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Full text of "Erinnerungen einer urgrossmutter (Katharina freifrau von Bechtolsheim geb gräfin Bueil) 1787-1825"

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±3 


Erinnerungen  einer  ürgrossmutter 


Er  inne  r  u  n  g  e  n 

einer 

Urgrossmutter 

(KatHa  Freifran  tod  BectLtolsneiiQ  &l  Irräfln  Bneil) 

17B7  —  IBaS 

Mil  Drlfflulbrltf«  na   Otitki.   WItUnd.   Hnd«.   EalHriB   EithulM  lU  EkU*r 

Aliundn  L  ud  K^IhUi  Kula  tob  BivUiid.   Hinof   Cul  Aiful  ras  Wtlau, 

Enrt  II.  in  SHhHa-OoUu,   Pim  tob  SUU.   FBnl  nn  Lip»,   Onl  SicBi.    nm- 

FriBW«  Tgi  DBlbaig  snd  tsb  ud*r» 


HerauBgegehen 

Carl  Gtraf  ObemdorfF 

Hit  12  Illuttrationen  und  6  Facsimile-Beilagen 


Egon  Fleischel  &  Co, 
Berlin 


Alle  Rechte, 

besonders  die  der  Übersetzung, 

vorbehalten. 

Abdruck  —  auch  auszugsweise  —  untersagt. 

236844 


.•  .V 


•  •     •  •  • 


•  • 


••• 


•  •  • 


Vorwort 


So  hätte  sich  denn  wieder  ein  Stflck  Menschen- 
leben vor  meinen  Blicken  anfgeroUt,  und  Zeiten  sind 
vor  meinem  inneren  Ange  vorbeigezogen,  buntbewegte, 
wilde,  blutige  Zeiten,  Zeiten  voll  bitteren  Hasses, 
inniger  Liebe  und  flammender  Begeisterung,  bis  sich 
endlich  dieses  Meer  aufgewühlter  Leidenschaften  be- 
ruhigt, alle  Stfirme  schweigen  und  die  Sonne  des 
Friedens  herniederlächelt  auf  Deutschland,  auf  Frank- 
reich, auf  Europa! 

„Erinnerungen  einer  ürgrossmutter" 
ist  jener  Band  betitelt,  den  ich  hiermit  der  Öffent- 
lichkeit übergebe,  und  welcher  die  Schicksale  des 
Pflegekindes  eines  der  hervorragendsten  Encyklopä- 
disten  und  französischen  Litteraten,  Friedrich  Mel- 
chiors von  Grimm,  und  Urenkelin  der  Madame 
d'Epinay  enthält. 

Katharina  von  Bechtolsheim,  geborene 
Oräfin  Duroux  deBueil,  die  Verfasserin  dieses 
Memoiren  Werkes ,  lernen  wir  als  eine  jener  scharfaus- 


—    YI    — 

geprägten  Individualitäten  kennen,  wie  sie  uns  so 
selten  im  Leben  begegnen.  Ihr  Charakter  ist  edel, 
ernst,  beschaulich,  und  neben  einem  starken,  bildungs- 
durstigen und  -fähigen  Geiste  tritt  uns  in  ihr  tiefe 
Religiosität,  anfangs  infolge  philosophischer  Studien 
gebunden  und  erst  später  durch  die  Prüfungen  des 
Lebens  und  beständige  Selbstbetrachtung  freiwerdend, 
sowie  eine  kleine  Vorliebe  für  jene  Art  von  Selbst- 
bespiegelung  entgegen,  welche  von  einem  mit  sich 
wohlzufriedenen  Oemüte  zu  zeugen  pflegt,  trotzdem 
sich  dieses  Behagen  am  eigenen  Ich  oft  auch  hinter 
einem  scheinbaren  Tadel  desselben  verbirgt.  —  Doch, 
erzieht  sich  denn  nicht  jede  Seele  selbst,  und  sind 
nicht  alle  jene  äusseren,  von  Dritten  herrührenden 
Impulse,  die  man  insgesamt  mit  dem  Namen  „Er- 
ziehung" bezeichnet,  nur  Wegweiser  für  die  suchende 
und  tastende  Seele,  nur  blosse  Behelfsmittel  für  ihre 
Selbsterziehung?  Und  ist  uns  nun  dies  schwierige  Werk 
gelungen,  warum  sollen  wir  ans  dann  nicht  an  ihm 
erfreuen  und  es  mit  dem  gleichen  Behagen  betrachten, 
wie  etwa  der  Maler  sein  treffliches  Gemälde? 

Die  treue  Anhänglichkeit,  welche  Grimm  seiner 
Freundin,  Madame  d'Epinay,  bis  zu  ihrer  letzten 
Stunde  bewahrte,  übertrug  er  nach  dem  Tode  dieser 
meiner  Urahne  auf  deren  geliebtes  Enkelkind,  Emilie 
de  Belsunce,  und  nachdem  er  derselben  in  Lud- 
wig Alexander  August  Grafen  Durouz  de  Bueil 
einen  hochsinnigen  Gatten  erwählt  hatte,  auch  auf 
ihre  Kinder  Henri,  Adöle  und  Katharina,  die 


—  vn  — 

Verfasserin  dieser  Memoiren.  Als  dann  der  Stnrm  der 
Eevolntion  ihn  nnd  die  ihm  so  liebe  Familie  seiner 
Pflegebefohlenen  ans  Frankreich  vertrieb  nnd  zwang, 
sich  in  Deutschland,  jenem  Reiche  niederzulassen,  dem 
er  entstammte,  nahm  er  aufs  neue  Emilie  und  die 
Ihren  in  seine  Obhut,  während  Graf  Bueil  im  Heere 
des  Marschalls  deCastriesfür  König  nnd  Vaterland 
kämpfte. 

Dort  in  Grimms  Hause,  wo  Goethe,  Herder 
und  Wieland,  die  Zierden  des  deutschen  Parnasses, 
sowie  auch  Frau  von  Stael,  Benjamin  Constant, 
Abb6  Delisle  und  andere  verkehrten,  reifte 
Katharina  unter  der  liebevollen  Leitung  des  greisen 
Encyklopädisten  in  allen  Fächern  des  Wissens  von 
Männern,  wie  Friedrich  Christian  Jacobs,  dem 
berühmten  Philologen  und  Willem  Bilderdijk,  einem 
weitgeschätzten  holländischen  Posten,  unterwiesen,  zur 
Jungfrau  heran  und  gewann  bald  ihr  neues  Vater- 
land so  lieb,  dass  sie  sich  in  Frankreich  nicht  mehr 
heimisch  fClhlen  konnte.  —  1807  vermählte  sie  sich 
mit  Emil  Freiherm  von  Bechtolsheim,  dem  Sohne 
Julien s,  geb.  Gräfin  Keller,  der  bekannten 
Freundin  unserer  Dichterfürsten.  Doch  schon  nach 
wenigen  Jahren  des  Glückes  entriss  ihr  der  Tod  den 
teuem  Gatten,  welcher  schwere  Schicksalsschlag 
ihre  bis  dahin  nur  von  philosophischen  Idealen  geleitete 
Seele  Gott  zuwendete. 

Das  zweite  Buch  schildert  die  ganz  der  Erziehung 
ihrer  beiden  Kinder,   Alexander  und  Clotilde, 


~  vin  - 

gewidmete  erste  Witwenzeit  und  schliesst  nach  einem 
bewegten  Leben  am  Mecklenburg-Schweriner 
Hofe  mit  ihrer  dauernden  Niederlassung  in  Baiern  ab. 

Von  gleichem,  ja  für  viele  vielleicht  sogar  von 
höherem  Interesse,  wie  der  Memoirentext  selbst,  dürften 
die  in  unserem  Werke  enthaltenen  fünfund fünfzig 
Briefe  bedeutendster  Persönlichkeiten  sein.  Jedenfalls 
sind  sie,  mit  Ausnahme  jener  der  Kaiserin  Katharina, 
die  schon  vor  Zeiten  und  von  anderen  ediert  und 
commentiert  im  Handel  erschienen,  sowie  einiger 
weniger  der  übrigen  bis  dato  noch  unbekannt  und 
unveröffentlicht  und  befinden  sich  im  Gräflich 
E  r  d  ö  d  y  sehen  Archive  zu  G  a  1  g  6  c  z  (Neutraer 
Comitat,  Ungarn),  wo  sie  deponiert  wurden. 

Das  letzte  Capitel  des  ersten  Buches,  „Meine 
Schwiegermutter"  betitelt ,  bringt  Briefe  unserer 
Klassiker:  Goethe,  Wieland  und  Herder  sowie 
ein  von  letzterem  übersetztes  Gedicht,  auch  Frau 
von  Staäl,  Herzog  Carl  August  von  Weimar 
und  der  ebenso  tolerante,  wie  kunstliebende  Kirchen- 
fürst Baron  D  a  1  b  e  r  g  sind  teils  mit  längeren 
Schreiben,  teils  mit  kurzen  Billetten  vertreten ,  welche 
alle  an  Freifrau  Julie  von  Bechtolsheim  -  Keller  ge- 
richtet sind. 

Als  ersten  Anhang  glaubte  ich  die  Korrespondenzen 
aus  dem  Nachlasse  Baron  Grimms  anfügen  zu  müssen, 
die  man  übrigens  ebensogut  „Katharina  II.  und 
ihre  Zeit"  betiteln  könnte.  Vielfach  ist  es  bei  Hof 
Sitte,   nach  dem  Ableben  eines  Monarchen  die  Hand- 


-    IX    — 

schreiben  desselben  an  Privatpersonen  von  letzteren 
einznfordem ,  doch  scheint  es  Grimm  gelungen  zu  sein, 
wenigstens  fQnf  Briefe  der  grossen  Kaiserin  ganz 
zurückzubehalten,  während  er  aus  den  anderen  nur 
die  prägnantesten  Stellen  eigenhändig  excerpierte, 
welch'  letztere  ich  als  „Fragmente"  bezeichnete.  Von 
drei  Standpunkten  ans  hielt  ich  die  Beigabe  der  bereits 
anderweitig  erschienenen  Katharina -Briefe  nicht  nur 
für  gerechtfertigt,  sondern  sogar  für  geboten:  erstens 
einmal  befinden  sich  ja  doch  die  Originale,  respective 
die  vom  Empfänger  selbst  angefertigten  Copien  aus- 
schliesslich im  Besitze  meiner  Familie ,  zweitens  dachte 
ich  die  Einfügung  derselben  schon  deshalb  bewerk- 
stelligen  zu  müssen,  um  das  in  den  vorliegenden 
Memoiren  so  oft  erwähnte  innige  Freundschaftsverhältnis 
zwischen  der  gewaltigen  Autokratin  und  dem  schlichten 
Gelehrten  zu  illustrieren,  sowie  auch,  um  manches  in 
den  nachfolgenden,  noch  unbekannten  Schilderungen 
von  Ligne  und  S6gur  verständlicher  zu  machen, 
und  drittens  hoffe  ich ,  dass  sie  für  jene  Leser ,  denen 
sie  noch  fremd  sind  ,  neue  Streiflichter  auf  den  Charakter 
einer  vielgehassten ,  vielgeschmähten  und  doch  so 
schönen  und  liebenswürdigen  Herrscherin  werfen 
möchten. 

Doch  nun  zu  den  anderen. 

Fürst  de  Ligne  weiss  sehr  interessant  und 
farbenreich  von  jener  weltberühmten  Reise  der 
„nordischen  Semiramis'*  nach  Taurien  als  Augenzeuge 
zu  berichten ,  doch  auch  er  hält  Potemkins  gross- 


artig  inscenierte  Betrügereien  für  waschechte  Wahr- 
heiten und  ist  nicht  wenig  ergrimmt  über  die  mittel- 
europäischen Journalisten,  denen  die  ganze  Ge- 
schichte da  drüben  keineswegs  so  herrlich  dünkt,  wie 
ihm. 

Graf  S6gur  entwirft  prächtige  Schilderungen 
Moskaus,  einer  Wassen*eise  des  Hofes  zwischen  den 
beiden  russischen  Metropolen  und  der  Festlichkeiten 
zu  Peterhof  etc. 

Kaiserin  Maria  Feodorowna,  die  Schwieger- 
tochter Katharinas  II.,  überträgt  Grimm  eine  Wohl- 
thätigkeitskasse  zur  Unterstützung  der  französischen 
adeligen  Emigranten  in  Deutschland,  was  wohl  zum 
guten  Teil  die  Lage  dieser  armen  Vertriebenen  und 
vor  allem  die  dei*  ehrwürdigen  Witwe  des  Herzogs 
von  Orleans  (Egalitfe)  etwas  sorgenfreier  ge- 
staltete. 

Auch  Kaiser  Alexander  I.  und  Herzog  Ernst  II. 
von  Sachsen-Gotha  sind  in  dieser  unserer  Samm- 
lung vertreten. 

Desgleichen  hielt  ich  es  ebenfalls  für  geraten, 
den  Trauschein  der  Eltern  unserer  Verfasserin, 
nebst  zwei  Notizen  über  die  Familien  Bueil  und 
Belsunce  als  zweiten  Anhang  beizugeben,  um  solche, 
die  es  interessieren  sollte,  mit  dem  Inhalte  dieses 
Dokumentes,  welches  die  Unterschriften  Ludwigs  XVI. 
und  seines  Hofes  trägt,  bekannt  zu  machen. 

Von  den  Memoiren  selbst  glaube  ich  nur  noch 
anfügen  zu   müssen,   dass   sie   die  Verfasserin   einzig 


—    XI    — 

imd  aDdn  fiir  ihre  bddeB  Kinder.  Ban»  Alexmader 
TOD  Bechtolslieim  md  Clotflde,  Terebelidite  Beidis- 
grifin  TOD  Oberodorff,  Diedersrkiieb. 

LaTahof  bd  Cilli,  im  SpitaoiiBer  1901. 


Carl  Graf  Obemdorff. 


Inhaltsverzeichnis 


Vorwort  des  HeraoBgebers V 

Erstes  BdgIi  (1787-1810)4 

1.  Kapitel.    Meine   ersten   Eindeijahre   bis  znm  Aosbrneh 

der  französischen  Revolntion 1 

2.  Kapitel.    Von  Paris  nach  Gotha  und  Hamburg  ....    17 

3.  Kapitel.    Baron  Grimm 51 

4.  Kapitel.    Brannschweiger  Bekanntschaften 72 

5.  Kapitel.    Nach  Gotha  znrflck 93 

6.  Kapitel.    Bei  Hof 111 

7.  Kapitel.    Brautstand,  Hochzeit  nnd  Grimms  Tod    .    .    .  139 

8.  Kapitel.    Wieder  in  Frankreich 167 

9.  Kapitel.    Meine  Schwiegermutter 188 

Zweites  Bneh  (1810—1825). 

1.  Kapitel.    Witwe 227 

2.  Kapitel.    In  Deutschland 238 

3.  Kapitel.    Meine  Rflckkehr  nach  Yarennes 261 

4.  Kapitel.  Eisenach  und  die  Einquartierung  zu  Stedten    .  272 

5.  Kapitel.    Wieder  bei  Hofe 286 

G.  Kapitel.  Eine  Hochzeit  im  Hause  Mecklenburg  und  Todes- 
fälle       303 

7.  Kapitel.    Weiteres  yom  Mecklenburger  Hofe 328 

8.  Kapitel.    Abschied  von  Mecklenburg 346 

Zwei  inhftnge. 

I.  Anhang.    Briefe  aus  dem  Kachlasse  des  Baron  Grimm    . 
1.  FOnf  Briefe  und   elf  Briefßragmente    von    Kaiserin 
Katharina  II.  an  Baron  Grimm 361 


—    XIV    — 

Seit« 

2.  Drei  Briefe  des  Fürsten  de  Ligne  an   Baron  Grimm  383 

3.  Sieben  Briefe  des  Grafen  S^gnr  an  Baron  F^ronce  391 

4.  Vier   Briefe   von   Kaiserin   Marie  von  Rassland   an 
Baron  Grimm 404 

5.  Zwei  Briefe  von  Kaiser  Alexander  I.    von  Rassland 

an  Baron  Grimm 410 

6.  Ein  Brief  von  Heriog  Ernst  II.  von  Sachsen -Gotha 

an  Baron  Grimm 412 

Eine  deatsche  Übersetzang  dieser  33  Briefe    .    .    .    .418 
II.  Anhang.    Gontract  de  mariage  entre  Monsieur  le  Comte 
de  Baeil  et  Madame  la  Gomtesse  de  Belsance  (20.  Mars 
1786);  nebst  zwei  Notizen  des  Heraasgebers   ....  469 

Ulastrationen  nnd  Facsimile- Beilagen: 

1.  Katharine  Freifrau  von  Mauchenheim  genannt  Bechtols- 
heim  (Titelbild). 

2.  u.  3.  Graf  und  Gräfin  Doroax  de  Bueil.    (Die  Eltern  der 
Verfasserin) 20,  21 

4.  Le  Baron  de  Grimm 63 

5.  Adöle   Marquise    de    Gausans    geb.    Gräfin    Baeil.     (Die 
Schwester  der  Verfasserin) 119 

6.  Emil   Freiherr  von  Mauchenheim  genannt   Bechtolsheim 
(Der  Gemahl  der  Verfasserin) 160 

7.  Julie  Freifrau  von  Mauchenheim  genannt  Bechtolsheim. 

(,, Wielands  Psyche**) 199 

8.  Als  Beilagen:  3  Facsimile- Briefe  (Goethe,  Herder,  Wieland) 

9.  Schloss  Varennes  sur  Marne 267 

10.  Das  Bechtolsheimsche  Kanzlerhaus  zu  Eisenach  ....  275 

11.  Prinzessinnen  Marie  und  Helene  von  Mecklenburg-Schwerin  341 

12.  Alexander  und  Glotilde  von  Bechtolsheim.    (Die  Kinder 
der  Verfasserin) 355 

13.  Schloss  Bodenstein 358 

14.  Als  Beilagen:  3  Facsimile-Briefe  (de  Ligne,  Kaiserin  Maria 
Fedorowna  von  Russland). 


Erstes  Buch 

(1787  —  1810) 


«  • 


.  •  -.  ... 

•     -  •        •• 


L  Kapitel« 

Meine  ersten  Kinderjahre  bis  zum  Ausbruch  der  Revolution. 

Ich  wurde  als  erstes  Kind  des  Grafen  Ludwig 
Alexander  August  Duroux  de  Bueil  aus  seiner 
Ehe  mit  Emilie  Marie  Renata  Therese  de  Belsunce 
am  13.  Januar  1787  geboren  und  mit  grosser  Freude 
aufgenommen,  obwohl  meinem  Vater,  als  dem  letzten 
seines  Stammes,  ein  Sohn  erwünschter  gewesen  wäre. 
Nach  damaliger  Sitte  Hess  man  mir  eine  Amme  vom 
väterlichen  Landgute  Varennes  kommen,  welche  mich 
acht  Tage  nach  meiner  Geburt  mit  sich  in  ihre  Be- 
hausung nahm,  woselbst  mich  meine  Eltern  erst  nach 
zwei  Monaten  wiedersahen. 

In  der  heiligen  Taufe  erhielt  ich  die  Namen  Katha- 
rina Helene  Alexandrine,  die  mii*  Katharina  II. 
von  Russland  nach  sich  und  ihren  Enkeln  beilegte. 
Diese  grosse  Kaiserin  fungierte  nämlich  als  meine  Tauf- 
patin, meiner  Mutter  zuliebe,  welche  ihre  Ehrendame 
war.  Ein  erprobter  Freund  unserer  Familie,  Baron 
Grimm "*"),   der  durch  eine  eigentümliche  Verkettung 

^)  Friedrich  Melchior  Reichsfreiherr  von  Grimm  (geboren  zu 
Regensborg  1723),  berühmter  französischer  Littcrat  des  18.  Jahr- 

Cmrl  tiraf  Ok«rmdorff,  EriBBtnuif«B  «iatr  UrgroMmntttr.  1 


•  • 


*    • 


•    » 


—     2     — 


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*  von  umständen  die  Bekanntschaft  dieser  geistreichen 
Begentin  gemacht  hatte  und  bei  ihr  in  grossem  An- 
sehen stand,  hatte  dieses  zu  Gunsten  meiner  Mutter 
dahin  aufgewendet,  dass  selbe,  obwohl  Französin,  Ehren- 
dame der  Kaiserin  von  Bussland  wurde. 


hunderte.  Er  erhielt  za  Hause  eine  sorgfältige  private  Erziehung, 
besuchte  später  mit  dem  Grafen  Schönberg  die  Universität  zu  Leipzig 
und  zog  dann  mit  demselben  nach  Paris,  wo  er  als  Vorleser  in  die 
Dienste  des  damaligen  Erbprinzen  von  Sachsen- Gotha  trat.  Durch 
seine  grossen  musikalischen  Kenntnisse  erwarb  er  sich  die  Freund- 
Schaft  Rousseaus,  der  ihn  wieder  mit  d^Alembert,  dem  berühmten  Ver- 
treter des  Materialismus,  Baron  Holbach,  Diderot  und  Frau  v.  Epinay 
bekannt  machte.  Durch  diese  Letztere  gelangte  er,  als  Sekretär 
des  Grafen  Friesen,  der  ein  Neife  des  Marschalls  von  Sachsen  war, 
in  die  glänzendsten  Kreise  des  Pariser  Hochadels,  und  machte  sich 
überall  durch  seinen  lebendigen  Geist,  sein  gewandtes  Wesen  und 
seine  hervorragende  Art,  Konversation  zu  führen,  beliebt.  Um  diese 
Zeit  entstanden  folgende  Werke  seiner  Feder :  „Lq  petit  prophete 
de  Bömischbroda"  (Paris  1753),  worin  er  als  Wortführer  der  so- 
genannten „coin  de  la  reine^-Partei,  beim  Auftreten  der  italienischen 
Operngesellschaft  für  diese,  gegen  die  französische  seine  Lanze 
brach.  Ferner  „Lettres  sur  la  musique  fran^se^.  Beide  Werke 
zeichnen  sich  durch  feine  Pikanterie  der  stilistischen  und  stofflichen 
Durchführung  aus.  Bei  der  in  den  Jahren  1751 — 1763  von  Diderot 
und  d'Alembert  herausgegebenen  „Encyclopädie**  redigierte  er  die 
Abteilung  „Litteratur**.  Nach  Ableben  des  Grafen  Friesen  gewann 
ihn  der  Herzog  von  Orleans  als  Sekretär,  und  stammen  aus  dieser 
Zeit  die  .Bulletins**,  die  er  für  mehrere  deutsche  Fürstenhufe  mit 
Diderots  Beihilfe  abfasste.  Diese,  erst  sieben  Jahre  nach  seinem 
Tode  als  „Correspondence  littäraire,  philosophique  et  critique"  zu- 
sammengefasst  (Paris  1814),  bilden  das  Hauptwerk  seines  Lebens 
und  das  Produkt  siebennnddreissigj ähriger  Arbeit.  1829  — 1831 
folgte  eine  von  Taschereau  veranstaltete  Neuausgabe  in  fünfzehn 
Bänden.  1878  —  1882  die  Neuestausgabe  von  Tourneux  (Paris). 
Dieses  Werk  giebt  über  die  französische  Litteratur  von  1752—1790 


—     3     — 

Jenem  Freund  und,  ich  kann  sagen,  Wohlthäter 
unserer  Familie  an  dieser  Stelle  einige  Zeilen  zu  weihen, 
erscheint  mir  eine  heilige  Pflicht  der  Dankbarkeit, 
und  mein  Herz  ergreift  gern  die  Gelegenheit,  ihm  ein 
Zeichen  der  Liebe  zu  widmen,  indem  ich  sein  Bild, 
wie  es  sich  mir  eingeprägt  hat,  entwerfe. 

Friedrich  Melchior  Grimm,  späterhin  durch  Kaiser 
Josef  II.  zum  Reichsbaron  erhoben,  wurde  zu  Eegens- 
burg  im  Jahre  1723  geboren  und  kam  durch  Umstände, 
die  mir  nur  sehr  unvollständig  bekannt  sind,  nach  Paris, 
wo  er  mit  den  Grosseltern  meiner  Mutter,  de  Lalive 
d'Epinay,  bekannt  wurde,  welche  ihn  wegen  seiner 


in  breitester  Weise  Aufschluss.  Erst  1829  erschien  seine  „Corre- 
spondence  inödite**  mit  Diderot.  Von  Josef  II.  1776  zum  Reicbs- 
baron  ernannt,  vertrat  er  die  sächsischen  Fürstenhöfe  als  Gesandter 
zn  Paris.  Mit  Kaiserin  Katharina  von  Rnssland,  die  ihn  sehr 
Bchfttzte  and  verehrte,  verknüpften  ihn  die  Bande  innigster  Freaud- 
Bchaft,  and  lasse  ich  als  Anhang  dieses  Buches  mehrere  französische 
Briefe  der  grossen  Herrscherin  an  den  Baron  folgen.  Bei  Ausbruch 
der  französischen  Revolution,  durch  die  er  den  grössten  Teil  seiner 
Habe  einbOsste,  floh  er  nach  Gotha.  Später  zum  russischen  Staats- 
rat und  bevollmächtigten  Minister  Kaiser  Pauls  bei  der  freien  und 
Hansestadt  Hamburg  ernannt,  trat  er  ganz  in  russische  Dienste. 
Doch  der  Verlust  eines  Auges  zwang  ihn  bald  dauernd  in  den 
Ruhestand  zu  treten.  So  verlebte  er  denn  seine  letzten  Jahre 
zurückgezogen  zuerst  in  Braunschweig  und  schliesslich  in  Gotha, 
wo  ihn  1807  der  Tod  ereilte.  Näheres  über  Grimm  siehe:  St-Beuve, 
yCauseries  du  lundi^  VII.  und  von  dem  gleichen  „Etudes  sur  Grimm** 
(Paris  1854),  ferner  Arezac-Lavigne,  „Diderot  et  la  soci^te  de  Baron 
Holbach»  (Paris  1875),  Edmond  Schdrer,  „Melchior  Grimm«  (Paris 
1887)  und  schliesslich  Mahrenholtz  „Friedrich  Melchior  Grimm, 
der  Vermittler  deutschen  Geistes  in  Frankreich**.  (Archiv  für  das 
Stadium  neuerer  Sprachen,  Band  82.)  Der  Herausgeber. 


—     4     — 

hervorragenden  Geistesgaben  bald  schätzen  lernten  und 
ihn  auch  in  die  vornehmen  Gesellschaftskreise  einführten. 
Dieses  freundliche  Entgegenkommen  war  die  Grundlage 
der  Anhänglichkeit  und  treuen  Freundschaft,  welche  ihn 
für  immer  an  die  Familie  fesselte. 

Er  war  eine  derjenigen  Erscheinungen,  die  keiner, 
der  ihr  näher  tritt,  gleichgiltig  betrachten  kann.  Ausge- 
stattet mit  der  schönsten  geistigen  Gabe,  die  alle  andern 
erhöht  und  ihnen  Anmut  und  Beiz  verleiht,  nämlich 
mit  reiner,  warmer  Lebensfähigkeit  und  dem  Enthusias- 
mus fßr  alles  Schöne  und  Gute,  besass  er  auch  einen 
durchdringend  klaren  Blick  und  grosse  Gewandtheit  fiir 
praktische  Geschäfte,  verbunden  mit  seltener  Menschen- 
kenntnis. Von  Jugend  auf  hatte  er  sieh  mit  Glück  den 
Wissenschaften  und  der  Litteratur  gewidmet  und  wurde 
mit  Recht  unter  die  ausgezeichnetsten  Gelehrten  gezählt; 
er  glänzte  in  den  geistreichen  Kreisen  damaliger  Zeit 
in  Paris  als  Stein  erster  Grösse.  Ein  abgesagter  Feind 
jeder  Halbheit  und  Engherzigkeit,  war  Grimm  aufrichtig 
und  beständig  in  seiner  Freundschaft.  Wem  er  einmal 
Hilfe  verheisseu  hatte,  dem  leistete  er  sie  mit  anhaltender 
Treue;  wem  er  sie  aber  geleistet  hatte,  den  konnte  er 
nicht  mehr  verlassen,  auch  dann  nicht,  wenn  der  Hilfe- 
bedürftige ihm  keinen  Dank  zollte,  oder  glaubte,  ihn 
entbehren  zu  können;  kaum  der  gröbste  Undank  war 
imstande,  Herrn  von  Grimm  zu  veiranlassen,  seine  Hand 
dem  Unwürdigen  zu  entziehen,  und  dann  geschah  dies 
noch  mit  Schonung.  Zum  Beispiel  trat  er  nie  gegen 
Jean  Jacques  Rousseau  auf,   den  er  in'  die  glän- 


—    5     — 

zendsten  Kreise  von  Paris  eingeführt  und  in  manchen 
Fällen  liebreich  nnterstntzt  hatte,  als  dieser  sich  dann 
undankbar  zeigte  und  ihn  arg  yerleumdete.  Kaiserin 
Maria,  die  Gattin  Kaiser  Panls  von  Russland, 
hatte  eine  Wohlthätigkeitskasse'*')  fUr  adelige  Emigranten 
errichtet  und  Grimm  mit  der  Leitung  derselben  beauf- 
tragt. Kein  Wunder,  dass  dieser,  nun  von  Tausenden 
in  Anspruch  genommen,  auch  viel  unter  menschlicher 
Unverschämtheit,  Bosheit  und  Anmassung  zu  leiden 
hatte,  und  man  kann  nicht  umhin,  ein  solches  Mass 
von  Geduld  und  unerschütterlicher  Menschenliebe  bei 
einem  Manne  von  so  lebhaftem,  ja  heftigem  Tempera- 
ment, der  überdies  durch  die  Hochachtung  und  Aus- 
zeichnung seiner  Zeitgenossen  verwöhnt  war,  zu  be- 
wundem. 

Baron  Grimms  äussere  Erscheinung  war  edel  und 
Ehrfurcht  gebietend,  obgleich  er  von  Gestalt  eher 
klein,  als  gross,  seine  schönen  Züge  belebte  feiner, 
geistvoller  Ausdruck,  und  ein  noch  im  Alter  frisches 
Colorit  erhöhte  den  Glanz  seiner  blauen,  lebhaften 
Augen,  während  Silberhaar  das  greise  Haupt  um- 
rahmte. Was  seine  Konversation  anbelangt,  so  ist 
mir  dieselbe  als  ebenso  anregend,  wie  lebendig  in  Er- 
innerung, auch  pflegte  er,  der  ein  so  hervorragendes 
Talent  zum  Erzählen  hatte,  seinen  scharfsinnigen  Be- 
merkungen und  Entwicklungen  stets  witzige  Einfälle 
und  Anekdoten  einzuver weben. 


*)  Vergleiche  die  Briefe  der  Kaiserin  Maria  Feodorowna  an 
Baron  Grimm  im  I.  Anhange.  —  Der  Herausgeber. 


—     6     — 

Dieser  liebe  Freund  und  weitgeschätzte  Philosoph 
der  Encyklopädie  kannte  meine  Mutter  schon  seit 
ihrer  Kindheit,  die  sie  bei  ihrer  Grossmutter,  der 
berühmten    Frau    de    Lalive    d'Epinay*),    ver- 


*)  Louise  Florence  Petronille  Tardien  d'EscIayelles,  Madame 
de  Lalive  d'Epinay,  die  ürgrossmutter  mütterlicherseits  der  Yer- 
fasBerin  dieser  Memoiren,  war  eine  der  glänzendsten  Erscheinangen 
der  französischen  Litteratur  des  18.  Jahrhunderts.  Am  11.  März 
1726  geboren,  wurde  sie  nach  glücklich  verlebter  Kindheit  dem 
ausschweifenden  Erbpächter  d'Epinay  angetraut.  Durch  ihren 
Geist  erregte  sie  bald  die  Bewunderung  bedeutender  Männer, 
wie  des  Dnpin  de  Francucil,  Grimms  und  Rousseaus,  die  alsbald 
in  ihrem  Hause  ans-  und  eingingen.  Ja,  Letzterer  erfreute  sich 
so  ihrer  Gunst,  dass  sie  ihm  1755  am  Walde  von  Montmorency 
auf  ihrem  Gute  Lachevrette  bei  St.-Denis  die  berühmte  „Eremitage" 
als  Wohnung  einrichten  Hess.  Da  sie  sich  jedoch  später  dem 
Encyklopädisten  Grimm  zuwandte,  dessen  edlerer  Charakter  sie 
mehr  ansprach,  und  1757  sogar  jeden  Verkehr  mit  Rousseau  ab- 
brach, zog  sich  dieser  grollend  zurück  und  rächte  sich  später  in 
seinen  „Confessions'*  bitter  hierfür.  Dies  wird  wohl  jener  Undank 
gegen  seine  Wohlthäter  sein,  dessen  ihn  Baronin  Bechtolsheim  an 
einer  Stelle  ihrer  Memoiren  bezichtigt.  —  Meine  grosse  Ahne, 
Mme.  d'Epinay,  starb  am  17.  April  1783  zu  Yalenciennes.  Näheres 
über  sie  ist  u.  a.  aus  Percy  et  Maugras,  „La  jeunesse  de  Mme. 
d'Epinay**  (Paris  1882),  sowie  aus  ihren  eigenen  Werken  zu  ent- 
nehmen. Sie  schrieb:  Die  bekannte  Preisschrift  über  Mädchen- 
erziehung „Les  conversations  d^Emilie"  (Paris  1774  u.  a.  1813), 
„Les  moments  heureux"  (Genf  1758),  „Lettres  ä  mon  fils"  (ebenda 
1759),  „M^moires  et  correspondence**  (Paris  1818  herausgegeben 
von  Brunet,  u.  a.  1878),  ferner  sind  noch  im  Handel  „Anecdotes 
inedites  pour  faire  suite  aux  m^moires  de  M.  d^Epinay**,  heraus- 
gegeben von  Musset-Pathay,  und  „Correspondence  in^ite  de  Pabbö 
Galiani**  (beide  Paris  1818).  —  Eine  Sammlung  ihrer  Werke 
wurde  von  Challemel-Lacour  (Paris  1869,  2  Bände)  veranstaltet.  — 

Der  Heraasgeber. 


—     7     — 

brachte,  welche  die  Freundin  der  damals  glänzenden 
Schöngeister  Diderot,  d'Alembert  und  anderer 
mehr,  sowie  auch  die  seinige  war.  Als  aufrichtiger 
Kinderfreund  gab  er  sich  gerne  mit  der  kleinen  Emilie 
ab  und  gewann  sie  lieb.  Ihre  Grossmutter  war  die, 
letzten  Jahre  ihres  Lebens  durch  Krankheit  gezwungen 
das  Zimmer  und  oft  auch  das  Bett  zu  hüten.  Während 
er  derselben  nun  mit  Rat  und  That  die  Erziehungs- 
sorgen zu  erleichtern  trachtete,  wuchs  sein  Interesse 
für  das  liebenswürdige  Kind,  das  nur  zu  bald  seine 
fürsorgliche  Grossmutter  verlieren  sollte. 

Vicomtesse  deBelsunce,  Emiliens  Mutter,  hatte 
sich  um  so  leichter  dem  Wunsche  Madame  d'Epinays, 
die  Erziehung  der  Enkelin  übernehmen  zu  dürfen, 
willfährig  gezeigt,  als  sie  fühlte,  dass  ihr  Hang  zur 
Welt  und  deren  geräuschvollen  Ergötzungen  ihr  es 
während  des  Winteraufenthaltes  in  Paris  nicht  gestatte, 
sich  viel  mit  dem  Kinde  abzugeben.  Die  Sommerszeit 
brachte  sie  mit  ihrem  Mann  auf  dessen  Besitz  am 
Fuss  der  Pyrenäen  zu  und  dort  fehlten  ihr  die  Er- 
fordernisse zu  einer  ausbildenden  Education  für  die 
Tochter.  Dazu  kamen,  eben  zur  Zeit  des  sich  immer 
näher  ankündigenden  Todes  ihrer  Mutter,  ernste  Zwistig- 
keiten  mit  ihrem  Gemahle,  dessen  Vermögensverhält- 
nisse sich  zu  zerrütten  begannen  und  der,  unzufrieden 
mit  dem  übermässigen  Aufwand  und  der  Lebensführung 
seiner  Frau,  gern  diesen  erwünschten  Ausweg  ergriflfen 
hatte,  derselben  die  Erziehung  seiner  Tochter  zu  ent- 
ziehen.   Ehe  ich  weiter  von  der  Bekümmernis  meiner 


—     8     — 

Urgrossmutter  unter  diesen  Umständen  rede,  bemerke 
ich  hier  gleich  mit  Freude,  dass  die  irrende  Seele 
meiner  Grossmutter,  von  den  Schauern  der  Revolution 
auf  andere  Bahnen  gelenkt,  den  allerbesten  Weg  ein- 
schlug, indem  sie  sich  zu  Gott  bekehrte.  Ich  kannte 
sie  nur  noch  als  eine  fromme  und  ehrwürdige  Dame, 
von  ihrem  Gemahl  geehrt  und  geliebt,  und  sich  fftr 
die  Kinder  ihres  früh  verstorbenen  Sohnes  als  die  sorg- 
samste und  treueste  Mutter  erweisend. 

Nach  dem  oben  Gesagten  hatte  Frau  von  Lalive 
d'Epinay  in  ihren  letzten  Tagen  keine  dringendere 
Sorge,  als  die  um  ihre  teuere  Enkelin.  Indem  sie 
alles  reiflich  erwog,  fand  sie  nichts  Beruhigenderes 
für  deren  Wohlfahrt,  als  sie  dem  edlen  Herzen  Herrn 
von  Grimms,  ihres  und  Emiliens  treuesten  Freundes, 
als  ein  heiliges  Vermächtnis  anzuvertrauen,  was  dieser 
zu  ihrem  Tröste  auch  willig  annahm.  Aber  erst  nach 
heftigem  und  mehrfachem  Sträuben  gaben  es  Emiliens 
Eltern  zu,  teilweise  wohl  auch  dadurch  gewonnen, 
dass  der  Baron,  der  nie  etwas  halb  that,  versprach, 
zum  Heiratsgute  seiner  Schutzbefohlenen  beitragen  zu 
wollen.  Gleichzeitig  mit  ihrer  Enkelin  wurde  ihm 
auch  von  der  sterbenden  Frau  von  Epinay  eine  aus- 
gezeichnete junge  Person  ,  Antoinette  M  a  r  c  h  a  i  s , 
empfohlen,  die  ihre  Vorleserin  und  treue  Kranken- 
pflegerin war  und  die  sich  durch  den  Tod  ihrer 
Gönnerin,  der  sie  von  Herzen  anhänglich  gewesen, 
ganz  verwaist  fühlte.  Diese  wurde  vom  Baron  Grimm, 
nebst   einer  Kammerfrau  etwas   reiferen  Alters   und 


—    9    — 

erprobt  sittlichen  Charakters  ^  der  damals  vierzehn- 
jährigen Emilie  gleich  nach  dem  Ableben  ihrer  viel- 
geliebten  Grossmntter  znr  Begleitung  nach  dem  Kloster 
St.  Antoine  mitgegeben.  Es  war  dies  keine  Er- 
ziehungsanstalt,  sondern  nur,  wie  so  manche  Klöster 
in  Paris  y  ein  mhiger  Aufenthaltsort  für  Damen 
jeden  Alters,  die  fem  von  dem  Getriebe  der  Welt 
leben  wollten.  Unter  dem  Schutze  der  Prinzessin  von 
Beauveau,  der  ehrwürdigen  Aebtissin  dieses  Asyles, 
abwechselnd  von  ihren  Eltern  und  von  ihrem  väter- 
lichen Freunde,  dem  die  Leitung  ihrer  Studien  flber- 
lassen  blieb,  besucht,  verlebte  meine  Mutter  daselbst 
vier  Jahre,  während  welcher  sie  vom  Kinde  zur  Jung- 
frau heranreifte;  erst  als  der  Zeitpunkt  ihrer  Heirat 
gekommen  war,  verliess  sie  das  Kloster  St.  Antoine. 
Sie  verbrachte  diese  Jahre  im  geselligen  Verkehr  mit 
mehreren  Töchtern  aus  adeligen  Häuseiii,  die  eben- 
falls dort  wohnten,  wurde  in  allen  Kenntnissen  und 
Künsten,  die  zu  einer  ausgezeichneten  Erziehung  ge- 
hören, durch  die  besten  Lehrer  unterrichtet,  die  Baron 
Grimm  für  sie  auswählte,  und  benutzte  gewissenhaft 
diese  ihr  dargebotenen  Mittel.  Als  sie  das  Kloster 
verliess,  war  ihr  Geist  gut  ausgebildet  und  ihre 
Diction  edel  und  anmutig,  ohne  gesucht  zu  sein. 
Italienisch  sprach  sie  geläufig  und  bezauberte  durch 
ihren  Gesang.  Ihr  Talent  für  Malerei  übte  sie  fast 
mit  Leidenschaft  bis  in  die  letzten  Jahre  ihres  Lebens 
und  bereitete  sich  und  ihren  Freunden  wahre  Freude 
damit.     Für   die   Erlernung   aller   weiblichen    Hand- 


—     10     — 

arbeiten ,  für  die  sie  viel  Geschick  zeigte ,  war  im 
Kloster  durch  ihre  Umgebung  reichlich  gesorgt,  und 
ein  frommer,  ehrwürdiger  Priester,  der  ihr  schon  von 
Kindheit  an  den  Beligionsnuterricht  erteilt  hatte,  be- 
suchte sie  daselbst  fleissig,  um  in  ihrem  Herzen  den 
von  ihm  ausgestreuten  guten  Samen  zu  nähren  und 
zu  pflegen,  wodurch  er  in  ihrer  Seele  einen  festen 
Grund  wahrer  Frömmigkeit  legte.  Trotz  ihres  nach- 
giebigen Charakters  wurde  sie  nie  in  der  Religion 
wankend,  obgleich  sie  bei  ihrem  Eintritt  in  die  Welt 
mit  vielen  Menschen  in  Berührung  kam,  deren  Grund- 
sätze, neben  manchen  achtungswerten  Eigenschaften, 
nichts  weniger  als  christlich  waren,  und  sie  auch  von 
selten  meines  Vaters,  der  in  dieser  Hinsicht,  der  Zeit- 
strömung gemäss,  sehr  gleichgiltig  dachte,  ohne  Stütze 
blieb. 

Als  sie  das  achtzehnte  Jahr  zurückgelegt  hatte, 
planten  ihre  Eltern  und  ihr  Pflegevater,  sie  zu  vermählen. 
Letzterer  sah  sich  mit  aller  Aufmerksamkeit  und  Für- 
sorge nach  einem  Gatten  für  Emilie  um,  von  dem  er 
häusliches  Glück  für  sie  erhoffen  konnte,  und  suchte 
einen  Edelmann  von  unbescholtenem  Rufe,  guten  Ver- 
mögensumständen und  empfehlendem  Äussern,  von  dem 
vorauszusetzen  wäre,  dass  er  Emiliens  Glück  begründen 
würde.  Dies  Alles  fand  sich  in  der  Person  meines 
Vaters  vereint  und  noch  mehr  als  dieses,  da  er  einen 
hervorragenden  Verstand  besass,  der  sich  durch  das 
reifende  Alter  und  die  Erfahrungen  des  Lebens  in 
spätem  Jahren  ausseiest   originell  und  reichhaltig  er- 


—   11   — 

wies.     Damals    dieute   er    als   Major    in   der   Garde 
König  Ludwig  XVI. 

Beide  jungen  Leute,  die  sich  mehrmals  in  Gesell- 
schaft ihrer  Angehörigen  im  Kloster  sehen  durften, 
gefielen  sich  gegenseitig,  und  am  20.  März  1786  wurde 
das  Band  der  Ehe  geschlossen,  dem  ich,  mein  Bruder 
Henri  und  meine  unvergessliche  Schwester  Adele 
das  Leben  verdanken. 

Beim  Durchblättern  der  nachgelassenen  Papiere 
meines  geliebten  Freundes  und  Wohlthäters  Baron 
Grimm,  dessen  ich  nur  mit  innigster  Verehrung  und 
heisser  Dankbarkeit  zu  gedenken  vermag,  fand  ich 
nachfolgende  Notiz  in  seiner  Handschrift  vor,  welche 
ich  hier,  als  auf  die  Heirat  meiner  Eltern  bezüglich, 
einschalte : 

„L'Impiratrice *)  Catherine  desirait ,  que  le 
Roi  de  France   s'int^ressa  au  manage  d'Emilie 


*)  Dentsche  Übersetzang:  „Kaiserin  Katharina  wünschte 
sehr,  dass  sich  der  König  yon  Frankreich  f&r  die  Heirat  der  Emilie 
yon  Belsonce  interessieren  möge  und  schrieb  in  dieser  Angelegen- 
heit an  den  Marschall,  Grafen  yon  S^gnr,  der  dem  Departement  des 
Krieges  yorstand.  Ein  Befehl  des  Kriegsministers  hatte  die  Charge 
eines  „SecondmigorB*'  für  jene  jnngen  Hofkayali ere  eingeführt, 
welche  dereinst  Oberste  and  Regimentskommandanten  zn  werden 
bestimmt  waren.  Graf  Bneil  nnd  sein  Schwager,  Vicomte  de  Bei- 
snnce,  wurden  gleichzeitig  mit  Verleihung  dieses  Charakters,  der 
eine  in  das  später  nach  Korsika  transferierte  Regiment  yon  Maine, 
der  andere  in  das  Regiment  yon  Bourbon  mit  dem  Gamisonsorte 
Caen  eingereiht  Nach  seiner  Emigration  begab  sich  Graf  Bueil 
nach  Coblenz,  um  den  Feldzug  gegen  Frankreich  mitzumachen. 
I>ort  traf  er  mit  dem  Fürsten  yon  Nassau  zusammen,  der  ihn  zu 


—     12     — 

de  Belsuncft*)  et  en  6crivit  au  Comte  de  S6gur, 
Mar6chal,  qui  avait  le  dfepartement  de  la  guerre.  Un 
reglement  du  ministre  de  la  guerre  avait  invente  le 
grade  de  Major  en  second  pour  ceux  des  jennes  gens 
de  la  cour,  qui  devaient  ensuite  devenir  colonels  et 
obtenir  des  r^giments.  Le  comte  de  Bueil  et  son 
beau-frfere  Vicomte  de  Belsunce  avaient  M  plac6s 
en  meme  temps  dans  cette  qualitä,  Tun  en  r6giment 
du  Maine,  alors  en  Corse,  Tautre  en  r^giraent  de  Bourbon 
en  gamison  k  Caen  en  Normandie.  Comme  6migr6  le 
Comte  de  Bueil  se  rendit  ä  Coblence  pour  faire  la  cam- 
pagne.  II  trouva  le  Prlnce  de  Nassau,  qui  le  prit 
pour  son  aide-de-camp.  Plus  tard  il  fut  plac6  dans  le 
r^giment  de  Castries,  k  la  solde  de  TAngleterre.  C'etait 
depuis  1792  la  troisi^me  tentative,  faite  pour  le  remettre 
k  port^e  de  servir  la  cause  de  son  roi,  dont  aucune 
ne  r^ussit.  La  seule  satisfaction,  que  je  recueillis  dans 
cette  dernifere  occasion  fut  le  regret,  que  me  tömoigna 
le  duc  de  Castries,  chef  tr^s  difflcile  k  contenter 


seinem  Adjutanten  ernannte.  Später  trat  er  in  das  Regiment  de 
Castries,  das  in  englischem  Solde  stand.  Dies  war  seit  1792  sein 
dritter,  leider  vergeblicher  Versuch,  der  Sache  seines  Königs  zu 
dienen.  Die  einzige  Genugthnung,  die  mir  gerade  bei  diesem  seinem 
letzten  Schritte  zuteil  wurde,  war  der  aufrichtige  Ausdruck  der  Be- 
trübnis seitens  des  Herzogs  von  Castries,  der,  sonst  in  Dienstsachen 
ein  sehr  schwer  zu  befriedigender  Vorgesetzter,  kaum  den  Verlust 
eines  so  tapferen  Offiziers,  wie  Graf  Bueil,  verschmerzen  konnte.*' 
*)  Und  thats&chlich  hat  diese  Hochzeit  in  Gegenwart  Lud- 
wig XVI.,  seiner  Gemahlin,  der  Minister  des  Reiches  und  des  ge- 
samten Hofes  stattgefunden.  Vergleiche  den  Ehekontrakt,  (II.  An- 
hang.) Per  Herausgeber. 


—     13     — 

en  fait  de  Service ,  de  perdre  qd  officier  de  Tesp^ce 
da  Comte  de  Bueil.^ 

Meine  ersten  Lebensjahre  verbrachte  ich  mit  den 
Eltern  znr  Winterszeit  in  Paris,  Chanss6e  d' Antin,  die 
übrigen  Monate  aber  anf  ihrem  Landsitze  Varennes 
sur  Marne,  der  etwa  zwölf  Meilen  von  der  Seinestadt 
zwischen  Chätean  Thierry  nnd  Dormons  gelegen  war. 

Ich  erhielt  eine  gnte  Wärterin,  welcher  später  auch 
meine  Geschwister  anvertraut  wurden,  und  die  selbst 
in  der  drangvollen  Zeit  der  Revolution  und  bis  zu  ihrem 
Tode  (1805)  nie  aufhörte,  uns  Beweise  der  allertreusten 
Anhänglichkeit  zu  geben.  Ihre  zärtliche  Liebe  ist  mir 
eine  teuere  Erinnerung  geblieben,  obwohl  sie  durch  Em- 
pfindlichkeit und  etwas  heftige  Gemütsart  mir  in  meiner 
ersten  Kindheit  manch  böse  Stunde  verursachte.  Dieser 
Bonne,  Sophie  Moreau,  die  den  Lakai  Chaumont 
im  Hause  meiner  Eltern  ehelichte,  blieben  wir  meistens 
überlassen,  denn  obgleich  uns  unsre  Mutter  innig  liebte, 
verstand  sie  es  wenig,  sich  mit  kleinen  Kindern  abzu- 
geben. Ihrer  physischen  Schwäche  halber,  welche  eine 
gewisse  Neigung  zur  Bequemlichkeit  zur  Folge  hatte, 
konnte  sie  uns  nur  stundenweise  um  sich  haben  und 
auch  dies  nur  selten  ohne  Begleitung  der  Bonne.  Mit 
dieser  Letztem  durchzog  ich  gern  die  Gärten  und  An- 
lagen, die  das  Schloss,  meinen  lieben  Heimatsort,  um- 
gaben, und  noch  sehe  ich  alles  so,  wie  es  damals  lag 
und  stand,  so  deutlich  vor  Augen,  wie  wenn  ich  nie 
dies  Paradies  meiner  Jugend  verlassen  hätte  und  nie 
als  fünQähriges  Kind  mit  meinen  Eltern  in  die  Fremde 


—     14     — 

gezogen  wäre.  Das  Schloss  war  von  Gräben  rings  um- 
geben, in  welchen  klares  Wasser  floss  und  die  mit 
Quadersteinen  eingefasst  waren.  Die  Einteilung  des 
Hauptgebäudes,  wie  dasselbe  während  der  Revolution 
niedergerissen  und  von  meinem  Vater  in  den  Jahren 
1806 — 1807  zwischen  den  erhalten  gebliebenen  Flügeln 
wieder  aufgebaut  wurde,  ist  so  ziemlich  dieselbe  ge- 
blieben. Nur  befand  sich  früher  an  Stelle  des  wohl- 
bekannten Billardzimmers  ein  Vorplatz  zwischen  zwei 
Glasthüren,  wovon  die  eine  auf  die  Gartenterrasse  und 
die  andere  mittelst  einer  steinernen  Doppeltreppe  mit 
eisernem  Geländer  in  den  Hof  führte.  Wer  die  Gräben 
ausfüllte,  ob  mein  Vater  oder  der  Besitzer  während  der 
Revolutionszeit,  vermag  ich  nicht  mehr  zu  sagen. 

Unsere  Winterwohnung  in  Paris  ist  mir  gleichfalls 
lebhaft  in  Erinnerung  geblieben,  sowohl  die  geräumigen 
Kinderzimmer  im  Entresol,  als  meiner  Eltern  freund- 
liche schöne  Wohnung  im  Erdgeschoss ,  von  der  eine 
Thür  in  den  wohlgepflegten  Hausgarten  führte.  Baron 
Grimm  bewohnte  den  ersten  Stock  desselben  Hauses, 
und  es  ist  mir,  als  sähe  ich  noch  das  freundliche 
Lächeln  des  ehrwürdigen  Greises,  wenn  wir  Kleinen 
ihn  in  seinem  geräumigen  Schreibzimmer  aufsuchten, 
welches  zahlreiche  Bilder  und  Büsten  schmückten. 
Noch  denke  ich  des  alten  Dieners  Alexandre,  der, 
wenn  ich  mit  Mademoiselle  Marchais  zum  Morgengruss 
zu  Grimm  kam,  mit  seiner  weissen  Schürze  im  Vor- 
zimmer beim  Tisch  stand,  auf  welchem  sich  seines 
Herrn  ausgeleerte   Chokoladetasse   befand.    Der  gute 


—     15     — 

Alte  winkte  mir  dann  jedesmal ,  um  mir  ein  Stück 
Bäckerei  zu  geben  und  freute  sich,  wenn  noch  ein 
Tröpfchen  Chokolade  für  mich  da  war. 

Von  all  den  Erlebnissen  jugendfroher  Tage,  die 
wie  ein  Traum  an  meiner  Seele  vorüberziehen,  ist  mir 
eines  besonders  gegenwärtig  geblieben,  wahrscheinlich 
deshalb,  weil  wir,  Bruder  Henri  und  ich,  damals  das 
erstemal  mit  unsem  Eltern  bei  dem  alten  Freunde  zu 
Tische  sassen.  Marquise  de  Sigy,  eine  Verwandte 
meines  Vaters,  war  nach  Paris  gekommen  und  brachte 
den  Eltern  Nachricht  von  meiner  kleinen  Schwester, 
die  sich  auf  deren  Landgut  bei  derselben  Amme  be- 
fand, welche  auch  schon  meinen  Bruder  gestillt  hatte. 
Baron  Grimm  lud  uns  alle  zum  Speisen  ein,  um  Tante 
Sigy,  die  uns  sehr  liebte,  eine  Freude  zu  machen.  Bei 
dieser  Gelegenheit  schenkte  sie  einem  jeden  von  uns 
beiden  ein  silbernes  Besteck.  Ich  habe  das  meinige 
bis  auf  den  heutigen  Tag  bewahrt.  Ds^  wir  damals 
erst  drei  und  vier  Jahre  zählten,  machten  wir  uns  nicht 
viel  aus  diesem  Geschenk,  sondern  es  blieb  uns  als 
Haupteindruck  nach  Befriedigung  der  ersten  Neugierde, 
mit  der  wir  die  geschmückte  Tafel  betrachteten,  dass 
keine  Suppe  darauf  zu  sehen  war,  aber  eine  grosse 
Menge  Austern;  als  wir  nun  bemerkten,  dass  diese 
verzehrt  werden  sollten,  während  unsere  Teller  leer 
blieben,  waren  wir  dem  Weinen  nahe,  aber  rasch  ge- 
tröstet, als  wir  noch  vor  den  andern  mit  der  ersehnten 
Suppe  versehen  wurden.  Vor  Ende  der  Mahlzeit 
durften  wir   den  Tisch   verlassen   und   erhielten   erst 


—    16    — 

später  manche  Sfissigkeiten  ^  die  man  uns  aufgehoben 
hatte,  und  gross  war  unsere  Freude,  als  wir  unser 
muntres  Spiel  mit  dem  gütigen  alten  Freunde  wieder 
beginnen  konnten. 

Es  schien  ihm  nicht  zu  gering,  an  unsern  kind- 
lichen Unterhaltungen  Teil  zu  nehmen  und  sie  mit 
freundlichen  Einfällen  zu  würzen.  So  gab  er  zum 
Beispiel  allen  meinen  Puppen  Namen  und  Hess  mich 
für  dieselben  bisweilen  in  kleinen  Küchengeräten  eine 
Mahlzeit  bereiten,  an  welcher  er  dann  lobend  und 
tadelnd  teilnahm.  Viele  dergleichen  Erinnerungen 
blieben  mir  ans  meiner  glücklichen  Kindheit,  die  in 
so  wohlwollender,  fürsorglicher  Umgebung  durch  nichts 
getrübt  wurde,  obgleich  die  damalige  Zeit  meinen 
Eltern ,  dem  Baron  Grimm  und  überhaupt  den  Be- 
wohnern Frankreichs  bald  eine  schreckensvolle  werden 
sollte. 


n.  KapiteL 

Von  Paris  nach  Gotha  und  Hamburg. 

Die  Bevolntion  begann  zu  zerrütten  und  nieder- 
zoreissen ,  was  lange  zuvor  schon  durch  die  ver- 
dorbensten  Prinzipien,  der  natürlichen  Folge  des  Man- 
gels an  Religion  und  Moral,  untergraben  worden  war.  — 
Alle  Bande  der  menschlichen  Gesellschaft  sowie  der 
Familie  schienen  gelöst  —  und  so  stürzte  das  Staats- 
gebäude im  ganzen  und  im  einzelnen  zusammen.  Ich 
schalte  hier  eine  Notiz  ein,  die  sich  unter  den  Papie- 
ren meiner  Mutter  vorfand,  über  den  grauenvollen  Tod 
ihres  ältesten  Bruders,  welcher  im  Jahre  1 790  als  eines 
der  ersten  Opfer  der  aufgestachelten  Volkswut  fiel: 

rJie*)  Vicomte  Henri  de  Belsunce  avait  6t6 
plac6  comme  Major  en  second  au  r^giment  de  Bourbon 
en  gamison  k  Caen  en  Normandie.    Les  sc^lSrats,  qui 


*)  Deatsche  Obersetzang:  ,yDer  Vicomte  Heinrich  toh 
Beltimce  diente  als  Sekondmajor  im  Regimeote  ^^yon  Bourbon*, 
das  zu  Caen  in  der  Normandie  gamisonierte.  Die  Schurken,  welche 
den  Plan  hatten,  die  ganze  Monarchie  zu  Btflrzen,  gebrauchten  zwei 
Mittel,  beide  tehr  wirksam,  weil  man  sie  eben  ruhig  gewähren  liest; 
das  eine  bestand  darin,  flberall  das  Volk  au&uhetzen,  das  andere,  das 

Carl  Oraf  Okaradorff,  Briaaaraafaa  aiatr  UrfroMmatUr.  2 


—    18    — 

avaient  £orm6  le  projet  de  bouleverser  la  France, 
employaient  deux  moyeus  6galement  efficaces,  paisqu'on 
les  laissait  faire ;  Tan  de  soulever  paitoui  la  populace, 
Tantre  de  sMuire  et  de  d^baucher  les  corps  militaires. 
Ils  eurent  besoin  pour  leurs  vaes  criminelles,  d'un 
sonl^vement  k  Caen.  Le  rögimeut  de  Bourbon  les 
genait;  ils  voulurent  le  d6baucher.  II  n'y  eut  pas 
moyen,  ce  r^giment  fnt  inaccessible  k  la  conaption. 
Les  soldats  affectionnaient  beaucoup  leur  jeane  Major 


Milit&r  zu  verführen  and  fahnenflüchtig  zn  machen.  Sie  brauchten 
nun  eben  für  ihr  verbrecherisches  Vorhaben  eine  allgemeine  Fjt- 
hebnng  zu  Caen.  Das  Regiment  Bourbon  stand  ihnen  aber  sehr 
im  Wege ;  sie  wollten  es  aufwiegeln.  Doch  umsonst,  dieses  Regiment 
war  für  jede  Verführung  unzugänglich.  Die  Soldaten  hingen 
mit  inniger  Liebe  an  ihrem  jungen  Mi^or,  der  es  nicht  verschmähte, 
sich  in  der  Kaserne  einzulogieren  und  treu  Tag  und  Nacht  bei 
ihnen  ausharrte.  Man  glaubte  also,  sich  sowohl  dieses  Regimentes, 
als  auch  insbesonders  des  Offiziers,  der  so  viel  Achtung  und  Liebe 
genoss,  entledigen  zu  müssen.  Man  klagte  ihn  daher  nach  da- 
maliger Sitte  einfach  an,  gegen  das  Wohl  des  Volkes  und  der  Re- 
publik conspiriert  zu  haben,  und  zwang,  während  man  ihn  zur  Muni- 
cipalität  führte,  den  Kommandanten  der  Provinz,  den  man  fast  wie 
einen  Gefangenen  in  der  Gitadelle  hielt,  einen  Befehl  zu  unterschrei- 
ben, demzufolge  das  Regiment  sofort  die  Stadt  zu  verlassen  habe.  £& 
wurde  dem  Vicomte  von  Belsunce  nicht  schwer,  die  gegen  ihn  ge- 
richteten ebenso  nichtigen,  wie  absurden  Anklagen  von  sich  abzu- 
wälzen; aber  statt  ihn  nun  seinem  Korps  wiederzugeben,  das  sich 
ausserhalb  der  Stadt  formiert  hatte  und  ihn  erwartete,  führte  man 
ihn  in  das  Gefängnis  unter  dem  Verwände,  ihn  vor  der  Wut  des 
Volkes  schützen  zu  müssen,  und  in  der  Hoffnung,  ihn  in^er  Nacht 
in  Sicherheit  zu  bringen.  Aber  nur  zu  bald  unternahm  wütendes 
Gesindel  einen  Sturm  gegen  sein  Gefängnis.  Das  arme  Opfer  wurde 
herausgezerrt,  erschossen,  in  Stücke  zerrissen,  and  wut-  und  blut- 
trunkene  Furien  frassen  von  seinem  Fleische.** 


—   id   — 

en  second,  qui  s'6tait  log6  avec  enx  aax  casernes,  et 

qui  ne  les  qnittait  ni  jonr  ni  nnit.    On   sentit  qa'il 

fallait  se  d^faire  et  du  rögiment  et  de  Tofficier,  qai 

avait  tant  de  credit  sur  Ini.    Celni-ci  fat  donc  accas6, 

suivant  Tusage  alors  k  la  mode,   de  conspirer  contre 

le  Saint  du  penple,  et  tandis  qu'on  Tavait  conduit 

k  la  mnnicipalitg,  pour  s'y  jnstifier,  le  commandant  de  la 

province,  qn'on  tenait  k  pen  pr6s  prisonnier  dans  la 

citadelle,  fdt  forc6  de  signer  nn  ordre  qni  enjoignait  an 

r^giment  k  qnitter  imm6diatement  la  Tille.    II  ne  fnt 

pas  difflcile  an  Vicomte  de  Belsnnce  de  dötrnire  les 

accnsations  anssi  vagnes  qn'absnrdes  qu'on  Ini  repro- 

chait ;  mais  an  lien  de  le  rendre  k  son  corps,  qni  s'^tait 

forrn^  hors  de  la  ville  ponr  l'attendre,  on  le  condnisit 

en  prison,  sons  pr6texte  de  le  pr6server  de  Teffervescence 

dn  penple,  k  laqnelle  on  esp6rait  de  le  sonstraire  pendant 

la  nnit.   Bientöt  cette  prison  se  tronva  forc6e  par  nne 

popnlace  fnriense.   La  victime  en  fnt  arrachöe,  tn6e  k 

conps  de  fnsils,  d6cliir6e  en  lambeanx  et  mangle  en 

parties  par  des  fnries  iyres  de  sang  et  de  carnage."  — 

Ein  alter  Diener  erzählte  mir   später,   dass  der 

zweite  Brnder  meiner  Mutter,  der  Chevalier  de  Belsnnce, 

der  sich  znr  Zeit  dieses  Ereignisses  eben  bei  meinen 

Eltern  befand,  als  er  die  Nachricht  davon  erhielt,  wie 

wahnsinnig  wnrde.    Er  durchrannte  mit  entblösstem 

Säbel  das  Schloss  nnd  gebärdete  sich  ganz  rasend  ans 

Rachedurst.    Hit  grOsster  Mühe  vermochte  man  ihn 

einigermassen  zu  beruhigen;  dies  gelang  erst,  als  man 

ihm  beibringen  konnte,  dass  man  trachten  müsse,  meiner 

2* 


—     22     — 

geliebte  Adfele  geboren  —  ich  war  damals  drei  und 
ein  halbes  Jahr  alt  und  erinnere  mich  sehr  lebhaft 
der  Besuche,  die  ich  meiner  Mutter  machen  durfte,  um 
sie  und  mein  kleines  Schwesterchen  zu  sehen;  auch 
entsinne  ich  mich  noch  des  Zuges  der  (leider  schon) 
mit  dreifarbigen  Bändern  geschmückten  Bauern,  welche 
kamen,  um  die  Kleine  unter  Musikklängen  abzuholen 
und  zur  Kirche,  wo  sie  getauft  werden  sollte,  zu  ge- 
leiten. Vor  und  nach  diesem  Kirchgange  wurde  eine  Salve 
von  Flintenschüssen  im  Schlosshof  abgefeuert.  Ich  freute 
mich  über  all  dieses,  während  der  Ernst  und  die  Trübsal 
der  Zeit  schwer  auf  den  Meinen  lasteten. 

