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±3
Erinnerungen einer ürgrossmutter
Er inne r u n g e n
einer
Urgrossmutter
(KatHa Freifran tod BectLtolsneiiQ &l Irräfln Bneil)
17B7 — IBaS
Mil Drlfflulbrltf« na Otitki. WItUnd. Hnd«. EalHriB EithulM lU EkU*r
Aliundn L ud K^IhUi Kula tob BivUiid. Hinof Cul Aiful ras Wtlau,
Enrt II. in SHhHa-OoUu, Pim tob SUU. FBnl nn Lip», Onl SicBi. nm-
FriBW« Tgi DBlbaig snd tsb ud*r»
HerauBgegehen
Carl Gtraf ObemdorfF
Hit 12 Illuttrationen und 6 Facsimile-Beilagen
Egon Fleischel & Co,
Berlin
Alle Rechte,
besonders die der Übersetzung,
vorbehalten.
Abdruck — auch auszugsweise — untersagt.
236844
.• .V
• • • • •
• •
•••
• • •
Vorwort
So hätte sich denn wieder ein Stflck Menschen-
leben vor meinen Blicken anfgeroUt, und Zeiten sind
vor meinem inneren Ange vorbeigezogen, buntbewegte,
wilde, blutige Zeiten, Zeiten voll bitteren Hasses,
inniger Liebe und flammender Begeisterung, bis sich
endlich dieses Meer aufgewühlter Leidenschaften be-
ruhigt, alle Stfirme schweigen und die Sonne des
Friedens herniederlächelt auf Deutschland, auf Frank-
reich, auf Europa!
„Erinnerungen einer ürgrossmutter"
ist jener Band betitelt, den ich hiermit der Öffent-
lichkeit übergebe, und welcher die Schicksale des
Pflegekindes eines der hervorragendsten Encyklopä-
disten und französischen Litteraten, Friedrich Mel-
chiors von Grimm, und Urenkelin der Madame
d'Epinay enthält.
Katharina von Bechtolsheim, geborene
Oräfin Duroux deBueil, die Verfasserin dieses
Memoiren Werkes , lernen wir als eine jener scharfaus-
— YI —
geprägten Individualitäten kennen, wie sie uns so
selten im Leben begegnen. Ihr Charakter ist edel,
ernst, beschaulich, und neben einem starken, bildungs-
durstigen und -fähigen Geiste tritt uns in ihr tiefe
Religiosität, anfangs infolge philosophischer Studien
gebunden und erst später durch die Prüfungen des
Lebens und beständige Selbstbetrachtung freiwerdend,
sowie eine kleine Vorliebe für jene Art von Selbst-
bespiegelung entgegen, welche von einem mit sich
wohlzufriedenen Oemüte zu zeugen pflegt, trotzdem
sich dieses Behagen am eigenen Ich oft auch hinter
einem scheinbaren Tadel desselben verbirgt. — Doch,
erzieht sich denn nicht jede Seele selbst, und sind
nicht alle jene äusseren, von Dritten herrührenden
Impulse, die man insgesamt mit dem Namen „Er-
ziehung" bezeichnet, nur Wegweiser für die suchende
und tastende Seele, nur blosse Behelfsmittel für ihre
Selbsterziehung? Und ist uns nun dies schwierige Werk
gelungen, warum sollen wir ans dann nicht an ihm
erfreuen und es mit dem gleichen Behagen betrachten,
wie etwa der Maler sein treffliches Gemälde?
Die treue Anhänglichkeit, welche Grimm seiner
Freundin, Madame d'Epinay, bis zu ihrer letzten
Stunde bewahrte, übertrug er nach dem Tode dieser
meiner Urahne auf deren geliebtes Enkelkind, Emilie
de Belsunce, und nachdem er derselben in Lud-
wig Alexander August Grafen Durouz de Bueil
einen hochsinnigen Gatten erwählt hatte, auch auf
ihre Kinder Henri, Adöle und Katharina, die
— vn —
Verfasserin dieser Memoiren. Als dann der Stnrm der
Eevolntion ihn nnd die ihm so liebe Familie seiner
Pflegebefohlenen ans Frankreich vertrieb nnd zwang,
sich in Deutschland, jenem Reiche niederzulassen, dem
er entstammte, nahm er aufs neue Emilie und die
Ihren in seine Obhut, während Graf Bueil im Heere
des Marschalls deCastriesfür König nnd Vaterland
kämpfte.
Dort in Grimms Hause, wo Goethe, Herder
und Wieland, die Zierden des deutschen Parnasses,
sowie auch Frau von Stael, Benjamin Constant,
Abb6 Delisle und andere verkehrten, reifte
Katharina unter der liebevollen Leitung des greisen
Encyklopädisten in allen Fächern des Wissens von
Männern, wie Friedrich Christian Jacobs, dem
berühmten Philologen und Willem Bilderdijk, einem
weitgeschätzten holländischen Posten, unterwiesen, zur
Jungfrau heran und gewann bald ihr neues Vater-
land so lieb, dass sie sich in Frankreich nicht mehr
heimisch fClhlen konnte. — 1807 vermählte sie sich
mit Emil Freiherm von Bechtolsheim, dem Sohne
Julien s, geb. Gräfin Keller, der bekannten
Freundin unserer Dichterfürsten. Doch schon nach
wenigen Jahren des Glückes entriss ihr der Tod den
teuem Gatten, welcher schwere Schicksalsschlag
ihre bis dahin nur von philosophischen Idealen geleitete
Seele Gott zuwendete.
Das zweite Buch schildert die ganz der Erziehung
ihrer beiden Kinder, Alexander und Clotilde,
~ vin -
gewidmete erste Witwenzeit und schliesst nach einem
bewegten Leben am Mecklenburg-Schweriner
Hofe mit ihrer dauernden Niederlassung in Baiern ab.
Von gleichem, ja für viele vielleicht sogar von
höherem Interesse, wie der Memoirentext selbst, dürften
die in unserem Werke enthaltenen fünfund fünfzig
Briefe bedeutendster Persönlichkeiten sein. Jedenfalls
sind sie, mit Ausnahme jener der Kaiserin Katharina,
die schon vor Zeiten und von anderen ediert und
commentiert im Handel erschienen, sowie einiger
weniger der übrigen bis dato noch unbekannt und
unveröffentlicht und befinden sich im Gräflich
E r d ö d y sehen Archive zu G a 1 g 6 c z (Neutraer
Comitat, Ungarn), wo sie deponiert wurden.
Das letzte Capitel des ersten Buches, „Meine
Schwiegermutter" betitelt , bringt Briefe unserer
Klassiker: Goethe, Wieland und Herder sowie
ein von letzterem übersetztes Gedicht, auch Frau
von Staäl, Herzog Carl August von Weimar
und der ebenso tolerante, wie kunstliebende Kirchen-
fürst Baron D a 1 b e r g sind teils mit längeren
Schreiben, teils mit kurzen Billetten vertreten , welche
alle an Freifrau Julie von Bechtolsheim - Keller ge-
richtet sind.
Als ersten Anhang glaubte ich die Korrespondenzen
aus dem Nachlasse Baron Grimms anfügen zu müssen,
die man übrigens ebensogut „Katharina II. und
ihre Zeit" betiteln könnte. Vielfach ist es bei Hof
Sitte, nach dem Ableben eines Monarchen die Hand-
- IX —
schreiben desselben an Privatpersonen von letzteren
einznfordem , doch scheint es Grimm gelungen zu sein,
wenigstens fQnf Briefe der grossen Kaiserin ganz
zurückzubehalten, während er aus den anderen nur
die prägnantesten Stellen eigenhändig excerpierte,
welch' letztere ich als „Fragmente" bezeichnete. Von
drei Standpunkten ans hielt ich die Beigabe der bereits
anderweitig erschienenen Katharina -Briefe nicht nur
für gerechtfertigt, sondern sogar für geboten: erstens
einmal befinden sich ja doch die Originale, respective
die vom Empfänger selbst angefertigten Copien aus-
schliesslich im Besitze meiner Familie , zweitens dachte
ich die Einfügung derselben schon deshalb bewerk-
stelligen zu müssen, um das in den vorliegenden
Memoiren so oft erwähnte innige Freundschaftsverhältnis
zwischen der gewaltigen Autokratin und dem schlichten
Gelehrten zu illustrieren, sowie auch, um manches in
den nachfolgenden, noch unbekannten Schilderungen
von Ligne und S6gur verständlicher zu machen,
und drittens hoffe ich , dass sie für jene Leser , denen
sie noch fremd sind , neue Streiflichter auf den Charakter
einer vielgehassten , vielgeschmähten und doch so
schönen und liebenswürdigen Herrscherin werfen
möchten.
Doch nun zu den anderen.
Fürst de Ligne weiss sehr interessant und
farbenreich von jener weltberühmten Reise der
„nordischen Semiramis'* nach Taurien als Augenzeuge
zu berichten , doch auch er hält Potemkins gross-
artig inscenierte Betrügereien für waschechte Wahr-
heiten und ist nicht wenig ergrimmt über die mittel-
europäischen Journalisten, denen die ganze Ge-
schichte da drüben keineswegs so herrlich dünkt, wie
ihm.
Graf S6gur entwirft prächtige Schilderungen
Moskaus, einer Wassen*eise des Hofes zwischen den
beiden russischen Metropolen und der Festlichkeiten
zu Peterhof etc.
Kaiserin Maria Feodorowna, die Schwieger-
tochter Katharinas II., überträgt Grimm eine Wohl-
thätigkeitskasse zur Unterstützung der französischen
adeligen Emigranten in Deutschland, was wohl zum
guten Teil die Lage dieser armen Vertriebenen und
vor allem die dei* ehrwürdigen Witwe des Herzogs
von Orleans (Egalitfe) etwas sorgenfreier ge-
staltete.
Auch Kaiser Alexander I. und Herzog Ernst II.
von Sachsen-Gotha sind in dieser unserer Samm-
lung vertreten.
Desgleichen hielt ich es ebenfalls für geraten,
den Trauschein der Eltern unserer Verfasserin,
nebst zwei Notizen über die Familien Bueil und
Belsunce als zweiten Anhang beizugeben, um solche,
die es interessieren sollte, mit dem Inhalte dieses
Dokumentes, welches die Unterschriften Ludwigs XVI.
und seines Hofes trägt, bekannt zu machen.
Von den Memoiren selbst glaube ich nur noch
anfügen zu müssen, dass sie die Verfasserin einzig
— XI —
imd aDdn fiir ihre bddeB Kinder. Ban» Alexmader
TOD Bechtolslieim md Clotflde, Terebelidite Beidis-
grifin TOD Oberodorff, Diedersrkiieb.
LaTahof bd Cilli, im SpitaoiiBer 1901.
Carl Graf Obemdorff.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort des HeraoBgebers V
Erstes BdgIi (1787-1810)4
1. Kapitel. Meine ersten Eindeijahre bis znm Aosbrneh
der französischen Revolntion 1
2. Kapitel. Von Paris nach Gotha und Hamburg .... 17
3. Kapitel. Baron Grimm 51
4. Kapitel. Brannschweiger Bekanntschaften 72
5. Kapitel. Nach Gotha znrflck 93
6. Kapitel. Bei Hof 111
7. Kapitel. Brautstand, Hochzeit nnd Grimms Tod . . . 139
8. Kapitel. Wieder in Frankreich 167
9. Kapitel. Meine Schwiegermutter 188
Zweites Bneh (1810—1825).
1. Kapitel. Witwe 227
2. Kapitel. In Deutschland 238
3. Kapitel. Meine Rflckkehr nach Yarennes 261
4. Kapitel. Eisenach und die Einquartierung zu Stedten . 272
5. Kapitel. Wieder bei Hofe 286
G. Kapitel. Eine Hochzeit im Hause Mecklenburg und Todes-
fälle 303
7. Kapitel. Weiteres yom Mecklenburger Hofe 328
8. Kapitel. Abschied von Mecklenburg 346
Zwei inhftnge.
I. Anhang. Briefe aus dem Kachlasse des Baron Grimm .
1. FOnf Briefe und elf Briefßragmente von Kaiserin
Katharina II. an Baron Grimm 361
— XIV —
Seit«
2. Drei Briefe des Fürsten de Ligne an Baron Grimm 383
3. Sieben Briefe des Grafen S^gnr an Baron F^ronce 391
4. Vier Briefe von Kaiserin Marie von Rassland an
Baron Grimm 404
5. Zwei Briefe von Kaiser Alexander I. von Rassland
an Baron Grimm 410
6. Ein Brief von Heriog Ernst II. von Sachsen -Gotha
an Baron Grimm 412
Eine deatsche Übersetzang dieser 33 Briefe . . . .418
II. Anhang. Gontract de mariage entre Monsieur le Comte
de Baeil et Madame la Gomtesse de Belsance (20. Mars
1786); nebst zwei Notizen des Heraasgebers .... 469
Ulastrationen nnd Facsimile- Beilagen:
1. Katharine Freifrau von Mauchenheim genannt Bechtols-
heim (Titelbild).
2. u. 3. Graf und Gräfin Doroax de Bueil. (Die Eltern der
Verfasserin) 20, 21
4. Le Baron de Grimm 63
5. Adöle Marquise de Gausans geb. Gräfin Baeil. (Die
Schwester der Verfasserin) 119
6. Emil Freiherr von Mauchenheim genannt Bechtolsheim
(Der Gemahl der Verfasserin) 160
7. Julie Freifrau von Mauchenheim genannt Bechtolsheim.
(,, Wielands Psyche**) 199
8. Als Beilagen: 3 Facsimile- Briefe (Goethe, Herder, Wieland)
9. Schloss Varennes sur Marne 267
10. Das Bechtolsheimsche Kanzlerhaus zu Eisenach .... 275
11. Prinzessinnen Marie und Helene von Mecklenburg-Schwerin 341
12. Alexander und Glotilde von Bechtolsheim. (Die Kinder
der Verfasserin) 355
13. Schloss Bodenstein 358
14. Als Beilagen: 3 Facsimile-Briefe (de Ligne, Kaiserin Maria
Fedorowna von Russland).
Erstes Buch
(1787 — 1810)
« •
. • -. ...
• - • ••
L Kapitel«
Meine ersten Kinderjahre bis zum Ausbruch der Revolution.
Ich wurde als erstes Kind des Grafen Ludwig
Alexander August Duroux de Bueil aus seiner
Ehe mit Emilie Marie Renata Therese de Belsunce
am 13. Januar 1787 geboren und mit grosser Freude
aufgenommen, obwohl meinem Vater, als dem letzten
seines Stammes, ein Sohn erwünschter gewesen wäre.
Nach damaliger Sitte Hess man mir eine Amme vom
väterlichen Landgute Varennes kommen, welche mich
acht Tage nach meiner Geburt mit sich in ihre Be-
hausung nahm, woselbst mich meine Eltern erst nach
zwei Monaten wiedersahen.
In der heiligen Taufe erhielt ich die Namen Katha-
rina Helene Alexandrine, die mii* Katharina II.
von Russland nach sich und ihren Enkeln beilegte.
Diese grosse Kaiserin fungierte nämlich als meine Tauf-
patin, meiner Mutter zuliebe, welche ihre Ehrendame
war. Ein erprobter Freund unserer Familie, Baron
Grimm "*"), der durch eine eigentümliche Verkettung
^) Friedrich Melchior Reichsfreiherr von Grimm (geboren zu
Regensborg 1723), berühmter französischer Littcrat des 18. Jahr-
Cmrl tiraf Ok«rmdorff, EriBBtnuif«B «iatr UrgroMmntttr. 1
• •
* •
• »
— 2 —
• •
• •
* von umständen die Bekanntschaft dieser geistreichen
Begentin gemacht hatte und bei ihr in grossem An-
sehen stand, hatte dieses zu Gunsten meiner Mutter
dahin aufgewendet, dass selbe, obwohl Französin, Ehren-
dame der Kaiserin von Bussland wurde.
hunderte. Er erhielt za Hause eine sorgfältige private Erziehung,
besuchte später mit dem Grafen Schönberg die Universität zu Leipzig
und zog dann mit demselben nach Paris, wo er als Vorleser in die
Dienste des damaligen Erbprinzen von Sachsen- Gotha trat. Durch
seine grossen musikalischen Kenntnisse erwarb er sich die Freund-
Schaft Rousseaus, der ihn wieder mit d^Alembert, dem berühmten Ver-
treter des Materialismus, Baron Holbach, Diderot und Frau v. Epinay
bekannt machte. Durch diese Letztere gelangte er, als Sekretär
des Grafen Friesen, der ein Neife des Marschalls von Sachsen war,
in die glänzendsten Kreise des Pariser Hochadels, und machte sich
überall durch seinen lebendigen Geist, sein gewandtes Wesen und
seine hervorragende Art, Konversation zu führen, beliebt. Um diese
Zeit entstanden folgende Werke seiner Feder : „Lq petit prophete
de Bömischbroda" (Paris 1753), worin er als Wortführer der so-
genannten „coin de la reine^-Partei, beim Auftreten der italienischen
Operngesellschaft für diese, gegen die französische seine Lanze
brach. Ferner „Lettres sur la musique fran^se^. Beide Werke
zeichnen sich durch feine Pikanterie der stilistischen und stofflichen
Durchführung aus. Bei der in den Jahren 1751 — 1763 von Diderot
und d'Alembert herausgegebenen „Encyclopädie** redigierte er die
Abteilung „Litteratur**. Nach Ableben des Grafen Friesen gewann
ihn der Herzog von Orleans als Sekretär, und stammen aus dieser
Zeit die .Bulletins**, die er für mehrere deutsche Fürstenhufe mit
Diderots Beihilfe abfasste. Diese, erst sieben Jahre nach seinem
Tode als „Correspondence littäraire, philosophique et critique" zu-
sammengefasst (Paris 1814), bilden das Hauptwerk seines Lebens
und das Produkt siebennnddreissigj ähriger Arbeit. 1829 — 1831
folgte eine von Taschereau veranstaltete Neuausgabe in fünfzehn
Bänden. 1878 — 1882 die Neuestausgabe von Tourneux (Paris).
Dieses Werk giebt über die französische Litteratur von 1752—1790
— 3 —
Jenem Freund und, ich kann sagen, Wohlthäter
unserer Familie an dieser Stelle einige Zeilen zu weihen,
erscheint mir eine heilige Pflicht der Dankbarkeit,
und mein Herz ergreift gern die Gelegenheit, ihm ein
Zeichen der Liebe zu widmen, indem ich sein Bild,
wie es sich mir eingeprägt hat, entwerfe.
Friedrich Melchior Grimm, späterhin durch Kaiser
Josef II. zum Reichsbaron erhoben, wurde zu Eegens-
burg im Jahre 1723 geboren und kam durch Umstände,
die mir nur sehr unvollständig bekannt sind, nach Paris,
wo er mit den Grosseltern meiner Mutter, de Lalive
d'Epinay, bekannt wurde, welche ihn wegen seiner
in breitester Weise Aufschluss. Erst 1829 erschien seine „Corre-
spondence inödite** mit Diderot. Von Josef II. 1776 zum Reicbs-
baron ernannt, vertrat er die sächsischen Fürstenhöfe als Gesandter
zn Paris. Mit Kaiserin Katharina von Rnssland, die ihn sehr
Bchfttzte and verehrte, verknüpften ihn die Bande innigster Freaud-
Bchaft, and lasse ich als Anhang dieses Buches mehrere französische
Briefe der grossen Herrscherin an den Baron folgen. Bei Ausbruch
der französischen Revolution, durch die er den grössten Teil seiner
Habe einbOsste, floh er nach Gotha. Später zum russischen Staats-
rat und bevollmächtigten Minister Kaiser Pauls bei der freien und
Hansestadt Hamburg ernannt, trat er ganz in russische Dienste.
Doch der Verlust eines Auges zwang ihn bald dauernd in den
Ruhestand zu treten. So verlebte er denn seine letzten Jahre
zurückgezogen zuerst in Braunschweig und schliesslich in Gotha,
wo ihn 1807 der Tod ereilte. Näheres über Grimm siehe: St-Beuve,
yCauseries du lundi^ VII. und von dem gleichen „Etudes sur Grimm**
(Paris 1854), ferner Arezac-Lavigne, „Diderot et la soci^te de Baron
Holbach» (Paris 1875), Edmond Schdrer, „Melchior Grimm« (Paris
1887) und schliesslich Mahrenholtz „Friedrich Melchior Grimm,
der Vermittler deutschen Geistes in Frankreich**. (Archiv für das
Stadium neuerer Sprachen, Band 82.) Der Herausgeber.
— 4 —
hervorragenden Geistesgaben bald schätzen lernten und
ihn auch in die vornehmen Gesellschaftskreise einführten.
Dieses freundliche Entgegenkommen war die Grundlage
der Anhänglichkeit und treuen Freundschaft, welche ihn
für immer an die Familie fesselte.
Er war eine derjenigen Erscheinungen, die keiner,
der ihr näher tritt, gleichgiltig betrachten kann. Ausge-
stattet mit der schönsten geistigen Gabe, die alle andern
erhöht und ihnen Anmut und Beiz verleiht, nämlich
mit reiner, warmer Lebensfähigkeit und dem Enthusias-
mus fßr alles Schöne und Gute, besass er auch einen
durchdringend klaren Blick und grosse Gewandtheit fiir
praktische Geschäfte, verbunden mit seltener Menschen-
kenntnis. Von Jugend auf hatte er sieh mit Glück den
Wissenschaften und der Litteratur gewidmet und wurde
mit Recht unter die ausgezeichnetsten Gelehrten gezählt;
er glänzte in den geistreichen Kreisen damaliger Zeit
in Paris als Stein erster Grösse. Ein abgesagter Feind
jeder Halbheit und Engherzigkeit, war Grimm aufrichtig
und beständig in seiner Freundschaft. Wem er einmal
Hilfe verheisseu hatte, dem leistete er sie mit anhaltender
Treue; wem er sie aber geleistet hatte, den konnte er
nicht mehr verlassen, auch dann nicht, wenn der Hilfe-
bedürftige ihm keinen Dank zollte, oder glaubte, ihn
entbehren zu können; kaum der gröbste Undank war
imstande, Herrn von Grimm zu veiranlassen, seine Hand
dem Unwürdigen zu entziehen, und dann geschah dies
noch mit Schonung. Zum Beispiel trat er nie gegen
Jean Jacques Rousseau auf, den er in' die glän-
— 5 —
zendsten Kreise von Paris eingeführt und in manchen
Fällen liebreich nnterstntzt hatte, als dieser sich dann
undankbar zeigte und ihn arg yerleumdete. Kaiserin
Maria, die Gattin Kaiser Panls von Russland,
hatte eine Wohlthätigkeitskasse'*') fUr adelige Emigranten
errichtet und Grimm mit der Leitung derselben beauf-
tragt. Kein Wunder, dass dieser, nun von Tausenden
in Anspruch genommen, auch viel unter menschlicher
Unverschämtheit, Bosheit und Anmassung zu leiden
hatte, und man kann nicht umhin, ein solches Mass
von Geduld und unerschütterlicher Menschenliebe bei
einem Manne von so lebhaftem, ja heftigem Tempera-
ment, der überdies durch die Hochachtung und Aus-
zeichnung seiner Zeitgenossen verwöhnt war, zu be-
wundem.
Baron Grimms äussere Erscheinung war edel und
Ehrfurcht gebietend, obgleich er von Gestalt eher
klein, als gross, seine schönen Züge belebte feiner,
geistvoller Ausdruck, und ein noch im Alter frisches
Colorit erhöhte den Glanz seiner blauen, lebhaften
Augen, während Silberhaar das greise Haupt um-
rahmte. Was seine Konversation anbelangt, so ist
mir dieselbe als ebenso anregend, wie lebendig in Er-
innerung, auch pflegte er, der ein so hervorragendes
Talent zum Erzählen hatte, seinen scharfsinnigen Be-
merkungen und Entwicklungen stets witzige Einfälle
und Anekdoten einzuver weben.
*) Vergleiche die Briefe der Kaiserin Maria Feodorowna an
Baron Grimm im I. Anhange. — Der Herausgeber.
— 6 —
Dieser liebe Freund und weitgeschätzte Philosoph
der Encyklopädie kannte meine Mutter schon seit
ihrer Kindheit, die sie bei ihrer Grossmutter, der
berühmten Frau de Lalive d'Epinay*), ver-
*) Louise Florence Petronille Tardien d'EscIayelles, Madame
de Lalive d'Epinay, die ürgrossmutter mütterlicherseits der Yer-
fasBerin dieser Memoiren, war eine der glänzendsten Erscheinangen
der französischen Litteratur des 18. Jahrhunderts. Am 11. März
1726 geboren, wurde sie nach glücklich verlebter Kindheit dem
ausschweifenden Erbpächter d'Epinay angetraut. Durch ihren
Geist erregte sie bald die Bewunderung bedeutender Männer,
wie des Dnpin de Francucil, Grimms und Rousseaus, die alsbald
in ihrem Hause ans- und eingingen. Ja, Letzterer erfreute sich
so ihrer Gunst, dass sie ihm 1755 am Walde von Montmorency
auf ihrem Gute Lachevrette bei St.-Denis die berühmte „Eremitage"
als Wohnung einrichten Hess. Da sie sich jedoch später dem
Encyklopädisten Grimm zuwandte, dessen edlerer Charakter sie
mehr ansprach, und 1757 sogar jeden Verkehr mit Rousseau ab-
brach, zog sich dieser grollend zurück und rächte sich später in
seinen „Confessions'* bitter hierfür. Dies wird wohl jener Undank
gegen seine Wohlthäter sein, dessen ihn Baronin Bechtolsheim an
einer Stelle ihrer Memoiren bezichtigt. — Meine grosse Ahne,
Mme. d'Epinay, starb am 17. April 1783 zu Yalenciennes. Näheres
über sie ist u. a. aus Percy et Maugras, „La jeunesse de Mme.
d'Epinay** (Paris 1882), sowie aus ihren eigenen Werken zu ent-
nehmen. Sie schrieb: Die bekannte Preisschrift über Mädchen-
erziehung „Les conversations d^Emilie" (Paris 1774 u. a. 1813),
„Les moments heureux" (Genf 1758), „Lettres ä mon fils" (ebenda
1759), „M^moires et correspondence** (Paris 1818 herausgegeben
von Brunet, u. a. 1878), ferner sind noch im Handel „Anecdotes
inedites pour faire suite aux m^moires de M. d^Epinay**, heraus-
gegeben von Musset-Pathay, und „Correspondence in^ite de Pabbö
Galiani** (beide Paris 1818). — Eine Sammlung ihrer Werke
wurde von Challemel-Lacour (Paris 1869, 2 Bände) veranstaltet. —
Der Heraasgeber.
— 7 —
brachte, welche die Freundin der damals glänzenden
Schöngeister Diderot, d'Alembert und anderer
mehr, sowie auch die seinige war. Als aufrichtiger
Kinderfreund gab er sich gerne mit der kleinen Emilie
ab und gewann sie lieb. Ihre Grossmutter war die,
letzten Jahre ihres Lebens durch Krankheit gezwungen
das Zimmer und oft auch das Bett zu hüten. Während
er derselben nun mit Rat und That die Erziehungs-
sorgen zu erleichtern trachtete, wuchs sein Interesse
für das liebenswürdige Kind, das nur zu bald seine
fürsorgliche Grossmutter verlieren sollte.
Vicomtesse deBelsunce, Emiliens Mutter, hatte
sich um so leichter dem Wunsche Madame d'Epinays,
die Erziehung der Enkelin übernehmen zu dürfen,
willfährig gezeigt, als sie fühlte, dass ihr Hang zur
Welt und deren geräuschvollen Ergötzungen ihr es
während des Winteraufenthaltes in Paris nicht gestatte,
sich viel mit dem Kinde abzugeben. Die Sommerszeit
brachte sie mit ihrem Mann auf dessen Besitz am
Fuss der Pyrenäen zu und dort fehlten ihr die Er-
fordernisse zu einer ausbildenden Education für die
Tochter. Dazu kamen, eben zur Zeit des sich immer
näher ankündigenden Todes ihrer Mutter, ernste Zwistig-
keiten mit ihrem Gemahle, dessen Vermögensverhält-
nisse sich zu zerrütten begannen und der, unzufrieden
mit dem übermässigen Aufwand und der Lebensführung
seiner Frau, gern diesen erwünschten Ausweg ergriflfen
hatte, derselben die Erziehung seiner Tochter zu ent-
ziehen. Ehe ich weiter von der Bekümmernis meiner
— 8 —
Urgrossmutter unter diesen Umständen rede, bemerke
ich hier gleich mit Freude, dass die irrende Seele
meiner Grossmutter, von den Schauern der Revolution
auf andere Bahnen gelenkt, den allerbesten Weg ein-
schlug, indem sie sich zu Gott bekehrte. Ich kannte
sie nur noch als eine fromme und ehrwürdige Dame,
von ihrem Gemahl geehrt und geliebt, und sich fftr
die Kinder ihres früh verstorbenen Sohnes als die sorg-
samste und treueste Mutter erweisend.
Nach dem oben Gesagten hatte Frau von Lalive
d'Epinay in ihren letzten Tagen keine dringendere
Sorge, als die um ihre teuere Enkelin. Indem sie
alles reiflich erwog, fand sie nichts Beruhigenderes
für deren Wohlfahrt, als sie dem edlen Herzen Herrn
von Grimms, ihres und Emiliens treuesten Freundes,
als ein heiliges Vermächtnis anzuvertrauen, was dieser
zu ihrem Tröste auch willig annahm. Aber erst nach
heftigem und mehrfachem Sträuben gaben es Emiliens
Eltern zu, teilweise wohl auch dadurch gewonnen,
dass der Baron, der nie etwas halb that, versprach,
zum Heiratsgute seiner Schutzbefohlenen beitragen zu
wollen. Gleichzeitig mit ihrer Enkelin wurde ihm
auch von der sterbenden Frau von Epinay eine aus-
gezeichnete junge Person , Antoinette M a r c h a i s ,
empfohlen, die ihre Vorleserin und treue Kranken-
pflegerin war und die sich durch den Tod ihrer
Gönnerin, der sie von Herzen anhänglich gewesen,
ganz verwaist fühlte. Diese wurde vom Baron Grimm,
nebst einer Kammerfrau etwas reiferen Alters und
— 9 —
erprobt sittlichen Charakters ^ der damals vierzehn-
jährigen Emilie gleich nach dem Ableben ihrer viel-
geliebten Grossmntter znr Begleitung nach dem Kloster
St. Antoine mitgegeben. Es war dies keine Er-
ziehungsanstalt, sondern nur, wie so manche Klöster
in Paris y ein mhiger Aufenthaltsort für Damen
jeden Alters, die fem von dem Getriebe der Welt
leben wollten. Unter dem Schutze der Prinzessin von
Beauveau, der ehrwürdigen Aebtissin dieses Asyles,
abwechselnd von ihren Eltern und von ihrem väter-
lichen Freunde, dem die Leitung ihrer Studien flber-
lassen blieb, besucht, verlebte meine Mutter daselbst
vier Jahre, während welcher sie vom Kinde zur Jung-
frau heranreifte; erst als der Zeitpunkt ihrer Heirat
gekommen war, verliess sie das Kloster St. Antoine.
Sie verbrachte diese Jahre im geselligen Verkehr mit
mehreren Töchtern aus adeligen Häuseiii, die eben-
falls dort wohnten, wurde in allen Kenntnissen und
Künsten, die zu einer ausgezeichneten Erziehung ge-
hören, durch die besten Lehrer unterrichtet, die Baron
Grimm für sie auswählte, und benutzte gewissenhaft
diese ihr dargebotenen Mittel. Als sie das Kloster
verliess, war ihr Geist gut ausgebildet und ihre
Diction edel und anmutig, ohne gesucht zu sein.
Italienisch sprach sie geläufig und bezauberte durch
ihren Gesang. Ihr Talent für Malerei übte sie fast
mit Leidenschaft bis in die letzten Jahre ihres Lebens
und bereitete sich und ihren Freunden wahre Freude
damit. Für die Erlernung aller weiblichen Hand-
— 10 —
arbeiten , für die sie viel Geschick zeigte , war im
Kloster durch ihre Umgebung reichlich gesorgt, und
ein frommer, ehrwürdiger Priester, der ihr schon von
Kindheit an den Beligionsnuterricht erteilt hatte, be-
suchte sie daselbst fleissig, um in ihrem Herzen den
von ihm ausgestreuten guten Samen zu nähren und
zu pflegen, wodurch er in ihrer Seele einen festen
Grund wahrer Frömmigkeit legte. Trotz ihres nach-
giebigen Charakters wurde sie nie in der Religion
wankend, obgleich sie bei ihrem Eintritt in die Welt
mit vielen Menschen in Berührung kam, deren Grund-
sätze, neben manchen achtungswerten Eigenschaften,
nichts weniger als christlich waren, und sie auch von
selten meines Vaters, der in dieser Hinsicht, der Zeit-
strömung gemäss, sehr gleichgiltig dachte, ohne Stütze
blieb.
Als sie das achtzehnte Jahr zurückgelegt hatte,
planten ihre Eltern und ihr Pflegevater, sie zu vermählen.
Letzterer sah sich mit aller Aufmerksamkeit und Für-
sorge nach einem Gatten für Emilie um, von dem er
häusliches Glück für sie erhoffen konnte, und suchte
einen Edelmann von unbescholtenem Rufe, guten Ver-
mögensumständen und empfehlendem Äussern, von dem
vorauszusetzen wäre, dass er Emiliens Glück begründen
würde. Dies Alles fand sich in der Person meines
Vaters vereint und noch mehr als dieses, da er einen
hervorragenden Verstand besass, der sich durch das
reifende Alter und die Erfahrungen des Lebens in
spätem Jahren ausseiest originell und reichhaltig er-
— 11 —
wies. Damals dieute er als Major in der Garde
König Ludwig XVI.
Beide jungen Leute, die sich mehrmals in Gesell-
schaft ihrer Angehörigen im Kloster sehen durften,
gefielen sich gegenseitig, und am 20. März 1786 wurde
das Band der Ehe geschlossen, dem ich, mein Bruder
Henri und meine unvergessliche Schwester Adele
das Leben verdanken.
Beim Durchblättern der nachgelassenen Papiere
meines geliebten Freundes und Wohlthäters Baron
Grimm, dessen ich nur mit innigster Verehrung und
heisser Dankbarkeit zu gedenken vermag, fand ich
nachfolgende Notiz in seiner Handschrift vor, welche
ich hier, als auf die Heirat meiner Eltern bezüglich,
einschalte :
„L'Impiratrice *) Catherine desirait , que le
Roi de France s'int^ressa au manage d'Emilie
*) Dentsche Übersetzang: „Kaiserin Katharina wünschte
sehr, dass sich der König yon Frankreich f&r die Heirat der Emilie
yon Belsonce interessieren möge und schrieb in dieser Angelegen-
heit an den Marschall, Grafen yon S^gnr, der dem Departement des
Krieges yorstand. Ein Befehl des Kriegsministers hatte die Charge
eines „SecondmigorB*' für jene jnngen Hofkayali ere eingeführt,
welche dereinst Oberste and Regimentskommandanten zn werden
bestimmt waren. Graf Bneil nnd sein Schwager, Vicomte de Bei-
snnce, wurden gleichzeitig mit Verleihung dieses Charakters, der
eine in das später nach Korsika transferierte Regiment yon Maine,
der andere in das Regiment yon Bourbon mit dem Gamisonsorte
Caen eingereiht Nach seiner Emigration begab sich Graf Bueil
nach Coblenz, um den Feldzug gegen Frankreich mitzumachen.
I>ort traf er mit dem Fürsten yon Nassau zusammen, der ihn zu
— 12 —
de Belsuncft*) et en 6crivit au Comte de S6gur,
Mar6chal, qui avait le dfepartement de la guerre. Un
reglement du ministre de la guerre avait invente le
grade de Major en second pour ceux des jennes gens
de la cour, qui devaient ensuite devenir colonels et
obtenir des r^giments. Le comte de Bueil et son
beau-frfere Vicomte de Belsunce avaient M plac6s
en meme temps dans cette qualitä, Tun en r6giment
du Maine, alors en Corse, Tautre en r^giraent de Bourbon
en gamison k Caen en Normandie. Comme 6migr6 le
Comte de Bueil se rendit ä Coblence pour faire la cam-
pagne. II trouva le Prlnce de Nassau, qui le prit
pour son aide-de-camp. Plus tard il fut plac6 dans le
r^giment de Castries, k la solde de TAngleterre. C'etait
depuis 1792 la troisi^me tentative, faite pour le remettre
k port^e de servir la cause de son roi, dont aucune
ne r^ussit. La seule satisfaction, que je recueillis dans
cette dernifere occasion fut le regret, que me tömoigna
le duc de Castries, chef tr^s difflcile k contenter
seinem Adjutanten ernannte. Später trat er in das Regiment de
Castries, das in englischem Solde stand. Dies war seit 1792 sein
dritter, leider vergeblicher Versuch, der Sache seines Königs zu
dienen. Die einzige Genugthnung, die mir gerade bei diesem seinem
letzten Schritte zuteil wurde, war der aufrichtige Ausdruck der Be-
trübnis seitens des Herzogs von Castries, der, sonst in Dienstsachen
ein sehr schwer zu befriedigender Vorgesetzter, kaum den Verlust
eines so tapferen Offiziers, wie Graf Bueil, verschmerzen konnte.*'
*) Und thats&chlich hat diese Hochzeit in Gegenwart Lud-
wig XVI., seiner Gemahlin, der Minister des Reiches und des ge-
samten Hofes stattgefunden. Vergleiche den Ehekontrakt, (II. An-
hang.) Per Herausgeber.
— 13 —
en fait de Service , de perdre qd officier de Tesp^ce
da Comte de Bueil.^
Meine ersten Lebensjahre verbrachte ich mit den
Eltern znr Winterszeit in Paris, Chanss6e d' Antin, die
übrigen Monate aber anf ihrem Landsitze Varennes
sur Marne, der etwa zwölf Meilen von der Seinestadt
zwischen Chätean Thierry nnd Dormons gelegen war.
Ich erhielt eine gnte Wärterin, welcher später auch
meine Geschwister anvertraut wurden, und die selbst
in der drangvollen Zeit der Revolution und bis zu ihrem
Tode (1805) nie aufhörte, uns Beweise der allertreusten
Anhänglichkeit zu geben. Ihre zärtliche Liebe ist mir
eine teuere Erinnerung geblieben, obwohl sie durch Em-
pfindlichkeit und etwas heftige Gemütsart mir in meiner
ersten Kindheit manch böse Stunde verursachte. Dieser
Bonne, Sophie Moreau, die den Lakai Chaumont
im Hause meiner Eltern ehelichte, blieben wir meistens
überlassen, denn obgleich uns unsre Mutter innig liebte,
verstand sie es wenig, sich mit kleinen Kindern abzu-
geben. Ihrer physischen Schwäche halber, welche eine
gewisse Neigung zur Bequemlichkeit zur Folge hatte,
konnte sie uns nur stundenweise um sich haben und
auch dies nur selten ohne Begleitung der Bonne. Mit
dieser Letztem durchzog ich gern die Gärten und An-
lagen, die das Schloss, meinen lieben Heimatsort, um-
gaben, und noch sehe ich alles so, wie es damals lag
und stand, so deutlich vor Augen, wie wenn ich nie
dies Paradies meiner Jugend verlassen hätte und nie
als fünQähriges Kind mit meinen Eltern in die Fremde
— 14 —
gezogen wäre. Das Schloss war von Gräben rings um-
geben, in welchen klares Wasser floss und die mit
Quadersteinen eingefasst waren. Die Einteilung des
Hauptgebäudes, wie dasselbe während der Revolution
niedergerissen und von meinem Vater in den Jahren
1806 — 1807 zwischen den erhalten gebliebenen Flügeln
wieder aufgebaut wurde, ist so ziemlich dieselbe ge-
blieben. Nur befand sich früher an Stelle des wohl-
bekannten Billardzimmers ein Vorplatz zwischen zwei
Glasthüren, wovon die eine auf die Gartenterrasse und
die andere mittelst einer steinernen Doppeltreppe mit
eisernem Geländer in den Hof führte. Wer die Gräben
ausfüllte, ob mein Vater oder der Besitzer während der
Revolutionszeit, vermag ich nicht mehr zu sagen.
Unsere Winterwohnung in Paris ist mir gleichfalls
lebhaft in Erinnerung geblieben, sowohl die geräumigen
Kinderzimmer im Entresol, als meiner Eltern freund-
liche schöne Wohnung im Erdgeschoss , von der eine
Thür in den wohlgepflegten Hausgarten führte. Baron
Grimm bewohnte den ersten Stock desselben Hauses,
und es ist mir, als sähe ich noch das freundliche
Lächeln des ehrwürdigen Greises, wenn wir Kleinen
ihn in seinem geräumigen Schreibzimmer aufsuchten,
welches zahlreiche Bilder und Büsten schmückten.
Noch denke ich des alten Dieners Alexandre, der,
wenn ich mit Mademoiselle Marchais zum Morgengruss
zu Grimm kam, mit seiner weissen Schürze im Vor-
zimmer beim Tisch stand, auf welchem sich seines
Herrn ausgeleerte Chokoladetasse befand. Der gute
— 15 —
Alte winkte mir dann jedesmal , um mir ein Stück
Bäckerei zu geben und freute sich, wenn noch ein
Tröpfchen Chokolade für mich da war.
Von all den Erlebnissen jugendfroher Tage, die
wie ein Traum an meiner Seele vorüberziehen, ist mir
eines besonders gegenwärtig geblieben, wahrscheinlich
deshalb, weil wir, Bruder Henri und ich, damals das
erstemal mit unsem Eltern bei dem alten Freunde zu
Tische sassen. Marquise de Sigy, eine Verwandte
meines Vaters, war nach Paris gekommen und brachte
den Eltern Nachricht von meiner kleinen Schwester,
die sich auf deren Landgut bei derselben Amme be-
fand, welche auch schon meinen Bruder gestillt hatte.
Baron Grimm lud uns alle zum Speisen ein, um Tante
Sigy, die uns sehr liebte, eine Freude zu machen. Bei
dieser Gelegenheit schenkte sie einem jeden von uns
beiden ein silbernes Besteck. Ich habe das meinige
bis auf den heutigen Tag bewahrt. Ds^ wir damals
erst drei und vier Jahre zählten, machten wir uns nicht
viel aus diesem Geschenk, sondern es blieb uns als
Haupteindruck nach Befriedigung der ersten Neugierde,
mit der wir die geschmückte Tafel betrachteten, dass
keine Suppe darauf zu sehen war, aber eine grosse
Menge Austern; als wir nun bemerkten, dass diese
verzehrt werden sollten, während unsere Teller leer
blieben, waren wir dem Weinen nahe, aber rasch ge-
tröstet, als wir noch vor den andern mit der ersehnten
Suppe versehen wurden. Vor Ende der Mahlzeit
durften wir den Tisch verlassen und erhielten erst
— 16 —
später manche Sfissigkeiten ^ die man uns aufgehoben
hatte, und gross war unsere Freude, als wir unser
muntres Spiel mit dem gütigen alten Freunde wieder
beginnen konnten.
Es schien ihm nicht zu gering, an unsern kind-
lichen Unterhaltungen Teil zu nehmen und sie mit
freundlichen Einfällen zu würzen. So gab er zum
Beispiel allen meinen Puppen Namen und Hess mich
für dieselben bisweilen in kleinen Küchengeräten eine
Mahlzeit bereiten, an welcher er dann lobend und
tadelnd teilnahm. Viele dergleichen Erinnerungen
blieben mir ans meiner glücklichen Kindheit, die in
so wohlwollender, fürsorglicher Umgebung durch nichts
getrübt wurde, obgleich die damalige Zeit meinen
Eltern , dem Baron Grimm und überhaupt den Be-
wohnern Frankreichs bald eine schreckensvolle werden
sollte.
n. KapiteL
Von Paris nach Gotha und Hamburg.
Die Bevolntion begann zu zerrütten und nieder-
zoreissen , was lange zuvor schon durch die ver-
dorbensten Prinzipien, der natürlichen Folge des Man-
gels an Religion und Moral, untergraben worden war. —
Alle Bande der menschlichen Gesellschaft sowie der
Familie schienen gelöst — und so stürzte das Staats-
gebäude im ganzen und im einzelnen zusammen. Ich
schalte hier eine Notiz ein, die sich unter den Papie-
ren meiner Mutter vorfand, über den grauenvollen Tod
ihres ältesten Bruders, welcher im Jahre 1 790 als eines
der ersten Opfer der aufgestachelten Volkswut fiel:
rJie*) Vicomte Henri de Belsunce avait 6t6
plac6 comme Major en second au r^giment de Bourbon
en gamison k Caen en Normandie. Les sc^lSrats, qui
*) Deatsche Obersetzang: ,yDer Vicomte Heinrich toh
Beltimce diente als Sekondmajor im Regimeote ^^yon Bourbon*,
das zu Caen in der Normandie gamisonierte. Die Schurken, welche
den Plan hatten, die ganze Monarchie zu Btflrzen, gebrauchten zwei
Mittel, beide tehr wirksam, weil man sie eben ruhig gewähren liest;
das eine bestand darin, flberall das Volk au&uhetzen, das andere, das
Carl Oraf Okaradorff, Briaaaraafaa aiatr UrfroMmatUr. 2
— 18 —
avaient £orm6 le projet de bouleverser la France,
employaient deux moyeus 6galement efficaces, paisqu'on
les laissait faire ; Tan de soulever paitoui la populace,
Tantre de sMuire et de d^baucher les corps militaires.
Ils eurent besoin pour leurs vaes criminelles, d'un
sonl^vement k Caen. Le rögimeut de Bourbon les
genait; ils voulurent le d6baucher. II n'y eut pas
moyen, ce r^giment fnt inaccessible k la conaption.
Les soldats affectionnaient beaucoup leur jeane Major
Milit&r zu verführen and fahnenflüchtig zn machen. Sie brauchten
nun eben für ihr verbrecherisches Vorhaben eine allgemeine Fjt-
hebnng zu Caen. Das Regiment Bourbon stand ihnen aber sehr
im Wege ; sie wollten es aufwiegeln. Doch umsonst, dieses Regiment
war für jede Verführung unzugänglich. Die Soldaten hingen
mit inniger Liebe an ihrem jungen Mi^or, der es nicht verschmähte,
sich in der Kaserne einzulogieren und treu Tag und Nacht bei
ihnen ausharrte. Man glaubte also, sich sowohl dieses Regimentes,
als auch insbesonders des Offiziers, der so viel Achtung und Liebe
genoss, entledigen zu müssen. Man klagte ihn daher nach da-
maliger Sitte einfach an, gegen das Wohl des Volkes und der Re-
publik conspiriert zu haben, und zwang, während man ihn zur Muni-
cipalität führte, den Kommandanten der Provinz, den man fast wie
einen Gefangenen in der Gitadelle hielt, einen Befehl zu unterschrei-
ben, demzufolge das Regiment sofort die Stadt zu verlassen habe. £&
wurde dem Vicomte von Belsunce nicht schwer, die gegen ihn ge-
richteten ebenso nichtigen, wie absurden Anklagen von sich abzu-
wälzen; aber statt ihn nun seinem Korps wiederzugeben, das sich
ausserhalb der Stadt formiert hatte und ihn erwartete, führte man
ihn in das Gefängnis unter dem Verwände, ihn vor der Wut des
Volkes schützen zu müssen, und in der Hoffnung, ihn in^er Nacht
in Sicherheit zu bringen. Aber nur zu bald unternahm wütendes
Gesindel einen Sturm gegen sein Gefängnis. Das arme Opfer wurde
herausgezerrt, erschossen, in Stücke zerrissen, and wut- und blut-
trunkene Furien frassen von seinem Fleische.**
— id —
en second, qui s'6tait log6 avec enx aax casernes, et
qui ne les qnittait ni jonr ni nnit. On sentit qa'il
fallait se d^faire et du rögiment et de Tofficier, qai
avait tant de credit sur Ini. Celni-ci fat donc accas6,
suivant Tusage alors k la mode, de conspirer contre
le Saint du penple, et tandis qu'on Tavait conduit
k la mnnicipalitg, pour s'y jnstifier, le commandant de la
province, qn'on tenait k pen pr6s prisonnier dans la
citadelle, fdt forc6 de signer nn ordre qni enjoignait an
r^giment k qnitter imm6diatement la Tille. II ne fnt
pas difflcile an Vicomte de Belsnnce de dötrnire les
accnsations anssi vagnes qn'absnrdes qu'on Ini repro-
chait ; mais an lien de le rendre k son corps, qni s'^tait
forrn^ hors de la ville ponr l'attendre, on le condnisit
en prison, sons pr6texte de le pr6server de Teffervescence
dn penple, k laqnelle on esp6rait de le sonstraire pendant
la nnit. Bientöt cette prison se tronva forc6e par nne
popnlace fnriense. La victime en fnt arrachöe, tn6e k
conps de fnsils, d6cliir6e en lambeanx et mangle en
parties par des fnries iyres de sang et de carnage." —
Ein alter Diener erzählte mir später, dass der
zweite Brnder meiner Mutter, der Chevalier de Belsnnce,
der sich znr Zeit dieses Ereignisses eben bei meinen
Eltern befand, als er die Nachricht davon erhielt, wie
wahnsinnig wnrde. Er durchrannte mit entblösstem
Säbel das Schloss nnd gebärdete sich ganz rasend ans
Rachedurst. Hit grOsster Mühe vermochte man ihn
einigermassen zu beruhigen; dies gelang erst, als man
ihm beibringen konnte, dass man trachten müsse, meiner
2*
— 22 —
geliebte Adfele geboren — ich war damals drei und
ein halbes Jahr alt und erinnere mich sehr lebhaft
der Besuche, die ich meiner Mutter machen durfte, um
sie und mein kleines Schwesterchen zu sehen; auch
entsinne ich mich noch des Zuges der (leider schon)
mit dreifarbigen Bändern geschmückten Bauern, welche
kamen, um die Kleine unter Musikklängen abzuholen
und zur Kirche, wo sie getauft werden sollte, zu ge-
leiten. Vor und nach diesem Kirchgange wurde eine Salve
von Flintenschüssen im Schlosshof abgefeuert. Ich freute
mich über all dieses, während der Ernst und die Trübsal
der Zeit schwer auf den Meinen lasteten.
Ende des Jahres 1791, als der revolutionäre Sturm
immer mehr tobte und wütete, beschlossen die Eltern,
für einige Zeit auszuwandern und sich mit uns Kindern
in das angrenzende Flandern zu begeben. Um alles
Aufsehen zu vermeiden, reisten sie aber zuerst allein
dahin ab, und mein Vater kehrte bald nach Paris zurück,
um uns abzuholen. Wir waren in unseren gewohnten
Räumen, unter dem Schutz des Baron Grimm, der auch
nicht lange mehr in Frankreich verweilte, geblieben.
Noch sind mii* viele Einzelheiten dieses Tages, an
welchem ich unbewusst auf so lange Zeit das Land
meiner Väter und meiner Geburt verlassen sollte, in
lebhafter Erinnerung. Es war ganz in nächtlicher
Frühe eines Dezembertages, als mein Vater bei uns
eintrat und sich erkundigte, ob alles zur Abfahrt be-
reit sei. Während unsere Bonne und ihr Gatte, der
treue Diener Chaumont, die verschiedenen Koffer und
— 23 —
Päckchen ordneten, spielte Papa frenndlich mit uns,
eines nach dem andern auf den Schoss nehmend und
schenkte ans bunte Assignaten, Banknoten, die fast
ohne Wert waren. Als wir dann aber klingende Münze
haben wollten, schlag er seine geschlossenen Hände
anf das Knie, am den geldverkflndenden Lant hervor-
zubringen, und wir waren gar verwundert, bei Er-
öffnung seiner Hände nichts zu finden; noch ver-
schiedene andere Schwanke trieb er zu unserer Unter-
haltung, während nur trübe Ahnungen sein Herz er-
fQllen mussten. Als der Tag zu grauen begann, wurden
wir in den Wagen gebracht. Von der Fahrt des ersten
Tages weiss ich mich noch zu erinnern, dass es mir
schien, als ob die Bäume der Landstrasse neben dem
Wagen vorbeiliefen, worüber ich mich nicht genug
wundem konnte. In Toumay trafen wir mit unserer
lieben Mutter zusammen, wir wohnten dort in einem
kleinen engen Hause bei guten Leuten, die sich gern
mit uns Kindern abgaben. Sie luden uns mit Madame
Chaumont öfter zum Thee ein, der in dortiger Gegend
viel getrunken wurde. Gärten, Blumen und deren
Wohlgerflche muss ich als Kind sehr geliebt haben, denn
ich habe noch einzelne Eindrücke davon behalten, die
so lebendig sind, als gehörten sie der Gegen wai*t an
and nicht einer längst vergangenen Zeit. Eben bei
diesem Häuschen in Toumay befanden sich auf einer
Terrasse mehrere Kirschbäume, und meine Freude, als
sie im Frühjahr über und über mit Blüten bedeckt
waren, ist mir noch gegenwärtig, so wie auch der Genuss,
— 24 —
den ich ein Jahr frflher in Paris empfunden hatte, als
ich mich ans Mamas Toilettenzimmer, welches einen
Ausgang in den niedlichen Hausgarten hatte, wegstahl ;
die Sonne schien so warm und ich fand noch einige,
wohl verwelkte, aber stark duftende Veilchen, die ich
als ein teures Eigentum mitnahm. Späterhin waren es
Pappelsprossen, die ich am Fuss der hohen Pappel-
bäume im Arenbergschen Oarten in Brüssel pflfickte.
Von unserem Aufenthalt in Toumay ist mir das
Zusammensein mit meiner Frenndin Amicie eine
liebe Erinnerung geblieben , besonders seitdem ich sie
in späteren Jahren näher kennen und schätzen gelernt.
Sie war schon elf oder zwölf Jahre alt, und ich zählte
deren nur fdnf, doch waren sie und ihre Mutter
schon damals so freundlich mit mir, dass ich immer
lieber mit ihnen, als mit den vielen anderen Gespielen
meines Alters verkehrte, die die Auswanderung aus
Frankreich denselben Weg wie uns geftthrt hatte. Be-
sonders erinnere ich mich, wie Frau von Maupoux,
Amicies Mutter, uns durch Verstecken bunter Oster
eier, die wir in Haus und Hof suchen mussten, eine
Festfreude bereitet hatte.
Bis Anfang des Frühlings blieben wir nur in
Toumay. Die Kriege in Belgien und später am Rhein,
welche die neuen französischen Republikaner mit den
auswärtigen Mächten führten, leiteten unseren Aus-
wanderungszug immer weiter, und die verschiedenen
Stationen desselben waren : Brüssel , wo wir nur ein
paar Monate blieben, dann Aachen und Düsseldorf.
— 25 —
Diese letztere Stadt mnssten wir im Dezember 1792
schlennigst verlassen, am nach Gotha über Hessen-Cassel
zu entkommen und so den Truppen auszuweichen, die
schneller, als man es vermutete, vordrangen. Die
Lebensweise in Brüssel , Aachen und Dfisseldorf war
für mich so ziemlich dieselbe; nur erinnere ich mich,
dass ich in Aachen, wo wir uns länger aufhielten,
meine ersten Schreibstunden von einem gewissen
Hr. Lacroix erhielt, die mir nicht besonders ge-
fielen, weil ich noch keine Buchstaben machen durfte,
nur verschiedenartige Striche, und man meiner geraden
Haltung die grösste Aufmerksamkeit schenkte. Lesen
konnte ich schon geläufig, ich hatte es noch in Paris
gelernt. Während unserer Wanderungen gab uns Mama
fleissig Stunden, auch noch, als ich in Aachen ernstlich
am Keuchhusten erkrankt war. In Brüssel schon ver-
liess uns der Vater, um zu dem Cond^schen Armee-
korps am Rhein zu stossen, bei welchem sich die
Brüder des unglücklichen Königs Ludwig XVI. be-
fanden. Als dieses Korps sich später auflöste, wurde
er Adjutant des Prinzen von Nassau, welcher rus-
sischer General war und ihm diese Stelle antrug.
Auf diese Weise erhielt er die Erlaubnis die russische
Uniform zu tragen. Da meine Mutter noch sehr jung,
wir in so zartem Alter und die Umstände so ver-
schieden waren von dem, was sie gewohnt, wäre es
eine allzu schwere Aufgabe für sie gewesen, ohne alle
Stütze in fremden Landen reisen und verbleiben zu
müssen. Darum hatte mein Vater einen emigrierten
— 26 —
französischen Priester ans dem südlichen Frankreich,
Abb6 Gaudon, zu unserm Schutz nnd unserer Be-
gleitung bestimmt. Dieser erhielt hernach einen Ruf
als Erzieher in das Haus des Fürsten Alexis Galitzin
nach St. Petersburg. Die liebenswürdige und tugend-
hafte Fürstin Galitzin wurde, so viel ich weiss, katho-
lisch, zugleich mit ihren Töchtern, deren eine im
Kloster des Sacr6 Coeur in Metz den Schleier nahm.
Späterhin wurde Abb6 Gaudon „Pr^cepteur des pages
de Napol6on,'' und ich sah ihn noch im Jahr 1827 in
Paris als greisen Canonicus der Kirche St. Geneviöve.
Baron von Grimm hatte bald nach uns Paris ver-
lassen und sich zur Kur nach Karlsbad begeben, dann
wohnte er der Krönung des Kaisers Franz II. in
Frankfurt am Main bei, musste überhaupt viel umher
reisen und traf in Aachen wieder mit uns zusammen.
Die Lokalitäten unserer verschiedenen Wohnungen
auf dieser Wanderung sind mir in lebendigem An-
denken geblieben, besonders die in Aachen bei einem
Buchhändler, Namens Barchon, in dessen Hause im
Erdgeschoss auch meine Tante Duroux, nachmalige
Tante Bei SU nee, wohnte. So liebenswürdig und an-
mutig ihr geselliger Umgang auch sein mochte, wie ich
es später hörte, liebten wir Kinder sie nicht sehr, weil
sie auf eine weit strengere Art mit ans verfuhr, als
wir es gewohnt waren. Wir wohnten im ersten Stock,
und wie in einem magischen Spiegel sehe ich noch
den grossen Salon meiner Mutter, in dem wir nach
den Lehrstunden unser Wesen trieben, vor mir. Oft
— 27 —
flössen dort die Thränen meines Bruders, wenn man
ihm nicht gestattete, unsere Spielwerke zu zerlegen,
um sie von innen untersuchen zu können. Ich erinnere
mich auch, einmal in Mitte dieses Salons mich auf
einen Fussschemel gesetzt zu haben, um mir mit
lauter Stimme recht pathetisch einen Vortrag aus
einem Buche zu halten, welches ich nicht fähig war
zu verstehen: der Oenuss bestand darin, mich meiner
Fertigkeit im Lesen zu erfreuen. Es ist auch meinem
Gedächtnis eingeprägt geblieben, dass ich eines Tages
die Mutter zur heissen Quelle nach Burtscheid bei
Aachen begleiten durfte. Diese ist in einem Gebäude
von Quadersteinen eingefasst und schien mir wie ein
kleiner, rechteckiger Teich, aus welchem sich ein
starker Schwefeldampf erhob. Ich wohnte auch einer
Prozession bei, iu welcher man das puppenartige
Bildnis des Kaisers Karl des Grossen, mit gelbem
Damaste bekleidet und mit unzähligen Locken frisiert,
die unter seiner Krone herabfielen, durch die Strassen
seiner ehemaligen Residenz trug. Auch der schöne
Garten des Prämonstratenser-Klosters, in dem wir oft
spazieren gingen und manchmal einigen Mönchen be-
gegneten, ist mir noch sehr erinnerlich. Von fran-
zösischen Familien, die sich in Aachen aufhielten,
weiss ich noch einige zu nennen: die Gräfin von
Chambord, deren Tochter Caroline meine treueste
Gefährtin war, mit ihrer Cousine Frau von P r e s s a c,
dann der Marquis de Valori mit seinen beiden
Töchtern, Helene und Cölestine, die ich später vor-
— 28 —
heiratet in Frankreich wiedersah. Ferner waren die
zahlreichen Familien Esterhäzy und Nicolai dort
und eine Russin, Fran von Tscherb in in, die mich
besonders in ihr Herz geschlossen hatte und mir
manche Geschenke machte. —
War es Leichtsinn oder Täuschung, dass der ganze
emigrierte französische Adel, trotz der notwendiger-
weise wachsenden Bekümmernis hinsichtlich seines
Vaterlandes, dennoch in Brüssel und in Aachen sein
heiteres geselliges Leben weiterführte, wie vordem
auf seinen Besitzungen und in einheimischen Bade-
orten? Ich glaube wohl nicht, dass getanzt wurde,
aber Musik, unterhaltende Spiele und Landpartieen
waren an der Tagesordnung. Wir Kinder bildeten
einen zahlreichen Ereis, versammelten uns meistens
mit unseren Begleiterinnen in Gärten oder an schönen
ländlichen Punkten und führten selbstverständlich ein
recht munteres Leben. Bisweilen wurden uns auch
grosse „goüters" gegeben, wobei es natürlich sehr heiter
zuging. Meine Mutter, von Natur ernst, nahm nicht
viel an den Vergnügungen teil, doch betrieb sie mit
Eifer ihre musikalischen Studien und Übungen und
bewegte sich gern in kleineren Freundeskreisen.
Thränen, sowohl über den Eönigsmord, als auch über
alle Folgen, die daraus entstanden, flössen aber gar
bald nach dieser täuschenden Ruhezeit. Bei der Nach-
richt des Todes Ludwig XVL erinnere ich mich, meine
liebe Mutter weinend, blass und in tiefer Trauer gesehen
zu haben, worüber ich Auskunft verlangte und erhielt.
— 29 —
Von den Beisen, die wir bei dieser Wanderung
von Paris nach Gotha machten, ist mir hauptsächlich
die beschwerliche winterliche Fahrt von Dusseldorf
nach Gotha in manchen Einzelheiten erinnerlich. Zur
Vorkehrung dazu, wurde sowohl Mama, als wir Kinder
mit mantelartigen OberrOcken von dunkelgrauem Woll-
stoffe versehen, die uns gar nicht gefielen, denn bis da-
hin waren unsere Umhüllen aus Seide mit Pelz gewesen.
Wir fuhren mit Extrapost in der grossen Berline
meiner Mutter: so nannte man in Frankreich die be-
quemen viersitzigen Reisewagen, in welchen man alles
mit sich führte, was man selbst für eine längere Beise
benötigte. Die Sitze, auch der des Eutschbockes, ent-
hielten kleine Truhen, welche zum Einpacken der
schweren Gegenstände dienten, rückwärts waren Koffer
bis zum Dache des Wagens, manchmal noch dasselbe
überragend, aufgetürmt und mit Schrauben befestigt.
Auf dem Kutschdache selbst lagen die grossen, flachen
Behälter, Vache genannt, für Kleider oder sonstiges
leichteres Gepäck. Die Posteinrichtungen waren damals
sowohl in Hinsicht der Strassen, als auch de» Personales
über alle Begriffe schlecht, besonders in Westphalen,
und man hatte es nicht nur mit den für so schwere
Wagen, hauptsächlich im Winter, fast unpassierbaren
Wegen zu thun, sondern auch oft unter dem groben
Benehmen betrunkener Postillons zu leiden.
Da sowohl Abb6 Gaudon, als auch unser Bedienter
der deutschen Sprache ganz unkundig waren, hatte uns
Baron Grimm den russischen Offizier Facius, einen
— 30 -
Liefländer, zur Begleitung mitgegeben. Die Kaiserin
Katharina hatte denselben als Kurier an den Baron
geschickt, um in so stürmischer Zeit wichtige Mit-
teilnngen nicht der Post anzuvertrauen, und nun war
er auf der Rückkehr nach Bussland und hatte den-
selben Weg zu nehmen, wie wir. Dieser Mann war
leider sehr heftiger Natur und, wenn die Postillons seinen
Ermahnungen nicht folgen wollten, gleich bereit, sie
mit dem Stocke zurechtzuweisen, was dann peinliche
Szenen herbeiführte, die uns sehr erschreckten. Ein-
mal spannten die Postillons die Pferde aus und wollten
uns mitten im Schnee, fem von menschlicher Hilfe, im
Stiche lassen ; erst als Facius seine russische Uniform
zeigte, die bis dahin durch einen grossen Beisepelz
bedeckt war, gaben sie seinen Drohungen nach und
Hessen sich zum Wiederanspannen bewegen. Eines
Tages hinderten uns ein überaus dichter Nebel und die
dadurch entstandene Finsternis, unsere Beise fortzu-
setzen. Wir mussten in einem Dorfe übernachten, wo
sich für unsere zahlreiche Gesellschaft keine Betten
vorfanden, so dass wir die Nacht auf einem Strohlager
zubringen mussten, was uns Eänder nicht hinderte, gut
zu schlafen. Das Frühstück hingegen, das aus schlechter
Milch bestand, wollte uns gar nicht zusagen, da jedoch
nichts anderes zu haben war, mussten wir unsere Ab-
neigung dagegen überwinden. Am folgenden Tage trafen
wir aber in einem vortrefflichen Gasthause auf dem
Wilhelmsplatz in Cassel ein desto besseres Nacht-
quartier ; es war noch nicht spät Abends, als wir dort
— 31 —
aukameiiy und wir frenten uns der geraamigeD, hellen
Zimmer und des Ausblicks auf den reichlich beleochteten
Wilhelmsplatz, den der Schnee noch lichter erscheinen
machte. Ich blieb lange am Fenster, nm diesen An-
blick zn geniessen, nnd es ist mir, als sähe ich ihn
noch Yor mir. Baron Grimm langte am selben Abend,
bald nach nns, in Cassel an. Am nächsten Tage
worde die Beise nach Gotha fortgesetzt nnd wir er-
reichten nnser Ziel ohne Hindernis nnd Z¥rischenfall.
Der damals auf die würdigste nnd musterhafteste
Weise regierende Herzog £ r n st IL war von früher Ju-
gendzeit an des Barons trenester Freond geblieben nnd
konnte es hauptsächlich nie yergessen, dass ihm dieser
einst in Angelegenheit einer Heirat, zu welcher ihn seine
Mutter zwingen wollte, als Schutz und versöhnlicher Bat-
geber zur Seite gestanden. In den letzten Jahren yor der
Bevolution vertrat Baron Grimm ihn und mehrere andere
sächsische Höfe als residierender Minister in Paris.
Freude war es diesem edlen Fürsten mit dem ge-
fühlvollen Herzen, seinem alten Freunde Zuflucht in
seinem Lande zu gewähren,*) jetzt, wo derselbe infolge
seltsamer Verhältnisse, gleich einem eingeborenen Fran-
zosen, ausgeplündert und ausgestossen, das dortige Land
hatte verlassen müssen.
Das Haus, welches der Baron für sich nnd uns
hatte mieten lassen nnd das auf dem Platze der Haupt-
wache lag, hatte der Herzog mit Möbeln aus seinem
*) Vergleiche den Brief des HerxogB von Sachsen -Gothm an
Haron Ton Grimm im L Anhange. Der Ueraosgeber.
— 32 —
Schlossmagazine versehen und auch Porzellan, Qlas und
Efichengeräte herbeischaffen lassen, so dass sich unsere
Karawane alsbald ganz heimisch daselbst fühlte, wenn-
gleich das Gebäude nicht httbsch war und nur auf der
Strassenseite lichte Zimmer hatte. Noch weiss ich, wie
aufmerksam wir Kinder von den Fenstern aus dem Trei-
ben der Soldaten auf der Hauptwache zusahen und, wenn
es zwölf Uhr schlug, den hölzernen Mann am grossen
Rathause betrachteten, der nun plötzlich mit dem Kopfe
zu nicken und seinen grossen Mund aufzusperren begann,
oder wie wir uns an den vielen Wasserstrahlen des acht-
eckigen Brunnens auf dem Platze erfreuten.
Es dauerte gar nicht lange, so waren wir in Gotha
mit vielen Familien befreundet. Das ehrwürdige Minister
von Frankenbergsche Ehepaar verdient wohl zu-
erst genannt zu werden, sowie auch dessen treuester
Hausfreund, Prinz August, der Bruder des Herzogs.
Im Hause, das an jenes von uns bewohnte anstiess lebte
noch bis zu meinem vierzehnten Jahre (zu welcher Zeit
wir nach dreijähriger Abwesenheit wieder unsern Aufent-
halt in Gotha nahmen) die verwitwete Generalin von
Nepita, die Schwester des Oberhofmeisters von Buch-
wald, eine allgemein verehrte, wohlthätige alte Dame,
die uns Kinder überaus liebte und uns oft zu sich kommen
liess. Sie erzählte uns manch' kleine Geschichte, zeigte
uns Bilder, auch war es uns erlaubt, in aller Freiheit
auf Kinderart uns in allen Zimmern zu bewegen, sowie
mit ihren Vögeln oder dem Hündchen zu spielen.
Auf dem Platze der Hauptwache, wo wir wohnten,
— 33 —
befanden sich auch die Häuser der beiden Schwestern
Reichard und Ettinger. Erstere sprach gut
französisch und wurde daher mehr als ihre Schwester
mit meiner Mutter bekannt, ich aber mehr mit den
Töchtern der Letzteren befreundet, die ziemlich in
meinem Alter waren und im folgenden Jahr zugleich
mit mir das Institut des Fräulein Burkhard be-
suchten, wo ungefähr zwanzig bis dreissig junge Mäd-
chen verschiedenen Alters Unterricht erhielten. Ich
war damals sechs Jahre alt und kam mit Lotte
Reichard, die erst fünf zählte, in die unterste Klasse,
wo ich in einigen Wochen ganz geläufig Deutsch reden
lernte, was mir grosse Freude machte und mich auch
in den Stand setzte, der kleine Dolmetsch meiner
Mutter und meiner Bonne zu werden. Letztere, die
wir sehr liebten, fährte Lotte und mich des Morgens
zu Fräulein Burkhard, deren Wohnung auf dem so-
genannten Neuen Markt, der Erfurter Strasse zu, lag,
unweit der von Linden umgebenen Kirche. Zu Mittag
wurden wir von dort wieder abgeholt und zu den Nach-
mittagsstunden abermals hingeführt. Den Religionsunter-
richt erhielt ich von meiner Mutter und dem Abb6 Gaudon ;
im Institut wurde er protestantisch erteilt. In der kleinen
katholischen Kapelle von Gotha lasen ausser Abb^Gaudon
noch einige emigrierte französische Geistliche die Messe
und versahen den Gottesdienst und die Seelsorge.
Von 1793 bis im Sommer 1797 blieben wir un-
unterbrochen in Gotha und während ich und später
auch meine liebe kleine Schwester Adele das Institut
Carl GrftfOb«rBdorff, Erinntran^a «iaar UrgroMmatl«r. 3
— 34 —
des Fräuleins Burkhard, der späteren Frau Stiele r,
fleissig besuchten, wurde unser Bruder Henri nach
Schnepfenthal zu Heirn Salzmann, der eine gewisse
Berühmtheit in seinem Fach genoss, in Erziehung ge-
geben. Dies erste Stadium seiner Ausbildung, in
welchem gymnastische Übungen die Hauptrolle spielten,
so wie dann das viele Umherreisen mit den Eltern,
die sich dabei nicht hinreichend mit seinem Unterricht
befassen konnten, wirkte nicht günstig auf seine Lem-
lust, so dass er manches nachzuholen hatte, als er
seine eigentlichen Studien beginnen sollte.
Hauptsächlich durch die Erziehung im Burkhard-
schen Institute wurden wir Kinder, und dadurch auch die
Eltern, nicht nur mit dem sehr geselligen Adel, sondern
auch mit dem hohem Burgerstande, der sehr gebildet
war und in grösstem Wohlstand lebte, recht innig be-
kannt. Dieser sehr ausgebreitete Kreis von Freunden
und wohlwollenden Bekannten trug viel bei zur Ver-
schönerung meiner Kinderzeit, und es schien mir ganz
selbstverständlich, dass man mir Zuneigung und rege Teil-
nahme bewies, so wie auch ich mit aufrichtiger Liebe
und Anhänglichkeit meiner Umgebung zugethan war.
In Dankbarkeit fflr alle erwiesene Freundschaft
nenne ich die Familie von Schlotheim, die Oeneralin
von Bernsdorf und deren Tochter, Frau von Rot-
berg, geborene von Haake, die schon genannten
Familien, Keichard und Ettinger, und zwei Fräulein
Seidler, Schwestern der beiden Frauen ; die jüngere
davon, Dorette genannt, heiratete später ihren ver-
- 35 -
witweten Schwager, den Geheimen Hofrat Jacob s, der
als Philologe bekannt ist. Bei meinem zweiten Aufent-
halt in Gotha lernte ich in demselben einen vortreff-
lichen Freund kennen; die Familie Stieler mit den
drei Schwestern Cäcilie, Julie und Pauline erwies uns
gleichfalls viel Freundschaft , auch schloss ich mich
an die in meinem Alter stehenden Töchter des General-
superintendenten Löffler an, die sehr liebe und
angenehme Mädchen waren. Im ganzen verfloss mir
die Zeit ziemlich gleichmässig; besondere Freude brachte
uns natfirlich das Weihnachtsfest. An meinem Geburts-
tage, dem dreizehnten Januar, pflegte meine Mutter stets
einen grossen Kinderball zu geben, bei welcher Gelegen-
heit ausser den bekannten Familien auch die beiden Prin-
zen, die Söhne des Hei*zogs Ernst, sowie dessen Bruder,
Prinz August, erschienen. Die Fülle der Geschenke, die ich
von so vielen an diesem Tag erhielt, sowie die glänzende
Zusammenkunft beim Ball, machten mir grosse Freude.
Im Sommer erhielten wir häufig Einladungen in
die vielen hflbschen Gärten unserer Bekannten, oder es
wurden giössere Spaziergänge und Landpartieen ge-
macht nach dem Siebleberhölzchen oder einem andern
hübschen Ausflugsort und dort mitgebrachte Vorräte
verzehrt. Noch eine Erinnerung aus der damaligen
Zeit ist, dass ich zweimal, wegen meiner grossen
Jugend freilich nur in kleinen Bollen, bei Theater-
vorstellungen mitwirkte, welche Abb6 Gaudon im
Burkhardschen Institute leitete, wo er den Unter-
richt in der französischen Sprache übernommen hatte.
3*
- 36 -
Als Tag der AuffuhruDg wurde das Geburtsfest des
Erbprinzen, späteren Herzogs August, gewählt, wohl
eine kleine Huldigung für das regierende Haus, welches
das Institut begttnstigte. Gespielt wurde im grossen
Saal des Gasthofes „Zum Mohren^, wo eine hübsche
Bühne gerichtet worden war. Es wurden zwei Stücke
gegeben : „L' aveugle deSpa" von Madame de
Genlis, und „Les petites couturiöres" von
B er quin. Ich hatte einen kleinen poetischen Prolog,
Couplet oder Madrigal, von Abb6 Gaudon verfasst, zu
deklamieren und meine sechsjährige Schwester vier
Zeilen, die sie sehr drollig hersagte. Die zweite Vor-
stellung fand im Vorsaal des Institutes statt. Apollo,
die Musen und Nymphen , deren eine ich vorzustellen
hatte, kamen darin vor. Ich erinnere mich, bei dieser
Gelegenheit die erste Regung von Selbstgefälligkeit
verspürt zu haben, verursacht durch meine gelockten
Haare und die den Teint verschönende Schminke.
Ein höchst erfreuliches Ereignis für unsem Fami-
lienkreis war die Ankunft der lieben Antoinette M a r -
chais. Diese erste Freundin meiner Einderjahre,
die in Paris, wo sich meine Eltern früher nur zeit-
weilig aufhielten, das Haus treu hütete, und welcher
alle wichtigen Papiere und Wertsachen von ihnen, so-
wie von Baron Grimm, anvertraut blieben, hatte auch
während der Stürme der Revolution dort ausgeharrt
Sie verliess ihren Posten nicht, selbst zur Zeit der
höchsten Gefahr, wo es ihr sicher niemand würde
verargt haben, wenn sie sich zu ihrer Mutter geflüchtet
— 37 —
hätte. Während die Wogen des Aufruhrs ihren Höhe-
punkt erreichten, war sie allein in unserer Wohnung,
die zwei Stockwerke in sich fasste, geblieben, um
womöglich das anvertraute Out zu schützen. Durch
den Umsturz aller Gesetzlichkeit wurde auch des
Barons Eigentum, obgleich er Ausländer und als bevoll-
mächtigter Minister der sächsischen Herzoge mit einem
diplomatischen Charakter bekleidet war, nicht mehr ge-
schont, als das meiner Eltern, die als emigrierte Edel-
leute f&r geächtet galten. So kam eines Tages ein Haufen
Nationalgardisten als Kommission der Munizipalität, um
alle Mobilien, Papiere und anderen Habseligkeiten in
genannter Wohnung an der Chaussee d'Antin zu in-
ventarisieren. Fräulein Marchais wurde aufgefordert,
nicht nur die Zimmer, sondern auch alle Schränke und
Schreibtische zu ö£fnen. Sie musste sich darein f&gen
und bewies bei dieser Gelegenheit, trotz aller Herzens-
angst, eine seltene Entschlossenheit und Geistesgegen-
wart. Indem sie einen etwas hohen Wäscheschrank
öffnete, bemerkte sie, dass sie vergessen hatte, von
den zusammengebundenen Schlüsseln einen zu ent-
fernen, an welchem ein Pergamentzeichen hing, auf
dem die Worte standen : „Zur Chatouille gehörig,
welche beim Baron von Blome isf Diese enthielt
Werteffecte des Herrn von Grimm, welche er dem
dänischen Gesandten zur Aufbewahiung anvertraut
hatte. Um sie vor den Späherblicken zu retten, stellte
sie sich, als hätte sich ein Bindfaden verwickelt, und
löste den Knoten mit den Zähnen, dabei das Perga-
— 38 —
mentblättchen verschluckend. — Mehr als einmal ge-
schah es auch, dass bei den nächtlichen Hausdurch-
suchungen , die häufig vorgenommen wurden , Revolu-
tionsmänner mit Flintenkolben an ihre Thüre pochten
und ihr geboten zu öffnen, sie konnte sich dann nur noch
die nötige Zeit erbitten, um sich schnell anzukleiden.
Dann kamen diese Männer fluchend in ihr Zimmer,
durchsuchten es, ob nicht etwa einer der Geächteten darin
zu ertappen wäre und rissen ihr Bett auseinander, durch-
stachen sogar Matratze und Strohsack und zogen eben
so fluchend ihres Weges, wie sie gekommen waren,
während die Ärmste, zitternd vor Angst, ihre Nacht-
ruhe eingebüsst hatte. So musste sie täglich unter
ihren Fenstern die Liste derjenigen verlesen hören, die
zum Tode auf der Guillotine bestimmt waren, und Be-
kannte erzählten ihr Szenen, die sich bei diesen schau-
dervollen Enthauptungen abspielten. Unter anderem
hatte einer ihrer Freunde Charlotte C o r d a y , die
exaltierte Mörderin des furchtbaren Marat, ent-
haupten und ihren Kopf herabrollen sehen, dessen
Zähne sich krampfhaft in einen streifenden Mantel
verbissen. Antoinettens Gesundheit litt sehr unter
allen diesen Greuelthaten, deren Zahl und Abscheulich-
keiten nicht anzuführen sind, und sie wunderte sich
oft selbst darüber, nicht ganz zu Grunde gegangen zu
sein. So schwer es auch nach diesen Schreckenstagen
noch war, Pässe nach dem Auslande zu bekommen,
wurden im Jahr 1794 dennoch ihre vielen Bemühungen
darum endlich mit Erfolg gekrönt, nachdem sie ärzt-
— 39 —
liehe Zeugnisse vorweisen konnte, woraus die Not-
wendigkeit des Gebrauches der Karlsbader Heilquellen
für sie erwiesen wurde. Sie besuchte auch diesen
Badeort ein Jahr nach ihrer Rfickkehr zu uns.
Überglücklich, nach allen überstandenen Gefahren
die liebe, treue Seele wieder in unserer Nähe zu
haben, brachten wir Kinder alle die freien Stunden
bei ihr zu. Sie wusste so gut zu erzählen, und
auch die Freiheit, mit der wir uns in ihrem geräu-
migen Zimmer, das sie im Erdgeschosse bewohnte,
bewegen durften, schien uns überaus wohlthuend.
Obgleich es ihr, die inmitten der Encyclopädisten
aufgewachsen, und von deren Atmosphäre leider auch
angesteckt worden war, an Glauben gebrach, hatte
sie eine sehr edle, wahrheitsliebende Seele, anhäng-
lich und pflichttreu, wie sie es meiner Familie zur
Genüge bewies, liebevoll bis zur Selbstaufopferung
und allem Niederen fremd. Voll Dankbarkeit gestehe
ich es ein, dass sie manches Gute in mir geweckt
und genährt. Mit Wehmut erfüllt es mich, dass dieses
so ausgezeichnete Wesen bis zuletzt des Glaubens-
elementes entbehrte, welcher Mangel, Gott sei es ge-
klagt, in der letzten Zeit ihres Lebens ihrer Persön-
lichkeit einen betrübenden Stempel aufdrückte, so
gut und freundlich sie auch gegen uns blieb. Antoi-
nette Marchais' geräumiges Zimmer, welches ich eben
erwähnte, giebt mir Gelegenheit, unseres Wohnungs-
wechsels zu gedenken, den wir zur Zeit ihrer Ankunft
in Gotha vorgenommen hatten. Er war sehr vorteil-
— 40 —
haft, wenn auch das Palais, welches früher Prinz
August, der Bruder des Herzogs Ernst II., bewohnte
und das jetzt eine Fabrik geworden ist, zwischen zwei
engen Oassen eingezwängt dasteht. Ein sehr grosser,
schöner Hof, von den Flügeln des Palais, Nebengebäuden
und Stallungen umschlossen, liess das Unvorteilhafte
der Lage einigermassen vergessen. Einer schöneren und
bequemeren Wohnung, als wir in diesem Hause hatten,
kann ich mich kaum erinnern. Die Zimmer, die der
Baron inne hatte, waren mit schwerem Seidendamast
bezogen. Den Salon meiner Mutter zierten wertvolle
chinesische Tapeten; diesem schloss sich der Speise-
saal und von der anderen Seite ein kleines Schreib-
zimmer und ein Schlafgemach an. In jenem Salon
brachten wir alle vereint unsere Abende zu. In einer
Ecke schrieb ich Aufsätze und Übersetzungen, zerbrach
mir den Kopf über schweren Rechenexempeln oder hing
meinen kindlichen Grübeleien nach, während am andern
Ende des grossen Raumes meine Mutter entweder allein,
oder mit Freunden, die sich dazu einfanden, musizierte
und sang. Mein Denken und meine Beschäftigungen
verwoben sich mit den Tönen, und unbewusst entwickelte
sich dadurch in mir ein reger Sinn für Musik. Es
drängten sich mir manchmal, wenn ich mich allein oder
unbemerkt glaubte, wenigstens stückweise, italienische
Arien und Recitative aus Brust und Kehle, wobei es
mir nicht anders schien, als sänge ich sie wie meine
Mutter. Oft wirkten zwar die Konversationen, die gegen
Ende des Abends meine Eltern, der Baron und einige
— 41 —
Bekannte führten, die täglich unser Hans besuchten,
wohl störend auf mich ein, aber ich übte mich dadurch
auch, während ich Gesprächen lauschte, schreiben zu
können, sowie während des Schreibens selbst zu kon-
versieren, was mir oft gut zu statten kam. In unseren
Salon kamen auch alle interessanten Fremden, die
während der bewegten Zeit der neunziger Jahre durch
Gotha zogen, und selbst dann, wenn sie sich nur wenige
Stunden dort aufhielten. Deutsche, Franzosen, Eng-
länder, Russen und Polen, Fürsten, Edelleute, Krieger,
Künstler, Handelsherrn der freien Reichsstädte u. s. w.,
sie alle wallfahrteten zum geistvollen, leutseligen und
gastfreien Baron Grimm.
Ich lernte, wenngleich noch ein Kind, viele her-
vorragende Menschen kennen, denn der Baron zog mich,
seinen Liebling, wo er nur konnte, in die Konversation,
oder hiess mich in seiner Nähe bleiben, wo ich zuhören
mochte, was von den Ereignissen der Zeit oder merk-
würdigen Menschen, wie von Kaiserin Katharina,
S u w a r 0 w , Fürst K a u n i t z , Kaiser Josef und
anderen erzählt wurde. Wenn auch auf diese Weise
mancher Gewinn für meine Geistesbildung abfiel, so
muss ich doch bekennen, dass mir dabei viel zu viel
Lob zuteil wurde, was wohl meist dem Baron zu lieb
geschah, der selbst, nicht bedenkend, welchen Schaden
dies der Seele bringen kann, mich herausstrich, wo er
nur konnte; vermutlich wollte er mich dadurch ermutigen,
in meinen Studien mit Eifer fortzuschreiten. Sonder-
bar, dass es mir damit nicht ging, wie denen, die des
— 42 —
Guten zu viel geniessen. Des lieben väterlichen Freundes
Lob schadete mir darum wenig, weil ich, die grosse Vor-
liebe, aus welcher es entsprang, erkennend, es nicht für
ganz verdient hielt und daher bald anfing, mich zu
schämen, wenn er es mir vor andern erteilte. Die
Anerkennung jedoch, die mir von Fremden gezollt
wurde, nährte meine Eigenliebe, das heisst, ich hatte
Freude daran und empfand es wie eine angenehme
Überraschung, die mir schmeichelte, und doch glaube
ich nicht, dass ich mir viel auf meine Vorzüge ein-
bildete, weil ich frühe schon mein Ideal so hoch ge-
stellt hatte, dass auch nur der Gedanke, es erreichen
zu können, mir ferne lag. Was mein Äusseres betrifft,
so war dies ganz und gar nicht nach meinem Geschmack,
denn ich konnte mir kein hübsches Gesicht ohne frische
Farben denken, und diese mangelten mir.
In den Jahren 1793 bis 1797 kamen sehr häufig
Kuriere der Kaiserin Katharina an den Baron Grimm,
und manche von ihnen hielten sich längere Zeit in
Gotha auf. Meistens waren es russische Edelleute,
junge Offiziere aus den vornehmsten Familien wie:
Fürst Gagarin, Wiemsemski und auch mehrere
Liefländer, unter denen ein Baron von Nolken, ein
Mann von hervorragender Geistesbildung, besondere
Vorliebe für Astronomie hatte, die er in Gotha auf der
Sternwarte mit dem damals berühmten Herrn von Jach
studierte. Er kam öfters wieder und zählte bald zu
unsem Hausfreunden. Er war es auch, der, als er
gegen Ende November nach längerem Warten vom
— 43 —
krank gewesenen Baron abgefertigt worden, in Berlin
die Nachricht des am 16. November eingetretenen Todes
der Kaiserin Katharina IL erfuhr; mit dieser Trauer-
botschaft kehrte er nach Gotha zurUck, um seine De-
peschen dem Absender wieder einzuhändigen. Der
Moment seiner Rfickkehr war sowohl für den armen
Nolken selbst, der der Kaiserin sehr ergeben gewesen,
als auch für Baron Grimm ein unaussprechlich schmerz-
licher. Da ich eine der ersten Personen im Hause war, die
Baron Nolken in seiner Bestürzung mit rotgeweintem
Gesicht ankommen gesehen, ist mir sowohl sein Bild,
als auch der Schrecken, den die von ihm überbrachte
Nachricht in unserem Kreise hervorrief, in lebhafter
Erinnerung geblieben.
Baron Grimm, welcher kaum von seiner schweren
Krankheit, einem Schleimfieber, genesen, erlitt durch
die Erschütterung*) einen lange andauernden Rückfall.
Mochte auch die Kaiserin in religiöser und mora-
lischer Hinsicht manch gerechtfertigter Tadel treffen,
für den Baron war sie stets eine edle fürsorgende Freun-
din und Gönnerin und für meine Eltern, unter den
so drückenden äussern Verhältnissen, welchedie Revolu-
tion für sie herbeigeführt hatte, eine Wohlthäterin, ja
ihr Schutz und ihre Hoffnung für die Zukunft gewesen.
Als die erste zermalmende Betrübnis Grimms etwas ge-
mildert schien, erfuhr ich, dass die Kaiserin in ihren
letzten Briefen dem Baron den Posten eines Minister-
*) Siehe den Brief Grimms an Jalie von Bechtolsheim
1. Bach, letztes Kapitel. Der Herausgeber.
— 44 ~
residenten bei den freien und Hansestädten, deren Haupt-
sitz Hamburg ist, erteilt hatte, dass er aber in seiner
Antwort sie ersuchte, ihn nicht dahin zu senden.
Wegen seiner geschwächten Gesundheit und des zu-
nehmenden Alters halber, fürchtete er nämlich, dass ihm
das dortige Klima nicht zusagen würde. In seinem ersten
Schreiben an Kaiser Paul waren nur Beileidsbezei-
gungen und Glückwünsche zu dessen Thronbesteigung am
Platze und durfte er sich über diesen Punkt nicht äussern.
Nun geschah es, dass der Kaiser durch die hinter-
lassenen Verfügungen seiner Mutter von ihrem Vor-
haben betreffs des Barons unterrichtet wurde, und da
er ihm wohlgewogen war, so glaubte er nichts Freund-
licheres für ihn thun zu können, als seine Ernennung für
den Posten nach Hamburg zu bestätigen. Die Nachricht
dieses Gunstbeweises gestaltete sich für den armen
Baron sehr bedrückend ; er konnte ja nicht anders, als
mit Dankgefühl annehmen, was ihm in so mancher
Hinsicht seine Pläne für die Zukunft zerstörte.
Zu dieser Zeit war mein Vater nach einem längeren
Aufenthalte in England nach Gotha zurückgekehrt und
hatte seinen liebsten Freund, Herrn von Comblat,
mitgebracht. Dieser, ein angenehmer, munterer Ge-
sellschafter und grosser Kinderfreund, nahm an allem,
was sich in unserem Hause zutrug, den lebhaftesten
Anteil. Er war längere Zeit in Hamburg gewesen
und bot sich nun an, dort eine passende Wohnung und
alle damit verbundenen Einrichtungen zu besorgen,
was dankbarst angenommen wurde.
— 45 -
Uns, momentan Heimatlosen , galt es für selbst-
verständlich, dass wir unserem lieben alten Freunde
nach Hamburg folgen wärden ; der Gedanke aber, Gotha,
wo wir uns bereits heimisch fühlten, zu verlassen,
stimmte uns alle traurig. Als im Frühjahr 1797 die
Stunde der Trennung schlug, nahmen wir unter Thränen
herzlichen Abschied, bei welchem Ad^le und ich mit
den zurückbleibenden Gespielinnen verabredeten, uns
fleissig schreiben zu wollen, was eine Zeit lang auch
geschah.
Baron Grimm war zwei Monate vor uns abgereist
und hatte in seiner gewohnten Güte während dieser
Zeit auch unsere häufigen Kinderbriefe freundlichst be-
antwortet, trotz der vielfachen Geschäfte, die der An-
tritt eines so bedeutenden Postens mit sich brachte.
Die Sehnsucht, bald wieder mit ihm vereint zu werden,
erleichterte uns wesentlich den Abschied von Gotha.
1797 reisten wir ab und zwar über Braunschweig,
wo wir acht Tage bei Tante Belsunce verweilten. Sie
war in tiefer Trauer über den Tod ihres Mannes, nahm
uns freundlichst auf. beschenkte uns Schwestern mit sehr
hübschen Gürteln und Ärmelbändem, die sie kunst-
voll selbst gestickt hatte, und wir hatten grosse Freude
über nnslBre zweijährige Cousine Nica und deren halb-
jährigen Bruder Henri. Letzterer, ein auffallend schönes
Kind, war nach dem Tode seines Vaters geboren.
Bei schönem Wetter setzten wir unsere Reise fort.
Nächst Zollenspieker wurde die Elbe übersetzt; der breite
Strom machte auf uns Kinder einen grossen Eindruck.
— 46 —
Meine liebe, damals sieben Jahre alte Schwester konnte
bis dahin den Buchstaben L noch nicht aussprechen,
gab sich aber während der Überfahrt so viel Mühe
l'Elbe zu sagen, dass es ihr, noch bevor wir das andere
Ufer erreichten, gelang. In ZoUenspieker hatten wir
die Freude, mit Baron Grimm zusammenzutrefifen, der
uns bis dorthin entgegengekommen war.
Nachdem wir eine gute Strecke der Vierlande
durchfahren hatten, näherten wir uns dem Reiseziele.
Ich war sehr begierig die grosse Handelsstadt zu
sehen , und der Eindruck , den sie auf mich machte,
so wie die spätem Besuche des Hafens und der h&bschen
Umgebung sind mir in lebhafter Erinnerung ge-
blieben. Das unscheinbare Haus, welches wir be-
wohnten, dürfte nur in so ferne zu loben gewesen
sein, als der Eraienkamp, woran es gelegen, keine
enge Gasse war. Dieser läuft rings um den Gottes-
acker, welcher die grosse Michaeliskirche umgiebt. Ver-
mutlich ist dies bereits alles anders geworden.
Damals bot sich uns fast täglich Gelegenheit dar,
Begräbnissen zuzusehen, bei welchen entweder die Särge
in die Erde versenkt, oder in dem unterirdischen Ge-
wölbe der Michaeliskirche beigesetzt wurden. Um
dieses schöne Gewölbe zu besichtigen, folgten wir
manchesmal init unserer Gouvernante einem Leichen-
zuge bis hinunter. Zu jener Zeit geschah es auch,
dass ich zum erstenmale einen Turm besteigen durfte.
Bei einer schon erreichten bedeutenden Höhe, führte
eine Wendeltreppe zwischen Säulen um die grosse
_ 47 —
Glocke hernm; als mich mein Vater an der Hand da
hinauf f&hrte, schlug unerwartet diese Glocke die
Stunde, und mir vergingen beinahe die Sinne ; wenn er
mich nicht gehalten, strenge gewarnt und ermutigt
hätte, wäre es wohl übel ffir mich abgelaufen. Ein
widerliches Schauspiel, welches wir von unsern Fenstern
aus sehen konnten, bot sich uns dar, als der zu sehr
angefüllte Friedhof wieder aufgegraben und aus den
bereits verfaulten Särgen die Gebeine herausgenommen
und haufenweise gesondert wurden. Anfangs zogen
wir uns entsetzt zurück, wenn wir die Totengräber
bei besagter Arbeit gewahrten, später wurde uns jedoch
dieser Anblick gleichgiltiger, und zuletzt schauten wir
ihnen sogar neugierig zu und machten unsere Be-
merkungen darüber ; so gewöhnt sich der Mensch und
noch leichter als Kind an alles.
Niemand dachte je daran, eine ernste Betrachtung
hierüber anzuregen; denn wenn auch bei unserer Er-
ziehung die Entfaltung des sittlichen Gefühles stark
berücksichtigt wurde, blieb leider das religiöse Ele-
ment wie im Schlummer liegen. Meine gute Mutter
hatte mich wohl den compendiösen und vollständigen
Pariser Katechismus ganz auswendig lernen lassen, und
Abb6 Gaudon hatte ihn mir bestmöglichst ausgelegt,
allein ich verstand dennoch wenig davon, und meine
ersten Beichten wurden durchaus mechanisch mit Mühe
und Bangigkeit, nur aus Gehorsam abgelegt. Von meiner
ganzen Umgebung, den Abb6 nicht ausgenommen, besass
meine Mutter allein wahre Frömmigkeit, und sie suchte
— 48 —
gern die Gesellschaft jener auf, die Anhänger von
Fen61on und Franz von Sales waren, wenn sich
Gelegenheit dazu bot.
Bei der russischen Gesandtschaft, also bei Baron
Grimm, befand sich als Legations-Sekretär ein Herr von
Struve, der sich später als unser so sehr bewährter
Freund erwies. Es gab sich wie von selbst, dass er
bald, wie zu unserer Familie gehörig, betrachtet wurde.
In kürzester Zeit nach unserer Ankunft in Hamburg
wurden meine Eltern zugleich mit Baron Grimm bei
allen Senatoren und den ersten Familien der grossen
Hansestadt zu Diners, sowohl in der Stadt als auch auf
dem Lande, eingeladen. Zu den ländlichen Vergnügen
wurden auch wir Kinder mitgenommen, was ganz gegen
unsere jetzigen Erziehungsgrundsätze ist. Auch sonst
durften wir meistens unsere Eltern begleiten, wenn sie
Besuche oder Einkäufe machten.
Noch vor unserer Abreise von Gotha waren wir
Schwestern darauf vorbereitet worden, dass wir nicht
lange alle zusammen in Hamburg vereint bleiben würden,
weil die Eltern mit Bruder Henri eine Reise nach
Russland antreten sollten. Dies schien geraten, um
dem Kaiser Paul näher zu treten und ihn an das
Versprechen , welches seine Mutter durch Baron
Grimm gegeben hatte: nämlich uns auf die Liste jener
französischen Emigranten zu setzen, die durch Schen-
kungen von Ländereien in Polen oder Kurland unter-
stützt werden sollten, zu gemahnen. Ohne mächtige
Fürsprecher jedoch, denen man sein Gesuch häufig
— 49 -
in Erinnerung bringen musste, konnte es jedoch nicht
den gewünschten Erfolg haben.
Meine Matter hatte in Paris eine Gräfin Schuwa-
loff und deren junge Töchter, welche sich, wie so
manche andere russische Familien , länger dort auf-
hielten, kennen gelernt und war mit der älteren Tochter,
die seither den Fürsten Michael 6 a 1 i t z i n geheiratet
hatte, in Korrespondenz geblieben. Diese schrieb ihr
immer aui das Freundschaftlichste, und seit der Emi-
gration lud sie sie wiederholt dringend ein, mit ihrer
ganzen Familie zu ihr nach Petersburg zu ziehen, um
dort dauernden Aufenthalt zu nehmen. Unter den ob-
waltenden Verhältnissen entschloss sich nun Mama,
dieser Einladung mit ihrem Gatten und Henri auf un-
bestimmte Zeit Folge zu leisten; es wäre ihnen sonst
in pekuniärer Hinsicht damals unmöglich gewesen, einen
voraussichtlich mehrere Monate währenden Aufenthalt in
der Hauptstadt des grössten Kaiserreiches zu nehmen.
Wenige Wochen später reisten wir nach Lübeck
ab, wo man sich nach einem empfehlenswerten Kauf-
fahrteischiff umsah, das bald nach Petersburg ab-
gehen würde. Der. russische Konsul, der sich darum
bemühte, fand auch bald die „Frau Ottilia", einen
Segler, welcher sich eben zur Abfahrt rüstete. Da
Baron Grimm auch in der Hansastadt Lübeck accreditiert
war, fingen die Diners- und Landpartieeneinladungen
auch hier von neuem an, denen wir von unserem Gast-
hause aus fleissig Folge leisteten. Unser Aufenthalt
in Lübeck verlängerte sich in Erwartung des günstigen
Carl Graf Obtrndorff, Eriimtmiigtii «intr UrgroMmotItr. 4
— 60 —
Windes zur Segelfahrt auf vierzehn Tage, wonach wir,
nämlich : der Baron, Herr von Strnye, nnsre gute Mar-
chais und wir zwei Schwestern, die Abreisenden nach
Travemünde begleiteten, wo sie sich am 19. Juli ein-
schifften. Mit meinen Eltern und Henri reisten noch
der Abb6 Gaudon, die zwei treuen Diener Lajeunesse,
eigentlich Barth61emy Bouchard und Chaumont,
der Gatte meiner Bonne, und eine Schweizerin als
Eammerjungfer. Meine Mutter hatte Frau Chaumont
die Wahl gelassen, statt letzterer sie zu begleiten,
um sich nicht von ihrem Manne trennen zu müssen;
doch entschied sich die treue Seele, bei uns bleiben zu
wollen, wofür wir ihr stets Dankbarkeit zollten. Kurz
vor der Abreise hatten wir von Lübeck aus eine Partie
nach Travemünde unternommen, um das Schiff mit ge-
nauer Aufmerksamkeit zu besehen.
Ich erinnere mich noch des überwältigenden Ein-
druckes, den mir der erste Anblick des Meeres machte
und wie wir uns am Traveufer unterhielten, bunte
Steine und Muscheln zu sammeln. Als wir jedoch das
zweite Mal, am Vorabend der Abreise unsrer Lieben,
wieder hinkamen, schien uns alles anders. Das Meer,
auf dem sie sich entfernen sollten, stimmte nur wehmütig,
und das Spiel im Ufersand, sowie selbst die in dieser
Hafenstadt sehr geschätzten Seefische, Dorsche genannt,
die uns sonst so mundeten, waren uns verleidet.
m. Kapitel.
Baron Grimm.
Um sowohl unsrer guten Matter, der es so sehr
nahe ging, und deren Gesundheit nicht stark war, als
auch uns Kindern den Schmerz der letzten Umarmung
zu ersparen, drang mein Vater darauf, dass wir
nicht geweckt würden; so gab sie uns nur, während
wir noch schliefen, ihren Segen, bevor sie mit den
Übrigen das Haus verliess. Als wir erwachten und
eilig Toilette machten, konnten wir nur noch die
weissen Segel des sich rasch entfernenden Schififes von
Weitem sehen, und unter Thränen und Schluchzen den
Unsem ungehörte Abschiedsgrttsse nachrufen! — An
demselben Tag fuhren wir gar traurig nach Lübeck
und von da nach kurzem Aufenthalte über Eutin nach
Hamburg zurück.
Auf dieser Heise geschah es, dass der wahrschein-
lich etwas angetrunkene Postillon in einem tiefen Sand-
weg, der sich bis Hamburg erstreckte, so schlecht fuhr,
dass wir unser Nachtquartier (ich glaube Segeberg)
nicht beizeiten erreichen konnten. In der Dunkelheit
verfehlte er dann den richtigen Weg ; Herr von Struve
- 52 —
bemerkte dies zuerst and liess halten. Wir befanden
uns am Anfang einer Allee, die zu einem Schlosse
fahrte. Herr von Strave stieg aus und ging dorthin,
um zu erfahren y ob man uns Kinder und den Baron
nicht für einige Nachtstunden beherbergen würde, um
bis zum anbrechenden Tage ruhen zu können. Seine
Bemühung war nicht umsonst, ein ehrwürdiges Ehepaar
nahm uns sehr gastfreundlich auf, liess uns Betten be-
reiten und bewirtete uns des Morgens beim Frühstück
so übermässig reichlich, dass man uns einschärfen
musste, uns nicht zu viel, dem Appetit, den die lange
Nachtfahrt verursachte, folgend, zu gute zu thun.
Unsere frühere Tageseinteilung musste nun manche
Abänderung erfahren ; es wurde als Lehrer ein sach-
kundiger, junger Mann, Namens Bärmann, ausgesucht,
welcher uns Unterricht gab in Geschichte, Geographie,
deutscher Sprache und Rechnen. Fräulein Marchais
übte uns im Französischen und liess uns den Kate-
chismus wiederholen, der gute Baron korrigierte unsre
Aufsätze und die häufigen Briefe an die Eltern. Des
Morgens nach dem Frühstück gingen wir zu ihm auf
ungefähr eine Viertelstunde, während welcher er sich
mit uns abgab; es war auch die Zeit, wo der fran-
zösische Koch Bonvalet, mit dem Küchenzettel in
der Hand, bei ihm eintrat. Bei dieser Gelegenheit er-
fuhren wir, ob wir allein oder mit mehr oder weniger
Gästen speisen würden. Wir zogen das Erstere vor,
weil dann das Tischgespräch uns galt, doch waren
kleine Diners leider sehr häufig, der Stellung des
~ 53 —
Barons gemäss ; grössere kamen nur vor bei Anwesen-
heit ausserordentlicher Fremden. — Nach diesem Morgen-
besuch fingen unsre Lehrstunden an, wozu auch die
Elavierlektion zu rechnen, die ich stets sehr uninter-
essant und gar nicht nach meinem Geschmacke fand.
Gegen Mittag gingen wir aus, entweder in den Garten,
oder, wenn es etwas zu besorgen gab, in die Stadt.
Zum Diner um drei Uhr zogen wir uns sorgfältiger
an. Nachmittags machten wir etwas Handarbeit und
lasen mit Fräulein Marchais. Dann wurde meist ein
grösserer Spaziergang unternommen, oder wir durften
in unserem Winkel im Salon spielen, manchmal folgten
wir einer Einladung zum Thee, jedoch nicht zu grössern
Gesellschaften. So gingen wir häufig zu Prinzessin
von Holstein -Beck, vermählter Fürstin Baria-
tin sky, zuweilen zu einer alten Generalin von Janus
und zu Gräfin Buol, geborener Gräfin Lerchenfeld,
der Gemahlin des österreichischen Botschafters. In
dessen Hause war eine geräumige katholische Kapelle,
wo wir mit vielen Andern an Sonn- und Feiertagen
der heiligen Messe beiwohnten; es gab damals noch
nicht die jetzige katholische Pfarrkirche.
Alle diese genannten Damen waren sehr liebreich
gegen uns Eänder, ebenso auch mit seltener Treue der
gute Struve, der uns nicht nur in alle Gärten der Um-
gebung begleitete, wobei er, als guter Botaniker, uns
auf alle schönen Pflanzen und Blumen aufmerksam
machte, sondern uns auch auf unsren Spazierwande-
rnngen half, ein Herbarium zu sammeln und es selbst
— 54 —
schön ordnete ; unter seiner Anleitang legten wir auch
eine Schmetterlings- und Vogeleiersammlung an. Durch
einen Tanzmeister, den nicht mehr jungen franzö-
sischen Emigranten Marquis de Faymoreau, der
herzliche Freude an uns, seinen kleinen Landsleuten,
hatte, lernten wir einige recht liebe Kinder ver-
schiedener Banquiers und Handelsherren kennen, die
er im Laufe des Winters, meist alle drei Wochen, zu
sich zum Tanzen einlud. Diese kleinen Zusammen-
künfte veranlassten gar bald andere, auch Kinderbälle,
und sogar zu grössern Bällen im Hause des Kauf-
herrn Möller, dessen Kinder wir sehr liebten,
wurden wir geladen; die jungen Mädchen meines Alters,
mit denen ich am meisten in Berührung kam, waren
Friederike Möller, Sofie Schröder, ihre Schwester
und drei liebliche Engländerinnen , Thomson mit
Namen. In Hamburg lebte auch ziemlich zurück-
gezogen ein entfernter Verwandter meiner Mutter,
Herr von Geoffrion, mit seiner Tochter Emilie,
welche uns häufiger besuchte, als alle andern. Von
all diesen Kindheitsgefährtinnen hörten wir später gar
nichts mehr, sie sind uns nur vorübergehende Er-
scheinungen gewesen.
Die Bälle, Tanzstunden und Gesellschaften hatten
fnr uns eigentlich wenig Reiz, und wir fühlten uns
ebenso zufrieden, allein zu Hause zu spielen, oder
freuten uns über eine unterhaltende Geschichte von
Antoinette Marchais, erzählt beim Lindenblütenthee, den
wir abends bei ihr nahmen.
