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Erinnerungen
aus den Jahren
1837, 1838 und 1839.
Zweiter Theil.
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Erinnerungen
aus den Jahren
1837, 1838 und 1839.
Das Leben nach dem Kriege iſt ein
langweiliges Schildwacheſtehen. —
Raupach.
Zweiter Theil.
Frankfurt am Alain.
Druck und Verlag von Johann David Sauerläuder.
1841.
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1.
Gefangennehmung und Freilaſſung des Erzbiſchofs von Cuba. —
Die Legitimiſten in Marſeille. — Neife durch Süd- Frankreich. —
Maroto's Töchter. — Don Manuel VBaldes. — Biographiſche
Skizzen über Maroto. — Von Bordeaux bis zum Schloſſe von
Marrac. — Die Schmuggler in den Pyreneen und Zug über die
Grenze. — Beſuch bei Moreno. — Maroto's erſtes Auftreten. —
Ankunft im Königlichen Hoflager zu Elorrio.
(April bis zweite Hälfte Juli 1838.)
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Die erſte Nachricht, die mir in Paris zukam,
war die Arreſtation des Erzbiſchofs von Cuba. Dieſer
Prälat ſchien beſtimmt, eine große Rolle in allen unſe—
ren Angelegenheiten zu ſpielen, auch ward ſeine Gefan—
gennehmung von Vielen als ein wahres Unglück betrach—
tet. Mehrere gemäßigte Perſonen aus dem Hoflager
und Heere hatten dem Erzbiſchof nach England geſchrie—
ben und ihn dringend aufgefordert, ſich nach dem
Kriegsſchauplatze zu begeben, ohne erſt königliche Be—
fehle abzuwarten. Seine Gegenwart, ſein perſönlicher
Einfluß auf den König würden genügen, die ſchäd—
lichen Maßregeln zu neutraliſiren und den Eingriffen
Schranken zu ſetzen, die Arias-Teijeiro's Ver⸗
waltung auf eine ſo traurige und erbärmliche Weiſe
ſignaliſirten. Der Erzbiſchof gab nach und gelangte
glücklich bis Bayonne. Durch die Ungeſchicklichkeit
feines Guiden ward er eine Viertelftunde von der Stadt
von einem Douane-Poſten aufgegriffen und nach mehr—
tägiger Haft in feinem Hotel zu Bayonne unter Es—
corte nach Bordeaux, von dort nach Tours geführt,
und dieſe Stadt ihm auf Ehrenwort als Gefängniß
angewieſen.
Ich kannte den Erzbiſchof nicht, und hatte im
Hoflager nur ſelten von ihm gehört, da es in Spa—
nien angenommene Maxime ſcheint, daß von Macht—
habern, die abgetreten ſind, ebenſowohl als von denen,
die eintreten könnten, nie geſprochen wird. Niemand
will das Anſehen haben, als bedauere er die Vergan—
genheit oder hoffe Aenderung von der Zukunft. Das
Bild, das ich mir ſonach von dem Charakter und der
Wirkſamkeit des Erzbiſchofs entwarf, konnte nur ſehr
unvollkommen ſein. Doch waren alle ſpaniſchen und
franzöſiſchen Carliſten in Frankreich in ihrem Lobe
über ihn im vollkommenſten Einklange, wie auch in
Paris mehrere gewichtige Perſonen dieſem ebenfalls
beiſtimmten. Beſonders ſchien Eines klar hervorzu—
gehen, daß der Erzbiſchof das Vertrauen und die Ach—
tung nicht nur der befreundeten Höfe, ſondern ſelbſt
uns feindlicher Regierungen genieße, ja ſogar einer
hohen, öffentlich uns entgegenſtehenden, — doch gewiß
im Herzen nicht abgeneigten — Perſon eine feſtbe—
gründete Meinung von ſeiner aufgeklärten, gemäßigten
Politik einflöße.
Ich ward aufgefordert an ſeiner Freilaſſung zu
arbeiten. Einige Briefe, die der Banquier Jauge
mir brachte, beſtimmten mich es zu thun. Ich begab
mich zum Grafen A... „der meine Eröffnungen und
Bitten freundlich aufnahum und mit Ludwig Philipp
davon zu reden verſprach. Tags darauf erhielt ich
eine nach den beſtehenden Verhältniſſen möglichſt gün—
ſtige Antwort, und nach wenigen Stunden befand ich
mich auf dem Wege nach Tours. Ueber meinen ſechs—
ſtündigen Aufenthalt in dieſer Stadt und eine Unter—
redung, die mit allen ihren Details nie aus meinem
Gedächtniſſe ſchwinden wird, muß ich mich aller Ver—
öffentlichung enthalten. — Nach einigen Wochen verließ
der Erzbiſchof Tours, mit einem Regierungspaß ver—
ſehen, der ihm die Reiſe nach Italien geſtattete.
Beim Umſpannen des Poſtwagens in Lyon nahm ein
Anderer, ihm gleich gekleideter, ſeine Stelle ein, und
der Erzbiſchof, von einem franzöſiſchen Legitimiſten
geführt, ward über Toulouſe nach Bayonne in größ—
10
ter Eile gebracht. Unvermuthet traf er in Onate ein,
wo der König ſich eben aufhielt. Seine Ankunft war
ein Blitzſchlag für Arias-Teijeiro und Conſorten.
Eine radicale Veränderung ward von Allen als unfehl—
bar angeſehen. Da man nun vollends erfuhr, daß
der König den Erzbiſchof fogleich vorgelaſſen und
umarmt habe, daß hierauf eine mehrſtündige Audienz
ohne Zeugen erfolgt ſei, ſtieg die Spannung auf das
Höchſte. Umarmung und Audienz haben damals einen
großen Anklang, langen Nachhall dieß- und jenſeits
der Pyreneen bei allen Royaliſten gehabt. Doch iſt,
wie es ſo oft geſchehen, nichts erfolgt. Vielleicht
trat der Erzbiſchof zu haſtig auf, entwickelte zu viel
Plane, zu große Veränderungen; gewiß iſt, daß er
den erſten günſtigen Moment nicht zu benützen ver—
ſtand. Die herbſte Täuſchung erfolgte, als nach meh—
reren Wochen noch immer Arias-Teijeiro am
Ruder war und der Erzbiſchof ohne offizieller Stellung,
mit geſchmälertem Anſehen, dem Hoflager gleich jo
vielen Anderen nachzog. Dieſes momentanen Sieges
über den Erzbiſchof ungeachtet, hat mir Arias—
Teijeiro meine Mitwirkung an der Freilaſſung ſei—
nes politiſchen Feindes nie vergeben; ſpäter indirect
11
vorgeworfen und ſo lange er ſich im Miniſterium befand,
ſtets bitter und empfindlich fühlen laſſen. Doch auch
durch ſeinen Sturz wurden nicht viel heilſame Verän—
derungen ins Leben gerufen, und als viel ſpäter, zu
einer ſehr unglücklichen Epoche, der Erzbiſchof an die
Spitze der Geſchäfte geſtellt wurde, hat auch er ſeinen
Glauben an Maroto bitter gebüßt und bereut. Ge—
wiß betrauert er jetzt das Vertrauen, das er in dieſen
Mann geſetzt; denn einer Mitſchuld — auch nur in
Gedanken, in geheimſten Wünſchen — ſpreche ich den
Erzbiſchof aus innerſter Ueberzeugung gänzlich frei,
obwohl mir recht wohl bewußt iſt, daß viele, zum
Theil gutgeſinnte Perſonen, ihn gern in das dunkle,
verworrene Gewebe mit einflechten möchten, das mit
Maroto's erſtem Eintritt in Spanien begann, ſich
durch die Fuſilladen von Eſtella auch dem Verblendet—
ſten offenbarte und mit dem Verrathe auf den Feldern
von Vergara ſchloß.
Nach kurzem Aufenthalte zu Paris, Salzburg,
Wien und Modena, ſchiffte ich mich am 25. Juni 1838
in Genua ein. Ein ungariſcher, unter einem alltäg—
lichen Namen ausgeftellter Paß, mit allen Viſas ver-
ſehen, ſollte meinen Eintritt in Frankreich und meine
Reiſe bis Bayonne erleichtern. Als ich in Marſeille
landete und meine Effecten nach der Douane begleitete,
ſah ich mich von einigen Perſonen gefolgt, die ſich
allmählig mir zu nähern trachteten. Ich hielt ſie für
Polizei-Agenten und wich ohne Affectation den Unter—
redungen aus, die ſie anzuknüpfen trachteten. Einer
von ihnen, ein beleibter Vierziger, zog ein kleines
weißes Blümchen aus der Rocktaſche, ſteckte es an
ſein Knopfloch und fixirte mich dabei bedeutungsvoll.
Da auch dieß den erwarteten Effect nicht hervorbrachte,
gab er einem vor der Douane bettelnden Greiſe mit
halbgeheimnißvoller Würde einen Franken mit den
Worten: priez pour notre jeune Roi, mon brave.
Als die Reihe an mir war meine Koffer öffnen zu
laſſen, ſagte er mir, es würde mir wahrſcheinlich
unangenehm ſein, wenn in meinen Sachen gewühlt
werde, und ohne meine Antwort abzuwarten, wechſelte
er mit einem der Zollbeamten einige Worte, worauf
mich beide lächelnd anſahen. Es wurden auf meine
noch verſchloſſenen Koffers einige Striche mit Kreide
gemacht und ich war abgefertigt, während die ſchöne
13
Sängerin Mlle. Falcon, die auf demſelben Dampf—
ſchiffe mit mir angekommen, noch einige Stunden
harren und ſich einer gründlichen Durchſuchung ihrer
Habe unterwerfen mußte. — Als ich die Douane ver—
ließ, kam mein unbekannter Gönner auf mich zu:
„Sie müſſen in dem Hotel — — einkehren; hier iſt
ein Herr, der Sie führen wird.“ Ohne mir ſelbſt
Rechenſchaft geben zu können, gehorchte ich ſchweigend
und folgte einem wohlgekleideten Manne, der mich
am Thore verließ, nachdem er dem Wirthe zugeflüſtert:
C'est lui. — Ich ward vortrefflich aufgenommen, der
Wirth beſorgte noch denſelben Abend das Viſa meines
Paſſes bis Bayonne, obgleich dieß ſonſt mit viel
Schwierigkeiten verknüpft iſt und das Bureau bereits
geſchloſſen war. Endlich um die Myſtification voll—
ſtändig zu machen, konnte ich nur mit größter Mühe
meine Rechnung erlangen, da der Wirth durchaus kein
Geld von mir nehmen wollte, ein in Frankreich gewiß
unerhörter Fall, wo die Gaſtwirthe qui se piquent
de royalisme, die Kreide bei ihren politiſchen Kunden
gewöhnlich doppelt zu führen wiſſen. Noch dieſelbe
Nacht war ich auf dem Wege nach Montpellier, und
erſt nach mehreren Monaten habe ich erfahren, daß
14
ich für eine damals von den ſüdfranzöſiſchen Legiti—
miſten erwartete Perſon gehalten wurde, die aber nicht
eintraf.
Wer nie in franzöſiſchen Diligencen gefahren,
dem rathe ich dringend davon ab, wenn es nur
deßhalb wäre, um nicht die abgeſchmackten Prahlereien
und den kraſſen Unſinn anhören zu müſſen, den die
ſtets prävalirenden Muſterreiter mit möglichſter Inſolenz
und Stentor-Stimme vorbringen. Ich ſaß mit
meinem Kammerdiener leider im Interieur. In Montes
pellier occupirten vier dieſer Commis-Voyageurs die
übrigen Plätze und ſetzten durch mehrere Stunden meine
Geduld auf eine harte Probe, indem ſie, ſich gegen—
ſeitig beſtändig unterbrechend, in einem Accent, der die
Ufer der Garonne und des Gers verrieth, ihre Heldentha—
ten und galanten Abenteuer ſich vorpoſaunten. Endlich
wandte ſich einer nach mir: et vous Monsieur, dans
quoi faites vous? (Die conſacrirte Redensart) worauf
ich auf meinen bärtigen, mir gegenüber ſitzenden Diener
weiſend, erwiederte: Mon ami est prévot de salle
et je suis maitre d’armes, nous allons donner un
assaut a Toulouse. Ein langes Schweigen bewies
mir den Eindruck, den unſer gefährlicher Stand auf
15
meine ruhmredigen Reiſegefährten gemacht, und von
dieſem Augenblicke an wurden ſie ſo beſcheiden und
höflich als ſie vorher unausſtehlich geweſen. Keiner
lehnte ſich mehr auf mich, man klopfte vor meiner
Naſe keine Pfeife mehr aus und ſpuckte nicht über
mich weg zum Fenſter hinaus. Bei Tiſche wurden
mir die Schüſſeln zuerſt offerirt, ſtatt daß auf dem
erſten Halte fie mit Heißhunger und unnachahmlicher
Präziſion ſtets die beſten Stücke weggefangen hatten.
— In Narbonne verließen ſie mich und wünſchten mir
allen Erfolg zu meinem Aſſaut, das ſie zu beſuchen
ſich vornahmen, wogegen ich, ihre Höflichkeit zu er—
wiedern, ihnen Freibillets anbot. Ein paar Stunden
ſpäter in Carcaſſonne war die Diligence mit chriſtini—
ſchen Offizieren angefüllt, die mir nicht weniger
unleidlich waren, durch die endloſen Lügen, die ſie
ſich über die Carliſten erzählten. Doch dachten ſie,
ich verſtände kein Wort, und ließen ſich deshalb nicht
ſtören, ſo daß ihre Converſation einige für mich nicht uner—
hebliche Data abgab; unter andern waren ſie alle darüber
einig, daß, hätten wir am 12. September 1837
Madrid eingenommen, Eſpartéro und fein Heer
tambour battant zu uns übergegangen wären.
16
In Toulouſe ſuchte ich den carliſtiſchen Com—
miſſair Marquis dd auf, der mir Maro—
to's Ernennung zum Commando des Heeres mit—
theilte. Seine Ankunft im Hoflager hatte ich bereits
in Modena erfahren, doch ſchien der König über feine
Verwendung unſchlüſſig, als die Niederlage Guer-
gué's vor Penñacerrada, worauf der Verluſt dieſes
wichtigen Platzes erfolgte (22. Juni 1838), dieſelbe
beſchleunigte. Mir war GuéErgué fo zuwider, daß
ich jede Veränderung mit Freuden begrüßt hätte, um
ſo mehr die Ernennung eines Generals, der damals
die Meinung der Armee beinahe gänzlich für ſich hatte.
Alle nicht- offiziellen Briefe aus dem Hoflager und
Hauptquartier waren hierüber im Einklange, daß
Soldaten und Landleute mit Jubel Maroto's
Berufung aufgenommen; er war der Freund der ver—
bannten und abgeſetzten, jo hochverdienten, jo allge—
mein beliebten Generale. Ihre Kerker würden ſich
öffnen, die Exile enden, und in neuem Leben und
Glauben, in Thatkraft und Hoffnung unſere apathiſch
und mißmuthig gewordenen Bataillone dem Feinde ent—
gegenmarſchiren. — Der Baron de los Valles war
mit bedeutenden Subſidien von ſeiner nordiſchen Miſſion
17
zurückgekehrt; endlich — ſo dachten Alle — werden
neue Siege erfochten werden, wird alte Glorie wieder—
kehren.
Als ich von Toulouſe nach Bordeaux kam, führte
mich mein Freund, der General-Conſul Meyer, zu
Maroto's Töchtern. Sie wohnten auf eine halbe
Stunde von der Stadt, in einer kleinen Villa, Alle
magne genannt, die Maroto vor einigen Monaten um
fünfzigtauſend Fr. gekauft und daſelbſt in aller Ruhe
und Zurückgezogenheit den Moment ſeiner Einberufung
abgewartet hatte. Dieſe zwei Mädchen waren liebliche
Geſchöpfe; im Peru geboren, zu Granada erzogen,
war ihr ſüdlicher Typus unverkennbar; kleine Füße,
niedliche Hände, große dunkle Augen und lange ſeidne
Wimpern. Beſonders war die jüngere ein zauberiſches
Weſen, der eine düſtere Melancholie, ein ſchwärmeri—
ſcher halbvoilirter Blick einen eigenen Reiz verlieh.
Sie ſprach mit wehmüthiger Begeiſterung von ihrem
Vater, der ſich, nach ihrem Ausdruck, „geopfert habe
und fallen würde.“ Wenige Tage vor meinem Beſuche
in Allemagne hatte dieſes achtzehnjährige Mädchen
einen für ein Weib gewiß ſeltenen Beweis von Geiſtes—
gegenwart und Muth gegeben. Sie hörte bei Nacht
II. 2
18
in dem Zimmer neben ihrem Schlafgemach einbrechen,
erhob ſich ruhig, ohne ihre Schweſter zu wecken,
ergriff ein Gewehr und ſchoß durch die halbgeöffnete
Thür nach dem Diebe, den ſie freilich fehlte, der aber
eiligſt davonlief.
In Bordeaux traf ich Don Manuel Valdéès
wieder, der unter dem Namen le beau Valdes im
Faubourg St. Germain und als el Valdes de los
gatos “) in ganz Spanien viele zarte, mitunter roman⸗
tiſche Erinnerungen zurückgelaſſen, die bis auf den
heutigen Tag fortleben. Er hatte ſich in Valladolid
Zaratiegui's Expedition angeſchloſſen und wäre
von nicht unbedeutendem Nutzen geweſen, wenn nicht
einige Perſonen aus der Umgebung des Königs, —
ihm aus früheren Zeiten abgeneigt — feine Entfer-
*) DBaldes, feiner klaſſiſchen Schönheit wegen in den ſchö—
nen Heſperiden berühmt, ſtand einſt bei einer hohen
Frau in großer Gunſt. Als nun jemand einmal
ihre prächtige Angora-Katze lobte, erwiederte ſie: „Ja,
es iſt der Valdes unter den Katzen“ (el Valdes de
los gatos). Dieſer Beiname, unter dem ihn jeder
Spanier und befonders jede Spanierin kennen, iſt ihm
ſeither geblieben.
nung bewirkt hätten. Ich ſah ihn zuerſt vor Aranda,
als wir mit Verfolgung der Colonne Lorenzo's
beſchäftigt waren. Er war damals Oberſtlieutenant
im Generalſtabe Zaratiegui's. Seine mitten im
Feuer elegante und ſoignirte Toilette fiel mir ſogleich
auf und ſtach gegen unſere zerfetzten und abgetragenen
Röcke ſehr ab. Valdes kannte Spanien und alle
agirenden Perſonen genau, ſein Urtheil war ſtets tref—
fend, und oft hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß
er mit viel Richtigkeit ſpäter eingetroffene Ereigniſſe
vorher ſagte. Als ich mitten im allgemeinen Enthu—
ſiasmus, der alle Royaliſten damals bei bloßer Nen—
nung des Namens Maroto's ergriff, ihn um ſein
Urtheil über den neuen commandirenden General fragte,
äußerte er ſich zu meiner großen Verwunderung gering—
ſchätzig und mit jener kalten Verachtung (desdeno ),
die ſpaniſchen Phyſiognomien einen eigenen Ausdruck
von Hochmuth verleiht. Bei der erſten Nennung
des Namens Maroto's waren die Worte Ayacucho
und Baratéro *) die erſten Epitheten, die er dem Manne
*) Ayacucho iſt bekanntlich der Spottname Jenen beigelegt,
die im ſpaniſchen Amerika dienend, durch Unterzeichnung
0 *
20
gab, von dem das Wohl und Wehe der königlichen
Sache abhing.
Nach vielem Fragen und Drängen um Erklärung
dieſer damals unerhörten, mir unerklärlichen Worte,
des ſchmählichen Traktats von Ayacucho das feſte Land
der Krone aufgaben. Das Wort Baratéro hat viele
Bedeutungen; dem Wortlaut nach bezeichnet es Karten—
miſcher und Würfelwerfer; doch hat es im Mund des
Volks noch einen beſondern Sinn und begreift eine
Klaſſe von Menſchen, die in jedem Regiment anzutreffen
waren. Sie führten ſtets Karten und Würfel bei ſich,
und wenn Soldaten ſpielen wollten, ſo zwangen ſie ſie
gegen eine vom Gewinner zu entrichtende Retribution
ſich ihres Vorraths zu bedienen. Auf Weigerung
erfolgte ſtets Streit und eine Herausforderung, die
früher mit dem Degen, in den letztern Zeiten mit
dem langen Meſſer, Cuchillo, ausgefochten wurde.
Die Baratéros waren meiſt bekannte Spadaſſins, die
über den Ausgang ihrer Händel ziemlich ruhig ſein
konnten. Einige haben ſich im letzten Kriege zu bedeu—
tenden Poſten emporgeſchwungen. Ihr Metier war
durch die Ordonanz beider Heere ſtreng verpönt, doch
nicht auszurotten. Ich habe Mehrere, beſonders in
den cataloniſchen Guerillas geſehen, wo ſie um ſo
gefährlicher waren, als dort jeder Soldat das Cuchillo
als Nationalwaffe führt. Bei aller durchgreifenden
21
machte er mich mit einem alten Spanier befannt, der
lange in Amerika gedient und nicht unbedeutende Poſten
bekleidet hatte; dieſer kannte Maroto genau, und
ging in viele Details, meiſt gemeiner Natur, über ihn
ein. Aus ſeinen Erzählungen, die ich im Weſent—
lichen notirte und ſpäter zu vervollſtändigen Gelegen—
heit fand, mag hier Folgendes über den Mann Platz
finden, der gewiß nie einen auch noch ſo anſpruchloſen
Biographen gefunden hätte, wenn nicht ſeine, in allen
Kriegsgeſchichten beiſpielloſe, Verrätherei ihm welthiſto—
riſche Berühmtheit ſicherte, jene Unſterblichkeit verliehe,
die den Namen Heroſtrats durch alle Zeiten getragen hat.
Rafael Maroto ward um das Jahr 1785 zu
Lorca, einem kleinen Orte im Königreiche Murcia,
geboren. Bei geringer Herkunft — ſein Vater war
Douanier — entbehrte er auch aller Erziehung. Als
1808 der Krieg mit Frankreich ausbrach, ließ er ſich
Strenge des Grafen de Eſpana ſcheiterte feine Macht
am Cuchillo; er konnte es nicht abſchaffen, und mußte
ſich darauf beſchränken das Einhauen oder Sägen der
Klinge (dentelar) zu verbieten, das jede Heilung un—
möglich macht. ö
bei einem im Königreiche Valencia gebildeten Freicorps
anwerben. Nach drei Jahren erhielt er von der Re—
gierungsjunta dieſer Provinz ein Lieutenants-Patent.
Zu dieſer Zeit ſoll er in Burgos eine Uhr geſtohlen haben.
Einige behaupten, es ſei im Pallaſte des Erzbiſchofs
geſchehen, während er mit dem übrigen Offizier-Corps
dem Prälaten einen Beſuch abſtattete, Andere erzählen
es wäre in ſeinem Quartier geweſen. Der Ort ſcheint
mir ziemlich gleichgültig, ſo viel iſt jedoch gewiß, daß
dieſer Uhrdiebſtahl ſehr bekannt und in ganz Spanien
allgemein verbreitet war. Ich ſelbſt habe ſpäter einen
Offizier geſprochen, der zur Zeit des Diebſtahls in
Burgos diente und ſich ſehr wohl deſſelben erinnerte.
Die Sache kam nach wenigen Tagen heraus, und
Maroto hatte nur der großen Unordnung, die damals
in allen Branchen herrſchte, zu danken, daß er mit
Caſſirung davon kam. Die Provinzial-Regierungs—
junten, von der Regentſchaft zu Cadiz beinahe gänzlich
unabhängig, verliehen damals ſelbſtſtändig Grade und
theilten Patente aus; ſo konnte auch Maroto nach
einiger Zeit in einer andern Provinz wieder Anſtel—
lung erlangen. Der fortwährende Krieg hob ihn ſchnell
und 1814 war er bereits Oberſtlieutenant.
Die ſpaniſche Regierung gab gewöhnlich jedem
Offizier, der nach Amerika verſetzt ward, einen Grad
mehr, der vom Tage an galt, als er amerikaniſchen
Boden betrat. Nach Beendigung des franzöſiſchen
Krieges lief die ſpaniſche Domination auf dem ame—
rikaniſchen Continente bekanntlich große Gefahr, da
die inſurgirten Creolen, die ſich in allen Theilen erho—
ben, mächtig zunahmen und bedeutende Fortſchritte zu
machen begannen. So geſchah es, daß auf ſein An—
ſuchen Maroto den Befehl des Regiments Talavera
mit Oberſten-Charakter erhielt. Am 10. Mai 1815
landete er in Chili mit 400 Mann, welche die ſoge—
nannte erſte Expedition bildeten. Die zweite, aus
480 Mann beſtehend, folgte unter dem Oberſten
Balleſteros. Allen Nachrichten zufolge hat Ma—
roto keinen ſehr thätigen Antheil an den Gefechten
genommen, die damals ſo häufig und mit geringen
Kräften in allen Präſidentſchaften gegen die zahlreichen
Inſurgenten geliefert wurden. Nach kurzer Zeit ward
er vom Commando ſeines Regiments entfernt und
dem in Peru commandirenden General Don Joaquin
dela Pezuela untergeordnet, der ihn ſpäter zum inte—
rimiſtiſchen Chef ſeines Generalſtabs ernannte. Doch
24
auch dieſe mehr nominelle Stelle verlor er nach zwei
Monaten, da er in feinem Hauſe eine Hazardſpiel—
bank etablirt hatte. Der Aufſicht des Vizekönigs von
Peru, Marquis de la Concordia, übergeben, durfte
er die Stadt nicht verlaſſen, in der er ohne aller Be—
ſchäftigung ſich aufhielt. Endlich ward ſeinen drin—
genden Bitten nachgegeben und er zur Dispoſition
des Generals Laſerna geſtellt, der ihm die Präſident—
ſchaft des Diſtricts von Charcas anvertraute. Ueber dieſe
Periode des Wirkens Maroto's ſteht in einer ſpaniſchen
Klageſchrift, die über ihn erſchien: „Hier (in Char—
cas) gab er die erſten Beweiſe der Grauſamkeit (fero-
cidad) feines Charakters, wie er auch bei der unglück—
lichen Schlacht von Chacabuco Beweiſe ſeiner Feigheit
gegeben hatte. An dieſem Tage ward durch ſeine
Schuld beinahe das ganze Königreich Chili verloren.
Während ſeiner Präſidentſchaft ſchwand die letzte
Hoffnung einer Ausſöhnung der Eingebornen mit
dem Mutterſtaate, durch die Erpreſſungen, Die—
bereien (robos) und ſchändlichen Mordthaten (ase-
sinatos escandalosos), die er während ſeiner ephe—
meren Regierung ſelbſt verübte oder doch wenigſtens
duldete.“
Was mir dieſen letzten Satz glaublich erſcheinen
läßt, iſt, daß mir andererſeits ſpäter erzählt wurde,
er habe einen ihm perſönlich verhaßten Offizier, den
Oberſtlieutenant Don Caſimir Hoyos, unter
unglaublichen Martern hinrichten laſſen. — Endlich
erklärten die meiſten ſeiner Kriegsgefährten, nicht mehr
länger mit ihm dienen zu können, und man ſah ſich
genöthigt, ihm ſein Commando in ſo wenig ehrenhaf—
ten Ausdrücken abzunehmen, daß kein einziger Offizier
mit ihm länger umgehen wollte. Er kehrte nach
Spanien zurück und reichte Ferdinand VII. eine
Anklage gegen viele ſeiner Cameraden ein, unter
andern gegen die Generale Laſerna, Canterac,
Valdes, Carrätala und die Bataillons-Chefs
Lahera, Eſpartéro und Villalobos. Zur
Belohnung feiner Denunciation erhielt er das Com-
mando von Aſturien, das ihm jedoch ſchon nach eini—
gen Monaten abgenommen werden mußte, da die
Einwohner unaufhörlich den Hof um Befreiung von
dieſem Menſchen beſtürmten. Er zog ſich nach Valla—
dolid und ſpäter nach Madrid zurück, wo einige in
der Nähe des Königs befindliche, ihm geneigte Perſo—
nen, die ſich ſeiner als williges Inſtrument bedienten,
*
den Befehl der Provinz Toledo für ihn erwirkten.
Doch auch hier machte er ſich, vieler ſchlechter Streiche
halber, bald verhaßt. Eine Anklage wegen Verun—
treuung namhafter, Privatleuten ſeiner Provinz gehö—
riger, Summen hatte ſeine Abſetzung zur Folge.
Auch ward ihm durch mehrere Monate ſein Gehalt
vorenthalten, zur Entſchädigung der von ihm beein—
trächtigten Perſonen. Doch wurde durch mächtige
Protection der deßhalb anhängige Prozeß niedergeſchla—
gen, deſſen Acten im Archiv des General-Capitanats
Neucaſtilien noch befindlich ſein ſollen.
Seitdem von allen Geſchäften zurückgezogen, er—
ſcheint Maroto's Name zum erſten Male wieder
Ende 1833 als in eine royaliſtiſche Verſchwörung ver—
wickelt. Gefänglich eingezogen, ward er jedoch bald
wieder in Freiheit geſetzt, während ſeine Mitverſchwo—
renen auf acht bis zehn Jahre Galeeren verurtheilt
wurden. Ich habe mehrere Leute gekannt, welche die
feſte Ueberzeugung hegten, daß Maroto feine Frei—
laſſung durch Verrätherei an ſeinen Mitverſchworenen
und wahre oder falſche Angaben ihrer Namen und
Plane erlangt habe. In den Papieren ſeines Advo—
caten, des Licenciaten Gomez Acevo zu Sevilla
O
ſollen fich merkwürdige Actenſtücke zur Beweisführung
des Geſagten befinden.
Maroto, dem Sevilla als Aufenthaltsort ange—
wieſen worden, gab vor, einer epidemiſchen Krank—
heit halber, ſich nicht in dieſe Stadt verfügen zu
können, worauf er nach Granada geſchickt ward. Bald
entfloh er nach Valencia, wo mehrere Ropaliſten, die
ihn nicht näher kannten und als ein Opfer der Revo—
lution anſahen, ihn verbargen. Morella hatte ſich
zu dieſer Zeit für den König erklärt, und die carli—
ſtiſche aus Tortoſa geflüchtete Junta dort ihren Sitz.
Einzelne Banden fingen bereits an ſich in Aragon zu
bilden, und die Nothwendigkeit einer Vereinigung um
einen tüchtigen Chef ward ſchon damals dringend
gefühlt. Die Junta in Morella und die Noyalijten
in Valencia baten ſonach Maroto den Befehl zu
übernehmen, und brachten das von ihm zur Ordnung
ſeiner Angelegenheiten begehrte Geld zuſammen. Doch
zog ſie Maroto lange herum, nahm das Geld und
reiſte heimlich damit nach Gibraltar, von wo er bald
nach Portugal ging und feine Dienſte Carl V. an⸗
bot, der ſich damals in Coimbra befand. Der König
hatte jedem, der ſich in Portugal an ihn ſchloß, einen
28
Grad mehr zugeſagt. Keiner der höheren Offiziere
wollte von dieſer Vergünſtigung Gebrauch machen, und
jeder zog vor, auf Schlachtfeldern eine Belohnung zu
erlangen, die hier für die Ausübung einer heiligen
Pflicht geboten wurde. Maroto, zuletzt Marechal de
camp unter Ferdinand VII., nahm es jedoch an und
wurde General-Lieutenant. Seit ſeiner Ankunft in
Portugal war er in beſtändigem Zwiſte mit den Rath—
gebern des Königs, dem Biſchofe von Leon, den
Generalen Moreno und Romagoſa, dem Inten-
danten Negrete, und Anderen, an deren Treue
nicht gezweifelt werden konnte, wenn ſie gleich, beſon—
ders ſpäter, vom redlichſten Willen beſeelt, oft Miß—
griffe thaten. Doch waren zu jener Zeit alle dieſe
Männer noch unter ſich eins, und nur Maroto der
Einzige, der Zwietracht in die Umgebung des Königs
ſäete, fo daß viele Feinde Maroto's ihn ſchon da—
mals als den erſten Urheber unſerer unglücklichen
Intriguen anſahen und ſo weit gingen, zu behaupten,
er ſei im Einverſtändniſſe mit dem Feinde und habe
den Auftrag Haß und Mißtrauen unter die Anhänger
des Königs auszuſtreuen. Ich kenne ſogar einige
Perſonen, die ſchon in Portugal feſt überzeugt waren,
29
Maroto habe den König in Almeida dem feindlichen
General Rodil ausliefern wollen. — Ich will Ma—
roto's Verrath, der an ſich ſchon ſchändlich genug
iſt, nicht in ſo weite Verzweigungen ausdehnen, traue
übrigens ſeinem Charakter weder Stärke noch Conſe—
quenz genug zu, um durch lange Jahre denſelben
Plan, trotz ſo vieler Unterbrechungen, unausgeſetzt
fortzuſpinnen und durchzuführen. Maroto war in
Portugal Carliſt, und ſo guter Carliſt, als es bei
ſeinem venalen und niedern Charakter ihm möglich
war, aus dem Grunde, weil er von der Calliſti—
ſchen Sache am meiſten Würden und Gewinn für ſich
erwartete.
Als der König nach England ging, begleitete
ihn Maroto und traf einige Zeit nach Sr. Maje—
ſtät auf dem Kriegsſchauplatze ein. Zum General—
Commandanten von Biscaya ernannt, werden über
die Zeit ſeines Commandos allerlei minder erhebliche
unlautere Handlungen erzählt, die es mir überflüſſig
erſcheint, hier zu berichten. Nach der Affaire von
Arrigorriaga (11. September 1835), wo er den com—
mandirenden General Moreno mit vierzehn Bataillons
im Stiche ließ, verlor er ſeinen Poſten. Um ſeine
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Fähigkeiten als Organiſateur einigermaßen zu benutzen
— da er ſtets großen Einfluß auf die Soldaten aus—
übte, ihnen imponirte — vielleicht auch bloß um ihn
zu entfernen, ward er nach Catalonien geſchickt. Ueber
dieſe traurige Epiſode ſeines Lebens werde ich Gelegen—
heit haben, im Verlaufe dieſer Erinnerungen mit mehr
Details zu ſprechen, wenn ich auf eine Zeit komme,
wo ich längere Zeit in dieſem Lande diente. Nur fo
viel mag hier erwähnt werden, daß er nach kurzer
Zeit, geſchlagen und flüchtig, nach Frankreich zurück—
kehrte, wo er bis zum Augenblicke blieb, als der
König ihn nach Spanien berief. Ueber die Mittel, die
in Anwendung geſetzt wurden, um den König — der
perſönlich ſtets den größten Widerwillen gegen Ma—
roto hegte — hiezu zu bewegen, über die Perſonen,
die hiebei mitwirkten, verbieten mir vielfache Rückſichten
eine nähere Aufklärung. Mein Buch ſoll keine Anklage—
ſchrift ſein, am wenigſten wohlgeſinnter, zum Theil
verdienter Anhänger und treuer Diener des Königs,
die ihre Verblendung und ihren Irrthum gewiß ihr
Leben lang tief betrauern, blutig beweinen werden.
Was ich hier über Maroto niedergeſchrieben,
wurde mir größtentheils während meines mehrtägigen
31
Aufenthalts in Bordeaux bekannt. Doch maß ich den
meiſten dieſer Anſchuldigungen nur wenig Glauben bei;
ſo viel Gemeinheiten, Schurkenſtreiche, feige Handlun—
gen ſchienen mir bei dem Manne unglaublich, dem der
König den Triumph ſeiner Sache, Krone und Heer
anvertraut N der uns zu Sieg und Ehre führen ſollte.
Je ungeheurer die Anklagen, deſto ſchwieriger ſchien mir
die Stellung des Mannes, dem ſo ſchauderhafte Ver—
läumdungen nachgeredet wurden, die ich alle mit dem
alten Dicton entſchuldigte: ld n’y a que les ämes
molles qui n’ont pas d’ennemis. Er hatte Feinde
und Neider, das ſchien mir klar, mehr anzunehmen,
hätte ich für frevelhaft gehalten.
Mit dieſen Ideen verließ ich Bordeaur. Ohne
Vorbereitungen die Straße einzuſchlagen, die ich vor
wenigen Monaten in Geſellſchaft eines Polizei-Agenten
befahren, ſchien mir unklug, um ſo mehr als auf
allen Gensdarmerie-Stationen Brigadiers an den Wa—
gen getreten waren, mein Signalement zu nehmen.
Glücklicher Weiſe war damals im ſüdlichen Frankreich
das Spediren der Carliſten durch beide Linien (die
eine längſt der Garonne und die andere längſt der
Pyreneen) jo methodiſch organiſirt, daß eine ſolche
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Reiſe ſich auf gewöhnliche Vorſichtsmaßregeln und die
Geldfrage reducirte. Ein vertrauter Diligence-Con-⸗
dueteur ward berufen und meine Tour bis Bayonne
mit ihm accordirt. Ich bezahlte die drei Banquett—
Plätze auf der Impériale der Diligence, 150 Fr. Con-
trebandegeld dem Conducteur und ſaß am 4. Juli
Morgens auf meinem luftigen Sitze. In Langon und
Bazas, wo Gensdarmen die Päſſe abfordern, mußte
ich zwiſchen die Kiſten und Koffer der Vache kriechen;
der Conducteur wölbte ſie über mir, legte ein paar
leere Säcke, Mäntel und ſonſtigen Plunder über das
Ganze, und ſo wartete ich ruhig das Ende der Unter—
ſuchung ab. Ein Gensdarme ftieg auf die Jmperiale,
hob die Decke der Vache und ſagte, indem er mit
einer Stange nach den mich ſchützenden Kiſten und Män—
teln ſtieß: „II n'y a personne ici, j'espère.“ End⸗
lich rollte der Wagen auf dem ſchlechten Pflaſter weg,
die Gefahr war vorbei und ich konnte mein unbe—
quemes Verſteck verlaſſen. Mehr Schwierigkeiten gab
es jedoch in Mont de Marſan und Dax, wo Reiſende
ausſtiegen, deren Gepäcke abgeladen, ſomit das künſt—
liche Gebäude zerſtört werden mußte, das mich ver—
barg. Doch hatte mein Conducteur dieſem allen vor—
1573
gebeugt, und eine Viertelſtunde von beiden Orten
erwarteten mich Guiden, die in weitem Umkreiſe um
die erſte Stadt und durch die winkeligen Gaſſen der
zweiten mich an ſichere Orte brachten, wo ich des vor—
beifahrenden Wagens harrte. So kam ich endlich auf
die Höhen von St. Esprit, die Bayonne dominiren. Hier
wartete abermals ein Guide und führte mich auf Bar—
ken über den Adour und die Nive, hart an den For—
tificationen von Bayonne vorbei. Nach einer Stunde,
bei eintretender Dämmerung, hielten wir vor der Hin—
terthür eines einzelnen Hauſes. Eine große Ruine,
von Pappeln und Kaſtanien umgeben, überragte ſtolz
das ärmliche Gebäude. Dieſe Ruine, noch vor zwei
Decennien ein ſtattlicher Pallaſt, war das hiſtoriſch
berühmte Schloß von Marrac, wo Napoleon von
zwei Königen die Abdication ihrer Krone für ſeinen
Bruder Joſeph erzwungen. Die Zeit dieſer ephemeren
Herrlichkeit war vorbei, und keine Spur der Anwejen-
heit des gewaltigen Herrſchers dem Schloſſe von
Marrac geblieben. Durch die leeren Fenſteröffnungen
langgeſtreckter Mauern blickten Baumzweige, melancho—
liſch vom Winde bewegt, und der über dem Meere
eben aufſteigende Mond gab dieſer neuen, und doch
3
34
ſo geſchichtlichen Ruine ein eigenes geſpenſterhaftes
Ausſehen. Eine leichte Briſe trug aus dem Bade—
orte Biaritz Fragmente einer lebhaften Muſik zu uns,
die ſich mit dem zu- und abnehmenden Rauſchen des
Meeres vermählten, oft ſchwanden, dann wieder ſtärker
uns zukamen. Unwillkührlich gaukelten fantaſtiſche
Bilder meinem Geiſte vor, und während ein kalter
Schauer mich ergriff, entſchlüpften meinen Lippen
einige grauenhafte Stellen der Djins:
J’ecoute,
Tout fuit.
On doute,
La nuit,
Tout passe.
L’espace
Efface
Le bruit.
Obgleich ſonſt wenig poetifch geſtimmt, ergriff mich
dieſer Moment lebhaft, und lang würde ich vielleicht
meinen Träumereien nachgehangen haben, wenn das
wüthende Bellen des Hofhundes vor dem kleinen Hauſe
mich nicht zum proſaiſchen Leben zurückgerufen hätte.
Mein Guide rief ihn jedoch leiſe beim Namen, worauf
der gehorſame Wächter, freundlich wedelnd, ſich uns in
35
aller Stille näherte. Auf einen Pfiff öffnete ſich das
Pförtchen und wir ſchlichen in eine dunkle Kammer.
In einem anſtoßenden Gemache hörten wir viele Stim—
men lärmen und Gläſer klirren. Ich wollte fragen,
doch drückte mein Guide mir die Hand vor den Mund,
und ſo ſtiegen wir ſchweigend eine enge Treppe hinauf.
Oben angelangt, war die erſte Sorge meines Beglei—
ters, dicke eichene Läden vor die Fenſter zu ſchließen,
dann machte er Licht und ich ſah mich in einem klei—
nen, bürgerlich bequem eingerichteten Zimmer. Als ich
nun einige Erklärung dieſes geheimnißvollen Treibens
wünſchte, rückte er einen Tiſch und nahm von der
Diele einen Korkſtöpſel, der für Uneingeweihte voll—
kommen dem Aſtknoten eines Brettes glich. Ich drückte
mein Auge auf die kleine Oeffnung und konnte unmit—
telbar unter meinen Füßen eine Trinkſtube ſehen, in
der ein Dutzend Gensdarmen und Douaniers um eine
Anzahl halbleerer Flaſchen ſaßen. „Hier ſucht man
uns am wenigſten,“ ſetzte er ſelbſtgefällig hinzu, „denn
wir ſind im Eſtaminet, das von dieſen Leuten (er wies
auf die untern Gäſte) am häufigſten beſucht wird.“ Ich
hatte gegen dieſe Logik nichts einzuwenden, und fand
mich um ſo leichter in mein Schickſal, als nach wenigen
3
36
Minuten die Wirthin — eine junge aufgeweckte Bayon—
neſerin — eintrat, uns ein recht gutes Abendeſſen und
vortrefflichen Wein von Juransçon vorſetzte, von dem
ſeit Heinrich IV. Kindheit berühmt gewordenen
Bearner Gewächs.
Den nächſten Tag blieb ich in der einſamen
Klauſe, die ſchon damals mich ſehr langweilte, und
in der ich ungefähr ein Jahr ſpäter mehrere Wochen, der
grenzenloſeſten Langenweile Preis gegeben, zubringen
ſollte. Das konnte ich freilich damals nicht ahnen,
und doch war mir dieſes Haus förmlich unheimlich,
ſo daß ich froh war, als Abends ein Guide kam mich
abzuholen. Ich zog baskiſche Bauern-Tracht an, der
ähnlich, die ich bei meinem erſten Eintritt nach Spa—
nien von Sare aus getragen, und ſo wanderten wir
laut ſingend und lärmend auf der Chauſſée fort, bis
Saint Jean de Luz, wo wir ſpät Nachts anlangten.
In der Wohnung eines Vertrauten ſollte einige Zeit
der Ruhe gegönnt und dann aufgebrochen werden;
doch kam nach kurzer Friſt ein ausgeſchickter Späher
zurück und berichtete, daß meine Anweſenheit verrathen
worden, denn ſämmtliche Poſten wären verdoppelt;
die Brücke von Ciboure — über die ich ſollte — ſei
37
beſetzt und alle Gensdarmen und Douaniers in Alarm.
Man vermuthe mich innerhalb Saint Jean de Luz
oder doch auf dem Wege hin, denn der Ort fei cernirt
und die Straße nach Bayonne bewacht. Ein Ueber—
gang dieſe Nacht war unmöglich, er mußte verſchoben
werden. Dieß verdroß mich doppelt, da Gründe —
die nur für mich von perſönlichem Intereſſe ſind —
es mir nothwendig machten, mit Vermeidung unſerer
Grenzlinie bis ins Hoflager zu dringen, ohne daß
das Miniſterium hievon Kenntniß habe, ehe ich ange—
langt. Doch mußte ich mich in das Unvermeidliche
fügen und den nächſten Tag in Saint Jean de Luz
zubringen. Es war eben ein Zahltag Muñagorris,
des bekannten Abenteurers, der unter dem Banner
7
„Paz y fueros” alle unſere Deſerteurs und Sträf—
linge längſt der ſpaniſchen Grenze, unter franzöſiſchem
und engliſchem Schutze, verſammelt hatte. Dieſe Leute
ſahen ſehr elegant aus, wurden gut bezahlt und waren
meiſt gediente Soldaten; doch konnte man auf den
erſten Blick ſehen, daß das ganze Unternehmen keine
ernſten Folgen haben würde. Aller Subordinations⸗
geiſt war aus den Soldaten gewichen, und die Off
ziere taugten gar nichts. Hinter den Gardinen mei—
nes Fenſters verſteckt, betrachtete ich die auf dem Platze
herumſpazierenden Munagorriſten, die Morgens ganz
militairiſch und ſtolz einherſchritten, doch Abends
ſämmtlich betrunken waren. Als es dunkel ward,
verließ ich mein Verſteck. Am Strande, in einer durch
den Sand gebildeten Vertiefung, harrten zwei Con—
trebandiers meiner Ankunft. Wir ſchritten am Meere
durch eine Stunde fort, dann bogen wir links ein, und
drückten uns zwiſchen Felder und Weinberge, längſt
den Furchen und Rainen; ſorgfältig ward jeder Weg,
jeder gebahnte Fußſteig vermieden oder überſprungen,
um keine Spuren zurückzulaſſen. Endlich kamen wir
auf zehn Schritte von einem Douaniers-Poſten; er
dominirte den einzigen Paß, durch den wir mußten,
wenn nicht ein mehrſtündiger Umweg gemacht werden
ſollte. Wir krochen auf Händen und Füßen unter
Dornen und Geſträuch durch den Paß, und konnten
über unſern Köpfen die Douaniers plaudern hören.
In einem einzelnen Gehöfte, einem Contrebandier
gehörig, ward einige Augenblicke Halt gemacht. Ich
erfriſchte mich mit einem langen Schluck Aepfelwein
(Cidre), der in dieſen Gegenden klar und vortrefflich,
nichts mit dem abſcheulichen trüben Getränke dieſes
39
Namens gemein hat, das in der Nähe von Frank-
furt a. M. üblich iſt.
Gegen Mitternacht brachen wir auf; der Contreban—
dier, bei dem wir ausgeruht hatten, wollte mich durchaus
mit ſeinem Knechte bis an die Grenze begleiten, angeb—
lich, da dieſe Strecke gefährlich ſei und meine zwei
Guiden nicht genügen würden, einen etwaigen Strauß
mit den Douaniers zu beſtehen; doch mag ſein Haupt—
grund in der Ausſicht eines ſichern Gewinns einiger Dou—
blonen gelegen haben. Da er nicht abzuweiſen war und
meinen Guiden ſein Anerbieten ſehr zu gefallen ſchien,
mußte ich einwilligen. Meine zwei neuen Begleiter
ergriffen ihre ſchweren, mit Eiſen beſchlagenen, Knoten—
ſtöcke und machten ein paar große Wolfshunde von
der Kette los, die ſpürend und ſpähend vor uns her
liefen. Dieſe Hunde trifft man bei allen Contreban—
diers längs der Pyreneen an; ſie ſind ihren Herren
vom größten Nutzen, kennen alle Stege, tragen oft
Ballen Waare, und wiſſen Schleichhändler von Zoll—
wächtern genau zu unterſcheiden. Wenn ſie beladen
ſind, ſchleichen ſie ſich hinter den Zollbaraken ſo leiſe
durch, daß das aufmerkſamſte Auge ſie nicht gewahrt,
während ihr frei und unbepackt einhergehender Herr,
40
den Douanen gleichſam zum Trotz, an deren Hütten
ſingend und pfeifend vorbeigeht. Zuweilen verwundet,
wiſſen ſie doch in größter Schnelligkeit zu entfliehen
oder in Felſenriſſe ſich zu verbergen, und nie verrathet
ein Klageton ihren Schlupfwinkel. Es iſt beinahe
beiſpiellos, daß einer dieſer Hunde erwiſcht worden
wäre, und wie oft haben ſie wichtige Correſpondenzen,
werthvolle Dinge getragen. Werden ſie hingegen als
Spürhunde vorausgeſchickt, dann ändert ſich ihre Rolle.
Der in den Gebüſchen lauernde Douanier wird von
ihnen aufgeſpürt und durch einen eigenen Laut dem
Herrn ſignaliſirt; begegnen ſie einer ſtarken Patrouille,
ſo fallen ſie in einen winſelnden Klageton; glauben
ſie jedoch ihren Herrn entdeckt, iſt die Gefahr flagrant,
dann nimmt ihr Bellen einen wüthenden Charakter
an. Ich habe viel und lange unter dieſem in Europa
einzigen Schmuggler-Volke gelebt, viele Züge mit
ihnen mitgemacht und Gelegenheit gehabt, ihr wildes
Handwerk in allen ſeinen Phaſen genau kennen zu
lernen, ſpreche daher aus eigener, guter Erfahrung.
Ich habe viele dieſer Hunde geſehen, und kann ver—
ſichern, daß ich bis jetzt keinen Begriff einer ſo voll—
kommenen Abrichtung gehabt; die tanzenden Affen,
41
ſprechenden Papageien, aus Flaſchen trinkenden Ele—
phanten und kartenſpielenden Pudel ſind ganz ſtupide
Beſtien im Vergleiche zu den Wolfshunden der Con—
trebandiers längs den Pyreneen.
Dieß hatte ich auch dieſe Nacht zu erfahren
Gelegenheit, denn kaum eine Viertelſtunde vom Hauſe
des Contrebandiers entfernt, ſchlug einer ſeiner Hunde
an. Wir hielten ſtill, — nach wenigen Secunden der—
ſelbe Laut. „Es ſind ihrer wenige, vielleicht nur
Zwei; vorwärts!“ ſagte der Eine ruhig und wir
gingen weiter. Gleich darauf begegneten wir zwei
Douaniers; meine vier Begleiter ſchwangen die Stöcke
ſauſend über ihren Köpfen und wir ſchritten auf ſie
los. Man begrüßte ſich gegenſeitig und zog unan—
gefochten weiter. Auch war es das Klügſte, was die
Douaniers thun konnten, da es ſonſt blutige Köpfe
gegeben hätte. Kaum waren wir jedoch hinter dem
nächſten Gebüſch, ſo rannten wir aus Leibeskräften
in gerader Richtung vorwärts. In geringer Entfer—
nung brannte ein kleines Licht; es war wieder eine
Zollbarake; ſchon wollten wir ausweichen, als ein
gellender Pfiff hinter uns ertönte. Wir waren ſignali—
ſirt und konnten nicht mehr ſeitwärts. Hier mußte
Lift gebraucht werden. Zwei meiner Begleiter gingen
auf die Barake los, zogen ihre Cigarren hervor und
begehrten von den Douaniers Feuer. Während ſie in
eifrigem Geſpräche begriffen waren, drückten wir uns
um die Hinterwand und kletterten an einer ſteilen
Lehne herab. Nach einer halben Stunde eiligen
Marſches kamen wir an einen reißenden Gießbach;
die Beinkleider wurden aufgeſchürzt, die Sandalen von
den Füßen genommen und auf das andere Ufer ge—
watet. Da ergriff Dominik, der Guiden Chef,
meine Hand, riß mich einige Schritte mit ſich fort
bis zu zwei, auf einem kleinen Bergkegel eingerammten,
Steinpfeilern. Da es zu dunkel war, um etwas unter⸗
ſcheiden zu können, zog er aus ſeinem Hemde eine
Blendlaterne hervor, machte Licht und zeigte mir auf
dem einen der Pfeiler en relief die drei königlichen
Lilien von Frankreich, auf dem andern den Löwen von
Leon und die Thürme von Caſtilien. Es war die
Grenze. Zugleich ſtreckte er mir die offene Hand ent—
gegen und ſagte barſch und kurz: „Le prix, s'il vous
plait!” Ich zahlte die bedungenen 300 Franken, da
mit den Schwierigkeiten, der Wichtigkeit der Perſon,
der Douane und Gendarmerie gegebenen Signalemens
43
und andern Umſtänden, von den primitiven 100 Franken
die Preiſe bis zu oft bedeutender Höhe ſtiegen.“) Einer
meiner Guiden führte mich weiter, die Andern drei
verloren ſich gleich, nachdem ich eine Retribution von
50 Franken dem letzten Contrebandier für ſeine und
ſeiner Hunde Begleitung geben mußte, und ſo gelangte
ich nach einer halben Stunde zu einer einſamen Senn—
hütte, Borda de Alcabeheria, mitten in einer wilden,
engen Gebirgsſchlucht, wo ich mich todmüde auf einen
mit Maisſtroh gefüllten Sack warf und ſogleich in
tiefen Schlaf verfiel. a
Nach mehreren Stunden weckte mich lautes Schreien
und Zanken vor meinen Fenſtern. Es war hell am
Tage; ich ſprang auf und ſah Dominik, der mit
meinen Pferden und Effecten aus Sare angelangt,
mit fünf Soldaten in lebhaftem Streit begriffen war,
*) So hatte Maroto, wenige Wochen vor mir 1000 Fran⸗
ken bezahlt. Für den Uebergang der Königin (Prin—
zeſſin von Beyra, zweite Gemahlin Carl V.), des
Prinzen von Aſturien, einer Hofdame und ihres Führers,
des Grafen Robert Custine, wurden im October
deſſelben Jahres 20,000 Franken vorher deponirt und
nach glücklicher Vollendung des Zuges entrichtet.
An
und, mit Hülfe feiner Leute, fie ins Haus zu dringen
verhinderte. Dieſem ein Ende zu machen, ging ich
hinab, ohne mir erſt Zeit zum Ankleiden zu geben;
auch ſchien meine Gegenwart zu genügen den Frieden
wieder herzuſtellen. Es waren ein Unteroffizier mit
vier Soldaten vom 5. Bataillon von Navarra, der⸗
ſelben Truppe, die wenige Wochen zuvor unter dem
Feldgeſchrei: „Tod den Ojalateros,“ ſich in Eſtella
empört und allerlei Exceſſen hingegeben hatte. Seit—
her auf die franzöſiſche Grenze verſetzt, cantonirte
dieß Bataillon in Leſaca. Durch einen Hirten be—
nachrichtigt, daß ein Fremder in der Borda ange—
kommen ſei, waren die verhaßten Ojalateros wieder
ihr erſter Gedanke, und fie nahmen ſich nichts gerin-
geres vor, als mich gebunden nach Leſaca abzuführen.
Uebrigens war mit dieſen Leuten nicht zu ſcherzen,
da einige Tage zuvor die Oberſten Toledo und
Mariano Aznarez, in einer ähnlichen Borda über-
fallen, nur durch ein halbes Wunder einer gleichen
Behandlung entgingen. Ich hatte jedoch das Glück
von dieſem Bataillon gekannt, und wie es ſchien,
bei demſelben in gutem Andenken geblieben zu ſein,
denn kaum hatten ſie mich erblickt, als ſie mit dem
59
Ruf: „Pero es el — —“ auf mich zukamen und
mir ihre Dienſte anboten. Ich hütete mich wohl
ſelbe zurückzuweiſen, und nahm ſie als Escorte bis
Toloſa an, indem ich, vor meinem Abritte aus der
Borda, ein paar Worte an den Bataillons-Comman—
danten ſchrieb, ihn hievon in Kennntniß zu ſetzen.
Ich ritt noch zwei Stunden und brachte die Nacht in
einem einſamen, großen Gebäude zu, dem Eiſenham—
mer von Articuza, den Domherren des berühmten
Kloſters Roncevaux (ſpaniſch: Ronces Valles) gehörig,
in deſſen Schluchten, welthiſtoriſchen Andenkens, Ro—
land den Tod gefunden, und noch heute, wie am
Rhein, ſo in ganz Spanien, ein Volksheld aller
Märchen und Romanzen, überall beſungen wird.
Wie Roland, unſeres genialen Uhland jugend—
licher Held, den Rieſen in den Ardennen bezwun—
gen und von Rolandseck nach Nonnenwerth, zu der
Dame ſeines Herzens, herabgeſchaut haben ſoll, ſo
werden auf hunderte von Meilen, in den Hesperiden
nicht weniger galante und wunderbare Ereigniſſe zu
ſeinem Lobe beſungen. An der Grenze von Valencia
und Caſtilien liegen ungeheure Felſenblöcke, mitten
in fruchtbaren Ebenen, auf ziemliche Entfernung von
46
den Gebirgen; die hat, nach dem Glauben und den
Liedern des Volkes, der große Roland in ſeinem Zorne
(el gran Orlando furioso) mit dem Fuße, von Berges-
ſpitze in die Thäler, geſchleudert. Auch ſieht man einen,
wie von Menſchenhand, durchſprengten Felſen; den
ſpaltete Orlando, alter Sage zu Folge, mit ſeinem
Schwerte, für ſich und die Seinen einen Paß zu
öffnen. Wie er in Italien beſungen ward, braucht
wohl Niemand zu erwähnen. Doch zurück, vom großen
Roland mit den zwei Schwertern, zum Eiſenhammer
feiner Domherren. Ich verließ ihn am nächſten Mor—
gen und war Abends in Toloſa.
Mein erſter Gang war zu Moreno, der zurück⸗
gezogen von allen Geſchäften in einem der wohnlichſten
Häuſer dieſer Stadt lebte. Ich frug nach dem In—
fanten, doch der war in den Bädern von Cestona und,
ſoviel ich hörte, auch mit den Veränderungen wenig
zufrieden. Moreno war ſomit der Einzige, an den
ich mich wenden konnte, über die letzten Ereigniſſe
einigen Aufſchluß zu erhalten, obwohl ich vielleicht von
dieſem General, Maroto's größten Antagoniſten,
kein ſehr unparteiiſches Urtheil erwarten durfte. Ich
fand Moreno in Pantoffeln und einem abgetragenen
47
Uniform-Oberrock, der die Stelle des Schlafrocks ver—
trat, in einen weiten Armſeſſel gelehnt. Er ſah ſehr
bleich und eingefallen aus, und war während meiner
dreimonatlichen Abweſenheit um mehrere Jahre älter
geworden, obgleich er affectirte heiter und ſorglos zu
erſcheinen. Nach den erſten Begrüßungen wies er das
vor ihm aufgeſchlagene Buch: „Es iſt Tacitus,“
hub er an „er ſagt, daß ein Bürgerkrieg, der lange
dauert, ein Beweis der Unfähigkeit beider Parteien iſt.“
Ich unterdrückte beſtmöglichſt die Verwunderung, die
mir dieſer Ausſpruch im Munde des Feldherrn ablockte,
der zweimal unſer Heer befehligt, und frug ihn, ob
er glaube, daß Maroto bald eine Schlacht liefern
werde. „Este imbecil, que hay de batirse,“ war die
ganze Antwort. Ein weiteres Urtheil zu verlangen, ſchien
mir, nach dieſer etwas derben Aeußerung überflüſſig.
Nach einer langen Pauſe fing er an, die verſchiedenen
Agenten des Königs im Auslande durchzugehen, lobte
den Marquis de Labrador, tadelte den Grafen
Aleudia ſehr ſcharf, ſprach ihm allen geſunden
Menſchenverſtand ab, und ſagte es wäre der blut—
gierigſte Menſch den er kenne, indem er als Schlußbemer—
kung zuſetzte: „wenn der könnte, er würde mich hän—
AS
gen laſſen;“ ſprach von Negri, erinnerte mich an fein
ganz richtiges Urtheil über dieſen General bei Aus—
gang ſeiner Expedition; ſagte, die Schuld läge darin,
daß Negri nicht zu marſchiren verſtehe und ſetzte hinzu,
der Krieg würde mit den Füßen geführt, das berühmte
Wort des Marſchalls von Sachſen gebrauchend. So
kam er allmählig auf die jetzigen Verhältniſſe zurück:
„Es wird Ihres Bleibens hier nicht ſein,“ ſchloß
er, „Maroto und Arias, die zwei einzigen Macht—
haber, liegen ſich in den Haaren; fie find zwei Mühl—
ſteinen zu vergleichen, wer zwiſchen ſie geräth, wird
aufgerieben.“ Während er, heftig auf- und abgehend,
converſirte, brachte fein Adjutant Azencio ein Schrei—
ben. Moreno durchflog es ſchnell und wandte ſich
zu mir: „Ich habe Ihren Mann, — der Graf de
Eſpana iſt in Berga angekommen. Eſpanña und
ich, wir können uns nicht leiden, aber unter dem
müſſen Sie dienen. Hier verſäumen Sie nichts, denn
ohne mich marſchirt der König doch nicht
nach Madrid, und komme ich einſt wieder auf's
Tapet, ſo wiſſen Sie, daß ich Sie rufe.“ Ich ver—
beugte mich ſchweigend und nahm bald Abſchied. Ohne
dieſen Worten viel Gewicht beizulegen, wurde ich doch
darüber nachdenkend. Sie trugen nicht wenig zu
ſpäteren Entſchlüſſen bei, die ich nie bereut habe.
Als ich Moreno's Wohnung verließ, waren
auf dem Platze Gruppen von Offizieren und Soldaten
verſammelt, die ſich Maroto's zweite Proklamation
an das Heer vorlafen. Sie war vom 7. Juli und
aus ſeinem Hauptquartier Eſtella datirt. Mit Be—
geiſterung hörten die alten Krieger Zumalacarregui's
die glänzenden Worte, in denen er ihnen die Siege des
großen Feldherrn ins Gedächtniß rief. Aſarta, Muru,
Alſaſua, Gulina, Artazu, die Felſen von San Fauſto,
die Ebenen von Vitoria, die Brücke von Arquijas,
Descarga; bei Nennung jedes dieſer glorreichen Tage
unterbrach lauter Jubel die Vorleſer. Maroto rief
ſie zum Kampfe auf Leben und Tod und ſchloß mit
den ritterlichen Worten: „Fliehend zu ſterben, iſt ein
feiger und ſchmachvoller Tod, und wenn Einer unter
Euch Furcht hat, ſo entferne er ſich aus den Reihen,
ehe er den Feind geſehen.“ Ein ſtürmiſcher Applaus
erfolgte; Jeder wollte nochmals leſen, jene Sprache
wieder hören, die ſie ſeit Zumalacarregui's Tode
nicht mehr vernommen. Maroto hatte es meiſterhaft
verſtanden, das Heer zu electriſiren, das liegt außer
II. 4
allem Zweifel. Wie durch Zauberſchlag hat er den
alten, kriegeriſchen Geiſt der Basken und Navarreſen
geweckt, jene Akkorde zu treffen gewußt, die in ihren
Seelen Anklang fanden. Als ich nach dreimonatlicher
Abweſenheit die Armee wieder ſah, mußte ich um ſo
mehr über dieſe gänzliche Umwandlung ſtaunen, als
ich keinen der Uebergangsmomente ſelbſt erfahren. Ich
hatte eine phyſiſch und moraliſch herabgekommene Truppe
verlaſſen, die, in apathiſchem Zuſtande, nur Unglücksfälle
von ihren Obern zu erwarten ſchien; und nun, nach—
dem Maroto kaum wenige Wochen das Commando
führte, ſchien, ohne einem einzigen Treffen, ohne
irgend einer entſcheidenden Maßregel, ein neues Lebens—
prinzip Alle zu durchzucken.
Die Ankunft bedeutender Subſidien aus dem Nor-
den, welche vielleicht nur zufälliger Weiſe mit der
Maroto's genau zuſammentraf, mag allerdings nicht
wenig zu dieſer Popularität beigetragen haben, die er
bei den Soldaten und dem Volke, vom erſten Tage an,
genoß. Denn Erſtere erhielten von nun an ihre ganze
Löhnung, was ſeit Anfang des Krieges nie geſchehen
war, wo meiſt nur Drittel (tercios) und in unſern
brillanteſten Zeiten höchſtens halber Gehalt (quince—
nas) ausbezahlt worden. Zugleich hörten die außer—
ordentlichen Geldſteuern auf, was ihn bei den Land—
leuten nicht wenig beliebt machte, obſchon die großen
Victualien-Lieferungen und regelmäßigen, an die Pro—
vinzial-Deputationen zu entrichtenden, Abgaben ſtets
fortdauerten. Was aber Maroto, bei Soldaten und
Subalternen, im hellſten Lichte wahrer Unpartheilichkeit
erſcheinen ließ, was die Hoffnung begründete, eine
radicale Aenderung aller Mißbräuche, alles Unweſens
durch ihn zu erreichen, alle Intriguen aufhören zu
ſehen, die fo lange den Triumph unſerer Waffen hin—
gehalten, — war ſein ſtrenges, ſchneidend kaltes, derb—
zurechtweiſendes Weſen mit Generalen und Stabs—
offizieren in Gegenwart der Truppe, und ſein beſtän—
dig ſpöttiſches und tadelndes Hindeuten auf die Män-
gel und Fehler ſeiner Vorgänger, denen er nun bald
abhelfen würde. Viele haben hierin eine Vorarbeit
zu ſeiner ſpätern Verrätherei geſehen; ich traue mir
dieſen Scharfblick nicht zu, und glaube dieſes Verfah—
ren genügend in der Eitelkeit Maroto's und in der
faſt allgemeinen Abneigung jedes Nachfolgers, ſei
es nun auf dem Throne, im Heere oder im Cabinet,
gegen die Handlungen ſeines Vorgängers erklärt. Daß
4*
er aber kein Freund jener Generale war, die bei feinem
Abgang von der königlichen Armee meiſt Subaltern- oder
höchſtens Stabsoffiziere, während er unthätig in Frank—
reich ſich abhärmte, fortwährend Lorbeern, Grade und
Auszeichnungen, vielleicht zum Theil auch Vermögen
erworben hatten, iſt bei ſeinem neidiſchen und ſelbſt—
ſüchtigen Charakter ſehr begreiflich; um ſo mehr als
dieſe Generale ſich nicht immer vor ihm ſehr zurück—
hielten, oft indirect ihn verletzende Saiten berührten.
Hievon kann man Beiſpiele in Herrn von Rahdens
Buche ſehen, *) obwohl er über dieſen Punkt anderer
Meinung iſt, Maroto für einen prämeditirten Ver—
räther hält, und die Ueberzeugung hegt, er habe ſeine
Plane lange vorher vorbereitet und ganz fertig nach
Spanien mitgebracht. Ich habe ſchon einmal geglaubt
darauf hindeuten zu müſſen, daß ich dieſer Anſicht
nicht beipflichten kann, ohne Maroto deßhalb für
minder ſchuldig zu halten. Aber aus vielen Gründen,
die ich zum Theil im Verlaufe dieſer Erinnerungen zu
*) Herr von Rahden erzählt (S. 179), daß während einer
Revue, die bei Eſtella im Juli 1838 ſtatt fand, der
General Fr. Garcia neben dem Könige ritt, letzterem
entwickeln trachten werde, zum Theil jedoch nicht der
Oeffentlichkeit übergeben darf, halte ich Maroto für
eine dupe Eſpartéro's und des Marſchalls Soult.
Ganz andere Hoffnungen und Vorſchläge wurden ihm
gemacht, ganz andern Planen gab er zuerſt ſeine
Beiſtimmung; doch ein banales Sprichwort ſagt, daß
wer dem Teufel nur den kleinen Finger hinreicht, ihm
bald die ganze Hand geben muß. So erging es
Maroto. Nachdem er, eigenmächtig und unrecht—
mäßig, Propoſitionen vom Auslande Gehör geſchenkt,
die allerdings weit ehrenvoller klangen, als was kurz
darauf geboten wurde, nachdem er dieſe Cröffnun—
von den Siegen Zumalacarregui's ſprach, „ſein
eigenes Verdienſt und das ſeiner Navarreſen herauszu—
heben und zugleich an Maroto ſich zu reiben, immer
lauter den Satz wiederholend: „Ja damals wurde der
Feind mit dem Bajonnet, nicht mit der Feder geſchla⸗
gen,“ ohne Zweifel auf den, wenige Tage zuvor bekannt
gewordenen, Aufruf Maroto's an die Truppen anſpie—
lend. Dieß weckte den Leu aus ſeinen Träumen, und
bei einem wüthenden Seitenblick erſchien es mir
(Rahden sc.), als ob das Opfer bereits dem Henker
verfallen wäre.“ — Garcia war bekanntlich einer der
am 16. Februar 1839 zu Eſtella fuſillirten Generale.
54
gen vor dem Könige geheim gehalten, konnte er nicht
mehr zurück. Er war in den Händen Eſpartéro's,
ohne die geringſte Garantie zu haben, und von dieſem
beſtändig überliſtet, ſchwand mit hinreißender Schnellig—
keit eine Conceſſion nach der andern, ſo daß endlich
Maroto ſich in der Alternative ſah, vom Könige
vor ein Kriegsgericht geſtellt und mit allen jenen, die
er getäuſcht hatte, fuſillirt zu werden, oder zum Feinde
überzugehen. Maroto hat Letzteres gewählt, gewiß
das frevelhafteſte und ſchmachvollſte. Ein Ausweg
blieb ihm noch, ein verzweifeltes Treffen zu wagen
und ſichern Tod zu ſuchen, doch das wäre für einen
Mann wie Maroto zu ritterlich geweſen.
Ich bin in dieſen letzten Worten unwillkührlich
den Ereigniſſen vorangeeilt, und habe in eine Epoche
eingegriffen, auf die ich ſpäter mit mehr Detail zurück-
kommen werde. Demungeachtet kann ich, ſo wenig als
irgend ein Anderer, die Prätenſion haben, den Faden
zu dieſem grauenhaften Labyrinthe von Infamien zu
finden und den Schleier zu lüften, der dieſe Epiſode
der ſpaniſchen Geſchichte verhüllt. Eſpartéro und
Maroto können es; großentheils der Marſchall Soult,
gewiß auch Linage, Eſpartéro's Vertrauter;
doch wer Alles am beiten und bis in die geheimſten
Fäden kennen muß, iſt der franzöſiſche Bataillons⸗
Commandant Bertrand Duffeau-Pouillac,
Maroto's Privat-Seecretair; der, denke ich, wird ſich
aber aller Veröffentlichung enthalten. Was Andere
ſchreiben, ſind nur mehr oder minder begründete Ver—
muthungen und individuelle Anſichten.
