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Full text of "Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839"

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Erinnerungen 


aus den Jahren 


1837, 1838 und 1839. 


Zweiter Theil. 


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Erinnerungen 


aus den Jahren 


1837, 1838 und 1839. 


Das Leben nach dem Kriege iſt ein 
langweiliges Schildwacheſtehen. — 
Raupach. 


Zweiter Theil. 


Frankfurt am Alain. 


Druck und Verlag von Johann David Sauerläuder. 


1841. 


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1. 


Gefangennehmung und Freilaſſung des Erzbiſchofs von Cuba. — 

Die Legitimiſten in Marſeille. — Neife durch Süd- Frankreich. — 

Maroto's Töchter. — Don Manuel VBaldes. — Biographiſche 

Skizzen über Maroto. — Von Bordeaux bis zum Schloſſe von 

Marrac. — Die Schmuggler in den Pyreneen und Zug über die 

Grenze. — Beſuch bei Moreno. — Maroto's erſtes Auftreten. — 
Ankunft im Königlichen Hoflager zu Elorrio. 


(April bis zweite Hälfte Juli 1838.) 


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1 


Die erſte Nachricht, die mir in Paris zukam, 
war die Arreſtation des Erzbiſchofs von Cuba. Dieſer 
Prälat ſchien beſtimmt, eine große Rolle in allen unſe— 
ren Angelegenheiten zu ſpielen, auch ward ſeine Gefan— 
gennehmung von Vielen als ein wahres Unglück betrach— 
tet. Mehrere gemäßigte Perſonen aus dem Hoflager 
und Heere hatten dem Erzbiſchof nach England geſchrie— 
ben und ihn dringend aufgefordert, ſich nach dem 
Kriegsſchauplatze zu begeben, ohne erſt königliche Be— 
fehle abzuwarten. Seine Gegenwart, ſein perſönlicher 
Einfluß auf den König würden genügen, die ſchäd— 
lichen Maßregeln zu neutraliſiren und den Eingriffen 
Schranken zu ſetzen, die Arias-Teijeiro's Ver⸗ 
waltung auf eine ſo traurige und erbärmliche Weiſe 
ſignaliſirten. Der Erzbiſchof gab nach und gelangte 
glücklich bis Bayonne. Durch die Ungeſchicklichkeit 


feines Guiden ward er eine Viertelftunde von der Stadt 
von einem Douane-Poſten aufgegriffen und nach mehr— 
tägiger Haft in feinem Hotel zu Bayonne unter Es— 
corte nach Bordeaux, von dort nach Tours geführt, 
und dieſe Stadt ihm auf Ehrenwort als Gefängniß 
angewieſen. 

Ich kannte den Erzbiſchof nicht, und hatte im 
Hoflager nur ſelten von ihm gehört, da es in Spa— 
nien angenommene Maxime ſcheint, daß von Macht— 
habern, die abgetreten ſind, ebenſowohl als von denen, 
die eintreten könnten, nie geſprochen wird. Niemand 
will das Anſehen haben, als bedauere er die Vergan— 
genheit oder hoffe Aenderung von der Zukunft. Das 
Bild, das ich mir ſonach von dem Charakter und der 
Wirkſamkeit des Erzbiſchofs entwarf, konnte nur ſehr 
unvollkommen ſein. Doch waren alle ſpaniſchen und 
franzöſiſchen Carliſten in Frankreich in ihrem Lobe 
über ihn im vollkommenſten Einklange, wie auch in 
Paris mehrere gewichtige Perſonen dieſem ebenfalls 
beiſtimmten. Beſonders ſchien Eines klar hervorzu— 
gehen, daß der Erzbiſchof das Vertrauen und die Ach— 
tung nicht nur der befreundeten Höfe, ſondern ſelbſt 
uns feindlicher Regierungen genieße, ja ſogar einer 


hohen, öffentlich uns entgegenſtehenden, — doch gewiß 
im Herzen nicht abgeneigten — Perſon eine feſtbe— 
gründete Meinung von ſeiner aufgeklärten, gemäßigten 
Politik einflöße. 

Ich ward aufgefordert an ſeiner Freilaſſung zu 
arbeiten. Einige Briefe, die der Banquier Jauge 
mir brachte, beſtimmten mich es zu thun. Ich begab 
mich zum Grafen A... „der meine Eröffnungen und 
Bitten freundlich aufnahum und mit Ludwig Philipp 
davon zu reden verſprach. Tags darauf erhielt ich 
eine nach den beſtehenden Verhältniſſen möglichſt gün— 
ſtige Antwort, und nach wenigen Stunden befand ich 
mich auf dem Wege nach Tours. Ueber meinen ſechs— 
ſtündigen Aufenthalt in dieſer Stadt und eine Unter— 
redung, die mit allen ihren Details nie aus meinem 
Gedächtniſſe ſchwinden wird, muß ich mich aller Ver— 
öffentlichung enthalten. — Nach einigen Wochen verließ 
der Erzbiſchof Tours, mit einem Regierungspaß ver— 
ſehen, der ihm die Reiſe nach Italien geſtattete. 
Beim Umſpannen des Poſtwagens in Lyon nahm ein 
Anderer, ihm gleich gekleideter, ſeine Stelle ein, und 
der Erzbiſchof, von einem franzöſiſchen Legitimiſten 
geführt, ward über Toulouſe nach Bayonne in größ— 


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ter Eile gebracht. Unvermuthet traf er in Onate ein, 
wo der König ſich eben aufhielt. Seine Ankunft war 
ein Blitzſchlag für Arias-Teijeiro und Conſorten. 
Eine radicale Veränderung ward von Allen als unfehl— 
bar angeſehen. Da man nun vollends erfuhr, daß 
der König den Erzbiſchof fogleich vorgelaſſen und 
umarmt habe, daß hierauf eine mehrſtündige Audienz 
ohne Zeugen erfolgt ſei, ſtieg die Spannung auf das 
Höchſte. Umarmung und Audienz haben damals einen 
großen Anklang, langen Nachhall dieß- und jenſeits 
der Pyreneen bei allen Royaliſten gehabt. Doch iſt, 
wie es ſo oft geſchehen, nichts erfolgt. Vielleicht 
trat der Erzbiſchof zu haſtig auf, entwickelte zu viel 
Plane, zu große Veränderungen; gewiß iſt, daß er 
den erſten günſtigen Moment nicht zu benützen ver— 
ſtand. Die herbſte Täuſchung erfolgte, als nach meh— 
reren Wochen noch immer Arias-Teijeiro am 
Ruder war und der Erzbiſchof ohne offizieller Stellung, 
mit geſchmälertem Anſehen, dem Hoflager gleich jo 
vielen Anderen nachzog. Dieſes momentanen Sieges 
über den Erzbiſchof ungeachtet, hat mir Arias— 
Teijeiro meine Mitwirkung an der Freilaſſung ſei— 
nes politiſchen Feindes nie vergeben; ſpäter indirect 


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vorgeworfen und ſo lange er ſich im Miniſterium befand, 
ſtets bitter und empfindlich fühlen laſſen. Doch auch 
durch ſeinen Sturz wurden nicht viel heilſame Verän— 
derungen ins Leben gerufen, und als viel ſpäter, zu 
einer ſehr unglücklichen Epoche, der Erzbiſchof an die 
Spitze der Geſchäfte geſtellt wurde, hat auch er ſeinen 
Glauben an Maroto bitter gebüßt und bereut. Ge— 
wiß betrauert er jetzt das Vertrauen, das er in dieſen 
Mann geſetzt; denn einer Mitſchuld — auch nur in 
Gedanken, in geheimſten Wünſchen — ſpreche ich den 
Erzbiſchof aus innerſter Ueberzeugung gänzlich frei, 
obwohl mir recht wohl bewußt iſt, daß viele, zum 
Theil gutgeſinnte Perſonen, ihn gern in das dunkle, 
verworrene Gewebe mit einflechten möchten, das mit 
Maroto's erſtem Eintritt in Spanien begann, ſich 
durch die Fuſilladen von Eſtella auch dem Verblendet— 
ſten offenbarte und mit dem Verrathe auf den Feldern 
von Vergara ſchloß. 


Nach kurzem Aufenthalte zu Paris, Salzburg, 
Wien und Modena, ſchiffte ich mich am 25. Juni 1838 
in Genua ein. Ein ungariſcher, unter einem alltäg— 


lichen Namen ausgeftellter Paß, mit allen Viſas ver- 
ſehen, ſollte meinen Eintritt in Frankreich und meine 
Reiſe bis Bayonne erleichtern. Als ich in Marſeille 
landete und meine Effecten nach der Douane begleitete, 
ſah ich mich von einigen Perſonen gefolgt, die ſich 
allmählig mir zu nähern trachteten. Ich hielt ſie für 
Polizei-Agenten und wich ohne Affectation den Unter— 
redungen aus, die ſie anzuknüpfen trachteten. Einer 
von ihnen, ein beleibter Vierziger, zog ein kleines 
weißes Blümchen aus der Rocktaſche, ſteckte es an 
ſein Knopfloch und fixirte mich dabei bedeutungsvoll. 
Da auch dieß den erwarteten Effect nicht hervorbrachte, 
gab er einem vor der Douane bettelnden Greiſe mit 
halbgeheimnißvoller Würde einen Franken mit den 
Worten: priez pour notre jeune Roi, mon brave. 
Als die Reihe an mir war meine Koffer öffnen zu 
laſſen, ſagte er mir, es würde mir wahrſcheinlich 
unangenehm ſein, wenn in meinen Sachen gewühlt 
werde, und ohne meine Antwort abzuwarten, wechſelte 
er mit einem der Zollbeamten einige Worte, worauf 
mich beide lächelnd anſahen. Es wurden auf meine 
noch verſchloſſenen Koffers einige Striche mit Kreide 
gemacht und ich war abgefertigt, während die ſchöne 


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Sängerin Mlle. Falcon, die auf demſelben Dampf— 
ſchiffe mit mir angekommen, noch einige Stunden 
harren und ſich einer gründlichen Durchſuchung ihrer 
Habe unterwerfen mußte. — Als ich die Douane ver— 
ließ, kam mein unbekannter Gönner auf mich zu: 
„Sie müſſen in dem Hotel — — einkehren; hier iſt 
ein Herr, der Sie führen wird.“ Ohne mir ſelbſt 
Rechenſchaft geben zu können, gehorchte ich ſchweigend 
und folgte einem wohlgekleideten Manne, der mich 
am Thore verließ, nachdem er dem Wirthe zugeflüſtert: 
C'est lui. — Ich ward vortrefflich aufgenommen, der 
Wirth beſorgte noch denſelben Abend das Viſa meines 
Paſſes bis Bayonne, obgleich dieß ſonſt mit viel 
Schwierigkeiten verknüpft iſt und das Bureau bereits 
geſchloſſen war. Endlich um die Myſtification voll— 
ſtändig zu machen, konnte ich nur mit größter Mühe 
meine Rechnung erlangen, da der Wirth durchaus kein 
Geld von mir nehmen wollte, ein in Frankreich gewiß 
unerhörter Fall, wo die Gaſtwirthe qui se piquent 
de royalisme, die Kreide bei ihren politiſchen Kunden 
gewöhnlich doppelt zu führen wiſſen. Noch dieſelbe 
Nacht war ich auf dem Wege nach Montpellier, und 
erſt nach mehreren Monaten habe ich erfahren, daß 


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ich für eine damals von den ſüdfranzöſiſchen Legiti— 
miſten erwartete Perſon gehalten wurde, die aber nicht 
eintraf. 

Wer nie in franzöſiſchen Diligencen gefahren, 
dem rathe ich dringend davon ab, wenn es nur 
deßhalb wäre, um nicht die abgeſchmackten Prahlereien 
und den kraſſen Unſinn anhören zu müſſen, den die 
ſtets prävalirenden Muſterreiter mit möglichſter Inſolenz 
und Stentor-Stimme vorbringen. Ich ſaß mit 
meinem Kammerdiener leider im Interieur. In Montes 
pellier occupirten vier dieſer Commis-Voyageurs die 
übrigen Plätze und ſetzten durch mehrere Stunden meine 
Geduld auf eine harte Probe, indem ſie, ſich gegen— 
ſeitig beſtändig unterbrechend, in einem Accent, der die 
Ufer der Garonne und des Gers verrieth, ihre Heldentha— 
ten und galanten Abenteuer ſich vorpoſaunten. Endlich 
wandte ſich einer nach mir: et vous Monsieur, dans 
quoi faites vous? (Die conſacrirte Redensart) worauf 
ich auf meinen bärtigen, mir gegenüber ſitzenden Diener 
weiſend, erwiederte: Mon ami est prévot de salle 
et je suis maitre d’armes, nous allons donner un 
assaut a Toulouse. Ein langes Schweigen bewies 
mir den Eindruck, den unſer gefährlicher Stand auf 


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meine ruhmredigen Reiſegefährten gemacht, und von 
dieſem Augenblicke an wurden ſie ſo beſcheiden und 
höflich als ſie vorher unausſtehlich geweſen. Keiner 
lehnte ſich mehr auf mich, man klopfte vor meiner 
Naſe keine Pfeife mehr aus und ſpuckte nicht über 
mich weg zum Fenſter hinaus. Bei Tiſche wurden 
mir die Schüſſeln zuerſt offerirt, ſtatt daß auf dem 
erſten Halte fie mit Heißhunger und unnachahmlicher 
Präziſion ſtets die beſten Stücke weggefangen hatten. 
— In Narbonne verließen ſie mich und wünſchten mir 
allen Erfolg zu meinem Aſſaut, das ſie zu beſuchen 
ſich vornahmen, wogegen ich, ihre Höflichkeit zu er— 
wiedern, ihnen Freibillets anbot. Ein paar Stunden 
ſpäter in Carcaſſonne war die Diligence mit chriſtini— 
ſchen Offizieren angefüllt, die mir nicht weniger 
unleidlich waren, durch die endloſen Lügen, die ſie 
ſich über die Carliſten erzählten. Doch dachten ſie, 
ich verſtände kein Wort, und ließen ſich deshalb nicht 
ſtören, ſo daß ihre Converſation einige für mich nicht uner— 
hebliche Data abgab; unter andern waren ſie alle darüber 
einig, daß, hätten wir am 12. September 1837 
Madrid eingenommen, Eſpartéro und fein Heer 


tambour battant zu uns übergegangen wären. 


16 


In Toulouſe ſuchte ich den carliſtiſchen Com— 
miſſair Marquis dd auf, der mir Maro— 
to's Ernennung zum Commando des Heeres mit— 
theilte. Seine Ankunft im Hoflager hatte ich bereits 
in Modena erfahren, doch ſchien der König über feine 
Verwendung unſchlüſſig, als die Niederlage Guer- 
gué's vor Penñacerrada, worauf der Verluſt dieſes 
wichtigen Platzes erfolgte (22. Juni 1838), dieſelbe 
beſchleunigte. Mir war GuéErgué fo zuwider, daß 
ich jede Veränderung mit Freuden begrüßt hätte, um 
ſo mehr die Ernennung eines Generals, der damals 
die Meinung der Armee beinahe gänzlich für ſich hatte. 
Alle nicht- offiziellen Briefe aus dem Hoflager und 
Hauptquartier waren hierüber im Einklange, daß 
Soldaten und Landleute mit Jubel Maroto's 
Berufung aufgenommen; er war der Freund der ver— 
bannten und abgeſetzten, jo hochverdienten, jo allge— 
mein beliebten Generale. Ihre Kerker würden ſich 
öffnen, die Exile enden, und in neuem Leben und 
Glauben, in Thatkraft und Hoffnung unſere apathiſch 
und mißmuthig gewordenen Bataillone dem Feinde ent— 
gegenmarſchiren. — Der Baron de los Valles war 
mit bedeutenden Subſidien von ſeiner nordiſchen Miſſion 


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zurückgekehrt; endlich — ſo dachten Alle — werden 
neue Siege erfochten werden, wird alte Glorie wieder— 
kehren. 

Als ich von Toulouſe nach Bordeaux kam, führte 
mich mein Freund, der General-Conſul Meyer, zu 
Maroto's Töchtern. Sie wohnten auf eine halbe 
Stunde von der Stadt, in einer kleinen Villa, Alle 
magne genannt, die Maroto vor einigen Monaten um 
fünfzigtauſend Fr. gekauft und daſelbſt in aller Ruhe 
und Zurückgezogenheit den Moment ſeiner Einberufung 
abgewartet hatte. Dieſe zwei Mädchen waren liebliche 
Geſchöpfe; im Peru geboren, zu Granada erzogen, 
war ihr ſüdlicher Typus unverkennbar; kleine Füße, 
niedliche Hände, große dunkle Augen und lange ſeidne 
Wimpern. Beſonders war die jüngere ein zauberiſches 
Weſen, der eine düſtere Melancholie, ein ſchwärmeri— 
ſcher halbvoilirter Blick einen eigenen Reiz verlieh. 
Sie ſprach mit wehmüthiger Begeiſterung von ihrem 
Vater, der ſich, nach ihrem Ausdruck, „geopfert habe 
und fallen würde.“ Wenige Tage vor meinem Beſuche 
in Allemagne hatte dieſes achtzehnjährige Mädchen 
einen für ein Weib gewiß ſeltenen Beweis von Geiſtes— 
gegenwart und Muth gegeben. Sie hörte bei Nacht 

II. 2 


18 


in dem Zimmer neben ihrem Schlafgemach einbrechen, 
erhob ſich ruhig, ohne ihre Schweſter zu wecken, 
ergriff ein Gewehr und ſchoß durch die halbgeöffnete 
Thür nach dem Diebe, den ſie freilich fehlte, der aber 
eiligſt davonlief. 

In Bordeaux traf ich Don Manuel Valdéès 
wieder, der unter dem Namen le beau Valdes im 
Faubourg St. Germain und als el Valdes de los 
gatos “) in ganz Spanien viele zarte, mitunter roman⸗ 
tiſche Erinnerungen zurückgelaſſen, die bis auf den 
heutigen Tag fortleben. Er hatte ſich in Valladolid 
Zaratiegui's Expedition angeſchloſſen und wäre 
von nicht unbedeutendem Nutzen geweſen, wenn nicht 
einige Perſonen aus der Umgebung des Königs, — 
ihm aus früheren Zeiten abgeneigt — feine Entfer- 


*) DBaldes, feiner klaſſiſchen Schönheit wegen in den ſchö— 
nen Heſperiden berühmt, ſtand einſt bei einer hohen 
Frau in großer Gunſt. Als nun jemand einmal 
ihre prächtige Angora-Katze lobte, erwiederte ſie: „Ja, 
es iſt der Valdes unter den Katzen“ (el Valdes de 
los gatos). Dieſer Beiname, unter dem ihn jeder 
Spanier und befonders jede Spanierin kennen, iſt ihm 
ſeither geblieben. 


nung bewirkt hätten. Ich ſah ihn zuerſt vor Aranda, 
als wir mit Verfolgung der Colonne Lorenzo's 
beſchäftigt waren. Er war damals Oberſtlieutenant 
im Generalſtabe Zaratiegui's. Seine mitten im 
Feuer elegante und ſoignirte Toilette fiel mir ſogleich 
auf und ſtach gegen unſere zerfetzten und abgetragenen 
Röcke ſehr ab. Valdes kannte Spanien und alle 
agirenden Perſonen genau, ſein Urtheil war ſtets tref— 
fend, und oft hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß 
er mit viel Richtigkeit ſpäter eingetroffene Ereigniſſe 
vorher ſagte. Als ich mitten im allgemeinen Enthu— 
ſiasmus, der alle Royaliſten damals bei bloßer Nen— 
nung des Namens Maroto's ergriff, ihn um ſein 
Urtheil über den neuen commandirenden General fragte, 
äußerte er ſich zu meiner großen Verwunderung gering— 
ſchätzig und mit jener kalten Verachtung (desdeno ), 
die ſpaniſchen Phyſiognomien einen eigenen Ausdruck 
von Hochmuth verleiht. Bei der erſten Nennung 
des Namens Maroto's waren die Worte Ayacucho 
und Baratéro *) die erſten Epitheten, die er dem Manne 


*) Ayacucho iſt bekanntlich der Spottname Jenen beigelegt, 
die im ſpaniſchen Amerika dienend, durch Unterzeichnung 


0 * 


20 


gab, von dem das Wohl und Wehe der königlichen 
Sache abhing. 

Nach vielem Fragen und Drängen um Erklärung 
dieſer damals unerhörten, mir unerklärlichen Worte, 


des ſchmählichen Traktats von Ayacucho das feſte Land 
der Krone aufgaben. Das Wort Baratéro hat viele 
Bedeutungen; dem Wortlaut nach bezeichnet es Karten— 
miſcher und Würfelwerfer; doch hat es im Mund des 
Volks noch einen beſondern Sinn und begreift eine 
Klaſſe von Menſchen, die in jedem Regiment anzutreffen 
waren. Sie führten ſtets Karten und Würfel bei ſich, 
und wenn Soldaten ſpielen wollten, ſo zwangen ſie ſie 
gegen eine vom Gewinner zu entrichtende Retribution 
ſich ihres Vorraths zu bedienen. Auf Weigerung 
erfolgte ſtets Streit und eine Herausforderung, die 
früher mit dem Degen, in den letztern Zeiten mit 
dem langen Meſſer, Cuchillo, ausgefochten wurde. 
Die Baratéros waren meiſt bekannte Spadaſſins, die 
über den Ausgang ihrer Händel ziemlich ruhig ſein 
konnten. Einige haben ſich im letzten Kriege zu bedeu— 
tenden Poſten emporgeſchwungen. Ihr Metier war 
durch die Ordonanz beider Heere ſtreng verpönt, doch 
nicht auszurotten. Ich habe Mehrere, beſonders in 
den cataloniſchen Guerillas geſehen, wo ſie um ſo 
gefährlicher waren, als dort jeder Soldat das Cuchillo 
als Nationalwaffe führt. Bei aller durchgreifenden 


21 


machte er mich mit einem alten Spanier befannt, der 
lange in Amerika gedient und nicht unbedeutende Poſten 
bekleidet hatte; dieſer kannte Maroto genau, und 
ging in viele Details, meiſt gemeiner Natur, über ihn 
ein. Aus ſeinen Erzählungen, die ich im Weſent— 
lichen notirte und ſpäter zu vervollſtändigen Gelegen— 
heit fand, mag hier Folgendes über den Mann Platz 
finden, der gewiß nie einen auch noch ſo anſpruchloſen 
Biographen gefunden hätte, wenn nicht ſeine, in allen 
Kriegsgeſchichten beiſpielloſe, Verrätherei ihm welthiſto— 
riſche Berühmtheit ſicherte, jene Unſterblichkeit verliehe, 
die den Namen Heroſtrats durch alle Zeiten getragen hat. 

Rafael Maroto ward um das Jahr 1785 zu 
Lorca, einem kleinen Orte im Königreiche Murcia, 
geboren. Bei geringer Herkunft — ſein Vater war 
Douanier — entbehrte er auch aller Erziehung. Als 
1808 der Krieg mit Frankreich ausbrach, ließ er ſich 


Strenge des Grafen de Eſpana ſcheiterte feine Macht 
am Cuchillo; er konnte es nicht abſchaffen, und mußte 
ſich darauf beſchränken das Einhauen oder Sägen der 
Klinge (dentelar) zu verbieten, das jede Heilung un— 
möglich macht. ö 


bei einem im Königreiche Valencia gebildeten Freicorps 
anwerben. Nach drei Jahren erhielt er von der Re— 
gierungsjunta dieſer Provinz ein Lieutenants-Patent. 
Zu dieſer Zeit ſoll er in Burgos eine Uhr geſtohlen haben. 
Einige behaupten, es ſei im Pallaſte des Erzbiſchofs 
geſchehen, während er mit dem übrigen Offizier-Corps 
dem Prälaten einen Beſuch abſtattete, Andere erzählen 
es wäre in ſeinem Quartier geweſen. Der Ort ſcheint 
mir ziemlich gleichgültig, ſo viel iſt jedoch gewiß, daß 
dieſer Uhrdiebſtahl ſehr bekannt und in ganz Spanien 
allgemein verbreitet war. Ich ſelbſt habe ſpäter einen 
Offizier geſprochen, der zur Zeit des Diebſtahls in 
Burgos diente und ſich ſehr wohl deſſelben erinnerte. 
Die Sache kam nach wenigen Tagen heraus, und 
Maroto hatte nur der großen Unordnung, die damals 
in allen Branchen herrſchte, zu danken, daß er mit 
Caſſirung davon kam. Die Provinzial-Regierungs— 
junten, von der Regentſchaft zu Cadiz beinahe gänzlich 
unabhängig, verliehen damals ſelbſtſtändig Grade und 
theilten Patente aus; ſo konnte auch Maroto nach 
einiger Zeit in einer andern Provinz wieder Anſtel— 
lung erlangen. Der fortwährende Krieg hob ihn ſchnell 
und 1814 war er bereits Oberſtlieutenant. 


Die ſpaniſche Regierung gab gewöhnlich jedem 
Offizier, der nach Amerika verſetzt ward, einen Grad 
mehr, der vom Tage an galt, als er amerikaniſchen 
Boden betrat. Nach Beendigung des franzöſiſchen 
Krieges lief die ſpaniſche Domination auf dem ame— 
rikaniſchen Continente bekanntlich große Gefahr, da 
die inſurgirten Creolen, die ſich in allen Theilen erho— 
ben, mächtig zunahmen und bedeutende Fortſchritte zu 
machen begannen. So geſchah es, daß auf ſein An— 
ſuchen Maroto den Befehl des Regiments Talavera 
mit Oberſten-Charakter erhielt. Am 10. Mai 1815 
landete er in Chili mit 400 Mann, welche die ſoge— 
nannte erſte Expedition bildeten. Die zweite, aus 
480 Mann beſtehend, folgte unter dem Oberſten 
Balleſteros. Allen Nachrichten zufolge hat Ma— 
roto keinen ſehr thätigen Antheil an den Gefechten 
genommen, die damals ſo häufig und mit geringen 
Kräften in allen Präſidentſchaften gegen die zahlreichen 
Inſurgenten geliefert wurden. Nach kurzer Zeit ward 
er vom Commando ſeines Regiments entfernt und 
dem in Peru commandirenden General Don Joaquin 
dela Pezuela untergeordnet, der ihn ſpäter zum inte— 
rimiſtiſchen Chef ſeines Generalſtabs ernannte. Doch 


24 


auch dieſe mehr nominelle Stelle verlor er nach zwei 
Monaten, da er in feinem Hauſe eine Hazardſpiel— 
bank etablirt hatte. Der Aufſicht des Vizekönigs von 
Peru, Marquis de la Concordia, übergeben, durfte 
er die Stadt nicht verlaſſen, in der er ohne aller Be— 
ſchäftigung ſich aufhielt. Endlich ward ſeinen drin— 
genden Bitten nachgegeben und er zur Dispoſition 
des Generals Laſerna geſtellt, der ihm die Präſident— 
ſchaft des Diſtricts von Charcas anvertraute. Ueber dieſe 
Periode des Wirkens Maroto's ſteht in einer ſpaniſchen 
Klageſchrift, die über ihn erſchien: „Hier (in Char— 
cas) gab er die erſten Beweiſe der Grauſamkeit (fero- 
cidad) feines Charakters, wie er auch bei der unglück— 
lichen Schlacht von Chacabuco Beweiſe ſeiner Feigheit 
gegeben hatte. An dieſem Tage ward durch ſeine 
Schuld beinahe das ganze Königreich Chili verloren. 
Während ſeiner Präſidentſchaft ſchwand die letzte 
Hoffnung einer Ausſöhnung der Eingebornen mit 
dem Mutterſtaate, durch die Erpreſſungen, Die— 
bereien (robos) und ſchändlichen Mordthaten (ase- 
sinatos escandalosos), die er während ſeiner ephe— 
meren Regierung ſelbſt verübte oder doch wenigſtens 
duldete.“ 


Was mir dieſen letzten Satz glaublich erſcheinen 
läßt, iſt, daß mir andererſeits ſpäter erzählt wurde, 
er habe einen ihm perſönlich verhaßten Offizier, den 
Oberſtlieutenant Don Caſimir Hoyos, unter 
unglaublichen Martern hinrichten laſſen. — Endlich 
erklärten die meiſten ſeiner Kriegsgefährten, nicht mehr 
länger mit ihm dienen zu können, und man ſah ſich 
genöthigt, ihm ſein Commando in ſo wenig ehrenhaf— 
ten Ausdrücken abzunehmen, daß kein einziger Offizier 
mit ihm länger umgehen wollte. Er kehrte nach 
Spanien zurück und reichte Ferdinand VII. eine 
Anklage gegen viele ſeiner Cameraden ein, unter 
andern gegen die Generale Laſerna, Canterac, 
Valdes, Carrätala und die Bataillons-Chefs 
Lahera, Eſpartéro und Villalobos. Zur 
Belohnung feiner Denunciation erhielt er das Com- 
mando von Aſturien, das ihm jedoch ſchon nach eini— 
gen Monaten abgenommen werden mußte, da die 
Einwohner unaufhörlich den Hof um Befreiung von 
dieſem Menſchen beſtürmten. Er zog ſich nach Valla— 
dolid und ſpäter nach Madrid zurück, wo einige in 
der Nähe des Königs befindliche, ihm geneigte Perſo— 


nen, die ſich ſeiner als williges Inſtrument bedienten, 
* 


den Befehl der Provinz Toledo für ihn erwirkten. 
Doch auch hier machte er ſich, vieler ſchlechter Streiche 
halber, bald verhaßt. Eine Anklage wegen Verun— 
treuung namhafter, Privatleuten ſeiner Provinz gehö— 
riger, Summen hatte ſeine Abſetzung zur Folge. 
Auch ward ihm durch mehrere Monate ſein Gehalt 
vorenthalten, zur Entſchädigung der von ihm beein— 
trächtigten Perſonen. Doch wurde durch mächtige 
Protection der deßhalb anhängige Prozeß niedergeſchla— 
gen, deſſen Acten im Archiv des General-Capitanats 
Neucaſtilien noch befindlich ſein ſollen. 

Seitdem von allen Geſchäften zurückgezogen, er— 
ſcheint Maroto's Name zum erſten Male wieder 
Ende 1833 als in eine royaliſtiſche Verſchwörung ver— 
wickelt. Gefänglich eingezogen, ward er jedoch bald 
wieder in Freiheit geſetzt, während ſeine Mitverſchwo— 
renen auf acht bis zehn Jahre Galeeren verurtheilt 
wurden. Ich habe mehrere Leute gekannt, welche die 
feſte Ueberzeugung hegten, daß Maroto feine Frei— 
laſſung durch Verrätherei an ſeinen Mitverſchworenen 
und wahre oder falſche Angaben ihrer Namen und 
Plane erlangt habe. In den Papieren ſeines Advo— 


caten, des Licenciaten Gomez Acevo zu Sevilla 
O 


ſollen fich merkwürdige Actenſtücke zur Beweisführung 
des Geſagten befinden. 

Maroto, dem Sevilla als Aufenthaltsort ange— 
wieſen worden, gab vor, einer epidemiſchen Krank— 
heit halber, ſich nicht in dieſe Stadt verfügen zu 
können, worauf er nach Granada geſchickt ward. Bald 
entfloh er nach Valencia, wo mehrere Ropaliſten, die 
ihn nicht näher kannten und als ein Opfer der Revo— 
lution anſahen, ihn verbargen. Morella hatte ſich 
zu dieſer Zeit für den König erklärt, und die carli— 
ſtiſche aus Tortoſa geflüchtete Junta dort ihren Sitz. 
Einzelne Banden fingen bereits an ſich in Aragon zu 
bilden, und die Nothwendigkeit einer Vereinigung um 
einen tüchtigen Chef ward ſchon damals dringend 
gefühlt. Die Junta in Morella und die Noyalijten 
in Valencia baten ſonach Maroto den Befehl zu 
übernehmen, und brachten das von ihm zur Ordnung 
ſeiner Angelegenheiten begehrte Geld zuſammen. Doch 
zog ſie Maroto lange herum, nahm das Geld und 
reiſte heimlich damit nach Gibraltar, von wo er bald 
nach Portugal ging und feine Dienſte Carl V. an⸗ 
bot, der ſich damals in Coimbra befand. Der König 
hatte jedem, der ſich in Portugal an ihn ſchloß, einen 


28 


Grad mehr zugeſagt. Keiner der höheren Offiziere 
wollte von dieſer Vergünſtigung Gebrauch machen, und 
jeder zog vor, auf Schlachtfeldern eine Belohnung zu 
erlangen, die hier für die Ausübung einer heiligen 
Pflicht geboten wurde. Maroto, zuletzt Marechal de 
camp unter Ferdinand VII., nahm es jedoch an und 
wurde General-Lieutenant. Seit ſeiner Ankunft in 
Portugal war er in beſtändigem Zwiſte mit den Rath— 
gebern des Königs, dem Biſchofe von Leon, den 
Generalen Moreno und Romagoſa, dem Inten- 
danten Negrete, und Anderen, an deren Treue 
nicht gezweifelt werden konnte, wenn ſie gleich, beſon— 
ders ſpäter, vom redlichſten Willen beſeelt, oft Miß— 
griffe thaten. Doch waren zu jener Zeit alle dieſe 
Männer noch unter ſich eins, und nur Maroto der 
Einzige, der Zwietracht in die Umgebung des Königs 
ſäete, fo daß viele Feinde Maroto's ihn ſchon da— 
mals als den erſten Urheber unſerer unglücklichen 
Intriguen anſahen und ſo weit gingen, zu behaupten, 
er ſei im Einverſtändniſſe mit dem Feinde und habe 
den Auftrag Haß und Mißtrauen unter die Anhänger 
des Königs auszuſtreuen. Ich kenne ſogar einige 
Perſonen, die ſchon in Portugal feſt überzeugt waren, 


29 


Maroto habe den König in Almeida dem feindlichen 
General Rodil ausliefern wollen. — Ich will Ma— 
roto's Verrath, der an ſich ſchon ſchändlich genug 
iſt, nicht in ſo weite Verzweigungen ausdehnen, traue 
übrigens ſeinem Charakter weder Stärke noch Conſe— 
quenz genug zu, um durch lange Jahre denſelben 
Plan, trotz ſo vieler Unterbrechungen, unausgeſetzt 
fortzuſpinnen und durchzuführen. Maroto war in 
Portugal Carliſt, und ſo guter Carliſt, als es bei 
ſeinem venalen und niedern Charakter ihm möglich 
war, aus dem Grunde, weil er von der Calliſti— 
ſchen Sache am meiſten Würden und Gewinn für ſich 
erwartete. 

Als der König nach England ging, begleitete 
ihn Maroto und traf einige Zeit nach Sr. Maje— 
ſtät auf dem Kriegsſchauplatze ein. Zum General— 
Commandanten von Biscaya ernannt, werden über 
die Zeit ſeines Commandos allerlei minder erhebliche 
unlautere Handlungen erzählt, die es mir überflüſſig 
erſcheint, hier zu berichten. Nach der Affaire von 
Arrigorriaga (11. September 1835), wo er den com— 
mandirenden General Moreno mit vierzehn Bataillons 
im Stiche ließ, verlor er ſeinen Poſten. Um ſeine 


30 


Fähigkeiten als Organiſateur einigermaßen zu benutzen 
— da er ſtets großen Einfluß auf die Soldaten aus— 
übte, ihnen imponirte — vielleicht auch bloß um ihn 
zu entfernen, ward er nach Catalonien geſchickt. Ueber 
dieſe traurige Epiſode ſeines Lebens werde ich Gelegen— 
heit haben, im Verlaufe dieſer Erinnerungen mit mehr 
Details zu ſprechen, wenn ich auf eine Zeit komme, 
wo ich längere Zeit in dieſem Lande diente. Nur fo 
viel mag hier erwähnt werden, daß er nach kurzer 
Zeit, geſchlagen und flüchtig, nach Frankreich zurück— 
kehrte, wo er bis zum Augenblicke blieb, als der 
König ihn nach Spanien berief. Ueber die Mittel, die 
in Anwendung geſetzt wurden, um den König — der 
perſönlich ſtets den größten Widerwillen gegen Ma— 
roto hegte — hiezu zu bewegen, über die Perſonen, 
die hiebei mitwirkten, verbieten mir vielfache Rückſichten 
eine nähere Aufklärung. Mein Buch ſoll keine Anklage— 
ſchrift ſein, am wenigſten wohlgeſinnter, zum Theil 
verdienter Anhänger und treuer Diener des Königs, 
die ihre Verblendung und ihren Irrthum gewiß ihr 
Leben lang tief betrauern, blutig beweinen werden. 
Was ich hier über Maroto niedergeſchrieben, 


wurde mir größtentheils während meines mehrtägigen 


31 


Aufenthalts in Bordeaux bekannt. Doch maß ich den 
meiſten dieſer Anſchuldigungen nur wenig Glauben bei; 
ſo viel Gemeinheiten, Schurkenſtreiche, feige Handlun— 
gen ſchienen mir bei dem Manne unglaublich, dem der 
König den Triumph ſeiner Sache, Krone und Heer 
anvertraut N der uns zu Sieg und Ehre führen ſollte. 
Je ungeheurer die Anklagen, deſto ſchwieriger ſchien mir 
die Stellung des Mannes, dem ſo ſchauderhafte Ver— 
läumdungen nachgeredet wurden, die ich alle mit dem 
alten Dicton entſchuldigte: ld n’y a que les ämes 
molles qui n’ont pas d’ennemis. Er hatte Feinde 
und Neider, das ſchien mir klar, mehr anzunehmen, 
hätte ich für frevelhaft gehalten. 

Mit dieſen Ideen verließ ich Bordeaur. Ohne 
Vorbereitungen die Straße einzuſchlagen, die ich vor 
wenigen Monaten in Geſellſchaft eines Polizei-Agenten 
befahren, ſchien mir unklug, um ſo mehr als auf 
allen Gensdarmerie-Stationen Brigadiers an den Wa— 
gen getreten waren, mein Signalement zu nehmen. 
Glücklicher Weiſe war damals im ſüdlichen Frankreich 
das Spediren der Carliſten durch beide Linien (die 
eine längſt der Garonne und die andere längſt der 
Pyreneen) jo methodiſch organiſirt, daß eine ſolche 


32 


Reiſe ſich auf gewöhnliche Vorſichtsmaßregeln und die 
Geldfrage reducirte. Ein vertrauter Diligence-Con-⸗ 
dueteur ward berufen und meine Tour bis Bayonne 
mit ihm accordirt. Ich bezahlte die drei Banquett— 
Plätze auf der Impériale der Diligence, 150 Fr. Con- 
trebandegeld dem Conducteur und ſaß am 4. Juli 
Morgens auf meinem luftigen Sitze. In Langon und 
Bazas, wo Gensdarmen die Päſſe abfordern, mußte 
ich zwiſchen die Kiſten und Koffer der Vache kriechen; 
der Conducteur wölbte ſie über mir, legte ein paar 
leere Säcke, Mäntel und ſonſtigen Plunder über das 
Ganze, und ſo wartete ich ruhig das Ende der Unter— 
ſuchung ab. Ein Gensdarme ftieg auf die Jmperiale, 
hob die Decke der Vache und ſagte, indem er mit 
einer Stange nach den mich ſchützenden Kiſten und Män— 
teln ſtieß: „II n'y a personne ici, j'espère.“ End⸗ 
lich rollte der Wagen auf dem ſchlechten Pflaſter weg, 
die Gefahr war vorbei und ich konnte mein unbe— 
quemes Verſteck verlaſſen. Mehr Schwierigkeiten gab 
es jedoch in Mont de Marſan und Dax, wo Reiſende 
ausſtiegen, deren Gepäcke abgeladen, ſomit das künſt— 
liche Gebäude zerſtört werden mußte, das mich ver— 
barg. Doch hatte mein Conducteur dieſem allen vor— 


1573 


gebeugt, und eine Viertelſtunde von beiden Orten 
erwarteten mich Guiden, die in weitem Umkreiſe um 
die erſte Stadt und durch die winkeligen Gaſſen der 
zweiten mich an ſichere Orte brachten, wo ich des vor— 
beifahrenden Wagens harrte. So kam ich endlich auf 
die Höhen von St. Esprit, die Bayonne dominiren. Hier 
wartete abermals ein Guide und führte mich auf Bar— 
ken über den Adour und die Nive, hart an den For— 
tificationen von Bayonne vorbei. Nach einer Stunde, 
bei eintretender Dämmerung, hielten wir vor der Hin— 
terthür eines einzelnen Hauſes. Eine große Ruine, 
von Pappeln und Kaſtanien umgeben, überragte ſtolz 
das ärmliche Gebäude. Dieſe Ruine, noch vor zwei 
Decennien ein ſtattlicher Pallaſt, war das hiſtoriſch 
berühmte Schloß von Marrac, wo Napoleon von 
zwei Königen die Abdication ihrer Krone für ſeinen 
Bruder Joſeph erzwungen. Die Zeit dieſer ephemeren 
Herrlichkeit war vorbei, und keine Spur der Anwejen- 
heit des gewaltigen Herrſchers dem Schloſſe von 
Marrac geblieben. Durch die leeren Fenſteröffnungen 
langgeſtreckter Mauern blickten Baumzweige, melancho— 
liſch vom Winde bewegt, und der über dem Meere 
eben aufſteigende Mond gab dieſer neuen, und doch 
3 


34 


ſo geſchichtlichen Ruine ein eigenes geſpenſterhaftes 
Ausſehen. Eine leichte Briſe trug aus dem Bade— 
orte Biaritz Fragmente einer lebhaften Muſik zu uns, 
die ſich mit dem zu- und abnehmenden Rauſchen des 
Meeres vermählten, oft ſchwanden, dann wieder ſtärker 
uns zukamen. Unwillkührlich gaukelten fantaſtiſche 
Bilder meinem Geiſte vor, und während ein kalter 
Schauer mich ergriff, entſchlüpften meinen Lippen 
einige grauenhafte Stellen der Djins: 

J’ecoute, 

Tout fuit. 

On doute, 

La nuit, 

Tout passe. 

L’espace 

Efface 

Le bruit. 


Obgleich ſonſt wenig poetifch geſtimmt, ergriff mich 
dieſer Moment lebhaft, und lang würde ich vielleicht 
meinen Träumereien nachgehangen haben, wenn das 
wüthende Bellen des Hofhundes vor dem kleinen Hauſe 
mich nicht zum proſaiſchen Leben zurückgerufen hätte. 
Mein Guide rief ihn jedoch leiſe beim Namen, worauf 
der gehorſame Wächter, freundlich wedelnd, ſich uns in 


35 
aller Stille näherte. Auf einen Pfiff öffnete ſich das 
Pförtchen und wir ſchlichen in eine dunkle Kammer. 
In einem anſtoßenden Gemache hörten wir viele Stim— 
men lärmen und Gläſer klirren. Ich wollte fragen, 
doch drückte mein Guide mir die Hand vor den Mund, 
und ſo ſtiegen wir ſchweigend eine enge Treppe hinauf. 
Oben angelangt, war die erſte Sorge meines Beglei— 
ters, dicke eichene Läden vor die Fenſter zu ſchließen, 
dann machte er Licht und ich ſah mich in einem klei— 
nen, bürgerlich bequem eingerichteten Zimmer. Als ich 
nun einige Erklärung dieſes geheimnißvollen Treibens 
wünſchte, rückte er einen Tiſch und nahm von der 
Diele einen Korkſtöpſel, der für Uneingeweihte voll— 
kommen dem Aſtknoten eines Brettes glich. Ich drückte 
mein Auge auf die kleine Oeffnung und konnte unmit— 
telbar unter meinen Füßen eine Trinkſtube ſehen, in 
der ein Dutzend Gensdarmen und Douaniers um eine 
Anzahl halbleerer Flaſchen ſaßen. „Hier ſucht man 
uns am wenigſten,“ ſetzte er ſelbſtgefällig hinzu, „denn 
wir ſind im Eſtaminet, das von dieſen Leuten (er wies 
auf die untern Gäſte) am häufigſten beſucht wird.“ Ich 
hatte gegen dieſe Logik nichts einzuwenden, und fand 
mich um ſo leichter in mein Schickſal, als nach wenigen 
3 


36 


Minuten die Wirthin — eine junge aufgeweckte Bayon— 
neſerin — eintrat, uns ein recht gutes Abendeſſen und 
vortrefflichen Wein von Juransçon vorſetzte, von dem 
ſeit Heinrich IV. Kindheit berühmt gewordenen 
Bearner Gewächs. 

Den nächſten Tag blieb ich in der einſamen 
Klauſe, die ſchon damals mich ſehr langweilte, und 
in der ich ungefähr ein Jahr ſpäter mehrere Wochen, der 
grenzenloſeſten Langenweile Preis gegeben, zubringen 
ſollte. Das konnte ich freilich damals nicht ahnen, 
und doch war mir dieſes Haus förmlich unheimlich, 
ſo daß ich froh war, als Abends ein Guide kam mich 
abzuholen. Ich zog baskiſche Bauern-Tracht an, der 
ähnlich, die ich bei meinem erſten Eintritt nach Spa— 
nien von Sare aus getragen, und ſo wanderten wir 
laut ſingend und lärmend auf der Chauſſée fort, bis 
Saint Jean de Luz, wo wir ſpät Nachts anlangten. 
In der Wohnung eines Vertrauten ſollte einige Zeit 
der Ruhe gegönnt und dann aufgebrochen werden; 
doch kam nach kurzer Friſt ein ausgeſchickter Späher 
zurück und berichtete, daß meine Anweſenheit verrathen 
worden, denn ſämmtliche Poſten wären verdoppelt; 
die Brücke von Ciboure — über die ich ſollte — ſei 


37 


beſetzt und alle Gensdarmen und Douaniers in Alarm. 
Man vermuthe mich innerhalb Saint Jean de Luz 
oder doch auf dem Wege hin, denn der Ort fei cernirt 
und die Straße nach Bayonne bewacht. Ein Ueber— 
gang dieſe Nacht war unmöglich, er mußte verſchoben 
werden. Dieß verdroß mich doppelt, da Gründe — 
die nur für mich von perſönlichem Intereſſe ſind — 
es mir nothwendig machten, mit Vermeidung unſerer 
Grenzlinie bis ins Hoflager zu dringen, ohne daß 
das Miniſterium hievon Kenntniß habe, ehe ich ange— 
langt. Doch mußte ich mich in das Unvermeidliche 
fügen und den nächſten Tag in Saint Jean de Luz 
zubringen. Es war eben ein Zahltag Muñagorris, 
des bekannten Abenteurers, der unter dem Banner 


7 


„Paz y fueros” alle unſere Deſerteurs und Sträf— 
linge längſt der ſpaniſchen Grenze, unter franzöſiſchem 
und engliſchem Schutze, verſammelt hatte. Dieſe Leute 
ſahen ſehr elegant aus, wurden gut bezahlt und waren 
meiſt gediente Soldaten; doch konnte man auf den 
erſten Blick ſehen, daß das ganze Unternehmen keine 
ernſten Folgen haben würde. Aller Subordinations⸗ 
geiſt war aus den Soldaten gewichen, und die Off 


ziere taugten gar nichts. Hinter den Gardinen mei— 


nes Fenſters verſteckt, betrachtete ich die auf dem Platze 
herumſpazierenden Munagorriſten, die Morgens ganz 
militairiſch und ſtolz einherſchritten, doch Abends 
ſämmtlich betrunken waren. Als es dunkel ward, 
verließ ich mein Verſteck. Am Strande, in einer durch 
den Sand gebildeten Vertiefung, harrten zwei Con— 
trebandiers meiner Ankunft. Wir ſchritten am Meere 
durch eine Stunde fort, dann bogen wir links ein, und 
drückten uns zwiſchen Felder und Weinberge, längſt 
den Furchen und Rainen; ſorgfältig ward jeder Weg, 
jeder gebahnte Fußſteig vermieden oder überſprungen, 
um keine Spuren zurückzulaſſen. Endlich kamen wir 
auf zehn Schritte von einem Douaniers-Poſten; er 
dominirte den einzigen Paß, durch den wir mußten, 
wenn nicht ein mehrſtündiger Umweg gemacht werden 
ſollte. Wir krochen auf Händen und Füßen unter 
Dornen und Geſträuch durch den Paß, und konnten 
über unſern Köpfen die Douaniers plaudern hören. 
In einem einzelnen Gehöfte, einem Contrebandier 
gehörig, ward einige Augenblicke Halt gemacht. Ich 
erfriſchte mich mit einem langen Schluck Aepfelwein 
(Cidre), der in dieſen Gegenden klar und vortrefflich, 
nichts mit dem abſcheulichen trüben Getränke dieſes 


39 


Namens gemein hat, das in der Nähe von Frank- 
furt a. M. üblich iſt. 

Gegen Mitternacht brachen wir auf; der Contreban— 
dier, bei dem wir ausgeruht hatten, wollte mich durchaus 
mit ſeinem Knechte bis an die Grenze begleiten, angeb— 
lich, da dieſe Strecke gefährlich ſei und meine zwei 
Guiden nicht genügen würden, einen etwaigen Strauß 
mit den Douaniers zu beſtehen; doch mag ſein Haupt— 
grund in der Ausſicht eines ſichern Gewinns einiger Dou— 
blonen gelegen haben. Da er nicht abzuweiſen war und 
meinen Guiden ſein Anerbieten ſehr zu gefallen ſchien, 
mußte ich einwilligen. Meine zwei neuen Begleiter 
ergriffen ihre ſchweren, mit Eiſen beſchlagenen, Knoten— 
ſtöcke und machten ein paar große Wolfshunde von 
der Kette los, die ſpürend und ſpähend vor uns her 
liefen. Dieſe Hunde trifft man bei allen Contreban— 
diers längs der Pyreneen an; ſie ſind ihren Herren 
vom größten Nutzen, kennen alle Stege, tragen oft 
Ballen Waare, und wiſſen Schleichhändler von Zoll— 
wächtern genau zu unterſcheiden. Wenn ſie beladen 
ſind, ſchleichen ſie ſich hinter den Zollbaraken ſo leiſe 
durch, daß das aufmerkſamſte Auge ſie nicht gewahrt, 
während ihr frei und unbepackt einhergehender Herr, 


40 


den Douanen gleichſam zum Trotz, an deren Hütten 
ſingend und pfeifend vorbeigeht. Zuweilen verwundet, 
wiſſen ſie doch in größter Schnelligkeit zu entfliehen 
oder in Felſenriſſe ſich zu verbergen, und nie verrathet 
ein Klageton ihren Schlupfwinkel. Es iſt beinahe 
beiſpiellos, daß einer dieſer Hunde erwiſcht worden 
wäre, und wie oft haben ſie wichtige Correſpondenzen, 
werthvolle Dinge getragen. Werden ſie hingegen als 
Spürhunde vorausgeſchickt, dann ändert ſich ihre Rolle. 
Der in den Gebüſchen lauernde Douanier wird von 
ihnen aufgeſpürt und durch einen eigenen Laut dem 
Herrn ſignaliſirt; begegnen ſie einer ſtarken Patrouille, 
ſo fallen ſie in einen winſelnden Klageton; glauben 
ſie jedoch ihren Herrn entdeckt, iſt die Gefahr flagrant, 
dann nimmt ihr Bellen einen wüthenden Charakter 
an. Ich habe viel und lange unter dieſem in Europa 
einzigen Schmuggler-Volke gelebt, viele Züge mit 
ihnen mitgemacht und Gelegenheit gehabt, ihr wildes 
Handwerk in allen ſeinen Phaſen genau kennen zu 
lernen, ſpreche daher aus eigener, guter Erfahrung. 
Ich habe viele dieſer Hunde geſehen, und kann ver— 
ſichern, daß ich bis jetzt keinen Begriff einer ſo voll— 
kommenen Abrichtung gehabt; die tanzenden Affen, 


41 


ſprechenden Papageien, aus Flaſchen trinkenden Ele— 
phanten und kartenſpielenden Pudel ſind ganz ſtupide 
Beſtien im Vergleiche zu den Wolfshunden der Con— 
trebandiers längs den Pyreneen. 

Dieß hatte ich auch dieſe Nacht zu erfahren 
Gelegenheit, denn kaum eine Viertelſtunde vom Hauſe 
des Contrebandiers entfernt, ſchlug einer ſeiner Hunde 
an. Wir hielten ſtill, — nach wenigen Secunden der— 
ſelbe Laut. „Es ſind ihrer wenige, vielleicht nur 
Zwei; vorwärts!“ ſagte der Eine ruhig und wir 
gingen weiter. Gleich darauf begegneten wir zwei 
Douaniers; meine vier Begleiter ſchwangen die Stöcke 
ſauſend über ihren Köpfen und wir ſchritten auf ſie 
los. Man begrüßte ſich gegenſeitig und zog unan— 
gefochten weiter. Auch war es das Klügſte, was die 
Douaniers thun konnten, da es ſonſt blutige Köpfe 
gegeben hätte. Kaum waren wir jedoch hinter dem 
nächſten Gebüſch, ſo rannten wir aus Leibeskräften 
in gerader Richtung vorwärts. In geringer Entfer— 
nung brannte ein kleines Licht; es war wieder eine 
Zollbarake; ſchon wollten wir ausweichen, als ein 
gellender Pfiff hinter uns ertönte. Wir waren ſignali— 
ſirt und konnten nicht mehr ſeitwärts. Hier mußte 


Lift gebraucht werden. Zwei meiner Begleiter gingen 
auf die Barake los, zogen ihre Cigarren hervor und 
begehrten von den Douaniers Feuer. Während ſie in 
eifrigem Geſpräche begriffen waren, drückten wir uns 
um die Hinterwand und kletterten an einer ſteilen 
Lehne herab. Nach einer halben Stunde eiligen 
Marſches kamen wir an einen reißenden Gießbach; 
die Beinkleider wurden aufgeſchürzt, die Sandalen von 
den Füßen genommen und auf das andere Ufer ge— 
watet. Da ergriff Dominik, der Guiden Chef, 
meine Hand, riß mich einige Schritte mit ſich fort 
bis zu zwei, auf einem kleinen Bergkegel eingerammten, 
Steinpfeilern. Da es zu dunkel war, um etwas unter⸗ 
ſcheiden zu können, zog er aus ſeinem Hemde eine 
Blendlaterne hervor, machte Licht und zeigte mir auf 
dem einen der Pfeiler en relief die drei königlichen 
Lilien von Frankreich, auf dem andern den Löwen von 
Leon und die Thürme von Caſtilien. Es war die 
Grenze. Zugleich ſtreckte er mir die offene Hand ent— 
gegen und ſagte barſch und kurz: „Le prix, s'il vous 
plait!” Ich zahlte die bedungenen 300 Franken, da 
mit den Schwierigkeiten, der Wichtigkeit der Perſon, 
der Douane und Gendarmerie gegebenen Signalemens 


43 


und andern Umſtänden, von den primitiven 100 Franken 
die Preiſe bis zu oft bedeutender Höhe ſtiegen.“) Einer 
meiner Guiden führte mich weiter, die Andern drei 
verloren ſich gleich, nachdem ich eine Retribution von 
50 Franken dem letzten Contrebandier für ſeine und 
ſeiner Hunde Begleitung geben mußte, und ſo gelangte 
ich nach einer halben Stunde zu einer einſamen Senn— 
hütte, Borda de Alcabeheria, mitten in einer wilden, 
engen Gebirgsſchlucht, wo ich mich todmüde auf einen 
mit Maisſtroh gefüllten Sack warf und ſogleich in 
tiefen Schlaf verfiel. a 
Nach mehreren Stunden weckte mich lautes Schreien 
und Zanken vor meinen Fenſtern. Es war hell am 
Tage; ich ſprang auf und ſah Dominik, der mit 
meinen Pferden und Effecten aus Sare angelangt, 
mit fünf Soldaten in lebhaftem Streit begriffen war, 


*) So hatte Maroto, wenige Wochen vor mir 1000 Fran⸗ 
ken bezahlt. Für den Uebergang der Königin (Prin— 
zeſſin von Beyra, zweite Gemahlin Carl V.), des 
Prinzen von Aſturien, einer Hofdame und ihres Führers, 
des Grafen Robert Custine, wurden im October 
deſſelben Jahres 20,000 Franken vorher deponirt und 
nach glücklicher Vollendung des Zuges entrichtet. 


An 


und, mit Hülfe feiner Leute, fie ins Haus zu dringen 
verhinderte. Dieſem ein Ende zu machen, ging ich 
hinab, ohne mir erſt Zeit zum Ankleiden zu geben; 
auch ſchien meine Gegenwart zu genügen den Frieden 
wieder herzuſtellen. Es waren ein Unteroffizier mit 
vier Soldaten vom 5. Bataillon von Navarra, der⸗ 
ſelben Truppe, die wenige Wochen zuvor unter dem 
Feldgeſchrei: „Tod den Ojalateros,“ ſich in Eſtella 
empört und allerlei Exceſſen hingegeben hatte. Seit— 
her auf die franzöſiſche Grenze verſetzt, cantonirte 
dieß Bataillon in Leſaca. Durch einen Hirten be— 
nachrichtigt, daß ein Fremder in der Borda ange— 
kommen ſei, waren die verhaßten Ojalateros wieder 
ihr erſter Gedanke, und fie nahmen ſich nichts gerin- 
geres vor, als mich gebunden nach Leſaca abzuführen. 
Uebrigens war mit dieſen Leuten nicht zu ſcherzen, 
da einige Tage zuvor die Oberſten Toledo und 
Mariano Aznarez, in einer ähnlichen Borda über- 
fallen, nur durch ein halbes Wunder einer gleichen 
Behandlung entgingen. Ich hatte jedoch das Glück 
von dieſem Bataillon gekannt, und wie es ſchien, 
bei demſelben in gutem Andenken geblieben zu ſein, 
denn kaum hatten ſie mich erblickt, als ſie mit dem 


59 


Ruf: „Pero es el — —“ auf mich zukamen und 
mir ihre Dienſte anboten. Ich hütete mich wohl 
ſelbe zurückzuweiſen, und nahm ſie als Escorte bis 
Toloſa an, indem ich, vor meinem Abritte aus der 
Borda, ein paar Worte an den Bataillons-Comman— 
danten ſchrieb, ihn hievon in Kennntniß zu ſetzen. 
Ich ritt noch zwei Stunden und brachte die Nacht in 
einem einſamen, großen Gebäude zu, dem Eiſenham— 
mer von Articuza, den Domherren des berühmten 
Kloſters Roncevaux (ſpaniſch: Ronces Valles) gehörig, 
in deſſen Schluchten, welthiſtoriſchen Andenkens, Ro— 
land den Tod gefunden, und noch heute, wie am 
Rhein, ſo in ganz Spanien, ein Volksheld aller 
Märchen und Romanzen, überall beſungen wird. 
Wie Roland, unſeres genialen Uhland jugend— 
licher Held, den Rieſen in den Ardennen bezwun— 
gen und von Rolandseck nach Nonnenwerth, zu der 
Dame ſeines Herzens, herabgeſchaut haben ſoll, ſo 
werden auf hunderte von Meilen, in den Hesperiden 
nicht weniger galante und wunderbare Ereigniſſe zu 
ſeinem Lobe beſungen. An der Grenze von Valencia 
und Caſtilien liegen ungeheure Felſenblöcke, mitten 
in fruchtbaren Ebenen, auf ziemliche Entfernung von 


46 


den Gebirgen; die hat, nach dem Glauben und den 
Liedern des Volkes, der große Roland in ſeinem Zorne 
(el gran Orlando furioso) mit dem Fuße, von Berges- 
ſpitze in die Thäler, geſchleudert. Auch ſieht man einen, 
wie von Menſchenhand, durchſprengten Felſen; den 
ſpaltete Orlando, alter Sage zu Folge, mit ſeinem 
Schwerte, für ſich und die Seinen einen Paß zu 
öffnen. Wie er in Italien beſungen ward, braucht 
wohl Niemand zu erwähnen. Doch zurück, vom großen 
Roland mit den zwei Schwertern, zum Eiſenhammer 
feiner Domherren. Ich verließ ihn am nächſten Mor— 
gen und war Abends in Toloſa. 

Mein erſter Gang war zu Moreno, der zurück⸗ 
gezogen von allen Geſchäften in einem der wohnlichſten 
Häuſer dieſer Stadt lebte. Ich frug nach dem In— 
fanten, doch der war in den Bädern von Cestona und, 
ſoviel ich hörte, auch mit den Veränderungen wenig 
zufrieden. Moreno war ſomit der Einzige, an den 
ich mich wenden konnte, über die letzten Ereigniſſe 
einigen Aufſchluß zu erhalten, obwohl ich vielleicht von 
dieſem General, Maroto's größten Antagoniſten, 
kein ſehr unparteiiſches Urtheil erwarten durfte. Ich 
fand Moreno in Pantoffeln und einem abgetragenen 


47 


Uniform-Oberrock, der die Stelle des Schlafrocks ver— 
trat, in einen weiten Armſeſſel gelehnt. Er ſah ſehr 
bleich und eingefallen aus, und war während meiner 
dreimonatlichen Abweſenheit um mehrere Jahre älter 
geworden, obgleich er affectirte heiter und ſorglos zu 
erſcheinen. Nach den erſten Begrüßungen wies er das 
vor ihm aufgeſchlagene Buch: „Es iſt Tacitus,“ 
hub er an „er ſagt, daß ein Bürgerkrieg, der lange 
dauert, ein Beweis der Unfähigkeit beider Parteien iſt.“ 
Ich unterdrückte beſtmöglichſt die Verwunderung, die 
mir dieſer Ausſpruch im Munde des Feldherrn ablockte, 
der zweimal unſer Heer befehligt, und frug ihn, ob 
er glaube, daß Maroto bald eine Schlacht liefern 
werde. „Este imbecil, que hay de batirse,“ war die 
ganze Antwort. Ein weiteres Urtheil zu verlangen, ſchien 
mir, nach dieſer etwas derben Aeußerung überflüſſig. 
Nach einer langen Pauſe fing er an, die verſchiedenen 
Agenten des Königs im Auslande durchzugehen, lobte 
den Marquis de Labrador, tadelte den Grafen 
Aleudia ſehr ſcharf, ſprach ihm allen geſunden 
Menſchenverſtand ab, und ſagte es wäre der blut— 
gierigſte Menſch den er kenne, indem er als Schlußbemer— 
kung zuſetzte: „wenn der könnte, er würde mich hän— 


AS 


gen laſſen;“ ſprach von Negri, erinnerte mich an fein 
ganz richtiges Urtheil über dieſen General bei Aus— 
gang ſeiner Expedition; ſagte, die Schuld läge darin, 
daß Negri nicht zu marſchiren verſtehe und ſetzte hinzu, 
der Krieg würde mit den Füßen geführt, das berühmte 
Wort des Marſchalls von Sachſen gebrauchend. So 
kam er allmählig auf die jetzigen Verhältniſſe zurück: 
„Es wird Ihres Bleibens hier nicht ſein,“ ſchloß 
er, „Maroto und Arias, die zwei einzigen Macht— 
haber, liegen ſich in den Haaren; fie find zwei Mühl— 
ſteinen zu vergleichen, wer zwiſchen ſie geräth, wird 
aufgerieben.“ Während er, heftig auf- und abgehend, 
converſirte, brachte fein Adjutant Azencio ein Schrei— 
ben. Moreno durchflog es ſchnell und wandte ſich 
zu mir: „Ich habe Ihren Mann, — der Graf de 
Eſpana iſt in Berga angekommen. Eſpanña und 
ich, wir können uns nicht leiden, aber unter dem 
müſſen Sie dienen. Hier verſäumen Sie nichts, denn 
ohne mich marſchirt der König doch nicht 
nach Madrid, und komme ich einſt wieder auf's 
Tapet, ſo wiſſen Sie, daß ich Sie rufe.“ Ich ver— 
beugte mich ſchweigend und nahm bald Abſchied. Ohne 
dieſen Worten viel Gewicht beizulegen, wurde ich doch 


darüber nachdenkend. Sie trugen nicht wenig zu 
ſpäteren Entſchlüſſen bei, die ich nie bereut habe. 
Als ich Moreno's Wohnung verließ, waren 
auf dem Platze Gruppen von Offizieren und Soldaten 
verſammelt, die ſich Maroto's zweite Proklamation 
an das Heer vorlafen. Sie war vom 7. Juli und 
aus ſeinem Hauptquartier Eſtella datirt. Mit Be— 
geiſterung hörten die alten Krieger Zumalacarregui's 
die glänzenden Worte, in denen er ihnen die Siege des 
großen Feldherrn ins Gedächtniß rief. Aſarta, Muru, 
Alſaſua, Gulina, Artazu, die Felſen von San Fauſto, 
die Ebenen von Vitoria, die Brücke von Arquijas, 
Descarga; bei Nennung jedes dieſer glorreichen Tage 
unterbrach lauter Jubel die Vorleſer. Maroto rief 
ſie zum Kampfe auf Leben und Tod und ſchloß mit 
den ritterlichen Worten: „Fliehend zu ſterben, iſt ein 
feiger und ſchmachvoller Tod, und wenn Einer unter 
Euch Furcht hat, ſo entferne er ſich aus den Reihen, 
ehe er den Feind geſehen.“ Ein ſtürmiſcher Applaus 
erfolgte; Jeder wollte nochmals leſen, jene Sprache 
wieder hören, die ſie ſeit Zumalacarregui's Tode 
nicht mehr vernommen. Maroto hatte es meiſterhaft 
verſtanden, das Heer zu electriſiren, das liegt außer 
II. 4 


allem Zweifel. Wie durch Zauberſchlag hat er den 
alten, kriegeriſchen Geiſt der Basken und Navarreſen 
geweckt, jene Akkorde zu treffen gewußt, die in ihren 
Seelen Anklang fanden. Als ich nach dreimonatlicher 
Abweſenheit die Armee wieder ſah, mußte ich um ſo 
mehr über dieſe gänzliche Umwandlung ſtaunen, als 
ich keinen der Uebergangsmomente ſelbſt erfahren. Ich 
hatte eine phyſiſch und moraliſch herabgekommene Truppe 
verlaſſen, die, in apathiſchem Zuſtande, nur Unglücksfälle 
von ihren Obern zu erwarten ſchien; und nun, nach— 
dem Maroto kaum wenige Wochen das Commando 
führte, ſchien, ohne einem einzigen Treffen, ohne 
irgend einer entſcheidenden Maßregel, ein neues Lebens— 
prinzip Alle zu durchzucken. 

Die Ankunft bedeutender Subſidien aus dem Nor- 
den, welche vielleicht nur zufälliger Weiſe mit der 
Maroto's genau zuſammentraf, mag allerdings nicht 
wenig zu dieſer Popularität beigetragen haben, die er 
bei den Soldaten und dem Volke, vom erſten Tage an, 
genoß. Denn Erſtere erhielten von nun an ihre ganze 
Löhnung, was ſeit Anfang des Krieges nie geſchehen 
war, wo meiſt nur Drittel (tercios) und in unſern 
brillanteſten Zeiten höchſtens halber Gehalt (quince— 


nas) ausbezahlt worden. Zugleich hörten die außer— 
ordentlichen Geldſteuern auf, was ihn bei den Land— 
leuten nicht wenig beliebt machte, obſchon die großen 
Victualien-Lieferungen und regelmäßigen, an die Pro— 
vinzial-Deputationen zu entrichtenden, Abgaben ſtets 
fortdauerten. Was aber Maroto, bei Soldaten und 
Subalternen, im hellſten Lichte wahrer Unpartheilichkeit 
erſcheinen ließ, was die Hoffnung begründete, eine 
radicale Aenderung aller Mißbräuche, alles Unweſens 
durch ihn zu erreichen, alle Intriguen aufhören zu 
ſehen, die fo lange den Triumph unſerer Waffen hin— 
gehalten, — war ſein ſtrenges, ſchneidend kaltes, derb— 
zurechtweiſendes Weſen mit Generalen und Stabs— 
offizieren in Gegenwart der Truppe, und ſein beſtän— 
dig ſpöttiſches und tadelndes Hindeuten auf die Män- 
gel und Fehler ſeiner Vorgänger, denen er nun bald 
abhelfen würde. Viele haben hierin eine Vorarbeit 
zu ſeiner ſpätern Verrätherei geſehen; ich traue mir 
dieſen Scharfblick nicht zu, und glaube dieſes Verfah— 
ren genügend in der Eitelkeit Maroto's und in der 
faſt allgemeinen Abneigung jedes Nachfolgers, ſei 
es nun auf dem Throne, im Heere oder im Cabinet, 
gegen die Handlungen ſeines Vorgängers erklärt. Daß 
4* 


er aber kein Freund jener Generale war, die bei feinem 
Abgang von der königlichen Armee meiſt Subaltern- oder 
höchſtens Stabsoffiziere, während er unthätig in Frank— 
reich ſich abhärmte, fortwährend Lorbeern, Grade und 
Auszeichnungen, vielleicht zum Theil auch Vermögen 
erworben hatten, iſt bei ſeinem neidiſchen und ſelbſt— 
ſüchtigen Charakter ſehr begreiflich; um ſo mehr als 
dieſe Generale ſich nicht immer vor ihm ſehr zurück— 
hielten, oft indirect ihn verletzende Saiten berührten. 
Hievon kann man Beiſpiele in Herrn von Rahdens 
Buche ſehen, *) obwohl er über dieſen Punkt anderer 
Meinung iſt, Maroto für einen prämeditirten Ver— 
räther hält, und die Ueberzeugung hegt, er habe ſeine 
Plane lange vorher vorbereitet und ganz fertig nach 
Spanien mitgebracht. Ich habe ſchon einmal geglaubt 
darauf hindeuten zu müſſen, daß ich dieſer Anſicht 
nicht beipflichten kann, ohne Maroto deßhalb für 
minder ſchuldig zu halten. Aber aus vielen Gründen, 
die ich zum Theil im Verlaufe dieſer Erinnerungen zu 


*) Herr von Rahden erzählt (S. 179), daß während einer 
Revue, die bei Eſtella im Juli 1838 ſtatt fand, der 
General Fr. Garcia neben dem Könige ritt, letzterem 


entwickeln trachten werde, zum Theil jedoch nicht der 
Oeffentlichkeit übergeben darf, halte ich Maroto für 
eine dupe Eſpartéro's und des Marſchalls Soult. 
Ganz andere Hoffnungen und Vorſchläge wurden ihm 
gemacht, ganz andern Planen gab er zuerſt ſeine 
Beiſtimmung; doch ein banales Sprichwort ſagt, daß 
wer dem Teufel nur den kleinen Finger hinreicht, ihm 
bald die ganze Hand geben muß. So erging es 
Maroto. Nachdem er, eigenmächtig und unrecht— 
mäßig, Propoſitionen vom Auslande Gehör geſchenkt, 
die allerdings weit ehrenvoller klangen, als was kurz 
darauf geboten wurde, nachdem er dieſe Cröffnun— 


von den Siegen Zumalacarregui's ſprach, „ſein 
eigenes Verdienſt und das ſeiner Navarreſen herauszu— 
heben und zugleich an Maroto ſich zu reiben, immer 
lauter den Satz wiederholend: „Ja damals wurde der 
Feind mit dem Bajonnet, nicht mit der Feder geſchla⸗ 
gen,“ ohne Zweifel auf den, wenige Tage zuvor bekannt 
gewordenen, Aufruf Maroto's an die Truppen anſpie— 
lend. Dieß weckte den Leu aus ſeinen Träumen, und 
bei einem wüthenden Seitenblick erſchien es mir 
(Rahden sc.), als ob das Opfer bereits dem Henker 
verfallen wäre.“ — Garcia war bekanntlich einer der 
am 16. Februar 1839 zu Eſtella fuſillirten Generale. 


54 

gen vor dem Könige geheim gehalten, konnte er nicht 
mehr zurück. Er war in den Händen Eſpartéro's, 
ohne die geringſte Garantie zu haben, und von dieſem 
beſtändig überliſtet, ſchwand mit hinreißender Schnellig— 
keit eine Conceſſion nach der andern, ſo daß endlich 
Maroto ſich in der Alternative ſah, vom Könige 
vor ein Kriegsgericht geſtellt und mit allen jenen, die 
er getäuſcht hatte, fuſillirt zu werden, oder zum Feinde 
überzugehen. Maroto hat Letzteres gewählt, gewiß 
das frevelhafteſte und ſchmachvollſte. Ein Ausweg 
blieb ihm noch, ein verzweifeltes Treffen zu wagen 
und ſichern Tod zu ſuchen, doch das wäre für einen 
Mann wie Maroto zu ritterlich geweſen. 

Ich bin in dieſen letzten Worten unwillkührlich 
den Ereigniſſen vorangeeilt, und habe in eine Epoche 
eingegriffen, auf die ich ſpäter mit mehr Detail zurück- 
kommen werde. Demungeachtet kann ich, ſo wenig als 
irgend ein Anderer, die Prätenſion haben, den Faden 
zu dieſem grauenhaften Labyrinthe von Infamien zu 
finden und den Schleier zu lüften, der dieſe Epiſode 
der ſpaniſchen Geſchichte verhüllt. Eſpartéro und 
Maroto können es; großentheils der Marſchall Soult, 
gewiß auch Linage, Eſpartéro's Vertrauter; 


doch wer Alles am beiten und bis in die geheimſten 
Fäden kennen muß, iſt der franzöſiſche Bataillons⸗ 
Commandant Bertrand Duffeau-Pouillac, 
Maroto's Privat-Seecretair; der, denke ich, wird ſich 
aber aller Veröffentlichung enthalten. Was Andere 
ſchreiben, ſind nur mehr oder minder begründete Ver— 
muthungen und individuelle Anſichten. 