- 55 —
Den Namenstag dieser Letztern, welcher auf den
17. Jannar fiel, wollten wir besonders fröhlich feiern
und eilten deshalb zum Baron, ihm unseren gewohnten
Morgengruss zu bringen und gleichzeitig mit ihm die
Pläne für den Tag zu entwerfen. Statt dessen teilte
er uns jedoch mit , dass er nach einem übermässigen
Nasenbluten, welches ihn befallen, es nun wie eine Mauer
vor dem linken Auge habe, also darauf erblindet sei.
Wir erschraken ganz furchtbar und weinten vor Ent-
setzen und Mitgefühl bitterlich. Der herbeigeholte
Arzt gab nicht viel Hoffnung, empfahl aber nebst
grOsster Schonung, auch die strenge Diät, die sein
Patient ohnedies immer hielt, gewissenhaftest beizu-
behalten, damit das andere Auge nicht in Mitleiden-
schaft gezogen würde. Er meinte, unser lieber Augen-
kranker würde, wenn er sich lange Zeit hinsichtlich
der Geschäfte als blind betrachten könnte, diesem
grossen Unglück entgehen und möglicherweise das er-
haltene Auge sich nach Jahr und Tag mehr und mehr
stärken. Trotzdem konnte sich unser armer, lieber
Freund nicht der Furcht entschlagen, auch sein Zweites
plötzlich auf dieselbe Weise zu verlieren. Sich von
den Geschäften zurückzuziehen, fiel ihm nicht schwer,
denn bei seinen fünfundsiebzig Jahren waren sie ohne-
dies für seine Kräfte aufreibend. Er diktierte die
nötigen Briefe an den Kaiser von Russland, an das
Ministerium des Äussern und so weiter und trat in
den erwünschten Buhestand, aber es blieb ihm noch
die Direktion der Wobltbätigkeits-Kasse des
— 56 —
Kaisers Panl und der Kaiserin Marie zu Gunsten
des französischen ausgewanderten Adels über, worunter,
an der Spitze der Pensionierten , der Name der ehr-
würdigen Herzogin von Orleans, Mutter von Louis-
Philippe, stand.*) Da dieser Wirkungskreis noch
immer viel zu thun gab — er erlosch erst, als Napo-
leon den Emigranten volle Amnestie erteilte — be-
gehrte Grimm, Herrn von Struve als Mitarbeiter be-
halten zu können, was ihm auch bereitwilligst ge-
währt wurde.
Die Nachricht von dem Verlust des Auges, welchen
der Baron erlitten, betrübte meine Mutter tief und
steigerte noch ihre nie besiegte Sehnsucht, bald wieder
zu uns zu kommen. Der Aufenthalt in Petersburg
fiel ihr sehr schwer, und das Geschäft, dessentwegen
sie dorthin gereist, wollte nicht vorwärts schreiten. —
Die Lage, in der sie sich, mit Gatten und Sohn, der
eben zehn Jahre alt geworden, im Hause der Fürstin
Michael Galitzin, befand, wurde ihr drückend, da
sie bald bemerken musste, dass diese Frau, die sie
wohl in frühester Jugend gekannt, seither weit vom
guten Wege abgewichen, und sie daher nicht mehr
mit ihr harmonieren konnte. Da die Fürstin sie ganz
als Herzensfreundin aufgenommen und sich nie anders
ihr gegenüber bewies, nahm sie sich ein Herz, ihr Zu-
trauen durch Offenheit zu erwidern, die aber keinen
Anklang fand. Meine Mutter benützte daher die Ent-
*) Vergleiche die Briefe der Kaiserin Maria Feodorowna im
I. Anhange, hesonders den vierten Brief. Der Heransgeber.
— 57 —
schaldiguDgy die ihre leidende Gesundheit nur zu sehr
rechtfertigte, viel für sich zu bleiben, wodurch sie die
erwünschte Gelegenheit fand, sich desto emsiger mit
dem Unterricht meines Bruders zu befassen, der sich
übrigens ausserdem viel bei den Kindern der Fürstin
aufhielt, die sehr gut erzogen wurden. Mein Vater,
der seinen Geschäften nachging, verbrachte meist nur
die Abende zu Hause, wo er mit einigen andern Herren
die Spielpartie des Fürsten Galitzin mitmachte. Wegen
ihrer geschäftlichen Angelegenheiten mussten meine
Eltern mehrere Male am kaiserlichen Hofe erscheinen
und auch andere Feste besuchen. Zu den hierzu
nötigen Toiletten, gab die Fürstin meiner Mutter meist,
was sie brauchte: fiir sie war es ein geringes Opfer,
meiner Mutter wären aber unter ihren damaligen Ver-
hältnissen diese Auslagen unerschwinglich gewesen;
jedoch berührte es sie gar peinlich, dieses Zeichen der
Freundschaft von ihr annehmen zu müssen. Von dem
Glanz der üppigen dortigen Welt erzählte Mama
vieles, sowohl in ihren Briefen, als später mündlich,
und obgleich ihr Herz durchaus nicht an all den Unter-
haltungen hing, erheiterte sie doch die Freude des
geselligen Lebens.
Obwohl der Baron nach seinem Unglück zurück-
gezogener lebte, als zuvor, machte es in unserer Lebens-
weise keinen grossen Unterschied. Er liess uns mit
Fräulein Marchais einige Einderbälle besuchen, die er
als Gorrepetitionen des Tanzunterrichtes betrachtete
und erlaubte uns bisweilen, in das Theater zu ^ehen,
— 58 —
teils nm ans damit Vergnügen zn bereiten, teils nm,
wie er meinte, den Geschmack für Mnsik and Eanst
aaszabilden and wählte sorgfältigst die entsprechenden
Stücke. Ich weiss nicht za bestimmen, inwiefern es
ans nützlich oder schädlich war, dass wir viel von
den Theater-Eindrücken and -Szenen nach Hanse mit-
nahmen and in den Freistanden manches davon aaf-
führten.
Oegen Ende des Winters erkrankte meine liebe,
damals siebeneinhalb Jahr alte Schwester an einem
hartnäckigen Entwicklangsfleber , das besonders ihre
Nerven angriff and aaf ihr Gemüt so sehr einwirkte,
dass sie nicht mehr zn erkennen war. Das sonst so
frenndliche, liebevolle Wesen schien nnn mit einem
Male finster, in sich gekehrt and gerade gegen jene,
die sie sonst am meisten liebte, mürrisch and nnza-
gänglich. Wie sehr dies mein Herz betrübte, kann
ich nicht sagen ; mit dem Durchbrach von vier Stock-
zähnen ging im Frühjahr dieser drückende Znstand
vorüber.
um einen neaen Aafenthaltsort za wählen, hatte
anser lieber Pflegevater reiflich überdacht, welcher am
geeignetsten für ansre Erziehang and zugleich für
seine Gesundheit sein könnte. Von einer Seite lud
ihn Herzog Ernst ein, wieder nach Gotha zurückzu-
kehren, von einer andern und noch dringender der
Baron von F6ronce, sein alter, treuer Freund, und
zwar nach Braunschweig, wo er Minister war. Auch
der Herzog von Braunschweig suchte Grimm dazu
— 59 -
zü bewegen, denn er war dem Baron sehr zngethan
und blieb ihm, so wie sein OnkeL der Grosse Fried-
rich, der ihm besonders nahe gestanden hatte, stets
wohlwollend gesinnt. Der Herzog hatte sich in den
Eriegszugen Friedrichs glänzenden Waifenruhm er-
worben und im Jahr 1806 die unglfickliche Campagne
geleitet. Er starb an den furchtbaren Wunden, die
ihm in der Schlacht bei Jena beide Augen gekostet.
Der Einladung nach Braunschweig zu folgen, schien
dem Baron unsrer Ausbildung wegen ratsamer, auch
wusste er, dass sein Umgang den bereits alten und
kränklichen Freund F6ronce erfreuen und erheitern
würde, und dass dortselbst mehrere geistreiche Männer,
sowohl einheimische, wie fremde, anzutreffen wären.
Da ihm aber geraten wurde, die mildere Jahreszeit zu
seiner Übersiedlung abzuwarten und er nach seinem
Rücktritte vom Amt nicht unnötiger Weise länger in
Hamburg zu verweilen gedachte, wo ihm die Luft
nicht zuträglich war, beschloss er, mit uns drei Wochen
zu Altena in einem hübschen Landhause am Ufer der
Elbe zu verleben. Dies gefiel uns ausnehmend wohl.
Die Aussicht auf die Elbe und die Schiffswerfte, sowie
der reizende Garten, in dem wir uns nach Gutdünken
bewegen durften, schienen uns nach der beengenden
Stadtwohnung vor dem Kirchhofe höchst erquicklich.
Besonders lieblich dünkte mich der Blick auf den
an dieser Stelle so breiten Strom, wenn im Mond-
licht Fischerkähne oder andere Boote auf ihm dahin-
glitten.
— 60 —
Bald nachdem wir diesen Aufenthaltsort bezogen
hatten, kam auch Fürstin Bariatinsky, geborene
Prinzessin von Holstein-Beck, nach Altona, wo sie
ausserhalb der Stadt eine schöne Villa besass mit
herrlichen Parkanlagen und einem reizenden Garten-
haus, dicht an der Elbe, nur durch eine von hohen
Bäumen beschattete Terrasse vom Flusse getrennt.
Von dieser guten und edelgesinnten Frau hörte ich
später durch meine nachmalige Tante Gräfin Keller
vieles erzählen, was die Zuneigung, die ich in meiner
Kindheit f&r sie empfand, nur noch steigerte, und sie
mir noch umso lieber und werter machte. Die Ffirstin
nahm nämlich Tante Amdlie, spätere Keller, weil
sie mit ihrer Mutter, der Gräfin Wittgenstein
eng befreundet war, nach deren Tode ganz bei sich
auf, woselbst meine Tante mit Einwilligung ihres Vaters
bis zu dessen Wiedervermählung verblieb. Dann wurde
sie ihm, nicht ohne Widerstreben von Seite der Fürstin,
zurückgegeben. Bald aber konnte es ihm nicht ent-
gehen, dass seine zweite Gemahlin, eine Stockrussin,
die kleine Am61ie nicht gut behandle und nicht zu er-
ziehen verstand, so gab er den wiederholten Bitten der
Fürstin, sein liebes Kind wieder ganz bei sich behalten
zu dürfen, nach, und das Band der Liebe zwischen
dieser edlen Frau und Am^lie Wittgenstein wurde nun
aufs neue und umso inniger geknüpft. Durch Schön-
heit, Anmut und glückliche Anlagen, worunter die Hoheit
ihrer seltenen Seele die hervorragendste, gewann letztere
so sehr das Herz ihrer Pflegemutter, dass selbe, nach
- 61 —
ihren eigenen Worten zu schliessen, meine nachmalige
Tante ihren leiblichen Kindern vorzog und keinen
sehnlicheren Wunsch kannte, als Am^lie dereinst als
Schwiegeilochter umarmen zu können. Diese hatte
jedoch eine entschiedene Abneigung gegen den zwar
schönen und sehr talentvollen, aber in hohem Grade
gemütsrohen Fürsten Iwan. Die seltene Gabe des
inneren Gefühls, das sie immer so sicher leitete, war
schon damals hinreichend in ihrer schönen Seele ent-
wickelt, um ihr deutlich zu zeigen, dass sie in dieser
Ehe grenzenlos unglücklich werden würde. Nicht lange
nachdem die Fürstin dem achtzehnjährigen Mädchen
ihren Herzenswunsch, auf den sie schon häufig an-
gespielt, deutlicher zu verstehen gegeben hatte, er-
krankte sie gefährlich. Während der langen Daner
ihres leidenden Zustandes pflegte sie meine gute Tante
mit grösster Sorge, Liebe und Aufopferung. Bei be-
ginnender Genesung drückte ihr nun die gütige Patientin,
wie sie es übrigens schon öfter gethan, ihre zärtliche
Dankbarkeit für die bewiesene Liebe aus, nannte sie
ihre teure Tochter und äusserte den Wunsch, ihr
irgend eine Freude machen zu können. Da kniete
Am61ie vor ihrem Bette hin, küsste ihre Hand, die sie
mit Thränen benetzte und sagte: „Wenn sie mir eine
Freude machen wollen, so sei es dadurch, dass Sie
mein Herz von der schweren Last befreien, die der
Gedanke ihm auferlegt, die Lebensgefährtin Ihres
Sohnes werden zu müssen. Wir lieben uns nicht, und
ich habe das bestimmte Vorgefühl, durch diese Ver-
— 62 —
bindung unglücklich zu werden!'' So schwer es der
Fbrstin auch fiel, gewährte sie die gerechte Bitte
dennoch; und fortan war nie mehr von diesem ihrem
Lieblingsplane die £ede. Sonderbar, dass zweiund-
zwanzig Jahre später Tante Am61ie mit ruhigem Herzen
demselben Fürsten Iwan Bariatinsky ihre schöne,
liebenswürdige Tochter Mimi (Wilhelmine) geben
konnte. Jener war nämlich nach einer stürmischen
Jugend während ein und einem halben Jahre der be-
glückende Ehemann einer tugendhaften Frau gewesen.
Als Witwer dachte er nun kurz nach dem Tode seiner
Mutter deren Wunsch hinsichtlich dieses jungen
Mädchens zu erfüllen. Mimi wurde sehr glücklich
in dieser Ehe, und öfter schrieb Bariatinsky seiner
Schwiegermama liebenswürdige Briefe, worin er sich
bisweilen unterzeichnete: „Le fl6au de votre jeunesse
et la consolation de vos vieux jours.''
Nach dieser Abschweifung muss ich auf unseren
Aufenthalt in Altena zurückkommen, wo uns die gute,
freundliche Fürstin ein für allemal abends zum Thee
einlud, was jedoch nicht füi* täglich vom Baron an-
genommen wurde. An den andern Tagen machten
wir meist grössere Spaziergänge, nach welchen wir
früh zu Bette gingen, um des Morgens zeitig auf-
stehen zu können. Als die drei Wochen um waren,
die für den Aufenthalt in Altena bestimmt gewesen,
rüsteten wir uns zur Abreise nach Braunschweig. Herr
von Struve, der bis dahin in Hamburg verweilt, und
nur auf Stunden mehrere Male in der Woche, der
- 64 -
Geschäfte wegen^ zum Baron gekommen war, gesellte
sich nun zu uns.
Nachdem wir von der lieben, gütigen Fürstin
Bariatinsky Abschied genommen , schifften wir uns
zwischen Altena und Hamburg ein, um über Harburg
nach Braunschweig zu reisen. Obwohl ich Wasser-
fahrten sehr liebte, schien diese mir sehr lang, und
wir hatten noch überdies einen mehrstündigen Auf-
enthalt bei der grossen Schleuse, nahe von Harburg,
woselbst wir daher erst gegen Abend anlangten.
Wir Kinder beobachteten mit grosser Aufmerk-
samkeit vom Fenster unsres Gasthofes aus, wie unsre
Wagen und Gepäckstücke mittelst eines Krahnes aus
dem Schiffe und an das Ufer gehoben wurden. Tags
darauf erreichten wir glücklich unser Reiseziel und
stiegen zuerst im „Blauen Engel" ab, von wo aus
es Grimms erste Sorge war, mit Hilfe des Barons
F6ronce eine passende Wohnung zu finden.
In Braunschweig hielt sich damals unser Gross-
vater , Vicomte de Belsunce, auf , sowie unsre
Tante mit ihren Kindern Carl und N i c a , die später
Henri und M i n e 1 1 e genannt wurden. Wir wurden
von ihnen sehr freundlich aufgenommen, später aber
entstand eine Spannung zwischen dem Baron und
meiner Tante, die, wie ich nachträglich erfuhr, schon
auf früheren Ereignissen fusste ; sie wurde noch da-
durch genährt, dass sich meine Tante, als nächste
weibliche Verwandte, gern in die Leitung unsrer Er-
ziehung gemischt hätte, und der Baron seine Gründe
— 65 -^
hatte, dies nicht zugeben zu wollen. Unser Ver-
hältnis zu ihr gestaltete sich trotzdem noch ganz leid-
lich, ja, wir wurden sogar zwei Mal die Woche zu ihr
geführt, um einige Stunden mit ihren Kindern zu
spielen. Sie kam selten zu uns, und der Baron machte
in Braunschweig überhaupt keine Besuche. Er ver-
liess das Haus nur, um seinen Freund Baron F6ronce
aufzusuchen, oder um sich in der nächsten Umgebung
der Stadt zu ergehen, was für seine Gesundheit förder-
lich war. Den guten Grossvater, der sich nicht um
die verschiedenen Ansichten kümmerte und sich da-
bei vollkommen neutral verhielt, besuchten wir öfter
in seiner kleinen, ärmlichen Behausung. Der vordem
reiche Mann, war nun auf die Handreichung der
Kaiserin von Russland angewiesen, indem er die wenigen
Einkünfte, die ihm nach dem allgemeinen Umsturz in
Frankreich geblieben , grösstenteils seiner in der
Heimat weilenden Gattin überliess. Er suchte uns
mehrmals in der Woche auf, zu solchen Stunden, in
denen er uns frei von Unterricht wusste. Da setzte
er sich in unser Zimmer und erzählte von der Ver-
gangenheit und seinen mannigfachen Erlebnissen, er
sprach auch viel von unsrer Grossmutter, die er als
ein Vorbild aller Tugenden pries und mit der wieder
vereinigt zu werden er sich so sehr sehnte. Damals
stand diesem Wunsche , der Proskription der Emi-
granten halber, vieles im Wege, denn ebensowenig,
wie er nach Frankreich zurück konnte, durfte sie
das Land verlassen, ohne Gefahr zu laufen, allso-
Cari Oraf Ob*rndorff, Krinneninfea «Ibm 1Trgroumakt«r. 5
-Be-
gleich auch noch das Wenige , das sie gerettet
hatten y zu verlieren. Sonntags speiste er meistens
beim Baron. Mein Grossvater, der zwar einen liebens-
würdigen, sanften und nachgiebigen Charakter, doch
keineswegs besondere Geistesgaben besass, hatte im
amerikanischen Feldzng gedient, den Frankreich kurz
vor der Revolution gegen England führte, und dabei
eine so schwere Kopfwunde erhalten, dass er trepaniert
werden musste und seitdem zeitweilig an überaus hef-
tigen Kopfschmerzen litt.
Nachdem es dem Baron gelungen war, eine sehr
geräumige und angenehme Wohnung zu finden, Hessen
wir uns denn in Braunschweig häuslich nieder, wo wir
nach Gottes Fügung einen zweijährigen Aufenthalt
nehmen sollten, vom Sommer 1798 bis zum Juni 1800.
In diesen Jahren geschah viel für meine Ausbildung,
aber, obgleich ich damals in einem Alter stand, in dem
sich bereits der Sinn für allerlei Kenntnisse entwickelt,
so fühlte ich doch instinktiv, dass dieser Aufwand von
Instruktion zwei Jahre später mir von weit grösserem
Nutzen gewesen wäre.
Der gute Baron liess es sich in seiner fürsorglichen
Weise angelegen sein, uns mit den besten Lehrkräften
zu versehen. Dnsre Tageseinteilung wurde dahin fest-
gesetzt, dass die Vormittagsstunden nur mit kurzen
Unterbrechungen dem Lernen gewidmet waren, während
wir des Nachmittags ziemlich viel freie Zeit hatten,
die wir teils im Freien und teils im Salon zu-
brachten.
— 67 —
Meine Lehrer waren: Herr Kandidat Kirch-
hof, der Geographie, Natur- und Weltgeschichte vor-
trug, auch die Übungen in der deutschen Sprache
leitete und seinen Unterricht zwar gewissenhaft und
p&nktlich absolvierte, aber leider demselben weder durch
Genialität noch Feuereifer Leben und Reiz zu verleihen
verstand; ferner Herr Harley, ein französischer Emi-
grant, der früher Professor an der Universität in Douai
gewesen. Er hatte ein ehrwürdiges Ansehen, schlicht
und bescheiden, eine hohe, breitschulterige Gestalt,
hellblaue Augen mit sanftem, nachdenklichem Blick und
trug sein weisses Haar sorgfältig gescheitelt. Er lehrte
Arithmetik, Geometrie, sowie die Grundprinzipien der
Trigonometrie. Zwei Stunden wöchentlich waren den
verschiedenen planetarischen Systemen gewidmet und
zwei der Physik. Meisterhaft seine Lehrgegenstände
beherrschend, war er unermüdlich in dem Bestreben,
sie fasslich zu gestalten. Wie bereue ich es, damals
die volle Wohlthat seines Unterrichtes nicht genug er-
kannt und gewürdigt zu haben. Besonders im Alter
von sechzehn und siebzehn Jahren bildete es meinen
sehnlichsten Wunsch, noch einmal alles mit ihm durch-
nehmen zu können, was mich andere, im Vergleiche zu
Harleys Gründlichkeit und Klarheit, nur mangelhaft
zu lehren vermochten.
Viermal die Woche kam unser genialer Zeichen-
lehrer, Herr Bilderdijk*), genannt Tristerband,
*) „Willem Bilderdijk, berühmter holländischer Dichter,
geboren 1756 zu Amsterdam als Sohn eines Arztes , studierte in
5*
— 68 —
ein aus Holland emigrierter berühmter Gelehrter. Sein
eigentliches Lehrfach waren orientalische und alte
Sprachen y daneben befasste er sich aber auch mit
Zeichenunterricht, wohl nur, um sich dabei von den
Leyden 1780—1782 die Rechte nnd prakticierte dann im Haag als
Advokat. Ais eifriger Orangist verliess er 1795 beim Einrücken
der Franzosen sein Vaterland nnd lebte längere Zeit in England
nnd dann in Braonschweig. Nach dem Regierungsantritte Lonis
Napoleons kehrte er 1805 nach Holland zurück, wo er znm Biblio-
thekar des Königs und bald darauf auch zum Sekretär des hollän-
dischen Nationalinstitutes ernannt wurde Nach Louis Abdankung
zog er sich nach Leyden zurück, lebte seit 1827 in Haarlem und
starb am 31. Dezember 1831 daselbst, nachdem er durch die Restan-
ration seine Pension eingebüsst hatte. Als Dichter hat Bilderd|jk
eine erstaunliche Fruchtbarkeit entvd ekelt und sich auf allen Ge-
bieten der Poesie versucht. Er bekundet sich in seinen zahlreichen
Produktionen als einen gedanken- und phantasiereichen, vielseitig
gebildeten und eigenartigen Dichter, der sich zugleich durch eine
seltene Meisterschaft in Handhabung der Form auszeichnet. Sein
eigenstes Gebiet ist die Lyrik, während ihm für das Epos, noch
mehr für das Drama die Begabung abgebt. Störend tritt seine
antiliberale Gesinnung und sein zähes Festhalten an der altfrau-
zösischen Kunstform hervor, was ihn für die Eindrücke der eng-
lischen und deutschen Litteratur, die er förmlich hasste, unzu-
gänglich machte. Auch sein grosses Geschichtswerk „Geschiedenis
des vaderlands" (herausgegeben von Tydeman, Amsterdam 1832
bis 1853, dreizehn Bände) ist in absolutistischem Geiste gehalten.
Als Sprachforscher, obwohl auch hier einseitig and phantastisch,
gab er den Anstoss zu einem gründlicheren Studium gegenüber
der traditionellen Richtung Seegenbecks. Besonders sind auf diesem
Gebiete die „Beginsels der woordvoorsching'* (1831) hervorzuheben.
Eine Gesamtansgabe seiner „Dichtwerken*' mit Bilderdgks Bio-
graphie im Schlussbande („De mensch en de Dichter Bilderdijk^')
besorgte Da Costa (Amsterdam 1856—1859, sechzehn Teile)."
— (Entnommen aus Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl.,
2. Band, S. 933). — Der Herausgeber.
— 69 —
Anstrengangen seines Geistes auszurubeu, sowie auch
wahrscheinlich, um die Anzahl der Lehrgegenstände,
die er in Privatstunden zu seinem und seiner Tochter
Unterhalt vortrug, zu vermehren. Willem Bilderdijk
hatte ein sehr negligiertes Äussere : nach vorwärts ge
beugt einherschreitend , wozu ihm wohl seine Kurz-
sichtigkeit Anlass gab, blinzelte er mit seinen hell-
grauen, durch dunkle Wimpern beschatteten Augen, über
welche sich dicke, schwarze Brauen zogen. Häufig trug
er Brillen. Sein dichtes, schwarzes Haar, vom Wirbel
aus rings heruntergekämmt, schien mit einem einzigen
Scherenstrich auf der Stirne abgeschnitten und war
stets stark gepudert, wovon sein Rockkragen immer
wie mit Mehl bestreut aussah. Er ging meist in einem
grünen Fracke umher; nur für Besuche, oder Dinerein-
ladungen Folge leistend, kleidete er sich schwarz.
Dieser merkwürdige Mann besass eine tiefe Gelehrsam-
keit beinahe in sämtlichen Fächern der Wissenschaft,
besonders aber in allen Sprachen der Welt, über deren
Ursprung er viel gegrübelt und geforscht. Nach lang-
jähriger Beschäftigung mit diesem Gedanken hatte er
ein Werk über eine Universalsprache herausgegeben,
das, wiewohl nicht ohne Verdienst und Interesse, den-
noch recht excentrisch und unbrauchbar war. Einen
sehr hohen Wert legte er der holländischen Sprache
bei, und hielt es fast für eine Beleidigung, wenn man
sie als eine Abart der deutschen betrachtete. Unter
dem Fürsten von Oranien, dem Statthalter der ver-
einigten Niederlande, die damals noch kein König-
— 70 —
reich bildeten, hatte Bilderdijk den hohen Posten eines
General -Advokaten eingenommen. In Erinnerung da-
ran versäumte er nie, der Erbprinzessin von Braun-
schweig, einer Tochter des Statthalters, an den für
die Niederlande wichtigen Erinnerungstagen seine Auf-
wartung zu machen. Als er einmal direct von ihr zu
meiner Unterrichtsstunde kam, zeigte er eine orange-
farbene Bandschleife, die er unter der Weste auf seinem
Herzen trug. Seine Liebe zum Vaterlande war so voll
Feuer und Enthusiasmus, dass man seine Schwermut
mehr dem im Untergang begriffenen Wohl desselben
zuschrieb, als der Sehnsucht nach den Seinen, die er
bei seiner notwendig gewordenen Auswanderung in der
Heimat zurücklassen musste. Eine einzige etwa acht-
zehnjährige Tochter hatte er zu seinem Tröste mit-
genommen ; sie wäre wohl häufiger zu uns geladen
worden, wenn sie nicht fast ausschliesslich auf die
Kenntnis der holländischen Sprache beschränkt gewesen
wäre und sich nur ganz notdürftig auf deutsch hätte
verständlich machen können. Den Vater lud der Baron
mehrere Male zu Tisch ein und genoss gern dessen
anregenden Umgang. Beim Unterricht, den Bilderdijk
uns im Zeichnen nach den Grundsätzen der antiken
Kunst auf wahrhaft geniale Art erteilte, gewann er
mich bald so lieb, dass er sich mit mir öfter in ernstere
Gespräche einliess, die gewiss, mehr als ich ahnte,
günstig auf mein Seelenleben wirkten. Er war ein sehr
gläubiger Protestant, sprach aber nie über religiöse
Gei^enstände mit mir. Nur einmal erinnere ich mich,
— 71 —
wie er, als ich etwas geäussert, das er (doch gewiss
imbegründeter Weise) für nicht mit dem lebendigen
Glanben vereinbar hielt, auf einmal mit gehobener
Stimme und mit fast prophetischem Ansehen mir zu-
rief: „Und ich sage Euch, spricht der Herr Jesus
Christus, wer nur Glauben hat wie ein Senfkörnlein,
der wird Berge versetzen." Er sagte das in fran-
zösischer Sprache, die wir gegenseitig immer ge-
brauchten.
Von unserem Unterricht in Klavier und Tanz habe
ich nicht viel zu sagen. Letzteren erhielten wir
wieder von einem emigrierten Edelmann, dem Chevalier
Duplessis. Der Klavierlehrer aber war nur mittel-
mässig. Er klagte wohl mit Recht, dass wir ausser
den Lectionen zu wenig musizierten, doch blieb unsre
Zeit durch andere Zweige des Unterrichts zu sehr in
Anspruch genommen, so dass wir uns damit nicht mehr
befassen konnten. Erst später betrieben wir das
Elavierspiel ernster. Italienisch lehrte uns Herr
SöUner, der Sekretär des Barons Grimm, und Bo-
tanik wurde unter Anleitung des Herrn von Struve
studiert.
IV, Kapitel.
Braunschweiger Bekanntschaften.
Gleich in den ersten Tagen nach unserer Ankunft
in Braunschweig hatte uns der Baron zum Minister
von F6ronce und dessen Frau geführt, um uns ihnen
vorzustellen, so wie wir auch vor dem Herzog zu er-
scheinen hatten, als er Herrn von Grimm seinen ersten
Besuch abstattete. Dieser, ein schöner, stattlicher
Mann von fürstlichem Ansehen, war dem Baron sehr
gewogen und, wahrscheinlich deshalb, umso freundlicher
mit uns. Auch jedesmal, wenn wir ihn im herzoglichen
Garten, welcher dem Publikum geöffnet war, trafen,
begegnete er uns huldvollst. Dort sahen wir desgleichen
mehrmals seine Mutter, der uns der Baron vorstellte.
Ich entsinne mich noch ganz deutlich, wie sie beim Ein-
gangsthor stehen blieb, um den Baron anzureden, nach-
dem sie ihre Umgebung gefragt, wer er sei. Auf eine
Erkundigung nach seiner Gesundheit folgte die Frage,
ob wir seine Kinder seien. Dann weiss ich noch, dass
sie uns scharf ins Auge fasste, entsinne mich aber nicht
mehr, ob sie uns anredete. Diese Fürstin, eine Schwester
Friedrichs des Grossen und damals schon über achtzig
— 73 —
Jahre zählend, schritt noch für ihr Alter sehr rüstig ein-
her. Ihre Ähnlichkeit mit dem königlichen Bruder war,
nach dessen Bildnissen zu urteilen, sehr auffallend,
wenngleich die Haut ihres Gesichtes nun einem bräunlich
gefleckten Pergament glich. Sie trug sich noch ganz
nach altem Schnitte, besonders fiel uns ihr Kopfputz
auf, eine Haube mit zwei kleinen erhobenen Flügeln, die
auf einem steifen bepuderten Toupet ruhte. Man sagte,
dass sie eine geistreiche Frau gewesen, nun aber oft
verwirrte Ideen hätte, mit einem Wort, verkindet sei.
Da ich diese merkwürdige Frau in einem Alter sah,
das mir gestattete, ein klares Bild von ihr, welches auch
heute noch nicht verblasst ist, in meiner Seele zu be-
wahren, so ist mir dadurch die seltene Erfahrung zuteil
geworden, von ihr ab gerechnet bis zum Grafen von
Paris , Ludwig Philipp Albert, sechs Gene-
rationen erlebt zu haben. Ich kannte später ihre Tochter,
die verwitwete Herzogin A m a 1 i e von Weimar, deren
Sohn Herzog Karl Aug^ust, den Vater der Prin-
zessin Karoline, vermählten Erbgrossherzogin von
Mecklenburg-Schwerin, und ich wurde berufen teilzu-
nehmen an der Erziehung von deren Tochter, Prinzessin
Helene, nachmaliger Herzogin von Orleans, der Mutter
des Grafen von Paris, der jetzt, wo ich dies nieder-
schreibe, ein Jahr alt ist.*)
*) Die Verfasserin starb za Manchen am 17. Februar 1872,
erlebte daher auch noch die siebente Generation dieser Familie
in den Kindern des Grafen von Paris und dessen Bruders, des
Herzogs Robert von Ghartres. Ersterer verm&hlt am 30. Mai 1864
— 74 —
Bei unsern häufigen Spaziergängen im herzoglichen
Garten sahen wir auch die übrigen Mitglieder der
regierenden Familie wie lebende Bilder erscheinen, die
man gemächlich betrachten konnte. Die Gemahlin des
Herzogs und Schwester des Königs Georg III. von
England, eine dicke, schwerfallige Frau von unge-
fähr sechzig Jahren mit zartem, blühendem Teint und
ausgesprochen englischem Typus, redete auch oftmals
den Baron an, uns dabei einige freundliche Blicke
schenkend. Ihre Schwiegertochter, eine geborene Prin-
zessin von Oranien, war nichts weniger als schön,
doch gaben ihr Leutseligkeit und anmutige Haltung
etwas höchst Anziehendes. Ich hörte sie schon damals
und in der Folge noch mehr, als eine verdienstvolle
Frau rühmen. Das Los dieser Prinzessin war ein sehr
trauriges. Der Erbprinz, ihr Gemahl, zeigte schon
damals deutliche Spuren von Schwachsinn und die
Kinderlosigkeit ihrer Ehe empfand sie schmerzlich.
Durch das Zusammentreffen dieser Umstände glaubte
der Herzog seinem Lande schuldig zu sein, nicht ihm,
sondern seinem jüngsten Bruder Wilhelm die Erb-
folge zu sichern. Grosse Vorwürfe muss sich übrigens
der Herzog gemacht haben, als das gleiche Unglück
nicht nur seinen ältesten Sohn, sondern auch noch
die beiden nächstfolgenden, die Prinzen Georg und
August, traf, und sich herausstellte, dass ein ver-
kehrtes Erziehungssystem ihre geistigen Fähigkeiten
mit Isabella Prinzessin von Montpensier, Letzterer am 11. Juni 1863
mit Franziska Prin^sessia von Joinvillß. Per Herausgeber.
— 75 —
zerstört habe. Die entschiedene Vorliebe und das Ver-
trauen, welches der Herzog in die Ansichten der fran-
zösischen Philosophen damaliger Zeit , wie von Vol-
taire, Diderot, J. J. Rousseau etc. setzte, ver-
leiteten ihn wohl zu dem unseligen Beginnen, die Er-
ziehungstheorieen dieses Letzteren auf seine Söhne an-
zuwenden. So Hess er sie schon im zartesten Eindes-
alter in eisig kaltes Wasser tauchen , sie femer stets,
Kopf und Füsse unbedeckt , im Freien verweilen und
dergleichen spartanische Abhärtungskttnste mehr mit
ihnen vornehmen, und siehe, beim ältesten Prinzen
zeigten sich bald die üblen Folgen dieser übertriebenen
Behandlung, doch gab man derselben noch keineswegs
die Schuld am Unglück, weil das Kind sonst stark und
kräftig gedieh; als sich aber auch beim zweiten und
endlich beim dritten Prinzen dasselbe Übel einstellte,
begann man dann doch den schweren Missgriff einzu-
sehen. Für die drei älteren Prinzen war es aber bereits
zu spät, ihr Gehirn hatte schon zu stark unter diesen
Gewaltmitteln gelitten, jedoch dem vierten kam diese
Erkenntnis zu Gute, er wurde der bekannte Kriegsheld
Herzog Wilhelm und Vater der jetzt lebenden Her-
zöge Carl und Wilhelm. Man erzog ihn dem
Himmelsstrich, unter dem er geboren, und vielleicht
auch dem Stamme, dem er entsprossen, gemäss, und
er blieb seines Geistes mächtig; jedoch war dieser
vehement und von roher ünbiegsamkeit, worunter seine
Umgebung viel zu leiden hatte. Er soll seine überaus
liebliche Gemahlin, eine geborne Prinzessin von Baden,
— 76 —
höchst unglücklich gemacht, ja, i9?enn die Rede wahr
ist, sogar geschlagen haben. Diese Ehe währte nur
drei Jahre.
Die erste Zeit unseres Aufenthaltes in Brann-
schweig verlebten wir meist in stiller Zurückgezogen-
heit, was, der Studien wegen, meinem Geschmacke
entsprach. Nach und nach aber fanden sich immer
mehr, zum Teil sehr interessante Menschen ein, die
den Baron besuchten, und da dies meist Nachmittags
geschah, wo wir in seiner Umgebung weilten, wurden
auch wir durch aufmerksames Anhören ihrer Gespräche
mit ihnen bekannt. Hofrat Zimmermann, ein
hervorragender Gelehrter von freundlichem Umgang,
kam häufig, so wie auch Abb6 Delisle,*) der
berühmte Sänger der „Dithyramben auf die Un-
sterblichkeit der Seele", die selbst den blutgierigen
Wohlfabrtsausschuss der Revolutionszeit zu erschüttern
vermochten. Er hat äich auch als Übersetzer des
Virgil und Milton einen Namen gemacht. Sein
Äusseres war auffallend hässlich, ausser sehr groben,
unregelmässigen Zügen hatte er rotunterlaufene, vor-
quellende Augen, denen man ansah, dass sie fast
blind waren. Er durfte es auch kaum wagen, ohne
Führer durch die Strassen zu gehen. Seinen kahlen
Scheitel umrahmte nur spärliches, weisses Haar. Doch
gemütliche Liebenswürdigkeit, lebhafte Einbildungs-
*) Jacqaes Delisie, der berühmteste unter den französischen
Lehrdichtern des vorigen Jahrhunderts, geboren 1738, nannte sich
seit der Revolution Montanier - Delilie. Seine Übersetzung von
— 77 —
kraft und fesselnde Unterhaltungsgabe Hessen dies
alles vergessen. Er war voll Offenheit, Heiterkeit,
teilnehmend, leutselig und lachte oft selbst über seine
Eigenheiten, die sein Freund, der geistreiche Doktor
Valentin, um ihn zu necken, oft dem Baron in
unsrer Gegenwart verriet. Des schwachen Gesichtes
wegen, konnte Abbfe Delisle seine Gedichte nicht selbst
aufschreiben, sondern musste sie dictieren, dies ward
insofern zum Vorteil, als er sie, im Gegensatze zu den
meisten Poeten, alle auswendig wusste, was seinen
Freunden den Genuss verschaffte, schöne Stellen daraus,
auf die vortrefflichste Weise von ihm vortragen zu
hören. Er that es jedoch nie in grössern Kreisen,
und auch in kleinen war er stets besorgt, ob nicht
Virgils „Georgica", die 1770 erschien, erregte grosses Aafsehen
and der daza gehörige ,,Discours preliminaire", sowie zahlreiche
Glossen sicherten ihm eine ehrenvolle Steile unter den französischen
Prosaikern. Knrz darauf nach Paris berufen, erhielt er die Professur
am College de la France. Auf die „Georgica^* folgte sein Lehr-
gedicht in vier Gesängen „Les jardins, ou Part d'embellir les pay-
sages" (Paris 1782), das zu den besten dieser Art gerechnet werden
kann.
Obwohl Anhänger der alten Ordnung der Dinge, wurde er
dennoch seiner Berühmtheit und Vortrefflichkeit halber selbst von
den Blutmännern geehrt und von Robespierre, der ihn bei jeder
Gelegenheit schonte, beauftragt, Hymnen zu schreiben, die bei öffent-
lichen Feiern gesungen werden sollten. So entstanden die in vier-
unddreissig Stunden niedergeschriebenen Dithyrambes sur l'immor-
talit^ de l'äme. Von ihm erschienen ferner „Aeneide", Übersetzung
des Virgil 1803), Miltons „Paradis pordu" (London 1805), „La
piti^" (London und Paris 1805) u. s. w. Er starb allgemein be-
trauert am 1. Mai 1813. Der Herausgeber.
- ?8 -
etwa ein verborgener Stenograph seine Dichtungen
nachschreiben könnte; Doktor Valentin erlaubte sich
manchmal den Spass, ihm weis zu machen, er hätte
einen Nachschreiber hinter dem Vorhänge bemerkt,
was seinen Freund im ersten Augenblick beunruhigte,
bis er den Scherz entdeckte. Diese Furcht war
übrigens begründet, denn seit der Revolution musste
er ausschliesslich von seinem Dichtertalent leben, der
Nach- oder Vordruck seiner Werke wäre ihm daher
sehr empfindlich gewesen. Abb6 Delisle war trotz
seines Titels kein Priester; zu seiner Pflege und zur
Führung des bescheidenen Haushaltes hatte er seine
Nichte, Fräulein Vautechamp, bei sich, die er
damals heiratete. Diese besass eine schöne Sing-
stimme, die sie in kleinen Konzerten hören liess, und
soll eine geistreiche Person gewesen sein; sie gehörte
nicht zu unserem Kreise. Ihre Erziehung muss nicht
die feinste gewesen sein , denn sie hatte recht
ungebärdige Zomesausbrüche , die ihr Onkel und
nachmaliger Gatte durch grosse Sanftmut und Ge-
lassenheit zu regulieren trachtete. So erzählte uns
zum Beispiel Doktor Valentin, dass sich Fräulein
Vautechamp einmal wegen einer Kleinigkeit, in welcher
ihr Onkel nicht ihrer Ansicht war, so erzürnte, dass
sie ihm ein Buch in Quartband, das vor ihr lag, vor
die Füsse warf, wobei sie ihn empfindlich traf. Der
gute Mann entgegnete ganz ruhig: „Une autre fois,
mettez, je vous prie, votre colfere en plus petit
format!"
- 79 -
Eine gleichfalls sehr begabte Frau, die uns häufig,
zuletzt sogar täglich besuchte, war die Marquise de La-
rianderie; ihre Tochter Alexandrine, ganz in
meinem Alter, wurde unsre fast beständige Gesell-
schafterin, sie kam regelmässig zu den Arbeitsstunden,
die uns Fräulein Marchais erteilte, und nahm später
auch zugleich mit mir am Unterricht zur Vorbereitung
auf die erste heilige Kommunion teil, den wir von dem
geistvollen Abb6 Du voisin, nachmaligem Bischof von
Nantes, erhielten. Die Marquise de Larianderie war
eine noch sehr hübsche Frau von sechsunddreissig bis
achtunddreissig Jahren und lebte in sehr einträchtiger
Ehe mit ihrem Gatten, dem sie bei jeder Gelegenheit
ihre grosse Achtung bezeugte. In den Eriegszeiten
war derselbe während der Revolution emigriert, um
dem neugebildeten Cond6schen Korps beizutreten, wäh-
rend seine Frau mit den beiden Kindern in Frankreich
blieb. Als sich dann aber die Verhältnisse etwas
weniger stürmisch gestalteten, wusste sie sich mit den
nötigen Pässen zu versehen, um mit ihrer Tochter dem
Marquis nach Braunschweig nachzukommen. Doch reiste
sie alljährlich für einige Monate nach Paris, wo ihr
eigentliches Domizil war, und besuchte ihren in einer
dortigen Pension untergebrachten Sohn. Bei ihrer BAck-
kehr]^brachte sie uns einige niedliche Kleinigkeiten mit,
die uns umsomehr erfreuten, als sie aus der Heimat
kamen, mit welcher wir damals in keinerlei directer
Verbindung standen. Allen Neuigkeiten aus Frankreich,
die sie in lebendiger Konversation vorzubringen wusste,
— 80 —
lauschten wir mit gespanntem Interesse. Wenn sie es
nur irgendwie konnte, entsprach sie unseren Wünschen;
kaum hatten wir, um ein Beispiel anzugeben, geäussert,
dass wir gerne lernen würden, bunte Seidenstickereien
zu machen, so war sie sogleich bereit, auf ihrem eigenen
Stickrahmen den dazu geeigneten Stoff aufzuspannen
und uns den Unterricht in dieser Art von Handarbeit
zu erteilen.
Uns gegenüber wohnte der alte Graf Egmont,
von dessen zweiter Gattin, einem anspruchslosen Wesen,
das sich durch Herzensgüte beliebt zu machen wusste,
es hiess, dass sie Kammerfrau seiner ersten Gemahlin
gewesen. Diesem vornehmen und reich begüterten
Manne , der von jeher gewohnt gewesen , einen Kreis
von Freunden um sich zu sehen, war es gelungen, auch
in Braunschweig einen solchen zu bilden; wenn auch
nur in der kleinen Zahl von 5 bis G Personen, welche
sich täglich bei ihm einfanden. Ich erinnere mich
Herrn von Verrac und Doktor Valentin zur bestimmten
Stunde zu ihm wandern gesehen zu haben. Den Grafen
Egmont verband eine intime Freundschaft mit Marquis
und Marquise de Larianderie, welche jeden Tag bei ihm
zu Mittag speisen mussten; nach der Tafel kam die
Marquise meistens ein wenig zu uns herüber, ihr Gatte
nur zuweilen, da er die Gewohnheit angenommen hatte,
sich durch die Besorgung eines ausserhalb der Stadt
gepachteten Gartens angenehme Bewegung und Be-
schäftigung zu verschaffen. Für uns bildete ^ dieser
ein beliebtes Ziel unsrer Spaziergänge. Der Marquis
- dl --
de Larianderie war ein schlichter, frommer Mann,
der, gleich der wahrhaft gottseligen Erzieherin seiner
Tochter Alexandrine, in dieser einen regen religiösen
Eifer weckte. Da ich mich znr Frömmigkeit hinge-
zogen fBhlte nnd mit Alexandrine znr ersten heiligen
Eommnnion vorbereitet wurde, wirkte diese Geistes-
richtnng anch merklich anf mich ein, und ich gedenke
noch gern unserer kindlichen Unterredungen über aller-
lei religiöse Gegenstände, worin Alexandrine immer
meine Lehrerin blieb.
Indessen wurde ich aach durch sie auf die mangel-
hafte Orthodoxie der guten Antoinette Marchais auf-
merksam gemacht, ich musste ihr Recht geben, begreife
aber nicht, dass dies mir so wenig anstössig schien,
als es der Fall war. Wenn ich dann hie und da Antoi-
nette leise Vorwürfe hierüber machte, wusste sie mich
immer abzulenken, und unser freundschaftlich vertrautes
Verhältnis blieb ungetrübt, auch ihre Liebe für Alexan-
drine litt nicht darunter. Mit grossem Geschick wusste
Fräulein Marchais ihren Glaubensmangel vor uns zu
verbergen, ja, sie munterte mich möglichst zur Andacht
während der Zeit meiner ersten heiligen Kommunion
auf, gab uns auch bisweilen Erlebnisse aus ihrer
zum Teil in einem Kloster zugebrachten Kindheit zum
besten , wovon mir eines zu hübsch erscheint , als
dass ich es hier nicht einschalten sollte. Antoinette
erzahlte:
„Unter den Klosterfrauen, die die Aufsicht über
die Zöglinge hatten, will ich zweier Erwähnung thun,
Carl Or»f Ob^radorff, Eriii]i*nmg«B .»iaM UrgroMmatUr. 6
— 82 —
wovon die eine, M6re Salignac, mir nicht freundlich
gesinnt und sehr streng, während die andre, mit Namen
Marie Josepha, meine gütige Beschützerin war und
sich oft meiner erbarmte, wenn ich von ersterer allzusehr
in die Enge getrieben wurde. Ich hatte sie daher auch
herzlich lieb. Eines Tages erhielt ich von Märe Salignac
die Aufgabe, eine mühsame Weissstickerei zu vollenden ;
so eifrig ich auch daran arbeitete, war es mir unmög-
lich, in der gegebenen Zeit damit fertig zu werden,
ich hätte denn einen grossen Teil der Freistunde noch
darauf verwenden müssen. Einesteils schreckte mich
zwar die angedrohte Strafe der Märe Salignac, andem-
teils aber war ich des Sitzens und der Stickerei über-
drüssig und sehnte mich nach Bewegung und Erholung.
Was thun? — Eine Weile stickte ich noch weiter, dann fiel
mir ein, da ich mich gerade allein vor einem Madonnen-
bild befand, diese zu bitten, die Arbeit für mich zu
vollenden. Gedacht, gethan ! Mit einem innigen Gebet
legte ich meine kleinen Stickereistreifen der Mutter
Gottes zu Füssen und versprach, falls sie meine Bitte
erfüllen sollte, ihr zu Ehren eine gewisse Anzahl Vater-
unser und Avemaria zu beten. Froh erhob ich mich
und lief in den Saal, mit den andern Kindern nach
Herzenslust zu spielen. Denselben Tag kamen wir
nicht mehr in das Arbeitszimmer zurück, aber des
andern Morgens eilte ich, so früh ich konnte, zum
heiligen Bilde und war entzückt^ meine Arbeit wirklich
beendet zu finden. Von ganzem Herzen dankte ich
und erfüllte mit Freuden mein Gelübde. Später erfuhr
— 83 —
ich, dass eine andere Maria, nämlich die liebe Mntter
Maria Josepha, Hand an meine Arbeit gelegt nnd auf
diese Weise die Erhörung der vertrauensvollen kind-
lichen Bitte vermittelt hatte. '^
0, warum ging dieser guten, wirklich edeldenkenden
Seele die Gnade des heiligen Glaubens später verloren !
— Soviel ist gewiss, dass Antoinette in uns die Liebe
zu allem Guten und Hohen zu nähren trachtete; nichts
Unwahres oder Gemeines wurde um uns geduldet, und
wir wurden hingewiesen auf selbstaufopfemde Liebe,
Freigebigkeit, Wohlthätigkeit, Bescheidenheit, Massig-
keit und gewissenhafte Erfüllung der Pflicht. Es war
uns desgleichen nicht gestattet, vom Nächsten auch nur
das geringste Nachteilige zu sagen, was uns hinsicht-
lich der Lächerlichkeit derselben oft um so schwerer
wurde, als wir nicht einsahen, warum es so tadelhaft
sei, sich über, wie uns schien, ganz harmlose Dinge
auszulassen, die uns belustigten, ohne den guten Namen
des Betreffenden zu gefährden. Man gab uns dann den
Sinnspruch zu beherzigen : „Was du nicht willst, dass
man dir thu', das füg' auch keinem andren zu.^
Im ersten Sommer nahm uns der gute Baron Grimm
einmal mit sich nach Wolfenbüttel, wo im grossen, alten
herzoglichen Schlosse die ihm eng befreundete zahl-
reiche Familie des Marschalls von Castries wohnte,
und ausserdem auch der Erzbischof von Reims , Graf
Talleyrand, nebst seiner Schwägerin, der unglück-
lichen Mutter des abtrünnigen Bischofs von Autun,
spätem Fürsten von Benevent, sowie die ebenfalls
6*
— 84 —
zur Familie Talleyrand zählende Herzogin von Chalais
mit ihren Kindern. Die etwa einstandige Fahrt war
uns Schwestern schon eine Freude, und die freandliche
Aafiiahme durch so Viele, die wir schon in Gotha kennen
gelernt hatten, machte uns diesen Tag zu einem be-
sonders genussreichen. Mit einem grossen Teil der
französischen Kolonie, die sich entweder zu gleicher
Zeit mit uns in letztgenannter Stadt befand, oder sich
in Eisenach niedergelassen hatte und uns von dort aus
besuchte, trafen wir damals in Wolfenbüttel zusammen.
Ausserdem fanden wir am kleinen Sohn des Herzogs
von Castries, Namens Edmund, und an dem jugend-
lichen Fürsten von Chalais angenehme Spielgefährten,
mit denen wir im weitläufigen Schloss herumschwärmen
durften. Sie zeigten uns die grossartigen alten Ge-
mächer, mit Gobelins und Gemälden geschmückt, und
führten uns zur greisen Marschallin von Castries, die
ihre Zimmer nie mehr verliess, zur Gräfin Mailles,
ihrer Schwiegertochter und zur Herzogin von C a y 1 u s ,
ihrer Enkelin. Letztere war besonders freundlich, unter-
hielt sich längere Zeit mir mir und gab mir ein Sträuss-
chen von den vielen Rosen mit, die ihr schönes, heim-
liches Gemach zierten und durchdufteten. Unter den
zahlreichen Bildern, die ich nur flüchtig ansehen konnte,
ist mir eines im Vorzimmer der Marschallin in klarer
Erinnerung geblieben, welches ich genauer betrachten
konnte, während Fräulein Marchais sich mit deren
Kammerfrau, Mademoiselle Gharpentier, unterhielt.
Dieses Bild stellte die Frauen von Montespan und
— 85 —
von Maintenon dar^ welche, an einem Tisch sitzend,
gemeinsam ein grosses Blumengewinde banden. Ob es
schön gemalt, weiss ich nicht zn bestimmen, doch war
viel Leben darin, nnd fiel mir die Schönheit beider
Gesichter und das brillante Kolorit auf.
In diesem altertümlichen Schlosse wnrde mir im
folgenden Jahre dnrch den ehrwürdigen Erzbischof von
Reims, den ich schon von meinen ersten Eindeijahren
an zu verehren gelernt, das heilige Sakrament der
Firmung gespendet. Edmund von Castries und Eugen
von Chalais empfingen es zu gleicher Zeit in der
Kapelle, die der Erzbischof in einem der Säle hatte
einrichten lassen. Es wird mir kaum gelingen, ein
lebenswahres Bild des heiligenmässigen Erzbischofs,
Grafen Talleyrand, zu entwerfen, denn seine äussere
Erscheinung war eine von jenen seltenen, die als ein
treuer Spiegel des Innern den wohlthuendsten Eindruck
hervorrufen müssen. Er mochte damals ungefähr sechzig
Jahre zählen, der Ausdruck seines Antlitzes war über-
aus sanft und liebevoll, und die hohe Stirn und die
klaren, blauen Augen scheinen mir noch heute der
Sitz engelhafter Reinheit gewesen zu sein. Um seinen
Mund schwebte bei Begrüssung und Anrede ein sanftes
Lächeln, welches Wohlwollen und Nachsicht bekundete.
Die Züge schienen edel, wenngleich nicht regelmässig.
Das Oval länglich, die Nase unauffällig, die Kürze der
Oberlippe liess beim Lächeln und Reden sehr wohl-
erhaltene Zähne erblicken, sein reines, leicht gefärbtes
Kolorit harmonierte mit dem durch Kummer und Alter
— 86 —
gebleichten Haar. Die hohe Oestalt voll bescheidener
Wfirde trug das Gepräge dessen, was er war, des
apostolischen Kirchenffirsten and des herzoglichen Pairs
von Frankreich, welcher Sang damals nur wenigen
aus dem höchsten Adel zukam. Die Bewegungen und
Redeweise waren gleichfalls voll Sanftmut und Hoheit.
Trotzdem die Heiterkeit des inneren Friedens auf seinem
Antlitz ruhte, konnte man doch auch Sparen tiefen Leides
bemerken, wovon nicht das geringste wohl verursacht
sein mochte durch den Sieg des Bösen, welcher den
Sohn seines Bruders und dessen hochgeschätzter Ge-
mahlin, die als unglflckliche Witwe bei ihm Schutz ge-
funden, auf eine so greuelvolle Sündenbahn leitete. Ob-
gleich manche von den Mitgliedern der Emigranten-
kolonie von Wolfenbüttel , in der er verweilte , seine
hohen religiösen Prinzipien nicht teilten und den Geist,
der ihn belebte, nicht fassen konnten, liebten und ver-
ehrten ihn doch alle, und seine Milde und Nachsicht
wusste alle in Liebe zu ertragen.
Auf Wunsch meiner Mutter, mit welcher ich mich
um diese Zeit in sehr reger Korrespondenz befand,
hatte ich einige Wochen vor meiner Firmung die erste
heilige Kommunion empfangen am weissen Sonntag
des Jahres 1799, der auf den 31. März fiel. Baron
Grimm trug ernstlich Sorge, dass ich in geziemender
Weise darauf vorbereitet wurde. Zu diesem Zweck
ersuchte er den verdienst- und geistvollen Abb6 Du-
voisin, mir den gehörigen Unterricht zu erteilen.
Derselbe war auch ein ausgezeichneter theologischer
— 87 —
Schriftsteller, and wurde, wie ich glaube, schon gesagt
zu haben y späterhin Bischof von Nantes. Er nahm
diese Aufforderung gern an und kam einigemale in der
Woche, um mir den historischen Katechismus vorzulesen
und dergestalt zu erklären, dass höchst lebendige und
anregende Vorträge daraus wurden, welchen meine
Schwester sowie auch Alexandrine beiwohnten, und
zwar letztere ebenfalls zur Vorbereitung auf die erste
Kommunion.
um wieder auf unser tägliches Leben zurück-
zukommen, muss ich erwähnen, dass in unsrer Strasse
zwei Familien wohnten, deren Töchter wir häufig
von den Fenstern aus mit ihren Erzieherinnen vor-
über gehen sahen. Wir Kinder blickten ihnen neu-
gierig nach und erkundigten uns, wie sie hiessen.
Herr von Struve konnte die beste Auskunft geben, da
er mit dem ganzen geselligen Kreise der hohem Stände
von Braunschweig bereits bekannt geworden. Die
einen waren zwei Töchter des Geheimrates Freiherrn
von Braun und die andern die drei jüngsten der
acht Kinder (drei Söhne und fünf Mädchen) der Frau
von Herzeele, einer verwitweten Holländerin, deren
älteste Tochter bereits an einen Herrn von Bigot
verheiratet war. Diese zahlreiche Familie bewohnte
das schönste und ansehnlichste Haus der ganzen Strasse,
welches mir besonders wegen seines grossen, geräumigen
Balkons wohlgefiel. Herr von Struve berichtete eines
Tages, dass die Erzieherin der Fräulein von Braun
den Wunsch geäussert habe, ihre Zöglinge mit uns
— 88 —
Bekanntschaft machen zn sehen, so wie anch sie selbst
mit grosser Frende Fränlein Marchais kennen lernen
wfirde. Der Baron hatte nichts dawider, nnd so nahmen
wir denn fElr einen Abend die Einladung znm Thee
bei den Fräulein von Braun an. Später besachten
sie uns auch und wir machten öfter gemeinsame Spazier-
gänge, doch entspann sich eigentlich kein herzliches
Verhältnis zwischen uns, die Ältere war schon nahe
an fünfzehn Jahren, also nicht ganz unsre Alters-
genossin, und die J&ngere fanden wir allzu schweig-
sam und einsilbig. Durch diese Mädchen wurden wir
auch mit den drei Herzeeies bekannt, die uns mehr
zusagten. Diese sahen wir in der Folge alle Sonntags-
Nachmittage, wo sie entweder mit ihrer Gouvernante
zu uns kamen, oder wir zu ihnen. Alexandrine und
die Schwestern von Braun wurden auch öfter zu diesen
Zusammenkünften geladen. Gertrud von Herzeele
war ganz in meinem Alter. Durch ihr liebes, sanftes
Gemüt und ihre Verständigkeit fühlte ich mich bald
zu ihr hingezogen, und sie wurde meine liebste Freundin.
Die zweite, Luise, die sich lebhafter und munterer
gab, schloss sich an meine Schwester Ad61e an^, und
Sophie, die jüngste, ein gar nettes , kleines Wesen,
war der allgemeine Liebling. Meine Gertrud , mit der
ich auch nach unsrer Trennung durch Briefwechsel
verbunden blieb, starb in ihrem achtzehnten Jahr
plötzlich an einem Schlagfluss. Luise sah unsere un-
vergessliche Ad61e in den Jahren 1816 und 1817 als
Frau von Amerungen in Paris wieder, auch Sophie
— 89 —
starb jung , nach wenigen Jahren glücklicher Ehe, auf
ihren Gütern bei Hildborghansen , von wo ans ich
ihren letzten Grass erhielt.
Ausser den genannten lebten in Brannschweig
noch mehrere Familien , mit denen wir in nähere oder
fernere Berührung kamen. Ich darf hier die Töchter
des Marqnis de Valori nicht vergessen, die ich in
Brüssel nnd Aachen kennen gelernt hatte, hier wieder-
fand und späterhin in Paris besuchte, wo die Ältere
an Herrn Dupuy Membrun und die Jüngere an
Herrn von Infreville, einen Edelmann aus der
Normandie, verheiratet war. Leider wohnten wir sehr
entfernt von einander, so dass wir diese liebenswürdigen
Schwestern weniger oft sahen , als nnsre nahen Nach-
barinnen. Sonntags nach dem Verlassen der Kirche,
die sehr weit entfernt lag, trafen wir immer eine
Menge französischer Familien, welche die Erlaubnis
erhalten hatten, sich in Braunschweig aufzuhalten,
obgleich der Herzog, sowie andere deutsche Fürsten
die eigentliche Schaar der Emigranten aus seinem
Staate entlassen hatte. Mehrere Namen derselben,
sowie ihre äussere Erscheinung hat mir mein Ge-
dächtnis bewahrt. Es waren dies die Familien M o n t -
soreau und Montj.oie. Die beiden sehr liebens-
würdigen Töchter Montsoreäu heirateten seither, die
eine den in Gtörz verstorbenen Herzog von Blacas,
die andere den in Rom lebenden Grafen de la Fer-
ren aye. Von den Montjoie weiss ich nur zu sagen,
dass die älteste Tochter Melanie Hofdame bei Madame
— 90 —
Adelaide d' Orleans, und die jüngere Z o @ , Frau
von Dolomieax, erste Dame der Königin der Fran-
zosen wurde. Femer wäre noch Madame de Montaigne
mit ihrer Tochter und reizenden Enkelin nicht zu ver-
gessen.
Durch Herrn von Struve lernten wir auch die ver-
witwete Gräfin Oexle kennen , deren älteste Tochter
Lisette er später heiratete. Die zweite, Earoline
mit Namen, eine der grössten und interessantesten
Schönheiten, die ich je sah, vermählte sich in Mecklen-
burg mit einem Herrn von Lützow, der so wie die
in Bayern geborene Oexle katholischer Religion war.
Noch zwei auffallende Schönheiten muss ich nennen,
die wir mit Vergnügen auf Spaziergängen trafen, die
beiden Livländischen Fräulein von Bauer, deren
Mutter in zweiter Ehe mit einem Herrn von Wein-
heim vermählt war. Charlotte, die ältere Schwester,
lobte man sowohl wegen ihres liebenswürdigen Cha-
rakters, als auch wegen ihrer ausserordentlichen Geistes-
gaben, auch sie war eine fleissige Schülerin des alten
Harley, der ihrer gern erwähnte und uns manches
aus den Heften mitteilte, die er für sie aufgesetzt
hatte. Unter der Zahl seiner Schülerinnen befanden
sich auch die beiden Fräulein von Montsoreau, die er
gleichfalls sehr lobte. Charlotte von Bauer wurde
später Oberhofmeisterin der Königin von Württemberg,
und ihre Schwester lebt, soviel ich weiss, als Frau
von Taubenheim in Stuttgart. Manchen anderen,
die ich damals nur dem Namen nach kannte und
— 91 —
höchstens in Konzerten oder anf Spaziergängen sah,
begegnete ich in meinem späteren Leben.
Es fehlte nicht, dass wir im Salon des beliebten
nnd zugänglichen Barons eine Menge mehr oder wenigier
interessanter Fremder kennen lernten, auch liess er
uns in das Theater gehen,, wenn hervorragende Per-
sönlichkeiten dort erschienen, sonst geschah dies nur
selten.
Ganz lebhaft erinnere ich mich, die schöne Königin
Luise von Preussen mit ihrem hohen Gemahl, dem
jetzt regierenden König, daselbst gesehen zu haben, als
sie ihrem Oheim und ihrer Grosstante, der Herzogin
V Mutter, einen Besuch abstattete. Die Königin schien
in ihrem ganzen Wesen und Benehmen ebenso liebens-
wtlrdig, als sie schön war. Auch ihr geschmackvoller,
^ sehr reicher Anzug erregte unsere Bewunderung. Sie
trug ein Kleid von rosaglaciertem Silberstoff und blitzte
von Diamanten ; auch ihr Kopfputz bestand daraus und
wurde von grossen Straussfedem erhöht, die ihn mit an-
mutigem Schwung zierten. Die uralte Herzogin Mutter
(wie schon gesagt eine Schwester des grossen Fried-
rich II.) hatte auch ihre bleiche Gestalt mit Brillanten
geschmäckt, obgleich sie sonst schlicht gekleidet war.
Ein schwarzes, mit Spitzen besetzes Mäntelchen nm-
hfillte sie; an diesem waren grosse Diamantschleifen
angebracht, sowie auch an ihrem Häubchen, und sie
trug, ähnlich den andern f&rstlichen Damen, gross-
mächtige, blitzende Ohrgehänge. Was uns jedoch bei
all dieser Pracht am meisten auffiel, war der Schmuck
— 92 —
des Eleiderleibes der regierenden Herzogin , einer
Schwester des Königs Georg IIL von England, welcher
gleich einem Brnstschild ans dicht aneinandergefügten
Brillanten bestand.
Dieser Theaterbesuch, sowie einige Bälle, anf denen
lange zu bleiben uns nicht gestattet wurde, bildeten
die einzigen Yergn&gen dieser Art während unsres
zweijährigen Aufenthaltes in Braunschweig.
V. Kapitel.
Nach Gotha zurflck.
Nach dem Ableben des Baron von F6ronce wollte
es nnserm väterlichen Freunde Grimm nicht länger in
dieser Stadt gefallen, and da der Herzog Ernst von
Sachsen-Gotha seine dringende Einladung wieder-
holt ernenerte, so beschloss er, derselben Folge zu
leisten.
Auf diese Weise kamen wir denn gegen alles Ver-
muten und Hoffen wieder an den Ort, wo wir die freund-
lichen Jahre der Kindheit zugebracht hatten und knüpf-
ten unsere alten Freundschaftsbündnisse von neuem an.
Wir wurden dort wirklich mit seltener Freundlichkeit
und Herzlichkeit aufgenommen und fühlten uns schnell
wieder wohl und behaglich im Kreise der alten Be-
kannten, die uns mit treuer Liebe empfingen.
Die Rückkehr meiner Eltern aus Russland war für
den Monat Juni des Jahres 1800 bestimmt. Baron
Grimm richtete es also ein, dass wir vor ihnen in Gotha
anlangten, damit nach der beschwerlichen Land- und
Seereise alles zu ihrem Empfang bereit sein sollte und
sie die Ruhe eines freundlichen Aufenthaltes finden
— 94 —
könnten. Die Wiedervereinigung mit den geliebten
Eltern und unserm Bruder, die im August, sechs Wochen
nach unserer Übersiedlung, erfolgte, machte uns unaus-
sprechlich glücklich, ^nd wir suchten den teuren Eück-
kehrenden unsre Freude auf alle erdenkliche Art zu
bezeugen. Meine Mutter wollte uns von nun an, so
viel als nur möglich, um sich haben, sie nahm uns zu
ihren Besuchen und überall, wo es nur anging, mit
sich. Daraus ergab sich fUr uns ein etwas zerstreuendes
Leben, dem bald gesteuert werden musste. Mein Bruder
wurde einem Erzieher, Namens E i c h t e r , übergeben,
bei dem er, ich weiss nicht mehr aus welchem Grunde,
auch wohnen musste und zwar zu unserm gegenseitigen
Bedauern am andern Ende der Stadt. Herr Richter
war Lehrer für die unteren Gymnasialklassen, und mit
ihm besuchte Henri das Gymnasium, leider ohne viele
Fortschritte zu machen. Dass er seinen Erzieher, der
sonst ein verdienstvoller Lehrer war, wegen dessen
Härte und Jähzorn nie liebgewinnen konnte, mag seinen
mangelhaften Fortgang in den Studien beeinflnsst haben.
Derselbe gab auch uns Unterricht in manchen Fächern,
ausserdem erhielten wir viele Elavierstunden , zuerst
von Herrn Pitschl, später durch den sehr geschickten
Konzertmeister Eirmeier. Für meine Übungen im
Zeichnen, wofür ich mehr Anlagen zeigte, als zur Musik,
begleitete mich zweimal die Woche meine treue Bonne,
Frau Ghaumont, in das Atelier des Professors Doli im
herzoglichen Schlosse. Fräulein Marchais hielt sehr
darauf, dass der Unterricht, den sie uns gab, nicht
— 95 —
anterbrochen werde. Trotz alledem bildeten aber unsere
geistigen Beschäftigungen nicht mehr, wie in Braun-
schweig, die Hauptsache in unserer Tagesordnung, und
wenn es sich vielleicht für die Gesundheit besser zeigte,
dass wir mehr ausgingen und des geselligen Lebens
genossen, so war es doch nicht mehr so förderlich für
die Ausbildung des Geistes. Hinsichtlich der Lektüre
wurde mir auch zu grosse Freiheit gewährt. Wenn-
gleich meine Mutter die französischen Bücher, die ich
las, und der Baron die deutschen durchsah, so war es
nach Ansicht beider hinreichend, dass in denselben
nichts vorkam, was gegen strenge Sittlichkeit oder den
Glauben gewesen wäre. Die Gefahr jedoch, welche der
Ausdruck der Leidenschaft und das Bild ihrer Ent-
wicklung der jugendlichen Phantasie bringen könnte,
entging ihnen vollständig; alle moralischen Bomane
und Theaterstücke waren uns daher sehr früh erlaubt.
Da mein Vater viel dergleichen las und auch alle neuen
litterarischen Produkte in unsrem geselligen Kreise kur-
siei'ten, so konnte ich mich an solcher Lektüre er-
götzen, so viel ich wollte. Dies gab meiner Phantasie
einen eigenen Schwung und versetzte mich nach und
nach in eine ideale Welt , die , da man nicht zögerte,
mich bei Hof und in grossem Zirkeln der Gesellschaft
einzuführen, bald auch ins äussere Leben treten sollte.
Gar nicht gerne gedenke ich dieser Träume meiner
frühen Jugend, die mir übrigens nur noch unvollständig
gegenwärtig sind.
Meine Vorstellung bei Hof war mir sehr lästig, ich
- 96 -
hatte das Geffthl, als würde dadurch meine Freiheit, in
Gesellschaft zu gehen, oder zu Hanse za bleiben, ge-
schmälert. Aach kam ich mir selbst, und wohl mit
Recht, da ich noch nicht volle vierzehn Jahre zählte,
viel zu sehr als ein Kind vor, um mit gehörigem An-
stand und nötiger Kunde von allem Erforderlichen auf-
treten zu können. Schon der Hofmantel, den man jeden
Sonntag anziehen musste, gab in meinen Augen der
Sache mehr Bedeutung. Ich bat daher meine Mutter
inständig, damit verziehen zu wollen und noch wenig-
stens ein Jahr zu warten, sie aber meinte, der Erb-
prinzessin von Sachsen-Gotha, geboiiien Prinzessin
von Mecklenburg- Schwerin, die Bitte nicht ab-
schlagen zu können, mich als Tänzerin auf die Hofbälle
gehen zu lassen, da es an solchen gebrach. So wurde
denn ausgemacht, dass ich nur an einem Sonntag Abend
zur Vorstellung erscheinen würde, dann aber für dieses
Jahr davon dispensiert bleiben und nur zu den Bällen
zugezogen werden sollte. Die Oberflächlichkeiten der
grösseren Welt, in welche ich nun einging, gestalteten
sich mir nur insofern angenehm, als sie meiner Eitel-
keit schmeichelten. Da mein Geist jedoch von Kind-
heit an eine bessere Nahrung gewöhnt war, fühlte ich
mich immer leicht davon übersättigt. Die Wiederkehr
von stillen Tagen zu Hause schien mir immer will-
kommen, wozu meine grosse Liebe und Verehrung des
immer wohlwollenden Barons wohl viel beitrug. Wusste
ich doch, dass er unsere Abwesenheit schwer empfinden
musste, wenn auch meine Schwester an den Hoftagen
— 97 —
stets bei ihm blieb. Wer deu Reiz des häuslichen
Kreises zn würdigen versteht^ wird zugeben, dass nicht
eines der Mitglieder demselben fehlen darf, wenn man
sich seiner ganz freuen soll. Sowohl in dieses Kreises
Mitte, als auch in der Gesellschaft und bei Hof wurde
ich nur zu sehr von Alt und Jung gefeiert und fühlte
mich daher aberall wie ein Kind zu Hause , ohne je-
doch, dank der sorgfältigen Erziehung, die ich ge-
nossen, aus den Schranken der Bescheidenheit zu
treten , die der Weiblichkeit unumgänglich notwendig
sind. Ich danke es meinem Schutzengel, damals nicht
übermütig geworden zu sein.
Vom vierzehnten bis zum sechzehnten Lebensjahre
beschäftigte mich unter diesem Herumtreiben in der
Welt eine kleine Herzensangelegenheit. Ich lernte einen
jungen Mann, Namens Louis Trott, kennen, der die mir
entgegengebrachte lebhafte Neigung nicht zu verbergen
vermochte und daher auch meine innere Welt be-
schäftigte. Er war nur zwei Jahre älter als ich, und
wir fühlten uns gegenseitig angezogen durch die Ein-
helligkeit unserer Ansichten, sowohl über Litteratur,
Kunst und Poesie, als über die Welt, die uns umgab
und in der wir lebten. Des Zwanges, den ihm der
Wille meiner mädchenhaften Schüchternheit auferlegte,
immer in den Grenzen eines geschwisterlichen Verhält-
nisses zu bleiben, ohne von schwärmerischer Liebe
sprechen zu dürfen, mochte er zuletzt überdrüssig ge-
worden sein. Oder dachte er durch scheinbare Untreue
vielleicht mich zu zwingen, mein Benehmen zu ändern,
Carl Grftf Obtradorff, EriDntnangtn •iji«r UrgroMmntUr. 7
— 98 —
denn ich erfuhr mehrere Jahre später, dass er noch
an mir hing. Genug, noch bevor ihn die Universitäts-
Studien vom Gothaschen Gymnasium abriefen, ent-
fernte er sich von mir, um einer sehr hübschen, aber
unbedeutenden und etwas koketten Erscheinung in
unserem Kreise seine Aufmerksamkeit während kurzer
Zeit zu schenken. Dies gab meinem exaltierten Herzen
einen empfindlichen Stoss.
Im letzten Jahre hatte sich der Erbprinz von
Sachsen-Gotha, der seit mehr als einem Jahr
Witwer war, wiedervermählt mit Prinzessin Earoline,
der Tochter des Kurfürsten von Hessen-Cassel.
Eine der beiden Hofdamen, welche dieselbe mitbrachte,
Namens Karoline von Dalwigk, etwa vierund-
zwanzigjährig, verband mit einer anmutigen äusseren
Gestalt eine angenehme Bildung des Geistes. Diese
überhäufte mich mit Freundlichkeit, fühlte sich zu
mir, wie sie sagte, schwesterlich und mütterlich hin-
gezogen, dagegen gewann sie auch mein ganzes Herz.
Durch ihren wohlthuenden Umgang wurde ich mehr in
meinem Zuge zu allem Höheren und Edleren befestigt,
und wurde mir besonders das mir ohnedies wider-
wärtige Spiel weiblicher Koketterie, welches ich in der
geselligen Welt so vielfach vor Augen hatte, immer
mehr verhasst. Es war mir dieses um so nützlicher,
da ich, wahrscheinlich durch die meinem Alter vor-
geschrittene Keife, durch welche trotzdem noch manch-
mal kindliches Wesen durchschimmerte, einen merk-
lichen Beifall einerntete und des Courmachens kein
— 99 —
Ende war. Überhaupt hätte ein weniger insictiblickender
Charakter leicht durch solch' allzu reichlich gezollte
Lobeserhebungen zu thörichtstem Hochmute verführt
werden können. Doch bei mir verfing es, gottlob, nicht,
und alle, sogar meine Eltern, schienen mich gegen
Eitelkeit gefeit zu glauben.
Von unbegrenzter Liebe und Nachsicht umringt, ver-
brachte ich die Zeit von meinem vierzehnten bis zur Vol-
lendung des siebzehnten Lebensjahres so recht glflcklich
nach meinem damaligen Sinn. Alle edleren Genflsse,
denen mein jugendliches, lebensfrisches Gemüt offen war,
genoss ich in ungebundener Freiheit. Diejenigen unter
meinen Freundinnen, die mir am meisten zusagten,
durfte ich sehen, so viel ich wollte, sowohl bei mir
zu Hause, als auch bei ihnen. Hier muss ich bemerken,
dass sie alle um vier bis acht, ja eine von ihnen, eine
gar liebenswürdige Frau, sogar um zwanzig Jahre älter
waren, als ich. Lesen durfte ich, wie gesagt, nur allzu
Vieles, lernen und zur Beschäftigung wählen, was mir
gefiel. Die Schönheiten der Natur, die mich entzückten,
genoss ich in häufigen, oft grossen Spaziergängen und
Landpartieen nach Herzenslust und besang in mittel-
mässigen Gedichten, was mir das Herz bewegte.
Zu jener Zeit kamen oft nennenswerte Durch-
reisende in unser Haus, unter anderen bald nach der
Verheiratung des damaligen Erbprinzen von Vt^eimar
mit der Grossfürstin Maria von Bussland, die
Familie des Grafen P 1 a t e r , der, wie ich glaube, einige
Zeit Gouverneur von Littauen gewesen. Er war ein
7*
— 100 —
ehrwürdiger Greis und seine Frau von höchst liebens-
würdigem Charakter. Sie begleiteten mit ihren drei
jüngeren Söhnen deren ältesten Bruder, Grafen Louis,
auf seiner Berufsreise nach Deutschland und Frank-
reich. Letzterer hatte vom Kaiser Alexander den
Auftrag erhalten, alles, was es in diesen Staaten Be-
merkenswertes im Fache des Forstwesens gäbe, zu
studieren oder zu besichtigen, um dann, womöglich,
Nutzen für Bussland daraus zu ziehen. Liebenswür-
diger und durch hellen umfassenden Geist sowohl, als
auch durch herzliche Gemütlichkeit einnehmender, konnte
man nicht leicht sein, als dieser Graf Louis Plater,
trotz seines nichts weniger als schönen Äusseren. Seine
ungezwungene Beredsamkeit, die alles ergriff, um es
mit dem Reichtum einer lebendigen Anschauungsweise
zu umkleiden oder mit Scharfsinn zu erläutern, ent-
zückte mich und unsem Kreis so, dass er sich sehr
rasch unsere herzliche Zuneigung erwarb. Seine Brüder
waren auch angenehmen Umganges, besonders der geist-
volle Graf Stanislaus. Später las ich mit Interesse ein
französisches Werkchen von letzterem: eine Notiz über
Johann Sobiesky und dessen Briefwechsel mit seiner
Gemahlin zur Zeit der Belagerung von Wien enthaltend.
Bei dem ersten Aufenthalt, den die Familie Plater
bei uns nahm, war die junge verwitwete Baronin Hülsen,
eine Nichte der Gräfin, deren Begleiterin. Das Geheim-
nis ihrer Verlobung mit ihrem Vetter Louis wurde uns
aber nicht entdeckt. Ein halbes Jahr später jedoch,
nach ihrer Bückkehr von Paris, erschienen sie als neu-
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vermähltes Paar. Dann erfuhren wir auch die seltsamer'- ••/•••
Geschichte der Maria Brdjostowska, der nachmaligen
Baronin Hülsen nnd nunmehrigen Gräfin Louis Plater.
Dieselbe war von früher Kindheit an meistens unter Auf-
sicht dieser Tante Plater auferzogen und gebildet worden,
teils wegen der Kränklichkeit ihrer Mutter, teils auch des-
halb, weil die Vermögensverhältnisse ihrer Eltern stark
zerrüttet waren. Als Maria fünfzehn Jahre zählte, er-
krankte ihre Mutter ernstlich und wurde von der liebenden
Tochter treu gepflegt. Dem Ende nahe, teilte ihr die
Mutter mit, dass der unendlich reiche, aber stumpfsinnige
Baron Hülsen um ihre Hand angehalten habe, und
stellte ihr die Annahme dieses ernsten Loses als ein
edles, schönes Opfer vor, um ihre Familie vor dem sonst
unabweislichen Bankerott zu retten. Diese Eröffnung
brachte Maria umsomehr in schmerzlichste Bestürzung,
als sie schon seit mehr als einem Jahre die innigste
Neigung zu ihrem Vetter Louis empfand, welcher dieselbe
auch herzlich erwiderte. Nur die Äusserung der Eltern
ihres geliebten Vetters, dass sie nie in eine Verbindung
mit einer so nahen Blutsverwandten willigen würden,
gab ihr nach dem Augenblicke des ersten Schreckens
den Mut, der Sterbenden zu versprechen, diese ihre
dringende Bitte zu erfüllen. Die Mutter starb, und Maria
fand sich nicht nur durch kindliche Pflicht an diese Zu-
sage gebunden, sondern wurde auch noch von den übrigen
Familiengliedern in ihrem Vorhaben bestärkt. Traurig
und bangend erwartete sie den Zeitpunkt der Vermählung,
die ihr schwerer, als das Opfer ihres Lebens schien.
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— 102 —
•-'•.••••f)ass dann Vetter Louis ihr Brautführer ward, erhöhte
noch ihren Schmerz. Der Grund, warum dies sich so
treffen musste, ist mir entfallen. So wurde sie die Ge-
fährtin eines Mannes, der zwar blöde und stumpfsinnig,
jedoch körperlich stark und widerstandsfähig war. Er
brachte die meiste Zeit seines Lebens auf der Jagd zu,
ffihrte einen ffirstlicben Haushalt, dem unsere liebens-
würdige Maria vorstand, die nun gegen ihr innerstes Ge-
fühl in Pracht und Weltfreuden leben musste. So ver-
gingen neun Jahre ; da stürzte ihr Mann so unglücklich
auf einem Jagdritte, dass er einige Stunden darauf seinen
Geist aufgab.
Louis hatte sich nicht vermählt, und er und Maria
liebten sich noch inniglich. Das traurige Schicksal, das
letztere mit Geduld, weiblicher Würde und kindlicher
Ergebenheit in Gottes Fügungen ertragen hatte, er-
weichte nun endlich das Herz von Louis Eltern und
sie willigten in diese Verbindung, welche nach ein-
geholtem Dispens in Paris vollzogen wurde. Für die
Jahre der Trübsal wurden sie mit einem selten glück-
lichen Los entschädigt.
An interessanten Persönlichkeiten könnte ich noch
Graf Woronzoff nennen und seine anmutige Tochter
E a t i n k a, nachmalige Lady Pembroke, und haupt-
sächlich aber, unter allen hervorragend, Frau von Stael,
die bei ihrem mehrtägigen Aufenthalte in Gotha beinahe
immer bei unserem lieben Baron speiste. Noch sehe ich
sie vor mir, die mit Recht weltberühmte Frau, die ihr
Geist über so manchen der bewundertsten Männer ihrer
— 103 —
Zeit erhebt. Damals störte mich im Gennss ihrer aber-
reichen, fesselnden Geistesfülle das Unweibliche, zu
sehr nach Beifall Haschende in ihrem Wesen, nnd den-
noch musste ich mit dem gespanntesten Interesse ihrer
Rede lauschen, die voll ungezwungener Leichtigkeit
von ihren Lippen floss, und es war merkwürdig, wie sie
nie einen Gegenstand oberflächlich berührte, wenn sie
ihn auch nicht jedesmal erschöpfte. Man fühlte Geist
und Gemüt in ihrem Genie, und weit entfernt von
jenen, welche sich darin gefallen, durch das Übergewicht
ihres Geistes andere zu Boden zu drücken, Hess sie
nicht nur einen jeden neben sich gelten, sondern hob
auch wohl seine Gaben hervor. Dies habe ich an mir
sechzehnjährigem Mädchen erfahren, die ich mich sehr
wunderte, dass sie mich würdig fand, sich mit mir ab-
zugeben. Sie that dies auf eine Weise, die mich durch-
aus nicht einschüchterte, obgleich sie mich durch die
Erwähnung meiner geringen Dichtergabe in Verlegen-
heit setzte. Hofrat Schlichtegroll, ein Freund
meiner Kindheit, hatte ihr davon geplaudert. Da ich
hauptsächlich auf deutsch dichtete, war es mir eine
Beruhigung, dass sie, die damals diese Sprache nur
unvollkommen verstand, sich daher nicht genauer dar-
nach erkundigen konnte.
An einem der Tage, die Frau von Stael bei uns
zubrachte, wobei sie von Benjamin Gonstant be-
gleitet wurde, kam auch Herzog August von Gotha, um
ihre Bekanntschaft zu machen, noch ehe sie an seinem
Hofe erschien. Was soll ich von diesem seltsamen Manne
— 104 —
sagen, der, von Phantasie, Witz und GeistesfflUe
strotzend, der verkehrteste Kopf war, den ich je
gesehen? — Von meinen Kinderjahren an von ihm
mit zuvorkommender Güte überhänft und bald nach
jener Zeit, hauptsächlich durch ihn, zur Hofdame seiner
Frau erwählt, begegnete er mir von Neuem auf das
Freundlichste. Gern las er mir und noch einigen Damen
seine Gedichte und Romanzen vor. Trotz aller Güte und
Zuvorkommenheit, die er mir beständig und bei jeder
Gelegenheit bewies, konnte ich ihm jedoch nicht nur
keinen Geschmack abgewinnen, sondern fühlte mich sogar
im grellsten Gegensatz zu seinem ganzen Wesen und
seinen phantastischen Anschauungen. Wie aufglühenden
Kohlen befand ich mich, wenn er mir dieselben im Feuer
der Rede auseinandersetzte, fast noch mehr als da er
sie vorlas. Ich konnte in meinem damaligen Alter viel
weniger als späterhin verbergen, was ich dachte und
fühlte, begi*eife daher nicht, dass ich ihm nicht bald
ebenso unerträglich wurde, als er es mir gewesen. Ob
ihn davon bisweilen etwas anwandelte, weiss ich nicht,
jedenfalls konnte ich es nicht bemerken ; sehr wunderte
ich mich, als er sich einstmals mit einer geistvollen,
jungen Person, der Tochter des Dichters Gotter und
Schwester der Frau von Schelling, verabredete, mich
in einem Sonett zu besingen, das sie mir, zugleich mit
dem ihrigen, zeigte.
Herzog August traf mit Frau von Stael bei uns
gerade an einem Tage zusammen, an dem sein phan-
tastischer Kopf übersprudelte; die beiden konnten
— 105 —
Aber keinen Gegenstand einig werden. Ohne eigentlich
interessant zn sein, war dies Gespräch in seiner Art
merkwürdig, ich fand es sogar ermüdend und wünschte
ihn in meinem Herzen weit hinweg, worin mir aber nicht
gewillfahrt wurde, und es dauerte übermässig lange,
bis er uns verliess. Obwohl der Baron bei dieser Ge-
legenheit hin und wieder geistvolle Äusserungen machte,
verhielt er sich doch mehr als Zuhörer, eben so, wie
meine Mutter. Diese fühlte sich in der Nähe der Frau
von Stael überhaupt wie beengt, da sie ihr aus früheren
Zeiten jugendlicher Eindrücke her und auch politischer
Gesinnungen wegen vom Beginn der Revolution an
in hohem Grade unsympathisch war. Es ist nicht zu
leugnen, dass die berühmte Frau, als Tochter des
Ministers Neck er, den Anfang der Revolution appro-
biert und zu dieser Zeit, ganz im Gegensatze zu den
Gesinnungen meiner tugendhaften Mutter, leichte Grund-
sätze angenommen und im Leben ausgeführt hatte. Sie
mochte auch noch damals, da wir sie sahen, in dieser
Hinsicht nicht lobenswert gewesen sein, allein das Ende
ihres Lebens war erbaulich. Ihre grosse Seele ahnte schon
damals die Erhabenheit der Religion, und ihr edles Ge-
müt, das sie in die Arme des Christentums zurückbrachte,
war der Lichtpunkt in ihrem Wesen. Ihre zwei Kinder
sind sehr fromme Christen geworden und die innigsten
Freunde ihrer Mutter, wie ich durch die Gräfin von
St. A ul aire erfuhr, die ich in Paris als eine der ausge-
zeichnetsten und interessantesten Damen kennen lernte.
Mit Frau von Staäl war sie aufs engste befreundet.
— 106 —
Ich erwähnte schon, dass damals, nämlich im
Jahre 1804, die Orossfürstin Marie, als Erbgrossherzogin
von Weimar, vom Norden her, ihren Einzug in diese
Mnsenstadt gehalten. Von Gotha fnhren viele zu ihrem
Empfang nnd den Festlichkeiten, die er mit sich brachte.
Meine Mutter verfügte sich mit uns beiden Schwestern
einige Wochen später auch dorthin, wo es noch immer
sehr brillant zuging, und wir mehrere Bälle und Theater-
vorstellungen mitmachten. Des alten Barons geheimer
Plan war es, dass ich bei dieser liebenswürdigen
Fürstin Hofdame werden möge. Dies wäre mir aber,
meiner ernsten Geistesrichtung halber, nicht minder
unerträglich gewesen, als die dadurch bedingte Trennung
von meinen Lieben, wiewohl mich die Grossfürstin
ganz bezauberte und mir nicht anders als eine Huldin
erschien. Ihr graziöses, schwebendes Wesen, der milde
und doch so ernste Ausdruck ihrer Züge, die, durch die
blendend blühende Farbe ihres Teints verfeinert, mir
schön erschienen, ihre Redeweise, ihre Haltung, kurz
dies Alles sprach mich gleich so an, dass mir, nach
Art der ersten Jugend, der Enthusiasmus für sie den
Wunsch eingab, ihr in allem ähnlich werden zu können.
Man konnte ihre Virtuosität in der Musik und ihre
hohe Geistesbildung nicht genug loben und erzählte
manche reizende Anekdote über sie, die sie als ein
Wesen von erhabenem Charakter darstellte.
0, wie schnell ist der Rausch der Menge dahin!
Wenige Monate nachher hatten sich bereits Parteien
gebildet, die sie im Gegensatz zu ihrer Schwiegermutter
— 107 —
und Schwägerin herabsetzten. Zn ferne von ihr lebend
and zu unkundig aller Einzelheiten, um darüber
urteilen zu können, that mir dies sehr wehe. —
Aus dem Projekt des Barons, die Hofdamenstelle
betreffend, konnte überhaupt nichts werden, da ausser
der russischen Dame, Fräulein von Berg, die sie mit-
gebracht hatte, noch eine Weimaranerin beigezogen
werden sollte. Die Grossfürstin äusserte sich aber, dass
ich sowohl, als auch meine Schwester (die obgleich erst
dreizehnjährig zu den Bällen und Festen mitgenommen
worden) ihr sehr zusagten, und sie unsere Art der
von vielen anderen vorzöge. Veranlassung zu dieser
Äusserung dürfte wohl der damals in Weimar herrschende
sonderbare Ton gegeben haben. Von der Schöngeisterei,
die durchgängig Mode war, zeigte sich nicht nur die
ganze brillante Welt, sondern auch die jungen Mädchen
angesteckt, und dies machte manche unter ihnen ab-
sprechend und geschwätzig, was der Anmut, Weiblich-
keit und Bescheidenheit der Jugend grossen Abbruch
that. In Gotha hatten diese Lebensgewohnheiten noch
nicht um sich gegriffen, was später wohl auch teil-
weise der Fall wurde.
Ich hatte schon früher in Weimar ausser Herder,
von dem mir keine Erinnerung blieb, alle die grossen
Dichter des dortigen Parnasses gesehen, sehr oft
W i e 1 a n d , jedoch als Greis, dem man in den letzten
Jahren seines Lebens kaum mehr etwas ansah von
dem Geiste seiner Schriften, die er, wie ich hörte, zu-
letzt als guter Familienvater bereute, geschrieben zu
— 108 —
haben. Er war sehr häufig bei den beiden Herzoginnen,
der Herzogin-Mutter A m a 1 i a, einer Nichte des grossen
FriedrichundgeborenenPrinzessin von Braunschweig,
sowie der regierenden, Luise, vormaligen Prinzessin
von Hessen-Darmstadt. Letztere war eine höchst ge-
winnende Frau, von einfachem, schlichtem Wesen und
hohem, edlem Charakter, allen zugänglich, wie meine
Schwester und ich es, als sehr junge Mädchen, er-
fuhren, obgleich sie beim ersten Anblick etwas Stolzes
und Zurückhaltendes hatte. Sie ist es gewesen, die
1806 eine so schöne Rolle als hohe, mutige Fürstin
durchführte, indem sie inmitten der Verwirrung des
Schlachtfeldes unerschütterlich in ihrem Schlosse aus-
harrte und Napoleon samt seinen Generälen erwartete,
was Stadt und Schloss vor Plünderung schützte, währenft
die Vororte unter dem immer näher heranrückenden
Kanonendonner der Franzosen schon preisgegeben waren.
In der Folge ist es mir klar geworden, wie diese
Fürstin, ohne für so gelehrt zu gelten, als ihre Schwieger-
mutter, noch so vielseitig gebildeten (^eistes zu sein,
als ihre Schwiegertochter, Grossfürstin Marie, beide
an Tiefe und Scharfblick überragte.
Die zu dieser Zeit nacheinander erscheinenden
Theaterstücke Schillers machten den grössten Ein-
druck auf mich, zuerst „Don Carlos'^ und zuletzt die
„Braut von Messina". Seine Werke exaltierten mein
ganzes Wesen, und ich lernte viele seiner damals eben
herausgekommenen „lyrischen Gedichte" auswendig. Er
hatte auch in der ^Huldigun^ der Künste", als Ge-
— 109 —
legenheitsprolog beim Empfang der Grossf&rstin, selir
Bemerkenswertes und von der ihn umgebenden Welt
Bewandertes geliefert.
Goethes berühmte Dramen dagegen waren alle viel
älter und nicht so nach meinem Geschmacke. Ich wagte
wohl nicht meine Meinung hierüber zu äussern, aber
auch „Werther" gefiel mir ganz und gar nicht. Ich
hatte Goethe beim Baron persönlich kennen gelernt.
Als er einstmals dort zu Mittag speiste, sass ich neben
ihm, und da der gute Herr von Grimm ihm eben erzählte,
dass ich mehrere seiner Werke kenne, dachte ich, es
zieme sich, ihm zu sagen, dass ich gerade „Herr-
mann und Dorothea" mit Freuden gelesen habe. —
Seine Antwort war nicht sehr ermunternd, weiter von
diesem Thema zu reden, er sagte nämlich mit ge-
messener, gravitätischer Stimme: „So, haben Sie das
gelesen!"
Schiller sah ich nur einige Male am Weimarischen
Hofe, wo er nur wenig sprach, bei näherer Bekannt-
schaft jedoch soll er sehr interessant gewesen sein.
Die Grafen Plater reisten öfter von Gotha nach Weimar,
nur, um mit diesen am litterarischen Himmel glänzenden
Sternen zu verkehren. Sie waren aber nicht immer
mit Schillers Antworten auf verschiedene an ihn ge-
richtete Fragen zufrieden, so sagte er zum Beispiel:
mit seinem Gedichte vom „Mädchen aus der Fremde"
habe er eben nur „das Mädchen aus der Fremde" ge-
meint. Unter seinen lyrischen bezeichnete er selbst
„Die Sehnsucht" als sein Lieblingsgedicht.
— 110 —
Einige Monate, nachdem die Grossf&rstin nach
Weimar gekommen war, machte sie einen Besuch in
Gotha, bei welcher Gelegenheit sie auch den guten
alten Baron aufsuchte, nnd uns, auf seine unterthänige
Bitte hin, etwas auf dem Klavier vorspielte. Wir
mussten alle ihre Virtuosität bewundem, da sie ein
schwieriges Konzert von Beethoven auswendig vortrug.
VL Kapitel.
Bei Hofe.
Im Jahre 1802 heiratete der Erbprinz von Gotha
zum zweiten Mal, nachdem seine erste Gemahlin Luise,
gebome Prinzessin von Mecklenburg-Schwerin, im
Wochenbette, welches der nachmaligen Herzogin von
Coburg das Leben gab, gestorben war. Doch ehe ich von
der zweiten Frau rede, muss ich noch einige Worte von
der ersten sagen. Diese ist eine liebliche Erscheinung
gewesen, die durch ihre Schönheit, Anmut und Freund-
lichkeit allgemein gefiel. Am 21. Dezember 1800 gebar
sie ihre Tochter, die am 23. in den Gemächern der
hohen Wöchnerin getauft wurde, wozu der ganze Hof
geladen und versammelt war. Ich, obgleich noch nicht
volle vierzehn Jahre alt, war auch im langen Eurmantel
zugegen. Die Erbprinzessin lag, sehr elegant angethan,
in einem Empfangszimmer, und man war so unvorsichtig,
nicht nur etwa die Damen von höherem Bang oder
Alter an ihr Bett zur Gratulation vorzulassen, son-
dern alle Damen und Fräulein, so dass auch ich zuge-
lassen wurde. Ob nun die Ermüdung dieses Tages oder
andere Ursachen ihr das Kindbettfieber in gefährlichstem
— 112 —
Grade zugezogen, weiss ich uicht, allein sie starb daran
am 4. Januar 1801.
Während mehrerer Monate horten infolge dieses
Trauerfalles alle geselligen Freuden in Gotha auf, dann
wurden hie und da einige Damen, worunter auch wir,
der Beihe nach vom Erbprinzen in seinen Gemächern
zum Souper geladen.
ungefähr eineinhalb Jahre später war die Rede von
einer zweiten Heirat desselben mit Prinzessin Karoline
von Hessen-Cassel, derjetzigen verwitweten Herzogin.
Diese gute, wohlwollende Frau lernte ich damals als
Erbprinzessin kennen, und zwei Jahre darauf ward sie
durch den am 20. April 1804 erfolgten Tod des ver-
ehrungswürdigen Herzogs Ernst regierende Herzogin.
Als solche nahm sie mich und Emilie von Scheliha
unter die Zahl ihrer Hofdamen auf. Zwei andere, Fräu-
lein von Osterhausen und von Dalwigk, hatte sie
überdies aus Hessen mitgebracht, letzterer erwähnte ich
bereits. Sie waren alle liebenswürdige Persönlichkeiten.
Karoline von Dalwigk übertraf jedoch ihre um fünf bis
sechs Jahre ältere Gefährtin Osterhausen an Anmut und
Verstand. Sie gewann alle Herzen durch die Lieblichkeit
ihres Aussem sowohl, als auch durch ihre angeborene
Freundlichkeit und Güte. Mir gefiel sie auch ausnehmend,
jedoch hätte sich ohne ihre zärtliche Zuneigung zu mir
vielleicht unsere innige schwesterliche Freundschaft
nicht so bald geschlossen. Sie gewann meine Liebe durch
die ihre, welche, ich möchte sagen, schrankenlos war,
in einem hohen Grade, und der Schwung ihrer Seele
~ HS —
wirkte wohlthätig auf die meinige. Alles, was ich bis
zu diesem Zeitpunkt in mir verschlossen hielt, auch
wohl; was nngeweckt und unbewusst in mir schlief,
brach die hemmenden Dämme, und wir schwärmten auf
unschuldsvolle Weise zusammen. Meine stille Liebe zu
Louis Trott liess ich sie jedoch mehr erraten, als dass
ich mich darüber ihr gegenüber aussprach. Da sie ihn,
als Landsmann, schon seit seiner Kindheit kannte und
eine Freundin seiner Schwester war, sah ich ihn bis-
weilen bei ihr. Als er aber bemerkte, dass ich Sonn-
tags vormittags nach dem Gottesdienste mich immer
bei ihr einfand, kam er auch regelmässig an diesem
Tage zur selben Stunde, und wir unterhielten uns alle
drei recht gemütlich zusammen über die Ereignisse der
Woche oder über Kunst und Poesie.
Dies geschah aber noch ehe ich Hofdame ge-
worden, denn zu dieser Zeit war er schon zur Uni-
versität abgegangen, und ich sah ihn nicht wieder, bis
ich als Witwe bei meiner Schwiegermutter mit ihm
in Eisenach zusammentraf, wo er als preussischer
Landwehrof&zier vor mich trat. Er fand mich gar
nicht, ich ihn aber sehr verändert. Einige Jahre
später starb er. Unser Wiedersehen in Eisenach hat
mir aber eine liebe Erinnerung zurückgelassen, indem
er mit grosser Offenheit von der Wendung seines
Lebens und seiner Ausbildung, deren Mangelhaftigkeit
er bedauerte, mit mir sprach, und wir über alles ganz
ungezwungen mitsammen, als alte Freunde, con ver-
sierten.
Carl Oraf Obtrndorff, ErinntningtB •in9t UrgroMnmfttor. 8
- iu -
Um wieder auf Caroline Dalwigk zurückzukommen,
muss ich bemerken, dass sie es war, die mir mein
Hofamt lieb machte, denn ohne sie und die Aus-
sicht, noch inniger mit ihr yerkehren zu können,
wäre es mir unerträglich gewesen. Eben so wie die
Leere des Hoflebens, war mir der Zwang der Ab-
hängigkeit zuwider, von dem ich übrigens um so
weniger einen Begriff hatte, als niemand wohl eine
so ungebundene Freiheit, wie ich, bis dahin genossen
hatte. Da ich erst siebzehn Jahre zählte, stellten
meine Eltern und der Baron einige Bedingungen bei
der Annahme dieser Hofstelle, und erwirkten mir
manche Vergünstigung, damit ich fortfahren könne,
meinen Geist auszubilden, und für meinen Familienkreis
nicht ganz verloren sei.
An die gefährlichste Freiheit einer jungen Hof-
dame, die ihre eigenen Zimmer und eigene Dienerschaft
in einem mehr oder weniger entlegenen Teil des
Schlosses hat, dachten meine Eltern nicht. Meinem
Schutzengel und dem fest entschlossenen jungfräulichen
Sinne verdanke ich es, dass ich diesen Gefahren entging.
In der ersten Zeit empfing ich, wie alle andern Hof-
damen, Besuche in meinem Zimmer, wo sich auch viele
Herren einfanden, doch waren sie alle schon von reiferem
Alter, bis auf einen, und dies war der ältere Bruder
von Louis Trott, der Oberforstmeister in Gotha. Als
ich einmal bei der Tafel mit ihm zufällig über den
Eid und dessen Unverbrüchlichkeit zu sprechen kam,
äusserte er sich dahin, dass auch er einen geschworen
- 115 - •
habe, der schwer auf ihm laste, und über welchen er sich
unmöglich hinwegsetzen könne, obgleich selbst Geist-
liche ihm gesagt hätten, dass dieser voreilig geleistete
Eid nicht bindend sei, vorausgesetzt, dass er ihn Gott
ernstlich abbitte. Er bat mich, zu mir kommen zu
dürfen, um mir den Zusammenhang zu erzählen. Ich
war neugierig, dies zu erfahren, und erlaubte ihm
daher, eine Stunde vor dem Thee bei der Herzogin,
mich aufzusuchen. Er fand sich glücklich ein und
erzählte, wie er einst um Emilie Scheliha geworben
hätte, welche anfangs seine Neigung zu erwidern schien;
wie er sie aber zur Frau begehrte, hätte sie um Be-
denkzeit gebeten und ihm dann „Nein^ gesagt. Diese
Antwort habe ihn nicht nur zu Boden gedrückt,
sondern ihn auch in hohem Grade erzürnt und gegen
das ganze schöne Geschlecht so aufgebracht, dass er
vor Gott dem Herrn feierlich gelobte, nie mehr an
eine Heirat zu denken. Ohne ergründen zu können,
was Emilie wohl bewegte, also abzubrechen, sagte ich
ihm: nach meiner Meinung sei ein solcher Eid nur
dann bindend, wenn er von der Partei, welcher
er geleistet wurde, angenommen, oder diese durch
den Bruch des Eides geschädiget würde; doch leider
schienen ihn alle meine schönen Schlüsse nicht zu
überzeugen. Vielleicht wollte er, indem er sich mir,
als durch diesen Eid gebunden, darstellte, seine Be-
suche ohne alle Gonsequenz erscheinen machen. Dies
fiel mir erst später ein, als er eine starke Neigung
zu mir fasste, die ich aber durchaus nicht erwiderte,
8*
— 116 —
obwohl er sehr gut und schön , aber was ich damals
uninteressant nannte, war, und ich überhaupt nicht
leicht Feuer fing, wozu wohl auch die Erinnerung an
seinen Bruder beitrug.
Während ich so traulich und ernst mit ihm da-
sass und conversierte, kam es mir plötzlich durch den
Sinn, wie nach den Convenienzen des Lebens dieses Zu-
sammensein eigentlich ganz unpassend sei; es wurde
mir auf einmal unheimlich zu Mute, besonders bei dem
Gedanken , was wohl meine Dienerschaft yon uns
denken würde, und ich trachtete schleunigst unser
Gespräch zu Ende zu führen.
Der Entschluss, keinen männlichen Besuch mehr in
meinem Zimmer zu empfangen, reifte mit einemmale in
mir, und um ihn auszuführen, brauchte ich nur gleich
nach aufgehobener Tafel, meinem Herzen folgend, zu
meiner Freundin Dalwigk zu gehen, bis mich der
Wagen holte , welcher mich für die Zwischenzeit nach
Hause zu fahren hatte. Und nach und nach fand es
sich, dass ich, um meine Studien in Litteratur, Sprachen
und den schönen Künsten fortsetzen zu können, über-
haupt keine Zeit zu Besuchen erübrigen konnte, ausser
für die verehrte Ministersfrau von Frankenberg und
für meinen guten, alten väterlichen Freund, welche
beiden ich samt meinem ganzen Familienkreise nicht ent-
behren wollte. Hauptsächlich konnte dies alles an den
zwei Tagen, die ich mir wöchentlich ganz vorbehalten
hatte, geschehen. Auch hatte es der Baron mit dem
Herzog und der Herzogin abgemacht, dass ich alle
— 117 —
Vormittage ganz für mich haben sollte und keine der
Reisen, die die Herzogin bisweilen unternahm, mit-
zumachen brauchte. Indessen traf es sich schon gegen
Ende des ersten Jahres, dass wir es mit dieser
Forderung nicht allzu strenge nehmen durften. Als
nämlich der Landtag zu Altenburg nach langer Zeit
wieder zum erstenmale mit dem ehemaligen Olanze
eröffnet werden sollte, bat mich die Herzogin, sie da-
hin zu begleiten, was man ihr billiger Weise doch nicht
abschlagen konnte.
Diesen Ausnahmsfall hatte der wunderliche Cha-
rakter der Gemahlin des Herzogs Ernst, Herzogin
Charlotte, herbeigef&hrt, die sich von jedem Er-
scheinen am Hofe befreit hatte, um, wie sie sagte, ein
zurückgezogenes, gelehrtes Leben zu führen, wie viele
aber behaupteten, nur einzig deshalb, um mit jener raffi-
nierten Bosheit, die sie leider kennzeichnete, ihren ver-
ehrungswflrdigen Gemahl zu kränken. Dieser trug alles
mit bewundernswerter Geduld und büsste hierdurch die
Widerspenstigkeit seiner Jugend, in der er sich weigerte,
diejenige Fürstin zu heiraten, oder vielmehr unter
denjenigen zu wählen, die ihm seine Eltern vor-
geschlagen hatten. Er hegte nämlich damals eine
heftige Leidenschaft für eine Person eines andern
Standes. Und so wurde er denn später bei der Rück-
kehr von einer Reise, in Meiningen, wo er sich kurze
Zeit aufhielt , von dieser arglistigen Prinzessin gleich-
sam in das Netz gezogen. Ich enthalte mich ferner-
hin von ihr zu sprechen und bemerke nur noch, dass
— 118 —
sie, gottlob, die einzige Person yon allen war, die
ich je kennen lernte, welche ein Vergnügen darin
fand, Lente zn peinigen, ohne einen anderweitigen
Zweck dam|t zn verbinden. Ihr Gemahl war desto
musterhafter und liebenswürdiger nnd ich wüsste an
ihm nichts zn tadeln, als höchstens dass er (gewiss un-
schuldiger Weise nnd aus Herzensgüte) den Freimaurein
und lUnminaten günstig gesinnt war, und unter anderen
auch der berüchtigte Weishanpt, mit seiner übrigens
sehr schätzbaren Familie, Zuflucht in seinem Staate fand.