Am 11. Juli Morgens verließ ich Toloſa, das
noch, wie drei Monate früher, der Sammelplatz aller
gefallenen Dignitarien war. Seit Ankunft Maroto's
hatten ſie jedoch mehr Wichtigkeit erlangt und ver—
ſammelten ſich alle Abende beim Ex-Miniſter Erro,
wo über die wichtigſten Staatsangelegenheiten mit
ganz unſpaniſcher Ungebundenheit abgeurtheilt wurde.
Erro gab den Ton an, dieſer Staatsmann, der bei
dem regſten Eifer und eminenten Eigenſchaften ſich
während ſeiner ganzen Geſchäftsführung durch eine
Reihe von unpractiſchen Maßregeln und unglücklichen
Einfällen auszeichnet hatte. Demungeachtet war er
gewiß der einzige Diplomat auf dem Kriegsſchauplatze,
oder doch wenigſtens der Einzige, der einen höhern
Diplomaten vorſtellen konnte.
Mit Freuden vernahm ich die Freilaſſung des
Generals Eguia. Dieſer würdige, alte Mann war
vierzehn Monate ohne aller Verbindung gehalten wor—
den, ohne ein einziges Verhör erlangen zu können.
Zuletzt ſoll ſein Verſtand darunter gelitten haben. So
wird erzählt, daß, wenn er, durch die Fenſtergitter ſeines
Gefängniſſes, des öden Bergſchloſſes Monjardin, Offi—
ziere in den, zu ſeinen Füßen liegenden, Thälern
marſchiren ſah, er ihnen zurief: „Offizier, hören Sie
mich! wiſſen Sie warum der alte General Eguia
in Monjardin gefangen ſitzt? — ich weiß es auch nicht,
und ich bin der General Eguia.“
Vor meinem Abritte aus Toloſa beſuchten mich
Urbiztondo (der ehemalige General-Commandant
von Catalonien), Alvarez de Toledo, Sohn des
Herzogs von Ynfantado, der von feiner italieni-
ſchen Miſſion eben zurückgekehrt war, und Oberſt
Beffieres, Sohn des 1823 fuſillirten Royalifti-
ſchen Generals. Auch fie waren mit Arias-
Teijeiro und Guérgu unzufrieden und in voller
Freude über Maroto's Ernennung. Sie gehör—
37
ten, beſonders die beiden Erſten, zu den brillanteſten,
gebildetſten Offizieren des königlichen Heeres, waren
dem Könige nach Portugal gefolgt, hatten ihrer
Treue und Hingebung wegen ſich großen Verfol—
gungen ausgeſetzt; wurden ſpäter gefangen und nach
Puerto Rico abgeführt, von wo entwiſcht, ſie bis
dahin ſtets mit der größten Auszeichnung gedient.
Ich ſelbſt hatte ſie in mehreren Affairen geſehen, und
für Beſſiè res, nach der Schlacht von Huesca, das
Ferdinands-Kreuz von Villarreal verlangt, der es,
beiläufig geſagt, nur mit Widerwillen zugeſtand.
Ich hatte viel Neigung für dieſe drei Offiziere, die,
als ich ſie an dieſem Morgen zuletzt ſah, über die
Ernennung Maroto's alle erduldeten Unbilden ver—
geſſen zu haben ſchienen. Sie ſprachen mit glühender
Begeiſterung und großer Hingebung von der königlichen
Sache, der ſie ſich mit Leib und Leben wieder weihen
wollten. Was ich am erſten erwartet hätte, wäre den
Tod des Einen oder des Andern von ihnen auf einem
Schlachtfelde zu vernehmen. Sie ſind ſeither alle
Drei mit Maroto übergegangen und haben den
Vertrag von Vergara unterzeichnet.
Spät Nachts traf ich in Elorrio ein, wo der
König damals Hoflager hielt. Ich ſtieg vor dem
Haufe Arias-Teijeiro's ab, der allein in feinem
Cabinet arbeitete. Als ich ihn verließ war es ſchon
heller Morgen geworden. Dieſe fünfſtündige Unter—
redung werde ich nie vergeſſen, doch gehört ſie nicht
vor das Forum der Oeffentlichkeit. So viel ſcheint
mir jedoch gewiß, und mag hier geſagt werden, daß,
wäre ich vor dem Pallaſte des Königs, ſtatt vor
Arias-Teijeiro's Haufe, abgeſtiegen und hätte
durch meinen Freund, den Dienſtkämmerer Joſé
Villavicencio, noch dieſelbe Nacht Eintritt ins
königliche Cabinet erlangt, Vieles Anders gekommen,
ſeither Unabwendbares vielleicht abgewendet worden
wäre. Acht Tage darauf ſchrieb ich aus Urdax an
Herrn von Cotta nach Stuttgart: Maroto est le
dernier médecin qui guerit, ou le fossoyeur qui
enterre.
II.
Abgang vom Hoflager. — Eſpartéro's projectirter Angriff von
Eſtella. — Der Biſchof von Leon. Triſtany. Don Pedro Raton,
Beichtvater des Königs. — Merino über Fürſt Metternich. —
Mit dem Souspräfecten von Bayonne contrahirter Uebergang
auf franzöſiſchen Boden. Sein Urtheil über Maroto. — Ueber
die ſpaniſchen Flüchtlinge und Granden. — Graf Peyronnet in
Monferrand. — Unthätigkeit im Hauptquartier. — Toulouſe. —
Perpignan. — Zug über die öſtlichen Pyreneen bis nach
Catalonien. f
(Ende Juli dis Mitte September 1838.)
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In meine Wohnung zurückgekehrt, bereitete ich
Alles zu meiner unverweilten Abreiſe vor. Als ich
eben zu Pferde ſteigen wollte, zog der König vor—
bei, ſich nach Eſtella zu jener unglücklichen Revue
zu begeben, die wohl für viele ein Stein des Anſtoßes
geweſen, manchen Feindſeligkeiten Stoff und Nahrung
gegeben. Doch hierüber mögen Andere ſchreiben. Der
König war wieder von Garden und Gefolge um—
geben, wie ich ſo oft, an ſo vielen merkwürdigen
Tagen, durch hunderte von Meilen ihn geſehen. Weh—
müthige Gedanken beſchlichen mich, und als ich den
unglücklichen Herrn, dem ich mein Leben geweiht,
ernſten Sinnes vorüberziehen ſah, ſchien es mir ſchon
damals, als gehe er ſeinem Verderben entgegen. Das
nächſte Mal ſah ich ihn als Flüchtling auf franzöſiſchem
Boden. Sein Blick war vielleicht düſterer, doch ſein
Sinn gewiß nicht ſchwankender geworden.
62
Es war damals viel die Rede von Eſpartéro's
projectirter Attaque gegen Eſtella. Ich muß aufrichtig
geſtehen, daß ich nie ſehr ernſt daran geglaubt; nicht
etwa, daß ich ein Einverſtändniß zwiſchen ihm und
Maroto für möglich gehalten hätte, ſondern weil mir
die ſtets zaudernde Vorſicht des feindlichen Heerführers
bekannt war, dieſes beſtändige Hin- und Herziehen,
um nur da Zuzuſchlagen, wo mit ungleich größeren
Kräften, einer imponirenden Stellung, er des unſtreitigen
Vortheils gewiß ſein konnte; ich ſage Vortheils,
da ſeine Affairen nie Siege genannt werden konnten.
Eſtella war aber ein für uns zu bedeutender Punkt,
deſſen moraliſche Wichtigkeit jedem Navarreſen, der ganzen
carliſtiſchen Armee zu ſehr einleuchtete, als daß die Ein—
nahme dieſes, an ſich zwar nur mittelmäßig befeſtigten,
Platzes leicht, unbeſtritten geweſen wäre. Wo der Aus—
gang zweifelhaft war, konnten auch wir vor Eſpar—
tero gewiß fein. Dieß war damals die unter vielen
Carliſten verbreitete Meinung, für deren Richtigkeit
Eſpartéro's Räumung von Durango im März 1837
ſprach, ſo wie ſein laues Auftreten im Niedern Aragon
und vor Madrid, während der königlichen Expedition,
endlich ſein ſchwaches Verfolgen bis zum Ebro, den
63
er damals nicht zu überſchreiten wagte. Dieſe Ge—
danken tröſteten mich vollkommen, nicht an der Eröff-
nung einer Campagne Theil zu nehmen, von der ich
wenig Blut, noch weniger Lorbeeren erwartete, auch
wenn ich von der allgemeinen Stimmung für Maroto
hingeriſſen, auf Moreno's Urtheil über ihn und auf
fo manche hier einſchlagende, halblaute, iſolirte Andeu—
tungen gar kein Gewicht gelegt hätte.
Vor meinem Abgange wollte ich doch noch den
Biſchof von Leon ſehen, der, nach Entfernung des
königlichen Hoflagers, in Elorrio zurückgeblieben war.
Der gutmüthige Prälat ſchien mir ſehr eingeſchüchtert,
moraliſch herabgekommen, gealtert, und wußte ſich
keinen Rath zwiſchen ſeinem nun mächtig und ſelbſt—
ſtändig gewordenen Protégé Arias-Teijeiro und
Maroto, feinem alten Feinde aus Portugal. Er
verſicherte mich, es ginge Alles ſchlecht und es würde
ſeines Bleibens in Spanien nicht lange mehr ſein,
wenn ſich nicht Vieles änderte. Dabei ſprach er ſehr
leiſe, damit fein Secretair Pecondon, vor dem er
ſich immer mehr fürchtete, ihn nicht höre. Nebenbei
frug er mich, ob man im Auslande die große Wich—
tigkeit ſeiner Stellung wohl zu erkennen und richtig zu
6A
würdigen wife, da er als Minifter der Gnaden und
Juſtiz zugleich alle Attribute des Miniſteriums des
Innern und der Polizei vereine, was ihn natürlich
zur erſten Perſon im Staate mache. Eine Geſchichte
von einem Nonnenkloſter in Portugal, in dem er,
während der Verfolgungen Rodil's, verborgen gewe—
ſen, beendete meine Unterredung, und ich verließ ihn,
der traurigen Ueberzeugung, daß dieſer würdige Mann
ſehr baiſſirt habe, und man von ihm vergeblich die
geringſte heilſame Aenderung erwarten würde.
Im Vorſaale des Biſchofs fand ich Triſtany wie—
der, den berüchtigten Abt und Guerilléro, den ich an
der Spitze ſeiner Diviſion in Catalonien verlaſſen hatte.
Er war auf königlichen Befehl ins Hoflager gekommen,
und mag wohl geglaubt haben, er würde es durch
ſeine Freunde und ſein Geld durchſetzen, zum General—
Commandanten Cataloniens ernannt zu werden. Auch
er war verändert, doch wohl nur äußerlich. Die krie—
geriſche Tracht, der große Bart, dieß Alles war ver—
ſchwunden und hatte einem ſehr correcten, weltgeiſtlichen
Anzuge Platz gemacht. Runder Hut, Tonſur, Rabbat,
nichts fehlte, und Niemand hätte an dem demüthig
kriechenden Pater den ſtolzen Parteigänger erkannt,
gewohnter den Säbel als das Brevier zu führen.
Die Nachricht von der Ankunft des Grafen de Eſpaña
in Berga, ihm erſt ſeit einigen Stunden bekannt, ſchien
einen tiefen und ſehr unangenehmen Eindruck auf ihn
zu machen; doch wußte er damals noch nicht, daß er
auf Wunſch des alten Feldherrn abberufen worden,
der den Cataloniſchen Boden nicht betreten wollte, ſo
lange Triſtany ihn durch feine Gegenwart infectirte.
Ein Jahr ſpäter habe ich mit ihm in einer Contre—
bandierkneipe am Ufer des Adour in Petit-Bayonne
gegeſſen, da war er eben im Begriffe nach Catalonien
zu gehen, doch rieth ich ihm es nicht zu thun, ſo
lange der Graf dort befehlige, der ihn ſicher ſofort
todtſchießen laſſen würde. Er hat auch meinen Rath
befolgt, und erſt nach Ermordung de Efpana’s ſich
auf dem Schauplatze feiner alten Streif- und Raub—⸗
züge gezeigt. Doch iſt er nur, ſoviel mir bekannt,
kurze Zeit dort geblieben, und es iſt nicht unwahr—
ſcheinlich, daß fein einziger Zweck war, ſeine in Cata—
lonien verborgenen Schätze nach Frankreich in Sicher—
heit zu bringen. Ich weiß nicht ob es ihm gelungen.
Später war er eine Zeit lang in franzöſiſchen Depots,
und ſoll jetzt (September 1841) an der Spitze einer
II. 5
66
Bande von 200 Mann im Felde von Tarragona (fo
heißt die große Ebene um dieſe Stadt) herumziehen.
Doch find dieß Räuber und Plünderer, die den cars
liſtiſchen Namen nur ſchänden. N
Auch Don Pedro Raton, der Beichtvater des
Königs, war aus den Pinaren zurückgekommen, wo
er bei Durchzug der königlichen Expedition krank zurück—
geblieben. Die Verlegenheit und Angſt Arias-Tei⸗
jeiro's und ſeiner Anhänger war komiſch zu ſehen,
als dieſer würdige Mann, den ſie bereits aufgegeben
hatten, plötzlich und unerwartet in Elorrio eintraf,
von fünfzig Reitern Balmaſeda's begleitet, der ihn
in einem armen, kleinen Dorfe, mitten in den Wäldern,
angetroffen und mit dieſer Escorte nach den Provinzen
geſchickt hatte, wo ſeine Ankunft Alle in Bewegung
ſetzte. Viele befürchteten, Andere hofften er würde
ſeine ehemalige Stellung wieder einnehmen und den
Capuziner-Mönch Larraga, deſſen ich im erſten Theile
dieſer Erinnerungen erwähnt, erſetzen. Zu meinem
Kummer erfuhr ich, der König habe ihm gerathen
nach Onate zu gehen und feine ſchwankende Geſund—
heit wieder herzuſtellen, worauf das Hoflager abritt
und Don Pedro in Elorrio zurückblieb. Ich weiß,
67
daß es Leute gab, die öffentlich hierüber mehr jubel—
ten, als wenn die Nachricht eines entſcheidenden Sie—
ges Cabrera's oder de Eſpama's angelangt wäre.
Später hat doch der ehrliche, ſchlichte Pater den fana—
tiſchen, intriganten Mönch erſetzt, und befindet ſich
noch jetzt an der Seite des Königs, dem er treu ins
Exil gefolgt. Don Pedro Raton war eine, ſelbſt
unter dem ſpaniſchen Clerus, merkwürdige Erſcheinung,
durch ſeine anſpruchloſe Beſcheidenheit, ſein ſtilles Wir—
ken, ein beſtändiges Ausweichen aller Influenz oder
Einmiſchung in öffentliche Angelegenheiten. Nie ſah
man ihn im Vorſaale oder der Suite des Königs,
wohin ſich doch Alle drängten, die mit oder ohne
Grund nur halbwegs ein Recht dazu hatten; nie hörte
man ſeinen Namen nennen, und doch bin ich über—
zeugt, hat er viele Leiden gemildert, Thränen getrock—
net. Auf Märſchen ritt er ſtets weit vor oder nach,
allein hinter irgend einer Truppe und ſprach freundlich
mit den Soldaten, auf ſeinem kleinen Maulthier ein-
her trappelnd, in einen weiten braunen Mantel ge—
wickelt, aus dem das faltenreiche Antlitz und die klu—
gen Augen des Greiſes halbverdeckt vorguckten, deſſen
Ohr die geheime Confeſſion des Königs von Spanien
5
hörte. So ſah ich ihn das erſte Mal; ich war bereits
mehrere Monate im Hauptquartier und wußte noch gar
nicht, daß er exiſtire. Es war auf dem Marſche. Der
Infant, der zurückgeblieben, ritt ſcharf nach, ſich an
die tete der Colonne zu ſtellen. Ich war im Dienſte
und galoppirte vor ihm, die Reihen öffnen und Platz
machen zu laſſen. So kamen wir zu einer kleinen,
ſchmalen Brücke, deren Mitte ein unanſehnlicher Rei—
ter auf einem kleinen Maulthier einnahm. Ich rief
ihm zu, ſich zu rangiren, was er auch gutwillig that,
mich jedoch verwundert anſah. Der Infant und alle
Herren ſeiner Suite lachten ſehr über das, was ſie
„meinen Mißgriff“ hießen, da ich den „Confesor de
Su Magestad” auf die Seite geſchafft. Don Pedro
hat es mir nie nachgetragen.
tachdem ich in Ureſtilla, dem freundlichen Land—
ſitze der Familie Narros und in Toloſa vergeblich
durch ſechs Tage auf eine königliche Ordre gewartet,
nach Catalonien zu gehen, von der Arias-Teijeiro
mir geſprochen hatte, entſchloß ich mich zur Abreiſe.
Ich nahm noch Abſchied von Moreno, den ich dieß—
mal in der heiterſten Stimmung der Welt traf. Er
war eben beſchäftigt, einen neuen Aufruf Maroto's
69
zu leſen (den dritten in weniger als einem Monat),
und ergötzte ſich ſehr über dieſe habladurias (Groß-
ſprechereien), mit denen der Feind nicht geſchlagen
würde, meinte er. Ich fand damals den alten Mann
ungerecht, denn mich entzückte die kriegeriſch ernſte,
decidirte Sprache dieſer Proclamationen. Ich ſollte
Moreno nicht mehr ſehen; ein Jahr darauf ward
er ermordet; doch über dieſe ſchauderhafte Geſchichte,
die noch jetzt in ein geheimnißvolles Halbdunkel gehüllt
it, ſpäter, um dem Gange der Creigniſſe nicht vorzu—
greifen. — Auch Merino ſah ich wieder, meinen alten
Freund aus den Pinaren, ſo vielen andern gleich auf
unthätiges Herumziehen im Lande beſchränkt. Er frug
mich, ob ich den Fürſten Metternich geſprochen, ob
er den Carliſten gewogen ſei und ihnen helfen wolle.
Auf meine Antwort rief er aus: „EI Metternico es
grande hombre, aborrece la canalla.“
Als ich nach Urdax, eine kleine halbe Stunde
von der franzöſiſchen Grenze, kam, dachte ich daran,
ob es nicht möglich wäre, ſich mit den franzöſiſchen
Autoritäten zu verſtändigen, die Langeweile und Er—
müdung des Uebergangs zu erſparen. Zu dieſem Ende
begab ich mich an die Grenzbrücke Dancharria, zwiſchen
70
Urdar und dem franzöſiſchen Dorfe Ainhoa, wo cars
liſtiſche und franzöſiſche Poſten ſich gegenüberſtanden.
Ich ließ den franzöſiſchen Polizeicommiſſär erſuchen,
ſich am nächſten Morgen an dieſem, gleichſam als
neutral betrachteten, Punkte einzufinden, wo ſchon
öfters kleine Streitigkeiten und Mißverſtändniſſe, wegen
verlaufener Heerden oder aufgefangener Correſpondenzen,
friedlich geſchlichtet worden. Mr. Darhbampe, fo hieß
der Mann, fand ſich zur beſtimmten Zeit ein und ich
erklärte, freundſchaftlich mit ihm auf- und abſpazierend,
wie ich, trotz meiner früheren Arreſtation, aller Vorſich—
ten und Signalemens doch wieder nach Spanien gekom⸗
men ſei, ſomit wohl auch wieder heraustreffen würde,
wenn gleich man mich daran verhindern wolle; daß
aber, um Geld, Zeit und Mühe zu ſparen, ich dem
Souspräfecten von Bayonne anböte, mir einen Geleit—
ſchein bis zu dieſer Stadt und einen Paß bis Bordeaux,
für mich und meine Leute, binnen 24 Stunden nach
der Grenze zu ſenden, wodann ich ruhig meines We—
ges ziehen würde. Sollte er dieß jedoch verweigern,
jo habe er zu gewärtigen, daß ich im Bayonner Oppo—
ſitionsblatte (Sentinelle des Pyrénées) einen Avis
an ihn inſeriren würde, daß ich an beſtimmtem Tage
71
und Stunde die Grenze paſſiren wolle, und dann in
Bordeaux angelangt, in dem legitimiſtiſchen Blatte dieſer
Stadt (la Guienne) meinen öffentlichen Dank ein—
rücken, daß, meiner Warnung ungeachtet, die franzöſi—
ſchen Autoritäten mich entwiſchen laſſen. Dieſes würde
nicht ermangeln in der Preſſe und Oppoſition vielfach
beſprochen, einen neuen Grund zu Declamationen
wegen ſchlechter Zuhaltung der Quadrupel-Allianz und
ungeſchickter oder unredlicher Verausgabung der gehei—
men Fonds abzugeben, könne ſonach dem Souspräfecten
unangenehme Momente bereiten. Der gute Polizei—
commiſſär, gewiß einer der ſimpelſten ſeiner Gattung,
ſchien ſehr betreten, eine ſo peremptoriſche Alternative
ſeinem Chef vortragen zu ſollen, doch mußte er ſich
endlich dazu entſchließen. Wir leerten einige Gläſer
auf guten Ausgang unſerer Negociation, und noch am
Abſchiede bat er mich, falls in 24 Stunden die Ant—
wort nicht zurück ſei, doch ja noch eine kurze Friſt
zuzugeben, da die Entfernung nicht unbedeutend und
die Wege ſchlecht wären. Doch wurde dieſe Coneeſſion
meinerſeits unnöthig, da bereits am nächſten Morgen
ein reitender Gensdarme an die erwähnte Grenzbrücke
in größter Eile die geforderten Geleitſcheine und Päſſe
brachte, worauf ich ſofort den ſpaniſchen Boden ver—
ließ, und zur Verwunderung der Einwohner am hellen
Mittage, in carliſtiſchem Coſtüm, mit meinen Leuten,
ſämmtlich bewaffnet, durch einige Dörfer bis Bayonne
ritt. Dort hatte ich eine kurze Converſation mit
dem Souspräfecten, dem dieſer Aufzug ſehr zu miß-
fallen ſchien. Namentlich konnte er ſich nicht beruhigen,
daß der ſpaniſche Conſul Gamboa (nachmals Finanz-
miniſter), der meinem Hötel gegenüber wohnte, mich
„avec ce train suspecte et seditieux” habe ein⸗
reiten und ſogleich zum carliſtiſchen Agenten Marquis
de Lalande gehen ſehen. Nachdem wir uns endlich
über dieſen Punkt verſtändigt, ſprach er von Ma—
roto und ſagte, er begreife nicht wie mein Herr
(votre Maitre) ihn habe an die Spitze ſeines Heeres
ſtellen können, denn er ſei gewiß ein Verräther. Ein
Mann, der ſein Ehrenwort breche (er war in Tours
auf Ehrenwort geſeſſen und entflohen), müſſe auch ein
Verräther ſein. Ueberdieß beweiſe es das Protocoll, vor
ſeinem Zuge nach Catalonien, durch General Harispe
(franzöſiſchen commandirenden General längs der weſt—
lichen Pyreneen) aufgenommen, zur Genüge, daß er
es mit Don Carlos nicht redlich meine. „On ne
73
s’exprime pas d’une facon aussi inconvenante sur
un prince qu'on sert et qu'on considere comme
son souverain,“ ſchloß er feine Rede. Dieſes Pro—
tocoll, von dem ich damals zuerſt ſprechen hörte, wurde
einige Tage ſpäter (4. Auguſt 1838) im offiziellen
Blatte von Bayonne (le phare de Bayonne) abge⸗
druckt. Ich hielt es zu jener Zeit für apokryph, wie
mir auch der Tadel im Munde des franzöſiſchen Fone—
tionnairs als Lob klang; doch konnte ich nicht umhin,
über den Ausdruck von Wahrheit verwundert zu ſein,
der aus ſeinen Worten vorleuchtete. Nach kurzem
Aufenthalte verließ ich Bayonne, und nach zwei Tagen
vergaß ich bei einem ausgeſuchten Diner meines vor—
trefflichen Freundes, des Generalconſuls Meyer in
Bordeaux, allen Aerger und alle Mühſeligkeiten der
letzten kurzen Epiſode.
Bordeaux, die ſchönſte Stadt Frankreichs nach
Paris, mit den herrlichen Ufern ſeiner breiten Ga—
ronne und ſeinem milden Clima, hat auch in ſeinem
Leben und Treiben einen ganz ſüdlichen Anſtrich. Deß—
halb gefiel es wohl den Spaniern vorzugsweiſe dort,
denn in Bordeaux, wie übrigens in den meiſten Städten
des mittägigen Frankreich, waren in größerer oder klei—
7A
nerer Anzahl, viele ſpaniſche Familien anſäßig, die,
jenen Theilen angehörig, wo der Krieg wüthete, ihren
heimatlichen Heerd verlaſſen hatten und das Ende des
langen Kampfes in Entbehrung und Jammer abwar—
teten. Sie waren meiſt politiſcher Anſichten halber
ausgewandert, die Carliſten aus den von den Chriſti—
nos beſetzten Gegenden, und umgekehrt. Confiscation
ihrer Habe war die gewöhnliche Maßregel, die über
ſie verhängt wurde, nicht ſelten auch Zerſtörung ihrer
Häuſer. Dieſe Familien haben mir immer großes
Mitleid eingeflößt, waren wahrhaft achtungswürdig,
und hatten nichts mit jenen vornehmen und reichen
Leuten gemein, die unter Bonaparte Joſephiner,
unter Ferdinand VII. abwechſelnd Liberale und
Abſolutiſten, es nun mit beiden Parteien hielten, oder
vielmehr mit keiner; bei Ausbruch des Krieges ihr
bewegliches Vermögen an ſich zogen, und im Auslande,
in ſcandaloſem Luxus praſſend, um die Leiden ihres
Vaterlandes unbekümmert, das Ende des langen
Todeskampfes abwarteten, um dem Sieger dann zu
huldigen, wer er auch ſein möge. Sie zahlten beiden
Regierungen ihre Abgaben, waren mit beiden in brief—
licher Verbindung, zumeiſt von Paris aus, und ver—
ficherten Beide ihrer Verehrung und Anhänglichkeit,
indem fie bedauerten, daß Umſtände und zarte Stel—
lungen (eircunstaneias y posiciones delicadas) ſie
verhinderten thätigen Antheil zu nehmen. Sie ver—
folgten Don Carlos und Chriſtina mit ihren
frommen Wünſchen, und zollten, je nach dem Salon,
in dem ſie ſich befanden, den Helden beider Feld—
lager ihre wortreiche Bewunderung. Ich habe mehrere
dieſer Herren gekannt, die ich des Morgens bei'm
Marquis de Labrador ſah, wo ſie ſich mit theil—
nehmenden Geſichtern um das Befinden „Seiner
Majeſtät des Königs“ und um die Fortſchritte unſeres
„heldenmüthigen Heeres“ erkundigten, und von denen
uns wohl bekannt war, daß ſie an den Empfangs—
tagen des chriſtiniſchen Botſchafters, Marquis de Mira—
flores, in feinem Hötel nie fehlten. Es waren die
berühmteſten Namen Spaniens, Nachkommen jener
Helden der Kreuzzüge und der ſpaniſchen Weltherr—
ſchaft, die ſo herabgekommen, daß fie nur Ckel ein—
flößen konnten. Furcht und eine gänzliche Unkenntniß
jedes Begriffes politiſcher Ehre bilden durchgehend den
Hauptzug ihres Charakters. Sie wollen, nach der
ſpaniſchen Redensart, „mit Allen leben“ (vivir con
76
todos). Jetzt find fie meiſt in Madrid, machen
Eſpartèro den Hof und correspondiren ins geheim
mit der Königin Chriſtine. In dieſem doppelten
Heucheln hatte es unter Andern der Herzog von
Oſuna, aus dem Hauſe Tellez de Giron, weit
gebracht, einer der reichſten und vornehmſten ſpaniſchen
Granden, der zu ſeinem großen väterlichen Erbe das
bedeutende Vermögen ſeiner Großmutter, der Gräfin—
Herzogin von Benavente, vereint, und noch beinahe
den ganzen mächtigen Nachlaß des letzten Herzogs
von Pnfantado zu erwarten hat, da deſſen natür-
licher Sohn, Alvarez de Toledo, in die Grandezzen
und italieniſchen Fürſtenthümer (Eboli und Melito)
nicht nachfolgen kann. Dieſer Herzog von Oſuna,
ein mit Juwelen, einem Bijouterie-Händler gleich,
ſtets bedeckter Dandy und eifriger Sportsman, war
großartig in offiziellen Bewunderungen, die ſeinem
Talente um ſo mehr Ehre machten, wenn er ſich auf
neutralem Terrain befand, wo Repräſentanten beider
Parteien ihn beobachten konnten. Sein Durchwinden
durch derlei Klippen, wie die Säle der öſterreichiſchen
und ſardiniſchen Botſchaft in Paris ihm öfters boten,
kann wirklich nur mit dem franzöſiſchen Worte lou-
77
voyer wiedergegeben werden. Der würdige Standes-
genoſſe Oſuna's in dieſen Beziehungen, nur viel
geſprächiger als er, war der erſte Edelmann Spaniens,
der Graf von Aſtorga, Marquis von Altamira,
Herzog von Montemar, aus dem uralten, einſt
königlichen Hauſe Traſtamara, der auf ſeinem
Haupte vierzehn oder fünfzehn Grandezzen mit einer
Revenue von ungefähr drei Millionen Franken ver—
einigt. Er iſt das vollkommenſte Bild jener „Race
rachitique et abätardie,” wie Herr von Martignac
ſie nennt, und ich kann, mit Bezug auf dieſe kleine
dicke, ungeſchickt ſchwankende Figur, mit hängenden
Lippen und ſchielendem Fiſchauge, eine Randgloſſe
hier mit mehr Recht wiederholen, als ich ſie über den
Grafen von Cirat, der doch wenigſtens nur einem,
und zwar ſeinem rechtmäßigen Herrn diente, in das
Journal eines Kriegsgefährten ſchrieb:
„Er bildet den reinen Typus des ſpaniſchen Gran—
den, wie in ſtufenweiſer phyſiſcher und moraliſcher
Degradation, er in einen Zuſtand vollkommener Ab-
ſtumpfung gefallen iſt. Kleiner, kränklicher, krampf—
haft zuckender Körperbau, unſchöne Geſichtszüge, Ver—
nachläſſigung alles äußeren Anſtandes und der erſten
Reinlichkeits Sorgfalt, ein blödes, vor ſich hin glotzen—
des Auge; ſo weit die erſte Erſcheinung. Die grenzen—
loſeſte Ignoranz der gewöhnlichſten Rudimente erſter
Erziehung; vornehmes Verachten aller Kenntniſſe und
Wiſſenſchaften; unleidlicher Hochmuth gegen den kleinen
Adel, vorzüglich aber gegen Bürger, Künſtler, Gelehrte
und Kaufleute; intime Familiarität mit ihrer Vale—
taille, mit der ſie auf dem vertrauteſten Fuße leben,
und kriechende Unterthänigkeit gegen Alles, was die
königliche Perſon in näherer oder weiterer Beziehung,
als zum Pallaſte gehörig, umgibt. Dieſer Drang
nach der königlichen Sonne webt ſich in ihr ganzes
Leben ein, und findet ſich überall wieder. Der Grand,
der am Hofe lebt, Grande madrileno, und den ganzen
Kammerſchlüſſel trägt (gentilhombre de camara con
ejercicio) nennt ſich mit ſtolzer Demuth un exiado
de Su Magestad (eriado, Domeſtike, Lakaye, wohl von
Diener, Servidor, zu unterſcheiden). Wenn er noch
ſo verſchuldet, von neuem Adel oder geringem Beſitz—
thum iſt, ſo ſieht er doch mit Verachtung auf den in
ſeiner Provinz, in Mitte ſeiner Vaſallen, feiner großen
Domänen, in angeſtammter Würde, großen Anhang
und Einfluß lebenden Granden, und ſagt: es un
79
Grande catalan, estremenio oder gallego. Von die-
ſem traurigen Bilde weichen nur Wenige ab; iſt es
glaublich, daß in beiden Heeren kein einziger geborner
Grande mit dem Degen in der Fauſt gedient hat?
— Als ehrenvolle Ausnahme dieſer Granden nenne
ich mit Freuden die Marquis von Billafranca und
Moneſterio und den Grafen von Org ſaz, die mit
Aufopferung ihres großen Vermögens und ſeltener
Uneigennützigkeit eine Zeit lang dem Hauptquartiere
ihres königlichen Herrn folgten, und ſpäter zu diploma—
tiſchen Miſſionen verwendet wurden. Keiner von ihnen
hat mit ſeinen Eiden gefeilſcht, und das iſt immer ruhm—
würdig und ehrenvoll, zur Zeit in der wir leben.“
Der Marquis von Altamira, wie er ſeiner
älteſten Grandezza wegen gewöhnlich genannt wurde,“)
*) In Spanien gibt der Titel Herzog, Marquis oder
Graf, die einzigen der Grandezza, (mit Ausnahme der
Familie Rubielos und eine Branche von Pacheco,
die gar keinen Titel, als Senor, führen und doch
Granden ſind) keinen Rang unter derſelben. Daher
Grafen, wie z. B. Parſent, aus dem Haufe Pnfante
de la Cerda, und Orgaz, aus dem Hauſe Crespy
(ſiehe Geſänge des Cid) den Rang vor mehreren Her—
80
hatte auch noch den Kummer, von ſeiner jungen Ge—
bieterin auf eine nicht unwitzige aber ungnädige Weiſe
zogen haben, da lediglich die Antiquität der Grandezza,
das Datum des Kopfbedeckens (cobrar), da die
Granden vor dem Könige ihr Haupt bedecken, den
Rang verleiht. Daher geſchieht es, daß viele, die Herzoge
ſind, dieſen Titel einem mindern nachſtellen und gewöhn—
lich nicht führen, beſonders wenn er durch Heirathen
(por las hembras) ererbt oder ein ausländiſcher (meiſt
italieniſcher, der ehemals ſpaniſchen Provinzen) iſt.
So nennt ſich z. B. der Chef des Hauſes Toledo nur
Marquis von Villafranca, obgleich er Herzog von
Medina Sidonia lerheirathet) iſt, fein nachgeborner
Bruder und fein älteſter Sohn die Titel als Herzoge
von Bivona (in Neapel) und Fernandina (Sicilien)
führen. Der einzige Unterſchied der ſpaniſchen Herzoge
vor den übrigen Adelsklaſſen beſteht darin, daß ſie alle
Granden find, viele Marquis und Grafen jedoch nur
Titulos von Caſtilien. Die „Grandes estranjeros,”
fremde Familien, denen der König die Ehren-Grandezza
verleiht, haben gar keinen Rang, und gehen auch neueren
ſpaniſchen Granden nach. Hievon ſind ausgenommen die
Häuſer Aremberg (wegen Arſchott und Mark), Ligne,
Croy und Merode, die als ſpaniſche Vaſallen in den
Niederlanden Granden wurden; doch gehören in dieſe Ca—
thegorie viele franzöſiſche Häuſer, die ſeit Philipp V.
die Grandezza erhielten, wie z. B. Montmorency,
empfangen zu werden, als er nach dem Verrathe von
Vergara ſeine carliſtiſche Hälfte abſtreifte und ihr zu
huldigen kam. Als er in den Thronſaal trat und das
Knie
vor der unſchuldigen Iſabella beugte, redete
ſie ihn, ohne weiterer Eingangsformel, mit den Worten
II.
Noailles, la Motte Houdancourt, Serrant,
Esclignaec, wie auch mehrere Oeſterreicher, die von
Kaiſer Carl V. bis König Carl II. datiren, als
Lamberg, Althann Khevenhüller, und in der
neuſten Zeit Metternich, ſo wie viele italieniſche Häu—
fer. — Sowohl Carl V. als Königin Chriſtine waren
mit Verleihungen von Grandezzen ſehr ſparſam. Erſterer
hat in Spanien nur drei ausgetheilt. Zumalacarre—
gui ward nach feinem Tode zum Herzog de la Victoria
erhoben, welchen Titel Eſpartéro, ohne Sieg, durch
Königin Chriſtine für ſich nachäffen ließ. In dem
poſthumen Diplom Zumalacarregui's heißt es,
daß ſein Eidam, Gemahl ſeiner älteſten Tochter, da
er keinen Sohn hinterlaſſen, den Titel Herzog de la
Victoria führen und den Namen Zumalacarregui
dem ſeinen vorſetzen ſolle. Der Marquis von Val de
Espina, Präſident der Junta von Biscaya und der
Baron von Hervez, Sohn des, in Morella nach dem
Tode Ferdinand VII. enthaupteten, erſten Carliſten—
Chefs, letzterer als Graf von Samitier, ſind die beiden
andern durch Carl V. ernannten Granden.
6
an: Wer biſt Du (die Könige und Infanten von
Spanien dutzen bekanntlich alle ihre Unterthanen, mit
Ausnahme des Clerus), ich kenne Dich nicht? Alta—
mira reecitirte feine Titel und Würden, worauf fie
erwiederte: „So, mein Vetter, *) wo warſt Du denn
die ganze Zeit, daß ich Dich im Pallaſte nie geſehen
habe?“ und als nun der perpler gewordene Vetter nur
unverſtändliche Worte hervorzuſtottern vermochte, kehrte
ſeine kleine Herrin ihm den Rücken und verließ gravi—
tätiſch den Saal. Im Nebengemach ſoll ſie, wieder
Kind geworden, unter Hüpfen und Lachen ihrer Oberſt—
hofmeiſterin, der Marquiſe de Santa Cruz, geſagt
haben: „Der hat genug, dem habe ich Angſt gemacht.“
Das ſind alſo die Nachfolger der Herren vom
„Nein“ in Aragon, jener hochfahrenden Ligueurs,
deren Schlöſſer Feſtungen waren, die ihren Königen
abſchlugen Krieg zu führen, Truppen zu ſtellen oder
Beſatzung zu nehmen, wenn es ihnen gerade convenirte;
die wenige Mal im Leben nach Madrid gingen, öfter
auf die königlichen Luſtſchlöſſer, wo ſie ſich nicht ſo
*) Pariente, als Grande, casas parientes: maisons cou-
sines, nach der altfranzöſiſchen Hofformel.
eingeengt, erdrückt vorkamen, und ihren großen Troß
von begleitenden Edelleuten und bewaffneten Dienern in
geringer Entfernung von der königlichen Reſidenz lagern
ließen, in beſtändigem Mißtrauen gegen die Könige
und Haß gegen deren erſte Miniſter, ſtets lauſchend,
ob man nicht an ihre perſönliche Freiheit wolle, ihnen
Conceſſionen abzunöthigen. In allen Ländern der Erde
iſt der Adel herabgekommen, kaum ein Schatten mehr
ſeiner dahingeſchwundenen Größe; doch in Spanien
ſcheint nicht der Druck der Jahrhunderte, nicht die
Folge großer politiſcher Umwälzungen auf ihm zu
laſten, es iſt, als wäre die ſtrafende Hand Gottes
über den großen ſpaniſchen Adel ausgeſtreckt geweſen.
Wenn nicht die ungeduldige Erwartung einer
königlichen Ordre, nach Catalonien zu gehen, mich
gepeinigt hätte, wäre mein Aufenthalt in Bordeaux
ſehr angenehm geweſen, wozu die zuvorkommende
Güte meines öfter erwähnten Freundes, des General—
conſuls Meyer, viel beitrug. Dieſer ausgezeich—
nete Mann, dem ich mich verpflichtet glaube, hier
öffentlich meinen freundlichen Dank abzuſtatten, führte
ein ſehr angenehmes, gaſtfreies Haus. Bei ihm machte
ich die Bekanntſchaft mehrerer bedeutender franzöſiſcher
6*
SA
Royaliſten, die von ihren politischen Glaubensgenoſſen
in Paris ſehr verſchieden, auf ihrem großen Grund—
beſitz, von ihren Pächtern und ehemaligen Unterthanen
umgeben, im Volke alte Traditionen und alten Glau—
ben auf patriarchaliſche Weiſe zu erhalten ſuchen. Eine
vorzügliche Stelle nimmt unter ihnen der loyale und
ritterliche Marquis de Dampierre ein, auf deſſen
Schloſſe die Herzogin von Berry, während ihres ver—
hängnißvollen Aufenthaltes in der Vendée, eine Zeit
lang gewohnt. Während ihrer Gefangenſchaft auf der
Citadelle von Blaye, hatte Generaleonful Meyer ſich
zu ihr begeben, und erzählte mir intereſſante Détails
über das unwürdige Benehmen ihres Kerkermeiſters,
des Generals Bugeaud. Leider muß ich mich ent⸗
halten, ſie der Oeffentlichkeit wiederzugeben. Nur
eines mag hier erwähnt werden: unter dem Zimmer
der Herzogin, das ich ſpäter ſelbſt geſehen, war eine
doppelte Leiter aufgerichtet, worauf Tag und Nacht
ein Spion ſaß, der durch in die Diele gebohrte Löcher,
die der Teppich des Zimmers verdeckte, jedes bei ihr
geſprochene Wort hören konnte, das ſogleich nieder—
geſchrieben und durch Bugeand an Thiers (damals
Premierminiſter) berichtet ward.
Vor meiner Abreiſe von Bordeaux wollte ich doch
85
die Bekanntſchaft des merkwürdigen Mannes machen,
deſſen Feſtigkeit im Unglücke, alle Parteien in
Frankreich gleiches Lob, gleiche Bewunderung zollen.
Ich meine den Grafen von Peyronnet, den ein—
zigen fähigen Staatsmann im traurigen Miniſterium
Polignae.
Generalconſul Meyer, fein langjähriger Be—
kannter, ſollte mich ihm vorſtellen. Wir begaben
uns auf den Quai und beſtiegen einen leichten Kahn.
In das geſpannte Segel blies eine leichte Briſe, und
half den taktmäßigen Schlägen der beiden Ruderer.
Pfeilſchnell flogen wir die Garonne hinab; einem Aale
gleich wand ſich unſer Nachen zwiſchen den hunderten
von Kauffahrern durch, die den Hafen von Bordeaux
füllen. Ueberall war das regſte Leben. Die Wimpel
aller Nationen flatterten luſtig in den Lüften; bald
hatten wir die Vorſtädte hinter uns, mit ihren großen
Lagern und Magazinen. Die kecken Umriſſe der maje—
ſtätiſchen Brücke, die zwei Fanale, mit den Statuen
des Handels und der Gerechtigkeit, zeigten ſich nur
noch in der Ferne. Es war einer jener lauen, durch—
ſichtigen Sommermorgen, die unter dem ſchönen Him—
mel des ſüdlichen Frankreich ſo unendlich reizend ſind.
Freundliche Landhäuſer blickten aus Weingärten hervor,
86
und ſpiegelten ſich in der blauen Fluth. Die bedeu—
tendſten Männer des großen Handelsplatzes bringen
die Stunden ihrer Muße in dieſen Villas zu. In
friedlicher Nachbarſchaft wohnen hier die divergirendſten
Meinungen. Nach zwei Stunden ſahen wir ein kleines
Cottage, dem bekannten (nun verftorbenen) Publiziſten
Henri Fonfréède gehörig; doch vor dem Hauſe des
beſtändigen Verfechters Ludwig Philipp's konnte
meine Barke nicht ſtill ſtehen wollen. Noch ein paar
Ruderſchläge mehr, und zwiſchen Baumgruppen erhob
ſich eine elegante Villa. Das Hauptgebäude, in gefäl—
ligen Dimenſionen, weiß getüncht, neun Fenſter breit,
beſteht aus dem Erdgeſchoſſe und einem Stockwerk.
Ein Perron aus weißem Marmor, mit zierlicher
Baluſtrade, führt zum Eingang. Am Frontiſpiee iſt
ein Wappenſchild mit Grafenkrone angebracht. „Non
solum toga, lautet die Umſchrift. Leichte Perſiennes
ſchloſſen die Fenſter. Zwei Seitengebäude und ein
eiſenes Gitter bilden die übrigen Seiten des Vorhofs.
Das Gitterthor iſt ſtets geſchloſſen, ein Zeichen, daß
der Bewohner gewöhnlich Niemand ſieht. Ein großer
Hund vom St. Bernard hielt Wache. Unſer Nachen
ſtieß zwiſchen den Pappeln und Akazien an, welche
87
die Villa von Monferrand halb maskiren. Wir ſtiegen
ans Land, drückten am Glockenzuge und übergaben
einem herbeieilenden kleinen Jokey unſere Karten. Bald
kam er, das Thor zu öffnen, und führte uns über den
Perron, durch ein elegantes Billard-Zimmer, in den
Salon. Ich hatte Muße mich darin umzuſehen; die
Fenſter gaben nach engliſchen Anlagen und großen Wein—
gärten, zu dieſer Villa gehörig. In der Entfernung ſah
man die breiten Wogen der Dordogne, in impoſanter
Ruhe dahinrollen; ein ſeltſamer Contraſt zur ſtets beleb—
ten Garonne. Der Salon war geſchmackvoll meublirt.
Einige gute Gemälde hingen an den Wänden; in vor—
trefflichem Lichte ein ſchönes Porträt, Ludwig XVIII.,
von Gros, Bruſtſtück; ein Geſchenk dieſes Königs,
wie ich ſpäter erfuhr. Ferner Carl X., im großen
Hofe der Tuilerien zu Pferde ſteigend; in Uniform
ſeiner Leibgarde; hinter ihm der Dauphin und mehrere,
zur Zeit bedeutende, Perſonen, ein Gemälde nicht ohne
Werth, von einem jungen Künſtler, den der Herr
dieſes Hauſes, damals Miniſter des Innern, protegirt
hatte. Es nahm die Mitte der zweiten Wand ein,
einem weißen Marmorkamine gegenüber. Zwiſchen den
Fenſtern fand ein Mahagonytiſch mit Kunſtwerken
und einem intereſſanten Portefeuille Originalbriefe
berühmter Zeitgenoſſen. Darüber ein großes Bild, es
ſtellt ein Schreibeabinet vor; durch das offene Fenſter
ſieht man die Vendöme-Säule, auf der die weiße
Fahne weht. Seitwärts ein Tabouret, worauf ein
reichverziertes Käſtchen ruht, mit dem königlichen Wap—
pen von Frankreich geſchmückt. In der Mitte ein
großer Arbeitstiſch, daran ein Fauteuil, der Stoff iſt
in goldenen Lilien geſtickt. Auf dem Tiſche liegt, halb—
geöffnet, eine Rolle, welche die Worte: Amneſtie. 1825.
enthält. Davor ſteht ein ſchöner, kräftiger Mann, im
beſten Mannesalter; ſchwarze Locken ſpielen nachläſſig
um Stirne und Schläfe; aus dem geiſtvollen, offenen
Blicke ſpricht Scharfſinn und Loyalität. Seine Züge
ſind regelmäßig und tragen das unverkennbare Gepräge
des Südens. Die ſchwarze Tracht iſt gewählt; unter
dem offenen Frack blickt das große blaue Ordensband
des heiligen Geiſtes hervor. Ich war in Anſchauung
dieſes Bildes verſunken, als eine Nebenthür aufging,
und im Schlafrock, einen Strohhut und Stock zur
Hand, der Herr des Hauſes auf mich zutrat. Ich
hatte den Grafen von Peyronnet früher nie geſehen,
und obgleich Kummer, Gefangenſchaft und Jahre jene
friſchen Farben etwas gebleicht haben mögen, ſo
erkannte ich doch ſogleich das Original des ſchönen
Bildes. Es war dieſelbe würdevolle Haltung, derſelbe
geiſtreiche Blick. Mit der liebenswürdigſten Freund—
lichkeit empfing er uns. Schnell vergingen mehrere
Stunden in Geſellſchaft dieſes eminenten Mannes,
deſſen ſeltene Feſtigkeit ſich nie verläugnet hat. Seit
Graf von Peyronnet Ham mit Monferrand ver—
tauſcht, hat er dieſe Villa nicht mit einem Schritte
verlaſſen. Obwohl an den Füßen leidend, ein Uebel,
deſſen Grund ein merkwürdiges Denkmal ſeiner Feſtig—
keit iſt, mir aber hier zu erzählen nicht geziemt, führte
er uns doch ſelbſt in ſeinem Hauſe herum, das eben
ſo elegant als comfortabel eingerichtet iſt. An den
Salon ſtößt ein Arbeitscabinet, mit ſchönen Kupfer—
ſtichen geziert, Scenen einer für den Bewohner erinne—
rungsreichen Zeit; ein großer Schreibtiſch nimmt die
Mitte ein; auf umſtehenden Stühlen und dem Teppich
ſind Stöße alter Folianten und Manuſcripte aus—
gebreitet, Materialien zu Graf von Peyronnet's
Geſchichte Frankreichs, an der er ſeit ſeiner Ge—
fangenſchaft arbeitet. Aus dieſem Cabinet kömmt
man in eine gewählte Bibliothek. Die andere Seite
90
beſteht aus einem geräumigen Speiſeſaal und Gaſt—
appartemens. Als ich mich nach Tiſche entfernen
wollte, war es ſo finſter und ſtürmiſch geworden, daß
ich den herzlichen Anerbietungen meines Wirths nach—
gab, und in Monferrand blieb. Noch ſpät in die
Nacht ſaßen wir um einen runden, mit grünem Teppich
bedeckten Tiſch. Graf von Peyronnet nahm einen
großen, ſehr einfachen fauteuil a la Voltaire ein.
Tiſch, Teppich und Fauteuil ſind das Mobiliar ſeiner
Clauſe in Ham, in der jetzt Ludwig Bonaparte
ſitzt und über ſeine ſinnloſen Verſuche brütet. Als
Graf von Peyronnet mir ſeinen Fauteuil wies,
dachte ich der genialen Produkte ſeines Geiſtes, die er
in einſamen Stunden ausgehaucht, in dieſen treuen
Gefährten gelehnt; ich zog mein Album hervor und
bat ihn, einige Worte hineinzuſchreiben. Er ergriff
eine Feder, und nach wenig Augenblicken gab er es
mir zurück. Ich las:
Laissez mugir les vents et gronder les orages,
Et les flots souleves appellant les naufrages,
Battre les cimes du rocher;
Le rocher lassera leur fureur indocile,
Et la nef flottera bientöt au port facile
Qu’avait promis Je vieux nocher.
Ich hatte beim Eingange Graf von Peyron—
net's Wappendeviſe bemerkt; nun nahm ich Anlaß,
ihn darum zu befragen. Die Geſchichte dieſes ſchönen
Mottos ſcheint mir zu charakteriſtiſch, um nicht hier
Platz zu finden: Peyronnet war erſt kurze Zeit
Großſiegelbewahrer, und, obwohl er ſelten ſprach, doch
ſeine hinreißende Beredſamkeit von beiden Kammern
längſt gekannt und gewürdigt, als während Abweſen—
heit des Kriegsminiſters, Marſchall Victor, der ſich
bei der Armee in Spanien befand, das Budget dieſes
Letztern zur Sprache kam, und von einigen Leitern
der Oppoſition lebhaft angegriffen wurde. Wie talent—
voll und bedeutend die Oppoſition zur Zeit des Mini—
ſteriums Billele war, iſt bekannt. Peyronnet's
Collegen, mit den Details dieſer Branche wenig be—
wandert, befanden ſich in nicht geringer Verlegenheit.
Da ließ ſich Peyronnet die nöthigen Papiere reichen,
durchflog ſie und ergriff das Wort für den Herzog von
Belluno. In einer meiſterhaften Rede trug er den
glänzendſten Sieg davon, und verließ die Tribune
unter rauſchendem Beifall von allen Seiten. — Am
nächſten Sonntage war Lever beim Könige. Lud—
wig XVIII. ſaß in ſeinem Rollſtuhl, die bedeutendſten
Männer Frankreichs ftanden um ihn; Fürſt Talley—
rand, als Großkämmerer, hielt hinter ſeinem Stuhle.
Da richtete ſich der König an den Großſiegelbewahrer:
„Sie werden in der Geſchichte Rußlands geleſen haben,
daß die Kaiſerin Katharina II. einen tüchtigen
General hatte, den Grafen Romanzow. Wiſſen
Sie auch, daß, als die Kaiſerin zu einer wichtigen
Sendung an ihren Bruder von Deutſchland einen
geſchickten Diplomaten brauchte, ſie den Grafen Ro
manzow nach Wien ſandte? Der tüchtige General
unterzog ſich vortrefflich den erhaltenen Aufträgen, und
zeigte ſich als gewandter Diplomat. Womit ſollte
Katharina II. einen Mann belohnen, der bereits
auf einer der höchſten Stufen in ihrem Reiche ſtand?
Sie gab ihm eine Deviſe, und die lautete: „non
solum armis.” Nach einer Pauſe fuhr der König
fort: „Nun! ich befinde mich in demſelben Falle,
und bin ſehr glücklich, einen Großſiegelbewahrer zu
haben, dem ich zur Deviſe geben kann: „Non solum
toga.“
Täglich kamen nach Bordeaux zahlreiche Berichte
aus dem Hoflager und Hauptquartier, und mit banger
93
Ungeduld ſahen Alle, welcher Partei ſie auch ange—
hören mochten, dem Zuſammentreffen der beiden Heere
vor Eſtella entgegen; da allgemein dieſer Moment als
ein entſcheidender Hauptſchlag bezeichnet wurde. Denn,
wenn gleich Viele am Angriffe Eſpartéro's zwei—
felten, ſo glaubte man doch allgemein, Maroto
werde dieſe günſtige Gelegenheit nicht vorübergehen
laſſen, durch eine größere Affaire ſeine perſönliche
Stellung im Hoflager zu befeſtigen, um ſich dann
leichter ſeiner Widerſacher entledigen zu können. Da
kam die Nachricht von Eſpartéro's Rückzug. Die
fanatiſchen Anhänger Maroto's unterließen nicht,
dieſe unerwartete Wendung dem Zauber des Namens
ihres Lieblingshelden zuzuſchreiben, und Alles ſchien
überzeugt, er werde nun kräftig die Offenſive ergreifen
und den Kriegsſchauplatz auf das rechte Ebro-Ufer,
in die reichen Ebenen der Rioja, verſetzen. Doch nach
wenigen Tagen hieß es, Maroto, an der Spitze
einer ftarfen, mobilen Colonne, ſei von Eſtella in der
Richtung nach Durango aufgebrochen. Dieß öffnete
neuen Muthmaßungen ein weites Feld, und man
prophezeihte nun eine unverzügliche Belagerung von
Bilbao. Woran Zumalacarregui durch den Tod,
9A
Eguia und Villarreal durch Niederlagen verhin—
dert worden, ſollte nun ohne Zweifel Maroto gelin—
gen. Doch neue Depechen aus dem Hauptquartier
ſprachen von beſtändigen Märſchen und Contremärſchen
des commandirenden Generals, dem es doch nicht
ſehr Ernſt zu ſein ſchien, mit dem Feinde ſo bald ſich
zu meſſen. Auch dieß ward bald erklärt; das Heer
müßte erſt reorganiſirt, die vielen, durch Guergue
eingeſetzten, untauglichen Chefs entfernt und durch die
erprobten, im Volke und Heere beliebten, Häuptlinge
erſetzt werden, die, ſchmählich abgeſetzt, nun noch größ—
tentheils in Kerkern oder Depots ſchmachteten. Arias—
Teijeiro, Maroto's größtem Feinde, und der
Camarilla wurde ebenfalls die Hauptſchuld der Un—
thätigkeit beigemeſſen, auf welche der neue Feldherr
ſich angewieſen ſähe. Da leider viele dieſer Klagen
nur zu begründet waren, ſo ward alles als voll—
kommen wahr und richtig angenommen.
Während dieſer Zeit härmte ich mich in Bor—
deaux über dieſe unerklärlichen Verzögerungen ab, und
ſah mit jedem Courier der Nachricht eines Miniſter—
Wechſels entgegen. Noch iſt mir erinnerlich, daß
an einem Tage, es war am 28. Juli, als eben
95
wieder nichtsſagende Dépéchen angekommen waren,
ich auch noch den Aerger hatte, ſehen zu müſſen, daß
der preußiſche Conſul Delbrück, deſſen Sohn (der
preußiſche Vice-Conſul, Julius Delbrück) den
Courier de Bordeaux, zu meinem täglichen Verdruß,
als Gerant unterzeichnete, ſich jo weit vergaß, während
der Julius Tage die preußiſche Flagge, unſern legi—
timen königlichen Adler, vor ſeinem Hauſe aufzupflanzen
und feſtlich wehen zu laſſen. Dieſer Unſchicklichkeit
die Krone aufzuſetzen, vergaß Conſul Delbrück, zum
Scandal aller in Bordeaux anweſenden Preußen, dieſe
feierliche Manifeſtation am dritten Auguſt vorzunehmen,
wie ich, an dieſem Tage öfter vorübergehend, zu be—
obachten Gelegenheit hatte. Vor dem General-Con—
ſulate von Neapel und Hamburg, dem Hotel meines
Freundes Meyer, hatte ich jedoch die Freude, am
dritten Auguſt ſeine beiden Flaggen flattern zu ſehen,
fo auch, daß er das Aufſtecken derſelben während der
Juli Tage unterließ.
Endlich wurde ich des Wartens überdrüſſig und
beſchloß nach Catalonien zu gehen. Ich ſchrieb deß—
halb einige Worte an Arias-Teijeiro, der noch
immer drei Miniſterien eumulirte, und verließ Bor—
deaur die letzten Tage Auguſt in Geſellſchaft eines jungen
preußiſchen Cavallerie-Offiziers, Herrn Guſtav von
Meding, der vor kurzem aus Berlin eingetroffen
war, und den ich als Adjutanten zu mir nahm.
Nach 24 Stunden waren wir in Toulouſe, jener in
Frankreich einzigen Stadt, die ſeit zwei Jahrhunderten
ſtill geſtanden zu haben ſcheint. Schon der erſte Anblick
verſetzt in längſt vergangene Zeiten, die in keinem
Lande der Welt zu unſern Tagen paſſen würden, in
Frankreich aber einer Epoche angehören, die nur mehr
dem Hiſtoriker und Romancier bekannt iſt. Oft iſt
mir die Aehnlichkeit Toulouſe's mit dem entferuteften,
reculirteſten Theile des Faubourg St. Germain auf—
gefallen, der Rue de Babilone zum Beiſpiel; jenen
finſtern Häuſermaſſen, die, allem Leben gleichſam ab—
geſtorben, auf das heutige Treiben ſtreng und ſchwei—
gend tadelnd herabſchauen. Dieſe großen Hotels zwiſchen
Hof und Garten, ſeit Jahrhunderten in denſelben
Parlamentsfamilien (noblesse de robe) erblich, ſcheinen
lebende Gräber geſunkener Macht. Die dicken eichenen
Thore wanken nur ſelten in ihren ſchweren Angeln,
und wenn eine unförmliche, altvätriſche Karoſſe her—
ausfährt, die mit Gras bewachſene Cour d’honneur
verläßt und über dem ſpitzen Kieſelpflaſter raſſelnd hin—
wegrollt, fo iſt dieß eine Begebenheit für die ganze
Straße. Die Krämer und Lieferanten, die, dem Bei—
ſpiele ihrer Vordern gleich, ſeit den großen Zeiten des
Languedoes und der Macht der Capitouls dieſelben
adeligen Familien mit dem Nöthigen verſorgen,
gucken ſo neugierig und beſorgt aus ihren dunklen
Laden, als ſollten ſie noch jenen vornehmen Hochver—
räther und enthaupteten Gouverneur, den großen
Montmorency mit feinem zahlreichen Gefolge
durchſprengen ſehen, deſſen Geſchichte in des Volkes
Mund fortlebt, ſo wie das Beil, womit er enthauptet
worden, mit andächtiger Verehrung noch heute gezeigt
wird. Auch heißt ſeit ſeiner Zeit eine Taverne „aux
armes de Montmorency, und zeigt an eiſener Stange
die ſechzehn Lerchen (alerions) und das rothe Kreuz
auf goldnem Felde mit der Umſchrift „Dieu aide
au premier baron chretien.” *)
*) In Paris gibt es höchſtens ein hötel aux armes de
la ville de Paris, das ſich in der rue de la Michodiere
unterfängt, das bürgerliche Schiff der Metropole gemalt
zu zeigen; das hötel de Montmorency auf dem Bou—
levard würde mit derlei heraldiſchen Velleitäten vor
den Steinwürfen des Pöbels gewiß nicht ſicher ſein.
II. 7
Daß in Toulouſe, dieſer jo fundamental=royali-
ſtiſchen Stadt, Carliſten und Carlismus, gleichviel ob
ſpaniſche oder franzöſiſche, ja ſogar portugieſiſche Migue—
liſten vielen Anklang finden mußten, iſt leicht begreiflich.
Auch gab es in Toulouſe royaliſtiſche Comités, Prä-
ſidenten, Sectionen, Vertraute in allen Klaſſen der
Geſellſchaft, und obgleich der mißglückte Verſuch in
der Vendée und der Untergang der königlichen Sache
in Spanien ihren Hoffnungen empfindliche Schläge
beigebracht, ſo vegetiren ſie doch noch fort und machen
der jetzigen Regierung genug zu ſchaffen. Ich wandte
mich an einen der Vorzüglichſten, der mehrere derlei
occulte Aemter und Dignitäten verſah und ein naher
Verwandter des Grafen de Efpana war. Auf feinen
Rath kaufte ich drei Pferde und die nöthigen Sättel,
was mich über eine Woche in Toulouſe aufhielt und
beſtimmt eine große Unvorſichtigkeit war, da es un—
nöthig die Aufmerkſamkeit der Behörden auf mich
richtete. Endlich waren meine Vorbereitungen beendet,
die Sättel und Waffen, in vier Kiſten wohl verpackt,
mit der Diligence nach Perpignan geſchickt und die
Pferde einem Vertrauten übergeben, der ſie querfeld—
ein in ein Landhaus, nahe an dieſer Stadt, führen
99
ſollte. Wir ſagten den ſchönen Languedociennes, der
blauen Garonne, den dunklen Orangen auf dem Nachts
ſtets feſtlich erleuchteten Capitol-Platze ein fröhliches
Lebewohl, und waren nach kurzer Fahrt in Perpignan
eingetroffen.
Der Anblick dieſer Stadt und ſeiner Umgegend,
die Sprache und Tracht der Einwohner, die Namen
der Orte, Berge, Gewäſſer, Alles mahnt daran, daß
dieſer Landſtrich nur politiſch zu Frankreich gehört.
Auch hat das große Nivellirungs- und Centraliſations—
Syſtem, das einem ungeheuern Netze gleich, ganz
Frankreich überzieht, hier in das Innere des Volkes
und Lebens noch nicht eindringen können. Perpignan,
trotz ſeiner Präfectur, Behörden und Feſtungs-Gar—
niſon, gleicht viel mehr einer cataloniſchen Bourgade,
als einer franzöſiſchen Departements-Stadt. Die
alte romaniſche Sprache, la langue d'Oc, hat ſich
unter dem Landvolke mit mehr oder weniger arabiſchen
Zuſätzen, je nach franzöſiſcher oder ſpaniſcher Seite, in
ihrer Eigenthümlichkeit ſo vollkommen erhalten, wie
an dem andern Ende der Pyreneen die baffifche, und
vergeblich würde man einen Bauer dieſer Gegenden
franzöſiſch anreden. Auch die Namen klingen fremd.
7
100
Ein paar Stunden von Perpignan, bei Salces, fuhren
wir an einem großen Moorſumpfe vorbei, der mit dem
Meere in Verbindung iſt. Unſer Poſtillon nannte
ihn: l'estan de Leucate. Dann ging es über die
Gly, einen in den Romanzen dieſer Gegenden oft er—
wähnten kleinen Fluß, an deſſen Ufer ich weiß nicht
welcher regierende Vicegraf von Narbonne die Mauren
ſchlug; die grünen Hügel von Riveſaltes zeigten uns
ihre Reben, die einen jetzt nur mehr in dieſen Gegen—
den, in frühern Zeiten aber in ganz Frankreich be—
rühmten dunklen feurigen Wein geben.
Das Anhalten am Thore von Perpignan, mahnte
uns, wir wären nicht mehr im Lande der Trou—
badours, zur Zeit der Toulouſer jeux floraux die,
beiläufig geſagt, kaum ein Schatten alten Glanzes,
noch fortvegetiren, in Verſen discutiren und Preiſe
decretiren. — Nach einem langen, inquiſitoriſchen Exa—
men der Thorbeamten über Reiſe, Zweck und allerlei
Details, wurden wir freigelaſſen. Wir ſtiegen im
Hötel de l'Europe ab, deſſen Wirth, der jetzigen Regie—
rung zugethan, uns weniger verdächtig erſcheinen ließ.
Tags darauf begab ich mich zum carliſtiſchen Comiſſär
Ferer, deſſen Habſucht, Eigennutz und doppelzüngiges
101
Weſen ſchlecht genug gegen den regen Eifer und die oft
mit bedeutenden Opfern verknüpfte Hingebung der
meiſten ſeiner übrigen Collegen abſtach. Als ich ihm von
Pferden und Kiſten ſprach, die ankommen und ſeiner
Obſorge übergeben würden, verzog ſich ſein Geſicht in
die freundlichſten Falten, die mir ſchon damals nicht
ganz geheuer dünkten. Ich habe ſpäter die Erklärung
dieſes freundlichen Geſichtes nur zu theuer bezahlt,
und oft bedauert feinen Collegen A.. ..., einen
braven, redlichen Mann, nicht gekannt zu haben. *)
Endlich ließ Ferer mir bedeuten, meine Kiſten und
Pferde wären angelangt. Erſtere konnte ich nicht
ſehen, letztere waren in einem Landhauſe, eine kleine
halbe Stunde von Perpignan untergebracht worden.
Wir gingen fie zu beſuchen. Ein ſchöner Grau—
ſchimmel von Limoufiner Race, den ich um hohes
Geld erkauft, war unwohl geworden und mußte dort
*) Wenn ich mich bei Nennung der von uns in Frankreich
verwendeten Perſonen oft auf Initialen beſchränken muß,
ſo geſchieht dieß nicht aus Geheimnißſucht, ſondern ledig—
lich, weil die betreffenden Individuen ſich meiſt in Lagen
befinden, wo Nennung ihrer thätigen Theilnahme ihnen
noch jetzt unangenehm ſein könnte.
102
gelaffen werden; die beiden andern gab Ferer einem
von ihm als zuverläffig bezeichneten Guiden, und
dirigirte ſie ſofort nach der Grenze. Obgleich mit den
von den baſkiſchen Pyreneen ſo verſchiedenenen Ver—
hältniſſen dieſes durchaus uns feindlich geſinnten Land—
ſtriches unbekannt, konnte ich doch nicht billigen, daß
er beide Pferde einem einzigen Menſchen anvertraue,
da dieß auf engen Pfaden, im Falle einer Verfolgung,
die Flucht nothwendig erſchweren, wo nicht unmöglich
machen, und wenigſtens den Verluſt eines Pferdes
nach ſich ziehen mußte. Doch Ferer war nicht ab—
zubringen, nahm alle Verantwortlichkeit auf ſich, und
verſicherte mich, es obwalte gar keine Gefahr. So
mußte ich es denn geſchehen laſſen, und war nur mehr
auf meinen eigenen Uebergang bedacht.
Unſer Wirth hatte bei uns einige Bücher ſeines
Schwiegerſohnes, des Verlegers Dumont in Paris,
geſehen, unter andern die vielen Bände der damals
eben erſchienenen memoires du Diable von Soulie.
Dieß ſtimmte ihn ſehr zu unſern Gunſten und er
übernahm es, unſere Päſſe für das ganze Departe—
ment viſiren zu laſſen, da ich vorgab die Bäder in
den Pyreneenſchluchten beſuchen und auf Iſards (die
Pyreneen-Gemſen) jagen zu wollen. Nachdem dieſer
wichtige Punkt geordnet war, verließen wir Perpignan
um vier Uhr Morgens im Coupé der Diligence. Die
große Kette der Pyreneen dehnte ſich am äußerſten
Horizonte vor uns aus; der Kegel des Canigou,
von Wolken umhüllt, ragte königlich über die ihn
umgebenden Berge. Ein kühler Seewind wehte von
Oſten; die wenigen Landleute, denen wir begegneten,
waren in ihre braunen, weiten Mäntel gehüllt; die
dazu gehörige Kaputze, über den Kopf geſchlagen,
ließ nur wenig von der rothen, cataloniſchen Mütze
ſehen, die der phrygiſchen Haube nicht unähnlich, in
einem langen Zipfel nach hinten hinabhängt, oder
wohl auch bei den Coqs de Village nach mehreren
Ueberſchlägen die Stirne beſchattet. Um ſieben Uhr
wechſelten wir Pferde in Ceret, Cheflieu des Aron—
diſſements, einem winkligen, ſchmutzigen Neſte, wie
man ſie in den zum deutſchen Bunde gehörigen
Staaten nur noch am rechten Oder-Ufer Schleſiens
findet. Bis Arles, wo wir um zehn Uhr anlangten,
wurden unſere Päſſe fünfmal gefordert, deren Signa—
lement jedesmal genau verglichen und erſt nach allerlei
Fragen und Bemerkungen zurückgeſtellt. Von Arles
aus ift der einzige Weg fo fteil und das Terrain fo
coupirt, daß nach der kleinen Grenzfeſtung Prats de
Mollo kein Wagen gebraucht werden kann. Wir accor—
dirten ſonach Maulthiere für uns und unſer Gepäck,
und ſetzten, nach einem ziemlich ſchlechten Frühſtück,
unſern Marſch auf kaum gangbaren Steigen fort.