Ende  des  Jahres  1791,  als  der  revolutionäre  Sturm 
immer  mehr  tobte  und  wütete,  beschlossen  die  Eltern, 
für  einige  Zeit  auszuwandern  und  sich  mit  uns  Kindern 
in  das  angrenzende  Flandern  zu  begeben.  Um  alles 
Aufsehen  zu  vermeiden,  reisten  sie  aber  zuerst  allein 
dahin  ab,  und  mein  Vater  kehrte  bald  nach  Paris  zurück, 
um  uns  abzuholen.  Wir  waren  in  unseren  gewohnten 
Räumen,  unter  dem  Schutz  des  Baron  Grimm,  der  auch 
nicht  lange  mehr  in  Frankreich  verweilte,   geblieben. 

Noch  sind  mii*  viele  Einzelheiten  dieses  Tages,  an 
welchem  ich  unbewusst  auf  so  lange  Zeit  das  Land 
meiner  Väter  und  meiner  Geburt  verlassen  sollte,  in 
lebhafter  Erinnerung.  Es  war  ganz  in  nächtlicher 
Frühe  eines  Dezembertages,  als  mein  Vater  bei  uns 
eintrat  und  sich  erkundigte,  ob  alles  zur  Abfahrt  be- 
reit sei.  Während  unsere  Bonne  und  ihr  Gatte,  der 
treue  Diener  Chaumont,  die  verschiedenen  Koffer  und 


—     23     — 

Päckchen  ordneten,  spielte  Papa  frenndlich  mit  uns, 
eines  nach  dem  andern  auf  den  Schoss  nehmend  und 
schenkte  ans  bunte  Assignaten,  Banknoten,  die  fast 
ohne  Wert  waren.  Als  wir  dann  aber  klingende  Münze 
haben  wollten,  schlag  er  seine  geschlossenen  Hände 
anf  das  Knie,  am  den  geldverkflndenden  Lant  hervor- 
zubringen, und  wir  waren  gar  verwundert,  bei  Er- 
öffnung seiner  Hände  nichts  zu  finden;  noch  ver- 
schiedene andere  Schwanke  trieb  er  zu  unserer  Unter- 
haltung, während  nur  trübe  Ahnungen  sein  Herz  er- 
fQllen  mussten.  Als  der  Tag  zu  grauen  begann,  wurden 
wir  in  den  Wagen  gebracht.  Von  der  Fahrt  des  ersten 
Tages  weiss  ich  mich  noch  zu  erinnern,  dass  es  mir 
schien,  als  ob  die  Bäume  der  Landstrasse  neben  dem 
Wagen  vorbeiliefen,  worüber  ich  mich  nicht  genug 
wundem  konnte.  In  Toumay  trafen  wir  mit  unserer 
lieben  Mutter  zusammen,  wir  wohnten  dort  in  einem 
kleinen  engen  Hause  bei  guten  Leuten,  die  sich  gern 
mit  uns  Kindern  abgaben.  Sie  luden  uns  mit  Madame 
Chaumont  öfter  zum  Thee  ein,  der  in  dortiger  Gegend 
viel  getrunken  wurde.  Gärten,  Blumen  und  deren 
Wohlgerflche  muss  ich  als  Kind  sehr  geliebt  haben,  denn 
ich  habe  noch  einzelne  Eindrücke  davon  behalten,  die 
so  lebendig  sind,  als  gehörten  sie  der  Gegen wai*t  an 
and  nicht  einer  längst  vergangenen  Zeit.  Eben  bei 
diesem  Häuschen  in  Toumay  befanden  sich  auf  einer 
Terrasse  mehrere  Kirschbäume,  und  meine  Freude,  als 
sie  im  Frühjahr  über  und  über  mit  Blüten  bedeckt 
waren,  ist  mir  noch  gegenwärtig,  so  wie  auch  der  Genuss, 


—     24     — 

den  ich  ein  Jahr  frflher  in  Paris  empfunden  hatte,  als 
ich  mich  ans  Mamas  Toilettenzimmer,  welches  einen 
Ausgang  in  den  niedlichen  Hausgarten  hatte,  wegstahl ; 
die  Sonne  schien  so  warm  und  ich  fand  noch  einige, 
wohl  verwelkte,  aber  stark  duftende  Veilchen,  die  ich 
als  ein  teures  Eigentum  mitnahm.  Späterhin  waren  es 
Pappelsprossen,  die  ich  am  Fuss  der  hohen  Pappel- 
bäume im  Arenbergschen   Oarten  in  Brüssel  pflfickte. 

Von  unserem  Aufenthalt  in  Toumay  ist  mir  das 
Zusammensein  mit  meiner  Frenndin  Amicie  eine 
liebe  Erinnerung  geblieben ,  besonders  seitdem  ich  sie 
in  späteren  Jahren  näher  kennen  und  schätzen  gelernt. 
Sie  war  schon  elf  oder  zwölf  Jahre  alt,  und  ich  zählte 
deren  nur  fdnf,  doch  waren  sie  und  ihre  Mutter 
schon  damals  so  freundlich  mit  mir,  dass  ich  immer 
lieber  mit  ihnen,  als  mit  den  vielen  anderen  Gespielen 
meines  Alters  verkehrte,  die  die  Auswanderung  aus 
Frankreich  denselben  Weg  wie  uns  geftthrt  hatte.  Be- 
sonders erinnere  ich  mich,  wie  Frau  von  Maupoux, 
Amicies  Mutter,  uns  durch  Verstecken  bunter  Oster 
eier,  die  wir  in  Haus  und  Hof  suchen  mussten,  eine 
Festfreude  bereitet  hatte. 

Bis  Anfang  des  Frühlings  blieben  wir  nur  in 
Toumay.  Die  Kriege  in  Belgien  und  später  am  Rhein, 
welche  die  neuen  französischen  Republikaner  mit  den 
auswärtigen  Mächten  führten,  leiteten  unseren  Aus- 
wanderungszug immer  weiter,  und  die  verschiedenen 
Stationen  desselben  waren :  Brüssel ,  wo  wir  nur  ein 
paar  Monate  blieben,  dann  Aachen  und   Düsseldorf. 


—    25    — 

Diese  letztere  Stadt  mnssten  wir  im  Dezember  1792 
schlennigst  verlassen,  am  nach  Gotha  über  Hessen-Cassel 
zu  entkommen  und  so  den  Truppen  auszuweichen,  die 
schneller,  als  man  es  vermutete,  vordrangen.  Die 
Lebensweise  in  Brüssel ,  Aachen  und  Dfisseldorf  war 
für  mich  so  ziemlich  dieselbe;  nur  erinnere  ich  mich, 
dass  ich  in  Aachen,  wo  wir  uns  länger  aufhielten, 
meine  ersten  Schreibstunden  von  einem  gewissen 
Hr.  Lacroix  erhielt,  die  mir  nicht  besonders  ge- 
fielen, weil  ich  noch  keine  Buchstaben  machen  durfte, 
nur  verschiedenartige  Striche,  und  man  meiner  geraden 
Haltung  die  grösste  Aufmerksamkeit  schenkte.  Lesen 
konnte  ich  schon  geläufig,  ich  hatte  es  noch  in  Paris 
gelernt.  Während  unserer  Wanderungen  gab  uns  Mama 
fleissig  Stunden,  auch  noch,  als  ich  in  Aachen  ernstlich 
am  Keuchhusten  erkrankt  war.  In  Brüssel  schon  ver- 
liess  uns  der  Vater,  um  zu  dem  Cond^schen  Armee- 
korps am  Rhein  zu  stossen,  bei  welchem  sich  die 
Brüder  des  unglücklichen  Königs  Ludwig  XVI.  be- 
fanden. Als  dieses  Korps  sich  später  auflöste,  wurde 
er  Adjutant  des  Prinzen  von  Nassau,  welcher  rus- 
sischer General  war  und  ihm  diese  Stelle  antrug. 
Auf  diese  Weise  erhielt  er  die  Erlaubnis  die  russische 
Uniform  zu  tragen.  Da  meine  Mutter  noch  sehr  jung, 
wir  in  so  zartem  Alter  und  die  Umstände  so  ver- 
schieden waren  von  dem,  was  sie  gewohnt,  wäre  es 
eine  allzu  schwere  Aufgabe  für  sie  gewesen,  ohne  alle 
Stütze  in  fremden  Landen  reisen  und  verbleiben  zu 
müssen.    Darum  hatte  mein  Vater  einen  emigrierten 


—    26     — 

französischen  Priester  ans  dem  südlichen  Frankreich, 
Abb6  Gaudon,  zu  unserm  Schutz  nnd  unserer  Be- 
gleitung bestimmt.  Dieser  erhielt  hernach  einen  Ruf 
als  Erzieher  in  das  Haus  des  Fürsten  Alexis  Galitzin 
nach  St.  Petersburg.  Die  liebenswürdige  und  tugend- 
hafte Fürstin  Galitzin  wurde,  so  viel  ich  weiss,  katho- 
lisch, zugleich  mit  ihren  Töchtern,  deren  eine  im 
Kloster  des  Sacr6  Coeur  in  Metz  den  Schleier  nahm. 
Späterhin  wurde  Abb6  Gaudon  „Pr^cepteur  des  pages 
de  Napol6on,''  und  ich  sah  ihn  noch  im  Jahr  1827  in 
Paris  als  greisen  Canonicus  der  Kirche  St.  Geneviöve. 

Baron  von  Grimm  hatte  bald  nach  uns  Paris  ver- 
lassen und  sich  zur  Kur  nach  Karlsbad  begeben,  dann 
wohnte  er  der  Krönung  des  Kaisers  Franz  II.  in 
Frankfurt  am  Main  bei,  musste  überhaupt  viel  umher 
reisen  und  traf  in  Aachen  wieder  mit  uns  zusammen. 

Die  Lokalitäten  unserer  verschiedenen  Wohnungen 
auf  dieser  Wanderung  sind  mir  in  lebendigem  An- 
denken geblieben,  besonders  die  in  Aachen  bei  einem 
Buchhändler,  Namens  Barchon,  in  dessen  Hause  im 
Erdgeschoss  auch  meine  Tante  Duroux,  nachmalige 
Tante  Bei  SU  nee,  wohnte.  So  liebenswürdig  und  an- 
mutig ihr  geselliger  Umgang  auch  sein  mochte,  wie  ich 
es  später  hörte,  liebten  wir  Kinder  sie  nicht  sehr,  weil 
sie  auf  eine  weit  strengere  Art  mit  ans  verfuhr,  als 
wir  es  gewohnt  waren.  Wir  wohnten  im  ersten  Stock, 
und  wie  in  einem  magischen  Spiegel  sehe  ich  noch 
den  grossen  Salon  meiner  Mutter,  in  dem  wir  nach 
den  Lehrstunden  unser  Wesen  trieben,  vor  mir.    Oft 


—    27     — 

flössen  dort  die  Thränen  meines  Bruders,  wenn  man 
ihm  nicht  gestattete,  unsere  Spielwerke  zu  zerlegen, 
um  sie  von  innen  untersuchen  zu  können.  Ich  erinnere 
mich  auch,  einmal  in  Mitte  dieses  Salons  mich  auf 
einen  Fussschemel  gesetzt  zu  haben,  um  mir  mit 
lauter  Stimme  recht  pathetisch  einen  Vortrag  aus 
einem  Buche  zu  halten,  welches  ich  nicht  fähig  war 
zu  verstehen:  der  Oenuss  bestand  darin,  mich  meiner 
Fertigkeit  im  Lesen  zu  erfreuen.  Es  ist  auch  meinem 
Gedächtnis  eingeprägt  geblieben,  dass  ich  eines  Tages 
die  Mutter  zur  heissen  Quelle  nach  Burtscheid  bei 
Aachen  begleiten  durfte.  Diese  ist  in  einem  Gebäude 
von  Quadersteinen  eingefasst  und  schien  mir  wie  ein 
kleiner,  rechteckiger  Teich,  aus  welchem  sich  ein 
starker  Schwefeldampf  erhob.  Ich  wohnte  auch  einer 
Prozession  bei,  iu  welcher  man  das  puppenartige 
Bildnis  des  Kaisers  Karl  des  Grossen,  mit  gelbem 
Damaste  bekleidet  und  mit  unzähligen  Locken  frisiert, 
die  unter  seiner  Krone  herabfielen,  durch  die  Strassen 
seiner  ehemaligen  Residenz  trug.  Auch  der  schöne 
Garten  des  Prämonstratenser-Klosters,  in  dem  wir  oft 
spazieren  gingen  und  manchmal  einigen  Mönchen  be- 
gegneten, ist  mir  noch  sehr  erinnerlich.  Von  fran- 
zösischen Familien,  die  sich  in  Aachen  aufhielten, 
weiss  ich  noch  einige  zu  nennen:  die  Gräfin  von 
Chambord,  deren  Tochter  Caroline  meine  treueste 
Gefährtin  war,  mit  ihrer  Cousine  Frau  von  P  r  e  s  s  a  c, 
dann  der  Marquis  de  Valori  mit  seinen  beiden 
Töchtern,  Helene  und  Cölestine,   die  ich  später  vor- 


—     28     — 

heiratet  in  Frankreich  wiedersah.  Ferner  waren  die 
zahlreichen  Familien  Esterhäzy  und  Nicolai  dort 
und  eine  Russin,  Fran  von  Tscherb  in  in,  die  mich 
besonders  in  ihr  Herz  geschlossen  hatte  und  mir 
manche  Geschenke  machte.  — 

War  es  Leichtsinn  oder  Täuschung,  dass  der  ganze 
emigrierte  französische  Adel,  trotz  der  notwendiger- 
weise wachsenden  Bekümmernis  hinsichtlich  seines 
Vaterlandes,  dennoch  in  Brüssel  und  in  Aachen  sein 
heiteres  geselliges  Leben  weiterführte,  wie  vordem 
auf  seinen  Besitzungen  und  in  einheimischen  Bade- 
orten? Ich  glaube  wohl  nicht,  dass  getanzt  wurde, 
aber  Musik,  unterhaltende  Spiele  und  Landpartieen 
waren  an  der  Tagesordnung.  Wir  Kinder  bildeten 
einen  zahlreichen  Ereis,  versammelten  uns  meistens 
mit  unseren  Begleiterinnen  in  Gärten  oder  an  schönen 
ländlichen  Punkten  und  führten  selbstverständlich  ein 
recht  munteres  Leben.  Bisweilen  wurden  uns  auch 
grosse  „goüters"  gegeben,  wobei  es  natürlich  sehr  heiter 
zuging.  Meine  Mutter,  von  Natur  ernst,  nahm  nicht 
viel  an  den  Vergnügungen  teil,  doch  betrieb  sie  mit 
Eifer  ihre  musikalischen  Studien  und  Übungen  und 
bewegte  sich  gern  in  kleineren  Freundeskreisen. 

Thränen,  sowohl  über  den  Eönigsmord,  als  auch  über 
alle  Folgen,  die  daraus  entstanden,  flössen  aber  gar 
bald  nach  dieser  täuschenden  Ruhezeit.  Bei  der  Nach- 
richt des  Todes  Ludwig  XVL  erinnere  ich  mich,  meine 
liebe  Mutter  weinend,  blass  und  in  tiefer  Trauer  gesehen 
zu  haben,  worüber  ich  Auskunft  verlangte  und  erhielt. 


—    29    — 

Von  den  Beisen,  die  wir  bei  dieser  Wanderung 
von  Paris  nach  Gotha  machten,  ist  mir  hauptsächlich 
die  beschwerliche  winterliche  Fahrt  von  Dusseldorf 
nach  Gotha  in  manchen  Einzelheiten  erinnerlich.  Zur 
Vorkehrung  dazu,  wurde  sowohl  Mama,  als  wir  Kinder 
mit  mantelartigen  OberrOcken  von  dunkelgrauem  Woll- 
stoffe versehen,  die  uns  gar  nicht  gefielen,  denn  bis  da- 
hin waren  unsere  Umhüllen  aus  Seide  mit  Pelz  gewesen. 

Wir  fuhren  mit  Extrapost  in  der  grossen  Berline 
meiner  Mutter:  so  nannte  man  in  Frankreich  die  be- 
quemen viersitzigen  Reisewagen,  in  welchen  man  alles 
mit  sich  führte,  was  man  selbst  für  eine  längere  Beise 
benötigte.  Die  Sitze,  auch  der  des  Eutschbockes,  ent- 
hielten kleine  Truhen,  welche  zum  Einpacken  der 
schweren  Gegenstände  dienten,  rückwärts  waren  Koffer 
bis  zum  Dache  des  Wagens,  manchmal  noch  dasselbe 
überragend,  aufgetürmt  und  mit  Schrauben  befestigt. 
Auf  dem  Kutschdache  selbst  lagen  die  grossen,  flachen 
Behälter,  Vache  genannt,  für  Kleider  oder  sonstiges 
leichteres  Gepäck.  Die  Posteinrichtungen  waren  damals 
sowohl  in  Hinsicht  der  Strassen,  als  auch  de»  Personales 
über  alle  Begriffe  schlecht,  besonders  in  Westphalen, 
und  man  hatte  es  nicht  nur  mit  den  für  so  schwere 
Wagen,  hauptsächlich  im  Winter,  fast  unpassierbaren 
Wegen  zu  thun,  sondern  auch  oft  unter  dem  groben 
Benehmen  betrunkener  Postillons  zu  leiden. 

Da  sowohl  Abb6  Gaudon,  als  auch  unser  Bedienter 
der  deutschen  Sprache  ganz  unkundig  waren,  hatte  uns 
Baron  Grimm  den  russischen  Offizier  Facius,  einen 


—    30    - 

Liefländer,  zur  Begleitung  mitgegeben.  Die  Kaiserin 
Katharina  hatte  denselben  als  Kurier  an  den  Baron 
geschickt,  um  in  so  stürmischer  Zeit  wichtige  Mit- 
teilnngen  nicht  der  Post  anzuvertrauen,  und  nun  war 
er  auf  der  Rückkehr  nach  Bussland  und  hatte  den- 
selben Weg  zu  nehmen,  wie  wir.  Dieser  Mann  war 
leider  sehr  heftiger  Natur  und,  wenn  die  Postillons  seinen 
Ermahnungen  nicht  folgen  wollten,  gleich  bereit,  sie 
mit  dem  Stocke  zurechtzuweisen,  was  dann  peinliche 
Szenen  herbeiführte,  die  uns  sehr  erschreckten.  Ein- 
mal  spannten  die  Postillons  die  Pferde  aus  und  wollten 
uns  mitten  im  Schnee,  fem  von  menschlicher  Hilfe,  im 
Stiche  lassen ;  erst  als  Facius  seine  russische  Uniform 
zeigte,  die  bis  dahin  durch  einen  grossen  Beisepelz 
bedeckt  war,  gaben  sie  seinen  Drohungen  nach  und 
Hessen  sich  zum  Wiederanspannen  bewegen.  Eines 
Tages  hinderten  uns  ein  überaus  dichter  Nebel  und  die 
dadurch  entstandene  Finsternis,  unsere  Beise  fortzu- 
setzen. Wir  mussten  in  einem  Dorfe  übernachten,  wo 
sich  für  unsere  zahlreiche  Gesellschaft  keine  Betten 
vorfanden,  so  dass  wir  die  Nacht  auf  einem  Strohlager 
zubringen  mussten,  was  uns  Eänder  nicht  hinderte,  gut 
zu  schlafen.  Das  Frühstück  hingegen,  das  aus  schlechter 
Milch  bestand,  wollte  uns  gar  nicht  zusagen,  da  jedoch 
nichts  anderes  zu  haben  war,  mussten  wir  unsere  Ab- 
neigung dagegen  überwinden.  Am  folgenden  Tage  trafen 
wir  aber  in  einem  vortrefflichen  Gasthause  auf  dem 
Wilhelmsplatz  in  Cassel  ein  desto  besseres  Nacht- 
quartier ;  es  war  noch  nicht  spät  Abends,  als  wir  dort 


—    31     — 

aukameiiy  und  wir  frenten  uns  der  geraamigeD,  hellen 
Zimmer  und  des  Ausblicks  auf  den  reichlich  beleochteten 
Wilhelmsplatz,  den  der  Schnee  noch  lichter  erscheinen 
machte.  Ich  blieb  lange  am  Fenster,  nm  diesen  An- 
blick zn  geniessen,  nnd  es  ist  mir,  als  sähe  ich  ihn 
noch  Yor  mir.  Baron  Grimm  langte  am  selben  Abend, 
bald  nach  nns,  in  Cassel  an.  Am  nächsten  Tage 
worde  die  Beise  nach  Gotha  fortgesetzt  nnd  wir  er- 
reichten nnser  Ziel  ohne  Hindernis  nnd  Z¥rischenfall. 

Der  damals  auf  die  würdigste  nnd  musterhafteste 
Weise  regierende  Herzog  £  r  n  st  IL  war  von  früher  Ju- 
gendzeit an  des  Barons  trenester  Freond  geblieben  nnd 
konnte  es  hauptsächlich  nie  yergessen,  dass  ihm  dieser 
einst  in  Angelegenheit  einer  Heirat,  zu  welcher  ihn  seine 
Mutter  zwingen  wollte,  als  Schutz  und  versöhnlicher  Bat- 
geber zur  Seite  gestanden.  In  den  letzten  Jahren  yor  der 
Bevolution  vertrat  Baron  Grimm  ihn  und  mehrere  andere 
sächsische  Höfe  als  residierender  Minister  in  Paris. 

Freude  war  es  diesem  edlen  Fürsten  mit  dem  ge- 
fühlvollen Herzen,  seinem  alten  Freunde  Zuflucht  in 
seinem  Lande  zu  gewähren,*)  jetzt,  wo  derselbe  infolge 
seltsamer  Verhältnisse,  gleich  einem  eingeborenen  Fran- 
zosen, ausgeplündert  und  ausgestossen,  das  dortige  Land 
hatte  verlassen  müssen. 

Das  Haus,  welches  der  Baron  für  sich  nnd  uns 
hatte  mieten  lassen  nnd  das  auf  dem  Platze  der  Haupt- 
wache  lag,  hatte  der  Herzog  mit  Möbeln  aus  seinem 

*)  Vergleiche  den  Brief  des  HerxogB  von  Sachsen -Gothm  an 
Haron  Ton  Grimm  im  L  Anhange.  Der  Ueraosgeber. 


—     32     — 

Schlossmagazine  versehen  und  auch  Porzellan,  Qlas  und 
Efichengeräte  herbeischaffen  lassen,  so  dass  sich  unsere 
Karawane  alsbald  ganz  heimisch  daselbst  fühlte,  wenn- 
gleich das  Gebäude  nicht  httbsch  war  und  nur  auf  der 
Strassenseite  lichte  Zimmer  hatte.  Noch  weiss  ich,  wie 
aufmerksam  wir  Kinder  von  den  Fenstern  aus  dem  Trei- 
ben der  Soldaten  auf  der  Hauptwache  zusahen  und,  wenn 
es  zwölf  Uhr  schlug,  den  hölzernen  Mann  am  grossen 
Rathause  betrachteten,  der  nun  plötzlich  mit  dem  Kopfe 
zu  nicken  und  seinen  grossen  Mund  aufzusperren  begann, 
oder  wie  wir  uns  an  den  vielen  Wasserstrahlen  des  acht- 
eckigen Brunnens  auf  dem  Platze  erfreuten. 

Es  dauerte  gar  nicht  lange,  so  waren  wir  in  Gotha 
mit  vielen  Familien  befreundet.  Das  ehrwürdige  Minister 
von  Frankenbergsche  Ehepaar  verdient  wohl  zu- 
erst genannt  zu  werden,  sowie  auch  dessen  treuester 
Hausfreund,  Prinz  August,  der  Bruder  des  Herzogs. 
Im  Hause,  das  an  jenes  von  uns  bewohnte  anstiess  lebte 
noch  bis  zu  meinem  vierzehnten  Jahre  (zu  welcher  Zeit 
wir  nach  dreijähriger  Abwesenheit  wieder  unsern  Aufent- 
halt in  Gotha  nahmen)  die  verwitwete  Generalin  von 
Nepita,  die  Schwester  des  Oberhofmeisters  von  Buch- 
wald, eine  allgemein  verehrte,  wohlthätige  alte  Dame, 
die  uns  Kinder  überaus  liebte  und  uns  oft  zu  sich  kommen 
liess.  Sie  erzählte  uns  manch'  kleine  Geschichte,  zeigte 
uns  Bilder,  auch  war  es  uns  erlaubt,  in  aller  Freiheit 
auf  Kinderart  uns  in  allen  Zimmern  zu  bewegen,  sowie 
mit  ihren  Vögeln  oder  dem  Hündchen  zu  spielen. 

Auf  dem  Platze  der  Hauptwache,  wo  wir  wohnten, 


—     33     — 

befanden  sich  auch  die  Häuser  der  beiden  Schwestern 
Reichard  und  Ettinger.  Erstere  sprach  gut 
französisch  und  wurde  daher  mehr  als  ihre  Schwester 
mit  meiner  Mutter  bekannt,  ich  aber  mehr  mit  den 
Töchtern  der  Letzteren  befreundet,  die  ziemlich  in 
meinem  Alter  waren  und  im  folgenden  Jahr  zugleich 
mit  mir  das  Institut  des  Fräulein  Burkhard  be- 
suchten, wo  ungefähr  zwanzig  bis  dreissig  junge  Mäd- 
chen verschiedenen  Alters  Unterricht  erhielten.  Ich 
war  damals  sechs  Jahre  alt  und  kam  mit  Lotte 
Reichard,  die  erst  fünf  zählte,  in  die  unterste  Klasse, 
wo  ich  in  einigen  Wochen  ganz  geläufig  Deutsch  reden 
lernte,  was  mir  grosse  Freude  machte  und  mich  auch 
in  den  Stand  setzte,  der  kleine  Dolmetsch  meiner 
Mutter  und  meiner  Bonne  zu  werden.  Letztere,  die 
wir  sehr  liebten,  fährte  Lotte  und  mich  des  Morgens 
zu  Fräulein  Burkhard,  deren  Wohnung  auf  dem  so- 
genannten Neuen  Markt,  der  Erfurter  Strasse  zu,  lag, 
unweit  der  von  Linden  umgebenen  Kirche.  Zu  Mittag 
wurden  wir  von  dort  wieder  abgeholt  und  zu  den  Nach- 
mittagsstunden abermals  hingeführt.  Den  Religionsunter- 
richt erhielt  ich  von  meiner  Mutter  und  dem  Abb6  Gaudon ; 
im  Institut  wurde  er  protestantisch  erteilt.  In  der  kleinen 
katholischen  Kapelle  von  Gotha  lasen  ausser  Abb^Gaudon 
noch  einige  emigrierte  französische  Geistliche  die  Messe 
und  versahen  den  Gottesdienst  und  die  Seelsorge. 

Von  1793  bis  im  Sommer  1797  blieben  wir  un- 
unterbrochen in  Gotha  und  während  ich  und  später 
auch  meine  liebe  kleine  Schwester  Adele  das  Institut 

Carl  GrftfOb«rBdorff,  Erinntran^a  «iaar  UrgroMmatl«r.  3 


—    34    — 

des  Fräuleins  Burkhard,  der  späteren  Frau  Stiele r, 
fleissig  besuchten,  wurde  unser  Bruder  Henri  nach 
Schnepfenthal  zu  Heirn  Salzmann,  der  eine  gewisse 
Berühmtheit  in  seinem  Fach  genoss,  in  Erziehung  ge- 
geben. Dies  erste  Stadium  seiner  Ausbildung,  in 
welchem  gymnastische  Übungen  die  Hauptrolle  spielten, 
so  wie  dann  das  viele  Umherreisen  mit  den  Eltern, 
die  sich  dabei  nicht  hinreichend  mit  seinem  Unterricht 
befassen  konnten,  wirkte  nicht  günstig  auf  seine  Lem- 
lust,  so  dass  er  manches  nachzuholen  hatte,  als  er 
seine  eigentlichen  Studien  beginnen  sollte. 

Hauptsächlich  durch  die  Erziehung  im  Burkhard- 
schen  Institute  wurden  wir  Kinder,  und  dadurch  auch  die 
Eltern,  nicht  nur  mit  dem  sehr  geselligen  Adel,  sondern 
auch  mit  dem  hohem  Burgerstande,  der  sehr  gebildet 
war  und  in  grösstem  Wohlstand  lebte,  recht  innig  be- 
kannt. Dieser  sehr  ausgebreitete  Kreis  von  Freunden 
und  wohlwollenden  Bekannten  trug  viel  bei  zur  Ver- 
schönerung meiner  Kinderzeit,  und  es  schien  mir  ganz 
selbstverständlich,  dass  man  mir  Zuneigung  und  rege  Teil- 
nahme bewies,  so  wie  auch  ich  mit  aufrichtiger  Liebe 
und  Anhänglichkeit  meiner  Umgebung  zugethan  war. 

In  Dankbarkeit  fflr  alle  erwiesene  Freundschaft 
nenne  ich  die  Familie  von  Schlotheim,  die  Oeneralin 
von  Bernsdorf  und  deren  Tochter,  Frau  von  Rot- 
berg, geborene  von  Haake,  die  schon  genannten 
Familien,  Keichard  und  Ettinger,  und  zwei  Fräulein 
Seidler,  Schwestern  der  beiden  Frauen ;  die  jüngere 
davon,  Dorette  genannt,   heiratete   später  ihren  ver- 


-    35    - 

witweten  Schwager,  den  Geheimen  Hofrat  Jacob s,  der 
als  Philologe  bekannt  ist.  Bei  meinem  zweiten  Aufent- 
halt in  Gotha  lernte  ich  in  demselben  einen  vortreff- 
lichen Freund  kennen;  die  Familie  Stieler  mit  den 
drei  Schwestern  Cäcilie,  Julie  und  Pauline  erwies  uns 
gleichfalls  viel  Freundschaft ,  auch  schloss  ich  mich 
an  die  in  meinem  Alter  stehenden  Töchter  des  General- 
superintendenten Löffler  an,  die  sehr  liebe  und 
angenehme  Mädchen  waren.  Im  ganzen  verfloss  mir 
die  Zeit  ziemlich  gleichmässig;  besondere  Freude  brachte 
uns  natfirlich  das  Weihnachtsfest.  An  meinem  Geburts- 
tage, dem  dreizehnten  Januar,  pflegte  meine  Mutter  stets 
einen  grossen  Kinderball  zu  geben,  bei  welcher  Gelegen- 
heit ausser  den  bekannten  Familien  auch  die  beiden  Prin- 
zen, die  Söhne  des  Hei*zogs  Ernst,  sowie  dessen  Bruder, 
Prinz  August,  erschienen.  Die  Fülle  der  Geschenke,  die  ich 
von  so  vielen  an  diesem  Tag  erhielt,  sowie  die  glänzende 
Zusammenkunft  beim  Ball,  machten  mir  grosse  Freude. 
Im  Sommer  erhielten  wir  häufig  Einladungen  in 
die  vielen  hflbschen  Gärten  unserer  Bekannten,  oder  es 
wurden  giössere  Spaziergänge  und  Landpartieen  ge- 
macht nach  dem  Siebleberhölzchen  oder  einem  andern 
hübschen  Ausflugsort  und  dort  mitgebrachte  Vorräte 
verzehrt.  Noch  eine  Erinnerung  aus  der  damaligen 
Zeit  ist,  dass  ich  zweimal,  wegen  meiner  grossen 
Jugend  freilich  nur  in  kleinen  Bollen,  bei  Theater- 
vorstellungen mitwirkte,  welche  Abb6  Gaudon  im 
Burkhardschen  Institute  leitete,  wo  er  den  Unter- 
richt in  der  französischen  Sprache  übernommen  hatte. 

3* 


-    36    - 

Als  Tag  der  AuffuhruDg  wurde  das  Geburtsfest  des 
Erbprinzen,  späteren  Herzogs  August,  gewählt,  wohl 
eine  kleine  Huldigung  für  das  regierende  Haus,  welches 
das  Institut  begttnstigte.  Gespielt  wurde  im  grossen 
Saal  des  Gasthofes  „Zum  Mohren^,  wo  eine  hübsche 
Bühne  gerichtet  worden  war.  Es  wurden  zwei  Stücke 
gegeben :  „L'  aveugle  deSpa"  von  Madame  de 
Genlis,  und  „Les  petites  couturiöres"  von 
B  er  quin.  Ich  hatte  einen  kleinen  poetischen  Prolog, 
Couplet  oder  Madrigal,  von  Abb6  Gaudon  verfasst,  zu 
deklamieren  und  meine  sechsjährige  Schwester  vier 
Zeilen,  die  sie  sehr  drollig  hersagte.  Die  zweite  Vor- 
stellung fand  im  Vorsaal  des  Institutes  statt.  Apollo, 
die  Musen  und  Nymphen ,  deren  eine  ich  vorzustellen 
hatte,  kamen  darin  vor.  Ich  erinnere  mich,  bei  dieser 
Gelegenheit  die  erste  Regung  von  Selbstgefälligkeit 
verspürt  zu  haben,  verursacht  durch  meine  gelockten 
Haare  und  die  den  Teint  verschönende  Schminke. 

Ein  höchst  erfreuliches  Ereignis  für  unsem  Fami- 
lienkreis war  die  Ankunft  der  lieben  Antoinette  M  a  r  - 
chais.  Diese  erste  Freundin  meiner  Einderjahre, 
die  in  Paris,  wo  sich  meine  Eltern  früher  nur  zeit- 
weilig aufhielten,  das  Haus  treu  hütete,  und  welcher 
alle  wichtigen  Papiere  und  Wertsachen  von  ihnen,  so- 
wie von  Baron  Grimm,  anvertraut  blieben,  hatte  auch 
während  der  Stürme  der  Revolution  dort  ausgeharrt 
Sie  verliess  ihren  Posten  nicht,  selbst  zur  Zeit  der 
höchsten  Gefahr,  wo  es  ihr  sicher  niemand  würde 
verargt  haben,  wenn  sie  sich  zu  ihrer  Mutter  geflüchtet 


—     37     — 

hätte.  Während  die  Wogen  des  Aufruhrs  ihren  Höhe- 
punkt erreichten,  war  sie  allein  in  unserer  Wohnung, 
die  zwei  Stockwerke  in  sich  fasste,  geblieben,  um 
womöglich  das  anvertraute  Out  zu  schützen.  Durch 
den  Umsturz  aller  Gesetzlichkeit  wurde  auch  des 
Barons  Eigentum,  obgleich  er  Ausländer  und  als  bevoll- 
mächtigter Minister  der  sächsischen  Herzoge  mit  einem 
diplomatischen  Charakter  bekleidet  war,  nicht  mehr  ge- 
schont, als  das  meiner  Eltern,  die  als  emigrierte  Edel- 
leute  f&r  geächtet  galten.  So  kam  eines  Tages  ein  Haufen 
Nationalgardisten  als  Kommission  der  Munizipalität,  um 
alle  Mobilien,  Papiere  und  anderen  Habseligkeiten  in 
genannter  Wohnung  an  der  Chaussee  d'Antin  zu  in- 
ventarisieren. Fräulein  Marchais  wurde  aufgefordert, 
nicht  nur  die  Zimmer,  sondern  auch  alle  Schränke  und 
Schreibtische  zu  ö£fnen.  Sie  musste  sich  darein  f&gen 
und  bewies  bei  dieser  Gelegenheit,  trotz  aller  Herzens- 
angst, eine  seltene  Entschlossenheit  und  Geistesgegen- 
wart. Indem  sie  einen  etwas  hohen  Wäscheschrank 
öffnete,  bemerkte  sie,  dass  sie  vergessen  hatte,  von 
den  zusammengebundenen  Schlüsseln  einen  zu  ent- 
fernen, an  welchem  ein  Pergamentzeichen  hing,  auf 
dem  die  Worte  standen :  „Zur  Chatouille  gehörig, 
welche  beim  Baron  von  Blome  isf  Diese  enthielt 
Werteffecte  des  Herrn  von  Grimm,  welche  er  dem 
dänischen  Gesandten  zur  Aufbewahiung  anvertraut 
hatte.  Um  sie  vor  den  Späherblicken  zu  retten,  stellte 
sie  sich,  als  hätte  sich  ein  Bindfaden  verwickelt,  und 
löste  den  Knoten  mit   den  Zähnen,   dabei  das  Perga- 


—     38     — 

mentblättchen  verschluckend.  —  Mehr  als  einmal  ge- 
schah es  auch,  dass  bei  den  nächtlichen  Hausdurch- 
suchungen ,  die  häufig  vorgenommen  wurden ,  Revolu- 
tionsmänner mit  Flintenkolben  an  ihre  Thüre  pochten 
und  ihr  geboten  zu  öffnen,  sie  konnte  sich  dann  nur  noch 
die  nötige  Zeit  erbitten,  um  sich  schnell  anzukleiden. 
Dann  kamen  diese  Männer  fluchend  in  ihr  Zimmer, 
durchsuchten  es,  ob  nicht  etwa  einer  der  Geächteten  darin 
zu  ertappen  wäre  und  rissen  ihr  Bett  auseinander,  durch- 
stachen sogar  Matratze  und  Strohsack  und  zogen  eben 
so  fluchend  ihres  Weges,  wie  sie  gekommen  waren, 
während  die  Ärmste,  zitternd  vor  Angst,  ihre  Nacht- 
ruhe eingebüsst  hatte.  So  musste  sie  täglich  unter 
ihren  Fenstern  die  Liste  derjenigen  verlesen  hören,  die 
zum  Tode  auf  der  Guillotine  bestimmt  waren,  und  Be- 
kannte erzählten  ihr  Szenen,  die  sich  bei  diesen  schau- 
dervollen Enthauptungen  abspielten.  Unter  anderem 
hatte  einer  ihrer  Freunde  Charlotte  C  o  r  d  a  y ,  die 
exaltierte  Mörderin  des  furchtbaren  Marat,  ent- 
haupten und  ihren  Kopf  herabrollen  sehen,  dessen 
Zähne  sich  krampfhaft  in  einen  streifenden  Mantel 
verbissen.  Antoinettens  Gesundheit  litt  sehr  unter 
allen  diesen  Greuelthaten,  deren  Zahl  und  Abscheulich- 
keiten nicht  anzuführen  sind,  und  sie  wunderte  sich 
oft  selbst  darüber,  nicht  ganz  zu  Grunde  gegangen  zu 
sein.  So  schwer  es  auch  nach  diesen  Schreckenstagen 
noch  war,  Pässe  nach  dem  Auslande  zu  bekommen, 
wurden  im  Jahr  1794  dennoch  ihre  vielen  Bemühungen 
darum  endlich  mit  Erfolg  gekrönt,  nachdem  sie  ärzt- 


—     39     — 

liehe  Zeugnisse  vorweisen  konnte,  woraus  die  Not- 
wendigkeit des  Gebrauches  der  Karlsbader  Heilquellen 
für  sie  erwiesen  wurde.  Sie  besuchte  auch  diesen 
Badeort  ein  Jahr  nach  ihrer  Rfickkehr  zu  uns. 

Überglücklich,  nach  allen  überstandenen  Gefahren 
die  liebe,  treue  Seele  wieder  in  unserer  Nähe  zu 
haben,  brachten  wir  Kinder  alle  die  freien  Stunden 
bei  ihr  zu.  Sie  wusste  so  gut  zu  erzählen,  und 
auch  die  Freiheit,  mit  der  wir  uns  in  ihrem  geräu- 
migen Zimmer,  das  sie  im  Erdgeschosse  bewohnte, 
bewegen  durften,  schien  uns  überaus  wohlthuend. 
Obgleich  es  ihr,  die  inmitten  der  Encyclopädisten 
aufgewachsen,  und  von  deren  Atmosphäre  leider  auch 
angesteckt  worden  war,  an  Glauben  gebrach,  hatte 
sie  eine  sehr  edle,  wahrheitsliebende  Seele,  anhäng- 
lich und  pflichttreu,  wie  sie  es  meiner  Familie  zur 
Genüge  bewies,  liebevoll  bis  zur  Selbstaufopferung 
und  allem  Niederen  fremd.  Voll  Dankbarkeit  gestehe 
ich  es  ein,  dass  sie  manches  Gute  in  mir  geweckt 
und  genährt.  Mit  Wehmut  erfüllt  es  mich,  dass  dieses 
so  ausgezeichnete  Wesen  bis  zuletzt  des  Glaubens- 
elementes entbehrte,  welcher  Mangel,  Gott  sei  es  ge- 
klagt, in  der  letzten  Zeit  ihres  Lebens  ihrer  Persön- 
lichkeit einen  betrübenden  Stempel  aufdrückte,  so 
gut  und  freundlich  sie  auch  gegen  uns  blieb.  Antoi- 
nette  Marchais'  geräumiges  Zimmer,  welches  ich  eben 
erwähnte,  giebt  mir  Gelegenheit,  unseres  Wohnungs- 
wechsels zu  gedenken,  den  wir  zur  Zeit  ihrer  Ankunft 
in  Gotha  vorgenommen  hatten.    Er  war  sehr  vorteil- 


—     40     — 

haft,  wenn  auch  das  Palais,  welches  früher  Prinz 
August,  der  Bruder  des  Herzogs  Ernst  II.,  bewohnte 
und  das  jetzt  eine  Fabrik  geworden  ist,  zwischen  zwei 
engen  Oassen  eingezwängt  dasteht.  Ein  sehr  grosser, 
schöner  Hof,  von  den  Flügeln  des  Palais,  Nebengebäuden 
und  Stallungen  umschlossen,  liess  das  Unvorteilhafte 
der  Lage  einigermassen  vergessen.  Einer  schöneren  und 
bequemeren  Wohnung,  als  wir  in  diesem  Hause  hatten, 
kann  ich  mich  kaum  erinnern.  Die  Zimmer,  die  der 
Baron  inne  hatte,  waren  mit  schwerem  Seidendamast 
bezogen.  Den  Salon  meiner  Mutter  zierten  wertvolle 
chinesische  Tapeten;  diesem  schloss  sich  der  Speise- 
saal und  von  der  anderen  Seite  ein  kleines  Schreib- 
zimmer und  ein  Schlafgemach  an.  In  jenem  Salon 
brachten  wir  alle  vereint  unsere  Abende  zu.  In  einer 
Ecke  schrieb  ich  Aufsätze  und  Übersetzungen,  zerbrach 
mir  den  Kopf  über  schweren  Rechenexempeln  oder  hing 
meinen  kindlichen  Grübeleien  nach,  während  am  andern 
Ende  des  grossen  Raumes  meine  Mutter  entweder  allein, 
oder  mit  Freunden,  die  sich  dazu  einfanden,  musizierte 
und  sang.  Mein  Denken  und  meine  Beschäftigungen 
verwoben  sich  mit  den  Tönen,  und  unbewusst  entwickelte 
sich  dadurch  in  mir  ein  reger  Sinn  für  Musik.  Es 
drängten  sich  mir  manchmal,  wenn  ich  mich  allein  oder 
unbemerkt  glaubte,  wenigstens  stückweise,  italienische 
Arien  und  Recitative  aus  Brust  und  Kehle,  wobei  es 
mir  nicht  anders  schien,  als  sänge  ich  sie  wie  meine 
Mutter.  Oft  wirkten  zwar  die  Konversationen,  die  gegen 
Ende  des  Abends  meine  Eltern,  der  Baron  und  einige 


—     41     — 

Bekannte  führten,  die  täglich  unser  Hans  besuchten, 
wohl  störend  auf  mich  ein,  aber  ich  übte  mich  dadurch 
auch,  während  ich  Gesprächen  lauschte,  schreiben  zu 
können,  sowie  während  des  Schreibens  selbst  zu  kon- 
versieren,  was  mir  oft  gut  zu  statten  kam.  In  unseren 
Salon  kamen  auch  alle  interessanten  Fremden,  die 
während  der  bewegten  Zeit  der  neunziger  Jahre  durch 
Gotha  zogen,  und  selbst  dann,  wenn  sie  sich  nur  wenige 
Stunden  dort  aufhielten.  Deutsche,  Franzosen,  Eng- 
länder, Russen  und  Polen,  Fürsten,  Edelleute,  Krieger, 
Künstler,  Handelsherrn  der  freien  Reichsstädte  u.  s.  w., 
sie  alle  wallfahrteten  zum  geistvollen,  leutseligen  und 
gastfreien  Baron  Grimm. 

Ich  lernte,  wenngleich  noch  ein  Kind,  viele  her- 
vorragende Menschen  kennen,  denn  der  Baron  zog  mich, 
seinen  Liebling,  wo  er  nur  konnte,  in  die  Konversation, 
oder  hiess  mich  in  seiner  Nähe  bleiben,  wo  ich  zuhören 
mochte,  was  von  den  Ereignissen  der  Zeit  oder  merk- 
würdigen Menschen,  wie  von  Kaiserin  Katharina, 
S  u  w  a  r  0  w ,  Fürst  K  a  u  n  i  t  z ,  Kaiser  Josef  und 
anderen  erzählt  wurde.  Wenn  auch  auf  diese  Weise 
mancher  Gewinn  für  meine  Geistesbildung  abfiel,  so 
muss  ich  doch  bekennen,  dass  mir  dabei  viel  zu  viel 
Lob  zuteil  wurde,  was  wohl  meist  dem  Baron  zu  lieb 
geschah,  der  selbst,  nicht  bedenkend,  welchen  Schaden 
dies  der  Seele  bringen  kann,  mich  herausstrich,  wo  er 
nur  konnte;  vermutlich  wollte  er  mich  dadurch  ermutigen, 
in  meinen  Studien  mit  Eifer  fortzuschreiten.  Sonder- 
bar,  dass  es  mir  damit  nicht  ging,  wie  denen,  die  des 


—     42     — 

Guten  zu  viel  geniessen.  Des  lieben  väterlichen  Freundes 
Lob  schadete  mir  darum  wenig,  weil  ich,  die  grosse  Vor- 
liebe, aus  welcher  es  entsprang,  erkennend,  es  nicht  für 
ganz  verdient  hielt  und  daher  bald  anfing,  mich  zu 
schämen,  wenn  er  es  mir  vor  andern  erteilte.  Die 
Anerkennung  jedoch,  die  mir  von  Fremden  gezollt 
wurde,  nährte  meine  Eigenliebe,  das  heisst,  ich  hatte 
Freude  daran  und  empfand  es  wie  eine  angenehme 
Überraschung,  die  mir  schmeichelte,  und  doch  glaube 
ich  nicht,  dass  ich  mir  viel  auf  meine  Vorzüge  ein- 
bildete, weil  ich  frühe  schon  mein  Ideal  so  hoch  ge- 
stellt hatte,  dass  auch  nur  der  Gedanke,  es  erreichen 
zu  können,  mir  ferne  lag.  Was  mein  Äusseres  betrifft, 
so  war  dies  ganz  und  gar  nicht  nach  meinem  Geschmack, 
denn  ich  konnte  mir  kein  hübsches  Gesicht  ohne  frische 
Farben  denken,  und  diese  mangelten  mir. 

In  den  Jahren  1793  bis  1797  kamen  sehr  häufig 
Kuriere  der  Kaiserin  Katharina  an  den  Baron  Grimm, 
und  manche  von  ihnen  hielten  sich  längere  Zeit  in 
Gotha  auf.  Meistens  waren  es  russische  Edelleute, 
junge  Offiziere  aus  den  vornehmsten  Familien  wie: 
Fürst  Gagarin,  Wiemsemski  und  auch  mehrere 
Liefländer,  unter  denen  ein  Baron  von  Nolken,  ein 
Mann  von  hervorragender  Geistesbildung,  besondere 
Vorliebe  für  Astronomie  hatte,  die  er  in  Gotha  auf  der 
Sternwarte  mit  dem  damals  berühmten  Herrn  von  Jach 
studierte.  Er  kam  öfters  wieder  und  zählte  bald  zu 
unsem  Hausfreunden.  Er  war  es  auch,  der,  als  er 
gegen   Ende  November   nach    längerem   Warten   vom 


—     43     — 

krank  gewesenen  Baron  abgefertigt  worden,  in  Berlin 
die  Nachricht  des  am  16.  November  eingetretenen  Todes 
der  Kaiserin  Katharina  IL  erfuhr;  mit  dieser  Trauer- 
botschaft kehrte  er  nach  Gotha  zurUck,  um  seine  De- 
peschen dem  Absender  wieder  einzuhändigen.  Der 
Moment  seiner  Rfickkehr  war  sowohl  für  den  armen 
Nolken  selbst,  der  der  Kaiserin  sehr  ergeben  gewesen, 
als  auch  für  Baron  Grimm  ein  unaussprechlich  schmerz- 
licher. Da  ich  eine  der  ersten  Personen  im  Hause  war,  die 
Baron  Nolken  in  seiner  Bestürzung  mit  rotgeweintem 
Gesicht  ankommen  gesehen,  ist  mir  sowohl  sein  Bild, 
als  auch  der  Schrecken,  den  die  von  ihm  überbrachte 
Nachricht  in  unserem  Kreise  hervorrief,  in  lebhafter 
Erinnerung  geblieben. 

Baron  Grimm,  welcher  kaum  von  seiner  schweren 
Krankheit,  einem  Schleimfieber,  genesen,  erlitt  durch 
die  Erschütterung*)  einen  lange  andauernden  Rückfall. 
Mochte  auch  die  Kaiserin  in  religiöser  und  mora- 
lischer Hinsicht  manch  gerechtfertigter  Tadel  treffen, 
für  den  Baron  war  sie  stets  eine  edle  fürsorgende  Freun- 
din und  Gönnerin  und  für  meine  Eltern,  unter  den 
so  drückenden  äussern  Verhältnissen,  welchedie  Revolu- 
tion für  sie  herbeigeführt  hatte,  eine  Wohlthäterin,  ja 
ihr  Schutz  und  ihre  Hoffnung  für  die  Zukunft  gewesen. 
Als  die  erste  zermalmende  Betrübnis  Grimms  etwas  ge- 
mildert schien,  erfuhr  ich,  dass  die  Kaiserin  in  ihren 
letzten  Briefen  dem  Baron  den  Posten  eines  Minister- 

*)  Siehe  den  Brief  Grimms  an  Jalie  von  Bechtolsheim 
1.  Bach,  letztes  Kapitel.  Der  Herausgeber. 


—     44     ~ 

residenten  bei  den  freien  und  Hansestädten,  deren  Haupt- 
sitz Hamburg  ist,  erteilt  hatte,  dass  er  aber  in  seiner 
Antwort  sie  ersuchte,  ihn  nicht  dahin  zu  senden. 
Wegen  seiner  geschwächten  Gesundheit  und  des  zu- 
nehmenden Alters  halber,  fürchtete  er  nämlich,  dass  ihm 
das  dortige  Klima  nicht  zusagen  würde.  In  seinem  ersten 
Schreiben  an  Kaiser  Paul  waren  nur  Beileidsbezei- 
gungen und  Glückwünsche  zu  dessen  Thronbesteigung  am 
Platze  und  durfte  er  sich  über  diesen  Punkt  nicht  äussern. 

Nun  geschah  es,  dass  der  Kaiser  durch  die  hinter- 
lassenen  Verfügungen  seiner  Mutter  von  ihrem  Vor- 
haben betreffs  des  Barons  unterrichtet  wurde,  und  da 
er  ihm  wohlgewogen  war,  so  glaubte  er  nichts  Freund- 
licheres für  ihn  thun  zu  können,  als  seine  Ernennung  für 
den  Posten  nach  Hamburg  zu  bestätigen.  Die  Nachricht 
dieses  Gunstbeweises  gestaltete  sich  für  den  armen 
Baron  sehr  bedrückend ;  er  konnte  ja  nicht  anders,  als 
mit  Dankgefühl  annehmen,  was  ihm  in  so  mancher 
Hinsicht  seine  Pläne  für  die  Zukunft  zerstörte. 

Zu  dieser  Zeit  war  mein  Vater  nach  einem  längeren 
Aufenthalte  in  England  nach  Gotha  zurückgekehrt  und 
hatte  seinen  liebsten  Freund,  Herrn  von  Comblat, 
mitgebracht.  Dieser,  ein  angenehmer,  munterer  Ge- 
sellschafter und  grosser  Kinderfreund,  nahm  an  allem, 
was  sich  in  unserem  Hause  zutrug,  den  lebhaftesten 
Anteil.  Er  war  längere  Zeit  in  Hamburg  gewesen 
und  bot  sich  nun  an,  dort  eine  passende  Wohnung  und 
alle  damit  verbundenen  Einrichtungen  zu  besorgen, 
was  dankbarst  angenommen  wurde. 


—    45     - 

Uns,  momentan  Heimatlosen ,  galt  es  für  selbst- 
verständlich, dass  wir  unserem  lieben  alten  Freunde 
nach  Hamburg  folgen  wärden ;  der  Gedanke  aber,  Gotha, 
wo  wir  uns  bereits  heimisch  fühlten,  zu  verlassen, 
stimmte  uns  alle  traurig.  Als  im  Frühjahr  1797  die 
Stunde  der  Trennung  schlug,  nahmen  wir  unter  Thränen 
herzlichen  Abschied,  bei  welchem  Ad^le  und  ich  mit 
den  zurückbleibenden  Gespielinnen  verabredeten,  uns 
fleissig  schreiben  zu  wollen,  was  eine  Zeit  lang  auch 
geschah. 

Baron  Grimm  war  zwei  Monate  vor  uns  abgereist 
und  hatte  in  seiner  gewohnten  Güte  während  dieser 
Zeit  auch  unsere  häufigen  Kinderbriefe  freundlichst  be- 
antwortet, trotz  der  vielfachen  Geschäfte,  die  der  An- 
tritt eines  so  bedeutenden  Postens  mit  sich  brachte. 
Die  Sehnsucht,  bald  wieder  mit  ihm  vereint  zu  werden, 
erleichterte  uns  wesentlich  den  Abschied  von  Gotha. 

1797  reisten  wir  ab  und  zwar  über  Braunschweig, 
wo  wir  acht  Tage  bei  Tante  Belsunce  verweilten.  Sie 
war  in  tiefer  Trauer  über  den  Tod  ihres  Mannes,  nahm 
uns  freundlichst  auf.  beschenkte  uns  Schwestern  mit  sehr 
hübschen  Gürteln  und  Ärmelbändem,  die  sie  kunst- 
voll selbst  gestickt  hatte,  und  wir  hatten  grosse  Freude 
über  nnslBre  zweijährige  Cousine  Nica  und  deren  halb- 
jährigen Bruder  Henri.  Letzterer,  ein  auffallend  schönes 
Kind,  war  nach  dem  Tode  seines  Vaters  geboren. 

Bei  schönem  Wetter  setzten  wir  unsere  Reise  fort. 
Nächst  Zollenspieker  wurde  die  Elbe  übersetzt;  der  breite 
Strom  machte  auf  uns  Kinder  einen  grossen  Eindruck. 


—     46     — 

Meine  liebe,  damals  sieben  Jahre  alte  Schwester  konnte 
bis  dahin  den  Buchstaben  L  noch  nicht  aussprechen, 
gab  sich  aber  während  der  Überfahrt  so  viel  Mühe 
l'Elbe  zu  sagen,  dass  es  ihr,  noch  bevor  wir  das  andere 
Ufer  erreichten,  gelang.  In  ZoUenspieker  hatten  wir 
die  Freude,  mit  Baron  Grimm  zusammenzutrefifen,  der 
uns  bis  dorthin  entgegengekommen  war. 

Nachdem  wir  eine  gute  Strecke  der  Vierlande 
durchfahren  hatten,  näherten  wir  uns  dem  Reiseziele. 
Ich  war  sehr  begierig  die  grosse  Handelsstadt  zu 
sehen ,  und  der  Eindruck ,  den  sie  auf  mich  machte, 
so  wie  die  spätem  Besuche  des  Hafens  und  der  h&bschen 
Umgebung  sind  mir  in  lebhafter  Erinnerung  ge- 
blieben. Das  unscheinbare  Haus,  welches  wir  be- 
wohnten, dürfte  nur  in  so  ferne  zu  loben  gewesen 
sein,  als  der  Eraienkamp,  woran  es  gelegen,  keine 
enge  Gasse  war.  Dieser  läuft  rings  um  den  Gottes- 
acker, welcher  die  grosse  Michaeliskirche  umgiebt.  Ver- 
mutlich ist  dies  bereits  alles  anders  geworden. 

Damals  bot  sich  uns  fast  täglich  Gelegenheit  dar, 
Begräbnissen  zuzusehen,  bei  welchen  entweder  die  Särge 
in  die  Erde  versenkt,  oder  in  dem  unterirdischen  Ge- 
wölbe der  Michaeliskirche  beigesetzt  wurden.  Um 
dieses  schöne  Gewölbe  zu  besichtigen,  folgten  wir 
manchesmal  init  unserer  Gouvernante  einem  Leichen- 
zuge bis  hinunter.  Zu  jener  Zeit  geschah  es  auch, 
dass  ich  zum  erstenmale  einen  Turm  besteigen  durfte. 
Bei  einer  schon  erreichten  bedeutenden  Höhe,  führte 
eine   Wendeltreppe   zwischen   Säulen   um   die   grosse 


_    47     — 

Glocke  hernm;  als  mich  mein  Vater  an  der  Hand  da 
hinauf  f&hrte,  schlug  unerwartet  diese  Glocke  die 
Stunde,  und  mir  vergingen  beinahe  die  Sinne ;  wenn  er 
mich  nicht  gehalten,  strenge  gewarnt  und  ermutigt 
hätte,  wäre  es  wohl  übel  ffir  mich  abgelaufen.  Ein 
widerliches  Schauspiel,  welches  wir  von  unsern  Fenstern 
aus  sehen  konnten,  bot  sich  uns  dar,  als  der  zu  sehr 
angefüllte  Friedhof  wieder  aufgegraben  und  aus  den 
bereits  verfaulten  Särgen  die  Gebeine  herausgenommen 
und  haufenweise  gesondert  wurden.  Anfangs  zogen 
wir  uns  entsetzt  zurück,  wenn  wir  die  Totengräber 
bei  besagter  Arbeit  gewahrten,  später  wurde  uns  jedoch 
dieser  Anblick  gleichgiltiger,  und  zuletzt  schauten  wir 
ihnen  sogar  neugierig  zu  und  machten  unsere  Be- 
merkungen darüber ;  so  gewöhnt  sich  der  Mensch  und 
noch  leichter  als  Kind  an  alles. 

Niemand  dachte  je  daran,  eine  ernste  Betrachtung 
hierüber  anzuregen;  denn  wenn  auch  bei  unserer  Er- 
ziehung die  Entfaltung  des  sittlichen  Gefühles  stark 
berücksichtigt  wurde,  blieb  leider  das  religiöse  Ele- 
ment wie  im  Schlummer  liegen.  Meine  gute  Mutter 
hatte  mich  wohl  den  compendiösen  und  vollständigen 
Pariser  Katechismus  ganz  auswendig  lernen  lassen,  und 
Abb6  Gaudon  hatte  ihn  mir  bestmöglichst  ausgelegt, 
allein  ich  verstand  dennoch  wenig  davon,  und  meine 
ersten  Beichten  wurden  durchaus  mechanisch  mit  Mühe 
und  Bangigkeit,  nur  aus  Gehorsam  abgelegt.  Von  meiner 
ganzen  Umgebung,  den  Abb6  nicht  ausgenommen,  besass 
meine  Mutter  allein  wahre  Frömmigkeit,  und  sie  suchte 


—     48     — 

gern  die  Gesellschaft  jener  auf,  die  Anhänger  von 
Fen61on  und  Franz  von  Sales  waren,  wenn  sich 
Gelegenheit  dazu  bot. 

Bei  der  russischen  Gesandtschaft,  also  bei  Baron 
Grimm,  befand  sich  als  Legations-Sekretär  ein  Herr  von 
Struve,  der  sich  später  als  unser  so  sehr  bewährter 
Freund  erwies.  Es  gab  sich  wie  von  selbst,  dass  er 
bald,  wie  zu  unserer  Familie  gehörig,  betrachtet  wurde. 
In  kürzester  Zeit  nach  unserer  Ankunft  in  Hamburg 
wurden  meine  Eltern  zugleich  mit  Baron  Grimm  bei 
allen  Senatoren  und  den  ersten  Familien  der  grossen 
Hansestadt  zu  Diners,  sowohl  in  der  Stadt  als  auch  auf 
dem  Lande,  eingeladen.  Zu  den  ländlichen  Vergnügen 
wurden  auch  wir  Kinder  mitgenommen,  was  ganz  gegen 
unsere  jetzigen  Erziehungsgrundsätze  ist.  Auch  sonst 
durften  wir  meistens  unsere  Eltern  begleiten,  wenn  sie 
Besuche  oder  Einkäufe  machten. 

Noch  vor  unserer  Abreise  von  Gotha  waren  wir 
Schwestern  darauf  vorbereitet  worden,  dass  wir  nicht 
lange  alle  zusammen  in  Hamburg  vereint  bleiben  würden, 
weil  die  Eltern  mit  Bruder  Henri  eine  Reise  nach 
Russland  antreten  sollten.  Dies  schien  geraten,  um 
dem  Kaiser  Paul  näher  zu  treten  und  ihn  an  das 
Versprechen ,  welches  seine  Mutter  durch  Baron 
Grimm  gegeben  hatte:  nämlich  uns  auf  die  Liste  jener 
französischen  Emigranten  zu  setzen,  die  durch  Schen- 
kungen von  Ländereien  in  Polen  oder  Kurland  unter- 
stützt werden  sollten,  zu  gemahnen.  Ohne  mächtige 
Fürsprecher  jedoch,   denen   man    sein  Gesuch   häufig 


—     49     - 

in  Erinnerung  bringen  musste,  konnte  es  jedoch  nicht 
den  gewünschten  Erfolg  haben. 

Meine  Matter  hatte  in  Paris  eine  Gräfin  Schuwa- 
loff  und  deren  junge  Töchter,  welche  sich,  wie  so 
manche  andere  russische  Familien ,  länger  dort  auf- 
hielten, kennen  gelernt  und  war  mit  der  älteren  Tochter, 
die  seither  den  Fürsten  Michael  6  a  1  i  t  z  i  n  geheiratet 
hatte,  in  Korrespondenz  geblieben.  Diese  schrieb  ihr 
immer  aui  das  Freundschaftlichste,  und  seit  der  Emi- 
gration lud  sie  sie  wiederholt  dringend  ein,  mit  ihrer 
ganzen  Familie  zu  ihr  nach  Petersburg  zu  ziehen,  um 
dort  dauernden  Aufenthalt  zu  nehmen.  Unter  den  ob- 
waltenden Verhältnissen  entschloss  sich  nun  Mama, 
dieser  Einladung  mit  ihrem  Gatten  und  Henri  auf  un- 
bestimmte Zeit  Folge  zu  leisten;  es  wäre  ihnen  sonst 
in  pekuniärer  Hinsicht  damals  unmöglich  gewesen,  einen 
voraussichtlich  mehrere  Monate  währenden  Aufenthalt  in 
der  Hauptstadt  des  grössten  Kaiserreiches  zu  nehmen. 

Wenige  Wochen  später  reisten  wir  nach  Lübeck 
ab,  wo  man  sich  nach  einem  empfehlenswerten  Kauf- 
fahrteischiff umsah,  das  bald  nach  Petersburg  ab- 
gehen würde.  Der.  russische  Konsul,  der  sich  darum 
bemühte,  fand  auch  bald  die  „Frau  Ottilia",  einen 
Segler,  welcher  sich  eben  zur  Abfahrt  rüstete.  Da 
Baron  Grimm  auch  in  der  Hansastadt  Lübeck  accreditiert 
war,  fingen  die  Diners-  und  Landpartieeneinladungen 
auch  hier  von  neuem  an,  denen  wir  von  unserem  Gast- 
hause aus  fleissig  Folge  leisteten.  Unser  Aufenthalt 
in  Lübeck  verlängerte  sich  in  Erwartung  des  günstigen 

Carl  Graf  Obtrndorff,  Eriimtmiigtii  «intr  UrgroMmotItr.  4 


—    60     — 

Windes  zur  Segelfahrt  auf  vierzehn  Tage,  wonach  wir, 
nämlich :  der  Baron,  Herr  von  Strnye,  nnsre  gute  Mar- 
chais und  wir  zwei  Schwestern,  die  Abreisenden  nach 
Travemünde  begleiteten,  wo  sie  sich  am  19.  Juli  ein- 
schifften. Mit  meinen  Eltern  und  Henri  reisten  noch 
der  Abb6  Gaudon,  die  zwei  treuen  Diener  Lajeunesse, 
eigentlich Barth61emy  Bouchard  und  Chaumont, 
der  Gatte  meiner  Bonne,  und  eine  Schweizerin  als 
Eammerjungfer.  Meine  Mutter  hatte  Frau  Chaumont 
die  Wahl  gelassen,  statt  letzterer  sie  zu  begleiten, 
um  sich  nicht  von  ihrem  Manne  trennen  zu  müssen; 
doch  entschied  sich  die  treue  Seele,  bei  uns  bleiben  zu 
wollen,  wofür  wir  ihr  stets  Dankbarkeit  zollten.  Kurz 
vor  der  Abreise  hatten  wir  von  Lübeck  aus  eine  Partie 
nach  Travemünde  unternommen,  um  das  Schiff  mit  ge- 
nauer Aufmerksamkeit  zu  besehen. 