Der Tod des Herzogs Ernst, den das ganze Land
tief beklagte und betrauerte, wird mir immer in weh-
mütiger, stillfeierlicher Erinnerung bleiben, erstlich
wegen der blutenden Wunde, die er dem Herzen
meines geliebten väterlichen Freundes schlug, und
ferner wegen der Trauer, welche sein Hinscheiden der
mir in enger Freundschaft verbundenen Familie des
Kriegsrates Reichard verursachte.
Frau Ämelie Reichard, geborene S e i d 1 e r ,
obwohl zwanzig Jahre älter als ich, die damals sieb-
zehnjährige, hatte durch die Anmut ihres inneren
Wesens und ihrer äusseren Erscheinung mein Herz
gewonnen. Sie behandelte mich als vertraute Freundin,
der sie alP ihre Gedanken und Gefühle mitteilte, und
ich muss sagen, dass sie nnd Karoline Dalwigk durch
den überwiegenden Adel ihres Gemütes und ihre ge-
winnende Liebenswürdigkeit mir höchst wohlthätig
und förderlich bei der Entwicklung meines Seelen-
lebens waren. Meiner lieben verehrten Freundin
— 120 —
zu jener Zeit allem Ernste , sowohl in Litteratnr als
Wissenschaft, durchaus keinen Geschmack abgewinnen
konnte. Dennoch liebten wir uns innig: sie empfand
eine Art bewundernder Achtung für mich und ich
ein zärtlich mütterliches Gefühl für sie. unbeschreib-
liche Anmut vereinte sich in ihr mit Herzensgüte
und opferfreudiger Hingebung, während ihren Geist
Heiterkeit und unschuldiger Witz nur noch umso an-
ziehender gestalteten. Sie bezauberte dadurch all-
gemein Jung und Alt und wurde von allen geliebt.
Ich glaube nicht, dass dies ebenfalls von mir gesagt
werden konnte, wiewohl ich von vielen mit über-
fliessender Liebe umschlossen und erhoben wurde. Der
Ernst meines Geistes, welcher sich schon mit den
ersten Jahren des Heranwachsens kund gab, und eine
ebenso abstossende Kraft gegen diejenigen, die ich
als gemeine, niedrige oder engherzige Seelen klassi-
fizierte, wie feurige Liebe und Bewunderung für solche,
die ich meiner Zuneigung würdig erachtete, musste die
Einen ebenso sehr gegen mich, wie die Andern lebhaft
für mich einnehmen. Doch waren es eigentlich nur
wenige, die ich in diese beiden Klassen hätte einreihen
können, und es musste sich natürlich eine bedeutende
Zwischenklasse finden, Leute, die höchst gütig und
freundlich mir, dem so lebendigen Kinde, vieles nach-
sahen, was des Tadels bedurft hätte, und mir durch ihre
Güte und Liebe zwar Zuneigung und Achtung, doch
keineswegs Bewunderung abgewannen. Ich fühle es
noch, wie sich die aufstrebende und suchende Seele in
— 121 —
diesem Liebeselemente selig bewegte. Auch ist mir er-
innerlich; dass Graf Louis Plater einmal sagte: „ Beide
Schwestern sind mir wert und interessant, and ich ver-
gleiche Gräfin Adöle mit einem zwischen blumigen Wiesen
leicht und klar dahinfliessenden Bache, und Sie mit einem
ans der Höhe über Felsen herabstürzenden Bergstrom.**
— Li meiner kindlichen Unbefangenheit verstand ich
damals nicht ganz den Sinn dieser Metapher — und
es ist mir lieb, dass ich sie nicht begriff.
Um von meiner geliebten Schwester und von mir
zu sprechen, habe ich von dem Tode des edlen Herzogs
Ernst abgelenkt, auf den ich nun zurückkommen muss.
Sein am 21. April 1804 erfolgtes Ableben leitete, in-
folge der Gegensätze seines Charakters mit dem seines
Nachfolgers, eine ganz neue Ära für das Herzog-
tum ein.
Merkwürdig war die besondere Art seiner Be-
stattung an einem eigentümlichen Orte, welchen dieser
seltsame, in sich gekehrte, vieldenkende und fein^em-
pfindende Mann, für sein Begräbnis angeordnet hatte.
Auch musste die Beerdigung, ich weiss nicht aus
welchem Grunde, zu später Abendstunde, bei Monden-
schein und Fackellicht stattfinden, was in allen, die da-
bei gegenwärtig waren, sowie auch in mir, obzwar ich
nicht dabei gewesen und nur davon sprechen hörte,
eine poetische Erinnerung znrückliess. Er hatte in
seinem nicht sehr grossen, aber in edlem, grossartigem
Stile angelegten Parke eine ziemlich geräumige,
schattige und mit allerlei Bäumen, hauptsächlich Cy-
— 122 —
pressen nnd Tranerweiden, bepflanzte Insel schaffen
lassen nnd testamentarisch verfügt, dass dortselbst seine
sterblichen Überreste der Erde ohne Sarg, nur in ein
Leichentuch gehüllt, anvertraut werden sollten, angeb-
lich, damit nichts die Elemente seines Leibes ver-
hindere, je eher, je lieber wieder zu Erde zu werden,
woraus sie gebildet waren. Man bereitete ihm dem-
nach einen mit Rasen belegten Sarg an diesem stillen,
umschatteten Orte, und mehrere Tage hindurch strömte
die Menge dahin, die Trauerstätte mit Blumen zu be-
streuen und mit ungeheuchelten Thränen zu befeuchten.
Er hatte sich jede Trauerrede verbeten und nur ein
stilles Gebet angeordnet.
Der Oberhofprediger, ein frommer Christ, und des-
halb von dem aufgeklärten Hofe und der ebenso auf-
geklärten Stadt verkannt und beinahe verlacht, em-
pfing den Befehl, keine Rede zu halten ; er gehorchte,
schloss aber sein Oebet an der Trauerstätte mit wenigen
sinnvollen Worten, die umsomehr Jung und Alt in Er-
staunen setzten, als man sie nicht aus diesem Munde er-
wartet hätte; er sagte nämlich: „Hier ist es dunkel, dort
ist es licht — hier sind wir traurig — dort ist er
selig." Ein allgemeines Schluchzen folgte dieser kurzen,
sinnigen Grabrede.
Da erst nach der Veränderung, die dieser Tod be-
wirkte, meine Hofdamenzeit begann, ist dieser Bericht
eigentlich nur ein Rfickblick auf damals schon Ver-
gangenes und ich komme auf jene Ereignisse zurück,
die meinem Eintritte bei Hofe folgten.
— 123 —
Um nicht ganz in dieser zerstreunngssüchtigen und
ziemlich oberflächlichen Welt, die mich nun umgab, zu
verflachen, hatte ich mich in meinen Mnssestunden mit
Feuereifer der Wissenschaft, und zwar besonders dem
Studium der Geschichte und Philosophie, hingegeben.
Mit dem Hofrat Jacobs*) las ich die englischen
Dichter und lernte nach seinem Bäte die spanische
Sprache, deren Litteratur er mir sehr empfahl. Unter
anderem hatte ich mir auch Winekelmanns Werk über
Plastik und antike Kunst angeschafft, und ein Jahr
später liess ich es mir beifallen, meine schon frfiher
erlangten Kenntnisse in der Mathematik durch die Er-
lernung der Algebra zu bereichern. Ich stiess in dieser
auf Schwierigkeiten, die ich weder in der Geometrie
*) Friedrich Christian Wilhelm Jacobs, Schriftsteller and
Übersetzer, erblickte 1764 zn Gotha das Licht der Welt, woselbst
er auch seine Stadien beendete und den grössten Teil seines Lebens
frirkte. Herzog Ernst II. ehrte und unterstützte sein Talent in
reichlichem Masse. Er starb im Jahre 1847. Von seinen Werken
sind zn nennen: 1. Übersetzungen: Vellejus Patercnlus und
Homer nach Handschriften (1793), Bion und Moschus mit Vorrede
aber Theokrit (1795) etc., etc. 2. Eigene Werke: „Elementar-
bnch der griechischen Sprache** (zwei Bände 1807), „Vermischte
Schriften** (fQnf Bände 1823—1824 Gotha und Leipzig), „AUwin
and Theodor**, „Auswahl aus den Papieren eines ungenannten**,
„Feierabende in Mainaa**, „Die beiden Marien**, etc., etc. Die
meisten derselben erschienen anter dem Titel „Schale für Frauen**
(sieben Bände, Leipzig 1827 folg.) gesammelt. 3. Er gab heraus:
„Exercitationes criticas in scriptores veteres** (1796—1797), «An-
thologia ad fidem codicis Vaticani edita** (vier Bände, Leipzig
1813 — 1817) etc. Über ihn schrieb anter anderen Wüstemann:
„Jacobsi landatio** (Gotha 1847). Der Heraasgeber.
— 124 —
Doch in dem Teil der Trigonometrie, den ich studiert,
gefanden hatte. Unter Herrn S p a r r s Leitung gelang
es mir, dieselben zu überwinden, (der Umstand, dass
er Instruktor meiner Schwester in Geschichte, deutscher
Sprache und Arithmetik war, bot mir Gelegenheit, ihn
zum Lehrer der Algebra zu nehmen). Damals nannten
wir ihn eine gute, reine Seele, schätzten und achteten
ihn, aber ich gestehe, dass ich erst später seinen yoUen
Wert erkennen lernte, nachdem ich durch vielfache
Erfahrungen im Leben inne wurde, wie selten solche
demütigen, liebevollen Seelen sind. Er war dabei voll
Lebendigkeit und ergriff alles Schöne und Edle mit
kindlichem Entzücken. Seine Gesundheit war schwach,
und wenige Jahre später wurde er seinem geistlichen
Berufe entrissen; er starb an Schwindsucht.
Soviel ich mich erinnere, geschah es in meinem
ersten Jahre bei Hofe, dass sich die Herzogin auf
drei Wochen nach dem nahegelegenen Lustschlosse
Ichtershausen begab. Ihr Oberhofmeister, Herr von
Scheliha, dessen Gattin, sowie Earoline Dalwigk,
Emilie Scheliha und ich begleiteten sie. Fräulein
von Osterhausen war während dieser Zeit abwesend.
Ausserdem reisten noch der Kammerherr und Eammer-
rat von Schlotheim, als dienstthuender Kämmerer
und ein Kammerjunker, den ich nicht mehr zu nennen
weiss, mit uns. Herr von Scheliha behandelte mich
mit der gleichen väterlichen Freundlichkeit, wie Herr
von Schlotheim, den man als tiefdenkenden und sehr
gebildeten Mann schätzte,
— 125 —
Ich hatte ausser Winckelmanns „Plastik^ auch
Mendelssohns „Fhädon^ nach Ichtershausen mitgenom-
men, und dieses letztere Werk gab öfters Gelegenheit
zu Tischgesprächen zwischen Schlotheim und mir, die wir
dann noch meistens bei den abendlichen Spaziergängen
fortsetzten, was sich nicht nur sehr interessant ge-
staltete, sondern mir auch noch zum bleibenden Gewinn
wurde, da ich dadurch lernte, meine eigenen Gedanken
auszudrucken und für andere klar zu machen.
Gerade in der schönsten Jahreszeit waren wir also
gemütlich in Ichtershausen etabliert. Das hübsche,
etwas altertümliche Schloss umgab der in altfran-
zösischem Stile angelegte Garten, an welchen ein an-
mutiges Hölzchen stiess, das, von zahlreichen Geh- und
Fahrwegen durchzogen, einem Parke glich. Längs des
Gartens lief eine grosse Lindenallee mit Bänken, in
der ich gewöhnlich früh Morgens, oft schon vor dem
Frühstück, promenierte, mich meinen Gedanken über-
lassend. Wobei sowohl magische Träume der Phantasie,
als ernste, philosophische Forschungen meinen Geist
beschäftigten. Meistens waren wieder Winckelmanns
„Plastik^ oder „Phädon^ meine Begleiter auf diesen
einsamen Spaziergängen zu irgend einer jener lauschigen
Bänke, woselbst ich mich dann mit den beiden stummen
und doch so beredten Freunden zu unterhalten pflegte.
Ich erinnere mich, eines Morgens ganz darin ver-
sunken gewesen zu sein, als plötzlich eine schlichte
Bauersfrau vor mir stand und mich mit den Worten
anredete: „Ei, wie so andächtig schon in der Frühe I^
— 126 —
Erst lächelte ich, dann aber dachte ich, wie gut es
doch die Frau gemeint und wasste es ihr Dank. Mit
dem Socrates war ich ja auch, nach meiner damaligen
beschränkten Meinung, andächtig, da ich dem „unbe-
kannten^ Gotte Anbetung darbrachte — ja wohl noch
unbekannt ist er mir damals gewesen, obgleich er mir doch
so bekannt schien, denn was wusste ich klar von ihm, als
dass er mein Schöpfer und weiser Erhalter sei ? — Die
Erlösung war mir jedoch ganz in den Hintergrund meines
Denkens und Fühlens getreten, und ich hatte ihre
grosse Bedeutung auch in den Einderjahren, wo ich
so gedankenlos daran glaubte, nie recht erfasst. —
In den Vormittagsstunden besuchte ich oft Earoline
Dalwigk, aus deren Fenster uns eine freundliche
Aussicht über den Gai*ten und auf die Ufer der Gera
anlachte. — Wir plauderten, lasen und arbeiteten dann
zusammen und auch Emilie gesellte sich zuweilen zu
uns, jedoch gab sie sich viel mit Musik in den untern
Zimmern ab, wo sie und ich wohnten. — Zu dieser
Zeit war Karoline Dalwigk oft wegen des langen Aus-
bleibens der Briefe ihres Bräutigams Eduard Dewar
betrübt, ich suchte sie zu zerstreuen, doch wollte es
mir kaum gelingen ; als er dann später für einige Zeit in
Gotha erschien, fiel ihm die schwere Aufgabe zu, seine ge-
liebte Braut zu trösten über den Verlust ihrer Schwester,
Frau von Busch, deren Tod sie bis ins Innerste des
Herzens erschüttert hatte. Bald darauf kam er jedoch,
um von ihr Abschied auf längere Zeit zu nehmen, da
das Regiment, bei dem er stand, nach Amerika ge-
— 127 —
schickt warde. Von Ichtershausen ans benutzten die
Herzogin und wir das schöne Sommerwetter nicht nur,
um Spaziergänge und Fahrten in der nächsten Um-
gebung zu machen, sondern auch um Excursionen wie
zum Beispiel nach Molsdorf, Stedten, den drei Gleichen
oder Ettersburg bei Arnstadt und anderen Orten, deren
Namen mir jetzt entfallen sind, zu unternehmen. Mols-
dorf, ein hübsches Schloss, und seinen grossen steifen
Garten, kannte ich längst schon, aber Stedten, von dem
ich so häufig hatte reden hören, war mir noch unbekannt,
und es gereichte mir zur grössten Freude, diesen anmuts-
vollen Ort und den interessanten Familienkreis kennen zu
lernen, von dem ich nicht ahnen konnte, dass ich ihm
später so eng verbunden sein würde. Es war dieses die
Familie des Grafen Keller. Die Gräfin Am^lie, ge-
bome Gräfin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg,
hatte ich zwar in meinen Kinderjahren schon einigemale
in Erfurt gesehen, wenn ich meine Mutter begleitete,
welche gern einige daselbst wohnende emigiierte
französische Familien besuchte. Auch erinnere ich
mich, sie gesehen zu haben, als ich einmal mit meinen
Eltern acht Tage beim Coadjutor von Mainz, Freiherrn
von Dalberg,*) dem nachmaligen Fürstprimas des
Rheinischen Bundes, zubrachte. Gräfin Keller — meine
spätere Tante Am^lie — hatte mir durch ihre auffallende
Schönheit und ihre Leutseligkeit einen sehr angenehmen
*) N&heres über diesen siehe 1. Bach, letztes Kapitel in der
Anmerkung bei seinen Briefen an Julie von Bechtolsheim.
Der Ueraosgeber.
— 128 -
Eindruck zurflckgelassen, der sich jetzt, wo mich mein
reiferes Alter schon fähiger machte, ihre ganze Liebens-
würdigkeit zu erkennen, nicht nar emente, sondern
sogar noch in hohem Grade steigerte. Um ihren
freundlichen, lieblichen Mund schwebte ein Zug von
Wehmut, den wohl damals die Kränklichkeit ihres
Töchterchens Sophie verursachte. Dies liebe Kind
war der Gegenstand zärtlichster Aufmerksamkeit der
zahreichen Geschwister ; auch ihre Tante B o t z h e i m
und deren Tochter Luise, welche beiden ich damals
kennen lernte, teilten sich in die Sorge und Pflege
desselben.
Während dieses Sommeraufenthaltes empfing die
Herzogin den Besuch des Erbgrossherzoges Friedrich
Ludwig von Mecklenburg-Schwerin, welcher,
von Paris nach Ludwigslust zurückkehrend, sie wohl
hauptsächlich seiner Nichte, der Prinzessin Luise,
wegen hier aufsuchte. Ihn begleitete der kaum zwanzig-
jährige Kammerjunker Freiherr von R a n t z a u , mein
nachmaliger treuer Freund, an dem mir damals nur
sein hübsches Äussere, seine gefälligen Manieren und
seine schöne Stimme bemerkenswert schienen. Der
Erbprinz, den ich schon früher in Hamburg beim guten
alten Baron Grimm gesehen, war sehr liebenswürdig,
und die Wehmut, die der Verlust seiner ersten Ge-
mahlin, der Grossfürstin von Bussland, in seinen
Zügen aasdrückte, machte ihn uns allen interessant.
Er blieb nur kurz, und bald darauf begaben wir uns
wieder nach Gotha, wo alle Vorbereitungen zum be-
— 129 —
vorstehenden Landtage in Altenbarg emsig getroffen
wurden.
Wie schon früher bemerkt, mnsste bei dieser
seltenen Gelegenheit eine Ausnahme der Bedingungen
gemacht werden, die meine Eltern für mich aufgestellt
hatten. Über Weimar, wo die Herzogin der Gross-
färstin, die ihr erstes Wochenbett eben damals beendet
hatte , einen Besuch abstattete , reisten wir im Oktober
1805 nach Altenburg , wo ein feierlicher Empfang der
hohen Herrschaften harrte.
Etwa acht Tage nach unserer Ankunft fand die
Eröffnung des Landtages statt. Diese Feier begann
mit einem Gottesdienste, dem die Herzogin mit uns,
schon gegen neun Uhr morgens in grossem Hofstaate
beiwohnte, und zwar auf den Tribünen der alter-
tümlichen Hofkirche, die sich im Schlosse selbst be-
findet. Ich erinnere mich zwar noch deutlich, dass diese
Tribünen mit dunklen Tapeten von Hautelisse dekoriert
waren, doch kann ich mich nicht mehr entsinnen,
welche Plätze der Herzog, seine Herren und die Land-
stände einnahmen. Gleich nach dem Gottesdienste
begaben wir uns in die Gemächer der Grossherzogin,
von wo wir uns dann in geregelter Ordnung mit den
Frauen der Minister in den grossen Saal verfügten.
Pagen trugen der Herzogin die Schleppe von Gold-
stoff nach, und auch wir vom Gefolge hatten alle
reich mit Silber oder Gold gestickte und durchwirkte
Kleider sowie Hofmäntel angethan. Der Herzog liess
sich auf dem Throne nieder. Rechts von demselben
Cftil Grftf Obtrndorif, Erinntningtn tintr UrgroMmntitr. 9
— 130 —
stand die Tribfine der Herzogin ^ links die unsrige.
Dann trat der Kanzler hervor , der die Eröffnungsrede
hielt, so wie anch der Abgesandte von Coburg , da
einige Ämter dieses Herzogtums im Altenburgischen
miteinbegriffen waren , wenn mich meine Erinnerung
nicht trttgt.
An diesem Tage speiste der Herzog in einem an-
stossenden Saale mit den Landständen. Gegen Ende
dieses Festmahles erschien die Herzogin in unserer
Begleitung, worauf alsbald auf ihr und des Herzogs
Wohl getrunken wurde. Wir hatten etwas früher in
einem andern Gemache mit den Ministern, deren
Frauen und vielen andern Herren gespeist. Hierauf
gönnte man sich einige Stunden Kühe , bis zur Abend-
kur, die im grossen Saal, so glänzend als möglich,
abgehalten wurde. Auf der Galerie konzertierten
Musikkapellen, man setzte sich zum Teil, wie ge-
wöhnlich, an die Spieltische oder promenierte im
Saale, sich nach Belieben unterhaltend, bis endlich
die von uns allen ersehnte Stunde des Aufbruches
nahte, die uns, den an Körper und Seele Ermüdeten,
wie ein wahres Labsal erschien.
Nun folgten mehrere Wochen voll rauschender
Feste, wie Bälle, Konzerte, Maskeraden, Dejeuners,
Fischereien u. s. w., auch wurden ziemlich viele durch-
ziehende sächsische und preussische Truppen besichtigt.
Die ruhigen Abende nahm das höchst mittelmässige
Theater in Anspruch.
Bei diesem gesellig bewegten Leben wurden mehr
— 131 —
oder minder interessante Bekanntschaften gemacht.
Die Herzogin von Curland, deren reizender Landsitz
Löbigau in der Nähe lag, kam mit den beiden Fürsten
von Pignatelli, wovon der eine ihr Schwiegersohn nnd
der andere, Prinz Belmonte, wegen seines höheren Ver-
standes nnd seiner hervorragenden Bildung ihr besonderer
Gfinstling war. Durch meine Freundin, Karoline Dal-
wigk, erfuhr ich später, dass ich Prinz Belmonte be-
sonders gefallen und ihn sehr angezogen habe, wes-
halb er nicht aufhörte, sich mit ihr über mich und
das, was er meine Vorzüge nannte, zu unterhalten.
Da sie mich immer, wo sie nur konnte, herausstrich,
erzählte sie ihm von meiner Dichtergabe, was ihn noch
mehr zur Bewunderung hinriss und sogar durch ein
kleines Poem von mir, das sie ihm vortrug, zu Thränen
rührte. Obgleich ich mich während der Zeit seines
Aufenthaltes in Altenburg häufig mit ihm unterhielt,
besonders, da wir ziemlich oft an der Tafel neben-
einander zu sitzen kamen, war mir doch nie einge-
fallen, dass ich einen solch tiefen Eindruck auf ihn
gemacht hätte. Indem er schon im dreiundvierzigsten
Jahre stand und viel älter aussah, als er war, kam
es mir nicht in den Sinn, dass er noch einer solchen
Leidenschaft fähig sein könnte. Ein Glück übrigens,
dass ich es erst nach seiner Abreise erfuhr, es würde
mich sonst wohl in Verlegenheit gebracht haben.
Noch eine zweite Eroberung bei einem älteren Manne
sollte ich anlässlich dieses Landtages machen, näm-
lich beim Gesandten des Coburgischen Hofes, dem
9*
— 132 —
witzigen und geistreichen Minister Eretschmann,
der, beiläufig gesagt ^ einer der hässlichsten Männer
gewesen, die ich je gesehen. Er hatte eine kurze,
untersetzte, breitschulterige Gestalt, sein Gesicht,
an dem nicht ein Zug ohne bedeutenden Mangel, war
rot und aufgedunsen, auch die Nase rot und die
Augen ganz klein und ohne schönen Ausdruck, was
auch kaum möglich gewesen wäre, da er weder liebens-
würdig noch aufrichtig war. In den letzten Tagen
seines Aufenthaltes erfuhr ich, dass ich so glücklich
gewesen, sein Herz auf merkliche Weise zu fesseln,
was mir später eine Menge Spässe zuzog. Er versprach
mir Bücher zum Lesen, die er mir aus Coburg schicken
würde. Eines, welches er mir geliehen hatte, gefiel
mir nicht besonders, und ich lehnte weitere Zusendungen
dankend ab.
Die Morgenstunden suchte ich immer nach dem
Bedürfnis meines Geistes und zwar zur Bereicherung
und Ausbildung desselben auszufüllen. Ich las viel,
unter anderem erinnere ich mich, dass ich damals
Humes „Geschichte von England'' durcharbeitete, und
mich darin das Leben des frommen und geistvollen
Königs Alfred besonders enthusiasmierte; auch las
ich auf englisch die Briefe der Lady Montague
und des Lord Ghesterfield, welch letztere mir je-
doch gar nicht gefielen. Schon in Gotha hatte ich
angefangen spanisch zu lernen auf Anraten des Pro-
fessors Jacobs, der sich sehr mit meiner Ausbildung
beschäftigte; er hielt die Lektüre von Cervantes „Don
— 133 —
Qaixote'' allein fär wert diese Sprache zn erlernen, nnd
meinte, man erkenne den Wert dieses Meisterwerkes nicht,
wenn man anch die beste Übersetzung davon läse. Ich
gestehe, dass mir dieses Werk nie besonders znsagte,
allein es weht uns aus fremden Sprachen ein besonderer
Geist an, und ich habe es nie bereut, die schöne spanische,
wenn auch nur unvollkommen, erlernt zu haben. Ich hatte
bisher dies Studium nur für mich allein betrieben, da
sich aber unter den Musikern der herzoglichen Kapelle
einer befand, der lange in Spanien gewesen und in
dieser Sprache geläufig parlieren konnte, bat ich den
Hofmarschall, Graf Sa lisch, sich zu erkundigen, ob
jener imstande sei, mir Unterricht hierin zu erteilen.
Es handelte sich nicht um die Regeln der Sprache,
ich wollte gern „Don Quixote'' mit ihm lesen, und er
sollte mir nur das, was ich nicht verstand, erklären,
oder auch nur die mir unbekannten Wörter übersetzen.
Er nahm den Antrag an, doch bemerkte ich bald, dass
seine Sprachkenntnis mehr praktisch und für das gewöhn-
liche Leben berechnet war und er mich nur das Sprechen
im Konversationstöne zu lehren vermöchte, während es
mir hauptsächlich um das Litterarische dabei zu thun
war, darum gab ich diese Lehrstunden bald wieder auf.
Noch habe ich nichts von meiner und der übrigen
Damen Wohnung im Schlosse gesagt, das so malerisch
auf einem grossen Porphyrfelsen, die Stadt überragend
und überschauend, daliegt und durch manche historische
Ereignisse, besonders durch den Raub der Prinzen
Albert und Ernst von Sachsen durch Kunz von
— 134 —
Eaufnngen, merkwürdig ist. Wir wohnten in eben den
Oemächem, von wo aus diese Entf&hrnng aus fürchter-
licher Höhe geschah. Meine Zimmer stiessen an jene von
Emilie Scheliha, dann kamen die schönem und grossem
mit alten, bunten Hautelissetapeten geschmückten, die
Earoline Dalwigk, meine Herzensfreundin, bewohnte.
Dort brachten wir manche Nachmittagsstunde zu, meist
mit Handarbeiten beschäftigt und dabei plaudernd,
oder uns gegenseitig vorlesend. Auch Emilie gesellte
sich öfter zu uns, wenn sie es nicht vorzog, bei sich
drüben Klavier zu spielen, worin sie eine grosse Fertig-
keit besass. Wir verfügten uns dann auch wohl zu ihr,
um ihrem Spiele zu lauschen. Am anderen Ende dieses
Stockwerkes und auch mit einer anderen Aussicht auf die
Stadt, wohnte das gute, liebe Fräulein von Osterhausen,
die nachmalige Frau von Etzdorf, welche ebenso, wie
meine unvergessliche Karoline Dalwigk, spätere Baronin
Studnitz, längst gestorben ist. — Da wir uns sehr
gut verstanden, war das Verhältnis zwischen all diesen
Nachbarinnen ein sehr freundscliaftliches. Nie kann
ich Gott genug für eine solch friedliche Stellung am
Hofe danken, woselbst mir, wahrscheinlich meiner
grossen Jugend und meiner mit Ernst gepaarten Heiter-
keit wegen, so viel Beifall im Verkehr mit der Welt
zuteil wurde. Ein unbewusster innerer Zug lenkte
mich jedoch von diesem glänzenden Leben ab und
besseren geistigen Gütern zu, die ich in der Wissen-
schaft und Kunst zu finden hoffte. Dieses emste
Streben veranlasste, dass ich, wo immer ich nur
— 135 —
konnte, mitten in dem lärmenden Getriebe, das mich
nmwogte, stets eine gediegenere Unterhaltung bei
Männern reiferen Alters sachte, und die mag zur Zeit
des Landtages auch Ursache gewesen sein, dass einige
bejahrtere Herren, geschmeichelt ob solcher Bevorzugung,
mir innige Verehrung entgegenbrachten, unter diesen
erinnere ich mich eines sehr liebenswflrdigen und
achtungswerten Mannes aus Rudolstadt, eines Herrn
von Gleichen, der von ferne die Aufmerksamkeiten
des Ministers von Eretschmann beobachtete und wahr-
scheinlich wegen des scheinbar geneigten Gehöres, das
ich dessen Beden schenkte, eine mögliche Gefahr fflr
mich befürchtete, und zwar insofern, als mich des
Coburgers verkehrte Ansichten übel beeinflussen
könnten. Deshalb suchte er sich mir zu nähern und
ein Gegengewicht herzustellen. Eines Tages hatte er
bemerkt, dass Herr von Eretschmann, über geistige
Vorzüge und Herzensgüte sprechend, letztere sehr
gegenüber dem Verstände herabsetzte, und dieselbe
gleichsam eine „Magentugend^ nannte, die nur von Zu-
fälligkeiten abhängig sei. Herr von Gleichen suchte bald
darauf eine Unterredung mit mir über denselben Gegen-
stand anzuknüpfen und schloss seine Rede mit dem Ver-
sprechen, mir am nächsten Tage ein schönes Bild zur
Ansicht schicken zu wollen, welches mir wohl einen
hinreichenden Beweis dafür bieten würde, wie erhaben
hehre Güte über zergliederndem Verstände stehe. Ich
bin ihm noch heute dafür dankbar, wo er wohl schon
längst die selige Anschauung dessen geniesst, den
— 136 —
mir dies Bild zeigte: es war ein wirklich sehr
schöner Christnskopf in natürlicher Grösse. Ich be-
trachtete ihn mit Frende, doch erst später erwies
mir Gott die Gnade, den ganzen Umfang dessen, was
mir der treffliche Mann damit andenten wollte, zu
begreifen.
So waren seit Beginn des Landtages sechs Wochen
vergangen, die sich infolge der vielen Ermüdungen,
der Unregelmässigkeit der Mahlzeiten» und so weiter,
für meine Gesundheit keineswegs znträglich gestal-
teten. Ich war dieses geräuschvollen Lebens satt
und sehnte mich nach Hause zu meinen Lieben.
Gegen Mitte Dezember 1 805 sollte endlich mit Schluss
des Landtages auch der Zeitpunkt unserer Abreise
erscheinen.
In der Welt trug sich währenddessen viel des
Denkwürdigen zu, so unter anderem die Schlacht bei
Austerlitz. Dieser Feldzug hatte zahlreiche Truppen-
durchzüge zur Folge, welche immer zur Unterhaltung
unserer Gesellschaft gemustert wurden; sowohl die
Preussen, als auch die Sachsen präsentierten sich ebenso
schön, wie stramm und stattlich. Es ist wohl natür-
lich, dass man, da soviel von dem Feldzuge im Osten
abhing, mit jedem Tage begieriger der Nachrichten
vom Kriegsschauplätze harrte. Der bejahrte, geistvolle
Minister von Frankenberg erhielt öfters Privat-
depeschen, und weil er sowohl, wie auch seine liebens-
würdige Gemahlin mich von meiner ersten Jugend an
wie ihr Eind zu behandeln pflegten, so schickte er mir
— 137 —
nicht selten schon ganz früh morgens oder anch noch
spät des Abends kleine Billette, nm mir darin mit wenigen
Worten die neuesten Geschehnisse mitzuteilen. Diese
waren meistens originell abgefasst und mit manchem
Scherze gewürzt; so schrieb er mir unter anderem ein-
mal: ^Gh6re Katinka, je ne suis pas Eretschmann, mais
cependant je vous aime k la folie et voudrais bien
pouvoir vous donner de meilleures nouvelles, que je ne
le puis aujourd'hui." —
Es war recht angenehm für uns alle, während
dieser Zeit eine kleine Kolonie im Schlosse zu bilden.
Auch Minister von Frankenberg und seine Gattin
wohnten in den letzten Wochen daselbst , ebenso der
Kanzler von Ziegesar mit Frau und Tochter Sylvia,
der jetzigen Frau von Köthe, welche sich mit uns
Hofdamen sehr befreundete; sie kam manchmal mit
ihrer Guitarre zu uns und unterhielt uns durch Witz
und muntere Laune. —
Nach der bei eisiger Winterkälte zurückgelegten
Heimreise war ich freudig gerührt, alle meine Lieben
in Gotha wiederzusehen. Nur meine einstige Bonne,
Madame Chaumont, fand ich nicht mehr vor; sie war
während meiner Abwesenheit einer langwierigen, sehr
schmerzhaften Krankheit erlegen. Da sie schon Jahre
hindurch in einem traurigen Zustande dahinlebte, musste
man ihr die endliche Ruhe gönnen, allein ihr liebevolles
Herz entbehrten wir alle gar ungern, und ihr Mann
schien untröstlich über diesen Verlust.
Den guten alten Baron Grimm fand ich wohler,
— 138 —
als ich es nach den znletzt erhaltenen Berichten hätte
hoffen können, nnd fühlte mich in seiner liebenden
Nähe wieder recht glficklich. Das Weihnachtsfest ver-
einigte nns alle in stiller, herzlicher Feier.
Vn. Kapitel.
Brautstand, Hochzeit und Grimms Tod.
In Gotha wurde das Leben indessen sehr bewegt and
brillant, als das Haaptqnartier des Generals B fi c h e 1
dort anlangte, nnd auch die Offiziere der vielen durch-
ziehenden oder in der Umgebung lagernden Truppen
in unserem Kreise verkehrten. Wir lernten viele von
ihnen kennen, so zum Beispiel meinen zukflnftigen
Gatten, ferner Herrn von Quitzow, der als Brigade-
major in General Bfichels Korps stand, sodann die
zwei Hauptleute von Seh öl er, von denen der jfingere
später Gesandter in Bussland war und noch viel später,
nämlich nach der Schlacht bei Leipzig, die er und
zwei seiner Söhne mitmachten, preussischer Gesandter
am Bundestage zu Frankfurt am Main wurde. Noch
zu nennen wären die Hauptleute von Kleist und
von Oppen sowohl, als auch der liebenswürdige Graf
D 0 h n a , welche alle viel um Oberst von Scham-
horst, den Chef des Generalstabes, waren, sowie die
Majore von Ziethen und L o g a u , alles heitere und
angenehme Gesellschafter.
So wenig erwünscht uns anfänglich diese vielen
— 140 —
fremden Offiziere waren , so sehr gewannen sie bei
näherer Bekanntschaft, und wir gingen nach einigen
Wochen mit ihnen um, wie mit alten Bekannten, be-
sonders mit denen, die wie Schöler und einige andere
verheiratet waren. Dieser Freund meines zukünftigen
Gemahls schien auch mir besonders gewogen und hatte
schon den Vorsatz gefasst, Einil Bechtolsheim auf mich,
als eine für ihn passende Partie, aufmerksam zu machen,
als er plötzlich, gerade während sein Freund Emil
auf einige Tage bei seinen Eltern in Eisen ach weilte,
dienstlich abreisen musste. Als Emil dann wieder-
kam , zog ihn von selbst sein Herz zu mir , ohne
dass ich etwas davon bemerkte. Als Hofdame war
ich es gewöhnt, ungezwungen mit jedem Fremden zu
konversieren und that dies auch mit ihm. So lebhaft
aber und anziehend auch seine Gespräche sein mochten,
hielt ich es dennoch mit ihm gerade so und nicht
anders, als mit seinem Freunde Schöler und manchem
anderen. Es dauerte jedoch nicht lange, dass mir von
einigen Seiten durch allerlei Neckereien verständlich
gemacht wurde, ich hätte mich doch zu viel mit ihm
beschäftigt, und, da das Courmachen nicht meine
Sache, so fing ich einfach an, mich weniger mit ihm
zu befassen und ihn, soweit es thunlich war, zu ver-
meiden. Bald konnte ich bemerken, dass ihn mein Be-
nehmen betrübte, doch muss ich gestehen, dass dies
nicht viel auf mich einwirkte, da ich mir ein für alle-
mal fest vorgenommen hatte, allen solchen Aufmerk-
samkeiten aus dem Wege zu geben, und Überhaupt
— 141 —
f&r Gefahle dieser Art nicht sehr mitleidig za sein
pflegte.
Als er nun meine gänzliche Oleichgiltigkeit wahr-
nahm, nnd vielleicht eben dies seiner aufkeimenden
Leidenschaft noch grösseres Wachstum verlieh, wusste
er sich nicht anders zu helfen, als meine Schwester
in sein Vertrauen zu ziehen. Dieses liebenswürdige
Wesen, so zugänglich für alle Leidenden, begann
alsbald mir Vorwürfe zu machen über die unver-
bindliche Weise, mit der ich dem Bittmeister Baron
Bechtolsheim begegnete; dies fruchtete wohl wenig,
ja, ich ergriff, als ältere Schwester, sogar gleich die
Gelegenheit, ihr zu bedeuten, dass sie sich nicht in
vertrauliche Gespräche mit fremden Herren einlassen
solle, und dass sich für uns Mädchen die grösste
Zurückhaltung besser zieme. Sie liess jedoch nur für
einige Zeit mit ihrem Zureden nach und kam eines
Abends auf einem Balle mit dem Bittmeister direkt auf
mich zu. Dieser sagte : er habe dringend um ihre Für-
sprache gebeten, um zu erfahren, worin er mir miss-
fallen haben könne, da er nicht länger in dieser Un-
gewissheit zu leben vermöge. Ich entgegnete: er habe
mir durchaus in Nichts missfallen, allein ich wüsste nicht,
inwiefern er ein besonderes Anrecht auf eine andere
Art meines Benehmens haben könnte, und ich wäre
mir bewusst, mich nicht anders gegen ihn zu betragen,
als gegen die übrigen Herren unseres Kreises. Dies
konnte ihm natürlich nicht nach Wunsch sein, und er ver-
liess mich nach diesem Gespräche ganz ausser sich. —
— 142 —
Jetzt fiel es mir wiedemm schwer , etwas zu seinem
Tröste za thun, ohne aas meinem festbestimmten Be-
nehmen gegen alle za treten ; ich versuchte es dennoch,
ging ihm nicht so oft aas dem Wege and glaubte zu
bemerken, dass dies ihm wohlthat. —
Unsere Unterredungen wurden häufiger und un-
gezwungener und, ohne dass ich die geringste Neigung
zu ihm empfand, wurde er mir ein sehr angenehmer
Gesellschafter. Soviel ich mich erinnere, ist es Karoline
Dalwigk gewesen, die mir die Augen über seine immer
mehr und mehr wachsende Leidenschaft für mich öffnete
und mir verkündete, dass ich mich auf eine baldige Liebes-
erklärung und einen Heiratsantrag gefasst machen solle.
Erst wollte ich es nicht glauben, da der Gedanke an das
Heiraten mir sehr ferne lag, aber sie erging sich so sehr
in allen Ausführlichkeiten über ihre Wahrnehmungen,
dass sie mich endlich überzeugte. Sie versicherte mich
auch, sie wisse nicht, warum ich ihm ausweichen sollte,
da dieser junge Mann, was Geist, Kenntnisse, Cha-
rakter und Familie anbelange, für mich eine gute Partie
wäre, und auch bei Kameraden und Vorgesetzten wegen
seiner guten Lebensführung und oft erprobten Tapfer-
keit in grossem Ansehn stände.
„Da es nun schon einmal dein Los ist/' fuhr Karo-
line fort, „wenn auch nicht jetzt, so doch in einem der
folgenden Jahre dich ehelich zu verbinden, solltest du
nicht spröde thun, denn ich glaube kaum, dass du einen
edlern Gemahl finden kannst, als eben diesen, der dich
heiss und innig liebt ; bedenke auch, dass du ihn durch
— 143 —
eine Abweisung grenzenlos anglücklich machen wfirdest.
Ich sage dir dies alles, nicht, nm dich zn einem Entschlüsse
zu drängen, sondern nur um dir zu raten, die Sache zn
überlegen und dich von nun an in deinem Benehmen
nach dem zu richten, was dein Herz bestimmt. Und be-
denke auch, was deine Eltern dazu sagen werden! — ^
Diese letztere Bemerkung wurde aber leider nicht
genug von meiner lieben, sonst so weisen Ratgeberin auf
die Wagschale gelegt. — Das viele Romanlesen einesteils
und andersteils meine, wohl auf Tugend und Moral ge-
stützten, aber doch sehr freien Prinzipien, welche eben
nichts von der Färbung der christlich-frommen Familie
an sich trugen, hielten meine Blicke gefangen. Ich
dachte wohl nicht an die Möglichkeit, ohne die
Sanction meiner Mutter ein Bündnis für die ganze
Lebenszeit schliessen zu können, allein ich glaubte
mir die freie Wahl der Person als Initiative zu-
gestanden. Ich muss freilich dabei bemerken, dass
ich nicht in einem kindlich vertrauten Verhältnisse zu
meiner guten Mutter stand. Wir waren eben in allem
zu ungleich, sowohl in unseren, in so verschiedenen
Stellungen gewonnenen Ansichten, als in unseren eigen-
tümlichen Charakteren und Gaben, um in richtigem
Verhältnisse als Mutter und Tochter zu einander zu
stehen. — Mit Scham muss ich bekennen, dass ich sie
nicht nur übersah, sondern mich sogar noch in meinen
Augen über sie erhob. Hierin mehr als in ii*gend
einem andern Punkte fehlte mir christliches Erkennen
und christliche Demut. Es lässt sich denken, wie mir
— 144 —
die Eröffnung meiner Freundin Karoline durch Kopf
und Herz ging; nicht nur den ganzen Tag, sondern
auch einen guten Teil der darauffolgenden Nacht dachte
ich darüber nach. Zuerst erschien es meinem Wunsche
und Gefühle angemessen, mich durch schnelles Aus-
weichen aus der Sache zu ziehen, da ich eine Abneigung
gegen das Heiraten hatte und hoffte, wenigstens noch
einige Jahre bei den Meinen zu verleben, ohne daran
denken zu müssen. Dann stellte ich mir die tiefe Be-
trübnis des edlen Mannes vor, den schon früher mein Ab-
lehnen seiner Aufmerksamkeiten so geschmerzt, brachte
mir sein von Earoline entworfenes Bild vor mein
inneres Auge, indem ich ihn mit andern verglich, die
ich um mich sah, und schliesslich dachte ich noch an
die Möglichkeit, dass man mich vielleicht in nächster
Zukunft mit einem Manne dürfte verbinden wollen, der
nicht allen Bedürfnissen meines Geistes und Herzens
entsprechen würde, und fasste nach dieser schlaflosen
Nacht den Entschluss, der Sache ihren freien Gang
zu lassen und abzuwarten, was mir das Herz, dessen
edler Gesinnung ich mir bewusst war, nach und nach
zu thun eingeben würde. Ich dachte nicht daran,
meiner Mutter oder dem alten Baron von dieser wich-
tigen Angelegenheit und gerade jetzt, wo ich weder
durch Neigung noch durch irgend etwas anderes ge-
bunden schien, eine Eröffnung zu machen, oder dieselben
um Rat zu fragen. Ich wusste, dass meine Mutter
dem Rittmeister Bechtolsheim sehr wohlwollte und für
ihn eingenommen sei, und dass Baron Grimm seine
— 145 —
Eltern liebte and hochschätzte. Dass er and besonders
aach mein in Frankreich abwesender Vater mit dem
Vermögen d^ Freiers nicht znfrieden sein and des-
wegen Anstand an meiner Verbindung nehmen könnten,
and dass meine Matter sehr betrübt über die Aassicht,
sein würde, einen protestantischen Schwiegersohn za
bekommen, kam mir nar wie eine leicht za beseitigende
Nebensache vor. — Es war dies für eine so denkende
Seele wie ich ein sehr grosser Leichtsinn, allein ihr
müsst bedenken, liebe Kinder, dass mir damals in
meinem poetischen and philosophischen Eigendünkel
ein Ehebündnis höchst anerwünscht schien and ich, ein
ganz ideales Dasein führend, alles, was das praktische
Leben betraf, nicht in mein Inneres aafnahm. 0 wie
seltsam sah es damals in meiner Seele aas ! Trotzdem
hatte ich, wenn aach anbewusst, die seltene Oabe des
Seelenfriedens and mnss Gott danken, dass er Nach-
sicht mit mir übte, wohl des festen and gnten Willens
halber, mich an alles, was ich für recht and edel
hielt, anzuklammern und mich von jedem Unrecht and
allem Niederen abzuwenden. Der Herr sei für diese
unverdiente Gnade tausendmal gepriesen!
Nur in verwischter Erinnerung schweben mir noch
die Tage vor , welche diesem Entschlüsse folgten, der
mich natürlicherweise mehr als bisher an denjenigen
denken machte, der, ach, nur so kurze Zeit der Ge-
fährte meines Lebens werden sollte. Er bezeigte mir
alle liebenswürdige Freundlichkeit und alles erdenk-
liche Interesse, ohne je die Schranken der Schicklich-
Carl Orsf Obtrndorff, EriiiB«niaftB tiatr ürfroftmutUr. 10
— 146 —
keit irgendwie zu überschreiten y und je mehr ich ihn
beobachtete , desto mehr mnsste ich ihm Achtung und
Teilnahme schenken, ohne jedoch von ihm so ein-
genommen zu sein , dass mich die Aussicht auf eine
engere Verbindung mit ihm besonders gefreut hätte; ich
begann nur, dieselbe weniger zu f&rchten und mich an
den Gedanken zu gewöhnen, diesem so edeldenkenden
Manne eine beglückende Lebensgefährtin zu werden.
Viel früher, als es zu erwarten gewesen, erhielt
Baron Bechtolsheim den Befehl, seinen Aufenthalt in
Gotha mit dem in Hannover zu vertauschen , da dieses
Land von den Preussen besetzt werden sollte und be-
stimmt war, durch neue Traktate Preussen einver-
leibt zu werden.
Es schmerzte ihn sehr, nun vielleicht die Hoff-
nung auf eine weitere allmähliche Entwicklung unseres
Verhältnisses aufgeben zu müssen, und er fühlte das
Bedürfnis, mir seine Wünsche in dieser Hinsicht zu
eröffnen. Er bat mich daher zwei Tage vor seiner
festgesetzten Abreise, während einer musikalischen
Soir6e, die bei uns stattfand, um die Gunst einer
UnteiTedung unter vier Augen. Ich antwortete, dass
dies wohl nicht thunlich sei; wenn er aber am folgenden
Morgen sich bei Earoline Dalwigk einfinden wolle, so
könne er mich dortselbst treffen, und ich hätte kein
Geheimnis vor meiner Herzensfreundin. Er nahm den
Vorschlag willig an, und Ihr könnt Euch denken,
wie sehr mich dieser mein Schritt bewegte, obgleich
ich durchaus nichts Unrechtes oder Ungeziemendes
— 147 -
md so schien es auch ihm und selbst
fitt M streng alle Gesetze der Sitte be-
Idi hatte die Nacht im elterlichen Hanse
iBd zing im Lanfe des Vormittags hinauf
Da ich ganz recht zu handeln glaubte^
Lkbe zum guten Emil noch nicht gar gross
wohl einige Aufregung , doch pochte
ndit so, als es der Sachlage nach hätte
Earoline, die ich benachrichtigt hatte,
mit tiefer KAhrung, und ich gestand
selbst . dass dieser Schritt meine Freiheit
hatten wir einige Worte gewechselt,
ais iesT Rinmeister Ton Bechtolsheim . durch die alti;
Helling, eine bewahrte, langjährig»^ IHtnHrin
angemeldet, eintrat. Er machte kniu^i
t Eiaileitiing und druckte nur aus. wie er voll
Hoffnung sei. dass dioser Ausrenblick ilw«
aller Menschen mÄcUou würde. Ich war
Tcrwirrt und wusst^ nicht jiloich, was ich gag«tri
uiDtt. aber nachdem er s^oino \\ ansehe klar au»^«
ges^t>eh£n hatte, erklärte ich ihm. wie ^eschmeictj<:lt
kk mick durch seine Wahl fUhlo. und wie nichtK i»
■jr mich zu einer abschlA^^ix^ou Vuiwort beätiujrncji
kdaae. Ich hoffe, meine Kltorn wuulou ihre Zusümmuua
n mserem Bunde gobou . wh imissto sogleich tttntn-
und meinen aUon Kivund darum bitti?ij, *itt
Vater aber abwosouil sou würdo ich ihm in tU^**-^
AAgelegenheit schroibon. bis rum Kmpfang seiner A»**
Wort sei aber nocli allos gohcim zu halten u$*4 ht
— 148 —
keinen Teil bindend. Mit grosser Beklemmung sprach
er von den möglichen Einwendungen, die man hin-
sichtlich seines Vermögens nnd, von Seite meiner
Mutter, wegen seiner Beligion machen könnte. Betreffs
dieses letzteren Bedenkens konnte ich ihn nicht besser
beruhigen y als mit der Hoffnung , die ich im Herzen
trug, dass dieses Hindernis, wenn auch nicht gleich, so
doch mit Geduld zu beseitigen sein würde, weil meine
Mutter ihn sehr schätze und mein Gluck wolle. —
Nachdem die gute Karoline noch einige freundliche
Worte mit uns gewechselt hatte, liess sie uns einen
Äugenblick allein, den Emil benützte, um mich seiner
grenzenlosen Liebe zu versichern, worauf ich ihm kaum
antworten konnte, was ihn ganz hätte befriedigen
können, er vermochte ja doch Zutrauen und Billigung
in meinen Blicken zu lesen, und dies mnsste ihm fürs
erste wohl genügen.
Ich zögerte nicht, meine Mutter von seinen und
nunmehr auch meinen Wünschen in Kenntnis zu setzen,
und erschreckte sie sehr durch die Mitteilung, die sie
eigentlich nicht so unerwartet hätte treffen sollen, da
Emil sich gar keine Mühe gegeben, seine Liebe für
mich zu verbergen. Sie sprach von seinen unzuläng-
lichen Vermögensverhältnissen , indem die militärische
Besoldung dabei nicht in Betracht kommen könne,
und von der Beligionsverschiedenheit , die ihr ein un-
überwindliches Hindernis schien , da sie nicht zugeben
würde , dass ihre Enkel anders , als katholisch erzogen
würden. Mir lag freilich damals dieser so wichtige
— 149 —
und richtige Punkt nicht gar sehr am Herzen, und ich
tröstete sie damit, dass vielleicht die Familie Bechtols-
heim darin nachgiebig sein würde. Diese Unterredung
that uns beiden jedoch sehr weh, und ich trachtete sie
möglichst abzukürzen.
Wie ich dem alten Baron die Sache vortrug, ist
mir nicht mehr erinnerlich, aber so viel weiss ich noch,
dass sogleich die liebenswürdige und ehrwürdige Frau
von Frankenberg um Rat gefragt wurde und dass
diese sich sehr bestimmt für den Rittmeister von
Bechtolsheim entschied. Sie lobte nicht nur seinen
edlen Charakter und die ausgezeichnete Ausbildung
seines Oeistes, sondern setzte auch hinzu, dass, wenn-
gleich seine Vermögensverhältnisse nicht brillant wären,
er eine schöne und vielversprechende militärische
Carri^re vor sich hätte. Der gute alte Baron war
demnach für die Sache gewonnen und suchte die Ein-
willigung meiner Mutter zu erlangen, während ich
an den Vater schrieb. Der Ausgang hat bewiesen,
dass alle Hindemisse beseitigt wurden, und einige
Zeit später waren wir glückliche Verlobte.
Im Mai 1806 erwirkte sich Emil einen Urlaub,
um vierzehn Tage in Gotha verweilen zu können
und auch seine höchst erfreuten Eltern zu besuchen.
An diese Zeit, wo wir uns erst näher kennen lernten
und inne wurden, dass eine grosse Einhelligkeit
und Übereinstimmung in unseren Gedanken und Ge-
fühlen herrsche, erinnere ich mich wie an eine lieb-
liche Jugendblüte. Wir lasen des Morgens einige litte-
— 150 —
rarische Schriften, die uns Stoflf darboten, unsere Be-
merkungen uns gegenseitig kundzuthun ; wir besuchten
desgleichen die lieben Bekannten und machten mit
ihnen Wanderungen in die nächste Umgebung. Dies
Letztere geschah auch hauptsächlich während jener
acht Tage, die ich mit meiner Mutter in dem in so
schöner Umgebung liegenden Eisenach bei meinen zu-
künftigen Schwiegereltern zubrachte. Diese hatten mich
mit ungewöhnlichem Enthusiasmus empfangen, und eben
so offne Arme und Herzen fand ich bei den lieben
Tanten Keller und Botzheim, welche sich mit ihren
Kindern einfanden, was mir eine unbeschreibliche Freude
gewährte. — Dank, Ihr Lieben, fär alles, was Ihr immer
in Freud und Leid mir und später auch meinen Kindern
gewesen seid! —
Nicht ohne Wehmut schieden wir nach kurzer
Zeit wieder alle von einander, doch in der Aussicht,
dass das Fest unserer Hochzeit in nicht gar langer Frist
uns wieder vollzählig versammeln würde, und dachten uns
wohl den Herbst als besten Zeitpunkt dafür, doch sollte
erst, um etwas Näheres hierüber bestimmen zu können,
die gehoffte, wenngleich von mancherlei Umständen
abhängende Rückkehr meines Vaters aus Frankreich
abgewartet werden. Infolge der vielen politischen Er-
eignisse waren jedoch die Geschäfte, die ihn dort behufs
Rettung seines Besitzes und Vermögens zurückhielten,
so wichtig geworden, dass seine Anwesenheit daselbst
dringend geboten schien, was seine Rückkehr zu uns
immer mehr und mehr verzögerte. Im August erkrankte
— 151 —
Emils Vater so ernstlich und schwer an zorttckge-
tretener Gicht, dass er schon am 1. September zur nnans-
sprechlichen Trauer der Seinigen und ganz Eisenachs
ans dem Leben schied.
Obgleich es schon sehr kriegerisch am politischen
Horizonte wetterleuchtete, erhielten seine Söhne dennoch
Urlaub, um zur betrübten Mutter zu eilen, ihr in diesem
schweren Momente beizustehen und ihr die sehr ver-
wickelten Geschäfte ordnen zu helfen. Auf den aus-
gesprochenen Wunsch meiner nachmaligen Schwieger-
mutter hin kam auch ich fttr eine Woche nach Eisenach,
wo ich ihren Sohn Gustav, damals im Dragoner-Regi-
mente „Eönig^ stehend, kennen lernte. Die gegen-
seitige Liebe der Brüder und ihr Verhältnis zur guten
Mutter war rührend, ebenso ihre tiefempfundene Trauer
um den verehrten, innigstgeliebten Vater. Gustav
und ich fühlten uns bald wie Geschwister. Er war
halb und halb verlobt, doch hatte der Vater seiner
nachmaligen Frau die Bedingung gestellt, dass Gustav
aus dem Kriegsdienste treten solle, da er sich nicht
entschliessen könne, seine Tochter in der traurigen
Lage zu sehen, in welche die vielen Gefahren des
Krieges sie bringen könnten. Auch Louis Bechtolsheim,
der in Weimarschen Kriegsdienst getreten war und
etwa achtzehn Jahre zählte, lernte ich kennen, er er-
freute uns aber wenig durch sein Benehmen, das nicht
freundlich und offen war.
Der für Preussen so unglückliche Feldzug bereitete
sich vor, und die ganze Armee war voll Enthusiasmus
— 152 —
nnd Hofihong, etwas zum Sturze Napoleons beitragen
zu können. So schmerzlich es mich natürlich traf, dass
mein vielgeliebter Bräutigam ins Feld der Gefahren
ausrücken sollte, und so schwer es ihm wurde, seine
eheliche Verbindung mit mir in eine unbestimmte Feme
gerückt sehen zu müssen, so schien seine Begeisterung
für die Sache, welche die preussische Armee zu ver-
teidigen hatte, und seine Neigung zum Waffenhand-
werke nichtsdestoweniger so gross, dass er auch mich
mit seinem Enthusiasmus ansteckte und stärkte, das
heldenmütige Opfer gleich ihm mutig zu bringen.
Nach dem Aufenthalt in Eisenach sahen wir uns
nur noch einmal auf sehr kurze Zeit in Gotha, wohin
er mit dem Stabe des Generals von Eüchel kam. Nach
dieser Truppenabteilung kamen immerwährend andere,
und die ganze Gegend war bald mit preussischen Sol-
daten überzogen, während von Südwesten her Napoleon
mit seiner Armee gegen Jena heranrückte. Prinz
Ludwig Ferdinand, ein Vetter des Königs Fried-
rich Wilhelm IIL, liess sich gleich durch Übermut
verleiten, auf Vorposten sich unvorsichtig an die Fran-
zosen heranzuwagen, was er mit dem Leben büsste.
Dieser Fall eines beliebten Helden aus der königlichen
Familie schien manchem ein böses Omen.
Aus Erfurt langten die ersten Zeilen meines lieben
Emils an, sie enthielten auch einige Worte über Be-
cognoscierungen und dergleichen, waren aber die letzten,
die ich in langer Zeit von ihm erhielt Er musste sich
mit Büchel nach dem unglücklichen Treffen von Auer-
— 163 —
städt und Yierzehn-Heiligen nach Magdeburg begeben,
während der andere Flfigel der Armee und das Zentrum,
vom Herzog von Brannschweig kommandiert, wie be-
kannt, geschlagen wurde, so dass die Franzosen bis
zu uns vorrückten, also die feindliche Armee zwischen
uns blieb. Den Eindruck, den es mir machen musste,
an der nämlichen herzoglichen Tafel mit den ersten
französischen Offizieren und dem durch die Revolution
so fürchterlich bekannten General Westermann zu
speisen, wo kurz zuvor unsere lieben Preussen mit
uns zu Tische gesessen und uns so freundschaftlich
unterhalten hatten, kann ich ebensowenig schildern,
wie die allgemeine Betrübnis über die so rasch ver-
lorene Schlacht von Jena, deren Kanonendonner bis
zu unseren Ohren gedrungen war. Wir hofften jedoch
alle, es sei durch diese erste Schlacht nicht alles ver-
loren, die Preussen würden sich wieder sammeln und
die Fremden aus dem Lande vertreiben. Die für Preussen
und Deutschland so unglückliche Wendung dieses Feld-
zuges ist durch die Geschichte hinlänglich bekannt.
Ich erwähne daher nur, dass mich ausser dieser all-
gemeinen Betrübnis noch der Kummer bedrückte, durch
volle vier Wochen gar nichts von Emil zu wissen. Ich
suchte mich zu fassen und seinen Bat bestmöglichst
zu befolgen, da er, diesen Fall voraussehend, mich in-
ständig gebeten hatte, auch dann, wenn ich, wie es
in den Wechselfällen des Krieges so häufig der Fall
sei, keinen Brief von ihm bekommen sollte, den Mut
nicht sinken zu lassen und von Gott ein günstiges
— 154 —
Ende des Feldznges zu erhoffen. Es gelang mir dies
anch so ziemlich, nnr erschwerte es mir einige Male die
seltsame Art des Herzogs Aagnst, welcher mir öfter
sagte: ,, Wirklich, ich kann nicht begreifen, wie Sie unter
diesen Umständen so ruhig sein können I Sie halten
auf eine unnatürliche Weise und zu stark an sich ! Es
wäre besser f&r Sie, sich mehr gehen zu lassen.^ —
Kaum konnte ich in dieser Äusserung eine wohlthuende
Zurede empfinden und regte mich mehrmals so auf,
dass meine Gesundheit darunter litt
Endlich im November kam ein Brief Emils aus
Prenzlau in Pommern, worin er voll tiefster Wehmut
meldete, dass er durch eine schändliche That des
Generalstabschefs des Fürsten Hohenlohe-Ingel-
fingen, unter dem er kämpfte, mit dem ganzen
noch ziemlich bedeutenden Eeste des Armeekorps ge-
zwungen worden sei, sich an Murat, den Schwager
Napoleons, der eine geringere Anzahl Truppen, als die
unseren befehligte, als Gefangener zu ergeben. Er
schrieb ferner, dass im Augenblicke, wo sie erfahren
hatten, dass ihnen kein anderer Ausweg blieb, er und
ein Major von 0 p p e 1 mit einer Truppenabteilung die
Verabredung getroffen hätten, sich von diesem, nach
ihrer Ansicht in seiner Ehre schwer verletzten Armee-
korps zu trennen und durch Pommern bis nach Königs-
berg durchzuschlagen, um dort zum König und dessen
Heer zu stossen. Dieser heldenmütige Entschluss
blieb aber nur kurze Zeit ihr Trost in jener Trübsal,
denn ein Oberst, dessen Name mir nicht mehr er-
— 155 —
innerlich ist und welcher von diesem Plan gehört
hatte, that sein Möglichstes, sie davon abzubringen
und, als ihm dies nicht gelang, die Soldaten und
Unteroffiziere zu entmutigen, ihnen alle Gefahren des
Wagnisses schildernd. Auf diese Weise fielen die
meisten ganz ab, und selbst den wenigen Übrigbleibenden
schien der zu einer so kühnen Handlung nötige
Enthusiasmus entschwunden zu sein, so dass man zum
grössten Leidwesen der zwei heldenmütigen Unter-
nehmer gezwungen war, auf deren Ausführung zu ver-
zichten. Nicht nur sie, sondern auch der grösste Teil
der Offiziere ergab sich mit dem Schmerze der Ver-
zweiflung in das unabwendbare Schicksal. 8ie be-
schuldigten den Chef des Generalstabes des Fürsten,
ohne hinreichenden Grund die Versicherung gegeben
zu haben, dass keine Munition mehr vorhanden sei,
um den Krieg in diesem Augenblicke fortzuführen, er
galt ihnen dafür als Verräter; ob er sich später zu
rechtfertigen vermochte, ist mir nicht bekannt. Unter
Verpfändung ihres Ehrenwortes, in diesem Feldzuge
nicht mehr gegen Frankreich zu kämpfen, erhielten die
gefangenen Offiziere die Bewilligung, sich einen be-
liebigen Aufenthaltsort zu wählen. Emil begab sich
daher in seinen Gamisonsort Aschersleben im Hildes-
heimschen, wo er noch ein Quartier und Mobiliar be-
sass. Von dort aus schrieb er seiner Mutter und mir,
trauernd über die Unmöglichkeit, in der er sich be-
fände, als Gefangener und dadurch in so veränderter
Lebenslage, sich bei uns einzufinden. Scham und
— 156 —
drückender Schmerz hielten ihn fem von seinen Lieben.
Auf die militärische Laufbahn verzichten zu müssen,
war ihm ein unerträglich quälender Gedanke, dann
brachte ihm seine doppelte Anstellung als Kittmeister
und Brigademajor des Armeekorps des Herzogs von
Brannschweig mehr als dreitausend Reichsthaler jähr-
lich ein. Der Entfall dieser Summe musste bei seinem
nicht bedeutenden Vermögen in Betracht gezogen werden.
Unter den früheren Verhältnissen hätten wir, vereint
mit dem, was ich bei meiner Vermählung erhalten sollte,
ein hinreichendes Einkommen gehabt, um sehr angenehm
leben zu können.
Unser Aufenthaltsort sollte Hannover sein, wo er
in den ersten Kreisen der Stadt sehr wohl gelitten
war; er hatte daselbst schon bei einem berühmten
Wagenbauer einen eleganten Wagen um den Preis von
eintausendzweibundert Reichsthalem bestellt, welchen
er der nun eiuß^etretenen ungünstigen Umstände halber
wieder abbestellte. Es war vorauszusehen, dass nach
Beendigung des unglücklichen Feldzuges grosse Re-
formen in der preussischen Armee vorgenommen werden
würden, wie es denn auch wirklich geschah. So wie
jetzt die Dinge standen, wagte er es nicht mehr, an
eine Verbindung mit mir zu denken und schrieb mir
auch in tiefstem Schmerze, er würde es meinen Eltern
nicht verargen können, wenn sie, wenigstens vor der
Hand, von dieser Heirat nichts mehr wissen wollten,
und er müsse es sich schon gefallen lassen, unter dem
Zwange solch neuer Verhältnisse abgewiesen zu werden.
— 157 —
Natürlich war dies keineswegs meine Meinung, unsere
Verbindung war ja mehr Herzenssache, als anf äussere
Umstände gestützt, und sowohl meine Mutter, die ihn
sehr würdigte und liebte, als auch der alte Baron
zeigten sich von seinem Zartgefühl tief gerührt. —
Sie luden ihn ein, wenn er seine Geschäfte in Aschers-
leben, wo er die Einrichtung verkaufen wollte, ab-
gewickelt hätte, zu uns auf unbestimmte Zeit zu Be-
suche zu kommen, wo wir dann das Fernere besprechen
könnten. Emil, welcher sich demütig unter die Hand
des Allmächtigen gebeugt hatte, harrend, bis Preussens
Schicksal das seinige entscheiden würde, war unaus-
sprechlich getröstet und erfreut durch die Hoffnung auf
unser baldiges Wiedersehen und meiner lieben Mutter
dankbar für ihre zuvorkommende Güte.
Im Dezember langte er endlich bei uns an. Dass
unsere Wiedervereinigung sich äusserst rührend und
ergreifend gestaltete, lässt sich denken. So traurig
auch für jedes gutdenkende Herz die Zeiten sein
mochten und so übel sie uns mitgespielt hatten, feierten
wir dennoch unser Wiedersehen mit inniger Freude,
und diese wurde von unserer Umgebung aufrichtig ge-
teilt. Wir lebten ganz in der Gegenwart, trachtend,
dieselbe so wenig als möglich durch die Erinnerung an
die jüngste Vergangenheit zu trüben. Doch musste
bald auch der nächsten Zukunft gedacht werden, und
ein edler Kampf begann, indem sich Emil wieder erbot,
bis auf glücklichere Zeiten sich gedulden zu wollen,
während wir meinten, es könne in Hofhung einer nahen
— 158 --
besseren Zukunft die Vermählung schon jetzt vor sich
gehen, da sie durch das gegebene gegenseitige Ver-
sprechen und das Band unserer Herzen doch unwider-
ruflich feststehe. Ich für meinen Teil, die ich frUher gern
noch eine Zeit lang meinen glücklichen Brautstand ver-
längert hätte, glaubte nun edler zu handeln, indem ich
mich nicht weigerte, denselben abzukürzen, was für
meinen Emil in seiner so schweren und trüben Lage ein
grosser Trost werden musste, umsomehr, als er durch
sein nun berufloses Leben sehr vereinzelt dastand. —
Es wurde also beschlossen, dass wir am 11. Januar,
seinem Geburtstage, zu Erfurt in der Augustinerkirche
auf katholische und, dann nach dem Wunsche der Seinen,
in Stedten auf protestantische Weise am selben Tage ge-
traut werden sollten, doch wurde es auf meinen Geburts-
tag, den 13. Januar, verschoben, weil Schwester Ad^le
an einer schmerzlichen Halsbräune litt, und man hoffte,
sie würde zwei Tage später schon im stände sein, die
kleine Exkursion im geschlossenen Wagen mitzumachen.
Leider nahm ihr Übel eine solche Wendung, dass man
den Zeitpunkt nicht mehr voraussehen konnte, wo sie
sich der Kälte würde aussetzen dürfen, und so musste
ich der tröstlichen Freude entbehren, sie, die vielge-
liebte Gefährtin meiner Kindheit und Jugend, an meinem
Hochzeitsfeste teilnehmen zu sehen, was auch sie sehr
schmerzlich traf.
Von Emils Verwandtschaft waren ausser seiner
Mutter noch anwesend: Tante Botzheim mit ihrer
Tochter Luise und Onkel Keller sammt seinen Söhnen,
— 159 —
während seine Frau mit ihren Töchtern in Wien
weilte. Die Eellersche Familie hatte sich einige Tage
Mher mit Emil nach Stedten begeben, um daselbst
die nötigen Anordnungen zur Einquartierung der Hoch-
zeitsgäste zu treffen. Die Tage vor meiner Vermählung
brachte ich in stiller Zurückgezogenheit mit der Pflege
meiner lieben, kranken Adfele und mit der geistigen
Vorbereitung, durch Empfang der heiligen Sakramente
beschäftigt, zu. Am dreizehnten Januar früh, an einem
ziemlich kalten Wintermorgen, fuhren wir von Gotha
nach Erfurt ab: meine Mutter und ich, Tante Botz-
heim und Luise, unsere Freundin, Frau Ettinger, mit
Tochter und Charlotte ßeichhard. Leider musste die
gute Marchais, meiner Schwester und des lieben alten
Barons wegen, zurückbleiben, was auch ihr, als der
ersten Freundin meiner Einderjahre und meines ganzen
bisherigen Lebens, recht schwer fiel.
Da meine Trauung viel früher stattfand, als es
vorher im Plane gelegen und mein Vater nicht bis
zu diesem Termine eintreffen konnte, trug ich statt
des silbergestickten Brautkleides, welches er aus
Paris mitbringen sollte, ein Kleid aus gestickter ost-
indischer Mousseline, durch welche das Unterkleid
von weissem Atlas schimmerte; und um mich vor der
Kälte, die ich nichtsdestoweniger stark empfand, zu
schützen, hatte ich noch einen wattierten, mit Schwanen-
pelz verbrämten Überwurf aus weissem, ungeschnittenem
Samt mit eingewebtem Blumenmuster von Veilchenfarbe
umgethan ; auch der Muff und die Palatino waren von
~ 161 -
war and der uns nan trauen sollte, erreichten. Wenige
Minuten später langte auch die Karawane aus Stedten
an, nämlich meine Schwiegermutter mit Emil und Onkel
Keller mit seinen Söhnen, die Herren in Uniform, so
dass alles *gar stattlich aussah. Mit ihnen kam auch
ein ehemaliger Hofmeister meines lieben Emil, Herr
Pfarrer Reinhard, aus naher Gegend, der mich gar
freundlich bewillkommte und sehr geschätzt und beliebt
in der Familie zu sein schien. Beim Eintritt meines
Bräutigams, der nun mein Ehegemahl werden sollte,
war mir die Seele tief bewegt, und auch sein Angesicht
gab Kunde von Glück und innerer Rührung. Bald
fanden wir jedoch unsere natürlich -heitere Stimmung
wieder, so dass wir in die Klosterkirche vor den schön
gezierten St. Josefsaltar tretend, so unbefangen und im
Gemüte ruhig waren, als sei die Stunde nicht eine so
hochfeierliche, entscheidende fürs ganze Leben. Mir
kam vor diesem Altare und bei allem, was uns Pater
Muth ans Herz legte, alles wie ein seltsamer Traum
vor ; dann aber nach dem Wechseln der Ringe und dem
letzten Segensspruche flössen Thränen der Rührung von
meinen wie von aller Augen. — Hierauf begaben wir
uns wieder in die Zelle des Paters zurück, um das
Vorfahren der Wagen, die uns nach Stedten bringen
sollten, abzuwarten und wurden von unseren Müttern
und den lieben Freunden gesegnet, beglückwünscht
und umarmt. Wer mich in Erfurt zum Altare geleitete,
ob meine Mutter oder der Brautführer, weiss ich nicht
mehr zu sagen; in Stedten war der neunzehnjährige
Carl (IrafObarndorff, firinaerang«» «intr Urgroumaitor. H
— 162 —
Theodor Keller mein Brautführer. Das Wiedersehen
aller genannten, in Freundschaft verbundenen Personen
im wohlbekannten Salon der lieben Tante zu Stedten
gestaltete sich freundlich, herzlich und wohlthuend.
Nach allen diesen Ereignissen war der Tag schon
vorgeschritten, und dennoch dauerte es eine Weile, bis
der gute Martin, der treue, alte Koch Onkel Kellers,
mit seinem nur allzu prunkhaften Festmahle fertig
wurde, so dass es bereits ziemlich spät war, als wir
uns an das grosse, festliche Bankett im „Pappelsaale^
setzten. Es flimmerten sämmtliche Kronleuchter, und
Guirlanden hingen von allen Seiten nieder, so bedacht
war der gute Onkel gewesen, alles recht feierlich einzu-
richten. Mein Platz an der Tafel befand sich zwischen
ihm und meinem Gemahl; anfangs schien alles noch recht
lebendig und lustig zu sein, aber da das Mahl sehr lange
dauerte und das frfihe Ausfahren und so manche andere
Anstrengung des Tages 'uns alle mehr oder weniger
ermüdet hatten, so reichte die Kraft von Emils fröh-
licher, immer so reich begabter Laune kaum mehr aus,
uns alle wach zu erhalten bis zum Ende des Diners,
das nun zugleich Souper geworden war. Nichtsdesto-
weniger ermunterte man sich wieder im Salon, die
einen bei Klavier und Gesang, andere beim Schach-
und Lottospiel oder in heiterem Gespräche. Vor der
Trennungsstunde wurde von der anwesenden unver-
heirateten Jugend um den Kranz und das Bouquet der
Braut ein Reigen getanzt; der Brautführer, welcher
mit verbundenen Augen in der Mitte stand und diese
— 163 —
Insignien in Händen hielt, hatte sie einer der sich
am ihn im Kreise bewegenden Personen zn Über-
reichen. Es sollte dies ein Omen sein, wer zuerst
Hochzeit feiern würde. Ich weiss nicht mehr, ob es
die Sichtige traf, nämlich Charlotte Reichard.
Die nächstfolgenden Tage blieben wir in Stedten
vereint, dann kehrten wir nach Gotha zurück, wo
ich natürlich zuerst beim teuem, väterlichen Baron ab-
stieg und ihn, sowie auch meine liebe Schwester und
die treue Marchais umarmte. Hierauf begaben wir
uns in unsere hübsche Wohnung in der Siebleberstrasse,
welche die Freunde mit Geschenken und freundlichen
Angebinden geschmückt und angefüllt hatten. Bald
kam auch eine Fülle von Besuchen von Freunden und
Bekannten angerückt. Ich kann sagen, dass die Teil-
nahme eine grosse war, da ausser der Wohlgewogenheit,
die man mir von meinen Kinderjahren an bewies,
auch mein Mann sich grossen Beifalls und allgemeiner
Achtung erfreute. Bei Hofe, wo ich mich acht Tage
vorher als Hofdame verabschiedet hatte und mir ein
grosses Abschiedsfest bereitet worden war, erschien
ich nun als junge Frau und wurde wieder sehr gefeiert.
Nachdem diese erste, etwas lärm volle und unruhige
Zeit vorüber gerauscht, verlebten wir angenehmere,
stillere, und da viele unserer Freunde hervorragend geist-
voll waren, auch anregende Tage. Es sammelte sich
damals ein sehr brillanter Kreis in Gotha, und man
unterhielt sich auf alle Weise, trotz des Ernstes der
Zeit. Wir waren sehr ästhetisch und kunstliebend.
11*
— 164 —
Das brachte ans auf den Gedanken, manche Bruch-
stücke ans Schillers Tragödien dramatisch vorzutragen.
Es geschah dies zuerst bei uns und später bei Prinz
Friedrich, der neben seiner Villa ein wohleingerichtetes
Theater herstellen liess, wo dann auch ganze Stücke
gegeben wurden. In die Details hierüber kann ich nicht
eingehen. Nur so viel will ich noch sagen, dass Emil
und ich als Leiter dieses Theaters galten und so
glücklich waren, einen solchen Einfluss über die Mit-
glieder der Truppe zu gewinnen, dass nie eine Unan-
nehmlichkeit oder Yerdriesslichkeit für uns daraus
erwachsen konnte. Ein einziges Mal wollte ein junger
Mann die ihm zugedachte Rolle nicht gleich übernehmen,
that es aber dennoch später mit guter Manier. Ich
selbst spielte weniger mit, als mein Mann und meine
Schwester, die ein merkwürdiges Talent in dieser Kunst
entwickelten. —
Im Frühjahr begann meine von jeher zarte Ge-
sundheit sehr zu leiden, so dass mir der Gebrauch von
Karlsbad verordnet wurde, welcher Kur ich mich im
Juni unterzog und die von bestem Erfolge begleitet
war, besonders weil ich Franzensbad als Nachkur ge-
brauchte.
Noch ehe der Sommer ganz vorüber, hatte mich
der Herr mit der Hoffnung, im kommenden Lenze
Mutter zu werden, gesegnet, was mein Herz mit Dank
und Freude bewegte, das meines lieben Emil aber
noch mehr, denn seine rege, lebendige Seele sah mit
Entzücken den Vaterfreuden entgegen. Alle Freunde
— 165 —
teilten diese unsere Freude, wenngleich sie wegen
der Zartheit meiner Gesundheit nicht ohne Besorgnis
um mich waren.
Während dieses Jahres erwartete uns aber noch
ein herber Schmerz: unser vielgeliebter väterlicher
Freund wurde von einem Fussttbel ergriffen, das seine
Gesundheit erschfitterte und sich in seinem hohen
Alter von zweiundachtzig Jahren sehr gefährlich und
nicht zu beseitigen zeigte. Man verbarg mir zuerst,
meines Zostandes wegen, diese drohende Gefahr, was
um so leichter ging, als es längere Zeit dauerte, ehe
er das Bett hüten musste. Das Übel war eine offene
Wnnde an den Beinen, welche Zersetzung der Säfte
nach sich zog. Anfangs Dezember wurde das Leiden
so bedenklich, dass man mir nicht mehr den Schmerz
verhehlen konnte, der meiner harrte. Es that mir
unaussprechlich weh, denn seit meiner Kindheit liebte
ich diesen freundlichen Wohlthäter auf das Innigste,
und nun war es mir wegen meines schonungsbedürftigen
Zustandes strengstens untersagt, ihn in den letzten
Tagen seines Lebens mehr zu sehen; am 19. Dezember
verschied er sanft. — Ach, jetzt, wo ich im religiösen
Licht« dieses Ende betrachte, schmerzt es mich an-
gemein, ihn mir so ganz ohne christliche Einsicht in
seinen letzten Augenblicken zu denken. Er hatte mir
aber öfters in Stunden ernsten Gespräches gesagt, seine
Rechnung mit der Welt wäre abgeschlossen, und er
stehe jeden Moment bereit, vor Gott zu erscheinen. Es
ist gewiss: grosser Edelsinn war sein Teil, und viele
— 166 —
gute Werke bezeichnen seine Lebensbahn. — 0 mein
Gott, sei seiner wohlmeinenden Seele gnädig! —
Der Tod des lieben, verehrten alten Barons trttbte
ans den Winter und nur nach und nach konnten wir
uns mit Gottes Hilfe daran gewöhnen, seinen so an-
ziehenden Umgang zu missen.
Nur seinetwegen, dem wir alle so reichen Dank
schuldeten, war meine Mutter noch in Deutschland ge-
blieben, seitdem die Amnestie den Emigranten wieder
Frankreichs Thore eröffnet hatte, doch nun sehnte sie
sich, dorthin zurückzukehren. In Preussen standen die
Sachen nicht gut: die Gefangenen wurden zwar nach dem
Frieden von Tilsit, der so schmählich ausgefallen, wieder
freigegeben, aber die meisten erhielten die Weisung
zu bleiben, wo sie waren, bis sie endlich nach Wieder-
organisierung der sehr verminderten Armee aufs neue
in Aktivität treten könnten.
vm. Kapitel.
Wieder in Franlcreicli.
Mein Vater hatte, nachdem es ihm nicht möglich
gewesen, zu meiner Vermählung zu kommen, versprochen,
uns bald darauf zu besuchen, doch es konnte wegen
seiner allzu verwickelten Geschäfte auch dann nicht ge-
schehen, und erst im Frflhjahr durften wir die Freude
erleben, ihn wiederzusehen. Er arbeitete mit grosser
Ausdauer am Wiedererwerbe seines Vermögens und an
der Wiederaufrichtung seines Schlosses. Beides hatte
durch die Revolution sowie durch die späteren politi-
schen Unruhen stark gelitten. Infolge einer ziemlich be-
deutenden Erbschaft von einer alten Tante war er in
Stand gesetzt worden, sein Hauptgut wieder anzukaufen,
und nachdem das Schloss nun wieder schön und wohn-
lich hergerichtet worden, wünschte mein lieber Vater,
seine ganze Familie daselbst um sich zu vereinigen. Bei
seinem Besuche im April 1808 lernte er meinen Mann
kennen und hatte ihn bald sehr lieb gewonnen; er lud
ihn ein, mit uns nach Varennes zu kommen und zu
sehen, ob nicht vielleicht ein vorteilhafter Ankauf irgend
eines Besitzes für uns zu machen wäre. Mein Mann
— 168 —
zögerte, dies anzunehmen, da er gerne mehr in der
Nähe Prenssens bleiben und abwailen wollte, ob er
sich seinem Vaterlande nicht wieder nützlich machen
dfirfte. Bei der Ungewissheit der damaligen Zeit wagte
er jedoch nicht, meinem Vater diese wiederholte und
dringende Einladung abzuschlagen und versprach, wenig-
stens fQrs erste seinem Wunsche nachzukommen.
Doch ich bin in meiner Erzählung zu rasch vor-
wärts geschritten und muss auf den März den Jahres
1808 zurückkommen , da mir die unaussprechlich tief
empfundene Freude zuteil wurde, am 20. dieses Monates
Mutter meines erstgeborenen, lieben Sohnes Alexander
zu werden. Meine und Emils V7onne über das aller-
liebste Eindlein,' als es uns in seinem mit rosa Schleifen
reichlich gezierten Kissen gebracht wurde, kann ich
nicht schildern; Thränen unaussprechlichen Glückes
benetzten diese teure Gottesgabe, und Dank erfällte
unsere Seelen.
Da sich das liebe Kind sehr wohl befand, wurde
nach dortiger Sitte die Taufe auf die vierte Woche
festgesetzt. Ich war dann schon kräftig genug, um
mich in den Salon zu begeben; dort auf einem Sofa
ruhend, wohnte ich der Zeremonie bei, die sich so
feierlich als möglich gestaltete. Durch die Anwesen-
heit des Herzogs und der Hei*zogin, welche Patenstelle
übernommen hatten und mit grossem Hofstaate er-
schienen, wurde sie noch besonders verherrlicht.
Aus der Zeit meiner Zurückgezogenheit weiss ich
mich noch zu erinnern, dass uns ausser den Meinen auch
— 169 —
manch* liebe Freunde getreulich Gesellschaft leisteten.
Es wurde viel gelesen und erzählt, wozu nicht zum
wenigsten die Rückkehr des guten Herrn von Nolten
und des Grafen Stanislaus Plater Stoff gab. Beide
Freunde waren, ein jeder in seiner Art, recht interessant.
Nolten sah ich viele Jahre später wieder, nachdem mit
ihm und mii* selbst eine grosse geistige Veränderung ge-
schehen, da wir beide, nach vielfachen tiefschmerzlichen
Erfahrungen und durch Gottes Gnade erleuchtet, uns
ganz zu Ihm gewendet hatten. Nach Beendigung der
Wochenzeit machte ich in Stille meinen Kirchgang zur
kleinen katholischen Kapelle; dann blieben wir noch
einen Monat in Gotha, damit ich und mein Söhnchen
gehörig gestärkt wären.
Als der Zeitpunkt des Scheidens von unserem lieben,
so erinnerungsreichen Gotha herannahte, ward uns
recht wehmütig zu Mute, und es fiel uns schwer, von
so vielen, deren herzliche Zuneigung wir erworben
hatten, wahrscheinlich für immer zu scheiden. Seit-
dem bin ich jedoch infolge der Schicksale, die meinem
Auge damals, gottlob ! noch verborgen waren, häufig an
diesen Ort meiner Jugend zurückgekehrt. Ich fand dann
leider jedesmal einige der lieben Seelen weniger, und
jetzt leben daselbst nur mehr wenige, ganz vereinzelt,
als Zeugen längst vergangener Zeiten! —
In zwei schwerbepackten Wagen traten wir am
8. Juni die Reise nach Frankreich an, nachdem wir
noch einen letzten Abschiedsgruss der Grabstätte un-
seres geliebten väterlichen Freundes im nahe ge-
— 170 —
legenen Dorfe Siebleben gewidmet hatten. Das Wetter
war heiter und blieb schön während der ganzen
Keise, die ziemlich langsam vor sich ging. Im „Eng-
lischen Hofe^ zu Frankfurt am Main ruhten wir zwei
Tage aus und wurden von der Familie des Bankiers
Bethmann aufs freundlichste und schönste bewirtet,
sowohl in ihrem Stadthause, als auch in ihrer nahe
gelegenen Villa.
unserem Ziele näher und näher riickend, fühlten
wir beiden Schwestern uns natürlicher Weise keines-
wegs von heimatlichen Gefühlen angeweht, da uns ja
alles so fremd erschien. Die gütige Mutter dagegen
freute sich schon von Epinay an über jede Ortschaft,
jedes Haus, ja selbst über die Bäume, die sie in ihrer
heimatlichen Gegend wiedererkennen und nun, nach
siebzehn Jahren des Exils, begrüssen konnte.
Als wir endlich in Varennes anlangten, trafen wir im
Schlosshofe Papa, Bruder Henri sowie Onkel und Tante
Malherbe an, uns bereits voll freudiger Ungeduld er-
wartend. Mein lieber Emil, der die seltene Gabe be-
sass, nichts ohne reges Interesse zu betrachten, sich
überall beliebt zu machen und leicht wie zu Hause zu
fahlen, nahm den aufrichtigsten Anteil an dieser Wonne
des Wiedersehens.
Papa hatte sich alle Mühe gegeben, uns in dem
noch nicht völlig eingerichteten Schlosse, wo noch viele
Arbeitsleute beschäftigt waren, so gut als möglich
unterzubringen. Wir gefielen uns in dem grossen, herr-
lichen Parke, der das Gebäude umgab und an den lieb-
— 171 —
liehen Ufern der Marne nnd verlebten eine angenehme
Zeit des ruhigen Beisammenseins. Der Verkehr mit
den Gutsbesitzern der Nachbarschaft unterbrach öfters
dessen Einförmigkeit nnd brachte uns mit manchen
liebenswürdigen Menschen in Verbindung.
Gegen Ende des Sommers unternahm ich mit meinem
Vater und Emil einen Abstecher nach Guys, dem Be-
sitze des Herrn von Villermont in der Nähe von
Ay, wo Papa ein Weingut zum Kaufe angeboten wor-
den war. Immer auf das Wohl seiner Kinder bedacht,
erwog er, dass dies bei dem ausserordentlichen Absätze,
den der dortige treffliche Champagner selbst in Frank-
reich hatte, ein vorteilhaftes Geschäft fftr uns sein
könnte. Es wäre diese Spekulation auch sicher eine
sehr gute gewesen, wenn nicht Napoleon schon wenige
Jahre später aus Rache gegen England die Kontinental-
sperre verfügt hätte, welche den europäischen Handel
brach legte.
Herr und Frau von Villermont waren seit jeher
mit meiner Familie befreundet, und wir freuten uns,
dieses lieben swfirdige Ehepaar zu besuchen. Sie hielten
sich nur vorübergehend in Guys auf, bewohnten aber
meistens ihr elegantes Haus in Ay; wir wurden auf
das freundlichste von ihnen aufgenommen und machten
bei ihnen die Bekanntschaft einiger sehr angenehmer
Familien. Auch unserer Geschäftsangelegenheit nahmen
sie sich eifrigst an. Die Gegend kam mir aber recht
reizarm vor, daher konnte mir weder Guys noch Ay
gefallen, und ich besah den uns zugedachten Besitz mit
— 172 —
seinem schönen Wohnhause, aber schattenlosen Garten
mit einigem inneren Widerwillen, doch wagte ich der
Bentabilität der Sache halber keine Einsprache. Nur
das eine tröstete mich dabei, dass der Zeitpunkt nnserer
Übersiedlung noch in weiter Ferne stand und wir jeden-
falls nicht vor Abschluss einer Geschäftsreise, welche
mein Mann im kommenden Jahre nach Deutschland
macheu sollte, dorthin ziehen konnten.
Im September, da Onkel und Tante Malherbe uns
bereits verlassen hatten, um in die Normandie zurück-
zukehren, wurden wir alle, die wir noch in Varennes
beisammen waren, zur alten Marquise von Sigy nach
Boisboudran für die Jagdzeit eingeladen. Es inter-
essierte sie, die herangewachsenen Kinder ihrer Freunde
näher kennen zu lernen. Wir rüsteten uns also
zur Reise. Mit Betrübnis musste ich meinem Vater
Recht geben, welcher es nicht statthaft fand, dass ich
meinen lieben kleinen Alexander mitnähme, und ent-
schloss mich daher schweren Herzens, ihn unter der
Obhut seiner verlässlichen Wärterin zurückzulassen.
Meine Mutter, Adäle und ich brachen dorthin auf, und
der Marquis von Sigy kam uns mit seinen Nichten,
Lydie und Annette von Guerchy, auf halbem Wege
entgegen. Wir freuten uns sehr, die Bekanntschaft
dieser beiden liebenswürdigen Mädchen zu machen,
welche ständig bei ihrer Grossmutter wohnten. Diese
für ihr hohes Alter von fast achtzig Jahren noch sehr
rüstige Dame hiess uns aufs freundlichste willkommen,
und ein Kreis von zahlreichen Verwandten und Be-
— 173 —
kannten erwartete ans. Fran von Dutillet, geborene
Sigy, eilte sofort mit ihren Töchtern P aal ine and
Elisa von ihrem zwei Standen entfernten Landsitze
Mens herbei, am die Gonsinen ans Deatschland za
sehen. Aach Prüderie von Gaerchy, ein Enkel der
alten Marqnise, war anwesend. Dieser, ein mnnterer
aber anverlässlicher Geselle, machte der Familie vielen
Kammer; er starb später in Amerika, wo er sich als
Abentenrer and Glücksjäger in tolle Speknlationen ge-
stürzt and dabei sein hübsches, angeerbtes Vermögen
verloren hatte. Es mangelte ihm keineswegs an Kennt-
nissen, insbesondere was die Baakanst anbelangte,
wodnrch er meinem Vater bei V(^iederherstellang seines
Schlosses behilflich gewesen and dadnrch mehr in
ansere Nähe gekommen ist.
Boisbondrans, das seither in den Händen seiner nenen
Besitzer vielen Verändernngen anterworfen wnrde, ent-
sinne ich mich als eines grossen, viereckigen Schlosses,
aaf dessen einer Seite ein Hof lag, in welchem Bänme
and Gartenanlagen die Nebengebäade verbargen, wäh-
rend man von der andern Seite mittelst einiger Stafen
eine breite Terrasse erreichte, welche aaf den weiten
Kiesplatz führte, der sich bis zu dem imposanten Hoch-
wald aasdehnte, welcher das Schloss von allen Seiten
nmgab. Die mehr als hundertjährigen Eichen und son-
stigen Riesenbäume machten einen erhebenden und poe-
tischen Eindruck, breite Fahrwege and kleine Fasssteige
zogen sich unter ihnen hin, an grünen Rasenanlagen
vorbei, und führten zu Ruheplätzen, welche an verschie-
- 174 -
denen Stellen angebracht waren. Bei Spaziergängen sah
man häufig verschiedenes Wild, wie Hasen, Kaninchen
und selbst Rehe, den schattigen Raum beleben.
Von allen Seiten der Nachbarschaft traf die Jagd-
gesellschaft nach und nach ein, darunter auch Gräfin
Ouerchy, die Tochter der alten Marquise Sigy. Sie zog
sich immer als Amazone an und trug mit Vorliebe dieses
eigenartige Kostüm aus feinem blauem Tuch, nur auf der
Jagd erschien sie stets in Männertracht, in kurzem
Überrocke und weiten Pantalons, mit Jagdtasche, Pulver-
horn und Flinte ausgerüstet und, je nachdem, Hut oder
Kappe auf dem Haupte. An allen Arten von Jagden
nahm sie Teil und zeigte sich unermüdlich dabei. Ihr
durchaus nicht weibliches Wesen machte sie weniger
anziehend, als es hätte der Fall sein können, denn
trotz ihrer vierundvierzig Jahre, war sie noch eine
sehr schöne Frau, welcher der Tituskopf, wie man die
kurz geschnittenen Haare nannte, gut stand. Nach
dem späten Diner blieb man meistens im Salon ver-
sammelt und brachte den Abend mit Konversation,
Musik und Spiel zu. Die sogenannte Macedoine, eine
Reihenfolge von leichten Kartenspielen, welche die
Partie bildeten, schien besonders beliebt; man unter-
hielt sich ungezwungen in munterer und lustiger Weise.
Im Laufe unseres so angenehmen dreiwöchentlichen
Aufenthaltes in Boisboudran besuchten wir auch viele
Schlösser in der Umgegend, ich nenne davon nur Gorcy,
bewohnt von der erblindeten Gräfin Houssonville,
der Tante unserer Freundinnen Guerchy, sowie Br6an,
— 176 —
des Herrn von Bonneuil Besitz, wohin er zwei Jahre
später Lydie als seine junge Frau heimführte. Annette
heiratete Herrn von Haut. Wir besahen auch das
damals leer stehende Schloss des Herzogs von Choi-
seul-Praslin, des Vaters jenes unglücklichen Praslins,
der, damals noch ein Kind, später in den besten Hannes-
jahren infolge genommenen Giftes starb, nachdem er des
Mordes an seiner Frau, der Tochter des Marschalls
S6bastiani, verdächtig, vor das Pairsgericht gestellt
werden sollte. Schloss Praslin erregte infolge seiner
Grösse und Pracht unsere ganze Bewunderung. Durch
zwei Stockwerke ging der riesige Salon im Erdgeschoss,
der sein Licht von oben durch eine Kuppel und grosse
Fenster erhielt, welche auf den herrlichen Park sahen ;
dass die Bewohner nur auf kurze Zeit abwesend, zeigte
eine angefangene Arbeit für Arme in einem abgenützten
Korbe, der sich im prachtvollen Salon befand.
Einmal machte ich mit Emil, Adöle und den drei
Geschwistern Guerchy einen Ausflug in das kaiserliche
Schloss Fontainebleau. Es interessierte mich sehr,
dieses so merkwürdige Gebäude zu besichtigen, und zwar
sowohl wegen der sich daran knüpfenden geschicht-
lichen Erinnerungen, als auch wegen dessen grandioser,
so seltsam zusammengefügter Bauart. Es sind, soviel
ich mich erinnere, nicht weniger als sieben Höfe darin,
und jedwede Abteilung des Schlosses scheint ans einem
anderen Zeitalter zu stammen, welche Bemerkung wir
jedoch im Innern nicht machen konnten. Mir ist be-
sonders von all den vielen schönen Räumen die Galerie
— 176 —
von Fran^ois I. in Erinnerung geblieben , mit den
Statuen der Könige, dann der Audienzsalon der Kaiserin
Josephine mit reichgestickten und verzierten Tabourets.
Des andern Morgens begaben wir uns unter Leitung
eines Führers in den Urwald, denn ein solcher war
der unabsehbare Forst, der sich oberhalb des Schlosses
ausdehnte. Er übertraf alle meine noch so hoch ge-
spannten Erwartungen. Nie hatte ich einen so herr-
lichen Eichenwald gesehen und sah auch nie einen
zweiten, den ich damit vergleichen könnte. Mit seinen
schön gehaltenen Wegen, den mit Kunstverständnis aus-
gehauenen Stellen, mit Gruppen von Pinien, die sich
seltsam von den ungeheuren Eichen abhoben und seiner
ganzen üppigen Vegetation, gefiel uns dieser Wald so
ausnehmend, dass wir nicht bemerkten, bereits drei
Stunden darin gegangen, teilweise gestiegen zu sein.
Um wieder zu unserem Gasthofe zu gelangen, brauchten
wir aber nicht mehr so lange und erreichten ihn auf
einem kürzeren Wege in einer Stunde. Der Abschied
vom gastlichen Boisboudran, wo wir Schwestern uns
innig mit den Schwestern Guerchy befreundet hatten,
wurde uns durch das Versprechen erleichtert, dass
deren Mutter, die mit dem Marquis von Sigy, ihrem
Bruder, bald darauf zu den Wolf- und Fuchsjagden
nach Varennes kommen sollte, ihre Töchter dahin mit-
nehmen würde.
Wir genossen fröhlich dieses weitere Zusammensein
und lernten von den lieben Freundinnen nicht nur wie
bis dahin durch die einfachsten Hausmittel, sondern auch
— 177 —
nach Anleitung eines ärztlichen Baches, den kranken
und leidenden Landleuten auf vielfache Weise zu Hilfe
zu kommen. Auch noch, als wir infolge der vor-
geschrittenen Jahreszeit auf unseren engeren Familien-
kreis angewiesen blieben, verlebten wir ganz ange-
nehme Tage, solange Emil mit uns sein konnte, der
uns stets auf seine eigene, liebenswürdige und an-
regende Weise erheiterte, oder wenn Adfele, die ihr
Klavier und ihre schöne Harfe mitgebracht hatte, uns
durch ihr musikalisches Talent erfreute, auch mit
unserer Mutter singend, die, damals erst zweiundvierzig-
jährig, noch die volle Frische und den Silberklang ihrer
Stimme besass. Dann kam aber eine Zeit, wo Emil
oft nach Paris und Ay musste, allerlei Bethätigungen
halber, die unser neuer Besitz mit sich brachte, wäh-
rend mein Vater und mein Bruder durch Geschäfte,
meine Mutter jedoch durch ihre weitverzweigte Korre-
spondenz und Ölmalereien, in denen sie ziemliche Kunst-
fertigkeit besass, in Anspruch genommen war.
Auf diese Weise blieben wir zwei Schwestern na-
türlich viel allein, und die Erinnerung, die uns unser
Leben im lieben Deutschland beständig vergegenwär-
tigte, reifte ein Gefühl von Heimweh in uns, dessen wir
uns nicht mehr erwehren konnten. Emil, dem unsere
zeitweilige Niedergeschlagenheit nicht entging, dachte
uns durch die Feier des Weihnachtsabends, die in
Frankreich nicht Sitte war, zu erfreuen; im Einver-
nehmen mit meinen Eltern besorgte er den Ghristbaum,
den wir dann mit allerlei Flitter schönstens verzierten.
Carl Oraf Oberndorff, ErinnenuigCB eiatr UrfrotoratUr. 12
— 178 —
Im grossen Speisesaale wurde er aufgestellt und die
Geschenke, die wir sonst als ^Neujahrs-Etrennes^ er-
halten hätten, darunter gelegt. Mein kleiner Alexander
wurde natürlich reichlich mit Spielzeug bedacht, was
er wohl meist noch nicht recht zu würdigen wusste,
aber die vielen Lichter am glänzenden Baume machten
ihm sichtlich Freude.
Der Tilsiter Friede hatte auch den auf Ehren-
wort Gefangenen die Freiheit wiedergegeben, und Emil
wollte nicht länger zaudern, sich wegen seiner Beacti-
vierung zu seinen Eriegsobem nach Königsberg zu be-
geben. So reiste er im Januar 1809 dahin ab. Die
Trennung bereitete uns zwar grossen Schmerz, ich
musste aber einsehen, dass ich mein liebes Kind nicht
einer so langen Winterreise aussetzen durfte, und auch
für mich selbst, die ich Aussicht hatte, im Mai abermals
Mutter zu werden, schien eine solche Strapaze nicht
ratsam. Es war ein schweres Opfer, das ich brachte,
umsomehr, als sich der Zeitpunkt von Emils Bückkehr
nicht vorher bestimmen liess. Anfangs März machte
mein gütiger Vater den Vorschlag, dass wir einige Zeit
in Paris zubringen sollten, um die dortigen Sehens-
würdigkeiten, Theater etc. kennen zu lernen. Meine
Mutter fand daselbst eine Menge alter Bekannten
wieder, und auch ich hatte die Freude, einige Freunde
dort anzutreffen, unter diesen besonders Lydie und
Annette de Guerchy, Amicie Marquise Lamotte-Le-
V a y e r , die ich sammt ihrer Mutter, der Gräfin M o u -
poult, bei meiner Tante Malherbe kennen und lieben
— 179 —
gelernt hatte sowie den alten Abb6 Gandon, meinen
ehemaligen Lehrer, der „prfeceptenr des Pages de Na-
poleon" geworden war. Eine merkwürdige Bekannt-
schaft aus meinen ersten Einderjahren war Frau von
Van den 11, die mir noch von damals her in guter Erinne-
rung geblieben, weil sie mich und meinen Bruder bei
den häufigen Besuchen, die wir auf ihren Wunsch mit
unserer Bonne bei ihr gemacht hatten, mit allen mög-
lichen Leckereien bewirtet und uns bei jeder Gelegen-
heit sehr freigebig mit den schönsten Spielsachen be-
schenkt hatte. Sie war die Tochter Diderots, dem durch
den Einfluss, den er auf die damalige Geistesrichtung
übte und durch seine zahlreichen Schriften eine her-
vorragende EoUe unter den Encyklopädisten zukam.
Frau von Vandeuil, die ihrem bereits im Jahre 1784
verstorbenen Vater sehr ähnlich sah, wie ich aus
seinen Bildnissen, die sie umgaben, entnehmen konnte,
hatte seinem Andenken grosse Liebe und Bewunderung
bewahrt, vermied es aber mit uns über ihn zu sprechen.
Durch die grosse Freude und Freundlichkeit, mit der
sie uns begegnete, machte sie uns den Eindruck einer
sehr liebenswürdigen, alten Dame. Sie lebte als Witwe
in überaus grossem Wohlstande. Ich erinnere mich
ihres schönen , geräumigen Salons , dessen Wände,
mit der Einrichtung übereinstimmend, mit orange-
farbenem gestreiftem Damaste bekleidet und mit reichen
Vergoldungen geziert waren.
Herrn von Comblat, einen intimen Freund meines
Vaters, den wir im Kreise der Emigrierten viel in
12*
— 180 —
Deutschland gesehen und liebgewonnen hatten, fanden
wir auch in Paris und lernten seine Tochter kennen.
Mein Vater wünschte dieselbe für Henri, und auch ihr
Vater wäre fOr diese Verbindung gewesen, aber die
jungen Leute gefielen sich nicht, mein Bruder wollte
überhaupt nicht so jung heiraten, und sie äusserte
sich dahin, nur einen Mann zum Qemahle nehmen zu
wollen, der über dreissig Jahre alt wäre ; in der That
wählte sie später einen sechsnnddreissigjährigen.
Alle wiedergefundenen alten Bekannten sowie die
neu dazugekommenen zu nennen, wäre von wenig Inter-
esse für euch , meine Kinder, ich will daher nur noch
der Herzogin von Arragou, geborenen du Saillant,
und deren Schwestern, der schönen Frau von La Stey rie
und der Stiftsdame Victoire du Saillant, Erwähnung
thun. Diese drei, durch ihre verschieden gestaltete
Liebenswürdigkeit einnehmenden Schwestern waren auf
das innigste mit Tante Malherbe befreundet, bei der
wir sie auch kennen lernten. Bald nach seiner Ver-
heiratung verfiel der uuermesslich reiche Herzog von
Arragon in Blödsinn, und seine Frau hatte die ganze
Last seiner ausgebreiteten und teilweise stark ver-
worrenen Geschäfte zu tragen. Sie erledigte sich dieser
schwierigen Aufgabe in so ausserordentlicher Weise,
dass man ihr die Vormundschaft übergab. Als wir
sie kannten, sass der arme Kranke den ganzen Tag
beim Kamine des Salons, ohne je ein Wort zu sprechen,
während zahlreiche Besuche sich an der Unterhaltung
seiner schönen und geistreichen Gemahlin erfreuten. Mit
— 181 —
•
christlichem Heldenmnte sah sie einige Jahre später
einem qualvollen Ende entgegen. Die Zeit zur Operation
eines bösartigen Erebsleidens war versäumt worden;
sie ordnete noch alle Geschäfte für ihren bedauerns-
werten Gemahl, bestimmte die Teilung ihres Nachlasses,
bereitete sich als fromme Christin auf den Tod vor und
starb, von allen, die sie kannten, tief betrauert
Um wieder auf unsern so bewegten Aufenthalt in
Paris zurtlckzukommen ! Ich muss sagen, dass unser
lieber Vater nichts unterliess, um uns während dieser
Zeit alle möglichen Unterhaltungen zu verschaffen. Wir
besahen alle Sehenswürdigkeiten, wie Kirchen, öffent-
liche Gebäude und Museen, ferner die Gärten der Tuilerien,
der Champs 61ys6es, des Luxembourg und den Jardin des
plantes, wo sowohl die grossartige Menagerie, als auch
die so vollzählige Sammlung von ausgestopften Tieren,
Conchilien u. a. m. unser Interesse erregte. Das Museum
des Louvre befand sich damals in seiner brillantesten
Zeit, da alle Meisterwerke Raphaels und der gesamten
italienischen Schule von Bonaparte dahin gebracht
worden waren, die nach seinem Sturze grösstenteils
wieder nach Italien zurückwanderten. Unsere Abende
füllten wir mit den Besuchen der grossen Theater aus
oder brachten sie im berühmten Cirkus Franconi zu.
Die ersten Male machte uns dies alles einen blendenden
Eindruck. Die hervorragenden französischen Tragöden
Talma und Mademoiselle Ramont, die in „Britanni-
ens", einem der schönsten Stücke Racines, ihr eminentes
Talent entwickelten, Hessen uns aber kalt, des über-
— 182 —
grossen Pathos wegen, das uns gar zu fremd anmutete,
daher nicht ansprach. Nnr die Bour going in der
sanften Rolle der Jnnie gewann unseren vollen Beifall.
Ich schweige von den vielen andern, in ihrer Art oft
wirklich ganz vortrefflichen Stücken, die wir sahen, und
in denen Mademoiselle Mars und andere Notabilitäten
sich in ausgezeichneter Weise hervorthaten. Nur ein
Wort mnss ich noch hinzufügen über das in der gi*ossen
Oper gegebene pantomimische Ballet ^Antoine et G16-
opätre^ mit Yestris und Mademoiselle Clotilde in
den Hauptrollen. Die Ausstattung war von höchster
Vollendung, besonders die Dekoration, die das Meer
und das reichgezierte Schiff des Herrscherpaares dar-
stellte. Da indessen dieses Stück über Gebühr lang
dauerte, konnte ich es nicht bis zum Ende beurteilen.
Nach den vielen Anstrengungen eines sehr bewegten
Tages übermannte mich die Müdigkeit, und ich schlief
in der Loge ein.
Die so abwechslungsreiche Zeit in Paris verging
uns rasch und in angenehmster Weise. Trotzdem sah
ich mit Freude den Augenblick unserer Rückkehr nach
Varennes herannahen, wo ich mit unaussprechlicher
Wonne mein Kind wieder ans Herz drücken konnte.