Es ſind nur vier kleine Lieues, doch brauchten wir
ſieben Stunden dazu. Prats de Mollo iſt ganz
maleriſch am Ausgange einer kleinen Gebirgsſchlucht
gebaut. Die Ausläufer der fruchtbaren Ebenen des
Rouſſillon und der Cerdagne lagen vor uns wie
Teppiche ausgebreitet; im Hintergrunde ſchimmerten,
ſchon ſchneebedeckt, die höchſten Gipfel der cataloniſchen
Berge, und vom Thurme der Feſtung konnten wir
das grüne Geburtthal Godefroys de Bouillon ſehen,
das hiſtoriſche Marquiſat de Conflans, die Wiege
eines der größten Geſchlechter Frankreichs. Trotz aller
Neuerungen, die den Ländern bis auf die alten Namen
zu rauben drohen, hat doch die ſogenannte legale
Sprache unter dem Landvolk wenig Anklang gefunden,
und in dieſen Gegenden, wie im ganzen ſübdlichen
Frankreich, iſt jedem Fleck mit dem alten Namen die
Erinnerung an die alte, gute Zeit geblieben.
105
Die zwei einzigen Gaſthöfe, wenn ſchlechte Knei—
pen die an allem Mangel leiden dieſen Namen
verdienen, in Prats de Mollo waren angefüllt, da
eben Inſpeetion der Garniſon abgehalten wurde, und
nur mit Mühe konnten wir Unterkommen in einem
Privathauſe finden. Nachts traf ein durch Ferer
zugeſchickter Guide ein, uns am nächſten Morgen über
Feldwege in die Schluchten des Canigou zu führen,
von wo aus ein Hauptſchmuggler dieſer Gegend, der
dort wohnte, das Weitere übernehmen ſollte. Mir
kamen alle dieſe Maßregeln ſehr mangelhaft vor, im
Vergleiche zu denen der baſkiſchen Contrebandiers, die,
Häuptlingen gleich, förmlich kleinen Krieg mit den
Zollwächtern führen und ihre Untergebenen ganz mili—
täriſch befehligen. Mit geringen Hoffnungen machten
wir uns daher, wie der Morgen graute und die Thore
der Feſtung geöffnet wurden, auf den Weg. Doch
waren wir noch keine halbe Stunde marſchirt, als eine
nachlaufende Douaniers-Patrouille uns anrief ſtill zu
ſtehen, worauf unſer mit einem Gewehr bewaffnete
einzige Guide ſofort ausriß und uns im Stiche ließ.
Wir wieſen dem Brigadier unſere Päſſe und wurden
ſo en regle befunden, daß er uns ohne Bedenken
frei gelaſſen hätte, wenn nicht wegen des verdächtigen
Feldweges und Ausreißens unſers Guiden ihm mehr
Vorſicht nothwendig geſchienen. Dies erklärte er unum—
wunden und führte uns nach Prats de Molls zurück,
wo wir unter Aufſicht geſtellt, unſere Effecten jedoch
an der Douane mit großer Vorſicht durchſucht wurden.
Uniformen, Boinas, zwei paar Gürtel-Piſtolen und
andere derlei, bei einem gewöhnlichen Touriſten nicht
anzutreffende Gegenſtände wurden bei Seite gelegt
und uns dann erlaubt frühſtücken zu gehen.
Die ſonderbare Art wie wir frei wurden darf ich mir
leider! nicht geſtatten zu veröffentlichen, da dieſe Indis—
cretion einigen gutmüthigen Perſonen vielleicht ſchaden
könnte. Noch iſt mir Herrn von Meding's Verwunde—
rung lebhaft erinnerlich, als nach mancherlei Manipu—
liren meinerſeits wir uns gegen Abend frank und frei
auf der Bergſtraße befanden, die von Parts de Mollö nach
dem Badehauſe la Preſte führt. Was den Erfolg noch
vollkommener machte war, daß denſelben Abend unſere
ſämmtlichen Effecten uns nachgeſchickt wurden, die
verdächtigen Boinas und Piſtolen nicht ausgenommen.
Papiere hatte man uns nicht nehmen können, da ſie
ſämmtlich in dem Unterfutter unſerer Beinkleider an
einem wenig auffälligen Theile eingenäht waren, den
man gewöhnlich zu verbergen pflegt. Zwar hatten
wir keinen Guiden, doch war die Richtung nicht zu
verfehlen, da eine einzige Straße, mühſam in den
Fels gehauen nach mancherlei Windungen einzig nach
unſerer Beſtimmung, dem erwähnten Badehauſe, führte.
Nach zweiſtündigem, immerwährendem Steigen erreich—
ten wir das einzelne, in einer Felſenkluft gelegene,
oder vielmehr einem Adlerhorſt gleich hängende Gebäude.
Ein ſchwefelhaltiger Quell ſprudelt 30“ R. heiß, in
ziemlich ſtarkem Strahle unter dem Hauſe hervor und
wird von der kränkelnden Umgegend zum Trinken und
Baden gebraucht. La Preſte liegt mitten im Hoch—
gebirge der Pyreneen, und von den Fenſtern des Bade—
hauſes iſt außer dem engen, in den Fels gehauenen
Steig, auf dem wir gekommen, keine Spur menſch—
licher Hand zu gewahren. Die vorgerückte Jahreszeit
hatte nur wenig Badegäſte in dieſem einſamen Hauſe
gelaſſen. Der Wirth, der zugleich Badearzt und dele—
guirter Maire ſeines Etabliſſements iſt, zeigte ſich uns
als enthuſiaſtiſcher Verehrer der jetzigen Regierung und
aller ihrer Maßregeln. Wir wußten alſo was wir von
ihm zu hoffen hatten, und zogen uns bald in unſere
108
Zellen zurück, aller weiteren Neugierde auszuweichen.
Ich öffnete mein Fenſter; das Rauſchen des Gebirgs—
baches, der über Felſen in einen tiefen Abgrund ſtürzt,
das würzige, ſtarke Aroma der Gebirgskräuter, der hier
ſchon ſüdliche Himmel gaben dieſer Nacht mitten in dieſem
verlornen Winkel der Welt einen eigenen düſtern Reiz.
Am andern Morgen weckte mich eifrige Conver—
ſation auf dem einzigen ebenen Platze vor dem Hauſe.
Ein Bote des Maire von Prats de Molls erzählte
unſerem Wirthe, daß zwiſchen Ceret und Arles ein
Mann aus Perpignan mit zwei Pferden von den
Bauern aufgefangen, vor die Souspräfectur gebracht
worden, jedoch kaum dort angelangt entflohen ſei; die
Pferde, als innerhalb des Grenzverbotes angetroffen,
würden in öffentlicher Licitation auf dem Marktplatze
von Ceret verkauft werden, da ſie unbezweifelt für die
ſpaniſchen Carliſten beſtimmt geweſen. Hiebei folgte
das Signalement der Pferde. Es blieb kein Zweifel,
daß es die Unſeren waren. Von unſerer Wuth über
den ungeſchickten oder ſchurkiſchen Ferer kann man
ſich leicht einen Begriff machen, und doch mußte zu
böſem Spiele gute Miene gemacht werden, da der
Maire von Prats de Mollo die aufgefangenen Pferde
r
109
ganz richtig mit unſerer Gegenwart in Verbindung
brachte und dem Wirthe anbefahl, ein wachſames Auge
auf uns zu haben, bis er Befehl aus Perpignan ein—
geholt, da unſere ihm bekannten Päſſe ihn hinderten
ſogleich mehr gegen uns zu unternehmen.
Nach einigen Stunden gingen wir ins Freie, wo
der Wirth ſogleich auf uns zukam und mich ſcharf ins
Auge faſſend, uns die Arreſtations-Geſchichte unſerer
armen Pferde nochmals erzählte; doch nahm ich Alles
lachend auf und brachte ihn bald auf andere Gegenſtände.
Er war ein eifriger Jäger; ich eröffnete ihm den Zweck
unſerer Tour, Bereiſung dieſes Theils der Pyreneen
und vor Allem eine Jagd auf die berühmten Iſards, die
hier ſehr häufig ſind. Dann ſchlug ich ihm vor, eine
große Jagd zu ordnen, ſelbſt mitzugehen und verſprach
alle Victualien für mehrere Tage ſammt Saumthieren
bei ihm zu nehmen. Dieſer Verſuchung war er nicht
gewachſen und machte ſich ſogleich ans Werk, allen
Iſard-Jägern ein Rundſchreiben zu ſenden. Die Ant-
wort konnte erſt am nächſten Tage erfolgen. Doch
noch am Nämlichen kam ein Offizier der Garniſon
Prats de Mollo und inſtallirte ſich im Badehauſe. Es
thut mir leid es zur Ehre der Wahrheit ſagen zu
110
müſſen, daß er als Späher zugeſchickt uns nicht
von der Seite wich. Ihm das Geſchäft leichter zu
machen, lud ich ihn zu Tiſche und ſpazierte mit ihm
in der nächſten Umgegend herum, die Zeit beſtmöglichſt
zu verbringen. Eine große Höhle, etwa taufend
Schritte von unſerer Wohnung gelegen, iſt die Haupt
merkwürdigkeit des Ortes und wurde, nach einer Un—
zahl Fremden, die hier, wie überall, am Eingange
ihre unberühmten Namen eingegraben, auch von uns
in allen Richtungen in Augenſchein genommen. Ein
paar hundert Stufen in den Fels gehauen, dann eine
ſtets naſſe, etwas morſche Leiter und endlich ein ſo
enger, niederer Gang, daß man auf Händen und
Füßen darin kriechen muß, führen in eine hohe, weite
Stalactiten-Höhle, deren Bogen und Säulen in
Schnörkeln und Zacken, einem gothiſchen Dome gleich
ſich wölben und durch ein ſchwaches Grubenlicht erhellt,
in tauſendfachem Lichte widerſtrahlen.
Endlich kamen unſere Iſard-Jäger am zweiten
Abende. Es waren ihrer ſiebzehn, meiſt Bauern und
Pächter der Nachbarſchaft. Sie ſetzten ſich ſogleich
zu Tiſche und nahmen auf meine Koſten ein copioſes
Souper ein, wobei es ſehr luſtig zuging. Die Tochter
des Wirths, eine ſchlanke, braune Tochter des Gebirges,
ward von ihnen aufgefordert zu ſingen. Sie nahm
eine Guitarre und trug eatalonifche Lieder vor, in
cadeneirten Klagetönen, nach einem mauriſchen Rhyt⸗
mus, der unwillkürlich ergriff und in melancholiſche
Stimmung verſetzte. Die Lieder waren in jener ſelt—
ſamen Sprache, die aus der romaniſchen langue d’Oc
und arabiſchen Worten zuſammengeſetzt, auf beiden
Seiten der öſtlichen Pyreneen, und mit einigen Ab—
weichungen in den Balearen im Schwunge iſt:
Sas atlotes, ) tots es diumenges,
Quan no tenen res mes que fer,
Van a regar es claveller,
Dihent-li: Veu! ja que no menjes, **)
Nach einer Pauſe antwortete fie jich ſelbſt:
Atlotes, filau! filau!
Que sa camya se riu;
*) Atlotes, im Singular Atlote, Mädchen, vom mauri—
ſchen Worte aila, lella.
** Die Mädchen, alle Sonntage
Wenn ſie nichts mehr zu thun haben,
Gehen die Nelken zu begießen,
Sagen ihnen: Trinke, da du nicht ißt.
112
Y sino l'apadasau,
No v’s arribar'a s'estiu! *)
Ein junger Iſard-Jäger, feiner gewandten, kühnen
Geſtalt nach augenſcheinlich ein Contrebandier, nahm
ihr dann die Guitarre ab und ſang mit lebhafter
Accentuirung ein wildes Lied, deſſen beſtändiger Re—
frain: „Las armas dos Catalans,“ unſerem Wirthe
nicht zu gefallen ſchien. Er ſah ängſtlich nach mir,
ob ich wohl dieſen kriegeriſchen Tönen einige Aufmerk—
ſamkeit ſchenke, weßhalb ich mich ſogleich mit ihm in
Converſation einließ und ihn mit anſcheinender Gleich—
gültigkeit, doch mit klopfendem Herzen, um die Namen
und Wohnorte meiner neuen Gäſte fragte. Nachdem
er eines Jeden unintereſſante Familienverhältniſſe weit—
läufig auseinander geſetzt, kam er zu den Letzten, und
ſchon dachte ich Alles ſei vergebens. „Der hier,“
* Mädchen, ſpinnt! ſpinnt!
Denn das Hemde lacht (zeigt Löcher),
Und wenn ihr nicht einen Fleck einſetzt,
Wird es nicht bis zum Sommer halten.
Dieß mag die unpoetiſche, wörtliche Ueberſetzung ſein.
Letztere Strophe enthält die Ermahnung der ſorgſamen
Mutter.
113
ſchloß er, „iſt der beſte Schütze der öſtlichen Pyreneen;
er heißt Pieutus,“ ich athmete auf, „nur Schade
daß er taubſtumm iſt.“ Alſo doch nichts, dachte ich;
„neben ihm,“ fuhr er fort, „ſitzt ſein Bruder, der
alte Picutus, der wohnt in einem einſamen Hofe
am Canigou; er iſt ein verdächtiger Menſch, doch
habe ich ihn einladen müſſen, da er es ſonſt als
Geringſchätzung ausgelegt und ſich gelegentlich an mir
gerächt hätte.“ Nun war ich beruhigt, und ließ den
Mann fortſchwätzen, fo viel er wollte. Nach einer
Weile ſetzten auch wir uns zu Tiſche, und als bald
darauf alle Iſard-Jäger herantraten, mir für das
Souper die Hand zu ſchütteln und mit mir anzuſtoßen,
faßte ich meinen Mann ſcharf ins Auge. Niemand
hätte den berüchtigten Schleichhändler in dieſer einfach
derben, eher einfältigen Figur geſucht. Picutus,
dem Namen nach mir ſchon im Hoflager bekannt, war
mir noch beſonders von den franzöſiſchen Legitimiſten
in Toulouſe empfohlen worden. Er war der Einzige,
der es unternahm größere Transporte von Waffen und
Munitionen nach Catalonien zu ſchaffen. Warum
Ferer ihn nicht nach Perpignan zu unſerem Ueber-
gange berufen, habe ich nie ergründen können. Gewiß
II. 8
114
wären wir ohne Verluſt beider Pferde und Kiſten
davon gekommen, denn auch dieſe haben wir nie mehr
zu ſehen bekommen. Ehe wir uns zurückzogen, gab
ich Pieutus unbemerkt ein Zeichen. Als Alles
ſchlief, klopfte es leiſe an mein Fenſter. Ich öffnete
raſch und gewahrte zu meiner nicht geringen Verwun—
derung den alten Schmuggler, der auf dem Geſimſe
ruhig ſaß. Er hatte ſich mit ſeinen Gefährten auf
den Raſen vor dem Hauſe ausgeſtreckt, der miß—
trauiſche Wirth das Haus verſchloſſen und Pieutus
war genöthigt geweſen an einer naheſtehenden Pappel
auf mein Fenſter zu klettern. Unſere Lage hatte wirk—
lich etwas Eigenthümliches und wer von der Schlucht
aus hätte zuſehen können, würde ſie für das Stell—
dichein eines verliebten Abenteuers gehalten haben.
Bald waren wir eins. Für 500 Franken nahm
Picutus es auf ſich, Herrn von Meding und
mich ſammt meinem Diener und unſeren Effecten auf
cataloniſchen Boden zu bringen, und auch mein drittes
noch bei Perpignan ſtehendes Pferd über die Grenze
zu ſchaffen. Ich wollte ſogleich, und auf demſelben
Wege wie er, zum Fenſter hinaus klettern. Doch
war dies mit viel Schwierigkeiten verbunden, da
115
Herr von Meding ziemlich weit von mir, neben
dem Offizier, und mein Diener im Erdgeſchoſſe neben
den Hausleuten ſchliefen, der geringſte Lärm einer Enar-
renden Thüre aber das Gelingen des ganzen Unter—
nehmens gefährden konnte. Ueberdies verſicherte Picu—
tus beobachtet zu haben, daß die drei einzigen halb—
wegs „kletterbaren“ (man vergebe mir den Ausdruck)
Felſenſteige durch Douaniers beſetzt ſeien, deren Drei
ſich ſogar auf das Dach eines Nebengebäudes des
Badehauſes gelagert hatten, um jeden Verſuch einer
nächtlichen Flucht ſogleich erlauſchen zu können. Picu⸗
tus begehrte nur einen Brief an Ferer, damit mein
Pferd ihm ausgeliefert werde. Ich ſchrieb beim Mond—
lichte einige Worte mit Bleiſtift, und Pieutus vers
ſchwand in der Dunkelheit fo geräuſchlos als er ge—
kommen war.
Am nächſten Morgen weckte mich der Wirth um
fünf Uhr. Er war bereits reiſefertig und ſehr ge—
ſchäftig alles zu ordnen. Wir tranken den Coup
d’etrier und festen uns auf Maulthiere. Vier von
ihnen, mit Lebensmitteln zu ungeheuren Preiſen be—
laden, zogen nach. Es verſteht ſich, daß der Wirth
und Offizier mitritten. Die Jäger waren ſämmtlich
85
mit langen, meiſt einfachen Flinten verſehen, wie
ſie in Deutſchland nur noch bei Teichjagden ver—
wendet werden; mit geringer Ausnahme von alter,
wohl auch mit Silber und Perlmutter verzierter
Arbeit. Gegen neun Uhr hatten wir die Ge—
birgsſcheide erreicht, wo an den entgegengeſetzten
Enden eines großen Plateaus die beiden Senkungen
nach Spanien und Frankreich beginnen. Es war
bedeutend kalt; auf dieſen Höhen ſprießt nur ſpärliches
Geſtripp, Lichen und Rhododendron zwiſchen unge—
heuern, iſolirten Baſaltblöcken kümmerlich hervor. Am
Fuße eines Felſenkegels machten wir Halt; unſer Feuer
ſtörte an der Spitze niſtende Raubvögel und bald erho—
ben ſich majeſtätiſch ein paar koloſſale Königs-Adler,
die uns krächzend umkreiſten. Nach kurzer Raſt ward
aufgebrochen; ausgeſchickte Jäger hatten auf einer
Platte neun Iſards geſehen. Nach einer Stunde konn—
ten wir ſie mit Hülfe eines Fernrohrs erblicken. Wir
theilten uns und umgingen das Wild in weitem
Kreiſe; noch waren wir lange nicht auf Schußweite
gekommen, als die Iſards uns bemerkten und ſchnell
ſich hebend, öfters Richtung wechſelnd, uns zu ent—
kommen trachteten. Plötzlich durchbrachen ſie die Schü—
117
tzenlinie; zwei Schüſſe fielen und zwei ſtarke Iſard—
böcke ſtürzten in den Abgrund. Der eine ward durch
Herrn von Meding erlegt, der andere durch einen
alten Contrebandier aus der Cerdagne. Mit großer
Mühe holten wir unſere Beute hervor; an Verfolgen
der Uebrigen war natürlich nicht zu denken, da durch
die Schüſſe aufgeſchreckt, alle Iſards der Gegend weit
geflohen waren. Es wurden noch ein Dutzend weißer
Rebhühner und einige graue Hafen geſchoſſen. Mit-
lerweile lagerten ſich dicke, ſchwarze Wolken auf die
Gipfel der Felſen und in die, mit Steingerölle bedeck—
ten, kleinen Gebirgsthäler. Unſere Jäger kündigten
einen ſtarken Regenguß an, der Nachmittags auf die—
ſen Höhen gewöhnlich einzutreffen pflegt. Das erlegte
Wildprett ward eiligſt auf die Maulthiere geladen und
längs der Gebirgsſcheide ſchnell, in allmählicher Sen—
kung marſchirt, bis wir ein weites, etwas tiefer ge—
legenes Plateau (El plan de campomagre) mit kur-
zem Gras dicht bewachſen, erreichten. Hier lehnten
an Felsſpalten fünfzehn bis zwanzig kleine, vier bis
fünf Fuß hohe Baraken (hurdas), durch die Hirten
der transhumirenden, ſpaniſchen Schafe aus Lehm
und Stein aufgebaut; in deren Mitte eine Größere,
die Küchenbarake. Der einzige Bewohner dieſes kleinen
Dorfes war ein alter Hirt, der dieſe Baraken, mit den
darin befindlichen Utenfilien, während der Abweſenheit
ſeiner Gefährten bewachte. Dieſe bringen mehrere
Monate in Spanien zu und wechſeln dann auf fran⸗
zöſiſches Gebiet, wo ihre Heerden gegen eine kleine
Abgabe weiden. Obſchon denſelben Abend eine große
Heerde erwartet wurde, trat uns doch der alte Hirt
einige Baraken ab, in denen wir, ſo gut es ging,
uns zurecht machten, während in der Küchenbarake
an mächtigem Feuer, am Holzſpieße, eine Iſardkeule
briet und in dem einzigen, darüber hängenden Keſſel
Rebhühner und Haſen kochten. Wir wärmten uns,
aßen aus großen, vom alten Hirt ſelbſt geſchnitzten
Holzſchüſſeln und tranken in der Runde aus einem
cataloniſchen Schlauche (bota), indem wir nach der
Weiſe dieſes Landes den engen Zapfen auf eine gewiſſe
Entfernung vom Munde hielten und den Wein ein-
ſprützten. Das Mahl war bald vollendet; wir zogen
uns in die Schlafbaraken zurück und traten die mitt—
lere ihren rechtmäßigen Eigenthümern ab, die eben
bei eintretender Dämmerung in großer Anzahl, ihren
grauen Chef, Mayoral, an der Spitze, mit fünfzehn—
119
tauſend Schafen, einigen hundert Kühen und Ziegen
angezogen kamen. Die Hirte, bis über den Kopf in
ihre weißen Mäntel gehüllt, aus denen die braunen,
bärtigen Geſichter wild hervorblickten, in Felle geklei—
det und mit langen Stangen bewaffnet, würden, ohne
. ihre ſchweren Holzſchuhe, vollkommen Beduinen gleichen.
Bald war um uns her das regſte Leben. Das Vieh
lagerte um die Baraken, und trotz unſerer Müdigkeit
ließ das Geſchrei der Hirte, das Bellen der Wolfs—
hunde und das Blöcken der Heerde uns noch lange
keinen Schlaf finden.
Um ein Uhr Nachts hatte der Regen aufgehört;
es war mondhell; alles um uns her ruhte. Da er⸗
hob ſich der alte Picutus, lauſchte ob alles ruhig
ſei, und kam uns ſtill zu wecken. In kurzem ſchritten
wir zwiſchen den ſchlafenden Hirten und Heerden ſchweig—
ſam hinweg, nach der Gebirgsſcheide hin, das Gewehr
zur Hand, einer nach dem Andern. Uns folgten nur
vier Schmuggler, die unſer Gepäcke trugen. In der
Ferne ſahen wir einige Wachtfeuer lodern, um die
ſich einzelne Schatten bewegten. Wir bogen ihnen
aus. Nach zwei Stunden kamen wir zu einer einzelnen
Sennhütte, in einem auf dem franzöſiſchen Geſenke
gelegenen Heinen, halbverborgenen Thale. Hier mußten
wir deu Tag über verweilen. Ich ſchickte einen Con⸗
trebandier zum nächſten cataloniſchen Poſten, auf vier
Lieues Entfernung, ins Thal von Rivas, den Com—
mandanten von meiner Ankunft zu benachrichtigen, und
ihm die nöthigen Andeutungen wegen meines Ueber—
gangs zu geben. Dann legten wir uns zur Ruhe.
Picutus ſchob einen Stein vom Fußboden und nahm
aus einer unterirdiſchen Vorrathskammer ein zwölf
Pfund ſchweres Brod, einen Laib Käſe, ein paar
geräucherte Schinken und einige Flaſchen trinkbaren
Weines. Nachmittags kam ein Schmuggler, den
Pieutus bei den Hirten zurückgelaſſen hatte, und
brachte Nachricht von der Wuth unſerer Wächter,
als fie, Morgens aufgewacht, unſere Flucht gewahrten.
Sie hatten ſich nach langem Toben bequemen müſſen
nach la Preſte zurückzukehren, von den andern Jägern,
die übrigens an unſerem Entwiſchen ganz unſchuldig
waren, noch derb verſpottet. Nachts kam der nach
Perpignan abgeſandte Vertraute mit meinem Pferde.
Er brachte einen langen Brief Ferer's, worin unter
andern unverſchämten Forderungen er auch 200 Franken
Bezahlung für Transport der von den Bauern auf—
121
gefangenen zwei Pferde forderte, die er, als ohne Schuld
feines Guiden durch Nationalgarden arretirt, angab.
Nachdem wir meinem müden Thiere etwas Ruhe
gegönnt, brachen wir auf. Nach zwei Stunden über—
ſchritten wir von Neuem das Plateau und kamen
zu einer Kuppe, die aus loſem Geſtein und Gerölle
zu beſtehen ſchien. Ueber die wurde geklettert, dann
einen ſteilen Abhang hinab und einen Gemsſteig hinauf,
bis zu ſchwindelnder Höhe. Noch ein Abhang und
wir waren in einem engen, doch langen Gebirgsthal.
Als wir das andere Ende desſelben erreichten, graute
eben der Morgen; ein kleines Gebüſch lag vor uns;
wir ſchritten daran vorbei. Da blitzten aus dem
Gebüſche Gewehre und Bajonnete. Ein „Quien viva!“
ertönte; wir waren auf ſpaniſchem Boden. Es erhoben
ſich ein Dutzend Carabiniers von unſerer Grenzwache
(Resguardo). Ihr Chef Don Juan Trilla, Com-
mandante de armas in dem Thale von Rivas, hatte
mein Schreiben erhalten und harrte unſerer Ankunft.
Er verſicherte mich bereits an unſerem glücklichen
Uebergange gezweifelt zu haben, da franzöſiſcher Seits
die Wachſamkeit verdoppelt worden, und der chriſtiniſche
Commandant der Feſtung Campredon einige hundert
122
Mann an der Grenze ſtreifen ließ, uns zwiſchen fran—
zöfifchen Douaniers und feinen Soldaten, wie in einem
Netze, im Augenblicke des Uebergangs zu fangen oder
gleichſam auf der That zu ertappen; eine angenehme
Alternative, der wir glücklich entgangen waren.
III.
Die Carabiniers der ſpaniſchen Douane. — Zug in den Gebirgen
bis Nivas. — Reminiscenzen der Catalonier an das Haus Defters
reich. — Scharmützel in der Rectoria de Fuſtina. — Diner des
Ayuntamiento von Gumbren. — Drei weibliche Generationen in
Puch Bo. — Anblick des Monſerrat. — Militäriſche Etabliſſe⸗
mens in Borrada. — Berga. — Ankunft in Caſerras, dem Haupt:
quartier des Grafen de Eſpana. — Seine Umgebung. — Der Graf
de Eſpana. — Meine Wohnung vor den Vorpoſten. — Ein Tag
im Hauptquartier.
(Zweite Hälfte September 1838.)
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Trotz dem, daß wir ſpaniſchen Boden erreicht,
war unſere Stellung doch noch keineswegs geſichert.
Wir hatten einen ſtarken Tagmarſch über die unweg—
ſamſten Berge und Schluchten vor uns, ehe wir das
nächſte carliſtiſche Dorf, Cerat, erreichen konnten, da
alles offene Terrain, alle bewohnten Thäler und be—
tretenen Wege vermieden werden mußten, die wohl für
einzelne Contrebandiers, nicht aber für uns zugänglich
waren. Die beiden Thäler von Rivas und Llanas,
die von dem Coll de Fineſtrelles und dem Coll de
Arria in den Pyreneen, in paralleler Richtung, ſich
bis zum Flußgebiet des obern Ter ausdehnen, wurden,
als gewöhnliche Uebergangspunkte der Carliſten beſtändig,
von dem Feinde ſorgſam beobachtet. Durch die drei
Feſtungen Puigeerda, Campredon und Ripoll, die im
Triangel das Thal von Rivas einſchließen, förmlich
126
in Schach gehalten, war es den in dieſem Thale
ſtationirten Carabiniers unmöglich auch nur zwei Nächte
ununterbrochen in demſelben Dorfe zuzubringen. Don
Juan Trilla, ihr Commandant, wendete deßhalb
eine eigene Tactik an. Sobald er mit ſeiner, aus
etwa 25 Mann beſtehenden Mannſchaft, in einen Ort
einzog, mußte das Ayuntamiento für ſeine Sicherheit
haften. Alcalde und Regidoren poſtirten ſonach Wachen
auf die dominirenden Punkte oder den Kirchthum, oder
verſahen in kleineren Orten wohl ſelbſt dieſen Dienſt,
die Carabiniers von jeder Annäherung des Feindes in
Kenntniß zu ſetzen, die dann in entgegengeſetzter Rich—
tung, nach echtſpaniſcher Weiſe, mit eben ſo großem
Stolz und Selbſtgefühl abzogen, als ob ſie dem Feinde
entgegenmarſchirt wären. Die Nacht brachte Trilla
gewöhnlich in einem einſamen Landhauſe (Cazerio)
oder einem einzeln ſtehenden fortifizirten Pfarrhauſe,
(Rectoria) zu, deſſen Einwohner erſt bei Ankunft ihrer
Gäſte erfuhren, ſie würden ſie zu beherbergen haben.
Dann ſchloß man ſofort Thore und Thüren, Fenſter—
laden und bis auf die Stalllöcher, und ließ Niemand
mehr aus dem Hauſe, bis die Truppe abgezogen.
Dieſe Carabiniers waren die Nachfolger der altſpa—
127
niſchen Douane, die unter dem Namen Resguardo längs
der Pyreneen und der portugieſiſchen Grenze und als
Guarda Coſtas an allen Küſten aufgeſtellt, den Schleich⸗
handel abwehren ſollten, der ſeit undenklichen Zeiten zu
Lande und zu Waſſer an den ſpaniſchen Grenzen größer
und kühner betrieben wird, als je in einem andern Lande.
Seit dem Kriege ſchaffte man ſie carliſtiſcher Seits meiſt
ab und verſchmolz ſie mit den Linientruppen. Nur an
der navarreſiſch⸗franzöſiſchen Grenze wurden einige Com⸗
pagnien Invalide zu dieſem Zwecke verwendet und un⸗
eigentlich als Resguardo bezeichnet. In Catalonien
hatten ſie ſich jedoch, wenn gleich mehr nominell, ſtets
erhalten. Vor Ankunft des Grafen de Eſpaña war
die Haupt⸗ oder vielmehr einzige Beſchäftigung der
wenigen carliſtiſchen Carabiniers die zahlreichen Maul⸗
thier⸗Caravanen aufzuſpüren, die aus Gerona, Figue⸗
ras und den cataloniſchen Binnenſtädten durch den Lam⸗
pourdan, mit Waaren ſchwer beladen, nach Frankreich
zogen oder von dort zurückkehrten. Sobald ſie Kennt⸗
niß von einem ſolchen Zuge erlangt, und ſicher waren,
daß kein ſtarker Truppen⸗Convoi ihn bedecke, wurden
durch mehrere Nächte oft gegen fünfzig ſpaniſche Leguas
zurückgelegt, Tags in einzeln ſtehenden Hütten oder in
128
Schluchten ausgeruht, endlich der Convoi überfallen
und in aller Form rançonnirt. Die Ballen wurden
gezählt, abgeſchätzt, das altſpaniſche Douane-Regle—
ment hervorgeholt, was Gegenſtände des Kriegsbedarfs
ausmachte confiscirt, und das Uebrige nach geſchehener
Entrichtung des legalen Zolls frei gelaſſen; auch den
Maulthiertreibern (arrieros) eine regelmäßige Quit⸗
tung und Beſcheinigung, auf gedrucktem Formular,
mit Siegel und Unterſchrift übergeben. Die Chefs
des königlichen Resguardo, die doch de facto nicht
viel von Räuberhauptleuten differirten, würden ſich
über einen ſolchen Vergleich höchlich beleidigt gefühlt
haben, da ſie doch Alles nach beſter Form Rechtens
unternahmen.
Graf de Eſpana, der die Wichtigkeit dieſes
Corps erkannte, vermehrte es bis auf ſechshundert
Mann, die in acht Compagnien eingetheilt, ihren
Aufenthalt in den vom Feinde beſetzten Landftrichen
nehmen, und für Eintreibung regelmäßiger Steuern
aus den feindlichen Plätzen, Sorge tragen mußten.
Dieß war in Catalonien von um ſo größerer Wichtig—
keit, als außer den acht großen Feſtungen, jede Corre—
gimental-Hauptſtadt, alle Städte, Flecken und Dörfer,
129
die einiges Intereſſe wegen ihres induſtriellen oder
Grundreichthums boten, vom Feinde befeſtigt waren.
Von den im Hoflager eintreffenden fremden Subſidien,
wurden für Catalonien und Aragon nichts oder nur
ſehr unbedeutende Summen verwendet, ſo daß, wenn
Graf de Eſpanña nicht Mittel gefunden hätte, die
vom Feinde befeſtigten und beſetzten Orte, über zwei—
hundert an der Zahl, zur regelmäßigen Einzahlung
ihrer Abgaben zu zwingen, die Kriegskaſſen auf Erpreſ—
ſung der armen, den Carliſten ergebenen oder von ihnen
beſetzten Gebirgsſtriche oder auf den Ertrag iſolirter
Streifzüge (den algieriſchen Razia's gleich) beſchränkt
geweſen wären. Dieß hätte natürlich alle Ordnung und
Diseiplin unmöglich gemacht, die doch in dieſer Provinz
mehr als in jeder andern nothwendig war. So aber
brauchte nur eine Abtheilung Carabiniers ſich in der
Nähe eines, mit ſeinen Steuern rückſtändigen, Ortes
zu zeigen, um daß ſofort, an bezeichneter Stelle und
Zeit, durch einen Einwohner, oft mit deſſen Lebensge—
fahr, die genau beſtimmten Summen pünktlich abge—
liefert wurden. Die Einwohner wußten zu gut, daß
alle ihre bewegliche und unbewegliche, außerhalb der
Mauern ihres Wohnortes gelegene Habe für die
II. 9
130
pünktliche Zahlung haften mußte, auch wenn dieſes
ihr Eigenthum ſich innerhalb des Bereiches chriſtini—
ſcher Kanonen befand. Hingegen war unter Eſpañ a
ſo große Mannszucht eingeführt, daß jede Verwüſtung
oder Plünderung, ſelbſt feindlichen Beſitzthums, ſtreng
beſtraft wurde, wenn der Eigenthümer die fixirten
Abgaben tadellos entrichtet hatte.
Die Züge des Resguardo ſtreckten ſich durch ganz
Catalonien aus, von den Pyreneen bis zum Ebro, von
den Gebirgsthälern an der Grenze des Obern Aragon
bis zu den reichen Küſtenſtädten, und nicht ſelten brach—
ten kleine Abtheilungen mehrere Tage auf eine Viertel-
ſtunde von Barcelona zu, in irgend einer reichen und
eleganten Villa. Alle Stege und Schluchten waren
ihnen genau bekannt, ſo daß ſie bedeutende Vorſprünge
vor den, ſie oft auf allen Seiten verfolgenden Linientrup⸗
pen gewinnen konnten, da nur ſelten Bauern, beſonders
im obern und gebirgigen Catalonien, es wagten dem
Feinde als Führer zu dienen. Ihr beſchwerlicher und
mit Gefahr verknüpfter Dienſt erforderte beſtändige
Wachſamkeit und einen gewiſſen Grad von Schlauheit;
dem ungeachtet wurden ſie ſtets von der Linie mit
ſcheelem Auge und Geringſchätzung betrachtet. Sie
131
ſtanden direct unter dem Intendanten (Finanz-Chef)
der Provinz und hatten mit den militäriſchen Behörden
nichts zu ſchaffen.
Don Juan Trilla, ihr Commandant, der
Offizier, den ich an der Grenze getroffen hatte, ge—
hörte eigentlich nicht zu dieſem Corps, ſondern war
Oberſtlieutenant in der Linie und Commandant (Co-
mandante de armas) im Thale von Rivas. Graf
de Eſpana hatte nehmlich, in allen vom Feinde nicht
beſetzten Plätzen und Thälern, Commandanten einge—
ſetzt, die den Carabiniers hülfreiche Hand leiſten, die
Freiwilligen ins Hauptquartier befördern, die Cor—
reſpondenz weiter beſorgen und ihn von Allem was
vorfiel, ſogleich in Kenntniß ſetzen ſollten. Ein ſolcher
Commandanten-Poſten, ohne aller Mannſchaft, war
eine der fatalſten Poſitionen die man ſich denken
kann; denn mit Ausnahme der ödeſten Hochgebirge,
wo der Feind nie hinkam, aber auch nichts zu thun
war, mußte der unglückliche Commandant das ganze
Jahr auf der Lauer ſein, um vom Feinde nicht
überfallen zu werden; alle Ausſicht eines Wider—
ſtandes, Kampfes, militäriſchen Vortheils war ihm
ein für allemal benommen und ſeine Dienſtthätigkeit
9
132
mit beſtändiger Flucht, innerhalb eines gegebenen klei—
nen Terrains, innig verknüpft. Mich hätte ein ſolcher
Poſten zum Wahnſinn bringen können. Der ehlliche,
alte Trilla, ein Offizier aus dem Independenzkriege,
ſchien jedoch ſeine Stellung nicht aus dieſem Geſichts—
punkte zu betrachten, ſondern von ihrer Wichtigkeit
vollkommen durchdrungen, um ſo mehr als Graf de
Eſpana eine Abtheilung Carabiniers mit einem Lieu⸗
tenant ausnahmsweiſe unter ſeine Befehle geſtellt hatte,
um die Communication mit Frankreich offen halten,
und die Correſpondenz dahin beſorgen zu können.
Nach kurzem Halte in einer Höhle, die den Cara—
biniers oft zum Aufenthalte gedient, ſetzten wir unſern
Marſch fort. Noch hatten wir eine kleine Sedition
der Schmuggler zu dämpfen, die mit ihren Maul⸗
thieren umkehren wollten, da ſie behaupteten nur bis
zur Grenze gedungen zu fein. Piecutus, der
einzige vernünftige, ſtellte ihnen vergebens mit großem
Schwall von Worten vor, daß ſie uns wenigſtens bis
Cerat folgen müßten, wo wir andere Thiere requiriren
könnten. Sie wollten von nichts hören, warfen unſere
Packtaſchen und Mäntel zu Boden und ſchwangen ſich
auf ihre Maulthiere, zurückzureiten. Ich lag mit Herrn
133
von Meding und Trilla um ein Feuer am Eins
gange der Höhle, und achtete nur wenig dieſes Streites.
Als er nun lebhafter wurde, und wir um den Grund
frugen, erwiederte einer der Meuterer, ſie müßten
noch 500 Franken, zu der erſtbedungenen gleichen Summe
erhalten, die einer von ihnen ſofort nach Frankreich
zurückbringen würde; dann wollten die Andern uns
folgen. Statt aller Antwort ließ Trilla ſeine Leute
formiren und auf die zum Abreiten bereiten Schmugg—
ler anſchlagen. Da wendete ſich das Blatt augen-
blicklich und ſie folgten ohne Widerrede, freilich mit
den verdrießlichſten Geſichtern. Mir war dieſe Art
Schlichtung ſehr erwünſcht, denn der Marſch war ſo
ermüdend, daß die Ausſicht ihn zu Fuße zu machen,
wenig erfreulich geweſen wäre; mein Limouſiner Schim=
mel aber, war noch zu müde um mich tragen zu können.
Spät Abends langten wir in Cerat an, nach-
dem wir beſtändig über die höchſten Kämme und durch
die engſten Schluchten gezogen und nur ſelten, auf
großen Entfernungen, ein Gebirgsdorf oder eine einzelne
Kapelle geſehen. Ich ritt ein hochbeiniges, ungelenkiges
Maulthier, dem ich eine engliſche, mit meinem Pferde
gekommene Pritſche aufgelegt hatte. Trilla trabte
134
auf einem kleinen Pony neben mir, und konnte nur
ſchwer meinem Baßgänger folgen. In Cerat endlich
ſpät Abends angelangt, zahlte ich die Schmuggler
aus und war froh ſie los zu ſein.
Am nächſten Tage waren wir mit Sonnenauf-
gang auf den Beinen. Die Carabiniers hatten bereits
die nöthige Anzahl Saumthiere herbeigeſchafft, und
wir ſtiegen in das lange, grüne Thal von Rivas hinab,
wo ich zuerſt wieder einigermaßen Catalonien erkannte,
wie es mir aus der letzten Campagne in Erinnerung
geblieben. Alle Abhänge der Berge waren mühſam
bebaut, im Thale künſtliche Triften angelegt, und über—
all Spuren des Kampfes menſchlichen Fleißes mit
undankbarem Boden und der Wuth der Elemente zu
erkennen. Bei der feierlichen Stille dieſer einſamen
Gebirgsthäler hörten wir hellklingend, in ſchwindelnder
Höhe, den Spaten dieſer betriebſamen Leute auf dem
Geſtein aufſchlagen, den Boden zu lockern; wenn wir
aufblickten ſahen wir hoch über unſern Köpfen, oft an
Stricken hängend, die cataloniſchen Gebirgsbauern lange,
ſchmale Felder bearbeiten, die Bändern gleich, rothbraun,
zwiſchen vorragenden, grauen Baſaltblöcken abſtachen.
Die grellrothe Mütze (gorra) und das in der Sonne
155
blinkende Eiſen, machten fie von weitem kenntlich.
Auf den ſteilen Gebirgspfaden, ſo ſchmal, daß oft
nur ein Fuß vorſichtig vor den Andern geſetzt werden
konnte, begegnete man ihren Frauen, die meilenweit
auf den Köpfen das Mittag-Eſſen den Arbeitern zu—
trugen. Mit glockenheller Stimme ließen ſie die
Lüfte von cataloniſchen Geſängen widerhallen, unter—
brachen ſich durch ein „Va con Deu“ und boten ſtets
aus dem Porron, der früher beſchriebenen Schnabel—
flaſche, den vorbeimarſchirenden Carliſten zu trinken
an. Nach ſechsjährigem Kriege hatte die Sorgloſig—
keit und Betriebſamkeit dieſes Volkes etwas weh—
müthiges. Sie ſäeten und wußten nicht ob ſie ärndten
würden, und wenn Saat und Aerndte im Schweiße
ihres Angeſichts und mit beſtändiger Lebensgefahr ihnen
gelungen, ſo wußten ſie meiſt nicht, ob es ihnen
gegönnt ſein würde, die Früchte ihrer Anſtrengung
ungeſchmälert und in Ruhe zu genießen. Heute von
Streifcorps der einen Partei, und Morgen von denen
der Andern heimſucht, waren ſie, außer dem gewöhn—
lichen Jammer jedes Krieges, noch den brutalen Miß—
handlungen, den Grauſamkeiten ausgeſetzt, die dem
ſpaniſchen Bürgerkriege, wo er durch GuEérillas
136
geführt wird, einen eigenen, wüthend thieriſchen Charak—
ter primitiver Rohheit geben. Kein Thal, kein noch
ſo kleiner Ort iſt in jenen Gegenden anzutreffen, der
nicht gräßliche Spuren von Mord und Brand, von
Ruine und Verwüſtung an ſich trüge. Am Eingang
des Thales von Rivas ſahen wir, uns gleichſam als
Vorgeſchmack zu dienen, das Kloſter Santa Maria
de la Nulia, jetzt nur mehr öde Mauern, an denen noch
Zeichen von Brand und Kugeln ſichtbar, ſtumme
Zeugen jüngſtvergangener Gräuel. Wir marſchirten
bei dem befeſtigten Pfarrhauſe von Queralps vorbei,
das fein Dorf, einer militäriſchen Anlage gleich, förm—
lich dominirt, längs des kleinen Fluſſes Rivas hin,
der ſich in den Ter ergießt.
Nach einigen Stunden kamen wir nach Rivas,
einem ziemlich bedeutenden Markte. Dieſes gute Volk,
durch lange Leiden frohen Hoffnungen nicht entwöhnt, ſah
in jedem höhern Offizier, der aus dem Hoflager kam,
einen Helfer, der Frieden, Geld, oder doch wenigſtens
irgend eine tröſtliche Nachricht mitbringen werde. So ge—
ſchah es auch mit mir. Am Thore von Rivas empfingen
mich die Geiſtlichkeit und das Ayuntamiento mit möglich—
ſter Feierlichkeit. Der Alcalde und die Regidoren trugen
137
die Zeichen ihrer Würde, breite rothe Bänder en
echarpe, den Ordensbändern der Großkreuze gleich;
auf der Bruſt in Gold das Wappen des Ortes geſtickt.
Dieſe Bänder (bandas) ſind in ganz Catalonien üblich
und werden vom abtretenden Magiſtratsbeamten ſeinem
Nachfolger überliefert. Die Verleihung der bandas
geſchieht von Barcelona aus, durch den General-Capi⸗
tain. Viele ſind ſehr alt und datiren von Philipp V.
oder Carl VI. von Oeſterreich. Letztere haben alle
den kaiſerlichen Adler, ſo wie die cataloniſchen Häuſer,
welchen dieſer Gegenkönig Adelstitel verliehen, den
doppelköpfigen Adler hinter ihrem Wappen führen.
Wenn ich hier von der chronologiſchen Ordnung
in meiner Erzählung abweiche, ſo mag es in Anbe—
tracht des beſondern Reizes verziehen werden, den die
öſterreichiſchen Anklänge und Reminiscenzen für mich,
als Deutſchen, haben mußten. Sie ſind in Catalonien,
dieſem dem Hauſe Oeſterreich ſo lange treu ergebenen
Lande, bis auf den heutigen Tag in ſo friſchem, leb—
haften Andenken geblieben, als wäre es kaum zwan—
zig und nicht hundert und zwanzig Jahre her, daß
der letzte Habsburger unter ihnen gewaltet. Keine
einzige Erinnerung iſt ſeither bei den Cataloniern ver—
138
wiſcht; ſie gehorchten den bourboniſchen General-
Capitainen, die nach dem Suceeſſionskriege von
Madrid aus ihnen beſtellt, ſtets hart mit ihnen ver—
fuhren, doch im Grunde ihres Herzens wünſchen ſie
die Dynaſtie zurück, unter der Spanien die höchſte
Stufe ſeiner Glorie erreichte. Bis heute hoffen die
Gatalonier eine Rückkehr der Casa de Austria, und
als vor ungefähr zwei Jahren das Gerücht ſich ver—
breitete, die Infantin Sfabella würde ſich mit einem
Erzherzog von Oeſtreich vermählen, hat dieß in ganz
Spanien, beſonders aber in Catalonien, eine tiefe
Senſation hervorgebracht. Ich weiß nicht, ob Don
Carlos und Chriſtina daran denken, durch eine
Vermählung der Königin de fait mit dem Thron⸗
erben de droit, Spanien einen ſtabilen Frieden zu
ſchenken, alle Parteien zu verſchmelzen; aber einen
gefährlicheren Rivalen könnte der Prinz von Aſturien
nicht finden, als wenn ein Erzherzog in die Schranken
träte.
Von dieſer Anhänglichkeit an das Haus Defter-
reich und dieſem ſtarren Glauben an ſeine Rückkehr,
hatte ich Gelegenheit mehrere, mitunter ſeltſame Be—
weiſe zu erleben. In einem Städtchen, wenige Meilen
139
von Barcelona, Cardedeu genannt, wohnte eine wohl—
habende Bürgerfamilie; der Großvater lebte noch 1818,
und oft iſt mir erzählt worden, daß er am Beginne
eines jeden Jahres wettete, daß bis zum Verlaufe des—
ſelben das Haus Oeſterreich über Catalonien herrſchen
würde. Ein Truthahn (cataloniſch gall d'indi) war
der Preis der Wette; am Weihnachtsabende mußte er
entrichtet werden, da an demſelben jeder gute Haus—
vater in Catalonien einen Truthahn auf ſeinen Tiſch
ſetzt, wie in Deutſchland eine Gans zu Martini. Dem
alten Großvater war dieſe Wette von ſeinem Vater,
Groß- und Urgroß-Vater überkommen, und manches
Jahr ſoll ſich Niemand im Orte gefunden haben, der
ſie eingehen wollte. — Eben ſo feſt hängt ein großer
Theil des cataloniſchen Adels an den öſterreichiſchen
Traditionen. Mehrere alte Familien, die durch die
habsburgiſchen Könige Titeln erhalten, haben nie vom
Hauſe Bourbon die Grandezza annehmen wollen, wie
z. B. die Grafen von Fonollär und die Marquis
von Centmanat. *)
*) Die Einbildungskraft des ſpaniſchen Adels, wenn von
ihren Titeln und Rangverhältniſſen, den Traditionen
140
Nun bin ich aber weit abgekommen von Rivas
und dem mich empfangenden Ayuntamiento, dem
der Alcalde voranſchritt, der außer dem großen Bande
noch ein dünnes, biegſames Stöckchen (la vara) trug,
das ausſchließliche Zeichen ſeiner Gewalt. Wenn der
König oder der General-Capitain in einen Ort ein-
ziehen und vom Ayuntamiento empfangen werden,
ſo beginnt der Alcalde, vor aller Anrede damit,
Sr. Majeſtät oder Excellenz als Zeichen des Gehor—
ſams ſeinen Stab zu überreichen, der ihm dann
ihrer Häuſer die Rede iſt, iſt bekannt und ſprüchwörtlich
geworden. Doch kann ich bei Erwähnung des Namens
Centmanat nicht übergehen, daß der Marquis, Chef
dieſer Familie, der auf mehreren Reiſen eine gewiſſe
Bildung erlangt hatte, mir einſt erzählte, ſein Name
komme daher, daß einer ſeiner Vorfahren hundert
gerüſtete Männer Carl dem Großen nach den Pyre—
neen geſtellt habe, worauf der große Kaiſer geſagt
haben full: „Cent Mann hat”. Der gelehrte und ver—
ſchmizte Rector der Univerſität Cervera, Domherr Tor—
rebadella berichtigte dieß aber dahin, daß der Mar—
quis allerdings von den durch Carl den Großen in
den Pyreneen eingeſetzten Cent-Männern abſtamme, die
deren Päſſe mit hundert Mann zu hüten hatten.
141
gewöhnlich ſogleich mit der Formel zurückgeſtellt wird,
„er ſei in würdigen Händen.“
Nachdem ich im Stadthauſe abgeſtiegen, und Man—
deln, Roſinen nebſt ſüßen Wein genoſſen, eine in jenen
Gegenden übliche Höflichkeit kleinerer Orte und der
Mittelklaſſe, begab ich mich in das mir beſtimmte
Quartier und ließ ein möglichſt ſomptuoſes Diner
herrichten, wozu ich das Ayuntamiento, Geiſtlichkeit
und Trilla einlud, die ſämmtlich über dieſe „fine za“
entzückt ſchienen. Doch konnten wir uns den Freuden
der Tafel nicht lange hingeben, da bei eintretender
Dämmerung meine ſämmtlichen Gäſte ſehr ängſtlich
wurden und mir unverholen zu erkennen gaben, daß
ſie meine unverweilte Entfernung gern ſähen, indem
meine Anweſenheit einen Beſuch der Chriſtinos, aus
einer der drei Feſtungen zur Folge haben könne. Auch
Trilla ſtimmte dieſem bei und verſicherte mich mit
unerſchütterlicher Ruhe, er habe ſeit Jahren nie in
Rivas geſchlafen, ſondern ſtets nur die hellen Ta—
gesſtunden dort zugebracht; jede Nacht ruhe er
in andern Landhäuſern oder Sennhütten (bordas).
Doch könnten wir ganz beruhigt ſein, es würde uns
an nichts fehlen, Abends Souper, Nachts ein Bett,
142
Morgens Chokolade, kurz wir würden alle Bequem—
lichkeit haben, wie in Madrid.
In kurzer Zeit war Alles aufgepackt und wir
ritten eine Viertelſtunde im Thale zurück, dann eine
Berglehne hinauf, ziemlich neugierig dieſe geheimen
Herrlichkeiten kennen zu lernen. Endlich kamen wir
vor eine anſehnliche Steinmaſſe, deren Formen wir
wegen der vollkommenen Dunkelheit nicht unterſcheiden
konnten. Einer der Leute Trilla's pfiff lange in
jeltfamer Weiſe, ohne daß eine Antwort erfolgte.
Endlich erzürnte Trilla, und alle, mir während des
Weges empfohlene Vorſicht, ja nicht laut zu ſprechen,
nun ſelbſt vergeſſend, ſchrie er aus Leibeskräften: „Senor
Rector (der Titel der Pfarrer, die in Rectorias wohnen)
wollen Sie mich denn die ganze Nacht, wie einen Hund
draußen laſſen; kennen Sie mich denn nicht, ich bin
Don Juan Trilla.“ Sogleich ward ein kleines
Fenſter, das ein, dem Klange nach eiſener Laden
geſchloſſen hatte, geöffnet, und eine heiſere, ſchläfrige
Stimme erwiederte: „Calla hombre (Schweigen Sie,
Menſch *) man könnte uns hören.“ Doch fingen
*) Der ſpaniſche Ausruf „hombre“ Menſch, kann eigent—
lich gar nicht gegeben werden; er wird in jedem Ge—
143
demungeachtet Rector und Trilla ſogleich an, halb—
laut und vorſichtig flüſternd ſich endlos zu becompli—
mentiren und nach aller altſpaniſchen Höflichkeitsformel
gegenſeitig ihre Dienſte anzubieten, ſo daß mir die
Zeit doch zu lange wurde und ich vorſchlug, den zwei—
ten Theil des Ceremoniels lieber am Küchenfeuer im
Hauſe vorzunehmen. Dies fand Anwerth und gleich
darauf hörten wir ein Hausthor öffnen; ich wollte
abſteigen und eintreten, doch machte mich Trilla
auf einen ſechs Fuß breiten, um das Haus gezogenen
Graben aufmerkſam. Nach einigen Augenblicken wur-
den von innen zwei Balken mit Brettern, einer kleinen,
ſehr adamitiſchen Zugbrücke ähnlich, über den Graben
geſchoben, und wir zogen ſämmtlich, mit Maulthieren
und Gepäcke, ins Innere der Rectoria. Unverweilt
wurde die Brücke wieder eingezogen, das große Haus—
thor geſchloſſen, dicke Balken quer vorgeſchoben und
müths⸗Affect als Aufruf gebraucht; der beleidigte,
geſchmeichelte, verwunderte oder erſchrockene Spanier
antwortet vor Allem mit „hombre.“ Doch iſt dieß
nur ein mehr familiairer Ausruf und mir z. B. wohl erin⸗
nerlich wie Alles in Barbaſtro (im Juni 1837) ſich über
den Brigadier Porredon (el Ros de Eroles) moquirte,
dem vor dem Könige ein „hombre“ entwiſcht war.
144
endlich auch noch eine eiſene Thür verriegelt, worauf
Alles ſo ſicher und ruhig, nur mehr auf Nachteſſen und
Schlafſtellen dachte, als wären die Wälle von Gibraltar
zwiſchen uns und den Chriſtinos.
Den nächſten Tag goß es ſo ſtark, daß wir beſchloſ—
fen in der Rectoria de Fuſtina zu verbleiben. Ich benützte
dieſe Zeit mein Journal nachzutragen, und war eben,
gegen Abend damit beſchäftigt, Herrn von Meding die
letzte Epiſode, unſern Uebergang über die öſtlichen Pyre—
neen, zu dictiren, als lebhaftes Geſchrei uns ſtörte; zu—
gleich ſtürzte der Rector ins Zimmer und ſchloß eilig
die ohnedies durch dicke Eiſenſtäbe vergitterten Fenſter
mittelſt eiſener Läden. „Los Negros“ war das Einzige
was er hervorzubringen im Stande war. Wirklich gewahr-
ten wir durch die einzige, hoch an der Wand des Vor—
ſaals offen gelaſſene Lukarne einen Haufen Peſeteros,“)
*) Peſeteros, die, aus Spaniern beſtehenden, freigeworbenen
Corps (Corps francs), wegen der Löhnung einer Peſeta
(vier Realen) die ſie täglich erhielten oder erhalten
ſollten, ſo genannt. Die Peſeteros beſtanden aus den
zügelloſeſten, undisciplinirteſten Banden, und waren
bei Carliſten und Chriſtinos gleich verrufen. Kein
einziger anſtändiger Offizier diente in dieſem Corps.
145
die aus Ripoll angelangt, uns aufforderten das Thor
zu öffnen. Trilla, auf einem Stuhl ſtehend, par-
lamentirte und rief ihnen zu, ſich zurückzuziehen, worauf
ſie, ihn für den Pfarrer haltend, mit grobem Geſpötte
über Tonſur und Callote erwiederten. Während dem
poſtirten ſich unſere Carabiniers an alle Fenſter und
Dachlöcher, die nach dieſer Richtung gaben, öffneten
ſie leiſe und feuerten auf ein gegebenes Commandowort
zugleich auf die lärmenden Peſeteros. Zwei Mann fielen,
einige Verwundete ſchleppten ſich mühſam fort und die
Uebrigen entflohen eilig; ihr Offizier rannte am ſchnellſten.
Nach dieſem kleinen Scharmützel war es nicht
möglich länger in dem Rectoria zu bleiben, da
wir vermuthen konnten, durch eine ſtärkere Trup⸗
penabtheilung, vielleicht ſchon am nächſten Morgen,
cernirt und ausgehungert zu werden, wenn gleich die
dicken Mauern des Gebäudes längern, aber gewiß
unnöthigen Widerſtand möglich gemacht hätten. So—
bald es daher ganz dunkel geworden, zogen wir ab,
und marſchirten mehrere Stunden bis zu einem ein—
ſamen Landhauſe, Bayell, wo wir den Reſt der Nacht
zuzubringen dachten. Doch kaum hatten wir uns zur
Ruhe begeben, als wir durch Feinde anderer Art
II. 10
146
gepeinigt wurden. Ein Heer von Ungeziefer fiel
dergeſtalt über uns her, daß an längeres Verweilen
nicht zu denken war. Sogar meine Carabiniers, die
an derlei Uebel gewöhnt, fie ſonſt mit ſtoiſchem Gleich⸗
muthe ertrugen, fanden hier die Anzahl zu unbeſchei—
den groß, und ſo ſetzten wir uns, nach kurzer Folter,
zerbiſſen und mit aufgeſchwollenen Händen wieder in
Bewegung. Als der Morgen graute kamen wir nach
Gumbren oder Gombreni, durch Maroto's Nieder-
lage (1836), worauf feine Flucht nach Frankreich
erfolgte, bei allen Carliſten in traurigem Andenken.
Dieſer Ort liegt in einer rothbraunen und erdfahlen
Sandvertiefung, von nackten, ſtarren Felſen umgeben.
Keine Spur menſchlichen Fleißes, kein Feld, kein
Baum iſt hier zu ſehen, und die aus Feldſteinen und
Erde elend zuſammengefügten Hütten, nieder und mit
flachen Schieferdächern, harmoniren zu den traurigen
Tönen der Gegend. Dieſer jammervolle Anblick erin—
nerte mich an die altcaſtiliſchen Pinaren; doch waren
wenigſtens verkrüppelte Bäume dort, aber hier nichts
als Sand und Fels. Vielleicht könnte man die Kie—
fern des ſchleſiſchen rechten Oderufers hin verpflanzen,
und dann gliche das Thal von Gumbren gewiß der
147
ammutbigen Gegend zwiſchen Groß -Strehlitz und
Lublinitz.
Als ich auf meiner Karte mich zu orientiren
trachtete, gewahrte ich mit Schrecken, daß unſer zwei—
maliger, unbequemer Marſch letzter Nacht uns nur
auf kaum zwei ſpaniſche Leguas von Rivas geführt
habe. Doch Trilla entſchuldigte ſich mit den noth—
wendigen Umwegen, den Feind irre zu leiten und von
unſerer Fährte abzubringen; mir ſchien es abſurd,
deßhalb in ſeinem Gebiete zu bleiben. Ich quartirte
mich im leidlichſten Hauſe ein, der Ruhe etwas zu
pflegen, wozu mir die Honoratioren von Gumbren
wenig Zeit ließen, die ſogleich nach meiner Ankunft
mich neugierig zu begaffen kamen und mit endloſen,
meiſt lächerlich unvernünftigen Fragen langweilten.
Noch iſt mir Eine erinnerlich, die damals in allen
Orten wiederholt wurde: ob es denn wahr ſei, daß
ein ruſſiſches Heer, bereits in Frankreich angelangt,
nächſtens in Catalonien eintreffen würde, um die
Chriſtinos zu vernichten. Ich hatte auf dieſe ſtereotype
Frage eine eben ſo feſtſtehende Antwort: „Dieß ſei wohl
möglich, da der Kaiſer ſehr mächtig und den Carliſten
gewogen ſei; übrigens werde der Graf de Eſpaña
10 *
es am Beſten wiſſen.“ — „Ja,“ meinten fie, „der weiß
Alles, aber ſagt nichts. Dem darf man nur antworten,
auf was er frägt.“ Der tiefe Eindruck, den der bloße
Name des alten Feldherrn bis in die gebirgigſten, ent—
fernteſten Theile Cataloniens ausübte, war wirklich
merkwürdig zu beobachten. Wenn in der eifrigſten
Unterredung, auch einer größern Anzahl Catalonier,
Jemand den Namen „Don Carlos de Eſpana“
hinwarf, war es als ob er einem Zauber gleich, Allen
in die Glieder führe und ihre Zungen lähmte. Jeder
ſah bedenklich vor ſich hin, Alle ſchwiegen, und nur
manchmal ſagte ein alter Gebirgsbauer, im Haſſe
gegen die reichen Küſtenſtädte ergraut: „Este acabara
con Barcelona.” )
Endlich ward ich mit guter Manier meiner Viſiten
los und konnte mich auf ein mit Maisſtroh gefülltes,
hoch aufſchwellendes Bett legen, das ich ſchon längſt
mit lüſternem Blicke betrachtet. Als ich nach einigen
Stunden, vollſtändig ausgeruht, den weiten Hausflur
betrat, der auch im kleinſten cataloniſchen Hauſe einen
unverhältnißmäßig großen Raum einnimmt, fand ich
*
*
*) Der wird mit Barcelona fertig werden.
einen langen Tiſch mit vielen Couverts gedeckt, und
meine Beſucher um denſelben ſtehend. Sie wollten
mir ein Diner geben und hatten mit hungrigem Magen
meines Aufwachens geharrt. Die dampfenden Schüſ—
ſeln, die ſogleich aufgetragen wurden, machten jedes
Ablehnen dieſer Ueberraſchung unmöglich, auf die ſie
ſich viel einzubilden ſchienen. Ich mußte alſo anneh—
men, wollte ich Geiſtlichkeit und Ayuntamiento nicht
gröblich beleidigen und ihnen einen ſchlechten Begriff
unzeitigen Stolzes geben. Ich kann nicht läugnen,
daß es mir peinlich war, dieſes arme Dorf in unge—
wöhnlichen Aufwand zu verſetzen, doch in das Unver—
meidliche mich fügend, nahm ich zwiſchen Pfarrer und
Alcalden Platz. Herr von Meding und Trilla,
auch der Lieutenant der Carabiniers, die Regidoren
und die Capläne der Kirche nahmen die übrigen Sitze
ein; ſogar mein Diener mußte ſich neben einem „del
Consejo (vom Dorfrathe) niederſetzen, der ihm unauf—
hörlich einſchenkte und ihn mit „Senor Ayuda de
Camara titulirte. Vor mir wurde ein ganzer gebra—
tener Schöps aufgeſtellt, der ſchon aus der Küche her,
ſtark nach Zwiebeln und Knoblauch roch. Vortreffliche
Forellen eines nahen Gebirgsbaches wären das Beſte
an dieſem Feſtmahl geweſen, wenn man fie nicht in
Del gefotten hätte. Vor uns als Fremde (wozu alle
übrigen Spanier, als nicht-Catalonier gezählt werden)
wurden Gläſer geſtellt. Als ich nun den landesüblichen
Porron ergriff und in weitem Strahl den dunklen
Wein zu meinem Munde führte, ohne den Glasſchnabel
mit den Lippen zu berühren, ſtieg ich bedeutend in
ihrer Achtung, während ſie nachſichtig über Herrn von
Meding lächelten, der nach vergeblichen Verſuchen,
die ihn von oben bis unten begoſſen hatten, zum
Glaſe zurückkehren mußte. „Este Cavallero no save
beber” jagte der Alcalde, pfiffig lächelnd zu mir
gewendet. Doch muß ich hier zur Rehabilitation
meines Reiſe- und Leidens-Gefährten erwähnen, daß
er in Kurzem dieſem Mangel durch fortwährende Ue—
bung abhalf. Als im Hauptquartier des Grafen de
Eſpana angelangt, Herr von Meding gewahrte,
daß Alle aus dem Porron dort tranken, nahm er
in unſerer Wohnung förmlich Leetionen, indem er
einen mit Waſſer gefüllten Porron, das Waſſer ſtets
wieder ausſprützend, ſo lange ſchwang, bis er die
nöthige Geſchicklichkeit des An- und Abſetzens voll—
kommen erlangt. Dieſe Porrons, auf welche die echten
Catalonier viel halten, haben ernfte Gonfliete mit den
Basken und Navarreſen, während den verſchiedenen
Expeditionen, herbeigeführt. Jeder Catalonier bietet
nämlich, nicht nur beim erſten Eintritte in ſein Haus,
ſondern auch vorbeiziehenden Truppen den Porron an,
doch wehe dem, der den Schnabel mit den Lippen
berührt, das gilt als ſchwere Beleidigung. So ſah
ich einſt eine cataloniſche Bauerfrau dem General
Villarreal, dem dieſe Particularität nicht gegen—
wärtig war, den Porron aus der Hand reißen und zu
Boden werfen, daß er in tauſend Stücke 2 und
der Wein umherfloß.
Abends ſchlugen wir einen ziemlich betretenen
Weg ein, der fortwährend am Saume der Gebirge
gradatim, aber nur wenig ſteigend, durch mehrere
Dörfer ärmlichen Ausſehens bis auf ein grünes, mit
Kaſtanienbäumen bepflanztes Plateau führte, wo ein
regelmäßig gebautes Landhaus uns dieſe Nacht beher—
bergte, das mit allen Anzeichen größerer Wohlhaben—
heit den franzöſiſchen Fermen in der Sologne glich.
In der Villa de Puch-Vo — fo hieß unſer Nacht:
quartier — waren keine männlichen Bewohner, ſondern
nur drei weibliche Generationen, „Strohwittwen.“
IS
15:
Der alte Beſitzer von Puch-VBo, ein achtzigjähriger
Greis, war als Noyalift von den Chriſtinos nach Bar—
celona, von da nach Majorca geſchleppt worden, und
ſeit mehreren Jahren ſeine Familie ohne Nachricht von
ihm. Sein Sohn, der zeitweilige Eigenthümer, gehörte
zur carliſtiſchen Corregimental-Junta (in jedem der
dreizehn Corregimente Cataloniens waren Junten gebil—
det) und zog mit ihr in den Gebirgen herum; der
Enkel endlich, diente als Offizier in einem königlichen
Bataillon, das die Thäler des Urgel durchſtreifte. Ihre
drei Frauen, ſo verſchiedenen Alters (die älteſte war
über ſiebenzig, die jüngſte, ein anmuthiges Geſchöpf,
kaum zwanzig Jahre alt), harrten alle drei, mit der
zärtlichen Sehnſucht kurz vor den Honigwochen geſtör—
ter Bräute, der Rückkehr ihrer Eheherren; ließen ſich
aber dadurch nicht hindern, uns freundlichſt aufzunehmen
und für unſere Unterkunft Sorge zu tragen. Am
nächſten Morgen, vor unſerem Abritt, führte mich die
jüngſte meiner drei Wirthinnen, als die Rüſtigſte, die
Ruinen eines in der Nähe befindlichen mauriſchen
Caſtells zu beſehen, und erzählte mir eine hierauf
bezügliche Legende, die ich leider, halb zerſtreut zuhö—
rend, vergeſſen habe.
153
Als ich in die Villa zurückkehrte, fand ich meine
Carabiniers mit Abhäuten einiger Eichhörnchen beſchäf—
tigt, die ſie während meiner Abweſenheit erlegt hatten.
Sie wollten ſelbe für mein Mittageſſen aufheben und,
in Oel geſchmort, mir vorſetzen, was ſie als einen
königlichen Biſſen erklärten. Auch konnten ſie ſich von
ihrer Verwunderung nicht erholen, als ich es ablehnte
und erklärte, ich pflege dieſe Art Wildpret nicht zu
genießen. Vergeblich wiederholten ſie mir, es wäre ein
ſehr reinliches Thier, das nur die unſchädlichſten und
ſchmackhafteſten Dinge äße und viel Bewegung mache.
Am Ende waren ihre Argumente ganz logiſch, und es
iſt viel natürlicher, wenn man auf die Lebensweiſe der
Thiere zurückgehen will, Eichhörnchen, als Schweine
und Enten zu verzehren.
Allen ferneren Discuſſionen über dieſes Thema ein
Ende zu machen, — da Spanier gewöhnlich in derlei
Fällen unerſchöpflich zu ſein pflegen — ließ ich aufpacken
und nahm von meinen drei Wirthinnen Abſchied. Wenn
mythologiſche Vergleiche noch erlaubt wären, oder ich
ſiebenzig Jahr früher ſchriebe, könnte ich ſie zwar en
gros weder mit den Parzen, noch mit den Grazien ver—
gleichen, die übrigens meines Wiſſens ſich nie verehe—
154
licht, doch en détail würde es nicht ſo unpaſſend ſein,
da die zärtlich harrende Gattin No. I fo viel Aehn—
lichkeit mit den Parzen hatte, als No. III, meine
Begleiterin zum mauriſchen Caſtell, mit den Grazien.
Nach einigen Stunden zogen wir durch ein enges
Felſenthor, das den Fluß Rivas und eine ſchmale, in
den Stein gehauene Straße einengt. Zu beiden Sei—
ten, hoch im Fels, waren in vorſpringende Blöcke kleine
Höhlen und Fenſter durch Menſchenhand, mit unſäg—
licher Mühe gehauen; es ſollen die chriſtlichen Wacht—
häuſer zur Vertheidigung dieſes Paſſes gegen die Mau—
ren geweſen ſein. Sie haben ein eigenthümliches,
romanhaftes Anſehen und erinnerten mich an den
Verſteck, den Cooper in dem „Spion“ ſo weitläufig
beſchreibt. Unter dem Flußbett ſprudeln in der Nähe
dieſes Felſenthors ſalzige Quellen hervor, deren Waſ—
ſer, mit den Wellen des Rivas vermiſcht, ihm Sub—
ſtanzen mittheilt, deren Kraft und Wirkung ſich erſt
eine Strecke weiter verliert. Dieſe Flußſtelle unter dem
Paſſe wurde ſeit undenklichen Zeiten zum Baden
gebraucht, daher auch ſein Name: Puerto de los
banos.
