicht 
gesehen. Ob jemand Anderer sie gesehen, ist aber mehr als zweifelhaft. 
Er kann aber auch nicht behaupten, sie existirten nicht, denn dies gestattet 
die Kürze des Menschenlebens nicht. Wenn sie sich auch mir in der kurzen 
2ieit meines Erdenlebens nicht zeigen und ich ihr Wirken nicht mit voller 
Deutlichkeit erkenne, so darf ich desswegen doch nicht behaupten, sie 
existirten nicht. Um dies zu können, müsste das Leben des Menschen 
länger sein. So kann sehr wohl ein Mann denken und sprechen, der nur 
an das glaubt, was sinnenfällig ist, aber keineswegs einer, der überzeugt 



— 156 — 

ist, jede Meinung sei wahr. Ein solcher müsste ja nothwendigerweise 
lehren, die Götter existirten für den, der an sie glaubt und existirten 
nicht für den, der nicht an sie glaubt (vergl. G. 176). 

Eine noch schlagendere Bestätigung findet die Annahme, Protagoras 
habe überall das Sinnenzeugniss vertheidigt, in der Bemerkung des Aristo- 
teles (Met. B. 998 a. 4) Protagoras habe die Mathematiker mit dem Hinweise 
darauf bekämpft, dass die (gezeichnete) Tangente den Kreis, nicht wie 
aus ihren Lehrsätzen her\'orgehe, nur in einem Punkte berühre. Nach dem 
ganzen Zusammenhange der Stelle ist es zweifellos, dass Protagoras hier 
auf die sinnliche Wahrnehmung hingewiesen habe, welche die Behauptung 
der Mathematiker nicht bestätige, indem ja bei jeder Zeichnung die Tan- 
gente mit dem Kreis nicht einen Punkt, sondern eine deutlich erkennbare 
Strecke gemeinsam hat. Protagoras hat also hier seinen Augen mehr 
geglaubt als den aus den begrifflichen Bestimmungen sich ergebenden 
Beweisen. Aristoteles steht hier selbst der Meinung des Protagoras nahe, 
indem auch er kurz zuvor (997 b. 35) darauf hinweist, dass die wahrnehm- 
baren Linien gar nicht die Eigenschaften haben, die die Mathematiker 
ihnen zuschreiben. Zweifellos hat nun freilich Aristoteles die Stellung und 
den Werth der Mathematik besser erkannt als Protagoras, der wohl nur 
gegen die behauptete unbedingte Giltigkeit ihrer Lehrsätze Einsprache 
erheben wollte. Jedenfalls zeigt er sich da als entschiedener Verfechter 
des Sinnenzeugnisses, der sogar wahrscheinlich in der Vertheidigung des- 
selben zu weit geht. 

Was sonst von Aussprächen des Protagoras überliefert, bezieht sich 
auf seine praktische Thätigkeit, und eben dieser Sinn für das Praktische, 
für das Reale stimmt aufs Beste zu einer theoretischen üeberzeugung, wie 
wir sie aus den erhaltenen Fragmenten herauslesen zu müssen glauben. 

Dieser Auffassung des Homo-mensura-Satzes, wie der ganzen Denk- 
richtung des Protagoras stehen jedoch gewichtige Zeugnisse entgegen. 
Plato und Aristoteles haben in ihrer Bekämpfung der Lehre des Prota- 
goras die Sache so dargestellt, als hätte ftotagoras unter ävd^Ttog den 
einzelnen Menschen verstanden und gelehrt, jede Meinung sei wahr. Ebenso 
hat Sextus Empiricus die Lehre dargestellt. Diese Zeugnisse werden wir 
jetzt zu prüfen haben. 

Plato musste den Satz, dass Wahrnehmung Wissen sei, vermöge 
seiner ganzen Denkrichtung bekämpfen. Als nächstliegendes Argument 
ergab sich ihm da die schon von den Eleaten betonte individuelle Ver- 
schiedenheit der Wahrnehmung. Nun war für ihn die Behauptung aia&if- 
acg i^iari^fxrj in dem Ausspruch des Protagoras enthalten, und er bekämpft 
nun die Behauptung in dieser Form, weil diese bessere Angriffspunkte 
bietet. Hatte sich doch Protagoras gegen die individuelle Auffassung von 



— 157 — 

äv&Q(07tog gar nicht sichergestellt, indem er den Artikel wegliess. Er 
kann sich gegen die Consequenz, die Plato im Theaetet 152 A und öfter und 
im Eratylus 385 E aus seinem Satze zieht: ola fxiv ?xaaTa if4ol tpaiveTai 
TOiavra xai iamv ifiol, ola de ooi TOiavra de xal aoi gar nicht recht 
wehren. Allein dass er selbst diese Consequenz im Sinne gehabt und 
selbst gezogen habe, das geht aus Piatons Darstellung keineswegs hervor. 
Noch weniger kann man zugeben, dass diese Worte, wie Natorp (N.265) 
will, im Buche des Protagoras gestanden haben. Verrathen sie sich doch 
dnrch den Zusatz äv&QUTtog yäq av re xdyd) direct als Folgerung Piatos. 
Gerade diese Wendung zeigt auch deutlich, dass das Dictum die indivi- 
dualistische Deutung zuliess und dass Plato die schwächste Seite jeder 
auf Sinneswahmehmung gegründeten Wahrheitstheorie richtig erkannte, und 
um sie zu bekämpfen mit grosser Geschicklichkeit und Energie in ihre 
änssersten Consequenzen verfolgte. Deswegen fasse ich auch die Wendung 
iTtaxolovd'ijawfjev advifi (Theaet. 152b) nicht wie Natorp (S. 264) „ver- 
trauen wir also seiner Führung", sondern „folgen wir also, wohin er uns 
führt", d.h. „denken wir seinen Gedanken weiter und sehen wir, was 
für Consequenzen sich daraus ergeben". Noch weniger kann man aus 
Theaetet 166CD, wo Sokrates für Protagoras das Wort führt und sagt: 
iytj yäq g>rful ^ev äXrjd-eiav ix^iv wg yeyqaipa mit Natorp (N. 265) 
schliessen, dass die folgenden Sätze im Buche des Protagoras standen. 
Hier liegt offenbar ein Wortspiel vor mit dXijd^eia Wahrheit und Mkrjd'eia^ 
dem Titel der Schrift des Protagoras. „Ich behaupte, ebenso sicher im 
Iksitze der Wahrheit zu sein, wie ich Verfasser der „Wahrheit" bin, und 
die«e besteht darin , dass jeder Einzelne von uns Mass ist für Sein und 
Nichtsein, und dass der eine sich vom andern gerade dadurch so stark unter- 
scheide, dass dem einen das scheint und dann auch für ihn ist, dem 
andern jenes." Plato kämpft so heftig und zugleich so geschickt, dass 
er den Protagoras gleichsam die Consequenzen selbst zugeben lässt, die 
er (Plato) aus seiner Lehre zieht. Plato verhält sich im Theaetet gegen- 
über der Lehre des Protagoras durchaus polemisch, er will sie bekämpfen, 
ad absurdum führen, aber er hat durchaus nicht die Absicht, diese Lehre 
historisch darzustellen. Deshalb kann ich auch im Theaetet durchaus keine 
Missdeutung der Lehre finden. So weit Plato interpretirt, d. i. insofern er 
in dem Satze des Protagoras die Behauptung enthalten findet ala^rjaig 
iniaTfifii], so weit interpretirt er richtig und ist als ältester Zeuge im 
höchsten Grade glaubwürdig. Alles Uebrige aber, was im Theaetet von 
dem Satze gesagt wird, ist nicht Interpretation, sondern heftige und 
äusserst geschickte Polemik. Die individualistische Auffassung des ävd-Qw- 
Ttog ist also ein Mittel zur Widerlegung des Satzes und keineswegs histo- 
rische Interpretation. 



— 158 — 

Aristoteles bekämpft die Lehre des Protagoras aus ganz anderen 
Gründen als Plato. Während Plato nicht zugeben konnte, dass Wahr- 
nehmung Wissen sei, weil er ähnlich wie die Eleaten die Sinneswahr- 
nehmung für trügerisch und überhaupt nicht für fähig hält, Erkenntniss 
zu vermitteln, war Aristoteles in der Bekämpfung der Eleaten mit Prota- 
goras eine« Sinnes. Auch er hielt die Wahrnehmung für eine sichere 
Quelle der Erkenntniss, allein er betrachtete sie erstens nicht als die 
einzige Quelle, zweitens aber, und das war der Hauptunterschied, konnte 
er nie zugeben, dass die Beglaubigung der Existenz der Dinge darin 
liege, dass sie wahrgenommen werden. Für ihn haben wie für Protagoras 
die einzelnen sinnenfälligen Dinge volle und reale Existenz. Allein der 
entschiedene Realist, der das Ansichsein der Dinge und ihrer Eigenschaften 
zum Kernpunkte seiner Metaphysik macht, dem ist nicht der Mensch das 
Mass der Dinge, sondern die Dinge das Mass des Menschen. Nicht weil 
wir etwas wahrnehmen, ist es, sondern weil es ist, nehmen wir es wahr. 
Deshalb bekämpft Aristoteles den Protagoras, aus dessen Lehren ihm zu 
folgen scheint, dass die Dinge verschwinden müssten, wenn keiner da 
wäre, der sie wahrnähme. Dies Letztere geht besonders deutlich aus 
Met. 0. 3. 1047 a. 6 hervor. Aristoteles polemisirt dort gegen die Megariker, 
welche jede ausserhalb der Actualität liegende Potentialität leugnen und 
meint dann, aus dieser Lehre würde ja folgen, dass die sinnlichen Quali- 
täten kalt, warm u. dgl. nicht existirten , wenn sie Niemand wahrnähme. 
Wer so denkt, bemerkt dann iVristoteles, der kommt ja auf die Lehre des 
Protagoras hinaus (clls^re zöv IlQonaynQov loyov Hyeiv (SviißrfleTai avwlg). 
Hier hat Aristoteles jedenfalls mehr den negativen Theil der Lehre des 
Protagoras im Auge, wornach das Nichtwahrgenommenwerden Beweis sein 
soll fiir das Nichtsein eines Dinges. Das widerspricht dem Realismus des 
Aristoteles und deshalb hält er die Lehre für falsch. Der Fehler in der 
Behauptung, dass nur die alad-ritä existiren, liegt nach Aristoteles' Auf- 
fassung, die in De anima 426 a 20 vorliegt, darin, dass von den 
Verfechtern dieser Ansicht der Unterschied zwischen dwäiiei und heQ- 
y€i(f nicht beachtet werde. Dass die aiad^i]Td ohne einen aiad-avojitevog 
nicht existirten, sei theils richtig, theils unrichtig. Actuell existiren die 
aiod-tiTä nur, wenn sie wahrgenommen werden, potentiell aber auch, wenn 
sie nicht wahrgenommen werden. Die alten Denker fehlen nun darin, dass 
sie diesen Unterschied vernachlässigen (ä?X h.eivo &7zh7)q D^yov negl 
Twv leyouiviüv ovx änXcog), Nun wird freilich an dieser Stelle Protagoras nicht 
genannt, allein da ihm dieselbe Behauptung an der eben besprochenen Stelle 
der Metaphysik zugeschrieben wird, so muss er wenigstens mitgemeint sein. \) 

^) Zeller meint freUich (Z. 101)6), die Stelle gehe nicht auf Protagoras^ sondern auf 
Demokrit und dasselbe meint auch Trendelenburg in seiner Ausgabe (S. 358). Trendelenburg 



— 159 — 

Wenn nun Aristoteles in Protagoras einen Vertreter der Ansiclit sieht, 
dass die aiad-rivd nicht existiren, wenn sie nicht wahrgenommen werden, 
»o sieht auch er in ihm einen energischen und eben deshalb zu weit 
gehenden Vertheidiger des Sinnenzeugnisses. Wollte man aus dieser Stelle 
die streng logischen Consequenzen ziehen, dann würde sich für die Lehre 
des Protagoras eine ganz besondere Gedankentiefe ergeben. Wenn nämlich 
Protagoras nicht blos gelehrt hat, was nicht wahrgenommen wird, 
existirt nicht, sondern auch das Wahrnehmbare existirt, nur wenn und 
insofeni es wahrgenommen wird, dann hätten wir in Protagoras einen 
Vertreter eines Phänomenalismus und Relativismus, der dem K a n t's sehr 
nahe stünde. So fasst Grote (Plato II, 325) das Dictum des Protagoras 
und ähnlich L aas (Idealismus und Positivismus 1, 14). Damit wird jedoch viel 
Mehr in den Gedanken des Protagoras hineingelegt, als darinnen war. 
Sicher ist, dass Protagoras gelehrt hat: Was nicht wahrgenommen und 
erkannt wird, existirt nicht, und dafür, dass das, was wir wahrnehmen, 
wirklich existirt, dafür sind unsere Sinne die vornehmste Beglaubigung. 
Dass aber dieses durch unser menschliches Erkennen hinn^ichend beglaubigte 
Sein nicht unbedingt, nicht absolut vorhanden sei, sondern dass die 
Existenz dieses Seienden sich darin erschöpfe, dass es von uns gedacht 
wird, dass ist ein Gedanke, den Protagoras gewiss nicht einmal fassen 
konnte. Wenn Aristoteles und Sextus von RelatiWsraus bei Protagoras sprechen, 
BO meinen sie damit jenen Relativismus, der sich aus der individuellen 
Auffassung des ävd-QioTtog ergibt. Die Dinge sind für den einen, und für 
den anderen nicht, für den einen so, für den anderen anders beschaffen. 
Wenn wir aber überzeugt sind, Prf)tagora8 habe den Menschen als solchen 
als Mass der Dinge bezeichnet, dann steckt fiir uns in der Lehre des 
Protagoras kein Relativismus. Was vom Menschen erkannt wird, das hat 
absolute unbedingte Existenz. 

Wenn somit Aristoteles den Protagoras als Relativisten bekämpft 
(Met. r, S. 1011 a. 20), so bekämpft er wie Plato die Consequenz seiner 
Lehre, nicht diese selbst. 

Eben dassellie gilt von der Stelle, wo Aristoteles den Protagoras zu 
denen rechnet, die den Satz des Widerspruchs leugnen. Dort (Met. /", 5, 
1009 a b) wird der Homo-mensura-Satz gar nicht citirt , sondern es wird 

weist zwar auf die Stelle in der Metaphysik hin , wo diese Ansicht dem Prota^ras zufce- 
schrieben wird, aUein weil Aristoteles die Vertreter derselben oi jiqotfoov tpvaioXoyoi nennt, 
deshalb glaubt er, es könne Protagoras nicht gemeint sein. Dagegen bemerkt Beiger, der 
Herausgeber der 2. Auflage sehr richtig, I^rotagoras habe wegen seiner Aufnahme von Lehren 
Heraklits in diesen Dingen sehr gut zu den (pvotoXoyoi gezählt werden können. Entscheidend 
scheint mir aber der umstand, dass die Behauptung, die alo&rjtd hätten keine Existenz, 
wenn Niemand sie wahrnähme, in der Metaphysik ganz deutlich als Consequenz der Lengnung 
des potentieUen Seins bezeichnet und direct dem Protagoras zugeschrieben w^ird. 



— 160 — 

geradezu als die Lehre des Protagoras bezeichnet rä doxot^vra Ttdvra eivat. 
dkrjd^il xat q)aiv6/j€va. Dass dies aber nur eine aus dem bekannten Satze 
gezogene Folgerung ist, das ergibt sich aus dem K. 6. 1062 b. 6. gegebenen 
Resum6 von F 3 — 6, wo es heisst, Protagoras habe gesagt, der Mensch sei 
das Mass der Dinge, womit er ja eigentlich nichts anderes sage, d. h. 
woraus man folgern müsse, was einem jeden scheine, dass sei auch ent- 
schieden wahr (otdfV fTEQOv Xeytjv ij xä doxovv exdatiif toOto xal elvai Ttayicog). 

Dass Aristoteles diesen Sinn im Homo-mensura-Satze selbst nicht 
gefunden habe , ergibt sich aus Met. 1 , 1053 a 35 , wo er nur den Satz 
selbst im Auge hat und nicht die , wie es scheint bereits traditionell ge- 
wordenen Consequenzen aus den Lehren des Protagoras. Aristoteles findet 
dort, dass der Satz des Protagoras, der etwas ganz besonderes zu be- 
sagen scheine, eigentlich etwas ganz Triviales imd Gewöhnliches sage 
(ovdfv dfj leywv TteQLxröv (paiverai tl leyeiv). ^) Wir pflegen, so ist kurz 
der Gedankengang, auch das Wissen und Wahrnehmung ein Mass der 
Dinge zu nennen, was ungenau wiewohl richtig ist, denn in der That sind 
ja die Dinge das Mass für die Wahrnehmung und das Wissen, nicht um- 
gekehrt. Wenn nun Protagoras sagt, der Mensch sei Mass der Dinge, so 
ist es als ob er sagte, der Mensch insoferne er ein Wahrnehmender oder 
ein Wissender ist. Damit aber macht sich Protagoras derselben Unrichtig- 
keit und Ungenauigkeit schuldig, wie sie in der eben gezeigten Ausdrucks- 
weise vorliegt und somit ist sein scheinbar so tiefsinniger Ausspruch voll- 
kommen banal und bedeutungslos. Zweifellos ist , dass Aristoteles hier, 
wie schon Halbfass (1. c.) bemerkt hat, ävd-Qcojtog in generellem Sinne 
fasst und gar nicht an die einzelnen Individuen denkt. Ebensowenig 
denkt er hier daran, dass der Satz den Sinn habe, jede Meinung sei wahr. 
Ferner geht, wie schon Gomperz bemerkt hat, aus dieser Stelle herv^or, 
dass Aristoteles in der Umgebung des Satzes eine deutliche Erklärung nicht 
gefunden hat, indem er nicht weiss, ob Protagoras den >vissenden oder den 
wahrnehmenden Menschen gemeint hat. Das \vürde vortrefl*lich dazu stimmen, 
dass Protagoras nicht genau zwischen Wahrnehmung und Denken unterschied. 

Wenn nun Aristoteles hier den Satz anders autfasst als sonst, so 
liegt die Annahme näher, dass er hier, wo er auf den Wortlaut eingeht, 
den Satz selbst im Auge hat, im Buche F aber und in dem entsprechenden 
Theile von K die bereits traditionell gewordenen Consequenzen aus der 
Lehre bekämpft. 

Sextus Erapiricus endlich ist in seiner Darstellung ebenfalls bereits 
von der Tradition beeinflusst. Wo er den Versuch macht, die Lehre des 
Protagoras genau klarzulegen {i^aTtlcodavteg Pyn-h. Hyp. I, 217), da operirt 

*) Die granze Stelle ist bei Halbfass, die Ber. d. Pl.-Ar. über Protagoras, S. 219, 
vortrefflich Interpretirt, wahrend N a t o r p (N. 273) mehr heraus lesen wiU, als darin steht. 



— 161 — 

er mit BegrifTen, die Protagoras selbst erwiesenermassen nicht gehabt hat. 
So wenn er sagt, Protagoras habe gelehrt, die Materie könne an sich 
Alles sein. Wir haben jedoch oben gesehen , dass Aristoteles den alten 
Denkern, darunter auch dem Protagoras, den Vorwurf macht , dass sie den 
Unterschied zwischen dvväiiEi und hegyeicf nicht kennen. Uebrigens geht 
aas dem Berichte des Sextus hervor, dass er oder seine Quelle das Dictum 
nicht auf die Beschaffenheit, sondern auf die Existenz bezog (yivetai uev- 
TOi xflfT avTÖv Twv ovTwv TLQi^T'fjQiOv 6 ävd-QCjTtog ' Ttdvia yäq xä (paivdfieva 
Toig ävd-QiüTroig xai fort tä de /nrjdevl tiov dvd-QWTCcjv q)atv6fAeva ovde iati). 
Eine Spur davon, dass die individuelle Deutung des ävd-QtoTrog nicht im 
Satze selbst begründet sei, sieht man auch noch bei Sextus. Nachdem 
nämlich Sextus den Ausspruch angeführt und gleich den Begriff der Poten- 
tialität huieingelegt hat, fUhrt er fort: Und deshalb lässt Protagoras nur 
das gelten, was jedem Einzelnen erscheint, und führt die Relativität ein 
(xai diit zavTa Tid-rjai rä (pam)fieva kxdoTq) fiova xal oHzwg eigdyet 
t6 TtQog Ti), Dieses „deshalb" verräth uns, dass diese Auffassung eine 
Consequenz des Dictums ist. Dass aber Protagoras selbst diese Conse- 
quenz gezogen, davon kann uns der Bericht des Sextus ebensowenig über- 
zeugen, wie wir es aus Piatons Theaetet herauslesen konnten. 

Aus dem Gesagten ergäbe sich nun etwa folgende Auffassung von 
der Lehre des Protagoras. Im Homo-mensura-Satze ist üvd-QWTtog generell 
zu fassen und bedeutet den Menschen, im Allgemeinen jedoch vornehmlich 
den sinnlichen Menschen. Protagoras hat in seiner Schrift über das Seiende 
den Eleaten gegenüber das Sinnenzeugniss vertheidigt, ist jedoch in dieser 
Vertheidigung soweit gegangen, dass er lehrte, nur das Wahrnehmbare 
existirt, und was der Mensch nicht wahrnimmt, das existirt nicht. Dabei 
hat er jedoch den Erkenntnissprocess nicht genügend analysirt, und es 
fliessen ihm daher Wahrnehmen und Denken noch vielfach zusammen. 
Weil man nun von den Göttern nicht sagen kann, dass man sie wahr- 
nehme, deshalb könne man auch nicht sagen, sie existiren ; weil man aber 
auch wegen der Kürze des Lebens nicht sagen kimne, sie seien nicht wahr- 
nehmbar oder deutlich erkennbar, deshalb kJnme man auch nicht sagen 
sie seien nicht, sondern müsse die Frage ihrer Existenz offen lassen. Aus 
eben demselben Grunde lässt auch Protagoras die Allgemeingiltigkeit der 
geometrischen Lehrsätze nicht gelten, insofern diese der sinnlichen Walir- 
nehnmng widerspreclien. Mit dieser Denkweise verträgt sich auch am 
besten die durchaus aufs Praktische, aufs Reale gerichtete Sinnesart des 
Protagoras. Er will sich den Glauben an die Existenz dessen, was er 
sieht und mit Händen greift , nicht rauben lassen , und wir finden somit 
bei ihm eine in manchem Sinne gesunde Reaction gegen die transcendenten 
Speculationen der Eleaten. 

Er&nos Vindobonentis. W 



Plato bekämpft die Lehre des Protagoras, indem er die äassersten 
Consequenzen daraus zieht. Diese Consequenzen sind später für die Lehre 
selbst gehalten worden, und dadurch wurde ihr wahrer Inhalt, namentlich 
aber ihre Absicht und ihre historische Bedeutung verdunkelt. Daneben 
aber hat sich, wie die Stelle des Hermias zeigt, auch die richtige Deutung 
gelegentlich wenigstens in der Ueberlieferung erhalten. 

Wenn ich in meinen Ausführungen wiederholt genöthigt war, Zeller 
und Natorp entgegenzutreten, so drängt es mich zum Schlüsse, zu be- 
tonen, dass ich den Eri'^rterungen dieser Männer vielfache Anregung und 
Belehrung verdanke. Bei dem hochverehrten Altmeister unter den Ge- 
schichtsschreibern der griechischen Philosophie ist es ja zumeist der Fall, 
dass man von ihm selbst die Waffen erhalten hat, mit denen man ihn 
bekämpft, weil es ja ohne seine Hilfe kaum möglich wäre, zur Klärung der 
eigenen Auifassung zu gelangen. Natorp's eindringende Untersuchung 
hat mich, wie gesagt, vielfach angeregt und namentlich gezwungen, die 
einzelnen Stellen immer wieder zu überlegen.*) 

Ich habe bisher absichtlich die von Gomperz für ein Werk de^ 
Protagoras gehaltene Schrift tceqI Tsxvrjg aus dem Spiele gelassen, weil 
diese Ansicht zu wenig Zustimmung gefunden hat, als dass daher ent- 
nommene Argumente wirken könnten. Ich stehe aber nicht an, zum Schlüsse 
zu bemerken, dass mir die Sache sehr wahrscheinlich erscheint, zumal da 
nach meiner Interi)retation des Homo-mensura-Satzes die Uebereinstimmung 
mit den metaphysischen Erörterungen in Cap. 2 der genannten Schrift noch 
grösser ist. Gomperz' Argument aus der Stelle in Piatons Sophistes, 
welches ich in meiner Besprechung (Allgemeine Zeitung vom 2. Dec. 1890, 
Nr. 334) gebilligt hatte, halte ich allerdings nicht für beweisend, allein ich 
erblicke auch kein Gegenargument darin. 

*) Ich habe selbstverständlich auch seine Interpretation des elvat im Dictum des 
Protagoras sorgföltip erwogen, muss dieselbe jedoch für verfehlt halten. Natorp fasst 
elvat als „Wahrheit des Urtheils" auf, was es zweifellos heissen kann. Natorp will 
durch diese Deutung der Noth wendigkeit überhoben sein, anzunehmen, dass Protagoras von 
„Dingen an sicli** gesprochen habe. Dieser Zwo<'k wird jedoch nicht erreicht. Nimmt man 
nämlich „Wahrheit des Urtheils" objectiv, d. h. als Uebereinstimmung des Urtheils mit der 
Wirklichkeit, dann ist der Massstab für die Wahrheit des Urtheils zugleich der Massstab 
für die Existenz des beurtheilten Vorganges. Will man jedoch „Wahrheit des Urtheils" blos 
snbjectiv als p-sychologische Qualification des Urtheilsactes etwa als Denknothwendigkeit, 
aber ohne. jede Beziehung auf die Wirklichkeit fassen, dann wäre der Satz des Protagoras 
• ganz selbstverständli(!h, da ja das Urtheil im Bcwusstsein, also im Menschen angefangen und 
beschlossen wäre. Uebrigens wird Natorp gewiss zugeben, dass ein solcher Gedanke von 
Protagoras gar nicht gefasst werden konnte. (Vgl. über das Verhältniss von Wahrheit und 
Existenz. Zeitschr. f. österr. Gymn. 1892, S. 443 ff.) 



Zur handschriftlichen üeberlieferung von 
M. Antoninus EI2 EAYTON 

Ton 

HEINRICH SCHENKL 

Kein günstiger Stern hat über der handschriftlichen Ueberliefennig 
der Bächer eig iavrdv gewaltet. Nur zwei vollständige Exemplare des 
Werkes haben sich aus dem Mittelalter in die Neuzeit hinübergerettet ; und 
auch von diesen ist das eine, ehedem in Heidelberg befindliche, aus welchem 
Xylander im Jahre 1558 zu Zürich unsere Schrift zum ersten Male heraus- 
gab, heutzutage verschollen, während das zweite von Coraes in dem durch 
Xenophon und neuerdings durch die epikurische S])ruchsammlung wohl- 
bekannten Cod. Vaticanus gr. 1950 (s. XIV) entdeckt worden ist. Von den 
übrigen Handschriften, welche sämmtlich nur Auszüge enthalten, stellt sich 
ein Darmstädter Codex (2773; s. XTV) zum Vaticanus; alle anderen (von 
dem bedeutungslosen Codex Monacensis gr. 323 s. XV oder XVI abge- 
sehen) bilden eine Gruppe für sich, deren charakteristisches Merkmal die 
Vermengung von Excerpten aus den Büchern IV — XII der Antoninisclien 
Schrift mit Stücken aus Aelian Tzegt Jf^'cuv bildet. Die ältesten Exemplare 
dieser Handschriftenklasse gehen nicht über das dreizehnte Jahrhundert 
zurück, so dass der letzte Herausgeber^) die Vemmthung aussprechen 
konnte, dass Maximus Planudes der Urheber dieses Florilegiums sei. Wie 
es bei Handschriften so geringen Alters zu erwarten steht, zeigen alle 
Zweige der ITeberlieferung nicht nur starke Verderbnisse, sondern auch eine 
Menge kleinerer Abweichungen, unter denen eine richtige Wahl zu treften 
oft nicht leicht ist. Ausserdem wird die recensio sehr erschwert durch den 
Mangel an äusseren Zeugnissen. Von Citaten aus dem Werke des Anto- 
ninus bei späteren Schriftstellern finde ich im Apparate der Stich'schen 
Ausgabe nur drei Stellen aus Suidas und eine von A. Nauck beigebrachte 
aus Tzetzes; was mit den Worten Gatakers im praeloquimn „ex Suida 
scriptoribusque aliis, qui ex libris Ins nonnulla laudaverunt" gemeint 

*) D. Imp. M. Antonini comment., quos sibi ipsi soripHit libri XII. Rec. J. Stich. 
Lips. 1882, nach dessen Seiten und Zeilen ich citire. Yergl. praef. p. XI. 

11* 



— 164 — 

ist, weiss ich nicht. Auch die von Antoninns selbst ansgeschriebenen Stellen 
älterer Autoren bieten wenig Anhaltspunkte, da es gar nicht sicher steht, 
was auf Rechnung ungenauen Citirens (wie etwa bei den Platostellen) oder 
absichtlicher Verkürzung (wie bei den Epiktetcitaten) zu setzen ist.*) 

Bei so unsicherer Grundlage werden neue handschriftliche Hilfsmittel 
nicht unwillkommen sein. Und ein solches gewähren uns die von J. A. Gramer 
im ersten Bande seiner „Anecdota Graeca e codicibus manuscriptis biblio- 
thecae regiae Parisiensis", S. 173 — 179, unter dem Titel '£>t vcHv MdqAov 
abgedruckten Excerpte aus den ersten vier Büchern unseres Werkes. Die 
Ueberlieferung dieser Auszüge beruht fast ganz auf dem Cod. Parisinus 
Suppl. Gr. 319 s. XV, der nach dem sogenannten Florilegium des Stobaeus 
und den alphabetischen Fvio^ai Qeonvlacov zunächst das merkwürdige 
Fragment TveQl ^ iTCTcoindxoVj dann unsere Excerpte und am Schlüsse eine 
kurze Notiz Ttegl FvaQwv enthält; ein Codex der Bodleiana in Oxford 
(Canonicianus gr. 69), der ursprünglich denselben Anhang zu Stobaeus ent- 
hielt, bricht jetzt in den Antoninusexcerpten ab, doch gibt Cramer die 
letzten Worte nicht an 2) und führt auch keine Variante aus ihm an, so 
dass für uns die Pariser Handschrift allein in Betracht kommt. Ich ver- 
zeichne zunächst den Inhalt der Excerpte. 

I 8 (3 15 fiad^eiv — is nagaTze/nTtovia) \ 15 (6* Ttdvcag — 5 TtgaTvei) | 

16 (721 TÖ ziiLiriTrA^bv [stark verändert] — 23 avvuiv) 

II 1—3 (12i"£w^fiv — 13i4 S'eolg) \ 9—11 (15? Totirwv — 16» (»evro) 
12 (I623 ntog — 174 dvvdfiecog) j 13, 14 (17i4 Ovdiv — I81« dipeloiro) 

17 (19i5 Tov dv&QWTtivov — 26 ^j^ Tcoir^aai) 

III 1 (2O11 Ovxl — 15 TtQayfidtwv) \ 3 (225 ^iTtTCOAQdrrjg — 20 hid'Qog) . 

4 (235 e&iateöv — 24* avve^cp^Qu) | 
Iin 3 (31? Mvax(OQi^aetg — 19 ETtaveQXTt) 3 — 5 (329 J^llä — 34i Tavrd) 
14—18 (35i2 'EvvTceaTTig — 363 duqqifx^evov) \ 20 (36 15 Räv — 375 der- 

ÖQVipiOv) 

lU 5 (24i9 otog — 21 fidoxvQog; 24 dqd^bv — ÖQd-ovfievov) \ 10 (27ii fivr^- 
fiovEve — 14 ^5) I 13, 14 (293"ß(y7r£^ — 15 i^eati). 

Keine dieser Stellen ist in den Excerpten des antoninisch-aelianischen 
Corpus {X bei Stich) erhalten ^) ; hingegen stehen mit Ausnahme von IH 10, 



^) Leider hat der Herausgeber der Teabneriana es unterlassen, die Testimonia und 
Citate, sei es unter dem Text oder in einem Index, nachzuweisen. Auch fehlen im kritischen 
Apparate genauere Angaben über das Verhältniss der Antoninushandschriften zur Plato- 
überüeferung. Vergl. z. B. 8715 ^ ovvv = dett. Plat. ; 88i3 A = Plat. T (Bekk.) ; «8 xt fehlt 
auch im Bodl. ; 25 ^ to dett. ; 89i 6:t6oov Srj dett. ; 6 fiikXot A = Bodl. 

*) Weder Coxe's Catalog noch Omont's Inventaire sind mir hier zogängUch. 

') Die Excerpte des angeblich planudeischen Corpus fangen dort an, wo die Cramer'schen 
aufhören; ob dies blosser ZufaU ist, mag dahingestellt bleiben. 



— 165 — 

13, 14 und Iin 14, 18 alle in den Excerpten der Dannstädter Handschrift 
[D bei Stich). 

Um die Bedeutung der von Gramer publicirten Excerpte (die wir G 
nennen wollen) in^s rechte Licht zu setzen, müssen zunächst diejenigen 
Abweichungen bei Seite gestellt werden, die sich aus der Thätigkeit des 
Excerpirens erklären. Am häufigsten findet sich ein blosses "Ort vorgesetzt 
(so 15? "Ort Toivwv, 12 "Ort (ptkoadqxag^ Ylu'Oxi oidiv^ 19i6"Ort tov ävS-Qo- 
TTivoVj 20ii"Ort ovxi, 226 "Ort 77r7rox^aTijg, 31? "Ort dya^cu^i^ixetg); einmal 
(12iö) ist ein im Texte bereits vorhandenes "0 Tt dazu benutzt, indem der 
Epitomator aus "0 Tt tcotb tovt6 elfii mit leichter Aenderung ^'Ori noxe 
TovTo, <8> elfii machte. Dreimal ist yijcrt eingesetzt {lii^'Ecjd-iv i^q>rfi,^'>, 
168 ävd-QWTtiav <,y.*>, 329 ae <,qp.*>). Auch eine Auslassung von fÄtv (16?) ist 
wohl absichtlich vorgenommen worden, da das entsprechende Glied mit di 
nicht in das Excerpt Aufnahme fand. «Grössere Zusätze sind: 3i6 ^'Ort 
XQ^i^ ficcd-elv, 6* COrt Sei zoiovrov eavzbv naQtx^tv, äaxe> Ttdvrag, 24i9<Tot- 
ofrog &yo>, olog'^ eine stärkere Kürzung ist in 3621 — 37 1 bemerkbar, wo 
Ol' liäXlov ?; an beiden Stellen und ebenso das letzte tj weggelassen sind. 
Die eingreifendste Aenderung zeigt die Stelle 721-23, welche in C folgende 
Fassung hat: ^'Oti. del rtjLiäv roig dlrfS'wg q>iXoa6q)ovg^ zovg de 
ähXovg jLirj i^oveidc^eiv firide Ttaqdyead-ai. in avxtov ; nur die 
nicht gesperrt gedruckten Worte sind unverändert geblieben. Endlich ist 
wohl auch 12i TtqovXEyev auf das Kerbholz des Epitomators zu setzen. 

Blosse Schreibfehler von C sind: 129 fxoi.'^ 19 veßQwv^ löu, n xad-* 
i/riO-viLiiav; I65 fxeXXii^ 5 xi fiot. — dvd^qwneiwv fehlt in Folge des Homoio- 
teleuton ; aus gleichem Grunde 17i 7tdvxa\ 17i6 ytcQ (statt yäg)\ I89 dnoXv' 
IJtvov'^ 1922 ov (statt fV); 229 aQdrpf fehlt; n tC,ifih>w statt ^^^or; is /raaij; 
19 v7t€Q€xoi)v ; 23ii JJ bis 12 i^rjyoviaevog fehlt; 15 xb fvdov lögv/nerov' 27i! fiövov^ 
29i3, 14 oeavxtfi; 15 oavxov] 3l9 ldioxtx.iotax6v eiaiv^ loid^ekijaeig] 32i2xaty6v; 
3oi4 ro ; 36i9 01 (statt olov). 

Prüfen wir nach Ausscheidung dieser Dutzendfehler den Werth von C 
durch Vergleichung mit den übrigen Zweigen der Ueberlieferung ^), so ergibt 
sich ohne weiteres, dass unsere Handschrift dem Palatinus Xylander's (F) 
weit näher stand als dem Vaticanus A und J9, gegen welche sie an folgen- 
den Stellen mit P(resp. v) stimmt: 6* ftdvxag^)'^ 129 TceQißdXket'^ \2ixwv> 
ycdca)'^ IS12 dei Söyfiaxa iaxto-^ 159 ötcoIov^ 12 qptAoddywc; zu §10 ge- 
zogen; 19 ytAocroy tag; I624 at invfjjuai; 17i6T£X//a^(j£cog; 22 dt* 
aQexijv; IQi 7ci]Q0)ai.g (allerdings hat das Pariser Exemplar von C nei- 
Quaig, A TtdQioaig, D Tttugcjatg) ; 10 dxaQialov; 19i5, leohne Lücke; 
22^ aiJr^g fehlt; 238 cri'r c5v; 10 lij xad^aTta^*^ 20 ß dd-og-^ 24» Ttineiaxai; 

') V itpekxvoxixov und Elision bleiben ausser Betracbtung. 
*) Die gesperrt gedruckten Lesarten sind die ricbtigen. 



— 166 — 

31i6 dvav€ov^ 18 a/roxAtJaat ; 32i5 xal Taiirrjg 7t6aov'^ 338 ^ fJt^ k6yog,\ 
11 TtdXiq iari — ^i^aec^ i? an 6 Ttvogyrjg; is ovdiv ya'ß. Dazu 
kommen einige Stellen, an denen D nicht erhalten ist, A also die bessere 
Ueberliefening allein repräsentirt : 29s7tQdg x6\ is atavxi^^ 35i2 ^Ew- 
TceoTrjg und 'Evaq)avi(jd'^arj; 36i, « ohne Lücke. 

Mit -4Z) gegen P(v): 722 (wo C wenigstens die in P fehlenden 
Worte hat, obgleich stark verändert, vergl. S. 165); 1228 y dfj oTtovoi;- 
^ijrt; 13? TÖ Tip SAy; 1022 Xinrig'^ I62 xal Xiyeiv; 4 ei di Ijtoi; 
188 laov, xat; 19i7 ^eußdg-^ 23i6 ort'Tip; 20 ßeßXa^^evov -^ 24i ?§€i; 
32i8 cJ y ?(^oj/ d t o V (dQd-Qidiov v, äyqidiov AD) ; 336 v o € ^ ö v ; 8 TroirjTidv ; 
375 Ai;^a. Mit -4 allein (wo /^ fehlt): 27n iuvrj^ioveve-^ 29u «i d-iXeig 
(nach welchen Worten ohne Zweifel eine Lücke anzunehmen ist); 16 Vcog; 
3521 XQ^oS't 22 yeroO. An der Mehrzahl dieser Stellen liegt klärlich nur ein 
Versehen oder eine willkürliche Aenderung Xylanders vor, während der 
ihm vorliegende Codex F mit AD übereinstimmte ; schon Stich hat dies 
an zwei derselben (152 und 17i7) im Apparate angedeutet. 

Wenn so die Heranziehung von C\ eines sowohl von -4Z>als auch von 
P unabhängigen , obgleich dem letzteren näher verwandten Exemplares, 
einen nicht zu unterschätzenden Gewinn abwirft, indem wir über die 
wichtige Quelle der Editio princeps zum ersten Male authentischere Nach- 
richt erhalten, so führt sie andererseits eine erst in jüngster Zeit angeregte 
Frage zum endgiltigen Abschluss. Polak hatte in seiner Abhandlung in 
M, Antonini commentario s analecta critica (Hermes 21, 321) erst zögernd 
(S. 349), dann bestimmter die Ansicht ausgesprochen, dass die Darmstädter 
Excerptenhandschrift jedenfalls vom Vaticanus abhängig sei, ja dass man 
beinahe glauben könnte, eine blosse Abschrift des vollständigen Codex vor 
sich zu haben; in jedem Falle (S. 354) habe D keinen Anspruch auf Berück- 
sichtigung. Der Beweis für dieses in sich nicht ganz klar gefasste Urtheil 
ist mir nie hinreichend erschienen ; dasselbe wird jetzt durch (7, welcher 
auch zwischen A und D eine vermittelnde Stellung einnimmt, auf das schla- 
gendste widerlegt. Man vergleiche die folgende Uebersicht. 

Ci4P gegen -D: 12m ov didorat. aAA'; Ibu knl rb'^ I811 «tto- 
ßdkkoL'^ 22i9 JJ TceQLeavi; 23i4 iarc fehlt; 3l8 ohne Lücke (die Lesart 
von A ist aus Stich nicht ganz deutlich erkennbar ; es könnte darnach 
auch avcolg — 10 dvax(ji}QBiv in A gänzlich fehlen). 

CDP gegen A: 12io d rcex^^od-ai. (Polak, S. 334); 15n xe dei 
xat; 19i8rvxij; 20i4 e|of^xe(T£t ; '6X1 draxotQ^rja eig\ 33« £t Th\ 
15 arcofjiefxeQiavai,''^ 36i6 egp* e.avvip ; 20 d € d fj, 

CA gegen DP: 13? avfx(peQ£iv. 

CD gegen AP: 6* Xiyei und 5 S)v TtQdrxei : 132 vevQoOTtaad-fjvai ; 

1524 TTQ&^ai TL, 



— 167 — 

CPDpnm. gegen A und Bcarr,: 232z q)avTa^6iLi€vov. 
CAP und Dcorr, gegen Dprim,: ^1\^ OEfivTÖv (ohne ngd^. 

Man wird wohl für immer daraaf verzichten mässen, einen sicheren 
Stammbaum der Antoninus-Handschriften aufzustellen ; alles was wir darüber 
sagen können, ist, dass nicht nur der Archetypus unserer sämmtlichen 
Codices bereits sehr verderbt war (Polak S. 355 f.), sondern dass wir noch 
im 14. und 15. Jahrhundert eine stetig fortschreitende Verderbniss annehmen 
müssen, deren Abstufungen uns in den beiden Gruppen AD und CP ent- 
gegentreten. So gewiss^ der beste und P der schlechteste ^) Vertreter der 
gemeinschaftlichen Quelle ist (wobei freilich immer berücksichtigt werden 
rauss, dass unsere Kenntniss von P nur eine höchst lückenhafte und un- 
sichere ist), ebenso wenig darf geleugnet werden, dass jede der vier Hand- 
schriften (X geht uns hier nichts an) neben zahlreichen Fehlern und Irr- 
thümern Ursprüngliches und Echtes enthält. Unter diesem Gesichtspunkte 
müssen auch die im Folgenden verzeichneten eigenen Lesarten von C be- 
trachtet werden. 

3i6 Ttaqit <rcDv) (pihov; 7io (s. S. 165) epiloadfpovg '^ 12i evvev^of>tai -^ 
14 aTroTQ^Ttead-ai; is lid-og xai oar^axta; 23 roi5r<^; 133 avadveaS'ai '^ 
1521 ro fehlt; I62 Ticftevi^; 4 7C€QißdlXouv; ITu ifiiTteQieQxoutvov ; 18? raördv^ 
12 iV TigTodvo'^ 1921 f] de iaveQoq)riinia ' 228 Fdiog (xav> Kalaaq'^ u Jrif.t6- 
XQiTov nev\ V* ro) fehlt; 23i9 ro {tip AD, roi) P-^ \ieHeicht nur Coniectur 
Xylanders); 21 r^g fehlt; tTtove/ddiuevov'^ 28 }^ <r/> Tr^daaet ; 24 Mövov yicQ 
tivai kavzoü ; 242o TtaQafievwv {rtEQifjieviav ADP, avaf^tevujv Suid.) ; 299 ovy- 

£^9?o^ag; 31i3 6V ix^i ivdov xoiavvd Tig\ 15 ytoGf^tiav^ 32i4"OAij re] TIavov 

TTore; 19 xarexveivov ; 338 Satov (,ov/> J/dij; 4 diavoov] 5i aY.orpf\ 19 jUijJ ] ovdi 
(vergl. A. Nauck's Vorschlag) ; 22 ids> ix ; 352i yniqia hrj f^iklcov ; 36i ^og 
<xat> ; 3 duQQi^SfAevov'^ n x^^QOv ij XQelrrov <r /etgov) ; 19 xaliog (xaXwv 
DP, TuxXdv A) ; 373 yäq fehlt. 

Ob nicht die eine oder andere dieser Lesarten von C den ent- 
sprechenden Varianten der übrigen Handschriften vorzuziehen ist, lässt sich 
nur durch eindringende sprachliche und sachliche Erörterungen feststellen, 
die den uns hier zugewiesenen Raum weit überschreiten würden. Nur in 
Betreff des merkwürdigen JJavov in 32i4 sei bemerkt, dass es sich am ein- 
fachsten als mündliche Weisung eines Dictirenden erklärt, die der 
Schreiber irrthümlich in den Text setzte. 

Graz, 9. Jänner 1893. 

^) Ich kann dieses Urtheil, welches der Ansicht Polak's gerade gegenübersteht, hier 
nicht näher begründen, hoffe aber, bald za einer gründlichen Erörterung der Frage zu kommen. 



Beiträge zu Optatus Mileuitanus 



von 



CARL ZIWSA 

I. Die handschriftliche Ueberlieferung. 

Zu dem Werke des heiligen Optatus, der in sieben Büchern gegen 
den Donatistenhischof Pannen ianus die donatistische Lehre bekämpft 
hat, sind im Ganzen sieben Handscliriften derzeit benutzbar, danmter drei, 
welche den vollständigen Text enthalten, und unter diesen eine einzige, 
der Remensis , älteren Ursprunges — 9. Jahrhundert. Schon die editio 
princeps vom Jahre 1549, von dem Breslauer Canonieus Johann Cochlaeus 
besorgt, stützte sich auf eine nur die ersten sechs Bücher umfassende, 
überdies stark verderbte Handschrift aus der Hospitalbibliothek zu C-ues 
bei Trier, wo sie noch jetzt unter Nr. 30, C7 verwahrt ist, und dieser 
Cusanus ist um etwa ein Jahrhundert älter als die editio princeps selbst. 
Als hierauf Balduinus 1563 und 1569 eine neue Ausgabe besorgt, be- 
ziehungsweise wiederholt hatte, wozu er drei neue Handschriften benutzte, 
blieb diese Au8ga])e für längere Zeit die gern verwendete Vorlage zum 
Nachdruck, bis 1700 in Paris und ein Jahr später in Amsterdam ein neuer 
Optatus erschien, von Ellies du Pin besorgt. Von den drei Hand- 
schriften des Balduin ist einer, der Tilianus, bestimmt verschollen, die 
beiden anderen mangels einer entsprechenden adnotatio critica schwer 
bestimmbar. Besser steht es mit dem kritischen Rüstzeug Dupin's, der 
von fünf Handschriften nach seinem eigenen Zeugnisse vier seinem Texte 
zugrunde legte. Unter diesen ist der oberwähnte Remensis der älteste, 
ihm zunächst ein Colbertinus s. XI, leider unvollständig, und ein Sanger- 
manensis s. XV. Als vierte Handsclirift nennt der Herausgeber einen codex 
Philippi Siluii, der unter diesem Namen verschollen ist, allein als cod. 
Baluzianus s. XIV, derzeit in der Natioualbibliothek in Paris, uns, wie ich 
überzeugt ])in , wiedergegeben ist. Diese vier Handschriften bildeten mit 
dem Cusanus die bisher bekannte und benutzte textkritische Gnmdlage. 



— 169 — 

Ein günstiges Geschick hat ans aber mit zwei neaen Handschriften 
m Optatus beschenkt, die beide von hohem Alter, leider nur Bruchstücke 
enthalten : Der durch seine Sallustfragmente sattsam bekannte Aurelianensis, 
Nr. 169 s. Vn enthält aus Optatus die praefatio des 7. Buches und schliesst 
noch vor dem Ende des 2. Capitels desselben Buches, während der Petro- 
politanus Qv. omd. I. 2 dem 5. oder 6. Jahrhundert angehörig, nebst 
den argumenta zu allen Büchern die ersten zwei Bücher in vortreflFlicher 
Erhaltung bietet. Dieser Petropolitanus ist identisch mit dem Corbeiensis, 
der unter Nr. 55 in einem aus dem 11. Jahrhundert stammenden Hand- 
scliriftencataloge der berühmten Abtei Corbie angeführt wird — vergl. 
(t. Becker, catalogi bibl. antiqu., S. 139 — wie dies beim Vergleiche mit 
der im nouveau trait^ diplomatique in, 45 enthaltenen Beschreibung sich 
zweifellos ergibt. Von Corbie dürfte diese Handschrift, die im nouv. 
traite als Sangermanensis aufgeführt wird, bei der besonders im 17. Jahr- 
hundert erfolgten IJebertragung vieler Corbeienses nach S. Oermain gelangt 
sein, und am Ende des vorigen Jahrhunderts erwarb sie nebst anderen 
Schätzen der russische Gesandtschaftsattach^. Dubrowskv, der endlich 
seine aus 1065 Nummern bestehende, kostbare Handschriftensammlung dem 
Czaren Alexander I. zum Geschenke vermachte — vergl. Delisle, cabinet 
d. manuscr. H, 139; Gillert, Neues Archiv d. Gesellsch. f. alt. deutsche 
Geschichtskunde. V, 243. 

Demnach ist der Petropolitanus (P) s. VI die älteste , der Sanger- 
manensis (G) s. XV die jüngste aller derzeit benutzbaren Optatushand- 
schriften. Beide, durch rund ein Jahrtausend von einander getrennt, stehen 
zu einander in der innigsten Verwandtschaft und bilden gegenüber dem 
Remensis (R) und seiner Copie, dem Baluzianus (B) eine durch gewisse 
Eigenthümlichkeiten charakterisierte Handschriftenfamilie. Diese Eigen- 
thümlichkeiten betreffen textliche Ueberarbeitungen und Zusätze, besonders 
in der Behandlung der Bibelcitate, Aeuderungen in der Constniction und 
der Wortfolge, welche, solange man von P nichts wusste, bedeutsam genug 
erschienen, um in G zweifellose Spuren einer späteren, von Optatus nicht 
herrührenden Bearbeitung zu erblicken. Diese Annahme hat sich nunmehr 
durch die Auffindung des Petropolitanus als gänzlich hinfällig erwiesen, 
und in dieser Thatsache liegt von neuem die Mahnung, dass man in der 
Beurtheilung gerade jüngerer Handschriften nicht vorsichtig genug sein 
könne. Zur Orientierung über diese Abweichungen greife ich ein paar Bei- 
spiele heraus : I, 3 qui sedentes aduersus nos denotant PG (detrahunt RB), 
entsprechend einem Citat aus dem 46. Psalm, den Optatus IV, 3 anführt — 
die Vulgata bietet für denotare : loquebaris , Optatus gebraucht das obige 
detrahere nach IV, 5. Ferner I, 21 deus pro facto scismate iratus PG 
(d. p. neglectis mandatis suis iratus RB) ; I, 26 i n t e r h a e c Donatus PG (cum 



— 170 — 

haec fierent, Donatus RB); II, 1 cur figitis terminos P6 (c. f. limites RB) 
— wieder mit Benutzung einer Psalmeustelle, die unmittelbar vorhergehend 
terminos bietet. iSomit stünde, trotzdem P mit dem 2. Buche abbricht, 
durch dessen nachweisbare Verwandtschaft mit 6 auch für die nachfolgenden 
Bücher die textkritische Grundlage sicher, wenn nicht G doch in einzelnen 
wichtigen »Stellen von P verschieden wäre , z. B. I, 1 filium dei . . qui . . 
christianis nobis onmibus storiam per apostolos pacem dereliquit. Für 

storiam, das nur RB bieten, hat P i*toriam, während G uictricem, 
der Cusanus suam bieten. Das riclitige storia, als kriegstechnischer Aus- 
druck aus Caesar, Livius und Plinius bekannt, im übertragenen Sinne 
(= Schutzwehr) durch Commodian, apol. 151 (ed. Dombart) belegt — vergl. 
Archiv f. lat. Lexikogr. III, 147 — hat schon der Schreiber des Petropoli- 
tanus nicht verstanden und in historiam gebessert, der des G dafür uictricem 
entweder auf eigene Faust eingesetzt oder in seiner Vorlage bereits vor- 
gefunden. Aus dieser Stelle und ähnlichen ergibt sich, wie ich glaube, 
dass G zwar nicht direct aus P geflossen, wohl aber auf eine beiden gemein- 
same Grundlage zurückzuführen ist. Die iür den ersten Anblick unbegreif- 
liche lautliche Verschiedenheit : storiam, uictricem seheint mir auf dem Wege 
entstanden zu sein, dass die unverstandene Form storiam zunächst in das 
ftaheliegende, durch die Leseart itoriam angedeutete Form uictoriam über- 
gieng und schließlich dieses in die Construction zu pacem nicht passende 
Wort in uictricem verändert wurde. 

So hat also die Laune des Geschickes durch die Auffindung des 
l*etropolitanus der Textkritik in vielen Stellen den richtigen Weg gewiesen, 
aber doch nicht allenthalben untrügliches Licht verbreitet. Dies ist erst 
dann zu erwarten, wenn es gelingt, der in P fehlenden Bücher III — VII 
habhaft zu werden, oder wenn noch andere alte Handschriften, von deren 
einstiger Existenz wir wissen, wieder aufgefunden werden. Zu letzteren 
gehört ein codex Bobiensis, der in einem dem 10. Jahrhundert zuge- 
schriebenen Handschriftencataloge des berühmten Klosters unter Nr. 23.132 
aufgefülirt wird: libros Optati contra Donatistas II, übereinstimmend mit 
M u r a t o r i , antiqu. Ital. III, 8 1 7 ff. (vergl. Beck e r , catal. bibl. ant., S. 64). 
Dieser Bobiensis erscheint bereits nicht mehr in dem von A. Pevron ver- 
öffentlichten Inventar der Bobienser Bibliothek vom Jahre 1461 (vergl. dessen 
Ausgabe von Cicero, orat. in Scaurum . . fragm., Stuttgart 1824) und ist 
gewiss nicht in Mailand, was ich einer brieflichen Mittheilung des Vor- 
standes der Ambrosiana verdanke, nicht in Wolfenbüttel, Paris. Neapel, 
Wien, lauter Orte, deren Bibliotheken von den nach allen Ländern bekannt- 
lich verschleppten Bobienses ein oder das andere kostbare Stück besitzen. 

Schliesslich sei noch bemerkt, dass die Pariser Nationalbibliothek 
unter Nr. 11.623 einen Sangermanensis s. XVIII bewahrt, da« ist der Text 



desPriorius vom Jahre 1674 mit handschriftlichen Marginalien, die auf die 
Lesearten des Colbertinus, Sangerm. (G) und Baluzianus (B) zurückgehen. 
Allem Anscheine nach war das so hergerichtete Buch bestimmt, eine neue 
Ausgabe de« Optatus vorzubereiten. Ein anderer Parisinns Nr. 8790 enthält 
einige wenige, und zwar belanglose Auszüge aus Optatus auf zwei Blättern. 

II. Textkritisches. 

I, 17 qui per famosam nescio quam de tyranno tunc factam episto- 
larius appellatus est. Dies bieten alle Handschriften. Der in Rede 
stehende Diacon Felix hatte gegen Kaiser Maxentius ein Pascjuill gerichtet 
und sich der drohenden Verfolgung durch die Flucht zu Bischof Men- 
sur ins entzogen, bei dem er sich versteckte (periculum timens apud Men- 
surium delituisse dicitur). Das obige epistolarius wäre nur in dem Sinne 
TjPasquillant" zu halten, was nicht belegbar ist, ganz abgesehen, da.S8 
famosa facta wohl ein entsprechendes Substantiv verlangt. Vermuthlich steckt 
in epistolarius die durch cpistolam reus zu beseitigende Verderbnis. 

II, 15 quod uobis ad pristini erroris libertatem redisse contigerit 
bietet die eine Handschriftenfamilie (P(t), di e andere q. u. ad pr. er. liber- 
tatem factam esse constitit (RB). Gemeint ist die den Donatisten durch 
Julian den Abtrünnigen gewährte Freiheit, beziehungsweise die Aufhebung 
der gegen dieselben erlassenen Verfolgungsdecrcte. Die Ausgaben ändeni 
mit Zugrundelegung entweder von redisse oder von factam esse in ver- 
schiedener Weise. Ich halte beide Verba für verderbt und verweise auf 
eine spätere Stelle desselben Inhaltes : eadem uf^ce uobis libertas est reddita 
(I, 16), die zu dem Vorschlag führt: quod uobis pristini erroris libertatem 
redditam esse contigerit. 

II, 18 uulgo dicitur memoriam custodcm debere esse mendacis (raen- 

daciis) bieten P6, u custodcm habere esse mendacem RB. Zu letzterer 

Leseart setzte die ed. princ. oportere statt esse und hat hiermit ohne Zweifel 
den entsprechenden Sinn getroifen: „Der Lügner muss ein gut Gedächtnis 
haben." Doch lässt sich ohne Streichung und ohne Zusatz aus beiden 
Fassungen die Leseart gewinnen : memoriam custodem habere esse mendacis. 

II, 25 aduersarium sine labore poterat iugulare et sine sanguiue et 
conflictu multorum poterat bellum per conpendiura mitte re caedem, so 
alle Handschriften, die ed. princ. corrigiert mutare in caedem. In Rede 
steht die aus der heiligen Schrift (1, Reg. 24) bekannte Begegnung David's 
mit König Saul in einer Höhle der Wüste Engaddi. Der feindselige König 
war in David's Hand, Zeit und Gelegenheit und die Begleiterschar riethen 
ihm, durch die mühelose Tödtung des Königs den blutigen Krieg rasch zu 
beenden. Das wollte ohne Zweifel Optatus sagen, das ist auch der Sinn 



— 172 — 

der Aenderung in der ed. princ. Ich lese remittere in caedem. Als 
Gegensatz zu intendere, addueere bedeutet auch in classischer Zeit remittere 
etwas Gespanntes nachlassen, schlaff machen, auch in übertragenem Sinne, 
bellum remittere ist u. a. durch Livius 30, 23, 6 geschützt, der finale Präpo- 
sitionalausdruck , insonderheit caedes für nex ist der Africitas doch wohl 
zuzutrauen. 

In demselben Zusammenhange heißt es weiter: hortantibus se pue- 
ris et occasionibus contradicit, nämlich David. Der Plural occasionibus 
von dieser ein en günstigen Gelegenheit ist umso auffälliger, weil gleich 
darauf Optatus den David sagen lässt: frustra me, occasio, in triumphos 
inuitas. Vielleicht steckt in dem verdächtigen occasionibus die Verbindung 
occasioni in manibus; das Gefühl, das fehlende Particip zu e«se 
durch ein Synonym, etwa situs, ersetzen zu müssen, fehlte gewiss bereits 
der Zeit des Optatus. 

III, 1 repleta est una quaeque ciuitas uociferantium. Diesen Satz 
glaubte D u p i n in seiner Ausgabe durch den Zusatz clamoribus er^nzen 
zu müssen, ganz ohne Grund, wie mir scheint. Denn die obigen Worte 
sind ein wörtliches Citat aus Esaias 22, u. zw. in der Fassung, wie sie 
sich bei Optatus III, 2 finden, replere mit dem Genetiv ist Nachbildung 
der Construction von TtijUTcldvai und lässt sich u. a. durch Matth. 22^ 10 
belegen : repletae sunt nuptiae discumbentium = eTtktjO&ri 6 yäfxog ävcnui- 
(xiv(s)v. Vergl. überdies Ron seh, Itala, S. 439. 

III, 4 qui missi fuerant cum equis suis, contusi sunt ab his, 
quorum nomin a fiabello iuuidiae uentilasti bieten RB, für contusi setzt G 
pompati. Den richtigen Sinn trifft die Leseart der Dupiniana: contusi 
sunt, qui missi fuerant cum equis suis ab iis, quorum . . . Doch zu dieser 
gewaltsamen L'mstellung scheint kein Grund vorzuliegen, besonders wenn 
man die Leseart pompati des cod. G betrachtet. Diese Handschrift zeigt 
an Welen Stellen des Textes die nachbessernde Hand des Optatus, so 
dass ihre Lesearten als ein schwerwiegendes Zeugnis herangezogen werden 
für die Annahme, Optatus habe nach Veröffentlichung seiner 6 Bücher 
nicht nur ein siebentes hinzugefügt, sondern auch im Einzelnen manches 
von dem früheren Bestände verbessert und geändert, pompati kann von 
diesem Gesichtspunkte aus für eine nachträgliche Veränderung des zu 
wiederholenden missi gelten, und demnach lässt sich der Zusammenhang 
ohne gewaltsame Aenderung so herstellen: qui missi fuerant cum equis, 
contusi sunt, missi ab his, quorum. . . Der Ausfall des contusi geht auf 
ein Versehen des Abschreibers zurück. 

An derselben Stelle, etwas weiter unten, liest man: sie admissum est, 
quod ad inuidiam unitati factum esse memorastiRB; in G ist die 
Variante in inuidia unitatis, in der ed. princ. quod inuidiam 



— 173 — 

unitati facta m. Es liegt wohl nahe, mit Benützung der beiden ersten 
Lesearten zu schreiben: quod in inuidiam unitati (oder unitatis) 
factum esse memorasti. 

IV, 3 tulisti arma, proiecisti castris ist in G geändert in pro- 
cessisti de castris. Im Sinne der begrifflichen Steigerung scheint proie- 
cisti vorzuziehen ; nimmt man aus G statt de den Accusativ t e heraus, ergibt 
sich proiecisti te castris. Der blosse Ablativ ist zwar nicht classisch, 
wie se proicere, aber durch Analogien in der Africitas hinlänglich geschützt. 

IV, 7 spiritale oleum . . in imagine columbae deseendit et insedit 
(sedit RB) capiti eins et perfudit cum et digesta est (perfudit oleum 
et digestum est G). Hier ist von Christi Taufe im Jordan die Rede nach 
Matth. 3, 16. Den Weg der Besserung weist der cod. G., das hat schon 
Dupin erkannt, der das unmögliche oleum nach perfudit in oleo ver- 
änderte und digestum est tilgte. Allein dann fehlte zu perfud it ein Object, 
das ja RB in cum bieten, so zwar dass bis zu diesem Abschnitte die 
Leseart der letzteren Handschriften ganz heil ist. Behält man dies bei, so 
ist zu digesta (um) est ein passendes Subject zu suchen. Denn mit Dupin 
diese beiden Wörter gegen die handschriftliche Uebereinstim mung auszu- 
merzen, geht doch wohl nicht an. Dies Subject scheint mir oleum, so zwar 
dass ich lese: et perfudit cum: oleum digestum est, d.h. das Oel 
breitete sich aus, und daran schliesst sich : unde coepit dici Christus. Dass 
gpiratale oleum . . perfudit cum und oleum digestum est dasselbe bedeuten, 
entspricht in der Wiederholung des Gedankens dem tumor Africus. 

V, 5 per acceptum non modicum tempus milia hominum . . tincta 
sunt, mit der Variante in G peractum est non modicum . ., was Dupin 
mit Auslassung von est aufnahm. Im Anschluss an diesen Vorgang ergibt 
sieh durch Trennung des peractum die Lösung von selbst : per actum non 
m. tempus . . . 

VI, 4 talis pannus et errare et rodi et perire potest, so alle Hand- 
schriften. Die Rede ist von den mitellae oder mitrae, die ein äußeres 
Zeichen der gottgeweihten Jungfräulichkeit, nicht eine Schutzwehr gegen 
fleischliche Begierden seien. Ein solches Kopftuch, heißt es nun weiter, 
ist der Verderbnis ausgesetzt, die Jungfräulichkeit kann aber auch ohne 
mitella gesichert sein. Dass et errare widersinnig ist, liegt auf der Hand, 
der Vorschlag deturbari gereicht der ed. princ. auch nicht zur Elire. 
Nach dem Zusammenhange erwartet man den Gedanken, da s Stück Zeug 
könne abgenützt, verbraucht werden; daran schließt sieh passend rodi 
und perire. Ich glaube in et er rare die Leseart ueterari zu finden, 
dessen part. perf. bei Plinius h. n. 32, 52(10) bezeugt ist und entspre<»hend 
dem griechischen TtaXawDv im Briefe an die Hebräer (8, 13) vorkommt; 
vergl. Rönsch, Itala, 169. 



— 174 — 



lU. Stilistisches. 

Die Sprache de« Optatus entbehrt keineswegs eines gewissen dichteri- 
schen Schwunges, sei es in der Wahl von Bildern und Vergleichen, sei es 
in der Verwendung von Redefiguren. Allerdings ist nicht alles mit Geschmack 
gewählt, vielmehr verräih manches den bekannten tnmor Africns. Hierfür 
nur einige Belege. 

Die Bilder sind fast durchwegs durch eine lebendige Anschaulich- 
keit ausgezeichnet, so z. B. caligines, quas liuor et inuidia exhalauerat 
I, 27 ; flabello inuidiae uentilare 111, 4 und 7 ; nutant et remigant animae 
V, 2 ; auditorum animis odia infundere IV, 5 ; quorum gressus inpulerat 
furor, retentos ligauit pigra discordia 11, 5 ; inuidia submurmurat VII, 7 ; 
sagittas de pharetra pectoris 11, 21 ; diuinum opus malitiae uectibus destru- 
entes 11, 21 ; tela . . ueritatis clipeo repulsa 1, 28 ; mandata est terrae 
fames (um die Rotte Gores zu verschlingen) 1, 21 ; infigere morsum hono- 
ribus . . linguas acuere in gladios II, 23 und 24 ; criminum fönte, qui . . 
flagitionmi uenis exuberauerat 1, 20. Weniger gelungen und treflFend scheinen 
sacramentorum falsa conubia . . in quorum toris inquitas inuenitur IV, 8; 
euerriculo quodani malitiae IV, 9; funera ercptae dignitatis portare 11 24; 
sub nubc simplicitatis occaecato lumine II, 21 ; post inuidiae siluam secu- 
ribws ueritatis abscisam Vll, 1. 

Unter den Vergle ichen ist am glücklichsten gew^ählt und durch- 
geführt der des Seelenfanges der Donatisten mit der Schlauheit solcher 
Vogelsteller, die mit künstlichen Bäumchen, mit lebenden, in Käfigen ver- 
schlossenen Vögeln und mit ausgestopften den Fang betreiben \T[, 8. Auch 
sonst entlehnt Oi)tatus gerne seine Vergleiche aus der Natur. So werden 
die Donatisten mit Zweigen verglichen, die vom Baume abgerissen wurden, 
mit Schösslingen , die vom Weinstocke getrennt sind, mit einem Bache, 
der vom Quoll abgeschnitten ist II, 9. Dasselbe Bild von dem Weinstocke 
ist 1, 10 auf die scismatici angewendet. Das afrikanische Schisma ver- 
gleicht Optatus mit einem Baume, der mit seinem Geäste noch nicht abge- 
storben ist sondern fortwuchert, oder einem verborgen hinschleichenden 
Quell 1, 15. An einer anderen Stelle — HI, 9 — erscheint ihm die Glaubens- 
einheit unter dem Bilde eines unversehrten Kleides, das, durch eifernde 
Feinde zerrissen, das Schisma darstellt. Treifend ist auch der Vergleich 
des Evangeliums mit einem Testamente, das nach dem Tode des Vaters 
die Streitigkeiten unter den Söhnen schlichtet V, 3, fenier des Ausspenders 
eines Sacranientes mit einem Purpurfürber V, 7. Vgl. ex baptismate nniri 
honiinibus facti ad tutelam 111, 2 ; storiam per apostolos pacem dereli(]uit 
1, 1 u. a. Hingegen erscheint die Aehnlichkeit zwischen den traditores und 



— 175 — 

KolcheD, die Bücher durch Feuer, Mäuse, Feuchtigkeit , in der Gefahr des 
Ertrinkens (!) verderben lassen, weder treffend noch passend VII, 1. 

Sehr häufig ist die Verbindung zweier Synonyma, z. B. inpedi- 
mentum et obicem opponere III, 4 ; integra inuiolataque pax I, 2 ; niino- 
8um ac dealbatum parietem ebenda; innocentes et indignos I, 28; immu- 
tabilis et inmota species V, 4 ; stultum et uanum VI, 4 ; uentose ac nude 
1, 4 ; manifeste aperteque II, 20 ; si tibi uidetur et ita placet I, 10 ; flectere 
et inclinare 11,26; interuenit et occurrit II, 17; premitur et calcatur 
ninum III, 4 ; resedit ac remansit III, 12 ; excludi et separari IV, 6 ; indicat 
et manifestat IV, 7 ; non aspernatus sum nee contempsi I, 4 ; contemnen- 
(los aut despiciendos VII, 4 ; aliud et extra est III, u. a. 

Nicht minder häufig die Antithese. Wohl das längste Beispiel und 
deshalb den besten Beleg für den tumor Africus bietet VI, S : ex ouibus 
facti sunt uulpes, ex fidelibus perfidi, ex patientibus rabidi, ex pacificis 
litigantes, ex simpUcibus seductores, ex uerecundis inpudentes, feroces ex 
mitibus, ex innocentibus malitiae artifices. Diesem kommt zunächst IL 4: 
filius sine patre, tiro sine principe, discipulus sine magistro, sequens sine' 
antecedente u. s. w. Gewöhnlich ist das Gegensätzliche knapp aneinander 
gereiht, wie damna-lucra VI, 5; commoda-incommoda HI, 10; preces, non 
iuBsiones, desideria , non praecepta IV, 7 ; infirmando confirmas V, 1 ; defen- 
disti , dum inpugnas V, 1 ; clausisti oculos . . aperuisti eos I, 28 ; uixerunt 
homines , sed occisi sunt in honoribus II, 25 ; nouitatem quaerere in ui- 
sceribus uetustatis VI, 1. 

Von den Figuren ist am häufigsten die Anapli(>ra verwendet, und 
zwar nicht bloß durch Wiederholung eines einzelnen Wortes, sondern auch 
mehrerer, selbst kurzer Sätze, wie dictum est hoc IV, 5; fit domus IV, 6; 
hoc est quod IV, 9; cum agatur II, 10 je zweimal; si negauit VII, 3 vier- 
mal. Außer Für- und Bindewörtern und Partikeln (uos II, 9 viermal; 
quid II, 1 dreimal; II, 25 zweimal; ut quid VI, 3 zweimal; numquid II, 7 
viermal ; V, 2 zweimal ; ut IV, 5 dreinml; ne IV, 5 zweimal ; o III, 3 dreimal). 
Findet sich je zweimal wiederholt nemo III, 1; miserat III 3; ueni- 
8tis IL 17; je dreimal considerate IV, 5; deum IV, 9; nihil III, 12; nulli 
ni, 1; cur III, 3; iam II, 15; iamne IL 9; inuenistis II, 24; o aqua VI, 6; 
ceteris VII, 3; je viermal nihil III, 2; quanto III. 3; sine (jua III, 8. Sieben- 
mal ist non III, 9 wiederholt. Mehrmals findet sieh auch ein Schlusssatz 
wiederholt, so agnoscite uos . . euertisse II, 24 und pollutos uoeatis VI, 3 
je dreimal; numquid poteris probare niendaeium VII. 5 viermal; non est 
contemnere disciplinam IV, 4 sechsnml. 

Vorliebe für c h i a s t i s c h e Wortstellung ist nicht zu verkennen : 
haereticos dicit moechos et moechas ecclesias illonnn IV, 6 ; alteram nieli- 
orem, peiorem alteram V, 1 ; oculos . . excaecauerat liuor, aenmlatio . . orba- 



— 176 — 

uit I, 21 ; homo . . intrauerat, egreditur uas iuane IV, 6 ; considerate trac- 
tatus , considerate mandata , actus quoque . . reuoluite IV ^ 5 ; subtiles in 
seductionibus, in caedibus inmanes 11, 17; lacerati . . niri, tractae . . matro- 
nae, infantes necati, abacti partus II, 18; scismaticus ad episcopum, ad 
innocentem reus, ad sacerdotem sacrilegus, incestus ad castum, ad episco- 
pum iam non episcr)pus II, 19. 

Häufig verwendet ist die auuominatio: andiui, audiasi, 4; feci- 
stis muros . . faeientes aedificium III, 2 ; uidetur non uidens II, 25 ; mala 
male fiunt HI, 5 ; homo homini dedit VII, 1 ; frater fratribus addictus l, 3 ; 
laudasti, quod laudis praeconio dignum I, 5 ; sigillo insiguiri V, 1 ; inmun- 
dus emundet I, 10; insepultam facere sepultiiram 111,4 — eine Nach- 
bildung nach Cicero, Philipp. I, 2, 5 — u. a. , besonders häufig in Relativ- 
sätzen durch Wiederholung des Beziehungswortes : baptisma, ex quo baptis- 
mate III, 2 ; equa, in cuius aquae iuiuria III, 2 ; portae . . quas portas III, 2. 

Was die Art der Satzverbindung anbetriflft, überwiegt der Gebrauch 
des Asyndeton über dem des Polysyndeton. Die erstere Figur ist 
durch viele, ganz treffliche Beispiele belegt, wie terra patuit, rapuit, clausa 
est I, 21 ; timuistis, fugistis, trepidastis III, 1 ; posset respirare, pasci, gaudere 
paupertas III, 3 ; tumidus, inflatus, superbus, talis II, 20 ; ascenderent cul- 
mina, nudarent tecta, iactarent tegulas II, 18; tangite tabulam, lapidem, 
uestem VI, 3 ; domus inclusa custodit, tempestatem retundit, pluuiam diflun- 
dit, latronem non admittit III, 10 ; diaconos, presbyteros, episcopos II, 24. 
Polysyndetische Anordnung ist fast nur auf et und nee beschränkt: et III, 2 
dreimal; I, 4. 22; II, 21 je viermal; nee I, 2 achtmal. Beide Figuren in 
einem Satze verwendet, zeigt 111,10 tempestatem pluuiam et lapides et 
accusationes. Sonst ist nach zwei oder mehr asyndetischen Gliedern ein 
viertes nicht selten mit et angereiht: acerba cruenta et hostilia II, 18; 
episcoporum presbyterorum diaconorum et fidelium II, 24 ; innocentes iusti 
misericorde« continentes et uirgines III, 2; Lucianus, Digims, Nasutius, 
Capito, Fidentius et ceteri I, 22. 

üeber den Stil des Optatus ist bisher ziemlich verschieden geurtheilt 
worden. In Er seh und Gruber's Encyclopädie, III, 4, S. 268, wird seine 
Sprache barbarisch, der Stil rauh genannt, nach Dupin ist er magnificus, 
uehemens, pressus, sed minus nitidus ac politus (praef. II). Einer ein- 
gehenden Untersuchung ist es vorbehalten, durch unbefangene Prüfung 
zwischen den obigen extremen Urtheilen die richtige Mitte zu finden. 



Bemerkungen zur Italafrage 



von 



JOSEF ZYCHA 



Dekaiiiitlich fi^ab Au^iistimiK der lateinischen Übersetzung der Bücher 
des alten Testamentes nach dem Texte der Septuaginta den VorzAig vor 
ihr Version des Hieronvmus. der diese unmittelbar aus dem hebräischen 
Trtexte übersetzte. Noch viele Jahre nach dem officiellen Auftreten der 
letzteren tritt er in einer Reihe von Schriften dem Eindringen derselben 
in die Kirchengemeinden Afrikas entgegen, und dass sein Standpunkt viele 
Allhänger zählte, darf man aus der Bemerkungen schließen, die sich zer- 
streut zu den einzelnen Werken in den Retractationes und sonst finden, 
wo er um rasche Abfassung und Zusendung der betreffenden Schriften ge- 
beten wird. In diesem principiellen Streite erfährt Augustinus' Thätigkeit 
insofern die gerechte Beurtheilung nicht, als man, um es kurz zu fassen, 
Beinen wissenschaftlichen Apparat als unzulänglich und mangelhaft hin- 
stellt. Ein Blick in die Hilfsmittel, deren er sich bei Bearbeitung der Lo- 
cutiones ad Hcptateuchum bedient hat, soll dieses (Jrtheil richtigstellen. 

Diese Schrift ist darum für den Zweck besonders geeignet, weil hier 
nicht nur die in der Schrift de doctrina christiana II 14. 15 u. A. nieder- 
gelegten Vorschriften und Winke praktisch in weitestem L^mfang und mit 
Conseqnenz durchgeführt sind, sondern auch neue Gesichtsimnkte geboten 
und weitere Ausblicke ennr)glicht werden. Er spricht wiederholt von einem 
latinus interpres, von latini, mnlti, (piidam, plnrimi interpretes, von einem 
graecuß interpres, von alias graecus codex, von graeei interpretes, und es 
entsteht die Frage: Welchen interpres oder codex legte er bei dieser in 
gewisser Beziehung textkritischen Arbeit zu Grunde? Zu einer solchen 
Fragestellung berechtigen die einleitenden Worte des Augustinus zu den 
Quaestiones ad hcptateuchum: cum scripturas sanctas, quae appellantur 
canonicae, legendo et cum aliis codicibus sccundum Septuaginta interpre- 

Erano« Vindobonentis. 12 



— 178 — 

tationcs conferendo percurreremus . . . Diese Worte können doch nur den 
Sinn haben, dass Augnstiniis die canoniselien Schriften nach einer be- 
stimmten Bibel las und diese mit anderen Codices nach dem Texte der 
Septuaginta verglich. Was nmi zunächst den lateinischen Text anlangt, 
thut er ungefähr von der Hälfte des Werten Buches fast nur eines latinus 
interpres Erwähnung, während er in den früheren Theilen, allerdings auf 
derselben (Grundlage fußend. i')fter Gelegenheit nimmt, gegen andere Inter- 
pretes zu polemisieren, sei es. dass in diesem Theile die Überlieferung mehr 
auseinander gieng, sei es, dass er in weiterem Verlaufe absichtlich seiner 
Untersuchung engere Grenzen zog. 

Von diesem Interpres sagt er in den Locutiones de Exodo V 21 
(Migne Bd. 35, S. 504) : latinus autem ait, (piem pro optimo legebamus, 
„ut daretis gladium in manibus eins" ; (pii soloecismus niüla interpretationis 
necessitate factus est, quia in graeco non est. Dieser Codex also, den 
Augustinus fiir den besten erklärt, liegt, wie man nach der sich wieder- 
holenden Art der Einführung: latinus ait, quod latinus habet u. Ahnl. 
schließen muss, unserer Arbeit zu Grunde. Stimmen alle ihm zu Gebote 
stehenden Übersetzungen in Lesearten überein, so sagt er: cpiod latini 
habent; an anderen Stellen bekämpft er ausdrücklich andere Interpretes, 
ja seine eigene Grundlage, wie an der angeführten Stelle oder Exod. V 10. 
Et dicebant ad populum dicentes: haec dicit Pharao: (juam locutionem 
piguit latinum interpretare oder Exod. IV 4; I 22; III 11. 12. 18; IV 6: 
Gen. 115. 8. 9; III 15. 17; VI 14. 16; XV 13; XVII 6; XVIII 11 ; XXIV 3: 
XXXIII 13; XLI 40; XLVI 4 u. A. Mit welcher (iriindlichkeit er dabei 
vorgeht, beweisen Bemerkungen zu Exod. XXVIII 22 Sed quia et graecus 
introeunti habet et latini aliqui consonant. locutionem potius notandam credidi 
quam corrigendam oder Leuit. XIX 9. Hier mag erwähnt werden, dass die 
von Augustinus angeführten Varianten sich öfter in dem von M. Kobert 
herausgegebenen Codex Lugdunensis vorfinden, z. B. Exod. III 11. 12. 16 
u. öfter. 

Das oben angeführte in vielen Beziehungen wertvolle Zeugnis hat 
bisher nicht die verdiente Beachtung gefunden. Um zunächst von legebamus 
auszugehen, läge es nahe, die Notiz dahin zu deuten, dass Augustinus diese 
Quelle nicht nur bei ähnlichen sprachlichen Untersuchungen, sondern auch 
bei CMtaten überhaupt zu Grunde legte, allerdings mit der Einschränkung, 
dass er dies von dem Augenblicke that, wo er mit der heiligen Schrift 
hinlänglich vertraut war, das Verhältnis und die Stellung der lateinischen 
Interpretationes — ich vermeide den Ausdruck Bibel oder Bibeln absicht- 
lich, um in der bisher trotz vielfacher Arbeiten noch nicht spruchreifen 
Frage nicht vorzugreifen — zu der Septuaginta und der interpretatio 
ex hebraeo erkannt und zu dieser offen Stellung genommen hatte. Aber 



— 179 — 

unbedenklich darf man das Imperfeetum ausser den Locutione» auf die 
Quaestiones ad heptateucbum und auf die Schrift de Genesi ad litteram 
libri XII ausdehnen. Denn da Augustinus in den Locutiones wiederholt auf 
die Quaestiones verweist, andererseits aber jenen vor diesen in den Re- 
tractationes den Platz anweist, muss man sich die Entstehung der Locu- 
tiones in der Weise denken, dass Augustinus bei den Untersuchungen, wo 
er gelegentlich auf die Frage der Überlieferung eingehen musste, die sprach- 
lichen Eigenthiimlichkeiten notirte, sammelte, später ergänzte und dann heraus- 
gab. Andererseits betrachtet er die Quaestiones ad heptateucbum als Fort- 
setzung der Bücher de Genesi ad litteram; dieses geht aus der Art der 
Erwähnung letzterer hervor und ferner aus dem Umstände, dass er von 
dort fortsetzt, wo diese zum Abschluss gebracht sind. Da demnach diese 
drei Werke als ein Ganzes zu betrachten sind, so folgt aus legebamus, 
dass er diese Interpretatio bei allen gleichmässig benutzte. Das schlagendste 
Argument aber für diese Behauptung liegt in der BesehaflFenheit der citierten 
Bibelstellen ; auf alle passt Augustinus' Ausspruch : ex uno dumtaxat inter- 
pretationis genere uenientes (de doctr. Christ. II 14). 

Die Beschränkung der Benützung etwa nur auf die Locutiones ver- 
bietet eine andere Stelle unserer Schrift, das ist VIII 18 de lesu Naue 
(Migne 539) : septuaginta autem interpretes, secundum quos ista tractamus. 
Aus dieser Stelle folgt aber keineswegs, dass Augustinus sonst die Septua- 
ginta nicht befolgte, sondern Septuaginta schließt hier nur die Benützung der 
interpretatio ex hebraeo aus. Wenn ferner Augustinus diesen Inter])res oder 
Codex für den besten erklärt, so darf man das Attribut optimus, ohne 
Widerspruch furchten zu müssen, auf die bekannte Stelle de doctr. Christ. 
II 15 in ipsis autem interpretationibus Itala ceteris praeferatur beziehen. 
Erstlich wäre die Voraussetzung, Augustinus habe die Itala zwar als die 
vorzüglichste Quelle erkannt und anderen empfohlen, selbst aber bei seinem 
Gebrauche nicht angewendet, ganz ohne Analogie; sodann finden sieh in 
der Vorlage gerade die Vorzüge, welche der Itala nachgerühmt werden : 
sie ist uerborum tenaeior cum perspicuitate sententiae. Wie treu er das 
Original wiederzugeben bemüht ist, zeigt die Vergleichung unserer Bibel- 
stellen mit den im Lyoner Codex überlieferten. Bei Augustinus lautet die 
Stelle der Genesis L 10 ixotpawo airbv 'KOTceröv /leyav xai iaxvQÖv ag)6dQa 
also : Planxerunt eum planctum magnum et ualidum ; im Lyoner Codex ist 
sie 80 überliefert : Planxerunt eum ibi planctu magno et ualido uehementer. 
Oder Gen. XXIX 7 *'£rt iarlv fjfitQa nokkrj, ovTtu) aiqa avvax^fjvcic rä 'ktijvtj 
fibersetzt Augustinus : Adhuc est dies multa ; nondum est hora congregandi 
pecora; im Lyoner Codex: Adhuc superest de die multuni nee est hora 
congregandi pecora ; Exod. II 1 ^v de rig iy. q)vkfig ^ievi aal ikaße tiov 
dvyctriQwv xujv Abvl heisst im Codex Lugd. : Erat autem quidam ex tribu 

12* 



- 180 — 

Leui et sumpsit sibi uxorem de filiabus Leiii, während bei Augostinus die 
Stelle 80 lautet: Erat autem (luidam de tribu Leui et sumpsit sibi de 
filiabus Leui mit der Bemerkung: intellegitur „uxorem", quod quidam 
latini interpretes etiam addeudum putauerunt; oder Num. XI 33 aal iTtaxa^e 
TiVQiOi; TÖv kaöv nkrfffjv ^eyäXrpf oq)6dqa bietet Augustinus in der Fassung : 
Et percussit dominus plagam magnam ualde, der Lyoner Codex: Et per- 
cussit dominus plaga magna nimis. Diese Stellen sind charakteristisch für 
die Stellung der Übersetzer zum Orighial, ganz entsprechend dem Aus- 
druck bei Augustinus de doctr. Christ. II 13, 19 authabendae interpretationes 
eorum, (jui so uerbis nimis obstrinxerunt, non (juia sufficiunt, sed ut ex eis 
ueritas uel error detegatur aliorum, (^ui non magis uerba <]uam sententias 
interpretando sequi maluerunt. Endlich ist es doch gewiss kein Zufall, 
dass dieselben Stellen der Locutiones. soweit sie sich wiederholen, in 
Genesi ad litteram, in den Quaesti(mes und in der Schrift de ciuitate dei 
mit demselben Wortlaute vorkommen. 

Ist es schon aus dieser Betrachtung klar, dass unter Augustinus' Vor- 
lage der Urtext zu verstehen ist, so drängen Stellen, wie Quaest. de Leuit. 
LXVl (18, 21), XXV (9, Ij, LIII (16, 19), Locut. de Deuteron. XXVIII 48, 
de Ex(mIo VII 1 1, Stellen, welche Ziegler ,,Die lat. Bibelübersetzungen von 
Hieronymus und die Itala de« Augustinus, München 1879, S. 6 und S'^ 
allerdings sämmtlich anders , aber mit Unrecht , deuten will , alle Zweifel 
zurück. An letzter Stelle Locut. de Ex. VII heisst es : Non mihi uidentur 
satis commodc interpretati latini aocpLaxag Pharacmis, ut dicerent sapientes; 
ooq)oL enim sapientes dicuntur. potuit enim latinus interpres sophistas dicere . . . 
Dazu bemerkt Ziegler: „Hier kann doch latinus interpres neben den voraus- 
gehenden latini nichts andere« bezeichnen als den lateinischen Sprach- 
gebrauch, den usus latinus, der ihm zu Gebote steht. ** Diese Erklärung 
ist umso auftauender, als derselbe Gelehrte bei Hienmjnnus und bei ein- 
zelnen Stellen des Augustinus zugibt, dass unter interpres oder translator 
latinus der \'erfasser des gerade benutzten Textes zu verstehen sei. Die 
Sache steht so. An unserer Stelle bieten übereinstimmend alle lateinischen 
l'bersetzer fiir den griechischen Ausdruck ao(piOTai sapientes; der latinus 
interi)res ist aber die bevorzugte Itala. An dieser und andeni ähnlichen 
Stellen, wo den latini interpretes im Plural der latinus interpres gegenüber 
gestellt wird, nmss man sich das Verhältniss so denken, wie es Augustinus 
in de ciuit. dei XV 13 erklärt, wo zufällig alle von ihm benützten Hand- 
schriften denselben Fehler aufweisen. Sowie er dort den Fehler dadurch 
erklärt, dass er sagt, die Septuaginta können unmöglich gefehlt haben, 
aber derjenige, der zuerst aus diesem Original die Abschrift verfertigte, 
begieng dabei den Fehler, so müssen wir hier — und an allen oben an- 
geführten Stellen — schließen, dass Augustinus seinen interpres als den 



— 181 — 

ältesten betrachtete, der zufällig das Wort sapientes für aoq)iaTdg nahm, 
und dass die anderen Übersetzer es ihm nachgesagt haben. Diese Deutung 
entspricht dem Wortlaute und der Sachlage, und dieser Auffassung entspricht 
auch die Eigenthümlichkeit der Vorlage gegenüber den andern Über- 
setzungen, soweit die angegebenen Varianten einen Schluss gestatten. Sein 
Codex zeichnet sich durcli Worttreue gegenüber dem Original vor allen 
andern aus, und gerade der engste Anschluss an das Original in Wort- und 
Satzconstruction ist das charakteristische Merkmal der ältesten Über- 
setzungen bei allen Völkern. Je freier die Übersetzung ist, desto größere 
Übung und ausgebildetere Technik wird vorausgesetzt. Durch Vergleichung 
aller in Betracht kommenden Schriften des Augustinus mit der Septuaginta 
im alten und den entsprechenden griechischen Originalen im neuen Testa- 
mente wird es gelingen, die älteste Übersetzung, seine Itala, zu recon- 
struieren und auch den Erfolg seiner Opposition gegen die Version des Hiero- 
nymus bei gleichzeitigen und späteren Kirclienschriftstellem zu beurtheilen. 
Dass Augustinus die lateinische Fassung nach dem Texte der Septua- 
g:inta, der uulgata editio, wie er sie XVI 10 de ciuit. dei nennt, verglich 
und gelegentlich auch gestaltete, hebt er zweimal hervor, in den oben 
angeführten Locut. de lesu Naue \'1II 18 und Locut. de ludicibus VIT 12 
nam litus si uellent Septuaginta dicere, non deesset linguae graecae quod 
(licerent. Er hatte nicht das Original vor sich; denn er sagt Locut. de 
(ienesi XXVIII 6 Et exiit in Mesopotamiam Syriae : quasi Mesoi)Otamia di- 
catur nisi Syriae, ({uamuis hoc Septuaginta non habere perhibeantur „Sy- 
riae", sed cum asterisco scriptum est. Aus welcher Quelle mag das „per- 
hibeantur** hier oder Locut. de lesu Naue VIII 18 hoc interpres Symmachus 
Rcutum appellasse perhibetur herrühren? Außerdem nennt Augustinus an 
der Stelle de ludic. IX 4 die interpretatio ex hebraeo. Er bespricht die 
einzelnen Stellen seiner Itala unter steter Vergleichung des griechischen 
('odex, offenbar des besten, den er kannte; denn er erwähnt regelmässig- 
nur einen Codex oder Interpres: sie habet graecus, graecus non habet 
u. 8. w. Eine Mehrzahl griechischer Codices oder Interpretes citiert er dort, 
wo sie übereinstimmen, z. B. de Genesi XLIII 18; XLVIII 18; XXIV 16, 
cKler wo er ausdrücklich abweichenden Text constatiert, wie de Genesi III 17 
11. A. So sehen wir , dass Augustinus die Vorschrift de doctr. Christ. II 15 
et latinis quibuslibet emendandis graeci adhibeantur genau befolgt, eine 
Vorschrift, die auch von andern Forschern auf diesem Gebiete hätte be- 
achtet werden sollen. Denn alle die Untersuchungen über die lateinischen 
Bibelübersetzungen, die in letzter Zeit Gegenstand regen wissenschaftlichen 
Interesses gewesen sind, leiden an dem Grundfehler, dass sie das Ver- 
liältnis der Übersetzungen zum Original unberücksichtigt ließen; eon- 
sequent wenigstens thut es keine. Welcher Gewinn sich aus derartiger 



— 182 — 

Ver^leichuug auch für den crriecliisehen Text ergibt, mögen die folgenden 
Probestellen lehren; Verbesserungen des Textes der Locutiones durch die 
Septnaginta werden in dem näehst erscheinenden XXVIIT. Bande des Corpus 
seriptorum eeelesiastieonim latinorum ersichtlich sein. 

Der Kürze wegen bezeichne ich Tischen dorf-Ne stieg 7. Aufl. des 
Uetus T(»stamentum, Lips. 1887 — T, Librorum ueteris testamenti canon. 
pars 1, Gottingae 1883 von Paul de Lagardc = L. 