Sehnsuchtsvoll hoffte ich, meinen lieben Mann bald
wiederkehren zu sehen. Er schrieb mir fleissig aus
Eisenach, Gotha, Weimar und von überall, wohin ihn
seine Geschäfte führten. Endlich erhielt er auch den
erwarteten Ruf nach Königsberg durch General
Scharnhorst, der ihn gern wieder in Thätigkeit
— 183 —
bei der Armee sehen wollte. Er verffigte sich sogleich
dahin und acceptierte, wenn auch nur provisorisch, das
ehrenvolle Anerbieten, das ihm gemacht wurde, nämlich
an der Reorganisation der Kavallerie zu arbeiten. Aus
den Briefen, die er mir hierüber schrieb und der Art, mit
welcher er um meine Einwilligung in diesen seinen Ent-
schluss nachsuchte, konnte ich entnehmen, wie sehr die
Aussicht ihn anzog, wieder mit seinen ehemaligen, aus-
gezeichneten Waffenbrüdern seinem eigentlichen Berufe
zu leben. Es versteht sich von selbst, dass ich ihn nie
würde vermocht haben, einen solch ehrenden Vorschlag
seines Königs abzuweisen, wenngleich die Aussicht eines
möglichen Krieges mich alle Martern ahnen Hess, die ich
zu erdulden haben würde. Er war ja Militär, und ich
hatte dies alles voraussehen müssen, als ich mich mit
ihm verband.
Während wir über diesen wichtigen Gegenstand
zwischen Königsberg und Yarennes hin und herkorre-
spondierten, erliess Napoleon ein Dekret, laut welchem
alle diejenigen ihrer Besitztümer verlustig erklärt
wurden, die Kriegsdienst in fremden Reichen nähmen
oder bereits darin stünden. Dieses kam Emil zu
Gehör, und da er das Weingut in Ay in Gemein-
schaft mit mir gekauft hatte, lag die Besorgnis nahe,
dass auch mein Vermögen gefährdet sein würde, wenn
man in Frankreich Kunde erhielt, dass er sich habe
reactivieren lassen. Er trachtete daher, so bald als
möglich Urlaub zu erhalten , um das Weingut
schnellstens wieder veräussern zu können; auf diese
— 184 —
Weise kam es zu meiner inneren Befriedigung nie
dazU; dass wir dasselbe bewohnt hätten.
Am 19. Mai hatte ich meine liebe Clotilde zur
Welt gebracht; sie war ein besonders grosses und
starkes Kind. In der allerersten Zeit musste ich
mich wohl sehr schonen, dann aber fühlte ich mich
so gekräftigt y dass ich mich schon am ffinften Tage
in einen bequemen Lehnstuhl begab, um Lydie, die be-
reits Madame de Bonneuil geworden war, und Frau
von Villermont zu empfangen. Meine Mutter erlaubte
es aber nicht, und ich fügte mich ihrer wohlmeinenden
Weisung. Ich hegte die stille Hoffnung, dass Emil zur
Taufe unseres Töchterchens zurückkommen würde, als
aber vier Wochen verflossen, ohne dass dies eingetroffen
wäre, fand dieser Akt in der Kirche zu Courtemont statt,
und ich hielt zu gleicher Zeit meinen Kirchgang.
Endlich kehrte mein lieber Mann zurück, und zwar
ganz unerwartet. Wir waren beide freudetrunken.
Mit Wonne besah er unsere liebe kleine Clotilde und
ward nicht satt, seinen teuern Alexander zu herzen.
Wer mir damals gesagt hätte, dass ich in Jahres-
frist, als tief gebeugte Witwe, eben an dem Orte, wo
ich mich jetzt so überaus glücklich fühlte, weinen
würde, hätte mich sicher vernichtet. 0, wie müssen
wir Gottes Barmherzigkeit preisen, dass sie uns die
Zukunft verbirgt!
Der Sommer verging wie im Vorjahre, nur hatten
wir noch mehr Besuche ; im September gab es wieder
eine zahlreiche Zusammenkunft in Boisboudran, und die
— 185 —
Marquise Hess es sich nicht nehmen, uns wenigstens
für acht Tage bei sich zu haben. Im folgenden Monate
fand eine sehr glänzende Jagdzeit in Varennes statt,
wo Wolfsjagd im Grossen betrieben wurde. Wir
Damen fuhren auch manchmal in den Wald, um dem
Triebe mit den vielen Hunden und den Piqueurs mit
ihren Waldhörnern zuzusehen , besonders Lydie und
Ad^le fanden grosses Vergnügen daran. Diese beiden
hatten sich an einem dieser Jagdtage ein schattiges
Plätzchen in einem breiten Graben dicht neben einem
Zaune gewählt, um dort den mitgenommenen Imbiss zu
verzehren, und sassen eben plaudernd beisammen, als auf
einmal etwas gewaltig Grosses und Schweres über sie
hinwegstürzte, jedoch ohne sie zu berühren, und eiligst
weiter über das Feld rannte. — Ein riesiger Eber
war es, der sie beinahe umgeworfen hätte, und sie be-
eilten sich, wieder den Wagen zu erreichen und in
demselben ihr Frühstück zu vollenden.
Die das benachbarte Schloss Mont St. Pfere be-
wohnende Familie des Vicomte de Bastard verab-
schiedete sich von uns im Dezember, um ihren gewohnten
Winteraufenthalt in Paris anzutreten; im übrigen
blieb unser Kreis derselbe, wie bisher. Der Winter
verging uns schnell und angenehm; es kamen ab-
wechselnd liebe Freunde, von denen manche längere
Zeit bei uns blieben, und auch wir folgten einer Ein-
ladung nach dem nahen Schloss Cond^.
Cond6 war ein grosser Besitz der Gräfin Sade,
den sie selbst mit grosser Gewandtheit verwaltete. Ihre
— 186 —
Mappe enthielt eine herrliche Sammlung von Land-
schaften in allen Grössen, die sie aus Italien mitge-
bracht, wo sie sich während eines längeren Aufenthaltes
in der Malerei vervollkommnet hatte, diese aber in
Cond6 selten mehr ausübte. Die sehr zahlreiche
Familie Sade, Herr und Frau von Laden^se mit
einbegriffen, war fast in einem jeden ihrer Mitglieder,
als äusserst liebenswardig , natürlich, geistreich und
ungezwungen im Umgange, vertreten. Der alte Graf, ein
grosser Litterat, brachte seine Vormittage damit zu, den
Homer zu kommentieren und Heft über Heft voll zu
schreiben. Eine alte Gräfin de la Tour du Pin,
die frühere Besitzerin von Cond6, bewohnte einen ent-
legenen Flügel des grossen Schlosses und wollte mit nie-
mandem verkehren, ausser mit einer alten, treuen Eng-
länderin, Miss Davidson, ihrer langjährigen Kammer-
frau. Nachdem sie noch bei Lebzeiten ihres Mannes
mehrere Stadien des Wahnsinnes durchgemacht hatte,
ohne dass er sich veranlasst fühlte, sie in eine Irren-
anstalt bringen zu lassen, war sie in eine Art Stumpf-
sinn und ünbeweglichkeit verfallen. Dann und wann
hatte sie jedoch lichte Momente und in einem solchen
hatte sie eines Tages ihre Cousine, die Gräfin Sade, zu
sich rufen lassen, welche schon längere Zeit das
Schloss bewohnte zu ihrer Hut und um ihre Geschäfte
zu übersehen und zu leiten. „Ma cousine,^ sagte sie
ihr, Je suis foUe, ainsi je vous prie de prendre soin
de moi et de garder ma fortune du reste pour vous. —
Je veu^ rester seule et tranquille et n'avoir antour de
— 187 —
moi, que Miss Davidson." — So war der Besitz an die
rechtmässige Erbin der armen Kranken übergegangen,
nnd anfs liebevollste sorgte Laura Sade dafür, der-
selben ihr Dasein zu erleichtern nnd ihre Wünsche
nach Thunlichkeit zu erfüllen. In manchen Funkten
musste man ihr aber dennoch Zwang anthun. Zum
Beispiel wäre sie, obgleich körperlich ganz gesund, nie
aus ihrem Bette aufgestanden, in das sie sich auch nur
angekleidet begeben wollte, um des Morgens keine Toi-
lette machen zu müssen. „G'est plus vite fait ainsi,"
meinte sie.
Bis zwei Jahre vor ihrem Tode vermochte sie sich
noch zu beschäftigen, las die Zeitungen aufmerksam
durch und legte die gelesenen sorgfältig bei Seite. In
der letzten Zeit konnte man sie kaum mehr bewegen,
in den Blumengarten zu gehen, an dessen Ende man
ihr ein bequemes Plätzchen hergerichtet hatte. Von
ihren letzten Augenblicken ist mir nichts erinnerlich;
sie stai'b während meiner Abwesenheit aus Frankreich.
IX. Kapitel.
Meine Schwiegermutter."^)
Dass in nnserem Salon za Varennes die Politik eine
grosse Rolle spielte, lässt sich denken. Zeitungen und
Briefe wurden mit grosser Begierde erwartet und ge-
lesen. Damals waren es hauptsächlich Napoleons Kriege
'*') Jalie Freifrau von Mauchenheim genannt Bechtolsheim,
geborene Gräfin Keller, eine durch Schönheit und Geist ausge-
zeichnete Frau, erblickte das Licht der Welt am 21. Juni 1751
zu Stedten and vermählte ^ich 1772 mit ihrem Oheim, dem
Weimarschen Vizekanzler Freiherrn von Bechtolsheim, der seinen
Wohnsitz zu fUsenach hatte. Sie war die treueste Freundin von
Wieland, Goethe und Herder, auch Schiller yerkehrte in ihrem
Hause. Von ihrer interessanten Korrespondenz mit den Klassikern,
die teils in Prosa, teils in Versen geführt wurde, ist mehreres
bisher noch Unbekanntes und Ungedrucktes angefügt. Eine Vase,
die sie, mit Blumen gefüllt, von Goethe zum Geschenk erhielt,
befindet sich noch im Besitze meiner Schwester. Baronin von
Bechtolsheim, die Wieland seine „Psyche** nannte und als solche
besang, war auch selbst litterarisch thätig; es erschien von ihr
eine Serie von Beiträgen im „Vossischen Musenalmanach von 1788**,
in „Beckers Erholungen", in der „Urania** etc. Sie starb, allgemein
betrauert, im sehr hohen Alter you 96 Jahren am 12. Juli 1847
zu Eisenach. Der Herausgeber.
— 189 —
in Österreich, Bayern nnd Schwaben, die ans be-
schäftigten, sowie die Versammlung der Potentaten in
Erfurt, wohin sich auch meine Schwiegermutter als
Zuschauerin begeben hatte.
Durch ihren Geist und den Zauber ihres Umganges
wusste sie überall, wo sie sich aufhielt, einen liebens-
wiirdigen und geistig hervorragenden Ereis um sich zu
sammeln, so machte sie unter anderem auch zu dieser
Zeit die Bekanntschaft der berühmten Frau von
S t a g 1 , von welcher ich folgendes Billef^) unter ihren
Papieren fand:
Votre**) billet me confirme, Madame, tout ce que
je savais de Votre gräce et de Votre bont6; si Vous
venez me voir ce soir, je jouirai plutöt du bonheur de
Vous Voir; mais saus oser iusister sur une si grande
faveur, je serai demain chez Vous k midi, et Vous
voudrez bien ordonner d'une journ6e, qui Vous est
entiörement consacr6e. StaSl- Necker.
*) Die Originale der nachfolgenden Briefe befinden sich im
gräflich ErdödjBchen Archiv za Galg6cz im Neutraer Komitat in
Ungarn.
**) Deutsche Übersetznng: Madamel Dir Billet bestätigt
alles, was ich über Ihre Güte nnd Liebenswürdigkeit gehört hatte;
wenn Sie mir diesen Abend die Ehre Ihres Besuches erweisen woll-
ten, würde es mich sehr freuen, umso eher des Glückes Ihrer Ge-
sellschaft teilhaftig zu werden; ich wage nicht, Sie in drängen,
mir diese Gunst erweisen zu wollen, werde jedoch morgen Mit-
tag bei Ihnen sein und bitte Sie nur, mir freundlichst einen Tag
zu bestimmen, der Ihnen ganz geweiht sein möge.
SUÖl-Necker.
— 190 —
Mit dem Dichterfürsten Goethe war Julie von
Bechtolsheim in regem Verkehr, wovon einige seiner
Briefe an sie Zeugnis geben, welche, von ihr aufbe-
wahrt, hier beigefügt werden:
Leider *) muss ich Sie, meine beste gnädige Frau,
schriftlich empfangen und Sie durch einen Abgeordneten
bewillkommen lassen. Auf einer kleinen Beise habe ich
mir einen solchen Eheumatismus zugezogen, dass ich
weder ausgehen kann, noch zu Hause mich sehen lassen
darf. Hoffentlich geht es bald vorüber und ich kann
Ihnen noch aufwarten. Nehmen Sie indessen meinen
Kindskopf gütig auf, empfehlen Sie mich dem H. Bruder
aufs beste und bleiben mir in Freundlichkeit gewogen.
d. 18. Apr. 84. Goethe.
Auf den nächsten Sonntag gehen wir von hier ab.
Mit der Freytags Post erhalten Sie noch einen Brief
von mir der nur Dank und Dank enthalten wird. Sie
sind gar lieb und gut gegen mich. Jetzo nur diese
Blumen in die Füllhörner über dem blauen Kanapee.
Leben Sie wohl. G.
Ich bin von Braunschweig wieder zurück und muss
Sie fragen, wie sich die stummberedten Freunde auf-
geführt haben, die ich Ihnen zurückliess und ob die
*) Siehe Facsimile-Beilage No. 1 nach dem „Ersten Bach*.
Der Heransgeber.
— 191 —
stillen Tage auf Julienslust nichts für den Abwesenden
hervorgebracht haben. Die Lebhaftigkeit des Br. Hofes
während der Messe hat mich sehr unterhalten, noch
mehr aber der einsame Harz, dem ich mich recht mit
voller Erlaubnis habe vierzehn ganze Tage widmen
können. Und die Menschen behaupten ich sey nun
ganz und gar versteinert zurückgekehrt. Beinahe
hätten Sie sich im Falle gesehen es beurteilen zu
können, nunmehr sind Sie aber vor einem Überfall sicher.
Leben Sie wohl und geniessen eines fröhlichen Winters.
Yiktorchen hör' ich hat sich in Frankfurt fangen lassen.
Viel Glück! Leben Sie recht wohl.
Weimar d. 2. Oktbr. 84. G.
Sie werden wohl das Paket erhalten haben, wo-
von ich neulich schrieb.
Bisher ist's in meinem Eopfe tumultuarisch zuge-
gangen und meine Expeditionen sind nicht alle richtig
notiert worden. Ich lege deswegen einen Extrakt des
Postbuches bey, wonach sich wohl alles aufklären wird.
Das letzte Paket enthielt Iphigenia und Tasso, und
ist wahrscheinlich das unter No. 3 als Schachtel steht.
Ich wünsche zu hören, dass es angekommen ist
und Ihnen Freude gemacht hat.
Wie geht es in der neuen Zeichenakademie? Krause
hat mir viel von dem Eifer der schönen Damen erzählt.
Wenn er nur von Dauer ist.
Kann ich Reisenden und Schreibenden trauen, so
— 192 —
habe ich in kurzer Zeit viele Grüsse von Ihnen em-
pfangen, ich hoffe man wird sie erwidert haben.
Das fünfte Buch von Wilh. Meister wird ehestens
anlangen, ich wünsche, dass es den Eindruck der ersten
nicht zerstören möge. Diese vier ersten bitte ich mir
so bald als möglich zurück. Wissen Sie schon, dass
mir der wackre Kanzler*) in Eisenach Quartier bey
sich angeboten hat, wenn ich wieder hinüber käme,
ich werde mich aber wohl hüten es anzunehmen, eh^
ich der Zustimmung seiner Gemahlin versichert bin.
Leben Sie recht wohl und vergnügt.
W. den 23. Oktbr. 1784 Goethe.
/
Marienborn d. 21. Juni 93.**)
Meine werte Freundin würde mir vielleicht, wie
ich höre, in diese wilden und verworrenen und ausser-
dem noch kalten und feuchten Zustände ein freund-
liches Wort senden und mich dadurch auferbauen und
erquicken, wenn sie nicht des leidigen Schweigens ein-
gedenk, ihr schönes Herz zuschlösse und sich von
ihrem guten Vorsätze zurückhielte. Ich pränumeriere
also durch gegenwärtiges Blatt auf ein künftig freund-
liches und liebliches, mit der Versicherung dass der
*) Johann Lndirig Freiherr von Manchenheim genannt
Bechtolsheim, Minister and Kanzler in Eisenach, Gemahl der Frei-
iran Julie, geborenen Gräfin Keller.
**) Diesen Brief schrieb Goethe Yor Mainz, als die Stadt
belagert wurde. Der Herausgeber.
— 193 —
liebe Sohn sich wohl and munter in seinem Berufe
und der Freund ganz leidlich ausser seinem Berufe
befindet. Tausend Giilsse dem Gemahl und den
Schwestern ! Goethe.
Besonders befreundet war meine liebenswürdige
Schwiegermutter mit Wieland. Sie kannte ihn seit ihrer
frühesten Jugend, und er war es auch, der ihre Dichter-
gabe entdeckte und förderte. Er nannte sie seine ;,Psyche^'
und widmete ihr manches Poem. Sowie mit Goethe
blieb sie auch mit ihm und mit Herder bis an den
Tod dieser grossen Männer im freundschaftlichsten
Verkehre. Ihre gegenseitige Korrespondenz bewegte
sich auch oft in gebundener Sprache. Leider hat sie
dieselbe nicht aufbewahrt. Nur ein Gedicht von Herder*)
*) Zufällig entdeckte ich, dass dieses Poem gar nicht Yon
Herder selbst gedichtet wurde, sondern vielmehr eine Uebersetzong
des englischen „THE DYING CHRISTIAN TOHISSOÜL"
von Alexander Pope (1688—1744) ist, welche der grosse Dichter
vielleicht eigens zu dem Zwecke schuf, um der Freundin auf
originelle und geschmackvolle Weise zu kondolieren. Der eng-
lische Urtext lautet:
Vital spark of heavenly flame;
Quit, 0 quit this mortal frame!
Trembling, hoping, lingering, flying,
Oh! the pain, the bliss of djing!
Cease, fond Nature, cease thy strife
And let me languish into life.
Hark! they whisper; angels say,
Sister Spirit, come away.
What is this absorbs me quite,
Steals my senses, shuts my sight,
Drowns my spirits, draws my breath;
Carl Or»f Obtrndorff , EriimamnftB «ia« ürgroMiniitt«r. 13
— 1Ö4 —
anlässlich des Todes ihrer Schwester Dorothea und
einen kurzen Brief dieses berühmten Posten kann ich
hier anfügen:
Lebensfanke, vom Himmel entglüht,
Der sich loszawinden müht!
Zitternd, kühn vor Sehnen leidend,
Qern and doch mit Schmerzen scheidend!
End', 0 end' den Kampf, Natorl
Sanft in^s Leben
Aufwärts Bchweben,
Sanft hinscheiden lass' mich nur!
Horch, mir lispeln Geister zn:
„Schwester Seele, komm^ znr Ruh!'*
Was nur zieht mich sanft von hinnen?
Was isVs, das mir meine Sinnen,
Mir den Hauch zu rauben droht?
Seele, sprich, ist das der Tod?
*
Die Welt entweicht! Sie ist nicht mehr!
Harmonieen um mich her!
Ich schwimme sanft im Morgenroth!
Leiht, 0 leiht mir eure Schwingen,
Ihr Brüder-Geister! helft mir singen:
„0 Grab, wo ist dein Sieg, wo ist dein Pfeil, o Tod?*'
Herder.
Teil me, my soul, can this be death?
The World recedes; it disappears!
Heaven opens on my eyes! my ears
With sounds seraphic ring.
Lend, lend your wlngs! I mount, I fly,
0 Grave! where is thy victory?
0 Death! where is thy sting?
— Pope —
(Entnommen aus „The British Lyre'* etc. etc. by W. 0. Elwell,
Sixth ed., Brunswick 1874. pag. 396.) Der Herausgeber.
— 195 —
Sie*^) haben mich, gnädige Frau, mit Ihrem ange-
nehmen Briefe recht überraschet und die französische
Stelle in demselben ist eine schöne Blume, mit der Sie
mich beschenken wollten. Warum sollte ich es leug-
nen, dass es mich freue, wenn edle und fahlbare Seelen
mit mir gleich empfinden? Es ist dies ja der einzige
und süsseste Lohn des sonst mühsamen und unseligen
Schreibens und mir gewiss der süsseste Lohn, da ich
dem gewöhnlichen Autorrahm längst abgesagt habe.
Nächstens wird am Druck des zweiten Theils ange-
fangen werden und ich wünsche ihm dasselbe glück-
liche Schicksal.
Die persönliche Bekanntschaft mit Euer Gnaden
war freilich zu kurz und vorübergehend. Bei Hofe
lernt man sich nicht kennen und da ich meiner zu-
nehmenden Geschäfte wegen seit einigen Jahren nicht
mehr im Hofsaal erscheine: so bleibt Ihnen freilich,
gütige Frau, nichts übrig, als dass Sie uns eine Vier-
theilstunde in unserm Hause schenken. Man siehet
und hört sich in einer Minute von Privat-Unterredung
besser, als bei Hofe in vielen Stunden.
Zimmermann verdient völlig den Beifall, den Euer
Gnaden ihm schenken. Er ist persönlich mein Freund
und ich schätze sein Herz mehr als alle seine vor-
trefflichen Schriften. Wäre ich seit 7—8 Jahren nicht
ganz ausser Briefwechsel mit ihm: so würde ich ihm
die Blume Ihres schönen Lobes selbst bringen.
*) Siehe Facsimile-Beilage No. 2 nach dem „Ersten Bach*.
Der HeraoBgeber.
13*
— 196 —
Leben Sie wohl, geistreiche und vortreffliche Psyche.
Meine Frau, die Sie mit Hochachtung schätzet und
liebet, empfiehlt sich Ihnen aufs beste. Schenken Sie
mir Ihre Gewogenheit und erfreuen mich zuweilen mit
einer kleinen Frucht Ihres schönen Oeistes. Ich habe
die Ehre, mit grossester Hochachtung zu seyn
Euer Gnaden
unterthäniger
den 11. Nov. 1785. Herder.
Von Wieland will ich folgende Briefe an meine
Schwiegermutter beif&gen:
Meine Seele ist betrfibt, beste Julie — ich kann
Ihnen nichts schreiben — ich wflrde Ihnen nichts
sagen, nichts helfen können, wenn ich bey Ihnen wäre —
Ich leide mit Ihnen, leide das ganz Unaussprechliche
Ihrer Schmerzen, Ihrer Beängstigungen und möchte
vergehen, dass ich Ihnen nicht helfen kann. 0 Julie,
Julie! — 0 Auguste, o Dorothee, o würdigste Mutter
der besten Kinder ! — Welch ein trauiiges Geschenk
ist ein empfindendes Herz! — und dennoch wünsch'
ich mich zu Ihnen , wiewohl es sonst zu nichts gat
wäre, als mit Ihnen zu weinen, denn — Trost, meine
Engelsfreundin, — Trost kann in solch Augenblicken
nur der Himmel, nur die Religion geben. — Und in
ihr, meine theuersten Freundinen, in ihr werden Sie
den einzigen Trost finden, der in solchem Umsturz auf
eine fühlende Seele wirken kann. Hufland giebt mir
keine Hoffnung für unsere liebenswürdige Wilhelmine I
— 197 —
— Gott stärke, unterstütze and o! ist es möglich^
rette, rette das liebenswürdige Geschöpf. Ich bin Ihrer
allerwegen äusserst besorgt. Adieu*^) mes amies, mes
cherrissimes amies, Hufland empörte ce mis6rable biUet,
griffonS k la häte et dans un accablement trop grand
pour £tre capable de Vous dire qnelque chose de
raisonnable, sinon qne je suis et serai 6terne11ement
avec une amiti6 k tonte 6preuve
Votre frfere et ami
Wieland.
U y a un si^cle, aimable Psycho, que je Vous ai
6crit une lettre passablement jolie en r^ponse de celle,
dont Vous m'avez honor6 avant le d6part de Votre
Bienaim^. L'avez Vous re^ue, cette lettre, ou ai-je 6t6
*) Deatsche ÜberBetzaDg: Adiea, meine Freunde, meine
lieben Freonde, Hnfland wird Ihnen dies armselige Brieflein aber-
bringen, das ich nor in aller Eile nnd in einem zn trostlosen Zu-
stande niederschrieb, um Ihnen darin etwas Vernünftiges sagen zn
können, ausser, dass ich in unerschütterlicher Liebe ewig bin und
sein werde Ihr Freund und Bruder Wieland.
Es ist beinahe ein Jahrhundert her, liebenswürdige Psyche,
dass ich Ihnen einen leidlichen Brief schrieb, als Antwort auf
jenen, mit welchem Sie mich vor der Abreise Ihres Innigstgeliebten
beehrten. Haben Sie diesen Brief empfangen, oder sollte er gar
auf der Post verloren gegangen sein, was mich sehr unglücklich
machen würde ? Ich bitte Sie, an meiner Statt die H&nde der wür-
digsten Frau und besten Mutter zn küssen nnd zärtlichst in meinem
Namen unseren werten und teuem August zu umarmen.
Mein hier eingeschlossenes, kleines Gedicht wird Ihnen das
Übrige sagen. W.
— 198 —
assez malhenreax, qu'elle se soit 6gar^e k la poste?
Je Voas sapplie de baiser de ma part la main de la
plus digne des femmes et de la meilleare des mores,
et d'embrasser bien tendrement, k mon Intention uotre
ch^re aimable Angaste.
Le petit poSme ci-joint Vous dit le reste. W.
k Weimar ce 3. Dec. 1773.*)
Une lettre de Jnlie! — et dans nn temps, oü
ponr r^crire eile est obligöe de se dSrober an plaisir,
de s'occnper de ce qn'il y a de plus interessant k son
coenr. — Croyez, divine Jnlie, qne je sens tonte la
*) Deutsche Übersetzung: Weimar, den 3. Dezember 1773.
Ein Brief von Julie! — und in einer Zeit, wo sie, um den-
selben schreiben zu können, der Freude entsagen muss, sich
mit dem, was ihrem Herzen das Interessanteste ist, zu be-
schäftigen. — Glauben Sie mir, göttliche Julie, dass ich die ganze
Grösse dieser Ihrer Gunst erkenne. 0 dass nur das Wörtlein Gunst
nicht wie eine Entheiligung in den Augen Ihres zukünftigen Herrn
und Meisters gelten möge; die Freundschaft hat ja doch ebensogut
ihre Gunst, wie die Liebe. — Sie könnten jedoch am Ende ver-
muten, dass ich unter dem Schutze der poetischen Lizenz mehr sage,
als ich fühle, und dass Ihr Brief mich doch nicht so sehr beglückte,
da ich die Beantwortung desselben bis heute hinausschieben konnte.
Was könnte ich dagegen einwenden, liebenswürdige Julie? Was
könnte ich vorschützen? — Unglück für einen Liebenden, der seiner
Herzenskönigin keine bessere Entschuldigung vorbringen könnte!
Dürfte noch ein Freund auf Ihre Gnade rechnen, wenn er Ihnen
gesteht, dass er nicht einmal genügend moralische Kraft besass,
Ihnen „Alceste** zu opfern? Da dieses Stück verwichenen Montag
gegeben wurde (und zwar, ich muss es gestehen, denselben
Abend, an dem ich Ihren Brief erhielt), so musste ich eines
— 200 —
grandenr d'une pareille faveur. Que le mot de faveur
ne passe pas pour nne profanation aux yeax de Yotre
fatur Seigneur et maitre ; Tamiti^ a ses favenrs ä eile,
tont aussi bien que Tamoar. — Cependant Vous etes
en droit d'imaginer, qu'ä l'abri des Privileges des Poötes^
Yon beiden thun, entweder auf das Vergnflgen verzichten „Al-
ceste^' zu hören, oder anf dasjenige, Ihnen zn schreiben. Sollte
ich mich nicht meiner Schwäche schämen? Sei dem, wie ihm
wolle, ich gestehe lieber meine Schuld offen ein und vertraue aui
Ihre Milde, als dass ich meinen Fehler, wenn dies wirklich in
Ihren Augen als ein solcher gelten sollte, beschönige. Sie ersehen
übrigens daraus, dass Alceste hier noch immer aufgeftlhrt wird,
und dass man der Schirmfee dieser Zaubersphären unrecht that,
als man ihr die Grausamkeit zumutete, unsere Heldin ohne einen
anderen triftigen Grund zu verbannen, als dass sie zu schön sei. Ich
brauche Sie, meine ausgezeichnete Freundin, da Sie die geheimsten
Regungen meiner Seele kennen, wohl nicht zu versichern, wie
sehr ich an der freudigen Nachricht von der vollkommenen Wieder-
genesung Ihrer verehrten Frau Mutier Anteil nahm, die Sie so gfltig
waren mir bekanntzugeben. Ich bin entzückt über alles, was
Sie mir bei dieser Gelegenheit von den Gefühlen erzählen, die
man ihr in G.(otha) entgegenbrachte, sowie auch über das edle
Benehmen des Herzogs Ihnen und dem Herrn Baron gegenüber.
Ich liebe, dass alles, was man treibt, mit gutem Willen geschehe,
und besonders bei Hoheiten gefällt es mir, wenn sie eine Freude
daran finden, sich anderen Menschen gegenüber getällig zu zeigen
und dies nicht nur halb thun. Aber jener verdammte Prozess, der die
Vereinigung des liebenswürdigsten aller Paare, das Amor je zusam-
menführte, noch auf Monate hinausschiebt, — seien Sie überzeugt,
dass ich ihn von ganzem Herzen hasse, und mit Vergnügen und
ohne alle Gewissensbisse dreiviertel aller Staatsanwälte, Advokaten
und Richter dem Teufel überantworten möchte, wenn ich nur
Ihnen dadurch die üngelegenheit ersparen könnte, abermals Be-
weise Ihrer Grossmut geben zu müssen. Ich wünsche um so eher
dieses schöne Liebesabenteuer einem glücklichen £nde zugeführt
— 201 —
je dis plus qne je ne sens, et qu'il faut bien qne
Votre lettre ne m'ait pas rendn si heureox, paisqae
j'ai pu dififörer jusqu'aujourd'hui d'y r6pondre. Que
Vous dirai-je, aimable Julie, Vous avouerai-je? Malhenr
zu sehen, da ich mir in den Kopf gesetzt habe, dass der Priester,
indem er Ihnen seinen Segen giebt, nichts anderes thnt, als nur
im Namen unserer Matter, der hl. Kirche, der Vereinigung zweier
Teile beizustimmen, welche die Natur lediglich zu gegenseitiger Er-
gänzung erschaffen zu haben scheint, und die beide durch diese Ver-
einigung soviel gewinnen, dass selbst ein Dilettant (in Ehesachen), wie
ich, mit Ungeduld den Moment erwartet, der ihn zum Augenzeugen
dieser freudigen Ceremonie macht. Indessen bin ich sehr beglückt
zu hören, dass das alte gute Einverständnis zwischen der Erfurter
„ Statthai terey** und Schloss Stedten wiederhergestellt ist, und be-
stätige vollkommen die hohe Meinung, die Sie von der liebens-
wOrdigen Amazone mit der feurigen Seele hegen. Das ist
wirklich eine charmante Frau, und ich erkläre Ihnen, wenn ich
Amadis wäre, so möchte ich sie zu meinen Göttern zählen.
Es ist nicht meine Schuld, dass ich Ihnen von hier nichts
anderes Interessantes mitteilen kann. Für Sie und mich dürfte
einzig von Interesse sein, dass sich alles, was uns in Weimar lieb
und wert ist, wohlbefindet. Prinz Gonstantin hatte einen vorüber-
gehenden Fieberanfall, von dem er heute jedoch wieder gänzlich
genesen ist. Dieser junge Prinz erblüht wie eine Rosenknospe,
Charakter und Herz entfalten sich sehr zu seinem Vorteile, er zeigt
treffliche Grundsätze, sowie eine gewisse Energie und verspricht
ein so angenehmer Mensch zu werden, dass sich, Gott sei Dank,
alle meine schlimmen Prophezeihnngen als nichtig erweisen. Im
übrigen fühle ich mich glücklich, wie ein Sultan (wenn diese that-
sächlich die glücklichsten Sterblichen sind) da man mir gestattete,
infolge meiner Erzieherpflichten bei den Prinzen, befreit zu gelten
vom übrigen Hofdienste. Ja , erst jetzt beginne ich aufzuleben
und meine Ideen und Gefühle, kurz, das bischen Dichtergenie, mit
dem mich Mutter Natur beglückte, wiederzufinden. Ich muss nun
endlich meinem Geschwätze ein Ende machen. Möchten Sie doch der
— 202 —
k l'ainant qni n'anrait qn'une si lagere excuse k all6gaer
k sa Maitresse! Mais an ami, devrait il esp6rer sa
gräce, en Yous ayouant qu'il n'a pas en assez de force
pour Voas sacrifier Alceste?*) Comme cette pifece fut
donn^e lundi pass6, (c'est k dire le meme soir oü je
reQUS Votre aimable lettre) il fallait bien run des deox,
ou renoncer au plaisir d'entendre Alceste, ou diffferer
celui de Vous 6crire. Ne devrais-je pas avoir honte
d'etre si faible ? Quoiqo'il en soit, j'aime mienx avouer
ma c 0 u 1 p e et attendre mon pardon de Votre cl6mence,
que de chercher k pallier ma faute, en cas qne Voas
trouviez que c'en est une. Vous voyez du reste, que
TAlceste se donne encore ici, et qu'on a fait tort k la
föe protectrice de ces lieux enchant^s, en lui attribuant
la cruelle rSsolution de bannir notre h6roine sans qu^on
pourrait y trouver d'autre raison valable que ce qu'elle
Hebens- und achtongswürdigsten aller Mütter die Gefühle jener
Hochachtung und Wertschätzung, die meine Seele erfüllen, aus-
drücken! Sagen Sie auch Ihrer Schwester Auguste alles Schöne
Yon mir, und zwar mit so innigem Ausdrucke, als es Ihnen immer
nur möglich ist, mein Herz wird Sie nie Lügen strafen. Seien
Sie überzeugt, meine teuersten Schwestern, dass die Gefühle, die
Sie für mich hegen, stets den grössten Teil meines Glückes aus-
machen werden; desgleichen tausend Schönes und Liebes dem
Erwählten Ihrer Seele. Adieu, liebe Julie, seien Sic stets glück-
lich und behalten Sie immer ein Plätzchen in Ihrem Herzen frei
für Ihren treuen Freund Wieland.
P. S. Ich habe bei Schweizer die vier Exemplare der ^Alceste**
besorgt, um die sie mich ersuchten. —
*) „Alceste'S ein Singspiel, yeranlasste Goethes Farce „Götter,
Helden und Wieland.**
Der HeraoBgeber.
— 203 —
est trop belle. Ge n'est pas k Yous, mon excellenie
amie, qni connaissez le fond de mon äme, qae j'ai besoln
de dire, combien je m'intfiresse k Theureuse nouvelle
de Tentifere guferison de Votre adorable Mfere, que Vous
venez de me confirmer. Je suis charmS de tont ce
que Yons mandez k cette occasion des sentiments qu'on
lui a montr6 k G, comme anssi des nobles proc^d6s
du Duc vis-ä-vis de Vous et de Votre eher Baron.
J'aime moy, qu'on fasse les choses de bonne gräce, et
que les Princes surtout soyent sensibles au plaisir
d'obliger et qu'ils n'obligent jamais k demi. Mais ce
maudit procfes qui 61oigne encore de plusieurs mois
l'union du plus aimable couple que Tamour a jamais
enchainfe — soyez persuad6e, cbfere amie, que je le
d6teste de grand coeur, et que je donnerais volontiers
et Sans le moindre remords de conscience au diable
les trois qoarts de tous les procureurs, avocats et
juges de Tunivers, si c'ötait le moyen de Vous 6pargner
cette occasion de faire preuve de Votre magnanimit6.
Je suis d'autant plus impatient de voir votre belle
aventure d'amour mise heureusement k fin, que je me
suis mis en tete, qu'en Vous donnant la b6n^diction
sacerdotale, le Prßtre ne fera que consentir au nom
de notre m6re sainte Eglise k la r^union de deux moiti6s
que la nature a form^ dans Tintention d'en faire un
tout, et qui toutes les deux gagneront autant de cette
r^union qu'un Dilettant comme moy ne peut pas
se dispenser d'etre impatient d'avoir le plaisir d'en
6tre t6moin ocnlaire. £n attendant je suis charm6,
— 204 —
qne Tancienne bonne intelligence se troave r6tablie
entre Stedten etla „Stattbalterey^ d'Erfort, et je sonscris
de grand coenr k tont le bien, qne Vous disez de
l'aimable amazone k Täme de fen. C'est röellement
une charmante femme, et si j'etais Amadis je Vons
d^clare qn'elle serait mise an nombre de mes divinitto.
Ce n'est pas ma fante, si je ne Vons mande rien
de nonvean d'ici. Ce qn'il y a ponr Vons et moy de
plns interessant, c'est, qne tont ce qne nons aimons k
W. se porte bien. Le prince Constantin, k la v6rit6,
a en hier nn accös passager de fi^vre, mais il s'en tronye
dnment r^tabli anjonrd'hnL Ce jenne Prince commence
k s'^panonir comme nn bonton de rose, et fort k son
avantage, son caract^re se d^yeloppe, son coenr prend
de la consistence, il fait voir des principes et m^me
de la fermetö, enfin il promet de devenir tont-ä-fait
aimable — et mes espferances s'en tronvent bien
agr6ablement tromp6s. — An reste je me trouve henrenx
comme nn Snltan, si tant est qne les Snltans sont
henrenx — de la libertfe qn'on m'a tontement accord^e,
de me regarder comme nn homme, qni a Texception
de ses devoirs anpr^s des princes, est absolnment d6tach6
de la Conr. Ce n'est qne depnis ce temps qne je
commence k revivre vf ritablement et k me retronver avec
mes sentiments mes id^es, et le pen de genie, dont
notre bonne m6re Natnre a bien vonln m'avantager.
Me voilä obligä de mettre fin ä mon babil, faites agr6er
k la plns respectable et la plns ch6rie des m&res
Thommage des sentiments de Tamitiö tendre et pnre
— 205 —
qui remplissent mon äme pour Elle. Dites de ma pari
k soeur Angnste tont ce qn'il y a de plus amicale et
dites le aussi vivement que Vons ponrrez, mon coeur ne
Vons dömentira jamais. Persuadez Vons bien, mes
aimables et oberes soenrs qne le sentiment dont Vons
m'bonorez fait nne partie essentielle de ma fölicit6.
Mille choses tendres et amicales ponr le digne tenant
de Votre coenr. Adien, Jnlie, soyez tonjonrs henrense
et gardez tonjonrs nn petit bont de Votre coenr ponr
Votre ami Wieland,
P. S. J'ai pris note des 4 exemplaires de l'Alceste
de Schweizer, qne vons me commandez.
Liebenswürdige Jnlie!
Ich kann Ihnen nicht beschreiben, — nnd würde
■
es nicht thnn, wenn ich's anch könnte — was mein
Gemüt in diesen Tagen für Ihre vortrefflichste Mntter,
für Sie, für unsere Angnste, für Ihren Bmder und für
alles, was zu Ihrem Hause gehört, gelitten hat! Alle
Tage wollte ich mich hinsetzen, Ihnen zu schreiben,
aber ich konnte weder Gedanken noch Worte zusammen-
bringen. Ich suchte mich zu zerstreuen, aber alles
erinnerte mich an meine Freuiidinen zu Stedten ; meine
Seele war immer bey Ihnen, nnd noch itzt zittert sie
bei dem schrecklichen Gedanken, was die Folgen einer
so schmerzlichen Verwundung des Herzens auf so zarte,
so empfindungsvoUe Geschöpfe seyn könnten. 0 meine
beste Julie, meine thenre Auguste ! Schwestern meiner
— 206 -
Seele! Mein Hertz blutet aber Ihren Verlust; es ist
auch der meinige ; aber, o sparen Sie Sich ! überlassen
Sie Sich nicht einer Traurigkeit, welche Ihre Gesundheit
zerstören könnte. Noch Eine von Ihnen zu verliehren
würde mir unerträglich seyn. Unsere Schwester ist
nicht todt; Sie lebt, o! Sie lebt und ist glücklich;
schwebt ungesehen über uns, ober uns, wird vielleicht
unser Schutzgeist. Hat unsere Seele keine Augen ? Soll
sie uns unsichtbar seyn, weil diese körperlichen Augen
sie nicht mehr sehen? Schreiben Sie mir recht bald,
meine theure Freundin; beruhigen Sie mein Hertz
(und Gott gebe, dass Sie es mit Wahrheit können I)
über die Besorgnisse, die es ängstigen. Umarmen Sie
unsere liebenswürdige Auguste für mich ! Vortreffliche
Schwestern! Vereinigen Sie Sich toit verdoppeltem
Eifer, der besten der Mütter den Verlust einer hoffnungs-
vollen Tochter zu ersetzen!
Zerstreuung, liebste Freundinen, wäre Ihnen allen
itzt das nöthigste! Könnte ich Sie doch durch einen
Wunsch alle zusammen nach Weimar versetzen ! Wie
eifrig würde meine Freundschaft sich bestreben, Sie
so viel wie möglich eines Verlustes vergessen zu
machen, an welchen Alles in Stedten Sie erinnert!
W.
Sans*) doute, aimable Julie, Vous Stes d6jä inform^e
du facheux accident, qui, en venant troubler le plus
'*') Deatsche Übersetzung: Ohne Zweifel, liebens-
würdige Julie, sind Sie schon ?on dem ärgerlichen Zwischenfalle
— 207 —
bei arrangement que nous avions fait ensemble,
Mesdames V. mfere et V. soeur et moy, pour passer la
soir6e du mercredi pass6 chez moi , m'a empech6 anssi
de r^pondre plutöt ä Taimable lettre, que Madame
votre mfere a eu la bont6 de m'apporter de Votre part.
Gräces an Ciel j'ai 6t6 qnitte pour la peur; ce qui
anterrichtet, der alle jene schönen Pläne vernichtete, die wir, nämlich
Ihre Fraa Matter, Ihre Schwester and ich, zasammen schmiedeten,
dahingehend, dass beide den Abend des yerflossenen Mittwoch bei
mir znbringen sollten, und dies ist aach Schald an der verspäteten
Antwort aaf Ihren liebenswürdigen Brief, den Ihre Frau Matter
die Güte hatte mir in Ihrem Namen za überbringen. Dem Himmel
sei Dank, der mich so für meine ausgestandene Angst entschädigte;
denn was sich anfangs als ein grosses Übel darstellte, verwandelte
sich später in ein grosses Glück; und da alles so trefflich ohne
die mindesten Schmerzen und ohne jeden Zwischenfall bei meiner
lieben kleinen Frau vor sich ging, so dürfen wir hoffen, dass sie
in 2 — 3 Tagen vollkommen hergestellt ist. Aus dieser Mitteilung
ersehen Sie also, liebe Freundin, dass Sie mehr Grand haben, sich
mit mir zu freuen, als über vergangenes Leid zu klagen, das mir
meine Phantasie, mehr als notwendig, während dieser 3—4 Standen,
in denen sich das Leben meiner teuern Kranken in höchster Ge-
fahr befand, vormalte. Lassen Sie uns also die so traurige Zeit
vergessen (ich litt während dieser zwei Tage thatsächlich schwerer,
als die Patientin selbst). Nur noch ein paar Worte über den
Brief, den Sie so gütig waren, mir nach Gotha zu schreiben, und
den Ihre Frau Schwägerin mir persönlich in meine Herberge brachte,
gerade, als ich zufällig ausgegangen war, und den ich nie erhielt.
Wie dies geschehen konnte, ist mir unbegreiflich; alle meine Nach-
forschungen, sowie das Examen, das ich mit meinem Bedienten
anstellte, und die Durchstöberung meiner sämtlichen Papiere
blieben erfolglos. Um so verzweifelter bin ich nun, als Sie mein
Stillschweigen etwas gegen mich aufgebracht zu haben scheint,
und es wäre auch wirklich unverzeihlich meiners^ts, wenn ich
thatsächlich eine Schald daran trüge. Ich fühle mich ohnehin
— 208 —
d'abord avait Tair d'an grand mal s'est trouvS dans la
snite un grand bien ; et comme tout s'est pass6 chez
ma ch^re petite femme sans les moindres doalenrs et
Sans ancan antre accident sinistre, et qu'en 2 on 3 jonrs
nons avons toutes les apparences da monde de la voir
tout-i-fait rttablie. Vous voyez, chfere amie, que dans
tout cui il y a plus d'occasion de Vous r6jouir avec moy,
schon BchaldbewoBst genag, Ihnen nicht ans eigenem Antriebe schon
Yon Gotha aus geschrieben zn haben, oder wenigstens gleich nach
meiner Heimkehr. Aber, weiss Gott, welchen Zauber die Oberhof-
meisterin Frau von Buchwald auf mich ausübte; denn ich befand
mich thatsächlich während meines 4Vstägigen Aufenthaltes so in
ihrem Banne, dass es mir ganz unmöglich war, an etwas Anderes,
als an diese höchst liebenswürdige Matrone zu denken, und dass ich
bei ihr alle die Zeit zubrachte, die ich nur irgendwie dem Hofe
absparen konnte, und sogar die Grazien und ihre Mutter vernach-
lässigte, um nur stets bei dieser merkwürdigen Dame sein und mich an
ihrer fesselnden Eonversation erfreuen zu können. Ich gestehe zu,
liebe Freundin, dass diese Entschuldigung gar keinen Wert hat;
auch ist dieses mein nettes Geständnis eher eine Anklage, statt
dass es mich reinwüsche, ich flehe daher auch um gütige Nach-
sicht und unterwerfe mich freudig und ohne Widerspruch jeder
mir von Ihnen auferlegten Busse. Es ist nicht minder wahr, dass
ich diese Unterlassungssünde sofort nach meiner Heimkehr hätte
gut machen sollen; aber die Notwendigkeit, in der ich mich be-
fand , Zeit und Fleiss ausnahmslos dem „Merkur'' zu widmen,
dessen drei erste Nummern sich im Drucke befinden und in we-
niger als fünf Wochen das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollen,
sowie die viele Mühe, welche mir die Redaktion dieser Zeitung
verursacht, die von jetzt ab monatlich erscheinen soll, könnten
mich vielleicht Entschuldigung in Ihren Augen finden lassen, femer
noch überdies mein Versprechen, so bald als möglich Ihnen auf-
zuwarten, und zuguterletzt noch die Faulheit, die ein Naturtehler
bildet Ihres gehorsamsten Dieners und Freundes W.
— 209 —
que de partager des maux passes, que mon imagination
platöt que l'exigence dn cas m'a fait 6prouyer, pendant
3 ou 4 heureSy que la vie de la eh^re malade me parut
en danger. Fassons aussi leg^rement qne possible sur
cette sc^ne (qui me rendit pendant 2 jours plus malade
et abbattu que la Patiente elle-meme). Pour dire deux
mots de cette lettre que Vous avez eu la bont^ de
m'6crire k Gotha, que M. V. Beaufrfere a port6 lui
m£me dans mon auberge, ou je n'^tais pas alors, et
qne je n'ai point reQU. De Vous dire comment cela
a pu arriver, c'est ce que je ne saurais; tout ce que
j'ai pu faire, ayant 6t6 inform6 de ma perte, a 6t6 inutile ;
examen de mon domestique, recherche dans tous mes
papiers, tout a 6te sans succ^s. J'en suis d'autant
plus au d^sespoir que mon silence Vous a du donner
un peu plus que de Thumeur contre moy, et qu^eu
effet je serais indigne de pardon s'il aurait 6t6 volontaire.
Je suis d^jä assez coupable de ne pas Vous avoir £crit
de mon propre chef pendant mon s^jour h Gotha, ou
au moins apr^s mon retour. Mais dien sait, comment
Madame la Grand-Maitresse de Buchwald s'y prend;
la v6rit6 est, que pendant les 4 jours et demy que j'ai
pass6 k Gotha, je me suis trouy^ sous le charme, qu'il
m'a 6t6 impossible de m'occnper d'autre chose qäe de
cette aimable et extraordinaire vieille, que j'ai pass6 chez
eile tout le temps, que j'ai pu dferober k la Cour, et que
j'aurais quittfe les Graces et leur mfere, pour 6tre aupris
de cette merveilleuse femme et pour jouir des charmes
de sa conversation. J'avoue, ma ch^rissime amie, qne
Carl Graf Obtrndorff, EriBAtranfta tlBtr UrgroffmntUr. 14
- .ai —
1» - ^r*f^ \uvrs, .fr . unnor * joc muL ' asna -f 'afiiEe loua
'f»f r^^xiAfi -.1» M^rrTsvF. .anc i^a'rnia LeHmifcs- ' amea-
*0^'.-ia^t 'iTnnnm^r -ff noina oft . ^tffiauxB& -* - a
r'/ff^nf/AT» rtAin^ >!q«>r^T»f .^.'PHIlilill- "Sie kiU im irTt^Sst
ff*^ ff'f^hts^f) At>tifrt^* v»7ÄaA^, ^.lr^il üe i»iiiaiü«;iie
Kf^fr'kff^.rf, ^}^ ftiirt ^^Vi/^f^. >(/VTU^>, ?'-.rii*ar nitiaer IieöäLs-
- all -
würdigen Psyche wegen so grosse Herzensangst ge-
macht hatte, ebenfalls dem Lande, von wo man nicht
wiederkommt, ziemlich nahe gebracht wurde. Nun sind
es zwar schon etliche Wochen, seit ich wieder genesen
bin, aber mit meiner ganzen Restitution in den vorigen
Stand geht es langsamer, als mir lieb ist ; und, da die
geringste Verkältung mir noch Schaden thut, und eine
Landpartie bey schon so weit vorgerückter Jahreszeit
also keine Sache ist, die ich wagen darf, so werde ich
mein Projekt schon noch um ein Jahr weiter hinaus-
setzen müssen; und ich will mich indessen mit der
Hoffnung trösten, Sie vielleicht in bevorstehendem
Winter bey irgend einer erfreulichen Gelegenheit hier
in Weimar zu sehen.
Inzwischen schicke ich Ihnen statt meiner die zwey
ersten Teile von der neuesten Ausgabe meiner Gedichte,
für die ich um eine freundliche Aufnahme und um ein
Plätzchen in Ihrem Cabinet bitte, und die schon vor
geraumer Zeit eingetroffenen 6 volumes supplemens zu
den Oeuvres complettes de J. J. Rous^au, welche Sie,
um das ganze Werk vollständig zu haben, vermutlich
doch nicht gerne entbehren wollten.
Hoffentlich hat nun auch Ihre Frau Schwester
ihre sämtlichen abonnierten Exemplare vollständig von
Zweybrücken aus erhalten ; wenigstens versichert mich
dessen der Herausgeber, mit welchem ich nun deswegen
in Abrechnung begriffen bin.
Seit einigen Tagen haben wir hier ganz unver-
hofft einen Besuch von meinem alten Freunde, dem
14*
— 212 —
Geh. Eat Jacobi von Düsseldorf, dem Bruder des
Dichters, erhalten; und gestern ist anch der gute
Claudius, sonst Asmus genannt, eingetroffen — ein
Mann der gerade so aussieht wie sein Geist und Herz
sich in seinen Buch ein abgeformt hat, und dem man
gleich beym ersten Anblick gut werden muss. Beyde
werden uns bald wieder verlassen, und es liegt gewiss
nicht an mir, dass ich sie Ihnen nicht zuschicken
kann, um Ihnen das Vergnügen zu verschaffen, ein
paar ganz interessante Bekanntschaften zu machen.
Meine Frau und alle die Meinigen empfehlen sich Ihrem
gütigen Andenken, und ich bin so lange ich atmen
werde mit der zärtlichsten Verehrung und Freundschaft
Ihr ganz eigener Wieland.
W. den 27. Sept. 1784.
Umarmen Sie Ihren Bechtolsheim in meinem
Nahmen und erhalten Sie mir seine Gewogenheit, deren
Wert niemand mehr als ich zu schätzen wissen kann.
Es ging mir nahe, dass meine Hoffnung Ihren liebens-
würdigen Bruder, der so ganz ein Mann nach meinem
Herzen ist, vor seiner Rückkehr nach Stockholm noch
einmal hier zu sehen, zu Wasser worden ist. Haben
Sie die Güte, beste Psyche, Ihm recht viel schönes
in meinem Nahmen zu sagen.
«
Noch einen interessanten Brief Wielands will ich
hier mitteilen, der vom Brande des Herzogsschlosses
zu Weimar handelt und an meinen Schwiegervater
adressiert ist:
— 213 —
ä Weimar ce 8. de May 1777. k 7 heures du matin.*)
Rassurez **) Vous, mon eher et respectable amy —
— Le ciel veut, que notre bien aim6 Prince joue un
grand röle, au moins le röle d'un grand homme sur
le th^atre du monde, et il commence par lui brüler
sa maison.
ÜD prince de 17. ans, avec la pr6sence d'esprit,
la contenance, la magnanimitä, Tactivitä, Tbumanite,
'*') Siehe Facsimile- Beilage No. 3 nach dem „Ersten Bach**.
Der Heraasgeher.
**) Deatsche Ühersetzang:
Weimar, den 8. Mai 1777. 7 Uhr Morgens.
Berohigen Sie sich, mein liehwerter Freund, — der EUmmel
will, dasB unser vielgeliehter Fürst eine grosse Rolle spiele,
wenigstens die Rolle eines grossen Menschen auf dem Theater
der Welt, und er heginnt damit, ihm sein Haus in Brand zu stecken.
Ein Fürst von 17 Jahren, so voll Geistesgegenwart, Fassung,
Hochherzigkeit, Regsamkeit und Nächstenliebe, wie es der unserige
in Wort und That vom ersten Momente unseres schreckUchen
Missgeschickes an gewesen, ein solcher Fürst ist und bleibt ein
seltenes Wunder. Mit Sicherheit können wir annehmen, dass ihn
das Schicksal zu grossen Werken ausersehen hat.
Es ist wohl selbstverständlich, dass ein ünglücks&ll, wie
dieser, welcher so unversehens über uns hereinbrach, alle schönen
Entwürfe und angenehmen Traumbilder völlig zerstörte. So
manches meiner herrlichsten Luftschlösser, das meine Phantasie
zur Ehre und zum Ruhme der Regierung unseres jugendlichen
Heros aufbauen wollte, sehe ich nun begraben unter den Ruinen
des grossen Schlosses zu Weimar; aber noch ist nicht alles ver-
loren, mein Freund. Im Gegenteil, je mehr der Fürst auf der einen
Seite verlor, umso mehr wird er Freunde benötigen, die ihm wirkUch
von Herzen ergeben sind, und umso mehr wird er trachten müssen,
sich an würdige Leute anzuschUessen, die sein ganzes Vertrauen
besitzen.
— 214 —
qne le notre a fait voir par tonte sa faQon d'fitre par
tont ce qn'il a dit et fait depnis le 1. moment de cette
affreuse calamit6, un tel prince est un predige. II est
impossible qn'il ne seit appell6 k des grandes choses.
II est bien natnrel qn'an accident comme celni-ci,
qni vient de tomber snr nous si inopin^ment, d6range
bien des planS; et fasse s'evanonir bien d'agr^ables
songes. Je vois maint bean Chatean en Espagne, qne
mon imagination se plaisait k bätir en honnenr et
gloire dn r^gne de mon jenne Heros, enseveli sons
les mines du grand Chatean de Weimar; mais tont
n'est pas perdn, mon ami. An contraire plns le Prince
a perdn d'nn cot6, plns il anra besoin d'amis qni Ini
soient vraiment attach^s ; et plns il songera k s'attacher
des hommes dignes de tonte sa conflance.
Die Herzogin, die Prinzen, Graf Görtz, knrz alle
Personen für welche Sie sich interessieren, nnd anch
die übrigen, die nns nicht interessiren, befinden sich
alle so wohl als nach Gestalt der Sachen nnr möglich
ist. Unser lieber Graf hat sich wie ein Held aufge-
führt, nnd selbst seine Maschine hat besser ansgehalten,
als ich zn hoffen wagte.
Das Unglück war gross ; aber es ist eine Art von
Trost in der Vorstellung, dass es leicht ungleich grösser
und schrecklicher hätte seyn können.
Als ich um ein Uhr, meine gewöhnliche Zeit, von
Hofe ging, dachte noch keine Seele an nichts, selbst
auf der Kammer, wo das Feuer zuerst ausbrach, wurden
die bis zwölf Uhr daselbst arbeitenden Bäte und Snb-
— 215 —
alternen nicht das Mindeste gewahr, um halb zwey
stand schon der ganze Dachstuhl des Schlosses rings-
herum in vollen Flammen, und um drei Dhr schlug es
schon aus allen Ereuzstocken der herrschaftlichen
Zimmer. Keine menschliche Macht hätte das Schloss
gegen die fressende Wut der Flammen retten können.
Es ist beynahe ein Wunder wie noch eine so grosse
Menge von allen Arten von Möbeln aus dem ganzen
Schlosse gerettet worden sind. Die ganze Stadt
war in grösster Gefahr, und erst in der Nacht um
3 Uhr konnten wir uns der Hoffnung sicher zu seyn,
äberlassen. Doch, ich habe weder Zeit noch Buhe des
Geistes genug um Ihnen eine Beschreibung dieses
schrecklichen 6. Mayes zu machen.
Vom ganzen Schloss steht, ausser den nackten
steinernen Hauptmauern, nichts mehr als der Thurm
und die Begierung; alles ttbrige ist ein Baub der
Flammen geworden. Von den herrschaftlichen Sachen,
Kostbarkeiten, Geld und Möbeln ist das Meiste ge-
rettet. Aber andre Personen, sonderlich die beyden
Hofdamen haben ihr Meistes verlohren ; unser Graf alle
seine Bücher — doch der Bote dringt — und ich habe
keine Zeit mehr zum Detaillieren.
Schreiben Sie dem Grafen so bald als möglich.
Heute ziehen wir nach Belvedere.
Ich umarme Sie tausendmal, mein liebster Baron.
Ich kfisse Ihren Damen die Hände und bitte Sie aller-
seits sich möglichst zu beruhigen. Ich denke nicht,
dass dieser Zufall, so fatal er immer ist, in unserem
— 216 —
Hauptplan etwas ändern könne noch soll. Erbalten
Sie mir, meine teuersten Freunde, Ihre bisherige Ge-
sinnung und leben Sie wohl!
Ich bin mit nur der zärtlichsten Verehrung, Freund-
schaft und Ergebenheit mein bester Bechtolsheim,
meine theuersten Freundinnen,
Ihr ganz eigener
Wieland.
Um das Bild des geselligen Lebens der Freifrau
Julie von Bechtolsheim - Keller zu vervollständigen,
füge ich noch einige Briefe an sie bei und lasse
dann vier von ihr verfasste und ihren Dichterfreunden,
zu welchen auch Schiller zählte, gewidmete Sonette,
sowie auch ein „Weimars Meistersingern" in corpore
geweihtes Poem folgen:
Weimar d. 18. August 1783.
Gnädige Frau!
Sogar schlug ich Wielands ,Liebe um Liebe' auf,
das von ohngefähr neben mir lag (ich schreibe nicht
aus meiner Stube, sondern wo änderst her, bey mir
findet sich so etwas nicht) und doch fand ich nichts,
was ich Ihnen zur Antwort auf das mir überschickte
hätte zurücksenden können ; es war eben gar zu artig.
Mein elendes Craneum war nicht glücklicher als meine
Forschungskraft, denn beyde fanden nicht ein Verschen,
das mit den Ihrigen hätte vertauscht werden können.
— 217 —
Ich spure es wohl, mein Helikon muss ein schmutziger
Fuldarer Land -Gasthof seyn, wo mich ein Gewitter
hinein schlägt und mich mit der himmlischen Hypochrene
des Sagenrosses begeistert, anderswo bringe ich nichts
hervor. Meine Begleiter, Mitarbeiter und Mitempfanger
empfehlen sich nebst mir Ihnen zu Gnaden. Leben
Sie wohl.
Carl August, Herzog von Sachsen- Weimar.
Dem Exl. Cons. Pres werde ich ehestens schreiben
und mich für seine schönen, sehr schmeichelhaften An-
merkungen bedanken.
Carlsruh*) ce 24. Nov. 84.
Au moment de mon d^part pour la Suisse, Madame,
je re^us Votre lettre concernant Mademoiselle de Euth.
Vous pardonnerez si j'ai diff6rfe quelque temps a y
*) Deutsche Obersetzung:
Carlsrahe, den 24. No?. 84.
Gn&dige Fraa ! Im Momente meiner Abreise in die Schweiz
habe ich Ihren Brief, betreffs Fr&alein von Rnth, erhalten. Ver-
zeihen Sie mir, dass ich einige Zeit mit meiner Antwort zögerte,
allein w&hrend meiner Abwesenheit von Dentschland dispensierte
ich mich von allem Briefschreiben.
Sie konnten mir anmöglich die Angelegenheit Ihrer Prot^gäe
w&rmer ans Herz legen als es darch Ihre liebenswürdigen an mich
gerichteten Zeilen geschah; in der Befürchtung, höchstens etwas
an der Sache zu verderben, wenn ich mich anderer Worte, als
der Ihrigen bediente, habe ich sogleich Ihre werten Zeilen, einen
gaten Erfolg erhoffend, an meine Matter geschickt
Meine guten alten Freunde and alle meine Verwandschaften
sind fast zu zahlreich, als dass ich sie s&mtlich abbesuchen könnte,
— 218 —
r6pondre, je me suis dispensß de tonte gcriture pendant
qne j'avais quitt6 rAlIemagne.
II 6tait impossible de mieux recommander Taffaire
de Votre prot6g6e, qne Vous ne l'avez fait par la
charmante lettre qne Vous avez bien vonln m'adresser,
j'anrais donc crn y gäter quelqne chose si je me serais
servi d'antres termes qne les Votres, j'ai donc envoy6
Vos lignes k ma m6re, j'esp^re qn'elles feront lenr effet.
Mes anciennes connaissances , et mon parentage
ätant tr6s nombrenx ponr les yisiter tons, c'6tait ponrtant
ce qne je m'6tais propos6, j'y r6nssis assez bien, mais
cela me coute bien dn temps. Je pars demain ponr
Darmstadt y ce sera vers la fin de D6cembre qne je
compte retronver mes foyers. Je Vons snpplie de m'y
recevoir avec bont6 et de me conserver nn pen d'amiti6.
Adien Madame.
Cliarles Angnste.
Mr. de Bechtolsheim se porte, j'espfere, bien non
obstant la manvaise saison, je Vons prie de le salner
de ma part.
aber da ich es mir schon einmal vorgenommen habe, thae ich es
dennoch nach Möglichkeit, obwohl es mir sehr viel Zeit raubt.
Ich reise morgen nach Darmstadt und glaube erst im Dezember
an meinen heimatlichen Herd zurückzukehren. Ich bitte Sie, mich
mit gewohnter Güte aufzunehmen und mir ein bischen Freundschaft
zu bewahren. Leben Sie wohl, Madame 1
Carl August.
Herr von Bechtolsheim befindet sich, hoffentlich, trotz der
bösen Jahreszeit wohlauf, und bitte ich Sie, ihm meine besten Grüsse
^a entrichten.
— 219 —
Furst-Primas Freiherr von Dalberg*)
an Julie von Bechtolsheim:
I.
Madame !
Tonjours compatissante et occnpSe du bonheur
*) „Karl Theodor Antoo Maria Freiherr von Dalberg, letzter
Karfürst von Mainz und Enrerzkanzler , dann Fürstprimas des
Rheinbandes and Grossherzog von Frankfurt, geboren den 8. Fe-
bruar 1744 zu Herrnsheim, gestorben den 10. Februar 1817 in
Regensburg, studierte in GOttingen und Heidelberg die Rechte,
bildete sich in Worms und Mainz fflr den geistlichen Stand aus;
1768 Domkapitular in Mainz und Domherr in Wflrzbnrg und Worms
und 1772 Wirkl. Geheimer Rat und Statthalter in Erfurt Er
hielt hier auf strenge Handhabung des Rechtes, forderte Handel,
Gewerbe und Landwirtschaft, legte den alten Hader zwischen
Katholiken und Protestanten bei und richtete die tiefgesunkene
Universität Erfurt wieder auf. Mit Wieland, Goethe, Herder und
Schiller und den thüringischen Fürstenhöfen stand er in freund-
lichsten Beziehungen 1787 wurde er, hauptsächlich durch die Be-
mühungen Josefs n., Coadljntor von Kurmainz, kurz darauf von Worms,
1788 von Konstanz und Erzbischof von Tarsos. Er verblieb in-
dessen in seiner Stellung in Erfurt. 1802 wurde er Erzbischof
von Mainz. Bei der Säkularisation der geistlichen Fürstentümer
war D. der einzige deutsche Kirchenfürst, der entschädigt wurde;
der Reichsdeputationshauptschluss bildete ihm aus dem Fürstentnme
Regensburg, sowie aus Aschaffenburg und der Grafschaft Wetzlar
einen Staat und übertrug ihm die Würde eines Kurerzkanzlers and
Erzbischofs. Mit der Auflösung des Reiches 1806 verlor er die
Würde eines Kurerzkanzlers, wurde aber dafür zum souveränen Fürst-
Primas des Bundes und zum Vorsitzenden der Bundesversammlung
ernannt und erhielt Frankfurt a. M. nebst Gebiet, sowie das
Fürstentum Löwenstein etc. 1810 trat er das Fürstentum Regens-
burg an Baiern ab und erhielt dafür Hanau und Fulda mit dem
Titel eines Grossherzogs von Frankfurt. Mit Napoleons Sturze
brach seine weltliche Herrschaft zusammen, und er zog sich nach
— 220 —
des*) personneSy qni Tentonrent, mon excellente amie
Jalie est an etre Celeste et bienfaisaDt, dont les instants
s'ecoulent ä. essuyer les larmes des infortunßs, k prot6ger
les malhenrenx , k leur inspirer le sentiment de la
douce et consolante amiti6, et de charmer la soci6t6
par la gräce de l'esprit et la sensibilitS d'an excellent
Regensbarg zurück, wo er starb und begraben liegt. — In allen
Stellungen seines Lebens wendete D. dem Schulwesen liebevolle
Fürsorge zu, unterstützte Gelehrte und Dichter, wie denn anch
Schiller eine Zeitlang ein Jahresgehalt von ihm bezog, und war
selbst in der Geschichte, Philosophie und den Naturwissenschaften
schriftstellerisch th&tig." — Über ihn erschienen zahlreiche
Werke. (Auszug aus Pierer's Konversations-Lexikon, 7. Auflage,
3. Band, pag. 1607. Stuttgart 1889.)
*) Deutsche Übersetzung.
L
Madame!
Immer mitleidig, immer besorgt um das Glück derer, die Sie
umgeben, ist meine ausgezeichnete Freundin Julie ein himmlisches
und wohlthätiges Wesen, die ihr ganzes Leben nur dem hehren Zwecke
weiht, die Thr&nen der Unglücklichen zu trocknen, die Schwachen
zu beschützen, ihnen Gefühle süssen Trostes einzuflössen und die
Gesellschaft durch ihre Anmut, ihr liebreiches Gemüt und ihr ge-
fühlvolles, gutes Herz zu erfreuen. Dies ist der Ausdruck dessen,
was ich im Verein mit den Damen Prascht, der Nichte der Gene-
ralin Knorr, dem guten Guningham und so vielen, vielen Anderen
fühle, die mir es täglich wiederholen! Ihre schöne Seele spiegelt
sich in ihrem charmanten kleinen Briefe wieder. 0 w&re ich nur
immer der vielen Güte, mit der Sie mich überhänfen, würdig und
hätte ich nur stets Gelegenheit, Ihnen die ehrfurchtvollsten Ge-
fühle meiner Anhänglichkeit zu zeigen, mit denen ich verharre
als Ihr unterthänigster Diener
Erfurt, den 29. November 1796. Dalberg.
Meine respektvollsten Empfehlungen Ihrem Gemahl.
— 221 —
coenr. Yoilä ce que je sens, et ce qua les dames
Praschty la ni^ce de la g6n6rale Enorr, le bon Caningham,
et tant et tant d'antres ont 6proay6, et r6petent chaqne
jour! Votre belle äme se peint bien dans Votre charmante
petite lettre. Pnissai-je mSriter constamment les bont^s,
dont Vous m'honnorez ; puissai-je prouver Tattacheiuent
respectueux, que Vous a vou6, Madame
Votre trfes humble
Erfurt ce 29. Nov. 1796. serviteur Dalberg.
Mes hommages ä Votre Epoux.
IL
Madame I
Je serai enchautö d'avoir le bonheur de Vous voir
ainsi, que Votre aimable soci6t6. Je serai trfes enchant^
de partager un bonheur, dont le motif est si respectable,
et qui conceme des personnes, qui m'ont inspir^ la
plus haute estime. Je me fais föte de voir demain k
diner toute la famille si interessante ä tous ^gards^
Madame!
Ich werde entzückt sein, Sie wiedersehen und in Ihrer an-
genehmen Gesellschaft weilen zn dürfen. Desgleichen freut es
mich sehr eines Glückes teilhaftig zu werden, dessen Grund so
achthar ist und das Personen betrifft, die sich meiner grössten
Wertsch&tzung erfreuen. Es wird ein Fest für mich sein, Ihre in
jeder Hinsicht interessante Familie morgen bei mir bewirten und
Ihnen gleichzeitig die achtungyollsten Gefühle wiederholen zu
dürfen, mit denen ich die Ehre habe zu verbleiben
Ihr unterthäniger und gehorsamer
Erfurt, Montag abends. Diener Dalberg.
— 222 —
et de Vous r6p6ter les sentiments respectueux, avec
lesqnels j'ai rhonnenr d'etre, Madame,
Votre trös humble et trfes ob6issant serviteur
Erfurt ce lundi au soir. Dalberg
Brief des Baron Grimm beim Tode
der Kaiserin Katharina 11.
Je*) ne puis, Madame, ni vivre, ni mourir, mais je
puis encore sentir le prix de la compassion d'un coeur
g6n6reux et sensible. C'est la seule r^ponse, que je
puisse faire k Votre lettre. Vous sentez la grandeur
incommensurable de ma perte. Vous me plaignez.
C'est une consolation, que je sentirai, mais ce sera k
la fin de mon agonie.
ä Gotha, ce 13. Decembre 1796.
Gedichte der Baronin Bechtolsheim-Keiler.
1. Wieland.
(Als der jangen Sängerin besonderem Gönner.)
Kaum erst entschwebend lichtem Flügelkleide,
Sah ich Ihn nah'n dem heimatlichen Thale,
Da ging mir auf, geweckt vom goldnen Strahle,
Ein schöneres Sein, umblüht von holder Freude.
*) Brief des Baron Grimm beim Tode der Kaiserin Katharina II.
Madame 1 Ich vermag zwar weder zu leben, noch zu sterben,
doch den Wert der Teilnahme eines edlen und gefühlvollen Herzens
kann ich noch ermessen. Das ist die einzige Antwort, die ich Ihnen
auf Ihren Brief zu bieten im stände bin. Sie fühlen die unendliche
Grösse meines Verlustes mit mir. Sie bemitleiden mich. Das ist
ein schöner Trost, dessen ich jedoch erst dann teilhaftig werde,
wenn sich mein, an Wahnsinn grenzender Schmerz gemildert hat.
Gotha, den 13. Dezember 1796.
— 223 —
Er führte mich aaf immergrüner Weide
Durch seinen Geist zum hohen Ideale
Und reichte mir in süsser Zaaherschale
Der Weisheit Gold für — Röslein von der Heide.
Den Grazien, die liebend ihn amschweben^
Masst' ich geloben das erweckte Leben,
Und Psyches Name ward des Bundes Siegel.
Es wehte leis, es rauschte sanft die Quelle;
Ich fühlte schweben mich dahin ins Helle,
Denn angezaubert waren mir nun Flügel.
2. Schiller.
(Als dem Vorbilde alles Hohem und Schönen.)
Und wenn fortan entzückt die Leyer singt
Den reinen Quell des Ewig-Höchsten-Schönen,
So reich an Farben - Goldspiel, reich an Tönen
Und jedes inn're Saitenspiel beschwingt;
Wie heisst das Licht, das ew'ge Sch&tse bringt,
Das treibt und dr&ngt Gemeinem zu entwöhnen,
Das hold verkl&rt der Liebe zartes Sehnen
Und Kraft beseelt, die nach dem Bessern ringt?
Er ist^s! und wie der Sonne m&cht*ge8 Feuer,
Die Stemenwelt in ihrer stillen Feier,
Der Blüten, Bilder, Töne Zauberlust,
So regt er an die köstlichsten Gefühle,
Entreisst den Geist dem irdischen Gewühle
Und senkt den Gott in jede freie Brust.
— 224 —
3. Herder.
Nar selten naht* ich deinem Heiligtame,
Ein Missgeschick hielt ferne mich von dir,
Doch standest da in heiPger Stande mir
Im Geist oft nah, umglänzt von ewigem Ruhme.
Dir ward das Schöne ganz zum Eigentnme,
Dir dankte Weisheit holder Anmut Zier,
Auch pflanztest du auf deutschem Kunstrevier
Vom Orient uns manche Wunderblume.
Zur Wahrheit, die auf goldnen Wolken thront,
Trug dich dein Flug, der dir unsterblich lohnt,
Wenn Tausende durch dich nun aufwärts streben;
Tief mit dem Wesen heiPger Kunst vertraut.
Bleibst du dem Aug', das sinnig dich erschaut,
Ein Glanzgebild von Liebe, Licht und Leben.
4. Goethe.*)
Wo sind die Farben nimmer zu verbleichen,
Die wunderbar und ewiglich erglühen?
Gebt mir den Zauber seiner Harmonien,
Mir sagt das Herz: ich muss ihn doch erreichen!
Hier ist ein Strom, aus allen Lebensreichen,
Goldflutend, lohnend jedes Denkens Mühen,
Ein heller Spiegel zu Natur -Magieen,
Ein Geisterkönig, dem Heroen weichen!
*) Die gesperrt gedruckten Stellen bedeuten Verbesserungen
von Goethes eigener Hand. Siehe Goethe- Jahrbuch 25. Band.
Der Herausgeber.
— 225 —
Doch zarte Seelen seh^n in Himmelsfernen
Nur Lieb und Huld, drum wollt' auch ich dem Kranze,
Der ewig grünt, ein Blümchen einverweben;
Da träumte mir: ich g&h' hemiederschweben
Zu mir ein Zweiglein, winkend auf zum Glänze
Nun flog ich selbst als Blume zu den Sternen 1
Weimars Meistersinger.
(Wieland, Schiller, Herder, Goethe.)
>Vas s i e uns sind, wie s i e uns stets gewesen.
Ich möcht^ es gern in edle Reime bringen,
Um Strablenbilder frische Blumen schlingen.
Zum Kranz für sie bedeutsam auserlesen.
Strebt stolz empor ihr Hyacinthen, Rosen,
Ihr Tulpen, Sonnenblumen, Anemonen,
Ihr alle, da bei Farben Düfte wohnen.
Neigt euch heran, den Meistern zu liebkosen!
Und ihr, von tiefen Rätseln still umdüstert,
Ihr Geister, die ihr unsichtbar belebt.
Was hier auf Erden strahlt und fühlt und strebt.
Gebt Worte mir, von eurem Hauch umflüstert 1
Ihm will ich singen, der das Alltagsleben
Mit allem Roiz der Feenträume schmückte.
Durch rhantasie und Wahrheit uns entzückte,
Ihm, den so hold die Grazien umschweben.
Dann Ihm, dem Allgeliebteu, Auserkornen,
Der dab (icmüt festhält mit ew'gen Banden,
Wo uns das H(>chstc, vom Gefühl verstanden.
Anschaulich wird durch Ihn, den Sterngebomen.
— 226 —
Auch Ihm, der uns des Morgenlandes Schätze
Und ernster Weisheit Tempel aufgeschlossen,
Wo goldner Sonnen Strahlen sich ergossen,
Dass sich der Geist in seinem Urquell letze.
Lasst mich zuletzt den Götterjüngling malen.
Den die Natur so günstig ausgestattet.
Wo Geist, wo Kraft, wo Wohllaut nie ermattet,
Lasst mich beredt mit seinen Wundern prahlen!
Wie preis ich sie, des seltnen Herrschers Trauten, '
Die durch ein magisch Band mit ihm verbunden,
Vom Flug der Zeit errettend goldne Stunden,
Ein Neu- Athen am Strand der Um erbauten? —
Doch schweig^ mein Lied! Der Meister Zauberwerke,
Germaniens Stolz — ich will sie nur empfinden;
Nur der kann würdig ihren Ruhm verkünden,
Der ihnen folgt mit gleicher Schwingen St&rke.
In Blütenduft hüllt euch, ihr Huldigungen!
Zum stillen Hain will ich die Schritte lenken.
Dort krönt Erinnerung mein Dichten, Denken
Mit jenes süssen Traums Beseligungcn.
Dort nahen mir mit Huld die grossen Geister,
Mich mit der Freundschaft L&cheln zu berauschen,
Kein Satyr wird dort der Begeisterung lauschen.
Und leis entwallt der Brust das Lob der Meister.
* ,■
Zweites Buch
(1810—1825)
Carl Oft Ob«rBdorff, Eriaatruifra •!»« UrfroMmatttr. 15
L Kapitel.
Witwe.
Mit einem beklemmenden Gefühle schreibe ich das
Jahr 1810, welches so ruhig und behaglich für uns in
Varennes begonnen hatte, mir aber in seinem Verlaufe
den schrecklichsten Umsturz meines Glückes brachte
nach des Herrn unerforschlichem Ratschluss. Das
Frühjahr war wunderschön. Von politischen Ereignissen
ist es hauptsächlich die im April stattfindende Ver-
mählung Napoleons mit Erzherzogin Marie-Luise ge-
wesen, die viel besprochen wurde.
Ich erinnere mich, wie glücklich ich mich fühlte
durch das stille Zusammensein mit meinem lieben
Emil, wie wir die grünenden und blühenden Fluren
durchwanderten in traulichen Gesprächen und über
die Zukunft berieten, da es uns bewusst war, dass die
gegenwärtige Lage der Dinge nicht von Dauer sein
könnte, und wie wir uns an dem Gedeihen unserer lieben
Kinderchen erfreuten, die uns so hoffnungsvoll entgegen-
lächelten und lieblich aufblühten.
Da geschah es, dass Emil eines Montags früh,
nachdem wir am Sonntag noch viel im Parke zusammen-
15*
— 228 —
gewesen, über Unbehagen klagte. Warum mich dies so
sehr erschreckte, lässt sich nur durch eine unbewusste
Ahnung erklären, die mich im ersten Augenblicke warnte,
denn sein Unwohlsein schien durchaus nicht von Bedeu-
tung. Bald stellte sich aber etwas Fieber ein, und Tags
darauf wurde der gute, alte Doktor Jelly gerufen,
dessen Mittel aber keine Besserung herbeiführten, und
als sich gar Flecken auf der Haut zeigten, konstatierte
er Röteln oder Masern. Mittwoch wurden alle Symptome
schlimmer und ein Ohnmachtsanfall erschreckte mich
sehr. Wie Emil dann wieder zu sich kam, meinte er, es
wäre süss, so in das bessere Leben hinüber zu schlum-
mern, was mich tief ergriff, und worüber ich ihm Vor-
würfe machte. Am Donnerstag fühlte er sich sehr
krank, in der Fieberhitze redete er oft irre, was mir
recht bange machte, doch hielt mir der Herr noch die
Augen zu, dass ich die Gefahr nicht erkannte.
Eigentlich erachtete niemand, auch der Arzt nicht,
die Krankheit für so ernst, als sie es thatsächlich war;
dieser yerliess uns wohl mit einiger Besorgnis, da er
sah, wie wenig seine Arzneimittel wirkten, fand Emil
aber am Freitag Vormittag besser und fuhr deshalb
nach Chäteau-Thiery zurück. Mein Vater, der dort zu
thun hatte, begleitete ihn. Unser teurer Kranker ver-
brachte diese Stunden bei klarem Bewusstsein, schien
jedoch sehr schwach und hatte Mühe zu schlucken
oder deutlich zu sprechen, was mich besonders beäng-
stigte. Einige Stunden nach der Abfahrt meines Vaters,
nach welchem Emil dringend verlangte, fand ich, dass
— 229 —
seine Hände und Fttsse kalt worden. Ich befand mich
mit dem Kammerdiener Lajeunesse damals allein bei
dem Leidenden, wärmte Tücher und liess eine Wärm-
flasche zu seinen Füssen hinlegen , worauf es mir
schien, dass die Extremitäten wieder warm worden.
Doch war ich so onkondig in der Krankenpflege, dass
ich das Schreckliche seines Zostandes nicht bemerkte.
Der alte Lajeonesse aber erkannte die Gefahr und
bat mich dringend, ein wenig ins Freie zo gehen, wie
ich es jeden Tag aof wenigstens eine halbe Stande
that, om, wie er sagte, mir Kräfte zo sammeln. End-
lich gab ich nach, bat ihn das Zimmer nicht zo ver-
lassen ond küsste meinen Emil, bevor ich ihn verliess —
ach, zom letztenmal ! Dann eilte ich zo meiner Motter,
om mit ihr ond dem goten Fräolein von Sedaine,
welches aof einige Wochen zo ons gekommen, den ge-
wohnten kleinen Spaziergang zu machen. Mama war
eben im Begriff gewesen, mit meinem Broder zom teoem
Kranken zo gehen, Henri verfügte sich non aber allein
zo ihm.
Während des Gehens sagte ich zo Fräolein von
Sedaine, dass ich, wenn es noch länger so om meinen
Mann stünde, nicht ohne Besorgnis bleiben könnte. Sie
sochte mich zo berohigen. Als wir aber am Ende des
Parkes angelangt waren ond den Bückweg einschlogen,
befiel mich plötzlich eine onüberwindliche Herzensangst
Ich stiess einen Schrei ans ond vermochte einige Aogen-
blicke nicht weiter zu gehen, dann ermannte ich mich
jedoch und eilte, so schnell ich konnte, dem Schlosse zo.
— 230 —
Etwa hundert Schritte vor dem EingaBg in dasselbe
ergriff mich abermals eine fürchterliche Bangigkeit;
auf der Treppe kam mir Lajennesse entgegen ; ganz
aufgeregt fragte ich ihn, wie es stehe. — Ach ! er ant-
wortete mir nicht, sah mich tieferschüttert an und sagte
mir die Worte, die mir wie mein Todesurteil schienen
und die ich nie vergessen werde: „Madame, passez
dans Tappartement de madame votre mfere." — „Ah, il
est mort!^ rief ich im höchsten Schrecken aus und brach
kraftlos und wie zerschmettert zusammen.
Mir war nicht anders, als wäre ich in einen
bodenlosen Abgrund gesunken und ledig aller Lebens-
banden. — Meine Gedanken verwirrten sich, ein Schrei
des Entsetzens und der unnennbarsten Qual folgte dem
andern. Man trug mich durch die vielen Zimmer und
Säle bis zum Bette meiner Mutter, auf welches man
mich legte.
Wie lange dieser krampfhafte Zustand andauerte,
weiss ich nicht mehr zu sagen, erinnere mich aber, dass
ich aus demselben durch meinen Bruder aufgerüttelt
wurde, der mich heftig am Arm gefasst hatte und mir laut
zurief: „Mais regardes donc ta mfere, et vois dans quel
6tat tu la mets." — Dies wirkte, ich gehorchte ihm me-
chanisch, und der Anblick meiner armen Mutter, welche
wie stumpfsinnig mit geöffneten Lippen und stieren
Blicken, die sie voll unsagbaren Schreckens auf mich
heftete, da sass, zwang mich zur Fassung, und ich
trachtete vernünftig über die namenlose Pein zu
sprechen, die der Herr mir auferlegte. Ja, ich hatte
— 231 —
nun das Schrecklichste erlebt, das man empfinden kann!
— Meine Seele und ihre Fähigkeiten schienen wie ge-
lähmt und die Glut meines Herzens erloschen. Als
ich wieder einige Kraft gesammelt, setzte man mich
in einen Lehnstuhl an das offene Fenster. Da ver-
mochte ich erst meine Gedanken etwas zu ordnen und
sie zu Gott zu erheben. Ich schien mir allein mit
Ihm und gelobte, ergeben das schwere, unerf erschliche
Schicksal tragen zu wollen, da es also Sein Wille
sei. Ich dachte, ich wäre des auserlesenen Glückes
nicht wert gewesen, das mir beschieden war, doch
konnte ich ebensowenig begreifen, wodurch ich mein
hartes Los verdiente; beides wollte ich, da es aus
Gottes Hand käme, als freie Gabe und freies Gericht
hinnehmen und betete. Er möge mir helfen, Ihm mein
Versprechen zu halten. —
Das gute Fräulein von Sedaine war, indem sie
mir folgte, als man mich in das Zimmer meiner Mutter
trug, ohnmächtig geworden. Sie kam daher erst später
zu mir. Ihr Umgang that mir wohl, denn wenige
verstanden mich so gut wie diese treue Freundin. Es
ist mir unbegreiflich, dass ich nicht darauf bestand,
mich zur lieben Leiche tragen zu lassen. (Gehen konnte
ich nicht, denn ich schien gelähmt zu sein.) Freilich
erlaubte man es mir auch nicht, und ich war gewöhnt,
mich nie gegen den bestimmten Willen meines Vaters
aufzulehnen. So grenzenlos meine Liebe und mein Glflck
gewesen, so grenzenlos gestaltete sich jetzt auch mein
Seelenschmerz ; und wenn man noch überdies bedenkt,
— 232 —
dass meine schwärmerische GedankeBrichtong mich bis
dahin mehr in einer idealen Welt leben liess, als in der
wirklichen, so wird man sich einen Begriff von meiner
inneren Zerrissenheit machen können. Das religiöse
Gefühl allein, obgleich es nicht die Kraft des eigent-
lichen christlichen hatte, welches ich noch nicht so
glucklich war zu besitzen, hielt mich aufrecht und
wuchs fühlbar, als die Zeit des unnennbaren Schmerzes,
der mein Herz krampfhaft zusammenzog, vorüberging.
Ich vergass zu erwähnen, dass meine liebe Schwester
einige Zeit vor meinem Unglück mit Tante Malherbe
in die Normandie abreiste, und es sich daher fügte, dass
sie weder bei meiner Vermählung, noch bei dem herben
Verluste, der mich nun betroffen hatte, zugegen ge-
wesen ; sie kam erst später mit Onkel und Tante Malherbe
zurück. — Es war ein herzzerreissendes Wiedersehen!
Doch ich muss noch auf den schrecklichen Moment
zurückkommen, welcher den Frieden und das Glück
meines Lebens so urplötzlich zerstörte. Nicht nur meine
Seele litt darunter, sondern auch mein Körper, denn in
den ersten Tagen versagten mir die Kräfte so, dass
ich das Bett nicht verlassen konnte. Ich lebte in
schrecklicher Aufregung dahin, konnte kaum hie und da
etwas wenige Speise zu mir nehmen, und mein Schlaf
blieb lange Zeit ganz ungeregelt; auch noch, als ich
mich wieder zu den andern in den Salon begeben
konnte, war er schwer und erquickte mich nicht, denn
um ein oder zwei Uhr nachts fuhr ich regelmässig
mit den niederdrückendsten Empfindungen, die meine
— 233 —
schmerzerregte Phantasie in mir wachrief, daraus empor.
Der Gedanke, dass die Ärzte die Krankheit meines Emil
nicht erkannt hätten, worin eine unabweisbare Gefahr
fttr sein Leben lag, quälte mich oft, denn es stellte sich
später heraus, dass er nicht an den Masern gestorben
sei, da alle Symptome auf einen Flecktyphus wiesen.
Durch diesen innem Kampf lernte ich immer mehr ein-
sehen, dass in allen Dingen nur der Wille Gottes den Aus-
schlag giebt, denn wäre es in Seinem Ratschlüsse be-
stimmt gewesen, dass mir der Gatte durch ärztliche
Kunst erhalten blieb, so hätte Er mich in die Lage
versetzt, geschicktere Ärzte zu haben. — In all diesen
Stürmen der Seele fühlte ich des barmherzigen Gottes
Nähe und beugte mich unter Seine gewaltige Hand,
die ich als die des anbetungswürdigen Vaters küsste.
Als ich wieder ausgehen und daher zum Grabe
meines teuren Gatten wallfahren konnte, vertiefte ich
mich immer mehr in den Gedanken an Gott und nahm
mir vor, den Kest meines Lebens Ihm durch strenge
und treue Übung meiner Mutterpflichten zu weihen
und dadurch zugleich auch das geliebte Andenken
meines Gatten zu ehren.
So grossen Trost mir meine lieben Kinder auch
boten, konnte ich sie anfangs kaum längere Zeit um
mich haben, da der Gedanke, sie seien nun vaterlose
Waisen, mir das Herz zerriss. Dieser Schmerz ver-
wandelte sich erst später in Friede, und die Sorge für
ihre Erziehung, und die glückliche Entfaltung ihrer
Geistesanlagen, sowie die Entwicklung der kindlichen
— 234 —
Charaktere wurde mir eine unversiegbare Quelle des
Trostes und der Freude.
Wie dies Jahr verging, weiss ich kaum mehr.
Die ersten Begebenheiten der Aussenwelt, die meine Auf-
merksamkeit zu fesseln vermochten, waren die Brand-
katastrophe beim Ball, den der österreichische Bot-
schafter, Fürst Schwarzenberg, in Paris zu Ehren
des neuvermählten kaiserlichen Paares gab und der
Tod der vielgeliebten, schönen und interessanten
Königin Luise von Preussen. Doch fQhlte ich auch
bei diesen Anlässen, wie gelähmt meine Seele sei, da
sie unter andern Umständen ganz anders davon er-
schüttert und ergriffen worden wäre.
Zu Anfang des Jahres 1811 wollten meine Eltern
und Tante Malherbe mich bewegen, einige Zeit in
Paris unter einem Dache mit der liebenswürdigen
Amicie zuzubringen, denn sie glaubten, dass eine ruhige
Zerstreuung mich etwas aufheitern würde. Dies war
aber ganz gegen mein inneres Gefühl, und ich konnte
mich nicht dazu entschliessen. Obgleich mir der Um-
gang mit meiner lieben Ad6Ie unentbehrlich schien,
drang ich doch darauf, dass sie auf einige Zeit nach
Paris gehen möge, um ihre schöne Stimme auszubilden
sowie auch, um sich in angemessenen geselligen Kreisen
zu bewegen. Sie selbst wollte sich zwar nicht von
mir trennen, doch wurde es dann trotzdem beschlossen,
dass sie gegen Ende Januar dahin abreise.
Im Frühjahr kam meine liebe Schwester zurück,
sie hatte ihr Singtalent bestens ausgebildet und mir
— 235 —
viel von unserer Freundin Amicie L e v a g e r und dem
Kreise liebenswürdiger Menschen, die sie umgaben, zu
erzählen.
Wenn ich mich nicht irre, geschah es auch ungefähr
um diese Zeit, dass Onkel Keller als bevollmächtigter
Gesandter des Fürst - Primas nach Paris reiste und
zuvor vierzehn Tage mit uns in Varennes zubrachte.
Er war besonders meinem Vater sehr willkommen, und
obgleich es mich sehr schmerzlich berührte, ihn nach
meinem harten Verluste wiederzusehen, schien es mir
doch von hohem Werte, mit einem so nahen Verwandten
meines unvergesslichen Emil zusammenzutreffen. Mit
Rührung empfing ich ein kleines Herz aus schwarzer
Lava, von einem goldenen Kleeblatte umfasst, das mir
meine gute Schwiegermutter mit folgender von ihr ver-
fassten Widmung durch ihren Bruder übersandte :
Kennst da dies Herz, von stiller Nacht amdflstert,
Dies treue Herz,
Ans welchem sanft der Liebe Stimme flflstert,
Der Wehmut Schmerz?
Kennst du dies Herz, aus Ätherglut gewoben
Bei Sonnenschein,
Dies volle Herz, zur Sternenflur gehoben.
Von Weltlust rein?
Kennst du dies Herz, das nie ein Sturmflug beugte
Zum Staub herab,
Wo tiefes Leid nur höhern Mut erzeugte
Für mich zum SUb ?
— 236 —
Es ist mein Herz, amdankelt von der Trauer,
Die tief dir gilt,
Wenn Courtemont mit seines Kirchhofs Schauer
Mir zeigt sein Bild.
Das Jiebe Bild von meinem Erstgebornen,
Voll Glanz und Wert,
Des Wahlverwandten, eigens dir Erkornen,
Stets treu bewfthrt
0 könnt ich hin zu jener teuren Stelle,
Wo sanft er ruhtl
Da löste sich vielleicht des Busens Welle
In Thränenflut.
Ich fühl' mit dir dieselben Herzenswunden,
Das gleiche Leid,
Und gleiche Liebe hat uns fest verbunden
Zur Ewigkeit 1
Stets sah ich dich, du edle Frauenblume,
So reich an Wert,
Als Sternbild in der Liebe Heiligtume
Genannt, geehrt.
Bald floh, getrennt von jedem Rosenschimmer,
Dein Glück vorbei,
Doch Stern und Blume, sie, sie bleiben immer
Sich selbst getreu!
Du ?rir8t als Heldin stark ihn überwinden.
Den m&cht'gen Schmerz,
In Mutterliebe wird dann Tröstung finden
Pein grosses Herz.
— 237 —
Dir weiht mein Herz in aoBgebrannter Masse
Jetit sein Symbol,
Dass es dein Gold, mein Kleeblatt, stets umfasse
Dann ist ihm wohll
IL Kapitel.
In Deutschland!
Als Onkel Keller im darauf folgenden Jahre nach
Deutschland zurückkehrte, machte er mir das An-
erbieten, mich auf einige Monate nach Stedten mit-
zunehmen; auch Alexander könne mitkommen. So
acceptierte ich denn diesen freundlichen Vorschlag mit
Vergnügen, da ich ja meine kleine Clotilde unter der
Obsorge ihrer Grossmutter aufs beste aufgehoben
wusste. Wenn ich hätte ahnen können , dass durch
Umstände, die niemand vorauszusehen yeimochte, mehr
als zwei Jahre vergehen sollten, bevor ich wieder mit
meinem Töchterchen vereint würde, so hätte ich mich
wohl schwerlich zu dieser Trennung entschlossen.
Uns unbewusst entwickeln sich ja oft die Fäden
unserer Führung, denn eben diese so ganz unvorher-
gesehene Verlängerung meiner Abwesenheit von Frank-
reich gab meinem Schicksale die Richtung nach dem
Mecklenburger Lande und beeinflusste meine ganze Zu-
kunft.
Im März 1812 begab ich mich also mit dem guten
Onkel und meinem vierjährigen Söhnchen auf den Weg
~ 239 —
nach Deutschland. So schwer mir auch der Abschied
von Glotilde und all den lieben Meinen fiel, war mir
doch der Gedanke wohlthnend, den Sohn Emils seiner^
mir so lieben Familie zuzufahren und mich wieder im
Kreise derjenigen einzufinden, wo ich mich eigentlich
heimischer fühlte, als selbst unter solchen, die mir in
mancher Beziehung näher standen. Nach vier langen
Tagen, frtlh des Morgens aufbrechend und erst Abends
spät in der Nachtherberge anlangend, erreichten wir
Frankfurt am Main. Onkel Keller wollte sich einige
Tage dort aufhalten, schon deswegen, um im nahen
Aschaffenburg dem Fürsten -Primas aufzuwarten. Da
der Wagen, in welchem wir fuhren, nur zweisitzig war,
hatte ich die Reise ohne weibliche Begleitung angetreten
und etwas meine Kräfte Überschätzt, denn ich kam
fieberkrank und erschöpft von der langen Fahrt sowie
von der ungewohnten Mühe des Ein- und Auspackens
und der Besorgung meines Knäbleins an. In der Ruhe
erholte ich mich aber schnell. Um sie mir vollständig
zu verschaffen, nahm der gütige Onkel, ein grosser
Kinderfrennd , mein Söhneben zu sich und führte es
auch in der Stadt mit sich herum; doch war er an
dessen ungeheure Lebhaftigkeit nicht gewöhnt und
ganz verwundert, als er ihm plötzlich mitten im Ge-
dränge, auf der sogenannten Zeile, entwischte. Ver-
gebens suchte er ihn überall mit den Augen und war
erst dann beruhigt, als der Kleine von selbst wieder zu
ihm zurückkehrte.
An dem Abstecher nach Aschaffenburg musste ich
mich auch beteiligen, da der alte Fürst- Primasi
Baron Karl Dalberg, ein Freund meiner Eindeijahre und
meiner Eltern gewesen. Die hierzu erforderliche
grössere Toilette fiel mir aber recht lästig, obwohl
mir die Zofe von Baronin Bethmann dabei half. Die
Baronin war nämlich, so wie ihr Gemahl, meinen Eltern
nahe befreundet, und daher mit uns zusammen zum Be-
suche des Fürst-Primas nach Aschaffenburg gekommen.
Ihre Dienerin hatte während der Tafel die Obhut über
meinen Alexander übernommen. Der greise Eirchen-
fürst war sehr freundlich und heiter und lenkte das
Gespräch gern auf die früheren Zeiten. Es schien,
dass sie ihm besser gefallen hatten, als die Gegenwart.
Ich konnte es kaum erwarten in Eisenach anzu-
kommen, wo ich meine liebe Schwiegermutter und
Schwager Gustav mit seiner Gattin fand und ach, mit
wie viel Thränen wieder umarmte ! Onkel Keller blieb
nur einen Tag, ich aber machte einen längeren Aufent-
halt daselbst und wurde, so wie auch mein Söhnchen, mit
Liebe überhäuft. Gustav, der seinem Bruder in gar
treuer Anhänglichkeit zugethan gewesen, betrachtete
dessen Kind wie sein eigenes und fand mit wehmütiger
Freude die lieben Züge des Verewigten in seinem
Gesichtchen wieder. Die Bekanntschaft mit meiner
Schwägerin Juliette war mir eine vollständig neue.
So lieb sie mir später wurde und so entgegenkommend
sie sich mir gleich damals zeigte, kann ich doch nicht
sagen, dass sie mir so einnehmend erschien, als ich
sie mir vorgestellt hatte. Ich fühlte keinen eigentlichen
- 241 -
Herzenszug zn ihr. Gustav bemerkte dies, und es be*
rührte ihn unangenehm, was ich daraus schloss, dass er
mich am folgenden Tage fragte: „Gefällt dir denn mein
liebes Frauchen nicht, weil du mir gar nichts über sie
sagst ?^ Ich antwortete, so gut ich eben konnte und
so freundlich als möglich und bestrebte mich, zuvor-
kommender gegen sie zn sein. Ihre kleine Emma mit
dem blonden Lockenköpfchen war ein allerliebstes, noch
nicht zweijähriges Eind, welches Alle, besonders die
gute Grossmutter, entzückte.
Auf Mamas Wunsch blieb ich ziemlich lange in
Eisen ach und musste auch teilnehmen an den länd-
lichen Zusammenkünften einer zahlreichen, aber ge-
schlossenen Gesellschaft, welche sich alle Donnerstage
in der nahen Spicka einfand, um Ausflüge auf die
Wartburg, nach Wilhelmsthal und anderen hübschen
Punkten zu veranstalten. Viele Orte, die wir so be-
suchten, erweckten in mir eine lebhafte Erinnerung
an mein früheres Zusammensein mit Emil, und so war
dies bewegte Leben gar nicht nach meinem Sinn.
Auf einige Tage begab ich mich dann nach Gotha,
wo ich bei der lieben Generalin, Freifrau von
Wangenheim, wohnte und zwar zufällig in demselben
Hause, wie meine teuerste Jugendfreundin, Caroline
von Studnitz-Dalwigk, welche wiederzusehen mich
herzlich freute und innig bewegte.
Dies war eben die Zeit, in welcher Napoleon mit
seiner grossen Armee gegen Russland zog, so dass
alle Gaue voll Militär schienen. Dieser Eriegszug ge-
Carl Graf Obtrndorff, SriimvnuigtB tiatr ürfroMmiitItr. 16
— 242 —
stattete meinem Onkel, länger von Paris entfernt zn
bleiben , nnd ich meinte , statt im Angnst , wie es
anfangs in meinem Plane lag, nnn etwa Anfang Oktober
mit ihm nach Frankreich zm*ückznkehren. — Aber es
kam ganz anders! —
Mit welchem Gefühle von Wehmnt und Frende ich
die vielgeliebten Tanten meines Emils wiedersah, kann
ich nicht ausdrücken. Bald wurde es mir zwischen
ihnen sowie den lieben Cousinen Mimi, Luise und
der damals sechzehnjährigen Sophie, die ich zuletzt
als Eind gesehen hatte, gar wohl und heimisch, wie
ich mich überhaupt nirgends mehr zu Hause fühlte,
wie im lieben, traulichen Stedten. Als ich mit all'
diesen Lieben zusammenkam, waren noch kaum acht
Tage verflossen, seit Mimis Schicksal entschieden
worden, indem sie dem Fürsten Iwan Bariatinsky
ihr Jawort gegeben hatte. Ich konnte meine Ver-
wunderung über diese Nachricht nicht verhehlen, da
ich, wie schon früher erwähnt, nicht viel Vorteilhaftes
über den Fürsten vernommen hatte. Durch die gute
Tante Am61ie erfuhr ich aber, dass er sich schon zur
Zeit, als er sich zu seiner ersten Ehe mit einer liebens-
würdigen Engländerin entschloss, ganz verändert und
seine frivole Lebensanschauung sowie die freigeistigen
Grundsätze durch strenge und religiöse Ansichten ersetzt
habe. Ein alter Jugendfreund der Mutter des Fürsten,
Herr von Fontaine, den wir alle von jeher als sehr
verlässlich kannten, bestätigte, dass er seiner ersten
Frau in Liebe und Treue zugethan gewesen, was uns
— 243 —
für die Zukunft und das Olilck unserer guten Mimi be-
ruhigte. Ihr Bräutigam war nun eben, dringender Ge-
schäfte wegen, die der beginnende Krieg herbeiführte,
nach Russland geeilt, um im Herbste zu seiner Ver-
mählung wiederzukommen. Wir sahen diesem Momente
mit gemischten Gefühlen entgegen: teils Freude und
Befriedigung über das glückverheissende Los, das
Mimi beschieden schien, teils Betrübnis über die Aus-
sicht, dass sie nun so fem ihrer Heimat leben sollte.
Ihre Cousine Luise Botzheim, die seit der Kindheit
unzertrennlich von ihr gewesen, litt besonders unter
diesem Gedanken.
Nachdem ich einige Monate in traulichem Zu-
sammensein mit den lieben Bewohnern von Stedten
zugebracht hatte, kehrte ich nach Eisenach zurück,
wo mich Gustav und Juliette als Taufpatin für ihr
zweites Töchterchen, welches wir Thekla nannten,
erwarteten. Zu meiner Freude fand ich dort alles
wohl, blieb drei Wochen und kam dann über Gotha
nach Stedten zurück, wie ich dachte nur mehr für
wenige Tage. Da trafen aber eben Nachrichten vom
Kriegsschauplatze ein, denen zufolge sich der Feldzug
in Eussland in die Länge ziehen sollte, was meinen
Onkel veranlasste, seine Beise nach Paris zu ver-
schieben ; dies konnte mir nicht lieb sein, da ich mich
schon innig nach meinem Töchterchen sehnte.
Der Winter war sehr streng, und die Nachrichten
aus Russland lauteten immer ungünstiger für Napoleon.
Es lässt sich denken, mit welcher Begierde wir die
16*
— 244 —
ZeitnngeB erwarteten und lasen, welche Spannung sich
an den Endpunkt in Moskau knüpfte und wie dessen
Biesenbrand uns üben*aschte und ergriff. Nach der
ungeheuren Niederlage erfahren wir bald, dass Napoleon
in einem bescheidenen Reisewagen mit Conrierpferden
durch Sachsen nach Paris geeilt sei. Nun kamen nach
und nach die unglücklichen Reste der grossen Armee
an und füllten nicht nur die Hänser mit Einquartierung,
sondern auch die Spitäler mit meist Ruhrkranken. In
Ermanglung von Platz für die Verwundeten und Kranken
wurden auch oft Kirchen als Lazarette benutzt. Die
Not schien grenzenlos. In Stedten sahen wir weniger
davon, aber in Gotha und Eisenach, wo ich mich
einige Zeit aufhielt, war es entsetzlich. Meine gute,
so mitleidige und mildthätige Schwiegermutter that
sehr viel für diese Unglücklichen in ihrem eigenen
Hause, und ihr Sohn Gustav zeigte sich unermüdlich
in der Fürsorge behufs Unterbringung und Wartung der
Leidenden in geeigneten Baulichkeiten und Lokalitäten.
Als Napoleon wieder in Paris thronte, musste sich
das ganze diplomatische Corps von neuem dort ver-
sammeln und durfte daher auch der Ministerresident
des Fürst -Primas nicht fehlen; so musste also Onkel
Keller an seine Rückkehr nach Paris denken. Ich
vergass zu bemerken, dass er von Jugend auf mit
Dalberg aufs innigste befreundet war und daher,
dessen Bitten nachgebend, eingewilligt hatte, den-
selben als bevollmächtigter Gesandter in Paris zu
vertreten, jedoch nur interimistisch. Er erhielt vom
— 245 —
König von Preussen um so leichter die Erlaubnis, diesen
Posten zu &bernehmen , als er deswegen keineswegs
seinen Abschied aus dem preussischen Staatsdienste
begehrte, obgleich er schon lange nicht mehr im
aktiven Dienste stand. Im Dezember bei strenger
Kälte trat mein Onkel seine Reise in einem offenen,
zweisitzigen Wagen an. Unter diesen Umständen konnte
ich es nicht wagen, mich ihm anzuschliessen, war mir
ja schon die Reise in besserer Jahreszeit, aber ohne
Bedienung, äusserst anstrengend gewesen. Doch kostete
es mich einen harten Kampf, bis ich den Entschluss
fasste, zurückzubleiben. Onkel Keller glaubte äbrigens,
bald wieder heimzukehren, um im Frühjahre abermals
nach Paris zu reisen, und ich sagte mir, dass, wenn
dies auch nicht geschehen sollte, ich mir dann selbst
eine Gelegenheit schaffen würde, mein gewünschtes
Ziel zu erreichen.