Ich  erinnere  mich  noch  des  überwältigenden  Ein- 
druckes, den  mir  der  erste  Anblick  des  Meeres  machte 
und  wie  wir  uns  am  Traveufer  unterhielten,  bunte 
Steine  und  Muscheln  zu  sammeln.  Als  wir  jedoch  das 
zweite  Mal,  am  Vorabend  der  Abreise  unsrer  Lieben, 
wieder  hinkamen,  schien  uns  alles  anders.  Das  Meer, 
auf  dem  sie  sich  entfernen  sollten,  stimmte  nur  wehmütig, 
und  das  Spiel  im  Ufersand,  sowie  selbst  die  in  dieser 
Hafenstadt  sehr  geschätzten  Seefische,  Dorsche  genannt, 
die  uns  sonst  so  mundeten,  waren  uns  verleidet. 


m.  Kapitel. 

Baron  Grimm. 

Um  sowohl  unsrer  guten  Matter,  der  es  so  sehr 
nahe  ging,  und  deren  Gesundheit  nicht  stark  war,  als 
auch  uns  Kindern  den  Schmerz  der  letzten  Umarmung 
zu  ersparen,  drang  mein  Vater  darauf,  dass  wir 
nicht  geweckt  würden;  so  gab  sie  uns  nur,  während 
wir  noch  schliefen,  ihren  Segen,  bevor  sie  mit  den 
Übrigen  das  Haus  verliess.  Als  wir  erwachten  und 
eilig  Toilette  machten,  konnten  wir  nur  noch  die 
weissen  Segel  des  sich  rasch  entfernenden  Schififes  von 
Weitem  sehen,  und  unter  Thränen  und  Schluchzen  den 
Unsem  ungehörte  Abschiedsgrttsse  nachrufen!  —  An 
demselben  Tag  fuhren  wir  gar  traurig  nach  Lübeck 
und  von  da  nach  kurzem  Aufenthalte  über  Eutin  nach 
Hamburg  zurück. 

Auf  dieser  Heise  geschah  es,  dass  der  wahrschein- 
lich etwas  angetrunkene  Postillon  in  einem  tiefen  Sand- 
weg, der  sich  bis  Hamburg  erstreckte,  so  schlecht  fuhr, 
dass  wir  unser  Nachtquartier  (ich  glaube  Segeberg) 
nicht  beizeiten  erreichen  konnten.  In  der  Dunkelheit 
verfehlte  er  dann  den  richtigen  Weg ;  Herr  von  Struve 


-     52     — 

bemerkte  dies  zuerst  and  liess  halten.  Wir  befanden 
uns  am  Anfang  einer  Allee,  die  zu  einem  Schlosse 
fahrte.  Herr  von  Strave  stieg  aus  und  ging  dorthin, 
um  zu  erfahren  y  ob  man  uns  Kinder  und  den  Baron 
nicht  für  einige  Nachtstunden  beherbergen  würde,  um 
bis  zum  anbrechenden  Tage  ruhen  zu  können.  Seine 
Bemühung  war  nicht  umsonst,  ein  ehrwürdiges  Ehepaar 
nahm  uns  sehr  gastfreundlich  auf,  liess  uns  Betten  be- 
reiten und  bewirtete  uns  des  Morgens  beim  Frühstück 
so  übermässig  reichlich,  dass  man  uns  einschärfen 
musste,  uns  nicht  zu  viel,  dem  Appetit,  den  die  lange 
Nachtfahrt  verursachte,  folgend,  zu  gute  zu  thun. 

Unsere  frühere  Tageseinteilung  musste  nun  manche 
Abänderung  erfahren ;  es  wurde  als  Lehrer  ein  sach- 
kundiger, junger  Mann,  Namens  Bärmann,  ausgesucht, 
welcher  uns  Unterricht  gab  in  Geschichte,  Geographie, 
deutscher  Sprache  und  Rechnen.  Fräulein  Marchais 
übte  uns  im  Französischen  und  liess  uns  den  Kate- 
chismus wiederholen,  der  gute  Baron  korrigierte  unsre 
Aufsätze  und  die  häufigen  Briefe  an  die  Eltern.  Des 
Morgens  nach  dem  Frühstück  gingen  wir  zu  ihm  auf 
ungefähr  eine  Viertelstunde,  während  welcher  er  sich 
mit  uns  abgab;  es  war  auch  die  Zeit,  wo  der  fran- 
zösische Koch  Bonvalet,  mit  dem  Küchenzettel  in 
der  Hand,  bei  ihm  eintrat.  Bei  dieser  Gelegenheit  er- 
fuhren wir,  ob  wir  allein  oder  mit  mehr  oder  weniger 
Gästen  speisen  würden.  Wir  zogen  das  Erstere  vor, 
weil  dann  das  Tischgespräch  uns  galt,  doch  waren 
kleine  Diners  leider   sehr   häufig,   der   Stellung  des 


~     53     — 

Barons  gemäss ;  grössere  kamen  nur  vor  bei  Anwesen- 
heit ausserordentlicher  Fremden.  —  Nach  diesem  Morgen- 
besuch fingen  unsre  Lehrstunden  an,  wozu  auch  die 
Elavierlektion  zu  rechnen,  die  ich  stets  sehr  uninter- 
essant und  gar  nicht  nach  meinem  Geschmacke  fand. 
Gegen  Mittag  gingen  wir  aus,  entweder  in  den  Garten, 
oder,  wenn  es  etwas  zu  besorgen  gab,  in  die  Stadt. 
Zum  Diner  um  drei  Uhr  zogen  wir  uns  sorgfältiger 
an.  Nachmittags  machten  wir  etwas  Handarbeit  und 
lasen  mit  Fräulein  Marchais.  Dann  wurde  meist  ein 
grösserer  Spaziergang  unternommen,  oder  wir  durften 
in  unserem  Winkel  im  Salon  spielen,  manchmal  folgten 
wir  einer  Einladung  zum  Thee,  jedoch  nicht  zu  grössern 
Gesellschaften.  So  gingen  wir  häufig  zu  Prinzessin 
von  Holstein -Beck,  vermählter  Fürstin  Baria- 
tin  sky,  zuweilen  zu  einer  alten  Generalin  von  Janus 
und  zu  Gräfin  Buol,  geborener  Gräfin  Lerchenfeld, 
der  Gemahlin  des  österreichischen  Botschafters.  In 
dessen  Hause  war  eine  geräumige  katholische  Kapelle, 
wo  wir  mit  vielen  Andern  an  Sonn-  und  Feiertagen 
der  heiligen  Messe  beiwohnten;  es  gab  damals  noch 
nicht  die  jetzige  katholische  Pfarrkirche. 

Alle  diese  genannten  Damen  waren  sehr  liebreich 
gegen  uns  Eänder,  ebenso  auch  mit  seltener  Treue  der 
gute  Struve,  der  uns  nicht  nur  in  alle  Gärten  der  Um- 
gebung begleitete,  wobei  er,  als  guter  Botaniker,  uns 
auf  alle  schönen  Pflanzen  und  Blumen  aufmerksam 
machte,  sondern  uns  auch  auf  unsren  Spazierwande- 
rnngen  half,  ein  Herbarium  zu  sammeln  und  es  selbst 


—     54     — 

schön  ordnete ;  unter  seiner  Anleitang  legten  wir  auch 
eine  Schmetterlings-  und  Vogeleiersammlung  an.  Durch 
einen  Tanzmeister,  den  nicht  mehr  jungen  franzö- 
sischen Emigranten  Marquis  de  Faymoreau,  der 
herzliche  Freude  an  uns,  seinen  kleinen  Landsleuten, 
hatte,  lernten  wir  einige  recht  liebe  Kinder  ver- 
schiedener Banquiers  und  Handelsherren  kennen,  die 
er  im  Laufe  des  Winters,  meist  alle  drei  Wochen,  zu 
sich  zum  Tanzen  einlud.  Diese  kleinen  Zusammen- 
künfte veranlassten  gar  bald  andere,  auch  Kinderbälle, 
und  sogar  zu  grössern  Bällen  im  Hause  des  Kauf- 
herrn Möller,  dessen  Kinder  wir  sehr  liebten, 
wurden  wir  geladen;  die  jungen  Mädchen  meines  Alters, 
mit  denen  ich  am  meisten  in  Berührung  kam,  waren 
Friederike  Möller,  Sofie  Schröder,  ihre  Schwester 
und  drei  liebliche  Engländerinnen ,  Thomson  mit 
Namen.  In  Hamburg  lebte  auch  ziemlich  zurück- 
gezogen ein  entfernter  Verwandter  meiner  Mutter, 
Herr  von  Geoffrion,  mit  seiner  Tochter  Emilie, 
welche  uns  häufiger  besuchte,  als  alle  andern.  Von 
all  diesen  Kindheitsgefährtinnen  hörten  wir  später  gar 
nichts  mehr,  sie  sind  uns  nur  vorübergehende  Er- 
scheinungen gewesen. 

Die  Bälle,  Tanzstunden  und  Gesellschaften  hatten 
fnr  uns  eigentlich  wenig  Reiz,  und  wir  fühlten  uns 
ebenso  zufrieden,  allein  zu  Hause  zu  spielen,  oder 
freuten  uns  über  eine  unterhaltende  Geschichte  von 
Antoinette  Marchais,  erzählt  beim  Lindenblütenthee,  den 
wir  abends  bei  ihr  nahmen. 


-     55     — 

Den  Namenstag  dieser  Letztern,  welcher  auf  den 
17.  Jannar  fiel,  wollten  wir  besonders  fröhlich  feiern 
und  eilten  deshalb  zum  Baron,  ihm  unseren  gewohnten 
Morgengruss  zu  bringen  und  gleichzeitig  mit  ihm  die 
Pläne  für  den  Tag  zu  entwerfen.  Statt  dessen  teilte 
er  uns  jedoch  mit ,  dass  er  nach  einem  übermässigen 
Nasenbluten,  welches  ihn  befallen,  es  nun  wie  eine  Mauer 
vor  dem  linken  Auge  habe,  also  darauf  erblindet  sei. 
Wir  erschraken  ganz  furchtbar  und  weinten  vor  Ent- 
setzen und  Mitgefühl  bitterlich.  Der  herbeigeholte 
Arzt  gab  nicht  viel  Hoffnung,  empfahl  aber  nebst 
grOsster  Schonung,  auch  die  strenge  Diät,  die  sein 
Patient  ohnedies  immer  hielt,  gewissenhaftest  beizu- 
behalten, damit  das  andere  Auge  nicht  in  Mitleiden- 
schaft gezogen  würde.  Er  meinte,  unser  lieber  Augen- 
kranker würde,  wenn  er  sich  lange  Zeit  hinsichtlich 
der  Geschäfte  als  blind  betrachten  könnte,  diesem 
grossen  Unglück  entgehen  und  möglicherweise  das  er- 
haltene Auge  sich  nach  Jahr  und  Tag  mehr  und  mehr 
stärken.  Trotzdem  konnte  sich  unser  armer,  lieber 
Freund  nicht  der  Furcht  entschlagen,  auch  sein  Zweites 
plötzlich  auf  dieselbe  Weise  zu  verlieren.  Sich  von 
den  Geschäften  zurückzuziehen,  fiel  ihm  nicht  schwer, 
denn  bei  seinen  fünfundsiebzig  Jahren  waren  sie  ohne- 
dies für  seine  Kräfte  aufreibend.  Er  diktierte  die 
nötigen  Briefe  an  den  Kaiser  von  Russland,  an  das 
Ministerium  des  Äussern  und  so  weiter  und  trat  in 
den  erwünschten  Buhestand,  aber  es  blieb  ihm  noch 
die  Direktion   der  Wobltbätigkeits-Kasse  des 


—     56     — 

Kaisers  Panl  und  der  Kaiserin  Marie  zu  Gunsten 
des  französischen  ausgewanderten  Adels  über,  worunter, 
an  der  Spitze  der  Pensionierten ,  der  Name  der  ehr- 
würdigen Herzogin  von  Orleans,  Mutter  von  Louis- 
Philippe,  stand.*)  Da  dieser  Wirkungskreis  noch 
immer  viel  zu  thun  gab  —  er  erlosch  erst,  als  Napo- 
leon den  Emigranten  volle  Amnestie  erteilte  —  be- 
gehrte Grimm,  Herrn  von  Struve  als  Mitarbeiter  be- 
halten zu  können,  was  ihm  auch  bereitwilligst  ge- 
währt wurde. 

Die  Nachricht  von  dem  Verlust  des  Auges,  welchen 
der  Baron  erlitten,  betrübte  meine  Mutter  tief  und 
steigerte  noch  ihre  nie  besiegte  Sehnsucht,  bald  wieder 
zu  uns  zu  kommen.  Der  Aufenthalt  in  Petersburg 
fiel  ihr  sehr  schwer,  und  das  Geschäft,  dessentwegen 
sie  dorthin  gereist,  wollte  nicht  vorwärts  schreiten.  — 
Die  Lage,  in  der  sie  sich,  mit  Gatten  und  Sohn,  der 
eben  zehn  Jahre  alt  geworden,  im  Hause  der  Fürstin 
Michael  Galitzin,  befand,  wurde  ihr  drückend,  da 
sie  bald  bemerken  musste,  dass  diese  Frau,  die  sie 
wohl  in  frühester  Jugend  gekannt,  seither  weit  vom 
guten  Wege  abgewichen,  und  sie  daher  nicht  mehr 
mit  ihr  harmonieren  konnte.  Da  die  Fürstin  sie  ganz 
als  Herzensfreundin  aufgenommen  und  sich  nie  anders 
ihr  gegenüber  bewies,  nahm  sie  sich  ein  Herz,  ihr  Zu- 
trauen durch  Offenheit  zu  erwidern,  die  aber  keinen 
Anklang  fand.    Meine  Mutter  benützte  daher  die  Ent- 

*)  Vergleiche  die  Briefe  der  Kaiserin  Maria  Feodorowna  im 
I.  Anhange,  hesonders  den  vierten  Brief.         Der  Heransgeber. 


—     57     — 

schaldiguDgy  die  ihre  leidende  Gesundheit  nur  zu  sehr 
rechtfertigte,  viel  für  sich  zu  bleiben,  wodurch  sie  die 
erwünschte  Gelegenheit  fand,  sich  desto  emsiger  mit 
dem  Unterricht  meines  Bruders  zu  befassen,  der  sich 
übrigens  ausserdem  viel  bei  den  Kindern  der  Fürstin 
aufhielt,  die  sehr  gut  erzogen  wurden.  Mein  Vater, 
der  seinen  Geschäften  nachging,  verbrachte  meist  nur 
die  Abende  zu  Hause,  wo  er  mit  einigen  andern  Herren 
die  Spielpartie  des  Fürsten  Galitzin  mitmachte.  Wegen 
ihrer  geschäftlichen  Angelegenheiten  mussten  meine 
Eltern  mehrere  Male  am  kaiserlichen  Hofe  erscheinen 
und  auch  andere  Feste  besuchen.  Zu  den  hierzu 
nötigen  Toiletten,  gab  die  Fürstin  meiner  Mutter  meist, 
was  sie  brauchte:  fiir  sie  war  es  ein  geringes  Opfer, 
meiner  Mutter  wären  aber  unter  ihren  damaligen  Ver- 
hältnissen diese  Auslagen  unerschwinglich  gewesen; 
jedoch  berührte  es  sie  gar  peinlich,  dieses  Zeichen  der 
Freundschaft  von  ihr  annehmen  zu  müssen.  Von  dem 
Glanz  der  üppigen  dortigen  Welt  erzählte  Mama 
vieles,  sowohl  in  ihren  Briefen,  als  später  mündlich, 
und  obgleich  ihr  Herz  durchaus  nicht  an  all  den  Unter- 
haltungen hing,  erheiterte  sie  doch  die  Freude  des 
geselligen  Lebens. 

Obwohl  der  Baron  nach  seinem  Unglück  zurück- 
gezogener lebte,  als  zuvor,  machte  es  in  unserer  Lebens- 
weise keinen  grossen  Unterschied.  Er  liess  uns  mit 
Fräulein  Marchais  einige  Einderbälle  besuchen,  die  er 
als  Gorrepetitionen  des  Tanzunterrichtes  betrachtete 
und  erlaubte  uns  bisweilen,  in  das  Theater  zu  ^ehen, 


—     58     — 

teils  nm  ans  damit  Vergnügen  zn  bereiten,  teils  nm, 
wie  er  meinte,  den  Geschmack  für  Mnsik  and  Eanst 
aaszabilden  and  wählte  sorgfältigst  die  entsprechenden 
Stücke.  Ich  weiss  nicht  za  bestimmen,  inwiefern  es 
ans  nützlich  oder  schädlich  war,  dass  wir  viel  von 
den  Theater-Eindrücken  and  -Szenen  nach  Hanse  mit- 
nahmen and  in  den  Freistanden  manches  davon  aaf- 
führten. 

Oegen  Ende  des  Winters  erkrankte  meine  liebe, 
damals  siebeneinhalb  Jahr  alte  Schwester  an  einem 
hartnäckigen  Entwicklangsfleber ,  das  besonders  ihre 
Nerven  angriff  and  aaf  ihr  Gemüt  so  sehr  einwirkte, 
dass  sie  nicht  mehr  zn  erkennen  war.  Das  sonst  so 
frenndliche,  liebevolle  Wesen  schien  nnn  mit  einem 
Male  finster,  in  sich  gekehrt  and  gerade  gegen  jene, 
die  sie  sonst  am  meisten  liebte,  mürrisch  and  nnza- 
gänglich.  Wie  sehr  dies  mein  Herz  betrübte,  kann 
ich  nicht  sagen ;  mit  dem  Durchbrach  von  vier  Stock- 
zähnen ging  im  Frühjahr  dieser  drückende  Znstand 
vorüber. 

um  einen  neaen  Aafenthaltsort  za  wählen,  hatte 
anser  lieber  Pflegevater  reiflich  überdacht,  welcher  am 
geeignetsten  für  ansre  Erziehang  and  zugleich  für 
seine  Gesundheit  sein  könnte.  Von  einer  Seite  lud 
ihn  Herzog  Ernst  ein,  wieder  nach  Gotha  zurückzu- 
kehren, von  einer  andern  und  noch  dringender  der 
Baron  von  F6ronce,  sein  alter,  treuer  Freund,  und 
zwar  nach  Braunschweig,  wo  er  Minister  war.  Auch 
der  Herzog  von  Braunschweig  suchte  Grimm  dazu 


—     59     - 

zü  bewegen,  denn  er  war  dem  Baron  sehr  zngethan 
und  blieb  ihm,  so  wie  sein  OnkeL  der  Grosse  Fried- 
rich, der  ihm  besonders  nahe  gestanden  hatte,  stets 
wohlwollend  gesinnt.  Der  Herzog  hatte  sich  in  den 
Eriegszugen  Friedrichs  glänzenden  Waifenruhm  er- 
worben und  im  Jahr  1806  die  unglfickliche  Campagne 
geleitet.  Er  starb  an  den  furchtbaren  Wunden,  die 
ihm  in  der  Schlacht  bei  Jena  beide  Augen  gekostet. 
Der  Einladung  nach  Braunschweig  zu  folgen,  schien 
dem  Baron  unsrer  Ausbildung  wegen  ratsamer,  auch 
wusste  er,  dass  sein  Umgang  den  bereits  alten  und 
kränklichen  Freund  F6ronce  erfreuen  und  erheitern 
würde,  und  dass  dortselbst  mehrere  geistreiche  Männer, 
sowohl  einheimische,  wie  fremde,  anzutreffen  wären. 
Da  ihm  aber  geraten  wurde,  die  mildere  Jahreszeit  zu 
seiner  Übersiedlung  abzuwarten  und  er  nach  seinem 
Rücktritte  vom  Amt  nicht  unnötiger  Weise  länger  in 
Hamburg  zu  verweilen  gedachte,  wo  ihm  die  Luft 
nicht  zuträglich  war,  beschloss  er,  mit  uns  drei  Wochen 
zu  Altena  in  einem  hübschen  Landhause  am  Ufer  der 
Elbe  zu  verleben.  Dies  gefiel  uns  ausnehmend  wohl. 
Die  Aussicht  auf  die  Elbe  und  die  Schiffswerfte,  sowie 
der  reizende  Garten,  in  dem  wir  uns  nach  Gutdünken 
bewegen  durften,  schienen  uns  nach  der  beengenden 
Stadtwohnung  vor  dem  Kirchhofe  höchst  erquicklich. 
Besonders  lieblich  dünkte  mich  der  Blick  auf  den 
an  dieser  Stelle  so  breiten  Strom,  wenn  im  Mond- 
licht Fischerkähne  oder  andere  Boote  auf  ihm  dahin- 
glitten. 


—     60     — 

Bald  nachdem  wir  diesen  Aufenthaltsort  bezogen 
hatten,  kam  auch  Fürstin  Bariatinsky,  geborene 
Prinzessin  von  Holstein-Beck,  nach  Altona,  wo  sie 
ausserhalb  der  Stadt  eine  schöne  Villa  besass  mit 
herrlichen  Parkanlagen  und  einem  reizenden  Garten- 
haus, dicht  an  der  Elbe,  nur  durch  eine  von  hohen 
Bäumen  beschattete  Terrasse  vom  Flusse  getrennt. 
Von  dieser  guten  und  edelgesinnten  Frau  hörte  ich 
später  durch  meine  nachmalige  Tante  Gräfin  Keller 
vieles  erzählen,  was  die  Zuneigung,  die  ich  in  meiner 
Kindheit  f&r  sie  empfand,  nur  noch  steigerte,  und  sie 
mir  noch  umso  lieber  und  werter  machte.  Die  Ffirstin 
nahm  nämlich  Tante  Amdlie,  spätere  Keller,  weil 
sie  mit  ihrer  Mutter,  der  Gräfin  Wittgenstein 
eng  befreundet  war,  nach  deren  Tode  ganz  bei  sich 
auf,  woselbst  meine  Tante  mit  Einwilligung  ihres  Vaters 
bis  zu  dessen  Wiedervermählung  verblieb.  Dann  wurde 
sie  ihm,  nicht  ohne  Widerstreben  von  Seite  der  Fürstin, 
zurückgegeben.  Bald  aber  konnte  es  ihm  nicht  ent- 
gehen, dass  seine  zweite  Gemahlin,  eine  Stockrussin, 
die  kleine  Am61ie  nicht  gut  behandle  und  nicht  zu  er- 
ziehen verstand,  so  gab  er  den  wiederholten  Bitten  der 
Fürstin,  sein  liebes  Kind  wieder  ganz  bei  sich  behalten 
zu  dürfen,  nach,  und  das  Band  der  Liebe  zwischen 
dieser  edlen  Frau  und  Am^lie  Wittgenstein  wurde  nun 
aufs  neue  und  umso  inniger  geknüpft.  Durch  Schön- 
heit, Anmut  und  glückliche  Anlagen,  worunter  die  Hoheit 
ihrer  seltenen  Seele  die  hervorragendste,  gewann  letztere 
so  sehr  das  Herz  ihrer  Pflegemutter,  dass  selbe,  nach 


-     61     — 

ihren  eigenen  Worten  zu  schliessen,  meine  nachmalige 
Tante  ihren  leiblichen  Kindern  vorzog  und  keinen 
sehnlicheren  Wunsch  kannte,  als  Am^lie  dereinst  als 
Schwiegeilochter  umarmen  zu  können.  Diese  hatte 
jedoch  eine  entschiedene  Abneigung  gegen  den  zwar 
schönen  und  sehr  talentvollen,  aber  in  hohem  Grade 
gemütsrohen  Fürsten  Iwan.  Die  seltene  Gabe  des 
inneren  Gefühls,  das  sie  immer  so  sicher  leitete,  war 
schon  damals  hinreichend  in  ihrer  schönen  Seele  ent- 
wickelt, um  ihr  deutlich  zu  zeigen,  dass  sie  in  dieser 
Ehe  grenzenlos  unglücklich  werden  würde.  Nicht  lange 
nachdem  die  Fürstin  dem  achtzehnjährigen  Mädchen 
ihren  Herzenswunsch,  auf  den  sie  schon  häufig  an- 
gespielt, deutlicher  zu  verstehen  gegeben  hatte,  er- 
krankte sie  gefährlich.  Während  der  langen  Daner 
ihres  leidenden  Zustandes  pflegte  sie  meine  gute  Tante 
mit  grösster  Sorge,  Liebe  und  Aufopferung.  Bei  be- 
ginnender Genesung  drückte  ihr  nun  die  gütige  Patientin, 
wie  sie  es  übrigens  schon  öfter  gethan,  ihre  zärtliche 
Dankbarkeit  für  die  bewiesene  Liebe  aus,  nannte  sie 
ihre  teure  Tochter  und  äusserte  den  Wunsch,  ihr 
irgend  eine  Freude  machen  zu  können.  Da  kniete 
Am61ie  vor  ihrem  Bette  hin,  küsste  ihre  Hand,  die  sie 
mit  Thränen  benetzte  und  sagte:  „Wenn  sie  mir  eine 
Freude  machen  wollen,  so  sei  es  dadurch,  dass  Sie 
mein  Herz  von  der  schweren  Last  befreien,  die  der 
Gedanke  ihm  auferlegt,  die  Lebensgefährtin  Ihres 
Sohnes  werden  zu  müssen.  Wir  lieben  uns  nicht,  und 
ich  habe  das  bestimmte  Vorgefühl,   durch  diese  Ver- 


—     62     — 

bindung  unglücklich  zu  werden!''  So  schwer  es  der 
Fbrstin  auch  fiel,  gewährte  sie  die  gerechte  Bitte 
dennoch;  und  fortan  war  nie  mehr  von  diesem  ihrem 
Lieblingsplane  die  £ede.  Sonderbar,  dass  zweiund- 
zwanzig Jahre  später  Tante  Am61ie  mit  ruhigem  Herzen 
demselben  Fürsten  Iwan  Bariatinsky  ihre  schöne, 
liebenswürdige  Tochter  Mimi  (Wilhelmine)  geben 
konnte.  Jener  war  nämlich  nach  einer  stürmischen 
Jugend  während  ein  und  einem  halben  Jahre  der  be- 
glückende Ehemann  einer  tugendhaften  Frau  gewesen. 
Als  Witwer  dachte  er  nun  kurz  nach  dem  Tode  seiner 
Mutter  deren  Wunsch  hinsichtlich  dieses  jungen 
Mädchens  zu  erfüllen.  Mimi  wurde  sehr  glücklich 
in  dieser  Ehe,  und  öfter  schrieb  Bariatinsky  seiner 
Schwiegermama  liebenswürdige  Briefe,  worin  er  sich 
bisweilen  unterzeichnete:  „Le  fl6au  de  votre  jeunesse 
et  la  consolation  de  vos  vieux  jours.'' 

Nach  dieser  Abschweifung  muss  ich  auf  unseren 
Aufenthalt  in  Altena  zurückkommen,  wo  uns  die  gute, 
freundliche  Fürstin  ein  für  allemal  abends  zum  Thee 
einlud,  was  jedoch  nicht  füi*  täglich  vom  Baron  an- 
genommen wurde.  An  den  andern  Tagen  machten 
wir  meist  grössere  Spaziergänge,  nach  welchen  wir 
früh  zu  Bette  gingen,  um  des  Morgens  zeitig  auf- 
stehen zu  können.  Als  die  drei  Wochen  um  waren, 
die  für  den  Aufenthalt  in  Altena  bestimmt  gewesen, 
rüsteten  wir  uns  zur  Abreise  nach  Braunschweig.  Herr 
von  Struve,  der  bis  dahin  in  Hamburg  verweilt,  und 
nur  auf  Stunden  mehrere  Male  in  der  Woche,   der 


-    64    - 

Geschäfte  wegen^  zum  Baron  gekommen  war,  gesellte 
sich  nun  zu  uns. 

Nachdem  wir  von  der  lieben,  gütigen  Fürstin 
Bariatinsky  Abschied  genommen ,  schifften  wir  uns 
zwischen  Altena  und  Hamburg  ein,  um  über  Harburg 
nach  Braunschweig  zu  reisen.  Obwohl  ich  Wasser- 
fahrten sehr  liebte,  schien  diese  mir  sehr  lang,  und 
wir  hatten  noch  überdies  einen  mehrstündigen  Auf- 
enthalt bei  der  grossen  Schleuse,  nahe  von  Harburg, 
woselbst  wir  daher  erst  gegen  Abend  anlangten. 

Wir  Kinder  beobachteten  mit  grosser  Aufmerk- 
samkeit vom  Fenster  unsres  Gasthofes  aus,  wie  unsre 
Wagen  und  Gepäckstücke  mittelst  eines  Krahnes  aus 
dem  Schiffe  und  an  das  Ufer  gehoben  wurden.  Tags 
darauf  erreichten  wir  glücklich  unser  Reiseziel  und 
stiegen  zuerst  im  „Blauen  Engel"  ab,  von  wo  aus 
es  Grimms  erste  Sorge  war,  mit  Hilfe  des  Barons 
F6ronce  eine  passende  Wohnung  zu  finden. 

In  Braunschweig  hielt  sich  damals  unser  Gross- 
vater ,  Vicomte  de  Belsunce,  auf ,  sowie  unsre 
Tante  mit  ihren  Kindern  Carl  und  N  i  c  a ,  die  später 
Henri  und  M  i  n  e  1 1  e  genannt  wurden.  Wir  wurden 
von  ihnen  sehr  freundlich  aufgenommen,  später  aber 
entstand  eine  Spannung  zwischen  dem  Baron  und 
meiner  Tante,  die,  wie  ich  nachträglich  erfuhr,  schon 
auf  früheren  Ereignissen  fusste ;  sie  wurde  noch  da- 
durch genährt,  dass  sich  meine  Tante,  als  nächste 
weibliche  Verwandte,  gern  in  die  Leitung  unsrer  Er- 
ziehung gemischt  hätte,  und  der  Baron  seine  Gründe 


—     65     -^ 

hatte,  dies  nicht  zugeben  zu  wollen.  Unser  Ver- 
hältnis zu  ihr  gestaltete  sich  trotzdem  noch  ganz  leid- 
lich, ja,  wir  wurden  sogar  zwei  Mal  die  Woche  zu  ihr 
geführt,  um  einige  Stunden  mit  ihren  Kindern  zu 
spielen.  Sie  kam  selten  zu  uns,  und  der  Baron  machte 
in  Braunschweig  überhaupt  keine  Besuche.  Er  ver- 
liess  das  Haus  nur,  um  seinen  Freund  Baron  F6ronce 
aufzusuchen,  oder  um  sich  in  der  nächsten  Umgebung 
der  Stadt  zu  ergehen,  was  für  seine  Gesundheit  förder- 
lich war.  Den  guten  Grossvater,  der  sich  nicht  um 
die  verschiedenen  Ansichten  kümmerte  und  sich  da- 
bei vollkommen  neutral  verhielt,  besuchten  wir  öfter 
in  seiner  kleinen,  ärmlichen  Behausung.  Der  vordem 
reiche  Mann,  war  nun  auf  die  Handreichung  der 
Kaiserin  von  Russland  angewiesen,  indem  er  die  wenigen 
Einkünfte,  die  ihm  nach  dem  allgemeinen  Umsturz  in 
Frankreich  geblieben ,  grösstenteils  seiner  in  der 
Heimat  weilenden  Gattin  überliess.  Er  suchte  uns 
mehrmals  in  der  Woche  auf,  zu  solchen  Stunden,  in 
denen  er  uns  frei  von  Unterricht  wusste.  Da  setzte 
er  sich  in  unser  Zimmer  und  erzählte  von  der  Ver- 
gangenheit und  seinen  mannigfachen  Erlebnissen,  er 
sprach  auch  viel  von  unsrer  Grossmutter,  die  er  als 
ein  Vorbild  aller  Tugenden  pries  und  mit  der  wieder 
vereinigt  zu  werden  er  sich  so  sehr  sehnte.  Damals 
stand  diesem  Wunsche ,  der  Proskription  der  Emi- 
granten halber,  vieles  im  Wege,  denn  ebensowenig, 
wie  er  nach  Frankreich  zurück  konnte,  durfte  sie 
das  Land   verlassen,   ohne  Gefahr  zu   laufen,  allso- 

Cari  Oraf  Ob*rndorff,  Krinneninfea  «Ibm  1Trgroumakt«r.  5 


-Be- 
gleich auch  noch  das  Wenige ,  das  sie  gerettet 
hatten  y  zu  verlieren.  Sonntags  speiste  er  meistens 
beim  Baron.  Mein  Grossvater,  der  zwar  einen  liebens- 
würdigen,  sanften  und  nachgiebigen  Charakter,  doch 
keineswegs  besondere  Geistesgaben  besass,  hatte  im 
amerikanischen  Feldzng  gedient,  den  Frankreich  kurz 
vor  der  Revolution  gegen  England  führte,  und  dabei 
eine  so  schwere  Kopfwunde  erhalten,  dass  er  trepaniert 
werden  musste  und  seitdem  zeitweilig  an  überaus  hef- 
tigen Kopfschmerzen  litt. 

Nachdem  es  dem  Baron  gelungen  war,  eine  sehr 
geräumige  und  angenehme  Wohnung  zu  finden,  Hessen 
wir  uns  denn  in  Braunschweig  häuslich  nieder,  wo  wir 
nach  Gottes  Fügung  einen  zweijährigen  Aufenthalt 
nehmen  sollten,  vom  Sommer  1798  bis  zum  Juni  1800. 
In  diesen  Jahren  geschah  viel  für  meine  Ausbildung, 
aber,  obgleich  ich  damals  in  einem  Alter  stand,  in  dem 
sich  bereits  der  Sinn  für  allerlei  Kenntnisse  entwickelt, 
so  fühlte  ich  doch  instinktiv,  dass  dieser  Aufwand  von 
Instruktion  zwei  Jahre  später  mir  von  weit  grösserem 
Nutzen  gewesen  wäre. 

Der  gute  Baron  liess  es  sich  in  seiner  fürsorglichen 
Weise  angelegen  sein,  uns  mit  den  besten  Lehrkräften 
zu  versehen.  Dnsre  Tageseinteilung  wurde  dahin  fest- 
gesetzt, dass  die  Vormittagsstunden  nur  mit  kurzen 
Unterbrechungen  dem  Lernen  gewidmet  waren,  während 
wir  des  Nachmittags  ziemlich  viel  freie  Zeit  hatten, 
die  wir  teils  im  Freien  und  teils  im  Salon  zu- 
brachten. 


—     67     — 

Meine  Lehrer  waren:  Herr  Kandidat  Kirch- 
hof, der  Geographie,  Natur-  und  Weltgeschichte  vor- 
trug, auch  die  Übungen  in  der  deutschen  Sprache 
leitete  und  seinen  Unterricht  zwar  gewissenhaft  und 
p&nktlich  absolvierte,  aber  leider  demselben  weder  durch 
Genialität  noch  Feuereifer  Leben  und  Reiz  zu  verleihen 
verstand;  ferner  Herr  Harley,  ein  französischer  Emi- 
grant, der  früher  Professor  an  der  Universität  in  Douai 
gewesen.  Er  hatte  ein  ehrwürdiges  Ansehen,  schlicht 
und  bescheiden,  eine  hohe,  breitschulterige  Gestalt, 
hellblaue  Augen  mit  sanftem,  nachdenklichem  Blick  und 
trug  sein  weisses  Haar  sorgfältig  gescheitelt.  Er  lehrte 
Arithmetik,  Geometrie,  sowie  die  Grundprinzipien  der 
Trigonometrie.  Zwei  Stunden  wöchentlich  waren  den 
verschiedenen  planetarischen  Systemen  gewidmet  und 
zwei  der  Physik.  Meisterhaft  seine  Lehrgegenstände 
beherrschend,  war  er  unermüdlich  in  dem  Bestreben, 
sie  fasslich  zu  gestalten.  Wie  bereue  ich  es,  damals 
die  volle  Wohlthat  seines  Unterrichtes  nicht  genug  er- 
kannt und  gewürdigt  zu  haben.  Besonders  im  Alter 
von  sechzehn  und  siebzehn  Jahren  bildete  es  meinen 
sehnlichsten  Wunsch,  noch  einmal  alles  mit  ihm  durch- 
nehmen zu  können,  was  mich  andere,  im  Vergleiche  zu 
Harleys  Gründlichkeit  und  Klarheit,  nur  mangelhaft 
zu  lehren  vermochten. 

Viermal  die  Woche  kam  unser  genialer  Zeichen- 
lehrer, Herr  Bilderdijk*),  genannt  Tristerband, 

*)  „Willem  Bilderdijk,  berühmter  holländischer  Dichter, 
geboren  1756  zu  Amsterdam  als  Sohn  eines  Arztes ,  studierte  in 

5* 


—    68    — 

ein  aus  Holland  emigrierter  berühmter  Gelehrter.  Sein 
eigentliches  Lehrfach  waren  orientalische  und  alte 
Sprachen  y  daneben  befasste  er  sich  aber  auch  mit 
Zeichenunterricht,  wohl  nur,   um  sich  dabei  von  den 

Leyden  1780—1782  die  Rechte  nnd  prakticierte  dann  im  Haag  als 
Advokat.  Ais  eifriger  Orangist  verliess  er  1795  beim  Einrücken 
der  Franzosen  sein  Vaterland  nnd  lebte  längere  Zeit  in  England 
nnd  dann  in  Braonschweig.  Nach  dem  Regierungsantritte  Lonis 
Napoleons  kehrte  er  1805  nach  Holland  zurück,  wo  er  znm  Biblio- 
thekar des  Königs  und  bald  darauf  auch  zum  Sekretär  des  hollän- 
dischen Nationalinstitutes  ernannt  wurde  Nach  Louis  Abdankung 
zog  er  sich  nach  Leyden  zurück,  lebte  seit  1827  in  Haarlem  und 
starb  am  31.  Dezember  1831  daselbst,  nachdem  er  durch  die  Restan- 
ration seine  Pension  eingebüsst  hatte.  Als  Dichter  hat  Bilderd|jk 
eine  erstaunliche  Fruchtbarkeit  entvd ekelt  und  sich  auf  allen  Ge- 
bieten der  Poesie  versucht.  Er  bekundet  sich  in  seinen  zahlreichen 
Produktionen  als  einen  gedanken-  und  phantasiereichen,  vielseitig 
gebildeten  und  eigenartigen  Dichter,  der  sich  zugleich  durch  eine 
seltene  Meisterschaft  in  Handhabung  der  Form  auszeichnet.  Sein 
eigenstes  Gebiet  ist  die  Lyrik,  während  ihm  für  das  Epos,  noch 
mehr  für  das  Drama  die  Begabung  abgebt.  Störend  tritt  seine 
antiliberale  Gesinnung  und  sein  zähes  Festhalten  an  der  altfrau- 
zösischen  Kunstform  hervor,  was  ihn  für  die  Eindrücke  der  eng- 
lischen und  deutschen  Litteratur,  die  er  förmlich  hasste,  unzu- 
gänglich machte.  Auch  sein  grosses  Geschichtswerk  „Geschiedenis 
des  vaderlands"  (herausgegeben  von  Tydeman,  Amsterdam  1832 
bis  1853,  dreizehn  Bände)  ist  in  absolutistischem  Geiste  gehalten. 
Als  Sprachforscher,  obwohl  auch  hier  einseitig  and  phantastisch, 
gab  er  den  Anstoss  zu  einem  gründlicheren  Studium  gegenüber 
der  traditionellen  Richtung  Seegenbecks.  Besonders  sind  auf  diesem 
Gebiete  die  „Beginsels  der  woordvoorsching'*  (1831)  hervorzuheben. 
Eine  Gesamtansgabe  seiner  „Dichtwerken*'  mit  Bilderdgks  Bio- 
graphie im  Schlussbande  („De  mensch  en  de  Dichter  Bilderdijk^') 
besorgte  Da  Costa  (Amsterdam  1856—1859,  sechzehn  Teile)." 

—  (Entnommen  aus  Meyers  Konversations-Lexikon,  4.  Aufl., 
2.  Band,  S.  933).  —  Der  Herausgeber. 


—     69     — 

Anstrengangen  seines  Geistes  auszurubeu,  sowie  auch 
wahrscheinlich,  um  die  Anzahl  der  Lehrgegenstände, 
die  er  in  Privatstunden  zu  seinem  und  seiner  Tochter 
Unterhalt  vortrug,  zu  vermehren.  Willem  Bilderdijk 
hatte  ein  sehr  negligiertes  Äussere :  nach  vorwärts  ge 
beugt  einherschreitend ,  wozu  ihm  wohl  seine  Kurz- 
sichtigkeit Anlass  gab,  blinzelte  er  mit  seinen  hell- 
grauen, durch  dunkle  Wimpern  beschatteten  Augen,  über 
welche  sich  dicke,  schwarze  Brauen  zogen.  Häufig  trug 
er  Brillen.  Sein  dichtes,  schwarzes  Haar,  vom  Wirbel 
aus  rings  heruntergekämmt,  schien  mit  einem  einzigen 
Scherenstrich  auf  der  Stirne  abgeschnitten  und  war 
stets  stark  gepudert,  wovon  sein  Rockkragen  immer 
wie  mit  Mehl  bestreut  aussah.  Er  ging  meist  in  einem 
grünen  Fracke  umher;  nur  für  Besuche,  oder  Dinerein- 
ladungen Folge  leistend,  kleidete  er  sich  schwarz. 
Dieser  merkwürdige  Mann  besass  eine  tiefe  Gelehrsam- 
keit beinahe  in  sämtlichen  Fächern  der  Wissenschaft, 
besonders  aber  in  allen  Sprachen  der  Welt,  über  deren 
Ursprung  er  viel  gegrübelt  und  geforscht.  Nach  lang- 
jähriger Beschäftigung  mit  diesem  Gedanken  hatte  er 
ein  Werk  über  eine  Universalsprache  herausgegeben, 
das,  wiewohl  nicht  ohne  Verdienst  und  Interesse,  den- 
noch recht  excentrisch  und  unbrauchbar  war.  Einen 
sehr  hohen  Wert  legte  er  der  holländischen  Sprache 
bei,  und  hielt  es  fast  für  eine  Beleidigung,  wenn  man 
sie  als  eine  Abart  der  deutschen  betrachtete.  Unter 
dem  Fürsten  von  Oranien,  dem  Statthalter  der  ver- 
einigten  Niederlande,  die   damals   noch   kein  König- 


—     70     — 

reich  bildeten,  hatte  Bilderdijk  den  hohen  Posten  eines 
General -Advokaten  eingenommen.  In  Erinnerung  da- 
ran versäumte  er  nie,  der  Erbprinzessin  von  Braun- 
schweig, einer  Tochter  des  Statthalters,  an  den  für 
die  Niederlande  wichtigen  Erinnerungstagen  seine  Auf- 
wartung zu  machen.  Als  er  einmal  direct  von  ihr  zu 
meiner  Unterrichtsstunde  kam,  zeigte  er  eine  orange- 
farbene Bandschleife,  die  er  unter  der  Weste  auf  seinem 
Herzen  trug.  Seine  Liebe  zum  Vaterlande  war  so  voll 
Feuer  und  Enthusiasmus,  dass  man  seine  Schwermut 
mehr  dem  im  Untergang  begriffenen  Wohl  desselben 
zuschrieb,  als  der  Sehnsucht  nach  den  Seinen,  die  er 
bei  seiner  notwendig  gewordenen  Auswanderung  in  der 
Heimat  zurücklassen  musste.  Eine  einzige  etwa  acht- 
zehnjährige Tochter  hatte  er  zu  seinem  Tröste  mit- 
genommen ;  sie  wäre  wohl  häufiger  zu  uns  geladen 
worden,  wenn  sie  nicht  fast  ausschliesslich  auf  die 
Kenntnis  der  holländischen  Sprache  beschränkt  gewesen 
wäre  und  sich  nur  ganz  notdürftig  auf  deutsch  hätte 
verständlich  machen  können.  Den  Vater  lud  der  Baron 
mehrere  Male  zu  Tisch  ein  und  genoss  gern  dessen 
anregenden  Umgang.  Beim  Unterricht,  den  Bilderdijk 
uns  im  Zeichnen  nach  den  Grundsätzen  der  antiken 
Kunst  auf  wahrhaft  geniale  Art  erteilte,  gewann  er 
mich  bald  so  lieb,  dass  er  sich  mit  mir  öfter  in  ernstere 
Gespräche  einliess,  die  gewiss,  mehr  als  ich  ahnte, 
günstig  auf  mein  Seelenleben  wirkten.  Er  war  ein  sehr 
gläubiger  Protestant,  sprach  aber  nie  über  religiöse 
Gei^enstände  mit  mir.    Nur  einmal  erinnere  ich  mich, 


—     71     — 

wie  er,  als  ich  etwas  geäussert,  das  er  (doch  gewiss 
imbegründeter  Weise)  für  nicht  mit  dem  lebendigen 
Glanben  vereinbar  hielt,  auf  einmal  mit  gehobener 
Stimme  und  mit  fast  prophetischem  Ansehen  mir  zu- 
rief: „Und  ich  sage  Euch,  spricht  der  Herr  Jesus 
Christus,  wer  nur  Glauben  hat  wie  ein  Senfkörnlein, 
der  wird  Berge  versetzen."  Er  sagte  das  in  fran- 
zösischer Sprache,  die  wir  gegenseitig  immer  ge- 
brauchten. 

Von  unserem  Unterricht  in  Klavier  und  Tanz  habe 
ich  nicht  viel  zu  sagen.  Letzteren  erhielten  wir 
wieder  von  einem  emigrierten  Edelmann,  dem  Chevalier 
Duplessis.  Der  Klavierlehrer  aber  war  nur  mittel- 
mässig.  Er  klagte  wohl  mit  Recht,  dass  wir  ausser 
den  Lectionen  zu  wenig  musizierten,  doch  blieb  unsre 
Zeit  durch  andere  Zweige  des  Unterrichts  zu  sehr  in 
Anspruch  genommen,  so  dass  wir  uns  damit  nicht  mehr 
befassen  konnten.  Erst  später  betrieben  wir  das 
Elavierspiel  ernster.  Italienisch  lehrte  uns  Herr 
SöUner,  der  Sekretär  des  Barons  Grimm,  und  Bo- 
tanik wurde  unter  Anleitung  des  Herrn  von  Struve 
studiert. 


IV,  Kapitel. 

Braunschweiger  Bekanntschaften. 

Gleich  in  den  ersten  Tagen  nach  unserer  Ankunft 
in  Braunschweig  hatte  uns  der  Baron  zum  Minister 
von  F6ronce  und  dessen  Frau  geführt,  um  uns  ihnen 
vorzustellen,  so  wie  wir  auch  vor  dem  Herzog  zu  er- 
scheinen hatten,  als  er  Herrn  von  Grimm  seinen  ersten 
Besuch  abstattete.  Dieser,  ein  schöner,  stattlicher 
Mann  von  fürstlichem  Ansehen,  war  dem  Baron  sehr 
gewogen  und,  wahrscheinlich  deshalb,  umso  freundlicher 
mit  uns.  Auch  jedesmal,  wenn  wir  ihn  im  herzoglichen 
Garten,  welcher  dem  Publikum  geöffnet  war,  trafen, 
begegnete  er  uns  huldvollst.  Dort  sahen  wir  desgleichen 
mehrmals  seine  Mutter,  der  uns  der  Baron  vorstellte. 
Ich  entsinne  mich  noch  ganz  deutlich,  wie  sie  beim  Ein- 
gangsthor stehen  blieb,  um  den  Baron  anzureden,  nach- 
dem sie  ihre  Umgebung  gefragt,  wer  er  sei.  Auf  eine 
Erkundigung  nach  seiner  Gesundheit  folgte  die  Frage, 
ob  wir  seine  Kinder  seien.  Dann  weiss  ich  noch,  dass 
sie  uns  scharf  ins  Auge  fasste,  entsinne  mich  aber  nicht 
mehr,  ob  sie  uns  anredete.  Diese  Fürstin,  eine  Schwester 
Friedrichs  des  Grossen  und  damals  schon  über  achtzig 


—     73     — 

Jahre  zählend,  schritt  noch  für  ihr  Alter  sehr  rüstig  ein- 
her. Ihre  Ähnlichkeit  mit  dem  königlichen  Bruder  war, 
nach  dessen  Bildnissen  zu  urteilen,  sehr  auffallend, 
wenngleich  die  Haut  ihres  Gesichtes  nun  einem  bräunlich 
gefleckten  Pergament  glich.  Sie  trug  sich  noch  ganz 
nach  altem  Schnitte,  besonders  fiel  uns  ihr  Kopfputz 
auf,  eine  Haube  mit  zwei  kleinen  erhobenen  Flügeln,  die 
auf  einem  steifen  bepuderten  Toupet  ruhte.  Man  sagte, 
dass  sie  eine  geistreiche  Frau  gewesen,  nun  aber  oft 
verwirrte  Ideen  hätte,  mit  einem  Wort,  verkindet  sei. 
Da  ich  diese  merkwürdige  Frau  in  einem  Alter  sah, 
das  mir  gestattete,  ein  klares  Bild  von  ihr,  welches  auch 
heute  noch  nicht  verblasst  ist,  in  meiner  Seele  zu  be- 
wahren, so  ist  mir  dadurch  die  seltene  Erfahrung  zuteil 
geworden,  von  ihr  ab  gerechnet  bis  zum  Grafen  von 
Paris ,  Ludwig  Philipp  Albert,  sechs  Gene- 
rationen erlebt  zu  haben.  Ich  kannte  später  ihre  Tochter, 
die  verwitwete  Herzogin  A  m  a  1  i  e  von  Weimar,  deren 
Sohn  Herzog  Karl  Aug^ust,  den  Vater  der  Prin- 
zessin Karoline,  vermählten  Erbgrossherzogin  von 
Mecklenburg-Schwerin,  und  ich  wurde  berufen  teilzu- 
nehmen an  der  Erziehung  von  deren  Tochter,  Prinzessin 
Helene,  nachmaliger  Herzogin  von  Orleans,  der  Mutter 
des  Grafen  von  Paris,  der  jetzt,  wo  ich  dies  nieder- 
schreibe, ein  Jahr  alt  ist.*) 

*)  Die  Verfasserin  starb  za  Manchen  am  17.  Februar  1872, 
erlebte  daher  auch  noch  die  siebente  Generation  dieser  Familie 
in  den  Kindern  des  Grafen  von  Paris  und  dessen  Bruders,  des 
Herzogs  Robert  von  Ghartres.   Ersterer  verm&hlt  am  30.  Mai  1864 


—     74     — 

Bei  unsern  häufigen  Spaziergängen  im  herzoglichen 
Garten  sahen  wir  auch  die  übrigen  Mitglieder  der 
regierenden  Familie  wie  lebende  Bilder  erscheinen,  die 
man  gemächlich  betrachten  konnte.  Die  Gemahlin  des 
Herzogs  und  Schwester  des  Königs  Georg  III.  von 
England,  eine  dicke,  schwerfallige  Frau  von  unge- 
fähr sechzig  Jahren  mit  zartem,  blühendem  Teint  und 
ausgesprochen  englischem  Typus,  redete  auch  oftmals 
den  Baron  an,  uns  dabei  einige  freundliche  Blicke 
schenkend.  Ihre  Schwiegertochter,  eine  geborene  Prin- 
zessin von  Oranien,  war  nichts  weniger  als  schön, 
doch  gaben  ihr  Leutseligkeit  und  anmutige  Haltung 
etwas  höchst  Anziehendes.  Ich  hörte  sie  schon  damals 
und  in  der  Folge  noch  mehr,  als  eine  verdienstvolle 
Frau  rühmen.  Das  Los  dieser  Prinzessin  war  ein  sehr 
trauriges.  Der  Erbprinz,  ihr  Gemahl,  zeigte  schon 
damals  deutliche  Spuren  von  Schwachsinn  und  die 
Kinderlosigkeit  ihrer  Ehe  empfand  sie  schmerzlich. 
Durch  das  Zusammentreffen  dieser  Umstände  glaubte 
der  Herzog  seinem  Lande  schuldig  zu  sein,  nicht  ihm, 
sondern  seinem  jüngsten  Bruder  Wilhelm  die  Erb- 
folge zu  sichern.  Grosse  Vorwürfe  muss  sich  übrigens 
der  Herzog  gemacht  haben,  als  das  gleiche  Unglück 
nicht  nur  seinen  ältesten  Sohn,  sondern  auch  noch 
die  beiden  nächstfolgenden,  die  Prinzen  Georg  und 
August,  traf,  und  sich  herausstellte,  dass  ein  ver- 
kehrtes Erziehungssystem  ihre  geistigen  Fähigkeiten 

mit  Isabella  Prinzessin  von  Montpensier,  Letzterer  am  11.  Juni  1863 
mit  Franziska  Prin^sessia  von  Joinvillß.  Per  Herausgeber. 


—     75     — 

zerstört  habe.  Die  entschiedene  Vorliebe  und  das  Ver- 
trauen, welches  der  Herzog  in  die  Ansichten  der  fran- 
zösischen Philosophen  damaliger  Zeit ,  wie  von  Vol- 
taire, Diderot,  J.  J.  Rousseau  etc.  setzte,  ver- 
leiteten ihn  wohl  zu  dem  unseligen  Beginnen,  die  Er- 
ziehungstheorieen  dieses  Letzteren  auf  seine  Söhne  an- 
zuwenden. So  Hess  er  sie  schon  im  zartesten  Eindes- 
alter in  eisig  kaltes  Wasser  tauchen ,  sie  femer  stets, 
Kopf  und  Füsse  unbedeckt ,  im  Freien  verweilen  und 
dergleichen  spartanische  Abhärtungskttnste  mehr  mit 
ihnen  vornehmen,  und  siehe,  beim  ältesten  Prinzen 
zeigten  sich  bald  die  üblen  Folgen  dieser  übertriebenen 
Behandlung,  doch  gab  man  derselben  noch  keineswegs 
die  Schuld  am  Unglück,  weil  das  Kind  sonst  stark  und 
kräftig  gedieh;  als  sich  aber  auch  beim  zweiten  und 
endlich  beim  dritten  Prinzen  dasselbe  Übel  einstellte, 
begann  man  dann  doch  den  schweren  Missgriff  einzu- 
sehen. Für  die  drei  älteren  Prinzen  war  es  aber  bereits 
zu  spät,  ihr  Gehirn  hatte  schon  zu  stark  unter  diesen 
Gewaltmitteln  gelitten,  jedoch  dem  vierten  kam  diese 
Erkenntnis  zu  Gute,  er  wurde  der  bekannte  Kriegsheld 
Herzog  Wilhelm  und  Vater  der  jetzt  lebenden  Her- 
zöge Carl  und  Wilhelm.  Man  erzog  ihn  dem 
Himmelsstrich,  unter  dem  er  geboren,  und  vielleicht 
auch  dem  Stamme,  dem  er  entsprossen,  gemäss,  und 
er  blieb  seines  Geistes  mächtig;  jedoch  war  dieser 
vehement  und  von  roher  ünbiegsamkeit,  worunter  seine 
Umgebung  viel  zu  leiden  hatte.  Er  soll  seine  überaus 
liebliche  Gemahlin,  eine  geborne  Prinzessin  von  Baden, 


—     76     — 

höchst  unglücklich  gemacht,  ja,  i9?enn  die  Rede  wahr 
ist,  sogar  geschlagen  haben.  Diese  Ehe  währte  nur 
drei  Jahre. 

Die  erste  Zeit  unseres  Aufenthaltes  in  Brann- 
schweig verlebten  wir  meist  in  stiller  Zurückgezogen- 
heit, was,  der  Studien  wegen,  meinem  Geschmacke 
entsprach.  Nach  und  nach  aber  fanden  sich  immer 
mehr,  zum  Teil  sehr  interessante  Menschen  ein,  die 
den  Baron  besuchten,  und  da  dies  meist  Nachmittags 
geschah,  wo  wir  in  seiner  Umgebung  weilten,  wurden 
auch  wir  durch  aufmerksames  Anhören  ihrer  Gespräche 
mit  ihnen  bekannt.  Hofrat  Zimmermann,  ein 
hervorragender  Gelehrter  von  freundlichem  Umgang, 
kam  häufig,  so  wie  auch  Abb6  Delisle,*)  der 
berühmte  Sänger  der  „Dithyramben  auf  die  Un- 
sterblichkeit der  Seele",  die  selbst  den  blutgierigen 
Wohlfabrtsausschuss  der  Revolutionszeit  zu  erschüttern 
vermochten.  Er  hat  äich  auch  als  Übersetzer  des 
Virgil  und  Milton  einen  Namen  gemacht.  Sein 
Äusseres  war  auffallend  hässlich,  ausser  sehr  groben, 
unregelmässigen  Zügen  hatte  er  rotunterlaufene,  vor- 
quellende Augen,  denen  man  ansah,  dass  sie  fast 
blind  waren.  Er  durfte  es  auch  kaum  wagen,  ohne 
Führer  durch  die  Strassen  zu  gehen.  Seinen  kahlen 
Scheitel  umrahmte  nur  spärliches,  weisses  Haar.  Doch 
gemütliche  Liebenswürdigkeit,    lebhafte   Einbildungs- 


*)  Jacqaes  Delisie,  der  berühmteste  unter  den  französischen 
Lehrdichtern  des  vorigen  Jahrhunderts,  geboren  1738,  nannte  sich 
seit  der  Revolution  Montanier  -  Delilie.     Seine  Übersetzung  von 


—     77     — 

kraft  und  fesselnde  Unterhaltungsgabe  Hessen  dies 
alles  vergessen.  Er  war  voll  Offenheit,  Heiterkeit, 
teilnehmend,  leutselig  und  lachte  oft  selbst  über  seine 
Eigenheiten,  die  sein  Freund,  der  geistreiche  Doktor 
Valentin,  um  ihn  zu  necken,  oft  dem  Baron  in 
unsrer  Gegenwart  verriet.  Des  schwachen  Gesichtes 
wegen,  konnte  Abbfe  Delisle  seine  Gedichte  nicht  selbst 
aufschreiben,  sondern  musste  sie  dictieren,  dies  ward 
insofern  zum  Vorteil,  als  er  sie,  im  Gegensatze  zu  den 
meisten  Poeten,  alle  auswendig  wusste,  was  seinen 
Freunden  den  Genuss  verschaffte,  schöne  Stellen  daraus, 
auf  die  vortrefflichste  Weise  von  ihm  vortragen  zu 
hören.  Er  that  es  jedoch  nie  in  grössern  Kreisen, 
und  auch  in  kleinen   war  er  stets  besorgt,   ob  nicht 


Virgils  „Georgica",  die  1770  erschien,  erregte  grosses  Aafsehen 
and  der  daza  gehörige  ,,Discours  preliminaire",  sowie  zahlreiche 
Glossen  sicherten  ihm  eine  ehrenvolle  Steile  unter  den  französischen 
Prosaikern.  Knrz  darauf  nach  Paris  berufen,  erhielt  er  die  Professur 
am  College  de  la  France.  Auf  die  „Georgica^*  folgte  sein  Lehr- 
gedicht in  vier  Gesängen  „Les  jardins,  ou  Part  d'embellir  les  pay- 
sages"  (Paris  1782),  das  zu  den  besten  dieser  Art  gerechnet  werden 
kann. 

Obwohl  Anhänger  der  alten  Ordnung  der  Dinge,  wurde  er 
dennoch  seiner  Berühmtheit  und  Vortrefflichkeit  halber  selbst  von 
den  Blutmännern  geehrt  und  von  Robespierre,  der  ihn  bei  jeder 
Gelegenheit  schonte,  beauftragt,  Hymnen  zu  schreiben,  die  bei  öffent- 
lichen Feiern  gesungen  werden  sollten.  So  entstanden  die  in  vier- 
unddreissig  Stunden  niedergeschriebenen  Dithyrambes  sur  l'immor- 
talit^  de  l'äme.  Von  ihm  erschienen  ferner  „Aeneide",  Übersetzung 
des  Virgil  1803),  Miltons  „Paradis  pordu"  (London  1805),  „La 
piti^"  (London  und  Paris  1805)  u.  s.  w.  Er  starb  allgemein  be- 
trauert am  1.  Mai  1813.  Der  Herausgeber. 


-     ?8    - 

etwa  ein  verborgener  Stenograph  seine  Dichtungen 
nachschreiben  könnte;  Doktor  Valentin  erlaubte  sich 
manchmal  den  Spass,  ihm  weis  zu  machen,  er  hätte 
einen  Nachschreiber  hinter  dem  Vorhänge  bemerkt, 
was  seinen  Freund  im  ersten  Augenblick  beunruhigte, 
bis  er  den  Scherz  entdeckte.  Diese  Furcht  war 
übrigens  begründet,  denn  seit  der  Revolution  musste 
er  ausschliesslich  von  seinem  Dichtertalent  leben,  der 
Nach-  oder  Vordruck  seiner  Werke  wäre  ihm  daher 
sehr  empfindlich  gewesen.  Abb6  Delisle  war  trotz 
seines  Titels  kein  Priester;  zu  seiner  Pflege  und  zur 
Führung  des  bescheidenen  Haushaltes  hatte  er  seine 
Nichte,  Fräulein  Vautechamp,  bei  sich,  die  er 
damals  heiratete.  Diese  besass  eine  schöne  Sing- 
stimme, die  sie  in  kleinen  Konzerten  hören  liess,  und 
soll  eine  geistreiche  Person  gewesen  sein;  sie  gehörte 
nicht  zu  unserem  Kreise.  Ihre  Erziehung  muss  nicht 
die  feinste  gewesen  sein ,  denn  sie  hatte  recht 
ungebärdige  Zomesausbrüche ,  die  ihr  Onkel  und 
nachmaliger  Gatte  durch  grosse  Sanftmut  und  Ge- 
lassenheit zu  regulieren  trachtete.  So  erzählte  uns 
zum  Beispiel  Doktor  Valentin,  dass  sich  Fräulein 
Vautechamp  einmal  wegen  einer  Kleinigkeit,  in  welcher 
ihr  Onkel  nicht  ihrer  Ansicht  war,  so  erzürnte,  dass 
sie  ihm  ein  Buch  in  Quartband,  das  vor  ihr  lag,  vor 
die  Füsse  warf,  wobei  sie  ihn  empfindlich  traf.  Der 
gute  Mann  entgegnete  ganz  ruhig:  „Une  autre  fois, 
mettez,  je  vous  prie,  votre  colfere  en  plus  petit 
format!" 


-     79     - 

Eine  gleichfalls  sehr  begabte  Frau,  die  uns  häufig, 
zuletzt  sogar  täglich  besuchte,  war  die  Marquise  de  La- 
rianderie;  ihre  Tochter  Alexandrine,  ganz  in 
meinem  Alter,  wurde  unsre  fast  beständige  Gesell- 
schafterin, sie  kam  regelmässig  zu  den  Arbeitsstunden, 
die  uns  Fräulein  Marchais  erteilte,  und  nahm  später 
auch  zugleich  mit  mir  am  Unterricht  zur  Vorbereitung 
auf  die  erste  heilige  Kommunion  teil,  den  wir  von  dem 
geistvollen  Abb6  Du  voisin,  nachmaligem  Bischof  von 
Nantes,  erhielten.  Die  Marquise  de  Larianderie  war 
eine  noch  sehr  hübsche  Frau  von  sechsunddreissig  bis 
achtunddreissig  Jahren  und  lebte  in  sehr  einträchtiger 
Ehe  mit  ihrem  Gatten,  dem  sie  bei  jeder  Gelegenheit 
ihre  grosse  Achtung  bezeugte.  In  den  Eriegszeiten 
war  derselbe  während  der  Revolution  emigriert,  um 
dem  neugebildeten  Cond6schen  Korps  beizutreten,  wäh- 
rend seine  Frau  mit  den  beiden  Kindern  in  Frankreich 
blieb.  Als  sich  dann  aber  die  Verhältnisse  etwas 
weniger  stürmisch  gestalteten,  wusste  sie  sich  mit  den 
nötigen  Pässen  zu  versehen,  um  mit  ihrer  Tochter  dem 
Marquis  nach  Braunschweig  nachzukommen.  Doch  reiste 
sie  alljährlich  für  einige  Monate  nach  Paris,  wo  ihr 
eigentliches  Domizil  war,  und  besuchte  ihren  in  einer 
dortigen  Pension  untergebrachten  Sohn.  Bei  ihrer  BAck- 
kehr]^brachte  sie  uns  einige  niedliche  Kleinigkeiten  mit, 
die  uns  umsomehr  erfreuten,  als  sie  aus  der  Heimat 
kamen,  mit  welcher  wir  damals  in  keinerlei  directer 
Verbindung  standen.  Allen  Neuigkeiten  aus  Frankreich, 
die  sie  in  lebendiger  Konversation  vorzubringen  wusste, 


—     80     — 

lauschten  wir  mit  gespanntem  Interesse.  Wenn  sie  es 
nur  irgendwie  konnte,  entsprach  sie  unseren  Wünschen; 
kaum  hatten  wir,  um  ein  Beispiel  anzugeben,  geäussert, 
dass  wir  gerne  lernen  würden,  bunte  Seidenstickereien 
zu  machen,  so  war  sie  sogleich  bereit,  auf  ihrem  eigenen 
Stickrahmen  den  dazu  geeigneten  Stoff  aufzuspannen 
und  uns  den  Unterricht  in  dieser  Art  von  Handarbeit 
zu  erteilen. 