Am 11. Juli Morgens verließ ich Toloſa, das 
noch, wie drei Monate früher, der Sammelplatz aller 
gefallenen Dignitarien war. Seit Ankunft Maroto's 
hatten ſie jedoch mehr Wichtigkeit erlangt und ver— 
ſammelten ſich alle Abende beim Ex-Miniſter Erro, 
wo über die wichtigſten Staatsangelegenheiten mit 
ganz unſpaniſcher Ungebundenheit abgeurtheilt wurde. 
Erro gab den Ton an, dieſer Staatsmann, der bei 
dem regſten Eifer und eminenten Eigenſchaften ſich 
während ſeiner ganzen Geſchäftsführung durch eine 
Reihe von unpractiſchen Maßregeln und unglücklichen 
Einfällen auszeichnet hatte. Demungeachtet war er 
gewiß der einzige Diplomat auf dem Kriegsſchauplatze, 


oder doch wenigſtens der Einzige, der einen höhern 
Diplomaten vorſtellen konnte. 

Mit Freuden vernahm ich die Freilaſſung des 
Generals Eguia. Dieſer würdige, alte Mann war 
vierzehn Monate ohne aller Verbindung gehalten wor— 
den, ohne ein einziges Verhör erlangen zu können. 
Zuletzt ſoll ſein Verſtand darunter gelitten haben. So 
wird erzählt, daß, wenn er, durch die Fenſtergitter ſeines 
Gefängniſſes, des öden Bergſchloſſes Monjardin, Offi— 
ziere in den, zu ſeinen Füßen liegenden, Thälern 
marſchiren ſah, er ihnen zurief: „Offizier, hören Sie 
mich! wiſſen Sie warum der alte General Eguia 
in Monjardin gefangen ſitzt? — ich weiß es auch nicht, 
und ich bin der General Eguia.“ 

Vor meinem Abritte aus Toloſa beſuchten mich 
Urbiztondo (der ehemalige General-Commandant 
von Catalonien), Alvarez de Toledo, Sohn des 
Herzogs von Ynfantado, der von feiner italieni- 
ſchen Miſſion eben zurückgekehrt war, und Oberſt 
Beffieres, Sohn des 1823 fuſillirten Royalifti- 
ſchen Generals. Auch fie waren mit Arias- 
Teijeiro und Guérgu unzufrieden und in voller 
Freude über Maroto's Ernennung. Sie gehör— 


37 


ten, beſonders die beiden Erſten, zu den brillanteſten, 
gebildetſten Offizieren des königlichen Heeres, waren 
dem Könige nach Portugal gefolgt, hatten ihrer 
Treue und Hingebung wegen ſich großen Verfol— 
gungen ausgeſetzt; wurden ſpäter gefangen und nach 
Puerto Rico abgeführt, von wo entwiſcht, ſie bis 
dahin ſtets mit der größten Auszeichnung gedient. 
Ich ſelbſt hatte ſie in mehreren Affairen geſehen, und 
für Beſſiè res, nach der Schlacht von Huesca, das 
Ferdinands-Kreuz von Villarreal verlangt, der es, 
beiläufig geſagt, nur mit Widerwillen zugeſtand. 
Ich hatte viel Neigung für dieſe drei Offiziere, die, 
als ich ſie an dieſem Morgen zuletzt ſah, über die 
Ernennung Maroto's alle erduldeten Unbilden ver— 
geſſen zu haben ſchienen. Sie ſprachen mit glühender 
Begeiſterung und großer Hingebung von der königlichen 
Sache, der ſie ſich mit Leib und Leben wieder weihen 
wollten. Was ich am erſten erwartet hätte, wäre den 
Tod des Einen oder des Andern von ihnen auf einem 
Schlachtfelde zu vernehmen. Sie ſind ſeither alle 
Drei mit Maroto übergegangen und haben den 
Vertrag von Vergara unterzeichnet. 

Spät Nachts traf ich in Elorrio ein, wo der 


König damals Hoflager hielt. Ich ſtieg vor dem 
Haufe Arias-Teijeiro's ab, der allein in feinem 
Cabinet arbeitete. Als ich ihn verließ war es ſchon 
heller Morgen geworden. Dieſe fünfſtündige Unter— 
redung werde ich nie vergeſſen, doch gehört ſie nicht 
vor das Forum der Oeffentlichkeit. So viel ſcheint 
mir jedoch gewiß, und mag hier geſagt werden, daß, 
wäre ich vor dem Pallaſte des Königs, ſtatt vor 
Arias-Teijeiro's Haufe, abgeſtiegen und hätte 
durch meinen Freund, den Dienſtkämmerer Joſé 
Villavicencio, noch dieſelbe Nacht Eintritt ins 
königliche Cabinet erlangt, Vieles Anders gekommen, 
ſeither Unabwendbares vielleicht abgewendet worden 
wäre. Acht Tage darauf ſchrieb ich aus Urdax an 
Herrn von Cotta nach Stuttgart: Maroto est le 
dernier médecin qui guerit, ou le fossoyeur qui 


enterre. 


II. 


Abgang vom Hoflager. — Eſpartéro's projectirter Angriff von 
Eſtella. — Der Biſchof von Leon. Triſtany. Don Pedro Raton, 
Beichtvater des Königs. — Merino über Fürſt Metternich. — 
Mit dem Souspräfecten von Bayonne contrahirter Uebergang 
auf franzöſiſchen Boden. Sein Urtheil über Maroto. — Ueber 
die ſpaniſchen Flüchtlinge und Granden. — Graf Peyronnet in 
Monferrand. — Unthätigkeit im Hauptquartier. — Toulouſe. — 
Perpignan. — Zug über die öſtlichen Pyreneen bis nach 
Catalonien. f 


(Ende Juli dis Mitte September 1838.) 


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In meine Wohnung zurückgekehrt, bereitete ich 
Alles zu meiner unverweilten Abreiſe vor. Als ich 
eben zu Pferde ſteigen wollte, zog der König vor— 
bei, ſich nach Eſtella zu jener unglücklichen Revue 
zu begeben, die wohl für viele ein Stein des Anſtoßes 
geweſen, manchen Feindſeligkeiten Stoff und Nahrung 
gegeben. Doch hierüber mögen Andere ſchreiben. Der 
König war wieder von Garden und Gefolge um— 
geben, wie ich ſo oft, an ſo vielen merkwürdigen 
Tagen, durch hunderte von Meilen ihn geſehen. Weh— 
müthige Gedanken beſchlichen mich, und als ich den 
unglücklichen Herrn, dem ich mein Leben geweiht, 
ernſten Sinnes vorüberziehen ſah, ſchien es mir ſchon 
damals, als gehe er ſeinem Verderben entgegen. Das 
nächſte Mal ſah ich ihn als Flüchtling auf franzöſiſchem 
Boden. Sein Blick war vielleicht düſterer, doch ſein 
Sinn gewiß nicht ſchwankender geworden. 


62 

Es war damals viel die Rede von Eſpartéro's 
projectirter Attaque gegen Eſtella. Ich muß aufrichtig 
geſtehen, daß ich nie ſehr ernſt daran geglaubt; nicht 
etwa, daß ich ein Einverſtändniß zwiſchen ihm und 
Maroto für möglich gehalten hätte, ſondern weil mir 
die ſtets zaudernde Vorſicht des feindlichen Heerführers 
bekannt war, dieſes beſtändige Hin- und Herziehen, 
um nur da Zuzuſchlagen, wo mit ungleich größeren 
Kräften, einer imponirenden Stellung, er des unſtreitigen 
Vortheils gewiß ſein konnte; ich ſage Vortheils, 
da ſeine Affairen nie Siege genannt werden konnten. 
Eſtella war aber ein für uns zu bedeutender Punkt, 
deſſen moraliſche Wichtigkeit jedem Navarreſen, der ganzen 
carliſtiſchen Armee zu ſehr einleuchtete, als daß die Ein— 
nahme dieſes, an ſich zwar nur mittelmäßig befeſtigten, 
Platzes leicht, unbeſtritten geweſen wäre. Wo der Aus— 
gang zweifelhaft war, konnten auch wir vor Eſpar— 
tero gewiß fein. Dieß war damals die unter vielen 
Carliſten verbreitete Meinung, für deren Richtigkeit 
Eſpartéro's Räumung von Durango im März 1837 
ſprach, ſo wie ſein laues Auftreten im Niedern Aragon 
und vor Madrid, während der königlichen Expedition, 
endlich ſein ſchwaches Verfolgen bis zum Ebro, den 


63 


er damals nicht zu überſchreiten wagte. Dieſe Ge— 
danken tröſteten mich vollkommen, nicht an der Eröff- 
nung einer Campagne Theil zu nehmen, von der ich 
wenig Blut, noch weniger Lorbeeren erwartete, auch 
wenn ich von der allgemeinen Stimmung für Maroto 
hingeriſſen, auf Moreno's Urtheil über ihn und auf 
fo manche hier einſchlagende, halblaute, iſolirte Andeu— 
tungen gar kein Gewicht gelegt hätte. 

Vor meinem Abgange wollte ich doch noch den 
Biſchof von Leon ſehen, der, nach Entfernung des 
königlichen Hoflagers, in Elorrio zurückgeblieben war. 
Der gutmüthige Prälat ſchien mir ſehr eingeſchüchtert, 
moraliſch herabgekommen, gealtert, und wußte ſich 
keinen Rath zwiſchen ſeinem nun mächtig und ſelbſt— 
ſtändig gewordenen Protégé Arias-Teijeiro und 
Maroto, feinem alten Feinde aus Portugal. Er 
verſicherte mich, es ginge Alles ſchlecht und es würde 
ſeines Bleibens in Spanien nicht lange mehr ſein, 
wenn ſich nicht Vieles änderte. Dabei ſprach er ſehr 
leiſe, damit fein Secretair Pecondon, vor dem er 
ſich immer mehr fürchtete, ihn nicht höre. Nebenbei 
frug er mich, ob man im Auslande die große Wich— 
tigkeit ſeiner Stellung wohl zu erkennen und richtig zu 


6A 


würdigen wife, da er als Minifter der Gnaden und 
Juſtiz zugleich alle Attribute des Miniſteriums des 
Innern und der Polizei vereine, was ihn natürlich 
zur erſten Perſon im Staate mache. Eine Geſchichte 
von einem Nonnenkloſter in Portugal, in dem er, 
während der Verfolgungen Rodil's, verborgen gewe— 
ſen, beendete meine Unterredung, und ich verließ ihn, 
der traurigen Ueberzeugung, daß dieſer würdige Mann 
ſehr baiſſirt habe, und man von ihm vergeblich die 
geringſte heilſame Aenderung erwarten würde. 

Im Vorſaale des Biſchofs fand ich Triſtany wie— 
der, den berüchtigten Abt und Guerilléro, den ich an 
der Spitze ſeiner Diviſion in Catalonien verlaſſen hatte. 
Er war auf königlichen Befehl ins Hoflager gekommen, 
und mag wohl geglaubt haben, er würde es durch 
ſeine Freunde und ſein Geld durchſetzen, zum General— 
Commandanten Cataloniens ernannt zu werden. Auch 
er war verändert, doch wohl nur äußerlich. Die krie— 
geriſche Tracht, der große Bart, dieß Alles war ver— 
ſchwunden und hatte einem ſehr correcten, weltgeiſtlichen 
Anzuge Platz gemacht. Runder Hut, Tonſur, Rabbat, 
nichts fehlte, und Niemand hätte an dem demüthig 
kriechenden Pater den ſtolzen Parteigänger erkannt, 


gewohnter den Säbel als das Brevier zu führen. 
Die Nachricht von der Ankunft des Grafen de Eſpaña 
in Berga, ihm erſt ſeit einigen Stunden bekannt, ſchien 
einen tiefen und ſehr unangenehmen Eindruck auf ihn 
zu machen; doch wußte er damals noch nicht, daß er 
auf Wunſch des alten Feldherrn abberufen worden, 
der den Cataloniſchen Boden nicht betreten wollte, ſo 
lange Triſtany ihn durch feine Gegenwart infectirte. 
Ein Jahr ſpäter habe ich mit ihm in einer Contre— 
bandierkneipe am Ufer des Adour in Petit-Bayonne 
gegeſſen, da war er eben im Begriffe nach Catalonien 
zu gehen, doch rieth ich ihm es nicht zu thun, ſo 
lange der Graf dort befehlige, der ihn ſicher ſofort 
todtſchießen laſſen würde. Er hat auch meinen Rath 
befolgt, und erſt nach Ermordung de Efpana’s ſich 
auf dem Schauplatze feiner alten Streif- und Raub—⸗ 
züge gezeigt. Doch iſt er nur, ſoviel mir bekannt, 
kurze Zeit dort geblieben, und es iſt nicht unwahr— 
ſcheinlich, daß fein einziger Zweck war, ſeine in Cata— 
lonien verborgenen Schätze nach Frankreich in Sicher— 
heit zu bringen. Ich weiß nicht ob es ihm gelungen. 
Später war er eine Zeit lang in franzöſiſchen Depots, 
und ſoll jetzt (September 1841) an der Spitze einer 
II. 5 


66 


Bande von 200 Mann im Felde von Tarragona (fo 
heißt die große Ebene um dieſe Stadt) herumziehen. 
Doch find dieß Räuber und Plünderer, die den cars 
liſtiſchen Namen nur ſchänden. N 
Auch Don Pedro Raton, der Beichtvater des 
Königs, war aus den Pinaren zurückgekommen, wo 
er bei Durchzug der königlichen Expedition krank zurück— 
geblieben. Die Verlegenheit und Angſt Arias-Tei⸗ 
jeiro's und ſeiner Anhänger war komiſch zu ſehen, 
als dieſer würdige Mann, den ſie bereits aufgegeben 
hatten, plötzlich und unerwartet in Elorrio eintraf, 
von fünfzig Reitern Balmaſeda's begleitet, der ihn 
in einem armen, kleinen Dorfe, mitten in den Wäldern, 
angetroffen und mit dieſer Escorte nach den Provinzen 
geſchickt hatte, wo ſeine Ankunft Alle in Bewegung 
ſetzte. Viele befürchteten, Andere hofften er würde 
ſeine ehemalige Stellung wieder einnehmen und den 
Capuziner-Mönch Larraga, deſſen ich im erſten Theile 
dieſer Erinnerungen erwähnt, erſetzen. Zu meinem 
Kummer erfuhr ich, der König habe ihm gerathen 
nach Onate zu gehen und feine ſchwankende Geſund— 
heit wieder herzuſtellen, worauf das Hoflager abritt 
und Don Pedro in Elorrio zurückblieb. Ich weiß, 


67 


daß es Leute gab, die öffentlich hierüber mehr jubel— 
ten, als wenn die Nachricht eines entſcheidenden Sie— 
ges Cabrera's oder de Eſpama's angelangt wäre. 
Später hat doch der ehrliche, ſchlichte Pater den fana— 
tiſchen, intriganten Mönch erſetzt, und befindet ſich 
noch jetzt an der Seite des Königs, dem er treu ins 
Exil gefolgt. Don Pedro Raton war eine, ſelbſt 
unter dem ſpaniſchen Clerus, merkwürdige Erſcheinung, 
durch ſeine anſpruchloſe Beſcheidenheit, ſein ſtilles Wir— 
ken, ein beſtändiges Ausweichen aller Influenz oder 
Einmiſchung in öffentliche Angelegenheiten. Nie ſah 
man ihn im Vorſaale oder der Suite des Königs, 
wohin ſich doch Alle drängten, die mit oder ohne 
Grund nur halbwegs ein Recht dazu hatten; nie hörte 
man ſeinen Namen nennen, und doch bin ich über— 
zeugt, hat er viele Leiden gemildert, Thränen getrock— 
net. Auf Märſchen ritt er ſtets weit vor oder nach, 
allein hinter irgend einer Truppe und ſprach freundlich 
mit den Soldaten, auf ſeinem kleinen Maulthier ein- 
her trappelnd, in einen weiten braunen Mantel ge— 
wickelt, aus dem das faltenreiche Antlitz und die klu— 
gen Augen des Greiſes halbverdeckt vorguckten, deſſen 
Ohr die geheime Confeſſion des Königs von Spanien 
5 


hörte. So ſah ich ihn das erſte Mal; ich war bereits 
mehrere Monate im Hauptquartier und wußte noch gar 
nicht, daß er exiſtire. Es war auf dem Marſche. Der 
Infant, der zurückgeblieben, ritt ſcharf nach, ſich an 
die tete der Colonne zu ſtellen. Ich war im Dienſte 
und galoppirte vor ihm, die Reihen öffnen und Platz 
machen zu laſſen. So kamen wir zu einer kleinen, 
ſchmalen Brücke, deren Mitte ein unanſehnlicher Rei— 
ter auf einem kleinen Maulthier einnahm. Ich rief 
ihm zu, ſich zu rangiren, was er auch gutwillig that, 
mich jedoch verwundert anſah. Der Infant und alle 
Herren ſeiner Suite lachten ſehr über das, was ſie 
„meinen Mißgriff“ hießen, da ich den „Confesor de 
Su Magestad” auf die Seite geſchafft. Don Pedro 
hat es mir nie nachgetragen. 

tachdem ich in Ureſtilla, dem freundlichen Land— 
ſitze der Familie Narros und in Toloſa vergeblich 
durch ſechs Tage auf eine königliche Ordre gewartet, 
nach Catalonien zu gehen, von der Arias-Teijeiro 
mir geſprochen hatte, entſchloß ich mich zur Abreiſe. 
Ich nahm noch Abſchied von Moreno, den ich dieß— 
mal in der heiterſten Stimmung der Welt traf. Er 
war eben beſchäftigt, einen neuen Aufruf Maroto's 


69 


zu leſen (den dritten in weniger als einem Monat), 
und ergötzte ſich ſehr über dieſe habladurias (Groß- 
ſprechereien), mit denen der Feind nicht geſchlagen 
würde, meinte er. Ich fand damals den alten Mann 
ungerecht, denn mich entzückte die kriegeriſch ernſte, 
decidirte Sprache dieſer Proclamationen. Ich ſollte 
Moreno nicht mehr ſehen; ein Jahr darauf ward 
er ermordet; doch über dieſe ſchauderhafte Geſchichte, 
die noch jetzt in ein geheimnißvolles Halbdunkel gehüllt 
it, ſpäter, um dem Gange der Creigniſſe nicht vorzu— 
greifen. — Auch Merino ſah ich wieder, meinen alten 
Freund aus den Pinaren, ſo vielen andern gleich auf 
unthätiges Herumziehen im Lande beſchränkt. Er frug 
mich, ob ich den Fürſten Metternich geſprochen, ob 
er den Carliſten gewogen ſei und ihnen helfen wolle. 
Auf meine Antwort rief er aus: „EI Metternico es 
grande hombre, aborrece la canalla.“ 

Als ich nach Urdax, eine kleine halbe Stunde 
von der franzöſiſchen Grenze, kam, dachte ich daran, 
ob es nicht möglich wäre, ſich mit den franzöſiſchen 
Autoritäten zu verſtändigen, die Langeweile und Er— 
müdung des Uebergangs zu erſparen. Zu dieſem Ende 
begab ich mich an die Grenzbrücke Dancharria, zwiſchen 


70 


Urdar und dem franzöſiſchen Dorfe Ainhoa, wo cars 
liſtiſche und franzöſiſche Poſten ſich gegenüberſtanden. 
Ich ließ den franzöſiſchen Polizeicommiſſär erſuchen, 
ſich am nächſten Morgen an dieſem, gleichſam als 
neutral betrachteten, Punkte einzufinden, wo ſchon 
öfters kleine Streitigkeiten und Mißverſtändniſſe, wegen 
verlaufener Heerden oder aufgefangener Correſpondenzen, 
friedlich geſchlichtet worden. Mr. Darhbampe, fo hieß 
der Mann, fand ſich zur beſtimmten Zeit ein und ich 
erklärte, freundſchaftlich mit ihm auf- und abſpazierend, 
wie ich, trotz meiner früheren Arreſtation, aller Vorſich— 
ten und Signalemens doch wieder nach Spanien gekom⸗ 
men ſei, ſomit wohl auch wieder heraustreffen würde, 
wenn gleich man mich daran verhindern wolle; daß 
aber, um Geld, Zeit und Mühe zu ſparen, ich dem 
Souspräfecten von Bayonne anböte, mir einen Geleit— 
ſchein bis zu dieſer Stadt und einen Paß bis Bordeaux, 
für mich und meine Leute, binnen 24 Stunden nach 
der Grenze zu ſenden, wodann ich ruhig meines We— 
ges ziehen würde. Sollte er dieß jedoch verweigern, 
jo habe er zu gewärtigen, daß ich im Bayonner Oppo— 
ſitionsblatte (Sentinelle des Pyrénées) einen Avis 


an ihn inſeriren würde, daß ich an beſtimmtem Tage 


71 


und Stunde die Grenze paſſiren wolle, und dann in 
Bordeaux angelangt, in dem legitimiſtiſchen Blatte dieſer 
Stadt (la Guienne) meinen öffentlichen Dank ein— 
rücken, daß, meiner Warnung ungeachtet, die franzöſi— 
ſchen Autoritäten mich entwiſchen laſſen. Dieſes würde 
nicht ermangeln in der Preſſe und Oppoſition vielfach 
beſprochen, einen neuen Grund zu Declamationen 
wegen ſchlechter Zuhaltung der Quadrupel-Allianz und 
ungeſchickter oder unredlicher Verausgabung der gehei— 
men Fonds abzugeben, könne ſonach dem Souspräfecten 
unangenehme Momente bereiten. Der gute Polizei— 
commiſſär, gewiß einer der ſimpelſten ſeiner Gattung, 
ſchien ſehr betreten, eine ſo peremptoriſche Alternative 
ſeinem Chef vortragen zu ſollen, doch mußte er ſich 
endlich dazu entſchließen. Wir leerten einige Gläſer 
auf guten Ausgang unſerer Negociation, und noch am 
Abſchiede bat er mich, falls in 24 Stunden die Ant— 
wort nicht zurück ſei, doch ja noch eine kurze Friſt 
zuzugeben, da die Entfernung nicht unbedeutend und 
die Wege ſchlecht wären. Doch wurde dieſe Coneeſſion 
meinerſeits unnöthig, da bereits am nächſten Morgen 
ein reitender Gensdarme an die erwähnte Grenzbrücke 
in größter Eile die geforderten Geleitſcheine und Päſſe 


brachte, worauf ich ſofort den ſpaniſchen Boden ver— 
ließ, und zur Verwunderung der Einwohner am hellen 
Mittage, in carliſtiſchem Coſtüm, mit meinen Leuten, 
ſämmtlich bewaffnet, durch einige Dörfer bis Bayonne 
ritt. Dort hatte ich eine kurze Converſation mit 
dem Souspräfecten, dem dieſer Aufzug ſehr zu miß- 
fallen ſchien. Namentlich konnte er ſich nicht beruhigen, 
daß der ſpaniſche Conſul Gamboa (nachmals Finanz- 
miniſter), der meinem Hötel gegenüber wohnte, mich 
„avec ce train suspecte et seditieux” habe ein⸗ 
reiten und ſogleich zum carliſtiſchen Agenten Marquis 
de Lalande gehen ſehen. Nachdem wir uns endlich 
über dieſen Punkt verſtändigt, ſprach er von Ma— 
roto und ſagte, er begreife nicht wie mein Herr 
(votre Maitre) ihn habe an die Spitze ſeines Heeres 
ſtellen können, denn er ſei gewiß ein Verräther. Ein 
Mann, der ſein Ehrenwort breche (er war in Tours 
auf Ehrenwort geſeſſen und entflohen), müſſe auch ein 
Verräther ſein. Ueberdieß beweiſe es das Protocoll, vor 
ſeinem Zuge nach Catalonien, durch General Harispe 
(franzöſiſchen commandirenden General längs der weſt— 
lichen Pyreneen) aufgenommen, zur Genüge, daß er 
es mit Don Carlos nicht redlich meine. „On ne 


73 


s’exprime pas d’une facon aussi inconvenante sur 
un prince qu'on sert et qu'on considere comme 
son souverain,“ ſchloß er feine Rede. Dieſes Pro— 
tocoll, von dem ich damals zuerſt ſprechen hörte, wurde 
einige Tage ſpäter (4. Auguſt 1838) im offiziellen 
Blatte von Bayonne (le phare de Bayonne) abge⸗ 
druckt. Ich hielt es zu jener Zeit für apokryph, wie 
mir auch der Tadel im Munde des franzöſiſchen Fone— 
tionnairs als Lob klang; doch konnte ich nicht umhin, 
über den Ausdruck von Wahrheit verwundert zu ſein, 
der aus ſeinen Worten vorleuchtete. Nach kurzem 
Aufenthalte verließ ich Bayonne, und nach zwei Tagen 
vergaß ich bei einem ausgeſuchten Diner meines vor— 
trefflichen Freundes, des Generalconſuls Meyer in 
Bordeaux, allen Aerger und alle Mühſeligkeiten der 
letzten kurzen Epiſode. 

Bordeaux, die ſchönſte Stadt Frankreichs nach 
Paris, mit den herrlichen Ufern ſeiner breiten Ga— 
ronne und ſeinem milden Clima, hat auch in ſeinem 
Leben und Treiben einen ganz ſüdlichen Anſtrich. Deß— 
halb gefiel es wohl den Spaniern vorzugsweiſe dort, 
denn in Bordeaux, wie übrigens in den meiſten Städten 
des mittägigen Frankreich, waren in größerer oder klei— 


7A 


nerer Anzahl, viele ſpaniſche Familien anſäßig, die, 
jenen Theilen angehörig, wo der Krieg wüthete, ihren 
heimatlichen Heerd verlaſſen hatten und das Ende des 
langen Kampfes in Entbehrung und Jammer abwar— 
teten. Sie waren meiſt politiſcher Anſichten halber 
ausgewandert, die Carliſten aus den von den Chriſti— 
nos beſetzten Gegenden, und umgekehrt. Confiscation 
ihrer Habe war die gewöhnliche Maßregel, die über 
ſie verhängt wurde, nicht ſelten auch Zerſtörung ihrer 
Häuſer. Dieſe Familien haben mir immer großes 
Mitleid eingeflößt, waren wahrhaft achtungswürdig, 
und hatten nichts mit jenen vornehmen und reichen 
Leuten gemein, die unter Bonaparte Joſephiner, 
unter Ferdinand VII. abwechſelnd Liberale und 
Abſolutiſten, es nun mit beiden Parteien hielten, oder 
vielmehr mit keiner; bei Ausbruch des Krieges ihr 
bewegliches Vermögen an ſich zogen, und im Auslande, 
in ſcandaloſem Luxus praſſend, um die Leiden ihres 
Vaterlandes unbekümmert, das Ende des langen 
Todeskampfes abwarteten, um dem Sieger dann zu 
huldigen, wer er auch ſein möge. Sie zahlten beiden 
Regierungen ihre Abgaben, waren mit beiden in brief— 
licher Verbindung, zumeiſt von Paris aus, und ver— 


ficherten Beide ihrer Verehrung und Anhänglichkeit, 
indem fie bedauerten, daß Umſtände und zarte Stel— 
lungen (eircunstaneias y posiciones delicadas) ſie 
verhinderten thätigen Antheil zu nehmen. Sie ver— 
folgten Don Carlos und Chriſtina mit ihren 
frommen Wünſchen, und zollten, je nach dem Salon, 
in dem ſie ſich befanden, den Helden beider Feld— 
lager ihre wortreiche Bewunderung. Ich habe mehrere 
dieſer Herren gekannt, die ich des Morgens bei'm 
Marquis de Labrador ſah, wo ſie ſich mit theil— 
nehmenden Geſichtern um das Befinden „Seiner 
Majeſtät des Königs“ und um die Fortſchritte unſeres 
„heldenmüthigen Heeres“ erkundigten, und von denen 
uns wohl bekannt war, daß ſie an den Empfangs— 
tagen des chriſtiniſchen Botſchafters, Marquis de Mira— 
flores, in feinem Hötel nie fehlten. Es waren die 
berühmteſten Namen Spaniens, Nachkommen jener 
Helden der Kreuzzüge und der ſpaniſchen Weltherr— 
ſchaft, die ſo herabgekommen, daß fie nur Ckel ein— 
flößen konnten. Furcht und eine gänzliche Unkenntniß 
jedes Begriffes politiſcher Ehre bilden durchgehend den 
Hauptzug ihres Charakters. Sie wollen, nach der 


ſpaniſchen Redensart, „mit Allen leben“ (vivir con 


76 


todos). Jetzt find fie meiſt in Madrid, machen 
Eſpartèro den Hof und correspondiren ins geheim 
mit der Königin Chriſtine. In dieſem doppelten 
Heucheln hatte es unter Andern der Herzog von 
Oſuna, aus dem Hauſe Tellez de Giron, weit 
gebracht, einer der reichſten und vornehmſten ſpaniſchen 
Granden, der zu ſeinem großen väterlichen Erbe das 
bedeutende Vermögen ſeiner Großmutter, der Gräfin— 
Herzogin von Benavente, vereint, und noch beinahe 
den ganzen mächtigen Nachlaß des letzten Herzogs 
von Pnfantado zu erwarten hat, da deſſen natür- 
licher Sohn, Alvarez de Toledo, in die Grandezzen 
und italieniſchen Fürſtenthümer (Eboli und Melito) 
nicht nachfolgen kann. Dieſer Herzog von Oſuna, 
ein mit Juwelen, einem Bijouterie-Händler gleich, 
ſtets bedeckter Dandy und eifriger Sportsman, war 
großartig in offiziellen Bewunderungen, die ſeinem 
Talente um ſo mehr Ehre machten, wenn er ſich auf 
neutralem Terrain befand, wo Repräſentanten beider 
Parteien ihn beobachten konnten. Sein Durchwinden 
durch derlei Klippen, wie die Säle der öſterreichiſchen 
und ſardiniſchen Botſchaft in Paris ihm öfters boten, 
kann wirklich nur mit dem franzöſiſchen Worte lou- 


77 


voyer wiedergegeben werden. Der würdige Standes- 
genoſſe Oſuna's in dieſen Beziehungen, nur viel 
geſprächiger als er, war der erſte Edelmann Spaniens, 
der Graf von Aſtorga, Marquis von Altamira, 
Herzog von Montemar, aus dem uralten, einſt 
königlichen Hauſe Traſtamara, der auf ſeinem 
Haupte vierzehn oder fünfzehn Grandezzen mit einer 
Revenue von ungefähr drei Millionen Franken ver— 
einigt. Er iſt das vollkommenſte Bild jener „Race 
rachitique et abätardie,” wie Herr von Martignac 
ſie nennt, und ich kann, mit Bezug auf dieſe kleine 
dicke, ungeſchickt ſchwankende Figur, mit hängenden 
Lippen und ſchielendem Fiſchauge, eine Randgloſſe 
hier mit mehr Recht wiederholen, als ich ſie über den 
Grafen von Cirat, der doch wenigſtens nur einem, 
und zwar ſeinem rechtmäßigen Herrn diente, in das 
Journal eines Kriegsgefährten ſchrieb: 

„Er bildet den reinen Typus des ſpaniſchen Gran— 
den, wie in ſtufenweiſer phyſiſcher und moraliſcher 
Degradation, er in einen Zuſtand vollkommener Ab- 
ſtumpfung gefallen iſt. Kleiner, kränklicher, krampf— 
haft zuckender Körperbau, unſchöne Geſichtszüge, Ver— 
nachläſſigung alles äußeren Anſtandes und der erſten 


Reinlichkeits Sorgfalt, ein blödes, vor ſich hin glotzen— 
des Auge; ſo weit die erſte Erſcheinung. Die grenzen— 
loſeſte Ignoranz der gewöhnlichſten Rudimente erſter 
Erziehung; vornehmes Verachten aller Kenntniſſe und 
Wiſſenſchaften; unleidlicher Hochmuth gegen den kleinen 
Adel, vorzüglich aber gegen Bürger, Künſtler, Gelehrte 
und Kaufleute; intime Familiarität mit ihrer Vale— 
taille, mit der ſie auf dem vertrauteſten Fuße leben, 
und kriechende Unterthänigkeit gegen Alles, was die 
königliche Perſon in näherer oder weiterer Beziehung, 
als zum Pallaſte gehörig, umgibt. Dieſer Drang 
nach der königlichen Sonne webt ſich in ihr ganzes 
Leben ein, und findet ſich überall wieder. Der Grand, 
der am Hofe lebt, Grande madrileno, und den ganzen 
Kammerſchlüſſel trägt (gentilhombre de camara con 
ejercicio) nennt ſich mit ſtolzer Demuth un exiado 
de Su Magestad (eriado, Domeſtike, Lakaye, wohl von 
Diener, Servidor, zu unterſcheiden). Wenn er noch 
ſo verſchuldet, von neuem Adel oder geringem Beſitz— 
thum iſt, ſo ſieht er doch mit Verachtung auf den in 
ſeiner Provinz, in Mitte ſeiner Vaſallen, feiner großen 
Domänen, in angeſtammter Würde, großen Anhang 


und Einfluß lebenden Granden, und ſagt: es un 


79 


Grande catalan, estremenio oder gallego. Von die- 
ſem traurigen Bilde weichen nur Wenige ab; iſt es 
glaublich, daß in beiden Heeren kein einziger geborner 
Grande mit dem Degen in der Fauſt gedient hat? 
— Als ehrenvolle Ausnahme dieſer Granden nenne 
ich mit Freuden die Marquis von Billafranca und 
Moneſterio und den Grafen von Org ſaz, die mit 
Aufopferung ihres großen Vermögens und ſeltener 
Uneigennützigkeit eine Zeit lang dem Hauptquartiere 
ihres königlichen Herrn folgten, und ſpäter zu diploma— 
tiſchen Miſſionen verwendet wurden. Keiner von ihnen 
hat mit ſeinen Eiden gefeilſcht, und das iſt immer ruhm— 
würdig und ehrenvoll, zur Zeit in der wir leben.“ 
Der Marquis von Altamira, wie er ſeiner 


älteſten Grandezza wegen gewöhnlich genannt wurde,“) 


*) In Spanien gibt der Titel Herzog, Marquis oder 
Graf, die einzigen der Grandezza, (mit Ausnahme der 
Familie Rubielos und eine Branche von Pacheco, 
die gar keinen Titel, als Senor, führen und doch 
Granden ſind) keinen Rang unter derſelben. Daher 
Grafen, wie z. B. Parſent, aus dem Haufe Pnfante 
de la Cerda, und Orgaz, aus dem Hauſe Crespy 
(ſiehe Geſänge des Cid) den Rang vor mehreren Her— 


80 


hatte auch noch den Kummer, von ſeiner jungen Ge— 
bieterin auf eine nicht unwitzige aber ungnädige Weiſe 


zogen haben, da lediglich die Antiquität der Grandezza, 
das Datum des Kopfbedeckens (cobrar), da die 
Granden vor dem Könige ihr Haupt bedecken, den 
Rang verleiht. Daher geſchieht es, daß viele, die Herzoge 
ſind, dieſen Titel einem mindern nachſtellen und gewöhn— 
lich nicht führen, beſonders wenn er durch Heirathen 
(por las hembras) ererbt oder ein ausländiſcher (meiſt 
italieniſcher, der ehemals ſpaniſchen Provinzen) iſt. 
So nennt ſich z. B. der Chef des Hauſes Toledo nur 
Marquis von Villafranca, obgleich er Herzog von 
Medina Sidonia lerheirathet) iſt, fein nachgeborner 
Bruder und fein älteſter Sohn die Titel als Herzoge 
von Bivona (in Neapel) und Fernandina (Sicilien) 
führen. Der einzige Unterſchied der ſpaniſchen Herzoge 
vor den übrigen Adelsklaſſen beſteht darin, daß ſie alle 
Granden find, viele Marquis und Grafen jedoch nur 
Titulos von Caſtilien. Die „Grandes estranjeros,” 
fremde Familien, denen der König die Ehren-Grandezza 
verleiht, haben gar keinen Rang, und gehen auch neueren 
ſpaniſchen Granden nach. Hievon ſind ausgenommen die 
Häuſer Aremberg (wegen Arſchott und Mark), Ligne, 
Croy und Merode, die als ſpaniſche Vaſallen in den 
Niederlanden Granden wurden; doch gehören in dieſe Ca— 
thegorie viele franzöſiſche Häuſer, die ſeit Philipp V. 
die Grandezza erhielten, wie z. B. Montmorency, 


empfangen zu werden, als er nach dem Verrathe von 


Vergara ſeine carliſtiſche Hälfte abſtreifte und ihr zu 


huldigen kam. Als er in den Thronſaal trat und das 


Knie 


vor der unſchuldigen Iſabella beugte, redete 


ſie ihn, ohne weiterer Eingangsformel, mit den Worten 


II. 


Noailles, la Motte Houdancourt, Serrant, 
Esclignaec, wie auch mehrere Oeſterreicher, die von 
Kaiſer Carl V. bis König Carl II. datiren, als 
Lamberg, Althann Khevenhüller, und in der 
neuſten Zeit Metternich, ſo wie viele italieniſche Häu— 
fer. — Sowohl Carl V. als Königin Chriſtine waren 
mit Verleihungen von Grandezzen ſehr ſparſam. Erſterer 
hat in Spanien nur drei ausgetheilt. Zumalacarre— 
gui ward nach feinem Tode zum Herzog de la Victoria 
erhoben, welchen Titel Eſpartéro, ohne Sieg, durch 
Königin Chriſtine für ſich nachäffen ließ. In dem 
poſthumen Diplom Zumalacarregui's heißt es, 
daß ſein Eidam, Gemahl ſeiner älteſten Tochter, da 
er keinen Sohn hinterlaſſen, den Titel Herzog de la 
Victoria führen und den Namen Zumalacarregui 
dem ſeinen vorſetzen ſolle. Der Marquis von Val de 
Espina, Präſident der Junta von Biscaya und der 
Baron von Hervez, Sohn des, in Morella nach dem 
Tode Ferdinand VII. enthaupteten, erſten Carliſten— 
Chefs, letzterer als Graf von Samitier, ſind die beiden 
andern durch Carl V. ernannten Granden. 


6 


an: Wer biſt Du (die Könige und Infanten von 
Spanien dutzen bekanntlich alle ihre Unterthanen, mit 
Ausnahme des Clerus), ich kenne Dich nicht? Alta— 
mira reecitirte feine Titel und Würden, worauf fie 
erwiederte: „So, mein Vetter, *) wo warſt Du denn 
die ganze Zeit, daß ich Dich im Pallaſte nie geſehen 
habe?“ und als nun der perpler gewordene Vetter nur 
unverſtändliche Worte hervorzuſtottern vermochte, kehrte 
ſeine kleine Herrin ihm den Rücken und verließ gravi— 
tätiſch den Saal. Im Nebengemach ſoll ſie, wieder 
Kind geworden, unter Hüpfen und Lachen ihrer Oberſt— 
hofmeiſterin, der Marquiſe de Santa Cruz, geſagt 
haben: „Der hat genug, dem habe ich Angſt gemacht.“ 

Das ſind alſo die Nachfolger der Herren vom 
„Nein“ in Aragon, jener hochfahrenden Ligueurs, 
deren Schlöſſer Feſtungen waren, die ihren Königen 
abſchlugen Krieg zu führen, Truppen zu ſtellen oder 
Beſatzung zu nehmen, wenn es ihnen gerade convenirte; 
die wenige Mal im Leben nach Madrid gingen, öfter 
auf die königlichen Luſtſchlöſſer, wo ſie ſich nicht ſo 


*) Pariente, als Grande, casas parientes: maisons cou- 
sines, nach der altfranzöſiſchen Hofformel. 


eingeengt, erdrückt vorkamen, und ihren großen Troß 
von begleitenden Edelleuten und bewaffneten Dienern in 
geringer Entfernung von der königlichen Reſidenz lagern 
ließen, in beſtändigem Mißtrauen gegen die Könige 
und Haß gegen deren erſte Miniſter, ſtets lauſchend, 
ob man nicht an ihre perſönliche Freiheit wolle, ihnen 
Conceſſionen abzunöthigen. In allen Ländern der Erde 
iſt der Adel herabgekommen, kaum ein Schatten mehr 
ſeiner dahingeſchwundenen Größe; doch in Spanien 
ſcheint nicht der Druck der Jahrhunderte, nicht die 
Folge großer politiſcher Umwälzungen auf ihm zu 
laſten, es iſt, als wäre die ſtrafende Hand Gottes 
über den großen ſpaniſchen Adel ausgeſtreckt geweſen. 

Wenn nicht die ungeduldige Erwartung einer 
königlichen Ordre, nach Catalonien zu gehen, mich 
gepeinigt hätte, wäre mein Aufenthalt in Bordeaux 
ſehr angenehm geweſen, wozu die zuvorkommende 
Güte meines öfter erwähnten Freundes, des General— 
conſuls Meyer, viel beitrug. Dieſer ausgezeich— 
nete Mann, dem ich mich verpflichtet glaube, hier 
öffentlich meinen freundlichen Dank abzuſtatten, führte 
ein ſehr angenehmes, gaſtfreies Haus. Bei ihm machte 
ich die Bekanntſchaft mehrerer bedeutender franzöſiſcher 

6* 


SA 


Royaliſten, die von ihren politischen Glaubensgenoſſen 
in Paris ſehr verſchieden, auf ihrem großen Grund— 
beſitz, von ihren Pächtern und ehemaligen Unterthanen 
umgeben, im Volke alte Traditionen und alten Glau— 
ben auf patriarchaliſche Weiſe zu erhalten ſuchen. Eine 
vorzügliche Stelle nimmt unter ihnen der loyale und 
ritterliche Marquis de Dampierre ein, auf deſſen 
Schloſſe die Herzogin von Berry, während ihres ver— 
hängnißvollen Aufenthaltes in der Vendée, eine Zeit 
lang gewohnt. Während ihrer Gefangenſchaft auf der 
Citadelle von Blaye, hatte Generaleonful Meyer ſich 
zu ihr begeben, und erzählte mir intereſſante Détails 
über das unwürdige Benehmen ihres Kerkermeiſters, 
des Generals Bugeaud. Leider muß ich mich ent⸗ 
halten, ſie der Oeffentlichkeit wiederzugeben. Nur 
eines mag hier erwähnt werden: unter dem Zimmer 
der Herzogin, das ich ſpäter ſelbſt geſehen, war eine 
doppelte Leiter aufgerichtet, worauf Tag und Nacht 
ein Spion ſaß, der durch in die Diele gebohrte Löcher, 
die der Teppich des Zimmers verdeckte, jedes bei ihr 
geſprochene Wort hören konnte, das ſogleich nieder— 
geſchrieben und durch Bugeand an Thiers (damals 
Premierminiſter) berichtet ward. 

Vor meiner Abreiſe von Bordeaux wollte ich doch 


85 


die Bekanntſchaft des merkwürdigen Mannes machen, 
deſſen Feſtigkeit im Unglücke, alle Parteien in 
Frankreich gleiches Lob, gleiche Bewunderung zollen. 
Ich meine den Grafen von Peyronnet, den ein— 
zigen fähigen Staatsmann im traurigen Miniſterium 
Polignae. 

Generalconſul Meyer, fein langjähriger Be— 
kannter, ſollte mich ihm vorſtellen. Wir begaben 
uns auf den Quai und beſtiegen einen leichten Kahn. 
In das geſpannte Segel blies eine leichte Briſe, und 
half den taktmäßigen Schlägen der beiden Ruderer. 
Pfeilſchnell flogen wir die Garonne hinab; einem Aale 
gleich wand ſich unſer Nachen zwiſchen den hunderten 
von Kauffahrern durch, die den Hafen von Bordeaux 
füllen. Ueberall war das regſte Leben. Die Wimpel 
aller Nationen flatterten luſtig in den Lüften; bald 
hatten wir die Vorſtädte hinter uns, mit ihren großen 
Lagern und Magazinen. Die kecken Umriſſe der maje— 
ſtätiſchen Brücke, die zwei Fanale, mit den Statuen 
des Handels und der Gerechtigkeit, zeigten ſich nur 
noch in der Ferne. Es war einer jener lauen, durch— 
ſichtigen Sommermorgen, die unter dem ſchönen Him— 
mel des ſüdlichen Frankreich ſo unendlich reizend ſind. 
Freundliche Landhäuſer blickten aus Weingärten hervor, 


86 


und ſpiegelten ſich in der blauen Fluth. Die bedeu— 
tendſten Männer des großen Handelsplatzes bringen 
die Stunden ihrer Muße in dieſen Villas zu. In 
friedlicher Nachbarſchaft wohnen hier die divergirendſten 
Meinungen. Nach zwei Stunden ſahen wir ein kleines 
Cottage, dem bekannten (nun verftorbenen) Publiziſten 
Henri Fonfréède gehörig; doch vor dem Hauſe des 
beſtändigen Verfechters Ludwig Philipp's konnte 
meine Barke nicht ſtill ſtehen wollen. Noch ein paar 
Ruderſchläge mehr, und zwiſchen Baumgruppen erhob 
ſich eine elegante Villa. Das Hauptgebäude, in gefäl— 
ligen Dimenſionen, weiß getüncht, neun Fenſter breit, 
beſteht aus dem Erdgeſchoſſe und einem Stockwerk. 
Ein Perron aus weißem Marmor, mit zierlicher 
Baluſtrade, führt zum Eingang. Am Frontiſpiee iſt 
ein Wappenſchild mit Grafenkrone angebracht. „Non 
solum toga, lautet die Umſchrift. Leichte Perſiennes 
ſchloſſen die Fenſter. Zwei Seitengebäude und ein 
eiſenes Gitter bilden die übrigen Seiten des Vorhofs. 
Das Gitterthor iſt ſtets geſchloſſen, ein Zeichen, daß 
der Bewohner gewöhnlich Niemand ſieht. Ein großer 
Hund vom St. Bernard hielt Wache. Unſer Nachen 
ſtieß zwiſchen den Pappeln und Akazien an, welche 


87 


die Villa von Monferrand halb maskiren. Wir ſtiegen 
ans Land, drückten am Glockenzuge und übergaben 
einem herbeieilenden kleinen Jokey unſere Karten. Bald 
kam er, das Thor zu öffnen, und führte uns über den 
Perron, durch ein elegantes Billard-Zimmer, in den 
Salon. Ich hatte Muße mich darin umzuſehen; die 
Fenſter gaben nach engliſchen Anlagen und großen Wein— 
gärten, zu dieſer Villa gehörig. In der Entfernung ſah 
man die breiten Wogen der Dordogne, in impoſanter 
Ruhe dahinrollen; ein ſeltſamer Contraſt zur ſtets beleb— 
ten Garonne. Der Salon war geſchmackvoll meublirt. 
Einige gute Gemälde hingen an den Wänden; in vor— 
trefflichem Lichte ein ſchönes Porträt, Ludwig XVIII., 
von Gros, Bruſtſtück; ein Geſchenk dieſes Königs, 
wie ich ſpäter erfuhr. Ferner Carl X., im großen 
Hofe der Tuilerien zu Pferde ſteigend; in Uniform 
ſeiner Leibgarde; hinter ihm der Dauphin und mehrere, 
zur Zeit bedeutende, Perſonen, ein Gemälde nicht ohne 
Werth, von einem jungen Künſtler, den der Herr 
dieſes Hauſes, damals Miniſter des Innern, protegirt 
hatte. Es nahm die Mitte der zweiten Wand ein, 
einem weißen Marmorkamine gegenüber. Zwiſchen den 
Fenſtern fand ein Mahagonytiſch mit Kunſtwerken 


und einem intereſſanten Portefeuille Originalbriefe 
berühmter Zeitgenoſſen. Darüber ein großes Bild, es 
ſtellt ein Schreibeabinet vor; durch das offene Fenſter 
ſieht man die Vendöme-Säule, auf der die weiße 
Fahne weht. Seitwärts ein Tabouret, worauf ein 
reichverziertes Käſtchen ruht, mit dem königlichen Wap— 
pen von Frankreich geſchmückt. In der Mitte ein 
großer Arbeitstiſch, daran ein Fauteuil, der Stoff iſt 
in goldenen Lilien geſtickt. Auf dem Tiſche liegt, halb— 
geöffnet, eine Rolle, welche die Worte: Amneſtie. 1825. 
enthält. Davor ſteht ein ſchöner, kräftiger Mann, im 
beſten Mannesalter; ſchwarze Locken ſpielen nachläſſig 
um Stirne und Schläfe; aus dem geiſtvollen, offenen 
Blicke ſpricht Scharfſinn und Loyalität. Seine Züge 
ſind regelmäßig und tragen das unverkennbare Gepräge 
des Südens. Die ſchwarze Tracht iſt gewählt; unter 
dem offenen Frack blickt das große blaue Ordensband 
des heiligen Geiſtes hervor. Ich war in Anſchauung 
dieſes Bildes verſunken, als eine Nebenthür aufging, 
und im Schlafrock, einen Strohhut und Stock zur 
Hand, der Herr des Hauſes auf mich zutrat. Ich 
hatte den Grafen von Peyronnet früher nie geſehen, 
und obgleich Kummer, Gefangenſchaft und Jahre jene 


friſchen Farben etwas gebleicht haben mögen, ſo 
erkannte ich doch ſogleich das Original des ſchönen 
Bildes. Es war dieſelbe würdevolle Haltung, derſelbe 
geiſtreiche Blick. Mit der liebenswürdigſten Freund— 
lichkeit empfing er uns. Schnell vergingen mehrere 
Stunden in Geſellſchaft dieſes eminenten Mannes, 
deſſen ſeltene Feſtigkeit ſich nie verläugnet hat. Seit 
Graf von Peyronnet Ham mit Monferrand ver— 
tauſcht, hat er dieſe Villa nicht mit einem Schritte 
verlaſſen. Obwohl an den Füßen leidend, ein Uebel, 
deſſen Grund ein merkwürdiges Denkmal ſeiner Feſtig— 
keit iſt, mir aber hier zu erzählen nicht geziemt, führte 
er uns doch ſelbſt in ſeinem Hauſe herum, das eben 
ſo elegant als comfortabel eingerichtet iſt. An den 
Salon ſtößt ein Arbeitscabinet, mit ſchönen Kupfer— 
ſtichen geziert, Scenen einer für den Bewohner erinne— 
rungsreichen Zeit; ein großer Schreibtiſch nimmt die 
Mitte ein; auf umſtehenden Stühlen und dem Teppich 
ſind Stöße alter Folianten und Manuſcripte aus— 
gebreitet, Materialien zu Graf von Peyronnet's 
Geſchichte Frankreichs, an der er ſeit ſeiner Ge— 
fangenſchaft arbeitet. Aus dieſem Cabinet kömmt 


man in eine gewählte Bibliothek. Die andere Seite 


90 
beſteht aus einem geräumigen Speiſeſaal und Gaſt— 
appartemens. Als ich mich nach Tiſche entfernen 
wollte, war es ſo finſter und ſtürmiſch geworden, daß 
ich den herzlichen Anerbietungen meines Wirths nach— 
gab, und in Monferrand blieb. Noch ſpät in die 
Nacht ſaßen wir um einen runden, mit grünem Teppich 
bedeckten Tiſch. Graf von Peyronnet nahm einen 
großen, ſehr einfachen fauteuil a la Voltaire ein. 
Tiſch, Teppich und Fauteuil ſind das Mobiliar ſeiner 
Clauſe in Ham, in der jetzt Ludwig Bonaparte 
ſitzt und über ſeine ſinnloſen Verſuche brütet. Als 
Graf von Peyronnet mir ſeinen Fauteuil wies, 
dachte ich der genialen Produkte ſeines Geiſtes, die er 
in einſamen Stunden ausgehaucht, in dieſen treuen 
Gefährten gelehnt; ich zog mein Album hervor und 
bat ihn, einige Worte hineinzuſchreiben. Er ergriff 
eine Feder, und nach wenig Augenblicken gab er es 
mir zurück. Ich las: 

Laissez mugir les vents et gronder les orages, 

Et les flots souleves appellant les naufrages, 

Battre les cimes du rocher; 
Le rocher lassera leur fureur indocile, 
Et la nef flottera bientöt au port facile 


Qu’avait promis Je vieux nocher. 


Ich hatte beim Eingange Graf von Peyron— 
net's Wappendeviſe bemerkt; nun nahm ich Anlaß, 
ihn darum zu befragen. Die Geſchichte dieſes ſchönen 
Mottos ſcheint mir zu charakteriſtiſch, um nicht hier 
Platz zu finden: Peyronnet war erſt kurze Zeit 
Großſiegelbewahrer, und, obwohl er ſelten ſprach, doch 
ſeine hinreißende Beredſamkeit von beiden Kammern 
längſt gekannt und gewürdigt, als während Abweſen— 
heit des Kriegsminiſters, Marſchall Victor, der ſich 
bei der Armee in Spanien befand, das Budget dieſes 
Letztern zur Sprache kam, und von einigen Leitern 
der Oppoſition lebhaft angegriffen wurde. Wie talent— 
voll und bedeutend die Oppoſition zur Zeit des Mini— 
ſteriums Billele war, iſt bekannt. Peyronnet's 
Collegen, mit den Details dieſer Branche wenig be— 
wandert, befanden ſich in nicht geringer Verlegenheit. 
Da ließ ſich Peyronnet die nöthigen Papiere reichen, 
durchflog ſie und ergriff das Wort für den Herzog von 
Belluno. In einer meiſterhaften Rede trug er den 
glänzendſten Sieg davon, und verließ die Tribune 
unter rauſchendem Beifall von allen Seiten. — Am 
nächſten Sonntage war Lever beim Könige. Lud— 
wig XVIII. ſaß in ſeinem Rollſtuhl, die bedeutendſten 


Männer Frankreichs ftanden um ihn; Fürſt Talley— 
rand, als Großkämmerer, hielt hinter ſeinem Stuhle. 
Da richtete ſich der König an den Großſiegelbewahrer: 
„Sie werden in der Geſchichte Rußlands geleſen haben, 
daß die Kaiſerin Katharina II. einen tüchtigen 
General hatte, den Grafen Romanzow. Wiſſen 
Sie auch, daß, als die Kaiſerin zu einer wichtigen 
Sendung an ihren Bruder von Deutſchland einen 
geſchickten Diplomaten brauchte, ſie den Grafen Ro 
manzow nach Wien ſandte? Der tüchtige General 
unterzog ſich vortrefflich den erhaltenen Aufträgen, und 
zeigte ſich als gewandter Diplomat. Womit ſollte 
Katharina II. einen Mann belohnen, der bereits 
auf einer der höchſten Stufen in ihrem Reiche ſtand? 
Sie gab ihm eine Deviſe, und die lautete: „non 
solum armis.” Nach einer Pauſe fuhr der König 
fort: „Nun! ich befinde mich in demſelben Falle, 
und bin ſehr glücklich, einen Großſiegelbewahrer zu 
haben, dem ich zur Deviſe geben kann: „Non solum 


toga.“ 


Täglich kamen nach Bordeaux zahlreiche Berichte 
aus dem Hoflager und Hauptquartier, und mit banger 


93 


Ungeduld ſahen Alle, welcher Partei ſie auch ange— 
hören mochten, dem Zuſammentreffen der beiden Heere 
vor Eſtella entgegen; da allgemein dieſer Moment als 
ein entſcheidender Hauptſchlag bezeichnet wurde. Denn, 
wenn gleich Viele am Angriffe Eſpartéro's zwei— 
felten, ſo glaubte man doch allgemein, Maroto 
werde dieſe günſtige Gelegenheit nicht vorübergehen 
laſſen, durch eine größere Affaire ſeine perſönliche 
Stellung im Hoflager zu befeſtigen, um ſich dann 
leichter ſeiner Widerſacher entledigen zu können. Da 
kam die Nachricht von Eſpartéro's Rückzug. Die 
fanatiſchen Anhänger Maroto's unterließen nicht, 
dieſe unerwartete Wendung dem Zauber des Namens 
ihres Lieblingshelden zuzuſchreiben, und Alles ſchien 
überzeugt, er werde nun kräftig die Offenſive ergreifen 
und den Kriegsſchauplatz auf das rechte Ebro-Ufer, 
in die reichen Ebenen der Rioja, verſetzen. Doch nach 
wenigen Tagen hieß es, Maroto, an der Spitze 
einer ftarfen, mobilen Colonne, ſei von Eſtella in der 
Richtung nach Durango aufgebrochen. Dieß öffnete 
neuen Muthmaßungen ein weites Feld, und man 
prophezeihte nun eine unverzügliche Belagerung von 
Bilbao. Woran Zumalacarregui durch den Tod, 


9A 


Eguia und Villarreal durch Niederlagen verhin— 
dert worden, ſollte nun ohne Zweifel Maroto gelin— 
gen. Doch neue Depechen aus dem Hauptquartier 
ſprachen von beſtändigen Märſchen und Contremärſchen 
des commandirenden Generals, dem es doch nicht 
ſehr Ernſt zu ſein ſchien, mit dem Feinde ſo bald ſich 
zu meſſen. Auch dieß ward bald erklärt; das Heer 
müßte erſt reorganiſirt, die vielen, durch Guergue 
eingeſetzten, untauglichen Chefs entfernt und durch die 
erprobten, im Volke und Heere beliebten, Häuptlinge 
erſetzt werden, die, ſchmählich abgeſetzt, nun noch größ— 
tentheils in Kerkern oder Depots ſchmachteten. Arias— 
Teijeiro, Maroto's größtem Feinde, und der 
Camarilla wurde ebenfalls die Hauptſchuld der Un— 
thätigkeit beigemeſſen, auf welche der neue Feldherr 
ſich angewieſen ſähe. Da leider viele dieſer Klagen 
nur zu begründet waren, ſo ward alles als voll— 
kommen wahr und richtig angenommen. 

Während dieſer Zeit härmte ich mich in Bor— 
deaux über dieſe unerklärlichen Verzögerungen ab, und 
ſah mit jedem Courier der Nachricht eines Miniſter— 
Wechſels entgegen. Noch iſt mir erinnerlich, daß 
an einem Tage, es war am 28. Juli, als eben 


95 


wieder nichtsſagende Dépéchen angekommen waren, 
ich auch noch den Aerger hatte, ſehen zu müſſen, daß 
der preußiſche Conſul Delbrück, deſſen Sohn (der 
preußiſche Vice-Conſul, Julius Delbrück) den 
Courier de Bordeaux, zu meinem täglichen Verdruß, 
als Gerant unterzeichnete, ſich jo weit vergaß, während 
der Julius Tage die preußiſche Flagge, unſern legi— 
timen königlichen Adler, vor ſeinem Hauſe aufzupflanzen 
und feſtlich wehen zu laſſen. Dieſer Unſchicklichkeit 
die Krone aufzuſetzen, vergaß Conſul Delbrück, zum 
Scandal aller in Bordeaux anweſenden Preußen, dieſe 
feierliche Manifeſtation am dritten Auguſt vorzunehmen, 
wie ich, an dieſem Tage öfter vorübergehend, zu be— 
obachten Gelegenheit hatte. Vor dem General-Con— 
ſulate von Neapel und Hamburg, dem Hotel meines 
Freundes Meyer, hatte ich jedoch die Freude, am 
dritten Auguſt ſeine beiden Flaggen flattern zu ſehen, 
fo auch, daß er das Aufſtecken derſelben während der 
Juli Tage unterließ. 

Endlich wurde ich des Wartens überdrüſſig und 
beſchloß nach Catalonien zu gehen. Ich ſchrieb deß— 
halb einige Worte an Arias-Teijeiro, der noch 
immer drei Miniſterien eumulirte, und verließ Bor— 


deaur die letzten Tage Auguſt in Geſellſchaft eines jungen 
preußiſchen Cavallerie-Offiziers, Herrn Guſtav von 
Meding, der vor kurzem aus Berlin eingetroffen 
war, und den ich als Adjutanten zu mir nahm. 
Nach 24 Stunden waren wir in Toulouſe, jener in 
Frankreich einzigen Stadt, die ſeit zwei Jahrhunderten 
ſtill geſtanden zu haben ſcheint. Schon der erſte Anblick 
verſetzt in längſt vergangene Zeiten, die in keinem 
Lande der Welt zu unſern Tagen paſſen würden, in 
Frankreich aber einer Epoche angehören, die nur mehr 
dem Hiſtoriker und Romancier bekannt iſt. Oft iſt 
mir die Aehnlichkeit Toulouſe's mit dem entferuteften, 
reculirteſten Theile des Faubourg St. Germain auf— 
gefallen, der Rue de Babilone zum Beiſpiel; jenen 
finſtern Häuſermaſſen, die, allem Leben gleichſam ab— 
geſtorben, auf das heutige Treiben ſtreng und ſchwei— 
gend tadelnd herabſchauen. Dieſe großen Hotels zwiſchen 
Hof und Garten, ſeit Jahrhunderten in denſelben 
Parlamentsfamilien (noblesse de robe) erblich, ſcheinen 
lebende Gräber geſunkener Macht. Die dicken eichenen 
Thore wanken nur ſelten in ihren ſchweren Angeln, 
und wenn eine unförmliche, altvätriſche Karoſſe her— 
ausfährt, die mit Gras bewachſene Cour d’honneur 
verläßt und über dem ſpitzen Kieſelpflaſter raſſelnd hin— 


wegrollt, fo iſt dieß eine Begebenheit für die ganze 
Straße. Die Krämer und Lieferanten, die, dem Bei— 
ſpiele ihrer Vordern gleich, ſeit den großen Zeiten des 
Languedoes und der Macht der Capitouls dieſelben 
adeligen Familien mit dem Nöthigen verſorgen, 
gucken ſo neugierig und beſorgt aus ihren dunklen 
Laden, als ſollten ſie noch jenen vornehmen Hochver— 
räther und enthaupteten Gouverneur, den großen 
Montmorency mit feinem zahlreichen Gefolge 
durchſprengen ſehen, deſſen Geſchichte in des Volkes 
Mund fortlebt, ſo wie das Beil, womit er enthauptet 
worden, mit andächtiger Verehrung noch heute gezeigt 
wird. Auch heißt ſeit ſeiner Zeit eine Taverne „aux 
armes de Montmorency, und zeigt an eiſener Stange 
die ſechzehn Lerchen (alerions) und das rothe Kreuz 
auf goldnem Felde mit der Umſchrift „Dieu aide 


au premier baron chretien.” *) 


*) In Paris gibt es höchſtens ein hötel aux armes de 
la ville de Paris, das ſich in der rue de la Michodiere 
unterfängt, das bürgerliche Schiff der Metropole gemalt 
zu zeigen; das hötel de Montmorency auf dem Bou— 
levard würde mit derlei heraldiſchen Velleitäten vor 
den Steinwürfen des Pöbels gewiß nicht ſicher ſein. 


II. 7 


Daß in Toulouſe, dieſer jo fundamental=royali- 
ſtiſchen Stadt, Carliſten und Carlismus, gleichviel ob 
ſpaniſche oder franzöſiſche, ja ſogar portugieſiſche Migue— 
liſten vielen Anklang finden mußten, iſt leicht begreiflich. 
Auch gab es in Toulouſe royaliſtiſche Comités, Prä- 
ſidenten, Sectionen, Vertraute in allen Klaſſen der 
Geſellſchaft, und obgleich der mißglückte Verſuch in 
der Vendée und der Untergang der königlichen Sache 
in Spanien ihren Hoffnungen empfindliche Schläge 
beigebracht, ſo vegetiren ſie doch noch fort und machen 
der jetzigen Regierung genug zu ſchaffen. Ich wandte 
mich an einen der Vorzüglichſten, der mehrere derlei 
occulte Aemter und Dignitäten verſah und ein naher 
Verwandter des Grafen de Efpana war. Auf feinen 
Rath kaufte ich drei Pferde und die nöthigen Sättel, 
was mich über eine Woche in Toulouſe aufhielt und 
beſtimmt eine große Unvorſichtigkeit war, da es un— 
nöthig die Aufmerkſamkeit der Behörden auf mich 
richtete. Endlich waren meine Vorbereitungen beendet, 
die Sättel und Waffen, in vier Kiſten wohl verpackt, 
mit der Diligence nach Perpignan geſchickt und die 
Pferde einem Vertrauten übergeben, der ſie querfeld— 
ein in ein Landhaus, nahe an dieſer Stadt, führen 


99 


ſollte. Wir ſagten den ſchönen Languedociennes, der 
blauen Garonne, den dunklen Orangen auf dem Nachts 
ſtets feſtlich erleuchteten Capitol-Platze ein fröhliches 
Lebewohl, und waren nach kurzer Fahrt in Perpignan 
eingetroffen. 

Der Anblick dieſer Stadt und ſeiner Umgegend, 
die Sprache und Tracht der Einwohner, die Namen 
der Orte, Berge, Gewäſſer, Alles mahnt daran, daß 
dieſer Landſtrich nur politiſch zu Frankreich gehört. 
Auch hat das große Nivellirungs- und Centraliſations— 
Syſtem, das einem ungeheuern Netze gleich, ganz 
Frankreich überzieht, hier in das Innere des Volkes 
und Lebens noch nicht eindringen können. Perpignan, 
trotz ſeiner Präfectur, Behörden und Feſtungs-Gar— 
niſon, gleicht viel mehr einer cataloniſchen Bourgade, 
als einer franzöſiſchen Departements-Stadt. Die 
alte romaniſche Sprache, la langue d'Oc, hat ſich 
unter dem Landvolke mit mehr oder weniger arabiſchen 
Zuſätzen, je nach franzöſiſcher oder ſpaniſcher Seite, in 
ihrer Eigenthümlichkeit ſo vollkommen erhalten, wie 
an dem andern Ende der Pyreneen die baffifche, und 
vergeblich würde man einen Bauer dieſer Gegenden 
franzöſiſch anreden. Auch die Namen klingen fremd. 

7 


100 


Ein paar Stunden von Perpignan, bei Salces, fuhren 
wir an einem großen Moorſumpfe vorbei, der mit dem 
Meere in Verbindung iſt. Unſer Poſtillon nannte 
ihn: l'estan de Leucate. Dann ging es über die 
Gly, einen in den Romanzen dieſer Gegenden oft er— 
wähnten kleinen Fluß, an deſſen Ufer ich weiß nicht 
welcher regierende Vicegraf von Narbonne die Mauren 
ſchlug; die grünen Hügel von Riveſaltes zeigten uns 
ihre Reben, die einen jetzt nur mehr in dieſen Gegen— 
den, in frühern Zeiten aber in ganz Frankreich be— 
rühmten dunklen feurigen Wein geben. 

Das Anhalten am Thore von Perpignan, mahnte 
uns, wir wären nicht mehr im Lande der Trou— 
badours, zur Zeit der Toulouſer jeux floraux die, 
beiläufig geſagt, kaum ein Schatten alten Glanzes, 
noch fortvegetiren, in Verſen discutiren und Preiſe 
decretiren. — Nach einem langen, inquiſitoriſchen Exa— 
men der Thorbeamten über Reiſe, Zweck und allerlei 
Details, wurden wir freigelaſſen. Wir ſtiegen im 
Hötel de l'Europe ab, deſſen Wirth, der jetzigen Regie— 
rung zugethan, uns weniger verdächtig erſcheinen ließ. 
Tags darauf begab ich mich zum carliſtiſchen Comiſſär 
Ferer, deſſen Habſucht, Eigennutz und doppelzüngiges 


101 


Weſen ſchlecht genug gegen den regen Eifer und die oft 
mit bedeutenden Opfern verknüpfte Hingebung der 
meiſten ſeiner übrigen Collegen abſtach. Als ich ihm von 
Pferden und Kiſten ſprach, die ankommen und ſeiner 
Obſorge übergeben würden, verzog ſich ſein Geſicht in 
die freundlichſten Falten, die mir ſchon damals nicht 
ganz geheuer dünkten. Ich habe ſpäter die Erklärung 
dieſes freundlichen Geſichtes nur zu theuer bezahlt, 
und oft bedauert feinen Collegen A.. ..., einen 
braven, redlichen Mann, nicht gekannt zu haben. *) 
Endlich ließ Ferer mir bedeuten, meine Kiſten und 
Pferde wären angelangt. Erſtere konnte ich nicht 
ſehen, letztere waren in einem Landhauſe, eine kleine 
halbe Stunde von Perpignan untergebracht worden. 
Wir gingen fie zu beſuchen. Ein ſchöner Grau— 
ſchimmel von Limoufiner Race, den ich um hohes 
Geld erkauft, war unwohl geworden und mußte dort 


*) Wenn ich mich bei Nennung der von uns in Frankreich 
verwendeten Perſonen oft auf Initialen beſchränken muß, 
ſo geſchieht dieß nicht aus Geheimnißſucht, ſondern ledig— 
lich, weil die betreffenden Individuen ſich meiſt in Lagen 
befinden, wo Nennung ihrer thätigen Theilnahme ihnen 
noch jetzt unangenehm ſein könnte. 


102 


gelaffen werden; die beiden andern gab Ferer einem 
von ihm als zuverläffig bezeichneten Guiden, und 
dirigirte ſie ſofort nach der Grenze. Obgleich mit den 
von den baſkiſchen Pyreneen ſo verſchiedenenen Ver— 
hältniſſen dieſes durchaus uns feindlich geſinnten Land— 
ſtriches unbekannt, konnte ich doch nicht billigen, daß 
er beide Pferde einem einzigen Menſchen anvertraue, 
da dieß auf engen Pfaden, im Falle einer Verfolgung, 
die Flucht nothwendig erſchweren, wo nicht unmöglich 
machen, und wenigſtens den Verluſt eines Pferdes 
nach ſich ziehen mußte. Doch Ferer war nicht ab— 
zubringen, nahm alle Verantwortlichkeit auf ſich, und 
verſicherte mich, es obwalte gar keine Gefahr. So 
mußte ich es denn geſchehen laſſen, und war nur mehr 
auf meinen eigenen Uebergang bedacht. 

Unſer Wirth hatte bei uns einige Bücher ſeines 
Schwiegerſohnes, des Verlegers Dumont in Paris, 
geſehen, unter andern die vielen Bände der damals 
eben erſchienenen memoires du Diable von Soulie. 
Dieß ſtimmte ihn ſehr zu unſern Gunſten und er 
übernahm es, unſere Päſſe für das ganze Departe— 
ment viſiren zu laſſen, da ich vorgab die Bäder in 
den Pyreneenſchluchten beſuchen und auf Iſards (die 


Pyreneen-Gemſen) jagen zu wollen. Nachdem dieſer 
wichtige Punkt geordnet war, verließen wir Perpignan 
um vier Uhr Morgens im Coupé der Diligence. Die 
große Kette der Pyreneen dehnte ſich am äußerſten 
Horizonte vor uns aus; der Kegel des Canigou, 
von Wolken umhüllt, ragte königlich über die ihn 
umgebenden Berge. Ein kühler Seewind wehte von 
Oſten; die wenigen Landleute, denen wir begegneten, 
waren in ihre braunen, weiten Mäntel gehüllt; die 
dazu gehörige Kaputze, über den Kopf geſchlagen, 
ließ nur wenig von der rothen, cataloniſchen Mütze 
ſehen, die der phrygiſchen Haube nicht unähnlich, in 
einem langen Zipfel nach hinten hinabhängt, oder 
wohl auch bei den Coqs de Village nach mehreren 
Ueberſchlägen die Stirne beſchattet. Um ſieben Uhr 
wechſelten wir Pferde in Ceret, Cheflieu des Aron— 
diſſements, einem winkligen, ſchmutzigen Neſte, wie 
man ſie in den zum deutſchen Bunde gehörigen 
Staaten nur noch am rechten Oder-Ufer Schleſiens 
findet. Bis Arles, wo wir um zehn Uhr anlangten, 
wurden unſere Päſſe fünfmal gefordert, deren Signa— 
lement jedesmal genau verglichen und erſt nach allerlei 
Fragen und Bemerkungen zurückgeſtellt. Von Arles 


aus ift der einzige Weg fo fteil und das Terrain fo 
coupirt, daß nach der kleinen Grenzfeſtung Prats de 
Mollo kein Wagen gebraucht werden kann. Wir accor— 
dirten ſonach Maulthiere für uns und unſer Gepäck, 
und ſetzten, nach einem ziemlich ſchlechten Frühſtück, 
unſern Marſch auf kaum gangbaren Steigen fort. 
Es ſind nur vier kleine Lieues, doch brauchten wir 
ſieben Stunden dazu. Prats de Mollo iſt ganz 
maleriſch am Ausgange einer kleinen Gebirgsſchlucht 
gebaut. Die Ausläufer der fruchtbaren Ebenen des 
Rouſſillon und der Cerdagne lagen vor uns wie 
Teppiche ausgebreitet; im Hintergrunde ſchimmerten, 
ſchon ſchneebedeckt, die höchſten Gipfel der cataloniſchen 
Berge, und vom Thurme der Feſtung konnten wir 
das grüne Geburtthal Godefroys de Bouillon ſehen, 
das hiſtoriſche Marquiſat de Conflans, die Wiege 
eines der größten Geſchlechter Frankreichs. Trotz aller 
Neuerungen, die den Ländern bis auf die alten Namen 
zu rauben drohen, hat doch die ſogenannte legale 
Sprache unter dem Landvolk wenig Anklang gefunden, 
und in dieſen Gegenden, wie im ganzen ſübdlichen 
Frankreich, iſt jedem Fleck mit dem alten Namen die 
Erinnerung an die alte, gute Zeit geblieben. 