Loc. Kx. 9, 24 Grando autem multa nalde ualde; T und L setzen 
offoÖQa nur einmal, im Apparat von T ist es doppelt. Ex. 15. 1 Et dixerunt 
dicere; sie enim habet graecus: xai flrtav Aeyeiv. T hat statt leyeiv im 
Texte Xtyovieg, L lässt leyeiv wTg. Leuit. 12. 2 graecus enim habet: xai 
igelg TCQog avrovg Uy(ov, Beide Herausgeber lassen keytov weg. Num. 9, 13 Et 
homo homo quicumque ; beide setzen avd-Qionog nur einmal. Num. 32, 1 multi- 
tudo copiosa ualde: 7tXf^t>og ttoIv atfodqa hat L, T lässt Ttokv weg, obwohl 
er es im Apparat anführt. Deut. 7, 1 Septem gcntes magnas et multas : T hat 
im Texte imä edyi] TtoiXä xa/ la/y^ore^a ; codex Lugdunensis bietet: 
Septem gentes maiores et fortiores. lesu Naue 22. 7 Et benedixit cos dicens : 
xofi evhr/rjaev avzovg beide mit fehlendem leyior, lesu Naue 24, 7 Et in- 
duxit super illos mare et operuit super illos. non ait «operuit illos". T hat 
xat IxdD.vifjev acrovg. De ludic. 3. 21 Et sunipsit Aod gladium de super 
femore suo dextro; sie enim interpretari potuit, quod graecus habet „a/ri 
aVw^£r". T hat eTtaviad-Ev^ L aTto; ebenso 4, 15. De ludic. 6, 3 quando 
seminauit uir Israhel. T liest: etiv ^OTteiQav oi vioi^IoQarjL De ludic. 9, 4 
Et conduxit in ipsis Abimelech uiros inanes et perturbatos. T bietet : xai 
ifAia&ioaavo iavTiTt J4ßif4ehx ävdqag xevovg xat deiXoig; L stimmt mit 
Augustinus überein. De ludic. 9, 43 . . . et diuisit cum in tria prineipia. 
T hat avTovg. De ludic. 11. 8 Et eris nobis in caput. T hat elg nQ/ovra, 
De ludic. 13, 2 et non pariebat. T liest hcKev. De ludic. 15, 12 Ne forte 
occuratis in nie uos. L bietet: ^ir^TtoTe aTtattjarjve kv ifioi i\u€ig; T gibt 
im Texte : fi^ tvotc avvavnjarjTS iv iuol vuelg. De ludic. 16, 9 Et insidiae 
ei sedebant; L hat für ei avrov. De ludic. 16, 11 . . . in quibus non est 
factum opus. T überliefert: oJg ovx syerero h avxolg iqyov; L stimmt 
überein. Gen. 7, 4 Debebo omnem suscitationem, non creationem dictam 
notandura est; dvccoraaiv enim graece scriptum est. T hat ävaarriua. 
Gen. 8, 6. 7 Dimisit coruum uidere si cessauit aqua. T lässt im Texte die 
Worte Idelv d TLenimaKE rb tdioQ weg. Gen. 8, 9 Et extendit mauum snam. 
In T fehlt avrov, (^en. 10, 9 Hie erat gigas, uenator contra deum ; Augu- 
stinus möchte coram statt contra setzen und führt dafür hawiov an ; L hat 
havTi, Gen. 10, 14 Unde exiit inde Phylistim. T lässt ixel&ev weg. Gen. 11, 
lOGraeci habent: Sem filiuscentum annorum cum genuit Arphaxat, ubi ellipsis 
est, quia deest ^erat'' ; aber T hat ?^v. Gen. 14, 5 Quarto decimo autem 



— 183 — 

anno GodoUogoraor et reges qui cum eo; Augustinus las: xort ol ßaaclelg 
Ol ^€T avTov, das T Apparat bietet, während der wiederholte Artikel im 
Texte bei beiden fehlt. Der wiederholte Artikel mit nachfolgendem Genetiv 
oder Präpositionalausdruck, der vor einem Genetiv oder Präpositionalaus- 
(Iruck stehende Artikel (wie rä rtqhg &eov = quae ad deum, xh TtQÖg ei- 
Qiivrpf = ciuae ad pacem) wird regelmässig durch einen Relativsatz mit est, 
*<ant, erat, erant, erit oder mit zu ergänzendem esse in dem entsprechenden 
Tempus im Lateinischen wiedergegeben ; bei der Apposition, bei nachge- 
stellten Adjectiven, welche den Artikel bei sich haben, und bei Eigennamen 
fallt die Auflösung durch einen Relativsatz weg. Findet man al)er in der 
lateinischen Übersetzung einen Relativsatz, so ist immer die Wiederholung 
des Artikels anzunehmen. So ist z. B. Leuit. 13, 3 Et pilus qui est in tactu 
conuertatur albus zu lesen: ij d-qi^ fj h xf^ ig)fj oder Leuit. 6. 32 (7, 2) 
Occident arietem qui pro delicto ante dominum xQibv xhv x^ig Ttkrjfiiieleiag 
Ex. 12. 4 ol iv TTj olxi(ic. In der Setzung oder Weglassung des Verbum esse 
gehen die verschiedenen Überlieferungen auseinander. In unserer Schrift 
kommen folgende Auflösungen durch einen Relativsatz ohne esse vor: 
(ien. 14,5. 6; Ex. 29, 13; Leuit. 9, 7; Num. 11,25; 20,9; 30,13; 31.10; 
35. 15 ; Deut. 31, 27 ; mit ergänztem esse : Ex. 3, 7 ; 12, 22, 27, 21 ; Leuit. 8. 
31 ; 2L 1 ; Nmn. 3, 3 ; 11, 4 ; Deut. 4, 32 ; lesu Naue 6, 2 ; 8, 18. Gen. 25, 31 
Uende mihi hodie primogenita tua mihi; sie enim habent Codices graeci. 
L bietet : rä /tQiorord'Kia aov mit Weglassung von /uo/. Gen. 46, 2 At ille 
respondit, quid est? dicens; ordo est: at ille rcspondit dicens: (juid est. 
T lässt keycjv weg; L construiert so: fcrKioß — 6 de elnev Ti iari; — keyiov 
'Eyco eif4i u. s. w. Ex. 2, 14 Si sie diuulgatum est uerbum hoc mit der 
Erklärung: j)endet sententia. L schreibt: El oVriog ifxq)aveg yeyove tö 
Qfi^a Tovvo; Ex. 3, 12 Et quod in graeco habet: dixit autem, quia ero 
tecura, intellegitur uti(|ue, quod dixerit ad Moysen ; totum autem hoc latinus 
addidit et ait : dixit autem deus ad Moysen. Diesen Zusatz muss wohl der 
Interpres in seiner Vorlage gefunden haben, währeud Augustinus griechische 
CVKÜces ihn nicht hatten; T und L bringen diesen Zusatz auch und der 
Lyoner Codex überliefert : dixit autem Moyses ad dominum. Ex. 4, 5 Et 
dixit illi. ut crcdant tibi; dazu bemerkt Augustinus: graecus non habet 
«et dixit illi'*, sed continuo adiunxit: ut crcdant tibi. L hat: ymI etne 
KVQiog. Ex. 6, 26 Hi sunt Aaron et Moyses, quibus dixit eis deus; sie enim 
habet graecus. L lässt auTolg weg. Ex. 11,2 Et petat unusquisque a pro- 
ximo et mulier a proxima uasa argentea sq(|. Bei T feldt : xai ywfj Ttaqit 
xrig TtXriaiov, Ex. 16, 29 Nullus uestrum egrediatur unusquisque de loco suo 
die septimo. T hat fxaaxog im Apparat, im Texte fehlt es bei beiden. 
Ex. 20, 24 Quod graecus habet iTtovofidacj. L hat dvo^tdaio. Ex. 21, 1 Et 
hae iustificationes quas pones coram illis ; bei L fehlt a. Ex. 24, 10 Et ui- 



— 184 — 

derunt locum ubi steterat ibi deus Israhel ; ibi fehlt im Texte hei beiden. 
Ex. 30, 13 Et hoc est quod dabunt tibi; Augustinus las offenbar: d(oaovai 
aoL SaoL, Ex. 35, 24 Et apud quos innenta sunt apud eos ligna ; apud eos 
lassen beide weg. Leuit. 13, 55 Et ecce commutauit tactus aspectum suuni. 
T und L haben für ec<;e fjöe ; es ist Idoij zu sehreiben, das wiederholt in 
dem Capitel vorkommt. Leuit. 20, 25 Et segregabitis uosmet ipsos. T hat 
eavTovg, L avrovg. Num. 5, 7 Et reddet cui reliquit ei; bei L fehlt avtiii, 
Nimi. 8. 19 Et non erit in filiis Israhel aeeedens filiorum Israhel ad sancta; 
T(üv viwv^lüQarjl fehlt im Texte bei beiden. Num. 11,4 Et promiscuus qui 
erat in eis concupiuerunt. T schreibt: iTce&vfirjaev. Num. 14, 24 Et indueam 
cum; bei T fehlt xor/. Num. 15,28 et remittetur ei; bei T fehlt: xai äq)€- 
d-tjaerai adtip. Deut. 2, 7 Dominus enim deus uester . . . cum praedixisset 
uester non tuus ; L hat ö -d-edg aov. Deut. 4,34 Si et temptauit deus ; xai 
fehlt bei beiden. Deut. 6, 12 Adtende tibi, ne dilatetur cor tuum; bei T 
und L und im cx)dex Lugd. fehlt: dilatetur cor tuum et. Deut. 11,7 Quo- 
niam oculi uestri lüdebant; T hat IcjQaycav. Deut. 16, 4 Et non dormiet 
de caniibus, de quibus immolaueritis : Augustinus las : av &variTe. Deut. 27. 
21 Malcdictus omnis qui domiierit; omnis fehlt im Texte beider. Deut. 31, 
8 Et dominus (]ui eomitatur tibi tecum; aoi fehlt im Text bei beiden. 
Damit breche ich ab in der Überzeugung, dass an gar mancher Stelle 
der griechische Text durch Berücksichtigung der Schrift Augustins weiter 
gefördert werden wird, und dass die hier angeregte Vergleichung des 
Originals auch in der früher angedeuteten Richtung gute Früchte bringen wird. 



Kleine Beiträge zur Kritik und Erklärung einiger 

Stellen des Livius 

von 

RUDOLF BITSCHOFSKY 

1. 

In der stürmischen Senatssitzung, von der L i v i u s II 29, 5 ff. bericlitet, 
waren drei Anträge gestellt worden. P. Verginius meinte, es könne sich 
nur um diejenigen Plebejer handeln, welche im Kriege gegen die Volsker, 
Aumnker und Sabiner gedient hätten. T. Larcius verlangte Berücksichti- 
gung aller, da alle verschuldet seien. Ap. Claudius endlich befürwortete 
ein strenges Verfahren, nämlich die Wahl eines Dictators. Nun heisst es 
nach der Ueberlieferung weiter 30, 1 multis, ut erat, horrida et atrox videbatur 
Appi sententia, rursus Vergini Larci(|ue exemplo haud salubres, utique 
Larci p u t a b a n t sententia ni, quae totam fidem tolleret. Die Construction 
dieser Stelle stösst auf Schwierigkeiten. Lässt man salubres als Accusativ 
von putabant abhängen, so überrascht vornehmlich der Singular sententiam, 
der durch den beigefügten Relativsatz quae totam fidem tolleret gegen jede 
Aendenmg gefeit ist. Bezieht man aber salubres als Nominativ zum Vor- 
ausgehenden, so entbehren die folgenden Worte des vom Zusammenhange 
geforderten Sinnes. 

Um diesen Schwierigkeiten abzuhelfen, hat man verschiedene Wege 
eingeschlagen. Diejenigen , welche putabant in r e p u d i a b a n t oder 
improbabant ändern wollten, übersahen, dass damit ein offenbar der 
Abwechslung dienendes Synonymum von videbatur verloren gienge. Gewalt- 
sam und willkürlich erscheint es , wenn H. J. Müller nach ( 5 e b h a r d 
putabant sententiam als Glossem ausscheidet. Wenn die Worte ursprüng- 
lich fehlten, so lag es weit näher, videbatur sententia ergänzend einzufügen. 
Mor. Müller liest e s s e e a m an Stelle von sententiam mit der Bemerkung, 
das von einem Leser zur Erklärung eingefügte sententiam habe diese 
Worte verdrängt. Dieser Vorschlag hat auch Zingerl es Beifall gefunden. 
Es ist aber nicht einzusehen, warum von melireren Wörtern, die ganz gut 
nebeneinander bestehen können, das eine die beiden anderen sollte ver- 
drängt haben. 



— 18(> — 

Vin YM einem siehereii Urtheile darüber zu gelangen, ob der über- 
lieferte Wortlaut dem Sebriftsteller zuzutrauen sei , wird vorerst dessen 
Eigenthümliebkeit näher zu untersuelien und mit den Voraussetzungen unseres 
Sprachgefühles in Vergleich zu bringen sein. Wenn die Stelle mit gering- 
fügiger Aenderung etwa so lautete: rursus Vergini Larciquc exeraplo haud 
salubres putabant sententias, utique Larci, (juae totam fidem toUeret, ich 
weiss nicht, ob uns daran etwas liefremden würde. Da das Ganze 
auch den Theil enthält , würden wir mit Leichtigkeit ergänzen : utique 
Larci <haud salubrem puta])ant scntentiam). (|uae totam fidem tolleret. 
Livius hat aber mit umgekehrter Construction das Verbum mit seinem 
Object in den besonderen Theil einbezogen und lässt so mit der eigen- 
thümlichen Stellung von j)utabant zugleich die Wiederaufnahme des HegriflFes 
sententiam (im Singular wegen des sich anschliessenden Relativsatzes) 
W^eissenborns Bedenken entgegen völlig motiviert erscheinen. Zum 
BewcMse , dass die von mir angenonnnene (Instruction dem Schriftsteller 
auch wirklich zuzutrauen sei , Hesse sich kaum eine schlagendere und 
gesichertere Parallelstelle anführen als 1 öO. wo von der Gesandtschaft der 
zwei ScUme des Tarquinius nach Delphi die Rede ist. Sie sollten wegen 
eines erschreckenden Vorzeichens das Orakel befragen. In ihrer Begleitung 
befand sich L. Junius Brutus. {J. 7: is cum pri mores ci\itatis, in quibus 
fratrem suum ab avunculo interfectum audisset, ne(iue in animo 
suo (|uic(iuam regi timendum ne(iue in fortuna coneupiscendum relinquere 
statuit contemptmpie tutus esse , ubi in iure pannn praesidii esset. Auch 
hier würden wir erwarten: is cum primores civitatis ab avunculo interfectos 
audisset, wie Madvig thatsächlich vermuthet, ohne jedoch die einschrän- 
kende Bemerkung unterdrücken zu können (E. L.* j). 66): ,,Sunt tarnen 
alia non prorsus dissimilia accomodationis ad propius 
exempla.'' Von Interesse ist auch die Beobachtung Weissenborns, 
dass schon V a 1 e r i u s Maximus (MI H, 2 interque ceteros etiam fratrem 
suum, quod vegetioris ingenii erat, interfectum animadverteret) inter- 
fectum gelesen und nur die relative ( -onstruction in eine andere verwandelt 
zu haben scheine. 

Die beiden eben behandelten Stellen und die darin deutlich ausge- 
prägte sprachliche Eigenthümliebkeit haben in mir die Ueberzeugung gereift, 
dass auch XXII 31 . 5 mit Drakenborch so herzustellen sei : ad mille hominuni 
cum iis Sempronio Blaeso quaestore amisso classis ab litoribus hostium 
plenis trepide soluta in Siciliam cursum tenuit. Die Aenderung des in P 
tiberlieferten amissum in amisso ist sehr einfach. Doviatius tilgte iis. 
Luchs liest an dessen Stelle mit Ruperti: Ti. In beiden Fällen ist 
nach amissum zu interpungieren. 



-- 187 — 



II 36 wird erzählt, dass dem Plebejer T. Latinius im Tramne Jupiter 
erschien und ihm bedeutete, dass der Stadt Gefahr drohe, wenn man nicht 
die «grossen Spiele" mit aller Pracht erneuere. Er solle sich aufmachen 
und dies den Consuln melden. §. 3 : quamquam haud sane Über erat religione 
animus. verecundia tamen maiestatis magistratuum timorem vicit, ne in 
ora hominum pro ludibrio abiret. Den Zweifel an der Richtigkeit dieser 
überlieferten Worte hat M advig angeregt (E. L.* p. 75). Er findet es 
sonderbar, dass au Stelle von religio das zweitemal timor tritt und dies 
in so zweideutiger Weise, dass der Satz ne . . . . abiret das Object dazu 
zu bilden scheine, dem geforderten Sinne ganz zuwider. Man müsse entweder 
et timor schreiben oder lieber timorem ganz beseitigen, welches Wort 
hinzugefügt worden sei, indem man den absoluten Gebrauch von vincere 
nicht erkannte. Moriz und H. J. Müller theilen Madvigs Bedenken, ohne 
seinen Aenderungsvorschlägen zuzustimmen. Während ersterer cumtimore 
vermuthet, erscheint letzterem timor que paläographisch wahrscheinlichen 

Madvigs Gründe sind nicht überzeugend. Dass Livius ein Wort 
durch ein synonymes anderes ersetzt, erklärt sich hinreichend aus dem 
liU)lichen Streben nach Abwechslung im Ausdrucke. Dass aber religio 
und timor thatsächlich verwandte Begriffe sind, lässt sich z. B. aus Cicero 
rep. I 15, 24 und 16, 25 entnehmen, wo erzählt wird, eine Mondesfinsternis 
habe den römischen Soldaten inanem religionem timorem que verur- 
sacht, und bei einer Sonnenfinsternis zur Zeit des Perikles habe sich der 
Athener summus timor bemächtigt. Letzterer Ausdruck ist gleichwertig 
der früheren Verbindung der beiden Synonyma. 

Die Möglichkeit, dass vielleicht ein Leser die Worte des Livius 
in der durch den Zusammenhang ausgeschlossenen Weise beziehen und 
verstehen konnte, berechtigt uns noch nicht, die reberlieferung für getrübt 
zu halten, um so weniger, als es durchaus nicht ohne Beispiel ist, dass 
zwei scheinbar eng zusammengehörige Satzglieder durchaus nicht in so 
uaher Beziehung zu einander stehen. So lesen wir bei Com. Nepos Ale. 7, 3 
timcbatur enim non minus quam diligebatur, ne secunda fortuna 
magnisque opibus elatus tyrannidem concupisceret. Dazu bemerkt Nipper- 
dey, ne könne nicht von timcbatur abhängen, da dieses absolut 
stehe, sondern es beziehe sich auf ein gedachtes cum vererentur, wie wir 
sagen „dass nicht etwa". Er belegt dann diesen Gebrauch durch eine 
Reihe von Beispielen. An der fraglichen Stelle des Livius mag es sich 
empfehlen, durch eine stärkere Interpunction, etwa einen Doppelpunkt vor 
ne, den freieren Anschluss des Satzes anzudeuten. 

Wien. 



lieber die antistrophische Responsion von zwei 

zweizeitigen Längen und einer vierzeitigen in 

einem ionischen Chorlied bei Euripides 



von 



SIEGFRIED REITER 

Ko88baeli und W e s t p li a 1 gebührt da» Verdienst, in jenen ionischen 
Chorliedern, in denen der Rhvthmus durch die Aufeinanderfolge von lonikem 
und Anapästen eine scheinbare Unterbrechung erfährt, die Continuität durch 

die Annahme vierzeitiger Längen (^ . ) hergestellt zu haben. Kräftig 

gestützt wurde eine solche Annahme durch jene Fälle, wo die vierzeitige 
Arsis und die beiden zweizeitigen Längen einander antistrophisch ent- 
sprechen. J^s war mir gelungen, hierfür ein Beispiel aus Aeschylus (Suppl. 
1029 ff. ::= 1037 ff. Wecklein) und zwei aus Sophokles (El. 1058 f. = 1070f.: 
1069 — 1081) aufzufinden ^), die ich trotz des Widerspruches, den ich von 
Einigen erfahren, für durchaus sicher halte. Eine weitere Bekräftigung 
soll jene Annahme durch ein Beispiel aus Euripides erhalten, wo die T'cber- 
lieferung jene Responsion an die Hand gibt, während die Herausgeber 
durch allerlei Aenderungen sie vertuscht haben. Ich meine das erste 
Strophenpaar aus der Parodos der Bakchen v. 64 — 67 = 68 — 71 , das 
folgendermassen überliefert ist : 
Str. Jlaiag änb yäg . _. » ^ ._ ' . 

ieqbv T^imXov dfieixpaaa d'oä^o) _ _ ' _ _ ' _ _ ' 

xd^atov, Bd^x^ov €val^Of,ieva. _ _ ' ^ _ ' _ _- ' ^ 

ant. rig dd(p %Lg öd(p; rig _ ^ _:_ _ _ ' 

^€?^dd'QOtg; i^TOTtog iaroj, arofia revcpi]- . _ ' ,. ^ ' ., ^ ' 

(xov ärtag i^oaiotjad'w ' rä vo^ia&ev' _ _ ' _ _ _l ^ ^ ' - 

rcf yccQ alei ^lovvaov vfivijaco. _ ^ ' , ^ * 

^) Das Nähere hierüber in meiner Abhandlung: „De synabarum in trisemam longitu- 
dinem ])roductaruni usii Aeschyleo et »Sophocleo'' (Dissertationes philol. Vindobonenses Vol. I, 
Leipzig-Prag 1887), S. 180 ff. 



— 189 — 

Lehrreich ist e», die Vorschläge der Herausgeber zu verfolgen, v. 64 
hat Hermann's Correctur yaiag allgemeinen Beifall gefunden. Nicht 
so einfach wollte sich in den folgenden Versen Concordanz in Strophe 
und Gegenstrophe ergeben. Die Art der Conjecturen zeigt jedoch , dass 
die Kritiker nicht die dem Sinne nach unanstössigen Worte beanständet, 
srmdem rein äusserlich die Worte dem metrischen Schema angepasst 
haben. L'nd wo es mit der (-onjectur durchaus nicht glücken wollte, da 
stellte sich als Zeichen der Verzweiflung die crux zur rechten Zeit ein: 
„Si in antistrophico versu genuinum est i^oaiovadw'^ , sagt Gottfried Her- 
mann in seiner Ausgabe (Leipzig 1823), „videndum est, an ßgo^icjc 
ortum sit ex ßQo^io)v, cum neglexisset aliquis librarius supra scriptam 
tenninaticmem r^v vcl ig. Bacchi ({uidem nomine hie non opus est et ele- 
ganter diceretur ßQOfinlfTriv nitvov, nee male ^oaC,(o ßQo^iioTig^. Dass in 
der That i^oacovad'a) die Lesart des dem L(aurentianus) und P(alatiuus) 
gemeinsamen Archetypus war, während öavova&u) auf einen metrischen 
Corrector zurückgeht, der sein Lichtlein glänzen lassen wollte, erhellt aus 
der werthvoUen Notiz, die Ewald B r u h n (Ausgewählte Tragr»dien des Eur. 
1. Bdchen., 3. Aufl. 1891) über die handschriftliche Ueberlieferung gibt: 
^iSoawiHjd'co L ante rasorem, P; baiovad-ia rasura effectum in L." Mit 
Recht wurde daher an i^oaLoiad-o) nicht gerüttelt; doch mit Unrecht in 
der Strophe die fehlende Silbe eingesetzt, rbv vor Ttdvov ergänzte Schöne 
j,durch dessen Hinzufügung die mangelnde metrische Entsprechung ge- 
wonnen werde'', ßgo^ufit &€(() (mit Synizese zu lesen) schrieb Nauck. 
Noch schwieriger war es, im letzen Verse Uebereinstimmung zu erzielen. 
L'nmethodisch änderten manche in Str. und Gstr. xä^arov, Bdxxiov ä^o- 
fiha d^edv = -ra yäq aiei Jiovvaov xeXadi^aa) (Hermann); x.^ ßdxxiov 
eva^ofÄeva &€(w, Gstr. . . ifivria(a Jiovvaov _^.'__-_. _ / _^ ' . (Bot he). 
Nauck endlich wollte die angebliche Glosse vfivrjao) durch xeXadio ersetzt 
wissen, worin ihm Bruhn und Rossbach HI », 2, S. 352 gefolgt sind. 

Andere Gelehrte erklärten den Text, wie billig, für durchaus heil 
und halfen sich, da das Metrum eben nicht stimmen wollte, mit der Annahme 
einer Art von Vorgesang, einer Proodos. So Heinrich Schmidt, Kunst- 
formen, HI, 46 und Wilamowitz-Möllendorff, der dies Lied als 
ein Zeugniss für das Unheil citirt, das präsumtive Responsion anstifte, da 
ohne diese Marotte die Verse ganz, wie sie in den Handschriften stehen, 
bleiben könnten (Hermes XV, 1880, S. 502). Ich unterschreibe nun die 
letzten Worte mit voller Ueberzeugung , halte aber die Annahme der 
Responsion nicht nur für keine Marotte, sondern für durchaus natür- 
lich und zwanglos aus den Versen sich ergebend. Mit gutem Grunde hat 
überdies G. Hermann gegenüber El msley, der gleichfalls an ein ^cr^or 
artoleXvfihfov, ein „durchcomponirtes Lied'* dachte, geltend gemacht, dass 



— 190 — 

sich in der Parodos der Tragödie die gleichzeitige Anwendung von Proodos 
und Epodos schwerlich nachweisen lasse, und dass sich hier zweifellose 
Spuren antistrophischer Gliederung zeigten. Schliesslich ist noch zu berück- 
sichtigen, dass die Dramatiker sich nur der strophischen, niemals der 
stichischen Composition der loniker bedienen (Rossbach IIP. 2, S. 331 ). 

Aus diesem Labyrinth von Schwierigkeiten scheint mir nur der eine 
Weg mit Sicherheit hinauszuführen , dass man sich , wie dies im obigen 
Schema angedeutet ist. dazu entschliesst. die Responsion eines vollen und 
eines synkopirten Fusses anzunehmen an dieser Stelle und an zahlreichen 
anderen in den Tragödien des Euripides, worüber das Nähere in einer 
bereits druekfertigen Arbeit demnächst dargelegt werden soll. 

Noch ein Wort zur Rechtfertigung der Kürze des anlautenden Vocals 
in i^vrfuo, welche von Elmsley und in neuerer Zeit von Sandys (The 
Bacchae of Euripides with critical and explanatory notes by John JMwin 
Sandys, Cambridge 1880) bestritten worden ist. Schon Hephaestion 
(I, 16 Gaisford; p. 8 bei Westphal, Script. Metr. Graeci I) spricht über 
diese Licenz und belegt sie mit Beispielen aus Kratinos, Epicharmos und 
Kallimachos. Die Stelle lautet: *'Höif] fihioi ij diä rov iav avvra^ig iTzoi- 
rjae tiov xal ßQaxelccv, (og Tcaqä KQaxivoj iv TlavoTcxatQ ' äXkovQtO''f'v(jj^ovg 
F,7CLki]af4oat fivrifxovvKolaiv (— Kock, Com. Att. Fragm. I, p. 61). y.cti tcqq 
* ETtLxccQLKtf iv MeyaQidi • evvfivog ^) nai jjovaixicv ^xovaa näaav (pikokvQog 
(=z fr. 69 bei Ahrens de dial. Dorica; S. 246 bei 0. Fr. Lorenz, Leben 
und Schriften des Koers Epicharmos etc. Berlin 1864) xort Ttaqu Kalh- 
fidx^l»' Ttog uev ö MvriadqxEiog iq^r^ ^ivog (Ifde avvaivm (fr. 27). Von Bei- 
spielen bei den Tragikern gehören hierher: Aesch. Ag. 980 rbv ifävev 
ktjgag 6'/iwg v^viiidei ^) ' ^ _ .. ' _ ^ ^:_ (str. xagdiag T€Qa(jx67cov Tiorä- 
Tat), 1459 TcokvfLivaatov iTtrivS^iaa) de alf.i ävvTvroVj Pers. 290 fis^vfjad'ai 
TOI Ttaqa (sämmtlich nach Wecklein), Eur. Iph. A. 68 didcod iXiad-ai 
-d'vyaTQt ^vriavrjQwv tva, 847 ailA* tj rcenovd^a duvd; fivrjaTevcj ydfiovg. 
Man wird also Hermann Recht geben müssen, wenn er sagt: ^Verbum 
ifivijaco de numero verborum , in quibns correptio ante duas consonantes 
admittitur. eximendum dieenti Elmsleio ego non aliter credam, quam ubi 
demonstratum videro neque Aeschylum v^vqtöel neque Epicharmum . . 
evv^vog ante litteras fiv correpta dixisse" (vergl. auch Nauck in seiner 
Uiasausgabe I, S.XV «; Christ, Metrik \ S. 14; Westphal ÜI», 1, S. 107f.). 

*) Der iScholiast zu Hephaestion (p. 109 AVestphal) bemerkt ausdrücklich : TQoxaixov 
yao To f4€Toov' xai edei rov ttqcjtov cljXovv :i66a eivai rgoxatov, 'Er y^Q ^^t^ :iegiTTaU 
To rgoxai'ffov ov dix^xai onovöeiov, a}X iv latg agtiaig. 

*) Hermann vermuthete fi€Xci)Öei, Da vi es ^ovfji>5«. 



Zur Frage des Nachlebens der altegyptischen 

Kunst in der späten Antike 



▼on 



ALOIS RIEGL 



JNaelistehende Abbildung (Fig. 1 ) gibt den bunt gewirkten Einsatz einer 
Tunika wieder, die in einem spätantiken oder frühmittelalterlichen Grabe zu 
8akkarah in Egypten gefunden wurde und derzeit im k. k. österreichischen 
Museum {Katalog der egyptischen Tej^tüfunde, Nr. 416) verwahrt wird. 

Die figürlichen Scenen in der Verzierung dieses blattf(3rmigen Einsatzes 
wiederholen sich in fast absolut symmetrischer Weise zu beiden Seiten 
einer mittleren Verticalachse : wir erkennen darin das Schema des sogenannten 
Wappenstyls. Inwieferne die technische Beschaffenheit dieses Einsatzes 
der beliebten Ableitung des Wappenschemas von gewissen textilen Techniken 
dire<*t widerspricht, habe ich in meinen Htilf ragen (Berlin, Siemens 1893, 
.S. 38 if.) erörtert. Aber auch der figürliche Inhalt selbst bietet — namentlich 
unter Hinblick auf die neuesten Versuclie, der altegyptischen Kunst einen 
sehr wesentlichen Antheil bei der Ausbildung der altchristlicli-byzantinischcn 
beizumessen — ein ganz eigenartiges Interesse, weshalb derselbe im 
Nachstehenden einer Besprechung gewürdigt sein mr)ge. 

Das blattförmige, rothgrundirte Feld des Einsatzes innerhalb der mit 
gereihten Knospen gemusterten Bordüre zerfällt in zwei Streifen. Betrachten 
wir zunächst den oberen. 

Wir sehen da in recht unbehilfiicher Zeichnung zwei menschliche 
Figuren dargestellt. Ihre Beine sind so bewegt, da>>s die beiden Figuren 
von der Mitte hinweg auseinanderzugehen scheinen; der Kopf dagegen 
ist zurückgewendet. In derjenigen Hand, welche der Mitte zugekehrt ist, 
hält jede Figur einen Stab, mit der anderen an den Oberkörper gepressten 
Hand scheint sie in der Richtung nach vorwärts zu deuten. Der frei- 



— 192 — 

gebliebene Griiuil int tliMcret mit ])flan/.liclien iiimI geoiiiptriKchen Ornamenten 
in streng symnietriocher Vortlieiliiiig ausgefüllt. 

Wen liaben wir nun in diesen beiden Figuren zn erkennen? Die 
Antwort gibt nnB die eigetitliüiiilielie Haartracht. Dieselbe kelirt an den 
egj'ptisehen Textilfnnden . wi viel mir bekannt, nur mich einmal wieder: 
am Gewandeinsutz Katal. Xr. 410 im üsterreicliiselieii Museum. Dort ist 
c« eine kniende Fran , die mit lieideii Händen Kränze eniiiorliltlt. In 




unserem Falle lässt scliou das Attribut <Ies Stabes auf eine mämüiche Figm- 
scliliessen. Die Haartraelit aber iht zweifellos die Perrneke der Egypter der 
Plianuinenzeit, wie sie iu den alten GrUbern bildlich dai^r****^'!* gewesen 
waren. Wie nun die überwiegende 5Iehr/.ahl der egyptischen Textilfunde 
lehrt, hat die eg\-ptische Kunst in sjiiltantiker Zeit nicht mehr die phara- 
onisch-egyptische , M(in<lorn die eonventionello kurze Haartracht der helle- 
nistiiK^h-rümiwheu Antike zur Darstellung gebracht. Die Figuren uneerefi 
Einsatzes zeugen demj^egenübor von einem gelegentlichen Zurückgreifen 



— 193 — 

auf die alten nationalen Typen. — Wenden wir uns nun zur Betrachtung 
des unteren Streifens. 

Da gewahren wir beiderseits je einen Nachen mit zwei darauf betind- 
liclien nackten menschlichen Figuren. 80 viel die unbehilfliche Zeichnung 
erkennen Hlsst, sind dieselben als jugendlich und bartlos aufgefasst. Unter- 
halb der hinteren Figur hängt ein Ruder über Bord des Nachens in das 
Wasser herab. In der Mitte zwischen den beiden Nachen ist in den rothen 
Grund ein grün grundirtes, annähernd spitzovales, von schwarzer IJmriss- 
linie umzogenes Feld hineingesetzt, worin zwei Fische und eine Anzahl 
heller Flecken sichtbar werden. W^r dürfen darin wohl ein geschh)ssenes 
Netz erkennen, welches die Schiffer von den Nachen aus zusammenzuziehen 
bemüht sind. Die ganze Scene im unteren Streifen bedeutet also einen 
Fischfang. Dies bestätigen des Weiteren die unter den Kähnen symmetrisch 
verstreuten Fische , die akanthisirenden Halbpalmetten, die wohl Wasser- 
pflanzenwerk vorstellen sollten, und zu unterst ein gleichfalls für sich abge- 
schlossenes und grün grandirtes Feld, wo abermals ein Fisch zappelt. 

Anscheinend haben wir also eine Genrescene vor uns. Eine solche 
ist an den egyptischen Textilfunden , die ja bereits nach Tausenden die 
europäischen Museen füllen, zumindest eine seltene Erscheinung zu nennen; 
wir sind \Tielmchr gewöhnt, an den bezüglichen Gewandverzierungen figür- 
lichen Inhalts überwiegend mythologische, christliche oder historische Stoffe 
verw^endet zu sehen. Freilich ist das Genre an sich der antiken Kunst 
mindestens seit hellenistischer Zeit durchaus nicht fremd gewesen; aber 
ein so vereinzeltes Beispiel auf eng begrenztem Gebiete fordert doch dazu 
heraus, für die bescmdere P>scheinung eine besondere Erklärung zu versuchen. 

Wir haben nun bereits bei der Betrachtung des oberen Streifens eine 
Eigenthümlichkeit zu vermerken gehabt, wofür wir innerhalb der grossen 
Masse einschlägigen Fundmaterials bisher blos ein einziges Seitenstück 
zu c^>nstatiren vermochten. Es war dies die pharaonische Haartracht, v<m 
der wir wissen, dass dieselbe in spätantiker Zeit nur mehr ein historisches 
Dasein auf den Wänden der altegyptischen Gräber und Temi)cl geführt 
hat. Wie, wenn man die beiden Eigentliümlichkeiten des oberen und unteren 
Streifens miteinander in Verbindung setzte? Wenn man es unternähme, 
auch den Anstoss zu unserer Fischfangsceue in der pharaonisch-egyptischen 
Kunst zu suchen? 

Genreartige Darstellungen aus dem Alltagsleben sind in der That 
ganz besonders charakteristisch für die künstlerische Ausstattung der egyp- 
tisclien Gräber aus der Pharaonenzeit, namentlich der älteren Dynastien 
gewesen ; freilich war ihre Bedeutung daselbst keine genremässige, sondern 
eine sehr ernste gegenständliclie : sie hieng bekanntlich mit den sinnlichen 
Vorstellungen der Altegypter vom Leben nach dem Tode zusammen. Tnter 

Eranos Vindobonensis. 13 



— 194 — 

den beziigliclien Gräberbildern findet sich der Fischfang mit Netzen in der 
That nicht gelten dargestellt (z. B. bei Lepsiua II 9, 42 und noch öl'tcrl. 
Dazu gesellt sich die analoge Gestaltung der Nilboote. Aufwärts gerichtetes 
Vordertheil mit freier Endigung in ein sogenanntes Papymsprofil (anstatt 
der drcitheiligen Blüthe auf unserem Einsätze), das Hintertheil scharf senk- 
recht abgeschnitten, die aus langen flossartig ühereinandergelegten Latten 
zusanunengeHigten Naehcnkörper durch mehrfache verticale Bänder zusam- 
mengehalten — also fast genau dieselbe Bildung wie an unserem Einsätze — 
begegnet z, B. an einem Nilboote bei Priaae d'Awnnes II 6 : Ohasse aiix 




marais, oben. Die Scliifter sind in den alten Gräbern gleichfalls jugendlich, 
bartlos und grösstentheils nackt dargestellt, und sogar für ihre eigenthüm- 
lielie Stellung im Bilde des Einsatzes — des aufrechtstehenden sowohl, der 
mit gespreizten Beinen und ühereinandergelegten Armen am Netze zieht, 
als des dahinter knienden, der gleichfalls das Seil mit beiden Händen au 
sich heranzuziehen scheint — lassen sich Parallelen in altegyptischen Gräbcr- 
bildcni beibringen (z, B, Lepaius II, 42, 43, 46). 

Dass ogyptiscbe Kunstler der hellenistischen und römischen Zeit sich 
gelegentlich aus den alten Gräiiern Anregungen geholt haben, wurde bereits 



— 195 — 

von Masp^ro (Les peinttires des tombeaux (fgyptiens et la moaalque de Pale- 
Htnne, Gazette archMogique, 1879, 77 ff.) ausgesprochen und zu begründen 
gesucht. In unserem Falle würde es sich aber augenscheinlich nicht so 
sehr um die Uebertragung einer pharaonischen Kunstform in's Hellenistische, 
als um eine unmittelbare Reprise der ersteren handeln. Die Figuren im 
oberen Streiten sind leibhaftige alte E^ypter, und von dem Inhalte des 
unteren Streifens haben wir bis jetzt höchstens an den akanthisirenden 
Halbpalmetteu im Wasser zweifellose Beziehungen zur classischen Antike 
festgestellt. 

Solche spätantike oder frühmittelalterliche Reprisen von Darstellungen 
aus der altegyptischen Sepulkralkunst will man nun in neuester Zeit nwh 
mehrere gefunden haben. Dieselben hängen gleichfalls mit dem Sepulkral- 
wesen zusammen : stammt unser Einsatz von einem Todtenlaken, so wurden 
jene andenveitigen einschlägigen Beobachtungen auf Grabsteleu gemacht, 
(layet (in seiner Publication dtv Monuments coptea in den Mimoires publik 
par les membres de la mission archeologique fraiu;aise au Caire, und ganz 
besonders in der Artikelserie über „La sculpture copte"^ in der Gazette des 
dteaujc-arts, 1892) und Ebers ( Sinnbildliches , Leipzig 1892) haben aus den 
iiltegyptischen Elementen, die sie auf frühchristlichen Grabstelen aus Egypten 
wahrnehmen zu können vermeinten, sehr weitgehende Schlüsse gezogen, und 
geradezu eine Renaissance der pharaonischen Kunst in der altchristlichen 
Kunst Egyptens behauptet. Wie ich aber in der ByzaiUinisclien Zeitschrift (II. 
112 ff.) nachgewiesen zu haben glaube, ist zu solchen Folgerungen auch nicht 
^innähemd ausreichender Grund geboten. Die Zahl der bisher zweifellos 
nachgewiesenen altegyptischen Elemente in der frühchristlichen Kunst 
I*4cyptcns beschränkt sich auf Eins.- auf das Henkelkreuz. Die aus <ler 
pharaonischen Sepulkralkunst zweifellos entlehnten figürlichen Darstellungen 
auf den Grabstelen schrumpfen gleichfalls auf 1-2 zusammen Es wird 
sich daher empfehlen , auch hinsichtlich der Fischfangscene im unteren 
Streifen unseres Gewandeinsatzes noch einmal zu untersuchen, ob sich 
nicht doch eine Verbindung derselben mit der classisch-antiken Kunst her- 
stellen lässt, in welchem Falle die Noth wendigkeit hinwegfiele, das Vorbild 
für diese Scene in der altegyi^tischen Sepulkralkunst zu suchen. 

Hierbei kommt ein Textilfragment zu Hilfe, das gleichfalls aus einem 
spätantiken Grabe stammt, zu Akhmlm (dem alten Panopolis) gefunden 
wurde un<l gegenwärtig im Britischen Museum verwahrt wird. Es ist ein 
Leinenstoff, auf welchem die Zeichnung in Wolle mittelst Plüschweberei, aber 
bei nicht aufgeschnittenen Noppen, gearbeitet ist. Das South-Kensingtou 
Museum hat ihn im Portfolio of Egyptian Art, Part 4, farbig in natürlicher 
(f rosse publicirt; eine reducirte Abbildung (Hg. 2) in Schwarzdruck folgt 
hier anbei. Wir gewahren da in einem Nachen zwei Knaben, die durch ihre 

13* 



— 196 — 

Beflügelung als Eroten gekennzeichnet erscheinen. Der links befindlich« 
führt daB Ruder, die Handlung des anderen ist zwar nicht mehr deutlicl 
erkennbar, weil der Stört" nur bis zu dieser Stelle erhalten ist, dürfte abei 
mit dein Fischtang zusammengehangen liaben, da wir unterhalb den Schwan: 
und die Flossen eines Fisclies deutlich walirnehmen. 




Dadurch iUllt bereits Lieht auf die Fischer unseres Einsatzes. Fassei 
wir nun einmal die Kopfbildung derselben schärfer in's Ange, die sc 
gar nichts vom altegyptischen Profil besitzt, wogegen sie den dicken Kinder 
köpfen, der zweifellos von der classisehen Antike inspirirten Gewandver 



— 197 — 

zierung aus Akhmtm sehr nahe steht. Nur der Mangel von Flügeln lässt 
uns einen Augenblick zögern, die Fischer unseres Einsatzes schlechtweg 
für Genien von classisch-antiker Abkunft zu erklären. Aber auch dieses 
Bedenken lässt sich durch ein weiteres monumentales Zeugniss einschlägiger 
Art und afrikanischer Herkunft verscheuchen. 

Meinem Am tscoUegen Dr. Masner verdanke ich die Kenntniss des 
Mosaiks von Constantine (Algerien), wovon ich eine Reproduction nach Bosds 
Dtctionnaire Fig. 539 hier (Fig. 3) beifüge. Da haben wir unten die zwei 
Nachen mit je zwei Putten , der eine mit dem Ruder beschäftigt , der 
andere fischend, in weitgehender, aber nicht peinlicher Symmetrie einander 
gegenübergestellt. Die Erklärung für die künstlerische Bedeutung dieser 
►Scene gibt die Umgebung. Poseidon und Amphitrite sind es, die oben 
auf ihrem Wagen einherfahren, umflattert von Eroten und umringt von 
den flossenbewehrten Bewohnern des Meeres. Ganz unten gewahren wir 
zwei gekrönte, aber ungeflügelte Eroten, die auf Delphinen reiten und 
Bhimengewinde streuen. Sowie diese letzteren zwei Eroten zum Gefolge 
des Meergötterpaares gehören, werden wir das Gleiche auch von den 
Schiffern annehmen dürfen. 

Es ist also keine Genrescene, entstanden etwa unter Inspirationen 
von Seiten der altegyptischen Kunst, die uns auf unserem Gewandeinsatze 
aus Öakkarah entgegengetreten ist. Das Sujet ist vielmehr ein mytho- 
logisches, und reiht sich sonach der grossen Zahl solcher Darstellungen auf 
den bisher zu Tage geförderten egyptischen Textilfunden der spätantiken 
und frühmittelalterlichen Zeit zwanglos an. Für die perrückenartige Haar- 
tracht der beiden Figuren im oberen Streifen wird sich allerdings kaum 
eine andere Erklärung finden lassen, als ein bewusstes unmittelbares 
Anknüpfen an eine conventioneile Bildung der altegyptischen Gräberkunst. 
Aber die Fischfangscene ist classisch-antikem Kunstboden entsprossen, 
woran auch der Umstand nichts zu ändern vermag, dass der Gewand- 
wirker diesmal eine alterthümliche Form des Nilbootes, wie sie zu seinen 
Zeiten noch in Gebrauch gestanden haben mag, zur Darstellung gebracht 
hat, und dass auch in der Haltung der Figuren einige — wahrscheinlich 
durch die gleichartigen Handlungen bedingte — Verwandtschaften mit 
analogen altegyptischen Grabreliefs zu Tage treten. 



Ein Beitrae: zur Orestie 



von 



SIEGFRIED MEKLER 



Zum Gewaltigsten, was uns Aesehyhis' Genius geschenkt hat, che 
sovra gli altri com' aquila vola, zählt der Ausgang der Choephoren. 
Oreste« hat den rächenden Doppelmord vollbracht. Eben noch schwelgend 
in dem berauschenden Bewusstsein einer schonungslosen (^enugthnung für 
die Ehre seines Hauses, tuhlt er sich alsbald nicht mehr im Vollbesitz 
seiner Sinne, hat aber noch Kraft genug, die Rechtfertigung seines Handelns 
summarisch darzuthun und un verholden die Urheberschaft des pythischen 
Gottes auszusprechen, laut dessen Wort die Verübung der Rachethat ihn 
ausser Schuld setzen, ihre Unterlassung aber schwerer Ahndung über- 
liefern sollte: 

l'cjg d* ix ^fiqiQwv ei/ii, xrjQvaacj (piXoig 

'Kraveiv vi q>ri/ic firiTSQ od/, ävev dlxrig, 1025 W(ecklein) ^ 
TvavQOTirovov f.uaaiJ.a xal d-eiov arvyog, 1^)24 K(irchhoff ) 

xai (piXvQa rdkinrjg rT^cTÖe TtkeiaT'qQi^o/iac 
tbv Tivd-diiavTiv Ao^iav^ x^rjOavi i^ol 
TTQaSavrL juev ravz ey^rög alz tag xaytl^g 
elvat, Ttagevra d' — 0V7. igio rtjv ^rjjLiiav' 1030 
rdSqf y&Q ovrig 7trifxdt(ov 7UQ()ai£etai, 
Und nun steht er im Begriff nach Delphi aufzubrechen, um daselbst 
die Sühnung der Blutschuld zu finden: 

xflfi vvv oQdTe pL y log TcaQeaxevaauivog 
^vv Ti^de d-akhp xal areq)€i TCQoai^oinai 
fx£a6^q>ak6v d-^ldqvua, ^o^Lov Ttedov 
TtvQog TE (peyyog utpd'LTOv xe'/J.rjf4evoVy 1035 
(pevytav t(5<J* cufia xoivov • ovd* t(p eariav 
äkhriv TQOTtead'aL uic^iag iq)i€To. 



— 199 — 

Soweit wäre alles in bester Ordnung ; hierauf aber folgen acht weitere 

Verse, deren erste Hälfte seit jeher zu Bedenken herausgefordert hat, 

welche die andere Hälfte so wenig zu zerstreuen vermag, dass sie den 

missliehen Eindruck einer tiefgreifenden Verderbniss nur noch zu verstärken 

geeignet ist: 

lü d* iv ;f^ov(^i /iOi Ttävtag 24.qyeiovg kiyo) 

y.ai jiiaQvvQeiv fxoi fuvekeiog eTvoQainf^-rj x«xd. 
iyoß d' dkijurig Tilade y^g ä7cn^evog 1040 

^lov xai Ted-vrpicog rdade xXrfiovag /utviov. 
XO. dAA* ev te rtqd^ag iurjd* irci^evx^ffi arofxa 
(prjfijß TtovrjQci f.ir^d' iTtiykcaaao) '/M'/,d' 
i?^vd'€Qojaag Ttäaav Jdoyeiiov 7c6?uv 
dvolv dqctKdvTOLv EVTcEtmg reimov xdga, I045 

Man sieht soviel : der Chor sucht den Muttermörder über die Berechti- 
;^mg seiner That zu beruhigen, indem er mahnt, es gebe für Orestes, 
welcher Argos von der Herrschaft des verhassten Buhlerpaares glücklich 
befreit habe, keine Veranlassung, seinen Mund zu Bösem aufzuthun — 
eine Zuversicht freilich, welche der unmittelbar darauffolgende erste Anfall 
der Erinyen gründlich Lügen straft. 

Ich habe die Stelle nach M gegeben, von dem ich (abgesehen von 
1044, wo yiQyticjv Correctur in b für ^iqydriv ist) nur in 1042 f. abge- 
wichen bin, und zwar einmal damit, dass ich mit den Herausgebern das 
Chorsigel hinzufüge, welches in der Hs. fehlt, sodann mit der Aufnahme 
der zweifellos richtigen Hcath'sehen Verbesserungen fTtii^evx^fjg avopia 
fftjUT] 7tovriQ(e für iTtiC^evx^^Tfl (JTÖina (prifxai novr^qai, IJebrigens hat schon 
Stanley 9^1^//^ Ttovr^qa schreiben wollen, was Dorat und Tyrwhitt 
vorziehen; q)rjf4aig TtovriQoig (vergl. %lrid6vag) liegt vom Ueberlieferten 
weiter ab. Sollte nun in die Worte des Chors Ordnung kommen, so war 
le mit Duport in yt, nqd^ag aber und eXevd-EQi'taag mit dem Genannten, 
beziehungsweise mit Tyrwhitt, Heath und Bio m fiel d in iTVQaSag 
und tjkev&tQwaag zu corrigiren , und so lesen wir denn bei Weck lein 
sowohl in der Gesammtausgabe als der der Orestie: 

XO. d/A' ei y titqct^ag //ijrf* ^^i^^^X^lJS (Ji^o/na 
(prjfijj TtovTjQi^c urid^ irciykiaaaG 'Aaxd ' 
ty^^vd-eqwaag Ttäaav yiqyEuov TtnXiv 
dvolv ÖQa'KovToiv EVTtenog TEjuoßV xdga ')^ 
womit ein immerhin befriedigender Gang der Rede gewonnen ist. 

Sehen wir nun aber zu, was für Aeusserungen Orest's den Chor zu 
jener Mahnung und Beschwichtigung bestimmen mögen, so stechen wir in 

*) ijXev&iQcoaag hat auch Kirchhoff's BeifaU gefunden, der hinpepen fjtoa^ag 
nicht der Erwähnung würdigt. 



— 200 — 

ein wahres Wespennest vou Anstössen und Schwierigkeiten. Da ist, um 

mit dem Alleraugenfälligsten den Anfang zu machen, der monströse 

Siebenfiissler 

xflff juaQrvQslv fdoi uevelecjg iTtoQGvvxhfj xcnui. 

Es mag ja hingehn, wenn H. Vi eh off schon auf dem ersten Blatt 
seiner Sophokles-Uebersetzung ^) sich dergleichen gestattet: 

Du hast mit günstigen Vogelzeichen einst das Land 
Gerettet; als denselben Retter zeige nun | Dich auch. 

Oder wer wollte es einem Grössern verdenken, w enn er ein System antiker 
Senare mit dem unwillkürlichen Septenar 

Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuss 

anheben lässt? (Faust, zweiter Theil, IV. Act, 1. Scene.) Aeschylus 
aber ist an dem kleinen Ucberschuss eines Fusscs unschuldig, mag auch 
immerhin die Vita ihn als Ttäat zolg dwafiivoig oyy.ov rfj q>qäaEi TteQid-eivaL 
XQiOLievov bezeichnen. 

Ich habe die formale Unmöglichkeit an erster Stelle genannt, weil 
sie sich ohneweiters dem Ohr verräth; der zweite Bang gebührt wohl 
der sachlichen Seltsamkeit, in diesem Zusammenhang den Namen Mene- 
leos zu finden, der dazu passt wie Pontius in's Credo. Der Gedanke, 
dass hier irgendwie und irgendwo eine Lücke klaifen müsse, hat sich 
zuerst Otfried Müller aufgedrängt; auf diesem Wege sind ihm andere, 
wie G. Hermann und J.Franz, gefolgt; dass jedoch BleveXEtag ein aus 
der Zerstörung des Textes durch einen grössern oder geringern Ausfall 
bewahrt gebliebenes Stück vorstelle, schien Franz und andern mit ihm 
ein zu abenteuerlicher Einfall Müll e r's , als dass eine förmliche Wider- 
legung für erforderlich gegolten hätte. Aber der Name steht nun einmal 
da — blieb also nur die andere Möglichkeit, ihn durch Schnmipfung 
aus der Welt zu schaffen und damit zwei Hiegen auf einmal zu treffen. 
Wen es gelüstet, der mag Wecklei n's Ausgabe S. 252 aufschlagen, wo 
ein ganzer Regenschauer von fiev, tog u. ä. disiecti membra Menelai nieder- 
geht. Ich habe umsoweniger Anlass, die vielen der Stelle gewidmeten Vor- 
schläge hier namhaft zu machen, als die discutabcln unter ihnen ohnedies 
an ihrem Ort noch genannt werden sollen. 

Die beiden Bedenklichkeiten, von denen eben die Rede war, wiegen 
sicherlich schwer genug ; allein mit ihnen sind die Sonderbarkeiten dieses 
Versungethüms , das soviel Räthsel aufgibt als es Worte hat, noch lange 
nicht erschöpft. Um ihm beizukommen und festzustellen, was nach allem 
Vorangehenden und Folgenden , der vorhin genügend gekennzeichneten 

») Sophokles, üebersetzt von H. V. Erster Tlieil. HUdburghansen 1870, S. 36 (Köoig 
Oedipus, erster Auftritt). 



— 201 — 

Verballhornung zu trotz, Orestes in diesem Augenblick sagen muss, scheint 
es nöthig, von den Worten Tcdvrag JiQyeiovg leyo) fxaQTvqelv f40i aus- 
zugehen. Sie können nur entweder bedeuten: ich erkläre, behaupte, 
dass die Argiver insgesamrat mir (wir wissen nur nicht was) bezeugen, 
oder: ich heisse sie mir (dieses noch Unbekannte, oder doch vorläufig 
nicht in Erc^rterung Stehende) bezeugend) Ein Drittes gibt es nicht. Eine 
Beziehung auf die Vergangenheit wird durch iv XQOVV an sich weder 
gefordert, noch ausgeschlossen , die Wendung ist eben ihrer Natur nach 
gleichwie „in tempore'^, „mit der Zeit"* — zeitlos. Wohl aber wird darüber 
Einverständniss bestehen, dass der mit rie 6* iv XQov({t /loi beginnende Satz 
nichts der Vergangenheit Angehöriges berührt, da die Argiver dem Orestes 
bisher überhaupt nichts zu bezeugen Gelegenheit hatten. 

Ob der Dichter eine Amphibolic beabsichtigt, wer wollte das bei 
dem in Rede stehenden Textzustand behaupten ? Uns bleibt nur die Wahl 
zwischen einem aftirmo und einem iubeo, und weil Iv XQ^>^U^ ns^oh dem 
soeben Bemerkten nur auf die Zukunft gehen kann, wieder nur die 
Alternative: a) ich behaupte, dass die Argiver mir in Zukunft, irgend 
einmal . . . bezeugen werden, und b) ich heisse sie es, gleichfalls in 
Zukunft, thun. Nur dem zweiten Fall genügt leyo) /laQTVQelv; dagegen 
bedingt der erste, wie mich dünkt, selbst dann /ÄaQrvQrjaeiv, wenn 
man dem visionären Charakter der Ansprache Orest's die grössten Cou- 
cessionen macht. Zwei prophetische Worte Kassandras im Agamemnon 
mögen zur Veranschaulichung dessen dienen, was ich meine: 

tx Tiovde Ttiuväg (prifil ßovkeveiv tivä 1222 
/Jovi civaXxiv iv kexEi atQa)q)widevov 
üiy.ovQov, ouioi, Tip uokovTL dea7C()rfj 
und bald nachher 

JlyafASjuvovog ae (pf]f.i Inoxpead^ai inoQOv, 1245 

Dort die Verkündigung dessen, was Klytämestra eben jetzt im 
Schilde führt, hier der Ausblick in eine freilich unmittelbar nahe Zukunft. 
Eine Berufung auf Fülle der Tempusvertretung wie in 

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit 

glaube ich also ablehnen zu müssen und sehe, indem ich den oben mit b) 
bezeichneten Fall vorläufig nicht ausschliesse, in der auch nur möglichen 
futurischen Deutung des (.laQTvqelv den dritten Anstoss der Stelle be- 
gründet, selbstverständlich blos alternativ, so dass er von selbst fortfiele 
in dem Augenblick, da bj sich als richtig erweist oder — eine dritte 
Möglichkeit sich ergibt. Diese aber lässt sich nicht anders herbeiführen, 

') Zu )Jyoy = xF.Xevm verjcleiche, nm nur das nächstliegende Beispiel anzuführen, 
Toi'f d* fif Ti jioietv, roi's 6e /i»J n donr Xeycor Cho. 551 W. (540 K.) 



— 202 — 

als indem man dem Gedanken an einen Ausfall Raum gibt, wodurch 
keyoj und ^aqivqeiv aus ihrer Verknüpfung gerissen würden. Nicht leicht 
werden wir zu solchem Radicalmittel greifen, am allerwenigsten dann, 
wenn nicht mit Ausschluss jedes Zweifels ersichtlich wird, nicht nur dass 
etwas fehlt, sondern auch was fehlt. 

Nun erwäge man Folgendes : wer fiaQtvgi^aeiv an Stelle von fdagw- 
Qeiv jiioL einsetzen will, gewinnt nichts, weil damit die beiden Haupt- 
anstösse nicht getilgt sind, und kann nicht umhin, mit gänzlicher Ignorirung 
dreier Silben (^eveIe) entweder 

y.al idaQtvQtjuEiv lo g eTtoqavvd'ri naxd, 

was mit itiaQTVQEiv /iol unverträglich wäre , oder ähnlich zu schreiben ^) ; 
vielmehr wird er an der Leerheit der Worte, im Zusammenhalt mit der 
Nothwendigkeit einer Kürzung des leidigen 168ilbigen nvlyog, erst inne 
werden, wie recht Franz hatte mit der Statuirung eines Hruchs, sei 
es nach juaQTVQEiv f40i, sei es vor iTtoQGvvd^rj 7,axd. Aber auch, 
wer Afyc(i = iubeo fasst, wird sich bei genauerem Hinsehen in eine 
ähnliche Lage versetzt finden, wie ich gleich des nähern ausführen will; 
anders gesprochen: wer die Worte keyio . . . fxaqcvQElv fxoi = antestor 
Argivos universos unangetastet lässt, ist genöthigt auch noch ander- 
weitig zu ändern, gewinnt also nicht nur nichts, sondern sieht sich vor 
einer doppelten Alteration des Ueberlicferten. 

Einmal nämlich kann die Unhaltbarkeit des xai Niemandem ver- 
borgen bleiben. Bei leyo) xal fxaQcvQEiv ist für keine der Bedeutungen 
dieser Partikel Raum, und man hat denn auch viel an ihr herumgebessert.*) 
„Und" oder „auch", ein jedes hat zur Voraussetzung, dass etwas vorauf- 
ging, was die Ueberlieferung nicht darbietet, und dies Voraufgegangene 
muss wohl mindestens einem der beiden Verba, die xcr/ einschliessen, 
grammatisch oder doch sachlich coordinirt gewesen sein. Diesen Mangel 
nenne ich den vierten bedenklichen Punkt. Der Verdacht, dass nicht 

') Blomfield stallt um: xai fiagTvgeiv fiev <bg (oder xai fiagrvQei Xstog^ c&c) 
FJTOQovv^ xaxa xad* . . . Xsyco , womit nichts erreicht ist; Abresch xai fxaQzvgeh' fioi 
d*(!) <hg £;r. x., Franz (s. oben S. 200) Xiyco (xoivfj xofU^siv} fhq fjt. x, xai fiagrvgsTr 
fiot ^dvafiogcp neqpvxony, worin nichts braachbar ist als die Trennung der ersten Hälfte 
von 1039 von der zweiten, Todt avfJLfJLagxvgeXv fikv (og i:r. x., Th. Heyse mit Benützung 
eines Davies'schen Vorschlags fJiagxvgeXv (^(hg ivSixojg jicjigay/ieva , xai ovoxevsivy dtg 
fteXe e:j. x., Wecklein endlich xai fiagTvgeXv wg lövde ovv dtxjj /nogov firjxgog fiex^X' 
^ov, xai ovvaigea^ai xaxd. Anstatt cog haben Stanley und Butler jxcog, Wake- 
field ojtfog f Schütz und Klausen oo(a), Heimsoeth oT(a), Hermann ^ fiiXe* 
vorgezogen. 

') xaxafiagxvgetv corrigirten Wakefield und Bothe, ^v/Afiagxvgety Schütz und 
Todt, sigoofiagxvgeTv Stanley, ex^agxvgeiy Hermann — ein Schwanken, welches nur 
zu sehr zu Gunsten der Ueberlieferung spricht. 



— 203 — 

nur die Hälften von 1039 aueeinanderzufallen haben, sondern, dass auch 
vor diesem Vers etwas verloren sein müsse, steigert sich aber, wenn hinzu- 
genommen wird, was unter andern Umständen als stilistische Besonderheit 
allenfalls unschwer zu rechtfertigen wäre: die Wiederholung des i^ni in 
der Art, dass es in zwei hintereinander folgenden Versen an derselben 
Stelle figurirt: rä S" iv XQ^^^H* i"Oi, xat fiaQTVQsiv fnoi. Das zweite konnte, 
wie wir sahen, fallen, doch ohne dass das Opfer es lohnte ; wer aber wird 
dem ersten etwas anhaben wollen? Die so günstige d^ro xotvo0-Stellung 
des zweiten /hol zwischen fAaQivQelv und inoQavvd-rj wird nur durch das 
MQN^A^ilC genannte Hinderniss verdunkelt — Grund genug, einen 
fünften Stein des Anstosses zu zählen. 

Die Wahrscheinlichkeit, dass unser d^yj^^'^ov die Stelle also darbot : 
t4 (f iv XQ^^^V h^^ Ttdvcas Mqyeiovg Xayio 



xai fAaQivQeiv jnoi f fAevikecog .... 
iTtoQGvvd-r^ naxä, 

dürfte Jedem einleuchten, der mir bis hierher aufmerksam gefolgt ist. Mir liegt 
aber auch die andere Beweislast auf, zunächst zu erhärten, dass die Gedanken- 
kette in der That nicht schliesst — dies gilt von der ersten Lücke — 
sodann noch eine Erklärung für den Zustand von 1039 zu geben, die, 
glaublicher als die 0. Müll ersehe, zugleich eine Handhabe abgeben kann 
für die Ergänzung des zweiten Ausfalls. 

Indem ich mich hierzu anschicke, wende ich mich der Beantwortung 
der Frage zu, die so mancher meiner Leser schon längst auf den Lippen 
hat: was denn wohl die Argiver dem Sprecher der Worte bezeugen 
sollen oder werden. Denn dass sie auch jetzt noch das Subject des, 
wie wir sahen, in die Zukunft verlegten laaQtvQelv vorstellen, daran zu 
zweifeln haben wir keinen Grund. Die Frage nach dem Obj ect beantwortet 
sich mir ganz so wie den oben Anm. 202, ^ genannten Kritikern dahin, 
dass e« kein anderer ist als fihg oder ola) iTtoQavvx^r^ yLaxd — und nunmehr 
darf ich mit noch grösserer Zuversicht als früher als sechste IJnzukömm- 
liehkeit da« Fehlen einer Einführung des Objectsatzes in Rechnung stellen. 
Oder was will man, nach Abzug des ja nur eventuell brauchbaren 
üs, mit der übrig bleibenden „Wortleiche" (wie Gomperz einmal in 
einem ähnlichen Fall sagt) anfangen? Ich kann mich ebensowenig ent- 
schliessen, mit Weck lein (Appendix S. 252, Orestie S. 232) kTtoQtJvvd-ri 
einfach zu eliminiren, ehe ich seine Unzulässigkeit erwiesen sehe, als 
etwa mit Mehreren fii?.ea y.a'/>d (vergl. ebd.) zu schreiben, ehe ich 
mich von seiner Zulässigkeit (an einer nicht melischen Stelle!) über- 
zeugen kann. 



— 204 — 

Soviel scheint mir bei aller Zerrüttung der benachbarten Worte und 
bei aller Unbestimmtheit der Wendung — die übrigens mit der von mir 
adoptirten Heimsoeth'schen Einführung an 

Pers. 270 (pqdaaifx av oV iTvoQGvvd-rj xaxd 

eine nicht geringe Stütze hat — doch erkennbar, dass Orest mit 1039, 
laute dieser Vers wie immer, auf mildernde Umstände plaidirt. 
Welcherlei xorxa er hierbei im Auge hat, das geht mit aller wünschens- 
werthen Deutlichkeit aus der Erwiderung der Xoriq>6Qot hervor, die mit 
fxrid' eTtiykiaaao) xorxa auf ijtoqavvd^ ma^d und mit 'qJjEDS-eqiaaag 
Tcäaav Mqyeicjv tvoXlv auf TtdvTag IdQyeiovg reagiren. Der 
Chor weist sonach auf die verdienstliche, um des Gemeinwohls willen 
vollführte Rachethat hin; er sucht damit dem selbstquälerischen Wahn 
des eben in diesem Augenblick, knapp vor dem Auftauchen der Furien, 
in Schwermuth sinkenden Orest zu begegnen, als seien ihm (beachte 
den Aorist) oder würden ihm (wofür wieder iv XQ^^V spricht) irgend- 
welche xaxa erwachsen. Die Sühnung, die ihm bevorsteht, ist ihm 
eine selbstverständliche Consequenz des ins talionis; das Furchtgefühl, 
das sich seiner bemächtigt hat — ^QÖg de xagöiif (poßog qdetv Vroi^og — 
kann nicht als ein Collectivum bezeichnet werden; — es bleibt dem- 
nach , da ihn zum Ueberfluss der apollinische Spruch für den Fall der 
That tKxbg ahiag '/,a/.rig stellt ') , er folgerichtig nach verübtem Mord in 
diesem Sinne schuldlos ist, nur noch ein Weg offen, weitere Uebel, die 
ihm auferlegt sein können, namhaft zu machen. Ich sollte meinen, dljJTrjg 
tfiade yfjg aTt/t^evog spricht beredt genug. Gemeint ist das ^iaa^a, das 
ihn aus dem Kreise der Menschen scheucht, dasselbe, dessen demüthigende 
Folgen der Orest der taurischen Iphigenie so ergreifend darstellt: dem 
Muttermörder weicht alles aus, 

TTQtdra f4€v fx ovdeig ^evwv 
evuov ide^ad' , a>g d-eoTg azvyovpievov * 
oi d ^axov aldw, ^evia /AororgdTte^d fxoi 
TtaQsaxov . . . 950 

aiyfj d^ ire/.tijvavz^ otc^ äip&eyxtdv -) ^i\ Snwg 953 
daiTÖg y^voi^rpf TtiofAaiog Tavriov dixct, 

^) Die Adversativpartikel in 1083 wiU diese Handlungsweise des Gottes mit der 
der Landslente Orest' s in Contrast setzen, was auch Erwägung verdient. 

^) So habe ich für das unmögliche dji6(p'&eYi<T0v geschrieben. Je ne pense pas qii*on 
puisse dire dstotp&sYXTog pour äq^eyxxog : car djtö n'a le sens privatif qu'en se joignant 
k des substantifs, comme dans ä^eog, ojtojtoXig, djioxQfjft^arog. Cependant la conjeoture de 
Hermann d:tQ6ö<p&eyxTov ne satisfait pas. So Weil, dessen eigene Yermuthung eixor ^do- 
vijv oiyfj T, hexxT'ivavxo i äcp^syxxov fi das üeberUeferte minder leicht erklärt; das 
Gleiche gilt von Wecklein's ixexxt'ivatTo xäfi äq^^syxxov c&^. 



— 205 — 

IjXyovv de aiyfj xäSoxovv ov'a, eldivai, 

fieya avemC^Vi oVvex ii f4,rjiQ6g (povevg, 
Vergl. Choeph. 290, Soph. Oed. R. 238, Dem. XX, 158. 

Die Ausschliessung aus dem Verkehr mit seinesgleichen ist die Folge 
jener yij«»j TvovrjQa, wogegen eben der Chor deprecirt, und zur Gewissheit 
wird diese Bezugnahme durch das vorherige 

^cüv xflft tedyrfKojg zdade xkridovag Ai tcwv. 

Wie aber, fragen wir, kann es zdade heissen, wenn die nkriddveg, 
der böse Leumund , vorher mit keinem Wort berührt waren ? (Die Be- 
ziehung auf die ahia xaKr^y zwölf Zeilen früher, ist schon durch das 
oben Gesagte ausgeschlossen). Erst nachträglich erkennt man deren 
Identität mit der q>/jfirj TtorriQd. Man sieht, hiermit ist ein directes 
Kriterium dafür geliefert, dass vor xal fjagzugelv zum mindesten ein Vers 
fehlt, der des fÄiaa^a oder der mit ihm verbundenen xaxai y.lrfiov£g 
gedachte — und so gilt mir denn das jetzt beziehungsh)se rdaöe als 
siebente der Schwierigkeiten. 

Sagte aber Orest: „In Hinkunft, so erkläre ich, werden mir die 
Argiver insgesammt die Befleckung mit Mutterblut nachtragen ; 
nun denn, so mögen sie mir auch bezeugen, was ich (vor derThat 
und erst recht nach ihr) zu leiden gehabt habe", so fallen die Punkte 
drei (keyw fiaQivQelv), vier ('nai), fünf (/loi), sechs (Fehlen des oJa) und 
sieben (rdade), und die Rede gibt gesunden Sinn.^) 

Fassen wir zusammen, so dürfte nicht leicht eine äschyleische Dialog- 
stelle mit sachlichen, logischen, grammatischen, metrischen und stilistischen 
Abstrusitäten so reich gesegnet sein wie die vorliegende. Den monstri*)sesten 
darunter, der ersten und zweiten, haben wir nunmehr an den Leib zu gehen ; 
und indem ich den Stier bei den Hörnern packe, nehme ich 0. Müllers 
Gedanken in modificirter Form wieder auf und behaupte, dass ^evilEwg 
nicht irgendwoher versprengt, nicht corrupt, sondern echtester Aeschylus ist, 
gerade so gut wie seine ganze Umgebung. In dem Sinne, mein' ich, wie 
derselbe Dichter sich auch a^x^'^^^og appellativ gestattet hat, Pers. 300 W. 
{ag%ekei(jt)v\ ratv ßaaiXewv, dTth zov twv kaiov üqxeiv mho\,)^ dy tjo llaog 
frg. 406 N. ^ , bei Athen. III ', p. 99 B : ^cimovidrig tvov 6 Tcoirjvfjg d q i- 
ataQXOv Eine zbv Jia xal ^laxf^Xog rbv ^L^idrjv dyriaiXaov, Hesych. 1, 19 
dyeaiXaog ö IJXovvwv, Vergl. xqo caiXewg Agam. 671 W., Eur. El. 534.^) 

^) Anders Weil in der (xiessener Ausgabe: videtur Orestes omnes cives obsecrare, 
vi sibi olim testes sint patriae a misera Servitute vindicatae. 

') Auch Aristophanes braucht dgxe^ag, Ritt. 164 ; hierbei sei an die kleisthenische 
Phyle der /iQxe^aot Herod. V 68 erinnert. Für ernste und scherzende Neologismen dieser 
Art wie /*iv avdoog, fieve. xgdrrjg u. dergl. ist die genannte Athenäuspartie, zusammen mit 



— 206 — 

Es kann keinen Augenblick zweifelhaft sein, dass das Epitheton dem 
Orest selbst zukommt, der in die Heimat kam, um hier als ein „Mannen 
bestehender" Apollon's Gebot zu erfüllen. Ich weiss wohl, dass der Chor 
Kiliscra instruirt, als sie nach Aegisth gesandt wird (V. 751 f.), und dass es 
zum Kampf gar nicht kommt, da dieser ohne seine koxlrat erscheint ; allein 
Orest musste sich auf einen Kampf Zweier gegen Viele gefasst machen. 
Er verdient also, wenn ich so sagen darf, nicht ivsQysiijc, aber dvväuei das 
Prädicat, das der Dichter vom Namen seines Oheims hertihergenommeu 
hat, und er durfte seine Rede folgendermassen schlie^ssen: 

rä d* iv X9(5n/> fioi ndvxag 2dQyeiovg )Jyu) 

<T ö invaog iTToiaeiv tovt ' iTzaiTOvuai d* 6' 1/ w vr> 

nai uaQTVQeiv /tioi, /tieve kefißg (.ziuaoQotg 

(puviüv navQitßtüv o/') iTuoQavvO-rj 'Kand. 

Schliesseu sage ich, womit ich mich allerdings mit der Vulgata in 
Widerspruch setze, nicht aber mit dem Laur. M ; dieser gibt freilich (s. o. 
S. 199) alles weitere bis 1045 dem Orest^); eben dieser Umstand aber 
fordert zu neuer Erwägung auf, wem die Verse 1040 f. 

eyto rf* aAj^rijg ifiaöe yfig uTco^svog 

uwv xai ted^vri/,iüg rdade '/,kr^ö6vag Xinior 

von rechtswegeu gehören. Wie, höre ich einwenden, sollte darüber gestritten 
werden können angesichts des an der Spitze stehenden lyw ? Hierauf ent- 
gegne ich mit einem achten indicium corruptelae, dass nämlich hinter 
XiTtiov ein verbum finitum venuisst wird. 2) Ich eigne mir einen Vorschlag 

IleUadius in Photius' Bibliothek , S. 532 b, Fundgrube ; beide zeigen , dass die Sache dem 
älteren Dionysios, og s:iexstQr]oe xal igayq)dtag yQaq^eiv, zur Spielerei geworden war, s. Nau ck* 
S. 71)6. In fivaTfjgtov Mausloch, oxin-agvov Schafwolle und ähnlichen etymologischen Rebussen 
ist Geist vom Geiste Wippchen's, vielleicht mit etwas Symbolismus versetzt. Inwieweit die 
Tragödie derlei nugae zulassen mochte, entzieht sich unserem Urtheil gänzlich; die 
Möglichkeit möchte ich nicht geradezu bestreiten, wie Nauck mit Meineke, thut. Eis 
ist wahr, für uns haben Bildungen wie Scharfrichter (= Kritiker), Markomane (= Phila- 
telist), Sternwarte (= ordenssüchtiges Knopfloch), Walk-üre (= Küchenfee) jenen paro- 
distischen Charakter, der die VorsteUung des emsthalten getragenen Stils gar nicht auf- 
kommen lässt; aber wer steht dafür ein, dass der t^.vioztjg (=6oiöv^)f der lax^o^ 
(=1 XoToog), das iXxvÖQiov {= xdöog) nicht z. B. im sicherlich satyrischen Atfiog (oder 
wie da.s Stück des s^Takusischen Tyrannen sonst hiess) ihren Platz hatten? 

^) In der That wollte Scaliger v. 1042 e:iii^evx^o) schreiben. 

^) „Videtur esse vel lacuna vel aposiopesis vel error in voce kuitov*^ Boissonade. Jede 
dieser Eventualitäten hat Vertreter gefunden. Ximo (so Jongh) taugt nichts; glaublicher ist 
Weil's Vennuthung (pevyo) 6\ im Hinblick auf Agam. 1281 qp>vyag 6^ aXi^trjg rfjods yrj'g 
(L-zö^erog , nicht übel Dobree's cUiJr?/? elfti ytlg djio^evog. Für Unterbrechung der Rede 
durch den Chor entscheidet sich Franz, während wieder andere, znletzt Wecklein, 
<ler Hermann-Dindor fschen Ansicht den Vorzug geben, dass hinter 1040 Lücke anzu- 



— 207 — 

Jacobs' an, in anderem Sinne allerdings als er ihn gemeint hat, und 
schreibe, um Licht auch in diesen letzten dunkeln Winkel zu bringen: 

-VO. iyilßd^' akijTrig Tfjade yfig ccTtd^evog 

^(ov '/mI TeO-vrj'M'ßg Taade Tckrjödrag kiTCiov, 
aXii ei y iTZQa^ag, jwijd* ^^i^evxO'jjg ozofxa 
(prjfÄjj 7vovriQ(^ fxrid^ Irriyhaöau) TLa^d' 
fjkevd-eQioaag Ttäaav ^Qyeiwv Ttöhv 
dvolv dQuadwoiv euTzeriog ref-Kov vAQa. 

Der Chor erwidert: Ich weiss woran Du denkst: verfolgt von dem 
peinigenden Gedanken an die Folgen Deines Thuns, an das Exil, das Du 
dir auferlegen musst. an die Notlnvcndigkeit, im Leben und im Tode der 
üblen Nachrede zu entgehen, hast Du doch recht gehandelt, u. s. w. 

So Hchliesst denn, wenn meine Ausführungen das Richtige treflfen, 
Orest's Rede genmdet und geordnet ah, und die Gegenrede des Chors 
fügt sich ihr lückenlos und wohlverständlich an: 
Orest. Der Blutbesudlung grauser Ruf verlässt mich nun 

Nie mehr bei Argos Bürgern; so erbitt' ich doch, 

Sie mögen auch mir zeugen, welch ein bittres Los 

Dem unerschrocknen Rächer seines Hauses fiel. 
Chor. Ich weiss es: unstet, von der Heimaterde fern. 

Scheust Du vonn Schmilhruf lebend und im Tod zurück — 

Doch Deine That war edel; drum empöre nicht 

Zu arger Vorbedeutung Deine Zunge sich; 

Du bist's, dem Argos insgesammt Befreiung dankt. 

Des Drachenpaars behendem Ueberwältiger. 

Der Chor hat kaum geendet, als Orestes den Schreckensruf ausstösst: 

a a 

dfuoal yvralxeg aVde roQyovcor äii^-qv 
(faioyjTCovig '/ml 7ten)^Y.Tav^ufivaL 
TTWAHug dQavMvaiv, 

Wenn Hermann zu dieser Stelle schreibt : (piis vero sibi persuadeat 
Oresten, cum Furias conspicere sibi videtur, tam frigida uti posse chori 
compellatione, ist ihm unstreitig redit zu geben. Es genügt, 

duitjal yi-vaiy.egy dio/ndcwv evd'TjuovEg^ 77 K. (83 W.) 
Elektras erste Ansprache an den Chor der Dienerinnen, zu vergleichen, 
um sich bewusst zu werden, welcher Abstand der dramatischen Temperatur 



nehmen sei. Doch ist nicht abzusehen, was an dieser Stelle verloren sein soll, nnd die 
fiemfiuig auf die Zahlensymmetrie (s. AVecklein, Orestie zu 97111'.) müsste kräftigere 
Stötzen haben. 



~ 208 — 

zwischen den beiden Situationen hen'seht. Das yvvaiTLEg also, weit entfernt, 
den Mägden des Hauses zu gelten, weist mit Sicherheit auf die grauen- 
volle Erscheinung der ^yxorot nvveg. In diesem Augenblick hat Orestes 
alles um sich her vergessen und starrt nach den Schreekgestalten, vor 
denen seines Bleibens nicht ist. dfucjai kann daher nicht richtig sein: 
deivai hat B u r g e s , w^or/ F. W. Schmidt in Vorschlag gebracht , um 
anderes zu übergehen; Ttoiai schreibt Hermann, psychologisch viel 
wahrer, paläographisch aber wenig glaubwürdig. Ich meinestheils sehe in 
JMil^l die leichte Verwischung von ^MfiA' \): 

& ' u (0 V ywaiTLsg aide roQyoviov diY.T^v tfaioxircjveg . . . ; 

Sein Entsetzen ist so gross, dass er die Ungethüme gar nicht für 
körperliche Wesen (fWQfpfig axtjiacrra bei Euripides) zu halten wagt: ,.sind 
dies denn wahrhaftig Weiber . . .?" Die Attraction des Genus in aide . . . 
(paLOxixioveg . . . 7re7ti.eY.Tavrifxevai begreift sich von selbst , schon um der 
Gorgonen willen, an deren Habitus Orestes durch den ihm völlig neuen 
Spuk gemahnt wird. 

Dem grandiosen Erinyenbild wächst an Kühnheit der dichterischen 
Conception nichts zu, wenn der Bericht der Vita mit h rfj ifridei^ei xiav 
Evuevidcjv aTcoQaäriv eioayayovia xbv xoqbv Toaotzov iii7c).^^ai rbv dfjuov, 
(oave xä ^dv vi]7Tia iycilfv^ai , rd 6* lußQva i^außkiod-fivai die Wahrheit 
redet, es büsst aber auch nichts ein. wenn er, wovon A.Müller 
(Grieeh. Bühnenalterthümer, S. 291) und andere überzeugt sind, in's Reich 
der Fabel gehört. Man weiss nicht recht, sind seit den Eumeniden unsere 
Nerven stärker oder schwächer geworden, da es der „Macht der Finster- 
niss", „Musotte"^ oder den „Gespenstern" bisher wenigstens nicht beschieden 
war, ebenbürtige „kathartische'' Effecte d/rö axrivTig zu erzielen? Genug, 
wenn jemals eine Bühnenillusion besinnungraubend, herzbethörend zu wirken 

*) Den zahUosen Belegen der Comiption von A in A oder vice versa füge ich einen 
Fall bei, Stob. Ecl. I, cap. XLI 1, vol. I, p. 27') W. in der Aufzählung der hermetischen xvgiat 
öo^ai : :iäv xo ov Öittov, ovSh rwv d%'T(i)v Farrjxev. non intcllego bemerkt W a c h s m u t h ; 
zu verbessern war -tciv t6 ov &ttov „schwingt", vergl. gleich nachher ov .Tcerra »fvxfj xiveTrat^ 
jfäv 6k ov yfvx'i xivel, und S. 274 ^rcirr« r« orra xiveixai' fidvov xo /*>/ o%' axivrjzov. An. 
Wiederholungen mit variirtem Ausdruck fehlt es nicht in dem ermüdenden Einerlei dieser 
in ihrer antithetischen Anlage so ungeniessbaren Manifestationen an Tat. Verwandt ist 
der Fall, dass AAA, wenn sie sich benachbart finden, unter dem wechselseitigen Eiufluss 
zum Verschwinden neigen. So in dem vor Kurzem von Hugo Rabe im Rhein. Mus. N. F. 
XLVII, 3. S. 404 ff. publicirten Lexicon Messanense de iota ascripto, dessen viereinhalb Folien 
uns so überraschend viel des Neuen und Bedeutsamen zur scenischen Literatur bringen. 
AVcnn es daselbst S. 406 (f. 281 r 1) unter dem Lemma SotpoxXijg 'Ai'^dfiavrt heisst: otvco 
yag ijutv 'Axekrooi nga vn, so liegt schwerlich etwas anderes zu Grunde als Axt^fi^og (Ax- ?) 
udga va. Statt vieler Parallelen sei nur das herondeische dog mstv dSgwg genannt. 



— 209 — 

vermocht hat, war es die, mit welcher die Choep hören abschliessen, 
und mehr als das : wenn jemals ein Dichter bei dem Wagniss, kurz nach 
einander im Bereich einer und derselben Dichtung dieselbe 
Situation, noch dazu nur episch zu reproduciren , nur noch gewann, war 
es der, welcher den Prolog der Eumeniden schrieb. 

Denn auch die Schilderung, welche die Pythia, noch des Entsetzens 
voll aus dem Innern des Tempels zurückgekehrt, von der wundersamen 
Weiberschaar entwirft, die sie dort in Schlaf versunken erblickt habe, 
sucht an colossalischem Wurf ihresgleichen in der Weltliteratur. 

xtavuaaTÖg hixog 
eVÖel yvvaiY,iov iv x^qovolöiv ijf.i€vog. 
ovTot yvvalxag, älkä FoQyovag Xeyo), 
ot'(J* aite roQyeioKJiv eindaio rvTcotg. 
eiäüv TtOT fjdij Oivewg yeyqa^f^evag 50 

duTcvov cpsQovaag' ajcTEQoi ye (Arjv Ideiv 
avxai^ /nelaivai <J' ig tö Ttäv ßöeXvxTQOTtoi ' 
^eyxovGi <J* ov TtkavolaL q)vaidfiaaiv, 
e/, <J' dfif-iczTcov keißovaL Svag)Llfj Xißa, 

Darin also, dass die ungeheuerlichen Wesen flügellos sind, weichen 
sie vom Harpyientypus ab, die „Schwärze" aber und die Schcusslichkeit 
theilen sie mit ihm. In ßdeliviTQOTtoL steckt dem Anschein nach mehr ; 
zwar der Scholiast lässt uns im Stich, wenn er axvd-QioTtoi beisetzt, das 
dem geforderten Begriff des Ekels und Absehens nicht Rechnung trägt, 
und vollends, wenn er umschreibt: äg rig ßdeXv^airo xai i/,TQa7t€irj^) 
uKjtjaag, womit zwar jener Zweck erfüllt, aber ein Dvandva geschaffen 
wird , das ich nicht erst als unmöglich zu erweisen brauche. Wir sind 
mithin auf die Zerlegung in ßdelr/,-TQ07ioL angewiesen, „von ekler Arf. 
Zugegeben nun, es könne TQOTiog gemäss dem Tenor der ganzen Schilde- 
rung hier die von der Priesterin eben jetzt mit Auge und Ohr wahr- 
genommene äussere Erscheinung der Erinyen bezeichnen — wofür 
190 JTffff d" bcpriyelzai xQimog (vergl. Schol.) spricht — so ist doch über 
die Aporie nicht hinwegzukommen, die in der Composition nach ihrer 
formalen Seite liegt. 

Sehe ich recht, so ist A. Nauck ausschliesslich sprachlichen Erwä- 
gungen gefolgt, als er Kritische Bemerkungen IX, S. 193 (M(^l. Gr.-Rom. 
Tome V) schrieb: „Bis Andere lehren wie ßdekvurQOTtog zu rechtfertigen 
sei, möchte ich ßdeXv/^ieoi vermuthen. Die handschriftliche Lesart ist viel- 
leicht eine durch den Schreibfehler BJ^AYKTAIOI hervorgerufene Cor- 
reetur." Die Wahrscheinlichkeit seines Vorschlags scheint mir sehr gering: 

*) So Paley und Kirchlioff für eyroajisitj. 

Eranos Vindobonensis. j[4 



— 210 — 

wie sollte wohl TAlOI zu TPOnOl umgewandelt werden, wo die Ver- 
besserung in TtEO/ auf der Hand lag? Dagegen halte ich die Voraus- 
setzung, dass ßdelvATgoTzog ein Unwort und dem Dichter diese Missbildung 
nicht aufzubürden sei, für durchaus begründet. Aus der Stammcomposition 
konnte nur ßäelvSivQOTrog oder allenfalls ßöe'kvy.voTQOTtoq hervorgehen. Da 
formale Gründe keines von beiden zutiessen, was blieb übrig als zu ßdt- 
XvY,'VQ07tog zu synkopiren? So scheint es; hält man aber auf griechischem 
Sprachgebiet Umschau nach Analogem, so merkt man erst, auf wie schwachen 
Füssen die Wortform steht. Man vergleiche nur äu(^i)^OQ€vg, aqfvojva- 
'Äig, fi(f.n)(.udL(ÄVov^ d-dQ(ao)awogj TialadnaJ/nivd-ri, yMQÖfauJd^ucjuov, X£/.or/- 
(vo)ve(prjg , XeifTtojTzvgiay aA,iii(7to)7tovg^ TQayiij(So)diddaxa?Mg (ebenso 
y,(ou(i)(öo)didda'Kakog); auch dTviaf&oJO^evaQ wird so erklärt, doch vergl. 
dma-a^ßio Soph. frg. 373 N^. Hierher gehören ferner BXi(7te)7tvQog, "^Elkd- 
(voJvrKog, ^6(ka)l€mcog, naXa(^io)^ifjdi]g, UoiufevJavdQog u. ä. Namen. Ver- 
gleiche ausserdem sti(pi)pendium , ve(ne)nificus ^) , und auch im Bereich 
moderner Wortbildung auf antiker Basis Ido(lo)latrie, Mo(no)nom, Minera- 
(lo)logie, Para(gra)phe, Volu(mo)meter, Maxim(aem)ilian etc. 

Ji/,QdTJig und K?Mjnaxog will Baunaek auf Ji(Y.o)'/,QdTrig und 
Klei(vo oder To)iiaxog zurückführen , doch erkennt man leicht , dass die 
Bildungen sowohl untereinander als gegen die obigen gehalten etwas 
abweichender Natur sind. Ein IlleifazoJaO'evijg muss darnach gelten, selbst 
ein rhQafÖQajxiJov darf als vulgäre Form nicht beanstandet werden. Ob 
aber ßdekm-tQOTcog durch die mitgetheilten Beispiele genügend legitimirt 
ist — das einzige nvy(uo)i^axog mag sich ihm an die Seite stellen und 
auch da bedarfs der Synkope nicht — wird man billig bezweifeln müssen, 
und es fragt sich, wie zu helfen. Eine M(»glichkeit sehe ich in der geriug- 
lügigen Aenderung ßdilvY,TQ dni ^Scheusale an Stimme "", was sofort 
diu'ch ^eyAovGL od Tt'Kavdiai q^vauiuaaiv erläutert wird. Zu de = yäg vergl. 
z. B. 62 lavQmiavcLg 6^ iart. Hds?A/.TQov kann ich freilich nicht nach- 
weisen, doch ist es regulär gebildet nach d^ikniQov, Xi<iQov, jitdxTQov, 
7ikri/.TQ0v, ad'AiQa, rdQaxvQOv u. ä. 

*) S. Co rasen, Ausspr. u. Vocal. 111, 347, 525. Leo Meyer, Vergl. Gramm. I, 281. 
August Fiok in Kuhn's Zeitsclir. f. vergl. Sprachf. XXII, 99 flf., 371 f. S. Bugge in Jabn's 
Jahrb. CV, 104. O.Keller, Rhein. Mus. 1879, 499. Gust. Meyer, Griech. Gramm. .302. 
Baunaek in Curtius' Studien. X, 122. Zuletzt J. M. St o was s er. Das Verbum lare (Pro- 
gramm des Franz Josefsgymnasiums, 1892), S. 12. Prof. Stowasse r's brieflich gegebenen 
Winken verdanke ich die Xachweisiing des grossem Theils der hier aufgeführten Artikel. — 
Vergl. neuerdings Krumbacher, Etudes de philol. neo-grecque 352 und AV. Förster, 
W. Stud. 14, 319. [Herr Prof. Gustav Meyer theilt mir mit, dass er in der specieU dieses 
Wort betreffenden Frage nichts von Belang kenne, es sei denn Boediger's Hinweis auf 
<!as andei-s geartete BöeXvxUor (De priorum mcmbrorum in nom. gr. comp, conformatione hnali. 
L. 1866, S. 11); Synkope aus ßSsXvxToo-roojiog möchte er nicht abweisen. Correcturnote.] 






Zur handschriftlichen Ueberlieferung der Thebais 

des Statins') 



von 



CARL WOTKE 



liS sollen drei Handschriften besprochen werden, deren Werth für 
die Classificirung der Codices nicht nnbedeutend ist. Zunächst will ich den 
<N)d. Paris. 10317 (P*^) anführen, dessen Bedeutung für die Achilleis 
Kohlmann erkannte. Ob er auch für die Thebais von solcher Wichtigkeit 
8ei, konnte dieser Gelehrte nicht angeben, da ihm eine Collation desselben 
nicht zu Gebote stand. Eine genaue Beschreibung findet sich in der Praefatio 
der Achilleis von Kohl mann. Femer will ich noch zwei Handschriften 
behandeln, die von mir zuerst zur Textkritik herangezogen werden. Es 
ist das ein Pariser Codex s. X, der jetzt die Signatur „Nouv. Acquis 
Lat. 1627'' trägt. Durch Libri \^Tirde er nach London entfuhrt. Bereits 
Hrequigny hatte ihn gekannt und eine Collation des ersten Buches an- 
gefertigt, die sich mit einer genauen Beschreibung im 35. Bande seiner 
Schriften von S. 100 an befindet. Brequigny's schriftlicher Nachlass 
ist in der Nationalbibliothek aufl^ewahrt. Die genauen Angaben dieses 
(ielehrtcn ermöglichten es Lcop. Delisle mit Bestimmtheit in der Hand- 
Kchrift Libri Nr. 24 unseren Codex zu erkennen. (Vergl. Leop. Delisle, 
(/atalogue des fonds Libri et Barrois, p. 93 und Notices et extraits des 
niss. de la Bibliotheque Nationale, t. XXXI, P'*" parte, p. 282.) Obgleich 
die Handschrift der Bibliotliek des H. Martin zu Tours von Libri 
«rcstohlen worden war ^), so kam sie doch nicht mehr dorthin zurück, sondern 
blieb in der Nationalbibliothek zu Paris. Eine ausfuhrliche Schilderung ist 
bei Delisle, a.a.O. zu lesen. Sie soll mit T bezeichnet werden. Endlich 

^) Verpl. Zeitschr. f. östeir. Gym. 1891, S. 200—202. 

*) Vergl. Delisle, Notice aur les mas. dispanis de Tours, p. 12G et 200. 

14* 



~ 212 — 

wird uns noch der Cod. Sangallensis Nr. 865 s. XII (vgl. Seh er er» 
Catalog) beschäftigen, der leider nicht vollständig ist. Er soll die Signatur 
G tragen. P° und G wurden von mir selbst coUationirt. während ich die 
Vergleichung von T durch Vermittlung der ^>ole pratique des hautes 
6tudes der Liebenswürdigkeit des Herrn Lebegue verdanke. Im Folgen- 
den wird eine Collation des 1. Buches mitgetheilt werden, die nach Kohl- 
m a n n's Text angefertigt ist. Leider überzeugte ich mich erst später, dass 
A. Imhofs und Otto Müllers Klagen über die Unzulänglichkeit des 
kritischen Apparates jener Ausgabe nur zu berechtigt seien, so dass ich 
mich der Sigeln der ausgezeichneten Arbeit Otto Müllers (Leipzig 1870), 
von der bisher nur der erste Theil erschien, bedienen werde. 

P° ist durch Kohlmann in seinen Eigenthümlichkeiten von der 
Te üb n ersehen Ausgabe der Achilleis her genügend bekannt, so dass 
weitere Bemerkmigen nicht uöthig sind. 

T besitzt 2 Reihen und ist im Ganzen ziemlich gut geschrieben. Der 
Copist verstand von der Sache nicht viel, häutige Genusfehler bei den 
Adjectiven sind von der Hand des Glossators ausgebessert worden. Andere 
nennenswerthe Correcturen sind [nicht vorhanden. Die Vorlage war noch 
in der Scriptura continua geschrieben. Dies erhellt daraus, dass der un- 
wissende Schreiber öfters Worte ganz falsch theilte und zusammenschrieb. 
Im ersten Buche geschah es an folgenden Stellen: 171 ve neno, 173 hanc 
ne, 175 sub dere, 185 adusque, 189 hie ne, 219 so lutos, 236 pi acula, 
244 adiunctasi nistro, 254 iu vencae, 271 flucti-vaga, 287 medetur, 295 
ad toUat, 388 ad clinis, 462 ab orto, 481 passisubiere , 500 ul tro, 524 
per domitam, 562 post quam, 570 per quirens opu lenta, croto ni, 572 
pe nates, 591 exanimo, 610 etiamunca, 637 inferi as, 645 ce de sub egi, 
658 far etras, 661 de pelle glo biun, 666 (piot annis, 700 in gratis. Während 
sonst bereits allgemeine Assimilation herrscht, ist in fast noch immer rein 
erhalten. Dass fast innner loetum geschrieben wird, dürfte kaum auffallen. 
Einige Male begegnet uns die Contraction von ii in i, so 153 tiri, 154 
perit. 494 und 671 it. Oefter ist eine Silbe ausgefallen, die dann noch 
von der ersten Hand ergänzt wurde, z. B. 180 extentur für extenditur, 
317 Decere für decedere, 500 repare tÜr reparare, 527 iuves 
für iuvenes, 573 in temer a für intemerata und noch öfter. 

Was G betrift't, so muss Scherers Beschreibung volles Lob gespendet 
werden. Eigenthümlich ist der leider unvollständigen Handschrift die Gcm- 
mination des i, so 53 dii, 62 petii, 69 mii. 79 hiis, 621 hü. Es stehen 
Glossen am Rande und über den Zeilen. 

Für die nun folgende Collation nicjchte ich nur bemerken, dass alle 
orthographischen Fehler gewöhnlicher Art unberücksichtigt blieben. 



— 213 — 

12 arcum Tc^ pRehd. sept. Grut. G — 16 limes TP« GBM? — 18 
sperare TP*^ GBMP — 23 maturi TPBMP^G— 32 laurigero TP(,)BfP« 

— PierioPQColbert. Harl. 2474 Laur. Pal.^G — 43 hostile agiuen 
Trfunus Bell, iinus Lindenbrogii — 48 iiocte TBMP®G(2) — morte 
<i{i)P — 53 miserabilc G{^) — 56 dii GP° — 61 transiectuni G — genio 
P^'l/jtXO — 63possimTBrcfP«— 64arceGP(,)pm — 69iiniGPpmedd. 

— 74 pareiitem Tf — 82 maditum Tr — 83 abrupi TBMedd. vet. 

1^ — arripiii GPar 8053, Gudianus 52 et 146, codex Burmanni 

in margiiie, uiiiis Beb. — 87 digna TPBMP^-G — 89 nam forte 

(sie) GP«— 92 anstris TBG)rtT<'— astris GP — 93 exiliit G— 100 

oxtimplo GecJP«— 104 minor TPBMP^^G — 110 pectora TG — pectore 

l illa 
V^'ym — 112 ira P*^ cod. Cantab. S. Joannis. — 113 minas T — 

120genitrix TMP^G — 122 arripiiit TM — 126 gentilesque TP^^BM — 

130 regnis TP<^G — 161 frigiae tiriaeve TP<^Gp — 163 in manibus TBfr 

— 164 carebat TPBMP<^G — 165 tumTP<^BM — 174tiimente8 P« — 
181 nequicquam TB — 186 erectum ton^a TPBMP^G — 190 effatu 
TBf(0 — affatu P^GM — et]ac G — 192 promta T — 193 ])orea8 
gelidus P« — 197 imperiis TBMP^^G — 200 efflisa TBMP^^G — 201 
una TP®(,)rf(,) cod. reg. nius. Brit. 15 — 205 vagoruni]deorum P*' 

— 213 secunturTPBcfP^'G — 214 exuperabile TBMP^G — 215 qiioa- 
dus(iue P*^G Gudianus 52. Lipsiensis cod. Anglic. Heinsii — 
216 semre Trf — 219 ado Tr — ideo PHIPBM — 224 domiis P*' — 
225 agros Tpm — agos P^r — 227 imposta TBfP^G — moiiet P^Brcf 

a 

— monet P«(0 — 228 ab Brf — 231 spacio lucis P« — 232 nefandam 

sperare 
(; Taiir — 235 nionstro TPBMP^G — 241 meruereP^G) — 246 enim 

d e e 8 1 i n G — 255 restinguas T P^'B f c (J B e b. seh o I. — extinguas P M G 

- tborisjchoris G — 266 luant GttcJ — 267 haec sera snbvenitque tuis 
son. cur. TBfP^d) — 279 terris P^f — 282 generös melius G — 283 
iniscens prec. TCxBf — motujmitu G — 287 si detur G<J — 290 latice 
otenini Trfunus Beb. — 291 obtestor mansunim et inrev. verum TGBMP 

uerbum 

- mansurum hoc P*^ — uerum G. coniecturaScriverii — 292 

quo P^f/r Rehd Palat. I. et V. — quod TG — ales TP<^GPBM — 

295 sc toUat in Gf — 299 exiliis G - 302 dicam TP«GBrfpG)y — 

e 

309 umbra Tr(i)fB — uml)ra aura (sie) P*^r(2) — dissiluit P*' d) — 

1313 forto Tr — 314 animis TGPBM — animus P« Baehrensius — 

luce 
319 laude P<'(,) Pecrlkampius — 321 superbum P«<J — 322 deieto 



se TP^BM — deiecto iam G — 324 danaiaque T P^Brf — 328 fiirori-- 

o 
busjsororibus P*' — 331 lapsumque P*^GG)7rrf — 335 littera P(i)BM — 

337 subiecta TP°Br(i)fc(3) tt y d Dan. schol. — subuecta G — 339 

amaris Tr — avaris PGPBM — tacentjsileiit G — 340 inserpit GP«BM 

— inrepsit GP — per aera T P*^ BM — ex aethere GP — 351 et. teneb. 
vol. torquet TP^'BM — torquens GP — 352 diflfunditque GpycJLaur. 
Laug. — 353 tremiscunt TP^'M ^ 357 adarctos TPG(2)BM — surgens 
P^ in marg. — 358 calcandaque TP^^GBM — 365 miratur TMP«^G — 
367 pecudumque P® <J T a u r. nnusBurm. — 371 nee G et G. Miillerus 

Jhuc 

— 384 habet TP«M — haben» G(0 — 387 hie G(i) — 396 aevo TP^'BM 

<aeuo 

— fato GG) — 398 haec TF^GBM — 399 post Amphiar. sed. omnia 

omissa in P*', totus versus omissus in B, G^S (Kohlm.) — 400 parentis 
P^Gpm — 401 relinques P*^ — 403 sapora Tr — 410 alternis TP6BM 

— 415 et]ex G — 416 totes TP^'BrepP et Beh. — totosque GP — 

422 reddunt TP«GBrcp Burm. 258 Harl. 2474 — 423 eaveae 

praemia 
teneros G — 424 munera G(i) — 425 nuUaeque Tr — 427 iustat TP« GM 

— 428 ferebatjmonebat G — 429 hostibus Trf - 433 sobria TPGPBM 

— 436 demotis TP^^Brfc — dimotis G — 440 inire G<J unus Gudii 

cl 
Taur. Palat. 4. 5. 6. — 446 infusum G(0 — 449 vultuus T — 451 

confundere Tf — 455 quis TP^GPBM — 456 arguit TP<^GPBM — 

457 molitur GBM — 459 rapidis Gp^r^Bch. P et Anglic. Heinsii 

c 

— 460 nobis P^GPBM — 465 egemusTP^GBM — 466 fati G(i)fym 

(fatali Taur.) — 468 quae TG) quas TG) — quae P*'PBG)fG)c7r — 

quas G — 472 praemiserat TP^'BM — praemiserit G — 477 rapidam G 

lemma schol. Bamb. (dm — 480 tarnen TP^PBM — 486 iuvenibus 

} armis 
Tr — armis P«fcprG)yG)<^m — annis GG) — 487 vestitur T F^ G B M 

— 511 ulterioris TP^'GPBM— 517 tennes ostro auroque G — 518 

altosque TP^GBM — 529 acesten T P° G B M — agnoscunt GG) — 534 

h 
egressa e thalamo TP^Brf — 538 ausere T — ausere F'G)ß — «^44 
} angui 
auri omam P*^G) — 545 vagas deest in T — 549 desiduntjsubsiduut G 

— 550 laxat I lassat GG)p;'ni — 553 aras TP°GBM — 558 obtestamor 
Gp — 561 pieps TBr — 564 amplexum TP^PBMG — 569 caedis 
TP^^GPM — 571 pubescentibus Gd/rm Colb. — 572 pio TPGPBM 



— 215 — 

i ouilia 

— 575 ad om. T et r — 580 acjet Tr — septo TPBM — olivia V^{,) 

sua 

— 583 gramineos somnos dedit herba et Tr — 585 saudetque P^'d) — 

587 viridis TP<^CfBM — 592 sacvis TP^^BM — idtro ipsa G — 601 

tarn G Leid — 603 arripere Trfpm Beb. — 604 divesci TP^Brfcd 

a 
novem codd. Handii — 613 it TP^GBM — 617 nefandum P<^(i)f 

— 619 plebes TP^'BM — 621 bie duris s. T (sie) — doloris Gy — 

622 examines GBp Leid — 625 rapidamque (jTcy — 626 trcpidorum] 

i leuu8 
rapidorum G — 630 iaeet T — 634 qiiis P^'G — longiis G (in marg.) 