Auf der andern Seite des Paſſes angelangt,
konnten wir das Caſtell San Antonio und die Feſtung
Ripoll, am Ende des Thales, vor uns ſehen. Wir
drängten uns an die Felſenwand, und marſchirten
Einer hinter dem Andern, nach Art der Maulthier—
treiber, ungeſehen zu bleiben oder wenigſtens unver—
dächtig zu ſcheinen. Bald verließen wir das Fluß—
gebiet des Rivas und erſtiegen den ſteilen Bergrücken,
der das Thal weſtlich begrenzt. Nach mehreren Win—
dungen und ſtundenlangem Klettern, erreichten wir
endlich ein, nur mehr durch einen iſolirten Kegel domi—
nirtes, ſehr hoch gelegenes Plateau. Vor uns lag,
einer Karte gleich, der größte Theil Cataloniens aus—
gebreitet; deutlich konnten wir zu unſern Füßen das
Flußgebiet des Ter mit ſeinen Krümmungen ſehen,
Vich, Gerona unterſcheiden und den Lauf des reißenden
Gebirgsſtroms beinahe bis zum Meere verfolgen.
Ueber die Berge, die ſeinen Thalweg ſcheiden, ſahen
wir hinweg auf den, einem Silberbande gleich, glän—
zenden Llobregat, der ſo reich und prachtvoll weite,
grüne Matten, üppige Felder, Hunderte von Dörfern
durchzieht. Doch in weiteſter Entfernung begrüßte ich
freudig meinen alten Bekannten aus vorjähriger Cam—
pagne, den ehrwürdigen Monſerrat, einem Könige des
Landes gleich thronend in ewiger Majeſtät; ernſt und
feierlich, hoch über alle Sierren ragend, ſchauten ſeine
Zacken zu uns herüber. N. S. del Monſerrat, dieſer
weltberühmte Wallfahrtsort, von allen ſpaniſchen Kö—
nigen heimſucht und beſchenkt, iſt die Schutzpatronin
des Landes. Auch wandten ſich alle Häupter gläubig
nach dieſem einzigen Berge; die mich begleitenden Ca—
talonier fielen auf die Knie, beteten laut und begehr—
ten von U. L. F. vom Monſerrat Schutz und Heil
für „ihr Land Catalonien“ (Vuestra tierra de Cata-
luna).
Nach kurzer Raſt, dieſem prachtvollen Rundge—
mälde, mehr noch als unſerer Ermüdung gegönnt,
warfen wir noch einen Blick nach der Kette der Pyre—
neen, die hinter uns den Horizent begrenzte, gleich—
ſam Abſchied von ihr zu nehmen. Dann ſtiegen wir
hinab in das kleine Thal des Merdanſol, der ſich
nach kurzem Laufe in den Llobregat ergießt. San
Lorenzo de Corubi, ein freundliches Gebirgsdorf, deſſen
wohlhabendes Ausſehen an die baſkiſchen Küſten
mahnte, ward links gelaſſen, und nach mehrſtündigem
Marſche ſchlugen wir unſer Nachtquartier in einem
eleganten Landhauſe auf, Villa Tubau genannt, ober-
157
halb des Dorfes San Jayme de Frontita. Am
nächſten Morgen kamen wir bei Zeiten nach dem
Städtchen Borradä, wo de Eſpana eine Commiſſion
zur ſchnellen Unterſuchung militäriſcher Vergehen ein—
geſetzt. Ihr Präſident, Oberſt Lacy, ein alter Be—
kannter aus dem Hoflager, kam mich aufzuſuchen und
war voll des Lobes, über die Thätigkeit und kräftigen
Organiſationen des Grafen. Ihre Folgen waren überall
kenntlich; ſo hatte er ſogleich nach ſeinem Eintritte in
Catalonien eine Militär-Erziehungs-Anſtalt in Bor-
rada etablirt. Sie war dazu beſtimmt, einem großen
Unweſen der ſpaniſchen Armeen zu ſteuern, das beſon—
ders in carliſtiſchen Bataillons ſehr um ſich gegriffen
hatte. Es liefen ihnen nämlich in großer Anzahl
Knaben von zehn bis zwölf Jahren nach, theils Sol—
datenkinder, theils ihrer Heimath Entwichene. Sie
gehörten Niemanden an, ſchliefen mit den Soldaten
im Bivouac, aßen aus der Ménage der Truppe, ohne
daß je Rationen für ſie verabfolgt wurden, und ſtahlen
bei jeder Gelegenheit den Bauern Lebensmittel und
Kleidungsſtücke. Dieſe Knaben ſanken durch die ſchlim—
men Einwirkungen dieſer regelloſen Exiſtenz und durch
beſtändiges Nichtsthun zu den allerniedrigſten Kreaturen
158
herab, für deren Laſter die deutſche Sprache keine
Bezeichnung hat. Sie wurden Granujas genannt. *)
Dieſe Kinder ließ de Eſpana in allen Bataillons
ſorgſam aufſuchen und in Borradä, 3 bis 4 Hundert
an der Zahl, verſammeln, wo ihnen eine regelmäßige,
militäriſche Erziehung gegeben ward. Die kleinen
Compagnien waren gut gekleidet, genährt; Unteroffiziere
und Offiziere ſubalterner Grade der Infanterie wurden
hieher beordert, die im Winter die Knaben unter—
richteten und einererzirten, im Frühjahr aber mit den
ausgezeichnetſten Zöglingen in das praktiſche Leben
des Krieges zurückkehrten. Ein höherer Stabs-Offizier
ſtand als Director der Anſtalt vor. Es war wirklich
erſtaunenswürdig, welche gute Früchte dieſe Einrich—
tung in ſo kurzer Zeit getragen hatte. Weder auf
dem alten Kriegsſchauplatze (baskiſche Provinzen und
Navarra) noch in Aragon ward jemals etwas Aehn—
*) Granujas heißen dem Wortlaute nach die Weinbeeren,
die im Grunde der Körbe, bei der Weinleſe liegen
bleiben; uneigentlich wird jede verdorbene Pflanze oder
abgefallene Frucht ſo genannt. Im Munde des Volkes
bedeutet Granuja „Nachleſer“ (glaneurs).
159
liches eingeführt, ſo nahe es auch lag; doch ſoll
Cabrera im Herbſte 1839 bereits den Befehl zur Er—
richtung eines ſolchen Inſtituts erlaſſen haben, und
nur durch die plötzliche Criſis der letzten Monate an
deſſen Ausführung verhindert worden ſein.
Nachdem Oberſt Lacy und mehrere andere, aus
früherer Zeit mir bekannte Offiziere mich lange in
Borrada aufgehalten hatten, kamen wir endlich gegen
Mittag nach Berga, dem damaligen Hauptſitz der
Carliſten in Catalonien und dem Centralpunkte ihrer
Operationen. Dieſe Stadt liegt unmittelbar am Fuße
einer hohen, aus Felskämmen geformten Sierra und
beherrſcht die ganze Ebene, die ſich von hier in ſüd—
licher Senkung bis an den Llobregat ausdehnt. Durch
Urbiztondo im Juli 1837 eingenommen, ging
Berga erſt am Ende unſerer Agonie (1840) verloren,
als Cabrera mit ſeinen Truppen ſich zurückziehend,
dieſes letzte Bollwerk des ſpaniſchen Royalismus ohne
Vertheidigung aufgab. Die Stadt war zwar an ſich
nicht bedeutend feſt, aber durch eine doppelte Ring⸗
mauer, Wälle, Gräben und einige vorſpringende Werke
leidlich vertheidigt. Deſto wichtiger war die Poſition
des Caſtells und der drei Thürme, welche letzteren
IE,
en
+ 3
160
von einander unabhängig operirten, und nach Art der
durch Erzherzog Maximilian von Oeſterreich Eſte
bei Linz Angewendeten, auf die dominirenden Höhen
gebaut, alle Zugänge beſtrichen und fo conſtruirt
waren, daß wenn auch zwei genommen würden, der
dritte ſich allein vertheidigen konnte. Torre de la
Petita und Torre de Fermama waren ſchon im vorigen
Jahre (1837) angebracht worden; an dem Dritten,
ungleich ſtärkern und größern, el General, wurde
noch gearbeitet, als ich nach Berga kam. Er war
durch de Eſpana angelegt worden und beherrſchte
die Stadt, die er in einen Scheiterhaufen verwandeln
konnte, falls ſie ſich ergeben hätte. Oberhalb Berga
erhebt ſich einer ſeiner ſteilen, zackigen Felſen, einem
gothiſchen Thurme mit ſeinen Zinken gleichend, die
das Eigenthümliche der cataloniſchen Berge bilden,
und die man in ihrer merkwürdigſten, vollkommenſten
Ausbildung an den Pies des Monſerrat wiederfindet.
Auf der höchſten Spitze des Felſens, ſenkrecht über
Berga, thront ein ehemaliges Kloſter. Daß die ſpa—
niſchen Klöſter, Einſiedeleien und Pfarrhäuſer, vor—
züglich in Catalonien, dieſer wildeſten Provinz der
Halbinſel, Caſtellen gleichen, habe ich bereits zu er—
161
wähnen Gelegenheit gehabt. Dieſelbe feſte Bauart
zeichnete das Convent von Carall aus, ſo daß es nur
wenig bedurfte, es in ein faſt uneinnehmbares Schloß
zu verwandeln, wo damals die Kriegsgefangenen auf—
bewahrt wurden. Die ſechshundert Bewohner des
Schloſſes Carall kletterten alle Morgen auf dem ein—
zigen, halbwegs gangbaren Fußſteige, der den Fels
hinaufführt, von ihrer luftigen Höhe herab, um Stein—
blöcke und Baumaterialien, zum Thurme el General,
herbeizuſchaffen und an deſſen Vollendung zu arbeiten.
Dieſe Bauten und die durch de Eſpaña
angelegten Fabriken aller Art Kriegsbedarf, gaben
zu jener Zeit, nebſt den drei Bataillons Garniſon,
Berga ein ſehr lebhaftes, thätiges Anſehen. Gouver—
neur der Feſtung war damals Oberſt Don Joſé
Pons, früher als Cabezilla unter dem Namen
Bep del Oli bekannt. Er wurde ein paar Wochen
ſpäter durch den General-Capitain plötzlich abgeſetzt
und ihm, nach einiger müßig zugebrachten Zeit, eine
Brigade anvertraut. Pons, dem der wichtige und
bequeme Poſten eines Gouverneurs von Berga beſſer
gefallen, hat ſich ſchändlich gerächt und thätig an der
Ermordung ſeines alten Feldherrn mitgewirkt. Gegen—
II. 11
162
wärtig ſoll er ſich in einem franzoͤſiſchen Depot auf-
halten, da Cabrera's Strafgericht ihn leider! nicht
mehr erreicht hat.
In Berga angelangt, ſtieg ich in einem ſchlechten,
ſchmutzigen Wirthshauſe ab, dem Beſten dieſer unſerer
cataloniſchen Reſidenz. Es führte damals die pompöſe
Aufſchrift: „Fonda de Carlos V.“ und hat ſeither
wohl Namen gewechſelt. Die Strenge, mit der Graf
de Eſpana darauf ſah, daß Niemand, der nicht
zur Garniſon der Feſtung gehörte, nicht einmal Offi-
ziere oder Beamte höheren Ranges, ohne einer von
ihm ſelbſt unterzeichneten Aufenthaltskarte, länger als
einige Stunden in Berga verweile, war mir bekannt,
daher ich ſogleich einen Carabinier an ihn abſandte,
in meinem Schreiben die Stunde meiner Ankunft an⸗
gab, und die unmittelbar nächſte als die meines Ab—
rittes bezeichnete, zugleich einige Briefe beilegte, die
ich an den Grafen abzugeben hatte. Hierauf gab
ich meinen Leuten und Pferden kaum die nöthige Zeit
ihr Diner, reſp. Futter zu verzehren, und noch vor
Verlauf der von mir ſelbſt anberaumten Stunde, war
ich ſchon außerhalb der Thore von Berga.
Das Hauptquartier des Grafen de Eſpana war
163
in Caſerras, einem Dorfe, zwei Leguas von Berga.
Gegen Abend traf ich ein, und hielt vor einem etwas
größern Bauerhauſe, das zwei Schildwachen als
die Wohnung des General-Capitains von Cata⸗
lonien bezeichneten. Sie gehörten zum Corps der
Minones (mozos de escuadra), in Catalonien und
Aragon von uralter Einrichtung, eine Art Gendar—
merie zu Fuß, aus den erprobteſten Männern beſtehend
und vortrefflich bewaffnet. Sie allein, ſechzig an der
Zahl, verſahen den Wachtdienſt beim General und
wurden, mit allen Schlupfwinkeln und Stegen wohl
vertraut, in den Gebirgen als Ordonnanzen und Boten
gebraucht. Ihre drei Unteroffiziere (cabos de mozos)
waren Lieutenants, und ihr Commandant oder Ser—
geant hatte Hauptmanns Rang. Sie ſind die ſchnellſte
und ausdauerndſte Fußtruppe, die mir je vorgekommen.
Oft habe ich den Grafen de Eſpaña zehn bis zwölf
ſpaniſche Leguas, in einem Zuge, ziemlich ſcharfen
Schrittes reiten, ja wohl ſtreckenweiſe traben ſehen,
und ſtets hielten die ihn escortirenden Minones gleichen
Schritt, ob bergauf oder ab. Sie wurden vortrefflich
bezahlt (vier Realen täglich) und vor aller übrigen
Truppe rationirt und verpflegt. Ihre Kleidung und
11
164
Armirung, den alten Traditionen getreu, war für
dieſe ſchnellen Märſche ſehr zweckmäßig. Sie trugen
blautuchne Spencer mit weißen, ſchmalen Treſſen und
Troddeln (brandebourgs) beſetzt, darunter ſcharlach—
rothe Weſten, der Hals blieb entblößt. Ein weites Bein—
kleid von dunklem, leinenen Stoff war unter dem Knie
feſtgehalten; lederne Gamaſchen und Sandalen complet—
tirten dieſe, für Gebirgsmärſche, klaſſiſche Tracht. Ein
niederer Korshut, nach Art der öſterreichiſchen Feld—
jäger, nur durch eine ſchmale, ſilberne Treſſe eingefaßt,
bildete ihre Kopfbedeckung. Ein kurzer Carabiner war
ihre Waffe; die Cartouſche, wie bei allen carliſtiſchen
Truppen, nach vorn geſchnallt, das Bajonnet rechts
daran. Jeder Minone trug an der linken Seite eine
lederne Taſche en bandouliere, ein diſtinctives Abzeichen
ſeiner Beſtimmung als Ordonnanz. Ganz maleriſch
nahm ſich der Mantel dieſer Leute aus, der dem
modernen Paletot nicht unähnlich, ein Oberrock mit
weiten Aermeln, auf der Schulter hängend, getragen
wurde. Dieſe Mäntel waren von dunkelblauem Tuche,
durchaus ſcharlachroth gefüttert und ebenfalls mit brei—
ten, weißen Brandebourgs beſetzt. Die Minones legten
großen Werth auf dieſes Stück ihrer Equipirung, das
165
einen marquanten Unterſchied zu allen übrigen ſpani—
ſchen Militärtrachten bildet; ſicher würden ſie ſich
herabgewürdigt, wo nicht entehrt geglaubt haben,
wenn man die geringſte Aenderung an ihren Mantel
gebracht, oder gar ihn mit dem gewöhnlichen Mili—
tärmantel vertauſcht hätte. Minones zu halten, war
ein ausſchließliches Recht der General-Capitaine und
der regierenden Junta in Corpore. Oft habe ich in
Gedanken — wohl uneigentlich — fie römifchen
Lictoren verglichen, wenn am Eingange eines Ortes,
maleriſch in ihre Mäntel drapirt und den Carabiner
auf der Schulter, ich die Minones paarweiſe vor
dem Grafen de Efpana einher fehreiten ſah.
Der untere Hausflur und Hofraum ſeines Hau—
ſes in Caſerras war mit Minones, Ordonnanzen von
verſchiedenen Truppencorps, Bauern die mit Geſuchen
kamen, und Pferden angefüllt. Eine große Anzahl
Offiziere, zum Theil die abenteuerlichſten Geſtalten,
füllten den obern Hausflur, der, ſehr geräumig, den
ungleich größern Theil des Hauſes einnahm. Die
Meiſten drängten ſich um einen langen Tiſch, an dem
einige junge Offiziere ſchrieben; andere ſpazierten auf
und ab, leiſe flüſternd. An den Wänden und in den
166
Ecken waren Montirungsſtücke, Gewehre, Gavallerie-
ſäbel, und unter andern thurmhoch, blechene Kochbüch-
ſen aufgehäuft, die vertheilt werden ſollten, da alle
Erzeugniſſe der, durch de Eſpana angelegten Fabriken,
erſt einige Tage in ſeiner Wohnung liegen bleiben
mußten, in Momenten der Muße von ihm genau
geprüft zu werden.
Nachdem ich alle Geſtalten um mich oberflächlich
gemuſtert, fand ich auch kein einziges bekanntes Geſicht,
was mir im erſten Momente fatal genug war. Da
dieſe Herren keine Notiz von mir zu nehmen ſchienen,
warf ich meinen Mantel ab, den man bekanntlich in
Spanien, wie in andern Ländern den Hut oder Stock,
überall mitſchleppt, und trat an den Tiſch. Die nun
an meinem Rocke ſichtbar gewordenen Abzeichen mei—
nes Grades, verſchafften mir etwas höflichern Em—
pfang. Ein junger Offizier trat auf mich zu und
ſagte, ich möchte doch warten, der General-Capitain
ſei mit dem Chef des Generalſtabes beſchäftigt; dar-
auf kehrte er zu ſeiner Arbeit zurück, und die Uebrigen
ſetzten ihre, aus momentaner Neugierde unterbrochenen
Converſationen fort, ohne ſich weiter um mich zu
bekümmern. Nachdem ich mich vergeblich um einen
167
ledigen Stuhl umgeſehen, mir auch keiner geboten
wurde, ergriff ich ein Pack Schriften und Karten,
die einen alten mit Leder beſetzten Fauteuil füllten,
legte ſie ruhig auf den Boden und dehnte mich gemäch—
lich darauf aus. Einige, die mir zunächſt ſtanden, im
Ganzen mochten ihrer an fünfzig ſein, ſahen ſich
hämiſch lächelnd an und wiſperten cataloniſch einige
Worte, aus denen ich entnehmen konnte, daß ſie mich
ſehr sans facon fänden. Da trat ein langer, hagerer
Fünfziger, bartlos und ſtumpfnaſig, mit ausdrucks—
loſem, blaſſem Geſicht, in den Saal und ſtellte ſich
ſteif und gerade in eine Fenſtervertiefung. Er trug
einen langen, olivenfärbigen Civil-Oberrock von dem
haarigen Stoffe, der früher unter dem Namen
Azor bekannt war. Rehfarbene Beinkleider, färbige
Cravatte mit ſpitzen, aufrechtſtehenden Hemdekragen
und ein runder ſchwarzer Hut, den er beſtändig mit
der flachen Hand glatt zu ſtreichen bemüht war, vol—
lendeten ſeine Toilette. Ich hielt ihn für einen Chirurg
oder Apotheker, bis einige Offiziere unter vielen Bück—
lingen ihm nahten, während ſämmtliche Sitzenden ſich
erhoben und Alles ihn mit „mi General“ anredete.
Da jedoch in der nächſten Secunde kein „Excellenz“
168
hinzukam, ſondern bloß „Usia,“ *) erholte ich mich
von meinem irrthümlichen Schrecken, in dieſer nichts—
bedeutenden Geſtalt meinen zukünftigen Chef zu ſehen.
Auch blieb ich ruhig in meinen Fauteuil gelehnt, trotz
der belehrenden Bemerkung des Offiziers, der mich
zuerſt angeredet hatte, es wäre der „Brigadier Segundo
Cabo“ (zweite General-Commandant). So ſah ich
denn das erſte Mal den General Joſé Segarra
vor mir, einen kränkelnden Myſanthropen, mit ſich
unklaren, ewigen Zauderer und Zweifler, der zu ſpät
Carliſt wurde, um ſehr bald zum Feinde überzugehen
und ein ruhmloſes Leben durch verbrecheriſche Deſertion
und ſchamloſe — aus Furcht geheim gehaltene —
Mitwiſſenſchaft am Morde de Efpana’s zu befleden.
Während ich dieſe traurige, unmilitäriſche Figur
betrachtete, die mit näſelndem Organ ihr Auditorium
mit Details ihrer Bruſtkrankheit unterhielt, öffnete ſich
eine kleine Seitenthür, und eine ſtarke, männliche
*) Usia, Abkürzung im Sprechen von Vuestra Senoria
(V. S.), Dienſttitel der Oberſten, Brigadiers und Ma—
vechaur de Camp, fo lange fie nicht durch ein Groß—
kreuz die Excellenz erhalten.
169
Stimme rief mich bei meinem Namen, indem einige
artige Worte in franzöſiſcher Sprache hinzugefügt
wurden. Obwohl ich Niemand ſah, brauchte mir doch
Keiner zu ſagen, daß ich endlich vor dem alten Feld—
herrn ſtehen würde, der mit eiſener Fauſt dieſe zügel—
loſen Banden meiſterte, vor denen ich ſo eben einige
Echantillons geſehen. Graf de Eſpana, damals ein
hoher Sechziger, doch noch ſehr kräftig und beweglich,
wenn nicht momentane Gichtanfälle ihn lähmten, war
ein Mann von unterſetzter Statur; ſeine vornehm
geformten Geſichtszüge hatten einen auffallend bourbo—
niſchen Schnitt; ſein Auge war freundlich und geiſt—
reich, doch in Momenten der Aufregung und Strenge
in dunkler, unheimlicher Gluth leuchtend. Kurzes,
weißes Haar umſpielte Stirn und Schläfe. Man ſah,
daß er viel auf äußern Anſtand und militäriſche Hal—
tung hielt; ſein Auftreten war impoſant und Ehrfurcht
gebietend. Als ich ihn zuerſt ſah, trug er einen blauen,
militäriſchen Oberrock ohne alle Abzeichen ſeiner Würde
und ohne Decorationen; auf einem Tiſche lag der Ge—
neralshut mit weißer Feder, ſein krummer Säbel und
ein ſpaniſches Rohr mit goldnem Knopfe, worauf das
Wappen ſeines Hauſes gravirt. Er konnte ſehr lie—
170
benswürdig und einnehmend fein, wenn er wollte.
Im fließendſten Franzöſiſch der beſten Geſellſchaft redete
er mich an, und entſchuldigte ſich damit er habe es
verlernt, da er es hier nur ſelten und ungern ſpräche,
worauf ich ſofort ihm ſpaniſch erwiederte, wir könnten
uns ja letzterer Sprache bedienen. Hierauf begann
in beiden Sprachen ein langes Examinatorium, aus
dem mir klar hervorging, der alte General ſei vor—
trefflich von meiner Dienſtzeit und meinen Leiſtungen
ſeit meinem erſten Eintritte in Spanien in Kennt⸗
niß. Endlich brach er plötzlich ab, erzählte mir, er
habe alle franzöſiſchen, viele navarreſiſche und caftilia=
niſche Offiziere weggeſchickt, und fragte mich mit
welchen Prätenſionen ich zu ihm gekommen. Ich er=
wiederte kurz, daß wenn er mir die Wahl zwiſchen
Lanze und Gewehr laſſe, ich zur erſteren als zu meiner
Waffe greifen würde, aber jedenfalls nur eines von
beiden begehre. — Von dieſem Moment an ward er
ſehr freundlich und mittheilend, und es ſchien mir faſt,
als ob meine Vorgänger mir das Terrain, durch lächer—
liche Anſprüche und übertriebene Forderungen, leicht
gemacht hätten. Wir ſprachen noch lange von hun—
dert Dingen; Graf de Eſpana erzählte gern und
171
launig, und fo dauerte unſere Unterredung mehrere
Stunden. Endlich ſah er nach ſeiner Uhr, lud mich
zum Souper ein und ging, ſich auf meinen Arm
ſtützend, in den Saal zurück. — So unleidlich das
in demſelben verſammelte Volk, ſeiner Anmaßung
wegen vor einigen Stunden geweſen, ſo wurden ſie
jetzt durch ihre kriechende Unterthänigkeit ganz un—
ausſtehlich. Nun wollte mich Jeder früher gekannt,
während der Campagne 1837 in Catalonien geſehen,
viel von mir gehört haben, und Herr von Meding
erzählte mir ſpäter, daß nach Maßgabe der längern
Dauer meiner Unterredung mit dem General-Capitain
die trotzige Kälte des verſammelten Haufens ſich, in
die zudringlichſte Complimentirwuth gegen ihn ver—
wandelt habe.
Nach einem wirklich vortrefflichen Souper, das
in jedem Lande der Welt dafür gegolten hätte, ließ
der General, Cigarren und ſtarken ſüßen Wein von
der cataloniſchen Küſte (vino del priorato) holen,
ſchwang den Porron und ſagte mir auf Deutſch:
„Auf die Geſundheit Ihres Königs!“ (des Königs
von Preußen). De Eſpana hatte nämlich die
Eitelkeit für Polyglott paſſiren zu wollen; auch
172
Sprach er wirklich ganz verſtändlich engliſch, deutſch
und italieniſch, nebſt dem franzöſiſchen und ſpani—
ſchen auch portugieſiſch, und mit merkwürdiger Ge—
läufigkeit, aber vielen monacalen Barbarismen latein,
was ihn, befonders dem Clerus gegenüber, ſehr ergötzte.
Nach einer Weile firirte er mich eine geraume Zeit
mit dem ihm eigenen, ſchelmiſchen Blicke, der (ſeine
Manen mögen es mir verzeihen) ſeinem Auge etwas
ſataniſches gab. Dann ſagte er mir im natürlichſten
Tone der Welt: „Ich habe kein Quartier für Sie
im Dorfe, alles iſt voll und ſchlecht; aber außerhalb
meiner Vorpoſten iſt ein Landhaus, das Ihnen con—
veniren wird.“ Die Zumuthung war allerdings wenig
beruhigend, wenn man wußte, daß auf 1½ Leguas
von Caſerras der Feind den Thurm von Valſaren
beſetzt hielt; doch blieb natürlich eine dankende Ver—
beugung meine einzige Antwort. Eine Partie Treſillo
(eine Art Whiſt), den Point um wenige Pfennige,
beendete den Abend; zwei Geiſtliche, der General—
Feldvicar der cataloniſchen Armee Don Joſé Sort
und der Domherr Torrebadella, Vocal der Junta,
waren die übrigen Mitſpieler. Spät Nachts ritt ich
nach meiner neuen Wohnung, einem geräumigen Land—
173
hauſe, in dem es ſehr wohnlich und anſtändig aus—
ſah und das einer reichen „adeligen Bauernfamilie“
angehört. Wer wahrhaft hiſtoriſchen Sinn hat, wird
dieſen Ausdruck verſtehen und ehren.
Am nächſten Morgen ſchickte ich meine Carabiniers
beſchenkt zurück und kaufte ihnen einen feiſten, ſchwar—
zen Pony ab, Herrn von Meding für den erſten
Augenblick beritten zu machen, da auch ſein Pferd
aufgefangen worden und wir ſonach Beide ſammt mei—
nem Diener, auf einen einzigen Gaul redueirt waren.
Hierüber einigermaßen beruhigt, trafen wir noch
die nöthigen Einrichtungen, unſer neues Quartier mög—
lichſt comfortabel zu machen, worauf wir auf der
Terraſſe unſerer freundlichen Villa frühſtückten. Die
Caſa Llads, zum Dorfe Puig-Reig gehörig, liegt
mitten in einem Olivenwäldchen; vor uns war eine
jener weiten, cataloniſchen Ebenen ausgebreitet, voll
reicher Felder, weißer Landhäuſer, mit Fruchtbäumen
umpflanzt. Der Llobregat, der in raſchem Laufe dem
Meere zufließt, durchſchneidet dieſe Ebene. Im erſten
Plan hatten wir den, mit Rückſicht auf die Wehrloſig—
keit und Unhaltbarkeit unſerer individuellen Stellung,
eben nicht erfreulichen Anblick des alten, mauriſchen
174
Caſtells Valſaren, deſſen Garniſon ſich oft mit Streif—
zügen in der Nachbarſchaft abzugeben pflegte. Das
Caſtell, auf einen hohen Berg gebaut, zeichnete keck
und deutlich ſeine Conturen in die blaue Luft. Um
den Berg herum ſahen wir in langer Ausdehnung die
Stadt Valſaren mit ihren Thürmen und Klöſtern.
Auf einer Legua von unſerer Villa ragten aus Ge—
büſchen die weitläufigen Gebäude des Malteſer Prio—
rats Puig-Reig hervor; weiter links Santa Maria de
Olban, auf einem Hügel, der die Umgegend dominirt;
in größerer Entfernung erblickten wir die Zinnen des
Wallfahrtsortes N. S. de la Guardia. Caldes,
Sellen, Segäz und viele andere Orte waren mit
freiem Auge in der Ebene ſichtbar; in weiteſter Ferne
aber, mit dem Fernrohre, die Mauern von Gironella.
Hinter dem Olivenwäldchen, das unſere Villa umgab,
lag, auf eine Viertelſtunde, das Hauptquartier des Gene—
ralcapitains, Caſerras. Hinter Caſerras hebt ſich das
Terrain allmählig bis Berga, deſſen Gebirgskette das
Rundgemälde vollendete und den Horizont begrenzte.
Es war eben Sonntag; wir ritten daher nach
Caſerras zum Gottesdienſte, den de Efpana unter
freiem Himmel abhalten ließ. Auf dem Balcon eines
175
einzeln ſtehenden Hauſes, vor dem Dorfe, war der
portative Altar aufgeſchlagen, der auf Märſchen von
einem eigens dazu beſtimmten Maulthiere (macho de
la Capilla) getragen wurde. Auf dem ebenen Platze
vor dem Haufe, ſtanden die Truppen, die in und um
Caſerras cantonirten, formirt. Die Muſik des achten
Bataillons ſpielte dazu. Der Generalſtab und die
Umgebung des Grafen hielten vor der Fronte; einige
Schritte vor ihnen kniete, an einen Feldſtuhl gelehnt,
während des größten Theils der Meſſe, der alte Gene—
ralcapitain. Die Winde bewegten das weiße Haar
ſeines entblößten Hauptes, und die Züge ſeines Ge—
ſichtes nahmen während des Gebetes einen ſo weh—
müthigen, leidenden Ausdruck an, daß ſie die herbe Bewe—
gung, das vergebliche Troſtſuchen ſeiner Seele treu
abſpiegelten. Die zahlreichen, unerbittlichen Feinde des
Grafen de Eſpana haben ſogar feine Gedanken mit
ihrem giftigen Geifer beflecken wollen, und oft habe ich
hören und leſen müſſen, ſeine Frömmigkeit ſei nur Heuche—
lei geweſen; wer, ſelbſt gläubig, den alten hartgeprüften
Mann nur einmal beten ſah, wird dieſe Behauptung,
ſo vielen andern gleich, als Verläumdung verwerfen.
Bald war der Gottesdienſt zu Ende und das
176
Wirbeln der Tambours kündete den Moment an, wo
die Truppen vor ihrem General defiliren würden.
Wenn ich an Porredons Diviſion am Ufer des
Cinca dachte, ſchien es mir kaum möglich, theilweiſe
dieſelbe Truppe in geordnetem Parademarſch hier vor—
beiziehen zu ſehen, die vor kaum mehr als einem Jahre,
Zigeunerhorden gleich, in bunteſter Unordnung durch
einander lief. Nun waren fie den baſkiſchen Bataillons
ganz gleich gekleidet, meiſt durch junge Offiziere ange—
führt, und ſtellten in Gang und Haltung die dis—
ciplinirten Reihen einer regelmäßigen Armee vor.
Mit prüfendem Blicke ſtand de Eſpaña zehn
Schritte vor uns, hart an den defilirenden Bataillons
und ſchlug mit ſeinem Stocke den Takt zum Eilmarſch,
den er ſehr liebte. Vor jedem Offizier, vor jedem
Ferdinandsbande am Rocke eines Soldaten lüftete er
leicht ſeinen Federhut, lobte und tadelte laut, und
richtete an jede Compagnie Fragen ihre Zahlung oder
Rationirung betreffend. Gleich darauf ließ er auf dem
Felde abkochen, koſtete aus mehreren Töpfen und warf
gewöhnlich eine Goldmünze in den ſiedenden Keſſel.
Endlich wünſchte er ſämmtlichen Truppen guten Appe—
tit, rief die Stabsoffiziere zu ſich, gab Befehle für
177
die nächſten Tage und lud ſie zu Tiſche ein. Um ein
Uhr ſaßen wir an der langen Tafel, die Tags vorher
das ſchreibende Perſonal eingenommen, und von dieſem
Moment an hatte alles Dienſtgeſpräch ein Ende. Wenn
manchmal Einer oder der Andere der jüngeren Adjutan—
ten vorſchnell über Offiziere oder Truppen aburtheilen
oder gar von militäriſchen Operationen reden wollte,
jo wies ein ſtrenges Kopfheben des Generals ihn
ſogleich zur Ordnung.
Um mit Küchendétails mich nicht zu lange aufzu—
halten, ſei es mir für meine gaſtronomen Freunde nur
erlaubt zu erwähnen, daß de Eſpama, ſeit der Zeit als
er im Hauptquartier des Herzogs von Wellington
viel gelebt, die großen Stücke (grosses pieces nach fran—
zöſiſchem Ausdruck) der engliſchen Küche ſehr liebte, die
auch mit ſeltenem à point am Spieße gebraten, noch
mit demſelben aufgetragen wurden. Die halbwilden
Gebirgsſchöpſe, Iſards, Rehböcke und feiſten Kälber aus
den Ebenen um Barcelona, ſchmeckten ſo zubereitet vor—
trefflich, und wurden auf der Tafel von einem der Adju—
tanten zerlegt, dem irgend ein Tranchirfehler gewöhnlich
einen ganz ernſten Verweis des Generals zuzog, der ein
ſehr wiſſenſchaftlicher Gourmand war. Ein halb Dutzend
II. 12
178
große Porrons ſtanden auf dem Tiſche; vor de
Eſpaña ein kleiner, mattgeſchliffener, den er mir
halb geheimnißvoll zuſchob, und worin weit beſſerer
Wein war. Nach Tiſche ſetzte er ſich an den Küchen-
heerd, an den ihm Niemand folgen durfte, den er
nicht rief, daher ich auch zurückblieb. Doch klang mein
Name, nach einer kleinen Weile, in den großen Saal;
ich mußte ans Feuer zu ihm, und hier begann das
erſte Mal eines jener traulichen, für mich ſo hoch
intereſſanten Geſpräche, die mich in den Stand geſetzt,
während meines Aufenthalts in de Eſpama's Haupt⸗
quartier, dieſen merkwürdigen, ſo allgemein verkannten
Mann näher kennen zu lernen, ſeine gemüthlichen,
herzlichen Seiten beſſer zu würdigen, als ſo Viele, die
durch Jahre in ihm nur den ſtrengen, ſchroffen Vor-
geſetzten ſehen durften. Er hat mich wie ſeinen Sohn
behandelt, und wenn meine offene, freimüthige Dar—
ſtellung nur etwas dazu beitragen kann, nicht nur den
großen Feldherrn und Adminiſtrator, ſondern auch den
Edelmann und Menſchen in ſeinem wahren Lichte dar—
zuſtellen, ſo iſt mein Zweck und Ziel erreicht.
IV.
Skizzen über den Grafen de Eſpana und den letzten Krieg in
Ca talonien.
12.
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Indem ich es übernehme, einige Skizzen über den
Grafen de Eſpana zu geben, die in den Augen
Vieler für apologiſch gelten mögen, weiß ich wohl,
daß ich bei den Freunden des ſogenannten ſpaniſchen
Liberalismus wenig Glauben finden werde, da der
Held dieſer Erzählung ihnen nur durch die Inveetiven
aller republikaniſchen Federhelden Europas bekannt iſt,
die ihn ſeit einer Reihe von Jahren zur Zielſcheibe
auserkoren. Ich tröſte mich damit, daß alle Männer
monarchiſcher Grundſätze, auch nicht deeidirte Anhän—
ger der Legitimität in unſerem Sinne, nach vorurtheils—
freier Beurtheilung, die beſtändige Treue und uner—
ſchütterliche Feſtigkeit de Efpana’3 würdigen werden,
obſchon vielleicht über keine, militäriſch oder politiſch
markante Perſönlichkeit der neueſten Zeit, ſo ſchroffe
Urtheile gefällt und ſo nichtswürdige Verläumdungen
182
ausgeſtreut wurden. Dieſe unabläſſige Bemühung
feindlicher Publiziſten immer dieſelben Lügen über ihn
zu verbreiten, hat ſelbſt in unſern Feldlagern wohl-
geſinnte Leute irre geleitet. Noch iſt mir erinnerlich,
daß wir oft laſen und hörten, de Eſpanña, bereits
ein halber Cadaver, ſei altersſchwach und halbverrückt,
alles Feuer in ihm ausgeſtorben, ſein Blutdurſt allein
geblieben; er verlaſſe das Bett nur, um einem Schatten
gleich einher zu wanken, oder in einer Sänfte ſich
tragen zu laſſen. Endlich fingen auch wir an zu
zweifeln und bedauerten, daß Gefangenſchaft und
Kummer, wohl mehr als Jahre, die königliche Sache
um einen ihrer tüchtigſten Vertheidiger gebracht.
Wenige Stunden im Hauptquartier des Grafen de
Eſpana haben mich eines beſſern belehrt. So er—
ging es mir auch mit den übrigen Vorurtheilen; jeder
Tag benahm Eines, und als ich de Eſpaña verließ,
hatte ich ihn ſo lieb gewonnen, als ich ſpäter ſeinen
gräßlichen Tod innig betrauert, bitter beweint.
Charles d' Eſpagne ward um das Jahr 1773
in der Grafſchaft Foix geboren, die ſeine Vorfahren,
vor mehreren Jahrhunderten, als ſouveraines Fürſten—
thum nebſt Comminges und dem Lande Couſeraus
183
beſeſſen. Sein Vater, der Marquis d' Eſpagne,
franzöſiſcher General- Lieutenant, beſtimmte feinen
zweiten Sohn Charles ſchon früh den Waffen, nach
den Anſichten einer Zeit, in der nachgeborne Söhne
großer Herren nur zwiſchen Krummſtab und Degen zu
wählen hatten. Der Chevalier d' Eſpagne trat in
eine der Compagnien der maison rouge Ludwig XVI.,
die ſein Vater befehligte. Obwohl ſehr jung, war er
doch Zeuge aller Gräuel der erſten Revolution. Sein
Vater und viele ſeiner Verwandten wurden guillotinirt.
Er und ſein älterer Bruder, nunmehr Marquis
d' Eſpagne, ſchloſſen ſich an die Armee des Fürſten
von Condé an, und machten jene traurige, erfolgloſe
Campagne mit. Nach Auflöſung des Condé'ſchen
Corps begab ſich d' Eſpagne nach Spanien, zur
Zeit als der Friedensfürſt alle ſtreitbaren Kräfte des
Reichs, längs den Pyreneen gegen Napoleon zu—
ſammenzog. Er trat als Hauptmann in ein Infan⸗
terie-Regiment und focht lange mit abwechſelndem
Glücke, in meiſt ſubalternen Stellen. Endlich ſchien
ſein Stern aufzugehen. Auf dem Schlachtfelde von
Baylen ward er zum Brigade-General befördert; für
die Einnahme von Pamplona erhielt er das Groß—
184
kreuz des militäriſchen Sanct Ferdinand-Ordens; an
Wellingtons Seite rückte er in Madrid ein, von
dieſem zum Gouverneur der Hauptſtadt ernannt. Er
ward mit Auszeichnung genannt bei Albuhera, Sala—
manca, Vitoria, an all' jenen ewig denkwürdigen
Tagen, die Spanier und Britten noch jetzt mit Stolz
nennen, ſo groß und ſo blutig, daß ſelbſt für die
Beſiegten die Erinnerung nicht ohne Ruhm und
Glanz iſt. £
Nach dem Pariſer Frieden bot ihm Ludwig XVIII.
an, in franzöſiſche Dienſte zu treten, was Graf
d' Eſpagne jedoch ablehnte; er wollte nicht jenem
Heere angehören, gegen das er beſtändig die Waffen
geführt; was von franzöſiſchem Blut in ſeinen Adern
gefloſſen, ſei auf ſpaniſchem Boden durch Franzoſen
Hand vergoſſen worden. Sein Haß gegen ſein erſtes
Vaterland, der mit den Jahren ſtets zunahm, ging
ſo weit, daß er nur mit Widerwillen franzöſiſch
ſprach, auch feinen franzöſiſchen Namen in's Spas
niſche überſetzte, ſtatt d' Eſpagne — de Eſpaña.
Im Jahr 1815 ward er zum General- Lieutenant,
ſpäter zum commandirenden General der königlichen
Fußgarde ernannt; wer in jener Zeit Spanien beſucht,
185
wird noch der muſterhaften Disciplin gedenken, die
Graf de Eſpana dieſem prachtvollen Corps beige—
bracht. Später ward er General-Capitain von Aragon,
und reſidirte vier Jahre in Zaragoza. Die Rolle des
Grafen de Eſpana während des Conſtitutions-Krieges
konnte nicht zweifelhaft ſein; auch zog er ſich den Haß
aller Liberalen zu, die in ihm einen Tyrannen und
Wütherich, blinden Häſcher der blutigen Deeretalien
Ferdinand VII. ſahen. Und doch laſſen ſich alle
Handlungen des Grafen de Eſpaña fo einfach auf
das einzige Prinzip zurückführen, ohne dem jeder mili—
täriſche Geiſt, jede Mannszucht unmöglich iſt. Der
Befehl des Souverains iſt das höchſte Geſetz des
Soldaten, gleichviel ob Sergeant oder Feld—
marſchall. “) Man verſteht, daß hier von der Hin-
*) Ich will durch letztern Satz einer ſpitzfindigen Recenſion
begegnen, die mir im vergangenen Jahre (Beilage zur
Allgemeinen Zeitung, 17. Juni 1840) unter dem Titel:
„das Gegenbild von dem Grafen von Espana’ zu
Theil ward. Ich hatte wenige Tage vorher in demſel—
ben Blatte die Ermordung meines alten Chefs beſprochen
und bemerkt, daß der Soldat blindlings gehorchen müſſe,
worauf mein unwilliger Recenſent, der allerdings kein
186
richtung des Generals Beſſières die Rede iſt, einem
traurigen Ereigniſſe, über das ich mich nicht näher
erklären kann, da es nicht an mir iſt, als Ankläger
königlicher Perſonen aufzutreten, ſelbſt nach ihrem Tode.
Als 1827 Catalonien unruhig ward, begab ſich Fer—
dinand VII. ſelbſt nach Barcelona, und ſtellte den
Grafen de Eſpana an die Spitze der unzufriedenen
Provinz. Der Catalonier gehorcht nur dem, den er
fürchtet; das wußte de Eſpana. Er packte fie mit
grimmiger Fauſt, ließ die Köpfe der Rädelsführer ab-
ſchlagen und ſchickte die übrigen auf Galeeren; da
beugten fie und ſchmiegten ſich, gehorchten ihm und
es ward Ruhe.
In Spanien bietet jede Provinz, einzeln aus
demſelben Geſichtspunkte betrachtet, einen ganz ver-
ſchiedenen Anblick dar. Die Sitten der Einwohner,
das Eigenthümliche ihrer Charaktere, die politiſche
Geſchichte ihrer Provinz, die tiefbleibenden Eindrücke
Soldat ſein mag, zu beweiſen trachtete, der Graf de
Espana wäre „kein Soldat, ſondern ein Mann gewes
fen, der feinem Souverain etwas anderes ſchuldig iſt,
als den Henker zu machen.“
187
der erſten Maßregeln und Inftitutionen jeder Regie-
rung, bilden Elemente oft ganz entgegengeſetzter Natur.
Man muß ſie mit Einem Blicke umfaſſen und die
Provinz, von der man ſpricht, genau kennen; dann
täuſcht man ſich durch keine Parallele, und nur dann
kann man fie in ſcharfen Conturen hinſtellen und tref—
fend beurtheilen.
Unter allen Reichen der ſpaniſchen Krone ſteht
Catalonien exceptionell da, mit Keinem zu vergleichen.
Auch iſt es um ſo ſchwerer zu beherrſchen, als es aus
zwei ſtreng geſchiedenen, ſich feindlich gegenüber ſtehen—
den Theilen beſteht: dem Küſtenlande und dem hohen
Gebirge. — Das eataloniſche Küſtenland mit feinen
großen, reichen Handelsſtädten, zahlreichen Fabriken
und ſeinem lebhaften Verkehr, iſt durch den vielfachen
Contact mit dem Auslande durch und durch gangrenirt;
eine revolutionäre, durchaus republikaniſche Tendenz
iſt hier vorherrſchend. Reus, Tortoſa, Lérida, Tarras
gong find mit Jacobinerclubs und Freimaurerlogen
angefüllt, und Barcelona iſt einem großen Giftſchwamm
zu vergleichen, der gute Dünſte an ſich zieht und ſie
verpeſtet wieder von ſich gibt. Barcelona kann die
Zeit noch nicht vergejfen, wo es, unabhängig vom
188
übrigen Spanien, nur von ſeinen großen Grafen re—
giert ward: jenen kriegeriſchen Raimund, die befehlend
zu den benachbarten Königen ſprachen, auf Gleich—
heitsfuß mit den Carlovingiſchen Kaiſern und frän—
kiſchen Königen unterhandelten und um die Herrſchaft
des Mittelmeers mit den Normännern ſtritten. Die
hiſtoriſchen Erinnerungen mögen überall ſchwinden, in
Spanien bleiben ſie in jugendlicher Friſche, deßhalb hält
es ſo ſchwer, Neuerungen in dieſem Lande einzuführen.
Einen ſeltſamen Contraſt zum Küſtenſtrich bildet
das Bergland. Die Communication zwiſchen beiden
iſt ſehr gering. Wenige Straßen, nicht ein ſchiff—
barer Strom, Verſchiedenheit der Bedürfniſſe, machen
ſie unerheblich. Der Küſtenbewohner Cataloniens
handelt mit den benachbarten Küſten von Valencia,
Murcia und Andaluſien, ſchifft nach den weißen Felſen
der Provence, nach Italien, wohl auch nach Afrika.
Er verdingt ſich als Matroſe und Laſtträger; doch
ſelten kommt er im Innern ſeines Landes weiter als
bis zu den ſpitzen Zacken des Monſerrat, einmal in
vielen Jahren nach dieſem wunderbaren Berge zu wall—
fahrten. Wie wenig Spanier haben die Gebirgsthäler
des obern Cataloniens beſucht, längs des Segre, der
189
beiden Nogueras (Ribagorzana und Pallareſa), des
obern Cinca, die Quellen des Llobregat, die Schluch—
ten der Grafſchaft Paillaſſe, wo man nur das Rauſchen
der Gießbäche und das Hämmern der Eiſenwerke ver—
nimmt; tiefe Keſſel antediluvianiſcher Form, wo es
ſpät Morgen und früh Nacht wird, zum Guerilla—
krieg geſchaffen, in denen er erfunden ward und bis
jetzt in ſeiner reinſten, urſprünglichen Form ſich erhal—
ten hat. Dieß Land und ſeine Bewohner haben nicht
geändert, ſeit ſie durch Jahrhunderte der römiſchen
Weltherrſchaft widerſtanden, ſeit Hannibal ihnen die
erſten fremden Heere zeigte und die erſten Brücken
über ihre Ströme ſchlug; ſeit Pompejus die Legionen
des Sertorius in ihren Thälern vernichtete, Karl der
Große und Roland dort ihre Siege fochten und die
Mauren nie in ihre Engpäſſe dringen konnten; ſie
ſind abgeſchloſſen in ihrer Wildniß, auf ſich ſelbſt be—
ſchränkt, und ihre einzige Verbindung mit dem Aus—
lande trägt eben wieder zu ihrem wilden, kriegeriſchen
Leben bei. Es iſt der Schleichhandel im größten
Maßſtabe, den fie in bewaffneten Banden, in beſtän—
diger Fehde mit franzöſiſchen und ſpaniſchen Zollwäch—
tern treiben. Die kleine Republik Andorra, unter
190
franzöſiſchem und ſpaniſchem Schutz und Souveränetät
des Biſchofs der Seu d'Urgel, und endlich das privilegirte
Thal von Aran am nördlichen Abhange der Pyreneen,
dienen ihnen als Entrepöts und Sammelplätze.
Daß mit dieſen Leuten, halb Wilden auf der
einen Seite, fanatiſchen Republikanern auf der andern,
mit Mäßigung nicht durchzudringen iſt, wird jeder
unbefangene Forſcher wenigſtens ſich ſelbſt geſtehen
müſſen, ſollte er es auch nicht öffentlich bekennen wollen.
Wie ſchwer es bei dieſen Charakteren auch iſt,
auf das Volk einzuwirken, ſo bildet doch, in markan—
tem Unterſchiede zum übrigen Spanien, bei den Cata—
loniern der perſönliche Charakter des Chefs der Pro⸗
vinz einen Haupthebel der populären Tendenz, und
übt überwiegenden Einfluß aus. Die eminenteſten
Männer, denen die durchgreifende Strenge, die hier
Noth thut, mangelte, ſcheiterten in der Aufgabe,
welche minder Begabte glänzend löſten. So war,
während des Independenzkrieges, unbezweifelt Blake
der erſte General Cataloniens und konnte doch nie
die geringſte Disciplin unter die zahlreichen Soma—
tenen einführen, die ſchnell erſchienen und plötzlich
wieder verſchwanden, je nachdem es ihnen gut dünkte.
Der Klang der größten Glocke der Stadt oder des
191
Weilers, rief die Einwohner zu den Waffen, fie kamen
Alle, jedes Alters und Standes; ſelbſt die Frauen
folgten, von dieſer ſchnell auflodernden Begeiſterung
hingeriſſen. Die Sturmglocke die rief, heißt Somaten,
daher der Landſturm, der ihr folgt, Somätenes; das
gibt ſich nur im Deutſchen wieder. Vier und zwanzig
Stunden ſpäter war der heimiſche Heerd dem Hori—
zonte der Somatènen entrückt, und mit dem letzten
Nachklang der Sturmglocke, der ihrem Ohre entflohen,
war auch die Begeiſterung geſchwunden. Sie kehrten
nach Hauſe zurück. Zu ſchnellen Ausfällen, Lauer in
bekannten Schluchten, kleinem Kriege von wenigen
Stunden, iſt der Catalonier der beſte Soldat der
Welt; um mehr zu erlangen, um dieſe Banden zu
organiſiren und zu diseipliniren, gehört ein eiſener
Wille, der ſie zügelt und meiſtert. Alle Anſtrengun—
gen der Generale Vives, Blake und Marquis de
Campoverde, während der Campagnen 1808 und
1809 waren vergebens. Da kam Heinrich O’Don-
nell, Graf von la Bisbal *) und übernahm das
*) Gewöhnlich fälſchlich geſchrieben Labispal oder L'Abis—
val. Bisbal iſt ein Ort in Catalonien, Corregiment
Lampurdan.
192
Commando. Die Sturmglocke erſcholl in allen Orten,
die keine franzöſiſche Beſatzung hatten. Die Soma—
tenen griffen zu den Waffen und verließen ihre Dörfer.
Als ſie zurückkehrten, ſahen ſie in Mitte ihrer Plätze
Galgen aufgerichtet und an allen Ecken Placate an—
geſchlagen, eine Conſeription von vierzigtauſend Mann
verkündend. Das Conſeriptions-Syſtem hatte früher
in Catalonien nie durchdringen können, und man
pflegte ſonſt für den Dienſt des Königs mittelſt Hand—
geld, in allen Orten frei zu werben. Doch O'Don—
nell drang durch; die vierzigtauſend Mann wurden
conſeribirt, organiſirt, disciplinirt, und vertheidigten
ſiegreich den heimatlichen Boden gegen die franzöſiſchen
Armeen unter Duchesne, Augereau, Maedo—
nald, Saint-Eyr, Decaen und Suchet. Die
feindlichen Heere nahmen zwar alle feſten Plätze, mit
Ausnahme von Cardona, doch wurden ſie ſtets darin
bloquirt und ſahen ſich endlich genöthigt, ſie aufzu—
geben. Unzweifelhaft war von allen Generalen, welche
die Catalonier während dieſes Krieges befehligten, der
Graf von la Bisbal der einzige, den ſie liebten,
fürchteten, und dem ſie gehorchten.
Der einzige conſtitutionelle General, der zur Zeit
Ferdinand VII. einigen Einfluß auf dieſe Leute aus—
193
übte, war Min a; deſſen Charakter ift überall bekannt.
Wie oben erwähnt, kam, während der Unruhen des
Jahrs 1827 der Graf de Eſpana an die Spitze
Cataloniens. In kurzer Zeit brachte er die Provinz
zur Ordnung, und als im Jahre 1830 einige Banden
Bergbewohner den Namen des jetzigen Königs, da—
mals Infanten Don Carlos, als Banner einer
ungeſetzlichen Inſurreetion und eines verbrecheriſchen
Aufſtandes, gegen den zu jener Zeit regierenden Herrn
mißbrauchen wollten, unterdrückte er ſchnell ihre meu—
teriſchen Verſuche und ſetzte ihnen den Fuß auf den
Nacken. Daher der Haß mancher übelberichteten oder
irregeleiteten Royaliſten. Merkwürdig iſt, daß einer
der Hauptchefs dieſer ſogenannten Carliſten vom Jahre
1830, Don Manuel Mbanez, der damals vom
Grafen de Eſpaña eingefangen und auf die Galeeren
von Ceuta und Melilla geſchickt ward, derſelbe kühne
Häuptling iſt, der im letzten Kriege durch Jahre, unter
dem Namen el Llarj de Copons die Ebenen von
Tarragona mit Schrecken erfüllte. Er war bis zum
letzten Augenblicke des Grafen de Eſpaña treueſter
Freund, einer der Wenigen, die an ſeinem Morde
unſchuldig ſind.
II. 13
194
Dieſe Anhänglichkeit Dhanez’s an feinen alten
General gereichte ihm um fo mehr zur Ehre, als er
ſich, in früheren Zeiten, über denſelben eben nicht zu
beloben hatte. Pbanez war während der Conſtitu—
tions⸗Epoche royaliftifcher Offizier geweſen, und konnte,
als Ruhe und Ordnung wieder hergeſtellt worden, ſo
vielen Andern gleich, ſich nicht darein ſchicken, ſtets
bereit zu den Waffen zu greifen. Er ließ ſich im
Jahre 1830 verleiten am carliſtiſchen Aufſtande Theil
zu nehmen, und gewiß hat er es in der redlichſten
Abſicht der Welt gethan. Doch der neue General—
Capitain, der hierin keinen Unterſchied machte, ließ ihn
aufgreifen, in Ketten legen und ſchickte ihn nach Geuta.
Als der Tod Ferdinand VII. die Kerker aller Anarchiſten
und Republikaner öffnete, ward während der allgemeinen
Unordnung auch Pbañez in Freiheit geſetzt. Er begab
ſich unverweilt in ſeine Heimat und rief ſeine Lands—
leute zu den Waffen. In kurzem war er einer der
mächtigſten Häuptlinge Cataloniens. Seiner hohen Ge—
ſtalt wegen, er mißt 7 Fuß, el Llarj (el Llarj cata=
loniſch: der Lange) genannt, ward nach cataloniſcher
Weiſe der Name ſeines Geburtorts, Copons, beigefügt,
was den in der ganzen Halbinſel bekannten nom de
195
guerre „el Llarj de Copons” bildete. Er war ſtets
gutmüthig, uneigennützig und hielt noch am Meiſten auf
Subordination, unter allen ſeinen Gefährten. Als de
Eſpana 1838 nach Berga kam, glaubten Alle es werde
ernſte Conflicete zwiſchen ihm und Mbanez geben,
der im erſten Moment die Ernennung ſeines ſtrengen
Richters, nicht mit Freude vernommen haben ſoll. Dieß
hätte von um ſo bedeutenderen Folgen ſein können,
als Pbanez bereits ſechs ſtarke Bataillons commanz
dirte, wovon eines, die Guiden vom Campo de Tarra—
gona (13te8 von Catalonien), beinahe 1300 Mann
zählte, er überdieß den reichſten und wichtigſten Strich
der Provinz beſetzt hielt. Auch ſchien die erſte Zeit
auf wenig freundliche Verhältniſſe hinzudeuten. De
Eſpaña hatte ſogleich bei feinem Eintritte befohlen,
daß ſämmtliche royaliſtiſche Streitkräfte aus allen
Theilen Cataloniens zu ihm ſtoßen ſollten; alle kamen,
bis auf Mbanez, von dem, jo wenig als von feiner
Truppe, das Geringſte zu hören war. Als dieſe
Hiobspoſt dem General gebracht ward, verzog er keine
Miene, und Niemand hätte ihm angeſehen, welcher
Kampf in ſeinem Innern vorging. Kaum war es
jedoch dunkel geworden, als er plötzlich für ſich, einige
13 *
196
Offiziere feines Generalſtabs und ein paar Ordonnan—
zen ſatteln ließ. Nur von wenigen, der Gegend voll—
kommen kundigen Minones geführt, ritten wir, un—
unterbrochen durch neun Stunden, über die höchſten
Kämme und durch die engſten Schluchten. Niemand
wußte wohin, als der General und der an der Spitze
laufende Minone; doch ſchwieg Erſterer, und Keiner hätte
zu fragen gewagt. Bei Tages Anbruch ward ein ein—
ſames Landhaus bezogen, das Thor verriegelt und den
Tag über da zugebracht. Der General legte ſich ſogleich
ſchlafen und wachte Mittags bloß auf, um ſchweig—
ſam ein wenig zu eſſen, worauf er wieder zu ſchlafen
begann. Seinem Befehle gemäß, ward er mit Sonnen—
untergang geweckt, und ſofort zu Pferde geſtiegen.
Gegen Mitternacht ritten wir durch ein muſchelförmi—
ges Thal, das ſehr fruchtbar zu ſein ſchien; mein
Nachbar wollte es für die Conca de Barbera halten
und flüſterte mir leiſe zu, wir ritten wohl an den
Ebro, zu einer Zuſammenkunft mit Cabrera.
Endlich hielten wir gegen Morgen, noch lange
ehe es graute, auf einem Berg-Plateau, ſtiegen ab
und banden die Pferde an. Von einem Felſenvor—
ſprung konnte man, im Halbdunkel des Zwie—
197
lichts eine weite Ebene halb überſehen oder vielmehr
ahnen. Zu unſern Füßen lag ein Dorf, am dicht
aufſteigenden Nebel kenntlich; viele Kohlenſtöße und
halbverlöſchte Feuer ließen auf dabei bivouaquirende
Truppen ſchließen. Da fing einer der begleitenden
Offiziere zu plaudern an; de Eſpana kehrte ſich um,
und ſagte in aller Ruhe, mit gedämpfter Stimme,
kaum hörbar: „den Erſten der Lärm macht, laſſe ich
fuſilliren.“ Darauf ſetzte er ſeine Unterſuchung fort,
an der wir noch nichts verſtanden. Dieß Alles währte
ſehr lange. Endlich überzog eine blaſſe Röthe den
Horizont und beleuchtete allmählich die Landſchaft.
Wir konnten eine bedeutende Truppenmaſſe, auf kaum
eine Viertelſtunde von uns erblicken, allem Anſcheine
nach, in tiefen Schlaf verſunken. Nach wenigen Mi—
nuten vernahmen wir jedoch die Töne der Diana, hellklin—
gend in der lautloſen Stille dieſes frühen Morgens,
während noch die ganze Natur ruhte. Dann regte
ſich Alles; einzelne Commandoworte kamen bis zu
uns, und als die Sonne ſich eben erhob, ſahen wir
die Truppen im Carré formirt. Bald wäre mir ein
Schrei entſchlüpft, da ich aus den cataloniſchen Mützen
(gorra) erkennen konnte, daß es Carliſten waren.
198
Doch gab es zu Reflexionen nicht viel Zeit; der Gene—
ral ſchwang ſich haſtig zu Pferde, wir ihm nach, und
in geſtrecktem Galopp ging es den Berg hinab, bis
wir mitten im Carré ſtehen blieben. Dort ſprang
de Eſpana ab und lief einem hagern, baumlangen
Mann zu, der auf ſeinen Säbel geſtützt, von fünfzig
bis ſechzig Offizieren umringt, in der Mitte ſtand.
Den packte er bei den Schultern, umarmte und küßte
ihn, und drückte, trotz alles Sträubens, ihn ſo lange an
ſich, als wolle er ihn gar nicht von ſich laſſen. Dann
wandte er ſich an die Truppen und rief mit bewegter
Stimme: „Das iſt der Stolz von Catalonien, des Königs
beſter Diener und mein beſter Freund. Ehre dem Don
Manuel Pbanez und der Diviſion vom Felde von
Tarragona. Dich mein Sohn (zu Oberſt Ybañez ge—
wandt) ernenne ich zum Brigadier, kraft der mir verlie—
henen Vollmachten, und Euch (zu den Soldaten) gebe
ich eine Wochen-Löhnung Gratification, denn Ihr dient
Carl dem Fünften und nicht Carl mit Euern fünf
Fingern (Carlos quint' y no Carlos cing).” Dieſes
etwas hinkende Wortſpiel mit Bezug auf Marodiren
und Rauben, vollendete glänzend was der General fo
glücklich begonnen. Ein allgemeines Freudengeſchrei
199
unterbrach ihn, und der lange Dbanez mit feinem
braunen, bärtigen Geſichte — noch vor wenig Augen—
blicken ſicher ganz anderer Meinung — heulte und
weinte aus Rührung am lauteſten. Wir waren Alle
ergriffen; Graf de Eſpana, deſſen Rührung wohl
nie ſehr ernſt geweſen, ermannte ſich am Erſten. Er
befahl die Pferde vorzuführen und muſterte die Divi—
ſion. Mbanez ritt neben ihm, einen hohen anda—
luſiſchen Hengſt. Zu Pferde konnte man erſt recht den
merkwürdigen Körperbau dieſes athletiſchen Menſchen
ſehen; wir reichten ihm alle kaum über den Ellenbogen.
Er trug die rothe cataloniſche Gorra, den Zipfel nach
hinten lange herabhängend, die Zamarra und mit
Leder beſetzte Beinkleider. Ein Carabiner ſteckte im
Sattel, und ein breiter Säbel hing an der Hüfte.
Sein mächtiger Gaul ächzte unter dem Drucke ſeiner
Schenkel und machte nach allen Seiten hin Langçaden.
Seine Truppen hatten noch keine Uniform, ſondern
trugen die umgeſchlagenen geſtreiften Pferdedecken, die
ich an Porredons Leuten während der letzten Cam—
pagne ſchon geſehen. Der General ritt langſam und
feierlich an den Reihen vorbei, lobte und grüßte viel,
bewunderte laut den wirklich prächtigen Menſchenſchlag,
200
verſprach Bezahlung und vorzüglich Uniformen, die,
meinte er, ſo ſchönen Burſchen ſehr gut ſtehen müßten.
Endlich war die Muſterung beendet; de Eſpaña ſtellte
ſich in die Mitte und rief: „Schön, meine Söhne,
aber Ihr habt wenig Bajonnete. *) Die Patronen
werden verſchoſſen, durchnäßt, verloren; das Bajonnet,
ſtets getreu (siempre fiel), iſt die Waffe aller Bra—
ven, zu allen Zeiten die Waffe der Catalonier geweſen.
Ich habe keine; der Feind hat viele, dort müſſen wir
ſie holen!“ Abermaliger Jubel unterbrach den alten
Feldherrn; Dbanez folgte ihm mit feinen ſechs Ba—
taillons, die ohne Aufenthalt mit uns abmarſchirten.
Von dieſem Tage an hat de Eſpana auf die Divi-
ſion vom Felde von Tarragona und ihren Führer bis
zuletzt zählen können, und hätte er Mbanez in der
Nähe gehabt, ſo wäre ſeine Ermordung unmöglich
geweſen.
*) Die Banden von Dbanez, wie alle primitiven Guerillas
waren mit, dem Feinde und den National-Garden abge—
nommenen Gewehren, Jagdflinten und Carabinern be—
waffnet, daher viel Bajonnete, bei manchem Bataillon
beinahe ein Viertel fehlten.
201
Doch muß ich hier fünf Jahre zurück zur unters
brochenen chronologiſchen Reihenfolge der Begebenheiten
in Catalonien.
Als Ferdinand VII. im Jahr 1833 die Fun-
damental-Geſetze des Reichs umſtieß und ſeiner Tochter,
als Prinzeſſin von Aſturien ſchwören ließ, kamen
carliſtiſche Emiſſäre nach Barcelona und wandten ſich
durch den Gouverneur dieſer Stadt, General- Liente-
nant Grafen von Villemur, an den General-Capi-
tain Grafen de Eſpama, um ihn zu bewegen, dieſer
der Agonie des Königs entriſſenen Ordonnanz nicht
Folge zu leiſten, den durch liberalen Einfluß neu er—
nannten General-Capitain Llauder, ſobald er den
Fuß auf cataloniſchen Boden ſetzte, ſogleich erſchießen
zu laſſen, alle Catalonier zu den Waffen zu rufen,
und mit den, ihm zur Dispoſition ſtehenden Garde—
und Linien-Truppen auf Madrid zu marſchiren, Fer—
dinand VII. von der ihn umgebenden Camarilla zu
befreien. Nicht Ein Mann in ganz Catalonien hätte
dem Aufrufe des General-Capitains Widerſtand ge—
leiſtet, die ganze Provinz ſich erhoben, mit Jubel de
Eſpana's Ruf erwiedert, die in der Maöſtranza von
Barcelona und den Feſtungen aufgehäuften Waffen
ergriffen; mit Einem Worte, von Beginn an würde
ſich jene Begeiſterung kund gethan haben, die Cata—
lonien in früheren Kriegen ſo ſehr auszeichnete. Nie
konnte ein leichteres Spiel dem Grafen de Eſpaña
geboten werden: er kannte genau alle Militär- und
Civil-Gouverneure, und konnte auf ihre Mitwirkung
rechnen; die zwei in Barcelona garniſonirenden Garde—
Regimenter hätten alle ſeine Befehle befolgt, denn
ihr Offizier-Corps beſtand größtentheils aus Roya—
liſten, und die wenigen Liberalen wären durch den
ſtark ausgeſprochenen, allgemeinen Willen mit hingeriſſen
worden; die Linien-Regimenter, in allen Theilen der
Provinz vertheilt, ſowohl Fußvolk als Reiter, hatten
erprobte Chefs, und Niemand im ganzen Lande hätte
daran gedacht, dem Befehle des General-Capitains
zu widerſtreben. In wenigen Tagen wäre ein zahl—
reiches und wohlgerüſtetes Heer gebildet geweſen, und
der Aufſtand eines ſo großen Theiles des Reichs unter
einem Oberhaupte wie de Eſpana, hätte allein Fer⸗
dinand VII. von den Intriguen befreit, mit denen
die revolutionäre Partei ſeine letzten Jahre umgeben
hat. Alle Königreiche Spaniens wären dem Impulſe
Cataloniens gefolgt, und die Liberalen beim Anblick
203
der Gefahr, die fie bedrohte, ausgewandert oder in
jene Unthätigkeit zurückgekehrt, aus der ſie ſich, ſeit
den letzten neun Jahren, nicht gerührt hatten, darauf
beſchränkt, im Auslande oder im geheimnißvollen Dunkel
ihrer Logen am Untergange ihres Vaterlandes zu
miniren. Die energiſche Thätigkeit des Grafen de
Eſpanña, feine praktiſche Kenntniß der Umtriebe und
Projecte der Neuerungsſüchtler hätten der Revolution
einen Damm geſetzt; mit einem Schlage würden ſieben—
jähriger Bürgerkrieg, Ströme Blutes, Verwüſtung der
ganzen Halbinſel, unabſehbare Uebel verhindert worden
ſein. Doch die ſtrenge Gewiſſenhaftigkeit des Grafen
de Eſpanña, feine tiefe Ehrfurcht vor den höchſten
Attributen königlicher Majeſtät, jo lange ein Lebens-
hauch noch die Krone über dem Haupte ſeines hin—
ſchwindenden Herrn hielt, ließ ihn, wenn gleich mit
Kummer, doch feſt alle Anträge zurückweiſen. Uner⸗
ſetzliche Momente gingen verloren.
Da kam General Llauder. Nochmals ward
de Eſpaña von allen Seiten beſtürmt; doch ſchwieg
er, übergab das Commando ſeinem Nachfolger und
zog ſich nach Majorca zurück. Llauder hatte im
Jahre 1830 Mina und deſſen Horden in den Ge—
204
birgen Navarra's verfolgt, daher es noch einige Roya—
liſten gab, die Hoffnungen an ſeine Ankunft zu knüpfen
wagten; doch ſein erſtes Auftreten vernichtete ſchnell
dieſe Illuſion. f
Llauder begann damit, den Graltirten zu
ſchmeicheln. Auf alle Weiſe trachtete er ihr Zutrauen
zu gewinnen, und richtete an die königliche Wittwe
jene ſchamloſe Vorſtellung, die ſie zwang, das Eſta—
tuto Real zu promulgiren, und die Cortes zu berufen.
Er entwaffnete die Bataillone royaliſtiſcher Volontairs,
ohne Auftrag ſeiner Regierung, und bildete aus der
Hefe des Pöbels, zum Theil aus den losgelaſſenen
Sträflingen der Zuchthäuſer und Galeeren, Freicorps,
die Volontairs Iſabella's II. Alle Royaliften
wurden ihrer Aemter und Würden entſetzt; die Gefäng—
niſſe mit den angeſehenſten und einflußreichſten Per—
ſonen angefüllt; die rohaliſtiſchen Sommitäten des
Landes aber, nach Palma, Mahon und Cartagena ab—
geführt. Catalonien war in kurzem erdrückt und zu
Grunde gerichtet; die Männer, die das Vertrauen des
Volkes beſaßen und auf die aller Augen gerichtet
waren, entfernt oder in Ketten. Keiner war zurück—
geblieben, um deſſen Banner die vereinzelten Royaliſten
ſich hätten vereinigen können, es Navarra und den
baſkiſchen Provinzen gleich zu thun.