105 


Die zwei einzigen Gaſthöfe, wenn ſchlechte Knei— 
pen die an allem Mangel leiden dieſen Namen 
verdienen, in Prats de Mollo waren angefüllt, da 
eben Inſpeetion der Garniſon abgehalten wurde, und 
nur mit Mühe konnten wir Unterkommen in einem 
Privathauſe finden. Nachts traf ein durch Ferer 
zugeſchickter Guide ein, uns am nächſten Morgen über 
Feldwege in die Schluchten des Canigou zu führen, 
von wo aus ein Hauptſchmuggler dieſer Gegend, der 
dort wohnte, das Weitere übernehmen ſollte. Mir 
kamen alle dieſe Maßregeln ſehr mangelhaft vor, im 
Vergleiche zu denen der baſkiſchen Contrebandiers, die, 
Häuptlingen gleich, förmlich kleinen Krieg mit den 
Zollwächtern führen und ihre Untergebenen ganz mili— 
täriſch befehligen. Mit geringen Hoffnungen machten 
wir uns daher, wie der Morgen graute und die Thore 
der Feſtung geöffnet wurden, auf den Weg. Doch 
waren wir noch keine halbe Stunde marſchirt, als eine 
nachlaufende Douaniers-Patrouille uns anrief ſtill zu 
ſtehen, worauf unſer mit einem Gewehr bewaffnete 
einzige Guide ſofort ausriß und uns im Stiche ließ. 
Wir wieſen dem Brigadier unſere Päſſe und wurden 
ſo en regle befunden, daß er uns ohne Bedenken 


frei gelaſſen hätte, wenn nicht wegen des verdächtigen 
Feldweges und Ausreißens unſers Guiden ihm mehr 
Vorſicht nothwendig geſchienen. Dies erklärte er unum— 
wunden und führte uns nach Prats de Molls zurück, 
wo wir unter Aufſicht geſtellt, unſere Effecten jedoch 
an der Douane mit großer Vorſicht durchſucht wurden. 
Uniformen, Boinas, zwei paar Gürtel-Piſtolen und 
andere derlei, bei einem gewöhnlichen Touriſten nicht 
anzutreffende Gegenſtände wurden bei Seite gelegt 
und uns dann erlaubt frühſtücken zu gehen. 

Die ſonderbare Art wie wir frei wurden darf ich mir 
leider! nicht geſtatten zu veröffentlichen, da dieſe Indis— 
cretion einigen gutmüthigen Perſonen vielleicht ſchaden 
könnte. Noch iſt mir Herrn von Meding's Verwunde— 
rung lebhaft erinnerlich, als nach mancherlei Manipu— 
liren meinerſeits wir uns gegen Abend frank und frei 
auf der Bergſtraße befanden, die von Parts de Mollö nach 
dem Badehauſe la Preſte führt. Was den Erfolg noch 
vollkommener machte war, daß denſelben Abend unſere 
ſämmtlichen Effecten uns nachgeſchickt wurden, die 
verdächtigen Boinas und Piſtolen nicht ausgenommen. 
Papiere hatte man uns nicht nehmen können, da ſie 
ſämmtlich in dem Unterfutter unſerer Beinkleider an 


einem wenig auffälligen Theile eingenäht waren, den 
man gewöhnlich zu verbergen pflegt. Zwar hatten 
wir keinen Guiden, doch war die Richtung nicht zu 
verfehlen, da eine einzige Straße, mühſam in den 
Fels gehauen nach mancherlei Windungen einzig nach 
unſerer Beſtimmung, dem erwähnten Badehauſe, führte. 
Nach zweiſtündigem, immerwährendem Steigen erreich— 
ten wir das einzelne, in einer Felſenkluft gelegene, 
oder vielmehr einem Adlerhorſt gleich hängende Gebäude. 
Ein ſchwefelhaltiger Quell ſprudelt 30“ R. heiß, in 
ziemlich ſtarkem Strahle unter dem Hauſe hervor und 
wird von der kränkelnden Umgegend zum Trinken und 
Baden gebraucht. La Preſte liegt mitten im Hoch— 
gebirge der Pyreneen, und von den Fenſtern des Bade— 
hauſes iſt außer dem engen, in den Fels gehauenen 
Steig, auf dem wir gekommen, keine Spur menſch— 
licher Hand zu gewahren. Die vorgerückte Jahreszeit 
hatte nur wenig Badegäſte in dieſem einſamen Hauſe 
gelaſſen. Der Wirth, der zugleich Badearzt und dele— 
guirter Maire ſeines Etabliſſements iſt, zeigte ſich uns 
als enthuſiaſtiſcher Verehrer der jetzigen Regierung und 
aller ihrer Maßregeln. Wir wußten alſo was wir von 
ihm zu hoffen hatten, und zogen uns bald in unſere 


108 


Zellen zurück, aller weiteren Neugierde auszuweichen. 
Ich öffnete mein Fenſter; das Rauſchen des Gebirgs— 
baches, der über Felſen in einen tiefen Abgrund ſtürzt, 
das würzige, ſtarke Aroma der Gebirgskräuter, der hier 
ſchon ſüdliche Himmel gaben dieſer Nacht mitten in dieſem 
verlornen Winkel der Welt einen eigenen düſtern Reiz. 

Am andern Morgen weckte mich eifrige Conver— 
ſation auf dem einzigen ebenen Platze vor dem Hauſe. 
Ein Bote des Maire von Prats de Molls erzählte 
unſerem Wirthe, daß zwiſchen Ceret und Arles ein 


Mann aus Perpignan mit zwei Pferden von den 


Bauern aufgefangen, vor die Souspräfectur gebracht 
worden, jedoch kaum dort angelangt entflohen ſei; die 


Pferde, als innerhalb des Grenzverbotes angetroffen, 
würden in öffentlicher Licitation auf dem Marktplatze 


von Ceret verkauft werden, da ſie unbezweifelt für die 
ſpaniſchen Carliſten beſtimmt geweſen. Hiebei folgte 


das Signalement der Pferde. Es blieb kein Zweifel, 


daß es die Unſeren waren. Von unſerer Wuth über 


den ungeſchickten oder ſchurkiſchen Ferer kann man 


ſich leicht einen Begriff machen, und doch mußte zu 
böſem Spiele gute Miene gemacht werden, da der 
Maire von Prats de Mollo die aufgefangenen Pferde 


r 


109 


ganz richtig mit unſerer Gegenwart in Verbindung 
brachte und dem Wirthe anbefahl, ein wachſames Auge 
auf uns zu haben, bis er Befehl aus Perpignan ein— 
geholt, da unſere ihm bekannten Päſſe ihn hinderten 
ſogleich mehr gegen uns zu unternehmen. 

Nach einigen Stunden gingen wir ins Freie, wo 
der Wirth ſogleich auf uns zukam und mich ſcharf ins 
Auge faſſend, uns die Arreſtations-Geſchichte unſerer 
armen Pferde nochmals erzählte; doch nahm ich Alles 
lachend auf und brachte ihn bald auf andere Gegenſtände. 
Er war ein eifriger Jäger; ich eröffnete ihm den Zweck 
unſerer Tour, Bereiſung dieſes Theils der Pyreneen 
und vor Allem eine Jagd auf die berühmten Iſards, die 
hier ſehr häufig ſind. Dann ſchlug ich ihm vor, eine 
große Jagd zu ordnen, ſelbſt mitzugehen und verſprach 
alle Victualien für mehrere Tage ſammt Saumthieren 
bei ihm zu nehmen. Dieſer Verſuchung war er nicht 
gewachſen und machte ſich ſogleich ans Werk, allen 
Iſard-Jägern ein Rundſchreiben zu ſenden. Die Ant- 
wort konnte erſt am nächſten Tage erfolgen. Doch 
noch am Nämlichen kam ein Offizier der Garniſon 
Prats de Mollo und inſtallirte ſich im Badehauſe. Es 
thut mir leid es zur Ehre der Wahrheit ſagen zu 


110 


müſſen, daß er als Späher zugeſchickt uns nicht 
von der Seite wich. Ihm das Geſchäft leichter zu 
machen, lud ich ihn zu Tiſche und ſpazierte mit ihm 
in der nächſten Umgegend herum, die Zeit beſtmöglichſt 
zu verbringen. Eine große Höhle, etwa taufend 
Schritte von unſerer Wohnung gelegen, iſt die Haupt 
merkwürdigkeit des Ortes und wurde, nach einer Un— 
zahl Fremden, die hier, wie überall, am Eingange 
ihre unberühmten Namen eingegraben, auch von uns 
in allen Richtungen in Augenſchein genommen. Ein 
paar hundert Stufen in den Fels gehauen, dann eine 
ſtets naſſe, etwas morſche Leiter und endlich ein ſo 
enger, niederer Gang, daß man auf Händen und 
Füßen darin kriechen muß, führen in eine hohe, weite 
Stalactiten-Höhle, deren Bogen und Säulen in 
Schnörkeln und Zacken, einem gothiſchen Dome gleich 
ſich wölben und durch ein ſchwaches Grubenlicht erhellt, 
in tauſendfachem Lichte widerſtrahlen. 

Endlich kamen unſere Iſard-Jäger am zweiten 
Abende. Es waren ihrer ſiebzehn, meiſt Bauern und 
Pächter der Nachbarſchaft. Sie ſetzten ſich ſogleich 
zu Tiſche und nahmen auf meine Koſten ein copioſes 
Souper ein, wobei es ſehr luſtig zuging. Die Tochter 


des Wirths, eine ſchlanke, braune Tochter des Gebirges, 
ward von ihnen aufgefordert zu ſingen. Sie nahm 
eine Guitarre und trug eatalonifche Lieder vor, in 
cadeneirten Klagetönen, nach einem mauriſchen Rhyt⸗ 
mus, der unwillkürlich ergriff und in melancholiſche 
Stimmung verſetzte. Die Lieder waren in jener ſelt— 
ſamen Sprache, die aus der romaniſchen langue d’Oc 
und arabiſchen Worten zuſammengeſetzt, auf beiden 
Seiten der öſtlichen Pyreneen, und mit einigen Ab— 
weichungen in den Balearen im Schwunge iſt: 


Sas atlotes, ) tots es diumenges, 
Quan no tenen res mes que fer, 

Van a regar es claveller, 

Dihent-li: Veu! ja que no menjes, **) 


Nach einer Pauſe antwortete fie jich ſelbſt: 


Atlotes, filau! filau! 
Que sa camya se riu; 


*) Atlotes, im Singular Atlote, Mädchen, vom mauri— 
ſchen Worte aila, lella. 
** Die Mädchen, alle Sonntage 
Wenn ſie nichts mehr zu thun haben, 
Gehen die Nelken zu begießen, 
Sagen ihnen: Trinke, da du nicht ißt. 


112 


Y sino l'apadasau, 
No v’s arribar'a s'estiu! *) 

Ein junger Iſard-Jäger, feiner gewandten, kühnen 
Geſtalt nach augenſcheinlich ein Contrebandier, nahm 
ihr dann die Guitarre ab und ſang mit lebhafter 
Accentuirung ein wildes Lied, deſſen beſtändiger Re— 
frain: „Las armas dos Catalans,“ unſerem Wirthe 
nicht zu gefallen ſchien. Er ſah ängſtlich nach mir, 
ob ich wohl dieſen kriegeriſchen Tönen einige Aufmerk— 
ſamkeit ſchenke, weßhalb ich mich ſogleich mit ihm in 
Converſation einließ und ihn mit anſcheinender Gleich— 
gültigkeit, doch mit klopfendem Herzen, um die Namen 
und Wohnorte meiner neuen Gäſte fragte. Nachdem 
er eines Jeden unintereſſante Familienverhältniſſe weit— 
läufig auseinander geſetzt, kam er zu den Letzten, und 
ſchon dachte ich Alles ſei vergebens. „Der hier,“ 


* Mädchen, ſpinnt! ſpinnt! 
Denn das Hemde lacht (zeigt Löcher), 
Und wenn ihr nicht einen Fleck einſetzt, 
Wird es nicht bis zum Sommer halten. 
Dieß mag die unpoetiſche, wörtliche Ueberſetzung ſein. 
Letztere Strophe enthält die Ermahnung der ſorgſamen 
Mutter. 


113 


ſchloß er, „iſt der beſte Schütze der öſtlichen Pyreneen; 
er heißt Pieutus,“ ich athmete auf, „nur Schade 
daß er taubſtumm iſt.“ Alſo doch nichts, dachte ich; 
„neben ihm,“ fuhr er fort, „ſitzt ſein Bruder, der 
alte Picutus, der wohnt in einem einſamen Hofe 
am Canigou; er iſt ein verdächtiger Menſch, doch 
habe ich ihn einladen müſſen, da er es ſonſt als 
Geringſchätzung ausgelegt und ſich gelegentlich an mir 
gerächt hätte.“ Nun war ich beruhigt, und ließ den 
Mann fortſchwätzen, fo viel er wollte. Nach einer 
Weile ſetzten auch wir uns zu Tiſche, und als bald 
darauf alle Iſard-Jäger herantraten, mir für das 
Souper die Hand zu ſchütteln und mit mir anzuſtoßen, 
faßte ich meinen Mann ſcharf ins Auge. Niemand 
hätte den berüchtigten Schleichhändler in dieſer einfach 
derben, eher einfältigen Figur geſucht. Picutus, 
dem Namen nach mir ſchon im Hoflager bekannt, war 
mir noch beſonders von den franzöſiſchen Legitimiſten 
in Toulouſe empfohlen worden. Er war der Einzige, 
der es unternahm größere Transporte von Waffen und 
Munitionen nach Catalonien zu ſchaffen. Warum 
Ferer ihn nicht nach Perpignan zu unſerem Ueber- 
gange berufen, habe ich nie ergründen können. Gewiß 
II. 8 


114 


wären wir ohne Verluſt beider Pferde und Kiſten 
davon gekommen, denn auch dieſe haben wir nie mehr 
zu ſehen bekommen. Ehe wir uns zurückzogen, gab 
ich Pieutus unbemerkt ein Zeichen. Als Alles 
ſchlief, klopfte es leiſe an mein Fenſter. Ich öffnete 
raſch und gewahrte zu meiner nicht geringen Verwun— 
derung den alten Schmuggler, der auf dem Geſimſe 
ruhig ſaß. Er hatte ſich mit ſeinen Gefährten auf 
den Raſen vor dem Hauſe ausgeſtreckt, der miß— 
trauiſche Wirth das Haus verſchloſſen und Pieutus 
war genöthigt geweſen an einer naheſtehenden Pappel 
auf mein Fenſter zu klettern. Unſere Lage hatte wirk— 
lich etwas Eigenthümliches und wer von der Schlucht 
aus hätte zuſehen können, würde ſie für das Stell— 
dichein eines verliebten Abenteuers gehalten haben. 
Bald waren wir eins. Für 500 Franken nahm 
Picutus es auf ſich, Herrn von Meding und 
mich ſammt meinem Diener und unſeren Effecten auf 
cataloniſchen Boden zu bringen, und auch mein drittes 
noch bei Perpignan ſtehendes Pferd über die Grenze 
zu ſchaffen. Ich wollte ſogleich, und auf demſelben 
Wege wie er, zum Fenſter hinaus klettern. Doch 
war dies mit viel Schwierigkeiten verbunden, da 


115 


Herr von Meding ziemlich weit von mir, neben 
dem Offizier, und mein Diener im Erdgeſchoſſe neben 
den Hausleuten ſchliefen, der geringſte Lärm einer Enar- 
renden Thüre aber das Gelingen des ganzen Unter— 
nehmens gefährden konnte. Ueberdies verſicherte Picu— 
tus beobachtet zu haben, daß die drei einzigen halb— 
wegs „kletterbaren“ (man vergebe mir den Ausdruck) 
Felſenſteige durch Douaniers beſetzt ſeien, deren Drei 
ſich ſogar auf das Dach eines Nebengebäudes des 
Badehauſes gelagert hatten, um jeden Verſuch einer 
nächtlichen Flucht ſogleich erlauſchen zu können. Picu⸗ 
tus begehrte nur einen Brief an Ferer, damit mein 
Pferd ihm ausgeliefert werde. Ich ſchrieb beim Mond— 
lichte einige Worte mit Bleiſtift, und Pieutus vers 
ſchwand in der Dunkelheit fo geräuſchlos als er ge— 
kommen war. 

Am nächſten Morgen weckte mich der Wirth um 
fünf Uhr. Er war bereits reiſefertig und ſehr ge— 
ſchäftig alles zu ordnen. Wir tranken den Coup 
d’etrier und festen uns auf Maulthiere. Vier von 
ihnen, mit Lebensmitteln zu ungeheuren Preiſen be— 
laden, zogen nach. Es verſteht ſich, daß der Wirth 
und Offizier mitritten. Die Jäger waren ſämmtlich 

85 


mit langen, meiſt einfachen Flinten verſehen, wie 
ſie in Deutſchland nur noch bei Teichjagden ver— 
wendet werden; mit geringer Ausnahme von alter, 
wohl auch mit Silber und Perlmutter verzierter 
Arbeit. Gegen neun Uhr hatten wir die Ge— 
birgsſcheide erreicht, wo an den entgegengeſetzten 
Enden eines großen Plateaus die beiden Senkungen 
nach Spanien und Frankreich beginnen. Es war 
bedeutend kalt; auf dieſen Höhen ſprießt nur ſpärliches 
Geſtripp, Lichen und Rhododendron zwiſchen unge— 
heuern, iſolirten Baſaltblöcken kümmerlich hervor. Am 
Fuße eines Felſenkegels machten wir Halt; unſer Feuer 
ſtörte an der Spitze niſtende Raubvögel und bald erho— 
ben ſich majeſtätiſch ein paar koloſſale Königs-Adler, 
die uns krächzend umkreiſten. Nach kurzer Raſt ward 
aufgebrochen; ausgeſchickte Jäger hatten auf einer 
Platte neun Iſards geſehen. Nach einer Stunde konn— 
ten wir ſie mit Hülfe eines Fernrohrs erblicken. Wir 
theilten uns und umgingen das Wild in weitem 
Kreiſe; noch waren wir lange nicht auf Schußweite 
gekommen, als die Iſards uns bemerkten und ſchnell 
ſich hebend, öfters Richtung wechſelnd, uns zu ent— 
kommen trachteten. Plötzlich durchbrachen ſie die Schü— 


117 


tzenlinie; zwei Schüſſe fielen und zwei ſtarke Iſard— 
böcke ſtürzten in den Abgrund. Der eine ward durch 
Herrn von Meding erlegt, der andere durch einen 
alten Contrebandier aus der Cerdagne. Mit großer 
Mühe holten wir unſere Beute hervor; an Verfolgen 
der Uebrigen war natürlich nicht zu denken, da durch 
die Schüſſe aufgeſchreckt, alle Iſards der Gegend weit 
geflohen waren. Es wurden noch ein Dutzend weißer 
Rebhühner und einige graue Hafen geſchoſſen. Mit- 
lerweile lagerten ſich dicke, ſchwarze Wolken auf die 
Gipfel der Felſen und in die, mit Steingerölle bedeck— 
ten, kleinen Gebirgsthäler. Unſere Jäger kündigten 
einen ſtarken Regenguß an, der Nachmittags auf die— 
ſen Höhen gewöhnlich einzutreffen pflegt. Das erlegte 
Wildprett ward eiligſt auf die Maulthiere geladen und 
längs der Gebirgsſcheide ſchnell, in allmählicher Sen— 
kung marſchirt, bis wir ein weites, etwas tiefer ge— 
legenes Plateau (El plan de campomagre) mit kur- 
zem Gras dicht bewachſen, erreichten. Hier lehnten 
an Felsſpalten fünfzehn bis zwanzig kleine, vier bis 
fünf Fuß hohe Baraken (hurdas), durch die Hirten 
der transhumirenden, ſpaniſchen Schafe aus Lehm 
und Stein aufgebaut; in deren Mitte eine Größere, 


die Küchenbarake. Der einzige Bewohner dieſes kleinen 
Dorfes war ein alter Hirt, der dieſe Baraken, mit den 
darin befindlichen Utenfilien, während der Abweſenheit 
ſeiner Gefährten bewachte. Dieſe bringen mehrere 
Monate in Spanien zu und wechſeln dann auf fran⸗ 
zöſiſches Gebiet, wo ihre Heerden gegen eine kleine 
Abgabe weiden. Obſchon denſelben Abend eine große 
Heerde erwartet wurde, trat uns doch der alte Hirt 
einige Baraken ab, in denen wir, ſo gut es ging, 
uns zurecht machten, während in der Küchenbarake 
an mächtigem Feuer, am Holzſpieße, eine Iſardkeule 
briet und in dem einzigen, darüber hängenden Keſſel 
Rebhühner und Haſen kochten. Wir wärmten uns, 
aßen aus großen, vom alten Hirt ſelbſt geſchnitzten 
Holzſchüſſeln und tranken in der Runde aus einem 
cataloniſchen Schlauche (bota), indem wir nach der 
Weiſe dieſes Landes den engen Zapfen auf eine gewiſſe 
Entfernung vom Munde hielten und den Wein ein- 
ſprützten. Das Mahl war bald vollendet; wir zogen 
uns in die Schlafbaraken zurück und traten die mitt— 
lere ihren rechtmäßigen Eigenthümern ab, die eben 
bei eintretender Dämmerung in großer Anzahl, ihren 
grauen Chef, Mayoral, an der Spitze, mit fünfzehn— 


119 


tauſend Schafen, einigen hundert Kühen und Ziegen 
angezogen kamen. Die Hirte, bis über den Kopf in 
ihre weißen Mäntel gehüllt, aus denen die braunen, 
bärtigen Geſichter wild hervorblickten, in Felle geklei— 
det und mit langen Stangen bewaffnet, würden, ohne 
. ihre ſchweren Holzſchuhe, vollkommen Beduinen gleichen. 
Bald war um uns her das regſte Leben. Das Vieh 
lagerte um die Baraken, und trotz unſerer Müdigkeit 
ließ das Geſchrei der Hirte, das Bellen der Wolfs— 
hunde und das Blöcken der Heerde uns noch lange 
keinen Schlaf finden. 

Um ein Uhr Nachts hatte der Regen aufgehört; 
es war mondhell; alles um uns her ruhte. Da er⸗ 
hob ſich der alte Picutus, lauſchte ob alles ruhig 
ſei, und kam uns ſtill zu wecken. In kurzem ſchritten 
wir zwiſchen den ſchlafenden Hirten und Heerden ſchweig— 
ſam hinweg, nach der Gebirgsſcheide hin, das Gewehr 
zur Hand, einer nach dem Andern. Uns folgten nur 
vier Schmuggler, die unſer Gepäcke trugen. In der 
Ferne ſahen wir einige Wachtfeuer lodern, um die 
ſich einzelne Schatten bewegten. Wir bogen ihnen 
aus. Nach zwei Stunden kamen wir zu einer einzelnen 
Sennhütte, in einem auf dem franzöſiſchen Geſenke 


gelegenen Heinen, halbverborgenen Thale. Hier mußten 
wir deu Tag über verweilen. Ich ſchickte einen Con⸗ 
trebandier zum nächſten cataloniſchen Poſten, auf vier 
Lieues Entfernung, ins Thal von Rivas, den Com— 
mandanten von meiner Ankunft zu benachrichtigen, und 
ihm die nöthigen Andeutungen wegen meines Ueber— 
gangs zu geben. Dann legten wir uns zur Ruhe. 
Picutus ſchob einen Stein vom Fußboden und nahm 
aus einer unterirdiſchen Vorrathskammer ein zwölf 
Pfund ſchweres Brod, einen Laib Käſe, ein paar 
geräucherte Schinken und einige Flaſchen trinkbaren 
Weines. Nachmittags kam ein Schmuggler, den 
Pieutus bei den Hirten zurückgelaſſen hatte, und 
brachte Nachricht von der Wuth unſerer Wächter, 
als fie, Morgens aufgewacht, unſere Flucht gewahrten. 
Sie hatten ſich nach langem Toben bequemen müſſen 
nach la Preſte zurückzukehren, von den andern Jägern, 
die übrigens an unſerem Entwiſchen ganz unſchuldig 
waren, noch derb verſpottet. Nachts kam der nach 
Perpignan abgeſandte Vertraute mit meinem Pferde. 
Er brachte einen langen Brief Ferer's, worin unter 
andern unverſchämten Forderungen er auch 200 Franken 
Bezahlung für Transport der von den Bauern auf— 


121 


gefangenen zwei Pferde forderte, die er, als ohne Schuld 
feines Guiden durch Nationalgarden arretirt, angab. 

Nachdem wir meinem müden Thiere etwas Ruhe 
gegönnt, brachen wir auf. Nach zwei Stunden über— 
ſchritten wir von Neuem das Plateau und kamen 
zu einer Kuppe, die aus loſem Geſtein und Gerölle 
zu beſtehen ſchien. Ueber die wurde geklettert, dann 
einen ſteilen Abhang hinab und einen Gemsſteig hinauf, 
bis zu ſchwindelnder Höhe. Noch ein Abhang und 
wir waren in einem engen, doch langen Gebirgsthal. 
Als wir das andere Ende desſelben erreichten, graute 
eben der Morgen; ein kleines Gebüſch lag vor uns; 
wir ſchritten daran vorbei. Da blitzten aus dem 
Gebüſche Gewehre und Bajonnete. Ein „Quien viva!“ 
ertönte; wir waren auf ſpaniſchem Boden. Es erhoben 
ſich ein Dutzend Carabiniers von unſerer Grenzwache 
(Resguardo). Ihr Chef Don Juan Trilla, Com- 
mandante de armas in dem Thale von Rivas, hatte 
mein Schreiben erhalten und harrte unſerer Ankunft. 
Er verſicherte mich bereits an unſerem glücklichen 
Uebergange gezweifelt zu haben, da franzöſiſcher Seits 
die Wachſamkeit verdoppelt worden, und der chriſtiniſche 
Commandant der Feſtung Campredon einige hundert 


122 


Mann an der Grenze ſtreifen ließ, uns zwiſchen fran— 
zöfifchen Douaniers und feinen Soldaten, wie in einem 
Netze, im Augenblicke des Uebergangs zu fangen oder 
gleichſam auf der That zu ertappen; eine angenehme 
Alternative, der wir glücklich entgangen waren. 


III. 


Die Carabiniers der ſpaniſchen Douane. — Zug in den Gebirgen 
bis Nivas. — Reminiscenzen der Catalonier an das Haus Defters 
reich. — Scharmützel in der Rectoria de Fuſtina. — Diner des 
Ayuntamiento von Gumbren. — Drei weibliche Generationen in 
Puch Bo. — Anblick des Monſerrat. — Militäriſche Etabliſſe⸗ 
mens in Borrada. — Berga. — Ankunft in Caſerras, dem Haupt: 
quartier des Grafen de Eſpana. — Seine Umgebung. — Der Graf 
de Eſpana. — Meine Wohnung vor den Vorpoſten. — Ein Tag 
im Hauptquartier. 


(Zweite Hälfte September 1838.) 


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Trotz dem, daß wir ſpaniſchen Boden erreicht, 
war unſere Stellung doch noch keineswegs geſichert. 
Wir hatten einen ſtarken Tagmarſch über die unweg— 
ſamſten Berge und Schluchten vor uns, ehe wir das 
nächſte carliſtiſche Dorf, Cerat, erreichen konnten, da 
alles offene Terrain, alle bewohnten Thäler und be— 
tretenen Wege vermieden werden mußten, die wohl für 
einzelne Contrebandiers, nicht aber für uns zugänglich 
waren. Die beiden Thäler von Rivas und Llanas, 
die von dem Coll de Fineſtrelles und dem Coll de 
Arria in den Pyreneen, in paralleler Richtung, ſich 
bis zum Flußgebiet des obern Ter ausdehnen, wurden, 
als gewöhnliche Uebergangspunkte der Carliſten beſtändig, 
von dem Feinde ſorgſam beobachtet. Durch die drei 
Feſtungen Puigeerda, Campredon und Ripoll, die im 
Triangel das Thal von Rivas einſchließen, förmlich 


126 


in Schach gehalten, war es den in dieſem Thale 
ſtationirten Carabiniers unmöglich auch nur zwei Nächte 
ununterbrochen in demſelben Dorfe zuzubringen. Don 
Juan Trilla, ihr Commandant, wendete deßhalb 
eine eigene Tactik an. Sobald er mit ſeiner, aus 
etwa 25 Mann beſtehenden Mannſchaft, in einen Ort 
einzog, mußte das Ayuntamiento für ſeine Sicherheit 
haften. Alcalde und Regidoren poſtirten ſonach Wachen 
auf die dominirenden Punkte oder den Kirchthum, oder 
verſahen in kleineren Orten wohl ſelbſt dieſen Dienſt, 
die Carabiniers von jeder Annäherung des Feindes in 
Kenntniß zu ſetzen, die dann in entgegengeſetzter Rich— 
tung, nach echtſpaniſcher Weiſe, mit eben ſo großem 
Stolz und Selbſtgefühl abzogen, als ob ſie dem Feinde 
entgegenmarſchirt wären. Die Nacht brachte Trilla 
gewöhnlich in einem einſamen Landhauſe (Cazerio) 
oder einem einzeln ſtehenden fortifizirten Pfarrhauſe, 
(Rectoria) zu, deſſen Einwohner erſt bei Ankunft ihrer 
Gäſte erfuhren, ſie würden ſie zu beherbergen haben. 
Dann ſchloß man ſofort Thore und Thüren, Fenſter— 
laden und bis auf die Stalllöcher, und ließ Niemand 
mehr aus dem Hauſe, bis die Truppe abgezogen. 
Dieſe Carabiniers waren die Nachfolger der altſpa— 


127 


niſchen Douane, die unter dem Namen Resguardo längs 
der Pyreneen und der portugieſiſchen Grenze und als 
Guarda Coſtas an allen Küſten aufgeſtellt, den Schleich⸗ 
handel abwehren ſollten, der ſeit undenklichen Zeiten zu 
Lande und zu Waſſer an den ſpaniſchen Grenzen größer 
und kühner betrieben wird, als je in einem andern Lande. 
Seit dem Kriege ſchaffte man ſie carliſtiſcher Seits meiſt 
ab und verſchmolz ſie mit den Linientruppen. Nur an 
der navarreſiſch⸗franzöſiſchen Grenze wurden einige Com⸗ 
pagnien Invalide zu dieſem Zwecke verwendet und un⸗ 
eigentlich als Resguardo bezeichnet. In Catalonien 
hatten ſie ſich jedoch, wenn gleich mehr nominell, ſtets 
erhalten. Vor Ankunft des Grafen de Eſpaña war 
die Haupt⸗ oder vielmehr einzige Beſchäftigung der 
wenigen carliſtiſchen Carabiniers die zahlreichen Maul⸗ 
thier⸗Caravanen aufzuſpüren, die aus Gerona, Figue⸗ 
ras und den cataloniſchen Binnenſtädten durch den Lam⸗ 
pourdan, mit Waaren ſchwer beladen, nach Frankreich 
zogen oder von dort zurückkehrten. Sobald ſie Kennt⸗ 
niß von einem ſolchen Zuge erlangt, und ſicher waren, 
daß kein ſtarker Truppen⸗Convoi ihn bedecke, wurden 
durch mehrere Nächte oft gegen fünfzig ſpaniſche Leguas 
zurückgelegt, Tags in einzeln ſtehenden Hütten oder in 


128 


Schluchten ausgeruht, endlich der Convoi überfallen 
und in aller Form rançonnirt. Die Ballen wurden 
gezählt, abgeſchätzt, das altſpaniſche Douane-Regle— 
ment hervorgeholt, was Gegenſtände des Kriegsbedarfs 
ausmachte confiscirt, und das Uebrige nach geſchehener 
Entrichtung des legalen Zolls frei gelaſſen; auch den 
Maulthiertreibern (arrieros) eine regelmäßige Quit⸗ 
tung und Beſcheinigung, auf gedrucktem Formular, 
mit Siegel und Unterſchrift übergeben. Die Chefs 
des königlichen Resguardo, die doch de facto nicht 
viel von Räuberhauptleuten differirten, würden ſich 
über einen ſolchen Vergleich höchlich beleidigt gefühlt 
haben, da ſie doch Alles nach beſter Form Rechtens 
unternahmen. 

Graf de Eſpana, der die Wichtigkeit dieſes 
Corps erkannte, vermehrte es bis auf ſechshundert 
Mann, die in acht Compagnien eingetheilt, ihren 
Aufenthalt in den vom Feinde beſetzten Landftrichen 
nehmen, und für Eintreibung regelmäßiger Steuern 
aus den feindlichen Plätzen, Sorge tragen mußten. 
Dieß war in Catalonien von um ſo größerer Wichtig— 
keit, als außer den acht großen Feſtungen, jede Corre— 
gimental-Hauptſtadt, alle Städte, Flecken und Dörfer, 


129 


die einiges Intereſſe wegen ihres induſtriellen oder 
Grundreichthums boten, vom Feinde befeſtigt waren. 
Von den im Hoflager eintreffenden fremden Subſidien, 
wurden für Catalonien und Aragon nichts oder nur 
ſehr unbedeutende Summen verwendet, ſo daß, wenn 
Graf de Eſpanña nicht Mittel gefunden hätte, die 
vom Feinde befeſtigten und beſetzten Orte, über zwei— 
hundert an der Zahl, zur regelmäßigen Einzahlung 
ihrer Abgaben zu zwingen, die Kriegskaſſen auf Erpreſ— 
ſung der armen, den Carliſten ergebenen oder von ihnen 
beſetzten Gebirgsſtriche oder auf den Ertrag iſolirter 
Streifzüge (den algieriſchen Razia's gleich) beſchränkt 
geweſen wären. Dieß hätte natürlich alle Ordnung und 
Diseiplin unmöglich gemacht, die doch in dieſer Provinz 
mehr als in jeder andern nothwendig war. So aber 
brauchte nur eine Abtheilung Carabiniers ſich in der 
Nähe eines, mit ſeinen Steuern rückſtändigen, Ortes 
zu zeigen, um daß ſofort, an bezeichneter Stelle und 
Zeit, durch einen Einwohner, oft mit deſſen Lebensge— 
fahr, die genau beſtimmten Summen pünktlich abge— 
liefert wurden. Die Einwohner wußten zu gut, daß 
alle ihre bewegliche und unbewegliche, außerhalb der 
Mauern ihres Wohnortes gelegene Habe für die 
II. 9 


130 


pünktliche Zahlung haften mußte, auch wenn dieſes 
ihr Eigenthum ſich innerhalb des Bereiches chriſtini— 
ſcher Kanonen befand. Hingegen war unter Eſpañ a 
ſo große Mannszucht eingeführt, daß jede Verwüſtung 
oder Plünderung, ſelbſt feindlichen Beſitzthums, ſtreng 
beſtraft wurde, wenn der Eigenthümer die fixirten 
Abgaben tadellos entrichtet hatte. 

Die Züge des Resguardo ſtreckten ſich durch ganz 
Catalonien aus, von den Pyreneen bis zum Ebro, von 
den Gebirgsthälern an der Grenze des Obern Aragon 
bis zu den reichen Küſtenſtädten, und nicht ſelten brach— 
ten kleine Abtheilungen mehrere Tage auf eine Viertel- 
ſtunde von Barcelona zu, in irgend einer reichen und 
eleganten Villa. Alle Stege und Schluchten waren 
ihnen genau bekannt, ſo daß ſie bedeutende Vorſprünge 
vor den, ſie oft auf allen Seiten verfolgenden Linientrup⸗ 
pen gewinnen konnten, da nur ſelten Bauern, beſonders 
im obern und gebirgigen Catalonien, es wagten dem 
Feinde als Führer zu dienen. Ihr beſchwerlicher und 
mit Gefahr verknüpfter Dienſt erforderte beſtändige 
Wachſamkeit und einen gewiſſen Grad von Schlauheit; 
dem ungeachtet wurden ſie ſtets von der Linie mit 
ſcheelem Auge und Geringſchätzung betrachtet. Sie 


131 


ſtanden direct unter dem Intendanten (Finanz-Chef) 
der Provinz und hatten mit den militäriſchen Behörden 
nichts zu ſchaffen. 

Don Juan Trilla, ihr Commandant, der 
Offizier, den ich an der Grenze getroffen hatte, ge— 
hörte eigentlich nicht zu dieſem Corps, ſondern war 
Oberſtlieutenant in der Linie und Commandant (Co- 
mandante de armas) im Thale von Rivas. Graf 
de Eſpana hatte nehmlich, in allen vom Feinde nicht 
beſetzten Plätzen und Thälern, Commandanten einge— 
ſetzt, die den Carabiniers hülfreiche Hand leiſten, die 
Freiwilligen ins Hauptquartier befördern, die Cor— 
reſpondenz weiter beſorgen und ihn von Allem was 
vorfiel, ſogleich in Kenntniß ſetzen ſollten. Ein ſolcher 
Commandanten-Poſten, ohne aller Mannſchaft, war 
eine der fatalſten Poſitionen die man ſich denken 
kann; denn mit Ausnahme der ödeſten Hochgebirge, 
wo der Feind nie hinkam, aber auch nichts zu thun 
war, mußte der unglückliche Commandant das ganze 
Jahr auf der Lauer ſein, um vom Feinde nicht 
überfallen zu werden; alle Ausſicht eines Wider— 
ſtandes, Kampfes, militäriſchen Vortheils war ihm 
ein für allemal benommen und ſeine Dienſtthätigkeit 

9 


132 


mit beſtändiger Flucht, innerhalb eines gegebenen klei— 
nen Terrains, innig verknüpft. Mich hätte ein ſolcher 
Poſten zum Wahnſinn bringen können. Der ehlliche, 
alte Trilla, ein Offizier aus dem Independenzkriege, 
ſchien jedoch ſeine Stellung nicht aus dieſem Geſichts— 
punkte zu betrachten, ſondern von ihrer Wichtigkeit 
vollkommen durchdrungen, um ſo mehr als Graf de 
Eſpana eine Abtheilung Carabiniers mit einem Lieu⸗ 
tenant ausnahmsweiſe unter ſeine Befehle geſtellt hatte, 
um die Communication mit Frankreich offen halten, 
und die Correſpondenz dahin beſorgen zu können. 
Nach kurzem Halte in einer Höhle, die den Cara— 
biniers oft zum Aufenthalte gedient, ſetzten wir unſern 
Marſch fort. Noch hatten wir eine kleine Sedition 
der Schmuggler zu dämpfen, die mit ihren Maul⸗ 
thieren umkehren wollten, da ſie behaupteten nur bis 
zur Grenze gedungen zu fein. Piecutus, der 
einzige vernünftige, ſtellte ihnen vergebens mit großem 
Schwall von Worten vor, daß ſie uns wenigſtens bis 
Cerat folgen müßten, wo wir andere Thiere requiriren 
könnten. Sie wollten von nichts hören, warfen unſere 
Packtaſchen und Mäntel zu Boden und ſchwangen ſich 
auf ihre Maulthiere, zurückzureiten. Ich lag mit Herrn 


133 


von Meding und Trilla um ein Feuer am Eins 
gange der Höhle, und achtete nur wenig dieſes Streites. 
Als er nun lebhafter wurde, und wir um den Grund 
frugen, erwiederte einer der Meuterer, ſie müßten 
noch 500 Franken, zu der erſtbedungenen gleichen Summe 
erhalten, die einer von ihnen ſofort nach Frankreich 
zurückbringen würde; dann wollten die Andern uns 
folgen. Statt aller Antwort ließ Trilla ſeine Leute 
formiren und auf die zum Abreiten bereiten Schmugg— 
ler anſchlagen. Da wendete ſich das Blatt augen- 
blicklich und ſie folgten ohne Widerrede, freilich mit 
den verdrießlichſten Geſichtern. Mir war dieſe Art 
Schlichtung ſehr erwünſcht, denn der Marſch war ſo 
ermüdend, daß die Ausſicht ihn zu Fuße zu machen, 
wenig erfreulich geweſen wäre; mein Limouſiner Schim= 
mel aber, war noch zu müde um mich tragen zu können. 

Spät Abends langten wir in Cerat an, nach- 
dem wir beſtändig über die höchſten Kämme und durch 
die engſten Schluchten gezogen und nur ſelten, auf 
großen Entfernungen, ein Gebirgsdorf oder eine einzelne 
Kapelle geſehen. Ich ritt ein hochbeiniges, ungelenkiges 
Maulthier, dem ich eine engliſche, mit meinem Pferde 
gekommene Pritſche aufgelegt hatte. Trilla trabte 


134 


auf einem kleinen Pony neben mir, und konnte nur 
ſchwer meinem Baßgänger folgen. In Cerat endlich 
ſpät Abends angelangt, zahlte ich die Schmuggler 
aus und war froh ſie los zu ſein. 

Am nächſten Tage waren wir mit Sonnenauf- 
gang auf den Beinen. Die Carabiniers hatten bereits 
die nöthige Anzahl Saumthiere herbeigeſchafft, und 
wir ſtiegen in das lange, grüne Thal von Rivas hinab, 
wo ich zuerſt wieder einigermaßen Catalonien erkannte, 
wie es mir aus der letzten Campagne in Erinnerung 
geblieben. Alle Abhänge der Berge waren mühſam 
bebaut, im Thale künſtliche Triften angelegt, und über— 
all Spuren des Kampfes menſchlichen Fleißes mit 
undankbarem Boden und der Wuth der Elemente zu 
erkennen. Bei der feierlichen Stille dieſer einſamen 
Gebirgsthäler hörten wir hellklingend, in ſchwindelnder 
Höhe, den Spaten dieſer betriebſamen Leute auf dem 
Geſtein aufſchlagen, den Boden zu lockern; wenn wir 
aufblickten ſahen wir hoch über unſern Köpfen, oft an 
Stricken hängend, die cataloniſchen Gebirgsbauern lange, 
ſchmale Felder bearbeiten, die Bändern gleich, rothbraun, 
zwiſchen vorragenden, grauen Baſaltblöcken abſtachen. 
Die grellrothe Mütze (gorra) und das in der Sonne 


155 


blinkende Eiſen, machten fie von weitem kenntlich. 
Auf den ſteilen Gebirgspfaden, ſo ſchmal, daß oft 
nur ein Fuß vorſichtig vor den Andern geſetzt werden 
konnte, begegnete man ihren Frauen, die meilenweit 
auf den Köpfen das Mittag-Eſſen den Arbeitern zu— 
trugen. Mit glockenheller Stimme ließen ſie die 
Lüfte von cataloniſchen Geſängen widerhallen, unter— 
brachen ſich durch ein „Va con Deu“ und boten ſtets 
aus dem Porron, der früher beſchriebenen Schnabel— 
flaſche, den vorbeimarſchirenden Carliſten zu trinken 
an. Nach ſechsjährigem Kriege hatte die Sorgloſig— 
keit und Betriebſamkeit dieſes Volkes etwas weh— 
müthiges. Sie ſäeten und wußten nicht ob ſie ärndten 
würden, und wenn Saat und Aerndte im Schweiße 
ihres Angeſichts und mit beſtändiger Lebensgefahr ihnen 
gelungen, ſo wußten ſie meiſt nicht, ob es ihnen 
gegönnt ſein würde, die Früchte ihrer Anſtrengung 
ungeſchmälert und in Ruhe zu genießen. Heute von 
Streifcorps der einen Partei, und Morgen von denen 
der Andern heimſucht, waren ſie, außer dem gewöhn— 
lichen Jammer jedes Krieges, noch den brutalen Miß— 
handlungen, den Grauſamkeiten ausgeſetzt, die dem 
ſpaniſchen Bürgerkriege, wo er durch GuEérillas 


136 


geführt wird, einen eigenen, wüthend thieriſchen Charak— 
ter primitiver Rohheit geben. Kein Thal, kein noch 
ſo kleiner Ort iſt in jenen Gegenden anzutreffen, der 
nicht gräßliche Spuren von Mord und Brand, von 
Ruine und Verwüſtung an ſich trüge. Am Eingang 
des Thales von Rivas ſahen wir, uns gleichſam als 
Vorgeſchmack zu dienen, das Kloſter Santa Maria 
de la Nulia, jetzt nur mehr öde Mauern, an denen noch 
Zeichen von Brand und Kugeln ſichtbar, ſtumme 
Zeugen jüngſtvergangener Gräuel. Wir marſchirten 
bei dem befeſtigten Pfarrhauſe von Queralps vorbei, 
das fein Dorf, einer militäriſchen Anlage gleich, förm— 
lich dominirt, längs des kleinen Fluſſes Rivas hin, 
der ſich in den Ter ergießt. 

Nach einigen Stunden kamen wir nach Rivas, 
einem ziemlich bedeutenden Markte. Dieſes gute Volk, 
durch lange Leiden frohen Hoffnungen nicht entwöhnt, ſah 
in jedem höhern Offizier, der aus dem Hoflager kam, 
einen Helfer, der Frieden, Geld, oder doch wenigſtens 
irgend eine tröſtliche Nachricht mitbringen werde. So ge— 
ſchah es auch mit mir. Am Thore von Rivas empfingen 
mich die Geiſtlichkeit und das Ayuntamiento mit möglich— 
ſter Feierlichkeit. Der Alcalde und die Regidoren trugen 


137 


die Zeichen ihrer Würde, breite rothe Bänder en 
echarpe, den Ordensbändern der Großkreuze gleich; 
auf der Bruſt in Gold das Wappen des Ortes geſtickt. 
Dieſe Bänder (bandas) ſind in ganz Catalonien üblich 
und werden vom abtretenden Magiſtratsbeamten ſeinem 
Nachfolger überliefert. Die Verleihung der bandas 
geſchieht von Barcelona aus, durch den General-Capi⸗ 
tain. Viele ſind ſehr alt und datiren von Philipp V. 
oder Carl VI. von Oeſterreich. Letztere haben alle 
den kaiſerlichen Adler, ſo wie die cataloniſchen Häuſer, 
welchen dieſer Gegenkönig Adelstitel verliehen, den 
doppelköpfigen Adler hinter ihrem Wappen führen. 
Wenn ich hier von der chronologiſchen Ordnung 
in meiner Erzählung abweiche, ſo mag es in Anbe— 
tracht des beſondern Reizes verziehen werden, den die 
öſterreichiſchen Anklänge und Reminiscenzen für mich, 
als Deutſchen, haben mußten. Sie ſind in Catalonien, 
dieſem dem Hauſe Oeſterreich ſo lange treu ergebenen 
Lande, bis auf den heutigen Tag in ſo friſchem, leb— 
haften Andenken geblieben, als wäre es kaum zwan— 
zig und nicht hundert und zwanzig Jahre her, daß 
der letzte Habsburger unter ihnen gewaltet. Keine 
einzige Erinnerung iſt ſeither bei den Cataloniern ver— 


138 


wiſcht; ſie gehorchten den bourboniſchen General- 
Capitainen, die nach dem Suceeſſionskriege von 
Madrid aus ihnen beſtellt, ſtets hart mit ihnen ver— 
fuhren, doch im Grunde ihres Herzens wünſchen ſie 
die Dynaſtie zurück, unter der Spanien die höchſte 
Stufe ſeiner Glorie erreichte. Bis heute hoffen die 
Gatalonier eine Rückkehr der Casa de Austria, und 
als vor ungefähr zwei Jahren das Gerücht ſich ver— 
breitete, die Infantin Sfabella würde ſich mit einem 
Erzherzog von Oeſtreich vermählen, hat dieß in ganz 
Spanien, beſonders aber in Catalonien, eine tiefe 
Senſation hervorgebracht. Ich weiß nicht, ob Don 
Carlos und Chriſtina daran denken, durch eine 
Vermählung der Königin de fait mit dem Thron⸗ 
erben de droit, Spanien einen ſtabilen Frieden zu 
ſchenken, alle Parteien zu verſchmelzen; aber einen 
gefährlicheren Rivalen könnte der Prinz von Aſturien 
nicht finden, als wenn ein Erzherzog in die Schranken 
träte. 

Von dieſer Anhänglichkeit an das Haus Defter- 
reich und dieſem ſtarren Glauben an ſeine Rückkehr, 
hatte ich Gelegenheit mehrere, mitunter ſeltſame Be— 
weiſe zu erleben. In einem Städtchen, wenige Meilen 


139 


von Barcelona, Cardedeu genannt, wohnte eine wohl— 
habende Bürgerfamilie; der Großvater lebte noch 1818, 
und oft iſt mir erzählt worden, daß er am Beginne 
eines jeden Jahres wettete, daß bis zum Verlaufe des— 
ſelben das Haus Oeſterreich über Catalonien herrſchen 
würde. Ein Truthahn (cataloniſch gall d'indi) war 
der Preis der Wette; am Weihnachtsabende mußte er 
entrichtet werden, da an demſelben jeder gute Haus— 
vater in Catalonien einen Truthahn auf ſeinen Tiſch 
ſetzt, wie in Deutſchland eine Gans zu Martini. Dem 
alten Großvater war dieſe Wette von ſeinem Vater, 
Groß- und Urgroß-Vater überkommen, und manches 
Jahr ſoll ſich Niemand im Orte gefunden haben, der 
ſie eingehen wollte. — Eben ſo feſt hängt ein großer 
Theil des cataloniſchen Adels an den öſterreichiſchen 
Traditionen. Mehrere alte Familien, die durch die 
habsburgiſchen Könige Titeln erhalten, haben nie vom 
Hauſe Bourbon die Grandezza annehmen wollen, wie 
z. B. die Grafen von Fonollär und die Marquis 
von Centmanat. *) 


*) Die Einbildungskraft des ſpaniſchen Adels, wenn von 
ihren Titeln und Rangverhältniſſen, den Traditionen 


140 


Nun bin ich aber weit abgekommen von Rivas 
und dem mich empfangenden Ayuntamiento, dem 
der Alcalde voranſchritt, der außer dem großen Bande 
noch ein dünnes, biegſames Stöckchen (la vara) trug, 
das ausſchließliche Zeichen ſeiner Gewalt. Wenn der 
König oder der General-Capitain in einen Ort ein- 
ziehen und vom Ayuntamiento empfangen werden, 
ſo beginnt der Alcalde, vor aller Anrede damit, 
Sr. Majeſtät oder Excellenz als Zeichen des Gehor— 
ſams ſeinen Stab zu überreichen, der ihm dann 


ihrer Häuſer die Rede iſt, iſt bekannt und ſprüchwörtlich 
geworden. Doch kann ich bei Erwähnung des Namens 
Centmanat nicht übergehen, daß der Marquis, Chef 
dieſer Familie, der auf mehreren Reiſen eine gewiſſe 
Bildung erlangt hatte, mir einſt erzählte, ſein Name 
komme daher, daß einer ſeiner Vorfahren hundert 
gerüſtete Männer Carl dem Großen nach den Pyre— 
neen geſtellt habe, worauf der große Kaiſer geſagt 
haben full: „Cent Mann hat”. Der gelehrte und ver— 
ſchmizte Rector der Univerſität Cervera, Domherr Tor— 
rebadella berichtigte dieß aber dahin, daß der Mar— 
quis allerdings von den durch Carl den Großen in 
den Pyreneen eingeſetzten Cent-Männern abſtamme, die 
deren Päſſe mit hundert Mann zu hüten hatten. 


141 


gewöhnlich ſogleich mit der Formel zurückgeſtellt wird, 
„er ſei in würdigen Händen.“ 

Nachdem ich im Stadthauſe abgeſtiegen, und Man— 
deln, Roſinen nebſt ſüßen Wein genoſſen, eine in jenen 
Gegenden übliche Höflichkeit kleinerer Orte und der 
Mittelklaſſe, begab ich mich in das mir beſtimmte 
Quartier und ließ ein möglichſt ſomptuoſes Diner 
herrichten, wozu ich das Ayuntamiento, Geiſtlichkeit 
und Trilla einlud, die ſämmtlich über dieſe „fine za“ 
entzückt ſchienen. Doch konnten wir uns den Freuden 
der Tafel nicht lange hingeben, da bei eintretender 
Dämmerung meine ſämmtlichen Gäſte ſehr ängſtlich 
wurden und mir unverholen zu erkennen gaben, daß 
ſie meine unverweilte Entfernung gern ſähen, indem 
meine Anweſenheit einen Beſuch der Chriſtinos, aus 
einer der drei Feſtungen zur Folge haben könne. Auch 
Trilla ſtimmte dieſem bei und verſicherte mich mit 
unerſchütterlicher Ruhe, er habe ſeit Jahren nie in 
Rivas geſchlafen, ſondern ſtets nur die hellen Ta— 
gesſtunden dort zugebracht; jede Nacht ruhe er 
in andern Landhäuſern oder Sennhütten (bordas). 
Doch könnten wir ganz beruhigt ſein, es würde uns 
an nichts fehlen, Abends Souper, Nachts ein Bett, 


142 


Morgens Chokolade, kurz wir würden alle Bequem— 
lichkeit haben, wie in Madrid. 

In kurzer Zeit war Alles aufgepackt und wir 
ritten eine Viertelſtunde im Thale zurück, dann eine 
Berglehne hinauf, ziemlich neugierig dieſe geheimen 
Herrlichkeiten kennen zu lernen. Endlich kamen wir 
vor eine anſehnliche Steinmaſſe, deren Formen wir 
wegen der vollkommenen Dunkelheit nicht unterſcheiden 
konnten. Einer der Leute Trilla's pfiff lange in 
jeltfamer Weiſe, ohne daß eine Antwort erfolgte. 
Endlich erzürnte Trilla, und alle, mir während des 
Weges empfohlene Vorſicht, ja nicht laut zu ſprechen, 
nun ſelbſt vergeſſend, ſchrie er aus Leibeskräften: „Senor 
Rector (der Titel der Pfarrer, die in Rectorias wohnen) 
wollen Sie mich denn die ganze Nacht, wie einen Hund 
draußen laſſen; kennen Sie mich denn nicht, ich bin 
Don Juan Trilla.“ Sogleich ward ein kleines 
Fenſter, das ein, dem Klange nach eiſener Laden 
geſchloſſen hatte, geöffnet, und eine heiſere, ſchläfrige 
Stimme erwiederte: „Calla hombre (Schweigen Sie, 
Menſch *) man könnte uns hören.“ Doch fingen 


*) Der ſpaniſche Ausruf „hombre“ Menſch, kann eigent— 
lich gar nicht gegeben werden; er wird in jedem Ge— 


143 


demungeachtet Rector und Trilla ſogleich an, halb— 
laut und vorſichtig flüſternd ſich endlos zu becompli— 
mentiren und nach aller altſpaniſchen Höflichkeitsformel 
gegenſeitig ihre Dienſte anzubieten, ſo daß mir die 
Zeit doch zu lange wurde und ich vorſchlug, den zwei— 
ten Theil des Ceremoniels lieber am Küchenfeuer im 
Hauſe vorzunehmen. Dies fand Anwerth und gleich 
darauf hörten wir ein Hausthor öffnen; ich wollte 
abſteigen und eintreten, doch machte mich Trilla 
auf einen ſechs Fuß breiten, um das Haus gezogenen 
Graben aufmerkſam. Nach einigen Augenblicken wur- 
den von innen zwei Balken mit Brettern, einer kleinen, 
ſehr adamitiſchen Zugbrücke ähnlich, über den Graben 
geſchoben, und wir zogen ſämmtlich, mit Maulthieren 
und Gepäcke, ins Innere der Rectoria. Unverweilt 
wurde die Brücke wieder eingezogen, das große Haus— 
thor geſchloſſen, dicke Balken quer vorgeſchoben und 


müths⸗Affect als Aufruf gebraucht; der beleidigte, 
geſchmeichelte, verwunderte oder erſchrockene Spanier 
antwortet vor Allem mit „hombre.“ Doch iſt dieß 
nur ein mehr familiairer Ausruf und mir z. B. wohl erin⸗ 
nerlich wie Alles in Barbaſtro (im Juni 1837) ſich über 
den Brigadier Porredon (el Ros de Eroles) moquirte, 
dem vor dem Könige ein „hombre“ entwiſcht war. 


144 


endlich auch noch eine eiſene Thür verriegelt, worauf 
Alles ſo ſicher und ruhig, nur mehr auf Nachteſſen und 
Schlafſtellen dachte, als wären die Wälle von Gibraltar 
zwiſchen uns und den Chriſtinos. 

Den nächſten Tag goß es ſo ſtark, daß wir beſchloſ— 
fen in der Rectoria de Fuſtina zu verbleiben. Ich benützte 
dieſe Zeit mein Journal nachzutragen, und war eben, 
gegen Abend damit beſchäftigt, Herrn von Meding die 
letzte Epiſode, unſern Uebergang über die öſtlichen Pyre— 
neen, zu dictiren, als lebhaftes Geſchrei uns ſtörte; zu— 
gleich ſtürzte der Rector ins Zimmer und ſchloß eilig 
die ohnedies durch dicke Eiſenſtäbe vergitterten Fenſter 
mittelſt eiſener Läden. „Los Negros“ war das Einzige 
was er hervorzubringen im Stande war. Wirklich gewahr- 
ten wir durch die einzige, hoch an der Wand des Vor— 
ſaals offen gelaſſene Lukarne einen Haufen Peſeteros,“) 


*) Peſeteros, die, aus Spaniern beſtehenden, freigeworbenen 
Corps (Corps francs), wegen der Löhnung einer Peſeta 
(vier Realen) die ſie täglich erhielten oder erhalten 
ſollten, ſo genannt. Die Peſeteros beſtanden aus den 
zügelloſeſten, undisciplinirteſten Banden, und waren 
bei Carliſten und Chriſtinos gleich verrufen. Kein 
einziger anſtändiger Offizier diente in dieſem Corps. 


145 


die aus Ripoll angelangt, uns aufforderten das Thor 
zu öffnen. Trilla, auf einem Stuhl ſtehend, par- 
lamentirte und rief ihnen zu, ſich zurückzuziehen, worauf 
ſie, ihn für den Pfarrer haltend, mit grobem Geſpötte 
über Tonſur und Callote erwiederten. Während dem 
poſtirten ſich unſere Carabiniers an alle Fenſter und 
Dachlöcher, die nach dieſer Richtung gaben, öffneten 
ſie leiſe und feuerten auf ein gegebenes Commandowort 
zugleich auf die lärmenden Peſeteros. Zwei Mann fielen, 
einige Verwundete ſchleppten ſich mühſam fort und die 
Uebrigen entflohen eilig; ihr Offizier rannte am ſchnellſten. 

Nach dieſem kleinen Scharmützel war es nicht 
möglich länger in dem Rectoria zu bleiben, da 
wir vermuthen konnten, durch eine ſtärkere Trup⸗ 
penabtheilung, vielleicht ſchon am nächſten Morgen, 
cernirt und ausgehungert zu werden, wenn gleich die 
dicken Mauern des Gebäudes längern, aber gewiß 
unnöthigen Widerſtand möglich gemacht hätten. So— 
bald es daher ganz dunkel geworden, zogen wir ab, 
und marſchirten mehrere Stunden bis zu einem ein— 
ſamen Landhauſe, Bayell, wo wir den Reſt der Nacht 
zuzubringen dachten. Doch kaum hatten wir uns zur 
Ruhe begeben, als wir durch Feinde anderer Art 

II. 10 


146 


gepeinigt wurden. Ein Heer von Ungeziefer fiel 
dergeſtalt über uns her, daß an längeres Verweilen 
nicht zu denken war. Sogar meine Carabiniers, die 
an derlei Uebel gewöhnt, fie ſonſt mit ſtoiſchem Gleich⸗ 
muthe ertrugen, fanden hier die Anzahl zu unbeſchei— 
den groß, und ſo ſetzten wir uns, nach kurzer Folter, 
zerbiſſen und mit aufgeſchwollenen Händen wieder in 
Bewegung. Als der Morgen graute kamen wir nach 
Gumbren oder Gombreni, durch Maroto's Nieder- 
lage (1836), worauf feine Flucht nach Frankreich 
erfolgte, bei allen Carliſten in traurigem Andenken. 
Dieſer Ort liegt in einer rothbraunen und erdfahlen 
Sandvertiefung, von nackten, ſtarren Felſen umgeben. 
Keine Spur menſchlichen Fleißes, kein Feld, kein 
Baum iſt hier zu ſehen, und die aus Feldſteinen und 
Erde elend zuſammengefügten Hütten, nieder und mit 
flachen Schieferdächern, harmoniren zu den traurigen 
Tönen der Gegend. Dieſer jammervolle Anblick erin— 
nerte mich an die altcaſtiliſchen Pinaren; doch waren 
wenigſtens verkrüppelte Bäume dort, aber hier nichts 
als Sand und Fels. Vielleicht könnte man die Kie— 
fern des ſchleſiſchen rechten Oderufers hin verpflanzen, 
und dann gliche das Thal von Gumbren gewiß der 


147 


 ammutbigen Gegend zwiſchen Groß -Strehlitz und 
Lublinitz. 

Als ich auf meiner Karte mich zu orientiren 
trachtete, gewahrte ich mit Schrecken, daß unſer zwei— 
maliger, unbequemer Marſch letzter Nacht uns nur 
auf kaum zwei ſpaniſche Leguas von Rivas geführt 
habe. Doch Trilla entſchuldigte ſich mit den noth— 
wendigen Umwegen, den Feind irre zu leiten und von 
unſerer Fährte abzubringen; mir ſchien es abſurd, 
deßhalb in ſeinem Gebiete zu bleiben. Ich quartirte 
mich im leidlichſten Hauſe ein, der Ruhe etwas zu 
pflegen, wozu mir die Honoratioren von Gumbren 
wenig Zeit ließen, die ſogleich nach meiner Ankunft 
mich neugierig zu begaffen kamen und mit endloſen, 
meiſt lächerlich unvernünftigen Fragen langweilten. 
Noch iſt mir Eine erinnerlich, die damals in allen 
Orten wiederholt wurde: ob es denn wahr ſei, daß 
ein ruſſiſches Heer, bereits in Frankreich angelangt, 
nächſtens in Catalonien eintreffen würde, um die 
Chriſtinos zu vernichten. Ich hatte auf dieſe ſtereotype 
Frage eine eben ſo feſtſtehende Antwort: „Dieß ſei wohl 
möglich, da der Kaiſer ſehr mächtig und den Carliſten 
gewogen ſei; übrigens werde der Graf de Eſpaña 

10 * 


es am Beſten wiſſen.“ — „Ja,“ meinten fie, „der weiß 
Alles, aber ſagt nichts. Dem darf man nur antworten, 
auf was er frägt.“ Der tiefe Eindruck, den der bloße 
Name des alten Feldherrn bis in die gebirgigſten, ent— 
fernteſten Theile Cataloniens ausübte, war wirklich 
merkwürdig zu beobachten. Wenn in der eifrigſten 
Unterredung, auch einer größern Anzahl Catalonier, 
Jemand den Namen „Don Carlos de Eſpana“ 
hinwarf, war es als ob er einem Zauber gleich, Allen 
in die Glieder führe und ihre Zungen lähmte. Jeder 
ſah bedenklich vor ſich hin, Alle ſchwiegen, und nur 
manchmal ſagte ein alter Gebirgsbauer, im Haſſe 
gegen die reichen Küſtenſtädte ergraut: „Este acabara 
con Barcelona.” ) 

Endlich ward ich mit guter Manier meiner Viſiten 
los und konnte mich auf ein mit Maisſtroh gefülltes, 
hoch aufſchwellendes Bett legen, das ich ſchon längſt 
mit lüſternem Blicke betrachtet. Als ich nach einigen 
Stunden, vollſtändig ausgeruht, den weiten Hausflur 
betrat, der auch im kleinſten cataloniſchen Hauſe einen 
unverhältnißmäßig großen Raum einnimmt, fand ich 


* 
* 


*) Der wird mit Barcelona fertig werden. 


einen langen Tiſch mit vielen Couverts gedeckt, und 
meine Beſucher um denſelben ſtehend. Sie wollten 
mir ein Diner geben und hatten mit hungrigem Magen 
meines Aufwachens geharrt. Die dampfenden Schüſ— 
ſeln, die ſogleich aufgetragen wurden, machten jedes 
Ablehnen dieſer Ueberraſchung unmöglich, auf die ſie 
ſich viel einzubilden ſchienen. Ich mußte alſo anneh— 
men, wollte ich Geiſtlichkeit und Ayuntamiento nicht 
gröblich beleidigen und ihnen einen ſchlechten Begriff 
unzeitigen Stolzes geben. Ich kann nicht läugnen, 
daß es mir peinlich war, dieſes arme Dorf in unge— 
wöhnlichen Aufwand zu verſetzen, doch in das Unver— 
meidliche mich fügend, nahm ich zwiſchen Pfarrer und 
Alcalden Platz. Herr von Meding und Trilla, 
auch der Lieutenant der Carabiniers, die Regidoren 
und die Capläne der Kirche nahmen die übrigen Sitze 
ein; ſogar mein Diener mußte ſich neben einem „del 
Consejo (vom Dorfrathe) niederſetzen, der ihm unauf— 
hörlich einſchenkte und ihn mit „Senor Ayuda de 
Camara titulirte. Vor mir wurde ein ganzer gebra— 
tener Schöps aufgeſtellt, der ſchon aus der Küche her, 
ſtark nach Zwiebeln und Knoblauch roch. Vortreffliche 
Forellen eines nahen Gebirgsbaches wären das Beſte 


an dieſem Feſtmahl geweſen, wenn man fie nicht in 
Del gefotten hätte. Vor uns als Fremde (wozu alle 
übrigen Spanier, als nicht-Catalonier gezählt werden) 
wurden Gläſer geſtellt. Als ich nun den landesüblichen 
Porron ergriff und in weitem Strahl den dunklen 
Wein zu meinem Munde führte, ohne den Glasſchnabel 
mit den Lippen zu berühren, ſtieg ich bedeutend in 
ihrer Achtung, während ſie nachſichtig über Herrn von 
Meding lächelten, der nach vergeblichen Verſuchen, 
die ihn von oben bis unten begoſſen hatten, zum 
Glaſe zurückkehren mußte. „Este Cavallero no save 
beber” jagte der Alcalde, pfiffig lächelnd zu mir 
gewendet. Doch muß ich hier zur Rehabilitation 
meines Reiſe- und Leidens-Gefährten erwähnen, daß 
er in Kurzem dieſem Mangel durch fortwährende Ue— 
bung abhalf. Als im Hauptquartier des Grafen de 
Eſpana angelangt, Herr von Meding gewahrte, 
daß Alle aus dem Porron dort tranken, nahm er 
in unſerer Wohnung förmlich Leetionen, indem er 
einen mit Waſſer gefüllten Porron, das Waſſer ſtets 
wieder ausſprützend, ſo lange ſchwang, bis er die 
nöthige Geſchicklichkeit des An- und Abſetzens voll— 


kommen erlangt. Dieſe Porrons, auf welche die echten 


Catalonier viel halten, haben ernfte Gonfliete mit den 
Basken und Navarreſen, während den verſchiedenen 
Expeditionen, herbeigeführt. Jeder Catalonier bietet 
nämlich, nicht nur beim erſten Eintritte in ſein Haus, 
ſondern auch vorbeiziehenden Truppen den Porron an, 
doch wehe dem, der den Schnabel mit den Lippen 
berührt, das gilt als ſchwere Beleidigung. So ſah 
ich einſt eine cataloniſche Bauerfrau dem General 
Villarreal, dem dieſe Particularität nicht gegen— 
wärtig war, den Porron aus der Hand reißen und zu 
Boden werfen, daß er in tauſend Stücke 2 und 
der Wein umherfloß. 

Abends ſchlugen wir einen ziemlich betretenen 
Weg ein, der fortwährend am Saume der Gebirge 
gradatim, aber nur wenig ſteigend, durch mehrere 
Dörfer ärmlichen Ausſehens bis auf ein grünes, mit 
Kaſtanienbäumen bepflanztes Plateau führte, wo ein 
regelmäßig gebautes Landhaus uns dieſe Nacht beher— 
bergte, das mit allen Anzeichen größerer Wohlhaben— 
heit den franzöſiſchen Fermen in der Sologne glich. 
In der Villa de Puch-Vo — fo hieß unſer Nacht: 
quartier — waren keine männlichen Bewohner, ſondern 
nur drei weibliche Generationen, „Strohwittwen.“ 


IS 


15: 


Der alte Beſitzer von Puch-VBo, ein achtzigjähriger 
Greis, war als Noyalift von den Chriſtinos nach Bar— 
celona, von da nach Majorca geſchleppt worden, und 
ſeit mehreren Jahren ſeine Familie ohne Nachricht von 
ihm. Sein Sohn, der zeitweilige Eigenthümer, gehörte 
zur carliſtiſchen Corregimental-Junta (in jedem der 
dreizehn Corregimente Cataloniens waren Junten gebil— 
det) und zog mit ihr in den Gebirgen herum; der 
Enkel endlich, diente als Offizier in einem königlichen 
Bataillon, das die Thäler des Urgel durchſtreifte. Ihre 
drei Frauen, ſo verſchiedenen Alters (die älteſte war 
über ſiebenzig, die jüngſte, ein anmuthiges Geſchöpf, 
kaum zwanzig Jahre alt), harrten alle drei, mit der 
zärtlichen Sehnſucht kurz vor den Honigwochen geſtör— 
ter Bräute, der Rückkehr ihrer Eheherren; ließen ſich 
aber dadurch nicht hindern, uns freundlichſt aufzunehmen 
und für unſere Unterkunft Sorge zu tragen. Am 
nächſten Morgen, vor unſerem Abritt, führte mich die 
jüngſte meiner drei Wirthinnen, als die Rüſtigſte, die 
Ruinen eines in der Nähe befindlichen mauriſchen 
Caſtells zu beſehen, und erzählte mir eine hierauf 
bezügliche Legende, die ich leider, halb zerſtreut zuhö— 
rend, vergeſſen habe. 


153 


Als ich in die Villa zurückkehrte, fand ich meine 
Carabiniers mit Abhäuten einiger Eichhörnchen beſchäf— 
tigt, die ſie während meiner Abweſenheit erlegt hatten. 
Sie wollten ſelbe für mein Mittageſſen aufheben und, 
in Oel geſchmort, mir vorſetzen, was ſie als einen 
königlichen Biſſen erklärten. Auch konnten ſie ſich von 
ihrer Verwunderung nicht erholen, als ich es ablehnte 
und erklärte, ich pflege dieſe Art Wildpret nicht zu 
genießen. Vergeblich wiederholten ſie mir, es wäre ein 
ſehr reinliches Thier, das nur die unſchädlichſten und 
ſchmackhafteſten Dinge äße und viel Bewegung mache. 
Am Ende waren ihre Argumente ganz logiſch, und es 
iſt viel natürlicher, wenn man auf die Lebensweiſe der 
Thiere zurückgehen will, Eichhörnchen, als Schweine 
und Enten zu verzehren. 

Allen ferneren Discuſſionen über dieſes Thema ein 
Ende zu machen, — da Spanier gewöhnlich in derlei 
Fällen unerſchöpflich zu ſein pflegen — ließ ich aufpacken 
und nahm von meinen drei Wirthinnen Abſchied. Wenn 
mythologiſche Vergleiche noch erlaubt wären, oder ich 
ſiebenzig Jahr früher ſchriebe, könnte ich ſie zwar en 
gros weder mit den Parzen, noch mit den Grazien ver— 


gleichen, die übrigens meines Wiſſens ſich nie verehe— 


154 


licht, doch en détail würde es nicht ſo unpaſſend ſein, 
da die zärtlich harrende Gattin No. I fo viel Aehn— 
lichkeit mit den Parzen hatte, als No. III, meine 
Begleiterin zum mauriſchen Caſtell, mit den Grazien. 

Nach einigen Stunden zogen wir durch ein enges 
Felſenthor, das den Fluß Rivas und eine ſchmale, in 
den Stein gehauene Straße einengt. Zu beiden Sei— 
ten, hoch im Fels, waren in vorſpringende Blöcke kleine 
Höhlen und Fenſter durch Menſchenhand, mit unſäg— 
licher Mühe gehauen; es ſollen die chriſtlichen Wacht— 
häuſer zur Vertheidigung dieſes Paſſes gegen die Mau— 
ren geweſen ſein. Sie haben ein eigenthümliches, 
romanhaftes Anſehen und erinnerten mich an den 
Verſteck, den Cooper in dem „Spion“ ſo weitläufig 
beſchreibt. Unter dem Flußbett ſprudeln in der Nähe 
dieſes Felſenthors ſalzige Quellen hervor, deren Waſ— 
ſer, mit den Wellen des Rivas vermiſcht, ihm Sub— 
ſtanzen mittheilt, deren Kraft und Wirkung ſich erſt 
eine Strecke weiter verliert. Dieſe Flußſtelle unter dem 
Paſſe wurde ſeit undenklichen Zeiten zum Baden 
gebraucht, daher auch ſein Name: Puerto de los 
banos. 