Uns  gegenüber  wohnte  der  alte  Graf  Egmont, 
von  dessen  zweiter  Gattin,  einem  anspruchslosen  Wesen, 
das  sich  durch  Herzensgüte  beliebt  zu  machen  wusste, 
es  hiess,  dass  sie  Kammerfrau  seiner  ersten  Gemahlin 
gewesen.  Diesem  vornehmen  und  reich  begüterten 
Manne ,  der  von  jeher  gewohnt  gewesen ,  einen  Kreis 
von  Freunden  um  sich  zu  sehen,  war  es  gelungen,  auch 
in  Braunschweig  einen  solchen  zu  bilden;  wenn  auch 
nur  in  der  kleinen  Zahl  von  5  bis  G  Personen,  welche 
sich  täglich  bei  ihm  einfanden.  Ich  erinnere  mich 
Herrn  von  Verrac  und  Doktor  Valentin  zur  bestimmten 
Stunde  zu  ihm  wandern  gesehen  zu  haben.  Den  Grafen 
Egmont  verband  eine  intime  Freundschaft  mit  Marquis 
und  Marquise  de  Larianderie,  welche  jeden  Tag  bei  ihm 
zu  Mittag  speisen  mussten;  nach  der  Tafel  kam  die 
Marquise  meistens  ein  wenig  zu  uns  herüber,  ihr  Gatte 
nur  zuweilen,  da  er  die  Gewohnheit  angenommen  hatte, 
sich  durch  die  Besorgung  eines  ausserhalb  der  Stadt 
gepachteten  Gartens  angenehme  Bewegung  und  Be- 
schäftigung zu  verschaffen.  Für  uns  bildete ^  dieser 
ein  beliebtes  Ziel  unsrer  Spaziergänge.    Der  Marquis 


-   dl    -- 

de  Larianderie  war  ein  schlichter,  frommer  Mann, 
der,  gleich  der  wahrhaft  gottseligen  Erzieherin  seiner 
Tochter  Alexandrine,  in  dieser  einen  regen  religiösen 
Eifer  weckte.  Da  ich  mich  znr  Frömmigkeit  hinge- 
zogen fBhlte  nnd  mit  Alexandrine  znr  ersten  heiligen 
Eommnnion  vorbereitet  wurde,  wirkte  diese  Geistes- 
richtnng  anch  merklich  anf  mich  ein,  und  ich  gedenke 
noch  gern  unserer  kindlichen  Unterredungen  über  aller- 
lei religiöse  Gegenstände,  worin  Alexandrine  immer 
meine  Lehrerin  blieb. 

Indessen  wurde  ich  aach  durch  sie  auf  die  mangel- 
hafte Orthodoxie  der  guten  Antoinette  Marchais  auf- 
merksam gemacht,  ich  musste  ihr  Recht  geben,  begreife 
aber  nicht,  dass  dies  mir  so  wenig  anstössig  schien, 
als  es  der  Fall  war.  Wenn  ich  dann  hie  und  da  Antoi- 
nette leise  Vorwürfe  hierüber  machte,  wusste  sie  mich 
immer  abzulenken,  und  unser  freundschaftlich  vertrautes 
Verhältnis  blieb  ungetrübt,  auch  ihre  Liebe  für  Alexan- 
drine litt  nicht  darunter.  Mit  grossem  Geschick  wusste 
Fräulein  Marchais  ihren  Glaubensmangel  vor  uns  zu 
verbergen,  ja,  sie  munterte  mich  möglichst  zur  Andacht 
während  der  Zeit  meiner  ersten  heiligen  Kommunion 
auf,  gab  uns  auch  bisweilen  Erlebnisse  aus  ihrer 
zum  Teil  in  einem  Kloster  zugebrachten  Kindheit  zum 
besten ,  wovon  mir  eines  zu  hübsch  erscheint ,  als 
dass  ich  es  hier  nicht  einschalten  sollte.  Antoinette 
erzahlte: 

„Unter  den  Klosterfrauen,  die  die  Aufsicht  über 
die  Zöglinge  hatten,  will  ich  zweier  Erwähnung  thun, 

Carl  Or»f  Ob^radorff,  Eriii]i*nmg«B  .»iaM  UrgroMmatUr.  6 


—     82     — 

wovon  die  eine,  M6re  Salignac,  mir  nicht  freundlich 
gesinnt  und  sehr  streng,  während  die  andre,  mit  Namen 
Marie  Josepha,  meine  gütige  Beschützerin  war  und 
sich  oft  meiner  erbarmte,  wenn  ich  von  ersterer  allzusehr 
in  die  Enge  getrieben  wurde.  Ich  hatte  sie  daher  auch 
herzlich  lieb.  Eines  Tages  erhielt  ich  von  Märe  Salignac 
die  Aufgabe,  eine  mühsame  Weissstickerei  zu  vollenden ; 
so  eifrig  ich  auch  daran  arbeitete,  war  es  mir  unmög- 
lich, in  der  gegebenen  Zeit  damit  fertig  zu  werden, 
ich  hätte  denn  einen  grossen  Teil  der  Freistunde  noch 
darauf  verwenden  müssen.  Einesteils  schreckte  mich 
zwar  die  angedrohte  Strafe  der  Märe  Salignac,  andem- 
teils  aber  war  ich  des  Sitzens  und  der  Stickerei  über- 
drüssig und  sehnte  mich  nach  Bewegung  und  Erholung. 
Was  thun?  —  Eine  Weile  stickte  ich  noch  weiter,  dann  fiel 
mir  ein,  da  ich  mich  gerade  allein  vor  einem  Madonnen- 
bild befand,  diese  zu  bitten,  die  Arbeit  für  mich  zu 
vollenden.  Gedacht,  gethan !  Mit  einem  innigen  Gebet 
legte  ich  meine  kleinen  Stickereistreifen  der  Mutter 
Gottes  zu  Füssen  und  versprach,  falls  sie  meine  Bitte 
erfüllen  sollte,  ihr  zu  Ehren  eine  gewisse  Anzahl  Vater- 
unser und  Avemaria  zu  beten.  Froh  erhob  ich  mich 
und  lief  in  den  Saal,  mit  den  andern  Kindern  nach 
Herzenslust  zu  spielen.  Denselben  Tag  kamen  wir 
nicht  mehr  in  das  Arbeitszimmer  zurück,  aber  des 
andern  Morgens  eilte  ich,  so  früh  ich  konnte,  zum 
heiligen  Bilde  und  war  entzückt^  meine  Arbeit  wirklich 
beendet  zu  finden.  Von  ganzem  Herzen  dankte  ich 
und  erfüllte  mit  Freuden  mein  Gelübde.   Später  erfuhr 


—     83     — 

ich,  dass  eine  andere  Maria,  nämlich  die  liebe  Mntter 
Maria  Josepha,  Hand  an  meine  Arbeit  gelegt  nnd  auf 
diese  Weise  die  Erhörung  der  vertrauensvollen  kind- 
lichen Bitte  vermittelt  hatte. '^ 

0,  warum  ging  dieser  guten,  wirklich  edeldenkenden 
Seele  die  Gnade  des  heiligen  Glaubens  später  verloren ! 
—  Soviel  ist  gewiss,  dass  Antoinette  in  uns  die  Liebe 
zu  allem  Guten  und  Hohen  zu  nähren  trachtete;  nichts 
Unwahres  oder  Gemeines  wurde  um  uns  geduldet,  und 
wir  wurden  hingewiesen  auf  selbstaufopfemde  Liebe, 
Freigebigkeit,  Wohlthätigkeit,  Bescheidenheit,  Massig- 
keit und  gewissenhafte  Erfüllung  der  Pflicht.  Es  war 
uns  desgleichen  nicht  gestattet,  vom  Nächsten  auch  nur 
das  geringste  Nachteilige  zu  sagen,  was  uns  hinsicht- 
lich der  Lächerlichkeit  derselben  oft  um  so  schwerer 
wurde,  als  wir  nicht  einsahen,  warum  es  so  tadelhaft 
sei,  sich  über,  wie  uns  schien,  ganz  harmlose  Dinge 
auszulassen,  die  uns  belustigten,  ohne  den  guten  Namen 
des  Betreffenden  zu  gefährden.  Man  gab  uns  dann  den 
Sinnspruch  zu  beherzigen :  „Was  du  nicht  willst,  dass 
man  dir  thu',  das  füg'  auch  keinem  andren  zu.^ 

Im  ersten  Sommer  nahm  uns  der  gute  Baron  Grimm 
einmal  mit  sich  nach  Wolfenbüttel,  wo  im  grossen,  alten 
herzoglichen  Schlosse  die  ihm  eng  befreundete  zahl- 
reiche Familie  des  Marschalls  von  Castries  wohnte, 
und  ausserdem  auch  der  Erzbischof  von  Reims ,  Graf 
Talleyrand,  nebst  seiner  Schwägerin,  der  unglück- 
lichen Mutter  des   abtrünnigen   Bischofs  von  Autun, 

spätem  Fürsten  von  Benevent,  sowie  die  ebenfalls 

6* 


—     84     — 

zur  Familie  Talleyrand  zählende  Herzogin  von  Chalais 
mit  ihren  Kindern.  Die  etwa  einstandige  Fahrt  war 
uns  Schwestern  schon  eine  Freude,  und  die  freandliche 
Aafiiahme  durch  so  Viele,  die  wir  schon  in  Gotha  kennen 
gelernt  hatten,  machte  uns  diesen  Tag  zu  einem  be- 
sonders genussreichen.  Mit  einem  grossen  Teil  der 
französischen  Kolonie,  die  sich  entweder  zu  gleicher 
Zeit  mit  uns  in  letztgenannter  Stadt  befand,  oder  sich 
in  Eisenach  niedergelassen  hatte  und  uns  von  dort  aus 
besuchte,  trafen  wir  damals  in  Wolfenbüttel  zusammen. 
Ausserdem  fanden  wir  am  kleinen  Sohn  des  Herzogs 
von  Castries,  Namens  Edmund,  und  an  dem  jugend- 
lichen Fürsten  von  Chalais  angenehme  Spielgefährten, 
mit  denen  wir  im  weitläufigen  Schloss  herumschwärmen 
durften.  Sie  zeigten  uns  die  grossartigen  alten  Ge- 
mächer, mit  Gobelins  und  Gemälden  geschmückt,  und 
führten  uns  zur  greisen  Marschallin  von  Castries,  die 
ihre  Zimmer  nie  mehr  verliess,  zur  Gräfin  Mailles, 
ihrer  Schwiegertochter  und  zur  Herzogin  von  C  a  y  1  u  s , 
ihrer  Enkelin.  Letztere  war  besonders  freundlich,  unter- 
hielt sich  längere  Zeit  mir  mir  und  gab  mir  ein  Sträuss- 
chen  von  den  vielen  Rosen  mit,  die  ihr  schönes,  heim- 
liches Gemach  zierten  und  durchdufteten.  Unter  den 
zahlreichen  Bildern,  die  ich  nur  flüchtig  ansehen  konnte, 
ist  mir  eines  im  Vorzimmer  der  Marschallin  in  klarer 
Erinnerung  geblieben,  welches  ich  genauer  betrachten 
konnte,  während  Fräulein  Marchais  sich  mit  deren 
Kammerfrau,  Mademoiselle  Gharpentier,  unterhielt. 
Dieses  Bild  stellte  die  Frauen  von  Montespan  und 


—     85     — 

von  Maintenon  dar^  welche,  an  einem  Tisch  sitzend, 
gemeinsam  ein  grosses  Blumengewinde  banden.  Ob  es 
schön  gemalt,  weiss  ich  nicht  zn  bestimmen,  doch  war 
viel  Leben  darin,  nnd  fiel  mir  die  Schönheit  beider 
Gesichter  und  das  brillante  Kolorit  auf. 

In  diesem  altertümlichen  Schlosse  wnrde  mir  im 
folgenden  Jahre  dnrch  den  ehrwürdigen  Erzbischof  von 
Reims,  den  ich  schon  von  meinen  ersten  Eindeijahren 
an  zu  verehren  gelernt,  das  heilige  Sakrament  der 
Firmung  gespendet.  Edmund  von  Castries  und  Eugen 
von  Chalais  empfingen  es  zu  gleicher  Zeit  in  der 
Kapelle,  die  der  Erzbischof  in  einem  der  Säle  hatte 
einrichten  lassen.  Es  wird  mir  kaum  gelingen,  ein 
lebenswahres  Bild  des  heiligenmässigen  Erzbischofs, 
Grafen  Talleyrand,  zu  entwerfen,  denn  seine  äussere 
Erscheinung  war  eine  von  jenen  seltenen,  die  als  ein 
treuer  Spiegel  des  Innern  den  wohlthuendsten  Eindruck 
hervorrufen  müssen.  Er  mochte  damals  ungefähr  sechzig 
Jahre  zählen,  der  Ausdruck  seines  Antlitzes  war  über- 
aus sanft  und  liebevoll,  und  die  hohe  Stirn  und  die 
klaren,  blauen  Augen  scheinen  mir  noch  heute  der 
Sitz  engelhafter  Reinheit  gewesen  zu  sein.  Um  seinen 
Mund  schwebte  bei  Begrüssung  und  Anrede  ein  sanftes 
Lächeln,  welches  Wohlwollen  und  Nachsicht  bekundete. 
Die  Züge  schienen  edel,  wenngleich  nicht  regelmässig. 
Das  Oval  länglich,  die  Nase  unauffällig,  die  Kürze  der 
Oberlippe  liess  beim  Lächeln  und  Reden  sehr  wohl- 
erhaltene Zähne  erblicken,  sein  reines,  leicht  gefärbtes 
Kolorit  harmonierte  mit  dem  durch  Kummer  und  Alter 


—     86    — 

gebleichten  Haar.  Die  hohe  Oestalt  voll  bescheidener 
Wfirde  trug  das  Gepräge  dessen,  was  er  war,  des 
apostolischen  Kirchenffirsten  and  des  herzoglichen  Pairs 
von  Frankreich,  welcher  Sang  damals  nur  wenigen 
aus  dem  höchsten  Adel  zukam.  Die  Bewegungen  und 
Redeweise  waren  gleichfalls  voll  Sanftmut  und  Hoheit. 
Trotzdem  die  Heiterkeit  des  inneren  Friedens  auf  seinem 
Antlitz  ruhte,  konnte  man  doch  auch  Sparen  tiefen  Leides 
bemerken,  wovon  nicht  das  geringste  wohl  verursacht 
sein  mochte  durch  den  Sieg  des  Bösen,  welcher  den 
Sohn  seines  Bruders  und  dessen  hochgeschätzter  Ge- 
mahlin, die  als  unglflckliche  Witwe  bei  ihm  Schutz  ge- 
funden, auf  eine  so  greuelvolle  Sündenbahn  leitete.  Ob- 
gleich manche  von  den  Mitgliedern  der  Emigranten- 
kolonie von  Wolfenbüttel ,  in  der  er  verweilte ,  seine 
hohen  religiösen  Prinzipien  nicht  teilten  und  den  Geist, 
der  ihn  belebte,  nicht  fassen  konnten,  liebten  und  ver- 
ehrten ihn  doch  alle,  und  seine  Milde  und  Nachsicht 
wusste  alle  in  Liebe  zu  ertragen. 

Auf  Wunsch  meiner  Mutter,  mit  welcher  ich  mich 
um  diese  Zeit  in  sehr  reger  Korrespondenz  befand, 
hatte  ich  einige  Wochen  vor  meiner  Firmung  die  erste 
heilige  Kommunion  empfangen  am  weissen  Sonntag 
des  Jahres  1799,  der  auf  den  31.  März  fiel.  Baron 
Grimm  trug  ernstlich  Sorge,  dass  ich  in  geziemender 
Weise  darauf  vorbereitet  wurde.  Zu  diesem  Zweck 
ersuchte  er  den  verdienst-  und  geistvollen  Abb6  Du- 
voisin,  mir  den  gehörigen  Unterricht  zu  erteilen. 
Derselbe  war  auch   ein  ausgezeichneter  theologischer 


—     87     — 

Schriftsteller,  and  wurde,  wie  ich  glaube,  schon  gesagt 
zu  haben  y  späterhin  Bischof  von  Nantes.  Er  nahm 
diese  Aufforderung  gern  an  und  kam  einigemale  in  der 
Woche,  um  mir  den  historischen  Katechismus  vorzulesen 
und  dergestalt  zu  erklären,  dass  höchst  lebendige  und 
anregende  Vorträge  daraus  wurden,  welchen  meine 
Schwester  sowie  auch  Alexandrine  beiwohnten,  und 
zwar  letztere  ebenfalls  zur  Vorbereitung  auf  die  erste 
Kommunion. 

um  wieder  auf  unser  tägliches  Leben  zurück- 
zukommen, muss  ich  erwähnen,  dass  in  unsrer  Strasse 
zwei  Familien  wohnten,  deren  Töchter  wir  häufig 
von  den  Fenstern  aus  mit  ihren  Erzieherinnen  vor- 
über gehen  sahen.  Wir  Kinder  blickten  ihnen  neu- 
gierig nach  und  erkundigten  uns,  wie  sie  hiessen. 
Herr  von  Struve  konnte  die  beste  Auskunft  geben,  da 
er  mit  dem  ganzen  geselligen  Kreise  der  hohem  Stände 
von  Braunschweig  bereits  bekannt  geworden.  Die 
einen  waren  zwei  Töchter  des  Geheimrates  Freiherrn 
von  Braun  und  die  andern  die  drei  jüngsten  der 
acht  Kinder  (drei  Söhne  und  fünf  Mädchen)  der  Frau 
von  Herzeele,  einer  verwitweten  Holländerin,  deren 
älteste  Tochter  bereits  an  einen  Herrn  von  Bigot 
verheiratet  war.  Diese  zahlreiche  Familie  bewohnte 
das  schönste  und  ansehnlichste  Haus  der  ganzen  Strasse, 
welches  mir  besonders  wegen  seines  grossen,  geräumigen 
Balkons  wohlgefiel.  Herr  von  Struve  berichtete  eines 
Tages,  dass  die  Erzieherin  der  Fräulein  von  Braun 
den   Wunsch  geäussert  habe,   ihre  Zöglinge  mit  uns 


—     88     — 

Bekanntschaft  machen  zn  sehen,  so  wie  anch  sie  selbst 
mit  grosser  Frende  Fränlein  Marchais  kennen  lernen 
wfirde.  Der  Baron  hatte  nichts  dawider,  nnd  so  nahmen 
wir  denn  fElr  einen  Abend  die  Einladung  znm  Thee 
bei  den  Fräulein  von  Braun  an.  Später  besachten 
sie  uns  auch  und  wir  machten  öfter  gemeinsame  Spazier- 
gänge, doch  entspann  sich  eigentlich  kein  herzliches 
Verhältnis  zwischen  uns,  die  Ältere  war  schon  nahe 
an  fünfzehn  Jahren,  also  nicht  ganz  unsre  Alters- 
genossin, und  die  J&ngere  fanden  wir  allzu  schweig- 
sam und  einsilbig.  Durch  diese  Mädchen  wurden  wir 
auch  mit  den  drei  Herzeeies  bekannt,  die  uns  mehr 
zusagten.  Diese  sahen  wir  in  der  Folge  alle  Sonntags- 
Nachmittage,  wo  sie  entweder  mit  ihrer  Gouvernante 
zu  uns  kamen,  oder  wir  zu  ihnen.  Alexandrine  und 
die  Schwestern  von  Braun  wurden  auch  öfter  zu  diesen 
Zusammenkünften  geladen.  Gertrud  von  Herzeele 
war  ganz  in  meinem  Alter.  Durch  ihr  liebes,  sanftes 
Gemüt  und  ihre  Verständigkeit  fühlte  ich  mich  bald 
zu  ihr  hingezogen,  und  sie  wurde  meine  liebste  Freundin. 
Die  zweite,  Luise,  die  sich  lebhafter  und  munterer 
gab,  schloss  sich  an  meine  Schwester  Ad61e  an^,  und 
Sophie,  die  jüngste,  ein  gar  nettes ,  kleines  Wesen, 
war  der  allgemeine  Liebling.  Meine  Gertrud ,  mit  der 
ich  auch  nach  unsrer  Trennung  durch  Briefwechsel 
verbunden  blieb,  starb  in  ihrem  achtzehnten  Jahr 
plötzlich  an  einem  Schlagfluss.  Luise  sah  unsere  un- 
vergessliche  Ad61e  in  den  Jahren  1816  und  1817  als 
Frau  von  Amerungen  in  Paris  wieder,  auch  Sophie 


—    89    — 

starb  jung ,  nach  wenigen  Jahren  glücklicher  Ehe,  auf 
ihren  Gütern  bei  Hildborghansen ,  von  wo  ans  ich 
ihren  letzten  Grass  erhielt. 

Ausser  den  genannten  lebten  in  Brannschweig 
noch  mehrere  Familien ,  mit  denen  wir  in  nähere  oder 
fernere  Berührung  kamen.  Ich  darf  hier  die  Töchter 
des  Marqnis  de  Valori  nicht  vergessen,  die  ich  in 
Brüssel  nnd  Aachen  kennen  gelernt  hatte,  hier  wieder- 
fand und  späterhin  in  Paris  besuchte,  wo  die  Ältere 
an  Herrn  Dupuy  Membrun  und  die  Jüngere  an 
Herrn  von  Infreville,  einen  Edelmann  aus  der 
Normandie,  verheiratet  war.  Leider  wohnten  wir  sehr 
entfernt  von  einander,  so  dass  wir  diese  liebenswürdigen 
Schwestern  weniger  oft  sahen ,  als  nnsre  nahen  Nach- 
barinnen. Sonntags  nach  dem  Verlassen  der  Kirche, 
die  sehr  weit  entfernt  lag,  trafen  wir  immer  eine 
Menge  französischer  Familien,  welche  die  Erlaubnis 
erhalten  hatten,  sich  in  Braunschweig  aufzuhalten, 
obgleich  der  Herzog,  sowie  andere  deutsche  Fürsten 
die  eigentliche  Schaar  der  Emigranten  aus  seinem 
Staate  entlassen  hatte.  Mehrere  Namen  derselben, 
sowie  ihre  äussere  Erscheinung  hat  mir  mein  Ge- 
dächtnis bewahrt.  Es  waren  dies  die  Familien  M  o  n  t  - 
soreau  und  Montj.oie.  Die  beiden  sehr  liebens- 
würdigen  Töchter  Montsoreäu  heirateten  seither,  die 
eine  den  in  Gtörz  verstorbenen  Herzog  von  Blacas, 
die  andere  den  in  Rom  lebenden  Grafen  de  la  Fer- 
ren aye.  Von  den  Montjoie  weiss  ich  nur  zu  sagen, 
dass  die  älteste  Tochter  Melanie  Hofdame  bei  Madame 


—    90    — 

Adelaide  d' Orleans,  und  die  jüngere  Z o @ ,  Frau 
von  Dolomieax,  erste  Dame  der  Königin  der  Fran- 
zosen wurde.  Femer  wäre  noch  Madame  de  Montaigne 
mit  ihrer  Tochter  und  reizenden  Enkelin  nicht  zu  ver- 
gessen. 

Durch  Herrn  von  Struve  lernten  wir  auch  die  ver- 
witwete Gräfin  Oexle  kennen ,  deren  älteste  Tochter 
Lisette  er  später  heiratete.  Die  zweite,  Earoline 
mit  Namen,  eine  der  grössten  und  interessantesten 
Schönheiten,  die  ich  je  sah,  vermählte  sich  in  Mecklen- 
burg mit  einem  Herrn  von  Lützow,  der  so  wie  die 
in  Bayern  geborene  Oexle  katholischer  Religion  war. 
Noch  zwei  auffallende  Schönheiten  muss  ich  nennen, 
die  wir  mit  Vergnügen  auf  Spaziergängen  trafen,  die 
beiden  Livländischen  Fräulein  von  Bauer,  deren 
Mutter  in  zweiter  Ehe  mit  einem  Herrn  von  Wein- 
heim  vermählt  war.  Charlotte,  die  ältere  Schwester, 
lobte  man  sowohl  wegen  ihres  liebenswürdigen  Cha- 
rakters, als  auch  wegen  ihrer  ausserordentlichen  Geistes- 
gaben, auch  sie  war  eine  fleissige  Schülerin  des  alten 
Harley,  der  ihrer  gern  erwähnte  und  uns  manches 
aus  den  Heften  mitteilte,  die  er  für  sie  aufgesetzt 
hatte.  Unter  der  Zahl  seiner  Schülerinnen  befanden 
sich  auch  die  beiden  Fräulein  von  Montsoreau,  die  er 
gleichfalls  sehr  lobte.  Charlotte  von  Bauer  wurde 
später  Oberhofmeisterin  der  Königin  von  Württemberg, 
und  ihre  Schwester  lebt,  soviel  ich  weiss,  als  Frau 
von  Taubenheim  in  Stuttgart.  Manchen  anderen, 
die   ich   damals   nur   dem   Namen   nach   kannte  und 


—    91     — 

höchstens  in  Konzerten  oder  anf  Spaziergängen  sah, 
begegnete  ich  in  meinem  späteren  Leben. 

Es  fehlte  nicht,  dass  wir  im  Salon  des  beliebten 
nnd  zugänglichen  Barons  eine  Menge  mehr  oder  wenigier 
interessanter  Fremder  kennen  lernten,  auch  liess  er 
uns  in  das  Theater  gehen,,  wenn  hervorragende  Per- 
sönlichkeiten dort  erschienen,  sonst  geschah  dies  nur 
selten. 

Ganz  lebhaft  erinnere  ich  mich,  die  schöne  Königin 
Luise  von  Preussen  mit  ihrem  hohen  Gemahl,  dem 
jetzt  regierenden  König,  daselbst  gesehen  zu  haben,  als 
sie  ihrem  Oheim  und  ihrer  Grosstante,  der  Herzogin 
V Mutter,  einen  Besuch  abstattete.  Die  Königin  schien 
in  ihrem  ganzen  Wesen  und  Benehmen  ebenso  liebens- 
wtlrdig,  als  sie  schön  war.  Auch  ihr  geschmackvoller, 
^  sehr  reicher  Anzug  erregte  unsere  Bewunderung.  Sie 
trug  ein  Kleid  von  rosaglaciertem  Silberstoff  und  blitzte 
von  Diamanten ;  auch  ihr  Kopfputz  bestand  daraus  und 
wurde  von  grossen  Straussfedem  erhöht,  die  ihn  mit  an- 
mutigem Schwung  zierten.  Die  uralte  Herzogin  Mutter 
(wie  schon  gesagt  eine  Schwester  des  grossen  Fried- 
rich II.)  hatte  auch  ihre  bleiche  Gestalt  mit  Brillanten 
geschmäckt,  obgleich  sie  sonst  schlicht  gekleidet  war. 
Ein  schwarzes,  mit  Spitzen  besetzes  Mäntelchen  nm- 
hfillte  sie;  an  diesem  waren  grosse  Diamantschleifen 
angebracht,  sowie  auch  an  ihrem  Häubchen,  und  sie 
trug,  ähnlich  den  andern  f&rstlichen  Damen,  gross- 
mächtige, blitzende  Ohrgehänge.  Was  uns  jedoch  bei 
all  dieser  Pracht  am  meisten  auffiel,  war  der  Schmuck 


—     92     — 

des  Eleiderleibes  der  regierenden  Herzogin ,  einer 
Schwester  des  Königs  Georg  IIL  von  England,  welcher 
gleich  einem  Brnstschild  ans  dicht  aneinandergefügten 
Brillanten  bestand. 

Dieser  Theaterbesuch,  sowie  einige  Bälle,  anf  denen 
lange  zu  bleiben  uns  nicht  gestattet  wurde,  bildeten 
die  einzigen  Yergn&gen  dieser  Art  während  unsres 
zweijährigen  Aufenthaltes  in  Braunschweig. 


V.  Kapitel. 

Nach  Gotha  zurflck. 

Nach  dem  Ableben  des  Baron  von  F6ronce  wollte 
es  nnserm  väterlichen  Freunde  Grimm  nicht  länger  in 
dieser  Stadt  gefallen,  and  da  der  Herzog  Ernst  von 
Sachsen-Gotha  seine  dringende  Einladung  wieder- 
holt ernenerte,  so  beschloss  er,  derselben  Folge  zu 
leisten. 

Auf  diese  Weise  kamen  wir  denn  gegen  alles  Ver- 
muten und  Hoffen  wieder  an  den  Ort,  wo  wir  die  freund- 
lichen Jahre  der  Kindheit  zugebracht  hatten  und  knüpf- 
ten unsere  alten  Freundschaftsbündnisse  von  neuem  an. 
Wir  wurden  dort  wirklich  mit  seltener  Freundlichkeit 
und  Herzlichkeit  aufgenommen  und  fühlten  uns  schnell 
wieder  wohl  und  behaglich  im  Kreise  der  alten  Be- 
kannten, die  uns  mit  treuer  Liebe  empfingen. 

Die  Rückkehr  meiner  Eltern  aus  Russland  war  für 
den  Monat  Juni  des  Jahres  1800  bestimmt.  Baron 
Grimm  richtete  es  also  ein,  dass  wir  vor  ihnen  in  Gotha 
anlangten,  damit  nach  der  beschwerlichen  Land-  und 
Seereise  alles  zu  ihrem  Empfang  bereit  sein  sollte  und 
sie  die  Ruhe  eines  freundlichen  Aufenthaltes  finden 


—    94    — 

könnten.  Die  Wiedervereinigung  mit  den  geliebten 
Eltern  und  unserm  Bruder,  die  im  August,  sechs  Wochen 
nach  unserer  Übersiedlung,  erfolgte,  machte  uns  unaus- 
sprechlich glücklich,  ^nd  wir  suchten  den  teuren  Eück- 
kehrenden  unsre  Freude  auf  alle  erdenkliche  Art  zu 
bezeugen.  Meine  Mutter  wollte  uns  von  nun  an,  so 
viel  als  nur  möglich,  um  sich  haben,  sie  nahm  uns  zu 
ihren  Besuchen  und  überall,  wo  es  nur  anging,  mit 
sich.  Daraus  ergab  sich  fUr  uns  ein  etwas  zerstreuendes 
Leben,  dem  bald  gesteuert  werden  musste.  Mein  Bruder 
wurde  einem  Erzieher,  Namens  E  i  c  h  t  e  r ,  übergeben, 
bei  dem  er,  ich  weiss  nicht  mehr  aus  welchem  Grunde, 
auch  wohnen  musste  und  zwar  zu  unserm  gegenseitigen 
Bedauern  am  andern  Ende  der  Stadt.  Herr  Richter 
war  Lehrer  für  die  unteren  Gymnasialklassen,  und  mit 
ihm  besuchte  Henri  das  Gymnasium,  leider  ohne  viele 
Fortschritte  zu  machen.  Dass  er  seinen  Erzieher,  der 
sonst  ein  verdienstvoller  Lehrer  war,  wegen  dessen 
Härte  und  Jähzorn  nie  liebgewinnen  konnte,  mag  seinen 
mangelhaften  Fortgang  in  den  Studien  beeinflnsst  haben. 
Derselbe  gab  auch  uns  Unterricht  in  manchen  Fächern, 
ausserdem  erhielten  wir  viele  Elavierstunden ,  zuerst 
von  Herrn  Pitschl,  später  durch  den  sehr  geschickten 
Konzertmeister  Eirmeier.  Für  meine  Übungen  im 
Zeichnen,  wofür  ich  mehr  Anlagen  zeigte,  als  zur  Musik, 
begleitete  mich  zweimal  die  Woche  meine  treue  Bonne, 
Frau  Ghaumont,  in  das  Atelier  des  Professors  Doli  im 
herzoglichen  Schlosse.  Fräulein  Marchais  hielt  sehr 
darauf,  dass  der  Unterricht,  den  sie  uns  gab,  nicht 


—     95     — 

anterbrochen  werde.  Trotz  alledem  bildeten  aber  unsere 
geistigen  Beschäftigungen  nicht  mehr,  wie  in  Braun- 
schweig, die  Hauptsache  in  unserer  Tagesordnung,  und 
wenn  es  sich  vielleicht  für  die  Gesundheit  besser  zeigte, 
dass  wir  mehr  ausgingen  und  des  geselligen  Lebens 
genossen,  so  war  es  doch  nicht  mehr  so  förderlich  für 
die  Ausbildung  des  Geistes.  Hinsichtlich  der  Lektüre 
wurde  mir  auch  zu  grosse  Freiheit  gewährt.  Wenn- 
gleich meine  Mutter  die  französischen  Bücher,  die  ich 
las,  und  der  Baron  die  deutschen  durchsah,  so  war  es 
nach  Ansicht  beider  hinreichend,  dass  in  denselben 
nichts  vorkam,  was  gegen  strenge  Sittlichkeit  oder  den 
Glauben  gewesen  wäre.  Die  Gefahr  jedoch,  welche  der 
Ausdruck  der  Leidenschaft  und  das  Bild  ihrer  Ent- 
wicklung der  jugendlichen  Phantasie  bringen  könnte, 
entging  ihnen  vollständig;  alle  moralischen  Bomane 
und  Theaterstücke  waren  uns  daher  sehr  früh  erlaubt. 
Da  mein  Vater  viel  dergleichen  las  und  auch  alle  neuen 
litterarischen  Produkte  in  unsrem  geselligen  Kreise  kur- 
siei'ten,  so  konnte  ich  mich  an  solcher  Lektüre  er- 
götzen, so  viel  ich  wollte.  Dies  gab  meiner  Phantasie 
einen  eigenen  Schwung  und  versetzte  mich  nach  und 
nach  in  eine  ideale  Welt ,  die ,  da  man  nicht  zögerte, 
mich  bei  Hof  und  in  grossem  Zirkeln  der  Gesellschaft 
einzuführen,  bald  auch  ins  äussere  Leben  treten  sollte. 
Gar  nicht  gerne  gedenke  ich  dieser  Träume  meiner 
frühen  Jugend,  die  mir  übrigens  nur  noch  unvollständig 
gegenwärtig  sind. 

Meine  Vorstellung  bei  Hof  war  mir  sehr  lästig,  ich 


-    96    - 

hatte  das  Geffthl,  als  würde  dadurch  meine  Freiheit,  in 
Gesellschaft  zu  gehen,  oder  zu  Hanse  za  bleiben,  ge- 
schmälert. Aach  kam  ich  mir  selbst,  und  wohl  mit 
Recht,  da  ich  noch  nicht  volle  vierzehn  Jahre  zählte, 
viel  zu  sehr  als  ein  Kind  vor,  um  mit  gehörigem  An- 
stand und  nötiger  Kunde  von  allem  Erforderlichen  auf- 
treten zu  können.  Schon  der  Hofmantel,  den  man  jeden 
Sonntag  anziehen  musste,  gab  in  meinen  Augen  der 
Sache  mehr  Bedeutung.  Ich  bat  daher  meine  Mutter 
inständig,  damit  verziehen  zu  wollen  und  noch  wenig- 
stens ein  Jahr  zu  warten,  sie  aber  meinte,  der  Erb- 
prinzessin von  Sachsen-Gotha,  geboiiien  Prinzessin 
von  Mecklenburg- Schwerin,  die  Bitte  nicht  ab- 
schlagen zu  können,  mich  als  Tänzerin  auf  die  Hofbälle 
gehen  zu  lassen,  da  es  an  solchen  gebrach.  So  wurde 
denn  ausgemacht,  dass  ich  nur  an  einem  Sonntag  Abend 
zur  Vorstellung  erscheinen  würde,  dann  aber  für  dieses 
Jahr  davon  dispensiert  bleiben  und  nur  zu  den  Bällen 
zugezogen  werden  sollte.  Die  Oberflächlichkeiten  der 
grösseren  Welt,  in  welche  ich  nun  einging,  gestalteten 
sich  mir  nur  insofern  angenehm,  als  sie  meiner  Eitel- 
keit schmeichelten.  Da  mein  Geist  jedoch  von  Kind- 
heit an  eine  bessere  Nahrung  gewöhnt  war,  fühlte  ich 
mich  immer  leicht  davon  übersättigt.  Die  Wiederkehr 
von  stillen  Tagen  zu  Hause  schien  mir  immer  will- 
kommen, wozu  meine  grosse  Liebe  und  Verehrung  des 
immer  wohlwollenden  Barons  wohl  viel  beitrug.  Wusste 
ich  doch,  dass  er  unsere  Abwesenheit  schwer  empfinden 
musste,  wenn  auch  meine  Schwester  an  den  Hoftagen 


—    97    — 

stets  bei  ihm  blieb.  Wer  deu  Reiz  des  häuslichen 
Kreises  zn  würdigen  versteht^  wird  zugeben,  dass  nicht 
eines  der  Mitglieder  demselben  fehlen  darf,  wenn  man 
sich  seiner  ganz  freuen  soll.  Sowohl  in  dieses  Kreises 
Mitte,  als  auch  in  der  Gesellschaft  und  bei  Hof  wurde 
ich  nur  zu  sehr  von  Alt  und  Jung  gefeiert  und  fühlte 
mich  daher  aberall  wie  ein  Kind  zu  Hause ,  ohne  je- 
doch, dank  der  sorgfältigen  Erziehung,  die  ich  ge- 
nossen, aus  den  Schranken  der  Bescheidenheit  zu 
treten ,  die  der  Weiblichkeit  unumgänglich  notwendig 
sind.  Ich  danke  es  meinem  Schutzengel,  damals  nicht 
übermütig  geworden  zu  sein. 

Vom  vierzehnten  bis  zum  sechzehnten  Lebensjahre 
beschäftigte  mich  unter  diesem  Herumtreiben  in  der 
Welt  eine  kleine  Herzensangelegenheit.  Ich  lernte  einen 
jungen  Mann,  Namens  Louis  Trott,  kennen,  der  die  mir 
entgegengebrachte  lebhafte  Neigung  nicht  zu  verbergen 
vermochte  und  daher  auch  meine  innere  Welt  be- 
schäftigte. Er  war  nur  zwei  Jahre  älter  als  ich,  und 
wir  fühlten  uns  gegenseitig  angezogen  durch  die  Ein- 
helligkeit unserer  Ansichten,  sowohl  über  Litteratur, 
Kunst  und  Poesie,  als  über  die  Welt,  die  uns  umgab 
und  in  der  wir  lebten.  Des  Zwanges,  den  ihm  der 
Wille  meiner  mädchenhaften  Schüchternheit  auferlegte, 
immer  in  den  Grenzen  eines  geschwisterlichen  Verhält- 
nisses zu  bleiben,  ohne  von  schwärmerischer  Liebe 
sprechen  zu  dürfen,  mochte  er  zuletzt  überdrüssig  ge- 
worden sein.  Oder  dachte  er  durch  scheinbare  Untreue 
vielleicht  mich  zu  zwingen,  mein  Benehmen  zu  ändern, 

Carl  Grftf  Obtradorff,  EriDntnangtn  •iji«r  UrgroMmntUr.  7 


—    98    — 

denn  ich  erfuhr  mehrere  Jahre  später,  dass  er  noch 
an  mir  hing.  Genug,  noch  bevor  ihn  die  Universitäts- 
Studien  vom  Gothaschen  Gymnasium  abriefen,  ent- 
fernte er  sich  von  mir,  um  einer  sehr  hübschen,  aber 
unbedeutenden  und  etwas  koketten  Erscheinung  in 
unserem  Kreise  seine  Aufmerksamkeit  während  kurzer 
Zeit  zu  schenken.  Dies  gab  meinem  exaltierten  Herzen 
einen  empfindlichen  Stoss. 

Im  letzten  Jahre  hatte  sich  der  Erbprinz  von 
Sachsen-Gotha,  der  seit  mehr  als  einem  Jahr 
Witwer  war,  wiedervermählt  mit  Prinzessin  Earoline, 
der  Tochter  des  Kurfürsten  von  Hessen-Cassel. 
Eine  der  beiden  Hofdamen,  welche  dieselbe  mitbrachte, 
Namens  Karoline  von  Dalwigk,  etwa  vierund- 
zwanzigjährig,  verband  mit  einer  anmutigen  äusseren 
Gestalt  eine  angenehme  Bildung  des  Geistes.  Diese 
überhäufte  mich  mit  Freundlichkeit,  fühlte  sich  zu 
mir,  wie  sie  sagte,  schwesterlich  und  mütterlich  hin- 
gezogen, dagegen  gewann  sie  auch  mein  ganzes  Herz. 
Durch  ihren  wohlthuenden  Umgang  wurde  ich  mehr  in 
meinem  Zuge  zu  allem  Höheren  und  Edleren  befestigt, 
und  wurde  mir  besonders  das  mir  ohnedies  wider- 
wärtige Spiel  weiblicher  Koketterie,  welches  ich  in  der 
geselligen  Welt  so  vielfach  vor  Augen  hatte,  immer 
mehr  verhasst.  Es  war  mir  dieses  um  so  nützlicher, 
da  ich,  wahrscheinlich  durch  die  meinem  Alter  vor- 
geschrittene Keife,  durch  welche  trotzdem  noch  manch- 
mal kindliches  Wesen  durchschimmerte,  einen  merk- 
lichen Beifall  einerntete  und  des  Courmachens  kein 


—     99    — 

Ende  war.  Überhaupt  hätte  ein  weniger  insictiblickender 
Charakter  leicht  durch  solch'  allzu  reichlich  gezollte 
Lobeserhebungen  zu  thörichtstem  Hochmute  verführt 
werden  können.  Doch  bei  mir  verfing  es,  gottlob,  nicht, 
und  alle,  sogar  meine  Eltern,  schienen  mich  gegen 
Eitelkeit  gefeit  zu  glauben. 

Von  unbegrenzter  Liebe  und  Nachsicht  umringt,  ver- 
brachte ich  die  Zeit  von  meinem  vierzehnten  bis  zur  Vol- 
lendung des  siebzehnten  Lebensjahres  so  recht  glflcklich 
nach  meinem  damaligen  Sinn.  Alle  edleren  Genflsse, 
denen  mein  jugendliches,  lebensfrisches  Gemüt  offen  war, 
genoss  ich  in  ungebundener  Freiheit.  Diejenigen  unter 
meinen  Freundinnen,  die  mir  am  meisten  zusagten, 
durfte  ich  sehen,  so  viel  ich  wollte,  sowohl  bei  mir 
zu  Hause,  als  auch  bei  ihnen.  Hier  muss  ich  bemerken, 
dass  sie  alle  um  vier  bis  acht,  ja  eine  von  ihnen,  eine 
gar  liebenswürdige  Frau,  sogar  um  zwanzig  Jahre  älter 
waren,  als  ich.  Lesen  durfte  ich,  wie  gesagt,  nur  allzu 
Vieles,  lernen  und  zur  Beschäftigung  wählen,  was  mir 
gefiel.  Die  Schönheiten  der  Natur,  die  mich  entzückten, 
genoss  ich  in  häufigen,  oft  grossen  Spaziergängen  und 
Landpartieen  nach  Herzenslust  und  besang  in  mittel- 
mässigen  Gedichten,  was  mir  das  Herz  bewegte. 

Zu  jener  Zeit  kamen  oft  nennenswerte  Durch- 
reisende in  unser  Haus,  unter  anderen  bald  nach  der 
Verheiratung  des  damaligen  Erbprinzen  von  Vt^eimar 
mit  der  Grossfürstin  Maria  von  Bussland,  die 
Familie  des  Grafen  P 1  a  t  e  r ,  der,  wie  ich  glaube,  einige 
Zeit  Gouverneur  von  Littauen  gewesen.    Er  war  ein 

7* 


—    100    — 

ehrwürdiger  Greis  und  seine  Frau  von  höchst  liebens- 
würdigem Charakter.  Sie  begleiteten  mit  ihren  drei 
jüngeren  Söhnen  deren  ältesten  Bruder,  Grafen  Louis, 
auf  seiner  Berufsreise  nach  Deutschland  und  Frank- 
reich. Letzterer  hatte  vom  Kaiser  Alexander  den 
Auftrag  erhalten,  alles,  was  es  in  diesen  Staaten  Be- 
merkenswertes im  Fache  des  Forstwesens  gäbe,  zu 
studieren  oder  zu  besichtigen,  um  dann,  womöglich, 
Nutzen  für  Bussland  daraus  zu  ziehen.  Liebenswür- 
diger und  durch  hellen  umfassenden  Geist  sowohl,  als 
auch  durch  herzliche  Gemütlichkeit  einnehmender,  konnte 
man  nicht  leicht  sein,  als  dieser  Graf  Louis  Plater, 
trotz  seines  nichts  weniger  als  schönen  Äusseren.  Seine 
ungezwungene  Beredsamkeit,  die  alles  ergriff,  um  es 
mit  dem  Reichtum  einer  lebendigen  Anschauungsweise 
zu  umkleiden  oder  mit  Scharfsinn  zu  erläutern,  ent- 
zückte mich  und  unsem  Kreis  so,  dass  er  sich  sehr 
rasch  unsere  herzliche  Zuneigung  erwarb.  Seine  Brüder 
waren  auch  angenehmen  Umganges,  besonders  der  geist- 
volle Graf  Stanislaus.  Später  las  ich  mit  Interesse  ein 
französisches  Werkchen  von  letzterem:  eine  Notiz  über 
Johann  Sobiesky  und  dessen  Briefwechsel  mit  seiner 
Gemahlin  zur  Zeit  der  Belagerung  von  Wien  enthaltend. 
Bei  dem  ersten  Aufenthalt,  den  die  Familie  Plater 
bei  uns  nahm,  war  die  junge  verwitwete  Baronin  Hülsen, 
eine  Nichte  der  Gräfin,  deren  Begleiterin.  Das  Geheim- 
nis ihrer  Verlobung  mit  ihrem  Vetter  Louis  wurde  uns 
aber  nicht  entdeckt.  Ein  halbes  Jahr  später  jedoch, 
nach  ihrer  Bückkehr  von  Paris,  erschienen  sie  als  neu- 


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vermähltes  Paar.  Dann  erfuhren  wir  auch  die  seltsamer'- ••/••• 
Geschichte  der  Maria  Brdjostowska,  der  nachmaligen 
Baronin  Hülsen  nnd  nunmehrigen  Gräfin  Louis  Plater. 
Dieselbe  war  von  früher  Kindheit  an  meistens  unter  Auf- 
sicht dieser  Tante  Plater  auferzogen  und  gebildet  worden, 
teils  wegen  der  Kränklichkeit  ihrer  Mutter,  teils  auch  des- 
halb, weil  die  Vermögensverhältnisse  ihrer  Eltern  stark 
zerrüttet  waren.  Als  Maria  fünfzehn  Jahre  zählte,  er- 
krankte ihre  Mutter  ernstlich  und  wurde  von  der  liebenden 
Tochter  treu  gepflegt.  Dem  Ende  nahe,  teilte  ihr  die 
Mutter  mit,  dass  der  unendlich  reiche,  aber  stumpfsinnige 
Baron  Hülsen  um  ihre  Hand  angehalten  habe,  und 
stellte  ihr  die  Annahme  dieses  ernsten  Loses  als  ein 
edles,  schönes  Opfer  vor,  um  ihre  Familie  vor  dem  sonst 
unabweislichen  Bankerott  zu  retten.  Diese  Eröffnung 
brachte  Maria  umsomehr  in  schmerzlichste  Bestürzung, 
als  sie  schon  seit  mehr  als  einem  Jahre  die  innigste 
Neigung  zu  ihrem  Vetter  Louis  empfand,  welcher  dieselbe 
auch  herzlich  erwiderte.  Nur  die  Äusserung  der  Eltern 
ihres  geliebten  Vetters,  dass  sie  nie  in  eine  Verbindung 
mit  einer  so  nahen  Blutsverwandten  willigen  würden, 
gab  ihr  nach  dem  Augenblicke  des  ersten  Schreckens 
den  Mut,  der  Sterbenden  zu  versprechen,  diese  ihre 
dringende  Bitte  zu  erfüllen.  Die  Mutter  starb,  und  Maria 
fand  sich  nicht  nur  durch  kindliche  Pflicht  an  diese  Zu- 
sage gebunden,  sondern  wurde  auch  noch  von  den  übrigen 
Familiengliedern  in  ihrem  Vorhaben  bestärkt.  Traurig 
und  bangend  erwartete  sie  den  Zeitpunkt  der  Vermählung, 
die  ihr  schwerer,  als  das  Opfer  ihres  Lebens  schien. 


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—     102    — 

•-'•.••••f)ass  dann  Vetter  Louis  ihr  Brautführer  ward,  erhöhte 
noch  ihren  Schmerz.  Der  Grund,  warum  dies  sich  so 
treffen  musste,  ist  mir  entfallen.  So  wurde  sie  die  Ge- 
fährtin eines  Mannes,  der  zwar  blöde  und  stumpfsinnig, 
jedoch  körperlich  stark  und  widerstandsfähig  war.  Er 
brachte  die  meiste  Zeit  seines  Lebens  auf  der  Jagd  zu, 
ffihrte  einen  ffirstlicben  Haushalt,  dem  unsere  liebens- 
würdige Maria  vorstand,  die  nun  gegen  ihr  innerstes  Ge- 
fühl in  Pracht  und  Weltfreuden  leben  musste.  So  ver- 
gingen neun  Jahre ;  da  stürzte  ihr  Mann  so  unglücklich 
auf  einem  Jagdritte,  dass  er  einige  Stunden  darauf  seinen 
Geist  aufgab. 

Louis  hatte  sich  nicht  vermählt,  und  er  und  Maria 
liebten  sich  noch  inniglich.  Das  traurige  Schicksal,  das 
letztere  mit  Geduld,  weiblicher  Würde  und  kindlicher 
Ergebenheit  in  Gottes  Fügungen  ertragen  hatte,  er- 
weichte nun  endlich  das  Herz  von  Louis  Eltern  und 
sie  willigten  in  diese  Verbindung,  welche  nach  ein- 
geholtem Dispens  in  Paris  vollzogen  wurde.  Für  die 
Jahre  der  Trübsal  wurden  sie  mit  einem  selten  glück- 
lichen Los  entschädigt. 

An  interessanten  Persönlichkeiten  könnte  ich  noch 
Graf  Woronzoff  nennen  und  seine  anmutige  Tochter 
E a t i n k a,  nachmalige  Lady  Pembroke,  und  haupt- 
sächlich aber,  unter  allen  hervorragend,  Frau  von  Stael, 
die  bei  ihrem  mehrtägigen  Aufenthalte  in  Gotha  beinahe 
immer  bei  unserem  lieben  Baron  speiste.  Noch  sehe  ich 
sie  vor  mir,  die  mit  Recht  weltberühmte  Frau,  die  ihr 
Geist  über  so  manchen  der  bewundertsten  Männer  ihrer 


—     103     — 

Zeit  erhebt.  Damals  störte  mich  im  Gennss  ihrer  aber- 
reichen, fesselnden  Geistesfülle  das  Unweibliche,  zu 
sehr  nach  Beifall  Haschende  in  ihrem  Wesen,  nnd  den- 
noch musste  ich  mit  dem  gespanntesten  Interesse  ihrer 
Rede  lauschen,  die  voll  ungezwungener  Leichtigkeit 
von  ihren  Lippen  floss,  und  es  war  merkwürdig,  wie  sie 
nie  einen  Gegenstand  oberflächlich  berührte,  wenn  sie 
ihn  auch  nicht  jedesmal  erschöpfte.  Man  fühlte  Geist 
und  Gemüt  in  ihrem  Genie,  und  weit  entfernt  von 
jenen,  welche  sich  darin  gefallen,  durch  das  Übergewicht 
ihres  Geistes  andere  zu  Boden  zu  drücken,  Hess  sie 
nicht  nur  einen  jeden  neben  sich  gelten,  sondern  hob 
auch  wohl  seine  Gaben  hervor.  Dies  habe  ich  an  mir 
sechzehnjährigem  Mädchen  erfahren,  die  ich  mich  sehr 
wunderte,  dass  sie  mich  würdig  fand,  sich  mit  mir  ab- 
zugeben. Sie  that  dies  auf  eine  Weise,  die  mich  durch- 
aus nicht  einschüchterte,  obgleich  sie  mich  durch  die 
Erwähnung  meiner  geringen  Dichtergabe  in  Verlegen- 
heit setzte.  Hofrat  Schlichtegroll,  ein  Freund 
meiner  Kindheit,  hatte  ihr  davon  geplaudert.  Da  ich 
hauptsächlich  auf  deutsch  dichtete,  war  es  mir  eine 
Beruhigung,  dass  sie,  die  damals  diese  Sprache  nur 
unvollkommen  verstand,  sich  daher  nicht  genauer  dar- 
nach erkundigen  konnte. 

An  einem  der  Tage,  die  Frau  von  Stael  bei  uns 
zubrachte,  wobei  sie  von  Benjamin  Gonstant  be- 
gleitet wurde,  kam  auch  Herzog  August  von  Gotha,  um 
ihre  Bekanntschaft  zu  machen,  noch  ehe  sie  an  seinem 
Hofe  erschien.  Was  soll  ich  von  diesem  seltsamen  Manne 


—     104     — 

sagen,  der,  von  Phantasie,  Witz  und  GeistesfflUe 
strotzend,  der  verkehrteste  Kopf  war,  den  ich  je 
gesehen?  —  Von  meinen  Kinderjahren  an  von  ihm 
mit  zuvorkommender  Güte  überhänft  und  bald  nach 
jener  Zeit,  hauptsächlich  durch  ihn,  zur  Hofdame  seiner 
Frau  erwählt,  begegnete  er  mir  von  Neuem  auf  das 
Freundlichste.  Gern  las  er  mir  und  noch  einigen  Damen 
seine  Gedichte  und  Romanzen  vor.  Trotz  aller  Güte  und 
Zuvorkommenheit,  die  er  mir  beständig  und  bei  jeder 
Gelegenheit  bewies,  konnte  ich  ihm  jedoch  nicht  nur 
keinen  Geschmack  abgewinnen,  sondern  fühlte  mich  sogar 
im  grellsten  Gegensatz  zu  seinem  ganzen  Wesen  und 
seinen  phantastischen  Anschauungen.  Wie  aufglühenden 
Kohlen  befand  ich  mich,  wenn  er  mir  dieselben  im  Feuer 
der  Rede  auseinandersetzte,  fast  noch  mehr  als  da  er 
sie  vorlas.  Ich  konnte  in  meinem  damaligen  Alter  viel 
weniger  als  späterhin  verbergen,  was  ich  dachte  und 
fühlte,  begi*eife  daher  nicht,  dass  ich  ihm  nicht  bald 
ebenso  unerträglich  wurde,  als  er  es  mir  gewesen.  Ob 
ihn  davon  bisweilen  etwas  anwandelte,  weiss  ich  nicht, 
jedenfalls  konnte  ich  es  nicht  bemerken ;  sehr  wunderte 
ich  mich,  als  er  sich  einstmals  mit  einer  geistvollen, 
jungen  Person,  der  Tochter  des  Dichters  Gotter  und 
Schwester  der  Frau  von  Schelling,  verabredete,  mich 
in  einem  Sonett  zu  besingen,  das  sie  mir,  zugleich  mit 
dem  ihrigen,  zeigte. 

Herzog  August  traf  mit  Frau  von  Stael  bei  uns 
gerade  an  einem  Tage  zusammen,  an  dem  sein  phan- 
tastischer  Kopf  übersprudelte;   die    beiden    konnten 


—     105     — 

Aber  keinen  Gegenstand  einig  werden.  Ohne  eigentlich 
interessant  zn  sein,  war  dies  Gespräch  in  seiner  Art 
merkwürdig,  ich  fand  es  sogar  ermüdend  und  wünschte 
ihn  in  meinem  Herzen  weit  hinweg,  worin  mir  aber  nicht 
gewillfahrt  wurde,  und  es  dauerte  übermässig  lange, 
bis  er  uns  verliess.  Obwohl  der  Baron  bei  dieser  Ge- 
legenheit  hin  und  wieder  geistvolle  Äusserungen  machte, 
verhielt  er  sich  doch  mehr  als  Zuhörer,  eben  so,  wie 
meine  Mutter.  Diese  fühlte  sich  in  der  Nähe  der  Frau 
von  Stael  überhaupt  wie  beengt,  da  sie  ihr  aus  früheren 
Zeiten  jugendlicher  Eindrücke  her  und  auch  politischer 
Gesinnungen  wegen  vom  Beginn  der  Revolution  an 
in  hohem  Grade  unsympathisch  war.  Es  ist  nicht  zu 
leugnen,  dass  die  berühmte  Frau,  als  Tochter  des 
Ministers  Neck  er,  den  Anfang  der  Revolution  appro- 
biert und  zu  dieser  Zeit,  ganz  im  Gegensatze  zu  den 
Gesinnungen  meiner  tugendhaften  Mutter,  leichte  Grund- 
sätze angenommen  und  im  Leben  ausgeführt  hatte.  Sie 
mochte  auch  noch  damals,  da  wir  sie  sahen,  in  dieser 
Hinsicht  nicht  lobenswert  gewesen  sein,  allein  das  Ende 
ihres  Lebens  war  erbaulich.  Ihre  grosse  Seele  ahnte  schon 
damals  die  Erhabenheit  der  Religion,  und  ihr  edles  Ge- 
müt, das  sie  in  die  Arme  des  Christentums  zurückbrachte, 
war  der  Lichtpunkt  in  ihrem  Wesen.  Ihre  zwei  Kinder 
sind  sehr  fromme  Christen  geworden  und  die  innigsten 
Freunde  ihrer  Mutter,  wie  ich  durch  die  Gräfin  von 
St.  A  ul  aire  erfuhr,  die  ich  in  Paris  als  eine  der  ausge- 
zeichnetsten und  interessantesten  Damen  kennen  lernte. 
Mit  Frau  von  Staäl  war  sie  aufs  engste  befreundet. 


—     106     — 

Ich  erwähnte  schon,  dass  damals,  nämlich  im 
Jahre  1804,  die  Orossfürstin  Marie,  als  Erbgrossherzogin 
von  Weimar,  vom  Norden  her,  ihren  Einzug  in  diese 
Mnsenstadt  gehalten.  Von  Gotha  fnhren  viele  zu  ihrem 
Empfang  nnd  den  Festlichkeiten,  die  er  mit  sich  brachte. 
Meine  Mutter  verfügte  sich  mit  uns  beiden  Schwestern 
einige  Wochen  später  auch  dorthin,  wo  es  noch  immer 
sehr  brillant  zuging,  und  wir  mehrere  Bälle  und  Theater- 
vorstellungen mitmachten.  Des  alten  Barons  geheimer 
Plan  war  es,  dass  ich  bei  dieser  liebenswürdigen 
Fürstin  Hofdame  werden  möge.  Dies  wäre  mir  aber, 
meiner  ernsten  Geistesrichtung  halber,  nicht  minder 
unerträglich  gewesen,  als  die  dadurch  bedingte  Trennung 
von  meinen  Lieben,  wiewohl  mich  die  Grossfürstin 
ganz  bezauberte  und  mir  nicht  anders  als  eine  Huldin 
erschien.  Ihr  graziöses,  schwebendes  Wesen,  der  milde 
und  doch  so  ernste  Ausdruck  ihrer  Züge,  die,  durch  die 
blendend  blühende  Farbe  ihres  Teints  verfeinert,  mir 
schön  erschienen,  ihre  Redeweise,  ihre  Haltung,  kurz 
dies  Alles  sprach  mich  gleich  so  an,  dass  mir,  nach 
Art  der  ersten  Jugend,  der  Enthusiasmus  für  sie  den 
Wunsch  eingab,  ihr  in  allem  ähnlich  werden  zu  können. 
Man  konnte  ihre  Virtuosität  in  der  Musik  und  ihre 
hohe  Geistesbildung  nicht  genug  loben  und  erzählte 
manche  reizende  Anekdote  über  sie,  die  sie  als  ein 
Wesen  von  erhabenem  Charakter  darstellte. 

0,  wie  schnell  ist  der  Rausch  der  Menge  dahin! 
Wenige  Monate  nachher  hatten  sich  bereits  Parteien 
gebildet,  die  sie  im  Gegensatz  zu  ihrer  Schwiegermutter 


—     107     — 

und  Schwägerin  herabsetzten.  Zn  ferne  von  ihr  lebend 
and  zu  unkundig  aller  Einzelheiten,  um  darüber 
urteilen  zu  können,  that  mir  dies  sehr  wehe.  — 

Aus  dem  Projekt  des  Barons,  die  Hofdamenstelle 
betreffend,  konnte  überhaupt  nichts  werden,  da  ausser 
der  russischen  Dame,  Fräulein  von  Berg,  die  sie  mit- 
gebracht hatte,  noch  eine  Weimaranerin  beigezogen 
werden  sollte.  Die  Grossfürstin  äusserte  sich  aber,  dass 
ich  sowohl,  als  auch  meine  Schwester  (die  obgleich  erst 
dreizehnjährig  zu  den  Bällen  und  Festen  mitgenommen 
worden)  ihr  sehr  zusagten,  und  sie  unsere  Art  der 
von  vielen  anderen  vorzöge.  Veranlassung  zu  dieser 
Äusserung  dürfte  wohl  der  damals  in  Weimar  herrschende 
sonderbare  Ton  gegeben  haben.  Von  der  Schöngeisterei, 
die  durchgängig  Mode  war,  zeigte  sich  nicht  nur  die 
ganze  brillante  Welt,  sondern  auch  die  jungen  Mädchen 
angesteckt,  und  dies  machte  manche  unter  ihnen  ab- 
sprechend und  geschwätzig,  was  der  Anmut,  Weiblich- 
keit und  Bescheidenheit  der  Jugend  grossen  Abbruch 
that.  In  Gotha  hatten  diese  Lebensgewohnheiten  noch 
nicht  um  sich  gegriffen,  was  später  wohl  auch  teil- 
weise der  Fall  wurde. 

Ich  hatte  schon  früher  in  Weimar  ausser  Herder, 
von  dem  mir  keine  Erinnerung  blieb,  alle  die  grossen 
Dichter  des  dortigen  Parnasses  gesehen,  sehr  oft 
W  i  e  1  a  n  d ,  jedoch  als  Greis,  dem  man  in  den  letzten 
Jahren  seines  Lebens  kaum  mehr  etwas  ansah  von 
dem  Geiste  seiner  Schriften,  die  er,  wie  ich  hörte,  zu- 
letzt als  guter  Familienvater  bereute,  geschrieben  zu 


—     108     — 

haben.  Er  war  sehr  häufig  bei  den  beiden  Herzoginnen, 
der  Herzogin-Mutter  A  m  a  1  i  a,  einer  Nichte  des  grossen 
FriedrichundgeborenenPrinzessin  von  Braunschweig, 
sowie  der  regierenden,  Luise,  vormaligen  Prinzessin 
von  Hessen-Darmstadt.  Letztere  war  eine  höchst  ge- 
winnende Frau,  von  einfachem,  schlichtem  Wesen  und 
hohem,  edlem  Charakter,  allen  zugänglich,  wie  meine 
Schwester  und  ich  es,  als  sehr  junge  Mädchen,  er- 
fuhren, obgleich  sie  beim  ersten  Anblick  etwas  Stolzes 
und  Zurückhaltendes  hatte.  Sie  ist  es  gewesen,  die 
1806  eine  so  schöne  Rolle  als  hohe,  mutige  Fürstin 
durchführte,  indem  sie  inmitten  der  Verwirrung  des 
Schlachtfeldes  unerschütterlich  in  ihrem  Schlosse  aus- 
harrte und  Napoleon  samt  seinen  Generälen  erwartete, 
was  Stadt  und  Schloss  vor  Plünderung  schützte,  währenft 
die  Vororte  unter  dem  immer  näher  heranrückenden 
Kanonendonner  der  Franzosen  schon  preisgegeben  waren. 
In  der  Folge  ist  es  mir  klar  geworden,  wie  diese 
Fürstin,  ohne  für  so  gelehrt  zu  gelten,  als  ihre  Schwieger- 
mutter, noch  so  vielseitig  gebildeten  (^eistes  zu  sein, 
als  ihre  Schwiegertochter,  Grossfürstin  Marie,  beide 
an  Tiefe  und  Scharfblick  überragte. 