Pf — 639 turpia GPttcJ — 645 8ubegi]peregi G — 650 est omisit 

TaBTTryd — orbis Gpm — 651 8oliim]divum P*' — 653 lene TP<^PBM 

leve Gy Gronovius — 655 et quid TPc — ager TP^GPBM — 

659 loeto dimitte TP^GPBM — 660 ArgisjagriB (iy (anis ä Taur) — 

661 depeile TP^GBM — 663 Latoideu TPKiM — 665 defiigiunt G — 

667 epuhisGP Taur — 672 baecTP^GBM — bora estTP^GBM — 

673 lacrimas G Dan — 675 movitjsolvit G — 677 defluit G — 678 

b a 

piget]pudet G — 679 curae cog. mis. G (sie) — 681 tunc (t — 683 

adversum Gpscbol. — 686 occassibus T — 695 Latoiden TP°GM — 

u 
700 subisse TP^GPBf — 701 iubeat Gf,) — 702 non TP^^GPBM — 

704 aetherei P*^G — 708 sceptrajregna G — 710 harenisjboris (i — 713 
flegian TPHIB — 720 indinata T. 

Bei einer kritiscben Durchmusterung des vorliegenden Materiales 
ergibt sieb zunächst als sicheres Resultat, dass P*^ für die Thebais bei- 
weitem nicht den Werth hat, den ihm Kohlmann zuschreiben möchte. 
P gehört der zweiten Classe an und ist nicht einmal ihr bester Vertreter, 
obgleich die Verwandtschaft mit B enger ist als mit M; dennoch wird 
niemand diese Handschrift im kritischen Apparate missen wollen. Und 
dies wird von jenen umsomehr gelten, die mit Otto Müller in B gegen 
Kohlmann den Hauptvertreter der zweiten Classe erblicken. Wenn wir 
uns nun T zuwenden , so wird auch hier die Zugehörigkeit dieser Hand- 
schrift zur zweiten Cl. sofort in die Augen springen. Aus T stammt r, wie 
aus folgenden Stellen sofort erhellt: 219 ado Tr, 313 forto Tr, 403 sapora 
Tr. 425 nullaequeTr, 486 iuvenibusTr, 575 adom. Tr, 580 ac) et Tr. 
583 gramineos somnos dedit herba et Tr. Es gehen also beide Hand- 
schriften auf denselben Archetypus zurück, was besonders die merkwürdigen 
Schreibfehler in den Vss. 219 und 313 beweisen , nur ist T ein besserer 
Vertreter dieser Glasse, der auch uodi f angehört (vergl. Vss. 210 servire 



— 216 — 

Trf, 839 amaris Tf, 429 hostibus Trf, 451 confunderc Trf). Die beste 
Abschrift, die vielleicht noch direct vom Archet}T)us — dass die Vorhige 
in ^8criptura continua* in Unciale war, glaube ich oben S. 212 nachgewiesen 
zu haben — herrührt, ist T, dann folgen r und f. So hätten wir unter den 
schlechteren Handschriften eine Abtheilung für sich gewonnen. Nun wollen 
wir noch einmal zu P*" zurückkehren und uns den Vers 399 näher ansehen. 
Dieser fehlt in B, dann in 0- (nach Kohlmann), in tS(nach Kohl manu) 
fehlen die 399 — 400 etenim — sedens, c bietet ihn am richtigen Orte und 
nach 401. Aus dieser Zusammenstellung ist ersichtlich, dass diese Uand- 
schriftcn miteinander enge zusammenhängen. Wie kann man aber den 
Fehler erklären V P*^ gibt uns den Schlüssel. Hier fehlt alles von v i d e s 
an, der Raum ist frei. Der Schluss und der folgende Vers sind von 
spaterer Hand mit der Variante parentis, die auch in G Hp (Kohlmann) 
steht, am Rande nachgetragen. Im Archetypus waren also die Worte 
„etenim — parenti" entweder ausgefallen oder unleserlich geworden. P*^ ahmte 
noch die Vorlage genau nach, ebenso auch S, dessen Vorlage sich in etwa« 
von der von P** unterschied, während B d'^ aus einem Codex stammt, der die 
etwas unverständlichen Worte ^Amphiare vides'' bereits weggelassen hatte. 
Wir kijnnen also eine zweite A])theilung der Dcteriores feststellen, die wieder 
in zwei (lassen zerfällt P^'S und BG^, von denen P*^S auf einen älteren 
und genaueren Archetypus zurückgeht. G hat an Welen Stellen sehr wichtige 
Lesarten mit P gemein, z. B. 48 morte. 74 carentem, 92 astris, 340 inrepsit, 
ex aethere, 351 torquens, 634 levus, 637 turpia, 667 epulas; davon in 
Vss. 48, 92, 340, 351, 667 allein mit P. So wäre es also zuerst gelungen, 
eine Handschrift zu ünden, die P enge verwandt ist. Allerdings kann 
unsere Freude keine volle sein, da (» durch viele Schlacken verunreinigt ist. 
Hierher gehören vor Allem die zahlreichen neuen Lesarten, fast durch- 
gehends Synonyma, wodurch in uns der Verdacht erweckt wird, dass der 
Archetypus von G durch die Hände eines Grannnatikers gegangen sei, 
der den Dichter gründlich durchcorrigirte. Ferner finden sich auch schon 
Lesarten der anderen Classe in dieser Handschrift. An zwei Stellen bietet 
aber G allein die richtige Lesart, nämlich 291 verbmn (conjicirt von Scri- 
V e r i u s), 6o3 leve (conjicirt von G r o n o v i u s). Aber auch noch von einem 
anderen Gesichtspunkt aus ist G für uns sehr wichtig , da wir jetzt erst 
die grosse Menge der Dcteriores unterbringen kimnen. Mit G sind >'er- 
wandt ])cyrfm Taur. Lang. Laur. duo Lindenbrg. cod. Cantabr. 
S. Joannis, Gudianuso2, Lips. cod. Anglic. Hei nsii. Palat. 4. 
5,6. Beh. Pet. Colb. Dan. Zum Beweise sei nur auf folgende Verse 
verAviesen: 74, 100, 113, 215. 23 2, 2{5a. 352, 367, 440, 459, 466.477. 
550, 571. 603, ()19, 622, 672. Besonders lehrreich dafür, wie sich Fehler 
vergrössern, sind Vers 466, wo aus fati in G fatali im Taur. geworden 



— 217 — 

ist und 660, in welchem Verse aus dem falschen agris in Gy arvis in 
Taur. ä hervorgegangen ist. Und so verdanken wir es G, dass künftig 
die ganze soeben angeführte Reihe von Handschriften, die ja nur durch 
zahhreiche Mittelglieder aus G flössen, einfach aus dem kritischen Apparat 
entfernt werden können. Femer werden also Lesarten, die uns durch 
P und G überliefert sind, wohl sehr an Bedeutung gewinnen, während man 
an jenen Stellen, wo G mit allen anderen Handschriften gegen P stimmt, 
dieser Handschrift nicht mehr so blind wird folgen dürfen, wie es K o h 1- 
mann unvorsichtiger Weise gethan hat. Denselben Vorwurf erhoben 
ja Imhof und Otto Müller. Dass mit Ausnahme von P und G die beiden 
Classen der Deteriores doch auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen, 
beweist neben zahlreichen anderen Stellen der merkwürdige Schreibfehler 
im Vers 61 , wo P® und f genio tür gremio bieten. Die Eintheilung der 
Handschriften ist also folgende : die bessere Classe wird durch P und G 
vertreten, die schlechtere zerfällt in zwei Unterabtheilungen, von denen 
die werthvoUere ihre Hauptvertreter in T und r findet , während uns die 
minderwerthige vor Allem durch B und P*^ überliefert ist. Die beiden von 
Kohlmann zuerst herangezogenen Codices G^ und S, deren geringer 
Werth früher nachgewiesen wurde, können ebenso wie die ganze andere 
Schaar ruhig übergangen werden. — Vorliegende Abhandlung leistet hoffent- 
lich einem künftigen Herausgeber des heute mit Unrecht so gering geachteten 
Dichters, zu dessen Rettung Ribbeck soeben viel beigetragen hat, nicht 
unerhebliche Dienste. Hoifentlich wird der zweite Theil der tüchtigen 
Ausgabe Otto Müller's nicht mehr lange auf sich warten lassen. — 
Schliesslich noch eine nicht uninteressante Mittheilung. Bröquigny 
scheint den Puteanns bereits gekannt zu haben, da der Turonensis mit 
einem Text verglichen wurde, der genau mit P stimmt. Es ist klar, dass 
er T nur mit einem Codex verglichen hat, da ja kein gedruckter Text P 
entspricht. Sollte es etwa in Frankreich noch eine andere Handschrift 
geben, die dem Puteanus nahe verwandt ist? 
Oberhollabrunn. 



Zur Frage der Autorschaft der Scriptores historiae 



Augustae 



von 



S. FRANKFURTER 



Die in mehrfacher Hinsieht merkwürdigen sechs Schriftsteller, deren 
Biographien in der unter dem Namen Scriptores historiae Augustae 
bekannten Sammlung vereinigt vorliegen, sind in neuester Zeit zu einem 
ganz eigenartigen historisch-litterarischen Problem geworden ; während 
sie seit Decennien durch eine Reihe von bis heute ungelösten Fragen 
Historiker und Philologen beschäftigten, sind sie nunmehr selbst in Frage 
gestellt worden, seit Dessau^) in einem durch tiefe Sachkenntniss eben- 
sosehr wie durch Schärfe der Beweisführung ausgezeichneten Aufsatz 
die Behauptung zu begründen suchte, dass die Sammlung nicht ein 
Werk der Diocletianisch-Constantinischen , sondern der Valentinianisch- 
Theodosischen Zeit sei, sowie dass man es nicht mit sechs, sondern nur 
mit einem Verfasser zu thun habe, kurz, dass eine Fälschung in zwei- 
facher Hinsicht, sowohl was die Zeit als was die Autorschaft betritft, 
vorliege. Die Hypothese war kühn, aber die Gediegenheit des Aufbaues 
schützte ihren Urheber vor dem Vorwurf, durch eitle Hypothesensucht glänzen 
zu wollen ; sie musste einer ernsten Prüfung unterzogen werden. Obwohl 
nun bald darauf Mommsen 2), Seeck»), Klebs*), Wölfflin*^), jüngst 
Peter«) zur Streitfrage theils zustimmend, theils ablehnend Stellung ge- 

*) „lieber Zeit und Persönlichkeit der Scriptores historiae Augustae." Hermes. 24, 
387—392. 

*) „Die Sammlung der Scriptores historiae Augustae." Hermes. 25, 228 — 292. 

*) „Die Entstehungszeit der Historia Augusta." Jahrb. f. Philologie. 1890, 609 — 639. 

*) „Die Sammlung der Scriptores historiae Augustae." Rh. Mus. 45, 436 — 464 und 
47, 1—52. 

*) „Die Scriptores historiae Augustae." Münchener Sitzungsberichte. 1891, 465 — 538. 

®) „Die Scriptores historiae Augustae. Sechs literarische Untersuchungen." Leipzig, 
Teubner, 1892, 8», VIII und 266 S. 



noinmen haben, so kann, besonders da Dessau^) seinen Standpunkt 
neuerdings in geschickter und temperamentvoller Weise zu wahren gesucht 
hat, von einem Abschluss noch nicht die Rede sein. Es dürfte daher 
nicht unnütz sein, die Aufmerksamkeit auf einen Punkt zu lenken, der in 
der bisherigen Discussion, wie mich bedünkt, nicht genügend oder vielmehr 
kaum noch beachtet worden ist ; vielleicht gelingt es dadurch, das Gewicht der 
Bedenken gegen die Dessauische Hypothese einigermassen zu verstärken. 
Es kann hier nicht der Ort sein, den Gang der Untersuchung ein- 
gehend darzulegen, zumal da das Buch von Peter über das Für und 
Wider im Wesentlichen befriedigend Auskunft gibt ; es dürfte daher ge- 
nügen, einige Bemerkungen vorauszuschicken. Es muss zunächst festgehalten 
werden, dass von den zwei Theilen der Dessau ischen Hypothese der eine, 
die Frage der Autorschaft, auf die es hier vornehmlich ankommt, für 
Dessau in zweiter Linie steht, ja nur eigentlich die Consequenz der 
andern ist, der nach der Zeit, in der die Sammlung, wie sie uns heute 
vorliegt, entstanden sein soll. Weil Dessau in den verschiedenen Bio- 
graphien eine Reihe von Beziehungen auf Personen der Valentinianisch- 
Theodosischen Zeit, ferner Abhängigkeit von Schriftstellern dieser Zeit, 
Eutrop und Victor, gefunden hat, die in einem Werke der Diocletianiseh- 
Constantinischen Zeit unmöglich sind, kommt er zu der Behauptung, dass 
die Sammlung jener Zeit angehöre und dass Alles, was nach der IJcber- 
lieferung dem entgegenstehe (Widmungen an die Kaiser, Unterredung mit 
dem Stadtpräfecten u. a., was zur Datirung beiträgt), auf bewusster Mystifi- 
cation und Fiction, kurz auf Fälschung beruhe; da man nun nicht annehmen 
könne, dass sechs Schriftsteller sich zu einer solchen Fälschung zusammen- 
gethan, so kommt er in folgerichtiger Consequenz seiner Hypothese für 
die Abfassungszeit, zu der weiteren, dass das Werk eines Autors vor- 
liege, dass also auch die Sechszahl auf Mystification beruhe. Gestützt wird 
die Hypothese durch eine Anzahl auffallender, gleicher Züge, die sich bis 
auf die Sprache erstrecken. Damit erklären sich für Dessau eine Reihe 
von anderen Anstössen^), nnd auch für die Beweggründe, die eine der- 



*) „Ueber die Scriptores historiae Augustae." Hermes. 27, 562 — 605. 

*) Wie weit Dessau darin geht, mag ein Beispiel zeigen : v. H e 1 i o g. c. 16, 2 wird 
bei Nennung eines Sabinus consul. vir die Bemerkung gemacht, „ad quem libros Ulpiamis 
scripuiff was gewiss unsinnig ist, da ülpian's Werk „ad Sabinum'^ ein Commentar zu 
einem Bache des Masurius Sabinus war, der 200 Jahre vor Ulpian gelebt hat. Dessau 
(S. 578 und 600) meint nun, so unüberlegtes Gerede sei einem Autor des 4. Jahrhunderts nicht 
zuzutrauen, da er, wenn er schon selbst den Sachverhalt nicht kannte, doch damit rechnen 
mnsste, dass ein guter Thell seiner Leser darüber Bescheid wisse ; es sei nur denkbar, wenn 
er durch eine Einkleidung seines Werkes von der Art, wie Dessau sie annimmt, die 
Verantwortung für aUe Einzelheiten von sich abgestreift hatte. Ich denke, der die Bemerkung 
ad quem .... acripsit machte, hatte keine Ahnung, dass er einen Unsinn schreibe, und 



— 220 — 

artige (loch etwas complicirte Fälschung veranlasst haben mögen, und für 
das Werden und Wachsen derselben — denn sie soll nicht von vornherein 
beabsichtigt gewesen sein — w^iss er eine Erklärung. Allerdings gesteht 
er, nicht alles aufhellen zu können — und es bleibt ein wirklich erheb- 
licher Rest übrig — allein er weist die Forderung, alles erklären zu müssen, 
ab und sucht sich mit der Behauptung abzufinden, man müsse an eine 
Fälschung glauben, wenn sie erwiesen sei, auch wenn im Einzelnen dabei 
manches unerklärlich bleibe. 

Mit dem Zusätze, „wenn sie erwiesen ist", hat aber Dessau 
selbst seinen Gegnern eine Waffe in die Hand gedrückt. Gewiss muss mau 
an eine Fälschung glauben, wenn sie enviesen ist, daher wird wohl au 
der Thatsache, dass in den meisten der eingelegten Acten und Briefen 
Fälschungen vorliegen, nicht mehr gezweifelt werden dürfen, weil die 
Fälschung eben bei den meisten sich nachweisen lässt und wirklich nach- 
gewiesen ist. Dass aber Dessaus Hypothese von der Zeit und der Autor- 
schaft nach den einlilsslichen Ausführungen von Mommsen, Klebs, 
Wölfflin, Peter erwiesen ist, lässt sich doch nicht schlechtweg be- 
hau])ten. N'ielmehr ist es Dessau auch in seiner zweiten Abhandlung 
nicht gelungen, Mommsens gewichtige Bedenken zu entkräften, zunml er 
keine wesentlich neuen Momente beizubringen wusste. Für die Beurtheilung 
der ganzen Frage kann es nun darauf nicht ankonmien, ob im Einzelnen 
Mommsens oder Dessaus Auffassung richtiger ist. In der Hauptsache 
scheint mir durch Mommsen der Beweis erbracht zu sein , dass 
die Sammlung in der Diocletianisch-Constantinischcn Zeit entstanden ist 
und eine Ueberarbeitung erfahren hat; ob eine doppelte Diaskeuase mit 
Mommsen anzunehmen ist, bleibt allerdings fraglich. So erklären sich 
die gleichartigen Züge und die Beziehungen, die mit der Ursprungszeit 
unvereinbar sind, in befriedigender Weise, da ja in jedem Falle mit einem 
Redactor gerechnet werden muss, der sie eingeführt haben kann, und wenn 
man auch zugeben muss, dass Dessau mit treffBicherem Blicke eine 
Anzahl auffallender Erscheinungen herausgefunden hat ^) , die auch bei 

für die Beurtheilnng der Sinnlosigkeit kommt die Zeit, in der sie entstanden, gar nicht in 
Betraclit ; auch im 5. Jahrhundert musste ein Autor damit rechnen, dass die Leser den Sach- 
verhalt kennen. Und vollends, wenn Dessau meint, der Autor habe geglaubt mit der 
(von Dessau angenommenen) Einkleidung seines Werkes sich einen Freibrief verschafft zu 
haben, kopHos zu schreiben, zu fälschen u. s. w., so verräth er wohl damit, dass er sich mit 
seiner Hypothese in die Enge getrieben fühlt^j; denn ernst genommen können doch solche 
Verlegenheitsausktinfte nicht werden. Fälle unzeitiger Gelehrsamkeit kommen zu 
allen Zeiten vor und es passirt auch wirklichen Gelehrten, dass sie sich blamiren, wenn sie 
einen Ausflug auf ein ihnen fremdes Gebiet machen. 

*) Dahin gehört das Ver^'enden dei-selben VergilsteUe (Aen. (J, 756 — 883) für omina 
in den verschiedenen Biographien, sowie das Einführen griechischer Verse in lateinischer 



unserer Auffassung des Sachverhalts befremdlich bleiben, so hat man doch 
eine Stütze an der Ueberlieferung und muss sich bei der Thatsache be- 
ruhigen, dass unser Wissen nicht lückenlos ist. Aber es kann wohl nicht 
bestritten werden, dass nicht der, welcher die Ueberlieferung schützt, 
alle.^ erklären muss, wohl aber der, welcher den Beweis gegen sie zu 
erbringen sucht. Wenn durch eine Hypothese neue, sonst nicht vorhandene 
Schwierigkeiten entstehen, so hat man wohl ein Recht, sie anzuzweifeln, 
so bestechend die Gründe sonst sein mögen, die zu ihren Gunsten vor- 
gebracht werden. 

Und die Dessau ische Hypothese schafft sowohl in ihrem Haupttheile, 
der Zeitfrage, wie in ihrem zweiten Theile, der Personenfrage, eine Reihe 
von Schwierigkeiten, die sonst nicht vorhanden sind. Ausgangspunkt für 
Dessaus Beweisführung war die Claudiuslegende, die wie ein Leitmotiv 
die Schriftstellerei des Trebellius Pollio und des V o p i s c u s durchzieht 
und auch bei Lampridius (v. Heliogabali 35, 3) wiederkehrt. Allein die 
Verherrlichung des Constantiusals Nachkomme des Claudius ist ganz 
nuerklärlich in Valentinianisch-Theodosischer Zeit und Des sau ist in seiner 
zweiten Abhandlung dem Kernpunkt der Frage Mommsens cui bono? 
ausgewichen. Denn nicht darauf zielte sie, welche Motive den Fälscher bei 
seinem Werke im Allgemeinen geleitet haben sollten — nur auf diese allge- 
meine Seite der Frage geht Dessau ein (8.572 ff.) — , sondern darauf, 
wie Jemand in einer Zeit, da das Constantinische Haus längst ausgestorben 
war, darauf kommen sollte, den Constantius zu feiern und seinen Nach- 
kommen dauenule Herrschaft zu prophezeien und dies unter der Maske eines 
Schriftstellers einer um ein Jahrhundert älteren Zeit. Schon die Ostentation, 
mit der die Autoren den Gedanken, eine Schmeichelei zu begehen, von 
sich weisen und die Versicherung der Unparteilichkeit, an die natürlich 
niemand glauben wird, müssen dieser Annahme jeden Halt nehmen. Den 
Bedenken, die Dessau für Pollio und Vopiscus gegen die Entstehung 
dieser Adulationen in jener Zeit und im Machtgebiet des Maximian geltend 
macht, wird mau wohl entgegenhalten können, dass sie allerdings auf- 
fallend bleiben, dass wir jedoch nicht alle Ikziehungen der Personen 
kennen können. Es darf wohl auch darauf hingewiesen werden, dass 

Ucljersetzun^ (nur von Spartian, Capitolin, Lampridius und PoUifi), die zudem mehrfach 
als stümiierhaft bezeichnet wird. Warum soUen aber diese gleichen Züge nicht der gleichen 
QueUe oder dem Redactor zuzuschreiben sein? Dass übrigens die Verwendung der 8ortes 
Vergilianae die Buchform voraussetze, sehe ich nicht ein; auch bei der alten Rollenform 
war dies ror)glich und es ist auch denkbar, dass für omina verwendbare Stellen auf einzelnen 
Blättern geschrieben waren, die von dem das Schicksal befragenden gezogen A^-urdvn. Die 
in lateinischer Sprache citirten griechischen Verse raach>m übrigens auf mich nicht den 
Eindruck von Uebersetzungen. 



— 222 — 

P 1 1 i und V p i 8 c u 8 im Auftrage hoher Personen schreiben und, welche 
Beziehungen diese zu Constantius gehabt haben mögen, für uns völlig dunkel 
ist. Auch ist nicht zu übersehen, worauf Peter (S. 252) mit vollem Rechte 
hingewiesen hat, dass die Claudiuslegende gerade jenes Stadium der Ent- 
wicklung zeigt , das sie am Anfange des 4. Jahrhunderts gehabt hat, und 
dass ihre weitere Ausbildung unseren Scriptores noch unbekannt ist. 

Lässt sich in diesem einen, und zwar einem wichtigen Punkte zeigen, 
dass die Annahme einer Entstehung in so später Zeit unmöglich ist, so 
hat Mommsen, der doch Dessau in vielen Punkten beipflichtet, über- 
zeugend nachgewiesen, dass der sonstige Charakter der Biographien der 
überlieferten Entstehungszeit nicht widerspricht und dass die Beziehungen 
auf Personen einer späteren Zeit dem Diaskeuasten zur Last zu legen sind. 
Damit ist aber das Hauptfundament des zweiten Theils des Problems, 
soweit es die Autorenfrage betrifft, eigentlich erschüttert. Während jedoch 
in der Zeitfragc zunächst der Historiker competent ist, muss in der 
Autorenfrage das entscheidende Wort der Philologe sprechen, obwohl in 
diesen Dingen die Competenzen nicht strenge zu scheiden sind. 

Bei der Eigenart der Scriptores ist allerdings auch für den Philologen 
die Aufgabe schwierig genug. Dass sie in der allgemeinen Anlage und 
Durchführung , in der Tendenz und Sprache einander gleichen, hatte man 
längst erkannt und schon darin, dass diese Schriftsteller der Kaiserzeit 
mit dem nicht handschriftlich verbürgten, sondern aus einer Stelle des 
V o p i s c u s (v. Taciti 10, 3) erborgten Namen Scriptores historiae Augustae 
zusammcngefasst wurden, drückte sich der einheitliche Charakter aus. 
Andererseits war für alle, die sich mit den Scriptores beschäftigten, klar, 
dass zwischen den ersten vier und den letzten zwei nicht nur der rein 
äusserliche Unterschied besteht, dass für diese die Schriftstellerei voll- 
kommen gesichert ist, für jene in Folge einer Zerrüttung in der handschrift- 
lichen Ueberlieferung erst ermittelt werden muss, sondern dass auch in vielen 
wesentlichen Dingen die erste Gruppe von der zweiten sich unterscheidet. 
So viel Eifer aber auch auf die Frage, wie die Biographien des ersten 
Thoiles unter die vier Schriftsteller desselben zu vertheilen sind, verwandt 
worden ist, ist es trotzdem noch nicht gelungen, sie zu einem befriedigen- 
den Abschlüsse zu bringen. Und dennoch muss von einer eingehenden 
Analyse und Erforschung der sprachlichen Seite, die nach allen Rich- 
tungen zu führen sein wird, eine bedeutende Förderung dieser auf eine 
Lr»sung drängenden Frage erwartet werden. Es musste daher von allen, die 
sicli mit den scriptores beschäftigen, freudig begrüsst^werden, dassMommsen 
den liedeutendsten Latinisten unserer Zeit, W ö 1 f f 1 i n, zu dieser Untersuchung 
angeregt, und dieser, der in derartigen Dingen Meister ist, der Anregung 
Folge geleistet hat. Es liegt jedoch von Wölfflins Arbeit vorläufig 



imr der erste Theil vor, die in Aussicht gestellte Fortsetzung ist bisher 
nicht erschienen und was vorliegt, kann die in die Arbeit gesetzten Er- 
wartungen in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllen. Zwar zeigen sich auch hier 
die Vorzüge Wolf fli nischer Untersuchungen: der frische Ton, die glück- 
liche Gruppirung und eine Reihe treflFlicher Beobachtungen, soweit es sich 
um allgemeine und besondere Beurtheilung des sprachlichen Charakters 
handelt ; es fehlt jedoch nicht an einer Reihe höchst gewagter Hypothesen 
und Schlussfolgenmgen , ge^en die Dessau mit Glück polemisirt und 
geltend gemacht hat, dass sie seine eigene Hypothese eher zu unterstützen 
als zu entkräften vermögen.*) Es ist zu beklagen, dass Wölfflin nicht 

*) Es gilt dies besonders von der Behauptung, die Nebenviten des AeliuSf Pescennius 
Niger und Greta seien dem Vopiscus zuzusprechen, der als Redactor und Herausgeber 
der Sammlung — Wölfflin sieht zunächst von den Biographien des Capitolinus und 
Jjampridius, da sie einer späteren Zeit angehören, ab — anzusehen sei und der Art, wie 
sich Wölfflin die Thätigkeit des Vopiscus denkt. Dieser habe nämlich die Viten des 
Spart ian durch Randbemerkungen , Anmerkungen unter dem Texte und im Texte erweitert 
(manches sei durch die Abschreiber an die unrechte SteUe gerathen) und habe die so umge- 
arbeiteten Biographien des Spartian dem Diocletian — denn von Vopiscus rühren nach 
Wölfflin auch die Widmungen, sowie einige Zusätze und Einlagen in den echten Viten 
des Spartian, so besonders die in der v. Severi c. 20. 21 her — überreicht. Wie abenteuerlich 
diese Hypothese ist, hat Dessau (S. 598 f.) gezeigt. Aber auch die Begründung derselben 
mit Argumenten wie, die Einleitung Pesc. 1, 1. 2 gehöre nicht dem Spartian, „weil dieser 
Oberhaupt selb.st den grösseren Biographien keine Einleitungen vorausschickte" (S. 510), 
femer, die Briefe Pesc. 3, 9 bis 4, 5 könnten unter allen Umständen nicht von Spartian 
geschrieben sein, „welcher grundsätzlich Documente ausschloss" (ebenda), endlich „dass 
Spartian überhaupt seine Schriften nicht dem Diocletian widmete und dass nur Vopiscus, 
der Herausgeber der Sammlung (nachWölf f lin!), seine eingelegten Nebenviten (Caesares und 
Usurpatoren) mit Ansprachen begleitete. Dies ist auch viel wahrscheinlicher, als zu glauben, 
Spartian habe in seinen vorzüglichsten , grosse Kaiser behandelnden Büchern den Kaiser 
nicht angeredet, wohl aber in den kurzen, mit mageren historischen Abfällen gefüllten 
Nebenviten von Personen zweiten Ranges" kann angesichts der Thatsachc, dass die Ueber- 
lieferung das Gegentheil bietet und dass in des Vopiscus verbürgter Schriftstellerei Wid- 
mungen an einen Kaiser überhaupt nicht vorkommen, keine überzeugende genannt werden. 
Freilich denkt sich Wölfflin den Hergang so, dass Vopiscus auch noch ein Lebensbild 
Diooletians entwerfen wollte, aber einen Wink von oben erhalten habe, dass Diocletian auf 
diese Ehre verzichte, dagegen eine grössere Sammlung von Kaiserviten von Hadrian an huld- 
vollst entgegennehmen würde. „Eine solche Widmung in Form einer Anrede erscheint denn 
sowohl in den neu zugesetzten Viten, als auch in den Anhängen der überarbeiteten" (S. 527) — 
aber unter dem Namen des Spartian; man vergleiche besonders den Brief am Beginne der 
v. Helii. Also Vopiscus soll in der „auf einen Wink von oben" herausgegebenen Sammlung 
Viten von Spartian dem Diocletian haben widmen las.sen ! Aber Wölfflin zieht aus seiner 
Hypothese auch gleich weitere Schlüsse: die Zuweisung der Einlage v. Severi 20. 21 wird 
zunächst damit begründet, dass „den Kaiser Diocrletian Spartian in keiner Biographie ange- 
redet hat, wohl aber Vopiscus im Aelius 1, 1 und wie hier (d. h. Sev. 20, 1) am Ende 
der vita, im Pe.sc. 9. 1" (S. 520) — der Aelius und Niger sind aber nur nadi Wölfflin's 
Vermuthung von Vopiscus verfasst. Ganz unbegreiflich erscheint mir jedoch der Satz 



— 224 — 

streng sich aiif die spraehliche Seite der Frage beschränkt und von der 
Aufstellung von Vermuthungen, die über die durch sie eng umschriebenen 
Grenzen hinausgehen, fern gehalten hat; auch war es der Arbeit nicht 
f()rdcrlich, dass Wölfflin mit den von Klebs und Mommsen auf- 
gestellten Behauptungen, die doch nicht als erwiesen gelten konnten, zu 
sehr als einem Thatbestand gerechnet hat. Da auch Peter in seinem 
ausführlichen Buche die sprachliche Seite nicht eingehend behandelt und 
die von Wölfflin gewonnenen Resultate, trotz Einspruches gegen einzelne 
Behauptungen, soweit sie seine conserA^ative Auffassung unterstützen, an- 
nimmt, ohne in der Begründung über sie hinauszugehen, dürfte es wolil 
berechtigt erscheinen, sie einer erneuten Erwägung zu unterziehen. 

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Scriptores eine Anzahl 
Züge gemeinsam haben, dass ihre Sprache im Allgemeinen keine erhel)- 
liche Verschiedenheit zeigt ^) und dass diese Argumente das Hauptfundament 
für die D e s s a u ische Hypothese lieferten. Es wurde aber auch her\'orge- 
hoben, dass für die P>klärung der Gleichheit und Achnlichkeit die Thätigkeit 
des anzunehmenden Redactors ausreiche; für die geringe Verschiedenheit 
der Sprache kommt noch die ungefähre Gleichzeitigkeit — die Ent- 
stehungszeit der Biographien umfasste höchstens drei bis \ier Decennien — . 
ferner bewusste und unbewusste Nachahnmng ^) , also Abhängigkeit der 

(S. Ö21): „Jetzt erst (d. h. bei der Herausgabe der Sammlung von Hadrian durch Vopisc us) 
wird dieses grössere Kaiserbuch des Vopiscus den Titel: „Vitae divemorum princi^mm 
et ti/raunonnn a divo Hadriano usque ad NumerMiiinn^ erhalten haben; denn Spartian 
gebrauchte dirernuM noch im classischen Sinne von „entgegengesetzt" Carac. 4, 9 «üb diret'fitit 
occasionihus eos interßcere, welche Stelle durch Geta 7, 6 näher erklärt wird : tnodo fautorea 
Getae modo inimicos occidere. Bei T r e b e 1 1 i u s und Vopiscus hat das Wort die Bedeutung 
von <'aWw.v angenommen". Es ist nun zu beachten, dass der Greta nach Wölfflin nicht von 
Spartian, sondern von Vopiscus verfas.^t ist, ferner, dass die Wort« Carac. 4, 9 ncque 
cejftinvit unqiiam aub direr.sif< occanionibns cos intei'ßcerey qui fratritt amici fuernnt 
eigentlich durch Geta 7, (5 nur erweitert, nicht naher erklärt werden und die Bedeutung von 
divarsus im Sinne von rar ins nicht nur nicht ausschliessen, sondern sogar nahe legen, endlich 
dass auch, wenn es richtig wäre, dass S p a r t i a n den unclassischun Gebrauch von. diverxus 
nicht kenne, wohl aber Tre bell ins und Vopiscus, doch daraus nicht gefolgert werden 
dürfte, dass der in uii.«ieren Handschriften sich lindende Titel von Vopi scus herrührte, da ja in 
unserer Sammlung auch Capitolin und Lampridius vertreten sind, die allerdings Wolf flin 
vorläufig aus dem Spiele lässt, und wenigstens Lampridius zweifellos f/ucr««^ = rrmW 
gebrauchte (vergl. v. Heliog. 84, 2 quae apud dicersos repperi, v. Alex. 37, 12 ex dirersu 
feuere conditorum Heliotjabali). Dass übrijjens der handschriftlich überlieferte Titel , der 
schon diu-ch seine Umständlichkeit verdächtig ist, überhaupt geringe Gewähr bietet, hat Peter 
mit Kecht bemerkt (S. 142, Anm. 1). 

') Dass dies mit mancher Einschränkung gilt, ergibt sich aus den werthvollen 
Zusammenstellungen von Klebs und besonders von W öl f flin; über manche Verschieden- 
heit in der Manier vergl. Wölfflin, S. 479. 

") Dies hat besonders für Vopiscus in seinem Verhältniss zu Trebell ius Pollio 
Wölfflin ülierzeugend dargethan, S. 029 ft'., vergl. auch S. 47(5 f. 



ubsichtlich die Sprache des liöhereii historischen Stils vermeidenden und in 
der rmgangssprache ^ ) schreibenden Scribenten von einander in Betracht. 
Zur Beurtheilung der Frage darf aber nicht zu sehr auf die Aehnlichkeit und 
rileichheit Nachdruck gelegt werden, tlir die es ja, so auflfallend einzelnes 
bleiben imig, nicht ganz an Gründen fehlt, sondern viel mehr müssen wohl 
die Verschiedenheiten ins CTCwicht fallen, die sich zwischen den einzelnen 
Biographien oder Autoren autKinden lassen. Und an Verschiedenheiten fehlt 
es nicht, was allerdings auch Dessau (S. 601 if.) nicht verkannt hat, doch 
scheinen sie mehr (iewicht zu haben, als er ihnen zuzuerkennen gewillt 
ist. Indem ich auf die Ausführungen Wölfflins und Peters verweise, 
sei einiges besonders Charakteristische hier zusammengestellt. 

Während, wie schon bemerkt worden ist, n u r Biographien der vier 
erstiMi Schriftsteller mit den Kaisem Diocletian und (/Onstantin in Ver- 
bindung gebracht werden, indem einige als ihnen gewidmet oder in ihrem 



*) Vergl. Wölfflin, H. 472 f. Non hiatorico nee diset'to sed pedeatri adloqnio 
sagt Pollio V. XXX tyr. 1, 1 und auch Vopiscus lehnt den höheren Stil ab, vergl. auch 
Peter, S. 18. Das hat natürlich diese „VolksschriftsteUer" ebensowenig wie andere gehindert, 
ihrer Sprache auch ab und zu — schon mit Rücksicht auf ihre, sei es wirklichen, sei es 
angeblichen Auftraggel>er — einen höheren Anstrich zu geben, so dass ihre Sprache manch- 
mal wie auf Stelzen geht. Daraus erklären sich die anffaUenden Redewendungen in litteras 
mittere, conflict um habere n. a., ebenso der Gebrauch seltener oder poetischer Worte 
und Phrasen wie .settatiut cotundta condere (v. Claud. 4.1), oder gar de quo multo 
minora condidi (v. Firmi c. 13, 6), nomina frequen tare statt noscere (v. XXX tyr. 1, 2), 
darnach Theraitem . . . frequentare (v. Aurel. 1, 5), fortia edidit facta (v. Firm. 12, 5), 
helium implere statt conßcere (v. Claud. B, 7), titulum implere statt complere (v. XXX 
tyr. 31, 10), praesnl statt dux (in einem Brief des Aui*elian v. Probi 5, (5), deo« con- 
venio = belangen (in einer Rede des K. Tacitus v. Aurel. 41, 12), teque, Tacite Auguste, 
convenio (ebenfalls in einer Rede v. Tac. 0, 8), id . . virtute boni principis antiquatuni 
est im Sinne von „behoben, wieder gut gemacht" (v. Claud. 11, 8), adloquium (vgl. oben) 
für sermo, facta principum r es e rare für narrarc, explicare, exponere (v. Cari 21, 2) u. a. 
Für die SteUung der Scriptores in der geschichtlichen Literatur verweise ich auf 
die höchst beachtenswerthen Ausführungen von Klebs in dem schönen Aufsatz „Das 
dyna.stische Element in der Geschichtschreibung der röm. Kaiserzeit" in SybePs bist. Zeit- 
schrift, Bd. 61 (1889), S. 213fr. und jetzt auch Peter, S. Iflf. — Die Biographien sollten 
Volksbücher sein und sie sind es, wenn auch mehr im schlechten als im guten Sinne ; dar- 
aus erklärt si(;h der breite Ranm, der den Klatsch- und auch den Schmntzgeschichten, den 
omina imperii et mortis, den Bauten und den Lebensgewohnheiten der Kaiser, ferner den 
Briefen and Acten eingeräumt ist. Natürlich musste dies mehr in jenen Biographien der 
Fall sein, die weniger Stoff boten. Die Briefe und Acten müssen jedoch nicht von den 
Scriptores selbst erfunden, sondern sie können vorhandenen Sammlungen entnommen worden 
sein. Dass es aber solche gab, ist sehr wahrscheinlich und wird vieUeicht bestätigt durch 
den läppischen Brief des Hadrian an seine Mutter, der griechisch und lateinisch bei dem 
Grammatiker Dosithens interpretam. III (Böcking, S. 14) sich findet, gewiss auf Er- 
findung bemht und sicher nicht, wie Eyssenhardt („Hadrian und Florus", S. 11) meint, 
von Hadrian selbst aus Eitelkeit der Nachwelt erhalten worden ist. 

Enmos Tindobonenais. 15 



— 226 

Auftrag geschrieben sieh gebiMi. wird die Sehriftsti^lerei <ler beiden letzten 
Autoren, Pollio und Vopiseus. von hohen Beamten oder Privatpersonen 
angeregt und Freunden gewidmet. Die Cirieehen Ilerodian und Dexippus 
werden ferner nur in Biographien des Capitolin. in einer des Lam- 
pridius und einmal bei Pollio citirt. Der Name He rodi an 8 erseheint 
nur in den aus inneren und äusseren (i runden zusammengehörigen Bio- 
graphien der Maximini . (lordiani und des Maximus und Balbinus . und 
zwar conse([uent in der Versehreibung Arrianus in I)(»pi)eleitaten aus 
D e X i p p u s und H e r o d i a n u s. \) X u r (' a p i t o 1 i n ei tirt den berüch- 
tigten Cordus, wobei es für unsere Frage gleichgiltig ist. ob er wirklich 
existirt hat, oder, nach Mommsen (S. 272). Gewährsmann und Prügel- 
knabe ist, den sich Capitolin geschatfen hat. Während emllich in der 
ersten (rruppe nur den Xebenviten Einleitungen nnd Sehlussworte Imm- 
gegebcn sind, und sieh eingelegte allgemeine Digressionen hier nur spär- 
lich finden, begegnet man ihnen in fast allen Biographien der beiden 
letzten Schriftsteller. Während schliesslich die vier ersten Autoren, nur soweit: 
ihre Biographien dcMi Kaisern gewidmet sind, mit ihrer Person hervortreten., 
trägt die Schriftstellerei des Pollio und Vopiseus durchaus einen persöu — 
liehen Charakter (»s wird der \'ater oder Grossvater als Augen- iwlei — 
Ohrenzeuge für (ieschehnissc oder Aussprilcli(* angeführt, über ihre Schrift — 
stellerei führen si(» (»ingehend Buch . auf analoge Fälh* der ZiMt wird in 
die Darstellung vergangener Zeniten verwiesen. 

Nicht minder wichtig scheint mir auch der folgende Tmstand zu 
sein: es ist aus inneren (iründen wahrscheinlich und wird durch einige 
Merkmale geradezu bezeugt, dass die Biogra|)hien uns(»rer Sannnlung ent- 
weder einzeln oder in kleinen Gru])i)(Mi vereinigt erschienen und erst später 
zu einem (ianzen, das wohl noch mehr enthalten hat. als der Titel besagt, 
verbunden worden sind, ^j Ich verweise auf die Thatsache. dass die 
Voraus- und Rückbeziehungen. die sich in einz(»lnen Biographien des ersten 
Theiles finden, nicht stimmen, auf Wiederholungen, <lie bei gleichzeitiger 
Edition wohl unterblieben wären, endlich darauf, dass Pollio in der 
V. (iallien. die Absicht aussprach, zwanzig Tyrannen in einem Bande 
zu behandeln (10, phicuit vigintf tyrannos uno volftmtnf includere; 21, l 
Xnnc transeamus ad ruiinti f/frannos) , dann in dem Buche drei ss ig 
Tyrannen zusammenstellt und in einem Nachtrag c. 31. der durehaus den 

M Nur an einer Stelle Maxim. IH, 4 steht der richtige Xaiiie He rodi an us; <las.< 
jene dreimalige Verschreibung auf Zul'all luMnihe, wie l*eter S. (»1, Anm. 1 meint, ist nicht wahr- 
scheinlich. 

-) Dessau scheint nach der Schilderun^r der Eutstehunjr der „Fälschnn^ coutn* 
coeur", die er S. .')?() f. entwirft, anzunehmen, dass die ganze Sammlung auf einmal erschienen 
ist. und diese Annahme ist auch eine folgerichtige (.-onsequenz seiner Hvjwthese. 



Stempel eines persönlichen ErlebnissoH an sich trägt, nach der Kritik, die 
er im Templnm Pacis deshalb erfahren, weil er auch zwei tyranae sive 
ti/rannides unter die Zahl der 30 tyranni , auf die er sich wohl ^iel zu 
Gute gethan, eingeschmuggelt hatte, seine gekränkte Schrit'tstellerehre da- 
durch wieder herzustellen sucht, dass er mühsam noeli zwei männliche 
Tyrannen auftreibt und so die Zahl auf HO ergänzt. Dahin gehört auch 
die Berichtigung, die Vopiscus in der v. Firmi, indem er an seinen 
»Streit cum amatore historiarum , Marco Fonteio, erinnert, anbringt: dass 
er nämlich bei Abfassung der v. Aureliani (c. 32) den Firmus nur für 
einen latro gehalten und erst später erfahren habe, dass er den l'urpur 
genommen, und diesen Fehler gütigst zu l)erichtigen bittet. Wenn Dessau 
und Sc eck diese Dinge, sowie etwa das mit so lebhafter rnmittelbarkeit 
geschilderte Gespräch des Vopiscus mit dem Stadtpräfecten Ti])erianus in 
das Gebiet der absichtlichen Mystification, um die Täuschung wahrschein- 
licher zu machen, verweisen, so ist das doch wohl nicht mehr Ernst zu 
nehmende Kritik. Nach v. Probi 1 , 5 nuiss Vopiscus zuerst den 
Aurelian allein, dann die v. Taciti et Fh^riani, hierauf vielleicht zu- 
sani.n^^n die zwei Biiclier mit den Biographien des Probus und der quadrigae 
tyrannorum, endlich gesondert das des Garus und seiner Söhne haben 
erscheinen lassen; es ist auch zu beachten, dass er v. Probi 1. 5 und v. 
Bimosi 15, 10 die Absicht ausspricht, auch Diocletian und Maximian 
zu bearbeiten, v. Garini 18, f) dies jedoch abweist. 

Was nun die eigentliche sprachliche Seite des vorliegenden Problems 
betrifft, so sind durch die Untersuchungen von Klebs und Wölfflin 
manche werthvolle Resultate gewonnen worden, doch scheint uii^ die Sache 
bis nun zu enge gefasst zu sein, indem die bisherige Behandhnig meist nur 
die Phraseologie und den Wortschatz berücksichtigt hat. Der sprachliche 
Charakter eines Schriftstellers wird jed(»ch dadurch nicht erschöpft, sondern 
er umfasst auch die Darstellungsweise ; erst diese drei Momente zusannnen 
geben eine Vorstellung vom Stile desselben. Bei unseren Scriptores liegt nun 
die Schwierigkeit darin, dass sie zu sehr von iliren Quellen abhängen, dass 
meist nur Excerpte, u. zw. verl)indungslos aneinander gereiht sind, dass sie 
sozusagen mehr Materialien als eine Verarbeitung des Materials bieten ^), so 
dass man im Einzehien nicht immer mit Bestimmtheit sagen kann, was auf ihre 
Rechnung und was auf die ihrer Quellen zu setzen ist. Doch fehlen nicht 
Partien, wo dies zweifellos ist, freilich nicht in der eigentlichen Geschichts- 
ei-zähluug, sondern in den Zuthaten, die als ihr eigenstes Eigenthum anzu- 
sprechen sind und wo sie mit ihrer Persönlichkeit hervortn^ten : es sind dies 



*) Vopisrus erklärte dies geradezu für seine Absicht v. Cari 21, 2 vi praecipue 
agensj ut, tfi quin eloquena vellet facta principum reserarCf materiam non requireret, 
hnhitut'ua meos libellos minwtros chqnii, aber es pilt aiu'h von den Anderen. 



— 228 — 

die bereits erwähnten Einleitungen und 8 c h 1 u s s w o r t e und die mehr 
oder weniger außfiihrlichen, allgemeinen Di gressionen. Allen diesen ist 
naturgemäss ein gewisser rhetoriseher Charakter eigen , woraus wieder 
eine gewisse (ileichartigkeit erwächst. Dennoch dürfte es sich empfehlen, 
diese Stücke, die in keinem Zusammenhang mit ihrer Tragebung stehen 
und bei denen die Annahme einer Entlehnung aus der Quelle jeden- 
falls nicht geboten, ja eigentlich ausgeschlossen ist, einer vergleichenden 
Betrachtung zu unterziehen. Wenn sie Verschiedenheiten ergibt, so dürfte 
doch wohl damit auch ein willkommener Beitrag zur Lösung des ganzen 
Problems geboten werden. 

Freilich ist die Entscheidung der Frage, ob diese Stücke eine 
Stilverschiedenheit verrathen , auch mit eine Sache des Gefühls . für das 
es keinen stricten Nachweis gibt, und es ist deshalb nöthig, dass man 
die betn^tfenden Stücke unmittelbar nacheinander lese und sie auf sich 
einwirken lasse. Ich glaube nun, dass thatsächlich diese Stücke einen 
verschiedenen Stil aufweisen und die Annahme eines Verfassers für alle 
ausschliessen und dass sich dies auch im Einzelnen deutlich machen lässt. 
\'on einer eingehenden Analyse aller hierher gehörenden Stellen rauss ich 
jedoch hier absehen und mich darauf beschränken, einiges hervorzuheben. 

Die Stellen, auf die es hier ankommt, sind folgende, u. zw. in der 
hier gewählten Gruppirung : I. Einleitungen und Schlussworte (diese 
sind nicht immer vorhanden) : 1) v. Helii c. 1. dazu c. 7, 4. o ; v. Maximin. c. 1 ; 
V. Gordian. c. 1 2) v. Pescennii c. 1 , dazu c. 9. 1 — 4; v. Macriui c. 1, dazu 
c. If), i) — 4: V. XXX tyr. 1, dazu 31, 5. 6; v. Firmi c. 1 3) v. Heliogabali 
c. 1, 1 — 3, dazu c. 85; IL Digressionen allgemeineren Inhaltes: 
V. Severi c. 20, 4 — 12, v. Heliogabali c. 34; v. Alexandri c. 65 — 67; 
V. Claudii c. 1 — 3 ; v. Aureliani c. L 2 u. 42, 3 — 6. 43 ; v. Taciti c. 1 — 2, 2; 
V. IVobi c. 1 . 2. 3 — 9, besonders c. 22, 23 ; v. Cari c. 1 und besonders c. 2. 3. 

Die Einleitung zur v. Helii hat abweichend von allen anderen durch 
die Aufschrift: Diocletiano Augusto Aelias Sparttamis suus sal. die Form 
eines Briefes, der ein näheres Verhältnis des Autors zu Diocletian andeutet. 
Da mit dieser vita eine Aenderung des bisherigen Vorganges, dass nämlich 
von nun ab auch diejenigen, die nur den Namen Cäsar geführt, ohne den Thron 
bestiegen zu haben, siiujulis libris behandelt w^erden sollen *), angekündigt 
winl, begreift sich die besondere Einleitung und ihre von den anderen ab- 
weichende Form. Im Gegensatz zu dieser Einleitung will der Autor der Maxi- 
mini und Gordiani die zusammengehörigen Kaiser, dort den Maximinus und 



M Dass den Autor bei dem unterschiede zwischen dem älteren und Jüngeren Werth 
des Cneaamameiis ein richtiges Gefühl geleitet , dass er sich aber den wahren Sachver- 
halt nicht klar fremacht habe, wurde von Mommsen, St. R. IP. S. 1083, Anm. 1, hervor- 
>;ehol>en. 



seinen Sohn, hier den Gordianus und seine Söhne in einem Buclie behan- 
deln. Da in dem ganzen ersten Theil der Sammhing die erstere Praxis 
der einzelnen Bücher eingehalten ist — es gehören hierher die Biographien 
des Verus. die mit Marcus hätten verbunden werden können, die des Geta, 
die mit der des Caracalla. endlich die des Diadumenianus , die mit der 
des Macrinus hätten vereinigt werden können — so könnte dieser bewusste *) 
Gegensatz als Argument für die Ansicht Mommsens (S. 260) geltend 
gemacht werden, dass die drei Biographien der Maximini, Gordiani. sowie des 
Maximus und Balbinus, die jedenfalls einen Autor haben, nicht dem Ver- 
fasser der im ersten Theile dem Capitolin zugeschriebenen Viten angehören. 

Wenn die Einleitungen der v. Maximini und der v. Gordiani ein- 
ander im Inhalt entsprechen und nur durch Gedankengang, Wortlaut 
und Ausdehnung verschieden sind, so erklärt sich dies wohl daraus, dass 
die beiden Viten gesondert edirt worden sind. — Die v. (iordiani scheint 
mit der folgenden des Maximus und Balbinus ein Buch gebildet zu haben; 
dafür spricht, dass die letztere keine Einleitung hat. Im stilistischen 
Charakter weicht nun der der v. Helii vorgesetzte Brief von den Einleitungen 
der V. Maximini und v. Gordiani entschieden dadurch ab, dass dort klare, 
nüchterne Darlegung, hier viel rhetorischer gefärbte Diction vorherrscht. 
Im Einzelnen bemerke ich noch, dass dort nur in dem Ausdruck cogmtioni 
numtnia tut sternere (etwa „der Kenntniss deiner Hoheit unterbreiten'^), der 
Autor in einem Bilde seine Devotion ausdrückt , hier in den Ausdrücken : 
ne fastidiosum esset dementiae tuae, ordt/iem^ quem pietas tua . . . servari 
voluü , ad tuam dementiam destinare , pietatem tuam multitudine dtstinere 
Ubrorum der höfische Curialstil sich in seiner weiteren Ausbildung zeigt. 
Der Schlussatz der Einleitung der v. Helii scheint dem der v. Gordiani 
als Vorlage gedient zu haben. 

Die zweite Gruppe der Einleitungen behandelt die Schwierigkeiten, 
die es hat, das Material für die Biographien der sogenannten Tyrannen 
und der unbedeutenden Kaiser zu beschaifen. Vergleicht man nun die 
hierher gehörigen vier Vorworte, der v. Pescennii, v. Macrini, v. XXXtyrann. 
und V. Firmi, so zeigen sich auch hier erhebliche Unterschiede. Inhaltlich 
gleich sind zunächst die erste und dritte und doch ergibt eine Vergleichung, 
dass gerade sie nicht von einer Hand herrühren können. Aus dem Umstand, 
dass die Verbindung rarum et dif fidle est an die Stellen Aur. 31, 1 rar^um 
est, tit' Sf/ri fidem servent, immo difficile und Tac. 2, 1 quod rarum et dif fidle 



*) V. Max. 1 , 1 Ne fastidiosum esstt . . . singulos quosqiie principes rel principuin 
Uberos per libros singulos legere adhibui. moderatioitem, v. Gord. 1,1 Fuerat quidem ron- 
silium . . . ut singulos qnosque imperatores exemplo midtorum lihris singulis ad tuam cele- 
mentiam destiuarent nnin et multos vel ipse cideram rel lectione conceperam sed improhum 
Visum est. 



— 230 — 

futt (Tinnert und dass die Worte tnde quod latet Vvulex, qiwd Pmo nescitur 
und weiter ut nuh Ihmüiano Antonim ihre Analogie an nam et. Suetomus 
Tran2uülus . . . Anfoinuin Vindlcemque facuit haben, wollte W ö 1 f f 1 in (S. Ö19) 
sddiessen, dass die v. Peso, dem Voi)i8eu8 zuzuschreiben sei; aber weder 
diese Dinge, noeh die sonstigen von ihm geltend gemachten (iründe sind 
stark genug, um diese Hyprithese zu stützen. Denn einerseits ist die Verbin- 
dung rarum et diffieile nicht so autfallend, dass ni(*ht zwei Autoren sie ge- 
brauchen konnten, andererseits konnte sie der eine von dem andern entlehnen, 
und dass Antonius und Vindex nicht besonders behandelt wurdim. nuisste 
jeder wissen . der Sueton kannte ; da dieser tür alle Scriptores Muster 
ist . so konnt(Mi verschiedene Auton^n auf dieses naheliegende Beispiel 
hinweisen. »Schon dass dort Vindex, Piso und Antonius, hier nur Antonius 
und Vindex genannt werden, und die verschiedene Gestaltung der Wendung 
legen die verschiedene Autorschaft nahe. Wenn Wolf fl in die liemerkung 
macht, man verstehe nicht, wie Vopiscus im Firm, die Neuerung tÜr 
sich in Anspruch nehmen konnt(\ ohne seines Vorgängers, den er indirect 
fortsetzte, zu gedenken, so ist doch die (icgenfrage erlaubt, warum er, 
da er doch auf Pollio als seinen directen Vorgänger verweist, nicht in 
der V. Pesc. oder v. Firmi, wenn beide von ihm herrühren, auf sich selbst 
verweist. Schon die Thatsache, dass er desl*ollio XXX tvranni als sein 
ifuster anführt, in Verbindung mit der weiteren, dass er auf Marius Maximus 
hinweist, der den Albinus und Niger non suis proprüs libris spd alwnis inserniff 
si)richt dafür, dass er die besonderen Viten des rescennius und Albinus, 
die in unserer Samndung sich finden und verschiedenen Verfassern (Spartian 
und Cai)itolin) zugeschrieben werden, nicht kannte. 

Während nun die Einleitungen zur v. Pcscennii Nigri. v. XXX tyr- 
annorum, v. Firmi trotz mancher rhetorischer Phrase im Ganzen einen 
ganz vernünftigen Inhalt haben , verräth die der v. Macrini durch Weit- 
schweifigkeit und den ganz lä])pischen Satz non enim eM quisqnam, iquö 
in Vita non in diem quodcumque fecent einen anderen Geist und eine 
andere Feder: dazu kommt die Bemerkung über Cordus und die kindische 
Polemik gegen ihn. Das Programm nos tarnen ex diversiji historicis eriifa 
in luceni profereinns et ea quideni, quaf menioratu ditjna erunt und weiter 
sed eitfs, qui ntas aliorum scribere ordietm\ officium est digna Cognition*' 
perscribere und endlich cum omnino verum rilium ant nulla scribenda sitU 
out nimis pauca , si tarnen ex his mores possint animadverti , qui re vera 
scirndi sunt erinnert an den Satz v. Gord. 21. 4 ea debent in historia 
ptnri ab historiographis , quae aut fugienda sunf auf, sequenda , der gleich- 
falls gegen Cordus gerichtet ist. 

Eine eigene Stellung nehmen Einleitung und Schlusswort der v. Hplii>- 
gabali ein, die dem sittlichen Widerstreben Ausdruck geben, mit welchem 



der \'erfa88er an die Biographie dieses Scheusals auf deui römischen Kaiser- 
throne gegangen sein will; dass ihn dieses Widerstreben nicht gehindert 
hat. die widerlichsten Dinge mit behaglichster Breite zu erzählen, wurde 
ben^its von Peter hervorgehoben (S. l It*.). Das Ganze hat den schwülstigen 
Charakter der 8chriftstellerei des Lampridius. Da die Biographien des 
Heliogabal und Alexander ein Buch gebildet haben, wie aus der 
ganzen Anlage ersichtlich ist, entbehrt die letztere der Einleitung. Der 
Verfasser will im directen Auftrag des Constantinus geschrieben haben, 
Hei. 85, 1 Haec sunt de Ileliogabalo euius vitam me inväum et retrartantern 
ex (iraecis Latinisque scribere ac tibi offeirre voluisti; hält man nun damit 
zusammen Max. 29 , 10 ad alia, lU iubetur, velnt publico iure properante^ 
und (lOrd. ;J4, 6 (juae omnia idcirco sutu persecutus, ne quid tuae cof/nitioni 
deesset, quod dignum scientia videretur, erinnert man sich ferner, dass der 
Autor zwei Aussprüclu* des Constantinus citirt (34, 4) imperatorem esse 
fortitnae est und agenduin ut sint imperio dignij quos regend i (,in} necessitat^m. 
vis ftUalis addnxerit und erwägt man schliesslich, dass mit den Worten 
Hei. 35. 1 scribere nutem ordiar ^ qui post sequentur und den folgenden 
Sätzen der Umfang der Schriftstellerei angekündigt wird , und dass die 
kin<li8che Erklärung am Schlüsse, warum die (lOrdiani nicht zu den 
Antonini gehörcMi (nun nmnen in Ulis prinium fuit, sed proenomen, deinde 
fit in plerüque libris inoenio Antonii dicti sunt, non Aidonini) sich ebenso 
in der v. (iord., die hier angekündigt wird (cum duos Gordianos narrare 
c.oepero} 4, 7. 8. JK f) findet, während v. Macr. 3. 5, dem Diocletian gewidmet, 
und Diadum. 18, 1 das gerade Gegentheil steht, so dürfte die Ansicht 
Monimsens (S. 240), dass die Reihe von Elagabalus bis auf Gordian HI 
von einer Hand herrühre, an Wahrscheinlichkeit gewinnen. 

Während nun die bisher besprochenen Einleitungen sich auf die 
Darlegung der Grundsätze beschränken, die die Autoren bei der betreitenden 
Biographie befolgten. hal)en die in den Viten des Aurelian (c. 1 — 3), Probus 
(1. 2) und Carus (c. 1 — 3) mehr den Charakter der Digressionen 
allgemeineren Inhalts und sind deshalb mit diesen zu vergleichen. 
Die Verschiedenheit der Autorschaft dieser Stücke ergibt sich nun meines 
Erachtens zweifellos. Man braucht nur <lie matte, inhaltsleere und schüler- 
hafte Declamation v. Sev. 20. 4 9. dass kein tüchtiger Vater einen 
seiner würdigen Sohn hinterlassen habe, die bis auf Homer zurückgeht, 
die Betrachtung v. Heliog. 34. wie es konnne. dass dieses Unglück (clades) 
fast drei Jahre auf dem römischen Thron gesessen, die ähnliche v. Alex. 65 
über die (f runde, die diesen Ausländer zum guten Kaiser gemacht 
haben, mit den klar und verständig geschriebenen ähnlichen Stellen des 
Vopiscus. die ülierall tüchtige Kenntnis der (leschichte und meist guten 
Geschmack verrathen. zu vergleichen, um sich zu überzeugen, dass sie 



- 232 — 

nicht alle einem Kopfe und einer Feder zuzuweisen sind. Im einzelnen 
sei besonders auf den historischen Excurs der v. Cari 2, der auch von 
einem bedeutenderen Historiker nicht besser geschrieben sein könnte, und 
auf die Betrachtung v. Aurel. 42, 3 — 6 , wie es komme, dass es so wenig 
gute Kaiser gebe und Ijesonders 43, über die Umstände, welche die 
Kaiser verderben (im (legensatze zu v. Alex. 65), verwiesen, die unsere 
Behauptung wohl bestätigen werden. Rhetorische Machwerke sind sie 
natürlich insgesamuit, aber während jene zu sehr nach der Schule riechen, 
veiTathen diese doch einen selbstständigen, denkenden Kopf und eine 
gewandte Feder. 

Die Knap])heit des zur Verfügung stehenden Raumes nöthigte mich, 
von einer zu sehr ins Detail gehenden Analyse abzusehen: der Zweck 
der vorliegenden Arbeit schien dies auch nicht zu verlangen. Es kam mir 
hier nur darauf an. die bisherigen Untersuchungen von Klebs und Wöl ff- 
lin über die rnterschiede im sprachlichen Charakter der einzelnen IMa- 
graphien auch nach der Seite des Inhalts und des Stils gewisser entschei- 
dender Stücke zu ergänzen. Auf die Frage, ob die Viten wirklich den 
Autoren zuzuweisen sind, deren Namen sie nach der handschriftlichen 
Ueberlieferung tragen, brauchte hier nicht eingegangen zu werden; denn 
für die Frage, ob wir in der Sammlung auch fernerhin die Werke verschie- 
dener Scriptores oder die kühne Fälschung nur eines Autors zu sehen 
haben, ist sie v<m keinem Belang. 

Die fiingangs erwähnten Untersuchungen haben für die richtige 
Würdigung der Scriptores werthvoUe und bleibende Ergebnisse geliefert; 
sie haben insbesondere gezeigt, wie geringwerthig sie sind und wie wenig 
Vertrauen sie in Anspruch nehmen können, und es ist zudem das bleibende 
Verdienst Dessaus, die neuerliche, eingehende Prüfung der Scriptores 
angeregt zu haben. Sein \'ersuch jedoch, die römische Litteratur des vierten 
Jahrhunderts um sechs untergeordnete Seribenten zu verkürzen und die 
des fünften Jahrhunderts um einen genialen Kopf zu bereichern, wie es 
der vcm Dessau angenommene Autor gewesen sein müsste, muss wohl 
als misslungen bezeichnet werden. 



üeber die Bruchstücke einer Vase des Sophilos 



von 



FRANZ STUDNIGZKA 



Die Bruchstücke einer Vase des sonst unbekannten Meisters Sophilos, 
welche wir nun, soweit sie veröffentlicht sind, in den Wiener Vorlege- 
hüittern vereinigt sehen ^), haben meines Wissens bisher keine andere aus- 
führliche Besprechung erfahren als diejenige, mit der Winter die erste 
Herausgabe der drei neuen, von ihm zusammengefundenen Fragmente be- 
gleitete. 2) Dass seine Erklärung und das auf sie gegründete kunstgeschicht- 
liche Urtheil in der Hauptsache fehl gieng, haben, gleich ihm selbst, gewiss 
schon viele Mitforscher erkannt. Da ab(T trotzdem W inte r*s Versehen 
da und dort Schaden gestiftet haben, scheint mir der Nachweis des leicht 
erreichbaren Richtigen geboten, wobei ich auch über ein neu hinzu- 
gekommenes Bruchstück berichten kann. 

Nach Winter stellte Sophilos den Hermes dar, wie er das Dionysos- 
kind den Nysai übergab, aber seine Komposition widei*sprach ganz und 
gar dem Sinn und der bildlichen Tradition des Mythos.*) Die Nymphen 
wohnen nicht in der nysäischen Grotte, sondern in einem tempelartigen 
Hause und der Götterbote ist auf seinem heimlichen (Jange begleitet von 
einem ganzen Festzuge von Gottheiten, aus dem noch erhalten sind : Hcstia 
und Demeter, Leto und Chariklo, die dem Hermes unmittelbar nachfolgen, 
weiterhin Poseidon und Amphitrite, also durchaus Götter, welche mit dem 
angenommenen Vorgang nichts zu schaffen haben. Diese unerhörte und 
unglaubliche Composition soll sich daraus erklären, dass Sophilos die Vase 
des Klitias, wahrscheinlich seines Ateliergenossen, vor ihrem Abgang nach 
Etnirien sah und ihren Hauptbildstreif, den Zug der Götter zur Hochzeit 

») 1889, Taf. 2, 8. 

«) Athen. Mitth. d. Inst. XIV, 1889, Taf. 1, S. 1 ft\ 

') Vergl. Winter. S. 5f. und die dort angeführte Literatur. 



(los Polens uiit Tlietis. sinnlos zur Aussclnuüekiui^ seines Hildes ahsehrieb. 
Betrachten wir, um die Berechtigung dieser coniplicierten Annahme zu prüfen, 
die einzelnen Bruchstücke. 

Das gniSHte Frafcuu'nt zeigt <li(» zwei Taare Hestia und Demeter, 
Leto und Chariklo. ihnen voranschreitend eine langhaarige (iestalt in kurzem 
Chiton mit darüber gegürtetem Fell un<l sogenannten Flügelschuhen, welche 
in der Rechten einen kurzen Stab, gewiss das Kerykeion. trügt. Das wäre 
ohne Frage Hermes, wenn nur <lie Fleischtheile nicht weisse Farbe zeigten. 



•n 



Aber der Herausg(»ber theilt uns gleich Eingangs 8. 2 mit, dass .SophiloH 
in diesem Tunkte von der sonstigen Technik der Vasen mit schwarzen 
Figuren abweicht und <las Fleisch auch der Männer weiss malt.*) Dit*8C 
Behauptung hat, wenigstens in so allgemeiner Fassung, Winter selbst 
unbewusst widerlegt, indem (t die vor Jahren von Benndorf veröffent- 
lichte Scherbe 2) mit Poseidon und Amphitrite nach Keischs evidenter 
Beobachtung als zugehörig anerkannte, und auf dieser hat der Gott, wie 
schon das Schweigen des Herausgebers bahren musste, nicht weissen, sondenu 
wie allerdings erst die neue Abbildung in den Vorlegelirattern zeigt, den 
bei Männern in dieser Technik nicht seltenen violetten Teint. Doch ist ja 
in der That auch der (lebrauch der weissen Farbe in der archaischen 
Vasenmalerei manchen Schwankungen unterworfen, l'm von den fem- 
abliegenden ionischen Hydrien aus Caere abzusehen ^l. zeigen selbst korin- 
thische und attisclu* Vasen ausnalimsweise weisse Männer, aber freilich 
äusserst selten und wie es scheint immer zum Zwecke» bestimmter Charakte- 
ristik ; wenigstens weiss ich augenblicklich nur den weichlichen Buhlen 
Ismenes, IVriklvmenos, unfeiner korinthischen^) und den verblichenen 
Troilos unfeiner altattischen („tyrrhenischen") Amphora 0) anzuführen. Das 
gebietet jedenfalls gW^si^te Vorsicht bei der Statuierung weiterer Ausnahmen. 
Für die von ihm angenommene gibt Winter zunächst gar keinen Gnind 
an. aber der Zusammenhang seiner Darstellung lässt erkennen, dass ihn 
nichts anderes bestimmt hat. als seine Deutung der fraglichen (Gestalt auf 
Hennes, welche ihm aus der Zugehörigkeit des Bruchstücks mit den Xysai 

^) ?> hat damit ohne Wcit«Tes Glauben g«?fun(len bei MiUiot. Ktud. s. la eeram. Gr.. 
S. 77, wohl auch bei M. Mayer, der sonst die Fijrnr im Ait. Iris in Rosrher's liexikon d. 
Mythol., II, S. 32()tt'.. berücksichtigt hätte. 

-) Gricch. sicil. Vascnb. Taf. 11. 5. 

») Dum ml er, Rom. Mitth. d. Inst. III. 1888, ri. 16V). 

^) Mon. d. Inst. VI. Taf. U, Vorlegebl. 188i). Taf. 11, 4. Die hierzu von Pottier in 
Dumont, Ccram. de la Grcce I, S. 2(53, angemerkten „korinthischen"' Vasen aus Daphnai kann 
ich bei Petrie nicht wiederfinden : sie werden wohl auf einem Versehen in der Bestimmung 
der Vasenclasse beruhen. 

■•) Gerhard. A. V. III. Taf. 228. 



— 235 — 

nothwendig zu folgen schien (S. 4 f.). Doch selbst aus der — wie wir 
später sehen werden unrichtigen — Voraussetzung, die Nysai könnten nur 
als Pflegerinnen des Dionjsoskindes dargestellt sein, ist der Hermes mit 
weissem Leibe nicht zu erweisen. Das gesonderte Bruchstück, auf dem 
die nach links gewandten K()pfe dieser Nymphen stehen , muss nicht nur 
nicht, es kann gar nicht die Stelle rechts zunächst dem „Hermes" ein- 
nehmen, die ihm Winters Deutung zuzuweisen genöthigt ist, weil nämlich 
der obere Begrenzungsstrich des Bildfeldes über den Nysai nur etwa halb 
so dick ist, als über der Botengestalt, ein Unterschied, dessen Ausgleichung 
unter normalen Umständen einen ganz beträchtlichen Abstand erfordert. 
Dieselbe Beobachtung hat offenbar die Ansetzung der Fragmente auf der 
Tafel in den Vorlegeblätteni bestimmt (s. unten). 

Von den Nysai weit getrennt hat also die fragliche Gestalt gar kein 
Anrecht mehr auf den Namen Hermes und gibt sich durch ihre Hautfarbe 
olinc Weiteres als Iris zu erkennen, welche in gleicher Tracht ^) und ähn- 
licher Haltung auf der Klitiasvase erscheint. Und damit wird die Ueber- 
einstimmung dieses Bruchstücks mit der Spitze des Hochzeitszugs auf jener 
Vase vollendet, wo der (iötterbotin die Trias Demeter, Hestia, Chariklo 
frdgt. von den vier Frauen bei Sophilos also nur Leto fehlt. Auch Cheiron 
niuss vor Iris ergänzt werden, da Chariklo nur als seine Gattin hierher- 
fcehr)rt. Das zugehörige Haus der Thetis bietet die Scherbe mit der Künstler- 
inschrift, deren durch den Zusammenhang gebotene Ansetzung nicht allzu- 
Aveit rechts von Iris die Grundlinie der Darstellung bestätigt, welche unter 
den Füssen der Hestia unvermittelt zu der beträchtlichen Dicke anzu- 
schwellen beginnt . in der sie unter dem Gebäude erscheint. Sie erklärt 
sich daraus, dass Anfang und Ende des auf der Drehscheibe gezogenen 
Reifens nicht genau zusammentrafen, sondern eine Strecke weit neben- 
einander hergiengen, was der Maler nachträglich nicht ganz verwischt hat. 

Wie vollkommen die Uebereinstimmung der beiden Vasenbilder auch 
im weiteren V(»rlaufe war , das lehrt der kleine Rest einer Figur rechts 
neben dem schwarzen Eckpfeiler 2) des Hauses, dessen Deutung Winter 
nicht gelungen ist. *) Mich hat ihn ein Zufall auf den ersten Blick 
erkennen lass(»n, nämlich die frische Erinnerung an alle Einzelheiten der 
archaischen Tritoni* und verwandter Bildungen. Er rührt von einem 
schlangenartigen Fischleib her, dessen schmaler Bauchstreifen durch kurze 



M Nur die Restauration hat ihr dort unter den kurzen noch einen langen Chiton 
pepreben, vergl. Vorlegebl. 1888, Taf. 2. 

*) Dass PS keine Ante ist, Ichit der Vergleich mit den entsprechenden Gebäuden der 
Krancoisvase, wie sie Heberde y verstehen gelehrt hat. Arch.-epigr. Mitth. aus Oesterr. XIII, 
1S90. S.82. 

•*) Vergl. auch Reisch, Zeitschr. f. osterr. Gynm. 1H87, S. (547. 



— 236 ~ 

doppelte Qiierfurclieu in oblonge, abwechselnd rothe und schwarze Felder 
getheilt war. Am älintiehsten. nur mit aufgesetztem Weiss ausgeführt, findet 
sich diese Gliederung an den schönen Tritonen der wohl ostionischen 
Amphora Xorthampton '), gleichartig aber auch an attischen Gelten von 
beiderlei Teclmik, *) Unten , wo die Krümmung des Bauches den Boden 
berührt, sitzt wie gewöhnlich eine von den üblichen dreieckigen Flossen '), 
deren Spitze nach dem Gebäude gekelirt ist, woraus mit Sicherheit herx'or- 
geht, dass der Fischleib nach rechts bewegt war, der l'eberrcst also seinem 
Ende angehört. Uas ungefähr stabartige Ende weiter oben gehört natürlich 
zu irgend einem anderen, hinter dem 8eethier hervorkommenden Gegenstande. 
Ich zweifle nicht, dass diese Deutung des fraglichen Restes, so sicher 
sie ist. doch nicht dem Urtheile ,.möglich. aber nicht nnzweifelliaft- ent- 
gienge, wenn nicht zum Glück neulich bei der ergebnissreichen Bichtun;; 
d- r \ ■.-■ ii-i III iben von der Akropolis durch Wolters und G räf ein fünftt^ 
.■■^,. Bnichstück der Sophilosvase zum Vorschein 

gebracht wäre . das ich hier nach einer 
Winter venlankten Skizze — ohne An- 
spruch auf unbedingte Genauigkeit — ^'or- 
läutig abbilden kann. Obwohl an das vorhin 
liesprochene nicht anpassend, lässt es doch 
sogleich ein grosses Stück desselben . in 
Färbung und (iravinmg unzweifelhaft iden- 
tischen Fischleibes erkennen. Damit ist 
auch an dieser Stelle die T'ebereinstimmuug 
mit der Fran^oisvase gesichert, wo hinter 
dem .Ttietideion' ein mächtiger Ilippokamp. 
dem Gespanne des Okoanos nachfolgend, den Göttcmug abschliesst,*) Bei 
Sophilos hatte das Meerwunder offenbar fünf Windungen, also um zwei 
mehr wie hei Klitia«. Während bei diesem die grössto, vordere Windung 
von dem Ilenkelausatz verschlungen ist, erscheinen auf unserer Scherbe 
die Koste eines neben dem Seethier einhergehenden, langbekleideten Mannes 
mit violettem Mantel mid daneben einer zweiten Gestalt; es war wohl ein 
Götterpaar aus der durch das Ketos bezeichneten Sphäre. Dass eine weitere 

') Gerhard, A. V. IV, Taf, 317, vcirl. FurtwänRler. noldfiind iw Vrtterefelde. 
S. 21)4. riirhtiRer Jahrbuch d. Inst. V, IHilO. S. U2f., ziiletit Bnll c, SiWe S. C, 8; 1± 

') Z,B- Mus™ Grepir- II, Taf. 4S. 2b, V«ws du Princc de Canino. Nr.aHMI: roth- 
ftgurii;: Acheloo» des Pamphaioa. Gerha rd. A. V. II. Taf. 215 (Wiener Torlegfbi. I, Taf. (Jk 

') Ver».'l. »ii.'<ser der Mehrzahl der aufführten Beispiele noch lierhard, A. V. I. 
Taf.lt (Berlin, Sr. 1C.7H Furtwünglerl und die Tritoneiebel der Akropolis. lieHonders den 
kleineren. 

') Verpl. Wei/säcker, Rhein. Mua. XXXII, 1877. S. 47. 




- - 2H7 — 

Fi^ur hinter dein Ende des Fischleibs nachfolgte, verrUth jener stabähnliche 
Rest; weder seine Form, noch der verfügbare Raum empfiehlt die sonst 
naheliegende Vermuthung. dass auch hier Hephaistos auf dem Esel dar- 
gestellt war. 

Ans dem bisher Festgestellten geht hervor, dass der Hoch/eitszug, 
wie auf der Fran^'oisvase, rings um das ganze Gefäss lief und das Haus 
der Thetis auch hier dazu diente. Anfang und Ende auseinanderzuhalten. 
Erst daraus folgt mit Sicherheit, dass die beiden übrigen Bruchstücke zu 
derselben Darstellung gehörten. Poseidon und Amphitrite erscheinen auch 
beiKlitias, freilich nur durch ihre einem Viergespann beigeschriebenen Namen 
vertreten, während die Götter selbst, anscheinend diu-ch den Henkelansatz 
verdeckt, in Wirklichkeit nie gemalt waren. *J Dass sie auch bei Sophilos 
auf dem Wagen fuhren, ist nicht sehr wahrscheinlich, da dann ihre Köpfe 
doch wohl kleiner wären , als die der Fussgängerinnen. Aber das Vor- 
handensein von Wagen in dem (Jötterzuge scheint dieselbe »Seherbe zu be- 
weisen, indem sie im Rücken Poseidons den Rest des Stirnschopfes eines 
Pferdes erkennen lässt — etwa wie sie Exekias zeichnet ^) , - - w^elcher, 
dem oberen Hildrande zunächst gelegen, keinem Reitthier angehören kann. 
Doch ist immerhin die Möglichkeit offen zu halten, dass er von dem soeben 
bespnxjhenen Seethier herrührt, wie der Vergleich mit zeitlich nahe- 
stehenden Hippokampendarstellungen lehrt.') Freilich ist sein Gegenstück 
auf der Klitiasvase von dem Meerbeherrscher diametral entfernt. Die Form 
der oberen (irenzlinic bringt hier keine Entscheidung, denn ihre Dicke 
zeigt nur, dass unsere Scherbe nicht allzu weit von der mit den fünf 
G()ttinnen, ihre Form verräth aber nicht, ob sie rechts oder links davon 
anzusetzen ist. 

In viel grösserer Entfennmg , nach demselben Kennzeichen , folgt 
das Fragment mit den Köpfen der Nysai, welches Winter auf die 
falsche Fährte gelockt hat. Die Beischrift ist mit Sicherheit nur auf das 
im Profil nach links gekehrte Paar zu beziehen, doch leugne ich nicht, 
dass es wahrscheinlich ist, auch die in Vorderansicht dargestellte Syrinx- 
bläserin. das Gegenstück der Kalliope auf derFrangoisvase, den dionysischen 
Xymi)hen zuzurechnen. Dass sie dem Hochzeitszug angehören, steht ja 
äusserlich ganz fest. Auch die der Richtung des Zuges entgegengesetzte 
Kopfhaltung widerspricht dem nicht, wie Winter selbst S. 4 einräumt, 
indem er auf Nerens und Doris im Bilde des Klitias hinweist, welche, 
obwohl sie mit den übrigen Göttern nach rechts schreiten , linkshin um- 
Mieken. Zwar gerade diese Analogie trifft nicht ganz zu, denn die Eltern 

*) Heberdey, Arch.-epigr. Mitth. a. Oesterr. XIII, 1890. S. 72 ff. 
>) Z. B. Vorlegebl. 1888, Taf. 5, 1 a. 
») Z. B. Gerhard, A. V. I, Taf. 8. 



2^8 

der liraut sind , was noch nicht bemerkt zu sein scheint . von ilireni 
Hause lier, aus dem Thetis ab«:eholt wird -). den Göttern hegrüssend ent- 
fii:e<|:en^eeilt. und zwar bis zu dem (iespann Athenas. nelien dem sie nun 
wegweisend einherschreiten, die (lesichter aufmerksam dem wertesten (iaste 
zugekehrt, wieder einer von den liebenswürdigen Zügen des Localpatriotismus 
im Kerameikos. Al)er aucli sonst fcldt es nicbt an Beispielen, da^s mau 
die Monotonie solcher langer, in einer Richtung bewegt(M- Figurenreihen 
durch umblickende Köpfe belebte. 

Was die Nysai in unserem Hilde bedeuten, ist leicht gesagt. Win ter 
glaubte sie nur auf die Kindheit des Dionysos beziehen zu können, weil 
der Name, bis dahin allein im Singular bekannt, die Amme des (»ottes 
und ihren Wohnort bedeutet. Aber es ist klar, dass die Mehrzahl mit den 
nysäischen Nymphen ^) identisch ist. welche schon bi^i Homer als Juovvaou) 
Ti^T^vm mit ihrem erwachsenen Zögling auf dem Nyseion schwärmen *). 
folglich als Angelnh'ige seines Tlüasos ihn ül>erallhin . auch zur Hochzeit 
der Thetis. begleiten können. Dionysos (»rschien also bei Sophilos mit 
grossem Geleite, und zwar recht weit hinten im Zug, ein bemerkens- 
werter Gegensatz zur Franc^oisvase , wo er. gleich hinter dem ersten Drei- 
verein von Göttinnen einherschreitend , seine schwere Amphora allein 
schleppen muss, vielleicht nur deshalb, weil Klitias den Thiasos für die 
Rückführung des llephaistos noth wendiger brauchti» und ihn hier nicht 
wiederholen mochte. 

Die Grösse des IHldfrieses, dessen Reste wir gedeutet und nach 
Mr>glichkeit geordnet haben, ist aus der horizontalen Krünnnung der grössten 
Bruchstücke wenigstens annähernd zu bestimmen. Nach einem mir von 
Lolli ng gütig übermittelten Gypsabguss desselben ist der Durchmesser 
der \'asc auf etwa einen halben Meter zu schätzen . steht also dem der 
Fran^'oisvase nur wenig nach. 

Vergleichen wir nun die Composition des 8oi)hilos mit der des Klitias, 
so leuchtet bei aller l ebereinstimmung sofort ein. wie wenig der erstere 
als sdavischer Nachahmer des letzteren gelten kann. D«is gilt nicht nur 
von der dargelegten \>rschiedenhcit in dem Bestände und der Einordnung 
der Personen, sondern auch von der Gruppierung. Die des 8ophih>s ist 
im Ganzen weit lockerer und war demnach gewiss relativ ärmer an 
Figuren, schon weil hier die Gesi)anne gefehlt zu haben scheinen. Bt*- 
zeichnend <lafür ist. dass die Göttinnen an der Si)itze des Zuges paar- 



M Weizsäcker, a.a.O. S. 45. 

^) M. Maver in Koscher'.s Ijexikon d. Mvthol. II, 8.327. 

") Kretzsclimer, Ans der Amunia. S. 27, vergl. G.Meyer, Indogerm. Furscb. I, 
H'.)2, S.m\)\ W. Gurlitt. Gütting. pel. Anz. 18i)2, S. 514 f. 
*) Z. 13H. 



2H9 



weiso, nicht. wi(» Wi Klitias, zu dritt und zu viert oinlHTgoheu. Aueli der 
lYerdekopf hinter rosei<h>n rückt diesem nicht so nah an den Rücken. Der 
Stil im Einzeln(Mi ist verscliicden p*nu<;. l)i(» Fi^unMi sind weniger scldank 
und ^(»ziert, die B(»>vegung minder ^(»schraubt, man v(Tgleiche z. H. die Ann- 
haltun^ der Iris liier und dort. Die mit Thierstreitcn decorierten Gewänder 
scheinen hier zu herrschen, auf der Fran(;()isvasc konnnen sie nur 8i)oradi8ch 
vor. Kin Irtheil über das zeitlicln» \'erhältniss weiss ich niclit genügend 
zu l>egründen. Hr^chstens Hesse sich für einen späterem Ansatz des Sojdiilos 
anfuhren, <lass das einzige erhaltene Männerauge, das <Ies Poseidon, schon 
di<» ganz schematiscln* Bildung zeigt, welche Klitias sorgfaltig zu meiden 
pflegt. Im (lanz(»n waren beide Maler gewiss ZeitgenosscMi. 

Von eincmi zweiten Bildstreifen, der unter dem llochzeitsbilde her- 
gieng. ist nur (»in Kestchen unter dem Hause der Thetis (»rhalten. Winter 
S. 8 will darin den Rest einer Mähm» , und zwar eher v(m 
einem rferd als einem Löwen erkennen, w<»raus zu schliessc^i 
sei , dass es kein Thierfries . sondern eine zw(Mte hihllicln' 
Darstellung war. Dass dies unmi)glich ist, lehren die Haare 
<ler Menschen und der Pferdschojif hinter Poseidon. Es braucht 
mir ausgesprochen zu werden, dass der Kest vielmehr einem 
archaischen Hakentlügel angehi'u't. Damit allein ist freilich 
noch nicht entschieden, ob dieser zweite Fries ein Thierstreif 
war oder nicht, doch spricht schon die offenbare Spärlichkeit 
der Figuren dafür, und die Form des (Jefasses bestätigt es. 
Diese scheint sich mir nämlich aus den vorhandenen Resten 
mit ziendicher Bestimmtheit zu ergeben. Der grosse horizcmtah» 
Durchmesser, von dem schon die Rede» war, im Vereine mit 
dem senkrechten Durchschnitt des grijssten Bruchstücks, wie 
ihn beistehende, auf die Hälfte verkleinerte Skizze Winters zeigt, und mit 
dem Fehlen jeder Spur von Henkclansätzen lässt kaum einen Zweifel übrig, 
dass die Vase ein sogenannter Dinos war. M Der schmale Schulterstreif 
derartiger Kessel ])Hegt sonst durch das StäbcluMikvnm ausgefüllt zu sein, 
doch finden sich statt seiner oder neben d(*mselben auch andere V(m den 
üblichen Bandornamenten -), das alternierende Pahni^tten- und Lotosgeflccht 
gerade auch auf dem Dinos des unsen^m Meister kunstgeschichtlich zunächst- 




') Vgl. Puchatei u, Arch. Ztg. XXXI X. IHHl. S. 219. Was zu don dort zusainmeii- 
pejstelltfn sf'g. Dinoi hinzugekommen ist. tülirm . sow»'it es liier in iJetraeht kommt, die 
Iblpenden Noten an. 

-) Der altattische Dinos des Louvre Dumont. CV«ram. d. 1. Gme, I, S. 385 11'. , hat 
.godrons et tresae Orientale^, ein ar^r ergänzter des arehäologischen Museums in Florenz, 
ans der ehemaligen .Sammlunjr Vagnonville. das Stähchenkyma und die gegen.stiindige 
I*almetten-Lotoskette. 



— 240 — 

stehenden Lydos von der Akropolis. ^) Unter dem an diese Sclmlterstreifen 
ansebliessenden , meist bildlichen Hauptfriese haben die älteren korinthi- 
schen {?) und attischen Gefässe dieser Form meist untergeordnete schmälere 
Friese , gewöhnlieh Thierstreifen , von vieren bis herab zu einem. -) Für 
den des Sophilos dürften am ehesten zwei vorauszusetzen sein. Durch 
diese Disposition schliesst er sich als eines der älteren Glieder der wie 
ich glaube mit Recht als ^korintliisch-attisch" bezeichneten, früher ^tyr- 
rheniseh^ genannten Vasenreihe an. ^j 



M Klein, (Jr. Vasen mit Meistersign. S. 217, Graf, Arch. Ana. 1893, S. 18. 

^) Vier Thierstreifen : Louvre, Dumont (Pottier) a. a. 0. S. H37", drei, Mus. Greg. II, 
Tf. 90 oder 7 (Reisch in Helbig's Führer II, S. 431, 34), zwei, die S. 239, Anm. 2 em-ähnten 
im Louvre und in Florenz, wohl auch Mon. d. Inst. I, Tf. 27, 29, einen, Mus. Villa Papa 
Glulio Grab LXIX, Nr. 9 (hier wie bei dem vorigen ist auch der Hauptfries ein Thierstreif ► 
und der kyrenäische Dinos bei Puchstein a. a. 0. Tf. 11, 1. 

3) Vergl. zuletzt Hol wer da, Jahrb. d. arch. Inst. V, 1890, S. 237 ff. 



Zur Geschichte von Thasos 



von 



ADOLPH WILHELM 



Leber Zeit und Bedeutung des Psephisma, dessen Schluss in den 
Bruchstücken CIA II 4 verstümmelt vorliegt , ist bisher keine Einigung 
erzielt worden. So wenig ist allerdings, was Ulrich Köhler gelesen und 
ergänzt hat, Z. 3ff. : ... t]^^ ßo[lrig' 7(,ak€]aai d[€ xjori i[7tl ^hia oder 
duTtvov avT\6g i[g xb 7tQvv\a\y\etov eig [avQcov — ]vaL de [xort roX]g [aJA- 
X[oi]g To[lg — ] ^a (. . . STti dvTi]'/[i]ajLim T[ijv — ]€cav naS-c^Tteg . . . .] Lve. 
oiv [ — dvaygdjtpai Si x [. . . .] rä dvo/nara v — xort ^Ex^ct[vv . ., dass auf Ver- 
muthungen über den Gegenstand des Beschlusses verzichtet werden müsste, 
erlaubte nicht das demselben angehängte Namensverzeichniss die gesicherte 
Folgerung, dass sieh das Psephisma auf Thasier bezieht.^) Schrift und 
Orthographie weisen den Stein in die letzten Zeiten des fünften oder die 
ersten Jahrzehnte des vierten Jahrhunderts ; es liegt nahe in der Geschichte 
von Thasos nach einem Anhalt für die Beurtheilung und Datirung der 
1 -rkunde zu suchen, die an und für sich so wenig Aufschluss über ihren 
Inhalt gewährt. 

Ein inniger Zusammenhang kettet, wie Emil Szanto Athen. Mit- 
theilungen XV, 72 ff. ausgeführt hat, die damaligen Geschicke der Insel an 
die gleichzeitigen Geschicke Athens. Im Jahre 411 sagt sich Thasos von 

*) a Z. 19 IlaYZotQtjg EvtpgiXXotf vgl. CIG 2161 (Bechtel, Inschriften des ioni- 
schen Dialects 72) EvtpodXog JlayxaQevs; a Z. 28 'E^aiverog 'Aqiotovov vgl. 'E^alvexog 
'Aqiotovov Bechtel, Thasische Inschriften ionischen Dialects im Louvre 17, 'ÄQtaxdvovg 
'ßj^atvhov Journal des Savants 1872, 50, wie auch E. Jacobs Thasiaca Berol. 1893, 24 
erkannt hat. Ich habe Jacobs' Dissertation gerade noch vor Dmcklegong vorliegenden Auf- 
satzes (vgl. Athen. Mittheil. XVII, 100) einsehen können und im Hinblick auf diese so er- 
f renliche Arbeit die Bemerkungen unterdrückt, die ich selbst aber die Theoreninschriften 
vortragen zu können meinte; einige Nachträge bei anderer Gelegenheit. In dem Namens- 
verzeichniss a Z. 16 Mifivo[/id}x[o, Z. 22 ylf]ov[Tr]vo?? und — aroatog [KQ]atia[T — . 
Eranot Vindobonentis. \Q 



— 242 — 

Athen los ; nach Wechselfällen, deren Einzelheiten sich unserer Kenntniss 
entziehen, Aufstand, Krieg und Hungersnoth, erobert im Jahre 407, wie 
kurz Xenophon Hell. I, 4, 9 und ausführlicher Diodor XIII, 72 be- 
richtet, Thrasybulos die Insel. ^) Die Schlacht von Aigospotamoi macht 
Athens Herrschaft auch auf Thasos ein Ende ; Lysandros wüthet quod ea 
insula praecipua fide fucrat erga Athenienses (Com. Nep. Lys. 2, 2) mit 
besonderer Grausamkeit und die Attikisten fallen durch schnöden Verrath 
in fürchterlichem Blutbade. Aber nicht lange bleibt die Insel in Spartas 
Hand ; lässt sich auch nicht ausreichend bestimmen, wann sie zuerst wieder 
mit Athen in Verbindung getreten 2), so steht Thasos doch sicher, wie die 
von Köhler Athen. Mittheil. VII , 313 ff. veröffentlichte Urkunde zeigt 
seit dem Seezuge des Thrasybulos oder, wenn wir Köhler folgen, seit 
dem des Iphikrates und Diotimos unter Athens Oberhoheit. Dass der 
Königsfriede des Jahres 386 auch auf Thasos einen Umsturz in oligar- 
chisch-lakedaimonischem Sinne herbeiführte, darf auch ohne ausdrückliches 
Zeugniss angenommen werden; indess war dieser Reaction so wenig als 
der früheren eine lange Dauer beschieden, denn elf Jahre später erscheint 
Thasos unter den Mitgliedern des zweiten Seebundes. 

Soweit wir durch litterarische und inschriftliche Ueberliefernng unter- 
richtet sind, geht somit die Insel in der Zeit, welcher die Inschrift ange- 
hört, abgesehen von vorübergehendem Zu- und Abfall, dreimal Athen ver- 
loren und wird sie dreimal für Athen wieder gewonnen. Soll das Pse— 
phisma mit einem dieser uns bekannten Ereignisse in Zusammenhang 
gebracht werden, so gilt es zunächst zwischen zwei Auffassungen, die das- 
selbe erfahren hat. leiclite Wahl zu treffen. 