Auf der andern Seite des Paſſes angelangt, 


konnten wir das Caſtell San Antonio und die Feſtung 
Ripoll, am Ende des Thales, vor uns ſehen. Wir 
drängten uns an die Felſenwand, und marſchirten 
Einer hinter dem Andern, nach Art der Maulthier— 
treiber, ungeſehen zu bleiben oder wenigſtens unver— 
dächtig zu ſcheinen. Bald verließen wir das Fluß— 
gebiet des Rivas und erſtiegen den ſteilen Bergrücken, 
der das Thal weſtlich begrenzt. Nach mehreren Win— 
dungen und ſtundenlangem Klettern, erreichten wir 
endlich ein, nur mehr durch einen iſolirten Kegel domi— 
nirtes, ſehr hoch gelegenes Plateau. Vor uns lag, 
einer Karte gleich, der größte Theil Cataloniens aus— 
gebreitet; deutlich konnten wir zu unſern Füßen das 
Flußgebiet des Ter mit ſeinen Krümmungen ſehen, 
Vich, Gerona unterſcheiden und den Lauf des reißenden 
Gebirgsſtroms beinahe bis zum Meere verfolgen. 
Ueber die Berge, die ſeinen Thalweg ſcheiden, ſahen 
wir hinweg auf den, einem Silberbande gleich, glän— 
zenden Llobregat, der ſo reich und prachtvoll weite, 
grüne Matten, üppige Felder, Hunderte von Dörfern 
durchzieht. Doch in weiteſter Entfernung begrüßte ich 
freudig meinen alten Bekannten aus vorjähriger Cam— 


pagne, den ehrwürdigen Monſerrat, einem Könige des 


Landes gleich thronend in ewiger Majeſtät; ernſt und 
feierlich, hoch über alle Sierren ragend, ſchauten ſeine 
Zacken zu uns herüber. N. S. del Monſerrat, dieſer 
weltberühmte Wallfahrtsort, von allen ſpaniſchen Kö— 
nigen heimſucht und beſchenkt, iſt die Schutzpatronin 
des Landes. Auch wandten ſich alle Häupter gläubig 
nach dieſem einzigen Berge; die mich begleitenden Ca— 
talonier fielen auf die Knie, beteten laut und begehr— 
ten von U. L. F. vom Monſerrat Schutz und Heil 
für „ihr Land Catalonien“ (Vuestra tierra de Cata- 
luna). 

Nach kurzer Raſt, dieſem prachtvollen Rundge— 
mälde, mehr noch als unſerer Ermüdung gegönnt, 
warfen wir noch einen Blick nach der Kette der Pyre— 
neen, die hinter uns den Horizent begrenzte, gleich— 
ſam Abſchied von ihr zu nehmen. Dann ſtiegen wir 
hinab in das kleine Thal des Merdanſol, der ſich 
nach kurzem Laufe in den Llobregat ergießt. San 
Lorenzo de Corubi, ein freundliches Gebirgsdorf, deſſen 
wohlhabendes Ausſehen an die baſkiſchen Küſten 
mahnte, ward links gelaſſen, und nach mehrſtündigem 
Marſche ſchlugen wir unſer Nachtquartier in einem 
eleganten Landhauſe auf, Villa Tubau genannt, ober- 


157 


halb des Dorfes San Jayme de Frontita. Am 
nächſten Morgen kamen wir bei Zeiten nach dem 
Städtchen Borradä, wo de Eſpana eine Commiſſion 
zur ſchnellen Unterſuchung militäriſcher Vergehen ein— 
geſetzt. Ihr Präſident, Oberſt Lacy, ein alter Be— 
kannter aus dem Hoflager, kam mich aufzuſuchen und 
war voll des Lobes, über die Thätigkeit und kräftigen 
Organiſationen des Grafen. Ihre Folgen waren überall 
kenntlich; ſo hatte er ſogleich nach ſeinem Eintritte in 
Catalonien eine Militär-Erziehungs-Anſtalt in Bor- 
rada etablirt. Sie war dazu beſtimmt, einem großen 
Unweſen der ſpaniſchen Armeen zu ſteuern, das beſon— 
ders in carliſtiſchen Bataillons ſehr um ſich gegriffen 
hatte. Es liefen ihnen nämlich in großer Anzahl 
Knaben von zehn bis zwölf Jahren nach, theils Sol— 
datenkinder, theils ihrer Heimath Entwichene. Sie 
gehörten Niemanden an, ſchliefen mit den Soldaten 
im Bivouac, aßen aus der Ménage der Truppe, ohne 
daß je Rationen für ſie verabfolgt wurden, und ſtahlen 
bei jeder Gelegenheit den Bauern Lebensmittel und 
Kleidungsſtücke. Dieſe Knaben ſanken durch die ſchlim— 
men Einwirkungen dieſer regelloſen Exiſtenz und durch 

beſtändiges Nichtsthun zu den allerniedrigſten Kreaturen 


158 


herab, für deren Laſter die deutſche Sprache keine 
Bezeichnung hat. Sie wurden Granujas genannt. *) 
Dieſe Kinder ließ de Eſpana in allen Bataillons 
ſorgſam aufſuchen und in Borradä, 3 bis 4 Hundert 
an der Zahl, verſammeln, wo ihnen eine regelmäßige, 
militäriſche Erziehung gegeben ward. Die kleinen 
Compagnien waren gut gekleidet, genährt; Unteroffiziere 
und Offiziere ſubalterner Grade der Infanterie wurden 
hieher beordert, die im Winter die Knaben unter— 
richteten und einererzirten, im Frühjahr aber mit den 
ausgezeichnetſten Zöglingen in das praktiſche Leben 
des Krieges zurückkehrten. Ein höherer Stabs-Offizier 
ſtand als Director der Anſtalt vor. Es war wirklich 
erſtaunenswürdig, welche gute Früchte dieſe Einrich— 
tung in ſo kurzer Zeit getragen hatte. Weder auf 
dem alten Kriegsſchauplatze (baskiſche Provinzen und 
Navarra) noch in Aragon ward jemals etwas Aehn— 


*) Granujas heißen dem Wortlaute nach die Weinbeeren, 
die im Grunde der Körbe, bei der Weinleſe liegen 
bleiben; uneigentlich wird jede verdorbene Pflanze oder 
abgefallene Frucht ſo genannt. Im Munde des Volkes 
bedeutet Granuja „Nachleſer“ (glaneurs). 


159 


liches eingeführt, ſo nahe es auch lag; doch ſoll 
Cabrera im Herbſte 1839 bereits den Befehl zur Er— 
richtung eines ſolchen Inſtituts erlaſſen haben, und 
nur durch die plötzliche Criſis der letzten Monate an 
deſſen Ausführung verhindert worden ſein. 

Nachdem Oberſt Lacy und mehrere andere, aus 
früherer Zeit mir bekannte Offiziere mich lange in 
Borrada aufgehalten hatten, kamen wir endlich gegen 
Mittag nach Berga, dem damaligen Hauptſitz der 
Carliſten in Catalonien und dem Centralpunkte ihrer 
Operationen. Dieſe Stadt liegt unmittelbar am Fuße 
einer hohen, aus Felskämmen geformten Sierra und 
beherrſcht die ganze Ebene, die ſich von hier in ſüd— 
licher Senkung bis an den Llobregat ausdehnt. Durch 
Urbiztondo im Juli 1837 eingenommen, ging 
Berga erſt am Ende unſerer Agonie (1840) verloren, 
als Cabrera mit ſeinen Truppen ſich zurückziehend, 
dieſes letzte Bollwerk des ſpaniſchen Royalismus ohne 
Vertheidigung aufgab. Die Stadt war zwar an ſich 
nicht bedeutend feſt, aber durch eine doppelte Ring⸗ 
mauer, Wälle, Gräben und einige vorſpringende Werke 
leidlich vertheidigt. Deſto wichtiger war die Poſition 
des Caſtells und der drei Thürme, welche letzteren 


IE, 
en 
+ 3 


160 


von einander unabhängig operirten, und nach Art der 
durch Erzherzog Maximilian von Oeſterreich Eſte 
bei Linz Angewendeten, auf die dominirenden Höhen 
gebaut, alle Zugänge beſtrichen und fo conſtruirt 
waren, daß wenn auch zwei genommen würden, der 
dritte ſich allein vertheidigen konnte. Torre de la 
Petita und Torre de Fermama waren ſchon im vorigen 
Jahre (1837) angebracht worden; an dem Dritten, 
ungleich ſtärkern und größern, el General, wurde 
noch gearbeitet, als ich nach Berga kam. Er war 
durch de Eſpana angelegt worden und beherrſchte 
die Stadt, die er in einen Scheiterhaufen verwandeln 
konnte, falls ſie ſich ergeben hätte. Oberhalb Berga 
erhebt ſich einer ſeiner ſteilen, zackigen Felſen, einem 
gothiſchen Thurme mit ſeinen Zinken gleichend, die 
das Eigenthümliche der cataloniſchen Berge bilden, 
und die man in ihrer merkwürdigſten, vollkommenſten 
Ausbildung an den Pies des Monſerrat wiederfindet. 
Auf der höchſten Spitze des Felſens, ſenkrecht über 
Berga, thront ein ehemaliges Kloſter. Daß die ſpa— 
niſchen Klöſter, Einſiedeleien und Pfarrhäuſer, vor— 
züglich in Catalonien, dieſer wildeſten Provinz der 
Halbinſel, Caſtellen gleichen, habe ich bereits zu er— 


161 


wähnen Gelegenheit gehabt. Dieſelbe feſte Bauart 
zeichnete das Convent von Carall aus, ſo daß es nur 
wenig bedurfte, es in ein faſt uneinnehmbares Schloß 
zu verwandeln, wo damals die Kriegsgefangenen auf— 
bewahrt wurden. Die ſechshundert Bewohner des 
Schloſſes Carall kletterten alle Morgen auf dem ein— 
zigen, halbwegs gangbaren Fußſteige, der den Fels 
hinaufführt, von ihrer luftigen Höhe herab, um Stein— 
blöcke und Baumaterialien, zum Thurme el General, 
herbeizuſchaffen und an deſſen Vollendung zu arbeiten. 

Dieſe Bauten und die durch de Eſpaña 
angelegten Fabriken aller Art Kriegsbedarf, gaben 
zu jener Zeit, nebſt den drei Bataillons Garniſon, 
Berga ein ſehr lebhaftes, thätiges Anſehen. Gouver— 
neur der Feſtung war damals Oberſt Don Joſé 
Pons, früher als Cabezilla unter dem Namen 
Bep del Oli bekannt. Er wurde ein paar Wochen 
ſpäter durch den General-Capitain plötzlich abgeſetzt 
und ihm, nach einiger müßig zugebrachten Zeit, eine 
Brigade anvertraut. Pons, dem der wichtige und 
bequeme Poſten eines Gouverneurs von Berga beſſer 
gefallen, hat ſich ſchändlich gerächt und thätig an der 
Ermordung ſeines alten Feldherrn mitgewirkt. Gegen— 

II. 11 


162 


wärtig ſoll er ſich in einem franzoͤſiſchen Depot auf- 
halten, da Cabrera's Strafgericht ihn leider! nicht 
mehr erreicht hat. 

In Berga angelangt, ſtieg ich in einem ſchlechten, 
ſchmutzigen Wirthshauſe ab, dem Beſten dieſer unſerer 
cataloniſchen Reſidenz. Es führte damals die pompöſe 
Aufſchrift: „Fonda de Carlos V.“ und hat ſeither 
wohl Namen gewechſelt. Die Strenge, mit der Graf 
de Eſpana darauf ſah, daß Niemand, der nicht 
zur Garniſon der Feſtung gehörte, nicht einmal Offi- 
ziere oder Beamte höheren Ranges, ohne einer von 
ihm ſelbſt unterzeichneten Aufenthaltskarte, länger als 
einige Stunden in Berga verweile, war mir bekannt, 
daher ich ſogleich einen Carabinier an ihn abſandte, 
in meinem Schreiben die Stunde meiner Ankunft an⸗ 
gab, und die unmittelbar nächſte als die meines Ab— 
rittes bezeichnete, zugleich einige Briefe beilegte, die 
ich an den Grafen abzugeben hatte. Hierauf gab 
ich meinen Leuten und Pferden kaum die nöthige Zeit 
ihr Diner, reſp. Futter zu verzehren, und noch vor 
Verlauf der von mir ſelbſt anberaumten Stunde, war 
ich ſchon außerhalb der Thore von Berga. 

Das Hauptquartier des Grafen de Eſpana war 


163 


in Caſerras, einem Dorfe, zwei Leguas von Berga. 
Gegen Abend traf ich ein, und hielt vor einem etwas 
größern Bauerhauſe, das zwei Schildwachen als 
die Wohnung des General-Capitains von Cata⸗ 
lonien bezeichneten. Sie gehörten zum Corps der 
Minones (mozos de escuadra), in Catalonien und 
Aragon von uralter Einrichtung, eine Art Gendar— 
merie zu Fuß, aus den erprobteſten Männern beſtehend 
und vortrefflich bewaffnet. Sie allein, ſechzig an der 
Zahl, verſahen den Wachtdienſt beim General und 
wurden, mit allen Schlupfwinkeln und Stegen wohl 
vertraut, in den Gebirgen als Ordonnanzen und Boten 
gebraucht. Ihre drei Unteroffiziere (cabos de mozos) 
waren Lieutenants, und ihr Commandant oder Ser— 
geant hatte Hauptmanns Rang. Sie ſind die ſchnellſte 
und ausdauerndſte Fußtruppe, die mir je vorgekommen. 
Oft habe ich den Grafen de Eſpaña zehn bis zwölf 
ſpaniſche Leguas, in einem Zuge, ziemlich ſcharfen 
Schrittes reiten, ja wohl ſtreckenweiſe traben ſehen, 
und ſtets hielten die ihn escortirenden Minones gleichen 
Schritt, ob bergauf oder ab. Sie wurden vortrefflich 
bezahlt (vier Realen täglich) und vor aller übrigen 
Truppe rationirt und verpflegt. Ihre Kleidung und 
11 


164 


Armirung, den alten Traditionen getreu, war für 
dieſe ſchnellen Märſche ſehr zweckmäßig. Sie trugen 
blautuchne Spencer mit weißen, ſchmalen Treſſen und 
Troddeln (brandebourgs) beſetzt, darunter ſcharlach— 
rothe Weſten, der Hals blieb entblößt. Ein weites Bein— 
kleid von dunklem, leinenen Stoff war unter dem Knie 
feſtgehalten; lederne Gamaſchen und Sandalen complet— 
tirten dieſe, für Gebirgsmärſche, klaſſiſche Tracht. Ein 
niederer Korshut, nach Art der öſterreichiſchen Feld— 
jäger, nur durch eine ſchmale, ſilberne Treſſe eingefaßt, 
bildete ihre Kopfbedeckung. Ein kurzer Carabiner war 
ihre Waffe; die Cartouſche, wie bei allen carliſtiſchen 
Truppen, nach vorn geſchnallt, das Bajonnet rechts 
daran. Jeder Minone trug an der linken Seite eine 
lederne Taſche en bandouliere, ein diſtinctives Abzeichen 
ſeiner Beſtimmung als Ordonnanz. Ganz maleriſch 
nahm ſich der Mantel dieſer Leute aus, der dem 
modernen Paletot nicht unähnlich, ein Oberrock mit 
weiten Aermeln, auf der Schulter hängend, getragen 
wurde. Dieſe Mäntel waren von dunkelblauem Tuche, 
durchaus ſcharlachroth gefüttert und ebenfalls mit brei— 
ten, weißen Brandebourgs beſetzt. Die Minones legten 
großen Werth auf dieſes Stück ihrer Equipirung, das 


165 


einen marquanten Unterſchied zu allen übrigen ſpani— 
ſchen Militärtrachten bildet; ſicher würden ſie ſich 
herabgewürdigt, wo nicht entehrt geglaubt haben, 
wenn man die geringſte Aenderung an ihren Mantel 
gebracht, oder gar ihn mit dem gewöhnlichen Mili— 
tärmantel vertauſcht hätte. Minones zu halten, war 
ein ausſchließliches Recht der General-Capitaine und 
der regierenden Junta in Corpore. Oft habe ich in 
Gedanken — wohl uneigentlich — fie römifchen 
Lictoren verglichen, wenn am Eingange eines Ortes, 
maleriſch in ihre Mäntel drapirt und den Carabiner 
auf der Schulter, ich die Minones paarweiſe vor 
dem Grafen de Efpana einher fehreiten ſah. 

Der untere Hausflur und Hofraum ſeines Hau— 
ſes in Caſerras war mit Minones, Ordonnanzen von 
verſchiedenen Truppencorps, Bauern die mit Geſuchen 
kamen, und Pferden angefüllt. Eine große Anzahl 
Offiziere, zum Theil die abenteuerlichſten Geſtalten, 
füllten den obern Hausflur, der, ſehr geräumig, den 
ungleich größern Theil des Hauſes einnahm. Die 
Meiſten drängten ſich um einen langen Tiſch, an dem 
einige junge Offiziere ſchrieben; andere ſpazierten auf 
und ab, leiſe flüſternd. An den Wänden und in den 


166 


Ecken waren Montirungsſtücke, Gewehre, Gavallerie- 
ſäbel, und unter andern thurmhoch, blechene Kochbüch- 
ſen aufgehäuft, die vertheilt werden ſollten, da alle 
Erzeugniſſe der, durch de Eſpana angelegten Fabriken, 
erſt einige Tage in ſeiner Wohnung liegen bleiben 
mußten, in Momenten der Muße von ihm genau 
geprüft zu werden. 

Nachdem ich alle Geſtalten um mich oberflächlich 
gemuſtert, fand ich auch kein einziges bekanntes Geſicht, 
was mir im erſten Momente fatal genug war. Da 
dieſe Herren keine Notiz von mir zu nehmen ſchienen, 
warf ich meinen Mantel ab, den man bekanntlich in 
Spanien, wie in andern Ländern den Hut oder Stock, 
überall mitſchleppt, und trat an den Tiſch. Die nun 
an meinem Rocke ſichtbar gewordenen Abzeichen mei— 
nes Grades, verſchafften mir etwas höflichern Em— 
pfang. Ein junger Offizier trat auf mich zu und 
ſagte, ich möchte doch warten, der General-Capitain 
ſei mit dem Chef des Generalſtabes beſchäftigt; dar- 
auf kehrte er zu ſeiner Arbeit zurück, und die Uebrigen 
ſetzten ihre, aus momentaner Neugierde unterbrochenen 
Converſationen fort, ohne ſich weiter um mich zu 
bekümmern. Nachdem ich mich vergeblich um einen 


167 


ledigen Stuhl umgeſehen, mir auch keiner geboten 
wurde, ergriff ich ein Pack Schriften und Karten, 
die einen alten mit Leder beſetzten Fauteuil füllten, 
legte ſie ruhig auf den Boden und dehnte mich gemäch— 
lich darauf aus. Einige, die mir zunächſt ſtanden, im 
Ganzen mochten ihrer an fünfzig ſein, ſahen ſich 
hämiſch lächelnd an und wiſperten cataloniſch einige 
Worte, aus denen ich entnehmen konnte, daß ſie mich 
ſehr sans facon fänden. Da trat ein langer, hagerer 
Fünfziger, bartlos und ſtumpfnaſig, mit ausdrucks— 
loſem, blaſſem Geſicht, in den Saal und ſtellte ſich 
ſteif und gerade in eine Fenſtervertiefung. Er trug 
einen langen, olivenfärbigen Civil-Oberrock von dem 
haarigen Stoffe, der früher unter dem Namen 
Azor bekannt war. Rehfarbene Beinkleider, färbige 
Cravatte mit ſpitzen, aufrechtſtehenden Hemdekragen 
und ein runder ſchwarzer Hut, den er beſtändig mit 
der flachen Hand glatt zu ſtreichen bemüht war, vol— 
lendeten ſeine Toilette. Ich hielt ihn für einen Chirurg 
oder Apotheker, bis einige Offiziere unter vielen Bück— 
lingen ihm nahten, während ſämmtliche Sitzenden ſich 
erhoben und Alles ihn mit „mi General“ anredete. 
Da jedoch in der nächſten Secunde kein „Excellenz“ 


168 


hinzukam, ſondern bloß „Usia,“ *) erholte ich mich 
von meinem irrthümlichen Schrecken, in dieſer nichts— 
bedeutenden Geſtalt meinen zukünftigen Chef zu ſehen. 
Auch blieb ich ruhig in meinen Fauteuil gelehnt, trotz 
der belehrenden Bemerkung des Offiziers, der mich 
zuerſt angeredet hatte, es wäre der „Brigadier Segundo 
Cabo“ (zweite General-Commandant). So ſah ich 
denn das erſte Mal den General Joſé Segarra 
vor mir, einen kränkelnden Myſanthropen, mit ſich 
unklaren, ewigen Zauderer und Zweifler, der zu ſpät 
Carliſt wurde, um ſehr bald zum Feinde überzugehen 
und ein ruhmloſes Leben durch verbrecheriſche Deſertion 
und ſchamloſe — aus Furcht geheim gehaltene — 
Mitwiſſenſchaft am Morde de Efpana’s zu befleden. 

Während ich dieſe traurige, unmilitäriſche Figur 
betrachtete, die mit näſelndem Organ ihr Auditorium 
mit Details ihrer Bruſtkrankheit unterhielt, öffnete ſich 
eine kleine Seitenthür, und eine ſtarke, männliche 


*) Usia, Abkürzung im Sprechen von Vuestra Senoria 
(V. S.), Dienſttitel der Oberſten, Brigadiers und Ma— 
vechaur de Camp, fo lange fie nicht durch ein Groß— 
kreuz die Excellenz erhalten. 


169 


Stimme rief mich bei meinem Namen, indem einige 
artige Worte in franzöſiſcher Sprache hinzugefügt 
wurden. Obwohl ich Niemand ſah, brauchte mir doch 
Keiner zu ſagen, daß ich endlich vor dem alten Feld— 
herrn ſtehen würde, der mit eiſener Fauſt dieſe zügel— 
loſen Banden meiſterte, vor denen ich ſo eben einige 
Echantillons geſehen. Graf de Eſpana, damals ein 
hoher Sechziger, doch noch ſehr kräftig und beweglich, 
wenn nicht momentane Gichtanfälle ihn lähmten, war 
ein Mann von unterſetzter Statur; ſeine vornehm 
geformten Geſichtszüge hatten einen auffallend bourbo— 
niſchen Schnitt; ſein Auge war freundlich und geiſt— 
reich, doch in Momenten der Aufregung und Strenge 
in dunkler, unheimlicher Gluth leuchtend. Kurzes, 
weißes Haar umſpielte Stirn und Schläfe. Man ſah, 
daß er viel auf äußern Anſtand und militäriſche Hal— 
tung hielt; ſein Auftreten war impoſant und Ehrfurcht 
gebietend. Als ich ihn zuerſt ſah, trug er einen blauen, 
militäriſchen Oberrock ohne alle Abzeichen ſeiner Würde 
und ohne Decorationen; auf einem Tiſche lag der Ge— 
neralshut mit weißer Feder, ſein krummer Säbel und 
ein ſpaniſches Rohr mit goldnem Knopfe, worauf das 
Wappen ſeines Hauſes gravirt. Er konnte ſehr lie— 


170 


benswürdig und einnehmend fein, wenn er wollte. 
Im fließendſten Franzöſiſch der beſten Geſellſchaft redete 
er mich an, und entſchuldigte ſich damit er habe es 
verlernt, da er es hier nur ſelten und ungern ſpräche, 
worauf ich ſofort ihm ſpaniſch erwiederte, wir könnten 
uns ja letzterer Sprache bedienen. Hierauf begann 
in beiden Sprachen ein langes Examinatorium, aus 
dem mir klar hervorging, der alte General ſei vor— 
trefflich von meiner Dienſtzeit und meinen Leiſtungen 
ſeit meinem erſten Eintritte in Spanien in Kennt⸗ 
niß. Endlich brach er plötzlich ab, erzählte mir, er 
habe alle franzöſiſchen, viele navarreſiſche und caftilia= 
niſche Offiziere weggeſchickt, und fragte mich mit 
welchen Prätenſionen ich zu ihm gekommen. Ich er= 
wiederte kurz, daß wenn er mir die Wahl zwiſchen 
Lanze und Gewehr laſſe, ich zur erſteren als zu meiner 
Waffe greifen würde, aber jedenfalls nur eines von 
beiden begehre. — Von dieſem Moment an ward er 
ſehr freundlich und mittheilend, und es ſchien mir faſt, 
als ob meine Vorgänger mir das Terrain, durch lächer— 
liche Anſprüche und übertriebene Forderungen, leicht 
gemacht hätten. Wir ſprachen noch lange von hun— 
dert Dingen; Graf de Eſpana erzählte gern und 


171 


launig, und fo dauerte unſere Unterredung mehrere 
Stunden. Endlich ſah er nach ſeiner Uhr, lud mich 
zum Souper ein und ging, ſich auf meinen Arm 
ſtützend, in den Saal zurück. — So unleidlich das 
in demſelben verſammelte Volk, ſeiner Anmaßung 
wegen vor einigen Stunden geweſen, ſo wurden ſie 
jetzt durch ihre kriechende Unterthänigkeit ganz un— 
ausſtehlich. Nun wollte mich Jeder früher gekannt, 
während der Campagne 1837 in Catalonien geſehen, 
viel von mir gehört haben, und Herr von Meding 
erzählte mir ſpäter, daß nach Maßgabe der längern 
Dauer meiner Unterredung mit dem General-Capitain 
die trotzige Kälte des verſammelten Haufens ſich, in 
die zudringlichſte Complimentirwuth gegen ihn ver— 
wandelt habe. 

Nach einem wirklich vortrefflichen Souper, das 
in jedem Lande der Welt dafür gegolten hätte, ließ 
der General, Cigarren und ſtarken ſüßen Wein von 
der cataloniſchen Küſte (vino del priorato) holen, 
ſchwang den Porron und ſagte mir auf Deutſch: 
„Auf die Geſundheit Ihres Königs!“ (des Königs 
von Preußen). De Eſpana hatte nämlich die 
Eitelkeit für Polyglott paſſiren zu wollen; auch 


172 


Sprach er wirklich ganz verſtändlich engliſch, deutſch 
und italieniſch, nebſt dem franzöſiſchen und ſpani— 
ſchen auch portugieſiſch, und mit merkwürdiger Ge— 
läufigkeit, aber vielen monacalen Barbarismen latein, 
was ihn, befonders dem Clerus gegenüber, ſehr ergötzte. 
Nach einer Weile firirte er mich eine geraume Zeit 
mit dem ihm eigenen, ſchelmiſchen Blicke, der (ſeine 
Manen mögen es mir verzeihen) ſeinem Auge etwas 
ſataniſches gab. Dann ſagte er mir im natürlichſten 
Tone der Welt: „Ich habe kein Quartier für Sie 
im Dorfe, alles iſt voll und ſchlecht; aber außerhalb 
meiner Vorpoſten iſt ein Landhaus, das Ihnen con— 
veniren wird.“ Die Zumuthung war allerdings wenig 
beruhigend, wenn man wußte, daß auf 1½ Leguas 
von Caſerras der Feind den Thurm von Valſaren 
beſetzt hielt; doch blieb natürlich eine dankende Ver— 
beugung meine einzige Antwort. Eine Partie Treſillo 
(eine Art Whiſt), den Point um wenige Pfennige, 
beendete den Abend; zwei Geiſtliche, der General— 
Feldvicar der cataloniſchen Armee Don Joſé Sort 
und der Domherr Torrebadella, Vocal der Junta, 
waren die übrigen Mitſpieler. Spät Nachts ritt ich 
nach meiner neuen Wohnung, einem geräumigen Land— 


173 


hauſe, in dem es ſehr wohnlich und anſtändig aus— 
ſah und das einer reichen „adeligen Bauernfamilie“ 
angehört. Wer wahrhaft hiſtoriſchen Sinn hat, wird 
dieſen Ausdruck verſtehen und ehren. 

Am nächſten Morgen ſchickte ich meine Carabiniers 
beſchenkt zurück und kaufte ihnen einen feiſten, ſchwar— 
zen Pony ab, Herrn von Meding für den erſten 
Augenblick beritten zu machen, da auch ſein Pferd 
aufgefangen worden und wir ſonach Beide ſammt mei— 
nem Diener, auf einen einzigen Gaul redueirt waren. 

Hierüber einigermaßen beruhigt, trafen wir noch 
die nöthigen Einrichtungen, unſer neues Quartier mög— 
lichſt comfortabel zu machen, worauf wir auf der 
Terraſſe unſerer freundlichen Villa frühſtückten. Die 
Caſa Llads, zum Dorfe Puig-Reig gehörig, liegt 
mitten in einem Olivenwäldchen; vor uns war eine 
jener weiten, cataloniſchen Ebenen ausgebreitet, voll 
reicher Felder, weißer Landhäuſer, mit Fruchtbäumen 
umpflanzt. Der Llobregat, der in raſchem Laufe dem 
Meere zufließt, durchſchneidet dieſe Ebene. Im erſten 
Plan hatten wir den, mit Rückſicht auf die Wehrloſig— 
keit und Unhaltbarkeit unſerer individuellen Stellung, 
eben nicht erfreulichen Anblick des alten, mauriſchen 


174 


Caſtells Valſaren, deſſen Garniſon ſich oft mit Streif— 
zügen in der Nachbarſchaft abzugeben pflegte. Das 
Caſtell, auf einen hohen Berg gebaut, zeichnete keck 
und deutlich ſeine Conturen in die blaue Luft. Um 
den Berg herum ſahen wir in langer Ausdehnung die 
Stadt Valſaren mit ihren Thürmen und Klöſtern. 
Auf einer Legua von unſerer Villa ragten aus Ge— 
büſchen die weitläufigen Gebäude des Malteſer Prio— 
rats Puig-Reig hervor; weiter links Santa Maria de 
Olban, auf einem Hügel, der die Umgegend dominirt; 
in größerer Entfernung erblickten wir die Zinnen des 
Wallfahrtsortes N. S. de la Guardia. Caldes, 
Sellen, Segäz und viele andere Orte waren mit 
freiem Auge in der Ebene ſichtbar; in weiteſter Ferne 
aber, mit dem Fernrohre, die Mauern von Gironella. 
Hinter dem Olivenwäldchen, das unſere Villa umgab, 
lag, auf eine Viertelſtunde, das Hauptquartier des Gene— 
ralcapitains, Caſerras. Hinter Caſerras hebt ſich das 
Terrain allmählig bis Berga, deſſen Gebirgskette das 
Rundgemälde vollendete und den Horizont begrenzte. 
Es war eben Sonntag; wir ritten daher nach 
Caſerras zum Gottesdienſte, den de Efpana unter 
freiem Himmel abhalten ließ. Auf dem Balcon eines 


175 


einzeln ſtehenden Hauſes, vor dem Dorfe, war der 
portative Altar aufgeſchlagen, der auf Märſchen von 
einem eigens dazu beſtimmten Maulthiere (macho de 
la Capilla) getragen wurde. Auf dem ebenen Platze 
vor dem Haufe, ſtanden die Truppen, die in und um 
Caſerras cantonirten, formirt. Die Muſik des achten 
Bataillons ſpielte dazu. Der Generalſtab und die 
Umgebung des Grafen hielten vor der Fronte; einige 
Schritte vor ihnen kniete, an einen Feldſtuhl gelehnt, 
während des größten Theils der Meſſe, der alte Gene— 
ralcapitain. Die Winde bewegten das weiße Haar 
ſeines entblößten Hauptes, und die Züge ſeines Ge— 
ſichtes nahmen während des Gebetes einen ſo weh— 
müthigen, leidenden Ausdruck an, daß ſie die herbe Bewe— 
gung, das vergebliche Troſtſuchen ſeiner Seele treu 
abſpiegelten. Die zahlreichen, unerbittlichen Feinde des 
Grafen de Eſpana haben ſogar feine Gedanken mit 
ihrem giftigen Geifer beflecken wollen, und oft habe ich 
hören und leſen müſſen, ſeine Frömmigkeit ſei nur Heuche— 
lei geweſen; wer, ſelbſt gläubig, den alten hartgeprüften 
Mann nur einmal beten ſah, wird dieſe Behauptung, 
ſo vielen andern gleich, als Verläumdung verwerfen. 
Bald war der Gottesdienſt zu Ende und das 


176 


Wirbeln der Tambours kündete den Moment an, wo 
die Truppen vor ihrem General defiliren würden. 
Wenn ich an Porredons Diviſion am Ufer des 
Cinca dachte, ſchien es mir kaum möglich, theilweiſe 
dieſelbe Truppe in geordnetem Parademarſch hier vor— 
beiziehen zu ſehen, die vor kaum mehr als einem Jahre, 
Zigeunerhorden gleich, in bunteſter Unordnung durch 
einander lief. Nun waren fie den baſkiſchen Bataillons 
ganz gleich gekleidet, meiſt durch junge Offiziere ange— 
führt, und ſtellten in Gang und Haltung die dis— 
ciplinirten Reihen einer regelmäßigen Armee vor. 

Mit prüfendem Blicke ſtand de Eſpaña zehn 
Schritte vor uns, hart an den defilirenden Bataillons 
und ſchlug mit ſeinem Stocke den Takt zum Eilmarſch, 
den er ſehr liebte. Vor jedem Offizier, vor jedem 
Ferdinandsbande am Rocke eines Soldaten lüftete er 
leicht ſeinen Federhut, lobte und tadelte laut, und 
richtete an jede Compagnie Fragen ihre Zahlung oder 
Rationirung betreffend. Gleich darauf ließ er auf dem 
Felde abkochen, koſtete aus mehreren Töpfen und warf 
gewöhnlich eine Goldmünze in den ſiedenden Keſſel. 
Endlich wünſchte er ſämmtlichen Truppen guten Appe— 
tit, rief die Stabsoffiziere zu ſich, gab Befehle für 


177 


die nächſten Tage und lud ſie zu Tiſche ein. Um ein 
Uhr ſaßen wir an der langen Tafel, die Tags vorher 
das ſchreibende Perſonal eingenommen, und von dieſem 
Moment an hatte alles Dienſtgeſpräch ein Ende. Wenn 
manchmal Einer oder der Andere der jüngeren Adjutan— 
ten vorſchnell über Offiziere oder Truppen aburtheilen 
oder gar von militäriſchen Operationen reden wollte, 
jo wies ein ſtrenges Kopfheben des Generals ihn 
ſogleich zur Ordnung. 

Um mit Küchendétails mich nicht zu lange aufzu— 
halten, ſei es mir für meine gaſtronomen Freunde nur 
erlaubt zu erwähnen, daß de Eſpama, ſeit der Zeit als 
er im Hauptquartier des Herzogs von Wellington 
viel gelebt, die großen Stücke (grosses pieces nach fran— 
zöſiſchem Ausdruck) der engliſchen Küche ſehr liebte, die 
auch mit ſeltenem à point am Spieße gebraten, noch 
mit demſelben aufgetragen wurden. Die halbwilden 
Gebirgsſchöpſe, Iſards, Rehböcke und feiſten Kälber aus 
den Ebenen um Barcelona, ſchmeckten ſo zubereitet vor— 
trefflich, und wurden auf der Tafel von einem der Adju— 
tanten zerlegt, dem irgend ein Tranchirfehler gewöhnlich 
einen ganz ernſten Verweis des Generals zuzog, der ein 
ſehr wiſſenſchaftlicher Gourmand war. Ein halb Dutzend 

II. 12 


178 


große Porrons ſtanden auf dem Tiſche; vor de 
Eſpaña ein kleiner, mattgeſchliffener, den er mir 
halb geheimnißvoll zuſchob, und worin weit beſſerer 
Wein war. Nach Tiſche ſetzte er ſich an den Küchen- 
heerd, an den ihm Niemand folgen durfte, den er 
nicht rief, daher ich auch zurückblieb. Doch klang mein 
Name, nach einer kleinen Weile, in den großen Saal; 
ich mußte ans Feuer zu ihm, und hier begann das 
erſte Mal eines jener traulichen, für mich ſo hoch 
intereſſanten Geſpräche, die mich in den Stand geſetzt, 
während meines Aufenthalts in de Eſpama's Haupt⸗ 
quartier, dieſen merkwürdigen, ſo allgemein verkannten 
Mann näher kennen zu lernen, ſeine gemüthlichen, 
herzlichen Seiten beſſer zu würdigen, als ſo Viele, die 
durch Jahre in ihm nur den ſtrengen, ſchroffen Vor- 
geſetzten ſehen durften. Er hat mich wie ſeinen Sohn 
behandelt, und wenn meine offene, freimüthige Dar— 
ſtellung nur etwas dazu beitragen kann, nicht nur den 
großen Feldherrn und Adminiſtrator, ſondern auch den 
Edelmann und Menſchen in ſeinem wahren Lichte dar— 
zuſtellen, ſo iſt mein Zweck und Ziel erreicht. 


IV. 


Skizzen über den Grafen de Eſpana und den letzten Krieg in 
Ca talonien. 


12. 


3 


12 Berbel . a n 
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5 


Indem ich es übernehme, einige Skizzen über den 
Grafen de Eſpana zu geben, die in den Augen 
Vieler für apologiſch gelten mögen, weiß ich wohl, 
daß ich bei den Freunden des ſogenannten ſpaniſchen 
Liberalismus wenig Glauben finden werde, da der 
Held dieſer Erzählung ihnen nur durch die Inveetiven 
aller republikaniſchen Federhelden Europas bekannt iſt, 
die ihn ſeit einer Reihe von Jahren zur Zielſcheibe 
auserkoren. Ich tröſte mich damit, daß alle Männer 
monarchiſcher Grundſätze, auch nicht deeidirte Anhän— 
ger der Legitimität in unſerem Sinne, nach vorurtheils— 
freier Beurtheilung, die beſtändige Treue und uner— 
ſchütterliche Feſtigkeit de Efpana’3 würdigen werden, 
obſchon vielleicht über keine, militäriſch oder politiſch 
markante Perſönlichkeit der neueſten Zeit, ſo ſchroffe 
Urtheile gefällt und ſo nichtswürdige Verläumdungen 


182 

ausgeſtreut wurden. Dieſe unabläſſige Bemühung 
feindlicher Publiziſten immer dieſelben Lügen über ihn 
zu verbreiten, hat ſelbſt in unſern Feldlagern wohl- 
geſinnte Leute irre geleitet. Noch iſt mir erinnerlich, 
daß wir oft laſen und hörten, de Eſpanña, bereits 
ein halber Cadaver, ſei altersſchwach und halbverrückt, 
alles Feuer in ihm ausgeſtorben, ſein Blutdurſt allein 
geblieben; er verlaſſe das Bett nur, um einem Schatten 
gleich einher zu wanken, oder in einer Sänfte ſich 
tragen zu laſſen. Endlich fingen auch wir an zu 
zweifeln und bedauerten, daß Gefangenſchaft und 
Kummer, wohl mehr als Jahre, die königliche Sache 
um einen ihrer tüchtigſten Vertheidiger gebracht. 
Wenige Stunden im Hauptquartier des Grafen de 
Eſpana haben mich eines beſſern belehrt. So er— 
ging es mir auch mit den übrigen Vorurtheilen; jeder 
Tag benahm Eines, und als ich de Eſpaña verließ, 
hatte ich ihn ſo lieb gewonnen, als ich ſpäter ſeinen 
gräßlichen Tod innig betrauert, bitter beweint. 

Charles d' Eſpagne ward um das Jahr 1773 
in der Grafſchaft Foix geboren, die ſeine Vorfahren, 
vor mehreren Jahrhunderten, als ſouveraines Fürſten— 


thum nebſt Comminges und dem Lande Couſeraus 


183 


beſeſſen. Sein Vater, der Marquis d' Eſpagne, 
franzöſiſcher General- Lieutenant, beſtimmte feinen 
zweiten Sohn Charles ſchon früh den Waffen, nach 
den Anſichten einer Zeit, in der nachgeborne Söhne 
großer Herren nur zwiſchen Krummſtab und Degen zu 
wählen hatten. Der Chevalier d' Eſpagne trat in 
eine der Compagnien der maison rouge Ludwig XVI., 
die ſein Vater befehligte. Obwohl ſehr jung, war er 
doch Zeuge aller Gräuel der erſten Revolution. Sein 
Vater und viele ſeiner Verwandten wurden guillotinirt. 
Er und ſein älterer Bruder, nunmehr Marquis 
d' Eſpagne, ſchloſſen ſich an die Armee des Fürſten 
von Condé an, und machten jene traurige, erfolgloſe 
Campagne mit. Nach Auflöſung des Condé'ſchen 
Corps begab ſich d' Eſpagne nach Spanien, zur 
Zeit als der Friedensfürſt alle ſtreitbaren Kräfte des 
Reichs, längs den Pyreneen gegen Napoleon zu— 
ſammenzog. Er trat als Hauptmann in ein Infan⸗ 
terie-Regiment und focht lange mit abwechſelndem 
Glücke, in meiſt ſubalternen Stellen. Endlich ſchien 
ſein Stern aufzugehen. Auf dem Schlachtfelde von 
Baylen ward er zum Brigade-General befördert; für 
die Einnahme von Pamplona erhielt er das Groß— 


184 


kreuz des militäriſchen Sanct Ferdinand-Ordens; an 
Wellingtons Seite rückte er in Madrid ein, von 
dieſem zum Gouverneur der Hauptſtadt ernannt. Er 
ward mit Auszeichnung genannt bei Albuhera, Sala— 
manca, Vitoria, an all' jenen ewig denkwürdigen 
Tagen, die Spanier und Britten noch jetzt mit Stolz 
nennen, ſo groß und ſo blutig, daß ſelbſt für die 
Beſiegten die Erinnerung nicht ohne Ruhm und 
Glanz iſt. £ 

Nach dem Pariſer Frieden bot ihm Ludwig XVIII. 
an, in franzöſiſche Dienſte zu treten, was Graf 
d' Eſpagne jedoch ablehnte; er wollte nicht jenem 
Heere angehören, gegen das er beſtändig die Waffen 
geführt; was von franzöſiſchem Blut in ſeinen Adern 
gefloſſen, ſei auf ſpaniſchem Boden durch Franzoſen 
Hand vergoſſen worden. Sein Haß gegen ſein erſtes 
Vaterland, der mit den Jahren ſtets zunahm, ging 
ſo weit, daß er nur mit Widerwillen franzöſiſch 
ſprach, auch feinen franzöſiſchen Namen in's Spas 
niſche überſetzte, ſtatt d' Eſpagne — de Eſpaña. 
Im Jahr 1815 ward er zum General- Lieutenant, 
ſpäter zum commandirenden General der königlichen 
Fußgarde ernannt; wer in jener Zeit Spanien beſucht, 


185 


wird noch der muſterhaften Disciplin gedenken, die 
Graf de Eſpana dieſem prachtvollen Corps beige— 
bracht. Später ward er General-Capitain von Aragon, 
und reſidirte vier Jahre in Zaragoza. Die Rolle des 
Grafen de Eſpana während des Conſtitutions-Krieges 
konnte nicht zweifelhaft ſein; auch zog er ſich den Haß 
aller Liberalen zu, die in ihm einen Tyrannen und 
Wütherich, blinden Häſcher der blutigen Deeretalien 
Ferdinand VII. ſahen. Und doch laſſen ſich alle 
Handlungen des Grafen de Eſpaña fo einfach auf 
das einzige Prinzip zurückführen, ohne dem jeder mili— 
täriſche Geiſt, jede Mannszucht unmöglich iſt. Der 
Befehl des Souverains iſt das höchſte Geſetz des 
Soldaten, gleichviel ob Sergeant oder Feld— 
marſchall. “) Man verſteht, daß hier von der Hin- 


*) Ich will durch letztern Satz einer ſpitzfindigen Recenſion 
begegnen, die mir im vergangenen Jahre (Beilage zur 
Allgemeinen Zeitung, 17. Juni 1840) unter dem Titel: 
„das Gegenbild von dem Grafen von Espana’ zu 
Theil ward. Ich hatte wenige Tage vorher in demſel— 
ben Blatte die Ermordung meines alten Chefs beſprochen 
und bemerkt, daß der Soldat blindlings gehorchen müſſe, 
worauf mein unwilliger Recenſent, der allerdings kein 


186 


richtung des Generals Beſſières die Rede iſt, einem 
traurigen Ereigniſſe, über das ich mich nicht näher 
erklären kann, da es nicht an mir iſt, als Ankläger 
königlicher Perſonen aufzutreten, ſelbſt nach ihrem Tode. 
Als 1827 Catalonien unruhig ward, begab ſich Fer— 
dinand VII. ſelbſt nach Barcelona, und ſtellte den 
Grafen de Eſpana an die Spitze der unzufriedenen 
Provinz. Der Catalonier gehorcht nur dem, den er 
fürchtet; das wußte de Eſpana. Er packte fie mit 
grimmiger Fauſt, ließ die Köpfe der Rädelsführer ab- 
ſchlagen und ſchickte die übrigen auf Galeeren; da 
beugten fie und ſchmiegten ſich, gehorchten ihm und 
es ward Ruhe. 

In Spanien bietet jede Provinz, einzeln aus 
demſelben Geſichtspunkte betrachtet, einen ganz ver- 
ſchiedenen Anblick dar. Die Sitten der Einwohner, 
das Eigenthümliche ihrer Charaktere, die politiſche 
Geſchichte ihrer Provinz, die tiefbleibenden Eindrücke 


Soldat ſein mag, zu beweiſen trachtete, der Graf de 
Espana wäre „kein Soldat, ſondern ein Mann gewes 
fen, der feinem Souverain etwas anderes ſchuldig iſt, 
als den Henker zu machen.“ 


187 


der erſten Maßregeln und Inftitutionen jeder Regie- 
rung, bilden Elemente oft ganz entgegengeſetzter Natur. 
Man muß ſie mit Einem Blicke umfaſſen und die 
Provinz, von der man ſpricht, genau kennen; dann 
täuſcht man ſich durch keine Parallele, und nur dann 
kann man fie in ſcharfen Conturen hinſtellen und tref— 
fend beurtheilen. 

Unter allen Reichen der ſpaniſchen Krone ſteht 
Catalonien exceptionell da, mit Keinem zu vergleichen. 
Auch iſt es um ſo ſchwerer zu beherrſchen, als es aus 
zwei ſtreng geſchiedenen, ſich feindlich gegenüber ſtehen— 
den Theilen beſteht: dem Küſtenlande und dem hohen 
Gebirge. — Das eataloniſche Küſtenland mit feinen 
großen, reichen Handelsſtädten, zahlreichen Fabriken 
und ſeinem lebhaften Verkehr, iſt durch den vielfachen 
Contact mit dem Auslande durch und durch gangrenirt; 
eine revolutionäre, durchaus republikaniſche Tendenz 
iſt hier vorherrſchend. Reus, Tortoſa, Lérida, Tarras 
gong find mit Jacobinerclubs und Freimaurerlogen 
angefüllt, und Barcelona iſt einem großen Giftſchwamm 
zu vergleichen, der gute Dünſte an ſich zieht und ſie 
verpeſtet wieder von ſich gibt. Barcelona kann die 
Zeit noch nicht vergejfen, wo es, unabhängig vom 


188 


übrigen Spanien, nur von ſeinen großen Grafen re— 
giert ward: jenen kriegeriſchen Raimund, die befehlend 
zu den benachbarten Königen ſprachen, auf Gleich— 
heitsfuß mit den Carlovingiſchen Kaiſern und frän— 
kiſchen Königen unterhandelten und um die Herrſchaft 
des Mittelmeers mit den Normännern ſtritten. Die 
hiſtoriſchen Erinnerungen mögen überall ſchwinden, in 
Spanien bleiben ſie in jugendlicher Friſche, deßhalb hält 
es ſo ſchwer, Neuerungen in dieſem Lande einzuführen. 

Einen ſeltſamen Contraſt zum Küſtenſtrich bildet 
das Bergland. Die Communication zwiſchen beiden 
iſt ſehr gering. Wenige Straßen, nicht ein ſchiff— 
barer Strom, Verſchiedenheit der Bedürfniſſe, machen 
ſie unerheblich. Der Küſtenbewohner Cataloniens 
handelt mit den benachbarten Küſten von Valencia, 
Murcia und Andaluſien, ſchifft nach den weißen Felſen 
der Provence, nach Italien, wohl auch nach Afrika. 
Er verdingt ſich als Matroſe und Laſtträger; doch 
ſelten kommt er im Innern ſeines Landes weiter als 
bis zu den ſpitzen Zacken des Monſerrat, einmal in 
vielen Jahren nach dieſem wunderbaren Berge zu wall— 
fahrten. Wie wenig Spanier haben die Gebirgsthäler 
des obern Cataloniens beſucht, längs des Segre, der 


189 


beiden Nogueras (Ribagorzana und Pallareſa), des 
obern Cinca, die Quellen des Llobregat, die Schluch— 
ten der Grafſchaft Paillaſſe, wo man nur das Rauſchen 
der Gießbäche und das Hämmern der Eiſenwerke ver— 
nimmt; tiefe Keſſel antediluvianiſcher Form, wo es 
ſpät Morgen und früh Nacht wird, zum Guerilla— 
krieg geſchaffen, in denen er erfunden ward und bis 
jetzt in ſeiner reinſten, urſprünglichen Form ſich erhal— 
ten hat. Dieß Land und ſeine Bewohner haben nicht 
geändert, ſeit ſie durch Jahrhunderte der römiſchen 
Weltherrſchaft widerſtanden, ſeit Hannibal ihnen die 
erſten fremden Heere zeigte und die erſten Brücken 
über ihre Ströme ſchlug; ſeit Pompejus die Legionen 
des Sertorius in ihren Thälern vernichtete, Karl der 
Große und Roland dort ihre Siege fochten und die 
Mauren nie in ihre Engpäſſe dringen konnten; ſie 
ſind abgeſchloſſen in ihrer Wildniß, auf ſich ſelbſt be— 
ſchränkt, und ihre einzige Verbindung mit dem Aus— 
lande trägt eben wieder zu ihrem wilden, kriegeriſchen 
Leben bei. Es iſt der Schleichhandel im größten 
Maßſtabe, den fie in bewaffneten Banden, in beſtän— 
diger Fehde mit franzöſiſchen und ſpaniſchen Zollwäch— 
tern treiben. Die kleine Republik Andorra, unter 


190 


franzöſiſchem und ſpaniſchem Schutz und Souveränetät 
des Biſchofs der Seu d'Urgel, und endlich das privilegirte 
Thal von Aran am nördlichen Abhange der Pyreneen, 
dienen ihnen als Entrepöts und Sammelplätze. 

Daß mit dieſen Leuten, halb Wilden auf der 
einen Seite, fanatiſchen Republikanern auf der andern, 
mit Mäßigung nicht durchzudringen iſt, wird jeder 
unbefangene Forſcher wenigſtens ſich ſelbſt geſtehen 
müſſen, ſollte er es auch nicht öffentlich bekennen wollen. 

Wie ſchwer es bei dieſen Charakteren auch iſt, 
auf das Volk einzuwirken, ſo bildet doch, in markan— 
tem Unterſchiede zum übrigen Spanien, bei den Cata— 
loniern der perſönliche Charakter des Chefs der Pro⸗ 
vinz einen Haupthebel der populären Tendenz, und 
übt überwiegenden Einfluß aus. Die eminenteſten 
Männer, denen die durchgreifende Strenge, die hier 
Noth thut, mangelte, ſcheiterten in der Aufgabe, 
welche minder Begabte glänzend löſten. So war, 
während des Independenzkrieges, unbezweifelt Blake 
der erſte General Cataloniens und konnte doch nie 
die geringſte Disciplin unter die zahlreichen Soma— 
tenen einführen, die ſchnell erſchienen und plötzlich 
wieder verſchwanden, je nachdem es ihnen gut dünkte. 
Der Klang der größten Glocke der Stadt oder des 


191 


Weilers, rief die Einwohner zu den Waffen, fie kamen 
Alle, jedes Alters und Standes; ſelbſt die Frauen 
folgten, von dieſer ſchnell auflodernden Begeiſterung 
hingeriſſen. Die Sturmglocke die rief, heißt Somaten, 
daher der Landſturm, der ihr folgt, Somätenes; das 
gibt ſich nur im Deutſchen wieder. Vier und zwanzig 
Stunden ſpäter war der heimiſche Heerd dem Hori— 
zonte der Somatènen entrückt, und mit dem letzten 
Nachklang der Sturmglocke, der ihrem Ohre entflohen, 
war auch die Begeiſterung geſchwunden. Sie kehrten 
nach Hauſe zurück. Zu ſchnellen Ausfällen, Lauer in 
bekannten Schluchten, kleinem Kriege von wenigen 
Stunden, iſt der Catalonier der beſte Soldat der 
Welt; um mehr zu erlangen, um dieſe Banden zu 
organiſiren und zu diseipliniren, gehört ein eiſener 
Wille, der ſie zügelt und meiſtert. Alle Anſtrengun— 
gen der Generale Vives, Blake und Marquis de 
Campoverde, während der Campagnen 1808 und 
1809 waren vergebens. Da kam Heinrich O’Don- 
nell, Graf von la Bisbal *) und übernahm das 


*) Gewöhnlich fälſchlich geſchrieben Labispal oder L'Abis— 
val. Bisbal iſt ein Ort in Catalonien, Corregiment 
Lampurdan. 


192 


Commando. Die Sturmglocke erſcholl in allen Orten, 
die keine franzöſiſche Beſatzung hatten. Die Soma— 
tenen griffen zu den Waffen und verließen ihre Dörfer. 
Als ſie zurückkehrten, ſahen ſie in Mitte ihrer Plätze 
Galgen aufgerichtet und an allen Ecken Placate an— 
geſchlagen, eine Conſeription von vierzigtauſend Mann 
verkündend. Das Conſeriptions-Syſtem hatte früher 
in Catalonien nie durchdringen können, und man 
pflegte ſonſt für den Dienſt des Königs mittelſt Hand— 
geld, in allen Orten frei zu werben. Doch O'Don— 
nell drang durch; die vierzigtauſend Mann wurden 
conſeribirt, organiſirt, disciplinirt, und vertheidigten 
ſiegreich den heimatlichen Boden gegen die franzöſiſchen 
Armeen unter Duchesne, Augereau, Maedo— 
nald, Saint-Eyr, Decaen und Suchet. Die 
feindlichen Heere nahmen zwar alle feſten Plätze, mit 
Ausnahme von Cardona, doch wurden ſie ſtets darin 
bloquirt und ſahen ſich endlich genöthigt, ſie aufzu— 
geben. Unzweifelhaft war von allen Generalen, welche 
die Catalonier während dieſes Krieges befehligten, der 
Graf von la Bisbal der einzige, den ſie liebten, 
fürchteten, und dem ſie gehorchten. 

Der einzige conſtitutionelle General, der zur Zeit 
Ferdinand VII. einigen Einfluß auf dieſe Leute aus— 


193 


übte, war Min a; deſſen Charakter ift überall bekannt. 
Wie oben erwähnt, kam, während der Unruhen des 
Jahrs 1827 der Graf de Eſpana an die Spitze 
Cataloniens. In kurzer Zeit brachte er die Provinz 
zur Ordnung, und als im Jahre 1830 einige Banden 
Bergbewohner den Namen des jetzigen Königs, da— 
mals Infanten Don Carlos, als Banner einer 
ungeſetzlichen Inſurreetion und eines verbrecheriſchen 
Aufſtandes, gegen den zu jener Zeit regierenden Herrn 
mißbrauchen wollten, unterdrückte er ſchnell ihre meu— 
teriſchen Verſuche und ſetzte ihnen den Fuß auf den 
Nacken. Daher der Haß mancher übelberichteten oder 
irregeleiteten Royaliſten. Merkwürdig iſt, daß einer 
der Hauptchefs dieſer ſogenannten Carliſten vom Jahre 
1830, Don Manuel Mbanez, der damals vom 
Grafen de Eſpaña eingefangen und auf die Galeeren 
von Ceuta und Melilla geſchickt ward, derſelbe kühne 
Häuptling iſt, der im letzten Kriege durch Jahre, unter 
dem Namen el Llarj de Copons die Ebenen von 
Tarragona mit Schrecken erfüllte. Er war bis zum 
letzten Augenblicke des Grafen de Eſpaña treueſter 
Freund, einer der Wenigen, die an ſeinem Morde 
unſchuldig ſind. 
II. 13 


194 


Dieſe Anhänglichkeit Dhanez’s an feinen alten 
General gereichte ihm um fo mehr zur Ehre, als er 
ſich, in früheren Zeiten, über denſelben eben nicht zu 
beloben hatte. Pbanez war während der Conſtitu— 
tions⸗Epoche royaliftifcher Offizier geweſen, und konnte, 
als Ruhe und Ordnung wieder hergeſtellt worden, ſo 
vielen Andern gleich, ſich nicht darein ſchicken, ſtets 
bereit zu den Waffen zu greifen. Er ließ ſich im 
Jahre 1830 verleiten am carliſtiſchen Aufſtande Theil 
zu nehmen, und gewiß hat er es in der redlichſten 
Abſicht der Welt gethan. Doch der neue General— 
Capitain, der hierin keinen Unterſchied machte, ließ ihn 
aufgreifen, in Ketten legen und ſchickte ihn nach Geuta. 
Als der Tod Ferdinand VII. die Kerker aller Anarchiſten 
und Republikaner öffnete, ward während der allgemeinen 
Unordnung auch Pbañez in Freiheit geſetzt. Er begab 
ſich unverweilt in ſeine Heimat und rief ſeine Lands— 
leute zu den Waffen. In kurzem war er einer der 
mächtigſten Häuptlinge Cataloniens. Seiner hohen Ge— 
ſtalt wegen, er mißt 7 Fuß, el Llarj (el Llarj cata= 
loniſch: der Lange) genannt, ward nach cataloniſcher 
Weiſe der Name ſeines Geburtorts, Copons, beigefügt, 
was den in der ganzen Halbinſel bekannten nom de 


195 


guerre „el Llarj de Copons” bildete. Er war ſtets 
gutmüthig, uneigennützig und hielt noch am Meiſten auf 
Subordination, unter allen ſeinen Gefährten. Als de 
Eſpana 1838 nach Berga kam, glaubten Alle es werde 
ernſte Conflicete zwiſchen ihm und Mbanez geben, 
der im erſten Moment die Ernennung ſeines ſtrengen 
Richters, nicht mit Freude vernommen haben ſoll. Dieß 
hätte von um ſo bedeutenderen Folgen ſein können, 
als Pbanez bereits ſechs ſtarke Bataillons commanz 
dirte, wovon eines, die Guiden vom Campo de Tarra— 
gona (13te8 von Catalonien), beinahe 1300 Mann 
zählte, er überdieß den reichſten und wichtigſten Strich 
der Provinz beſetzt hielt. Auch ſchien die erſte Zeit 
auf wenig freundliche Verhältniſſe hinzudeuten. De 
Eſpaña hatte ſogleich bei feinem Eintritte befohlen, 
daß ſämmtliche royaliſtiſche Streitkräfte aus allen 
Theilen Cataloniens zu ihm ſtoßen ſollten; alle kamen, 
bis auf Mbanez, von dem, jo wenig als von feiner 
Truppe, das Geringſte zu hören war. Als dieſe 
Hiobspoſt dem General gebracht ward, verzog er keine 
Miene, und Niemand hätte ihm angeſehen, welcher 
Kampf in ſeinem Innern vorging. Kaum war es 
jedoch dunkel geworden, als er plötzlich für ſich, einige 
13 * 


196 


Offiziere feines Generalſtabs und ein paar Ordonnan— 
zen ſatteln ließ. Nur von wenigen, der Gegend voll— 
kommen kundigen Minones geführt, ritten wir, un— 
unterbrochen durch neun Stunden, über die höchſten 
Kämme und durch die engſten Schluchten. Niemand 
wußte wohin, als der General und der an der Spitze 
laufende Minone; doch ſchwieg Erſterer, und Keiner hätte 
zu fragen gewagt. Bei Tages Anbruch ward ein ein— 
ſames Landhaus bezogen, das Thor verriegelt und den 
Tag über da zugebracht. Der General legte ſich ſogleich 
ſchlafen und wachte Mittags bloß auf, um ſchweig— 
ſam ein wenig zu eſſen, worauf er wieder zu ſchlafen 
begann. Seinem Befehle gemäß, ward er mit Sonnen— 
untergang geweckt, und ſofort zu Pferde geſtiegen. 
Gegen Mitternacht ritten wir durch ein muſchelförmi— 
ges Thal, das ſehr fruchtbar zu ſein ſchien; mein 
Nachbar wollte es für die Conca de Barbera halten 
und flüſterte mir leiſe zu, wir ritten wohl an den 
Ebro, zu einer Zuſammenkunft mit Cabrera. 

Endlich hielten wir gegen Morgen, noch lange 
ehe es graute, auf einem Berg-Plateau, ſtiegen ab 
und banden die Pferde an. Von einem Felſenvor— 
ſprung konnte man, im Halbdunkel des Zwie— 


197 


lichts eine weite Ebene halb überſehen oder vielmehr 
ahnen. Zu unſern Füßen lag ein Dorf, am dicht 
aufſteigenden Nebel kenntlich; viele Kohlenſtöße und 
halbverlöſchte Feuer ließen auf dabei bivouaquirende 
Truppen ſchließen. Da fing einer der begleitenden 
Offiziere zu plaudern an; de Eſpana kehrte ſich um, 
und ſagte in aller Ruhe, mit gedämpfter Stimme, 
kaum hörbar: „den Erſten der Lärm macht, laſſe ich 
fuſilliren.“ Darauf ſetzte er ſeine Unterſuchung fort, 
an der wir noch nichts verſtanden. Dieß Alles währte 
ſehr lange. Endlich überzog eine blaſſe Röthe den 
Horizont und beleuchtete allmählich die Landſchaft. 
Wir konnten eine bedeutende Truppenmaſſe, auf kaum 
eine Viertelſtunde von uns erblicken, allem Anſcheine 
nach, in tiefen Schlaf verſunken. Nach wenigen Mi— 
nuten vernahmen wir jedoch die Töne der Diana, hellklin— 
gend in der lautloſen Stille dieſes frühen Morgens, 
während noch die ganze Natur ruhte. Dann regte 
ſich Alles; einzelne Commandoworte kamen bis zu 
uns, und als die Sonne ſich eben erhob, ſahen wir 
die Truppen im Carré formirt. Bald wäre mir ein 
Schrei entſchlüpft, da ich aus den cataloniſchen Mützen 
(gorra) erkennen konnte, daß es Carliſten waren. 


198 


Doch gab es zu Reflexionen nicht viel Zeit; der Gene— 
ral ſchwang ſich haſtig zu Pferde, wir ihm nach, und 
in geſtrecktem Galopp ging es den Berg hinab, bis 
wir mitten im Carré ſtehen blieben. Dort ſprang 
de Eſpana ab und lief einem hagern, baumlangen 
Mann zu, der auf ſeinen Säbel geſtützt, von fünfzig 
bis ſechzig Offizieren umringt, in der Mitte ſtand. 
Den packte er bei den Schultern, umarmte und küßte 
ihn, und drückte, trotz alles Sträubens, ihn ſo lange an 
ſich, als wolle er ihn gar nicht von ſich laſſen. Dann 
wandte er ſich an die Truppen und rief mit bewegter 
Stimme: „Das iſt der Stolz von Catalonien, des Königs 
beſter Diener und mein beſter Freund. Ehre dem Don 
Manuel Pbanez und der Diviſion vom Felde von 
Tarragona. Dich mein Sohn (zu Oberſt Ybañez ge— 
wandt) ernenne ich zum Brigadier, kraft der mir verlie— 
henen Vollmachten, und Euch (zu den Soldaten) gebe 
ich eine Wochen-Löhnung Gratification, denn Ihr dient 
Carl dem Fünften und nicht Carl mit Euern fünf 
Fingern (Carlos quint' y no Carlos cing).” Dieſes 
etwas hinkende Wortſpiel mit Bezug auf Marodiren 
und Rauben, vollendete glänzend was der General fo 
glücklich begonnen. Ein allgemeines Freudengeſchrei 


199 
unterbrach ihn, und der lange Dbanez mit feinem 
braunen, bärtigen Geſichte — noch vor wenig Augen— 
blicken ſicher ganz anderer Meinung — heulte und 
weinte aus Rührung am lauteſten. Wir waren Alle 
ergriffen; Graf de Eſpana, deſſen Rührung wohl 
nie ſehr ernſt geweſen, ermannte ſich am Erſten. Er 
befahl die Pferde vorzuführen und muſterte die Divi— 
ſion. Mbanez ritt neben ihm, einen hohen anda— 
luſiſchen Hengſt. Zu Pferde konnte man erſt recht den 
merkwürdigen Körperbau dieſes athletiſchen Menſchen 
ſehen; wir reichten ihm alle kaum über den Ellenbogen. 
Er trug die rothe cataloniſche Gorra, den Zipfel nach 
hinten lange herabhängend, die Zamarra und mit 
Leder beſetzte Beinkleider. Ein Carabiner ſteckte im 
Sattel, und ein breiter Säbel hing an der Hüfte. 
Sein mächtiger Gaul ächzte unter dem Drucke ſeiner 
Schenkel und machte nach allen Seiten hin Langçaden. 
Seine Truppen hatten noch keine Uniform, ſondern 
trugen die umgeſchlagenen geſtreiften Pferdedecken, die 
ich an Porredons Leuten während der letzten Cam— 
pagne ſchon geſehen. Der General ritt langſam und 
feierlich an den Reihen vorbei, lobte und grüßte viel, 
bewunderte laut den wirklich prächtigen Menſchenſchlag, 


200 


verſprach Bezahlung und vorzüglich Uniformen, die, 
meinte er, ſo ſchönen Burſchen ſehr gut ſtehen müßten. 
Endlich war die Muſterung beendet; de Eſpaña ſtellte 
ſich in die Mitte und rief: „Schön, meine Söhne, 
aber Ihr habt wenig Bajonnete. *) Die Patronen 
werden verſchoſſen, durchnäßt, verloren; das Bajonnet, 
ſtets getreu (siempre fiel), iſt die Waffe aller Bra— 
ven, zu allen Zeiten die Waffe der Catalonier geweſen. 
Ich habe keine; der Feind hat viele, dort müſſen wir 
ſie holen!“ Abermaliger Jubel unterbrach den alten 
Feldherrn; Dbanez folgte ihm mit feinen ſechs Ba— 
taillons, die ohne Aufenthalt mit uns abmarſchirten. 
Von dieſem Tage an hat de Eſpana auf die Divi- 
ſion vom Felde von Tarragona und ihren Führer bis 
zuletzt zählen können, und hätte er Mbanez in der 
Nähe gehabt, ſo wäre ſeine Ermordung unmöglich 
geweſen. 


*) Die Banden von Dbanez, wie alle primitiven Guerillas 
waren mit, dem Feinde und den National-Garden abge— 
nommenen Gewehren, Jagdflinten und Carabinern be— 
waffnet, daher viel Bajonnete, bei manchem Bataillon 
beinahe ein Viertel fehlten. 


201 


Doch muß ich hier fünf Jahre zurück zur unters 
brochenen chronologiſchen Reihenfolge der Begebenheiten 
in Catalonien. 

Als Ferdinand VII. im Jahr 1833 die Fun- 
damental-Geſetze des Reichs umſtieß und ſeiner Tochter, 
als Prinzeſſin von Aſturien ſchwören ließ, kamen 
carliſtiſche Emiſſäre nach Barcelona und wandten ſich 
durch den Gouverneur dieſer Stadt, General- Liente- 
nant Grafen von Villemur, an den General-Capi- 
tain Grafen de Eſpama, um ihn zu bewegen, dieſer 
der Agonie des Königs entriſſenen Ordonnanz nicht 
Folge zu leiſten, den durch liberalen Einfluß neu er— 
nannten General-Capitain Llauder, ſobald er den 
Fuß auf cataloniſchen Boden ſetzte, ſogleich erſchießen 
zu laſſen, alle Catalonier zu den Waffen zu rufen, 
und mit den, ihm zur Dispoſition ſtehenden Garde— 
und Linien-Truppen auf Madrid zu marſchiren, Fer— 
dinand VII. von der ihn umgebenden Camarilla zu 
befreien. Nicht Ein Mann in ganz Catalonien hätte 
dem Aufrufe des General-Capitains Widerſtand ge— 
leiſtet, die ganze Provinz ſich erhoben, mit Jubel de 
Eſpana's Ruf erwiedert, die in der Maöſtranza von 


Barcelona und den Feſtungen aufgehäuften Waffen 


ergriffen; mit Einem Worte, von Beginn an würde 
ſich jene Begeiſterung kund gethan haben, die Cata— 
lonien in früheren Kriegen ſo ſehr auszeichnete. Nie 
konnte ein leichteres Spiel dem Grafen de Eſpaña 
geboten werden: er kannte genau alle Militär- und 
Civil-Gouverneure, und konnte auf ihre Mitwirkung 
rechnen; die zwei in Barcelona garniſonirenden Garde— 
Regimenter hätten alle ſeine Befehle befolgt, denn 
ihr Offizier-Corps beſtand größtentheils aus Roya— 
liſten, und die wenigen Liberalen wären durch den 
ſtark ausgeſprochenen, allgemeinen Willen mit hingeriſſen 
worden; die Linien-Regimenter, in allen Theilen der 
Provinz vertheilt, ſowohl Fußvolk als Reiter, hatten 
erprobte Chefs, und Niemand im ganzen Lande hätte 
daran gedacht, dem Befehle des General-Capitains 
zu widerſtreben. In wenigen Tagen wäre ein zahl— 
reiches und wohlgerüſtetes Heer gebildet geweſen, und 
der Aufſtand eines ſo großen Theiles des Reichs unter 
einem Oberhaupte wie de Eſpana, hätte allein Fer⸗ 
dinand VII. von den Intriguen befreit, mit denen 
die revolutionäre Partei ſeine letzten Jahre umgeben 
hat. Alle Königreiche Spaniens wären dem Impulſe 
Cataloniens gefolgt, und die Liberalen beim Anblick 


203 


der Gefahr, die fie bedrohte, ausgewandert oder in 
jene Unthätigkeit zurückgekehrt, aus der ſie ſich, ſeit 
den letzten neun Jahren, nicht gerührt hatten, darauf 
beſchränkt, im Auslande oder im geheimnißvollen Dunkel 
ihrer Logen am Untergange ihres Vaterlandes zu 
miniren. Die energiſche Thätigkeit des Grafen de 
Eſpanña, feine praktiſche Kenntniß der Umtriebe und 
Projecte der Neuerungsſüchtler hätten der Revolution 
einen Damm geſetzt; mit einem Schlage würden ſieben— 
jähriger Bürgerkrieg, Ströme Blutes, Verwüſtung der 
ganzen Halbinſel, unabſehbare Uebel verhindert worden 
ſein. Doch die ſtrenge Gewiſſenhaftigkeit des Grafen 
de Eſpanña, feine tiefe Ehrfurcht vor den höchſten 
Attributen königlicher Majeſtät, jo lange ein Lebens- 
hauch noch die Krone über dem Haupte ſeines hin— 
ſchwindenden Herrn hielt, ließ ihn, wenn gleich mit 
Kummer, doch feſt alle Anträge zurückweiſen. Uner⸗ 
ſetzliche Momente gingen verloren. 

Da kam General Llauder. Nochmals ward 
de Eſpaña von allen Seiten beſtürmt; doch ſchwieg 
er, übergab das Commando ſeinem Nachfolger und 
zog ſich nach Majorca zurück. Llauder hatte im 
Jahre 1830 Mina und deſſen Horden in den Ge— 


204 


birgen Navarra's verfolgt, daher es noch einige Roya— 
liſten gab, die Hoffnungen an ſeine Ankunft zu knüpfen 
wagten; doch ſein erſtes Auftreten vernichtete ſchnell 
dieſe Illuſion. f 

Llauder begann damit, den Graltirten zu 
ſchmeicheln. Auf alle Weiſe trachtete er ihr Zutrauen 
zu gewinnen, und richtete an die königliche Wittwe 
jene ſchamloſe Vorſtellung, die ſie zwang, das Eſta— 
tuto Real zu promulgiren, und die Cortes zu berufen. 
Er entwaffnete die Bataillone royaliſtiſcher Volontairs, 
ohne Auftrag ſeiner Regierung, und bildete aus der 
Hefe des Pöbels, zum Theil aus den losgelaſſenen 
Sträflingen der Zuchthäuſer und Galeeren, Freicorps, 
die Volontairs Iſabella's II. Alle Royaliften 
wurden ihrer Aemter und Würden entſetzt; die Gefäng— 
niſſe mit den angeſehenſten und einflußreichſten Per— 
ſonen angefüllt; die rohaliſtiſchen Sommitäten des 
Landes aber, nach Palma, Mahon und Cartagena ab— 
geführt. Catalonien war in kurzem erdrückt und zu 
Grunde gerichtet; die Männer, die das Vertrauen des 
Volkes beſaßen und auf die aller Augen gerichtet 
waren, entfernt oder in Ketten. Keiner war zurück— 
geblieben, um deſſen Banner die vereinzelten Royaliſten 


ſich hätten vereinigen können, es Navarra und den 
baſkiſchen Provinzen gleich zu thun. 