Die  zu  dieser  Zeit  nacheinander  erscheinenden 
Theaterstücke  Schillers  machten  den  grössten  Ein- 
druck auf  mich,  zuerst  „Don  Carlos'^  und  zuletzt  die 
„Braut  von  Messina".  Seine  Werke  exaltierten  mein 
ganzes  Wesen,  und  ich  lernte  viele  seiner  damals  eben 
herausgekommenen  „lyrischen  Gedichte"  auswendig.  Er 
hatte  auch  in  der  ^Huldigun^  der  Künste",  als  Ge- 


—     109     — 

legenheitsprolog  beim  Empfang  der  Grossf&rstin,  selir 
Bemerkenswertes  und  von  der  ihn  umgebenden  Welt 
Bewandertes  geliefert. 

Goethes  berühmte  Dramen  dagegen  waren  alle  viel 
älter  und  nicht  so  nach  meinem  Geschmacke.  Ich  wagte 
wohl  nicht  meine  Meinung  hierüber  zu  äussern,  aber 
auch  „Werther"  gefiel  mir  ganz  und  gar  nicht.  Ich 
hatte  Goethe  beim  Baron  persönlich  kennen  gelernt. 
Als  er  einstmals  dort  zu  Mittag  speiste,  sass  ich  neben 
ihm,  und  da  der  gute  Herr  von  Grimm  ihm  eben  erzählte, 
dass  ich  mehrere  seiner  Werke  kenne,  dachte  ich,  es 
zieme  sich,  ihm  zu  sagen,  dass  ich  gerade  „Herr- 
mann und  Dorothea"  mit  Freuden  gelesen  habe.  — 
Seine  Antwort  war  nicht  sehr  ermunternd,  weiter  von 
diesem  Thema  zu  reden,  er  sagte  nämlich  mit  ge- 
messener, gravitätischer  Stimme:  „So,  haben  Sie  das 
gelesen!" 

Schiller  sah  ich  nur  einige  Male  am  Weimarischen 
Hofe,  wo  er  nur  wenig  sprach,  bei  näherer  Bekannt- 
schaft jedoch  soll  er  sehr  interessant  gewesen  sein. 
Die  Grafen  Plater  reisten  öfter  von  Gotha  nach  Weimar, 
nur,  um  mit  diesen  am  litterarischen  Himmel  glänzenden 
Sternen  zu  verkehren.  Sie  waren  aber  nicht  immer 
mit  Schillers  Antworten  auf  verschiedene  an  ihn  ge- 
richtete Fragen  zufrieden,  so  sagte  er  zum  Beispiel: 
mit  seinem  Gedichte  vom  „Mädchen  aus  der  Fremde" 
habe  er  eben  nur  „das  Mädchen  aus  der  Fremde"  ge- 
meint. Unter  seinen  lyrischen  bezeichnete  er  selbst 
„Die  Sehnsucht"  als  sein  Lieblingsgedicht. 


—     110     — 

Einige  Monate,  nachdem  die  Grossf&rstin  nach 
Weimar  gekommen  war,  machte  sie  einen  Besuch  in 
Gotha,  bei  welcher  Gelegenheit  sie  auch  den  guten 
alten  Baron  aufsuchte,  nnd  uns,  auf  seine  unterthänige 
Bitte  hin,  etwas  auf  dem  Klavier  vorspielte.  Wir 
mussten  alle  ihre  Virtuosität  bewundem,  da  sie  ein 
schwieriges  Konzert  von  Beethoven  auswendig  vortrug. 


VL  Kapitel. 

Bei  Hofe. 

Im  Jahre  1802  heiratete  der  Erbprinz  von  Gotha 
zum  zweiten  Mal,  nachdem  seine  erste  Gemahlin  Luise, 
gebome  Prinzessin  von  Mecklenburg-Schwerin,  im 
Wochenbette,  welches  der  nachmaligen  Herzogin  von 
Coburg  das  Leben  gab,  gestorben  war.  Doch  ehe  ich  von 
der  zweiten  Frau  rede,  muss  ich  noch  einige  Worte  von 
der  ersten  sagen.  Diese  ist  eine  liebliche  Erscheinung 
gewesen,  die  durch  ihre  Schönheit,  Anmut  und  Freund- 
lichkeit allgemein  gefiel.  Am  21.  Dezember  1800  gebar 
sie  ihre  Tochter,  die  am  23.  in  den  Gemächern  der 
hohen  Wöchnerin  getauft  wurde,  wozu  der  ganze  Hof 
geladen  und  versammelt  war.  Ich,  obgleich  noch  nicht 
volle  vierzehn  Jahre  alt,  war  auch  im  langen  Eurmantel 
zugegen.  Die  Erbprinzessin  lag,  sehr  elegant  angethan, 
in  einem  Empfangszimmer,  und  man  war  so  unvorsichtig, 
nicht  nur  etwa  die  Damen  von  höherem  Bang  oder 
Alter  an  ihr  Bett  zur  Gratulation  vorzulassen,  son- 
dern alle  Damen  und  Fräulein,  so  dass  auch  ich  zuge- 
lassen wurde.  Ob  nun  die  Ermüdung  dieses  Tages  oder 
andere  Ursachen  ihr  das  Kindbettfieber  in  gefährlichstem 


—     112     — 

Grade  zugezogen,  weiss  ich  uicht,  allein  sie  starb  daran 
am  4.  Januar  1801. 

Während  mehrerer  Monate  horten  infolge  dieses 
Trauerfalles  alle  geselligen  Freuden  in  Gotha  auf,  dann 
wurden  hie  und  da  einige  Damen,  worunter  auch  wir, 
der  Beihe  nach  vom  Erbprinzen  in  seinen  Gemächern 
zum  Souper  geladen. 

ungefähr  eineinhalb  Jahre  später  war  die  Rede  von 
einer  zweiten  Heirat  desselben  mit  Prinzessin  Karoline 
von  Hessen-Cassel,  derjetzigen  verwitweten  Herzogin. 
Diese  gute,  wohlwollende  Frau  lernte  ich  damals  als 
Erbprinzessin  kennen,  und  zwei  Jahre  darauf  ward  sie 
durch  den  am  20.  April  1804  erfolgten  Tod  des  ver- 
ehrungswürdigen Herzogs  Ernst  regierende  Herzogin. 
Als  solche  nahm  sie  mich  und  Emilie  von  Scheliha 
unter  die  Zahl  ihrer  Hofdamen  auf.  Zwei  andere,  Fräu- 
lein von  Osterhausen  und  von  Dalwigk,  hatte  sie 
überdies  aus  Hessen  mitgebracht,  letzterer  erwähnte  ich 
bereits.  Sie  waren  alle  liebenswürdige  Persönlichkeiten. 
Karoline  von  Dalwigk  übertraf  jedoch  ihre  um  fünf  bis 
sechs  Jahre  ältere  Gefährtin  Osterhausen  an  Anmut  und 
Verstand.  Sie  gewann  alle  Herzen  durch  die  Lieblichkeit 
ihres  Aussem  sowohl,  als  auch  durch  ihre  angeborene 
Freundlichkeit  und  Güte.  Mir  gefiel  sie  auch  ausnehmend, 
jedoch  hätte  sich  ohne  ihre  zärtliche  Zuneigung  zu  mir 
vielleicht  unsere  innige  schwesterliche  Freundschaft 
nicht  so  bald  geschlossen.  Sie  gewann  meine  Liebe  durch 
die  ihre,  welche,  ich  möchte  sagen,  schrankenlos  war, 
in  einem  hohen  Grade,  und  der  Schwung  ihrer  Seele 


~   HS  — 

wirkte  wohlthätig  auf  die  meinige.  Alles,  was  ich  bis 
zu  diesem  Zeitpunkt  in  mir  verschlossen  hielt,  auch 
wohl;  was  nngeweckt  und  unbewusst  in  mir  schlief, 
brach  die  hemmenden  Dämme,  und  wir  schwärmten  auf 
unschuldsvolle  Weise  zusammen.  Meine  stille  Liebe  zu 
Louis  Trott  liess  ich  sie  jedoch  mehr  erraten,  als  dass 
ich  mich  darüber  ihr  gegenüber  aussprach.  Da  sie  ihn, 
als  Landsmann,  schon  seit  seiner  Kindheit  kannte  und 
eine  Freundin  seiner  Schwester  war,  sah  ich  ihn  bis- 
weilen bei  ihr.  Als  er  aber  bemerkte,  dass  ich  Sonn- 
tags vormittags  nach  dem  Gottesdienste  mich  immer 
bei  ihr  einfand,  kam  er  auch  regelmässig  an  diesem 
Tage  zur  selben  Stunde,  und  wir  unterhielten  uns  alle 
drei  recht  gemütlich  zusammen  über  die  Ereignisse  der 
Woche  oder  über  Kunst  und  Poesie. 

Dies  geschah  aber  noch  ehe  ich  Hofdame  ge- 
worden, denn  zu  dieser  Zeit  war  er  schon  zur  Uni- 
versität abgegangen,  und  ich  sah  ihn  nicht  wieder,  bis 
ich  als  Witwe  bei  meiner  Schwiegermutter  mit  ihm 
in  Eisenach  zusammentraf,  wo  er  als  preussischer 
Landwehrof&zier  vor  mich  trat.  Er  fand  mich  gar 
nicht,  ich  ihn  aber  sehr  verändert.  Einige  Jahre 
später  starb  er.  Unser  Wiedersehen  in  Eisenach  hat 
mir  aber  eine  liebe  Erinnerung  zurückgelassen,  indem 
er  mit  grosser  Offenheit  von  der  Wendung  seines 
Lebens  und  seiner  Ausbildung,  deren  Mangelhaftigkeit 
er  bedauerte,  mit  mir  sprach,  und  wir  über  alles  ganz 
ungezwungen  mitsammen,  als  alte  Freunde,  con ver- 
sierten. 

Carl  Oraf  Obtrndorff,  ErinntningtB  •in9t  UrgroMnmfttor.  8 


-    iu    - 

Um  wieder  auf  Caroline  Dalwigk  zurückzukommen, 
muss  ich  bemerken,  dass  sie  es  war,  die  mir  mein 
Hofamt  lieb  machte,  denn  ohne  sie  und  die  Aus- 
sicht, noch  inniger  mit  ihr  yerkehren  zu  können, 
wäre  es  mir  unerträglich  gewesen.  Eben  so  wie  die 
Leere  des  Hoflebens,  war  mir  der  Zwang  der  Ab- 
hängigkeit zuwider,  von  dem  ich  übrigens  um  so 
weniger  einen  Begriff  hatte,  als  niemand  wohl  eine 
so  ungebundene  Freiheit,  wie  ich,  bis  dahin  genossen 
hatte.  Da  ich  erst  siebzehn  Jahre  zählte,  stellten 
meine  Eltern  und  der  Baron  einige  Bedingungen  bei 
der  Annahme  dieser  Hofstelle,  und  erwirkten  mir 
manche  Vergünstigung,  damit  ich  fortfahren  könne, 
meinen  Geist  auszubilden,  und  für  meinen  Familienkreis 
nicht  ganz  verloren  sei. 

An  die  gefährlichste  Freiheit  einer  jungen  Hof- 
dame, die  ihre  eigenen  Zimmer  und  eigene  Dienerschaft 
in  einem  mehr  oder  weniger  entlegenen  Teil  des 
Schlosses  hat,  dachten  meine  Eltern  nicht.  Meinem 
Schutzengel  und  dem  fest  entschlossenen  jungfräulichen 
Sinne  verdanke  ich  es,  dass  ich  diesen  Gefahren  entging. 
In  der  ersten  Zeit  empfing  ich,  wie  alle  andern  Hof- 
damen, Besuche  in  meinem  Zimmer,  wo  sich  auch  viele 
Herren  einfanden,  doch  waren  sie  alle  schon  von  reiferem 
Alter,  bis  auf  einen,  und  dies  war  der  ältere  Bruder 
von  Louis  Trott,  der  Oberforstmeister  in  Gotha.  Als 
ich  einmal  bei  der  Tafel  mit  ihm  zufällig  über  den 
Eid  und  dessen  Unverbrüchlichkeit  zu  sprechen  kam, 
äusserte  er  sich  dahin,  dass  auch  er  einen  geschworen 


-    115    -    • 

habe,  der  schwer  auf  ihm  laste,  und  über  welchen  er  sich 
unmöglich  hinwegsetzen  könne,  obgleich  selbst  Geist- 
liche ihm  gesagt  hätten,  dass  dieser  voreilig  geleistete 
Eid  nicht  bindend  sei,  vorausgesetzt,  dass  er  ihn  Gott 
ernstlich  abbitte.  Er  bat  mich,  zu  mir  kommen  zu 
dürfen,  um  mir  den  Zusammenhang  zu  erzählen.  Ich 
war  neugierig,  dies  zu  erfahren,  und  erlaubte  ihm 
daher,  eine  Stunde  vor  dem  Thee  bei  der  Herzogin, 
mich  aufzusuchen.  Er  fand  sich  glücklich  ein  und 
erzählte,  wie  er  einst  um  Emilie  Scheliha  geworben 
hätte,  welche  anfangs  seine  Neigung  zu  erwidern  schien; 
wie  er  sie  aber  zur  Frau  begehrte,  hätte  sie  um  Be- 
denkzeit gebeten  und  ihm  dann  „Nein^  gesagt.  Diese 
Antwort  habe  ihn  nicht  nur  zu  Boden  gedrückt, 
sondern  ihn  auch  in  hohem  Grade  erzürnt  und  gegen 
das  ganze  schöne  Geschlecht  so  aufgebracht,  dass  er 
vor  Gott  dem  Herrn  feierlich  gelobte,  nie  mehr  an 
eine  Heirat  zu  denken.  Ohne  ergründen  zu  können, 
was  Emilie  wohl  bewegte,  also  abzubrechen,  sagte  ich 
ihm:  nach  meiner  Meinung  sei  ein  solcher  Eid  nur 
dann  bindend,  wenn  er  von  der  Partei,  welcher 
er  geleistet  wurde,  angenommen,  oder  diese  durch 
den  Bruch  des  Eides  geschädiget  würde;  doch  leider 
schienen  ihn  alle  meine  schönen  Schlüsse  nicht  zu 
überzeugen.  Vielleicht  wollte  er,  indem  er  sich  mir, 
als  durch  diesen  Eid  gebunden,  darstellte,  seine  Be- 
suche ohne  alle  Gonsequenz  erscheinen  machen.  Dies 
fiel  mir  erst  später  ein,  als  er  eine  starke  Neigung 
zu  mir  fasste,  die  ich  aber  durchaus  nicht  erwiderte, 

8* 


—     116    — 

obwohl  er  sehr  gut  und  schön ,  aber  was  ich  damals 
uninteressant  nannte,  war,  und  ich  überhaupt  nicht 
leicht  Feuer  fing,  wozu  wohl  auch  die  Erinnerung  an 
seinen  Bruder  beitrug. 

Während  ich  so  traulich  und  ernst  mit  ihm  da- 
sass  und  conversierte,  kam  es  mir  plötzlich  durch  den 
Sinn,  wie  nach  den  Convenienzen  des  Lebens  dieses  Zu- 
sammensein eigentlich  ganz  unpassend  sei;  es  wurde 
mir  auf  einmal  unheimlich  zu  Mute,  besonders  bei  dem 
Gedanken ,  was  wohl  meine  Dienerschaft  yon  uns 
denken  würde,  und  ich  trachtete  schleunigst  unser 
Gespräch  zu  Ende  zu  führen. 

Der  Entschluss,  keinen  männlichen  Besuch  mehr  in 
meinem  Zimmer  zu  empfangen,  reifte  mit  einemmale  in 
mir,  und  um  ihn  auszuführen,  brauchte  ich  nur  gleich 
nach  aufgehobener  Tafel,  meinem  Herzen  folgend,  zu 
meiner  Freundin  Dalwigk  zu  gehen,  bis  mich  der 
Wagen  holte ,  welcher  mich  für  die  Zwischenzeit  nach 
Hause  zu  fahren  hatte.  Und  nach  und  nach  fand  es 
sich,  dass  ich,  um  meine  Studien  in  Litteratur,  Sprachen 
und  den  schönen  Künsten  fortsetzen  zu  können,  über- 
haupt keine  Zeit  zu  Besuchen  erübrigen  konnte,  ausser 
für  die  verehrte  Ministersfrau  von  Frankenberg  und 
für  meinen  guten,  alten  väterlichen  Freund,  welche 
beiden  ich  samt  meinem  ganzen  Familienkreise  nicht  ent- 
behren wollte.  Hauptsächlich  konnte  dies  alles  an  den 
zwei  Tagen,  die  ich  mir  wöchentlich  ganz  vorbehalten 
hatte,  geschehen.  Auch  hatte  es  der  Baron  mit  dem 
Herzog  und  der  Herzogin    abgemacht,   dass  ich  alle 


—     117     — 

Vormittage  ganz  für  mich  haben  sollte  und  keine  der 
Reisen,  die  die  Herzogin  bisweilen  unternahm,  mit- 
zumachen brauchte.  Indessen  traf  es  sich  schon  gegen 
Ende  des  ersten  Jahres,  dass  wir  es  mit  dieser 
Forderung  nicht  allzu  strenge  nehmen  durften.  Als 
nämlich  der  Landtag  zu  Altenburg  nach  langer  Zeit 
wieder  zum  erstenmale  mit  dem  ehemaligen  Olanze 
eröffnet  werden  sollte,  bat  mich  die  Herzogin,  sie  da- 
hin zu  begleiten,  was  man  ihr  billiger  Weise  doch  nicht 
abschlagen  konnte. 

Diesen  Ausnahmsfall  hatte  der  wunderliche  Cha- 
rakter der  Gemahlin  des  Herzogs  Ernst,  Herzogin 
Charlotte,  herbeigef&hrt,  die  sich  von  jedem  Er- 
scheinen am  Hofe  befreit  hatte,  um,  wie  sie  sagte,  ein 
zurückgezogenes,  gelehrtes  Leben  zu  führen,  wie  viele 
aber  behaupteten,  nur  einzig  deshalb,  um  mit  jener  raffi- 
nierten Bosheit,  die  sie  leider  kennzeichnete,  ihren  ver- 
ehrungswflrdigen  Gemahl  zu  kränken.  Dieser  trug  alles 
mit  bewundernswerter  Geduld  und  büsste  hierdurch  die 
Widerspenstigkeit  seiner  Jugend,  in  der  er  sich  weigerte, 
diejenige  Fürstin  zu  heiraten,  oder  vielmehr  unter 
denjenigen  zu  wählen,  die  ihm  seine  Eltern  vor- 
geschlagen hatten.  Er  hegte  nämlich  damals  eine 
heftige  Leidenschaft  für  eine  Person  eines  andern 
Standes.  Und  so  wurde  er  denn  später  bei  der  Rück- 
kehr von  einer  Reise,  in  Meiningen,  wo  er  sich  kurze 
Zeit  aufhielt ,  von  dieser  arglistigen  Prinzessin  gleich- 
sam in  das  Netz  gezogen.  Ich  enthalte  mich  ferner- 
hin von  ihr  zu  sprechen  und  bemerke  nur  noch,  dass 


—     118    — 

sie,  gottlob,  die  einzige  Person  yon  allen  war,  die 
ich  je  kennen  lernte,  welche  ein  Vergnügen  darin 
fand,  Lente  zn  peinigen,  ohne  einen  anderweitigen 
Zweck  dam|t  zn  verbinden.  Ihr  Gemahl  war  desto 
musterhafter  und  liebenswürdiger  nnd  ich  wüsste  an 
ihm  nichts  zn  tadeln,  als  höchstens  dass  er  (gewiss  un- 
schuldiger Weise  nnd  aus  Herzensgüte)  den  Freimaurein 
und  lUnminaten  günstig  gesinnt  war,  und  unter  anderen 
auch  der  berüchtigte  Weishanpt,  mit  seiner  übrigens 
sehr  schätzbaren  Familie,  Zuflucht  in  seinem  Staate  fand. 

Der  Tod  des  Herzogs  Ernst,  den  das  ganze  Land 
tief  beklagte  und  betrauerte,  wird  mir  immer  in  weh- 
mütiger, stillfeierlicher  Erinnerung  bleiben,  erstlich 
wegen  der  blutenden  Wunde,  die  er  dem  Herzen 
meines  geliebten  väterlichen  Freundes  schlug,  und 
ferner  wegen  der  Trauer,  welche  sein  Hinscheiden  der 
mir  in  enger  Freundschaft  verbundenen  Familie  des 
Kriegsrates  Reichard  verursachte. 

Frau  Ämelie  Reichard,  geborene  S  e  i  d  1  e  r , 
obwohl  zwanzig  Jahre  älter  als  ich,  die  damals  sieb- 
zehnjährige, hatte  durch  die  Anmut  ihres  inneren 
Wesens  und  ihrer  äusseren  Erscheinung  mein  Herz 
gewonnen.  Sie  behandelte  mich  als  vertraute  Freundin, 
der  sie  alP  ihre  Gedanken  und  Gefühle  mitteilte,  und 
ich  muss  sagen,  dass  sie  nnd  Karoline  Dalwigk  durch 
den  überwiegenden  Adel  ihres  Gemütes  und  ihre  ge- 
winnende Liebenswürdigkeit  mir  höchst  wohlthätig 
und  förderlich  bei  der  Entwicklung  meines  Seelen- 
lebens   waren.     Meiner    lieben    verehrten    Freundin 


—     120    — 

zu  jener  Zeit  allem  Ernste ,  sowohl  in  Litteratnr  als 
Wissenschaft,  durchaus  keinen  Geschmack  abgewinnen 
konnte.  Dennoch  liebten  wir  uns  innig:  sie  empfand 
eine  Art  bewundernder  Achtung  für  mich  und  ich 
ein  zärtlich  mütterliches  Gefühl  für  sie.  unbeschreib- 
liche Anmut  vereinte  sich  in  ihr  mit  Herzensgüte 
und  opferfreudiger  Hingebung,  während  ihren  Geist 
Heiterkeit  und  unschuldiger  Witz  nur  noch  umso  an- 
ziehender gestalteten.  Sie  bezauberte  dadurch  all- 
gemein Jung  und  Alt  und  wurde  von  allen  geliebt. 
Ich  glaube  nicht,  dass  dies  ebenfalls  von  mir  gesagt 
werden  konnte,  wiewohl  ich  von  vielen  mit  über- 
fliessender  Liebe  umschlossen  und  erhoben  wurde.  Der 
Ernst  meines  Geistes,  welcher  sich  schon  mit  den 
ersten  Jahren  des  Heranwachsens  kund  gab,  und  eine 
ebenso  abstossende  Kraft  gegen  diejenigen,  die  ich 
als  gemeine,  niedrige  oder  engherzige  Seelen  klassi- 
fizierte, wie  feurige  Liebe  und  Bewunderung  für  solche, 
die  ich  meiner  Zuneigung  würdig  erachtete,  musste  die 
Einen  ebenso  sehr  gegen  mich,  wie  die  Andern  lebhaft 
für  mich  einnehmen.  Doch  waren  es  eigentlich  nur 
wenige,  die  ich  in  diese  beiden  Klassen  hätte  einreihen 
können,  und  es  musste  sich  natürlich  eine  bedeutende 
Zwischenklasse  finden,  Leute,  die  höchst  gütig  und 
freundlich  mir,  dem  so  lebendigen  Kinde,  vieles  nach- 
sahen, was  des  Tadels  bedurft  hätte,  und  mir  durch  ihre 
Güte  und  Liebe  zwar  Zuneigung  und  Achtung,  doch 
keineswegs  Bewunderung  abgewannen.  Ich  fühle  es 
noch,  wie  sich  die  aufstrebende  und  suchende  Seele  in 


—     121     — 

diesem  Liebeselemente  selig  bewegte.  Auch  ist  mir  er- 
innerlich; dass  Graf  Louis  Plater  einmal  sagte:  „ Beide 
Schwestern  sind  mir  wert  und  interessant,  and  ich  ver- 
gleiche Gräfin  Adöle  mit  einem  zwischen  blumigen  Wiesen 
leicht  und  klar  dahinfliessenden  Bache,  und  Sie  mit  einem 
ans  der  Höhe  über  Felsen  herabstürzenden  Bergstrom.** 
—  Li  meiner  kindlichen  Unbefangenheit  verstand  ich 
damals  nicht  ganz  den  Sinn  dieser  Metapher  —  und 
es  ist  mir  lieb,  dass  ich  sie  nicht  begriff. 

Um  von  meiner  geliebten  Schwester  und  von  mir 
zu  sprechen,  habe  ich  von  dem  Tode  des  edlen  Herzogs 
Ernst  abgelenkt,  auf  den  ich  nun  zurückkommen  muss. 
Sein  am  21.  April  1804  erfolgtes  Ableben  leitete,  in- 
folge der  Gegensätze  seines  Charakters  mit  dem  seines 
Nachfolgers,  eine  ganz  neue  Ära  für  das  Herzog- 
tum ein. 

Merkwürdig  war  die  besondere  Art  seiner  Be- 
stattung an  einem  eigentümlichen  Orte,  welchen  dieser 
seltsame,  in  sich  gekehrte,  vieldenkende  und  fein^em- 
pfindende  Mann,  für  sein  Begräbnis  angeordnet  hatte. 
Auch  musste  die  Beerdigung,  ich  weiss  nicht  aus 
welchem  Grunde,  zu  später  Abendstunde,  bei  Monden- 
schein und  Fackellicht  stattfinden,  was  in  allen,  die  da- 
bei gegenwärtig  waren,  sowie  auch  in  mir,  obzwar  ich 
nicht  dabei  gewesen  und  nur  davon  sprechen  hörte, 
eine  poetische  Erinnerung  znrückliess.  Er  hatte  in 
seinem  nicht  sehr  grossen,  aber  in  edlem,  grossartigem 
Stile  angelegten  Parke  eine  ziemlich  geräumige, 
schattige  und  mit  allerlei  Bäumen,  hauptsächlich  Cy- 


—     122     — 

pressen  nnd  Tranerweiden,  bepflanzte  Insel  schaffen 
lassen  nnd  testamentarisch  verfügt,  dass  dortselbst  seine 
sterblichen  Überreste  der  Erde  ohne  Sarg,  nur  in  ein 
Leichentuch  gehüllt,  anvertraut  werden  sollten,  angeb- 
lich, damit  nichts  die  Elemente  seines  Leibes  ver- 
hindere, je  eher,  je  lieber  wieder  zu  Erde  zu  werden, 
woraus  sie  gebildet  waren.  Man  bereitete  ihm  dem- 
nach einen  mit  Rasen  belegten  Sarg  an  diesem  stillen, 
umschatteten  Orte,  und  mehrere  Tage  hindurch  strömte 
die  Menge  dahin,  die  Trauerstätte  mit  Blumen  zu  be- 
streuen und  mit  ungeheuchelten  Thränen  zu  befeuchten. 
Er  hatte  sich  jede  Trauerrede  verbeten  und  nur  ein 
stilles  Gebet  angeordnet. 

Der  Oberhofprediger,  ein  frommer  Christ,  und  des- 
halb von  dem  aufgeklärten  Hofe  und  der  ebenso  auf- 
geklärten Stadt  verkannt  und  beinahe  verlacht,  em- 
pfing den  Befehl,  keine  Rede  zu  halten ;  er  gehorchte, 
schloss  aber  sein  Oebet  an  der  Trauerstätte  mit  wenigen 
sinnvollen  Worten,  die  umsomehr  Jung  und  Alt  in  Er- 
staunen setzten,  als  man  sie  nicht  aus  diesem  Munde  er- 
wartet hätte;  er  sagte  nämlich:  „Hier  ist  es  dunkel,  dort 
ist  es  licht  —  hier  sind  wir  traurig  —  dort  ist  er 
selig."  Ein  allgemeines  Schluchzen  folgte  dieser  kurzen, 
sinnigen  Grabrede. 

Da  erst  nach  der  Veränderung,  die  dieser  Tod  be- 
wirkte, meine  Hofdamenzeit  begann,  ist  dieser  Bericht 
eigentlich  nur  ein  Rfickblick  auf  damals  schon  Ver- 
gangenes und  ich  komme  auf  jene  Ereignisse  zurück, 
die  meinem  Eintritte  bei  Hofe  folgten. 


—     123     — 

Um  nicht  ganz  in  dieser  zerstreunngssüchtigen  und 
ziemlich  oberflächlichen  Welt,  die  mich  nun  umgab,  zu 
verflachen,  hatte  ich  mich  in  meinen  Mnssestunden  mit 
Feuereifer  der  Wissenschaft,  und  zwar  besonders  dem 
Studium  der  Geschichte  und  Philosophie,  hingegeben. 
Mit  dem  Hofrat  Jacobs*)  las  ich  die  englischen 
Dichter  und  lernte  nach  seinem  Bäte  die  spanische 
Sprache,  deren  Litteratur  er  mir  sehr  empfahl.  Unter 
anderem  hatte  ich  mir  auch  Winekelmanns  Werk  über 
Plastik  und  antike  Kunst  angeschafft,  und  ein  Jahr 
später  liess  ich  es  mir  beifallen,  meine  schon  frfiher 
erlangten  Kenntnisse  in  der  Mathematik  durch  die  Er- 
lernung der  Algebra  zu  bereichern.  Ich  stiess  in  dieser 
auf  Schwierigkeiten,  die  ich  weder  in  der  Geometrie 


*)  Friedrich  Christian  Wilhelm  Jacobs,  Schriftsteller  and 
Übersetzer,  erblickte  1764  zn  Gotha  das  Licht  der  Welt,  woselbst 
er  auch  seine  Stadien  beendete  und  den  grössten  Teil  seines  Lebens 
frirkte.  Herzog  Ernst  II.  ehrte  und  unterstützte  sein  Talent  in 
reichlichem  Masse.  Er  starb  im  Jahre  1847.  Von  seinen  Werken 
sind  zn  nennen:  1.  Übersetzungen:  Vellejus  Patercnlus  und 
Homer  nach  Handschriften  (1793),  Bion  und  Moschus  mit  Vorrede 
aber  Theokrit  (1795)  etc.,  etc.  2.  Eigene  Werke:  „Elementar- 
bnch  der  griechischen  Sprache**  (zwei  Bände  1807),  „Vermischte 
Schriften**  (fQnf  Bände  1823—1824  Gotha  und  Leipzig),  „AUwin 
and  Theodor**,  „Auswahl  aus  den  Papieren  eines  ungenannten**, 
„Feierabende  in  Mainaa**,  „Die  beiden  Marien**,  etc.,  etc.  Die 
meisten  derselben  erschienen  anter  dem  Titel  „Schale  für  Frauen** 
(sieben  Bände,  Leipzig  1827 folg.)  gesammelt.  3.  Er  gab  heraus: 
„Exercitationes  criticas  in  scriptores  veteres**  (1796—1797),  «An- 
thologia  ad  fidem  codicis  Vaticani  edita**  (vier  Bände,  Leipzig 
1813  —  1817)  etc.  Über  ihn  schrieb  anter  anderen  Wüstemann: 
„Jacobsi  landatio**  (Gotha  1847).  Der  Heraasgeber. 


—     124     — 

Doch  in  dem  Teil  der  Trigonometrie,  den  ich  studiert, 
gefanden  hatte.  Unter  Herrn  S  p  a  r  r  s  Leitung  gelang 
es  mir,  dieselben  zu  überwinden,  (der  Umstand,  dass 
er  Instruktor  meiner  Schwester  in  Geschichte,  deutscher 
Sprache  und  Arithmetik  war,  bot  mir  Gelegenheit,  ihn 
zum  Lehrer  der  Algebra  zu  nehmen).  Damals  nannten 
wir  ihn  eine  gute,  reine  Seele,  schätzten  und  achteten 
ihn,  aber  ich  gestehe,  dass  ich  erst  später  seinen  yoUen 
Wert  erkennen  lernte,  nachdem  ich  durch  vielfache 
Erfahrungen  im  Leben  inne  wurde,  wie  selten  solche 
demütigen,  liebevollen  Seelen  sind.  Er  war  dabei  voll 
Lebendigkeit  und  ergriff  alles  Schöne  und  Edle  mit 
kindlichem  Entzücken.  Seine  Gesundheit  war  schwach, 
und  wenige  Jahre  später  wurde  er  seinem  geistlichen 
Berufe  entrissen;  er  starb  an  Schwindsucht. 

Soviel  ich  mich  erinnere,  geschah  es  in  meinem 
ersten  Jahre  bei  Hofe,  dass  sich  die  Herzogin  auf 
drei  Wochen  nach  dem  nahegelegenen  Lustschlosse 
Ichtershausen  begab.  Ihr  Oberhofmeister,  Herr  von 
Scheliha,  dessen  Gattin,  sowie  Earoline  Dalwigk, 
Emilie  Scheliha  und  ich  begleiteten  sie.  Fräulein 
von  Osterhausen  war  während  dieser  Zeit  abwesend. 
Ausserdem  reisten  noch  der  Kammerherr  und  Eammer- 
rat  von  Schlotheim,  als  dienstthuender  Kämmerer 
und  ein  Kammerjunker,  den  ich  nicht  mehr  zu  nennen 
weiss,  mit  uns.  Herr  von  Scheliha  behandelte  mich 
mit  der  gleichen  väterlichen  Freundlichkeit,  wie  Herr 
von  Schlotheim,  den  man  als  tiefdenkenden  und  sehr 
gebildeten  Mann  schätzte, 


—     125     — 

Ich  hatte  ausser  Winckelmanns  „Plastik^  auch 
Mendelssohns  „Fhädon^  nach  Ichtershausen  mitgenom- 
men, und  dieses  letztere  Werk  gab  öfters  Gelegenheit 
zu  Tischgesprächen  zwischen  Schlotheim  und  mir,  die  wir 
dann  noch  meistens  bei  den  abendlichen  Spaziergängen 
fortsetzten,  was  sich  nicht  nur  sehr  interessant  ge- 
staltete, sondern  mir  auch  noch  zum  bleibenden  Gewinn 
wurde,  da  ich  dadurch  lernte,  meine  eigenen  Gedanken 
auszudrucken  und  für  andere  klar  zu  machen. 

Gerade  in  der  schönsten  Jahreszeit  waren  wir  also 
gemütlich  in  Ichtershausen  etabliert.  Das  hübsche, 
etwas  altertümliche  Schloss  umgab  der  in  altfran- 
zösischem Stile  angelegte  Garten,  an  welchen  ein  an- 
mutiges Hölzchen  stiess,  das,  von  zahlreichen  Geh-  und 
Fahrwegen  durchzogen,  einem  Parke  glich.  Längs  des 
Gartens  lief  eine  grosse  Lindenallee  mit  Bänken,  in 
der  ich  gewöhnlich  früh  Morgens,  oft  schon  vor  dem 
Frühstück,  promenierte,  mich  meinen  Gedanken  über- 
lassend. Wobei  sowohl  magische  Träume  der  Phantasie, 
als  ernste,  philosophische  Forschungen  meinen  Geist 
beschäftigten.  Meistens  waren  wieder  Winckelmanns 
„Plastik^  oder  „Phädon^  meine  Begleiter  auf  diesen 
einsamen  Spaziergängen  zu  irgend  einer  jener  lauschigen 
Bänke,  woselbst  ich  mich  dann  mit  den  beiden  stummen 
und  doch  so  beredten  Freunden  zu  unterhalten  pflegte. 

Ich  erinnere  mich,  eines  Morgens  ganz  darin  ver- 
sunken gewesen  zu  sein,  als  plötzlich  eine  schlichte 
Bauersfrau  vor  mir  stand  und  mich  mit  den  Worten 
anredete:  „Ei,  wie  so  andächtig  schon  in  der  Frühe I^ 


—    126    — 

Erst  lächelte  ich,  dann  aber  dachte  ich,  wie  gut  es 
doch  die  Frau  gemeint  und  wasste  es  ihr  Dank.  Mit 
dem  Socrates  war  ich  ja  auch,  nach  meiner  damaligen 
beschränkten  Meinung,  andächtig,  da  ich  dem  „unbe- 
kannten^  Gotte  Anbetung  darbrachte  —  ja  wohl  noch 
unbekannt  ist  er  mir  damals  gewesen,  obgleich  er  mir  doch 
so  bekannt  schien,  denn  was  wusste  ich  klar  von  ihm,  als 
dass  er  mein  Schöpfer  und  weiser  Erhalter  sei  ?  —  Die 
Erlösung  war  mir  jedoch  ganz  in  den  Hintergrund  meines 
Denkens  und  Fühlens  getreten,  und  ich  hatte  ihre 
grosse  Bedeutung  auch  in  den  Einderjahren,  wo  ich 
so  gedankenlos  daran  glaubte,  nie  recht  erfasst.  — 

In  den  Vormittagsstunden  besuchte  ich  oft  Earoline 
Dalwigk,  aus  deren  Fenster  uns  eine  freundliche 
Aussicht  über  den  Gai*ten  und  auf  die  Ufer  der  Gera 
anlachte.  —  Wir  plauderten,  lasen  und  arbeiteten  dann 
zusammen  und  auch  Emilie  gesellte  sich  zuweilen  zu 
uns,  jedoch  gab  sie  sich  viel  mit  Musik  in  den  untern 
Zimmern  ab,  wo  sie  und  ich  wohnten.  —  Zu  dieser 
Zeit  war  Karoline  Dalwigk  oft  wegen  des  langen  Aus- 
bleibens der  Briefe  ihres  Bräutigams  Eduard  Dewar 
betrübt,  ich  suchte  sie  zu  zerstreuen,  doch  wollte  es 
mir  kaum  gelingen ;  als  er  dann  später  für  einige  Zeit  in 
Gotha  erschien,  fiel  ihm  die  schwere  Aufgabe  zu,  seine  ge- 
liebte Braut  zu  trösten  über  den  Verlust  ihrer  Schwester, 
Frau  von  Busch,  deren  Tod  sie  bis  ins  Innerste  des 
Herzens  erschüttert  hatte.  Bald  darauf  kam  er  jedoch, 
um  von  ihr  Abschied  auf  längere  Zeit  zu  nehmen,  da 
das  Regiment,  bei  dem  er  stand,  nach  Amerika  ge- 


—     127    — 

schickt  warde.  Von  Ichtershausen  ans  benutzten  die 
Herzogin  und  wir  das  schöne  Sommerwetter  nicht  nur, 
um  Spaziergänge  und  Fahrten  in  der  nächsten  Um- 
gebung zu  machen,  sondern  auch  um  Excursionen  wie 
zum  Beispiel  nach  Molsdorf,  Stedten,  den  drei  Gleichen 
oder  Ettersburg  bei  Arnstadt  und  anderen  Orten,  deren 
Namen  mir  jetzt  entfallen  sind,  zu  unternehmen.  Mols- 
dorf, ein  hübsches  Schloss,  und  seinen  grossen  steifen 
Garten,  kannte  ich  längst  schon,  aber  Stedten,  von  dem 
ich  so  häufig  hatte  reden  hören,  war  mir  noch  unbekannt, 
und  es  gereichte  mir  zur  grössten  Freude,  diesen  anmuts- 
vollen Ort  und  den  interessanten  Familienkreis  kennen  zu 
lernen,  von  dem  ich  nicht  ahnen  konnte,  dass  ich  ihm 
später  so  eng  verbunden  sein  würde.  Es  war  dieses  die 
Familie  des  Grafen  Keller.  Die  Gräfin  Am^lie,  ge- 
bome  Gräfin  zu  Sayn-Wittgenstein-Berleburg, 
hatte  ich  zwar  in  meinen  Kinderjahren  schon  einigemale 
in  Erfurt  gesehen,  wenn  ich  meine  Mutter  begleitete, 
welche  gern  einige  daselbst  wohnende  emigiierte 
französische  Familien  besuchte.  Auch  erinnere  ich 
mich,  sie  gesehen  zu  haben,  als  ich  einmal  mit  meinen 
Eltern  acht  Tage  beim  Coadjutor  von  Mainz,  Freiherrn 
von  Dalberg,*)  dem  nachmaligen  Fürstprimas  des 
Rheinischen  Bundes,  zubrachte.  Gräfin  Keller  —  meine 
spätere  Tante  Am^lie  —  hatte  mir  durch  ihre  auffallende 
Schönheit  und  ihre  Leutseligkeit  einen  sehr  angenehmen 


*)  N&heres  über  diesen  siehe  1.  Bach,  letztes  Kapitel  in  der 
Anmerkung  bei  seinen  Briefen  an  Julie  von  Bechtolsheim. 

Der  Ueraosgeber. 


—    128     - 

Eindruck  zurflckgelassen,  der  sich  jetzt,  wo  mich  mein 
reiferes  Alter  schon  fähiger  machte,  ihre  ganze  Liebens- 
würdigkeit zu  erkennen,  nicht  nar  emente,  sondern 
sogar  noch  in  hohem  Grade  steigerte.  Um  ihren 
freundlichen,  lieblichen  Mund  schwebte  ein  Zug  von 
Wehmut,  den  wohl  damals  die  Kränklichkeit  ihres 
Töchterchens  Sophie  verursachte.  Dies  liebe  Kind 
war  der  Gegenstand  zärtlichster  Aufmerksamkeit  der 
zahreichen  Geschwister ;  auch  ihre  Tante  B  o  t  z  h  e  i  m 
und  deren  Tochter  Luise,  welche  beiden  ich  damals 
kennen  lernte,  teilten  sich  in  die  Sorge  und  Pflege 
desselben. 

Während  dieses  Sommeraufenthaltes  empfing  die 
Herzogin  den  Besuch  des  Erbgrossherzoges  Friedrich 
Ludwig  von  Mecklenburg-Schwerin,  welcher, 
von  Paris  nach  Ludwigslust  zurückkehrend,  sie  wohl 
hauptsächlich  seiner  Nichte,  der  Prinzessin  Luise, 
wegen  hier  aufsuchte.  Ihn  begleitete  der  kaum  zwanzig- 
jährige Kammerjunker  Freiherr  von  R  a  n  t  z  a  u ,  mein 
nachmaliger  treuer  Freund,  an  dem  mir  damals  nur 
sein  hübsches  Äussere,  seine  gefälligen  Manieren  und 
seine  schöne  Stimme  bemerkenswert  schienen.  Der 
Erbprinz,  den  ich  schon  früher  in  Hamburg  beim  guten 
alten  Baron  Grimm  gesehen,  war  sehr  liebenswürdig, 
und  die  Wehmut,  die  der  Verlust  seiner  ersten  Ge- 
mahlin, der  Grossfürstin  von  Bussland,  in  seinen 
Zügen  aasdrückte,  machte  ihn  uns  allen  interessant. 
Er  blieb  nur  kurz,  und  bald  darauf  begaben  wir  uns 
wieder  nach  Gotha,  wo  alle  Vorbereitungen  zum  be- 


—     129     — 

vorstehenden  Landtage  in  Altenbarg  emsig  getroffen 
wurden. 

Wie  schon  früher  bemerkt,  mnsste  bei  dieser 
seltenen  Gelegenheit  eine  Ausnahme  der  Bedingungen 
gemacht  werden,  die  meine  Eltern  für  mich  aufgestellt 
hatten.  Über  Weimar,  wo  die  Herzogin  der  Gross- 
färstin,  die  ihr  erstes  Wochenbett  eben  damals  beendet 
hatte ,  einen  Besuch  abstattete ,  reisten  wir  im  Oktober 
1805  nach  Altenburg ,  wo  ein  feierlicher  Empfang  der 
hohen  Herrschaften  harrte. 

Etwa  acht  Tage  nach  unserer  Ankunft  fand  die 
Eröffnung  des  Landtages  statt.  Diese  Feier  begann 
mit  einem  Gottesdienste,  dem  die  Herzogin  mit  uns, 
schon  gegen  neun  Uhr  morgens  in  grossem  Hofstaate 
beiwohnte,  und  zwar  auf  den  Tribünen  der  alter- 
tümlichen Hofkirche,  die  sich  im  Schlosse  selbst  be- 
findet. Ich  erinnere  mich  zwar  noch  deutlich,  dass  diese 
Tribünen  mit  dunklen  Tapeten  von  Hautelisse  dekoriert 
waren,  doch  kann  ich  mich  nicht  mehr  entsinnen, 
welche  Plätze  der  Herzog,  seine  Herren  und  die  Land- 
stände einnahmen.  Gleich  nach  dem  Gottesdienste 
begaben  wir  uns  in  die  Gemächer  der  Grossherzogin, 
von  wo  wir  uns  dann  in  geregelter  Ordnung  mit  den 
Frauen  der  Minister  in  den  grossen  Saal  verfügten. 
Pagen  trugen  der  Herzogin  die  Schleppe  von  Gold- 
stoff nach,  und  auch  wir  vom  Gefolge  hatten  alle 
reich  mit  Silber  oder  Gold  gestickte  und  durchwirkte 
Kleider  sowie  Hofmäntel  angethan.  Der  Herzog  liess 
sich   auf  dem  Throne  nieder.    Rechts  von  demselben 

Cftil  Grftf  Obtrndorif,  Erinntningtn  tintr  UrgroMmntitr.  9 


—     130    — 

stand  die  Tribfine  der  Herzogin  ^  links  die  unsrige. 
Dann  trat  der  Kanzler  hervor ,  der  die  Eröffnungsrede 
hielt,  so  wie  anch  der  Abgesandte  von  Coburg ,  da 
einige  Ämter  dieses  Herzogtums  im  Altenburgischen 
miteinbegriffen  waren ,  wenn  mich  meine  Erinnerung 
nicht  trttgt. 

An  diesem  Tage  speiste  der  Herzog  in  einem  an- 
stossenden  Saale  mit  den  Landständen.  Gegen  Ende 
dieses  Festmahles  erschien  die  Herzogin  in  unserer 
Begleitung,  worauf  alsbald  auf  ihr  und  des  Herzogs 
Wohl  getrunken  wurde.  Wir  hatten  etwas  früher  in 
einem  andern  Gemache  mit  den  Ministern,  deren 
Frauen  und  vielen  andern  Herren  gespeist.  Hierauf 
gönnte  man  sich  einige  Stunden  Kühe ,  bis  zur  Abend- 
kur, die  im  grossen  Saal,  so  glänzend  als  möglich, 
abgehalten  wurde.  Auf  der  Galerie  konzertierten 
Musikkapellen,  man  setzte  sich  zum  Teil,  wie  ge- 
wöhnlich, an  die  Spieltische  oder  promenierte  im 
Saale,  sich  nach  Belieben  unterhaltend,  bis  endlich 
die  von  uns  allen  ersehnte  Stunde  des  Aufbruches 
nahte,  die  uns,  den  an  Körper  und  Seele  Ermüdeten, 
wie  ein  wahres  Labsal  erschien. 

Nun  folgten  mehrere  Wochen  voll  rauschender 
Feste,  wie  Bälle,  Konzerte,  Maskeraden,  Dejeuners, 
Fischereien  u.  s.  w.,  auch  wurden  ziemlich  viele  durch- 
ziehende sächsische  und  preussische  Truppen  besichtigt. 
Die  ruhigen  Abende  nahm  das  höchst  mittelmässige 
Theater  in  Anspruch. 

Bei  diesem  gesellig  bewegten  Leben  wurden  mehr 


—     131    — 

oder  minder  interessante  Bekanntschaften  gemacht. 
Die  Herzogin  von  Curland,  deren  reizender  Landsitz 
Löbigau  in  der  Nähe  lag,  kam  mit  den  beiden  Fürsten 
von  Pignatelli,  wovon  der  eine  ihr  Schwiegersohn  nnd 
der  andere,  Prinz  Belmonte,  wegen  seines  höheren  Ver- 
standes nnd  seiner  hervorragenden  Bildung  ihr  besonderer 
Gfinstling  war.  Durch  meine  Freundin,  Karoline  Dal- 
wigk,  erfuhr  ich  später,  dass  ich  Prinz  Belmonte  be- 
sonders gefallen  und  ihn  sehr  angezogen  habe,  wes- 
halb er  nicht  aufhörte,  sich  mit  ihr  über  mich  und 
das,  was  er  meine  Vorzüge  nannte,  zu  unterhalten. 
Da  sie  mich  immer,  wo  sie  nur  konnte,  herausstrich, 
erzählte  sie  ihm  von  meiner  Dichtergabe,  was  ihn  noch 
mehr  zur  Bewunderung  hinriss  und  sogar  durch  ein 
kleines  Poem  von  mir,  das  sie  ihm  vortrug,  zu  Thränen 
rührte.  Obgleich  ich  mich  während  der  Zeit  seines 
Aufenthaltes  in  Altenburg  häufig  mit  ihm  unterhielt, 
besonders,  da  wir  ziemlich  oft  an  der  Tafel  neben- 
einander zu  sitzen  kamen,  war  mir  doch  nie  einge- 
fallen, dass  ich  einen  solch  tiefen  Eindruck  auf  ihn 
gemacht  hätte.  Indem  er  schon  im  dreiundvierzigsten 
Jahre  stand  und  viel  älter  aussah,  als  er  war,  kam 
es  mir  nicht  in  den  Sinn,  dass  er  noch  einer  solchen 
Leidenschaft  fähig  sein  könnte.  Ein  Glück  übrigens, 
dass  ich  es  erst  nach  seiner  Abreise  erfuhr,  es  würde 
mich  sonst  wohl  in  Verlegenheit  gebracht  haben. 
Noch  eine  zweite  Eroberung  bei  einem  älteren  Manne 
sollte  ich  anlässlich  dieses  Landtages  machen,  näm- 
lich  beim   Gesandten   des   Coburgischen  Hofes,    dem 

9* 


—     132     — 

witzigen  und  geistreichen  Minister  Eretschmann, 
der,  beiläufig  gesagt ^  einer  der  hässlichsten  Männer 
gewesen,  die  ich  je  gesehen.  Er  hatte  eine  kurze, 
untersetzte,  breitschulterige  Gestalt,  sein  Gesicht, 
an  dem  nicht  ein  Zug  ohne  bedeutenden  Mangel,  war 
rot  und  aufgedunsen,  auch  die  Nase  rot  und  die 
Augen  ganz  klein  und  ohne  schönen  Ausdruck,  was 
auch  kaum  möglich  gewesen  wäre,  da  er  weder  liebens- 
würdig noch  aufrichtig  war.  In  den  letzten  Tagen 
seines  Aufenthaltes  erfuhr  ich,  dass  ich  so  glücklich 
gewesen,  sein  Herz  auf  merkliche  Weise  zu  fesseln, 
was  mir  später  eine  Menge  Spässe  zuzog.  Er  versprach 
mir  Bücher  zum  Lesen,  die  er  mir  aus  Coburg  schicken 
würde.  Eines,  welches  er  mir  geliehen  hatte,  gefiel 
mir  nicht  besonders,  und  ich  lehnte  weitere  Zusendungen 
dankend  ab. 

Die  Morgenstunden  suchte  ich  immer  nach  dem 
Bedürfnis  meines  Geistes  und  zwar  zur  Bereicherung 
und  Ausbildung  desselben  auszufüllen.  Ich  las  viel, 
unter  anderem  erinnere  ich  mich,  dass  ich  damals 
Humes  „Geschichte  von  England''  durcharbeitete,  und 
mich  darin  das  Leben  des  frommen  und  geistvollen 
Königs  Alfred  besonders  enthusiasmierte;  auch  las 
ich  auf  englisch  die  Briefe  der  Lady  Montague 
und  des  Lord  Ghesterfield,  welch  letztere  mir  je- 
doch gar  nicht  gefielen.  Schon  in  Gotha  hatte  ich 
angefangen  spanisch  zu  lernen  auf  Anraten  des  Pro- 
fessors Jacobs,  der  sich  sehr  mit  meiner  Ausbildung 
beschäftigte;    er  hielt  die  Lektüre  von  Cervantes  „Don 


—     133     — 

Qaixote''  allein  fär  wert  diese  Sprache  zn  erlernen,  nnd 
meinte,  man  erkenne  den  Wert  dieses  Meisterwerkes  nicht, 
wenn  man  anch  die  beste  Übersetzung  davon  läse.  Ich 
gestehe,  dass  mir  dieses  Werk  nie  besonders  znsagte, 
allein  es  weht  uns  aus  fremden  Sprachen  ein  besonderer 
Geist  an,  und  ich  habe  es  nie  bereut,  die  schöne  spanische, 
wenn  auch  nur  unvollkommen,  erlernt  zu  haben.  Ich  hatte 
bisher  dies  Studium  nur  für  mich  allein  betrieben,  da 
sich  aber  unter  den  Musikern  der  herzoglichen  Kapelle 
einer  befand,  der  lange  in  Spanien  gewesen  und  in 
dieser  Sprache  geläufig  parlieren  konnte,  bat  ich  den 
Hofmarschall,  Graf  Sa  lisch,  sich  zu  erkundigen,  ob 
jener  imstande  sei,  mir  Unterricht  hierin  zu  erteilen. 
Es  handelte  sich  nicht  um  die  Regeln  der  Sprache, 
ich  wollte  gern  „Don  Quixote''  mit  ihm  lesen,  und  er 
sollte  mir  nur  das,  was  ich  nicht  verstand,  erklären, 
oder  auch  nur  die  mir  unbekannten  Wörter  übersetzen. 
Er  nahm  den  Antrag  an,  doch  bemerkte  ich  bald,  dass 
seine  Sprachkenntnis  mehr  praktisch  und  für  das  gewöhn- 
liche Leben  berechnet  war  und  er  mich  nur  das  Sprechen 
im  Konversationstöne  zu  lehren  vermöchte,  während  es 
mir  hauptsächlich  um  das  Litterarische  dabei  zu  thun 
war,  darum  gab  ich  diese  Lehrstunden  bald  wieder  auf. 
Noch  habe  ich  nichts  von  meiner  und  der  übrigen 
Damen  Wohnung  im  Schlosse  gesagt,  das  so  malerisch 
auf  einem  grossen  Porphyrfelsen,  die  Stadt  überragend 
und  überschauend,  daliegt  und  durch  manche  historische 
Ereignisse,  besonders  durch  den  Raub  der  Prinzen 
Albert  und  Ernst  von  Sachsen  durch  Kunz  von 


—     134    — 

Eaufnngen,  merkwürdig  ist.  Wir  wohnten  in  eben  den 
Oemächem,  von  wo  aus  diese  Entf&hrnng  aus  fürchter- 
licher Höhe  geschah.  Meine  Zimmer  stiessen  an  jene  von 
Emilie  Scheliha,  dann  kamen  die  schönem  und  grossem 
mit  alten,  bunten  Hautelissetapeten  geschmückten,  die 
Earoline  Dalwigk,  meine  Herzensfreundin,  bewohnte. 
Dort  brachten  wir  manche  Nachmittagsstunde  zu,  meist 
mit  Handarbeiten  beschäftigt  und  dabei  plaudernd, 
oder  uns  gegenseitig  vorlesend.  Auch  Emilie  gesellte 
sich  öfter  zu  uns,  wenn  sie  es  nicht  vorzog,  bei  sich 
drüben  Klavier  zu  spielen,  worin  sie  eine  grosse  Fertig- 
keit besass.  Wir  verfügten  uns  dann  auch  wohl  zu  ihr, 
um  ihrem  Spiele  zu  lauschen.  Am  anderen  Ende  dieses 
Stockwerkes  und  auch  mit  einer  anderen  Aussicht  auf  die 
Stadt,  wohnte  das  gute,  liebe  Fräulein  von  Osterhausen, 
die  nachmalige  Frau  von  Etzdorf,  welche  ebenso,  wie 
meine  unvergessliche  Karoline  Dalwigk,  spätere  Baronin 
Studnitz,  längst  gestorben  ist.  —  Da  wir  uns  sehr 
gut  verstanden,  war  das  Verhältnis  zwischen  all  diesen 
Nachbarinnen  ein  sehr  freundscliaftliches.  Nie  kann 
ich  Gott  genug  für  eine  solch  friedliche  Stellung  am 
Hofe  danken,  woselbst  mir,  wahrscheinlich  meiner 
grossen  Jugend  und  meiner  mit  Ernst  gepaarten  Heiter- 
keit wegen,  so  viel  Beifall  im  Verkehr  mit  der  Welt 
zuteil  wurde.  Ein  unbewusster  innerer  Zug  lenkte 
mich  jedoch  von  diesem  glänzenden  Leben  ab  und 
besseren  geistigen  Gütern  zu,  die  ich  in  der  Wissen- 
schaft und  Kunst  zu  finden  hoffte.  Dieses  emste 
Streben   veranlasste,    dass   ich,   wo   immer  ich   nur 


—     135     — 

konnte,  mitten  in  dem  lärmenden  Getriebe,  das  mich 
nmwogte,  stets  eine  gediegenere  Unterhaltung  bei 
Männern  reiferen  Alters  sachte,  und  die  mag  zur  Zeit 
des  Landtages  auch  Ursache  gewesen  sein,  dass  einige 
bejahrtere  Herren,  geschmeichelt  ob  solcher  Bevorzugung, 
mir  innige  Verehrung  entgegenbrachten,  unter  diesen 
erinnere  ich  mich  eines  sehr  liebenswflrdigen  und 
achtungswerten  Mannes  aus  Rudolstadt,  eines  Herrn 
von  Gleichen,  der  von  ferne  die  Aufmerksamkeiten 
des  Ministers  von  Eretschmann  beobachtete  und  wahr- 
scheinlich wegen  des  scheinbar  geneigten  Gehöres,  das 
ich  dessen  Beden  schenkte,  eine  mögliche  Gefahr  fflr 
mich  befürchtete,  und  zwar  insofern,  als  mich  des 
Coburgers  verkehrte  Ansichten  übel  beeinflussen 
könnten.  Deshalb  suchte  er  sich  mir  zu  nähern  und 
ein  Gegengewicht  herzustellen.  Eines  Tages  hatte  er 
bemerkt,  dass  Herr  von  Eretschmann,  über  geistige 
Vorzüge  und  Herzensgüte  sprechend,  letztere  sehr 
gegenüber  dem  Verstände  herabsetzte,  und  dieselbe 
gleichsam  eine  „Magentugend^  nannte,  die  nur  von  Zu- 
fälligkeiten abhängig  sei.  Herr  von  Gleichen  suchte  bald 
darauf  eine  Unterredung  mit  mir  über  denselben  Gegen- 
stand anzuknüpfen  und  schloss  seine  Rede  mit  dem  Ver- 
sprechen, mir  am  nächsten  Tage  ein  schönes  Bild  zur 
Ansicht  schicken  zu  wollen,  welches  mir  wohl  einen 
hinreichenden  Beweis  dafür  bieten  würde,  wie  erhaben 
hehre  Güte  über  zergliederndem  Verstände  stehe.  Ich 
bin  ihm  noch  heute  dafür  dankbar,  wo  er  wohl  schon 
längst   die    selige   Anschauung  dessen   geniesst,    den 


—     136     — 

mir  dies  Bild  zeigte:  es  war  ein  wirklich  sehr 
schöner  Christnskopf  in  natürlicher  Grösse.  Ich  be- 
trachtete ihn  mit  Frende,  doch  erst  später  erwies 
mir  Gott  die  Gnade,  den  ganzen  Umfang  dessen,  was 
mir  der  treffliche  Mann  damit  andenten  wollte,  zu 
begreifen. 

So  waren  seit  Beginn  des  Landtages  sechs  Wochen 
vergangen,  die  sich  infolge  der  vielen  Ermüdungen, 
der  Unregelmässigkeit  der  Mahlzeiten»  und  so  weiter, 
für  meine  Gesundheit  keineswegs  znträglich  gestal- 
teten. Ich  war  dieses  geräuschvollen  Lebens  satt 
und  sehnte  mich  nach  Hause  zu  meinen  Lieben. 
Gegen  Mitte  Dezember  1 805  sollte  endlich  mit  Schluss 
des  Landtages  auch  der  Zeitpunkt  unserer  Abreise 
erscheinen. 

In  der  Welt  trug  sich  währenddessen  viel  des 
Denkwürdigen  zu,  so  unter  anderem  die  Schlacht  bei 
Austerlitz.  Dieser  Feldzug  hatte  zahlreiche  Truppen- 
durchzüge zur  Folge,  welche  immer  zur  Unterhaltung 
unserer  Gesellschaft  gemustert  wurden;  sowohl  die 
Preussen,  als  auch  die  Sachsen  präsentierten  sich  ebenso 
schön,  wie  stramm  und  stattlich.  Es  ist  wohl  natür- 
lich, dass  man,  da  soviel  von  dem  Feldzuge  im  Osten 
abhing,  mit  jedem  Tage  begieriger  der  Nachrichten 
vom  Kriegsschauplätze  harrte.  Der  bejahrte,  geistvolle 
Minister  von  Frankenberg  erhielt  öfters  Privat- 
depeschen, und  weil  er  sowohl,  wie  auch  seine  liebens- 
würdige Gemahlin  mich  von  meiner  ersten  Jugend  an 
wie  ihr  Eind  zu  behandeln  pflegten,  so  schickte  er  mir 


—     137     — 

nicht  selten  schon  ganz  früh  morgens  oder  anch  noch 
spät  des  Abends  kleine  Billette,  nm  mir  darin  mit  wenigen 
Worten  die  neuesten  Geschehnisse  mitzuteilen.  Diese 
waren  meistens  originell  abgefasst  und  mit  manchem 
Scherze  gewürzt;  so  schrieb  er  mir  unter  anderem  ein- 
mal: ^Gh6re  Katinka,  je  ne  suis  pas  Eretschmann,  mais 
cependant  je  vous  aime  k  la  folie  et  voudrais  bien 
pouvoir  vous  donner  de  meilleures  nouvelles,  que  je  ne 
le  puis  aujourd'hui."  — 

Es  war  recht  angenehm  für  uns  alle,  während 
dieser  Zeit  eine  kleine  Kolonie  im  Schlosse  zu  bilden. 
Auch  Minister  von  Frankenberg  und  seine  Gattin 
wohnten  in  den  letzten  Wochen  daselbst ,  ebenso  der 
Kanzler  von  Ziegesar  mit  Frau  und  Tochter  Sylvia, 
der  jetzigen  Frau  von  Köthe,  welche  sich  mit  uns 
Hofdamen  sehr  befreundete;  sie  kam  manchmal  mit 
ihrer  Guitarre  zu  uns  und  unterhielt  uns  durch  Witz 
und  muntere  Laune.  — 

Nach  der  bei  eisiger  Winterkälte  zurückgelegten 
Heimreise  war  ich  freudig  gerührt,  alle  meine  Lieben 
in  Gotha  wiederzusehen.  Nur  meine  einstige  Bonne, 
Madame  Chaumont,  fand  ich  nicht  mehr  vor;  sie  war 
während  meiner  Abwesenheit  einer  langwierigen,  sehr 
schmerzhaften  Krankheit  erlegen.  Da  sie  schon  Jahre 
hindurch  in  einem  traurigen  Zustande  dahinlebte,  musste 
man  ihr  die  endliche  Ruhe  gönnen,  allein  ihr  liebevolles 
Herz  entbehrten  wir  alle  gar  ungern,  und  ihr  Mann 
schien  untröstlich  über  diesen  Verlust. 

Den  guten  alten  Baron  Grimm  fand  ich  wohler, 


—     138     — 

als  ich  es  nach  den  znletzt  erhaltenen  Berichten  hätte 
hoffen  können,  nnd  fühlte  mich  in  seiner  liebenden 
Nähe  wieder  recht  glficklich.  Das  Weihnachtsfest  ver- 
einigte nns  alle  in  stiller,  herzlicher  Feier. 


Vn.  Kapitel. 

Brautstand,  Hochzeit  und  Grimms  Tod. 

In  Gotha  wurde  das  Leben  indessen  sehr  bewegt  and 
brillant,  als  das  Haaptqnartier  des  Generals  B  fi  c  h  e  1 
dort  anlangte,  nnd  auch  die  Offiziere  der  vielen  durch- 
ziehenden oder  in  der  Umgebung  lagernden  Truppen 
in  unserem  Kreise  verkehrten.  Wir  lernten  viele  von 
ihnen  kennen,  so  zum  Beispiel  meinen  zukflnftigen 
Gatten,  ferner  Herrn  von  Quitzow,  der  als  Brigade- 
major in  General  Bfichels  Korps  stand,  sodann  die 
zwei  Hauptleute  von  Seh  öl  er,  von  denen  der  jfingere 
später  Gesandter  in  Bussland  war  und  noch  viel  später, 
nämlich  nach  der  Schlacht  bei  Leipzig,  die  er  und 
zwei  seiner  Söhne  mitmachten,  preussischer  Gesandter 
am  Bundestage  zu  Frankfurt  am  Main  wurde.  Noch 
zu  nennen  wären  die  Hauptleute  von  Kleist  und 
von  Oppen  sowohl,  als  auch  der  liebenswürdige  Graf 
D  0  h  n  a ,  welche  alle  viel  um  Oberst  von  Scham- 
horst,  den  Chef  des  Generalstabes,  waren,  sowie  die 
Majore  von  Ziethen  und  L  o  g  a  u ,  alles  heitere  und 
angenehme  Gesellschafter. 