*) Verständniss und Herstellung der t hasischen Urkunde Joum. of heU. stud. VUL 
402 unterließen auch nach JSzanto's Bemühungen (Athen. Mittheil. XV, 72) erheblichen 
Schwierigkeiten. Hicks' und Szanto's Versuche, ihre Aufi'assung und zeitliche Bestimmunar 
der Inschrift durch Ergänzung des Namens eines athenischen Archon zu stützen, beruhen 
auf der willkürlichen Annahme einer Abkürzung Z. 21 f. oiQx[<ov 'Ai}ti(vt]oi); trifft Szanto's 
Herstellung der letzten Zeilen im Uebrigen das Richtige, so bleiben strenge genommen nur 
fünf Stellen für den Namen und passt nur Aayrf\q , der Archon des Jahres 400/399. Eine 
Erhebung der Insel in so ausdrücklichem Anschlüsse an Athen wäre zu jener Zeit aUer- 
dings auffällig; ich wage über die Inschrift vorläufig kein Urtheil. Zu deadco Z. 19 vgl. 
G. Meyer, Griech. Gramm.- 578. 

2) Wenn ich Recht gehabt habe (Hermes XXIV, 127^) in dem Psephisma CIA U 2ö, 
vervollständigt von P. Foucart Rev. arch. XXXV, 119 (Melanges d'epigraphie greoque 
I, 49) für den Thasier Sthorynes (Köhler, Athen. Mittheil. VII, 318) Z. 3 f. zu ergänzen: 
rroodvuojc: eari .ioeTv vti dt'vazai d[ya{}uy rijv oxoaTiäv xai] xi]V :i6hv rrjv 'A^ijt'aitov, so 
ist die Vermuthung gestattet, wenn auch nicht gesichert, es sei im Jahre 394/3 von Seite 
Athens eine Unternehmung gegen Thasos geplant gewesen, welche mit dem Seezuge Konons 
in Zusammenhang stehen dürfte, der den Athenern ihre alten Kleruchien Lemnos, Imbros 
und-Skyros wieder verschaffte (J. Beloch, Die attische Politik seit Perikles 344. 
W. Jude ich, Kleinasiatische Studien 81*). 



— 243 — 

In kurzen Worten hat K () h 1 e r sich dahin ansge8i)roelien, das Pse- 
phisiua enthalte die Verleihung gewisser Privilegien an iTtl aTWÄiOfap 
vertriebene Thasier. Ihm folgend hat Paul Foncart schon im Jahre 1878 
Rev. arch. XXXV, 122 (Melanges d'epigraphie grecque I, 52) und enieut 
Bull, de corr. hell. XFI, 164 den Beschluss mit dem Psephisma für die 
Thasier Ekphantos und Clenossen identificirt, welches Demosthenes in der 
Rede gegen Leptines Ji 59 ff. erwähnt : toDto f.iiv Toivvv Oautotg zovg fier 
'Exffavrov Ttiog oux där/,r^aeT€, iäv äq>aiQriad'e zfjv dtekeiav^ ot Ttaqaddvveg 
vtilv Odaov xal rt]v ^iay,€daif.iOvia)v (pQOvqäv /ifi^ ütvXwv exßakovreg ymI 
(')Qaövßüvh)v elgayayövvig '/,al TtaQaaxovveg q)ikrjv vf,uv T/}r avcwv Ttargida 
üItiol Totj '/Eviad-ai avfif.iaxov rbv Tteql Ö^^rxijv nmov iutv iyivovio \ '/.xX, 
Aber Foncart hat nicht versucht auf Grund dieser einleuchtenden Ver- 
muthung den Wortlaut des verstümmelten Psephisma herzustellen : so konnte 
diesem kürzlich mehrfach eine geradezu entgegengesetzte Bedeutung zuge- 
w'hrieben und behauptet werden, es sei dasselbe unmittelbar nach einer 
Eroberung von Thasos durch die Athener — nach Szanto im Jahre 407, 
nach Walther Jude ich. Kleinasiatische Studien 95^ im Jahre ;)89 — 
beschlossen worden, zur Belohnung der Dienste, welche Ekphantos und 
(ienossen eben bei dieser Gelegenheit der Sache Athens geleistet hatten.^) 

Die kümmerlichen Reste der Inschrift bieten letzterer Ansicht keine 

Stütze, mindestens nicht die Worte i7d Cittimo^u^; Verdienste um die 

Athener werden nie in dieser Form belobt und ämniaung pflegt wie alle 

fcleichartigen Worte im Sinne des Gegners gedacht zu sein. Wichtiger ist, 

dass ein Beschluss dieser Art mit dem v<m Demosthenes besprochenen 

schlechterdings nicht id(Mitisch sein kann : das zeigt der Zusammenhang 

<ler ganzen einheitlichen Erörterung SS 51 — (50 ff., in welcher der Redner 

A'on solchen Wohlthätern der Athener handelt, oV 7c6l€ig iilag, idg fcrt- 

TOßv 7caTQidag, aviiudyov^ lulv f:7rl ruv yrgbg ^laAEÖai iiovi ovg noXiuov 

TcaQtdxov 'Aal Hyovreg u avuffe.Q€i r/y 7c6kec rfj v^ietSQ^c y.ai TiQuirovreg, 

>velche diese ihre Dienste später mit Verbannung büssen mussten, von den 

Athenern unter Verleihung von Privilegien, wie sie in solchem Falle üblich 

und angemessen war, aufgenonunen wurden und in dem (Genüsse derselben 

durch Leptines' Gesetzantnig gekränkt würden. Demosthenes nennt erstlich 

§52 ff. rovg t/. KoqivO-ov cffvyoviag, Korinthier, welche zur Zeit „der 

grossen Schlacht'* dem athenischen Heere die Thore ihrer Stadt ger>ffnet 

hatten und nach dem Antalkidasfrieden durch die Lakedaimonier vertrieben 

in Athen Zuflucht fanden; zweitens die Thasier Ekphantos und Genossen; 

drittens Archebios und llerakleides, die einst Bvzantion dem Thrasvbulos 

fibei^eben hatten und später ob dieser That geächtet von den Athenern, 

*) E. Jacobs Thasiara i-5() stimmt Szanto bei. 



— 244 — 

ärtBQ ol/aac q)evyovacv evei^yhacg dt vfiäg Ttgoa^xe^ Proxenie, Euergesie und 
ätilBia anavvtjv zuerkannt erhielten J) Veranlassung und Bedeutung jenes 
Beschlusses für die Thasier kann somit nicht zweifelhaft sein ; sollten die 
Reste der Inschrift eine andere Auffassung zulassen oder fordern, sollte 
das in ihr vorliegende Psephisma wirklich unmittelbar nach einer Ero])e- 
rung von Thasos zur Belohnung der Mitwirkung des Ekphantos und seiner 
Genossen beschlossen worden sein — was nicht erwiesen und m. E. uner- 
weislich ist — , so wäre dasselbe von dem Psephisma, welches Demosthenes 
bespricht und verlesen lässt, sicherlich zu trennen. 

Auf Grund einer neuen Lesung der sehr beschädigten Steine glaubo 
ich indess den Nachweis erbringen zu können, dass in der Inschrift 
CIA II 4 thatsächlich ein Stück des Thasierbeschlusses der Rede gegen 
Leptines erhalten ist. Besonders werthvoU ist mir, dass Herr Dr. H. G. 
Lolling in Kenntniss meiner Vermuthungen auf meine Bitte eine Ab- 
schrift des Psephisma genommen und mir gütigst mitgetheilt hat, durch 
welche die Richtigkeit der meinigen in erwünschter Weise bestätigt winl. 

a h 

H A O 

H ^ B O 

ro ^ E 

N A I A E 

A I 

\ N K A © A 

Y A I A E 

AI E X <t> /^ 

Z. 3 XMAS (Köhler: <.A $), nur zu Soa^udg zu ergänzen, 
lässt vermuthen, es sei in den ersten erhaltenen Zeilen der Inschrift die 
Anordnung der Aufschreibung des Psephisma und die Anweisung der für 
dieselbe zu verausgabenden Summe enthalten gewesen ; umsomehr als derlei 
Bestimmungen in dem übrigen Theile der Inschrift augenscheinlich nicht 
vorliegen, sie aber gerade der Formel der Einladung in das vcQvvavtlov, 
wie sie Z. 3 ff. steht, voranzugehen pflegen. 2) Darf in diesem Zusammen- 
hange die Nennung des ygafALtaretg r^g ßovkfjg erwartet werden, so lässt 
sich thatsächlich Z. 3 rm yQa/nfAarei T^g ßoXfig herstellen ; allerdings hat 
Köhler den letzten Buchstaben, welcher auf dem ersten Bruchstücke in 



L A 




^T ZA 





X M A c a 1 


P 


C A 1 A A 


1 E 


A N E 1 N E 


1 C 


^ A A A v» S. 


TO 


'" T 1 K 1 ^Mil 


1 T 


\ N 1 N E ' ^ 


1 N 


TAONOMAT 


A N 



*) Dass die Inschrift Berliner Sitzungsberichte 1887, 1060 I, 2, welche Foncart, 
Bull, de corr. hell. XII, 164 auf Archebios und Herakleides bezogen hatte, vielmehr Hera- 
kleides von Klazomenai gilt, wie ich gleichzeitig unabhängig erkannt hatte, zeigt Köhler 
Hermes XXVII, 68 ff. 

^) Arm. Max. Dittmar, De Atheniensium more exteros coronis publice ornandi. 
Leipziger Studien XIII. 123 f. 



— 245 — 

(lieser Zeile sichtbar ist , n gelesen und unleugbar macht das fragliche 
Zeichen auf den ersten Blick den Eindruck eines i7, doch gestattet die 
Beschaffenheit des Steines und gerade dieser Stelle durchaus die Lesung 
eines F. Die Grösse des Stückes, das zwischen den beiden erhaltenen 
Theilen der Inschrift fehlt, wird durch die vorgeschlagene Ergänzung 
bestimmt ; mag dieselbe auch nicht gesichert und nur wahrscheinlich sein, 
80 wird man doch vorläufig mit ihr rechnen und versuchen dürfen, ob 
sieh unter Voraussetzung entsprechender Länge — 28 Buchstaben — für 
die folgenden Zeilen passende Ergänzungen finden lassen. 

Z. 3 ff. ist die Formel ycakiaac di 'Aal i[7tt ^evia oder delnvov atT]6$ 
ig TÖ TiQVTaveiov eig acQiov bereits v^on Köhler erkannt worden. Ent- 
scheiden schon sachliche Grüude gegen i[7tl deljcvov *), so auch die Stellen- 
zahl, welche selbst für h[7ti ^ena nur dann zureicht, wenn entweder ein 
iota neben einen anderen Buchstaben auf den Raum, der eigentlich nur 
einem zukommt, geklemmt oder das auslautende a von ^evia vor dem fol- 
genden Diphthonge elidirt war. 2) 

Sehen wir weiter , so bleiben , unserer Voraussetzung gemäss , Z. 5 
nur zwei Stellen nach avQiov zur Ergänzung des Infinitivs — vaij also 
£i]vai (oder wenig wahrscheinlich dd]vai), Z. 7 muss das Privileg genannt 
gewesen sein, welches „auch den Uebrigen'^ verliehen werden soll: nach 
Köhler uolitEla oder laoraleia. Gegen die Zuerkennung des Bürger- 
rechtes Hessen sich auch sonst Bedenken, zumal der Form wegen, geltend 
machen; Isotelie ist allerdings Flüchtlingen in ähnlichen Fällen mehrfach 
bewilligt w^orden ') : so den Olynthiern und Thebanern und den zehn Genossen 
des Astykrates CIA II 54 (Dittenberger, Sylloge 78).*) 

*) Dittmar, 120ff. 

') CIA II 12, Z. 5 f. ist einfach zu schreiben ix nov xatä ^'ijq^tafjiaT dvaXiajxojuevcov ; 
man braucht also nicht mit V. Heydemann De senatu Atheniensium diss. Argent. IV 193* 
die Absonderlichkeit der bisher ergänzten Formel durch den Hinweis auf ihr erstmaliges 
Vorkommen an dieser Stelle zu entschuldigen. 

») Vgl. V. Wilamowitz Hermes XXII, 245 ff., wo auf den Olynthier CIA U 768" 
aufmerksam gemacht ist. Auch ein Thebaner ist zu Tage getreten: Berliner Sitzungs- 
berichte 1888, 251 V37 (Bück American Joum. of Archaeol. IV, 151) A Z. 5: — djro- 
ffvyovca KijgvxiSrfv ßrfßatov. Beiläufig in derselben Inschrift Z. 18 'E^ijxe[atov 'ACfj]ytBa, 
darnach in dem Praescripte CIA II 51 (Dittenberger, Sylloge 72) , welches R. Scholl 
(Die atiische Gesetzgebung, Mänchener Sitzungsberichte 1886, 123') in Ordnung gebracht 
hat, der Name des Schreibers zu ergänzen 'E^i^[xeaTog] nat[oviS^o , 'ACrjvieifg vgl. *Eqf. 
äQX' 1886 , 198. Der Antragsteller Z. 5 ist wohl Tldv^dtog , vermuthlich auch CIA H 52, 
TieUeicht der Schreiber des Jahres 355/4 CIA II 67 ff. 

*) In dem sehr verstümmelten Psephisma CIA II 501 (für Isotelen) erkenne ich 
Z. 11 f. eav 6e xig avx\<üü{y\ djtod{avrii ßiaitoi ^avdtcoi . . . €iva]i täs Ti[}i(0(}tae xrX, eine 
der Bestimmungen, über welche neulich H. Swoboda AEMaOe XVI, 63^* und früher ich 
Hermes XXIV, 116^ kurz gehandelt haben. Heine Sammlung ist durch einige unveröffent- 



— 246 — 

Aber weder T[fjv 7tohrEi]av noch f(^ iaoT€lei]av findet in der Lücke 
Kaum, einzig und allein T[rjv äT€lei]av; soll das Psephisma mit dem der 
Rede gegen Leptines identisch sein, so haben wir zudem Verleihung gerade 
der Atelie zu fordern, die nachweislich — wie von vornherein anzunehmen 
war — nicht nur in den drei von Demosthenes besprochenen Fällen erfolgt 
ist. Flüchtige Akamanen werden dteXetg /leToixiov in Athen aufgenommen 
CIA II 121 (Dittenberger, Sylloge 109) *), ebenso nach dem Unglück- 
liehen Ausgange des lamischen Krieges flüchtige Thessaler CIA 11 222 ; 
gleicher Art sind die verstünmielten Beschlüsse CIA II 16 und 224.-) 

Noch ist Z. 6 die Lücke nach TÖlg älXoig rolg d^a . . , eni 

äzTr/uaf4idi unausgefüllt geblieben; oflfenbar fehlt eine „die üebrigen" 
näher bezeichnende Bestimmung, deren Schluss iTti dvTiTLiafiuii bildet. 
Köhler hat i Z. 6 © A A 1/ gelesen, aber den dritten Buchstaben selbst 
als unsicher bezeichnet ; mir gilt nach wiederholter Besichtigung der Stelle 
§ mindestens als möglich, wenn nicht sogar als wahrscheinlich und das 
folgende Zeichen als I. Somit werden wir zunächst ©ora/W und, um in 
dzriyLiafxm passend unterzubringen, den ganzen Satz folgendermassen 
ergänzen dürfen: elvat de xal zolg älkoig rolg cpevyoisi Qaaiwv^) irc 
äTTC7ciaf.twi Trjv dzekeiav '/Md-dneq . . . 

Die durch xad-dneq eingeleitete Bestimmung wieder zu gewinnen ist 
erst möglich, wenn vorher der Schluss des Psephisma in Ordnung gebracht 
ist. Ueber den Sinn des letzten Satzes lässt der Vergleich anderer 
Inschriften keinen Zweifel. In dem Psephisma über die fünfzig flüchtigen 
Thessaler lieisst es Z. 15 (nach H. Schenkl, Wiener Studien II, 198): 
d7toyQ[diffaaO^Cci cJ' avrovg rä ainov dvo^uorrjor TCQÖg rbv ygaf^iiavia [vov 
TtoleiiidQxov 'Aal Tiqbg zbv yQaiu]f^aTea tiov OTQavrjyiTiv ; auch in dem Be- 
schlüsse II, 16 war eine äTroyQatpij angeordnet: Z. 13 de avv^v xd d[v6- 

fnava, Z. 15 f. — aia)v a7roy^dt//[ vidt yQau]jjaTel r^c; /^or/.[^$; vgl. 

in dem Psephisma über die Samier Je^^t. dgx» 1889, 25 Z. 27 (Lipsins, 
Leipziger Studien XITI, 411 fl^.): zä da dvo^aza ztov zQiriQdQxcov /.rA. d;ro- 
ygaifjat zovg TtQtaßeig zm ygaufnateL zijg ßovkrig '/Mi zolg azQazrjyöig, femer 

lichte athenische Inschriftbruchstücke zu vermehren, welche allerdings keine gesicherte Er- 
gänzung gestatten ; einem derselben (1890 in der Sammlung der archäologischen Gesellschaft) 
lässt sich etwa folgendes entnehmen: . . . 'A^t]vai]oi xQat[oaiv . . . ^Iqpetlev 'Ad[rjv . . . - 
eav .... djT]oßdviji T[i)v Ti/bicjgiav stvat . . . ?ea\0(vt€Q i[dv Ti<r 'A^vaicov iv ifji vjteoo]^cu 
ß[taioyi {^avdrcoi ojzo^dvrji xxX, — Auch die Tenier Aekt. dg^. 1888, 222 sind Isotelen 
vgl. Dittmar, 199; II Z. 13 wird iaoteXeiav einzusetzen sein. 

^) Z. 26 f. richtig ergänzt von J. G. Schubert, De proxenia Attica 55. 

*) Dagegen gehört II 223 nicht hieher; vgl. H. Buermann, Jahrb. f. class. Philol, 
X. Suppl.-Bd. 360. 

^) Vgl. Demosthenes g. Leptines 55: « fisv ovv hi'tfqriaaa^s rotg ifFvyovai fii vpä<: 
'KoQivdimv xrL, CIA IV p. 18 n. 61a (Dittenberger, Sylloge 46) Z. 12. 



— 247 — 

H&riv, VI, 152 (Dittenberger, Sylloge 101) Z. 60 ff.; in dem Beschlüsse 
der Demotiouiden ^Eq)MQX' 1888, 1 Z. 59 ff. und in dem Psephisma über 
die Julieten Athen. Mittheilungenil, 142 ff. (Dittenberger, Sylloge 79) 
Z. 42 ff. : äTtoyQchpac de avrwv Tic dvo^axa xtA. tml yQa^uavei Tovg atQa^ 
TYjyovg Tovg 'lovXirivuiv xtA. So wird auch in dem vorliegenden Beschlüsse 
den Führern der Flüchtlinge die Meldung ihrer Schicksalsgenossen auf- 
getragen worden ^) und zu ergänzen sein : äTtoyqdxfßai de avTCüv xit dvd^ata 
S[aiuayov — um einen aus thasischen Inschriften bekannten Namen ein- 
zusetzen 2) — yMi ^'Exq>ccvTOv, i Z. 8 hat Köhler allerdings nach de ein K 
verzeichnet; die trügerischen Reste lassen jedenfalls die Lesung eines A zu. 

Die Ergänzung aTtoyQccipai Z. 8 bestimmt die Ausdehnung der Lücke 
nach xa^aTteQ Z. 7. Wiederum ist die Bedeutung des durch /M&dTveQ ein- 
geleiteten Zusatzes fraglos: derselbe gibt, zur Vermeidung unnützer Aus- 
führlichkeit, kurz einen Verweis entweder auf geltende allgemeine, gesetz- 
liehe Bestimmungen, wie w^enn es heisst elvac avrm yM&aTceQ Toig äkkoig 
ec€Qytzaig CIA II 186, öfter xad-ccTteg xoig äkloig TtQO^evoig u. s. w. ; elvai 
de Tolg fjEtdc JlatvAQcltovg inTteTrrojxöaiv iooreheiav xad'dTteg ^xi-rjvaioig 
CIA II 54 ; oder einen Verweis auf besondere Bestimmungen , wie sie in 
einem Präcedenzfalle getroffen worden sind ; so wenn Asteas aus Alea 
7tQ(')^€v<)g und evEQyerrig werden soll wie JIokvaTQavog aus Phleius CIA 1 45 
(Dittenberger, Sylloge 33) vgl. CIA 1 44 ; wenn den Neapoliten be- 
willigt wird CIA IV p. 15 (Dittenberger, Sylloge 42) ctTtawa Ttaq 
Jid-r^vaiüßv elvai avvolg xad-aTteg €ipi]q)iaFai ^EQ^vhedai oder CIA II 116 
(Dittenberger, Sylloge 107) eivai xal roig ^E).aiovaioig rii avxa oltciq 
u dfiuog iipfjffiarai xdig XeQQovrjaUaig. Somit ist ein Dativ zu erwarten; 
für jede umständlichere Bestimmung reicht der Raum — 13 Stellen — 
nicht aus. Aber man mag sich vergeblich mühen, einen Namen ausfindig 
zu machen, der in die Lücke passt; schliesslich wird man immer wieder 
yu der Annahme zurückkehren , die sich alsogleich aufgedrängt hat , dass 
nämlich die Zeichen N E .S I N (nach Köhler) bereits die Endung des 
yu suchenden Wortes, den erforderlichen Dativ -vevaiv erhalten; ein Rest 
tles Y scheint zudem auf dem Steine noch zu erkennen; und überhaupt, 
^vie so oft bei schwierig zu entziffernden Stücken, ist einmal das Riclitige 
flurch Vermuthung gefunden, so zeigt sich auch fast Alles auf dem Stein : 
A N . I N E ^$ I N M]av[r]Lve[v\aiv; Z. 8 an zweiter Stelle hat Köhler K 
für N gegeben. Diese Ergänzung ist freilich nur um den Preis der An- 
nahme uir>glich. entweder, dass aTtoyQclipai unrichtig und durch ein längeres 
Compositum zu ersetzen sei. oder dass nach Mavuvevaiv irgend eine 

^) So vermuthet schon Foiicart Bull, de corr. heU. XII, 164. 
») Bechtel, Thasische Inschriften 3 Z. 8, 11 Z. 7, 12 Z. 12. 



— 248 — 

Unregelmässigkeit, versehentliche Wiederholung zweier Boehstaben oder 
absichtliches Freibleiben zweier Stellen ^) vorliege. Indess wird man äTto- 
yQcctpac gerade als terminus technicus ungerne missen und zum Mindesten 
fehlt mir, trotz manchen Rathes, ein viiUig befriedigender Gegenvorschlag. 
Somit rechne ich mit jener anderen M()glichkeit und halte auch an der 
Ergänzung Mavrivevaiv fest, ohne mir zu verhehlen, dass die besprochene 
Schwierigkeit der Glaubwürdigkeit meiner Herstellung wenigstens solange 
Eintrag thut, als dereu Wahrscheinlichkeit nicht im Zusammenhange der 
geschichtlichen Verhältnisse dargethan ist. 

Ich wiederhole zunächst die Inschrift mit meinen Ergänzungen: 

[r I b ä]i [aQyvQiov eig rfjv ävayQag>i)v t^- 
g] ar[t]krig] -) d6[Tw 6 rauiag to d/j/no J J Sq- 
a]xjtiäg [r]wt ylgafi/naTel rjfjg ßo[Xfig^)' xaA- 
€]aai d[€ y.]at i[7vl &W av]vdg i[g rb ttqv- 
T) t]aveiov Big [avqtov ei^vai da [xori to- 

l,]g äX)j>\i]ig To[lg (pevyoai\ Qa\a]i[ü)v iit a- 

a\\T\ivi\y\Giv' [ . . a7toyqa\\pai de [adriov 
rtt dv6f.iaTa N[avf,iaxov x]ort ^'Exq>a\vTOv. 



Ist auch der grössere Theil der Urkunde verloren, so lässt sich doch 
der Inhalt des ganzen Beschlusses vermuthungsweise feststellen. Die Ver- 
leihung der Atelie an die „übrigen Thasier" erfolgt durch einen Zusatz 
zu dem nicht erhaltenen, eigentlichen Antrage, welcher den Führern der 
Verbannten N[aumachosl und Ekphantos gegolten und ihnen die Ehren 
der Proxenie und Euergesie, verbunden mit den Privilegien der fy-AT-qüig 
und der Atelie zuerkannt haben wird ; man vergleiche die Psephismen für 
Astykrates und Genossen CIA II 64 und für die Akanianen II 121. 

Kann die Identität des vorliegenden und des von Demosthenes be- 
sprochenen Beschlusses kaum mehr zweifelhaft sein, so beseitigt der Ver- 

•) Wie z. B. ohne jeden ersichtlichen Grund in der Inschrift CIA IV 33 a Z. 15. 
Vor einem neuen Abschnitt CIA IV 27 a Z. 64 und oft um einzelne Absätze zu trennen : 
so in einem unveröffentlichten Bruchstücke eines Psephisma, wo vor xaXeaai (im Folgenden 
ist von Flüchtlingen die Bede) mindestens eine Stelle frei ist; hier wie anderswo mag ein 
als solcher nicht erst bezeichneter Zusatzantrag eingesetzt haben. Wir sind m. E. nicht 
verpflichtet, in jedem Falle nach besonderen Gründen für derlei Unregelmässigkeiten zu 
forschen; in dem unseren könnte der Schreiber z. B. auch den Wunsch gehabt haben mit 
einer voUen Zeile zu schliessen. 

*) Das letzte Zeichen scheint allerdings zunächst £*, doch schliesst auch Herr 
Dr. Lo Hing die I^esung eines 2* nicht aus. 

'') Vgl. CIA II 12 und 17. 



— 249 — 

such einer genauen zeitlichen Bestimmung der Psephismen auch die letzten 
Itedenken. Das Psephisma der Rede gegen Leptines gilt den Thasiern 
Kkphantfis und Genossen, die einst Thrasybulos Thasos übergeben hatten, 
später — offenbar sozusagen bei der ersten (Gelegenheit, der nächsten 
Revolution — in dvvixia^tp verbannt wurden und Üüchtig in Athen 
Aufnahme fanden. Die Frage, wann dieser Beschluss zu Stande gekommen 
sei. setzt sich also um in die Frage nach der Zeit jener Einnahme von 
Thasos durch Thrasvbulos. Die Historiker und die Erklärer des Demosthenes 
waren bis vor Kurzem einig, dieselbe mit der Eroberung zu identificiren. 
von welcher Xenophon und Diodoros fiir das Jahr 407 zu berichten wissen. 
Gegen diese Beziehung hat nach Sievers' Vorgang Julius Bei och (Die 
attische Politik seit Perikles 345) Einspruch erhoben und eine zweite 
Eroberung im Jahre 390,89 angenommen. Nicht nur passt des Redners 
Bemerkung, dass die Thasier autoi tov yeveaO^ac av^(iaxov xbv tceqi 
&Q(r/,r^v TÖTrov vf,uv iyevovw allein fiir diese Zeit, überhaupt gehören, nach 
Demosthenes' Meinung wenigstens, die drei Fälle von Uebergabe einer 
Stadt, die in dem früher er()rterten Zusammenhange besprochen werden, 
sUnimtlich einem und demselben Kriege an (§ 51 i/ci tov nqbg ^ia-^eöai- 
uoviovg noliuov, oben S. 243), nämlich dem sogenannten boiotisch-korin- 
thischen, wie dies bezüglich Korinths und Byzantions unbezweifelt ist. 
Was Thasos anlangt, so spricht zu Gunsten einer zweiten Eroberung durch 
Thrasybulos eben in jener Zeit bei unbefangener Betrachtung auch die 
Erwähnung einer eiAoaxfi . . . 6'r£ &QaavßovXog fjQX^v in dem Psephisma 
über Thasos xVthen. Mittheil. VIF, 313 ff. (aus einem der Jahre kurz vor 
dem Königsfrieden), trotz Köhlers Bedenken, der geneigt ist, die Ein- 
führung des Zwanzigstels des Thrasybulos in das fünfte Jahrhundert hinauf- 
zurücken und nicht Thrasybulos, sondern erst Iphikrates und Diotimos die 
Wiederheretellung der athenischen Herrschaft im thrakischen Meere zuzu- 
.schreiben.*) Zumal nach Walther Judeich's Ausführungen (Kleinasiatische 
Studien 93 ff.) kann ich unterlassen geltend zu machen, was gegen diese 
Auffassung einzuwenden ist und sogleich zu der Fragestellung übergehen, 
welche der Sachverhalt aufdrängt. Hat Thrasybulos nur einmal, im Jahre 
407, Thasos für Athen erobert, so sind Ekphantos und Genossen als Opfer 
der blutigen Reaction unter Lysandros im Jahre 404 zu betrachten; 
Demosthenes ist dann, genau genommen, von dem Vorwurfe einer Nach- 
lässigkeit im Ausdrucke oder eines thatsächlichen Irrthumes nicht freizu- 
sprechen. Oder, Thrasybulos hat Thasos noch ein anderes Mal für Athen 
gewonnen, bei seinem Seezuge im Jahre 389 (nach Judeich's Ansatz); 



*) Köhler folgen Busolt in Müller's Handbuch IV, I, !• 830 und E. Jacobs 
Thasiaca HS. 



— 250 — 

dann ist tür die Mitte der Achtziger-Jahre des vierten Jahrhunderts eine Revo- 
lution auf Thasos zu erschliessen , wie sie allerdings sonst nicht bezeugt, 
aber an sich höchst wahrscheinlich ist, da dem Antalkidasfrieden aller 
Orten ein Umsturz zu Gunsten der lakonisch-oligarchischen Parteien folgte. 

Der inschriftlich erhaltene Wortlaut des Psephisma gibt die Ent- 
scheidung: decr. Zusatz xff^a/re^ Mavtiveraiv ermöglicht eine zeitliche 
Bestimmung. 

Der Ktniigslriede hatte die Geschicke der griechischen Kleinstaaten 
in die Hand der Lakedaimonier gelegt, welche alsbald ihre Macht dazu 
missbrauchten liaoi iv zifi 7to)^iui> tiov avia/ndxojv e7ze'/.eivco Aal Tolg tzo- 
keuioig erueveauBQOi fjoav }} rfj ^iaAEÖal^ovi ^ xoviovg Aohiaai ymI ymio- 
ay,evdaai log ui) dvvaiyro ämatuv (Xen. Hell. V, 2, 1). Dreissig Jahre lang war 
Mantineia durch den nach der Niederlage des Jahres 418 abgeschlossenen 
Vertrag vor einer Gewaltthat geschützt; nach dessen Ablauf glaubte Sparta 
den Augenblick gekommen, um an der Stadt für ihre unverhohlene Zunei- 
gung zu Athen und ihre allerdings zweifelhafte Gefolgstreue Rache zu 
nehmen. Ueber den Verlauf der Ereignisse sind wir durch Xenophon 
(V, 2) und Diodor (XV, 5 inid 12) hinreichend unterrichtet.*) Die Forde- 
rung der Lakedaimonier, Mantineias Mauern abzubrechen und die städti- 
sche Ansiedluug aufzugeben, wurde abschlägig beschieden, daraufhin von 
Seite Spartas der Krieg erklärt und nach Age^ilaos* Weigerung König 
Agesipolis mit Heeresmacht zur Züchtigung der Verhassten ausgesendet. 
Nach Verwüstung des Landes beginnt die Belagerung der Stadt, deren 
Bewohner sich vergebens um Hilfe nach Athen wenden. Auf sich allein 
angewiesen, vertheidigen sie sich während des Sommers 385 mannhaft 
und erfolgreich, bis Agesipolis zu der List greift, den von Winterregen 
geschwellten Ophis abzudämmen und durch Uebersehwennnung den Ein- 
sturz der Stadtmauer herbeizutnhren. Die Mautineer sehen sich zu bedin- 
gungsloser Uebergabe geniUbigt. Olouiviov de aTtod-avelad-ai tiov aQyoXi- 
^oiTOJv vmI t(ov xov öfjuor 7tQoaTaT(7)v dierrgd^avo 6 TtarijQ — König 
Pausanias, der zu Tegea in \'erbannung lebte — 7taQa tov MyriaiTtöhdo^ 
äa(pdheiav avvolg yevead^ai dTtahXairouevoig iv. r^g Tcoktwg f^ijxovca oiai, 
y.ai dfKfoveQCod^ev uev zrig bdoü aQ^duevoc äjvh tmv Ttvkiov iyovreg rä di'h- 
Qaia 0/ ytay,idaiu6yt(H i-'ataaav, d-eco^uevoi Tovg i^iovzag' /Mi uiaoüvcig 
avvoig llucog dTteixovro avT(?n' ^^or ]] oJ ßiktiavoi iiov Dlavriviwv (Xen. 
Hell. V. 2, 6). Das weitere Schicksal der Stadt, der berüchtigte öioi/uO' 
fiog, ist bekannt. 

Wohin sich jene sechzig Mautineer wandten, wird nicht berichtet. Auch 
wenn das Zeugniss des Psephisma tnr die Thasier nicht vorläge, kfhmte 

*) E.V.Stern, Geschichte der spartanischen und thehanischen Hegemonie 26 ff. 



— 251 — 

darüber kein Zweifel walten: nach Athen. Die Stadt, von welcher die 
Man tineer in ihrer Bedrängniss allein Beistand erhofft, aber freilich nicht 
erhalten hatten, war auch die einzige, die ihnen in jenen Zeitläuften auf 
der Flucht vor der Rache ilirer Gegner und der Lakedainionier ein Asyl 
zu bieten vermochte, wie Aristeides rühmt, jederzeit {Tlavad-, 112ft'.) artaai 
fttg Tvukag hcavoiyovaa rolg i/. twv 7t6).€0jv f 'Aata aidaiv f) xar' 
äXi.riv iivä (peöyovGi Tuxrjv Tcoqquid'ev 7CQO'KriQi:Tiouaa d-aQQelv (bg ovdeig 
fuTOi Tiov ^Ellr^vcüv ÜTCohg i'iog av fj riov 3^&rivala)v /] Ttohg. Ein Volks- 
beschluss gewährte ihnen Aufnahme unter Verleihung der in solchem Falle 
üblichen Privilegien. Auf ihn griff man zurück, als neue Opfer der Reaction 
des Königsfriedens, gegen vier/ig ^) Thasier unter Kkphantos' Führung, in 
Athen Zuflucht sucliten und fanden. 

Dieser Zusammenhang gibt für das Psephisma zu Gunsten der 
Thasier einen tenninus post quem ; es ist einleuchtend, dass zwischen den 
beiden Psephismen keine allzu grosse Spanne Zeit liegen kann. Die Er- 
oberung von Mantineia gehört in den Winter des Jahres 385/4. Höchst wahr- 
scheinlicli hat die Revolution, welche Ekphantos und Genossen von Thasos 
vertrieb, ziemlich gleichzeitig stattgefunden ; doch ist nicht auszuschliessen, 
dass dieselbe erst in einem der nächsten Jahre erfolgt sei, etwa unter 
dem Drucke und mit der Beihilfe lakedaimonischer Heeresmacht, welche 
der Kampf mit dem Städtebunde in die Chalkidike führte. Darüber 
könnten die Theorenlisten, wären sie nur vollständiger und genauer bekannt, 
wohl Auskunft geben. 

Wenn vorurtheilslose Betrachtung der Zeugnisse schon früher zu 
Gunsten der Annahme einer zweiten Eroberung vcm Thasos durch Thrasy- 
bulos im Jahre 389 entscheiden durfte 2), so hat dieselbe nunmehr, nach- 
dem das Psephisma für die Thasier zeitlich bestimmt ist, geradezu als 
bezeugt zu gelten. So kommt auch Demosthenes' Darstellung zu ihrem 
Rechte; nicht nur gehört die Uebergabe der drei Städte Korinth, Thasos 
und Byzantion der Ankündigung des Redners entsprechend, demselben 
Kriege an ; die drei Fälle, die er anführt, erweisen sich auch insofern als 
völlig gleichartig, als in allen dreien die durch den Antalkidasfrieden 
herbeigeführte Reaction es ist, welche die athenischen Parteigänger ihre 



*) Der vertriebenen Thessaler sind :Teoi .Tfrrijxorro CIA II 222. 

^) Wie sich Demosthenes' Bericht über die Uebergabe von Thasos durch Ekphantos 
und Genossen an Thrasybulos und Diodor's Darstellung der Vorgänge des Jahres 407 
vereinigen lassen sollen , ist schwer abznsehen ; Diod. XIII, 72 : ßQaavßovXog — jtXevaa^ 
i:zl ßdaov Fviy.i}os ('dyj] roiv fx Ti]<; :t6/.so)(; xai jTefjl öiaxoaiovg avxiov dveiley eyxXeiaa:: 
A'avTOvg «V :ro?uoo>iiay yvdyxaoF lols qvyä^a'; rov^ xa xwv *A&tjvaicov (pQOVovvTng xaxa- 
Ae/eaOat xai qoovoar kaßorxag ovftfidjroV'; 'AOtjraio)r etrai. 



— 252 — 

Dienste mit Verbannung büssen lägst. ^) Diese IJebereinstimmung. die 
erreichte erfreuliche Lösung all' der Schwierigkeiten und Unsicherheiten, 
welche der bisherigen Behandlung der Frage anhafteten, seheint mir eine 
ausreichende Bürgschaft für die Richtigkeit der Herstellung des Psephisma 
und die Zuverlässigkeit der an sie geknüpften Folgenmgen. 

*) Vielleicht könnte man geneigt sein, dem Beschlösse für die Mantineer gerade mit 
Rücksicht auf CIA II 4 eine sozusagen vorbildliche Bedeutung lieiznmessen und sich eu 
wundem, dass Demosthenes die Verleihung der Atelie an die Mantineer unerwähnt lässt. 
Indess haben die Mantineer im Zusammenhange jener auf zeitlich und sachlich völlig gleich- 
artige Fälle beschränkten Erörterung keinen Platz. 



Niederrheinisdie Matronen 

Die Beinamen nach dem Typus -ehae und -henue 



von 



THEODOR VON GRIENBERGER 



Die zahlreichen Beinamen der Matronen in Germania inferior^) können 
in 4 Haiiptgruppen geschieden werden: a) einfach raovirte Volks- oder 
Stamm namen wie nuUres Suebae, Su-ebae Euthungae ^)y Treverae, matre^ Octo- 
cannae, matronae Roudunnae ^) ^ b) appellativische Beinamen, germanische 
nomina agentis, matronae Afliae, Alagabiae, ArvagoMiae, Oabiae, Gavadia^, 
Saithamtae, V^atviae*), c) die Beinamen nach dem Typus -ehae, Dativ -eis, 
-ehis, -ehahtis, -ehiabus, -eihis, -eihiabus^ d) die Beinamen nach dem Typus 
-henae, dativ -henüt und -henabus. Die Gruppe auf -ehae ist die weitaus 
umfangreichere, die Gruppe -henae geringer an Zahl. Beide sind nach 
dem heutigen Stand der Funde nahezu ganz auf Nieder-Germanien be- 
schränkt, nur ein Stein der ersteren stammt aus Belgien Canfruateihiae 
und wieder nur einer der zweiten Alhiahenae aus Germania superior. Eine 
gewisse Verbindung der beiden Gruppen wird durch die matronae Vetera- 
nehas hergestellt, da neben diesen auch matronue Veterahenae vorzukommen 
scheinen, Ihm 234 und 238, beide in Gesellschaft der aus Wollersheim und 
Ekabken stammenden Veteranehae-i^tamt gefunden, eine andere Verbindung 
mit der ersten Gruppe durch die matres Octoca^mae aus Gripswald bei IJr- 
dingen, von welchen eine Inschrift Ihm 326=CIRh 254 OCTO//// j HIS. C/V, 



*) HauptqneUen: Max Ihm, Der Mütter- oder Matronencultas und seine Denkmäler, 
Bonn 1887 nnd Corpus inscriptionum Rhenanarum ed. Brambach, Eberfeld 1867. 

*) Rhein. Mus. f. Philol. 1890, S. 639. 

') Correspondenzbl. der westdeutschen 55eitschr. 1892, Col. 100—102, .so nicht ^Bou- 
dunneae setze ich an. 

*) s. R. Mnch in Zs. f. d. A. XXXV, 315 ff. 



— 254 — 

auf *Octoeanehae zu schliessen erlaubt. Die Bezeichuungen matres und 
inatronae wechseln. Die erstere steht vorzugsweise bei deu niovirteii Volks- 
uamen, die andere bei den ;i übrigen Gruppen. Ausnahmen machen hier 
nur die matres Annaneptiae ') und Vaptkiae, sowie die matres MedvftatUehae 
und Vacallineae neben sonstigen matronis Vacalinehis. Zuweilen steht der 
Heinarae überhaupt allein. Zur Gruppe -eJus gehören die Dative = *Ahine' 
liabus, unsicher überliefert, Ihm 229:=CIRh 1980 — Andrustehiabus, Dmi 206 
und 279=CIRh 406 — *Anesammehis, stark verwittert, ihm 258 = CIRh545 
mit unsicheren Resten — Aseremnehw, Ihm 216 und 217, Asericifiehabus, 
Ihm 197 = CIRh -AI — AtufrafinpMs, Ihm 199, 200, 202, 203, 204 (205?); 
Atufrafinehahus , Ihm 201 -- AxsingitieMs , Ihm 281=CIRh 337 — *Caimi- 
iiekis, mit Conjectur von H statt A , Ilmi 220 = CIRh 563 CAIMIXEAIS 
nach Croml)ach — Cantrusteihiabm , Ihm 311 = CIRh 605 lückenhaft, 
Ihm 383 mit voller und sicherer Lesung — Cuchinehis, Ihm 255 = CIRh 
541 - Feniovinejs, Bonn. Jahrb. 87 S. 215 — *Gui?iehvtj Ihm 310 = 
CIRh 603, volle erste Zeile — Hamacehis, Ihm 307 = CIRh 621 — 
lulineilnahus y Ihm 308 = Correspondenzbl. V (1886) Col. 170 — Lane- 
kiabus y Him 270 = CIRh 564, zweite volle Zeile, scheint nichts zu 
fehlen - MaJdmehw, Ihm 274 = CIRh 407, zweite volle Zeile — 
*Maviatinehis, Ihm 318 Mam'aitinehis, CIRh 297 Aviattinelds, Aldenbrück- 
Schannat b. Avtattm/tis — Mediotautelns Ilnn 280 = CIRh '629 -- liafJieihis, 
Ihm 218 = CIRh 561 , nur aus der Ueberlieferung bekannt — Ramanehf^, 
Ihm 221 -CIRh 565, zweite Vollzeile; Rumanehis, Ihm 208 und318=(;iRh 
297, llumanehabus, Ihm 313=( 'IRh 61 1 - - Üeccannehls, Ihm 228 =:CIRh 1979 ; 
zweite Vollzeile ^Tentavehis, vielleicht am Anfange, wo der Stein einen 
Bruch zeigt, verstümmelt; Ihm 230=CIRh 1978, zweite Vollzeile. -*7Va?^//- 
inehis, Ihm 292= CIRh 634, erste Zeile, es fehlen nach Maassgabe der fol- 
genden 3 Zeilen v^orue zwei Buchstaben. TK ergänzt aus der Inschrift 
CIRh 579. — Vallanuipiliiahus, Ihm 278 = (1Rh 333, die Buchstaben der 
ersten Vollzeile nur in der unteren Hälfte erhalten. Ihm wollte irrthüralich 
in M eine Ligatur von MAFL erkennen. Vnllnhneihialms und (V)alabmn 
(h{)abus Klinkenberg im Correspondenzbl. der westdeutschen Zeitschr. 1892, 
(^ol. 100-102, — Vacalinehis, Ihm 22b ~ (1Rh 530 zweite Vollzeile. 
Ihm 227 ; (V)acaUfi)mns Ihm 21 5 = CIRh 454, zweite Vollzeile. Vacallinehis, 
Ihm 224= CIRh b29. — Ve4^ranelns. Ihm 232 - CIRh 585, zweite Vollzeile: 
Ihm 233. 235. 237. 239 und 240 = CIRh 576 ; Veteranehahus, Ihm 242, 243. 
Vataranehabus, Ihm 241 = CIRh 570, zweite Vollzeile — UlauJtme/ns, Ihm 
254=CIRh 555. scheint am Anfange verstümmelt. 

Der Ansatz des Nominativs ist in den I^'ällen, wo im Dativ -ahns allein 
steht oder neben -w vorkommt, nicht zweifelhaft, man hat *.1Ä/W/Yy^, ^iserici- 

*) Functionen gedi'utet im Correspondenzbl att der westdeutschen Zeitschrift, XI, 200. 



— 255 — 

itehae, Atufrafinehae, Romanehae, Veteranehae aufzustellen. Ebeuso sicher 
können die Dative -tabuM auf Nominative mit -iae zurückgefiihrt werden wie 
AndruMehtae, Cantrtcsteihiae, lulineihiae, Lanehiae, Vallamneikiae, zweifele 
haft sind nur die Fälle, wo -w allein steht, ohne -ahus als Variante neben sich 
zu haben. Da wir aber sehen, dass wohl -iV und -abusy nicht aber -is und 
-iahm in den einzelnen Beispielen zugleich vorkommen, so schehit es 
geboten, sämmtliche Fälle mit -w auf Nominative auf -ae nicht -iae zurück- 
zuführen. Lassen wir alles Unsichere bei Seite, und es sind dies ausser 
Caimineais und Ratheihis , das einen Nominativ *Ratkeihne zu erfordern 
scheint, noch 4 Fälle, wo die betreflfende Endung des Dativs zwar vermuthet, 
aber nicht direct gelesen werden kann, so ergeben sich aus den übrigen 
45 Belegen 28 -his (-ehis), 1 -Iiabus (-ehabus), 8 -luabus Ci^ -ehiabus^ n -ef/tiabiis), 
2 -w {-eis^ -ejs) und es ist demnach klar , dass wir -his ('eins) als die 
regelmässige Form des Dativs, -haey -ehae als die des Nominativs PI. anzu- 
sehen haben, neben welchen die anderen Formen als Varianten stehen. 
Es ist aber auch des weiteren klar, dass das h in dem typischen Komplexe 
-ehis, welches in 41 (beziehungsweise 47) Fällen steht und nur zweimal 
ausgelassen ist, mit bewusster Absicht gesetzt ist, und eine bestimmte und 
gleichbleibende Bedeutung haben muss. H. Kern, welcher in seiner Abhand- 
lung Germaansche woörden in Latijnsche opschriftcn aan den Beneden- 
Rijn ^) die Matronennamen dieser Bildung besprach und sie zum Theil functirn 
nell zu deuten versuchte, entschied sich bezüglich dieses typischen h tür ger- 
manische tonlose Spirans und erklärte den ganzen Comi)lex als Vertretung 
der Adjectiva der Zugehörigkeit bildenden Ableitung, latein. -u-usj griech. 
-lyn'iQ. F's ist nun allerdings richtig, das Sufiix -icus ist in den ausser- 
rheinischen Matronenbeinamen häutig genug, so in den örtlich zu beziehen- 
den Müttern bei M. Ihm : matrae Eburnicae ;JOH zum 0. N. Ycottr (Eburonesl), 
iimtreH domesticae 5 mal , Gallaicae ;iO(5 , Noncae 88(5 , *Nnmausicae <^ 
kelt. dat. pl. Namausikabo 115, zum (). N. Nemo usus- Ni nies, dann die mafronae 
Ucellasicae Concanaanae 57. wohl zu einem V. N. *UceUasi(y abgeleitet wie 
Haetasii am Niederrhein (Zeuss . Die deutschen und ihre Nachbarstämme 
214). vergl. auch den kelt. V. N. Mediomntrm zu einem Localnamen ^Medio- 
inateri, kelt. *maf.eri, kymr. medr „propositum"', ältere Bedeutung «scopus'* 
-Ziel" (Glück. Die bei Cäsar vorkomm. kelt. Namen S. 134 G), allein es ist 
unm(>glich, den (V)mplex -elus mit -icus und -r^og in Verbindung zu bringen, 
nicht nur deshalb, weil das // zweimal fehlt und weil die vor diesem 
angeblichen /.-Suffixe stehenden complicirten Wortbildungen jeder Erklärung, 
insbesondere aus gemumischem Sprach bestände, sich widersetzen würden. 



M Verslagen en iiiededeelinjren der k. Akademie van wetenschappen . Afdeeling 
Letterkimde. 2 reeks, 2 dcel. Amsterdam 1872, S. H04— 336. 



— 256 — 

sondeni auch deshalb , weil man -rAog mit Suftixbetonung als germ. -tgaz 
zu envarten hätte, vergl. epigraph. Sandraudiga und Alaisiagae, ags. aeltheodig 
adj. „fremd", weil ferner das bei Stanimbetonung allesfalls mögliche germ. 
-lliaz mit einziger Ausnahme des noch nicht genügend erklärten got. tharihs 
äyva(pog überhaupt nicht vorkommt und sicher keine Adjectiva aus Orts- 
und ViUkemamen bildet gleich -icus und -ixf)g, an deren Stelle germanisch 
das Suflix -isk- verwendet wird, und schliesslich aus dem nicht minder 
triftigen Grunde, dass die Varianten zu -ehae, dessen e constant und somit 
ohnehin wahrscheinlich lang ist, -^hiae und -eihiae nach diesem Grundsatze 
unmöglich und unerklärlich erscheinen müssten. Von germanischem Ä'-Suffixe 
kann also nicht weiter die Rede sein. 

Aber das // in dem (.'omplexe -ehae ist überhaupt weder tonlose 
gutturale Spirans . noch germanisch , sondern blosser Hiatusbuchstab und 
entstammt der spätrömischen Orthographie, wo interv-^ocalisches h nichts 
anderes, als die mehr oder minder deutliche Pause im Tönen der Stimm- 
bänder, beziehungsweise den zwischen zwei getrennt gesprochenen Vocalen 
gesetzten Spiritus lenis zu bezeichnen hat, wie bei niehae für meae CIL XII 
5019 add. oder in den lelirreiehen Beispielen Schuchardts (Der Vocalismus 
des Vulgärlatein. 11524/5) MahestiiiiiSy dehidam^ trahicit, Gaha (=-*Gnva), 
Rahius (^=i*Bavtus), Bohetyus^ Coruttantihe, dihaconus, filhie, lunihe, hiJiic^ 
innocentihe, martynhe, Tehodosio, bidnlie, ahera, beJia, beJia^, Borehan, con/ro- 
vernhvfy cohactus, cohercet, cohercendarrij dehis, tAhumfis u. a. 

In diesem Sinne hat schon Corssen (Ueber die Aussprache der latein. 
^Sprache, 2. Aufl. I 111) das // in den Matronennamen auf -ehis imd -*<?«/,•* 
erklärt und damit ohne Zweitel das Richtige getroflFen. Wir haben es also 
mit lateinischen Ableitungen auf -ms, -eiua, -eitus zu thun, und es ist völlig 
klar, dass -ms den vereinfachten Typus dieses Suffixes darstellt, mit Ausfall des 
t wie Ma/iesttnus<^Matestinns Corssen 1 103, w^ährend -«W die reguläre Form 
ist und 'tnus jene Doppelschreibung des Vocals enthält, welche sowohl 
aus Grammatikern wie epigraphisch bekannt ist — Beispiele bei Corssen 
1 IS Anax, Maüo, aiio, GraiiuSy Troiiam, Pompeitus, Pompeiia, Tarpenus, 
Caüus, Maiiua, Banus, Seihis, Atpuleiius, Sabineiius, Opatreiiae, femer I 301 
Vulteüus y Gaiius — und nach eben diesem Gelehrten (a. a. 0. und I 290) 
auf dem Bestreben beniht, den im Inlaut entwickelten Lautwerth -y- aus- 
zudrücken, wie ja auch Priscian intervocalisches i geradezu als Geminata 
pei'ius, inai'tu8 ganz wie tel-lus, man-nus betrachtete, während ursprünglich 
anlautendes i, das erst durch Composition eine intervocalische Stellung erhält, 
in der Regel seinen einfachen Lautcharakter festhält, also e-juro, e-jectus, 
di-judwo , nicht *eijuro u. s. w. ; dagegen aber allerdings auch coitugi, 
proilecif (Corssen I 18). 



— 257 — 

Dieser dreifachen Gestalt des lateinischen Suffixes entspricht die drei- 
fache Form des Suffixes der Matronennamen des Typus -ehae, welclie demnach 
mit Beseitigung des eingeschobenen h in die Gruppen 1. *jUnneae, Anesor 
mvieae, Aaerecineaey Afufraßneae, Ax»ingineae, *Catmineae^ Cttchmeae, Ferno- 
vimae, *Guineae, Hamaveae, Mahlineae, Mamatineaej MedtotatUeaey Romaneaey 
Seccanneaey Teniaveae^ Textumeae, Vacalineae , Veteraneae , Ulauhineae; 
2. Andrustetae, Laneiae (viell. Fernavineiae), Ratheide ; 3. CarUrusteüae, luli- 
neiiae, (dell. Ratheiiae), Vallamneüae zu ordnen sind. Gruppen, von denen 
man glauben sollte, dass sie bei jedem einzelnen Namen untereinander 
wechseln könnten, wenngleich ein Beispiel für einen derartigen Wechsel 
mir nicht bekannt ist. Nun bildet das Suffix sskr. -eya, d. i. -aija, an welches 
man zunächst denkt, denominative Nomina mit der Bedeutung der Abkunft oder 
der Zugehörigkeit wie Atreyds Abkömmling des Atri, däseydsy Sohn eines 
Sclaven, von dU-sdy paurusheyas „Menschen betreifend" von ptlrusha^ ebenso 
lat. mi8 in plebeiua zur plebs gehörig (MüUenhoif. Zs. f. d. A. 23/12 nach 
Bopp. § 956) und daran schliessen sich die Namen römischer Gentes, 
FofUeiuSy CamdeluSy Pompeius, Seius, Vargunteias, VelleiuSy ferner aus dem 
CIEh. die Nomina gentilia Ayleius, Appuleius, Aurunculeius y Careius, 
CocceiuSy EmaceiuSy FlavoleiuSy MatteiuSy UbceiuSy Aquileia, CocreiOy sowie 
einzeln stehend als Cognomina Ntbeiiis, Phiteius, Lufeiay im Wesen Adjectiva 
die persönliche Abstammung bezeichnend, also Patrouymica, deren Grund- 
lage nicht blos lateinisch sein muss, sondern der Herkunft des eponymischen 
Wortes gemäss auch keltisch sein kann. Ja diese Bildungen können auch 
in toto keltisch sein, da das Suffix -eias (-aiiua) im Keltischen gleich- 
falls vorkam und gleicherweise in Ortsnamen wie Personennamen nach- 
weisbar ist. 

Keltisch sind z. B. die Personennamen Nammeius y Careius , Careia, 
Cariaeiu^y Etnaceius, TrouceteitiSy Maleiu8y Verbeia, Segeiay Ahileitty deren 
Suffix im Kymrischen in der Gestalt älter ei, jetzt ai erscheint , z. B. 
Geniet = *Gemeius , Tegel = Taceius , Oarai = Gareius , Clydai = Cliteiua 
(Glück *>, S. 102, 140), während die Suffixform -eus zunächst durch e, dann 
durch uiy heute wy repräsentirt wird, kymr. Guärdocui, Guardoce zn^Verdo- 
ceuHy Conguaruiy Coiiguäre = *Convareu8y Louronui Lourone = Louronäis 
(Glück , 188). Gatguare = *Gatuvareu8 (ebenda 66) , kymr. Mathonwy — 
Mattoneus (ebenda 56). Demnach könnten die Matronennamen auf -eus, -eiusy 
sowie sie im Etymon zumeist keltisch sind, was noch Gegenstand des Nach- 
weises sein wird, auch keltisch abgeleitet sein, Andrusteiae z. B. aus einem 
kelt. Adj. *Andrustetos y und lateinisch wäre dann weiter nichts als die 
Flexion, aber ich glaube doch, dass die Ableitung im römischen Organe 



') Die bei C. Jul. Cäsar vorkommenden keltischen Namen. München 1807. 
Ennos Vindobonensis. 17 



— 258 — 

erfolgt ist, und zwar nicht allein deshalb, weil das Lateinische als die 
Umgangssprache der römischen Soldaten zu gelten hat, welcher gemäss 
ja auch die Inschriftentexte lateinisch und nicht etwa keltisch sind, sondern 
auch ans dem Grunde, weil ich zeigen kann, dass die in den Matronen- 
namen auf 'tneus und -äneus zu Grunde liegenden Stammnamen -Im und 
'äni ihrerseits schon lateinisch abgeleitet sind. 

Zudem lässt sich der Beweis erbringen, dass in der ersten Kaiser- 
zeit das Suffix -eius, -eus in einem gewissen, wenn auch beschränkten 
Maße productiv war, um aus Eigennamen Adjectiva der Zugehörigkeit 
zu bilden. So finde ich bei Georges') die Adjectiva Augusteus (zu Aagustas, 
Beiname des Octavius Cäsar), z. B. AuguMeus marmor Plin., Augustea charta 
Isid., A, lex y lapides, limites , termmi Grom. vet. gleichwerthig mit den 
Adjectiven Augustalis, Augustanus, Auguste/ms , AuguMianus, Augustinus. 
Luculleus (zu Lucullu^ Familienname der gens Licinia), Luculleus marmor 
Plin., Luculleae laticeae Suet. neben den gleichwertigen Adjectiven Lucul- 
läntis und LuculUänus, Nerdneu^ (zu C. Claudius Nero, fünfter röm. Kaiser 
54 — 68 p. C. ) iV. mensw Tac. u. Suet., certamen Suet. , unda Stat. neben 
Neronianus; ferner Tibtriius „Tiberisch'', T. aula Stat., neben Tibertänus 
Suet., Plin. „zum Kaiser Tiberius gehörig", endlich als fünfmaligen Stadt- 
namen im Osten, Westen und Süden des röm. Reiches Caesarea oifenbar die 
„Cäsarische", neben dem kurzsilbigen Caesarea^, Diese Adjectiva 2Mif -eus, 
-eius könnten von den römischen Gentilnamen auf -etus ausgehen, mit denen 
sie die persönliche BeschaflFenheit des Stammwortes gemeinsam haben, schon 
weniger wahrscheinlich von dem vereinzeinten latein. Adjective plebeius, 
allein es ist zu bedenken, dass es auch lateinische Adjectiva auf -eu^, -eins 
gab, die nach griechischen Vorbildern geformt waren, wie Cadmetus 
< Kad/atjiog^ Cadmeus < Kaöi.ieiog zu Cadmus Kddjiog, Rkodopeius Ovid, 
Rhodopeus Lucan. aus griech. RhÖdöpe, und es scheint mir wahrscheinlicher, 
dass in diesen recipirten Adjectiven, deren Suffix productiv geworden sein 
konnte, das Vorbild für lateinische Ableitungen mit -eus, -eius aus Personal- 
naraen zu suchen sei. Diese Annahme finde ich für Augusteus und Epicureus 
schon bei Kühner, Ausführt. Gramm, der lat. Spr., I, 672, vertreten und sie 
ist umso wahrscheinlicher, als das echte lateinische Suffix -eius in den 
Gentilnamen in Betreff seiner lebendigen Ableitungsfähigkeit erstarrt und in 
Bezug auf seine Form streng fixirt war , also niemals -eus, sondern -eius ge- 
schrieben ward. Aber allerdings mischte eine gewisse Beeinflussung von 
Seiten der römischen Gentilnamen nicht durchaus abgeleugnet werden 
können. 



') Ausf. lat.-d. Handwbch., 7. Aufl., Leipzig. 



— 259 — 

Adjectiva, welche eine Zugehörigkeit ausdrücken, und zwar nach 
Analogie der eben ins Auge gefassten eine Zugehörigkeit zu Personen nicht 
etwa unmittelbar eine zu primär örtlichen Bezeichnungen, sind demnach 
auch die Matronennamen des Typus -ehae, d. i. -eae und es ist mir nicht 
zweifelhaft, dass sie von Volks- oder Stammnamen *Ahini, Anesamini, 
Asereciniy Atufrafini, Axsingini, *Gdimini, Guchim, Femoviniy *Ouiniy Hamavi, 
MaJdini, * Matriatini , MediotatUi, Romani, Seccanni, Teniavi , *Textumi, 
Vacalini y Veter ani, Ulauhim, Andrusti, Lani , Rathi, Cantruatiy lulint, 
Vallamni abzuleiten sind, welche aber allerdings ihrerseits wieder zum 
Theil auf örtliche Benennungen zurückgehen. 

Zunächst noch ein Wort über das nahezu constante h in den SuflSx- 
variationen des Typus -ehae. Es ist anzuerkennen, dass dieses h im latein. 
Suffixe -eus, -etus, sonst nirgends vorkommt, was mir die Einsicht in die Natur 
des Suffixes wesentlich erschwerte. Dessenungeachtet kann es nicht anders 
erklärt werden, denn als eine orthographische Besonderheit, welche gerade 
am Niederrhein und gerade bei den adjecti vischen, aus Stammnameu wohl 
nur ad hoc geformten Matronennamen ausgebildet und festgehalten wurde, 
und zwar gewiss nur deshalb, weil das verwendete Suffix weder über- 
haupt sonderlich productiv war, noch insbesondere in dieser specifischen 
Verwendung anderweitige literarische Analoga besass. Man musste sich 
bewusst gewesen sein, dass man, ich will nicht sagen hybride, doch aber 
sonst ungewöhnliche Ableitungen bildete und man muss die Absicht gehabt 
haben, dem auch durch eine besondere, sonst nicht gewöhnliche Orthographie 
Ausdruck zu geben. Phonetisch bedeutet das h, wie bereits gesagt, nichts 
anderes als eine silbische Trennung im Suffixe, dessen wechselnde Formen 
gleich denen des latein. Suffixes tus, -eius, -eüus auf facultativem Wechsel 
der Aussprache e-is, e-abus , e-jabua, -^'(j)is, -ei-jabus beruhen. Der 
directe Beweis für den Ansatz von Ä^amwnamen als Grundlage dieser 
Matronenbeinamen lässt sich allerdings nicht mit jener schlagenden Ueber- 
zeugungskraft führen, welche wünschenswerth wäre, aber Einiges aller- 
dings lässt sich dafür in's Feld stellen und es wird vielleicht genügen, 
um meine Auifassung auch von dieser Seite aus zu begründen. So vor 
Allem scheinen die matronae Hamavehae den Stammnamen der Chamam 
germ. *ühamawöz zu enthalten, eine Annahme, die bisher ungetheilten Beifall 
fand, wiewohl auch an ihr sich vielleicht mäkeln Hesse; so scheinen 
weiters die matronae Bomanekae von dem Namen der Römer Ramäni aus- 
zugehen, so müssen auch sicher die * Octocawiehae neben Octocannae, 
sofeme man ihre Existenz anerkennt, einen Stammnamen Octocanni ent- 
halten, denn die Motion Octocannae dat. Octocannia und Octocannabus ist 
nur bei einem persönlichen Namen möglich, undenkbar bei einem nach 
Analogie von Octodumm etwa angesetzten primären Ortsnamen; weiter 

17» 



— 260 — 

aber reichen allerdings die Anzeigen auf diesem Gebiete nicht und die 
Möglichkeit, dass die * Axsinginehae z. B. nicht auf einen Stammnamen 
*Aestnginty sondern auf einen Ortsnamen * Axsinginum, wie Cäsütnum Stadt 
in Campanien, die Romanehae nicht auf *Romäni, sondern auf einen 0. N. 
*Bomanus seil, vicus oder *Romana seil, arx oder castra oder wie immer, 
zurückgiengen wäre von vornherein nicht von der Hand zu weisen, 
wenn nicht in der Verwendungsweise des Suffixes -eius selbst ein 
Anhalt läge, zunächst an persönliche Namen und nur an solche zu denken. 
Es kommt dazu noch ein weiterer formeller Grund. Auffallend stark ver- 
treten ist die Suflfixcombination -inthae und man wird sich sofort erinnern, 
dass latein. -miis eines der gangbarsten Suffixe ist, mit welchem Adjeetiva 
der Zugehörigkeit aus Localnamen gebildet werden, welche substantivirt, 
regelmässig die Einwohner des betreifenden Ortes bezeichnen. Die folgen- 
den Beispiele entnehme ich aus Georges. 1. o-Stämme Neutra: Luemum 
Stadt in Campan., LUernmus adj. — Laurentum Stadt in Latium, Lauren- 
tinics adj. — NSretum Stadt in Calabrien, N^etini die Einwohner Plin. — 
2. ib-Stämme Neutra: Cänüsium Stadt in Apulien, Canuslnus adj. u. s. m. 
ein Einwohner v. C, pl. Canuslni Varr., Liv. — Caudlum Stadt in Sam- 
nium, Caudlmis adj., furculae Liv., fauces Col., saltus Liv., Caudlni die Ein- 
wohner V. C. Liv., Plin. — ebenso Lätium Landschaft in Ital. Laftnus adj. 
u. s. m. pl. Latlni, — Pätäolum Stadt in Venetia, Patamyms adj., Pata- 
vlni, — Länüvium, Lanuvlnua adj. u. s. m. , pl. Lanumni, — Regium, 
Reglnus adj., Reglnt, — Retomum Stadt in Ligurien, Retovlnus adj. — 3. ä- 
Stämme Flur.: Vercellae Stadt in Call, cisalp. adj. Vercellmua Inscript. 
neben Vercellensis Plin. — 4. la-Stämme : Cälätia auch Cälmiae Stadt in 
Campan. adj. CalcUinus, pl. Calatlni die Einwohner Liv. — Cämeria f. 
auch Camerium n. Stadt in Latium adj. Camerlnm, pl. Camerini, — Ptrüsia 
etrnr. Bundesstadt, adj. Peruslmvs pl. Perusini. — Viho ValenJda, s. m. pl. 
ValerUlni Cic, ebenso VenÜsia, Vemisimis , Venuslm — Vesda, Vesciniis, 
Vescint — ViceHa, Vicetlni oder VicerUini, — pl. Laboriae Theil von Cam- 
panien, adj. Laborlnua, — Rädiae Stadt in Calabr. adj. Rudlniis, Rudlnus 
homo Cic, pl. Rudini die Einwohner. — Rütäptas Stadt in Britann. adj. 
RiUupinus. — 5. «-Stämme: Tiberis m. Fluss, ^A^, Tiberlnus, — Reale 
Stadt in Sabin. Reätinus adj., subst. ein Einwohner v. K., pl. Reafini. 

Es ergibt sich aus dieser Sammlung, welche aufs gerathewohl dem 
Lexikon entnommen ist, dass das Suffix -inus vorzugsweise bei io- und 
?a-Stämmen angewendet wird, dass es jedoch auch bei o- und a-Stämmcn 
productiv ist. Für die Bestimmung der Nominativform jener örtlichen 
Namen , welche den Stammnamen auf -Ini in der Combination *-ineae zu 
Grunde liegen, werden also vorzugsweise die -io- und -ta-Stämme in Be- 
tracht zu ziehen sein. Von anderen Analogien der Ableitung oder That- 



— 261 — 

Sachen der Identificirung wird es abhängen, welche Form in jedem ein- 
zelnen Falle gewagt werden kann. Ich gehe hier gleich darauf ein. Zu 
*Anesamtni stellen sich die Ortsnamen Anamo, Arcamo, Asamo, Casama, 
Cisamos, Istamo, Patamo, Pergamo (auch Itin. Ant.), Trigisamo Tab. Peut. 
denuo coUata Lips. 1824, Lütamo, Pirama, Verolamo (Itin. Antonini 
edd. Parthey et Pinder. Berol. 1848), 2eycaafia %vha und ^eytaafAov 
Ptolemaeus (Geographia ed. Müller, Parisiis 1883) mit einem vorwiegend 
keltischen Suffixe, welches Glück (150/51) in den kelt. Namen Aramo, 
CliUamus, Cinnamus, Belisama, Venaxamodünim nachweist. Es lässt sich 
daher ein Ortsname Anesamo, *Ane8amum vermuthen und, wie ich denke, 
in dem Anasamo der Tab. Peut. Vll/b östlich von Esco und dem Flusse 
Escus (Olaxog TqißaXXwv Moesia inf. Ptol.) zwischen Donau und Balkan, 
also im heutigen Bulgarien, direct nachweisen. Kelt. a für 6 in Neben- 
tonstellung ist bekannt und keltisch ist ja wohl der Name überhaupt, 
welcher denselben Stamm zu enthalten scheint, der im Fl. N. Anasus, 
Enisa, Ena gegeben ist. *Ane8amini sind also die Einwohner von Anasamo 
und *Anesamineae die Mütter derselben mit deutscher Nachbildung der 
Suffixe etwa die „Aneaamenschen^ . 

Die Aserecineae oder Asericineae setzen einen o. n. *Aßere(i)cio oder 
*A8ere(%)cia voraus, wozu die alten Namen Tamarido, Tramarido , Tegli- 
cio, Vüricium, Vxtrido, Lagecio, Panticio, Septimtnida Itin. Ant., Latidt- 
cium, Laudida, Annida, Aricia (auch It. Ant.), Umbranida, Utrido Tab. 
Peut. verglichen werden mögen. Derselbe dürfte wohl keltisch sein und, 
wie ich vermuthe, mit -yo-SuflSx von einem P. N. Aserix gen. *Aserids 
vgl. lat. felixy fellds u. a. abgeleitet sein. Es scheint mir möglich, dass 
derselbe identisch sei mit dem Namen des keltischen Dedicanten (CIRh 574, 
Ihm 243) Aaeriedx Sunix, da diese Lesart leicht aus *Aserdx gebildet 
sein könnte, andererseits für altes d kelt. sowohl i als e vorkommen kann, 
vergl. Dubnordx, Dvhnorex, Dumnortx Glück, S. 69/70; aber auch ein 
Name *A8er abgel. wie Trever, adj. Trevericua Glück 156/7 genügte, 
wenn man den obigen 0. N. Septimtnida Itin Ant. 48, 50 aus *Septtminu8 
berücksichtigt. 

Die *Atufrafini beruhen auf einem 0. N. *Atufrafium, für den ich 
kein Seitenstück finde, der aber eher den Eindruck germanischer als kelti- 
scher Zugehörigkeit macht , die *Ax8inglni auf einem 0. N. *Ax»ingium 
abgeleitet wie J^axalivyLov Stadt in Germania magna Ptol. S. 269. Caspin- 
gio Ortsname am Niederrhein, Patavia, Tab. Peut. I/b, den man mit einiger 
Sicherheit für germanisch halten darf. Ebenso könnten die *Caimmi, 
falls hier latein. C = germ. CH stünde, auf ein germanisch benanntes Local 
*C(h)aimum führen. Die *Cmhmi sind aber gewiss wieder keltisch und 
auf einen 0. N. Cucdum, Cucda zu begründen, zu dem der geographische 



— 262 — 

Name Cuccio bei Cornaco, Pannonia, Tab. Peut. V/c, Cucd im Itin. Ant. 243 
gehalten werden darf. *Guchtm können sehr wohl Leute au8 diesem pan- 
nonischen Cuccio sein, zu dessen Stamm weiters etwa auch Cuculle (vergl. 
ÄdicUtdlus aus kelt. ddiatu , Glück 2) bei Ivavo Tab. Peut. III/c gehören 
mag. Die *Femomm ergeben einen 0. N. Femovto oder Femovia mit 
zweifellos keltischer Ableitung, die aus zahlreichen alten geographischen 
Namen bekannt ist, wie Meqaoviov, Setovia und KiOTovia Städte in Germ, 
magna Ptol. 270, 274, 267, bei welchen ov vereinfachte Schreibung für 
oov n: lat. ov ist s. Glück S. XXn ; vergl. auch Novioöowov Ptol. Dasselbe 
aber Novioduno (Moes.) im Itin. Ant. 226. Ovivooviov in Albion Ptol. S. 96. 
Vinovia Binchester Itin. Ant. 465, ferner Salsovia Moesien, Itin. Ant. 
226, dasselbe an der unteren Donau bei Tomis Tab. Peut. Vlll/a. Segovia 
Spanien, Itin. Ant. 435, bei Ptol. 174 2€yovovta,Conomo Britann. Itin. Ant. 
482. *Ber8oma im Gebiete der Amaxobii Sarmate. Tab. Peut. VI/c. 

*Fernooto oder Fernovia ist diesen Namen ganz analog gebildet und 
nur der Stamm scheint wegen des anlautenden/ keltisch Schwierigkeiten 
zu machen. Man wird aber doch nicht gut annehmen können, dass 
*Femovto mit kelt. Ableitung aus germ. Stamme gebildet sei. Eher steht 
/ hier gelegentlich für v und dann erklärt sich * Vemovio leicht und schön 
aus kymr. guem jetzt gwern^ ir. fern, jetzt feam „alnus** in gall. 0. N. 
Vemoaole Itin. Ant. 458 Gallia, ir. Femmagh <[ *Vernomagus „alnorum 
Campus", Vemodubrum gall. Fl. N. (Glück 35, 125), so dass *Vemovta 
„regio alnosa" „alnetum" bezeichnete. 

Die * Mahlini sind die Einwohner eines Ortes *Mahlium oder *Mahlta 
und ich erachte es allerdings auch für sehr wahrscheinlich , dass der am 
Niederrhein öfter vorkommende 0. N. Mecheln, Machelen frz. Malines damit 
irgendwie zusammenhänge (s. Ihm, S. 22), ja es scheint wohl frz. Malines 
als nom. pl. geradezu gleich * Mahlini, *Mahllnos zu sein. Deutsches Mechdn 
ist dann der Dativ pl. des V.N., der für den Nom.pl. Mahllnos, Mahlines 
eingetreten ist, wie etwa bei den persönlichen Dativen auf -ingen in Bayern 
vom 10. Jahrhundert an für ältere Nominative -inga, -ingas. Zweifellos ist 
mir der Ursprung von Vacallni aus dem keltischen Namen der Waal 
Va<ialu8, Vaealis, abgeleitet wie Cucalus, Cucalo, Doccalus, Seccalus, Oottalus 
(Glück 160): *Vacalini sind „Leute an der Waal". 

Ganz sicher sind auch die *Iultni als Bewohner eines Ortes lulium oder 
Itdia wie : ilcf| 'lovha Hisp. Lusitana Ptol. 134, Face Iidia It. Ant. 425. — 
^lovXia MvQiiXig ebenda Ptol. 134 — Seyiaaina 'lovkta Hisp. Tarrac. Ptol. 165 
— lulio Camico Rhaetien Itin. Ant. 279 — Apta lulia Gallia It. Ant. 343 
Tab. Peut. Il/d. Dass die lulineihiae mit dem Namen des Ortes Jülich luliaco, 
in dessen Nähe sie gefunden sind, als solchem etwas zu thun hätten, ist 
demnach nicht möglich. *Iidlni sind ebenso die Einwohner einer Stadt, 



— 263 — 

deren Beiname lulia igt, wie Augustäni nach Plin. die Einwohner der Städte 
sind, deren Beiname Augusta ist (Georges) und der Zusammenhang dieser 
*Iulini mit lultaco kann nur unter der Voraussetzung möglich erscheinen, 
dass dieser Ort römisch lulia oder Iidio, keltisch aber luliäco geheissen 
habe. Die eben citirten Augustäni führen auf jene in den Matronennamen 
enthaltenen V. N., welche aus einem Orte mit dem Suffixe -änus abgeleitet 
sind. Beispiele führe ich wieder aus Georges an, und zwar: 1. o-Stämme 
Venäfrum samnitische Stadt in Campan., Adj. Venafränua Cic. — Paestum St. 
in Lucanien. Adj. Paestanus pl. Paestäni die Einwohner. — Regälua St. in 
Sabin, auch pl. Regüli Adj. Begtllänus Subst. ein Einwohner von R. — Pddus 
fl., Adj. Padänus — Rhenus fl., Adj. Bhenänus Sidon. — Labicum und Labici 
altlat. St., Adj. Labicänus pl. Labicäni die Einwohner. — Arpi St. in Apulien, 
Adj. Arpänus pl. Arpäni die Einwohner Plin. neben Apinus, Arplni. — 
2. ä-Stämme Roma, Adj. und Subst. Romänus — Verulae St. in Latium. 
Adj. Vendänus pl. Vendäni — Volaterrae St. in Etrur. Liv., Cic, Adj. 
Volaterränus pl. Volaterräni die Einwohner Cic. — Rusellae St. in Etrur. 
Adj. Rusellänus pl. Ruseliani die Einwohner. — Pisae St. in Etrur. Adj. 
Pisänus pl. Plsäni die Einwohner. 

Sicher hierher gehören von den bekannten Belegen nur die Romüni 
oder Rumänt, bei welchen allerdings zu bemerken ist, dass die zugehörigen 
Matronenbeinamen Romaneae (zu *R(maneus vergl. die Adjectiva Roma- 
iiensis, Romaniensis, Romanicus^ Romanulus Georges) weder direct auf Rom 
zu beziehen, noch aus dem V. N. Romani als dem des gesamraten Staats- 
volkes erflossen sein können, sondern aus einer territorialen Anwendung des- 
i=ielben, indem entweder nur die am Niederrhein angesiedelten und verkehren- 
den Römer gemeint waren oder aber geradezu eine locale Fixirung *ad 
Romanos, vergl. ad Publtcanos It. Ant. 346, als 0. N. zu Grunde liegt. 
Femer gehören mit grosser Wahrscheinlichkeit hierher die * Veteräni, nicht 
als milltes veteräni^ denn eine berufsmässige Zutheilung der Matronen lässt 
sich nicht nachweisen, sondern als Bewohner eines Ortes Veteraf-um), bei 
welchem wohl zunächst an Vetera pl. n. vollst. Vetera castra n. in Gallia 
Belgica, jetzt Xanten (Tac. Ann. I46, Hist., IV is, 21) Oveceqa var. OvereQqa 
Ptol. 226. Veteribus Tab. Peut. I/c— Il/a , Itin. Ant. 370 auch Veteris It. 
Ant. 255 zu denken ist. 

Der Uebergang von « > d in der Nebenform * Vataräni wäre als 
keltisch zu bezeichnen und hat Seitenstücke in kelt. Namausatis : Nemau- 
SU8, Trigaranus, kymr. garan grus, griech. yiqavog (Glück 88) u. a. Nicht 
hierher gehören die Octocdnni und die Seccanni^ keltische Composita 
wie es scheint mit Zahlwörtern octo, ir. od, ocht und sex ir. se (s. Ihm. 
S. 26) und einem Nomen kelt. *cannos, dessen Bedeutung noch nicht 
sichergestellt ist, doch ist bezüglich der Seccanni auch Ableitung verfechtbar, 



— 264 — 

vergl. kelt. Seccalus (Glück 85), sowie die keltischen Ableitnugen mit tm 
Zeuss-Ebel 774. Keineswegs auch zu den Ableitungen -änus gehören die 
*Lani, wozu man ir. *län(o8) = planus in tmlän <[ *ambüän(o8) ^.perfectus'^, 
„integer'* (Glück 20) oder das Bildungselement in kelt. Mediolanum ver- 
gleichen kann. Zweifelhaft und unsicher sind die *AAini und *Guim, 
von denen die letzteren wohl die zweite Hälfte eines V. N. auf -inus 
*jjjgumi vorstellen mögen. Siebs Zs. f. d. Ph. dachte an *(FERN)OVINI 
mit Herstellung von statt G. Unsicher auch die *Maviatln% oder 
*Aula(i)tlm, w^obei man keltische 0. N. auf -cUe wie Vdiaie, Tab. Peut. 
Uld, SfiricUe ebda. IV/a, ital. Beate, Stadt in Sabin., vergleichen mag. 
*Maviatin% zu einem 0. N. ^Maviate verhielte sich genau wie latein. Reatini 
zu Beate, Die ^Teniavi, welche ich aus Teniavehis folgere, stellen sich dem 
keltischen Volksnamen Segicsiavt (Glück 153) , vergl. auch kymr. Namen, 
wie Triniaio, Loniaw, an die Seite, die *Textumi aber möchte man für 
germanisch benannt halten , germ. Hehstumaz als genaue Entsprechung 
zu latein. dextimus, also wohl ^Textumi in geographischer Orientirung die 
„rechts wohnenden Leute" , wie ich analog schon an anderer Stelle die 
kelt. Mediotauti als „in der Mitte Wohnende" erklärt habe. 

Auf einen germanischen 0. N. führen vielleicht auch die Ulaufnm\ 
und zwar , wenn am Anfang ein oder zwei Buchstaben fehlen , auf ein 
Compositum mit ahd. laoh, loh, „lucus" . Graff. H, 128, ags., l^h m. f. 
„a lea, meadow, open space, campus", litt, laükas „Feld", welche« in O.N. 
aus späterer Zeit bekannt genug ist. Der erste Theil müsste natürlich ein 
w-Stamm sein, wobei vielen Möglichkeiten oflFenes Spiel gelassen ist. Dabei 
wäre für den zweiten Theil eine secundäre ^-Erweiterung anzunehmen und 
somit ein Ortsname *'U-lauhiu7n, *-u-laukia als Ausgangspunkt des Volks- 
namens anzusetzen. 

Für die aus *Batheihis zu erschliessenden *Bath{ kommen Namen wie 
Batas, Itin. Ant. 477, Batw ebda. 479, „Leicester", sowie der erste Theil 
in Batomagoy Itin. Ant. 382 , 384, „Ronen" in Betracht. Keltisch sind 
wohl auch die Valiamin oder Vallabni, wie es scheint eine mediopartici- 
piale Bildung gleich german. Didgubnii, Dulgumnn, vergl. auch kelt. epigra^ 
phisch Exobnus und Exsomnus (ClRh. 1572 und 1079), oder Composition mit 
einer Nebenform zu gall. vell = kymr. guell in Volksnamen Vellavii, Vellates 
(Glück 164), kelt. iialos in kymr. Gueithgual, arem. Tüiwal, gall. inscr. 
Nertovalus y gall. Vallaunus neben Vellaunus ^ Much Deutsche Stammsitze, 
S. 31. Keltisch sicher auch die identisch gebildeten *Andrtisti und Can- 
trusti, in welchen man entweder gemeinsame Ableitung mit einem com- 
binirten ^Suffixc oder aber gemeinsame Composition eines Wortes *rusto8 
mit den Präpositionen gall. ande (Zeuss-Ebel s. 867) und altijamhr. carU- 
griech. xorra, ebda. s. 685 vermuthen kann. 



— 265 — 

Ich gehe nun zu dem zweiten weniger zahlreich vertretenen Typus 
der Matronennamen auf -henae über; dazu gehören die Dative: 

Alhiahenisy * Aumenahenfis) , Etralienis, Geaakenis, Ner^ihenis, *Vetera- 
henis, Vesuniahenis. Die Gesammtzahl der Belege beläuft sich auf 18, mit 
Ausnahme der unsicheren Veterahenae. Der Dativ ist immer -ervisy nur 
einmal -enabtis, ein Wechsel zwischen -w und -abus lässt sich bei den 
einzelnen Namen nicht aufzeigen. Der eine Fall -abus aber wird doch 
genügen, um eine Nominativform -enae nicht auch -eniae für alle Fälle 
wahrscheinlich zu machen. Auch bei diesen Matronennamen ist das h 
constant, scheint aber zuweilen mit i zu wechseln, denn bei den Auniena- 
henisy Ihm 276 , ist es zweifelhaft , ob HE oder I E zu lesen sei. ^) Auch 
dieser Typus der Matronenbeinamen vom Niederrheine , nach Germania 
superior gehören nur die Albiahenae, ist etwas singuläres und sonst nirgends 
vorkommendes und muss in fester und specifischer begrifflicher Verbindung 
mit den Matronen stehen, denn auch hier geht dem Beinamen nicht immer die 
Bezeichnung matronis voraus, sondern er steht wie Albiahenia 3mal, Etrahenis 
et Gesahenü Imal^ Veauniahems Imal allein. Auch diese Beinamen der 
Matronen müssen daher, sowie sie einheitlich gebildet sind, auch einheitlich 
gedeutet werden, und wenn es bei dem eben abgehandelten Typus -ehae^ 
wie ich denke, nachzuweisen gelungen ist, dass er durchwegs auf Völker- 
oder Stammnamen beruht, so werde ich hier den Nachweis zu führen ver- 
suchen, dass der Typus -henae zunächst auf topische Namen begründet sei. 

Auch bei diesen Matronennamen ist das A ein eingeschobener Hinter- 
buchstab (s. Corssen 1% 111), die Ableitung aber ohne Zweifel identisch 
mit latein. -eno in arena, terrenus , das an Nominalstämme auf io tretend 
einige seltene Appellativa altenus, lantena, viel häufiger aber Personennamen 
bildet (Corssen IP, 393) : Albienua, Avidtenus, Außdienus, Caesienus, Catieniis, 
Didienus, Labienus, Larttenus, Mamienus, Pantienus , Septwiiena^ TttienuSf 
Trebelliena, VtbiemisznAlbtuSyAmdius, Außditis. , . . ßepidmiua, Trebelh'us etc. 
Ganz diesen Bildungen schliessen sich die Nersihenae, d. i. Nerstenae, 
an, welche somit aus einem ib-Stamme Nersio herrühren, worin ich wieder 
einen 0. N. Nersium, vergl. kelt. neutra Albion, Bersion Zeuss-Ebel, S. 763, 
erblicke, die anderen Matronennamen aber können nur begriifen werden, 
wenn man in ihnen ein j restituirt , an dessen Stelle das epenthetische /* 
getreten ist. ^) Die Endsilbe -ahmae für *a-ena£ <[ ^-atenae verhält sich dann 



*) Bei den Geaahenis, Ihm 294, wo derselbe confonn den 3 sicheren FäUen GesaheiUft 
290, 300, 305 noch den Querstrich des H feststellen zu können glaubte, haben alle früheren 
Herausgeber Gesaienis gelesen. Ebenso liesteht die Alternative HE oder IE bei Etrahein'ft 
300, obwohl HE durch Ktttrrahenis 305 gesichert erscheinen könnte. 

*) Vergl. Kauffmann, Der Matronencultus in Germanien. Zeitschr. des Vereines für 
Volkskunde. II S. 38. 



— 266 — 

nicht anders als latein. Mah^tinus für Maiestinus Corssen I^ 103 und 
gestattet die Herstellung von yo-Stäramen. Albiato, Alkiaio, Aumenaio, 
Etraio, Gesaio, Veteraio , Vesuntaio , worin man entweder locale Namen 
oder aber auch mit -ato abgeleitete Stammnamen erblicken kann (vergl. 
die kelt. Personaliiamen Liccaius CIL III 3665, Arsaius, ebda. 3174* u. a.). 
Das letztere schiene sich zu empfehlen für die Veterahenae, denn, nachdem 
bei diesen der locale Name als VHera kaum zu bezweifeln ist, so müsste, 
da daneben eine andere Form Veterah nicht wohl angesetzt werden kann, 
ein Stammname Veteran, die Bewohner von Vete^'a, zu Hilfe genommen 
werden der dem anderen Stammnamen Veteräni vollkommen parallel 
gebildet scheint. Und die Ansctzung eines solchen Stammnamens er- 
hielte noch eine besondere Stütze durch die Matronae Hiheraiae Ihm 245 
für ^leraiae, vergl. gall. lera Zeuss-Ebel S. 35, in denen man einen 
movierten Stanunnamen *Ieran wohl suchen dürfte. 

Aber weder sind die Veterahenae durchaus sicher, die Er^nzung der 
beiden lückenhaften Steine betrifft gerade den wesentlichen Anlaut, noch 
die Hiheraiae vollkommen zweifellos, denn Ihm setzt als Variante 
HIHERAPIS an und somit ziehe ich vor, nicht Stammnamen, sondern 
Ortsnamen zum Ausgangspunkte zu wählen, und zwar umsolieber, als das 
Suffix aio in solchen sieh thatsächlich erweisen lässt. Hierher gebr)ren die 
alten 0. N. Tamaias, Itin. Ant. 351, Tab. Peut. II /b (westl. von den Rauraci bei 
Octoduro); Bidaio (Noricum), Itin. Ant. 236, 257, 258, Bedaio (bei Ivavo), 
Tab. Peut. IH/c; Matucaio, Tab. Peut. IV/f, ferner vielleicht die asiatischen 
Tottaio, Itin. Ant. 141, Tutaio , Itin. Hierosol. 573; Arcelaio, It. Ant. 202, 
Arcelais, Tab. Peut. IX, f; BacJiaias, It. Hiersol. 582; Fargais, It. Hierosol. 
580, von denen die 3 ersten sicher keltisch und als substantivirte elli- 
ptische Adjectiva anzusprechen sind. So ist Matucaio zum kelt. P. N. Ma- 
tucus (Glück 168) sehr einleuchtxjnd = vico Matucaio, vicus Matucaius, 
Wohnort des Matucus, und es ist mir zweifellos, dass, wenn Mütter von 
diesen 3 keltischen Orten benannt worden wären, dieselben *l'amahejMe, 
*Tarnaienae, *Bedahenae, *Bedaienae (vergl. zu Bedaio, den topischen Bei- 
namen des Jupiter, Bedaius CIL. III), ^Matucahenae, *Matucaienae heissen 
müssten. 

Wenn aber die Basis des Ortsnamens *Matucaio ein P. N. MeUucus 
ist, so dürfen auch für die 0. N. *Albiaio, ^Alhiaio, * Aumenaio, ^Etraio, 
'^Ge^aio, ^V^esuniaio Namen als Grundlage gefordert werden. 

*Albiaio wäre dann der Ort des Albios und das stimmte allerdings 
genau zu dem kelt. Gentilnamen Albius, Holder, Altcelt. Sprachschatz 80, 
welcher in den 0. N. Albia „Albi'*, *Albioduro7i „Angers", „Feste des 
Albius'^, sowie in dem P. N. *Albidcu8 enthalten ist. Ebenso könnte man 
bei *Alhiaio, worin das h nach l wie in ßlhie zu beurtheilen ist, an den 



— 267 — 

röm. Oentilnamen ÄUiua, Holder, Altcelt. Sprachschatz 95, vergl. Allio 
P. N. und AlliüLcus Äliacus 0. N., denken , so dass Alhtato = Alltaio der 
Ort des ÄUioa wäre. Da aber von anderer Seite sichere Beziehungen der 
Matronennamen des Typus -henae zu späteren Flussnamen sich aufzeigen 
lassen — so sind die VtUviae Nersihenae schon von Kern Germ, woorden 
334 mit dem Fl. N. Niera auch Neers, alt Neraa Ort Neersen zusammengestellt 
worden und ^%Äumenahenae zeigen offenbaren Zusammenhang mit den Fl. N. 
Oumena und Aumema, Förstemann Nbch. IP (vergl. Kaufimann, a. a. 0. 
S. 36) — entscheide ich mich dafür als Basis der Matronennamen des Typus 
'henae Ortsnamen auf -ato zu substituiren , welche ihrerseits wieder von 
Flussnamen ausgehen. Dieselben können sehr wohl auch Masculina sein, 
also *Albio8, *AUto8, wie kelt. *Albanto8 fl. jetzt Ollvin Holder 78, wovon 
der erstere ein in Fl. N. bekanntes Element albh enthält , der zweite 
mit kelt. allo •< ^alioa, latein. alius, got. aljia Holder 94, 96 , zusammen- 
hängen wird, und auch Masculina *Aumeno8y *Etro8, *0e808, *Ve8unto8 sind 
immerhin möglich. In allen Fällen werden aber auch feminine Namen zu- 
gelassen werden dürfen, da auch von diesen Bildungen auf -ato ausgehen 
können. Die Orte sind demnach nach den Flüssen benannt, an denen sie 
liegen: *Ner8ium nach *Ner808 oder * Neraa, *Alb{a%o nach * Albtos oder 
Albia und die Matronen nach den Orten. Insoweit denke ich ist der Bau 
dieses Typus aufgehellt. Was die Basis der Fl. N. anbelangt , so muss 
sie nicht immer keltisch, sondern kann auch germanisch sein, doch 
wird es sich empfehlen, in dieser Hinsicht nur mit grösster Enthaltsamkeit 
zu urtheilen. Ich beschränke mich daher darauf, zu diesen Namen germa- 
nische Beziehungen nachzuweisen, ohne damit in jedem einzelnen Falle 
germanischen Ursprung behaupten zu wollen. So germ. Albts, Albia und 
insbesondere *JäXßtog^ Förstem. Nbch. IP zu *Albiaio, altschwed. Vaetur 
^Vättem" oder isl. vcUr, ags. waet, nordfries. vncu (Kluge, Et. Wbch.*) ab- 
lautend zu as. watar, ahd. wazzar für das sehr zweifelhafte Veteraio, wonach 
dann auch die Veteranehae und Vataranehae auf einen germ. Namen Weter, 
Watar zurückgehen müssten, germ. *etraz:= ahd. ezzal, „edax", litt, edrh^ 
zu *Etraio. Germ. Aumena wäre mit got. tumjo, „die Menge", aisl. ^mer, 
umi „a noise, rumour", ymja „to whine, cry, gemere, stridere, sonare", ymr 
„sonus, Stridor, strepitus'* zusammenzustellen, Nersa mit dem Nbfl. Nerachina 
aus litt, niraaa „Zorn", nara\rUi „zornig machen" (hierher deutsch narro<C^ 
*narsön?) oder aus dem germ. Stamme Tier , ndr (Much, Deutsche Stamm- 
sitze, 72 ff.) zu erläutern. Für *Oeaaio aber stimmt besser kelt. -geaa in 
Volugeaua, FriaMowov Geaatia, Oeaoriacum Glück S. 28, nach Much ebda. 
17 Entsprechung zu germ. giaaz, giaö; und zu ^Veauniaio ohne Zweifel 
kelt. Veaunna Petrocariarum , „P^rigueux" in Aquitanien und Veaunnici 
V. N. bei Sidonius zu weau „gut", obwohl auch germ. weaunja < *weantj6, wie 



— 268 — 

got. fairguni^ ags. fyrgen , an. Fiorgyn, ahd. VirgurU > *perk^jö, as. ahd. 
gasiuni, an. 8yn^*8ehvy{%tj6, got. hisunjd <^bhi-8^j6n sich construiren 
Hesse oder aber Motion wie ahd. urirtunnea zu got. wairdus vorliegen könnte. 
In allen diesen Fällen wird es aber grundsätzlich sich empfehlen, zunächst 
an keltische Herkunft des zu Grunde liegenden Namens zu denken, da die 
Ableitung aio nicht wohl germanisch sein kann und eine zweifach 
hybride Bildung , die man dann in den Matronennamen ansetzen müsste. 
doch viele Bedenken gegen sich hat. 

Wien, Ostern 1893. 



Zu griechischen Vasenbildern 

von 

EMANUEL LOEWY 



1. 

Das auf S. 270 wiederholte Bild einer jetzt in der Sammlung der 
Ermitage befindlichen schlanken Amphora aus Ruvo ') ist von Conze 2) 
unter Verzicht auf eine Deutung veröflFentlicht worden, und auch von anderer 
Seite wurde eine solche meines Wissens bisher nicht versucht. Die gleiche 
Handlung, beziehungsweise einen etwas verschiedenen Moment derselben, 
erkannte bereits Conze nach Kiessling's Vorgange noch auf zwei anderen 
Vasen apulischer Provenienz. ') Allein dieselben enthalten nicht nur kein 
die Erklärung forderndes Detail, sondern sind, trotz der auf der einen*) 
hinzugefügten Götterreihe: Hermes, Athena, Apollon in der Hauptsache 
minder vollständig und ausdrucksvoll und beweisen nur, dass der Gegen- 
stand der Darstellung, wenn auch vielleicht in örtlicher und zeitlicher 
Begrenzung, einer gewissen Beliebtheit nicht entbehrte. 

üeber den dargestellten Vorgang selbst kann allerdings ein Zweifel 
nicht bestehen. Er spielt in einem Heiligthume, auf dessen Altar ein 
Frauenpaar Schutz gesucht hat. Doch auch der heilige Ort scheint sie nicht 
vor der Nachstellung eines wild heranstürmenden Mannes, dessen könig- 
liche Würde das weggeworfene Sceptcr bezeichnet, zu retten. Vergebens 
hat die greise Hüterin des Tempels ihn durch Zureden zurückzuhalten 
gesucht; sie ungestüm bei Seite schiebend, erzwingt er sich den Zugang. 
Wohl eilt von der entgegengesetzten Richtung ein jugendlicher Wanderer 
herbei; aber etwas weiter entfernt, wie er noch ist, bleibt es ungewiss, 
ob das Schwert, das er, anscheinend zur Vertheidigimg der Bedrohten, der 



*) Stephani, Vasensammlung der Ermitage, Nr. 452. 

») Monumenti deU' Institute VI. VU, Taf. LXXI, 2 (danach Wiener Vorlegeblätter, 
3er. III, Taf. III, 2), dazu Annali dell' Inst. 1862, S. 270 ff. 

*) a; Ans Conversano, bei Barone in Neapel beschrieben von Kiessling, Bullettino dell' 
Inst. 1862, S. 130 f. — b: Aus Ruvo, in der Sammlung Jatta ebenda (Jatta, Catalogo 
Nr. 414), publiciert Bullettino arch. napolet. II, 1844, Nr. XXXIH, Taf. VII, 2 (danach Wiener 
Vorlegeblätter, Ser. B, Taf. IV, 2) und Archäol. Zeitung 1845, Taf. XXVUI, 1, S. 49 ff. 