So verzweifelt dieſe Lage auch war, trachteten
doch die Catalonier, in erſt unmächtigen Verſuchen,
ihre ſchwachen Kräfte mit denen der Revolution zu
meſſen. Mönche und Bauern erhoben ſich in ihren
Diſtricten; ohne Waffen, ohne Disciplin, ohne mili—
täriſche Kenntniſſe führten ſie den ihnen eigenen Krieg;
die Erinnerung an die heroiſchen Zeiten ihres Kam—
pfes gegen Napoleon war in ihnen noch nicht ver—
wiſcht. Die Somaténenhaufen bildeten ſich zu Gué⸗
rillas; in ihren Gebirgsſchluchten und engen Päſſen,
auf den unzugangbaren Felſen ihrer Sierren überfielen
ſie den Feind nach Eilmärſchen, im Verſtecke lauernd;
ſie beunruhigten die Transporte, fingen die Nachzüg—
ler, ſchnitten die Communicationen ab. Nach und
nach verſchaffte ihnen dies Waffen, alle dem Feind
entriſſen; ihre Banden wuchſen und waren ſo ſchnell
in alle Winde zerſtreut, als auf Einem Punkte wieder
verſammelt, je nach den Bedürfniſſen des Augenblicks.
Bald fing der gute Geiſt der Catalonier, bisher durch
Schrecken und Verfolgungen niedergedrückt, ſich zu
heben an; ſie ſahen die Nothwendigkeit ein, ſich alle
206
Opfer aufzulegen, den Bedürfniſſen ihrer Verthei—
diger zu genügen, die Braven zu unterſtützen, die
allen Gefahren trotzten, den religiöſen und politiſchen
Glauben zu vertheidigen, dem ſie zugethan ſind, und
die alten Rechte zu erhalten, welche durch Jahrhun—
derte den Glanz und das Wohl ihrer Väter begründet
hatten. Es ſtanden ihnen aber noch neue Schläge
des Schickſals bevor. Die Ankunft des Generals
Romagoſa wirkte elektriſch auf alle Royaliſten; doch
bald hieß es, er kehre zurück, und in Kurzem war
ſeine Gefangennehmung und Hinrichtung kein Geheim—
niß mehr. Dem ungeachtet hatte dieſe Kataſtrophe nicht
jene unglücklichen Folgen, die man befürchten konnte.
Des Königs Ankunft in Navarra war bekannt
geworden, und alle Hoffnungen knüpften ſich an dies
Ereigniß. Er würde für Alles ſorgen, ſo dachten und
hofften ſeine vereinzelten, und mit den Verhältniſſen
unbekannten Vertheidiger in dieſem Theile der Halb—
inſel. Auch verbreitete ſich wirklich das Gerücht, es
befinde ſich an der franzöſiſchen Grenze ein General,
der den Befehl ergreifen, ein Heer organiſiren und die
Operationen leiten würde. Dieß Gerücht ward bald
zur Gewißheit, und die Freude der royaliſtiſchen Cata—
207
Ionier allgemein, als fle erfuhren, ihr neuer Feldherr
ſei ihr alter General-Capitain, Don Carlos de
Eſpana. „Der allein kann uns retten,“ riefen fie
Alle, „der kennt Land und Leute, Rechte und Ge—
bräuche, unſere Noth und unſere Bedürfniſſe, die Guten
und die Schlimmen. So lange er an unſerer Spitze
war, konnte die Revolution das Haupt nicht erhe—
ben, die Ruhe und den Flor unſerer Provinz zu ſtören.
Er beſchützte Induſtrie und Handel; vor ſeinem Namen
zitterten dte Unruheſtifter; heute wird ſeine Gegenwart
genügen, Alle zu entwaffnen.“
Graf de Eſpana war in der That an der cata=
loniſchen Grenze, und ſollte nur das Vordringen einer
navarreſiſchen Expedition abwarten, die unter General
Guérgué über den Cinca geſetzt hatte, ſeinen Eingriff
zu beſchützen und ſeinen erſten Maßregeln Kraft zu
geben. Obwohl vorgerückten Alters und leidend, hatte
er dennoch den dringenden Wünſchen des Königs nach—
gegeben und verſprochen, ſich an die Spitze der Cata—
lonier zu ſtellen. Sein Aufenthalt in Majorca, wohin
er ſich von Barcelona, wie ich oben erwähnt, begeben
hatte, war nicht von langer Dauer geweſen. Er hatte
ſich dieſe Inſel zum Aufenthaltsort erwählt, wo er
208
bedeutende Güter durch ſeine Gemahlin beſaß, Erbin
eines der größten Häuſer der Balearen. Doch beun—
ruhigte man ihn dort, er mußte befürchten, gefänglich
eingezogen zu werden, und flüchtete nach Frankreich.
Die ſtete Beſorgniß der ſpaniſchen Regierung, einen
ſo gefährlichen Feind nahe und frei zu wiſſen, veran—
laßte das Miniſterium Thiers, ihm Tours als Ge—
fängniß anzuweiſen. In dieſer Stadt kam ihm der
erſte Ruf des Königs zu. Lange weigerte ſich de
Eſpana, am Abende feiner Tage nochmals, unter fo
ſtürmiſchen Verhältniſſen, ſich auf der großen Welt—
bühne zu zeigen; er ſehnte ſich nach Ruhe. Endlich
kam ein eigenhändiges Schreiben des Königs, worin
dieſer ihn beſchwor, ſeinen Bitten zu willfahren, und
durch ſeinen Eintritt in Catalonien, den königlichen
Waffen das Uebergewicht zu geben. Ein junger Spa—
nier, Namens Gil de Barnabé (7 15. Juli 1837
bei Chiva), brachte es ihm und begleitete den alten
Feldherrn bis auf cataloniſchen Boden. GuéErgué,
der, ſeinen Inſtructionen zufolge, ſich der franzöſiſchen
Grenze nähern und de Eſpana dort aufnehmen
ſollte, zog indeſſen, zwecklos und Zeit verlierend, im
mittlern und ſüdlichen Catalonien umher und erſchwerte
209
den Eintritt de Eſpana's durch fortwährende unrich-
tige Angaben ſeiner Märſche und Entfernung von den
Uebergangspunkten. Mehrere Perſonen haben mich
ſpäter an Ort und Stelle verſichert, GuErgué ſei
von einzelnen royaliſtiſchen Bandenführern durch ſchwere
Summen Geldes dazu bewogen worden, dem Eintritte
des General-Capitains alle Schwierigkeiten in den Weg
zu legen, da ſie wohl annehmen mochten, daß ſobald
de Eſpana das Commando übernähme, ihre räube—
riſche Freizügigkeit enden würde. Ich kann nicht beur—
theilen, in wiefern dieſe Anklage begründet iſt; glaub—
lich erſcheint ſie jedenfalls, wenn man das feige und
venale Benehmen Guergue’s, die namenloſen In⸗
triguen im Hoflager und in den Hauptquartieren und
beſonders die Infamien kennt, welche die Junta und
die Guerilléros in Catalonien ſich zu Schulden kom-
men ließen. Soviel konnte wenigſtens auch den Freun—
den und Anhängern Guergue’s nicht entgehen, daß
ſein Aufenthalt in dieſem Lande durch eine Reihe von
Mißgriffen und Unglücksfällen bezeichnet war; zuletzt
auf's Haupt geſchlagen, ſetzte er ſchleunig über den
Cinca, und kehrte durch das Obere Aragon nach Na—
varra zurück. De Eſpaña, der eben ſeit einigen
II. 14
210
Tagen cataloniſchen Boden betreten hatte, ſah ſich natür⸗
lich dadurch gezwungen, ihn ſogleich wieder zu verlaſſen.
Er fiel in die Hände eines franzöſiſchen Grenz—
poſtens, ward bis Perpignan escortirt und, nach un—
würdiger Behandlung, in die Citadelle von Lille abge—
führt. Dort ſaß er in ſchmachvoller Gefangenſchaft,
unter beſtändiger Aufſicht eines, in ſeinem Zimmer
poſtirten Gendarmen, der gewöhnlichſten Lebensbedürf—
niſſe entbehrend. Doch ſann ſein reger Geiſt, Nacht und
Tag nur darauf, zu entkommen, um ſich vom Schimpfe
rein zu waſchen, der nach ſeinen Begriffen, wegen des
unglücklichen Ausgangs ſeines letzten Zuges nach Ca—
talonien, auf ihm laſten müſſe. Zuerſt kam es darauf
an, die Aufmerkſamkeit ſeiner Wächter zu täuſchen,
und ihnen jeden Gedanken an Flucht ſeinerſeits, als
unmöglich erſcheinen zu laſſen; er ſtellte ſich krank,
altersſchwach und halbverrückt. Ein und ein halbes
Jahr lang, kam er nicht aus ſeinem Bette, beſchnitt
weder Bart noch Nägel, ſprach mit Niemanden, las
und betete den ganzen Tag. Er ſchrieb nie, bekam
nie Briefe, und doch war er ſtets in unausgeſetzter
Verbindung mit dem königlichen Hoflager und mit
ſeinen Anhängern in Catalonien.
211
Während deſſen fuhren dort die Guerilléros fort,
ohne Oberhaupt, das ſie leitete, iſolirt und für eigene
Rechnung zu operiren, ohne je ein entſcheidendes Re—
ſultat erreichen zu können; bald waren ſie ſämmtlich
entzweit, da jeder der Erſte ſein wollte. Guergue
hatte vor ſeinem Rückzuge, kraft ſeiner Vollmachten,
den Brigadier Brujo an die Spitze der Provinz
geſetzt; dieſem ward das Commando durch den Bri—
gadier Torres beſtritten; Torres' Siege, im Ver⸗
gleiche zur Unthätigkeit ſeines Nebenbuhlers, ſchienen
ihm einiges Recht zu geben. Die Entzweiung nahm
zu, und wurde durch die Einnahme des feſten Schloſſes
N. S. del Ort in dem Sanctuario, bis dahin für
uneinnehmbar gehalten, noch heftiger und feindlicher.
Die Niederlage Torres' und die Zerſtörung ſeiner
Diviſion, der einzigen einigermaßen organiſirten, waren
die traurigen Folgen dieſer Uneinigkeit.
Die Anhänger der Revolution laſſen ſelten günſtige
Momente unbenützt vorübereilen; auch ergriffen ſie mit
Feuereifer den Zwieſpalt der carliſtiſchen Häuptlinge und
die eintretende Erſchlaffung des Volkes; ſie hatten die
Wichtigkeit Cataloniens richtiger aufgefaßt, als die Roya—
liſten, und boten Alles auf, um zu verhindern, daß eine
14*
212
Expedition in dieſe Provinz eindringe. Bis in das
Hauptquartier Carl V. dehnten ſich ihre Intriguen
aus und faßten daſelbſt feſte Wurzel. Es gelang ihnen
durchzuſetzen, daß die brillante Expedition, die im Ja—
nuar 1836 auf dem Punkte war, in Catalonien ein=
zudringen, in Navarra zurückblieb. Eine Deputation
kam darauf zum Könige, die ihm vorſtellen ſollte, wie
nothwendig es ſei, ein Oberhaupt zu beſtellen, deſſen
Autorität durch ein bedeutendes Truppencorps Gewicht
erhielte. Sie präſentirte ſich im Namen des interimi—
ſtiſchen General-Commandanten, der regierenden Junta,
des Adels und der Diſtricte, und war größtentheils
aus jungen Leuten zuſammengeſetzt, deren Sucht nach
Würden, Aemtern und Auszeichnungen ſie ſtets bereit
finden ließ, ſich dem Willen derer im Hoflager anzu—
ſchließen, die ihren Wünſchen Gewährung verſprachen.
Die Männer, an die ſie ſich wandten, ſtellten ihnen,
aus Unwiſſenheit oder ſträflichen Abſichten, eine Truppen⸗
ſendung nach Catalonien als unmöglich vor, oder über—
trieben wenigſtens die damit verbundenen Schwierig—
keiten. Ein General und einige tüchtige Offiziere,
denen einige Fonds mitgegeben würden, wären genü—
gend; hiezu ein Intendant und eine Junta, aus den
213
marquanteſten und aufgeklärteſten Perſonen des Landes
zuſammengeſetzt, und daſelbſt ſogleich zu formiren.
Dann würde Catalonien in Maſſe aufſtehen, in Ueber—
fluß ſeine reichen Quellen öffnen, die allen Bedürfniſſen
genügten; mit Einem Worte, dann wäre der Triumph
der königlichen Sache unzweifelhaft.
Dieſe Reden wurden von der größern Maſſe der
Deputirten beifällig aufgenommen, von einigen Aelteren
unter ihnen jedoch hartnäckig beſtritten; ſie entzweiten ſich
über das, was ſie dem Könige vorſtellen ſollten, und
dieſe Uneinigkeit beſchwor neue Stürme über Catalonien.
Das Miniſterium war größeren Maßregeln abgeneigt,
und ſah mit Freude die veränderte Stimmung der
Deputirten. Der damals die Basco-Navarreſen com-
mandirende General Moreno drang mehr als je
darauf, daß keine Expedition nach Catalonien geſchickt
würde; aus dieſem Geſichtspunkte ward die Sache
dem Könige vorgetragen, von ihm angenommen und
hatte, wie es ſich bald zeigte, die unglücklichſten Fol—
gen. Von nun an war von keiner Truppenſendung
mehr die Rede; man beſchäftigte ſich allein mit der
Wahl der Generale und Offiziere, die dahin abzu—
ſchicken wären. Maroto ſollte das Commando der
214
Provinz übernehmen; ihm ward der Marechal de
camp Ortafa zur Seite gegeben; als Chef des
Generalſtabs, Brigadier Royo, und als Finanz-Chef
der Intendant Labandéro (nachmaliger Finanz—
miniſter), endlich mehrere Generalſtabs-Offiziere. Aller-
lei Hülfe wurde ihnen verſprochen; ſie verließen das
königliche Hoflager und vereinten ſich bald in Catalo—
nien, wo ſie ohne Geld, ohne Munition, vereinzelt
und verborgen, in einem, vom Feinde militäriſch beſetz—
ten Lande, ankamen. Verſchanzte Dörfer, Kirchen und
Schlöſſer zeigten ſich ihnen auf allen Punkten; mobile
Colonnen durchſtreiften das Land, und nur mit großer
Mühe erreichte das kleine Häuflein Offiziere die erſte
royaliſtiſche Guerilla, der fie ſich anſchließen konnten.
Keines von allen den Individuen, die der König zur
Bildung der Junta ernannt hatte, zeigte ſich. Den
Landleuten, die unter andern Verhältniſſen zu Tau—
ſenden ſich an ſie geſchloſſen hätten, konnte Maroto
jenen erſten Schutz nicht gewähren, unter dem ſie ſich
hätten formiren können; er hatte ja nicht Ein Bajonnet,
nicht Eine Patrone ihnen zu geben. Auch ſchien ſein
ganzes Augenmerk dahin gerichtet, von den wenigen
Bandenführern, die hie und da Kunde von ſich gaben,
möglichſt große Requiſitionen zu erheben.
Endlich gelang es den raſtloſen Bemühungen
Ortafa's, einige einzelne Guérillas zu vereinen
und mit denſelben in den Hochgebirgen zu ſtreifen.
Dieſer undisciplinirten Bande ward, von dem Feinde
und den öffentlichen Blättern, der vielverſprechende
Name einer cataloniſchen Operations-Diviſion gege-
ben. Bald concentrirte der Feind bedeutende Kräfte
in den Gebirgsſtrichen, wo Maroto mit feinen
Leuten ſich umhertrieb. Statt mit denſelben einen
Durchgang zu forciren, den Krieg in wohlhabende
Gegenden zu verlegen, zu generaliſiren, verlor Maroto
den Muth, und war nur mehr auf ſeine perſönliche
Rettung bedacht. Zu dieſem Zwecke, die ernſtliche
Verfolgung, die ihn bedrohte, abzuleiten, vertheilte er
feine Truppe. In Alpens, in einer Schlucht der Pyre—
näen, vom Feinde ereilt, ſchickte er Ortafa, mit 450
Mann, zehnfach ſtärkeren Kräften entgegen. Ortafa
blieb, ſeine Mannſchaft wurde zerſprengt, und Maroto,
ſtets härter bedrängt, opferte endlich, bei Gumbren,
das letzte Häuflein, das ihm treu geblieben, ſeine
eigene Flucht zu decken. Er überſchritt die Grenze,
nur von wenigen Offizieren gefolgt, und kehrte nach
Frankreich zurück. Royo, ſein Chef des Generalſtabs,
übernahm das Commando.
216
Maroto's Abgang und die damit verknüpften
Ereigniſſe erregten eine ſo lebhafte Senſation im
königlichen Hoflager, daß man zuerſt nicht wußte,
welche Maßregel man ergreifen ſollte, und deßhalb,
wie es in ſolchen Fällen ſich gewöhnlich zu ereignen
pflegt, zu der ſchlechteſten ſeine Zuflucht nahm. Royo's
Ernennung wurde nicht ſanctionirt, und an ſeiner
Stelle der mächtigſte Bandenführer des obern Cata—
loniens, Don Clemente Sobrevias, genannt
el Muchacho, zum General-Commandanten ernannt.
Doch nach einigen Tagen, überlegten die damals den
König umgebenden Perſonen, daß ſie den inſubordinir—
teſten und räuberiſchſten Häuptling an die Spitze der
Provinz geſtellt hatten, und eine gänzliche Auflöſung aller
Bande, die Catalonien an die Sache der Legitimität
knüpften, die unvermeidliche Folge davon fein würde. Eil—
boten wurden nachgeſchickt, el Muchacho's Ernennung
zu widerrufen und Royo zu beſtätigen. El Muchacho
war 48 Stunden General-Commandant geweſen.
Wichtige Ereigniſſe in Navarra, der mächtig zu—
nehmende Aufſchwung Valencia's unter Cabrera,
— Gomez, Don Baſilio und Batanero, die
Einer nach dem Andern an der Spitze ihrer Expe—
217
ditionen Madrid bedrohten, hatten die Aufmerkſamkeit
der conſtitutionellen Regierung größtentheils von Cata—
lonien abgezogen. Maroto's Flucht ward von den
Chriſtinos als großer Sieg gerechnet, und Royo's
Unthätigkeit ſchien unſchädlich. Durch die ihnen ge—
laſſene Freiheit aufgereizt, vom Feinde wenig verfolgt,
erhoben ſich in ganz Catalonien einzelne Guerilléros,
einer vom andern, ſo wie alle von ihrem Chef unab—
hängig, den Krieg für eigene Rechnung fortzuführen.
Sie theilten unter ſich die Gebirgsſtriche, und keiner
übertrat den Diftriet feines Nachbarn; im Eigenen
ward requirirt und erpreßt, um für die Bedürfniſſe
der Guerilla und die Habſucht des Häuptlings reichlich
zu ſorgen. Dieſe Banden wuchſen täglich; manchmal
wagten ſie ihre Streifzüge bis in die reizenden Thäler
des Lampurdan, die fruchtbaren Ebenen des Campo
de Tarragona, ja bis in die Gärten und Villas um
Barcelona. Die abenteuerlichen Cabecillas, die fie
führten, ſind bekannt genug. Ich habe Gelegenheit
gehabt im erſten Theile dieſer Erinnerungen ihrer zu
erwähnen und von dem traurigen Zwieſpalt zwiſchen
General-Commandant und Junta zu ſprechen, der
alle militäriſchen Fortſchritte paraliſirte. Trotz ſeiner
218
mehr nominellen, machtloſen Stellung gelang es
dennoch Royo ein paarmal einige Banden zu ver—
einen, die in beſſerem Einvernehmen zu ihm ſtanden,
da er ſie nicht ſtörte. Mit ihnen ſchlug er im Februar
1837 Oliver bei Gervera, im Mai Oſörio bei
Olban, und nahm im ſelben Monat, nach einem
glücklichen Gefechte gegen van Meer, Solſona ein.
Doch konnte dieſer Zuſtand der Dinge nicht von
Dauer ſein. Einzelne Häuptlinge, wie Triſtany, die
zu mächtig geworden, fingen an, nur mit Widerwillen
ſelbſt dieſen Schatten von Suprematie zu ertragen,
und jeder wäre ſelbſt gern General-Commandant ge—
worden. Die Intriguen der Junta, die Nichtigkeit
des General-Commandanten, und zwiſchen beiden die
räuberiſchen Häuptlinge, die bald eigenmächtig das
Land ausbeuteten, bald für den General-Comman—
danten oder wieder für die Junta ſich erklärten, je
nachdem ſie durch den Einen oder die Andere Gnaden
aus dem königlichen Hoflager erwarteten, dies Alles
verſetzte Catalonien in das grenzenloſe Elend, und die
ſchaudervolle Anarchie, wie wir es im Juni 1837 beim
Einmarſch der königlichen Expedition fanden. Klagen
über Alle kamen von Allen. Ohne bedeutende Mittel,
219
die dem Könige nicht zu Gebote ſtanden, war es ſchwer
abzuhelfen; doch vereinten ſich die meiſten Bitten dahin,
es möchte ein kräftiges Oberhaupt an die Spitze der
Provinz geſtellt werden. Urbiztondo ward ernannt,
doch auch er konnte nicht durchgreifen; und verließ
Catalonien Anfangs 1838, wie ich mit mehr Details
im erſten Theile dieſer Erinnerungen erzählt. Triſt any
übernahm ſofort das Commando, doch mußte er es
nach wenigen Wochen an den Brigadier Segarra
abgeben und ſich nach dem Hoflager verfügen.
Dort konnte man, nur mit Jammer den ſich ſtets
verſchlimmernden Zuſtand der Dinge ſehen, der dieſen
größten und reichſten Juwel der ſpaniſchen Krone,
ſeinem Herrn ganz zu entreißen drohte. Da dachte
man wieder an den alten Feldherrn, der durch eine
Reihe von Jahren, unter gleich unglücklichen Conſtel—
lationen, mit gigantiſchen Kräften zu ringen verſtanden.
Wo ſeine fünf Vorgänger ſeit Ferdinand VII. Tode,
unter leichteren Verhältniſſen, in der Aufgabe geſchei—
tert, ſollte de Eſpama durchdringen, und das zu
einer Zeit wo an der Spitze der feindlichen Reihen
ſein ehemaliger Zögling ſtand, der in ſeiner Schule
zum Feldherrn gebildet, jene große Kenntniß aller
220
Kriegsliſten, jenes meiſterhafte dominiren der Mafjen
ihm abgelernt hatte, die den Namen de Efpana’s bei
allen ſpaniſchen Militärs durch ewige Zeiten tragen
werden. De Eſpana und van Meer ſollten ſich
gegenüber ſtehen, der Fremdling gegen den Fremdling,
da war nicht viel Schonung ſpaniſchen Blutes zu erwar-
ten, doch war man jedenfalls darüber einig, daß die An—
kunft de Eſpana's eine wichtige Reaction, Zerſtörung
des feindlichen Operations-Planes hervorbringen würde.
Die chriſtiniſche Armee, in zwei große Heeres—
haufen unter ihre zwei beſten Generale geſtellt,
ſollte durch Vernichtung der zwei Hauptfoyers die
gänzliche Ausrottung der carliſtiſchen Sache bewerk—
ſtelligen. Alle übrigen Factionen wurden verachtet;
das frühere Syſtem, jede Guerilla bei ihrem erſten
Entſtehen, lebhaft zu verfolgen und ihr weiteres Um—
ſichgreifen zu verhindern, als Zeit und Kräfte zer—
ſplitternd aufgegeben, wie es die Abberufung Nar—
vaez's mit der Reſerve-Armee aus der Mancha be—
wieſen hatte, und die Madrider Regierung glaubte,
daß mit dem Falle der zwei großen Häupter, die
kleineren ſich von ſelbſt verlieren würden. Die Garden
und die Hauptkräfte des conſtitutionellen Spaniens
221
ſtanden unter Eſpartéro am Ebro; die Operations
armee vom Centrum durch alle disponiblen Corps
verſtärkt, operirte im Niedern Aragon unter Oräa
gegen Cabrera, und Niemand, am wenigſten in
unſern Hauptquartieren, konnte damals ahnen, daß
Eſpartéro's ſtets thätige Eiferſucht, fein reger Neid
gegen ſeine Waffengefährten, ſelbſt dazu beitragen wür—
den, ihre Anſtrengungen zu paraliſiren, und daß eine
Mitwirkung an ihren Operationen ſeinerſeits, nicht zu
befürchten. Wie dem auch ſei, Alles ſchien darauf
hinzudeuten, der wahre Moment zur Ankunft des
Grafen de Eſpaña ſei gekommen.
Nach fünf vergeblichen Reiſen vom königlichen
Hoflager nach Lille und zurück, kam der Graf von
Fonollär im Juni 1838, mit allen königlichen Voll—
machten verſehen, in Lille an; die Flucht ward be—
ſprochen und ſogleich ausgeführt. Einige unſerer
Freunde, die nicht genannt ſein wollen, wirkten mit
eben ſo viel Muth als Selbſtaufopferung bei dieſem
ſchwierigen Unternehmen. Es gelang wider alle Er—
wartung. Am 26. Juni langte Graf de Eſpaña,
von dem Kriegscommiſſär Peralta begleitet, in Tou—
loͤuſe an, wo Fonollär ihn erwartete und ſogleich
ID
1
1⁰
weiter führte; Tags darauf war er in Foix. Seit
fünfzig Jahren ſah er das erſte Mal ſeinen Geburtort
wieder; auf dem Rücken eines berühmten Contreban—
diers ward er durch die Schluchten der Maladetta
getragen; am erſten Juli traf er auf dem neutralen Ge—
biet von Andorra ein; am zweiten empfing ihn el Ros de
Eroles in den Thälern des Urgel, unter den Kanonen
der Seu, und am vierten hielt der alte Feldherr ſeinen
Einzug in Berga. Alles jubelte und ſchien freudig;
eine glänzende Zukunft ſollte den royaliſtiſchen Cata—
loniern werden; alle Kräfte würden in gemeinſamer
Tendenz zuſammenwirken. N
De Eſpana fing gleich damit an, Ordnung,
Disciplin herzuſtellen und an dieſem großen Augias-
ſtalle zu rütteln, ihn mit einem Mal zu reinigen.
Die Junta, welche die Ein- und Abſetzung der frü—
heren General-Commandanten bewirkt hatte, war nun
dem neuen Chef untergeordnet, der mit den ausge—
dehnteſten königlichen Gewalten auftrat. Er ſchickte
ſie nach Avia, einem kleinen Dorfe, zwiſchen den
Kanonen von Berga und ſeinem Hauptquartier Caſer—
ras. Keiner durfte ſich ohne ſpezieller Erlaubniß ent—
fernen. In finanzieller und adminiſtrativer Hinſicht
wurden bedeutende Verbeſſerungen eingeführt; Unord—
nungen aller Art raſch und ſcharf geſteuert; räuberiſche,
ſelbſtſüchtige Häuptlinge exemplariſch beſtraft; den
Zügelloſeſten ihre Banden abgenommen und unſchäd—
liche Stellen angewieſen; die Führung der Bataillone
tüchtigen Offizieren anvertraut. Die Truppen wurden
gekleidet, genährt und bezahlt; den großen materiellen
Hülfsmitteln ward ein geregelter Gang angewieſen,
das Steuerſyſtem geordnet, bloß regelmäßige Beträge
gefordert, die direct an die Finanzintendantur floſſen,
und die Dörfer von dem Drucke der Soldateska befreit.
Die Bataillone mußten abwechſelnd den Dienſt im
Hauptquartier verrichten, und unter den Augen des
Generals wurde eine gehörige militäriſche Bildung den
Offizieren und Soldaten beigebracht.
Trotz der vielen Schwierigkeiten, die mit dieſen
ſchnellen und gründlichen Veränderungen nothwendig
verknüpft waren, hatte doch de Eſpana auch noch
Mittel gefunden, mehrere bedeutende Einrichtungen
bis in die kleinſten Details vorzunehmen. Als ich
nach Caſerras kam, waren es noch nicht drei Monate,
daß dieſer raſtloſe Greis das Commando führte, und
doch überall Spuren ſeines thätigen Waltens zu er—
224
kennen. Die Militäranftalten in Borrada habe ich
ſeiner Zeit berührt; eine geregelte Communication mit
Nieder-Aragon und Valencia, war bereits in beſter
Harmonie mit Cabrera eröffnet, fo daß eine Courier—
linie zwiſchen Morella und Berga beſtand, die bei
Bobéras und Flix den Ebro paſſirte, und von der
im ſelben Jahre durch Cabrera eingenommenen Feſtung
Mora de Ebro protegirt ward. Ueber die acht Com—
pagnien Carabiniers der Douane, die Corregimental—
Gouverneurs und Comandantes de Armas hatte ich
bereits Gelegenheit mit mehr Details zu ſprechen. —
Es war unläugbar, das ganze Land ſchien aufzuleben,
von einem großen Drucke befreit. Unſere Operationen
nahmen einen kriegeriſchen Gang; Barcelona zitterte
wieder vor dem Namen des Grafen de Efpana.
Dieſer impoſanten Stellung ungeachtet, die de
Eſpana anzunehmen gewußt hatte, waren ſeine
Kräfte doch mit denen des Feindes nicht zu vergleichen.
Außer Berga beſaß er nur zwei feſte Punkte, San
Lorenzo de Moruns (oder de Murullo) auf dem Höhen—
zuge, welcher die Waſſerſcheide des Cardenet und des
Rio Salado (Salzwaſſer) bildet; ferner das Fort
N. S. del Ort in dem Sanctuario, einem durch eine
Einſiedelei gekrönten Berge. Der Feind hingegen
becupirte acht Plätze erſter Ordnung: Barcelona mit
Monjuich dem zweiten Gtbraltar, Figuéras, Geröna,
Tarragona, Lérida, Tortoſa, Cardöna, Seu d'Urgel,
mit Hunderten von Kanonen und bedeutenden Vor—
räthen aller Art. Außerdem hatte van Meer viele
Städte, Flecken und Dörfer, beinahe alle Küſtenſtädte
und alle Orte fortifieirt, die an der Heerſtraße von
der Grenze Aragons nach Barcelona, in einer Linie
von mehr als dreißig Leguas, liegen. Vier mobile
Colonnen, jede von 2500 bis 3000 Mann Infanterie
und 200 Pferden, wurden von dem chriſtiniſchen Gene—
ral⸗Capitain mit Schnelligkeit, vor dem zu bedrohenden
Punkte verſammelt. Alle dieſe Hülfsmittel hatten van
Meer in die Möglichkeit geſetzt, im letzten Auguſt
(1838) vor Soljona 12000 Mann Fußvolk, 1000
Reiter und 12 Feldgeſchütze zu vereinigen, eine be—
deutende Anzahl Belagerungspiècen nicht gerechnet.
Soljona ging verloren, da weder Urbiztondo noch
Segarra auf den Einfall gekommen waren, das
Schloß, welches die Stadt dominirt, in Vertheidigungs—
zuſtand zu ſetzen, und de Eſpana die Zeit hiezu
mangelte. Ein paar Ravelinen waren bald erſtürmt
I 15
und durch die vorſchnelle Uebergabe des, in ein Caſtell
verwandelten, biſchöflichen Pallaſtes, welchen Oberſt
Tell de Mondedeu nicht zu vertheidigen wußte,
Solfona in Händen der Feinde. Dieß geſchah vier
Wochen nach Ankunft de Eſpana's.
Ueber dieſen erſten Revers, ſo bald nach Antritt des
Commandos, ergrimmt, beſchloß er doch, zuerſt feine dis-
poniblen Kräfte zu organiſiren, und ſpäter in einer Herbſt—
campagne Revanche zu nehmen. Durch die ſchon erwähnte
fehlerhafte Einrichtung Royo's fand de Eſpana die
cataloniſchen Truppen in 23 Bataillone, ſehr ungleicher
Stärke, eingetheilt. Doch glaubte er vor der Hand
dieß beibehalten zu müſſen, um durch irrige Auslegung
ſeiner Veränderung, nicht etwa den Feind an eine
Reduction glauben zu machen. Ungefähr ein halbes
Jahr ſpäter, als ich Catalonien ſchon verlaſſen hatte,
ſchmolz er die 23 in 14 gleichförmige Bataillone, denen
er auch die Nummern abnahm, und Namen, meiſt
nach den Gegenden, wo ſie geworben wurden, beilegte,
als: Volontairs vom Monſerrat, Jäger vom Urgel,
Guiden vom Felde von Tarragona. Als ich in Caſer—
ras eintraf, hatte de Eſpana aus feinen Truppen
drei Operations- und eine Reſerve-Diviſion gebildet.
227
Die erſte, unter Brigadier Porredon, beſtand aus
vier Bataillons, wovon eins in das Hauptquartier des
General-Capitains commandirt war, die drei übrigen,
unter ihrem Chef, an der Grenze des Obern Aragon
ſtreiften. Die zweite, unter Oberſt Caſtells, zählte
fünf Bataillons, wovon eins im Hauptquartier, zwei
in Berga garniſonirten und zwei in den Hochgebirgen
herumzogen. Die dritte, unter Brigadier Mbanez
(El Llarj de Copons), war aus ſechs Bataillons
gebildet, die ſämmtlich das Feld von Tarragona, im
reichſten Theile Cataloniens, beſetzt hielten, und dort
für die Bedürfniſſe des ganzen Corps ſorgten, nament—
lich jener Abtheilungen, denen ärmere Landſtriche zuge—
wieſen waren. Die Reſerve beſtand aus ſechs Batail—
lons, unter Brigadier Brujo, von denen eins im
Hauptquartier, eins in Berga, die andern vier in den
Corregimenten Vich, Gerona und Figueras ſtationirten
und die Rekruten abrichteten. Dies gab 21 Batail-
lons; zwei, unter Tell de Mondedeu, waren in
Solſöna theils zuſammengehauen, theils gefangen wor—
den; de Eſpana hat fie nicht wieder errichten laſſen.
Die Artillerie war ſehr gering; außer den Po—
ſitionsſtücken in Berga, San Lorenzo und in dem
13 *
228
Sanctuario gab es nur acht mobile Geſchütze, zwei
ſiebenzöllige Mörſer, vier Vierpfünder und zwei zwölf—
pfündige kurze Haubitzen, ſämmtlich von Bronze. Sie
wurden auf Maulthieren, über alle Berge und Schluch—
ten weggetragen, und waren, trotz ihrer Geringfügig—
keit, doch manchmal nicht ohne Nutzen. Das Rohr
lag auf einem Maulthier, die Laffette auf dem zweiten,
die Munitionskaſten auf ein Paar andern, und die
Offiziere ritten auf Ponies nach. Zwei Compagnien
bedienten dieſe kleine Batterie; de Eſpaña hatte
ihnen Korshüte mit kleinen Büſchen, nach Art der
öſterreichiſchen Artillerie, gegeben. Ein alter Oberſt—
lieutenant war ihr Chef. In einer in den Gebirgen
verſteckten Gießerei ward immerwährend gearbeitet, und
in Berga eine Bohrerei etablirt. In der letzten Zeit
war auch eine Sappeur-Compagnie errichtet worden.
Die Cavallerie beſtand aus 200 Pferden, geführt
vom Oberſten Camps; die ſahen freilich fabelhaft genug
aus, mit ihrem Chef anzufangen, der die ſpaniſchen
Rodomontaden und das engliſche Wort hombug in
ſich perſonificirt zu haben ſchien. So war zum Beiſpiel,
ſein Säbel aus zwei Klingen zuſammengeſchmiedet,
weil er behauptete, Eine ſei für ihn zu leicht und
9) 29
—
reiche für ſeine Hiebe nicht hin. Ein andermal erzählte
er mit größtem Ernſte, er habe eines Tages im Hand—
gemenge ſich, durch mehrere Stunden, ſo furchtbar
herumgeſchlagen, daß ſeine Fauſt nicht vom Griffe
wollte, und man ſie erſt in warmes Waſſer tauchen
mußte, den Krampf zu löſen. Außer ſeinen 200 aben—
teuerlichen Reitern, hatten wir noch in Catalonien,
durch eine Weile, zwei ſchöne Escadrons des Reiter—
regiments von Tortoſa, unter dem Commandanten
Beltran, von Cabrera dem Grafen de Eſpaña
zugeſchickt.
um mit dieſen geringen Kräften dem Kriege
ernſte Seiten abzugewinnen, einen militäriſchen Vor—
theil nur möglich zu machen, war mehr als gewöhn—
liche Thatkraft und ein unerſchütterlicher Wille noth—
wendig, der durch tägliche Deceptionen und oftmaliges
Mißlingen der beſtcombinirten Plane ſich nicht ein—
ſchüchtern ließ. Nur der raſtloſen Energie des Grafen
de Eſpana war es gegeben, eine Zeitlang da durch—
zudringen, wo alle Andern bei den erſten Ordnungs-
verſuchen geſcheitert hatten; nur er hat dieſem doppel—
ten Kampfe, gegen den Feind von Außen und die bei—
ſpielloſeſte Inſubordination im eigenen Lager, mit ſo
230
unzureichenden Mitteln die Stirne geboten. Es hat
zweier ſo unerhörter Schandthaten bedurft, wie der
Verrath Maroto's und ſeine eigene Ermordung
waren, um den alten Feldherrn mitten in ſeinem
ſpäten Siegeslauf aufzuhalten; denn wie ſehr auch
die letzten Monate des Jahres 1837 und Guergue’s
Commando, Navarra und die baſkiſchen Provinzen demo—
raliſirt hatten, mit Feldherren wie de Efpana in
Catalonien und Cabrera in Aragon hätte es nur
eines mittelmäßigen Generals, aber keines Verräthers,
im alten Kriegsſchauplatze bedurft, deſſen einzige Auf—
gabe geweſen wäre, den unthätigen Gfpartero in
Schach zu halten, um ungeachtet aller Intriguen des
Hoflagers, den carliſtiſchen Waffen ihren alten Zauber,
ihr verlornes Uebergewicht wieder zu geben.
V.
Executionen des Grafen de Eſpana. — Frau von Mondedeu. —
Vorſchlag und Brief an Cabrera. — Eröffnung der Campagne. —
Nequiſitionsmittel. — Der Pfarrer von Valſarén. — Lit de justice
in Caſerras. — Expedition vor Cardöna. — Marco del Pont. —
Hauptquartier im Priorate Puig-Reig. — Zerſtörung der Häuſer
um Berga. — Expedition nach dem obern Segre und dem Thale
von Aran. — Die Nepublik Andorra. — Einnahme von Viella. —
Affaire an der Brücke von Escalö. — Nückzug bis Oliana. —
Abgang von der cataloniſchen Armee und Zug bis Perpignan. —
Ueber die Ermordung des Grafen de Efpana.
(Ende September 1838 bis Neujahr 1839.)
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Das Leben im Hauptquartier des Grafen de
Efpana war ziemlich einförmig, wenn gleich ſehr
thätig, da ſein ſtets raſtloſer Geiſt ſich und Andern
wenig Ruhe ließ. Wenn man ſich in die originellen
Seiten, mitunter barocken Einfälle des launigen Greiſes
zu ſchicken wußte, war es leicht mit ihm gut auszu—
kommen; denn unter ſeinem oft ſtrengen und barſchen
Aeußern ſchlug ein warmes Herz, freilich manchmal
etwas tief verborgen. Es war ihm in ſeinem beweg—
ten Leben zur andern Natur geworden, alle weichen
Regungen als Schwächen zu unterdrücken; aus dieſem
beſtändigen Kampfe, zwiſchen wohlwollenden Gefühlen
und dem, was er gewiſſenhaft für Pflicht hielt, erfolg—
ten manchmal Widerſprüche, die von Fremden falſch
ausgelegt wurden; ſo geſchah es oftmals, daß nach—
dem man ihn gerührt, zu ſanften Maßregeln bewegt
234
hatte, er plötzlich zu erwachen, ſich zu ermannen ſchien,
und dann leider zuweilen deſto ſchärfere Ausſprüche
erfolgten, als er ſich von ſeiner Richtſchnur weit abge—
leitet glaubte.
Es iſt oft und viel von der Grauſamkeit, Blut-
gier des Grafen de Eſpana die Rede geweſen; alle
Blätter haben ſich hierüber breit ausgelaſſen, und
ſelbſt viele Royaliſten mit feſtem Glauben bedauert,
unſere gerechte und heilige Sache durch derlei Gräuel
befleckt zu ſehen. Ich habe dieſes Alles oft mit an—
gehört, auch zu verſchiedenen Malen dem Grafen de
Eſpaña franzöſiſche und ſpaniſche Zeitungen vorge—
leſen, die ihn als „Unmenſch, Bluthund, Raubthier
(fiera) und Tiger“ qualifizirten; was letztere Benen—
nung anbetrifft, jo war fie ſogar dermaßen zum ſtehen—
den Epitheton geworden (el ex-conde de Espana,
este tigre gavacho), daß als einſt der Eco del
Comercio unſern Bandenführer der Mancha, Palillos,
einen Tiger nannte, de Eſpaña lächelnd meinte,
das wäre uſurpirt, er ſei der legitime Tiger.
Auf den Grund dieſer Diatriben zu kommen
dürfte wohl nicht ſchwer ſein; alle liberalen Blätter
der Welt wiederholen nur zu gern, ohne weiterer
239
Unterſuchung, Lügen und Verläumdungen über huch-
geſtellte Perſonen, beſonders wenn ſie, Inſtrumente
königlicher Strafgerichte, mit Vollführung ſtrenger Ur—
theile beauftragt ſind. Ich kann nur aus eigener
Erfahrung ſprechen; mein Urtheil mag vielleicht als
Carliſt nicht unpartheiiſch ſcheinen, unabhängig iſt es
jedenfalls. — Ich habe den Grafen de Eſpana oft
unerbittlich, vielleicht zu ſtreng geſehen, beſonders wenn
er Deſertion, Räuber, Inſubordination, vorſätzlichen
Ungehorſam, Feigheit und Aufwiegler zu ſtrafen hatte;
ungerecht, willkührlich grauſam iſt er mir nie er—
ſchienen, und gar die Anklage einer Luſt am Strafen,
freudigen Ingrimms, die ſo oft erhoben wurde, muß
ich aus meiner innigſten Ueberzeugung mit Abſcheu
zurückweiſen. An einigen Grundſätzen hielt er, fo
viel mir ſeine Handlungen erklärlich waren, mit
unbeugſamer Feſtigkeit, und alle perſönliche Berückſich—
tigung, alle Bitten hätten ihn nicht erſchüttert. So
ſtrafte er Offiziere ſtrenger als Soldaten, und dieſe
Strenge wuchs mit dem Range der Schuldigen. Seinen
Gerichten gab er möglichſte Publizität, verwandte Alles
daran, große, langhaltende Eindrücke in den Augen
der Menge hervorzubringen, ihr zu imponiren; er
236
ſchien weniger, Sühne dem Geſetze geben als abſchre⸗
ckende Beiſpiele ſtatuiren zu wollen. Von öffentlich
ausgeſprochenen Entſcheidungen war er nie abzubringen,
beſonders wo es galt jene Verbrechen zu züchtigen,
die in Catalonien allgemein eingeriſſen hatten, wie
Plünderung, Erpreſſungen wehrloſer Landleute. Er
fällte ſeine Urtheile nur langſam, nachdem er, in ſich
verſchloſſen, einige Zeit darüber nachgedacht, düſter
hingebrütet hatte; dann wurden ſie hell, klar, mit
donnernder Stimme ausgeſprochen und die Ausfüh—
rung folgte ſtets auf dem Fuße; aber wehe dem, der
geſucht hätte ihn zu influenziren oder gar aufzureizen,
gegen den hätte ſich der ganze Zorn des General—
Capitains gewandt.
Wenige Tage nach meiner Ankunft in Caſerras
habe ich zwei Executionen beiwohnen müſſen; ſie ſind
mir um ſo lebhafter im Gedächtniß geblieben, als
auch ich, von der eiſenen Härte des Grafen de Efpana,
übertriebene Begriffe nach Catalonien mitgebracht.
Einige Landleute waren mit Klagen über vermummte
Perſonen zu ihm gekommen, allem Anſcheine nach
über carliſtiſche Offiziere, die einzeln ſtehende Höfe
überfallen, die Wirthe an Bäume gebunden und unter
237
furchtbaren Drohungen zur Herausgabe ihrer baaren
Habe gezwungen hatten. Die Wuth des Generals
war gränzenlos; er ſchwor bei U. L. F. vom Mon—
ſerrat und bei ſeiner Ehre, ein furchtbares Gericht
halten zu wollen. Augenblicklich gab er einem Cabo
de mozos und zwanzig Minonen geheime Befehle,
und machte Erſteren für das Einbringen der Schul—
digen, bei ſeinem Kopfe verantwortlich. Als ſie weg
waren, ward er ruhiger; doch im erſten Momente
ſeines Zornes wagte Niemand in feine Nähe zu tre—
ten. — Nach zwei Tagen kamen die ausgeſchickten
Minones zurück und brachten drei Offiziere mit:
Triſtany's Adjutanten und zwei ehemalige Lieute—
nants ſeiner Bande, die ſämmtlich vor Kurzem durch
de Eſpana in ein Depot, unter Aufſicht (de cuar-
tel), geſchickt worden. Eine durch zehn Minuten ver—
ſammelte Unterſuchungs-Commiſſion verhörte, überwies
und verurtheilte ſie; dann ſandte der General ihnen
einen Beichtvater zu, und am nächſten Morgen wurden
ſie auf dem Exerzierplatze vor Caſerras, in Gegenwart
ſämmtlicher Truppen fuſillirt. Er ſelbſt war zugegen,
ſein ganzer Generalſtab, alle im Hauptquartier anwe—
ſenden Offiziere und Beamte mußten ebenfalls bei—
wohnen. Als der Moment gekommen war, hielt de
Eſpana eine Anrede an die Truppen, erzählte ihnen
kurz die Geſchichte des Verbrechens, und ließ Feuer
geben. Nachdem ſie gefallen, entblößte er ſein Haupt
und wandte ſich zu ſeinem Gefolge: „Meine Herren,
beten wir zu Gott für die Seelen der Verſtorbenen.“
Den ganzen Tag war er verſtimmt; als wir Nach—
mittags am Heerde der Küche ſaßen, kamen Thränen
in ſeine Augen, und er ſagte ein paarmal, mit halb—
lauter Stimme, vor ſich hinblickend: encore trois.
Ungefähr zur ſelben Zeit wurden einige Soldaten
eingefangen, die, als Marodeurs zurückgeblieben, kleine
Diebereien verübt hatten. Unter ihren Waffen befan⸗
den ſich die bereits erwähnten Cuchillos; eines war
eingeſägt. Bei dieſem Anblicke gerieth der General in
ſo ungemeſſenen Zorn, als ich ihn früher nie, ſelbſt
nicht beim eben angeführten Vorfall, geſehen. Ich
glaube, wenn die Inculpaten vor ihm geſtanden hät—
ten, er würde ſie ſelbſt niedergeſtochen haben. So—
gleich ward Generalmarſch geſchlagen, die Garniſon im
Carré formirt, und der unglückliche Beſitzer des dente—
lirten Meſſers in die Mitte geführt. Es wurde ihm
mit Stricken, einem Pferdgebiß gleich, in den Mund
239
gebunden, und fo ſollte er, durch 200 Mann, zehnmal
Spießruthen laufen. Nach den erſten Gängen fiel er
halbtod hin und wurde weggetragen. De Eſpaña
empfahl den Chirurgen die größte Sorgfalt, und als
nach einigen Tagen der Sträfling gehen konnte, ward
er mit demſelben Ceremoniell, das bei ſeiner Züchti—
gung angewendet worden, todgeſchoſſen. Seine Spieß—
geſellen, die ungeſägte Meſſer geführt hatten, kamen
mit Spießruthen davon.
Doch genug von dieſen ſchauderhaften Scenen,
auf die ich nur mit Widerwillen zurückkomme. Ein
anderes Bild, ſeltſamer, faſt wehmüthiger Natur, iſt
mir noch im Gedächtniß und mag zur Complettirung
der Skizzen über den Grafen de Eſpana, hier Platz
finden. — Bei der vorſchnellen Uebergabe von Sol—
fona war mit der Garniſon ihr Chef, Oberſt Mon—
deden, gefangen worden und ſchmachtete im Caſtell
von Barcelona. Wir waren auf dem Punkte, einen
Austauſch von Gefangenen vorzunehmen; da kam
Mondedeä's Gattin, warf ſich dem General zu
Füßen und beſchwor ihn, ihren Mann in der Conven—
tion zu begreifen. Es war eine junge, kaum ſechzehn—
jährige Portugieſin, klein und ſchlank, mit moresken
240
Geſichtszügen und glühenden Augen. Ihre ſüdlichen
Formen, das vollkommene Ebenmaß ihrer Glieder,
gaben ihr einen beſondern Reiz, wie, in Thränen auf—
gelöſt, an die Knie des alten Mannes geſchmiegt, ſie
flehend zu ihm aufblickte. De Eſpama war in ficht-
licher Verlegenheit, bat, tröſtete im liebenswürdigſten,
ſanfteſten Ton; Alles vergebens; ſie wollte nicht auf—
ſtehen, bis der General fein Wort als Edelmann (pa-
läbra de Caballero) gegeben; doch damit ſchien er
nicht heraus zu wollen. Endlich glaubte auch ich,
ausnahmsweiſe fürſprechen zu müſſen, und nannte den
Namen eines in Carall befindlichen chriſtiniſchen Ober—
ſten, der gegen Mondeden ausgewechſelt werden
könnte; doch ein ſtrenger Blick de Eſpanña's ſchloß
mir den Mund. — Bei allem Aufwande von Galan—
terie, die ſchöne Frau zu tröſten, blieb er unerbittlich;
er lud ſie zu Tiſche, gab ihr den Arm, legte ſelbſt
ihr die beſten Stücke vor; doch wie ſie von ihrem
Manne zu ſprechen anfing, fiel ihr der General mit
kläglicher Miene in's Wort: „Um Gott! Seßora,
kränkt mich doch nicht ſo.“ Als wir endlich allein
waren, verſicherte er mich, ſchon lange nicht fo viel
gelitten zu haben; „ich kann,“ ſchloß er, „den Oberſt
241
Mondedeu nicht auswechſeln; denn ich müßte ihn
für die elende Vertheidigung von Solſöna vor ein
Kriegsgericht ſtellen und erſchießen laſſen; das Beſte
für ihn iſt alſo, daß er gefangen bleibt. Doch ſeiner
Frau konnte ich das freilich nicht ſagen.“ “)
Die aufgehobene Belagerung von Morella „der
Sieg bei Maella über Pardinas und die Einnahme
von Caspe, hatten Cabrera ein ſo entſchiedenes
Uebergewicht gegeben, daß eine größere Operation, in
combinirter Mitwirkung mit ihm, ein Lieblingswunſch
de Eſpanña's zu fein ſchien. Weit entfernt von jener
Eiferſucht, die bei ſpaniſchen Generalen ſo gewöhnlich
iſt, vernahm er ſtets mit Freude die Siegesbotſchaften
des jungen Feldherrn, und ſandte ihm in den erſten
Tagen Oktober einen Offizier mit ausgedehnten Voll—
machten, eine Vereinigung beider Truppencorps oder
mindeſtens eine Zuſammenkunft der zwei Generale zu
beſprechen. Er ſchrieb an Cabrera: „Ich zähle ſo
viel Jahre als General-Lieutenant, als E. E. an
Leben, und doch werde ich mich freudig mit meinen
*) Mondeden ward 1839 durch Cabrera eingelöft und
de Eſpanña reclamirte ihn nicht.
II. 16
242
Truppen unter die Befehle des ſiegreichen Feldherrn
ſtellen, den die Vorſehung zum Inſtrument ihrer
Plane auserſehen zu haben ſcheint.“ Zwei detaillirte
Vorſchläge, die auch ſpäter de Eſpana Herrn
von Rahden mitgab, waren dieſem Briefe beige—
fügt. Der erſte lautete dahin, daß zwei Diviſionen
Cabrera's den Ebro bei Flix paſſiren, ſich links
gegen Lerida wenden und — in Vereinigung mit einer
cataloniſchen Diviſion, die bereits bei Ager, auf dem
Höhenrücken zwiſchen dem Segre und dem Nogueras
Ribagorzana, eine feſte Stellung genommen hätte, — in
das Obere Aragon einrücken und die Verbindung mit
Navarra eröffnen ſollten. Das feindliche Armee-Corps
unter van Meer, als das einzige disponible, hätte
unmittelbar dagegen operiren müſſen, und de Eſpaña
mit den drei übrigen Diviſionen ſich ſofort auf deſ—
fen Communicationen geworfen. — Der zweite Vor-
ſchlag war vielleicht mehr auf das ſpezielle Intereſſe
der Operationen in Catalonien berechnet: Cabrera
ſollte den Ebro bei Kerta oder Mora de Ebro paſſiren,
ſich ſogleich auf das offene Reus, eine der reichſten
cataloniſchen Küſtenſtädte, werfen, und dann im Ver⸗
eine mit der Diviſion Nba ez (el Llarj de Copons),
243
im Felde von Tarragona, operiren. Ehe van Meer
zu Hülfe eilen könne, müßten Reus genommen, und
die reichſteu Capitaliſten als Geißel nebſt den dort
aufgehäuften Kriegsvorräthen abgeführt werden. De
Eſpana würde dann ſeinerſeits, mit ſeinen übrigen
Truppen, über van Meer herfallen, der nur mit
getheilten Kräften auftreten könnte.
Dieſe beiden Pläne ſind an vielen Gründen
geſcheitert, vielleicht auch an der Abneigung Cabre—
ra's, über den Ebro zu ſetzen und mit ſeinen Trup—
pen an deſſen rechtem Ufer zu operiren, da er immer
mehr nach dem Süden oder nach Madrid, dem Her—
zen der Monarchie hin, getrachtet hat, und nur die
äußerſte Nothwendigkeit ihn vermochte, als Alles ver—
loren war, ſich in der letzten Zeit unſers Kampfes
nach Catalonien zu wenden.
Der Herbſt rückte indeſſen heran, und mit ihm
der, von de Efpafia zur Eröffnung der Feindſelig—
keiten auserſehene Moment. Als er zuerſt dem Fi—
nanz = Intendanten davon ſprach, und um den Zuſtand
der Kriegscaſſen ſich erkundigte, klagte dieſer über
Geldnoth. Doch konnte eine ſolche Rückſicht de
Eſpana nicht zurückhalten; auch verſprach er ihm
16 *
244
baldigſt abzuhelfen, und fragte nur, welche Summe
etwa fehle und zur nächſten Auszahlung der Truppen
nöthig ſei. Oberſt Camps erhielt den Befehl einen,
mit den Gebirgsſtrichen des Obern Aragon vertrauten
Offizier und einige Reiter in's Hauptquartier zu ſen⸗
den, welchen der General geheime Befehle gab. Als
nach etwa zehn Tagen Niemand mehr an dieſen Gegen—
ſtand dachte, traf die kleine Streifpartei unvermuthet
eines Mittags in Caſerras ein; ſie brachte zwei reiche
aragoneſiſche Edelleute mit, die ſie auf ihren Landſitzen,
in der Umgegend von Zaragoza, auf mehr als ſechzig
Leguas vom Hauptquartier, mitten in feindlichen Be⸗
zirken, bei Nacht heimlich aufgehoben und auf Maul⸗
thieren in Eile mitgeführt hatte. Die beiden Gefange⸗
nen, Namens Pitarque und Peralta, waren
die friedlichſten Menſchen, und nicht die geringſte
Theilnahme für eine oder die andere der kriegfüh—
renden Parteien ihnen vorzuwerfen. Sie wurden
vom General ſehr artig aufgenommen; er beklagte ihr
Mißgeſchick, ließ ſie, durch die ganze Zeit ihrer Haft,
aus ſeiner Küche beköſtigen und gab ihnen ein paar
Minones zur Bedienung und Aufſicht. Als fie um
den Grund dieſer gewaltſamen Entführung frugen,
wies de Efpafia fie an den Intendanten, wobei er
ſehr über Mangel und Entbehrungen im Heere jam—
merte. Der Intendant aber erklärte ihnen trocken,
daß ein jeder der beiden Herren ein Löſegeld von
10,000 Piaſter (etwa 50,400 Frances) als Anlehen
entrichten müßte, worauf ſie ſogleich in Freiheit geſetzt
werden ſollten. Eine gehörige Schuldverfchreibung,
Seitens der königlichen Intendantur, werde ihnen
ausgeſtellt, und nach Beendigung des Kriegs der
vollſtändige Betrag aus den Staatscaſſen zurückgezahlt
werden. Obgleich die beſtürzten Aragoneſen nicht viel von
der Güte der angebotenen Schuldverſchreibung halten
mochten, mußten ſie ſich dennoch in das Unvermeidliche
fügen, zogen Wechſel auf einige Häuſer in Barcelona,
und wurden, nachdem der Betrag in Frankreich in fichere
Hände deponirt worden, fogleich bis in ihre Heimath
zurückgeführt. Dieß hatte mehrere Wochen gewährt,
während welchen ſie ſich vollkommen in ihre neue Lage
gefunden zu haben ſchienen; ſie aßen oft beim General
und ſprachen nie von ihrer Angelegenheit, da ſie wohl
wußten, dieß ſei ganz fruchtlos.
In Auswegen dieſer Art, Geld zu ſchaffen, war
Graf de Efpana unerſchöpflich. Er kannte ſehr
wohl ihre nicht ganz lautern Seiten, bedauerte ſehr
darauf gewieſen zu ſein; doch entſchuldigte er Alles
246
mit den Bedürfniſſen des Heeres, die feder übrigen
Rückſicht vorgehen müßten, und mit der Nothwendig—
keit, den uns ergebenen Gegenden Erleichterung zu
verſchaffen. Oft meinte er, lieber ſelbſt ſtehlen als
zugeben zu wollen, daß, durch Elend dazu getrieben,
ſeine Soldaten es thäten oder gar kümmerlich zu Grunde
gingen, und er fand es weit paſſender, reiche Leute
zu Zwangsdarlehen (emprestitos forzosos, dieſer in
den ſpaniſchen Finanz-Operationen fo allgemein ge-
wordene Ausdruck) zu nöthigen, als einem armen
carliſtiſchen Gebirgsdorfe die letzte Heerde wegzutreiben.
Beſonders lauerte er jenen Geiſtlichen auf, die
unter dem Schutze vom Feinde beſetzter Plätze, ſich der
Entrichtung des Zehents entzogen, welches, einem päbſt—
lichen Breve zufolge, ſie als Kriegsſteuer in die könig⸗
lichen Caſſen zu zahlen verpflichtet waren. De Eſpaña
machte förmlich Jagd auf ſie, war in Liſten zu ihrer
Einfangung unübertrefflich, und wenn er eines der-
ſelben habhaft ward, ſo ließ er ihn beſtimmt nicht
eher los, bis der letzte Maravedis der rückſtändigen
Schuld nachgetragen, und wohl noch irgend eine milde
Gabe für die Soldaten hinzugefügt war.
Noch muß ich des Pfarrers von Valſarén gedenken,
den auf eigene Art ein ſolches Los traf. Dieſer Geiſtliche
247
hatte feit mehreren Jahren ſich oftmals vergeblich
mahnen laſſen, auf die Garniſon feines Ortes pochend.
Da traf es ſich, daß der Pfarrer eines benachbarten
Dorfes, auf geringe Entfernung von Valſarén, zum
Kirchweihfeſte ſeine Collegen zu ſich gebeten hatte.
Als eben alle Gäſte bei Tiſche ſaßen, erſchien ein
Detachement Reiter, umzingelte das Haus, und führte
den Pfarrer von Valſarén, der ſich unvorſichtiger
Weiſe auch darunter befand, nach Caſerras ab. De
Eſpana behandelte ihn mit aller Schonung und
Achtung; er verſicherte den armen Cura, dieß gehöre
durchaus nicht vor ſein Forum, ſondern müſſe von
den geiſtlichen Behörden entſchieden werden. Der Ge—
neral= Feldsicar Sort und der Domherr Torrebas
della, des Generals gewöhnliche geiſtliche Begleiter,
übernahmen fofort ihren vecaleitranten Amtsgenoſſen,
und verurtheilten ihn, nicht nur die rückſtändigen Ab⸗
gaben zu entrichten, ſondern auch zur Strafe ſeiner
Saumſeligkeit zweihundert Hemde und Säcke (moral,
ſtatt Torniſter von den carliſtiſchen Soldaten getragen)
zu zahlen. Nachdem dieß geſchehen und der Pfarrer
in ſein Kirchſpiel zurückgekehrt, ließ de Eſpama feiner
Rache an ihm noch Luft, indem er in unſerer zu
248
Berga erſcheinenden Zeitung, el Restauradör Cata-
lan (früher el Joven Observador genannt), ver—
öffentlichte: der würdige Pfarrer von Valſarén, obwohl
von Rebellen umgeben, habe ihnen getrotzt und ſich
freiwillig ins Hauptquartier verfügt, durch Einzahlung
der ſchuldigen Abgaben und großmüthige Geſchenke an
das königliche Heer einen Beweis ſeiner royaliſtiſchen
Grundſätze abzulegen. Einige wollten dem General
bemerklich machen, dieſer Artikel, im feindlichen Haupt⸗
quartier geleſen, könne für den Pfarrer von ernſten,
peinlichen Folgen ſein, doch war er nicht abzubringen
und meinte, ein revolutionärer Pfarrer fei die fcheuß-
lichſte Mißgeburt, und verdiene keine Rückſicht.
Endlich ſollte aufgebrochen werden. De Eſpana
wählte hiezu den vierten November, als den Namens-
tag des Königs. Wenige Tage zuvor war die Ankunft
der Prinzeſſin von Beyra auf ſpaniſchen Boden, und
gleich darauf ihre Vermählung mit dem Könige (durch
Procuration mit dem Marquis de Obando zu Salz⸗
burg am zweiten Februar, und vollzogen zu Azcoitia
am zwanzigſten Oktober 1838) uns bekannt geworden.
De Eſpanña ließ dieſe Nachricht mit Te Deum und
Revue der Truppen begehen, und wollte ſie zugleich
benützen die mit allerlei Arreſtanten gefüllten Gefäng-
niſſe von Berga und Caſerras zu leeren, da ihre
Ernährung in erſterem Platze eben ſo ſchwierig wurde,
als nach unſerem Abmarſche ihre Bewachung in Letz—
terem unmöglich. — Ein Feind aller weitläufigen Pro—
cedur, ließ er daher eines Morgens ſämmtliche Ineul—
paten, unter Bedeckung, auf dem Exercier-Platze bei
Caſerras in zwei Reihen aufſtellen und hielt einen,
in ſeiner Art gewiß einzigen Gerichtstag. Von ſeinem
Generalſtabe und dem Perſonal der Militair-Commiſ—
ſion begleitet, ſchritt der General von Einem zum
Andern. Verhör und Urtheil dauerten nie länger als
fünf Minuten, meiſt viel weniger. Es waren im
Ganzen 156 Gefangene, darunter einige Greiſe, die
kaum gehen konnten, und mehrere liederliche Weiber,
die ohne Ausweis in Caſerras und Berga ſich herum—
getrieben hatten. Die Meiſten waren Alcalden und
Bauern, mit den Steuern rückſtändiger Ortſchaften;
die wurden mit einem derben Verweiſe entlaſſen. Einem
neunzigjährigen, des Spionirens verdächtigen Greiſe
ſagte der General: „Mein Vater, Ihr ſeid zu alt
und dem Grabe zu nahe, um ein ſo ſchlechtes Hand—
werk zu treiben; geht nach Hauſe und betet lieber.“
250
Dann gab er ihm einige Piaſter. Ein paar Burſche,
die auf unrechten Wegen ertappt, ſich nicht legitimiren
konnten und auch für Spione gehalten wurden, und
einige National-Garden ſchickte er nach Carall als
Kriegsgefangene, um ſie gelegentlich auswechſeln zu
können. Drei Maulthiertreiber, die mit Armee - Pry=
viant durchgegangen waren, wurden jeder zu hundert
Stockſtreichen verurtheilt, die ſie auch ſogleich erhiel—
ten. Den Weibern wurde das Haupt geſchoren (rapar,
eine in Spanien für derlei Volk gewöhnliche Strafe),
worauf der General ſie, zum großen Gelächter aller
Soldaten, bis vor die Vorpoſten wegjagen ließ. End—
lich kam man zu drei Bauerknechten, worunter ein
Cretin; ſie waren aus den Gebirgsthälern bei Cam—
predon und überwieſen, einen carliſtiſchen Stabsoffizier,
dem ſie als Guiden über die Grenze dienten, nebſt ſei—
nem Diener ermordet zu haben. Die vollſtändigen Be—
weiſe hatten bis dahin gefehlt, weßhalb ihre Hinrichtung
unterblieben war. Der General ließ mit großen Buch—
2 8
ſtaben auf Bögen Papier „Asesino” ſchreiben, ihnen
dieſe umhängen, ſie vor allen Truppen herumführen und
dann rücklings fuſilliren. Nach kaum mehr als zwei
Stunden war das lit de justice beendet und Niemand
251
mehr in den Gefängniſſen. Von dem ſchauderhaften Zu—
ſtande, in dem dieſe Leute ſich befunden hatten, kann
man ſich kaum einen Begriff machen. Abgemagert,
bleich und eingefallen, von Ungeziefer verzehrt, waren
fie nur mehr mit faulenden Lumpen kaum nothdürftig
bedeckt, und Vielen hätte das paradieſiſche Feigenblatt
Noth gethan. Ich habe nie ein ſo gräßliches Bild
menſchlichen Elends geſehen.
Am vierten November Nachmittags verließen wir
alſo Caſerras, bloß der Generalſtab und Minones
folgten dem General; mir war wieder wohl mich auf
dem Marſche zu befinden, denn aller Thätigkeit des
Hauptquartiers ungeachtet, war das Leben doch ſehr
einförmig geweſen. Drei Stunden lang zogen wir
durch die Ebene, dann über eine enge Schlucht, an
deren Höhe Monblanch, ein großes Dorf lag. Gegen
Sonnenuntergang kamen wir in ein enges, langes
Thal, wo wir 6 Bataillons, 5 Feldgeſchütze und
120 Pferde bereits bivouaquirend trafen. Mitten im
Thale ſtand ein einzelnes Feldwirthshaus, im übri—
gen Spanien venta, in Catalonien hostal genannt
(etwa wie man in Schleſien Kretſcham ſagt). Dieſes
hieß hostal del Visbe (vom Biſchof); der General
ſchlug fein Hauptquartier darin auf. Die Truppen,
die im Thale und an den beiden Lehnen eine Menge
Feuer angemacht hatten, kochten in den blechenen
Kochgeſchirren, die de Eſpana vor Kurzem, je für
zwölf Mann eines, eingeführt hatte. Sie wurden
gut rationirt, Brod, Speck, Reis, Kartoffeln, Boh—
nen und Salz ausgetheilt. Dieſe Kochgeſchirre wieſen
ſich als vortrefflich aus; früher liefen die Sol—
daten in die Häuſer, ſtahlen die Töpfe der Bauern,
aßen ſchlecht uud verübten Unordnungen. Dem war
nun geſteuert. f
Am nächſten Morgen verließen wir das Bivonac
erſt um ſieben Uhr, da es ſchon anfing ſpät licht zu
werden und der General das feindliche Terrain und
die ſchlechten Steige, die wir zu paſſiren hatten,
nicht im Dunklen betreten wollte. In einer reich
bewäſſerten Ebene ward über Gargaglia und Sorba
am Ufer der Ayguadora marſchirt. Wir waren nur
mehr auf / Stunden von Cardona, das wir, die
Umgegend dominirend, am Ausgange des Thales
erblickten. Nach Ueberſteigung eines Bergrückens und
4½ ſtündigem Marſche kamen wir an's Ufer des Car-
denet und nahmen oberhalb der Brücke von Golorons
253
Poſition, an einem durch die Natur zu einer formi—
dablen Stellung geſchaffenen Orte. Zu unſerer Linken
lag ein Dorf, Clariana, gerade vor uns, die Haupt—
ſtraße, die von Cardona nach Soljona führt. Jetzt
erſt wurde bekannt, daß es auf den Angriff einer feind—
lichen Colonne abgeſehen ſei, die zur Raspitaillirung
des letztern Ortes mit bedeutendem Convoi erwartet
wurde. Entweder wollte ſie auf der Heerſtraße vor—
rücken und mußte dann den Diviſionen Pbanñez und
Porredon in die Hände fallen, die der General—
Capitain in die Sierra de Berguz (oder Vergos) beor—
dert hatte, von wo ſie alle Engpäſſe, durch welche die
Chauſſee ſich ſchlängelt, dominiren konnten; oder ſie
ſchlugen die rechte Nebenſtraße ein, die bei der Brücke
von Golorons über den Cardenet führt, in welchem
Falle auch nicht Ein Mann entkommen konnte. Ober—
halb der Brücke erhebt ſich das Terrain terraſſenförmig,
bis zu einem platt abgeſtumpften Kegel; auf den ver⸗
ſchiedenen Schichten wurden die Baracken der Bivouacs
etablirt, ein großer Theil noch im Stande vorgefunden,
da ſchon öfters einzelne Guerillas hier verweilt hatten.