So  wenig  erwünscht  uns  anfänglich  diese  vielen 


—     140     — 

fremden  Offiziere  waren ,  so  sehr  gewannen  sie  bei 
näherer  Bekanntschaft,  und  wir  gingen  nach  einigen 
Wochen  mit  ihnen  um,  wie  mit  alten  Bekannten,  be- 
sonders mit  denen,  die  wie  Schöler  und  einige  andere 
verheiratet  waren.  Dieser  Freund  meines  zukünftigen 
Gemahls  schien  auch  mir  besonders  gewogen  und  hatte 
schon  den  Vorsatz  gefasst,  Einil  Bechtolsheim  auf  mich, 
als  eine  für  ihn  passende  Partie,  aufmerksam  zu  machen, 
als  er  plötzlich,  gerade  während  sein  Freund  Emil 
auf  einige  Tage  bei  seinen  Eltern  in  Eisen  ach  weilte, 
dienstlich  abreisen  musste.  Als  Emil  dann  wieder- 
kam ,  zog  ihn  von  selbst  sein  Herz  zu  mir ,  ohne 
dass  ich  etwas  davon  bemerkte.  Als  Hofdame  war 
ich  es  gewöhnt,  ungezwungen  mit  jedem  Fremden  zu 
konversieren  und  that  dies  auch  mit  ihm.  So  lebhaft 
aber  und  anziehend  auch  seine  Gespräche  sein  mochten, 
hielt  ich  es  dennoch  mit  ihm  gerade  so  und  nicht 
anders,  als  mit  seinem  Freunde  Schöler  und  manchem 
anderen.  Es  dauerte  jedoch  nicht  lange,  dass  mir  von 
einigen  Seiten  durch  allerlei  Neckereien  verständlich 
gemacht  wurde,  ich  hätte  mich  doch  zu  viel  mit  ihm 
beschäftigt,  und,  da  das  Courmachen  nicht  meine 
Sache,  so  fing  ich  einfach  an,  mich  weniger  mit  ihm 
zu  befassen  und  ihn,  soweit  es  thunlich  war,  zu  ver- 
meiden. Bald  konnte  ich  bemerken,  dass  ihn  mein  Be- 
nehmen betrübte,  doch  muss  ich  gestehen,  dass  dies 
nicht  viel  auf  mich  einwirkte,  da  ich  mir  ein  für  alle- 
mal fest  vorgenommen  hatte,  allen  solchen  Aufmerk- 
samkeiten aus  dem  Wege  zu  geben,  und  Überhaupt 


—     141     — 

f&r  Gefahle  dieser  Art  nicht  sehr  mitleidig  za  sein 
pflegte. 

Als  er  nun  meine  gänzliche  Oleichgiltigkeit  wahr- 
nahm, nnd  vielleicht  eben  dies  seiner  aufkeimenden 
Leidenschaft  noch  grösseres  Wachstum  verlieh,  wusste 
er  sich  nicht  anders  zu  helfen,  als  meine  Schwester 
in  sein  Vertrauen  zu  ziehen.  Dieses  liebenswürdige 
Wesen,  so  zugänglich  für  alle  Leidenden,  begann 
alsbald  mir  Vorwürfe  zu  machen  über  die  unver- 
bindliche Weise,  mit  der  ich  dem  Bittmeister  Baron 
Bechtolsheim  begegnete;  dies  fruchtete  wohl  wenig, 
ja,  ich  ergriff,  als  ältere  Schwester,  sogar  gleich  die 
Gelegenheit,  ihr  zu  bedeuten,  dass  sie  sich  nicht  in 
vertrauliche  Gespräche  mit  fremden  Herren  einlassen 
solle,  und  dass  sich  für  uns  Mädchen  die  grösste 
Zurückhaltung  besser  zieme.  Sie  liess  jedoch  nur  für 
einige  Zeit  mit  ihrem  Zureden  nach  und  kam  eines 
Abends  auf  einem  Balle  mit  dem  Bittmeister  direkt  auf 
mich  zu.  Dieser  sagte :  er  habe  dringend  um  ihre  Für- 
sprache gebeten,  um  zu  erfahren,  worin  er  mir  miss- 
fallen haben  könne,  da  er  nicht  länger  in  dieser  Un- 
gewissheit  zu  leben  vermöge.  Ich  entgegnete:  er  habe 
mir  durchaus  in  Nichts  missfallen,  allein  ich  wüsste  nicht, 
inwiefern  er  ein  besonderes  Anrecht  auf  eine  andere 
Art  meines  Benehmens  haben  könnte,  und  ich  wäre 
mir  bewusst,  mich  nicht  anders  gegen  ihn  zu  betragen, 
als  gegen  die  übrigen  Herren  unseres  Kreises.  Dies 
konnte  ihm  natürlich  nicht  nach  Wunsch  sein,  und  er  ver- 
liess  mich  nach  diesem  Gespräche  ganz  ausser  sich.  — 


—     142     — 

Jetzt  fiel  es  mir  wiedemm  schwer ,  etwas  zu  seinem 
Tröste  za  thun,  ohne  aas  meinem  festbestimmten  Be- 
nehmen gegen  alle  za  treten ;  ich  versuchte  es  dennoch, 
ging  ihm  nicht  so  oft  aas  dem  Wege  and  glaubte  zu 
bemerken,  dass  dies  ihm  wohlthat.  — 

Unsere  Unterredungen  wurden  häufiger  und  un- 
gezwungener und,  ohne  dass  ich  die  geringste  Neigung 
zu  ihm  empfand,  wurde  er  mir  ein  sehr  angenehmer 
Gesellschafter.  Soviel  ich  mich  erinnere,  ist  es  Karoline 
Dalwigk  gewesen,  die  mir  die  Augen  über  seine  immer 
mehr  und  mehr  wachsende  Leidenschaft  für  mich  öffnete 
und  mir  verkündete,  dass  ich  mich  auf  eine  baldige  Liebes- 
erklärung und  einen  Heiratsantrag  gefasst  machen  solle. 
Erst  wollte  ich  es  nicht  glauben,  da  der  Gedanke  an  das 
Heiraten  mir  sehr  ferne  lag,  aber  sie  erging  sich  so  sehr 
in  allen  Ausführlichkeiten  über  ihre  Wahrnehmungen, 
dass  sie  mich  endlich  überzeugte.  Sie  versicherte  mich 
auch,  sie  wisse  nicht,  warum  ich  ihm  ausweichen  sollte, 
da  dieser  junge  Mann,  was  Geist,  Kenntnisse,  Cha- 
rakter und  Familie  anbelange,  für  mich  eine  gute  Partie 
wäre,  und  auch  bei  Kameraden  und  Vorgesetzten  wegen 
seiner  guten  Lebensführung  und  oft  erprobten  Tapfer- 
keit in  grossem  Ansehn  stände. 

„Da  es  nun  schon  einmal  dein  Los  ist/'  fuhr  Karo- 
line fort,  „wenn  auch  nicht  jetzt,  so  doch  in  einem  der 
folgenden  Jahre  dich  ehelich  zu  verbinden,  solltest  du 
nicht  spröde  thun,  denn  ich  glaube  kaum,  dass  du  einen 
edlern  Gemahl  finden  kannst,  als  eben  diesen,  der  dich 
heiss  und  innig  liebt ;  bedenke  auch,  dass  du  ihn  durch 


—     143     — 

eine  Abweisung  grenzenlos  anglücklich  machen  wfirdest. 
Ich  sage  dir  dies  alles,  nicht,  nm  dich  zn  einem  Entschlüsse 
zu  drängen,  sondern  nur  um  dir  zu  raten,  die  Sache  zn 
überlegen  und  dich  von  nun  an  in  deinem  Benehmen 
nach  dem  zu  richten,  was  dein  Herz  bestimmt.  Und  be- 
denke auch,  was  deine  Eltern  dazu  sagen  werden! — ^ 
Diese  letztere  Bemerkung  wurde  aber  leider  nicht 
genug  von  meiner  lieben,  sonst  so  weisen  Ratgeberin  auf 
die  Wagschale  gelegt.  —  Das  viele  Romanlesen  einesteils 
und  andersteils  meine,  wohl  auf  Tugend  und  Moral  ge- 
stützten, aber  doch  sehr  freien  Prinzipien,  welche  eben 
nichts  von  der  Färbung  der  christlich-frommen  Familie 
an  sich  trugen,  hielten  meine  Blicke  gefangen.  Ich 
dachte  wohl  nicht  an  die  Möglichkeit,  ohne  die 
Sanction  meiner  Mutter  ein  Bündnis  für  die  ganze 
Lebenszeit  schliessen  zu  können,  allein  ich  glaubte 
mir  die  freie  Wahl  der  Person  als  Initiative  zu- 
gestanden. Ich  muss  freilich  dabei  bemerken,  dass 
ich  nicht  in  einem  kindlich  vertrauten  Verhältnisse  zu 
meiner  guten  Mutter  stand.  Wir  waren  eben  in  allem 
zu  ungleich,  sowohl  in  unseren,  in  so  verschiedenen 
Stellungen  gewonnenen  Ansichten,  als  in  unseren  eigen- 
tümlichen Charakteren  und  Gaben,  um  in  richtigem 
Verhältnisse  als  Mutter  und  Tochter  zu  einander  zu 
stehen.  —  Mit  Scham  muss  ich  bekennen,  dass  ich  sie 
nicht  nur  übersah,  sondern  mich  sogar  noch  in  meinen 
Augen  über  sie  erhob.  Hierin  mehr  als  in  ii*gend 
einem  andern  Punkte  fehlte  mir  christliches  Erkennen 
und  christliche  Demut.    Es  lässt  sich  denken,  wie  mir 


—     144    — 

die  Eröffnung  meiner  Freundin  Karoline  durch  Kopf 
und  Herz  ging;  nicht  nur  den  ganzen  Tag,  sondern 
auch  einen  guten  Teil  der  darauffolgenden  Nacht  dachte 
ich  darüber  nach.  Zuerst  erschien  es  meinem  Wunsche 
und  Gefühle  angemessen,  mich  durch  schnelles  Aus- 
weichen aus  der  Sache  zu  ziehen,  da  ich  eine  Abneigung 
gegen  das  Heiraten  hatte  und  hoffte,  wenigstens  noch 
einige  Jahre  bei  den  Meinen  zu  verleben,  ohne  daran 
denken  zu  müssen.  Dann  stellte  ich  mir  die  tiefe  Be- 
trübnis des  edlen  Mannes  vor,  den  schon  früher  mein  Ab- 
lehnen seiner  Aufmerksamkeiten  so  geschmerzt,  brachte 
mir  sein  von  Earoline  entworfenes  Bild  vor  mein 
inneres  Auge,  indem  ich  ihn  mit  andern  verglich,  die 
ich  um  mich  sah,  und  schliesslich  dachte  ich  noch  an 
die  Möglichkeit,  dass  man  mich  vielleicht  in  nächster 
Zukunft  mit  einem  Manne  dürfte  verbinden  wollen,  der 
nicht  allen  Bedürfnissen  meines  Geistes  und  Herzens 
entsprechen  würde,  und  fasste  nach  dieser  schlaflosen 
Nacht  den  Entschluss,  der  Sache  ihren  freien  Gang 
zu  lassen  und  abzuwarten,  was  mir  das  Herz,  dessen 
edler  Gesinnung  ich  mir  bewusst  war,  nach  und  nach 
zu  thun  eingeben  würde.  Ich  dachte  nicht  daran, 
meiner  Mutter  oder  dem  alten  Baron  von  dieser  wich- 
tigen Angelegenheit  und  gerade  jetzt,  wo  ich  weder 
durch  Neigung  noch  durch  irgend  etwas  anderes  ge- 
bunden schien,  eine  Eröffnung  zu  machen,  oder  dieselben 
um  Rat  zu  fragen.  Ich  wusste,  dass  meine  Mutter 
dem  Rittmeister  Bechtolsheim  sehr  wohlwollte  und  für 
ihn  eingenommen  sei,   und  dass  Baron  Grimm  seine 


—    145    — 

Eltern  liebte  and  hochschätzte.  Dass  er  and  besonders 
aach  mein  in  Frankreich  abwesender  Vater  mit  dem 
Vermögen  d^  Freiers  nicht  znfrieden  sein  and  des- 
wegen Anstand  an  meiner  Verbindung  nehmen  könnten, 
and  dass  meine  Matter  sehr  betrübt  über  die  Aassicht, 
sein  würde,  einen  protestantischen  Schwiegersohn  za 
bekommen,  kam  mir  nar  wie  eine  leicht  za  beseitigende 
Nebensache  vor.  —  Es  war  dies  für  eine  so  denkende 
Seele  wie  ich  ein  sehr  grosser  Leichtsinn,  allein  ihr 
müsst  bedenken,  liebe  Kinder,  dass  mir  damals  in 
meinem  poetischen  and  philosophischen  Eigendünkel 
ein  Ehebündnis  höchst  anerwünscht  schien  and  ich,  ein 
ganz  ideales  Dasein  führend,  alles,  was  das  praktische 
Leben  betraf,  nicht  in  mein  Inneres  aafnahm.  0  wie 
seltsam  sah  es  damals  in  meiner  Seele  aas !  Trotzdem 
hatte  ich,  wenn  aach  anbewusst,  die  seltene  Oabe  des 
Seelenfriedens  and  mnss  Gott  danken,  dass  er  Nach- 
sicht mit  mir  übte,  wohl  des  festen  and  gnten  Willens 
halber,  mich  an  alles,  was  ich  für  recht  and  edel 
hielt,  anzuklammern  und  mich  von  jedem  Unrecht  and 
allem  Niederen  abzuwenden.  Der  Herr  sei  für  diese 
unverdiente  Gnade  tausendmal  gepriesen! 

Nur  in  verwischter  Erinnerung  schweben  mir  noch 
die  Tage  vor ,  welche  diesem  Entschlüsse  folgten,  der 
mich  natürlicherweise  mehr  als  bisher  an  denjenigen 
denken  machte,  der,  ach,  nur  so  kurze  Zeit  der  Ge- 
fährte meines  Lebens  werden  sollte.  Er  bezeigte  mir 
alle  liebenswürdige  Freundlichkeit  und  alles  erdenk- 
liche Interesse,  ohne  je  die  Schranken  der  Schicklich- 

Carl  Orsf  Obtrndorff,  EriiiB«niaftB  tiatr  ürfroftmutUr.         10 


—     146    — 

keit  irgendwie  zu  überschreiten  y  und  je  mehr  ich  ihn 
beobachtete ,  desto  mehr  mnsste  ich  ihm  Achtung  und 
Teilnahme  schenken,  ohne  jedoch  von  ihm  so  ein- 
genommen zu  sein ,  dass  mich  die  Aussicht  auf  eine 
engere  Verbindung  mit  ihm  besonders  gefreut  hätte;  ich 
begann  nur,  dieselbe  weniger  zu  f&rchten  und  mich  an 
den  Gedanken  zu  gewöhnen,  diesem  so  edeldenkenden 
Manne  eine  beglückende  Lebensgefährtin  zu  werden. 

Viel  früher,  als  es  zu  erwarten  gewesen,  erhielt 
Baron  Bechtolsheim  den  Befehl,  seinen  Aufenthalt  in 
Gotha  mit  dem  in  Hannover  zu  vertauschen ,  da  dieses 
Land  von  den  Preussen  besetzt  werden  sollte  und  be- 
stimmt war,  durch  neue  Traktate  Preussen  einver- 
leibt zu  werden. 

Es  schmerzte  ihn  sehr,  nun  vielleicht  die  Hoff- 
nung auf  eine  weitere  allmähliche  Entwicklung  unseres 
Verhältnisses  aufgeben  zu  müssen,  und  er  fühlte  das 
Bedürfnis,  mir  seine  Wünsche  in  dieser  Hinsicht  zu 
eröffnen.  Er  bat  mich  daher  zwei  Tage  vor  seiner 
festgesetzten  Abreise,  während  einer  musikalischen 
Soir6e,  die  bei  uns  stattfand,  um  die  Gunst  einer 
UnteiTedung  unter  vier  Augen.  Ich  antwortete,  dass 
dies  wohl  nicht  thunlich  sei;  wenn  er  aber  am  folgenden 
Morgen  sich  bei  Earoline  Dalwigk  einfinden  wolle,  so 
könne  er  mich  dortselbst  treffen,  und  ich  hätte  kein 
Geheimnis  vor  meiner  Herzensfreundin.  Er  nahm  den 
Vorschlag  willig  an,  und  Ihr  könnt  Euch  denken, 
wie  sehr  mich  dieser  mein  Schritt  bewegte,  obgleich 
ich    durchaus  nichts  Unrechtes   oder  Ungeziemendes 


—     147     - 

md  so  schien  es  auch  ihm  und  selbst 
fitt  M  streng  alle  Gesetze  der  Sitte  be- 
Idi  hatte  die  Nacht  im  elterlichen  Hanse 
iBd  zing  im  Lanfe  des  Vormittags  hinauf 
Da  ich  ganz  recht  zu  handeln  glaubte^ 
Lkbe  zum  guten  Emil  noch  nicht  gar  gross 
wohl  einige  Aufregung ,  doch  pochte 
ndit  so,  als  es  der  Sachlage  nach  hätte 
Earoline,  die  ich  benachrichtigt  hatte, 
mit  tiefer  KAhrung,  und  ich  gestand 
selbst .  dass  dieser  Schritt  meine  Freiheit 
hatten  wir  einige  Worte  gewechselt, 
ais  iesT  Rinmeister  Ton  Bechtolsheim .  durch  die  alti; 
Helling,  eine  bewahrte,  langjährig»^  IHtnHrin 
angemeldet,  eintrat.  Er  machte  kniu^i 
t  Eiaileitiing  und  druckte  nur  aus.  wie  er  voll 
Hoffnung  sei.  dass  dioser  Ausrenblick  ilw« 
aller  Menschen  mÄcUou  würde.  Ich  war 
Tcrwirrt  und  wusst^  nicht  jiloich,  was  ich  gag«tri 
uiDtt.  aber  nachdem  er  s^oino  \\  ansehe  klar  au»^« 
ges^t>eh£n  hatte,  erklärte  ich  ihm.  wie  ^eschmeictj<:lt 
kk  mick  durch  seine  Wahl  fUhlo.  und  wie  nichtK  i» 
■jr  mich  zu  einer  abschlA^^ix^ou  Vuiwort  beätiujrncji 
kdaae.  Ich  hoffe,  meine  Kltorn  wuulou  ihre  Zusümmuua 
n  mserem  Bunde  gobou .  wh  imissto  sogleich  tttntn- 
und  meinen  aUon  Kivund  darum  bitti?ij,  *itt 
Vater  aber  abwosouil  sou  würdo  ich  ihm  in  tU^**-^ 
AAgelegenheit  schroibon.  bis  rum  Kmpfang  seiner  A»** 
Wort   sei  aber  nocli   allos  gohcim  zu  halten    u$*4  ht 


—     148     — 

keinen  Teil  bindend.  Mit  grosser  Beklemmung  sprach 
er  von  den  möglichen  Einwendungen,  die  man  hin- 
sichtlich seines  Vermögens  nnd,  von  Seite  meiner 
Mutter,  wegen  seiner  Beligion  machen  könnte.  Betreffs 
dieses  letzteren  Bedenkens  konnte  ich  ihn  nicht  besser 
beruhigen  y  als  mit  der  Hoffnung ,  die  ich  im  Herzen 
trug,  dass  dieses  Hindernis,  wenn  auch  nicht  gleich,  so 
doch  mit  Geduld  zu  beseitigen  sein  würde,  weil  meine 
Mutter  ihn  sehr  schätze  und  mein  Gluck  wolle.  — 
Nachdem  die  gute  Karoline  noch  einige  freundliche 
Worte  mit  uns  gewechselt  hatte,  liess  sie  uns  einen 
Äugenblick  allein,  den  Emil  benützte,  um  mich  seiner 
grenzenlosen  Liebe  zu  versichern,  worauf  ich  ihm  kaum 
antworten  konnte,  was  ihn  ganz  hätte  befriedigen 
können,  er  vermochte  ja  doch  Zutrauen  und  Billigung 
in  meinen  Blicken  zu  lesen,  und  dies  mnsste  ihm  fürs 
erste  wohl  genügen. 

Ich  zögerte  nicht,  meine  Mutter  von  seinen  und 
nunmehr  auch  meinen  Wünschen  in  Kenntnis  zu  setzen, 
und  erschreckte  sie  sehr  durch  die  Mitteilung,  die  sie 
eigentlich  nicht  so  unerwartet  hätte  treffen  sollen,  da 
Emil  sich  gar  keine  Mühe  gegeben,  seine  Liebe  für 
mich  zu  verbergen.  Sie  sprach  von  seinen  unzuläng- 
lichen Vermögensverhältnissen ,  indem  die  militärische 
Besoldung  dabei  nicht  in  Betracht  kommen  könne, 
und  von  der  Beligionsverschiedenheit ,  die  ihr  ein  un- 
überwindliches Hindernis  schien ,  da  sie  nicht  zugeben 
würde ,  dass  ihre  Enkel  anders ,  als  katholisch  erzogen 
würden.    Mir  lag  freilich  damals  dieser  so  wichtige 


—     149     — 

und  richtige  Punkt  nicht  gar  sehr  am  Herzen,  und  ich 
tröstete  sie  damit,  dass  vielleicht  die  Familie  Bechtols- 
heim  darin  nachgiebig  sein  würde.  Diese  Unterredung 
that  uns  beiden  jedoch  sehr  weh,  und  ich  trachtete  sie 
möglichst  abzukürzen. 

Wie  ich  dem  alten  Baron  die  Sache  vortrug,  ist 
mir  nicht  mehr  erinnerlich,  aber  so  viel  weiss  ich  noch, 
dass  sogleich  die  liebenswürdige  und  ehrwürdige  Frau 
von  Frankenberg  um  Rat  gefragt  wurde  und  dass 
diese  sich  sehr  bestimmt  für  den  Rittmeister  von 
Bechtolsheim  entschied.  Sie  lobte  nicht  nur  seinen 
edlen  Charakter  und  die  ausgezeichnete  Ausbildung 
seines  Oeistes,  sondern  setzte  auch  hinzu,  dass,  wenn- 
gleich seine  Vermögensverhältnisse  nicht  brillant  wären, 
er  eine  schöne  und  vielversprechende  militärische 
Carri^re  vor  sich  hätte.  Der  gute  alte  Baron  war 
demnach  für  die  Sache  gewonnen  und  suchte  die  Ein- 
willigung meiner  Mutter  zu  erlangen,  während  ich 
an  den  Vater  schrieb.  Der  Ausgang  hat  bewiesen, 
dass  alle  Hindemisse  beseitigt  wurden,  und  einige 
Zeit  später  waren  wir  glückliche  Verlobte. 

Im  Mai  1806  erwirkte  sich  Emil  einen  Urlaub, 
um  vierzehn  Tage  in  Gotha  verweilen  zu  können 
und  auch  seine  höchst  erfreuten  Eltern  zu  besuchen. 
An  diese  Zeit,  wo  wir  uns  erst  näher  kennen  lernten 
und  inne  wurden,  dass  eine  grosse  Einhelligkeit 
und  Übereinstimmung  in  unseren  Gedanken  und  Ge- 
fühlen herrsche,  erinnere  ich  mich  wie  an  eine  lieb- 
liche Jugendblüte.  Wir  lasen  des  Morgens  einige  litte- 


—     150    — 

rarische  Schriften,  die  uns  Stoflf  darboten,  unsere  Be- 
merkungen uns  gegenseitig  kundzuthun ;  wir  besuchten 
desgleichen  die  lieben  Bekannten  und  machten  mit 
ihnen  Wanderungen  in  die  nächste  Umgebung.  Dies 
Letztere  geschah  auch  hauptsächlich  während  jener 
acht  Tage,  die  ich  mit  meiner  Mutter  in  dem  in  so 
schöner  Umgebung  liegenden  Eisenach  bei  meinen  zu- 
künftigen Schwiegereltern  zubrachte.  Diese  hatten  mich 
mit  ungewöhnlichem  Enthusiasmus  empfangen,  und  eben 
so  offne  Arme  und  Herzen  fand  ich  bei  den  lieben 
Tanten  Keller  und  Botzheim,  welche  sich  mit  ihren 
Kindern  einfanden,  was  mir  eine  unbeschreibliche  Freude 
gewährte.  —  Dank,  Ihr  Lieben,  fär  alles,  was  Ihr  immer 
in  Freud  und  Leid  mir  und  später  auch  meinen  Kindern 
gewesen  seid!  — 

Nicht  ohne  Wehmut  schieden  wir  nach  kurzer 
Zeit  wieder  alle  von  einander,  doch  in  der  Aussicht, 
dass  das  Fest  unserer  Hochzeit  in  nicht  gar  langer  Frist 
uns  wieder  vollzählig  versammeln  würde,  und  dachten  uns 
wohl  den  Herbst  als  besten  Zeitpunkt  dafür,  doch  sollte 
erst,  um  etwas  Näheres  hierüber  bestimmen  zu  können, 
die  gehoffte,  wenngleich  von  mancherlei  Umständen 
abhängende  Rückkehr  meines  Vaters  aus  Frankreich 
abgewartet  werden.  Infolge  der  vielen  politischen  Er- 
eignisse waren  jedoch  die  Geschäfte,  die  ihn  dort  behufs 
Rettung  seines  Besitzes  und  Vermögens  zurückhielten, 
so  wichtig  geworden,  dass  seine  Anwesenheit  daselbst 
dringend  geboten  schien,  was  seine  Rückkehr  zu  uns 
immer  mehr  und  mehr  verzögerte.   Im  August  erkrankte 


—     151     — 

Emils  Vater  so  ernstlich  und  schwer  an  zorttckge- 
tretener  Gicht,  dass  er  schon  am  1.  September  zur  nnans- 
sprechlichen  Trauer  der  Seinigen  und  ganz  Eisenachs 
ans  dem  Leben  schied. 

Obgleich  es  schon  sehr  kriegerisch  am  politischen 
Horizonte  wetterleuchtete,  erhielten  seine  Söhne  dennoch 
Urlaub,  um  zur  betrübten  Mutter  zu  eilen,  ihr  in  diesem 
schweren  Momente  beizustehen  und  ihr  die  sehr  ver- 
wickelten Geschäfte  ordnen  zu  helfen.  Auf  den  aus- 
gesprochenen Wunsch  meiner  nachmaligen  Schwieger- 
mutter hin  kam  auch  ich  fttr  eine  Woche  nach  Eisenach, 
wo  ich  ihren  Sohn  Gustav,  damals  im  Dragoner-Regi- 
mente  „Eönig^  stehend,  kennen  lernte.  Die  gegen- 
seitige Liebe  der  Brüder  und  ihr  Verhältnis  zur  guten 
Mutter  war  rührend,  ebenso  ihre  tiefempfundene  Trauer 
um  den  verehrten,  innigstgeliebten  Vater.  Gustav 
und  ich  fühlten  uns  bald  wie  Geschwister.  Er  war 
halb  und  halb  verlobt,  doch  hatte  der  Vater  seiner 
nachmaligen  Frau  die  Bedingung  gestellt,  dass  Gustav 
aus  dem  Kriegsdienste  treten  solle,  da  er  sich  nicht 
entschliessen  könne,  seine  Tochter  in  der  traurigen 
Lage  zu  sehen,  in  welche  die  vielen  Gefahren  des 
Krieges  sie  bringen  könnten.  Auch  Louis  Bechtolsheim, 
der  in  Weimarschen  Kriegsdienst  getreten  war  und 
etwa  achtzehn  Jahre  zählte,  lernte  ich  kennen,  er  er- 
freute uns  aber  wenig  durch  sein  Benehmen,  das  nicht 
freundlich  und  offen  war. 

Der  für  Preussen  so  unglückliche  Feldzug  bereitete 
sich  vor,  und  die  ganze  Armee  war  voll  Enthusiasmus 


—     152     — 

nnd  Hofihong,  etwas  zum  Sturze  Napoleons  beitragen 
zu  können.  So  schmerzlich  es  mich  natürlich  traf,  dass 
mein  vielgeliebter  Bräutigam  ins  Feld  der  Gefahren 
ausrücken  sollte,  und  so  schwer  es  ihm  wurde,  seine 
eheliche  Verbindung  mit  mir  in  eine  unbestimmte  Feme 
gerückt  sehen  zu  müssen,  so  schien  seine  Begeisterung 
für  die  Sache,  welche  die  preussische  Armee  zu  ver- 
teidigen hatte,  und  seine  Neigung  zum  Waffenhand- 
werke nichtsdestoweniger  so  gross,  dass  er  auch  mich 
mit  seinem  Enthusiasmus  ansteckte  und  stärkte,  das 
heldenmütige  Opfer  gleich  ihm  mutig  zu  bringen. 

Nach  dem  Aufenthalt  in  Eisenach  sahen  wir  uns 
nur  noch  einmal  auf  sehr  kurze  Zeit  in  Gotha,  wohin 
er  mit  dem  Stabe  des  Generals  von  Eüchel  kam.  Nach 
dieser  Truppenabteilung  kamen  immerwährend  andere, 
und  die  ganze  Gegend  war  bald  mit  preussischen  Sol- 
daten überzogen,  während  von  Südwesten  her  Napoleon 
mit  seiner  Armee  gegen  Jena  heranrückte.  Prinz 
Ludwig  Ferdinand,  ein  Vetter  des  Königs  Fried- 
rich Wilhelm  IIL,  liess  sich  gleich  durch  Übermut 
verleiten,  auf  Vorposten  sich  unvorsichtig  an  die  Fran- 
zosen heranzuwagen,  was  er  mit  dem  Leben  büsste. 
Dieser  Fall  eines  beliebten  Helden  aus  der  königlichen 
Familie  schien  manchem  ein  böses  Omen. 

Aus  Erfurt  langten  die  ersten  Zeilen  meines  lieben 
Emils  an,  sie  enthielten  auch  einige  Worte  über  Be- 
cognoscierungen  und  dergleichen,  waren  aber  die  letzten, 
die  ich  in  langer  Zeit  von  ihm  erhielt  Er  musste  sich 
mit  Büchel  nach  dem  unglücklichen  Treffen  von  Auer- 


—     163    — 

städt  und  Yierzehn-Heiligen  nach  Magdeburg  begeben, 
während  der  andere  Flfigel  der  Armee  und  das  Zentrum, 
vom  Herzog  von  Brannschweig  kommandiert,  wie  be- 
kannt, geschlagen  wurde,  so  dass  die  Franzosen  bis 
zu  uns  vorrückten,  also  die  feindliche  Armee  zwischen 
uns  blieb.  Den  Eindruck,  den  es  mir  machen  musste, 
an  der  nämlichen  herzoglichen  Tafel  mit  den  ersten 
französischen  Offizieren  und  dem  durch  die  Revolution 
so  fürchterlich  bekannten  General  Westermann  zu 
speisen,  wo  kurz  zuvor  unsere  lieben  Preussen  mit 
uns  zu  Tische  gesessen  und  uns  so  freundschaftlich 
unterhalten  hatten,  kann  ich  ebensowenig  schildern, 
wie  die  allgemeine  Betrübnis  über  die  so  rasch  ver- 
lorene Schlacht  von  Jena,  deren  Kanonendonner  bis 
zu  unseren  Ohren  gedrungen  war.  Wir  hofften  jedoch 
alle,  es  sei  durch  diese  erste  Schlacht  nicht  alles  ver- 
loren, die  Preussen  würden  sich  wieder  sammeln  und 
die  Fremden  aus  dem  Lande  vertreiben.  Die  für  Preussen 
und  Deutschland  so  unglückliche  Wendung  dieses  Feld- 
zuges ist  durch  die  Geschichte  hinlänglich  bekannt. 
Ich  erwähne  daher  nur,  dass  mich  ausser  dieser  all- 
gemeinen Betrübnis  noch  der  Kummer  bedrückte,  durch 
volle  vier  Wochen  gar  nichts  von  Emil  zu  wissen.  Ich 
suchte  mich  zu  fassen  und  seinen  Bat  bestmöglichst 
zu  befolgen,  da  er,  diesen  Fall  voraussehend,  mich  in- 
ständig gebeten  hatte,  auch  dann,  wenn  ich,  wie  es 
in  den  Wechselfällen  des  Krieges  so  häufig  der  Fall 
sei,  keinen  Brief  von  ihm  bekommen  sollte,  den  Mut 
nicht  sinken   zu  lassen  und  von  Gott  ein  günstiges 


—     154    — 

Ende  des  Feldznges  zu  erhoffen.  Es  gelang  mir  dies 
anch  so  ziemlich,  nnr  erschwerte  es  mir  einige  Male  die 
seltsame  Art  des  Herzogs  Aagnst,  welcher  mir  öfter 
sagte:  ,, Wirklich,  ich  kann  nicht  begreifen,  wie  Sie  unter 
diesen  Umständen  so  ruhig  sein  können  I  Sie  halten 
auf  eine  unnatürliche  Weise  und  zu  stark  an  sich !  Es 
wäre  besser  f&r  Sie,  sich  mehr  gehen  zu  lassen.^  — 
Kaum  konnte  ich  in  dieser  Äusserung  eine  wohlthuende 
Zurede  empfinden  und  regte  mich  mehrmals  so  auf, 
dass  meine  Gesundheit  darunter  litt 

Endlich  im  November  kam  ein  Brief  Emils  aus 
Prenzlau  in  Pommern,  worin  er  voll  tiefster  Wehmut 
meldete,  dass  er  durch  eine  schändliche  That  des 
Generalstabschefs  des  Fürsten  Hohenlohe-Ingel- 
fingen,  unter  dem  er  kämpfte,  mit  dem  ganzen 
noch  ziemlich  bedeutenden  Eeste  des  Armeekorps  ge- 
zwungen worden  sei,  sich  an  Murat,  den  Schwager 
Napoleons,  der  eine  geringere  Anzahl  Truppen,  als  die 
unseren  befehligte,  als  Gefangener  zu  ergeben.  Er 
schrieb  ferner,  dass  im  Augenblicke,  wo  sie  erfahren 
hatten,  dass  ihnen  kein  anderer  Ausweg  blieb,  er  und 
ein  Major  von  0  p  p  e  1  mit  einer  Truppenabteilung  die 
Verabredung  getroffen  hätten,  sich  von  diesem,  nach 
ihrer  Ansicht  in  seiner  Ehre  schwer  verletzten  Armee- 
korps zu  trennen  und  durch  Pommern  bis  nach  Königs- 
berg durchzuschlagen,  um  dort  zum  König  und  dessen 
Heer  zu  stossen.  Dieser  heldenmütige  Entschluss 
blieb  aber  nur  kurze  Zeit  ihr  Trost  in  jener  Trübsal, 
denn  ein  Oberst,  dessen  Name  mir  nicht  mehr  er- 


—     155     — 

innerlich  ist  und  welcher  von  diesem  Plan  gehört 
hatte,  that  sein  Möglichstes,  sie  davon  abzubringen 
und,  als  ihm  dies  nicht  gelang,  die  Soldaten  und 
Unteroffiziere  zu  entmutigen,  ihnen  alle  Gefahren  des 
Wagnisses  schildernd.  Auf  diese  Weise  fielen  die 
meisten  ganz  ab,  und  selbst  den  wenigen  Übrigbleibenden 
schien  der  zu  einer  so  kühnen  Handlung  nötige 
Enthusiasmus  entschwunden  zu  sein,  so  dass  man  zum 
grössten  Leidwesen  der  zwei  heldenmütigen  Unter- 
nehmer gezwungen  war,  auf  deren  Ausführung  zu  ver- 
zichten. Nicht  nur  sie,  sondern  auch  der  grösste  Teil 
der  Offiziere  ergab  sich  mit  dem  Schmerze  der  Ver- 
zweiflung in  das  unabwendbare  Schicksal.  8ie  be- 
schuldigten den  Chef  des  Generalstabes  des  Fürsten, 
ohne  hinreichenden  Grund  die  Versicherung  gegeben 
zu  haben,  dass  keine  Munition  mehr  vorhanden  sei, 
um  den  Krieg  in  diesem  Augenblicke  fortzuführen,  er 
galt  ihnen  dafür  als  Verräter;  ob  er  sich  später  zu 
rechtfertigen  vermochte,  ist  mir  nicht  bekannt.  Unter 
Verpfändung  ihres  Ehrenwortes,  in  diesem  Feldzuge 
nicht  mehr  gegen  Frankreich  zu  kämpfen,  erhielten  die 
gefangenen  Offiziere  die  Bewilligung,  sich  einen  be- 
liebigen Aufenthaltsort  zu  wählen.  Emil  begab  sich 
daher  in  seinen  Gamisonsort  Aschersleben  im  Hildes- 
heimschen,  wo  er  noch  ein  Quartier  und  Mobiliar  be- 
sass.  Von  dort  aus  schrieb  er  seiner  Mutter  und  mir, 
trauernd  über  die  Unmöglichkeit,  in  der  er  sich  be- 
fände, als  Gefangener  und  dadurch  in  so  veränderter 
Lebenslage,    sich   bei   uns   einzufinden.     Scham   und 


—     156     — 

drückender  Schmerz  hielten  ihn  fem  von  seinen  Lieben. 
Auf  die  militärische  Laufbahn  verzichten  zu  müssen, 
war  ihm  ein  unerträglich  quälender  Gedanke,  dann 
brachte  ihm  seine  doppelte  Anstellung  als  Kittmeister 
und  Brigademajor  des  Armeekorps  des  Herzogs  von 
Brannschweig  mehr  als  dreitausend  Reichsthaler  jähr- 
lich ein.  Der  Entfall  dieser  Summe  musste  bei  seinem 
nicht  bedeutenden  Vermögen  in  Betracht  gezogen  werden. 
Unter  den  früheren  Verhältnissen  hätten  wir,  vereint 
mit  dem,  was  ich  bei  meiner  Vermählung  erhalten  sollte, 
ein  hinreichendes  Einkommen  gehabt,  um  sehr  angenehm 
leben  zu  können. 

Unser  Aufenthaltsort  sollte  Hannover  sein,  wo  er 
in  den  ersten  Kreisen  der  Stadt  sehr  wohl  gelitten 
war;  er  hatte  daselbst  schon  bei  einem  berühmten 
Wagenbauer  einen  eleganten  Wagen  um  den  Preis  von 
eintausendzweibundert  Reichsthalem  bestellt,  welchen 
er  der  nun  eiuß^etretenen  ungünstigen  Umstände  halber 
wieder  abbestellte.  Es  war  vorauszusehen,  dass  nach 
Beendigung  des  unglücklichen  Feldzuges  grosse  Re- 
formen in  der  preussischen  Armee  vorgenommen  werden 
würden,  wie  es  denn  auch  wirklich  geschah.  So  wie 
jetzt  die  Dinge  standen,  wagte  er  es  nicht  mehr,  an 
eine  Verbindung  mit  mir  zu  denken  und  schrieb  mir 
auch  in  tiefstem  Schmerze,  er  würde  es  meinen  Eltern 
nicht  verargen  können,  wenn  sie,  wenigstens  vor  der 
Hand,  von  dieser  Heirat  nichts  mehr  wissen  wollten, 
und  er  müsse  es  sich  schon  gefallen  lassen,  unter  dem 
Zwange  solch  neuer  Verhältnisse  abgewiesen  zu  werden. 


—     157     — 

Natürlich  war  dies  keineswegs  meine  Meinung,  unsere 
Verbindung  war  ja  mehr  Herzenssache,  als  anf  äussere 
Umstände  gestützt,  und  sowohl  meine  Mutter,  die  ihn 
sehr  würdigte  und  liebte,  als  auch  der  alte  Baron 
zeigten  sich  von  seinem  Zartgefühl  tief  gerührt.  — 
Sie  luden  ihn  ein,  wenn  er  seine  Geschäfte  in  Aschers- 
leben, wo  er  die  Einrichtung  verkaufen  wollte,  ab- 
gewickelt hätte,  zu  uns  auf  unbestimmte  Zeit  zu  Be- 
suche zu  kommen,  wo  wir  dann  das  Fernere  besprechen 
könnten.  Emil,  welcher  sich  demütig  unter  die  Hand 
des  Allmächtigen  gebeugt  hatte,  harrend,  bis  Preussens 
Schicksal  das  seinige  entscheiden  würde,  war  unaus- 
sprechlich getröstet  und  erfreut  durch  die  Hoffnung  auf 
unser  baldiges  Wiedersehen  und  meiner  lieben  Mutter 
dankbar  für  ihre  zuvorkommende  Güte. 

Im  Dezember  langte  er  endlich  bei  uns  an.  Dass 
unsere  Wiedervereinigung  sich  äusserst  rührend  und 
ergreifend  gestaltete,  lässt  sich  denken.  So  traurig 
auch  für  jedes  gutdenkende  Herz  die  Zeiten  sein 
mochten  und  so  übel  sie  uns  mitgespielt  hatten,  feierten 
wir  dennoch  unser  Wiedersehen  mit  inniger  Freude, 
und  diese  wurde  von  unserer  Umgebung  aufrichtig  ge- 
teilt. Wir  lebten  ganz  in  der  Gegenwart,  trachtend, 
dieselbe  so  wenig  als  möglich  durch  die  Erinnerung  an 
die  jüngste  Vergangenheit  zu  trüben.  Doch  musste 
bald  auch  der  nächsten  Zukunft  gedacht  werden,  und 
ein  edler  Kampf  begann,  indem  sich  Emil  wieder  erbot, 
bis  auf  glücklichere  Zeiten  sich  gedulden  zu  wollen, 
während  wir  meinten,  es  könne  in  Hofhung  einer  nahen 


—    158    -- 

besseren  Zukunft  die  Vermählung  schon  jetzt  vor  sich 
gehen,  da  sie  durch  das  gegebene  gegenseitige  Ver- 
sprechen und  das  Band  unserer  Herzen  doch  unwider- 
ruflich feststehe.  Ich  für  meinen  Teil,  die  ich  frUher  gern 
noch  eine  Zeit  lang  meinen  glücklichen  Brautstand  ver- 
längert hätte,  glaubte  nun  edler  zu  handeln,  indem  ich 
mich  nicht  weigerte,  denselben  abzukürzen,  was  für 
meinen  Emil  in  seiner  so  schweren  und  trüben  Lage  ein 
grosser  Trost  werden  musste,  umsomehr,  als  er  durch 
sein  nun  berufloses  Leben  sehr  vereinzelt  dastand.  — 
Es  wurde  also  beschlossen,  dass  wir  am  11.  Januar, 
seinem  Geburtstage,  zu  Erfurt  in  der  Augustinerkirche 
auf  katholische  und,  dann  nach  dem  Wunsche  der  Seinen, 
in  Stedten  auf  protestantische  Weise  am  selben  Tage  ge- 
traut werden  sollten,  doch  wurde  es  auf  meinen  Geburts- 
tag, den  13.  Januar,  verschoben,  weil  Schwester  Ad^le 
an  einer  schmerzlichen  Halsbräune  litt,  und  man  hoffte, 
sie  würde  zwei  Tage  später  schon  im  stände  sein,  die 
kleine  Exkursion  im  geschlossenen  Wagen  mitzumachen. 
Leider  nahm  ihr  Übel  eine  solche  Wendung,  dass  man 
den  Zeitpunkt  nicht  mehr  voraussehen  konnte,  wo  sie 
sich  der  Kälte  würde  aussetzen  dürfen,  und  so  musste 
ich  der  tröstlichen  Freude  entbehren,  sie,  die  vielge- 
liebte Gefährtin  meiner  Kindheit  und  Jugend,  an  meinem 
Hochzeitsfeste  teilnehmen  zu  sehen,  was  auch  sie  sehr 
schmerzlich  traf. 

Von  Emils  Verwandtschaft  waren  ausser  seiner 
Mutter  noch  anwesend:  Tante  Botzheim  mit  ihrer 
Tochter  Luise  und  Onkel  Keller  sammt  seinen  Söhnen, 


—     159    — 

während  seine  Frau  mit  ihren  Töchtern  in  Wien 
weilte.  Die  Eellersche  Familie  hatte  sich  einige  Tage 
Mher  mit  Emil  nach  Stedten  begeben,  um  daselbst 
die  nötigen  Anordnungen  zur  Einquartierung  der  Hoch- 
zeitsgäste zu  treffen.  Die  Tage  vor  meiner  Vermählung 
brachte  ich  in  stiller  Zurückgezogenheit  mit  der  Pflege 
meiner  lieben,  kranken  Adfele  und  mit  der  geistigen 
Vorbereitung,  durch  Empfang  der  heiligen  Sakramente 
beschäftigt,  zu.  Am  dreizehnten  Januar  früh,  an  einem 
ziemlich  kalten  Wintermorgen,  fuhren  wir  von  Gotha 
nach  Erfurt  ab:  meine  Mutter  und  ich,  Tante  Botz- 
heim  und  Luise,  unsere  Freundin,  Frau  Ettinger,  mit 
Tochter  und  Charlotte  ßeichhard.  Leider  musste  die 
gute  Marchais,  meiner  Schwester  und  des  lieben  alten 
Barons  wegen,  zurückbleiben,  was  auch  ihr,  als  der 
ersten  Freundin  meiner  Einderjahre  und  meines  ganzen 
bisherigen  Lebens,  recht  schwer  fiel. 

Da  meine  Trauung  viel  früher  stattfand,  als  es 
vorher  im  Plane  gelegen  und  mein  Vater  nicht  bis 
zu  diesem  Termine  eintreffen  konnte,  trug  ich  statt 
des  silbergestickten  Brautkleides,  welches  er  aus 
Paris  mitbringen  sollte,  ein  Kleid  aus  gestickter  ost- 
indischer Mousseline,  durch  welche  das  Unterkleid 
von  weissem  Atlas  schimmerte;  und  um  mich  vor  der 
Kälte,  die  ich  nichtsdestoweniger  stark  empfand,  zu 
schützen,  hatte  ich  noch  einen  wattierten,  mit  Schwanen- 
pelz  verbrämten  Überwurf  aus  weissem,  ungeschnittenem 
Samt  mit  eingewebtem  Blumenmuster  von  Veilchenfarbe 
umgethan ;  auch  der  Muff  und  die  Palatino  waren  von 


~     161     - 

war  and  der  uns  nan  trauen  sollte,  erreichten.  Wenige 
Minuten  später  langte  auch  die  Karawane  aus  Stedten 
an,  nämlich  meine  Schwiegermutter  mit  Emil  und  Onkel 
Keller  mit  seinen  Söhnen,  die  Herren  in  Uniform,  so 
dass  alles  *gar  stattlich  aussah.  Mit  ihnen  kam  auch 
ein  ehemaliger  Hofmeister  meines  lieben  Emil,  Herr 
Pfarrer  Reinhard,  aus  naher  Gegend,  der  mich  gar 
freundlich  bewillkommte  und  sehr  geschätzt  und  beliebt 
in  der  Familie  zu  sein  schien.  Beim  Eintritt  meines 
Bräutigams,  der  nun  mein  Ehegemahl  werden  sollte, 
war  mir  die  Seele  tief  bewegt,  und  auch  sein  Angesicht 
gab  Kunde  von  Glück  und  innerer  Rührung.  Bald 
fanden  wir  jedoch  unsere  natürlich -heitere  Stimmung 
wieder,  so  dass  wir  in  die  Klosterkirche  vor  den  schön 
gezierten  St.  Josefsaltar  tretend,  so  unbefangen  und  im 
Gemüte  ruhig  waren,  als  sei  die  Stunde  nicht  eine  so 
hochfeierliche,  entscheidende  fürs  ganze  Leben.  Mir 
kam  vor  diesem  Altare  und  bei  allem,  was  uns  Pater 
Muth  ans  Herz  legte,  alles  wie  ein  seltsamer  Traum 
vor ;  dann  aber  nach  dem  Wechseln  der  Ringe  und  dem 
letzten  Segensspruche  flössen  Thränen  der  Rührung  von 
meinen  wie  von  aller  Augen.  —  Hierauf  begaben  wir 
uns  wieder  in  die  Zelle  des  Paters  zurück,  um  das 
Vorfahren  der  Wagen,  die  uns  nach  Stedten  bringen 
sollten,  abzuwarten  und  wurden  von  unseren  Müttern 
und  den  lieben  Freunden  gesegnet,  beglückwünscht 
und  umarmt.  Wer  mich  in  Erfurt  zum  Altare  geleitete, 
ob  meine  Mutter  oder  der  Brautführer,  weiss  ich  nicht 
mehr  zu  sagen;  in  Stedten  war  der  neunzehnjährige 

Carl  (IrafObarndorff,  firinaerang«»  «intr  Urgroumaitor.         H 


—    162    — 

Theodor  Keller  mein  Brautführer.  Das  Wiedersehen 
aller  genannten,  in  Freundschaft  verbundenen  Personen 
im  wohlbekannten  Salon  der  lieben  Tante  zu  Stedten 
gestaltete  sich  freundlich,  herzlich  und  wohlthuend. 

Nach  allen  diesen  Ereignissen  war  der  Tag  schon 
vorgeschritten,  und  dennoch  dauerte  es  eine  Weile,  bis 
der  gute  Martin,  der  treue,  alte  Koch  Onkel  Kellers, 
mit  seinem  nur  allzu  prunkhaften  Festmahle  fertig 
wurde,  so  dass  es  bereits  ziemlich  spät  war,  als  wir 
uns  an  das  grosse,  festliche  Bankett  im  „Pappelsaale^ 
setzten.  Es  flimmerten  sämmtliche  Kronleuchter,  und 
Guirlanden  hingen  von  allen  Seiten  nieder,  so  bedacht 
war  der  gute  Onkel  gewesen,  alles  recht  feierlich  einzu- 
richten. Mein  Platz  an  der  Tafel  befand  sich  zwischen 
ihm  und  meinem  Gemahl;  anfangs  schien  alles  noch  recht 
lebendig  und  lustig  zu  sein,  aber  da  das  Mahl  sehr  lange 
dauerte  und  das  frfihe  Ausfahren  und  so  manche  andere 
Anstrengung  des  Tages  'uns  alle  mehr  oder  weniger 
ermüdet  hatten,  so  reichte  die  Kraft  von  Emils  fröh- 
licher, immer  so  reich  begabter  Laune  kaum  mehr  aus, 
uns  alle  wach  zu  erhalten  bis  zum  Ende  des  Diners, 
das  nun  zugleich  Souper  geworden  war.  Nichtsdesto- 
weniger ermunterte  man  sich  wieder  im  Salon,  die 
einen  bei  Klavier  und  Gesang,  andere  beim  Schach- 
und  Lottospiel  oder  in  heiterem  Gespräche.  Vor  der 
Trennungsstunde  wurde  von  der  anwesenden  unver- 
heirateten Jugend  um  den  Kranz  und  das  Bouquet  der 
Braut  ein  Reigen  getanzt;  der  Brautführer,  welcher 
mit  verbundenen  Augen  in  der  Mitte  stand  und  diese 


—    163    — 

Insignien  in  Händen  hielt,  hatte  sie  einer  der  sich 
am  ihn  im  Kreise  bewegenden  Personen  zn  Über- 
reichen. Es  sollte  dies  ein  Omen  sein,  wer  zuerst 
Hochzeit  feiern  würde.  Ich  weiss  nicht  mehr,  ob  es 
die  Sichtige  traf,  nämlich  Charlotte  Reichard. 

Die  nächstfolgenden  Tage  blieben  wir  in  Stedten 
vereint,  dann  kehrten  wir  nach  Gotha  zurück,  wo 
ich  natürlich  zuerst  beim  teuem,  väterlichen  Baron  ab- 
stieg und  ihn,  sowie  auch  meine  liebe  Schwester  und 
die  treue  Marchais  umarmte.  Hierauf  begaben  wir 
uns  in  unsere  hübsche  Wohnung  in  der  Siebleberstrasse, 
welche  die  Freunde  mit  Geschenken  und  freundlichen 
Angebinden  geschmückt  und  angefüllt  hatten.  Bald 
kam  auch  eine  Fülle  von  Besuchen  von  Freunden  und 
Bekannten  angerückt.  Ich  kann  sagen,  dass  die  Teil- 
nahme eine  grosse  war,  da  ausser  der  Wohlgewogenheit, 
die  man  mir  von  meinen  Kinderjahren  an  bewies, 
auch  mein  Mann  sich  grossen  Beifalls  und  allgemeiner 
Achtung  erfreute.  Bei  Hofe,  wo  ich  mich  acht  Tage 
vorher  als  Hofdame  verabschiedet  hatte  und  mir  ein 
grosses  Abschiedsfest  bereitet  worden  war,  erschien 
ich  nun  als  junge  Frau  und  wurde  wieder  sehr  gefeiert. 
Nachdem  diese  erste,  etwas  lärm  volle  und  unruhige 
Zeit  vorüber  gerauscht,  verlebten  wir  angenehmere, 
stillere,  und  da  viele  unserer  Freunde  hervorragend  geist- 
voll waren,  auch  anregende  Tage.  Es  sammelte  sich 
damals  ein  sehr  brillanter  Kreis  in  Gotha,  und  man 
unterhielt  sich  auf  alle  Weise,  trotz  des  Ernstes  der 

Zeit.     Wir   waren    sehr  ästhetisch  und  kunstliebend. 

11* 


—     164    — 

Das  brachte  ans  auf  den  Gedanken,  manche  Bruch- 
stücke ans  Schillers  Tragödien  dramatisch  vorzutragen. 
Es  geschah  dies  zuerst  bei  uns  und  später  bei  Prinz 
Friedrich,  der  neben  seiner  Villa  ein  wohleingerichtetes 
Theater  herstellen  liess,  wo  dann  auch  ganze  Stücke 
gegeben  wurden.  In  die  Details  hierüber  kann  ich  nicht 
eingehen.  Nur  so  viel  will  ich  noch  sagen,  dass  Emil 
und  ich  als  Leiter  dieses  Theaters  galten  und  so 
glücklich  waren,  einen  solchen  Einfluss  über  die  Mit- 
glieder der  Truppe  zu  gewinnen,  dass  nie  eine  Unan- 
nehmlichkeit oder  Yerdriesslichkeit  für  uns  daraus 
erwachsen  konnte.  Ein  einziges  Mal  wollte  ein  junger 
Mann  die  ihm  zugedachte  Rolle  nicht  gleich  übernehmen, 
that  es  aber  dennoch  später  mit  guter  Manier.  Ich 
selbst  spielte  weniger  mit,  als  mein  Mann  und  meine 
Schwester,  die  ein  merkwürdiges  Talent  in  dieser  Kunst 
entwickelten.  — 

Im  Frühjahr  begann  meine  von  jeher  zarte  Ge- 
sundheit sehr  zu  leiden,  so  dass  mir  der  Gebrauch  von 
Karlsbad  verordnet  wurde,  welcher  Kur  ich  mich  im 
Juni  unterzog  und  die  von  bestem  Erfolge  begleitet 
war,  besonders  weil  ich  Franzensbad  als  Nachkur  ge- 
brauchte. 

Noch  ehe  der  Sommer  ganz  vorüber,  hatte  mich 
der  Herr  mit  der  Hoffnung,  im  kommenden  Lenze 
Mutter  zu  werden,  gesegnet,  was  mein  Herz  mit  Dank 
und  Freude  bewegte,  das  meines  lieben  Emil  aber 
noch  mehr,  denn  seine  rege,  lebendige  Seele  sah  mit 
Entzücken  den  Vaterfreuden  entgegen.    Alle  Freunde 


—     165     — 

teilten  diese  unsere  Freude,  wenngleich  sie  wegen 
der  Zartheit  meiner  Gesundheit  nicht  ohne  Besorgnis 
um  mich  waren. 

Während  dieses  Jahres  erwartete  uns  aber  noch 
ein  herber  Schmerz:  unser  vielgeliebter  väterlicher 
Freund  wurde  von  einem  Fussttbel  ergriffen,  das  seine 
Gesundheit  erschfitterte  und  sich  in  seinem  hohen 
Alter  von  zweiundachtzig  Jahren  sehr  gefährlich  und 
nicht  zu  beseitigen  zeigte.  Man  verbarg  mir  zuerst, 
meines  Zostandes  wegen,  diese  drohende  Gefahr,  was 
um  so  leichter  ging,  als  es  längere  Zeit  dauerte,  ehe 
er  das  Bett  hüten  musste.  Das  Übel  war  eine  offene 
Wnnde  an  den  Beinen,  welche  Zersetzung  der  Säfte 
nach  sich  zog.  Anfangs  Dezember  wurde  das  Leiden 
so  bedenklich,  dass  man  mir  nicht  mehr  den  Schmerz 
verhehlen  konnte,  der  meiner  harrte.  Es  that  mir 
unaussprechlich  weh,  denn  seit  meiner  Kindheit  liebte 
ich  diesen  freundlichen  Wohlthäter  auf  das  Innigste, 
und  nun  war  es  mir  wegen  meines  schonungsbedürftigen 
Zustandes  strengstens  untersagt,  ihn  in  den  letzten 
Tagen  seines  Lebens  mehr  zu  sehen;  am  19.  Dezember 
verschied  er  sanft.  —  Ach,  jetzt,  wo  ich  im  religiösen 
Licht«  dieses  Ende  betrachte,  schmerzt  es  mich  an- 
gemein, ihn  mir  so  ganz  ohne  christliche  Einsicht  in 
seinen  letzten  Augenblicken  zu  denken.  Er  hatte  mir 
aber  öfters  in  Stunden  ernsten  Gespräches  gesagt,  seine 
Rechnung  mit  der  Welt  wäre  abgeschlossen,  und  er 
stehe  jeden  Moment  bereit,  vor  Gott  zu  erscheinen.  Es 
ist  gewiss:    grosser  Edelsinn  war  sein  Teil,  und  viele 


—     166     — 

gute  Werke  bezeichnen  seine  Lebensbahn.  —  0  mein 
Gott,  sei  seiner  wohlmeinenden  Seele  gnädig!  — 

Der  Tod  des  lieben,  verehrten  alten  Barons  trttbte 
ans  den  Winter  und  nur  nach  und  nach  konnten  wir 
uns  mit  Gottes  Hilfe  daran  gewöhnen,  seinen  so  an- 
ziehenden Umgang  zu  missen. 

Nur  seinetwegen,  dem  wir  alle  so  reichen  Dank 
schuldeten,  war  meine  Mutter  noch  in  Deutschland  ge- 
blieben, seitdem  die  Amnestie  den  Emigranten  wieder 
Frankreichs  Thore  eröffnet  hatte,  doch  nun  sehnte  sie 
sich,  dorthin  zurückzukehren.  In  Preussen  standen  die 
Sachen  nicht  gut:  die  Gefangenen  wurden  zwar  nach  dem 
Frieden  von  Tilsit,  der  so  schmählich  ausgefallen,  wieder 
freigegeben,  aber  die  meisten  erhielten  die  Weisung 
zu  bleiben,  wo  sie  waren,  bis  sie  endlich  nach  Wieder- 
organisierung der  sehr  verminderten  Armee  aufs  neue 
in  Aktivität  treten  könnten. 


vm.  Kapitel. 

Wieder  in  Franlcreicli. 

Mein  Vater  hatte,  nachdem  es  ihm  nicht  möglich 
gewesen,  zu  meiner  Vermählung  zu  kommen,  versprochen, 
uns  bald  darauf  zu  besuchen,  doch  es  konnte  wegen 
seiner  allzu  verwickelten  Geschäfte  auch  dann  nicht  ge- 
schehen, und  erst  im  Frflhjahr  durften  wir  die  Freude 
erleben,  ihn  wiederzusehen.  Er  arbeitete  mit  grosser 
Ausdauer  am  Wiedererwerbe  seines  Vermögens  und  an 
der  Wiederaufrichtung  seines  Schlosses.  Beides  hatte 
durch  die  Revolution  sowie  durch  die  späteren  politi- 
schen Unruhen  stark  gelitten.  Infolge  einer  ziemlich  be- 
deutenden Erbschaft  von  einer  alten  Tante  war  er  in 
Stand  gesetzt  worden,  sein  Hauptgut  wieder  anzukaufen, 
und  nachdem  das  Schloss  nun  wieder  schön  und  wohn- 
lich hergerichtet  worden,  wünschte  mein  lieber  Vater, 
seine  ganze  Familie  daselbst  um  sich  zu  vereinigen.  Bei 
seinem  Besuche  im  April  1808  lernte  er  meinen  Mann 
kennen  und  hatte  ihn  bald  sehr  lieb  gewonnen;  er  lud 
ihn  ein,  mit  uns  nach  Varennes  zu  kommen  und  zu 
sehen,  ob  nicht  vielleicht  ein  vorteilhafter  Ankauf  irgend 
eines  Besitzes  für  uns  zu  machen  wäre.    Mein  Mann 


—     168     — 

zögerte,  dies  anzunehmen,  da  er  gerne  mehr  in  der 
Nähe  Prenssens  bleiben  und  abwailen  wollte,  ob  er 
sich  seinem  Vaterlande  nicht  wieder  nützlich  machen 
dfirfte.  Bei  der  Ungewissheit  der  damaligen  Zeit  wagte 
er  jedoch  nicht,  meinem  Vater  diese  wiederholte  und 
dringende  Einladung  abzuschlagen  und  versprach,  wenig- 
stens fQrs  erste  seinem  Wunsche  nachzukommen. 

Doch  ich  bin  in  meiner  Erzählung  zu  rasch  vor- 
wärts geschritten  und  muss  auf  den  März  den  Jahres 
1808  zurückkommen ,  da  mir  die  unaussprechlich  tief 
empfundene  Freude  zuteil  wurde,  am  20.  dieses  Monates 
Mutter  meines  erstgeborenen,  lieben  Sohnes  Alexander 
zu  werden.  Meine  und  Emils  V7onne  über  das  aller- 
liebste Eindlein,'  als  es  uns  in  seinem  mit  rosa  Schleifen 
reichlich  gezierten  Kissen  gebracht  wurde,  kann  ich 
nicht  schildern;  Thränen  unaussprechlichen  Glückes 
benetzten  diese  teure  Gottesgabe,  und  Dank  erfällte 
unsere  Seelen. 

Da  sich  das  liebe  Kind  sehr  wohl  befand,  wurde 
nach  dortiger  Sitte  die  Taufe  auf  die  vierte  Woche 
festgesetzt.  Ich  war  dann  schon  kräftig  genug,  um 
mich  in  den  Salon  zu  begeben;  dort  auf  einem  Sofa 
ruhend,  wohnte  ich  der  Zeremonie  bei,  die  sich  so 
feierlich  als  möglich  gestaltete.  Durch  die  Anwesen- 
heit des  Herzogs  und  der  Hei*zogin,  welche  Patenstelle 
übernommen  hatten  und  mit  grossem  Hofstaate  er- 
schienen, wurde  sie  noch  besonders  verherrlicht. 

Aus  der  Zeit  meiner  Zurückgezogenheit  weiss  ich 
mich  noch  zu  erinnern,  dass  uns  ausser  den  Meinen  auch 


—     169     — 

manch*  liebe  Freunde  getreulich  Gesellschaft  leisteten. 
Es  wurde  viel  gelesen  und  erzählt,  wozu  nicht  zum 
wenigsten  die  Rückkehr  des  guten  Herrn  von  Nolten 
und  des  Grafen  Stanislaus  Plater  Stoff  gab.  Beide 
Freunde  waren,  ein  jeder  in  seiner  Art,  recht  interessant. 
Nolten  sah  ich  viele  Jahre  später  wieder,  nachdem  mit 
ihm  und  mii*  selbst  eine  grosse  geistige  Veränderung  ge- 
schehen, da  wir  beide,  nach  vielfachen  tiefschmerzlichen 
Erfahrungen  und  durch  Gottes  Gnade  erleuchtet,  uns 
ganz  zu  Ihm  gewendet  hatten.  Nach  Beendigung  der 
Wochenzeit  machte  ich  in  Stille  meinen  Kirchgang  zur 
kleinen  katholischen  Kapelle;  dann  blieben  wir  noch 
einen  Monat  in  Gotha,  damit  ich  und  mein  Söhnchen 
gehörig  gestärkt  wären. 