Es wäre mir gerade in dieser Zeit auch schwer
gefallen, Stedten zu verlassen, denn die geliebte Tante
Botzheim war ernstlich erkrankt und ich mir bewusst,
dass es für die Übrigen eine Beruhigung sei, wenn
ich bei ihr bliebe; der Moment rückte nämlich heran,
wo Tante Am^lie Keller mit Mimi zur ausgemachten
Zusammenkunft in Teplitz, welche deren Vermählung
veranlasste, abreisen sollte. Gott fügte es aber tröst-
licher, indem sich bald nach Abreise meines Onkels
die Krankheit seiner Schwester zum Bessern wandte,
und sie war fast gänzlich hergestellt, als die er-
greifende Trennung von unserer allgeliebten Mimi er-
— 246 —
folgte. Die Betrübnis der armen Luise Botzheim über-
stieg alle Begriffe. Seit ihrer Kindheit hing sie mit
inniger Liebe und Begeisterung an ihrer reizenden
Cousine und Seelenfreundin; nach deren Abreise ver-
fiel sie in Schwermut und wollte sich nicht trösten
lassen. Meine Schwiegermutter, die einige Zeit mit
uns in Stedten zubrachte, geriet in ernstlichen Un-
willen darüber und meinte, Luise gebärde sich, als
ob Mimi gestorben wäre und scheine den grossen
Wert ihrer trefflichen und sie so aufopfernd lieben-
den Mutter nicht hinreichend zu würdigen. Mir kam
es nicht so vor, da ich ihre Gefühle für ihre Mutter
kannte, und Luisens seltsame Art nur für eine über-
spannte jugendliche Schwärmerei ansah, wie ich selbst
wohl Ähnliches, wenn auch nicht so auffallend, in meiner
Jugend für Frau von Studnitz, damals Caroline von
Dalwigk, empfunden hatte. Nach und nach kam aber
Luise wieder ins Gleichgewicht, und niemand konnte
sich mehr über ihre Gleichgiltigkeit beklagen. Die
Briefe aus Teplitz waren immer ein Ereignis in Stedten,
und bald erhielten wir Nachricht über die dort statt-
gefundene Vermählung, nach welcher Fürst Bariatinsky
mit seiner jungen Frau nach Bussland abreiste und
Tante Keller zu uns zurückkehrte.
Kurz darauf begab ich mich mit der ganzen
Familie Keller nach Gotha und freute mich, dort, wo
ich so viele Bekannte hatte und mir der Hof so
freundlich gesinnt war, Aufenthalt nehmen zu können.
Indessen erinnere ich mich nicht vieler Einzel-
— 247 —
Iieiten aus dieser Zeit. Einen grossen Schrecken ver-
ursachte mir Alexander, als er sich an einen im Hofe
des Hauses gespannten Strick hängte und dadurch die
lange Holzrinne, an welcher dieser befestigt war, los-
riss; er fiel rücklings zu Boden und die Rinne quer
Aber ihn. Ich hörte einen dumpfen Fall und zugleich
ein Geschrei, eilte ans Fenster und sah mein liebes
Kind in der erschreckenden Lage. — Es zeigte sich
aber, dass er keinen weitem Schaden erlitten, als eine
leise Quetschung an den Beinen, und gerührt dankte
ich Gott, der ihn vor grösserem Übel beschützt hatte.
Du hast mir manchen Schrecken dieser Art ver-
ursacht, mein lieber Alexander, und ich kann gleich noch
eines zweiten Erwähnung thun, den du mir im folgenden
Jahre, ebenfalls in Gotha, einjagtest. Ich beschäf-
tigte mich eben in Gesellschaft der beiden lieben
Tanten und Luise Botzheims, als aus dem anstossenden
grossen Speisesaale, wo sich alle Kinder unterhielten,
plötzlich ein fürchterliches Geschrei nach einem vor-
hergegangenen, schweren Fall erscholl. Wir eilten hin-
ein und fanden dich, das ganze Gesicht mit Blut über-
strömt, neben einem umgestürzten Tische liegen. Man
brachte gleich Wasser herbei, um untersuchen zu
können, was dir eigentlich geschehen sei. Zum Glück
waren es nicht die Augen, wie es anfangs schien,
welche gelitten hatten, sondern eine ziemlich be-
deutende Wunde zwischen denselben, über der Nase,
machte es ratsam , einen Chirurgen zu berufen lassen.
Nachdem dieser sein Heftpflaster befestigt hatte, ent-
— 248 —
schuldigte er sich vielmals , weil er uns etwas hätte
warten lassen, doch wäre er eben bei einem Typhus-
kranken beschäftigt gewesen. Wir erschauderten bei
seinem Geständnisse, da jene damals gerade sehr bös-
artig auftretende Ej'ankheit für äusserst ansteckend gilt.
Auch bei dieser Gelegenheit hat dich der Herr
sichtbar bewahrt und that es später noch mehrere
Male, als gätiger Lenker deiner und unser aller
Schicksale.
Wie meine Zeit im Frfihjahre und Sommer des
Jahres 1813 zwischen Stedten und Eisenach eingeteilt
gewesen, erinnere ich mich nicht mehr, nur weiss ich noch,
dass ich an beiden Orten gern gesehen war und stets ge-
beten wurde, möglichst lange zu verweilen, auch dass
ich mich immer mehr zu den lieben Tanten hingezogen
fühlte. Zu Eisenach schien mir das Leben sehr ver-
weltlicht. Im Hause meiner Schwiegermutter hatte ein
Fräulein Jeannette von P a n h u i s einen freundlichen
Zufluchtsort gefunden. Obgleich diese schon funfund-
vierzig Jahre zählte, sah sie doch noch fast jugendlich
aus und war von einnehmendem, heiterem Umgange.
Meine Schwägerin Juliette hatte sie besonders lieb ge-
wonnen und besuchte mit ihr alle Gesellschaften, auch
Landpartieen und die sonstigen Unterhaltungen, die das
Stadtleben bietet, reichlich durchgeniessend. Zum Gläck
warMama, obgleich auch sie an diesem Treiben Geschmack
fand, nicht allzeit dabei, und ich richtete mich nach ihr,
und sie sich insoferne nach mir, als sie hauptsächlich nur
die Ausflüge in die herrliche Gegend mitmachte. Ihre
— 249 —
grosse Korrespondenz und dichterische Arbeiten fesselten
sie einen Teil des Tages an ihren Schreibtisch. In
den Mussestunden bereitete es ihr viel Genuss, die
Vergangenheit, Gegenwart und mutmassliche Zukunft
mit mir zu besprechen. Übrigens war letztere damals
recht trübe verdeckt. Napoleon rückte im April wie-
der zu Felde mit einmalhundertfünfzigtausend Mann,
welche die Gegenden Sachsens überschwemmten, um
die Armee des Zaren, der sich nun wieder mit
Preussen verbündet hatte, aufzusuchen. Diese war
noch nicht so stark wie Bonapartes Heer, lieferte ihm
aber trotzdem bei Leipzig und dem Dorfe Gross-
Görschen eine Schlacht, die nicht glücklich für sie
ausfiel. Doch konnte sie sich, ohne eigentlich ge-
schlagen zu sein, in guter Ordnung nach Mähren und
in die Lausitz zurückziehen. Leider nahm sie dann
in Bautzen abermals eine Schlacht an, die sie nicht
zu behaupten vermochte.
Air die grossen Bewegungen der französischen
Armeen, sowohl der von Frankreich kommenden, als auch
desjenigen Teiles, der vom russischen Feldzuge siech
und zerlumpt in die Heimat zurückkehrte, machten es
mir unmöglich, an die Rückreise nach Varennes zu
denken. So gern ich auch in Deutschland bei meinen
lieben Freunden und Verwandten weilte, war mir doch
der Gedanke, durch Heere von meinem Töchterchen
abgeschnitten zu sein, peinlich. —
Ich erwähnte noch nichts von dem Brautstande
meiner lieben Schwester AdMe. Ihr Bräutigam, Marquis
— 250 —
de Cansans, hatte in seinen ersten Jünglingsjahren
während der Emigration, in österreichischem Kriegs-
dienste gestanden, welchen er zur Zeit der Amnestie
verliess, um auf den Gütern seines Vaters zu leben,
ohne Napoleon dienen zu wollen. Jetzt musste er es
aber dennoch thun, da alle waffenfähigen Männer den
Feldzug gegen Bussland mitzumachen hatten. Es mag
ihm wohl der Mangel an Offizieren die Vergünstigung
verschafft haben, gleich als Bittmeister in die Armee
aufgenommen zu werden. — Er kam dann in russische
Gefangenschaft und wurde mit seinen Schicksalsge-
nossen nach Tobolsk transportiert, wo er sich leidlich
wohl befand, trotz der sibirischen Temperatur und
vieler Entbehrungen. Es war ihm sogar möglich ge-
worden, den Seinen Kunde von sich zu geben und sie
um eine Geldsendung zu bitten, was ich durch Ad^le
erfuhr. Ich teilte ihr mit, dass ein Kommissär, dessen
Name mir seither entfallen ist, in Dresdener Blättern
hatte einrücken lassen, er übernehme alle möglichen
Sendungen für die Gefangenen im Innern Busslands.
Daraufhin schickte mir Gräfin Marie Causans vierzig
Louisd'or, welche ich jenem Herrn übermachte. Es
stellte sich jedoch später heraus, dass er ein Betrüger
war, was ich auch schon gleich beim Lesen seiner Ant-
wort auf meinen, das Geld begleitenden Brief mit
Schrecken geahnt hatte. So blieb der Bedauernswürdige
ohne diese wohlthuende Hilfe. Eine spätere Sendung
erreichte ihn dann, und konnte er auch auf der Bttck-
reise von Vetter Theodor Keller in Biga ein Darlehen
— 251 —
erhalten. — Dass meine arme Ad^le, die erst seit
kurzem mit ihm verlobt war, seit Beginn dieses Feldzuges
sehr beunruhigt dahin lebte , lässt sich wohl denken,
und es schien daher die Obhut und Pflege der kleinen
Clotilde eine wohlthätige Zerstreuung für sie.
Was sich vom 10. August, da der Waffenstillstand
aufhörte, der nach den Schlachten von Gross-Oörschen
und Bautzen eingetreten war, bis zum 18. Oktober,
welcher das Schicksal Deutschlands so siegreich bei
Leipzig entschied, alles '^zutrug, übergehe ich, denn es
ist aus der Geschichte hinlänglich bekannt. — Ich
erwähne nur, dass Onkel und Tante Keller (ersterer
weilte seit Mai wieder bei uns) es für ratsamer hielten,
nicht in Stedten zu bleiben; ich zog daher mit ihnen
nach Gotha. Dort sahen wir auch nach der dreitägigen
grossen Völkerschlacht zuerst die französischen Truppen
in Menge, dann Napoleon, Murat und alle Notabilitäten
nach einander auf der Flucht und dicht an ihren Fersen
die sie verfolgenden Deutschen, Kosaken, Russen und
Baschkyren.
In den Tagen, da die fliehende Armee von der
siegreichen gedrängt wurde, und also grosse Un-
ordnungen, vielleicht sogar Plünderung und Brand zu
befürchten standen, flüchteten die meisten Frauen und
Kinder der adeligen Familien hinauf in das Schloss.
Herzogin Caroline hatte auch uns aufgefordert, dahin
zu kommen, was wir gern annahmen. Ich sah noch
von meinem Fenster aus, wie Kosaken mit gespannten
Pistolen durch die Strassen rannten, und folgte mit
— 252 —
Alexander der lieben Tante durch die Hinterthflre des
Hauses und durch Gärten auf den Schlossberg. Bei uns
befanden sich noch ausser Tante Botzheim mit Luise
und Sophie, auch Adelheid samt dem kleinen acht-
jährigen Gustav Keller. Der Onkel blieb mit den altern
Söhnen und deren Erzieher im Hause. Im Schlosse
war eine Art Biwak errichtet und herrschte ein
buntes Gewühl in allen Sälen und Zimmern. Wir
kampierten zwei Nächte auf Sofas, zusammengerückten
Stühlen, oder wie es eben ging. Von den Fenstern
aus sahen wir kleine Husarenscharmützel, desgleichen
wie auf den Anhöhen Gefangene die Waffen streckten '
und fortgeführt wurden. Übrigens verliefen in der
Stadt diese Tage ziemlich ordentlich, und wir fanden
in unserer Behausung alles wieder, wie wir es verlassen
hatten. Nicht so gut sah es in Stedten aus, welches durch
und durch ausgeplündert wurde. Selbst der Schreib-
kasten meiner Tante war aufgebrochen, und, was sie
versäumt hatte, mitzunehmen, geraubt worden. Die Ein-
richtung hatte man mit boshafter Lust zertrümmert, und
die Betten aufgeschnitten, um die Federn verfliegen zu
lassen. Ich bttsste nur zwei zurückgelassene Zeichnungen
ein, eine Madonna und ein Porträt von Mimi, welches
ich nur ungern misste. Der gute Onkel tröstete sich
aber über die Zerstörung in seinem Schlosse und allen
erlittenen Schaden mit der Beruhigung, dass der Ej'ieg
einen für Deutschland günstigen Ausgang gefunden
habe. Gott hatte eben in diesem Jahre eine so unendlich
reichliche Ernte geschenkt, dass trotz allen Baubes und
— 253 —
aller Verwttstnng noch hinreichend Getreide, sowohl xum
Speisevorrat, als auch fQr die Feldsaat vorhanden blieb.
Da Stedten vor der Hand unbewohnbar war, ver-
weilten wir noch einige Zeit in Gotha, woselbst nach und
nach viele Freunde von Tante Am^lie aus der russischen
Armee anlangten und sie besuchten. Darunter befand
sich auch Fürst Konstantin Lubomirsky, dessen
Schwiegermutter, Gräfin Tolstoy, eine Schwester von
Bariatinsky war. Beide, Mutter und Tochter, waren
katholisch geworden und deshalb aus Russland aus-
gewandert. — Zur grössten Freude Tante Kellers traf
auch ihr geliebter Bruder, General Graf Sayn-
Wittgenstein, ein. Er erwartete in Gotha die
Ankunft seiner Gemahlin und bewohnte mit ihr für
einige Zeit das sogenannte Prinzenhaus, welches zwar
unter dem Schlosse, aber noch auf der Anhöhe über
der Stadt lag. Wir kamen natürlich viel mit diesen
angenehmen, liebenswürdigen Menschen zusammen, und
da sie mehrere Söhne im Kindesalter besassen, bildeten
diese einen lustigen Kreis mit den Unsrigen.
Der November dieses Jahres (1813) brachte jedoch
grosse Betrübnis über meine Verwandten in Eisenach.
Juliette war mit ihren zwei Töchterchen zu ihrem
Vater nach Lippstadt gereist, und von dort erhielt
mein armer Schwager Gustav die Nachricht, dass seine
liebe kleine Emma am Scharlachfieber, das bei ihr gleich
sehr bösartig aufgetreten war, gestorben und deren
erst einjähriges Schwesterchen Thekla von der näm-
lichen Krankheit befallen sei. So vielfältig sich auch
— 254 —
seine Geschäfte gestalteten, die er mit seltener Pflicht-
treue führte und so leidend er sich fühlen mochte, da
er sich bei seinen häufigen Besuchen der Lazarette
den Keim des Typhus geholt hatte , konnte Gustav doch
nicht widerstehen, dem Zuge seines Herzens zu folgen
und zu den Seinen zu eilen. Trotz der Einwendungen
der Ärzte, die in seinem Unwohlsein bereits die ernste
Krankheit erkannten, reiste er dennoch schnell ab,
und zwar ohne sich weder bei Tag, noch bei Nacht
irgendwo aufzuhalten, um nur ja sein Ziel rasch zu
erreichen. Ach ! er kam nur, um wenige Stunden später
seine liebliche Thekla verscheiden zu sehen ! Das zärt-
liche Yaterherz war zerrissen, umsomehr als es mit dem
eigenen auch noch den Jammer der untröstlichen Juliette
mitempfand. Die Ärmste sollte aber noch viel schreck-
licher geprüft werden. Die Ermüdung der Reise, die bei
der schlechten Jahreszeit fast unvermeidliche Erkältung,
vereint mit der namenlosen Seelenpein waren mehr
als hinreichend, um die Krankheit des armen Gustav
zum Ausbruche zu bringen. Noch einige Tage schleppte
er sich herum, dann musste er sich zu Bette begeben und
nach wenigen Tagen war er dem Typhus erlegen! —
0 welch ein unaussprechlicher Schmerz für die arme,
arme Frau, die in drei Wochen den so innigstgeliebten
Mann und ihre einzigen anmutigen Kinder verloren
hatte ! Wie unglücklich und verlassen musste sie sich
fühlen ! Dass sie gegen den Wunsch ihres Mannes und
trotz seiner inständigen Bitte, für dieses eine Mal,
wegen der schon vorgerückten Jahreszeit und der Kriegs-
— 255 —
unrnhen ihren alljährigen Besuch bei ihrem Vater zu
unterlassen, diese Reise dennoch unternommen hatte,
musste ihre Qual nur noch verschärfen. Sie war eines-
teils allzu gewissenhaft beflissen, das bestimmt gegebene
Versprechen ihrem Vater gegenüber zu erfttUen und
andemteils zu sehr gewöhnt, ihren Willen durchzusetzen,
als dass sie sich in diesem Vorhaben hätte irre machen
lassen. So hörte sie denn auf keine Einwendung und
meinte, es wärde höchstens eine Abwesenheit von vier bis
f&nf Wochen erfordern, und sie sei es ihrem Vater schul-
dig, ihm wenigstens diese kurze Zeit zu widmen. Welche
Reue musste nun noch ihren Schmerz vergrOssern, be-
sonders der guten Mutter gegenüber, die sie so liebevoll
darauf auf merksam gemacht hatte, dass Gustav bei seiner
anstrengenden Arbeit nur darin Erholung fände, die ihm
so knapp bemessene freie Zeit im Kreise seiner ge-
liebten kleinen Familie zu verbringen ! Sie wusste auch,
dass er gern oftmals des Nachmittags, selbst unter der
Arbeit, das Bettlein der kleinen Thekla, wenn das Herz-
chen schlief, neben seinen Schreibtisch bringen liess,
um sich an dem Anblicke dieses Lieblinges zu er-
freuen. — Ach, wie mussten diese Gedanken ihr nun zur
Qual werden!
Kurz vor dieser traurigen Zeit hatte Tante Keller
ihre Wohnung in Gotha aufgegeben und war mit ihrer
Schwägerin Wittgenstein nach Stuttgart gereist, während
Tante Botzheim sich mit der übrigen Familie nach
Stedten begeben hatte. Die mir so wohlwollend ge-
sinnte Herzogin wünschte, dass ich den Winter in ihrer
— 256 —
Nähe zubringe, und hatte mir einige hübsche Zimmer
zur Yerffigung gestellt; nun konnte ich aber von diesem
gütigen Anerbieten keinen weiteren Gebrauch machen,
denn ich wollte nicht länger in Gotha bleiben, nach-
dem mich dort eine Trauerbotschaft nach der andern
erreicht hatte. Das schnelle Hinscheiden Gustavs
erneuerte meine so schwach vernarbte Herzenswunde,
die mir der Verlust meines teuem Lebensgefllhrten
geschlagen hatte, und eine unsägliche Wehmut drückte
mich nieder. Es fehlte mir die Kraft, zu meiner lieben,
nun kinderlosen Schwiegermutter zu eilen, obgleich ich
mir sagte, dass ich ihr tröstend zur Seite stehen sollte.
Allein sie war stark genug, um auch ein ungewöhnliches
Mass an Leid mit Mut zu tragen; zwei Gedichte von
ihr, die ich hier einfüge, geben Zeugnis von der ausser-
ordentlichen Spannkraft, die ihr innewohnte. Das erste
verfasste sie vier Monate nach dem Tode ihres letzten
Sohnes und dessen beider Kinder, das zweite in dem
darauffolgenden Frühjahre :
I. Lebensstillstand bei Gräbern.
Von Freifrau Julie von Bechtolsheim-Keller.
Wo sind die Lebensgeister hingeschwunden,
Die hold mich noch der Jugend n&herstellten ?
Wo sind sie hin, die golddurchwebten Stunden,
Wo Bild und Wahrheit mir das Dasein hellten?
Und die Gefühle, die ich tief empfunden.
Die kräftig mir des Herzens Wogen schwellten? —
Es ist dahin I — vom Schicksal hart bemeistert.
Erschein' ich mir entkörpert und entgeistert
— 25t —
Die Kraft zum Lieben — o sie ist verglommea !
Des Herzens Asche hält nicht Glaten mehr;
Die Kraft zum Denken, ist sie mir entkommen,
Als tief sie untersank im Thr&nenmeer?
Ward mir der Trieb zum Dichten auch genommen,
Umspielt die Phantasie kein Blfltenheer?
— Ich sank dahin in tötliches Ermatten
Und Yon mir selbst bin ich kaum mehr der Schatten 1
Es ist vorbei, mein Stern ist untergangen,
Mein holder Stern, so klar, so freundlich mild.
An trflben Wolken nur ist aufgehangen
Der Zukunft bleiches, farbenloses Bild;
Vorbei ist sflsses Hoffen und Verlangen,
Es bläht fflr mich auf Erden kein Gefild.
Im Mondenschimmer, durch beeiste Lüfte
Umweht mich stets ein Gruss der Totengrüfte.
Ich zähl' sie nicht, die Gr&ber meiner Lieben,
Der durch Natur und Wahl mir Herzverwandten;
Sie, die mit mir zu gleichem Ziel getrieben,
Fürs Schöne, Gute, Wahre hoch entbrannten.
Sie sind dahin 1 — Mir ist zurückgeblieben
Die Sehnsucht nach dem Glück, dem tief erkannten.
— 0 mein Gemahl I o Schwestern! teure Söhne
Und ihr, o Knospen zarter Frühlingsschöne!
Ihr seid fürs Leben hier dem Aug* entschwunden.
Ein nie gedachtes Los traf mich so schwer.
Der neue Schmerz reisst auf die alten Wunden,
Stellt die Verlornen Alle um mich her.
Zeigt mir das Glück, das ich durch sie gefunden
Und l&88t mich jetzt so arm, so liebeleer —
Denn die, die lebend noch mir ruh'n am Herzen,
Sind, ähnlich mir, gelähmt durch eigne Schmerzen.
Wohin? wohin neigt sich in ihrer Trauer
Die Lebensmüde, deren Anker fiel? —
Zu euch, ihr Gräber! die ihr sonder Schauer
Carl Graf Ob^rndorff, Erinntraagta tiaar ürgroMmatlar. 17
^ 258 --
N&hrt meiner Sehnsucht stetiges Gefühl
Und heilend stillt des Sehnens Schmerzensdaaer,
Vorspiegelnd mir mein eignes nahes Ziel.
Ihr winkt zur Heimat, zeigt mir Friedenspalmen
Und schärft mein Ohr, zu lauschen Engelspsalmen.
Und mich ergreift aus der Gypressen Wehen
Ein Geisterton, der sanft mein Herz durchdringt.
Der wortlos zwar, doch sinnig zu den Höhen
Der Seele Zug und Flug mit Kraft heschwingt;
Ich lern' allmählich besser ihn verstehen,
Den Ton, der Kunde mir vom Jenseits bringt,
Und fahP vom Himmel Balsam niedertauen.
Der mich erquickt mit seligem Vertrauen.
Drum laset mich ruh'n an dieser heiPgen Stelle,
Ihr Freunde! Seid nicht mehr um mich verzagt;
Hier dringt mein Blick durch Nebel auf ins Helle,
Wo mir im Ost ein goldner Schimmer tagt.
Sanft autgeregt hebt sich des Lebens Welle,
Der Geist, zum Urlicht, wo mir Ahnung sagt:
„Getrost, du wirst nicht immer stille stehen!
Dich krönt Verklärung, Liebe, Wiedersehen.**
II. Leben serweckung.
Wair empor, du armes Herz,
Sprich in sanfter Klage
Trauer aus, Verlust und Schmerz,
Glück entschwundener Tage.
Nur dies öde Schweigen nicht,
Nicht die starre Rinde!
Öffne dich dem milden Licht,
Dass sein Strahl dich finde!
— 259 —
Siehe, wie mit Glanz nmwebt,
Frühling wiederkehret
und in Allem, was da lebt,
Last und Liebe mehret!
Blflten sprossen üppig auf,
Säten grünen prächtig.
Und des Bergstroms rascher Lauf
Treibt den Eisgang mächtig.
Als des Winters Siegerin
Tritt hervor die Sonne,
Streut als Weltenkönigin
Ringsum Licht und Wonne.
Eine zaubervolle Glut
Steigert jedes Leben
und vermag gebeugten Mut
Kräftig zu erheben.
Alles, was hier atmet, preist
Aller Schöpfung Meister,
Alles kündet und verheisst
Laut den Geist der Geister.
Du nur bleibst erstarrt in Eis,
Armes Herz, so lange.
Du, sonst leicht bewegt und heiss
Beim Empfindungsdrange?
Schweigest wie das stumme Grab,
Deine teuren Hügel,
Fühlest nicht, wie mild herab
Weht der Liebe Flügel?
Saugst vom Lebensstrom nichts ein,
Der ihr hold entfliesset,
17^
— 260 —
Labst dich nicht am RoBenschein,
Der sieh rings ergiesset?
Horch, dich lockt die Nachtigall
Unter BlQtenranken,
Und der Vögel Waldchoral
Will dem Schöpfer danken.
Wirf hinab der Schwermut Joch,
Tötend, wenn es bliebet
In dir gloht die Inweit noch,
Ihre SeeP ist liebe.
Wall empor, o reiches HerzI
Wohlthnn sei dein Streben,
Th&tigkeit verbannt den Schmerz:
Streben nur ist Leben 1
HL Kapitel.
Meine Rückkehr nach Varennes.
Was sind doch Liebe and zarte, herzliche Gegen-
liebe für Stützen im Schmerz und für Trost gegen alle
Widerwärtigkeiten des Lebens! Ich hatte mich nach
Stedten begeben, meinen mit gleichsam elementarer
Kraft wieder erwachten Schmerz an dem Herzen der
guten, lieben Tante Botzheim auszuweinen. Sie, ihre
Tochter und Sophie Keller hatten sich bemüht, mich
wieder zu beruhigen, und vereint opferten wir dem
Herrn, was er von uns verlangte. Bald war ich auch
wieder im stände, meinem Söhnlein die gewohnten Lehr-
stunden zu geben; er konnte sich mit den lieben Ge-
spielen unterhalten und herumtummeln, und durch die
frohe Jugend kam auch bald die natürliche Heiterkeit
unserer Gemüter wieder zum Vorschein.
Als die siegreichen Armeen der Alliierten, nämlich
Österreichs, Preussens und Russlands, in Paris einzogen,
Napoleons Schicksal sich entschied und Frankreich
so glücklich war, seinen angestammten König wieder auf
dem Throne zu sehen, da sehnte sich auch mein Herz
mehr, denn je, dorthin. Ich wusste, dass mein künftiger
— 262 —
Schwager y nachdem er nun aus der Gefangenschaft
befreit war, so schnell als möglich heimkehren würde
und bat ihn daher, den unbedeutenden Umweg aber
Eisenach zu machen, damit ich mich ihm anschliessen
kOnne. Er nahm bereitwilligst diesen Vorschlag an
und glaubte schon im Mai ankommen zu kOnnen, doch
verzögerte sich leider seine Ankunft bis Anfang Juli,
was meine Geduld hart auf die Probe stellte.
Durch die ersten Briefe aus Frankreich, die ich
nach langer Zeit endlich wieder erhielt, erfuhr ich, dass,
als sich der Krieg den üfem der Marne näherte, meine
Mutter sich mit Ad^le und der kleinen Clotilde zu
Tante Malherbe nach Ecures in der Normandie begeben
hätte, während mein Vater und mein Bruder in Varennes
zur Wahrung des Besitzes und der Ordnung geblieben
wären. Die erste Zeit des Aufenthaltes in Ecures
ging es allen sehr gut und meine Mutter fühlte sich
überselig ob der Bückkehr des legitimen Herrschers.
Sie schrieb uns äusserst interessante Briefe, und ich
freute mich über die Nachrichten von meiner Clotilde.
Im Laufe des Monats April erkrankte jedoch meine
liebe Mutter an Brust- und Leberentzündung und nach
achttägigem, schwerem Leiden verschied sie nach
Empfang der hl. Sakramente selig im Herrn. Meine
arme Schwester verblieb tief ergriffen und erschüttert
unter der liebenden Fürsorge der trefflichen Tante
Malherbe und fand in ihr eine Stütze in ihrer grossen
Trübsal und Trauer.
Ich befand mich gerade mit Juliette in Eisenach bei
— 263 -
unserer lieben Schwiegermutter, durch welche ich diese
Trauerpost erfuhr; man hatte sie ihr mitgeteilt, damit
sie mich darauf vorbereiten könne. Es war hart zu
denken, dass ich die geliebte gütige Mutter bei meiner
nun endlich bevorstehenden Rückkehr ins Vaterhaus,
nicht mehr unter den Lebenden finden sollte und
den wehmütigen Trost entbehren müsste, von ihr den
letzten Abschied zu nehmen. Doch durch so viele vorher-
gegangene Leiden und herbe Verluste belehrt, trachtete
ich auch dieses Opfer dem Herrn willig darzubringen.
AdMe und Glotilde wurden im Mai von meinem
Vater abgeholt und in Paris der Fürsorge der guten
treuen Marchais übergeben, wo sie bis zu meiner
Rückkehr blieben. Dadurch ward ihnen die Gelegenheit
geboten, den Einzug des Königs Ludwig X VTIL, der
Herzogin von Angoulgme und der Prinzen des
Hauses zu sehen und Zeugen der enthusiastischen
Freude zu sein, die das Publikum darüber äusserte.
Glotilde erzählte mir später, dass auch sie ein weisses
Tuch geschwenkt und „Vive le roi'' gerufen habe.
Ein grosser Trost wurde mir dadurch zuteil, dass
ich nun wieder mit Ad61e fleissig korrespondieren
konnte, und es interessierten mich natürlich auch die
Nachrichten, die sie mir über die Restauration der
alten Monarchie, für die wir alle eine so grosse An-
hänglichkeit bewahrt hatten, mitteilte. Voll Be-
dauern dachte ich dabei oft, dass unsere teure
Mutter es nicht mehr erlebte, wie alles in Frank-
reich nun diejenige Wendung nahm, die sie durch so
— 264 —
lange Zeit mit Seufzen ersehnl; und herbeigewünscht
hatte.
Nach Eisenach kamen während dieser Zeit, mehrere
interessante Besuche, von denen mir aber jetzt nur
mehr einige in Erinnerung sind, wie der des Erbprinzen,
nachmaligen Herzogs von Hildburghansen, der des
Grafen von Loeben (Dichter Isiderus), der sich sehr
liebenswürdig bezeigte, dann der eines Herrn von C h a r o n ,
welcher früher um Juliette geworben hatte und ein
entfernter Verwandter von ihr war. Der gute General
von Schöler, der meinem Emil ein so aufrichtiger
Freund gewesen, scheute den Umweg von zwölf Meilen
nicht , um mich und Alexander zu sehen , es war mir
eine wahre Erquickung mit diesem edlen, hochsinnigen
Manne einen halben Tag in traulichen Gesprächen zu-
zubringen und mich dadurch in vergangene glückliche
Zeiten zurückzuversetzen. Er hatte mit seinem
17 jährigen Sohne in der Völkerschlacht bei Leipzig
mitgefochten und kam jetzt eben von Paris zurück,
nachdem er unterwegs zu Varennes Emils Grab be-
sucht. Mein Vater hatte ihn sehr freundschaftlich
aufgenommen, und er beeilte sich nun, mir Nachricht
von den Meinen zu überbringen. Im Jahre 1806, gleich
nach Preussens Unglück, war er als Botschafter
nach Petersburg geschickt worden, wo ihn Kaiser
Alexander so lieb gewann, dass er wann immer
direkt bei ihm vorsprechen durfte und viel von
ihm zu erreichen vermochte. Später vertrat er
Preussen beim Bundestage zu Frankfurt, woselbst er
— 265 —
noch vor den Umwälzungen, die das Jahr 1848 mit
sich brachte, starb.
Endlich nach langer Erwartung traf im Juli
mein nachmaliger Schwager Josef von Gausans aus
Sibirien über Petersburg, Livland und Königsberg in
Eisenach ein. Dnser Zusammentreffen erneute meinen
Schmerz über den Verlust meiner unvergesslichen
Mutter, welchen ich ihm mitteilen musste, er erfuhr
es zu grossem Leidwesen, denn er war ihr aufrichtig
anhänglich und auch dankbar, weil sie seinen sehn-
lichsten Wunsch : die Hand unserer AdMe zu erhalten,
gegen manche Einwendungen meines Vaters befürwortet
hatte.
Nach wenigen Tagen der Buhe für ihn und der
Vorbereitungen für mich, begaben wir uns mittelst
Lohnwagens nach Frankfurt a. M. Von dort setzten
wir die Beise mit Extrapost fort in einer schönen
neuen Kalesche, die wir im Auftrage meines Vaters f&r
ihn in Offenbach, wo berühmte Wagenfabriken waren,
gekauft hatten. Da wir auch manche Nacht durch-
fuhren, ging es sehr schnell unserm Ziele zu. Es lässt
sich denken, dass die Ankunft in Varennes unsere
Herzen bewegte. Die Freude der Wiedervereinigung
war aber durch den Verlust unserer lieben Mutter ge-
trübt. — Die Trauer um sie bewog uns, AdMens
Hochzeit bis zum Herbst zu verschieben, doch blieb ihr
Bräutigam noch einige Zeit bei uns. — Nach seiner
Abreise konnte ich das so lang entbehrte Zusammen-
sein mit meiner Schwester noch recht geniessen ; später
— 266 —
kamen dann Onkel und Tante Malherbe, sowie nnser
Vetter Henri de Belsunce und brachten längere Zeit
bei uns zu. Ende September kehrte Josef Causans
zurück, um bis zu seiner Hochzeit, die auf den
4. November festgesetzt wurde, bei seiner Braut zu
bleiben. Die Tage vergingen uns sehr angenehm, und
die langen Herbstabende, welche wir gemeinschaftlich
im Salon zubrachten, wurden oft durch Spiel verkttrzt,
besonders unterhielt es uns nach gegenseitiger Aufgabe
kleine Verse oder auch Endreime nach gegebenen
Worten zu machen und auswendig gelernte Gedichte
zu deklamieren. Als ich eines Tages ein solches
memorierte und dabei einige Strophen laut für mich her-
sagte, bemerkte ich, wie meine Kinder, die bis dahin
gesprochen hatten, plötzlich ganz still wurden und mir
aufmerksam lauschten ; als ich dann aufhörte, baten sie
mich, es ihnen noch einmal zu wiederholen. Obgleich
sie es gewiss nicht verstehen konnten, gefiel ihnen der
Rhythmus, was mir lieb war, und ich sagte ihnen, von
da an,, gerne manche Verse vor. Seitdem hatte ich
noch oftmals Gelegenheit zu beobachten, dass dies
Wohlgefallen am Rhythmus vielen Menschen angeboren
sei und sie den Gesang der Poesie lieben, auch ohne
das Gesagte zu verstehen.
Alle Gäste, welche sich am 2. November einfanden,
aufzuzählen, ist mir nicht mehr möglich. Vor der
kirchlichen Trauung musste nach dem Codex Napoleon,
den man beibehalten hatte, zuerst die Civil Vermählung
stattfinden. Diese seltsame Handlung kam uns besonders
— 268 —
erst, als wir wieder nach Hanse znrückkebrten^ da ich
zn sehr mit meiner Ad61e, der ich an Mutterstelle zur
Seite gestanden, beschäftigt gewesen. Die Kirche von
Conrtemont, und besonders deren Hanptaltar, vor welchem
die Trauung stattfand, war aufs beste mit Teppichen
und Blumen geziert, und ganz Varennes war dem impo-
santen Hochzeitszuge gefolgt. Bei der Rückkehr in den
Schlosshof wurden kleine Geldstücke in Menge unter die
Dorfkinder geworfen. Das Haschen danach versetzte
diese in die heiterste Aufregung. Um den Tag fröhlich
zu beschliessen, hatte der alte Kammerdiener Lajeunesse
einen kleinen Ball für die Dienerschaft veranstaltet.
Wir gönnten ihnen diese Freude gern, nur wollten
wir nicht, was ihr lebhafter Wunsch war, daran teil-
nehmen. Indessen bat der alte, treue Lajeunesse, der
uns Schwestern schon als kleine Kinder auf seinen
Armen getragen hatte, wiederholt so dringend und an-
gelegentlich, wir möchten ihnen die grosse Ehre an-
thun, einen einzigen Tanz mitzumachen, dass wir end-
lich nachgeben mussten. —
Es wird mir immer in Erinnerung bleiben, wie
schmerzlich sich mir die Trennung von meiner lieben
Ad61e gestaltete, als sie mit ihrem Gemahl nach Paris
abreiste, um ihre hübsche Wohnung in der Eue de
Grenelle zu beziehen. Ich blieb noch eine geraume
Zeit mit meinem Vater, meinem Bruder und Vetter
Henri de Bulsunce in Varennes und beschäftigte mich
viel mit meinen Kindern, die nun im siebenten und
sechsten Jahre standen, und deren Unterricht ich
— 269 —
leitete; mit Vetter Henri setzte ich nnsere allabend-
lichen poetischen Übungen fort.
Da er sich hänflg bei mir anfhielt und ich mich
wieder viel mit Zeichnen beschäftigte , kam es mir in
den Sinn, ihn als Modell zu benützen. Er hatte schOne
und markierte Oesichtszflge , und es gelang mir sein
Porträt im Ritterkostüm , mit Halskrause und ge-
schlitzten Ärmeln, ziemlich gut in gewischter und
punktierter Zeichenmethode auszufahren.
Diese Sitzungen gaben Veranlassung zu Ge-
sprächen, die der Entwicklung seines jugendlichen Ge-
mütes nur von Nutzen sein konnten. * Ich war gewohnt,
ihn als jüngeren Bruder oder fast noch mehr als mein
Eind anzusehen, so dass ich gar nicht bemerkte, dass
er nach und nach eine zärtliche Neigung zu mir fasste,
wie sich später herausstellte. Sobald ich dessen inne
geworden, hielt ich es für angezeigt, ihm den Bat zu
geben, zu unserer Grossmutter, der Gräfin Pauline
von Belsunce, gebomen de Lalive d'Epinay, nach
Paris zu gehen. Diese bemühte sich eben zu dieser
Zeit darum, dass er Adjutant des Herzogs von Bourbon,
nachmaligen Prinzen von Gond6, werde, was ihr auch
gelang. So ungern er unser stilles Zusammensein auf-
gab, that er es dennoch, da ich es wünschte. Ich
fürchtete die Einsamkeit durchaus nicht, sonst würde
ich sagen, dass auch mir diese Trennung ein Opfer
gewesen wäre, was aber durchaus nicht der Fall war,
da mir seine Liebe, so zart sie sich auch äusserte,
doch eher lästig fiel.
— 270 —
Za dieser Zeit war der Architect, Herr Bruyeant,
ans Cond6, wo er seine Arbeit vollendet hatte , nach
Yarennes gekommen, nm mit meinem Vater den Ban
der projectierten Hermitage im Parke zu besprechen.
Er war nns schon früher bei manchem Baue treuer Bat-
geber gewesen y und wir kannten ihn als einen sehr
gntmfltigen, taktvollen und munteren Gesellschafter,
der auch gern an den Jagdvergnügen unserer Herren
teilnahm. Ich erwähne ihn, weil er, wie ihr euch er-
innern werdet, im Momente unserer Flucht nach Deutsch-
land unser Begleiter bis Ghälons wurde.
Mit grossen Opfern hatte es mein Vater zu er-
reichen gewusst, dass sein Sohn vom Kriegsdienste
unter Napoleon befreit blieb ; es scheint fast unbegreif-
lich, dass ihm dies gelang. Nach der Rückkehr des
EOnigs Ludwig XVUI. trat mein Bruder jedoch so-
fort als Garde du corps in die Armee ein. Seit der
Abreise von Henri de Belsunce, war ich daher allein
mit meinem Vater geblieben und, da er sich durchaus
nicht gern vereinsamt wusste, fühlte ich mich als seine
Gesellschafterin von wahrem Nutzen für ihn. AdMe
schrieb mir fleissig von Paris aus. Die politischen
Nachrichten lauteten aber immer trüber, und besonders
beängstigend wurden die vielen Verschwörungen, deren
immer neue entdeckt wurden.
Eines Tages erhielt mein Vater die Einberufung
als Mitglied des Gonseil d6partemental , welcher sich
im Augenblicke der Gefahr im Gheflieu versammelte.
Es hatte sich nämlich die Nachricht bestätigt, dass
— 2?1 —
Napoleon Elba verlassen habe nnd auf französischem
Boden gelandet sei, wo sich bereits eine Anzahl
Truppen um ihn schare.
Papa billigte meinen Entschlnss, mich während
seiner Abwesenheit zu den Causans nach Paris zu be-
geben, um nicht allein auf dem Lande zu sein, wenn
die Dinge, was zu befürchten stand, eine bedenkliche
Wendung nehmen sollten. Ich traf also gleich meine
Vorbereitungen für diese kleine Reise. Napoleon be-
trieb jedoch alles mit solcher Eile, dass ich schon Tags
darauf erfuhr, er habe bereits mehr, als den halben
Weg nach Paris zurückgelegt, und dass sich daselbst
eine grosse Bewegung zu seinen Gunsten vorbereite,
gegen welche sich die Boyalisten zur Verteidigung an-
schickten. Diese Nachricht machte mich in meinem
Vorhaben wankend, und ich fasste den Entschluss, mich
auf unbestimmte Zeit aus Frankreich zu entfernen und
zu meiner Schwiegermutter zu eilen. Ich wurde darin
noch bestärkt durch einen neuerlichen Brief, worin mir
Adöle schrieb, dass sie bereits einpacke, um mit ihrem
Mann nach England abzureisen, bis sich die Sachlage
klären würde.
IV. Kapitel.
Eisenach und die Einquartierung zu Stedten.
Alsbald schickte ich einen Boten zum Sonspr^fecten
nach Ghätean Thiery, nm fftr mich und die Meinen einen
Pass nach Deutschland, speciell Eisenach, zu erhalten.
Er wurde mir jedoch nicht ausgefolgt. Nichtsdesto-
weniger betrieb ich eiligst meine Beisevorbereitungen,
liess einpacken und den grossen Wagen in gehörigen
Stand setzen, um darin mit starken Wirtschaftspferden
bis Chälons zu fahren. Ich wnsste, dass der dortige
Präfekt ein Bekannter meines Vaters war, von dem
ich hoffen konnte, einen Pass ins Ausland zu erhalten.
Zur grössern Sicherheit liess ich mir aber auch einen
Pass bis Ohälons ausstellen, musste jedoch, um ihn zu
erhalten, selbst bei der Munizipalität erscheinen. Den
guten alten Bruyeant, der zu seiner verheirateten Tochter
nach Epinal heimzukehren wünschte, nahm ich mit mir.
Es diente mir auch zugleich als Beruhigung, nicht ohne
männlichen Schutz meine Reise anzutreten.
Ich liess Varennes für den Augenblick ganz ver-
waist zurück unter der Obhut des bewährten Lajeunesse
und der Haushälterin Madame Fontaine, welche beiden
- 2n -
sich meistens feindlich gegenüber standen. Den ver-
lässlichen Diener Chaumont sowie auch den Entscher
hatte ich mitgenommen. Meinen Vater benachrichtigte
ich brieflich von all diesen durch die anerwarteten
Umstände veranlassten Massregeln. —
So fahren wir denn ganz tranrig nach Chälons. Schon
unterwegs konnte man revolutionäre Bewegungen be-
merken, noch deutlicher aber in Chälons selbst. Im
Gasthote, wo ich abstieg ^ gab man mir ein Zimmer,
das an ein anderes stiess, in welchem mehrere Offi-
ziere zusammen speisten und ihre Ansichten so laut
aussprachen, dass ich ihre Beden im Nebenzimmer
hören musste. Ich zögerte nicht, mich in Begleitung
des Herrn Bruyeant zum Präfekten zu begeben, ^em
ich zuerst melden Hess, dass ich, die Tochter des Grafen
du Roux de Bueil, in einer dringenden Angelegenheit
mit ihm einige Worte zu sprechen hätte. Er kam
mir wohl sehr freundlich entgegen, als ich ihm aber
auseinandergesetzt hatte. Wie notwendig es in meiner
Lage wäre, einen Pass über die Landesgrenze zu er-
halten, bedauerte er, meinem Wunsche nicht nach-
kommen zu können, indem die Verwirrung des Augen-
blickes seine Thätigkeit in dieser Hinsicht lähme.
Er gab mir den Rat, meinen Wagen zurückzu-
schicken und die Diligence zur Reise bis über die
Grenze zu benutzen, wo man mir dann gewiss keine
Schwierigkeiten machen würde. Da unsere Wege nun
auseinandergingen, verabschiedete ich mich vom guten
alten Herrn Bruyeant und bestieg, zum erstenmal in
C»rl Oraf Obtrndorff, Eriiiii«nuif«B «iiitr Ur^roMmotUr. 18
— 274 —
meinem Leben, mit meinen Kindern und einer Dienerin
einen öffentlichen Wagen. Ich mnss gestehen , dass
mich dies sehr unangenehm berährte, aber ich fand zum
Olück eine anständige Eeisegesellschaft und hatte in
der That nicht den geringsten Anstand auf der Grenze.
Meinen ferneren Weg setzte ich in einem Mietwagen
bis Eisenach fort.
Dort angekommen, yerliess ich schon eine kleine
Strecke vor dem Hanse meiner Schwiegermutter das
Gefährt, um sie durch mein und meiner Kinder plötz-
liches Erscheinen zu überraschen, was mir auch voll-
kommen gelang. Sie sass, wie gewöhnlich, an ihrem
Schreibtisch, als wir bei ihr eintraten, und konnte sich
nicht genug über uns verwundern und erfreuen. Nach-
dem ihr die von ihr halberratene Ursache unserer so
unerwarteten Ankunft auseinandergesetzt worden, ging
es an ein Fragen und Antworten ohne Ende. Juliette
und Fräulein von Panhuis waren ebenfalls zu Hause
und zeigten sich gleichermassen freudig überrascht, mich
so unverhofft wiederzusehen und ausser Alexander
nun auch Clotilde kennen zu lernen. Es schien mir
bei dem unerwarteten Sturm der Zeit, der mich so
plötzlich ergriffen hatte, sehr beruhigend und wohl-
thuend, mich wieder im bekannten freundlichen und
heimlichen Asyl, im Eltemhause meines unvergesslichen
Emil zu befinden. Wir bewohnten, wie immer, das
Erdgeschoss und blieben mehrere Monate bei der
gütigen Mama.
Hier ist wohl der Platz, eine Begebenheit zu er-
— 276 —
Schon im Jahre 1814 hatte ich bei einer Soir^e^ die
Letztere gab, den damaligen Begierungsrat von Gers-
dorf; welcher bald daranf Minister wurde, kennen ge-
lernt und mich mit ihm und noch einigen anderen
Herren, worunter sich auch der nachmalige Kanzler
Gerstenberg befand, lebhaft über manch inter-
essanten Gegenstand unterhalten, doch war mir kaum
etwas, weder von den Gesprächen, noch von den
Sprechenden in Erinnerung geblieben. Ihrerseits war
dem aber nicht so. Es mochte mein, durch stille
Zurückgezogenheit und eifrige, ernste Lektüre ausge-
bildeter Geist im Fluss der Bede sich wohl besonders
vorteilhaft gezeigt haben, denn die beiden genannten
Herren waren ganz entzückt von mir und meinen Vor-
zügen, welcher Eindruck wahrscheinlich auch durch
meine Natürlichkeit hervorgebracht wurde; es lag ge-
wiss nicht in meiner Absicht, dass ich ihnen gefallen
wollte, und dennoch wurde der sehr lebhafte Herr
von Gersdorf von heftiger Leidenschaft für mich er-
fasst, ohne dass ich, Gottlob, etwas davon merkte.
Als wir nun abermals in Eisenach zusammentrafen,
dauerte es keine vierzehn Tage, dass er schriftlich
bei meiner Schwiegermutter um meine Hand anhielt«
Ich bat sie, ihm meinen ganz bestimmten Entschluss,
ja die obwaltende Unmöglichkeit, je wieder zu heiraten,
kund zu thun. Sie beauftragte seinen innigen Freund,
Herrn vonMathesius, ihm meine verneinende Antwort
mit aller Schonung und den Tröstungen der Freundschaft
zu übermitteln. Nichtsdestoweniger traf es sein Herz
— 277 —
aufs schmerzlichste, und er war eine Zeitlang wie von
Sinnen. Er schrieb meiner Schwiegermutter, um seinem
Herzen Lnft zu machen und seine brennende Qual
auszudr&cken , er schrieb auch mir und sandte mir
ein schwärmerisch schönes Gedicht. Ich wollte aber
auf keinen Fall selbst seinen Brief beantworten und
bat Mama, es statt meiner zu thun. Diese jedoch trat
da, zu meiner grossen Enttäuschung, auf einmal als
Mittlerin auf; sein übermässiger Schmerz und seine
Schwermut schienen ihr Überwältigend, und sie dachte,
ich wflrde endlich doch noch, wenn auch nur aus
Mitleid, mich bewegen lassen, meinen Sinn zu ändern.
Nicht wenig war ich empört und gegen Mama auf-
gebracht, als sie anfing, von den Vorteilen zu reden,
die nicht nur ftLr mich, sondern selbst auch für
meine Kinder aus dieser Heirat erwachsen könnten.
Sie fand dieselbe in pekuniärer Einsieht annehmbar
und betonte die glänzende Laufbahn, die Herrn von
Gersdorf bevorstände. Ich setzte ihr auseinander, dass
mir schon der Gedanke an eine zweite Ehe un-
erträglich sei und es mir ein Glflck schiene, dass
ich diese Vorteile nicht herausfinden könne. Sobald
ich eine zweite Verbindung einginge, könnte ich nicht
mehr meine Kinder nach meiner Einsicht, meinem
Ziele und somit nach den Eingebungen meines Mutter-
herzens leiten und erziehen. Wflrden nun gar Kinder
aus einer zweiten Ehe geboren, so hörten meine
jetzigen Lieben auf, das Centrum aller meiner Sorgfalt
zu sein, uneingedenk aller Unannehmlichkeiten und
— 278 —
Znrücksetzungeiiy denen selten von Seiten eines, wenn
auch noch so edeldenkenden Stiefvaters, der eigene
Kinder hat, vorzubeugen ist. Was das Pekuniäre be-
träfe, fand ich, meine Kinder hätten ja gar keine An-
sprüche an das Vermögen meines zweiten Gatten zu
machen, während das meinige für sie verkürzt würde,
wenn sie es vielleicht mit Halbgeschwistem würden
teilen müssen.
Dies alles lag so klar vor mir, dass, wenn ich
selbst keine so treue Liebe für meinen verewigten
Gatten empfunden hätte, schon die Abneigung eine
neue Ehe einzugehen, hinreichend gewesen wäre, mich
hiervon abzuhalten. Manche Freunde, welche die Vor-
teile ef wogen , die mir eine solche Stütze auf meiner
Lebensbahn in so jungen Jahren bieten würde, wollten
dies nicht einsehen, was mich umsomehr ärgerte, als
ich gar kein Bedürfnis nach irgend einer Stütze fühlte
und in der Aufgabe, die Erziehung meiner Kinder best-
möglich zu leiten, meinen einzigen Lebenszweck sah.
Der glückliche Erfolg hat mehr als hinlänglich dieses
mein Vorgefühl und mein nachmaliges festes Vertrauen
in die Hilfe Gottes gerechtfertigt. — Ihm sei Preis
und Dank dafür!
Herr von Gersdorf, durch manchen seiner Freunde
in der Voraussetzung bestärkt, dass ich mit der Zeit, durch
seine Beständigkeit und Treue gerührt, die so bestimmt
gegebene abschlägige Antwort doch noch zurücknehmen
würde, und auf die Hilfe meiner Schwiegermutter ver-
trauend, richtete noch viele Briefe an sie. Er schrieb
— 279 —
auch mir noch einmal, und wieder erhielt ich schöne
Verse von ihm, aber ich blieb dabei, ihm nicht selbst
zu antworten. Es war ihm sehr peinvoU, keine Zeile
von meiner Hand zn erhalten, und er schwärmte so
in seiner unglücklichen Liebe, dass er sich etwas von
mir als Andenken, oder, wie er sagte, Reliquie ausbat
Dies schlug ich zwar meiner Schwiegermutter rund ab,
allein sie bestOrmte mich so sehr, dass ich endlich,
sehr wider meinen Willen, eine kleine Perlen-Schnur,
die ich manchmal getragen, hergeben musste. Das
erinnerte mich an eine Äusserung, die Emil einmal
scherzweise seiner Mutter gegenüber gethan hatte:
wenn er eine Tochter hätte, so würde er sich hüten,
sie ihr anzuvertrauen wegen ihrer allzu idealen und
schwärmerischen Gteistesrichtung. Bei ihrem, allem
Edlen, Guten und Schönen zugewandten Charakter
war dies gewiss ein seltsames Benehmen gegen die
Witwe ihres eigenen Sohnes, und nur dadurch zu er-
klären, dass sie überzeugt war, ich würde mich später
dennoch zu dieser Heirat entschliessen. Für mich
gestaltete sich diese Episode meines Lebens höchst
peinlich, denn immer verneinend diesen liebevollsten
und leidenschaftlichsten Beweisen grosser Zuneigung
gegenüberzustehen und immer befürchten zu müssen,
dass mein nur gewöhnlich freundliches Benehmen für
mehr gehalten werden möchte und Hoffnungen erwecken
könnte, welche um jeden Preis vermieden werden sollten,
das wurde mir wirklich unerträglich. Dazu kam noch,
dass ich das Unglück hatte, auch anderen Neigung ein-
— 280 —
Zuflössen y was, obwohl es mir I&stig fiel, dennoch die
Eifersucht des armen Gersdorf erweckte. Bis dahin
war in meinen Witwenjahren noch nichts Derartiges vor-
gekommen! allein es fanden sich von diesem Zeitpunkte
ab viele; die sich teils nur in bescheidener Feme um
mich bewarben, teils deutlicher mir Gefühle zu ver-
stehen gaben ; die ich jedoch weder erwiedern, noch
auf irgend eine Weise bestärken wollte.
Um dergleichen Belästigungen aus dem Wege zu
gehen, unterbrach ich meinen Aufenthalt in Eisenach
mehrere Male und begab mich nach Stedten, wo ich
immer eines freundlichen Empfanges sicher war.
Ich muss noch auf Einiges zurückkommen, das sich
zu Stedten während des Durchzuges der Truppen be-
geben hatte. Es sind dies einzelne Beweise von der
hochherzigen Menschenfreundlichkeit, die stets einen
Hauptzag des Charakters unserer lieben, verehrten
Tante Am61ie bildete. Der zur Zeit der Napoleonischen
Kriege unausgesetzten Truppendurchzüge halber glich
das Schloss einer grossen Herberge, deren Gäste kom-
men und gehen, ohne eine Spur zu hinterlassen, wie
bunte NebelbilJer, welche über eine Leinwand dahin-
streifen.
Da nicht nur die Spitäler, sondern auch alle Häuser
der ganzen Gegend von Tjrphus-Kranken überschwemmt
waren, so galt es ein vorbeugendes Mittel gegen diese
Krankheit zu gebrauchen, was wir, die Erwachsenen
sowohl als auch die Kinder, gewissenhaft thaten : näm-
lich des Morgens ein Stück Schwarzbrot, mit Kümmel
— 281 —
bestreut; nnd daranf ein Glas Wein zn geniessen. Wenn
es wirklich von Wirksamkeit war, so bewährte es sich,
als drei Offiziere auf mehrere Tage einquartiert wurden
und einer derselben, Major von Polchinsky , in Stedten
so an Typhus erkrankte, dass er das Bett nicht ver-
lassen konnte. Wie es damals noch meistens der Fall
war, wurde das Leiden nicht gleich erkannt. Als aber
der Arzt den Regiments-A^jutanten später vom wahren
Sachverhalt in Kenntnis setzte, eilte Letzterer sogleich
zu Gräfin Keller, um es ihr zu melden mit dem Bemerken,
dass am folgenden Tage Mittel und Wege geschafft
wfirden, um den Kranken mit thunlichster Vorsicht in
das Lazarett nach Erfurt zu transportieren. Sie er-
kundigte sich genau nach dem Zustande des armen
Majors und als sie erfuhr, dass er sehr geschwächt
daniederliege, wollte sie von dessen Transport bei
Winterszeit nichts hOren, da sie glaubte, der Offizier,
der Familienvater war, könne dadurch in ernstliche
Lebensgefahr geraten. Nachdem sie sich mit uns be-
sprochen hatte, wurde beschlossen, dass Polchinsky in
seinem Zimmer verbleibe, aber alle Verbindungen zu
den Eingängen in unsere Wohnräume abgesperrt würden,
und nur die in die entgegengesetzte Bichtung mündenden
Thüren benützt werden sollten. Die Geräumigkeit des
Schlosses machte dies leicht ausführbar. Lidem sie
ein solches Werk der Nächstenliebe an einem gänzlich
Unbekannten ausübte, mochte sie wohl an ihre im
Felde stehenden Söhne gedacht haben und ihnen in
einem ähnlichen Falle die gleiche Behandlung wünschen.
— 282 —
Später kam anch ein Major üolani mit Frau und
zahlreicher Familie nach Schloss Stedten ins Quartier.
Dieser Schwärm war der gütigen Hausfrau wohl nicht
sehr angenehm, da sich aber Colanis Gattin in gesegneten
Umständen und nahe ihrer Niederkunft befand, behielt
sie dennoch ihn und die Seinen für längere Zeit im Hause,
ohne auf ihre schnelle Übersiedlung nach Erfurt zu drin-
gen. Die gute Tante berücksichtigte eben deren allem An-
scheine nach dürftige Lage; ja, sie erlaubte sogar, dass
Frau Colani ihr Wochenbett unter ihrem Dache abmache
und pflegte sie selbst in wahrhaft mütterlicher Weise.
Unter den vielen Russen, die entweder nach
Frankreich zogen oder von dort zurückkehrten, befand
sich auch Vetter Theodor Keller, der älteste Sohn
von Tante Am61ie, der in Bussland diente und seit
zwei Jahren mit Sophie, geborner Gräfin von der
Borch, vermählt war. Diese kam ihrem Gatten nach
Stedten nach und blieb eine geraume Zeit dort, während
ihn sein Dienst fem hielt. Gerade damals weilte
jedoch die gute Tante in der Ferne, indem sie zu
Stuttgart ihre Schwägerin während deren Wochen
pflegte. Sie befand sich dadurch auch dem Kriegs-
schauplätze näher, wo sie drei Söhne in beständiger
Gefahr wusste. Wie sie mir später sagte, fühlte sie,
die von Natur aus sehr ängstlich war, sich oft durch
diesen Gedanken bedrückt und nur ihr felsenfestes
Vertrauen auf Gottes Güte und Allmacht bewirkte es,
dass ihr eine glaubens- und hoffnungsvolle Fassung
zu teil wurde.
— 283 —
Zu dieser Zeit ging ihr auch der sehnliche Wunsch
in ErfBllnng, die Bekanntschaft der berühmten Fran
von Krfidener,'*') der merkwürdigen Frenndin Kaiser
Alexanders, zn machen» Dieselbe widmete sich
nach einer sehr bewegten Jugend, ganz der Frömmigkeit
und glaubte an ihre Mission, den Beherrscher Russlands
beeinflussen zu müssen. Zufällig meldete sie sich bei
'*') „Barbara Jalianne von Krüdener, geborene von Vietmghoff,
religiöse Schw&rmerin, geboren 21. November 1764 zu Riga,
gestorben 25. Dezember 1824 in Karasabazar in der Krim; wnrde
zu Paris erzogen und achtzehn Jahre alt, gegen ihre Neigung, an den
Freiherm von KrOdener yerheiratet, der als rassischer Gesandter 1785
nach Venedig, 1786 nach Kopenhagen, femer nach Berlin, Leipzig,
Sflddeatschland, Schwäz and 1800 nach Berlin ging. Nach dem Tode
desselben 1802, zog sie nach Paris, wo ihr Roman „Valerie* (Par. 1804,
zwei Bände, nene Aaflagel878) erschien, der in der Tomehmen Pariser
Welt Aafsehen erregte. Übersättigt von ihrem bisherigen leicht-
sinnigen Leben and mit hermhatischen Kreisen in Berflhrong ge-
kommen, wandte sie sich nan einem frommen Leben zn. In Karlsrahe
schloss sie sich an Jang-Stilling an and kanfte ein Gat bei Bönnigheim
in Wflrttemberg; zog dann als Reisepredigerin amher and gründete
mit dem Pfarrer Empaytaz Gebetsvereine. Kaiser Alexander I.
verkehrte 1815 mit ihr in Heilbronn and Heidelberg; sie folgte
ihm nach Paris and hatte ihn dort zam ZahOrer in ihren hänslichen
Bet- and Bibelstunden. Im Oktober 1815 ging sie nach Basel, wo
sie mit Spittler die i^Baseler Traktatengesellschaff* gründete, aber
bald aasgewiesen warde. Dasselbe Schicksal traf sie in verschiedenen
andern Orten Badens and der Schweiz and 1824 anch in Peters-
barg, woraaf sie sich mit ihrer Tochter and deren Gatten in die
Krim begab. — Litteratar: Eynard „Yie de Madame de Krfldener**
(Par. 1849, 2 Bände) ; Capefigne ^La Baronne de K. et l'emperear
Alexandre I<* (Par. 1866). .Fraa von K. ein Zeitgemälde** (Bern 1868).
Lacroix ^Madame de K., ses lettres etses oavragesin^its(Par. 1880^.**
— Entnommen ^Pierers Kon versations- Lexikon* 8. Band 7. Aafl.
pagina 883.
— 284 —
ihm in einem Momente, als er, der schon viel von ihr ge-
hört hatte, den Wnnsch hegte, sie zu sehen. Dies eigen-
tümliche Zusammentreffen frappierte ihn derart, dass
er sich wirklich in religiösen Dingen ihrer Leitung
unterwarf. Meine Tante hatte bald diese seltene Frau
sehr lieb gewonnen und durchaus nichts Fanatisches
an ihr bemerkt, im Gegenteil war die Art und Weise,
wie sie ihr Trost zusprach, überzeugend und wohl-
thuend. Als sie aber zwei Jahre später aus der
Schweiz mit einem seltsamen und zahlreichen Zuge
ganz in die Nähe von Stedten kam, fürchtete Tante
Keller, dass sie sich mit ihrer Begleitung etwa bei ihr
einquartieren möchte, und ging ihr aus dem Wege.
Übrigens nahm diese merkwürdige Beise ein gutes,
stilles Ende. Frau von Erüdener zog sich auf ihre
Güter in Livland zurück, lebte dort in wohlthätiger
Wirksamkeit für Arme und Kranke, und soll sie zuletzt
ihr so lebendiger, fast wunderwirkender Glauben der
katholischen Kirche zugeführt haben.
Um wieder auf mich und meine Erlebnisse zurück-
zukommen, muss ich erwähnen, dass ich mich bei den
verschiedenen Anlässen, die mich von Zeit zu Zeit
nach Gotha führten, stets freute, dort liebe Bekannte,
worunter sich auch viele geistreiche Männer befanden,
wiederzusehen. Ich erneuerte die alte Freundschaft
mit dem Hofrate Jakobs, welche aus meinen ersten
Jugendjahren stammte, femer jene mit dem geist-
vollen Göchhausen, dem Freunde und Waffengefährten
meines Mannes, sowie die mit den Herren von Schlot-
— 285 —
heim und von Lichtenau; der Letztere wurde später
Minister von Sachsen. Damals besorgte er die Stern-
warte bei Gotha und that sich nicht nur als Astronom,
sondern auch während der stürmischen Eriegszeit als
Quasi-Eundschafter sehr hervor. Letzteres Fach mehr als
Dilettant betreibend, gereichte es ihm zur Befriedigung,
viel hin und her zu reisen und Nachrichten aus Preussen
zu bringen, die wir, als die Armeen uns von diesem
Seiche trennten, sonst nicht erhalten hätten. — Ich las
„Bosaliens Nachlasse von Jakobs und fand dies Werk da-
mals noch nicht so seicht, als es mir später erschien ; dann
versorgte mich dieser liebenswürdige Autor auch mit
ernsterer Leetüre und die teils religiösen, teils philo-
sophischen Unterredungen, welche dadurch veranlasst
wurden, führte ich, um ungestört zu bleiben, manches-
mal in der herzoglichen Bibliothek, der er vorstand.
Er gab mir auch den Jacobi zu lesen, der mich durch
seinen innig gläubigen Sinn anzog; ich freute mich,
dass dieser Philosoph bestimmt den „persönlichen^ Oott
annahm, im Gegensatze zum Pantheismus eines Spinoza
und Goethe.
V. KapiteL
Wieder bei Hof.
Gegen Ende des Jahres 1815 war ich einer oft wieder-
holten freundlichen Einladung der in Eitscher wohnenden
Familie Keller folgend, dahin abgereist, weil sich mir
die sehr passende Gelegenheit bot, den Weg bis Leipzig
in Gesellschaft von Tante Am61ie zurückzulegen. Diese
hatte in Berlin zu thun und glaubte etwa sechs Wochen
dort zu bleiben, doch vergingen zwei Monate, ehe sie
mich abholen kam. Ich wurde von den Verwandten
in Eitscher mit der grössten Liebe und Zuvorkommen-
heit aufgenommen und fühlte mich sehr wohl in dem
dortigen angenehmen Familienkreise. Noch vor unserer
Bückreise erhielt ich einen Brief von meiner treuen Freun-
din Caroline von Studnitz-Dalwigk. Sie teilte mir darin
mit, dass eine unserer beiderseitigen Bekannten, Frau von
Dörnberg,ihr geschrieben habe, sie hätte seitens der Erb-
grossherzogin von Mecklenburg, geborenen Prinzessin
von Weimar, den Antrag erhalten, Obersthofmeisterin
ihrer Stieftochter, Prinzessin Marie, zu werden, doch
sich hierfür nicht geeignet gefunden und daher refü-
siert. Auf eine weitere Anfrage hin, ob sie nicht
— 287 —
eine Dame vorzuschlagen wüsste, die für diesen Ver-
trauensposten geeignet wäre, habe sie mich genannt.
Infolge des unerwarteten Todes der Erbgrossherzogin
sei die Sache unerledigt geblieben, müsse aber jeden-
falls wieder zur Sprache kommen. Nun fragte mich
Caroline, ob es meine Absicht sein könnte, diese Stelle
anzunehmen und ob ich nichts dawider hätte, wenn
diesbezügliches eingeleitet würde. Nach reiflicher
Überlegung hatte ich erwogen, dass eine solche Position
in meiner Lage als junge Witwe, mir wohl einen in
manchen Dingen erwünschten Schutz gewähren würde,
jedoch andererseits war ich froh, mich dui*ch Mutter-
pflichten gebunden zu fühlen. Mein Entschluss,
Alexander in eine Erziehungsanstalt zu geben, war
wohl längst gefasst, doch wollte ich ihn auch dann in
meiner Nähe behalten und mich jedenfalls nicht von
meinem Töchterchen trennen. In diesem Sinne schrieb
ich an Caroline und bat sie, nichts in dieser Sache
zu unternehmen. Sollte mir aber die Stelle ohne mein
Zuthun angeboten werden, so würde mir schon Gott
den einzuschlagenden Weg zeigen.
um allen Erörterungen in dieser Angelegenheit,
die mir nun als abgethan galt, zu entgehen, sprach ich
mit niemandem darüber, weder mit Tante Am61ie, noch
mit meiner Schwiegermutter, die einige Zeit bei uns
in Stedten zubrachte. Etwa einen Monat später kam
der Erbgrossherzog mit seiner Tochter zu sechswöchent-
lichem Aufenthalte nach Weimar, und als diese Zeit
abgelaufen war, ohne dass ich etwas vernahm, das
— 288 —
anf mich Bezug gehabt hätte, erzählte ich endlich
meinen Lieben in Stedten, welche Wendung mein
Schicksal hätte nehmen können. Sie schienen sehr
verwundert über diese verspätete Mitteilung. Am
folgenden Tage kam Mama mit geheimnisvoller Miene,
um mir mit verlegenem Lächeln zu sagen, das sie es
nicht über das Herz habe bringen können , zu unter-
lassen, an die Grossherzogin von Weimar in Ange-
legenheit der Wahl einer Oberhofmeisterin ihrer Stief-
enkelin zu schreiben, für welchen Wirkungskreis sie
mich so ganz für geeignet befände. Ich war über dies
Beginnen meiner Schwiegermutter wie aus den Wolken
gefallen und wusste nicht, ob ich mich ärgern oder
schämen sollte, als sie mir gestand, welch schönes
Bild sie der Grossherzogin von mir entworfen habe.
Einige Tage darauf erhielt sie einen Brief vom Erb-
grossherzog, worin er sie bat, mit mir, ohne dass ich
wissen möge, weshalb, auf einige Tage nach Weimar
zu kommen. Als Vorwand zu dieser Reise könne sie
ja die Konzerte gelten lassen, die der berühmte Sänger
Brizzi gerade damals zu Weimar gab. — Weder die
Grossherzogin noch ihr Schwiegersohn wussten nämlich,
dass mich Mama von ihrem Schritte bereits unterrichtet
hatte.
Wenige Tage nach Empfang des Briefes begaben
wir uns auf den Weg nach Weimar, wo wir auf das
freundlichste empfangen und gleich zur Hoftafel geladen
wurden. Tags darauf liess sich der Erbgrossherzog
bei meiner Schwiegermutter anmelden, und die Be-
— 289 —
sprechnngen begannen. Er fand zwar, dass ich neben
seiner Tochter, die, obgleich erst dreizehn Jahre alt,
doch schon eine grosse stattliche Figur hatte, etwas
jung zu einer so imponierenden Stellung erschiene,
indessen sähe man doch an meinem ganzen Wesen
meine dazu gehörige Reife, und er zweifle nicht, dass
ich ganz hierfür passen würde. Die Grossherzogin, die
mir schon von meiner ersten Jugend an viel Interesse
bewiesen hatte, war sehr f&r diese Idee eingenommen, und
der Erbgrossherzog Hess meine Bedenken nicht gelten
und äusserte sich, dass meine Kinder kein Hindernis sein
könnten, denn er fände es ebenso natürlich, als lobens-
wert, dass ich mich nicht von ihnen trennen wolle.
Beinahe eine Woche blieben wir in Weimar und wurden
sowohl von unseren Bekannten am Hofe, als auch durch
die Fürstlichkeiten selbst vielfach ausgezeichnet. In
einigen kleinen Abendgesellschaften lernte ich Prin-
zessin Marie und ihre Gouvernante, Mademoiselle
Salomon, kennen. Die Prinzessin war für die Welt
zwar noch wenig gebildet, zeigte sich aber dennoch
sehr freundlich gegen mich und andere; auch die geist-
volle Mademoiselle Salomon machte mir einen ange-
nehmen Eindruck. Nach Stedten zurückgekehrt, wurde
natürlich viel über meine nächste Zukunft gesprochen,
und ich beschloss, bald nach Frankreich abzureisen,
wohin ich auch die Kinder und meine unglückliche
Dienerin Aim6e, bei welcher sich öfter Spuren von
Geistesgestörtheit zeigten, mitnehmen wollte. Ich leugne
nicht, dass mir der Gedanke, sowohl meine eigene, als
Carl Graf Obtrndorff, EriimaraiiftB «iaar UrfroMmiittar. 19
— 290 —
auch die Familie Emils zu verlassen und in eine
Stellung zu treten, wo mir alles fast unbekannt war,
etwas peinlich gewesen. Doch folgender Brief, der
bald darauf, als Einlage in ein Schreiben an meine
Schwiegermutter, anlangte, machte jede Umkehr un-
möglich.
Weimar, ce 11. April 1816.
Madame!"^)
J'6prouye une yive satisfaction de me yoir autoris6
k Vous offrir l'hommage de ma sinc^re reconnaissance,
*) Deutsche Übersetzang: Weimar, den 11. April 1816.
Madame ! Ich empfinde lebhafte Freude, Ihnen meinen tiefgefdhl-
testen Dank ausdrücken zu dürfen für Ihre gütige Einwilligung in
den Vorschlag, den Ihre Frau Schwiegermutter die Freundlichkeit
hatte, Ihnen in meinem Namen zu machen. Durch diese Bereit-
erklärung betreffs Übernahme der Erziehung meiner Kinder, gaben
Sie mir den schmeichelhaften Beweis Ihrer Güte und zugleich den
besten Trost, der mir in meiner traurigen Lage zuteil werden
konnte. Möchten Sie doch von meiner grössten Dankbarkeit über-
zeugt sein, Madame, sowie von meinem Bestreben, soweit es von
mir abhängt, stets zu Ihrem Glücke beizutragen, um Sie würdig
für das Opfer zu entschädigen, welches Sie sich dadurch aufer-
legten, dass Sie sich von Ihren lieben Verwandten trennten, um
meiner Familie Schicksal zu teilen. Den Monat Juni mit wirk-
licher Ungeduld herbeisehnend, werde ich des Tages Ihrer Ankunft
stets als eines meiner glücklichsten gedenken.
Meine Kinder empfehle ich schon im Vorhinein und wärmstens
Ihrer Güte.
Niemand wird mit mehr Dankbarkeit und Hochachtung, als
ich, Madame, sich zeichnen als
Ihr unterthänigster und gehorsamster Diener
Friedrich Ludwig.
— 291 —
poar rassentiment, que Voas avez bien voala donner k
la propositioD; que Madame Votre bellem6re a eu la
complaisance de Vous faire de ma part. En consen-
tant k donner Vos soins k TSducation de mes enfants
Vous m'accordez, Madame, une marque flatteuse de Vos
bontös et la plns grande consolation, dont je sois sns-
ceptible dans la malhenreuse position oü je me tronve.
Daignez vous persuader de ma plns vive reconnaissance,
Madame, et de mon dSsir toujours constant de con-
tribner en tont ce, qui d6pendra de moi, k Votre satis-
faction, afin de pouvoir reconnaitre le sacrifice, que
Vous faites en Vous s^parant de parents cli6ris pour
suivre le sort de ma famille. Je vais au devant du
mois de Juin avec une y^ritable impatience, et mar-
querai le jour de Votre arriv6e chez nous comme un
jour fort heureux pour moi.
Je recommande d'avance et bien instamment mes
Enfants a Vos bont^s.
On n'est pas avec plus de reconnaissance et de
respect, que moi, Madame,
Votre trös humble et tr6s ob6issant serviteur
Fr6d6ric Louis.
Für diesen Brief drückte ich dem Erbgrossherzog
meinen Dank aus: ich hoffte, es würde schon die Zu-
kunft sein Vertrauen rechtfertigen, indem ich diese
Stelle mit Zuversicht auf Gott anträte und ich be-
dauerte, nicht alsogleich nach Mecklenburg reisen zu
können, da ich zuerst von meinem lieben Vater Ab-
19»
— 292 —
schied nehmen and meine sämtlichen Geschäfte ordnen
müsse.
Die Keise zu Papa machte ich mit Extrapost und
nahm auch meinen deutschen Bedienten; Namens Klap-
roth, mit, welcher, seines Handwerks ein Friseur, sich
sehr darauf freute, in Paris die freien Momente zur Ver-
vollkommnung in dieser seiner Kunst benatzen zu können.
Von meinem französischen Kammermädchen Aimie, von
welchem ich schrieb, ich wollte sie mitnehmen,
hätte ich richtiger gesagt, ich m u s s t e es thun, denn
sie war entrüstet über meinen Vorschlag, sie bei einer
erprobten Vertrauensperson, die gut französisch sprach,
unterzubringen, und lehnte ihn mit grösstem Wider-
willen ab.
Auf der Beise bereitete sie mir manche Verlegenheit
So, als sie mich mit Vehemenz in einem Gasthofe, wo
wir uns aufhielten, beschuldigte, ich hätte Leuten,
mit denen ich überhaupt nicht gesprochen, ihre ganze
Lebensgeschichte erzählt. Ein anderesmal, als wir den
Wagen verliessen, um einen Berg zu Fuss hinanzu-
steigeu, setzte sie sich auf einen Stein und wollte
nicht vorwärts, bis ich sie durch den Bedienten am
Arme fassen liess ; dann erst bequemte sie sich wieder
zum Einsteigen. Von diesem Moment an wurde sie
ruhig, bis wir in Varennes ankamen. Dort vereitelte
sie alle Versuche, sie zu ihrer Mutter nach Chäteau
Thierry zu bringen, obgleich sie ihre Familie ausser-
ordentlich liebte. Sie erriet mit der den Irren eignen
Schlauheit die beabsichtigten Fallen, die man ihr
— 293 —
stellte, und trotzdem ich mit ihr nie über die Möglichkeit
einer Trennung sprach, hatte sie dieselbe stets vor
Augen. Schliesslich wurde mir dieser wohl nicht unbe-
gründete Argwohn schon allzu störend, denn sie blickte
mir über die Schulter, wenn ich schrieb, und lauschte
besorgt an allen Thüren, kurz, sie benahm sich so,
als hätte sie das Schlimmste von uns zu befürchten.
Mit grösster Schonung brachte ich ihr bei, dass ich
anderweitig für sie sorgen wolle, sie mir aber nicht
mehr nach Deutschland zurück folgen könne. Ich
wollte ihr das volle Jahresgehalt geben und sie
meiner Schwester empfehlen, die sie sehr lieb hatte«
Trotz alledem erschwerte sie mir dadurch den Ab-
schied sehr, dass sie mit fliegenden Haaren vor mich
hinstürzte und, meine Kniee umklammernd, flehte, ich
möge sie ja nicht von mir lassen.
Nur eine kurze Zeit konnte ich in Varennes zu-
bringen, wo ich noch so Vieles mit meinem lieben
Vater zu besprechen und zu ordnen hatte, dann begab
i#h mich zu meiner Schwester nach Paris. Die voraus-
sichtlich lange Trennung traf uns beide recht schmerz-
lich. Wir nutzten unser Zusammensein so viel als mög-
lich aus, ja, wir machten sogar die Besuche bei Freun-
dinnen zusammen. Nur um die nötigen Einkäufe zu be-
sorgen, leistete mir die gute Mademoiselle Marchais
Gesellschaft, da Ad^le ihren kleinen, neun Monate alten
Henri nicht immer verlassen konnte. Manchmal ging
ich auch mit meinen Kindern aus, welche die grosse
Stadt sehr interessierte. Im Eifer dieser Beobachtungen
— 294 —
eilte Alexander mit seinem Schwesterchen einmal so
weit voraus, dass ich beide schon fast ans den Angen
verlor. Als ich ihn dann darüber zur Eede stellte,
entschuldigte er sich mit der naiv-schlauen Antwort:
„II faut cependant, que je voie Paris."
Die Abende brachte ich meistens in traulichem
Gespräche mit meiner Schwester zu, doch gingen wir
auch einigemale zu unserer lieben Amicie de la Motte
Levayer. Einmal geriet ich ganz unvermutet in einen
grossen Ereis von nähern Bekannten Amicies, welche den
Abend bei ihr zubrachten. Darunter befanden sich auch
Marquise de R o n g 6 und Fürstin Bertha von B o h a n ,
welche ich schon früher in Karlsbad kennen gelernt
hatte. Die Gesellschaft sass um einen Tisch und spielte
jeux d'esprit, woran teilzunehmen auch ich aufgefordert
wurde. Herr von Bonge, der mir gegenüber sass,
fragte, warum Georgine Fergusson, die ein be-
sonderes Talent für diese Spiele besass, nicht anwesend
sei. Amicie antwortete : ^ J'ai oubli6, de lui faire dire,
de venir." Ungeduldig erwiderte Bong6: „Fiire bfete!"
Durch diesen Ausruf befremdet, sagte ich Amicie ins
Ohr: „Quel ton ce monsieur a avec vous!" Lachend
forderte sie mich auf, ich möchte doch mein Erstatmen
über diese Äusserung der Fürstin Bertha Bohan, die
mir zur Bechten sass, auf deutsch ausdrücken. Ich
wollte dies natürlich nicht thun, da ich nicht begreifen
konnte, warum sie es wünsche, aber sie bestand so
lange darauf, bis ich es endlich that. Alsbald wendete
sich der Marquis de Bong6 lachend zu mir, um mir in
— 295 —
bestem Deutsch zu erklären, dass es ihm sehr leid thue,
sich so anstössig benommen zu haben. Amicie setzte
mir dann auseinander, dass sie von ihrer Kindheit an
sich als Geschwister betrachteten, und alle lachten
herzlich.
Auch einige kleine Soir6en besuchte ich bei Adölens
Tante, Marquise de Raigecourt, gebornen Causans,
deren Gemahl, Pair von Frankreich, gleich ihr, sich
von liebenswfirdigem Umgang erwies. Ihre Töchter,
Frau von Beuvier und Gräfin Lascase, waren unsere
intimsten Freundinnen. Bei ihr lernte ich auch die
Herzogin de La Rochefoucauld-Montmorency
kennen sowie die liebensw&rdigen Schwägerinnen meiner
Schwester, Emilie und Jos6fine de Causans.
Leider konnte ich mich dieser mir so anziehenden
neuen Erscheinungen nur vorfibergehend erfreuen, denn
mein Vater und dessen Schwester Malherbe erwarteten
schon mit Sehnsucht meine Rückkehr nach Varennes.
Noch eine kurze Woche blieb ich dortselbst mit ihnen
und meinem Bruder vereint, der aus seiner Garnison
in Meaux nach Hause kam, um sich von mir zu ver-
abschieden.
Mitte Mai begab ich mich dann wieder nach Deutsch-
land zurück und blieb noch eine Zeit lang in Eisenach bei
meiner Schwiegermutter und Juliette. Manche Freunde
aus der Umgegend kamen noch herbei, mich zu begrfissen
und mir Lebewohl zu sagen. Mit Mama hatte ich aus-
gemacht, dass Clotilde anfänglich noch auf kurze Zeit
bei ihr zurückbleibe, ich aber trat mit Alexander
— 296 —
und meiner bewährten Eammerfran L&dritz die weite
Reise nach dem Norden per Extrapost an.
In Kassel angekommen, bemerkte ich, dass ich
meine Reisekasse in Elisenach vergessen hätte, es blieb
mir also nichts Andres übrig, als eiligst eine Stafette
abznsenden, die sie holen sollte. Meine Schwiegermutter
hatte zum Olück mein Versehen bemerkt und gleich-
falls eine Stafette mit dem Qelde abgeschickt; diese
beiden trafen sich unterwegs and erkannten sich.
So konnte ich am folgenden Tage meine Reise wieder
fortsetzen, die dnrch das schönste Wetter begünstigt
wurde. In einer Station, unweit der Elbe, hatte ich Mühe,
Postpferde zu bekommen, es war dort eben Eirchweih,
und «schwere Wolken, die sich am Himmel gesammelt
hatten, Hessen ein Gewitter für die hereinbrechende
Nacht befürchten. Kaum waren wir eine Zeit lang
gefahren, brach auch schon ein furchtbares Unwetter
los, doch konnten wir noch glücklich auf einer Fähre
über die Elbe setzen.
Wie freute ich mich, als wir uns Ludwigslust
näherten, dass nun bald die ermüdend lange Reise be-
endet sein würde! Am 18. Juni gegen Mittag kam
ich endlich dort an, fuhr aber nicht direkt ins Schloss,
sondern Hess mich erst in einem Hotel absetzen, von wo
aus ich dem Erbgrossherzog meine Ankunft zu melden
befahl. Dieser suchte mich, als ich kaum noch Zeit
gefunden hatte, mein Gabelfrühstück zu vollenden,
persönlich auf und machte mir Vorwürfe, dass ich
nicht gleich im Schlosse abgestiegen sei. Ich liess
— 297 —
f
darum auch sofort wieder meinen Reisewagen an-
spannen und traf dortselbst schon wenige Minuten nach
ihm ein. Er fährte mich sogleich in meine sehr
hübschen Gemächer. Bald kam auch Prinzessin
Marie mit ihrer Gouvernante herbei, mich zu bewill-
kommnen, und als ich mich, nachdem sie sich wieder
entfernt hatte, eben etwas ausruhen wollte, besuchte
mich noch Fräulein von der Tann, die bei der vor
einem halben Jahre verstorbenen Erbgrossherzogin
Hofdame gewesen. Wir hatten uns schon früher in
Weimar kennen und lieben gelernt. Damals war sie
mit Oberst von Both verlobt.
Während meine Kammerfrau die Koffer auspackte,
gesellte sich Prinzessin Marie, deren Zimmer neben
den meinigen lagen, zu ihr, um dieser reichlichen Be-
schäftigung mit kindlicher Neugier zu folgen. In-
zwischen war die Essensstunde gekommen, und so
führte sie mich gleich in den sogenannten Trompeter-
saal hinauf, wo die Kindertafel stattzuhaben pflegte,
an der ich mit ihr, dem damals vieijährigen Prinzen
Albert, ihrem Halbbruder, und den beiden Fräulein
Schwestern von Salomon speisen sollte. Adrienne,
die ältere, war Gouvernante bei meiner aimablen Prin-
zessin, und Nancy, die jüngere, hatte die Obsorge
über die kleine Prinzessin Helene, die erst zwei
und einhalb Jahre zählte. Nach dem Essen begaben
wir uns zu dieser lieben Kleinen, die wohl während-
dessen geschlafen haben mochte. — Der Erbgrossherzog
gab uns das Geleite, da er seine Tochter mir selbst vor-
— 298 —
stellen wollte. Sie wnsste schon nm meine Ankunft und
erwartete mit grösster Ungeduld mein Töchterchen, das
sie bei mir vermeinte. Als ich in das Zimmer trat,
rief sie sogleich: „Klein Mädchen, klein Mädchen!^
Nachdem ich das ganz allerliebste Kind herzlichst ge-
küsst hatte, vertröstete ich es damit, dass „klein
Mädchen'' bald nachkommen würde. Ohne regelmässige
Züge zu besitzen, hatte sie schon damals den lieb-
reizenden Ausdruck, den sie immer behielt. Ihre
spätere schlanke, elegante Gestalt konnte man frei-
lich bei dem rundlichen Kinde noch nicht voraus-
sehen. — Wie seltsam verschlungen sind doch die
Pfade des Lebens! Vermochte ich damals zu ahnen,
dass dies schwache kleine Wesen einst Helene von
Orleans, die starke Heldin und treue Freundin
meiner späteren Lebensjahre, werden würde!
Des anderen Tages machte ich Professor Schu-
berts*) Bekanntschaft, der Prinzessin Marie in Ge-
schichte, Geographie und deutscher Sprache Unterricht
gab. Ich werde noch auf diesen biederen, verständigen
*) Gotth. Heinrich von Schnbert, Natorphilosoph , geboren
1780 zn Hohenstein in Sachsen, erhielt seine Schnlbildiing zu
Weimar, wo ihn Herder in sein Haus nahm. An der Universität
Leipzig studierte er 1800 Theologie, in Jena machte er sich mit
Schellings Natorphilosophie bekannt. 1809 wurde er nach Nürn-
berg berufen und weilte dortselbst bis 1816» in welchem Jahre
er sich, der Bitte des Erbgrossherzogs Friedrich Ludwig von
Mecklenburg-Schwerin, die Erziehung von dessen Kindern zn leiten,
folgeleistend, nach Ludwigslust begab. Von dort ging er 1819
als Professor der Naturwissenschaften nach Erlangen. 1827 wurde
er in München zum Geheimrat ernannt und in die Akademie auf-
— 299 —
and teilnehmenden Charakter znrückzakommen Ge-
legenheit haben Mit der Prinzessin besachte ich die
Oberhofmeisterin Fraa von Lützow and das alte
Fränlein von Böse, eine bewährte Frenndin des
grossherzoglichen Hofes , and Fräalein von der Tann
machte mich mit den übrigen Damen von Ladwigslast
bekannt, die sich mir alle sehr freandlich and ent-
gegenkommend zeigten.
Nach etwa vierzehn Tagen begaben wir ans nach
Doberan, wo die Prinzessin Seeb&der gebraachen
sollte, unsere sehr bescheidene Wohnnng im Amtshaase
war hflbsch gelegen, der protestantischen Kirche gegen-
über and nahe dem Buchenberge, in dessen Waldungen
wir sehr schöne Spaziergänge machen konnten. Wir
fuhren jeden Morgen in das eine halbe Stande ent-
fernte Seebad, wo ich zum erstenmale den majestätischen
Anblick des Meeres genoss. Den Grossherzog von
Mecklenburg mit den Prinzen Gustav und Karl
trafen wir am Meeresufer. Der Grossherzog lud uns
sogleich zu einer Seefahrt auf seiner Yacht ein. Prin-
zessin Marie war darüber sehr erfreut und machte
mich auf die Schönheit der See aufmerksam , welche
violett und grün im Sonnenscheine funkelte. Am An-
fange dieser Fahrt bewunderte ich den prächtigen
genommen. Er starb dorUelbBt den 1. Jali 1860. Unter seinen
lahlreichen Schriften ist die bekannteste „Geschichte der Seele**
(Stattg. 1830, 2. Aufl. 1878). Über ihn schrieb Schneider
,,0. H. V. Schubert" (Bielefeld 1863).
Der Herausgeber.
— 300 —
Anblick, aber nicht lange konnte ich das schöne
Wellenspiel betrachten, denn bald verspOrte ich einen
heftigen Schwindel — ich war seekrank! Dies Übel-
befinden wurde stärker and stärker, bis ich endlich,
alles vergessend, mich über Bord lehnen musste . . .
Vermutlich lächelte der Grossherzog &ber mich, liess
aber rasch nach dem Ufer steuern. Am Strande an-
gelangt, fühlte ich mich bald wieder ganz wohl.
Den nächsten Tag fuhren wir nach dem soge-
nannten Heiligendamm, welcher ein Überrest aus der
alten Dmidenzeit war und daher auch diesen Namen
führte. Die Damenbäder sind von den Herrenbädern
getrennt, einesteils durch den Heiligendamm und
andersteils durch einen weiten Platz, der vom grossen
Eursaal, sowie von den Seitengebäuden umgeben ist,
welche die warmen Bäder enthalten. Über den Letzteren
befinden sich sehr gesuchte Wohnungen für kränkere
Kurgäste.
Der vierwöchentliche Aufenthalt in Doberan hatte
sich sehr angenehm für mich gestaltet. Ich konnte meinen
Alexander um mich haben, und unser Kreis hatte sich
erweitert durch die Anwesenheit des Fräuleins von
Böse und der Miss Sims, einer gewesenen Vorleserin
der verstorbenen Mutter von Prinzessin Marie. Auch
Professor Schubert war uns mit Familie nachge-
kommen, um der Prinzessin Unterricht nicht zu unter-
brechen.
Nach Ludwigslust zurückgekehrt, führten wir ein
sehr einförmiges Leben. Sobald die Prinzessin des
— 301 —
Morgens mit Mademoiselle Adrienner de Salomon ihre
Erbanungslektüre beendet hatte, begannen ihre Lehr-
standen bei Professor Schubert oder der Religions-
unterricht, den sie durch den Oberprediger in Gegen-
wart des Fräuleins von Salomon erhielt. Um ein Uhr
pflegten wir zusammen ein Oabelfrfih stück einzunehmen,
wonach wir einen cirka einstündigen Spaziergang im
grossen, schönen Parke machten. Dann zog sich jedes
auf sein Zimmer zurück. Um die Essenszeit fanden wir
uns, nach gemachter Toilette, im Trompetersaale wieder,
der so hiess, weil eine Stunde später ein Trompeter
auf dem Balkon dieses Saales ein zweimaliges Zeichen
zur Grossherzoglichen Tafel gab. Nach Tisch wurde
meistens die kleine Prinzessin Helene besucht und zwar
bevor für ihre grosse Schwester der Unterricht im
Französischen, Englischen und Zeichnen begann.
Meistens mit mir machte letztere dann noch, je nach der
Jahreszeit, eine Ausfahrt oder einen kleinen Spaziergang.
Einen Teil des Abends lasen wir, nämlich die Prin-
zessin, Mademoiselle de Salomon und ich, französische
litterarische Werke und später verfügten wir uns zum
Erbgrossherzog zum Thee in seine Gemächer. Manch-
mal nahmen wir aber auch den Thee bei Fräulein von
Böse oder bei der Ministersfrau von PI essen, mit
welchen beiden wir auf sehr vertrautem Fusse standen.
Im Laufe des Winters wohnte die Prinzessin, so
jung sie auch noch war, doch schon mehreren Hofbällen
bei, aber sie blieb nicht bis zu deren Ende. Ihr Vater
erwähnte mir gegenüber öfter mit Befriedigung ihre
— 302 —
Schönheit and gnte Haltung und freute sich sichtlich,
dass ihr ein schönes Ballkleid mit lila Glockenblumen ge-
schmflckt, welches er ihr von Paris hatte kommen lassen,
auffallend gut stand. Ihre rötlichblonden Haare ge-
fielen ihm besonders gut, und er war etwas erschrocken,
als ich ihm von einem Kamme aus Blei erzählte, den
ich mitgebracht hatte, um die rote Farbe ihrer Haare
damit zu verändern, wie es mir geraten worden war.
Ihre Erscheinung war bereits damals durch ihren
blendend weissen Teint und ihre Schönheit auffallend,
und sie fand stets nicht nur durch letztere, sondern
auch ihrer Liebenswürdigkeit und Anspruchslosigkeit
halber allgemeinen Beifall. Besser als dies alles schien
mir jedoch ihre Gemütlichkeit und Herzensgüte gegen
jeden, mit dem sie verkehrte, was sie auch zum Liebling
ihres Vaters, ihres Grossvaters, ihrer Onkel und aller
Mecklenburger machte.
VI. Kapitel.
Eine Hochzeit im Hause Meclclenburg und Todesfälle.
Im Frühjahr 1817 machte mir der Erbgrossherzog
die Eröffnung, dass er gesonnen sei, sich seiner Kinder
wegen wieder zu vermählen. Er teilte mir mit, dass
seine liebe, verstorbene Gemahlin, ihren nahen Tod
voraussehend, ihn um das Versprechen gebeten habe,
nach ihrem Ableben sich um ihre Cousine, Auguste
von Hessen-Homburg, zu bewerben. Sie sagte, der
Gedanke, ihre Kinder würden eine zweite Mutter er-
halten, von der sie wüsste, dass sie alle Eigen schalten
besitze, um sie auf ihren Lebenswegen richtig zu
leiten, wäre ein grosser Trost für sie beim Scheiden
aus dieser Welt. Ihre Furcht, die auch der Erbgross-
herzog teilte, bestand darin, dass, wenn die Prin-
zessinnen ohne Vertraueneinflössende Stiefmutter blieben,
ihre beiderseitigen Grossmütter sie für die Zeil ihrer
Erziehung bei sich zu haben wünschen würden. Er
fügte hinzu, es sei ihm also eine heilige Pflicht, diese
ihre Bitte zu erfüllen und er würde bestimmt nach
Homburg reisen, um die Prinzessin Auguste kennen
zu lernen und sich mit ihr über diese Sache zu be-
— 304 —
sprechen. Zwar habe ihm Prinzessin Wilhelm von
Prenssen versichert, jene passe gar nicht zu ihm,
weder in ihren Gewohnheiten noch in ihrem Äusseren
und dem Alter nach, doch hielte ihn dies von
seinem Vorhaben nicht ab. Sein Weg nach der
Schweiz, woselbst er sich schon seit langem vor-
genommen hatte, seinen sechzehnjährigen Sohn Paul,
der sich dort studienhalber aufhielt, zu besuchen,
führte ihn über Homburg, wo er ja auch einen kleinen
Aufenthalt nehmen konnte. Der Zeitpunkt, an dem
er dahin abreiste, ist mir nicht mehr erinnerlich, seine
Rückkehr fand jedoch Ende Juli statt. Wir warteten
sie ab, um nach Doberan reisen zu können.
Obwohl mir der Erbgrossherzog während seiner
Abwesenheit öfter schrieb, hauptsächlich um Nachricht
von seiner Tochter zu erhalten, mit der er übrigens
auch im Briefwechsel stand, erfuhr ich erst nach seiner
Heimkehr Näheres über diese Brautwerbung, da er es
mir vertraulich mitteilte.
Bei seiner Ankunft in Homburg weihte er die
Brüder der Prinzessin in sein Vorhaben ein. Diese
sowohl, als auch deren Mutter, eine Schwester der
Grossherzogin von Weimar, fanden besagtes Heirats-
projekt für Auguste sehr passend, da sie dieselbe mit
allen Geistesvorzügen ausgestattet wussten, welche sie
für die vorgeschlagene Stellung geeignet machen
mussten. Sie versprachen, den alten Landgrafen
darauf vorbereiten zu wollen, drückten aber zugleich
die Vermutung aus, dass derselbe anderer Meinung
— 305 —
sein w&rde. Einesteils, weil er aus inniger Liebe
sich nicht von ihr trennen könne, andernteils, weil
sie ihm immer in seinen Regierangsangelegenheiten
znr Seite stehe, nnd seine vorzüglichste Ratgeberin
sei. Die Prinzessin hatte bisher alle Anträge zurfick-
gewiesen. Ihre Brüder waren jedoch überzeugt, dass
die Schwester, wenn die Eltern diese Heirat gewähr-
ten, deren Willen Folge leisten würde.
Zur Zeit des Todes ihrer Cousine, der Erbgross-
herzogin Caroline von Mecklenburg, hatte Prin-
zessin Auguste eines Abends, nachdem sie zu Bette
gegangen, eine Erscheinung der sogenannten „weissen
Frau" , die sich den Mitgliedern der Hessen-Darm-
städtschen Familie dann und wann zeigt. Wie mir die
Prinzessin später selbst versicherte, verursachte ihr dies
einen grossen Schrecken, zugleich aber hatte sie die
Vorahnung, dass ihr damit ein künftiger Heiratsantrag
angekündigt würde. Als sie von ihrer Schwester, der
Prinzessin Wilhelm von Preussen, bald nachdem der
Erbgrossherzog mit derselben über diese Angelegenheit
gesprochen hatte, einen Brief erhielt, wollte sie den-
selben nicht öffnen, befürchtend, er berühre den von
ihr geahnten Gegenstand, was auch wirklich der Fall
war. Sie zeigte sich jedoch allen Heiratsplänen so ab-
geneigt, sowohl ihrer vierzig Jahre wegen, als der stillen
Gewohnheiten ihres Lebens und des Bewusstseins
halber, ihrem Vater fast unentbehrlich zu sein, dass
sie der Schwester ablehnend antwortete. Wenige
Tage vor seiner Abreise von Ludwigslust wurde dies
Carl Graf Obaradorff, ErioatnuigaB tiatr UrgroMmatltr. 20
— 306 —
durch Prinzessin Wilhelm dem Erbgrossherzog mit-
geteilt, welcher sich jedoch in seinem Vorhaben, die
Beise Aber Homburg zu unternehmen, nicht wankend
machen Hess. Die Brüder der Prinzessin fände sien
in dieser ablehnenden Stimmung, als sie mit ihr den
Antrag des Erbgrossherzogs zuerst besprachen und sie
dafür zu gewinnen suchten. Sie war so fest überzeugt,
dass ihr Vater dagegen sein würde, dass sie nichts
hindern wollte, was auch ihre Brüder bei ihm vor-
bringen möchten.
Wie mir der Erbgrossherzog später mitteilte,
hatte er mit ihr, als er persönlich um sie warb, eine
längere Unterredung, in welcher er ihr den Wunsch
seiner verewigten Frau und den vorteilhaften Einfluss,
den sie auf deren Kinder haben würde, auseinander-
setzte. Sie entgegnete darauf, dass er sich wohl auch
täuschen könne, wenn er sie so passend für diese Stellung
halte, und meinte, er möge sich lieber an die 26 jährige
Prinzessin Adelheid von Meiningen wenden, die
als sehr verdienstvoll geschildert werde und gegen-
wärtig in Frankfurt lebe. Daraufhin erwiderte er:
dass, nachdem er ihre Bekanntschaft gemacht und
der Wunsch seiner verstorbenen Frau nun auch ganz
der seine sei, er sich in seinem Vorhaben nur be-
stärkt fühle und sich nicht mehr davon abbringen
lassen könne, wenn er auch, wie sie es ihm vorschlug,
nach Frankfurt ginge, um sich nach der gewiss aus-
gezeichneten Prinzessin umzusehen. Er schloss damit,
dass er sie versicherte, nicht die Hoffnung aufgeben
— 307 —
zu können, dass ihr Vater doch noch endlich darein
willigen würde.
So geschah es denn auch. Er ging nach Frank-
fart, kam aber nach kurzer Zeit wieder zurück, und
nachdem Prinzessin Auguste geäussert hatte, sie würde
den Willen ihrer Eltern als die Stimme Gottes ansehen,
wendeten ihre Brüder, auf Bitte des Erbgrossherzogs,
ihre ganze Beredsamkeit auf, um den Vater günstiger
zu stimmen; auch die Landgräfin sagte ihm ihre Für-
sprache zu. Diesen vereinten Bitten konnte jener nicht
länger widerstehen und gab, wenn auch nicht mit
Freude, dem ihm sonst sehr zusagenden Freier seine
Einwilligung.
Daraufhin reiste der Erbgrossherzog, höchst be-
friedigt hierüber, in die Schweiz. Er glaubte sich
seiner Sache sicherer als sie war, denn bei seiner
Bückkehr nach Homburg bat ihn seine Braut aufs
inständigste, ihr das Jawort zurückzugeben, da sie den
Schmerz und den Unmut ihres Vaters nicht länger er-
tragen könne. Dieser habe von ihr verlangt, sie solle
die Verlobung rückgängig machen. Es schien dies
allen sehr unrecht, und die Prinzessin that es nur aus
kindlicher Liebe und Gehorsam. Der Bräutigam wollte
jedoch davon nichts hören und reiste bald darauf nach
Mecklenburg, nachdem er den Monat April des folgenden
Jahres als Zeitpunkt der Vermählung ausgebeten hatte.
So beglückt er sich nun durch die Annahme
seines Antrages fühlte, so schwer fiel ihr das ge-
spannte Verhältnis ihres alten Vaters zum Verlobten.
20*
— 308 —
Der Landgraf kam immer auf seine Betrübnis über
die bevorstehende Trennung und seinen Wunsch, den
Heiratsplan aufgegeben zu wissen, zurück, so dass
seine Tochter meinte, diese schwere Zeit nicht über-
stehen zu können. Man kann sich denken, was ein
so edles Herz, wie das der Prinzessin Auguste, leiden ^
musste, da sie fühlte, dass es nicht mehr in ihrer
Macht liege, die Sachlage zu ändern, und sie sich
durch ihr gegebenes Wort verpflichtet hielt, den Wunsch
ihrer verewigten teuren Cousine zu erfüllen.
Als der Erbgrossherzog im April 1818 zu seiner
Vermählung nach Homburg reiste, wurde er dort all-
seits auf das freundlichste und zuvorkommendste
empfangen, nur sein künftiger Schwiegervater zeigte
sich ihm selten. Vor der von ihm genehmigten Trauung
verliess der alte Herr das Schloss, um dem Abschied
von seiner Tochter zu entgehen. Derselben fiel es
äusserst schwer, scheiden zu müssen, ohne ihren Vater
noch einmal gesehen zu haben.
Wir waren benachrichtigt worden, den Erbgross-
herzog an einem bestimmten Tage in Ludwigslust zu
erwarten. Er kam am Vormittag von der eine Stunde
entfernten kleinen Handelsstadt Grabow, wo er seine
Gemahlin zurückgelassen hatte, in Begleitung des Herrn
von Rantzau und der Hofdame Fräulein Gustavie von
Sinclair herbei, um ihr seine Tochter vorzustellen,
und forderte uns auf, mit ihm nach Grabow zu fahren,
von wo aus er mit den beiden Prinzessinnen zurück-
kehren würde, während ich in meinen Wagen ausser
— 309 —
Fräulein von Salomon auch noch Fräulein Sinclair auf-
nehmen sollte. Letztere, damals zwanzig Jahre alt,
während ich dreissig zählte, unterhielt sich während
der ersten einstQndigen Fahrt angelegentlich mit uns
über die trefflichen Eigenschaften der Prinzessin
Auguste, welche gleichen Alters mit ihrem Gemahle
war und etwas sehr Freundliches und Zutrauen-
erweckendes an sich hatte. Während dreier Tage der
Erwartung des feierlichen Einzuges in Schwerin, hatten
wir im engen Familienkreise Gelegenheit, all dies Oute
bestätigt zu finden, und dankten Gott für diese neue
Mutter der Prinzessinnen.
Nach diesen Rasttagen fuhren wir von Ludwigslust
nach Bedwin, wo wir nach eingenommenem Gabelfrüh-
stück Toilette machten für die Einzugsfeier in dem
eine Viertelstunde von Ludwigslust entfernten Schwerin,
wo der Grossherzog die neue Schwiegertochter in
seiner Residenz erwartete.
Die Erbgrossherzogin bestieg mit Prinzessin Marie
den festlichen grossen Glaswagen, neben welchem der
Erbgrossherzog ritt. Der Einzug erfolgte beim Läuten
aller Glocken und unter Kanonendonner. Dem Gala-
wagen fuhr der Kavaliers wagen voran. Die Oberhof-
meisterin Frau von Lützow und ich folgten demselben,
dann kam der Wagen mit den Hofdamen. Selbstver-
ständlich ging der Zug nur langsam von statten, da die
Deputationen der Landstände, der Bürgerschaft von
Schwerin und anderer Körperschaften Anreden hielten,
die die neue Erbgrossherzogin immer sehr befriedigend
j
— 310 —
beantwortete. Nachdem der Grossherzog seine Schwieger-
tochter anfs freundlichste begrüsst hatte, fand das
grosse Oaladiner statt, worauf wir nach Ludwigslust
zurückfuhren, zufrieden, dass die Ceremonie vorüber sei.