So verzweifelt dieſe Lage auch war, trachteten 
doch die Catalonier, in erſt unmächtigen Verſuchen, 
ihre ſchwachen Kräfte mit denen der Revolution zu 
meſſen. Mönche und Bauern erhoben ſich in ihren 
Diſtricten; ohne Waffen, ohne Disciplin, ohne mili— 
täriſche Kenntniſſe führten ſie den ihnen eigenen Krieg; 
die Erinnerung an die heroiſchen Zeiten ihres Kam— 
pfes gegen Napoleon war in ihnen noch nicht ver— 
wiſcht. Die Somaténenhaufen bildeten ſich zu Gué⸗ 
rillas; in ihren Gebirgsſchluchten und engen Päſſen, 
auf den unzugangbaren Felſen ihrer Sierren überfielen 
ſie den Feind nach Eilmärſchen, im Verſtecke lauernd; 
ſie beunruhigten die Transporte, fingen die Nachzüg— 
ler, ſchnitten die Communicationen ab. Nach und 
nach verſchaffte ihnen dies Waffen, alle dem Feind 
entriſſen; ihre Banden wuchſen und waren ſo ſchnell 
in alle Winde zerſtreut, als auf Einem Punkte wieder 
verſammelt, je nach den Bedürfniſſen des Augenblicks. 
Bald fing der gute Geiſt der Catalonier, bisher durch 
Schrecken und Verfolgungen niedergedrückt, ſich zu 
heben an; ſie ſahen die Nothwendigkeit ein, ſich alle 


206 


Opfer aufzulegen, den Bedürfniſſen ihrer Verthei— 
diger zu genügen, die Braven zu unterſtützen, die 
allen Gefahren trotzten, den religiöſen und politiſchen 
Glauben zu vertheidigen, dem ſie zugethan ſind, und 
die alten Rechte zu erhalten, welche durch Jahrhun— 
derte den Glanz und das Wohl ihrer Väter begründet 
hatten. Es ſtanden ihnen aber noch neue Schläge 
des Schickſals bevor. Die Ankunft des Generals 
Romagoſa wirkte elektriſch auf alle Royaliſten; doch 
bald hieß es, er kehre zurück, und in Kurzem war 
ſeine Gefangennehmung und Hinrichtung kein Geheim— 
niß mehr. Dem ungeachtet hatte dieſe Kataſtrophe nicht 
jene unglücklichen Folgen, die man befürchten konnte. 

Des Königs Ankunft in Navarra war bekannt 
geworden, und alle Hoffnungen knüpften ſich an dies 
Ereigniß. Er würde für Alles ſorgen, ſo dachten und 
hofften ſeine vereinzelten, und mit den Verhältniſſen 
unbekannten Vertheidiger in dieſem Theile der Halb— 
inſel. Auch verbreitete ſich wirklich das Gerücht, es 
befinde ſich an der franzöſiſchen Grenze ein General, 
der den Befehl ergreifen, ein Heer organiſiren und die 
Operationen leiten würde. Dieß Gerücht ward bald 
zur Gewißheit, und die Freude der royaliſtiſchen Cata— 


207 


Ionier allgemein, als fle erfuhren, ihr neuer Feldherr 
ſei ihr alter General-Capitain, Don Carlos de 
Eſpana. „Der allein kann uns retten,“ riefen fie 
Alle, „der kennt Land und Leute, Rechte und Ge— 
bräuche, unſere Noth und unſere Bedürfniſſe, die Guten 
und die Schlimmen. So lange er an unſerer Spitze 
war, konnte die Revolution das Haupt nicht erhe— 
ben, die Ruhe und den Flor unſerer Provinz zu ſtören. 
Er beſchützte Induſtrie und Handel; vor ſeinem Namen 
zitterten dte Unruheſtifter; heute wird ſeine Gegenwart 
genügen, Alle zu entwaffnen.“ 

Graf de Eſpana war in der That an der cata= 
loniſchen Grenze, und ſollte nur das Vordringen einer 
navarreſiſchen Expedition abwarten, die unter General 
Guérgué über den Cinca geſetzt hatte, ſeinen Eingriff 
zu beſchützen und ſeinen erſten Maßregeln Kraft zu 
geben. Obwohl vorgerückten Alters und leidend, hatte 
er dennoch den dringenden Wünſchen des Königs nach— 
gegeben und verſprochen, ſich an die Spitze der Cata— 
lonier zu ſtellen. Sein Aufenthalt in Majorca, wohin 
er ſich von Barcelona, wie ich oben erwähnt, begeben 
hatte, war nicht von langer Dauer geweſen. Er hatte 
ſich dieſe Inſel zum Aufenthaltsort erwählt, wo er 


208 


bedeutende Güter durch ſeine Gemahlin beſaß, Erbin 
eines der größten Häuſer der Balearen. Doch beun— 
ruhigte man ihn dort, er mußte befürchten, gefänglich 
eingezogen zu werden, und flüchtete nach Frankreich. 
Die ſtete Beſorgniß der ſpaniſchen Regierung, einen 
ſo gefährlichen Feind nahe und frei zu wiſſen, veran— 
laßte das Miniſterium Thiers, ihm Tours als Ge— 
fängniß anzuweiſen. In dieſer Stadt kam ihm der 
erſte Ruf des Königs zu. Lange weigerte ſich de 
Eſpana, am Abende feiner Tage nochmals, unter fo 
ſtürmiſchen Verhältniſſen, ſich auf der großen Welt— 
bühne zu zeigen; er ſehnte ſich nach Ruhe. Endlich 
kam ein eigenhändiges Schreiben des Königs, worin 
dieſer ihn beſchwor, ſeinen Bitten zu willfahren, und 
durch ſeinen Eintritt in Catalonien, den königlichen 
Waffen das Uebergewicht zu geben. Ein junger Spa— 
nier, Namens Gil de Barnabé (7 15. Juli 1837 
bei Chiva), brachte es ihm und begleitete den alten 
Feldherrn bis auf cataloniſchen Boden. GuéErgué, 
der, ſeinen Inſtructionen zufolge, ſich der franzöſiſchen 
Grenze nähern und de Eſpana dort aufnehmen 
ſollte, zog indeſſen, zwecklos und Zeit verlierend, im 
mittlern und ſüdlichen Catalonien umher und erſchwerte 


209 


den Eintritt de Eſpana's durch fortwährende unrich- 
tige Angaben ſeiner Märſche und Entfernung von den 
Uebergangspunkten. Mehrere Perſonen haben mich 
ſpäter an Ort und Stelle verſichert, GuErgué ſei 
von einzelnen royaliſtiſchen Bandenführern durch ſchwere 
Summen Geldes dazu bewogen worden, dem Eintritte 
des General-Capitains alle Schwierigkeiten in den Weg 
zu legen, da ſie wohl annehmen mochten, daß ſobald 
de Eſpana das Commando übernähme, ihre räube— 
riſche Freizügigkeit enden würde. Ich kann nicht beur— 
theilen, in wiefern dieſe Anklage begründet iſt; glaub— 
lich erſcheint ſie jedenfalls, wenn man das feige und 
venale Benehmen Guergue’s, die namenloſen In⸗ 
triguen im Hoflager und in den Hauptquartieren und 
beſonders die Infamien kennt, welche die Junta und 
die Guerilléros in Catalonien ſich zu Schulden kom- 
men ließen. Soviel konnte wenigſtens auch den Freun— 
den und Anhängern Guergue’s nicht entgehen, daß 
ſein Aufenthalt in dieſem Lande durch eine Reihe von 
Mißgriffen und Unglücksfällen bezeichnet war; zuletzt 
auf's Haupt geſchlagen, ſetzte er ſchleunig über den 
Cinca, und kehrte durch das Obere Aragon nach Na— 
varra zurück. De Eſpaña, der eben ſeit einigen 
II. 14 


210 


Tagen cataloniſchen Boden betreten hatte, ſah ſich natür⸗ 
lich dadurch gezwungen, ihn ſogleich wieder zu verlaſſen. 

Er fiel in die Hände eines franzöſiſchen Grenz— 
poſtens, ward bis Perpignan escortirt und, nach un— 
würdiger Behandlung, in die Citadelle von Lille abge— 
führt. Dort ſaß er in ſchmachvoller Gefangenſchaft, 
unter beſtändiger Aufſicht eines, in ſeinem Zimmer 
poſtirten Gendarmen, der gewöhnlichſten Lebensbedürf— 
niſſe entbehrend. Doch ſann ſein reger Geiſt, Nacht und 
Tag nur darauf, zu entkommen, um ſich vom Schimpfe 
rein zu waſchen, der nach ſeinen Begriffen, wegen des 
unglücklichen Ausgangs ſeines letzten Zuges nach Ca— 
talonien, auf ihm laſten müſſe. Zuerſt kam es darauf 
an, die Aufmerkſamkeit ſeiner Wächter zu täuſchen, 
und ihnen jeden Gedanken an Flucht ſeinerſeits, als 
unmöglich erſcheinen zu laſſen; er ſtellte ſich krank, 
altersſchwach und halbverrückt. Ein und ein halbes 
Jahr lang, kam er nicht aus ſeinem Bette, beſchnitt 
weder Bart noch Nägel, ſprach mit Niemanden, las 
und betete den ganzen Tag. Er ſchrieb nie, bekam 
nie Briefe, und doch war er ſtets in unausgeſetzter 
Verbindung mit dem königlichen Hoflager und mit 


ſeinen Anhängern in Catalonien. 


211 


Während deſſen fuhren dort die Guerilléros fort, 
ohne Oberhaupt, das ſie leitete, iſolirt und für eigene 
Rechnung zu operiren, ohne je ein entſcheidendes Re— 
ſultat erreichen zu können; bald waren ſie ſämmtlich 
entzweit, da jeder der Erſte ſein wollte. Guergue 
hatte vor ſeinem Rückzuge, kraft ſeiner Vollmachten, 
den Brigadier Brujo an die Spitze der Provinz 
geſetzt; dieſem ward das Commando durch den Bri— 
gadier Torres beſtritten; Torres' Siege, im Ver⸗ 
gleiche zur Unthätigkeit ſeines Nebenbuhlers, ſchienen 
ihm einiges Recht zu geben. Die Entzweiung nahm 
zu, und wurde durch die Einnahme des feſten Schloſſes 
N. S. del Ort in dem Sanctuario, bis dahin für 
uneinnehmbar gehalten, noch heftiger und feindlicher. 
Die Niederlage Torres' und die Zerſtörung ſeiner 
Diviſion, der einzigen einigermaßen organiſirten, waren 
die traurigen Folgen dieſer Uneinigkeit. 

Die Anhänger der Revolution laſſen ſelten günſtige 
Momente unbenützt vorübereilen; auch ergriffen ſie mit 
Feuereifer den Zwieſpalt der carliſtiſchen Häuptlinge und 
die eintretende Erſchlaffung des Volkes; ſie hatten die 
Wichtigkeit Cataloniens richtiger aufgefaßt, als die Roya— 
liſten, und boten Alles auf, um zu verhindern, daß eine 

14* 


212 


Expedition in dieſe Provinz eindringe. Bis in das 
Hauptquartier Carl V. dehnten ſich ihre Intriguen 
aus und faßten daſelbſt feſte Wurzel. Es gelang ihnen 
durchzuſetzen, daß die brillante Expedition, die im Ja— 
nuar 1836 auf dem Punkte war, in Catalonien ein= 
zudringen, in Navarra zurückblieb. Eine Deputation 
kam darauf zum Könige, die ihm vorſtellen ſollte, wie 
nothwendig es ſei, ein Oberhaupt zu beſtellen, deſſen 
Autorität durch ein bedeutendes Truppencorps Gewicht 
erhielte. Sie präſentirte ſich im Namen des interimi— 
ſtiſchen General-Commandanten, der regierenden Junta, 
des Adels und der Diſtricte, und war größtentheils 
aus jungen Leuten zuſammengeſetzt, deren Sucht nach 
Würden, Aemtern und Auszeichnungen ſie ſtets bereit 
finden ließ, ſich dem Willen derer im Hoflager anzu— 
ſchließen, die ihren Wünſchen Gewährung verſprachen. 
Die Männer, an die ſie ſich wandten, ſtellten ihnen, 
aus Unwiſſenheit oder ſträflichen Abſichten, eine Truppen⸗ 
ſendung nach Catalonien als unmöglich vor, oder über— 
trieben wenigſtens die damit verbundenen Schwierig— 
keiten. Ein General und einige tüchtige Offiziere, 
denen einige Fonds mitgegeben würden, wären genü— 


gend; hiezu ein Intendant und eine Junta, aus den 


213 


marquanteſten und aufgeklärteſten Perſonen des Landes 
zuſammengeſetzt, und daſelbſt ſogleich zu formiren. 
Dann würde Catalonien in Maſſe aufſtehen, in Ueber— 
fluß ſeine reichen Quellen öffnen, die allen Bedürfniſſen 
genügten; mit Einem Worte, dann wäre der Triumph 
der königlichen Sache unzweifelhaft. 

Dieſe Reden wurden von der größern Maſſe der 
Deputirten beifällig aufgenommen, von einigen Aelteren 
unter ihnen jedoch hartnäckig beſtritten; ſie entzweiten ſich 
über das, was ſie dem Könige vorſtellen ſollten, und 
dieſe Uneinigkeit beſchwor neue Stürme über Catalonien. 
Das Miniſterium war größeren Maßregeln abgeneigt, 
und ſah mit Freude die veränderte Stimmung der 
Deputirten. Der damals die Basco-Navarreſen com- 
mandirende General Moreno drang mehr als je 
darauf, daß keine Expedition nach Catalonien geſchickt 
würde; aus dieſem Geſichtspunkte ward die Sache 
dem Könige vorgetragen, von ihm angenommen und 
hatte, wie es ſich bald zeigte, die unglücklichſten Fol— 
gen. Von nun an war von keiner Truppenſendung 
mehr die Rede; man beſchäftigte ſich allein mit der 
Wahl der Generale und Offiziere, die dahin abzu— 
ſchicken wären. Maroto ſollte das Commando der 


214 


Provinz übernehmen; ihm ward der Marechal de 
camp Ortafa zur Seite gegeben; als Chef des 
Generalſtabs, Brigadier Royo, und als Finanz-Chef 
der Intendant Labandéro (nachmaliger Finanz— 
miniſter), endlich mehrere Generalſtabs-Offiziere. Aller- 
lei Hülfe wurde ihnen verſprochen; ſie verließen das 
königliche Hoflager und vereinten ſich bald in Catalo— 
nien, wo ſie ohne Geld, ohne Munition, vereinzelt 
und verborgen, in einem, vom Feinde militäriſch beſetz— 
ten Lande, ankamen. Verſchanzte Dörfer, Kirchen und 
Schlöſſer zeigten ſich ihnen auf allen Punkten; mobile 
Colonnen durchſtreiften das Land, und nur mit großer 
Mühe erreichte das kleine Häuflein Offiziere die erſte 
royaliſtiſche Guerilla, der fie ſich anſchließen konnten. 
Keines von allen den Individuen, die der König zur 
Bildung der Junta ernannt hatte, zeigte ſich. Den 
Landleuten, die unter andern Verhältniſſen zu Tau— 
ſenden ſich an ſie geſchloſſen hätten, konnte Maroto 
jenen erſten Schutz nicht gewähren, unter dem ſie ſich 
hätten formiren können; er hatte ja nicht Ein Bajonnet, 
nicht Eine Patrone ihnen zu geben. Auch ſchien ſein 
ganzes Augenmerk dahin gerichtet, von den wenigen 
Bandenführern, die hie und da Kunde von ſich gaben, 
möglichſt große Requiſitionen zu erheben. 


Endlich gelang es den raſtloſen Bemühungen 
Ortafa's, einige einzelne Guérillas zu vereinen 
und mit denſelben in den Hochgebirgen zu ſtreifen. 
Dieſer undisciplinirten Bande ward, von dem Feinde 
und den öffentlichen Blättern, der vielverſprechende 
Name einer cataloniſchen Operations-Diviſion gege- 
ben. Bald concentrirte der Feind bedeutende Kräfte 
in den Gebirgsſtrichen, wo Maroto mit feinen 
Leuten ſich umhertrieb. Statt mit denſelben einen 
Durchgang zu forciren, den Krieg in wohlhabende 
Gegenden zu verlegen, zu generaliſiren, verlor Maroto 
den Muth, und war nur mehr auf ſeine perſönliche 
Rettung bedacht. Zu dieſem Zwecke, die ernſtliche 
Verfolgung, die ihn bedrohte, abzuleiten, vertheilte er 
feine Truppe. In Alpens, in einer Schlucht der Pyre— 
näen, vom Feinde ereilt, ſchickte er Ortafa, mit 450 
Mann, zehnfach ſtärkeren Kräften entgegen. Ortafa 
blieb, ſeine Mannſchaft wurde zerſprengt, und Maroto, 
ſtets härter bedrängt, opferte endlich, bei Gumbren, 
das letzte Häuflein, das ihm treu geblieben, ſeine 
eigene Flucht zu decken. Er überſchritt die Grenze, 
nur von wenigen Offizieren gefolgt, und kehrte nach 
Frankreich zurück. Royo, ſein Chef des Generalſtabs, 
übernahm das Commando. 


216 


Maroto's Abgang und die damit verknüpften 
Ereigniſſe erregten eine ſo lebhafte Senſation im 
königlichen Hoflager, daß man zuerſt nicht wußte, 
welche Maßregel man ergreifen ſollte, und deßhalb, 
wie es in ſolchen Fällen ſich gewöhnlich zu ereignen 
pflegt, zu der ſchlechteſten ſeine Zuflucht nahm. Royo's 
Ernennung wurde nicht ſanctionirt, und an ſeiner 
Stelle der mächtigſte Bandenführer des obern Cata— 
loniens, Don Clemente Sobrevias, genannt 
el Muchacho, zum General-Commandanten ernannt. 
Doch nach einigen Tagen, überlegten die damals den 
König umgebenden Perſonen, daß ſie den inſubordinir— 
teſten und räuberiſchſten Häuptling an die Spitze der 
Provinz geſtellt hatten, und eine gänzliche Auflöſung aller 
Bande, die Catalonien an die Sache der Legitimität 
knüpften, die unvermeidliche Folge davon fein würde. Eil— 
boten wurden nachgeſchickt, el Muchacho's Ernennung 
zu widerrufen und Royo zu beſtätigen. El Muchacho 
war 48 Stunden General-Commandant geweſen. 

Wichtige Ereigniſſe in Navarra, der mächtig zu— 
nehmende Aufſchwung Valencia's unter Cabrera, 
— Gomez, Don Baſilio und Batanero, die 


Einer nach dem Andern an der Spitze ihrer Expe— 


217 


ditionen Madrid bedrohten, hatten die Aufmerkſamkeit 
der conſtitutionellen Regierung größtentheils von Cata— 
lonien abgezogen. Maroto's Flucht ward von den 
Chriſtinos als großer Sieg gerechnet, und Royo's 
Unthätigkeit ſchien unſchädlich. Durch die ihnen ge— 
laſſene Freiheit aufgereizt, vom Feinde wenig verfolgt, 
erhoben ſich in ganz Catalonien einzelne Guerilléros, 
einer vom andern, ſo wie alle von ihrem Chef unab— 
hängig, den Krieg für eigene Rechnung fortzuführen. 
Sie theilten unter ſich die Gebirgsſtriche, und keiner 
übertrat den Diftriet feines Nachbarn; im Eigenen 
ward requirirt und erpreßt, um für die Bedürfniſſe 
der Guerilla und die Habſucht des Häuptlings reichlich 
zu ſorgen. Dieſe Banden wuchſen täglich; manchmal 
wagten ſie ihre Streifzüge bis in die reizenden Thäler 
des Lampurdan, die fruchtbaren Ebenen des Campo 
de Tarragona, ja bis in die Gärten und Villas um 
Barcelona. Die abenteuerlichen Cabecillas, die fie 
führten, ſind bekannt genug. Ich habe Gelegenheit 
gehabt im erſten Theile dieſer Erinnerungen ihrer zu 
erwähnen und von dem traurigen Zwieſpalt zwiſchen 
General-Commandant und Junta zu ſprechen, der 
alle militäriſchen Fortſchritte paraliſirte. Trotz ſeiner 


218 


mehr nominellen, machtloſen Stellung gelang es 
dennoch Royo ein paarmal einige Banden zu ver— 
einen, die in beſſerem Einvernehmen zu ihm ſtanden, 
da er ſie nicht ſtörte. Mit ihnen ſchlug er im Februar 
1837 Oliver bei Gervera, im Mai Oſörio bei 
Olban, und nahm im ſelben Monat, nach einem 
glücklichen Gefechte gegen van Meer, Solſona ein. 

Doch konnte dieſer Zuſtand der Dinge nicht von 
Dauer ſein. Einzelne Häuptlinge, wie Triſtany, die 
zu mächtig geworden, fingen an, nur mit Widerwillen 
ſelbſt dieſen Schatten von Suprematie zu ertragen, 
und jeder wäre ſelbſt gern General-Commandant ge— 
worden. Die Intriguen der Junta, die Nichtigkeit 
des General-Commandanten, und zwiſchen beiden die 
räuberiſchen Häuptlinge, die bald eigenmächtig das 
Land ausbeuteten, bald für den General-Comman— 
danten oder wieder für die Junta ſich erklärten, je 
nachdem ſie durch den Einen oder die Andere Gnaden 
aus dem königlichen Hoflager erwarteten, dies Alles 
verſetzte Catalonien in das grenzenloſe Elend, und die 
ſchaudervolle Anarchie, wie wir es im Juni 1837 beim 
Einmarſch der königlichen Expedition fanden. Klagen 
über Alle kamen von Allen. Ohne bedeutende Mittel, 


219 


die dem Könige nicht zu Gebote ſtanden, war es ſchwer 
abzuhelfen; doch vereinten ſich die meiſten Bitten dahin, 
es möchte ein kräftiges Oberhaupt an die Spitze der 
Provinz geſtellt werden. Urbiztondo ward ernannt, 
doch auch er konnte nicht durchgreifen; und verließ 
Catalonien Anfangs 1838, wie ich mit mehr Details 
im erſten Theile dieſer Erinnerungen erzählt. Triſt any 
übernahm ſofort das Commando, doch mußte er es 
nach wenigen Wochen an den Brigadier Segarra 
abgeben und ſich nach dem Hoflager verfügen. 

Dort konnte man, nur mit Jammer den ſich ſtets 
verſchlimmernden Zuſtand der Dinge ſehen, der dieſen 
größten und reichſten Juwel der ſpaniſchen Krone, 
ſeinem Herrn ganz zu entreißen drohte. Da dachte 
man wieder an den alten Feldherrn, der durch eine 
Reihe von Jahren, unter gleich unglücklichen Conſtel— 
lationen, mit gigantiſchen Kräften zu ringen verſtanden. 
Wo ſeine fünf Vorgänger ſeit Ferdinand VII. Tode, 
unter leichteren Verhältniſſen, in der Aufgabe geſchei— 
tert, ſollte de Eſpama durchdringen, und das zu 
einer Zeit wo an der Spitze der feindlichen Reihen 
ſein ehemaliger Zögling ſtand, der in ſeiner Schule 
zum Feldherrn gebildet, jene große Kenntniß aller 


220 


Kriegsliſten, jenes meiſterhafte dominiren der Mafjen 
ihm abgelernt hatte, die den Namen de Efpana’s bei 
allen ſpaniſchen Militärs durch ewige Zeiten tragen 
werden. De Eſpana und van Meer ſollten ſich 
gegenüber ſtehen, der Fremdling gegen den Fremdling, 
da war nicht viel Schonung ſpaniſchen Blutes zu erwar- 
ten, doch war man jedenfalls darüber einig, daß die An— 
kunft de Eſpana's eine wichtige Reaction, Zerſtörung 
des feindlichen Operations-Planes hervorbringen würde. 

Die chriſtiniſche Armee, in zwei große Heeres— 
haufen unter ihre zwei beſten Generale geſtellt, 
ſollte durch Vernichtung der zwei Hauptfoyers die 
gänzliche Ausrottung der carliſtiſchen Sache bewerk— 
ſtelligen. Alle übrigen Factionen wurden verachtet; 
das frühere Syſtem, jede Guerilla bei ihrem erſten 
Entſtehen, lebhaft zu verfolgen und ihr weiteres Um— 
ſichgreifen zu verhindern, als Zeit und Kräfte zer— 
ſplitternd aufgegeben, wie es die Abberufung Nar— 
vaez's mit der Reſerve-Armee aus der Mancha be— 
wieſen hatte, und die Madrider Regierung glaubte, 
daß mit dem Falle der zwei großen Häupter, die 
kleineren ſich von ſelbſt verlieren würden. Die Garden 
und die Hauptkräfte des conſtitutionellen Spaniens 


221 


ſtanden unter Eſpartéro am Ebro; die Operations 
armee vom Centrum durch alle disponiblen Corps 
verſtärkt, operirte im Niedern Aragon unter Oräa 
gegen Cabrera, und Niemand, am wenigſten in 
unſern Hauptquartieren, konnte damals ahnen, daß 
Eſpartéro's ſtets thätige Eiferſucht, fein reger Neid 
gegen ſeine Waffengefährten, ſelbſt dazu beitragen wür— 
den, ihre Anſtrengungen zu paraliſiren, und daß eine 
Mitwirkung an ihren Operationen ſeinerſeits, nicht zu 
befürchten. Wie dem auch ſei, Alles ſchien darauf 
hinzudeuten, der wahre Moment zur Ankunft des 
Grafen de Eſpaña ſei gekommen. 

Nach fünf vergeblichen Reiſen vom königlichen 
Hoflager nach Lille und zurück, kam der Graf von 
Fonollär im Juni 1838, mit allen königlichen Voll— 
machten verſehen, in Lille an; die Flucht ward be— 
ſprochen und ſogleich ausgeführt. Einige unſerer 
Freunde, die nicht genannt ſein wollen, wirkten mit 
eben ſo viel Muth als Selbſtaufopferung bei dieſem 
ſchwierigen Unternehmen. Es gelang wider alle Er— 
wartung. Am 26. Juni langte Graf de Eſpaña, 
von dem Kriegscommiſſär Peralta begleitet, in Tou— 
loͤuſe an, wo Fonollär ihn erwartete und ſogleich 


ID 
1 
1⁰ 


weiter führte; Tags darauf war er in Foix. Seit 
fünfzig Jahren ſah er das erſte Mal ſeinen Geburtort 
wieder; auf dem Rücken eines berühmten Contreban— 
diers ward er durch die Schluchten der Maladetta 
getragen; am erſten Juli traf er auf dem neutralen Ge— 
biet von Andorra ein; am zweiten empfing ihn el Ros de 
Eroles in den Thälern des Urgel, unter den Kanonen 
der Seu, und am vierten hielt der alte Feldherr ſeinen 
Einzug in Berga. Alles jubelte und ſchien freudig; 
eine glänzende Zukunft ſollte den royaliſtiſchen Cata— 
loniern werden; alle Kräfte würden in gemeinſamer 
Tendenz zuſammenwirken. N 

De Eſpana fing gleich damit an, Ordnung, 
Disciplin herzuſtellen und an dieſem großen Augias- 
ſtalle zu rütteln, ihn mit einem Mal zu reinigen. 
Die Junta, welche die Ein- und Abſetzung der frü— 
heren General-Commandanten bewirkt hatte, war nun 
dem neuen Chef untergeordnet, der mit den ausge— 
dehnteſten königlichen Gewalten auftrat. Er ſchickte 
ſie nach Avia, einem kleinen Dorfe, zwiſchen den 
Kanonen von Berga und ſeinem Hauptquartier Caſer— 
ras. Keiner durfte ſich ohne ſpezieller Erlaubniß ent— 
fernen. In finanzieller und adminiſtrativer Hinſicht 


wurden bedeutende Verbeſſerungen eingeführt; Unord— 
nungen aller Art raſch und ſcharf geſteuert; räuberiſche, 
ſelbſtſüchtige Häuptlinge exemplariſch beſtraft; den 
Zügelloſeſten ihre Banden abgenommen und unſchäd— 
liche Stellen angewieſen; die Führung der Bataillone 
tüchtigen Offizieren anvertraut. Die Truppen wurden 
gekleidet, genährt und bezahlt; den großen materiellen 
Hülfsmitteln ward ein geregelter Gang angewieſen, 
das Steuerſyſtem geordnet, bloß regelmäßige Beträge 
gefordert, die direct an die Finanzintendantur floſſen, 
und die Dörfer von dem Drucke der Soldateska befreit. 
Die Bataillone mußten abwechſelnd den Dienſt im 
Hauptquartier verrichten, und unter den Augen des 
Generals wurde eine gehörige militäriſche Bildung den 
Offizieren und Soldaten beigebracht. 

Trotz der vielen Schwierigkeiten, die mit dieſen 
ſchnellen und gründlichen Veränderungen nothwendig 
verknüpft waren, hatte doch de Eſpana auch noch 
Mittel gefunden, mehrere bedeutende Einrichtungen 
bis in die kleinſten Details vorzunehmen. Als ich 
nach Caſerras kam, waren es noch nicht drei Monate, 
daß dieſer raſtloſe Greis das Commando führte, und 
doch überall Spuren ſeines thätigen Waltens zu er— 


224 


kennen. Die Militäranftalten in Borrada habe ich 
ſeiner Zeit berührt; eine geregelte Communication mit 
Nieder-Aragon und Valencia, war bereits in beſter 
Harmonie mit Cabrera eröffnet, fo daß eine Courier— 
linie zwiſchen Morella und Berga beſtand, die bei 
Bobéras und Flix den Ebro paſſirte, und von der 
im ſelben Jahre durch Cabrera eingenommenen Feſtung 
Mora de Ebro protegirt ward. Ueber die acht Com— 
pagnien Carabiniers der Douane, die Corregimental— 
Gouverneurs und Comandantes de Armas hatte ich 
bereits Gelegenheit mit mehr Details zu ſprechen. — 
Es war unläugbar, das ganze Land ſchien aufzuleben, 
von einem großen Drucke befreit. Unſere Operationen 
nahmen einen kriegeriſchen Gang; Barcelona zitterte 
wieder vor dem Namen des Grafen de Efpana. 
Dieſer impoſanten Stellung ungeachtet, die de 
Eſpana anzunehmen gewußt hatte, waren ſeine 
Kräfte doch mit denen des Feindes nicht zu vergleichen. 
Außer Berga beſaß er nur zwei feſte Punkte, San 
Lorenzo de Moruns (oder de Murullo) auf dem Höhen— 
zuge, welcher die Waſſerſcheide des Cardenet und des 
Rio Salado (Salzwaſſer) bildet; ferner das Fort 
N. S. del Ort in dem Sanctuario, einem durch eine 


Einſiedelei gekrönten Berge. Der Feind hingegen 
becupirte acht Plätze erſter Ordnung: Barcelona mit 
Monjuich dem zweiten Gtbraltar, Figuéras, Geröna, 
Tarragona, Lérida, Tortoſa, Cardöna, Seu d'Urgel, 
mit Hunderten von Kanonen und bedeutenden Vor— 
räthen aller Art. Außerdem hatte van Meer viele 
Städte, Flecken und Dörfer, beinahe alle Küſtenſtädte 
und alle Orte fortifieirt, die an der Heerſtraße von 
der Grenze Aragons nach Barcelona, in einer Linie 
von mehr als dreißig Leguas, liegen. Vier mobile 
Colonnen, jede von 2500 bis 3000 Mann Infanterie 
und 200 Pferden, wurden von dem chriſtiniſchen Gene— 
ral⸗Capitain mit Schnelligkeit, vor dem zu bedrohenden 
Punkte verſammelt. Alle dieſe Hülfsmittel hatten van 
Meer in die Möglichkeit geſetzt, im letzten Auguſt 
(1838) vor Soljona 12000 Mann Fußvolk, 1000 
Reiter und 12 Feldgeſchütze zu vereinigen, eine be— 
deutende Anzahl Belagerungspiècen nicht gerechnet. 
Soljona ging verloren, da weder Urbiztondo noch 
Segarra auf den Einfall gekommen waren, das 
Schloß, welches die Stadt dominirt, in Vertheidigungs— 
zuſtand zu ſetzen, und de Eſpana die Zeit hiezu 
mangelte. Ein paar Ravelinen waren bald erſtürmt 
I 15 


und durch die vorſchnelle Uebergabe des, in ein Caſtell 
verwandelten, biſchöflichen Pallaſtes, welchen Oberſt 
Tell de Mondedeu nicht zu vertheidigen wußte, 
Solfona in Händen der Feinde. Dieß geſchah vier 
Wochen nach Ankunft de Eſpana's. 

Ueber dieſen erſten Revers, ſo bald nach Antritt des 
Commandos, ergrimmt, beſchloß er doch, zuerſt feine dis- 
poniblen Kräfte zu organiſiren, und ſpäter in einer Herbſt— 
campagne Revanche zu nehmen. Durch die ſchon erwähnte 
fehlerhafte Einrichtung Royo's fand de Eſpana die 
cataloniſchen Truppen in 23 Bataillone, ſehr ungleicher 
Stärke, eingetheilt. Doch glaubte er vor der Hand 
dieß beibehalten zu müſſen, um durch irrige Auslegung 
ſeiner Veränderung, nicht etwa den Feind an eine 
Reduction glauben zu machen. Ungefähr ein halbes 
Jahr ſpäter, als ich Catalonien ſchon verlaſſen hatte, 
ſchmolz er die 23 in 14 gleichförmige Bataillone, denen 
er auch die Nummern abnahm, und Namen, meiſt 
nach den Gegenden, wo ſie geworben wurden, beilegte, 
als: Volontairs vom Monſerrat, Jäger vom Urgel, 
Guiden vom Felde von Tarragona. Als ich in Caſer— 
ras eintraf, hatte de Eſpana aus feinen Truppen 
drei Operations- und eine Reſerve-Diviſion gebildet. 


227 


Die erſte, unter Brigadier Porredon, beſtand aus 
vier Bataillons, wovon eins in das Hauptquartier des 
General-Capitains commandirt war, die drei übrigen, 
unter ihrem Chef, an der Grenze des Obern Aragon 
ſtreiften. Die zweite, unter Oberſt Caſtells, zählte 
fünf Bataillons, wovon eins im Hauptquartier, zwei 
in Berga garniſonirten und zwei in den Hochgebirgen 
herumzogen. Die dritte, unter Brigadier Mbanez 
(El Llarj de Copons), war aus ſechs Bataillons 
gebildet, die ſämmtlich das Feld von Tarragona, im 
reichſten Theile Cataloniens, beſetzt hielten, und dort 
für die Bedürfniſſe des ganzen Corps ſorgten, nament— 
lich jener Abtheilungen, denen ärmere Landſtriche zuge— 
wieſen waren. Die Reſerve beſtand aus ſechs Batail— 
lons, unter Brigadier Brujo, von denen eins im 
Hauptquartier, eins in Berga, die andern vier in den 
Corregimenten Vich, Gerona und Figueras ſtationirten 
und die Rekruten abrichteten. Dies gab 21 Batail- 
lons; zwei, unter Tell de Mondedeu, waren in 
Solſöna theils zuſammengehauen, theils gefangen wor— 
den; de Eſpana hat fie nicht wieder errichten laſſen. 

Die Artillerie war ſehr gering; außer den Po— 
ſitionsſtücken in Berga, San Lorenzo und in dem 

13 * 


228 


Sanctuario gab es nur acht mobile Geſchütze, zwei 
ſiebenzöllige Mörſer, vier Vierpfünder und zwei zwölf— 
pfündige kurze Haubitzen, ſämmtlich von Bronze. Sie 
wurden auf Maulthieren, über alle Berge und Schluch— 
ten weggetragen, und waren, trotz ihrer Geringfügig— 
keit, doch manchmal nicht ohne Nutzen. Das Rohr 
lag auf einem Maulthier, die Laffette auf dem zweiten, 
die Munitionskaſten auf ein Paar andern, und die 
Offiziere ritten auf Ponies nach. Zwei Compagnien 
bedienten dieſe kleine Batterie; de Eſpaña hatte 
ihnen Korshüte mit kleinen Büſchen, nach Art der 
öſterreichiſchen Artillerie, gegeben. Ein alter Oberſt— 
lieutenant war ihr Chef. In einer in den Gebirgen 
verſteckten Gießerei ward immerwährend gearbeitet, und 
in Berga eine Bohrerei etablirt. In der letzten Zeit 
war auch eine Sappeur-Compagnie errichtet worden. 

Die Cavallerie beſtand aus 200 Pferden, geführt 
vom Oberſten Camps; die ſahen freilich fabelhaft genug 
aus, mit ihrem Chef anzufangen, der die ſpaniſchen 
Rodomontaden und das engliſche Wort hombug in 
ſich perſonificirt zu haben ſchien. So war zum Beiſpiel, 
ſein Säbel aus zwei Klingen zuſammengeſchmiedet, 


weil er behauptete, Eine ſei für ihn zu leicht und 


9) 29 


— 


reiche für ſeine Hiebe nicht hin. Ein andermal erzählte 
er mit größtem Ernſte, er habe eines Tages im Hand— 
gemenge ſich, durch mehrere Stunden, ſo furchtbar 
herumgeſchlagen, daß ſeine Fauſt nicht vom Griffe 
wollte, und man ſie erſt in warmes Waſſer tauchen 
mußte, den Krampf zu löſen. Außer ſeinen 200 aben— 
teuerlichen Reitern, hatten wir noch in Catalonien, 
durch eine Weile, zwei ſchöne Escadrons des Reiter— 
regiments von Tortoſa, unter dem Commandanten 
Beltran, von Cabrera dem Grafen de Eſpaña 
zugeſchickt. 

um mit dieſen geringen Kräften dem Kriege 
ernſte Seiten abzugewinnen, einen militäriſchen Vor— 
theil nur möglich zu machen, war mehr als gewöhn— 
liche Thatkraft und ein unerſchütterlicher Wille noth— 
wendig, der durch tägliche Deceptionen und oftmaliges 
Mißlingen der beſtcombinirten Plane ſich nicht ein— 
ſchüchtern ließ. Nur der raſtloſen Energie des Grafen 
de Eſpana war es gegeben, eine Zeitlang da durch— 
zudringen, wo alle Andern bei den erſten Ordnungs- 
verſuchen geſcheitert hatten; nur er hat dieſem doppel— 
ten Kampfe, gegen den Feind von Außen und die bei— 


ſpielloſeſte Inſubordination im eigenen Lager, mit ſo 


230 


unzureichenden Mitteln die Stirne geboten. Es hat 
zweier ſo unerhörter Schandthaten bedurft, wie der 
Verrath Maroto's und ſeine eigene Ermordung 
waren, um den alten Feldherrn mitten in ſeinem 
ſpäten Siegeslauf aufzuhalten; denn wie ſehr auch 
die letzten Monate des Jahres 1837 und Guergue’s 
Commando, Navarra und die baſkiſchen Provinzen demo— 
raliſirt hatten, mit Feldherren wie de Efpana in 
Catalonien und Cabrera in Aragon hätte es nur 
eines mittelmäßigen Generals, aber keines Verräthers, 
im alten Kriegsſchauplatze bedurft, deſſen einzige Auf— 
gabe geweſen wäre, den unthätigen Gfpartero in 
Schach zu halten, um ungeachtet aller Intriguen des 
Hoflagers, den carliſtiſchen Waffen ihren alten Zauber, 
ihr verlornes Uebergewicht wieder zu geben. 


V. 


Executionen des Grafen de Eſpana. — Frau von Mondedeu. — 
Vorſchlag und Brief an Cabrera. — Eröffnung der Campagne. — 
Nequiſitionsmittel. — Der Pfarrer von Valſarén. — Lit de justice 
in Caſerras. — Expedition vor Cardöna. — Marco del Pont. — 
Hauptquartier im Priorate Puig-Reig. — Zerſtörung der Häuſer 
um Berga. — Expedition nach dem obern Segre und dem Thale 
von Aran. — Die Nepublik Andorra. — Einnahme von Viella. — 
Affaire an der Brücke von Escalö. — Nückzug bis Oliana. — 
Abgang von der cataloniſchen Armee und Zug bis Perpignan. — 
Ueber die Ermordung des Grafen de Efpana. 


(Ende September 1838 bis Neujahr 1839.) 


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Das Leben im Hauptquartier des Grafen de 
Efpana war ziemlich einförmig, wenn gleich ſehr 
thätig, da ſein ſtets raſtloſer Geiſt ſich und Andern 
wenig Ruhe ließ. Wenn man ſich in die originellen 
Seiten, mitunter barocken Einfälle des launigen Greiſes 
zu ſchicken wußte, war es leicht mit ihm gut auszu— 
kommen; denn unter ſeinem oft ſtrengen und barſchen 
Aeußern ſchlug ein warmes Herz, freilich manchmal 
etwas tief verborgen. Es war ihm in ſeinem beweg— 
ten Leben zur andern Natur geworden, alle weichen 
Regungen als Schwächen zu unterdrücken; aus dieſem 
beſtändigen Kampfe, zwiſchen wohlwollenden Gefühlen 
und dem, was er gewiſſenhaft für Pflicht hielt, erfolg— 
ten manchmal Widerſprüche, die von Fremden falſch 
ausgelegt wurden; ſo geſchah es oftmals, daß nach— 
dem man ihn gerührt, zu ſanften Maßregeln bewegt 


234 


hatte, er plötzlich zu erwachen, ſich zu ermannen ſchien, 
und dann leider zuweilen deſto ſchärfere Ausſprüche 
erfolgten, als er ſich von ſeiner Richtſchnur weit abge— 
leitet glaubte. 

Es iſt oft und viel von der Grauſamkeit, Blut- 
gier des Grafen de Eſpana die Rede geweſen; alle 
Blätter haben ſich hierüber breit ausgelaſſen, und 
ſelbſt viele Royaliſten mit feſtem Glauben bedauert, 
unſere gerechte und heilige Sache durch derlei Gräuel 
befleckt zu ſehen. Ich habe dieſes Alles oft mit an— 
gehört, auch zu verſchiedenen Malen dem Grafen de 
Eſpaña franzöſiſche und ſpaniſche Zeitungen vorge— 
leſen, die ihn als „Unmenſch, Bluthund, Raubthier 
(fiera) und Tiger“ qualifizirten; was letztere Benen— 
nung anbetrifft, jo war fie ſogar dermaßen zum ſtehen— 
den Epitheton geworden (el ex-conde de Espana, 
este tigre gavacho), daß als einſt der Eco del 
Comercio unſern Bandenführer der Mancha, Palillos, 
einen Tiger nannte, de Eſpaña lächelnd meinte, 
das wäre uſurpirt, er ſei der legitime Tiger. 

Auf den Grund dieſer Diatriben zu kommen 
dürfte wohl nicht ſchwer ſein; alle liberalen Blätter 


der Welt wiederholen nur zu gern, ohne weiterer 


239 


Unterſuchung, Lügen und Verläumdungen über huch- 
geſtellte Perſonen, beſonders wenn ſie, Inſtrumente 
königlicher Strafgerichte, mit Vollführung ſtrenger Ur— 
theile beauftragt ſind. Ich kann nur aus eigener 
Erfahrung ſprechen; mein Urtheil mag vielleicht als 
Carliſt nicht unpartheiiſch ſcheinen, unabhängig iſt es 
jedenfalls. — Ich habe den Grafen de Eſpana oft 
unerbittlich, vielleicht zu ſtreng geſehen, beſonders wenn 
er Deſertion, Räuber, Inſubordination, vorſätzlichen 
Ungehorſam, Feigheit und Aufwiegler zu ſtrafen hatte; 
ungerecht, willkührlich grauſam iſt er mir nie er— 
ſchienen, und gar die Anklage einer Luſt am Strafen, 
freudigen Ingrimms, die ſo oft erhoben wurde, muß 
ich aus meiner innigſten Ueberzeugung mit Abſcheu 
zurückweiſen. An einigen Grundſätzen hielt er, fo 
viel mir ſeine Handlungen erklärlich waren, mit 
unbeugſamer Feſtigkeit, und alle perſönliche Berückſich— 
tigung, alle Bitten hätten ihn nicht erſchüttert. So 
ſtrafte er Offiziere ſtrenger als Soldaten, und dieſe 
Strenge wuchs mit dem Range der Schuldigen. Seinen 
Gerichten gab er möglichſte Publizität, verwandte Alles 
daran, große, langhaltende Eindrücke in den Augen 


der Menge hervorzubringen, ihr zu imponiren; er 


236 


ſchien weniger, Sühne dem Geſetze geben als abſchre⸗ 
ckende Beiſpiele ſtatuiren zu wollen. Von öffentlich 
ausgeſprochenen Entſcheidungen war er nie abzubringen, 
beſonders wo es galt jene Verbrechen zu züchtigen, 
die in Catalonien allgemein eingeriſſen hatten, wie 
Plünderung, Erpreſſungen wehrloſer Landleute. Er 
fällte ſeine Urtheile nur langſam, nachdem er, in ſich 
verſchloſſen, einige Zeit darüber nachgedacht, düſter 
hingebrütet hatte; dann wurden ſie hell, klar, mit 
donnernder Stimme ausgeſprochen und die Ausfüh— 
rung folgte ſtets auf dem Fuße; aber wehe dem, der 
geſucht hätte ihn zu influenziren oder gar aufzureizen, 
gegen den hätte ſich der ganze Zorn des General— 
Capitains gewandt. 

Wenige Tage nach meiner Ankunft in Caſerras 
habe ich zwei Executionen beiwohnen müſſen; ſie ſind 
mir um ſo lebhafter im Gedächtniß geblieben, als 
auch ich, von der eiſenen Härte des Grafen de Efpana, 
übertriebene Begriffe nach Catalonien mitgebracht. 
Einige Landleute waren mit Klagen über vermummte 
Perſonen zu ihm gekommen, allem Anſcheine nach 
über carliſtiſche Offiziere, die einzeln ſtehende Höfe 


überfallen, die Wirthe an Bäume gebunden und unter 


237 


furchtbaren Drohungen zur Herausgabe ihrer baaren 
Habe gezwungen hatten. Die Wuth des Generals 
war gränzenlos; er ſchwor bei U. L. F. vom Mon— 
ſerrat und bei ſeiner Ehre, ein furchtbares Gericht 
halten zu wollen. Augenblicklich gab er einem Cabo 
de mozos und zwanzig Minonen geheime Befehle, 
und machte Erſteren für das Einbringen der Schul— 
digen, bei ſeinem Kopfe verantwortlich. Als ſie weg 
waren, ward er ruhiger; doch im erſten Momente 
ſeines Zornes wagte Niemand in feine Nähe zu tre— 
ten. — Nach zwei Tagen kamen die ausgeſchickten 
Minones zurück und brachten drei Offiziere mit: 
Triſtany's Adjutanten und zwei ehemalige Lieute— 
nants ſeiner Bande, die ſämmtlich vor Kurzem durch 
de Eſpana in ein Depot, unter Aufſicht (de cuar- 
tel), geſchickt worden. Eine durch zehn Minuten ver— 
ſammelte Unterſuchungs-Commiſſion verhörte, überwies 
und verurtheilte ſie; dann ſandte der General ihnen 
einen Beichtvater zu, und am nächſten Morgen wurden 
ſie auf dem Exerzierplatze vor Caſerras, in Gegenwart 
ſämmtlicher Truppen fuſillirt. Er ſelbſt war zugegen, 
ſein ganzer Generalſtab, alle im Hauptquartier anwe— 
ſenden Offiziere und Beamte mußten ebenfalls bei— 


wohnen. Als der Moment gekommen war, hielt de 
Eſpana eine Anrede an die Truppen, erzählte ihnen 
kurz die Geſchichte des Verbrechens, und ließ Feuer 
geben. Nachdem ſie gefallen, entblößte er ſein Haupt 
und wandte ſich zu ſeinem Gefolge: „Meine Herren, 
beten wir zu Gott für die Seelen der Verſtorbenen.“ 
Den ganzen Tag war er verſtimmt; als wir Nach— 
mittags am Heerde der Küche ſaßen, kamen Thränen 
in ſeine Augen, und er ſagte ein paarmal, mit halb— 
lauter Stimme, vor ſich hinblickend: encore trois. 
Ungefähr zur ſelben Zeit wurden einige Soldaten 
eingefangen, die, als Marodeurs zurückgeblieben, kleine 
Diebereien verübt hatten. Unter ihren Waffen befan⸗ 
den ſich die bereits erwähnten Cuchillos; eines war 
eingeſägt. Bei dieſem Anblicke gerieth der General in 
ſo ungemeſſenen Zorn, als ich ihn früher nie, ſelbſt 
nicht beim eben angeführten Vorfall, geſehen. Ich 
glaube, wenn die Inculpaten vor ihm geſtanden hät— 
ten, er würde ſie ſelbſt niedergeſtochen haben. So— 
gleich ward Generalmarſch geſchlagen, die Garniſon im 
Carré formirt, und der unglückliche Beſitzer des dente— 
lirten Meſſers in die Mitte geführt. Es wurde ihm 
mit Stricken, einem Pferdgebiß gleich, in den Mund 


239 


gebunden, und fo ſollte er, durch 200 Mann, zehnmal 
Spießruthen laufen. Nach den erſten Gängen fiel er 
halbtod hin und wurde weggetragen. De Eſpaña 
empfahl den Chirurgen die größte Sorgfalt, und als 
nach einigen Tagen der Sträfling gehen konnte, ward 
er mit demſelben Ceremoniell, das bei ſeiner Züchti— 
gung angewendet worden, todgeſchoſſen. Seine Spieß— 
geſellen, die ungeſägte Meſſer geführt hatten, kamen 
mit Spießruthen davon. 

Doch genug von dieſen ſchauderhaften Scenen, 
auf die ich nur mit Widerwillen zurückkomme. Ein 
anderes Bild, ſeltſamer, faſt wehmüthiger Natur, iſt 
mir noch im Gedächtniß und mag zur Complettirung 
der Skizzen über den Grafen de Eſpana, hier Platz 
finden. — Bei der vorſchnellen Uebergabe von Sol— 
fona war mit der Garniſon ihr Chef, Oberſt Mon— 
deden, gefangen worden und ſchmachtete im Caſtell 
von Barcelona. Wir waren auf dem Punkte, einen 
Austauſch von Gefangenen vorzunehmen; da kam 
Mondedeä's Gattin, warf ſich dem General zu 
Füßen und beſchwor ihn, ihren Mann in der Conven— 
tion zu begreifen. Es war eine junge, kaum ſechzehn— 
jährige Portugieſin, klein und ſchlank, mit moresken 


240 


Geſichtszügen und glühenden Augen. Ihre ſüdlichen 
Formen, das vollkommene Ebenmaß ihrer Glieder, 
gaben ihr einen beſondern Reiz, wie, in Thränen auf— 
gelöſt, an die Knie des alten Mannes geſchmiegt, ſie 
flehend zu ihm aufblickte. De Eſpama war in ficht- 
licher Verlegenheit, bat, tröſtete im liebenswürdigſten, 
ſanfteſten Ton; Alles vergebens; ſie wollte nicht auf— 
ſtehen, bis der General fein Wort als Edelmann (pa- 
läbra de Caballero) gegeben; doch damit ſchien er 
nicht heraus zu wollen. Endlich glaubte auch ich, 
ausnahmsweiſe fürſprechen zu müſſen, und nannte den 
Namen eines in Carall befindlichen chriſtiniſchen Ober— 
ſten, der gegen Mondeden ausgewechſelt werden 
könnte; doch ein ſtrenger Blick de Eſpanña's ſchloß 
mir den Mund. — Bei allem Aufwande von Galan— 
terie, die ſchöne Frau zu tröſten, blieb er unerbittlich; 
er lud ſie zu Tiſche, gab ihr den Arm, legte ſelbſt 
ihr die beſten Stücke vor; doch wie ſie von ihrem 
Manne zu ſprechen anfing, fiel ihr der General mit 
kläglicher Miene in's Wort: „Um Gott! Seßora, 
kränkt mich doch nicht ſo.“ Als wir endlich allein 
waren, verſicherte er mich, ſchon lange nicht fo viel 
gelitten zu haben; „ich kann,“ ſchloß er, „den Oberſt 


241 


Mondedeu nicht auswechſeln; denn ich müßte ihn 
für die elende Vertheidigung von Solſöna vor ein 
Kriegsgericht ſtellen und erſchießen laſſen; das Beſte 
für ihn iſt alſo, daß er gefangen bleibt. Doch ſeiner 
Frau konnte ich das freilich nicht ſagen.“ “) 

Die aufgehobene Belagerung von Morella „der 
Sieg bei Maella über Pardinas und die Einnahme 
von Caspe, hatten Cabrera ein ſo entſchiedenes 
Uebergewicht gegeben, daß eine größere Operation, in 
combinirter Mitwirkung mit ihm, ein Lieblingswunſch 
de Eſpanña's zu fein ſchien. Weit entfernt von jener 
Eiferſucht, die bei ſpaniſchen Generalen ſo gewöhnlich 
iſt, vernahm er ſtets mit Freude die Siegesbotſchaften 
des jungen Feldherrn, und ſandte ihm in den erſten 
Tagen Oktober einen Offizier mit ausgedehnten Voll— 
machten, eine Vereinigung beider Truppencorps oder 
mindeſtens eine Zuſammenkunft der zwei Generale zu 
beſprechen. Er ſchrieb an Cabrera: „Ich zähle ſo 
viel Jahre als General-Lieutenant, als E. E. an 
Leben, und doch werde ich mich freudig mit meinen 


*) Mondeden ward 1839 durch Cabrera eingelöft und 
de Eſpanña reclamirte ihn nicht. 
II. 16 


242 


Truppen unter die Befehle des ſiegreichen Feldherrn 
ſtellen, den die Vorſehung zum Inſtrument ihrer 
Plane auserſehen zu haben ſcheint.“ Zwei detaillirte 
Vorſchläge, die auch ſpäter de Eſpana Herrn 
von Rahden mitgab, waren dieſem Briefe beige— 
fügt. Der erſte lautete dahin, daß zwei Diviſionen 
Cabrera's den Ebro bei Flix paſſiren, ſich links 
gegen Lerida wenden und — in Vereinigung mit einer 
cataloniſchen Diviſion, die bereits bei Ager, auf dem 
Höhenrücken zwiſchen dem Segre und dem Nogueras 
Ribagorzana, eine feſte Stellung genommen hätte, — in 
das Obere Aragon einrücken und die Verbindung mit 
Navarra eröffnen ſollten. Das feindliche Armee-Corps 
unter van Meer, als das einzige disponible, hätte 
unmittelbar dagegen operiren müſſen, und de Eſpaña 
mit den drei übrigen Diviſionen ſich ſofort auf deſ— 
fen Communicationen geworfen. — Der zweite Vor- 
ſchlag war vielleicht mehr auf das ſpezielle Intereſſe 
der Operationen in Catalonien berechnet: Cabrera 
ſollte den Ebro bei Kerta oder Mora de Ebro paſſiren, 
ſich ſogleich auf das offene Reus, eine der reichſten 
cataloniſchen Küſtenſtädte, werfen, und dann im Ver⸗ 
eine mit der Diviſion Nba ez (el Llarj de Copons), 


243 


im Felde von Tarragona, operiren. Ehe van Meer 
zu Hülfe eilen könne, müßten Reus genommen, und 
die reichſteu Capitaliſten als Geißel nebſt den dort 
aufgehäuften Kriegsvorräthen abgeführt werden. De 
Eſpana würde dann ſeinerſeits, mit ſeinen übrigen 
Truppen, über van Meer herfallen, der nur mit 
getheilten Kräften auftreten könnte. 

Dieſe beiden Pläne ſind an vielen Gründen 
geſcheitert, vielleicht auch an der Abneigung Cabre— 
ra's, über den Ebro zu ſetzen und mit ſeinen Trup— 
pen an deſſen rechtem Ufer zu operiren, da er immer 
mehr nach dem Süden oder nach Madrid, dem Her— 
zen der Monarchie hin, getrachtet hat, und nur die 
äußerſte Nothwendigkeit ihn vermochte, als Alles ver— 
loren war, ſich in der letzten Zeit unſers Kampfes 
nach Catalonien zu wenden. 

Der Herbſt rückte indeſſen heran, und mit ihm 
der, von de Efpafia zur Eröffnung der Feindſelig— 
keiten auserſehene Moment. Als er zuerſt dem Fi— 
nanz = Intendanten davon ſprach, und um den Zuſtand 
der Kriegscaſſen ſich erkundigte, klagte dieſer über 
Geldnoth. Doch konnte eine ſolche Rückſicht de 
Eſpana nicht zurückhalten; auch verſprach er ihm 

16 * 


244 


baldigſt abzuhelfen, und fragte nur, welche Summe 
etwa fehle und zur nächſten Auszahlung der Truppen 
nöthig ſei. Oberſt Camps erhielt den Befehl einen, 
mit den Gebirgsſtrichen des Obern Aragon vertrauten 
Offizier und einige Reiter in's Hauptquartier zu ſen⸗ 
den, welchen der General geheime Befehle gab. Als 
nach etwa zehn Tagen Niemand mehr an dieſen Gegen— 
ſtand dachte, traf die kleine Streifpartei unvermuthet 
eines Mittags in Caſerras ein; ſie brachte zwei reiche 
aragoneſiſche Edelleute mit, die ſie auf ihren Landſitzen, 
in der Umgegend von Zaragoza, auf mehr als ſechzig 
Leguas vom Hauptquartier, mitten in feindlichen Be⸗ 
zirken, bei Nacht heimlich aufgehoben und auf Maul⸗ 
thieren in Eile mitgeführt hatte. Die beiden Gefange⸗ 
nen, Namens Pitarque und Peralta, waren 
die friedlichſten Menſchen, und nicht die geringſte 
Theilnahme für eine oder die andere der kriegfüh— 
renden Parteien ihnen vorzuwerfen. Sie wurden 
vom General ſehr artig aufgenommen; er beklagte ihr 
Mißgeſchick, ließ ſie, durch die ganze Zeit ihrer Haft, 
aus ſeiner Küche beköſtigen und gab ihnen ein paar 
Minones zur Bedienung und Aufſicht. Als fie um 
den Grund dieſer gewaltſamen Entführung frugen, 
wies de Efpafia fie an den Intendanten, wobei er 


ſehr über Mangel und Entbehrungen im Heere jam— 
merte. Der Intendant aber erklärte ihnen trocken, 
daß ein jeder der beiden Herren ein Löſegeld von 
10,000 Piaſter (etwa 50,400 Frances) als Anlehen 
entrichten müßte, worauf ſie ſogleich in Freiheit geſetzt 
werden ſollten. Eine gehörige Schuldverfchreibung, 
Seitens der königlichen Intendantur, werde ihnen 
ausgeſtellt, und nach Beendigung des Kriegs der 
vollſtändige Betrag aus den Staatscaſſen zurückgezahlt 
werden. Obgleich die beſtürzten Aragoneſen nicht viel von 
der Güte der angebotenen Schuldverſchreibung halten 
mochten, mußten ſie ſich dennoch in das Unvermeidliche 
fügen, zogen Wechſel auf einige Häuſer in Barcelona, 
und wurden, nachdem der Betrag in Frankreich in fichere 
Hände deponirt worden, fogleich bis in ihre Heimath 
zurückgeführt. Dieß hatte mehrere Wochen gewährt, 
während welchen ſie ſich vollkommen in ihre neue Lage 
gefunden zu haben ſchienen; ſie aßen oft beim General 
und ſprachen nie von ihrer Angelegenheit, da ſie wohl 
wußten, dieß ſei ganz fruchtlos. 

In Auswegen dieſer Art, Geld zu ſchaffen, war 
Graf de Efpana unerſchöpflich. Er kannte ſehr 
wohl ihre nicht ganz lautern Seiten, bedauerte ſehr 
darauf gewieſen zu ſein; doch entſchuldigte er Alles 


246 


mit den Bedürfniſſen des Heeres, die feder übrigen 
Rückſicht vorgehen müßten, und mit der Nothwendig— 
keit, den uns ergebenen Gegenden Erleichterung zu 
verſchaffen. Oft meinte er, lieber ſelbſt ſtehlen als 
zugeben zu wollen, daß, durch Elend dazu getrieben, 
ſeine Soldaten es thäten oder gar kümmerlich zu Grunde 
gingen, und er fand es weit paſſender, reiche Leute 
zu Zwangsdarlehen (emprestitos forzosos, dieſer in 
den ſpaniſchen Finanz-Operationen fo allgemein ge- 
wordene Ausdruck) zu nöthigen, als einem armen 
carliſtiſchen Gebirgsdorfe die letzte Heerde wegzutreiben. 

Beſonders lauerte er jenen Geiſtlichen auf, die 
unter dem Schutze vom Feinde beſetzter Plätze, ſich der 
Entrichtung des Zehents entzogen, welches, einem päbſt— 
lichen Breve zufolge, ſie als Kriegsſteuer in die könig⸗ 
lichen Caſſen zu zahlen verpflichtet waren. De Eſpaña 
machte förmlich Jagd auf ſie, war in Liſten zu ihrer 
Einfangung unübertrefflich, und wenn er eines der- 
ſelben habhaft ward, ſo ließ er ihn beſtimmt nicht 
eher los, bis der letzte Maravedis der rückſtändigen 
Schuld nachgetragen, und wohl noch irgend eine milde 
Gabe für die Soldaten hinzugefügt war. 

Noch muß ich des Pfarrers von Valſarén gedenken, 
den auf eigene Art ein ſolches Los traf. Dieſer Geiſtliche 


247 


hatte feit mehreren Jahren ſich oftmals vergeblich 
mahnen laſſen, auf die Garniſon feines Ortes pochend. 
Da traf es ſich, daß der Pfarrer eines benachbarten 
Dorfes, auf geringe Entfernung von Valſarén, zum 
Kirchweihfeſte ſeine Collegen zu ſich gebeten hatte. 
Als eben alle Gäſte bei Tiſche ſaßen, erſchien ein 
Detachement Reiter, umzingelte das Haus, und führte 
den Pfarrer von Valſarén, der ſich unvorſichtiger 
Weiſe auch darunter befand, nach Caſerras ab. De 
Eſpana behandelte ihn mit aller Schonung und 
Achtung; er verſicherte den armen Cura, dieß gehöre 
durchaus nicht vor ſein Forum, ſondern müſſe von 
den geiſtlichen Behörden entſchieden werden. Der Ge— 
neral= Feldsicar Sort und der Domherr Torrebas 
della, des Generals gewöhnliche geiſtliche Begleiter, 
übernahmen fofort ihren vecaleitranten Amtsgenoſſen, 
und verurtheilten ihn, nicht nur die rückſtändigen Ab⸗ 
gaben zu entrichten, ſondern auch zur Strafe ſeiner 
Saumſeligkeit zweihundert Hemde und Säcke (moral, 
ſtatt Torniſter von den carliſtiſchen Soldaten getragen) 
zu zahlen. Nachdem dieß geſchehen und der Pfarrer 
in ſein Kirchſpiel zurückgekehrt, ließ de Eſpama feiner 
Rache an ihm noch Luft, indem er in unſerer zu 


248 


Berga erſcheinenden Zeitung, el Restauradör Cata- 
lan (früher el Joven Observador genannt), ver— 
öffentlichte: der würdige Pfarrer von Valſarén, obwohl 
von Rebellen umgeben, habe ihnen getrotzt und ſich 
freiwillig ins Hauptquartier verfügt, durch Einzahlung 
der ſchuldigen Abgaben und großmüthige Geſchenke an 
das königliche Heer einen Beweis ſeiner royaliſtiſchen 
Grundſätze abzulegen. Einige wollten dem General 
bemerklich machen, dieſer Artikel, im feindlichen Haupt⸗ 
quartier geleſen, könne für den Pfarrer von ernſten, 
peinlichen Folgen ſein, doch war er nicht abzubringen 
und meinte, ein revolutionärer Pfarrer fei die fcheuß- 
lichſte Mißgeburt, und verdiene keine Rückſicht. 
Endlich ſollte aufgebrochen werden. De Eſpana 
wählte hiezu den vierten November, als den Namens- 
tag des Königs. Wenige Tage zuvor war die Ankunft 
der Prinzeſſin von Beyra auf ſpaniſchen Boden, und 
gleich darauf ihre Vermählung mit dem Könige (durch 
Procuration mit dem Marquis de Obando zu Salz⸗ 
burg am zweiten Februar, und vollzogen zu Azcoitia 
am zwanzigſten Oktober 1838) uns bekannt geworden. 
De Eſpanña ließ dieſe Nachricht mit Te Deum und 
Revue der Truppen begehen, und wollte ſie zugleich 


benützen die mit allerlei Arreſtanten gefüllten Gefäng- 
niſſe von Berga und Caſerras zu leeren, da ihre 
Ernährung in erſterem Platze eben ſo ſchwierig wurde, 
als nach unſerem Abmarſche ihre Bewachung in Letz— 
terem unmöglich. — Ein Feind aller weitläufigen Pro— 
cedur, ließ er daher eines Morgens ſämmtliche Ineul— 
paten, unter Bedeckung, auf dem Exercier-Platze bei 
Caſerras in zwei Reihen aufſtellen und hielt einen, 
in ſeiner Art gewiß einzigen Gerichtstag. Von ſeinem 
Generalſtabe und dem Perſonal der Militair-Commiſ— 
ſion begleitet, ſchritt der General von Einem zum 
Andern. Verhör und Urtheil dauerten nie länger als 
fünf Minuten, meiſt viel weniger. Es waren im 
Ganzen 156 Gefangene, darunter einige Greiſe, die 
kaum gehen konnten, und mehrere liederliche Weiber, 
die ohne Ausweis in Caſerras und Berga ſich herum— 
getrieben hatten. Die Meiſten waren Alcalden und 
Bauern, mit den Steuern rückſtändiger Ortſchaften; 
die wurden mit einem derben Verweiſe entlaſſen. Einem 
neunzigjährigen, des Spionirens verdächtigen Greiſe 
ſagte der General: „Mein Vater, Ihr ſeid zu alt 
und dem Grabe zu nahe, um ein ſo ſchlechtes Hand— 
werk zu treiben; geht nach Hauſe und betet lieber.“ 


250 
Dann gab er ihm einige Piaſter. Ein paar Burſche, 
die auf unrechten Wegen ertappt, ſich nicht legitimiren 
konnten und auch für Spione gehalten wurden, und 
einige National-Garden ſchickte er nach Carall als 
Kriegsgefangene, um ſie gelegentlich auswechſeln zu 
können. Drei Maulthiertreiber, die mit Armee - Pry= 
viant durchgegangen waren, wurden jeder zu hundert 
Stockſtreichen verurtheilt, die ſie auch ſogleich erhiel— 
ten. Den Weibern wurde das Haupt geſchoren (rapar, 
eine in Spanien für derlei Volk gewöhnliche Strafe), 
worauf der General ſie, zum großen Gelächter aller 
Soldaten, bis vor die Vorpoſten wegjagen ließ. End— 
lich kam man zu drei Bauerknechten, worunter ein 
Cretin; ſie waren aus den Gebirgsthälern bei Cam— 
predon und überwieſen, einen carliſtiſchen Stabsoffizier, 
dem ſie als Guiden über die Grenze dienten, nebſt ſei— 
nem Diener ermordet zu haben. Die vollſtändigen Be— 
weiſe hatten bis dahin gefehlt, weßhalb ihre Hinrichtung 
unterblieben war. Der General ließ mit großen Buch— 


2 8 


ſtaben auf Bögen Papier „Asesino” ſchreiben, ihnen 
dieſe umhängen, ſie vor allen Truppen herumführen und 
dann rücklings fuſilliren. Nach kaum mehr als zwei 


Stunden war das lit de justice beendet und Niemand 


251 


mehr in den Gefängniſſen. Von dem ſchauderhaften Zu— 
ſtande, in dem dieſe Leute ſich befunden hatten, kann 
man ſich kaum einen Begriff machen. Abgemagert, 
bleich und eingefallen, von Ungeziefer verzehrt, waren 
fie nur mehr mit faulenden Lumpen kaum nothdürftig 
bedeckt, und Vielen hätte das paradieſiſche Feigenblatt 
Noth gethan. Ich habe nie ein ſo gräßliches Bild 
menſchlichen Elends geſehen. 

Am vierten November Nachmittags verließen wir 
alſo Caſerras, bloß der Generalſtab und Minones 
folgten dem General; mir war wieder wohl mich auf 
dem Marſche zu befinden, denn aller Thätigkeit des 
Hauptquartiers ungeachtet, war das Leben doch ſehr 
einförmig geweſen. Drei Stunden lang zogen wir 
durch die Ebene, dann über eine enge Schlucht, an 
deren Höhe Monblanch, ein großes Dorf lag. Gegen 
Sonnenuntergang kamen wir in ein enges, langes 
Thal, wo wir 6 Bataillons, 5 Feldgeſchütze und 
120 Pferde bereits bivouaquirend trafen. Mitten im 
Thale ſtand ein einzelnes Feldwirthshaus, im übri— 
gen Spanien venta, in Catalonien hostal genannt 
(etwa wie man in Schleſien Kretſcham ſagt). Dieſes 
hieß hostal del Visbe (vom Biſchof); der General 


ſchlug fein Hauptquartier darin auf. Die Truppen, 
die im Thale und an den beiden Lehnen eine Menge 
Feuer angemacht hatten, kochten in den blechenen 
Kochgeſchirren, die de Eſpana vor Kurzem, je für 
zwölf Mann eines, eingeführt hatte. Sie wurden 
gut rationirt, Brod, Speck, Reis, Kartoffeln, Boh— 
nen und Salz ausgetheilt. Dieſe Kochgeſchirre wieſen 
ſich als vortrefflich aus; früher liefen die Sol— 
daten in die Häuſer, ſtahlen die Töpfe der Bauern, 
aßen ſchlecht uud verübten Unordnungen. Dem war 
nun geſteuert. f 

Am nächſten Morgen verließen wir das Bivonac 
erſt um ſieben Uhr, da es ſchon anfing ſpät licht zu 
werden und der General das feindliche Terrain und 
die ſchlechten Steige, die wir zu paſſiren hatten, 
nicht im Dunklen betreten wollte. In einer reich 
bewäſſerten Ebene ward über Gargaglia und Sorba 
am Ufer der Ayguadora marſchirt. Wir waren nur 
mehr auf / Stunden von Cardona, das wir, die 
Umgegend dominirend, am Ausgange des Thales 
erblickten. Nach Ueberſteigung eines Bergrückens und 
4½ ſtündigem Marſche kamen wir an's Ufer des Car- 
denet und nahmen oberhalb der Brücke von Golorons 


253 


Poſition, an einem durch die Natur zu einer formi— 
dablen Stellung geſchaffenen Orte. Zu unſerer Linken 
lag ein Dorf, Clariana, gerade vor uns, die Haupt— 
ſtraße, die von Cardona nach Soljona führt. Jetzt 
erſt wurde bekannt, daß es auf den Angriff einer feind— 
lichen Colonne abgeſehen ſei, die zur Raspitaillirung 
des letztern Ortes mit bedeutendem Convoi erwartet 
wurde. Entweder wollte ſie auf der Heerſtraße vor— 
rücken und mußte dann den Diviſionen Pbanñez und 
Porredon in die Hände fallen, die der General— 
Capitain in die Sierra de Berguz (oder Vergos) beor— 
dert hatte, von wo ſie alle Engpäſſe, durch welche die 
Chauſſee ſich ſchlängelt, dominiren konnten; oder ſie 
ſchlugen die rechte Nebenſtraße ein, die bei der Brücke 
von Golorons über den Cardenet führt, in welchem 
Falle auch nicht Ein Mann entkommen konnte. Ober— 
halb der Brücke erhebt ſich das Terrain terraſſenförmig, 
bis zu einem platt abgeſtumpften Kegel; auf den ver⸗ 
ſchiedenen Schichten wurden die Baracken der Bivouacs 
etablirt, ein großer Theil noch im Stande vorgefunden, 
da ſchon öfters einzelne Guerillas hier verweilt hatten. 
Auf dem, direct die Brücke überragenden Punkte ſtellte 
der General-Capitain die fünf Geſchütze auf; er 


ſelbſt und ſein Gefolge bewohnten ein kleines Gebäude, 
das die Platte des Kegels krönte. Gegen Abend ver— 
nahmen wir durch einige Zeit ziemlich anhaltendes 
Feuern in der Gegend der Heerſtraße; es mochte auf 
drei Stunden Entfernung ſein. Wir konnten alſo 
über die Ankunft unſerer zwei Diviſionen an den bezeich— 
neten Punkten beruhigt ſein; doch hoffte de Eſpañ a 
der Feind werde ſich nicht in die Defileen der großen 
Straße wagen, beim Beginn des Angriffs zurückweichen 
und die zweite Straße einſchlagen, wodurch er in der 
nämlichen Nacht oder ſpäteſtens am nächſten Morgen 
uns zufallen mußte. Deßhalb verblieben wir ruhig 
in unſern feſten Stellungen, was ſehr zu bedauern 
war, da ein unverzügliches Vorrücken bis zur Chauſſee 
uns nothwendig in den Stand geſetzt hätte, den Feind 
zugleich von allen Seiten anzugreifen, ſeine nahe an 
8000 Mann ſtarke Colonne gänzlich aufzureiben, und 
uns ſeines reichen Convois zu bemächtigen. Das 
ohne denſelben unhaltbare Solſöna hätte ſofort dann 
capituliren müſſen. Ich will mit dieſen Worten ja 
keinen Tadel auf meinen kriegserfahrenen Chef werfen, 
ſondern drücke hier blos ein Urtheil aus, das er 
ſpäter ſelbſt gefällt. 