Als  der  Zeitpunkt  des  Scheidens  von  unserem  lieben, 
so  erinnerungsreichen  Gotha  herannahte,  ward  uns 
recht  wehmütig  zu  Mute,  und  es  fiel  uns  schwer,  von 
so  vielen,  deren  herzliche  Zuneigung  wir  erworben 
hatten,  wahrscheinlich  für  immer  zu  scheiden.  Seit- 
dem bin  ich  jedoch  infolge  der  Schicksale,  die  meinem 
Auge  damals,  gottlob !  noch  verborgen  waren,  häufig  an 
diesen  Ort  meiner  Jugend  zurückgekehrt.  Ich  fand  dann 
leider  jedesmal  einige  der  lieben  Seelen  weniger,  und 
jetzt  leben  daselbst  nur  mehr  wenige,  ganz  vereinzelt, 
als  Zeugen  längst  vergangener  Zeiten!  — 

In  zwei  schwerbepackten  Wagen  traten  wir  am 
8.  Juni  die  Reise  nach  Frankreich  an,  nachdem  wir 
noch  einen  letzten  Abschiedsgruss  der  Grabstätte  un- 
seres   geliebten    väterlichen  Freundes    im    nahe    ge- 


—     170     — 

legenen  Dorfe  Siebleben  gewidmet  hatten.  Das  Wetter 
war  heiter  und  blieb  schön  während  der  ganzen 
Keise,  die  ziemlich  langsam  vor  sich  ging.  Im  „Eng- 
lischen Hofe^  zu  Frankfurt  am  Main  ruhten  wir  zwei 
Tage  aus  und  wurden  von  der  Familie  des  Bankiers 
Bethmann  aufs  freundlichste  und  schönste  bewirtet, 
sowohl  in  ihrem  Stadthause,  als  auch  in  ihrer  nahe 
gelegenen  Villa. 

unserem  Ziele  näher  und  näher  riickend,  fühlten 
wir  beiden  Schwestern  uns  natürlicher  Weise  keines- 
wegs von  heimatlichen  Gefühlen  angeweht,  da  uns  ja 
alles  so  fremd  erschien.  Die  gütige  Mutter  dagegen 
freute  sich  schon  von  Epinay  an  über  jede  Ortschaft, 
jedes  Haus,  ja  selbst  über  die  Bäume,  die  sie  in  ihrer 
heimatlichen  Gegend  wiedererkennen  und  nun,  nach 
siebzehn  Jahren  des  Exils,  begrüssen  konnte. 

Als  wir  endlich  in  Varennes  anlangten,  trafen  wir  im 
Schlosshofe  Papa,  Bruder  Henri  sowie  Onkel  und  Tante 
Malherbe  an,  uns  bereits  voll  freudiger  Ungeduld  er- 
wartend. Mein  lieber  Emil,  der  die  seltene  Gabe  be- 
sass,  nichts  ohne  reges  Interesse  zu  betrachten,  sich 
überall  beliebt  zu  machen  und  leicht  wie  zu  Hause  zu 
fahlen,  nahm  den  aufrichtigsten  Anteil  an  dieser  Wonne 
des  Wiedersehens. 

Papa  hatte  sich  alle  Mühe  gegeben,  uns  in  dem 
noch  nicht  völlig  eingerichteten  Schlosse,  wo  noch  viele 
Arbeitsleute  beschäftigt  waren,  so  gut  als  möglich 
unterzubringen.  Wir  gefielen  uns  in  dem  grossen,  herr- 
lichen Parke,  der  das  Gebäude  umgab  und  an  den  lieb- 


—     171     — 

liehen  Ufern  der  Marne  nnd  verlebten  eine  angenehme 
Zeit  des  ruhigen  Beisammenseins.  Der  Verkehr  mit 
den  Gutsbesitzern  der  Nachbarschaft  unterbrach  öfters 
dessen  Einförmigkeit  nnd  brachte  uns  mit  manchen 
liebenswürdigen  Menschen  in  Verbindung. 

Gegen  Ende  des  Sommers  unternahm  ich  mit  meinem 
Vater  und  Emil  einen  Abstecher  nach  Guys,  dem  Be- 
sitze des  Herrn  von  Villermont  in  der  Nähe  von 
Ay,  wo  Papa  ein  Weingut  zum  Kaufe  angeboten  wor- 
den war.  Immer  auf  das  Wohl  seiner  Kinder  bedacht, 
erwog  er,  dass  dies  bei  dem  ausserordentlichen  Absätze, 
den  der  dortige  treffliche  Champagner  selbst  in  Frank- 
reich hatte,  ein  vorteilhaftes  Geschäft  fftr  uns  sein 
könnte.  Es  wäre  diese  Spekulation  auch  sicher  eine 
sehr  gute  gewesen,  wenn  nicht  Napoleon  schon  wenige 
Jahre  später  aus  Rache  gegen  England  die  Kontinental- 
sperre verfügt  hätte,  welche  den  europäischen  Handel 
brach  legte. 

Herr  und  Frau  von  Villermont  waren  seit  jeher 
mit  meiner  Familie  befreundet,  und  wir  freuten  uns, 
dieses  lieben swfirdige  Ehepaar  zu  besuchen.  Sie  hielten 
sich  nur  vorübergehend  in  Guys  auf,  bewohnten  aber 
meistens  ihr  elegantes  Haus  in  Ay;  wir  wurden  auf 
das  freundlichste  von  ihnen  aufgenommen  und  machten 
bei  ihnen  die  Bekanntschaft  einiger  sehr  angenehmer 
Familien.  Auch  unserer  Geschäftsangelegenheit  nahmen 
sie  sich  eifrigst  an.  Die  Gegend  kam  mir  aber  recht 
reizarm  vor,  daher  konnte  mir  weder  Guys  noch  Ay 
gefallen,  und  ich  besah  den  uns  zugedachten  Besitz  mit 


—     172     — 

seinem  schönen  Wohnhause,  aber  schattenlosen  Garten 
mit  einigem  inneren  Widerwillen,  doch  wagte  ich  der 
Bentabilität  der  Sache  halber  keine  Einsprache.  Nur 
das  eine  tröstete  mich  dabei,  dass  der  Zeitpunkt  nnserer 
Übersiedlung  noch  in  weiter  Ferne  stand  und  wir  jeden- 
falls nicht  vor  Abschluss  einer  Geschäftsreise,  welche 
mein  Mann  im  kommenden  Jahre  nach  Deutschland 
macheu  sollte,  dorthin  ziehen  konnten. 

Im  September,  da  Onkel  und  Tante  Malherbe  uns 
bereits  verlassen  hatten,  um  in  die  Normandie  zurück- 
zukehren, wurden  wir  alle,  die  wir  noch  in  Varennes 
beisammen  waren,  zur  alten  Marquise  von  Sigy  nach 
Boisboudran  für  die  Jagdzeit  eingeladen.  Es  inter- 
essierte sie,  die  herangewachsenen  Kinder  ihrer  Freunde 
näher  kennen  zu  lernen.  Wir  rüsteten  uns  also 
zur  Reise.  Mit  Betrübnis  musste  ich  meinem  Vater 
Recht  geben,  welcher  es  nicht  statthaft  fand,  dass  ich 
meinen  lieben  kleinen  Alexander  mitnähme,  und  ent- 
schloss  mich  daher  schweren  Herzens,  ihn  unter  der 
Obhut  seiner  verlässlichen  Wärterin  zurückzulassen. 
Meine  Mutter,  Adäle  und  ich  brachen  dorthin  auf,  und 
der  Marquis  von  Sigy  kam  uns  mit  seinen  Nichten, 
Lydie  und  Annette  von  Guerchy,  auf  halbem  Wege 
entgegen.  Wir  freuten  uns  sehr,  die  Bekanntschaft 
dieser  beiden  liebenswürdigen  Mädchen  zu  machen, 
welche  ständig  bei  ihrer  Grossmutter  wohnten.  Diese 
für  ihr  hohes  Alter  von  fast  achtzig  Jahren  noch  sehr 
rüstige  Dame  hiess  uns  aufs  freundlichste  willkommen, 
und  ein  Kreis  von    zahlreichen  Verwandten  und  Be- 


—     173     — 

kannten  erwartete  ans.  Fran  von  Dutillet,  geborene 
Sigy,  eilte  sofort  mit  ihren  Töchtern  P  aal  ine  and 
Elisa  von  ihrem  zwei  Standen  entfernten  Landsitze 
Mens  herbei,  am  die  Gonsinen  ans  Deatschland  za 
sehen.  Aach  Prüderie  von  Gaerchy,  ein  Enkel  der 
alten  Marqnise,  war  anwesend.  Dieser,  ein  mnnterer 
aber  anverlässlicher  Geselle,  machte  der  Familie  vielen 
Kammer;  er  starb  später  in  Amerika,  wo  er  sich  als 
Abentenrer  and  Glücksjäger  in  tolle  Speknlationen  ge- 
stürzt and  dabei  sein  hübsches,  angeerbtes  Vermögen 
verloren  hatte.  Es  mangelte  ihm  keineswegs  an  Kennt- 
nissen, insbesondere  was  die  Baakanst  anbelangte, 
wodnrch  er  meinem  Vater  bei  V(^iederherstellang  seines 
Schlosses  behilflich  gewesen  and  dadnrch  mehr  in 
ansere  Nähe  gekommen  ist. 

Boisbondrans,  das  seither  in  den  Händen  seiner  nenen 
Besitzer  vielen  Verändernngen  anterworfen  wnrde,  ent- 
sinne ich  mich  als  eines  grossen,  viereckigen  Schlosses, 
aaf  dessen  einer  Seite  ein  Hof  lag,  in  welchem  Bänme 
and  Gartenanlagen  die  Nebengebäade  verbargen,  wäh- 
rend man  von  der  andern  Seite  mittelst  einiger  Stafen 
eine  breite  Terrasse  erreichte,  welche  aaf  den  weiten 
Kiesplatz  führte,  der  sich  bis  zu  dem  imposanten  Hoch- 
wald aasdehnte,  welcher  das  Schloss  von  allen  Seiten 
nmgab.  Die  mehr  als  hundertjährigen  Eichen  und  son- 
stigen Riesenbäume  machten  einen  erhebenden  und  poe- 
tischen Eindruck,  breite  Fahrwege  and  kleine  Fasssteige 
zogen  sich  unter  ihnen  hin,  an  grünen  Rasenanlagen 
vorbei,  und  führten  zu  Ruheplätzen,  welche  an  verschie- 


-     174    - 

denen  Stellen  angebracht  waren.  Bei  Spaziergängen  sah 
man  häufig  verschiedenes  Wild,  wie  Hasen,  Kaninchen 
und  selbst  Rehe,  den  schattigen  Raum  beleben. 

Von  allen  Seiten  der  Nachbarschaft  traf  die  Jagd- 
gesellschaft nach  und  nach  ein,  darunter  auch  Gräfin 
Ouerchy,  die  Tochter  der  alten  Marquise  Sigy.  Sie  zog 
sich  immer  als  Amazone  an  und  trug  mit  Vorliebe  dieses 
eigenartige  Kostüm  aus  feinem  blauem  Tuch,  nur  auf  der 
Jagd  erschien  sie  stets  in  Männertracht,  in  kurzem 
Überrocke  und  weiten  Pantalons,  mit  Jagdtasche,  Pulver- 
horn  und  Flinte  ausgerüstet  und,  je  nachdem,  Hut  oder 
Kappe  auf  dem  Haupte.  An  allen  Arten  von  Jagden 
nahm  sie  Teil  und  zeigte  sich  unermüdlich  dabei.  Ihr 
durchaus  nicht  weibliches  Wesen  machte  sie  weniger 
anziehend,  als  es  hätte  der  Fall  sein  können,  denn 
trotz  ihrer  vierundvierzig  Jahre,  war  sie  noch  eine 
sehr  schöne  Frau,  welcher  der  Tituskopf,  wie  man  die 
kurz  geschnittenen  Haare  nannte,  gut  stand.  Nach 
dem  späten  Diner  blieb  man  meistens  im  Salon  ver- 
sammelt und  brachte  den  Abend  mit  Konversation, 
Musik  und  Spiel  zu.  Die  sogenannte  Macedoine,  eine 
Reihenfolge  von  leichten  Kartenspielen,  welche  die 
Partie  bildeten,  schien  besonders  beliebt;  man  unter- 
hielt sich  ungezwungen  in  munterer  und  lustiger  Weise. 

Im  Laufe  unseres  so  angenehmen  dreiwöchentlichen 
Aufenthaltes  in  Boisboudran  besuchten  wir  auch  viele 
Schlösser  in  der  Umgegend,  ich  nenne  davon  nur  Gorcy, 
bewohnt  von  der  erblindeten  Gräfin  Houssonville, 
der  Tante  unserer  Freundinnen  Guerchy,  sowie  Br6an, 


—     176     — 

des  Herrn  von  Bonneuil  Besitz,  wohin  er  zwei  Jahre 
später  Lydie  als  seine  junge  Frau  heimführte.  Annette 
heiratete  Herrn  von  Haut.  Wir  besahen  auch  das 
damals  leer  stehende  Schloss  des  Herzogs  von  Choi- 
seul-Praslin,  des  Vaters  jenes  unglücklichen  Praslins, 
der,  damals  noch  ein  Kind,  später  in  den  besten  Hannes- 
jahren infolge  genommenen  Giftes  starb,  nachdem  er  des 
Mordes  an  seiner  Frau,  der  Tochter  des  Marschalls 
S6bastiani,  verdächtig,  vor  das  Pairsgericht  gestellt 
werden  sollte.  Schloss  Praslin  erregte  infolge  seiner 
Grösse  und  Pracht  unsere  ganze  Bewunderung.  Durch 
zwei  Stockwerke  ging  der  riesige  Salon  im  Erdgeschoss, 
der  sein  Licht  von  oben  durch  eine  Kuppel  und  grosse 
Fenster  erhielt,  welche  auf  den  herrlichen  Park  sahen ; 
dass  die  Bewohner  nur  auf  kurze  Zeit  abwesend,  zeigte 
eine  angefangene  Arbeit  für  Arme  in  einem  abgenützten 
Korbe,  der  sich  im  prachtvollen  Salon  befand. 

Einmal  machte  ich  mit  Emil,  Adöle  und  den  drei 
Geschwistern  Guerchy  einen  Ausflug  in  das  kaiserliche 
Schloss  Fontainebleau.  Es  interessierte  mich  sehr, 
dieses  so  merkwürdige  Gebäude  zu  besichtigen,  und  zwar 
sowohl  wegen  der  sich  daran  knüpfenden  geschicht- 
lichen Erinnerungen,  als  auch  wegen  dessen  grandioser, 
so  seltsam  zusammengefügter  Bauart.  Es  sind,  soviel 
ich  mich  erinnere,  nicht  weniger  als  sieben  Höfe  darin, 
und  jedwede  Abteilung  des  Schlosses  scheint  ans  einem 
anderen  Zeitalter  zu  stammen,  welche  Bemerkung  wir 
jedoch  im  Innern  nicht  machen  konnten.  Mir  ist  be- 
sonders von  all  den  vielen  schönen  Räumen  die  Galerie 


—    176    — 

von  Fran^ois  I.  in  Erinnerung  geblieben ,  mit  den 
Statuen  der  Könige,  dann  der  Audienzsalon  der  Kaiserin 
Josephine  mit  reichgestickten  und  verzierten  Tabourets. 
Des  andern  Morgens  begaben  wir  uns  unter  Leitung 
eines  Führers  in  den  Urwald,  denn  ein  solcher  war 
der  unabsehbare  Forst,  der  sich  oberhalb  des  Schlosses 
ausdehnte.  Er  übertraf  alle  meine  noch  so  hoch  ge- 
spannten Erwartungen.  Nie  hatte  ich  einen  so  herr- 
lichen Eichenwald  gesehen  und  sah  auch  nie  einen 
zweiten,  den  ich  damit  vergleichen  könnte.  Mit  seinen 
schön  gehaltenen  Wegen,  den  mit  Kunstverständnis  aus- 
gehauenen Stellen,  mit  Gruppen  von  Pinien,  die  sich 
seltsam  von  den  ungeheuren  Eichen  abhoben  und  seiner 
ganzen  üppigen  Vegetation,  gefiel  uns  dieser  Wald  so 
ausnehmend,  dass  wir  nicht  bemerkten,  bereits  drei 
Stunden  darin  gegangen,  teilweise  gestiegen  zu  sein. 
Um  wieder  zu  unserem  Gasthofe  zu  gelangen,  brauchten 
wir  aber  nicht  mehr  so  lange  und  erreichten  ihn  auf 
einem  kürzeren  Wege  in  einer  Stunde.  Der  Abschied 
vom  gastlichen  Boisboudran,  wo  wir  Schwestern  uns 
innig  mit  den  Schwestern  Guerchy  befreundet  hatten, 
wurde  uns  durch  das  Versprechen  erleichtert,  dass 
deren  Mutter,  die  mit  dem  Marquis  von  Sigy,  ihrem 
Bruder,  bald  darauf  zu  den  Wolf-  und  Fuchsjagden 
nach  Varennes  kommen  sollte,  ihre  Töchter  dahin  mit- 
nehmen würde. 

Wir  genossen  fröhlich  dieses  weitere  Zusammensein 
und  lernten  von  den  lieben  Freundinnen  nicht  nur  wie 
bis  dahin  durch  die  einfachsten  Hausmittel,  sondern  auch 


—    177    — 

nach  Anleitung  eines  ärztlichen  Baches,  den  kranken 
und  leidenden  Landleuten  auf  vielfache  Weise  zu  Hilfe 
zu  kommen.  Auch  noch,  als  wir  infolge  der  vor- 
geschrittenen Jahreszeit  auf  unseren  engeren  Familien- 
kreis angewiesen  blieben,  verlebten  wir  ganz  ange- 
nehme Tage,  solange  Emil  mit  uns  sein  konnte,  der 
uns  stets  auf  seine  eigene,  liebenswürdige  und  an- 
regende Weise  erheiterte,  oder  wenn  Adfele,  die  ihr 
Klavier  und  ihre  schöne  Harfe  mitgebracht  hatte,  uns 
durch  ihr  musikalisches  Talent  erfreute,  auch  mit 
unserer  Mutter  singend,  die,  damals  erst  zweiundvierzig- 
jährig,  noch  die  volle  Frische  und  den  Silberklang  ihrer 
Stimme  besass.  Dann  kam  aber  eine  Zeit,  wo  Emil 
oft  nach  Paris  und  Ay  musste,  allerlei  Bethätigungen 
halber,  die  unser  neuer  Besitz  mit  sich  brachte,  wäh- 
rend mein  Vater  und  mein  Bruder  durch  Geschäfte, 
meine  Mutter  jedoch  durch  ihre  weitverzweigte  Korre- 
spondenz  und  Ölmalereien,  in  denen  sie  ziemliche  Kunst- 
fertigkeit besass,  in  Anspruch  genommen  war. 

Auf  diese  Weise  blieben  wir  zwei  Schwestern  na- 
türlich viel  allein,  und  die  Erinnerung,  die  uns  unser 
Leben  im  lieben  Deutschland  beständig  vergegenwär- 
tigte, reifte  ein  Gefühl  von  Heimweh  in  uns,  dessen  wir 
uns  nicht  mehr  erwehren  konnten.  Emil,  dem  unsere 
zeitweilige  Niedergeschlagenheit  nicht  entging,  dachte 
uns  durch  die  Feier  des  Weihnachtsabends,  die  in 
Frankreich  nicht  Sitte  war,  zu  erfreuen;  im  Einver- 
nehmen mit  meinen  Eltern  besorgte  er  den  Ghristbaum, 
den  wir  dann  mit  allerlei  Flitter  schönstens  verzierten. 

Carl  Oraf  Oberndorff,  ErinnenuigCB  eiatr  UrfrotoratUr.        12 


—     178     — 

Im  grossen  Speisesaale  wurde  er  aufgestellt  und  die 
Geschenke,  die  wir  sonst  als  ^Neujahrs-Etrennes^  er- 
halten hätten,  darunter  gelegt.  Mein  kleiner  Alexander 
wurde  natürlich  reichlich  mit  Spielzeug  bedacht,  was 
er  wohl  meist  noch  nicht  recht  zu  würdigen  wusste, 
aber  die  vielen  Lichter  am  glänzenden  Baume  machten 

ihm  sichtlich  Freude. 

Der  Tilsiter  Friede  hatte  auch  den  auf  Ehren- 
wort Gefangenen  die  Freiheit  wiedergegeben,  und  Emil 
wollte  nicht  länger  zaudern,  sich  wegen  seiner  Beacti- 
vierung  zu  seinen  Eriegsobem  nach  Königsberg  zu  be- 
geben. So  reiste  er  im  Januar  1809  dahin  ab.  Die 
Trennung  bereitete  uns  zwar  grossen  Schmerz,  ich 
musste  aber  einsehen,  dass  ich  mein  liebes  Kind  nicht 
einer  so  langen  Winterreise  aussetzen  durfte,  und  auch 
für  mich  selbst,  die  ich  Aussicht  hatte,  im  Mai  abermals 
Mutter  zu  werden,  schien  eine  solche  Strapaze  nicht 
ratsam.  Es  war  ein  schweres  Opfer,  das  ich  brachte, 
umsomehr,  als  sich  der  Zeitpunkt  von  Emils  Bückkehr 
nicht  vorher  bestimmen  liess.  Anfangs  März  machte 
mein  gütiger  Vater  den  Vorschlag,  dass  wir  einige  Zeit 
in  Paris  zubringen  sollten,  um  die  dortigen  Sehens- 
würdigkeiten, Theater  etc.  kennen  zu  lernen.  Meine 
Mutter  fand  daselbst  eine  Menge  alter  Bekannten 
wieder,  und  auch  ich  hatte  die  Freude,  einige  Freunde 
dort  anzutreffen,  unter  diesen  besonders  Lydie  und 
Annette  de  Guerchy,  Amicie  Marquise  Lamotte-Le- 
V  a  y  e  r ,  die  ich  sammt  ihrer  Mutter,  der  Gräfin  M  o  u  - 
poult,  bei  meiner  Tante  Malherbe  kennen  und  lieben 


—     179     — 

gelernt  hatte  sowie  den  alten  Abb6  Gandon,  meinen 
ehemaligen  Lehrer,  der  „prfeceptenr  des  Pages  de  Na- 
poleon" geworden  war.  Eine  merkwürdige  Bekannt- 
schaft aus  meinen  ersten  Einderjahren  war  Frau  von 
Van  den  11,  die  mir  noch  von  damals  her  in  guter  Erinne- 
rung geblieben,  weil  sie  mich  und  meinen  Bruder  bei 
den  häufigen  Besuchen,  die  wir  auf  ihren  Wunsch  mit 
unserer  Bonne  bei  ihr  gemacht  hatten,  mit  allen  mög- 
lichen Leckereien  bewirtet  und  uns  bei  jeder  Gelegen- 
heit sehr  freigebig  mit  den  schönsten  Spielsachen  be- 
schenkt hatte.  Sie  war  die  Tochter  Diderots,  dem  durch 
den  Einfluss,  den  er  auf  die  damalige  Geistesrichtung 
übte  und  durch  seine  zahlreichen  Schriften  eine  her- 
vorragende EoUe  unter  den  Encyklopädisten  zukam. 
Frau  von  Vandeuil,  die  ihrem  bereits  im  Jahre  1784 
verstorbenen  Vater  sehr  ähnlich  sah,  wie  ich  aus 
seinen  Bildnissen,  die  sie  umgaben,  entnehmen  konnte, 
hatte  seinem  Andenken  grosse  Liebe  und  Bewunderung 
bewahrt,  vermied  es  aber  mit  uns  über  ihn  zu  sprechen. 
Durch  die  grosse  Freude  und  Freundlichkeit,  mit  der 
sie  uns  begegnete,  machte  sie  uns  den  Eindruck  einer 
sehr  liebenswürdigen,  alten  Dame.  Sie  lebte  als  Witwe 
in  überaus  grossem  Wohlstande.  Ich  erinnere  mich 
ihres  schönen ,  geräumigen  Salons ,  dessen  Wände, 
mit  der  Einrichtung  übereinstimmend,  mit  orange- 
farbenem gestreiftem  Damaste  bekleidet  und  mit  reichen 
Vergoldungen  geziert  waren. 

Herrn  von  Comblat,  einen  intimen  Freund  meines 
Vaters,   den   wir  im  Kreise   der  Emigrierten  viel  in 

12* 


—     180    — 

Deutschland  gesehen  und  liebgewonnen  hatten,  fanden 
wir  auch  in  Paris  und  lernten  seine  Tochter  kennen. 
Mein  Vater  wünschte  dieselbe  für  Henri,  und  auch  ihr 
Vater  wäre  fOr  diese  Verbindung  gewesen,  aber  die 
jungen  Leute  gefielen  sich  nicht,  mein  Bruder  wollte 
überhaupt  nicht  so  jung  heiraten,  und  sie  äusserte 
sich  dahin,  nur  einen  Mann  zum  Qemahle  nehmen  zu 
wollen,  der  über  dreissig  Jahre  alt  wäre ;  in  der  That 
wählte  sie  später  einen  sechsnnddreissigjährigen. 

Alle  wiedergefundenen  alten  Bekannten  sowie  die 
neu  dazugekommenen  zu  nennen,  wäre  von  wenig  Inter- 
esse für  euch ,  meine  Kinder,  ich  will  daher  nur  noch 
der  Herzogin  von  Arragou,  geborenen  du  Saillant, 
und  deren  Schwestern,  der  schönen  Frau  von  La  Stey  rie 
und  der  Stiftsdame  Victoire  du  Saillant,  Erwähnung 
thun.  Diese  drei,  durch  ihre  verschieden  gestaltete 
Liebenswürdigkeit  einnehmenden  Schwestern  waren  auf 
das  innigste  mit  Tante  Malherbe  befreundet,  bei  der 
wir  sie  auch  kennen  lernten.  Bald  nach  seiner  Ver- 
heiratung verfiel  der  uuermesslich  reiche  Herzog  von 
Arragon  in  Blödsinn,  und  seine  Frau  hatte  die  ganze 
Last  seiner  ausgebreiteten  und  teilweise  stark  ver- 
worrenen Geschäfte  zu  tragen.  Sie  erledigte  sich  dieser 
schwierigen  Aufgabe  in  so  ausserordentlicher  Weise, 
dass  man  ihr  die  Vormundschaft  übergab.  Als  wir 
sie  kannten,  sass  der  arme  Kranke  den  ganzen  Tag 
beim  Kamine  des  Salons,  ohne  je  ein  Wort  zu  sprechen, 
während  zahlreiche  Besuche  sich  an  der  Unterhaltung 
seiner  schönen  und  geistreichen  Gemahlin  erfreuten.  Mit 


—     181     — 

• 

christlichem  Heldenmnte  sah  sie  einige  Jahre  später 
einem  qualvollen  Ende  entgegen.  Die  Zeit  zur  Operation 
eines  bösartigen  Erebsleidens  war  versäumt  worden; 
sie  ordnete  noch  alle  Geschäfte  für  ihren  bedauerns- 
werten Gemahl,  bestimmte  die  Teilung  ihres  Nachlasses, 
bereitete  sich  als  fromme  Christin  auf  den  Tod  vor  und 
starb,  von  allen,  die  sie  kannten,  tief  betrauert 

Um  wieder  auf  unsern  so  bewegten  Aufenthalt  in 
Paris  zurtlckzukommen !  Ich  muss  sagen,  dass  unser 
lieber  Vater  nichts  unterliess,  um  uns  während  dieser 
Zeit  alle  möglichen  Unterhaltungen  zu  verschaffen.  Wir 
besahen  alle  Sehenswürdigkeiten,  wie  Kirchen,  öffent- 
liche Gebäude  und  Museen,  ferner  die  Gärten  der  Tuilerien, 
der  Champs  61ys6es,  des  Luxembourg  und  den  Jardin  des 
plantes,  wo  sowohl  die  grossartige  Menagerie,  als  auch 
die  so  vollzählige  Sammlung  von  ausgestopften  Tieren, 
Conchilien  u.  a.  m.  unser  Interesse  erregte.  Das  Museum 
des  Louvre  befand  sich  damals  in  seiner  brillantesten 
Zeit,  da  alle  Meisterwerke  Raphaels  und  der  gesamten 
italienischen  Schule  von  Bonaparte  dahin  gebracht 
worden  waren,  die  nach  seinem  Sturze  grösstenteils 
wieder  nach  Italien  zurückwanderten.  Unsere  Abende 
füllten  wir  mit  den  Besuchen  der  grossen  Theater  aus 
oder  brachten  sie  im  berühmten  Cirkus  Franconi  zu. 
Die  ersten  Male  machte  uns  dies  alles  einen  blendenden 
Eindruck.  Die  hervorragenden  französischen  Tragöden 
Talma  und  Mademoiselle  Ramont,  die  in  „Britanni- 
ens", einem  der  schönsten  Stücke  Racines,  ihr  eminentes 
Talent  entwickelten,   Hessen  uns  aber  kalt,  des  über- 


—     182     — 

grossen  Pathos  wegen,  das  uns  gar  zu  fremd  anmutete, 
daher  nicht  ansprach.  Nnr  die  Bour going  in  der 
sanften  Rolle  der  Jnnie  gewann  unseren  vollen  Beifall. 
Ich  schweige  von  den  vielen  andern,  in  ihrer  Art  oft 
wirklich  ganz  vortrefflichen  Stücken,  die  wir  sahen,  und 
in  denen  Mademoiselle  Mars  und  andere  Notabilitäten 
sich  in  ausgezeichneter  Weise  hervorthaten.  Nur  ein 
Wort  mnss  ich  noch  hinzufügen  über  das  in  der  gi*ossen 
Oper  gegebene  pantomimische  Ballet  ^Antoine  et  G16- 
opätre^  mit  Yestris  und  Mademoiselle  Clotilde  in 
den  Hauptrollen.  Die  Ausstattung  war  von  höchster 
Vollendung,  besonders  die  Dekoration,  die  das  Meer 
und  das  reichgezierte  Schiff  des  Herrscherpaares  dar- 
stellte. Da  indessen  dieses  Stück  über  Gebühr  lang 
dauerte,  konnte  ich  es  nicht  bis  zum  Ende  beurteilen. 
Nach  den  vielen  Anstrengungen  eines  sehr  bewegten 
Tages  übermannte  mich  die  Müdigkeit,  und  ich  schlief 
in  der  Loge  ein. 

Die  so  abwechslungsreiche  Zeit  in  Paris  verging 
uns  rasch  und  in  angenehmster  Weise.  Trotzdem  sah 
ich  mit  Freude  den  Augenblick  unserer  Rückkehr  nach 
Varennes  herannahen,  wo  ich  mit  unaussprechlicher 
Wonne  mein  Kind  wieder  ans  Herz  drücken  konnte. 
Sehnsuchtsvoll  hoffte  ich,  meinen  lieben  Mann  bald 
wiederkehren  zu  sehen.  Er  schrieb  mir  fleissig  aus 
Eisenach,  Gotha,  Weimar  und  von  überall,  wohin  ihn 
seine  Geschäfte  führten.  Endlich  erhielt  er  auch  den 
erwarteten  Ruf  nach  Königsberg  durch  General 
Scharnhorst,  der  ihn  gern   wieder  in  Thätigkeit 


—     183     — 

bei  der  Armee  sehen  wollte.  Er  verffigte  sich  sogleich 
dahin  und  acceptierte,  wenn  auch  nur  provisorisch,  das 
ehrenvolle  Anerbieten,  das  ihm  gemacht  wurde,  nämlich 
an  der  Reorganisation  der  Kavallerie  zu  arbeiten.  Aus 
den  Briefen,  die  er  mir  hierüber  schrieb  und  der  Art,  mit 
welcher  er  um  meine  Einwilligung  in  diesen  seinen  Ent- 
schluss  nachsuchte,  konnte  ich  entnehmen,  wie  sehr  die 
Aussicht  ihn  anzog,  wieder  mit  seinen  ehemaligen,  aus- 
gezeichneten Waffenbrüdern  seinem  eigentlichen  Berufe 
zu  leben.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  ich  ihn  nie 
würde  vermocht  haben,  einen  solch  ehrenden  Vorschlag 
seines  Königs  abzuweisen,  wenngleich  die  Aussicht  eines 
möglichen  Krieges  mich  alle  Martern  ahnen  Hess,  die  ich 
zu  erdulden  haben  würde.  Er  war  ja  Militär,  und  ich 
hatte  dies  alles  voraussehen  müssen,  als  ich  mich  mit 
ihm  verband. 

Während  wir  über  diesen  wichtigen  Gegenstand 
zwischen  Königsberg  und  Yarennes  hin  und  herkorre- 
spondierten, erliess  Napoleon  ein  Dekret,  laut  welchem 
alle  diejenigen  ihrer  Besitztümer  verlustig  erklärt 
wurden,  die  Kriegsdienst  in  fremden  Reichen  nähmen 
oder  bereits  darin  stünden.  Dieses  kam  Emil  zu 
Gehör,  und  da  er  das  Weingut  in  Ay  in  Gemein- 
schaft mit  mir  gekauft  hatte,  lag  die  Besorgnis  nahe, 
dass  auch  mein  Vermögen  gefährdet  sein  würde,  wenn 
man  in  Frankreich  Kunde  erhielt,  dass  er  sich  habe 
reactivieren  lassen.  Er  trachtete  daher,  so  bald  als 
möglich  Urlaub  zu  erhalten ,  um  das  Weingut 
schnellstens  wieder  veräussern  zu  können;  auf  diese 


—     184     — 

Weise  kam  es  zu  meiner  inneren  Befriedigung  nie 
dazU;  dass  wir  dasselbe  bewohnt  hätten. 

Am  19.  Mai  hatte  ich  meine  liebe  Clotilde  zur 
Welt  gebracht;  sie  war  ein  besonders  grosses  und 
starkes  Kind.  In  der  allerersten  Zeit  musste  ich 
mich  wohl  sehr  schonen,  dann  aber  fühlte  ich  mich 
so  gekräftigt  y  dass  ich  mich  schon  am  ffinften  Tage 
in  einen  bequemen  Lehnstuhl  begab,  um  Lydie,  die  be- 
reits Madame  de  Bonneuil  geworden  war,  und  Frau 
von  Villermont  zu  empfangen.  Meine  Mutter  erlaubte 
es  aber  nicht,  und  ich  fügte  mich  ihrer  wohlmeinenden 
Weisung.  Ich  hegte  die  stille  Hoffnung,  dass  Emil  zur 
Taufe  unseres  Töchterchens  zurückkommen  würde,  als 
aber  vier  Wochen  verflossen,  ohne  dass  dies  eingetroffen 
wäre,  fand  dieser  Akt  in  der  Kirche  zu  Courtemont  statt, 
und  ich  hielt  zu  gleicher  Zeit  meinen  Kirchgang. 
Endlich  kehrte  mein  lieber  Mann  zurück,  und  zwar 
ganz  unerwartet.  Wir  waren  beide  freudetrunken. 
Mit  Wonne  besah  er  unsere  liebe  kleine  Clotilde  und 
ward  nicht  satt,   seinen  teuern  Alexander  zu  herzen. 

Wer  mir  damals  gesagt  hätte,  dass  ich  in  Jahres- 
frist, als  tief  gebeugte  Witwe,  eben  an  dem  Orte,  wo 
ich  mich  jetzt  so  überaus  glücklich  fühlte,  weinen 
würde,  hätte  mich  sicher  vernichtet.  0,  wie  müssen 
wir  Gottes  Barmherzigkeit  preisen,  dass  sie  uns  die 
Zukunft  verbirgt! 

Der  Sommer  verging  wie  im  Vorjahre,  nur  hatten 
wir  noch  mehr  Besuche ;  im  September  gab  es  wieder 
eine  zahlreiche  Zusammenkunft  in  Boisboudran,  und  die 


—     185     — 

Marquise  Hess  es  sich  nicht  nehmen,  uns  wenigstens 
für  acht  Tage  bei  sich  zu  haben.  Im  folgenden  Monate 
fand  eine  sehr  glänzende  Jagdzeit  in  Varennes  statt, 
wo  Wolfsjagd  im  Grossen  betrieben  wurde.  Wir 
Damen  fuhren  auch  manchmal  in  den  Wald,  um  dem 
Triebe  mit  den  vielen  Hunden  und  den  Piqueurs  mit 
ihren  Waldhörnern  zuzusehen ,  besonders  Lydie  und 
Ad^le  fanden  grosses  Vergnügen  daran.  Diese  beiden 
hatten  sich  an  einem  dieser  Jagdtage  ein  schattiges 
Plätzchen  in  einem  breiten  Graben  dicht  neben  einem 
Zaune  gewählt,  um  dort  den  mitgenommenen  Imbiss  zu 
verzehren,  und  sassen  eben  plaudernd  beisammen,  als  auf 
einmal  etwas  gewaltig  Grosses  und  Schweres  über  sie 
hinwegstürzte,  jedoch  ohne  sie  zu  berühren,  und  eiligst 
weiter  über  das  Feld  rannte.  —  Ein  riesiger  Eber 
war  es,  der  sie  beinahe  umgeworfen  hätte,  und  sie  be- 
eilten sich,  wieder  den  Wagen  zu  erreichen  und  in 
demselben  ihr  Frühstück  zu  vollenden. 

Die  das  benachbarte  Schloss  Mont  St.  Pfere  be- 
wohnende Familie  des  Vicomte  de  Bastard  verab- 
schiedete sich  von  uns  im  Dezember,  um  ihren  gewohnten 
Winteraufenthalt  in  Paris  anzutreten;  im  übrigen 
blieb  unser  Kreis  derselbe,  wie  bisher.  Der  Winter 
verging  uns  schnell  und  angenehm;  es  kamen  ab- 
wechselnd liebe  Freunde,  von  denen  manche  längere 
Zeit  bei  uns  blieben,  und  auch  wir  folgten  einer  Ein- 
ladung nach  dem  nahen  Schloss  Cond^. 

Cond6  war  ein  grosser  Besitz  der  Gräfin  Sade, 
den  sie  selbst  mit  grosser  Gewandtheit  verwaltete.  Ihre 


—     186    — 

Mappe  enthielt  eine  herrliche  Sammlung  von  Land- 
schaften in  allen  Grössen,  die  sie  aus  Italien  mitge- 
bracht, wo  sie  sich  während  eines  längeren  Aufenthaltes 
in  der  Malerei  vervollkommnet  hatte,  diese  aber  in 
Cond6  selten  mehr  ausübte.  Die  sehr  zahlreiche 
Familie  Sade,  Herr  und  Frau  von  Laden^se  mit 
einbegriffen,  war  fast  in  einem  jeden  ihrer  Mitglieder, 
als  äusserst  liebenswardig ,  natürlich,  geistreich  und 
ungezwungen  im  Umgange,  vertreten.  Der  alte  Graf,  ein 
grosser  Litterat,  brachte  seine  Vormittage  damit  zu,  den 
Homer  zu  kommentieren  und  Heft  über  Heft  voll  zu 
schreiben.  Eine  alte  Gräfin  de  la  Tour  du  Pin, 
die  frühere  Besitzerin  von  Cond6,  bewohnte  einen  ent- 
legenen Flügel  des  grossen  Schlosses  und  wollte  mit  nie- 
mandem verkehren,  ausser  mit  einer  alten,  treuen  Eng- 
länderin, Miss  Davidson,  ihrer  langjährigen  Kammer- 
frau. Nachdem  sie  noch  bei  Lebzeiten  ihres  Mannes 
mehrere  Stadien  des  Wahnsinnes  durchgemacht  hatte, 
ohne  dass  er  sich  veranlasst  fühlte,  sie  in  eine  Irren- 
anstalt bringen  zu  lassen,  war  sie  in  eine  Art  Stumpf- 
sinn und  ünbeweglichkeit  verfallen.  Dann  und  wann 
hatte  sie  jedoch  lichte  Momente  und  in  einem  solchen 
hatte  sie  eines  Tages  ihre  Cousine,  die  Gräfin  Sade,  zu 
sich  rufen  lassen,  welche  schon  längere  Zeit  das 
Schloss  bewohnte  zu  ihrer  Hut  und  um  ihre  Geschäfte 
zu  übersehen  und  zu  leiten.  „Ma  cousine,^  sagte  sie 
ihr,  Je  suis  foUe,  ainsi  je  vous  prie  de  prendre  soin 
de  moi  et  de  garder  ma  fortune  du  reste  pour  vous.  — 
Je  veu^  rester  seule  et  tranquille  et  n'avoir  antour  de 


—     187     — 

moi,  que  Miss  Davidson."  —  So  war  der  Besitz  an  die 
rechtmässige  Erbin  der  armen  Kranken  übergegangen, 
nnd  anfs  liebevollste  sorgte  Laura  Sade  dafür,  der- 
selben ihr  Dasein  zu  erleichtern  nnd  ihre  Wünsche 
nach  Thunlichkeit  zu  erfüllen.  In  manchen  Funkten 
musste  man  ihr  aber  dennoch  Zwang  anthun.  Zum 
Beispiel  wäre  sie,  obgleich  körperlich  ganz  gesund,  nie 
aus  ihrem  Bette  aufgestanden,  in  das  sie  sich  auch  nur 
angekleidet  begeben  wollte,  um  des  Morgens  keine  Toi- 
lette machen  zu  müssen.  „G'est  plus  vite  fait  ainsi," 
meinte  sie. 

Bis  zwei  Jahre  vor  ihrem  Tode  vermochte  sie  sich 
noch  zu  beschäftigen,  las  die  Zeitungen  aufmerksam 
durch  und  legte  die  gelesenen  sorgfältig  bei  Seite.  In 
der  letzten  Zeit  konnte  man  sie  kaum  mehr  bewegen, 
in  den  Blumengarten  zu  gehen,  an  dessen  Ende  man 
ihr  ein  bequemes  Plätzchen  hergerichtet  hatte.  Von 
ihren  letzten  Augenblicken  ist  mir  nichts  erinnerlich; 
sie  stai'b  während  meiner  Abwesenheit  aus  Frankreich. 


IX.  Kapitel. 

Meine  Schwiegermutter."^) 

Dass  in  nnserem  Salon  za  Varennes  die  Politik  eine 
grosse  Rolle  spielte,  lässt  sich  denken.  Zeitungen  und 
Briefe  wurden  mit  grosser  Begierde  erwartet  und  ge- 
lesen. Damals  waren  es  hauptsächlich  Napoleons  Kriege 


'*')  Jalie  Freifrau  von  Mauchenheim  genannt  Bechtolsheim, 
geborene  Gräfin  Keller,  eine  durch  Schönheit  und  Geist  ausge- 
zeichnete Frau,  erblickte  das  Licht  der  Welt  am  21.  Juni  1751 
zu  Stedten  and  vermählte  ^ich  1772  mit  ihrem  Oheim,  dem 
Weimarschen  Vizekanzler  Freiherrn  von  Bechtolsheim,  der  seinen 
Wohnsitz  zu  fUsenach  hatte.  Sie  war  die  treueste  Freundin  von 
Wieland,  Goethe  und  Herder,  auch  Schiller  yerkehrte  in  ihrem 
Hause.  Von  ihrer  interessanten  Korrespondenz  mit  den  Klassikern, 
die  teils  in  Prosa,  teils  in  Versen  geführt  wurde,  ist  mehreres 
bisher  noch  Unbekanntes  und  Ungedrucktes  angefügt.  Eine  Vase, 
die  sie,  mit  Blumen  gefüllt,  von  Goethe  zum  Geschenk  erhielt, 
befindet  sich  noch  im  Besitze  meiner  Schwester.  Baronin  von 
Bechtolsheim,  die  Wieland  seine  „Psyche**  nannte  und  als  solche 
besang,  war  auch  selbst  litterarisch  thätig;  es  erschien  von  ihr 
eine  Serie  von  Beiträgen  im  „Vossischen  Musenalmanach  von  1788**, 
in  „Beckers  Erholungen",  in  der  „Urania**  etc.  Sie  starb,  allgemein 
betrauert,  im  sehr  hohen  Alter  you  96  Jahren  am  12.  Juli  1847 
zu  Eisenach.  Der  Herausgeber. 


—     189     — 

in  Österreich,  Bayern  nnd  Schwaben,  die  ans  be- 
schäftigten, sowie  die  Versammlung  der  Potentaten  in 
Erfurt,  wohin  sich  auch  meine  Schwiegermutter  als 
Zuschauerin  begeben  hatte. 

Durch  ihren  Geist  und  den  Zauber  ihres  Umganges 
wusste  sie  überall,  wo  sie  sich  aufhielt,  einen  liebens- 
wiirdigen  und  geistig  hervorragenden  Ereis  um  sich  zu 
sammeln,  so  machte  sie  unter  anderem  auch  zu  dieser 
Zeit  die  Bekanntschaft  der  berühmten  Frau  von 
S  t  a  g  1 ,  von  welcher  ich  folgendes  Billef^)  unter  ihren 
Papieren  fand: 

Votre**)  billet  me  confirme,  Madame,  tout  ce  que 
je  savais  de  Votre  gräce  et  de  Votre  bont6;  si  Vous 
venez  me  voir  ce  soir,  je  jouirai  plutöt  du  bonheur  de 
Vous  Voir;  mais  saus  oser  iusister  sur  une  si  grande 
faveur,  je  serai  demain  chez  Vous  k  midi,  et  Vous 
voudrez  bien  ordonner  d'une  journ6e,  qui  Vous  est 
entiörement  consacr6e.  StaSl- Necker. 


*)  Die  Originale  der  nachfolgenden  Briefe  befinden  sich  im 
gräflich  ErdödjBchen  Archiv  za  Galg6cz  im  Neutraer  Komitat  in 
Ungarn. 

**)  Deutsche  Übersetznng:  Madamel  Dir  Billet  bestätigt 
alles,  was  ich  über  Ihre  Güte  nnd  Liebenswürdigkeit  gehört  hatte; 
wenn  Sie  mir  diesen  Abend  die  Ehre  Ihres  Besuches  erweisen  woll- 
ten, würde  es  mich  sehr  freuen,  umso  eher  des  Glückes  Ihrer  Ge- 
sellschaft teilhaftig  zu  werden;  ich  wage  nicht,  Sie  in  drängen, 
mir  diese  Gunst  erweisen  zu  wollen,  werde  jedoch  morgen  Mit- 
tag bei  Ihnen  sein  und  bitte  Sie  nur,  mir  freundlichst  einen  Tag 
zu  bestimmen,  der  Ihnen  ganz  geweiht  sein  möge. 

SUÖl-Necker. 


—     190    — 

Mit  dem  Dichterfürsten  Goethe  war  Julie  von 
Bechtolsheim  in  regem  Verkehr,  wovon  einige  seiner 
Briefe  an  sie  Zeugnis  geben,  welche,  von  ihr  aufbe- 
wahrt, hier  beigefügt  werden: 

Leider  *)  muss  ich  Sie,  meine  beste  gnädige  Frau, 
schriftlich  empfangen  und  Sie  durch  einen  Abgeordneten 
bewillkommen  lassen.  Auf  einer  kleinen  Beise  habe  ich 
mir  einen  solchen  Eheumatismus  zugezogen,  dass  ich 
weder  ausgehen  kann,  noch  zu  Hause  mich  sehen  lassen 
darf.  Hoffentlich  geht  es  bald  vorüber  und  ich  kann 
Ihnen  noch  aufwarten.  Nehmen  Sie  indessen  meinen 
Kindskopf  gütig  auf,  empfehlen  Sie  mich  dem  H.  Bruder 
aufs  beste  und  bleiben  mir  in  Freundlichkeit  gewogen. 

d.  18.  Apr.  84.  Goethe. 


Auf  den  nächsten  Sonntag  gehen  wir  von  hier  ab. 
Mit  der  Freytags  Post  erhalten  Sie  noch  einen  Brief 
von  mir  der  nur  Dank  und  Dank  enthalten  wird.  Sie 
sind  gar  lieb  und  gut  gegen  mich.  Jetzo  nur  diese 
Blumen  in  die  Füllhörner  über  dem   blauen  Kanapee. 

Leben  Sie  wohl.  G. 


Ich  bin  von  Braunschweig  wieder  zurück  und  muss 
Sie  fragen,  wie  sich  die  stummberedten  Freunde  auf- 
geführt haben,   die  ich  Ihnen  zurückliess  und  ob  die 


*)  Siehe  Facsimile-Beilage  No.  1  nach  dem  „Ersten  Bach*. 

Der  Heransgeber. 


—     191     — 

stillen  Tage  auf  Julienslust  nichts  für  den  Abwesenden 
hervorgebracht  haben.  Die  Lebhaftigkeit  des  Br.  Hofes 
während  der  Messe  hat  mich  sehr  unterhalten,  noch 
mehr  aber  der  einsame  Harz,  dem  ich  mich  recht  mit 
voller  Erlaubnis  habe  vierzehn  ganze  Tage  widmen 
können.  Und  die  Menschen  behaupten  ich  sey  nun 
ganz  und  gar  versteinert  zurückgekehrt.  Beinahe 
hätten  Sie  sich  im  Falle  gesehen  es  beurteilen  zu 
können,  nunmehr  sind  Sie  aber  vor  einem  Überfall  sicher. 
Leben  Sie  wohl  und  geniessen  eines  fröhlichen  Winters. 
Yiktorchen  hör'  ich  hat  sich  in  Frankfurt  fangen  lassen. 
Viel  Glück!    Leben  Sie  recht  wohl. 

Weimar  d.  2.  Oktbr.  84.  G. 


Sie  werden  wohl  das  Paket  erhalten  haben,  wo- 
von ich  neulich  schrieb. 

Bisher  ist's  in  meinem  Eopfe  tumultuarisch  zuge- 
gangen und  meine  Expeditionen  sind  nicht  alle  richtig 
notiert  worden.  Ich  lege  deswegen  einen  Extrakt  des 
Postbuches  bey,  wonach  sich  wohl  alles  aufklären  wird. 
Das  letzte  Paket  enthielt  Iphigenia  und  Tasso,  und 
ist  wahrscheinlich  das  unter  No.  3  als  Schachtel  steht. 

Ich  wünsche  zu  hören,  dass  es  angekommen  ist 
und  Ihnen  Freude  gemacht  hat. 

Wie  geht  es  in  der  neuen  Zeichenakademie?  Krause 
hat  mir  viel  von  dem  Eifer  der  schönen  Damen  erzählt. 
Wenn  er  nur  von  Dauer  ist. 

Kann  ich  Reisenden  und  Schreibenden  trauen,  so 


—     192    — 

habe  ich  in  kurzer  Zeit  viele  Grüsse  von  Ihnen  em- 
pfangen, ich  hoffe  man  wird  sie  erwidert  haben. 

Das  fünfte  Buch  von  Wilh.  Meister  wird  ehestens 
anlangen,  ich  wünsche,  dass  es  den  Eindruck  der  ersten 
nicht  zerstören  möge.  Diese  vier  ersten  bitte  ich  mir 
so  bald  als  möglich  zurück.  Wissen  Sie  schon,  dass 
mir  der  wackre  Kanzler*)  in  Eisenach  Quartier  bey 
sich  angeboten  hat,  wenn  ich  wieder  hinüber  käme, 
ich  werde  mich  aber  wohl  hüten  es  anzunehmen,  eh^ 
ich  der  Zustimmung  seiner  Gemahlin  versichert  bin. 
Leben  Sie  recht  wohl  und  vergnügt. 

W.  den  23.  Oktbr.  1784  Goethe. 

/ 


Marienborn  d.  21.  Juni  93.**) 
Meine  werte  Freundin  würde  mir  vielleicht,  wie 
ich  höre,  in  diese  wilden  und  verworrenen  und  ausser- 
dem noch  kalten  und  feuchten  Zustände  ein  freund- 
liches Wort  senden  und  mich  dadurch  auferbauen  und 
erquicken,  wenn  sie  nicht  des  leidigen  Schweigens  ein- 
gedenk, ihr  schönes  Herz  zuschlösse  und  sich  von 
ihrem  guten  Vorsätze  zurückhielte.  Ich  pränumeriere 
also  durch  gegenwärtiges  Blatt  auf  ein  künftig  freund- 
liches und  liebliches,  mit  der  Versicherung   dass  der 


*)  Johann  Lndirig  Freiherr  von  Manchenheim  genannt 
Bechtolsheim,  Minister  and  Kanzler  in  Eisenach,  Gemahl  der  Frei- 
iran Julie,  geborenen  Gräfin  Keller. 

**)  Diesen  Brief  schrieb  Goethe  Yor  Mainz,  als  die  Stadt 
belagert  wurde.  Der  Herausgeber. 


—     193     — 

liebe  Sohn  sich  wohl  and  munter  in  seinem  Berufe 
und  der  Freund  ganz  leidlich  ausser  seinem  Berufe 
befindet.  Tausend  Giilsse  dem  Gemahl  und  den 
Schwestern !  Goethe. 

Besonders  befreundet  war  meine  liebenswürdige 
Schwiegermutter  mit  Wieland.  Sie  kannte  ihn  seit  ihrer 
frühesten  Jugend,  und  er  war  es  auch,  der  ihre  Dichter- 
gabe entdeckte  und  förderte.  Er  nannte  sie  seine  ;,Psyche^' 
und  widmete  ihr  manches  Poem.  Sowie  mit  Goethe 
blieb  sie  auch  mit  ihm  und  mit  Herder  bis  an  den 
Tod  dieser  grossen  Männer  im  freundschaftlichsten 
Verkehre.  Ihre  gegenseitige  Korrespondenz  bewegte 
sich  auch  oft  in  gebundener  Sprache.  Leider  hat  sie 
dieselbe  nicht  aufbewahrt.  Nur  ein  Gedicht  von  Herder*) 


*)  Zufällig  entdeckte  ich,  dass  dieses  Poem  gar  nicht  Yon 
Herder  selbst  gedichtet  wurde,  sondern  vielmehr  eine  Uebersetzong 
des  englischen  „THE  DYING  CHRISTIAN  TOHISSOÜL" 
von  Alexander  Pope  (1688—1744)  ist,  welche  der  grosse  Dichter 
vielleicht  eigens  zu  dem  Zwecke  schuf,  um  der  Freundin  auf 
originelle  und  geschmackvolle  Weise  zu  kondolieren.  Der  eng- 
lische Urtext  lautet: 

Vital  spark  of  heavenly  flame; 
Quit,  0  quit  this  mortal  frame! 
Trembling,  hoping,  lingering,  flying, 
Oh!  the  pain,  the  bliss  of  djing! 
Cease,  fond  Nature,  cease  thy  strife 
And  let  me  languish  into  life. 
Hark!  they  whisper;  angels  say, 
Sister  Spirit,  come  away. 
What  is  this  absorbs  me  quite, 
Steals  my  senses,  shuts  my  sight, 
Drowns  my  spirits,  draws  my  breath; 

Carl  Or»f  Obtrndorff ,  EriimamnftB  «ia«  ürgroMiniitt«r.  13 


—     1Ö4     — 

anlässlich  des  Todes  ihrer  Schwester  Dorothea  und 
einen  kurzen  Brief  dieses  berühmten  Posten  kann  ich 
hier  anfügen: 

Lebensfanke,  vom  Himmel  entglüht, 
Der  sich  loszawinden  müht! 
Zitternd,  kühn  vor  Sehnen  leidend, 
Qern  and  doch  mit  Schmerzen  scheidend! 
End',  0  end'  den  Kampf,  Natorl 

Sanft  in^s  Leben 

Aufwärts  Bchweben, 
Sanft  hinscheiden  lass'  mich  nur! 

Horch,  mir  lispeln  Geister  zn: 
„Schwester  Seele,  komm^  znr  Ruh!'* 
Was  nur  zieht  mich  sanft  von  hinnen? 
Was  isVs,  das  mir  meine  Sinnen, 
Mir  den  Hauch  zu  rauben  droht? 
Seele,  sprich,  ist  das  der  Tod? 

* 

Die  Welt  entweicht!    Sie  ist  nicht  mehr! 

Harmonieen  um  mich  her! 

Ich  schwimme  sanft  im  Morgenroth! 

Leiht,  0  leiht  mir  eure  Schwingen, 

Ihr  Brüder-Geister!  helft  mir  singen: 

„0  Grab,  wo  ist  dein  Sieg,  wo  ist  dein  Pfeil,  o  Tod?*' 

Herder. 

Teil  me,  my  soul,  can  this  be  death? 

The  World  recedes;  it  disappears! 

Heaven  opens  on  my  eyes!  my  ears 

With  sounds  seraphic  ring. 

Lend,  lend  your  wlngs!    I  mount,  I  fly, 

0  Grave!  where  is  thy  victory? 

0  Death!  where  is  thy  sting? 

—  Pope  — 

(Entnommen  aus  „The  British  Lyre'*  etc.  etc.  by  W.  0.  Elwell, 

Sixth  ed.,  Brunswick  1874.  pag.  396.)  Der  Herausgeber. 


—     195     — 

Sie*^)  haben  mich,  gnädige  Frau,  mit  Ihrem  ange- 
nehmen Briefe  recht  überraschet  und  die  französische 
Stelle  in  demselben  ist  eine  schöne  Blume,  mit  der  Sie 
mich  beschenken  wollten.  Warum  sollte  ich  es  leug- 
nen, dass  es  mich  freue,  wenn  edle  und  fahlbare  Seelen 
mit  mir  gleich  empfinden?  Es  ist  dies  ja  der  einzige 
und  süsseste  Lohn  des  sonst  mühsamen  und  unseligen 
Schreibens  und  mir  gewiss  der  süsseste  Lohn,  da  ich 
dem  gewöhnlichen  Autorrahm  längst  abgesagt  habe. 
Nächstens  wird  am  Druck  des  zweiten  Theils  ange- 
fangen werden  und  ich  wünsche  ihm  dasselbe  glück- 
liche Schicksal. 

Die  persönliche  Bekanntschaft  mit  Euer  Gnaden 
war  freilich  zu  kurz  und  vorübergehend.  Bei  Hofe 
lernt  man  sich  nicht  kennen  und  da  ich  meiner  zu- 
nehmenden Geschäfte  wegen  seit  einigen  Jahren  nicht 
mehr  im  Hofsaal  erscheine:  so  bleibt  Ihnen  freilich, 
gütige  Frau,  nichts  übrig,  als  dass  Sie  uns  eine  Vier- 
theilstunde in  unserm  Hause  schenken.  Man  siehet 
und  hört  sich  in  einer  Minute  von  Privat-Unterredung 
besser,  als  bei  Hofe  in  vielen  Stunden. 

Zimmermann  verdient  völlig  den  Beifall,  den  Euer 
Gnaden  ihm  schenken.  Er  ist  persönlich  mein  Freund 
und  ich  schätze  sein  Herz  mehr  als  alle  seine  vor- 
trefflichen Schriften.  Wäre  ich  seit  7—8  Jahren  nicht 
ganz  ausser  Briefwechsel  mit  ihm:  so  würde  ich  ihm 
die  Blume  Ihres  schönen  Lobes  selbst  bringen. 

*)  Siehe  Facsimile-Beilage  No.  2  nach  dem  „Ersten  Bach*. 

Der  HeraoBgeber. 
13* 


—     196    — 

Leben  Sie  wohl,  geistreiche  und  vortreffliche  Psyche. 
Meine  Frau,  die  Sie  mit  Hochachtung  schätzet  und 
liebet,  empfiehlt  sich  Ihnen  aufs  beste.  Schenken  Sie 
mir  Ihre  Gewogenheit  und  erfreuen  mich  zuweilen  mit 
einer  kleinen  Frucht  Ihres  schönen  Oeistes.  Ich  habe 
die  Ehre,  mit  grossester  Hochachtung  zu  seyn 
Euer  Gnaden 

unterthäniger 
den  11.  Nov.  1785.  Herder. 

Von  Wieland  will  ich  folgende  Briefe  an  meine 
Schwiegermutter  beif&gen: 

Meine  Seele  ist  betrfibt,  beste  Julie  —  ich  kann 
Ihnen  nichts  schreiben  —  ich  wflrde  Ihnen  nichts 
sagen,  nichts  helfen  können,  wenn  ich  bey  Ihnen  wäre  — 
Ich  leide  mit  Ihnen,  leide  das  ganz  Unaussprechliche 
Ihrer  Schmerzen,  Ihrer  Beängstigungen  und  möchte 
vergehen,  dass  ich  Ihnen  nicht  helfen  kann.  0  Julie, 
Julie!  —  0  Auguste,  o  Dorothee,  o  würdigste  Mutter 
der  besten  Kinder !  —  Welch  ein  trauiiges  Geschenk 
ist  ein  empfindendes  Herz!  —  und  dennoch  wünsch' 
ich  mich  zu  Ihnen ,  wiewohl  es  sonst  zu  nichts  gat 
wäre,  als  mit  Ihnen  zu  weinen,  denn  —  Trost,  meine 
Engelsfreundin,  —  Trost  kann  in  solch  Augenblicken 
nur  der  Himmel,  nur  die  Religion  geben.  —  Und  in 
ihr,  meine  theuersten  Freundinen,  in  ihr  werden  Sie 
den  einzigen  Trost  finden,  der  in  solchem  Umsturz  auf 
eine  fühlende  Seele  wirken  kann.  Hufland  giebt  mir 
keine  Hoffnung  für  unsere  liebenswürdige  Wilhelmine  I 


—     197     — 

—  Gott  stärke,   unterstütze  and  o!   ist  es  möglich^ 

rette,  rette  das  liebenswürdige  Geschöpf.    Ich  bin  Ihrer 

allerwegen  äusserst  besorgt.    Adieu*^)  mes  amies,  mes 

cherrissimes  amies,  Hufland  empörte  ce  mis6rable  biUet, 

griffonS  k  la  häte  et  dans  un  accablement  trop  grand 

pour  £tre    capable   de  Vous    dire   qnelque   chose  de 

raisonnable,  sinon  qne  je  suis  et  serai  6terne11ement 

avec  une  amiti6  k  tonte  6preuve 

Votre  frfere  et  ami 

Wieland. 


U  y  a  un  si^cle,  aimable  Psycho,  que  je  Vous  ai 
6crit  une  lettre  passablement  jolie  en  r^ponse  de  celle, 
dont  Vous  m'avez  honor6  avant  le  d6part  de  Votre 
Bienaim^.    L'avez  Vous  re^ue,  cette  lettre,  ou  ai-je  6t6 


*)  Deatsche  ÜberBetzaDg:  Adiea,  meine  Freunde,  meine 
lieben  Freonde,  Hnfland  wird  Ihnen  dies  armselige  Brieflein  aber- 
bringen, das  ich  nor  in  aller  Eile  nnd  in  einem  zn  trostlosen  Zu- 
stande niederschrieb,  um  Ihnen  darin  etwas  Vernünftiges  sagen  zn 
können,  ausser,  dass  ich  in  unerschütterlicher  Liebe  ewig  bin  und 
sein  werde  Ihr  Freund  und  Bruder  Wieland. 


Es  ist  beinahe  ein  Jahrhundert  her,  liebenswürdige  Psyche, 
dass  ich  Ihnen  einen  leidlichen  Brief  schrieb,  als  Antwort  auf 
jenen,  mit  welchem  Sie  mich  vor  der  Abreise  Ihres  Innigstgeliebten 
beehrten.  Haben  Sie  diesen  Brief  empfangen,  oder  sollte  er  gar 
auf  der  Post  verloren  gegangen  sein,  was  mich  sehr  unglücklich 
machen  würde  ?  Ich  bitte  Sie,  an  meiner  Statt  die  H&nde  der  wür- 
digsten Frau  und  besten  Mutter  zn  küssen  nnd  zärtlichst  in  meinem 
Namen  unseren  werten  und  teuem  August  zu  umarmen. 

Mein  hier  eingeschlossenes,  kleines  Gedicht  wird  Ihnen  das 
Übrige  sagen.  W. 


—     198     — 

assez  malhenreax,  qu'elle  se  soit  6gar^e  k  la  poste? 
Je  Voas  sapplie  de  baiser  de  ma  part  la  main  de  la 
plus  digne  des  femmes  et  de  la  meilleare  des  mores, 
et  d'embrasser  bien  tendrement,  k  mon  Intention  uotre 
ch^re  aimable  Angaste. 

Le  petit  poSme  ci-joint  Vous  dit  le  reste.       W. 


k  Weimar  ce  3.  Dec.  1773.*) 

Une  lettre  de  Jnlie!  —  et   dans  nn  temps,  oü 

ponr  r^crire  eile  est  obligöe  de  se  dSrober  an  plaisir, 

de  s'occnper  de  ce  qn'il  y  a  de  plus  interessant  k  son 

coenr.  —  Croyez,   divine  Jnlie,   qne  je  sens  tonte  la 


*)  Deutsche  Übersetzung:  Weimar,  den  3.  Dezember  1773. 