Nun fing unser gewohntes Leben wieder an und
für Prinzessin Marie der regelmässige Unterricht,
den ihr Schubert und andere erteilten, nicht zu ver-
gessen, dass sie täglich mehrere Stunden bei ihrer
Stiefmutter zubrachte, was ihr immer grosse Freude
bereitete. Der Erbgrossherzog , der sehr viel Ver-
trauen in mich setzte, liess nicht ab, mir von den er-
freulichen Geistesgaben seiner Frau zu sprechen, die ihn
immer mehr und mehr an sie fesselten. Da seine Ge-
sundheit es erforderte, musste er bald zum Kurgebrauche
nach Karlsbad abreisen, wohin ihn auch sein Bruder
Gustav begleitete. Während dieser Abwesenheit
wurde unser Verhältnis zur Erbgrossherzogin immer
vertraulicher und liebevoller. Professor Schubert, den
sie bereits durch seine Schriften kannte, wurde ihr
bald sehr angenehm, denn da alles Wissenschaftliche
sie interessierte, konnte er trotz seiner angebornen
Schüchternheit auf ungezwungene Weise mit ihr ver-
kehren. Dass er aber häufig davon sprach, Ludwigs-
lust und das Hof leben, für das er sich nicht geschaffen
fühlte, zu verlassen, war ihr nicht recht. Er wollte
nämlich einem sehr dringenden Rufe nach Erlangen
behufs Wiederaufnahme seiner akademischen Laufbahn
Folge leisten. Dem Erbgrossherzog war sein Scheiden
ebenso unangenehm. Nachdem sich beide vergeblich be-
— 311 —
m&ht hatten; ihn zum Bleiben zu bewegen, gaben sie
mir den Auftrag, ein Gleiches zu thun. Dies ging um so
schwerer, als ich wusste, dass seine Frau mit ihrem
Kinde sich sehnlichst nach Baiern zur&ckwünschte. Ich
sprach mehrere Male sehr ernstlich mit ihm über das
Oute, das er nicht blos bei der Grossherzoglichen
FamiliQ wirken könne, sondern bereits bei vielen Per-
sonen des Mittelstandes durch sein freundliches und
religiöses Wesen gefördert habe, und bat ihn darüber
nachzudenken, ob er diesen Wirkungskreis so leicht
im Stiche lassen dürfe. Seine Gegengründe überwogen
aber alles, was ich sagen konnte, da er ja auch wegen
seiner Familie zur Abreise drängte, denn seine Tochter
Selma hatte erst vor kurzem eine schwere Krankheit
durchgemacht und sollte sich nun durch den Luft-
wechsel erholen.
Durch unseren guten Schubert, der sich deshalb
an Bischof S a i 1 e r in Begensburg wandte , hatte ich
mich für meinen Alexander nach einem katholischen
Hofmeister umsehen lassen, der sich aber trotz vieler
Bemühungen nicht finden lassen wollte. So entschied
ich mich denn für einen jungen und talentvollen
protestantischen Kandidaten der Theologie, Namens
Zahn, der mit Alexander bei unserm katholischen
Pfarrer , den man Pastor Schulze nannte, wohnen
sollte. Sie lebten mit demselben in guter Freund-
schaft, brachten jedoch ihre abendlichen Mussestunden
bei Schubert zu. Selma und ihre Pflegeschwester
Adeline waren Alexanders Gespielinnen, und ihre Eltern
— 312 —
behandelten meinen Sohn and seinen Ereieher mit
freundlicher Anfmerksamkeit.
Anfangs August kehrten die Prinzen aus Karlsbad
zurück, und zwar zuerst Herzog Gustav, dann der Erb-
grossherzog. Beide brachten uns kleine Andenken von
dorten mit, und es schien mir merkwürdig, dass ich
von einem jeden von ihnen ein Kruzifix erhielt; das
vom Erbgrossherzog habe ich noch auf meinem Tische
stehen. Ich erinnere mich auch der Worte, die er auf
verbindliche Weise sagte, als er es mir übergab: „Je
vous apporte ce crucifix, pourque vous mettiez chaque
d^sagr6ment, qui pourrait vous arriver chez nous, au
pied de la croix."
Um diese Zeit traf man die Vorkehrungen zur all-
jährlichen Beise nach Doberan. Auf dem Wege dorthin
bot uns in einem Walde bei Segeberg ein Forstmeister
auf reichlicli besetzter Tafel ein Gabelfrühstück an,
und Abends erreichten wir unser Reiseziel, wo wir
unsere gewohnten schlichten Gemächer wieder bezogen.
Die Erbgrossherzogin erfreute sich am Anblicke des
Meeres, der für sie neu war. Der Erbgrossherzog lud
auch meinen Sohn dorthin ein; so kam er denn mit
Schubert, blieb wohl nur acht Tage, doch konnten
wir dies Zusammensein nach Herzenslust geniessen.
Nach vollendeter Badekur kehrten wir alle zu-
sammen nach Ludwigslust zurück. Nahe davon in
einem Walde befindet sich das Schloss Neustadt,
welches wir öfters auf Landpartieen besuchten. Ich
musste mich immer wundern, die beiden Schweize-
— 313 —
rinnen, Fräulein von Salomon, die doch an die gross-
artigen Naturschönheiten ihrer Heimat gewöhnt waren,
so entzückt darüber zu sehen, denn mir kam die Gegend
recht nüchtern vor. Es konnte wohl nur der Gegensatz
des grünen Forstes zum Öden Ludwigslust das Wald-
schloss ihnen so lieblich erscheinen lassen.
Im Oktober dieses Jahres kam die Nachricht,
dass Kaiserin Marie von Russland, die Grossmutter
unserer Prinzessin Marie, nach Deutschland und zwar
zuerst nach Weimar kommen würde. Man dachte
natürlich gleich daran, letztere, so wie ihren Bruder
Paul ihr vorzustellen, und es wurde bestimmt, dass
wir am 18. November nach Weimar abreisen sollten.
Bezüglich unserer ersten Aufwartung bei der
Monarchin muss ich gestehen, dass mir alles Nähere da-
rüber entfallen ist; nur weiss ich noch, dass die Kaiserin
sehr freundlich gegen uns alle war und eine baldige
Unterredung mit mir begehrte, um sich über die Er-
ziehung ihrer Enkelin zu unterrichten. Von Personen,
die ich damals kennen leinte, erinnere ich mich noch
der Oberhofmeisterin Gräfin Lieven, welche die
Erbgrossherzogin Marie von Weimar und deren
Schwester erzogen hatte, dann der Frau von Hopf-
garten, der Hofmeisterin der Prinzessinnen Marie und
Auguste von Sachsen, welche damals sechzehn und
fünfzehn Jahre zählten. Auch zweier russischer Hof-
damen kann ich mich gleichfalls entsinnen, von welchen
die ältere Turkestanow hiess, und die jüngere ein
grossartiges Talent für das Klavier hatte. Dies ver-
— 314 —
anlasste auch, dass die Kaiserin sie bei einem grossen
Hoffeste aufforderte, ans etwas vorzuspielen, was sie
auch meisterhaft ausführte.
Unter den vielen Festen aller Art, welche der Kaiserin
zu Ehren gegeben wurden, muss ich eines besonders Er-
wähnung thun: es war dies eine kostAmiei-te Vorstellqng
der Werke*) aller bertlhmten Weimarischen Dichter,
wie Goethe, Schiller, Wieland etc. Sie wurde von Mit-
gliedern der Hofgesellschaft gegeben und mit allem
erdenklichen Prunke ausgestattet. Die Ministerin von
Pritsch, geborene von Wolfskeel, und Gräfin
Egloffstein deklamierten, die eine, welche als „Nacht*'
auftrat, einen von Goethe gedichteten Prolog, die
andere einige Strophen Qber jedes der dargestellten
Bilder.
Während dieser so brillanten Zeit in Weimar
hatte ich, ohne es zu wissen, das Unglück gehabt.
*) Hier ist Goethes „Maskenzag bei Allerhöchster An-
wesenheit Ihro Majestät der Kaiserin-Matter Maria
Feodorowna in Weimar, den 18. Dezember 1818^ gemeint,
wobei, laat des von Goethe zasammengestellten Programmes,
(siehe Goethes s&mtliche Werke Bd. VI. pag. 150. Leipzig,
Ph. Reclam Jan.) Gräfin Egloffstein als „Nacht'' aaftrat; Goethe
selbst erschien als „Mephistopheles**, Prinz Paul von Mecklen-
burg, der Bruder der liebenswürdigen Prinzessin Marie, als „Ro-
manow^, Graf von Keller als „Trompeter^, Fr&ulein von Sinclair
als B. von Bruneck"; auch dürfte der Leser dieses Baches, wenn
er das Goethesche Programm überfliegt, noch aaf manchen anderen,
ihm aus den ».Erinnerungen'* bekannten Namen, wie Buchwald,
Struve etc. etc. stossen.
Der HeraoBgeber.
— 315 —
meine vielgeliebte Schwester auf ihrem Oat in der
Normandie zn verlieren. Sie starb im Wochenbett am
10. November 1818. Der Brief, der mir diese Trauer-
botschaft bringen sollte , wurde an den Hofmarschall
von Oertzen adressiert, welcher jedoch in einer wich-
tigen Angelegenheit nach Dänemark verreist war. So
geschah es denn, dass ich es erst viel, viel später er-
fuhr, nachdem der bedeutendste Teil des Aufenthaltes
der Kaiserin bereits vorüber gewesen. Ich war eben mit
Fräulein Adrienne von Salomon allein, als man mir den
Brief überbrachte. Aufs erschütterndste traf mich dieser
unerwartete harte Schlag. Ich bat Adrienne, mich auf
eine halbe Stunde zu verlassen, denn ich musste in
meinem tiefen Schmerz allein mit Gott sein. Es ist
nicht zu sagen, was ich während dieser Zeit litt, bis
ich mich in Ergebenheit fassen konnte. Die gute
Erbgrossherzogin, welche durch Fräulein von Salomon
meinen Kummer erfahren hatte, kam sogleich herbei,
um mir mit grösster Liebe Trost zuzusprechen. Acht
Tage lang durfte ich nun in der Zurückgezogenheit
bleiben, und während dieser Zeit war die Kaiserin ab-
gereist, dann gab es kein Hindernis mehr, dass ich
in Trauerkleidern erscheinen konnte.
Noch ein andermal wurde ich ungefähr eine
Woche vom Hofe fem gehalten. Als ich nämlich mit
Prinzessin Marie, dem Prinzen Paul und Fräulein von
Salomon zur Kaiserin und dem eben angekommenen
Kaiser Alexander fuhr, war gerade starkes Glatt-
eis und inmitten des Weges lag ein bedeutender Stein,
— 316 —
von dem der Wagen zurückprallte. Prinz Paul sass
mir gegen&ber, und durch die unerwartete heftige
Erschfitterüng stiess er mit aller Gewalt mit seinem
Kopfe an den meinen. Er blickte mich ganz verwundert
an und fragte dann erschreckt : „Pardon, Madame, que
voulez-vous, que je fasse?" Dies sagte er, da er mein Ge-
sicht durch eine starke Verwundung an der Stirn mit Blut
Übergossen sah, während er nur eine Beule davontrug.
Ich hatte im ersten Augenblicke kaum einen Schmerz
gefühlt, aber Fräulein von Salomon riet, sogleich nach
Haus zurückzukehren, wo ich erst gewahrte, wie mich
die Verletzung an meiner Stirn entstellte, die sogleich
eine starke Anschwellung nach sich zog.
Ich war kaum in das Vorzimmer der Erbgross-
herzogin eingetreten, als der Kaiser Alexander zu ihr
kam, dem sie mich in diesem Zustande vorstellt«. Er
erfuhr den Verlauf meines Unfalles, bezeigte sich sehr
liebenswürdig und versprach mir, seinen Arzt zu schicken,
was mir recht unnötig schien. Übrigens blieb es mit
dem einmaligen Besuche desselben abgethan, denn mein
Übel bestand nur in einer heftigen Contusion, welche
mehr die Zeit, als angewandte Mittel heilen musste.
Es fand sich, dass ich am 1. Januar, eben im Be-
griffe, der Erbgrossherzogin Marie von Weimar meine
Aufwartung zu machen, ganz vergass, die Trauer-
kleider abzulegen ; beim Eintritt in ihr Vorzimmer bat
mich ihre Hofdame ganz erschreckt, schnell mich zu
entfernen, weil in Russland das Erscheinen im Trauer-
gewand am Neujahrstage als Vorzeichen eines Todes-
— 317 —
falles gelte. Dieser rechtzeitigen Warnnng wusste ich
Dank, als am 4. Januar die Schwester der Erbgross-
herzogin Marie, Königin Katharina von Württem-
berg, an der Kopfrose starb.
Hatte der Hof schon seit der Abreise der Kaiserin
zurückgezogen gelebt, so war dies nach dem Tode
der Königin Katharina noch mehr der Fall. In den Zim-
mern von Prinzess Marie und meinen daran stossenden
brachten wir meist die Abendstanden zu. Auch die
sehr gemütliche Frau von Schiller, die Witwe des
grossen Dichters, und der Erbgrossherzog fanden sich
öfters dabei ein. Die Trennung von Fräulein Adrienne
von Salomon war damals bevorstehend, denn sie
sollte am 21. Januar mit Baron Schmid, dem Hof-
meister des Prinzen Paul, getraut werden. Es war
dies der Tag vor unserer Abreise. Wir bedauerten alle,
dass sie aus unserem Kreise scheiden sollte, besonders
aber ging es Prinzess Marie nahe, welche ihr seit
ihren frühesten Jahren sehr zugethan war. Der ganze
mecklenburgische Hof begleitete das Brautpaar zur
Hauptkirche von Weimar. Zu unser aller Schrecken
hatte Baron Schmid vergessen, den Trauerflor, den er
für die Königin von Württemberg trug, abzunehmen;
es schien uns dies ein böses Omen, was sich auch leider
bestätigte, denn nach Jahresfrist starb seine Frau im
Wochenbette.
Während des Aufenthaltes in Weimar konnte ich
eine Woche in Stedten bei der lieben Familie Keller
zubringen, denn ich führte meine Clotilde hin^ welche
— 318 —
dort verblieb. Es war mir eine schmerzliche Freude,
Cousine Mimi Bariatinsky wiederzusehen, die dort ihre
Woche zubrachte. Sie erkundigte sich auf das um-
ständlichste nach meiner armen Schwester, die sie von
Herzen liebte, und ich durfte ihr nicht deren Tod
verraten, da ihre Gesundheit zu angegriffen schien.
Es interessierte mich sehr, ihre Kinder kennen zu lernen.
Ihre älteste Tochter Olga wurde später Frau von
Davidoff, ihr Sohn Alexander ist jetzt Gouverneur
von Tiflis, Leonille Fürstin Wittgenstein und
Marie Fürstin Kotschubei. Die Taufe dieser
Letztem, der ich damals beiwohnte, war die erste
nach griechischem Ritus, welche ich noch gesehen; ich
wusste früher nicht, dass man dem Kinde das Abend-
mahl in der Gestalt des Weines reiche.
Hätte mich die bevorstehende Trennung von meiner
lieben Clotilde, die ich auf unbestimmte Zeit bei Tante
Keller lassen sollte, und das bedrückende Gefühl ob
des Todes meiner Schwester nicht so tief betrübt, so
wäre mir dieser kurze Aufenthalt in der mir so sehr
teuern Familie als freudiges Ereignis in Erinnerung.
In Ludwigslust angekommen, nahmen wir das ge-
wohnte Leben wieder auf, während Prinz Paul mit
seinem Hofmeister Baron Schmid ein Studienjahr in
Jena zubrachte. Jm Laufe des Sommers gingen wir
wieder ins Seebad Doberan, wohin in diesem Jahre auch
Grossfürst Nikolaus*) mit seiner Gemahlin Alexandra
*) Seit 1825 Kaiser Nikolaas I., gestorben 2. März 1855.
Der Herausgeber.
— 319 —
(Charlotte von Preassen) kam. Sie schien sehr an-
gegriffen von der Seereise, viar auffallend bleich und
zitterte mit dem Kopfe; durch ihren überfeinen Teint
sah man die Adern. Trotz ihres Schwächezustandes
liebte sie nichts so sehr als den Tanz, und der Gross-
f&rst, ein schöner, stattlicher Mann, sann nur immer
darauf, sie an diesem ihrer Gesundheit äusserst schäd-
lichen Vergn&gen zn hindern. Vom Grossfürsten
Nikolaus erzählte man viel Gutes hinsichtlich seiner
Wirksamkeit für die Erziehung des Mittelstandes.
Er leitete selbst eine Schule, die er zu diesem Zwecke
gegründet hatte. Die Grossfürstin wurde von ihrer
preussischen Familie angebetet, und die Mitglieder
derselben suchten sie nach einander in Doberan auf.
Das hohe Paar wurde natürlich sehr gefeiert.
Den Höhepunkt errreichten aber die verschiedenen
Feste während der Anwesenheit des Vaters der Gross-
fürstin, des Königs Friedrich Wilhelm III. von
Preussen. Hauptsächlich ihm zu Ehren fand eine sehr
brillante Illumination im Kurgarten statt, bei welcher
der ganze Hof unter den festlich beleuchteten Bäumen
sich erging. Ich erinnere mich, wie der Grossfürst,
als er nicht gleich seinen Schwiegervater finden konnte,
glaubte, er würde ihn beim Marionettentheater an-
treffen, was die Prinzessinnen verneinten; erfand ihn
richtig dort mit dem Grossherzog und rief triumphierend
der Grossherzogin zu: „Quand je vous ai dit, que Papa
6tait ä Polichinell ,^ was uns allen beim gewohnten
Ernste des Königs höchst drollig vorkam. Auch
— 320 —
Prinzessin Luise von Preussen, die Enkelin Friedrich
Wilhelms III., lernte ich in Doberan kennen. Sie
war nicht h&bsch, aber sehr unterrichtet und religiös.
Später heiratete sie ihren Vetter , den Prinzen
Friedrich von Oranien, nachdem sich ihr Vater
lange geweigert hatte, seine Zastimmnng zu dieser
Verbindung zu geben wegen der allzu nahen Bluts-
verwandtschaft.
Im September kehrten wir nach Ludwigslust zurück.
Auch der Grossherzog folgte uns dahin der Jagden
halber. Er blieb dann meistens über den ganzen
Winter bei der Familie seines Sohnes.
Mitte November erkrankte der Erbgrossherzog,
ohne dass man es Anfangs bedenklich fand. Vom
20. an verschlimmerte sich jedoch sein Zustand, und
man Hess ausser dem Hofrat Dr. Störzl noch einen
zweiten Arzt; Dr. Sachs aus Schwerin, kommen. Als
aber dann ein Nervenschlag hinzukam, blieb keine
Hoffnung mehr, ihn am Leben zu erhalten.
Es ist mir in schmerzlichem Andenken, wie man
uns am 28. November früh acht Uhr meldete, dass
Prinzessin Marie schnell hinaufkommen müsse, wenn
sie ihren Vater noch sehen wolle. Wir vollendeten
so rasch als möglich unsere Toilette und eilten an
das Krankenlager, an welchem wir die Erbgrossherzogin
in Thränen aufgelöst fanden. Der Erbgrossherzog hatte
den Gebrauch der Sprache verloren, gab aber durch
Zeichen zu verstehen, dass er seine Kinder segnen wolle.
Prinzessin Marie war die Einzige von ihnen, welche noch
— 321 —
rechtzeitig dazukam. Als er dann die Besinnung verlor,
liess man die Kleinen nicht mehr kommen, und Prinz
Paul weilte in Rostock. Man hatte ihn so rasch als
möglich verständigt, aber trotz aller Eile traf er nur
wenige Stunden vor dem Ende seines teuem Vaters
ein und sah ihn nur noch, als er bereits in den letzten
Zügen lag. Der siebenundzwanzigstündige Todeskampf,
während welchem wir nur abwechselnd in dem kleinen
Zimmer verweilen durften, war eine schreckliche Zeit
für uns alle.
Die Frau Erbgrossherzogin allein wich nicht vom
Sterbelager ihres Gatten und wiederholte in ihrem
Innern die Worte: „Herr, dein Wille geschehe.^ Das
vertraute sie mir später an.
Während dieses Todeskampfes wurde Prinzess
Marie gegen ihren Willen aus dem Krankenzimmer
geschickt, um sich auf ein Kanapee im Nebenraume zu
legen, da sie kaum mehr stehen konnte; die Ärzte
rieten, sie möge etwas zu sich nehmen, da sie nicht
gefrühstückt hätte, was sie aber durchaus verweigerte.
Nachdem sich jedoch bei ihr Nervenkrämpfe einstellten,
gehorchte sie und genoss ein wenig Bouillon. Die
Erbgrossherzogin musste ein Gleiches thun. Gegen
Mittemacht wurden wir alle nicht zur' Familie Ge-
hörenden in ein Nebenzimmer gerufen, um ein leichtes
Souper einzunehmen.
Der Hofmarschall von Oertzen, der sich trostlos
in den Gemächern bewegte, erinnerte sich an einen
schon vor längerer Zeit erhaltenen Befehl, welchem
Carl Oraf Obtrndorff, BrinntraBfOi «latr UrfroMmvttw. 21
— 322 —
zu gehorchen, er den Oberhofprediger rufen liess, da-
mit er am Sterbebett Gebete verrichte. Dabei bemerkte
man, dass der Kranke nicht vollständig ohne Besinnung
sei, indem er mehrere Male Amen zu den Gebeten
stammelte. Es ist wohl unnötig, länger von dem
schmerzlichen Zustande zu sprechen, in welchen uns
die Erwartung der Auflösung des verehrten Erbgross-
herzogs mittags versetzte. Dieselbe erfolgte am 29. No-
vember 1819 um 12 Uhr.
Wie wir die Stunden bis Nachmittags 5 Uhr ver-
lebten, ist mir unmöglich zu schildern. Dann verlangte
Prinzessin Marie, zur Leiche ihres Vaters gebracht zu
werden. Unendlich rührend gestaltete sich der Aus-
druck der trauernden kindlichen Liebe meiner guten,
armen Prinzessin, die gar nicht mehr die Überreste
ihres teuren Vaters verlassen wollte. Etwas später
brachten wir die funQährige Prinzessin Helene auch
dorthin. Sie zeigte sich sehr verwundert und ernst
beim Anblick der Leiche, aber nicht so schmerz-
ergriffen, als wir es gedacht. Wir trachteten ihr an-
schaulich zu machen, dass sie ihren Vater in diesem
Leben nicht mehr sehen und sprechen würde, und ver-
mochten, dass sie darüber gerührt wurde. Sie fasste
sich aber bald wieder und sagte zu mir in ihrer ge-
wohnten zutraulichen Weise: „Aber lieb' Freundinle,
Sie haben mir ja doch erklärt, man wäre so glücklich,
wenn man gut gewesen, nach dem Tode beim lieben
Gott zu sein!"
Mit Prinzessin Marie ging ich mehrere Male zur
— 323 —
Leiche ihres Vaters, die. bevor sie auf dem Paradebett
aufgebahrt wurde, in den Salon des Verewigten gebracht
worden war. Ich muss gesteheu, dass mir dies zuerst
viel Überwindung kostete, da mir bis dahin der An-
blick eines Toten den Eindruck versteinerten Lebens
machte; je länger ich aber die irdischen Überreste des
verschiedenen Erbgrossherzogs betrachtete, desto klarer
wurde es mir, dass dieselben nur die abgestreifte
Hülle seiner Seele seien.
Als die Leiche nach zwei Tagen auf dem Parade-
bett ausgestellt wurde, strömten die Bewohner von
Ludwigslust in Massen herbei, um die Züge des all-
verehrten Fürsten noch einmal zu sehen. Er ist
wirklich ungemein beliebt gewesen, schon wegen seiner
Leutseligkeit und der wahren Teilnahme an allem,
was Unglückliche betraf.
Eine Woche nach seinem Ableben fand das Be-
gräbnis statt. Er wurde in einen doppelten Sarg
gelegt, wovon der äussere mit Sammet ausgeschlagen
war; Eammerherren trugen ihn. Sie mussten sich von
Zeit zu Zeit ablösen, denn der Weg durch den Park
bis zur griechischen Kapelle war lang. In der dort
befindlichen Gruft, wo er beigesetzt werden sollte,
ruhten auch seine beiden verstorbenen Frauen. Dem
Sarge folgte Erbgrossherzog Paul und alle Prinzen
des Hauses, sowie auch die tieferschütterte Witwe
mit Prinzessin Marie, denen sich der ganze Hofstaat
anschloss. Die grosse Abendkälte war für uns Damen
sehr empfindlich, da wir der tiefen Trauer wegen keine
21*
— 324 —
Mäntel nmnehmen durften. Man kann sich denken,
dass der von zahllosen Flambeanx beleuchtete Zug,
der sich langsam unter den entlaubten Bäumen dahin-
bewegte, einen feierlich ergreifenden Eindruck machen
musste.
Obgleich der Verstorbene in seinem Testamente
den Wunsch geäussert, dass keine Leichenrede gehalten
und nur ein Vaterunser fftr seine Seelenruhe gebetet
werden solle, liess es sich der Oberhofprediger nicht
nehmen, in einer kurzen Ansprache der ausgezeichneten
Eigenschafben des Verblichenen zu gedenken.
Wenn nun auch die Tageseinteilung dieselbe blieb,
wie vorher, kamen wir uns alle nach diesen traurigen
Ereignissen vereinsamt vor. Der Erbgrossherzog war
eben die Seele unseres Familienlebens gewesen, und ein
jedes empfand schmerzlich seinen Verlust.
Früher schon hatte ich die Anregung gegeben,
einen Frauenverein zur Unterstützung von Armen zu
gründen, jetzt kam diese Idee zur Ausführung. Sie
fand grossen Anklang in Ludwigslust, und es meldeten
sich sehr zahlreich Teilnehmerinnen aus allen Ständen.
Herr von Eantzau wurde Buchführer und Kassierer,
Frau von Buch-Lützow, sowie die Fräulein von Lützow
und von Sinclair waren besonders thätig dafür. Wir hatten
es so eingerichtet, dass nicht nur Geld, sondern auch
Arbeiten gespendet wurden, was eine sehr wohlthätige
Wirkung hatte. Leider mischte sich einige Jahre später
der Staat in unser Unternehmen und nahm uns die Mittel
aus der Hand, indem von ihm unsere monatlichen Bei-
— 325 —
träge, worunter die sehr betr&chtlichen der Prinzessinnen,
einkassiert wurden.
Der Winter verlief still und einförmig bis zu
jenem Momente, da die gute Nancy von Salomon die
Nachricht der Entbindung ihrer Schwester, Frau von
Schmid, erhielt. In freudiger Aufregung rüstete sich
Nancy, um sich zu Adrienne nach Rostock zu begeben,
als am Vorabende des ftlr ihre Abreise bestimmten Tages
Herr von ßantzau mir einen Brief des trostlosen Herrn
von Schmid brachte, der den Tod seiner geliebten
Oattin mitteilte. Ich fühlte wohl, dass es meine Pflicht
sei, diese Trauerbotschaft der ahnungslosen Schwester
zu überbringen, indessen schien es mir eine gar zu
schreckliche Aufgabe, diese aus ihrer übergrossen
Freude zu reissen. So wendete ich mich an die Frau
Erbgrossherzogin , um sie, ihres starken Charakters
wegen, zu bitten, mir diese Last abzunehmen. Sie
erschrak unaussprechlich und konnte im ersten Augen-
blick nicht die Kraft finden, sogleich die arme Nancy
aufzusuchen. Jedoch war Eile geboten, und als die
eben anwesende gute Oeneralin von Both endlich vor-
schlug, diese traurige Aufgabe auf sich zu nehmen,
entschloss ich mich, es dennoch selbst zu thun. Bei
meinem Eintritt in ihr Zimmer bemerkte sie den Brief
in meiner Hand und fragte mich, was er wohl zu be-
deuten habe, worauf ich sie bat, das letzte Schreiben
ihres Schwagers noch einmal durchzulesen, denn in
diesem so eben erhaltenen sage er, dass es nicht mehr
80 gut um ihre Schwester stehe, als in den ersten
— 326 —
TageD. Sie erschrak heftig, wahrscheinlich über mein
Aussehen y und war kaum fähig, den Brief zu finden.
Sie fing an zu zittern und rief aus: „Ist meine Schwester
bedenklich erkrankt?" — Ich ergriff ihre Hand, welche
ich schweigend an mein Herz drückte, und doch ver-
stand sie mit dem der Liebe eigenen Instinkte, was
ich verschwieg. Infolge des tiefen Schmerzes und der
gewaltigen Aufregung verfiel sie in ein heftiges Nerven-
fieber. Frau von Buch und Fräulein von Sinclair
wechselten mit mir bei der Pflege der Kranken ab.
Einige Nächte blieb ich bei ihr, da sich ihr Zustand
besorgniserregend gestaltete. Es dauerte längere Zeit,
bis sie wieder im stände war, sich ihren Berufspflichten
zu widmen. Einstweilen teilten die Erbgrossherzogin
und ich uns in die Erziehung unserer lieben Prinzessin
Helene, die sich sehr über den Zustand der guten
Nancy betrübte. Wenige Tage nach ihr erkrankte
auch der Hofmarschall von Oertzen, den wir alle sehr
schätzten, und der auch mir ein sicherer und trefflicher
Eatgeber in vielen geschäftlichen Angelegenheiten ge-
wesen. Sein Leiden verschlimmerte sich von Tag zu
Tag, und nach einer Woche verschied er, zum tiefen
Bedauern des ganzen Hofes. Die Erbgrossherzogin
hatte ihn während seiner Krankheit öfter teilnehmend
besucht, wofür er sich ihr sehr dankbar zeigte.
Ausser den traurigen Ereignissen, die im Monat
Februar 1820 in meiner nächsten Umgebung in Mecklen-
burg vorfielen, erschütterte uns auch die Nachricht, dass
am 13. desselben Monats der Herzog von Berry in
— 327 —
Paris ermordet worden sei. Nachdem dieser früher in
England morganatisch mit einer Miss Brown ver-
heiratet gewesen, vermählte er sich im Jahre 1816
mit Caroline Prinzessin von Neapel. Der Herzog
war der Letzte ans der altem Linie der Bourbons;
nm mit ihm dies Geschlecht auszurotten, erdolchte ihn
der Fanatiker Louvel im Momente, als er beim Ver-
lassen der Oper seine Gemahlin zu ihrem Wagen führte.
Louvel war ein in den königlichen Stallungen be-
diensteter Sattler.
vn. Kapitel.
Weiteres vom Mecklenburger Hofe.
Im folgenden Sommer kam die Herzogin von
Dessau an nnsern Hof, am ihrer Schwester, der neu-
verwitweten Erbgrossherzogin y tröstende Gesellschaft
zu leisten. Teils deshalb und teils wegen ihrer Ge-
sundheit begleitete sie dieselbe auch nach Doberan,
wohin wir uns, wie alljährlich, zum Seebädergebrauche
begaben.
Indem ich des damaligen Aufenthaltes am Meere
gedenke, erinnere ich mich, dass wir zu dieser Zeit
zuerst von den wunderthätigen Heilungen hörten, die
Prinz Alexander Hohenlohe-Schillingsfürst,
ermutigt durch die Zureden des frommen Bauersmannes
Martin Michel, an vielen Kranken in Bamberg
und Würzburg ausübte. Dies war für meinen Glauben
sehr stärkend, und ich bestrebte mich, mit grösserem
Eifer zu beten, wobei mir die Freude zu teil wurde,
mehrere auffällige Gebetserhörungen zu erlangen. Doch
fasste ich den Vorsatz, den Herrn nicht zu versuchen,
und nahm daher eines Morgens die an ihn gestellte
— 329 —
Bitte, auf der See nicht von dem gewohnten Übel be-
fallen za werden, znräck.
Desselben Tages fuhren wir an den Heeresstrand,
um dort den Thee zu nehmen. Daselbst angekommen, sagte
mir die liebe Erbgrossherzogin, dass sie so gern den
Abend allein mit ihrer Schwester zubringen mOchte,
und bat mich, ob ich nicht währenddessen mit Prinzessin
Marie eine Schifffahrt machen wolle. Sie dachte so
wenig, wie ich selbst, an die mir drohende Seekrankheit,
von der ich noch jedesmal in heftigster Weise zu leiden
gehabt hatte. Wir fuhren bei schönstem Wetter hinaus
auf der opalfarbenen Flut, die ich sehr bewunderte,
ohne das geringste Unbehagen zu empfinden, während
andere und sogar Fräulein von Sinclair, die fbr be-
sonders seetüchtig galt, diesen Abend von der fatalen
Krankheit befallen wurden. Erst dann fiel mir ein,
dass der Herr mein Gebet wohl erhört habe, welches
ich morgens aus Demut zurückgenommen hatte! —
In diesem Jahre verliess uns der gute, hoch-
geschätzte Professor Schubert. Er gab uns nach
unserer Rückkehr aus Doberan noch einen sehr inter-
essanten Unterricht in der Astronomie, wodurch wir viele
Sternbilder kennen lernten, die wir aaf der Plattform
des Schlosses in Ludwigslust beobachten konnten. Es
kommt mir vor, als ob im selben Jahre die grosse
Sonnenfinsternis gewesen wäre, die uns alle mit
Schubert im Trompetersaal um ein Uhr mittags ver-
einte. Mit regem Interesse verfolgten wir den Ein-
druck, den dies Naturereignis auf Menschen und
— 330 —
Tiere machte , besonders auf Enten nnd Tanben im
Schlosshof; die ängstlich hin nnd herflatterten, worüber
sich die Kinder nicht genug wundem konnten.
Schon im Vorjahre hatte ich mich entschlossen,
meinen Alexander nach Batzeburg auf das Gymnasium
zu schicken, unter der Leitung seines Hofmeisters, des
Herrn Zahn, eines äusserst begabten und yerläss-
lichen jungen Mannes. Sie wohnten beim Bektor,
Namens Busswurm, und waren bald mit ihm und
seiner Frau sehr befreundet. Überhaupt gefiel sich
Alexander sehr gut in dem freundlichen Städtchen am
schönen Batzeburger See. Eben dieser See aber wäre
ihm ohne Gottes Hilfe verhängnisvoll geworden, als
er sich am 17. Januar 1821, einem schönen Winter-
tage, auf demselben mit Schlittschuhlaufen unterhielt.
Herr Zahn hatte ihn unter der Aufsicht des achtzehn-
jährigen Fritz Koch, eines Bruders des Lehrers
unseres Prinzen Albert, dort zurückgelassen, nachdem
er ihm verboten hatte, eine bestimmte Grenze der
Eisfläche zu Oberschreiten, weil darüber hinaus eine
wegen Zusammenflusses verschiedener Gewässer be-
kannt gefährliche Stelle sei. In jugendlichem Leicht-
sinne folgte aber Alexander mehr der Versuchung, als
dem Bäte seines Lehrers und der Warnung des ihm
nachrufenden Fritz Eoch, und brach im Eise ein, unter
welchem er sofort versank, zum namenlosen Schrecken
der Zuschauer. Auf deren lautes Bufen und Schreien
kam ein junger Gärtner mit einem langen eisernen
Haken eiligst herbei und stiess blindlings mit dem-
— 331 —
selben anter das Eis an eben der Stelle, wo Alexander
versunken war. Das Eisen hing sich in wirklich
wunderbarer Weise in den Aufschlag seines Ärmels
ein, so dass er alsbald daran herausgezogen werden
konnte. Er wurde sogleich in das nahe gelegene Haus
des Eonrektors ßusswurm gebracht, wo man ihn mit
grosser Teilnahme aufnahm und in wollene Decken
hüllte.
Man kann sich den Schrecken und das Entsetzen
des rasch herbeigerufenen Hofmeisters denken beim
Anblicke seines anscheinend leblosen Zöglings, den er
so innig liebte. Zugleich mit Herrn Zahn kam auch
ein Apotheker herbei, der einen gedruckten Zettel
bei sich trug, auf welchem verschiedene Mittel ver-
zeichnet waren, bei scheinbar Ertrunkenen anzu-
wenden. Die wirksamsten wurden versucht, und ein
hinzugeeilter Arzt bestrebte sich, ihm gleichzeitig eine
Arznei einzufiössen, was wegen der krampfhaft ge-
schlossenen Zähne längere Zeit nicht gelingen wollte.
Nach fortgesetztem äussern Abreiben bemerkte man
endlich einige Bewegungen seiner Atmungsorgane;
nun konnten ihm einige Tropfen Arznei beigebracht
werden, welche dann bald die gewünschte Reaktion
bewirkten, zur grössten Freude des guten Herrn Zahn,
der inzwischen unaufhörlich Gottes Güte um Hilfe
angefleht hatte. Nach einiger Zeit rief Alexander noch
mit geschlossenen Augen und schwacher Stimme : „See,
See!", dann blickte er noch ganz verworren vor sich
hin. Nachdem er eine Weile geruht, konnte Zahn
— 332 —
einige Worte mit ihm reden , am ihn aufzufordern,
Gott für seine Bettung zu danken und hiebei besonders
auch meiner zu gedenken. Mich, die ich von dem
Vorfall nichts wissen konnte, benachrichtigte Herr
Zahn am nächsten Tage brieflich. Zu meiner Beruhigung
waren auch einige Zeilen, von Alexander selbst ge-
schrieben, beigefügt.
Sowohl durch Schuberts Einfluss, als auch durch den
Trieb seines eigenen Herzens, hatte Herr Zahn bisher
eine starke Hinneigung zum Katholizismus empfunden,
was für Alexander in Ermangelung eines katholischen
Erziehers nur von Nutzen gewesen. Nach einigen
Monaten teilte er mir jedoch zu meinem Leidwesen mit,
dass, seitdem seine Glaubensgenossen durch einige von
Klaus Harms in Kiel aufgestellte Thesen zu einer
„christlich gläubigem'' Richtung sich bekannt hätten,
seine Abwendung von der lutherischen Konfession sich
geändert habe und es daher für Alexander angezeigter
schiene, einen katholischen Hofmeister zu bekommen.
Er entwickelte mir auch seinen Plan, ein Bauernhaus
zu mieten und dies für sich und seine jüngeren Brüder
einzurichten, deren Erziehung er sich ganz widmen
wolle, indem er mit Schmerzen beobachtet habe, wie
dieselben durch den Vater zur Neologie angeleitet
würden. Was konnte ich dagegen einwenden ? Sowohl
hinsichtlich Alexanders musste ich ihm beipflichten,
als^auch sein edles Vorhaben bezüglich seiner Brüder
gutheissen. Als Graf Anton Stolberg in Peters-
waldau erfuhr, dass Zahn uns verlassen wollte, bot er
— 333 —
ihm sofort die Hofineisterstelle bei seinen Söhnen an,
was jener aber seiner Brüder wegen ausschlug. Um
sein Ziel zu erreichen, machte ihm nun Graf Stolberg
den Vorschlag, diese Br&der in einem sehr christlichen
Erziehungsinstitut zu Torgau in Sachsen unterzubringen,
was Zahn mit Dank annahm. Die Trennung gestaltete
sich ffir ihn und Alexander überaus schmerzlich. Ich
liess noch bis zum Ende des Schuljahres meinen Sohn
in Batzeburg bei Bektor Busswurm, welcher, so wie
seine Gattin, voll Güte und Aufmerksamkeit für ihn
waren. Doch fühlte sich Alexander recht vereinsamt,
bis ein gewisser Zimmermann, der sich später
entschloss Theologie zu studieren, als erwünschter
Gefährte in das Busswurmsche Haus kam. Für die
Ferien nahm ich Alexander zu mir nach Ludwigslust,
in der Absicht, ihn so bald als möglich zu seiner
weitern Ausbildung, auf Schuberts Bat, nach Begens-
burg zum dortigen Weihbischof Sa i 1er zu schicken.
— Doch muss ich früher noch erwähnen, wie Alexander
ein zweites Mal für seinen ungehorsam stark von der
Hand des Herrn gezüchtigt wurde:
Im Busswurmschen Hausgärtchen , das dicht am
See gelegen war, machte er eines Tages mit Zimmer-
mann sogenannte „Petermännchen^ aus Pulver, was
ihn sehr unterhielt. Der Bektor untersagte es je-
doch wegen des herrschenden starken Windes. Sie
wollten gehorchen, aber Alexander konnte der Ver-
suchung nicht widerstehen, noch ein letztes kleines
Feuerwerk mit Hilfe seines Genossen abzubrennen.
— 334 —
Dieser war zu nachgiebig, am es zu verhindern. In
der Eile ging Alexander nn vorsichtig zu Werke, nnd
das Pulver flog ihm vom heftigen Winde getrieben
ins Gesicht ; es versengte die ganze Haut, die Augen-
brauen und die Wimpern. Er sagte später, der Schmerz
sei so gross gewesen, dass er ins Wasser sprang, um
sich das Gesicht abzuktthlen, was aber im Gegenteil
den Schmerz nur noch steigerte, so dass er seinen
Gefährten um einen Schlaftrunk bat. Dieser eilte jedoch
zum Rektor, der sofort einen Arzt rufen Hess, welcher
ihm eine in Öl getunkte Leinwandmaske auflegte und
wegen des heftigen Fiebers die grösste Euhe im Bett
anbefahl.
Ohne etwas von diesem Unfall zu ahnen, begab
ich mich einige Tage darauf nach Lübeck, um meine
Jugendfreunde Nolken bei ihrer Durchreise dort zu
sehen. Mein Weg führte durch Eatzeburg, und ich
freute mich herzlich, meinen lieben Sohn zu überraschen,
und vermutete ihn unter den in der Nähe des Gym-
nasiums befindlichen Bäumen anzutreffen, wo die Jugend
in den Erholungsstunden sich spielend hemmzutummeln
pflegte. Da ich ihn daselbst nicht sah, ging ich so-
gleich in das nahe gelegene Eektorat und direkt in
Alexanders Zimmer. Wie gross war aber mein
Schrecken, da ich ihn mit der weissen Leinwandmaske
erblickte. Als ich dabei laut aufschrie, setzte er sich
im Bette auf und rief: „Liebe Mutter, es ist nichts!"
Um mich zu trösten, fügte er noch hinzu : „Das Übel, wegen
dessen ich den Ölumschlag auf dem Gesicht habe, ist
— 335 —
schon beinahe ganz vorbei.^ — Die gute Rektorin, die in
demselben Augenblicke dazn kam, erzählte mir den
Hergang der Sache, und wie gnädig Gott sein Augen-
licht bewahrt habe. Statt nach Lübeck weiter zu reisen,
blieb ich nun bei meinem Sohn und schickte meine
Grttsse an die Freunde Nolken. —
In der ersten Hälfte Septembers des Jahres 1821
erhielt die Frau Erbgrossherzogin eine sehr beun-
ruhigende Nachricht über den Gesundheitszustand ihrer
Mutter. Sie entschloss sich, sogleich mit Prinzessin
Marie und mir nach Homburg zu reisen, um dieselbe
aufzusuchen. Während unserer mit höchster Eile be*
triebenen Vorkehrungen, kamen noch bedenklichere
Mitteilungen über die gefährliche Erkrankung der
verwitweten Landgräfin von Hessen, und als wir in
Homburg anlangten, war sie bereits am Morgen des-
selben Tages verschieden. Noch unterwegs erhielten
wir die Trauerbotschaft, welche die arme Erbgross-
herzogin tief ergriff und erschütterte. In Homburg
angekommen, eilte sie weinend und schluchzend zu
ihrem Bruder und dessen Gemahlin Elisabeth, einer
geborenen Prinzessin von England, um die teuere
Leiche zu sehen. Prinzessin Marie, Fräulein von
Sinclair und ich blieben in den für uns bereiteten Ge-
mächern zurück.
Als ich diesen Abend im Begriffe war, zu Bette zu
gehen, wurde an meiner Thür geklopft, und als ich
öffnete, erblickte ich die liebe Frau Erbgrossherzogin
schon im Nachtkostüm. Mich umarmend, sagte sie:
— 336 —
„Sie haben mich trostlos gesehen, und ich wollte nicht
zur Ruhe gehen, ehe ich Ihnen gesagt hätte, wie gnädig
der Herr f&r mich war, dass er mir die nötige Kraft
nnd den nötigen Trost verliehen, das Schreckliche zu
tragen. Er thut alles wohl und immer zu unserem
Besten, wenn wir es auch nicht gleich verstehen."
Sie eilte dann schnell hinweg, nachdem sie noch bei-
gefügt hatte, dass die Beisetzung am nächsten Tage
stattfinden werde.
Des andern Morgens gingen wir mit der Frau
Erbgrossherzogin, die aufgebahrte Leiche zu besuchen.
Diese war einbalsamiert worden, und viele Blumen
zierten das Gemach, welches dadurch mit fast be-
täubendem Wohlgeruch erfüllt war. Viele Personen
befanden sich in demselben. Bei der Beisetzung schloss
ich mich den Leidtragenden an und begleitete die
Leiche bis in die landgräfliche Gruft. Zwar hatte ich
keinerlei Verpflichtung dazu, doch that ich es aus
Freundschaft f&r die liebe Hoheit und ihren Bruder,
die sich nachträglich ganz gerührt darüber äusserten.
Kurze Zeit nach dem Begräbnisse kam Prinzessin
Adelheid von England, die Schwester der alten
Landgräfin, einer geborenen Herzogin von Sachsen-
Meiningen, für längere Zeit zu Besuch. Als die
erste Trauer vorüber, wurde daher wieder eine voll-
ständige fürstliche Tafel, an welcher der ganze Hof-
staat teilnahm, eingerichtet; des Abends versammelte
man sich zum Thee, wonach öfter „Lotto Dauphin" ge-
spielt wurde, oder man machte Musik. Meist war es
— 337 —
die englische Hofdame Lady Taylor, die uns mit
ihrer schönen Stimme vorsang.
Unsere Erbgrossherzogin erschien immer später als
die Übrigen, weil sie die Abendstunden dazn benutzte,
um nach testamentarischem Auftrag ihrer Mutter deren
Papiere durchzusehen und zu ordnen ; dieselben füllten
einen grossen Kasten. Dies bedeutete eine gewaltige
und langwierige Aufgabe. Diese Arbeit, die sie
gründlich vollenden wollte, beanspruchte mehrere
Wochen, trotz der Hilfe, die ihr ihr Bruder Ludwig,
der preussischer Generalgouvemeur war, dabei leistete.
So lange das Wetter schön und die Tage noch
lang genug schienen, machten die Prinzessinnen mit
uns und dem Landgrafen schöne Ausflüge in das nahe
Gebirge,
Unterdessen erhielt ich von Baron Nolken die
Nachricht, dass seiner Frau die Kur in Wiesbaden
verordnet worden sei und sie mich vorher auf der
Durchreise in Homburg besuchen wollten. Ich freute
mich herzlich auf das Wiedersehen mit dem Freunde
aus meiner Kinder- und Jugendzeit, der ja damals zu
wiederholtenmalen als Courier der Kaiserin Katharina
zu Baron Grimm nach Gotha geschickt worden war.
Sie hielten sich etwas in Homburg auf, es ward mir
manch angenehmer Besuch zuteil, während dessen ich
die liebenswürdige Gattin des Baron Nolken, so wie
deren Schwester näher kennen zu lernen Gelegenheit
hatte, und ich verkehrte viel mit dieser mir so
sympathischen Familie. Der geheime Hofrat und Arzt
Carl Orftf ObtrBdorff, SriaBtrufta «iatr UigxoMmatttr. 22
Schellenberg gesellte sich auch zn uns (er und
Baron Nolken hatten sich eng befreundet); sie beide
konnten uns viel Interessantes aus ihrem früheren
Leben mitteilen. Schellenberg war erst seit einem Jahre
zum echten Katholizismus zurückgeführt worden. Durch
ein kaum dreizehnjähriges Mädchen nämlich, welches
er auf magnetische Weise zn kurieren unternommen,
wurde ihm eröffnet, dass er nicht auf dem rechten
Wege sei als Naturphilosoph. Dies machte ihn be-
stürzt und gab ihm viel nachzudenken. Bald darauf
sah er ipi Traum seinen Vater mit einer Binde vor
den Augen. Die Binde fiel, und er erkannte mit einem
Blick, dass sich dies auf die Mitteilung des Mädchens
bezog und es die Wahrheit gesagt habe. Er ging in
sich, und das Christentum kam ihm von nun an viel
grösser und erhabener vor, als der Naturalismus, durch
den er geglaubt hatte, so Vieles zu erkennen. Bis dahin
war er auch Fi-eimaurer, sogar Meister vom Stuhl in Hom-
burg gewesen, legte aber dieses Amt nieder, als Papst
Pins VII. neuerdings unter Exkommunikation jedem
Katholiken verbot , dieser Genossenschaft anzugehören.
Ende Oktober hatte die Erbgrossherzogin ihr
pietätvolles Werk, die Sichtung der Papiere ihrer
Mutter, vollendet, und wir reisten zu dieser Zeit nach
Rudolstadt, wo sie ihre zwei Schwestern, die Fürstin-
Mutter und Fürstin Luise, besuchte. Erstere hatte
zwei Töchter, wovon die Eine ihren Onkel, den Prinzen
Gustav von Hessen-Homburg, einen öster-
reichischen General, geheiratet hatte.
— 339 —
In Badolstadt bestand ein sehr angenehmeb
intimes Familienleben. Wir fühlten nns dort sehr
schnell heimisch. Mich zog besonders die Fürstin-
Mntter an, welche sich voll Liebe nnd Zutrauen f&r
mich bewies nnd mich sehr häufig in meinem Zimmer
aufsuchte. Nachdem ich einen kleinen Ausflug nach
Stedten unternommen , wo ich Tante Keller und bei
ihr meine Clotilde besuchte, kehrten wir in unser liebes
Mecklenburg zurfick. Prinzessin Helene und Prinz
Albrecht erwarteten uns dort mit Sehnsucht. Wie
alljährlich wurde am 10. Dezember das Geburtsfest des
Grossherzogs sehr feierlich begangen, woran der ganze
Hof aus Schwerin nnd die Landstände teilnahmen.
Am 25. Mai 1822 fand die VermähluDg des jugend-
lichen Erbgrossherzogs Paul (geb. 1800) mit Prinzessin
Alexandrine, der Tochter des Königs Friedrich
Wilhelm III. von Preussen, statt. Sie wurden ein
äusserst glückliches Paar. Der Empfang der Neuver-
mählten war sehr feierlich, ähnlich wie es bei Ankunft
der Erbgrossherzogin der Fall gewesen.
Einiger Ballfeste wegen , deren Unterhaltung
Prinzessin Marie sehr liebte, brachten wir mehrere
Tage in Schwerin zu. Bald darauf kam König Friedrich
Wilhelm III. von Preussen, seine geliebte Tochter in
Ludwigslust zu besuchen. Er blieb nur einen vollen
Tag daselbst, wo ihm zu Ehren ein prächtiges Feuer-
werk vis-ä-vis dem Schlosse abgebrannt wurde.
Während der Vorkehrungen dazu hatte man
Prinzessin Marie und mir aufgetragen^ S. Majestät
22*
— 340 —
zu nnterhalten, was bei dessen bekannter Wortkargheit
keine leichte Anfgabe war. Ich erinnere mich, dass,
als wir endlich, um ihn zn beschäftigen, verschiedene
chinesische Gegenstände betrachteten, das Gespräch
schon gar nicht mehr recht in Flnss kommen wollte;
da wendete ich mich an Prinzessin Marie and sagte,
dass sie gewiss nicht wisse, dass ich etwas Chinesisch
könne. Sie forderte mich auf, dies zn beweisen, und
ich citierte die elsässisch -deutschen Fragen und Ant-
worten, die ich unlängst durch Alexander gehört hatte :
„Tu, Schorsch, schint d'Sunn schon? Ja, Schülih,
d'Sunn schint laug schon. — Hat Schang Schuh?
Schang hat Schuh. Mäht Anna Hai ? Sie mäht
Hai." Da lachte sie und auch der König, und die
Konversation ging auf heitere Art ganz gut wieder
von statten.
Im Laufe des Sommers gingen wir, wie alljährlich,
nach Doberan, wo der Besuch des Grossherzogs von
Oldenburg stattfand, der den Wunsch hegte und
äusserte, Prinzessin Marie zu heiraten. Er gefiel ihr
aber nicht, doch zeigte sie sich ihm gegen&ber so
verbindlich, als es unter solchen Umständen möglich.
Firbpriuz Paul und seine junge Gemahlin jedoch Hessen
nur zu deutlich merken, dass er nicht erwünscht sei,
und beleidigten ihn auf verschiedene Weise, so dass
er sehr unzufrieden von uns schied. Gegen seine
Tante, Kaiserin Marie von Russland, äusserte er sich
dann so, wie wenn ihm Prinzessin Marie nicht gefallen
hätte; von anderer Seite erfuhr sie aber, dass das
— 342 —
Mutter hatte viel und lange gelitten, was ihren Gemahl
so sehr ergriff , dass er öftere Male sich von ihrer
Seite entfernte, um seine Aufregung zu verbergen.
Als aber endlich ein gesundes Söhnchen zur Welt kam,
schien die Olfickseligkeit der jungen Eltern unbe-
schreiblich. Der Erbgrossherzog kam eilends zu mir
und umarmte mich herzlichst, als ob er mein Sohn
gewesen wäre. Zur Wöchnerin ging ich nicht gleich
hinein, hatte aber die Freude, im Nebenzimmer den
neugebomen Prinzen baden zu sehen, und liess es mir
nicht nehmen, ihm das erste Hemdchen anzuziehen,
welches ein sorgsam aufbewahrtes Erbstück seiner
Grossmutter, der Grossfürstin Helene von Kuss-
land, war. Man wartete mit der Taufe, bis die junge
Mutter, auf der Chaiselongue liegend, derselben bei-
wohnen konnte. Sie war unaussprechlich gerührt und
auferbaulich in ihren Gesprächen über diese Feierlichkeit.
Noch sehe ich das reizende Bild vor mir, wie die jugend-
lich schöne, anmutsvolle hohe Frau ihren Erstgebornen
im weissen Taufkleidchen in den Armen hielt und
glückstrahlend das Eind herzte.
Im Laufe desselben Jahres (1823) beurlaubte ich
mich auf vier Wochen, um mit meinen Kindern nach
Baiern zu reisen. In Kegensburg sollten sie ihre erste
Kommunion empfangen und vom Bischof Sailer geflrmt
werden. Dieser gewann sie beide sehr lieb. Schon
vor einem Jahre war ihm Alexander, samt seinem
Hofmeister Herrn Adler, anempfohlen und seiner
Oberleitung übergeben worden. Sie wohnten der
— 343 —
bischöflicheD Residenz gegen&ber, und Sailer war so
gütig, Alexanders Stadien zn überwachen und ihm
persönlich den Religionsunterricht zu erteilen.
Meine beiden Kinder empfingen die heiligen
Sakramente mit grosser Andacht. Als Firmpaten
fungierten Melchior von Diepenbrock für
Alexander y und Sailers Nichte, Fräulein Therese
Seitz, für Clotilde. Von diesem Augenblicke mag
die innige Freundschaft herrühren, die diese ausge-
zeichneten Personen mit uns verband. Diepenbrock
(nachmaliger Kardinal und Fürsterzbischof von Breslau)
war damals zu Sailer gekommen, um sich für das
Priestertum vorzubereiten. Später zog auch seine
Schwester Apollonia nach Regensburg, wo sie ein
überaus wohlthätiges, heiligmässiges Leben führte. In
ihrer Wohnung hatte sie ein kleines Spital eingerichtet,
in welchem sie sieben unheilbare Kranke pflegte.
Sailer war voll Freundlichkeit für uns und widmete
uns die Zeit, die er erübrigen konnte. Er machte
uns auf die schönsten Punkte in Regensburgs Um-
gebung aufmerksam und nahm uns auf mehreren
Besuchen mit, die er in Franenklöstem zu machen
hatte. So begaben wir uns einmal mit ihm in das
Salesianerinnen - Kloster nach Pielenhofen, wo wir
noch einige Karmeliterinnen, als Überreste ihres auf-
gehobenen Ordens, antrafen. Ziemlich früh aufge-
brochen, machten wir Mittag in Etterzhausen, bekannt
durch eine ziemlich geräumige natürliche Grotte, zu
welcher Gartenanlagen führen, und waren entzückt von
— 344 —
diesem Spaziergang. Da der Weg von Etterzhaasen
bis Pielenhofen zum Fahren sehr schlecht ist, hatten
die Elosterfranen dem Bischof ein Schiff entgegen-
geschickt, worin wir mit ihm Platz nahmen. Die
Fahrt gestaltete sich, sowohl durch die Anmut und
Schönheit der Gegend, als auch durch geistige Anregung,
höchst interessant, so dass uns der ziemlich lange Weg
äusserst kurz vorkam. In Erwartung des Bischofs
hatte sich die ziemlich zahlreiche Bevölkerung von
Pielenhofen samt der Geistlichkeit im Chorrock am
Ufer der Laber versammelt, und vom Schiff aus spendete
ihnen Bischof Sailer den Segen. Es freute ihn zu
sehen, wie schön zu seinem Empfange die Kirche und
ihre Umgebung mit Blumengewinden geschmückt worden.
Wir folgten ihm in einiger Entfernung in die Kloster-
kirche, in welcher an beiden Seiten des Altars, vor den
Chorstühlen, die kleine Zahl der von der Säcularisation
übrig gebliebenen Karmeliterinnen stand. Sich gegen
dieselben wendend, hielt der Bischof einen herrlichen
Vortrag über den Segen Gottes. Die Kirche war mit
Andächtigen gefüllt, und Alle, besonders die Kloster-
frauen, schienen tief ergriffen. Mit dem Bischof und
den Nonnen verfügten wir uns dann in das Befectorium
des Klosters, wo uns Erfrischungen vorgesetzt wurden.
Auch die übrigen Innenräume wurden uns gezeigt,
wobei wir Gelegenheit hatten, die hübsche Aussicht
so wie mehrere schöne Bilder verstorbener Mitglieder
des Ordens, von denen einige heiliggesprochen, zu be-
sichtigen.
— 345 —
Sailer hatte den frenndlichen Gedanken, bei unserer
Bückkehr nach Mecklenburg bis Amberg mit uns zu
fahren, er wollte dort eben eine bischöfliche Visitation
vornehmen. Hier geschah es also, dass wir von ihm
Abschied nahmen. Den lieben Alexander jedoch hatten
wir in Begensburg zurückgelassen , wo ich ihn zu
meinem Tröste so gut aufgehoben wusste.
vnL Kapitel«
Abschied von Mecklenburg.
In Ludwigslust angekommen, feierten wir ein
äusserst freudiges Wiedersehen mit den Prinzessinnen
und unseren übrigen Lieben. Wir blieben nur kurze
Zeit noch dort, da im Juli nach Doberan übergesiedelt
wurde, wo sich die ganze grossherzogliche Familie,
obgleich in verschiedenen Häusern wohnend, gern zu-
sammenfand.
Während dieses Aufenthaltes begann der Brief-
wechsel zwischen der Erbprinzessin von Hildburg-
hausen, später von Alten bürg genannt , gebomen
Prinzessin von Württemberg, mit unserer Herzogin
Marie sehr lebhaft zu werden. Erstere hegte den
innigen Wunsch, Letztere mit ihrem Schwager Georg
von Altenburg verbunden zu sehen. Wir hatten
die Erbprinzessin 1818 in Weimar kennen gelernt,
und schon damals gewannen sich die beiden Prin-
zessinnen sehr lieb , trotz des Altersunterschiedes,
da Marie erst fünfzehn Jahre zählte. Durch ihre
Briefe erlangte die Erbprinzessin grossen Einfluss auf
ihre nun zwanzigjährige Freundin, welche auch bald
— 347 —
anfing zn wünschen, mit ihr verwandt zu werden. Ob-
gleich dieser Wunsch später erfüllt worde, blieb er
noch zwei Jahre lang das Geheimnis zwischen den
beiden.
Von diesen zwei Jahren weiss ich nichts Nennens-
wertes zu melden ausser der Geburt eines Töchterchens*)
des Erbprinzen Paul, welches nach seiner Grossmutter,
der schönen und heldenmätigen Königin von Preussen,
Luise genannt wurde. Ich empfand eine lebhafte
Freude an dem Brüderchen und bald auch schon an
der kleinen Luise, da beide gar anmutige Kinder waren.
Es hatte sich so mit der Zeit um mich eine liebe jugend-
liche Schar gesammelt) von der jedes einzelne Glied
mir zärtlichst zugethan und unaussprechlich teuer
war: Prinz Albrecht damals zwölfeinhalb Jahre zählend,
seine liebreizende Schwester Helene zehnjährig und
Ida von Bassewitz gleichen Alters, welchen beiden
meine liebe Tochter Clotilde um fünf Jahre voraus
war. Wir trafen oft im Garten des verstorbenen Erb-
grossherzogs Friedrich Ludwig ^susammen, wo für dessen
erste Gemahlin Helene, eine gebome Grossfürstin von
Russland , jene griechisch - orthodoxe Kapelle im ent-
sprechenden Baustil errichtet worden war. Seine zweite
Gemahlin, eine gebome Prinzessin von Weimar, sowie
deren einjähriges Söhnchen und später er selbst, wurden
ebenfalls dort bestattet. Am Jahrestage des Todes
*) Diese heiratete am 20. Oktober 1849 den Forsten Hugo eq
WindischgrätE und starb den 9. M&rz 1859,
— 348 —
der Grossfürstin Helene wurde immer ein ^echiscber
Oottesdienst in dieser Graftkapelle abgehalten, welchem
ausser der grossherzoglichen Familie auch zufällig
anwesende Bussen und Griechen beizuwohnen pflegten.
Im Februar des Jahres 1825 kam Prinz Georg
von Sachsen - Altenbnrg (damals noch Hildburghausen
genannt) nach Schwerin, um während der Ball-
saison Gelegenheit zu haben, mit Prinzessin Marie
näher bekannt zu werden. Beide jange Leute gefielen
einander gut, und der Prinz nahm durch sein edles
und liebenswürdiges Wesen die ganze Hofgesellschaft
für sich ein; nichtsdestoweniger wünschte man nicht
diese Verbindung. Man hielt den apanagierten Prinzen
eines kleinen Fürstenhauses für eine viel zu unbe-
deutende Partie für die schöne, gefeierte Herzogin
Marie, um welche sich zu gleicher Zeit auch Prinz
Karl von Preussen bewarb. Die Prinzessin aber,
welche höchst solide Ansichten betreffs ihrer Ver-
heiratung hatte, bemerkte mir, dass Prinz Karl, so
schön er auch sei, nicht die Eigenschaften besässe,
welche zu ihrem Glück erforderlich wären, deshalb
zöge sie ihm den Prinzen Georg von Altenburg vor.
Dieser versäumte nicht, ihr stark den Hof zu machen,
was sie sehr gut aufnahm und sich ihm auch liebens-
würdig zeigte. Als er dann Schwerin verliess, war
die Sache schon so weit gediehen , dass ausgemacht
wurde, der Prinz dürfe im Frühjahr wiederkommen,
wenn der alte Grossherzog Friedrich Franz und
die Kaiserin Marie von Russland bis dahin ihre Zu-
— 349 —
Stimmung gegeben haben würden. Die Letztere, welcher
man alles Gute vom Prinzen Georg gesagt hatte, be-
merkte als Antwort, sie wisse sonst nichts von ihm,
als dass er Adjutant des Königs von Bayern gewesen!
Trotz der Voreingenommeuheit gegen diese kleine
Heirat ihrer Enkelin gab sie schliesslich dennoch ihre
Einwilligung dazu. Nach vollzogener Hochzeit schrieb
ich an die Kaiserin und erhielt von ihr folgenden
Brief, aus dem ersichtlich, dass sie ihre Ansicht ge-
ändert hatte und die guten Eigenschaften des jungen
Gatten anerkannte.
Madame*) la Baronne de Bechtolsheim ! J'ai eu
le plaisir de recevoir Votre Lettre du 10 de ce mois
et Je sais parfaitement rendre justice aux sentiments,
qui Tont dict6e, et qui Me la rendent d'autant plus
interessante. Je M'unis du fond de Mon coeur ä Vous
dans les voeux, que Vous formez pour le bonheur de
Ma chöre Petite-Fille, en Vous remerciant de ceux, que
Vous y joignez pour Hoi ; ainsi que de Tesp^rance, que
Vous Me faites concevoir, de raccomplissement de nos
*) Deutsche Übersetzung: Frau Baronin Bechtolsheim!
Ich war sehr erfreut, Ihren Brief vom 10. d. M. eu erhalten, und
trage den Gefühlen, die Ihnen denselben diktierten und ihn mir
daher nur noch interessanter machen, Rechnung. Von Herxen
meine Wünsche mit den Ihren vereinend, die Sie für das Glück
meiner lieben Enkelin zum Himmel sandten, danke ich Ihnen auch
zugleich für diejenigen, welche mich betrafen ; diese guten Wünsche'
gehen also jetzt in Erfüllung infolge der edlen Eigenschaften des
Gatten, dem ihr Schicksal jetzt anvertraut wird. Ich wage zu
hoffen, dass der Himmel sowohl deigenigen Ihrer Verwandten, als
auch den meinigen Rechnong tragen werdet ich begreife wohl.
— 350 —
voeux par les qaalitös distingu^s de r^poux anqael
Son sort est maintenant confi6. J'ose donc penser, que
le Ciel daigne confirmer les b^nödictions de Ses parens
et les Miennes ! Je con^ois tout ce, qae Vous avez da
gprouver en Vous s^parant d'EUe, mais c'est ane doace
consolatioiiy que je partage avec Vous, celle de voir les
sentiments d'attachement, qu'Elle a su imposer, et les
regrets, qu'EUe laisse dans Son pays. Puisse-t-EUe
gtre apr6ci6e de mSme dans les lieux qa'Elle, ya
maintenant habiter. — J'aime ä Tespferer et je recevrai
avec bien du plaisir toutes les nouvelles, que Votre s^jonr
rapproch6 de la future rfesidence de Ma Petite-Fille
Vous mettront h m^me de Me donner ä cet 6gard.
Je Vous prie de croire, que je serai toujours charmöe
de Vous t^moigner les sentiments de bienveillance avec
lesquels Je suis
Votre affectionnee
Gatschina ce 27 Octobre 1825. Marie J.
was Sie im Momente der Trennung von ihr litten, doch das ist
ein süsser Trost, den ich mit Ihnen teile, alle die Gefühle der
Anhänglichkeit wahrzunehmen, die jene in ihrem Vaterlande zurück-
liess. Möge sie auch in ihrer neuen Heimat gleich gesch&tzt und
geliebt werden 1 Ich glaube es hoffen zu dürfen und werde mit
Freuden alle Nachrichten empfangen, die Sie mir, da Sie sich in
der nächsten Nähe des künftigen Aufenthaltsortes meiner Enkelin
befinden werden, zukommen lassen. Seien Sie versichert, dass es
mir immer Freude bereiten wird, Ihnen die Gefühle meines Wohl-
wollens auszudrücken, mit denen ich stets verbleibe
Ihre wohlgewogene
Gatschina, den 27. Oktober 1825. Marie J.
— 351 —
Anfangs Jnni kam Prinz Georg wieder, und am
13. wurde die feierliche Verlobung gehalten. Nach
wenigen Tagen schieden sie ganz gerührt, der Bräutigam
musste heimwärts nach Hildbnrghausen eilen, um das
dortige schöne, in grossartigen Verhältnissen er-
baute Schloss zum Empfange der Prinzessin vorzube-
reiten.
Im September reisten wir nach Ludwigslust, wo
ich dann sehr viel zu thun hatte, teils wegen des
Trousseaus der Prinzessin, teils der von ihr zu machen-
den Geschenke halber. Man brachte zu diesem Behufe
nach und nach 20 000 Thaler in Fässern in mein
Zimmer, wo diese Summe auf dem Parkettboden aus-
gebreitet und überzählt wurde. Die Ausstattung war
ausnehmend schön. Es befand sich darunter ein pracht-
volles weisses Pointkleid aus Brüsseler Spitzen und
zwei Kleider aus Silber-Brokat, wovon eines mit Kosa
durchwirkt und das andere mit Lilien und Rosen
erhaben gestickt war. Diese beiden kamen aus Berlin.
Prinzessin Marie besass einen grossen Reichtum an
Edelsteinen. Es wurde davon ein wundervoller Schmuck
mit Brillanten und schönen grossen Saphiren gefasst
Sie hatte in ihrem Besitze drei Eommodeschubladen voll
Kleinodien der schönsten Art, welche die Hälfte
des Schmuckes ihrer Mutter ausmachten. Die andere
Hälfte war ihrem Bruder Paul als Erbteil zugefallen,
welcher daraus viele schöne Gegenstände für seine
Gemahlin herzustellen befahl. Prinzessin Marie Hess
die meisten Steine ungefasst und verwendete sie in
— 352 —
späteren Jahren zam Ankaufe von Landgütern f&r
ihre Söhne.
Die Hochzeitsfeier fand am 7. Oktober mit
grossem Pompe statt. Das Kleid der Brant war aas
Silberstoff mit prachtvoller Stickerei , ihren Kopfputz
bildete ein Myrtenkranz mit vielen fenersprfihenden
Diamanten untermischt. Es war damals noch nicht
Sitte, einen Brautschleier zu tragen. Der Tag ver-
lief auf das Glanzvollste in Lust und Freude. Am
Abend geleitete die Frau Erbgrossherzogin und ich
mit ihr die Neuvermählten in die für dieselben bereiteten
Gemächer, von wo ich, nach damaligem Hofgebrauch,
sogenannte „Stücke von den Strumpfbändern der jungen
Frau^ mitbrachte ; es waren dies gestickte Bänder, um
deren Besitz sich die Gesellschaft drängte.
Noch einen Tag brachten Prinz und Prinzessin
Georg mit uns zu, dann reisten sie, begleitet von den
aufrichtigsten Glück- und Segenswünschen, nach Hild-
burghausen ab. Es versteht sich, dass dieser Abschied
uns erschütterte und rührte. Auch unter der Be-
völkerung war die Teilnahme an der Zukunft unserer
Herzogin Marie eine allgemeine, und manche Thräne
wurde ihr nachgeweint, da sie immer so freundlich
und wohlthätig gewesen. Ich fühlte mich durch ihre
Abreise zwar sehr vereinsamt, doch die Menge der
Geschäfte, die ich noch abzuwickeln hatte, sowie die
teure Gesellschaft der Erbgrossherzogin, der Fräulein
von Böse und Nancy von Salomon mit der kleinen
Prinzessin Helene, vermochten mich zu zerstreuen.
— 353 —
Auch Erbgrossherzog Paul war während dieser Tage
besonders herzlich in seiner Freundschaft zu mir
nnd bat mich um Verzeihung, dass er öfter gegen
meinen Willen gehandelt habe, indem er darauf ge-
drungen, dass seine Schwester länger, als es bestimmt,
auf Bällen und in Gesellschaften verweile. Dann
wieder sprach er mir seine Dankbarkeit daf&r aus, dass
ich in vielen Gelegenheiten Partei fär ihn ergriffen
hätte, indem ich trotz seines Leichtsinnes immer das
Bessere in seinem Wesen erkannte.
Die liebe, gute Erbgrossherzogin sowie auch
meine übrigen Freunde drangen in mich, länger bei
ihnen zu verweilen, und ich selbst hätte es einesteils
gar gern gethan, allein die nahende Winterszeit sowie die
Sehnsucht meines lieben Alexander, uns wiederzusehen,
die auch uns erfasst hatte, machten einen Aufschub
meiner Abreise unmöglich. Freilich musste es ein
neuer Schmerz für mich sein, von all den Lieben,
möglicher-, ja wahrscheinlicherweise, für immer zu
scheiden; trotzdem aber bestimmte ich den zehnten
Tag nach der Hochzeit dazu, die Reise anzutreten.
Leider verbitterte mir meine alte Kammerfrau Lüdritz
diese letzte Woche, die ihr für das, was sie zu thun
hatte, viel zu kurz schien.
Schon vor einiger Zeit war ich mit dem Ge-
danken umgegangen, mich mit meinen lieben Kindern
irgendwo auf dem Lande niederzulassen. Doch hatte
ich noch mit Niemandem über diesen, mir selbst noch un-
klaren Plan gesprochen, als mir Alexander plötzlich
Gftrl Orftf Obtradorff, Erbui«niBf«a tiatr UrgroM»«tUr. 23
— 354 —
schrieb, dass in der Nähe von Begensbnrg ein kleines
Landgut verkauft werden sollte, und mir den Vorschlag
machte, es zu erwerben. Ich erkundigte mich darnach,
und, da es mir empfohlen wurde, kaufte ich es. Dort-
hin wollte ich mich nun begeben , vorher aber noch
meine liebe Tante Bozheim, welche mit ihren Enkelinnen
in Paray, unweit Magdeburg, lebte, besuchen.
Mit grosser Liebe und herzlicher Freude wurden
wir dort empfangen. Die Kinder, deren ältestes zehn
Jahre zählte, schienen geistig sehr begabt und wurden
von ihrer Grossmutter vortrefflich einzogen. Clotilde
gab sich gern mit ihnen ab, während ich mit der
guten Tante über Vergangenes und Hoffnungen für die
Zukunft mich unterhielt. Sehr störend kam ein Un-
wohlsein über mich, das mich verhinderte, mehreren Ge-
sellschaften beizuwohnen, welche bekannte Damen in
nahegelegenen Villen freundlichst mir zu Ehren geben
wollten.
Als ich mich wieder erholt hatte, reisten wir weiter
und hielten uns bei Frau von Bülow, geborenen von
Gadow, in Gentin auf. Diese so wie ihr Gemahl, zwei
liebenswürdige, angenehme Menschen, wurden später
Herrenhuter, indem sie in die Gemeinschaft der
„mährischen Brüder" eintraten. Dem Direktor des
Armen-Institutes in Quedlinburg hatte ich versprochen,
den einzigen katholischen Knaben, der sich in seiner
Anstalt befand, nach Baiern mitzunehmen. So hielt
ich mich in dieser Stadt auf, da mir dieser übergeben
werden sollte. Er hiess Christian und sollte Gärt-
— 366 —
gekommen, schien mir ganz ausser Atem nnd blass
vor Frende. Mit ihm begaben wir uns sofort in unser
neues Heim. Es war dies am 12. November 1825.
Hier enden die Aofzeichnongen meiner Urgrossnintter. Sie
hatte dieselben eben nnr fflr ihre Kinder, Alexander nnd Clotilde,
yerfasst, um ihnen damit ein anschanliches Bild jener Zeiten
zu geben, welche den beiden, entweder ihrer damals noch allzn-
grossen Jugend oder ihrer zeitweiligen Abwesenheit vom Aufent-
haltsorte der Mutter halber nicht bekannt oder erinnerlich sein
konnten. Jetzt, wo sie mit ihren Kindern vereint war, diese also
die t&giichen Erlebnisse kannten, entfiel für sie die Veranlassung
ihre Memoiren weiterzuführen.
Das Landgut, welches sie zuerst in Baiern besass, entsprach
weder ihren Gewohnheiten, noch ihrem Oeschmacke. Sie yerkanfte
es daher bald wieder und erwarb das Schlossgut Bodenstein bei
Nittenau in der bairischen Oberpfalz, welches durch lange Jahre
ihr Wohnsitz blieb. Dort war sie die Wohlthäterin der ganzen
Umgegend : so errichtete sie unter anderem eine Schule in Boden-
stein und erhielt das Lehrerpersonal aus eigenen Mitteln. Allen,
die sich in Not oder Bedrängnis an sie wandten, half sie bereit-
willigst mit Rat und That.
Im Jahre 1829 hatte Glotilde einen Gutsnachbam, den Reichs«
grafen Gustav von Oberndorff, geheiratet, und im Jahre 1837
Alexander die Freiin Caroline von Freiberg-Eisenberg ge-
ehelicht, worauf er sich in Regensburg niederliess. So blieb
Katharina von Bechtolsheim in der N&he und in beständigem Ver-
kehr mit ihren Kindern und deren Familien.
Im Jahre 1843 unternahm sie die letzte Reise nach Frank-
reich, um ihren damals schon hochbetagten Vater und die Familie
ihres Bruders zu besuchen. Es wnrde der grosse Reisewagen ge-
packt, die Koffer daraufgeschnürt und befestigt, die kleine silberne
Reiseuhr im Schildkrötengehäuse im Innern des Wagens aufgehängt
und die Fahrt mit der Kammeijungfer und einem bewährten Be-
dienten per Extrapost angetreten. „Lebt wohl, liebe Kinder, gross
— 357 —
and klein,** sagte sie bdm Abschied, „ich gehe, ftLr kurze Zeit
wieder Kathinka zu. sein! Bei meiner Rflckkehr werde ich dann
wieder ausschliesslich Mama und Grossmama !"
Aber nicht nnr ihren Angehörigen galt diese Reise, sondern
auch der Herzogin Helene von Orleans, geb. Prinzessin von
Mecklenburg, welche der Freundin ihrer Kindheit durch das
ganze Leben treue Anhänglichkeit bewahrte. Die Prinzessin hatte
im Jahre 1837 den damaligen Kronprinzen von Frankreich, Herzog
Ferdinand yon Orleans, geheiratet. Baronin Bechtolshelm war
anfangs gegen diese Verbindung eingenommen gewesen, musste sie
ja doch als echte Rojalistin die Linie Orleans als Usurpatoren
der KOnigswflrde betrachten. Die Person des Herzogs Ferdinand
war ihr jedoch sympathisch geworden, seit sie zur Überzeugung
gekommen, dass Prinzessin Helene in glQcklichster Ehe mit ihm
lebte. Im Jahre 1842 ereignete es sich, dass der Herzog auf einer
Fahrt, als die Pferde plötzlich scheuten und durchgingen, einen
unglflcklichen Sprung aus dem Wagen that und infolge der dabei
erlittenen Verletzungen starb. — Nun hatte die untröstliche Witwe
in ihren h&ufigen Briefen den lebhaften Wunsch geäussert, ihre
liebe Freundin wiederzusehen. Dies mochte die eigentliche Ver-
anlassung zu der damaligen Reise gewesen sein.
Noch einmal besuchte ue in späteren Jahren die ihr so teuere
Herzogin, um derselben, soviel es in ihrer Macht stand, tröstend
zur Seite zu stehen. Als nämlich das Jahr 1848 die Dynastie
Orleans stürzte, musste auch die Herzogin mit ihren Söhnen Frank-
reich verlassen und bei den deutschen Verwandten Schutz suchen,
welche ihr einstweilen Schloss Eisenach zur VeriÜgung stellten,
wohin sie auch Baronin Bechtolsheim einlud, welche gern diesem
Rufe folgte, der so ganz dem Zuge ihres Herzens entsprach. Sie
verbrachte einige Wochen in ihrem für sie an Erinnerungen so
reichen Eisenach.
Das Jahr 1852 nannte sie- mit Recht das schmerzlichste
ihres Lebens, denn am 30. Januar starb ihr innigstgeliebter Sohn
Alexander, welchem am 18. April, also kaum drei Monate später,
seine Schwester Clotilde von Oberndorff in die Ewigkeit folgte.
Tief gebengt durch diesen doppelten Verlust, fand Baronin Boch-
— 358 -
tolBheim nur Trost nnd Stirke in Gott und dem edlen Bestreben,
ihren Enkeln die fi-Oh eDtriaBenen Eltern zd eraetien. Sie starb
am 17. Februar 1872 in Hanchen im HauBe ibrea SchwiegerBohaet,
bei dem sie die letzten Jzbre ihres Lebens znbrftchte.
Der BentnBgeber.
Zwei Anhänge.
(1. Briefe ans dem Nachlasse des Barons von Grimm.
2. Ein Ehekontrakt ans dem Jahre 1786.)
Erster Anhang.
Briefe aiis dem Nachlasse des Barons
von Orimm«^)
I.
Fünf Briefe und elf Brieffragmente der
Kaiserin Katharina IL von Rnssland an
Friedrich Melchior Baron Grimm von Grimmhof.
Erster Brief.
k P^tersbourg ce 7/26 de Mars 1771.
Monsieur!
J^ai regu yos deux lettres du 14 et 27 F^yrier presque
en m6me temps. Yous d^sirez que je yous dise un mot sur
les grossidrtös et les sottises des Chinois, dont j^ai fait men-
tion dans une de mes lettres. Nous sommes yoisins, comme
Tous le sa^ez; nos lisi^res de part et d'autres sont borddes
de peuples pasteurs, Tartares et payens. Ges peuplades sont
trös portdes au brigandage; ils s'enl^yent (souyent par re-
prössaiiles) des troupeaux et m6me du moüde. Ces querelles,
quand elles ont Heu, sont ddciddes par des Comroissaires
enyoyes sur les frontiöres. Messieurs les Chinois sont si
grands chicaneurs que c'est la mer k boire que de finir
*) Die Originale aller nachfolgenden Briefe befinden sich im
gräflich Erdödjschen Archive zu Galg6cz, NeatraerComitat, Ungarn.
— 362 —
mdme des mis^res avec eux, et il est arriv^ plus d'une fois,
que, n'ayant plus rien k demander, iU exigeaient les os des
morts, non pas pour leur rendre honneur, mais uniquement
pour chicaner. Des mis^res pareilles leur ont servi de pr^-
texte pour interrompre le commerce pendant dix ans; je dis
de pr^texte, parceque la yraie raison ^tait que Sa Majest^
Chinoise ayait donn^ ä un de ses Ministres en monopole lo
commerce avec la Bossie. Les Chinois et les Kusses s'en
plaignaient ^galement; et, comme tout commerce naturel est
tr^s difficile k g^ner, les deux nations ^changeaient leurs
marchandises 1&, oü il n'y avait point de douane Stabile, et
pr^f6raient la n^cessitd aux risques. M. le Ministre yexait
les provinces chinoises limitrophes et ne commer^it pas.
Lorsque d^ici on leur ^crivait sur l'etat des choses, en r^-
ponse on recevait des cahiers tres amples de prose mal
arrang^e, oü l'esprit philosophique ni la politesse ne se
faisaient pas m^me entreyoir, et qui d'un bout jusqu'ä Tautre
n'ötaient qu'un tissu dMgnorance et de barbarie. On leur
a dit dHci qu'on n'avait garde d'adopter leur stile, parcequ'en
Europe et en Asie ce stile passait pour impoli. Je sais
qu^on peut rdpondre k cela que les Tartares qui ont fait la
conqudte de la Chine ne valent pas les anciens Chinois; jo
le veux croire, mais toujours cela prouve que les conqu6rants
n^ont point adoptd la politesse des conquis, et ceux ci courent
risque d'^tre entrain^s par les moeurs dominantes.
J'en yiens k präsent k Tarticle Loix que yous ayez bien
youln me communiquer, et qui est si flatteur pour moi.
Assur^ment, Monsieur, sans la guerre que le Sultan m*a in-
justement d^clar^e, une grande partie de ce que yous dites
serait fait, mais pour le prdsent on ne peut paryenir encore
qvCk faire des projets pour les diffärentes branches du grand
— 363 —
arbre de la If^gislation d'apr^s mes principes, qui Bont im-
prim^s et que yous connaissez. Nous sommes trop oecop^
k nous battre, et cela nous donne trop de distration pour
mettre tonte Tapplication convenable k cet immense ouvrage
dans le moment pr^ent.
J'aime mieux, Monsieur, yos vers qu^un corps de troupes
auxilliaires; Celles ei pourraient tourner le dos dans un mo-
ment d^cisif ; yos Yors feront les d^lices de la post4rit6, qui
ne sera que l'^cho de yos contemporains. Geux que yous
m^aYOz euYoy^s s'impriment dans la memoire, et le feu qui
y rigne est ^tonnant; il me donne Tenthousiasme de pro-
ph^tiser. Yous YiYrez deux cents ans ! on espöre Yolontiers
ce que Ton souhaite. Accomplissez, sHl yous plait ma pro-
ph^tie; c'est la premidre que j'aie faite.
Catherine.
Zweiter Briet
k Czarskozölo le 17 aYril 1776.
J'ai reQu Yotre lettre de Naples dans les jours les plus
affreux de ma Yie. Le dix aYril k quatre heures du matin
mon fils Yint me chercher parceque son ^pouse*) sentait les
douleurs de Tenfantement. Je sautais du lit, et j'aecourus.
Je la trouYais se tourmentant bcaucoup, mais sans qu'il y
eut rien d'extraordinaire. Uoe femme et un Chirurgien ha-
bile la secouraient ; le temps et la patience doYaient la tirer
d'affaire. Cet ötat continua jusqu'ä la nuit; il y eut des inter-
Yalles tranquilles, du sommeil mdme, les forces ne diminuaient
*) Natalie, geborene Landgräfln yon Hessen -Darmstadt, des
nachmaligen Kaisers Paul I. erste Gattin (f 1776), noch im selben
Jahre heiratete er Marie, geb. Herzogin Yon Wflrttemberg.
Der Herausgeber.
— 364 —
point. Le lundi se passa dang une attente et im £tat pareille
et tr^s inquiötant. Outre son m^decin, qui ne qaittait pas
'antichambre , celui du Grand duc et un autre accoucheur,
le plus habile quMl y eut, furent appell^B pour servir de
conseil k ceux qui y 6taient. Leur conseil ne produisit ni
Boulagement ni nouveaux exp^dients. lU demandirent mardi
mon m^decin et un ancien accoucheur habile, pour faire une
nouvelle consultation. Le r^sultat fut qu'il fallait sauver
la möre, parceque probablement Tenfant 6tait mort Les
instrumenta furent employ^s. Un concours de malheureuses
circonstances oecasionn^ par la conformation , et par diveni
accidents, rendirent toute la science humaine inutile — le
jeudi la Grand'duchesse regut tous les sacrements. Le prince
Henry*) proposa son m^decin; il fut admis et justifia ses
confr^res. Le vcndredi cette Princesse rendit Täme k cinq
heures du soir. Hier eile fut ouverte en pr^sence de treize
m^decins et chirurgiens, et par leur rapport unanime il
rosulte que c'est un cas presque unique et irrem6diable.
Yous ne sauriez youb imaginer ce qu'elle a du souffrir et
nous avec eile. J'en ai Vkme d^chir^e. Je n'ai pas en un
moment de repos pendant ces cinq jours. Je n^ai quitt^
cette Princesse ni jour ni nuit jusqu^ä ce qu'elle a eu les
yeux fermds. Elle me disait au milieu de ses sonffrances:
„Yous 6tes une excellente gardemalade/ Imaginez yous ma
Situation. Consoler Tun, raffermir Tautre, n^en pouvant plus
de Corps et d'äme; obligöe d'encourager, de d^cider, de
pr^voir tout ce qui ne devait point 6tre oubli^. Je yous
♦) Wohl Prinz Heinrich von Preussen, der Bruder Friedrichs
des Grossen. Dieser weilte nämlich in den siebziger Jahren des
18. Jahrhunderts längere Zeit in Petersburg.
Der Herausgeber.
— 365 —
avoue que de ma vie je ne me suis trouv^e dans une Situa-
tion plus difficile, plus horrible, plus penible. J^oubliai boire,
manger et dormir, et mes forces se soutenaient je ne sais
comment. Je commence k croire que si de cette aventure
mon Systeme nerveux ne se d^range pas, il est ind^rangeable.
Yingt quatre heures avant la mort de la Grand^duchesse
j'envoyai prier le prince Henry de s'emparer pour mon
soulagement du Grandduc. II vint et ne le quitta plus.
11 Supporte son profond chagrin avec assez de fermet^, mais
aujourd'hui il a pris la fi^vre. D^s que son Epouse fut
morte je Tenlevai pour le mener ici. Adieu, je r^pondrai
k Yotre lettre une autre fois.
du 18 avril.
Rendez gräce k Dieu, bien loin de vous lamenter de
n'^tre pas du Yoyage du Prince Henry. Yotre boyau f^l^
n'aurait pas resist^ au speetacle dont vous avez tu les details
dans ma feuille d^hier. Nous, qui ne sommes pas dans yotre
cas, k peine somme nous en yie. II y avait des moroents
oü je sentais des d^ohirements d'entrailles et k chaque cris
je me sentais d^faillir. Le vendredi je deyins pierre et k
präsent encore je ne me sens pas. J'ai des heures de fai-
blesse, d'autres de force; cela tient de la fi^vre intermittante,
mais eile est plutot morale que physique. Personne n'a
d'id^e de cela k moins de Favoir tu ou ^prouy^. Imaginez
vous que moi qui suis pleureuse de profession, j'ai tu mourir
Sans repandre une lärme. Je me disais, si tu pleures, les
autres sangloteront ; si tu sanglotes, les autres s'^yanouironti
et tout le monde perdra la t6te. Mais je coupe court k tout
cela et k tout ce que j'aurais k yous dire sur ce sujet Je
m'en rapporte au Prince Henry, et ne yous en dirai plus
rien. Yous Yoyez que Thomme propose et que Dieu dispose.
— 366 —
Dritter Brief.
k P^tersbourg le 14/25 Decembre 1777.
Connaissez vous Monsieur Alexandre? Alles Yons sou-
vent & Yersailles ? En ce cas voas connaissez ou bien tous
ne connaissez pas les commis des commis de Monsieur
Alexandre, c'est k dire de ce Monsieur Alexandre dont il
est tant question dans „ring^nu?^ Mais je parie que vous
ne connaissez point du tout Monsieur Alexandre, du moins
celui dont je vais yous parier. Ce n'est point d^Alexandre
le grand qu'il s^agit, mais d'un tout petit Alexandre*) qui
yient de naitre le 12 de ce mois, k dix heures trois quarts
du matin. Tout cela veut dire que la GrandMuchesse
vient d^accoucher d'un fils qui k Thonneur de Saint Alexandre
Newsky, a re^u le nom pompeux d' Alexandre, et que j^appelle
moi „Monsieur^ Alexandre parceque s'il se m^le de vivre, sans
faute avec le temps, ses commis auront des commis. Yoyez
un peu ce que c'est que les proph^ties et le comm^rage de
Grand'mSre. Ne voilä-t-il pas une preuve de perspicacit^
trds ^clatantel Aber, mein Gottl was wird denn aus dem
Jungen werden? Je me rassure avec Bayle et le pdre de
Tristram Shandi qui ^taient d'avis que le nom influait sur
la chose. Convenez que celui ci est illustre. II y a eu des
matadors qui i'ont port^. Pourvu que les as ne soiönt pas
passös k cette bände \k, Les exemples de famille y fönt ils
quelque chose? Que pensez vous? Le choix embarrasse
quelquefois, les exemples n'y fönt rien au dire de T^vangile
du vönerable Pasteur Wagner. C'est le naturel qui fait tout.
♦) Kaiser Alexander I. Paulowitsch, geb. 12. Dezember 1777.
Der Herausgeber.
— 367 —
Mais oü le cheroher celui \k? Est-ce au fond du sac de la
bonne Constitution? Celle-ci parait y 6tre, pounru que la
masse n'absorbe point le flogistique, les chairs, les ob, cela
tiraille Tesprit k droite et k gaache. J'enverrai d^battre
tout cela k la Reine douairi^re de Su^de, eile s^en tirera
mieux que moi. C'est dommage que les f^es ont pass^ de
mode. Elles yous douaieut un enfant de tout ce qu'on
Youlait Je leur aurais fait de beaux pr^sents, et je leur
aurais chuchot6 k l'oreille : „Mesdames, du naturel, un tantinet
de naturel, et Texp^rience fera k peu prös le reste. Adieu,
portez YOUS bien.*
J'ai reQu Yotre postscripture aux bell es choses que
m'apporte Thier de Yotre part, mais celui-ci n^est point
encore arriY^. Etes yous content de T^loge de Madame
Qeoffrin? Je trouYe que cela est bien dit, mais qu^il n^en
reste rien dans la t^te. Je sais bien ce qui y manque. Cet
auteur n'est pas le mien, nos totes ne Yont point ensemble
Gott weiss, alle die Leute wollen mehr wie sie können, und
ich liebe die Köpfe die ohne Wollen und ohne sich auf-
zuziehen, Yon selbst laufen. En doYonant Yieux, je crois
qu'on doYient trop difficile et que c'est mon cas.
Vierter Brief.
k P^tersbourg le 22 Decembre 1777.
N^est il pas Yrai que rien n'est plus importun que de
bombarder les gens de lettresP J'en couYiens moi mdme.
Voilä, me parait, la troisi^me que je yous ^cris, sans trop
saYoir pourquoi, mais il faut que je yous ^criYe» ma t6te
le Yeut. Eh bien, ne la lisez pas, il y a remMe k tout, je
yous le rep6te, jettez la au feu sans la lire. Monsieur
— 368 —
Alexandre a ^t^ baptis^ avant hier, et tout le monde se
porte bien, hormis les Anglais qui ont la t^te penchi^e aar
leur estomac depuis la d^plorable aventure*) du G^n^ral
Bargoyne. H y a l& de quoi se ronger Iqs doigts k la fa^on
du Prince Potemkin. Cela met le sang en mouTement. Si
celui du Parlement de la Grande Bretagne reste calme, je
les di^clare moi ehrwürdige Passgänger. II y a lä yingt
r^solutions k prendre seien moi les unes plus belies et plus
^clatantes que les autres. Nous yerrons un peu ce qu'ils
feront, et s'ils fönt bien, cela nous fera devenir sage et nous
apprendra k renfcrmer nos opinions et k morig^ner notre
Imagination, m'entendez-vous? Schach Baham et moi, nous
nous entendons bien nous m^mes. Quand yous m'^crirez un
jour parlez moi un peu de M. Quirini, de Tabb^ Galiani et
de Mengs! Ce dernler fait-il mes tableaux? Oh mon Dieu,
si YOUS Yoyez comme malgr^ toutes yos mauYaises pr^dictions,
je suis bien log^e cet hiYer. II y a tout plein de choses
admirables et comme yous n*en avez jamais yu, dparpill^es
partout k Tentour de moi qui ne me sont bonnes k rien, et
dont je ne me sers point du tout; c'est une felicit^ de Yoir
cela seulement. Je ressemble au Chan des Eirgis auquel
rimp^ratrice Elisabeth donna une maison k Orenbourg et
qui fit dresscr sa tente dans la cour pour y demeurer. Je
me tiens dans mon coin et le parement d'eglise Ya son train,
nous en sommes au second lai de Fautel. L*introduction des
r^glements Ya son train aussi, la lögislation aussi, mais
*) Der englische General John Burgoyne mosste sich im nord-
amerikanischen Befreiungskriege bei Saratoga, in einen Hinterhalt
gefallen, am 17. Oktober 1777 mit seinem ganzen 5550 Mann
starken Korps dem amerikanischen General Gates ergeben.
Der Herausgeber.
— 369 —
doucement. Je ne sais ce que c'est Si c'est la mati^re ou
la t^te qui en est cause, mais les enjamb^es deviennent rares,
c^est une fi^yre lente et cootinue sans dlans. Ne tous 6tait-il
pas bien n^cessaire de savoir tont cela? Le Patriarche m^a
fait rhonneur de m'enyoyer an livre qu'il a iotitul^ 9^1*^^
de la justice et de rhumanit^'. U veut que cela serye
k faire un code crimioel qu'il yeut ayoir pour cent louis.
Cela est modique. Moi je crois qu'il sera fait gratis ou
point du tout. Pour le faire, il faut p^cher dans le ooeur,
dans rexperience, dans les loix, coutumes et moeurs d'une
natioD, et point dans la bourse. Les prix accad^miques
aiguisent Tesprit des jeunes gens; ici c'est Taffaire de barbous
(3clair6s, de gens qui ont eu le maniement de bien des choses
et pour qui cent louis ne sont rien. A propos de cela, sayez
yous bien que l'Opera de Paisiello ^tait une chose* char-
mante ? J'ai oubli6 de yous en parier. J'ai ^t^ toute oreille
pour cet opera, malgr6 Tinsensibilit^ naturelle de mon tympan
pour la musique. Je mets Paisiello k c6t^ de Galuppi. II
yient d*arriyer un bouffon qui est fort dröle, la musique m^me
qu'il chante, me fait rire. Dieu sait comme cela est arrangc.
£coutez, homme k deyeloppement, deyeloppez moi d'oü yient
que la musique de ce bouffon me fait rire, tandis que la mu»
sique des operas comiques frangais m'inspire de Tindignation
et du m^pris, k moi qui n'aime ni ne sais la musique.
Yous ne ferez point imprimer cette lettre par une raison de plus,
c'est qu^ello est la production d'un malade qui griffonne pour
s'amuser. J'ai aujourd'hui mal k la t6te, et yous dtes mon
souffre douleur depuis longtemps. Je puis m6me, quand yous
le youdrez, yous donner un attestat comme t6moin que yous
ayez fait preuye deyant moi d'une patience incroyable. Adieu,
portez yous bien. Voilä quatre pages remplies tr^s exactement.
Carl Oraf Obtrndorff, EriaBtroBfta «Ibm ürgroMmstttr. 24
— 370 —
Fünfter Brief.
k P^tersbonrg du 14 F^yrier 1778.
Monsieur le souffre-doulenr, il faut que je yous ^crive,
car j'ai mal k la t^te. Ne vons attendez pas aujourd^hui k
grande Imagination, oü bien k nombre de paroles culbutant
les unes sur les autres comme les eaux d'une digue rompue.
Ce n'est point cela; il ne s'agit qne d'un simple r^oit de la
jfi&te du seigneor Azor. Or donc pour entrer en matiöre, il
faut YOus rappeller ce que je yous ai dit ddijii, que nous
^tions dans les fötes et mascarades jusque par dessus les
oreilles, et que nous roulions par la YÜle de maison en
maison comme les rats de grenier en grenier. II s'est trouY^
un malheureux petit jour de repos Mardi 13 F^yrier oü tont
le monde ^tourdi par la musique, accabl^ de danse et d^-
fatigu^ comptait respirer chacun dans son manoir. Ne
Yoilä-t-il pas que Satanas, cet ennemi du repos, Yient s'en
mMerl Que fait-ilP II inspire au Seigneur Gentilhomme
Africain l'id^e de choisir un jour d'opdra oü les loges £taient
presque Yuides et le parterre assez clair sem^, de se montrer
tout-ä-coup dans la salle, afiPubl6 dans le costume de son
pays et de präsenter k une trentaine de personnes les plus
consid^rables lemanifeste ci Joint imprimd. Ce bei ^crit
oü personne ne comprenait rien, mit toutes les totes en l'air.
Qu'est-ceP Que sera-ce? De quoi s*agit-il? Je devine.
Je ne deyine pas. On imaginait, on supposait, on ce cassait
la t^te, et Ton en riait d'autant. ^Bonne prc^paration pour
la f^te^, disait le Seigneur Azor. A la moiti^ de TOp^ra,
Selon le d^sir dudit Seigneur Africain, tout le monde ioYit^
se rendit au Heu assignc^. On fut oblig6 de monter par un
— 371 —
petit escalier toarnant et fort ^troit, non pas pr^cis^ment
au grenier, mais dans certains entresols, oü tout respire
rambroisie de TAsie. Lk trois grandes tables k tapis de
yelours ^taient dress^es pour le macao. Sur chacune se
trouvait placke une petite botte avec une petite cuiller d'or.
(J'entre dans ces d(^tail8 pour la commodit^ de ceux, qui
Youdront imiter le Seigneur Azor). L'affiche ci jointe
accompagnait les boites. La compagnie s^empressa k remplir
les intentions de rh6te. Rien de plus anim^ que ce jeu-Ui,
disaient les hommes. Rien de plus amüsant, disaient les
femmes. C'est joli de jouer anx diamants. Cela ressemble
aux mille et une nuits. On avait de Tespoir comme quatre,
et l'or et les bijoux roulaient d'autant. Les politiques disaient
que c'^tait une nouveaut^ trös piquante, d'autres se taisaient,
mais amenaient neuf. Enfin ce beau jeu dura une beure et
demie jusqu^au souper, et les bottes n'^taient pas yides. On
prit alors le parti de partager ce qui restait entre les joueurs.
Apr^s quo! on descendit l'escalier par lequel on avait mont^,
et Ton se trouve dans un appartement tout en glaces, murs
et plafond, tout en 6tait couvert. En face de Tescalier est
une grande croi8<^*e dont les rideaux s'ouvrirent subitement
et decouvrirent un grand A de la longueur d^une arcbine,
d'une largeur proportionnee, formö des plus beaux diamants
de la couronne. Sous cet A immense se trouTait une Ting-
taine de pages y^tus d^^toffes d'or avec des ^charpes de
satin bleu. Ils devaient faire le seryice des tables et grou*
paicnt parfaitement bien dans la croisee sous TA de diamants.
Les tables ^taient placc^es le long des murs k droite et k
gauche, adosses aux glaces de fa^on que les conyiyes se
trouvaicnt en face. Mais comment yous d^*crire le dessert
plac6 dcyant ces glaces? G'^taient les plus belles pi^ces
24*
— 372 —
da sartout Bretenil couYertes par tous les bijonx des qnatre
armoires, que tous oonnaissez. Le dessin et rarrangement
de tont cela 6taient k la lettre une chose charmante. J'ai
ordonn^ d*en faire an dessin et de le graver, je voas Ten-
Terra!. En entrant dans la salle toat le monde resta ^bahi
de la beaat^ et de la richesse da spectacle, et plas d'ane
demie heare se passa sans qa'on püt paryenir k faire asseoir
les conyiYes aax tables, qui les attendaient. Pendant le
souper rentbousiasme ne diminaa point : on remonta ensuite
aax entresols. J'ai oabli6 de tous dire qu^ön entrant la
premi^re fois dans ces appartements , on passa par cette
salle, oü il n'y avait aucune d^coration et que toat s^est
arrang^ pendant le jeu aux diamants. Yis-ä-vis da grand
A en diamant de la crois^e il y avait dans une nicho un
autre grand A tout pareil form6 de perles. Mais en yoWk
assez pour aujourd'hui.
Manifeste.
Francisque Azor, ancien Gouverneur de tortues k la
Guadeloupe, aujourd^hui ayantageusement connu k la Cour
imperiale de Russie, a eu Thonneur de d^clarer plus d'une
fois en pr^sence de t^moins, comme quoi il ^tait gentil-
homme Africain. II ignore si c^est par envie ou par d'autres
motifs, que plusieurs ont voulu lui contester cette qualit^.
Mais cela lui est assez indifferent aujourd'hui, oü il se
d^termine enfin k deployer en face du public le caractere
de Repräsentant de sa patrie, de celle de Tor et de Targent,
des pierreries et des monstres, en un mot de la grande partie
du globe terrestre , appel^e Afrique. II administrera ses
preuves k quiconque le präsent dcrit sera par lui ou par
— 373 —
son Bubd^legu^ remis en mains propres, pourvu qu'on veuille
bien se rendre au sortir du spectade le Mardi 13 Feyrier
1778 dans les appartements de rimp^ratrice, tenant cet 4crit
k 1a main. Les personnes ^clair^es conviendront, que le
Seigneur repr^sentant ne pouvait choisir un moment plus
fayorable pour contribuer k Tdclat de cette ^poque brillante,
en faisant yaloir ses droits. II finit en soubaitant qu^aprds
jeu et souper un doux sommeil Tienne au secours des yeux
fatigu^s de ses conviTes.
A f f i c h e.
Le Seigneur Repräsentant a expos^ sur chaque table
une botte remplie de diamants, non pas en vente, mais afin
qu'en jouant au Macao, chaque neuf soit pay6 de sa part
d'un brillant.
Erstes'Fragment.*
P^tersbourg, 5 Octobre 1777.
Quand vous y serez (en France) je yous prie de trouver
une occasion pour dire k Monsieur Necker, que Monsieur
de Schouwalow*) m'a remis son livre sur le commerce des
grains, et que je lui en ai mille obligations ; c^est un excellent
livre. Voilä pour lui, et voici qui est pour youb. L^auteur
*) „Iwan Iwanowitsch Graf von Schnwalow» GOnitling der Eaiserin
Elisabeth, geb. 12. November 1727, ward ?on der Kaiieria anm
Oberkammerherrn ernannt and gründete 1755 die Universitit, nebst
zwei in ihr gehörigen Gymnasien zu Moskau, sowie 1758 die
Akademie der Künste zu Petersburg; er starb hier tm 25. Noy.
1798." (Entnommen ans Meyers Konversationslexikon 4. Aufl.
14. Bd. pag. 672.)
— 374 —
de ce liyre, que je lis moi möme, est une tAte profonde. Ce
n^est pas an livre fait pour tout le monde, et il n^j a qu'une
certaine trempe de gens qui le comprendront Je Tai raDg^
parmi mes livres classiqaes k moi; pour cette partie lä c'est
mon Blackstone. Qaand je nomme Blackatone, il me vient
tout de Buite en t^te et les loges de Bafael et le livre de
Bibiena. Par cons^quent le livre de Monsieur Necker est
aussi admis chez moi aux honneurs du crayon rouge. J'aime
beaucoup le chapitre qui commence page 136. Surtout ce
quUl dit du nord, je ne puis me ranger de son avis. N'y
ayant Jamals ^te, il n'en connait pas assez le local, et trancho
et gcneralise trop vaguement. Si je le connaissais, j^entrerais
parci-parlä en dispute avec lui. Je lui dirais par exemple:
Les pays du nord ont des provinces vers le midi les plus
fertiles du monde, qui ne ressemblent en rien aux rives de
la mer glaciale. Si ces rives sont peu peupices, sachez que
Ic tcrrain manquc dans d'autres contrees etc. etc. Patience,
dans quelques annces vous verrez des cartes de la Russie
qui en donneront une idee juste. Beaucoup de ces meprises
viennent de ce que les capitales ont ete placces sous des
points de ciel disgracieux . . .
* Die mit * bezeichneten Fragmente (and zwar das 1., 2.,
8., 9. nnd 10.) enthalten Reflexionen aber Werke Neckers. —
Jacques Necker (1732—1804), berühmter französischer Finani-
minister Ludwig XVI., schrieb : „Eloge de Colbert** (Paris 1778),
„Essai sur la Idgislation et le commerce de grains'* (Paris 1775)
— siehe 1. Fragment — „Compte rendu au roi'* (Paris 1775) —
siehe 2. Fragment — ; „Padministration des finances^* (Lausanne
1784); „Nou?eaux öclaircissements sur le compte rendu*' (1788);
„De Padministration de Necker par lui-m6me*' (Paris 1791);
„De la rävolution fran^aise" (Paris 1796, 4 Bde.) etc. etc. — Er
wurde vom Könige mehrere Male entlassen und wieder berufen.
Der Herausgeber.
— 375 —
Zweites Fragment. *
du 10/21 Juillet (1778?)
Enfin M. Necker n'est plus en place. Voilä c'est an
beau rSve que la France a faite, et une grande yictoire pour
ses ennemis. Le caractire de cet homme rare est k admirer
dans ses deux ouvrages, car „le M^moire*^ vaut bien ,le
Compte rendu'. Le Roi de France a touch^ du pied k une
grande gloire. Das findet sich nicht sobald wieder. H fallait
k M. Necker une töte de mattre qui suivit ses enjamb^es . . .
Eh, mon dieu, pourquoi avec toute la bonne yolont^
suivent-t-ils en bottant si r^ligieusement les traces du grand-
papaP Ce n^est pas ainsi que se conduit M. le beau fröre.
Drittes Fragment.
du 11/22 JuUlet.
La lettre que M. Necker yous a (Perlte, m*a fait grand
plaisir, je suis seulement fächere qu'il ne seit plus en place.
Je connais un homme dans le monde k qui le ciel a destinä
la premiöre place en Europe» sans contredit la premiöre pour
la gloire. II faut qu'il vive, il faut qu'il suryiye k une couple
de ses contemporains , et alors cet astre sera k oul autre
comparable, et ses contemporains resteront loin derriör« lui.
Viertes Fragment
du 11 Aout 1778 de OimkwMQ.