Auf dem, direct die Brücke überragenden Punkte ſtellte
der General-Capitain die fünf Geſchütze auf; er
ſelbſt und ſein Gefolge bewohnten ein kleines Gebäude,
das die Platte des Kegels krönte. Gegen Abend ver—
nahmen wir durch einige Zeit ziemlich anhaltendes
Feuern in der Gegend der Heerſtraße; es mochte auf
drei Stunden Entfernung ſein. Wir konnten alſo
über die Ankunft unſerer zwei Diviſionen an den bezeich—
neten Punkten beruhigt ſein; doch hoffte de Eſpañ a
der Feind werde ſich nicht in die Defileen der großen
Straße wagen, beim Beginn des Angriffs zurückweichen
und die zweite Straße einſchlagen, wodurch er in der
nämlichen Nacht oder ſpäteſtens am nächſten Morgen
uns zufallen mußte. Deßhalb verblieben wir ruhig
in unſern feſten Stellungen, was ſehr zu bedauern
war, da ein unverzügliches Vorrücken bis zur Chauſſee
uns nothwendig in den Stand geſetzt hätte, den Feind
zugleich von allen Seiten anzugreifen, ſeine nahe an
8000 Mann ſtarke Colonne gänzlich aufzureiben, und
uns ſeines reichen Convois zu bemächtigen. Das
ohne denſelben unhaltbare Solſöna hätte ſofort dann
capituliren müſſen. Ich will mit dieſen Worten ja
keinen Tadel auf meinen kriegserfahrenen Chef werfen,
ſondern drücke hier blos ein Urtheil aus, das er
ſpäter ſelbſt gefällt.
255
Um zwei Uhr Morgens kam die Nachricht, daß
Porredon und Ybaßez den Feind vergeblich durch
mehrere Stunden harcelirt, ihm zwar beträchtlichen
Schaden zugefügt hatten, jedoch ſein Eindringen bis
Solſöna und die Rettung des Convois nicht zu ver—
hindern vermochten. Unſere Diviſionen hatten der von
Baron van Meer in Perſon angeführten Colonne,
bis unter die Mauern von Solfona, auf dem Fuße
gefolgt und dann auf einer Stunde von dieſem Platze
in dominirender Stellung beim Dorfe Clara ihr Bi—
vouae aufgeſchlagen. Der Hauptzweck unſerer kleinen
Expedition war ſonach verfehlt; doch blieb noch immer
die Möglichkeit, den aus Solſöna zurückkehrenden
Feind anzugreifen und in den Engpäſſen zu vernich⸗
ten. Auch ſcheint es nicht unwahrſcheinlich, daß Graf
de Eſpana vielleicht großentheils darauf bedacht war,
den Gehorſam feiner Häuptlinge zu prüfen und zu
ſehen, ob ſie ſich auf ſeinen erſten Wink, aus den
entfernteſten Theilen der Provinz, zur gegebenen Zeit,
am rechten Orte einfinden würden; eine Aufgabe, der
bekanntlich keiner ſeiner Vorgänger gewachſen war.
Um zehn Uhr Morgens verließen wir das Bivouac,
zogen über die Brücke von Golorons, durch Schluchten
und über fteile Bergrücken, an der Rectoria de Nine
vorbei, im Angeſichte von Solſöna, auf eine Stunde
von dieſem Orte, und bivouaquirten auf einem von
Bäumen umgebenen Plateau, das von der Natur zu
dieſem Zwecke beſtimmt ſchien. Ein einzeln ſtehendes
Schloß mit weitläufigen Dependenzien nahm wieder
den General-Capitain und ſein Gefolge auf. In
Kurzem war der halbe Wald herum, unter den Aexten
der Sappeurs gefallen, den um das Schloß bivoua—
quirenden Truppen Feuer zu geben. De Eſpam a
liebte, beſonders bei gutem Wetter, die Truppen bivoua⸗
quiren zu laſſen; doch dehnte er dieſe Neigung nicht
auf ſich ſelbſt aus, und zog meiſt vor, unter Dach und
Fach zu liegen. Er meinte, er habe in ſeiner Jugend
genug campiren müſſen. Uebrigens that er gewiß ganz
wohl daran, da eine Erkältung oder ein Gichtanfall
die Catalonier um ihren Chef bringen oder mindeſtens
die Operationen lähmen konnte. ö
Am 7. Morgens trafen Mbanez und Porre—
don im Schloſſe Martina, unſerem Bivouac, ein. De
Eſpanqa umarmte Beide zärtlich und lobte fie ihrer
Pünktlichkeit wegen. Des langen Mbanez treuherzig
ehrfurchtvolles Weſen, wenn er, zum General berab-
257
gebogen, beſtändig mit dem Kopfe nickend, aufmerkſam
zuhörte, bot einen merkwürdigen Contraſt zur ſtäm—
mig dickligen Figur des rothhaarigen Porredon,
deſſen kleine Augen unſtet umherrollten und Niemand
recht zu trauen ſchienen. Mbañez hatte zwei Adju—
tanten bei ſich, die beinahe ſo lange wie ihr Chef, er
gewiß mit Willen von ſolcher Größe ausgeſucht hatte.
Porredon folgten ſeine drei Söhne, abſcheuliche Ableger
ihres rothen Erzeugers. Dieſe drei kleinen Burſche ſchie—
nen unter den ſchwarzen Spaniern förmlich zu brennen.
Nach einem kurzen Frühſtück, bei dem ich mit
Porredon eine rührende Wiedererfennungs = Scene
gefeiert (aus Barbaſtro und der Schlacht bei Gui—
fona wird er vielleicht meinen Leſern im Gedächtniß
geblieben ſein) ward aufgebrochen. Bei Freyſinet,
auf eine Stunde vom Bivouac, campirte die Ca—
vallerie auf einem ziemlich breiten Bergplateau und
in Su, einem großen Marktflecken, zwei Stunden
weiter, trafen wir die Bleſſirten vom geſtrigen Tage.
Nach drei Viertelſtunden ſtießen wir auf die Truppen
der beiden, oben erwähnten Häuptlinge, im Ganzen
neun Bataillons und vierzig Pferde; zuſammen unge—
fähr 5000 Mann, da Porredons Bataillone zwar
II. 17
258
— 0
meiſt ſchwach, die des Mbanez hingegen von unver-
hältnißmäßiger Stärke waren. Abends langten wir
bei den Torres de Berguz (Vergos) an, in der Sierra
de Boxadera, eine halbe Stunde von Cardona, dem
feſteſten Punkt in Catalonien. Cardona, auf einen
iſolirten Felskegel gebaut, dominirt die Umgegend und
iſt der eigentliche Schlüſſel der ganzen Gebirgskette.
Bedeutende Salzbergwerke, in ihrer Qualität und
Ausbeute nur mit denen von Wieliczka in öſterreichiſch
Galizien vergleichbar, liegen im Bereiche der Kanonen,
welche, 56 an der Zahl, durchaus bronzene Vierund⸗
zwanzigpfünder, die Feſtung vertheidigen. Mit Sehn—
ſucht blickten wir auf das ſchöne Caſtell, ein Meiſter—
ſtück militäriſcher Baukunſt, die Hauptſtütze des Fein⸗
des in dieſem größtentheils den königlichen Waffen
unterthanen Theile Cataloniens. Cardona war für
uns unerreichbar; es ward nie genommen, weder im
Succeſſionskriege (da erſt der Utrechter Friede dieſe
Feſtung, auf der bis zuletzt die öſterreichiſche Flagge
geweht, den Generalen Philipp's V. übergab), noch
im Unabhängigkeitskriege, in welchem die Franzoſen nie
Herren derſelben werden konnten.
Unſer Chef des Generalſtabs, Oberſt Perez
Davila, früher Gouverneur von Cardona unter Ferdi—
nand VII., war eben damit beſchäftigt, uns den Plan und
die Stärke dieſer Feſtung auseinander zu ſetzen, als, von
einem Detachement Reiter Cabrera's begleitet, drei
Männer auf Maulthieren bei uns eintrafen. Der eine,
ein hoher Siebziger, ſaß auf orientaliſche Weiſe, mit unter—
ſchlagenen Beinen, auf einem thurmhohen, bettförmigen
Sitze. Es war der Staatsrath Marco del Pont,
unſer Finanzminiſter während der letzten Zeit, der eben
von einer kleinen Inſel (ich glaube Plana oder Ta—
barca), nicht weit von Alicante, kam, wo er ſeit Anfang
des Krieges verborgen gelebt hatte. Er begab ſich
nach dem Hoflager, ſoll früher einen großen Theil
ſeines bedeutenden Vermögens dem Könige und der
königlichen Familie zum Opfer gebracht haben, und
ein redlicher Mann ſein. Ich habe ihn nur durch
zwei Tage geſehen, doch iſt mir in Erinnerung geblie—
ben, daß er mit großer Sicherheit radicale Verände—
rungen verſprach, wenn er nur einmal im Hoflager
angelangt ſein würde. Er hat, ſo vielen Andern gleich,
nichts bewirkt. Viele wollen ihm Doppelzüngigkeit und
Achſelträgerei vorwerfen; ſo viel ſcheint gewiß, daß
jene in allen öffentlichen Blättern oft erwähnte un⸗
1
glückliche Correſpondenz des Königs mit Arias-Tei—
jeiro durch ſeine Hände ging, als ſich dieſer Ex—
miniſter in Cabrera's Hauptquartier befand. Die
Animoſität und alle üblen Folgen, die einige dieſer
Briefe hervorbrachten, welche durch Eſpartéro auf-
gefangen, an Maroto geſchickt wurden, find be—
kannt genug.
Abends ſchlugen die Sappeurs der Bataillone
Baracken auf, und die ſämmtlichen Truppen bivoua—
quirten am Abhange der Sierra in Ausdehnung einer
Meile, Cardona gegenüber. Einige hundert Feuer
brannten bei einbrechender Nacht. Zwei Signal—
Schüſſe von Cardona kündeten den benachbarten feind—
lichen Garniſonen unſere Anweſenheit an, und wie
Nachhall hörten wir in weiter Ferne San Pedor und
Manreſa fie wiederholen. Bald erhöhte eine ſternenhelle
Nacht den Zauber dieſer romantiſchen Gegend. Rieſen—
mäßig ſtreckte der Monſerrat ſeine felſigen Gipfel
über alle Berge und Sierren und ſchien mehr vom
| Firmamente als von der Erde umgeben. Alle Trup-
pen mußten vor das Bivouac treten und das Gewehr
präſentiren; alle Trommeln wirbelten, die Muſikeorps
fielen klingend ein und mit lauter Stimme, entblößten
261
Hauptes, rief der General-Capitän: „Catalonier,
beten wir zur Schutzpatronin unſeres Landes, zu U.
L. F. vom Monſerrat.“ Faſt im ſelben Augenblicke
loderten auf den Höhen, die unſern Horizont begrenz—
ten, zwiſchen Caſtell Adrall und Suria, zahlreiche
Feuer in langen Linien. Es war das Aufgebot der
Somatenen, die mit Jagdflinten, Carabinern, Spießen
und Senſen bewaffnet, 2000 Mann ſtark, auf den
Ruf des greifen Brigadiers Samſö, eines der älte—
ſten Häuptlinge der Halbinſel, ſich dort verſammelt
hatten, dem Feinde, in uns entgegengeſetzter Richtung,
den Rückzug abzuſchneiden, die Verbindung zwiſchen
Cardona und Manreſa zu interceptiren, über Nach—
zügler herzufallen und die feindlichen Couriere wegzu—
fangen. Sichern Nachrichten zufolge, ſollte eine ſtarke
feindliche Truppenabtheilung aus den Ebenen von
Barcelona über San Pedor und Suria nach Cardona
marſchiren, um Belagerungsgeſchütze in dieſer Feſtung
zu deponiren, „ſie zu ſeinen weiteren Operationen
näher zu haben,“ nach van Meer's Ausdruck in
aufgefangenen Depeſchen. Es wurde uns unzwei—
felhaft, daß es auf eine Demonſtration gegen Berga,
vielleicht Belagerung dieſes Platzes, abgeſehen war.
Täglich kamen viele Ueberläufer mit Waffen und
Munition bei unſern Vorpoſten an; am neunten präs
ſentirte ſich ſogar eine ganze Wache vom Regiment
Albuhera, achtzehn Mann mit ihrem Unteroffizier.
Zum Lobe der königlichen Truppen mag angeführt
werden, daß die ganze Zeit über, während eines
beſtändigen Contactes mit dem Feinde, auch nicht ein
Mann deſertirte, indeſſen durch die fünf Tage, die wir
vor Cardona campirten, über 80 feindliche Soldaten
ſich bei unſern Vedetten meldeten, worunter Englän—
der, Franzoſen, Deutſche und Italiener von der por—
tugieſiſchen Legion (Cazadores do Oporto), die von
pedriſtiſchen Dienſten in chriſtiniſche übergegangen;
Abenteurer aller Nationen, in ihrer Anzahl ſchon ſehr
geſchmälert und herabgekommen, die dem Schickſal
der franzöſiſchen und engliſchen Hülfstruppen entgegen
gingen, und beinahe gänzlich ausgerottet wurden.
Ihr Chef, Borſo di Carminati (fuſillirt im October
1841 zu Zaragoza, als in den O'Donnell'ſchen Auf-
ſtand verwickelt) ein Piemonteſer und ſeit zwanzig Jah—
ren in alle revolutionairen Händel verwickelt, war zwar
wie ſeine Soldaten ein Abenteurer, ſoll aber übrigens
ein tüchtiger Soldat geweſen ſein.
263
Am 10. ward eine kleine Recognoſeirung von
8 Compagnien, 40 Pferden und 2 Feldgeſchützen bis
unter die Mauern von Cardona geſchickt, die Gar—
niſon herauszulocken. Unſere erſten Schüſſe wurden
anfänglich nicht beantwortet, und erſt nach geraumer
Weile ſchickte uns die ſtolze Citadelle vornehm ein
Paar vierundzwanzigpfündige Kugeln, die in eine
kleine Gartenmauer einſchlugen, hinter der unſere
Vierpfünder beſcheiden aufgeſtellt waren. Die umher—
fliegenden Steine verwundeten einige Artilleriſten.
Endlich entſchloß ſich die Garniſon einen kleinen Aus-
fall zu machen, vermuthlich um unſere Piecen weg—
zufangen, da er doch ſonſt zwecklos geweſen wäre.
Auch ſagte mir Oberſt Davila, auf das geöffnete
Thor des Caſtells zeigend: „wenn ich noch Gouver—
neur von Cardona wäre, ſtatt zu ſchießen oder aus—
zufallen, würde ich mich jetzt ſchlafen legen.“ Klein-
Gewehrfeuer, das bis zur einbrechenden Nacht dauerte,
war das einzige Reſultat und koſtete beiden Theilen
einige Todte und Verwundete.
Am 11. Morgens erhielt der General-Capitain
die Nachricht, daß die feindliche Colonne, von Manreſa
aus, nach Barcelona zurückgekehrt ſei, einem Zuſam—
264
mentreffen mit uns auszuweichen. Dieſe Kunde ers
regte allgemeine Unzufriedenheit, denn Alle hatten mit
Ungeduld einer ernſten Affaire entgegengeſehen. Augen—
blicklich ward aufgebrochen; nach drei Stunden Marſch
kamen wir zum Dorfe Gargaglia zurück, und machten
Halt. Die Truppen wurden am Saume eines Eichen—
waldes im Carré formirt, der portative Altar aufge-
ſchlagen, und der General-Feldvicar las die Meſſe;
es war Sonntag. Hierauf wurde rationirt und nach
einer Stunde der Marſch fortgeſetzt. Nachts bivoua—
quirten wir zwei Leguas von Berga um einen großen
Bauernhof herum, Canudas genannt, wo der General—
Capitain ſein Hauptquartier aufſchlug.
Am 12. Morgens zogen wir durch das Thalge—
biet des Llobregat, ließen Berga und Caſerras links
liegen und kamen Nachmittags nach Puig Reig. Die
weitläufigen Gebäude des Malteſer Priorates, die ich
von den Fenſtern meiner Wohnung bei Caſerras ge—
ſehen, nahmen den General, ſein Gefolge, den Gene—
ralſtab und die Minones auf; ſechs Bataillons ſchlugen
Baracken in dem langen ſchmalen Thale auf, das
von Puig Reig in der Richtung von Valſarén ſich
ausdehnt. Es wurden Gaſſen alignirt, zwei Plätze
265
ausgeſteckt, Offiziers- und Cantine-Baracken deſignirt;
bald hatte dieſes Bivouae das Anſehen eines Luſt—
lagers; vom Balcon des Priorates nahmen ſich die
langen Reihen zeltförmiger Hütten mit Laubwerk und
Nadelholz gedeckt, und durch eine fußhohe Steinwand
eingefaßt, ſehr zierlich und maleriſch aus.
De Eſpana glaubte feſt an eine Belagerung
Berga's und dachte die ſämmtlichen feindlichen Kräfte
würden hiezu, combinirt mitwirken. Deßhalb hatte er
die Poſition in Puig Reig genommen, welche die
Ebene des Llobregat dominirte und die Heerſtraße, von
Valſarén nach Berga, ſchließen konnte. Die erſte Divi—
ſion, unter Porredon, wurde nach Gironella, auf
drei Leguas von Berga gelegt; Mbanez mit feinen
ſechs Bataillons cantonnirte in Caſerras, Avia, und
umſchloß in engerm Halbkreiſe die Fläche, welche vor
Berga ſich ausdehnt. Die Cavallerie, welcher bei dem
großen Pferdemangel, de Efpana immer beſondere
Rückſicht zuwandte, war in das Dorf Puig Reig,
unmittelbar am Priorats-Gebäude, einquartirt, da es
bei dem General ſtabile Regel war, die Infanterie
ſo viel, die Cavallerie jedoch ſo wenig als möglich
bivouaquiren zu laſſen. Die Concentration jo bedeu—
266
tender Kräfte würde der Umgegend von Berga ein
lebhaftes Anſehen gegeben haben, wenn nicht das
Niederreißen aller Gebäude, auf eine Stunde im Rayon
der Feſtung, ein ſchreckliches Bild von Jammer und
Zerſtörung uns täglich vor die Augen geführt hätte.
Graf de Eſpana hielt dieſe harte Maßregel für
nothwendig, dem Feinde ein längeres Verweilen vor
der Feſtung, beſonders beim Eintreten der ſchlechten
Jahreszeit, unmöglich zu machen. Höhere militäriſche
Rückſichten mögen allerdings hier rechtfertigend ein—
treten; doch blieb es nicht weniger herzbrechend, die
ſtumme Verzweiflung dieſer unglücklichen Familien,
ſonſt wohlhabender Landleute zu ſehen, wenn bei ihrer,
auf dem Felde umherliegenden Habe ſtehend, ſie kummer—
voll zuſahen, wie das Holz ihrer Dächer weggeſchleppt
und ihre Mauern niedergeriſſen wurden. Wenige
Wochen vorher hatte die Ebene von Berga ein blühen—
des, reiches Anſehen gehabt. Ueberall waren Gärten
und wohlbebaute Felder, mitten darin ſtanden große,
maſſive Landhäuſer, ſeit Jahrhunderten in denſelben
Bauerfamilien erblich, und nun, ſo weit das Auge
reichte, nur Bilder von Ruinen und Zerſtörung.
Dieſe alten ehrwürdigen Bauern werden nie aus mei—
267
nem Gedächtniſſe ſchwinden, wenn mit der Beredſam—
keit des innerſten Schmerzes ſie den General-Capitain
um Abwendung dieſes Fluches baten, der, meinten ſie,
den königlichen Waffen kein Heil bringen könne: „wir
ſind ſo gute Carliſten, als E. E., Herr,“ ſagte einer
von ihnen als Wortführer, „ich bin in dieſem Hauſe
geboren, mein Vater und alle meine Vordern ſind es
auch; auch meine vier Söhne ſind hier geboren, von
denen zwei in den carliſtiſchen Reihen fielen; meine
zwei letzten Söhne fechten noch jetzt in denſelben.
Sollte der Feind mein Haus betreten und Berga
belagern wollen, ſo ſchwinge ich ſelbſt die Brandfackel
und lege, der Erſte, Feuer an mein Haus. Aber
Ihr dürft es nicht niederreißen, auf die bloße Muth—
maßung hin; mein Haus iſt ein carliſtiſches Haus
und ſoll Euch heilig ſein; legt Ihr Hand an, ſo iſt
es Frevel und wird Euch zum Fluch.“ Wir waren
Alle tief ergriffen über die ſinnvolle Rede, die mit
herbem Ausdrucke der alte Bauer unerſchrocken dem
gefürchteten General-Capitain hielt. Doch war Alles
vergebens; der Graf de Eſpaña blieb feſt bei feinem
Ausſpruche und alle Häuſer wurden niedergeriſſen. Ich
habe viele Menſchen auf Schlachtfeldern fallen und
außer denſelben niederſchießen ſehen, viele Gräuel mit
erleben müſſen; doch die ſchrecklichſte, ich möchte bei—
nahe ſagen unheimlichſte Erinnerung iſt mir von allen
dieſe geblieben, die ich ſo eben niedergeſchrieben.
Wir waren erſt ſeit einigen Tagen im Priorate
Puig Reig einquartirt, als de Eſpana Nachts geweckt
wurde; nach einer mehrſtündigen Unterredung mit einem
alten Maulthiertreiber, unſerm beſten Spion, befahl
der General-Capitain, ihm 25 Unzen Goldes (eirca
100 Louisd'or) auszuzahlen, und ſchickte ſofort einen
Adjutanten an den Brigadier Brujo, der mit der
Reſerve ſich im Corregimente Vich befand. Am zweiten
Morgen traf Brujo ein, und ward vom General
nach Avia, auf eine Viertelſtunde von Berga, beordert;
denſelben Vormittag ritten wir nach letzterem Orte;
die ſämmtliche Garniſon mußte ausrücken; Niemand
durfte zurückbleiben, vom Oberſten Pons, Gouver—
neur von Berga, anzufangen bis zum letzten Tambour;
nicht einmal die Schildwachen wurde zurückgelaſſen oder
abgelöſt, nur die Artillerie und Fabriksarbeiter blieben,
ſo daß während einer Stunde unſer Hauptplatz ohne
ein Mann Linientruppen blieb. Als Alle auf dem
Glacis verſammelt waren, befahl de Eſpana dem
269
Oberſten Pons die Schlüſſel der Feſtung dem Chef des
Generalſtabs, Oberſten Davila, zu übergeben und
mit ſeiner ſämmtlichen Mannſchaft ſofort nach Puig
Reig zu marſchiren. Zehn Minuten darauf, zog mit
klingendem Spiele Bruj6 an der Spitze feiner drei
Bataillone als neu ernannter Gouverneur in Berga
ein.) Als zweiter Commandant wurde ihm ein alter
cataloniſcher Edelmann von ſehr vornehmen Hauſe zur
Seite gegeben. Bei Aufzählung ſeiner Namen und
der endloſen y's iſt mir immer die Scene des Wirthes
in Don Quixote eingefallen, der für ſo viele Leute
keinen Platz hat. Don Joſé de Aymerich de
Cruilles y Moniſtrol 1. ꝛc. gehörte mit Leib
und Seele jener bombaſtigen Race an, die ſelbſt
in Spanien ſchon ſelten, nur noch in Portugal
und vielleicht in Irland zu Hauſe iſt, wo jeder
*) Ueber den Grund dieſer ſchleunigen und ſtrengen Maß—
regel hat nie etwas verlautet. Doch iſt anzunehmen,
daß der General unvollſtändige Andeutung eines mög—
lichen Verſtändniſſes mit dem Feinde erhalten hatte,
die zwar zu einer größern Strafe nicht beſtimmt genug
war, aber dennoch die Entfernung von einem ſo
wichtigen Poſten nöthig machte.
270
halbwegs anſtändige Menſch mindeſtens von zwei könig—
lichen Geſchlechtern in directer Linie abſtammen will.
Trotz ſeiner Gasconaden hat Aymerich es ſeiner
glorreichen Ahnen nicht unwürdig gefunden, ſich ſpäter
der Madrider Regierung zu unterwerfen; gegenwärtig
(October 1841) ſoll er Präſident eines Kriegsgerichts
in Valencia ſein, und ſeine Ernennung ein Haupt⸗
grund des letzten Aufſtandes in dieſer Stadt, und
der Klagen wegen Bevorzugung der carliſtiſchen Ue—
berläufer (convenidos de Vergara). Zu meiner
Zeit war der bereits grauhaarige Edelmann mit
einer ſehr hübſchen jungen Frau vermählt, die jedoch
das Unglück hatte, einäugig zu fein, worüber fie lau-
nig ſcherzte und ſich mit der berühmten Maitreſſe
König Philipp II. tröſtete, der auf allen deutſchen
Bühnen mit zwei Augen dargeſtellten Fürſtin von
Eboli, die auch nur ein, zwar allerdings ſehr ſchönes
Auge beſeſſen. In der Gallerie des Herzogs von
Ynfantado zu Guadalajara befindet ſich ein pracht—
volles Gemälde, das die königliche Geliebte darſtellt;
ſie trägt eine Art Schmuck aus Gold und Juwelen,
der, einem breiten Bracelet gleich gearbeitet, von der
rechten Kopfſeite, über die Stirne weg, das fehlende
271
linke Auge verdeckt und, in der Fülle ihrer ſchwarzen
Haare ſich verlierend, wahrſcheinlich den Umkreis des
ſchönen Hauptes macht. Doßa Incarnacion *)
de Aymerich trug zwar kein dergleichen Band über
das eine Auge, verſtand aber mit dem andern ſo ver—
führeriſch zu coquettiren, daß fie einmal, acht Tage
hindurch, mit einem hübſchen jungen Stabsoffizier von
Berga ausblieb. Ihr gravitätiſcher Gemahl, durch die
Verantwortlichkeit ſeines Poſtens verhindert, der flüch—
tigen Schönen nachzueilen, klagte ſein Leidweſen dem
General-Capitain. De Eſpana, der bei feiner An-
kunft ziemlich lockere Sitten im Hauptquartier ange-
troffen hatte, war in derlei Fällen unerbittlich ſtrenge,
und ſchickte den cataloniſchen Seladon auf ſechs Mo—
nate nach dem Fort von San Lorenzo.
*) Die größere Hälfte aller Spanierinnen heißt Marie,
doch werden ſie nie ſo genannt, ſondern nach dem Bei—
namen des Gnadenbildes oder Marientages, unter deſſen
beſondern Schutz ſie geſtellt ſind, als: Incarnacion,
Concepeion (abgekürzt: Concha) Carmen (N. D. des
Carmes franzöſiſch) Pilar (N. S. del Pilar, U. L. F.
von der Säule in Zaragoza). So habe ich Guada—
lupa's und Monſerrata's gekannt, die ihres ſonderbaren
Namens ungeachtet, nicht weniger anmuthig waren.
272
Zur Uebung der neuerrichteten Sappeurs-Com—
pagnie, jo wie der Bataillons-Sappeurs, hatte der
General zwiſchen Puig Reig und Caſerras mehrere
Blockhäuſer verſchiedener Größe und Form aufbauen
laſſen, die mit großer Schnelligkeit aufgeſtellt, abge-
brochen, an andere Stellen verlegt und mit Gräben
umgeben wurden. Eines Tages ritten wir ſehr früh
nach dieſen Blockhäuſern, als fie ſchon längſt aufge—
baut, iſolirt daſtanden. Der General betrat allein
eines derſelben und ſtellte einen Minonen als Schild—
wache davor auf, allen den Eintritt zu verwehren; er
blieb mehrere Stunden darin, und die auf dem Felde
harrenden Offiziere ſeines Gefolges gaben ſich den
verſchiedenſten Muthmaßungen hin, was wohl der
General allein ſo lange in dem kleinen Blockhauſe
mache. Endlich kam er heraus; Alles ritt fort und
de Eſpana ſah ſtrenge darauf, daß Keiner zurück
bleibe. Bei eintretender Nacht wollen einige Perſonen
eine dunkle Geſtalt bemerkt haben, die ſich aus dem
Blockhauſe wegſchlich und die Richtung nach Valſarén
einſchlug. Etwas Näheres hat man nie erfahren;
doch habe ich Gründe zu glauben, daß es ein Ver—
trauter des Grafen de Eſpana war, der in Bar-
273
celona unter den Chriſtinos eine bedeutende Stelle
bekleidete und im Herzen Carliſt geblieben. Genug,
daß von dieſem Tage an, die außerordentlichen Vorbe—
reitungen, einen Angriff auf Berga zu vereiteln, auf—
hörten und bald darauf Pbañez mit feinen ſechs
Bataillons nach dem Felde von Tarragona zurückkehrte.
m Nach kurzer Raſt brachen auch wir auf, und
ſchlugen abermals die Direction über Monblanch und
das Hoftal del Visbe ein. Drei zu einer Avantgarde—
Brigade formirte Bataillons, deren Befehl dem Ober—
ſten Pons übergeben worden, befanden ſich unmittel-
bar bei der Perſon des General-Capitains, nebſt
70 Pferden, 5 Geſchützen und einer Sappeur-Com—
pagnie. Porredon mit der erſten Diviſion mars
ſchirte auf geringe Entfernung in beinahe paralleler,
doch kürzerer Richtung. Nachts ward beim Dorfe
Naves bivouaquirt. Die Diseiplin, ein vor wenigen
Monaten kaum dem Namen nach gekanntes Wort,
war bereits zu einem ſolchen Grade von Pünktlichkeit
gediehen, daß während eines ſiebenſtündigen Bivouges,
auf Schußweite vom Dorfe, auch nicht ein Soldat
daſſelbe betrat und nicht die geringſte Unordnung verübt
wurde. De Eſpanña hatte wieder, wie gewöhnlich,
II. 18
—
27A
ſein Hauptquartier in ein großes Landhaus verlegt,
das auf geringe Entfernung vom Dorfe ſich in der
Mitte unſers Bivouacs befand. Dieſes Haus, Caſa
Montanya genannt, war der ächte Typus der reichen
adeligen Bauerhäuſer, der hijos de algo (Hidalgo);
es hatte Solſöna einen Biſchof und mehrere Dom—
herren gegeben; auch war, wohl deßhalb, eine ziemlich
geräumige Kapelle im Innern des Hauſes angebracht.
Ein Sohn des alten Hidalgo, der Caplan war und
nun zurückgezogen bei ſeinem Vater lebte, las am
andern Morgen die Meſſe, worauf wir das Bivouae
abbrachen und abmarſchirten. Wir zogen über den
einſamen Eiſenhammer und die Brücke von Olius, in
einer wild romantiſchen, und doch in den Thalgründen
bebauten Gebirgsgegend, die an die Thäler des Vorarl—
berg erinnerte. Dann ſetzten wir über den Cardenet
und machten Mittagshalt bei einem, dem heiligen
Michael ganz beſonders geweihten Landhauſe; nicht
nur, daß Haus und Beſitzer dieſen Namen führen,
ſondern das Bild des Erzengels iſt auch in Lebens—
größe grell prangend über dem Hausthor abgemalt.
Nachmittags paſſirten wir ein nacktes Berg-Plateau,
auf / Stunden von Solſöna, deſſen Fort unſern
275
Vorbeimarſch durch Kanonenſchüſſe ſignaliſirte. Dann
wandten wir uns nördlich, an Ladurs vorbei, ſchritten
über einen Gebirgskamm und ſtiegen in das Thal von
Timoneda hinab. Wir marſchirten durch 4½ Stunde
längs des Rio Salado, eines ſalzigen Waſſers, das
ſich in den Segre ergießt. Nachts bivouaquirten wir an
ſeinem Ufer bei einer großen, einzeln ſtehenden Mühle,
Molino de Querol, deren eintöniges Hämmern uns in
ſanften Schlaf wiegte. Am nächſten Morgen wateten
wir durch eine Furth des Rio Salado und gaben noch
einmal unſern Pferden daraus zu trinken, was in
der Gegend für ſehr geſund gilt. Wir zogen durch
ein enges Seitenthal, in dem die Häuſer des Dorfes
Siura zerſtreut umherliegen. Die Rectoria deſſelben
iſt auf die höchſte Bergſpitze gebaut und ſah, mit
ihren Wällen und Gräben, einem Caſtell ähnlicher
als der Wohnung eines Landpfarrers.
Am Ende des Thales zogen wir durch ein Fel—
ſenthor bei Achgarn, und befanden uns plötzlich in
dem Thalgebiete des Segre, dem wildeſten Theile
Cataloniens, das mit Ausnahme der Oaſe um Oliana,
beinahe gar nicht bebaut, den Bewohnern der Hafen—
ſtädte und Küſtenſtriche ſo unbekannt iſt, als handelte
18 *
es ſich von Lappland oder Sibirien. Nach drei Stun—
den kamen wir nach Oliana, einem ziemlich bedeu—
tenden Orte, in einem dem Anſcheine nach, viel ſüdli—
cheren Thale als die ganze Umgegend. Reiche Maul-
beeren- und Oliven-Plantagen umgeben die Stadt,
deren Häuſer, zwiſchen Reben- und Oleander-Sträuchen,
freundlich hervorblicken. Alles trug Früchte, grünte
oder blühte, obwohl im November und von Hochge—
birgen umgeben. Der Segre ſchlängelt ſich ſo ſanft
und ruhig durch die üppigen Matten dieſes lieblichen
Thales, daß Niemand an dieſem ſtillen Gewäſſer den
reißenden Gebirgsſtrom erkennt, der noch wenige Stun—
den höher, unter furchtbarem Getöſe, ſprützend und
rauſchend, ganze Baumſtämme mit ſich fortwälzt,
Steine und Erdreich in den Abgrund hinabzieht. Am
andern Ufer des Stromes, Oliana gegenüber, lehnt
an einem Abhange das Städtchen Peramola, ehemals
Hauptfi der Baronie dieſes Namens. In geringer
Entfernung von Oliana ſchließt ſich das Thal und
nur geſpaltene Felſen, die ihre gigantiſchen Häupter
zum Himmel recken, bilden das Flußbeet des einge—
engten Segre. Auf dem höchſten Gipfel des einen
Felſens, einer Warte gleich den Paß zu hüten, weit—
ragend über Berg und Thal, ſteht eine im Lande
berühmte Einſiedelei, N. S. de la Lièvre.
Senkrecht unter derſelben, zwängt ſich zwiſchen
Fels und Strom der einzige Weg, der nach den Thä—
lern von Urgel und der Republik Andorra führt. Der
hiſtoriſche Segre (Sicuris) iſt der Strom der Cäſaren,
über den Hannibal die erſte Brücke ſchlug. Hier
drängt er feinen raſchen Lauf durch eine ununter—
brochene Reihe enger Felspäſſe, deren himmelhohe
Granitblöcke, über das Flußbeet ragend, ſich entgegen—
neigen. Der Steig zieht ſich bald auf dieſer, bald
auf jener Seite, je nachdem Strom und Ufer es
möglich machen, oft durch kühne luftige Bogen, Arca—
den gleich aufgethürmt, vor dem Einſturze bewahrt.
Dieſe Bogen ſind römiſcher Arbeit; die coloſſalen Di—
menſionen ihrer Quadern bezeugen es. Drei Brücken
verbinden den Steig; die Erſte iſt im Lande unter dem
Namen Puente de los Espias ſeit undenklicher Zeit
bekannt, und in Einem Bogen luftig hoch geſpannt.
Eine alte Sage berichtet: die Grafen von Barcelona
hätten Verräther und Spione, ihnen häufig durch die
feindlichen Grafen von Caſtilien zugeſchickt, von dieſer
Brücke hinabſchleudern laſſen, wo ſie in den Wellen
10
A
+
des reißenden Gebirgsſtromes, an den Riffen und
Granitblöcken einen ſichern Tod gefunden. *)
Die Zweite, eine Stunde von der Erſtern,
heißt Puente del Diablo; ſie beſteht aus zwei Brücken,
über einander gewölbt. Die Untere iſt ſchwach und
gefährlich, die Obere maſſiv und ſicher. Einer Legende
zufolge, hat der Teufel den untern Bogen geſpannt,
und jeder Chriſt, der über denſelben gegangen, ward un—
willkührlich in den Strudel hinabgeriſſen; da habe denn
ein frommer Eremit aus der nahen Klauſe N. S. de
la Lievre, von U. L. F. vom Monſerrat den zweiten
Bogen erbeten, der feſt und ſicher, gleichſam der Ewig—
keit trotzend, ſich über den Erſten wölbt. Eine halbe
Stunde weiter, ſtehen mächtige Fragmente der dritten
Brücke; ſie wurde, wie auch das Caſtell am Brücken⸗
kopf, während des großen Succeſſionskrieges zerſtört;
fie öffnet die Seu d'Urgel und ſchließt den Paß, ge—
nannt: de los tres puentes. Am Eingange ſteht:
Philippus Hispanus, Convenarum Episcopus. **)
*) Von dieſer Brücke ward Graf de Eſpana, Ende
October 1839 herabgeſtürzt.
**) Philipp d' Espagne, Bifchof von Cominges.
Die Jahreszahl it verwiſcht. Einzelne Gehöfte (Hlos-
tals), aus Flußſtein und Granit gebaut, hängen hie
und da am Felſen, Adlerhorſten gleich. Es find die
Nachtquartiere der Eiſenarbeiter, Jäger, Fiſcher und
Maulthiertreiber, die Schlupfwinkel der vielen Schleich—
händler, die in der kleinen Republick Andorra, mitten
im Hochgebirge der Pyreneen, mit ihren franzöſiſchen
Genoſſen zuſammenkommen, und von dort aus Catalo—
nien und Aragon mit verbotenen Waaren anfüllen.
In letzter Zeit iſt dieſen Hoſtals eine größere Bedeu—
tung geworden. Manche derfelben wurden in Forts
umgewandelt, ſperrten die Päſſe, waren oft Zeugen
blutiger Gefechte, und die Anhaltspunkte der Gueril-
las beider Parteien. In einem derſelben, hostal es
Pluvins genannt, brachten wir die Nacht zu. Es
liegt mitten im Paſſe, auf geringe Entfernung von
der Brücke de los Espias. Wohl ahnte Keiner von
uns damals, daß kaum ein Jahr ſpäter dieſe wilde
Gegend Zeuge ſo gräuelvoller Auftritte ſein würde.
Der General und ſein Gefolge bezogen das Hoſtal.
Die Minones campirten herum und die Truppen
wurden vorausgeſchickt, das erſte Dorf außerhalb des
Paſſes, Coll de Nargo zu beſetzen; am andern Mor—
280
gen paſſirten wir durch daſſelbe und gegen Mittag
langten wir in Organya an. Dieſe Stadt war der
Hauptſitz der Carliſten in jenen Gegenden, und durch
einige ſchwache Fortificationen gegen einen Handſtreich
geſichert. Hier empfing der General eine Deputation
der Republik Andorra, welche den regierenden Syndi—
eus an der Spitze, für einige chriſtiniſche Tendenzen
Abbitte zu thun kam, die mit Nichtachtung der
Neutralitätsverpflichtungen, die dieſes kleine Ländchen
übernommen, an den Tag gelegt worden.
Andorra, nächſt San Marino, die kleinſte Re—
publik in Europa, rühmt ſich mehrtauſendjährigen
Beſtandes, feiner Anerkennung durch Cäſar, Karl
den Großen und Napoleon. Der Biſchof der Sen
d'Urgel iſt bekanntlich ſouveräner Fürſt dieſer Repu—
blik, unter Schutzherrlichkeit der Könige von Frankreich
und Spanien, denen ein ſehr mäßiger Geldtribut,
wohl mehr der Form wegen, entrichtet wird. Die
Uebernahme deſſelben, die Beſtätigung des auf Lebens—
zeit ernannten regierenden Syndicus, und bei dieſer
Gelegenheit die erneuerte Sanction der Privilegien,
geſchieht für den König von Spanien durch den Gene—
ral-Capitain von Catalonien, franzöſiſcher Seits durch
281
den Präfecten des Ariege Departements; früher fand
es in Toulouſe durch den Stadthalter des Languedoc
ſtatt. Die Angſt vor der chriſtiniſchen Beſatzung der
Seu d'Urgel hatte die Andorreſen vermocht dem Feinde
anzuzeigen, wenn carliſtiſche Offiziere, aus Frankreich
kommend, ihr Gebiet betraten, um ſich nach Spanien
zu begeben, ſo daß es nothwendig geworden, Truppen
an ihre Grenze zu ſchicken, und die Correſpondenz ſtatt
über Foir auf dem längern Wege über Perpignan
zu führen. Der General -Capitain benützte ſeine An-
weſenheit in ihrer Nähe, um ſie mit Verwüſtung ihres
Thales und einer nahmhaften Kriegsſteuer zu bedrohen,
falls ſie ſich derlei vertragswidrige Handlungen noch bei—
kommen ließen. Nachdem er dem Syndicus und der
Deputation, die viel von ihrer Reue geſprochen, einen
derben Verweis gegeben, ſchloß er mit den Worten:
„ſonſt werde ich in Euer Thal marſchiren und Euch alle
bei den Köpfen nehmen, ohne daß deßhalb Euer Mit-
Schutzherr, (Co-Suzerano) meines Königs Erlauchter
Vetter und Freund, der König der Franzoſen, Euere
Partei nehmen, oder uns den Krieg erklären wird.“
Abends kamen die Alcalden und Munieipali—
täten vieler, im höchſten Gebirge halb verſteckter
282
kleiner Städte und Dörfer, von ihrer Ergebenheit
an die königliche Sache zu zeugen und um Beſtä—
tigung ihrer Privilegien zu bitten. Der General-
Capitain empfing ſie Alle auf das freundlichſte und
unterhielt ſich lange mit ihnen in cataloniſcher Mundart,
ein ſicheres Mittel dort populär zu werden, das keiner
feiner, aus dem Hoflager geſchickten Vorgänger beſeſſen.
Als er ſpäter in der Stadt eine Runde machte,
wandten ſich einige Soldaten, mit Klagen über
die ſchlechte Qualität des Brodes, an ihn und
wieſen unausgebackene Teigmaſſen vor. Der General
ließ ſofort den Proviant-Commiſſair und den Batail-
lons-Bäcker holen, und ſie mußten zur Strafe, binnen
einer Stunde Zeit, Jeder vier Pfund dieſes ungenieß—
baren Brodes verzehren. Es ward ihnen ein Minone
zur Seite geſtellt, der für pünktliche Vollziehung oder
vielmehr Verſpeiſung, Sorge tragen mußte. Das
Jammern und Flehen der ſchlingenden und würgenden
Inculpaten war wirklich komiſch zu ſehen. Der Bäcker
wollte lieber zu Stockſtreichen und der Proviant—
Commiſſär zu einer Geldbuße verurtheilt werden; de
Eſpana meinte aber, dies könnten fie auch noch
haben, zuerſt aber müßten ſie das Brod aufeſſen.
Sie find Beide davon bedeutend krank geworden, was
der General ganz in der Ordnung fand. Die Sol—
daten aller Bataillons hingegen jubelten laut über
dieſen Act evangeliſcher Gerechtigkeit.
Am erſten December verließen wir Organya und
zogen am Fuße eines ungeheuern Granitkegels vorbei,
der mit den Felſen von Adersbach in Böhmen ver—
gleichbar, an ſeiner Spitze eine Einſiedelei, Ermita
de Santa Fe, trägt. Nach %, Stunden machten
wir Halt und frühſtückten bei der Rectoria de Cabo,
von wo an, Leben und Vegetation ein Ende nehmen.
Felsblöcke aller Größe liegen auf kleinerem Stein—
gerölle, wie vom Himmel herabgeregnet umher, und
bedecken ein mehrere Stunden langes Thal, das
auf beiden Seiten durch nackte, ſtarre Felſen ein—
geengt wird. Um einen derſelben, einen ſchwarzen
Granitkegel, windet ſich zwiſchen Dornen ſpiralförmig
ein enger Steig, der Einzige, der aus dem Thale
führt. Einer hinter dem Andern, erkletterten wir ihn,
zogen die Pferde an den Zügeln nach, und trieben
die Maulthiere vor uns her. Die Geſchicklichkeit
der Letzteren iſt merkwürdig zu ſehen, im Vergleiche
zur unbeholfenen Furcht jener. Das Maulthier ſetzt
284
vorſichtig und langſam den Fuß erſt zu Boden, nach—
dem es, mit dem Hufe aufklopfend, deſſen Feſtigkeit
geprüft. Als wir ungefähr eine Höhe von 500 Fuß
erſtiegen, ſprang der Windhund des Generals einem
Maulthier, das ein vierpfündiges Kanonenrohr trug,
zwiſchen die Beine; das Thier erſchrack, machte einen
Fehltritt und rollte in den Abgrund. In weiten
Bogen und Sätzen flog das Kanonenrohr zuerſt in
das Thal und bald kam das Maulthier, mit einge—
zogenen Beinen einem Knäul gleich, ihm nach. Unten
angelangt blieb es liegen und wir gaben es für ver—
loren. Sein Treiber kletterte jedoch ſogleich den Berg
hinab, ſich an Dornen und Haidekraut anklammernd;
mehrere Artilleriſten warfen ihre Carabiner weg und
folgten ſeinem Beiſpiele; ſie brachten das Maulthier
auf die Beine, luden die Kanone wieder auf, und
jagten das von uns todt geglaubte Vieh vor ſich her,
als wäre nichts vorgefallen; oben angelangt gewahr—
ten wir mit Verwunderung, daß es, mit Ausnahme
einiger unbedeutender Wunden, ganz heiler Haut da—
vongekommen. Das Pferd eines Lanciers, das unmit—
telbar darauf, gleichſam das Maulthier nachahmend,
herabſtürzte, kam zerſchellt und todt in ſchauderhaftem
285
Zuſtande unten an. Sein Reiter, der ihm jammernd
nachlief, nahm ihm Sattel und Zaum ab, riß die Eiſen
von den Hufen und lud im nächſten Dorfe Alles auf
eine kleine, in einem Bauerhauſe vorgefundene Eſelin.
Endlich kamen wir auf den Gipfel, der ein
ziemlich ausgedehntes Plateau bildet. Hier wurde
Menſchen und Thieren eine Stunde Raſt gegönnt.
Ich pflegte ein kleines Journal bei mir zu führen,
das mich nie verließ, und worin ich die momentanen
Eindrücke an Ort und Stelle verzeichnete. Als öfter
meine Equipage verloren ging oder vom Feinde ge—
nommen wurde, blieb mir mein kleines Journal, ohne
welches es mir ſpäter unmöglich geworden wäre, meine
Erinnerungen zu ordnen und zu Papier zu bringen.
Auf dem obenerwähnten Plateau ſchrieb ich folgende
Worte nieder, die ich in meinem Journal, in halbver—
wiſchten Bleiſtiftſtrichen, ſpäter mit Dinte überzogen,
wiederfinde: „nach 1½ ſtündigem fortwährendem per=
pendiculären Steigen auf die erſte Gebirgsſcheide der
Pyreneen gelangt. Auf dem höchſten Gipfel eines ſchwar—
zen Granitkegels, über einer Schlucht von 2000 Fuß
ſenkrechter Tiefe, wo die Pferde wie Ameiſen ausſehen,
und wohin der Schall menſchlicher Stimme nicht mehr
dringt, — dieſe Worte geſchrieben. Anſicht der großen
Schneekette der Pyreneen. Pie du Midi am Horizont.“
Nach ½ Stunden Marſch cantonirten die Truppen
in Thauß, einem großen, ausnahmsweiſe durchaus
feindlich geſinnten Dorfe, deſſen ſämmtliche männliche
Bewohner bei unſerer Ankunft die Flucht ergriffen
hatten, ſo daß wir nur Weiber und Kinder antrafen,
außer einigen Greiſen, die nicht mehr gehen konnten,
Krüppeln und Cretins, die in dieſen Gegenden ſo
häufig ſind als im Canton Wallis. Am nächſten
Morgen zogen wir weiter, über ſchlechte Wege, Berg.
auf und ab, doch immer mehr in ſteigender Richtung,
ſo daß wir uns endlich in der Schneeregion befanden.
Ein paar ärmliche Dörfer, Freuſes und Churigera,
ſahen wir in Schluchten zu unſeren Füßen liegen.
Nach fünfſtündigem Marſch hielten wir bei Vilamu,
einem gleich elenden Dorfe in der Sierra del Romes.
Nachmittags ging es längs der minder hohen Sierra
f de San Sebaſtya, am mauriſchen Caſtell von Pera—
mea, unterhalb des Coll de la Baſeta vorbei, am
Ufer eines Gießbaches, der einen ſchönen Waſſerfall
bildet. Gegen Abend überſchritten wir auf einer Brücke
den Nogueras Pallereſa und kamen nach Sort, einer
287
ziemlich bedeutenden Stadt, wo das Hauptquartier
aufgeſchlagen ward.
Das Ayuntamiento und die vornehmſten Einwoh—
ner empfingen den General-Capitain beim Scheine
der Fackeln, mit Muſik und allerlei Feſtlichkeiten. Hier
ſollten unſere militäriſchen Operationen eigentlich be—
ginnen, da der feindliche General Carbo eine bedeu⸗
tende Colonne von Talarn aus, längs des Nogueras
Pallereſa echelonirt hatte, deſſen unteres Flußgebiet,
ſo wie das des Flemiſel, er dominirte. Seine äußerſten
Vorpoſten ſtanden bei Gerri. Der General-Capitain
befahl die Unſeren bei Uſen aufzuſtellen, längs zwei
kleinen Bächen, die beinahe gegenüber, in den Nogue—
ras Pallereſa einfließen und von beiden Seiten das
Thal abſchließen.
Bereits vor zwei Nächten war in Organya die
Nachricht eingetroffen, die feindliche Garniſon des
Forts de la Libertad, oberhalb Viella im Thale
von Aran, habe ihren Gouverneur, Oberſten Don
Ramon Gali, einen ehemaligen Generalſtabs-Offi—
zier des General Roten, ermordet; die Stadt Viella,
Hauptſtadt des Thales, ſich jedoch geweigert, gemein—
ſame Sache mit dem Fort zu machen; ſo daß gegen—
2ss
wärtig dieſes liebliche, kleine Thal ſich in einem Zu—
ſtand anarchiſcher Auflöſung befand. Berichte über
dieſen Vorfall waren bereits nach Barcelona abge—
ſchickt worden, und die feindliche mobile Colonne
des Diſtrictes von Lerida wurde erwartet. Dieſer zu—
vorzukommen, hatte der General-Capitain in der Nacht
vom 31. zum 1. dem Brigadier Porredon, deſſen
Diviſion zwei Tagemärſche vor uns voraus hatte und
in Rialp cantonirte, befohlen augenblicklich nach dem
Thale von Aran aufzubrechen, das befeſtigte Viella
und das Fort de la Libertad mit Sturm zu nehmen,
eine allgemeine Kriegsſteuer auszuſchreiben, die Forti—
ficationen zu ſchleifen, ſodann mit den Gefangenen
und ſämmtlichen Kriegsvorräthen zu ihm zurückzukehren.
De Eſpana wollte indeſſen das Thal von Pallas
(le Comte de Paillasse) am obern Nogueras Palle-
reſa beſetzen und Porredon dadurch den Rückzug über
den Paß de la Bonaigua offen halten. Die größte
Schnelligkeit, in Ausführung dieſer Operation, war
nöthig, da ein Zuſammentreffen der beiden feindlichen
Colonnen von Lerida und Talarn in den obern Thälern,
unſer ganzes Corps abſperren konnte.
Am 3. Morgens kam ein Spion mit der Nach-
richt, daß Oberſt Caſtells mit drei Bataillons in
der Conca de Orcau, einem muſchelförmigen Thale
unterhalb Talarn, eingetroffen, Carbo's Colonne
bei letzterem Orte angegriffen und eine Diverſion des
feindlichen Generals, von Gerri aus, in ſüblicher
Richtung dadurch bewirkt habe. Obgleich Caſtells,
zu ſchwach dem Feinde länger die Spitze zu bieten,
ſich zurückziehen mußte, ſo war doch ein Vorſprung
von mehreren Tagen hiedurch für uns gewonnen.
Alles freute ſich im Hauptquartier über dieſe Nach—
richt, die unſere Operationen erleichterte. Doch
wunderten ſich die Meiſten, wie Caſtells ſo zu
rechter Zeit, am rechten Orte zugeſchlagen, da Keiner,
vielleicht den Chef des Generalſtabs auszunehmen, die
Inſtructionen ahnte, die der General gegeben und die
er ſtets in tiefes Geheimniß zu hüllen wußte. Noch
denſelben Morgen ward von Sort aufgebrochen, ein
Bataillon nebſt einer Kanone, unter Oberſt Pons,
zur Beſetzung der Brücke und Beobachtung des Fein—
des zurückgelaſſen, und längs des Fluſſes im Thale
fortmarſchirt. Die Gegend von Sort bis Rialp, wo
wir Mittags anlangten, iſt gut bebaut, und gleicht
ausnahmsweiſe wieder den Beſten in Catalonien.
1 19
290
Rialp iſt eine, für jenen Landſtrich, ziemlich bedeu—
tende Stadt, die in friedlichen Zeiten großen Eiſen—
handel trieb, doch nun halb zerſtört nur den traurig—
ſten Anblick gewährte. Am Eingange der Stadt ſteht
eine elegante Villa, mit Colonnaden im italieniſchen
Styl, von einem engliſchen Garten umgeben; doch
konnten wir nicht einmal Mittags darin halten, da
Fenſter und Thüren, und theilweiſe auch der mit bra—
ſilianiſchem Holze ausgelegte Parquet herausgeriſſen
waren. Nach kurzem Halt marſchirten wir über Hoſtal
del Rey und Santa Roma, und bivouaquirten nach
drei Stunden bei der Brücke und dem Dorfe Llavorſi,
am Eingange der Grafſchaft Paillaſſe, deren enge
Keſſel, finſtre Schluchten und höhlengleiche Dörfer
nur von Eiſenarbeitern und Schmugglern bewohnt
werden. Hier drängt ſich der Nogueras pfeilſchnellen
Laufs durch ſein Felſenbeet, in dunklen Fluthen.
Schmale Nachen mit Eiſenſtangen beladen, werden
mit Lebensgefahr ihrer Führer über Strudel und
Cascaden hinweggeriſſen, und führen, als einziges
Communicationsmittel, die ergiebigen Produkte der beſten
ſpaniſchen Eiſenbergwerke in die cataloniſchen Thäler,
an den Ebro und zum Meere. Ueberall ſieht man
Hochöfen, deren ſchwarze Rauchwolken und rothe
Flammen abwechſelnd dieſe finſtern Höhlen und Päſſe
bei Tage verdunkeln und Nachts erleuchten. Das
monotone Hämmern der Eiſenwerke, in hundertfachem
Echo wiedergegeben, das Rauſchen des Gebirgsſtromes,
dem auf allen Seiten Gießbäche zufließen, der Mangel
aller Vegetation drücken dieſer Gegend einen Stempel
primitiver Wildheit auf, als wäre ſie erſt geſtern aus
dem Chaos entſtanden.
Um zwei Uhr Nachts traf ein Ordonnanz-Offi⸗
zier Porredons aus dem Thale von Aran ein und
meldete dem General, nach einigen vergeblichen Ver—
ſuchen Viella zu nehmen, habe ſein Chef ſich darauf
beſchränken müſſen dieſen Ort zu blockiren, in Betren,
auf ½ Stunde Entfernung von demſelben, ſein Haupt—
quartier aufzuſchlagen und die im Thale weidenden,
der Stadt gehörigen Heerden eingefangen; mehr
glaube er jedoch nicht unternehmen zu können, da
Viella Ueberfluß an Lebensmitteln und Waſſer habe.
Graf de Eſpana war außer ſich; er hatte erwartet,
in Llavorſi die Beendigung der ganzen Operation zu
vernehmen. Augenblicklich ließ er mich wecken, und
befahl mir mit einem Bataillon, einer halben Com—
19 *
292
pagnie Sappeurs, zwei kurzen Haubitzen und zwei
Mörſern, nach dem Thale von Aran aufzubrechen.
Nach einer Stunde hatte ich meine letzten Inſtruc—
tionen erhalten und war auf dem Marſche. Noch bei
Nacht paſſirten wir die Brücke von Escalo, einen
wichtigen Punkt, der die Thäler von Pallas und
Cardos abſchließt, und als es Tag ward, ließ ich in
Eſterri halten, die Truppen zu rationiren. Dieſer
bedeutende Ort, unmittelbar am Fuße der großen
Gebirgskette der Pyreneen, lebt ganz vom Schleich—
handel und ſchien mir gutgeſinnt, mit Ausnahme des
conſtitutionellen Alcaden und einiger der reicheren Ein—
wohner. Ich glaubte dem General hievon Kenntniß
geben zu müſſen, der auch nicht ermangelte fie ſofort
aufgreifen und gefangen wegführen zu laſſen.
Hinter Eſterri hebt ſich das Terrain allmählich, und
nach einer halben Legua, in Valencia, wird der Weg ſchon
ſteiler. Bei Arréa, eine Stunde weiter, trafen wir Schnee
an, der uns während eines vierſtündigen Steigens
nicht mehr verließ. Bald wurde er ſo tief, daß die
beladenen Maulthiere bis über die Bruſt hineinfielen.
Die von Zeit zu Zeit, zur Bezeichnung des Paſſes
und Steiges, aufgepflanzten Stangen ſchützten uns
293
allein vor Unglück, da ein Hinabſtürzen in die vielen
mit Schnee bedeckten Schluchten ſonſt unvermeidlich
geweſen wäre. Glücklicherweiſe war das Wetter hell
und klar, und nur ſelten nöthigte uns, durch Wirbel—
wind aufgejagtes Schneegeſtöber inne zu halten. Stel—
lenweiſe war der ſonſt weiche Schnee ſo feſt gefroren,
daß die Maulthiere und beſonders die Pferde beſtändig
ausgleiteten und fielen. Die Geſchütze, Laffetten und
Munitionskaſten mußten abgepackt und an Stricken
durch die Soldaten nachgezogen werden. Wir waren
auf einer Höhe von 3100 ſpaniſchen Varas. Endlich
kamen wir auf den höchſten Punkt des Paſſes, wo
ein einſames Hoſtal, Meſon de la Bonaigua, die
ermüdeten oder verirrten Schleichhändler aufnimmt, da
andere Reiſende nie dieſen Weg einſchlagen und die
Araneſen nur ſelten nach Catalonien gehen. Hier
beginnt die Senkung. Wir waren bisher in nördlicher
Richtung marſchirt; nun wandten wir uns nach Süden,
an den Quellen des Nogueras vorbei; zu unſerer
Rechten, auf der Berglehne, lehnte eine einſame Capelle
N. S. de Mongarri. Noch paſſirten wir eine enge
tiefe Schlucht, in deren Grund wir herabſteigen mußten;
dann hörte die Schneeregion auf, und als wir um
294
einen vorſpringenden Berg uns wandten, lag das
reizende Thal von Aran zu unſern Füßen, bebaut und
bewohnt, ſo grün und friſch als wären wir mitten
im Sommer.
Das privilegirte Thal von Aran, am nördlichen
Abhange der Pyreneen, iſt ſeiner reizenden Dörfer,
lieblichen Lage und beſtändigen Fruchtbarkeit wegen,
den vielen Fremden des benachbarten Badeortes Bag—
neres de Luchon bekannt. Es gehört nur mehr poli⸗
tiſch zu Spanien; auch wollen die Araneſen weder für
Catalonier noch für Aragoneſen paſſiren, mit denen
ſie übrigens nichts gemein haben, nicht einmal die
Sprache, die ein beſonderes, nur in dieſem Thal
übliches, altromaniſches Patois iſt. Bei einer Länge
von acht Leguas iſt das Thal nur eine halbe Stunde
breit, und zählt in dieſem kleinen Raume, auf beiden
Ufern der Garonne, die hier entſpringt, zwei und
dreißig Dörfer, mit holländiſcher Reinlichkeit an die
Berglehnen gebaut. Alle Häuſer ſind weiß getüncht,
mit Schiefer oder rothen Ziegeln gedeckt; die großen
Fenſter mit Glas verſehen, im Contraſte zu den trans—
pyreneeiſchen Bauern» Wohnungen. Jedes Dorf hat
einen Platz, in deſſen Mitte ein Brunnen ſteht; zwei
295
und dreißig Kirchthürme, die Vier von Viella unge—
rechnet, tragen nicht wenig zu dem lebhaften Anſtrich
des Thales bei. Große Heerden von Rindern gehören
zu ſeinem Haupt-Reichthume, auch fanden wir hier
das erſte Mal wieder Butter, bekanntlich in Spanien
eine ſeltene Delicateſſe. Die Araneſer Butter, feſt
geſtampft und in große Kugelform gebracht, wird in
Kohlblätter gewickelt und mit Bindfaden befeſtigt, im
Winter über die Berge nach Catalonien und Aragon
gebracht und dem holländiſchen Käſe (Queso de
Olanda) gleich, als bedeutender Handelsartikel verkauft.
Zwar trug die glückliche geographiſche Lage des
Thals, zwiſchen Frankreich und Spanien, nicht wenig
zu ſeinem Reichthum bei, doch verdankt es ihn vor—
züglich den exceptionellen Privilegien, die den baſkiſchen
Provinzen gleich, von den ſpaniſchen Königen ihm
garantirt worden. Das Thal von Aran hat früher,
dem von Andorra gleich, eine kleine Bergrepublik ge—
bildet, und nach feiner freiwilligen Unterwerfung deß—
halb dieſe Privilegien behalten. Nächſt unbedingter
Steuerfreiheit liegt vorzüglich in der freien Ein- und
Ausfuhr großer Werth; doch wurde natürlich das Thal
von Aran der Entrepöt aller verbotenen Waaren und
296
der Sammelplatz der Schmuggler, die von hier aus
den Schleichhandel im größten Maßſtabe, in bewaff—
neten Banden und beſtändiger Fehde mit franzöſiſchen
und ſpaniſchen Zollwächtern treiben, was um ſo
leichter geſchieht, als die ſchneebedeckten Bergrücken,
die vom Maladetta bis zum Pie de Montvallier das
Thal von Aran ſpaniſcher Seits begrenzen, zu einer
ſtabilen Zolllinie ſich wenig eignen. Die jetzt beſte—
hende, nivellirende Regierung wird wohl die Araneſen
des größten Theils ihrer Privilegien berauben.
Bei Tredos betraten wir das Thal. Nach einer
Stunde ließ ich in Salardu halten, der Mann—
ſchaft etwas Ruhe zu geben. Wir ſetzten über die
ganz kleine Garonne, die hier noch ein Bach, ober—
halb Salardu an ihrer Quelle nur zwei Fuß breit,
durch viele Gebirgsgewäſſer in Kurzem verſtärkt, bei
Boſoſt, am Ende des Thals, nach acht Stunden,
ſchon ein bedeutender Fluß iſt. Gegen vier Uhr Nach—
mittags traf ich in Betren, Porredons Haupt⸗
quartier ein; er hatte ſeine 4 Bataillons in dieſem
Orte und in Gauſac, zu beiden Seiten des bedrohten
Punktes, cantonnirt. Viella war durch eine einfache
Mauer, einen Erdaufwurf und Graben und einige
297
mit Schießſcharten verſehene Häuſer vertheidigt, der
Weg nach Betrén abgeſtochen und durch ein paar
Außenwerke beſtrichen; der Brückenkopf an der Garonne
bildete den feſteſten Punkt. Auf Flintenſchußweite von
der Stadt, auf einem dominirenden Bergvorſprung,
der Garonne in entgegengeſetzter Richtung, ſtand das
Fort de la Libertad, ein ehemaliges Kloſter, nun
ſtark befeſtigt mit 8 ſchweren Geſchützen und 200 Mann
Garniſon. Darin commandirte, ſeit Gali's Ermor⸗
dung, ein von den Soldaten zum Chef gewählter
Feuerwerker. Periquet, ein berüchtigter Partei—
gänger, und ein Oberſtlieutenant, deſſen Name mir
entfallen, befehligten die aus 350 Mann beſtehende
Garniſon der Stadt. Sobald es dunkel ward, etablirte
ich meine kleine Batterie dem Brückenkopf gegenüber,
an das andere Ufer der Garonne, auf Flintenſchuß—
weite. Am 5. Morgens ward Viella zur Uebergabe
aufgefordert und dem Befehl des General-Capitains
zufolge, zwölf Minuten Bedenkzeit der Stadt gegeben;
doch empfing ſie den Parlamentär mit Flintenſchüſſen.
Um 8 Uhr eröffnete unſere Batterie ihr Feuer, dem
die Geſchütze des Forts und das Gewehrfeuer von
dem Brückenkopf erwiederten. Unſere Bomben zündeten
298
einige Häuſer an, die bald hell aufloderten; nach einer
Stunde war der Brückenkopf zum Schweigen gebracht.
Um 9 Uhr, auf ein gegebenes Zeichen, rückten die in
Betrén und Gauſac bereit ſtehenden Truppen im Sturm
ſchritte vor; zugleich griff das fünfte Bataillon, das
die Batterie gedeckt hatte, den Brückenkopf an. Wähz
rend der Nacht waren alle Leitern, deren man habhaft
werden konnte, zuſammengebracht worden; ſie wurden
angelegt; ein ziemlich hitziges Bajonnet-Gefecht ent—
ſpann ſich, und nach 20 Minuten waren wir Herren
der Stadt. Durch Verſehen des in Gauſae eomman—
direnden Stabsoffiziers ward der einzige Weg, der von
der Stadt nach dem Fort führte, nicht beſetzt, weß—
halb ein Theil der Garniſon mit Periquet ſich in
eiliger Flucht dorthin zurückzog. Die übrige Mann—
ſchaft und der Oberſtlieutenant wurden niedergehauen,
nur acht Mann, Tags darauf in einem Heuſchober ver—
ſteckt gefunden, geſchont und als Gefangene abgeführt.
Den Inſtructionen des General-Capitains zufolge
ſollte die Stadt, im Falle ſie ſich auf die erſte Som—
mation nicht ergebe und mit Sturm genommen würde,
durch zwei Stunden geplündert, dann an den vier
Ecken angezündet und niedergebrannt werden. Den
299
zweiten Theil dieſes Befehls glaubten wir umgehen
zu dürfen; es ſchien uns durch Vollziehung des Erſten
das arme Viella hinlänglich für den Widerſtand ſeiner
Garniſon gezüchtigt. Jeder Kriegsſoldat weiß, wie
ein der Wuth ſtürmender Soldateska preisgegebener
Ort ausſieht; ich übergehe daher gern die Erzählung
von Gräuelſcenen, die bei Plünderungen unausbleiblich,
ſich in allen Feldzügen wiederholen. Nach einer Stunde
ließen wir Generalmarſch ſchlagen und ſchickten die
Truppen nach Betrén und Gauſac zurück; nur ein
Bataillon wurde in Viella gelaſſen. Der Platz dieſer
Stadt, durch das Fort dominirt, blieb beſtändig den
Schüſſen ausgeſetzt, ſo daß verboten werden mußte,
auf demſelben ſtehen zu bleiben oder ſich zu gruppiren,
da in der erſten halben Stunde die viertelpfündigen
Kugeln der feindlichen Wallbüchſen uns einige Solda—
ten tödteten und verwundeten; ja einige derſelben fuh—
ren durch das offene Fenſter in Porredons Woh—
nung und ſchlugen, über unſern Köpfen weg, in die
Tapete, als wir eben bei Tiſche ſaßen. Ich hatte
Porredon aufgefordert, noch dieſelbe Nacht Leitern
anzulegen und das Fort zu escaladiren; doch war er
dazu nicht zu bewegen, und nur mit größter Mühe
300
hielt ich ihn ab, meinen Vorſchlag vor einen Kriegs—
rath der Bataillons-Chefs zu bringen und ihm hie—
durch eine nachtheilige Oeffentlichkeit zu geben. Trotz
aller Ueberredung konnte ich ihn nicht beſtimmen, ſeine
Leute ohne Breſche attaquiren zu laſſen. Um mich mit
ihm nicht zu entzweien, mußte ich nachgeben, und wir
beſchloſſen, trotz der allgemeinen Ermüdung, auf eine,
das Fort dominirende, nahe Anhöhe, el Aro dels Ca—
pellans genannt, dieſelbe Nacht unſere Batterie zu
etabliren, mit Tagesanbruch Breſche zu ſchießen und mit
einigen Elite-Compagnien in das Fort einzudringen.
Doch wurde gegen Abend, als eben die in Viella
garniſonirenden Sappeurs mit den Faſchinen und
Körben abmarſchiren wollten, durch betrunkene Sol—
daten Feuer an ein Haus gelegt, und bald ſtand
eine ganze Straße in Flammen. Die Unordnung, die
hieraus anfänglich erfolgte, die zum Löſchen nö—
thige Zeit nahmen die meiſten Nachtſtunden hin, und
als noch vor Tagesanbruch ich dennoch die Sappeurs
auf die Höhe führen wollte, fiel ſo dichter Schnee,
durch Wirbelwind aufgepeitſcht, daß alle Operationen
unterbleiben mußten. Zur Deckung meiner Verant-
wortlichkeit ſchickte ich einen Ofſizier an den General-
301
Capitain, mit ausführlichem Berichte über die letzten
Ereigniſſe und Porredons Widerſtand. Den näch—
ſten Tag über waren wir genöthigt, unthätig zu
bleiben; gegen Mittag begaben wir uns in die Ka—
thedrale von Viella, wo der Diviſions-Caplan Fray
Ignacio Hochamt und Te Deum, für die Einnahme
von Viella, beim Klange unferer Bataillonsmuſik hielt.
An allen Glocken wurde geläutet, und nach ächt ſpa—
niſcher Weiſe dachte Niemand mehr, auf das vor uns
liegende feindliche Caſtell.
Am folgenden 7. dauerte das Schneegeſtöber
fort, und wenn man die Bataillone deeimirt hätte,
würde Keiner ſeine Cantonnirung verlaſſen haben.
Gegen Mittag ward gemeldet, daß die franzöſiſche
Garniſon von St. Beat an der Grenze ſei und
ſich anſchicke, unſer Gebiet zu betreten, um einige
feindliche Flüchtlinge zu verſtärken, die bei unſerem
Einmarſch in das Thal ihre Garniſonen Begos und
Boſoſt verlaſſen und ſich auf franzöſiſches Territorium
zurückgezogen hatten. Obſchon dieſem Gerüchte nicht
viel Glauben beizumeſſen war, ſo verbreitete es doch
ſo allgemeines Entſetzen, daß um den übelſten Folgen
vorzubeugen, ich beſchloß, an dieſem ohnedieß müßigen
Tage mich ſelbſt zur Grenze zu begeben. Gegen Mit⸗
302
tag ritt ich mit einigen Generalſtabs-Offizieren das
Thal hinab; vor zwei Tagen noch ſo grün und blü—
hend, ſah es jetzt einer Eisſchlucht im höchſten Norden
gleich. Wir ritten durch viele Dörfer, an den Ruinen
des hiſtoriſch berühmten Schloſſes Caſtel Leon vorbei;
als wir nach Boſoſt kamen, liefen ein Dutzend
Peſeteros davon, die dort ihr Unweſen getrieben und
wohl jene albernen Gerüchte ausgeſprengt haben moch—
ten. Wir jagten hinter ihnen her; doch konnten ſie
auf dem ſteinigen, ſchlüpfrigen Boden ſchneller laufen,
als wir reiten, und als wir zur Grenzbrücke kamen,
waren ſie bereits auf franzöſiſchem Gebiete. Doch ſahen
wir außer einigen Compagnien franzöſiſcher Infanterie,
die dieſe Paſſage beobachteten, nichts, was auf eine
militäriſche Bewegung unſerer unfreundlichen Nachbaren
hingedeutet hätte.