255 


Um zwei Uhr Morgens kam die Nachricht, daß 
Porredon und Ybaßez den Feind vergeblich durch 
mehrere Stunden harcelirt, ihm zwar beträchtlichen 
Schaden zugefügt hatten, jedoch ſein Eindringen bis 
Solſöna und die Rettung des Convois nicht zu ver— 
hindern vermochten. Unſere Diviſionen hatten der von 
Baron van Meer in Perſon angeführten Colonne, 
bis unter die Mauern von Solfona, auf dem Fuße 
gefolgt und dann auf einer Stunde von dieſem Platze 
in dominirender Stellung beim Dorfe Clara ihr Bi— 
vouae aufgeſchlagen. Der Hauptzweck unſerer kleinen 
Expedition war ſonach verfehlt; doch blieb noch immer 
die Möglichkeit, den aus Solſöna zurückkehrenden 
Feind anzugreifen und in den Engpäſſen zu vernich⸗ 
ten. Auch ſcheint es nicht unwahrſcheinlich, daß Graf 
de Eſpana vielleicht großentheils darauf bedacht war, 
den Gehorſam feiner Häuptlinge zu prüfen und zu 
ſehen, ob ſie ſich auf ſeinen erſten Wink, aus den 
entfernteſten Theilen der Provinz, zur gegebenen Zeit, 
am rechten Orte einfinden würden; eine Aufgabe, der 
bekanntlich keiner ſeiner Vorgänger gewachſen war. 
Um zehn Uhr Morgens verließen wir das Bivouac, 
zogen über die Brücke von Golorons, durch Schluchten 


und über fteile Bergrücken, an der Rectoria de Nine 
vorbei, im Angeſichte von Solſöna, auf eine Stunde 
von dieſem Orte, und bivouaquirten auf einem von 
Bäumen umgebenen Plateau, das von der Natur zu 
dieſem Zwecke beſtimmt ſchien. Ein einzeln ſtehendes 
Schloß mit weitläufigen Dependenzien nahm wieder 
den General-Capitain und ſein Gefolge auf. In 
Kurzem war der halbe Wald herum, unter den Aexten 
der Sappeurs gefallen, den um das Schloß bivoua— 
quirenden Truppen Feuer zu geben. De Eſpam a 
liebte, beſonders bei gutem Wetter, die Truppen bivoua⸗ 
quiren zu laſſen; doch dehnte er dieſe Neigung nicht 
auf ſich ſelbſt aus, und zog meiſt vor, unter Dach und 
Fach zu liegen. Er meinte, er habe in ſeiner Jugend 
genug campiren müſſen. Uebrigens that er gewiß ganz 
wohl daran, da eine Erkältung oder ein Gichtanfall 
die Catalonier um ihren Chef bringen oder mindeſtens 
die Operationen lähmen konnte. ö 
Am 7. Morgens trafen Mbanez und Porre— 
don im Schloſſe Martina, unſerem Bivouac, ein. De 
Eſpanqa umarmte Beide zärtlich und lobte fie ihrer 
Pünktlichkeit wegen. Des langen Mbanez treuherzig 
ehrfurchtvolles Weſen, wenn er, zum General berab- 


257 


gebogen, beſtändig mit dem Kopfe nickend, aufmerkſam 
zuhörte, bot einen merkwürdigen Contraſt zur ſtäm— 
mig dickligen Figur des rothhaarigen Porredon, 
deſſen kleine Augen unſtet umherrollten und Niemand 
recht zu trauen ſchienen. Mbañez hatte zwei Adju— 
tanten bei ſich, die beinahe ſo lange wie ihr Chef, er 
gewiß mit Willen von ſolcher Größe ausgeſucht hatte. 
Porredon folgten ſeine drei Söhne, abſcheuliche Ableger 
ihres rothen Erzeugers. Dieſe drei kleinen Burſche ſchie— 
nen unter den ſchwarzen Spaniern förmlich zu brennen. 

Nach einem kurzen Frühſtück, bei dem ich mit 
Porredon eine rührende Wiedererfennungs = Scene 
gefeiert (aus Barbaſtro und der Schlacht bei Gui— 
fona wird er vielleicht meinen Leſern im Gedächtniß 
geblieben ſein) ward aufgebrochen. Bei Freyſinet, 
auf eine Stunde vom Bivouac, campirte die Ca— 
vallerie auf einem ziemlich breiten Bergplateau und 
in Su, einem großen Marktflecken, zwei Stunden 
weiter, trafen wir die Bleſſirten vom geſtrigen Tage. 
Nach drei Viertelſtunden ſtießen wir auf die Truppen 
der beiden, oben erwähnten Häuptlinge, im Ganzen 
neun Bataillons und vierzig Pferde; zuſammen unge— 
fähr 5000 Mann, da Porredons Bataillone zwar 

II. 17 


258 


— 0 


meiſt ſchwach, die des Mbanez hingegen von unver- 
hältnißmäßiger Stärke waren. Abends langten wir 
bei den Torres de Berguz (Vergos) an, in der Sierra 
de Boxadera, eine halbe Stunde von Cardona, dem 
feſteſten Punkt in Catalonien. Cardona, auf einen 
iſolirten Felskegel gebaut, dominirt die Umgegend und 
iſt der eigentliche Schlüſſel der ganzen Gebirgskette. 
Bedeutende Salzbergwerke, in ihrer Qualität und 
Ausbeute nur mit denen von Wieliczka in öſterreichiſch 
Galizien vergleichbar, liegen im Bereiche der Kanonen, 
welche, 56 an der Zahl, durchaus bronzene Vierund⸗ 
zwanzigpfünder, die Feſtung vertheidigen. Mit Sehn— 
ſucht blickten wir auf das ſchöne Caſtell, ein Meiſter— 
ſtück militäriſcher Baukunſt, die Hauptſtütze des Fein⸗ 
des in dieſem größtentheils den königlichen Waffen 
unterthanen Theile Cataloniens. Cardona war für 
uns unerreichbar; es ward nie genommen, weder im 
Succeſſionskriege (da erſt der Utrechter Friede dieſe 
Feſtung, auf der bis zuletzt die öſterreichiſche Flagge 
geweht, den Generalen Philipp's V. übergab), noch 
im Unabhängigkeitskriege, in welchem die Franzoſen nie 
Herren derſelben werden konnten. 

Unſer Chef des Generalſtabs, Oberſt Perez 


Davila, früher Gouverneur von Cardona unter Ferdi— 
nand VII., war eben damit beſchäftigt, uns den Plan und 
die Stärke dieſer Feſtung auseinander zu ſetzen, als, von 
einem Detachement Reiter Cabrera's begleitet, drei 
Männer auf Maulthieren bei uns eintrafen. Der eine, 
ein hoher Siebziger, ſaß auf orientaliſche Weiſe, mit unter— 
ſchlagenen Beinen, auf einem thurmhohen, bettförmigen 
Sitze. Es war der Staatsrath Marco del Pont, 
unſer Finanzminiſter während der letzten Zeit, der eben 
von einer kleinen Inſel (ich glaube Plana oder Ta— 
barca), nicht weit von Alicante, kam, wo er ſeit Anfang 
des Krieges verborgen gelebt hatte. Er begab ſich 
nach dem Hoflager, ſoll früher einen großen Theil 
ſeines bedeutenden Vermögens dem Könige und der 
königlichen Familie zum Opfer gebracht haben, und 
ein redlicher Mann ſein. Ich habe ihn nur durch 
zwei Tage geſehen, doch iſt mir in Erinnerung geblie— 
ben, daß er mit großer Sicherheit radicale Verände— 
rungen verſprach, wenn er nur einmal im Hoflager 
angelangt ſein würde. Er hat, ſo vielen Andern gleich, 
nichts bewirkt. Viele wollen ihm Doppelzüngigkeit und 
Achſelträgerei vorwerfen; ſo viel ſcheint gewiß, daß 
jene in allen öffentlichen Blättern oft erwähnte un⸗ 
1 


glückliche Correſpondenz des Königs mit Arias-Tei— 
jeiro durch ſeine Hände ging, als ſich dieſer Ex— 
miniſter in Cabrera's Hauptquartier befand. Die 
Animoſität und alle üblen Folgen, die einige dieſer 
Briefe hervorbrachten, welche durch Eſpartéro auf- 
gefangen, an Maroto geſchickt wurden, find be— 
kannt genug. 

Abends ſchlugen die Sappeurs der Bataillone 
Baracken auf, und die ſämmtlichen Truppen bivoua— 
quirten am Abhange der Sierra in Ausdehnung einer 
Meile, Cardona gegenüber. Einige hundert Feuer 
brannten bei einbrechender Nacht. Zwei Signal— 
Schüſſe von Cardona kündeten den benachbarten feind— 
lichen Garniſonen unſere Anweſenheit an, und wie 
Nachhall hörten wir in weiter Ferne San Pedor und 
Manreſa fie wiederholen. Bald erhöhte eine ſternenhelle 
Nacht den Zauber dieſer romantiſchen Gegend. Rieſen— 
mäßig ſtreckte der Monſerrat ſeine felſigen Gipfel 

über alle Berge und Sierren und ſchien mehr vom 
| Firmamente als von der Erde umgeben. Alle Trup- 
pen mußten vor das Bivouac treten und das Gewehr 
präſentiren; alle Trommeln wirbelten, die Muſikeorps 
fielen klingend ein und mit lauter Stimme, entblößten 


261 


Hauptes, rief der General-Capitän: „Catalonier, 
beten wir zur Schutzpatronin unſeres Landes, zu U. 
L. F. vom Monſerrat.“ Faſt im ſelben Augenblicke 
loderten auf den Höhen, die unſern Horizont begrenz— 
ten, zwiſchen Caſtell Adrall und Suria, zahlreiche 
Feuer in langen Linien. Es war das Aufgebot der 
Somatenen, die mit Jagdflinten, Carabinern, Spießen 
und Senſen bewaffnet, 2000 Mann ſtark, auf den 
Ruf des greifen Brigadiers Samſö, eines der älte— 
ſten Häuptlinge der Halbinſel, ſich dort verſammelt 
hatten, dem Feinde, in uns entgegengeſetzter Richtung, 
den Rückzug abzuſchneiden, die Verbindung zwiſchen 
Cardona und Manreſa zu interceptiren, über Nach— 
zügler herzufallen und die feindlichen Couriere wegzu— 
fangen. Sichern Nachrichten zufolge, ſollte eine ſtarke 
feindliche Truppenabtheilung aus den Ebenen von 
Barcelona über San Pedor und Suria nach Cardona 
marſchiren, um Belagerungsgeſchütze in dieſer Feſtung 
zu deponiren, „ſie zu ſeinen weiteren Operationen 
näher zu haben,“ nach van Meer's Ausdruck in 
aufgefangenen Depeſchen. Es wurde uns unzwei— 
felhaft, daß es auf eine Demonſtration gegen Berga, 
vielleicht Belagerung dieſes Platzes, abgeſehen war. 


Täglich kamen viele Ueberläufer mit Waffen und 
Munition bei unſern Vorpoſten an; am neunten präs 
ſentirte ſich ſogar eine ganze Wache vom Regiment 
Albuhera, achtzehn Mann mit ihrem Unteroffizier. 
Zum Lobe der königlichen Truppen mag angeführt 
werden, daß die ganze Zeit über, während eines 
beſtändigen Contactes mit dem Feinde, auch nicht ein 
Mann deſertirte, indeſſen durch die fünf Tage, die wir 
vor Cardona campirten, über 80 feindliche Soldaten 
ſich bei unſern Vedetten meldeten, worunter Englän— 
der, Franzoſen, Deutſche und Italiener von der por— 
tugieſiſchen Legion (Cazadores do Oporto), die von 
pedriſtiſchen Dienſten in chriſtiniſche übergegangen; 
Abenteurer aller Nationen, in ihrer Anzahl ſchon ſehr 
geſchmälert und herabgekommen, die dem Schickſal 
der franzöſiſchen und engliſchen Hülfstruppen entgegen 
gingen, und beinahe gänzlich ausgerottet wurden. 
Ihr Chef, Borſo di Carminati (fuſillirt im October 
1841 zu Zaragoza, als in den O'Donnell'ſchen Auf- 
ſtand verwickelt) ein Piemonteſer und ſeit zwanzig Jah— 
ren in alle revolutionairen Händel verwickelt, war zwar 
wie ſeine Soldaten ein Abenteurer, ſoll aber übrigens 
ein tüchtiger Soldat geweſen ſein. 


263 

Am 10. ward eine kleine Recognoſeirung von 
8 Compagnien, 40 Pferden und 2 Feldgeſchützen bis 
unter die Mauern von Cardona geſchickt, die Gar— 
niſon herauszulocken. Unſere erſten Schüſſe wurden 
anfänglich nicht beantwortet, und erſt nach geraumer 
Weile ſchickte uns die ſtolze Citadelle vornehm ein 
Paar vierundzwanzigpfündige Kugeln, die in eine 
kleine Gartenmauer einſchlugen, hinter der unſere 
Vierpfünder beſcheiden aufgeſtellt waren. Die umher— 
fliegenden Steine verwundeten einige Artilleriſten. 
Endlich entſchloß ſich die Garniſon einen kleinen Aus- 
fall zu machen, vermuthlich um unſere Piecen weg— 
zufangen, da er doch ſonſt zwecklos geweſen wäre. 
Auch ſagte mir Oberſt Davila, auf das geöffnete 
Thor des Caſtells zeigend: „wenn ich noch Gouver— 
neur von Cardona wäre, ſtatt zu ſchießen oder aus— 
zufallen, würde ich mich jetzt ſchlafen legen.“ Klein- 
Gewehrfeuer, das bis zur einbrechenden Nacht dauerte, 
war das einzige Reſultat und koſtete beiden Theilen 
einige Todte und Verwundete. 

Am 11. Morgens erhielt der General-Capitain 
die Nachricht, daß die feindliche Colonne, von Manreſa 
aus, nach Barcelona zurückgekehrt ſei, einem Zuſam— 


264 


mentreffen mit uns auszuweichen. Dieſe Kunde ers 
regte allgemeine Unzufriedenheit, denn Alle hatten mit 
Ungeduld einer ernſten Affaire entgegengeſehen. Augen— 
blicklich ward aufgebrochen; nach drei Stunden Marſch 
kamen wir zum Dorfe Gargaglia zurück, und machten 
Halt. Die Truppen wurden am Saume eines Eichen— 
waldes im Carré formirt, der portative Altar aufge- 
ſchlagen, und der General-Feldvicar las die Meſſe; 
es war Sonntag. Hierauf wurde rationirt und nach 
einer Stunde der Marſch fortgeſetzt. Nachts bivoua— 
quirten wir zwei Leguas von Berga um einen großen 
Bauernhof herum, Canudas genannt, wo der General— 
Capitain ſein Hauptquartier aufſchlug. 

Am 12. Morgens zogen wir durch das Thalge— 
biet des Llobregat, ließen Berga und Caſerras links 
liegen und kamen Nachmittags nach Puig Reig. Die 
weitläufigen Gebäude des Malteſer Priorates, die ich 
von den Fenſtern meiner Wohnung bei Caſerras ge— 
ſehen, nahmen den General, ſein Gefolge, den Gene— 
ralſtab und die Minones auf; ſechs Bataillons ſchlugen 
Baracken in dem langen ſchmalen Thale auf, das 
von Puig Reig in der Richtung von Valſarén ſich 
ausdehnt. Es wurden Gaſſen alignirt, zwei Plätze 


265 


ausgeſteckt, Offiziers- und Cantine-Baracken deſignirt; 
bald hatte dieſes Bivouae das Anſehen eines Luſt— 
lagers; vom Balcon des Priorates nahmen ſich die 
langen Reihen zeltförmiger Hütten mit Laubwerk und 
Nadelholz gedeckt, und durch eine fußhohe Steinwand 
eingefaßt, ſehr zierlich und maleriſch aus. 

De Eſpana glaubte feſt an eine Belagerung 
Berga's und dachte die ſämmtlichen feindlichen Kräfte 
würden hiezu, combinirt mitwirken. Deßhalb hatte er 
die Poſition in Puig Reig genommen, welche die 
Ebene des Llobregat dominirte und die Heerſtraße, von 
Valſarén nach Berga, ſchließen konnte. Die erſte Divi— 
ſion, unter Porredon, wurde nach Gironella, auf 
drei Leguas von Berga gelegt; Mbanez mit feinen 
ſechs Bataillons cantonnirte in Caſerras, Avia, und 
umſchloß in engerm Halbkreiſe die Fläche, welche vor 
Berga ſich ausdehnt. Die Cavallerie, welcher bei dem 
großen Pferdemangel, de Efpana immer beſondere 
Rückſicht zuwandte, war in das Dorf Puig Reig, 
unmittelbar am Priorats-Gebäude, einquartirt, da es 
bei dem General ſtabile Regel war, die Infanterie 
ſo viel, die Cavallerie jedoch ſo wenig als möglich 
bivouaquiren zu laſſen. Die Concentration jo bedeu— 


266 


tender Kräfte würde der Umgegend von Berga ein 
lebhaftes Anſehen gegeben haben, wenn nicht das 
Niederreißen aller Gebäude, auf eine Stunde im Rayon 
der Feſtung, ein ſchreckliches Bild von Jammer und 
Zerſtörung uns täglich vor die Augen geführt hätte. 
Graf de Eſpana hielt dieſe harte Maßregel für 
nothwendig, dem Feinde ein längeres Verweilen vor 
der Feſtung, beſonders beim Eintreten der ſchlechten 
Jahreszeit, unmöglich zu machen. Höhere militäriſche 
Rückſichten mögen allerdings hier rechtfertigend ein— 
treten; doch blieb es nicht weniger herzbrechend, die 
ſtumme Verzweiflung dieſer unglücklichen Familien, 
ſonſt wohlhabender Landleute zu ſehen, wenn bei ihrer, 
auf dem Felde umherliegenden Habe ſtehend, ſie kummer— 
voll zuſahen, wie das Holz ihrer Dächer weggeſchleppt 
und ihre Mauern niedergeriſſen wurden. Wenige 
Wochen vorher hatte die Ebene von Berga ein blühen— 
des, reiches Anſehen gehabt. Ueberall waren Gärten 
und wohlbebaute Felder, mitten darin ſtanden große, 
maſſive Landhäuſer, ſeit Jahrhunderten in denſelben 
Bauerfamilien erblich, und nun, ſo weit das Auge 
reichte, nur Bilder von Ruinen und Zerſtörung. 
Dieſe alten ehrwürdigen Bauern werden nie aus mei— 


267 


nem Gedächtniſſe ſchwinden, wenn mit der Beredſam— 
keit des innerſten Schmerzes ſie den General-Capitain 
um Abwendung dieſes Fluches baten, der, meinten ſie, 
den königlichen Waffen kein Heil bringen könne: „wir 
ſind ſo gute Carliſten, als E. E., Herr,“ ſagte einer 
von ihnen als Wortführer, „ich bin in dieſem Hauſe 
geboren, mein Vater und alle meine Vordern ſind es 
auch; auch meine vier Söhne ſind hier geboren, von 
denen zwei in den carliſtiſchen Reihen fielen; meine 
zwei letzten Söhne fechten noch jetzt in denſelben. 
Sollte der Feind mein Haus betreten und Berga 
belagern wollen, ſo ſchwinge ich ſelbſt die Brandfackel 
und lege, der Erſte, Feuer an mein Haus. Aber 
Ihr dürft es nicht niederreißen, auf die bloße Muth— 
maßung hin; mein Haus iſt ein carliſtiſches Haus 
und ſoll Euch heilig ſein; legt Ihr Hand an, ſo iſt 
es Frevel und wird Euch zum Fluch.“ Wir waren 
Alle tief ergriffen über die ſinnvolle Rede, die mit 
herbem Ausdrucke der alte Bauer unerſchrocken dem 
gefürchteten General-Capitain hielt. Doch war Alles 
vergebens; der Graf de Eſpaña blieb feſt bei feinem 
Ausſpruche und alle Häuſer wurden niedergeriſſen. Ich 
habe viele Menſchen auf Schlachtfeldern fallen und 


außer denſelben niederſchießen ſehen, viele Gräuel mit 
erleben müſſen; doch die ſchrecklichſte, ich möchte bei— 
nahe ſagen unheimlichſte Erinnerung iſt mir von allen 
dieſe geblieben, die ich ſo eben niedergeſchrieben. 

Wir waren erſt ſeit einigen Tagen im Priorate 
Puig Reig einquartirt, als de Eſpana Nachts geweckt 
wurde; nach einer mehrſtündigen Unterredung mit einem 
alten Maulthiertreiber, unſerm beſten Spion, befahl 
der General-Capitain, ihm 25 Unzen Goldes (eirca 
100 Louisd'or) auszuzahlen, und ſchickte ſofort einen 
Adjutanten an den Brigadier Brujo, der mit der 
Reſerve ſich im Corregimente Vich befand. Am zweiten 
Morgen traf Brujo ein, und ward vom General 
nach Avia, auf eine Viertelſtunde von Berga, beordert; 
denſelben Vormittag ritten wir nach letzterem Orte; 
die ſämmtliche Garniſon mußte ausrücken; Niemand 
durfte zurückbleiben, vom Oberſten Pons, Gouver— 
neur von Berga, anzufangen bis zum letzten Tambour; 
nicht einmal die Schildwachen wurde zurückgelaſſen oder 
abgelöſt, nur die Artillerie und Fabriksarbeiter blieben, 
ſo daß während einer Stunde unſer Hauptplatz ohne 
ein Mann Linientruppen blieb. Als Alle auf dem 
Glacis verſammelt waren, befahl de Eſpana dem 


269 


Oberſten Pons die Schlüſſel der Feſtung dem Chef des 
Generalſtabs, Oberſten Davila, zu übergeben und 
mit ſeiner ſämmtlichen Mannſchaft ſofort nach Puig 
Reig zu marſchiren. Zehn Minuten darauf, zog mit 
klingendem Spiele Bruj6 an der Spitze feiner drei 
Bataillone als neu ernannter Gouverneur in Berga 
ein.) Als zweiter Commandant wurde ihm ein alter 
cataloniſcher Edelmann von ſehr vornehmen Hauſe zur 
Seite gegeben. Bei Aufzählung ſeiner Namen und 
der endloſen y's iſt mir immer die Scene des Wirthes 
in Don Quixote eingefallen, der für ſo viele Leute 
keinen Platz hat. Don Joſé de Aymerich de 
Cruilles y Moniſtrol 1. ꝛc. gehörte mit Leib 
und Seele jener bombaſtigen Race an, die ſelbſt 
in Spanien ſchon ſelten, nur noch in Portugal 
und vielleicht in Irland zu Hauſe iſt, wo jeder 


*) Ueber den Grund dieſer ſchleunigen und ſtrengen Maß— 
regel hat nie etwas verlautet. Doch iſt anzunehmen, 
daß der General unvollſtändige Andeutung eines mög— 
lichen Verſtändniſſes mit dem Feinde erhalten hatte, 
die zwar zu einer größern Strafe nicht beſtimmt genug 
war, aber dennoch die Entfernung von einem ſo 
wichtigen Poſten nöthig machte. 


270 


halbwegs anſtändige Menſch mindeſtens von zwei könig— 
lichen Geſchlechtern in directer Linie abſtammen will. 
Trotz ſeiner Gasconaden hat Aymerich es ſeiner 
glorreichen Ahnen nicht unwürdig gefunden, ſich ſpäter 
der Madrider Regierung zu unterwerfen; gegenwärtig 
(October 1841) ſoll er Präſident eines Kriegsgerichts 
in Valencia ſein, und ſeine Ernennung ein Haupt⸗ 
grund des letzten Aufſtandes in dieſer Stadt, und 
der Klagen wegen Bevorzugung der carliſtiſchen Ue— 
berläufer (convenidos de Vergara). Zu meiner 
Zeit war der bereits grauhaarige Edelmann mit 
einer ſehr hübſchen jungen Frau vermählt, die jedoch 
das Unglück hatte, einäugig zu fein, worüber fie lau- 
nig ſcherzte und ſich mit der berühmten Maitreſſe 
König Philipp II. tröſtete, der auf allen deutſchen 
Bühnen mit zwei Augen dargeſtellten Fürſtin von 
Eboli, die auch nur ein, zwar allerdings ſehr ſchönes 
Auge beſeſſen. In der Gallerie des Herzogs von 
Ynfantado zu Guadalajara befindet ſich ein pracht— 
volles Gemälde, das die königliche Geliebte darſtellt; 
ſie trägt eine Art Schmuck aus Gold und Juwelen, 
der, einem breiten Bracelet gleich gearbeitet, von der 
rechten Kopfſeite, über die Stirne weg, das fehlende 


271 


linke Auge verdeckt und, in der Fülle ihrer ſchwarzen 
Haare ſich verlierend, wahrſcheinlich den Umkreis des 
ſchönen Hauptes macht. Doßa Incarnacion *) 
de Aymerich trug zwar kein dergleichen Band über 
das eine Auge, verſtand aber mit dem andern ſo ver— 
führeriſch zu coquettiren, daß fie einmal, acht Tage 
hindurch, mit einem hübſchen jungen Stabsoffizier von 
Berga ausblieb. Ihr gravitätiſcher Gemahl, durch die 
Verantwortlichkeit ſeines Poſtens verhindert, der flüch— 
tigen Schönen nachzueilen, klagte ſein Leidweſen dem 
General-Capitain. De Eſpana, der bei feiner An- 
kunft ziemlich lockere Sitten im Hauptquartier ange- 
troffen hatte, war in derlei Fällen unerbittlich ſtrenge, 
und ſchickte den cataloniſchen Seladon auf ſechs Mo— 
nate nach dem Fort von San Lorenzo. 


*) Die größere Hälfte aller Spanierinnen heißt Marie, 
doch werden ſie nie ſo genannt, ſondern nach dem Bei— 
namen des Gnadenbildes oder Marientages, unter deſſen 
beſondern Schutz ſie geſtellt ſind, als: Incarnacion, 
Concepeion (abgekürzt: Concha) Carmen (N. D. des 
Carmes franzöſiſch) Pilar (N. S. del Pilar, U. L. F. 
von der Säule in Zaragoza). So habe ich Guada— 
lupa's und Monſerrata's gekannt, die ihres ſonderbaren 
Namens ungeachtet, nicht weniger anmuthig waren. 


272 


Zur Uebung der neuerrichteten Sappeurs-Com— 
pagnie, jo wie der Bataillons-Sappeurs, hatte der 
General zwiſchen Puig Reig und Caſerras mehrere 
Blockhäuſer verſchiedener Größe und Form aufbauen 
laſſen, die mit großer Schnelligkeit aufgeſtellt, abge- 
brochen, an andere Stellen verlegt und mit Gräben 
umgeben wurden. Eines Tages ritten wir ſehr früh 
nach dieſen Blockhäuſern, als fie ſchon längſt aufge— 
baut, iſolirt daſtanden. Der General betrat allein 
eines derſelben und ſtellte einen Minonen als Schild— 
wache davor auf, allen den Eintritt zu verwehren; er 
blieb mehrere Stunden darin, und die auf dem Felde 
harrenden Offiziere ſeines Gefolges gaben ſich den 
verſchiedenſten Muthmaßungen hin, was wohl der 
General allein ſo lange in dem kleinen Blockhauſe 
mache. Endlich kam er heraus; Alles ritt fort und 
de Eſpana ſah ſtrenge darauf, daß Keiner zurück 
bleibe. Bei eintretender Nacht wollen einige Perſonen 
eine dunkle Geſtalt bemerkt haben, die ſich aus dem 
Blockhauſe wegſchlich und die Richtung nach Valſarén 
einſchlug. Etwas Näheres hat man nie erfahren; 
doch habe ich Gründe zu glauben, daß es ein Ver— 
trauter des Grafen de Eſpana war, der in Bar- 


273 


celona unter den Chriſtinos eine bedeutende Stelle 
bekleidete und im Herzen Carliſt geblieben. Genug, 
daß von dieſem Tage an, die außerordentlichen Vorbe— 
reitungen, einen Angriff auf Berga zu vereiteln, auf— 
hörten und bald darauf Pbañez mit feinen ſechs 
Bataillons nach dem Felde von Tarragona zurückkehrte. 
m Nach kurzer Raſt brachen auch wir auf, und 
ſchlugen abermals die Direction über Monblanch und 
das Hoftal del Visbe ein. Drei zu einer Avantgarde— 
Brigade formirte Bataillons, deren Befehl dem Ober— 
ſten Pons übergeben worden, befanden ſich unmittel- 
bar bei der Perſon des General-Capitains, nebſt 
70 Pferden, 5 Geſchützen und einer Sappeur-Com— 
pagnie. Porredon mit der erſten Diviſion mars 
ſchirte auf geringe Entfernung in beinahe paralleler, 
doch kürzerer Richtung. Nachts ward beim Dorfe 
Naves bivouaquirt. Die Diseiplin, ein vor wenigen 
Monaten kaum dem Namen nach gekanntes Wort, 
war bereits zu einem ſolchen Grade von Pünktlichkeit 
gediehen, daß während eines ſiebenſtündigen Bivouges, 
auf Schußweite vom Dorfe, auch nicht ein Soldat 
daſſelbe betrat und nicht die geringſte Unordnung verübt 
wurde. De Eſpanña hatte wieder, wie gewöhnlich, 
II. 18 


— 


27A 


ſein Hauptquartier in ein großes Landhaus verlegt, 
das auf geringe Entfernung vom Dorfe ſich in der 
Mitte unſers Bivouacs befand. Dieſes Haus, Caſa 
Montanya genannt, war der ächte Typus der reichen 
adeligen Bauerhäuſer, der hijos de algo (Hidalgo); 
es hatte Solſöna einen Biſchof und mehrere Dom— 
herren gegeben; auch war, wohl deßhalb, eine ziemlich 
geräumige Kapelle im Innern des Hauſes angebracht. 
Ein Sohn des alten Hidalgo, der Caplan war und 
nun zurückgezogen bei ſeinem Vater lebte, las am 
andern Morgen die Meſſe, worauf wir das Bivouae 
abbrachen und abmarſchirten. Wir zogen über den 
einſamen Eiſenhammer und die Brücke von Olius, in 
einer wild romantiſchen, und doch in den Thalgründen 
bebauten Gebirgsgegend, die an die Thäler des Vorarl— 
berg erinnerte. Dann ſetzten wir über den Cardenet 
und machten Mittagshalt bei einem, dem heiligen 
Michael ganz beſonders geweihten Landhauſe; nicht 
nur, daß Haus und Beſitzer dieſen Namen führen, 
ſondern das Bild des Erzengels iſt auch in Lebens— 
größe grell prangend über dem Hausthor abgemalt. 
Nachmittags paſſirten wir ein nacktes Berg-Plateau, 
auf / Stunden von Solſöna, deſſen Fort unſern 


275 


Vorbeimarſch durch Kanonenſchüſſe ſignaliſirte. Dann 
wandten wir uns nördlich, an Ladurs vorbei, ſchritten 
über einen Gebirgskamm und ſtiegen in das Thal von 
Timoneda hinab. Wir marſchirten durch 4½ Stunde 
längs des Rio Salado, eines ſalzigen Waſſers, das 
ſich in den Segre ergießt. Nachts bivouaquirten wir an 
ſeinem Ufer bei einer großen, einzeln ſtehenden Mühle, 
Molino de Querol, deren eintöniges Hämmern uns in 
ſanften Schlaf wiegte. Am nächſten Morgen wateten 
wir durch eine Furth des Rio Salado und gaben noch 
einmal unſern Pferden daraus zu trinken, was in 
der Gegend für ſehr geſund gilt. Wir zogen durch 
ein enges Seitenthal, in dem die Häuſer des Dorfes 
Siura zerſtreut umherliegen. Die Rectoria deſſelben 
iſt auf die höchſte Bergſpitze gebaut und ſah, mit 
ihren Wällen und Gräben, einem Caſtell ähnlicher 
als der Wohnung eines Landpfarrers. 

Am Ende des Thales zogen wir durch ein Fel— 
ſenthor bei Achgarn, und befanden uns plötzlich in 
dem Thalgebiete des Segre, dem wildeſten Theile 
Cataloniens, das mit Ausnahme der Oaſe um Oliana, 
beinahe gar nicht bebaut, den Bewohnern der Hafen— 
ſtädte und Küſtenſtriche ſo unbekannt iſt, als handelte 

18 * 


es ſich von Lappland oder Sibirien. Nach drei Stun— 
den kamen wir nach Oliana, einem ziemlich bedeu— 
tenden Orte, in einem dem Anſcheine nach, viel ſüdli— 
cheren Thale als die ganze Umgegend. Reiche Maul- 
beeren- und Oliven-Plantagen umgeben die Stadt, 
deren Häuſer, zwiſchen Reben- und Oleander-Sträuchen, 
freundlich hervorblicken. Alles trug Früchte, grünte 
oder blühte, obwohl im November und von Hochge— 
birgen umgeben. Der Segre ſchlängelt ſich ſo ſanft 
und ruhig durch die üppigen Matten dieſes lieblichen 
Thales, daß Niemand an dieſem ſtillen Gewäſſer den 
reißenden Gebirgsſtrom erkennt, der noch wenige Stun— 
den höher, unter furchtbarem Getöſe, ſprützend und 
rauſchend, ganze Baumſtämme mit ſich fortwälzt, 
Steine und Erdreich in den Abgrund hinabzieht. Am 
andern Ufer des Stromes, Oliana gegenüber, lehnt 
an einem Abhange das Städtchen Peramola, ehemals 
Hauptfi der Baronie dieſes Namens. In geringer 
Entfernung von Oliana ſchließt ſich das Thal und 
nur geſpaltene Felſen, die ihre gigantiſchen Häupter 
zum Himmel recken, bilden das Flußbeet des einge— 
engten Segre. Auf dem höchſten Gipfel des einen 
Felſens, einer Warte gleich den Paß zu hüten, weit— 


ragend über Berg und Thal, ſteht eine im Lande 
berühmte Einſiedelei, N. S. de la Lièvre. 

Senkrecht unter derſelben, zwängt ſich zwiſchen 
Fels und Strom der einzige Weg, der nach den Thä— 
lern von Urgel und der Republik Andorra führt. Der 
hiſtoriſche Segre (Sicuris) iſt der Strom der Cäſaren, 
über den Hannibal die erſte Brücke ſchlug. Hier 
drängt er feinen raſchen Lauf durch eine ununter— 
brochene Reihe enger Felspäſſe, deren himmelhohe 
Granitblöcke, über das Flußbeet ragend, ſich entgegen— 
neigen. Der Steig zieht ſich bald auf dieſer, bald 
auf jener Seite, je nachdem Strom und Ufer es 
möglich machen, oft durch kühne luftige Bogen, Arca— 
den gleich aufgethürmt, vor dem Einſturze bewahrt. 
Dieſe Bogen ſind römiſcher Arbeit; die coloſſalen Di— 
menſionen ihrer Quadern bezeugen es. Drei Brücken 
verbinden den Steig; die Erſte iſt im Lande unter dem 
Namen Puente de los Espias ſeit undenklicher Zeit 
bekannt, und in Einem Bogen luftig hoch geſpannt. 
Eine alte Sage berichtet: die Grafen von Barcelona 
hätten Verräther und Spione, ihnen häufig durch die 
feindlichen Grafen von Caſtilien zugeſchickt, von dieſer 
Brücke hinabſchleudern laſſen, wo ſie in den Wellen 


10 
A 
+ 


des reißenden Gebirgsſtromes, an den Riffen und 
Granitblöcken einen ſichern Tod gefunden. *) 

Die Zweite, eine Stunde von der Erſtern, 
heißt Puente del Diablo; ſie beſteht aus zwei Brücken, 
über einander gewölbt. Die Untere iſt ſchwach und 
gefährlich, die Obere maſſiv und ſicher. Einer Legende 
zufolge, hat der Teufel den untern Bogen geſpannt, 
und jeder Chriſt, der über denſelben gegangen, ward un— 
willkührlich in den Strudel hinabgeriſſen; da habe denn 
ein frommer Eremit aus der nahen Klauſe N. S. de 
la Lievre, von U. L. F. vom Monſerrat den zweiten 
Bogen erbeten, der feſt und ſicher, gleichſam der Ewig— 
keit trotzend, ſich über den Erſten wölbt. Eine halbe 
Stunde weiter, ſtehen mächtige Fragmente der dritten 
Brücke; ſie wurde, wie auch das Caſtell am Brücken⸗ 
kopf, während des großen Succeſſionskrieges zerſtört; 
fie öffnet die Seu d'Urgel und ſchließt den Paß, ge— 
nannt: de los tres puentes. Am Eingange ſteht: 


Philippus Hispanus, Convenarum Episcopus. **) 


*) Von dieſer Brücke ward Graf de Eſpana, Ende 
October 1839 herabgeſtürzt. 


**) Philipp d' Espagne, Bifchof von Cominges. 


Die Jahreszahl it verwiſcht. Einzelne Gehöfte (Hlos- 
tals), aus Flußſtein und Granit gebaut, hängen hie 
und da am Felſen, Adlerhorſten gleich. Es find die 
Nachtquartiere der Eiſenarbeiter, Jäger, Fiſcher und 
Maulthiertreiber, die Schlupfwinkel der vielen Schleich— 
händler, die in der kleinen Republick Andorra, mitten 
im Hochgebirge der Pyreneen, mit ihren franzöſiſchen 
Genoſſen zuſammenkommen, und von dort aus Catalo— 
nien und Aragon mit verbotenen Waaren anfüllen. 
In letzter Zeit iſt dieſen Hoſtals eine größere Bedeu— 
tung geworden. Manche derfelben wurden in Forts 
umgewandelt, ſperrten die Päſſe, waren oft Zeugen 
blutiger Gefechte, und die Anhaltspunkte der Gueril- 
las beider Parteien. In einem derſelben, hostal es 
Pluvins genannt, brachten wir die Nacht zu. Es 
liegt mitten im Paſſe, auf geringe Entfernung von 
der Brücke de los Espias. Wohl ahnte Keiner von 
uns damals, daß kaum ein Jahr ſpäter dieſe wilde 
Gegend Zeuge ſo gräuelvoller Auftritte ſein würde. 
Der General und ſein Gefolge bezogen das Hoſtal. 
Die Minones campirten herum und die Truppen 
wurden vorausgeſchickt, das erſte Dorf außerhalb des 
Paſſes, Coll de Nargo zu beſetzen; am andern Mor— 


280 


gen paſſirten wir durch daſſelbe und gegen Mittag 
langten wir in Organya an. Dieſe Stadt war der 
Hauptſitz der Carliſten in jenen Gegenden, und durch 
einige ſchwache Fortificationen gegen einen Handſtreich 
geſichert. Hier empfing der General eine Deputation 
der Republik Andorra, welche den regierenden Syndi— 
eus an der Spitze, für einige chriſtiniſche Tendenzen 
Abbitte zu thun kam, die mit Nichtachtung der 
Neutralitätsverpflichtungen, die dieſes kleine Ländchen 
übernommen, an den Tag gelegt worden. 

Andorra, nächſt San Marino, die kleinſte Re— 
publik in Europa, rühmt ſich mehrtauſendjährigen 
Beſtandes, feiner Anerkennung durch Cäſar, Karl 
den Großen und Napoleon. Der Biſchof der Sen 
d'Urgel iſt bekanntlich ſouveräner Fürſt dieſer Repu— 
blik, unter Schutzherrlichkeit der Könige von Frankreich 
und Spanien, denen ein ſehr mäßiger Geldtribut, 
wohl mehr der Form wegen, entrichtet wird. Die 
Uebernahme deſſelben, die Beſtätigung des auf Lebens— 
zeit ernannten regierenden Syndicus, und bei dieſer 
Gelegenheit die erneuerte Sanction der Privilegien, 
geſchieht für den König von Spanien durch den Gene— 
ral-Capitain von Catalonien, franzöſiſcher Seits durch 


281 


den Präfecten des Ariege Departements; früher fand 
es in Toulouſe durch den Stadthalter des Languedoc 
ſtatt. Die Angſt vor der chriſtiniſchen Beſatzung der 
Seu d'Urgel hatte die Andorreſen vermocht dem Feinde 
anzuzeigen, wenn carliſtiſche Offiziere, aus Frankreich 
kommend, ihr Gebiet betraten, um ſich nach Spanien 
zu begeben, ſo daß es nothwendig geworden, Truppen 
an ihre Grenze zu ſchicken, und die Correſpondenz ſtatt 
über Foir auf dem längern Wege über Perpignan 
zu führen. Der General -Capitain benützte ſeine An- 
weſenheit in ihrer Nähe, um ſie mit Verwüſtung ihres 
Thales und einer nahmhaften Kriegsſteuer zu bedrohen, 
falls ſie ſich derlei vertragswidrige Handlungen noch bei— 
kommen ließen. Nachdem er dem Syndicus und der 
Deputation, die viel von ihrer Reue geſprochen, einen 
derben Verweis gegeben, ſchloß er mit den Worten: 
„ſonſt werde ich in Euer Thal marſchiren und Euch alle 
bei den Köpfen nehmen, ohne daß deßhalb Euer Mit- 
Schutzherr, (Co-Suzerano) meines Königs Erlauchter 
Vetter und Freund, der König der Franzoſen, Euere 
Partei nehmen, oder uns den Krieg erklären wird.“ 
Abends kamen die Alcalden und Munieipali— 
täten vieler, im höchſten Gebirge halb verſteckter 


282 

kleiner Städte und Dörfer, von ihrer Ergebenheit 
an die königliche Sache zu zeugen und um Beſtä— 
tigung ihrer Privilegien zu bitten. Der General- 
Capitain empfing ſie Alle auf das freundlichſte und 
unterhielt ſich lange mit ihnen in cataloniſcher Mundart, 
ein ſicheres Mittel dort populär zu werden, das keiner 
feiner, aus dem Hoflager geſchickten Vorgänger beſeſſen. 

Als er ſpäter in der Stadt eine Runde machte, 
wandten ſich einige Soldaten, mit Klagen über 
die ſchlechte Qualität des Brodes, an ihn und 
wieſen unausgebackene Teigmaſſen vor. Der General 
ließ ſofort den Proviant-Commiſſair und den Batail- 
lons-Bäcker holen, und ſie mußten zur Strafe, binnen 
einer Stunde Zeit, Jeder vier Pfund dieſes ungenieß— 
baren Brodes verzehren. Es ward ihnen ein Minone 
zur Seite geſtellt, der für pünktliche Vollziehung oder 
vielmehr Verſpeiſung, Sorge tragen mußte. Das 
Jammern und Flehen der ſchlingenden und würgenden 
Inculpaten war wirklich komiſch zu ſehen. Der Bäcker 
wollte lieber zu Stockſtreichen und der Proviant— 
Commiſſär zu einer Geldbuße verurtheilt werden; de 
Eſpana meinte aber, dies könnten fie auch noch 
haben, zuerſt aber müßten ſie das Brod aufeſſen. 


Sie find Beide davon bedeutend krank geworden, was 
der General ganz in der Ordnung fand. Die Sol— 
daten aller Bataillons hingegen jubelten laut über 
dieſen Act evangeliſcher Gerechtigkeit. 

Am erſten December verließen wir Organya und 
zogen am Fuße eines ungeheuern Granitkegels vorbei, 
der mit den Felſen von Adersbach in Böhmen ver— 
gleichbar, an ſeiner Spitze eine Einſiedelei, Ermita 
de Santa Fe, trägt. Nach %, Stunden machten 
wir Halt und frühſtückten bei der Rectoria de Cabo, 
von wo an, Leben und Vegetation ein Ende nehmen. 
Felsblöcke aller Größe liegen auf kleinerem Stein— 
gerölle, wie vom Himmel herabgeregnet umher, und 
bedecken ein mehrere Stunden langes Thal, das 
auf beiden Seiten durch nackte, ſtarre Felſen ein— 
geengt wird. Um einen derſelben, einen ſchwarzen 
Granitkegel, windet ſich zwiſchen Dornen ſpiralförmig 
ein enger Steig, der Einzige, der aus dem Thale 
führt. Einer hinter dem Andern, erkletterten wir ihn, 
zogen die Pferde an den Zügeln nach, und trieben 
die Maulthiere vor uns her. Die Geſchicklichkeit 
der Letzteren iſt merkwürdig zu ſehen, im Vergleiche 
zur unbeholfenen Furcht jener. Das Maulthier ſetzt 


284 


vorſichtig und langſam den Fuß erſt zu Boden, nach— 
dem es, mit dem Hufe aufklopfend, deſſen Feſtigkeit 
geprüft. Als wir ungefähr eine Höhe von 500 Fuß 
erſtiegen, ſprang der Windhund des Generals einem 
Maulthier, das ein vierpfündiges Kanonenrohr trug, 
zwiſchen die Beine; das Thier erſchrack, machte einen 
Fehltritt und rollte in den Abgrund. In weiten 
Bogen und Sätzen flog das Kanonenrohr zuerſt in 
das Thal und bald kam das Maulthier, mit einge— 
zogenen Beinen einem Knäul gleich, ihm nach. Unten 
angelangt blieb es liegen und wir gaben es für ver— 
loren. Sein Treiber kletterte jedoch ſogleich den Berg 
hinab, ſich an Dornen und Haidekraut anklammernd; 
mehrere Artilleriſten warfen ihre Carabiner weg und 
folgten ſeinem Beiſpiele; ſie brachten das Maulthier 
auf die Beine, luden die Kanone wieder auf, und 
jagten das von uns todt geglaubte Vieh vor ſich her, 
als wäre nichts vorgefallen; oben angelangt gewahr— 
ten wir mit Verwunderung, daß es, mit Ausnahme 
einiger unbedeutender Wunden, ganz heiler Haut da— 
vongekommen. Das Pferd eines Lanciers, das unmit— 
telbar darauf, gleichſam das Maulthier nachahmend, 
herabſtürzte, kam zerſchellt und todt in ſchauderhaftem 


285 


Zuſtande unten an. Sein Reiter, der ihm jammernd 
nachlief, nahm ihm Sattel und Zaum ab, riß die Eiſen 
von den Hufen und lud im nächſten Dorfe Alles auf 
eine kleine, in einem Bauerhauſe vorgefundene Eſelin. 
Endlich kamen wir auf den Gipfel, der ein 
ziemlich ausgedehntes Plateau bildet. Hier wurde 
Menſchen und Thieren eine Stunde Raſt gegönnt. 
Ich pflegte ein kleines Journal bei mir zu führen, 
das mich nie verließ, und worin ich die momentanen 
Eindrücke an Ort und Stelle verzeichnete. Als öfter 
meine Equipage verloren ging oder vom Feinde ge— 
nommen wurde, blieb mir mein kleines Journal, ohne 
welches es mir ſpäter unmöglich geworden wäre, meine 
Erinnerungen zu ordnen und zu Papier zu bringen. 
Auf dem obenerwähnten Plateau ſchrieb ich folgende 
Worte nieder, die ich in meinem Journal, in halbver— 
wiſchten Bleiſtiftſtrichen, ſpäter mit Dinte überzogen, 
wiederfinde: „nach 1½ ſtündigem fortwährendem per= 
pendiculären Steigen auf die erſte Gebirgsſcheide der 
Pyreneen gelangt. Auf dem höchſten Gipfel eines ſchwar— 
zen Granitkegels, über einer Schlucht von 2000 Fuß 
ſenkrechter Tiefe, wo die Pferde wie Ameiſen ausſehen, 
und wohin der Schall menſchlicher Stimme nicht mehr 


dringt, — dieſe Worte geſchrieben. Anſicht der großen 
Schneekette der Pyreneen. Pie du Midi am Horizont.“ 
Nach ½ Stunden Marſch cantonirten die Truppen 

in Thauß, einem großen, ausnahmsweiſe durchaus 
feindlich geſinnten Dorfe, deſſen ſämmtliche männliche 
Bewohner bei unſerer Ankunft die Flucht ergriffen 
hatten, ſo daß wir nur Weiber und Kinder antrafen, 
außer einigen Greiſen, die nicht mehr gehen konnten, 
Krüppeln und Cretins, die in dieſen Gegenden ſo 
häufig ſind als im Canton Wallis. Am nächſten 
Morgen zogen wir weiter, über ſchlechte Wege, Berg. 
auf und ab, doch immer mehr in ſteigender Richtung, 
ſo daß wir uns endlich in der Schneeregion befanden. 
Ein paar ärmliche Dörfer, Freuſes und Churigera, 
ſahen wir in Schluchten zu unſeren Füßen liegen. 
Nach fünfſtündigem Marſch hielten wir bei Vilamu, 
einem gleich elenden Dorfe in der Sierra del Romes. 
Nachmittags ging es längs der minder hohen Sierra 
f de San Sebaſtya, am mauriſchen Caſtell von Pera— 
mea, unterhalb des Coll de la Baſeta vorbei, am 
Ufer eines Gießbaches, der einen ſchönen Waſſerfall 
bildet. Gegen Abend überſchritten wir auf einer Brücke 
den Nogueras Pallereſa und kamen nach Sort, einer 


287 


ziemlich bedeutenden Stadt, wo das Hauptquartier 
aufgeſchlagen ward. 

Das Ayuntamiento und die vornehmſten Einwoh— 
ner empfingen den General-Capitain beim Scheine 
der Fackeln, mit Muſik und allerlei Feſtlichkeiten. Hier 
ſollten unſere militäriſchen Operationen eigentlich be— 
ginnen, da der feindliche General Carbo eine bedeu⸗ 
tende Colonne von Talarn aus, längs des Nogueras 
Pallereſa echelonirt hatte, deſſen unteres Flußgebiet, 
ſo wie das des Flemiſel, er dominirte. Seine äußerſten 
Vorpoſten ſtanden bei Gerri. Der General-Capitain 
befahl die Unſeren bei Uſen aufzuſtellen, längs zwei 
kleinen Bächen, die beinahe gegenüber, in den Nogue— 
ras Pallereſa einfließen und von beiden Seiten das 
Thal abſchließen. 

Bereits vor zwei Nächten war in Organya die 
Nachricht eingetroffen, die feindliche Garniſon des 
Forts de la Libertad, oberhalb Viella im Thale 
von Aran, habe ihren Gouverneur, Oberſten Don 
Ramon Gali, einen ehemaligen Generalſtabs-Offi— 
zier des General Roten, ermordet; die Stadt Viella, 
Hauptſtadt des Thales, ſich jedoch geweigert, gemein— 
ſame Sache mit dem Fort zu machen; ſo daß gegen— 


2ss 


wärtig dieſes liebliche, kleine Thal ſich in einem Zu— 
ſtand anarchiſcher Auflöſung befand. Berichte über 
dieſen Vorfall waren bereits nach Barcelona abge— 
ſchickt worden, und die feindliche mobile Colonne 
des Diſtrictes von Lerida wurde erwartet. Dieſer zu— 
vorzukommen, hatte der General-Capitain in der Nacht 
vom 31. zum 1. dem Brigadier Porredon, deſſen 
Diviſion zwei Tagemärſche vor uns voraus hatte und 
in Rialp cantonirte, befohlen augenblicklich nach dem 
Thale von Aran aufzubrechen, das befeſtigte Viella 
und das Fort de la Libertad mit Sturm zu nehmen, 
eine allgemeine Kriegsſteuer auszuſchreiben, die Forti— 
ficationen zu ſchleifen, ſodann mit den Gefangenen 
und ſämmtlichen Kriegsvorräthen zu ihm zurückzukehren. 
De Eſpana wollte indeſſen das Thal von Pallas 
(le Comte de Paillasse) am obern Nogueras Palle- 
reſa beſetzen und Porredon dadurch den Rückzug über 
den Paß de la Bonaigua offen halten. Die größte 
Schnelligkeit, in Ausführung dieſer Operation, war 
nöthig, da ein Zuſammentreffen der beiden feindlichen 
Colonnen von Lerida und Talarn in den obern Thälern, 
unſer ganzes Corps abſperren konnte. 

Am 3. Morgens kam ein Spion mit der Nach- 


richt, daß Oberſt Caſtells mit drei Bataillons in 
der Conca de Orcau, einem muſchelförmigen Thale 
unterhalb Talarn, eingetroffen, Carbo's Colonne 
bei letzterem Orte angegriffen und eine Diverſion des 
feindlichen Generals, von Gerri aus, in ſüblicher 
Richtung dadurch bewirkt habe. Obgleich Caſtells, 
zu ſchwach dem Feinde länger die Spitze zu bieten, 
ſich zurückziehen mußte, ſo war doch ein Vorſprung 
von mehreren Tagen hiedurch für uns gewonnen. 
Alles freute ſich im Hauptquartier über dieſe Nach— 
richt, die unſere Operationen erleichterte. Doch 
wunderten ſich die Meiſten, wie Caſtells ſo zu 
rechter Zeit, am rechten Orte zugeſchlagen, da Keiner, 
vielleicht den Chef des Generalſtabs auszunehmen, die 
Inſtructionen ahnte, die der General gegeben und die 
er ſtets in tiefes Geheimniß zu hüllen wußte. Noch 
denſelben Morgen ward von Sort aufgebrochen, ein 
Bataillon nebſt einer Kanone, unter Oberſt Pons, 
zur Beſetzung der Brücke und Beobachtung des Fein— 
des zurückgelaſſen, und längs des Fluſſes im Thale 
fortmarſchirt. Die Gegend von Sort bis Rialp, wo 
wir Mittags anlangten, iſt gut bebaut, und gleicht 
ausnahmsweiſe wieder den Beſten in Catalonien. 
1 19 


290 


Rialp iſt eine, für jenen Landſtrich, ziemlich bedeu— 
tende Stadt, die in friedlichen Zeiten großen Eiſen— 
handel trieb, doch nun halb zerſtört nur den traurig— 
ſten Anblick gewährte. Am Eingange der Stadt ſteht 
eine elegante Villa, mit Colonnaden im italieniſchen 
Styl, von einem engliſchen Garten umgeben; doch 
konnten wir nicht einmal Mittags darin halten, da 
Fenſter und Thüren, und theilweiſe auch der mit bra— 
ſilianiſchem Holze ausgelegte Parquet herausgeriſſen 
waren. Nach kurzem Halt marſchirten wir über Hoſtal 
del Rey und Santa Roma, und bivouaquirten nach 
drei Stunden bei der Brücke und dem Dorfe Llavorſi, 
am Eingange der Grafſchaft Paillaſſe, deren enge 
Keſſel, finſtre Schluchten und höhlengleiche Dörfer 
nur von Eiſenarbeitern und Schmugglern bewohnt 
werden. Hier drängt ſich der Nogueras pfeilſchnellen 
Laufs durch ſein Felſenbeet, in dunklen Fluthen. 
Schmale Nachen mit Eiſenſtangen beladen, werden 
mit Lebensgefahr ihrer Führer über Strudel und 
Cascaden hinweggeriſſen, und führen, als einziges 
Communicationsmittel, die ergiebigen Produkte der beſten 
ſpaniſchen Eiſenbergwerke in die cataloniſchen Thäler, 
an den Ebro und zum Meere. Ueberall ſieht man 


Hochöfen, deren ſchwarze Rauchwolken und rothe 
Flammen abwechſelnd dieſe finſtern Höhlen und Päſſe 
bei Tage verdunkeln und Nachts erleuchten. Das 
monotone Hämmern der Eiſenwerke, in hundertfachem 
Echo wiedergegeben, das Rauſchen des Gebirgsſtromes, 
dem auf allen Seiten Gießbäche zufließen, der Mangel 
aller Vegetation drücken dieſer Gegend einen Stempel 
primitiver Wildheit auf, als wäre ſie erſt geſtern aus 
dem Chaos entſtanden. 

Um zwei Uhr Nachts traf ein Ordonnanz-Offi⸗ 
zier Porredons aus dem Thale von Aran ein und 
meldete dem General, nach einigen vergeblichen Ver— 
ſuchen Viella zu nehmen, habe ſein Chef ſich darauf 
beſchränken müſſen dieſen Ort zu blockiren, in Betren, 
auf ½ Stunde Entfernung von demſelben, ſein Haupt— 
quartier aufzuſchlagen und die im Thale weidenden, 
der Stadt gehörigen Heerden eingefangen; mehr 
glaube er jedoch nicht unternehmen zu können, da 
Viella Ueberfluß an Lebensmitteln und Waſſer habe. 
Graf de Eſpana war außer ſich; er hatte erwartet, 
in Llavorſi die Beendigung der ganzen Operation zu 
vernehmen. Augenblicklich ließ er mich wecken, und 
befahl mir mit einem Bataillon, einer halben Com— 

19 * 


292 


pagnie Sappeurs, zwei kurzen Haubitzen und zwei 
Mörſern, nach dem Thale von Aran aufzubrechen. 
Nach einer Stunde hatte ich meine letzten Inſtruc— 
tionen erhalten und war auf dem Marſche. Noch bei 
Nacht paſſirten wir die Brücke von Escalo, einen 
wichtigen Punkt, der die Thäler von Pallas und 
Cardos abſchließt, und als es Tag ward, ließ ich in 
Eſterri halten, die Truppen zu rationiren. Dieſer 
bedeutende Ort, unmittelbar am Fuße der großen 
Gebirgskette der Pyreneen, lebt ganz vom Schleich— 
handel und ſchien mir gutgeſinnt, mit Ausnahme des 
conſtitutionellen Alcaden und einiger der reicheren Ein— 
wohner. Ich glaubte dem General hievon Kenntniß 
geben zu müſſen, der auch nicht ermangelte fie ſofort 
aufgreifen und gefangen wegführen zu laſſen. 

Hinter Eſterri hebt ſich das Terrain allmählich, und 
nach einer halben Legua, in Valencia, wird der Weg ſchon 
ſteiler. Bei Arréa, eine Stunde weiter, trafen wir Schnee 
an, der uns während eines vierſtündigen Steigens 
nicht mehr verließ. Bald wurde er ſo tief, daß die 
beladenen Maulthiere bis über die Bruſt hineinfielen. 
Die von Zeit zu Zeit, zur Bezeichnung des Paſſes 
und Steiges, aufgepflanzten Stangen ſchützten uns 


293 
allein vor Unglück, da ein Hinabſtürzen in die vielen 
mit Schnee bedeckten Schluchten ſonſt unvermeidlich 
geweſen wäre. Glücklicherweiſe war das Wetter hell 
und klar, und nur ſelten nöthigte uns, durch Wirbel— 
wind aufgejagtes Schneegeſtöber inne zu halten. Stel— 
lenweiſe war der ſonſt weiche Schnee ſo feſt gefroren, 
daß die Maulthiere und beſonders die Pferde beſtändig 
ausgleiteten und fielen. Die Geſchütze, Laffetten und 
Munitionskaſten mußten abgepackt und an Stricken 
durch die Soldaten nachgezogen werden. Wir waren 
auf einer Höhe von 3100 ſpaniſchen Varas. Endlich 
kamen wir auf den höchſten Punkt des Paſſes, wo 
ein einſames Hoſtal, Meſon de la Bonaigua, die 
ermüdeten oder verirrten Schleichhändler aufnimmt, da 
andere Reiſende nie dieſen Weg einſchlagen und die 
Araneſen nur ſelten nach Catalonien gehen. Hier 
beginnt die Senkung. Wir waren bisher in nördlicher 
Richtung marſchirt; nun wandten wir uns nach Süden, 
an den Quellen des Nogueras vorbei; zu unſerer 
Rechten, auf der Berglehne, lehnte eine einſame Capelle 
N. S. de Mongarri. Noch paſſirten wir eine enge 
tiefe Schlucht, in deren Grund wir herabſteigen mußten; 
dann hörte die Schneeregion auf, und als wir um 


294 


einen vorſpringenden Berg uns wandten, lag das 
reizende Thal von Aran zu unſern Füßen, bebaut und 
bewohnt, ſo grün und friſch als wären wir mitten 
im Sommer. 

Das privilegirte Thal von Aran, am nördlichen 
Abhange der Pyreneen, iſt ſeiner reizenden Dörfer, 
lieblichen Lage und beſtändigen Fruchtbarkeit wegen, 
den vielen Fremden des benachbarten Badeortes Bag— 
neres de Luchon bekannt. Es gehört nur mehr poli⸗ 
tiſch zu Spanien; auch wollen die Araneſen weder für 
Catalonier noch für Aragoneſen paſſiren, mit denen 
ſie übrigens nichts gemein haben, nicht einmal die 
Sprache, die ein beſonderes, nur in dieſem Thal 
übliches, altromaniſches Patois iſt. Bei einer Länge 
von acht Leguas iſt das Thal nur eine halbe Stunde 
breit, und zählt in dieſem kleinen Raume, auf beiden 
Ufern der Garonne, die hier entſpringt, zwei und 
dreißig Dörfer, mit holländiſcher Reinlichkeit an die 
Berglehnen gebaut. Alle Häuſer ſind weiß getüncht, 
mit Schiefer oder rothen Ziegeln gedeckt; die großen 
Fenſter mit Glas verſehen, im Contraſte zu den trans— 
pyreneeiſchen Bauern» Wohnungen. Jedes Dorf hat 
einen Platz, in deſſen Mitte ein Brunnen ſteht; zwei 


295 


und dreißig Kirchthürme, die Vier von Viella unge— 
rechnet, tragen nicht wenig zu dem lebhaften Anſtrich 
des Thales bei. Große Heerden von Rindern gehören 
zu ſeinem Haupt-Reichthume, auch fanden wir hier 
das erſte Mal wieder Butter, bekanntlich in Spanien 
eine ſeltene Delicateſſe. Die Araneſer Butter, feſt 
geſtampft und in große Kugelform gebracht, wird in 
Kohlblätter gewickelt und mit Bindfaden befeſtigt, im 
Winter über die Berge nach Catalonien und Aragon 
gebracht und dem holländiſchen Käſe (Queso de 
Olanda) gleich, als bedeutender Handelsartikel verkauft. 

Zwar trug die glückliche geographiſche Lage des 
Thals, zwiſchen Frankreich und Spanien, nicht wenig 
zu ſeinem Reichthum bei, doch verdankt es ihn vor— 
züglich den exceptionellen Privilegien, die den baſkiſchen 
Provinzen gleich, von den ſpaniſchen Königen ihm 
garantirt worden. Das Thal von Aran hat früher, 
dem von Andorra gleich, eine kleine Bergrepublik ge— 
bildet, und nach feiner freiwilligen Unterwerfung deß— 
halb dieſe Privilegien behalten. Nächſt unbedingter 
Steuerfreiheit liegt vorzüglich in der freien Ein- und 
Ausfuhr großer Werth; doch wurde natürlich das Thal 
von Aran der Entrepöt aller verbotenen Waaren und 


296 


der Sammelplatz der Schmuggler, die von hier aus 
den Schleichhandel im größten Maßſtabe, in bewaff— 
neten Banden und beſtändiger Fehde mit franzöſiſchen 
und ſpaniſchen Zollwächtern treiben, was um ſo 
leichter geſchieht, als die ſchneebedeckten Bergrücken, 
die vom Maladetta bis zum Pie de Montvallier das 
Thal von Aran ſpaniſcher Seits begrenzen, zu einer 
ſtabilen Zolllinie ſich wenig eignen. Die jetzt beſte— 
hende, nivellirende Regierung wird wohl die Araneſen 
des größten Theils ihrer Privilegien berauben. 

Bei Tredos betraten wir das Thal. Nach einer 
Stunde ließ ich in Salardu halten, der Mann— 
ſchaft etwas Ruhe zu geben. Wir ſetzten über die 
ganz kleine Garonne, die hier noch ein Bach, ober— 
halb Salardu an ihrer Quelle nur zwei Fuß breit, 
durch viele Gebirgsgewäſſer in Kurzem verſtärkt, bei 
Boſoſt, am Ende des Thals, nach acht Stunden, 
ſchon ein bedeutender Fluß iſt. Gegen vier Uhr Nach— 
mittags traf ich in Betren, Porredons Haupt⸗ 
quartier ein; er hatte ſeine 4 Bataillons in dieſem 
Orte und in Gauſac, zu beiden Seiten des bedrohten 
Punktes, cantonnirt. Viella war durch eine einfache 


Mauer, einen Erdaufwurf und Graben und einige 


297 


mit Schießſcharten verſehene Häuſer vertheidigt, der 
Weg nach Betrén abgeſtochen und durch ein paar 
Außenwerke beſtrichen; der Brückenkopf an der Garonne 
bildete den feſteſten Punkt. Auf Flintenſchußweite von 
der Stadt, auf einem dominirenden Bergvorſprung, 
der Garonne in entgegengeſetzter Richtung, ſtand das 
Fort de la Libertad, ein ehemaliges Kloſter, nun 
ſtark befeſtigt mit 8 ſchweren Geſchützen und 200 Mann 
Garniſon. Darin commandirte, ſeit Gali's Ermor⸗ 
dung, ein von den Soldaten zum Chef gewählter 
Feuerwerker. Periquet, ein berüchtigter Partei— 
gänger, und ein Oberſtlieutenant, deſſen Name mir 
entfallen, befehligten die aus 350 Mann beſtehende 
Garniſon der Stadt. Sobald es dunkel ward, etablirte 
ich meine kleine Batterie dem Brückenkopf gegenüber, 
an das andere Ufer der Garonne, auf Flintenſchuß— 
weite. Am 5. Morgens ward Viella zur Uebergabe 
aufgefordert und dem Befehl des General-Capitains 
zufolge, zwölf Minuten Bedenkzeit der Stadt gegeben; 
doch empfing ſie den Parlamentär mit Flintenſchüſſen. 
Um 8 Uhr eröffnete unſere Batterie ihr Feuer, dem 
die Geſchütze des Forts und das Gewehrfeuer von 
dem Brückenkopf erwiederten. Unſere Bomben zündeten 


298 


einige Häuſer an, die bald hell aufloderten; nach einer 
Stunde war der Brückenkopf zum Schweigen gebracht. 
Um 9 Uhr, auf ein gegebenes Zeichen, rückten die in 
Betrén und Gauſac bereit ſtehenden Truppen im Sturm 
ſchritte vor; zugleich griff das fünfte Bataillon, das 
die Batterie gedeckt hatte, den Brückenkopf an. Wähz 
rend der Nacht waren alle Leitern, deren man habhaft 
werden konnte, zuſammengebracht worden; ſie wurden 
angelegt; ein ziemlich hitziges Bajonnet-Gefecht ent— 
ſpann ſich, und nach 20 Minuten waren wir Herren 
der Stadt. Durch Verſehen des in Gauſae eomman— 
direnden Stabsoffiziers ward der einzige Weg, der von 
der Stadt nach dem Fort führte, nicht beſetzt, weß— 
halb ein Theil der Garniſon mit Periquet ſich in 
eiliger Flucht dorthin zurückzog. Die übrige Mann— 
ſchaft und der Oberſtlieutenant wurden niedergehauen, 
nur acht Mann, Tags darauf in einem Heuſchober ver— 
ſteckt gefunden, geſchont und als Gefangene abgeführt. 

Den Inſtructionen des General-Capitains zufolge 
ſollte die Stadt, im Falle ſie ſich auf die erſte Som— 
mation nicht ergebe und mit Sturm genommen würde, 
durch zwei Stunden geplündert, dann an den vier 


Ecken angezündet und niedergebrannt werden. Den 


299 


zweiten Theil dieſes Befehls glaubten wir umgehen 
zu dürfen; es ſchien uns durch Vollziehung des Erſten 
das arme Viella hinlänglich für den Widerſtand ſeiner 
Garniſon gezüchtigt. Jeder Kriegsſoldat weiß, wie 
ein der Wuth ſtürmender Soldateska preisgegebener 
Ort ausſieht; ich übergehe daher gern die Erzählung 
von Gräuelſcenen, die bei Plünderungen unausbleiblich, 
ſich in allen Feldzügen wiederholen. Nach einer Stunde 
ließen wir Generalmarſch ſchlagen und ſchickten die 
Truppen nach Betrén und Gauſac zurück; nur ein 
Bataillon wurde in Viella gelaſſen. Der Platz dieſer 
Stadt, durch das Fort dominirt, blieb beſtändig den 
Schüſſen ausgeſetzt, ſo daß verboten werden mußte, 
auf demſelben ſtehen zu bleiben oder ſich zu gruppiren, 
da in der erſten halben Stunde die viertelpfündigen 
Kugeln der feindlichen Wallbüchſen uns einige Solda— 
ten tödteten und verwundeten; ja einige derſelben fuh— 
ren durch das offene Fenſter in Porredons Woh— 
nung und ſchlugen, über unſern Köpfen weg, in die 
Tapete, als wir eben bei Tiſche ſaßen. Ich hatte 
Porredon aufgefordert, noch dieſelbe Nacht Leitern 
anzulegen und das Fort zu escaladiren; doch war er 
dazu nicht zu bewegen, und nur mit größter Mühe 


300 


hielt ich ihn ab, meinen Vorſchlag vor einen Kriegs— 
rath der Bataillons-Chefs zu bringen und ihm hie— 
durch eine nachtheilige Oeffentlichkeit zu geben. Trotz 
aller Ueberredung konnte ich ihn nicht beſtimmen, ſeine 
Leute ohne Breſche attaquiren zu laſſen. Um mich mit 
ihm nicht zu entzweien, mußte ich nachgeben, und wir 
beſchloſſen, trotz der allgemeinen Ermüdung, auf eine, 
das Fort dominirende, nahe Anhöhe, el Aro dels Ca— 
pellans genannt, dieſelbe Nacht unſere Batterie zu 
etabliren, mit Tagesanbruch Breſche zu ſchießen und mit 
einigen Elite-Compagnien in das Fort einzudringen. 

Doch wurde gegen Abend, als eben die in Viella 
garniſonirenden Sappeurs mit den Faſchinen und 
Körben abmarſchiren wollten, durch betrunkene Sol— 
daten Feuer an ein Haus gelegt, und bald ſtand 
eine ganze Straße in Flammen. Die Unordnung, die 
hieraus anfänglich erfolgte, die zum Löſchen nö— 
thige Zeit nahmen die meiſten Nachtſtunden hin, und 
als noch vor Tagesanbruch ich dennoch die Sappeurs 
auf die Höhe führen wollte, fiel ſo dichter Schnee, 
durch Wirbelwind aufgepeitſcht, daß alle Operationen 
unterbleiben mußten. Zur Deckung meiner Verant- 
wortlichkeit ſchickte ich einen Ofſizier an den General- 


301 


Capitain, mit ausführlichem Berichte über die letzten 
Ereigniſſe und Porredons Widerſtand. Den näch— 
ſten Tag über waren wir genöthigt, unthätig zu 
bleiben; gegen Mittag begaben wir uns in die Ka— 
thedrale von Viella, wo der Diviſions-Caplan Fray 
Ignacio Hochamt und Te Deum, für die Einnahme 
von Viella, beim Klange unferer Bataillonsmuſik hielt. 
An allen Glocken wurde geläutet, und nach ächt ſpa— 
niſcher Weiſe dachte Niemand mehr, auf das vor uns 
liegende feindliche Caſtell. 

Am folgenden 7. dauerte das Schneegeſtöber 
fort, und wenn man die Bataillone deeimirt hätte, 
würde Keiner ſeine Cantonnirung verlaſſen haben. 
Gegen Mittag ward gemeldet, daß die franzöſiſche 
Garniſon von St. Beat an der Grenze ſei und 
ſich anſchicke, unſer Gebiet zu betreten, um einige 
feindliche Flüchtlinge zu verſtärken, die bei unſerem 
Einmarſch in das Thal ihre Garniſonen Begos und 
Boſoſt verlaſſen und ſich auf franzöſiſches Territorium 
zurückgezogen hatten. Obſchon dieſem Gerüchte nicht 
viel Glauben beizumeſſen war, ſo verbreitete es doch 
ſo allgemeines Entſetzen, daß um den übelſten Folgen 
vorzubeugen, ich beſchloß, an dieſem ohnedieß müßigen 
Tage mich ſelbſt zur Grenze zu begeben. Gegen Mit⸗ 


302 

tag ritt ich mit einigen Generalſtabs-Offizieren das 
Thal hinab; vor zwei Tagen noch ſo grün und blü— 
hend, ſah es jetzt einer Eisſchlucht im höchſten Norden 
gleich. Wir ritten durch viele Dörfer, an den Ruinen 
des hiſtoriſch berühmten Schloſſes Caſtel Leon vorbei; 
als wir nach Boſoſt kamen, liefen ein Dutzend 
Peſeteros davon, die dort ihr Unweſen getrieben und 
wohl jene albernen Gerüchte ausgeſprengt haben moch— 
ten. Wir jagten hinter ihnen her; doch konnten ſie 
auf dem ſteinigen, ſchlüpfrigen Boden ſchneller laufen, 
als wir reiten, und als wir zur Grenzbrücke kamen, 
waren ſie bereits auf franzöſiſchem Gebiete. Doch ſahen 
wir außer einigen Compagnien franzöſiſcher Infanterie, 
die dieſe Paſſage beobachteten, nichts, was auf eine 
militäriſche Bewegung unſerer unfreundlichen Nachbaren 
hingedeutet hätte. 