*) S. vorige Anmerkung, h. 



Seheide zu entziehen im Begriffe steht, den Stahi des Angreifers noeli 
wird hemmen können. 




Ich glaube in der litterarischen Ucberlieferung die Andeutung eine» 
Sageiizugs gefunden zu haben . dessen Inhalt sich im Wesen mit der im 



— 271 — 

Bilde dargestellten Handlung deckt. Den Faden, der zu demselben hinüber- 
leitet, scheint mir die Charakteristik der beiden den Mittelpunkt bildenden 
Frauen zu bieten , deren gleichartiges Ansehen und enge Verbindung auf 
ein geschwisterliches Verhältniss deutet. Ein schutzbediirftiges Schwester- 
paar aber, das äusserste Gefahr bedroht, würde, auch wenn die Ideen- 
association bei einer Vase der vorliegenden Gattung nicht noch besonders 
auf das Drama wiese, den Gedanken unwillkürlich zunächst auf Antigone 
und Ismene lenken. 

In der Hypothesis des Aristophanes von Byzanz zur sophokleischen 
Antigone*) wird gesagt: ataaid^erat de rä 7ceQl rfjv fjQwida lazoQOVfieva 
Aai TTjV ddei^fjv avrfig 'lofiijyriv, o ftiv yaQ ^'Iwv iv rolg did-ugdfÄßoig 
y.azaTCQriad'Y^vai yttjatv dfKporeQag iv Tcp le^rp Tfig^'Hgag V7th ^aoddfiavcog 
Tov ^ETEoxkeovg, Wie immer das Verb gelautet haben mag, für welches 
Andere xavaTVQoiax^fivai oder y,aTa7CQoiyßfjvaL lesen, soviel geht aus der 
Stelle hervor, dass Ion die beiden Schwestern gewaltsam durch Eteokles' 
Sohn Laodamas im Heiligthume der Hera um's Leben konunen liess. Es 
bedarf hoffentlich keiner weiteren Ausführung, wie gut dies zu unserem 
Bilde passt, das seine Anregung offenbar einer späteren dramatischen Ge- 
staltung derselben Sagenversion verdankt : man glaubt noch die der Gewalt- 
that vorhergehende Wechselrede zwischen der Priesterin und Laodamas zu 
vernehmen. Ueber den von der anderen Seite herbeieilenden Jüngling, den 
das eine der oben erwähnten zwei Vasenbilder '•*) in ruhigerer Haltung und 
vielleicht in Auseinandersetzung mit dem gleichfalls ruhig dastehenden 
König zeigt, enthält die kurze Notiz des Aristophanes keine Andeutung, 
die über seine Benennung und die ihm zugetheilte Rolle Aufschluss geben 
könnte. 

2. 

Eine andere, dem Stile nach gleichfalls apulische Vase in der vaticani- 
schen Bibliothek ä) scheint gleich Reinach auch mir einer befriedigenden 
Elrklärung ihrer hier abgebildeten Darstellung noch zu bedürfen. Gegen 
Millingen's noch von einigen Neueren*) festgehaltene Deutung aus dem 
Oedipus auf Kolonos hat schon Welcker*^) eingewandt, dass der auf 

*) Nauck , Aristoph. Byzant. gramin. Alex, fragm. S. 257. Bergk , Poöt. lyr. Gr. II*, 
S. 255 f., Fr. 12. 

') Anm. 3, b. 

') MUlingen, Peintures de vases grecs (= Reinach, Bibliotheqne des monuments flgiir^s 
II), Taf. 23 und A, 3, danach Wiener Vorlegeblätter, Ser. B. Taf. IV, 1. 

*) Vergl. die Verweise bei Reinach , a. 0. S. 104 f. , dazu Bloch , die zuschauenden 
Götter in den rothflgurigen Vasengemälden des malerischen Stiles, S. 56 f. 

*) Alte Denkmäler III, S. 371 ff. Vergl. Vogel, Scenen euripideischer Tragödien in 
griechischen Vasengemälden, S. 120 ff. 



— 272 — 

(lern Altar sitzende Mann nicht blind >), die Palme für den Eolonoa Hippios 
unpassend, die Grötter des oberen Streifens beziehungslos sind. Aber auch 
die ganze Haltung der Mittclfigiir, der gegenüber in der That die Frage 
berechtigt ist, ob ihr Bart und Haar von den Jahren oder von Kummer 
gebleicht seien *) , nicht minder das Schwert in ihrer Hand stehen ihrer 
Beziehung auf den Dulder Üedipus ebenso im Wege wie die Erscheinung 
der Sussersten Figur rechts oben ihrer Auffassung als Eumenide. Wie sie 
gleichsam vom Boden aufsteigend , Fackel und Schlange in den Händen, 
das nattemumringeltc Haupt drohend dem Paare in der Mitte zuwendet, 
weist sie nicht auf die versöhnende Lösung eines leidvolleu Schicksals, 
vielmehr auf die Schürzung eines tragischen Knotens hin. Und daas es ein 




frevleriseher Licbesiiingang ist , der ihren Zorn wachgerufen , das zeigen 
das enge Beisammensein des Paares in der Mitte und der über den Kopf 
gezogene Schleier der Frau und, im Zusammenhange damit bedeutungsvoll, 
die über ihnen thronende Aphrodite mit Eros zur Seite. 



') Charakteristisch siod Aage und Bewegung eines Blinden iriedergegebeu bei dem 
PolymeBtor der lucanischen Vase, Monum. dtll' Inst. II, Taf. XII (dazu 0. Müller, Ann. dell' 
Inst. 18B5, ä. 222 ff.) = Overbeek . Bildwerku den thebischen und traischen Stgenkreisea, 
Tal'. XXVIII, 2, S. 670 ff. Auch der Teiresias der bekannten Vase Overbeek , a. 0. Taf. II, 
11, S. 62 f. = Wiener Vorlegeblätter 1889, Taf. IX, (i, auf den eicii Bloeh beruft, entbehrt 
übrigens der Andeiitnng der Blindheit nicht (vergl. Va)cel, a. 0, S. 131, Anm. 3): ich glanbe 
eine wiche selbst in den Augen zq finden. 

') ijo kennzeichnet den Sachverhalt treffend Welcker, a. 0. S. 371. 



— 273 — 

Von letzterer Empfindung war offenbar Welcker geleitet, der im 
Hinblick auf den Atreus des Sophokles und die Kreterinnen des Eiunpides 
in dem Greis den auf den Hausaltar des Atreus geflüchteten Thyestes, in 
der Frau zu seiner Seite Atreus' treuloses Weib Aerope, in dem rechts 
herantretenden Herrscher Atreus erblickte. Aber nicht nur, dass diese 
Erklärung des Haltes einer der vorliegenden Darstellung annähernd ent- 
sprechenden Situation in den angezogenen Gestaltungen des Mythos ent- 
behrt ^), erscheint sie mir mit demselben geradezu unvereinbar, wenn sie die 
Handlung in ein Heiligthum, wie es durch die Palme und die im Hinter- 
gnmde aufgehängten Gegenstände gekennzeichnet ist, verlegt, Aerope im 
Augenblicke, da Atreus dazutritt, mit Thyest beisammen und diesen selbst 
in einem Aussehen dargestellt sein lässt, das auch ohne das Schwert in 
seiner Hand nichts vom Schutzflehenden hätte. 

Es ist seltsam, dass Welcker eine andere Begebenheit desselben 
Sagenstoffes entgangen ist, die nach meiner Meinung auf die Erklärung 
unseres Bildes grösseren Anspruch erheben kann. Nach dem Mahl der 
eigenen Kinder, so erzählt Hygin (Fab. 88), floh Thyest zum König 
Thesprotos an den avemischen See und von dort nach Sikyon, wo sich 
seine Tochter Pelopia in Obhut befand. Pelopia begeht eben zur Nacht- 
zeit ein Opfer an Athena, als Thyest hinzukommt. Es nicht zu stören, 
verbirgt er sich im Hain. Beim Reigen fällt Pelopia und befleckt sich das 
Gewand mit dem Blute eines Opferthieres ; sie geht an den Fluss und 
legt das Kleid ab, es zu waschen. Da stürzt Thyest verhüllten Hauptes 
aus dem Haine hervor; in seiner I^marmung zieht Pelopia ihm das Schwert 
aus der Scheide, das sie dann unter dem Bilde der Göttin verbirgt. Am 
Tage bittet Thyest den König, ihn nach Lydien heimzusenden. Im weiteren 
Verlauf derselben Fabel berichtet Hygin sodann, wie dasselbe Schwert 
später zum Erkennungszeichen wird, als Aegisth, Thycst\s mit Pelopia 
gezeugter Sohn, auf Geheiss des Atreus den gefangen genommenen Vater, 
den er nicht kennt, mit eben jenem Seliwerte tödten soll. 

Das Excerpt Hygin's gibt zweifellos den Inhalt einer Tragödie wieder; 
dass auch unser Vasenbild von einer solchen inspiriert ist, bedarf keiner 
Ausführung. Und übersetzen wir die Erzählung Hygin's in die Fonn zurück, 
in welcher die in ihr enthaltenen Begebenheiten sich auf der Bühne 
abwickeln konnten, so gewinnen wir alle wesentlichen Voraussetzungen 
für die im Bilde dargestellte Situation. Ein verbrecherischer Liebesumgang, 
der unheilvolle Folgen heraufbeschwört, hat im Bezirk eines Tempels einen 
Mann in vorgerücktem Alter und eine Frau -- Thyest und Pelopia — 
vereint ; ein Schwert, das der Mann trägt, spielt dabei eine Eolle. Dies ist 
dem Moment, den der Maler uns vorführt, vorausgegangen. Nun tritt der 

*) Eine solche hat auch Vogel a. 0. nicht nachgewiesen. 

£rano« Vindobonensis. j^ 



— 274 — 

Herrscher des Landes — nach Hygin Sikyon — auf, und im Gespräch 
zwischen ihm und den anderen Personen wird sich die Handlung weiter- 
spinnen, d. h. Thyest um Heimsendung bitten. 

Die wenigen Punkte, in welchen die Vase von Hygin abweicht : dass 
nämlich das Schwert noch in Thyest's Hand ist und die Scene anscheinend 
in einem apollinischen Heiligthurae ^) spielt, sind nebensächlich und berühren 
den Kern der Handlung nicht, während die Zusammenziehung der aufein- 
anderfolgenden Momente in einen den Ausdnicksmitteln der bildenden Kunst 
gemäss ist. Die Erzählung Hygin's hat Petersen ^) auf den sophokleischen 
&veavrii; iv ^ixviovl zurückgeführt, dessen Inhalt, vereint mit dem des 
JlTQeig und des ©r^arijg devviQog^ die 88. Fabel wiedergibt. Bei der 
Häufigkeit, mit welcher durch das ganze Alterthum die verschiedenen 
Schicksale des Pclopidenhauses von den Tragikern behandelt wurden % 
unterliegt es keiner Schwierigkeit, die vorerwähnten Abweichungen einer 
anderen Tragödie, die den gleichen Stoif zum Vorwurf hatte, zuzuschreiben. 

^. 

Die Darstellung des Leukippidenraubes auf der Vase des Meidias*) 
bildet hinsichtlich ihrer Composition ein Unicum. Während die eigentlich 
handelnden Figuren mehr oder minder in den Hintergrund gerückt sind, 
nehmen die durch die Inschriften als Gottheiten bezeichneten die vorderste 
Reihe ein. Für eine solche Anbringung der nicht direct in die Handlung 
verflochtenen Gottheiten weiss ich aus der Vasenmalerei keine Analogie; 
denn die Beispiele , die Bloch ^) ausser der Meidiasvase für das gleiche 
Verfahren antührt, betreffen, wie er selbst nicht verkennt, wesentlich ver- 
schiedene Fälle. 

Nicht minder auflTällig, als der Ort der Anbringung, ist die Art, wie 
einige der genannten Figuren an dem Vorgange theilnehmen, und die sich 
grundsätzlich von der solchen Wesen sonst zugewiesenen blos „zuschauen- 
den" Rolle unterscheidet. Es ist, als ob das Ereigniss die Gottheiten selbst 
in höchstem Masse überraschte und /um Theil sogar erschreckte. Und 
das ist um so befremdlicher, als von diesen Eindrücken besonders jene 
Gottheiten betroffen erscheinen, auf deren Geheiss und Antrieb ja nur die 
That geschehen konnte: Aphrodite und Peitho. Erstere wendet sich wie 



*) Vergl. zur Palme St^phani, Compte i*endu pour 1861, S. 68 f. 

-) De Atreo et Thyesta, I>ori)ater Programm 1877. 

') Verpl. 0. Ribbeck, Die römische Tragödie, S. 457. 

*) Catalogue of va.ses in the British Musenm , Nr. 1264. Klein , Griech. Vasen mit 
Meistersignatiiren^, S. 204 f. 

^) Die zuschauenden Götter in den rothfigurigen Vasengcmälden des malerischen 
Stiles, S. 11. 



erstaunt und sprachlos nach dem Orte hin, wo Kastor eben Eriphyle um- 
schlingt, und, ein Bild lebhaften Entsetzens, sucht Peitho das Weite. 

Nehmen wir einen Augenblick an, die Inschriften fehlten; dann 
hätte wohl schwerlich jemand in den Personen der vorderen Reihe Götter 
gesucht. Vielmehr hätten sich dann die weiblichen Figuren wohl ohne 
Weiteres als Gespielinnen der Leukippostöchter zu erkennen gegeben, die 
mit ihnen Blumen pflückend in dem heiligen Bezirk zerstreut sind, als 
der Raub geschieht: während einige denselben noch gar nicht oder eben 
erst gewahr werden, bringt die rascheste schon dem Vater von dem 
Geschehenen Kunde. So stiebt auch in Darstellungen des Thetisraubes ') 
die Schar der Schwestern auseinander und zu Nereus hin, und genau wie 
auf unserer, fliehen auf der bekannten Coghiirschen Vase*) mit der Ent- 
führung der Leukippiden die Mädchen nach verschiedenen Seiten und eine 
von ihnen auf den abseits thronenden Leukippos los; es entspricht der 
durchaus malerischen Auffassung der Meidiasvase, wenn auf ihr dieser 
Theil der Composition in den Vordergrund verlegt ist. 

Auch auf unserer Vase hat Bursian ^) die dem Raube vorhergehende 
Situtation in dem gleichen Sinne gefasst. Aber indem er die Jungfrauen 
mit den Chariten „unter dem Schutz und in Gegenwart der Aphrodite" 
Blumen pflücken und diese göttlichen Gespielinnen wie auch Aphrodite 
selbst von dem Geschehniss erschreckt und erstaunt sein lässt, muthet er 
uns zu, einen inneren Widerspruch hinzunehmen, über den ich nicht hinweg- 
komme. 

Die Charakteristik der in Rede stehenden Figuren durch die künst- 
lerischen Motive erweist sich sonach nicht mit den beigeschriebenen Namen 
als im Einklang befindlich. Völlig singulär sind ja auch die Namen der 
Leukippostöchter Elera und Eriphyle, von denen nur der erstere an Hilaeira 
anklingt, und ebenso sind Agaue und Chryseis für Chariten, wofiir sie 
Gerhard*) und Bursian nehmen, oder jenen verwandte Wesen unbekannt. 
Auch das Verschreiben im Namen des Polydeukes ist seltsam. Auf die 
ähnlichen Auffälligkeiten, die auch in den anderen Darstellungen desselben 
Gefässes die Beischriiten bieten, sei hier nur hingewiesen; es genüge zu- 
nächst, den Sachverhalt für das Leukippidenbild festgestellt zu haben. 

Rom. 



*) Z. B. Overbeck, Bildw. d. theb. und troischen Sagenkr. Taf. VII, 4 ; VIII, 4. 5. 7 n. A. 
») Mmingen, Vases Coghill, Taf. I— III. Arch. Zeit. 1852, Taf. XLI, S. 438 (Bursian). 
=») Arch. Zeitung 1852, S. 437. 
^) Die Vase des Meidias, ges. akad. Abhandl. I, S. 179. 



18* 



Genossenschaften in Kleinasien und Syrien. 

Ein Beitrag zur Geschichte des Gewerbeflcisses iu der römischen Kaiserzeit 



von 



JOHANN OEHLER 



Mommsen R. G.V, 331f. weist darauf hin, wie der Wohlstand 
Kleinasiens neben der Bodencultur auch auf Industrie und Handel beruhte 
und wie sich ein reges gewerbliches und kaufmännisches , hauptsächlich 
auf die eigene Production gegründetes Leben entwickelt hatte, in Folge 
dessen sich römische Kaufleute überall zu eigenen Vereinen zusammen- 
fanden. Während über diese Vereinigungen der römischen Bürger eine 
erschöpfende Arbeit vorliegt: Schulten, de conventibus civium Roma- 
norum, Berlin 1892, fehlt eine Darstellung über die Genossenschaften der 
Handwerker und Kleinhändler im Osten des römischen Reiches, denn die 
Zusammenstellungen bei Lieben am: „Römisches Vereinswesen" S. 157; 
Hermann-Blümner: Gr. Privatalterth. S. 398, Anm. 2 u. a. sind unvoll- 
ständig. Die Widmung Sr. Durchlaucht des regierenden Fürsten Johann 
von und zu Liechtenstein für die archäologische Erforschung Kleinasiens 
ermöglichte die Herstellung eines vollständigen Schedenapparates für ein 
Corpus inscriptionum Asiae minoris, und durch die Theilnahme an den 
Arbeiten wurde ich zur Zusammenstellung des inschriftlichen Materiales 
für die Genossenschaften angeregt. Zeit imd Ramn gestattete es nicht, 
auch die Schriftstellerzeugnisse eingehender zu behandeln , und ich muss 
mich daher begnügen, eine Uebersicht der Genossenschaften der Hand- 
werker und Kleinhändler zu geben , sowie einige Bemerkungen daran 
zu knüpfen , die sich auf die Organisation derselben , ihre staatliche 
Stellung u. 8. w. beziehen. Obenan steht die Wollindustrie, Färberei und 
Weberei. 



— 277 — 

1. ^EQLOVQyoi' Philadelphia: CI6 3422 = Le Bas 648 : fj Ugä (pvkij Ttav 

iQtovQywv. 

2. AavaQioL lanarii nach Blümner Wollhändler: Ephesos: Hermes Vn,31. 

Thyatira: Athen. Mitth. XII, 253, 18. 

3. ^EqtOTcXwoL ' lanilutores : Hierapolis : Movo. x. ßißX. V, 79, Nr. 489 ; 

iQionkvTwv iQyaaia mit einem iQyarrjyog. 

4. Baq>€lg' infectores: Thyatira: CIG 3496—98; Bull. hell. XI, 100, Nr. 23. 

Hierapolis (Phryg.) : CIG 3924 = Le Bas HI, 742, igyaaia. 
Tralles: Bull. hell. X, 519, Nr. 16; Sterrett H, 387. 
noQ(pvQoßäy>oi ' purpurarii : Hierapolis : Le Bas IH, 1687 und Americ. 

journ. of areh. III, S. 348; Philol. XXXH, 380. 
Laodicea ad Lyc. CIG 3938 (ßatpecov riov äkovQyäv), 

5. KaigodaTtiarai ' Teppichfabrikanten ? : Hierapolis : Philol. XXXH, 380. 

6. rva(p€tg ' fullones : Kyzikos : Athen. Mitth. VII, 252. 

Akmonia: CIG 3858 e = Le Bas IE, 755. 
Flaviopolis (CiUc): Journ. of Hell. Stud. XI, 236, 1. 
Laodicea ad Lycum: CIG 3938. 

7. ^tvovQyoi' linarii: Thyatira: CIG 3504. 

Milet: Rev. arch. II s. 28 (1874), S. 112. 
Anazarba : Journ. of Hell. Stud. XI, 240, 8. 

8. ytivvq>0L • Leinenweber : Tralles : CIG 2928 ; Le Bas III, 606 = Athen. 

Mitth. VIII, 319, 3. 

9. ^ivoTtioXat' lintearii: Corycus; unedirte Inschrift, von Herrn Dr. 

Heberdey copirt. 

10. 'fyarevofievot' vestiarii: Thyatira: CIG 3480. 

11. 2xvr6fioL ] l Thyatira: BuD. hell. X, 422, 31. 
^ ^; j «^'"^*^«- j Philadelphia: Le Bm IH, 656. 

[Apamea Celaenae : ol iv Tfj 2/,vTt'/.fj nkareitjf zexvelvai ' Rev. 
et. Grecq. II, 30.] 



SKvreig 



12- 2xvtoßvQa€ig 
Bv^aelg 



corani : 



Kibyra: Bull. hell. II, 593, 1. 
Thyatira: CIG 3499. 

13. JlQToxÖTcoi ' pistores: Thyatira: CIG 3495; cf. Magnesia ad Maeandrum: 

Bull. hell. VII, 505. 

14. KeQaueig' figuli: Thyatira: CIG 3485. 



15. Xakxeig' 
Xahieig xaXiiOTVTtoi 

16. yiqyvQoxoTtoL aal 
XQvaoxooi 



fabri : Sigeion : CIG 3639 u. add. 
aerarii: Thyatira: Bull. hell. X, 407, 10. 



argentarii 
et aurarii 



f Smyrna: CIG 3154. 
Pahnyra : Le Bas III, 2602. 



17. MaxaiQOTvoioi ' Schwertfeger : Sidon: Rev. arch. IIIs: 17, S. 108. 

18. KoqalkLOTthxaxaf (nach Bltimner und den Lexicis: die kleine Bilder 

aus Korallen machen ; nach Büchsenschtitz: Arbeiter, 



i^SIO 



welche Korallen aus dem Steine coralliticus nachahmten): 
Magnesia ad Sipylum : CIG 3408. 

19. Ohodofioi ' Sardes : CIG 3467 = Le Bas III, 628. 
dofiove/LTMV Abydos: Le Bas III, 1743o = Athen. Mitth. VI, 227. 

20. SKTpfeirai xai Sgyaorai ' tabcrnarii et fabri : Abydos : Le Bas HI 1743n. 

21. ^EQyaTai TVQOTtvlelrai TtQÖg Tip Iloaeidiovi' Ephesos: CIG 3028. 

22. IlQüiiieTQat' mensores: Ephesos: CIG 3028. 

23. 0OQTriyoi (Lastträger) J^axlriTciaatai ' Smyma: American jonm. of 

arch. I, S. 140. 
(DoQtrffoi (Lastträger) Ttegi rhv ßelxov' Smyma: American joum. of 

arch. I, S. 141. 

24. 2cnix,oq)6Qoi (saccarii) ccTtb tov i^ietqtitov: Kyzikos: Athen. Mitth. VI, 

125, Nr. 8. 
SaxxoipoQoc (saccarii) li/ievlvat: Panormos : Svkkoyog YIll^ 171,4. 

25. 2t;vodia' Karawane: Palmyra: Le Bas III, 2589 — CIG 4489 und öfter. 

26. TganeCiTai' argentarii: Korykos: CIG 9179 = Le Bas III, 1443. 

27. KvQToßoXoi' piscatores: Smyma: Mova. /,, ßißL 1875,65, Nr. 7 (un- 

genau : Rhein. Mus. XXVII, 464, II). 

28. Bov7(,6lot ' pastores : Pergamon : Hermes VII, 40, nr. XII. 

29. KriftovQoi ' hortulani : Pessinus : CIG 4082, avati]fÄa[c]og xij7rot'^c5v, wie 

statt evrvxi]ficcTog zu lesen ist. 

Ausser diesen Genossenschaften wird erwähnt: ein f^eya awegyiov 
zu Side: CIG 4346 = Le Bas III, 1385, eine av^ßtwaig und aweqyaaia in 
Smyma : CIG 3304, eine av^ßiwaig vecotaQa in Maeonia : CIG 3438, eine 
avvBQyaaia in Hierapolis: Le Bas III, 741, die wohl auch Genossenschaften 
von Handwerkern bezeichnen. Bei allen ist ohne Zweifel römischer Ein- 
fluss anzunehmen und gelten für sie dieselben Bestimmungen, wie für die 
collegia; ihre Mitglieder waren von gewissen Leistungen befreit: Digest. 
XXVn, 1 (de excusationibus) 17, § 2. — Die verbotenen heissen collegia 
illicita : Digest. XL VII, 22 : de coUegiis et corporibus ; als solche gelten 
die haiQiat : daher Traian die Bildung eines collegium f abrorum, welches 
Plinius für Nikomedia vorgeschlagen hatte, ablehnt, weil in kurzer Zeit 
aus einem solchen Collegium eine Hetaerie werden könnte: Plin. epist. 
X, 33 (42) und 34 (43). — Den Bäckern in Magnesia am Maeander ver- 
bietet der Statthalter, sich zu einer Hetaerie zu vereinigen: Bull. hell. 
Vn, 505, Nr. 10. — Als Bezeichnung der Verbindung finden wir: xoivthf 
Sidon (Nr. 17); auweleia: Palmyra (Nr. 16); avfAßiwaig: Sigeion (Nr. 15); 
avarriina : Korykos (Nr. 26) ; Pessinus (Nr. 29) ; avvedqtov : Kyzikos (Nr. 6) ; 
Milet (Nr. 7) ; Hierapolis (Nr. 5) ; avvvexvia : TraUes (Nr. 8) ; Anazarba 
(Nr. 7); awegyaoia: Akmonia (Nr. 6); Kibyra (Nr. 12); Smyma (Nr. 16, 



— 279 — 

27); Ephesos (Nr. 2); avveQyiov: Flaviopolis (Nr. 6). — ^Egyaaia und 
Sgyov : Laodicea ad L. (Nr. 6) ; Tralles (Nr. 4) ; Hierapolis (Nr. 3 und 4) ; 
Thyatira (Nr. 4). — An der Spitze steht , dem magister coUegii ent- 
sprechend: ein aqxtjv in Sidon (Nr. 17); ein avvodidQxrjg in Palmyra 
(Nr. 23) ; ein ä^ißov'/,6loQ in Pergamon (Nr. 28) ; ein iQyatrjyog in Hiera- 
polis (Nr. 3) ; ein iTttfiEkrjv^g in Thyatira (Nr. 4) , ebendaselbst ein Itcc- 
(JtarrjQ; ein i^yeTciaTdrrjg in Abydos (Nr. 19) zwei eTCifuekrivai in Pessinus 
(Nr. 29). — Eine TtQoedqia wird genannt bei den 7coQ(pvQoßdq)OL in 
Hierapolis, eine yeQovala bei dem i^iya awegyiov in Side (CIG 4346). — 
Kinen tafAiag der Genossenschaft nehme ich bei den xogalhoTvläaTai in 
Magnesia am Sipylus an : CIG 3408 : TtaQovrwv xal raiv ycogakkiOTckaaraßv 
y.ad^ elgexofiiaav [ivßkiov diä SußXQarov iTtl T. 24.T, Eurvxtavov rafxiov ; 
dagegen sehe ich in den rafiiai der Inschrift aus Smyrna: Rhein. 
Mus. XXVII, 72 nicht wie Schulten, S. 28 quaestores der xvQTo(i6i,oi, 
sondern die lafAiai der Stadt (die Inschrift heisst vollständiger: awe- 
Qyaaia TtvQtoßolcjv xcrrd tb tfjijcfiaina vfig ßovkfig Taf,iieudvviov 2evi]Q0v 
y.ai ^OvTjGifiov: Mova, x. ßißX. 1875, 65, Nr. 7). — Der äQywvtjg der 
(lenossenschaft in Hierapolis : Le Bas III, 741 wird wohl richtig als Ein- 
nehmer der Beiträge der Mitglieder erklärt. — Wie die römischen coUegia 
einen patronus haben, finden wir hier einen evegyerrig: ein solcher ist 
Fulvius Montanus, den die aiyvegyaoLa rwv yvaq>ewv in Akmonia ehrt: 
CIG 3858 e = Le Bas III, 755. — Die Genossenschaften gelten als juristische 
Personen: Digest. III, 4; XXXVII, 1, 3, § 4. Sie haben eine gemeinsame 
Gasse : xä l'dia, aus der Ausgaben im Namen der Genossenschaft bestritten 
werden^ und können Schenkungen , Grabmulten u. s. w. erhalten. So hat 
die TCQoedqia der TtoQtpvQoßd^oc in Hierapolis von M. Aur. Diodoros 
300 Denare erhalten mit bestimmter Widmung : Le Bas III, 1687 ; Ponteius 
hat den iQydvai in Ephesos eine Summe bestimmt , damit sie für die Ein- 
haltung der Bestimmungen seiner Grabschrift Sorge tragen, widrigenfalls 
die Ttgofiirgai in Ephesos einzuschreiten haben : CIG 3028. — Als are- 
(pavcjTi^dv hat die Ttgoedgia der rtoQcpvQoßdcpoi und das avveÖQiov der 
xaiQodaTtiarai in Hierapolis eine Summe erhalten: Philol. XXXII, 380, 
Zeit Hadrians. Eine Strafsummc (Ttgaazei^ov) wird zugewiesen der at^u- 
liiwaig der xaXxeig in Sigeion (CIG 3639), eine Grabmult von 250 Denaren 
den (poQiriyoi 7C€qI t6v ßeixov in Smyrna: American jouni. of arch. I, 141. 
— Eine Grabmult von 2500 Denaren ist zugewiesen in Kyzikos dem 
i€QÖv awedgiov xiov acmnocpoQMv tiov dub zov fievQTjTov: Athen. Mitth.VI, 
125, 8 u. s. w. 

Unter den Ausgaben sind zu beachten die für Ehrendenkmäler und 
Stiftungen : wir können daraus ersehen, welche Bedeutung diese Genossen- 
schaften in ihrer Stadt hatten, welche Geldmittel ihnen ziu* Verfügung 



— 280 — 

standen , und werden uns nicht wundern , dass Angehörige derselben zu 
den höchsten Ehrenstellen gelangten. Obenan stehen die ifiaT€v6f.ievoi in 
Thyatira, welche den Kaiseni , es ist nicht gesagt welchen, zu Ehren ein 
TQiTvukoVy axoaiy xaTaycoyai und ül'AtitfJQia iQyaauov aus ihrem Vermiigen 
stiften : Clft 3480. — In Anazarba errichten im Jahre 136 n. C. die hvovg- 
yoi eine Statue des Kaisers Hadrian: Joum. of Hell. stud. XI, 240, Nr. 8; 
die 7,€Qaf.t€ig in Thyatira stellen eine Statue des Caracalla auf: CIG3485. 
— Von Bedeutung ist es , wenn im Jahre 257/8 n. Q\ die awxe)^La rior 
XQvoox()0)v YMi aQyvQOYMTtiov in Palmyra den Odaenathos, den Gemahl der 
Zenobia, ehrt : Le Bas III, 2602. — Unter den zahlreichen Ehrenbezeugungen 
für hervorragende Männer und hochgestellte Beamte will ich nur diejenigen 
anlühren, die Angehörige der Genossenschaft selbst betreffen: die hoch- 
ansehnliche Zunft der Wollenwäscher in Hierapolis elirt den Ti. Claudius 
Zotikos, der der TtQiTnog; sgyarriyos der Zunft gewesen und aQxit^v^ 
geworden ist: Mova, x. ßißL V, Nr. 489. — Die ßaipeig in Thyatira 
ehren den Aur. Artemagoras, der Strateg geworden und eTciazdzrig ihres 
iqyov gewesen war, durch eine Statue: CIG 3498; ebenso den Marcus, 
Sohn des Menander: Bull. hell. XI, 100, Nr. 23. — Zu beachten sind die 
Ehrenbezeugungen für einen dyoQavoiiog: so in Thyatira von den oxvro- 
TOjnoi : Bull. hell. X, 422, Nr. 31 ; ebendaselbst von den agToxÖTvoi : CIG 
3495; in Tralles von den kivig>oi: Le Bas 111, 606. Diese Ehrenbezeugungen 
für den ayogavo/nog erklären sich daher, dass die dyoQavofioi die Gewerbe- 
polizei handhabten ; ich verweise auf die Inschrift aus Faros CIG 2374 e, 
in welcher der äyoqavdfAog belobt wird, weil er dem Strike der Arbeiter 
ein Ende gemacht hatte. In dem Strike der Bäcker zu Magnesia am 
Maeander musste wegen der deshalb entstandenen Unruhen der Statthalter 
interveniren : Bull. hell. VII, 505, 10. — Das Ansehen der Genossenschaften 
zeigt sich auch in den Attributen: ae/xvÖTaTog, UQog, leQiotavogj evyevioca- 
Tog, evreXrjg^ die ihnen beigelegt werden. Die Gliederung und Eintheilung 
ist nach localen Abgrenzungen erfolgt: die ocrKY.ocp6Qot zerfaUen in die 
aTtö fi€TQrivoü in der Stadt Kyzikos selbst und die hiaeviTaiy im Hafen 
von Kyzikos, Panormos ; ähnlich die hvoTtwXai hueviTai in Korykos, die 
(fOQiriyoi in Smyrna u. s. w. — Andererseits wiu'den Stadtviertel nach den 
dort befindlichen Handwerkern genannt : so die 2x(;rtx/} TcXareia in Apa- 
mea Celaenae: Rev. etud. gr. 11, 30; in Philadelphia waren die Phylen 
nach ihnen benannt: CIG 3422 == Le Bas III, 648: f} legä q)vXrj rwv eQiovQ- 
yiüi"^ Le Bas III, 656: ^ UQä (pvlrj rwv axvrewvy — weshalb die AusfUlurung 
einer von der Stadt beschlossenen Ehrenbezeugung durch eine Genossen- 
schaft erfolgt: so ausser den angegebenen in Apamea und Philadelphia 
in Kibyra, wo dem Asiarchen Ti. Claudius Polemon eine Statue errichtet 
wird xarof tä doSavra rij ßovXfj xal t(^5 ^f]l^fi^ von der öefxvoTaxri avv^ 



— 281 — 

yaaia xiov auvroßvQaecjv: Bull. hell. II, 593, Nr. 1. So sind an einem 
Ehrendenkmal zu Abydos neben dem Volke von Abydos und den Römern 
in llion verzeichnet die anriveiiai xal eqyaatai'. Le Bas III, 1743 n. Diese 
Beispiele m(>gen genügen, die einiiussreiehe Stellung der Genossenschaften 
im staatlichen Leben zu zeigen; dass sie einen grossen Einfluss auf die 
Masse des Volkes hatten, zeigt der Aufstand, den die Silberarbeiter in 
Ephesos gegen den Apostel Paulus erregten : Apostelg. XIX, 24 f. — lieber 
den Zweck der Genossenschaften lässt sich aus den Inschriften wenig 
erschliessen: die Zuwendung von Grabmulten legt den Gedanken an eine 
Begräbnisscasse nahe, wie auch die rJimischen collegia als funeraticia er- 
scheinen. Damit stimmt die gemeinsame Grabstätte der TQaTte^hai und 
hvoTvwXai in Korykos ; die Errichtung eines Grabmals für eine avfißiwaig 
und Bestattung auf Beschluss der ovveqyaoia in Smyma: CIG 3304; die 
Bekränzung eines Grabes durch die Genossenschaft der Färber in Hiera- 
polis : CIG 3924. — Für einen gemeinsamen Cult ist mur die Verbindung 
der ßov'/MXoi in Pergamon : Hermes VII, 40 anzuführen ; dagegen kommen 
Weihungen der Genossenschaft oder für sie öfter vor: die Gold- und Silber- 
arbeiter in SmjTna widmen ihrer Vaterstadt eine Athena: CIG 3154. — 
Der ÖQx^y der Schwertfeger in Sidon weiht 47 v. C. für das xoivov etwas 
dem d-eöguyiog: Rev. arch. III s. 17, S. 108; ebenso die ov^ßLotaig vioßiega 
in Maeonia auf Befehl des Zeus Masphalatenos und Menitiamos : CIG 
3438. Eine Weihung der Gärtnerzunft in Pessinus findet sich CIG 4082. 
— In Flaviopolis findet sich bereits im 3. Jahrh. n. C. eine christ- 
liche Widmung für das Heil des evrekig awegyiov der yvatpetg mit der 
Bitte um Vergebung der Sünden: Joum. of Hell. stud. XI, 236, Nr. 1. — 
In jeder Genossenschaft bildeten sich gewisse Satzungen für die Ueber- 
nahme und Ausführung von Arbeiten und es ist interessant zu erfaliren, 
dass in Folge der Streitigkeiten zwischen Bauherrn (eqyodotrig) und Bau- 
arbeitern (iQyoXdjirig) der Magistrianus L. Aurelianus zu Sardes um die 
Mitte des 5. Jahrh. n. C. sich an die olxodSfÄOi wendet, die ihm ihre drjuSaia 
TLavovixd, das heisst das Regulativ, nach dem die Arbeiten übernommen 
und ausgeführt werden sollen , mittheilen : CIG 3467 = Le Bas III 628. 
Einige Bestimmungen dieser xcrvovijtof finden wir auch im Cod. Just. IV, 59; 
\1II, 10, 12, §9, es kann jedoch hier nicht näher darauf eingegangen 
werden. Bezüglich der Bauhandwerker mischte ich bemerken, dass sie 
sich in Gruppen, ave^^ara, gliederten, die alle zusammen unter einem 
TtQoavdrrjg standen: in Ikonium werden vier solcher ats^/nara erwähnt, 
denen und deren rcQoöTdvrig Hesychius zwei Männer, ^liSccvcuv aal Zcuri- 
xoc:, Joxi/nelg rexvlrai , ihren Dank abstatten : CIG 3995 b. — Diese In- 
schrift ist interessant, weil sie uns die Freizügigkeit der Arbeiter zeigt: 
Dokimeer aus Phrygien arbeiten in Ikonium; dasselbe Recht zeigt auch 



— 282 — 

die Bauinschrift aus Abydos : Le Bas III, 1743 o = Athen. Mitth. VI, 227 f. : 
der dofiOTsxTwv Aur. Theophilos aus Mytilene steht unter dem IgyeTtiord- 
TTjg Eutychides in Abydos. — Zu beachten ist ferner die Verbindung und 
Beziehung, die zwischen mehreren Genossenschaften sich findet : die xoQaX- 
kiOTthiacai in Magnesia am Sip. beantragen für die aövodog JSfiü^aiväv 
daselbst eine Ehrenbezeugung : CIG 3408 ; in Laodicea ad Lyc. stellen die 
Walker und Purpurfärber gemeinsam eine Statue auf: CIG 3938. — Wir 
sehen damit eine Freiheit der Genossenschaften gegeben, die fiir die Förde- 
rung ihrer Interessen und ihres Einflusses von Bedeutung war, wenn auch 
jeder einzelne nur Mitglied eines CoUegiums sein durfte: Digest. XLVII, 
22, 1 § 1. 

Eine Uebersicht über die Städte zeigt, dass Thyatira nicht weniger 
als neun Genossenschaften aufweist. Ihr Purpurhandel war ausgedehnt: 
eine Purpurhändlerin aus Thyatira wird vom Apostel Paulus zu Philipp! 
bekehrt: Apostelg. XVI, 14. — Berühmt sind die Färbereien von Laodicea 
ad Lycum gewesen : Strabo XIII, c. 4, S. 630. — Purpurfärbereien waren 
auch in Tyrus, dessen Purpur berühmt war : Strabo XV, 2, S. 757; Plinius 
n. h. V, 19. — Die Sidonier werden von Strabo XV, 2, S. 757 genannt 
TtoXvTBxvoi xal Ttakkirexvoi , ihre Waffen waren berühmt und finden sich 
selbst in Sardinien; Plinius nennt Sidon: artifex vitri: n. h. V, 19. — Gerber 
in Joppe erwähnt Apostelg. X, 6. — In Kibyra gab es auch Eisenindu- 
strie: Strabo XIII c. 4, S. 631. — Diese wenigen Beispiele beweisen nur, 
dass für die Vervollständigung des Bildes von dem Gewerbefleisse des 
Ostens in römischer Zeit die Sammlung der literarischen Ueberlieferung 
manchen Erfolg verspricht. ') Dass ferner auch die Inschriften über da« 
Vorkommen der einzelnen Handwerker lehrreichen Aufschluss geben, be- 
weist die Zusammenstellung der Stände aus den Grabschriften von Kory- 
kos bei Mommsen R. G.V., 331, Anm. 1, die durch die österreichische 
Expedition im Jahre 1891 und 1892 eine grosse Vermehrung erfahren. 
Nicht minder sind die Grabschriften von Seleucia ad Calycadnum zu be- 
achten. — Wir finden eine Reihe von lateinischen Worten, die durch den 
Verkehr mit Italien in Kleinasien gangbar geworden imd in die griechische 
Sprache aufgenommen wurden , so dass diese Inschriften auch von den 
Lexikographen zu beachten sein werden. 



^) Eine eingehendere DarsteUung des griechischen Zunft- und Grenossenschaftswesens 
denke ich an anderem Orte zu geben. 



Zu Herodot II, 1 1 1 



von 



J. KRALL 



J^8t die zunehmende Kenntnis» der altägyptischen Literatur hat eine 
richtige Beurtheilung der Berichte Herodot's über die ältere ägyptische 
Geschichte ermöglicht. Wir wissen jetzt, dass es im Nilthale neben Auf- 
zeichnungen streng historischer Natur auch eine reiche Literatur erzählender 
Art gab, welche mit Vorliebe an die Könige der Vorzeit anknüpfte. Die 
Pyramidenerbauer, die Hykschos und ihre Gegner, der religiöse Neuerer 
Amenöphis , Eamses IL Osjmandyas und sein Sohn Chamois , sowie die 
Könige, welche die Ansiedlungen der Griechen in Aegypten gestattet und 
gefordert hatten , Bokkoris , Tnephachtos , Psametik L , Amasis IL waren 
in dieser Literatur, wie in ägyptischer und griechischer Sprache erhaltene 
Denkmäler bezeugen, vertreten. Aus solchen Quellen ist das Meiste von 
dem geflossen, was Herodot als Geschichte Aegyptens uns überliefert hat ') 
und es ist daher begreiflich, dass seine Berichte alte und neuere Forscher 
mehr verwirrt als gefördert haben. 

Die Bedeutung der herodoteischen Berichte liegt darin, dass sie uns 
gleichsam als griechische Fassungen jener ägyptischen Erzählungen eine 
reiche Fülle culturhistorisch wichtigen Materials erhalten haben. An einem 
Beispiel soll dies hier gezeigt werden. 

Die heitere Erzählung, wie König Pheron, des grossen Sesostris Sohn, 
wieder sein Gesicht bekam, ist bekannt genug. Sie sollte, wie die im 
Papyrus d'Orbiney erhaltene Erzählung von Bytes und der Frau des 
Anubis oder wie der Synesios- Roman aus späterer Zeit, die leichten 
Sitten ägyptischer Frauen geissein. Wichtig ist fiir uns der Schluss der 



*) Vergl. unseren Aufsatz „Asychis" in der Philolog. Wochenschrift. 1886, S. 226 fl. 



— 284 — 

Erzählung, nach welchem König Pheron die schuldigen Frauen in der 
Stadt ^EQvdQfj ßßXog verbrennen lässt. Der PapjTus Westcar, den Emian \) 
herausgegeben und erläutert hat, gibt uns hiezu eine merkwürdige 
Parallele. In diesem Texte aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend 
heisst es, dass König Nebka die Frau seines obersten Vorlesers, welche 
des Ehebruchs schuldig beftmden wurde, zur n()rdlichen Seite (?) des Hofes 
fortschaffen liess, „er legte Feuer an sie [und streute ihre Asche in] den 
»Strom''. Wennschon aus dieser Stelle Maspero vermuthet hatte*), dass im 
alten Aegypten auf Ehebruch die Strafe des Verbrennens stand, so wird 
diese Vermuthung durch die Heranziehung der herodoteischen Stelle ge- 
sichert. Diese selbst erweist sich als aus echt ägyptischen Elementen 
geflossen. 

*) Die Märchen des Papyrus Westcar in den Mittheilnngen aus den orientalischen 
Sammlungen, Heft V und VI. Die fragliche Stelle kommt in der vierten Columne, Zeile 8 bis 
10 vor. 

*) Contes populaires*, S. 63, Xote 1 : „La fa^on dont le texte introduit cette fin du 
recit Sans commentaire semble prouver que c'etait ]h un chatiment ordinaire des femmes 
adultores." 



^Malocchio* 



von 



P. BIENKOWSKI 



„Das Pentagramma macht dir Pein?" 

• 

Im Jahre 1889 wurde in Rom auf dem Caelius im Gebiet der ehe- 
maligen Villa Casali (jetzt Militärhospital) ein merkwürdiger Fund ge- 
machte) Beim Krankenpavillon n. 16 zwischen der rechten Abtheilung der 
neuen Gebäude und Via S. Stefano Rotondo wurde der Eingangsraum eines 
Heiligthums der Kybele und des Atys aufgedeckt. Der Fussboden des 
Gemaches enthielt ein schwarz-weisses Mosaik, welches im Bull, comun. 1890 
Taf. I — II und darnach hier abgebildet ist. 2) Oberhalb desselben, dem 
Eingange gegenüber befand sich in einer tabtda anaata die Inschrift: 
hitrantihus hie deos \ propütos et basütcfaej Hüarnanae. Ueber Bestimmung 
nnd Gründer dieser „Basilica" gab die Inschrift einer noch an ihrer alten 
Stelle gefundenen Marmorbasis Auskunft. Dieselbe lautet: „M\ Poblicio 
Hüaro I margaritdrio \ collegium dendrophorum \ Matria Deum M(agnae) 
Ifdaeae) et Attis \ quinq(uennali) p(er)p(etiio) quod cumiddta omni erga se 
benignitate j meruisset cui statua ab eis \ decreta poneretur,^ ^) 

Von der Statue wurde nur der Kopf gefunden (Bull, comun. 1890 
Taf. I — II), der nach der Haartracht und Pupillenbildung eine tüchtige 
Arbeit aus der Zeit der Antonine ist, wozu die Buchstabenformen der 

») Ueber denselben berichten Gatti Notizie degli scavi. 1889 S. 398—400; 1890 
S. 79, 113; C. L. Visconti BiiU. comun. 1889 S. 4S3; 189:) S. 18-25, 78; Hülsen 
Riini. Mittheü. 1891 S. 109—110. 

^) Es befindet sich jetast in einem Magazinsraume des Museo Capitolino. Trotz der 
Bemühnngen Prof. Petersen's, dem ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten 
Dank ausspreche, war keine Vergleichung des Originals möglich. 

*) Dass der Geehrte identisch ist mit dem C. I. L. VI 641 genannten , haben die 
Herausgeber bemerkt. Ueber das collegium dendrophorum s. Liebenam Zur Gesch. u. 
Organis, des röm. Vereinswesens (1890) S. 105 f. 



— 286 — 

luschrift und das mittcIraäBBige Ziegelwerk der Wände stimmen.') In der 
linken Ecke des Zimmers befand sieb ein Brunnen oder Abflusscanal, 
dessen Lauf sich anter dem Mosaik verfolgen Hess; seinetwegen ist das 
Mosaik an den in der Abbildung siebtbarcu Stellen zerstiJrt worden. Gegen- 
über der Basis des Pobliciiis Hilanis stand auf einem kleinen Pfeiler ein 
Wasserbecken, welches wie der Caual wahrscheinlich Erfordernissen des 
Cultus diente. En^-ahnung verdienen auch zwei in der Thürschwellc über 



Nir ;.RANnBV5',-lIC-DEOSj/3 



A 



PR0PIlt05-ErB/^ILIC'' 
HlIARlANAEf 




der tabula ansata eingegrabene Paar Fusssohlen, die einen nach ausisen, 
die anderen nach innen gerichtet , sicher mit Beziehung auf itus und 
reditus.^) Von der architektonischen Gestalt des eigentlichen Cnltlocales war 
08 nach Versicherung Hülsen's unmöglich eine Vorstellung zu gewinnen. 

') D«r Vcrsucli Visvonti's, die Inschrift in die Zeit Hadrian» oder sogar Tiaiaas 
zu VLTMtzeii, halt der Kritik niciii Stand. Die Kamensfonn PobüciuB ist niclit älter, sondprn 
libliiber uls I'ublitius, die Si|rel W behielt GeltiinK, so lang« das Pi^noroen im G<>brau['h war. 

'f Vgl. zuletzt Petersen in Lanckoronski's Städte P. u. P. II S. 76, 220. 



— 287 — 



I. 



Den Mittelpunkt des Mosaiks nimmt ein mandelförmiger Gegenstand 
ein , welchen die Herausgeber als einen mit rothem Band um\vimdenen 
Lorbeerkranz aufgefasst haben, der auf einer Lanze hänge ; die von allen 
Seiten auf denselben losstürzenden Thiere sollten nach Visconti die all- 
mächtige Schöpfungskraft der in Kybele verkörperten Natur oder ver- 
schiedene Grade der religiösen Einweihung in die Mysterien bezeichnen. 
Indessen haben schon Petersen bei Hülsen, a. a. 0. A. 1, Conze 
Jahrb. V (1890) S. 137 A. 2, Lafaye in Daremberg - Saglio's Diction. 
d. antiq. H S. 987 A. 2 bemerkt , dass ein linkes menschliches Auge dar- 
gestellt ist, an dem man deutlich Lider, Pupille und die stark behaarte 
Braue unterscheidet, durchstossen von einer abwärts gerichteten Lanze; 
zwei mit rothen Steinchen ausgefüllte Streifen über den Lidern scheinen 
austretendes Blut andeuten zu sollen. 

Auf der Hohe der Braue hockt eine Eule, deren gross gebildete 
Augen dem Beschauer zugewendet sind, und gegen diese Mitte fahren in 
radialer Richtung neun angreifende Thiere los : eine Schlange, ein Hirsch, 
eine grosse, langgestreckte Katze, die wir vorläufig Löwin nennen wollen ^), 
ein Rind, ein Scorpion, ein Bär ^), ein Ziegenbock '), eine Krähe oder Dohle 
auf einem Olivenbaum*) und schliesslich ein Rabe.*^) Die neben dem 
Ziegenbock und Stier befindlichen Striche durften Andeutungen von Boden 
sein. Diese Thiere bedrohen das Auge mit ihren Hörnern, Scheeren, 
Schnäbeln und Zähnen. Nur die Eule verhält sich passiv; sie gehört 
oflTenbar zu dem grossen Auge und wird zugleich mit ilmi, besonders von 

*) Für eine Löwin halten sie Visconti und Hülsen, für einen Hund Gatti; 
ein doggenartiger Hund scheint mir aUerdings nicht ausgeschlossen (s. unten); ein Tiger 
wäre auch möglich, hätte aber in den bis jetzt bekannten Monumenten keine Analogien. 

*) Der Körper ist der einer grossen Katze, als Löwin haben das Thier die Heraus- 
geber und Hülsen bezeichnet. Dem widerspricht aber entschieden der kurze, breite Schwanz, 
weshalb ich hier einen Bären annehme ; vgl. Imhoof-Blumer und 0. Keller Thier- und 
Pflanzenbilder auf Münzen und Gemmen (1889) Taf. XVI 8. 

') Von Hülsen unrichtig als Steinbock bezeichnet. 

*) Bisher wurde er für Lorbeer genommen, indessen spricht das Gesammtbild der 
Banmgestalt, das sehr dicke Wurzelende des Stammes und der Umstand, dass mit den 
kleinen Strichen Blätter, mit den grossen blattförmigen Flecken Früchte gemeint zu sein 
scheinen, entschieden für Olive, wie mir auch Botaniker bestätigten. 

*) Zoologen erklärten sich wegen der divergirenden Beine ftir Huhn oder Fasan; so 
gut diese Bezeichnung sonst passen würde, so scheint ihr doch der gerade abgeschnittene 
Schwanz zu widersprechen und die Beine wohl nur deshalb gespreizt zu sein, weil der 
Vogel nach vorne geneigt ist. Ich bin also bei dem Raben geblieben, für den der allgemeine 
Eindruck spricht, und habe den auf dem Olivenbaume sitzenden Vogel wegen seiner 
kleineren Dimensionen als Krähe oder Dohle bezeichnet. Eine Taube ist mit Visconti 
und Hülsen gewiss nicht zu erkennen. 



— 288 — 

dem oben sitzenden Vogel angegriffen, wohl nicht ohne Anspielung auf die 
sprichwörtliche Feindschaft zwischen der Eule und den übrigen Vögeln, 
namentlich der Krähe. 

Am nächsten steht das bekannte Relief von Wobum-Abbey, welches 
Millingen erklärte und 0. Jahn zum Ausgange seiner grundlegenden 
Abhandlung über den bösen Blick nahm. ^) Auch hier bildet die Mitte 
ein grosses Auge, auf welches fünf Thicre, ein Löwe, eine Schlange, ein 
Scorpion, ein Kranich oder ein Storch, eine Krähe zufahren, während ein 
Retiarius den Dreizack gegen dasselbe schwingt, und ein in Rückansicht 
auf der Braue hockender Mann mit phrygischer Mütze in einer Action 
begriffen scheint, welche der denkbar kräftigste Ausdruck äusserster Ver- 
achtung ist. Die weggebrochene Ecke der Darstellung lässt sich nach 
Massgabe eines in Brüssel im Privatbesitz befindlichen Amulets mit Michaelis 
(Arch. Zeit. 1874 S. 69 und Journ. of hell. stud. 1885 S. 313) durch einen 
dem Retiarius gegenüberstehenden Secutor mit Schild und Schwert er- 
gänzen. Andere ähnliche Amulete finden sich zusammengestellt bei 0. Jahn 
S. 96, Taf III. Hierzu ist ein algierischer Grabcippus von A n z i a ge- 
kommen, auf welchem das Auge von Schlange, Scorpion, Schnecke, Ei- 
dechse (?) , Hahn und einem Vogel bedroht wird , der mit ausgebreiteten 
Flügeln über dem Auge angebracht ist *-), ferner eine Terracx)tta aus Tarsos 
im britischen Museum mit zwei phallisch gebildeten Dämonen, die das 
Auge mit einer Steinsäge theilen (Gazette archeol. V (1879) S. 140) , und 
neuerdings gnostische Phylakterien aus Alexandrien, Smyma und Con- 
stantinopel, welche in der Regel auf der einen Seite den „Salomon" dar- 
stellen, wie er zu Pferde in antiker Rüstung mit der Lanze eine personi- 
ficirte Krankheit niederstösst ; auf der anderen Seite ein böses Auge in der 
Mitte, welches auf dem vollständigsten Exemplare von drei Dolchen durch- 
stossen und zwei Löwen, einer Schlange, einem Scorpion und einem Kranich 
angegriffen wird; über dem Auge erscheinen die Büsten de^ Sol und der 
Luna, Sterne und Zauberformeln (Rev. des etudes grecques IV^ (1891) S. 287 
und V (1892) S. 73 f Schlumb erger). Auch die von 0. Jahn, S. 109 be- 
schriebenen magischen Nägel sind insofern zu vergleichen, als auf ihnen 
unter anderen Apotropäen auch das „b()se'^ Auge oder der Buchstabe 
&(dvarog?J von einer langen Schlange bedroht erscheint. 

») Millingen in Archaeologia , XIX, S. 70; Wolniru Abbey Marbles Taf. XIV; 
O. Jahn Ber. d. sächs. Ges. 1855 S. 28— 110 Taf. III; Wiener Vorlegeblätter U Taf. XD; 
neuerdings Lafaye a. a. 0. 

=) Die Herausgeber Rev. arch6ol. VII (1863) Taf.VUI, auch Dilthey Arch.-epigr. 
Mittheil, aus Oesterr. 1878 S. 53 A. 17 denken an ein geflügeltes Auge. Wir werden jedoch 
die Flügel eines Auges seitwärts, nicht oben auf der Höhe des oberen Lides erwarten, 
au.sserdcm ist der Körper des Vogels sichtbar. Deshalb ist auch die „luna dimiduita^, 
an welche Wilmann's CLL. VIII 9057 dachte, unzulässig. 



Der Sinn aller dieser Darstellungen ist klar. Die feindliche Kraft 
des Malocchio wird durch allerhand feindlich entgegenwirkende Elemente 
gebrochen und damit der schützende Zauber, der dem Amulet selbst inne- 
wohnt, sinnbildlich ausgesprochen. In anderer Fassung wiederholt sich 
dieser Oedanke in den minder zahlreichen Darstellungen, als deren bedeu- 
tendstes Exemplar M i c h ae 1 i s im Journ. of hell. stud. VI (1885) Taf. LXVIIl 
S. i\l2 — 318 einen Marmorblock aus Xanthos im britischen Museum ver- 
<)ffentlicht hat. Innerhalb einer Felsgrotte zeigt derselbe einen Bc»gen- 
schützen in orientalischer Tracht, der im Verein mit einer ganzen Anzahl 
von Thieren (Hund, Schakal. Heuschrecke, Eidechse, Schnecke oder Cicade, 
Här, Storch, Stier) einen jetzt weggebrochenen Gegenstand, der nach 
Michaelis' überzeugender BeweistÜhrung ein aufgerichteter Phallus war, 
angreift. Der Phallus, bekannt als eines der wirksamsten apotropäischen 
Mittel, vertritt hier deutlich die Stelle des bösen Auges. In ähnlicher 
Weise erklärte Benndorf den ottenen Mund zweier tätowirtCr Chiusiner 
Masken im britischen Museum, gegen den beiderseits Vijgel herabfahren 
oder Krieger ihre Waffen richten, „als Gegenmittel gegen allerhand ge- 
8|)rochenes Unheil, wenn man will gegen die Schädigungen b(»ser Nach- 
rede''.') 

VjH sind dem Anscheine nach unbedeutende \'arianten , um die sich 
jener Kreis von Darstellungen durch unser Mosaik erweitert. Die ein- 
frestossene Lanze erscheint wie eine Abbreviatur des (tladiators oder 
Dämons. Neu sind in der Reihe von Thieren , welche kreisfrirmig wie 
Lichtstrahlen in das Auge ein<lringen, der Steinbock. <ler Hirsch und der 
Rabe sammt der Olive. Von besonderem Werth ist aber die hier zum 
ersten Mal als Zauber ausübender Vogel verwendete Eule und die zuge- 
fügte Inschrift, welche die doppelte Bestimmung des Mosaiks ausspricht, 
sowohl das Gebäude, in dem es angebracht war, wie die Besucher, die in 
dasselbe eintraten, zu schützen. Natürlich ist sie nicht der Erklärung 
halber hinzugefügt, sondern wie eine schützende Begrüssungsformel, ähnlich 
der leider verstümmelten Inschrift des in Salzburg bei der Grundstein- 
legung des Mozartdenkmals aufgegrabenen Mosaikfussbodens : Ht'c hahltat 

nihil intret- niali,') 

II. 

Die Thiere, welche das böse Auge angreifen, sind eben dadurch als 
apotropäische bezeichnet, es lässt sich aber der Beweis tühren, dass ihnen 

*) Benndorf Ant. Gesichtshelnie und Sepiilcralmasken 1878 (Denkschr. d. Wiener 

Akad. d. Wi88. phil.-hist. Cl. B. 28) Taf. XI S. 344. Die von Hei big BuU. d. inst. 1879 

8. 30f. und Undset Zeitschr. f. Ethnol. 1890 S. 124 geäusserten Bedenken gegen die 

Echtheit der Stücke erwiesen sich ihm bei einer Untersuchung der Originale als unbegründet. 

*) C.I.L.m5561; 0. .T ahn J^. 76; Benndorf Gr. u.sicil. Vasenbild. S. 74 A. 877. 

EranoB Tindobonensis. 29 



— 290 — 

auch sonst prophylaktische Kraft zukam. Ich führe nur die wichtigsten 
Belege an, ohne Vollständigkeit zu beanspruchen. 

Die Schlange ist der apotropäischen Praxis bekanntermassen sehr 
geläufig, vorzugsweise bezeichnet sie die tutela loci.^) Aus dieser V^orstel- 
lung heraus erklärt sich ihre Verehrung als ayad-bg daiuiov und genius loci.-) 
In diesem Sinne wurde sie auch in Aegypten seit den ältesten Zeiten ver- 
ehrt, ihre Verwendung als Apotropaion an Häusern, Tempeln. Gräbern ist 
dort ungemein verbreitet. ^) Dieselben Vorstellungen herrschen bis jetzt 
auf dem Gebiete der mohamedanischen und arabischen Culturwelt.*) 

Der Hirsch dagegen wird in ganzer Gestalt selten prophylaktisch 
verwendet; den von Step h an i C. R. 1863 S. 140 f. angeführten Bei- 
spielen ist n(»ch der magische Nagel bei (). Jahn Taf. III 9 hinzuzufügen. 
Desto häufiger wurde Kopf. Hörn und Geweih <le8 Hirsches in magischem 
Sinne getragen oder angebracht, wo es auf Abwehr von bösem Blick, 
Zauberei , feindlichen Angritten , Krankheiten , Schädigungen aller Art 
ankani/'j (). Jahn S. 58 war nicht abgeneigt die prophyhiktische Bedeutung 
des Hirsches von einer dem Geweiii innewohnenden geheimen Kraft abzu- 
leiten . wie diejenige des Stieres von den H(»rnern , ohne indessen ein 
schlagendes Beispiel dafür anführen zu kihmen. Stephani wies diese 
Ansicht zurück, indem er annahm, dass der Hirsch als Symbol langen 
Lebens jene Bedeutung erhalten habe. Die Auffassung 0. Jahn's wird 
nun durch unser Mosaik sichergestellt mit einem Unterschiede, den ich 
unten ausführen werde. 

Auf den Hirsch folgt das katzenartige Thier, welches ich als Löwin 
bezeichnet habe. L()winnen kommen auch sonst prophylaktisch vor, wie 
schon das Burgthor von Mykenai erweist. Dass der Löwe als eines der 
kräftigsten dnorQnnaia galt, ist durch unzählige Objecte bekannt, unter 
Anderem auch durch die löwenkiipfigen Amuletfigürchen (0. Jahn S. 49 f.), 
als deren ältestes Beispiel (Doßog ix^^' ^^'' >'-«y«A/}i' leovrog auf dem 
Kypseloskasten gelten dürfte, und nicht nur für Griechenland, sondern in 
Aegypten und dem ganzen (Jriente (Lefebure a. a. 0. S. 52f.). Aelian 

») O.Jahn S.98; Stephani CR. 1872 S.43f. 

-) Darüber jetzt am besten bei Marx Griech. Märchen von dankb. Thieren (1889) 
S. lOlf. ; verjrl. auch Roh de Psyche S. 238 und Dieterich Abraxas S. 113f. 

^) Vergl. darüber die inhaltsreiche Abhandlung von Lef 6bureRites ^^pt. Constructlon 
et protection des e<liHces (1890), S. 49f. 

*) Krem er Stud. z. vergleich. Culturgesch. vorzüglich nach arab. Quellen III S. 26 
(Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. AViss. phil.-hist. Ol. 181K) Bd. 120). 

'•) Verg:l. Stephani CR. 1863 S. 140 f.; 1878 S. 134 und den Index sn den 
Comptes rendus s. v. cerf prophylactique bei S. Reinach Antiquites du Bosphore Cimmerien 
(1892). Ueber die Verwendung des Hirschhornes in der antiken Magie und Medicin hat das 
Wichtigste Keller Thiere des Alterthunis S. 88f. zusammengestellt. 



— 291 — 

(h. a. XII 7) erzählt, dass man im Löwentempel zu Leontopolis durch 
einen ägyptischen Gesang, den er: utj ^iaa'ÄrjvrjTi riva Tmv ögiovriov über- 
setzte, dem Zauber entgegenzuwirken suchte, welchen die wilden Bestien 
durch ihre Erscheinung ausüben sollten. 

Mit dem Stier verhält es sich ähnlich wie mit dem Hirsch. In 
ganzer Gestalt treft'en wir ihn nur einmal noch auf dem Relief aus Xanthos. 
Kopf, Schädel und H(*>rner des Stieres aber werden unzählige Male als 
Amulete getragen, an (iebäuden, Gräbern, Geräthen, Schmucksachen und 
allerlei Kunstproducten verwendet nicht nur im Bereiche griechisch- 
römischer Civilisation, s(mdern in Aegypten, wie heute noch in Kleinasien.*) 
O.Jahn erinnerte, dass „Stierköpfe als Symbol des 0[)fers'' angebracht 
zu werden pflegten, dass sie als Symbol des Taurobolium üblich waren 
und dass man den Hörnern und den K(>pfen überhaupt eine zauber- 
abwehrende Kraft heimass, die er aber nicht näher anzugeben wusste. 
Gegen die erste Erklärung wandte Step h an i richtig ein, dass gewöhn- 
lieh nicht Stierköpfe, sondern Stierschädel als üpfersynjbol erscheinen. 
Die zweite reicht zur Erklärung des ursprünglichen Sinnes nicht aus. Die 
dritte enthält ohne Zweifel Wahres, bedarf aber doch einer präciseren 
Bestimmung, die ich im Nachstehenden zu geben versuche. Gestützt auf 
die in der Ermitage befindlichen Stierkopfamulete, welche über der Stini 
mit einem Epheukranz versehen sind, glaubte Stephan i die bacchische 
Natur des Stieres als Quelle seiner prophylaktischen Kraft betonen zu 
müssen. Dass man aber damit nicht auskommt, lehren die Monumente, 
an denen der Epheukranz fehlt. 

Der Scorpion kommt besonders auf Lampen, Zaubernägeln, Gem- 
men vor.-) Nicht selten wurde er als Schildzeichen verwendet (Stephan i 
C. K. 1876 S. 69). Als ein Thier des Ahriman, resp. der Selk, findet er 
sich sehr oft auf babylonischen, nicht aber auf ägy[)tischen Talismanen.*) 

Der Bär, welcher in ganzer Gestalt zum ersten Male unter den 
apotropäischen Thieren des Blockes von Xanthos erschien, w^ofür Michaelis 
keine Belege zur Hand waren, ist als Schildzeichen und auf Gemmen in 
diesem Sinne nachweisbar (Stephani C. K. 1876 S. 69; 1877 Taf. I 4). 

') O.Jahn, Ber. d. sächs. Ges. 1854 S. 48 und 1855 S.58; Stephani CR. 1863 
S. 106-109; 1873 Ö. 57 (vergl. den Index von S. Rein ach s.v. taureau prophylactique) ; 
Benndorf, Reisen. I, S. 18, 52. Der letztere berichtet auch über die heutigen Bräuche in 
Lykien. Ueber den Stier in Aegypten vgl. Lefebure S. 21, 23. 

*) 0. Jahn S. 100, 109, 3, 5 Taf. III 9; Arch. Ztg. IX 9^)*; Imhoof-Blumer 
und 0. Keller Thier- und Pflanzenbilder Taf. XXIV S. 145. 

') Zoega Abhandl. S. 126, 157; Jensen Babylon. Kosmologie S.310f.; Wiede- 
roann Babylon. Talismane Taf. III 27, 28 ; Wiedemann Religion der alten Aegypter (1890) 
H. 154 f.; Drexler in Roscher's Mythol. Lexikon. II S. 470 (s. v. Isis). 

19* 



— 292 — 

Bilreir/ähnc waren als Anmiete beliebt, Bärenfett- und -mark hatten bei 
den sogenannten sympathischen Curen besondere Bedeutung (Keller 
Thiere S. 121). Keller macht darauf aufmerksam, dass der Bär auch 
bei Gallieni und Spaniern als ein dämonisches Wesen galt und als „Dämon" 
sich im Aberglauben europäischer wie asiatischer V(*»lker erhielt. 

Vom Ziegenbocke waren Fell und Hörner besondere wirksam 
(Keller S.39; Stephani C. K. 1869 S. 108; 1876 S. 147); als Schild- 
zeichen ist er nicht selten. Damit hängt auch die Vorstellung des panischen 
Schreckens nach der kretischen Sage zusammen , nach der Pan in der 
Titanenschlacht den Sieg entschied und von Zeus unter die Sterne versetzt 
wurde (Eratosth. catast. 27). In Aegypten dienten Bockshr»rner als Abwehr- 
mittel (Lefebure S. 23). 

Hinsichtlich des Oliven bau nies weiss ich auf seine bekannte 
segen- und friedenbringende Kraft zu verweisen. In diesem Sinne wurden 
Oelblätter und Oelzweige bei den Athenern zum Weiheschmucke der Neu- 
geborenen benutzt (Eurip. Ion, 14Ho, vgl. die ddcfvr^ in der Wiege Pindars 
Philostr. imag. II 12) und zur Rettung der Leichen im Grabe. M Möglicher- 
weise dient der Baum nur dazu, die Gattung des auf ihm sitzenden Vogels 
näher zu verdeutlichen. 2) 

Für die Krähe und den Raben habe ich ebenso wenig als O. Jahn 
und Stephani litterarische Belege (vergl. Di et er ich a.a.O. S. 784 
über den wxToxoQaS). Auf dem Woburnrelief findet sich nur die Krähe; 
beide Vögel könnte man auf dem Relief in Nimes, oder dem bei O. Jahn 
Taf. III 9 abgebildeten Nagel vermuthen, freilich ohne sicheren Anhalt in 
den Formen ihrer Darstellung. 

Die Eule ist Nacht- und Todtenvogel. Bei Ovid fasti VI 131 f. 
werden die Eulen Striges genannt, welche dem neugeborenen Kinde das 
Blut aussaugen. Diese Strix ist die italienische Strega (Hexe). Der bubo 
der Römer setzt sich auf den First des Hauses, in welches der Tod ein- 
kehren will (Vergil. IV 462 f.. Ovid. Ibis 22i\. Tibull. I o. 51 f.). Isidor. 

*) Darüber ausführlich Boetticher Baumcultus S. 423 f. : H e h n Culturpflanzen und 
Hausthiere S. 88-104. 

^) Ueber Bäume als Sitz der Dämonen s. Grünbaum, Zeitschr. d. deutseh. morpenl. 
Ges. 1877 S. 255. — Dass gewisse Pflanzen prophylaktische Bedeutung hatten, ergibt sich 
sowohl aus den Ausführungen von Dieterich in Fleckeisen's Jahrb. Suppl. XVI S. 780, 
als aus der bisher unerklärt gelassenen Darstellung aus Thala im Supplem. ad C. T. L. VIII 
11.683. Auf einem Block, der ursprünglich wohl eingemauert war, befindet sich unten ein 
Phallus, oben eine stilisirte Pflanze (Epheuranke?), dazwischen die Inschrift : Hoc vide vide 
et viele itt (po8}sis plura videre — oftenbar zur Verstärkung der beiden Abwehrmittel. 
Die Ausrufung: ut imasis anstatt ne i>088it< ist meines Erachtens in ähnlichem ironischem 
Euphemismus abgefasst , wie der Zuruf roU qnkoi^ neben dem Phallus an einer Mauer in 
Thera (Braun Annali XIU S. 19; 0. Jahn S.61 A. 123). 



— 293 — 

orig. XII 7, 39 berichtet: bubo avis feralis in sepuleris die noetiiquc 
versatiir.\) In diesem »Sinne finden wir Enlen auf griechischen (rrabmälem 
(Hrücknerj Jahrb. 1891, 8. 199).*) Dieselbe schlimme Vorbedeutung 
kommt der Eule überall bei den Indogermanen zu, vielleicht mit Ausnahme 
Athens wegen ihrer Verbindung mit Athena und hat sich sowohl im Orient 
als in Europa bis heute erhalten (Kremer a. a. 0. III S. 35). 

Wie sehr auch der Aberglaube des bösen Blickes bei Indogermanen 
und Semiten schlechthin, nach zahlreichen Anzeichen bei vielen anderen 
V<»lkem verbreitet ist und in seiner Unausrottbarkeit natürlichen Vor- 
stellungen entspricht, welche überall zu verwandten Ausdrucksweisen führen 
konnten •% so ist doch unleugbar, dass diejenige Ausdrucks weise, welche 
er in den hier besprochenen Monumenten fand, als ausschliessliches Eigen- 
thum dem gräcoitalischen Kreise angehört. Wie alt diese eigenthümliche 
Symbolik sei, von wo sie sich herleite und welche Entwicklung sie erfahren 
habe, sind kaum noch aufgeworfene historische Fragen, deren Berechtigung 
Nichts durch ihre Schwierigkeit verliert. Darf man aus dem Umstände, 
dass ein Thier «öfters, das andere seltener unter den auf das Auge oder 
sein stellvertretendes Object eindringenden ftegenzaubcrn vorkommt, einen 
Schluss auf das Alter ihrer Verwendung ziehen , so würde sieh ergeben. 

*) GubernaÜH Thiere in d. indogerm. Mythol. (übers, v. Hart mann) S. 497; 
Hopf Thierorakel und Orakelthiere (1888), S. 103 f. — Die ArXmt von P. Schwarz 
Mensch und Thier im Aberjrl. der üriech. u. Ilöm. (Progr. CeUe. 1888. ÖO S.), wo unter Anderem 
üIkt Enlc, Rabe, Schlange vom Gesichtspunkte der Vorbedeutung gehandelt wird, kenne ich 
nur aus der Inhaltsaugabe in Bursian's Jahresber. Bd. 66 (1892) S. 248 (Back). 

-) Ich theile die Ansicht von Förster, dass die Beutung der daselbst Taf. IV ver- 
•iftVntlichten Lekythos aus Eretria im Gebiete des „Grabgenres" zu suchen ist. Nur möchte 
ich die Art, wie der Jüngling die Heiligkeit des Grabes verletzt und die Hüterinnen des- 
8elb«'n, ein Schlangenpaar, geieizt hat, durch ein noch nicht publicirtes Wandgemälde aus 
PomiK'i (jetzt im Neapler Museum N. 112.285, s. Monaco Guide general (1890) S. 97) und 
die auf demsell)en bcHndliche Inschrift erklären, was an anderem Ort geschehen soll. 

') Krem er a. a. <). : „Bei den Semiten iKJstand dieser Aberglaube jedenfalls schon 
im Alterthume, obgleich erst in den talmudischen Schriften davon ausdrücklich die Rede ist." 
Daselbst, über die Fortdauer dieses Aberglaubens bis heute auf dem ganzen Gebiete der 
mohamedanischen und arabischen Culturwelt S. 62. Bei den Persern und Arabern s. Quart- 
rem ere Journ. asiat. 1888 S. 283—43, bei den Israeliten s. Grünbaura Zeitschr. d. deutsch, 
morgenl. Ges. 1877 S. 258—65, auf Kypros s. O h n e f a 1 s c h - R i c h t e r Kypros II Taf. 38, 18. 
Ueber eines der häufigsten Amulete in Aegypten mit dem „guten Auge" s. Wiedemann, 
Relig. d. alt. Aegypter S. 160, 7, über ähnliche Abwehrmittel in Etrurien s. Undset Zeitschr. 
f. Ethnol. 1890 S. 122. Die Abwehrmittel sind in den orientalischen Volksreligionen lange 
nicht so mannigfaltig wie l»ei den Griechen und Römern, in einigen Punkten findet sich 
allerdings auffallende Uebereinstimmung. Ueber denselben Aberglauben bei den n)maiiischen 
und germanischen Völkern vjrl. die von 0. Jahn und Dilthey a. a. 0. citirten Bücher, bei 
den Polen Wöjcicki Poln. Volkssagen (übers, v. Lewestam) S. 25f., 62: bei den Südslaven 
Fr. Krau SS Volksglaube und relig. Brauch d. Südslav. (181K)) S. 391 f. 



— 294 — 

dass Scorpioii , Schlange und Lihve den verbreitesten , also frühest vor- 
handenen Bestand des Zauberapparates darstellen. Diesem Schlüsse wäre 
günstig, dass gerade Scorpion, Schlange und Löwe als besonders kräftige 
Apotropaia im Oriente nachweisbar sind, wie unter Anderem gerade diese 
drei das böse Auge auf den gnostischen Amuleten angreifen. Gehört der 
Scorpion, wie es scheint, nach Mesopotamien, so wäre denkbar, dass sich 
die Symbolik von dorther gleichzeitig nach Aegypten und dem Westen 
überhaupt verbreitet habe, und damit würde sich wohl vereinigen, dass 
der Sinn und die Composition unserer Monumente in unverkennbarem 
Zusammenhang mit den bekannten Denkmälern des Mithrascultus steht. 
M()gen die Thiere ihrer apotropäischen Bedeutung halber in den Mithras- 
cultus gekommen oder durch denselben diese Bedeutung erhalten haben, 
in jedem Falle besteht eine schlagende Aehnlichkeit der Compositi(m: das 
angefeindete Object in der Mitte und rings um dasselbe die auf sein Ver- 
derben einwirkenden Personen und Thiere. Eine Anzahl Thiere ist in 
beiden Denkmälerreihen glcichmässig vertreten (Stier , Hund , Schlange. 
Scorpion. Rabe, Hahn, Lthve). Die Männer tragen auf dem Woburnrelief 
und dem Blocke von Xanthos orientalisches Costüm ; auf dem letzteren 
spielt das Ganze in einer Grotte wie bei den Taurobolien, im anderen ist 
die Umgebung des Auges nach Art von Felsen behandelt. Am deutlichsten 
tritt dieser Einfluss des Mithrascultus auf den gnostischen Phylakterien 
hervor. Zu den herv^orgehobenen Aehnlichkeiten treten da noch die 
Büsten des Sol und der Luna und die Sterne hinzu, während die Rück- 
seite beinahe dieselbe Darstellung zeigt, welche sich auf einer sehr merk- 
würdigen Bronceplatte befindet, die in der Arch. Ztg. XH Taf. 65, ?^ be- 
sprochen, kürzlich bei Ohnefalsch -Rieht er, Kypros H Taf. 122, 9 neu 
abgebildet wurde. 

111. 

Das Wesen des Apotropaions besteht unzweifelhaft darin, dass es 
das geistige Gleichgewicht des Neidischen stört und seinen Blick von dem 
zu schützenden Object abwendet. Dies kann geschehen, indem man ihm 
1. physischen Schrecken einjagt durch furchtbare, gefährliche Thiere, 
gerüstete Männer (Gladiatoren), Waffen (Lanze, Blitz u. dergl.) oder ihre 
Surrogate aus Korallen, Elfenbein u. s. w. und analoge Fingerstellungen 
(corna u. dergl.) .... 2. ästhetischen Widerwillen einflösst, der oft ins Lachen 
übergeht, — durch alles Unanständige und Obscöne, Phallus (digitus infamis). 

\) Vcrgl. M Illingen in der Archaeologia Bd. XIX {^. 70 f.; die Studie von 
Fraze r im enjrlischen j,Folk-IjOiv'^ Juni IHiU) unter dem Titel : Ant. Al)erglaube ethnographisch 
beleuchtet — kenne ich nur aus der Inhaltsangabe im Ausland 18i>0 S. 572 — 574: über 
den bösen Blick scheint darin nichts zu stehen. 



Muschel (fiea), nackte oder alte Weiber und Männer, durch anstössige, 
gemeine Geberden, Ausspucken, durch allerlei arona und yeXdia, Cari- 
eaturen, Pygmäen, Zwerge, AflFen, Mischwesen, Gewürm und Amphibien, 
Gorgo- und Satyrraasken , Schädel , unerträglichen Klang der Schellen, 
Geschrei u. s. w 3. ethischen Schauder erweckt durch Flüche, Ver- 
wünschungen, Drohungen, unverschämten Spott, Schimpfen u. s. w. , oder 
Hchliesslich 4. religiöse Ehrfurcht verursacht durch (iiUter- und Heroenbilder 
( besonders Sarapis, Harpokrates, Aphrodite, Hercules u. s. w.), ihre Thiere, 
ihre Attribute und Namen , geheimnissvolle Zauberformeln , räthselhafte 
Inschriften, unverständliche Laute u. s. w. 

Es bedarf kaum einer Erinnerung, dass alle Abwehrmittel in der 
Praxis vielfach mit- und durcheinander gehen und dass bei manchen noch 
besondere Umstände hinzutreten können, welche ihre Wirkung verstärken. 

Dahin wird man rechnen dürfen, dass viele Thiere in der Volks- 
phantasie als böse Dämonen galten und schon im Traume von böser Vor- 
bedeutung waren. So liest man z. B. bei Artemidor (ed. Hercher) II 13: 

*^i)(pig vouov ar^uaivei y,ai i/d-gov ^a?,dyyia di ymi ö7LOQ7cioi 

y.ai a/.okoTrevÖQai TtovrjQovg arjuaivovai dr^^QioTcovg Und II, 12 heisst es: 
TaC'Qog di yJvdwov od töv rv/uvia arjuaivei udkiaxa aTteikiov )} duoAov 

orav di aTteikfj i] dyQiaivrj rivi ö keiov, <pnßov xf i/vdyei '/.al voaov 

fiavievtcai . . . yfiaiva de xti acta tip keovut orjuaivei, /rkt]v r]TTiü. Vom 
Kaben heisst es wiederum c. 20: x«^a| f^oiyjfi xai y.ke7CTr^ 7i:Qog€ixd^otT 

iiv 'AOQiüvrj ;f^(I»'OV t£ 7coXvv 'Aal TtaooKvJjv tQv TtgaTTOusvcDV xai 

yqaiav öiä %d hrj 'Kai yeiuiova drjkol . ... Der Här bezeichnet ebenfalls 
eine Krankheit, von einer nicht günstigen Vorbedeutung können unter 
Umständen sogar der Hirsch und der Ziegenbock sein (II 12).^) 

Besonders wichtig ist auch, worauf neuerdings 0. Crusius (Zu den 
Miniiamben des Herondas S. 139) aufmerksam gemacht hat, dass man sich 
Krankheiten unter der Fonn von Thieren vorgestellt und denselben ziem- 
lich oft die Namen der Thiere gegeben habe. So bedeutet dkioTtri^ oder 
aJUüTteyJa bei Hippokrates /cegi Ttad-wv IX, Kallimachos Hymn. III (Art.) 
77 f. und Herondas in dem Mimos „Schuster" v. 71 den Haarschwund, 
tT7iog die Krankheit eines stets unruhigen und zitternden Auges (0. Jahn 
S. 35 A. 25). Der ^aq/Avog oder yMQyAvwua des Hippokrates hat sich bis 
auf unsere Zeiten als „Krebs" vererbt. Auch der „Lupus"', der „Polyp^, 
die „Elephantiasis" u. dergl. dürften auf antike medicinische Terminologie 



*) Dieselbe Bedeutung kommt sehr vielen Thieren in der indogenn. Mythologie zu, 

Oubematis Thiere , S. 2031*. (Stier), 321 f. und 335 (Bock), Hol (Hund), 378 (Scor- 

pion), 404 (Hirsch), 423, 42(5 (Bär), 458 (Löwe), 52G (Krähe und Rabe), (537 (Schlange); 
Hopf, Thierorakcl . . . ., S. 189 (Schlange), 83 (Hirsch), 42 (Rabe), llö— 127 (Krähe 
und Dohle). 



— 296 — 

zurüek^eheu. Es ist nicht ein blosses Bild, ursprünglieli stecken wohl unter 
der Hülle von biisartigen Thieren Krankheitsdämone, wie noch Apollonios 
von Tyana die Pest in Ephesos mit einem tollen Hund identifieiren kann 
(Pliilostr. Vit. Apoll. IV 10 S. 147 f.). Wenn auf einem Amulet gegen Kolik 
(Rev. archeol. 111 (1847)S. 510 Lenormant) Herakles den nemeii^chen Löwen 
würgend erscheint, darüber die Worte: dva^ioqu, /wA^, ib iß^elov ae dicj- 
y.fiy so ergibt sich daraus, dass man sich auch Kolik als Thier dachte. Wenn 
wiederum auf einer Abraxasgennne gegen Elephantiasis (Kopp. Pal. crit. 
§ 687 ) ein Elephant und eine Ceder, auf einer anderen gegen Schlangenbiss 
(Kopp {^ r)12) eine Schlange vorkommt, so beruht ihre Wirksamkeit auf 
dem den sympathischen Curen eigenthündichen (irundsatze (.similia simi- 
libus"), dass man eine Krankheit durch ihr eigenes Bild heilen kann 
(Vgl. Zeitschr. d. deutsch, morgenl. Ges. 1877 S. y)28). 

In dieser Annahme bestärkt mich der Tmstand , dass nach einer 
uralten, man darf sagen, allgemein menschlichen, sowohl bei den Indern 
als unter den (iennanen , Shiven und anderen Völkern entwickelten Vor- 
stellung böse (leister sich als Schmetterlinge, Raupen, Ringelwürmer, 
Kröten u. s. w. in den menschlichen oder tliierischen K(»rper einschleichen 
und darin als Parasiten verweilend die verschiedensten Krankheiten, z. U. 
Schwindsucht, Kopfweh, Magenkrampf, Zahnweh, besonders nagende, 
bohrende und stecliende Schmerzen u. s. w. hervorbringen sollen. M 

Somit können wir sagen, dass sehr viele von den als Apotropaea 
gebrauchten Thieren ursprünglich ihrem Wesen nach bösartige, dem 
Malocchio verwandte, finstere Mächte w^aren und als Verkr»rperungen aller 
denkbaren Uebel, besonders der Krankheiten galten. Von einigen lässt 
sich sogar nachweisen, dass sie ganz wie der mit dem bösen Auge be- 
haftete Mensch Zauber ausüben und durch ihren Blick schaden konnten. 
In Bezug auf die Heuschrecke hat dies bereits 0. Jahn S. H6f. nach- 
gewiesen. Bezüglich des Löwtu haben wir oben die Stelle bei Aelian 
(h. a. XII 7) angeführt. Im Hinblick auf unser Mosaik kann dasselbe von 
der Eule l)ehauptet werden. Ebenso glaube ich auch verstehen zu müssen 
Plin. VII 2: Piiylarchus et in Ponto Thibiorum genus multos(iue alios 
eiusdem naturae, quorum notas tradit in altero oculo geminam pupillam, 
in altero erjui efji(jiem. In den letzten Worten ist nicht mit 0. Jahn S. Hö 
ein Irrthum des Plinius anzunehmen, sondern Phvlarch hat den Thibiern 
statt der Pupille ein Pferdebild zugeschrieben, wodurch er demselben also 
ott'enbar die Kraft und Wirkung des bissen Auges beigelegt hat, ilhnlich 
wie das Auge auf einer Schale statt des Sterns ein (lorgoneicm zeigt. 

*) Maniih ardt Bauineultus der Germanen und ihrer Naehbarstämme (1885) S. 12 f. ; 

Toppen Al)6rglauben aus Masuren (Polen), S. 26f. ; Krauss Volksglaube der Süd- 

slaven S. 39f. ; Wlisloeki Volksglauben und relig. Brauch der Zigeuner (1891), S. 97. 



— 297 - 

Schliesslidi ist bekannt, dass auf Schalen nicht Menschen-, sondern zumeist 
Thieraugen dargestellt sind (0. Jahn S. 6G). 

Wenn aber die Thiere ungeachtet ihrer geistigen Verwandtschaft mit 
dem bissen Auge dasselbe bekämpfen, so geschieht es aufgrund einer eigen- 
thümlichen ifodification der oben angedeuteten Vorstellung, nach welcher 
man den Zauber durch physischen, resp. religüisen Schrecken 7A\ stiiren 
suchte ; ein Zauber wird gegen den anderen ausgespielt, eine br>se Jfacht 
gegen die andere, die stärkere hebt die schwächere auf. 

Wie Fluclnviirter mit der Zeit sich verbrauchen und durch neue 
ersetzt werden, wie in der Umgangssprache das Bedürfniss vorhanden ist, 
gewisse heikle Begriffe und Objecte durch immer neue Ausdrücke zu um- 
schreiben, wie schliesslich überhaupt in der Litteratur die Bedeutung ein- 
zelner Wiirter sich abschwächt und zu neuen Wortbildungen Anlass gibt, 
so Schlitten sieh allmälig Sinn und Bedeutung der einzelnen Apotropaia 
ab. >[an unterschied nicht mehr zwischen den Thieren, die auf Grund 
ihres Charakters als (töttersymbole und den Thieren, die als verkörperte 
l'ebel galten, man sah, dass beide durch ihre Mitwirkung dem Menschen 
oder dem (iegenstande Schutz gewähren und man gebrauchte sie, ohne 
sich um den ursprünglichen Sinn zu bekümmern. Das, was früher nur 
der sinnbildliche Ausdruck ihres apotropäischcn Beistandes war, der Angrift*, 
die Richtung gegen den Feind , machte nachher das Wesen des Apotro- 
paions aus. E\\\ jedes noch so ungetahrliche und mit keiner Gottheit im 
Zusannnenhang stehende Thier, wenn es sich kampflustig gegen den bösen 
Blick wendet, wirkt ipso facto abwehrend. Dadurch sind viele Thiere in 
die apr»tropUische Praxis eingedrungen , welche ursprünglich keinen Platz 
darin gefunden hatten, und dieser Process vollzog sich mit innerer Noth- 
wendigkeit. Was die alten Apotroi)äen durch lange Verwendung an Kraft 
verloren haben, sollte durch die Zahl ersetzt werden. So erklärt sich die 
Neigung all(»r späten Superstition, sich durch angstvolle Häufung ihrer 
Mittel zu schützen und die Sicherheit zu verstärken. In diesem Sinne sind 
die verschiedenartigsten Abwehrmittel an sogenannten Votivhänden ange- 
bracht, indem sie -gleichwie verbündete Streitkräfte dem Feind entgegen- 
ziehen, dessen vorgestellter Platz bezeichnet ist durch die Stellung der drei 
emporgereckten Finger ''.y) Eine ähnliche Vorstellung liegt den zahlreichen 

'J Dilthey Arch.-epigr. MittheU. aus Oesterreich. 11(1878) S. 50f.; Caetani- 
Lovatelli Mon. ant. «lei Lincei. I 2, S. 176. — AUerdings bleibt auch durch Dilthey's und 
F>Hilia Lovatelli's ülwraua orstpriessliche Ausfühningen die Frage unerledigt, warum die 
Schlanpe bisweilen ihren Kopf nicht ge^en den vennutheten Feind, sondern lauernd über die Spitze 
des Zeigefingers hebt, als wenn sie den letzteren bekämpfen wollte. Würde es nicht möglich 
sein , in diesen Ausnahmsfdllen die Finger ebenso wie das Ange und den Phallus als das 
schädigende Organ anzusehen, feindselig angegriften durch allerhand schädliches (iethier und 



— 298 — 

Darfitellungen zu Grunde, die auf den Terracottalampen vorkommen. Da 
wird die Lampenöffnung von verschiedensten Thieren, Gewürmen und 
Amphibien umgeben in dem Sinne, dass sie das gedeihliehe Brennen der 
daraus schlagenden Flamme sichern und schützen.*) In derselben Weise 
ist eine ganze Menagerie verstärkend um das Hauptwerkzeug der Prophy- 
laxe , den Kopf der Athena , gruppirt auf einem Amulet bei 0. Jahn, 
Taf. III, 8; naturgemäss sind die Thiere nicht im Angrift', sondeni in 
ruhiger Haltung dargestellt. 

Aus der Idee, dass in späteren Zeiten der Angriff als solcher aus- 
reicht . um die prophylaktische Venvendung eines Thieres zu begründen, 
ergeben sich zwei Folgerungen. Erstens, dass der materielle Sitz der 
apotropäischen Kraft in der Angriffswaffe, also in den Hörnern, Zähnen. 
Scheeren u. s. w. gelegen ist. Dadurch erklärt sich die bis jetzt missver- 
standene Erscheinung, dass gerade diese Embleme mit Masken oder Köpfen 
regelmässig als neQiduuaia verwendet wurden. Man braucht also nicht 
mit 0. Jahn eine geheime, magische Kraft anzunehmen, die den Hörnern. 
Masken, Köpfen an sich innewohnt und von ihr die apotropäische Verwen- 
dung des Thieres abzuleiten, sondern umgekehrt, wie meiner Ansicht nach 
die meisten in der antiken Magie und Medicin angewendeten , aus dem 
Thierreiche entlehnten Zaubennittel im letzten Grunde auf die apotropäische 
Bedeutung der Thiere zurückgehen. Während aber die letztere, wie wir 
oben angedeutet haben, im Laufe der Zeit sich abschleift, nimmt die magische 
Kraft der Anmiete zu. Sie vertieft sich mystisch, gewinnt an Intensität 
und bleibt wirksam, auch wenn die umgehängten Ilörner, Zähne oder 
ihre Surrogate aus Korallen , Elfenbein u. s. w. nicht direct sichtbar sind, 

andere Symbole? Die fraglichen Hände würden in dem Fall gnrosae Anmiete sein. Für diese 
Vermuthung spricht das zuletzt Athen. Mittheil. XVI (1891), S. 125 (Du mm 1er) abge- 
bildete Monument. Am Schluss der ßovoTooq)t}66%' geschriebenen Inschrift , welche eine 
Art Stadtgebet enthält, ist ein Phallus und eine rechte mit der Innenfläche zugewendete 
Hand mit den ausgespreizten fünf Fingern eingeritzt. Es ist kein Gestus der Adoration, — 
dann würde man vor Allem die Aussenfläche der Hand erwarten, — sondern die bei der 
Bezauberung übliche Fingerstellung, welche hier mit rückwirkender Kraft als djzoroo.tator 
verwendet worden ist (vergl. O.Jahn S. 56). Dieses Monument ist auch noch deshalb 
besonders wichtig, weil es im Verein mit den Chiusiner Masken beweist, dass der Zauber- 
apparat bereits um das VI. Jahrhundert v. Chr. fertig war. 

•) 0. Jahn Taf. IV (Berlin) S. 100; Michaelis a. a. 0. S. 314 A. 3 (British 
Museum). Ein paar Lampen dieser Art befinden sich auch im Wiener Hofmuseum. Aehuliche 
Bedeutung haben Apotropaia an den Oefen (vergl. 0. Jahn Ber. d. sächs. Ges. 1854 S. 4()f.) 
und an den Kohlenbecken (Conze Jahrb. V (1890) S. 118 f. und Furtwängler daselbst. 
VI (1891) S. 110 f.). Bei den letzteren galt jedoch die apotropäische Kraft der Kyklopen- 
masken. »Stier- und Huudekopfe u. s. w. nicht der Flamme, mit welcher sie nicht in Be- 
rührung kommen, sondern — wie Prof. Benndorf treffend bemerkt hat — den Sj^isen, 
die in Schüsseln über dvr Flamme gehalten werden. 



— 299 — 

also niclit unmittelbar zurückschrecken kihinen. Ja die Sitte, Talismane in 
Kapseln zu tragen, weist darauf hin, dass man sich dieselben geradezu 
in unsichtbarer Weise wirkend, gewissermassen ihre apotropäische Kraft 
geheimnissvoll ausstrahlend dachte. ^) 

Andererseits brauchen wir nun für die einzelnen Thiere unseres Mosaiks 
nach keiner speciellen liegründung zu suchen. Je furchtbarer, reissender, 
giftiger dap Thier war, welches das böse Auge bedrohte, als desto kräftigeres 
ApotropHon galt es zu allen Zeiten. Dieser Bedingung entsprechen die 
auf dem römischen Mosaik vorkommenden Thiere vollkommen. 

Nach Allem war der Verfertiger unseres Mosaiks nicht auf eine Aus- 
wahl bestimmter Thiere angewiesen. Er konnte dieselbe besonderen InistUn- 
den anpassen und diese letzteren sind hier, wie ich glaube, ohne Weiteres 
deutlich. Offenbar wählte er sie mit Beziehung auf den Dienst der beiden 
<Tottheiten, denen das Oebäude heilig war. -) 

IV. 

Unser Mosaik zeigt eine grosse Aehidichkeit mit dem in den Mon. 
ined. dell* Ist. \'1I1 Taf. 60 verijffentlichten Mosaik von Ostia. Das Heilig- 
thuni, dessen Fussboden das letztere bildete, ist allerdings nicht direct 
als »Sacrarium der Magna Mater bezeichnet, da es sich aber zwischen der soge- 
nannten Schule der Dendrophoren und der der Kanephoren befindet, so 
unterliegt dies wohl keinem Zweifel. Das Mosaik ist etwa gleichzeitig mit 
dem unseren, leider aber nicht vollständig erhalten. Zu unterst ist das 
Vordertheil eines Stieres dargestellt, in dessen lernst ein breites Messer 
steckt. Auf den Stier zu gehen von oben drei Thiere los. eine grosse Schlange 
mit aufgesperrtem Rachen, ein Scorpion und ein Hahn; die Eule ist auch 
dabei, betheiligt sich aber an dem Anmärsche nicht, sondern wendet sich 
ab, wodurch sie ein Pendant zu der Eule auf dem römischen Mosaik 
bildet. Ueber den Thieren steht ein nackter, mit einem Pinienzweige 
bekränzter, bärtiger Mann, die Schaufel in der Hechten, die Sichel in der 

') ^Vom äusseren Rande der BuUa aus erstrecken sich, wie bei einer Monstranz, 
strahlenförmige Linien" Benndorf a. a. O. »S. 45 Taf. XI 2. 