II faut conyenir que yous ayez un gout AMi^ |K>ttr \m
postscriptum. En yoilä un du 15 Juillet qui iiuH iiiire pAfi*
— 376 —
dant k un No. 20 qui n^est pas arriv^, me semble, car il
y a une ^ternit^ que je n'ai re^u de vos lettres, ni ne voas
ai ecrit, j'attendais pour prendre la plume quelque grand
mal de t^te ou quelqu'autre ^yenement important qui reyeili&t
rimagination. Yotre postscriptum bariol^ me met primo
dans Tattente des bustes de Stoadon. "^ II m'apporte secundo
les tetes gray<!*e8 de Voltaire. Je vous confesse que depuis
la mort du patriarche je ne puls les regarder. Les yers
de Madame de Bouffiers en revanche m'ont fait grand plaisir.
Nous viTons ici dans rattente des grands <^y<^nement8. Yon
allen Seiten wird On dirait que c'est l'histoire
des litt^rateurs fran^ais et la proportion de M. de la Harpe
k Voltaire. Notez, s'il yous platt, que je n'ai jamais rien
lu de ce M. de la Harpe et que par instinct j^ai du d^gout
pour ce qu'il 6crit. Aliens, premier d^yeloppeur que je
connaisse, d^yeloppez moi le principe de cette injustice criante
de juger un auteur sans ayoir yu Tenyeloppe de ses ouyrages . . .
C'est une belle chose que la politique. II y entre une esscnce
de babil, de longs discours sur rien qui ne yalent pas la
peine d'^tre relev^s, le tout assaisonn^. de conjectures dont
la plupart du temps pas une n^est juste ni yraie , et Yoilk
comme se gouyerne le monde et ce qui tr^s souyent d^cide
du sort des nations. Wahrhaftig arme Leute und elende
Sachen! Depuis que Voltaire est mort, il me semble qu'il
n'y a plus d^honneurs attach^s k la bonne bumeur; il ^tait
le dieu de la gaiet6 ? Faites moi donc ayoir un exemplaire
*) In AnerkennuDg seines Geschmackes und seiner Kenntnisse
war ßaron Grimm nämlich von der Kaiserin beauftragt, auf seinen
vielen Reisen oder in Paris für dieselbe allerhand alte und neue
Kunstschätze, Rarietäten oder Kuriositäten zu sammeln und ihr zu
übersenden. Der Herausgeber.
— 377 —
bien, bien complet de ses oeuvres pour renouyeller et corro-
borer en moi la disposition naturelle au rire. Si vous ne
m'enyoyez pas cela au plut6t, je ne vous enyerrai plus que
des el^gies. Adieu, cela suffit pour aujourd*hui.
Fünftes Fragment.
du 17 Aout 1778 de Czarskoz^lo.
Depuis qu'il existe dans ce monde des Barons allemands,
il n^y en eut Jamals d^aussi passionncS pour les postscriptum
que vous, a peine ai-je eu le temps de repondre k un, que
Yoilä une oontinuation de postscriptum du 15 Juillet annex^e
au No. 20, que je pr^tends n'avoir point re^^u, qui yient
m'assaillir. Aber was wird denn daraus werden ? Je n'aime
point les Nachtrag depuis que j'ai tu dans un Nachtrag
la renonciation d'un Duc Albert d* Antriebe sur la Bavi^re.
Je me joins k M. Reiffenstein *) pour vous souhaiter
une parfaite sant^. J'esp^re de m^me que lui, que mes
pr^c^dentes vous seront parvenues dans leur temps. Je n'ai
encore regu ni caisses ni bailots exp^di^s par M. Reiffenstein,
contenant marbres etc. etc. acquis par ordre de M. de
Schouwalow qui NB. se trouve ici präsent, par la raison que
les fregates parties de Livoume ne sont point arriv^es encore,
ni par consc^quent toutes les autres helles choses qui YOguent
*) Job. Friedr. Reiffenstein, Kunstkenner, geb. 1719, studierte
zu Königsberg die Rechte und schönen Künste. 1745 wurde er
Pagenhofmeister zu Kassel. Später ging er nach Rom, wo er mit
seinem Freunde Winckelmann ganz der Kunst lebte. Vom Herzog
von Gotha und der Kaiserin Katharina, für die er h&ufig Kom^
missionen in Kunstsachen übernahm, erhielt er eine lebensl&ng-
liche Pension. — Er starb 17dd. Der Herausgeber.
— 378 —
en pleine mer, et dieu Yeuille sauTer les loges de Rafael
des temp^tes Je crains beaucoup qne la toux
n'emporte Menge ayant qu^il ait commenc^ mes tableaux.
II y a an an qu'ils sont command^s, et cette ann^e est
malheureusement marqu^e par la perte des grandes totes*
Monsieur je suis encore de Tavis de M. Reiffenstein accom-
pagn^ du Prince de Saxe Gotha et du G6n^ral Woronzof
k Rome, je regrette infiniment, tout comme eux, de ne pas
jouir de yotre conversation et de votre agr^able compagnie.
J'^cris tout ceci tenant la lettre de M. Reiffenstein k la main,
et tout en la lisant, me YoiU arriy^e au P^re Jacqaier et
k Tabb^ Chigi, j'ai lu d'un beut k Tautre moi mörne la
lettre du premier öcrite en belles pattes de mouohe. J'aeeepte
avec empressement la d^dicace de la carte de la Sicile et
cela en faveur de mon cousin le mont Ethna pour lequel
yous connaissez ma passion tr^s d(5cid^e. J'ai d'ailleurs une
tr^s grande rc^pugnanco pour les d^dicaces, mais en fayeur
de mon cousin que j'aime infiniment, je fais exception k la
r^gle , et j'aurais envie que M. Reiffenstein se cbargeät
d^embrasser fr^re Jacquier et Tabbd Cbigi de la charmante
idee qu^ils ont congue. J^attends aycc impatience le tableau
de Hackert representant mon surdit cousin, je le ferai copier
en miniature, pour le porter en bracelet, tant je Taime.
Apparement que sa Majest^ Catholique aimc les sujets tristes,
Yu la sc^ne desagrc^able qu'elle a command^e aMengs*) et
qui emp^che Tartiste de commencer les tableaux que je
'*') Rafadl Mengs, ausgezeichneter Maler des 18. Jahrhunderts,
geboren 1726 zu Aossitz in Böhmen, studierte unter der überaus
strengen Anleitung seines Vaters in Dresden und Rom. Wurde
1744 Hofmaler König August III. von Sachsen. 1752 folgte er
einem Rufe Karls III. nach Spanien, wo er alle Nebenbuhler sieg-
— 379 —
Youdrais avoir. H y a longtemps qae j'ai dit k M. de
Schouwalof que je ne trouvais rien de eher de la pari de
Mengs; je crois m^ine qn'il lui a d^jä enYoy6 de Targent
d'ayance. J'ai ordonn^ de payer au Baron de Fr^ederiezs
pour M. Reiffenstein 274 scudi romani 90 bajochi ^a* Preiiez
deux exemplaires pour inoi des oeuTres de Metastasio, s'il
Yous platt. Du reste, je me recommande k Thoiinear de
votre Souvenir. Adieu!
Sechstes Fragment
du premier Septembre 1778.
Je mourrai, je mourrai pour sure, il fait un tris grand
vent de la mer, le pire de tout pour Timagination. J'ai ^t^
ce matin au bain, cela m'a fait monter le sang k la t6te,
et cette apr^s midi les loges de Bafael me sont tomb^es
entre les mains. II n'y a absolument que l'esp^rance qui
me soutienne, je vous conjure de me sauyer. Ecrivez tout
de suite, je yous en prie, k Reiffenstein de faire copier ces
Youtes de m^me que les murs en grandeur naturelle, et je
fais Yoeu k S. Rafael de faire construire ces loges coute qui
coute et d^y placer les copies, car il faut absolument que
je les Yoie comme elles sont. J'ai une teile Y^ndration pour
ces loges, ces plafonds, que je leur Youe la d<^,pence de oe
bätiment et que je n*aurai ni paix ni repos qu'il ne soit sur
pied. H61as si l'on Youlait me faire un petit modöle du
reich aas dem Felde schlug. Später Hess er sich wieder dauernd
in Rom nieder. Von ihm rOhren zahlreiche grosse Deckengemälde
fflr deu König von Spanien, für den Papst, etc. etc. sowie Ölbilder
und Kopien nach altitalienischen Meisterwerken her. Er starb
1779 stt Rom. Per Uerausgeber.
— 380 —
b&timent ayec les dimensions exactement priBes dans 1a ville
deB modMes, dans Borne on m^approcherait bien de mon but.
Or c^est encore le divin Reiffenstein qui pourrait se charger
de cette belle commission, si M. le Baron de Grimm le voulait
bien. Je yous avoue que j'aime mieux yous en charger que
M. de Schouwalof , parceque celui \k est toujours k mettre
des incertitudes partout, et les incertitades sont de toutes
les choses de ce monde, celle qui fait le plas p&tir des gens
conformes corome moi. Yous nommerez tout cela du rai-
sonnement ou du d<^rai8onnement , comme il yous plaira,
maintenant il n'y a que chacun raisonne ou d^raisonne comme
il peut. Adieu Monsieur, que le ciel yous tieone en joie et
en sant6. Dites moi un jour pourquoi . . .
Siebentes Fragment.
27 Ayril vieux stile 1785.
Vous m'ayez parle de Zelmire que yous m'aYez re-
commandee de la part de ses parents. Je dois d^abord yous
dire qu^elle se conduit parfaitement bien , et qu^il n'y a
aucune esp^ce de reproche k lui faire ; mais son belitre de
mari est un homme intraitable. II a ayec eile une conduite
si brutale et si inconsiddree qu'il fera mourir de chagrin
cette pauYre petitc femme, et en ydritc^, je ne sais pas trop
si sa yie et sa sante sont en surete avec lui. II a eu ayec
eile la semaine passee une seene scandaleuse dont tout le
monde est instruit; il Ta battue, Ta tir^.c par les cheyeux
et puis Ta enfermee sous clef dans sa maison. Tout le
monde, sa propre soeur, son beaufr^re sont du cot^ de la
femme. D^s que j'en ai eu connaissance, sans compromettre
— 381 —
la femme ni personne des complaignants, j'ai enyoy^ le mari
dans son gouvemement sous pr^texte d'affaire pressante.
Au moment du d^part ils ont fait une paix pl&tr^e qui ne
peut ^tre de dur^e. Elle viendra avec moi k la campagne
oü je yais aprös demain. Monsieur son mari lui dit k toute
heure qu'il ne peut la souffrir; c'est le plus doux compliment
qn'elle en re^oit. Je crois quMl serait utile pour la pauvre
petite que ses parents sussent le malheureux dtat dans lequel
eile se trouve sans faute quelconque de sa part; mais il
faudrait leur recommander de ne la point compromettre.
Elle ignore enti^rement que j^^cris ceci, et je l'^cris, parceque
je pr^?ois qu'on sera obltg«^ t6t ou tard de les s^parer si on
veut lui conserver la yie. Yous ferez de tout ceci Tusage
que yous jugerez convenable. Si nous pouvons, nous övite-
rons tout eyc^nement troublant la paix ; mais la chose parait
difficile ayec un furieux comme celui \k
Achtes Fragment. *
du 8 Noyembre 1785 P^tersbourg.
J'ai enfin pu lire Tintroduction du livre de M. Necker,
je yiens de Pacheyer. Puisqu'il est sensible k Testime,
assurez le de toute la mienne. On yoit qu'il ^tait k sa
place et qu'il la remplissait ayec passion, il en conyient lui
m6me. J'aime ce mot : „Ce que j'ai fait, je le ferais encore/
On ne parle point ainsi sans 6tre bon, et il faut Tötre öperda-
ment, pour n^en ayoir rien perdu aprös beaucoup de trayers.
Je m'en vais lire le reste et yous en parlerai encore ayant
que cette missiye soit tcrminc^e. Arme Leute! ungestiefelte
Leute können die gestiefelten nicht yertragen : Sind zu stark,
— 382 —
zu fest, zu schwer, zu raisoniert, zu beweisend, zu Yoll; alles
das ist beschwerlich. Das Gemälde ist gross, ist schön, aber
was hilft das ? Wer wird nach dem Gemälde heute suchen ?
und wo wiederfinden ? Die Kunst besteht, mit allerlei Leuten
die Sachen gehen zu machen, so gut wie möglich, und alle
Tage besser.
Neuntes Fragment. *
du 10 Novembre (1785).
Les frais du recouvrement m'ont mortellement ennuy^.
En g^n^ral les finances de sa Majest^ tr^s Chr^tienne sont
une chose tout-ä-fait d^goutante. C'est \k que je dis k
chaque ligne: Nun, Gott sey Dank! so weit ist es bey uns
noch nicht getrieben. De ce pas je m'en yais k la coro^die
allemande pour m^en refaire
Zehntes Fragment. *
du 11 Novembre.
Convenez que c'est une mati^re bien dögoutante que les
finances du Roi tr^s Chr^tien. Je ne le föliciterai pas d^ayoir
48 receveurs, au lieu de douze. Je crois que bient6t S. M.
saura lequel de ces 6chantillons de finance 6tait le plus de
son gout. II a tät6 des Turgot, des Necker et du Salmi-
gondis actuel. Jede hatten ihre Art zu denken, Economisten,
Philosophen, Beuteldrücker. Gott sei Dank! ich bin mit
allen wohl zufrieden, et tout est au mieux dans le meilleur
des mondes possibles. Die Beutel-Purganz ist auch gut!
— 383 —
Elftes Fragment.
du 20 Noyembre (1785).
En lisant toujours le liyre de M. Necker il m^est yena
dans Tesprit, qu'il est indispensablement n^cessaire que je
Yous dise, en cas que tous Tignoriez, ce que je pense des
faiseurs de projets H faut que je yous dise en-
core que Quarenghi est Yenu m*interrompre au milieu de ma
phrase pour me parier du charmant th^&tre qu^il a construit
au beut de T Eremitage, qui passe pr^sentement par dessus
le canal moy^nant une arche en Tair et se perd dans le
Yieux palais de Pierre premier . . .
II. Drei Briefe des Fürsten de Ligne"^)
an Baron Orimm.
Erster Brief.
de Moscou ce 3 Juillet 1787 (nouyeau style).
II y a aujourd^hui deux mois que nous sommes partis
de KioYie et nous arriyons ioi tous en bonne santi, sans
*) Karl Josef Fflrst de Ligne, österreichiBcher Feldmarsdudl,
geboren 1735 sa Brüssel, war ein eleganter Schriftsteller und
Zeichner sowie einer der geistreichsten und witzigsten Mftnner
seiner Zeit. Er trat 1752 in die Osteneichische Armee und that
sich im 7jährigen Krieg herror. Kaiser Josef II. ernannte ihn zum
Generalleutnant, als welcher er sich im kurzen Feldznge Yon 1778
grossen Ruhm erwarb. Katharina IL, welche er anf ihrer Reise
— 384 • —
la moindre contrari^t^ et sans le plus petit accident, da
Toyage le plus interessant, le plus triomphal et le plus
magnifique, qui se seit Jamals fait. H ne m^est pas possible
de m'emp^cher de dire que les gazettes qui ont eues la
bonte de s'occuper de nous, nous ont bien amus^. Pour
rassurer tant de gens bien intentionn^s pour la Russie, je
leur dirai qu'apr^s une navigation charmante sur le Boris-
thöne, nous avons trouv^ des ports, des arm^es et des flottes
dans retat le plus brillant; que Cberson et Sdbastopol sur-
passent tont ce qu^on peut en dire, et que chaque jour ^tait
marqu^ par quelque grand ^v^nement. Tant6t c'^tait la
manoeuvre de 70 escadrons de troupes regl^es et süperbes
qui chargeaient en ligne k merveille; tant6t un nuage de
Cosaques, qui exer^aient autour de nous k leur mani^re;
tant6t les Tartares de la Crim^e qui, infiddles jadis k leur
Kan Sahin-Guerai parcequ'il voulait les enr^gimenter, avaient
form6 d'eux-mömes des corps pour venir au de?ant de
rimperatrice. Les espaces de desert qu'on avait k traverser
pendant deux ou trois jours aux lieux d^oü sa Majest^ Im-
periale a chasse les Tartares Nogais et les Zaporoviens qui,
il y a dix ans encore, ravageaient ou mcnacaient Tempire,
in die Krim begleitete, schenkte ihm Güter dortselbst and machte
ihn zu ihrem Feldmarschall. Da sein Sohn an dem Aufstände der
österreichischen Niederlande beteiligt war und auch er selbst im
Verdachte stand, mit der Partei der sogenannten ^^Patrioten" zu
sympathisieren, so avancierte er durch lange Jahre nicht mehr und
ward erst 1808 durch Kaiser Franz zum Hauptmann der Garde-
trabanten und Feldmarschall ernannt. Er, der Vielgefeierte, dessen
Bonmots sich einst die ganze Welt erzählte, starb arm nnd ver-
gessen am 13. Dezember 1814 zu Wien, und erst die Nachwelt hat
wieder seine Verdienste zu würdigen verstanden.
Der Herausgeber.
— 385 —
dtaient orn^s de tenies magnifiques aux diners et aux coucbers,
et ces campements de pompe asiatiqae, ayec Tair de f^te,
qui 8ur Teau comme sur la terre nous a snivi partont, pr^sen-
taient le spectacle le plus militaire. Qae ces d^serts m^me
n'allarment pas trop les gens bien intentionn^s , comroe les
Gazetiers du Bas-Rhin, de Leyde, le Courier de TEurope etc.,
ils seront bient6t couyerts de grains, de bois et de Tillages.
On y en b&tit d^j& de militaires ; qui ^tant l'babitatioii d'un
r^giment, deyiendront bient6t celle des paysans qui s'y ^tabli-
rout k cause de la bont^ du terrain. Si ces Messieurs appren-
nent, que dans chaque yille de Oouyemement Tlmp^ratrice
a laiss^ des pr^sents pour plus de cent mille 6ous, et que
chaque jour de repos ^tait marquä par des dons, par des
bals, des feux d'artifice et des illuminations k deux ou trois
Heues k la ronde , ils sHnquiöteront sans doute des fiuances
de l'Empire. Malheureusement elles sont dans T^tat le plus
florissant, et la banque nationale, sous la dir^ction du Comte
Andr^ Schuvalow, Tun des bommes qui a le plus d'esprit
et de connaissances , source in(3puisable pour la souyeraine
et les Sujets, doit les rassurer. Si par humanit^ ils sont
inqui^ts du bonbeur des sujets, quUls sachent qu'ils ne sont
esclaves que pour ne pas se faire du mal ni k eux, ni aux
autres, mais libres de s'enricbir, ce quUls fönt souyent et
ce qu^on peut yoir par la richesse des diff^rents costumes
des proyinces que nous ayons trayers<^es. Pour les affaires
^trang^res, que les bien intentionniSs s'en rapportent k Tim«
p^ratrice eile m^me ; eile trayaillait tont les jours en yoyage
le matin ayec le Comte Bezborodka, ministre du plus grand
m^rite; et qu'ils apprennent outre cela que le Prince Po-
temkin, homme du g^nie le plus rare, esprit yaste, ne yoyant
Jamals qu'en grand, seconde parfaitement les yues de Tim-
Carl Gtmt Obtradorff, ErlBBtraaftB «ia« ürfrMtm«tl«r. 25
— 386 —
p^ratrice, ou les prdvient, soit comme chef da ddpartement
de la guerre et des arm^es, oa comme chef de plusieurs
gouvernementfl. L^Imp^ratrice qui ne craint paa qu^on raccuse
d'^tre gouvern^e par qiielqu'un, lui donne, ainsi qu'ä ceux
qu'elle emploie toute Tautorit^ et la confiance possible, il
n'y a que pour faire du mal qu^elle ne donne de pouvoir
k personne. Elle se jostifie de sa magnificence en disant
que de donner de Targent lui en rapporte beaucoup, et que
son devoir est de r^compenser et d'encourager ; d^avoir cr^ä
beaucoup d'emplois dans les provinces, parceque cela fait
circuler les esp^ces, 61^Ye des fortunes et obligo les gentils-
hommes h y demeurer plutöt qu'ä s'entasser k P^tersbourg
et k Moscou; d'avoir hkü en pierre 237 yilles parcequ^elle
dit, que tous les villages de bois, brüUs si souvent, lui con-
taient beaucoup; d^avoir une flotte süperbe dans la mer
noire, parceque Pierre I. airoait beaucoup la marine. YoiliL
comme eile a toujours quelqu'excuse de modestie pour toutes
les grandes choses qu'elle fait. II n'y a pas d'idöe k se
faire du bonheur qu'on a eu de la suivre. On faisait quinze
Heues le matin, on trouvait au premier relai k ddjeuner dans
un joli petit palais de bois, et ensuite k diner dans un autre ;
et puis encore quinze Heues, et un plus grand, plus beau et
meubl^ k meryeille pour coucher, k moins que ce ne fut
dans les yilles de gouyernement oÜL les gouyemeurs g^n^raux
ont partout de süperbes r^sidences en pierres, colonnades
et toutes sortes de d^corations. II y a des marchands tr^s
riches dans toutes les yilles, et beaucoup de commerce depuis
Krementschuk, Eaursk, Orel, Toula jusqu'ici, et une surpre-
nante population, dont Tlmpdratrice est adoröe. Dans le
denombrement qu'on en rapporte quelquefois dans les papiers
publics, on ne parle que des m&les, et dans les autres pays
— 387 —
on compte tout. Si les bien intentionn^ (car je n'^cris que
pour eux) craignent que la Tauride ne soit une mauvaise
acquisition, qu'ils se consolent en apprenant qu^apr^ avoir
travers^ quelques espaces abandonnös par des familles qoi
demandent aujourd'hni k y reyenir, on trouve le pays le
mieox cultiv^; qu'il y a des formte süperbes dans les mon-
tagnes, que les c6tes de la mer sont gamies de villages en
amphitb^ätre*); et tous les yallons planlos en yignes, grena-
diers, palmiers, figuiers, abricotiers, et toates sortes de fruits
et plantes pr^cieuses de beaucoup de rapport. Je trouye
enfin qu'il ne suffit pas, que nous ayons ^t^ fort beureox
de suiyre rimp^ratrice et que ses sujets le soient, mais quMl
faut encore que les gazetiers et ceux qui les ont cm, le
soient aussi en apprenant la fausset^ de leurs nouyelles, et
qu'ils nous aient une <^temelle Obligation de les ayoir rassur^s
au point qu'ils peuyent promettre de notre part une recom-
pense de mille louis k celui qui prouyera la fausset^ d'un
seul des faits que nous ayons rapport^s ici par Tint^r^t le
plus pur pour leur Instruction, ce que leur fera croire qu'en
conseryant nos mille louis, nous n'ayons pas mis autant de
soins k öconomiser notre temps que notre argent
Zweiter Brief.
Moscou ce 3 Juillet 1787.
On yous aime beaucoup, Monsieur le Baron, on parle
souyent de yous, mais yous <^crit-on? Catherine j,\e^ Orand
(car eile fera faire une faute de frangais k la postörit^) n'en
*) Die bekannten PotemkinBchen CoalissendOrfer.
Der Herausgeber,
25^
— 388 —
a pent-6tre pas le temps, peut-6tre ces trds petits d6tail8,
que je yiens de dicter vous donneront-ils une id^e , qnoique
bleu faible de ce que nous ayonsTu; d'aillears c'estindig-
Batio fecit relation, car je suis outr^ de la basse Jalousie
qu'en Europe Ton a con^ue contre la Russie. Je voudrais
apprendre k viyre k cette petite partie de TEurope qui
cherche k d^shonorer la plus grande; si eile se donnait la
peine du voyage, eile verrait oü il y a le plus de barbarie.
II est extraordinaire, par exemple, que les gr&ces aient saut^
notre saint Empire k pieds joints pour yenir de Paris s^^tablir
k MoBcou, et 200 werstes encore plus loin, oü nous ayons
trouy6 des femmes charmantes, mises k meryeille, dansantes,
chantantes et aimantes peut-6tre comme des anges.
L'Empereur Josef II. *) a ^t^ extr^mement aimable les
3 semaines qu'il a pass^ ayec nous. Les conyersations de
deux personnes, dont les pays ont 60 millions d'habitants
et 800 mille soldats, ne pouyaient etre qu'int^ressantes en
yoiture oü j'en profitais bien, les interrompant souyent par
quelque b^tise, qui me faisait rire, en attendant qu^elle fit
rire les autres : car nous ayons toujours joui de la libert6,
qui seole fait le charme de la soci^t^, et yous connaissez le
genre simple de celle de Tlmp^ratrice qu'un rien diyertit et
qui ne monte k T^l^yation du sublime, que lorsqu^il est
question de grands objets.
II faut absolument, Monsieur le Baron, que nous reyenions
ici ensemble, ce sera le moyen que je sois encore mieux
rcQu. Ce n^est pas que yous ayez besoin de rappeler k
rimp^ratrice tout ce que yous ayez d^aimable, car absent
*) Kaiser Josef II. hatte sich persönlich nach Rassland be-
geben, um mit Katharina II. die Vertreibung der Türken aus
Earopa zu besprechen.
— 389 —
eile Y0U8 Yoit, mais eile eera fort aise de dire, präsent, je
le trouve. Yoas ferez de charmantes connaissances; M. de
Mamonow, par exemple, est un sujet de grande esp^rance, il
est plein d'esprit, d'agr^ments et de connaissances. Vous yoas
doutez bien de Tagr^ment que le comte de S<^gor a r^pandu
dans tout le voyage. Je suis ddsol^ qu'il soit presque fini.
J'ai fait bätir un temple d^di^ h rimp^ratrice par une
inscription, pr^s d^un rocber oü ^tait celui dlphig^nie, et un
autel k Tamiti^ pour le Prince Potemkin, au milieu des plus
beaux et gros arbres k fruit que j'aie vus, et an bord de la
mer, oü se r^unissent tous les torrents des montagnes. Cette
petite terre, que ni*a donn^e Tlmp^ratrice, s'appelle Partbe-
nizza ou le cap Yierge et est habit^e par 96 familles Tar-
tares, qui ne le sont pas autant que les Deesses et les Rois,
qui exigeaient de durs sacrifices, corome tout le monde sait
Je ne connais pas de stte plus d^licieux, je pourrais dire
sur les bords fortun^s de Tantique Idalie, Heu oü finit
r£urope et commence TAsie, car on d^couvre les montagnes
de la Natolie. Ce qu'il y a d'assez singulier, c*est que c'est
snr les bords de la mer noire que, tranquille et vivant au
milieu des infid^les, j^ai appris que les fidöles sujets de la
maison d' Antriebe se reyoltaient sur les bords de l'Oc<^an.
Je ne m'attendais pas qu'il y eüt plus de suret^ pour moi
dans mes terres du Pont-Euxin que dans Celles de la Flandre.
Auriez-Tous la bont^ de faire remettre ce paquet k son
adresse et de recevoir les assurances de la consid^ration
distingui^e que je partage pour vous avec tous ceux, qui
TOUS connaissent ou ont entendu parier de vous, de m6me
que je partage ayec yos amis le tendre attachement que vous
inspirez si Tite, et avec lequel j'ai l'honneur d'^tre
Prince de Ligne.
— 390 —
Dritter Brief.*)
Un mot k Monsieur 1e Baron. M. Baur parti, je n'ai
pas le temps de jaser: mais j^ai toujours celui de penser
k Tami et protecteur du nord, le bien aim^ du grand
Fr^d^ric, et de Catherine le grand, et celui enfin quo j'aimais
sur parole, avant de le conoaitre. J'espöre voir un peu du
Choczim**) Tun de ces jours, avec les Autrichiens; un peu
de rOczakow***) ayec les Busses. On boit ayec Tun, on boit
avec Tautre; et tout cela m^l<^ ensemble, je voudrais me
faire un petit fagot de lauriers. Mais au lieu de cela, je
m'apper^ois que je vous en conto: et je finis pour vous
obliger, k main armde, k recevoir, et k croire aux assurances
de mon tendre attachement.
Prince de Ligne.
k Elizabethgorod ce 16 Mars (1789).
*) Siehe Facsimile - Beilage No. 1 am Schluss des Werkes.
**) Choczim oder Chotim, eine wichtige, Eaminiec gegenüber-
gelegene ruBsische Grenzfestung, wurde 1788 von den Österreichern
den Türken abgenommen.
***) Stadt im russischen Gouvernement Gherson an der Mündung
des Digepr ins schwarze Meer. Diese starke türkische Festung
wurde am 17. December 1788 von den Russen unter Suwaroff ge-
stürmt und genommen. Der Herausgeber.
— 391 —
III. Sieben Briefe des Grafen S6gnr*)
an Baron de F6ronce.
Erster Brief.
k Wishny Wolotschok ce 10 Juin 1789.
Me Yoici arriv^ k Wishny - Wolotschok , mais ne toqs
attendez k aucun detail sur mon voyage, qua lorsque je
serai de retour. Je suis parfaitement bien portant et par-
faitement heureaz. Tout ce que je Yois est si interessant
et si curienx que j*ai a peine le temps de refl^chir sur tont
ce dont je jouis. C'est un süperbe spectade qu'un vaste
empire, tir^ en un siöcle du chaos et qui porte partout
Terapreinte du g^nie qui y a tout commenc^ et de celui
qui y perfectionne tout. Je ne vois que des bois nouvelle-
ment perc^s, des marais nouvellement d^s^ch^s, des cam-
pagnes nouvellement cultiv^es, des yilles nouvellement fon-
*) Loais-Phil. Graf S4gar, geboren zu Paris 1753, gestorben
ebendaselbst 1830, begann seine militärische Laufbahn bei der
Kavallerie, wurde nach 7 jähriger Dienstzeit Oberst eines Infanterie-
regimentes, welches er im amerikanischen Kriege unter Rochambean
kommandierte, und erhielt den Ciocinatus-Orden. 1783 wurde er
▼on Louis XVI. als bevollmächtigter Minister nach Petersburg ge-
schickt, wo er, ein liebenswürdiger, geistvoller und gewandter Ge-
sellschafter, die Gunst der Kaiserin Katharina II. zu erringen
wüsste, wodurch es ihm gelang, das gestörte gute Verhältnis
zwischen Frankreich und Russland wiederherzustellen und einen
gOnstigen Handelsvertrag zwischen diesen beiden Mächten zu ver-
mitteln. S^gur begleitete die Kaiserin auf ihrer Reise
in die Krim und befreundete sich hierbei mit Fflrst
de Ligne. Während der Revolution wurde er zum Deputierten
der Nationalversammlung gewählt, dann vom König zum Maröchal-
de-camp und später zum Gesandten zuerst nach Rom, dann nach
— 392 —
d6es, des müliers de villagea enrichis, que des couyents
justement appauvris, partout des peuples reconnaissants, qui
▼iennent remercier Catherine des lois qu^elle leur donne.
Mais figurez yous le plaisir que je dois ayoir d'admirer toas
ces prodiges auprös de Tenchanteur qui les a fait, k Yoir
cette grande souyeraine suiyie par des paysans en foule,
qui baisent ses mains, Tappellent leur märe, montrent par
leurs larmes la sinc^rit6 de leur cris de joie. Bepr^sentez
yous, que je suis souyent huit ou neuf heures en yoiture
ayec cette femme c^löbre, dont la conyersation est douce et
plus yari6e et plus piquante que Celle d'aucun homme de
lettre que j^aye yu. Elle est d'ailleurs aussi bonne maitresse
de chllteau que bon l^gislateur et bon politique, et le chapeau
de yoyageuse lui sied aussi bien, que la couronne d'Imp^ra-
trice. Elle est d'une bont6 qui ne se con^oit pas, il n'existe
pas une attention possible qu'elle n^glige. Elle me demande
Cent fois si je ne m'ennuie pas, si je ne me fatigue pas du
Berlin ernannt. Nach Ludwigs Absetzung yerliess Sägur den
Staatsdienst, trat aber während des Eonsalates wieder in denselben,
wnrde Mitglied des gesetzgebenden Körpers und Staatsrat, auch
Mitglied der Akademie. Napoleon machte ihn zu seinem Ober-
zeremonienmeister, 1813 znm Senator und 1JB14 zum ausserordent-
lichen Kommissär bei der 18. Militär division. Nach der ersten
Restaaration erhob ihn Lndwig XVI II. zum Pair. In seinem Prlyat-
leben war S^gur überaas achtungswert, während der yerschiedenen
politischen Wechself&lle hatte er oft mit materiellen Sorgen zu
kämpfen and erhielt zeitweilig seinen Vater und seine Familie
durch sein Schriftstellertalent. In spätem Jahren beschäftigte er
sich fast aosschliesslich mit historischen Stadien und der Litteratur.
£r hinterliess zahlreiche Werke, die viel gelesen wurden. — Über
Baron F^ronce siehe Näheres im 1. Buche, 3. und 4. Kapitel
„Baron Grimm** und „Braanschweiger Bekanntschaften".
Der Herausgeber.
— 393 —
Yoyage, si j'ai tout ce qu'il me faut, si je yeux descendre
de Yoiture, si le soleil, si le vent ne m^iucommodeDt pas.
Une femme qui n'aurait aatre chose k faire qvCk plaire et
qu'ä ^tre aimable, Yoadrait en yain Titre autant qu'elle.
Nous faisons d'ailleurs la chair la plus d^licate et la plus
magnifique. On joue le soir k toutes sortes de jeux, dans
la joam^e on a la conversation la plus agr<^able, la plus
instructive. On satisfait sa vue par les objets les plus
int^ressants et les costumes les plus vari^s. Avouez que
c*est en tout nn charmant yoyage et faites comme moi, c'est
k dire: Aimez Tlmp^ratrice autant que je Tadmire. Adieu.
Zweiter Brief.
k Moseou ce 15 Juin 1789.
Encore une lettre qui yous impatientera surement, d^abord
parceque yous Taurez longtemps attendue, et puis parcequ'elle
YOUS donnera beaucoup k d^irer sans yous faire jouir de
rien. La date de ma lettre yous ^tonnera premiörement beau-
coup. Ouiy je suis k Moseou, ce Yoyage sans lequel je n'aurais
Jamals cru connattre la Russie, mais que je n'esp^rai faire
qu'ä la fin de ma mission, je le fais actuellement, sans TaYoir
pr^YU ayeo la souYeraine eile möme, me faisant expliquer
tous les prodiges actuels par celle qui en est Tanteur — cela
fait au mieux par le meilleur historien de la Bussie, qui est
encore eile. Je ne Yeux point encore anticiper sur la r^lation
soign6e et d^taill^e que yous receyrez de moi quand j'aurai
le temps de le faire, mais je ne penx cependant m'empdcher
de YOUS parier de l'enchantement oü je suis depuis Torshok
k Twer. La Bussie est nn jardin oü ne sont plus les tristes
marais, les ennuyeux bois de sapins, au milieu desquek
— 394 —
Pierre le grand, en d^pit de la natare, a plac4 P^tersbourg;
ce Bont des pr^s bien yerts, des bois bien frais, des ruisseaux
bien clairs, des fruits bien abondants, des bl^s bien ^pais,
des fleurs bien vives, des oiseaux bien chantants, et des
habitants bien nombreux et bien gais. II est yrai qu'dtant
traite comme je le suis, n'ayant aucun embarras de yoyage,
causant avec 1a femme la plus aimable du monde et yoyant
tout ^clair6 par un soleil qui semble fait expr^s, je peux
6tre accus6 de n'ayoir pas un yerre bien net, le bonheur
est un prisme, qui donne k tous les objets des couleurs, qui
leur sont souyent fort ^trangöres, mais yous yerrez par les
d^tails, que je yous ferai, que je n^y mets aucune partialitd.
Tout est bien loin d'^tre encore parfait — et oü cela se
rencontre-t-il ? mais on yoit partout la perfection cheminer
k pas de g^ants. Rien de loin ne ressemble plus k Paris
que Moscou, c*est la m^me dtendue , et une Situation assez
semblable, quand on y est arriy^ la difförence est extreme :
Les maisons, les palais, les rues, les clochers, les ^glises,
les habitants, les boutiques, les habits tout y montre l'anti-
quit<^ de la nation, et la nouyeaute de son association au
reste de TEurope. Le jardin public yous fait croire que
yous 6tes k Londres, les maisons de bois paintes yous ram^-
nent en Pologne. Le Crcmlin ayec ses creneaux, ses tours,
ses Souterrains yous rappeile les anciens czars, leur guerres,
leur dissentions, leur richesse et leur simplicit^. Les russes
y^tus de robes couyertes de barbos (?) yous transportent
en Scithie, les eglises yous rappellent Constantinople, cela
Empereur, cela Patriarche grec. Yous renoontrez un tartare,
qui yous rappelle k la fois k leur cruaut^, k leur gloire
pass6e — k leur aneantissement actuel. Entrez yous dans
le palais du Gouyerneur, dans les maisons des 7 ou 8 mille
— 395 —
nobles, qui d^corent cette belle ville, tous y voyez le si^cle
präsent, le gout de la magnificence, les commoditi(^e8 de notre
Paris. Allez vous aux boutiques, vous y voyez toos les fruits
de notre industrie d^jä melös avec la prodoction des manu-
factures de Russie et rivalis^s par eile, mais tout cela est
vendu dans des boutiques rassembl^es par quartier dans la
m^me enceinte qui repr^sentent un des caravanserails d'orient.
Passez vous sur la place d^armes yous voyez de nombreux
battaülons bien tenus, bien disciplin^s, qui vous fait imaginer,
que vous dtes k Metz ou k Berlin; je ne connais rien de
plus piquant, de plus interessant que ce m^lange et cette
vari^t^. C^est le spectacle le plus propre k faire beaucoup
penser et peu ^crire, et cepeudant beaucoup de gens disent
qu'ils connaissent la Russie, et oseDt la d^fiuir d'une maniöre
tranchaote, moi j'y mettrai autant de sein que si j'^tais charg^
de donner k quelqu'un une id^e et un extrait de TEncyclop^die,
car ceci est une encyclop^die de si^cles, de climats, d'usages,
de langues, de v^tements, de ricbesses, d'abus, de moyens,
d'obstacles; un g^nie a tir^ tout cela du chaos, un autre
g^uie y met tout Tordre, toute la solidit^ d'une savante
Idgislation. Elle a travaille et essay^ ses loix vingt ans
avant de les promulguer, eile commence k en voir le succis,
tous ses Sujets sont p^u^tr^s d^amour et de reconnaissance.
Si la paix dure en Europe, comme je Tespöre, en peu de
temps la gloire et Tadmiration de Catherine sera aussi in-
variablement assurde et aussi ^videment d^montr^e que la
gloire brillante, que la derniöre guerre lui a acquise: Bon
6tat sera form^, son commerce aura mille nouveaux d^-
bouch^s et son empire aura autant de grandeur en solidit^
qu'il en a en ^tendue. Les faiseurs de gazettes, dont je la
vois se moquer avec beaucoup de gaiet^, de gr&ce et de sei,
— 396 —
les nouTellistes qai la fönt si Bouvent malade k mourir, seront
un peu d<^coDcert<^8 par ce Toyage ci. II y a quelque jours
je TcnaiB de la Boivre assez loDgtempB k pied et eile me
demanda, comme eile me voyait un peu fatigu^, si je troa-
vais qae sa sant^ Boit auBsi d^licate, que leB gazetiers le
diBaient, je TaBBuraiB, que bUIb la Buiyaient danB bcb prome-
nadeB ils Be retracteraient promptement, mais qae probable-
ment cette circonBtance leur ferait faire des menBongeB d^un
autre genre et deB Boppositions politiqueB k perte de Tue;
et de \k nouB ayonB chacun commence k faire un article de
gazette. Elle met k toutes ccb plaiBanterieB de Boci^t^ autant
de facilit^ et de gr&ce, que Bi eile n'aTait rien autre chose
au monde k faire qu^ä 6tre aimable. II n'exiBte aueun
ouvrage connu dauB notre litt6rature qu^elle n'ait lu, et dont
eile ne Be Bouyienne, point de chanBon un peu jolie qu'elle
ne Bache, de comc^die dont eile n'ait retenu Iob traits, et
amais cependant on n'a eu une imagination pluB brillante,
ce qui rend la memoire moinB ncicessaire ; mais je me laisse
aller k causer un peu trop longtemps avec youb, il est deux
heures, il faut dormir, demain matin de bonne heure nous
partons pour aller Yoir des acqueducs qu'on construit.
Dritter Brief.
k Wishny Wolotschok ce 21 Juin 1789.
Je vouB ^cris encore deux lignes de Wishny- Wolotschok,
oü je suis revenu. Demain nous serons arriv^s k Borowitschi
oü nous nous embarquerons, pour aller par eau k P^tersbourg,
par le Mista, Tllmen, le Wolchow, le Ladoga, et la Neva.
Peut-6tre 6tant embarquö, j'aurai le temps de vous ^crire
avec plus de d^tails, jusqu'ä prösent nous n'ayouB ni le
— 397 —
temps, ni le moyen d'^crire an pea longuement. Nos affaires
et nos gens partent de bonne heure le matin avant nous
et nous les retrouyerons que pour nous coucher. Ma sant^
est toujours parfaite, le voyage me charme de plus en plus,
je m^attache y^ritablement k rimp^ratrice , eile Joint k ses
grandes qualit^s tant de gr&ces, d'aisance, de piquant, une
memoire si riebe, une imagination si viTe, et une gaiet^ si
naturelle et si soutenue qu'on ne peut s'empdcher de Taimer
quand on la connalt. Hier j'ai 6t6 toute la joum^e dans
sa Toiture et apr^s avoir eu la conversation la plus inter-
essante sur rhistoire, nous en avons eu de si yariös, de si
gaies, de si piquantes que sept heures m'ont parn sept
minutes.
Vierter Brief.
Sur la Mista pr^s du lac Urnen et de Nowgorod
le 29 Juin 1789.
On chercherait inutilement k arranger un Toyage plus
agrc^able que celui ci, mdme quand ce serait pour omer an
roman et la fiction serait encore audessous de la r^alit^:
Nous avons la meilleure compagnie, la plus belle humeur
et le plus beau temps du monde, avec ces trois donn^es 1&,
il est difficile qu'un yoyage toume tristement. Yoici le
quatri^me jour, que nous sommes sur Teau. Je me suis
embarqu6 le premier ayec M. Fitz -Herbert et le Prince
Potemkin pour francbir les cataractes, qui embarassent le
cours de la Mista et qui fönt pi^rir chaque ann^e beaucoap
de barques. Le courant est si rapide en cet endroit, qu^on
fait trente werstes en moins de deux heores; on passe par
dessus des rochers presqu'i fleur d'eau, la barque agit^e
— 398 —
par le mouvement des vague« plie comme si eile allait se
rompre, il ne nous est arriv^ d*autre accident que d'avoir
an trou & notre bätiment, que des matelots k la nage et
saspendos par la ceinture ont boucb^ aveo une adresse et
une promptitude incroyable. L'Imp^ratrice noas a rejointe
au lieu oü les cataractes finissent, et tont le monde s'est
embarquö. C'est un charmant spectacle que cette petita
rivi^re sur laquelle flottent nos quinze gal^res et une ving-
taine d'autres petits b&timents. Les riTages sont bien yerts,
bien varids, bien cultiv^s, bien bord^s de monde devant
chaque village, bien retentissants de cris de joie et de
chants d^alUgresse quMnspire la Yue de notre aimable sou-
veraine. Nos gal^res sont charmantes bien distribu^es, nos
potits appartements sont commodes et proprement meubl^s,
les rameurs nombreux 61^gament y^tus ; chacun a son canot
et pcut se promener, faire des yisites aux autres gal^res,
aller k terre, rejoindre la flotte, rcvenir, se renfermer dans
son b^timent. Yoila la vie que nous menons : Nous restons
chacun libre jusqu'ä midi. A midi nous passons sur la galcre
de rimp^ratrice, apr^s avoir caus^ quelque temps avec eUe
nous la suivons sur une autre galcre oü nous trouvons le
dtner servi, et ce dtner est toujours aussi gai que bon. Apr^s
dtner eile s'enferme chez eile, nous allons jouer chez le
Prince, k quatre heures je rentre dans ma galcre, ä six
nous nous rassemblons chez la souveraine, nous jouons ayec
eile au Whist jusqu'ä huit heures et de \k jusqu'li dix on
cause, on dit des follies, des chansons, on joue au propos
interrompus, on fait des rc^bus, des calembours, k dix on
soupe, apres souper on va encore jouer chez le prince
Potemkin. Je ne saurais tous dire k quel point rimp6ra-
trice est aimable, avec quel sein eile s'informe de tout ce
— 399 —
que nous pouYons d^sirer, quelle inqui^tode eile montre,
quand eile croit qu'il peut nous manquer quelque chose. Son
attention s'^tend jusque sur le plus petit indiyidu de sa suite
on de la nötre. Elle nous met k Taise avec eile comme si
eile n'^tait que particuli^re , mais eile a un tacte qui fait
que cette familiarit^ n'a aucun inconv^nient et que les plus
inconsid^r^s n^oseraient en abuser. Elle a fait une gazette
de Moskou au sujet de notre Yoyage, qui est un chef
d'oeuvre de gaiet^, de bon gout et d^esprit. Elle m'a promis
de me faire lire d'autres ouvrages d'elle, plus importants,
c'est une histoire de Russie qu'elle ^crit, et je lui crois pour
ce genre difßcile de litt^rature plus de moyens qu'ä per-
sonne. Adieu.
Fünfter Brief.
k P^tersbourg ce 8 Juillet 1789.
Le minstre de la marine m^a pr^t^ une lle couverte de
bois, avec un joli pavillon je vais chercher k j yiyre quel-
ques jours en retraite, mais ayant de le pouYoir j'ai encore
beaucoup de temps k passer dans le tourbillon. Je yais
deraain coucher chez M. Fitz-Herbert k la campagne, et le
lendemain j'irai k Pdterhoff faire ma cour k Tlmp^ratrice.
On dit, que les f^tes de la St. Pierre, qui dureront deux
jours, sont magnifiques ; il y aura bal par^, bal masqu^,
illumination, ce lieu d'ailleurs conyient aux f^tei; situ^ sur
une hauteur au bord de la mer, entour^ de jardins süperbes,
et meubl^ dans cette occasion par ce quMl y a de mieuz k
la cour, et de plus jolies femmes dans la yille. Je n'ai pas
eu d^autre incommodit^, depuis que je suis ici, qu^un assez
grand mal de dents, qui dure encore un peu. Je yous ayoue,
— 400 —
qae j'aurais Toula aToir ici moins de bucc^s k mon d^but,
je crains toujoars, qu'il ne se soutienne pas, mais jusqu'^
präsent mon am cor propre n'a que des occupatioDS flatteases.
II ne tiendrait qu^k moi de m^eniyrer de la mani^re dont je
suis pr6n^, ^cout6, re^u, mais Toas sayez, qae je n'ai jamais
eu nn grand fond de fatuit^. La Beule choBe qui pourrait
me toumer la t^te d'amour-propre, c'est, Bi je vois durer la
bonne opinion qae Tlmp^ratrice a dit, qu'elle avait de moi.
Si V0U8 la connaiBBiez, voas verriez, que c'est un des juges
doDt un esprit d^licai doli le pluB appr^cier le Buffrage.
SechBter Brief.
k P^tersbourg ce 13 Juillet 1789.
Me Yoici revena des föteB de P^terhoff; je BuiB obligö
d'avouer qu'elles m^ont plu totalement, ei qu'elleB m'ont pani
r(^unir la magnificence d'une f^te royale k la gatt^ d'un bal
particulier. U est vrai que Tlmpöratrice a un talent singulier
net ue esp^ce de magie pour donner de la majest^ k ses
amusements, et de la gaiet^ k ce qui n'est ailleurs que con-
Bacr6 k la cdr^monie, aucun lieu dans le monde d'ailleurs
n^est plus propre aux fötes que P^terhoff. C'est un trös
beau palais situ«^ au bord de la mer. II est embelli inti^rieure-
ment par toutes les productions des arts et euvironnö par
des jardins süperbes. La partie qui est pr^s du palais a
cette symdterie et cette magnificence k laquelle les Rois sont
condamn^B, plus loin est un jardin anglais charmant, qui
vcnge la nature de la contr einte de Part, et qui repose les
yeux de la fatigue du luxe de Tautre jardin. En sortant
des id^es douces qu'inspire cette agrdable retraite les regards
sont frapp^s par le spectacle imposant de la mer ; d'un cötö
— 401 —
dans r^loignement on appergoit les clochers dores de P^ters-
bourg et de l'autre les vaisseaux de guerre, qui sont dans
la rade de Kronstadt, viennent rappeler Pierre le grand, ses
travaux, ses prodiges, les Saccus de Catherine, la hardiesse
qui lui a fait envoyer ses flottes des bords glac^s de la
Finelande dans les mers de Tarchipel, et la c^lobre victoire
de Tschesm6, qui a couronn6 ses efforts et immortalis6 son
regne. Les f6tes durerent deax jours k P^terhoff. Le premier
ce n^est qu'une cour magnifique, toot le monde est superbe-
ment T^tu, on baise la main k Tlmp^ratrice et eile joue ayeo
quelques personnes pendant le bal par^, mais le lendemain
il n'y a plus d'c^tiquette, on arrive en domino ou en masque,
tous les (^tats j sont m^I6s, tout ce qui est en domino de
quelque condition qu'il seit, remplit les appartements du
palais. Le soir tous les jardins sont illumin^s, le vert des
arbres, la blancheur des eaux, la vari^t^ des feux, tout ce
que Yous ayez yu k Trianon, r^uni pour donner k cet en-
semble un air de f^erie. Partout on trouve des tables, par-
tout du peuple et partout du plaisir! L'Imp^ratrice pendant
ces f^tes m'a trait6 ayec sa bont^ ordinaire, je vous assure
qu'elle ra^a tout-ä-fait captiy<^, et que si eile 6tait particuli6re,
je passerais toutes mes journ<^es chez eile, car je ne connais
rien de plus aimable. Le jour du bal par6 j*ai cependant
M un pcu embarrass<^, vous connaissez ma gaucberie pour
le jeu. L'Iniperatrice m'avait fait appeler pour jouer avec
eile avec quatre personnes, on joue tour k tour suivant sa
carte. II s*est trouvö, que c'^tait au piquet que je ne sais
pas du tout, eile s'est aper^ue de mon embarras et a eu la
bonte de me conseiller, de me donner le^on sans parattre
6tonnee ni importunt^e de mon ignorance et de ma mala-
dresse. Sans parier de souverains, on ne trouTe pas je crois
Carl Graf Obtradorff, BriaaanuiftB «iBaff UrgioMmafttor. 26
-- 402 —
beaucoup de maitresses de maison, qui aeant cette grftce
indulgeDte, aassi je Taime v^ritablement de tout mon coeur,
et presqu^autaDt que je Fadmire. Nous ayons k präsent un
temps affreux qui me contrarie d^autant plus que tout le
monde est k la Campagne, et qui faut ötre toute la joum^e
en courses. Le long de la mer on suit le chemin de P^ters-
bourg k P^terhoff pendant huit Heues on trouve peut-^tre
Boixante maisons de campagne, toutes fort jolios avec des
jardins fort om^s et fort soign^s.
Siebenter Brief.
k Czarskozi^lo ce 29 Juillet 1789.
La dato de ma lettre yous prouvera que Tlmp^ratrice
continue toujoars k me traiter ayec la möme bont^; apr^s
m'avoir fait Toir une partie de son yaste empire qu'elle a
etendu, embelli, anime, peuple, enricbi, eile yeut bien me
faire voir ses jardins dans lo plus grand detail, et il fant
avouer que les jardiniers feront fort bien, comme les rois,
de la prendre pour modele. Si eile n'ayait pas 6t^ placöe
pour se faire une gloire dans le genre de Pierre le Qrand,
eile aurait eu par ses jardins plus de röputation que M.
de Qirardin par Ermenonyille *) ; et la gräce la suit dans ses
*) Das Dorf Ermenonville im Dep. de l'Oise ist besonders
bekannt durch seinen 2600 Morgen grossen Park. Infolge der
Hevolation kam es zum Yerkanf, und schon wollte es die soge-
nannte Bande noire erstehen, als Stanislaus Marquis von Qirardin,
der nachmalige bekannte liberale Depatlerte (gestorben 1827), die
Gesellschaft überbot und den Besitz erwarb, auf dessen Ver-
schönerung er grosse Summen verwendete, so dass auf diesem
schönen Landsitze bald der Schmuck der Kunst mit dem Reich-
tum der Natur wetteiferte. Der Heransgeber.
— 403 —
actions journ alleres comme la gloire la guide dans ses grandes
occupations, mais ce qae le prince de Ligne dit d^elle est
tr^s juste et compl^te son ^loge. Elle n^est pas seulement
un grand homme, c'est encorö un bon homme, et si son
esprit pique et sa gr&ce plait, si Ton admire son g^nie, c'est
sa bont^ qui attache, bont^ qui perce k chaque minute, dans
chaque occasion, et qui lui fait faire plus de conqu6tes parmi
ses Sujets que les arm^es n'en ont fait en dc^hors. Je suis
yraiment fach6 que vous ne la connaissez pas, yous Taimeriez
k la folie. Le prince de Ligne m^a nomm^ son ministre
aupr^s d'elle, je me suis si bien acquitt^ de ma mission,
que je lui envoye a^ec ma r^ponse une lettre de Tlmp^ra-
trice qui est aimable comme eile. Elle vient de me faire
präsent de deux petits levriers charmants, yous n'aYCz rien
Yu de plus l^ger, de plus caressant, de plus SYelte. Je les
soignerai de mon mieux et je crains qu^ils ne fassent un
peu de tort k Cibelle. Nous allons d'ici k Pilla, une nouYelle
maison de plaisance de Tlmp^ratrice k trente werstes d'ici
sur la N^Ya. Je doute qu'elle me plaise autant que celle-ci,
oü Ton a rcuni ce que la nature peut cröer de plus Yariö,
et oü Tart est si bien cach^, qu'il paratt qu'il n'a fait qu'obeir
k la nature : Des Yergers si frais que la canicule y perd ses
efforts, des pi6ces d'eau doucement irr^guliers, des lies si
heureusement plac<^es, des arbres si bien group^s, des me-
langes de Yert si bien choisis, des sltes si Yarii^s, fönt qu'on
se croit dans les jardins du paradies. Ce ne sont point de
ces ponts n^s d'hier, ni de ces tours gotbiques ayant Tair
dccrdpit sans aYoir l'air antique, mais ce sont tantdt de
nobles ruines qui yous transportent en Gr^ce ou dans
Tantique Rome, tautet un b&timent moderne de structure
Elegante qui plac6 entre un bois öpais et le lac charmant,
26*
— 404 —
que j'ai peint, rassemble les chef d'oeuYres de sculpture de
touB les si^cles. Plus Ioid c'est un poDt de marbre qai
^tale ayec la science de Tantique architecture les richesses
de la Sibdrie. Au sortir d*iin bois saer^ voos trouvez un
portail gothique qui rappelle nos yieilles vertus et nos yieux
exploits. Yoas ^tes attir^ d'un autre c6t^ par une muBique
douce dans un pavillon iure, parfaitemeut imit£ et richement
om^, oü YOUB trouvez tous les fruits et tous les mets des
quatre parties du monde. Les flots tranquilles d'une petite
rivi^rc mollemeut serpentante youb transportent dans un
autre pays, tous ^tes au milieu d'une yille chinoise, et tous
ne trouvez pas cette Illusion invraisemblable en songeant
que vous ^tes dans un enpire, qui a pour fronti^re l'Am^-
rique, la Pologne, la Su^de et la Chine. Dans une autre
partie de ce vaste jardin vous trouvez la ville de Sophie et
vous revenez apr6s avoir admir^ toutes ces merveilles, ad-
mirer celle qui les op^re et qui couronne tout ce qu'elle
fait de brillant par une simplicit^ qui en double le prix.
Elle dit toujours en parlant d'elle: „Nous autres ignorants**;
toutes les accad^mies des sciences de TEurope doivent lui
faire une r^v6rence pour ce compliment. Adieu, ma santä
est excellente, celle du Chevalier de La Colini^re (?) est
r^tablie.
IV.
Vier Briefe der Kaiserin Maria Feodorowna*)
von Enssland an Baron von Grimm.
Erster Brief.
St. P^tersbourg ce 14/25 f^vrier 1797.
Je mets bien de Tempressenient k vous r6pondre, Monsieur
*) Kaiserin Maria Feodorowna, zuvor Sophie Dorothea Au-
— 405 —
de Qrimm, mais o^est qu*il m'importe infiniment de vous faire
connattre la justice qae je rends k vos Bentiments, et ceux,
que je yous porte: Les regrets, que vous donnez k feu 8. M.
rimp^ratrice yous donnent un droit de plus k mon estime:
La reconnaissance est la premi^re des Yertus, c'est eile qui
sert de base au Y^ritable attachement, k ce lien pr6cieux
de rhumanit^, qui en fait le principai bonheur. Yos prin-
cipes, Monsieur, inspirent de la confiance, yous en Yorrez
Teffet par la lettre de TEmpereur, k la connaissance duquel
je me suis häti^e de porter le contenu de YOtre lettre. Yous
le Yerrez encore par la commission particuli^re dont je yous
prierai de yous charger: deYcnez, Monsieur, le distributeur
des peu de secours que je destine au soulagement des mal-
heureux ^migr^s respectables et par leurs principes et par
leur conduite. M. de Nicolai yous fera passer de mes fonds,
le jour de poste prochain, une lettre de change de la Yalcur
de trois mille rbls. Yous en reccYrez encore une de deux
mille en Septembre pour le m^me objet, et yous pouYez
compter, Monsieur, recevoir annuellement de ma cassette la
m^me somme de cinq mille rbls., mais je yous prie de ne
me nommer que dans les occasions tout-äfait indispensables,
car je desire Yraiment que la source de ces secours reste
gaste, des Herzogs Friedrich Engen Yon Württemberg Tochter,
geboren 25. Oktober 1759. Seit 24. März 1801 Witwe nach
Kaiser Paal (Gothaischer Hofkalender fflr das Jahr 1826). — Sie
war die Mutter der Kaiser Alexander I. and Nikolaus L, so-
wie des mir von mütterlicher Seite her Ycrwandten Grossfürsten
Constantin, dessen Gattin, eine geborene Prinzessin von Sachsen-
Cobarg, die Schwester meiner Urgrossmutter Sophie, verehelichten
Gräfin Mensdorif-Poailly, war. — Was die in diesen Briefen be-
handelte Wohl thätigkeits- Kasse anbelangt, so vergleiche
I. Bach 1. and 3. Kapitel. Der Herausgeber.
— 406 —
inconnue. Je tous en Terra! de m6me les lettres de tous les
^migr^s qui pourront s'adresser k moi. Yous qui dtes sur
les lieux, Monsieur, yous saurez distinguer et choisir les yrais
n^cessiteux. Je vous annonce par la poste prochaine trois
r^ponses, Tune k Mad. la Princesso de Chimay et les denx
autres k Mesdames de Beauregard (soeurs du malheureux
Roche- Jacqueliu, qui p^rit dans la Yendöe) et de Belsunce;
la premi^re comme vous le verrez par sa lettre ne demande
que des secours pour pouvoir en distribuer, mals les deu^
autres dames en ont bcsoin pour elles-m^mes. Yous Youdrez
bien leur en faire passer k toutes trois de la somme que je
YOUS ferai parvenir. Je recommande bien instamment k yob
soins Madame de la Bochelambert, dont le sort m'int^resse
infiniment.
Ecrivez-moi souvent, Monsiear, tos lettres contentent
et le coeur et Tesprit, elles seront regues avec plaisir, et
j'en aurai toujours un nouveau k vous renouveller les assu-
rances de Testime que yous porte
Yotre bien affectionnc^e Marie.
ce 25 feYrier 1797.
Je rouvre ma lettre, Monsieur, pour y joindre moi m^me
la lettre de change que je yous avais annonc^e deYoir 6tre
enYoyee par Nicolai, mais TEmpereur vous envoyant un
Courier, je me häte de profiter de cette bonne occasion.
Zweiter Brief.*)
Ce 1 Mars.
Je regois votre lettre k Tinstant, Monsieur, j'y r^ponds
dans le moment malgre tout les embarras du moment par-
*) Siehe Facsimile-Beilage No. 2 am Schlass des Werkes.
Der Heransgeber.
— 407 —
tant aujourd'hui pour Moscou. Vous aurez vu par ma pr^c^-
danie mes arrangements, qui j'espere vous mettront k m6me
d'aider quelques personnes. Je suis assur^e que vos premiers
soins se seront port^s sur Madame de Rochelambert, k la-
quelle vous Youdrez faire paryenir Tincluse dont je voas
envoie la copie. Adressez yous toujours avec confiance k
moiy Monsieur le Baron, vos lettres seront constamment regoes
ayec plaisir et je saisirai toujours chaqu^occasion avec em-
pressement, qui me donnera celle de yous assurer, que je
suis sinc^rement
YOtre bien afifoctionn^e Marie.
Dritter Brief.*)
Pawlowska ce 30 acut 1801.
Monsieur le Baron de Orimml
Je YOUS prie de remettre de mon fond pour les ^migr^s,
k Mad. la Princesse de Ghimay pour son Institut d'Erfurt
la m^me somme que yous lui aYez fourni antöc^demment,
des qu*elle yous la demandera. Portez yous bien et soyez
sAr de mon aifection pour yous.
Yotre bien affectionnde Marie.
Je Yiens de recoYoir Yotre lettre aYec les comptes ren«
dus, je ne puis assez louer Yotre exactitude, et suis touch(^e
de la mani^re dont yous administrez les secours. Je d<Uire
par ces lignes yous en marqaer ma reconnaissance. Je fais
mes amiti^s aux deux aimables secr^taires.**)
*) Siebe Facsimile-Beilage No. 3 am Schluss des Werkes.
**) Katharina and Ad^le de Baeil, meist aber erstere allein,
besorgten die Korrespondenz des balb^rblilideten Freiherm.
Per Herausgeber.
— 408 —
Madame de Chimay a confi6 les ^migr^s d'Erfort k ce
qu'elle me mande, k une personne de votre connaissance et
que Y0U8 estimez, vous lui remettrez donc les secours nsitös
pour la colonie d'Erfurt soign^e par celle-ci.
Si mon fils me parle des affaires de M. de Bueil, tous
devez 6tre bien sürs, Monsieur, du plaisir que j'aurai k Ini
ötre utile.
Vierter Brief.
St. Pdtersbourg c. 15 mars 1802.
Vous avez raison, Monsieur le Baron, de vous plaindre
de mon silence, je m^en aceuse et me le reproche, mais
Tcxp^rience personnelle tous aura fait ^prouyer que l'&me
affaissöe par les Souvenirs les plus douloureux, devient moins
active, et se platt k ce recueillement int<^rieur qui yous ram^ne
toujours k la pensde des objets ch^ris qui pour ^tre ren-
fermi^s k jaraais dans la tombe n^en occupcnt pas moins en
entier notre coeur, notre &me, notre existence cnticre. Toute
autre oceupation gcne , et on a la faiblesse , on commet la
faute (car certainement c'en est une) de remettre du jour
au lendemain une r(^ponse. Je m'en corrigerai, Monsieur
le Baron, et cela ne m'arrivera plus. Ne croyez pas cepen-
dant, que ma paresse pour Tecriture iufluc sur les sentiments
de mon coeur, non assurement, plus occupee que jamais du
raalheur de ma respectable amic*), je les ai port6 k la con-
naissance de mon bien eher et excellent fils, et Tai conjur^
de proteger la vertu personnifiee, il me Ta promis des lors,
*) Es war dies die Witwe des 1793 guillotinierten Herzogs
Egalitd von Orleans und Mutter Louis Philipps.
Der Herausgeber.
— 409 —
et il a doDn6 ses ordres en cons^quence. Je lui ai renou-
yel6 la m^me pri^re encore hier, et il m'a assurd quHl s'en
oceuperait encore. Je youb avoue m^me, Monsieur le Baron,
qu*ä Taudience de li. de Calincourt, j'ai fait tomber la con-
versation gar mon amie, et lui en ai parl^ avec tout cet
int<^r6t si yif qu'elle sait inspirer. J'en yiens pr^sentement
au d^sir que mon amie youb t^moigne de Youloir placer un
de ses fils au serYice de TEmpereur; tous ferez bien, Mon-
sieur le Baron, de la dissuader de cette d^marche et de cette
id6e. Yous sentirez que dans les circonstances actuelles,
soos tous les rapports la chose ne serait pas admissible: son
rang, son grade, le souyenir du pere y met des obstacles
dont la reflexion ne yous 6chappera pas.
Je me fais un plaisir de yous prier, Monsieur le Baron,
d'assarer notre respectable amie, que tous ses d(^sirs seront
des lois pour un coeur rempli d'amiti^ et d'int^r^t pour Elle,
ainsi je m'engage de continuer apr^s Elle (ce mot me serre
le coeur) k la princesse sa fille la pension de trois mille rbls.
jusqu'au moment qn'elle soit Stabile, en se mariant,
ou qu'elle soitrentrde en France dans la possession
des biens de Madame sa m6re. Marquez lui cette assu-
rance, Monsieur le Baron, yous sentez qu'il m'est impossible
de lui en parier moi möme. Yoici mon incluse pour Elle,
que YOUS me ferez le grand plaisir de lui faire paryenir
en y joignant les assurances de Tamiti^ la plus constante
et la plus tendre: Les derni^res gazettes m'allarment sur
r^tat de sa sant6, le ddcouragement que je Yois dans sa
derni^re lettre me peine, par ce que ce n'est pas dans son
caractöre qui sait opposer la formet^ et T^nörgie au malheur.
J'attendrai de yos nouYelles, Monsieur le Baron, aYec la plus
grande impatience, et serai tres exacte k yous röpondre et
— 410 —
k Yoas renouveler les assurances quo je suis et serai con«
stamment
votre bien affectionn^e Marie.
Hes compliments k votre aimable famille*). Je n'ai
pas cachetä ma lettre de mes armes pour ne pas compro-
mettre mon amie, vous me ferez le plaisir de la mettre sous
Yotre enveloppe.
V.
Zwei Briefe von Kaiser Alexander L von Bass-
land an Baron Grimm.
Erster Brief.
Vos titres a mon estime particuliere sont trop puissants,
et Yous savez trop bien les appr(3cier vous m^me, pour quMl
puisse 6tre d'aucune n^cessit^ pour moi de yous en donner
ici Tassurance. Je ne yous parlerai donc, que du plaisir
que j'ai eu de reccYoir votre lettre, et de Temotion qu^elle
m^a caus^e, en me rappelant le temps heureux, oü libre des
soucis, qui entourent toujours le tr6ne, j'admirais les vertus
de mon ai'eule, dont yous m'avez si bien retracd l'image.
Ce Souvenir sera pour moi une source intarissable de jouis-
sances ddlicieuses. Yous en augmenterez la somme en m*^cri-
vant de temps en temps, et ce service est le plus grand
que vous puissiez me rendre personnellement. Je saurai
toujours le reconnattre, et Tbomme, qui a constamment joui
*) Hier ist die gräfliche Familie Baeil gemeint
Der Herausgeber.
— 411 —
des bont^s de Timmortelle Catherime aura toujours des droits
k mon estime. Je salue votre aimable secr^taire qui s'acquitte
si parfaitement de ses foDctions
Yotre affectionn^
Alexandre.
St. P^tersbourg lo 2 de mal 1801.
ZweiterBrief. ^
Monsieur le Baron de Orimml J'ai re^^u votre lettre
du 15/27 Septembre avec une satisfaction bien sincöre, et
Yous sais un gr6 infini des voeux que yous y formez pour
mon bonheur. Je me croirai heureux, si je parviens en
effet k rendre tel le peuple, qui m'est confiä, et la recom-
pense la plus douce pour mon coeur de toutes les peines
et de tous les soins qu^il m'en aura cout^, sera de Yoir la
paix et la prosp^rit^ dans mes 6tats. Les fastes de Thistoire
ne s^occupent que de grands faits, mon eher Baron, les
historiens aiment k tremper leurs plumes dans le sang, coulant
k grands flots sur un champ de bataille! — Que je d6sirerai
ne pas m^riter leur suffrage k ce prix, et je renonce Yolon«
tiers k toute place dans leurs 6crits, pour n'en occuper qu'une,
que la reconnaissance me marquera dans les coeurs de mes
Sujets. Je YOUS r<^pdte ma demande de me donner de yos
nouYelles et yous offre avec plaisir Tassurance de ma yiyo
estime.
St. Pötersbourg le 20 9bre 1801. Alexandre.
— 412 —
VI.
Ein Brief des Herzogs Ernst IL'*') von Sachsen-
Gotha an Baron Grimm.
En Yi^rit^, mon eher et digne ami, je suis plus que confus,
de toutes las choses obligeautes et flatteuses que yous Youlez
bien me dire k Tc^gard de mon chiffon de lettre du 8 Mars»
et je me trouYe bien assurdment dans le cas du „Bourgeois
gentilhomme', quand il appergut qu'il aYait fait de la prose
sans le saYoir. Je ne reYiens pas de mon ^tonnement sur
les choses sublimes, que j'ai pu yous y dire. Je n'ai cra
et n^ai youIu qu'^pancher mon coeur dans le sein d^un ami,
et lui ai dit tont simplement les idt^es qui se pr^sentaient
k mon esprit, sans leur supposer d^autre mörite; mais je me
trouYe bien heureux de m'6tre trouYc d^aecord dans ma fa^on
de Yoir et de sentit* sur bien des points, aYec celui de mon
ami que j'aime et que je consid^re le plus, depuis les
Premiers instants qui m'oDt lie et attache k lui. Puissai-je
meriter tant que j'existerai votre confiance et votre appro-
bation, ce sera une des plus douces consolations de ma Yie»
qui ne laisse pas, que d'aYoir aussi ses amertumes k eile.
Eh! qui n^cn a pas? sans doute; mais ma position est
d'autant plus penible, que je me trouve isoU^ et n'ai d'autres
ressources que mon faible coeur, et les prejuges tant Yrais
*) Ernst II. Ludwig, geb. 1745, ein trefflicher, sparsamer,
einsichtsvoller und freisinniger Regent sowie Gönner der Künste
und Wissenschaften, war seit 1769 mit Marie Charlotte Amalie Yon
Sachsen -Meiningen vermählt. £r hob das Schulwesen im Lande,
trat 1785 dem Fürstenbunde bei und starb tiefbetrauert 1804.
Der Herausgeber.
— 413 —
que fauxy dont mon ^ducation et mes r^lations m'ont imbü
depuis que j^existe. Mes fautes, mes faux pas, comme les
d^marches sens^es que j'ai faites durant le cours de ma yie,
n'ont pas eu d'autre source, ni d'autres causes; et plus j^y
rdfl^chis, plus je crois que mon ^tat mi^rite plus Tindulgence
que la critique trop s^y^re du philosophe. Et surtout dans,
ces temps critiques et orageux de la fin de ce dix huiti^me
si^cle, oü tont a chang^ de face en comparaison des senti-
ments qui pr^valaient il y a 40 ä 50 ans! Je reconnais
bien votre sagesse, mon eher et respectable ami, au conseil,
que Tous avez donn^ au mari de Yotre aimable pupille*) de
retourner k son foyer pour pr^venir sa destruction totale,
c'est un parti qu'ont pris plusienrs des ^migrds k ce que
nous disent les papiers publics, en attendant leur Situation
me parait tont aussi douteuse chez eux, qu^^migr^s, pers6-
cut6s partout, ils risquent et leur vie et leurs biens ; en atten-
dant c^est l'expddient le plus sür qui se präsente au rai-
sonnement Quant k votre aimable pupille eile sera la bien
venue k Gotha, si jamais tous songez s^rieusement k Yj
^tablir pour quelque temps, et je yous r6ponds de ma bonne
volonte k concourir k tout ce qui d^pendra de moi pour lui
en rendre le s^jour agr<^able et je me croirai bien heureux
de faire sa connaissance. L'espoir que yous Youlez bien me
donner, mon eher et digne ami, de yous Yoir ici dans un
mois ou deux, yous mettra k mdme de juger par yob propres
yeux si ce local et tout ce qui en dopend pourra bien lui
couYcnir. Je crains bien, qu'en apprdciant sur les lieux le
pour et le contre de ce projet agr^able et flatteur, yous ne
*) Gräfin Duronx de Baeil-Belsonce, die Matter der Verfasserin.
Der Herausgeber.
— 414 —
changiez d^avis et d'opinion. Nous varions! II y a trop
d^agr^ments pour moi pour que j'ose esp^rer de le Yoir
rdussir et s'effectuer, je n'ose cependant en dire plus pour
le moment, et vous en jugerez yous mdme plus juste par
Yotre propre perspicacit^. L'id^e de me voir raprochd de
rbomme du monde que j'aime, que j'estime, que je respecte
le plus, dont Tamiti^, les conseils me seraient les plus utiles
et les plus consolants, est trop belle, trop flatteuse pour que
j'ose m'y liyrer au gr6 de mon teudre coeur. Mes cb&teaux
en Espagne ne m^ont gu^re röussi jusqu'ici, et mon bonheur,
ma satisfaction ont toujours ^prouy^ des entraves que je
n'ai pu surmonter.
Vous en jugerez ^galement, mon respectable ami, lorsque
je serai k m^me d'^paneber dans le sein de Taroiti^, tous
les divers sentiments qui m'oppriment si souvent. Uni, mon
digne ami, oui, vous me flattez de la mani^re la plus sen-
sible et la plus toucbante, par la confiance, que yous youIoz
bien me marquer dans yos affaires de finance.
Et pour vous montrer que je ne d^sire que d'y r^pondre
et que de m'en rendre digne h vos propres yeux, je con-
sens avec le plus grand plaisir au pr^t, que vous me deman-
dez, et M. Moeller sera autoris6 de ma part, k yous faire
les avances que vous voudrez lui faire Thonneur de lui de-
mander, et pour vous mettre tout-ä-fait k votre aise, car je
ne connais que trop les nuances de votre delicatesse je vous
pr^terai k usure; il n'y a cependant que sur les pour Cent
ou nous trouverons de la peine k nous accorder. Vous
m'offrez 5 p.Ct. d'inter^t; k cela je n'ai qu'une Observation
k faire, c'est que vous trouveriez fort aisc^ment, en donnant
les suret^s n^cessaires, k empruntcr k Gotha mdme des
sommes assez considdrables a 3%, voulez vous, ou pouvez
— 415 —
Y0U8 Boohaiter que je sois plus usurier que les particuliers
capitalistes de G. ? presque tous les capitaux qu'on place ici,
soit dans les caisses publiques, seit particuli^res ne rendent
gu^re de plus gros int^r^ts, j'en ai plac^ divers moi möme
k ce taux. II n'y a que le cas oü j'ai cru que Temprunteur
pouvait gagner lui m^me, qui m'ait engag^ a m^^loigner de
cette r^gle, j'ai pr^t6 k notre libraire, k Tapothicaire de cette
Tille au 4%, mais je crains bien, mon digne ami, que vous
ne serez pas dans le möme cas, et que ce ne soit pas ponr
Yous enrichir, que vous emprunterez de votre ami. J^aimerais
le mieux que yous empruntiez de moi sans le moindre int^r^t,
mais je connais Yotre d^licatesse sur ce point, et ce serait
7 r^pondre tr^s mal, si je Youlais empi^ter sur les droits
de Catherine n. et yous me donnerez 3 pour Cent dMnt^röt
par an s^entend pour les petites sommes que M. Moeller yous
aura avanc^ en mon nom, et yous les rembourserez k Yotre
aise. J'espere, mon digne et respectable ami, aYoir rempli
Yos Yues et yos intentions de cette mani^re.
Ah mon amil quelle nouYelle et horrible catastrophe
que cet assassinat de Gustave m. I Ce n'est pas un homme
que j'estime infiniment, ni sur la conduite duquel j^aimerais
k me confier, ou pour lequel je Youlusse r^pondre, mais
enfin il est homme, et brave. S'il y a des piaintes contre
lui, et certes il y en a de maintes esp^ces, pourquoi ne pas
le saisir lui faire nn proc^s, lui faire l^galement perdre la
t^te, comme k un parjnre, un usurpateur? II y a bien des
gens m^me, qui pr^tendent qu'il a successivement fait p^rir
et son pcre et sa m^re par le poison. Si ces faits ^taient
bien constat^s, sans doute qu'il serait bien coupable et bien
mür pour subir un jugement l^gal. Mais un assassinat est
une chose atroce ä.mes yeux, et an moyen indigne, de ceaZ|
— 416 —
qui ont des raisons pour le hair et de le pers^cuter. En
g^ndral il paratt qu'il existe une ligue universelle contre
toiis les souverains de TEurope, car on r^pand que Catherine
pourrait bien suivre Leopold au tombeau. Des lettres ano-
nymes Tassurent publiquement. Et k mon avis la mort de
Leopold IL n^est point tellemeDt ^claircie qu*elle seit lavee
du soupQon, qu'elle ne soit pas Teffet du poison. Yoici
Fextrait d'une lettre de Copenhague qui paratt fonder mon
opinion; eile est 6crite par le Dr. Munter fils du fameux
Munter qui croit avoir converti Struens^e avant son ex6-
cution. Le p^re, natif de Lubec, a vdou plusieures ann^es
ici commo pasteur. II 6pousa une demoiselle de Wangen-
heim qui est möre du jeune homme en question et qui est
n6e k Gotha, 11 y a encore deux filles de ce mariage dont
Tune au moins est aussi d<^jä marine en Danemarc. En
dernier lieu le p^ro <^tait superintendant, ou premier pasteur
k Tonna, et ayait un diooese assez 6tendu. II fut appel^ en
Danemarc et aeeepta cette vocation. II y a quelques annöes
qu'il repassa ici, pour revoir ses anciens amis et parents de
sa femme , et dans son esp^ce c'est un homme de m^rite,
hon pr^dicateur et m^me po6to. Le fils, homme de m^rite
et do savoir, a longtemps Toyag6 aux frais du roi en Italie
et en Sicile, oü il a fait diverses d^couvertes litteraires, qu'ü
a publikes. II m'est fort attach^, mais c*est un esprit fort
exalt^, pocte et vif: Avec le temps et Tage, il se fera fort
estimer. II ne mc reste plus , mon respectable ami , qvCk
Yous renouveler les assurances de Tamiti^, la plus tendre
et la plus inyiolable, avec laquelle je yous suis attach^ pour
le reste de mes jours. Puisse le moment 6tre bicn rapproch^
qui Yous ramönera ici , dans les bras de Tamitid et de la
reconnaissance. Je fais assur^ment les voeux les plus tendres
— 417 —
et les plus ardents pour Yotre satisfaction et le repos de
Yotre aimable pupille. Et puisse le voyage de Carlsbad vous
conserver longtemps, pour le bonheur de ceux qui ont besoin
de TOS conseils et de yos soins paternels.
Ce 4 avril 1792.
üftrl Orftf Obtrndorff, RriaatnuftB tiaar UfgroMaatltr. 27
Eine deutsche Übersetzung dieser 33 Briefe.
I.
Kaiserin Katharina II. an Melchior von Grimm.
(5 Briefe and 11 Brieffragmente.)
1. Brief. Petersburg, den 17. oder 26. März 1771.
Mein Herr! Ich habe Ihre zwei Briefe vom 2. nnd 14. Febmar
beinahe gleichzeitig erhalten. Sie wünschten, dass ich Ihnen einige
Worte über die Grobheit und Albernheit der Chinesen schreibe,
deren ich in einem meiner Briefe Erwähnung that. Wir sind
Nachbarn, wie Sie es wohl wissen werden; unsere Grenzen sind
beiderseits von Hirtenvölkern, Tartaren und Heiden bewohnt.
Diese Stamme beschäftigen sich hauptsächlich mit Räuberei; sie
stehlen sich (meist als Wiedervergeltung) gegenseitig Herdenvieh,
ja selbst Leute. Zwistigkeiten, wenn solche unter ihnen herrschen,
werden durch Kommissäre, die man an die Grenze schickt, ent-
schieden. Die Herren Chinesen sind so grosse Plagegeister, dass
es leichter wäre das Meer auszutrinken, als endlich ihren Seka-
turen ein Ziel zu setzen, und mehr als einmal hat es sich schon
zugetragen, dass dieselben, als sie bereits gar nichts mehr zn be-
gehren wussten, die Gebeine ihrer Toten von uns forderten, nicht,
um ihnen ein ehrenvolles Begräbnis zu sichern, nein, lediglich
nur, um uns auf irgend eine Weise zu chicanieren. Solche
Lappalien haben ihnen sogar als Verwand gedient, den ganzen
Handel mit uns zehn Jahre lang zu unterbrechen; ich sage „Ver-
wand^', weil der eigentliche Grund wohl darin zu suchen ist, dass
— 419 —
Seine Chinesische Majestät einem seiner Minister das Monopol
anf den Handel mit Russland verliehen hatte. Chinesen und
Russen beklagten sich gleichermassen bitter hierüber; und da aber
schon einmal jeder natürliche Handel sehr schwer zu unterdrücken
ist, so tauschten beide Nationen ihre Waren einfach an Orten
ans, wo sich keine Zollämter befinden, denn dringendes Bedürfnis
macht wagemutig. Der Herr Minister plagte aber nur die chine-
sischen Grenzbezirke und trieb selbst keinen Handel. Als man
ihnen jedoch einen Bericht über den Stand der Dinge zukommen
Hess, da kamen sie mit sehr umfangreichen Schriftstücken in
schlecht gefügter Prosa angerückt, worin sich weder Logik, noch
Artigkeit blicken Hess, und die von Anfang bis zu Ende nur ein
Gewebe von Ignoranz und Roheit waren. Hier bedeutete man
ihnen, dass man sich wohl hüten werde, ihren Stil als nachahmens-
wertes Vorbild anzunehmen, da sowohl in Europa, als auch in
Asien eine derartige Schreibweise für recht flegelhaft passiere.
Ich weiss, dass man mir hierauf antworten könnte, dass die Tar-
taren, die einst China eroberten, nicht so manierlich sind, wie es
die alten Chinesen waren, und will es gern glauben; jetzt ist be-
wiesen, dass die Eroberer nicht die Artigkeit der Eroberten an-
genommen haben, und die letzteren riskieren durch sie noch mit
diesen dominierenden Sitten angesteckt zu werden.
Ich komme nun zu jenem Gesetzesartikel, den Sie mir gütigst
mitteilten und der für mich so schmeichelhaft ist. Sicherlich,
mein Herr, ohne den Krieg, den mir der Sultan so ungerechter
Weise erklärte, wäre ein grosser Teil Ihrer Vorschläge ausgeführt
worden, aber für jetzt ist dies nicht möglich, da man nur vorerst
Projekte für die verschiedenen Zweige des grossen Baumes der
Legislation machen kann und zwar nach meinen Ihnen bereits
mitgeteilten, also wohlbekannten Grundsätzen. Wir sind mit dem
Kriege zu beschäftigt, und das bietet uns zu viel Zerstreuung,
um momentan die notwendige Aufmerksamkeit dieser ungeheuren
Arbeit zuwenden zu können.
Ich liebe weit mehr Ihre Verse, mein Herr, als Kriegstruppen,
27*
— 420 —
diese können höchstens im entscheidenden Momente daTonlaofen,
Ihre Gedichte hingegen werden der Nachwelt, die ja nur das
Echo Ihrer Zeitgenossen sein wird, Frende and Gennss bereiten.
Die, welche Sie mir zusandten, haben sich meinem Ged&chtnisse
fest eingeprägt, und das Feuer, das darinnen loht, ist überraschend;
in mir hat es einen prophetischen Enthosiasmus geweckt. Sie
werden zweihundert Jahre leben! Man hofft nur das, was man
wünscht. Ich bitte Sie, erfüllen Sie meine Prophezeihang; es ist
die erste, die ich je vom Stapel Hess!
Katharina.
2. Brief. Gzarskozelo, den 17. April 1776.
Ich erhielt Ihren Brief aus Neapel in den fürchterlichsten
Tagen meines Lebens. Den 10. April um 4 Uhr früh kam mein
Sohn zu mir, da seine Gemahlin*) Geburtswehen verspürte. Ich
erhob mich sofort und eilte an ihr Lager. Ich fand sie in grossen
Schmerzen, doch ohne noch etwas Ausserge wohnliches dabei za
bemerken. Eine Hebamme und ein geschickter Chirurg leisteten
ihr Hilfe; Zeit und Geduld sollten sie aus ihrer schweren Lage
befreien. Dieser Zustand hielt bis in die Nacht an; doch gab
es auch einige Pausen, in denen sie der Ruhe, ja selbst des
Schlafes genoss. Ihre Kräfte nahmen nicht ab. Da aber der
Montag in derselben Erwartung verstrich und ihr Zustand sich
nicht besserte, so schien uns dies sehr besorgniserregend. Ausser
ihrem Leibarzte, der das Vorzimmer gar nicht verlassen durfte,
wurden auch noch der des Grossfürsten und ein anderer bekannter
Geburtshelfer, der beste, der sich auftreiben Hess, berufen, um
den bereits anwesenden Kollegen mit Rat und That beizustehen.
Aber ihre Anordnungen brachten weder Erleichterung noch Be-
schleunigung der Entbindung. Dienstag verlangten sie noch
*) Alle Auskünfte über die mit Stern*) bezeichneten Worte sind
beim französischen Urtexte zu suchen.
Der Herausgeber.
— 421 —
meinen Leibarzt nnd einen alten, gewiegten Spezialisten behnfs
einer neuen ßeratong. Das Resaltat dieser Unterredungen ging
dahin, man mflsse die Mntter retten, da das Kind vermutlich tot
Die nötigen Instrumente wurden herbeigeschafft. Ein Zusammen-
trefi'en unglücklicher Verhältnisse, hervorgerufen durch ihre KOrper-
bildung und verschiedene andere Zufälligkeiten, machte aber alle
menschliche Kunst zu nichte, — und Donnerstag wurde die Gross-
fürstin mit allen heiligen Sakramenten versehen. Der Prinz
Heinrich*) schlug vor, noch seinen Arzt zu berufen; dieser vermochte
aber nur seine Kollegen zu rechtfertigen. Am Freitag um 5 Uhr
Abends hauchte die Prinzessin ihre Seele aus. Gestern wurde
sie in Gegenwart von dreizehn Doktoren und CMrurgen geöfi'net,
und nach dem Ausspruche derselben war es ein fast einzig da-
stehender Fall, an dem jede ärztliche Kunst scheitern musste.
Sie können sich nicht vorstellen, was sie gelitten hat, und wir
mit ihr. Mein Herz blutet. Ich genoss nicht einen Augenblick
der Ruhe während dieser fünf Tage. Weder bei Tag noch bei
Nacht verliess ich die Grossfürstin, bis sie die Augen schloss.
Sie sagte mir inmitten ihrer grössten Schmerzen: „Sie sind eine
ausgezeichnete Krankenwärterin !** Stellen Sie sich meine Lage
vor! Den einen trösten, den anderen stärken, selbst an Leib und
Seele gebrochen; alles bestimmen, alles vorsehen müssen, damit
ja nichts vergessen oder übersehen werde 1 Ich gestehe Ihnen
aufrichtig, in meinem Leben war ich noch nie in einer so schweren,
so schrecklichen, so peinlichen Lage. Ich vergass zu essen, zu
trinken, zu schlafen, und meine Kräfte erhielten sich doch, ich
weiss nicht wie! Ich begann zu glauben, dass mein Nervensystem,
wenn es jetzt nicht einmal zerrüttet worden, unzerrüttbar sei.
Yierundzwanzig Stunden vor dem Tode der Grossfürstin schickte
ich zum Prinzen Heinrich mit der Bitte, dass er üch des Gross-
fürsten annehmen möge. Er kam sofort und verliess ihn nicht
mehr. Der Arme ertrug seinen unendlichen Schmerz mit Kraft
und Festigkeit, aber heute erkrankte er an einem heftigen
Fieber. Sobald seine Frau verschieden war, führte ich ihn hierher.
— 422 —
Leben Sie wohl! Ihren Brief werde ich ein anderes Mal beant-
worten!
den 18. April.
Danken Sie lieber Gott, statt zn klagen, dass Sie den Prinzen
Heinrich nicht anf seiner Reise hierher begleiten konnten. Ihr
beschädigter Darm hätte diesem tranrigen Schauspiele, das ich
gestern so genau beschrieb, gewiss nicht widerstehen können.
Uns, die wir nicht in Ihrem Falle sind, h&tte es fast das Leben
gekostet. Es gab Momente, in denen mir war, als zerrissen meine
Eingeweide, und bei jedem Schrei, den sie ausstiess, fühlte ich
mich einer Ohnmacht nahe. Freitag wurde ich zu Stein und
jetzt noch habe ich gar kein Gefühl. Ich habe Stunden änsserster
Schwäche, dann wieder andere, in denen ich mich stark fQhle;
dies alles ist wie eine Art Wechselfieber, aber mehr ein seeliecheSy
als physisches. Niemand kann sich davon einen Begriff machen,
der es nicht selbst an sich erlebt. Denken Sie sich, ich, die ich
so leicht zn Thränen gerührt bin, ich sah sie dahinsterben, ohne
eine Thräne zu vergiessen! Ich sagte mir eben: Wenn du weinst,
so werden die anderen schluchzen, wenn du aber schluchzest, so
werden die anderen gar ohnmächtig, und alles verliert den Kopf.
Doch nun breche ich kurz ab mit allem, was ich Ihnen noch zu
sagen hätte. Und werde selbst, indem ich Sie an Prinz Heinrich
verweise, nicht mehr diese düstere Sache berühren. — Sie sehen:
Der Mensch denkt und Gott lenkt!
3. Brief.
Petersburg, den 14. oder 25. Dezember 1777.
Kennen Sie Herrn Alexander? Gehen Sie oft nach Versailles?
Kennen oder kennen Sie nicht in diesem Falle die Unterbeamten
dieses Herrn, von dem so viel im „Ing^nu** die Rede ist? Aber
ich wette, dass Sie den Monsieur Alexander gar nicht kennen,
wenigstens nicht dei^enigen, von dem ich Ihnen erzählen will.
Es ist nicht Alexander der Grosse, um den es sich handelt, sondern
— 423 —
ein gans kleiner Alexander*), der am 12. d. M. um %10 Uhr
morgens das Licht der Welt erblickte. All das besagt, dass die
Grossfürstin eines Knaben genas, der zu Ehren des heiligen
Alexander Newsky diesen pompösen Namea erhielt, und den ich
Herrn Alexander nenne, weil er leben will and jedenfalls seiner-
zeit ein ganzes Heer von Beamten kommandieren wird. Jetzt
sehen Sie, was das Geschwätz nnd die Prophezeihungen von Gross-
mama bedeuten sollen! Ist das nicht ein glänzender Beweis
meiner Sehergabe? (deutsch) Aber, mein Gott, was soll
denn aus dem Jungen werden? Ich tröste mich mit Bayle
und dem Vater des Tristram Shandi, dass der Name einen £in-
fluss auf das künftige Schicksal habe. Und Sie werden doch gewiss
zugeben, dass dies ein sehr glänzender Name ist. Es gab ja
schon gewaltige Matadore, die ihn trugen. Wenn nur nicht
diese illustre Bande schon alle guten Karten für sich behalten
hatl Machen nicht auch schon die leuchtenden Vorbilder der
eigenen Familie etwas aus? Was glauben Sie? Die richtige
Wahl derselben bringt einen oft in Verlegenheit, und Vorbilder
bedeuten überhaupt nichts, wie uns der würdige Pastor Wagner
in seinem Evangelium lehrt. Es ist das Naturell, das alles macht,
aber wo es suchen? Ist es vielleicht gar im Sacke einer guten
Konstitution verborgen? Es scheint so zu sein, vorausgesetzt,
dass die Masse nicht den Geist absorbiert ; das Fleisch, die Knochen
ziehen den lieben Verstand ohnehin bald rechts, bald links. Ich
werde diese Betrachtungen der Königin-Witwe von Schweden
schicken, die sicherlich besser hierüber debattieren können dürfte,
wie meine Wenigkeit Wie schade, dass es keine Feeen mebr
giebt! Diese würden sicher einem Kinde alles in die Wiege
legen, was man nur wünscht Ich hätte ihnen reizende Geschenke
gemacht und ihnen dann ins Ohr geflüstert: ^^^üie Damen, ich
bitte für ihn um etwas Mutterwitz, nur um ein klein wenig Mutter-
witz, das weitere wird dann schon später die Schule des Lebens
besorgen !*' Adieu, gehaben Sie sich wohl!
Ich erhielt Ihre Nachschrift zu all den schönen Sachen, die
— 424 —
mir Thiers von Ihnen flberbringen sollte, er selbst ist jedoch noch
nicht eingetroffen. Sind Sie mit der Apotheose der Madame Geoffirin
zufrieden ? Ich finde, die Sache ist recht gnt gesagt, aber im Ge-
dächtnisse bleibt einem gar nichts davon. Ich weiss anch sehr
gut, was daran fehlt. Dieser Autor ist nicht nach meinem Ge-
schmacke, unsere Köpfe passen nicht zusammen, (deutsch) Gott
weiss, alle Leute wollen mehr, als sie können, und ich
liebe die Köpfe, dis ohne Wollen und ohne sich aufzu-
ziehen, von selbst laufen. Wenn man in die Jahre kommt,
wird man doch gar zu difficile, und dies ist auch mein Fall.
4. Brief. Petersburg, den 22. Dezember 1777.
Kicht wahr, es giebt keine grössere Zudringlichkeit, als wenn
man in einem fort die Leute mit Briefen bombardiert Das ist
anch meine Ansicht. Sehen Sie, da kommt schon, wie mir scheint,
der dritte angerückt, den ich Ihnen schreibe, ohne recht zu wissen
warum, aber ich muss es thun, mein Kopf will es! Nun, so lesen
Sie ihn einfach gamicht, es giebt ja für alles ein Mittel, ich
wiederhole Ihnen, werfen Sie ihn nur aneröffnet ins Feuer! Herr
Alexander wurde yorgestern getauft, und allen geht es pr&chtig,
ausser den Engländern, die seit dem unseligen Abenteuer*) des
General Burgoyne den Kopf bis auf den Magen hängen lassen.
Da könnte man wohl nach der löblichen Gewohnheit des Fürsten
Potemkin an seinen Fingernägeln kauen. Das bringt ja das Blut
in Wallung. Wenn die Herren im grossbritannischen Parlamente
auch da noch ruhig bleiben, so erkläre ich sie für (deutsch) ehr-
würdige Passgänger. Man muss hier nach meiner Ansicht
wenigstens zwanzig Beschlüsse fassen, einen schöner und glänzender,
wie den anderen. Schauen wir einmal ein wenig zu, wie sie sich
halten werden, und wenn sie es gut machen, so wollen wir daraus
eine kluge Lehre ziehen und lernen unsere Ansichten für uns zu
behalten und unsere Phantasie zu zügeln, verstehen Sie mich?
Schach Bahman und ich, wir Terstehen uns sehr gut. Wenn Sie
— 425 —
mir wieder einmal schreiben, so geben Sie mir Nachricht Yon
Monsienr Qoirini, Abbö Galiani and Herrn von Mengs. Arbeitet
dieser letztere wohl an meinen Gem&lden? Ach mein Gott, wenn
Sie nur sehen könnten , wie famos ich , trotz aller Ihrer bösen
Prophezeiungen, diesen Winter nntergebracht bin. Hier ist alles
voll der vrunderschönsten Sachen, wie Sie solche wohl noch nie
gesehen haben, alles am mich her verstreut, ohne dass sie mir
zu etwas nfltzten, und dass ich eine Verwendung dafOr hätte; es
ist eine wahre Wonne, dies alles auch nur anzuschauen. Ich
komme mir wie jener Eirgisen-Ghan vor, dem die Kaiserin Elisa-
beth dn Haus in Orenburg schenkte, und der sich mitten im Hofe
desselben ein Zelt als Wohnst&tte errichten Hess. So halte ich
mich in meiner behaglichen Ecke, und die Ausschmflckung der
Kirche schreitet rüstig fort, wir sind schon beim zweiten Altare
angelangt Die Einführung der Verordnungen geht ruhig ihren
Weg, desgleichen auch die Gesetzgebung, doch langsam. Ich
weiss nicht was das ist: Ob daran wohl Stoff oder Kopf schuld
sind, aber jedenfalls werden die tollen Sprünge immer seltener,
und das Ganze gleicht einem langsamen und beständigen Fieber
ohne inneres Feuer. War es nicht notwendig für Sie, alles das
genau zu wissen ? Der Patriarch beehrte mich mit der Zusendung
einer Broschüre, die er „Preis der Gerechtigkeit und Hu-
man i tat ** betitelte. Er wünscht, dass dies als Vorlage für ein
neues Kriminalgesetzbuch dienen möge, und verlangt dafür hundert
Louis Honorar. Das nenne ich bescheiden! Ich bin jedoch der
Meinung, dass dies wohl gratis oder gar nicht zustande kommen
werde. Um das auszuführen, muss man einen tiefen Blick in die
Herzen, in die Erfahrungen, in die Gesetze, Sitten und Gebräuche
einer Nation thun, nicht nach der Geldkatze schielen. Akademische
Preise spornen den Ehrgeiz junger Leute, hier aber ist ein Arbeits-
feld für erfahrene Graubärte, für Persönlichkeiten, die schon die
Leitung des Staatswesens in eigenen Händen hatten und für die
hundert Louis gar keinen Wert haben. Apropos, wissen Sie, dass
die Oper von Paisiello charmant war? Ich hatte vergessen, Ihnen
— 426 —
darüber zu berichten. Während der Aafführong war ich ganz
Ohr, trotz der angeborenen Gefühllosigkeit meines Trommelfelles
gegen Masik. Ich erkl&re Paisiello dem Galappi ebenbürtig. Es
ist gerade ein sehr guter Komiker angekommen, schon eine blosse
Melodie ans seinem Monde macht mich herzlich lachen. Gott weiss,
was das wohl bedenten mag 1 Hören Sie mich an, Sie berühmter £x-
plikator, erkl&ren Sie mir, warum mich der GesangSTortrag dieses
Buffo lachen macht, w&hrend gerade die Musik der französischen
komischen Opern mich sonst förmlich empört und mit Verachtnog
erfüllt, mich, die im übrigen die Tonkunst, von der ich nichts
yerstehe, kalt lässt. Sie werden wohl nie diesen Brief drucken
lassen, da er ja doch nur das Greistesprodukt einer Kranken ist,
die gerne schmiert, um sich dabei zu zerstreuen. Ich habe heute
wieder einmal sehr starke Kopfschmerzen, und Sie sind mein
Sündenbüsser schon seit langem. Ich kann, wenn Sie es wünschen,
Ihnen selbst ein Attest ausstellen, dass Sie mir gegenüber schon
oft Beweise unglaublicher Geduld abgelegt haben. Adieu, bleiben
Sie gesund 1 Das sind jetzt vier Seiten, die ich auf das Genaueste
ausfüllte.
5. Brief. Petersburg, den 14. Februar 1778.
Also, mein werter Herr Sündenbüsser, ich muss Ihnen heute
wieder einmal schreiben, denn ich habe starke Kopfschmerzen.
Erwarten Sie nun etwa ja nicht blühende Phantasiegebilde oder
gewaltige Wortarmeen, die sich gleich Wassermassen bei einem
Schleusenbrucho bervorwälzen, nein, die ganze Geschichte dreht
sich nur um ein Fest, yeranstaltet von Seiner Hoheit Azor. Um
also meinen Bericht gut einzuleiten, muss ich Sie daran erinnern,
dass wir uns jetzt bis über die Ohren in der Zeit der Feste und
des Mummenschanzes befinden und dass wir deshalb durch die
ganze Stadt von Haus zu Haus rollen, wie die Ratten, die von
Speicher zu Speicher wandern. Und wie sich schliesslich ein arm-
seliger kleiner Kasttag far uns fand, nämlich Dienstag, der
— 427 —
13. Febrnar, da sehnte sich wohl jedermann, schon ganz flberdrflssig
der Masik, nnd yom Tanze, sowie von den übrigen Strapazen
flbermfldet, nnn endlich daheim frei aufatmen zn können. Doch
mnsste nicht Satanas, der Feind aller Rohe, sofort seine Nase
dabei haben! Was that er? Er flösste unserer afrikanischen
Hoheit den Gedanken ein, sich an einem Opemtage, an dem
sowohl Logen, wie Parterre recht dOnn bCTÖlkert waren, plötzlich
im Theatersaale im Eostflme seines Landes zu zeigen und unge-
fähr dreissig der vornehmsten unter den Anwesenden persönlich
ein gedrucktes Manifest zu fiberreichen. Dieses artige Dokument,
aus dem niemand klug werden konnte, versetzte m&nniglich in Er-
stannen. Was ist das? Was soll das bedeuten? Wovon handelts
denn eigentlich? Ich habs! Ich kann es unmöglich entr&tseln!
So riet und vermutete man hin und her und zerbrach sich den
Kopf darüber, bis man endlich in ein herzliches Gelächter aus-
brach. „Es ist nur eine wflrdige Vorbereitung auf ein Fest,*
sagte Prinz Azor. Mitten in der Vorstellung erhoben sich die
also Eingeladenen, um sich auf den Wunsch ihres exotischen Gast*
gebers in ein bestimmtes Appartement zu verfügen. Nun ging es
eine kleine, enge Wendeltreppe empor, die, wenn auch nicht
gerade auf den Speicher, so doch in ein gewisses Halbgeschoss
führte, wo uns alle Düfte Asiens umhauchten. Daselbst standen
drei grosse, mit Samtteppichen bedeckte Tische für den Makao
bereit Auf jedem derselben befand sich eine kleine Schachtel,
neben der ein goldenes Löffelchen lag. (Ich beschreibe diea alles
so genau lediglich zur grösseren Bequemlichkeit deijenigen, welche
Herrn Azor imitieren wollen.) Neben einer jeden solchen Schachtel
lag eine kleine gedruckte Ankündigung. Die ganze Gesellschaft
war eifrig bestrebt, den Wünschen des Gastgebers nachzukommen.
¥s giebt nichts animierteres, als dieses Spiel, sagten die Herren.
Es giebt nichts amüsanteres, sagten die Damen. Es ist in der
That eine hübsche Sache, um Diamanten zu spielen. Das erinnert
an „Tausend und eine Nacht*. Jeder hatte Hoffnung für Vier,
und das Gold und die Edelsteine rollten nur so auf dem Tische
— 428 —
hernm. Die Scblaaköpfe meinten, dies Spiel sei eine pikante
Neuigkeit, die anderen schwiegen, hazardierten aber nur desto
mehr. Trotzdem diese schöne Unterhaltung anderthalb Stunden
bis zum Souper w&hrte, waren die Schachteln noch immer nicht
geleert. Da kam man denn zum Entschlüsse, alles, was in den-
selben übrig blieb, unter die Spieler zu verteilen. Als dies ge-
schehen, stiegen wir dieselbe Treppe wieder hinab, die uns heranf-
gefohrt hatte, und standen in einem Saale, dessen Mauern und
Decke ganz mit Spiegeln bedeckt waren. Gegenüber der Treppe
befand sich ein grosses Fenster, dessen Vorhänge sich plötzlich
öffneten und uns ein grosses A von gewaltiger L&nge und pro-
portionierter Breite sehen Hessen, das aus den schönsten Eron-
diamanten zusammengesetzt war. Unter diesem immensen A standen
zwanzig Pagen in goldstrotzende, mit blauen Atlassch&rpen gezierte
Gew&nder gekleidet. Diese waren dazu bestimmt, den Dienst bei
Tische zu übernehmen, und bildeten eine geschmackvolle Gruppe
unter dem grossen Diamanten-A. Die Tische hatte man rechts
und links der Länge der Mauer nach aufgestellt und also an die
Spiegel wände gelehnt, dass sich alle Gäste en face in denselben
sehen konnten. Doch, wie könnte ich Ihnen das Dessert be-
schreiben, das vor diesen Spiegel wänden aufgestellt war! Hier
fand man die schönsten Aufsätze, beladen mit allen den Edelge-
steinen aus den vier grossen Kästen, die Ihnen ohnehin bekannt
sind. Das ganze Arrangement war bnchstäblich charmant. Ich
befahl allsogleich, eine Zeichnung davon anzufertigen, die ich
gravieren lassen und Ihnen zusenden werde. Bei ihrem Eintritte
In den Saal blieben alle, geblendet von all dieser Schönheit und
dem Reichtume, der sich ihnen darbot, wie angewurzelt stehen,
und es brauchte wohl eine halbe Stunde, bis sie endlich bewogen
werden konnten, sich au den Tischen niederzulassen, welche ihrer
harrten. Während des Soupers verminderte sich dieser Enthu-
siasmus nicht, und nach Beendigung desselben stieg man wieder in
das Halbgeschoss hinauf. Ich vergas s ganz, Ihnen zu sagen, dass
wir, ehe wir in die oberen Appartements gelangten, den grossen
— 429 —
Saal passieren massten, der damals noch gar keine Dekoration
enthielt, and dass dies alles erst w&hrend unserer originellen
Spielpartie so hergerichtet wurde. Dem grossen Diamanten -A im
Fenster gegenflber befand sich noch ein zweites, gleichgezeichnetes
aus Perlen. Aber nun ist es genug für heute!
Manifest:
Franciscus Azor, ehemaliger Gouverneur der Schildkröten Ton
Guadeloupe , derzeit Torteilhaftest am russischen Hofe bekannt,
nimmt sich die Ehre, vor Zeugen zu erkl&ren, auf welche Weise
er afrikanischer Edelmann wurde. Er weiss nicht, ob es aus Neid,
oder aus anderen Gründen geschah, dass ihm viele seinen Titel
streitig machen wollten. Aber heute ist ihm das auch ganz gleich-
giltig, da er sich endlich entschlossen hat, im Angesichte der Öffent-
lichkeit seinen Charakter als Repräsentant seines Vaterlandes und
zugleich de^enigen des Goldes, des Silbers, der Edelsteine und
Ungeheuer, mit einem Worte des grössten Erdteiles, genannt
Afrika, zu beurkunden. Er wird persönlich oder durch seinen
Sublegaten einem jeden schriftliche Beweise zu Händen geben,
der sich Dienstag, den 13. Februar 1778 nach Schluss der Theater-
vorstellung in die Appartements I. M. der Kaiserin zu verfügen
gewillt ist, diesen Zettel in der Hand haltend. Die hochgeschätzten
Herrschaften werden zugeben mflssen, dass S. Hoheit keinen besseren
Augenblick wählen konnte, als zu diesem brillanten Feste dadurch
beizutragen, dass er seine Rechte geltend machen wird. Er schliesst
mit dem frommen Wunsche, dass nach Spiel und Souper ein
sanfter Schlummer die mQden Augen seiner Gäste schliessen möge.
Ankandigung:
Der Herr Repräsentant hat auf jeden Tisch eine dlamanten-
gefQllte Schachtel gestellt, nicht zum Verkaufe, sondern damit
jeder lyNeuner** von ihm aas mit einem Diamanten bezahlt werde.