Als ich Abends nach Viella zurückkam, fand ich Por— 
redon noch unvernünftiger disponirt als früher; er 
hatte Miguel del Oli, Chef des 5. Bataillons und 
Bruder des Oberſten Pons, zu Rathe gezogen, und war 
davon nicht abzubringen, in dem Fort ſei nichts zu finden, 
der Sturm unnöthig und werde viel Leute koſten. Nach 
langen Debatten verſprach er endlich, wenn am nächſtfol— 


303 


genden Tage (S.) noch keine Antwort vom General— 
Capitain einträfe, am 9. angreifen zu laſſen. Ich berich— 
tete dieß ſogleich dem General und begab mich zur Ruhe 
in übelſter Laune über dieſen unentſchloſſenen Men— 
ſchen, den ich doch ſchonen mußte, da die meiſten Leute 
unter ſeinem directen Befehle ſtanden und er überdieß, 
als älterer Chef, das letzte Wort hatte. 

Am 8., Morgens, trafen endlich die erſehnten 
Depechen aus dem Hauptquartier des General-Capi— 
tains ein. Sie waren vom Vorabend, und aus Eſterri 
datirt. In einem an mich gerichteten franzöſiſchen 
Schreiben ſagte der General unter Anderem: „je suis 
de fort mauvaise humeur sur la lenteur que le 
Brigadier Porredon a mis dans l’execution de 
l’operation que je lui avais confiee........ Je 
vous prie de le lui dire en particulier; il doit 
senfir que la prise de ce petit fort interesse le 
service du Roi notre Maitre, et que cette opera- 
tion doit étre prompte, ne pouvant me tenir tres 
longtems dans ces gorges, où un monvement 
combine de l’ennemi, qui connait ma position, 
pourrait me couper.” Und ſpäter: „qu'il (Porre- 


don se.) reunisse toutes les echelles de la vallee, 


qu'il donne l'assaut et passe tout au fil de la 
bayonette, en quoi il rendrait le plus grand ser- 
vice au Roi et à la Principaute de Catalogne, 
car ce sont des assassins ou des scelerats char- 
ges de sacrileges et de crimes.” 

Als ich Porredon dieſes vorlas und überſetzte, 
ſah er erſt lange mißtrauiſch die franzöſiſchen Schrift— 
züge an und hätte wohl gern an der Genauigkeit 
meiner Interpretation gezweifelt; doch entſchloß er ſich 
endlich die nöthigen Befehle an die Bataillonschefs 
zu geben. Pons und Borges als die zwei Fähig— 
ſten wurden gerufen; man ſtelle ſich nun meine Ver- 
zweiflung vor, als Beide ganz trocken erklärten: ſie 
wären keine Saltimbancos, und das Klettern auf 
Leitern ſei nicht ihre Sache; übrigens würde ihnen 
kein Soldat folgen und ſie gewiß Keinen führen; 
ſobald eine Breſche practicabel wäre, wollten ſie ſelbſt 
ihre Leute in das Fort führen, ſonſt nicht, und wenn 
der General-Capitain ſelbſt käme. Mehr von ihnen 
zu erlangen, Freiwillige ſelbſt aufzurufen und hinzu— 
führen, wäre nicht möglich geweſen, da gewiß jeder 
Chef ſeine eigene Bande von einem ſo „tollkühnen 
und widerſinnigen Unternehmen“ ſelbſt abgehalten 


305 


hätte. An Aufſtellung der Batterie bei Tage war 
nicht zu denken, da ich zu einem, ihnen ſo exponirt 
ſcheinenden Vorhaben keinen Mann gefunden hätte; 
es blieb alſo nur übrig die Nacht abzuwarten. 

Nach mehrſtündiger Arbeit, beim furchtbarſten 
Wetter, waren endlich unſere kleinen Piecen auf dem 
längſt beſprochenen Punkte. Um 7 Uhr begann ein 
ziemlich lebhaftes Feuer unſerer Seits, nur ſchwach 
vom Fort erwiedert, und als nach einigen Stunden 
eine Wand glücklich einfiel, die Flagge vom beſchädig— 
ten Thurm herabſtürzte und ich jeden Augenblick er— 
wartete, mit ein paar Elite-Compagnien durch die 
Breſche eindringen zu können, hörte ich, zu meinen 
Füßen, in Viella, Generalmarſch ſchlagen und gewahrte 
zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß in dem 
Hofe der Wohnung Porredons, deſſen Maulthiere 
gepackt wurden. Ich eilte hinab, Erklärung zu ver— 
langen, doch hörte ich ſchon in allen Straßen die 
Offiziere und Soldaten vom Rückzuge ſprechen, und 
als ich Porredons Haus betrat, übergab er mir 
mit triumphirendem Lächeln eine Depeche des General— 
Capitains, die den unverweilten Abmarſch befahl. 
In einem Schreiben de Eſpana's aus Llavorſi von 

II. 20 


306 


letzter Nacht ſchrieb er mir: „le general- en - chef 
ennemi est pres de moi en forces considerables; 
par consequent ma position n’est point du tout 
riante. J’eeris au Brigadier Porredon qu'il exe- 
cute incessamment son mouvement de retraite, 
qu'il doit faire avec prudence et celerite; cela 
lui fera connaitre le tems qu'il a perdu.” In einer 
Nachſchrift ſagt der, ſelbſt in kritiſchen Momenten, ſtets 
heitere Greis, dem ich ich einige Proviſionen geſchickt 
hatte: „je vous remercie du fromage et de la 
bouteille de Rhum; nous n’avons rien à manger, 
pas méme des sardines, et il fait trop froid pour 
le Gaspacho.” *) 

Noch wenige Stunden Zeit und das Fort wäre 
unſer geweſen, doch war an ein längeres Verweilen 
mit dieſen Leuten nicht zu denken, die ſich glücklich 
ſchätzten, unverrichteter Dinge abziehen zu dürfen. Die 
Artillerie wurde aufgeladen und unter dem Hohnge— 


*) Gafpacho, eine Art Salat, in ganz Spanien üblich, 
aus geröſtetem Brod, Oel, Eſſig, Zwiebeln, Salz und 
Pfeffer; im Sommer kühlend, doch immer von ſchlech— 
tem Geſchmacke. 


307 


lächter der feindlichen Beſatzung abgezogen. Als Nach— 
mittags die Truppen durch Betrén marſchirten, fehlte 
ein ganzes Bataillon, und es fand ſich, daß Porredon, 
in der jüngſtverfloſſenen Nacht, es in das untere Thal 
geſchickt hatte, Conſeriptionen einzuſammeln. Er war 
nicht einmal darauf bedacht geweſen, bei Empfang 
der letzten Depeche es zurück zu beordern, und ſo 
mußten wenigſtens 12 Stunden vergehen ehe es an— 
langen konnte, da es unmöglich zurückgelaſſen, und 
dadurch dem Feinde in die Hände geliefert werden 
durfte. Dieſe Zeit wäre mehr als genügend geweſen 
das Fort zu nehmen, doch hatte Porredon mir 
nicht ein Wort von dieſem ganzen Vorfall geſagt und 
erwiederte jetzt auf alle meine Vorwürfe mit ſtoiſchem 
Gleichmuthe und ſtehendem Lächeln auf den Lippen: 
„Hombre! ich hatte ſo viel zu denken und Alles kam 
ſo ſchnell, daß ich es vergeſſen habe.“ Erſt den fol— 
genden Nachmittag kam das erwartete Bataillon, und 
es war bereits 7 Uhr Abends als wir in Tredos, am 
Fuße der Berge anlangten. Viel Schnee war wieder 
während der letzten Nacht gefallen, ein gewaltiger 
Sturm erhob ſich; die nächſten Stunden drohten un⸗ 
heilvoll zu werden, beſonders da die Nächte ganz 
20 


finfter waren. Ich ſchlug Porredon vor, den Ueber— 
gang durch den Paß bis zum nächſten Morgen zu 
verſchieben; doch konnte er, nach ſo viel verlorner Zeit, 
den Moment gar nicht abwarten aus dem Thale zu 
kommen, und gab Befehl zum Abmarſch. Wir führten 
42 Maulthiere mit, von denen 20 mit Glocken-Metall 
für die Gießerei von Berga beladen; über 300 Rinder 
und eine bedeutende Anzahl Schafvieh wurden auch 
mitgetrieben; doch kaum 2 Stunden nach unſerm Aus- 
marſch aus Tredos, hatte ſich der größte Theil der 
Heerden bereits verlaufen, und die Hälfte der Laſtthiere 
lag in den Abgründen. 

Als wir nach Mitternacht beim Hoſtal de la 
Bonaigua anlangten, waren ſämmtliche Bataillone ſo 
debandirt, daß keine einzige Compagnie mehr ihre 
complette Mannſchaft zählte. Artillerie, Munitions- 
kaſten, Equipage, von allen dem war nichts mehr zu 
ſehen. Ich marſchirte mit den Letzten und kletterte 
mühſam, trüben Sinnes auf meinen Säbel geſtützt. 
Als ich endlich zum Hoſtal kam, ſtand Porredon 
vor demſelben, rang die Hände und jammerte über 
das Unheil, das er ſelbſt angerichtet. Um ihn herum 
lagen Hunderte von ermüdeten Soldaten auf dem 


309 


Schnee und heulten vor Kälte. Ich ließ die Scheune 
und Stallungen des Hoſtals niederreißen, das Dach 
abbrechen und mit dieſem Brennmaterial längs des 
Weges eine lange Reihe von Feuern anmachen, die 
Angekommenen zu erwärmen und die Zurückgebliebenen 
zu leiten. Bald ſammelten ſich immer mehr Nach— 
zügler; etwas Proviant, einige Weinſchläuche und ein 
paar Stücke Schlachtvieh wurden noch vorgefunden 
oder aus den nächſten Schluchten hervorgezogen. Als 
der Tag anbrach hatte der Sturm ſich gelegt und wir 
konnten den Schaden überſehen. Die Rüſtigſten wur— 
den mit Stricken zurückgeſchickt, die in Schluchten ver— 
ſunkenen Soldaten heraufzuziehen. Die Meiſten fand 
man noch am Leben und brachte ſie glücklich ein; nur 
Einige waren in Schlaf verfallen und erfroren. Als 
wir um 9 Uhr die Bataillone auf dem Wege formir- 
ten, fehlten noch ungefähr 40 Mann, doch der größte 
Theil der Laſtthiere, ſämmtliche Artillerie, Munitions- 
kaſten, Equipage und Glocken-Material blieben ver— 
loren.*) Der Marſch ward ſogleich angetreten, doch 


*) Einige Tage ſpäter ward ein Artillerie-Offizier mit 
einigen Soldaten zurückgeſchickt, die Kanonenröhre ab— 


310 


konnte er nur ſehr langſam von Statten gehen, da 
beinahe alle Soldaten ihre Schuhe verloren, und mit 
wunden Füßen, hinkend über Schnee und Steine ein— 
herwankten. An ſolchen Tagen ſah man wieder, daß 
der ſpaniſche Soldat, auf Märſchen, im Entbehren und 
Leiden, der Erſte der Welt iſt. Nicht Eine Klage war 
zu hören, und nur am Verſtummen ihrer frohen Lieder, 
am düſtern Blick ihrer ſchwarzen Augen, waren Schmerz 
und Unzufriedenheit kenntlich. Dieſem Zuſtande etwas 


abzuhelfen, nahmen wir zu einem Mittel unſere 


zuholen. Man fand fie zwar tief im Schnee, im Grunde 
einer Schlucht, doch beging man die Unvorſichtigkeit Bauern 
zu verwenden, um ſie heraufzuziehen, und da zu ihrem 
Transporte Maulthiere und geeignete Böcke fehlten, ſie 
in deren Gegenwart in einen Felſenriß einzugraben. 
Die Sache wurde ruchbar, und kurz nach Abgang 
unſerer Artilleriſten kam eine feindliche Streifpartei 
und nöthigte die Bauern, die nichts geſtehen wollten, 
unter den furchtbarſten Martern (ſie wurden mit bloßen 
Füßen auf glühend heiße Platten geſtellt) das Verſteck 
anzugeben; worauf die Kanonen hervorgeholt, nach 
Barcelona gebracht und im Triumph durch alle Stra— 
ßen geführt wurden. In van Meer's nächſtem Bulle 
tin war mit vielem Pathos von vier dem Feinde abge— 
nommenen Geſchützen die Rede. 


Zuflucht, das wahrend des legten Krieges oftmals, 
wenigſtens unſerer Seits, mit Erfolg angewendet 
wurde: es ward den Soldaten erlaubt in den Orten, 
durch die wir paſſirten, alles Schuhwerk zu nehmen. 
Daß dieſer Befehl pünktlich befolgt wurde, kann man 
denken, und ich glaube nicht, daß nach unſerm Durch— 
marſche in Arrég und Valencia ein einziges Paar San— 
dalen oder Schuhe übrig geblieben iſt, die der Frauen 
mit eingerechnet, welche den kleinen ſpaniſchen Füßen un— 
ſerer Soldaten vortrefflich paßten. Noch iſt mir erinner— 
lich, daß in letzterm Orte der Alkalde uns mit einigen 
Rationen auf dem Platze erwartete, die mein vorlaufen— 
der Minone *) beſtellt hatte. Da griff ihn unverſehens 


*) De Eſpana, der voll Attentionen für mich war, 
hatte mir einen Minonen gegeben. Dieſer vortreffliche 
Burſche, der ſchnellſte Läufer, den ich je geſehen, beſaß 
nebenbei einige Talente in der Kochkunſt. Er briet 
ſehr gut am Spieße; auch verſtand er aus Bohnen und 
einem Schöps ſechs verſchiedene Schüſſeln zuzurichten. 
Mir iſt dabei ſtets der Savoyard eingefallen, der in 
Paris angekommen, die Kneipen ſeines Vaterlandes 
weit vorzog, in denen man ſo verſchiedene Speiſen 
aus Schweinefleiſch bereite. Mein Minone wurde von 
mir oft als Marmiton mit beſtem Erfolge verwendet, 


312 


ein Soldat von hinten bei den Schultern und legte 
ihn unſanft zur Erde, während ein Anderer von vorn 
unter vielen Entſchuldigungen ihm die Schuhe auszog. 

Endlich kamen wir nach Eſterri, wo wir ein Reiter— 
Detachement des Grafen de Eſpana fanden, und 
erfuhren, er habe am Vorabend (10.) zwiſchen Sort 
und Rialp, durch fünf Stunden ſich gegen van Meer 
geſchlagen, der aus Trem mit 5000 Mann herbeige— 
eilt war und unſern General-Capitain angegriffen hatte. 
Dieſer konnte nur über drei Bataillons disponiren; doch 
war von ihm das enge Terrain ſo gut benutzt worden, 
daß er den feindlichen General verhinderte, auch nur einen 
Augenblick, feine überlegenen Kräfte ganz zu deployiren. 
De Eſpaña hatte ſtets unſere Ankunft erwartet, die 
ohne den zwölfſtündigen Aufenthalt wegen des zurück— 
gebliebenen Bataillons, auch Tags vorher erfolgt 
wäre. In dieſem Falle wollte er ſogleich die Offen- 


und zeichnete ſich durch Schnelligkeit und Sauberkeit 
aus. Wenn einem meiner freundlichen Leſer ein ſolcher 
Marmiton bekannt fein ſollte, fo bitte ich ihn unfran⸗ 
kirt an meinen Verleger, Herrn J. D. Sauerländer 
in Frankfurt am Main ſchicken zu wollen, der ihn mir 
ſogleich zukommen laſſen wird. 


313 


ſive ergreifen. So aber ſah er ſich genöthigt ſeine 
Poſitionen zu vertheidigen, was auch auf die brillan— 
teſte Weiſe geſchah. Bei Sonnenuntergang zogen ſich 
beide Theile in ihre alten Nachtquartiere zurück; doch 
waren mittlerweile Carb und Sebaſtian aus 
Gerri in das Thal von Capdella eingedrungen, drohten 
über Bernuy (nicht mit Beranuy zu verwechſeln) und 
einen kleinen Gebirgsrücken vorzudringen, den General- 
Capitain von uns abzuſchneiden, und ihn zwiſchen ſich 
und van Meer zu ſtellen. De Eſpana war daher 
genöthigt geweſen, nach Zurücklaſſung eines Obſer— 
vations-Detachements in Eſterri, ſich links ab nach 
Tirbia (nicht Tirvia) am Eingange des Thales von 
Cardos zurück zu ziehen und dort unſere Ankunft ab— 
zuwarten. Eine Depeche von ihm befahl uns mög— 
lichſte Schnelligkeit, da jeder Verzug uns nothwendig 
abſchneiden mußte. 

Wenige Minuten nach unſerer Ankunft kamen 
royaliſtiſche Bauern herbeigelaufen und berichteten, der 
Feind beſetze Rialp und Santa Roma, und ſeine Vor⸗ 
poſten ſtänden in Llavorſi, denen des Grafen de 
Eſpana gegenüber, der noch immer in Tirbia ver— 
weile. Der Feind könne jeden Augenblick vordringen 


314 


und die Brücke von Eſcals beſetzen, die um jeden Preis 
von uns genommen werden mußte, wenn wir nicht 
abgeſchnitten ſein wollten. Ich ritt ſogleich mit den 
dreißig von de Eſpama zurückgelaſſenen Reitern ab, 
während Porredon 2000 Rationen und 1000 Paar 
Schuhe in Eſterri requirirte, mir das erſte marſch— 
fähige Bataillon zuſchicken und mit den übrigen 
eiligſt nachfolgen ſollte. Nach einer halben Stunde 
geſtreckten Galopps kamen wir zur Brücke, als eben 
einige vorausgeſchickte feindliche Compagnien ſich an⸗ 
ſchickten ſie zu beſetzen. Wir chargirten und vertrieben 
ſie, machten einige Gefangene und beſetzten die Brücke. 
Nach kaum ¼ Stunden kam das erſte Bataillon, del 
Rey genannt, das am ſchnellſten rationirt worden und 
am wenigſten gelitten hatte, eiligen Laufes heran. 
Die Brücke wurde ſo feſt barrieadirt, daß auch ein 
mächtiger Angriff bedeutender Kräfte abgeſchlagen wer— 
den konnte. Ich ließ die Grenadier-Compagnie zurück, 
zog mit den übrigen ſieben und den Reitern über 
Pere de Burgel links ab, und erſtieg den Höhenkamm, 
der uns von Tirbia trennte. Vorher ſchickte ich noch. 
eine Ordonnanz an Porredon, ihm dringend zu empfeh— 
len, nicht zu ſehr zu verweilen. Um ein Uhr kam ich 


315 


in Tirbia an. Der General ſtand auf einer Anhöhe 
vor dem Dorfe und beobachtete mit dem Fernrohr die 
Gegend. Durch einen von Tirbia aus abgeſchickten 
Spion, der von der nächſten Höhe aus Alles beobachtet 
hatte, war er bereits von der Einnahme der Brücke 
von Escalö in Kenntniß. Als die Reiter vor ihm 
defilirten, nahm er ſeinen Stock unter den Arm und 
klatſchte in die Hände. Doch gleich darauf rief er 
mich bei Seite, erkundigte ſich erſt freundlich nach 
meinem Zuſtand (ich war auf der Brücke verwundet 
worden) und ließ ſich dann ſehr ſtrenge über Porre— 
don aus, den er anfänglich vor ein Kriegsgericht 
ſtellen und degradiren wollte, doch ſpäter Oberſt 
Davila's und meinen Bitten nachgebend, ſich darauf 
beſchränkte, ihm das Commando feiner Disviſion zu 
nehmen, das einige Tage ſpäter Segarra erhielt. 
Porredon hat ihm dieß nie vergeben, und war wohl 
nicht ohne Schuld an dem gräßlichen Morde des 
Grafen de Eſpana. 

Den ganzen Tag über wurde Porredon ver— 
geblich erwartet, und der General über dies unnatür— 
liche Ausbleiben ſchon ſehr unruhig, als Nachts ein 
Spion die Nachricht brachte, der Brigadier habe erſt 


316 


gegen Abend Eſterri verlaſſen, feine Kräfte getheilt, 
mit zwei Bataillons den Weg über die Brücke von 
Escalò eingeſchlagen und die zwei andern, aus uner— 
klärlichen Gründen, auf einem viel weitern Wege, 
über Eſtahön und das Thal von Cardos, unter Oberſt— 
Lieutenant Borges, detachirt. Dieſe ungeſchickte Ma- 
noeuore hatte die traurigſten Folgen. Porredon mit 
den zwei Bataillons kam über die Brücke von Gscalo 
vor Sonnenaufgang in Tirbia an, nachdem der Feind 
zwiſchen der Brücke und Pere de Burgel ihn nur 
ſchwach angegriffen. Doch beſetzte van Meer nach ſei— 
nem Abzuge ſogleich dieſen Punkt, und ſchickte eine ſtarke 
Colonne auf kürzerem Wege in das Thal von Gardos, 
zwiſchen Eſtahön und Tirbia, fo daß Borges, von 
uns abgeſchnitten, ſich auf die höchſten Gebirgsrücken 
werfen und in beſtändiger Flucht endlich auf das 
neutrale Gebiet von Andorra zurückziehen mußte. Nach 
mehreren Tagen paſſirte er die Thäler des Urgel und 
kam mit debandirter und verringerter Mannſchaft in 
Oliana an, als wir bereits feit einer Woche uns in 
dieſem Orte befanden. a 

Der Keſſel, in dem Tirbia gelegen, bildet den 
Schluß des Thals von Cardôs und gleicht einer Mu— 


jchel, welche Form überhaupt die meiſten Thäler jener 
Gegend haben, daher ſie auch im Lande, Muſcheln 
(Concas) genannt werden. Ein ſteiler Höhenrücken 
dehnt ſich zwiſchen Tirbia und dem Nogueras aus; 
am Fuße deſſelben fließt ein kleiner Bach vor dem 
Orte; ein einziger enger Paß, Coll de la Baña, in 
den höchſten Felſenkamm eingeſchnitten, gewährt den 
Durchgang und iſt kaum für ein beladenes Maulthier 
breit genug. Dieſen Paß beſetzte der General-Capitain 
mit einer Grenadier-Compagnie; eine kleine Bruft- 
wehr, aus den umherliegenden Feldſteinen, hätte genügt, 
Tage lang ſelbſt größeren Heeren die Paſſage unmög— 
lich zu machen, da der entgegengeſetzte Abhang eben 
ſo ſteil, das Klettern nur einem Mann hinter dem 
Andern möglich machte. De Eſpaña, ſtets darauf 
bedacht die Offenſive zu ergreifen, wollte auf weitem 
Umwege, während der Feind uns noch in Tirbia 
glaubte, ihm in den Rücken fallen und hiezu den 
Augenblick benützen, wenn ſeine Berg-Artillerie die 
ſteile Lehne erſtiege. Dann ſollte durch den obern 
Paß ein halbes Bataillon vordringen, den Höhenkamm 
beſetzen, auf den kletternden Feind feuern und Steine 
auf ihn herabrollen. Die nothwendig hieraus erfol— 


318 


gende Unordnung, die Beſtürzung des erſten Augenblicks, 
ſich von zwei Seiten angegriffen zu ſehen, hätten 
unzweifelhaft den Sieg auf unſere Seite geneigt. 
Jede Vorbereitung war bereits getroffen, und de 
Eſpana im Begriffe mit dem Gros der Truppen 
längs des Thales abzumarſchiren, als zum allgemeinen 
Staunen wir die Grenadier-Compagnie, die den Paß 
beſetzt hatte, ihren Chef an der Spitze, ruhig den 
Bergpfad herabſteigen ſahen, ohne auch nur Einen 
Mann zur Bewachung zurück zu laſſen. Nach wenig 
Augenblicken gewahrten wir ſchon die ſpitzen Mützen 
der Chriſtinos aus dem Paße hervorblicken, und ehe 
ein paar Minuten vergingen war die obere Lehne mit 
Feinden bedeckt. Der General-Capitain ſchäumte vor 
Wuth, ſeinen wohl angelegten Plan, durch einen ſo 
erbärmlichen Fehler, ſcheitern zu ſehen, doch befahl 
er augenblicklich ein Bataillon als Tirailleurs längs 
des Baches zu deployiren, dem Vordringen des Fein— 
des Einhalt zu thun. Die an der Berglehne einzeln 
herabkletternden chriſtiniſchen Jäger wurden zuſammen⸗ 
geſchoſſen, rollten in das Thal, und jede feindliche 
Formation am Fuße des Berges wurde unmöglich 
gemacht. Als der unglückliche Capitain, der ſeinen 


319 


Poſten aufgegeben, bei uns ankam, nahm der General- 
Capitain feinen Säbel, gab ihm ein Gewehr und fagte 
mit donnernder Stimme: „im Namen des Königs 
degradire ich Sie und mache Sie zum gemeinen Sol— 
daten.“ 

Unter beſtändigem Feuern traten wir nun unſern 
Rückzug an; ein längs einer Berglehne ſich ziehender 
Steig war der einzige Ausweg, dem Feinde in ent— 
gegengeſetzter Richtung. Während das Gros unſerer 
Bataillone auf demſelben abmarſchirte, hielten einige 
Compagnien den immer ſtärker vordringenden Feind 
am Ufer des Baches auf, und zogen ſich aus dem 
Thale in Echelons längs der Lehne zurück, als 
unſere ganze Colonne den engen Steig paſſirt und die 
entgegengeſetzte Berglehne erreicht hatte. Der Feind 
konnte nur ſchwach verfolgen und mußte ſich auf ein 
ziemlich unbedeutendes Geplänkel beſchränken, das bis 
zur einbrechenden Nacht dauerte. Wir marſchirten in 
ſüdlicher Richtung über den Coll de Räs bei den 
Eiſenhämmern von Burgo vorbei, bis San Juan de 
Lerra: „durch unglaubliche Abgründe, ſenkrechte glatteiſe 
Steige, Berg auf und ab, in zwölfſtündigem aller— 
beſchwerlichſtem Marſch.“ So finde ich in meinem 


Journal dieſen Zug verzeichnet. Nach zweiſtündigem 
Halt wandten wir uns nach dem Coll de la Baſeta, 
der das Thalgebiet des Nogueras von dem des Segre 
ſcheidet; noch waren wir in beſtändiger Gefahr vom Feinde 
umzingelt zu werden und unſern Rückzug abgeſchnitten 
zu ſehen. Von drei feindlichen Colonnen umgeben, 
blieb nur übrig, ſich direet in das Thal des Urgel zu 
werfen und beinahe unter den Kanonen der Seu vor— 
bei zu paſſiren, da Sebaſtian im Norden, Carbo 
im Süden und van Meer im Nordweſten unſerer 
Colonne ſtanden, in combinirter Bewegung mit mehr 
als vierfach überlegenen Kräften, auf uns eindrängten 
und in ihren Bezirken alle Brücken abſchnitten, alle 
Stege beſetzt hielten. Gegen Morgen kamen wir nach 
Gaftell-Bo, auch Santa Cruz del Valle de Gaitell-Bo 
genannt, hielten nur die nöthige Zeit den Truppen 
die unentbehrlichſte Ruhe zu gönnen, überſchritten den 
kleinen Coll de Jou, zogen im Angeſicht der Seu vor— 
bei, die ein ſtarkes aber größtentheils vergebliches Feuer 
auf uns richtete, und marſchirten im Thalgebiet des 
Segre über Abellanet und Adrall bis Gramös, wo 
wir Mittags ankamen. Hier waren wir einigermaßen 
aus den feindlichen Schlingen befreit. Als nun, um 


das Feuer des Generals gelagert, mit dem wieder— 
kehrenden Selbſtvertrauen, die meiſten Häuptlinge ſich 
den gewohnten Großſprechereien hingaben, hörte ſie 
de Eſpana erſt ruhig an und citirte dann die 
bekannte Stelle aus Cervantes: „Herr, ſagte 
Sancho, wie wir geflohen ſind; was nicht die 
Furcht macht! — Freund Sancho, erwiederte Don 
Quixote, das nennt man nicht Furcht; das heißt 
Vorſicht.“ 

Nachmittags ſetzten wir unſern Marſch fort, und 
kamen nach drei Stunden in Anöves an, einem bedeu— 
tenden Orte an einem Bergabhange; hier trafen wir 
Ybañez mit drei ſtarken Bataillons. Der General 
hatte ihm aus Llavorſi geſchrieben, und der gehorſame 
Guerilléro auf den erſten Ruf die Ebenen von Tarra= 
gona verlaſſen, um in Eilmärſchen beinahe ganz Cata— 
lonien zu durchziehen. Durch die Mißgriffe und Un⸗ 
glücksfälle der letzten Tage war der Zweck ſeiner An— 
kunft vereitelt, doch der General über den guten Willen 
des Chefs und der Truppe hoch erfreut. Er umarmte 
Mbanez, lobte ihn viel und ſagte, mit grimmigem 
Blicke auf Porredon: „wenn ich auf Alle, wie auf 
Dich zählen könnte, mein Sohn Manuel, würden 

II. 21 


322 


uns die Feinde nicht viel anhaben, und in ſechs Mo- 
naten wollte ich in Barcelona ſpeiſen.“ 

Am 14. Morgens zogen wir weiter, längs des 
Segre; nach drei Viertelſtunden ward in Caſa Regula, 
einem eleganten Landhauſe des Grafen Linati, gefrüh— 
ſtückt, und dann durch eine Furt des Segre paſſirt; 
eine Brücke, Puente de la Torre, ließ der General 
barricadiren und ein darüber befindliches halbzerſtörtes 
mauriſches Caſtell beſetzen, dem Feinde den Durchgang 
zu verwehren; bei einem einzelnen Gehöfte, Hoſtal 
Mou, ward Mittags gehalten, hierauf der Paß der 
drei Brücken paſſirt und bei Sonnenuntergang das 
Hauptquartier in Organya aufgeſchlagen. Es waren 
gerade vierzehn Tage ſeit unſerm Ausmarſch aus dieſer 
Stadt. Hier blieben wir durch 24 Stunden, während 
welchen Segarra mit drei Bataillons zu uns ſtieß vet 
hatte das untere Flußgebiet des Segre und die Ebenen 
um Cervera, beinahe bis an den Ebro, frei durchſtrichen 
und überall vom Feinde entblößt gefunden, da deſſen 
ſämmtliche Kräfte um uns ſich concentrirt hatten. 
Am 16. verlegte der General ſein Hauptquartier nach 
Oliana, wo während der nächſten Tage Porredon 
ſeine Diviſion verlor, und Borges, debandirt, aus 


323 


Andorra eintraf. Der General ließ ein paar pallaſt— 
artige Häuſer, die leer ſtanden, zu Kaſernen einrichten 
und beſchloß, fein Winterquartier in Oliana zu nehmen. 

Durch die letzten Märſche hatte ſich meine Wunde 
ſo verſchlimmert, daß ſie eine ernſte, ſorgfältige Heilung 
erforderte; den cataloniſchen Chirurgen ſich anver- 
trauen, hieß aber dem Henker heimfallen; ſie hatten 
ſich vorgenommen, mir das Bein abzuſchneiden, was 
ich natürlich nicht zugeben wollte, und von franzöſiſchen 
Wundärzten, bei geregelter Pflege, meine ſämmtlichen 
Glieder zu erhalten hoffte. Ich bat daher den Gene— 
ral, mich zu entlaſſen, da meine Dienſte, den Winter 
über, doch nur unerheblich ſein konnten. Tief ergriffen 
nahm ich Abſchied vom Grafen de Eſpanña, den ich 
wie einen Vater liebte und verehrte, und der mich 
ſtets wie ſeinen eigenen Sohn behandelt hatte. Nie 
wird dieſer Moment aus meiner Erinnerung ſchwinden; 
der General ſchien wahrhaft erſchüttert, drückte ſich 
herb über ſeine Umgebung aus, die, meinte er, mit 
Ausnahme von Davila und Pbaßñez, aus Cra— 
pule beſtehe. Er ſchien ſein unglückliches Ende zu 
ahnen; denn als ich ihm kurz darauf ſchrieb, wenn 
Alles zuſammenſchlüge, würde mein Dach das Seine 

31” 


jein, antwortete er mir: „je vous remercie cor- 
dialement de votre hospitalite en Silesie; je suis 
bien vieux, mais qui sait le terme de notre mise- 
rable vie. — Vivent les Rois, quand meme!” 
Dieſen Brief, mit dem Stempel des General-Com- 
mandos von Catalonien verſehen, beſitze ich noch und 
bewahre ihn ſorgfältig, einer Reliquie gleich.“) 


*) Obgleich die Ermordung des Grafen de Eſpana in 
eine Epoche fällt, als ich mich nicht mehr in Catalo⸗ 
nien befand, ſo glaube ich doch, zur Ergänzung der 
Skizzen über meinen alten General, die Geſchichte 
dieſes ſchauderhaften Vorfalls hierher ſchreiben zu müſſen. 

Die Einnahme von Ripoll, einige glückliche Ge— 
fechte und die um Vieles vervollkommnete militäriſche 
Organiſation ſeiner Provinz, hatten dem Grafen de 
Eſpanña eine impoſante Stellung gegeben, als der 
König im September 1839 den franzöſiſchen Boden 
betrat. Wenn gleich die, durch den General eingeführte 
Ordnung, den Häuptlingen und der Junta nicht gefiel, 
ſo war doch nunmehr ihr Einfluß neutraliſirt, und ſie 
ſahen ſich darauf beſchränkt, Intriguen mit dem fönig- 
lichen Hoflager zu unterhalten, nachtheilige Gerüchte 
auszuſtreuen, das Vertrauen des Königs und der Armee 
zu untergraben und überall gegen die Autorität des 
Grafen de Efpana aufzuwiegeln. Er kannte alle 
dieſe Umtriebe; doch verachtete er ſie, vielleicht zu ſehr. 


325 


Von Oliana ritt ich zum letzten Male über unfere 
alten Bivouacplätze, die Mühle von Querol, die Eifen- 


Als die Nachricht nach Catalonien kam, daß der 
König Spanien verlaſſen, befürchtete de Eſpanña die 
Folgen des erſten Eindrucks. Dieſem zuvorzukommen, 
dem ſinkenden Enthuſiasmus einen neuen Impuls zu 
geben, ſuchte der Graf alle Erinnerungen zu wecken, 
die im Herzen jedes Spaniers, aus den großen Zeiten 
ihres Befreiungskampfes fortleben. Eine Maßregel, 
welche in dieſer heroiſchen Epoche von den bedeu— 
tendſten Folgen geweſen, ſchien ihm geeignet, gleichen 
Anklang zu finden — es iſt die Souveränetät und 
königliche Machtvollkommenheit der Provinzial-Juntas 
während der Abweſenheit und Gefangenſchaft des Kö— 
nigs. So viele trübe, unglückliche Ereigniſſe hatten 
ſich wiederholt: die gewaltſame Abdication im Schloſſe 
von Marrac und der Verrath auf den Feldern von 
Vergara; Ferdinand VII. Gefangenfchaft in Va⸗ 
lengay und Carl's V. Gefangenſchaft in Burges — 
ſollten denn die glanzvollen Momente ſich nicht wieder— 
finden? — der General-Capitain Graf de Eſpaña 
erklärte alſo unterm 1. October 1839 die Regierungs- 
junta von Catalonien, deren Präſident er war, ſouverän 
während der Abweſenheit und Gefangenſchaft des Kö— 
nigs (Junta superior gubernativa, soberana durante 
la absencia y cautividad del Rey N. S.) — dieß 
koſtete ihm das Leben. 


326 


hämmer am Cardenet, die Brücke von Golorons, Caſa 
Montanya, Hoſtal del Visbe und Caſa Canudas. Am 


Der Präſident jeder ſpaniſchen Junta hat nur zwei 
Stimmen: die Junta kann ſich legal, in ſeiner Abwe— 
ſenheit, unter Vorſitz eines Vocals-Vicepräſidenten 
verſammeln, in ihrem Pleno bei abſoluter Majorität 
abſchließen und decretiren. Der erſte Beſchluß der nun 
fouverän gewordenen Junta, in geheimer Sitzung gefaßt, 
war: die Abſetzung und Entfernung ihres General-Capi— 
tains und Präſidenten, des Grafen de Eſpanña. Doch 
wagte fie nicht ihr Deeret zu veröffentlichen, die Stim— 
mung der Truppen ſcheuend, die — namentlich die Sol— 
daten — enthuſiaſtiſch an ihrem Führer hingen. Ein 
geheimes Mittel, eine unwürdige Falle wurde auser— 
wählt, in die ſie den alten Feldherrn lockten. An 
einem beſtimmten Tage fanden ſich mehrere unzufrie— 
dene Häuptlinge in Avia ein, und als ſie ihrer Helfers— 
helfer verſichert waren, ließen die Mitglieder der Junta, 
unter Vorſitz ihres Vicepräſidenten, des Brigadiers Don 
Jacinto Orten, durch ihren Seeretär Nareiſo 
Ferer, einen Advocaten aus Barcelona, dem Grafen 
de Eſpaña nach Berga ſchreiben: einige wichtige 
Geſchäfte erheiſchten ſeine Gegenwart; ſie bäten ihn 
zu kommen, einer Sitzung zu präſidiren. Nur von 
wenigen Reitern, Minouen und einem feiner Adju— 
tanten, dem Oberſtlieutenant Don Luis de Adell 
(einem tüchtigen, gebildeten jungen Offizier) begleitet, 


327 


zweiten Abend war ich in Caſerras, nahm Abſchied 
von meinen guten Wirthen in der Villa von Llado, 


traf der General-Capitän noch denſelben Morgen in 
Avia ein, und ward vor dem Regierungsgebäude, von 
einigen Mitgliedern der Junta ehrfurchtsvoll empfan— 
gen. Als er in den Sitzungsſaal trat, ging einer der 
Vocale mit dem Finanz-Intendanten Don Gaſpar 
de Labandéro (Sohn des Ex-Finanz-Miniſters) 
zum zurückgebliebenen Adjutanten, und ſchickten ihn, 
vorgeblich im Auftrage des General-Capitäns, ſogleich 
nach Berga zurück. Dann wandten ſie ſich zum Cabo 
de Mozos und befahlen ihm, im Namen des Generals, 
ſich mit ſeinen Leuten in ein naheſtehendes Haus zu 
verfügen und dort abzufochen, da der Graf über Mittag 
bei den Herren der Junta verbleiben wolle. Die Ca— 
bos de Mozsos hatten, ihrem Dienſteide zufolge, nur 
vom General in Perſon Befehle zu empfangen, daher 
ſich der Erwähnte anfänglich weigerte, Folge zu leiſten. 
Doch ſtellte ihm Labandéro im natürlichſten Tone 
vor, dieſes geringe Zutrauen ſei wenig ſchmeichelhaft 
für ihn, den höchſten Finanz-Beamten der Provinz; 
wenn er übrigens den geringſten Zweifel hege, möge 
er hinaufgehen und den General ſelbſt fragen. Dieſer 
Nachſatz beruhigte den Cabo und er zog ſich mit ſeinen 
Leuten zurück. Nun fiel die Escorte der Junta, zur 
Sicherheit und als Amtsboten ihr beigegeben und aus 
vierzig Gendarmen beſtehend, über die vier reitenden 
Ordonnanzen des Generals her und band fie. 


328 


oberhalb Puig Reig, paſſirte nochmals Berga und 
Borrada und traf nach zwei andern Tagen wieder 


Während dieſes ſich mit der größten Schnelligkeit 
ereignete, trat der General-Capitain arglos in den 
Sitzungsſaal. Er trug an dieſem Tage ſeinen gewöhn— 
lichen, blauen Oberrock von militäriſchem Zuſchnitt, 
doch ohne alle Abzeichen ſeiner Würde, und nur auf 
der Bruſt mit dem geſtickten Ritterkreuze von Santiago 
geziert; den Generalshut, Säbel und das Rohr mit 
goldnem Knopfe, in Spanien ein Zeichen des activen 
Commandos. a 

Auf dieſen Stock geſtützt, ihn nach hinten haltend, 
ſtand der General vor dem Kamine im Sitzungsſaal; 
allein, unter vierzehn Verſchwornen, die alle Dolche 
und Piſtolen unter ihren Gewändern verbargen. Mehrere 
Minuten vergingen; Keiner wagte Hand anzulegen an 
den ergrauten Helden. Da trat Don Joſé Pons 
vor (el Bep del Oli, der Ex-Gouverneur von Berga), 
näherte ſich ihm, ſtieß mit dem Fuße nach ſeinem Stocke, 
und als Graf de Eſpana zurückwankte, ſchlug er 
ihm zwiſchen die Beine von hinten, daß der General 
zu fallen kam. Da ſtürzten ſie Alle über ihn her, wie 
die Krähen über den verwundeten Adler; zuerſt riſſen 
ſie ihm ſeinen Säbel weg, dann banden ſie ihn an 
einen Stuhl, und nun verlas ihm Ferer ſeine Ab— 
ſetzung. Der General verlangte die königliche Ordre 
zu ſehen, der er ſich allein unterwerfen wolle, und 


in Rivas, bei dem alten Trilla, ein. In Doria, an 


der äußerſten Grenze, entließ ich meine Escorte und 


ſchwor allen Anweſenden, er würde ſie ſonſt hängen 
laſſen; doch ſchrieen ſie, er ſolle ſchweigen, und Ferer 
verkündete ihm, daß er und der Oberſt Pons ihn 
unter Beſatzung an die franzöſiſche Grenze abführen 
würden. Er wurde geknebelt und in eine finſtere Kam— 
mer geworfen. Als ſein Adjutant aus Berga zurückkam, 
ward er, unter Vorſchützung eines Befehls des Generals, 
arretirt und gefänglich eingezogen. Bei Nacht wurde 
endlich Graf de Efpana hervorgeriſſen, auf einen 
Eſel geſetzt und durch Ferer und Pous, unter Beglei— 
tung von zwanzig Mann Gendarmen der Junta, in 
größter Stille und Eile, auf kaum gangbaren Steigen 
nach den Wildniſſen der höchſten Sierren abgeführt. 
Unterwegs geſellten ſich mehrere Spießgeſellen der Junta 
zu ihnen, deren Namen ich nicht verbürgen kann. 
Herr von Göben, der ſich zu jener Zeit in Catalo— 
nien befand, erzählt in ſeinem Buche (Vier Jahre in 
Spanien, Erinnerungen aus dem Bürgerkriege), daß 
auch Porredon (el Ros de Eroles) und Mariano 
Orten, einer der Adjutanten des Grafen, darunter 
geweſen; ja daß Letzterer eine Piſtole auf ihn abge— 
drückt habe, als der ſterbende Feldherr, im Glauben er 
komme ihm zu helfen, ihn noch ſchwach angerufen. 
Meine Quellen berichten, daß am dritten Tage eiligen 
Marſches die Mörder des Grafen de Eſpana mit 


330 


ſetzte, in Begleitung des Herrn von Meding und 
meines Dieners, von einigen Guiden geführt, auf 


ihrer Beute zum Paſſe der drei Brücken (de los tres 
puentes) am oberu Segre kamen. Als fie endlich auf 
der Brücke de los Eſpias ſtanden, riß Bep del Oli 
den General vom Eſel herunter, ſtieß ihm ſeinen langen 
Dolch in den Rücken und zeichnete ihn mit einem 
Kreuzhiebe über das ganze Geſicht weg, ihn unkenntlich 
zu machen. Hierauf nahm er ihn beim Kopfe, Ferer 
bei den Füßen und ſie ſtürzten ihn in den Abgrund. Der 
Leichnam ſchwamm den Segre herab, bis zur kleinen 
Stadt Ager (de Segre), wo die Feinde Garniſon hiel— 
ten. Die Schildwache am Strome ſah Nachts einen 
dunkeln Körper im Waſſer; er ward herausgeholt und 
der wachthabende Offizier erkannte den königlichen Ge— 
neral-Capitain von Catalonien, Grafen de Eſpaña. 
Er berichtete nach Barcelona, das revolutionäre Spa— 
nien wäre nun ſeines gefährlichſten Feindes entledigt; ich 
weiß nicht ob nach Bourges geſchrieben worden, daß 
König Carl V. ſeinen treueſten Diener, größten Feld— 
herrn verloren. 

Graf Carl de Efpana war Graf von Foix, Vi— 
comte von Couſerans und von Comminges; Grand 
von Spanien erſter Claſſe; Großkreuz der königlich Spa— 
niſchen Orden von Carlos III., San Fernando und 
San Hermenegildo, Ritter von Sant Jago, Großkreuz 
des königlich franzöſiſchen Sanct Ludwig- und des könig— 


831 


Maulthieren meinen Marſch über den letzten Höhen— 
kamm, Coll de Magans, fort, der mich von der fran— 
zöſiſchen Grenze ſchied. Ungeachtet ſtets zunehmender 
Leiden war ich doch bald gezwungen abzuſteigen, da 
das Reiten, auf dieſen ſteilen Lehnen, beim Glatteiſe 
weit ermüdender und gefährlicher war. Von zwei 
Schmugglern halb getragen, ſetzte ich meinen Weg 
unter den größten Schmerzen fort. Endlich war die 
Gebirgsſcheide erreicht. Meine Guiden legten mich 
auf ein Brett und ſchleiften mich, auf dem Schnee, 
den Abhang hinab. Gegen Abend erreichten wir Vall— 
javollera, das erſte franzöſiſche Dorf. 

Obgleich den Schmugglern dieſer Ort, als Grenz— 
poſten, zu gefährlich erſchien und ſie weiter wollten, 
war es mir doch nicht möglich, von der Stelle zu 
kommen, beſonders da unſere Maulthiere auf der 


lich Neapolitaniſchen Sanet Ferdinand-Ordens; Mal— 
teſer-Ritter; Präſident der königlichen Junta, General: 
Lieutenant und commandirender General der königlichen 
Fußgarde; General-Capitain des Fürſtenthums Cata— 
lonien und oberſter Chef ſämmtlicher Gerichtsbehörden 
in demſelben; wirklicher Kämmerer und Staatsrath 
Sr. Cathol. Majeſtät, beſtändiger Regidor von Palma. 


332 
Grenze zurückgeblieben waren, und wir bis zum nächſten 
Orte unſern Weg zu Fuße hätten fortſetzen müſſen. 
Unſere Guiden kannten Niemand im Dorfe; doch ſind 
die Geiſtlichen in der Regel Royaliſten und gewiß, 
mit höchſt geringen Ausnahmen, alle menſchlichen 
Sinnes. Ich klopfte daher am Pfarrhauſe an und 
ſagte dem öffnenden Pfarrer, wir ſeien carliſtiſche. 
Offiziere, die ihn um Nachtlager bäten. Der wür— 
dige junge Abbé empfing uns wie der Samaritaner 
im Evangelium; zwar goß er nicht Wein und Oel in 
meine Wunde, doch verband er ſie ſelbſt und goß 
Wein in unſere trockene Kehlen. Er gab mir ſein eige— 
nes Bett und war unabläſſig darauf bedacht, für unſere 
Bedürfniſſe zu ſorgen und mich zu pflegen. Gegen 
Mitternacht mußte er mich verlaſſen, um Meſſe zu 
leſen; es war der 24. December, der Weihnachts— 
Abend. Als er wiederkam, befand ich mich in einem 
ſtarken Fieber-Anfall, und gab meinem geiſtlichen 
Wirthe viel zu ſchaffen. Demungeachtet mußte am 
nächſten Tage aufgebrochen werden, da unſere Anwe— 
ſenheit in einem ſo kleinen Dorfe ruchbar werden und 
den guten Pfarrer unnöthig compromittiren konnte. 


Zwar wollte er uns nicht fortlaſſen; doch nahmen wir, 


innig gerührt, Abſchied, und noch heute gedenke ich 
dankbar des barmherzigen Paters, der während unſers 
achtzehnſtündigen Aufenthalts in feinem Haufe, mit 
echter Gaſtfreiheit, auch nicht eine einzige indiserete Frage 
an uns gerichtet, Namen, Land oder Reiſeziel betreffend. 

Wir mietheten Maulthiere und kamen, nach 
ein paar Stunden, nach Oſſega, wo ein Douaniers— 
Poſten über uns herfiel und uns zum Bureau ſchleppte, 
obgleich wir gar nicht daran dachten, uns verbergen 
oder ihnen entfliehen zu wollen. Unſere Effecten wurden 
regiſtrirt und verſiegelt, und uns nach langen Debatten 
erlaubt, unter Escorte zweier reitenden Gendarmen, 
die ich bezahlen und ernähren mußte, unſern Weg 
fortzuſetzen. Als wir vor dem Douane-Hauſe wieder 
aufſaßen, hatte ſich eine Maſſe Volk verſammelt, die 
uns verhöhnten und beſchimpften; ſie verfolgten uns 
noch bis vor die Stadt und ſchickten ſich eben an, 
Schneeballen und Koth nach uns zu werfen, als auf 
meine Bemerkung: „il est bien peu francais, din- 
sulter un blesse!” meine beiden Gendarmen mit 
gezücktem Säbel auf unſere Verfolger einſprengten, 
die auch gleich nach allen Richtungen zerſtoben. Wir 
ritten im Angeſichte der chriſtiniſchen Feſtung Puig— 


BB 


cerda, rechts von Bourg Madame vorbei, durch einen 
kleinen Ort, Lèocadia genannt, und brachten die Nacht 
in Saillagouſe zu. Am nächſten Morgen wurden uns 
ein paar andere Gendarmen zugetheilt, die uns bis 
Prades, dem Cheflieu des Arrondiſſement, führten. 
Ich kann dieſe Leute, ebenſo wie alle franzöſiſchen 
Gendarmen im Allgemeinen, mit denen ich während 
meiner öfteren Arreſtationen längs der ſpaniſchen Grenze 
zu thun gehabt, nur in jeder Hinſicht beloben. Die Gen— 
darmen, ſämmtlich gediente Soldaten, von denen viele 
die Campagnen des Kaiſers mitgemacht, bilden durch ihr 
anſtändiges und beinahe würdevolles Benehmen einen 
grellen, ſehr lobenswerthen Contraſt zu den buben— 
haften Sitten und dem rohen, ungeſchlachten Auf— 
treten der Douaniers. Die zwei alten Gendarmen, 
die durch zwei Tage mich von Saillagouſe bis Prades 
nicht verließen, muß ich noch beſonders anpreiſen. Sie 
waren voll Aufmerkſamkeiten für mich und ſchienen 
mehr zu meiner Bedienung oder Bequemlichkeit, als 
zur Bewachung mitzureiten. Sie hielten an, halfen 
mir auf und ab, brachten mir zu trinken, und ritten 
voraus, Quartier zu machen, Feuer und Eſſen zu 
beſtellen. Wenn ich ihnen hierüber meine Dankbarkeit 


335 


ausdrücken wollte, pflegte gewöhnlich der Eine zu ſagen: 
„honneur au courage malheureux,“ worauf der 
Andere regelmäßig erwiederte: „Chacun fait son de- 
voir selon sa conviction.“ Wir ritten durch den 
Port des Perches, ausgeſteckter Stangen wegen ſo 
genannt, die im Winter den Weg durch dieſen ziem— 
lich gefährlichen Paß zeigen. Nach zwei Stunden 
ſahen wir links auf einer Anhöhe das Caſtell Mont 
Louis; dann ging es über Cabanaſſe und Fonpadroſe 
bis Olette. Abends langte ich endlich unter vielen 
Schmerzen in der kleinen Feſtung Villefranche an, wo 
ich mich alsbald in ein Bett warf und, nach vielen 
Leiden, endlich in tiefen Schlummer verfiel. Am fol— 
genden Tage hatte ſich mein Zuſtand ſo verſchlimmert, 
daß es unmöglich war, mich auf ein Maulthier zu 
heben. Meine vortrefflichen Gendarmen mittelten 
jedoch einen zweirädrigen Karren aus, der mit Lein— 
wanddach, doch ohne Federn, tartane genannt wird. 
Ich war zu glücklich, mich auf Mäntel und Decken 
hineinlegen zu können; meine Wächter ritten zu beiden 
Seiten, und ſo hielt ich, nach vielen Stößen, meinen 
Einzug in Prades. Der Sous -Präfect ſchickte mich 
nach Perpignan, von wo man mich nach Toulouſe 


336 

internirte, doch auch von dort, als der Grenze zu nahe, 
verwies, und mir endlich den Aufenthalt in Bordeaux 
geſtattete. Nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalte 
in dieſer angenehmen Stadt war ich durch die große 
Pflege und Geſchicklichkeit des Dr. Cauſſade, Direec— 
tor des Hötel Dieu, ſo vollkommen hergeſtellt, daß 
ich Anfangs der zweiten Hälfte Februar mich friſch 
und wohl nach Paris begeben konnte. 


VI. 


Ueber die Fuſilladen von Eſtella. — Progreſſiver Gang des Ber: 

rathes Maroto's bis zur Convention von Vergara. — Meine 

Arreſtation. — Züge durch Frankreich und an der Grenze. — 
Saint Pée und Bourges. 


1839.) 


II. 22 


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Wenige Tage nach meiner Ankunft in Paris 
brachte der Telegraph die Nachricht von den Fuſilladen 
in Eſtella. Die allgemeine Aufregung, die dieſer uner— 
hörte Vorfall hervorbrachte, hatte ſich noch nicht gelegt, 
als bekannt wurde, der König habe Maroto vogelfrei 
erklärt; doch wer ſchildert das peinliche Erſtaunen, 
das alle Royaliſten ergriff, als nach wenigen Tagen 
eine neue königliche Proclamation Maroto rehabili— 
tirte, in ſeinen Aemtern und Würden beſtätigte, ſein 
Verfahren belobte und endlich erklärte, er habe nie 
aufgehört, ſich des königlichen Vertrauens würdig zu 
zeigen! Bald darauf wurden Arias-Teijeiro, feine 
Anhänger und die meiſten Intriganten der Camarilla 
über die Grenze geſchafft, mehrere der relegirten oder 
eingekerkerten Häuptlinge theils in Freiheit geſetzt, 
theils wieder angeſtellt. 

22” 


340 


Wenn auch vielfache Rückſichten mich nicht hin— 
derten, in die Details dieſer traurigen Epiſode einzu— 
gehen und hierüber ein Urtheil zu fällen, ſo würde ich 
es dennoch unterlaſſen, da ich zu jener Zeit mich glück⸗ 
licher Weiſe fern vom Hoflager befand, und die ganzen 
Marotaden (wie ſie bei uns genannt wurden) ſonach 
außerhalb des Kreiſes liegen, den ich dieſen Erinne— 
rungen gezogen. Nur eine gedrängte Skizze der That— 
ſachen und einige minder bekannte Details glaube ich 
niederſchreiben zu müſſen. 

Maroto, gegen den Willen der Camarilla und 
des Miniſteriums an die Spitze des Heeres geſtellt, 
hatte gewiß, vom erſten Momente an, durch die In— 
triguen ſeiner Feinde im Hoflager, viel zu leiden, un— 
aufhörlich gegen ihren üblen Willen zu kämpfen und 
ſich vor den Fallen zu ſichern, die fie ihm täglich Teg- 
ten. Ohne auch nur eine der Handlungen Maro— 
to's im Geringſten entſchuldigen zu wollen, kann man 
doch annehmen, daß beſtändig aufgereizt, ſeine gehäſ— 
fige und ſelbſtſüchtige Seele leichter verführenden und 
ſträflichen Einflüſterungen ſich hingab, als es mit den 
Begriffen von Ehre und Pflicht, bei einem ſtreng red— 
lichen Charakter, möglich geweſen wäre. Eſpartéro, 


341 


ſeiner Seits gewohnter durch Intriguen als auf dem 
Schlachtfelde zu triumphiren, hatte zu gute Spione 
im Herzen der carliſtiſchen Bezirke, um von dieſem 
Zwieſpalte nicht vollkommen unterrichtet zu ſein. Was 
während des Commandos eines ritterlichen Prinzen 
unmöglich war, an deſſen Seite der glühendſte Feind 
jeder Transaction, der von den ſpaniſchen Liberalen 
mit dem Beinamen „der Henker“ (el verdugo) bezeich⸗ 
nete Moreno ſtand, — konnte bei einem Manne 
von dem Charakter Maroto's erreicht, oder doch 
wenigſtens verſucht werden. Eſpartéro und Ma— 
roto waren ja alte Kriegsgefährten aus Amerika; den 
beiden Ayacuchos konnten die Anknüpfungspunkte nicht 
fehlen; es handelte ſich nur darum, den erſten Schritt 
zu thun, ihn annehmbar zu machen. 

Da traf im Spätherbſt 1838 ein franzöſiſcher 
Bataillons-Chef A demi-solde, Namens Duffeau, 
in Maroto's Hauptquartier ein. Er kam zu Fuß, 
allem Anſcheine nach ohne Geld und ohne Empfeh— 
lungen. Maroto, der mit fremden Offizieren nicht 
ſehr liebenswürdig und gewöhnlich kurz angebunden 
war, wollte ihn Anfangs nicht ſehen; doch gelangte 
endlich Duffeau in das Cabinet des Generals. Die 


342 


Thür ſchloß ſich, und zur Verwunderung der im Neben— 
gemach harrenden Offiziere blieb Duffeau durch vier 
Stunden allein mit Maroto. Als er heraus kam, 
ſchien er ſehr vergnügt und kündigte den Anweſenden 
an, der General habe ihn zu feinem Privatſeeretär 
ernannt, angeblich da er ſchnell franzöſiſch und ſpaniſch 
zu ſchreiben und zu überſetzen verſtände. Bald war er 
auf dem intimſten Fuße mit dem General-Auditor der 
Armee, einem Andaluſier Namens Don Juan Joſé 
de Arizaga, der lange Zeit Auditor in den Phili— 
pinen geweſen und mit der eyniſchen Corruption der 
von den Colonien zurückgekehrten Spanier, nebſt vie— 
lem Talente, die frechſte Gewiſſenloſigkeit verband. 
Maroto hatte dieſen Menſchen in feine nächſte Um- 
gebung gezogen. 

Zu dieſer Zeit war Pita Pizarro im Mi- 
niſterium zu Madrid, derſelbe, der als Mitglied 
des Cabinets Calaträva auf der Rednerbühne ſich 
rühmte, fein Leben lang beſtändig gegen die Re- 
gierung Ferdinand VII. conſpirirt zu haben. 
Pita, der ſeinen alten Gewohnheiten nicht entſagen 
konnte, war ſtets glücklich, Gelegenheit zu finden, 
durch geheime Polizei zu agiren, wie es denn 


343 


Menſchen gibt, die in niedern Sphären dieſes ge— 
meine Gelüſte angenommen haben und ſich dann in 
höhern deſſelben als Regierungshebel immer gern 
bedienen. Für Pita beſtand die Regierungs-Thätig— 
keit in einem fortwährenden Conſpiriren und Spioniren, 
daher es auch nicht zu verwundern, daß er ſogleich darauf 
bedacht war, die neue Ordnung der Dinge, die begin— 
nenden Zwiſtigkeiten im carliſtiſchen Hoflager und 
Heere zu ſeinen Zwecken zu benützen. Durch die Ver— 
mittlung des damaligen Kriegsminiſters Alaix, ver— 
ſtändigte er ſich mit Gfpartero, der feines Theils 
bereits vorgearbeitet hatte, und Ende December 1838 
traf ein ehemaliger Spießgeſelle und Vertrauter 
Pita's, Namens Avinareta, auf dem Kriegsſchau— 
platze ein. Der Geſchicklichkeit dieſes, in Verſchwörun— 
gen und Umtrieben ergrauten Mannes gelang es, 
Zutritt bei einigen Häuptern der Camarilla und den 
navarreſiſchen, mit Maroto unzufriedenen Generalen, 
zu erlangen. Das Feuer ward gut geſchürt, während 
auch Arizaga und Duffeau keine Gelegenheit ver— 
ſäumten, ihrerſeits Maroto gegen die Navarreſen zu 
ſtimmen, die als blinde Anhänger der ultra = abſoluti⸗ 
ſtiſchen Partei geſchildert wurden, an deren Spitze der 


344 


Hofcaplan Echeverria, der Beichtvater Lartaga 
und der Hofprediger Fray Domingo ſtanden. Es 
währte nicht lange, ſo brachen überall Zeichen der 
Feindſeligkeit aus; vom Hoflager erhielt Maroto 
Depechen in dictatoriſchem Imperativ abgefaßt, die 
ihm ſeine Unthätigkeit vorwarfen, einen Campagne— 
Plan vorzeichneten und anzugreifen befahlen. Einige 
redliche Leute, die ſeine Freunde geblieben, beſchworen 
ihn in Privatbriefen, unverweilt die Operationen zu 
beginnen, da ſonſt ſein Ruf auf dem Spiele ſtände; 
denen antwortete er in grobem und hochfahrendem Ton 
und verlor ſo ſeine letzten ehrenhaften Fürſprecher im 
Hoflager. 

Endlich ſchien ſeinen Gegnern das Maß voll 
und ſie beſchloſſen, ſich ſeiner um jeden Preis zu 
entledigen. Ich weiß, daß über dieſen Punkt, der 
noch heute in ein geheimnißvolles Halbdunkel gehüllt 
iſt, verſchiedene divergirende Meinungen beſtehen; doch 
glaube ich mit Gewißheit annehmen zu dürfen, daß 
der Beſchluß, Maroto aus dem Wege zu räumen, 
von einigen Perſonen im Hoflager wirklich gefaßt, und 
zu deſſen Vollziehung die navarreſiſchen, ſpäter zu Eſtella 
fuſillirten Generale auserſehen worden. Doch bin ich 
eben ſo überzeugt, daß der König von dieſem ganzen 


315 


Gewebe auch nicht ein Wort wußte. Carl's V. 
ſtrenge Rechtlichkeit, ſein gerader loyaler Sinn, Eigen⸗ 
ſchaften, die ſelbſt ſeine erbittertſten Gegner ihm zu⸗ 
geſtehen, hätten jede unlautere Handlung mit Abſcheu 
von ſich gewieſen. Wollte der König vor den Fuſil⸗ 
laden Maroto das Commando nehmen, ihn vor 
ein Kriegsgericht ſtellen, oder über die Grenze ſchaffen, 
ſo war nichts einfacher und dem conſtanten königlichen 
Charakter angemeſſener, als an einem der vielen Tage, 
als Maroto ſich im Hoflager befand, ihn durch die 
Hatſchire der Garde aufgreifen zu laſſen. Da dies 
nicht geſchehen, ſo wollte auch der König ſeine Ab⸗ 
ſetzung nicht, und die Ränke ſeiner Umgebung waren 
ihm unbekannt. Dieſe hatte zur Ausführung ihres 
Plans den Moment auserſehen, wenn Maroto eine 
navarreſiſche Expedition muſtern würde, die von der Um⸗ 
gegend von Eſtella aus, über den Ebro ſetzen und die 
reichen Thäler der caſtilianiſchen Rioja requiriren ſollte. 
Der General-Lieutenaut Don Francisco Garcia, 
General⸗Commandant von Navarra, ward zum Com⸗ 
mando derſelben deſignirt; unter ihm die Marechaur de 
camp Guergué und Sanz; als Chef des Generals 


ſtabs der Brigadier Carmona und als Finanzchef der 


346 


Intendant Urriz. Ihre Correſpondenz mit ihren 
Vertrauten im Hoflager ging durch zwei Seeretäre im 
Kriegsminiſterium, Florencio Sanz (Bruder des 
Generals) und Pbañez (ehemaligen Seeretär Gu Er— 
gu é 's). Als Alles vorbereitet, beſprochen, geordnet 
war und nur mehr die Ankunft Maroto's erwartet 
wurde, erhielt dieſer in Toloſa detaillirte Nachricht 
von der ganzen Verſchwörung, und einen Theil der 
Original-Correſpondenz der navarreſiſchen Generale 
mit ihren Freunden im Hoflager. Es iſt zu jener 
Zeit vermuthet worden, Maroto habe dem General 
Moreno dieſe Wiſſenſchaft zu danken; wer dieſes 
Letztern glühenden Haß gegen den neuen Oberfeldherrn 
kannte, muß dieſe Suppoſition abſurd finden; mir 
ſcheint viel wahrſcheinlicher, daß Avinareta, der 
ſich in Guipuzeoa, in der Gegend des Hoflagers her— 
umtrieb und durch erheuchelte Sympathie das Ver— 
trauen der Navarreſen erworben hatte, die Fäden der 
Verſchwörung und die belegenden Briefe Maroto in 
die Hände ſpielte. Seine Anhänger, vorzüglich A ri— 
zaga und gewiß auch Duffeau verſäumten nicht 
ihm zu inſinuiren, der König ſtehe an der Spitze der 
Verſchwörung, oder habe zum mindeſten Kenntniß 


347 


davon; ein Appelliren an ihn, hieße von einer Gefahr 
ſich in die andere begeben, ſich ſelbſt dem Henker über— 
liefern. Maroto ging nach Eſtella, berief die vier 
Generale und den Intendanten, ließ ihnen in Gegen— 
wart zweier ſeiner Anhänger, der Generale Royo 
und Sylveſtre, durch Arizaga ihre Briefe vor— 
legen und fie am nächſtfolgenden Tage, dem 18. Fe— 
bruar, ohne weitern Kriegsgerichts durch ein navar— 
reſiſches Detachement auf dem Platze von Eſtella 
niederſchießen. Zugleich ſchickte er nach Villarreal de 
Zumarraga, wo ſich die beiden mitcompromittirten 
Miniſterial-Secretäre befanden. Sanz gelang es 
durch ein Fenſter zu entfliehen, doch YWbanez ward 
feſtgenommen und zwei Tage nach den Generalen 
ebenfalls fuſillirt. 

Die Maßregeln, die der König bei der erſten 
Nachricht von dieſen Ereigniſſen nahm, ſind bekannt. 
Maroto ward vogelfrei erklärt. Doch ſchickte er 
ſeinen Sous-Chef des Generalſtabs, den, ſeiner un— 
glücklichen Expedition wegen, bekannten Grafen Negri, 
mit einer offiziellen, und Arizaga mit einer geheimen 
Miſſion zum Könige nach Azeoytia, während er ſelbſt 
an der Spitze von 9 Bataillons über Lecumberri auf 


348 


Toloſa marſchirte und das Hoflager bedrohte. Negri 
brachte dem Könige ein Schreiben Maroto's aus 
Eſtella vom 20., worin u. a. ſtand: „Sire, ich habe 
die Generale (nun folgen die Namen) fuſilliren laſſen, 
und bin entſchloſſen, nachdem ich Beweiſe eines ver— 
rätheriſchen Attentats erlangt, noch mehrere Andere 
hinrichten zu laſſen, die ich ohne Berückſichtigung 
von Fueros und Auszeichnungen aufgreifen werde; 
denn ich hege die Ueberzeugung, indem ich ſo handle, 
den Triumph der Sache zu ſichern, die ich geſchworen 
habe zu vertheidigen, und die nicht allein die Sache 
Ew. Majeſtät iſt, ſondern auch mehrerer tauſende von 
Perſonen, die geopfert würden, wenn fie unterginge.“ 

Ich kann hier nicht in die Details der damaligen 
Conferenzen im Hoflager eingehen wollen, während 
welchen die Meiſten aus der Umgebung des Königs ſich 
eben ſo feige zeigten, als ſie ſich bisher unheilvoll 
und ungeſchickt benommen hatten. Doch glaube ich 
erwähnen zu müſſen, daß Arizaga ſich, mehrere 
Monate ſpäter, öffentlich in meiner Gegenwart 
rühmte, dem Könige geſagt zu haben: „alle Fäden 
und Perſonen dieſer ausgebreiteten Verſchwörung wären 
dem General Maroto wohl bekannt; die Häupter 


319 


befänden sich im Hoflager; die bereits als Opfer 
Gefallenen hätten ihnen nur als Werkzeuge gedient; 
ihr Zweck ſei die Ermordung Maroto's, feiner Anz 
hänger und Freunde geweſen; die Beweiſe habe er in 
Händen. Wenn der König dieſe verbrecheriſchen Intri— 
ganten nicht ſofort entferne und nach Frankreich ver— 
banne, ſo werde Maroto ſich genöthigt ſehen, nach 
dem Hoflager zu marſchiren und ſie Alle niederſchießen 
laſſen; ſollte er auch mit eigener Hand ſie aus dem 
Cabinete des Königs herausreißen.“ Ich wage nicht 
zu beurtheilen, ob Arizaga wirklich ſchamlos und 
pflichtvergeſſen genug war, eine fo freche Rede feinem 
Herrn zu halten. Doch wenn es der Fall geweſen 
ſein ſollte, ſo kann ich nur bedauern, wie ich es auch 
damals Arizaga ausgedrückt, daß der König nicht 
ſogleich befohlen, ihn vor dem Thore des Pallaſtes 
an einen Galgen zu hängen. Doch der König wollte 
weiteres Blutvergießen, vielleicht Anarchie im eigenen 
Feldlager verhüten, oder mag an die Exiſtenz eines 
Complottes gegen das Leben ſeines Generals geglaubt 
haben. Wie dem auch ſei, mir ſteht es nicht zu, die 
Gründe zu beurtheilen oder gar zu bekritteln, welche 
die Handlungen des Fürſten motivirten, dem ich damals 


diente und Treue geſchworen hatte. 


350 


Am 24. Februar wurden ſechs königliche Deerete 
aus Villafranca erlaſſen und veröffentlicht. Die Erſten 
enthielten die Entlaſſung der vier Miniſter: des Juſtiz— 
miniſters und Conſeilpräſidenten Biſchofs von Leon, 
des Finanzminiſters Labandéro, des interimiſtiſchen 
Miniſters der auswärtigen Angelegenheiten, Arias— 
Teijeiro, und des Kriegsminiſters Herzogs von 
Granada (der ſeit einigen Tagen den Marquis de 
Valde Eſpina erſetzt hatte). Das Dritte erklärte: 
der König habe, nach neuen Informationen und ges 
nauen Unterſuchungen, mit hoher Verwunderung geſehen 
und erfahren, daß der General-Lieutenant, Chef des 
Generalſtabs *) Don Rafael Maroto, in Aus- 
übung ſeiner Vorrechte, und geleitet durch die Gefühle 
von Liebe und Treue, die für die gerechte königliche 
Sache ihn ſo verdient machen, gehandelt habe. (ha 
obrado con la plenitud de sus atribuciones y 


guiado por los sentimientos de amor y fidelidad, 


*) Guergue und Maroto führten dieſen Titel, feit 
der König nach Rückkehr ſeiner Expedition im Mani⸗ 
feſte von Areiniega (29. October 1837) erklärt hatte, 
er ſtelle ſich ſelbſt an die Spitze ſeines Heeres. 