-) Bereits der Umstand , dass es lauter Thiere sind , die uns aus der Mythologie 
wohl bekannt sind, weist darauf hin , dass wir in der DarstvHunj? mehr zu suchen haben, 
als gewöhnliche Apotropaeen. Aber weder mit dem Zodiacus und den Sternbildern, noch mit 
den üötterthieren kommen wir durch. Die Eule kann hier unmöglich als Vogel der Minerva 
aufgefasst werden. Wie vielen Göttern könnte man z. B. »Schlange, »Stier. Ziegenbock, Löwen 
u. s. w. vindiciren? Darum bin ich nicht einverstanden mit der Erklärung von Conze, die 
er in der citirten Anmerkung angedeutet hat : ^Auch auf dem . . . (römischen) . . . Mosaik 
ist ein Stier unter den Thieren, welche das von der Lanze der Minerva durchbohrte böse 
Auge umgeben.'* — Warum von der Lanze der Minerva? Wanim nicht von der des Ares, 
oder eines Kriegers? 



— :wo 

Linken — unzweifelhaft Silvan, nicht »Saturn, wie Visconti (Annali 186^ 
S. 406) deutete. Diese bisher niissverstandene Scene stellt meines Eraehtens 
das Tauroboliuni dar, welches zu Ehren der Kvbele an dem errosssen 
Frühlingsfeste abgehalten wurde und es scheint mir von besonderer Wichtig- 
keit zu sein, dass dieses Taurobolium hier beinahe die Formen des mithriii- 
schen Stieropfers angenommen hat (vgl. Laj ard Recherches sur le culte . . . 
de Mithra (1867) 8. 174 f.). Silvan spielt bekanntlich auch im Cult des 
Mithras eine nicht unbedeutende Rolle (Cumont Rev. archeol. 1893 8. 1 f.): 
nur die Eule, nicht in dem Masse der Hahn (vergl. z. B. Laj ard Tf. LXXFS") 
gehören specitisch zu dem phrygischen Cultus. Jedenfalls wird man auf 
Gnmd dieses Mosaiks eine gewisse Verwandtschaft der Taurobolien de> 
Kybele- und Mithrascultus anerkennen müssen, — eine Vorstellung, welche 
als widerlegt galt, seitdem die Inschrift von Museo Olivieri in Pesaro (t\ J. 
L. VI, 763, Laj ard Taf. LXXXVIII), welche zu ihrer Begründung benutzt 
zu werden pHcgte, als Fälschung erwiesen war. 

Aus dem angestellten Vergleiche ergibt sich, dass Stier, Schlange. 
Scorpion, Eule auf unserem Mosaik angebracht sind, weil sie in den Mysterien 
der Kybele eine Rolle spielten. 

Zum Mosaik von Ostia tritt nun ergänzend der bekannte Taurobolien- 
altar des Aur. Orfitus v. J. 295 n. Chr. hinzu (Zoega Bassiril. Taf. XIII, Bau- 
meister Denkm. I Abb. 865 — 866). Auf der einen Hauptseite fährt Kybele 
mil dem Lihvengespann, ein Tympanon und einen Zweig in den Händen, 
um den verlorenen Atys zu suchen, der sich hinter einer Fichte verborgen 
hält, auf der ein Hahn sitzt. Auf der Kehrseite nimmt die heilige Fichte 
die Mitte ein; ein Hahn und drei andere nicht näher charakterisirte Vögel, 
darunter nach Zoega ein Falke, den Aelian h. a. XII, 4 als Lieblingsthier 
der Göttermutter nennt , beleben den Baum , unter welchem Widder und 
Stier des Opfers gewärtig dastehen. Von den auf unserem Mosaik darg-e- 
stellten Thieren finden wir also hier den Löwen und Stier wieder. Ausser- 
dem sehen wir, dass ausser dem Hahn(^noch andere Vr»gel, die wir leider 
mit unseren Vögeln nicht identificiren können, im Culte des phrygischen 
GiUterpaares eine Bedeutung hatten. Der Zw^eig, den Kybele hält, ist 
nach Zoega allerdings Lorbeer, aber ein Olivenkranz schmückt das Haupt 
des Kybelepriesters im kapitolinischen Museum, der nach Winckelmann 
auch einen Olivenzweig in der rechten Hand hält. ^) 

Eine treffende Parallele findet dann die Löwin unseres Mosaiks in 
den von (%»nze Arch. Zeit. 1880, Tf. 1—4 und Athen. Mittheil. XIII S. 202f.. 



*) Winckelmann Mon. ined. Fig. 8; Zoega bezeichnet auch diesen Zweig als 
Lorbeer, gewiss irrthümlich, wie auch die meisten von ihm citirten Belege sich nach näherer 
Untersuchung als Aehren, nicht als Lorbeerzweige herausstellen. Nach Hei big Führer 
Nr. 432 ist der fragliche Zweig, .,wie es scheint^*, ein Granatzweig. 



— :K)1 — 

XM S. 190 verr»ffentlicliten Votivreliefs an die grosse Göttin. Ganz oben 
ühoT der Grotte, in welcher Kvbele selbst sich befindet, ruht in der Mitte 
J*an zwischen zwei Widdern, neben welchen jederseits noch ein Thier 
lagert, welches ganz die Gestalt unserer Löwin hat (A. Z. Taf. IV 2. 4). 
Lr»wen zu erkennen liess sich Conze hier nur deshalb abhalten . weil der 
Zoologe Märten wegen der fehlenden Schwanzbüschel und Mähnen sich 
tür doggenähnliche Hunde entschied; aber sichtlich dasselbe Thier ruht 
auf dem Schosse der Magna Mater Taf. II 3, 4. 

Somit würden fünf von den Thieren, die das Auge des r< »mischen 
Mosaiks umgeben, im Gülte der Göttermutter erwiesen sein. Dass auch 
die fünf anderen irgendwie mit ihm zusammenhilngen, ist hiernach an sich 
gewiss nicht unwahrscheinlich und in der That mit mehr oder weniger 
Hestinnntheit zu belegen. 

Vom Hirsche wissen wir, dass er ein stehen<les Attribut der Artemis 
war. Artemis-Selene aber steht mit der Magna Mater in mannigfacher 
naher lieziehung.^j In späterer Zeit wurde diese der Selene (Luna) oder 
Hekate gleichgesetzt, besonders deutlich, wenn ihr Haupt eine Mondsichel 
trägt. 2) Auch scheint man Kvbele mit der thrakischen und wohl auch 
sam(»thrakischen Mondgöttin Bendis identiticirt zu hal)en. welche wiederum 
mit der brauronischen Artemis wesensgleich angenommen werden darf 
(Preller-Robert (ir. Mvthol. 1 S. 313. 1). Auf einem Hirsche reitend 
oder auf einem von Hirschen gezogenen Wagen fahrend wird Selene 
oftmals dargestellt. ") 

Hinsiciitlich der Bärin genügt es. auf die do/.rela der Artemis Hrau- 
ronia und die damit zusannnenhängenden reberlieferungen zu verweisen, 
aus denen sich unzweifelhaft ergibt, dass Artemis sowohl als hellenische 
Jagd - wie die orientalische NaturgiUtin lUirin unter ihre heiligen Thiere 
zählte. Die Mondheroine Kallisto. welche nach Koscher (Selene A. 629) 
und Wecklein (Kinleit. z. d. Ausg. d. Iphigenie in Tauris S. 2f.) nichts 
anderes ist, als die arkadische Form <ler Selene, wird in eine Bärin ver- 
wandelt; in der NekyYa des Polygnot sitzt sie auf dem IVärenfell (Paus. 
X 31. 6). Die genannten (Tclehrten nehmen an. dass in Arkadien und 
Brauron aus irgend einem (Grunde der Mond als Hq/.to^ vorgestellt wurde. — 
Zu Patrai in Achaia wurden . wie Pausanias als Augenzeuge berichtet, 
der Artemis-Selene unter Anderem Junge Bären geopfert (VII 18, 12). 

') Röscher Helene, ö. 879; Goehler De Matris Ma^nae ap. Romanos cultu 
Misniae (1886) S. 32; Ohnefalse h-Richt er Kypro.s. I S. 1 und 899, II Taf. 17, (>. 

*) So auf einem Relief in Arch.-epijrr. 3Iittheil. aus Oesterr. I (1877) S. 14 Taf. III, 
auf einer Berliner Glaspaste l>ei Dareraberff-Saprlio Diction, d. antiq. I .S. 1(587 Fig. 
2246 und A. 275; weitere Beispiele bei Röscher a. a. O. 

') Müller-Wieaeler D. a.K. II 16, 171, Baumeister Denkm. I S. 481, mehr Bei- 
spiele führt Röscher a. a. 0. an. 



— 302 

Die drei noch übrigen Thiere stehen mit der 8age und dem Ciilte des 
Atys in Verbindung. Vom Ziegenbock erzählt PauHanias VIT 17, 11 nach 
einer Pessinuntischcn Sage, dass eine Tochter des Flu.stjgottes 8augarios 
von dem auf wunderbare Weise erfolgten Genüsse einer Mandelfrueht 
den Atys gebar und aussetzte, worauf ein Bock das ausgesetzte Kind 
schützte. Mit unwesentlichen Abwxnchungen erzählt nach einem Schrift- 
steller Timothens dasselbe Arnobius adv. nat. 5, o, indem er hinzufügt, 
dass der ausgesetzte Knabe den Namen Attis erhalten habe, weil der Bock 
bei den Phrygern attagus heisst. Kin Denar des Consuls Cethegus. nnter 
welchem der phrygische Cult bekanntlich in Rom eingeführt wurde (Momm- 
sen, Gesch. d. ri'>m. Münzw. 8. 540 Nr. 136), mag sich hierdurch erklären, 
da er einen Knaben mit phrygischer Mütze zeigt, der mit einem Ast anf 
der Schulter auf einem Bock reitet. 

Auch die beiden apollinischen Vi'jgel , Krähe und Rabe , lassen sich 
mit Atys in Verbindung bringen, wenn wir von derjenigen Bedeutung- 
ausgehen, welche Apollou offenbar im Mitlirasculte und vielleicht im Sabazios- 
culte hatte. Als dem letzteren angehörig erscheint der Rabe oder die 
Krähe auf einem interessanten Bronzerelief (Arch. Zeit. XII Tat". 65, 3), 
welches ihn mit Symbolen umgibt, die auf einem dem Kybeleculte ver- 
wandten Kreis von Vorstellungen und Gebräuchen hinweisen. Im Mythras- 
cultus bedeutet der Rabe nach Lajard S. 359 den dritten himmlischen 
Grad, d. h. die (irenze, bis zu welcher die Seele des Eingeweihten sich 
erheben soll, ehe sie in das Gebiet der Sonne eindringt. In demselben 
Cultus heissen die Männer, die bis zu diesem Gnule gelangt sind, xo^orzec, 
die Weiber '/.oQcovat (Porphyr, de abstin. IV 16). Sicher wurden die beiden 
Vögel in Beziehung zu Sol (Heliosj gesetzt. Apollon ist bekanntlich von 
Haus aus Helios, — eine Identität, die allerdings im Laufe der Zeit im 
Bewusstsein des griechischen Volkes zurücktrat, aber in der römischen 
Epoche wiederum zu so allgemeiner Anerkennung gelangte, dass zuletzt 
sogar im Cultus beide Götter wieder als Einheit betrachtet und mit 
denselben Attributen ausgestattet wurden. Helios bekommt den Köcher 
und Bogen Apollos, an seinen Wagen sind Greife statt der Rosse ange- 
spannt u. s. w. (vgl. Rapp in Röscher s Mythol. Lexik. I. Sp. 1996). So 
dürfen wir den Raben und die Krähe, obwohl ich sie in unmittelbarer 
Verbindung mit Helios nicht belegen kann, als eine Entlehnung aus der 
Kunstmythologie des Apollo betrachten, analog der Uebertragung des Hirschen 
und Itären aus dem Cultus der Artemis in den Kreis der Selene. Dies 
um so mehr, da man in dem Synkretismus der römischen Kaiserzeit von 
der ursprünglichen Bedeutung des Atys als Blüthenflors der Erde abging 
und ihn als Frühlingssonne deutete, deren Entfernung im Winterschlafe 
durch seinen Tod versinnlicht und deren Wiedererscheinen in dem Feste 



— 303 — 

Hilaria gefeiert wurde (s. Roscliers Mythol. Lexik. I. s. v. Attis). So 
erklärt sieh wohl die Figur des Helios im Hiebel über der Aedieula der 
Kybele und des Atys auf einer Rottenburger Jironeetafel (Bonner Jahrb. 
XXIII (1856) Taf. 1 2 und III 1 rliehs). Als Sonnengott mit B<»gcn aus- 
gerüstet kommt Atys auf einem ebenfalls in Rottenburg gefundenen Steine 
vor. Die allgemeinere Bedeutung eines Liehtgottes hat er in einer Statue 
aus Ostia, welche am Haupte Sonnenstrahlen und Mondsichel zeigt (Mon. 
d. Inst. IX 8 ff; Nr. 2, Hei big Führer, Nr. 495). Dieselbe Bedeutung liegt 
zahlreichen Epitheta zu Grunde, die Atys bei den späteren Schriftstellern 
führt (Philologus III S. 265. Schneidewin). 

Das riimischc Mosaik ist das einzige Monument der ganzen ('lasse, 
dessen specielle Bestimmung wir kennen und bei dem daher ein Versuch 
geboten war. die Auswahl der Thiere aus dieser Bestimmung zu erklären. 
Sollte dieser Versuch gelungen sein, so würde ich glauben, damit einen 
Haustein zur Geschichte des Aberglaubens gewonnen zu haben. Denn nach 
Otto Jahn's bewunderswerther Abhandlung, die vorerst eine systematische 
l ebersicht der verschiedensten Ausdrucksformen des Aberglaubens bot, 
wird es in der That nächste Aufgabe der Forschung sein, ein geschicht- 
liches Verständniss des ganzen Stoffes zu suchen. 

In mannigfachen Formen wirkt die geheime Kraft des bösen neidischen 
Auges bis auf den heutigen Tag auch in Kreisen, die durch ihre natur- 
wissenschaftliche Bildung hoch über allem Aberglauben stehen. Mit beson- 
derem Nachdruck scheint sie sich auf die classischen Studien werfen zu 
wollen, yescto quis teneros ocidus iinhi fascinat agnon. Aber Gottlob bedürfen 
wir heute keiner Scorpionen und Schlangen mehr, um uns und die gute 
Sache zu schützen. Ihrem eigenen stillen Fortwirken kann der Gegenzauber 
nicht fehlen : (5 (fMvo<^ auröi; i.avzbv heg ßekieaaiv dauci^ei. 



Zu Meleaffi'os von Gadara 



von 



CARL RADINGER 



Das zwölfte Buch der Palatiiiisehen Aiitholo|j:ie <i:alt unbestritten bis 
in die neueste Zeit für die ecbte DJovaa Traidr/.tj des StratonJ) Zugleicber 
Zeit haben Th. Kirt und P. Wolters'-) die Unhaltbarkeit dieser Annahme 
dargelefi^t. E. Weisshäupl hat dann den späten l'rsprung der Saninilun«: 
erwiesen und die Bestandtheile , aus denen sie zusannnengestellt worden, 
zu scheiden versucht. Vor allem sind zwei Hauptmassen kenntlich: eine 
ältere sogenannte Meleagrische Reihe Ep. ;i7 — 172 und eine bedeutend 
jüngere, die Epigramme Straton's 1 — 11, 175 — 229. 2;i4 — 25f). Zu diesen 
kommen noch etliche dreissig Gedichte, die zwischen die einheitlichen 
Partien zerstreut sowohl von Dichtern des ^leleagrischen als des Philippischen 
Kranzes herrühren. Weisshäupl erklärt sich nun die Entstehung des 
zwiUften Buches tblgendermassen ; ^Der Sanmiler hatte zwei Quellen vor 
sich, von denen die eine fast nur Epigramme Straton's, die andere 
grösstentheils solche anderer Dichter umfasste. Diese beiden Samm- 
lungen hat er ohne weiteres aneinandergereiht (Ej). ;5 — 174 -f Ep. 175 — 2iib). 
l'm dem Buche einen ilusserlichen Abschluss zu verleihen, leitete er es 
mit den Anfangsgedichten der Stratonisehen Moüaa (1 und 2) ein und 
scldoss es mit dem Schlussepigramme derselben { 258 ), an drittletzte Stelle 
setzte er das Dedicationsepigramm der Meleagrischen eTriyga^uara .raidiy.d, 
an vorletzte das Schlussepigramm des Meleagrischen Kranzes." Gegen 
diese Hypothese lässt sich folgendes geltend machen. Nach Weisshäupl 
müsste der Sammler vier Sannulungen vor sich gehabt haben: 1. die 



^) A^er^l. das Einpangsscholion in cod. P. 

«) Th. Birt, Das Antike Buchwesen, Berlin 1882, S. 30G: P. Wolters, Rh. Mus. 
1882, S. 108, A. 1; R. Weisshäupl, Die Gra»)gedioht« der Griech. Anthologie, Wien 
1889, S.41f. 



— 305 — 

Quelle: Ep. 3 — 174, 2. Ep. 175 — 255, 3. den Stephanos des Meleagros, 
dem er das Sehlussgedicht 256 und 257 entnahm ^j, endlich 4. die Movaa 
TzatdtyLri des Straton, deren Anfang und Ende (1. und 2., sowie 258) er 
benützt hat. Eine solche Arbeitsweise ist unbegreiflich; wanmi sollte der 
Sammler, dem doch die reichen Schätze der ursprünglichen Anthologien 
zu Gebote standen, die dürftigen abgeleiteten Blüthenlesen 1. und 2. vor- 
gezogen haben ? Aber auch die Beschaffenheit dieser erweckt Zweifel. Die 
eine soll fast nur aus Epigrammen Straton's, die andere grössten- 
theils aus Gedichten anderer Dichter bestanden haben. Erstere enthält 
77 Epigramme von Straton und nur drei (230, 231, 233) anderer 
Verfasser. Letztere ist folgendermassen zusammengesetzt: 3 — 11, dann 
13, 15, 16 und 21 von Straton; 12 — 36 von Dichtern der Meleagrischen 
und Philippischen Blüthenlesen; 37 — 172 die grosse Meleagrische Reihe, 
endlich 173 und 174 von Philodem, der sicherlich bei Philippos vertreten 
war, und von Fronton, dessen Zeit sich nicht genauer bestimmen lässt. 
Die Sammlung enthält also 145 Epigramme von Meleagrischen Poeten, 
13 von Straton und n ur 14 sind Philippischen (oder anderen) Ursprunges.^) 
Ist es bei dieser Einheitlichkeit beider Quellenflorilegien WeisshäupTs 
nicht viel näher liegend, eine einfachere Lösung darin zu finden, dass der 
Sammler die Meleagrische und Stratonische Vorlage direct benutzt hat? 
Wir erhalten dann das Compositionsschema : Straton 4- Meleagros + Straton 
oder mit anderen Worten : der Sammler hatte die echte Movaa Ttaiöixifj des 
Straton vor sich, schrieb diese auszugsweise ab und fügte ihr das Excerpt 
aus Meleagros ein. Die Partie 12 — 36 trägt deutlich späteren Charakter 
in sich. Die Mischung mit Bestandtheilen aus dem Philippischen Kranze, 
sowie namentlich Epigramm 19 , welches aus V. 215 in später Zeit um- 
geändert worden, spricht dafür.«) Wir werden also annehmen können, dass 
neben den beiden Hauptquellen eine dritte uns unbekannte benützt worden 
ist. Näheres lässt sich wohl kaum sagen. Weisshäupl kann „deshalb 
an eine Benützung Straton's nicht glauben, weil der Sammler die Muse 
unzerrissen und ungetheilt, höchstens excerpirt, seiner Anthologie würde 
eingereiht haben, die gleichartigen Epigramme anderer Dichter würde er 
vor- oder nachgesetzt haben und hätte dabei auch die Producte späterer 



') Man könnte vermnthen, dass beide schon ursprünglich neben einander gestanden 
und so herttbergenommen worden. Ich möchte glauben, dass die Jlaidtxd resp. 'E(>(ou)id den 
Schluss der Meleagrischen Sammlang gebildet. 

*) Der Philippischen Sammlung gehören an: Philodemos, Autoraedon, Diokles, Flakkos; 
wann Skythinos, Fronton und Numenios gelebt, ist unbekannt, doch können dieselben auch 
jenen gleichsceitig gewesen sein. 

') Man könnte auch daran denken , dass die 14 Gedichte dieser Art , erst nachdem 
<lie Sammlung des XII. Buches zusammengestellt, durch andere Hände eingefügt worden seien. 
Eranos Vindobonensia. 20 



— 306 — 

Dichter beriicksichtigen müssen^. Weisshäiipl wirft dabei die Arbeits- 
weise des Kephalas mit der unseres »Sammlers zusammen, er müsste vorher 
beweisen, dass beide identisch sind.^) Warum er die Producte späterer 
Zeit hätte berücksichtigen müssen, bleibt unklar. Gerade das Fehlen solcher 
später Elemente spricht iur Benützung der reinen unvert^lschten Haupt- 
quellen durch den Sammler. 

Wie man aber auch die Frage nach der Entstehung des zwölften 
Buches beantworten mag, soviel steht fest, dass die Partie 37 — 172 aus 
Meleagros' Blüthenlese (mittel- oder unmittelbar) stammt. Nun wird Manchem 
schon die grosse Anzahl von autorlosen Gedichten aufgefallen sein, die 
sich gerade in dieser Reihe finden. Während uns eine solche Erscheinung 
bei den Weih- und Grabgedichten nicht überraschen ^vird , da ja manche 
Inschriften Aufnahme gefunden haben, ist dieselbe bei erotischen Epi- 
grammen sehr befremdlich. Der Kreis der Dichter, von denen dieselben 
herrühren krmnen, ist enge begrenzt durch die Entstehungszeit der Samm- 
lung, aus der sie stammen. Neben Meleagos, dessen poetische Jugend- 
sünden {TtQtoiua Aet-zoia) wohl grossentheils diesem Genre angehörten -), 
sind die besten Alexandriner vertreten. Von 135 Gedichten gehören 55 dem 
Gadarener, 12 dem Kallimachos, 10 dem Asklepiades, 5 (resp. 6) dem 
Asklepiades, 6 dem Khianos, 5 dem Dioskurides ; Aratos, Antipatros von 
Sidou, Alkaios, Dionysios, Glaukos, Mnasalkas, Polystratos sind mit je einem 
Epigramme vertreten, 35 sind ohne Verfassemamen überliefert, ^j Es ist nun 
sehr wahrscheinlich, dass diese durch die Nachlässigkeit der Ueberliefenmg 
ihrer Autorlemmata beraubt worden sind. Durch genaue Beobachtung des 
Stiles und der Metrik der obgenannten Dichter sind wir im Stande, eine 
nicht unbedeutende Anzahl der 7taidr/,ä ihren Verfassern zurückgeben zu 
können, unterstützt werden wir durch die in denselben vorkommenden 
Namen der Buhlknaben. Finden wir in einem ädeoTtorov einen Lieblings- 
namen, der in sicheren Epigrammen eines Dichters vorkommt, so tritt 
dieser Umstand als weiteres Indicium zu den stilistisch-metrischen. 

Ich will hier nur einige Epigramme ihrem Verfasser , der, wie ich 
glaube, Meleagros von Gadara ist*), zurückzugeben versuchen. 



*) Siehe darüber Sternbach, Meletemata Graeca I., S. 17 f. 

*) Ohne dass man mit Reiske Xotit. poet. S. 243 eine eigene Päderastische Epi- 
grammsammlun^ anzunehmen braucht s. K n a a c k \m Susemihl , Grriech. Alex. Literatur- 
pesch. II, S. 556, A. 193. 

^) Ich möchte auf die Anordnung: der Epigramme in dieser Reihe hinweisen. Es wechseln 
fast durchwegs solche von Meleagros mit solchen anderer der oben genannten Poeten, was auf 
das ursprüngliche Schema im Stephanos zurückzuführen sein wird. 

"*) Schon frühere Gelehrte haben, aber ohne Beweis, auf gewisse Dichter als Autoren 
solcher adela aufmerksam gemacht. Zuletzt auch Stern b ach in der Appendix Barberina- 
Vaticana. 



-^ 307 — 

XII. 99. Für die Autorschaft des Meleagros spricht: 

V. 1. 3. Die Anaphora rjyQevd^v — ijyqevd^, vergl. XII. 23. 1. 
fjyQev&rjy <6) Ttqoad-ev iyw tvote roig dvaeqmat — iyyeldaag. Der Aus- 
druck auch XII. 109. 2. o TQvg)€Qbg JiddwQog — i^ygevrai kafivQÖig o^^aai 
Ti/naQiov und XII. 113. 2. Kairvbg ^'Eqwg — äyQevd-eig Tolg adlg o^fiaaty 
TtfiaQLov. Die Vorliebe des Meleagros für die Anaphora ist bekannt. 

V. 2. Der oft bei Meleagros vorkommende Pentameterschluss mit 
TLQadia. cf. XII. 81. 4. 83. 2. 83. 6. 119. 2. 147. 4. 182. 6. V. 157. 2. 
160.2. 214.2. 

Endlich vergleiche man V. 5 mit XII. 117. 5. Trpcea&o) Movaewv 6 
noXvg Tcovog — iQQiq^d-cj acxpiag 6 noXvg Ttovog. 

XII. 66-0 Der Name JcoQo&eog steht in der Knabenliste 95. 4. 6 
ykvKog JwQi'ß&eog (an derselben Versstelle). 

V. 2. Zu exercj vergl. XU. 68. 9. r&kla di Ttavx i%k%ii) Zevg, 

V. 3. Zu vTtoXeiTtenat. Der Hiatus in der Bucolischen Cäsur mit 
Interpunction ist bei unserem Dichter sehr häufig XII. 76. 3. 106. 3. 117. 1. 
158. 5. VII. 428. 9. Ohne Interpunction VII. 428. 7. XU. 147. 1. 

XII. 67. ist durch den Lieblingsnamen des Dionysios *) für Meleagros 
gesichert. Zum Anfange vergl. man Adelon. 107. 1. rAv Y,alJ6v ovx öqocj 
Jtoviaiov und xbv '/Mlbv, ü xdqireg^ Jtovvaiov ; der Pentameterschluss oivo- 
xoel auch XII. 133. 4, dann oivoxoGv XII. 68. 2. olvoxbov XII. 65. 2. 70. 2. 

Auch XII. 69 und 79 tragen das Gepräge Meleagrischen Ursprunges, 
doch hat schon Stern bach, Appendix Barb. Vat. S. 1 f . und S. 58 das 
Nähere beigebracht. 

XII. 130. hat Pauw dem Meleagros, Meineke dem Kallimachos 
zugeschrieben. Ersteres ist richtig. Die Form Jwai&eog ist von dem öfters 
bei Meleagros vorkommenden Namen JcjQÖ&eog nicht verschieden. Zum 
Eingang vergl. man: V. 136. If. xat Ttdhv eine — ndhv — Tcdhv 
UTte oder 176. 1. 2. J/v JcdXiv eXrcw xai rcdhv. Zur Anaphora xaXog 
xaXog iog TLaXog 154. 3. vMXbg yaq bXog xaAog in Nachahmung von Kalli- 
machos Xn. 43. 5 und 51. 3: vaixt ^/>aXbg xaXog; naXbg — Xirjv y^aXög, 

V. 2. ofiuaac stellt Meleagros gerne an diese Stelle des Verses: 
XII. 109. 2. 113. 2. 

Das letzte Distichon ist Nachahmung von Kallimachos XII. 51. 3. 
Man vergleiche 

Mel. el de ttg od g)ijaet, /nfj Ttei&eo' vat /aä ai, öai^ov, 
xpevöer iyio d^ 6 Xeycjv dxqe'^eg olöa fidvog 

*) Schon von Kai bei erkannt. 

^) Ancb das Epigramm V. 142 scheint von Meleagros herzurühren , die Pointe ist 
echt meleagrisch cf. 143. Femer steht dasselbe mitten zwischen echten Epigrammen des 
Dichters: 139—144. 

20* 



— 308 — 

mit Kallimachos ^) : 

ei de Tcg ovxi 
(priaiv — iTtcOTai^rjv f.iof}vog iyio rä '/,aXd, 

Die Elision in xpevder wie öfters bei Meleagros, so : Ij^iper XIL 80. 6. 
Zum Versschluss %Qa6L<f vergl. das oben Gesagte. 

XII. 151. erscheint der Lieblingsnarae 3l7toi,l6dorog, der auch XII. 41. 
genannt ist. Ebenso XIL 152. , der des *^HQd'/.letTog, der besonders von 
Meleagros gefeiert worden zu sein scheint. Vergl. 63.1. 72.3. 94.1. 
256.5. Auch 33.1., das Kai bei mit Unrecht dem Gadarener abge- 
sprochen hat. 

XII. 152. hat grosse Aehnlichkeit mit einer Reihe von Epigrammen 
des Meleagros von nur einem Distichon, wie solche sich sonst sehr selten 
in den Büchern V. und XII. finden. Ich nenne: V. 141 — 144. 154 — 157. 
192—196. XII. 47. 59. 60. (vielleicht auch 61 und 62 auf Aribazos mit 
ganz meleagrischer Pointe). Ferner 111 — 114, die wohl sämmtlich dem- 
selben Verfasser gehören. 

Auch für XII. 156. ist mir die Autorschaft des Meleagros sehr wahr- 
scheinlich. Der Liebling Diodoros wird öfters genannt. 94. 1. 95. 3. 256. 3. 
Ferner 63. 3. 109. 1. Zum Bilde vergl. man das Gedicht 159 auf Myisko^i. 
Femer auch 157. 167. u. ö. 

Nicht unwahrscheinlich gehören endlich XII. 107 auf den schon oben 
genannten Dionysios (s. o.), 100 das inhaltlich mit 167 verwandt ist und 
das eine oder andere von den Epigrammen 87. 88. 89. 90 dem Gada- 
rener an. 



^) Die Nachahmungen des KaUimachos sind nicht selten bei Meleagros ; man verfrl. 
z. B. den Eingang von Mel. V. 136. 1 "Ey^ei xat JtdXty ei:zi, :zdXiv jtdXiv 'HJitod(OQa<: mit 
ElaUim. XII. 51. 1 ^Eyxei xai :zdXiv ehe, AioxAeog. Das Spiel mit Z^Q^^ ^ V. 149 nach 
KaUim. V. 146. 



Gymnastisches in Pliilostrats Eikones*) 



von 

JULIUS JÜTHNER 



Wenn man auch dem Verfasser der Ely,6veg mit Th. Bergk, DiePhilo- 
strate(Fünf AbhandL, S. 173 ff.) den Gymnastieus abspricht mid seinem gleich- 
namigen Schwiegervater zuweist, so muss man doch auch bei ersterem 
ein besonderes Interesse für alles, was sich auf Gymnastik bezieht, sowie 
beachtenswerthe theoretische Kenntnisse auf diesem Gebiete constatieren, 
die freilich zum Theil aus dem Gymnastieus geschöpft sind. 

Diese Vorliebe zeigt sich nicht blos in der genauen Beschreibung 
der einschlägigen Bilder und in deren ausführlicher Erklärung, die manch- 
mal die Form von Excursen annimmt, sondern auch in gelegentlichen 
Bemerkungen, zu denen ihn meist ein jugendlich schöner Körper veranlasst. 
Hierher gehört die Besclireibung des Menoikeus 300, 8 ff*): laeiQchiiov . . 
Tcc/kaiatQag Tcveov, oiov %b raiv ^eXixqimv ävS-og, ovg ertatvet 6 toij ^QCOTi- 
wyog, ferner die Charakterisierung des einen Jägers 330, 30: 6 ^iv TcalaLazqag 
TL i/tidtjXoi T(f) 7TQoa(x)7t(i), desgleichen drei weitere Stellen, wo speciell die 
Eignung zum Laufe hervorgehoben wird: 328, 30 f. ^aY,wvixbv ib fieigd/uov 



^) Ein Theil der folgenden Darlegungen sucht die Erklärungen näher zu begründen 
und zu erweitem, welche Professor Otto Benndorf zu einzelnen Stellen der neuen Aus- 
gabe gegeben hat. 

^) Ich eitlere nach der Seiten- und Zeilenzahl der Teubner-Ausgabe von Kayser, 
Leipzig 1871, gebe aber für die Eikones den Text der neuen Ausgabe der Wiener Seminare. 
Der Kürze halber werde ich femer K. Friederichs, Die Philostratischen Bilder. Ein 
Beitrag zur Charakteristik der alten Kunst. Erlangen 1860 mit F I ; derselbe , Nachträg- 
liches zu den Philostratischen Bildern in d. Jahrb. f. cl. Philol. Suppl.-Bd. V (1864), 134 ff. 
mit Fit; Heinr. Brunn, Die Philostratischen Gemälde gegen K. Fried er ich s vertheidigt 
in d. Jahrb. f. cl. Philol. Suppl.-Bd. V. (1861), 179 if. mit B I; derselbe, Zweite Vertheidigung 
der Philostratischen Gemälde, a. 0., XVII (1871), 1 ff. und 81 ff. mit BIX bezeichnen. 



— 310 — 

(Hyakinthos) xal t^v xvrj^rjv ÖQ&bv xal ÖQOfiov ovx dyv^vaOTov. 342. 5 f. 
von Achill: ig yovv di al x^^Q^^i dyad-al yctg drj aSrac no^Ttoi toC Sqoihov.^) 
350, 31 f. rö aw/na (des Antilochos) ov/n/netQov ig ^(favwvrpf roD dQouor. 

Ganze Bilder widmet Philostrat dem Diskoswmf (I, 24), dem Faust- 
kampf (II, 19), der Pale (I, 6, 8. 303, 3 ff.; II, 21; II, 32) und dem Pan- 
kration (II, 6). 

Der Diskoswarf. 

Hyakinthos (I, 24). 

Von der Wurfscheibe ApoUons getroffen, liegt der schiene Hyakinth 
aus einer Kopfwunde blutend am Boden, Apoll steht in Betrübnis abge- 
wendet noch auf seinem Standplatze. 

Die Beschreibung der Einzelheiten des Gemäldes beginnt mit der 
Balbis, dem erwähnten Standplatz Apollons. Diese in kritischer und exege- 
tischer Beziehung äusserst schwierige Stelle ist dadurch besonders wichtig, 
dass sie allein in der gesammten Literatur von der Balbis mit Bezug auf 
den Diskoswurf handelt. Da der letzte Bearbeiter dieser Frage ^) sie 
weder erschöpfend, noch, wie mir scheint, richtig behandelt hat, ist ein 
genaueres Eingehen in dieselbe wohl am Platze. 

Balßig bedeutet , wie die betreffenden Stellen lehren werden , im 
allgemeinen den Anfang der Rennbahn, die Schranken. Die Basis solcher 
Schranken nun haben die Ausgrabungen zu Olympia *) am Anfang und 
am Ende des Stadion zu Tage gefordert, und wir sind somit in der glück- 
lichen Lage, die schriftliche Uebcrlieferung an diesem monumentalen Befunde 
prüfen zu können. Gehen wir von letzterem aus. 

In einer Entfernung von 10*92 Meter vom Anfang des Stadions sind 
quer über dasselbe Platten von 0*48 Meter Breite aus weissem Kalkstein 
nebeneinander in den Boden eingelassen, welche in Abständen von durch- 
schnittlich 1*28 Meter in der Mitte mit quadratischen Löchern zur Aufnahme 
von hölzernen Standpfosten versehen sind. Zwischen diesen Standpfosten 
sind in der Oberfläche der Steine je zwei parallele Rillen von dreieckigem 
Querschnitt eingehauen, deren dem Stadion zugekehrte Seite jedoch w^eniger 



^) Die allzu wörtliche Auffassung dieser Stelle durch F 1 , 58 , A. 3 ist von B I, 
185 mit Recht zurückgewiesen. Die Art, wie die Läufer auf Yasenbildem die Arme weit 
von sich strecken, erklärt die Bemerkung des Sophisten vollkommen. 

2) G. Kietz, Agonistische Studien. I. Der Diskoswurf bei den Griechen und seine 
künstlerischen Motive. Dissert. München 1892. Vergl. ausserdem I. H. Krause , Die Gymnastik 
und Agonistik der HeUenen, Leipzig 1841, I, S. 140, A. 25 und die dort angeführte Literatur, 
namentlich Faber, Agonistica, 417 ff. 

') Vergl. die Ausgrabungen zu Olympia von Gurt ins, Adler, Treu, Dörpfeld. 
Berlin 1881, S. 37, Taf. XXXV (Dörpf.); Bötticher, Olympia, Berlin 1883, 224ff.: 
Schreiber, Bilderati., I, Taf. XXII, 12. 



— 311 — 

steil verläuft. Dörpfeld erkannte, dass diese Rillen zum festen Stehen 
und sicheren Absprang der Läufer angelegt waren. Durch die in den 
genannten Löchern eingelassenen Pfosten war die ganze Schwellenreihe 
in 20 einzelne Standplätze abgetheilt. Eine ganz analoge Vorrichtung 
fand sich am Ende der Rennbahn. 

Etwas Aehnliches entdeckte man in der Osthallc des Gymnasiums von 
Olympia, „wo im unteren Umfange der drei südlichen Säulen und an ihren 
üntersteinen, sowie an den ihnen gegenüberliegenden Stellen der Wände 
sich lochartige Ausklinkungen befinden, welche wahrscheinlich zur Aufnahme 
hölzerner Schranken gedient haben." ^) In anderen Stadien hat man, so 
weit ich nachkommen konnte, nichts dergleichen vorgefunden. Doch sind 
noch verhältnismässig wenige Stadien ausgegraben und wohl keines noch 
mit jener Sachkenntnis untersucht worden, der wir in Olympia Aufdeckung 
und Verständnis auch dieses Befundes danken. 

Bei den Schriftstellern, unter denen hier namentlich die Scholiasten und 
Lexikographen in Betracht konnnen, lässt sich eine vierfache Anwendung 
und Erklärung von ßalßic; unterscheiden : 

L = Linie, von der aus der Lauf beginnt : 

1. Schol. Aristoph. Ecpi. 1159. aTcö {ßalriidiov. ßalßig t) a(ftaig tiov 
dqouiiov, /itTJjVey/.ev oiv d^cö tiov tveqI dguuovg aixiXku)f.uviov iv zolg ayu}- 
aiv, BaXßlg di y,a/.elrai tö iv tfj äQxfj ^<'^ öqoihov yMuevov iy/,aqaiu)g 
IrAoy, 8 Y.ai dtperrjQiav y,a)Mvatv. STteg uetä tö f-Toi/naad-T^vai rovs ögofielg 
elg CO dgafAEiv d(paiQoiju€voc dq^ieaav tqbx^iv. 'Jdl?.üjg. {j vttö vijv VaTt/.r^yya 
yivof4€vri ygafAfir) öiä tö Itz avci]g ß^ßr^A^ivai rovg SQOfiiag ßaXßig %akel' 
tat d/cö, To? eigßdl.KEad'ai ßddr^v rroiorov ydg IgeQyovicu ßddrjv , elua 
tov ÖQü^ov ccQxovrai, )] UTtb rov ällouai ak^lg , äXßig , VTteQßtßaafxip 
ßakßig' ij dnb toü ßaino. 

2. Schol. Aristoph. Vesp. 548. dftö ßakßidwv • cirr' dQxfig ev^eiog. drtb 
iieuafpoQccg viov avadtodQOfiOvvnov. ßalßlg ydq iaciv i^ dcpetr^gia. fjv öi 
ort'rij ygaf-ifAij, irp T^g eiaxrfKtaav^ l'iog uv d7roar]uavd'fi 6 Sgonog atroig, 

3. Schol. Aristoph. Ach. 483 erklärt das im Texte stehende yQccufu] 
mit dQX^'i, difezriQia, fj leyofASvri ßctlßig. Ik jiievaffOQäg oir zwv öoofAHov. 

4. Schol. Apoll. Rhod. Argon. IIL 1270 (Keil in der Ausgabe von 
Merkel, Leipzig 1854): ßakßig iaziv, /J iTtißdklovaiv ol dQOjtaJg ygafifArj ' 
ar^uaivet de ymI rfjv ixxüTtrjv coü ffoearog, o de vovg ^ Toaoürov de zrig 
TtoUojg d(peatri'Kei , fiaov fj vvaaa drtb rfjg ßakßtöog rjroc zrig d(fezriQlag, 

5. Pollux III, 147: S&ev /nev dffuvzac (sc. oi ÖQü^ielg) lapeaig xai 

Va7l).r^yS ymI yga/iufj xat ßaXßig 'iva de Ttavovrai^ zelog '/Mi zeQjtta 

'^al ßairjQ. ^vioi de nat ßalßig. 

') Verpl. Ansprab. zn Olymp., S. 42 (P. Graef). 



— 312 — 

6. Eiistatli. Odyss. 1 , 155 , S. 1404, 55 : ht aTtb tov ßäileiv xai 
ßakßldeg. ov f.i6vov ai irtl äcpeaewg ÖQO/Aiwv ygafifial xar& ^hov Jlovv- 
acov, dlkä xal baai iv (pQiaai xat äXXoig Toiotjvoig eyxoTvai ip^jat ymI i^o- 
Xccl, dt &v xoTiaatv elg avrd. aig ßaXßlacv SfAOiov tc xcrrd Svvoiav ymi 6 
ßattjQ, dg fjV aQX^j (fnot toO tiov Ttevrad-kiüv axdfxuaTog. 

7. Bekker Anecd. 1, S. 426, 19 aus den Lex. Seguer. : äTvö yqau- 
fi%g olov CLTt ägxfjg ' e^iQuirai öi dnh r^g t(ov dQOfiiiov yQafifiif^g, fjv äq>€aiv 
aal ßaXßlda 'Kalovatv. 

8. Aus den Lex. Seguer. (vergl. Reitzen stein in Berl. Phil. Woeh. 
1893, S. 106) ßaXßig' ßdaig Taneivt), 1^ dq>eTiijQiaf J^ vAuTtTog, ivioi Si 
TTjv iv avT(ii yQafi/irjv )^yovaiv. 

9. Suid. s. V. ßalßig, ßakßldog. ßdaig TOTteivi], fj ayerjj^/a ymI ö 
yLOf-utTog, loOTztq Itl ßaXßldog tivog oi rä Ttd-QiTiTia dq)i€W€g dvaTietaa^ei- 
ar^g tfig nvXrfi, ymi ßakßXöiv dvri roü ralg agf^alg. eiQrjTai de aTtb nov 
ÖQOuecJv. ^ yäq vTth rtjv ioTtXriyya yivo/nevTj ygaufAij diä tö Itc avvf^g 
ßeßrpf^vai rovg ögofieag ßalßlg y,a)^iTai, aTtb toC äXXo^ai ahuig^ dXßig^ 
VTCEQßißaafXi^ ßalßig. }} arrb rod ßaivoj, 

II. = Steinschwelle, also entsprechend dem Befunde zu Olympia: 

1. Philostr. Vita Apoll. V. 5: fj de vr^aog, iv fi tö Ugbv, iari uiv 
ÖTtoarj vedtg, TteTQiodeg di adr^g ovdevy dA/i ßalßidi Searfj eiyMOToi, 
Vergl. Epistol. o/: dnb r^g toC vsoj ßalßldog. 

2. Moeris, S. 103. BaXßldtg ai inl tQv dy>€ai(ov ßdaeig eyy^aQoy- 
/Asvai, aig inißaivov oi ögoiielgj iW i§ i'aov i'araiwo. 

3. Hesych. s. v. ßahßig. dq)err^QLa ymI fj dQx^ ^^5 elaodov nai i^oöov. 
'/.ai ij ä(pEöig rwv ÜTtTtiov^ nai fj S-vQa tov i7t7tr/,ov, Mvioi de xauTCXf^qa. 
Tiai Ttaqa ^iTtTvoxQaret, ßahßldeg rb ^xov hMTSQco&ev iTtavaardaeig, ^ari de 
TLai ßad^/idg yiai h'Qeiaua. Vergl. Hippokr. Mochlic. 1. fin. (Littr^) tö Sf 
^Qbg d)ni(üva adroü (sc. toÜ ßqaxiovog) TtXavv y.ai 'Kovdvlioöeg ymI ßakßi- 
diodeg "Kai axEqeov xrA. 

4. = I, 8. 5. = I, 5. 

III. = der eigentlichen Schranke, die zu Beginn des Wettlaufes fiel, 
eine Schnur oder ein Schlagbaum. 

1. = 11. 

2. Hesych. s. v. ßalßldeg' VoTtkr^yeg. 

3. Bekker Anecd. 220. 31. Balßig, §vka ovo tOv ÖQo^ewv, ci(p S)v 
axoiviov Ti diatetaTat , 8 y.af.elvai ßakßig, Xva ivvevd'ev i'/.dQduioaiv oi 
dywviCofievoi. 

4. Etymol. magn. 186, 14. BaXßlg- t) d(p€Tr^Qta, xai ö '/MfUTtrög, 
Vjyovv ij ä(f€(iig tiov ÖQOfiewv. Jflav de ^vka dvoy d(f Sjv axoivia dieveivero ' 
dcp Jjg ßaXßidog e^eTQex^^'^ oi äyiovuouevoi. ytvyMq)QU)V Eyto ö^äxQav ßak- 
ßlda f-iijolvd-ov axdaag l^vei/m (Lycophr. 13, vergl. dazu das Schol.). 



— 313 — 

IV. = Ablaufschranke im Allgemeinen oder iibertr. = Anfang , be- 
ziehungsweise Ende eines mit dem Wettlauf vergleichbaren Vorganges. 
Ausser den schon angeführten Stellen vergl. Soph. Antig. 131 , Euripid. 
Med. 1245, Herc. für. 867, Aristoph. Vesp. 548, Apoll. Ehod. III, 1271, Philo 
TtEQl q)VT0VQy. S. 225 (Mangey), Oppian Cyn^. I, 513. 

Diese zahlreichen Nachrichten lassen sich durch den Nachweis deut- 
licher Verwandtschaft theilweise reducieren. So stammt I, 3 aus I, 2 oder 
beide gehen wenigstens auf dieselbe Quelle zurück. Der Suidasartikel 
stimmt zu Anfang mit I, 7 und III, 4 überein, der Schluss ist dem Arist. 
Schol (I, 1) wörtlich entnommen. Mit dem zweiten Theil von III, 4 zeigt 
wiederum III, 3 fast wörtliche IJebereinstimmung. Eine Quellenangabe 
macht nur Eustathius, dessen Nachricht auszugsweise im Apollon. Schol. 
(l, 4) wiederkehrt, und der Name Aelius Dionysius sichert der Notiz einen 
besonderen Werth. In den Scholien sind wohl Reste alexandrinischer 
Gelehrsamkeit zu erkennen, und auch die lexikalischen Nachrichten fassen 
deutlich auf älteren Quellen. 

Für die ursprüngliche Form der Balbis ist es wichtig, die Grund- 
bedeutung dieses Wortes zu ermitteln. Hierbei kommen jene Stellen besonders 
in Betracht, wo ßalßig in einer Weise angewendet wird, die mit den 
Wettkämpfen nichts zu thun hat. So in dem Apollon. Schol. (I, 4), wonach 
es einen Einschnitt des Brunnens bezeichnet. Diese Nachricht wird erst 
deutlich durch die reichhaltigere Eustathiusstelle (I, 5). Hier sind unter 
ßaAfldtg gemeint die Vertiefungen und die ihnen entsprechenden Erhöhungen, 
die in den Wänden cylindrischer Cistenicn eingemeisselt waren, und mittelst 
deren man wie auf einer Leiter hinabsteigen konnte. Selbst wenn man 
anzunehmen geneigt wäre, dass der Name für diese Art von Stufen erst 
von der ähnlichen Beschaffenheit der Ablaufschranken hergenommen war, 
so ist doch wenigstens gewiss, dass eben die Vertiefungen oder Rillen 
als etwas Wesentliches an dem Begriffe erscheinen. Zu einer ähnlichen 
Auffassung fuhrt die Hippokratesstelle, auf die sich Hesychius bezieht (vergl. 
11,3). Das untere Ende des Oberarmknochens, sagt Hippokrates, ist 
y.ovdvX(dd€g und ßakßidwdeg. Ein Blick auf das Ellenbogengelenk des ge- 
nannten Knochens zeigt, dass sieh das erste Epitheton auf beide seitliche 
Verdickungen (in der Anatomie condylus externus und internus genannt, 
vergl. C. Heitzmann, Anatomie des Menschen*, Wien 1890, S. 86 f.), das 
zweite somit auf die eigentliche Gclenksverbindung beziehen muss. In 
der Vorderansicht zeigt -diese deutlich zwei Vertiefungen zwischen drei 
Erhcihungen. von welch letzteren zwei durch die sogenannte Rolle (trochlea) 
gebildet werden, eine, die äussere, aber das Köpfchen (eminentia capitata) 
genannt wird; zb ^x^v r/MitQMd^ev tnavaaidaeig sind dann eben die Ver- 
tiefungen, die von Hippokrates also nicht unzutreffend — wie der Durch- 



— 314 — 

schnitt der Steinplatten in OIjTupia lehrt — mit ßalßlde^ verglichen 
werden. Auch hier tritt die Vorstellung der Vertiefung, die sich zwischen 
zwei Erhöhungen hinzieht, als das Wesentliche des Begritfes henor. Dass 
llippokratcs diesen Sinn mit dem Worte verband, sieht man noch deut- 
licher aus einer Glosse des Galenus zu Hippokrates (Franz, S. 446) : ßal;iic. 
xoMtrig 7taQa/x^/,rjg ; längliche Vertiefung, Furche. Erinnern wir uns nun, 
dass iiakßig an mehreren Stellen geradezu durch yQOfiinij paraphrasiert ist, 
so haben wir, glaube ich, das Wesentliche und damit auch die lu^prüngliche 
Gestalt der Balbis gefunden. Sie war in der ältesten Zeit gewiss nichts 
anderes als eine im Boden des Stadion gezogene Linie oder Furche, an 
der die Läufer Aufstellung zu nehmen hatten, Iva i^ Yaov iaraivro. Dies 
ist die einfachste Art von Ablaufschranken und auch dies spricht für ihre 
IJrsprünglichkeit. 

An sonstigen Nachrichten, die dies erhärten, fehlt es nicht. Vergl. 
namentlich Schol. Find. Pyth. IX, 208. nozi ygafAfi^e fxiv ioTTjae yiiQ avrr^v 
TtQog Ttj iaxdrrj y^afififj toC dgü/uov .... ixcegaacov di yga/dftijv riva , i}v 
ciQxrjv '/Mi xelog elxov ol dywvi^ofAevoi, Auch sonst kommt y^aiif-ir^ nicht 
selten im Sinne von Anfang oder Ende der Rennbahn vor. 

Eine Stütze unserer Ansicht bietet vielleicht auch die Etymologie. 
Von der Grundbedeutung des Wortes ausgehend, dachte ich nämlich an 
die Möglichkeit einer Verwandtschaft von ßalßlg mit vallis (val-vis, vergl. 
Zehetmayr, Lex. etym. Vindob. 1873, S. 281) und vulva; Beispiele für 
den Lautwandel von / in ß bei Leo Meyer, vergl. Gramm. S. 86 und 
Cur t ins Etym.^ 583 tf. Wenn letzterer S. 689 gerade unser Wort ausdrück- 
lich ausnimmt, so wendet er sich damit wohl blos gegen die Zusammen- 
stellung mit valvae. \) 

Um nun das jedesmalige Ausmessen der Bahn zu ersparen und die 
fiir die Läufer nothwendige Standlinie ein- für allemal zu fixieren, wurden 
die beschriebenen Steinschwellen in den Boden eingelassen, und die Läufer 
gewannen dadurch auch den Vortheil eines festen Standes. Damit der 
Athlet beim Anlauf auf dem glatten Stein nicht ausgleite, waren eben jene 
Rillen in die Balbis eingehauen, die mit ihrer steileren Seite dem Fusse 
einen sicheren Halt boten. Diese Rillen nun entsprechen insofern nicht voll- 
kommen der ursprünglichen Markirungslinie, als nicht durch sie, sondern, 
wie genaue Messungen in Olympia ergeben haben, durch die Mittellinie 



^) Im allgemeinen bringen die Etymologen das Wort in Uebereinstimmung mit den 
Alten (vergl. oben I, 1; 1,8) mit ßairo) zusammen (Cnrtius, Etymol.*, 589, Vanicek, 
Gr.-lat. etym. Wörterb., 182 ; Prel 1 w it z, Etymol. Wört^rb., wagt es nicht sich zu entscheiden). 
Die Schwierigkeit der Erklärung des X und die von uns eruierte Grundbedeutung des Wortes 
lassen diese Etymologie zweifelhaft erscheinen. Ueber vallis vergl. Fick, vergl. Wörterb.' IV, 
236, Zehetmayr, a. 0. 281, Vanicek, a. 0. 901 und Etym. Wörterb. d. lat. Spr., 267, 
Curtius, a. 0.360. 



— 315 — 

des Steines zwischen den beiden Vertiefungen der Beginn der Stadionlänge 
bezeichnet wird (Ausgr. zu Olymp, a. 0.). Auch auf diese Schwellenreihe 
ging die Bezeichnung ßakßtg über, l^m weiters ein vorzeitiges Vorgehen 
und sonstige Unregelmässigkeiten beim Ablauf zu verhindern, wurde eine 
Pfostenreihe angebracht, vor welcher eine Leine oder ein Schlagbaum be- 
festigt war, die beim Ablauf schwerlich herabgelassen, vielmehr wahr- 
scheinlich hinaufgezogen wurden (vergl. von den oben angeführten Stellen 
I, 1 und III, 4). Auf diese eigentliche Schranke nun und schliesslich auf 
die ganze Vorrichtung mit allen ihren Theilen wurde der Ausdruck iiaXßig 
ebenfalls übertragen. Solche ßalßWeg aber, wie sie uns zuftillig nur in 
Olympia erhalten sind, haben wir natürlich in allen Stadien anzunehmen. 

Wir sprachen bisher von der Balbis nur mit Bezug auf den Wettlauf, 
und in der That beziehen sich fast alle in Frage kommenden Stellen mehr 
oder weniger deutlich auf diesen und auf das Wagenrennen. Eine Aus- 
nahme bildet nur Eustath. 1404. 57 alg ßalßlaiv lifAoiov tc /.aih ii'voiav 6 
ßarr^Q, dg Tjv äg^t] (prflL tov cwv TtevTCi&lwv a/.df4fiaiog , wo von dem 
Fünfkampfe im allgemeinen die Rede ist, und vielleicht auch Schol. Arist. 
Equ. 1159 (= Suidas): aTtö tov a).lo^aL älfAig, älßig^ VTreQßißaafup ßalßig, 
wo der ungeschickte Versuch zu etymologisieren wenigstens das eine wahr- 
scheinlich macht, dass die Balbis auch mit dem Sprunge etwas zu thun 
hatte. ^ ) Dazu kommt dann unsere Philostratstelle für den Diskoswurf. Der 
Ausdruck ßalßig fand also ursprünglich blos beim Wettlauf, dem ältesten 
der Agone, und im Hippodrom Anwendung imd wurde auch späterhin 
vorzugsweise in dieser doppelten Bedeutung gebraucht. Wenn aber ander- 
seits dieselbe Bezeichnung auch bei anderen Bestandtheilen des Pantathlons 
envähnt wird, so fragt es sich, ob bei diesem ganz dieselbe Balbis 
anzunehmen ist wie beim Wettlauf, oder ob uns hier eine Namensüber- 
tragung auf etwas blos analoges, nicht identisches vorliegt. Und hiermit 
gelangen wir, da uns für die übrigen Uebungen eine genauere Beschreibung 
des Ausgangspunktes nicht überliefert ist, zu unserer Philostratstelle und 
zu der Balbis beim Diskoswurf. 

Dem Texte Kaysers, der die Ueberliefenmg hier zweimal durch be- 
deutende Aenderungen verwischt, vertrauend, fasst Kietz, a. 0. S. 23, die 
Balbis auf als einen „Erdaufwurf, auf welchem nur ein Mann stehen 
konnte. Die Oberfläche war nach vorne sanft abgeschrägt, so dass der 
hintere Theil des Körpers und das rechte Bein höher standen; das linke 
wurde also tiefer aufgestellt. Man kann diesen Aufwurf wohl unserem 
Sprungbrette beim Turnen vergleichen ; vielleicht war er noch etwas höher 

^) Sonst wird beim «///a von ßarrjOy ßf]hk oder ßdmg gesprochen. Vergl. Krause, a. 0. 
I, 393; L. Grasb erger, Erziehung und Unterr. im class. Alterth. Würzburg 1864. I, 
326. 397. 



— 316 — 

und aus gestampftem Lehm hergerichtet, so dass seine Oberfläche dem 
schweren Drucke des rechten Fusses nicht nachgeben konnte". Vergl. auch 
Krause bei Pauly 1010, Guhl und Kon er, Leben d. Griech. u. Rom. 
1872, 266. 

Abgesehen von der Textesfrage ergeben sich gegen diese Ansicht 
auch sachliche Bedenken. Zunächst ist einleuchtend, dass der Diskobol 
ebensowenig wie ein modemer Kegelschieber einen, wenn auch n<ich so 
,. sanft abgeschrägten'' Boden brauchen kann. Dies würde, in welcher 
Richtung immer die Steigung verläuft, den Wurf erschweren. Auch eine 
genügende Festigkeit der Unterlage wird sich bei einem Erdaufwurf nicht 
erzielen lassen. Und doch ist sie, da der Diskos nicht horizontal, sondern 
schräg aufwärts geworfen wird, unbedingt nöthig, damit die Kraft des 
Wurfes nicht durch Nachgeben des Bodens beeinträchtigt werde. Fenier 
aber findet sich bei der grossen Anzahl einschlägiger Monumente niemals 
eine Andeutung eines solchen Erdhügels. Eine vermeintliche Erhöhung 
vor einem Discobol auf einem geschnittenen Stein der Sammlung Stosch 
in Berlin erkannte Kietz, a. 0. 65, A. 1, als Verletzung. Der von Brunn, 
I, 211 auf einer Kopenhagener Schale nach der ungenauen Zeichnung in den 
Annalid. L, 1846 tav. d'agg. L. angenonmiene Balbishügel ist, wie S. B. 
Smith, De malede vaser i antikkabinet i Kjöbnhavn, Kopenhagen 1862, 
Nr. 110 gesehen hat, nichts anderes als zwei am Boden liegende Halteren. 
Auch in der Literatur ist die Philostratstelle die einzige, die nach der 
gewöhnlichen Leseart von einem Aufschütten der Balbis zu sprechen scheint; 
denn Heynes Bemerkung bei Jacobs: spectat huc in Hesychianis iiakßig- 
ßovvog bestätigt sich nicht. All dies mahnt bei der Erklärung der frag- 
lichen Stelle zur Vorsicht. 

Vor Allem ist festzuhalten, dass in der guten Ueberlieferung 328, 20 
nicht t) dij (Kays, nach Jac), sondern ei ut] steht, und dass Z. 21 eqycuerai 
als Lieblingsausdruck des Schriftstellers von Kays er eingesetzt wurde. 
Dagegen bieten sämmtliche Handschriften Z. 19 öicexex(oarac, nur der Pari- 
sinus von zweiter Hand diaxexcoQiorai, Jiaxdco bedeutet eine Erhöhung 
(Damm) in einer gewissen Richtung durch ein anderes Medium hindurch 
aufschütten oder (vergl. Phalar. Epist. LXXV, S. 224 Lennep-Schaefer) : 
etwas abdämmen. Eine Erderhöhung im Sinne von Kietz führt zu den bereits 
geäusserten Bedenken, wobei noch hinzukommt, dass von ihm die Zusammen- 
setzung mit dia- vollkommen ignoriert wird. Aus denselben Gründen geht 
es auch nicht an, etwa an ein Umschliessen mit Erhöhungen zu denken, 
weshalb es auch mir als das Wahrscheinlichste erscheint, dass hier die 
zweite Hand des Parisinus, wie auch ander>värts (vergl 367,27; 377, 3; 
384. 30 und sonst) das Richtige überliefert oder wenigstens durch scharf- 
sinnige Vernmthung herstellt, und dass wir {iaXßig diay,€xcüQiaTat zu lesen 



— 317 — 

haben. Der Standplatz des Diskobols ist von dem übrigen Räume abge- 
srmdert, abgegrenzt. Mit dieser Leseart lautet die wörtliche Uebersetzung 
der schwierigen Stelle etwa folgendermassen : „Es ist eineBalbis abgegrenzt, 
klein und für e i n e n Stehenden genügend ausser rückwärts, die dem rechten 
Beine Stand verleiht bei der Neigung des vorderen Theiles ^) und das 
andere Bein entlastet, welches mit der rechten Hand im Schwimge nach 
vorn mitgehen muss." 

Die Stelle enthält somit eigentlich keine genaue Beschreibung der 
Balbis, sondern setzt vielmehr die Kenntnis ihrer Form und Beschaffen- 
heit voraus. Jeder antike Leser oder Zuhörer musste hierbei an die bekannten 
ßakßideg im olympischen und anderen Stadien denken und sich den Stand- 
platz des Apollon jenen analog vorstellen, nur eben kleiner und nicht fiir 
Mehrere, sondern nur für Einen bestimmt. Die Frage, wie die Balbis auf 
dem Gemälde angedeutet sein mochte, erscheint gegenstandslos, da für 
den Rhetor auch ohne dies das blosse Dastehen des Ai)ollon nach dem 
Wurfe genügte, um die Balbis in seiner Beschreibung zu erwähnen und 
einen Excurs daran anzuknüpfen. 

Ausführlicher nämlich führt er die Stellung des Werfenden auf der 
Balbis aus. Sein rechtes Bein findet beim Wurf an letzterer einen festen Halt, 
während das linke gleichsam gehoben wird, um mit vorwärts zu gehen. 
Aus der Znsammenstellung der Monumente bei Kietz, a. 0., geht hervor, 
dass nicht blos mit vorgesetztem rechten Beine geworfen wurde, sondeni 
auch mit vorgesetztem linken (wie jetzt beim Kegelschieben). Warum 
nun der Sophist gerade das rechte Standbein betont, und wie überhaupt sein 
Excurs über die Balbis aufzufassen ist, ersieht man erst aus dem sich 
unmittelbar anschliessenden Passus, der das ox^uct xov dioxov ävexovTog, 
d. h. des mit dem Diskos ausholenden behandelt. „Derselbe muss seinen 
Kopf nach rechts wendend sich so krümmen, dass er seine Flanke über- 
sieht, und schleudern, indem er wie an einem Strange ziehend sich mit ganzer 
Kraft in seine Rechte legt.'* 

Welcker bei Jakobs, H52 hat es zuerst ausgesprochen, <lass Philo- 
strat hier den myronischen Diskobol vor Augen hat, und diese Statue, die 
mit ihren zahlreichen Repliken und Nachahmungen die allgemeine Vor- 
stellung vom Diskoswurfe beherrschte, schwebte ihm auch bei der Erklä- 
rung der Balbis vor. So beschreibt denn Phi lostrat die Wirkungen der- 

') TlQavfj TU. f^Qoa&ev kann ich nur verstehen als nom. abs. wie ihn Philostrat 
häuüp gebraucht. Hier nachhängend wie 299, 22; 30?), 13; 312, 25; 330, 22; 337, 14; 
343, 2; 354, 16; 386, 16; 405, 26, welche Stellen mir Herr E. Bolis aus seinen Samm- 
lungen freundlichst mittheilte. Eine Stelle, wo das Adj. allein steht wie hier, findet sich 
sonst in den elxovtg nicht, doch das Fehlen des Particip. von f//</, das beim gen. abs. auf- 
fallend wäre, scheint mir beim nom. kein Hindernis. 



— 318 — 

selben gerade in demjenigen Momente, der eben in dem genannten Werke 
erfasst ist. Stellen wir uns vor, der myronische Diskobol stehe auf einer 
Balbis, so wird thatsäehlicli von dieser seinem rechten Beine Halt verliehen, 
und der Rhetor kann in Folge dessen in seiner Weise auch das Entlasten 
des linken Beines ihr als Wirkung zuschreiben. 

Schwierigkeit bieten nur noch die Worte el fifj tö xototiiv. Wir 
haben gesehen, dass keine Nöthigung vorhanden ist, sich unter der Balbis 
an unserer Stelle etwas anderes zu denken als ein Analogon zu den Ablauf- 
schranken, und es ist demgemiiss auch anzunehmen, dass der Diskoswurf 
in den Agonen auch von diesen aus im Stadion stattfand (vergl. Krause, 
I, 132). Da nun die Breite der Balbis in Olympia nur 48 Centimeter 
beträgt, so kann ein Diskobol in der Stellung des myronischen blos den 
rechten Fuss auf dieselbe gesetzt haben, während der linke rückwärts 
ausserhalb derselben blieb. Dies könnte in den Worten el f^fj rö yMTOTitv 
ausgedrückt sein. Ich gestehe, dass diese Erklärung vielleicht nicht ganz 
überzeugend klingt , doch kann dies wohl an der GesammtauflFassung der 
Stelle nichts ändern. 

Wurde somit der Diskoswurf im Stadion vorgenommen, wie stand es 
dann mit der Sicherheit der Zuschauer? Als der weiteste Wurf galt im 
Alterthum der des Phayllos (Schol. Arist. Ach. 215), welcher 95 Fuss betrug. 
Nach olympischem Masse berechnet (1' = 0*320o Meter) kommt dies gleich 
30*45 Meter. Xelunen wir also an, dass der Diskos durch Abprallen 
auf etwa 40 Meter noch gefährlich werden konnte, so konnte der Diskobol 
bei seinem Wurfe etwa 22*^ von der Mittellinie des Stadions abweichen, 
ohne mit dem Diskos den Rand desselben zu erreichen, oder mit anderen 
Worten, er hatte Spielraum in einem Winkel v(m 44^. Dies ergibt aber, 
namentlich bei geübten Agonisten, eine fast absolute Sicherheit für das 
Publicum. 

Apoll ist in unserem Bilde nach dem Wurfe dargestellt, und es ist somit 
die ganze Beschreibung der Stellung des Diskobols ein für die Vorstellung 
des Gemäldes belangloser, nur von der Sucht, bei dieser Gelegenheit einen 
beliebten Typus vorzuführen, veranlasster Excurs des Rhetors, durch den 
derselbe seine Vorliebe für G\Tnnastisches beweist. 

Faustkampf. 

Phorbas (II, 19). 

Am Kephisos in Bocotien hat sich Apollon mit dem wilden Phlegyer 
Phorbas um den Durchgang nach Delphi im Faustkampfe gemessen, nach- 
dem dieser zahlreiche Pilger gefangen oder im Ringkampf, Lauf, Pankration 
oder Diskoswurf überwunden und deren abgeschlagene Köpfe an der Eiche, 
seiner Behausung, aufgehängt hatte, wo sie modern. Nun liegt er besiegt 



— 519 — 

da. mit tödtlicher Wunde an der Schläfe, ApoUon aber ist nocli im Aus- 
fall dargestellt, denn seine vorstossende Rechte hat ihre Stellung noch 
nicht verlassen. Sein Haar ist aufgebunden , seine Hände mit Riemen 
bewehrt.*) 

Für unsere Kenntniss der Ttvyiirj bietet dieses Gemälde geringen 
Gewinn. ApoUon gleicht fdeLQcmui) tc&ktt] zunächst, weil er mit Schlag- 
riemen versehen ist. Diese werden, aus der furchtbaren Wunde des Gegners 
zu schliessen — das Blut rieselt hervor wie ein Quell ^) — nicht die unschul- 
digen fABtXixac^ sondern die mit harten Riemenstücken oder Metallbuckeln 
besetzten und daher gefährlichen acpaiQai oder /dÖQfArixeg (cestus) gewesen 
sein (Krause I, 502 f. und bei Pauly 1015). Die Beschaffenheit dieser 
gefährlichen Mordinstrumente sieht man z. B. an der römischen Bronze in 
den Antik. Denkm. d. I. I, T. 4 , wo namentlich die mehrfache Umwick- 
lung der Mittelhand mit Riemen, die dann einen dicken Ring bilden, den 
Vergleich mit Kränzen, den Philostrat gewagt hat, verständlich macht. 

Weiter ist Apollon gemalt dxe/^exojurjg . . xcrt vägxalrag dveilricpiog : 
mit langem und daher aufgebundenem Haar (Bougot, Philostrate Tancien, 
Paris 1881, 452, A. 1, verweist auf eine Neapler Vase). Sein Schema wird 
von Bougot unrichtig mit dem Dresdener Faustkämpfer verglichen (Clarac, 
V, PI. 857, Nr. 2181), welcher die Anne gerade vor sich hinstreckend 
sich nicht im Ausfall, sondern vielmehr in der Defensive oder mindestens 
in zuwartender Haltung befindet. Uebrigens sind die Arme, sowie auch die 
Schlagriemen ergänzt. 

Eine bessere Analogie bietet eine Reihe von Vasenbildem, die sämmt- 
lich den letzten Moment eines Faustkampfes darstellen, w^obei der eine 
Athlet noch in der Ausfallstellung gezeichnet ist, der andere aber bereits 
getroffen niedersinkt oder schon am Boden liegt, und sich durch Aufheben 
eines Fingers für besiegt erklärt. Hierher gehört die Schale des Duris, 
Wiener Vorl. VEDL , 1 , des Pamphaios , ebendort D 5 , ferner eine Neu- 
erwerbung des Dresdener Museums: Arch. Anz. 1892, 164 mit Abbildung 
(Herrmann), zwei Münchener Amphoren, O.Jahn, 584 und 578, eine 
Schale, Jahn, 279 und endlich ein Sarkophag der Villa Carpegna, 
Matz -V. Duhn, Ant. Bildw. in Rom, 2208, wo zwei Knaben in ähnlichem 
Schema erscheinen. Die Zahl der Beispiele beweist, dass der Typus eines 
soeben entschiedenen Faustkampfes in der griechischen Kunst beliebt war 
und in der Zeit weit zurückreicht. 



*) Ueber Apollo n's Beziehung zum Faustkampf und zur Gymnastik im Allgemeinen 
vergl. Kalkmann, Rhein. Mus. XXXVII, 402 f. und zuletzt Wem icke, Jahrb. d. In.st. 
1892, 215. 

*) Vergl. die weiter unten herangezogenen Vasenbilder. 



— 320 — 

Pale und Pankration. 

Palaestra (II, 32). 

Der Schauplatz ist Olympia iu Arkadien. Palaestra, die Tochter des 
Hermes, als virago charakterisiert, sitzt da mit einem Oelzweige an ihrer 
Brust, umtummelt von einer Schaar kleiner Knaben in verschiedenen Ringer- 
stellungen, welche die Tiakaia/tiaTa vorstellen; denn sie hat soeben die 
TraAij erfunden. 

Philostrat nennt die Palaestra die Tochter des Hermes und steht 
damit im Gegensatze zu anderen Nachrichten, die wir haben. Etym. magu. 
s. V. ndlr], aTtö r^g IlaXalaxQag ^vyarQÖg navömov ol'KoOvTog iv tQt6d((i 
aal Tovg xaiayo/ievovg tzuq^ orvnp dvaiQovvrog. ov ^EQfjfjg xaraxx^eig ig>ov€v- 
aev vTtod^rjKr] r^g IlaXaiaTQag. Hier wird Palaestra als Tochter des Pandokos 
bezeichnet. Ein andermal, Servius zu Aen., VIII, 138, ist sie die Tochter 
des arkadischen Königs Chorikos. Als dessen Söhne die luctamina erfanden, 
werden diese durch Palaestra dem Hermes, ihrem Geliebten verrathen, der 
nun die Erfindung verbessert und die Menschen lehrt. Beidemal also steht 
Palaestra in Beziehung zu Hermes, und im zweiten Fall wird sie ausdrück- 
lich, wenn auch nicht als Erfinderin, so doch als Verrätherin der ueuerfun- 
denen luctamina hingestellt ; und dass auch das Etym. magn. sie zur Pale 
in Beziehung setzt, beweist das «tto. Der Mythus lässt sich wohl dahin 
recoustruieren , dass Pandokos mit den bei ihm einkehrenden Fremden 
gerungen habe, und dass seine Tochter von der Schcmheit des neuen An- 
kömmlings Hermes berückt, diesem die Kunstgriffe ihres Vaters verrieth, 
um ihn zu retten. 

Ist somit Palaestra in diesen beiden Fällen des Hermes Geliebte, 
so schliesst sich Philostrat, wenn wir nicht eine Flüchtigkeit seiner- 
seits statuieren wollen, wie wir sahen, einer dritten Sagenversion an. Sicher 
bleibt auf jeden Fall, dass er die Palaestra, die man nach der Besclirei- 
bung des Gemäldes als Allegorie zu fassen versucht sein könnte, in den 
Kreis der Mythen erhebt. Sie ist eben Tochter des Hermes, in Arkadien, 
oder vielmehr in Olympia, das hier wie auch sonst bei Philostrat 
(I, 37, 17; 171, 7; II, 266, 23; 319, 6) zu Arkadien gerechnet wird, 
aufgewachsen, und ist nicht etwa als Personification der Ringschule und 
der in derselben vorgenommenen Uebungen aufgefasst, sondern als Erfin- 
derin der Pale (Brunn I, 275, dazu Krause I, 402, Grasberg er I, 
254 , A. 4). Für letztere gab es nämlich zu Olympia noch kein ä^kov, 
jetzt aber freut sich Alles über die neue Erfindung; denn nun wird das 
Kriegsbeil vergraben, das Lager mit dem Stadion vertauscht und nur mehr 
nackt gekämpft. 

Es könnte auffallend erscheinen, dass Phil ost rat die Einführung 
der Ekecheiria, denn auf diese spielt er offenbar an, gerade an die Er- 



— 321 — 

findung der Pale knüpft, und dies könnte vielleicht die Meinung erwecken, 
al8 wäre hier Ttdlr] in weiterer Bedeutung für alle gymnastischen Uebungen 
gesetzt. Dies wiederum wäre in doppelter Weise denkbar ; entweder könnte 
das Wort im Laufe der Zeit a potiori diesen allgemeinen Sinn angenommen 
haben, oder aber es hat noch seine ursprüngliche Bedeutung, und der Schrift- 
steller greift per synecdochen blos die wichtigste Uebung heraus, meint 
aber alle Arten gymnastischer Spiele. Was den ersten Punkt anbelangt, 
so kenne ich kein Beispiel für den erwähnten Gebrauch von ttctAtj, und 
es wäre daher gewagt, ihn hier zu statuieren.^) 

Aber auch die zweite Annahme wird dadurch hinfällig, dass sonst 
im ganzen Bilde ausschliesslich nur vom Ringkampf die Rede ist. Nur 
diesen also kann der Sophist auch zu Anfang, wo er von der Erfindung 
spricht, meinen. Und wenn er hier gerade an die Erfindung des Ring- 
kampfes die Einführung des Gottesfriedens knüpft, so ist dies wohl nichts 
als eine sophistische Spitzfindigkeit, die offenbar von der Erwägung aus- 
geht, dass eben die Pale, das Ringen Mann gegen Mann, die beste Analogie 
ist zum blutigen Kampf mit der Waffe und daher den kriegslustigen Völkern 
einen Ersatz für den Krieg bieten könne. Wird ja doch der Ringkampf 
anderseits als nützliche Vorübung für den Ernstfall angesehen (Phil. 
Gymn., 265, 26 ff.). 

Die Palaestra als Allegorie der Tumkunst aufgefasst ergäbe die 
Nöthigung, unter den fcalaiafiara folgerichtig alle in der Palaestra vor- 
genommenen Uebungen zu verstehen. Auch diese Bedeutung lässt sich 
aber nicht belegen, und das Wort kann auch an unserer Stelle nur in dem 
Sinne „Arten des Ringkampfes, Ringergriffe" angewendet sein. 2) Diese 



') Krause, a. 0. I, 400, A. 2 hat einige SteUen, die diese Anwendung beweisen 
sollen , zusammengetragen ; indess Plat. Leg. VII, 795 £, die er citirt, und wo Piaton die 
yvfAvaarixij in oQxijoig und JidXrj eintheilt, umfasst letztere nicht aUe uebungen (wie auch 
Stallbaum im Commentar meint), sondern bezeichnet, wie aus 776 A hervorgeht, sogar 
bloe die dgdrj jzdXrj. Auch sonst bedeutet bei Plato JidXrj immer Ringkampf. Paus. VI, 28, 3 
ist von jtaXaioTQai in dem TeTQdycovov die Bede, wo die Athleten ausdrücklich nicht mehr 
zum Ringen, sondern zum Faustkampf zusammengestellt werden. Die bekannte Bedeutung 
von jtcdaioTQa : Local für aUe üebungsarten, die einen geringeren Baum erfordern, beweist 
aber noch nichts für den Begriff JidXij selbst. Während nämlich letzterer seine ursprüng- 
liche Bedeutung ungetrübt erhielt, hat der Begriff jiaXaiaiQa, zunächst blos „der Ringplatz'', 
allerdings im Laufe der Zeit, nachdem auch andere Uebungen, wie namentlich der Faust- 
kampf und das Pankration, aufgenommen worden waren, seinen Umfang erweitert (Tum- 
achnle im Allgemeinen) und unter dessen Einfluss erhielt jicdatarijg die Bedeutung Palästrit, 
TudaUiv aber heisst später auch „die Palästra besuchen". Hierher gehören Beispiele wie 
Enstath. 1324, 28, Olem. Alex. Paed., II, 6, Etym. m. s. v. dfitpcotiöeg, die weiter unten aus- 
geschrieben sind. 

') Die von Krause, a. 0., citierten Beispiele sind theils unrichtig aufgefasst, 
tbeils nicht beweisend. Herod., IX, 33 Jiag' iy ndXaiofia ^Sgafis vixäv 'OXvfintdöa spricht 
vielmehr, wie aus Paus., III, 11. 6 ersichtlich ist, gegen ihn, indem hier :r. geradezu für 

EranM VindobonenBis. 21 



— 322 — 

Ringerschemata werden namentlich von Pollux, III, 155 (Bekker), m 
besonderer Vollständigkeit aufgezählt: äyxuv, Gx^iff^iv, aTtayeiv, Ivyittiv, 
dyxvQiLeiv , ^daaeiv, ävargeTteiv^ VTtoaxekil^eiv , Y.ai 7thxytaZeiv di xal 
ythficTKt^eiv TtaXaiaiidiiov dvduara. fAoxS-riQbv yccQ vb /leaoTceQdeiy iv vfj 
•/,a)/i(i)öi(jc axrifAa TtalaiafiaTog, Schol. Soph. Trach. 520 i(JTi di eldog 
7ta)Miaf^aTog fj yJJiua^, Hesych. v. xUuaueg' TcdXrig eidog' '/Mua%iaxoL 
7tdXataf,ia jtotdv .... '/.Xi^icrKeg yäg '/mI '/Juuayuaf.ioi TtahxiouaTog eldog. 
Vergl. auch L u k i a n , Lukios 8 f. (Genauere Beschreibung der Ringer- 
schemata bei Grasberger, I, 349flF.) 

Diese Ringergriffe nun werden der Palaestra von einer Schaar munterer 
Knaben der Reihe nach vorgeführt , d. h. in die Malerei übersetzt : Die 
Knaben bilden Gruppen zu zweien, die in den verschiedensten Schemata 
des Ringens dargestellt, gleichsam als Verkiirperung derselben aufgefasst 
werden können. Unter den uns erhaltenen Mommientcn werden wir ver- 
gebens ein Beispiel suchen, wo eine Anzahl Knaben oder Eroten aus- 
schliesslich in Ringerschemen gruppiert wären, i) Dies hängt mit dem vom 
Künstler gewählten Gegenstande zusammen. Wälirend es seit den ältesten 
Zeiten ein beliebter Vorwurf war, die bunten Vorgänge in der Turnhalle 
bikllich zu fixieren, ist es eine neue und küline Idee eines Künstlers, die 
Palaestra einmal als mythische Figur zu fassen, ihr die Erfindung der 
Pale zuzuschreiben und sie mit dieser ihrer Erfindung in ihrer ganzen 
Mannigfaltigkeit zu umgeben. Und der Ringkampf in seinen beiden Arten 
bietet der künstlerisch wirksamen Stellungen wahrlich genug, um ermüdende 
Wiederholungen ähnlicher Schemata unnöthig zu machen. Wird ja doch 
diese Mannigfaltigkeit der Ttalalauaxa von Philostrat selbst betont, 
wenn er sagt: Die Palaismata sind von einander verschieden, und zwar 
ist das hervorragendste tö ^wriufxevov t^ Ttdlt] (eodd.). „Die mit dem 
Ringen verbundene Ringart'' ist aber ein Undmg, und da man hier mit 
Recht die Erwähnung des Pankration erwartet, einerseits weil bei diesem 
in der That eine Art verschärften und gefährlichen Ringens üblich war 
(vergl. 348, 21 f. im Arrichiou), anderseits wegen des wohl kaum zufälligen 



:idX?j gesetzt ist. Die übrigen SteUen aber zeigen das Wort bereits in der übertragenen 
Bedeutung: Kunstgriff, Kniff, List. Die von Krause postulierte aUgemeine Bedeutung 
scheint in der angezogenen ServiussteUe für luctamen zuzutreffen, wenn es heisst : amatam 
vero snam Palaestram remuneratus omne luctamen, quod corpore conficitur, palaestram vocari 
fecit; natürlich kann aus diesem Gebrauche nichts für das Griechische gefolgert werden, 
zumal einige Zeilen vorher: sed iuvenes, cum casu inter se haberent certamen, impressione 
et nisu corporum invenere luctamina, letztere sicher gleich unseren jicdaiof-iara zu fassen sind. 
^) Dagegen sind namentlich Sarkophage nicht selten, wo sich Knaben und Eroten 
mit verschiedenen gymnastischen üebungen belustigen, mindestens noch mit dem Faust- 
kampf: Lateran, Benndorf-Schöne, 54, Nr. 81 = Heibig, Führer,!, 491; Villa Albani: 
Heibig, a. 0. II, 75 f. ; Florenz, Dütschke, 198 und 217. Lowther Castle : M i c h a e 1 i s, 
Anc. marbl. 494, Nr. 48. Vergl. Matz, Arch. Ztg. 1872, IG, A. 37, IV. 



— 323 — 

Anklänge» an 'AqdxiOTovj so scheint mir die, wenn auch gewaltsame 
Aenderung Kay scrs (Ttdltj in Tivy^ij) vorläufig das Sinngemässeste zu sein. 

In der Beschreibung der Palaestra selbst hat Philostrat ein 
Meisterstück einer lucpQaaig geliefert, und auf sie vor Allem bezieht sich 
das Lob, zu dem sich Goethe bei Behandlung dieses Gemäldes hinreisseu 
lässt: „Ueberschwenglich grosses Bild; wer den BegriflF desselben fassen 
kann, ist in der Kunst sein ganzes Leben geborgen." Man hat sich in 
den Monumenten lange vergebens nach einer Darstellung umgesehen, die 
der Beschreibung Philostrat's irgendwie entsprechen würde, bis es 
Froehner, Gazette arch., 1889, S. 54ff., gelungen ist, auf einem Me- 
daillon eines römischen Urceus aus der Orange eine schlagende Analogie 
nachzuweisen. In der Mitte Hippomedon und Atalante, links Schoenus, 
rechts Palaestra, alle inschriftlich bezeugt. Letztere sitzt nach links, die 
Füsse mit Gewand verhüllt, das auch ihren Sitz bedeckt, sonst nackt ; die 
Linke ist auf den Sitz gestützt, in der Rechten hält sie einen Palmzweig; 
das Haar ist nicht kurz geschoren, sondern rückwärts aufgebunden. Können 
wir uns somit nach diesem Medaillon die Zeichnung dieser interessanten 
Figur, wie sie dem Rhetor vorlag, vergegenwärtigen, so erfahren wir aus 
seiner genauen Beschreibung auch etwas über das Colorit. Die Männlich- 
keit der Palaestra geht soweit, dass sie auch das den Frauen eigene zarte 
Weiss verschmäht und ihre Haut in der Sonne bräunen lässt. ütfenbar 
war sie also mit jener dunkleren Farbe gemalt, die wir aus den pom- 
])eiauischen Wandgemälden als Charakteristikon der Männer kennen. 

Während uns in dem soeben behandelten Bilde die verschiedenen 
Arten des Ringkampfes vorgeführt wurden, treten uns sonst bei Ph i los trat 
noch einzelne Ringergruppen entgegen. Dem bunten Treiben der Palais- 
mata am nächsten kommt das heitere Spiel der 

2. Eroten (I, 6, S. 303, 3 flf.). 

Von den reizend geschilderten Gruppen der Liebesgötter hebt sich 
ein Paar ab, das von einer Menge Zuschauer mngeben ist. Die beiden 
sind im Zorn aneinander geratheu und ringen miteinander. Der eine ist 
um den anderen herumgeflogen , würgt ihn von rückwärts und presst ihn 
mit seinen Beinen; der andere jedoch steht noch unerschrocken aufrecht 
und sucht sich von der würgenden Hand des (iegners dadurch zu befreien, 
dass er ihm einen Finger verrenkt, jener wiederum beisst ihn vor Schmerz 
in's Ohr. Ueber diese Verletzung der Kampfregelu erbost, bewerfen ihn 
die Zuschauer mit Aepfeln. 

Was hier die Eroten in muthwilligem Spiele aufführen, war ein 
bescmderer Kunstgriff' beim Ringen. Es gehörte nicht geringe Geschick- 
lichkeit dazu, dem Gegner durch einen Sprung in den Rücken zu kommen 

21* 



— 324 — 

und ihn mit Armen und Beinen zu umfassen. Der Vortheil dieses KniflFes 
liegt auf der Hand. Man konnte den anderen sehr leicht würgen und hatte 
dabei dessen Hände fast gar nicht zu fürchten, zumal jener beinahe nur 
auf seine Vertheidigung bedacht sein musste. Ganz übereinstimmend gibt 
Lukian de gymn. 31 die Weisung : . . . lij TteQiTtrjdijaavTeg (bg xatä vwvov 

xh xqdvog i7toßdXkovr€g töv jtrff^vv, Vergleiche die Ringergruppe auf dem 
Mosaik von Palestrina Mon. d. Ist. VI, VII, T. 82 = Schreiber, Bilder- 
atlas XXni, 10 und auf dem Salzburger Mosaik: Jos. Arneth, Archaeol. 
Analect. Wien 1851, T. 7. 

Zu dem i-KTtaXaieiv des einen Eroten, wofür auch der Ausdruck 
xcnLo/daxelv vorkommt (Krause 1, 548 f., Grasberg er lU, 212), ist zu 
vergleichen im Arrichion 348, 28 tavrl yäq tod napcgaTtd^eiv igya Ttkrpf rov 
ddavetv xat öqivvecv, 

3. Antaios (II, 21). 

Ringkampf des Herakles und Antaios in der Wüste Libyens. Der 
Heros hat seinen ungeschlachten Gegner, dem die Mutter Erde beim Unter- 
liegen immer wieder neue Kraft verlieh, in der G^end der falschen Rippen 
umfasst und in die Höhe gehoben und tödtet ihn durch den gewaltigen Druck 
seiner Arme. Hermes kommt aus goldiger Wolke, um den Sieger zu bekränzen. 

Bis 371, 31 wird blos die Localität und die beiden Kämpen in Ruhe 
beschrieben, von da bis Schluss folgt dann die Schilderung des eigent- 
lichen Kampfes (Brunn I, 242f., 11,27, dagegen Friederichs 1,62, 
102, 111). Der Anfang des Bildes bot der Erklärung stets grosse Schwierig- 
keit: y.6vig ola iv Ttdhxcg ixeivmg STti Trijyg ^Aa/oy (Friederichs I, 56, 
A. 2). Welcker verstand unter Ttrfffi ^^^^o^ ^iö Oelgefäss, wie man 
solche auf palästritischen Darstellungen neben sandgefüllten Körben findet. 
Es ist aber wohl unmöglich, unserem in Tropen sonst geistreichen Schrift- 
steller den so gänzlich unpassenden Vergleich eines Oelgef ässes mit einem 
lebendigen Quell zuzumuthen. Die Erklärung von Friederichs hat 
schon Brunn richtig zurückgewiesen. Er macht auf Vita soph. 113, 25 
aufmerksam: ^vvtJQaro di (sc. ^HQaKkeidrjg) xfj ^fivqvrj xal tov eYdovg 
iXaiov xqrjvriv iTttaTLevdaag iv T(p tov 34axkri7tiov yviAvaaiqß XQ^^^^ ''^oi) 
ÖQiHpov^ wo offenbar ein Oelbehälter gemeint ist, aus welchem man das 
Oel konnte fliessen lassen, jedenfalls im sogenannten iXatod-iaiov (vergl. 
Grasberger 1, 342) untergebracht. Dies nun konnte allerdings mit 
Tti^yi] bezeichnet werden. Ueber den Sinn der ganzen Stelle vergl. Benn- 
dorf in der neuen Ausgabe. 

Antaios erscheint mit verbundenen Ohren; denn so ist mit Brunn 
a. a. 0. das Particip ^vvdeiov %b oig aufzufassen (dagegen Matz, De 
Philostratorum in describ. imaginibus fide, Bonn 1867, 50, A. 4). Er 



— 325 — 

hatte also die sogeuannten äfiq)a)tid€g umgelegt, metallene an Riemen be- 
festigte Kapseln zum Schutze der Ohren, wie wir sie an einem von 
Fabretti, De columna Traiani 267 (verkleinert Schreiber, Bilder- 
atlas XXIV, 8) veröflFentlichten Marmorkopf sehen (vergl. auch Krause 
bei Pauly 1018, Grasberger 111,212). Diesen Ohrenschutz begreifen 
wir vollkommen bei Faustkämpfem und Pankratiasten , doch auch hier 
nur bei den Vorübungen in der Palästra, weniger einleuchtend ist uns 
dessen Gebrauch beim Ringkampfe allein (Friederichs I, 58; Brunn 
1,210 f.), und geradezu komisch muthet es uns endlich an, wenn der 
Unhold Antaios mit diesem Requisit der Tironen der Palästra uns ent- 
gegentritt. Man wäre fast geneigt, eine Verderbniss der Ueberlieferung 
anzunehmen, wenn unsere Stelle nicht anderweitig geschützt wäre. Nicht 
beweisend sind freilich: Eustath. zu II. ^1324,38 xal äfAipcotideg zorrd 
Ilavaaviavj S$ oi nakaiarai Ttaqii toig ihoiv eixov, Hesych. v. dfitpioTideg, 
ag ix^vaiv oi nakaiarai Tteqi zoig Coaiv, Etym. magn. ä^tpiovideg' x^kvM 
xiva, oLTtEq OL TtahxLatai xolg ihal TteQie&eaav. Clem. Alex. Paedag. II, 6 
TCQÖg de vfjv ävLofjv tcov alaxQcov nai rfjv d-eav xwv öjAOicog €x6vra)v 6 d-eiog 
Tcaiöaycjybg xavä xit avtä xolg TtaXalovot tmv TtaiöicjVy (hg jurj xä Coia 
d-Qavoiio avxwv xovg 0(b(pQovag neQixi^rjOi koyovg, xad-aTtSQ dvxwxiöag 
(bg fAT^ övvaa&ai i^ixvela&ai elg S-Qovaiv xfig tpvx^g xd '/,Qovo/ia xfig noQ- 
veiag. Hier ist Ttalaiaxai und TtaXaiovxeg in dem oben constatierten späteren 
Sinne (= Palästriten) angewendet; dass es sich nicht um das Ringen als 
solches handelt, beweist der Vergleich in der letzten Stelle. Wenn wir 
jedoch bei PoUux 10, 175 lesen: eiev d*av Tcat dfAqxoxiÖEg ex xcov axEvioVy 
llkdxwvdg XE EtTcovxog ymI iv Keqtlvovl uiiaxvkov äficpoxidEg xoi xoig 
fvwxioig nelag (Nauck^ frg. 102), so müssen wir im Hinblick auf unser 
Philostratgemälde annehmen, dass Aischylos den Titelhelden seines Satyr- 
dramas mit dem Ohrenschutze ausgestattet hat. Dann stehen wir aber 
der merkwünligen Thatsache gegenüber, dass an diesen beiden Stellen 
gerade die Repräsentanten des rohen Ringens, die im Mythus Vertretern 
kunstgerechter Gymnastik entgegengestellt werden und diesen unterliegen, 
sich im ernsten Kampfe eines Geräthes bedienen, das der ausgebildeten 
Palästrik angehört. Bei Aischylos ist der Grund einleuchtend : es soll 
offenbar eine komische Wirkung erzielt werden. Und ich stehe nicht an, 
auch an unserer Stelle die merkwürdige Anwendung der Amphotides als 
einen vielleiclit unter dem Einflüsse der heiteren dramatischen Poesie 
stehenden launigen Einfall des Künstlers aufzufassen.') 

Einen grossen Theil der Einleitung, die bis 374,31 reicht, nimmt 
die Beschreibung der beiden Gegner ein, welche den Zweck hat, deren 



*) Brunn I, 210 hält die Ohrenklappen für ein Zeichen der niedrigen, feigen Ge- 
Rinnung des Barbaren. 



— 326 — 

verschiedene Eignung zum Ringkampf darzulegen. Wir bemerken hier, 
namentlich in der Schilderung des Antaios, eine auflFallende Anlehnung an 
Gymn. 279, 17flF. (vergl. Matz a. a. 0. 91). Wird dort verlangt 6 Ttalai- 
otrjq u xa-ra h'r/ov ev^r^Arig ^iv iazio ^äkkov ^ ^v^f^stqos, so ist Antaios 
iaog T(p f.irpLu xai vb eiQog. Heisst es im Gymn. fiijte ixpaiixriv i.ir[rE üuoig 
TÖv avxiva tTce^evy^evog, so lesen wir in unserem Bilde : 6 avx^v iTte^etrxrai 
TOig lofAoig, S)v ib Ttokv ItvI tbv avxiva Vi'ku. Hierauf folgt an beiden 
Stellen, nur natürlich im Gymnasticus bedeutend ausführlicher, die Be- 
schreibung von Arm , Brust und Bauch , dann der unteren Extremitäten ; 
der Stelle ib fdfj ÖQd-dv Tfjg xvrjjjirig äkUt ävehvd-eQOv entspricht im Gymn. : 
. . . , el fitida^oi ixulivovaa fj xvtjfLirj (pegoiTO , älÜ ÖQdvg & f^riQbg tTto- 
Xolto zfj iTtiyovvtdt. 

Nach dieser ausführlichen Beschreibung wendet sich Philostrat zum 
Kampfe selbst oder vielmehr zu dessen letztem Momente. Wir stehen einem 
neuen Schema der Pale gegenüber. Wie bei den beiden Eroten ist auch 
hier der eine Ringer, Herakles, seinem Gegner in den Rücken gerathen. 
aber nicht, um auf ihn hinaufzuspringen, sondern um ihn mit den Armen 
oberhalb der Weichen, wo die Rippen hen^ortreten, zu umfassen und empor- 
zuheben. Dass dies von rückwärts geschehen ist, ist in unserem Texte nicht 
ausdrücklich gesagt, geht aber daraus hervor, dass der Held seinen Unter- 
arm dem Antaios unter der Magengrube umlegt. Er schliesst vorne die 
Hände zusammen und der furchtbare Druck seiner Muskeln beninunt dem 
Unhold den Athem und wird für ihn dadurch tödtlich, dass die Spitzen 
der imechten Rippen sieh in seine Leber bohren. Antaios aber blickt ver- 
gebens Hilfe suchend zur Erde. Die Stellung der beiden Ringer ist wiederum 
äusserst genau geschildert ; von besonderer Wichtigkeit für das Gesanimt- 
schema sind die Worte : xard rod jurjQOv ÖQd^ittg (codd.) dvat^^iaevog. ögt^^iog 
kann sich, ob nun die Endung des Wortes richtig überliefert ist oder nicht, 
dem Sinne nach nur auf Antaios beziehen. Dieser ist somit in aufrechter 
Stellung und nicht wie Li b an ins, Orat., IV, S. 1082 (Reiske) erzählt: 
xar^ vMfalrig ibO^iov hTti yfjv (vergl. die Pariser Gruppe Clarac, V, 802, 2014). 
Aus xara roC /nr^Qov erfahren wir, wie hoch er von Herakles gehoben 
wird, nämlich so, dass dieser noch einen Oberschenkel, der oflFenbar etwas 
vorgesetzt zu denken ist, als Stütze für die Wucht des gehobenen Körpers 
gebrauchen kann. 