— 430 —
1. Fragment.* Petersburg, den 5. Oktober 1777.
Wenn Sie (nach Frankreich) zorflckgekehrt sein werden, so
bitte ich Sie Gelegenheit zu finden, Herrn von Necker anszo^chten,
dass mir Graf Schuwalow*) sein Buch Aber den Getreidehandel
übergab, and dass ich ihm hierfür sehr verbunden bin; es ist ein
ausgezeichnetes Buch. Dies gehört für ihn und folgendes für Sie:
Der Autor besagten Baches, das ich selbst lese, ist ein offener
Kopf. Dieses Buch scheint durchaus nicht für jedermann ge-
schrieben, und es giebt nur gewisse Kreise, die es verstehen
werden. Ich habe es unter meine Klassiker eingereiht, anter
denen er mein Blackstone ist. Sobald ich den Namen Blackstone
ausspreche, kommen mir gleich die Loggien Rafaels und das Bach
Bibienas iu den Sinn. Folglich habe ich auch die Broschüre des
Herrn von Necker in die Ehrenrubrik des roten Stiftes gesetzt.
Das Kapitel, das auf Seite 136 beginnt, gefällt mir sehr. Doch
bin ich gar nicht einverstanden mit dem, was er vom Norden be-
hauptet. Er war nie dort, er kennt die Verhältnisse nicht and
schreibt daher viel zu leichthin darüber. Wenn ich ihn kennen
würde, so möchte ich hie und da mit ihm in Streit geraten. Ich
würde ihm z. B. sagen: Die Länder des Nordens haben auch
südliche Provinzen, die fruchtbarsten der Erde, die in keiner
Weise den Gestaden des Eismeeres gleichen. Wenn diese on-
wirtlichen Gestade auch sehr dünn bevölkert sind, so möge er zu-
gleich erfahren, dass es in anderen Gegenden bereits allzu dichter
Besiedelung halber an Grund gebricht etc. etc. Geduld, Geduld,
schon in wenigen Jahren werden Sie Karten von Russland sehen,
die Ihnen erst vom Ganzen eine richtige Idee geben werden. Viele
Irrtümer stammen daher, dass zahlreiche Städte an Punkte ge-
baut wurden, die der Himmel nicht begnadete ....
2. Fragment.* den 10./21. Juli (1778?).
Nun ist Herr von Necker nicht mehr im Amte ! Das war ein
schöner Traum, den Frankreich träumte, und nun haben seine
— 431 —
Feinde einen grossen Sieg errangen. Den Charakter dieses seltenen
Mannes mass man in seinen zwei Werken bewandem, doch seine
„Memoiren'' überflügeln noch bei weitem sein ^\e compte rendn".
Der König von Frankreich hat einen berühmten Mann mit Füssen
getreten, (deutsch) Das findet sich sobald nicht wieder.
Herr von Necker h&tte eben einen tüchtigen Herrscher gebrancht,
der seine Pläne erkannt und unterstützt h&tte
0 mein Gott, warum hinken sie trotz allen guten Willens so
getreulich Grosspapas Spuren nach? So führt sich der Herr
Schwager denn doch nicht aufl
3. Fragment. den 11. /22. Juli.
Der ßrief, den Herr Necker Ihnen schrieb, hat mich sehr ge-
freut, nur das eine ärgert mich, dass er nicht mehr im Amte ist.
Ich kenne einen Mann hienieden, dem der Himmel den ersten Platz
in Furopa bestimmt hat, widerspruchslos die höchste Sprosse des
Ruhmes. Er muss leben, er muss seine Zeitgenossen überleben,
und dann wird dieses unvergleichliche Gestirn alle, die da wandeln,
m&chtig überstrahlen
4. Fragment. Czarskoz^lo, den 11. August 1778.
Ich muss zugestehen, dass Ihre Geleitbriefe immer mit de-
cidiertom Geschmacke abgefasst sind. Vor mir liegt ein solcher
vom 15. Juli, der zu einer Postsendung No. 20 gehören soll, die
aber, wie mir scheint, noch nicht eingetroffen ist; ach, es ist ja
schon eine Ewigkeit her, dass ich weder Briefe von Ihnen erhielt,
noch Ihnen schrieb, ich wartete immer, um endlich die Feder zur
Hand nehmen zu können, auf ein grosses Kopfweh oder sonstiges
Übelbefinden, das meine Phantasie etwas aufrühren würde. Ihr
Geleitschreiben setzt mich erstens in ungeduldige Erwartung der
Büsten von Stoudon*), zweitens enth< es auch eine Gravierung
mit dem Kopfe Voltaires. Ich gestehe Ihnen, dass ich sie gar
nicht ansehen kann, so schmerzt mich der Tod dieses Patriarchen.
— 432 —
Wir leben hier in Erwartong grosser Ereignisse, (deutsch) Von
allen Seiten wird Man sagte, dies w&re die Ge-
schichte der französischen Schriftsteller and das Verhältnis Herrn
de la Harpes zu Voltaire. Ich bitte Sie, merken Sie sich« dasB
ich noch nie etwas von Monsienr de la Harpe gelesen habe and
dass ich einen instinktiven Ekel vor allem empfinde, was er
schrieb. Auf denn, Sie bester Explikator, den ich kenne, expli-
zieren Sie mir den Qrund dieser schreienden Ungerechtigkeit,
einen Schriftsteller za yerdammen, ohne selbst auch aar den Um-
schlag seiner Werke je gesehen za haben I Bei
Gott, die Politik ist eine famose Sache! Sie ist das Prototyp
leeren Gewäsches und endloser Reden ohne Sinn, die, nicht einmal
wert beachtet zu werden, noch tüchüg mit meist erlogenen oder
ungerechten Anwürfen gewürzt sind, und damit regiert man die
Welt und entscheidet über die Geschicke der Völker! (deutsch)
Wahrhaftig, arme Leute und elende Sachen! Mir scheint
fast, dass man seit Voltaires Tode keinen Wert mehr auf gute
Laune legt; er war der Gott der Heiterkeit. Lassen Sie mir doch
eine ganz vollständige Kollektion seiner Werke zukommen, damit
ich wieder einmal von Herzen lachen kann. Wenn Sie mir nicht
bald schicken, was ich begehre, so werde ich Ihnen nur mehr kläg-
liche Jammerepisteln schreiben. Adieu, für heute genug!
5. Fragment. Gzarskoz^lo, den 17. August 1778.
Seitdem es deutsche Barone giebt, hat unter ihnen gewiss
noch kein so leidenschaftlicher Fabrikant von Geleitsnachträgen
existiert, wie Sie; kaum hatte ich noch Zeit, den einen zu beant-
worten, siehe, da kommt auch schon ein zweiter, mit dem Datam
15. Juli, angerückt, der sich ebenfalls auf No. 20 bezieht, welch
letzteres ich leider noch immer nicht erhalten zu haben erkläre,
(deutsch) Aber was wird denn daraus werden? Ich liebe
die Nachträge nicht mehr, seitdem ich in einem derselben die
Verzichtleistung des Erzherzogs Albert von Österreich auf Baiem
— 433 —
gelesen Herr yod Reiffenstein*) und ich
wflnschen, dass Sie sich YoUkommener Gesundheit erfreaen mögen.
Wir hoffen desgleichen in Kompagnie, dass ihnen meine vorher-
gehenden Briefe rechtzeitig zugekommen sind. Ich habe weder
die Eisten , noch die Ballen erhalten, welche Herr von Reiffenstein
nach dem Auftrag des Grafen Schuwalow expedierte und die den Marmor
etc. etc. enthielten; notabene, Schuwalow befindet sich momentan
hier, weil die Fregatten noch nicht aus Livomo zurflckkehrten,
und folglich auch alle anderen schOnen Sachen, die noch auf hoher
See schaukeln, derzeit ausständig sind, und Gott wolle die Loggien
Rafaels vor allen StOrmen behüten Ich
fflrchte sehr, dass der tückisehe Husten Mengs dahinrafft, ehe er
noch meine Gem&lde begonnen hat Es ist bereits ein Jahr ver-
flossen, seitdem sie bestellt wurden, und gerade das heurige ist
unglücklicherweise durch den Verlust grosser Männer gekenn-
zeichnet Mein Herr, ich bedauere gerade so hier, wie Herr
von Reiffenstein, der Herzog von Sachsen-(}otha und General
Woronzoff in Rom, nicht Ihre geistvolle Konversation und Ihre
angenehme Gesellschaft gemessen zu können. Ich schreibe dies
alles, Herrn von Reiffensteins Brief in der Hand haltend, nieder,
also zugleich lesend, und bin soeben bei P^re Jacquier und Abbö
Chigi angelangt; ich habe auch einen Brief des Ersteren, der in
artigen Mückenfüsschen geschrieben ist, persönlich von einem Ende
bis zum anderen durchgemacht. Mit Vergnügen nehme ich die
Widmung der Karte von Sizilien an und zwar zu Ehren meines
lieben Herrn Vetters, des Berges Ätna, für den ich, wie Sie wissen,
rege Sympathie empfinde. Ich hege zwar sonst einen grossen
Widerwillen gegen alle Widmungen, aber dieses meinen teueren
Vetters wegen mache ich gerne eine Ausnahme von der Regel
und bitte Herrn von Reiffenstein, an meiner statt Päre Jacquier
und Abb^ Chigi für ihre charmante Idee zu umarmen. Mit Un-
geduld erwarte ich Hackerts Gemälde, meinen werten Bergvetter
vorstellend, und werde es en miniature kopieren lassen, um es an
einem Armbande zu tragen, so sehr liebe ich ihnl Mir scheint,
Carl Graf Obcradorff, BrbiMnuiftB «Ibm UrgroMmatl«r. 28
— 434 —
S. katholische Miyestftt (Spanien) sind ein Freond traoriger Szenen,
denn sie befahlen solche bei Mengst nnd das verhinderte leider
den Künstler, meine Bestellungen in Angriff za nehmen Es ist
schon lange her, dass ich Herrn von Schawalow sagte, Menge'
Forderungen erschienen mir keineswegs zu hoch, and ich glaube,
er hat ihm bereits einen Vorschuss zugesendet. Desgleichen habe
ich auch dem Baron von Fr^dericzs befohlen, Herrn von Reiffen-
stein 274 Scudi romani 90 bigochi V2 ^^ zahlen. Kaufen Sie mir,
ich bitte Sie, zwei Exemplare der Werke Metastasios. Im übrigen
empfehle ich mich Ihrem freundlichen Angedenken. Leben Sie
wohl !
6. Fragment. den 1. September 1778.
Ich sterbe, ich sterbe, es herrscht ein furchtbarer Seesturm,
der das Ärgste befQrchteo lässt. Heute früh war ich im Bade,
das machte mir das Blut zu Kopte steigen, und heute Nachmittag
fielen mir Abbildungen der Loggien Rafaöls in die Hände. Nur
mehr die Hoffnung erhält mich aufrecht, ich beschwöre Sie, retten
Sie mich! Bitte schreiben Sie sofort an Reiffenstein, dass er die
Mauern und Decken in natürlicher Grösse kopieren lasse, und ich
gelobe dem hl. Rafael, augenblicklich, koste es, was es wolle, die
Loggien bauen und die Kopien hineinräumen zu lassen, denn ich
muss durchaus sehen, wie es ausfallen wird. Ich hege für diese
Loggien, für diese Plafonds eine solche Verehrung, dass ich ihnen
jedwede Ausgabe widmen und weder ruhen noch rasten werde,
bis alles vollendet ist. Ach, wenn man mir einen kleinen Grundriss
dieses Gebäudes mit genauen Grössen in Rom selbst, der Stadt
aller schönen Vorbilder, anfertigen wollte, so wäre ich meinem
Ziele schon um vieles näher gerückt! Es ist wiederum der gött-
liche Reiffenstein, der, wenn der Herr Baron von Grimm nichts
dagegen haben, diese schöne Kommission übernehmen könnte.
Ich gestehe offen, dass ich lieber Sie, wie Herrn von Schuwalow
mit dieser Geschichte betraue, da der letztere immer und überall
— 435 —
voller Bedenken ist, und gerade diese sind onter allen Sachen
diejenigen, die solche Leute wie mich am meisten yerdriessen.
Nennen Sie das alles weise oder unsinnig, wie es Ihnen eben
vorkommt, ein jeder plaudert ja mehr oder minder dumm oder
gescheit daher, ¥rie es eben in seinem Können und Wissen ge-
legen ist. Adieu, mein Herr, Gott beschütze Sie und bleiben Sie
nur gesund 1 Sagen Sie mir einmal bei Gelegenheit, warum . . . .
7. Fragment. den 27. April (alten Stils) 1785.
Sie haben mich nach Zelmire gefragt, die Sie mir auf die Bitte
ihrer Eltern empfohlen hatten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sie
sich ausgezeichnet auffahrt und dass an ihr nichts zu tadeln w&re;
ihr Grobian von ' einem Gatten dagegen ist ein höchst störriger
Geselle. Er benimmt sich so brutal und rflcksichtslos gegen sie,
dass diese arme kleine Frau wohl bald ihr Kummer dahinraffen
dürfte, ja, ich befürchte thatsächlich, dass ihre Gesundheit und
ihr Leben durch ihn gefährdet sind. Vergangene Woche hatte er
einen skandalösen Auftritt mit ihr, was bald allgemein ruchbar
wurde; er schlug sie, zerrte sie bei den Haaren und sperrte sie
schliesslich zu Hause ein. Alle Welt, selbst seine leibliche
Schwester und deren Gatte hält es mit der unglücklichen jungen
Frau. Sobald ich davon Kunde erhielt, Hess ich mir den Grobian
kommen und schickte ihn unter dem Verwände dringender Ge-
schäfte, und dies nur zu dem Zwecke, dass weder seine Frau,
noch jener dritte, der ihn bei mir verklagt hatte, kompromittiert
würde, in sein Gouvernement Im Augenblicke des Abschiedes
schlössen sie Frieden, doch ich glaube kaum, dass dieser von
Dauer sein dürfte, Sie wird übermorgen mit mir aufs Land reisen.
Ihr Herr Gemahl versichert ihr stündlich, dass er sie nicht
leiden möge; dies ist noch das zarteste Kompliment, das er ihr
macht. Ich glaube, es wäre wohl das beste für die arme Kleine,
wenn ihre Eltern von dem unglücklichen Zustande, in dem sie
sich, und zwar ganz ohne eigenes Verschulden, befindet, unterrichtet
28*
— 436 —
würden; aber man müBSte ihnen empfehlen, das Ganze geheim za
halten, am sie nicht ins Gerede zu bringen. Sie weiss gar nicht,
dasB ich dies schreibe, doch ich thae es, da ich Yoraossehe, daas
diese Ehe früher oder später gelöst werden müsse, wenn man sie
am Leben erhalten will. Ich bitte Sie, von diesem meinem Oe-
schreibsel nur den Gebranch zu machen, den sie für notwendig
erachten. Wenn es nur irgendwie möglich ist, werden wir alles
vermeiden, was den Frieden stören könnte, doch dies scheint mir
bei einem solchen Wüterich wie diesem äusserst schwierig ....
8. Fragment* Petersburg, den 8. November 1785.
Endlich kam ich dazu, die Vorrede von Herrn Neckers Buch
zu lesen, und habe sie nun glücklich beendet. Da er so em-
pfänglich für Lob ist, so yersichern Sie ihn auch des meinigen im
vollsten Masse. Man sieht, dass er gerade auf dem richtigen
Platze war und sein Amt mit dem grössten Eifer verwaltete, er
gesteht dies auch selbst. Mir gefällt, wenn er sagt: „Ich werde
immer auf der Bahn fortschreiten, die ich betreten!'' So spricht
nur ein edler Mann und er muss es bis aufs Ausserste sein , um
nicht nach so viel Widerwärtigkeiten in seinen Vorsätzen zu
wanken. Ich gehe jetzt die Sache fertig zu lesen und werde Ihnen
davon Mitteilung machen, bevor Sie noch meinen Auftrag aus-
geführt haben, (deutsch) Arme Leutel ungestiefelte Leute
können die gestiefelten nicht mehr vertragen: Sind
zustark, zu fest, zuschwer, zuraisonniert, zubeweisend,
zu voll; alles das ist beschwerlich. Das Gemälde ist
gross, ist schön, aber was hilft das? Wer wird nach
dem Gemälde heute suchen? und wo wiederfinden? Die
Kunst besteht, mit allerlei Leuten die Sachen gehen zu
machen, so gut, wie möglich und alle Tage besser.
9. Fragment.* den 10. November 1785.
Die Kosten der Stenereintreibung haben mich tötlich gelang-
weilt. Die Finanzen Seiner all erchristlichsten Majestät sind über-
— 437 —
hanpt eine sehr ärgerliche Sache. Da kann ich wohl bei einer
jeden Zeile ausrufen: (deutsch) Nun, Gott sei Dank, so
weit ist es bey uns noch nicht getrieben! Von hier gehe
ich mit einem grossen Schritte zur deutschen Komödie über, um
mich zu erholen
10. Fragment.* vom 11. November.
Geben Sie zu, dass die Finanzen Seiner allerchristlichsten
Majest&t ein nur allzu unerfreuliches Thema sindl Ich will ihn
wahrlich nicht dafür beglückwünschen, dass er achtund vierzig
statt zwölf Steuereinnehmer hat! Ich glaube, dass Seine Majestät
nur zu bald wissen werden, welches von diesen Finanzlichtern
höchstdero Geschmacke am meisten entspricht. Er hat ja schon
Turgot, Necker und den jetzt amtierenden Salmigondis durchge-
kostet, (deutsch) Jede hatten ihre Art zu denken, Eko-
nomisten, Philosophen, Beuteldrücker. Gott sei Dank,
ich bin mit allen wohl zufrieden, und alles kann zum Besten
der Erde dem besten ihrer Kinder innewohnen, (deutsch) Die
Beutel-Purganz ist auch gut!
«
11. Fragment. den 20. November (1785).
Indem ich in einem fort das Buch des Herrn Necker durch-
studiere, ist mir der Gedanke gekommen, Ihnen um jeden Preis,
falls Sie es noch nicht wissen sollten, zu sagen, was ich von den
Projektenmachem halte Ich muss Sie noch darauf auf-
merksam machen, dass Quarenghi mich mitten in meinem Satze
unterbrach, um mir von dem charmanten Theater zu erzählen,
das er am Ende der Eremitage erbaut und das sich gegenwärtig
in kühnem, durch die Luft geführtem Bogen über den Kanal
wölbt, um sich im alten Palaste Peters I. za verlieren
— 438 —
IL
Drei Briefe des FQrsten von Ligne*) an Baron Grimm.
Erster Brief. 'Moskau, den 3. Juli (neuer Rechnung) 1787.
Heute sind es zwei Monate her, dass wir von Kiew abreisten ;
wir trafen alle in guter Gesundheit, ohne irgend eine Unannehm-
lichkeit oder auch nur den mindesten Unfall erlitten zu haben,
hier ein von der interessantesten und wunderbarsten Reise, die
dem grössten Triumphzuge glich, der je stattfand. Es wird mir
unmöglich an dieser Stelle die famose Unterhaltung unerwähnt zu
lassen, die uns jene Zeitungen boten, welche die Güte hatten,
sich mit uns zu beschäftigen. Um alle diese den Russen so wohl
gesinnten Leute zu beruhigen, teile ich Ihnen mit, dass wir nach
einer charmanten Wasserfahrt auf dem Di^jepr (Boristhenes)
Häfen, Armeen und Flotten im brillantesten Zustande vorfanden,
dass Cherson und Sebastopol unsere Erwartungen noch weit Aber-
trafen und dass jeder Tag durch irgend ein grosses Ereignis ge-
kennzeichnet war. Bald gab es Manöver von siebzig Eskadronen
regulärer Truppen, die sich prachtvoll geschult erwiesen und in
der Linie mit bewunderungswOrdiger Raschheit ihre Gewehre
luden, bald waren es Kosaken, die vor uns ihre eigenartigen
Kriegskünste produzierten, bald wieder Tartaren aus der Krim,
die ihren Chan Sachin-Guerai, als er sie in die von ihm errichteten
Regimenter stecken wollte, verlassen und auf eigene Faust Fähnlein
errichtet hatten, weiche sie nun der Kaiserin vorführten. Jene
wüsten Steppen, die wir zwei bis drei Tage lang durchziehen
mussten, um in das Gebiet zu gelangen, woraus Ihre Majestät die
nogaiischen Tartaren und Zaprovier vertrieben hatte, die vor noch
kaum zehn Jahren sengend und brennend die Grenzen des Reiches
bedrohten, waren nun mit wunderhübschen Zelten, in denen man
as9 und schlief, geschmückt, und dieses mit asiatischem Pompe
ausgestattete und festlich gezierte Biwak, das uns überallhin, zu
— 439 —
Wasser wie zu Lande, begleitete, bot einen ungemein kriegerischen
Anblick dar. Damit aber diese verlassenen Gegenden ja nicht
am Ende die uns so wohlgesinnten nnterrheinischen, leydenschen
and „Europäischen Gourier'^-Zeitungsschreiber allzusehr irritieren
möchten, so teile ich diesen Herrschaften noch ferner ergebenst
mit, dass dortselbst in wenigen Jahren Felder, W&lder und Dörfer
emporblühen werden. Man verpflanzte bereits Militär dorthin;
und jene Länderstrecken, die jetzt nur vorerst von Kriegstruppen
bevölkert sind, werden bald durch die Trefflichkeit ihres Bodens
bäuerliche Kolonisten anlocken. Wenn aber diese Herren nun
gar erfahren werden, dass die Kaiserin in jeder Gouvernements-
Stadt Geschenke im Werte von mehr als hunderttausend Thalern
hinterlassen hat; und dass sich jeder Tag der Ruhe durch neue
Gaben sowie durch Bälle, Feuerwerke und Illuminationen an zwei
oder drei Orten in der Runde kennzeichnete, so würden sie
zweifelsohne in die höchste Besorgnis um die Finanzen des Reiches
geraten. Doch leider befinden sich gerade diese so wohl, und die
Nationalbank bildet unter der Leitung des geistreichen und er-
fahrenen Grafen Andreas Schuwalow tür die grosse Kaiserin und
alle ihre Unterthanen eine so unerschöpfliche Quelle, dass die
guten Freunde von der Presse nun völlig beruhigt sein können.
Wenn dieselben nur aus reiner Menschenliebe für das Wohl
russischer Unterthanen besorgt sind, so mögen sie erfahren, dass
letztere nur insoweit wie Sklaven gehalten werden, als man sie
strengstens verhindert, sich selbst und anderen Schaden zuzufügen,
doch steht es ihnen vollkommen frei, sich zu bereichern, und sie
bringen das auch oft genug zu stände, wie wir aus der Pracht
der mannigfaltigen, wertvollen Nationaltrachten in den Provinzen,
die wir durchreisten, schliessen konnten. Was jedoch die aus-
wärtigen Angelegenheiten betrifft, so mögen sich unsere biederen
Federhelden an die Kaiserin selbst halten ; sie arbeitet alle Tage
unserer Reise des Morgens mit dem hochverdienten Minister,
Grafen Bezborodko; ferner mögen sie auch noch wissen, dass
Fürst Potemkin, ein Mann von seltener Genialität und klarem
— 440 —
Verstände, der alles nur yom höchsten Standpunkte ans erfasst,
der Kaiserin alle Wünsche von den Angen abliest nnd ihr, als
Chef des Eriegsdepartements, der Armee und mehrerer Goaveme-
ments, in zuvorkommendster Weise beisteht. Die Kaiserin, der
doch gewiss niemand Herrschsucht vorwerfen kann, gesteht ihm,
sowie auch allen anderen, deren Hilfe sie bei ihrem grossen Werke
bedarf, alle denkbare Autorität zu und bringt ihnen das grösst-
mOgliche Vertrauen entgegen; nur denjenigen, deren Thun sie
filr unrecht hält, räumt sie keine Macht ein. Ihren grossen Prunk
und ihre scheinbare Verschwendungslust rechtfertigt sie dahin,
dass ihr solche Ausgaben reiche Zinsen trügen, dass es auch
ferner ihre Pflicht sei, zu belohnen und aufzumuntern, sowie Neu-
ämter in den Provinzen zu schaffen, weil das Verkehr und Geld-
umlauf hebe und die Edelleute zwinge, mehr am Lande zu bleiben,
statt wie früher die meiste Zeit in St. Petersburg oder Moskau
zu verleben; sie hat zweihundertsiebenunddreissig Städte in Stein
gebaut, weil sie, nach ihren eigenen Worten zu schliessen, Block-
bauan Siedlungen für zu fenersgef&hrlich hält und häufige Brände
ihr immense Kosten verursachen; femer erachtet sie es auch für
geboten, eine süperbe Flotte in den Gewässern des schwarzen
Meeres zu erhalten, denn schon Peter I. habe ja die Marine so sehr
geliebt und gefördert. Das sind ihre bescheidenen Entschuldig-
ungen für die vielen grossen Werke, die sie geschaffen. Man
kann sich nicht vorstellen, welches Glück es gewährt, ihres Um-
ganges zu gemessen. — Man reist fünfzehn Meilen des Morgens, findet
beim ersten Relais in einem kleinen, hübschen Holzpalaste ein
gutes Frühstück, später in einem anderen ein brillantes Diner
und schliesslich nach fünfzehn weiteren Meilen in einem viel grösseren
und schöner möblierten ein treffliches Nachtlager, wenn man nicht
zufällig in eine Stadt kommt, woselbst die Gouverneure stets
prächtige Residenzen, von Stein gebaut und mit Kolonnaden und
allerhand anderem Aufputze geschmückt, besitzen. Es leben auch
in diesen Städten, angefangen von Krementschuk, ferner zu Kaursk,
Orel, Tula und so fort, bis hierher, viele wohlhabende Kaufleute,
— 441 —
die einen lebhaften Handel betreiben, und rings nmdr&ngt uns
ein buntes, überraschend zahlreiches Menschengewühl, in anbeten-
der Liebe zur Kaiserin emporblickend. Bei Volkszählungen, von
denen hier und da die Presse zu berichten weiss, wird nur das
m&nnliche Geschlecht berücksichtigt, während man in den anderen
Ländern alles zählt. Wenn aach die famosen Herren Zeitungs-
schreiber (denn ich erzähle ja dies alles nur ihnen zu Ehren)
glauben, dass Taurien eine schlechte Acquisition war, so werden
sie sich dennoch trösten müssen, wenn sie erfahren, dass wir
das bestkulti vierte Land nach Durchkreuzung einiger öder
Gegenden vorfanden, welch letztere nur von Leuten verlassen
worden waren, welche übrigens bereits wieder zurückzukehren
wünschen; da gab es prächtige Waldgebirge, deren dem Gestade
des Meeres zugekehrte Hänge mit amphitheatralisch aufgebauten
Dörfern'^) geschmückt waren, während alle die Thäler mit ihren
Weinreben, Granatäpfeln, Palmen, Feigenbäumen, Aprikosen und
sonstigen Sorten von Früchten und Nutzpflanzen, ein reiches Er-
trägnis versprachen. — Wir waren ebenso glücklich, der Kaiserin
folgen, als ihre Unterthanen, sie sehen zu dürfen, und die Herren
Journalisten schliesslich, sowie die, welche ihnen Glauben schenk-
ten, werden es gewiss auch sein, wenn sie erfahren, wie schlecht
man bisher beraten war, und ewig werden sie uns dafür Dank
wissen, dass wir sie so trefflich aufklärten; ja, nuu könnten sie
kalten Blutes einem jeden ans unserer Kasse 1000 Louis ver-
sprechen, der uns auch nur einer falschen Beobachtung zu be-
zichtigen vermöchte in diesem, unserem Berichte, den vrir doch
gewiss nur aus purem Interesse an ihrer Belehrung brachten, und
da sich natürlich unter solchen Umständen keiner finden wird,
der uns um 1000 Louis leichter machte, so dürfte sich ihnen
am Ende noch die Vermutung aufdrängen, dass wir weniger unsere
Zeit, als unser Geld zu sparen bedacht waren.
— 442 —
2. Brief. Moskau, den 3. Jnli 1787.
Man liebt Sie sehr, Herr Baron, man spricht oft yon Urnen,
aber schreibt man Ihnen anch? Katharina »der* Grosse (denn die
Nachwelt wird ihrethalben diesen Artikelfehler begehen) hat
möglicherweise keine Zeit hierzu. Vielleicht werden Ihnen diese
kleinen Details, die ich diktierte, einen, wenn auch nur schwachen
Begriff von dem geben , was wir sahen und erlebten ; übrigens
dürfte das eine indignatio fecit (gehamischte) Erzählung werden,
denn ich bin über den niedrigen Neid , der in Europa gegen
RuBsland vorherrscht, empört. Ich möchte doch jenem kleinen
Teilchen unseres Kontinentes, der dies Riesenland anzugreifen
wagt, ein bischen Lebensart beibringen; wenn sich unsere biederen
Landsleute nur der Mühe unterzögen, zu reisen, so würden sie
bald gewahr werden, wo es mehr Barbarei giebt, hier oder dort.
Hier hat es z. B. fast den Anschein, als w&ren die Grazien von
Paris und quer über unser heiliges römisches Kaiserreich herüber-
geflogen, um ihren Wohnsitz in Moskau aufzuschlagen, und noch
200 Werste weiter haben wir so elegante Damen, ho Ide Engel, gleich
bezaubernd im Tanze, im Gesänge und in der Liebe Yorgefunden.
Kaiser Josef II. war die drei Wochen, die er mit uns zu-
brachte*), ungeheuer liebenswürdig. Die Konversation der beiden
Monarchen, die über Länder von 60000000 Einwohnern und Heere
von 800000 Mann gebieten, war selbstverständlich hochinteressant;
ich habe viel davon profitiert, weil ich mit ihnen im gleichen
Wagen fuhr, und ich unterbrach sie auch oftmals mit ein paar
schlechten Witzen, über die ich zu guterletzt selbst lachen musste,
als ich ihr schallendes Gelächter vernahm: denn wir bewegten
uns mit der grössten Freiheit, welche ja allein der Gesellschaft
Reiz zu verleihen vermag, und was die bescheidenen gesellschaft-
lichen Ansprüche der Kaiserin anbelangt, so kennen Sie dieselben
ohnehin; selbst mit dem Geringsten zufrieden, offenbart sie ihre
geistige Überlegenheit erst dann, wenn über wichtige Fragen
verhandelt wird.
Wenn ich wieder einmal hinreise, so müssen Sie, Herr Baron,
— 443 —
mich begleiten; dann bin ich wohl einer noch glänzenderen Auf-
nahme sicher. Es ist zwar nicht notwendig, dass Sie der Kaiserin
Ihre ganze Liebenswürdigkeit ins Gedächtnis zorflckmfen, denn
dieselbe hat sie anch in Ihrer Abwesenheit Tor Augen, aber es
wird ihr eine grosse Freude bereiten, sagen za können: Er ist
hier! Sie werden da charmante Bekanntschaften machen; Herr von
Mamonow z. B. ist eine Persönlichkeit, die za grossen Hoffnungen
berechtigt, sowie ein geistreicher, angenehmer und weitgeschfttzter
Gesellschafter. Mit welcher Anmut die Gegenwart des Grafen Yon
Sägur unsere Reise verkl&rt, werden Sie sich wohl vorstellen
können. Ich bin ganz trostlos darüber, dass sie sich schon ihrem
Ende zuneigt.
Nahe dem Felsen, den Iphigeniens Tempel krönte, lasse ich
nach einer eigens zu diesem Zwecke yeranstalteten Sammlung, ein
Heiligtum, der Kaiserin geweiht, errichten, sowie einen Altar
der Freundschaft für Fürst Potemkin, und diesen inmitten der
schönsten und grössten Fruchtbäume, die ich je sah, und am Ge-
stade des Meeres, wo sich alle Gewässer der Berge yereinigen.
Dieses kleine Stück Erde, welches mir die Kaiserin verehrte,
heisst Parthenizza oder Jungfernkap und ist von 96 Tartaren-
familien bewohnt, welche wohl sicherlich nicht mit jenen Göttinnen
und Königen des Altertums identisch sind, die, wie jedermann
weiss, so blutige Opfer forderten. Ich kenne keine schönere und
angenehmere Lage, als die meines Gütchens am Ufer der mytho-
logischen Idalia, dort, wo Europa endigt und Asien beginnt, denn
man sieht schon von ferne Natoliens Berge herüberblauen. Merk-
würdig berührte es mich, als ich, an den Gestaden des schwarzen
Meeres ruhig unter erbitterten Feinden ihrer russischen Ober-
herrschaft lebend, erfhhr, dass sich die getreuen Unterthanen des
Hauses Österreich an den Küsten der Nordsee empört hätten. Das
hätte ich denn doch nicht erwartet, sicherer auf meinen Gütern
am Pontus Euxinus, als auf meinen flandrischen zu leben 1
Hätten Sie die Güte, beigeaandtes Paket an seine Adresse
zu befördern, sowie auch die Versicherung meiner Hochachtang
— 444 —
entgegenzunehmen, die ich mit allen jenen teile, welche das Ver-
gnügen hatten, Sie persönlich kennen zu lernen, oder doch wenigstens
Yon Ihnen gehört zu haben, and indem ich die treue Anhänglichkeit
an Sie mit allen Ihren Freunden teile, nehme ich mir die Ehre za
zeichnen Fürst de Ligne.
3. Brief.*)
Herr Baron, in aller E^le ein paar Zeilen! Monsieur Bauer
ist abgereist, und ich habe nicht viel Zeit zum Plaudern: doch
finde ich noch immer Zeit, des Freundes und Gönners des Nordens,
des Lieblings Friedrichs des Grossen und Katharinas zu gedenken,
den ich schon, auf mein Wort, liebte, bevor ich ihn noch kannte.
Ich hoffe auch dieser Tage Ghoczim**) mit seinen Österreichern
und auch ein wenig von Oczakow***) mit seiner russischen Besatzung
zu sehen. Man zecht mit diesen, man zecht mit jenen und be-
freundet sich mit Beiden; ich wollte mir auch gerne ein Büschel
Siegeslorbeern mitnehmen zum Andenken. Anstatt dessen be-
merke ich jedoch, dass ich nichts, wie schwätze: daher schiiesse
ich nun, mit dem ernsten Vorsätze, Sie vi armata zu zwingen, den
Ausdruck meiner zärtlichsten Anhänglichkeit entgegennehmen zu
wollen.
Fürst de Ligne.
Elisabethgorod, den 16. März 1789.
III.
Sieben Briefe des Grafen Segur*) an Baron von Feronce.
1. Brief. Wischny - Wolotschok, den 10. Juni 1789.
Ich bin soeben in Wischny-Wolotschok glücklich angekommen,
aber erwarten Sie ja nicht vor meiner Rückkehr irgend welche
Details über meine Reise. Ich befinde mich sehr firisch und wohl-
— 445 —
auf. Alles, was ich sehe, ist so interessant and neuartig, dass ich
gar nicht Zeit finde. Ober diese Genüsse nachzudenken. Es ist
ein wanderbares Schauspiel anzusehen, wie von zwei grossen
Monarchen ein so gewaltiges Kaiserreich in einem Jahrhunderte
aus chaotischen Uranf&ngen emporgehoben wurde, das nun überall
sowohl das Siegel des grundlegenden Geistes, als auch die Spuren
des Genies trägt, das alles yervollkommnete. Soweit mein Auge
schweift, erblickt es nur aufgeforstete W&lder, ausgetrocknete
Sümpfe, frischangelegte Felder, neubegründete Stftdte, tansende
von reichen Dörfern, w&hrend die ElOster, wie billig, yerarmen
und eingehn, und überall ein dankbares Volk, welches yon allen
Seiten herbeiströmt, der grossen Katharina für die Gesetze zu
danken, die sie ihm gab. Aber stellen Sie sich den Genuss yor,
den ich empfinden muss, all dies in Gesellschaft der Zauberin,
die es schuf, bewundem zu können, also diese gewaltige Herrscherin
zu sehen, umringt yon Scharen ihrer ünterthanen, die ihr die
H&nde küssen, sie Wohlth&terin und Mutter nennen und mit ihren
Thrftnen die Wahrheit dieser zur Schau getragenen Gefühle be-
weisen. Bedenken Sie femer, dass ich oft 8 bis 9 Stunden im gleichen
Wagen mit dieser berühmten Frau fahre, dass ihre sanft dahin-
fliessende Konyersation abwechslungsreicher und pikanter ist, als die
aller Schöngeister, die ich je kannte. Sie ist übrigens eine ebenso
ausgezeichnete Hausfrau, als Gesetzgeberin und Politikerin, und der
Reisehut steht ihr gerade so gut zu Gesichte, wie die Kaiserkrone.
Sie ist yon einer geradezu unbegreiflichen Güte, yoller Rücksichten,
deren keine yon ihr ausser acht gelassen wird. Hundertmal des
Tages fragt sie mich: ob ich mich nicht langweile, ob ich yon
der Reise nicht schon ermüdet w&re, ob ich alles habe, dessen
ich bedürfe, oder ob mir etwes abgehe, ob ich aaszosteigen
wünschte, ob mich Sonne oder Wind incommodiere. Eine Frau,
die auf nichts anderes bedacht w&re, als aller Welt zu gefallen
und liebenswürdig zu scheinen, könnte sich Katharina zum Vor-
bilde w&hlen. Wir speisen auf das Grossartigste und Feinste. Des
Abends ergötzen wir uns an allerhand Spielen, des Tagee gemessen
— 446 —
wir der angenehmsten ond lehrreichsten Konversation. Das Ange
wird durch den Anblick der interessantesten Dinge und verschieden-
artigsten Kostüme gesättigt. Gestehen Sie doch, dass dies eine in
jeder Beziehung charmante Reise ist, und machen Sie es mir nach,
d. h.y lieben Sie die Kaiserin so, wie ich sie bewandere! Adien!
2. ßrief. Moskau, den 15. Juni 1789.
Wieder ein Brief, der Sie sehr ungeduldig machen wird, erstens,
weil Sie ihn gewiss schon lange erwarteten, und zweitens, weil er
in Ihnen viele Wünsche erwecken dürfte, ohne dass Sie im stände
sein werden, dieselben zu befriedigen. Das Datum meines Schreibens
wird Sie sehr in Erstaunen setzen. Ja, ich bin in Moskau; diese
Reise, ohne die ich Russland wohl nie kennen gelernt haben
würde und die ich erst am Ende meiner Mission zu machen hoffte,
diese unternahm ich thatsächlich schon jetzt und, was ich doch
nie getr&umt hätte, mit der Kaiserin selbst, welche mir alle die
Wunder erklärt, deren Schöpferin ja nur sie selbst ist, und sie
versteht dies besser zu thun, als der beste russische Geschichts-
schreiber. Ich will in die wohlgeordnete und ausführliche Be-
schreibung, die Sie, sobald ich Zeit finde, sie niederzuschreiben,
von mir empfangen werden, noch nicht vorgreifen, aber ich kann
nicht umhin, Ihnen von dem Entzücken zu berichten, in das mich
unsere Reise zwischen Torschok und Twer versetzt hat. Russland
ist jetzt ein blühender Garten , in dem man nicht mehr jene
traurigen Sümpfe tind monotonen Tannenforste vorfindet, in deren
Mitte Feter der Grosse, der Natur zum Trotze, St. Petersburg
anlegte, nein, so weit das Auge blickt, prangen saftige, grüne
Wiesen, taufrische Wälder, klare Bäche, Obst in Hülle und
Fülle, wogende Getreidefelder und farbenreiche Blumen, lieder-
frohe Vögel und Tausende glücklicher Menschen bevölkern dies
Paradies. Es ist wahr, wenn^s Einem so gut geht, wie mir, der ich,
von keinen Reisesorgen geplagt, immer im Gespräche mit der geist-
reichsten und liebenswürdigsten der Frauen begriffen bin und alles
N
— 447 —
▼00 einer Sonne beleuchtet sehe, die nar fflr ihn erschaffen
scheint, dem könnte man leichtlich Yorwerien, dass er alles durch
eine allza rosige ^Brille sieht. — Das Glück ist eben ein Prisma,
das allen Gegenständen Farben verleiht, die sie oft gar nicht be-
sitzen; Sie jedoch werden ans den genauen Details, die ich Ihnen
geben will, ersehen, dass ich ganz unparteiisch bin. Es ist ja
alles noch recht weit davon entfernt, vollkommen zu sein, aber
wo findet man auch totale Vollkommenheit? Man sieht jedoch,
dass alles derselben mit Riesenschritten entgegenstrebt. Nichts
gleicht Paris von weitem mehr, als Moskau, denn es besitzt die-
selbe Grösse und eine frappant ähnliche Lage. Kommt man aber
näher heran, so gewahrt man denn doch einen ganz gewaltigen
Unterschied: die Häuser, die Paläste, die Gassen, die Türme, die
Kirchen, die Gewölbe, die Einwohner und ihre Trachten, all das
weist auf das Alter der Nation und die Neuheit ihrer Beziehungen
zum übrigen Europa hin. Die öffentlichen Gärten könnten Sie
im Geiste nach London versetzen, die buntbemalten Holzhäuser
hingegen in die Polackai. Der Kreml mit seinen Giebeln, Türmen
und unterirdischen Gelassen führt Sie ganz in die Zeiten der
alten Czaren zurück, in die ihrer Kriege, ihrer Fehdelust und
ihrer primitiven, rohen Pracht Die Russen erinnern uns in ihren
zottigen (?) Gewändern an die Scythen, ihre Kirchen jedoch an
Byzanz mit seinen Kaisern und griechischen Patriarchen. Da be-
begegnet uns wieder ein Tartare, uns gleichzeitig an die zügel-
lose Grausamkeit, den vergangenen Ruhm und die jetzige Ver-
nichtung seines Volkes gemahnend. Treten Sie hingegen in den Palast
des Gouverneurs oder in eines der den sieben- bis achttausend
Edelleuten gehörigen Stadthäuser, die diese schöne Metropole
schmücken, so befinden Sie sich wieder im jetzigen Jahrhundert,
umgeben vom Geschmacke, der Pracht und Bequemlichkeit des
modernen Paris. Wenn Sie die Kaufläden besuchen, so werden
Sie dort alle Früchte unserer Industrie, aber bereits gemischt
mit spezifisch russischer Manufakturware antreffen, welche ihr noch
starke Konkurrenz macht; diese Handelsgeschäfte sind ausnahmt-
— 448 —
loB in einem Stadtviertel yereinigt, das ans lebhaft an die Bazare
des Orientes gemahnt. Begeben Sie sich nun noch za gnterletzt
auf den Exerzierplatz, so werden Sie dort viele gntarmierte
und -disziplinierte Bataillone bewundern können and sich plötzlich
nach Berlin oder Metz gezaubert fahlen ; sagen Sie, giebt es wohl
etwas Pikanteres und Interessanteres, als dieses bantgemischte
Treiben and diese reiche Abwechslang 1 Wie viel kann man über
ein solches anbeschreibliches Schaaspiel nachdenken and wie wenig
ist man im stände, es richtig za schildern! Und trotzdem be-
haupten viele Leute, Rassland aus dem X zu kennen und wagen
es sogar noch, das unendliche Reich aof bissige Weise zu zer^
gliedern; ich hingegen will mich bemühen, mit aller Aufmerksam-
keit zu Werke zu gehen, gleich, als wäre ich beauftragt, jemandem
eine genaue Idee hievon oder gar einen Auszug aus der „Ency-
klopädie" hierüber zu geben; und ist Russland nicht eine Ency-
klopädie von Jahrhunderten, von Kiimaten, von Gebräachen, von
Sprachen, von Trachten, von Sch&tzen aller Art, von Unsitten, von
Mitteln zu deren Beseitigung und von Hindernissen, die sich diesen
entgegenstellen? Ein Genie hat dies alles aus chaotischen Ur-
anfängen emporgezaubert, ein zweites Genie verleiht nun dem
Ganzen gefällige Ordnung und das feste Gerüst einer weisen Ver-
fassung. Zwanzig Jahre hindurch hat die Kaiserin an ihren Ge-
setzen gearbeitet und geprobt, bevor sie dieselben veröffentlichte ;
nun beginnt sie die Erfolge dieses hehren Werkes zu sehen, und
ihre Unterthanen sind von Liebe und Dankbarkeit gegen sie er-
füllt. Wenn der europäische Friede, wie ich es zu hoffen wage,
andauert, dürfte sicherlich dieser neue Ruhm der allbewunderten
Monarchin sich ebenso unwandelbar gestalten, wie der in ihrem
letzten Kriege erworbene : ihr Staatsgebäude wird ausgeformt sein,
ihrem Handel werden sich tausende neuer Quellen eröffnen, und
ihr Kaiserreich wird dastehen in der gewaltigsten Grösse und
festesten Sicherheit, die man je erträumt. Die Zeitungsschreiber,
über die sie sich oft mit graziösem Mutwillen und geistreicher
Schärfe mokiert, die famosen Herren Berichterstatter, die ans
— 449 —
Katharina so oft schon, als mit dem Tode ringend, vorgeschwindelt
haben, werden sich dnrch die Ergebnisse dieser meiner Reise sehr
entt&nscht fühlen. Es sind erst wenige Tage her, dass ich von
einem weiteren Spaziergange mit der Kaiserin etwas ermüdet heim-
kehrte und dass sie mich, meine kleine Erschöpfung bemerkend,
fragte, ob ich ihre Gesundheit ebenso schwach and zart f&nde, wie
die Herren von der Presse, ihren Darstellungen zu eQtnehmen;
ich versicherte ihr mit gutem Gewissen, dass dieselben, wenn sie
Ihre Migest&t auf Spaziergängen folgen müssten, sicherlich solch
eitles Geschwätz schleunigst widerrufen würden, um anstatt dessen
andere nicht zu berechnende Spiegelfechtereien, etwa politischer
Art, aufzutischen, und wir begannen gleich selbst einen solchen
Artikel zu verfassen. Alle diese witzigen und umfassenden Ge-
spräche führt sie mit einer so angenehmen Leichtigkeit und Grazie,
als wenn sie auf der Welt nichts anderes zu thun hätte, als liebens-
würdig zu sein. Es existiert gar kein Werk in unserer Litteratur,
das sie nicht schon gelesen hätte und dessen sie sich nicht er-
innerte, kein hübsches Lied, das ihr unbekannt geblieben wäre,
keine dramatische Arbeit, deren Sinn sie nicht erfasst hätte, und
nie hat es wohl eine glänzendere Phantasie gegeben, als die ihre,
die sogar in vielen Fällen das Gedächtnis ersetzt; aber ich plaudere
zu lange, es geht schon auf zwei Uhr, und ich muss ans Schlafen
denken, denn morgen heisst es früh aufstehen, weil wir fortreisen,
um den Bau der Aquädukte zu besichtigen.
3. Brief. Wischny-Wolotschok, den 21. Juni 1789.
Ich schreibe Ihnen noch ein paar Zeilen von Wischny-Wolot-
schok, wohin ich zurückkehrte. Morgen werden wir in Boro-
witschi ankommen, wo wir uns einschiffen, um zu Wasser über
die Mista, den llmensee, den Wolochow, den Ladogasee und die
Newa nach St. Petersburg zu gelangen. Vielleichtwird mir auf dem
Schiffe Müsse, um Ihnen weitläufiger zu schreiben ; bis jetzt hatte
ich jedoch weder Zeit noch Lust, Ihnen längere Briefe zu schicken.
Carl Oraf Obtrndorff, EriaavnuiftB «iBW UrgroMantUr. 29
— 450 —
Dienenchaft nnd Effekten Verden ans schon sehr frOhe voraas-
fahren, and wir treffen erst auf der Nachtstation mit ihnen zu-
sammen. Ich erfreue mich stets der besten Gesundheit, die Reise
entzückt mich immer mehr and mehr, und ich werde der Kaiserin
mit jedem Tage anhänglicher, denn, abgesehen von ihren anderen
grossen Eigenschaften, entwickelt sie soviel Freundlichkeit und
Güte, soviel prickelnden Witz, ein so lebhaftes Gedächtnis, eine
derart rege Phantasie und natürliche gute Laune, dass man wirk-
lich nichts anderes vermag, als sie zu lieben und wieder za lieben,
wenn man sie kennt. Gestern fuhr ich den ganzen Tag mit ihr
im gleichen Wagen, vrir führten ein sehr lebhaftes und interessantes
Gespräch über Geschichte und hatten darüber so verschiedene
Ansichten, so lustige und pikante Wortwechsel, dass uns sieben
Stunden wie sieben Minuten vergingen.
4. Brief. Auf der Mista, in der Nähe von Umensee und
Nowgorod, den 29. Juni 1789.
Ich glaube kaum, dass je eine angenehmere Reise veranstaltet
¥rurde, als diese; selbst, wenn man sie in einem Roman beschreiben
wollte, bliebe die Erfindung noch weit hinter der Wirklichkeit
zurück. Wir gemessen in guter Laune der angenehmsten Geseil-
schaft, begünstigt vom denkbar besten Wetter, und wenn diese
drei Voraussetzungen eintreffen, ist es gewiss schwer möglich,
dass unsere Reise einen unerwünschten Eindruck in uns zurück-
lassen könnte. Wir befinden uns heute schon den vierten Tag
zu Wasser. Mr. Fitz -Herbert; Fürst Potemkin und ich schifften
uns als Erste ein, um die Katarakte der Mista zu befahren, in
denen jährlich sehr viele Fahrzeuge zugrunde gehen. Dort ist
der Fluss so reissend, dass man dreissig Werste in weniger als zwei
Stunden zurücklegt; man fährt über Felsen, die fast bis an die
Wasseroberfläche reichen, dahin, und das machtlos auf den Wogen
tanzende Schiff ächzt in allen Fugen, als ob es bersten wolle;
doch ausser einem kleinen Leck, das schwimmende und an einem
— 451 —
Garte hängende Matrosen mit onglaablicher Geschwindigkeit anf
das Geschickteste verstopften, ist ans kein anderer Uniall be-
gegnet. Wo die Katarakte enden, stiess die Kaiserin za uns, und
wir schifften ans nan alle anfs nene ein. Der kldne Floss, aof
dem wir nan in fünfzehn Galeeren and nngeföhr zwanzig geringeren
Fahrzeugen dahinsegelten, gewährte einen entzückenden Anblick.
Die Ufer mit ihren grünen Matten, wohlbebaaten Feldern and all
den bnnten Bauernscharen vor jedem Dorfe, deren begeisterte
Hochrufe und jabelnde Gesänge beim Anblicke unserer liebens-
würdigen Monarchin die Luft erfüllten, bieten ein abwechslungs-
reiches Bild dar. Unsere charmanten Galeeren sind trefflich ein-
geteilt, die bequemen kleinen Appartements mit hübschen Möbeln
versehen und die zahlreichen Ruderer aufs Geschmackvollste
livriert; jedem von uns steht ein Boot zur Verfügung, um es nach
Belieben zum Besuche der anderen Schiffe oder gar des Landes
benützen und auch im letzteren Falle sich, wieder zur Flotte
stoBsend, in sein schwimmendes Haus zurückbegeben zu können.
Das Leben, wie es hier von uns geführt wird, ist folgendes: Bis
Mittag vertreibt sich jeder die Zeit, wie er mag. Schlag zwölf
Uhr begeben wir uns auf die Galeere der Kaiserin, und nachdem sie
einige Zeit mit uns konversiert hat, folgen wir ihr auf ein anderes
Schiff, wo man uns ein ausgezeichnetes Diner serviert, das immer
in der heitersten Stimmung zu verlaufen pflegt. Nach dem Essen
zieht sich die Migestät zurück, und wir gehen auf ein Spielchen
zu Fürst Potemkin; um vier Uhr kehre ich auf mein Schift
zurück; um sechs Uhr versammeln wir ans im Salon der Kaiserin
und geben ans mit ihr bis 8 Uhr dem Whist hin, bis zehn Uhr
herrscht lebhafte Konversation, man erzählt sich allerhand Aben-
teuer, singt, und Rätselauflösungen wechseln mit Witzen und
geistreichen Wortspielen; um zehn Uhr soupiert man, und hieraaf
wird zum Fürsten Potemkin gerudert, wo schon die Karten unser
harren. Nicht genug kann ich die Liebenswürdigkeit der grossen
Herrscherin rühmen, die stets besorgt, dass alles nach unseren
Wünschen sei, und dass es uns ja an nichts gebreche, und diese
29»
— 452 —
rührende Anfmerksamkdt 80gar auf das geringste IndiTiduum ihrer
und unserer Suite ausdehnt. Sie verkehrt mit ans geradeso, als
wären wir ihresgleichen, aber mit so feinem Takte, dass diese
ihre Leutseligkeit nicht bedrückend wirkt, und dass selbst die
Unyersch&mtesten es nicht wagen könnten. Missbrauch damit xa
treiben. Schon yon Moskau an führt sie ein Tagebuch über
unsere Reise, ein Meisterwerk von Geist, gutem Geschmack und
Humor; doch versprach sie mir auch bedeutsamere Werke ihrer
Feder zur Lektüre, und zwar eine Geschichte Rasslands, die sie
yerfasst hat, und ich glaube, dass sie für dieses Genre der
Litteratur, trotz der Schwierigkeiten, die es bietet, mehr Talent
als irgendeiner besitzt. Adieu!
5. Brief. Petersburg, den 8. Juli 1789.
Der Marineminister hat mir ein waldiges Eiland, auf dem er
ein hübsches Landhaus besitzt, leihweise überlassen, um dortselbst
einige Tage in Weltabgescbiedenheit zu verleben, aber bevor ich
mich dorthin zurückziehen kann, bin ich noch gezwungen, mich
gründlich in den Strudel der Yergnügangen zu stürzen. Morgen
werde ich bei Mr. Fitz -Herbert am Lande nächtigen und über^
morgen heisst es: auf nach PeterhofT! um der Kaiserin meine Auf-
wartung zu machen. Man sagt, dass die zweitägigen Feierlich-
keiten zu Ehren des heiligen Petrus sich wirklich herrlich zu
gestalten versprechen ; es wird ein Ball in geschlossenem Hofzirkel,
hierauf ein Maskenfest und schliesslich eine Illumination statt-
finden; Peterhoff eignet sich übrigens am besten zu solchen Fest-
lichkeiten, auf einer Anhöhe am Gestade des Meeres erbaut, von
herrlichen Gärten umgeben und auf die kostbarste Weise ein-
gerichtet, während in der nahen Stadt die liebreizendsten Frauen
von weit und breit zu finden sind. Ich habe mich, seitdem ich
hier bin, über keine andere Unannehmlichkeit zu beklagen gehabt,
als über ein ziemlich starkes Zahnweh, das auch jetzt noch nicht
ganz geschwunden ist. Kein so riesiger Erfolg bei meinem ersten
— 453 —
Debüt, ich gestehe es Ihnen, wäre mir lieber gewesen, denn ich
fOrchte, dass er nicht anhalten wird; bis jetzt hat jedoch mein
Ehrgeiz hier immer nur sehr schmeichelhafte Erfahrungen gemacht.
Ich bin ganz berauscht von der Art, wie man mich überall heraus-
streicht, meinen Worten lauscht und mich empfängt, aber
ich habe, glauben Sie es mir, trotzdem nie einen thörichten
Dünkel verspürt. Das dnzige, was mir den Kopf verdrehen
könnte, w&re nur die hohe Meinung, welche die Kaiserin, nach
ihrem eigenen Ausspruche, von mir hat. Wenn Sie sie kennen
würden, so müssten Sie zugeben, dass sie einer deijenigen Richter
ist, auf deren Ausspruch ein feiner Kopf das höchste Gewicht
legen darf.
6. Brief. ' Petersburg, den 13. Juli 1789.
Jetzt bin ich glücklich wieder daheim nach den Peterhoflfer
Feierlichkeiten und muss gestehen, dass sie mir sehr imponierten,
denn sie vereinigten in sich die Pracht eines königlichen Festes
und die Gemütlichkeit eines Privatballes. Die Kaiserin besitzt,
wahrlich, ein spezielles Talent und eine gewisse Zauberkraft, ihre
Hofvergnügungen migestäüsch zu gestalten und ihnen dabei doch
den Reiz fröhlicher Herzlichkeit zu verleihen, wo sonst nur eisernes
Ceremoniell zu herrschen pflegte; auch eignet sich kein Ort der
Welt besser zu solchen Lustbarkeiten, als gerade Peterhoff, dieser
prachtvolle Palast an der Meeresküste, der innen mit kostbaren
Kunstwerken aller Zeiten geschmückt und aussen rings von pracht-
vollen Girten umgeben ist. In dengenigen Teile derselben, welcher
direkt das Schloss umgrenzt, herrscht leider jene gestutzte Symmetrie
und steife Pracht vor, zu der nun einmal die Könige verdammt
sind, etwas weiter herum ist aber ein charmanter englischer Park
angelegt, der die Natur hier reichlich für den Zwang entschädigt
welcher ihr dort auferlegt wurde, und wo sich die von der
kalten Stilpracht des anderen Teiles ermüdeten Augen erholen
können. Indem ich mich jetzt von den angenehmen Eindrücken
— 454 —
abwende, welche diese l&ndliche Stille in mir reifte, wird mein
Blick vom imposanten Schauspiele des Meeres geblendet, dort sehe
ich in weiter Feme die goldblitzenden Türme St. Petersborgs
herüberschimmern, hier liegt die Eronstädter Rhode vor mir mit
ihren m&chtigen Kriegsschiffen, alles an Peter den Grossen, seine
Arbeiten und seine Wunderwerke gemahnend, sowie auch an die
Erfolge Katharinens und an ihren Mut, der sie ihre stolze Flotte
an Finnlands Eisufer und in das Meer des Archipelagus senden
hiess, sowie an den glorreichen Sieg von Tschesme, der alle ihre
Mühen krönte und ihren Namen unsterblich machte. — Die Peter-
hoffer Feste dauerten zwei Tage. Das erste war lediglich ein
glänzendes Hoffest, die yomehme Welt erschien aufs Kostbarste
gekleidet, man küsste der Kaiserin die Hand, und sie huldigte
während des Balles nur mit einigen der bevorzugtesten Persönlich-
keiten dem Spiele, am nächsten Tage jedoch gab es keine Etikette
mehr, man kam in Domino oder mit vorgebundener Maske, alle
Stände waren gemischt, und jeder Maskierte hatte freien Zutritt
in die Gemächer des Palastes. Abends fand eine grosse Illumi-
nation aller Gärten statt, das dunkle Grün der Bäume, der weisse
Glanz des Meeres und alles das, was Sie wohl bereits schon in
Trianon sahen, vereinte sich hier, um dem Ganzen einen feeenhaften
Anblick zu verleihen. Überall reichbeladene Tische, überall rege
Menschenmassen, überall Freude 1 Während dieser Feste behandelte
mich die Kaiserin mit ausserordendlicher Güte, die mich, ich ver-
sichere Sie, ganz fesselte; wenn sie eine Private wäre, so würde
ich alle Tage meines Lebens bei ihr verbringen, denn ich kenne
nichts Liebenswürdigeres. Am Tage des bal parä kam ich jedoch
in einige Verlegenheit. Sie kennen ja meine Ungeschicklichkeit
im Spiele. Die Kaiserin Hess mich rufen, um mit mir und noch
vier anderen Personen tour ä tour, wie es eben die Karten forderten,
zu spielen. Es zeigte sich, dass ich vom Piqu^ gar nichts verstand.
Doch die hohe Frau, welche meine Verlegenheit bemerkte, hatte
die Güte, mir zu raten und mich im Spiele zu unterrichten,
ohne sich über meine Ignoranz und Ungelehrigkeit erstaunt oder
— 455 —
nngedaldig za zeigen. Ich glaube, dass man anter unserer gesamten
Damenwelt — von den gekrönten H&uptem gar nicht zu sprechen
— nicht viele von solcher Nachsicht und Freundlichkeit beseelte
Frauen finden dürfte, und ich bewundere und liebe sie auch von
ganzem Herzen. Wir haben jetzt abscheuliches Wetter, was mich
sehr verdriesst, umsomehr, da alle Leute noch auf ihren Gütern
weilen und man daher den ganzen Tag unterwegs sein muss.
Der Weg nach Petersburg geht acht Meilen an der Meeresküste
fort; man findet auf dieser Strecke im ganzen ungefähr sechzig
Tillen, alle sehr schön gebaut und von netten, wohlgepflegten
O&rten umgeben.
7. Brief. Czarskoz^lo, den 29. Juli 1789.
Das Datum dieses Briefes möge Ihnen beweisen, dass die
Kaiserin fortfährt, mich mit der bisherigen Güte und Liebens-
würdigkeit zu überhäufen und, nachdem sie mich ja schon einen
grösseren Teil ihres unendlichen Reiches, das sie selbst erweitert,
verschönt, bevölkert und bereichert hat, sehen Hess, zeigte und
erklärte sie mir nun auch bis ins geringste Detail ihre pracht-
vollen Gärten, und ich muss gestehen, dass die Gärtner gutthäten,
wenn sie die Kaiserin, gerade so, wie es auch die Herrscher thun
sollten, zu ihrem Vorbilde nehmen würden. Wäre sie nicht dazu
ausersehen gewesen, sich ihren Ruhm wie Peter der Grosse zu
erwerben, so hätte sie schon durch ihre Gartenanlagen einen
grösseren Namen erlangt, als selbst Herr von Girardin durch die
seinen*) zu BIrmenonville; alle ihre täglichen Beschäftigungen
sind von ihrer Grazie so verklärt, und auch alle ihre Unter-
nehmungen haben stets einen für sie so rühmlichen Ausgang ge-
funden, dass alles, was Fürst von Ligne über sie schreibt, wahr,
gerecht und nur wie zur Vervollständigung ihres Ruhmes ge-
schaffen erscheint. Katharina ist nicht nur gross, sondern auch
gut, und wenn sie einerseits über einen so prickelnden Geist und
eine derart gefällige Grazie verfügt, dass alles zur Bewunderung
— 456 —
iiingerisBen wird, bo iBt es andererBeitB ihre hohe Güte, die jeder-
mann an sie fesBelt, eine Qflte, die sich jede Minute nnd bei
jeder Gelegenheit bewährt nnd noch mehr Siege in den Herzen
ihrer üntertbanen erringt, alB ibre Armeen in fernen Ländern.
Es betrübt mich wirklich sehr, daBS Bie Ihnen nicht perBÖnlich be-
kannt iBt, Sie würden sie Bonst biB zur Raserei lieben. Fürst
von Ligne hat mich zn seinem Stellvertreter bei ihr ernannt, and
ich habe diese Geschäfte so gut geführt, dass ich ihm zugleich
mit meinem Berichte einen Brief der Kaiserin übersenden konnte,
der gerade so liebenswürdig war, wie sie selbst Sie schenkte mir
auch zwei charmante kleine Windhunde, und es giebt kaum etwas
leichtfüssigeres , schmeichlerischeres und schlankeres, als diese
Geschöpfe. Ich pflege sie, so gut ich kann, nur fürchte ich, dass
sie meiner Gibelle allzusehr Konkurrenz machen werden. Wir
reisen bald von hier nach Pilla, einem neuen LustschloBse der
grossen Monarchin ab, das dreissig Werste von Gzarskoz^lo ent-
fernt, am Ufer der Newa liegt. Ob es mir auch dort so gut
gefallen wird, wie hier, wo sich alle Naturschönheiten mit edler
Kunst in solcher Weise paaren, dass man auch letztere für Natur
hält, bezweifle ich. Die Obstgärten prangen in so voller Frische,
wie wenn hier der Hundsstern seine sengende Kraft verloren hätte,
in den mit küDStlerisch geschmackvoller Regellosigkeit angelegten
Teichen sind Inseln so glücklich geschaffen, die Bäume des Parkes
so wohl gruppiert, die Nuancen ihres Grüns so malerisch ge-
mischt und Ruheplätze von so reicher Abwechslung ringsum her-
gezaubert, dass man sich in die Gärten des Paradieses versetzt
fühlt. Da giebt es keine zierlich-modischen Brückchen und keine
gotischen Türme, die nur baufällig aussehen und doch kein
altertümliches Gepräge besitzen, nein, stolze Ruinen sind es, die
den Geist erheben und uns nach Griechenland oder ins antike
Rom versetzen, und zwischen dem dichten Walde und dem wunder-
baren See, den ich neulich malte, strebt ein prächtiger Palast
empor, nach allen Regeln moderner Baukunst aufgeführt und in
seinen Sälen die Kunstwerke der Bildhauer aller Jahrhunderte
— 457 —
vereinigend. £twaB weiterab liegt eine marmorne Brücke, auf der
alU Denkm&ler klassischer Architektur neben Sibiriens Sch&tzen
prangen. Sobald ?rir aus dem heiligen Haine treten, ragt uns ein
echt gotisches Portal entgegen, an Tugend und Heldentum des
Mittelalters gemahnend, während uns von anderer Seite her sanft-
melodische Kl&nge zu einem türkischen Pavillon locken, der nicht
nur im ganzen orientalischen Motiven wunderbar nachgebildet,
sondern auch insbesondere innen reichlich verziert ist, und woselbst
man alle Früchte und Gerichte von vier Weltteilen vorfindet Die
firiedlichen Gewässer eines in sanften Windungen dahingleitenden
Flüsschens entführen uns nun in ein anderes Land, wir befinden
uns plötzlich mitten in einer chinesischen Ortschaft und finden
diese Illusion gar nicht so unwahrscheinlich, wenn wir bedenken,
dass wir in einem Kaiserreiche leben, welches Amerika, China,
Polen und Schweden benachbart ist. In einem anderen Teile dieses
immensen Parkes kann man die Stadt Sofia bewundem, und nach-
dem wir dies alles erschaut, kehren vrir zurück, diejenige anzu-
staunen, welche jene Märchenpracht aus dem Nichts hervorge-
zaubert und alles, was sie vollbringt, mit einer Bescheidenheit
krönt, die ihren Werken doppelten Wert verleiht Sie sagt stets,
so oft sie von sich selbst spricht: „Wir armen Ignoranten 1" Alle
Akademiker £uropas sollten ihr für ein solches Kompliment Dank
bezeugen. —
Adieu, ich erfreue mich der besten Gesundheit und auch
Chevalier de La Colini^re (?) hat sich vollkommen erholt —
IV.
Vier Briefe der Kaiserin Maria Feodorowna*) von Russ-
land an Baron Grimm.
1. Brief. St Petersburg, den 14./25. Februar 1797.
Herr von Grimm 1 Ich beeile mich, Ihnen zu antworten, denn
— 458 —
es dr&ngt mich, der Gerechtigkeit Ihrer GefOhle Rechnung zu
tragen, sowie Ihnen auch die meinen , die ich aufrichtig fflr Sie
hege, kundznthan. Das tiefschmerzliche Andenken, welches Sie
weiland Ihrer Majest&t der Kaiserin bewahrten and dem Sie mir
gegenüber Ausdruck zu geben beliebten, gew&hrt Ihnen noch mehr
Anrecht auf meine Hochachtung, denn Dankbarkeit ist und bleibt
die erste aller Tugenden, die Basis der wahren Zuneigung, des
teuersten Gutes der Menschheit und des höchsten GlQckes Be-
gründerin. Ihre Grundsätze, mein Herr, flössen uns das grösste
Vertrauen ein, und Sie werden den Ausdruck desselben auch im
Briefe des Kaisers vorflnden, dem ich mich Ihr Schreiben mitzu-
teilen beeilte. Noch mehr dürften Sie es aus der ganz besonderen
Mission ersehen, mit der ich Sie jetzt betraue : o, übernehmen Sie
freundlichst, mein Herr, die Austeilung der leider nur kleinen
Hilfeleistungen, die ich der Unterstützung unserer armen Emi-
granten weihe, welche durch ihre Grundsätze und ihre Lebens-
führung gewiss die vollste Hochachtung verdienen. Herr von Nicolai
wird Ihnen am nächsten Posttage einen Wechsel auf 3000 Rubel
aus meiner Privatschatulle zugehen lassen. Weitere 2000 Rubel
werden Sie zu demselben Zwecke im September erhalten und
können überhaupt mit Bestimmtheit darauf rechnen, alljährlich die
gleiche festgesetzte Summe von 5000 Rubel aus meinen persön-
lichen Einkünften zu empfangen ; nur möchte ich Sie bitten, mich,
wenn es nicht unumgänglich notwendig sein sollte, niemandem zu
verraten, denn es wäre in der That mein sehnlichster Wunsch,
dass die Quelle dieser Hilfeleistungen unbekannt bliebe. Alle mir
etwa von Emigranten zugehenden Bittgesuche will ich Ihnen gleich-
falls persönlich einsenden. Da Sie sich ja mitten unter jenen be-
finden, so können Sie noch am ehesten die Bedürftigsten heraus-
wählen und beteilen. Mit der nächsten Post annonciere ich Ihnen
drei Antwortschreiben meiner Feder, das eine für Frau Fürstin
von Chimay, die beiden anderen für die zwei Damen von Beauregard
(Schwestern des unglücklichen Roche-Jacquelin, der in der Vend^e
fiel) und für Belsunce; die erstere bittet mich nur um einige Unter-
— 459 —
Btatziingen, am sie austeilen za können, die zwei anderen Damen
benötigen es jedoch für sich selbst Sie werden wohl so freund-
lich sein, diesen dreien die Summen, die ich Ihnen anweisen werde,
zu flberroitteln. Ich lege Ihnen besonders Madame de la Roche-
lambert ans Herz, deren Schicksal mich ausserordentlich inter-
essiert.
Schreiben Sie mir nur recht oft, mein Herr, Ihre Briefe er-
frischen mir Kopf und Herz, werden stets freudig aufgenommen
und bieten mir die angenehme Gelegenheit, Ihnen jene Gefühle
der Hochachtung stets aufs neue auszudrücken, die für Sie hegt
Ihre wohlgewogene Marie.
den 25. Februar 1797.
Ich öffne meinen Brief noch einmal, um jenen Wechsel bei-
zulegen, den ich Ihnen durch Nicolai zu senden versprach; da aber
der Kaiser einen Courier an Sie abzuschicken beabsichtigt, so
mache ich mir gleich diese Gelegenheit zu nutze.
2, Brief.*) den 1. M&rs 1797.
Mein Herr! Ihren Brief erhielt ich soeben und beeile mich,
ihn sofort zu beantworten, trotzdem ich unserer heutigen Abreise
nach Moskau wegen sehr beschäftigt bin. Sie ersahen aus meinem
letzten Schreiben die Arrangements, die ich traf, und ich hoffe,
Sie werden dadurch in den Stand gesetzt, mehreren die so ersehnte
Hilfe zu leisten. Ich bin überzeugt, dass Sie Ihre erste Sorge der
Frau von Rochelambert zuwenden werden, der ich Sie auch das
hier Eingeschlossene, von dem ich Ihnen eine Abschrift sende, zu
übermitteln bitte. Wenden Sie sich nur in allen Fällen Vertrauens«
voll an mich, Herr Baron. Ihre Briefe sind immer willkommen, und
ich werde stets jede Gelegenheit ergreifen, die mir ermöglicht, Sie
des Ausdruckes meiner Hochachtung zu versichern, mit der ich
verbleibe
Ihre wohlgewogene Marie.
— 460 —
8. Brief.*) Pawlowska, den 30. August 1801.
Herr Baron von Grimm!
Ich ersuche Sie, der Frau Fürstin von Chimay fOr ihre An-
stalt zu Erfurt aus meiner Emigranten-Kasse dieselbe Summe, wie
letztesmal, zu bewilligen, sobald sie es verlangen wird. Gehaben
Sie sich wohl und seien Sie wieder meiner Hochachtung versichert.
Ihre wohlgewogene Marie.
Ich erhielt soeben Ihren Brief mit dem Ausweise über den
Verbrauch der Summen und kann Ihre Umsicht nicht genug loben,
sowie ich auch sehr gerührt über die rücksichtsvolle Art und Weise
bin, mit der Sie die Unterstützungen austeilen. Mit diesen wenigen
Zeilen wünschte ich Ihnen meine Dankbarkeit hiefür auszudrücken.
Desgleichen empfehle ich mich auch Ihren beiden liebenswürdigen
Sekretären.**)
Frau von Chimay hat, wie sie mir schrieb, die Emigranten
zu Erfurt einer Ihnen wohlbekannten und von Ihnen sehr ge-
schätzten Persönlichkeit anvertraut, und Sie werden gewiss die
Güte haben. Letzterer die gewöhnlichen Unterstützungen für die
Erfurter Kolonie, deren Versorgung ihr nun obliegt, zu über-
mitteln.
Sobald mein Sohn sich für die Angelegenheiten des Herrn
von Bueil interessiert, können Sie überzeugt sein, mein Herr, dass
ich mit Freuden trachten werde, ihm nützlich zu sein.
4. Brief. St. Petersburg, den 15. März 1802.
Herr Baron, mit Recht beklagen Sie sich über mein Schweigen,
dessen ich mich ja selbst beschuldige und das ich mir stets vor-
werfe, doch Sie werden wohl aus eigener Erfahrung wissen, dass
eine durch schmerzliche Erinnerungen ganz niedergedrückte Seele
nicht so thätig sein kann und lieber in innerer Beschaulichkeit
verweilend sich stets ihre teuren Toten ins Gedächtnis zurückruft,
denen unser Herz, unsere Seele, unser ganzes Leben geweiht ist,
— 461 —
obwohl sie schon das Grab iimschliesst. Jede Beschäftigang ist
einem zuwider, nnd man hat die Schwäche, man begeht den Fehler
(denn es ist ja doch sicherlich einer), alle Antwort auf den nächsten
Tag zu verschieben. Ich werde mich gewiss bessern, Herr Baron,
und es wird ni^ mehr so etwas vorkommen. Doch glauben Sie
beileibe nicht, dass diese meine Trägheit im Briefschreiben die
Gefühle meines Herzens beeinflnsst, nein gewiss nicht, mehr als
je beschäftigt mit dem Unglück unserer liebwerten Freundin*),
habe ich diese Empfindungen meinem ausserordentlich gütigen
Sohne zu wissen gegeben und ihn beschworen, diese personifizierte
Tugend zu schützen; er versprach es mir bereitwilligst und gab
sofort die nötigen Befehle. Gestern erneuerte ich die gleiche
Bitte abermals, und er versicherte, dass er sich noch näher damit
befassen wolle. Ich gestehe Ihnen femer, Herr Baron, dass ich
während der Audienz des Herrn von Calincourt das Gespräch auf
diese meine Freundin zu lenken wusste nnd mit ihm über sie
voll von jener regen Anteilnahme sprach, die sie uns ja einflössen
muss. Nun komme ich auf den Wunsch meiner teueren Freundin
zu reden, dahingehend, einen ihrer Söhne im Dienste des Kaisers
unterzubringen; Sie würden wohlthnn, Herr Baron, sie von diesem
Schritte und von dieser Idee abzubringen. Dies ist, wie Sie wohl
einsehen werden, unter den jetzigen Verhältnissen in jeder Be-
ziehung ganz unthunlich: sein Rang, seine Charge und die böse
Erinnerung an seinen Vater dürften wohl die Haupthindemisse
sein, und nach reichlicher Ober legung werden Sie mir wohl bei-
stimmen.
Es bereitet mir ein grosses Vergnügen, Sie, Herr Baron, zu
bitten, unserer werten Freundin bekannt zu geben, dass alle ihre
sonstigen Wünsche Gesetze sein werden für ein Herz, das so ganz
von Liebe und Interesse für sie eriüllt ist; auch verpflichte ich
mich für den Fall ihres Ablebens (es schmerzt mich tief, dieses
Wort aussprechen zu müssen), ihrer Tochter, der Prinzessin, eine
Pension von dreitausend Rubel auszuzahlen, nnd zwar bis zum
Augenblicke einer dauernden besseren Versorgung, sei
— 462 —
es nun darch eine Heirat oder darch Rückkehr nach
Frankreich and Besitzergreifung der Gflter ihrer
Matter. Bitte, behalten Sie diese Versichernng wohl im Ge-
dächtnis, Herr Baron, denn Sie begreifen ja wohl, dass es mir
unmöglich ist, persönlich ihr davon Mitteilung zn machen. Ich
schliesse neuerdings einen Betrag für sie bei, und es wird mir
grosse Freude bereiten, wenn Sie ihr die Versicherung meiner
innigsten und treuesten Liebe bei Oberreichung desselben geben
würden. Die letzten Zeitungsnachrichten machen mich ernstlich
besorgt um ihre Gesundheit, desgleichen schmerzt mich auch die
Entmutigung sehr, die aus ihrem letzten Briefe spricht , denn
dieser Zug liegt sonst gar nicht in ihrem Charakter, der allen
Widerwärtigkeiten stets Mut und Energie entgegenzusetzen pflegte.
Ich sehe Ihren weiteren Nachrichten mit der grössten Ungeduld
entgegen und werde sie stets umgehend beantworten» inzwischen
bitte ich auÜB neue die Versicherung hinzunehmen, dass ich bin
und immerdar verbleibe
Ihre wohlgewogene Marie.
Ihrer liebensvrürdigen Familie*) meine besten Empfehlungen.
Ich siegelte diesen Brief nicht mit meinem Wappen, um nicht am
Ende die arme Freundin zu kompromittieren; bitte ihn gefälligst
in Ihre Enveloppe zu schliessen.
V.
Zwei Briefe von Kaiser Alexander I. von Russland
an Baron Grimm.
1. Brief.
Ihre Ansprüche auf meine besondere Hochachtung sind zu
mächtig, und Sie wissen sie nur zu sehr zu schätzen, als dass es
nötig wäre, Sie hier derselben noch einmal zu versichern. Ich
will Ihnen demnach nur von dem Genüsse erzählen, der mir bei
— 463 —
Empfang Ihres Briefes zuteil wurde, sowie von der Rührung, die
mich überkam, als Sie mir die glücklichen Zeiten ins Gedächtnis
zurückriefen, da ich, frei von allen Sorgen, welche ja stets die
Throne umschweben, die hohen Gaben meiner Grossmutter bewun-
derte, deren Bild Sie mir wieder in so schönen Zügen vor die
Seele zauberten. Die Erinnerung an sie wird für mich immer
eine Quelle wunderbarster Freude sein. Sie werden dieselbe
immer in mir erwecken, wenn Sie mir so von Zeit zu Zeit über
sie schreiben, und dieser Dienst ist der grösste, den Sie mir
persönlich zu leisten im stände sind. Ich will ihn immer aner-
kennen, und der Mann, der beständig der Güte und Liebe unserer
unsterblichen Katharina genoss, wird stets das erste Anrecht auf
meine Hochachtung haben. Ich grüsse auch auf das Freundlichste
Ihren liebenswürdigen Sekretär, welcher in so vollkommener Weise
seine Aufgaben erledigt.
Ihr ergebener Alexander.
St. Petersburg, den 2. Mai 1801.
2. Brief.
Herr Baron von Grimm 1 Mit aufrichtiger Freude erhielt ich
Ihren Brief vom 15./27. September und bin Ihnen sehr dankbar
für die freundlichen Glückwünsche , die Sie darin aussprechen.
Mein höchstes Glück wäre das Wohlergehen des Volkes, das mir
anvertraut ist, und der grösste Lohn für alle Mühen und Sorgen,
die mir die Krone auferlegt, Friede und Wohlstand in meinen
Staaten. Die Geschichte kümmert sich nur um grosse Thaten,
mein werter Baron, und die Herren Historiker lieben es, ihre Federn
in das Blut zu tauchen, das in grossen Strömen auf Schlachtfeldern
fliesst! — W^ie würde ich von Herzen wünschen, nicht um diesen
Preis ihr Lob zu gewinnen, und wie willig möchte ich auf jeden
Platz in ihren Schriften verzichten, um nur den einzunehmen,
welchen mir die Dankbarkeit in den Herzen meiner Völker sichert.
Meine Bitte wiederholend, mir recht bald wieder Nachrieht über
— 464 —
sich nnd Ihr Thnn and Treiben znkommen la lassen, yersichere
ich 8ie aoÜB nene freudig meiner immerwährenden Hoehachtong.
Alexander.
St Peiersborg, den 20. September 1801.
VI.
Ein Brief des Herzogs Ernst IL"*) von Sachsen - Gotha
an Baron Grimm.
Ich bin thatsächlich ganz verblOfFt, mein lieber nnd wflrdiger
Freund, über alle Ihre netten und schmeichelhaften Danksagungen,
die Sie mir für meine Schmiralie vom 8. M&rz zuteil werden
Hessen, nnd befinde mich' momentan in der Lage des ^.Bourgeois
Gentilhomme,** da er eben inne wurde, dass er ein Schriftsteller sei,
ohne es zu wissen. Ich kann mich noch nicht von meinem Er-
staunen darüber erholen, dass mir so viele erhabene Dinge bei-
fallen konnten, als ich Ihnen darin mitteilte. Eigentlich wollte
ich ja nichts anderes, als nur mein Herz in den Busen eines
Freundes ausschütten; ich habe Ihnen lediglich Ideen mitgetheilt,
die in meiner Seele auftauchten, ohne dass ich denselben auch
nur das geringste Verdienst beigemessen h&tte, und es beglückt
mich überaus, in meiner Anschauungs-, Denkungs- und Fühlungs-
weise über so manche Punkte mit einem Freunde übereinzustimmen,
dem ich die höchste Liebe und Achtung zolle schon seit dem
ersten Augenblicke, der mich an ihn mit treuer Anhänglichkeit
kettete. 0, könnte ich nur mein Leben lang Ihr Vertrauen und
Ihre Billigung verdienen, das wäre der süsseste Trost meines
Daseins, das mir sonst ohnehin genug Bitterkeiten bietet. Und
wer bliebe auch je von solchen verschont! Meine Stellung ist un-
zweifelhaft Dur umso beschwerlicher, als ich mich ganz vereinsamt
fühle, ohne eine andere Ansprache, als mein armes, schwaches
— 465 —
Herz, ein Herz, so voll gerechter oder ungerechter Yorarteile,
welche ihm Eräehong oder Umgebung während meines bisherigen
Erdenwallens einimpften. Alle meine Fehler und falschen Schritte,
doch auch das Oute, das ich hienieden gewirkt, all dies hat keine
andere Quelle gehabt und keine anderen Entwicklungsgründe;
jemehr ich hierüber nachdenke, destomehr dr&ngt sich mir die
Überzeugung auf, dass mein Seelenzustand mehr Mitleid, als den
allzustrengen Tadel der Philosophen verdient. Und gar jetzt in
diesen kritischen und stürmischen Zeiten am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts, da sich unser Gesichtskreis ganz und gar veränderte
— man denke nur der Ansichten, die vor vierzig oder fünfzig
Jahren vorherrschten und der jetzigen! — Ihre Weisheit, mein
verehrter Freund, erkenne ich an dem Rate, den sie dem Gatten
ihres liebenswürdigen Mündels*) gaben: zu seinem heimatlichen
Herde zurückzukehren, um dessen g&nzliche Zerstörung zu ver-
hindern ; auch andere Emigranten thaten das gleiche, wie uns die
Blätter berichten, und mir scheint die Lage derselben um nichts
gefährlicher, als die der Entflohenen, die, überallhin verfolgt, ihr
Hab und Gut und vielleicht auch das Leben aufs Spiel setzen,
und ihre Schlussfolgerung zeigt sich als die richtigste , die uns
Vernunft unter solchen Umständen eingeben konnte. Was ihr
liebenswürdiges Mündel betrifft, so wird sie uns in Gotha stets
willkommen sein, wenn Sie je daran denken sollten, sie für einige Zeit
herzubringen, desgleichen versichere ich Sie meines guten Willens, ihr
den Aufenthalt bei uns so angenehm als möglich zu gestalten, und
dasB es mich sehr freuen würde, ihre Bekanntschaft zu machen.
Wenn Sie, mein liebenswürdiger Freund, meine Hoffnung, Sie in einem
oder zwei Monaten bei mir zu sehen, in Erfüllung gehen lassen,
so werden Sie sodann übrigens selbst am besten beurteilen können,
ob die für jene bereitgehaltene Wohnung samt Zubehör ihr zu-
sagen dürfte. Ich befürchte jedoch, das Für und Wider dieses mir
so angenehmen Projektes abwägend, dass Sie am Ende noch einen
anderen Entschluss fassen. Wir sind ja unbeständig 1 — Diese
Aussichten bereiten mir eine solche Freude, dass ich beinahe be-
Carl Graf Obcradorff, Kriui«raBf«a «inM Urgroiamottor. 30
— 466 —
fürchte, dass ich umsonst gehofft; ich wage jetzt schon kaum mehr,
davon zu reden, Sie werden sich ja wohl mit dem Ihnen so eigenen
Scharfsinne am hosten in meine Lage versetzen können. Der Ge-
danke, mich jenem Manne n&her zu wissen, den ich von allen
Sterblichen am meisten liebe, ehre nnd sch&tze, nnd dessen liebe-
volle Ratschlftge mir nun fflrder zum grössten Nutzen nnd Tröste
gereichen werden, ist zu schOn und zn schmeichelhaft, als dass
ich den Mut f&nde, mich ihm von ganzem Herzen hinzugeben.
Noch alle Luftschlösser brachen mir zusammen, nnd mein Glflck
und meine Zufriedenheit haben stets noch so schwere Enttäuschungen
im Gefolge gehabt, dass ich mich bis jetzt noch nicht davon er-
holen konnte. Sie werden am besten darüber urteilen können, mein
liebster Freund, wenn es mir endlich vergönnt sein wird, Ihnen
alle diese Sorgen, die mich bedrflcken, mflndlich anzuvertrauen.
Ja, mein würdigster Freund, Sie schmeicheln mir schon dadurch
auf die rührendste und gefühlvollste Weise, dass Sie mir Ihre
finanziellen Angelegenheiten so offen darzulegen belieben. Und
ich will Ihnen beweisen, dass ich nur begehre, Ihrem Vertrauen
zu entsprechen und mich dessen vor ihren Augen würdig zn zeigen.
Mit grösster Freude bewillige ich das Darlehen, welches Sie von
mir begehren, und werde Herrn Möller erm&chtigen, Ihnen jene
Vorschüsse zu übermitteln, welche Sie die Gewogenheit haben
werden, von ihm zn verlangen, und um Sie völlig zu beruhigen,
denn ich kenne nur zu gut den hohen Grad Ihres Zartgefühls,
will ich Ihnen auf Wucher leihen; nur über den Zinsfuss werden
wir Mühe haben, uns zu verständigen. Sie bieten mir 5®/o Inter-
essen an, darauf habe ich nur eine Bemerkung zn machen, näm-
lich, dass Sie leicht in Gotha gegen die nötige Sicherstellung selbst
bedeutende Summen gegen 3®/o geliehen bekämen; und wollen Sie
denn, dass ich wucherischer meine Zinsen berechne, als die anderen
Kapitalisten in Gotha? Fast alle Gelder, welche man hier in öffent-
lichen Banken oder privat anlegt, tragen selten höhere Interessen;
ich habe selbst mehrere zu diesem Zinssatze ausgeliehen. Nur
dann ging ich von dieser Regel ab, wenn ich voraussetzen mnsste,
— 467 —
dass der Ausleiher selbst dlimit gewinnen könne; dem hiesigen
Apotheker sowie dem Buchhändler habe ich zu vier Prozent ge-
borgt, bei Ihnen jedoch, mein würdiger Frennd, befürchte ich
leider, dass Sie sich nicht in der gleichen Lage befinden and dass
Sie nicht dies Anlehen bei Ihrem Freunde machen, am damit nur
auf gut Glück zu spekulieren. Es w&re mir zwar am liebsten,
wenn Sie es ohne alle Zinsen von mir annehmen würden, aber ich
kenne Ihr Zartgefühl in dieser Richtung, doch würde ich demselben
nicht Rechnung tragen, wenn ich hierbei ein Vorrecht, wie Katha-
rina II. beanspruchen würde, Sie mögen mir daher drei Prozent
Interessen pro Jahr leisten, und zwar für jene kleinen Summen»
welche Ihnen Herr Möller in meinem Namen vorstrecken soll, und
die Sie mir ganz nach Ihrem Belieben zurückerstatten können. Ich
hoffe also, mein würdiger und verehrter Freund, auf diese Weise
Ihrem Charakter und Ihren Wünschen gerecht geworden zu sein.
0 mein Freund! Diese Ermordung Gustavs III., welch neue
und schreckliche Katastrophe 1 Er ist wohl nicht der Mann, den
ich schätzen könnte, dessen Leitung ich mich anvertrauen, oder
fQr den ich einstehen möchte, aber er ist doch ein Mensch und
ein tapferer. Wenn Klagen gegen ihn erhoben werden können
— und sicherlich giebt es solche verschiedener Art — warum er-
greift man ihn nicht, macht ihm einen Prozess und richtet ihn
dann als Meineidigen und Usurpator? Es giebt sogar Viele, welche
behaupten, dass er nacheinander Vater und Mutter durch Gift
aus dem Wege rftumte. Sind diese Anschuldigungen thats&chlich
begründet, dann wftre er zweifellos schuldig und überreif, vor ein
gesetzmftssiges Gericht gestellt zu werden. In meinen Augen ist
jedoch der Mord selbst für die eine Verruchtheit und ein unwürdiges
Behelfsmittel, welche einen Grund haben, ihn zu hassen und za
verfolgen. Oberhaupt scheint eine allgemeine Verschwörung gegen
alle Monarchen Europas zu bestehen, und es wird verbreitet, dass
Katharina wohl Leopold ins Grab folgen könnte. Anonyme Briefe
prophezeihen dies öffentlich. Nach meiner Ansicht ist die Todes-
ursache Leopolds II. keineswegs so offenkundig klargestellt, dass
80*
— 468 —
sie ganz frei vom Verdachte w&re, die Folge einer Vergiftang za
sein. Anbei der Auszug eines Briefes ans Kopenhagen, der diese
meine Ansicht nnr zn bekräftigen scheint. Herr Dr. Munter schrieb
ihn, der Sohn jenes bekannten Munter, der Struensee noch vor
seiner Hinrichtung bekehrt zu haben behauptet. Dieser ältere
Munter, zn Lübeck geboren, wirkte auch hier einige Jahre als
Pastor. Kr ehelichte ein Fräulein von Wangenheim, die Matter
des oben erwähnten jungen Mannes, der zn Gotha das Licht der
Welt erblickte. Dieser Ehe entsprossen auch noch zwei Töchter,
von denen die eine bereits in Dänemark verheiratet ist. Munter
senior war Superintendent oder erster Pastor in Tonna, woselbst
er einem grossen Pfarrsprengel vorstand. Später wurde er nach
Dänemark berufen und acceptierte dies Anerbieten. Vor einigen
Jahren führte ihn sein Weg hier durch, als er seine alten Freunde
und die Bekannten seiner Fran wiedersehen wollte. In seiner
Art ist er ein verdienstvoll er Mann, guter Prediger nnd sogar Dichter.
Sein wackerer und wissenschaftlich sehr gebildeter Sohn bereiste
auf Kosten des Königs längere Zeit Italien und Sizilien und machte
dortselbst verschiedene litterarhistorische Entdeckungen, die er
veröffentlichte. Er ist zwar ein recht exaltierter Kopf, doch mir
sehr anhänglich; auch er dichtet. Nun bleibt mir nichts mehr
übrig, als Ihnen, wertgeschätzter Freund, die Versicherung meiner
treuen und innigen Zuneigung, die ich Ihnen mein Leben lang
bewahren werde , zn erneuern. 0 möchte nur der Augenblick
recht nahe sein, der Sie in die Arme Ihres liebenden und dank-
baren Freundes führt. Ich hege gleichzeitig die heissesten und
innigsten Wünsche , dass alles zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen
und dass Ihr liebenswürdiges Mündel die gewünschte Ruhe finden
möge. 0 möchte Sie Ihre Reise nach Karlsbad uns noch recht
lange bewahren zum Glücke aller derer, die Ihrer Ratschläge und
Ihrer väterlichen Fürsorge bedürfen.
den 4. April 1792.
Zweiter Anhang.
Gontrat de Mariage
entre Monsieur le Comte de Bueil et Madame la Gomtesse
de Belsunce:
Par devant leg Gonseillers da Roi Notaires aa Chatelet
de Paris soussigiii^s furent pr^sents.
Tr^s haut Tr^s puissant Seigneur Alexandre Louis
Auguste. Du Roux de Chevrier, Comte SouTerain de Bueil
en Pi^mont, Seigneur de Courtemont - Varennes et pour
moiti^ de Boulages, sous lieutenant en premier au Regiment
des gardes frangaises , demeurant ordinairement en son
chäteau de Varennes prös Ch&tean Thierry, diocdse de Sois-
sons, ^tant de present k Paris, log^. rue cloche perche
paroisse St. Paul, mineur, 6mancip<^ d'dge, fils de defunts
Tr^s haut, Trös puissant Seigneur Robert Gabriel Du Roux
de Ghevrier, Marquis de Varennes, Seigneur de Gourtemont-
Varennes, Tftchy et autres lieux, et de Tris haute, Trös
puissantc Dame Marthe Eleonore Du Roux de TAchy
decedf^e, son 6pouse. Ledit Seigneur Gomte de Bueil proce*
dant sous Tautoritd et assistance de rillustrissime fröre
Gharles Marie Du Roux de Ghevrier de Varennes, son oncle,
Seigneur de Verden, Gheyalier profös de TOrdre de St Jean
de Jerusalem , Gommandeur de Saint Mauris , demeurant
— 470 —
k Paris, rue Portefoin, paroisse 8t Nicolas des Champs, au
nom et comme procureur de Trös haut, Tr6s puissant Seig-
neur Charles Jean Du Roux de Chevrier Comte de Yerdon,
Yicomte de Couyrel, Seigneur du dit Heu et de rEchelle le
franc, ancien capitaine au Regiment du Boi Infanterie,
Gheyalier de TOrdre Royal et militaire de St. Louis, demeu-
rant ordinairement en son ch&teau de CouYrel, suiyant sa
procuration speciale k Teffet des präsentes, pass^e ensuite
du projet des principaux articles du contrat de manage cy
aprds devant lescur de son confrdre, No'*' Royaux de Ch&teau
Thierry. Ge dix mars präsent mois, laquelle procuration
ledit Seigneur Comte de Yerdon a ainsi donn^e en qualit^
de tuteur ad hoc dudit Seigneur Comte de Bueil, son neveu;
nomm^ de Tavis des Seigneurs ses parents et amis, homo-
loguö par sentence de Monsieur le Lieutenant g^n^ral an
Baillage de Ch&teau-Thierry du möme jour dix mars präsent
mois, par laquelle ledit Seigneur Comte de Yerdon a accept^
lad. qualitä, la grosse de laquelle sentence et le brevet ori-
ginal de lad. procuration scellös, controll^s et l^galis^s ont
6te certifids v^ritables, signes, paraphes et diposes pour
minute k Mr. Chaudot, Tun des notaires soussign^s, par acte
du seize Mars pr<^sent mois, ensuite d^un autre du quatre du
m^me mois.
Ledit Seigneur Comte de Bueil stipulant pour lui et en
son nom d'une part:
Trös haut, Trös puissant Seigneur Dominique de Bel-
sunce Yicomte de M^hann en Basse Navarre, grand bailly
du pays de Mixe, mestre de camp d'Lifanterie, Cheyalier de
rOrdre Royal et militaire de St. Louis, demeurant k Paris,
rue St. Honor^, paroisse St. Roch stipulant tant en son nom
personnel qu'en celui de Tris haute, Tr^s puissante Dame
— 471 —
Ang^Hque Louise Charlotte Delaliye d'Epinay, Yicomtesse
de Belsunce son epouse, Dame de Bueil la Chevrette et
d'autres lieux, (^iant de pr<^8ent au ch&teau de M^harin, con-
fomK^ment k un acte pass^ devant led. Mr. Chaudot No'*,
qui en a minute et son confr^re, le trois Mars mil sept cent
quatre-Tiugt cinq, pour Tr^s haute, Tr^s puissante Demoiselle
Marie Ren6e Th^röse Emilie de Belsunce, Demoiselle, leur
fille mineure, chanoinesse do chapttre noble de TArgenti^re,
80U8 le nom de Gomtesse Emilie, fille d'honneur de sa
Majest6 rimp£ratrice de Russie, demeurante k TAbbaye
royale St. Antoine, grande nie du faubourg St Antoine,
paroisse St Marguerite, k ce präsente et de son consente-
ment. Stipulante aussi pour eile et son nom d*autre
part
Et Fr£d6ric Melchior Baron Grimm de Grimmhof et du
Saint Empire, Conseiller d'Btat de Sa Majest^ Tlmp^ratrice
de Russie, Ministre pl^nipotentiaire de son Altesse S£r£nissime
le Duc de Saxe- Gotha et Altenbourg pr^s du Roy, demeu-
rant k Paris nie de la Ghauss6e d*Antin paroisse de la
Madeleine de la Ville TEy^sque; stipulant tant en son nom
personnel qu'en sa qualiti de conseiller d^Etat de sa Majest6
Imperiale en yertu des ordres particuliers ^ pour et au nom
de sa Majest^ Tlmp^ratrice de toutes les Russies, a raison
des dons et a?antages que led. Seigneur Baron de Grimm
ezd. nom, fera ci apris k lad. De. Gomtesse Emilie de Bel-
sunce encore d^autro part. Lesquelles parties avant de passer
k )a c616bration qui doit 6tre faite incessament en face de
notre mere St Eglise du mariage propos^ et conyenn entre
ledit Seigneur Comte de Bueil et lad. Dame Gomtesse Emilie
de Belffunce, ont fait et arr^fti le trait civil dudit mariage,
ainsi qu'il suit en pr6sence et de Tagr^meat de leurs Majest^s
— 472 —
Le Roy, La Reine,
Monsieur, Madame, Monseigneur Comte d^Artois,
Madame Comtesse d'Artois,
Madame Elizabeth de France,
Mesdames Adelaide et Yictoire de France,
Monseigneur le Duc D^AngouUme,
Et Monseigneur le Duc de Berry.
AuBsi en prisence de Monseigneur le Mar^chal de S6gur,
Monseigneur le Mar6chal de Castries,
Monseigneur le Comte de Yergennes,
Monseigneur le Baron de Breteuil
(Tous quatre minbtres et secretaires d^Btat aux d£-
partements de la guerre, de la marine, des affaires
6trangeres et de la maison du Roy.)
Et de M. de Calonne, aussi ministre d'Etat et contro-
leur g6n6ral des Finances.
Et enfin en pr^sence et du consentement des Seigneurs
et Dames parents et amis ci-apr^s nomm^s, savoir.
Du c6t6 dud. Seigneur futur 6poux:
Madame la Marquise de Yilvaud6, iante,
Madame la Marquise de Boursonne, cousine,
Monsieur le Marquis et Madame la Marquise de Ou^rchy,
Monsieur le Marquis du Tiercent et \
Monsieur le Marquis de Moubu(?) / ^<^^"»8'
Monsieur le Baron de Boisteli, Mar6chal de camp,
Monsieur le Chevalier de Chaban, officier au r6giment
des gardes frangaises, et Madame sa m^re, amis ;
Et du cöt6 de lad. D«"« future dpouso:
Monsieur le Yicomte Henry de Belsunce,
Monsieur le Chevalier de Belsunce, freres, capitunes
au r6giment de S6gur, Dragons,
— 473 —
Monsieur 1e Marquis de Belsunce, cousin, Mar6ohal
de camp, m^nin de Monseigneur le Dauphin k prä-
sent Roy et Mademoiselle de Vergas, son ipouse,
Monsieur DelaÜTO, conseiller honoraire au Parlement,
Grand-oncle,
Monsieur le Comte d'Houdetot, Lieutenant g6n£ral des
arm^es du Roy et Mademoiselle Delalive son ^pouse,
tante,
Madame de Nettine Y^* De la Live,
ll«u* PreTost, V'» De laLiye de la Briche ancien In-
troduoteur des Ambassadeurs, Belle-tante,
Monsieur le Yicomte de Tintimille et Mademoiselle
DelaÜTO, son ^pouse, cousine,
Madame Gabrielle Charlotte de BeauTeau, abbesse de
l'Abbaye royale St. Antoine, amie.
-^•-
Notizen des Herausgebers:
I.
„Declaration sur la g^n^alogie de la famille Du Ronx de Va-
rennes de Bueil/' liefert den Nachweis für den bis zum Jahre 1370
zurückreichend ununterbrochenen Adelsbesitzstand dieser aus der
Auvergne stammenden Familie.
n.
B e 1 s a n c e.
Dies ist ursprünglich der Name eines Schlosses, mit dessen
Besitz der Titel ,,Vicomte*' verknüpft gewesen und das im Thale
der Arberone in Unter -Nayarra 11 Meilen westlich von Pau lag.
— 474 —
Es diente der alten Türnehmen, sp&ter ntcb ihm benannten Familie
zum Wohnaitz, deren Oberhaupt in froheren Zeiten die erbliche
WOrde eines „Golonel'* Aber die gesamte Miliz des Thaies der
Arberona innehatte and das Recht besass, in den Yersammlangen
der Landst&nde dem Alkalden und dem königlichen Richter des
Gaaes Toransogehen. Das erste bekannte Glied dieser Familie
Ist Roger de Belsonce, der im Jahre 1154 das Vicomtä deMacai^
im Pays de Laboor erwarb. Von dessen Nachkommen wären an
nennen: Wilhelm Arnold, der Oberstk&mmerer nnd einer der
ergebensten Offiziere Karls des Strengen (le manyais), KOnigs Yon
Navarra, und Garci Arnold IL, der 1384 mit den Herren von
Grammont, nnd Lune den Friedensschloss zwischen Frankreich
und Spanien unterzeichnete; femer Johann lY. der Ratgeber
Johannas Ton Nayarra, der Matter Heinrichs IV., die ihn mit,
ihrem höchsten Vertraaen beehrte, and schliesslich Johann Y.
der in hoher Gunst bei Heinrich lY. und Ludwig XHI. stand.
Auch jener bekannte Bischof Ton Marseille entstammte dieser
Familie.
&
,4
ß
kr
Verlag von F. Fontane & Co. Berlin W
RUDOLF SCHICK
Tagebuchaufzeichnungen
aas den Jahren 1866 1868 1869
ober
Arnold Böcklin
Herausgegeben von
Hugo von Tschndi
gesichtet von
Cäsar Flaischlen
geh. M. 12.— ; geb. M. 15.—
Di« „Strattbargtr Pott" lekreibi: Ein Teil diatar Taff6b«e)uMfk«lelia«]if«B
ist tvent im .Pan* erfchieoen und hat beraiU in dleMr Foim MreohtifiM AnflMlian
•rreft ; mit um bo gröwerer Frenda wird nan dia ralltt&iidifa Avagaba ia Bvekferm
bagrftaaan, daran Haravsgaba Profaiaor Dr. Engo r. Ttohadi, Dirakior dar könif McliaB
Mationalgaleria in Barlin, towia Dr. CAsar Flaiaohlan, dar Mkar» Sadaktau daa
•Paa", nntamaoiBan habaa. Daa Maiata, waa dia Uakar araelüaaaBaB Sakrlftaa tbar
Bteklia aohaldig fabliabaa aiad, aohraibt H. t. Taohadi ia aiaam karaaa Yorwoii,
aatbaltaa dia AnfsaiobaaaffaB Sohieka, aiaaa Jnagaa Bariiaar«, dar im Jakra 1864 daa
froasaa Staatapraia arrongaa batta aad aaf aalaar 8tadiaarai(M aaek Born kam. Ala
2öjibrifar Jtnfliaf trifft ar daa im kraflrollataa Maaaaaaltar atabaadaa Maistar.
Er wird Toa dam Aaltaraa ni iatimam Varkakr karaagaMgaa, aiaa Zait laaf aofar
aaia Ataliarfaaoaaa aad bat daa OlAck. aaa dam aaidlaa araobloaaaaaa Bara aiaar
raiebaa Erfabraaf nad alaaa ia aaltaaam Xaaaaa darabffabildataa KnaatTantaadaa
aoLIVpfaa sa dftrfaa. Tra« daa wacksalndaa Eraipiaaaa daa Tafaa falgaad, laaaaa
Sobioka Taf abflabar aiaaa aamittalbaraa Bliak ia daa raioba aad aaf aract« EAaatlar-
daaaia tbaa. Daa Bild aiaaa Tollaa aad faaiaa Maaacbaa atallt aiab aaa dar. Niobt
miadar faaaalad aiad dia AaflMblftaa«, dia wir flbar daa Kftaitlar arbaltaa, ib«r dia
Art aaiaaa Mataratadiama , ftbar dia darabdaobta Arbaitafibraaf aad daa wiaaan-
aobafUieba lataraaaa, aüt dam alla taebaiaobaa Yorf iafa babaadalt wardaa. üabar
daa atata Straban, daa Matarial ta Tarrallkommaaa aad aa ia dar rattoaallataa Walaa
t« rarwartaa. Uabar all daa andliab, waa dia paraAalioba Aaatbatik daa Maiatara
aaamaobt Mit Staaaaa wird maa fawabr, walab bobar Orad raa Uabarlafaaf aad
Toa Eiaaiebt ia dia malariaebaa Wirkaafaa aia Sobalfba baatimmt, daa aebaiabar
mlbalaa aiaar aaarbArt prodaktiTaa Pbantasia aatateAmt Daa Beiaammanaaia Sabiaka
aüt dam Maiatar biatat aararaiaf liabaa Aaiaaa Ar BrArtaraaf dar wiabtigataa, taoh-
aiaebaa aad &atbatiaebaa Fraffaa. — Dia TacabaabbUttar babaa daa Maebaa Rata
daa paraAaliob Brlabtaa aad bildaa — wia fiMbadi ia dar Yarrada wdtar aaft —
aia aaaobitibaraa Dakamaat f&r dia Cbaraktariaiaraag dar klaatlariaebaa Pan^auab-
kait daalfaistan.
VERLAG VON F. FONTANE & CO. BERLIN W 35.
•
RUDOLF SCHICK: TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN
AUS DEN JAHREN 1866 1868 1869 ÜBER
ARNOLD BOECKLIN. hebausoboeben von huqo
TON TSCHUDI. GESICHTET VON DR. CÄSAR FLAI8CHLBN.
GEHEFTBT^12 MARK. GEBUNDEN 15 MARK.
HEINRICH ALFRED SCHMID : ARNOLD BOECKLIN.
ZWEI AUFSÄTZE. MIT ACHT ILLUSTRATIONEN.
GEHEFTET S MARK. GEBUNDEN 4 MARK.
FRIEDRICH EGGERS UND KARL EGGERS :
CHRISTIAN DANIEL RAUCH, mit 2 Bildnissen
RAUCHS UND 127 LICUTDRUCKTAFELN SEINER WERKE
geheftet 63 MARK. GEBUNDEN 73 MARK. FÜNF BANDE.
KARL EGGERS : RAUCH UND GOETHE.
URKUNDLICHE MITTEILUNGEN.
GEHEFTET 6 MARK. GEBUNDEN 8 MARK.
KARL EGGERS : BRIEFWECHSEL
ZWISCHEN RAUCH UND RIETSCHEL.
ZWEI BÄNDE. MIT HOCHÄTZUNGEN. JE 1 LICHTDRUCK
UND JE 1 PH0T0TTPI8CHEN FACSIMILE.
PREIS JEDES BANDES GEH. M. 10,-; GEB. M. 12,60.
OTTO KNILLE : WOLLEN UND KÖNNEN IN DER
MALEREI. UMSCHLAGZEICHNUNG VOM VERFASSER.
GEHEFTET i MARK. GEBUNDEN 3 MARK.
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