Als ich Abends nach Viella zurückkam, fand ich Por—
redon noch unvernünftiger disponirt als früher; er
hatte Miguel del Oli, Chef des 5. Bataillons und
Bruder des Oberſten Pons, zu Rathe gezogen, und war
davon nicht abzubringen, in dem Fort ſei nichts zu finden,
der Sturm unnöthig und werde viel Leute koſten. Nach
langen Debatten verſprach er endlich, wenn am nächſtfol—
303
genden Tage (S.) noch keine Antwort vom General—
Capitain einträfe, am 9. angreifen zu laſſen. Ich berich—
tete dieß ſogleich dem General und begab mich zur Ruhe
in übelſter Laune über dieſen unentſchloſſenen Men—
ſchen, den ich doch ſchonen mußte, da die meiſten Leute
unter ſeinem directen Befehle ſtanden und er überdieß,
als älterer Chef, das letzte Wort hatte.
Am 8., Morgens, trafen endlich die erſehnten
Depechen aus dem Hauptquartier des General-Capi—
tains ein. Sie waren vom Vorabend, und aus Eſterri
datirt. In einem an mich gerichteten franzöſiſchen
Schreiben ſagte der General unter Anderem: „je suis
de fort mauvaise humeur sur la lenteur que le
Brigadier Porredon a mis dans l’execution de
l’operation que je lui avais confiee........ Je
vous prie de le lui dire en particulier; il doit
senfir que la prise de ce petit fort interesse le
service du Roi notre Maitre, et que cette opera-
tion doit étre prompte, ne pouvant me tenir tres
longtems dans ces gorges, où un monvement
combine de l’ennemi, qui connait ma position,
pourrait me couper.” Und ſpäter: „qu'il (Porre-
don se.) reunisse toutes les echelles de la vallee,
qu'il donne l'assaut et passe tout au fil de la
bayonette, en quoi il rendrait le plus grand ser-
vice au Roi et à la Principaute de Catalogne,
car ce sont des assassins ou des scelerats char-
ges de sacrileges et de crimes.”
Als ich Porredon dieſes vorlas und überſetzte,
ſah er erſt lange mißtrauiſch die franzöſiſchen Schrift—
züge an und hätte wohl gern an der Genauigkeit
meiner Interpretation gezweifelt; doch entſchloß er ſich
endlich die nöthigen Befehle an die Bataillonschefs
zu geben. Pons und Borges als die zwei Fähig—
ſten wurden gerufen; man ſtelle ſich nun meine Ver-
zweiflung vor, als Beide ganz trocken erklärten: ſie
wären keine Saltimbancos, und das Klettern auf
Leitern ſei nicht ihre Sache; übrigens würde ihnen
kein Soldat folgen und ſie gewiß Keinen führen;
ſobald eine Breſche practicabel wäre, wollten ſie ſelbſt
ihre Leute in das Fort führen, ſonſt nicht, und wenn
der General-Capitain ſelbſt käme. Mehr von ihnen
zu erlangen, Freiwillige ſelbſt aufzurufen und hinzu—
führen, wäre nicht möglich geweſen, da gewiß jeder
Chef ſeine eigene Bande von einem ſo „tollkühnen
und widerſinnigen Unternehmen“ ſelbſt abgehalten
305
hätte. An Aufſtellung der Batterie bei Tage war
nicht zu denken, da ich zu einem, ihnen ſo exponirt
ſcheinenden Vorhaben keinen Mann gefunden hätte;
es blieb alſo nur übrig die Nacht abzuwarten.
Nach mehrſtündiger Arbeit, beim furchtbarſten
Wetter, waren endlich unſere kleinen Piecen auf dem
längſt beſprochenen Punkte. Um 7 Uhr begann ein
ziemlich lebhaftes Feuer unſerer Seits, nur ſchwach
vom Fort erwiedert, und als nach einigen Stunden
eine Wand glücklich einfiel, die Flagge vom beſchädig—
ten Thurm herabſtürzte und ich jeden Augenblick er—
wartete, mit ein paar Elite-Compagnien durch die
Breſche eindringen zu können, hörte ich, zu meinen
Füßen, in Viella, Generalmarſch ſchlagen und gewahrte
zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß in dem
Hofe der Wohnung Porredons, deſſen Maulthiere
gepackt wurden. Ich eilte hinab, Erklärung zu ver—
langen, doch hörte ich ſchon in allen Straßen die
Offiziere und Soldaten vom Rückzuge ſprechen, und
als ich Porredons Haus betrat, übergab er mir
mit triumphirendem Lächeln eine Depeche des General—
Capitains, die den unverweilten Abmarſch befahl.
In einem Schreiben de Eſpana's aus Llavorſi von
II. 20
306
letzter Nacht ſchrieb er mir: „le general- en - chef
ennemi est pres de moi en forces considerables;
par consequent ma position n’est point du tout
riante. J’eeris au Brigadier Porredon qu'il exe-
cute incessamment son mouvement de retraite,
qu'il doit faire avec prudence et celerite; cela
lui fera connaitre le tems qu'il a perdu.” In einer
Nachſchrift ſagt der, ſelbſt in kritiſchen Momenten, ſtets
heitere Greis, dem ich ich einige Proviſionen geſchickt
hatte: „je vous remercie du fromage et de la
bouteille de Rhum; nous n’avons rien à manger,
pas méme des sardines, et il fait trop froid pour
le Gaspacho.” *)
Noch wenige Stunden Zeit und das Fort wäre
unſer geweſen, doch war an ein längeres Verweilen
mit dieſen Leuten nicht zu denken, die ſich glücklich
ſchätzten, unverrichteter Dinge abziehen zu dürfen. Die
Artillerie wurde aufgeladen und unter dem Hohnge—
*) Gafpacho, eine Art Salat, in ganz Spanien üblich,
aus geröſtetem Brod, Oel, Eſſig, Zwiebeln, Salz und
Pfeffer; im Sommer kühlend, doch immer von ſchlech—
tem Geſchmacke.
307
lächter der feindlichen Beſatzung abgezogen. Als Nach—
mittags die Truppen durch Betrén marſchirten, fehlte
ein ganzes Bataillon, und es fand ſich, daß Porredon,
in der jüngſtverfloſſenen Nacht, es in das untere Thal
geſchickt hatte, Conſeriptionen einzuſammeln. Er war
nicht einmal darauf bedacht geweſen, bei Empfang
der letzten Depeche es zurück zu beordern, und ſo
mußten wenigſtens 12 Stunden vergehen ehe es an—
langen konnte, da es unmöglich zurückgelaſſen, und
dadurch dem Feinde in die Hände geliefert werden
durfte. Dieſe Zeit wäre mehr als genügend geweſen
das Fort zu nehmen, doch hatte Porredon mir
nicht ein Wort von dieſem ganzen Vorfall geſagt und
erwiederte jetzt auf alle meine Vorwürfe mit ſtoiſchem
Gleichmuthe und ſtehendem Lächeln auf den Lippen:
„Hombre! ich hatte ſo viel zu denken und Alles kam
ſo ſchnell, daß ich es vergeſſen habe.“ Erſt den fol—
genden Nachmittag kam das erwartete Bataillon, und
es war bereits 7 Uhr Abends als wir in Tredos, am
Fuße der Berge anlangten. Viel Schnee war wieder
während der letzten Nacht gefallen, ein gewaltiger
Sturm erhob ſich; die nächſten Stunden drohten un⸗
heilvoll zu werden, beſonders da die Nächte ganz
20
finfter waren. Ich ſchlug Porredon vor, den Ueber—
gang durch den Paß bis zum nächſten Morgen zu
verſchieben; doch konnte er, nach ſo viel verlorner Zeit,
den Moment gar nicht abwarten aus dem Thale zu
kommen, und gab Befehl zum Abmarſch. Wir führten
42 Maulthiere mit, von denen 20 mit Glocken-Metall
für die Gießerei von Berga beladen; über 300 Rinder
und eine bedeutende Anzahl Schafvieh wurden auch
mitgetrieben; doch kaum 2 Stunden nach unſerm Aus-
marſch aus Tredos, hatte ſich der größte Theil der
Heerden bereits verlaufen, und die Hälfte der Laſtthiere
lag in den Abgründen.
Als wir nach Mitternacht beim Hoſtal de la
Bonaigua anlangten, waren ſämmtliche Bataillone ſo
debandirt, daß keine einzige Compagnie mehr ihre
complette Mannſchaft zählte. Artillerie, Munitions-
kaſten, Equipage, von allen dem war nichts mehr zu
ſehen. Ich marſchirte mit den Letzten und kletterte
mühſam, trüben Sinnes auf meinen Säbel geſtützt.
Als ich endlich zum Hoſtal kam, ſtand Porredon
vor demſelben, rang die Hände und jammerte über
das Unheil, das er ſelbſt angerichtet. Um ihn herum
lagen Hunderte von ermüdeten Soldaten auf dem
309
Schnee und heulten vor Kälte. Ich ließ die Scheune
und Stallungen des Hoſtals niederreißen, das Dach
abbrechen und mit dieſem Brennmaterial längs des
Weges eine lange Reihe von Feuern anmachen, die
Angekommenen zu erwärmen und die Zurückgebliebenen
zu leiten. Bald ſammelten ſich immer mehr Nach—
zügler; etwas Proviant, einige Weinſchläuche und ein
paar Stücke Schlachtvieh wurden noch vorgefunden
oder aus den nächſten Schluchten hervorgezogen. Als
der Tag anbrach hatte der Sturm ſich gelegt und wir
konnten den Schaden überſehen. Die Rüſtigſten wur—
den mit Stricken zurückgeſchickt, die in Schluchten ver—
ſunkenen Soldaten heraufzuziehen. Die Meiſten fand
man noch am Leben und brachte ſie glücklich ein; nur
Einige waren in Schlaf verfallen und erfroren. Als
wir um 9 Uhr die Bataillone auf dem Wege formir-
ten, fehlten noch ungefähr 40 Mann, doch der größte
Theil der Laſtthiere, ſämmtliche Artillerie, Munitions-
kaſten, Equipage und Glocken-Material blieben ver—
loren.*) Der Marſch ward ſogleich angetreten, doch
*) Einige Tage ſpäter ward ein Artillerie-Offizier mit
einigen Soldaten zurückgeſchickt, die Kanonenröhre ab—
310
konnte er nur ſehr langſam von Statten gehen, da
beinahe alle Soldaten ihre Schuhe verloren, und mit
wunden Füßen, hinkend über Schnee und Steine ein—
herwankten. An ſolchen Tagen ſah man wieder, daß
der ſpaniſche Soldat, auf Märſchen, im Entbehren und
Leiden, der Erſte der Welt iſt. Nicht Eine Klage war
zu hören, und nur am Verſtummen ihrer frohen Lieder,
am düſtern Blick ihrer ſchwarzen Augen, waren Schmerz
und Unzufriedenheit kenntlich. Dieſem Zuſtande etwas
abzuhelfen, nahmen wir zu einem Mittel unſere
zuholen. Man fand fie zwar tief im Schnee, im Grunde
einer Schlucht, doch beging man die Unvorſichtigkeit Bauern
zu verwenden, um ſie heraufzuziehen, und da zu ihrem
Transporte Maulthiere und geeignete Böcke fehlten, ſie
in deren Gegenwart in einen Felſenriß einzugraben.
Die Sache wurde ruchbar, und kurz nach Abgang
unſerer Artilleriſten kam eine feindliche Streifpartei
und nöthigte die Bauern, die nichts geſtehen wollten,
unter den furchtbarſten Martern (ſie wurden mit bloßen
Füßen auf glühend heiße Platten geſtellt) das Verſteck
anzugeben; worauf die Kanonen hervorgeholt, nach
Barcelona gebracht und im Triumph durch alle Stra—
ßen geführt wurden. In van Meer's nächſtem Bulle
tin war mit vielem Pathos von vier dem Feinde abge—
nommenen Geſchützen die Rede.
Zuflucht, das wahrend des legten Krieges oftmals,
wenigſtens unſerer Seits, mit Erfolg angewendet
wurde: es ward den Soldaten erlaubt in den Orten,
durch die wir paſſirten, alles Schuhwerk zu nehmen.
Daß dieſer Befehl pünktlich befolgt wurde, kann man
denken, und ich glaube nicht, daß nach unſerm Durch—
marſche in Arrég und Valencia ein einziges Paar San—
dalen oder Schuhe übrig geblieben iſt, die der Frauen
mit eingerechnet, welche den kleinen ſpaniſchen Füßen un—
ſerer Soldaten vortrefflich paßten. Noch iſt mir erinner—
lich, daß in letzterm Orte der Alkalde uns mit einigen
Rationen auf dem Platze erwartete, die mein vorlaufen—
der Minone *) beſtellt hatte. Da griff ihn unverſehens
*) De Eſpana, der voll Attentionen für mich war,
hatte mir einen Minonen gegeben. Dieſer vortreffliche
Burſche, der ſchnellſte Läufer, den ich je geſehen, beſaß
nebenbei einige Talente in der Kochkunſt. Er briet
ſehr gut am Spieße; auch verſtand er aus Bohnen und
einem Schöps ſechs verſchiedene Schüſſeln zuzurichten.
Mir iſt dabei ſtets der Savoyard eingefallen, der in
Paris angekommen, die Kneipen ſeines Vaterlandes
weit vorzog, in denen man ſo verſchiedene Speiſen
aus Schweinefleiſch bereite. Mein Minone wurde von
mir oft als Marmiton mit beſtem Erfolge verwendet,
312
ein Soldat von hinten bei den Schultern und legte
ihn unſanft zur Erde, während ein Anderer von vorn
unter vielen Entſchuldigungen ihm die Schuhe auszog.
Endlich kamen wir nach Eſterri, wo wir ein Reiter—
Detachement des Grafen de Eſpana fanden, und
erfuhren, er habe am Vorabend (10.) zwiſchen Sort
und Rialp, durch fünf Stunden ſich gegen van Meer
geſchlagen, der aus Trem mit 5000 Mann herbeige—
eilt war und unſern General-Capitain angegriffen hatte.
Dieſer konnte nur über drei Bataillons disponiren; doch
war von ihm das enge Terrain ſo gut benutzt worden,
daß er den feindlichen General verhinderte, auch nur einen
Augenblick, feine überlegenen Kräfte ganz zu deployiren.
De Eſpaña hatte ſtets unſere Ankunft erwartet, die
ohne den zwölfſtündigen Aufenthalt wegen des zurück—
gebliebenen Bataillons, auch Tags vorher erfolgt
wäre. In dieſem Falle wollte er ſogleich die Offen-
und zeichnete ſich durch Schnelligkeit und Sauberkeit
aus. Wenn einem meiner freundlichen Leſer ein ſolcher
Marmiton bekannt fein ſollte, fo bitte ich ihn unfran⸗
kirt an meinen Verleger, Herrn J. D. Sauerländer
in Frankfurt am Main ſchicken zu wollen, der ihn mir
ſogleich zukommen laſſen wird.
313
ſive ergreifen. So aber ſah er ſich genöthigt ſeine
Poſitionen zu vertheidigen, was auch auf die brillan—
teſte Weiſe geſchah. Bei Sonnenuntergang zogen ſich
beide Theile in ihre alten Nachtquartiere zurück; doch
waren mittlerweile Carb und Sebaſtian aus
Gerri in das Thal von Capdella eingedrungen, drohten
über Bernuy (nicht mit Beranuy zu verwechſeln) und
einen kleinen Gebirgsrücken vorzudringen, den General-
Capitain von uns abzuſchneiden, und ihn zwiſchen ſich
und van Meer zu ſtellen. De Eſpana war daher
genöthigt geweſen, nach Zurücklaſſung eines Obſer—
vations-Detachements in Eſterri, ſich links ab nach
Tirbia (nicht Tirvia) am Eingange des Thales von
Cardos zurück zu ziehen und dort unſere Ankunft ab—
zuwarten. Eine Depeche von ihm befahl uns mög—
lichſte Schnelligkeit, da jeder Verzug uns nothwendig
abſchneiden mußte.
Wenige Minuten nach unſerer Ankunft kamen
royaliſtiſche Bauern herbeigelaufen und berichteten, der
Feind beſetze Rialp und Santa Roma, und ſeine Vor⸗
poſten ſtänden in Llavorſi, denen des Grafen de
Eſpana gegenüber, der noch immer in Tirbia ver—
weile. Der Feind könne jeden Augenblick vordringen
314
und die Brücke von Eſcals beſetzen, die um jeden Preis
von uns genommen werden mußte, wenn wir nicht
abgeſchnitten ſein wollten. Ich ritt ſogleich mit den
dreißig von de Eſpama zurückgelaſſenen Reitern ab,
während Porredon 2000 Rationen und 1000 Paar
Schuhe in Eſterri requirirte, mir das erſte marſch—
fähige Bataillon zuſchicken und mit den übrigen
eiligſt nachfolgen ſollte. Nach einer halben Stunde
geſtreckten Galopps kamen wir zur Brücke, als eben
einige vorausgeſchickte feindliche Compagnien ſich an⸗
ſchickten ſie zu beſetzen. Wir chargirten und vertrieben
ſie, machten einige Gefangene und beſetzten die Brücke.
Nach kaum ¼ Stunden kam das erſte Bataillon, del
Rey genannt, das am ſchnellſten rationirt worden und
am wenigſten gelitten hatte, eiligen Laufes heran.
Die Brücke wurde ſo feſt barrieadirt, daß auch ein
mächtiger Angriff bedeutender Kräfte abgeſchlagen wer—
den konnte. Ich ließ die Grenadier-Compagnie zurück,
zog mit den übrigen ſieben und den Reitern über
Pere de Burgel links ab, und erſtieg den Höhenkamm,
der uns von Tirbia trennte. Vorher ſchickte ich noch.
eine Ordonnanz an Porredon, ihm dringend zu empfeh—
len, nicht zu ſehr zu verweilen. Um ein Uhr kam ich
315
in Tirbia an. Der General ſtand auf einer Anhöhe
vor dem Dorfe und beobachtete mit dem Fernrohr die
Gegend. Durch einen von Tirbia aus abgeſchickten
Spion, der von der nächſten Höhe aus Alles beobachtet
hatte, war er bereits von der Einnahme der Brücke
von Escalö in Kenntniß. Als die Reiter vor ihm
defilirten, nahm er ſeinen Stock unter den Arm und
klatſchte in die Hände. Doch gleich darauf rief er
mich bei Seite, erkundigte ſich erſt freundlich nach
meinem Zuſtand (ich war auf der Brücke verwundet
worden) und ließ ſich dann ſehr ſtrenge über Porre—
don aus, den er anfänglich vor ein Kriegsgericht
ſtellen und degradiren wollte, doch ſpäter Oberſt
Davila's und meinen Bitten nachgebend, ſich darauf
beſchränkte, ihm das Commando feiner Disviſion zu
nehmen, das einige Tage ſpäter Segarra erhielt.
Porredon hat ihm dieß nie vergeben, und war wohl
nicht ohne Schuld an dem gräßlichen Morde des
Grafen de Eſpana.
Den ganzen Tag über wurde Porredon ver—
geblich erwartet, und der General über dies unnatür—
liche Ausbleiben ſchon ſehr unruhig, als Nachts ein
Spion die Nachricht brachte, der Brigadier habe erſt
316
gegen Abend Eſterri verlaſſen, feine Kräfte getheilt,
mit zwei Bataillons den Weg über die Brücke von
Escalò eingeſchlagen und die zwei andern, aus uner—
klärlichen Gründen, auf einem viel weitern Wege,
über Eſtahön und das Thal von Cardos, unter Oberſt—
Lieutenant Borges, detachirt. Dieſe ungeſchickte Ma-
noeuore hatte die traurigſten Folgen. Porredon mit
den zwei Bataillons kam über die Brücke von Gscalo
vor Sonnenaufgang in Tirbia an, nachdem der Feind
zwiſchen der Brücke und Pere de Burgel ihn nur
ſchwach angegriffen. Doch beſetzte van Meer nach ſei—
nem Abzuge ſogleich dieſen Punkt, und ſchickte eine ſtarke
Colonne auf kürzerem Wege in das Thal von Gardos,
zwiſchen Eſtahön und Tirbia, fo daß Borges, von
uns abgeſchnitten, ſich auf die höchſten Gebirgsrücken
werfen und in beſtändiger Flucht endlich auf das
neutrale Gebiet von Andorra zurückziehen mußte. Nach
mehreren Tagen paſſirte er die Thäler des Urgel und
kam mit debandirter und verringerter Mannſchaft in
Oliana an, als wir bereits feit einer Woche uns in
dieſem Orte befanden. a
Der Keſſel, in dem Tirbia gelegen, bildet den
Schluß des Thals von Cardôs und gleicht einer Mu—
jchel, welche Form überhaupt die meiſten Thäler jener
Gegend haben, daher ſie auch im Lande, Muſcheln
(Concas) genannt werden. Ein ſteiler Höhenrücken
dehnt ſich zwiſchen Tirbia und dem Nogueras aus;
am Fuße deſſelben fließt ein kleiner Bach vor dem
Orte; ein einziger enger Paß, Coll de la Baña, in
den höchſten Felſenkamm eingeſchnitten, gewährt den
Durchgang und iſt kaum für ein beladenes Maulthier
breit genug. Dieſen Paß beſetzte der General-Capitain
mit einer Grenadier-Compagnie; eine kleine Bruft-
wehr, aus den umherliegenden Feldſteinen, hätte genügt,
Tage lang ſelbſt größeren Heeren die Paſſage unmög—
lich zu machen, da der entgegengeſetzte Abhang eben
ſo ſteil, das Klettern nur einem Mann hinter dem
Andern möglich machte. De Eſpaña, ſtets darauf
bedacht die Offenſive zu ergreifen, wollte auf weitem
Umwege, während der Feind uns noch in Tirbia
glaubte, ihm in den Rücken fallen und hiezu den
Augenblick benützen, wenn ſeine Berg-Artillerie die
ſteile Lehne erſtiege. Dann ſollte durch den obern
Paß ein halbes Bataillon vordringen, den Höhenkamm
beſetzen, auf den kletternden Feind feuern und Steine
auf ihn herabrollen. Die nothwendig hieraus erfol—
318
gende Unordnung, die Beſtürzung des erſten Augenblicks,
ſich von zwei Seiten angegriffen zu ſehen, hätten
unzweifelhaft den Sieg auf unſere Seite geneigt.
Jede Vorbereitung war bereits getroffen, und de
Eſpana im Begriffe mit dem Gros der Truppen
längs des Thales abzumarſchiren, als zum allgemeinen
Staunen wir die Grenadier-Compagnie, die den Paß
beſetzt hatte, ihren Chef an der Spitze, ruhig den
Bergpfad herabſteigen ſahen, ohne auch nur Einen
Mann zur Bewachung zurück zu laſſen. Nach wenig
Augenblicken gewahrten wir ſchon die ſpitzen Mützen
der Chriſtinos aus dem Paße hervorblicken, und ehe
ein paar Minuten vergingen war die obere Lehne mit
Feinden bedeckt. Der General-Capitain ſchäumte vor
Wuth, ſeinen wohl angelegten Plan, durch einen ſo
erbärmlichen Fehler, ſcheitern zu ſehen, doch befahl
er augenblicklich ein Bataillon als Tirailleurs längs
des Baches zu deployiren, dem Vordringen des Fein—
des Einhalt zu thun. Die an der Berglehne einzeln
herabkletternden chriſtiniſchen Jäger wurden zuſammen⸗
geſchoſſen, rollten in das Thal, und jede feindliche
Formation am Fuße des Berges wurde unmöglich
gemacht. Als der unglückliche Capitain, der ſeinen
319
Poſten aufgegeben, bei uns ankam, nahm der General-
Capitain feinen Säbel, gab ihm ein Gewehr und fagte
mit donnernder Stimme: „im Namen des Königs
degradire ich Sie und mache Sie zum gemeinen Sol—
daten.“
Unter beſtändigem Feuern traten wir nun unſern
Rückzug an; ein längs einer Berglehne ſich ziehender
Steig war der einzige Ausweg, dem Feinde in ent—
gegengeſetzter Richtung. Während das Gros unſerer
Bataillone auf demſelben abmarſchirte, hielten einige
Compagnien den immer ſtärker vordringenden Feind
am Ufer des Baches auf, und zogen ſich aus dem
Thale in Echelons längs der Lehne zurück, als
unſere ganze Colonne den engen Steig paſſirt und die
entgegengeſetzte Berglehne erreicht hatte. Der Feind
konnte nur ſchwach verfolgen und mußte ſich auf ein
ziemlich unbedeutendes Geplänkel beſchränken, das bis
zur einbrechenden Nacht dauerte. Wir marſchirten in
ſüdlicher Richtung über den Coll de Räs bei den
Eiſenhämmern von Burgo vorbei, bis San Juan de
Lerra: „durch unglaubliche Abgründe, ſenkrechte glatteiſe
Steige, Berg auf und ab, in zwölfſtündigem aller—
beſchwerlichſtem Marſch.“ So finde ich in meinem
Journal dieſen Zug verzeichnet. Nach zweiſtündigem
Halt wandten wir uns nach dem Coll de la Baſeta,
der das Thalgebiet des Nogueras von dem des Segre
ſcheidet; noch waren wir in beſtändiger Gefahr vom Feinde
umzingelt zu werden und unſern Rückzug abgeſchnitten
zu ſehen. Von drei feindlichen Colonnen umgeben,
blieb nur übrig, ſich direet in das Thal des Urgel zu
werfen und beinahe unter den Kanonen der Seu vor—
bei zu paſſiren, da Sebaſtian im Norden, Carbo
im Süden und van Meer im Nordweſten unſerer
Colonne ſtanden, in combinirter Bewegung mit mehr
als vierfach überlegenen Kräften, auf uns eindrängten
und in ihren Bezirken alle Brücken abſchnitten, alle
Stege beſetzt hielten. Gegen Morgen kamen wir nach
Gaftell-Bo, auch Santa Cruz del Valle de Gaitell-Bo
genannt, hielten nur die nöthige Zeit den Truppen
die unentbehrlichſte Ruhe zu gönnen, überſchritten den
kleinen Coll de Jou, zogen im Angeſicht der Seu vor—
bei, die ein ſtarkes aber größtentheils vergebliches Feuer
auf uns richtete, und marſchirten im Thalgebiet des
Segre über Abellanet und Adrall bis Gramös, wo
wir Mittags ankamen. Hier waren wir einigermaßen
aus den feindlichen Schlingen befreit. Als nun, um
das Feuer des Generals gelagert, mit dem wieder—
kehrenden Selbſtvertrauen, die meiſten Häuptlinge ſich
den gewohnten Großſprechereien hingaben, hörte ſie
de Eſpana erſt ruhig an und citirte dann die
bekannte Stelle aus Cervantes: „Herr, ſagte
Sancho, wie wir geflohen ſind; was nicht die
Furcht macht! — Freund Sancho, erwiederte Don
Quixote, das nennt man nicht Furcht; das heißt
Vorſicht.“
Nachmittags ſetzten wir unſern Marſch fort, und
kamen nach drei Stunden in Anöves an, einem bedeu—
tenden Orte an einem Bergabhange; hier trafen wir
Ybañez mit drei ſtarken Bataillons. Der General
hatte ihm aus Llavorſi geſchrieben, und der gehorſame
Guerilléro auf den erſten Ruf die Ebenen von Tarra=
gona verlaſſen, um in Eilmärſchen beinahe ganz Cata—
lonien zu durchziehen. Durch die Mißgriffe und Un⸗
glücksfälle der letzten Tage war der Zweck ſeiner An—
kunft vereitelt, doch der General über den guten Willen
des Chefs und der Truppe hoch erfreut. Er umarmte
Mbanez, lobte ihn viel und ſagte, mit grimmigem
Blicke auf Porredon: „wenn ich auf Alle, wie auf
Dich zählen könnte, mein Sohn Manuel, würden
II. 21
322
uns die Feinde nicht viel anhaben, und in ſechs Mo-
naten wollte ich in Barcelona ſpeiſen.“
Am 14. Morgens zogen wir weiter, längs des
Segre; nach drei Viertelſtunden ward in Caſa Regula,
einem eleganten Landhauſe des Grafen Linati, gefrüh—
ſtückt, und dann durch eine Furt des Segre paſſirt;
eine Brücke, Puente de la Torre, ließ der General
barricadiren und ein darüber befindliches halbzerſtörtes
mauriſches Caſtell beſetzen, dem Feinde den Durchgang
zu verwehren; bei einem einzelnen Gehöfte, Hoſtal
Mou, ward Mittags gehalten, hierauf der Paß der
drei Brücken paſſirt und bei Sonnenuntergang das
Hauptquartier in Organya aufgeſchlagen. Es waren
gerade vierzehn Tage ſeit unſerm Ausmarſch aus dieſer
Stadt. Hier blieben wir durch 24 Stunden, während
welchen Segarra mit drei Bataillons zu uns ſtieß vet
hatte das untere Flußgebiet des Segre und die Ebenen
um Cervera, beinahe bis an den Ebro, frei durchſtrichen
und überall vom Feinde entblößt gefunden, da deſſen
ſämmtliche Kräfte um uns ſich concentrirt hatten.
Am 16. verlegte der General ſein Hauptquartier nach
Oliana, wo während der nächſten Tage Porredon
ſeine Diviſion verlor, und Borges, debandirt, aus
323
Andorra eintraf. Der General ließ ein paar pallaſt—
artige Häuſer, die leer ſtanden, zu Kaſernen einrichten
und beſchloß, fein Winterquartier in Oliana zu nehmen.
Durch die letzten Märſche hatte ſich meine Wunde
ſo verſchlimmert, daß ſie eine ernſte, ſorgfältige Heilung
erforderte; den cataloniſchen Chirurgen ſich anver-
trauen, hieß aber dem Henker heimfallen; ſie hatten
ſich vorgenommen, mir das Bein abzuſchneiden, was
ich natürlich nicht zugeben wollte, und von franzöſiſchen
Wundärzten, bei geregelter Pflege, meine ſämmtlichen
Glieder zu erhalten hoffte. Ich bat daher den Gene—
ral, mich zu entlaſſen, da meine Dienſte, den Winter
über, doch nur unerheblich ſein konnten. Tief ergriffen
nahm ich Abſchied vom Grafen de Eſpanña, den ich
wie einen Vater liebte und verehrte, und der mich
ſtets wie ſeinen eigenen Sohn behandelt hatte. Nie
wird dieſer Moment aus meiner Erinnerung ſchwinden;
der General ſchien wahrhaft erſchüttert, drückte ſich
herb über ſeine Umgebung aus, die, meinte er, mit
Ausnahme von Davila und Pbaßñez, aus Cra—
pule beſtehe. Er ſchien ſein unglückliches Ende zu
ahnen; denn als ich ihm kurz darauf ſchrieb, wenn
Alles zuſammenſchlüge, würde mein Dach das Seine
31”
jein, antwortete er mir: „je vous remercie cor-
dialement de votre hospitalite en Silesie; je suis
bien vieux, mais qui sait le terme de notre mise-
rable vie. — Vivent les Rois, quand meme!”
Dieſen Brief, mit dem Stempel des General-Com-
mandos von Catalonien verſehen, beſitze ich noch und
bewahre ihn ſorgfältig, einer Reliquie gleich.“)
*) Obgleich die Ermordung des Grafen de Eſpana in
eine Epoche fällt, als ich mich nicht mehr in Catalo⸗
nien befand, ſo glaube ich doch, zur Ergänzung der
Skizzen über meinen alten General, die Geſchichte
dieſes ſchauderhaften Vorfalls hierher ſchreiben zu müſſen.
Die Einnahme von Ripoll, einige glückliche Ge—
fechte und die um Vieles vervollkommnete militäriſche
Organiſation ſeiner Provinz, hatten dem Grafen de
Eſpanña eine impoſante Stellung gegeben, als der
König im September 1839 den franzöſiſchen Boden
betrat. Wenn gleich die, durch den General eingeführte
Ordnung, den Häuptlingen und der Junta nicht gefiel,
ſo war doch nunmehr ihr Einfluß neutraliſirt, und ſie
ſahen ſich darauf beſchränkt, Intriguen mit dem fönig-
lichen Hoflager zu unterhalten, nachtheilige Gerüchte
auszuſtreuen, das Vertrauen des Königs und der Armee
zu untergraben und überall gegen die Autorität des
Grafen de Efpana aufzuwiegeln. Er kannte alle
dieſe Umtriebe; doch verachtete er ſie, vielleicht zu ſehr.
325
Von Oliana ritt ich zum letzten Male über unfere
alten Bivouacplätze, die Mühle von Querol, die Eifen-
Als die Nachricht nach Catalonien kam, daß der
König Spanien verlaſſen, befürchtete de Eſpanña die
Folgen des erſten Eindrucks. Dieſem zuvorzukommen,
dem ſinkenden Enthuſiasmus einen neuen Impuls zu
geben, ſuchte der Graf alle Erinnerungen zu wecken,
die im Herzen jedes Spaniers, aus den großen Zeiten
ihres Befreiungskampfes fortleben. Eine Maßregel,
welche in dieſer heroiſchen Epoche von den bedeu—
tendſten Folgen geweſen, ſchien ihm geeignet, gleichen
Anklang zu finden — es iſt die Souveränetät und
königliche Machtvollkommenheit der Provinzial-Juntas
während der Abweſenheit und Gefangenſchaft des Kö—
nigs. So viele trübe, unglückliche Ereigniſſe hatten
ſich wiederholt: die gewaltſame Abdication im Schloſſe
von Marrac und der Verrath auf den Feldern von
Vergara; Ferdinand VII. Gefangenfchaft in Va⸗
lengay und Carl's V. Gefangenſchaft in Burges —
ſollten denn die glanzvollen Momente ſich nicht wieder—
finden? — der General-Capitain Graf de Eſpaña
erklärte alſo unterm 1. October 1839 die Regierungs-
junta von Catalonien, deren Präſident er war, ſouverän
während der Abweſenheit und Gefangenſchaft des Kö—
nigs (Junta superior gubernativa, soberana durante
la absencia y cautividad del Rey N. S.) — dieß
koſtete ihm das Leben.
326
hämmer am Cardenet, die Brücke von Golorons, Caſa
Montanya, Hoſtal del Visbe und Caſa Canudas. Am
Der Präſident jeder ſpaniſchen Junta hat nur zwei
Stimmen: die Junta kann ſich legal, in ſeiner Abwe—
ſenheit, unter Vorſitz eines Vocals-Vicepräſidenten
verſammeln, in ihrem Pleno bei abſoluter Majorität
abſchließen und decretiren. Der erſte Beſchluß der nun
fouverän gewordenen Junta, in geheimer Sitzung gefaßt,
war: die Abſetzung und Entfernung ihres General-Capi—
tains und Präſidenten, des Grafen de Eſpanña. Doch
wagte fie nicht ihr Deeret zu veröffentlichen, die Stim—
mung der Truppen ſcheuend, die — namentlich die Sol—
daten — enthuſiaſtiſch an ihrem Führer hingen. Ein
geheimes Mittel, eine unwürdige Falle wurde auser—
wählt, in die ſie den alten Feldherrn lockten. An
einem beſtimmten Tage fanden ſich mehrere unzufrie—
dene Häuptlinge in Avia ein, und als ſie ihrer Helfers—
helfer verſichert waren, ließen die Mitglieder der Junta,
unter Vorſitz ihres Vicepräſidenten, des Brigadiers Don
Jacinto Orten, durch ihren Seeretär Nareiſo
Ferer, einen Advocaten aus Barcelona, dem Grafen
de Eſpaña nach Berga ſchreiben: einige wichtige
Geſchäfte erheiſchten ſeine Gegenwart; ſie bäten ihn
zu kommen, einer Sitzung zu präſidiren. Nur von
wenigen Reitern, Minouen und einem feiner Adju—
tanten, dem Oberſtlieutenant Don Luis de Adell
(einem tüchtigen, gebildeten jungen Offizier) begleitet,
327
zweiten Abend war ich in Caſerras, nahm Abſchied
von meinen guten Wirthen in der Villa von Llado,
traf der General-Capitän noch denſelben Morgen in
Avia ein, und ward vor dem Regierungsgebäude, von
einigen Mitgliedern der Junta ehrfurchtsvoll empfan—
gen. Als er in den Sitzungsſaal trat, ging einer der
Vocale mit dem Finanz-Intendanten Don Gaſpar
de Labandéro (Sohn des Ex-Finanz-Miniſters)
zum zurückgebliebenen Adjutanten, und ſchickten ihn,
vorgeblich im Auftrage des General-Capitäns, ſogleich
nach Berga zurück. Dann wandten ſie ſich zum Cabo
de Mozos und befahlen ihm, im Namen des Generals,
ſich mit ſeinen Leuten in ein naheſtehendes Haus zu
verfügen und dort abzufochen, da der Graf über Mittag
bei den Herren der Junta verbleiben wolle. Die Ca—
bos de Mozsos hatten, ihrem Dienſteide zufolge, nur
vom General in Perſon Befehle zu empfangen, daher
ſich der Erwähnte anfänglich weigerte, Folge zu leiſten.
Doch ſtellte ihm Labandéro im natürlichſten Tone
vor, dieſes geringe Zutrauen ſei wenig ſchmeichelhaft
für ihn, den höchſten Finanz-Beamten der Provinz;
wenn er übrigens den geringſten Zweifel hege, möge
er hinaufgehen und den General ſelbſt fragen. Dieſer
Nachſatz beruhigte den Cabo und er zog ſich mit ſeinen
Leuten zurück. Nun fiel die Escorte der Junta, zur
Sicherheit und als Amtsboten ihr beigegeben und aus
vierzig Gendarmen beſtehend, über die vier reitenden
Ordonnanzen des Generals her und band fie.
328
oberhalb Puig Reig, paſſirte nochmals Berga und
Borrada und traf nach zwei andern Tagen wieder
Während dieſes ſich mit der größten Schnelligkeit
ereignete, trat der General-Capitain arglos in den
Sitzungsſaal. Er trug an dieſem Tage ſeinen gewöhn—
lichen, blauen Oberrock von militäriſchem Zuſchnitt,
doch ohne alle Abzeichen ſeiner Würde, und nur auf
der Bruſt mit dem geſtickten Ritterkreuze von Santiago
geziert; den Generalshut, Säbel und das Rohr mit
goldnem Knopfe, in Spanien ein Zeichen des activen
Commandos. a
Auf dieſen Stock geſtützt, ihn nach hinten haltend,
ſtand der General vor dem Kamine im Sitzungsſaal;
allein, unter vierzehn Verſchwornen, die alle Dolche
und Piſtolen unter ihren Gewändern verbargen. Mehrere
Minuten vergingen; Keiner wagte Hand anzulegen an
den ergrauten Helden. Da trat Don Joſé Pons
vor (el Bep del Oli, der Ex-Gouverneur von Berga),
näherte ſich ihm, ſtieß mit dem Fuße nach ſeinem Stocke,
und als Graf de Eſpana zurückwankte, ſchlug er
ihm zwiſchen die Beine von hinten, daß der General
zu fallen kam. Da ſtürzten ſie Alle über ihn her, wie
die Krähen über den verwundeten Adler; zuerſt riſſen
ſie ihm ſeinen Säbel weg, dann banden ſie ihn an
einen Stuhl, und nun verlas ihm Ferer ſeine Ab—
ſetzung. Der General verlangte die königliche Ordre
zu ſehen, der er ſich allein unterwerfen wolle, und
in Rivas, bei dem alten Trilla, ein. In Doria, an
der äußerſten Grenze, entließ ich meine Escorte und
ſchwor allen Anweſenden, er würde ſie ſonſt hängen
laſſen; doch ſchrieen ſie, er ſolle ſchweigen, und Ferer
verkündete ihm, daß er und der Oberſt Pons ihn
unter Beſatzung an die franzöſiſche Grenze abführen
würden. Er wurde geknebelt und in eine finſtere Kam—
mer geworfen. Als ſein Adjutant aus Berga zurückkam,
ward er, unter Vorſchützung eines Befehls des Generals,
arretirt und gefänglich eingezogen. Bei Nacht wurde
endlich Graf de Efpana hervorgeriſſen, auf einen
Eſel geſetzt und durch Ferer und Pous, unter Beglei—
tung von zwanzig Mann Gendarmen der Junta, in
größter Stille und Eile, auf kaum gangbaren Steigen
nach den Wildniſſen der höchſten Sierren abgeführt.
Unterwegs geſellten ſich mehrere Spießgeſellen der Junta
zu ihnen, deren Namen ich nicht verbürgen kann.
Herr von Göben, der ſich zu jener Zeit in Catalo—
nien befand, erzählt in ſeinem Buche (Vier Jahre in
Spanien, Erinnerungen aus dem Bürgerkriege), daß
auch Porredon (el Ros de Eroles) und Mariano
Orten, einer der Adjutanten des Grafen, darunter
geweſen; ja daß Letzterer eine Piſtole auf ihn abge—
drückt habe, als der ſterbende Feldherr, im Glauben er
komme ihm zu helfen, ihn noch ſchwach angerufen.
Meine Quellen berichten, daß am dritten Tage eiligen
Marſches die Mörder des Grafen de Eſpana mit
330
ſetzte, in Begleitung des Herrn von Meding und
meines Dieners, von einigen Guiden geführt, auf
ihrer Beute zum Paſſe der drei Brücken (de los tres
puentes) am oberu Segre kamen. Als fie endlich auf
der Brücke de los Eſpias ſtanden, riß Bep del Oli
den General vom Eſel herunter, ſtieß ihm ſeinen langen
Dolch in den Rücken und zeichnete ihn mit einem
Kreuzhiebe über das ganze Geſicht weg, ihn unkenntlich
zu machen. Hierauf nahm er ihn beim Kopfe, Ferer
bei den Füßen und ſie ſtürzten ihn in den Abgrund. Der
Leichnam ſchwamm den Segre herab, bis zur kleinen
Stadt Ager (de Segre), wo die Feinde Garniſon hiel—
ten. Die Schildwache am Strome ſah Nachts einen
dunkeln Körper im Waſſer; er ward herausgeholt und
der wachthabende Offizier erkannte den königlichen Ge—
neral-Capitain von Catalonien, Grafen de Eſpaña.
Er berichtete nach Barcelona, das revolutionäre Spa—
nien wäre nun ſeines gefährlichſten Feindes entledigt; ich
weiß nicht ob nach Bourges geſchrieben worden, daß
König Carl V. ſeinen treueſten Diener, größten Feld—
herrn verloren.
Graf Carl de Efpana war Graf von Foix, Vi—
comte von Couſerans und von Comminges; Grand
von Spanien erſter Claſſe; Großkreuz der königlich Spa—
niſchen Orden von Carlos III., San Fernando und
San Hermenegildo, Ritter von Sant Jago, Großkreuz
des königlich franzöſiſchen Sanct Ludwig- und des könig—
831
Maulthieren meinen Marſch über den letzten Höhen—
kamm, Coll de Magans, fort, der mich von der fran—
zöſiſchen Grenze ſchied. Ungeachtet ſtets zunehmender
Leiden war ich doch bald gezwungen abzuſteigen, da
das Reiten, auf dieſen ſteilen Lehnen, beim Glatteiſe
weit ermüdender und gefährlicher war. Von zwei
Schmugglern halb getragen, ſetzte ich meinen Weg
unter den größten Schmerzen fort. Endlich war die
Gebirgsſcheide erreicht. Meine Guiden legten mich
auf ein Brett und ſchleiften mich, auf dem Schnee,
den Abhang hinab. Gegen Abend erreichten wir Vall—
javollera, das erſte franzöſiſche Dorf.
Obgleich den Schmugglern dieſer Ort, als Grenz—
poſten, zu gefährlich erſchien und ſie weiter wollten,
war es mir doch nicht möglich, von der Stelle zu
kommen, beſonders da unſere Maulthiere auf der
lich Neapolitaniſchen Sanet Ferdinand-Ordens; Mal—
teſer-Ritter; Präſident der königlichen Junta, General:
Lieutenant und commandirender General der königlichen
Fußgarde; General-Capitain des Fürſtenthums Cata—
lonien und oberſter Chef ſämmtlicher Gerichtsbehörden
in demſelben; wirklicher Kämmerer und Staatsrath
Sr. Cathol. Majeſtät, beſtändiger Regidor von Palma.
332
Grenze zurückgeblieben waren, und wir bis zum nächſten
Orte unſern Weg zu Fuße hätten fortſetzen müſſen.
Unſere Guiden kannten Niemand im Dorfe; doch ſind
die Geiſtlichen in der Regel Royaliſten und gewiß,
mit höchſt geringen Ausnahmen, alle menſchlichen
Sinnes. Ich klopfte daher am Pfarrhauſe an und
ſagte dem öffnenden Pfarrer, wir ſeien carliſtiſche.
Offiziere, die ihn um Nachtlager bäten. Der wür—
dige junge Abbé empfing uns wie der Samaritaner
im Evangelium; zwar goß er nicht Wein und Oel in
meine Wunde, doch verband er ſie ſelbſt und goß
Wein in unſere trockene Kehlen. Er gab mir ſein eige—
nes Bett und war unabläſſig darauf bedacht, für unſere
Bedürfniſſe zu ſorgen und mich zu pflegen. Gegen
Mitternacht mußte er mich verlaſſen, um Meſſe zu
leſen; es war der 24. December, der Weihnachts—
Abend. Als er wiederkam, befand ich mich in einem
ſtarken Fieber-Anfall, und gab meinem geiſtlichen
Wirthe viel zu ſchaffen. Demungeachtet mußte am
nächſten Tage aufgebrochen werden, da unſere Anwe—
ſenheit in einem ſo kleinen Dorfe ruchbar werden und
den guten Pfarrer unnöthig compromittiren konnte.
Zwar wollte er uns nicht fortlaſſen; doch nahmen wir,
innig gerührt, Abſchied, und noch heute gedenke ich
dankbar des barmherzigen Paters, der während unſers
achtzehnſtündigen Aufenthalts in feinem Haufe, mit
echter Gaſtfreiheit, auch nicht eine einzige indiserete Frage
an uns gerichtet, Namen, Land oder Reiſeziel betreffend.
Wir mietheten Maulthiere und kamen, nach
ein paar Stunden, nach Oſſega, wo ein Douaniers—
Poſten über uns herfiel und uns zum Bureau ſchleppte,
obgleich wir gar nicht daran dachten, uns verbergen
oder ihnen entfliehen zu wollen. Unſere Effecten wurden
regiſtrirt und verſiegelt, und uns nach langen Debatten
erlaubt, unter Escorte zweier reitenden Gendarmen,
die ich bezahlen und ernähren mußte, unſern Weg
fortzuſetzen. Als wir vor dem Douane-Hauſe wieder
aufſaßen, hatte ſich eine Maſſe Volk verſammelt, die
uns verhöhnten und beſchimpften; ſie verfolgten uns
noch bis vor die Stadt und ſchickten ſich eben an,
Schneeballen und Koth nach uns zu werfen, als auf
meine Bemerkung: „il est bien peu francais, din-
sulter un blesse!” meine beiden Gendarmen mit
gezücktem Säbel auf unſere Verfolger einſprengten,
die auch gleich nach allen Richtungen zerſtoben. Wir
ritten im Angeſichte der chriſtiniſchen Feſtung Puig—
BB
cerda, rechts von Bourg Madame vorbei, durch einen
kleinen Ort, Lèocadia genannt, und brachten die Nacht
in Saillagouſe zu. Am nächſten Morgen wurden uns
ein paar andere Gendarmen zugetheilt, die uns bis
Prades, dem Cheflieu des Arrondiſſement, führten.
Ich kann dieſe Leute, ebenſo wie alle franzöſiſchen
Gendarmen im Allgemeinen, mit denen ich während
meiner öfteren Arreſtationen längs der ſpaniſchen Grenze
zu thun gehabt, nur in jeder Hinſicht beloben. Die Gen—
darmen, ſämmtlich gediente Soldaten, von denen viele
die Campagnen des Kaiſers mitgemacht, bilden durch ihr
anſtändiges und beinahe würdevolles Benehmen einen
grellen, ſehr lobenswerthen Contraſt zu den buben—
haften Sitten und dem rohen, ungeſchlachten Auf—
treten der Douaniers. Die zwei alten Gendarmen,
die durch zwei Tage mich von Saillagouſe bis Prades
nicht verließen, muß ich noch beſonders anpreiſen. Sie
waren voll Aufmerkſamkeiten für mich und ſchienen
mehr zu meiner Bedienung oder Bequemlichkeit, als
zur Bewachung mitzureiten. Sie hielten an, halfen
mir auf und ab, brachten mir zu trinken, und ritten
voraus, Quartier zu machen, Feuer und Eſſen zu
beſtellen. Wenn ich ihnen hierüber meine Dankbarkeit
335
ausdrücken wollte, pflegte gewöhnlich der Eine zu ſagen:
„honneur au courage malheureux,“ worauf der
Andere regelmäßig erwiederte: „Chacun fait son de-
voir selon sa conviction.“ Wir ritten durch den
Port des Perches, ausgeſteckter Stangen wegen ſo
genannt, die im Winter den Weg durch dieſen ziem—
lich gefährlichen Paß zeigen. Nach zwei Stunden
ſahen wir links auf einer Anhöhe das Caſtell Mont
Louis; dann ging es über Cabanaſſe und Fonpadroſe
bis Olette. Abends langte ich endlich unter vielen
Schmerzen in der kleinen Feſtung Villefranche an, wo
ich mich alsbald in ein Bett warf und, nach vielen
Leiden, endlich in tiefen Schlummer verfiel. Am fol—
genden Tage hatte ſich mein Zuſtand ſo verſchlimmert,
daß es unmöglich war, mich auf ein Maulthier zu
heben. Meine vortrefflichen Gendarmen mittelten
jedoch einen zweirädrigen Karren aus, der mit Lein—
wanddach, doch ohne Federn, tartane genannt wird.
Ich war zu glücklich, mich auf Mäntel und Decken
hineinlegen zu können; meine Wächter ritten zu beiden
Seiten, und ſo hielt ich, nach vielen Stößen, meinen
Einzug in Prades. Der Sous -Präfect ſchickte mich
nach Perpignan, von wo man mich nach Toulouſe
336
internirte, doch auch von dort, als der Grenze zu nahe,
verwies, und mir endlich den Aufenthalt in Bordeaux
geſtattete. Nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalte
in dieſer angenehmen Stadt war ich durch die große
Pflege und Geſchicklichkeit des Dr. Cauſſade, Direec—
tor des Hötel Dieu, ſo vollkommen hergeſtellt, daß
ich Anfangs der zweiten Hälfte Februar mich friſch
und wohl nach Paris begeben konnte.
VI.
Ueber die Fuſilladen von Eſtella. — Progreſſiver Gang des Ber:
rathes Maroto's bis zur Convention von Vergara. — Meine
Arreſtation. — Züge durch Frankreich und an der Grenze. —
Saint Pée und Bourges.
1839.)
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Wenige Tage nach meiner Ankunft in Paris
brachte der Telegraph die Nachricht von den Fuſilladen
in Eſtella. Die allgemeine Aufregung, die dieſer uner—
hörte Vorfall hervorbrachte, hatte ſich noch nicht gelegt,
als bekannt wurde, der König habe Maroto vogelfrei
erklärt; doch wer ſchildert das peinliche Erſtaunen,
das alle Royaliſten ergriff, als nach wenigen Tagen
eine neue königliche Proclamation Maroto rehabili—
tirte, in ſeinen Aemtern und Würden beſtätigte, ſein
Verfahren belobte und endlich erklärte, er habe nie
aufgehört, ſich des königlichen Vertrauens würdig zu
zeigen! Bald darauf wurden Arias-Teijeiro, feine
Anhänger und die meiſten Intriganten der Camarilla
über die Grenze geſchafft, mehrere der relegirten oder
eingekerkerten Häuptlinge theils in Freiheit geſetzt,
theils wieder angeſtellt.
22”
340
Wenn auch vielfache Rückſichten mich nicht hin—
derten, in die Details dieſer traurigen Epiſode einzu—
gehen und hierüber ein Urtheil zu fällen, ſo würde ich
es dennoch unterlaſſen, da ich zu jener Zeit mich glück⸗
licher Weiſe fern vom Hoflager befand, und die ganzen
Marotaden (wie ſie bei uns genannt wurden) ſonach
außerhalb des Kreiſes liegen, den ich dieſen Erinne—
rungen gezogen. Nur eine gedrängte Skizze der That—
ſachen und einige minder bekannte Details glaube ich
niederſchreiben zu müſſen.
Maroto, gegen den Willen der Camarilla und
des Miniſteriums an die Spitze des Heeres geſtellt,
hatte gewiß, vom erſten Momente an, durch die In—
triguen ſeiner Feinde im Hoflager, viel zu leiden, un—
aufhörlich gegen ihren üblen Willen zu kämpfen und
ſich vor den Fallen zu ſichern, die fie ihm täglich Teg-
ten. Ohne auch nur eine der Handlungen Maro—
to's im Geringſten entſchuldigen zu wollen, kann man
doch annehmen, daß beſtändig aufgereizt, ſeine gehäſ—
fige und ſelbſtſüchtige Seele leichter verführenden und
ſträflichen Einflüſterungen ſich hingab, als es mit den
Begriffen von Ehre und Pflicht, bei einem ſtreng red—
lichen Charakter, möglich geweſen wäre. Eſpartéro,
341
ſeiner Seits gewohnter durch Intriguen als auf dem
Schlachtfelde zu triumphiren, hatte zu gute Spione
im Herzen der carliſtiſchen Bezirke, um von dieſem
Zwieſpalte nicht vollkommen unterrichtet zu ſein. Was
während des Commandos eines ritterlichen Prinzen
unmöglich war, an deſſen Seite der glühendſte Feind
jeder Transaction, der von den ſpaniſchen Liberalen
mit dem Beinamen „der Henker“ (el verdugo) bezeich⸗
nete Moreno ſtand, — konnte bei einem Manne
von dem Charakter Maroto's erreicht, oder doch
wenigſtens verſucht werden. Eſpartéro und Ma—
roto waren ja alte Kriegsgefährten aus Amerika; den
beiden Ayacuchos konnten die Anknüpfungspunkte nicht
fehlen; es handelte ſich nur darum, den erſten Schritt
zu thun, ihn annehmbar zu machen.
Da traf im Spätherbſt 1838 ein franzöſiſcher
Bataillons-Chef A demi-solde, Namens Duffeau,
in Maroto's Hauptquartier ein. Er kam zu Fuß,
allem Anſcheine nach ohne Geld und ohne Empfeh—
lungen. Maroto, der mit fremden Offizieren nicht
ſehr liebenswürdig und gewöhnlich kurz angebunden
war, wollte ihn Anfangs nicht ſehen; doch gelangte
endlich Duffeau in das Cabinet des Generals. Die
342
Thür ſchloß ſich, und zur Verwunderung der im Neben—
gemach harrenden Offiziere blieb Duffeau durch vier
Stunden allein mit Maroto. Als er heraus kam,
ſchien er ſehr vergnügt und kündigte den Anweſenden
an, der General habe ihn zu feinem Privatſeeretär
ernannt, angeblich da er ſchnell franzöſiſch und ſpaniſch
zu ſchreiben und zu überſetzen verſtände. Bald war er
auf dem intimſten Fuße mit dem General-Auditor der
Armee, einem Andaluſier Namens Don Juan Joſé
de Arizaga, der lange Zeit Auditor in den Phili—
pinen geweſen und mit der eyniſchen Corruption der
von den Colonien zurückgekehrten Spanier, nebſt vie—
lem Talente, die frechſte Gewiſſenloſigkeit verband.
Maroto hatte dieſen Menſchen in feine nächſte Um-
gebung gezogen.
Zu dieſer Zeit war Pita Pizarro im Mi-
niſterium zu Madrid, derſelbe, der als Mitglied
des Cabinets Calaträva auf der Rednerbühne ſich
rühmte, fein Leben lang beſtändig gegen die Re-
gierung Ferdinand VII. conſpirirt zu haben.
Pita, der ſeinen alten Gewohnheiten nicht entſagen
konnte, war ſtets glücklich, Gelegenheit zu finden,
durch geheime Polizei zu agiren, wie es denn
343
Menſchen gibt, die in niedern Sphären dieſes ge—
meine Gelüſte angenommen haben und ſich dann in
höhern deſſelben als Regierungshebel immer gern
bedienen. Für Pita beſtand die Regierungs-Thätig—
keit in einem fortwährenden Conſpiriren und Spioniren,
daher es auch nicht zu verwundern, daß er ſogleich darauf
bedacht war, die neue Ordnung der Dinge, die begin—
nenden Zwiſtigkeiten im carliſtiſchen Hoflager und
Heere zu ſeinen Zwecken zu benützen. Durch die Ver—
mittlung des damaligen Kriegsminiſters Alaix, ver—
ſtändigte er ſich mit Gfpartero, der feines Theils
bereits vorgearbeitet hatte, und Ende December 1838
traf ein ehemaliger Spießgeſelle und Vertrauter
Pita's, Namens Avinareta, auf dem Kriegsſchau—
platze ein. Der Geſchicklichkeit dieſes, in Verſchwörun—
gen und Umtrieben ergrauten Mannes gelang es,
Zutritt bei einigen Häuptern der Camarilla und den
navarreſiſchen, mit Maroto unzufriedenen Generalen,
zu erlangen. Das Feuer ward gut geſchürt, während
auch Arizaga und Duffeau keine Gelegenheit ver—
ſäumten, ihrerſeits Maroto gegen die Navarreſen zu
ſtimmen, die als blinde Anhänger der ultra = abſoluti⸗
ſtiſchen Partei geſchildert wurden, an deren Spitze der
344
Hofcaplan Echeverria, der Beichtvater Lartaga
und der Hofprediger Fray Domingo ſtanden. Es
währte nicht lange, ſo brachen überall Zeichen der
Feindſeligkeit aus; vom Hoflager erhielt Maroto
Depechen in dictatoriſchem Imperativ abgefaßt, die
ihm ſeine Unthätigkeit vorwarfen, einen Campagne—
Plan vorzeichneten und anzugreifen befahlen. Einige
redliche Leute, die ſeine Freunde geblieben, beſchworen
ihn in Privatbriefen, unverweilt die Operationen zu
beginnen, da ſonſt ſein Ruf auf dem Spiele ſtände;
denen antwortete er in grobem und hochfahrendem Ton
und verlor ſo ſeine letzten ehrenhaften Fürſprecher im
Hoflager.
Endlich ſchien ſeinen Gegnern das Maß voll
und ſie beſchloſſen, ſich ſeiner um jeden Preis zu
entledigen. Ich weiß, daß über dieſen Punkt, der
noch heute in ein geheimnißvolles Halbdunkel gehüllt
iſt, verſchiedene divergirende Meinungen beſtehen; doch
glaube ich mit Gewißheit annehmen zu dürfen, daß
der Beſchluß, Maroto aus dem Wege zu räumen,
von einigen Perſonen im Hoflager wirklich gefaßt, und
zu deſſen Vollziehung die navarreſiſchen, ſpäter zu Eſtella
fuſillirten Generale auserſehen worden. Doch bin ich
eben ſo überzeugt, daß der König von dieſem ganzen
315
Gewebe auch nicht ein Wort wußte. Carl's V.
ſtrenge Rechtlichkeit, ſein gerader loyaler Sinn, Eigen⸗
ſchaften, die ſelbſt ſeine erbittertſten Gegner ihm zu⸗
geſtehen, hätten jede unlautere Handlung mit Abſcheu
von ſich gewieſen. Wollte der König vor den Fuſil⸗
laden Maroto das Commando nehmen, ihn vor
ein Kriegsgericht ſtellen, oder über die Grenze ſchaffen,
ſo war nichts einfacher und dem conſtanten königlichen
Charakter angemeſſener, als an einem der vielen Tage,
als Maroto ſich im Hoflager befand, ihn durch die
Hatſchire der Garde aufgreifen zu laſſen. Da dies
nicht geſchehen, ſo wollte auch der König ſeine Ab⸗
ſetzung nicht, und die Ränke ſeiner Umgebung waren
ihm unbekannt. Dieſe hatte zur Ausführung ihres
Plans den Moment auserſehen, wenn Maroto eine
navarreſiſche Expedition muſtern würde, die von der Um⸗
gegend von Eſtella aus, über den Ebro ſetzen und die
reichen Thäler der caſtilianiſchen Rioja requiriren ſollte.
Der General-Lieutenaut Don Francisco Garcia,
General⸗Commandant von Navarra, ward zum Com⸗
mando derſelben deſignirt; unter ihm die Marechaur de
camp Guergué und Sanz; als Chef des Generals
ſtabs der Brigadier Carmona und als Finanzchef der
346
Intendant Urriz. Ihre Correſpondenz mit ihren
Vertrauten im Hoflager ging durch zwei Seeretäre im
Kriegsminiſterium, Florencio Sanz (Bruder des
Generals) und Pbañez (ehemaligen Seeretär Gu Er—
gu é 's). Als Alles vorbereitet, beſprochen, geordnet
war und nur mehr die Ankunft Maroto's erwartet
wurde, erhielt dieſer in Toloſa detaillirte Nachricht
von der ganzen Verſchwörung, und einen Theil der
Original-Correſpondenz der navarreſiſchen Generale
mit ihren Freunden im Hoflager. Es iſt zu jener
Zeit vermuthet worden, Maroto habe dem General
Moreno dieſe Wiſſenſchaft zu danken; wer dieſes
Letztern glühenden Haß gegen den neuen Oberfeldherrn
kannte, muß dieſe Suppoſition abſurd finden; mir
ſcheint viel wahrſcheinlicher, daß Avinareta, der
ſich in Guipuzeoa, in der Gegend des Hoflagers her—
umtrieb und durch erheuchelte Sympathie das Ver—
trauen der Navarreſen erworben hatte, die Fäden der
Verſchwörung und die belegenden Briefe Maroto in
die Hände ſpielte. Seine Anhänger, vorzüglich A ri—
zaga und gewiß auch Duffeau verſäumten nicht
ihm zu inſinuiren, der König ſtehe an der Spitze der
Verſchwörung, oder habe zum mindeſten Kenntniß
347
davon; ein Appelliren an ihn, hieße von einer Gefahr
ſich in die andere begeben, ſich ſelbſt dem Henker über—
liefern. Maroto ging nach Eſtella, berief die vier
Generale und den Intendanten, ließ ihnen in Gegen—
wart zweier ſeiner Anhänger, der Generale Royo
und Sylveſtre, durch Arizaga ihre Briefe vor—
legen und fie am nächſtfolgenden Tage, dem 18. Fe—
bruar, ohne weitern Kriegsgerichts durch ein navar—
reſiſches Detachement auf dem Platze von Eſtella
niederſchießen. Zugleich ſchickte er nach Villarreal de
Zumarraga, wo ſich die beiden mitcompromittirten
Miniſterial-Secretäre befanden. Sanz gelang es
durch ein Fenſter zu entfliehen, doch YWbanez ward
feſtgenommen und zwei Tage nach den Generalen
ebenfalls fuſillirt.
Die Maßregeln, die der König bei der erſten
Nachricht von dieſen Ereigniſſen nahm, ſind bekannt.
Maroto ward vogelfrei erklärt. Doch ſchickte er
ſeinen Sous-Chef des Generalſtabs, den, ſeiner un—
glücklichen Expedition wegen, bekannten Grafen Negri,
mit einer offiziellen, und Arizaga mit einer geheimen
Miſſion zum Könige nach Azeoytia, während er ſelbſt
an der Spitze von 9 Bataillons über Lecumberri auf
348
Toloſa marſchirte und das Hoflager bedrohte. Negri
brachte dem Könige ein Schreiben Maroto's aus
Eſtella vom 20., worin u. a. ſtand: „Sire, ich habe
die Generale (nun folgen die Namen) fuſilliren laſſen,
und bin entſchloſſen, nachdem ich Beweiſe eines ver—
rätheriſchen Attentats erlangt, noch mehrere Andere
hinrichten zu laſſen, die ich ohne Berückſichtigung
von Fueros und Auszeichnungen aufgreifen werde;
denn ich hege die Ueberzeugung, indem ich ſo handle,
den Triumph der Sache zu ſichern, die ich geſchworen
habe zu vertheidigen, und die nicht allein die Sache
Ew. Majeſtät iſt, ſondern auch mehrerer tauſende von
Perſonen, die geopfert würden, wenn fie unterginge.“
Ich kann hier nicht in die Details der damaligen
Conferenzen im Hoflager eingehen wollen, während
welchen die Meiſten aus der Umgebung des Königs ſich
eben ſo feige zeigten, als ſie ſich bisher unheilvoll
und ungeſchickt benommen hatten. Doch glaube ich
erwähnen zu müſſen, daß Arizaga ſich, mehrere
Monate ſpäter, öffentlich in meiner Gegenwart
rühmte, dem Könige geſagt zu haben: „alle Fäden
und Perſonen dieſer ausgebreiteten Verſchwörung wären
dem General Maroto wohl bekannt; die Häupter
319
befänden sich im Hoflager; die bereits als Opfer
Gefallenen hätten ihnen nur als Werkzeuge gedient;
ihr Zweck ſei die Ermordung Maroto's, feiner Anz
hänger und Freunde geweſen; die Beweiſe habe er in
Händen. Wenn der König dieſe verbrecheriſchen Intri—
ganten nicht ſofort entferne und nach Frankreich ver—
banne, ſo werde Maroto ſich genöthigt ſehen, nach
dem Hoflager zu marſchiren und ſie Alle niederſchießen
laſſen; ſollte er auch mit eigener Hand ſie aus dem
Cabinete des Königs herausreißen.“ Ich wage nicht
zu beurtheilen, ob Arizaga wirklich ſchamlos und
pflichtvergeſſen genug war, eine fo freche Rede feinem
Herrn zu halten. Doch wenn es der Fall geweſen
ſein ſollte, ſo kann ich nur bedauern, wie ich es auch
damals Arizaga ausgedrückt, daß der König nicht
ſogleich befohlen, ihn vor dem Thore des Pallaſtes
an einen Galgen zu hängen. Doch der König wollte
weiteres Blutvergießen, vielleicht Anarchie im eigenen
Feldlager verhüten, oder mag an die Exiſtenz eines
Complottes gegen das Leben ſeines Generals geglaubt
haben. Wie dem auch ſei, mir ſteht es nicht zu, die
Gründe zu beurtheilen oder gar zu bekritteln, welche
die Handlungen des Fürſten motivirten, dem ich damals
diente und Treue geſchworen hatte.
350
Am 24. Februar wurden ſechs königliche Deerete
aus Villafranca erlaſſen und veröffentlicht. Die Erſten
enthielten die Entlaſſung der vier Miniſter: des Juſtiz—
miniſters und Conſeilpräſidenten Biſchofs von Leon,
des Finanzminiſters Labandéro, des interimiſtiſchen
Miniſters der auswärtigen Angelegenheiten, Arias—
Teijeiro, und des Kriegsminiſters Herzogs von
Granada (der ſeit einigen Tagen den Marquis de
Valde Eſpina erſetzt hatte). Das Dritte erklärte:
der König habe, nach neuen Informationen und ges
nauen Unterſuchungen, mit hoher Verwunderung geſehen
und erfahren, daß der General-Lieutenant, Chef des
Generalſtabs *) Don Rafael Maroto, in Aus-
übung ſeiner Vorrechte, und geleitet durch die Gefühle
von Liebe und Treue, die für die gerechte königliche
Sache ihn ſo verdient machen, gehandelt habe. (ha
obrado con la plenitud de sus atribuciones y
guiado por los sentimientos de amor y fidelidad,
*) Guergue und Maroto führten dieſen Titel, feit
der König nach Rückkehr ſeiner Expedition im Mani⸗
feſte von Areiniega (29. October 1837) erklärt hatte,
er ſtelle ſich ſelbſt an die Spitze ſeines Heeres.
351
que tiene tan acreditados en favor de Mi justa
causa.) Der König bekannte ferner, er ſei innig
überzeugt, daß unheilvolle Abſichten, auf irrige Mei—
nungen oder verbrecheriſche Argliſt geſtützt, ſein könig—
liches Vertrauen mißbraucht hätten; daß es nun ſein
Wille ſei, dem General- Maroto eine vollſtändige
Wiederherſtellung ſeiner Ehre angedeihen zu laſſen;
daß derſelbe an der Spitze des Heeres zu verbleiben
habe, das letzte königliche Manifeſt (vom 21. Februar
aus Vergara, das ihn als Verräther und vogelfrei
erklärt hatte) überall verbrannt und Dieſes durch drei
Tage vor der Fronte der Bataillone verleſen werden
ſolle. — Die drei übrigen Deerete löſten die conſultirende
Kriegsjunta (die aus alten Generalen und Stabs—
offizieren beſtehend, Maroto des Hochoverraths ſchul—
dig befunden hatte) auf, und übergaben dem Briga—
dier Juan Montenegro und dem ehemaligen diplo—
matiſchen Agenten in Rom, Don Paulino Rami—
rez de la Piſeina, zwei Anhängern Maroto's,
die Portefeuilles des Krieges und der auswärtigen
Angelegenheiten. Einige Tage darauf wurden 35 Per—
ſonen aus dem Hoflager, die Marotso deſignirt hatte,
unter Bedeckung eines Bataillons an die franzöſiſche
5
Si
*
Grenze abgeführt, und ihnen der Befehl eingeſchärft,
ſich nie mehr in den Carl V. unterthanen Landes-
theilen blicken zu laſſen. Unter ihnen befanden ſich der
Biſchof von Leon und ſein Secretär Pecondon;
der Hofcaplan Echeverria, Arias-Teijeiro und
ſein Onkel Joſé Teijeiro, Kammerdiener des
Königs; Don Diego Miguel de Garcia (bei mei—
ner Ankunft in Spanien Obercommiſſär in Yrun);
der Finanzminiſter Laband Ero und fein Sohn der
Intendant; der Kapuziner Larraga, Beichtvater des
Königs, und der Hofprediger Domingo; die Generale
Uranga (General-Capitain von Navarra und den
drei baffifchen Provinzen, während der Expedition des
Königs und zuletzt deſſen Adjutant), Mazarraſa
und Baſilio Garcia; mehrere Räthe und Se—
cretäre der Miniſterien, die Commandanten der reiten⸗
den und der Fuß-Garde, Hofdiener u. ſ. w. Kurz
darauf verließen Zaratiegui, Elio und Gomez
die Kerker, in denen ſie ſo lange ſchuldlos und ohne
Unterſuchung geſchmachtet hatten; auch der Brigadier
Cabanas und die gerichtlichen Vertheidiger der oben
erwähnten Generale, Brigadiers Vargas und Ma—
drazzo, die ihrer freimüthigen Sprache wegen arretirt
worden, wurden freigelaſſen, die Mehrzahl der durch
Guérgué, nach Rückkehr der königlichen Expedition,
releguirten Offiziere aus ihren Depots berufen und
wieder angeſtellt und fo, gleich nach den Fuſilladen von
Eſtella, viele ſchreiende Ungerechtigkeiten gut gemacht.