Dieser Stellung entspricht am meisten die Gruppe der Coli. Smith 
Barry (Clarac, V, 803, 2015 A) und eine kleine Terracotta, Compte rend.. 
1869, T. II, 5 , wo auch die Senkung des Kopfes beim Unterliegenden 
nicht fehlt. Sonstige Analogien sind gesammelt von Stephani, Compte 
rend. 1867, S. 33, 210 imd 30, dazu 1869, T. I, 29 mit zwei Eroten, 
ferner die beiden Bronzen Frochner, Coli. Greau, XXXIII, 965 und 



— 327 — 

Arch. Anz., 1890, 158, endlich zwei Münzen Catal. of gr. eoins (Alexandrie), 
VI, 1054, 1479. 

4. Arricliion (II, 6). 

Das Stadion zu Olympia in einem stufenloseu Thal, daneben des 
Alpheios leiehtströmende Fluth. Unter dem Beifalle der Volksmenge ringt 
Arriehion sterbend seinen Gegner nieder, ein Hellanodike schickt sich an, 
ihn zu bekränzen. 

Den Mittelpunkt des Ganzen bildet die abermals mit sorgfältiger 
Verbreitung über Einzelheiten geschilderte Gruppe der beiden Pankratiasten. 
Trotz dieser genauen Beschreibung ist die dargestellte Handlung bisher in 
der Hauptsache miss verstau den worden, indem man angenommen hat, dass 
die beiden Athleten im Wälzringen (äkiv^r^alg, y,vhatg) begriffen sind 
(vergl. Ersch und Gruber, Encycl. s. v. Pankration (Haase), S. 383 imd 
die CommentareJ) Nur Bougot. der sich im ausführlichen Commentar 
dieser alten Auffassung anschliesst, lässt sich in einer schüchternen An- 
merkung (540 f.) folgendermassen vernehmen: „S'appuyant sur le coti 
gauche. Tolg de yccQLareQolg ivi^rjaag ; si on suppose que les deux athletes 
ne luttent pas ä terre, iviLi^aag signifiera (lu'Arrichion flechit le genou 
gauche, s'assied sur le jarret gauche: mais comment coiicilier ce mouvement 
avec la position de la jambc suspendue en TairV"* Dass der französische 
Clelehrte mit diesen Worten das Richtige angedeutet hat, und dass sein 
Bedenken unbegründet ist, wird aus einer genaueren Betrachtung des 
Textes hervorgehen. 

Die Haltung des Gegners Arrichions beschreibt Phil ostrat wie 
folgt: Den Arm hat er um den Hals des Arriehion geschlungen und würgt 
ihn. die Schenkel presst er in seine Leisten, die Fussspitzen hat er ihm 
in beide Kniekehlen gebohrt. Arriehion seinerseits stösst den Fuss des 
Gegners der sein rechtes Knie zu heben droht, durch Ausschlagen seines 
Beines weg, presst jenen in der Leiste zusammen und indem er sich, der 
Besinnung schon halb beraubt, auf die linke Seite niederlässt, verrenkt er 
ihm den in seine Kniebeuge eingeklemmten Fuss. '-) Der Gegner aber er- 
klärt sich durch eine Handbewegung für besiegt. 

Auszugehen ist von der Stelle 349, 12 — 17. Wäre an ein Wälzringen 
zu denken , so läge Arriehion unten , sein Gegner aber müsste auf ihm 
knien, etwa seine l 'nterschenkel ihm in die Leistengegend, den Unterarm an 
die Kehle pressend. Wie aber kommt er ihm dann mit den Fussspitzen in 

M Aus der sinngetreuen lateinischen Uebereetziing Westermann's kann man wohl 
(las Richtig; lieraualesen. 

-) Paus, Vlll , 40, 2 heisst es dagegen: 6 de 'Aoon/j'on' fxxIh toji' h toj .-loSt 
Tov dvTayojrt^otteyov ddxTv/.or. Vergl. den Versuch Guttmann^s, De olynipionicis apud 
Mynae Phil. Vratisl. 18(55i 54. Anm., beide Nachrichten in Einklang zu bringen. 



— 328 — 

die Kniebeuge, wie kann er ihm mit Kraft das Knie heben und welchen 
Zweck hätte dies überhaupt? In welcher Stellung femer könnte Arrichion 
jenen gewaltigen Druck ausüben, der zum Verrenken des Fusses seines 
Gegners nöthig ist? Das alles sind unter der angegebenen Voraussetzung 
unlösbare Räthsel. Soll vielmehr das evi^eiv rolg aQiGTSQoig zur Folge 
haben, dass der Fuss des Gegners in der Kniekehle Arrichions eingezwängt 
und verrenkt wird, soll es ferner möglich sein, dass sogar dadurch, dass 
unserem Ringer die Sinne schwinden, der Nachdruck in Folge der Schwere 
des beinahe entseelten Körpers noch vergrössert wird, kommt schliesslich 
Arrichion beim Heben seines rechten Knies durch den Fuss des Arrichion 
in Gefalir, die natürlich nur die Gefahr des Umstürzens sein kann, dann 
ist es nicht m()glich anzunehmen, dass beide Kämpfer auf dem Boden liegen, 
vielmehr sind dieselben noch aufrecht, Arrichion aber hockt auf seinem 
linken Beine. Da sein Gegner, wie aus der Beschreibung hervorgeht, den 
Boden nicht l)erührt, ebenso auch der rechte Fuss Arrichions schwebend zu 
denken ist, so ruht in diesem Augenblicke die ganze Last beider Leiber auf 
Arrichions linkem Bein, wodurch der Umstand, dass der entkräftete und 
sterbende Athlet seinem Gegner noch das Sprungbein auszurenken vermag, 
hinlänglich erklärt ist. 

Wie ist nun die schwebende Stellung des Gegners zu denken? Von 
vornherein sind drei Möglichkeiten vorhanden. Er kann entweder auf 
Arrichion hinaufge8[)rungen sein, und zwar wiederum von vom oder von 
hinten, oder aber er ist von Arrichion selbst gehoben worden. 

Stellen wir uns den ersten Fall vor, den Sprung von vorn, so ergibt 
sich sofort die Unmöglichkeit zweier ausdrücklich postulierter Handlungen 
des Gegners. Es kann zunächst von keinem eigentlichen Würgen gesprochen 
werden, da hierzu das Zusammenpressen des Kehlkopfes nothwendig ist, 
und doch legt Philostrat gerade auf das Hyxeiv besonderes Gewicht, 
vor Allem ist aber auch hier wiederum unerfindlich, wie der Gegner seine 
Fussspitzen in die Kniekehlen Arrichions hätte stemmen können; höchstens 
von den Fersen wäre dies denkbar. Dazu kommt, dass sieh wohl kein 
Ringer auf diese Art von vorne leicht beikommen lässt, wie mir denn auch 
ein Beispiel hierfür in unserem Monumentenschatze nicht aufgestossen ist. 

Auch ein Ueberfall von rückwärts ist undenkbar ; denn der Angreifer 
kann von rückwärts dem Gegner die Schenkel nicht leicht an die Leisten 
pressen. Nimmt man an, dass er ihm dieselben zwischen die Beine stemmt, 
so reicht doch die Länge seines Beines sicherlich nicht aus, um zugleich auch 
mit den Fussspitzen kräftig in die Kniekehlen einzugreifen. Hätte der Gegner 
aber seinen Fuss von aussen eingesetzt, so bliebe das spätere ovvexei n// 
i%vßo>vi völlig unerklärt. Was vollends macht Arrichion bei dieser Stellung 
mit seinen Armen? Der Text gäbe hiertlir nicht die mindeste Andeutung 



— 329 — 

und man könnte höchstens annehmen, dass er sieh etwa wie jener Eros 
von der würgenden Hand zu befreien sucht. Dadurch würde er jedoch keines- 
wegs den Eindruck eines Siegers machen. 

Es bleibt also, so merkwürdig dies vielleicht zunächst erscheinen 
mag, nur noch die dritte Möglichkeit übrig: Arrichion hat seinen Gegner 
um den Leib gepackt und selbst emporgehoben, um ihn zu Boden zu 
schmettern und so den Kampf plötzlich zu enden. Er ist ihm von rückwärts 
beigekommen, denn die Annahme eines Angriffes von vorne würde das an 
erster Stelle besprochene unmögliche Schema ergeben. Das Emporheben 
des Gegners von rückwärts aber war ein beliebter und, wie wir oben sahen, 
häufig in der Kunst dargestellter Kniff der Ringer und Pankratiasten. 

Arrichions Widerpart unternimmt eine sehr wirksame Vertheidigung. 
Zunächst umfasst er mit seinem rechten Arm den Hals seines Angreifers, 
um ihn durch Würgen zum Nachlassen zu zwingen, zugleich aber zwängt 
er seine Schenkel in Arrichions Leisten und hakt ausserdem seine Fuss- 
spitzcn in dessen Kniekehlen ein , um ihn zum Falle zu bringen ; der 
Kunstausdruck hierfür ist vTtoayteU^eiv oder lyvvidv ttpaigeaig. ^) Bei der 
Erwägung, ob der Philostratustext darauf hindeute, dass der Gegner dem 
Arrichion von aussen die Schenkel umlegte oder aber zwischen dessen 
Füsse zwängte, überzeugte ich mich nach eingehender Besprechung mit 
meinem Freunde Heberdey von der Richtigkeit der letzteren Annahme. 
Der erste Bestandthcil der Zusammensetzung Ttegidieigag spricht zwar 
scheinbar mehr für äussere Umklammerung, doch wäre dann das Einzwängen 
der Schenkel in die Leisten nicht zu erklären. Offenbar ist bei obigem 
Particij) mehr auf die Praep. did Gewicht zu legen. Da der Gegner 
bei der geschilderten Stellung mit seinem Oberkörper nach der linken 
Brustseite Arrichions ausweicht, ist die Kraft seines rechten Fusses eine 
weniger ausgiebige, und Arrichion, obwohl durch das Würgen schon fast 
seiner Besinnung beraubt, kann hier noch durch einen Ruck den Fuss 
des Gegners aus seiner Kniekehle schleudern und i'Kslvov avvex^i xti ^ov- 
fiwvi : er presst ihn, d. h. seinen linken Oberschenkel etwa sammt dem 
Gesäss mit der linken Leiste zusammen — die rechte ist nämlich durch 
das Ausstrecken des Beines ausser Action gesetzt — indem er, nur noch 
auf das linke Bein sich stützend , auf dieses mehr kraftlos zusammensinkt 
als sich mit Absicht niedersetzt. Eben dadurch aber klemmt er den linken 
Fuss des Gegners kräftig in seine Kniekehle und verrenkt ihm durch die 
Drehung nach aussen das Sprungbein. Diesen aber zwingt der furchtbare 
Schmerz, sich durch ein Zeichen mit der Hand — offenbar der linken, die 

*) Vergrl. Haase, a. a. 0. 408. Aehnlich vertheidigt sich schon Odysseus (11. XXIII, 
709 ft'.) gegen den Angriff des Aias, der ihn gehoben hat, nur dass er ihm nach der ganzen 
Situation offenbar die Ferse in den Kniebng stösst. 



— 330 — 

nach unserer Autfassung noch frei ist — besiegt zu erklären. Dieses sogenannte 
äTcayoQeioi' besteht, wie aus den oben angeführten Vasenbildeni zu ersehen 
ist, im Ausstrecken des Fingers oder auch der ganzen Hand. »Sittl, Gebärden 
d. Gr. u. R., 219, nimmt auf Grund von Nonnus Dionys., XXXVII . 609 
äv^Qo viTLrpavva 'Kairjipii x^^Qf^ navd^ag auch für unsere Stelle ein Schlagen 
mit der Hand an. Bei unserer Autfassung der Gruppe ist dies kaum denk- 
bar. Da nun die angezogene Stelle nicht ganz unverdächtig ist^), wird 
auch hier die monumental überlieferte Art des dnayoQEveiv anzunehmen sein. 

Gegen unsere Gesammtauffassung der Gemäldebeschreibung scheint 
auf den ersten Blick zu sprechen, dass von einem Erfassen und Heben 
des Gegners durch Arrichion nicht die Rede ist. Wir dürfen aber nicht 
vergessen, dass sich Philostrat den ganzen Kampf aus der dargestellten 
Schlussscene reconstruiert, und dass es überhaupt nicht seine Absicht ist. 
das Ringen vom ersten Beginne an zu beschreiben, sondern er setzt in 
demjenigen Momente ein, der ihn gerade am meisten interessiert, beim 
Tivr/fjia, nachden er nämlich soeben herv^orgehoben hat, dass die Eleer das 
Würgen gestatten. Wenn es femer nach den Anfangsworten 348, 92 Hd-ev 
TÖv M^^iyjiüva ueaov J^dij jj^rfKiog ö avTiTcakog dTroxTeivat iyvcj den Anschein 
hat, als würde Arrichion von den Armen des Gegners umschlungen, so winl 
man durch das Folgende eines besseren belehrt; gleich darauf heisst es 
nämlich: y.ai rbv ^ev Ttfjxvv ri] öeiQfj ivißahv und 349, 18 xat tö aTcayoQEvov 
ännar^fiatviop rfj x^^Q*- Beide Hände des Gegners sind also beschäftigt, 
er kann sie nicht zur Umschlingung benutzt haben. Der Ausdruck ^iiaov 
aigelv muss allgemein als „erfassen, packen" gefasst werden; vergl. das 
TiQoilaße des Pausanius, VHI, 40, 2. 

Auf diese Weise lässt sich, glaube ich, der Text Phi los trat's in 
allen Einzelheiten verstehen. Von dem mit dargestellten Kampfrichter 
heisst es, er sei seiner Gerechtigkeit wie seinem äusseren Aussehen 
nach ein echter Hellanodikc. Er hatte also wohl das uns überlieferte 
lange Purpurgewand (Bekker, Anecd. III, 249, Etym. magn., 331, 24). 
Wenn Philostrat sagt: acetfavol aöcov (sc. rbv Mö^ixicova), so ißt 
dies selbstverständlich nicht buchstäblich zu nehmen, da der Kampf 
soeben erst beendigt wird. Er hat sich otfenbar vom Sitze erhoben und 
schreitet nun, den Kranz in der Hand haltend, auf den nimmehr unbe- 
strittenen Sieger zu wie Hermes im Bilde Antaios. Ringsumher aber lassen 
sich die Zuschauer durch den aufregenden Verlauf des Kampfes zu den 
lebhaftesten Aeusseriingen ihres Interesses hinreissen. 



*) Fr. Graefo, Leipzig: 1826, schläjrt vor: avegi rixtjoavTi xaxi}(fea XfToa neXdooag. 
Marrellus( Didot), Paris 1856, nimmt dies auf mit Beibehaltung von naxd^ag. K o e c h 1 y 
(Teubner) dasselbe mit .T^raoaas, was vielleicht das Richtige ist. 



Eine griechische Ziegelinschrift aus Siraiium 



JOS. BRUNSMID 




cii^MP 



Das Agramer Landcsmiisfuin besitKt seit beiliinfig zwanzig Jahren, 
als fteschenk des liamaligen Mitrovicer Caplans Ante Ilogctiö, einen in 
Mitroviea — dem antiken .Sirminm — gefundenen Ziegel von fast qiiadra- 



— 332 — 

tischer Form (0*34 lg., 0*35 br., 0055 d.) , worauf sich die oben stehende, 
mit einem Stift in den noch nassen Thon eingeritzte Inschrift befindet. 
Quer über den ganzen, theilweise noch mit einem cementartigen Mörtel 
incrustirten Ziegel, laufen zwei Schlangenlinien ; das Mftrjv ist von einer halb- 
kreisförmigen Linie begrenzt. Ein wahrscheinlich noch von den Findern 
gemachter Versuch, den Ziegel zu reinigen, hat demselben nicht zum Vor- 
theil gereicht. 

Die Inschrift wurde von S. Ljubid (Inscr. quae Zagrabiae in mus. 
nat. asservantur. Zagr. 1876, S. 76) in einem nicht besonders gelungenen 
Facsimile publicirt, jedoch wurde eine Lesung derselben nicht versucht. 

= XQfiari) K(vqi)e. Bohjvl (für ßorjd^ei) r^g TtoXeog (sie!), x^gv^ov 
TÖv IMßaQiv — Ki Tcv'La^ov (für g)vla^ov) Trjv Pwfioviav %e rbv ygaifjavia. 
24ui]v. Für Unterstützung bei der Lesung und Erklärung bin ich Herrn 
Prof. Bor mann zu Danke verpflichtet. 

Aus der Inschrift geht hervor, dass irgend eine Stadt und das ganze 
byzantinische Reich (Pco^avla der Inschrift) durch eine ^JäßaQig genannte 
Person in Bedrängniss gerathen war. Dass unter ersterer Sirmium zu ver- 
stehen ist, wäre schon dadurch sicher, dass der Ziegel dort gefunden 
wurde. Bestätigt aber wird es durch die Nachrichten, die uns über eine 
zweimalige Belagerung der Stadt durch den Avarenchagan Bajan (gewiss den 
'Jdßagig der Inschrift) bei Menander Protector (Müller, fragm. bist. gr. 
IV S. 200—269) erhalten sind. 

In den letzten Eegierungsjahren Justinian's wurden die Avaren durch 
Subsidienzahlung fürByzanz gewonnen (Menand fragm. 4 — 7. 9); von dessen 
Nachfolger Justin IL wurde ihnen jedoch die weitere Zahlung verweigert, 
worauf sie auf kurze Zeit zu den Franken abzogen (fragm. 14. 23). Von dort 
rief sie der Langobardenkönig Alboin gegen die Gepiden zu Hilfe (Men. 
fragm. 24. 25) und bei dem Heranmarsch versuchte es Bajan vergeblich, das 
von Bonos gut vertheidigte Sirmium zu überrumpeln (567 und nicht im 
folgenden Jahre, wie bei Müller angegeben ist, da es noch vor der 567 
erfolgten Niederlage der Gepiden geschah). An eine wirksame Belagerung 
der ausserordentlich festen Stadt konnte dieses Reitervolk gar nicht denken 
(fragm. 27. 31). Da der byzantinische Feldhen* Tiberius bei der Unter- 
stützung der Gepiden von den Avaren besiegt wurde, kam es zwischen 
ihnen und Byzanz zu einem Vertrage, in Folge dessen die Avaren gegen 
Zahlung eines Jahresgeldes von 80.000 Ducaten die Vertheidigung der 
nördlichen Reichsgrenze übernahmen (fragm. 28. 29. 34. 35). Unter Tiberius 
n. (578 — 582) leisteten sie auch wirklich gute Dienste gegen die Slaven, 
welche 578 Thrakien, Makedonien und Griechenland überflüthet hatten, 
zu einer Zeit, als wegen des Krieges im Orient kein byzantinisches Heer 
zur Abwehr vorhanden war (fragm. 47, 48). 



— 333 — 

Bald aber beschloss Bajan, von der Hilflosigkeit und Schwäche der 
Byzantiner überzeugt, sich Sirmiums, dessen Besitz ihm wiinschenswerth 
erschien, zu bemächtigen. In der Nähe der Stadt schlug er ein Lager auf, 
and begann eine Brücke über die Save zu bauen (580), um so der Stadt 
die Zufuhr vom jenseitigen Ufer abschneiden und sie durch Hunger zur 
üebergabe zwingen zu können. Dem byzantinischen Commandanten in Singi- 
dunum (j. Belgrad in Serbien) und dem Kaiser gab er durch eine Gesandt- 
schaft vor, dass er einen Zug gegen die Slaven beabsichtige. Erst als 
die Brücke fertig war, verlangte er durch eine neue Gesandtschaft die 
Üebergabe der ohnehin schlecht versorgten Stadt gegen Gewährung freien 
Abzuges für das byzantinische Militär und die Bürgerschaft sammt deren 
beweglicher Habe. Kaiser Tiberius wollte davon anfangs nichts wissen, da man 
aber in Byzanz auf die Treue und Verlässlichkeit der Avaren zu sehr 
gebaut hatte, gab es in Europa kein hinreichend starkes Heer, mit welchem 
man Sirmium hätte retten können (fragm. 63—65). 

Die schwache Besatzung von Sirmium vertheidigte sich unter ihrem 
anbehilflichen Commandanten Solomon tapfer gegen die Avaren. Da die- 
selben jedoch die Verproviantirung der Belagerten von Aussen unmöglich 
machten, stellte sich in der Stadt ein solcher Mangel an Nahrungsmitteln 
ein, dass die letzteren gezwungen waren, sich von allerlei Dingen zu 
nähren. Wie lange die Belagerung gedauert hat, ist nicht sicher; mehr 
als drei Tage, wie überliefert ist, müssen es gewiss gewesen sein. Wenn 
man aber mit Niebuhr unter Verwerthung einer Bestimmung des späteren 
Vertrages aus den drei Tagen eben so viel Jahre macht, so bleibt es 
auffallend, dass sich die kleine Besatzung, der dazu noch die Zufuhr abge- 
schnitten war, so lange gehalten hätte und dass die Byzantiner in der 
Zwischenzeit kein Entsatzheer zu Stande gebracht hätten. Da die Lage 
der Stadt so trostlos geworden war, dass sie, ohne Hoffnung auf einen 
Entsatz, weiter nicht zu halten war, wurde auf Befehl des Kaisers Tiberius 
(also spätestens 582) mit den Avaren ein Vertrag abgeschlossen, kraft 
dessen ihnen gegen Gewährung des freien Abzuges für Militär und Be- 
wohner (aber ohne alle weitere Habe als einen Anzug) Sirmium übergeben 
und der fällige Tribut für drei Jahre ausgezahlt wurde (fragm. 66). 

In den schweren Tagen dieser zweiten Belagerung durch die Avaren 
wird einer der verzweifelten Bürger von Sirmium, etwa bei den zur Ver- 
theidigung erforderlichen Bauarbeiten seinen und seiner Mitbürger sehn- 
lichsten , auf Schutz und Abwehr gerichteten Wunsch, in Form eines an 
Christus, den Herrn, gerichteten Gebetes in den noch ungebrannten Thon 
unseres Ziegels geschrieben haben. 



Ein Bruchstück des Menander und des Sotades 



Ton 



EDMUND HAULER 



Bine kleine Nachforschung, welche ich für Herrn Geheimrath Usener 
in G. Genebrarda Ausgabe von Origines' Werken (Paris 1574), die für ihn 
damals auf deutschen Bibliotheken nicht erreichbar war, bei meiner An- 
wesenheit in Paris vornahm, ergab fiir den geschätzten Fragesteller leider 
ein ungünstiges, für mich ein unerwartet günstiges Resultat. Meine Unter- 
suchung machte nämlich die Hofftiung des Genannten zunichte, es werde 
sich in der bloß von Genebrard aufgenommenen lateinischen Übersetzung 
eines unter Origines' Namen erhaltenen Commentars zu Hiob eine Nach- 
richt über den MärtjTcr Lucianus finden; aber meine genaue Durchsicht 
dieser von Joachim Perionms nach einer griechischen Pariser Handschrift 
angefertigten Scholienübersetzung förderte in einem größeren Excurs gegen 
die Astrologie ein längeres, nur theilweise anderwärts bekanntes Menander- 
bruchstück und einige Verse des Komikers Sotades zu Tage. 

Nach dem Kataloge der griech. Handschriften der Pariser National- 
bibliothek war das Original unschwer im Corf^a; öVaec. iVr. 454 aufzufinden. 
Diese Handschrift ist auf Baumwollenpapier geschrieben und umfasst 
183 Folio mittleren Formats (19*5 Cm. breit, 27'lCm. hoch; 26 Zeilen auf 
jeder Seite). Die ersten 153 Blätter enthalten den uns angehenden Hiob- 
commentar (Fol. 1*: ^Iioß ßißXog: ^iiQtyevovg. 2rii4aiv€i ^ ßißkog toC fxaxa- 
Qiov icüß bis Fol. 153^: t6v d-eöv xal vfjv avxov dixaioaivirpf iTtiTTQoa&ev 
Ttavrbg ohivog oiv rid-efievog) , Fol. 154 — 183 \ier Homilien des heil. 
Chrysostamus über Hiob. Nach der interessanten Suscriptio auf Fol. 183** 
wurde die Handschrift im Jahre 1448 vom Priester Basilitis geschrieben.^) 



*) Dieselbe lautet wörtlich Fol. 183*: f ^EyQdfptj i) ^lagovaa 6ik(X)xog avtrj dia 
ovrdoo)fu'}s, xojTOV, fiöyßov xal i^odov xov \ vyftj?,0TdT0v, ivdo^ozdzov xai :iäv ixlafiJTQord' 



— 335 — 

Was sich aus dem übrigen Texte des fast verschollenen Commentars an 
wichtigeren Details für die theologischen und philologischen Studien 
gewinnen lässt, wird sammt der Beantwortung der Autorfrage Herr Geheim- 
rath Usener demnächst im Rheinischen Museum behandeln; ich habe bei 
der Kürze der mir zu Gebote stehenden Zeit und der Knappheit des im 
Eranm erübrigenden Raumes mich auf die Veröffentlichung und Besprechung 
der zwei Dichterfragmente beschränken zu müssen geglaubt. 

Diesell)en finden sich, um gleich in medias res überzugehen, in dem 
erwähnten Excurse gegen die Astrologie. Der Scholiast sagt unmittelbar 
vorher (Fol. 126*), die Sterne seien von Gott zu Nutz und Frommen der 
Menschen geschaifen, nicht aber zu ihrem Schaden; Gottes Wesen und 
Willen sei gut, und daher könne er nicht der Veranlasser irgendeines 
Übels sein. Hierauf folgt die erwähnte Stelle, welche ich so lese 2) : 

MaQTVQ€t Ö€ fioi Tip "koyi^ Soog VTtoq^rjfcrig Mivavdqog 1 

Frg. I. 1 log TÖiaiv ei ipQovoDai a^fi^axog ivxr^' 

anavTi daifdwv dvdql avfXTtaqioxarai 
evd-vg yevofiivii) fÄvaiaycjybg rov ßiov 
äyad-og' 'Kaxbv yäq daifiov od vo^ioteov o 

5 elvuL ßiov ßlaTtrovra dyririhf ovd* ix^iv 
'Kcmiav, aTcavva d^dyad-bv elvat rbv d-eov. 



TOI' air&evTog 'ügkaviov : • de toxco. \ f "QajieQ ^h'Oi ;|fai'ßOt;öiv t)dfjv narolSa * Kai dalaxi 
ßiovvieg eidyv Xrjftit'a ' \ ovxfog xai rj yQatpovxsg fjdrjv ßrißki^ov xiXog : • acj&rj 6 ygaqov. ' 
eli^^ij 6 fx<ov\' dinrjv' d^irjvi' Dann in einem Zage wahrscheinlich: Td ;rdvTa[:ri/ ^gyov 
ij/iä>v] ^6$a aoi. N. \ BaadsTog te^ctV ^ ygdyag ttjv 6i).(lhov tavTtjv : • dXXd dij xal 
voßÄixüJg. I im hovg- ,s^ys' ^^^' «*'• — Diese von dem Herrn BibUothekar //. (htiont 
gütig revidierten Verse finden sich fast gleichlautend auch in anderen griechischen Hand- 
schriften, 80 z. B. im Cod. 2372 (581) vom Kloster San Salvatore auf der Univ.-Bibl. von 
Bologna (geschr. im J. 1312): 

(MöJTf^ ^svoi xo^igovotv etSetv :toi6a \ 
Hai ol HivövvsvovTeg evoeiv Xv/tieva | 
ovtoig xai ol ygatpovreg evoeiv ßißXiov (wohl ßtßXiov) xiXog. 

Nach Thomas William Allen , Notes on Greek manuscripts in Italian libraries, 
London 1890, S. 31. 

*) Testimonia: Frg. I, v. 1 : Eurip. Fragm. 601, 3 (Nauck*) d>g — avfAftaxsT 
xvxrj; cf. Mein. Menandr. monost. 462 (IV, 353). — v. 2 — 5 : obtavxi — ßXd:txovxa XQV^^^ 
et V. 6 cbiavxa — ^eov ap. Clem. Alexandr, Strom. V, 14, 130 (S. 260 Sylb.); v. 2—5 
Emeh. Praep. ev. XIII, 13, (S. 689 Vig.); v. 2, 3: Flut. Mor. 474 B (av/ijxagaoxaxet) ; Am- 
mian. Marcell. XXI, 14; Stob, Ecl. I, 5 (4); Schol, Theoer. II, 28. Cf. Mein. IV, p. 238; 
Koek Com. Att. fragm. III, Men. 550 sq. 

Varia lectio: Frg. I, v. 1 ov/n^iaxeT Eurip. 1. 1. — 2. daifimv avfuxaQiaxarat Cod.; 
d. dvögi o. Clem. Alex. al. — 4. daifwva ov voftaaxeov Cod.; 6. ov vofuaxiov Clem. AI. al. 
— 5. ßio%' ov ßX. Orrjxor Cod.; ßiov ßX. yorjöxov Clem. AI. al. 



— 336 — 
älk^ OL yevd^Evot rolg rgoTtoig avroi xcmoi'^) 

7C0lkf)V ^ iTCLTtkoTLrjV TOV ßlOV 7t€7t0Lr]fieV0L 

<xa)t Tcdvra rrjv avuov dßovUav (^Ttaq^h, 10 

10 rgitpavTsg ä7vog)aivovat daifxov aXnov 
TLol xcmöv ex€iv<)v tpaaiv aözol yeyovoreg. 

Ov'Aovv naz avTov ovöevög xcmov airiog ö d'edg. Mefj.(pofj.e%'og 
Si^TTOv TÖ y.a'/,bv rodro fid^rj^d aov d xwfdtxdg SiorddrigXaQivocg 
dtddaxcjv — (priaiv lö 

Frg. IL 1 (fidTatog iarc fxox^og') ei fievä tö fdad-elv 

ovnc f^v Tcad-eiv, S öel Tcad-elvj del yäq ^ad-elv ' 
ei del Tta&eiv f^e, y.av /ua^w, ri öel fxad-elv; 
4 ov del juad-elv dß* a öel Tvad-elv • öel yttq Ttad-elv, 

/Jid rotx od d'ehi) fdad-elv Tta&elv f.ie yitq öel. ITegiTTÖv oiv zb 20 
TT&ol rä Totavca keaxrivevea&at ' ovöiv yäg Ttqoiqyov. 

Diese Verse sind nicht alle neu. Vers 1 ist, worauf mich Herr Pro- 
fessor Gomperz aufmerksam machte, uns schon aus Euriptdes Frgm. 601, 
V. 3 (Nauck^) bekannt. Der Vers stammt aus der Tragödie neigidvog und 
erscheint daselbst in der Fassung: logrolaivei q)QOvovac av^^axel rijxrj 
bereits als alter Gemeinplatz. In der für ein Citat passenderen Umformung 
näatv ydcQ ei (pQovovat av^ifjaxel rvxrj kennt Meineke bereits unseren 
Vers als Menandrisch (Men. Monost. 462 ; IV, 353). Doch hat er die Mono- 
sticha in seiner Sammlung der Belege mit Absicht übergangen, da ihm (IV, 
708) dieselben zu viel unsicheres Gut zu enthalten schienen. Ist unsere Überlie- 
ferung direct aus Menanders Feder geflossen, so hat er wohl absichtlich die sonst 
geläufigere Wendung etwas abgeändert, indem er statt (yt;^.aaxcr mit Rücksicht 
auf das folgende Substantiv (^voTayioyog) av^fiaxog setzte. Die flF. Worte von 
änavTt bis ßXdTtTowa ^ijrdy (Vers 2 — 5), ferner anavra ö^äya&bv elvai rbv 
d-eov sind uns durch Clemens Alexaridr. Strom. V, 14, 130 (S. 260 Sylb.) be- 
kannt. Diese Stelle ist fast ganz ausgeschrieben durch Eusebius in der 
Praep. evang. XIII, 13 (S. 689 Vig.). Die Worte von aTcavri bis dyad-og 
citiert auch Plutarch und andere, vergl. die obigen Testimonia. Man könnte 
an eine engere Verknüpfung dieser Verse mit dem Anfangsvers durch das 
an die Spitze des event. Nachsatzes gerückte, durch den Schauspieler 
stark zu betonende aTtavrc denken; Menander hat ja am meisten unter 

») Testimonia: Frg. II: Cod, Nanian. (Venet. app. cl. XI, 23) fol. 211 » sentent. 
ni: et fiev 6eX fia^eiv xal furf jta^eiv, xaXov fia^eiv xzi. cf. S. 342 fg. 

Varia lectio: v. 10 sq. {Fragm. I, 9 sq.): et jr. (^anm &r.) t^v ktvxdiv aß. 
exTQitpavTeg a. Saifiova Cod.; eha St iavziov rrjv aß. ^xaxcögy | jq. Gomperz,; xatTtavta rijv 
avTcov dßovliav (^ytag^ex rgit^f. sive aßovXiav kx^^s't} \ tgitp. (vel xal navx iavzwv rrjy aß. 
jtaoex sive ixet) ipse. — 11. exeivo (p. Cod. — 14 — 16: 6e:tov — 6 xcofitx&g ocozdStjg ;fa^<v 
d>g SiddaxoDV ^idtaiov fjtox^ov eivai tpijaty, et fxeza ro jti. — 18. {Fragm, IX, 3): ei Sk Set :i. 
Cod. — 19. (II, 4) : [xa^etv cbteg Cod. ; fi, äg ä Gomperz. — 21. leaxriveveio&ai Cod. 






den Dichtern der neueren KonirKlic die seliauspielerische Interpretation in 
Anspruch «genommen (vergl. Demetr, de eloc. sj 193j. Doch scheint der 
bei Mennnder sehr beliebte lockere Anschluss der Sätze auch hier an- 
gemessener zu sein ; dadurch bewahrt auch log xTf die Bedeutung, 
welche es bei Eurip, a. O. hat. Nach der l'berlieferung l)ei Clemens 

werden wir das (Vers 2) in unserem Codex fehlende ävÖQi nach daiuiov 
einfügen. Das Wort kann aus Versehen ausgeblielien sein oder durch 
einen Späteren missverständlich ^) ausgelassen worden sein. Auch im 
Vers 4 ist nach Metrum und Sinn statt daiuova oi- vouaaieoi' des Hiob- 
commentars daiuov oi' vouiaveav entsprechend dem Texte des Cleia, Alex, 
zu schreiben. 

Neues bietet unsere Handschrift im folgenden. Statt des bei 
Melneke und Kock unvollständigen Verses tlvai ßiov ß?M7tT()vca yorfliov 
gibt unser Codex die vollständigere Fassung eivai ßiov od ßlaTiTovia 
^vY[röv or(J^ i'xeiv /Mxiav, Den unreinen 2. Versfuß ßtov ov verbessern wir 
mit der rberlieferung bei dem, Alex, durch Weglassung der durch Ditto- 
graphie aus dem vorhergehenden -nv entstandenen Negation ov. Das bei 
dem, stehende x^ijf/rov gibt allerdings einen schärferen Gegensatz zu 
y.cr/.bv daiuova, aber mir scheint das anspruchslose d^vriiov haltbar. Denn 
der Gegensatz zwischen den Dämonen und den Sterblichen einerseits, 
anderseits die Betonung der Einwirkung dieser auf das ganze mensch- 
liche Leben von der Geburt an zieht sich wie ein rother P'aden durch 
die ersten sechs Verse hindurch. Auch wird der Gedanke in dieser Fonn 
allgemeiner. Unsere Überlieferung zeigt zugleich, dass Tiippel im Gymn.- 
Programm Neubr., 1857, S. 15 irrte, da er den Vers nach dem allerdings in 
inhaltlicher Beziehung eine passende Parallele bietenden Vers :)91 am Juiri- 
pides Iphigenie auf Tauris : oideva yho oluai öatuovoiv ilvai y,a/.6v in der 
Weise ergänzen wollte, dass er hinter dem durch Clem. bezeugten xQijaiov 
noch ovdei'a hinzutÜgte. Durch die rberlieferung ist ferner der bei J/<^//<^iv 
und Kock in der Luft schwebende Verstheil anavva ö'äyad^bv elvai ibv d-eSv 
an seinen richtigen Platz gerückt, und die Vermuthung />/>ä/vv\v ( Adv. II. 284), 
der durch Einschiebung von olou vor that den Trimeter vervollständigen 
wollte, als hinfällig dargethan ; und in gleicher Weise erledigt sich Kocks 
Conjectur aVravra d' t)yoiu dyad-bv etvai rbv &eov. Es sagt ja auch Clem. 
Alex, a. 0. nach Anführung der H V2 Verse von UTtavti daimov bis ßkaTTtovia 
Xoriati'tv (resp. d^vrjTov) wörtlich Folgendes: el i a i7ricpeQei''a7tavia 
d'äyad^bv elvat rbv d^eov^ woraus hervorgeht, dass Jene W^orte nicht im 
unmittelbarsten Zusammenhange mit den letztgenannten standen. 



*) Er konnte das im Gegensatze zu dn/uon' und Oeog mit äi'i^otojio^ synonyme dyÖQt 
mit dem folgenden evOr^ ysvo/iiyo) für nicht vereinbarlich lialten. 

Eranoe Vindobonensis. >>9 



Neu sind ni. W. auch die darauftolgenden fiinf Verse, welehe den be- 
danken ausführen, dass der Menseli selbst an allem irngliicke schuld sei. 
Vers 7 ist tadellos überliefert ; der 8. enthält im fünften Fuße die sieh auch 
sonst findende Messun<? mTioIr^uhoi.^) Aber der 9. Vers ist offenbar ver- 
derbt.'-) Mir scheint die Unterordnunfi: des in unseren Worten enthaltenen 
wesentlichen Gedankens , welcher eine Stei^enmg des vorhergehenden : 
Tto/JJ.v 8i7ti7tloy.rjv rov ßiov 7ti7roir^f.ievoL enthält, nicht sinngemäß. Am 
nächsten liegt die Coordinierung der zwei Participien, zumal wenn wir 
bedenken, dass Menander, wie schon erwähnt, die Periodisierung so wenig 
liebt. Wie aus der adnot, <rit. ersichtlich, haben Herr Prof. Gomperz und 
ich Vorschläge zur Herstellung des Verses gemacht. Am leichtesten scheint 
<xa>t Träwa rt-v avridv dßovUav l'/.ieY> oder mit gefälligerem Versbau 
X. rrcfvr' eavTiov ti]v aß. lY,ieV> zusein; rraiTcc wäre hierbei ad verbiell (in 
allem, ganz und gar, völlig) und l/.el nicht = rote (vergl. Soph, Phil. 394 
u. a.), sondern in dem der localen (Grundbedeutung näher stehenden Sinne 
^darin, dabei^ (nändich in oder bei ihrem Leben) verwendet. 3) Waren 
die Wörtchen xor/ und h,u im Archetyp untereinander geschrieben und stand 
ü von iyM (sei es aus Raummangel wegen des Zeilenendes oder als Nach- 
trag) über der Linie, sc» konnte der Abschreiber ganz leicht (statt yMi) 
el schreiben und am Ende der Zeile £x mit dem folgenden roitparrfg 
verbinden. Dem Sinne nach dürfte aber meine gleichfalls leichte Cou jectnr 
<xf/)t Ttdvra rrjv airiov oder (x. Ttdvi iaviiov r.) dßovklav <7rof ^>ex ] tq. den 
Vorzug verdienen. Hie])ei fasse ich /cdvia als ( )b ject, ferner Ttagex postpositiv 
(wie Hom. 12 349) und den Ausdnick dßovXiav rcagex als Verstärkung 
des bekannten Ttagey. voov (so Hom. K 391, 1'133, fft/mn. Merc. 547 u. a.); 
d. h. «wenn sie ihren Lebensfaden stark verknüpft und alles über ihre 
eigene rnbesonnenheit hinaus verschwendet (erschöpft) haben, dann . . .*' 
Die Folgen ihres Treibens sind ärger als sie in ihrer dßovUa ermessen konnten 

') Vergl. Kock Men. fr. IGO .toi//> und 305 noiFi im letzten Fuß und 450 nejtoifjxevai 
am Versende. 

-) Wäre der nach der Überlieferung anzunehmende Condieionalsatz sinngemäß, so 
ließe sich zunächst an die Einfügung von fh' denken, das vor aßovUav als Präposition miss- 
verstanden und getilgt werden konnte; leicht hätte auch fio\ in Unzialschrift über aßovUav 
nachgetragen, als ex gelesen und statt vor aßovUav nach demselben zu rgiyarreg gezogen 
werden können. Aber der dann unreine vierte Fuß spricht gegen diese paläographL<(ch 
leichte Herstellung des Verses. Es müsste auch noch die UmsteUung des Artikels nach ehi 
vorgenommen werden. Die dann prädicative Stellung des Reflexiviims ist zwar bei den 
Komikern nicht selten (so bei Ansfoph. Pax 880: i/navtov Tqi :teet , Nub. 515, 905 und 
Fragm. 579), konnte aber einem späteren Schreiber oder Leser, welchem dieser Sprach- 
gebrauch unbekannt war, leicht Anlass zur UmsteUung geben. Würde man a.-ravra (st. «,t.) 
lesen, so wäre die asyndetische Fügung der Participien auffällig. 

^) So steht bekanntlich auch ibi namentlich bei den Komikern (z. B. bei Terent, Haut. 
472 ihi €f<fte = in ea re esse „dabei sein'', ebenso 983 und 10()3). 



— a:w — 

oder können. Der folji^ende Vers ^ibt zu keiner Ausstellung Anlass. Im Vers 11 
liegt die Besserung h.uvov (erg. äaiuova) statt ixeivo auf der Hand. Die tt'. 
Worte or/Mvv y^ix avtuv gehören dem Selioliasten , der aus Menanders 
Versen folgert, dass naeli diesem die Gottheit an keinem Übel schuld sei. 

Diese \>rse dürften Worte eines philosophisch gebildeten Mannes, 
wohl eines (Preises sein, der mit überlegenem (reiste die gewöhnlich der 
Gottheit gemachten Vorwürfe bezüglich der rnvollkommenheit der mensch- 
Hchen Natur auf die wahre Trsache zurückführt, nämlich auf die schlechte 
Handlungsweise der Menschen. Mir scheint dem Dichter besonders bei den 
V. 4 — 7 Platoft Krörterung im Staate {II, p. 379 C) vor Augen geschwebt zu 
sein: Oid aga , . , od- eng, iTtetdt] dyad'og, TtdvTiüv av tYri aYriog, wg 
(u TtohXoi /Jyoi'Gtv, u)j! ökiyojv uiv ring avi}QO)7toig aiTiog' — '/mI t(7jv 
uiv dyad-oßv otdevce liXkov alttateov, rw>' dt 7,ay,(ov uAA' ärva 
du ^r^ieh' tu curia, d)X uv rövO^eov und seine Satzung (a. Ü. 380 B 
undC): '/,ay.o)v de aYrtov (fdvai d-tuv xivt yl^n^eud-cu dyad-bv ovra, 
diajuQxsreov navri tqotki). — Ovrog uiv roivvv . . . SLg üv ei'ri t(7)v TitQi 
O-toig voficjv IE y.ai rvTtiov, - jn f) ^vdvr cjv aiTiov rov d-eov, d}.Xu 
T lov d yad^iov. 

Was die Krage der Zugehörigkeit unserer Verse zu einem uns be- 
kannten Komödienti tel anlangt, so lässt sich dieselbe bei der Allge- 
meinheit des (Jedankens natürlich nicht lösen. Vielleicht aber könnte der 
Tnistand, dass die in ähnlicher Weise weiter ausgeführten philosophischen 
Verse in den Fragm. 482 und 483 bei Keck, welche von der Allgewalt der 
vvxri handeln und alle unsere Gedanken, Worte und Thaten als von ihr 
veranlasst hinstellen , die also einen directen Gegensatz zu unsern Versen 
enthalten . die \'ermuthung etwas begünstigen , dass die neuen Verse von 
einem Gegner dieser Ansicht ausgesprochen waren. Aus Vers 9 fg. lässt 
sich ferner wohl schließen , dass die Spitze dieser Worte gegen einen 
Verschwender gerichtet ist, der seinem Geschick und den GiUtern, nicht 
sich selbst die Schuld an seinem Ruin beimaß. Danach kiuinte unser 
Bruchstück zu der berühmten KomiWlie Jlenanders 'Y^rto^io/jualog r^ JdyQoi- 
y.og gehört haben. V) 

Wir finden, was den Sinn unseres Bruchstückes anbetrifft, zunächst, 
dass die ev (foovoiviEg als mit der rvyr^ verbündet bezeichnet werden, sie 
haben das (ilück an ihrer Seite. In eine Art Gegensatz sind gebracht 
alle Menschen, denen gleich von Geburt ein guter Dämcm mitgegeben sei. 
Es handeln danach alle Menschen unter dem Schutze eines guten (Tcistes, 

') An den /ieinidnifio)}' könnte man denken wejjen der Erwähnung des bösen Dämon 
in unserem Fra^m. und wegen des Bruclist. 031. Mit anderen Fragm. (so dem aus der 
na'/MLXn) eitierten Verse 379 : d/Mi tojv /ofjorwy f^ei uv snitulFiav nal dfdc; oder mit 
Vers 11 der M<5if/.7o«' oder den Fragm. 173 fg.) ist die Sinnesverwandtsehaft weniger groß. 

99* 



— :^4(:) — 

die AVolilverstän(li*^eii aber noch außerdem mit Hilfe der rryij. Es erinnert 
das an den bekannten Ausdruck „nach Dämon und Tvehe'^. >[it Tvche 
ist das Menschenschicksal von Seite seiner AVandelbarkeit und l'nberechen- 
barkeit. mit Dämon von Seiten seiner beherrschenden, individuell wirk- 
samen Gestalt gemeint. Der Schutzdämon — eine gewiss im griech. Volks- 
bcwusstseiu lebendige Gestalt — ist litterarisch meines Wissens sicher ') zuerst 
von Sokrates bezeugt, aber für ihn allein, nicht für alle. Dersell)e hat bei 
ihm entschieden moralische Bedeutung, indem er ihn vor Fehltritten und 
unrichtigen Handlungen warnt. Hei Plato { vergl. Phaed. 107 D, Civit. X. 61 7 E. 
Conv. 202 E ff.) und in den platonischen Schulen erscheint die Annahme eines 
persr>nlichen . jeden einzelnen Menschen moralisch richtig leitenden und 
dessen Verkehr mit den Göttern vermittelnden Dämons verallgemeinert.-) \{)\\ 
Euklid, dem Schüler des Sokrates. berichtet man ferner, er habe behau])tet 
(was übrigens schon Empedoklea gesagt haben soll), dass jedem Menschen 
von Geburt aus zwei Dämonen beigegeben seien, ein guter und ein br»ser. 
Diese Ansicht mochte der Glückssturz, den viele hervorragende Männer der 
letzten vorchristlichen Jahrhunderte erfahren mussten, begünstigen. Doch 
wurde die heimlichere Vorstellung vom guten Dämon mehr ausgebildet: 
nicht nur die Hauseingänge trugen ihm geweihte Inschriften, sondern auch 
bei den Symposien wurde der erste Schluck ungemischten Weines dem 
guten Dämon geweiht, und bekanntlich gab es Vereine der Agathodämonisten : 
auch die bildende Kunst ^) verkörperte seine Gestalt {Plin. XXXVF, 5, 23). 
Ja, manche nahmen überhaupt keinen bösen Dänum an ; so weist auf dem 
von Gebes beschriebenen Gemälde (Cap. 4) der an der Lebenspforte gemalte 
Dämon jedem Eintretenden den Weg des Lebensglückes. Von der Bühne 
aus scheint für uns zuerst Menamler in den obigen Versen diese Lehre 
verkündet zu haben. Indem er zugleich darauf hinweist, dass die eigene l'n- 



*) Denn die 8teUe in He.siods^Eoya 121 ff., an welcher die Dämonen als eine besondere 
Mittek'lasse von göttlichen Wesen erscheinen, gilt als später eingeschoben; mir aber ist 
dies deshalb zweifelhaft, weil der Glaube an die Sympathie der abgeschiedenen Geister mit 
den Ihrigen und an ihr Wirken als Schutzgeister nicht nur bei den alten Aolem, sonden» 
auch bei den alten Indern und andern Indogermanen erscheint, s. H e/oA'crG riech. Gut terlehre 
I, 735 ff. Bei Hesiod heißt es nun , dass die Menschen des goldenen Zeitalters gute über- 
irdische Geister und Hüter der Sterblichen geworden seien (vergl. Plat. Cratyl. 31)8 A, 
Politic. 271 D, Leges IV, 713 D), welche unsichtbar überall auf Erden herumschweben, 
die Obhut haben über Recht und Unrecht und Reichthum gewähren. 

*) Von den bei Kock zur Men anderstelle angeführten Parallelen passt Senec. Epist. 
110: unicuiqne nostrum paedagogum dort dcum hierher, nicht aber iSoj)/i. El. 91 G fg. : toX-; 
avToTai toi \ ov^ avra; dei daificn'oyr jtaonazaTei] denn an dieser SteUc ist von der 
wechselnden Gunst der Götter die Rede. Vgl. über die Dämonen Lehrs Popul. Aufsätze 
S. 16(5 ff.; ZeUer Gesch. d. Philos. IP 791, III 1, 318; L. Schmidt Ethik I, i:)3— 1:>5 und 
/•. Si/bel in Hoschers Ausf. Lex. d. griech. u. röm. Mj'thol. s. v. Daimon. 

^) Vergl. u. a. Benndovfj Griechische und sicilische Vasenbilder. Taf. XXIX. Nr. 1 a. 



-- :m — 

besonneiilieit der Menschen Ursache ihres Unfrlückes sei. berühren sich seine 

Verse (vgl. Fragm. 11 und 762: o voig yaQ i;j.uTiv iaiiv tv y/M(Jnii i^fog) nicht 

nur mit Xenop/innes' »Spruch (bei Arist, Top. II, 6 ), die fSeele sei eines jeden 

L)ihn(»n, sondern auch mit Heraklits Ausspruch: /yi^Oj,* clrl^oc'hno daliuov 

und dem Verse F^picharms {Lorenz Fragni. B, 25, S. 2()1): o rQiV:roc; uv- 

^Qvi.roiot daiuwr uya^-ni;, oli^ (colg.^/ da '/ml yM/Mg , den wohl Menander 

selbst gelegentlich angeführt haben mag (vergl. Sfob. Floril. 37, 16). 

Nicht ohne Interesse ist auch das auf die Menanderverse folgende 

Sotadesfragment. Vor allem ist die Bezeichnung des Dichters durch 

& AOMWAbg ^^0Td^r^g ins Auge zu fassen. Es gibt nämlich bekanntlich 

zwei Dichter dieses Namens. Der eine ist der Alexandriner Sotades, 

'd T(7iv ^ liovi/jov uof^idiiov Tcotr^cijg o Maoiavlrrfi [AÜwn, VII, 21K>A); der 

and(Te weniger oft genannte ist einer der letzten Dichter der mittleren 

KomiWlie. Von ihm sind bisher nur die zwei Komödientitel *EyyJ^iofterac 

f-utv()i() und ITctQdi.oTQov^evog mit zusammen vier Fragmenten bekannt. 

Er wird bei Athenäm a. 0. als ö rffi it torig /.w^Ufjöiag (7zoirin]gj und IX, 

368 A ebenso wie an unserer Stelle als ö yjo^r/.og l^ezeichnet. Dass 

hier dieser Dichter gemeint ist, geht auch aus den iambischen Trimetern 

unseres Fragments hervor. Habe ich das unverständliche yuQiv wg richtig 

in Xagirocg verbessert, so haben wir damit einen neuen Komödientitel 

Xa^Jvoi gewonnen. Der Name scheint nach unserer Iberlieferung in den 

Zeiten Alexanders des Großen besonders häufig gewesen zu sein. Kine 

politische Rolle spielte z. B. der (i'^wv iTcojvufwg des Jahres :)08 7 v. Chr. 

(Olymp. 118, 1) und ein athenischer Demagog, der von JJeinostlienes orat. 

LVIII . 37 f. als o rr^odorij^ gebrandmarkt wird. Sehr beachtenswert 

scheint nun der l'mstand zu sein, dass von den vier uns sonst erhaltenen 

Bruchstücken unseres Dichters eines (Athen. IX, ?}C)>i A) einen entschieden 

politischen Inhalt hat. Hier spricht nämlich ein macedonisch gesinnter 

Redner : 

Traqo\}'lg tivai cfuivouai tof KQioßv).(o • ') 

loviov f-iaoäiai, n-agayMcedO-iti d^f^tt. 



Nach diesem Bruchstücke, sowie aus der damals |)olitisch so bewegten 
Zeit lässt sich vielleicht vermuthen, dass in den XaQivot jKditische Persön- 
lichkeiten dem Dichter vorgeschwebt haben. Ks entbehrte ja die mittlere 
Komödie nicht der Würze persönlicher Invectiven. die, wie das obige 
Fragment zeigt, auch leitende Persönlichkeiten wegen ihres politischen 



*) Dies ist der l>ekaimte Spitzname des sich stark pomadisierenden und schim frisieren- 
den Hegesipp aus Snnion. df*s radicalen Gegners Philipps und wahrscheinlichen Verfassers 
der Rede über den Halonnes. Mit rorrov im folgenden ist ohne Zweifel dnr macedonische 
König gemeint. 



— H42 — 

Charakters trafen. \) Natürlich könnte aber auch der Name auf zwei junge 
Leute, namens Xaolvog. gehen, wie einen solchen Terenz in der Andrh als 
lethargischen Freund des Pamphilus einfuhrt.-) Charinus heißt auch der 
erste Liebhaber im Mercator, sowie ein Jüngling im Paeudolus, Auflallig 
könnte im Titel sein, dass derselbe als alltäglicher Eigenname im Plural 
steht , während sonst dies nur von Götter- und Heroennamen oder von 
litterariseh berühmten und daher typischen Persönlichkeiten üblich ist. Ich 
verweise aber in dieser Beziehung auf die Titel Menaechmi und Bacchide^ 
und auf die vieler modernen 8chausi)iele und Opern. ^) Das folgende didday.ojv 
geht natürlich nicht auf die Bühnenaufl uhrung , sondern bezeichnet l)loß 
den philosophisch-lehrhaften Inhalt des folgenden Fragmentes. 

Aus den in Abhängigkeit von (piiolv angetÜhrten Worten indraiov 
ui'iyßov elvat lieCe sich mit einer leichten Umstellung der Versantang 
fidiaut^ eaitv iw/d^oc; gewinnen. Doch halte ich es mit Herrn Prof. 
Gomperz tÜr fraglich, ob derselbe bei Sotadea wirklich so gelautet hat: 
denn wir wissen weder das Vorhergegangene, noch kann die Mittheilung 
des Scholiasten in dieser Form Anspruch auf wörtliche Treue erheben. Mit 
dem (benannten trenne ich ferner diese Worte vom folgenden. Im Vers 2 
schreibt derselbe statt: dal yäo ua^eiv mit Rücksicht auf den irrealen 
Vordersatz: i'dn uaxHlr, Leicht konnte iöei zu dd i;:eworden sein und tleni 
hinkenden Metrum dann durch den Einschub von ydo aufgeholfen werden ; 
auch die ähnlichen Worte an der gleichen Stelle des 4. Verses könnten 
dabei mitgewirkt haben. Ho klar hierdurch auch der Gedanke heraus- 
gearbeitet erscheint, so befriedigt doch diese Fassung nicht völlig in Hin- 
blick auf den vom Scholiasten vorher angeführten Gedanken. Der stierende 
asyndetische Anschluss wird aber m. E. durch Beibehaltung des ül)erlieferten 
dd ydg beseitigt; der Indicativ des Präsens dürfte bei der allg(»mein 
giltigen, in lebhafter Weise als objectiv gefassten Folgerung nicht auttallen. 
Das gleich darauffolgende: ei de äd (v. ;3) l)ildet einen unmetrischen ei-sten 
Fuß, den Herr Prof. Gomperz durch die Umstellung: ei d'iui naD^dv dei 
heilen will. Für die Erhaltung des de scheint auch die offenbar auf unsere 
Verse zurückgehende Sentenz im Codex Xanianus (Venet. apj). cl. XI. 25 ; 
sopc.W. in.) zusprechen, deren nachträgliche Kenntnis ich Herrn Prof. 



\) Dies scheint mir Milllev-Heitz in der Geschichte der jrriech. Literatur*, II, S. 70 fq:. 
nicht mit Recht in Abrede zu steUen. GeloffentUcli finden sich ähnUehe Hiebe seUyst bei 
Menander y so auf Alexanders Trunksucht (Frg. 20HK); vergl. auch Meinehey I, .S. 4H<> ft*. 

-) Die Geläufip:keit des Namens in Athen bezeugt auch die Enis-ähnung einer rWn 
Chariui in Terenz' ffanton tiniona»eno.s , der bekanntlich nach Menanders gleichnamigem 
Stück tibersetzt ist. 

^) Vgl. „Die beiden Ijeonoren" von Lindau y „Die beiden Klingsberg" \on Kot zehue, 
„Die l>eiden Cagliostro" von Gieseke und unsere moderne Oper Mascagnis ^Die Rantzau*^. 



— 843 — 

Dr. H. Scheiikl verdanke'); dieselbe lautet folgendermaßen (Fol. 211'', 
nach den Pseudo-Pythagor. XQvau ^ttij) : Et luv 6ti juad^elv y.ai ut] nad^eiv, 
y.akbv uad^eiv el de dei nud-Biv y,ai u}) iiad-eiv^ zi yqei Ttad^dv inad-elv 
yuQ dei. Aus dem Sinne und aus unseren Versen ergibt sich, dass hier: 
ei di dei Tca&eJv ue y.al uaO-elv, vi xQf) (dei.^J juai^el p; TtaO-el v yccQ 
du zu lesen ist. Wie passend hiernach auch die obige Änderung scheint, 
es bleiben fiir mich folgende Aporien: durch el d^ifie Tiad^elv dei wird 
die an beiden Stellen überlieferte Wortfolge Sei Tta&elv mit nacligesetztem fie 
(resp. tiri) verlassen und der meiner Ansicht nach vom Dichter beabsichtigte 
ähnliclie Anlaut der N'erse 2 l)is 4 (ovy, ijv na&elv — el dei Ttai^elv — ov 
dei uad^elv) unberücksichtigt gelassen; auch scheint mir die Hervorhebung 
von hie nicht durch die übrige Fassung der Sentenz, begründet. Endlich 
scheint nicht gleichgiltig, dass dem de in der populär gehaltenen Sentenz 
des Xanian, ein uev vorhergeht, das an unserer Originalstelle fehlt. Erwägt 
man femer. dass in unserer Handschrift Dittographien häufig sind und de 
vor dei leicht auf diese Weise entstehen oder eben zur Vermeidung des 
anfangs auttalligen Asyndetons eingeschoben werden konnte, so wird man 
die Auslassung des de wohl als den leichtesten Vorschhig zur Heilung des 
Verses betrachten dürfen. DaiÜr, dass in ähnlich komisch-pointierten Versen 
nicht so sehr auf die streng logische (iliederung der CTcdanken als auf die 
möglichst häufige Wiederholung gleicher oder ähnlicher Ausdrücke besonderer 
Nachdruck gelegt wird, lassen sich genug Beispiele beibringen.-) An 
unserer Stelle kommt dazu, dass die Betonung und Action des Schau- 
spielers den Gegensatz ganz klar machen konnte und nach den Bruchstücken 
das Asyndeton bei Hotadeft beliebt gewesen zu sein scheint. 



*) Weiter entfernen sich vom ursprünglichen AVortlaute folgende AiKiphthcgmen, auf 
welche mich gleichfalls derselbe in liel)enswürdig8ter Weise aufmerksam machte: Cod. Paris, 
1168, Apophthegmensammlung Nr. 170: 'O avzö^ Fq^t) la .-raOrj/naia {:id{}rj Vat. Gr. 1144) toTg 
nv§QU}:iotg nafh^fiaxa eivai :i€ol rov ßior' Tro'Ü.oi yuo ov bwafiFVOi to fiiXkor JiQoooär rcp 
),ayo) \x(p A. JTo. r. fi. Vitt.^ T(p TTaoyeiv fjoOovio Ta jTfjdyfiaza ; vgl. Sternbach (Gnomol. Vat.) 
AViener Stud. XI, 220, Nr. 511; das vorhergehende Fragm. wird in Stob. Flor'il CJII, 13 
dem Sotades zugeschrieben , die Sentenz selbst erscheint dem Simonides beigelegt ; es ist, 
wie so häutig, da.s Lemma verschrieben. Im Maximus c. 18 und den anderen Florilegien 
fälschlich 'Po)/iv(/.j?.ov, da dies der letzte Name vor unserem Apophthegma im Paris. 11 ()8 
ist (über diesen vergl. des Genannten „Epiktetische Fragmente", S. 48 [488]); in der com- 
2»aratio Men. et Phil. (Stndemund, ind. lect. aest. Vratisl. 1887) v. 134 : ndrxoyg .-raOEiv 
:iovrjo6v, fj (el) ftadsiv bei und ebenda v. 147 — löO. 

*) »So z. B. au.'^ unserer Literatur Uikkerts Verse : 

Von Unbedeutenden l)edeutet 
Bedeutende.s nicht viel ; 
Viel von Bedeutenden bedeutet 
Ein unbedeutend Spiel. 



— 344 — 

Im folgenden Verse schlug ich zunächst vor, das metrisch ungetiige 
uTieQ in ä zu verbessern. Doch schließe ich mich jetzt an Prof. Gomperz 
an, der äg' a verbessert, um den Abschluss des Gedankens hervorzuheben. — 
Die weiteren Worte: diä tovt^ ru' d^e?,iü ftad^elv Ttad^iiv /.iE yag dei, welche 
allgesehen von der Wiederholung des eben ausgesprochenen Gedankens 
sich nicht in einen iambischen Trimeter gielocn lassen, verrathen sich als 
Schlussfolgerung des Hiobscholiasten , der auch sonst seine eigene Person 
sehr hervortreten lässt. 

Das Bnichstiick bezeichnet den Wunsch, das Geheimnis der Zukunft 
(wahrscheinlich aus den Sternen) zu lüften, als eine unnütze Qual. Denn 
das Vorhererfahren ist nur dann von Wert, wenn nach dem Erfahren 
dessen, was einem widerfahren soll, das Widerfahren nicht einträte. 
Tritt dies aber nach dem Erfahren doch ein . so ist das Vorhererfahren 
zwecklos, da einem ja ohnehin dasselbe widerfahren muss.') Der Inhalt 
wie insbesondere die Form des Bruchstückes scheinen darauf hinzuweisen, 
dass Sotades in demselben das Gekla|)per philosophischer Argumentationen 
nachahmen wollte. Auf dasselbe dürfte auch das vom Scholiasten gebrauchte 
Wort hoxrivevea&ai hindeuten. 

Auch der Verfasser des Hiobcommentars holte gleich dem litterarischen 
Missionär Clemens von Alexandria, wie wir aus diesen bühnengerecht 
gemachten Sätzen der späteren griechischen Philosophie sehen, zur Be- 
kämpfung des vielfach im Aberglauben der damaligen Zeit befangenen 
Christenthums und zur Bekräftigung der Dogmen der Kirche wirksame 
Waffen aus der Rüstkammer der Antike. Schon nach diesen zwei bisher 
unbeachtet gebliebenen Bruchstücken lässt sich aus der übrigen Masse der 
Scholien noch Erhebliches erwarten. 



*) Diese Lebenserfahrung findet sich in den verschiedensten Tonarten bei den Griechen 
und Römern wieder ; ich verweise z. B. auf Anakreont. 41 : no^ev oidafisv to ixikkov ; | 6 ßtog 
ßooxoXg ädrj/.og. Theohr, XIII , 4 : ^vaxol jteXofieo&a, ro d*av(}io%' ovx eoogojjiteg. Pallad. 
Anth. Pal. XI, 62 : ovde rig iariv \ avgiov ei C'rjoei drrjTog Ltiaidfievog. \ tovto oaq.ibg dv^oM.Te 
fiaOwv evifoatvE aeavzov xTe und Horaz carm. I, 16 : Tu ne quaesieris — scire nefas — 
quem mihi ^ quem tibi \ Finem di dederint , Leuconoe, nee Bahjlonios tentaina numeros. 



Die älteste Gliederuns: Korns 



von 



E. BORMANN 



Dekaiint sind die schinien Worte, mit denen Cicero Varro's Sehrift- 
j^tellerei preiste) IHs auf ihn seien die Römer in ihrer eigenen Stadt 
Frenidlin^re gewesen, erst er habe ihnen die Erkenntniss ihrer selbst und 
ihrer Heimat ermö«j:lieht. Diese Worte re^en zu dem Versuche an, in 
dem, was als Wissen oder (rlauben der Röm(T von ihrer V(T^an^enlieit 
überliefert ist, das varronische CJut zu scheiden und zu ernüttehi, was 
\'arro neu ^efun(h»n liat und auf welche Weise. Es wäre damit für die 
lieurtheilunfi; und Verwerthun^ dieses, wie wir erwarten müssen, bedeu- 
tenden Theiles der Uel)erlieferun<^ eine feste Grundlage «gewonnen , die 
fehlt, solanjre derselbe unter der allgemeinen Bezeichnung ^Leji^ende" mit 
nmfasst wird. Freilich ist die ausgedehnte varronische Schriftstellerei, 
deren (Gegenstand das römische Alterthum war, zunächst verloren. Aber 
abgesehen davon, dass aus derselben vieles mit oder ohne ausdrückliche 
l^ezeichnung der Herkunft bei spiiteren Schriftstellern vorliegt, enthalten 
bei der engen Verbindung der s[)rachlichen und sachlichen Forschungen 
Varros di(* erhaltenen Theile seines WVrkes de lingua Latina manches, was 
er üljer Roms \'(*rgangenheit aufgestellt hat. zwar ohne weitere Ausführung 
und Begründung, aber wenigstens aus erster Hand. Das mag eine Probe 
des angegebenen Versuchs zeigen, indem ich, im Ganzen unter Beschrän- 
kung auf Varro's Aeusserungen in dieser Schrift, die Frage beantworte : was 

') Acadfmica posteriora 1,3,0 Tum et/o: Sunt, hiquatn, iftia, Varro. yain nos in 
7i(wtra itrbe pereyrinantis errantiftquCj tamquam hospites, tut lihri qitrm domum reduxe- 
runt j uf posaemun aliquando qui et uhi esttemuH wjiujucere. Tu aetntem patriae, tu 
fi€St'nj)fioneit femjH)rnm, tu sarrontnt iura, tu sacerdofunt , tu dometstivam, tu beUicam 
discipUnam , tu nedem ret/ionum hn'orum , tu omuium diviuarum hamanarumque rerum 
nomiua, f/enera, ofßcia, cauaas aperuittti cet. 



— :i46 — 

hat Varro über die älteste Gliederung Roms angegeben und woher stammt 
dasselbe? 

Ks kommen hierfür hauptsächlich folgende Stellen aus de lingua 
Latina in Betracht: 

1. f), f);') Ager BomniiKH primum dlvisus in pnrfis triM , a quo trihua 
opppllata TuienMium, Bamniumy Lweruin : nominati, yt ait JFJnnius, TlffciiHes 
ab Tatioy Bomnenses ob Bomnlo^ Lucere.^, nf Iun{w<y ab Lucumone : fted 
omnia haec votabuhi tusca, ut Vohihis, qul tragoedlas tiiscns scripsif^ (h'rp- 
bnt. Ab hoc quntttior quoque jyarths urbis trihi^^ dictae, ab Joc!^ Suhurana, 
Palatlna^ EnqulUna, Colluia, quintn^ quod snb Borna ^ Bomilia : sie reliqune 
tnginta ab Ins rebus, qmbu^"* In trlbutn Ubro scripsi, 

2. o, 46 In Siiburanar rrgiont's parte princeps est Caeltns inons a Cefe 
Vibemuiy Twsco duce nobill , qul cuni sua naniu dintur Boniulo venisst* 
au^clUo contra Tatluni regem, Hinc post Cells obltum y quod nimltt muntta 
loca feileren t neque sine suspicione essenty deducti dicuntur In ptlanunt. Ah 
eis dictus vicus Tuscus, et Ideo Ihl Vortumnuni sfare qm)d Is deus Etrurlao 
prinreps: de Oaellanis qul a snsplclone Ilberl essent, traductos In cum Incam 
qul vocatur CaellolusS) 

;). T). 81 TrIbunI mllltuni (dlcflj quod fernl trihus frlbubus Bamnnnn, 
Lucerum , Tlfluni olini ad exerclturn mittebnntur, TrIhunI plehel quod f.v 
trihunis mllltuni primum tribuni plebel facti qul plehem defenderent In 
secesslone C ^rustumerlna , 

4. 5, 89 Mllltes (dlctl) quod triam null um pinmo leglo ßehat ar sln- 
gulae trihus Tltlenslum, Bamnluniy Lucerum mllla mllltuni mittebant, 

5. 5, 91 Turma terlnia y E In V ahllt , quod terdenl equites ex trihus 
trihubus TItlenslum , Bamnlum , Lucerum flebant, Itaque prImI shigularutn 
decurlarum decurlones dlctl, qul ab eo In singulls tunm's sunt etlam nunc terni, 

6. 5, 181 Tributnm dictum a trihubus, quod ea jyecunia, quae popido 
imperata erat, tributim a singulls pro portlone census exigehatur. Ah hoc ea 
quae assignata eratj Attrihutum dictum ; ah eo quoque quihus attrihufa erat 
pecunia, ut nillltl reddant, Tribun I Aerarll dlrti. 

Nach diesen Stellen hat Varro über die älteste Gliederung Roms 
Folgendes vorgetragen. 

Romulus wurde im Kampfe gegen den Sabinerkönig Tatius von einem 
etruskischen Fürsten , dem Lucumonen Caeles \'ibenua unterstützt . dessen 



*) Entsprechend, nur weniger genau, Servius zur Aeneis 5, 560: /Vris etiuitmn uu- 
niero turmae.^ Varro tarnen lUcif Roniuhnn iUmicatum contra Titum Tatinm a Lucuntonihui<, 
hoc est Tu.'^cw, auxilium postninsse, tnnie qinilain venit cum e.cercitu, cui rerepto tarn 
Tntio pars urbis est (hta, a quo in urhe Tuscus dictus est ricus. 



— 347 — 

Scliaar. ebcMiso wie die des Tatius'). in der Stadt l)licb und zuerst auf 
dem Caeliiis. dann tlieils im viciis Tusoiis, tlieils auf dem ( laelioliis wohnte. 
Deslialb wurde Krmis liürgerseliaft und (lehiet zuerst eingetheilt in drei 
Drittel, trifnts, die <len Xamen hatten: 1. Titienses oder Tities nach Tatius; 
2. Ramnenses oder Raumes naeh Romulus; 3. Lueeri^s naeh Lueumo. 
Naeh diesen drei Theilen erfol<::ten die Leistun<»en der Hürfi:ersehaft für 
den Kriegsdienst, wie tür die Steuern. An Fussvolk st(*llt jede Trihus 
nrsprüufrlieli KM.M) Mann; (his hatte zur Fol^c^: 

1. dass für die Krie^^ccr zu Fuss aufkam und blieb die IJezeiehnuntr 
Tausendmaliger, mlhs ; 

2. das» das Auf<!:ebot zu Fuss. die Icijto, ursj)rün<::licii aus ;)(MM) .Alaun 
l>estand (und diese Zahl als Xorinalzahl der eigentlichen Le^^ion blieb); 

;1 dass bei der Legion )\ (/ommandanten waren |8i)äter wurde ihre 
Zahl verdopj)elt|; 

4. dass diese ('ommandanten die IJe/eiehnung trihunus (Tribusfiihrer) 
/iith'tum hatten und in der Fol<^ezeit behielten. 

An Reiterei stellte jede Tribiis zu jeder Abtheilun^ In Mann, eine 
Deeurie, die von einem Deeurionen. Anführer von 10. befehligt wurde. 
Die R(»iterabtheilung erhielt <laher als dreitheilig die He/eiehnung trruiHi, 
(las später in tunna überging, und bestand aus ;>(» Mann unter W Deeurionen. 
Diese Gliederung ist mit den Namen gel)lieben. 

Die Steuer wurde auch nach den Tribus aufgebracht und erhielt 
daher die Bezeichnung frlinttum. In entsprechender Weise erklärt es sich, 
ilass der von (lemeinde- oder Staatswegen zur Ausgabe bestimmte Betrag 
nttrihutum genannt wurde und dass diejenigen Personen, die die Auszahlung 
des Soldes an die einzelnen Soldaten vermittelten , die Amtsbezeichnung 
tnhuiiUH aevarntfi erhielten. Alle diese Bezeichnungen tfllmUun, attrlhutma, 
trlhuni nerarii sind geblieben. 

Spilter wurd(» eine andere Eintheilung von Roms lUirgerschaft und 
(^lebiet vorgenommen . indem vier städtische und mehr ländliche Theile 
gebildet wurden. Die neuen Theile erhielten dieselbe Bezeichnung, die die 
alten gehabt hatten. Tribus. 

Auch sind neben die Tribuni militum und c(*lerum später andere 
Tribuni getreten, die plebei. Als nämlich die Plebs von Rom fortzog und 
sich eigene Vorsteher wählte, stand sie unter dem f'ommando von tribuni 
militum. Aus diesen wurden die ersten N'orstehcT der Plebs genommen, 
und daher erhielten diese den Xamen, der geblieben ist, tribuni plebei. 



') Die fc?al»iner lU-ss Varro den Aveiitiii einnehmen, s. .Servius zur Aeneis VII. i\Wl : 
Varro tnmen fficit in f/tnifc popidi liomani, Sabinotf a liomulo susceptos istum (Arentinum) 
arcepinfie montem, quem "h Areute Jittvio proviticiac suae Aventinitm nppelhiverunt. 



US — 

Dies im Wesentliclien die varronische Darstellung, allerdings voraus- 
setzlich sehr unvollständig. Sie enthält Angaben über \ orgänge aus Uonis 
Gründungszeit und über eine damals geschaflene, einige Zeit nachher auf- 
gehobene Gliederung, und durch diese Vorgänge und diese Gliederung 
erhalten Namen und Einrichtungen, die noch zu Varro's Zeit bestanden, ihre 
Erklärung. Nun zweifelt jetzt wohl niemand mehr daran, dass aus Roms 
Gründungszeit es eine unmittelbare Ueberlieferung nicht gab und dass die 
auf dieselbe sich beziehenden Angaben erst nach und nach sich gebildet 
haben und wesentlich auf Rückschlüssen aus später noch Bestehendem 
beruhen. Bei der varronischen Darlegung ist es indess. wie ich glaube, 
möglich, ihren Ursprung und ihre Glaubwürdigkeit zu ermitteln, wenn man 
ihre Elemente scheidet. Ich stelle daher zunächst zusammen, was Varro 
unseres Wissens vorfand und in seine Darlegung aufnahm, erstens an Ein- 
richtungen und Namen, die zu seiner Zeit bestanden und deren Ursprung 
bei ihm Erklärung findet, zweitens an allgemeinen reberzengungen der 
Römer oder Ansichten einzelner Gewährsmänner, die er aufgenommen und 
verwerthet hat. Bei beiden werde ich auch Einzelnes anfuhren , was in 
den uns in der Schrift de lingua Latina erhaltenen Stücken seiner Dar- 
legung nicht erwähnt wird, aber voraussetzlich in der vollständigen vorkam 
oder doch auf seine Anschauung eingewirkt hat. 

Zunächst also in Varros Zeit bestehende Einrichtungen und Namen : 

1. Boden und Bürgerschaft waren in Abtheilungen gegliedert, vier 
städtische und eine grössere Zahl ländlicher, die die Bezeichnung tribu,*f 
führten ; 

2. es bestand eine Reihe collegialisch geordneter Functionäre mit 
der Bezeichnung trihun!: 

a) Gommandanten der Legionen, tnbuni militimi^ bei jeder Legion 6; 

hj die Vorsteher der Plebs, trihunl plebei; 

cj die in der Schrift de lingua Lat. nicht erwähnten trlhuni celerum, 

die sacrale Functionen gehabt zu haben scheinen, nach ihrem Namen 

aber aufgefasst werden mussten als ursprüngliche Commandanten 

der Reiter; 
d) die frlbufu aerorlt ^ die die Aufgabe hatten oder gehabt hatten, den 

Sold an die Soldaten auszuzahlen; 

;^. die directe Steuer hiess tributum, der Ausgabenvoranschlag attri- 
butum ; 

4. die Legion hatte bis vor einiger Zeit die Normalzahl von SOCM) 
Mann M gehabt und der einzelne Soldat hiess mifeft-^ 



') Freilich nur, wenn man die Velites als nnvollständig Bewaffnete nieht in Anschlag 
brachte. 



— :'>4i) — 

5. die Rciterabtheiliiiigcn im Heer hiesseii tnrmne und l)estanden aus 
;K) Mann unter :n)eeurionen; 

6. in der Stiuunordnunt^ l)ildetc einen bevorzugten Tlieil eine drei- 
faeh gegliederte Kitter.<eliaft, deren Al)tlieilungen die Namen führten Thips, 
Iinmni\*i. Luceres : 

7. in einer für gewisse sacrale liesclilüsse beibelialtenen Art von 
»Stimmnrdnung bestand fort eine augenscheinlich der gewöhnlichen Gliederung 
der Bürgerschaft zeitlich vorausgehende in 30 Curien. 

Von allgemein getheilten Anschauungen oder Ansichten einzelner 
Forscher hat Varro, soviel wir sehen, etwa folgende aufgenommen : 

1. Allgemein glaubte man, dass Romulus die Stadt Rom gegründet 
und die ursprüngliche politische und militärische Organisation geschaft'en habe; 

2. seit geraumer Zeit glaubte man. dass nach dt»m Kampfe des 
Romulus gegen den Sabinerkönig T. Tatius die Schaaren beider Könige 
sich zu einer Gemeinde vereinigt hätten; 

3. Ennius hatte angegeben, und seit ihm wird allgemein geglaubt 
worden sein, dass von der dreifach gegliederten und benannten Ritterschaft 
die Tities ihren Xamen nach Tatius hätten, die Ramnes nach Romulus; 

4. wie mehrere römische Einrichtungen , so führte man die XanuMi 
mehrerer Oertlichkeiten Roms mehr oder weniger allgemein auf etruskischen 
iTsprung' zurück, so den des vicus Tuscus, und nach mehreren verschieden 
gefassten Berichten hatte der mons Gaelius seine Benennung nach einem 
etruskischen Fürsten mit Xamen Caeles (oder Caelius) Vibenna erhalteuM: 

f). einige Zeit vor N'arro hatte lunius (fracchanus behaui)tet. dass 
von der dreifach gegliederten Ritterschaft, wie die Titi(»r und Ramner nach 
Tatius und Romulus , so die dritte Abtheilung der Luceres nach einem 
etruskischen Lucumonen (wohl Caeles Vibenna) genannt sei. 

Dies etwa fand N'arro vor. Vc^rgleicht man damit das von ihm Vor- 
getrag(»ne, so linden wir als anscheinend neu eine in sich zusannnen- 
hängendt» Reihe von Anschauungen. Varro meint, dass frihfnnfs von frihuf* 
herkonmie und dies ^Drittel" l)edeute. dass also der bestellenden Einthei- 
lung in 4 städtische Tribus und eine gri'issere Zahl ländlicher eine in .-> 
vorausgegangen sei. Dass die Ritterschaft oder ein Theil dorsell)en gedrittelt 
sei . sei demnach nur der übrig gebliebene Rest der früheren allgemeinen 
Gliederung der Bürgerschaft in drei Tribus, und die Xamen der Ritter- 

') Die meisten ««hriftstenerischen Angilben, die wir IiierüWr hiiboii, sind von der 
varronischen DarsteUun^ abhängig:. Die von VaiTO unabhängigen , einmal die bei Tacitu?» 
ann. 4, (>.') und bei Festus S. 85,") stehende, dann die in Kaiser ('laudius' Senatsrede enthaltene 
und aus etruskischen Annalen geschöpfte weichen unter einander ab, .stimmen alier darin 
äl)erein, dass sie den Herganj? unter Taniuinius Priscus setzen. Das dürfte vor Varn» die 
gewöhnliche Annahme gewesen sein. 



— 350 — 

ahtheilungoii Titles. Karanos, Liiceres seien die der Trihiis gewesen. Es seien 
also nielit Kitterabtlieilungen allein naeli den Führern der Sehaaren, die zn 
einer Gemeinde zusammentraten, genannt worden, sondern diese Sehaaren 
und neuen Gemeindetheile selbst. Uie Angabe des lunius Graeehanus, der 
in den Lueeres ein etruskisehes Element sah, sei riehtig. aber dies Element 
sei schon bei der ersten staatliehen Gliederung berücksichtigt worden ; der 
Zuzug des etruskischen Fürsten habe daher vor der Gliederung der Bürger- 
schaft durch Romulus, also vor dessen Kampf und Vereinigung mit Tatius 
stattgefunden. \) So erkläre sich die im Heere wie in der Bürgerschaft 
vielfach erscheinende Dreitheilung , erkläre sich ferner die Benennung 
tn'hufuiM bei einer grösseren Zahl von aus der älteren Zeit stammenden 
Functionären , erklären sich schliesslich in der Finanzverwaltung die Be- 
zeichnungen trihutum und attrlbutum. Wenn aber auch die Vorsteher einer 
später entstandenen Organisation , der Plebs , tribuni heissen , so sei die 
Ursache in den besonderen l'mständen zu suchen, unter denen diese Organi- 
sation ins Leben trat. 

Wie eng diese Anschauungen zusanmienhängen. leuchtet ein, ebenso 
aber auch, glaube ich, dass dieselben so leicht und fast mit Nothwendig- 
keit aus dem von A'arro Vorgefundenen sicli ergeben, dass der (redanke, 
Varro habe dafür noch gewisse andere, uns unbekannte l eberlieferungen 
gehabt, unnöthig und unwahrscheinlich ist. Das Wesentlichste ißt die Er- 
kenntniss oder Meinung , dass trihumia von trihus herkomme und dies ein 
Drittel bedeute. Ersteres musste jedem, der nach dem Ursprung der Worte 
fragte, sich aufdrängen, und das Zweite würde auch für denjenigen nahe- 
liegen, der nicht wie Varro in allen Dingen die Dreitheilung sucht und 
findet. Beweis dafür ist, dass auch manche moderne Forscher beide Ver- 
muthungen aufgestellt haben. Die sich daran anschliessende Hypothese, 
dass der Eintheilung von Bürgerschaft und Boden in vier städtische und 
mehrere ländliche Tribus eine in drei vorausgegangen sei, musste Varro 
nahe liegen und für ihn nichts Ikfremdliches enthalten. Er kannte, wie 
die Römer überhaupt, die politische Entwicklung einer fremden Stadt, 
nämlich Athens. Die römischen Tribus hiessen mit griechischem Namen 
(fvlat\ und von Athen wusste man, dass der späteren Eintheilung der Bürger- 
schaft in zehn und später noch mehr ^ckal eine ganz verschiedenartige in 
vier (fiXai vorausgegangen sei. Auch wissen wir, dass Varro den ent- 
si)rechenden Vorgang — Beibehaltung des Namens bei Aenderung der Organi- 

') Ist das dicitur bei Varro 5, 46 (s. oben S. 346) genau pesagt, so musste er 
nicht nur den Zug des (^aeles Vibenna nach Rom und sein Verbleiben dort, sondern auch 
die Ansetzung des Zuges unter Romulus schon bei einem Gewährsmann vorgefunden hal)en, 
und dieser könnte lunius Gracchanus gewesen sein. Dann wäre diese Einzelheit zu dem 
von Varro Vorgefundenen hinzuzufügen und von seinen Combinationen abzuziehen. 



— ;]Ö1 — 

»atioii, obwohl der Name seiner Bedeutung nach nicht mehr passt — auch 
auf einem anderen Gebiete angenonmien hat. und zwar mit Berufung auf 
den Fall der Tribu8.\) Alle weiteren Angaben aber in Varro's Darstellung 
ergeben sich als fast unvermeidliche Folgerungen, wenn man nur seine 
Neigung zur Ureitheilung und seine Weise der Etymologien und Erklä- 
rungen berücksichtigt. 

Ja es scheinen die varronischen Aufstellungen so naheliegend . dass 
man vermuthen möchte , den römischen Forschern hätten dieselben ganz 
oder theilweise sich schon früher aufdrängen müssen und wir hätten nur 
zufallig keine Kunde davon. Wissen wir doch, dass bei den Römern nicht 
nur Eigennamen früh Gegenstand der Neugier und Untersuchung waren, 
sondern auch fiir Appellativa schon vor Varro vielfach Etymologien auf- 
gestellt wurden. Ich will auch nicht bestreiten, dass schon ältere Grammatiker, 
die ja wesentlich durch den Glcichklang geleitet wurden, an den Zusammen- 
liang von trlbunm mit tribm und dieses Wortes mit der Zahl gedacht haben 
mögen. Aber um mit solchen Etymologien aufzutreten und sie glaublich zu 
machen, hätte es, da die Thatsachen dazu nicht passten — die Zahl der 
Tribus war weit grösser und kein Tribun hatte mit irgend einer Tribus 
etwas zu thun — eines durch historische Combinationen gewonnenen Systems 
bedurft und kein älterer römischer F'orscher hat, soviel ich sehe, etwas 
Aehnliches unternommen. Es lässt sich denn auch, glaube ich, noch be- 
stimmt beweisen , dass die varronischen Angaben vor Varro nicht auf- 
gestellt oder wenigstens nicht allgemein bekannt waren , nämlich damit, 
dass Livius in der Geschichtserzählung von ihnen keine Kenntniss hat. 
Bei ihm finden wir, wie jetzt wohl anerkannt ist, im (Ganzen die annali- 
stische Erzählung, wie sie bis zur suUanischen Zeit, also Varro's Jugend, 
ausgebildet war. Nun schreibt er 1 , 13 die Einrichtung der in drei 
Theile gegliederten Ritterschaft, wie überhaupt die älteste {mlitische 
(iliedenmg dem Romulus zu, aber dass die Namen der Ritterabtheilungen 
die der ursprünglichen Bürgerabtheilungen gewesen wären und letztere 
Tribus geheissen hätten, weiss er nicht.-) Vielmehr berichtet er die später 
bestehende Eintheilung in Tribus 1, 43 unter Servius TuUius als etwas 
Neues und sucht den Grund, wannn diese Theile die Bezeichnung Tribus 
erhalten hätten. Jene Eintheilung der Bürgerschaft in die drei Tribus 
Ramnes, Tities, Luceres kommt bei ihm erst 10, 6, 7 vor bei der Erzählung 

*) Man vergleiche ColumeUa 5, 1, 9: Centuriam nunc (Jicimus (ut idem Varro ait) 
ducentorum iugerum modum. Olim antem ab centnm iitgevibas vocahatur cettturia, sed 
mox duplicata twmen retinuitj sicati tribus dictae priynum a partibus populi tripartito 
dirisif quae tarnen nunc midtiplicatae pritftinum nomei^ possident. 

') Hervorgehoben ist dies meines Wissens zum ersten Male von B. Xiese in seinem 
Abriss der römischen Geschichte (MüUer's Handbuch IH S. 585). 



— 352 — 

über die Vermehrniiff der Zald der Auirure». aber so. dass er dieselbe 
augensclieinlich nicht in den ihm vorliei^enden historischen Berichten «ge- 
funden hat. Viehnehr wird diese seine Kenntniss irgendwie auf \'arro 
zurückgehen. Dagegen haben diejenigen Erzählungen über Romulus* Thätig- 
keit, die. wie ich meine . unzweifelhaft von \'arro abhängen . von ( 'icero 
(de rep. 2. 8. 14), üionvsius (2. 7), Dio (fr. ö. 8) die varronischen Aufstel- 
lungen an den entsprechenden Stellen. Teber die Vaterschaft ist also 
wohl kaum ein Zweifel möglich. 

II. 

Eine Kritik dessen, was wir sc» als Varros Lehre über Roms älteste 
(xliederung und mittelbar Roms Ursprung ermittelt haben, fällt im Wesent- 
lichen mit einer Kritik der in dieser Ikziehung jetzt herrschenden Ansichten 
und deren Begründung zusammen. Denn einmal hat die moderne Forschung 
das. was ich als varronische Hypothese ansehe, von einzelnen Ausnahmen 
abgesehen ' ). aus der Ueberlieferung übernommen und nur in verschiedener 
Weise modiücirt, indem bahl nur die Gliederung in drei Theile festgehalten 
wurde, bald auch der in Varros Ansicht gleichfalls enthaltene Irsprung 
aus drei verschiedenen Elementen, und diese Elemente als früher selbst- 
ständige Gemeinden betrachtet wurden. Ferner ist die Begründung der 
jetzt herrschenden Ansichten grossentheils mit demjenigen identisch, was 
Varro zu seinen Aufstellungen veranlasst hat. Die modernen Forscher 
haben bewusst oder unbewusst fast Alles der Tradition entnommen, aber 
da sie die auf die Kimigszeit sich beziehende Tradition nicht als historisch 
anerkennen . so müssen sie im Wesentlichen ebenso verfahren wie ^'arro. 
dass sie nämlich aus den in späterer Zeit bestehenden Namen und Ein- 
richtungen auf frühere Zustände zurüekschliessen. Die folgenden kritischen 
Bemerkungen berücksichtigen daher neben der varronischen Darlegung 
auch die modernen, doch beschränke ich mich dabei im (»anzen auf das 
moderne Hauptwerk. Mommsens Staatsrecht, dessen Abschnitt IIP S. 90 
bis 112 hier in Betracht kommt. 

In den modernen Darstellungen kommt zu den Beweisen für die 
ursi)rüngliche Existenz der drei Theile ein l)ei Varro oder wenigstens in 
den erhaltenen Büchern de lingua Latina fehlender hinzu, der aus den Mit- 
gliederzahlen von Priestercollegien entnonnneu ist. Die Worte Mommsens, 
St.-R., III. S. HO sind: „das Erwachsen des Einheitsstaats aus der Con- 
„föderation tritt hier (bei den ältesten Priesterthümern) mit besonderer 
„Schärfe zu Tage. Die Collegien sowohl der Pontifices (2, 20) wie der 



') Zu nennen sind namentlich die ol)en S. 3öl, A. 2 von mir angeführten Bemerkungen 
von B. Niese. Die Uebereinstimmung derselben mit dem, was sich mir an Beobachtungen 
oder Vermuthungen aufgedrängt hatte, ist mir sehr erfreulich gewesen. 



— 353 — 

^Augurn und der Vestalinnen zählten anfänglich drei Mitglieder. Uiese 
^ Dreizahlen stehen im Widerspruch mit der sonst in der älteren Zeit über- 
^wiegenden Parilität (l, 31) und sind ohne Zweifel, wie die drei Tribüne 
^der Legion und die drei Decurionen der Turma, darauf zurückzuführen, 
,.dass die drei gleichartig geordneten Gemeinden der Titienser, Ramner 
^und Lucerer je einen Pontifex und einen Augur und eine Vestapriesterin 
„hatten und bei ihrer Verschmelzung diese Institutionen combinirten/ Indess 
kann, soviel ich sehe, für keines dieser PriestercoUegien die ursprüngliche 
Mitgliederzahl drei als gesichert angesehen werden. Die Angaben in der 
antiken Litteratur sind durchaus unbestimmt und widersprechend, so dass 
augenscheinlich die Römer keine hoch hinaufreichende Ueberlieferung 
darüber hatten. Ja ich kenne überhaupt keine von varronischem Einfluss 
freie Stelle, in der die Dreizahl erschiene. Dem gegenüber kann der Umstand, 
dass in einer im Jahre 44 v. Chr. begründeten Colonie fiir die Collegien 
der Pontifices und der Augures eine Zahl von drei Mitgliedern festgesetzt 
wurde, kaum als genügender Beweis dafür angesehen werden, dass diese 
Zahl die für latinische Gemeinden überhaupt und auch für das älteste 
Rom giltige war. Allerdings finden sich Stellen, in denen die Bestellung 
und demgemäss auch die Zahl der Augures ^) , wie der Vestalinnen -) in 
Verbindung mit den drei Tribus gebracht wird. Ich zweifle nicht, dass 
dieselben auf Varro zurückgehen, der auch bei diesen Priesterthümern ver- 
sucht haben wird, eine Einwirkung der Eintheilung in die drei Tribus zu 
finden. Aber mit der Verwerthung, die das durch ihn geschaffene Material 
hei Mommsen gefunden hat, würde er nicht einverstanden gewesen sein. 
Für Rom und also auch für Varro bilden Pontifices, Augurn, A^stalinnen 
Collegien, sind nicht Einzel priester. Es ist daher zwar nicht ausgeschlossen, 
dass bei der Bildung der Collegien eine gewisse Gliederung berücksichtigt 
wurde, aber wohl, dass eine Gemeinde nur einen Pontifex, einen Augur, 
eine Vestalin hatte. Bei letzterer ist zudem schon wegen der Eigenthüm- 
lichkeit ihres Dienstes (Sorge, dass das heilige Feuer niemals erlösche) die 
Einzahl unmöglich. Man wird demnach die aus der Mitgliederzahl der 
PriestercoUegien entnommene Vermehrung der Spuren der ursprünglichen 
Dreitheilung nicht als wesentlich betrachten kinmen. 

Die übrigen Anzeichen oder Beweise für die vorausgesetzten drei 
Theile oder Elemente der ursprünglichen Gemeinde sind, so viel ich sehe, 
Varro und den modernen Darstellungen gemeinsam. Dazu gehört zunächst, 
dass in dem römischen Heere der historischen Zeit mehrfach die Dreizahl 



*) Livius 10, (), 7 in der von ihm zu der annalintisehen Erzählung zugefügten 
Erörterong. 

») Festus S. 344. 

Ennos Vindobonensis. 23 



— 354 — 

erscheint , rein oder verdoppelt oder vervielfacht mit der Zehnzahl und 
deren Potenzen. Die Einzelheiten habe ich oben angeführt und ich wieder- 
hole hier nur, dass Varro sie dadurch erklärt, dass einst die einzelnen 
Tribus zum gemeinsamen Heere besondere Abtheilungen zu 10 (Decurie) 
oder UKJ (Centurie) oder lOOÖ (daher mileji) Mann gestellt hätten. Die 
neuere Forschung hat Varro's Erklärungen wiederholt und zum Thcil mit 
besonderem Nachdruck. M Wenn man indess erwägt, welche Umwandlung 
das römische Heer in dem über ein halbes Jahrtausend währenden Zeitraum 
zwischen Roms Anfängen und der Zeit, aus der Varro sichere Kunde hatte, 
erfahren haben muss, entsprechend der Entwicklung des Staates aus einer 
unbedeutenden Gemeinde zu einem Weltreich ; wenn man ferner erwägt, 
wie vielfach eine Dreitheilung aus rein taktischen Gründen erfolgen musste 
oder wenigstens erklärbar ist, und dass bei allen Völkern, welche das 
dekadische Zahlensystem annahmen, die Zehnzahl und ihre Potenzen in 
vielfachen Gliederungen und Beziehungen überaus häutig vorkommen, so wird 
man jenen Zahlen eine geringe Beweiskraft für die vorausgesetzte Ent- 
stehung aus drei verschiedenen Elementen zuschreiben. Wenn Varro daraus, 
dass in späterer Zeit die Normalzahl der Legion ;-iOOO Mann betrug oder 
dass die Reiterabtheilung aus /30 Mann unter drei Decurionen bestand, 
folgert, dass bei der ersten Truppenbildung vor 600 — 700 Jahren die Al)- 
theilungen vtm drei der Abstamnnmg nach verschiedenen Körpern gestellt 
wurden, so muthet dieser Schluss nicht viel anders an, als wenn heute jemand 
die vor einiger Zeit im österreichischen Heere, wie anderswo, bestehende 
Bildung der Züge aus drei (tlicdern historisch damit erklären wollte, dass. 
als die Babenberger zum ersten Jfale Mannschaften aufboten, dazu aus Wien 
Deutsche, JSlaven und Magyaren getrennt kamen. 

Gleichfalls werden ursprünglich militärischen Charakter gehabt haben 
die drei Ritterabtheilungen der Tities, Ramnes und Luceres, die in der 
Stimmordnung erhalten blieben. Der Ursprung der Einrichtung und der 
Namen hat schon lange vor Varni den Scharfsinn der Römer beschäftigt 
und zu Erklärungen und Erzählungen Anlass gegeben. Was Varro hinzu- 
gefügt hat, dass diese Ritterabtheilungen Abtheilungen der ganzen Bür- 
gerschaft mit gleichem Namen entsprachen, wird man als denkbar zugeben 
können, aber dass diese Annahme allein möglich und thatsächlich zutreffend 
sei, dürfte sich bei unbefangener Betrachtung schwerlich aufrecht halten 
lassen. 