351 


que tiene tan acreditados en favor de Mi justa 
causa.) Der König bekannte ferner, er ſei innig 
überzeugt, daß unheilvolle Abſichten, auf irrige Mei— 
nungen oder verbrecheriſche Argliſt geſtützt, ſein könig— 
liches Vertrauen mißbraucht hätten; daß es nun ſein 
Wille ſei, dem General- Maroto eine vollſtändige 
Wiederherſtellung ſeiner Ehre angedeihen zu laſſen; 
daß derſelbe an der Spitze des Heeres zu verbleiben 
habe, das letzte königliche Manifeſt (vom 21. Februar 
aus Vergara, das ihn als Verräther und vogelfrei 
erklärt hatte) überall verbrannt und Dieſes durch drei 
Tage vor der Fronte der Bataillone verleſen werden 
ſolle. — Die drei übrigen Deerete löſten die conſultirende 
Kriegsjunta (die aus alten Generalen und Stabs— 
offizieren beſtehend, Maroto des Hochoverraths ſchul— 
dig befunden hatte) auf, und übergaben dem Briga— 
dier Juan Montenegro und dem ehemaligen diplo— 
matiſchen Agenten in Rom, Don Paulino Rami— 
rez de la Piſeina, zwei Anhängern Maroto's, 
die Portefeuilles des Krieges und der auswärtigen 
Angelegenheiten. Einige Tage darauf wurden 35 Per— 
ſonen aus dem Hoflager, die Marotso deſignirt hatte, 
unter Bedeckung eines Bataillons an die franzöſiſche 


5 
Si 
* 


Grenze abgeführt, und ihnen der Befehl eingeſchärft, 
ſich nie mehr in den Carl V. unterthanen Landes- 
theilen blicken zu laſſen. Unter ihnen befanden ſich der 
Biſchof von Leon und ſein Secretär Pecondon; 
der Hofcaplan Echeverria, Arias-Teijeiro und 
ſein Onkel Joſé Teijeiro, Kammerdiener des 
Königs; Don Diego Miguel de Garcia (bei mei— 
ner Ankunft in Spanien Obercommiſſär in Yrun); 
der Finanzminiſter Laband Ero und fein Sohn der 
Intendant; der Kapuziner Larraga, Beichtvater des 
Königs, und der Hofprediger Domingo; die Generale 
Uranga (General-Capitain von Navarra und den 
drei baffifchen Provinzen, während der Expedition des 
Königs und zuletzt deſſen Adjutant), Mazarraſa 
und Baſilio Garcia; mehrere Räthe und Se— 
cretäre der Miniſterien, die Commandanten der reiten⸗ 
den und der Fuß-Garde, Hofdiener u. ſ. w. Kurz 
darauf verließen Zaratiegui, Elio und Gomez 
die Kerker, in denen ſie ſo lange ſchuldlos und ohne 
Unterſuchung geſchmachtet hatten; auch der Brigadier 
Cabanas und die gerichtlichen Vertheidiger der oben 
erwähnten Generale, Brigadiers Vargas und Ma— 
drazzo, die ihrer freimüthigen Sprache wegen arretirt 


worden, wurden freigelaſſen, die Mehrzahl der durch 
Guérgué, nach Rückkehr der königlichen Expedition, 
releguirten Offiziere aus ihren Depots berufen und 
wieder angeſtellt und fo, gleich nach den Fuſilladen von 
Eſtella, viele ſchreiende Ungerechtigkeiten gut gemacht. 
Dies iſt von um ſo größerer Bedeutung, wenn man er⸗ 
wägt, daß zwar einige derſelben, wie Urbiztondo 
(gegenwärtig flüchtig in Frankreich, als Anhänger 
O'Donnell's), Simon de la Torre, Fernando 
Cabanas, Beſſières, die Brüder Fulgoſio (nun 
[Nov. 1841], als in die Pallaſtverſchwörung verwickelt, 
in Madrid zum Tode verurtheilt) u. A. ſpäter mit Ma⸗ 
roto übergingen, doch die Meiſten, durch Guergue, 
Arias-⸗Teijeiro und die Camarilla jo ſchmählich miß⸗ 
handelten Offiziere bis zum letzten Augenblicke ihren 
Eiden treu blieben, und mit dem Könige Spanien ver— 
ließen. Sie hatten Maroto ihre Freiheit, wenn auch 
nicht zu danken, ſo doch zuzuſchreiben, und ſind dennoch 
mit ihm nicht übergegangen, ſondern führen jetzt 
im Auslande ein elendes, kummervolles Leben, in 
Leiden und Entbehrungen. Trotz aller gleißneriſchen 
Verſprechungen chriſtiniſcher Agenten, hat doch keiner von 
ihnen ſeinen makelloſen Ruf, ſeine militäriſche Ehre durch 
II. 23 


unlautere Mitwirkung am letzten Aufſtande O'Don⸗ 
nell's (October 1841) in ein zweifelhaftes Licht 
ſtellen wollen. Ich will hier vom ritterlichen General 
Villarreal ſprechen, deſſen mittelalterliche, glänzende 
Bravour, bei Freund und Feind, ſprichwörtlich gewor— 
den; von Gomez, Zaratiegui, Elio, Vargas, 
Reina, Arjona und ſo vielen Andern, minder 
allgemein Bekannten. 

So ſchauderhaft und verbrecheriſch die Hin— 
richtungen von Eſtella auch jedenfalls waren, ſo 
mußte doch jeder gute Soldat, dem die Ehre der car— 
liſtiſchen Waffen am Herzen lag, der an den Häupt— 
lingen hing, die ihn ſo oft zum Siege geführt, dieſe 
ihre Folgen preiſen und ſegnen. Die Camarilla war 
entfernt, und Alle ſchmeichelten ſich Anfangs mit der 
Hoffnung, daß Keiner zurückgeblieben, der die alten 
Intriguen wieder anknüpfen könne. Maroto, der 
über alle ſeine Feinde triumphirt, Alles erreicht hatte, 
ſollte nun kräftig die Operationen beginnen. Geld 
war im letzten Jahre im Ueberfluß, vom Auslande in 
die königlichen Kaſſen gefloſſen, das Heer bezahlt und 
equipirt, die Cavallerie montirt, Munition und Kriegs- 
bedarf in Menge vorhanden; der Frühling brach heran, 
die Intriganten waren entfernt, die feindlichen Kräfte 


getheilt. Nichts konnte Maroto hindern; denn nie 
hatten ſich, ſeit Beginn des Krieges, einem carliſtiſchen 
Feldherrn glänzendere Ausſichten geboten. Doch hatte 
die letzte Zeit eine ſo große Maſſe von Galle, Rache— 
ſucht und Zorn in ſeiner, allen Leidenſchaften empfäng⸗ 
lichen Seele geſammelt, daß nun, wo er mit dem 
Schwerte in der Fauſt, für die Hinrichtungen von 
Eſtella, vor der Welt ſich hätte rechtfertigen ſollen, er 
den erſten Einflüſterungen Gehör gab, die von ſeiner 
ſchändlichen Umgebung ausgehend, die Möglichkeit einer 
Transaction, eines Arrangements, wie man es nannte, 
aufſtellten. 

Dieſe Empfänglichkeit Maroto's, mit ſeinem 
Gewiſſen zu pactiſiren, war Efpartero wohl be— 
kannt; doch mußte zuerſt einige Form beobachtet und 
ſomit mehr verſprochen werden, als man ſpäter zu 
halten beabſichtigte. Somit wurden, wie ich am Ein— 
gange dieſes Theils erwähnt, Vorſchläge gemacht, die 
allerdings weit ehrenvoller klangen, als das kurz darauf 
Gebotene. Man ſprach von einer Vermählung des 
Prinzen von Aſturien mit feiner Couſine Iſabella, 
die, Beide gemeinſchaftlich, gleich Ferdinand von 
Aragon und Iſabella von Caſtilien, unter der Bezeich— 

23 * 


nung: Los Reyes, ) nach den Cortes por Eſta— 
mento, regieren würden; Carl V. ſolle feiner Krone, 
und Chriſtine ihrer Regentſchaft entſagen, eine all⸗ 
gemeine Amneſtie proclamirt werden. Es hieß, das 
franzöſiſche Cabinet (vom 12. März) und Ludwig 
Philipp in Perſon, wären dieſem Plane ſehr geneigt, 
und namentlich habe Marſchall Soult kürzlich erklärt: 
35 Ce serait lä le plus beau succes de ma vie.” 
Nachdem Maroto eigenmächtig und unrechtmäßig 
dieſen Propoſitionen Gehör geſchenkt, überredete man 
ihn, er müſſe ſie dem Könige geheim halten, bis ſie 
zur Reife gediehen. Von nun an fing eine ununter⸗ 
brochene Reihe von Unterhandlungen zwiſchen ihm und 
Eſpartéro an. Letzterer, ſobald er einmal die Die— 
tatur in Händen ſeines alten Kriegsgefährten aus Peru 
wußte, hatte keinen Augenblick mehr daran gezweifelt, 
durch beſtändiges Hinhalten und ſtufenweiſes Zurück⸗ 
kommen von ſeinen anfänglichen Verſprechungen, alle 
ſeine Zwecke zu erreichen. Maroto begann damit, die 


*) König und Königin (Rey y Reina) geben im Spani⸗ 
ſchen Plural: Los Reyes, etwa wie im Deutſchen die 
Worte Bruder und Schweſter: Geſchwiſter. 


357 


Garantie der franzöſiſchen Regierung zu begehren, und 
wollte Beweiſe derſelben in Händen haben. Eſpar⸗ 
tero gab ihm einige nichtsſagende Papiere; doch dachte 
Maroto beſſer zu thun, wenn er ſich an der Quelle 
erkundige. Er ſchickte deßhalb ſeinen Seeretär Duffeau 
im März nach Paris. Dieſer wandte ſich zuerſt an den 
Grafen Molé, der von dem ganzen Gewebe nichts 
wußte und ihn kühl empfing; hierauf ging er zum 
Marſchall Soult, damals Conſeil-Präſidenten, den 
er öfters ſprach, und der ihm allerlei unbedeutende 
und ausweichende Antworten gab. Einmal verſuchte 
Duffeau in halben Redensarten den würdigen, alten 
Marquis von Labrador zu ſondiren, der früher 
Mitglied der Regentſchaft von Cadiz und dort Miniſter 
der auswärtigen Angelegenheiten, ſpäter bevollmächtig— 
ter Botſchafter beim Wiener Congreß, beim Conclave 
zur Wahl Leo's XII. und am neapolitaniſchen Hofe 
geweſen, nun in Paris zurückgezogen lebte und die 
königlichen Geſchäfte beſorgte. Dieſer in Ehren ergraute 
Diplomat zeigte jedoch Duffeau's erſten Eröffnungen 
eine ſo entſchiedene Verachtung, daß dieſer für klüger 
hielt, ihm nicht weiter davon zu ſprechen. Er zog 
ſeinen Aufenthalt in Paris in die Länge, ſo ſehr er 


nur konnte, bis endlich Maroto die Geduld verlor 
und ihn Ende April zurückrief. 

Mittlerweile hatten die Unterhandlungen mit 
Eſpartéro fortgedauert, die in das größte Ge— 
heimniß gehüllt, durch eine, allem Anſcheine nach, 
ganz unbedeutende Perſon geführt wurden. Eſpar⸗ 
téro hatte nämlich einen im ganzen baſkiſchen 
Lande und in Navarra unter dem Beinamen, el 
Arriero de Bargota bekannten Maulthiertreiber, Na- 
mens Martin Echaide, gewählt. Die Maul- 
thiertreiber gelten in Spanien ſeit Jahrhunderten für 
die ehrlichſten Leute; man vertraut ihnen die wichtigſten 
Geſchäfte im Privatleben und übergibt ihnen die bedeu— 
tendſten Summen, ohne je Beſcheinigung zu verlangen. 
Echaide insbeſondere, hatte einen fo allgemein aner- 
kannten guten Ruf, daß die Generale beider Heere ihn, 
mit ſeinen Maulthier-Caravanen, ungehindert an den 
Vorpoſten und durch die Hauptquartiere paſſiren ließen. 
Er verbarg unter einer rauhen Außenſeite die Geſchick— 
lichkeit, Vorſicht und den biegſamen Geiſt, die dem 
ſpaniſchen Bauer eigen find. Die Unterhandlungen 
wurden mit der größten Vorſicht geführt und waren 
in das tiefſte Geheimniß gehüllt. Niemand, außer 


Echaide, wußte etwas von ihrem Gange; er ſtand 


359 


in unmittelbarer Verbindung mit den beiden Gene— 
ralen, und nur viel ſpäter iſt von Madrid aus, zum 
großen Kummer Eſpartéro's, dieſer ſein Canal 
bekannt geworden, da der Sieges-Herzog gern auch 
ſeinen letzten Schein-Operationen das Anſehen von 
Schlachttagen und militäriſchen Succeſſen gegeben hätte. 

Die ganze Sache iſt auf folgende Weiſe an den 
Tag gekommen: Eſpartéro hatte feinem maulthier— 
treibenden Agenten Millionen verſprochen, wenn die 
Unterhandlungen glücklich durchgeführt würden. Als 
nach Vollendung des Verrathes, man Spanien paci— 
ficirt glaubte, war zwar von den verheißenen Reich⸗ 
thümern nicht mehr die Rede, doch begehrte Echaide, 
der als ächter Spanier, auf Zeugniſſe viel Gewicht 
legte (nach jeder Affaire wird man von einer Menge 
Offiziere um Verhaltungszeugniſſe, [eertificaciones de 
comportamiento] angeredet, die fie dann in großer 
Anzahl, bei jedem dienſtlichen Anlaſſe, nebſt ihren Pa— 
tenten mit vorweiſen), Eſpartèro möge ihm wenig— 
ſtens ſeine großen Dienſte atteſtiren. Nach langem 
Zaudern und Mäkeln gab ihm Dieſer, ſeinen eigenen 
ausſchließlichen Ruhm nicht zu ſchmälern, eine Schrift, 
die nur in höchſt zweideutigen Ausdrücken, der Ver— 


360 


dienſte des Maulthiertreibers Erwähnung that. Da 
wandte ſich Echaide an Maroto, der ſich in Ma—⸗ 
drid befand, und legte ihm, in Gegenwart der baſ— 
kiſchen Cortes-Deputirten, einen Aufſatz des begehrten 
Zeugniſſes vor, mit der Bitte, ihn zu unterſchreiben. 
Marotso erkannte vor den Deputirten die vollkommene 
Richtigkeit aller im erwähnten Documente enthaltenen 
Thatſachen; doch glaubte er, aus Rückſicht für Eſpar⸗ 
tero, feine Unterſchrift verweigern zu müſſen. Dieſer 
merkwürdige Aufſatz iſt nichtsdeſtoweniger ein wichtiger 
Beleg zur Aufklärung jener verworrenen Epiſode. Meh— 
rere Deputirte nahmen Abſchriften davon, ſie gingen 
durch viele Hände, und ich ſelbſt habe eine derſelben 
geſehen. Folgender Satz ſchien mir darin beſonders be— 
zeichnend: „Die Schritte (Los pasos), die der ehrliche 
Echaide erſt im Monat Februar 1839 zu unterneh- 
men begann, wurden durch ihn ſo geſchickt und ſo 
glücklich durchgeführt, daß bereits am nächſtfolgen— 
den neunten April zwiſchen mir (Maroto sc.) 
und dem General Eſpartéro, directe Verbindungen 
zur Pacification der baſkiſchen Provinzen, eingeleitet 
und geordnet waren. Sie wurden ſeither in aller ihrer 


Kraft erhalten, und haben, trotz tauſend Schwierig— 


361 


keiten, endlich die denkwürdige Convention von Ver— 
gara hervorgebracht.“ Wenn man bedenkt, daß Duf- 
feau erſt am 30. April aus Paris nach dem Haupt— 
quartier Maroto's zurückkam, ſo ſieht man, daß 
während ſeines Vertrauten langer Abweſenheit und 
gefliſſentlichen Zögerns, Maroto bereits directe 
Unterhandlungen mit Eſpartéro angeknüpft hatte, 
ohne erſt das Reſultat der gehofften franzöſiſchen 
Garantie und Intervention abzuwarten. 

Eſpartéro der, wie geſagt, feinem militäriſchen 
Ruhme bei dieſem Anlaſſe mehr Glanz geben wollte, 
wandte Alles an, Maroto zu ſcheinbaren Kriegs— 
operationen zu bewegen, wozu Letzterer ſich um ſo 
bereitwilliger zeigte, als er unter dieſer Maske die 
Fortdauer ſeiner Unterhandlungen verbergen konnte. 
Er verließ ſonach Navarra und ſchlug fein Hauptquar- 
tier in Biscaya auf, während Efpartero von feinen 
Stellungen am Ebro, ſich nach den Encartaciones 
begab. Beide Generale erließen wüthende Proclama— 
tionen voll drohender Schmähungen gegen einander, 
und am 27. April begannen die Operationen gegen 
Ramales und Guardamino. Eſpartéro hatte bis 
dahin, ſeine erſten Vorſchläge als Grundlage ſeiner 


362 


Unterhandlungen beibehalten, und auf alle ſtets zu— 
nehmenden Forderungen Maroto's halb ausweichende, 
halb zuſagende Antworten gegeben. Nun begehrte er 
von Maroto die ungehinderte Einnahme dieſer feſten 
Punkte, die, meinte er, ſeine Stellung in Madrid 
conſolidiren und ſeinen Planen, den Exaltädos gegen— 
über, mehr Kraft geben würde. Marotso ging in dieſe 
zweite Falle; er unterſtützte die ſchwache Garniſon des 
Forts von Ramales nur wenig, und überließ ſie end— 
lich ihrem Schickſal. Trotz der brillanten Vertheidigung 
des Capitains von Keltſch ward Ramales genommen 
und die Linie von Guardamino überrumpelt; bald 
darauf waren Orduna, der Paß von Saracho, das 
Thal des Nervian, und die Chauſſee von Amurrio bis 
Llodio in Eſpartéro's Gewalt. Von nun an 
wurden ſeine Antworten minder befriedigend, und 
eine Conceſſion drohte nach der Andern zu ſchwinden. 
Maroto erſchrack und wandte ſich an Lord John 
Hay, der die engliſche Station commandirte. Er 
bat ihn, von Eſpartéro feſtere Verſprechungen und 
ſeinerſeits wo möglich die Garantie von England zu 
erlangen. Lord John Hay zeigte ſich hiezu ſehr 
bereitwillig, und begab ſich ſogleich in Maroto's 


363 


Hauptquartier nach Arrigorriaga, wo ſeine Anweſen— 
heit als engliſcher Interventions -Verſuch, bezüglich 
der Verwüſtungen der Dörfer und Erndten erklärt 
wurde. Ja es iſt ſogar mit viel Wahrſcheinlichkeit 
aufgeſtellt worden, daß Efpartero im Einvernehmen 
mit Maroto, nur die Erndten von Navarra und 
Alava, deren Bataillone mit Letzterem uneins waren, 
verwüſten ließ. Dieſes ſcheint um ſo glaubwürdiger, 
wenn man bedenkt, daß den Guipuzeoanern und Bis— 
cayinern, die ſpäter bei Vergara übergingen, kein 
ſolches Unglück widerfuhr. Zum Belege des Erwähn— 
ten, und der ganzen Verhandlung, mag das Journal 
Lord John Hay's dienen, welches dem engliſchen 
Parlamente durch Lord Palmerſton ſpäter vorgelegt 
wurde: „20. Juli 1839. Maroto beſtand darauf, 
daß England im Vereine mit Frankreich die Vermittlung 
und Garantie des Vertrages übernehme. Der Befehl, 
den Eſpartèro feinen Generalen gab, die Erndten 
der carliſtiſchen Bezirke ſogleich zu zerſtören, lieferte 
Maroto einen plauſiblen Vorwand, ohne Ver— 
dacht am Hofe des Don Carlos zu erwecken, Lord 
John Hay eine Unterredung auf Grund des ſuppo— 
nirten Bruchs des Tractates Elliot zu begehren.“ Von 


36A 


Arrigorriaga begab ſich Lord John Hay zu Eſpar— 
tero nach Amurrio, und ſandte gleich darauf einen 
Offizier, auf einem eigens dazu beſtimmten Dampf— 
ſchiffe, an Lord Palmerſton. Dieſer war ſo erfreut 
über Maroto's Tendenz, ſeinen Herrn zu verrathen, 
daß er die gewöhnliche diplomatiſche Vorſicht hierüber 
vergaß. Es verlautete in ſeiner nächſten Umgebung 
Einiges über dieſe Verhandlungen, und in einem vom 
29. Mai datirten Privatſchreiben aus London kam 
uns eine ziemlich detaillirte Erzählung der beiden Con— 
ferenzen des engliſchen Vermittlers zu. Es braucht 
wohl nicht erwähnt zu werden, daß Eſpartéro 
ihm ganz andere Aufſchlüſſe über ſeine Abſichten gab, 
als Maroto's Hoffnungen geklungen hatten, daß 
ſomit die engliſche Vermittlung ſich auf Null beſchränkte. 

Bei Eröffnung dieſer Campagne hatte Maroto, 
vielleicht auf EſpartéEro's Anrathen, den König um 
Ernennung zum Generaliſſimus ſämmtlicher carlifti- 
ſcher Heere gebeten, wodurch er den Grafen de Eſpañ a 
und Cabrera mit in die beabſichtigte Convention 
zu ziehen dachte. Dieſe ſonderbare Zumuthung ward 
auf Befehl des Königs vor einen Kriegsrath gebracht; 
doch erklärten ſich von den 13 Mitgliedern, die ihn 


365 


bildeten, nur 4 dafür, und fie mußte unterbleiben; 
als Hauptgrund dagegen wurde angeführt, daß ein 
alter General wie de Eſpana, und ein fiegreicher, 
halb unabhängiger Häuptling wie Cabrera, ſich 
nie unter Marota beugen würden. 

Mittlerweile war Arias-Teijeiro aus Tou— 
louſe, wo er ſich eine Weile aufgehalten, in Morella 
angelangt. Trotz des Exils, das ſeine Freunde und 
Anhänger betroffen, war doch einer derſelben, Marco 
del Pont (den ich in der Sierra Boxadera geſehen) 
im Hoflager zurückgeblieben, und in der letzten Zeit 
zum Finanzminiſter ernannt worden. Durch dieſen 
eorrefpondirte nun Arias-Teijeiro mit dem Könige, 
nannte Maroto einen Verräther und rieth Sr. 
Majeſtät, ihn entweder hinrichten zu laſſen, oder wenn 
er hiezu nicht mehr Gewalt habe, ſich ſelbſt eilig in 
Cabrera's Hauptquartier zu begeben. Dieſe Briefe 
trugen Spione Cabrera's durch das niedere Aragon 
über den Ebro in's Hoflager. Ende Juni griff eine 
feindliche Streifpartei einen derſelben auf; die Briefe 
wurden nach Madrid geſchickt und in den dortigen 
Zeitungen veröffentlicht. Efpartero verſäumte nicht, 
eine ſo gute Gelegenheit zu ergreifen, Maroto mit 


366 


jeinem Herrn noch mehr zu entzweien, und ſchickte 
ihm in den erſten Tagen des Monats Julius, durch 
einen gewöhnlichen Vertrauten, die erwähnten Zeitun— 
gen. Die betreffenden Stellen waren roth ange— 
ſtrichen. Bei deren Durchſicht fol Maroto's Zorn 
keine Grenzen gekannt haben; er ergriff das Papier 
und ſagte einem deutſchen, eben bei ihm befindlichen 
Offizier: „Sie verſtehen mich, wenn ich ſchnell ſpaniſch 
vorleſe? nun ſo hören Sie einen neuen Beweis von 
der Niedrigkeit dieſes Menſchen (de la bajeza de este 
hombre). Jetzt werde ich Niemand mehr ſchonen.“ 
Von dieſem Tage an, ward der königliche 
Name aus feinen Verhandlungen mit Eſpartéro 
geſtrichen, und ſein ganzer Haß wandte ſich nur mehr 
gegen die Perſon ſeines unglücklichen Herrn. Nur 
durch die Vorſtellungen ſeiner Vertrauten ward er im 
erſten Augenblicke abgehalten, ſogleich das Hoflager zu 
überfallen und die größten Gräuel zu begehen; ſie 
machten ihm begreiflich, daß eine vorſchnelle Hand— 
lung den Erfolg der ganzen Unterhandlung gefährden 
könnte und man noch temporiſiren müſſe. Maroto 
begnügte ſich Marco del Pont zu ſchreiben, ſeine 
Correſpondenz mit den Verbannten ſei ihm wohl be— 


367 


kannt; dieſes Benehmen könne große Unglücksfälle zur 
Folge haben, ja ſein (Marco del Pont's) und 
des Königs Haupt in Gefahr bringen; daß aber er 
(Maroto) großmüthig genug ſei, ihn zu warnen, 
damit er ſofort das Hoflager verlaſſe und ſich nie 
mehr auf dem Kriegsſchauplatze blicken laſſe. Wieder- 
holten Befehlen des Königs zufolge weigerte ſich 
Mares del Pont diefen peremptoriſchen Rath zu be— 
folgen, wodurch Maroto nur mehr aufgereizt wurde. 

Am 18. Juli, während der Feind immer mehr 
in die biscayiſchen Thäler eindrang, ſandte er ins 
Hoflager ein langes Document, an ſich ſelbſt gerichtet, 
worin nach vielen Lobeserhebungen für ſich und 
Schmähungen auf die Verbannten, ein vollſtän— 
diges Deſavouiren der Correſpondenz Arias-Tei— 
jeiro's von Seite des Königs enthalten war. Ma— 
roto begehrte, dieſes Schreiben ſolle als Depeche des 
Kriegsminiſteriums an ihn gerichtet werden, wozu ſein 
ſtets dienſtfertiger Freund und Anhänger, der interi— 
miſtiſche Kriegsminiſter Juan Montenegro, “ die 


*) Dieſer erbärmliche Menſch trieb zwar die Schamloſig— 
keit nicht ſo weit, ihm auf die Felder von Vergara zu 


368 


königliche Bewilligung zu entreißen wußte, und fich 
beeilte ſeinen Namen und ſein Dienſtſiegel unter die— 
ſes merkwürdige Actenſtück zu ſetzen. Maroto ließ 
es durch einen Tagsbefehl aus Orozeo vom 23. Juli 
der Aruee bekannt machen. 


folgen, doch ließ er ſeinen Herrn und ſein Portefeuille 
im Stich und ergriff eiligſt die Flucht, ſobald er den 
König in Gefahr wußte umzingelt zu werden, und er 
eine ultra- royaliſtiſche Reaction befürchten konnte, deren 
Symptome, nach dem Beiſpiele der Inſurrection des 5. 
und 12. Bataillons von Navarra unter Echeverria, 
ſich bereits zu manifeſtiren anfingen. Der König ſoll 
über Montenegro's Flucht ſehr ergriffen geweſen 
ſein. Scheint es doch faſt, als ob die gewöhnlichſten 
Begriffe von Scham und Ehre in dieſer Familie nicht 
anzutreffen wären, mit einziger Ausnahme des Artille- 
rie-Directors General Montenegro, gegen den nichts 
Ehrenrühriges anzuführen iſt. Juan Montenegro, 
des Miniſters Bruder, ehemaliger Kammerdiener Fer— 
dinand VII., der als Ruhepoſten das Conſulat in 
Genua erhielt, hat immer eine höchſt zweideutige Rolle 
geſpielt, und Joaquin, des Kammerdieners Sohn, 
entblödete ſich nicht durch ſechs Jahre in Wien, in Gre— 
nadier-Capitains-Uniform, Romanzen zu trillern und 
ein paar Briefe des Grafen Alcudia abzuſchreiben, 
während jeder junge Spanier, dem ein Herz im Leibe 
ſchlug, ſich für eine oder die andere Partei auf dem 
Kriegsſchauplatze befand. 


369 


Wenn die Convention, die ungefähr fünf Wochen 
ſpäter auf den Feldern von Vergara ſtatt fand, nicht 
ſchon früher, an oben erwähnter Epoche unterzeichnet 
und ausgeführt wurde, ſo dürfte der Grund lediglich 
in der Hoffnung Maroto's zu ſuchen ſein, eines— 
theils beſſere Conditionen, namentlich die unbedingte 
Anerkennung der Fueros, von Efpartero und der Ma⸗ 
drider Regierung zu erlangen, anderntheils noch mehr 
Bataillone für ſich und ſeine Zwecke zu gewinnen. 
Was Letzteres anbetrifft, ſo wußte Maroto zu gut, 
daß, wie groß fein Einfluß auf die Truppen auch. 
ſein mochte, er doch nie eine Unterwerfung unter die 
feindlichen Banner erreichen konnte, wenn er voraus 
ſeine wahren Zwecke und Plane ihnen mitgetheilt 
hätte. Auch hütete er ſich wohl es zu thun. Seine 
Anhänger, die er, aus den Mißvergnügten gewählt, 
an die Spitze der Brigaden und Bataillone geſtellt, 
denen ihre Grade und Orden anerkannt wurden, die 
wußten vollkommen, wovon es ſich handle; für die 
gibt es keine Rechtfertigung, keine Entſchuldigung, 
vielleicht noch weniger als für Maroto; denn die 
wurden nicht einmal betrogen, getäuſcht, hingehalten; 
die armen Soldaten hingegen, blendeten „Fueros und 

II. 24 


Friede,“ Worte, deren wahre Bedeutung fie erſt an 
dem Tage von Vergara zu ſpät erfuhren. 

Ueber die letzten ſo gewichtigen Wochen, vor dem 
Verrathe, glaube ich einige trockene Details aus einem 
weitläufigen Journal entnehmen zu müſſen, das von 
einem Vertrauten Maroto's geführt, in deſſen Por- 
tefeuille aufbewahrt ward, und mir ein paar Tage 
nach der Convention von Vergara im Original vorlag. 
Die erſten Tage Auguſt vergingen in zweckloſen Con— 
tremärſchen, während beide Generale längſt über die 
Hauptpunkte einverſtanden waren. Am 4. hatte Ma⸗ 
roto feine letzte Zuſammenkunft mit Lord John Hay; 
am 5. begab ſich dieſer zu Eſpartéro und am 9. 
zog Letzterer, mit dem Gros ſeiner Armee, von Amurrio 
nach Vitoria und ließ bei Las Ventas und Santiago 
ſeine Flanke unbedeckt, ohne daß Maroto nur Miene 
machte ihn anzugreifen, ſondern nach einem militäri— 
ſchen Spaziergange bis N. S. de Escareſtaza, ohne 
den Feind zu beunruhigen, nach Orozco zurückkehrte. 
Am 14. fand ein kleines Scheingefecht ſtatt. Als am 
16., während Maroto vergeblich auf den in Bilbao 
acereditirten franzöſiſchen Conſul wartete, der Baron 
de Los Valles ihm zu melden kam, der König 


371 
begebe fich nach dem Baſtan, um die infurgirten zwei 
Bataillone (unter Echeverria) zu ihrer Pflicht zurück— 
zuführen; da ſagte Maroto einem ſeiner Vertrauten: 
„das iſt der erſte Schritt zu ſeinem Verderben.“ Am 
18. früh begab ſich Maroto nach Villareal de Zus 
marraga und beſprach ſich um 9 Uhr Morgens 
mit dem franzöſiſchen Conſul auf der Straße von 
Vergara nach Amzuela. Einige Stunden darauf 
kam der König nach Villareal. Marotso hatte ſich 
zu Bett gelegt und in zwei Tagen zehn Jahre geal— 
tert. Er ſchnitt ſeinen Schnurbart ab und ging zum 
Könige; als er zurückkam, ſagte er laut, er habe 
ſeine Entlaſſung angeboten, die jedoch nicht ange— 
nommen worden ſei. Gleich darauf ſchickte er ſeine 
zwei Knaben nach Toloſa, von wo ſie in Begleitung 
Arizaga's bald in Bayonne eintrafen. Am 20. 
zog ſich der König nach Villafranca zurück, und Ma— 
roto verlegte ſein Hauptquartier nach Elorrio. Am 
22. nahm Eſpartéro das Fort von San Antonio 
de Urquiola, und am 23. Caſtaneda das befeſtigte 
Areta; Negri ſollte Erſteres und Simon de la 
Torre Letzteres vertheidigen, doch leiſteten ſie nur 
ſcheinbaren Widerſtand. Am nämlichen Abend rückte 
24 * 


372 


Eſpartéro in Durango ein. Am 24. Morgens 
ſtanden feine Vorpoſten in Abadiano, und Nachmit- 
tags brachte ſein Adjutant Zavala die Propoſitionen: 
den König als Infanten von Spanien, die Fueros 
in ihrer ganzen Ausdehnung, ſo wie die Grade und 
Ehrenzeichen der Offiziere anzuerkennen. Maroto 
ſandte ſogleich dieſe Vorſchläge an den Kriegsminiſter 
Montenegro und fügte bei, er werde am nächſten 
Tage, behufs weiterer Erklärung, eine Unterredung 
mit dem feindlichen Feldherrn haben, und verlange 
Verhaltungsbefehle. Am 25. kam der König nach 
Villareal; als Maroto ſich im Pallaſte präſentirte, 
ließ S. M. ihm bedeuten im Vorzimmer zu warten, wel- 
ches dem General mit dem Beiſatze: „der König werde 
ihm zeigen, daß er ſein Herr ſei,“ hinterbracht ward. 
Da faßte Maroto die Furcht, es ſei auf ſein Leben 
abgeſehen, und er entfernte ſich eilig aus dem Pallaſte, 
unter dem Vorwande dringender Geſchäfte. Gleich 
darauf erfolgte die von allen Blättern beſprochene, 
unglückliche Revue zwiſchen Villareal und Eluvia. 
Der König verließ im Galopp den Ort wo die Trup- 
pen aufgeſtellt waren und rief ſeiner Umgebung zu: 
„wir ſind verrathen.“ Am nächſten Morgen (26.) 


373 


erfolgte eine Unterredung Maroto's mit Efpar- 
téro in Durango; dieſer verweigerte nun die vor 
zwei Tagen zugeſagten, den König und die Fueros 
betreffenden Anerkennungen, worauf die zwei Generale 
erbittert ſchieden und Maroto am ſelben Tage dem 
Kriegsminiſter ſchrieb: er ſei von der Doppelzüngigkeit 
des feindlichen Generals überzeugt, und entſchloſſen, ihn 
nur mehr mit den Waffen zu bekämpfen; er erbitte ſich 
dieſerhalb die königlichen Befehle. Als Antwort hier— 
auf, ward Negri ins Hauptquartier geſchickt, das 
Commando an Maroto's Stelle zu übernehmen, 
und dieſem befohlen ſich ins Hoflager zu verfügen und 
dort zu rechtfertigen. Zugleich erließ Montenegro 
auf königlichen Befehl eine Proclamation an das Heer, 
worin (ohne Maroto zu nennen) er indirect des 
Hochverraths angeklagt ward. Während deſſen hatte 
Maroto (am 27.) dem König geſchrieben, um für 
ſich und ſeine Anhänger Gnade zu erflehen. Doch 
blieb es bei der erſten Entſcheidung, und Maroto 
konnte nun klar ſehen, daß kein Heil für ihn mehr 
möglich ſei. Da trotzte er dem königlichen Befehl 
und Negri mußte ſich zurückziehen. Indeſſen rückte 


Eſpartéro bis Onate vor, und am ſelben Tage 


374 


(29.) vereinten ſich Urbiztondo und de la Torre 
mit ihm. Nun ging Maroto in Alles ein, was 
von ihm begehrt wurde und erließ am ſelben Tage aus 
Zumarraga ein Rundſchreiben, worin er erklärte: die 
unter ſeinen Befehlen ſtehenden Truppen, des Krieges 
müde, wären entſchloſſen Frieden zu ſchließen, welches 
am nächſten Tage geſchehen würde. Tags darauf 
begab er ſich nach Vergara, kam jedoch Abends nach 
Villareal zurück. Am 31. Auguſt war Alles zu Ende, 
der große Wurf geworfen, der den König ſeiner Krone, 
ſiebenjährige blutige Kämpfe ihrer Früchte beraubte. 
Noch fünf Tage vorher hätte Alles abgewendet werden 
können; ein Wink des Königs und Maroto wäre 
bei der Revue bei Villareal durch dieſelben Truppen 
niedergeſchoſſen worden, die ſo bald darauf mit ihm 
übergingen; und wenn Alle ſich geweigert hätten, 
Alzaàa mit feinen Alaveſen hätte beſtimmt gehorcht; 
das gerechteſte Strafurtheil wäre vollzogen worden, 
ſeitdem Könige Urtheil ſprechen und Hochverräther 
gezüchtigt werden. 


375 


Am Abende des 1. Septembers lief eine englifche 
Barke im kleinen Hafen von St. Jean de Luz ein, 
und ſetzte einen Marine-Cadeten ans Land, der eiligſt 
ein Poſtpferd beſtieg und, nach einer Stunde ſchnellen 
Rittes, dem britiſchen Conſul ein kurzes Billet Lord 
John Hay's überbrachte, welches die erſte, noch un— 
vollkommene Nachricht von der Convention von Ver— 
gara enthielt. Am nächſten Nachmittag langte ſie 
offiziell aus Eſpartéro's Hauptquartier an; die 
ſpaniſche Flagge wurde vor dem chriſtiniſchen Conſulats— 
Gebäude aufgepflanzt, und alle Vorübergehenden erhiel— 
ten Exemplare der Uebereinkunft. Ich befand mich ſeit 
Kurzem in Bayonne, wo ich in der Vorſtadt Petit— 
Bourg, am rechten Ufer des Adour, größtentheils von 
Baſken bewohnt, in einer kleinen Kneipe verborgen 
lebte. Ich hatte Ende April Paris verlaſſen und den 
Weg bis Bayonne mit Duffeau zurückgelegt. Ohne 
in Details einzugehen, die es mir nicht zuſteht zu 
veröffentlichen, und die auch jetzt, nachdem doch Alles 
vergebens war, ihr Hauptintereſſe verloren, mag hier 
nur erwähnt werden, daß ich mit Aufträgen kam, 
Eröffnungen zu machen hatte, die bei einer halbwegs 
vernünftigen Regierung die ſchnellſte Aufnahme gefun— 


376 


den, die entſcheidendſten Reſultate zur Folge gehabt 
hätten. Ein weit ausſehender Plan, von einer damals 
uns befreundeten Regierung unterſtützt, wurde dem 
Miniſterium vorgelegt; doch waren deſſen ſämmtliche 
Mitglieder ſchon damals fo ſehr in Händen Maro— 
to's, daß fie keine einzige Maßregel ohne deſſen Sanc- 
tion unternahmen; dieſe wurde beſtändig verſchoben, 
von einem Tage zum andern hingehalten. So ver- 
ging, trotz aller Vorſtellungen mehrerer bedeutender 
Männer im Auslande und des Baron de los Valles, 
der im Hoflager den Gang der Unterhandlungen lei— 
tete, eine Woche um die andere, ohne eine definitive 
Entſcheidung erlangen zu können. Ich ſollte die könig— 
liche Unterſchrift in Bayonne abwarten, um ſogleich nach 
Paris, und von dort mit einem Agenten der erwähnten 
Regierung mich an den betreffenden Hof zu begeben. 
Doch war Bayonne ein zu gefährlicher Aufenthalt, 
und ich mußte befürchten, jeden Augenblick in dieſer 
Stadt entdeckt und arretirt zu werden, weßhalb ich mich 
in dem kleinen Eſtaminet, am Fuße des Schloſſes von 
Marrac etablirte, deſſen ich am Eingange dieſes Theils 
erwähnt. Hier brachte ich über drei Wochen in der 


ſtrengſten Recluſion zu, auf einen wenige Quadrat- 


Schuhe großen Raum beſchränkt, den ich nie verlaſſen 
durfte. Wenn das Gaſtzimmer unter mir von Gen— 
darmen oder Douaniers beſucht ward, durfte ich in 
meiner Clauſe nicht die geringſte Bewegung machen, da 
ſie für unbewohnt galt. Nach Sonnenuntergang ſchlich 
ſich der königliche Agent, oder einer ſeiner Leute, durch 
ein Hinterpförtchen zu mir und brachte die Depechen 
aus dem Hoflager, die beſtändig vertröſteten und gewöhn— 
lich für die nächſten Tage Entſcheidung verſprachen. 
Endlich ward mir die Ankunft eines Vertrauten 
in Vera, an der äußerſten Grenze gemeldet; dort 
ſollte ich Antwort erhalten. Von ein paar Schmugg— 
lern geführt, begab ich mich ſogleich an Ort und Stelle. 
Die Auskünfte waren zweideutig, unerſchöpfend, und aus 
allem konnte man den Zwieſpalt, die zunehmende Gäh— 
rung im Hoflager und Heere erkennen. Doch war dieß 
nicht zu ändern, und noch dieſelbe Nacht trat ich 
den Rückweg an. Ob verrathen oder verkauft, will 
ich nicht entſcheiden, doch kaum hatte ich franzöſiſchen 
Boden betreten, ſo wurde ich arretirt. Der Guide, der 
vor mir herging, war plötzlich verſchwunden, als ich 
in einen dunklen Hohlweg kam, aus dem von allen 
Seiten Gendarmen und Douaniers auf mich herab— 


ſtürzten. Eine Blendlaterne wurde mir in's Geſicht 
gehalten, und nach dem wenig erfreulichen Ausſpruche: 
„c'est bien lui!“ angedeutet, unweigerlich zu fol— 
gen. Ich übergab meine Terzerolen und mußte mir 
gefallen laſſen, genau durchſucht zu werden. Man 
nahm mir einige unbedeutende Papiere ab, die ich in 
meinem baſkiſchen Gurte trug; meine Depechen aber, 
in der Sohle einer meiner Sandalen eingenäht, konn— 
ten ſie nicht finden. Nach St. Jean de Luz geführt, 
nahm der Polizei-Commiſſär ſogleich procès verbal 
auf, und vier Gendarmen bewachten mich die Nacht 
über. Eine Eſtaffette ward ſogleich an den Sous— 
Präfecten geſchickt, und am nächſten Morgen kam der 
Befehl, mich unter Bedeckung nach Bayonne zu führen. 
Es war am 26. Mai, und eben Sonntag; da die 
Straße von St. Jean de Luz nach Bayonne auch nach 
dem beſuchten Seebade Biaritz führt, mußte ich befürch— 
ten, der ganzen ſchönen Welt von Bayonne, die Sonne 
tags ſich dort zu beluſtigen pflegt, in dieſem fatalen 
Aufzuge zu begegnen. Ich entwickelte dieſe Gründe 
dem Brigadier der Gendarmerie, dem die Verantwort— 
lichkeit meines Transportes oblag, worauf er ſo an— 
ſtändig war, dieſes ſogleich nach Bayonne zu ſchreiben 


379 


und mich erſt gegen Abend abzuführen. Gr fette ſich 
zu mir in eine Poſt-Cariole, zwei Gendarmen ritten 
daneben, und fo kam ich um halb acht Uhr im Hötel 
de Commerce an, das mir proviſoriſch als Wohnung 
angewieſen worden. 

Am nächſten Morgen ſollte mein Verhör be— 
ginnen, da der Sous-Präfect, nach langem Warten, 
ſich auf einer Landpartie befand. Ich hatte zu ge— 
wärtigen, in Folge beſonderer Inſtruetionen des Mini— 
ſteriums, in Begleitung von Gendarmen nach Paris 
geführt zu werden. Als ich eben mich in Geſell— 
ſchaft von zweien derſelben, die mich à vue bewach— 
ten, zum Souper niederſetzte, fand ich in der Serviette 
meines Couverts ein kleines zuſammengerolltes Papier. 
Ich erkannte die Schriftzüge des Oberſten von La— 
graeinière (ehemaligen königlichen General-Agenten 
längs der Grenze); er ſchrieb: „wenn ich noch nicht 
25 Jahre zählte und gute Beine hätte, würden 25 Fuß 
mir nicht zu hoch dünken, beſonders wenn unten kein 
Pflaſter iſt.“ Der Rath war gut, und eine Stunde 
darauf, während meine Gendarmen, denen ich tüchtig 
eingeſchenkt hatte, eben im Begriff waren, ein paar 
friſche Flaſchen zu öffnen, ſprang ich zum Fenſter hin— 
aus. Nach kurzem Laufe erreichte ich das Haus eines 


380 


Freundes, ward auf den Boden, und von dort über 
einige Giebeldächer in ein andres Haus geführt, das 
auf eine zweite Gaſſe gab. Nach zwei Nächten ver- 
ließ ich Bayonne bei einem Gußregen und ritt, quer- 
über die Landes, bis zum Schloſſe ...... einem 
meiner Freunde gehörig. Drei Tage ſpäter war ich, 
über Auch und Toulouſe, in Paris angelangt, wo ich 
in dem von Handlungsreiſenden ſehr ſtark beſuchten 
Hötel de Europe, rue Valois palais- royal, als 
M. Eugene Pinet, negociant en soieries, natif de 


Lyon, abjtieg und meinen Paß als folcher abgab.“) 


*) Am felben Morgen las ich in allen Zeitungen folgen- 
den Artikel: un poste de gendarmerie place en em- 
buscade à l’extr&me frontiere d’Espagne, avait arrete 
le 26. Mai le g. p. de L. au moment ou il rentrait 
en France, venant à ce que l'on suppose du quar- 
tier- general de Don Carlos. Conduit a Bayonne 
par la gendarmerie pour @tre mis à la disposition 
du sous-prefet, il y arriva vers huit heures du 
soir et füt depose dans I’hötel du commerce, sous 
la surveillance de deux gendarmes de cette ville, 
qui etaient charges de le garder à vue pour le 
representer le lendemain à Vautorite. Au moment 
ou le prisonnier soupait, profitant d’un moment 


381 


Zehn Tage ſpäter war ich mit der Mallepoſt in 
Toulouſe wieder angelangt. Der königliche Agent, den 
ich ſogleich aufſuchte, zeigte mir eine Regierungs- 
Currende, die allen Behörden und Poſten mein Signa— 
lement und einen Preis auf meine Arreſtation bekannt 
machte. Obſchon über die Wichtigkeit geſchmeichelt, die 
man auf das Einfangen meiner unbedeutenden Per— 
ſon zu legen ſchien, machte dieß meine Weiterreiſe 
nicht angenehm. Doch hatte der Marquis von L. in 
Bayonne dafür bereits Sorge getragen, und am nächſten 
Abend beſtieg ich die Imperiale einer Diligence, dem 
Conducteur derſelben anvertraut. Eine halbe Stunde 


d’inadvertance de ses argus, il s’elanga par la fe- 
netre et disparut comme l’eclair, sans que Jusqu'aà 
present, malgré la plus grande activite et toutes 
les recherches imaginables, on ait seulement pü de- 
couvrir ses traces. Dix - sept gendarmes ont été 
mis en campagne pour explorer les environs et 
tous les douaniers de la frontiere sont en mouve- 
ment, mais en vain; M. de L. parait avoir disparu 
de la surface de la terre. On croit que son pas- 
sage a été denonce aux autorités par un des agens 
de la faction Teijeiro, qui pullullent dans cette 
contree, des deux cötes de la frontiere. 


382 


vor Auch begegneten wir einem eleganten Phaeton; 
auf ein Zeichen meines Führers kletterte ich von mei— 
nem Sitze herab und nahm, ſobald die Diligence hin— 
weggerollt, neben Herr Arr..... „Beſitzer der er⸗ 
wähnten Equipage Platz. So fuhren wir im ſchärfſten 
Trabe durch Auch durch, an allen Poſten vorbei. 
Nach einer Stunde beſtieg ich wieder meinen alten Sitz. 
Mit einer Blouſe, einem Strohhut und großen Lein- 
wand-Regenſchirm folgte ich einer alten Frau durch 
die winkligen Gaſſen von Tarbes, und einige Stun— 
den ſpäter führte mich eine ſchlanke Bearneſer Dirne, 
nachdem ich in einem Bauerhauſe die Kleidung dieſes 
Landes angethan, längs der Gave dicht am Schloſſe 
Heinrich IV. vorbei, um Pau herum. Am zweiten 
Tage Mittags ward ich beim Schloſſe des Baron 
DD... abgeſetzt und von deſſen liebenswürdiger 
Familie freundlichſt aufgenommen. Nach einem vor— 
trefflichen Diner beſtieg ich ein Jagdpferd des Baron 
und hetzte mit einigen benachbarten Edelleuten quer- 
feldein bis St. L. .., deſſen Eigenthümer Herr von 
R. .. ſich unter meinen Begleitern befand und artig 
bedauerte, daß auf meiner, von Bayonne aus, ſtreng 
vorgezeichneten Marſchroute ſein Schloß nicht als Nacht- 


383 


quartier bezeichnet worden. Nach kurzem Halt ritten 
wir weiter, und nach Sonnenuntergang ſtiegen wir 
beim Schloſſe M. .. ab, das am Ufer des Adour 
herrlich gelegen, mit Terraſſen und Gärten umgeben, 
Herrn von ....e gehört. Die Königin (Prinzeſſin 
von Beyra) hatte hier 3 Tage zugebracht, ehe ſie die 
Grenze überſchritt. Mit ächter Gaſtfreundſchaft em— 
pfing mich der Herr dieſes ſchönen Landſitzes, und ob— 
wohl ich nicht das Recht habe, die legitimiſtiſchen Edel 
leute, die auf dieſen und anderen Zügen mich ſo 
freundlich aufnahmen, zu nennen, ſo drücke ich ihnen 
doch Allen meinen öffentlichen Dank hier aus. Sie 
find ſämmtlich wahre Royaliſten, im ehrenvollſten 
Umfange des Wortes, und ihr Leben hat bei den 
feinen Sitten der beſten Geſellſchaft eine patriarchaliſche 
Einfachheit beibehalten, welche die größte Hochachtung 
verdient. i 

Am zweiten Abende ſetzte mich eine Barke an 
das linke Adour Ufer, wo ein Schmuggler mit zwei 
Kleppern mich erwartete. Nach wenigen Stunden 
hielt ich vor dem Haufe des größten baſkiſchen Schleich— 
händler-Chefs. Ich will weder die allerliebſte Lage 
dieſes Hauſes, noch die marquante Geſtalt ſeines Be— 


38 


ſitzers näher beſchreiben, da Letzterer wahrſcheinlich ſein 
Metier mit dem beſten Erfolge jetzt noch forttreibt. 
Nur ſo viel, daß es am Ufer der Nive, in einem lieb— 
lichen Gebirgsthal gelegen, und ich nahe an fünf 
Wochen darin unter den Schleichhändlern zubrachte. 
Ein geräumiges Zimmer ward ganz comfortabel für 
mich eingerichtet; die alte Mutter meines Hausherrn 
beſorgte die Küche, und ſeine junge Schweſter ſervirte 
mein ſchmackhaftes und reinliches Eſſen. Ein Schmugg— 
ler brachte mir meinen Diener zu, der ſeit meiner Arre— 
ſtation, im Eſtaminet von Marrac verborgen geblieben, 
und ſo entbehrte ich, unter meinen wilden Hausgenoſſen, 
keiner einzigen Bequemlichkeit. Alle Nächte trafen die 
Geſellen des freien Meiſters (hacheros de contra- 
banda) mit der Correſpondenz aus dem Hoflager ein; 
ich wurde geweckt; dann gab es durch ein paar Stun⸗ 
den Arbeit, worauf andere Schmuggler die Ankömm— 
linge ablöſten und die Depechen nach Bayonne trugen. 
Oefter wurden große Transporte von Pferden oder 
Kriegsbedarf, von meinem Hauſe aus expedirt; dann 
war um uns her das regſte Leben. Gegen Sonnen— 
untergang kamen verbündete Schleichhändler und Knechte 
von allen Seiten herbeigelaufen, oder auf ihren Maul- 


385 


thieren geritten; die gefährlichſten Päſſe wurden mili- 
täriſch durch Schildwachen beſetzt, nach den Douaniers— 
poſten geſchickt deren Bewegungen zu beobachten, und 
die Hunde losgekoppelt, die Umgegend des Hauſes zu 
durchſpüren. Die Nacht über aßen, tranken und 
jubelten Alle, und gegen 3 Uhr Morgens dachte man 
gewöhnlich an den Abmarſch, wog die Ballen, packte 
ſie zu gleichförmigen Laſten und vertheilte ſie unter 
die Läufer und Reiter. Salpeter war der gewöhn— 
lichſte Artikel; die Fußgänger trugen bis zu dem Ge— 
wichte von 2 Centnern, die Maulthiere 6 bis 8. 
Wenn es große Transporte von 100 und mehr Maul- 
thieren galt, wurde gewöhnlich ein kleiner Unbedeu— 
tender exponirt und preisgegeben; über dieſen fiel dann. 
die Douane her und verſäumte den Wichtigern, der 
über Schluchten und Abgründe meiſt ſicher auf ſpani— 
ſchem Boden anlangte. Einzelne Douaniers wagen 
es nie die Schmuggler anzuhalten, die ihre Waffen, 
das lange Meſſer und den ſchwer beſchlagenen Stock, 
mit furchtbarer Geſchicklichkeit zu führen wiſſen; auch 
hing auf jedem Maulthiere ein Carabiner. 

Dieſe Züge hatten wirklich etwas großartiges; ich 
habe mehrere derſelben theilweiſe mitgemacht, da die 

II. 25 


386 


Geſchäfte, die mich an dieſe Gegend feſſelten, öftere 
Zuſammenkünfte auf ſpaniſchem Boden mit Perſonen, 
die aus dem Hoflager hiezu eintrafen, nöthig machten. 

Endlich ſchien Alles auf Abſchließung zu deuten, 
und auch Maroto hatte in dieſem Sinne geſchrieben. 
Da ward Duffeau, den er ein zweites Mal mit 
geheimen Aufträgen, zu einem nochmaligen Verſuche 
franzöſiſcher Mediation, nach Paris geſchickt, bei ſeiner 
Rückkehr von Gendarmen aufgegriffen und vor den 
Sous -Präfecten geführt. Nach einer halbſtündigen 
Unterredung ließ ihn dieſer frei, gab ihm einen Paß 
nach Spanien und befahl den Grenzbehörden ihm 
keine Hinderniſſe in den Weg zu legen. In einer 
einſamen Borda oberhalb St. Jean de Luz hatte ich 
in der Nacht des 25. Juli eine Unterredung mit ihm; 
es wurde mir nicht ſchwer ſie mit andern Nachrichten 
zu combiniren und auf baldige ſichere Umwälzungen 
zu ſchließen. Am folgenden 7. Auguſt war ich wie— 
der in Spanien und kam in der Venta von Landi— 
var mit dem Baron de Los Valles zuſammen. 
Dieſer treue Diener des Königs ſah eben ſo klar wie 
ich, doch mußte auch er auf ohnmächtige Klagen ſich 
beſchränken, da den Wenigen, die eingreifen und helfen 


387 


konnten, der Muth oder der Wille fehlte. Am fol— 
genden Tage ſprach ich in Bayonne Lord Ranelagh, 
der aus dem Hoflager kam und meine Anſichten nur 
beſtätigte. 

Endlich kam am 10. die Nachricht von der In⸗ 
ſurrection des fünften Bataillons von Navarra unter 
dem Hofcaplan Echeverria, der als ehemaliger 
Präſident ihrer Junta großen Einfluß auf dieſe 
Leute ausübte. Von nun an mußte Jeder, nicht gänz— 
lich Befangene, mit jedem Tage einer ſchmählichen 
Auflöſung entgegenſehen, da drei Parteien im eigenen 
Feldlager, die Anhänger Maroto's, die Echever— 
ria's und die wenigen unter ſich Entzweiten, die um 
den König geblieben, ſich offener und gehäſſiger 
bekriegten als je den Feind. Der 31. Auguſt beſtätigte 
nur zu ſehr alle dieſe traurigen Ahnungen. Von 
nun an ſchienen Alle im Hoflager den Kopf gänzlich 
verloren zu haben; ſtatt die letzten Kräfte zu ſammeln, 
eine Diverſion über den Ebro nach Caſtilien oder 
Aragon zu unternehmen, den Kriegsſchauplatz in die 
Umgegend der Hauptſtadt zu verſetzen oder ſich mit 
Cabrera zu vereinen, dachten die Meiſten nur an 
Flucht, an Rettung ihrer Perſon und Habe. Täglich 


25 * 


388 


kamen hunderte von Beamten, Höflingen, Mönchen, 
Frauen, meiſt aus der berüchtigten Klaſſe der Oja— 
latéros auf franzöſiſchen Boden über Zugarramurdi 
und die Alduiden; aus der Maſſe dieſer Flücht— 
linge, die nun Bayonne und die umliegenden Orte 
anfüllten, konnte man erſt recht entnehmen, welche 
Landplage fie für Navarra und die drei baſkiſchen 
Provinzen geweſen. Allerlei Gräuel wurden an der 
Grenze an wehrloſen Greiſen und Frauen durch die 
debandirten Navarreſen verübt, endlich am 6. Sep⸗ 
tember durch die Ermordung des General-Capitains 
Moreno dieſen Schandthaten die Krone aufgeſetzt. 

Am 13. September kam der König nach Urdax, 
nur von einigen Bataillons und ein paar Eseadrons 
gefolgt. Nach einigen Stunden ward bekannt, Eſpar— 
tero ſei in Eliſondo eingerückt, worauf der König 
ſeinen Adjutanten, General Zabala, an den fran— 
zöſiſchen General Haris pe und den Sous-Präfecten 
Hénault nach Bayonne ſchickte, feine Abſicht, ſich auf 
franzöſiſchen Boden zu begeben, ihnen anzuzeigen und 
anzufragen, welches Schickſal ihn und feine Anhänger 
erwarte. Es ward ihm geantwortet, er würde mit 
aller, ſeinem Range gebührenden Ehrfurcht behandelt 


389 


werden, auch Päſſe für ſich und fein Gefolge erhalten; 
die höheren Offiziere (les chefs) ſollten ihre Säbel 
behalten, die Truppen, nach erfolgter Desarmirung, 
in Depots abgehen. Am 14. um 2 Uhr Nachmittags 
waren alle Höhen, die Urdar von drei Seiten um— 
geben, mit Feinden bedeckt; bald begann das canta— 
briſche Bataillon, das die Zugänge des Dorfes beſetzte, 
ein lebhaftes Feuer. Dann wurde Generalmarſch 
geſchlagen, und von ſämmtlichen Truppen begleitet, 
ritt der König der Grenze zu. Auf Befehl Elio's, 
der in den letzten Tagen das Commando führte, 
blieben die 100 Hatſchiere der Fußgarde in Urdax 
zurück; an ihre Spitze ſtellten ſich Villarreal, 
Gomez, der Graf von Madeira, Merino, 
Zabala, die treu gebliebenen Häuptlinge, die ſo 
oft größere Maſſen zum Siege geführt, und nun mit 
dem letzten Häuflein den Schauplatz ihres Ruhmes 
nur kämpfend verlaſſen wollten. Mehrere Offiziere 
geſellten ſich zu ihnen, die feindlichen Kugeln zum 
letzten Mal zu begrüßen; unter ihnen bemerkte man 
den Grafen Stanislaus von Blacas, Sohn des 
Herzogs von Blacas, der vor einigen Monaten ein— 
getroffen war, ein liebenswürdiger junger Mann und 


390 


mein ſpäterer Reiſegefährte bis Bourges. Endlich ftieg 
der Feind in das Thal von Urdax hinab, und unter 
beſtändigem Feuer zogen ſich die Hatſchiere langſam 
zurück. Die feindliche Cavallerie chargirte ſie; an der 
Grenzbrücke Dancharria angelangt, feuerten ſie noch 
einmal ihre Gewehre ab, und die Garde Carl's V. 
war auf franzöſiſchem Boden. 

Von der Brücke Dancharria bis zum Dorfe Ain— 
hoa war franzöſiſches Linienmilitär aufgeſtellt. Augen- 
blicklich wurde unſere Colonne desarmirt, und der 
geſtrigen Verſprechungen ungeachtet, Niemand aus— 
genommen. Der ſiegreiche Degen Villarreal's, 
die Klinge des kühnen Gomez, die in der Sonne 
der vier Andaluſien geſtrahlt, und viele andre in 
hundert Gefechten erprobte Schwerter fielen in die 
unreinen Hände franzöſiſcher Polizei- und Zollbeamten. 
Als man auch den Infanten Don Sebaſtian ent⸗ 
waffnen wollte, weigerte er ſich und ſagte: dieſen 
Säbel habe er ſiegreich geführt und würde ſich nie 
von ihm trennen. Der franzöſiſche Commiſſär beſaß 
noch ſo viel Scham nicht weiter zu inſiſtiren. Zwiſchen 
zwei Reihen franzöſiſcher Soldaten wurde unſere Co— 
lonne von Ainhoa links über die Nivelle nach dem 


391 


Dorfe Saint Pee geführt, und dem königlichen Ge— 
folge bedeutet, dieß ſei, bis auf weitere Ordre, der 
vorläufige Aufenthalt Aller. Ein Gendarmerie-Poſten 
und einige Compagnien Infanterie beſetzten das Dorf 
und die Zugänge zum Hauſe des Friedens-Richter, 
das der König bewohnte. Alle umgrenzenden Höhen 
bedeckten Truppen; wir waren alſo Gefangene. 
Die düſtre Stimmung, die dieſer erſte Wortbruch bei 
Allen hervorbrachte, entging den franzöſiſchen Behörden 
nicht; auch ſchienen ſie einen verzweifelten Entſchluß, 
vielleicht Aufruhr und Verſuch einer Rückkehr nach 
Spanien zu befürchten. Als der Sous-Präfect im 
kleinen Hausflur, der den königlichen Vorſaal ver— 
trat, alle marquanten Perſonen gewahrte, wurde er 
ängſtlich und erklärte, er könne zahlreiche Verſamm— 
lungen nicht dulden; nur die im Dienſte wären, dürften 
hier verbleiben. Den Eintritt zu wehren, ſetzten er 
und der Friedens-Richter Goyeneche ſich vor die 
Thür des kleinen Gemachs worin der König, die 
Königin und der Prinz von Aſturien ſich befanden. 
Demungeachtet gelang es doch einem nach dem Andern 
durchzudringen, unſern unglücklichen Herrn zu ſprechen. 
Der König war ſehr gefaßt; man ſah, daß er alle 


392 
Hoffnung nicht aufgegeben hatte. Er wußte nicht 
was ihm bevorſtehe, doch als Einige von uns ihm 
die gegründete Beſorgniß ausdrückten, die franzöſiſche 
Regierung möchte ihn gefangen zurückhalten, wollte 
er dieſem Gedanken nicht Raum geben und meinte, 
es wäre ein undenkbarer Wortbruch gegen das feier— 
liche Verſprechen, das im Namen des Königs der 
Franzoſen und im Auftrage ſeines Miniſteriums durch 
die Bayonner Behörden gegeben worden; überdieß wäre 
es auch eine flagrante Verletzung des Völkerrechtes, 
welche die drei nordiſchen Großmächte wohl nicht 
dulden würden. Der Infant Don Sebaſtian war 
ſehr aufgeregt, und ſagte mir einmal über das Andere: 
„Wenn man mich noch zuletzt hätte handeln laſſen, in 
Kurzem hätten wir einen zweiten Tag von Oriamendi 
gehabt.“ Er ſchien unſern Wächtern vorzüglich Be— 
ſorgniß einzuflößen, ſie beobachteten jede ſeiner Be— 
wegungen ängſtlich und mochten wohl einen coup de 
tete, etwa eine Rückkehr auf ſpaniſchen Boden, allein 
oder mit einem Häuflein, befürchten. 

Dieſer Zuſtand dauerte am folgenden 15. fort. 
Der Telegraph hatte über die letzten Ereigniſſe nach 
Paris berichtet, und die franzöſiſchen Behörden warte— 


ten die Antwort ab. Am 16. Morgens kam fie, und 
lautete: die Truppen ſollten nach Marrae und in 
andere Orte um Bayonne ſo ſchnell als möglich ge— 
führt, und von dort nach verſchiedenen Punkten im 
Innern Frankreichs internirt werden, die Häuptlinge bis 
auf weitere Ordre ſich nach Bayonne verfügen. Der 
königlichen Familie wurde nur eine ganz kleine Umgebung 
gelaſſen, mit der ſie in Begleitung eines Polizei-Com— 
miſſairs und unter ſtrenger Bewachung nach Perigueur 
abgehen ſolle. Jedem ward die Stunde ſeines Abgangs 
beſtimmt, und Niemand durfte länger verweilen oder 
ſich von dem vorgezeichneten Wege entfernen. Gegen 
Mittag ritt auch ich mit dem Grafen von Blacas 
und dem Baron de los Valles ab; Bayonne war 
mit Carliſten angefüllt und beinahe nirgends Platz 
zur Unterkunft. Als es hieß, der König würde Abends 
durch Bayonne kommen und Pferde wechſeln, ver— 
ſammelten ſich viele ſeiner Anhänger auf dem Platze, 
Abſchied von ihm zu nehmen. Doch ſobald dieß den 
franzöſiſchen Behörden bekannt ward, ließen ſie die 
Poſtpferde auf die Höhe von Saint Eſprit, außerhalb 
der Stadt ſtellen und den König bei Nacht und Regen, 
nach gefliſſentlich verzögerter Abreiſe, durch Bayonne 


39 


in größtem Galopp führen. Nur wenige von uns 
erlangten durch Zufall hievon Kenntniß und liefen 
auf die beſagte Anhöhe, wo eben drei Wagen hielten, 
von Polizeidienern und Gendarmen umgeben. Wir 
drängten uns durch ſie, zum Erſten und klopften an 
das Fenſter. Der König, die Königin, der Prinz von 
Aſturien und Don Sebaſtian ſaßen darin; doch 
kaum hatte mir der unglückliche Herr die Hand ge— 
geben, ich ihm meine letzten Wünſche und Hoffnungen 
zugerufen, fo ſaßen ſchon die Poſtillone auf, der 
Sous -Präfect rief „en avant” und pfeilſchnell ver- 
lor ſich der Wagen in Nacht und Nebel; er führte 
gefangen den königlichen Herrn ab, mit dem ich 
gehofft hatte ſiegreich in die Hauptſtadt ſeines Reiches 
einzuziehen. 


Zehn Tage darauf war ich in Bourges, der Stadt, 
die dem Könige als Gefängniß angewieſen worden. Im 
Hötel de la Panette ſah ich den unglücklichen Fürſten 
wieder, der als Opfer des ſchändlichſten Verrathes und 
der Indifferenz unſerer Zeit gefallen. Die franzöſiſche 
Regierung glaubte vielleicht den Spaniern, durch un— 
würdige Gefangenſchaft ihres Königs, den Frieden zu 
geben. Die letzten Ereigniſſe haben dieſe Hoffnun— 
gen zu nichte gemacht. Eine große hiſtoriſche Ge— 
rechtigkeit hat Carl V. und ſeine Vertheidiger gerächt. 
Kaum hatte der letzte carliſtiſche Soldat Spanien ver— 
laſſen, als derſelbe Zwieſpalt im Hofe und Lager 
unſerer Feinde ausbrach, der unſern Untergang be— 
ſchleunigt hatte. Die Ereigniſſe von Barcelona und 
Valencia, die gewaltſame Abdieation der Königin 
Chriſtine, und in der neueſten Zeit die Reaction ihrer 
Anhänger in den Provinzen, haben die Unhaltbarkeit 
einer conſtitutionellen Regierung auf revolutionär moder- 
ner Baſis gezeigt. Das Blut Diego Leons und 
aller politiſchen Opfer für die Eſpartéèro kein Wort 
der Gnade fand, ſchreit um Sühne; noch iſt der Auf— 
ſtand in dem alten Kriegsſchauplatze kaum gedämpft, 
noch haben ſich die Folgen der militäriſchen Despotie 


= 
z 
— 


des Regenten dort nicht gezeigt, und ſchon regen ſich 
in den großen Städten der Oſtküſte überall thätig 
republikaniſche Sympathien. Spanien iſt gewiß von 
Frieden und Ruhe entfernter als je. Ströme Blutes 
werden noch in dieſem Lande fließen, große Bewegun— 
gen ſich heben und legen, viel muß noch ausgähren. 
Das Ende mag Gott allein abſehen; Meuſchen haben 
nichts gethan, um es herbeizuführen. 


Inhalt des erſten Theils. 


Seite 
I. Ankunft in Bayonne. — Zug über die Grenze. — 


Zugarramurdi. — Yrun. — Don Diego Miguel 
de Garcia. — Gefecht von Amezagana. — Anz 
kunft im Königlichen Hoflager. (4. bis 10. März 
IRB ae re 1 
II. Das Minifterium. — Der König. — Zug bis 
Betelu. — Combinirte Operation des Feindes. — 
Der Infant Don Sebaſtian und ſein Gefolge. — 
Schlacht von Oriamendi. — Gefecht bei Galda- 
cand. — Rückblick auf den Kriegsſchauplatz und 
Stärke der carliſtiſchen Truppen. — Ueber die 
Intriguen im Hauptquartier. — Herr von Corpas 
und die Camarilla. — Azcoitia und Loyola. — 
Pater Gil und die Jeſuiten. — Der ſpaniſche 
Clerus. — Die Fremdenlegion. — Abmarſch nach 
Toloſa und Aufenthalt eee (11. März bis 
Ende April 1837.) ; 25 
III. Arreſtation des Generals Eguia. — Ausmarſch be 
Königlichen Expedition. — Uebergang des Arga 
und Aragon. — Zug durch das obere Aragon. — 
Schlachten von Huesca und Barbaſtro. — Ueber: 
gang des Cinca. — Zug durch Catalonien. — 
Schlacht bei Guiſona. — Einzug in Solſona. — 
Die cataloniſchen Häuptlinge. — Marſch bis zum 
Ebro. (Anfang Mai bis 28. Juni.) . 1 
IV. Uebergang des Ebro. — Affaire von Tortoſa. — 
Cabrera. — Marſch durch Valencia. — Rück⸗ 


3 ‚ nn Seite 
marſch in die Berge. — Gefecht von Chiva. — 


Marſch bis Cantavieja. — Züge durch das Niedere 
Aragon. — Schlacht von Herrera und Villar de 
los Navarros. — Marſch durch Caſtilien bis vor 
die Thore von Madrid. (29. Juni bis 12. Sep⸗ 


tember 1837.) . 2 5 165 
V. Rückzug bis zur Alcarria. — Die Han be 
Mancha. — Einnahme von Guadalajara. — 


Affaire von Aranzueque. — Rückmarſch durch 
Neu- und Alt⸗Caſtilien. — Uebergang des Duero 
bei Gormaz. — Vereinigung mit Zaratiegui und 
Affaire bei Aranda de Duero. — Marſch in die 
Pinaren. — Der Pfarrer Merino. — Schlacht 
von Retuerta. — Theilung des Expeditions-Corps 
und Züge in den Pinaren. — Marſch bis Caſa 
de la Reina. — Moreno's Journal. — Trennung 
vom Infanten und mein Marſch über den Ebro bis 
Eſtella. (13. September bis 21. October 1837.) 227 
VI. Stimmung des Volks und Heeres bei Rückkehr des 
Königs. — Das Manifeft von Areiniega. — Arre— 
ſtationen und Veränderungen. — Don Juan Eche— 
verria. — Der Graf von Madeira. — Amurrio. — 
Don Baſilio's Expedition. — Ausflug nach der 
Küſte. — Urbiztondo's Rückkehr. — Das Hoflager 
in Azeoitia. — Unterhandlungen mit dem franzö— 
ſiſchen Conſul in Bilbao. — Das Hoflager in 
Eſtella. — Negris Expedition. — Ritt nach Zu— 
garramurdi und Rückkehr durch den Baſtan. — 
Abreiſe. (November 1837 bis 1. April 1838.) 303 


Inhalt des zweiten Theils. 


J. Gefangennehmung und Freilaſſung des Erzbiſchofs 5 
von Cuba. — Die Legitimiſten in Marſeille. — 
Reiſe durch Süd- Frankreich. — Maroto's Töch— 
ter. — Don Manuel Valdes. — Biographiſche 
Skizzen über Maroto. — Von Bordeaur bis zum 
Schloſſe von Marrac. — Die Schmuggler in den 
Pyreneen und Zug über die Grenze. — Beſuch 
bei Moreno. — Maroto's erſtes Auftreten. — 
Ankunft im Königlichen Hoflager zu Elorrio. 
(April bis zweite Hälfte Juli 1838.) . 1 5 

II. Abgang vom Hoflager. — Eſpartéro's N 
Angriff von Eſtella. — Der Biſchof von Leon. 
Triſtany. Don Pedro Raton, Beichtvater des 
Königs. — Merino über Fürſt Metternich. — 

Nit dem Sous-Präfecten von Bayonne contrahirter 
Uebergang auf franzöſiſchen Boden. Sein Urtheil 
über Maroto. — Ueber die ſpaniſchen Flüchtlinge 
und Granden. — Graf Peyronnet in Monfer- 
rand. — Unthätigkeit im Hauptquartier. — Tou⸗ 
loufe. — Perpignan. — Zug über die öſtlichen 
Pyreneen bis nach Catalonien. (Ende Juli bis 
Mitte September 1838.) . - 59 

III. Die Carabiniers der ſpaniſchen Ane — Sg 
in den Gebirgen bis Rivas. — Reminiscenzen 
der Catalonier an das Haus Oeſterreich. — Schar— 
mützel in der Rectoria de Fuſtina. — Diner des 
Ayuntamiento von Gumbren. — Drei weibliche 


Seite 


Generationen in Puch Bo. — Anblick des Mon— 
ſerrat. — Militäriſche Etabliſſemens in Bor— 
radä. — Berga. — Ankunft in Caſerras, dem 
Hauptquartier des Grafen de Eſpanßa. — Seine 
Umgebung. — Der Graf de Efpana. — Meine 
Wohnung vor den Vorpoſten. — Ein Tag im 
Hauptquartier. (Zweite Hälfte September 1838.) 123 
IV. Skizzen über den Grafen de Eſpana und den letzten 
Krieg in Catalouien . 4 4 5 179 
V. Executionen des Grafen de Epe, — Frau von 
Mondeden. — Vorſchlag und Brief an Cabrera. — 
Eröffnung der Campagne. — Requiſitionsmittel. — 
Der Pfarrer von Valſarén. — Lit de Justice in 
Caſerras. — Expedition vor Cardöna. — Marco 
del Pont. — Hauptquartier im Priorate Puig— 
Reig. — Zerſtörung der Häuſer um Berga. — 
Expedition nach dem obern Segre und dem Thale 
von Aran. — Die Republik Andorra. — Ein⸗ 
nahme von Viella. — Affaire an der Brücke von 
Escalö. — Rückzug bis Oliana. — Abgang von 
der cataloniſchen Armee und Zug bis Perpignan. — 
Ueber die Ermordung des Grafen de Eſpaña. 
(Ende September 1838 bis Neujahr 1839.) 2231 
VI. Ueber die Fuſiladen von Eſtella. — Progreſſiver 
Gang des Verrathes Maroto's bis zur Con— 
vention von Vergara. — Meine Arreſtation. — 
Züge durch Frankreich und an der Grenze. — 
Saint Bee und Bourges. (1839.) . ; 337 


7. 
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