Dies iſt von um ſo größerer Bedeutung, wenn man er⸗
wägt, daß zwar einige derſelben, wie Urbiztondo
(gegenwärtig flüchtig in Frankreich, als Anhänger
O'Donnell's), Simon de la Torre, Fernando
Cabanas, Beſſières, die Brüder Fulgoſio (nun
[Nov. 1841], als in die Pallaſtverſchwörung verwickelt,
in Madrid zum Tode verurtheilt) u. A. ſpäter mit Ma⸗
roto übergingen, doch die Meiſten, durch Guergue,
Arias-⸗Teijeiro und die Camarilla jo ſchmählich miß⸗
handelten Offiziere bis zum letzten Augenblicke ihren
Eiden treu blieben, und mit dem Könige Spanien ver—
ließen. Sie hatten Maroto ihre Freiheit, wenn auch
nicht zu danken, ſo doch zuzuſchreiben, und ſind dennoch
mit ihm nicht übergegangen, ſondern führen jetzt
im Auslande ein elendes, kummervolles Leben, in
Leiden und Entbehrungen. Trotz aller gleißneriſchen
Verſprechungen chriſtiniſcher Agenten, hat doch keiner von
ihnen ſeinen makelloſen Ruf, ſeine militäriſche Ehre durch
II. 23
unlautere Mitwirkung am letzten Aufſtande O'Don⸗
nell's (October 1841) in ein zweifelhaftes Licht
ſtellen wollen. Ich will hier vom ritterlichen General
Villarreal ſprechen, deſſen mittelalterliche, glänzende
Bravour, bei Freund und Feind, ſprichwörtlich gewor—
den; von Gomez, Zaratiegui, Elio, Vargas,
Reina, Arjona und ſo vielen Andern, minder
allgemein Bekannten.
So ſchauderhaft und verbrecheriſch die Hin—
richtungen von Eſtella auch jedenfalls waren, ſo
mußte doch jeder gute Soldat, dem die Ehre der car—
liſtiſchen Waffen am Herzen lag, der an den Häupt—
lingen hing, die ihn ſo oft zum Siege geführt, dieſe
ihre Folgen preiſen und ſegnen. Die Camarilla war
entfernt, und Alle ſchmeichelten ſich Anfangs mit der
Hoffnung, daß Keiner zurückgeblieben, der die alten
Intriguen wieder anknüpfen könne. Maroto, der
über alle ſeine Feinde triumphirt, Alles erreicht hatte,
ſollte nun kräftig die Operationen beginnen. Geld
war im letzten Jahre im Ueberfluß, vom Auslande in
die königlichen Kaſſen gefloſſen, das Heer bezahlt und
equipirt, die Cavallerie montirt, Munition und Kriegs-
bedarf in Menge vorhanden; der Frühling brach heran,
die Intriganten waren entfernt, die feindlichen Kräfte
getheilt. Nichts konnte Maroto hindern; denn nie
hatten ſich, ſeit Beginn des Krieges, einem carliſtiſchen
Feldherrn glänzendere Ausſichten geboten. Doch hatte
die letzte Zeit eine ſo große Maſſe von Galle, Rache—
ſucht und Zorn in ſeiner, allen Leidenſchaften empfäng⸗
lichen Seele geſammelt, daß nun, wo er mit dem
Schwerte in der Fauſt, für die Hinrichtungen von
Eſtella, vor der Welt ſich hätte rechtfertigen ſollen, er
den erſten Einflüſterungen Gehör gab, die von ſeiner
ſchändlichen Umgebung ausgehend, die Möglichkeit einer
Transaction, eines Arrangements, wie man es nannte,
aufſtellten.
Dieſe Empfänglichkeit Maroto's, mit ſeinem
Gewiſſen zu pactiſiren, war Efpartero wohl be—
kannt; doch mußte zuerſt einige Form beobachtet und
ſomit mehr verſprochen werden, als man ſpäter zu
halten beabſichtigte. Somit wurden, wie ich am Ein—
gange dieſes Theils erwähnt, Vorſchläge gemacht, die
allerdings weit ehrenvoller klangen, als das kurz darauf
Gebotene. Man ſprach von einer Vermählung des
Prinzen von Aſturien mit feiner Couſine Iſabella,
die, Beide gemeinſchaftlich, gleich Ferdinand von
Aragon und Iſabella von Caſtilien, unter der Bezeich—
23 *
nung: Los Reyes, ) nach den Cortes por Eſta—
mento, regieren würden; Carl V. ſolle feiner Krone,
und Chriſtine ihrer Regentſchaft entſagen, eine all⸗
gemeine Amneſtie proclamirt werden. Es hieß, das
franzöſiſche Cabinet (vom 12. März) und Ludwig
Philipp in Perſon, wären dieſem Plane ſehr geneigt,
und namentlich habe Marſchall Soult kürzlich erklärt:
35 Ce serait lä le plus beau succes de ma vie.”
Nachdem Maroto eigenmächtig und unrechtmäßig
dieſen Propoſitionen Gehör geſchenkt, überredete man
ihn, er müſſe ſie dem Könige geheim halten, bis ſie
zur Reife gediehen. Von nun an fing eine ununter⸗
brochene Reihe von Unterhandlungen zwiſchen ihm und
Eſpartéro an. Letzterer, ſobald er einmal die Die—
tatur in Händen ſeines alten Kriegsgefährten aus Peru
wußte, hatte keinen Augenblick mehr daran gezweifelt,
durch beſtändiges Hinhalten und ſtufenweiſes Zurück⸗
kommen von ſeinen anfänglichen Verſprechungen, alle
ſeine Zwecke zu erreichen. Maroto begann damit, die
*) König und Königin (Rey y Reina) geben im Spani⸗
ſchen Plural: Los Reyes, etwa wie im Deutſchen die
Worte Bruder und Schweſter: Geſchwiſter.
357
Garantie der franzöſiſchen Regierung zu begehren, und
wollte Beweiſe derſelben in Händen haben. Eſpar⸗
tero gab ihm einige nichtsſagende Papiere; doch dachte
Maroto beſſer zu thun, wenn er ſich an der Quelle
erkundige. Er ſchickte deßhalb ſeinen Seeretär Duffeau
im März nach Paris. Dieſer wandte ſich zuerſt an den
Grafen Molé, der von dem ganzen Gewebe nichts
wußte und ihn kühl empfing; hierauf ging er zum
Marſchall Soult, damals Conſeil-Präſidenten, den
er öfters ſprach, und der ihm allerlei unbedeutende
und ausweichende Antworten gab. Einmal verſuchte
Duffeau in halben Redensarten den würdigen, alten
Marquis von Labrador zu ſondiren, der früher
Mitglied der Regentſchaft von Cadiz und dort Miniſter
der auswärtigen Angelegenheiten, ſpäter bevollmächtig—
ter Botſchafter beim Wiener Congreß, beim Conclave
zur Wahl Leo's XII. und am neapolitaniſchen Hofe
geweſen, nun in Paris zurückgezogen lebte und die
königlichen Geſchäfte beſorgte. Dieſer in Ehren ergraute
Diplomat zeigte jedoch Duffeau's erſten Eröffnungen
eine ſo entſchiedene Verachtung, daß dieſer für klüger
hielt, ihm nicht weiter davon zu ſprechen. Er zog
ſeinen Aufenthalt in Paris in die Länge, ſo ſehr er
nur konnte, bis endlich Maroto die Geduld verlor
und ihn Ende April zurückrief.
Mittlerweile hatten die Unterhandlungen mit
Eſpartéro fortgedauert, die in das größte Ge—
heimniß gehüllt, durch eine, allem Anſcheine nach,
ganz unbedeutende Perſon geführt wurden. Eſpar⸗
téro hatte nämlich einen im ganzen baſkiſchen
Lande und in Navarra unter dem Beinamen, el
Arriero de Bargota bekannten Maulthiertreiber, Na-
mens Martin Echaide, gewählt. Die Maul-
thiertreiber gelten in Spanien ſeit Jahrhunderten für
die ehrlichſten Leute; man vertraut ihnen die wichtigſten
Geſchäfte im Privatleben und übergibt ihnen die bedeu—
tendſten Summen, ohne je Beſcheinigung zu verlangen.
Echaide insbeſondere, hatte einen fo allgemein aner-
kannten guten Ruf, daß die Generale beider Heere ihn,
mit ſeinen Maulthier-Caravanen, ungehindert an den
Vorpoſten und durch die Hauptquartiere paſſiren ließen.
Er verbarg unter einer rauhen Außenſeite die Geſchick—
lichkeit, Vorſicht und den biegſamen Geiſt, die dem
ſpaniſchen Bauer eigen find. Die Unterhandlungen
wurden mit der größten Vorſicht geführt und waren
in das tiefſte Geheimniß gehüllt. Niemand, außer
Echaide, wußte etwas von ihrem Gange; er ſtand
359
in unmittelbarer Verbindung mit den beiden Gene—
ralen, und nur viel ſpäter iſt von Madrid aus, zum
großen Kummer Eſpartéro's, dieſer ſein Canal
bekannt geworden, da der Sieges-Herzog gern auch
ſeinen letzten Schein-Operationen das Anſehen von
Schlachttagen und militäriſchen Succeſſen gegeben hätte.
Die ganze Sache iſt auf folgende Weiſe an den
Tag gekommen: Eſpartéro hatte feinem maulthier—
treibenden Agenten Millionen verſprochen, wenn die
Unterhandlungen glücklich durchgeführt würden. Als
nach Vollendung des Verrathes, man Spanien paci—
ficirt glaubte, war zwar von den verheißenen Reich⸗
thümern nicht mehr die Rede, doch begehrte Echaide,
der als ächter Spanier, auf Zeugniſſe viel Gewicht
legte (nach jeder Affaire wird man von einer Menge
Offiziere um Verhaltungszeugniſſe, [eertificaciones de
comportamiento] angeredet, die fie dann in großer
Anzahl, bei jedem dienſtlichen Anlaſſe, nebſt ihren Pa—
tenten mit vorweiſen), Eſpartèro möge ihm wenig—
ſtens ſeine großen Dienſte atteſtiren. Nach langem
Zaudern und Mäkeln gab ihm Dieſer, ſeinen eigenen
ausſchließlichen Ruhm nicht zu ſchmälern, eine Schrift,
die nur in höchſt zweideutigen Ausdrücken, der Ver—
360
dienſte des Maulthiertreibers Erwähnung that. Da
wandte ſich Echaide an Maroto, der ſich in Ma—⸗
drid befand, und legte ihm, in Gegenwart der baſ—
kiſchen Cortes-Deputirten, einen Aufſatz des begehrten
Zeugniſſes vor, mit der Bitte, ihn zu unterſchreiben.
Marotso erkannte vor den Deputirten die vollkommene
Richtigkeit aller im erwähnten Documente enthaltenen
Thatſachen; doch glaubte er, aus Rückſicht für Eſpar⸗
tero, feine Unterſchrift verweigern zu müſſen. Dieſer
merkwürdige Aufſatz iſt nichtsdeſtoweniger ein wichtiger
Beleg zur Aufklärung jener verworrenen Epiſode. Meh—
rere Deputirte nahmen Abſchriften davon, ſie gingen
durch viele Hände, und ich ſelbſt habe eine derſelben
geſehen. Folgender Satz ſchien mir darin beſonders be—
zeichnend: „Die Schritte (Los pasos), die der ehrliche
Echaide erſt im Monat Februar 1839 zu unterneh-
men begann, wurden durch ihn ſo geſchickt und ſo
glücklich durchgeführt, daß bereits am nächſtfolgen—
den neunten April zwiſchen mir (Maroto sc.)
und dem General Eſpartéro, directe Verbindungen
zur Pacification der baſkiſchen Provinzen, eingeleitet
und geordnet waren. Sie wurden ſeither in aller ihrer
Kraft erhalten, und haben, trotz tauſend Schwierig—
361
keiten, endlich die denkwürdige Convention von Ver—
gara hervorgebracht.“ Wenn man bedenkt, daß Duf-
feau erſt am 30. April aus Paris nach dem Haupt—
quartier Maroto's zurückkam, ſo ſieht man, daß
während ſeines Vertrauten langer Abweſenheit und
gefliſſentlichen Zögerns, Maroto bereits directe
Unterhandlungen mit Eſpartéro angeknüpft hatte,
ohne erſt das Reſultat der gehofften franzöſiſchen
Garantie und Intervention abzuwarten.
Eſpartéro der, wie geſagt, feinem militäriſchen
Ruhme bei dieſem Anlaſſe mehr Glanz geben wollte,
wandte Alles an, Maroto zu ſcheinbaren Kriegs—
operationen zu bewegen, wozu Letzterer ſich um ſo
bereitwilliger zeigte, als er unter dieſer Maske die
Fortdauer ſeiner Unterhandlungen verbergen konnte.
Er verließ ſonach Navarra und ſchlug fein Hauptquar-
tier in Biscaya auf, während Efpartero von feinen
Stellungen am Ebro, ſich nach den Encartaciones
begab. Beide Generale erließen wüthende Proclama—
tionen voll drohender Schmähungen gegen einander,
und am 27. April begannen die Operationen gegen
Ramales und Guardamino. Eſpartéro hatte bis
dahin, ſeine erſten Vorſchläge als Grundlage ſeiner
362
Unterhandlungen beibehalten, und auf alle ſtets zu—
nehmenden Forderungen Maroto's halb ausweichende,
halb zuſagende Antworten gegeben. Nun begehrte er
von Maroto die ungehinderte Einnahme dieſer feſten
Punkte, die, meinte er, ſeine Stellung in Madrid
conſolidiren und ſeinen Planen, den Exaltädos gegen—
über, mehr Kraft geben würde. Marotso ging in dieſe
zweite Falle; er unterſtützte die ſchwache Garniſon des
Forts von Ramales nur wenig, und überließ ſie end—
lich ihrem Schickſal. Trotz der brillanten Vertheidigung
des Capitains von Keltſch ward Ramales genommen
und die Linie von Guardamino überrumpelt; bald
darauf waren Orduna, der Paß von Saracho, das
Thal des Nervian, und die Chauſſee von Amurrio bis
Llodio in Eſpartéro's Gewalt. Von nun an
wurden ſeine Antworten minder befriedigend, und
eine Conceſſion drohte nach der Andern zu ſchwinden.
Maroto erſchrack und wandte ſich an Lord John
Hay, der die engliſche Station commandirte. Er
bat ihn, von Eſpartéro feſtere Verſprechungen und
ſeinerſeits wo möglich die Garantie von England zu
erlangen. Lord John Hay zeigte ſich hiezu ſehr
bereitwillig, und begab ſich ſogleich in Maroto's
363
Hauptquartier nach Arrigorriaga, wo ſeine Anweſen—
heit als engliſcher Interventions -Verſuch, bezüglich
der Verwüſtungen der Dörfer und Erndten erklärt
wurde. Ja es iſt ſogar mit viel Wahrſcheinlichkeit
aufgeſtellt worden, daß Efpartero im Einvernehmen
mit Maroto, nur die Erndten von Navarra und
Alava, deren Bataillone mit Letzterem uneins waren,
verwüſten ließ. Dieſes ſcheint um ſo glaubwürdiger,
wenn man bedenkt, daß den Guipuzeoanern und Bis—
cayinern, die ſpäter bei Vergara übergingen, kein
ſolches Unglück widerfuhr. Zum Belege des Erwähn—
ten, und der ganzen Verhandlung, mag das Journal
Lord John Hay's dienen, welches dem engliſchen
Parlamente durch Lord Palmerſton ſpäter vorgelegt
wurde: „20. Juli 1839. Maroto beſtand darauf,
daß England im Vereine mit Frankreich die Vermittlung
und Garantie des Vertrages übernehme. Der Befehl,
den Eſpartèro feinen Generalen gab, die Erndten
der carliſtiſchen Bezirke ſogleich zu zerſtören, lieferte
Maroto einen plauſiblen Vorwand, ohne Ver—
dacht am Hofe des Don Carlos zu erwecken, Lord
John Hay eine Unterredung auf Grund des ſuppo—
nirten Bruchs des Tractates Elliot zu begehren.“ Von
36A
Arrigorriaga begab ſich Lord John Hay zu Eſpar—
tero nach Amurrio, und ſandte gleich darauf einen
Offizier, auf einem eigens dazu beſtimmten Dampf—
ſchiffe, an Lord Palmerſton. Dieſer war ſo erfreut
über Maroto's Tendenz, ſeinen Herrn zu verrathen,
daß er die gewöhnliche diplomatiſche Vorſicht hierüber
vergaß. Es verlautete in ſeiner nächſten Umgebung
Einiges über dieſe Verhandlungen, und in einem vom
29. Mai datirten Privatſchreiben aus London kam
uns eine ziemlich detaillirte Erzählung der beiden Con—
ferenzen des engliſchen Vermittlers zu. Es braucht
wohl nicht erwähnt zu werden, daß Eſpartéro
ihm ganz andere Aufſchlüſſe über ſeine Abſichten gab,
als Maroto's Hoffnungen geklungen hatten, daß
ſomit die engliſche Vermittlung ſich auf Null beſchränkte.
Bei Eröffnung dieſer Campagne hatte Maroto,
vielleicht auf EſpartéEro's Anrathen, den König um
Ernennung zum Generaliſſimus ſämmtlicher carlifti-
ſcher Heere gebeten, wodurch er den Grafen de Eſpañ a
und Cabrera mit in die beabſichtigte Convention
zu ziehen dachte. Dieſe ſonderbare Zumuthung ward
auf Befehl des Königs vor einen Kriegsrath gebracht;
doch erklärten ſich von den 13 Mitgliedern, die ihn
365
bildeten, nur 4 dafür, und fie mußte unterbleiben;
als Hauptgrund dagegen wurde angeführt, daß ein
alter General wie de Eſpana, und ein fiegreicher,
halb unabhängiger Häuptling wie Cabrera, ſich
nie unter Marota beugen würden.
Mittlerweile war Arias-Teijeiro aus Tou—
louſe, wo er ſich eine Weile aufgehalten, in Morella
angelangt. Trotz des Exils, das ſeine Freunde und
Anhänger betroffen, war doch einer derſelben, Marco
del Pont (den ich in der Sierra Boxadera geſehen)
im Hoflager zurückgeblieben, und in der letzten Zeit
zum Finanzminiſter ernannt worden. Durch dieſen
eorrefpondirte nun Arias-Teijeiro mit dem Könige,
nannte Maroto einen Verräther und rieth Sr.
Majeſtät, ihn entweder hinrichten zu laſſen, oder wenn
er hiezu nicht mehr Gewalt habe, ſich ſelbſt eilig in
Cabrera's Hauptquartier zu begeben. Dieſe Briefe
trugen Spione Cabrera's durch das niedere Aragon
über den Ebro in's Hoflager. Ende Juni griff eine
feindliche Streifpartei einen derſelben auf; die Briefe
wurden nach Madrid geſchickt und in den dortigen
Zeitungen veröffentlicht. Efpartero verſäumte nicht,
eine ſo gute Gelegenheit zu ergreifen, Maroto mit
366
jeinem Herrn noch mehr zu entzweien, und ſchickte
ihm in den erſten Tagen des Monats Julius, durch
einen gewöhnlichen Vertrauten, die erwähnten Zeitun—
gen. Die betreffenden Stellen waren roth ange—
ſtrichen. Bei deren Durchſicht fol Maroto's Zorn
keine Grenzen gekannt haben; er ergriff das Papier
und ſagte einem deutſchen, eben bei ihm befindlichen
Offizier: „Sie verſtehen mich, wenn ich ſchnell ſpaniſch
vorleſe? nun ſo hören Sie einen neuen Beweis von
der Niedrigkeit dieſes Menſchen (de la bajeza de este
hombre). Jetzt werde ich Niemand mehr ſchonen.“
Von dieſem Tage an, ward der königliche
Name aus feinen Verhandlungen mit Eſpartéro
geſtrichen, und ſein ganzer Haß wandte ſich nur mehr
gegen die Perſon ſeines unglücklichen Herrn. Nur
durch die Vorſtellungen ſeiner Vertrauten ward er im
erſten Augenblicke abgehalten, ſogleich das Hoflager zu
überfallen und die größten Gräuel zu begehen; ſie
machten ihm begreiflich, daß eine vorſchnelle Hand—
lung den Erfolg der ganzen Unterhandlung gefährden
könnte und man noch temporiſiren müſſe. Maroto
begnügte ſich Marco del Pont zu ſchreiben, ſeine
Correſpondenz mit den Verbannten ſei ihm wohl be—
367
kannt; dieſes Benehmen könne große Unglücksfälle zur
Folge haben, ja ſein (Marco del Pont's) und
des Königs Haupt in Gefahr bringen; daß aber er
(Maroto) großmüthig genug ſei, ihn zu warnen,
damit er ſofort das Hoflager verlaſſe und ſich nie
mehr auf dem Kriegsſchauplatze blicken laſſe. Wieder-
holten Befehlen des Königs zufolge weigerte ſich
Mares del Pont diefen peremptoriſchen Rath zu be—
folgen, wodurch Maroto nur mehr aufgereizt wurde.
Am 18. Juli, während der Feind immer mehr
in die biscayiſchen Thäler eindrang, ſandte er ins
Hoflager ein langes Document, an ſich ſelbſt gerichtet,
worin nach vielen Lobeserhebungen für ſich und
Schmähungen auf die Verbannten, ein vollſtän—
diges Deſavouiren der Correſpondenz Arias-Tei—
jeiro's von Seite des Königs enthalten war. Ma—
roto begehrte, dieſes Schreiben ſolle als Depeche des
Kriegsminiſteriums an ihn gerichtet werden, wozu ſein
ſtets dienſtfertiger Freund und Anhänger, der interi—
miſtiſche Kriegsminiſter Juan Montenegro, “ die
*) Dieſer erbärmliche Menſch trieb zwar die Schamloſig—
keit nicht ſo weit, ihm auf die Felder von Vergara zu
368
königliche Bewilligung zu entreißen wußte, und fich
beeilte ſeinen Namen und ſein Dienſtſiegel unter die—
ſes merkwürdige Actenſtück zu ſetzen. Maroto ließ
es durch einen Tagsbefehl aus Orozeo vom 23. Juli
der Aruee bekannt machen.
folgen, doch ließ er ſeinen Herrn und ſein Portefeuille
im Stich und ergriff eiligſt die Flucht, ſobald er den
König in Gefahr wußte umzingelt zu werden, und er
eine ultra- royaliſtiſche Reaction befürchten konnte, deren
Symptome, nach dem Beiſpiele der Inſurrection des 5.
und 12. Bataillons von Navarra unter Echeverria,
ſich bereits zu manifeſtiren anfingen. Der König ſoll
über Montenegro's Flucht ſehr ergriffen geweſen
ſein. Scheint es doch faſt, als ob die gewöhnlichſten
Begriffe von Scham und Ehre in dieſer Familie nicht
anzutreffen wären, mit einziger Ausnahme des Artille-
rie-Directors General Montenegro, gegen den nichts
Ehrenrühriges anzuführen iſt. Juan Montenegro,
des Miniſters Bruder, ehemaliger Kammerdiener Fer—
dinand VII., der als Ruhepoſten das Conſulat in
Genua erhielt, hat immer eine höchſt zweideutige Rolle
geſpielt, und Joaquin, des Kammerdieners Sohn,
entblödete ſich nicht durch ſechs Jahre in Wien, in Gre—
nadier-Capitains-Uniform, Romanzen zu trillern und
ein paar Briefe des Grafen Alcudia abzuſchreiben,
während jeder junge Spanier, dem ein Herz im Leibe
ſchlug, ſich für eine oder die andere Partei auf dem
Kriegsſchauplatze befand.
369
Wenn die Convention, die ungefähr fünf Wochen
ſpäter auf den Feldern von Vergara ſtatt fand, nicht
ſchon früher, an oben erwähnter Epoche unterzeichnet
und ausgeführt wurde, ſo dürfte der Grund lediglich
in der Hoffnung Maroto's zu ſuchen ſein, eines—
theils beſſere Conditionen, namentlich die unbedingte
Anerkennung der Fueros, von Efpartero und der Ma⸗
drider Regierung zu erlangen, anderntheils noch mehr
Bataillone für ſich und ſeine Zwecke zu gewinnen.
Was Letzteres anbetrifft, ſo wußte Maroto zu gut,
daß, wie groß fein Einfluß auf die Truppen auch.
ſein mochte, er doch nie eine Unterwerfung unter die
feindlichen Banner erreichen konnte, wenn er voraus
ſeine wahren Zwecke und Plane ihnen mitgetheilt
hätte. Auch hütete er ſich wohl es zu thun. Seine
Anhänger, die er, aus den Mißvergnügten gewählt,
an die Spitze der Brigaden und Bataillone geſtellt,
denen ihre Grade und Orden anerkannt wurden, die
wußten vollkommen, wovon es ſich handle; für die
gibt es keine Rechtfertigung, keine Entſchuldigung,
vielleicht noch weniger als für Maroto; denn die
wurden nicht einmal betrogen, getäuſcht, hingehalten;
die armen Soldaten hingegen, blendeten „Fueros und
II. 24
Friede,“ Worte, deren wahre Bedeutung fie erſt an
dem Tage von Vergara zu ſpät erfuhren.
Ueber die letzten ſo gewichtigen Wochen, vor dem
Verrathe, glaube ich einige trockene Details aus einem
weitläufigen Journal entnehmen zu müſſen, das von
einem Vertrauten Maroto's geführt, in deſſen Por-
tefeuille aufbewahrt ward, und mir ein paar Tage
nach der Convention von Vergara im Original vorlag.
Die erſten Tage Auguſt vergingen in zweckloſen Con—
tremärſchen, während beide Generale längſt über die
Hauptpunkte einverſtanden waren. Am 4. hatte Ma⸗
roto feine letzte Zuſammenkunft mit Lord John Hay;
am 5. begab ſich dieſer zu Eſpartéro und am 9.
zog Letzterer, mit dem Gros ſeiner Armee, von Amurrio
nach Vitoria und ließ bei Las Ventas und Santiago
ſeine Flanke unbedeckt, ohne daß Maroto nur Miene
machte ihn anzugreifen, ſondern nach einem militäri—
ſchen Spaziergange bis N. S. de Escareſtaza, ohne
den Feind zu beunruhigen, nach Orozco zurückkehrte.
Am 14. fand ein kleines Scheingefecht ſtatt. Als am
16., während Maroto vergeblich auf den in Bilbao
acereditirten franzöſiſchen Conſul wartete, der Baron
de Los Valles ihm zu melden kam, der König
371
begebe fich nach dem Baſtan, um die infurgirten zwei
Bataillone (unter Echeverria) zu ihrer Pflicht zurück—
zuführen; da ſagte Maroto einem ſeiner Vertrauten:
„das iſt der erſte Schritt zu ſeinem Verderben.“ Am
18. früh begab ſich Maroto nach Villareal de Zus
marraga und beſprach ſich um 9 Uhr Morgens
mit dem franzöſiſchen Conſul auf der Straße von
Vergara nach Amzuela. Einige Stunden darauf
kam der König nach Villareal. Marotso hatte ſich
zu Bett gelegt und in zwei Tagen zehn Jahre geal—
tert. Er ſchnitt ſeinen Schnurbart ab und ging zum
Könige; als er zurückkam, ſagte er laut, er habe
ſeine Entlaſſung angeboten, die jedoch nicht ange—
nommen worden ſei. Gleich darauf ſchickte er ſeine
zwei Knaben nach Toloſa, von wo ſie in Begleitung
Arizaga's bald in Bayonne eintrafen. Am 20.
zog ſich der König nach Villafranca zurück, und Ma—
roto verlegte ſein Hauptquartier nach Elorrio. Am
22. nahm Eſpartéro das Fort von San Antonio
de Urquiola, und am 23. Caſtaneda das befeſtigte
Areta; Negri ſollte Erſteres und Simon de la
Torre Letzteres vertheidigen, doch leiſteten ſie nur
ſcheinbaren Widerſtand. Am nämlichen Abend rückte
24 *
372
Eſpartéro in Durango ein. Am 24. Morgens
ſtanden feine Vorpoſten in Abadiano, und Nachmit-
tags brachte ſein Adjutant Zavala die Propoſitionen:
den König als Infanten von Spanien, die Fueros
in ihrer ganzen Ausdehnung, ſo wie die Grade und
Ehrenzeichen der Offiziere anzuerkennen. Maroto
ſandte ſogleich dieſe Vorſchläge an den Kriegsminiſter
Montenegro und fügte bei, er werde am nächſten
Tage, behufs weiterer Erklärung, eine Unterredung
mit dem feindlichen Feldherrn haben, und verlange
Verhaltungsbefehle. Am 25. kam der König nach
Villareal; als Maroto ſich im Pallaſte präſentirte,
ließ S. M. ihm bedeuten im Vorzimmer zu warten, wel-
ches dem General mit dem Beiſatze: „der König werde
ihm zeigen, daß er ſein Herr ſei,“ hinterbracht ward.
Da faßte Maroto die Furcht, es ſei auf ſein Leben
abgeſehen, und er entfernte ſich eilig aus dem Pallaſte,
unter dem Vorwande dringender Geſchäfte. Gleich
darauf erfolgte die von allen Blättern beſprochene,
unglückliche Revue zwiſchen Villareal und Eluvia.
Der König verließ im Galopp den Ort wo die Trup-
pen aufgeſtellt waren und rief ſeiner Umgebung zu:
„wir ſind verrathen.“ Am nächſten Morgen (26.)
373
erfolgte eine Unterredung Maroto's mit Efpar-
téro in Durango; dieſer verweigerte nun die vor
zwei Tagen zugeſagten, den König und die Fueros
betreffenden Anerkennungen, worauf die zwei Generale
erbittert ſchieden und Maroto am ſelben Tage dem
Kriegsminiſter ſchrieb: er ſei von der Doppelzüngigkeit
des feindlichen Generals überzeugt, und entſchloſſen, ihn
nur mehr mit den Waffen zu bekämpfen; er erbitte ſich
dieſerhalb die königlichen Befehle. Als Antwort hier—
auf, ward Negri ins Hauptquartier geſchickt, das
Commando an Maroto's Stelle zu übernehmen,
und dieſem befohlen ſich ins Hoflager zu verfügen und
dort zu rechtfertigen. Zugleich erließ Montenegro
auf königlichen Befehl eine Proclamation an das Heer,
worin (ohne Maroto zu nennen) er indirect des
Hochverraths angeklagt ward. Während deſſen hatte
Maroto (am 27.) dem König geſchrieben, um für
ſich und ſeine Anhänger Gnade zu erflehen. Doch
blieb es bei der erſten Entſcheidung, und Maroto
konnte nun klar ſehen, daß kein Heil für ihn mehr
möglich ſei. Da trotzte er dem königlichen Befehl
und Negri mußte ſich zurückziehen. Indeſſen rückte
Eſpartéro bis Onate vor, und am ſelben Tage
374
(29.) vereinten ſich Urbiztondo und de la Torre
mit ihm. Nun ging Maroto in Alles ein, was
von ihm begehrt wurde und erließ am ſelben Tage aus
Zumarraga ein Rundſchreiben, worin er erklärte: die
unter ſeinen Befehlen ſtehenden Truppen, des Krieges
müde, wären entſchloſſen Frieden zu ſchließen, welches
am nächſten Tage geſchehen würde. Tags darauf
begab er ſich nach Vergara, kam jedoch Abends nach
Villareal zurück. Am 31. Auguſt war Alles zu Ende,
der große Wurf geworfen, der den König ſeiner Krone,
ſiebenjährige blutige Kämpfe ihrer Früchte beraubte.
Noch fünf Tage vorher hätte Alles abgewendet werden
können; ein Wink des Königs und Maroto wäre
bei der Revue bei Villareal durch dieſelben Truppen
niedergeſchoſſen worden, die ſo bald darauf mit ihm
übergingen; und wenn Alle ſich geweigert hätten,
Alzaàa mit feinen Alaveſen hätte beſtimmt gehorcht;
das gerechteſte Strafurtheil wäre vollzogen worden,
ſeitdem Könige Urtheil ſprechen und Hochverräther
gezüchtigt werden.
375
Am Abende des 1. Septembers lief eine englifche
Barke im kleinen Hafen von St. Jean de Luz ein,
und ſetzte einen Marine-Cadeten ans Land, der eiligſt
ein Poſtpferd beſtieg und, nach einer Stunde ſchnellen
Rittes, dem britiſchen Conſul ein kurzes Billet Lord
John Hay's überbrachte, welches die erſte, noch un—
vollkommene Nachricht von der Convention von Ver—
gara enthielt. Am nächſten Nachmittag langte ſie
offiziell aus Eſpartéro's Hauptquartier an; die
ſpaniſche Flagge wurde vor dem chriſtiniſchen Conſulats—
Gebäude aufgepflanzt, und alle Vorübergehenden erhiel—
ten Exemplare der Uebereinkunft. Ich befand mich ſeit
Kurzem in Bayonne, wo ich in der Vorſtadt Petit—
Bourg, am rechten Ufer des Adour, größtentheils von
Baſken bewohnt, in einer kleinen Kneipe verborgen
lebte. Ich hatte Ende April Paris verlaſſen und den
Weg bis Bayonne mit Duffeau zurückgelegt. Ohne
in Details einzugehen, die es mir nicht zuſteht zu
veröffentlichen, und die auch jetzt, nachdem doch Alles
vergebens war, ihr Hauptintereſſe verloren, mag hier
nur erwähnt werden, daß ich mit Aufträgen kam,
Eröffnungen zu machen hatte, die bei einer halbwegs
vernünftigen Regierung die ſchnellſte Aufnahme gefun—
376
den, die entſcheidendſten Reſultate zur Folge gehabt
hätten. Ein weit ausſehender Plan, von einer damals
uns befreundeten Regierung unterſtützt, wurde dem
Miniſterium vorgelegt; doch waren deſſen ſämmtliche
Mitglieder ſchon damals fo ſehr in Händen Maro—
to's, daß fie keine einzige Maßregel ohne deſſen Sanc-
tion unternahmen; dieſe wurde beſtändig verſchoben,
von einem Tage zum andern hingehalten. So ver-
ging, trotz aller Vorſtellungen mehrerer bedeutender
Männer im Auslande und des Baron de los Valles,
der im Hoflager den Gang der Unterhandlungen lei—
tete, eine Woche um die andere, ohne eine definitive
Entſcheidung erlangen zu können. Ich ſollte die könig—
liche Unterſchrift in Bayonne abwarten, um ſogleich nach
Paris, und von dort mit einem Agenten der erwähnten
Regierung mich an den betreffenden Hof zu begeben.
Doch war Bayonne ein zu gefährlicher Aufenthalt,
und ich mußte befürchten, jeden Augenblick in dieſer
Stadt entdeckt und arretirt zu werden, weßhalb ich mich
in dem kleinen Eſtaminet, am Fuße des Schloſſes von
Marrac etablirte, deſſen ich am Eingange dieſes Theils
erwähnt. Hier brachte ich über drei Wochen in der
ſtrengſten Recluſion zu, auf einen wenige Quadrat-
Schuhe großen Raum beſchränkt, den ich nie verlaſſen
durfte. Wenn das Gaſtzimmer unter mir von Gen—
darmen oder Douaniers beſucht ward, durfte ich in
meiner Clauſe nicht die geringſte Bewegung machen, da
ſie für unbewohnt galt. Nach Sonnenuntergang ſchlich
ſich der königliche Agent, oder einer ſeiner Leute, durch
ein Hinterpförtchen zu mir und brachte die Depechen
aus dem Hoflager, die beſtändig vertröſteten und gewöhn—
lich für die nächſten Tage Entſcheidung verſprachen.
Endlich ward mir die Ankunft eines Vertrauten
in Vera, an der äußerſten Grenze gemeldet; dort
ſollte ich Antwort erhalten. Von ein paar Schmugg—
lern geführt, begab ich mich ſogleich an Ort und Stelle.
Die Auskünfte waren zweideutig, unerſchöpfend, und aus
allem konnte man den Zwieſpalt, die zunehmende Gäh—
rung im Hoflager und Heere erkennen. Doch war dieß
nicht zu ändern, und noch dieſelbe Nacht trat ich
den Rückweg an. Ob verrathen oder verkauft, will
ich nicht entſcheiden, doch kaum hatte ich franzöſiſchen
Boden betreten, ſo wurde ich arretirt. Der Guide, der
vor mir herging, war plötzlich verſchwunden, als ich
in einen dunklen Hohlweg kam, aus dem von allen
Seiten Gendarmen und Douaniers auf mich herab—
ſtürzten. Eine Blendlaterne wurde mir in's Geſicht
gehalten, und nach dem wenig erfreulichen Ausſpruche:
„c'est bien lui!“ angedeutet, unweigerlich zu fol—
gen. Ich übergab meine Terzerolen und mußte mir
gefallen laſſen, genau durchſucht zu werden. Man
nahm mir einige unbedeutende Papiere ab, die ich in
meinem baſkiſchen Gurte trug; meine Depechen aber,
in der Sohle einer meiner Sandalen eingenäht, konn—
ten ſie nicht finden. Nach St. Jean de Luz geführt,
nahm der Polizei-Commiſſär ſogleich procès verbal
auf, und vier Gendarmen bewachten mich die Nacht
über. Eine Eſtaffette ward ſogleich an den Sous—
Präfecten geſchickt, und am nächſten Morgen kam der
Befehl, mich unter Bedeckung nach Bayonne zu führen.
Es war am 26. Mai, und eben Sonntag; da die
Straße von St. Jean de Luz nach Bayonne auch nach
dem beſuchten Seebade Biaritz führt, mußte ich befürch—
ten, der ganzen ſchönen Welt von Bayonne, die Sonne
tags ſich dort zu beluſtigen pflegt, in dieſem fatalen
Aufzuge zu begegnen. Ich entwickelte dieſe Gründe
dem Brigadier der Gendarmerie, dem die Verantwort—
lichkeit meines Transportes oblag, worauf er ſo an—
ſtändig war, dieſes ſogleich nach Bayonne zu ſchreiben
379
und mich erſt gegen Abend abzuführen. Gr fette ſich
zu mir in eine Poſt-Cariole, zwei Gendarmen ritten
daneben, und fo kam ich um halb acht Uhr im Hötel
de Commerce an, das mir proviſoriſch als Wohnung
angewieſen worden.
Am nächſten Morgen ſollte mein Verhör be—
ginnen, da der Sous-Präfect, nach langem Warten,
ſich auf einer Landpartie befand. Ich hatte zu ge—
wärtigen, in Folge beſonderer Inſtruetionen des Mini—
ſteriums, in Begleitung von Gendarmen nach Paris
geführt zu werden. Als ich eben mich in Geſell—
ſchaft von zweien derſelben, die mich à vue bewach—
ten, zum Souper niederſetzte, fand ich in der Serviette
meines Couverts ein kleines zuſammengerolltes Papier.
Ich erkannte die Schriftzüge des Oberſten von La—
graeinière (ehemaligen königlichen General-Agenten
längs der Grenze); er ſchrieb: „wenn ich noch nicht
25 Jahre zählte und gute Beine hätte, würden 25 Fuß
mir nicht zu hoch dünken, beſonders wenn unten kein
Pflaſter iſt.“ Der Rath war gut, und eine Stunde
darauf, während meine Gendarmen, denen ich tüchtig
eingeſchenkt hatte, eben im Begriff waren, ein paar
friſche Flaſchen zu öffnen, ſprang ich zum Fenſter hin—
aus. Nach kurzem Laufe erreichte ich das Haus eines
380
Freundes, ward auf den Boden, und von dort über
einige Giebeldächer in ein andres Haus geführt, das
auf eine zweite Gaſſe gab. Nach zwei Nächten ver-
ließ ich Bayonne bei einem Gußregen und ritt, quer-
über die Landes, bis zum Schloſſe ...... einem
meiner Freunde gehörig. Drei Tage ſpäter war ich,
über Auch und Toulouſe, in Paris angelangt, wo ich
in dem von Handlungsreiſenden ſehr ſtark beſuchten
Hötel de Europe, rue Valois palais- royal, als
M. Eugene Pinet, negociant en soieries, natif de
Lyon, abjtieg und meinen Paß als folcher abgab.“)
*) Am felben Morgen las ich in allen Zeitungen folgen-
den Artikel: un poste de gendarmerie place en em-
buscade à l’extr&me frontiere d’Espagne, avait arrete
le 26. Mai le g. p. de L. au moment ou il rentrait
en France, venant à ce que l'on suppose du quar-
tier- general de Don Carlos. Conduit a Bayonne
par la gendarmerie pour @tre mis à la disposition
du sous-prefet, il y arriva vers huit heures du
soir et füt depose dans I’hötel du commerce, sous
la surveillance de deux gendarmes de cette ville,
qui etaient charges de le garder à vue pour le
representer le lendemain à Vautorite. Au moment
ou le prisonnier soupait, profitant d’un moment
381
Zehn Tage ſpäter war ich mit der Mallepoſt in
Toulouſe wieder angelangt. Der königliche Agent, den
ich ſogleich aufſuchte, zeigte mir eine Regierungs-
Currende, die allen Behörden und Poſten mein Signa—
lement und einen Preis auf meine Arreſtation bekannt
machte. Obſchon über die Wichtigkeit geſchmeichelt, die
man auf das Einfangen meiner unbedeutenden Per—
ſon zu legen ſchien, machte dieß meine Weiterreiſe
nicht angenehm. Doch hatte der Marquis von L. in
Bayonne dafür bereits Sorge getragen, und am nächſten
Abend beſtieg ich die Imperiale einer Diligence, dem
Conducteur derſelben anvertraut. Eine halbe Stunde
d’inadvertance de ses argus, il s’elanga par la fe-
netre et disparut comme l’eclair, sans que Jusqu'aà
present, malgré la plus grande activite et toutes
les recherches imaginables, on ait seulement pü de-
couvrir ses traces. Dix - sept gendarmes ont été
mis en campagne pour explorer les environs et
tous les douaniers de la frontiere sont en mouve-
ment, mais en vain; M. de L. parait avoir disparu
de la surface de la terre. On croit que son pas-
sage a été denonce aux autorités par un des agens
de la faction Teijeiro, qui pullullent dans cette
contree, des deux cötes de la frontiere.
382
vor Auch begegneten wir einem eleganten Phaeton;
auf ein Zeichen meines Führers kletterte ich von mei—
nem Sitze herab und nahm, ſobald die Diligence hin—
weggerollt, neben Herr Arr..... „Beſitzer der er⸗
wähnten Equipage Platz. So fuhren wir im ſchärfſten
Trabe durch Auch durch, an allen Poſten vorbei.
Nach einer Stunde beſtieg ich wieder meinen alten Sitz.
Mit einer Blouſe, einem Strohhut und großen Lein-
wand-Regenſchirm folgte ich einer alten Frau durch
die winkligen Gaſſen von Tarbes, und einige Stun—
den ſpäter führte mich eine ſchlanke Bearneſer Dirne,
nachdem ich in einem Bauerhauſe die Kleidung dieſes
Landes angethan, längs der Gave dicht am Schloſſe
Heinrich IV. vorbei, um Pau herum. Am zweiten
Tage Mittags ward ich beim Schloſſe des Baron
DD... abgeſetzt und von deſſen liebenswürdiger
Familie freundlichſt aufgenommen. Nach einem vor—
trefflichen Diner beſtieg ich ein Jagdpferd des Baron
und hetzte mit einigen benachbarten Edelleuten quer-
feldein bis St. L. .., deſſen Eigenthümer Herr von
R. .. ſich unter meinen Begleitern befand und artig
bedauerte, daß auf meiner, von Bayonne aus, ſtreng
vorgezeichneten Marſchroute ſein Schloß nicht als Nacht-
383
quartier bezeichnet worden. Nach kurzem Halt ritten
wir weiter, und nach Sonnenuntergang ſtiegen wir
beim Schloſſe M. .. ab, das am Ufer des Adour
herrlich gelegen, mit Terraſſen und Gärten umgeben,
Herrn von ....e gehört. Die Königin (Prinzeſſin
von Beyra) hatte hier 3 Tage zugebracht, ehe ſie die
Grenze überſchritt. Mit ächter Gaſtfreundſchaft em—
pfing mich der Herr dieſes ſchönen Landſitzes, und ob—
wohl ich nicht das Recht habe, die legitimiſtiſchen Edel
leute, die auf dieſen und anderen Zügen mich ſo
freundlich aufnahmen, zu nennen, ſo drücke ich ihnen
doch Allen meinen öffentlichen Dank hier aus. Sie
find ſämmtlich wahre Royaliſten, im ehrenvollſten
Umfange des Wortes, und ihr Leben hat bei den
feinen Sitten der beſten Geſellſchaft eine patriarchaliſche
Einfachheit beibehalten, welche die größte Hochachtung
verdient. i
Am zweiten Abende ſetzte mich eine Barke an
das linke Adour Ufer, wo ein Schmuggler mit zwei
Kleppern mich erwartete. Nach wenigen Stunden
hielt ich vor dem Haufe des größten baſkiſchen Schleich—
händler-Chefs. Ich will weder die allerliebſte Lage
dieſes Hauſes, noch die marquante Geſtalt ſeines Be—
38
ſitzers näher beſchreiben, da Letzterer wahrſcheinlich ſein
Metier mit dem beſten Erfolge jetzt noch forttreibt.
Nur ſo viel, daß es am Ufer der Nive, in einem lieb—
lichen Gebirgsthal gelegen, und ich nahe an fünf
Wochen darin unter den Schleichhändlern zubrachte.
Ein geräumiges Zimmer ward ganz comfortabel für
mich eingerichtet; die alte Mutter meines Hausherrn
beſorgte die Küche, und ſeine junge Schweſter ſervirte
mein ſchmackhaftes und reinliches Eſſen. Ein Schmugg—
ler brachte mir meinen Diener zu, der ſeit meiner Arre—
ſtation, im Eſtaminet von Marrac verborgen geblieben,
und ſo entbehrte ich, unter meinen wilden Hausgenoſſen,
keiner einzigen Bequemlichkeit. Alle Nächte trafen die
Geſellen des freien Meiſters (hacheros de contra-
banda) mit der Correſpondenz aus dem Hoflager ein;
ich wurde geweckt; dann gab es durch ein paar Stun⸗
den Arbeit, worauf andere Schmuggler die Ankömm—
linge ablöſten und die Depechen nach Bayonne trugen.
Oefter wurden große Transporte von Pferden oder
Kriegsbedarf, von meinem Hauſe aus expedirt; dann
war um uns her das regſte Leben. Gegen Sonnen—
untergang kamen verbündete Schleichhändler und Knechte
von allen Seiten herbeigelaufen, oder auf ihren Maul-
385
thieren geritten; die gefährlichſten Päſſe wurden mili-
täriſch durch Schildwachen beſetzt, nach den Douaniers—
poſten geſchickt deren Bewegungen zu beobachten, und
die Hunde losgekoppelt, die Umgegend des Hauſes zu
durchſpüren. Die Nacht über aßen, tranken und
jubelten Alle, und gegen 3 Uhr Morgens dachte man
gewöhnlich an den Abmarſch, wog die Ballen, packte
ſie zu gleichförmigen Laſten und vertheilte ſie unter
die Läufer und Reiter. Salpeter war der gewöhn—
lichſte Artikel; die Fußgänger trugen bis zu dem Ge—
wichte von 2 Centnern, die Maulthiere 6 bis 8.
Wenn es große Transporte von 100 und mehr Maul-
thieren galt, wurde gewöhnlich ein kleiner Unbedeu—
tender exponirt und preisgegeben; über dieſen fiel dann.
die Douane her und verſäumte den Wichtigern, der
über Schluchten und Abgründe meiſt ſicher auf ſpani—
ſchem Boden anlangte. Einzelne Douaniers wagen
es nie die Schmuggler anzuhalten, die ihre Waffen,
das lange Meſſer und den ſchwer beſchlagenen Stock,
mit furchtbarer Geſchicklichkeit zu führen wiſſen; auch
hing auf jedem Maulthiere ein Carabiner.
Dieſe Züge hatten wirklich etwas großartiges; ich
habe mehrere derſelben theilweiſe mitgemacht, da die
II. 25
386
Geſchäfte, die mich an dieſe Gegend feſſelten, öftere
Zuſammenkünfte auf ſpaniſchem Boden mit Perſonen,
die aus dem Hoflager hiezu eintrafen, nöthig machten.
Endlich ſchien Alles auf Abſchließung zu deuten,
und auch Maroto hatte in dieſem Sinne geſchrieben.
Da ward Duffeau, den er ein zweites Mal mit
geheimen Aufträgen, zu einem nochmaligen Verſuche
franzöſiſcher Mediation, nach Paris geſchickt, bei ſeiner
Rückkehr von Gendarmen aufgegriffen und vor den
Sous -Präfecten geführt. Nach einer halbſtündigen
Unterredung ließ ihn dieſer frei, gab ihm einen Paß
nach Spanien und befahl den Grenzbehörden ihm
keine Hinderniſſe in den Weg zu legen. In einer
einſamen Borda oberhalb St. Jean de Luz hatte ich
in der Nacht des 25. Juli eine Unterredung mit ihm;
es wurde mir nicht ſchwer ſie mit andern Nachrichten
zu combiniren und auf baldige ſichere Umwälzungen
zu ſchließen. Am folgenden 7. Auguſt war ich wie—
der in Spanien und kam in der Venta von Landi—
var mit dem Baron de Los Valles zuſammen.
Dieſer treue Diener des Königs ſah eben ſo klar wie
ich, doch mußte auch er auf ohnmächtige Klagen ſich
beſchränken, da den Wenigen, die eingreifen und helfen
387
konnten, der Muth oder der Wille fehlte. Am fol—
genden Tage ſprach ich in Bayonne Lord Ranelagh,
der aus dem Hoflager kam und meine Anſichten nur
beſtätigte.
Endlich kam am 10. die Nachricht von der In⸗
ſurrection des fünften Bataillons von Navarra unter
dem Hofcaplan Echeverria, der als ehemaliger
Präſident ihrer Junta großen Einfluß auf dieſe
Leute ausübte. Von nun an mußte Jeder, nicht gänz—
lich Befangene, mit jedem Tage einer ſchmählichen
Auflöſung entgegenſehen, da drei Parteien im eigenen
Feldlager, die Anhänger Maroto's, die Echever—
ria's und die wenigen unter ſich Entzweiten, die um
den König geblieben, ſich offener und gehäſſiger
bekriegten als je den Feind. Der 31. Auguſt beſtätigte
nur zu ſehr alle dieſe traurigen Ahnungen. Von
nun an ſchienen Alle im Hoflager den Kopf gänzlich
verloren zu haben; ſtatt die letzten Kräfte zu ſammeln,
eine Diverſion über den Ebro nach Caſtilien oder
Aragon zu unternehmen, den Kriegsſchauplatz in die
Umgegend der Hauptſtadt zu verſetzen oder ſich mit
Cabrera zu vereinen, dachten die Meiſten nur an
Flucht, an Rettung ihrer Perſon und Habe. Täglich
25 *
388
kamen hunderte von Beamten, Höflingen, Mönchen,
Frauen, meiſt aus der berüchtigten Klaſſe der Oja—
latéros auf franzöſiſchen Boden über Zugarramurdi
und die Alduiden; aus der Maſſe dieſer Flücht—
linge, die nun Bayonne und die umliegenden Orte
anfüllten, konnte man erſt recht entnehmen, welche
Landplage fie für Navarra und die drei baſkiſchen
Provinzen geweſen. Allerlei Gräuel wurden an der
Grenze an wehrloſen Greiſen und Frauen durch die
debandirten Navarreſen verübt, endlich am 6. Sep⸗
tember durch die Ermordung des General-Capitains
Moreno dieſen Schandthaten die Krone aufgeſetzt.
Am 13. September kam der König nach Urdax,
nur von einigen Bataillons und ein paar Eseadrons
gefolgt. Nach einigen Stunden ward bekannt, Eſpar—
tero ſei in Eliſondo eingerückt, worauf der König
ſeinen Adjutanten, General Zabala, an den fran—
zöſiſchen General Haris pe und den Sous-Präfecten
Hénault nach Bayonne ſchickte, feine Abſicht, ſich auf
franzöſiſchen Boden zu begeben, ihnen anzuzeigen und
anzufragen, welches Schickſal ihn und feine Anhänger
erwarte. Es ward ihm geantwortet, er würde mit
aller, ſeinem Range gebührenden Ehrfurcht behandelt
389
werden, auch Päſſe für ſich und fein Gefolge erhalten;
die höheren Offiziere (les chefs) ſollten ihre Säbel
behalten, die Truppen, nach erfolgter Desarmirung,
in Depots abgehen. Am 14. um 2 Uhr Nachmittags
waren alle Höhen, die Urdar von drei Seiten um—
geben, mit Feinden bedeckt; bald begann das canta—
briſche Bataillon, das die Zugänge des Dorfes beſetzte,
ein lebhaftes Feuer. Dann wurde Generalmarſch
geſchlagen, und von ſämmtlichen Truppen begleitet,
ritt der König der Grenze zu. Auf Befehl Elio's,
der in den letzten Tagen das Commando führte,
blieben die 100 Hatſchiere der Fußgarde in Urdax
zurück; an ihre Spitze ſtellten ſich Villarreal,
Gomez, der Graf von Madeira, Merino,
Zabala, die treu gebliebenen Häuptlinge, die ſo
oft größere Maſſen zum Siege geführt, und nun mit
dem letzten Häuflein den Schauplatz ihres Ruhmes
nur kämpfend verlaſſen wollten. Mehrere Offiziere
geſellten ſich zu ihnen, die feindlichen Kugeln zum
letzten Mal zu begrüßen; unter ihnen bemerkte man
den Grafen Stanislaus von Blacas, Sohn des
Herzogs von Blacas, der vor einigen Monaten ein—
getroffen war, ein liebenswürdiger junger Mann und
390
mein ſpäterer Reiſegefährte bis Bourges. Endlich ftieg
der Feind in das Thal von Urdax hinab, und unter
beſtändigem Feuer zogen ſich die Hatſchiere langſam
zurück. Die feindliche Cavallerie chargirte ſie; an der
Grenzbrücke Dancharria angelangt, feuerten ſie noch
einmal ihre Gewehre ab, und die Garde Carl's V.
war auf franzöſiſchem Boden.
Von der Brücke Dancharria bis zum Dorfe Ain—
hoa war franzöſiſches Linienmilitär aufgeſtellt. Augen-
blicklich wurde unſere Colonne desarmirt, und der
geſtrigen Verſprechungen ungeachtet, Niemand aus—
genommen. Der ſiegreiche Degen Villarreal's,
die Klinge des kühnen Gomez, die in der Sonne
der vier Andaluſien geſtrahlt, und viele andre in
hundert Gefechten erprobte Schwerter fielen in die
unreinen Hände franzöſiſcher Polizei- und Zollbeamten.
Als man auch den Infanten Don Sebaſtian ent⸗
waffnen wollte, weigerte er ſich und ſagte: dieſen
Säbel habe er ſiegreich geführt und würde ſich nie
von ihm trennen. Der franzöſiſche Commiſſär beſaß
noch ſo viel Scham nicht weiter zu inſiſtiren. Zwiſchen
zwei Reihen franzöſiſcher Soldaten wurde unſere Co—
lonne von Ainhoa links über die Nivelle nach dem
391
Dorfe Saint Pee geführt, und dem königlichen Ge—
folge bedeutet, dieß ſei, bis auf weitere Ordre, der
vorläufige Aufenthalt Aller. Ein Gendarmerie-Poſten
und einige Compagnien Infanterie beſetzten das Dorf
und die Zugänge zum Hauſe des Friedens-Richter,
das der König bewohnte. Alle umgrenzenden Höhen
bedeckten Truppen; wir waren alſo Gefangene.
Die düſtre Stimmung, die dieſer erſte Wortbruch bei
Allen hervorbrachte, entging den franzöſiſchen Behörden
nicht; auch ſchienen ſie einen verzweifelten Entſchluß,
vielleicht Aufruhr und Verſuch einer Rückkehr nach
Spanien zu befürchten. Als der Sous-Präfect im
kleinen Hausflur, der den königlichen Vorſaal ver—
trat, alle marquanten Perſonen gewahrte, wurde er
ängſtlich und erklärte, er könne zahlreiche Verſamm—
lungen nicht dulden; nur die im Dienſte wären, dürften
hier verbleiben. Den Eintritt zu wehren, ſetzten er
und der Friedens-Richter Goyeneche ſich vor die
Thür des kleinen Gemachs worin der König, die
Königin und der Prinz von Aſturien ſich befanden.
Demungeachtet gelang es doch einem nach dem Andern
durchzudringen, unſern unglücklichen Herrn zu ſprechen.
Der König war ſehr gefaßt; man ſah, daß er alle
392
Hoffnung nicht aufgegeben hatte. Er wußte nicht
was ihm bevorſtehe, doch als Einige von uns ihm
die gegründete Beſorgniß ausdrückten, die franzöſiſche
Regierung möchte ihn gefangen zurückhalten, wollte
er dieſem Gedanken nicht Raum geben und meinte,
es wäre ein undenkbarer Wortbruch gegen das feier—
liche Verſprechen, das im Namen des Königs der
Franzoſen und im Auftrage ſeines Miniſteriums durch
die Bayonner Behörden gegeben worden; überdieß wäre
es auch eine flagrante Verletzung des Völkerrechtes,
welche die drei nordiſchen Großmächte wohl nicht
dulden würden. Der Infant Don Sebaſtian war
ſehr aufgeregt, und ſagte mir einmal über das Andere:
„Wenn man mich noch zuletzt hätte handeln laſſen, in
Kurzem hätten wir einen zweiten Tag von Oriamendi
gehabt.“ Er ſchien unſern Wächtern vorzüglich Be—
ſorgniß einzuflößen, ſie beobachteten jede ſeiner Be—
wegungen ängſtlich und mochten wohl einen coup de
tete, etwa eine Rückkehr auf ſpaniſchen Boden, allein
oder mit einem Häuflein, befürchten.
Dieſer Zuſtand dauerte am folgenden 15. fort.
Der Telegraph hatte über die letzten Ereigniſſe nach
Paris berichtet, und die franzöſiſchen Behörden warte—
ten die Antwort ab. Am 16. Morgens kam fie, und
lautete: die Truppen ſollten nach Marrae und in
andere Orte um Bayonne ſo ſchnell als möglich ge—
führt, und von dort nach verſchiedenen Punkten im
Innern Frankreichs internirt werden, die Häuptlinge bis
auf weitere Ordre ſich nach Bayonne verfügen. Der
königlichen Familie wurde nur eine ganz kleine Umgebung
gelaſſen, mit der ſie in Begleitung eines Polizei-Com—
miſſairs und unter ſtrenger Bewachung nach Perigueur
abgehen ſolle. Jedem ward die Stunde ſeines Abgangs
beſtimmt, und Niemand durfte länger verweilen oder
ſich von dem vorgezeichneten Wege entfernen. Gegen
Mittag ritt auch ich mit dem Grafen von Blacas
und dem Baron de los Valles ab; Bayonne war
mit Carliſten angefüllt und beinahe nirgends Platz
zur Unterkunft. Als es hieß, der König würde Abends
durch Bayonne kommen und Pferde wechſeln, ver—
ſammelten ſich viele ſeiner Anhänger auf dem Platze,
Abſchied von ihm zu nehmen. Doch ſobald dieß den
franzöſiſchen Behörden bekannt ward, ließen ſie die
Poſtpferde auf die Höhe von Saint Eſprit, außerhalb
der Stadt ſtellen und den König bei Nacht und Regen,
nach gefliſſentlich verzögerter Abreiſe, durch Bayonne
39
in größtem Galopp führen. Nur wenige von uns
erlangten durch Zufall hievon Kenntniß und liefen
auf die beſagte Anhöhe, wo eben drei Wagen hielten,
von Polizeidienern und Gendarmen umgeben. Wir
drängten uns durch ſie, zum Erſten und klopften an
das Fenſter. Der König, die Königin, der Prinz von
Aſturien und Don Sebaſtian ſaßen darin; doch
kaum hatte mir der unglückliche Herr die Hand ge—
geben, ich ihm meine letzten Wünſche und Hoffnungen
zugerufen, fo ſaßen ſchon die Poſtillone auf, der
Sous -Präfect rief „en avant” und pfeilſchnell ver-
lor ſich der Wagen in Nacht und Nebel; er führte
gefangen den königlichen Herrn ab, mit dem ich
gehofft hatte ſiegreich in die Hauptſtadt ſeines Reiches
einzuziehen.
Zehn Tage darauf war ich in Bourges, der Stadt,
die dem Könige als Gefängniß angewieſen worden. Im
Hötel de la Panette ſah ich den unglücklichen Fürſten
wieder, der als Opfer des ſchändlichſten Verrathes und
der Indifferenz unſerer Zeit gefallen. Die franzöſiſche
Regierung glaubte vielleicht den Spaniern, durch un—
würdige Gefangenſchaft ihres Königs, den Frieden zu
geben. Die letzten Ereigniſſe haben dieſe Hoffnun—
gen zu nichte gemacht. Eine große hiſtoriſche Ge—
rechtigkeit hat Carl V. und ſeine Vertheidiger gerächt.
Kaum hatte der letzte carliſtiſche Soldat Spanien ver—
laſſen, als derſelbe Zwieſpalt im Hofe und Lager
unſerer Feinde ausbrach, der unſern Untergang be—
ſchleunigt hatte. Die Ereigniſſe von Barcelona und
Valencia, die gewaltſame Abdieation der Königin
Chriſtine, und in der neueſten Zeit die Reaction ihrer
Anhänger in den Provinzen, haben die Unhaltbarkeit
einer conſtitutionellen Regierung auf revolutionär moder-
ner Baſis gezeigt. Das Blut Diego Leons und
aller politiſchen Opfer für die Eſpartéèro kein Wort
der Gnade fand, ſchreit um Sühne; noch iſt der Auf—
ſtand in dem alten Kriegsſchauplatze kaum gedämpft,
noch haben ſich die Folgen der militäriſchen Despotie
=
z
—
des Regenten dort nicht gezeigt, und ſchon regen ſich
in den großen Städten der Oſtküſte überall thätig
republikaniſche Sympathien. Spanien iſt gewiß von
Frieden und Ruhe entfernter als je. Ströme Blutes
werden noch in dieſem Lande fließen, große Bewegun—
gen ſich heben und legen, viel muß noch ausgähren.
Das Ende mag Gott allein abſehen; Meuſchen haben
nichts gethan, um es herbeizuführen.
Inhalt des erſten Theils.
Seite
I. Ankunft in Bayonne. — Zug über die Grenze. —
Zugarramurdi. — Yrun. — Don Diego Miguel
de Garcia. — Gefecht von Amezagana. — Anz
kunft im Königlichen Hoflager. (4. bis 10. März
IRB ae re 1
II. Das Minifterium. — Der König. — Zug bis
Betelu. — Combinirte Operation des Feindes. —
Der Infant Don Sebaſtian und ſein Gefolge. —
Schlacht von Oriamendi. — Gefecht bei Galda-
cand. — Rückblick auf den Kriegsſchauplatz und
Stärke der carliſtiſchen Truppen. — Ueber die
Intriguen im Hauptquartier. — Herr von Corpas
und die Camarilla. — Azcoitia und Loyola. —
Pater Gil und die Jeſuiten. — Der ſpaniſche
Clerus. — Die Fremdenlegion. — Abmarſch nach
Toloſa und Aufenthalt eee (11. März bis
Ende April 1837.) ; 25
III. Arreſtation des Generals Eguia. — Ausmarſch be
Königlichen Expedition. — Uebergang des Arga
und Aragon. — Zug durch das obere Aragon. —
Schlachten von Huesca und Barbaſtro. — Ueber:
gang des Cinca. — Zug durch Catalonien. —
Schlacht bei Guiſona. — Einzug in Solſona. —
Die cataloniſchen Häuptlinge. — Marſch bis zum
Ebro. (Anfang Mai bis 28. Juni.) . 1
IV. Uebergang des Ebro. — Affaire von Tortoſa. —
Cabrera. — Marſch durch Valencia. — Rück⸗
3 ‚ nn Seite
marſch in die Berge. — Gefecht von Chiva. —
Marſch bis Cantavieja. — Züge durch das Niedere
Aragon. — Schlacht von Herrera und Villar de
los Navarros. — Marſch durch Caſtilien bis vor
die Thore von Madrid. (29. Juni bis 12. Sep⸗
tember 1837.) . 2 5 165
V. Rückzug bis zur Alcarria. — Die Han be
Mancha. — Einnahme von Guadalajara. —
Affaire von Aranzueque. — Rückmarſch durch
Neu- und Alt⸗Caſtilien. — Uebergang des Duero
bei Gormaz. — Vereinigung mit Zaratiegui und
Affaire bei Aranda de Duero. — Marſch in die
Pinaren. — Der Pfarrer Merino. — Schlacht
von Retuerta. — Theilung des Expeditions-Corps
und Züge in den Pinaren. — Marſch bis Caſa
de la Reina. — Moreno's Journal. — Trennung
vom Infanten und mein Marſch über den Ebro bis
Eſtella. (13. September bis 21. October 1837.) 227
VI. Stimmung des Volks und Heeres bei Rückkehr des
Königs. — Das Manifeft von Areiniega. — Arre—
ſtationen und Veränderungen. — Don Juan Eche—
verria. — Der Graf von Madeira. — Amurrio. —
Don Baſilio's Expedition. — Ausflug nach der
Küſte. — Urbiztondo's Rückkehr. — Das Hoflager
in Azeoitia. — Unterhandlungen mit dem franzö—
ſiſchen Conſul in Bilbao. — Das Hoflager in
Eſtella. — Negris Expedition. — Ritt nach Zu—
garramurdi und Rückkehr durch den Baſtan. —
Abreiſe. (November 1837 bis 1. April 1838.) 303
Inhalt des zweiten Theils.
J. Gefangennehmung und Freilaſſung des Erzbiſchofs 5
von Cuba. — Die Legitimiſten in Marſeille. —
Reiſe durch Süd- Frankreich. — Maroto's Töch—
ter. — Don Manuel Valdes. — Biographiſche
Skizzen über Maroto. — Von Bordeaur bis zum
Schloſſe von Marrac. — Die Schmuggler in den
Pyreneen und Zug über die Grenze. — Beſuch
bei Moreno. — Maroto's erſtes Auftreten. —
Ankunft im Königlichen Hoflager zu Elorrio.
(April bis zweite Hälfte Juli 1838.) . 1 5
II. Abgang vom Hoflager. — Eſpartéro's N
Angriff von Eſtella. — Der Biſchof von Leon.
Triſtany. Don Pedro Raton, Beichtvater des
Königs. — Merino über Fürſt Metternich. —
Nit dem Sous-Präfecten von Bayonne contrahirter
Uebergang auf franzöſiſchen Boden. Sein Urtheil
über Maroto. — Ueber die ſpaniſchen Flüchtlinge
und Granden. — Graf Peyronnet in Monfer-
rand. — Unthätigkeit im Hauptquartier. — Tou⸗
loufe. — Perpignan. — Zug über die öſtlichen
Pyreneen bis nach Catalonien. (Ende Juli bis
Mitte September 1838.) . - 59
III. Die Carabiniers der ſpaniſchen Ane — Sg
in den Gebirgen bis Rivas. — Reminiscenzen
der Catalonier an das Haus Oeſterreich. — Schar—
mützel in der Rectoria de Fuſtina. — Diner des
Ayuntamiento von Gumbren. — Drei weibliche
Seite
Generationen in Puch Bo. — Anblick des Mon—
ſerrat. — Militäriſche Etabliſſemens in Bor—
radä. — Berga. — Ankunft in Caſerras, dem
Hauptquartier des Grafen de Eſpanßa. — Seine
Umgebung. — Der Graf de Efpana. — Meine
Wohnung vor den Vorpoſten. — Ein Tag im
Hauptquartier. (Zweite Hälfte September 1838.) 123
IV. Skizzen über den Grafen de Eſpana und den letzten
Krieg in Catalouien . 4 4 5 179
V. Executionen des Grafen de Epe, — Frau von
Mondeden. — Vorſchlag und Brief an Cabrera. —
Eröffnung der Campagne. — Requiſitionsmittel. —
Der Pfarrer von Valſarén. — Lit de Justice in
Caſerras. — Expedition vor Cardöna. — Marco
del Pont. — Hauptquartier im Priorate Puig—
Reig. — Zerſtörung der Häuſer um Berga. —
Expedition nach dem obern Segre und dem Thale
von Aran. — Die Republik Andorra. — Ein⸗
nahme von Viella. — Affaire an der Brücke von
Escalö. — Rückzug bis Oliana. — Abgang von
der cataloniſchen Armee und Zug bis Perpignan. —
Ueber die Ermordung des Grafen de Eſpaña.
(Ende September 1838 bis Neujahr 1839.) 2231
VI. Ueber die Fuſiladen von Eſtella. — Progreſſiver
Gang des Verrathes Maroto's bis zur Con—
vention von Vergara. — Meine Arreſtation. —
Züge durch Frankreich und an der Grenze. —
Saint Bee und Bourges. (1839.) . ; 337
7.
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