') .So Mommsen, St.-R. IJP S. 101): „Während die renturie hier (bei den ReitenO 
wie im Fuj^svolk die Gnindfonn !)ildet . . ., ist die Jüngere, erst durch die dreieinige Gemeinde 
hervorgerufene und in der Militärordnung des Fussvolks früh l>eseitigt* dreigetheilte Turme 
in der ständigen Reiterei bewahrt worden und führt uns das merkwüi*dige Bild des Inein- 
anderaufjrehens d«^r drei (renieinden wie im erstarrten >?turzbach lebendig vor die Augen". 



— »öo — 

Ebenso ist die Erklärung der Zahl von 30 Curien in der älteren 
Stimmordnung durch die Voraussetzung von drei Theilen der Bürgerschaft 
mit je 10 Curien ^) nur möglich, nicht nothwendig. 

Schliesslich die in späterer Zeit erhaltenen Bezeichnungen auf mili- 
tärischem und staatlichem Gebiete. Varro verwerthet von denselben nament- 
lich tribuH, tribuntis, tribiUum, attribiUum, turma. Seine Erklärung des letzten 
Wortes mit ter hat bei den modernen Gelehrten begreiflicher Weise keine 
Billigung gefunden. Die Zurückführung der Worte tributum und attribiUum 
auf tribuff ist mehrfach gebilligt worden, ist aber unerheblich, denn wenn 
sie richtig ist, so hindert nichts unter diesen Tribus die wohlbekannten 
historischen zu verstehen. Es bleiben seine Erklärungen der Worte tribus 
als Drittel und tribunus als Tribusführer.^) Beide sprechen an und sind 
häufig angenommen worden. Sind sie wirklich richtig, so sind allerdings 
die daraus gezogenen Folgerungen schwer abzuweisen, dass der Eintheilung 
von Roms Gebiet und Bürgerschaft in eine grössere Zahl von Tribus eine 
in drei vorausgegangen sei und dass diese Theile einen hohen Grad von 
Selbständigkeit hatten, da ihre Führer auf militärischem wie staatlichem 
Gebiete als Functionäre der Gesammtheit erscheinen. Aber es steht diesen 
Annahmen eine Reihe von Bedenken entgegen. Zunächst ist, wenn auch 
der Zusammenhang des Wortes tribus mit dem Zahlwort nahe liegt, sprach- 
lich nicht recht verständlich, wie es zur Bedeutung Drittel gekommen ist; 
bei der nacli Pott's Vorgang mehrfach, auch jüngst angenommenen Zusammen- 
setzung aus dem Stamme tri und der Wur/el bhu würde sich die Bedeutung 
„Dreiheit'', nicht „Drittel" ergeben. Fenier ist von tribu^i schwerlich das 
umbrische trifu oder trefu zu trennen, das wohl sicher nicht ein „Drittel" 
bedeutet, sondern nach den iguvinischen Tafeln der Gemeinde (tota, tuta) 
übergeordnet ist. 3) Die Flrklärung „Drittel" ist daher auch von manchen, 

*) Dass VaiTo sie schon gehabt, überhaupt zuerst aufgestellt hat, scheint mir sicher. 
Sie folgt aus seinem System und die von ihm abhängigen : Cicero (de rep. 2, 8, 14); Dionysius 
(2, 7); Dio (5, 8) hal>en sie. Andererseits fehlt sie bei Livius, der nur die einfache Theilung 
der Bürgerschaft in .30 Curien hat (1, 13, 6 cttm (RomuliM) populum in cuniis triginta 
divUleret). 

^) Ausdrücklich „Tribusführer" sagt Varro, soviel ich sehe, nicht, sondern leitet 
nur das Wort von tribus ab. Aber es ist die fast nothwendige und ziemlich allgemein ange- 
nommene Aus))ildung der varronischen Etymologie. 

^) Vergl. Bücheier ümbrica S. 95, wo auch die livianischen Stellen über die tribus 
Sapinia in Umbrien angeführt werden, und lexicon Italicum S. XXIX. Dass das umbrische 
Wort nicht nur die Landschaft bezeichnet, sondern auch auf das Volk sich bezieht, hat 
Mommsen liemerkt, Tribus S. 1 Anm. 1, mit Berufung auf Livius, 9, 41. Wenn hier Livius 
das umbrische Wort nicht mit tribus , sondern mit plaga wiedergibt , so wollte er damit 
vielleicht dem Missverständniss der Leser begegnen, dass es sich um die Abtheilung einer 
Gemeinde handle. 

23* 



— a56 — 

die im Uebrigen Varro folgen, aufgegeben worden. Die Erklärung des 
Wortes tribunus als ,,Tribu8fiihrer'^ hat allgemeinere Billigung gefunden. 
Aber von den vier Verbindungen dieses Wortes, die aus älterer Zeit bezeugt 
sind, U militum, t. celerum, t, plehei, t. oerarim, passt die Bedeutung 
„Tribusfiihrer" nur auf die beiden ersten, und zwar unter der Voraus- 
setzung, dass die Tribus sehr selbständig sind. Bei den tribuni plebei 
ist diese Bedeutung unpassend, mag man an die historischen Tribus oder 
an die vorausgesetzten älteren denken. Varro hat sich mit der Annahme 
geholfen, dass die Plebejer, als sie sich zum ersten Male Vorsteher gewählt 
hätten, in militärischer Organisation und also unter dem Commando von 
Kriegstribunen gewesen wären. Deshalb wäre die Wahl auf solche Kriegs- 
tribunen gefallen und das wäre der Grund der Verwendung des Wortes 
tribunus für eine ganz verschiedene Stellung. Auch diese varronische Ver- 
muthung ist vielfach angenommen worden ; dass sie besonders einleuchtend 
sei, kann ich nicht finden. Noch bedenklicher steht es bei der Verbindung 
tribunus aerarius, Varro behauptet hier nur im Allgemeinen den Zusammen- 
hang mit tribus; einzelne moderne Forscher, und namentlich Mommsen, 
haben sich bemüht, auch hier die Bedeutung „Tribusvorsteher" festzuhalten, 
indem sie die tribuni aerarii mit den curntores tribuum identificiren. Aber 
abgesehen von der Schwierigkeit, dass dasselbe Amt zwei verschiedene 
Benennungen gehabt haben soll, ist, was wir über die tribuni aerarii er- 
fahren, dass sie eine sehr zahlreiche Classe bildeten und dass ihnen gegen- 
über die gemeinen Soldaten das Pfändungsrecht hatten, mit der Stellung 
als Tribusvorsteher , wie ich glauben möchte, unvereinbar. Es kommt 
hinzu, dass aus der Zeit vor Varro jedes Anzeichen dafür fehlt, dass die 
Römer selbst tribunus als Tribusführer verstanden hätten. Von den tribuni 
celerum und tribuni aerarii kennen wir die griechischen Bezeichnungen in 
älterer Zeit nicht ; aber die für t. militum und t. plebei gehen in ziemlich 
frühe Zeit zurück. Es sind xiUaqxo^ und d/jfxaQxog, und danach hat man 
Tribunus als Führer, nicht als Tribusführer aufgefasst. 

Ich kann daher die Ansicht Varro's und mancher Neueren, dass 
Tribus Drittel imd Tribunus Führer derselben bedeute, nicht als sicher 
imd nicht einmal als wahrscheinlich ansehen und komme daher für das 
erste Wort auf eine frühere Erklärung zurück ; für das zweite möchte ich 
eine neue Erklärung zur Erwägung vorlegen. 

Augenscheinlich gehören zusammen die Worte tribtts (mit der Ab- 
leitung tributim\ tribuere mit seinen Conipositen und Ableitungen (attribuerey 
contribuerey distribuere, tribtUumy attributum) , tribunus, triburndL 

Von diesen Worten erscheint der Form nach das erste als das ursprüng- 
lichste. Betrachtet man den Gebrauch desselben im Lateinischen und den 
des entsprechenden Wortes trefu im rml)rischen, ferner die Bedeutung des 



— 357 — 

aiiseheiuend davon abgeleiteten Verbiims trlhuere mit seinen Compositen. 
namentlich corärlhuere und distribuere , so wird man zu der Auifassung 
geführt , mit der Mommsen seine Jugendsehrift über die Tribus begonnen 
hat'): „Das Wort frihun, eigentlich Theil (vgl. distribuere = diftpertiri), 
üblich allein in politischer Bedeutung als StaatstheiP u. s. w. Die Frage 
nach der Wurzel ist damit allerdings nicht gelöst, aber man wird dieselbe 
vorläufig auf sich beruhen lassen dürfen und sich damit begnügen , dass 
der Annahme von drei ursprünglichen Gemeindetheilen das sprachliche 
Fundament entzogen ist. 

Die Erkenntniss, dass fribuff Theil und das abgeleitete trlhaerf, theilen 
bedeutet, eröffnet vielleicht auch die Möglichkeit einer Erklärung des Wortes 
triöuniis. Schon Mommsen hat in der angeführten Schrift S. 20. 21 mit dem 
Paar tribiui-tribumut verglichen die Paare jxyrtu^-portauH^ und fors-fortuna. 
Nun scheint aber portus von Haus aus nicht den Hafen allein zu bezeichnen, 
sondern den Weg, man vergleiche porta, portare, porforium und^-jiamentlich 
auch die von portunus abgeleiteten opportunm und Importunus. Ferner fehlt 
zwar zunächst bei diesen Paaren das vermittelnde Verbum, das dem tnbuere 
entspräche; indess bei dem einen könnte das ^x\\dX\j^Xi^ fortuitm auf ein 
solches hinweisen, bei dem andern existirt es, nämlich portare, nur in etwas 
abweichender Form. Fasst man dies alles zusammen, so möchte ich 
wenigstens für discutirbar halten, ob diese Worte tribnniut, portunus, fortuna 
dem Sprachbewusstsein nicht als nomina agentis des in der Wurzel ent- 
haltenen Begriffes galten, tribunus als Theilemacher, Theiler, portunus als 
Wegemacher, Beförderer (vergl. opportunus, wegsam, importunus, unweg- 
sam), Fortuna als Geschickmacherin. Sprachlich scheint mir dies möglich 
und sachlich würde bei tribunus zu der Ikdeutung Theiler das vorliegende 
Material gut stimmen. 

Von den vier aus älterer römischer Zeit stammenden Verbindungen 
des Wortes tribunus, nämlich t. militum, t. oelerum, t. plebei, t. aerarius, 
würde in den drei ersten der Begriff „Theiler'* zu dem „Ordner'' sich ent- 
wickelt haben, etwa entsprechend dem griechischen vayds. In der Verbin- 
dung tribunus aerarius würde die Bedeutung „Theiler'' geblieben sein, der 
Geld- oder Soldtheiler. 

Die später aufgekommenen oder nachweisbaren Verbindungen des 
Wortes tribunus sind selbstverständlich weniger beweisend, stehen aber 
nicht entgegen. Wir finden in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit 
Tribunen als Commandanten verschiedener Arten von Cohorten, ferner als 
Vorsteher einiger Kollegien.-) Vereinzelt steht da der in einer Inschrift 

') Die rümiächen Tribus in administrativer Beziehung. Altona 1844, S. 1. 
*-) Vergl. z. B. die Inschrift von Ostia C. XIV 169 mit tribuno fahrum nacalium 
Port€nH(ium)y die von Porcigliano XIV 2045 mit trihunirio (gewesener Tribunus) collegi magni 



— 358 — 

von Tibur ^) vorkommende trihunus aquarum. Sollte in dieser Amts- 
bezeichnung nicht allgemein die Vorsteherschaft, sondern die besondere 
Thätigkeit, nämlich Zutheilmig des Wassers, ausgedrückt sein und sich also 
in dieser altlatinischen Stadt die von mir vorausgesetzte ursprüngliche 
Bedeutung des Wortes im sprachlichen Bewusstsein gehalten haben V 

Schliesslich macht das Wort tribunal keine Schwierigkeit ; es ist wohl 
das von tribunus abgeleitete Adjectiv (tribunale) und bedeutet dessen 
Amtssitz. 

Gibt man für die entwickelten Bedeutungen von tribus und tribunus 
wenigstens die Möglichkeit zu, so bleibt, wie mir scheint, kein zwingender 
Gnmd für die Richtigkeit der varronischen Hypothesen. 



Das Resiütat, zu dem ich gelangt bin , ist zunächst ein negatives. 
Wichtiges aus dem römischen Alterthum , das bisher ziemlich allgemein 
als sicher %alt, stellt sich dar als eine Combination aus der letzten Zeit 
der römischen Republik, und zwar als eine nicht hinreichend begründete. 
Es ist das ein weiterer Schritt zur Umwandlung der älteren Geschichte 
Roms in eine Geschichte der Anschauungen der Römer über ihre Vergangen- 
heit. Aber auch dies scheint mir eine positive und nicht unwichtige Er- 
kenntniss zu sein. Und ferner ist für die ältere Zeit selbst damit ein 
Hindeniiss der Erkenntniss weggeräumt. Von den in Rom aus alter Zeit 
bestehenden Ritterabtheilungen mit den Namen der Ramnes, Tities, Luceres, 
aus denen die reiche Ueberlieferung allmählich erwachsen ist, deren letzten 
bedeutenden Theil ich behandelt habe, wissen wir die Entstehung heute 
ebensowenig wie Varro und seine Vorgänger. Aber vielleicht weiss man 
auch dies in einiger Zeit, wenn die Vermehrung der Mittel und Wege 
unserer Erkenntniss des römischen und überhaupt italischen Alterthums 
so anhält wie im letzten halben Jahrhundert , in dessen Verlauf ein Ein- 
zelner, allerdings von der einzig dastehenden Kraft der Arbeit und Forschung 
wie Mommsen, fast alle Theile dieses Wissensgebietes begründet oder neu 
gestaltet hat. 



und die stadtrömische, aas einem anscheinend für das unfreie Gesinde eines Hauses bestimmten 
Columbarium stammende, aus der Zeit kurz vor Christi Oeburt VI, 9290 v(ivH8) Quartio 
textoVj (trinmjvirf quaestor, trih(unu8), Hilara minor cet. 

*) C. XIV 3674 T. Sahidio T. f. Pal. Maximo scribae q(uae8torio) sex primfo) 
bis, i)raef(ecto) fabruniy pontificiy scUio, curat ori fani Herciilis V(ictoris), tribuno aquarum, 
q(uin)qOiennali), patrono municipii cet., vergl. n. 3689. 



Zur Geschichte des zweiten athenischen Bundes 



von 



JOSEF ZINGERLE 



I. 

Die Inschriftenfunde der letzten Jahre haben die Entwicklnng des 
zweiten athenischen Hundes in manchen Einzelheiten, wo die litterarischen 
Quellen im Stiche Hessen, sichergestellt. Wie rasch Athen sich von den 
Schlägen des peloponnesischen Krieges erholte, mit welch staunenswerther 
Umsicht und Thatkrart es daran ging, durch Herstelhmg der alten Be- 
ziehungen zu den Staaten des ersten Bundes den früheren Einfluss wieder 
zu erringen und wie diese Bestrebungen durch den Königsfrieden des 
Jahres 387 theilweise vereitelt wurden, all das ist bekannt. Auf Grund- 
lage der durch diesen Frieden bedingten elevö-egia und avTovouia trat 
Athen , wie durch die Vertragsurkunde mit Chios ^) gegen Busolt ^) fest- 
gestellt ist, schon vor dem Archonten jähre des Nausinikos in ein neues 
Bundesverhältniss zu einzelnen Städten und Inseln. Meines Wissens ist nun 
noch nie die Frage genügend beantwortet worden, was Athen veranlasst haben 
konnte, mit dem Jahre 377 von der bisherigen Gewohnheit, das Verhält- 
niss zu den einzelnen Staaten durch Sonderverträge zu regeln, abzustehen 
und an die ofticielle Gründung eines neuen Bundes zu schreiten. Man 
könnte geneigt sein, in diesem Schritt allein nur eine Uebertragung der 
strammen Organisation, zu der die Spartanergefahr im engeren Kreise der 
athenischen Bürgerschaft geführt hatte, auch auf die auswärtigen Bezie- 
hungen zu erblicken, wenn irgend ein Vortheil erfindlich wäre, der Atlien 
aus dieser Neuordnung der Üinge erwachsen sein könnte. Bisher hatte 
es die Praxis eingehalten, sich die einzelnen Bundesmitglieder durch Sonder- 
verträge zu verpflichten ; diese waren Athen gegenüber rechtlich gebunden, 



') Kühler, Athen. Mittheil. II, S. IHStt*. 

*) Jahrb. f. d. Phil. Suppl. 7. S. HG7; verpl. Gilhert. pr. Staatsalt.* I, S. 491, A. 3. 



— mo — 

ohne aber untereinander in einem unmittelbaren Rechtsverhältnisse zu 
stehen. Letzteres wird durch die Neuordnung des Jahres 377 wesentlich 
verschoben; die einzelnen Bundesstaaten sind wie früher durch Sonder- 
vertrag an Athen gebunden, andererseits treten sie jetzt aber auch unter- 
einander in ein Rechtsverhältniss, das sie in ihrer Gesammtheit dem Vor- 
orte als juristische Person gegenüberstellt; die Neuerung findet ihren 
aus serlichen Ausdruck darin, dass die neueintretenden Bundesgenossen 
einen doppelten Eid abzulegen haben : einen an Athen und einen an das 
avveÖQiovj während die alten nur den an das ovvtÖQiov nachzutragen 
haben. Es ist klar, dass die Fixirung des Bundesrechtes an und für sich 
schon mit einem wesentlichen Abzüge von der bisherigen Machtfülle Athens 
gleichbedeutend ist, indem den einzelnen Bimdesmitgliedern damit die 
Möglichkeit eines einheitlichen Auftretens gegen den Vorort in die Hand 
gegeben ist. Die Neuorganisation des Bundes bedeutet eine Stärkung der 
Befugnisse der einzelnen Bundesstaaten auf Kosten Athens, ohne dass 
dieses daraus weitere Vortheile gezogen hätte ; im Gegentheil war 
durch die ständige Vertretung der Bundesgenossenschaft eine wirksame 
Controle gegen etwaige Vergewaltigungsgelüste des Vorortes gegeben. 
Schon die strengen Straf bestimmungen des grossen Psephismas ') , gegen 
jene, welche eine Neuerung an den getroffenen Bestimmungen versuchen 
würden, die ihre Spitze offenkundig gegen Athen richten, weisen darauf 
hin, dass man in den neuen Satzungen eine Machtentäusserung von Seiten 
Athens erblickte, der man mit nicht allzugrossem Vertrauen entgegenkam. 
Aus freien Stücken werden sich die Athener zu einer solchen ebensowenig 
herbeigelassen haben, als sie das etwaige Drängen der wenigen kleinen 
Bundesstaaten dazu bewogen haben kann ; überdies ist ein Grund, warum 
die letzteren mit dem jahrelang gepflogenen Bundes Verhältnisse plötzlich 
unzufrieden geworden sein sollten, nicht ersichtlich. Auch als eine Folge 
des Weitblickes der athenischen Staatsmänner, die mit dem Aufgeben der 
alten Hoheitsansprüche eine Erweiterung des Bundes bezweckten 2), möchte 
ich die Neuordnung des Bundesverhältnisses nicht betrachten; vielmehr 
deutet der besonders am Schlüsse von Ergebenheit gegen Theben über- 
fliessende Ton des grossen Psephismas darauf hin , dass es bei der Neu- 
gestaltung des Bundes hauptsächlich auf die Gewinnung dieser Stadt 
abgesehen war. Seit dem Handstreiche des Sphodrias zitterte der Spar- 
tanerschreck den Athenern in allen Gliedern , die Gewinnung eines so 
mächtigen Bundesgenossen musste selbst ein grösseres Opfer erschwinglich 
scheinen lassen; Theben anderereeits war durch den Anschluss an Athen 
die Mriglichkeit gegeben, sich der Herrschaft über die boiotischen 



») CIA IL 17; Z. 51ff. 

2) Schäfer, Dem. u. s. Z.^ I, S. 28. Judeich, kleinas. Sind., S. 26(5, Anm. 1. 



— }\Gl — 

.Städte, denen der Königsfriede die Autonomie gegeben hatte, wieder zu 
versichern. Da aber die Stelhing des boiotischen Vorortes einen Eintritt 
in den athenischen Bund unter den vor 377 bestehenden Verhältnissen 
ausrfchloss, musste sich Athen zu einer Umformung entschliessen, 
deren wesentlichstes Merkmal eben die CJewährung freieren Spielraums 
für die Bundesmitglieder ist. Die sogenannte Gründung des Bundes 
im Jahre 377 ist demnach nichts anderes als eine durch den Eintritt 
Thebens bedingte Umgestaltung des schon bestehenden Bundesrechtes. 
Die weitere rasche Ausbreitung des Bundes stellt sich als eine nicht 
von vornherein beabsichtigte Folge dieses durch die Umstände gebotenen 
Schrittes von Seiten Athens dar. Diese Auffassung erhält eine Bestäti- 
gung aus dem Psephisma selbst, welches die Bestimmung enthält, die 
Bundesgenossen sollten aufgenommen werden ItiI di tolg auToTg i(p 
oig7t€Q .\loi Tcat Qrißaioi tlccI ol liXXoL avf.i^iaxoi. Wenn Fabricius^) 
in der Ncbeneinanderstellung der Chier und Thebaner einen Beweis sieht, 
das« ein wesentlicher L^nterschied in den Bestimmungen des Vertrages 
mit Theben und dem Inhalt der Verträge mit Chios und den anderen 
Bundesgenossen nicht bestand, so wird man ihm hierin schwerlich bei- 
stimmen können. Ich erblicke hierin die Scheidung der zwei Phasen in 
der Entwicklung des Bundesrechtes ; Wog erscheint als Vertreter der Bundesge- 
nossen alten Rechtes, Theben als solcher der Bundesgenossen neuen Rechtes, in 
das, wie der Vertrag mit Methynma zeigt -), dann auch die ersteren eintraten. 
Eine Widerlegung dieser Ansicht kann ich auch aus den Worten Diodors 
nicht herauslesen, der über die Aufnahme der Thebaner in den Bund schreibt 
(XV, 19): TtQogeXdßovji) de xal Tovg Qrßaiovg ini cd xoivbv avveÖQtov erti 
Tolg laoig TiäoL, Die Einsetzung des arvidgcov — das, wenn es schon vor 
377 bestanden hat, wie Diodor angibt, jedenfalls nur ganz bedeutungslos 
war — in seine Befugnisse ist eben eine Folge der Neuordnung der 
Dinge. Im Vertrage mit Byzanz 3), der nicht als Separatvertrag aufzufassen 
ist, sondern als Urkunde für den Eintritt in den Bund, wie er vor 377 
bestand, finden wir zwar die oiu^ioxoc erAvähnt, die Eidesleistung nehmen 
indes nur athenische Behörden entgegen; dass die aiveSqui etwa im 
folgenden verlorenen Stücke erwähnt gewesen seien , scheint mir wenig 
Avahrscheinlich schon im Hinblick auf das angedeutete Rechtsverhältniss, 
nachdem ein Vertrag mit Athen auch schon mit der Aufnahme in den Bund 
gleichbedeutend war. Bei dem nachträglichen Eide, den Methymna zu 
leisten hat, erscheinen die aivtdQoi an erster Stelle. — Ausser den im grossen 
I*sephisma im Allgemeinen gemachten Zugeständnissen, wird das Verhältnis 

') Rhein. Mus. 46, S. o9(5. 

*) BnH. de cnrreap. hell. XII, S. 1H8 fl". 

') CIA II 19, vergl. Jude ich, Kleinas. Stud. S. 269. 



— 362 — 

zu Theben im Einzelnen noch durch Separatverträge geregelt worden sein ; 
dass sich letzteres trotzdem nur zögernd zum förmlichen Eintritte in den 
Bund verstand, beweisen die Schlussworte des grossen Psephisma, die ver- 
fugen, dass Gesandte nach Theben geschickt werden sollten, ohcveg neiaoai 
&rißaiog hci äv dvvwvvai äyadSv. Der Zweck der Gesandtschaft kann nicht 
dunkel sein ; Theben trat in den Bund unter Vorbehalt seiner Rechte und 
Ansprüche, wie die Vorgänge bei Erneuerung des Friedens des Antalki- 
das beweisen^); diesbezüglich sollte es mit dem Hinweise auf die loyale 
Gesinnung Athens beruhigt werden. Ueberhaupt muss das Vorgehen Athens 
als ein Meisterzug kluger, zielbewusster Politik bezeichnet werden. Die 
neue Bundesverfassung in ihrer ganzen Strenge durchgeführt, sicherte Athen 
wenig Vortheile, konnte es aber, besonders so lange eine so mächtige Stadt 
wie Theben Bundesmitglied war, in unangenehme Lagen bringen. Diese 
Klippe wurde vermieden durch Beibehaltung der Separatverträge aus der 
ersten Periode des Bundes; durch sie blieben Athen alle Vortheile eines 
führenden Oberhauptes gesichert und die grundlegende Bestimmung für 
das Bundesrecht, die ahovo^ia, wurde durch diesen Winkelzug, der eine 
Politik von Fall zu Fall möglich machte, illusorisch gemacht. Ein solcher 
Fall von Ausserachtlassung der Bundessatzungen bietet der Vertrag mit 
Korkyra*), der verbietet, ohne Zustimmung Athens Krieg zu führen 
oder Fried^ zu schliessen. Auch der Umstand, dass in dem Psephisma, 
das die Aufnahme der Korkyraeer, Kephallener und Akarnaner in 
d e n B u n d — nicht einen Vertrag mit Athen — verfügt, unter den Behörden, 
die den Eid entgegennehmen, die avfifxaxoi im Gegensatze zum Psephisma 
bezüglich Methymnas an letzter Stelle erscheinen, könnte auf den Gang 
hinweisen, den die athenische Politik in den zwei dazwischen liegenden 
Jahren genommen hatte; mit der steigenden Macht trat auch die Rück- 
sichtnahme auf Theben immer mehr zurück. 3) Augenblickliche Verlegenheit 
hatte die Annäherung der zwei Mächte veranlasst, von denen jede ihre 
wahren Absichten und Pläne für den Augenblick hintanzustellen genöthigt 
war ; wo diese Nothwendigkeit fortfällt, tritt der Gegensatz der Interessen 
grell zu Tage. Der Keim zum Verfall des Bundes lag schon in der klugen 
Umgehung des Bundesrechtes durch Athen ; lange genug hatte sich Theben 
von den Schachzügen athenischer Politik hinhalten lassen, bis es zur Ein- 
sicht kam, dass es mit seinen Mitteln nur die Bestrebungen Athens unter- 
stützte, während seine eigenen Ansprüche, \vie die Vorgänge des Jahres 
374 beweisen, von Athen nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu 



«) Diodor, XX, 38. 

«) Bull, de corresp. heU. XIII, S. 354 ff. 

^) Uel)er das gleiche Verhalten, das Athen dem Perserkönige gegenüber beobachtete, 
vgl. Judeich 1. c. S. 272. 



— 363 — 

hintertrieben wiwden. Nach dem im Jahre 371 erfolgten Austritte Thebens 
hatte Athen keinen Grund mehr, besondere Rücksichtnahme gegen die 
Bundesmitglieder walten zu lassen; die Thatsache, dass in der Folge die 
Bundesverfassung zur blossen Formalität wird, ist ein neuer Beweis dafür, 
dass die Zeit, in der Theben Mitglied des Bundes war, eine für sich zu betrach- 
tende Epoche der Bundesgeschichte bildet und dass die Zugeständnisse, die 
Athen mit der Reorganisation des Jahres 377 machte, als durch den Beitritt 
des boiotischen Vorortes bedingte zu betrachten sind. 

IL 

Die Aufzeichnung der Bundesgenossen auf der Stele, welche mit dem 
Antrag des Aristoteles die leitenden Grundsätze für die Gestaltung des 
zweiten athenischen Bundes enthält, erfolgte in der chronologischen Reihen- 
folge, in der die einzelnen Staaten dem Bunde beitraten. Dieses Princip ist ein 
einziges Mal scheinbar durchbrochen. Während auf einer erhaltenen Vertrags- 
urkunde unter dem Archon Hippodamas^), Korkyraecr, Akarnaner, Kephallener 
gleichzeitig um Aufnahme in den Bund ansuchen, erschienen auf der Bundes- 
genossenliste die Namen der beiden letzteren Völkerschaften von dem der 
Korkyraeer durch Einschiebung mehrerer thraklscher Völkerschaften und 
Inseln getrennt. Auf die Unhaltbarkeit des von Busolt*) gegebenen Er- 
klärungsversuches hat Ditten berger») hingewiesen. Letzterer glaubt die 
Schwierigkeit durch die Annahme lösen zu können, dass Timotheus früher 
nach Korkyra gekommen sei, als Chabrias nach Thrakien , die Aufnahme 
Korkyras falle also vor die der thrakischen Städte, die der Akarnaner 
und Kephallener jedoch nach der Anglicderung dieser letzteren. Der Er- 
klärungsversuch hat im Hinblick auf das Psephisma, das den gleichzeitigen 
Beitritt aller drei Völkerschaften als unzweifelhaft erscheinen lässt, wenig 
Ueberzeugendcs. Die Voraussetzung, die Dittenberger mit Schäfer 
macht, dass Timotheus früher nach Korkyra gelangt sei als Chabrias nach 
Thrakien, hat keine andere Grundlage, als eben diese auffallende Anord- 
nung der Namen; die Beweisführung bewegt sich also im Kreise. 
Die Annahme verliert umsomehr an Wahrscheinlichkeit, wenn man 
erwägt, dass der Seeweg von Athen nach Korkyra mindestens doppelt so 
weit ist, als der nach Thrakien und man noch den Zeitverlust in Rechnung 
bringt, den Timotheus durch Landungen während der Fahrt (Xen. Hell., 
2, 28) erlitt. Ebensowenig befriedigt der Erklärungsversuch F o u c a r t\s *), 
der den Widerspruch zwischen der Reihenfolge auf der Bundesgenossenliste 

') CIA II, 49. 

«) Jahrb. f. cl. Phil. Siippl. I. f5.742. 

*) Syll. S. 114. 

*) BuU. de corr. heU. XIII, S. 357, Anm. 2. 



— 364 — 

und dem erwähnten rsephisuia dadurch zu lösen versucht, dass er die 
Kephallener und Arkarnaner ihren Eid erst einige Zeit nach den Korkyraeem 
ablegen lässt. Ich glaube indess, dass es derartiger Spitzfindigkeiten nicht 
bedarf, um das Princip der chronologischen Anordnung auch fiir diesen Fall 
als vorhanden zu erweisen und den scheinbaren Widerspnich mit dem 
Psephisma aufzuheben. Die Meinung IJusolt's, dass ddfjfiog zwKoq'KVQaiwv 
bh>8 zum Zwecke der Raumtüllung hinzugefügt sei, verdient wohl nicht 
ernst genonmien zu werden. Bei jedem anderen Staate Hesse sich dieser 
Zusatz als nichtssagend eher hinwegdeuteln, als bei diesem Gemeinwesen, 
dessen Geschichte eine fortlaufende Kette innerer Wirren bildet; die zu 
Dodona gefundenen Anfragen an das Orakel beleuchten in ihrer vielsagenden 
Kürze die Zustände noch besser als die häufigen Berichte der Geschichts- 
schreiber. Dass wir in der ausdrücklichen Hinzufügung von öriuog vielmehr 
den Reflex der auf der Insel herrschenden Spaltung in eine aristokratische 
und eine demokratische Partei zu erblicken haben, hat schon Dittenhergcr 
bettmt; (»b letztere gleich ihren Gesinnungsgenossen auf Zakynthos auf 
einem anderen Theile der Insel sich niedergelassen hatte oder ausser Land 
gezogen war, wie die demokratische Partei in Klazomenai. muss unent- 
schieden bleiben. Jedenfalls geht aus dem Erscheinen des dfi^uog von 
Korkyra in der Bundesgenossenlistc hervor, dass er einen Rückhalt gegen 
die Oligarchie an Athen und seinem Bunde suchte. Zur Annahme, dass 
der Anschluss der demokratischen Partei erst eine Folge des Zuges des 
Timotheus gewesen sei, liegt nicht der geringste Grund vor. 

Der Gegensatz zur Oligarchenpartei muss den dfi^og von selbst den 
Athenern und ihrem Bunde zugeführt haben; dazu kommt, dass für die 
Hinzufügung von Sii^wg schwer ein Grund erfindlich ist, wenn man den 
Anschluss an den Bund als Folge des Eingreifens des Timotheus auf- 
fasst ; dieser wird die Verhältnisse gew^iss in einer Weise geordnet haben, 
die eine Unterscheidung in Demos und Oligarchenpartei wenigstens für den 
Augenblick überflüssig machte. In der That erscheint auf dem Separat- 
vertrag . den Athen mit Korkyra abschloss '), der Name der Korkyraeer 
ohne Zusatz 2), woraus sich ergibt, dass dies der Separatvertrag ist, den 
Korkyra nach Beilegung der Wirren durch Timotheus mit Athen abschloss; 
ein ganz analoges Beispiel freiwilligen Anschlusses einer Volkspartei an 
Athen bietet die Geschichte von Klazomenai. ^) Ich setze demnach den 
Beitritt des dfijaog von Korkyra zum Bund und die Aufzeichnung in die Liste 
vor den Zug des Timotheus, der vielleicht, trotz des Berichtes Xen<v 



M ßuU. de corr, heU. XIJI, S. 354. 

^) In der Eidesformel hat derselbe nichts anstössiges , da gleichwie im Eide der 
Athen<T <^iy//o^ und zwoa einander gegenüberstehen. 
•'♦) Vergl. Swoboda, Athen. Mitth. VIT, 174. 



- 51)0 — 

phons (V, 4, 62), der ihn durch Ansuchen Thebens veranlasst sein liisst. erst 
als Folo;e desselben zu betrachten ist. Die Autoren stellen übereinstimmend 
den Zug gegen Korkyra als Hauptaction hin, die dann die übrigen Unter- 
nehmungen des Timotheus im (Tcfolge hatte. Zudem war Athen eidlich ver- 
pflichtet, seinen bedrohten Hundesgenossen zu Hilfe zu konmien und es 
ist anzunehmen, dass es dem Hilferuf Korkyras imiso lieber gefolgt 
sein wird, als sich damit die Gelegenheit bot, im westlichen Meere festen 
Fuss zu fassen. Jedenfalls war mit dem Erscheinen der athenischen Macht 
der Kampf auf Korkyra zu fUmsten der demokratischen Partei entschieden. 
Inzwischen hatte Chabrias in den thrakischen Gewässern mit Erfolg operirt 
und die Städte und Inseln , die auf der Liste nach dem dr^uog von Kor- 
kyra verzeichnet sind, dem Bunde zugeführt. Jetzt erst hätten die neu- 
hinzugekommenen Bundesgenossen im Westen, also Korkyraeer, Kephallener 
und Akarnaner, verzeichnet werden sollen. Da aber KoQAvqauov o dfiuog 
schon auf der Stele eingemeisselt stand, vermied man die Wiederholung 
und Hess es sich genügen, die beiden anderen Bundesgenossen an die 
Namen der thrakischen Gemeinden anzufügen. Eine Neuaufzeichnung musste 
umso überflüssiger erscheinen , als die KeQXVQaloi , die jetzt den Bund 
erneuerten , identisch waren mit dem KegxvQalcov 6 dfiuog , nachdem die 
Gegenpartei zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgedrückt worden war. 

III. 

Der auf Neoptolemos folgende Name der Bundesgenossenliste ist 
getilgt. Fabricius\) vermuthet, dass in der Lücke der Name des las« m 
gestanden habe. Der Raum ist für fünf Buchstaben Jedenfalls zu gross; 
die letzte noch erhaltene Hasta deckt sich mit dem Schluss-Jota des 
folgenden If^vdgiog, also mit dem 7. Buchstaben. Im unmittelbar vorher- 
gehenden Namen des Neoptolemos, der sicher von gleicher Hand einge- 
meisselt ist, würde sie zwischen den 6. und 7. Buchstaben fallen. Was die 
Hasta sel]»st anlangt, so glaubte ich auf dem im Apparate des hiesigen 
archäol.-epigr. Seminars befindlichen Abklatsche wahrzunehmen, dass 
dieselbe zwar etwas verkürzt ist, jedoch nicht so stark wie durchgehends 
die Schlusshasta von N. Prof. Kubitschek hatte die Freundlichkeit, das 
Original in Athen einer nochmaligen eingehenden Prüfung zu unterziehen, 
auf deren Resultat ich mich im Folgenden stütze, und mir neue, sorgfältige 
Abklatsche zu besorgen. 

Bezüglich der Hasta am Schlüsse der Rasur schreibt Kubitschek: 
„Zum Schlüsse der Rasur ist eine rechte Hasta nicht ganz getilgt, die 

M Rliein. Mus. 4(5, 8.592 ff. 



— 366 — 

-ebensowohl zu x\ als zu / geh(»rig angesehen werden kann. Innerhalb der 
Rasur sind auch nicht im Geringsten andere Buchstabenreste erhalten als 
jene Schlusshasta , die im rechtsseitigen Rande der Rasur als seichter, 
nicht tief genug weggearbeiteter Strich geblieben ist." Aus dem Steine 
selbst ist daher eine sichere Entscheidung nicht zu treflFen und die Möglich- 
keit, dass der Name lason's in der Lücke gestanden, bliebe bestehen, 
wenn nicht der Beweisführung Fabricius' Bedenken sachlicher Art ent- 
gegenstünden, die dieselbe als unannehmbar erscheinen lassen. 

In der Bestimmung des Zeitpunktes für die Aufnahme des Bundes- 
mitgliedes, dessen Name die Lücke tüllte, wird man Fabricius zustimmen, 
der den Sommer des Jahres 375 als solchen festsetzt; inwieweit die 
Behauptung begründet ist, dass es unmöglich der Name einer Seestadt 
gewesen sein kt>nne, darauf werde ich im Folgenden zurückzukommen haben. 
Von der Thatsache ausgehend, dass die Aufzeichnung der Bundesmitglieder 
stets gruppenweise stattfand, folgert Fabricius weiter, dass der getilgte 
Name nur der vorausgehenden durch Alketas und Neoptolemos vertretenen 
Gruppe angehört haben könne. Die Hauptstütze für seine Annahme bildet 
der Bericht Xenophon's (hell. VI, 1) über die Gesandtschaft der Thessalier 
nach Sparta. Eine genaue zeitliche Fixirung derselben ist nicht möglich, 
sie lallt vielleicht noch in den Herbst 370, spätestens Frühjahr 374. Dem 
Sprecher Polydamas legt Xenophon folgende Worte Jasons in den Mund : 
OTi '/MV VTtrpf.QOi ]\dri aiifp elev Maqa'Aoi '/.al J6}A)7tig nat Mh^erag 6 iv rij 
^H7tÜQUi l'^coQxoS' „Alketas," so schliesst Fabricius, „war also im 
Herbst 375 in die Abhängigkeit lason's gekommen, ungefähr um dieselbe 
Zeit, in welcher er mit seinem Sohne Neoptolemos den Buudesvertrag mit 
Athen ratiücirt hat.'* Die Annahme steht und fällt mit den chronologischen 
Voraussetzungen. Das Psephisma betreffend die Aufnahme der Korkyraeer, 
Kephallener und Akarnaner in den Bund ist vom August-September datirt, 
der thatsächliche Anschluss erfolgte also schon einige Zeit vorher und beinahe 
als gleichzeitig muss man den des Alketas annehmen. Setzt man anderer- 
seits die (lesandtschaft nach Sparta nicht so früh an, wie Fabricius, so 
ist kein Grund für die Behauptung vorhanden, dass Alketas zur Zeit seines 
Anschlusses an Athen und den Bund schon in Abhängigkeitsverhältniss 
zu lason gestanden habe und nur mit dessen Bewilligung in den athenischen 
Bund habe eintreten können. Die Auffassung Schäfer's^), dass Alketas 
in dem Anschlüsse an Athen einen Rückhalt gegen die Pläne des thessalischen 
Dvnasten suchte, nmss nach wie vor die wahrscheinliche bleiben. Auch 
die weitere Vermuthung von Fabricius, dass Timotheus im Herbste 375 
durch Vermittlung des Alketas mit lason zusammengetroffen sei und den 
mächtigen Fürsten tür den Bund gewonnen habe, muss schon aus dem 



M Dem. u. 8. Z-, I, S. 47. 



— mi — 

Grunde bedenklich scheinen, dass Diodor, wo er vom Anschlüsse der 
Kephallener, Akarnaner und des Alketas spricht (XV, 36), des lason keine 
Erwähnung thut, was bei der Wichtigkeit eines derartigen Bündnisses 
befremdlich wäre. Ueberhaupt rauss es als bedenklich bezeichnet werden, 
aus einer beiläufigen Aeusserung in einer Rede, die natürlich Xenophon 
selbst zum Verfasser hat, weitgehende Folgenmgen ziehen zu wollen. Der 
Forscher muss immer mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, dass der Inhalt 
solcher Reden weniger den Zweck hat, den historischen Thatsachen gerecht 
zu werden, als zur Charakterisirung von Persrmlichkeiten u. s. w. zu dienen. 
Der prahlerische Ton, der sich durch die Rede des Ia«on hindurchzieht, 
ist gewiss nicht unbeabsichtigt ; der Schriftsteller charakterisirt damit den 
vom Glücke begünstigten Halbbarbaren auf dem Throne. Wenn er ihn 
(§ 10) sagen lässt: nai fjt)v Boiwtoi ye xal ol äkXoi Ttdvreg Saoi ^aAeSai- 
fdovioig 7C()Xe(.wiJvxeg ivtäqxoval f.ioi aiLifXf.iaxoi . . '/mI 2dd-rivalot ev ol^ Sri 
Tcdwa Ttotrflauv av üotb av^fia^oi ijfuv yeriad-at' dAA iyio odn äv 
fiot do'Mo Ttqbg avrovg tpiXiav Ttonjcaad^ac , so ist die grosssprecherische 
Tendenz ohne Weiteres klar. Nimmt man jedes Wort tür baarc Münze, 
so entsteht natürlich ein Widerspruch , der nur auf gewaltsame Weise zu 
lösen ist. Die Boioter und alle Feinde Spartas seien seine Bundesgenossen, 
rühmt lason. Zu den Feinden Spartas geh(>rt aber auch Athen und sein 
Bund, also müssen auch diese es sein, folgert Fabricius. Da lason nun 
aber in einem Athem behauptet, ein Bündniss mit Athen zurückgewiesen zu 
haben, muss eine der beiden Behauptungen falsch sein. Nun erscheint er 375 
bei dem Processe des Timotheus als ai^iAaxog in Athen; diese That- 
sache veranlasst Fabricius anzunehmen, dass die letztere Behauptung 
lason's falsch sei, dass dieser vielmehr 375 schon in den Bund trat, aber 
aus irgend einem Grunde dies zu verheimlichen wünschte. Auf die Unwahr- 
scheinlichkeit namentlich des letzten Arguments braucht wohl nicht hin- 
gewiesen zu werden. Das TtavTeg, worauf sich Fabricius' Beweis- 
führung stützt, ist natürlich nichts anderes, als ein übertreibender Ausdruck, 
den Xenophon, wie bemerkt, wohl nicht ohne Absicht dem lason in den 
Mund gelegt haben mag. Dass damit auch Athen und sein Bund inbe- 
griffen wurden, ist schon im Hinblick auf die folgende Aeusserung, die 
nicht hinwegzuklügcln ist, ganz ausgeschlossen; handelt es sich darum, 
den Widerspruch zu ir>sen, so wird man sich lieber dazu entschliessen, 
das übertreibende Wort auf ein richtiges Mass einzuschränken, als einem 
gesuchten Gegensatze zuliebe eine ganz bestimmte Angabe in den Wind 
zu schlagen. 

Schon der Umstand, dass die Boicdtoi ') allein namentlich aufgeführt 
werden, deutet darauf hin, dass dies die bedeutendsten seiner Bundes- 

') An ein Separatbündniss mit Theben, wie es Fabricius annimmt, mochte ich 
nicht denken ; der Friede des Jahres 387 hatte Theben die Hef^emoivi« >äfect ^Vi XssA^SSaOöRxw 



— 868 — 

genossen waren und dass man es mit dem älloi Ttdvreg nicht mehr so 
genau zu nehmen hat. Jason kann also nicht im Jalure 375 dem Bunde 
beigetreten sein imd damit kommt das Hauptargument von Fabrieius 
in Wegfall, denn vor und nach der Lücke in der Liste stehen die Namen 
von lUnidesgenossen , deren Aufnahme sicher in dieses Jahr anzusetzen 
ist, und ist lascm nicht in diesem Jahre beigetreten, so kommt sein Name 
für die Ergänzung der Lücke ausser Betracht. Man hat also an dem 
bisherigen Ansätze festzuhalten, nach dem lason erst im Jahre 373 zu 
Athen in ein Bundesverhältniss trat. Die Gründe, die ihn dazu veranlassten, 
sind offenkundig, imter dem Schutze des Bündnisses konnte er seine Erobe- 
rungsgelüste zur That werden lassen, ohne ein Einschreiten der Athener 
befürchten zu müssen, eine Taktik, in der Philippos später sein gelehriger 
Schüler war. Das Verhältniss des lason zu Athen darf überhaupt nicht 
auf eine Stufe gestellt werden mit dem der Bundesstaaten zu ihrem Vor- 
orte; die Stellung des thessalischen Dynasten schliesst einen Eintritt in 
den Bund und die damit verbundene Unterordnung unter athenische Vor- 
herrschaft — denn eine solche übte Athen trotz der Bestimmungen der 
iXevd^BQta und avTovouia thatsächlich doch aus — von vornherein aus. Die 
bedrohten Kleinkönige Alketas und Neoptolemos hatten sich zum förmlichen 
Eintritt in den Bund herbeilassen müssen, ohne ihre Selbständigkeit retten 
zu können; aber dass lason sich dazu verstanden hätte, Beiträge und 
(Kontingente zu stellen, sich auf dem avvidqiov gleich der kleinsten Bundes- 
gemeinde durch eine Stimme vertreten zu lassen, oder sich gar sein Re^jht 
in Athen zu holen, das alles hat von vornherein gar keinen Schein von 
Wahrscheinlichkeit für sich. Er wird vielmehr ein Schutz- und Trutzbündniss 
abgeschlossen haben, wie später Dionysios und eben so wenig wie dieser 
in den Bund eingetreten sein. 

Wer mit rauher Hand ein Gebilde zerstört, übernimmt die Ver- 
pflichtung, an dessen Stelle ein neues besseres zu setzen. Von der nega- 
tiven Beweisführung zur positiven übergehend, werde ich im Folgenden 
den Beweis zu erbringen suchen, dass der in der Rasur zu suchende 
Name der der Naxier sein muss. Die Behauptung Busolt's^), dass 
Naxos überhaupt nie Mitglied des Bundes war, ist schon von anderer 
Seite 2) als unbegründet zurückgewiesen worden. Thatsache aber ist, dass 



Städte grenonmicn, und das Streben, dieselbe wiederzugewinnen, hatte ja dieThebaner zum 
förmlichen Anschlüsse an den athenischen Bund bewogen, den sie nicht nach Arüherer Gre- 
pflogenheit als Botonoi, sondern als ßtjßatoi unterzeichnen. Es ist daher mehr als wahr- 
scheinlich, dass die l)oiotischen Städte, die nach Abschluss des Bündnisses zwischen Theben 
und Athen für ihre Freiheit zu fürchten allen Grund hatten, im Anschlüsse an den mächtigen 
thessalischen Fürsten einen Rückhalt suchten. 

') 1. c. S. 757 ff. 

*) Schäfer. Dem. u. s. Z.'- I, S. 42, vergl. comm. de soc. Athen. S. lOf. 



— 369 — 

die Insel auf der Liste nicht erseheint, was die meisten Forseher zur An- 
nahme veranlasste, dass der Name der Naxier auf dem ab<rebrochonen 
Stücke der Vorderseite sich befunden habe. Diese müssten dann in Folge des 
Seesieges, den die Athener im Herbste des Jahres 376 bei der Insel über 
die peloponnesische Flotte davontrugen, an den Hund gefallen sein. Eine 
unbefangene Prüfung der Ueberlieferung scheint mir dieses Resultat nicht 
zu bestätigen, vor Allem ist kein Grund ersichtlich, warum man dem Berichte 
Diodors^) misstrauen soll, dass die athenische Flotte unmittelbar nach 
der Schlacht schwerbeladen nach Hause zurückkehrte. 

Die Flotte war durch die vorausgegangene Belagerung schon mit- 
genommen und der erbitterte Kampf mit dem mindestens ebenbürtigen 
peloponnesischen CTCgner hatte ihre Verwendbarkeit zur Fortsetzung der 
hartnäckigen Belagerung nicht erhöht. Ueberdies weisen schon die 
Ereignisse des nächsten Jahres daraufhin, dass der grosse Seesieg unaus- 
gebeutet geblieben; die Lakedaemonier erschienen noch immer zur See, 
von der sie erst zwei siegreiche Treffen des Timotheus vertrieben. Auch 
ist es ganz imwahrscheinlich, dass die benachbarten Cycladen Andros u. s. w. 
sich nach dem Falle von Naxos sollten lange Zeit haben halten können. 
Die Reihenfolge der auf die Lücke folgenden Cycladen: Andros, Tenos 
und Mykonos, spricht sehr dafür, dass zuvor der Name der Naxier stand ; der 
Fall des mächtigen Stützpunktes bedingte auch den der kleinen Nachbar- 
inseln. Die Erwägung bestätigt den Thatbestand, der sich aus Diodor 
zu ergeben scheint, dass nämlich im Laufe des Jahres 375 die Operationen 
gegen Naxos wieder aufgenommen und glücklich zu Ende geführt wurden. 
Der Grund für die nachträgliche Tilgung des Namens aus der Bundes- 
genossenliste ist unschwer zu finden. Ich bringe sie in Zusammenhang 
mit der ausgedehnten Rasur auf der Vorderfläche des Steines. Nach einer 
Vermuthung meines verehrten Lehrers Prof. B o r m a n n enthielt die getilgte 
Stelle am Beginne des Psephismas eine Invective gegen Sparta, wozu ja die 
erhaltenen Worte STciog iiv yiay,edaLjn6vuu hoai rög ^'Eklrivag D^vd^cQog /mi 
avTovdjiiog fjavxiav äyeiv /.iL einen vielversprechenden Anlauf bilden. Bei 
dieser Annahme wird auch der Grund zur späteren Tilgung ersichtlich ; die- 
selbe muss bei Gelegenheit einer Annäherung an Sparta erfolgt sein ; an den 
Frieden des Jahres 371 kann aus dem Grunde nicht gedacht werden, 
weil zu dieser Zeit die Bedeutung der Urkunde schon erloschen gewesen 
zu sein scheint und auch der Name der Thebaner, die in diesem Jahre 
aus dem Bunde traten, nicht mehr getilgt ist.*) Es kommt sonach nur 
noch der Friede des Jahres 374 in Betracht ; ich setze in dieses Jahr 
sowohl die Rasur der Vorderseite, als auch die Tilgung des Namens der 

') XV. 35. 

^) Fabricius, 1. c. S. 592. 

Eranos VindobonenaiB. 2>4 



— 370 — 

Naxier. In Naxos war die oligarchische . spartanerfreundliche Partei . die 
den hartniiekig^en Widerstand ge<^en Athen organisirt hatte, auch nach 
dem Falle der Insel nicht zur Ikdeutungslosigkeit herabgesunken ; dies 
beweist schon die noch eingehender zu würdigende Thatsache, dass es auf 
den Rechnungen der delischen Aniphiktyonie unter jenen Staaten erscheint, 
die keinen vuy,og gezahlt hatten, was kaum auf Mangel an Mitteln, 
sondern auf passiven Widerstand zurückzuführen sein wird.^) Der Friede 
des Jahres B74 führte zur officiellen Anerkennung der athenischen »See- 
herrschaft von Seite Spartas. Es ist umso w^ahrscheinlicher , dass bei 
Gelegenheit der darüber gepflogenen Verhandlungen die herrschende 
Oligarchenpartei von Xaxos die Autonomie der Insel erwirkt haben wird, 
als Athen mit diesem Entgegenkommen nur ein scheinbares Opfer brachte, 
indem es nur einen thatsächlicheu Zustand als zu Recht bestehend aner- 
kannte, der auch ohne diese Anerkennung fortbestanden hätte und ein 
Bundesgenosse, von dem man keinen Vortheil zog, der vielmehr mit Sparta 
im Rücken ernstliche Verlegenheiten bereiten konnte, eine Erwerbung von 
zweifelhaftem Werthe war. Diese Combination könnte immerhin gewagt 
erscheinen, wenn sie nicht inschriftliche Bestätigung fHnde. Naxos hätte 
nach derselben höchstens während der Dauer eines Jahres dem Bunde 
angehört ; derselbe Zeitraum ergibt sich aus einer Berechnung nach dem Bei- 
tragsverzeichnisse der delischen Amphiktyonen. an deren Spitze Athen seit 378 
wieder getreten war. Ein Austritt aus dem Bunde war sicher auch von 
dem aus dieser unter athenischer Patronanz stehenden religiösen Vereini- 
gung begleitet. Natürlich brauchten nicht alle Mitglieder der Amphiktyonie 
auch solche des Bundes zu sein; es konnte ein Gemeinwesen längst Mit- 
glied der Amphiktyonie gewesen sein , bevor es ein solches des Bundes 
wurde. Für das Athen feindliche Naxos ist indes nicht anzunehmen, dass 
es früher in den Verband der Amphiktyonie trat, als es Mitglied des 
Bundes wurde, so dass in diesem Falle der Zeitramn für die Zugehörigkeit 
zur Amphyktionie und zum Bunde, der gleich grosse ist. Die in Betracht 
kommende Stelle des sogenannten Marmor Sandwicense lautet : ^de tcov 
7t()}^o)v ibv TO'Aov 6'K dTvedoaav xbv tni t^^ ijfitTSQag aQxtiQi reiidQwv 
h(ov eni aQynvrwv lid^rjvrflL Kakkeo, XaQiadvdQO, '^iTv/codduarrog, ^w- 
XQavido, iv Jr-Kioi de ^Eniyevog, IJaXaio, ^iTtTciOy ÜVQQaid^o ' 

Nd^ioi TXXXFH 
i'ävÖQioi TT 
KaQViJTioi TXXHHHH 

Naxos erscheint in den Listen, die bis zum Thargelicm des Archon- 
tats des llippodamas reichen (H7r) 74), noch nicht, ein Umstand, der die 



») Vergl. Busolt, I.e. S. 759. 



— 371 — 

Annahme stützt, dass es erst in diesem Jahre selbst Bundesmitglied wurde; 
in dem angezogenen Verzeichnisse der Staaten, die mit ihren Beträgen 
gänzlich im Rückstand blieben, erscheint es das erste Mal ; dieses umfasst 
aber noch das Jahr des Archons Sokratides (374/73), in dem der to-mq 
zum ersten Male fällig geworden wäre. Auffallend ist es, dass das reiche 
Naxos mit einem geringeren Betrage verzeichnet erscheint, als das bedeu- 
tend kleinere Andres; ebenso ist das kleine Karystos beinahe mit der 
gleichen Summe im Rückstande wie Naxos. Das Missverhältniss ist nur 
ein scheinbares und wird bei der Annahme verständlich, dass die Beträge 
für verschieden grosse Zeiträume gelten. Naxos war 373 weder Mitglied 
des Bundes, noch der Aniphiktyonie, während Andros nach dem Zeugnisse 
der Bundesgenossenliste dem Bunde erhalten blieb; der TcJxog, den es 
schuldete, war angewachsen, während Naxos nur für die kur/.e Zeit zu 
zahlen hatte, während der es dem Seebunde angehörte. Bei der That- 
sachc, dass die Beträge, mit denen die einzelnen Staaten in den Rech- 
nungen aufgeführt sind, in proportionellem Verhältniss zu ihrer Grr)sse 
und zur Zeitdauer ihrer Angehörigkeit zur Amphiktyonie stehen , würde 
die kleine Summe, die Naxos im Verhältniss zu anderen Mitgliedern der 
Vereinigung schuldet, unverständlich sein, wenn es nach der bisherigen 
Annahme schon seit 376 dem Verbände angehörte. Ich erblicke in diesem 
Thatbestande ein weiteres Argument dafür, dass man seinen Eintritt in 
den Seebund auf das Jahr 375 herabzuschieben hat. Durch diese Datirung, 
sowie das Ineinandergreifen der übrigen Umstände scheint die Einschiebung 
des Namens der Naxier in die Lücke gesichert. — Die Beziehungen 
Athens zu Naxos in dieser Epoche zeigen sich demnach in anderem Lichte, 
als man sie bisher, solange man sich mit der Annahme benihigte, dass 
ihr Name mit dem abgebrochenen Stücke der Vorderseite verschwunden 
sei, zu erblicken gewohnt war. Es kommt damit auch eine Frage zur 
Entscheidung, die S z a n t o , gelegentlich der Besprechung eines athenischen 
Psephisma, das die Gerichtsbarkeit mit Naxos regelt, aufgeworfen hat^, 
ob das betreftendc Psephisma vor oder nach Nausinikos anzusetzen sei. 
Nachdem <lerartige Verträge die freiwillige Uebereinstimmung der vertrag- 
schliessenden Parteien zur Voraussetzung haben, kommt nur die erste 
Mi')glichkeit in B(*tracht : nur eine demokratisclie, Athen freundliche Partei 
kann sich herbeigelassen haben, dieses als Ixxkriiog Ttökig anzuerkennen. 
Für einen genaueren Einblick in die einzelnen Phasen des Parteikampfes 
auf Naxos ist freilich damit noch wenig gewonnen. 

') AtliiMi. Mittheil. XVI, 41 if. 



24 



Altgriechisches Brot 



O. BENNDORF 



Auf einem durch Schönheit der Malerei ausgezeichneteD Thongefässe 
des österreichischen Museums für Kunst and Industrie in Wien (Maeoer 
n 3'8) welches aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts v. Chr. 
herrührt sieht man Pnamos im Griechenlager vor AehiU welcher über 
dem Leichname Hektors schmausend auf einem Bette liegt Em Mundschenk 




mit Weiiiseiher und Schöpflöffel in den Händen und allerhand Reqnieiteii 
der Mahlzeit deuten die Situation näher aus. Vor dem Bette steht ein 
dreibeiniger Tisch mit kleingeschnittenem Fleische, zwei dem Ornament 
nacii metallenen Schalen und sechs bindenartig laug herabhängenden Gegen- 



— 373 — 

ständen , wie sie in der nämlichen Gestalt und Lage auch in anderen 
Gelagbildern des sechsten und fünften Jahrhunderts des Oefteren vorkommen : 
einen augenscheinlich gleichen Gegenstand hält Achill an beiden Enden 
zusammengebogen in der linken Hand. Darnach hatte Brunn, der das 
Oefäss zuerst beschrieb, mit Recht in ihnen eine Speise ,vari cibi di lunga 
forma' vennuthet, ohne indessen ihre sprachliche Bezeichnung zu suchen. 
Dies ist auch nach ihm nicht geschehen und doch von Interesse, da der 
Name geeignet ist, in Reihen ungenügend verstandener Ueberlieferungen 
Licht zu bringen. 

Klar wurde er mir, als ich in Kleinasien die Nahrung der Land- 
lievJUkerung kenneu lernte. Ihr Brot ist ungesäuert und wird nicht im 
Ofen, sondern durch Rösten über glühenden Holzkohlen meist im Freien 
zubereitet. Die Zubereitung ist Sache der Frauen, die früh Morgens den 
ganzen Tagesbedari' der Familie herstellen und auf der Wanderung wie 
am Wohnorte, vor ihren Zweighütten oder in ihren winzigen Steinhäusern, 
alles dafür Erforderliche stets zur Hand haben. Grobes Gersten- oder Weizen- 
mehl führen sie in einem kleinen Sacke, Wasser wird aus der nächsten 
Cisterne geschöpft, das Mehl in einem flachen Holzgefässe angefeuchtet und 
der Teig wie unsere Pfannenkuchen oder ,Frittaten'^ zu Rundfladen ge- 
knetet, welche die Dicke eines starken Messerrückens und einen Durch- 
messer von etwa dreissig Centimeter haben. Diese Mehlkuchen werden 
dann auf einem gestielten dünnen Eisenblech v(m kreisfönniger Gestalt über 
dem Feuer unter mehnnaligcm l'mwenden leicht erhitzt, wenn sie fertig 
sind, wie eine Binde zusammengerollt und von den Männern so als Tages- 
vorrath in dem grossen Leibgürtel getragen. 

Man isst sie aus der Hand, nicht zerschnitten, sondern bissenweise zer- 
rissen, indem man Käsebrockeu in die abgerissenen Bissen einwickelt oder aus 
einem Napfe saure Milch (Jaurt) damit auftunkt, Salzfischchen oder frisch 
gebrochene Knoblauchstiele dazu verzehrt. In den wohlhabenderen liäuseni, 
wo die Familie um einen podiumartigen Rundtisch kauernd speist, dienen 
die Brotfladen auch als Teller, um den Speiseantheil darauf zu nehmen, 
beim Essen davon abzubrocken und nach der Mahlzeit die FingcT daran 
zu reinigen , worauf dann wohlriechendes Wasser in einem Kruge mit 
WaschbeckcMi und Handtuch herumgereicht wird. Die Fladen halten sich 
nicht lange, sind aber frisch hergestellt wohlschmeckend, wenn auch eine 
schwere Spc^ise. Männer geniessen vier bis sechs Stück an einem Tage. 
Mit Sauerteig hcTgestelltes und im Ofen gebackenes, wirkliches Brot ist eine 
Leckerkost, die mitunter als Dessert servirt, nur in den Städten vorkommt, 
d(T ab(T manche Reisende die Bauernkost vorziehen. Aehnlich oder gleich 
ist die ganze Sitte in Aegyi)ten, Abyssinien, Syrien und weiten Theilen 
Vorderasiens. 



— 374 — 

Die fraglichen Gegenstände auf dem Speisetische des Achilleus sind 
hiernach, denke ich, unmittelbar verständlich. Die typischen Bestandtheile 
homerischer Mahlzeiten sind Fleisch , Wein und Brot : ivleoroi de rgaTre^ai 
aiiov y.al '/.Qeiwv irjö" oivov [ießQid^aaiVy o 333 f. Fleisch ist in der Mitte des 
Tisches, Wein in den Schalen aufgetragen, und nach Grösse, Zahl und 
Form sind das Uebrige zusammengerollte Brotfladen. Damit stimmt, dass 
Achilleus ein Brot in der Linken hält. Die griechische Tischsitte schrieb 
vor, die Zuspeise mit der rechten Hand anzufassen, das Brot in der linken 
zu halten: Plut. de fort. 5 rovg Ö€ ytaiöag y.oi hcoöeiad^at ymI Tcej^id/M- 
Ox^-ai diädoy.ofiev^ xal r^ de^i^ kaitfidveiv toü oipov, rij da äqiaceQu XQareiv 
xbv aQTOv, 

Herstellung von wirklichem Brot ist nur durch Säuerung möglich und 
setzt daher Kenntnisse und Erfahrungen voraus, die überall spät auftreten. ') 
Zeitlich voraus liegen zahlreiche, technisch verschiedene Formen der Zube- 
reitung vonCerealien, worüber allein eine eigens ausgreifende ethnographische 
Studie, an der es noch zu fehlen scheint, erschöpfend belehren könnte. So 
weit ich Nachrichten zu sammeln im Stande war, lassen sich drei Stufen 
der Zubereitung unterscheiden, die einer natürlichen Abfolge fortschreiten- 
der Civilisation entsprechen: 

1 . die unmittelbare Verwerthung, wofür die Frucht entweder in unreifem 
nnlcliigen Zustande vom Hahne genommen und mit Steinwerkzeugen 
zerquetscht oder in reifem Zustande geschroten oder geröstet wird. 



') Aus der dankenswerth ausführlichen Darlegang des überlieferten massenhaften Mate- 
rials, welche Blümners Technologie und Terminologie der Gewerbe und Künste bei Griechen 
und Römern im ersten Bande gibt, dem Plane des Werkes gemäss auch hier ohne historische 
Gesichtspunkte zu verfolgen, bekenne ich ausser Stande gewesen zu sein, klare Vorstellungen 
zu schöpfen. Nicht minder gilt dies für die Erstlingsschrift von Evangelidis, Jigayiuaxeta 
sregi oizov xai öxpov tjrot jieQt ryo^^g Ttaga xoXg dgxdioig "EkXrjoiv Erlangen 1890. In der 
Reihe der Handbücher, welche die sogenannten griechischen Privatalterthümer zusammen- 
fassen und einen Zopf in diesem Titel tragen, bezeichnet dasjenige Iwan Müllers einen 
ersten Beginn culturgeschichtlicher Betrachtungsweise, ohne freilich in dem Capitel über 
jNahrung und Körperpflege', ftir das eine durchgreifende historische Untersuchung fehlt, 
wesentlich über Schcmatisirangen nach Perioden hinauszugehen. Treffliche Winke enthält der 
Artikel ,Cibaria' von Eug. Fournier im Dictionnaire des antiquites grecques et romaines 
von Daremberg und Saglio. Ungenutzt ist die anschauliche Beschreibung geblieben, 
welche bereits Ludwig Ross, Kleinasien und Deutschland S. 58 folg. von dem im Orient 
üblichen Fladenbrote gab. Folgerungen daraus für das Verständniss antiker Ueberlieferungen 
zu ziehen hatte er allerdings unterlassen und sich nur auf die Bemerkung beschränkt: 
fAehnliche Brote waren es auch, die Aeneas und seine Troer als Tische benutzten und 
während der Mahlzeit verzehrten; womach unerwartet das Orakel seine Lösung fand, dass 
sie an dem Orte bleiben soUten, wo sie ihre Tische verzehren würden', vergl. Vergil Aen. 
VII 109 folg. Wie Vieles aus antiker Tischsitte sich in dem geschilderten Brauche des 
Orients erhielt, bedarf keiner ausdrücklichen Erinnerung. Nur darauf möchte ich hinweisen, 
wie gut sich das Sprichwort erklärt dyady xai ^aC« f*^^^ agiov. 



— 375 — 

2. (las Anrühren eines mehr oder weniger dicken Breies aus Mehl, der 
durch Salz , Fett , Milch , Käse , Kräuter (z. B. Polei im Demeter- 
hymnus) u. s. w. wohlschmeckender gemacht und gekocht oder un- 
gekocht als Speise wie als Trank genossen wird, 

:>. das Rösten oder Backen eines gekneteten und meist in Form von 
Fladen oder Klössen, aber auch in mannigfache andere Formen 
gebrachten Mehlteiges, was auf heissen Steinen, unter der Asche des 
Herdes, an Spiessen, auf thcmernen oder metallenen Platten, in Pfannen, 
Steinkrügen, thönernen Röhren oder Töpfen geschieht, wobei die zur 
Anfeuchtung verwendete Substanz : Wasser, Milch, Oel, Wein u. s. w. 
und allerhand würzende oder süssende Zusätze wechseln. 

Alle diese Productionsweisen gehören der häuslichen Thätigkeit an und 
fallen in das Leistungsgebiet der Frau. Erst bei entwickelterem städtischem 
Leben, nach der Bekanntschaft mit dem Sauerteige, geht die Herstellung 
in gewerbliche Formen über. Am frühesten in Aegypten, wo ausführliche, erst 
kürzlich vermehrte Darstellungen über alle technischen Proceduren belehren. 
Hier lernten die Juden, welche früher nur ungesäuertes Brot besassen, das sie 
im Culte des Paschafestes dauernd beibehielten, zuerst den Sauerteig 

• 

kennen. Aus Aegypten oder dem Orient wird er dann zu den Griechen 
gekommen sein, in deren Literatur er möglicher Weise durch den ä^rog 
rtTodiQvifog dY.Td{^houog bei Hesiod. W. u. T. 442 zuerst indirect bezeugt 
ist, da solche Formen fiir den gesäuerten Teig natürlicher sind als für den 
ungesäuerten (vergl. Philostr. imag. II 26) : im fünften Jahrhundert jedesfalls 
wird er als eine bekannte Sache behandelt. Nicht früher als im zweiten 
Jahrhundert v. Chr. entstand in Rom nach dem bekannten Zeugnisse des 
Plinius n. h. XVIII 107 ein Gewerbe der Bäcker, und aus dem Süden ist 
die Kunst des Brotes auf verschiedenen Wegen noch später zu den n(')rd- 
lichen Völkern gekommen. ^) 

') Der Güte Johann Keiles danke ich folgende Mittheilung: ^In der Zeit, aus der 
wir sprachliche Denkmäler der frermanischon StiiniTiie besitzen, haben sie die Säuerung des 
Brotteipes bereits gekannt. Die Westgothen des 4. Jahrhunderts , die Alemannen, Franken, 
Baiern , Angelsachsen des S. Jahrhunderts kennen Wort und Sache. Die Westgennanen 
müssr-n aber den Sauerteig unabhängig von den Ostgermanen kennen gelernt haben, denn 
sie haben ein anderes AVort dafür. Der Sauerteig kann also weder urgermanisch, noch 
indogermanisdi sein. Gothisch heisst Sauerteig: beiat, Althochdeutsch: deismo, Angel- 
sächsisch : dho?sma. Die Gothen haben den Sauerteig unbedingt von den Griechen kennen 
gelernt, die Franken u. s. w. über Gallien von den Römern. Wann das geschehen ist, wird 
sich aber niemals feststellen lassen. Bei den römischen SchriftsteUern von Tacitus bis 
Ammianus Marcellinus kommt darüber nichts vor. Und auch bei den Schriftstellern vom 
o. — 8. Jahrhundert findet sich keine Angabe. Die Gräberfunde von Hallstadt, Keichenhall etc. 
geben gleichfalls keinerlei Aufschluss.** Vergl. die Bemerkungen von Victor Hehn^ Cultur- 
pflanzen und Hausthiere S. 456. 



— 376 — 

Steinerne Kornquetscher hat Schlienianu, llios 8. 268 f. in grosser 
Zahl in den unteren Schichten der trojanischen Ausgrabungen vorgefunden, 
während sie in den oberen nicht mehr vorkamen. In den Zeiten, welche 
die homerischen Gedichte schildern , ist diese primitive Stufe natürlich 
überwunden, nur in der Oi)fersitte dauern die Gerstenkörner fort, und der 
dunkle schwankende Gebrauch eines ehrwürdig alten Sprachrestes ^riuYf 
T€Q()g d'jivfjy cilifirov uqov d'/,Tt) erinnert an die Urzeit.^) Anderseits ist 
wirkliches Brot noch nicht erreicht. Es kann sich für Homer nur um 
Formen der soeben unterschiedenen zweiten und dritten Stufe der Zube- 
reitung handeln, wenngleich zu bedauern ist, davSS meist über Indicien- 
beweise nicht hinauszukommen ist, weil deutliche Schilderungen des Sach- 
verhaltes im Epos fehlen: vielleicht nicht ohne Gnmd, da in ihm kein 
Reiz der Neuheit lag. der dichterische Beschreibungen veranlassen konnte. 

Nach einer ausdrücklichen Versicherung Dörpfelds sind in Hissar- 
lik. Mvkeuai und Tirvns Vorrichtungen zum Backen von Brot nicht zum 
Vorschein gekommen. Dem entspricht, dass Ausdrücke für Backen, Sauer- 
teig und Utensilien der Bäckerei im Homer nicht vorkommen. Insbesondere 
wird kein Backofen erwähnt: tTtvög y,kiiiavog ßaivog Ääiitrog sind dem 
Dichter fremd; das letzte Wort ist erst in dem gleichnamigen Epigramme 
als Brennofen tÜrThonwaare belegbar. die Bedeutung von a27 yoril /Mfjtvol 
laog ist umstritten, und wenn auch y,auivt!) mit Aristarch und Herodian 
als '/MfAivevTQia zu verstehen ist, so kann ein Ofen zimi Backen damit noch 
nicht für erwiesen gelten. Telemach nimmt aSoOf. auf die Reise zwölf 
Amphoren Wein und in wohlgenähten Schläuchen zwanzig Maass ältfixa 
mit , also kein fertiges Brot, sondern Vorrath von Mehl , um unterwegs 
nach Bedarf Speise herzustellen. In den Füllversen d 621 — 624, wo die 
Spartaner mit Schafen und Wein zu einem gemeinsamen Malde in den 
Palast des Menelaos kommen, senden ihre Weiber ihnen olrog nach, den 
sie offenbar selbst bereiteten, wie die rafxiat T 44 aiiov doTfjQtg sind imd 
Mägde in der Odyssee das Getreide mahlen und airog auf den Tisch bringen. 
Charakteristisch ist überhaupt der durchgehende Gebrauch des ganz all- 
gemeinen vieldeutigen Wortes airog für Brot. Specielle Ausdrücke fangen 
erst in der Odyssee an sieh auszubilden. Zweimal q H43, a 120 kommt 
hier aQiog vor. d. i. Weizenbrot im Gegensatz zu dem üblichen Gerstenbrot, 
keineswegs nothwendig gesäuert : es gab ägrot aZvuoi und die aus feinem 
Weizenmehl hergestellten ungesäuerten Schaubrotc werden in derLXX immer 
durch (iociu wiedergegeben, dem Worte liegt gewiss nur der Begriff der Zu- 



*) Die von Mannhardt. Mythologische Forschungen S. 225fp. wieder aufgenommene 
und ausführlich erörterte Ilerleitung G Ott lings von ayfir würde einen lediglich religiösen 
letzten Urspning der Bezeichnung ergeben , an den ich aus mehr als einem Grunde nicht 



glauben kann. 



Öi i 

bereitung zu Grunde. Dreimal o 312, ^ 12, ^ 362 steht in sprichwörtlicher 
Verbindung txvqvov als Bettlergabe, worunter man später grobes Kleienbrot 
verstand. Dass die Brote der Odyssee (in der Ilias nur I 217 und il 626, was 
Zufall sein kann) in Kürben aufgetragen werden, in denen man sie auf- 
schichtet, aus denen man sie herausnimmt und vertheilt, gibt keinen näheren 
Anhalt für die Form und darf nicht verleiten, jüngere Vorstellungen damit 
zu verbinden. 

Ein einziger Vers sagt möglicher Weise etw^as mehr. Telemach lässt 
Q 343 dem Odysseus durch Eumaios einen Antheil der Mahlzeit überbringen 
Hqtov X o V / V f?Sf)v 7ceQiY.aXXeog f z Y.aveoio xai XQsag, üg ol x^^Q^S 
ixdvdavov d^tpißalovri. In dieser Stelle wird ovXog = hXog gefasst als ganzes 
Brot. Aber es ist auffällig, gerade dies hier, wo Freigebigkeit am Platze 
wäre, hen^orgehoben zu sehen, da doch der Freier Amphinomos a 120 
dem Odysseus sogar zwei Brote aQzovg dvw gibt und das ganze Brot die 
Möglichkeit einer theilweisen Verabreichung voraussetzt, wofür sich in dem 
Sprachgebrauch Homers und der von ihm so oft geschilderten Sitte sonst 
keine Spur findet. Es ist jedesfalls denkbar, dass diese Erklärung, so alt 
und allgemein sie ist, auf einer falsch übertragenen Anschauung jüngerer 
Zeiten beruht. Geht man von der seit Homer herrschenden Grundbedeutung 
des Wortes oikog „kraus, gerollt, gewunden'' aus, von der sich die über- 
tragenen Bedeutungen verständlich ableiten lassen — ovlorarov rqixioua 
vom gekräuselten Haar der Neger, Herod. VII 70; \iov ovkai /.oQwvideg 
von den wirren Formen gewundener Veilchenkränze Stesich, Hei. fr. 29 
Bergk^ ; oi?.r^g l'h'Kog vom Geringel der Weinranken, Simon. Anth. Pal. 
VII 24, 2; ov?.og iQeaawv Ttoaaiv von den verschlungenen Füssen des 
Nautilus, Callim. epigr. VI 6 Seh.; ovXa Co^rpawo von den Windungen 
der Kuretentänze, Callim. hymn. I 51 ; ovIti Xdxvr] von zottiger, gekrempelter 
Wolle, K 134 — so steht wenigstens nichts im Wege, soviel ich sehe, 
Hqtov ovlov aufzufassen nach Art jener im Orient noch heute gebräuch- 
lichen zusammengewickelten Brotfladen. Ovlov ist dann mit ehov zu ver- 
binden , in der nämlichen Weise wie es im homerischen Hynmus v. 1 13 
von Hermes lieisst, nachdem er Feuer erzeugt hat : tzoXIu de /AyyLava zorAd 
'/,aroi'Sai(i) ivl ßod^qti) ovXa XaßCov f.7cid^rjx.ev irurfirava' }.d^7teT0 de ffX6^ 
xtA, d. h. er nahm reichliches trockenes Reisigholz zusammengedrückt oder 
zusammengewunden und legte es auf das Feuer, wo GemoU „ai;« statt 
des unverständlichen oJ/.a'' vermuthete. 

In der Erntescene des Achilleusschildes wird zum Schlüsse des Mahles 
gedacht, das man abseits unter einer Eiche für die arbeitenden Schnitter 
herrichtet: Schaffner hantiren um einen getödteten grossen Stier, der am 
Boden liegcnid zu denken ist wie in der Schlachtscene des Leukippidenraubes 
am Heroon von Ojrdbaschi-Trysa Taf. XVI A 7, und Frauen bereiten für die 



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Mahlzeit Speise, was - 560 mit den Worten al de ywaiyceg öelTtvov tQi&oiaiv 
Aft'// ältfLTa Ttollä Ttälvvov angedeutet ist. Die seholia Townl. erklären 
Ttdlvvov richtig {^aaaov ij fyvQOVy also : sie rührten Gerstenmehl in Menge 
an; vergl. Plutareh, symp. quaest. II 4, 8 rb aviATtdaai roiv noir^xtav 
y,ai xaTandaat nakvvai hyovnov. Gewöhnlich wurden die Worte vom 
Bestreuen des gebratenen Stieres verstanden. Aber, wie Düntzer bemerkte 
(vergl. Hentze\s Anmerkungen S. 152), lässt der Ausdruck ßovv leQev- 
oavceg jjsyav ä^q)enov nicht zu, an ein Braten des Stieres zu denken; er 
wird nach der Schlachtung vielmehr erst ausgeweidet, und jene Worte 
können daher nur auf den Hauptbestandtheil des Maliles bezogen werden, 
auf die cerealische Kost, zu der man das Fleisch genierst. Dass es sich 
dabei nicht um Brot handle, ist längst erkannt. Eustathios notirt: %b de 
7ta?AyeiP Ülxpixa ovda vvv dtjloi dQVOTuoiiav, dlkd ti iTtiTtaGLia avvrixfeg 
ov Tolg Ttakaioig. Dieselbe Wendung kehrt wieder in den Stellen, welche 
den Kykeon beschreiben — ^/640 mengt Hekamede für Nestor und Machaon 
pramnischen Wein mit Käse an und streut weisses Gerstenmehl auf ircl d* 
ähfixa levxit TcdXvve vergl. x 520, l 28 — und wie der Kykeon (Prell er, 
Demeter und Persephone, S. 98), der, je nachdem man ihn dünner 
oder dicker herstellt, getrunken oder gegessen wird (in der Ilias ist er 
TtÖTog, in der Odyssee alcog\ muss die zubereitete Speise hier als ein 
Gerstenbrei gedacht werden, entsprechend der beliebten altitalischen puls, 
die in einem Brei aus Weizenmehl bestand, was die Gleichung des zuerst 
bei Alkman, fragm. 75 Bergk* vorkommenden nolrog = puls bestätigt. 
Aehnliche Formen des Genusses von Hülsenfrüchten (hvog, vQclyog, nciadvri, 
'kEnid-og, dd-dgri u. s. w.) sind auch in historischer Zeit beliebt und wie 
hier offenbar eine Kost des niederen Volkes, welche einmal die allge- 
meine war. Aehnlich verhält es sich mit dem bäuerlichen Mahle, welches 
Eumaios § 76 fg. tür Odysseus herstellt : 

dTtiifSag d^ccQa Ttdvva (fsgcov TtaQed-ri'/! ^Odvör^i 
^eQf.1 avToig diielolaiv ö d*ci?.(ftca levuä TtdkvveVy 
ev d^uQa niaavßioß yjgvrj iiie)urjdea olvov, 
avTÖg 6*dvtiov ICev y,iX. 

Denn auch hier werden die Worte gewiss unrichtig auf ein Bestreuen 
des Fleisches mit Mehl gedeutet, wa« doch während des Bratens, nicht 
erst nachdem es vorgesetzt ist , geschehen müsste (| 429 , wo übrigens 
nach Eustathios alte Erklärer auch an vegetabilische Kost dachten), 
und eine unvollständige Schilderung ergäbe, da vegetabilische Nahrung 
unmöglich bei dieser Mahlzeit fehlen konnte. Ihr ländlicher Charakter ist 
überdies durch das Auftragen des Fleisches an den Spiessen avtoig 
ößelolaiv (wie noch heute im Orient , auf dem Lande und auf der Reise 



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üblich ist) und durch die Verwendung des hölzernen Milehgefässes für den 
Wein hervorgehoben. 

Während es sich hier um breiige Speise handelt, geniessen die 
Vornehmen, wie schon die oben angeführten Stellen zeigen, festes Brot. 
Eine bestimmtere Vorstellung desselben, welche die vorgetragene Erklärung 
von Q 343 bestätigen kann , gibt eine Ueberlieferung des Athenaios IV 
137 c. Als Beweis für die Massigkeit der Athener führt er an, dass Solon 
für die Speisungen im Prytaneion Maza verordnete und nur an den Fest- 
tagen Artos zuliess : in Nachahmung von Homer, meint er, /mi yäg iy.elvog 
Toig clQKJvelg avvdycjv JCQbg rbv MyaueiAvova ^(pvQSto d'üXtptra^ q>rjaiv. 
Diese Stelle, welche im Index von Kaibels Ausgabe des Athenaios wie 
in Kinkels Sammlung epischer Fragmente fehlt, steht nicht in unserer 
Ilias, weder B 404 noch H 311 oder I 89, wo sie erwartet werden könnte. 
Sie wird einem kyklischen Epos angehören, wahrscheinlich den Kyprien, 
in deren Komposition ein von Agamemn(m in Tenedos veranstaltetes 
Gastmahl von besonderer Bedeutung war, da Philoktet von demselben 
ausgestossen wurde und Achill durch die Art der Einladung beleidigt, in 
einen ersten verhängnissvollen Zorn ausbrach. Durch den Wechsel des 
Verbums — (pvgcj statt Ttalvvio — ist eine andere Art der Herstellung 
angezeigt, und in IJebereinstimmung damit steht, dass die Quelle, der 
Athenaios folgte, das Citat einem Zusammenhange entnahm, welcher 
diese Herstellung nach Art der Maza schilderte oder als solche erkennen Hess. 

Bekannt ist die Maza , die zuerst von Hesiod W. u. T. 590 und in 
dem unter dem Namen Homers überlieferten alten Eiresioneliede erwähnt 
wird, als das gew()hnliche Nahrungsmittel der Griechen, das bei der Ein- 
fachheit ihrer Lebensweise durch alle Zeiten beliebt blieb. Man weiss, 
dass die Maza wie Brot zu essen war (Xenophon Cyrop. 1 2, 11), dass sie 
aus einem ungesäuerten Teige von Gerstenmehl bestand, der in Kuchen 
meist von runder Form [yoyyvh] \(.ia^a\ Aristoph. Frieden 28) und ver- 
schiedener Grösse geformt wurde — nach Theokrit IV 34 konnte der Faust- 
kämpfer Aigon achtzig Mazai verzehren — und dass ihre Herstellung in 
der Regel den Frauen oblag: bei der Belagerung von Plataiai blieben zu 
diesem Zweck ] 10 yvvat%eq oltotzoioI zurück Thukyd. \\ 78 (vergl. Xenoph. 
oecon. VII 22, Lucian Luc. 28). Die Römer übersetzten Maza durch polenta 
(Usener, Epicurea, S. 339, 602), und über die Bereitung der griechischen 
Polenta gibt Plinins VHI 72 f. specicllere Nachrichten , freilich ohne auf 
die letzte Procedur des Röstens oder Backens einzugehen. I'niform darf 
man sich die letztere gewiss nicht vorstellen. Wie die individuellen Formen 
und Bezeichnungen des Brotes von Ort zu Ort, von Zeit zu Zeit wechselten 
und eine wirre Ueberlieferungsmasse bilden, welche schon den Scharfsinn 
antiker Interpreten quälte, so sind auch die Geräthe, in imd mit denen 



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die letzte Herstellung über dem Feuer zu Stande kam , überaus mannig- 
faltig. Das Einfachste und Natürlichste waren aber gewiss immer Pfannen 
oder Seheiben aus Thon oder Metall , wie sie im Orient dazu dienen. 
Vielleicht darf man das Phrygetron genannte Geräthe dahin rechnen, von 
welchem Pol lux I 246 sagt: — (JAwv di /mI riig vi\u<pag lovaag t7ci ibv ydf.iov 
iKsXevae cfQvyezqov (fegsiv ar^uelov avxovqyias (oder dkcpiTOVQyiag). Die 
Gestalt desselben kannte PoUux nicht mehr; aus einem von ihm X 109 ange- 
führten Komikerfragmente (Polyzelos, fr. com. I 791, 6 Kock) o^Tteo al xvrQQt 
TiQe^avTai Y.ai tö qiQvyevQov geht nur hervor, dass es aufliängbar, also von 
handlicher Grösse war: eine gestielte grosse Seheibe, keinen „Spiegel", 
hält eine der Frauengestalten . welche auf dem Hochzeitssarkophage von 
San Lorenzo fuori le mura der Neuvermählten Geschenke bringen (Wiener 
Vorlegeblätter 1888, IX 4 b). Möglicherweise ist auch das Plathanon so 
zu verstehen, auf welchem ])ei Theokrit XV Hof. Frauen für das Adonis- 
fest mühsam Backwerk zubereiten: 

eidaia ä^Saoa yvvaixeg tTti Ttkad-dvo) Ttoveovrai, 
(ivd^ea jLtiayoiGac A£rx(^7 navrola ^aXevQOj, 
Saaa t änb ykvyceQio {LtehTog rd ziv vyQil» ikauiJ, 
TcdvT avKJß Tteieeivd aal aQTteid zude Tcdgeavi 

denn Ttoveovvat lässt sich mit den Schollen und den Neueren nicht wohl 
auf das Bilden der Kuchen, die hier die Gestalt von Vögeln und laufenden 
Thierfen hatten, beziehen, da dies mühelos aus Teigformen geschah, eher 
auf das schwierige Rösten, welches Oribasios ed. Dar. I. 19 in dem Capitel 
TteQl t6)v i§ dXevQOv Ttef^ifiaTOßv umständlich beschreibt ; vergl. dQvoavQoqyeiv 
PoUux VII 22. 

Altgriechische Darstellungen des Backens sind, so viel ich weiss, 
noch nicht zum Vorschein gekommen. Von der goldenen Statue seiner 
Brotbäckerin , welche Kroisos nach Delphi weihte, ist nicht« Näheres 
bekannt. Nicht unwahrscheinlich hat Schliemann, Tiryns, S. 169, 76 eine 
rohe Terracotta, welche eine wie es scheint weibliche Gestalt darstellt, 
die ihre Hände über eine auf einem säulenartigen Stumpfe liegende breite 
Masse ausbreitet, als Brotbäckerin gedeutet. In ähnlicher Bewegung be- 
griffen ist eine Frau in dem Innenbilde einer rothfigurigen Schale: auf 
einer Tischplatte, die auf einem säulenartigen Untersatze ruht, scheint sie 
einen Teig zu kneten, für dessen Herstellung der Inhalt eines neben ihr 
auf einem Stuhle stehenden Korbes und eines am Boden stehenden Eimers 
gedient haben könnte (Fig. 2). Zu vergleichen sind egyptische Darstellungen 
von „Teigkneterinnen", welche Pietschmann in der deutschen Ausgabe 
von Perrot-Chipiez, Geschichte der Kunst im Alterthum I 855, 5 anfuhrt. 



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Mit j;rÜBBerer Bestimmtheit möchte ich ein kürzlich (Itirt'ti OonKC 
)>ekaiiiit i^cwordenee Geräth , die in zahlreichen Resten nm-liweiMbaren, 
gegen zwei Fuss hohen sogenannten ,Kohlenbeckeii' von Terracotta hier- 
her ziehen (vergl. Fig. 3, 4, 5). Wie Conze gezeigt hat, sind dieselben 
höchst zweckmäBsig conBtrnirt, nm eine verhältnissmässig kleine Monge 
von glühenden Kohlen Ökonomisch zu conserviren und einem Sitzenden 
in Kniehöbe handgerecht zu halten. Ein aufrecht stehender, unten mit 
einem Itodcn versehener, an den Seiten mehrfach durchbrochener Cylinder 
trägt oben das Becken, in welchem die Kohlen mheu, und die Kundung 
dieses Beckens ist an mehreren Stellen durchbrochen, um der Glnth sowohl 
von unten Zug zu verschaffen wie die Möglichkeit zu geben , durch diese 




Lücher nach unten Asche abzustossen. Der obere Rand des Beckens ist 
aber mit drei emporstehenden Griffen versehen, an deren Innenseite aller- 
hand sehr groteske Masken angebracht sind , welche mit ihren spitzen 
Langbärten radial ziemlich weit nach der Mitte zu vorspringen. 

Es sind über neunhundert Bruchstücke, in der Hauptsnehe Masken- 
henkel, welche Conze gesammelt und aus deren Beobachtung er ein 
Gesammtbild des Geräthes erschlossen hat, welches einige ganz oder nahezn 
ganz erhaltene Exemplare bestätigten und vervollständigten. Einer durch 
Conze vermittelten freundlichen Einwilligung Georg Reimers danke ich 
es, jene wichtigsten Exemplare mit den im Jahrbuche des archäologischen 
Institutes V 134, 135, 137 veröffentlichten Zinkstücken hier veranschau- 
lichen zu könuen. Fig. 3 zeigt ein Exemplar des Mnseums Fol in Genf, 



das sich durch völlig Erhaltung auszeichnet. GrösBcre Theilstiicke von 
zwei weiteren Exemplaren besitzt die Sammlung des Polytechnion in Athen, 
wovon Fig. 4 Zeicbnuiigeu gibt. Ein in Fig. 5 construirter senkrechter 
Dun^hschnitt erläutert ihren Bau. )Ian sieht in demselben links unten 
angedeutet die TUiir, darüber die durchlöcherten Masken, während die in 
zwei Drittel Höhe angebrachten beiden Traghenkcl fehlen , da sie nicht 
in der Durchschnittsfläche liegen. Aus dem uumlichen Grunde lässt 
auch die mehrfach durchbrocheiie Krümmung des Beckens hier nur zwei 
Löcher sehen. 




Die tcktonische Ausgestaltung des Ganzen wirkt elegant und gewinnt 
besmtderen Reiz, da sie sich sichtlich streng an die Vorschrifteu eines 
bestimmten praktischen Bedürfnisses hielt. Namentlich die unterfangartig 
vorgedehnten Barte der Masken Ȇtliigen einen eigenartigen Zweck voraus- 
zusetzen, der von dem allgemeinen eines bios zum Wärmen dienenden Heiz- 
getlisses verschieden sein musste. Aus diesem Gruude dachte Dnmont 
an eine Vorrichtung zum Warmhalten von Speisen, ,k soutenir les plats ou 
les autres outcnsiles (|u'on pla<,'ait sur ces sortcs de recliauds'. Eine solche 
Verwendung würde aber die apotropaiischc Bedeutung der angebrachten 
Masken nicht hinreichend erklären. Da diese Bedeutung in allen Typen 
sich sehr stark ausspricht und die Jlasken immer aufwärts gerichtet sind. 



— 383 ~ 

also iiacb oben wirkteu , so wird man weiter sehliesscn miieseii , dass sie 
etwas Besonderes zu schützen hatten, was über den Kolilen vorgenommen 
wnrde nnd eines solchen Schutzes besonders bedürftig war. Etwas t^chweres, 
einen vollen Kochtopf beispielsweise , der überdies in lebendigem Feuer 
besser am Platze wäre, würden die spitz vorspringenden Barte schwerlich 
getragen haben, auch ist der ganze Bau den (lerathes zu leicht nnd das 




Material zu wenig geeignet, um eine Belastung ausKuhaiten. Alle Formen 
erklären sich dagegen, wenn mau ein leichtes Metallblecli auf die Barte 
legte, um TeigHaden darauf zu rösten. Die miilisame Arbeit, welche die 
Orientalinnen jetzt in stundenlangem Kauern auf dem Erdimden verrichten, 
konnte dann im iSitzcn, beliebig wo, mit aller Bequemlichkeit ai)gethan 
werileii. l>or Abstand des Bleches über den Kohlen war günstig, da er ein 



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entsprechendes Mass gleichmässiger Wärme sicherte, und für das Gelingen 
des Brotes sorgten die prophylaktischen Sjonbole, die man im Alterthum 
wie bekannt besonders gern an Backöfen anbrachte. Auch die durch die 
Fundstatistik gegebene weite Verbreitung des Geräthes und die grosse 
Masse der erhaltenen Bruchstücke — sie würden sich auf den Trümmer- 
stätten von Halikarnass, Knidos und Loryma durch blosses Auflesen leicht 
zahlreich vermehren lassen — verstehen sich besser aus der vermutheten 
Bestimmung für ein erstes allgemeines Erforderniss des täglichen Lebens. 
Als Namen des Geräthes vermuthete D i e 1 s , geleitet von der früheren 
Vorstellung seiner Bestimmung, Pyraunos nach dem gleichnamigen Titel 
mehrerer Komödien und Pollux VI 88 rcvqavvovq — fort de &yyua iv 
olg Tobg ifiTtvQovg ävd-Qa/^ag ycoLil^ovaiv. Eine Beschreibung des PjTaunos 
genannten Geräthes ist nicht überliefert. Ist Pollux genau , so würden 
seine Worte den Zweck des unserigen nicht erschöpfend aussprechen, und 
das Wort wird ausserdem als Feuerzange, Feueranzünder und Feuerzeug 
erklärt : Hesych. s. v. UvQaivog (nach Phot. und Eustath. fehlerhaft für 
TcvQavvog) ' 6 tiüq ivavoiuevog, Xeyetai de xai rb äyyeiov, ev iit (peqevai 
"Aal TÖ TvvQy oVto) und s. v. HvQavvov* elg o av tvvq havtixai^ S<f3iov, }) 
ßolßiTov^ ^) Vj ToiovTov Tl. Ol öi Tt)v x^eQf.iavaTQLv, Natürlicher scheint mir 
unter diesen Umständen an eine Spielart des zur Herstellung von Kuchen 
und Brot seit alten Zeiten allgemein benützten Klibanos zu denken. Unser 
Geräth gehört in dieser Form, wie Conze nachwies, dem zweiten vor- 
christlichen Jahrhundert an, und nach seiner ganzen tektonisch künst- 
lichen Vollendung ist schwer zu glauben, dass es auf einen Wurf so 
erfunden und nicht vielmehr in allmälicher technischer Entwicklung 
so entstanden sei. In der That ist es in der primitiven Form eines 
bescheiden profilirten niedrigen Cylinders mit Seitenlöchern schon in 
Aeg}^pten auf Reliefs des alten Reiches nachweisbar, wo Hirten auf 
dem Felde davor kauern, an Spiessen Fleisch über den Kohlen braten 
und durch Wedel die Gluth anfachen.^) Auch vom Klibanos ist eine 
directe Beschreibung nicht erhalten. Aber aus zahlreichen, neuerdings 

*) Trockener Kuhmist (ßoXßitov, attisch ßohroi) wird noch jetzt im Orient zum 
Feueranmachen gebraucht; ver«:!. Liv. XXXVUI 18, 4, Geopon. V 48, 1 XIII 11, 6, PhUostr. 
imag. II 24 ed. sem. Vindob. 

2) Perrot-Chipiez, histoire de l'art 1 36, Fig. 27 ; Erman, Aegypten I 267. Ein 
von Wolters veröffentlichtes attisches VasenbUd (Mitth. d. Inst, athen. Abth. XVII Taf.I2) 
zeigt eine Frau sitzend vor einem schemelartigen niedrigen Geräth mit Thierfüssen, nnd 
über dasselbe eine grosse gestielte Scheibe haltend. Das Bild ist flüchtig gemalt und nicht 
hinreichend klar, obwohl es gewiss an etwas Bekanntes erinnern will. Ein Spiegel gibt 
keinen Sinn, Fächer pflegen anders gestaltet zu sein. Ich lasse dahingesteUt, ob man ein 
Phrygetron (s. oben S. 380) und in dem schemelartigen Geräthe eine andere Form des Kohlen- 
beckens erkennen darf.