Ein  Brief  von  Julie!  —  und  in  einer  Zeit,  wo  sie,  um  den- 
selben schreiben  zu  können,  der  Freude  entsagen  muss,  sich 
mit  dem,  was  ihrem  Herzen  das  Interessanteste  ist,  zu  be- 
schäftigen. —  Glauben  Sie  mir,  göttliche  Julie,  dass  ich  die  ganze 
Grösse  dieser  Ihrer  Gunst  erkenne.  0  dass  nur  das  Wörtlein  Gunst 
nicht  wie  eine  Entheiligung  in  den  Augen  Ihres  zukünftigen  Herrn 
und  Meisters  gelten  möge;  die  Freundschaft  hat  ja  doch  ebensogut 
ihre  Gunst,  wie  die  Liebe.  —  Sie  könnten  jedoch  am  Ende  ver- 
muten, dass  ich  unter  dem  Schutze  der  poetischen  Lizenz  mehr  sage, 
als  ich  fühle,  und  dass  Ihr  Brief  mich  doch  nicht  so  sehr  beglückte, 
da  ich  die  Beantwortung  desselben  bis  heute  hinausschieben  konnte. 
Was  könnte  ich  dagegen  einwenden,  liebenswürdige  Julie?  Was 
könnte  ich  vorschützen?  —  Unglück  für  einen  Liebenden,  der  seiner 
Herzenskönigin  keine  bessere  Entschuldigung  vorbringen  könnte! 
Dürfte  noch  ein  Freund  auf  Ihre  Gnade  rechnen,  wenn  er  Ihnen 
gesteht,  dass  er  nicht  einmal  genügend  moralische  Kraft  besass, 
Ihnen  „Alceste**  zu  opfern?  Da  dieses  Stück  verwichenen  Montag 
gegeben  wurde  (und  zwar,  ich  muss  es  gestehen,  denselben 
Abend,   an   dem   ich   Ihren   Brief  erhielt),   so   musste  ich  eines 


—     200    — 

grandenr  d'une  pareille  faveur.  Que  le  mot  de  faveur 
ne  passe  pas  pour  nne  profanation  aux  yeax  de  Yotre 
fatur  Seigneur  et  maitre ;  Tamiti^  a  ses  favenrs  ä  eile, 
tont  aussi  bien  que  Tamoar.  —  Cependant  Vous  etes 
en  droit  d'imaginer,  qu'ä  l'abri  des  Privileges  des  Poötes^ 


Yon  beiden  thun,  entweder  auf  das  Vergnflgen  verzichten  „Al- 
ceste^'  zu  hören,  oder  anf  dasjenige,  Ihnen  zn  schreiben.  Sollte 
ich  mich  nicht  meiner  Schwäche  schämen?  Sei  dem,  wie  ihm 
wolle,  ich  gestehe  lieber  meine  Schuld  offen  ein  und  vertraue  aui 
Ihre  Milde,  als  dass  ich  meinen  Fehler,  wenn  dies  wirklich  in 
Ihren  Augen  als  ein  solcher  gelten  sollte,  beschönige.  Sie  ersehen 
übrigens  daraus,  dass  Alceste  hier  noch  immer  aufgeftlhrt  wird, 
und  dass  man  der  Schirmfee  dieser  Zaubersphären  unrecht  that, 
als  man  ihr  die  Grausamkeit  zumutete,  unsere  Heldin  ohne  einen 
anderen  triftigen  Grund  zu  verbannen,  als  dass  sie  zu  schön  sei.  Ich 
brauche  Sie,  meine  ausgezeichnete  Freundin,  da  Sie  die  geheimsten 
Regungen  meiner  Seele  kennen,  wohl  nicht  zu  versichern,  wie 
sehr  ich  an  der  freudigen  Nachricht  von  der  vollkommenen  Wieder- 
genesung Ihrer  verehrten  Frau  Mutier  Anteil  nahm,  die  Sie  so  gfltig 
waren  mir  bekanntzugeben.  Ich  bin  entzückt  über  alles,  was 
Sie  mir  bei  dieser  Gelegenheit  von  den  Gefühlen  erzählen,  die 
man  ihr  in  G.(otha)  entgegenbrachte,  sowie  auch  über  das  edle 
Benehmen  des  Herzogs  Ihnen  und  dem  Herrn  Baron  gegenüber. 
Ich  liebe,  dass  alles,  was  man  treibt,  mit  gutem  Willen  geschehe, 
und  besonders  bei  Hoheiten  gefällt  es  mir,  wenn  sie  eine  Freude 
daran  finden,  sich  anderen  Menschen  gegenüber  getällig  zu  zeigen 
und  dies  nicht  nur  halb  thun.  Aber  jener  verdammte  Prozess,  der  die 
Vereinigung  des  liebenswürdigsten  aller  Paare,  das  Amor  je  zusam- 
menführte, noch  auf  Monate  hinausschiebt,  —  seien  Sie  überzeugt, 
dass  ich  ihn  von  ganzem  Herzen  hasse,  und  mit  Vergnügen  und 
ohne  alle  Gewissensbisse  dreiviertel  aller  Staatsanwälte,  Advokaten 
und  Richter  dem  Teufel  überantworten  möchte,  wenn  ich  nur 
Ihnen  dadurch  die  üngelegenheit  ersparen  könnte,  abermals  Be- 
weise Ihrer  Grossmut  geben  zu  müssen.  Ich  wünsche  um  so  eher 
dieses  schöne  Liebesabenteuer  einem  glücklichen  £nde  zugeführt 


—    201     — 

je  dis  plus  qne  je  ne  sens,  et  qu'il  faut  bien  qne 
Votre  lettre  ne  m'ait  pas  rendn  si  heureox,  paisqae 
j'ai  pu  dififörer  jusqu'aujourd'hui  d'y  r6pondre.  Que 
Vous  dirai-je,  aimable  Julie,  Vous  avouerai-je?  Malhenr 


zu  sehen,  da  ich  mir  in  den  Kopf  gesetzt  habe,  dass  der  Priester, 
indem  er  Ihnen  seinen  Segen  giebt,  nichts  anderes  thnt,  als  nur 
im  Namen  unserer  Matter,  der  hl.  Kirche,  der  Vereinigung  zweier 
Teile  beizustimmen,  welche  die  Natur  lediglich  zu  gegenseitiger  Er- 
gänzung erschaffen  zu  haben  scheint,  und  die  beide  durch  diese  Ver- 
einigung soviel  gewinnen,  dass  selbst  ein  Dilettant  (in  Ehesachen),  wie 
ich,  mit  Ungeduld  den  Moment  erwartet,  der  ihn  zum  Augenzeugen 
dieser  freudigen  Ceremonie  macht.  Indessen  bin  ich  sehr  beglückt 
zu  hören,  dass  das  alte  gute  Einverständnis  zwischen  der  Erfurter 
„ Statthai terey**  und  Schloss  Stedten  wiederhergestellt  ist,  und  be- 
stätige vollkommen  die  hohe  Meinung,  die  Sie  von  der  liebens- 
wOrdigen  Amazone  mit  der  feurigen  Seele  hegen.  Das  ist 
wirklich  eine  charmante  Frau,  und  ich  erkläre  Ihnen,  wenn  ich 
Amadis  wäre,  so  möchte  ich  sie  zu  meinen  Göttern  zählen. 

Es  ist  nicht  meine  Schuld,  dass  ich  Ihnen  von  hier  nichts 
anderes  Interessantes  mitteilen  kann.  Für  Sie  und  mich  dürfte 
einzig  von  Interesse  sein,  dass  sich  alles,  was  uns  in  Weimar  lieb 
und  wert  ist,  wohlbefindet.  Prinz  Gonstantin  hatte  einen  vorüber- 
gehenden Fieberanfall,  von  dem  er  heute  jedoch  wieder  gänzlich 
genesen  ist.  Dieser  junge  Prinz  erblüht  wie  eine  Rosenknospe, 
Charakter  und  Herz  entfalten  sich  sehr  zu  seinem  Vorteile,  er  zeigt 
treffliche  Grundsätze,  sowie  eine  gewisse  Energie  und  verspricht 
ein  so  angenehmer  Mensch  zu  werden,  dass  sich,  Gott  sei  Dank, 
alle  meine  schlimmen  Prophezeihnngen  als  nichtig  erweisen.  Im 
übrigen  fühle  ich  mich  glücklich,  wie  ein  Sultan  (wenn  diese  that- 
sächlich  die  glücklichsten  Sterblichen  sind)  da  man  mir  gestattete, 
infolge  meiner  Erzieherpflichten  bei  den  Prinzen,  befreit  zu  gelten 
vom  übrigen  Hofdienste.  Ja ,  erst  jetzt  beginne  ich  aufzuleben 
und  meine  Ideen  und  Gefühle,  kurz,  das  bischen  Dichtergenie,  mit 
dem  mich  Mutter  Natur  beglückte,  wiederzufinden.  Ich  muss  nun 
endlich  meinem  Geschwätze  ein  Ende  machen.   Möchten  Sie  doch  der 


—     202     — 

k  l'ainant  qni  n'anrait  qn'une  si  lagere  excuse  k  all6gaer 
k  sa  Maitresse!  Mais  an  ami,  devrait  il  esp6rer  sa 
gräce,  en  Yous  ayouant  qu'il  n'a  pas  en  assez  de  force 
pour  Voas  sacrifier  Alceste?*)  Comme  cette  pifece  fut 
donn^e  lundi  pass6,  (c'est  k  dire  le  meme  soir  oü  je 
reQUS  Votre  aimable  lettre)  il  fallait  bien  run  des  deox, 
ou  renoncer  au  plaisir  d'entendre  Alceste,  ou  diffferer 
celui  de  Vous  6crire.  Ne  devrais-je  pas  avoir  honte 
d'etre  si  faible  ?  Quoiqo'il  en  soit,  j'aime  mienx  avouer 
ma  c  0  u  1  p  e  et  attendre  mon  pardon  de  Votre  cl6mence, 
que  de  chercher  k  pallier  ma  faute,  en  cas  qne  Voas 
trouviez  que  c'en  est  une.  Vous  voyez  du  reste,  que 
TAlceste  se  donne  encore  ici,  et  qu'on  a  fait  tort  k  la 
föe  protectrice  de  ces  lieux  enchant^s,  en  lui  attribuant 
la  cruelle  rSsolution  de  bannir  notre  h6roine  sans  qu^on 
pourrait  y  trouver  d'autre  raison  valable  que  ce  qu'elle 


Hebens-  und  achtongswürdigsten  aller  Mütter  die  Gefühle  jener 
Hochachtung  und  Wertschätzung,  die  meine  Seele  erfüllen,  aus- 
drücken! Sagen  Sie  auch  Ihrer  Schwester  Auguste  alles  Schöne 
Yon  mir,  und  zwar  mit  so  innigem  Ausdrucke,  als  es  Ihnen  immer 
nur  möglich  ist,  mein  Herz  wird  Sie  nie  Lügen  strafen.  Seien 
Sie  überzeugt,  meine  teuersten  Schwestern,  dass  die  Gefühle,  die 
Sie  für  mich  hegen,  stets  den  grössten  Teil  meines  Glückes  aus- 
machen werden;  desgleichen  tausend  Schönes  und  Liebes  dem 
Erwählten  Ihrer  Seele.  Adieu,  liebe  Julie,  seien  Sic  stets  glück- 
lich und  behalten  Sie  immer  ein  Plätzchen  in  Ihrem  Herzen  frei 
für  Ihren  treuen  Freund  Wieland. 

P.  S.  Ich  habe  bei  Schweizer  die  vier  Exemplare  der  ^Alceste** 
besorgt,  um  die  sie  mich  ersuchten.  — 

*)  „Alceste'S  ein  Singspiel,  yeranlasste  Goethes  Farce  „Götter, 

Helden  und  Wieland.** 

Der  HeraoBgeber. 


—     203     — 

est  trop  belle.  Ge  n'est  pas  k  Yous,  mon  excellenie 
amie,  qni  connaissez  le  fond  de  mon  äme,  qae  j'ai  besoln 
de  dire,  combien  je  m'intfiresse  k  Theureuse  nouvelle 
de  Tentifere  guferison  de  Votre  adorable  Mfere,  que  Vous 
venez  de  me  confirmer.  Je  suis  charmS  de  tont  ce 
que  Yons  mandez  k  cette  occasion  des  sentiments  qu'on 
lui  a  montr6  k  G,  comme  anssi  des  nobles  proc^d6s 
du  Duc  vis-ä-vis  de  Vous  et  de  Votre  eher  Baron. 
J'aime  moy,  qu'on  fasse  les  choses  de  bonne  gräce,  et 
que  les  Princes  surtout  soyent  sensibles  au  plaisir 
d'obliger  et  qu'ils  n'obligent  jamais  k  demi.  Mais  ce 
maudit  procfes  qui  61oigne  encore  de  plusieurs  mois 
l'union  du  plus  aimable  couple  que  Tamour  a  jamais 
enchainfe  —  soyez  persuad6e,  cbfere  amie,  que  je  le 
d6teste  de  grand  coeur,  et  que  je  donnerais  volontiers 
et  Sans  le  moindre  remords  de  conscience  au  diable 
les  trois  qoarts  de  tous  les  procureurs,  avocats  et 
juges  de  Tunivers,  si  c'ötait  le  moyen  de  Vous  6pargner 
cette  occasion  de  faire  preuve  de  Votre  magnanimit6. 
Je  suis  d'autant  plus  impatient  de  voir  votre  belle 
aventure  d'amour  mise  heureusement  k  fin,  que  je  me 
suis  mis  en  tete,  qu'en  Vous  donnant  la  b6n^diction 
sacerdotale,  le  Prßtre  ne  fera  que  consentir  au  nom 
de  notre  m6re  sainte  Eglise  k  la  r^union  de  deux  moiti6s 
que  la  nature  a  form^  dans  Tintention  d'en  faire  un 
tout,  et  qui  toutes  les  deux  gagneront  autant  de  cette 
r^union  qu'un  Dilettant  comme  moy  ne  peut  pas 
se  dispenser  d'etre  impatient  d'avoir  le  plaisir  d'en 
6tre  t6moin  ocnlaire.    £n  attendant  je   suis   charm6, 


—     204     — 

qne  Tancienne  bonne  intelligence  se  troave  r6tablie 
entre  Stedten  etla  „Stattbalterey^  d'Erfort,  et  je  sonscris 
de  grand  coenr  k  tont  le  bien,  qne  Vous  disez  de 
l'aimable  amazone  k  Täme  de  fen.  C'est  röellement 
une  charmante  femme,  et  si  j'etais  Amadis  je  Vons 
d^clare  qn'elle  serait  mise  an  nombre  de  mes  divinitto. 
Ce  n'est  pas  ma  fante,  si  je  ne  Vons  mande  rien 
de  nonvean  d'ici.  Ce  qn'il  y  a  ponr  Vons  et  moy  de 
plns  interessant,  c'est,  qne  tont  ce  qne  nons  aimons  k 
W.  se  porte  bien.  Le  prince  Constantin,  k  la  v6rit6, 
a  en  hier  nn  accös  passager  de  fi^vre,  mais  il  s'en  tronye 
dnment  r^tabli  anjonrd'hnL  Ce  jenne  Prince  commence 
k  s'^panonir  comme  nn  bonton  de  rose,  et  fort  k  son 
avantage,  son  caract^re  se  d^yeloppe,  son  coenr  prend 
de  la  consistence,  il  fait  voir  des  principes  et  m^me 
de  la  fermetö,  enfin  il  promet  de  devenir  tont-ä-fait 
aimable  —  et  mes  espferances  s'en  tronvent  bien 
agr6ablement  tromp6s.  —  An  reste  je  me  trouve  henrenx 
comme  nn  Snltan,  si  tant  est  qne  les  Snltans  sont 
henrenx  —  de  la  libertfe  qn'on  m'a  tontement  accord^e, 
de  me  regarder  comme  nn  homme,  qni  a  Texception 
de  ses  devoirs  anpr^s  des  princes,  est  absolnment  d6tach6 
de  la  Conr.  Ce  n'est  qne  depnis  ce  temps  qne  je 
commence  k  revivre  vf  ritablement  et  k  me  retronver  avec 
mes  sentiments  mes  id^es,  et  le  pen  de  genie,  dont 
notre  bonne  m6re  Natnre  a  bien  vonln  m'avantager. 
Me  voilä  obligä  de  mettre  fin  ä  mon  babil,  faites  agr6er 
k  la  plns  respectable  et  la  plns  ch6rie  des  m&res 
Thommage  des  sentiments  de  Tamitiö  tendre  et  pnre 


—    205    — 

qui  remplissent  mon  äme  pour  Elle.  Dites  de  ma  pari 
k  soeur  Angnste  tont  ce  qn'il  y  a  de  plus  amicale  et 
dites  le  aussi  vivement  que  Vons  ponrrez,  mon  coeur  ne 
Vons  dömentira  jamais.  Persuadez  Vons  bien,  mes 
aimables  et  oberes  soenrs  qne  le  sentiment  dont  Vons 
m'bonorez  fait  nne  partie  essentielle  de  ma  fölicit6. 
Mille  choses  tendres  et  amicales  ponr  le  digne  tenant 
de  Votre  coenr.  Adien,  Jnlie,  soyez  tonjonrs  henrense 
et  gardez  tonjonrs  nn  petit  bont  de  Votre  coenr  ponr 
Votre  ami  Wieland, 

P.  S.  J'ai  pris  note  des  4  exemplaires  de  l'Alceste 
de  Schweizer,  qne  vons  me  commandez. 


Liebenswürdige  Jnlie! 
Ich  kann  Ihnen  nicht  beschreiben,  —  nnd  würde 

■ 

es  nicht  thnn,  wenn  ich's  anch  könnte  —  was  mein 
Gemüt  in  diesen  Tagen  für  Ihre  vortrefflichste  Mntter, 
für  Sie,  für  unsere  Angnste,  für  Ihren  Bmder  und  für 
alles,  was  zu  Ihrem  Hause  gehört,  gelitten  hat!  Alle 
Tage  wollte  ich  mich  hinsetzen,  Ihnen  zu  schreiben, 
aber  ich  konnte  weder  Gedanken  noch  Worte  zusammen- 
bringen. Ich  suchte  mich  zu  zerstreuen,  aber  alles 
erinnerte  mich  an  meine  Freuiidinen  zu  Stedten  ;  meine 
Seele  war  immer  bey  Ihnen,  nnd  noch  itzt  zittert  sie 
bei  dem  schrecklichen  Gedanken,  was  die  Folgen  einer 
so  schmerzlichen  Verwundung  des  Herzens  auf  so  zarte, 
so  empfindungsvoUe  Geschöpfe  seyn  könnten.  0  meine 
beste  Julie,  meine  thenre  Auguste !    Schwestern  meiner 


—    206    - 

Seele!  Mein  Hertz  blutet  aber  Ihren  Verlust;  es  ist 
auch  der  meinige ;  aber,  o  sparen  Sie  Sich !  überlassen 
Sie  Sich  nicht  einer  Traurigkeit,  welche  Ihre  Gesundheit 
zerstören  könnte.  Noch  Eine  von  Ihnen  zu  verliehren 
würde  mir  unerträglich  seyn.  Unsere  Schwester  ist 
nicht  todt;  Sie  lebt,  o!  Sie  lebt  und  ist  glücklich; 
schwebt  ungesehen  über  uns,  ober  uns,  wird  vielleicht 
unser  Schutzgeist.  Hat  unsere  Seele  keine  Augen  ?  Soll 
sie  uns  unsichtbar  seyn,  weil  diese  körperlichen  Augen 
sie  nicht  mehr  sehen?  Schreiben  Sie  mir  recht  bald, 
meine  theure  Freundin;  beruhigen  Sie  mein  Hertz 
(und  Gott  gebe,  dass  Sie  es  mit  Wahrheit  können I) 
über  die  Besorgnisse,  die  es  ängstigen.  Umarmen  Sie 
unsere  liebenswürdige  Auguste  für  mich !  Vortreffliche 
Schwestern!  Vereinigen  Sie  Sich  toit  verdoppeltem 
Eifer,  der  besten  der  Mütter  den  Verlust  einer  hoffnungs- 
vollen Tochter  zu  ersetzen! 

Zerstreuung,  liebste  Freundinen,  wäre  Ihnen  allen 
itzt  das  nöthigste!  Könnte  ich  Sie  doch  durch  einen 
Wunsch  alle  zusammen  nach  Weimar  versetzen !  Wie 
eifrig  würde  meine  Freundschaft  sich  bestreben,  Sie 
so  viel  wie  möglich  eines  Verlustes  vergessen  zu 
machen,  an  welchen  Alles  in  Stedten  Sie  erinnert! 

W. 

Sans*)  doute,  aimable  Julie,  Vous  Stes  d6jä  inform^e 
du  facheux  accident,  qui,   en  venant  troubler  le  plus 


'*')    Deatsche    Übersetzung:     Ohne   Zweifel,    liebens- 
würdige Julie,  sind  Sie  schon  ?on  dem  ärgerlichen  Zwischenfalle 


—     207     — 

bei  arrangement  que  nous  avions  fait  ensemble, 
Mesdames  V.  mfere  et  V.  soeur  et  moy,  pour  passer  la 
soir6e  du  mercredi  pass6  chez  moi ,  m'a  empech6  anssi 
de  r^pondre  plutöt  ä  Taimable  lettre,  que  Madame 
votre  mfere  a  eu  la  bont6  de  m'apporter  de  Votre  part. 
Gräces  an  Ciel  j'ai  6t6  qnitte  pour  la   peur;   ce  qui 


anterrichtet,  der  alle  jene  schönen  Pläne  vernichtete,  die  wir,  nämlich 
Ihre  Fraa  Matter,  Ihre  Schwester  and  ich,  zasammen schmiedeten, 
dahingehend,  dass  beide  den  Abend  des  yerflossenen  Mittwoch  bei 
mir  znbringen  sollten,  und  dies  ist  aach  Schald  an  der  verspäteten 
Antwort  aaf  Ihren  liebenswürdigen  Brief,  den  Ihre  Frau  Matter 
die  Güte  hatte  mir  in  Ihrem  Namen  za  überbringen.  Dem  Himmel 
sei  Dank,  der  mich  so  für  meine  ausgestandene  Angst  entschädigte; 
denn  was  sich  anfangs  als  ein  grosses  Übel  darstellte,  verwandelte 
sich  später  in  ein  grosses  Glück;  und  da  alles  so  trefflich  ohne 
die  mindesten  Schmerzen  und  ohne  jeden  Zwischenfall  bei  meiner 
lieben  kleinen  Frau  vor  sich  ging,  so  dürfen  wir  hoffen,  dass  sie 
in  2 — 3  Tagen  vollkommen  hergestellt  ist.  Aus  dieser  Mitteilung 
ersehen  Sie  also,  liebe  Freundin,  dass  Sie  mehr  Grand  haben,  sich 
mit  mir  zu  freuen,  als  über  vergangenes  Leid  zu  klagen,  das  mir 
meine  Phantasie,  mehr  als  notwendig,  während  dieser  3—4  Standen, 
in  denen  sich  das  Leben  meiner  teuern  Kranken  in  höchster  Ge- 
fahr befand,  vormalte.  Lassen  Sie  uns  also  die  so  traurige  Zeit 
vergessen  (ich  litt  während  dieser  zwei  Tage  thatsächlich  schwerer, 
als  die  Patientin  selbst).  Nur  noch  ein  paar  Worte  über  den 
Brief,  den  Sie  so  gütig  waren,  mir  nach  Gotha  zu  schreiben,  und 
den  Ihre  Frau  Schwägerin  mir  persönlich  in  meine  Herberge  brachte, 
gerade,  als  ich  zufällig  ausgegangen  war,  und  den  ich  nie  erhielt. 
Wie  dies  geschehen  konnte,  ist  mir  unbegreiflich;  alle  meine  Nach- 
forschungen, sowie  das  Examen,  das  ich  mit  meinem  Bedienten 
anstellte,  und  die  Durchstöberung  meiner  sämtlichen  Papiere 
blieben  erfolglos.  Um  so  verzweifelter  bin  ich  nun,  als  Sie  mein 
Stillschweigen  etwas  gegen  mich  aufgebracht  zu  haben  scheint, 
und  es  wäre  auch  wirklich  unverzeihlich  meiners^ts,  wenn  ich 
thatsächlich  eine  Schald    daran   trüge.    Ich   fühle  mich  ohnehin 


—    208     — 

d'abord  avait  Tair  d'an  grand  mal  s'est  trouvS  dans  la 
snite  un  grand  bien ;  et  comme  tout  s'est  pass6  chez 
ma  ch^re  petite  femme  sans  les  moindres  doalenrs  et 
Sans  ancan  antre  accident  sinistre,  et  qu'en  2  on  3  jonrs 
nons  avons  toutes  les  apparences  da  monde  de  la  voir 
tout-i-fait  rttablie.  Vous  voyez,  chfere  amie,  que  dans 
tout  cui  il  y  a  plus  d'occasion  de  Vous  r6jouir  avec  moy, 


schon  BchaldbewoBst  genag,  Ihnen  nicht  ans  eigenem  Antriebe  schon 
Yon  Gotha  aus  geschrieben  zn  haben,  oder  wenigstens  gleich  nach 
meiner  Heimkehr.  Aber,  weiss  Gott,  welchen  Zauber  die  Oberhof- 
meisterin  Frau  von  Buchwald  auf  mich  ausübte;  denn  ich  befand 
mich  thatsächlich  während  meines  4Vstägigen  Aufenthaltes  so  in 
ihrem  Banne,  dass  es  mir  ganz  unmöglich  war,  an  etwas  Anderes, 
als  an  diese  höchst  liebenswürdige  Matrone  zu  denken,  und  dass  ich 
bei  ihr  alle  die  Zeit  zubrachte,  die  ich  nur  irgendwie  dem  Hofe 
absparen  konnte,  und  sogar  die  Grazien  und  ihre  Mutter  vernach- 
lässigte, um  nur  stets  bei  dieser  merkwürdigen  Dame  sein  und  mich  an 
ihrer  fesselnden  Eonversation  erfreuen  zu  können.  Ich  gestehe  zu, 
liebe  Freundin,  dass  diese  Entschuldigung  gar  keinen  Wert  hat; 
auch  ist  dieses  mein  nettes  Geständnis  eher  eine  Anklage,  statt 
dass  es  mich  reinwüsche,  ich  flehe  daher  auch  um  gütige  Nach- 
sicht und  unterwerfe  mich  freudig  und  ohne  Widerspruch  jeder 
mir  von  Ihnen  auferlegten  Busse.  Es  ist  nicht  minder  wahr,  dass 
ich  diese  Unterlassungssünde  sofort  nach  meiner  Heimkehr  hätte 
gut  machen  sollen;  aber  die  Notwendigkeit,  in  der  ich  mich  be- 
fand ,  Zeit  und  Fleiss  ausnahmslos  dem  „Merkur''  zu  widmen, 
dessen  drei  erste  Nummern  sich  im  Drucke  befinden  und  in  we- 
niger als  fünf  Wochen  das  Licht  der  Öffentlichkeit  erblicken  sollen, 
sowie  die  viele  Mühe,  welche  mir  die  Redaktion  dieser  Zeitung 
verursacht,  die  von  jetzt  ab  monatlich  erscheinen  soll,  könnten 
mich  vielleicht  Entschuldigung  in  Ihren  Augen  finden  lassen,  femer 
noch  überdies  mein  Versprechen,  so  bald  als  möglich  Ihnen  auf- 
zuwarten, und  zuguterletzt  noch  die  Faulheit,  die  ein  Naturtehler 
bildet  Ihres  gehorsamsten  Dieners  und  Freundes  W. 


—     209     — 

que  de  partager  des  maux  passes,  que  mon  imagination 
platöt  que  l'exigence  dn  cas  m'a  fait  6prouyer,  pendant 
3  ou  4  heureSy  que  la  vie  de  la  eh^re  malade  me  parut 
en  danger.  Fassons  aussi  leg^rement  qne  possible  sur 
cette  sc^ne  (qui  me  rendit  pendant  2  jours  plus  malade 
et  abbattu  que  la  Patiente  elle-meme).  Pour  dire  deux 
mots  de  cette  lettre  que  Vous  avez  eu  la  bont^  de 
m'6crire  k  Gotha,  que  M.  V.  Beaufrfere  a  port6  lui 
m£me  dans  mon  auberge,  ou  je  n'^tais  pas  alors,  et 
qne  je  n'ai  point  reQU.  De  Vous  dire  comment  cela 
a  pu  arriver,  c'est  ce  que  je  ne  saurais;  tout  ce  que 
j'ai  pu  faire,  ayant  6t6  inform6  de  ma  perte,  a  6t6  inutile ; 
examen  de  mon  domestique,  recherche  dans  tous  mes 
papiers,  tout  a  6te  sans  succ^s.  J'en  suis  d'autant 
plus  au  d^sespoir  que  mon  silence  Vous  a  du  donner 
un  peu  plus  que  de  Thumeur  contre  moy,  et  qu^eu 
effet  je  serais  indigne  de  pardon  s'il  aurait  6t6  volontaire. 
Je  suis  d^jä  assez  coupable  de  ne  pas  Vous  avoir  £crit 
de  mon  propre  chef  pendant  mon  s^jour  h  Gotha,  ou 
au  moins  apr^s  mon  retour.  Mais  dien  sait,  comment 
Madame  la  Grand-Maitresse  de  Buchwald  s'y  prend; 
la  v6rit6  est,  que  pendant  les  4  jours  et  demy  que  j'ai 
pass6  k  Gotha,  je  me  suis  trouy^  sous  le  charme,  qu'il 
m'a  6t6  impossible  de  m'occnper  d'autre  chose  qäe  de 
cette  aimable  et  extraordinaire  vieille,  que  j'ai  pass6  chez 
eile  tout  le  temps,  que  j'ai  pu  dferober  k  la  Cour,  et  que 
j'aurais  quittfe  les  Graces  et  leur  mfere,  pour  6tre  aupris 
de  cette  merveilleuse  femme  et  pour  jouir  des  charmes 
de  sa  conversation.   J'avoue,  ma  ch^rissime  amie,  qne 

Carl  Graf  Obtrndorff,  EriBAtranfta  tlBtr  UrgroffmntUr.         14 


-    .ai     — 


1»  -  ^r*f^  \uvrs,  .fr .  unnor  *  joc  muL  '  asna  -f  'afiiEe  loua 
'f»f  r^^xiAfi  -.1»  M^rrTsvF.  .anc  i^a'rnia  LeHmifcs- '  amea- 
*0^'.-ia^t    'iTnnnm^r  -ff   noina    oft .    ^tffiauxB&  -*   -    a 


r'/ff^nf/AT»      rtAin^   >!q«>r^T»f  .^.'PHIlilill-   "Sie  kiU    im  irTt^Sst 

ff*^  ff'f^hts^f)     At>tifrt^*     v»7ÄaA^,     ^.lr^il     üe    i»iiiaiü«;iie 
Kf^fr'kff^.rf,  ^}^  ftiirt  ^^Vi/^f^.  >(/VTU^>,  ?'-.rii*ar  nitiaer  IieöäLs- 


-  all  - 

würdigen  Psyche  wegen  so  grosse  Herzensangst  ge- 
macht hatte,  ebenfalls  dem  Lande,  von  wo  man  nicht 
wiederkommt,  ziemlich  nahe  gebracht  wurde.  Nun  sind 
es  zwar  schon  etliche  Wochen,  seit  ich  wieder  genesen 
bin,  aber  mit  meiner  ganzen  Restitution  in  den  vorigen 
Stand  geht  es  langsamer,  als  mir  lieb  ist ;  und,  da  die 
geringste  Verkältung  mir  noch  Schaden  thut,  und  eine 
Landpartie  bey  schon  so  weit  vorgerückter  Jahreszeit 
also  keine  Sache  ist,  die  ich  wagen  darf,  so  werde  ich 
mein  Projekt  schon  noch  um  ein  Jahr  weiter  hinaus- 
setzen müssen;  und  ich  will  mich  indessen  mit  der 
Hoffnung  trösten,  Sie  vielleicht  in  bevorstehendem 
Winter  bey  irgend  einer  erfreulichen  Gelegenheit  hier 
in  Weimar  zu  sehen. 

Inzwischen  schicke  ich  Ihnen  statt  meiner  die  zwey 
ersten  Teile  von  der  neuesten  Ausgabe  meiner  Gedichte, 
für  die  ich  um  eine  freundliche  Aufnahme  und  um  ein 
Plätzchen  in  Ihrem  Cabinet  bitte,  und  die  schon  vor 
geraumer  Zeit  eingetroffenen  6  volumes  supplemens  zu 
den  Oeuvres  complettes  de  J.  J.  Rous^au,  welche  Sie, 
um  das  ganze  Werk  vollständig  zu  haben,  vermutlich 
doch  nicht  gerne  entbehren  wollten. 

Hoffentlich  hat  nun  auch  Ihre  Frau  Schwester 
ihre  sämtlichen  abonnierten  Exemplare  vollständig  von 
Zweybrücken  aus  erhalten ;  wenigstens  versichert  mich 
dessen  der  Herausgeber,  mit  welchem  ich  nun  deswegen 
in  Abrechnung  begriffen  bin. 

Seit  einigen  Tagen  haben  wir  hier  ganz  unver- 
hofft einen  Besuch  von  meinem  alten  Freunde,   dem 

14* 


—     212     — 

Geh.  Eat  Jacobi  von  Düsseldorf,  dem  Bruder  des 
Dichters,  erhalten;  und  gestern  ist  anch  der  gute 
Claudius,  sonst  Asmus  genannt,  eingetroffen  —  ein 
Mann  der  gerade  so  aussieht  wie  sein  Geist  und  Herz 
sich  in  seinen  Buch  ein  abgeformt  hat,  und  dem  man 
gleich  beym  ersten  Anblick  gut  werden  muss.  Beyde 
werden  uns  bald  wieder  verlassen,  und  es  liegt  gewiss 
nicht  an  mir,  dass  ich  sie  Ihnen  nicht  zuschicken 
kann,  um  Ihnen  das  Vergnügen  zu  verschaffen,  ein 
paar  ganz  interessante  Bekanntschaften  zu  machen. 
Meine  Frau  und  alle  die  Meinigen  empfehlen  sich  Ihrem 
gütigen  Andenken,  und  ich  bin  so  lange  ich  atmen 
werde  mit  der  zärtlichsten  Verehrung  und  Freundschaft 

Ihr  ganz  eigener  Wieland. 

W.  den  27.  Sept.  1784. 

Umarmen  Sie  Ihren  Bechtolsheim  in  meinem 
Nahmen  und  erhalten  Sie  mir  seine  Gewogenheit,  deren 
Wert  niemand  mehr  als  ich  zu  schätzen  wissen  kann. 
Es  ging  mir  nahe,  dass  meine  Hoffnung  Ihren  liebens- 
würdigen Bruder,  der  so  ganz  ein  Mann  nach  meinem 
Herzen  ist,  vor  seiner  Rückkehr  nach  Stockholm  noch 
einmal  hier  zu  sehen,  zu  Wasser  worden  ist.  Haben 
Sie  die  Güte,  beste  Psyche,  Ihm  recht  viel  schönes 
in  meinem  Nahmen  zu  sagen. 

« 
Noch  einen  interessanten  Brief  Wielands  will  ich 

hier  mitteilen,  der  vom  Brande   des  Herzogsschlosses 

zu  Weimar  handelt  und  an   meinen   Schwiegervater 

adressiert  ist: 


—     213     — 

ä  Weimar  ce  8.  de  May  1777.  k  7  heures  du  matin.*) 
Rassurez  **)  Vous,  mon  eher  et  respectable  amy  — 
—  Le  ciel  veut,  que  notre  bien  aim6  Prince  joue  un 
grand  röle,  au  moins  le  röle  d'un  grand  homme  sur 
le  th^atre  du  monde,  et  il  commence  par  lui  brüler 
sa  maison. 

ÜD  prince  de  17.  ans,  avec  la  pr6sence  d'esprit, 
la  contenance,  la  magnanimitä,  Tactivitä,  Tbumanite, 


'*')  Siehe  Facsimile- Beilage  No.  3  nach  dem  „Ersten  Bach**. 

Der  Heraasgeher. 
**)  Deatsche  Ühersetzang: 

Weimar,  den  8.  Mai  1777.    7  Uhr  Morgens. 

Berohigen  Sie  sich,  mein  liehwerter  Freund,  —  der  EUmmel 
will,  dasB  unser  vielgeliehter  Fürst  eine  grosse  Rolle  spiele, 
wenigstens  die  Rolle  eines  grossen  Menschen  auf  dem  Theater 
der  Welt,  und  er  heginnt  damit,  ihm  sein  Haus  in  Brand  zu  stecken. 

Ein  Fürst  von  17  Jahren,  so  voll  Geistesgegenwart,  Fassung, 
Hochherzigkeit,  Regsamkeit  und  Nächstenliebe,  wie  es  der  unserige 
in  Wort  und  That  vom  ersten  Momente  unseres  schreckUchen 
Missgeschickes  an  gewesen,  ein  solcher  Fürst  ist  und  bleibt  ein 
seltenes  Wunder.  Mit  Sicherheit  können  wir  annehmen,  dass  ihn 
das  Schicksal  zu  grossen  Werken  ausersehen  hat. 

Es  ist  wohl  selbstverständlich,  dass  ein  ünglücks&ll,  wie 
dieser,  welcher  so  unversehens  über  uns  hereinbrach,  alle  schönen 
Entwürfe  und  angenehmen  Traumbilder  völlig  zerstörte.  So 
manches  meiner  herrlichsten  Luftschlösser,  das  meine  Phantasie 
zur  Ehre  und  zum  Ruhme  der  Regierung  unseres  jugendlichen 
Heros  aufbauen  wollte,  sehe  ich  nun  begraben  unter  den  Ruinen 
des  grossen  Schlosses  zu  Weimar;  aber  noch  ist  nicht  alles  ver- 
loren, mein  Freund.  Im  Gegenteil,  je  mehr  der  Fürst  auf  der  einen 
Seite  verlor,  umso  mehr  wird  er  Freunde  benötigen,  die  ihm  wirkUch 
von  Herzen  ergeben  sind,  und  umso  mehr  wird  er  trachten  müssen, 
sich  an  würdige  Leute  anzuschUessen,  die  sein  ganzes  Vertrauen 
besitzen. 


—     214     — 

qne  le  notre  a  fait  voir  par  tonte  sa  faQon  d'fitre  par 
tont  ce  qn'il  a  dit  et  fait  depnis  le  1.  moment  de  cette 
affreuse  calamit6,  un  tel  prince  est  un  predige.  II  est 
impossible  qn'il  ne  seit  appell6  k  des  grandes  choses. 

II  est  bien  natnrel  qn'an  accident  comme  celni-ci, 
qni  vient  de  tomber  snr  nous  si  inopin^ment,  d6range 
bien  des  planS;  et  fasse  s'evanonir  bien  d'agr^ables 
songes.  Je  vois  maint  bean  Chatean  en  Espagne,  qne 
mon  imagination  se  plaisait  k  bätir  en  honnenr  et 
gloire  dn  r^gne  de  mon  jenne  Heros,  enseveli  sons 
les  mines  du  grand  Chatean  de  Weimar;  mais  tont 
n'est  pas  perdn,  mon  ami.  An  contraire  plns  le  Prince 
a  perdn  d'nn  cot6,  plns  il  anra  besoin  d'amis  qni  Ini 
soient  vraiment  attach^s ;  et  plns  il  songera  k  s'attacher 
des  hommes  dignes  de  tonte  sa  conflance. 

Die  Herzogin,  die  Prinzen,  Graf  Görtz,  knrz  alle 
Personen  für  welche  Sie  sich  interessieren,  nnd  anch 
die  übrigen,  die  nns  nicht  interessiren,  befinden  sich 
alle  so  wohl  als  nach  Gestalt  der  Sachen  nnr  möglich 
ist.  Unser  lieber  Graf  hat  sich  wie  ein  Held  aufge- 
führt, nnd  selbst  seine  Maschine  hat  besser  ansgehalten, 
als  ich  zn  hoffen  wagte. 

Das  Unglück  war  gross ;  aber  es  ist  eine  Art  von 
Trost  in  der  Vorstellung,  dass  es  leicht  ungleich  grösser 
und  schrecklicher  hätte  seyn  können. 

Als  ich  um  ein  Uhr,  meine  gewöhnliche  Zeit,  von 
Hofe  ging,  dachte  noch  keine  Seele  an  nichts,  selbst 
auf  der  Kammer,  wo  das  Feuer  zuerst  ausbrach,  wurden 
die  bis  zwölf  Uhr  daselbst  arbeitenden  Bäte  und  Snb- 


—     215     — 

alternen  nicht  das  Mindeste  gewahr,  um  halb  zwey 
stand  schon  der  ganze  Dachstuhl  des  Schlosses  rings- 
herum in  vollen  Flammen,  und  um  drei  Dhr  schlug  es 
schon  aus  allen  Ereuzstocken  der  herrschaftlichen 
Zimmer.  Keine  menschliche  Macht  hätte  das  Schloss 
gegen  die  fressende  Wut  der  Flammen  retten  können. 
Es  ist  beynahe  ein  Wunder  wie  noch  eine  so  grosse 
Menge  von  allen  Arten  von  Möbeln  aus  dem  ganzen 
Schlosse  gerettet  worden  sind.  Die  ganze  Stadt 
war  in  grösster  Gefahr,  und  erst  in  der  Nacht  um 
3  Uhr  konnten  wir  uns  der  Hoffnung  sicher  zu  seyn, 
äberlassen.  Doch,  ich  habe  weder  Zeit  noch  Buhe  des 
Geistes  genug  um  Ihnen  eine  Beschreibung  dieses 
schrecklichen  6.  Mayes  zu  machen. 

Vom  ganzen  Schloss  steht,  ausser  den  nackten 
steinernen  Hauptmauern,  nichts  mehr  als  der  Thurm 
und  die  Begierung;  alles  ttbrige  ist  ein  Baub  der 
Flammen  geworden.  Von  den  herrschaftlichen  Sachen, 
Kostbarkeiten,  Geld  und  Möbeln  ist  das  Meiste  ge- 
rettet. Aber  andre  Personen,  sonderlich  die  beyden 
Hofdamen  haben  ihr  Meistes  verlohren ;  unser  Graf  alle 
seine  Bücher  —  doch  der  Bote  dringt  —  und  ich  habe 
keine  Zeit  mehr  zum  Detaillieren. 

Schreiben  Sie  dem  Grafen  so  bald  als  möglich. 

Heute  ziehen  wir  nach  Belvedere. 

Ich  umarme  Sie  tausendmal,  mein  liebster  Baron. 
Ich  kfisse  Ihren  Damen  die  Hände  und  bitte  Sie  aller- 
seits sich  möglichst  zu  beruhigen.  Ich  denke  nicht, 
dass  dieser  Zufall,  so  fatal  er  immer  ist,  in  unserem 


—     216     — 

Hauptplan  etwas  ändern  könne  noch  soll.  Erbalten 
Sie  mir,  meine  teuersten  Freunde,  Ihre  bisherige  Ge- 
sinnung und  leben  Sie  wohl! 

Ich  bin  mit  nur  der  zärtlichsten  Verehrung,  Freund- 
schaft und  Ergebenheit  mein  bester  Bechtolsheim, 
meine  theuersten  Freundinnen, 

Ihr  ganz  eigener 

Wieland. 

Um  das  Bild  des  geselligen  Lebens  der  Freifrau 
Julie  von  Bechtolsheim  -  Keller  zu  vervollständigen, 
füge  ich  noch  einige  Briefe  an  sie  bei  und  lasse 
dann  vier  von  ihr  verfasste  und  ihren  Dichterfreunden, 
zu  welchen  auch  Schiller  zählte,  gewidmete  Sonette, 
sowie  auch  ein  „Weimars  Meistersingern"  in  corpore 
geweihtes  Poem  folgen: 

Weimar  d.  18.  August  1783. 

Gnädige  Frau! 
Sogar  schlug  ich  Wielands  ,Liebe  um  Liebe'  auf, 
das  von  ohngefähr  neben  mir  lag  (ich  schreibe  nicht 
aus  meiner  Stube,  sondern  wo  änderst  her,  bey  mir 
findet  sich  so  etwas  nicht)  und  doch  fand  ich  nichts, 
was  ich  Ihnen  zur  Antwort  auf  das  mir  überschickte 
hätte  zurücksenden  können ;  es  war  eben  gar  zu  artig. 
Mein  elendes  Craneum  war  nicht  glücklicher  als  meine 
Forschungskraft,  denn  beyde  fanden  nicht  ein  Verschen, 
das  mit  den  Ihrigen  hätte  vertauscht  werden  können. 


—     217     — 

Ich  spure  es  wohl,  mein  Helikon  muss  ein  schmutziger 

Fuldarer  Land -Gasthof  seyn,   wo  mich   ein  Gewitter 

hinein  schlägt  und  mich  mit  der  himmlischen  Hypochrene 

des  Sagenrosses  begeistert,  anderswo  bringe  ich  nichts 

hervor.   Meine  Begleiter,  Mitarbeiter  und  Mitempfanger 

empfehlen   sich  nebst  mir  Ihnen   zu  Gnaden.    Leben 

Sie  wohl. 

Carl  August,  Herzog  von  Sachsen- Weimar. 

Dem  Exl.  Cons.  Pres  werde  ich  ehestens  schreiben 
und  mich  für  seine  schönen,  sehr  schmeichelhaften  An- 
merkungen bedanken. 


Carlsruh*)  ce  24.  Nov.  84. 
Au  moment  de  mon  d^part  pour  la  Suisse,  Madame, 
je  re^us  Votre  lettre  concernant  Mademoiselle  de  Euth. 
Vous  pardonnerez  si  j'ai  diff6rfe    quelque  temps  a  y 


*)  Deutsche  Obersetzung: 

Carlsrahe,  den  24.  No?.  84. 

Gn&dige  Fraa !  Im  Momente  meiner  Abreise  in  die  Schweiz 
habe  ich  Ihren  Brief,  betreffs  Fr&alein  von  Rnth,  erhalten.  Ver- 
zeihen Sie  mir,  dass  ich  einige  Zeit  mit  meiner  Antwort  zögerte, 
allein  w&hrend  meiner  Abwesenheit  von  Dentschland  dispensierte 
ich  mich  von  allem  Briefschreiben. 

Sie  konnten  mir  anmöglich  die  Angelegenheit  Ihrer  Prot^gäe 
w&rmer  ans  Herz  legen  als  es  darch  Ihre  liebenswürdigen  an  mich 
gerichteten  Zeilen  geschah;  in  der  Befürchtung,  höchstens  etwas 
an  der  Sache  zu  verderben,  wenn  ich  mich  anderer  Worte,  als 
der  Ihrigen  bediente,  habe  ich  sogleich  Ihre  werten  Zeilen,  einen 
gaten  Erfolg  erhoffend,  an  meine  Matter  geschickt 

Meine  guten  alten  Freunde  and  alle  meine  Verwandschaften 
sind  fast  zu  zahlreich,  als  dass  ich  sie  s&mtlich  abbesuchen  könnte, 


—    218    — 

r6pondre,  je  me  suis  dispensß  de  tonte  gcriture  pendant 
qne  j'avais  quitt6  rAlIemagne. 

II  6tait  impossible  de  mieux  recommander  Taffaire 
de  Votre  prot6g6e,  qne  Vous  ne  l'avez  fait  par  la 
charmante  lettre  qne  Vous  avez  bien  vonln  m'adresser, 
j'anrais  donc  crn  y  gäter  quelqne  chose  si  je  me  serais 
servi  d'antres  termes  qne  les  Votres,  j'ai  donc  envoy6 
Vos  lignes  k  ma  m6re,  j'esp^re  qn'elles  feront  lenr  effet. 

Mes  anciennes  connaissances ,  et  mon  parentage 

ätant  tr6s  nombrenx  ponr  les  yisiter  tons,  c'6tait  ponrtant 

ce  qne  je  m'6tais  propos6,  j'y  r6nssis  assez  bien,  mais 

cela  me  coute  bien  dn  temps.    Je  pars  demain  ponr 

Darmstadt  y  ce   sera  vers  la  fin  de  D6cembre   qne  je 

compte  retronver  mes  foyers.    Je  Vons  snpplie  de  m'y 

recevoir  avec  bont6  et  de  me  conserver  nn  pen  d'amiti6. 

Adien  Madame. 

Cliarles  Angnste. 

Mr.  de  Bechtolsheim  se  porte,  j'espfere,  bien  non 
obstant  la  manvaise  saison,  je  Vons  prie  de  le  salner 
de  ma  part. 


aber  da  ich  es  mir  schon  einmal  vorgenommen  habe,   thae  ich  es 

dennoch  nach  Möglichkeit,   obwohl  es  mir  sehr   viel  Zeit  raubt. 

Ich  reise  morgen  nach  Darmstadt  und  glaube  erst  im  Dezember 

an  meinen  heimatlichen  Herd  zurückzukehren.    Ich  bitte  Sie,  mich 

mit  gewohnter  Güte  aufzunehmen  und  mir  ein  bischen  Freundschaft 

zu  bewahren.    Leben  Sie  wohl,  Madame  1 

Carl  August. 

Herr  von  Bechtolsheim  befindet  sich,  hoffentlich,  trotz  der 
bösen  Jahreszeit  wohlauf,  und  bitte  ich  Sie,  ihm  meine  besten  Grüsse 
^a  entrichten. 


—    219    — 

Furst-Primas  Freiherr  von  Dalberg*) 
an   Julie  von   Bechtolsheim: 

I. 
Madame ! 
Tonjours    compatissante  et   occnpSe  du   bonheur 


*)  „Karl  Theodor  Antoo  Maria  Freiherr  von  Dalberg,  letzter 
Karfürst  von  Mainz  und  Enrerzkanzler ,  dann  Fürstprimas  des 
Rheinbandes  and  Grossherzog  von  Frankfurt,  geboren  den  8.  Fe- 
bruar 1744  zu  Herrnsheim,  gestorben  den  10.  Februar  1817  in 
Regensburg,  studierte  in  GOttingen  und  Heidelberg  die  Rechte, 
bildete  sich  in  Worms  und  Mainz  fflr  den  geistlichen  Stand  aus; 
1768  Domkapitular  in  Mainz  und  Domherr  in  Wflrzbnrg  und  Worms 
und  1772  Wirkl.  Geheimer  Rat  und  Statthalter  in  Erfurt  Er 
hielt  hier  auf  strenge  Handhabung  des  Rechtes,  forderte  Handel, 
Gewerbe  und  Landwirtschaft,  legte  den  alten  Hader  zwischen 
Katholiken  und  Protestanten  bei  und  richtete  die  tiefgesunkene 
Universität  Erfurt  wieder  auf.  Mit  Wieland,  Goethe,  Herder  und 
Schiller  und  den  thüringischen  Fürstenhöfen  stand  er  in  freund- 
lichsten Beziehungen  1787  wurde  er,  hauptsächlich  durch  die  Be- 
mühungen Josefs  n.,  Coadljntor  von  Kurmainz,  kurz  darauf  von  Worms, 
1788  von  Konstanz  und  Erzbischof  von  Tarsos.  Er  verblieb  in- 
dessen in  seiner  Stellung  in  Erfurt.  1802  wurde  er  Erzbischof 
von  Mainz.  Bei  der  Säkularisation  der  geistlichen  Fürstentümer 
war  D.  der  einzige  deutsche  Kirchenfürst,  der  entschädigt  wurde; 
der  Reichsdeputationshauptschluss  bildete  ihm  aus  dem  Fürstentnme 
Regensburg,  sowie  aus  Aschaffenburg  und  der  Grafschaft  Wetzlar 
einen  Staat  und  übertrug  ihm  die  Würde  eines  Kurerzkanzlers  and 
Erzbischofs.  Mit  der  Auflösung  des  Reiches  1806  verlor  er  die 
Würde  eines  Kurerzkanzlers,  wurde  aber  dafür  zum  souveränen  Fürst- 
Primas  des  Bundes  und  zum  Vorsitzenden  der  Bundesversammlung 
ernannt  und  erhielt  Frankfurt  a.  M.  nebst  Gebiet,  sowie  das 
Fürstentum  Löwenstein  etc.  1810  trat  er  das  Fürstentum  Regens- 
burg an  Baiern  ab  und  erhielt  dafür  Hanau  und  Fulda  mit  dem 
Titel  eines  Grossherzogs  von  Frankfurt.  Mit  Napoleons  Sturze 
brach  seine  weltliche  Herrschaft  zusammen,  und  er  zog  sich  nach 


—     220     — 

des*)  personneSy  qni  Tentonrent,  mon  excellente  amie 
Jalie  est  an  etre  Celeste  et  bienfaisaDt,  dont  les  instants 
s'ecoulent  ä.  essuyer  les  larmes  des  infortunßs,  k  prot6ger 
les  malhenrenx ,  k  leur  inspirer  le  sentiment  de  la 
douce  et  consolante  amiti6,  et  de  charmer  la  soci6t6 
par  la  gräce  de  l'esprit  et  la  sensibilitS  d'an  excellent 


Regensbarg  zurück,  wo  er  starb  und  begraben  liegt.  —  In  allen 
Stellungen  seines  Lebens  wendete  D.  dem  Schulwesen  liebevolle 
Fürsorge  zu,  unterstützte  Gelehrte  und  Dichter,  wie  denn  anch 
Schiller  eine  Zeitlang  ein  Jahresgehalt  von  ihm  bezog,  und  war 
selbst  in  der  Geschichte,  Philosophie  und  den  Naturwissenschaften 
schriftstellerisch  th&tig."  —  Über  ihn  erschienen  zahlreiche 
Werke.  (Auszug  aus  Pierer's  Konversations-Lexikon,  7.  Auflage, 
3.  Band,  pag.  1607.    Stuttgart  1889.) 

*)  Deutsche  Übersetzung. 

L 
Madame! 
Immer  mitleidig,  immer  besorgt  um  das  Glück  derer,  die  Sie 
umgeben,  ist  meine  ausgezeichnete  Freundin  Julie  ein  himmlisches 
und  wohlthätiges  Wesen,  die  ihr  ganzes  Leben  nur  dem  hehren  Zwecke 
weiht,  die  Thr&nen  der  Unglücklichen  zu  trocknen,  die  Schwachen 
zu  beschützen,  ihnen  Gefühle  süssen  Trostes  einzuflössen  und  die 
Gesellschaft  durch  ihre  Anmut,  ihr  liebreiches  Gemüt  und  ihr  ge- 
fühlvolles, gutes  Herz  zu  erfreuen.  Dies  ist  der  Ausdruck  dessen, 
was  ich  im  Verein  mit  den  Damen  Prascht,  der  Nichte  der  Gene- 
ralin Knorr,  dem  guten  Guningham  und  so  vielen,  vielen  Anderen 
fühle,  die  mir  es  täglich  wiederholen!  Ihre  schöne  Seele  spiegelt 
sich  in  ihrem  charmanten  kleinen  Briefe  wieder.  0  w&re  ich  nur 
immer  der  vielen  Güte,  mit  der  Sie  mich  überhänfen,  würdig  und 
hätte  ich  nur  stets  Gelegenheit,  Ihnen  die  ehrfurchtvollsten  Ge- 
fühle meiner  Anhänglichkeit  zu  zeigen,  mit  denen  ich  verharre 

als  Ihr  unterthänigster  Diener 
Erfurt,  den  29.  November  1796.  Dalberg. 

Meine  respektvollsten  Empfehlungen  Ihrem  Gemahl. 


—     221     — 

coenr.  Yoilä  ce  que  je  sens,  et  ce  qua  les  dames 
Praschty  la  ni^ce  de  la  g6n6rale  Enorr,  le  bon  Caningham, 
et  tant  et  tant  d'antres  ont  6proay6,  et  r6petent  chaqne 
jour!  Votre  belle  äme  se  peint  bien  dans  Votre  charmante 
petite  lettre.  Pnissai-je  mSriter  constamment  les  bont^s, 
dont  Vous  m'honnorez ;  puissai-je  prouver  Tattacheiuent 
respectueux,  que  Vous  a  vou6,  Madame 

Votre  trfes  humble 

Erfurt  ce  29.  Nov.  1796.  serviteur  Dalberg. 

Mes  hommages  ä  Votre  Epoux. 

IL 
Madame  I 
Je  serai  enchautö  d'avoir  le  bonheur  de  Vous  voir 
ainsi,  que  Votre  aimable  soci6t6.  Je  serai  trfes  enchant^ 
de  partager  un  bonheur,  dont  le  motif  est  si  respectable, 
et  qui  conceme  des  personnes,  qui  m'ont  inspir^  la 
plus  haute  estime.  Je  me  fais  föte  de  voir  demain  k 
diner  toute  la  famille  si  interessante  ä  tous  ^gards^ 


Madame! 
Ich  werde  entzückt  sein,  Sie  wiedersehen  und  in  Ihrer  an- 
genehmen Gesellschaft  weilen  zn  dürfen.  Desgleichen  freut  es 
mich  sehr  eines  Glückes  teilhaftig  zu  werden,  dessen  Grund  so 
achthar  ist  und  das  Personen  betrifft,  die  sich  meiner  grössten 
Wertsch&tzung  erfreuen.  Es  wird  ein  Fest  für  mich  sein,  Ihre  in 
jeder  Hinsicht  interessante  Familie  morgen  bei  mir  bewirten  und 
Ihnen  gleichzeitig  die  achtungyollsten  Gefühle  wiederholen  zu 
dürfen,  mit  denen  ich  die  Ehre  habe  zu  verbleiben 

Ihr  unterthäniger  und  gehorsamer 
Erfurt,  Montag  abends.  Diener  Dalberg. 


—    222     — 

et  de  Vous  r6p6ter  les  sentiments  respectueux,  avec 
lesqnels  j'ai  rhonnenr  d'etre,  Madame, 

Votre  trös  humble  et  trfes  ob6issant  serviteur 
Erfurt  ce  lundi  au  soir.  Dalberg 


Brief  des  Baron   Grimm   beim  Tode 
der  Kaiserin  Katharina  11. 

Je*)  ne  puis,  Madame,  ni  vivre,  ni  mourir,  mais  je 
puis  encore  sentir  le  prix  de  la  compassion  d'un  coeur 
g6n6reux  et  sensible.  C'est  la  seule  r^ponse,  que  je 
puisse  faire  k  Votre  lettre.  Vous  sentez  la  grandeur 
incommensurable  de  ma  perte.  Vous  me  plaignez. 
C'est  une  consolation,  que  je  sentirai,  mais  ce  sera  k 
la  fin  de  mon  agonie. 

ä  Gotha,  ce  13.  Decembre  1796. 


Gedichte  der  Baronin  Bechtolsheim-Keiler. 

1.  Wieland. 

(Als  der  jangen  Sängerin  besonderem  Gönner.) 

Kaum  erst  entschwebend  lichtem  Flügelkleide, 
Sah  ich  Ihn  nah'n  dem  heimatlichen  Thale, 
Da  ging  mir  auf,  geweckt  vom  goldnen  Strahle, 
Ein  schöneres  Sein,  umblüht  von  holder  Freude. 


*)  Brief  des  Baron  Grimm  beim  Tode  der  Kaiserin  Katharina  II. 
Madame  1  Ich  vermag  zwar  weder  zu  leben,  noch  zu  sterben, 
doch  den  Wert  der  Teilnahme  eines  edlen  und  gefühlvollen  Herzens 
kann  ich  noch  ermessen.  Das  ist  die  einzige  Antwort,  die  ich  Ihnen 
auf  Ihren  Brief  zu  bieten  im  stände  bin.  Sie  fühlen  die  unendliche 
Grösse  meines  Verlustes  mit  mir.  Sie  bemitleiden  mich.  Das  ist 
ein  schöner  Trost,  dessen  ich  jedoch  erst  dann  teilhaftig  werde, 
wenn  sich  mein,  an  Wahnsinn  grenzender  Schmerz  gemildert  hat. 
Gotha,  den  13.  Dezember  1796. 


—     223     — 

Er  führte  mich  aaf  immergrüner  Weide 

Durch  seinen  Geist  zum  hohen  Ideale 

Und  reichte  mir  in  süsser  Zaaherschale 

Der  Weisheit  Gold  für  —  Röslein  von  der  Heide. 

Den  Grazien,  die  liebend  ihn  amschweben^ 
Masst'  ich  geloben  das  erweckte  Leben, 
Und  Psyches  Name  ward  des  Bundes  Siegel. 

Es  wehte  leis,  es  rauschte  sanft  die  Quelle; 
Ich  fühlte  schweben  mich  dahin  ins  Helle, 
Denn  angezaubert  waren  mir  nun  Flügel. 


2.  Schiller. 

(Als  dem  Vorbilde  alles  Hohem  und  Schönen.) 

Und  wenn  fortan  entzückt  die  Leyer  singt 
Den  reinen  Quell  des  Ewig-Höchsten-Schönen, 
So  reich  an  Farben  -  Goldspiel,  reich  an  Tönen 
Und  jedes  inn're  Saitenspiel  beschwingt; 

Wie  heisst  das  Licht,  das  ew'ge  Sch&tse  bringt, 
Das  treibt  und  dr&ngt  Gemeinem  zu  entwöhnen, 
Das  hold  verkl&rt  der  Liebe  zartes  Sehnen 
Und  Kraft  beseelt,  die  nach  dem  Bessern  ringt? 

Er  ist^s!  und  wie  der  Sonne  m&cht*ge8  Feuer, 
Die  Stemenwelt  in  ihrer  stillen  Feier, 
Der  Blüten,  Bilder,  Töne  Zauberlust, 

So  regt  er  an  die  köstlichsten  Gefühle, 
Entreisst  den  Geist  dem  irdischen  Gewühle 
Und  senkt  den  Gott  in  jede  freie  Brust. 


—     224    — 
3.  Herder. 

Nar  selten  naht*  ich  deinem  Heiligtame, 
Ein  Missgeschick  hielt  ferne  mich  von  dir, 
Doch  standest  da  in  heiPger  Stande  mir 
Im  Geist  oft  nah,  umglänzt  von  ewigem  Ruhme. 

Dir  ward  das  Schöne  ganz  zum  Eigentnme, 
Dir  dankte  Weisheit  holder  Anmut  Zier, 
Auch  pflanztest  du  auf  deutschem  Kunstrevier 
Vom  Orient  uns  manche  Wunderblume. 

Zur  Wahrheit,  die  auf  goldnen  Wolken  thront, 
Trug  dich  dein  Flug,  der  dir  unsterblich  lohnt, 
Wenn  Tausende  durch  dich  nun  aufwärts  streben; 

Tief  mit  dem  Wesen  heiPger  Kunst  vertraut. 
Bleibst  du  dem  Aug',  das  sinnig  dich  erschaut, 
Ein  Glanzgebild  von  Liebe,  Licht  und  Leben. 


4.  Goethe.*) 

Wo  sind  die  Farben  nimmer   zu   verbleichen, 

Die   wunderbar   und   ewiglich   erglühen? 

Gebt  mir  den  Zauber  seiner  Harmonien, 

Mir  sagt  das  Herz:   ich  muss  ihn  doch  erreichen! 

Hier  ist  ein  Strom,  aus  allen  Lebensreichen, 
Goldflutend,  lohnend  jedes  Denkens  Mühen, 
Ein  heller  Spiegel  zu  Natur -Magieen, 
Ein  Geisterkönig,  dem  Heroen  weichen! 


*)  Die  gesperrt  gedruckten  Stellen  bedeuten  Verbesserungen 
von  Goethes  eigener  Hand.    Siehe  Goethe- Jahrbuch  25.  Band. 

Der  Herausgeber. 


—     225     — 

Doch  zarte  Seelen  seh^n  in  Himmelsfernen 

Nur  Lieb  und  Huld,  drum  wollt'  auch  ich  dem  Kranze, 

Der  ewig  grünt,  ein  Blümchen  einverweben; 

Da  träumte  mir:  ich  g&h'  hemiederschweben 

Zu  mir  ein  Zweiglein,  winkend  auf  zum  Glänze 

Nun  flog  ich  selbst  als  Blume  zu  den  Sternen  1 


Weimars  Meistersinger. 

(Wieland,  Schiller,  Herder,  Goethe.) 

>Vas   s  i  e   uns  sind,  wie   s  i  e   uns  stets  gewesen. 
Ich  möcht^  es  gern  in  edle  Reime  bringen, 
Um  Strablenbilder  frische  Blumen  schlingen. 
Zum  Kranz  für   sie   bedeutsam  auserlesen. 

Strebt  stolz  empor  ihr  Hyacinthen,  Rosen, 
Ihr  Tulpen,  Sonnenblumen,  Anemonen, 
Ihr  alle,  da  bei  Farben  Düfte  wohnen. 
Neigt  euch  heran,  den  Meistern  zu  liebkosen! 

Und  ihr,  von  tiefen  Rätseln  still  umdüstert, 
Ihr  Geister,  die  ihr  unsichtbar  belebt. 
Was  hier  auf  Erden  strahlt  und  fühlt  und  strebt. 
Gebt  Worte  mir,  von  eurem  Hauch  umflüstert  1 

Ihm  will  ich  singen,  der  das  Alltagsleben 
Mit  allem  Roiz  der  Feenträume  schmückte. 
Durch  rhantasie  und  Wahrheit  uns  entzückte, 
Ihm,  den  so  hold  die  Grazien  umschweben. 

Dann  Ihm,  dem  Allgeliebteu,  Auserkornen, 
Der  dab  (icmüt  festhält  mit  ew'gen  Banden, 
Wo  uns  das  H(>chstc,  vom  Gefühl  verstanden. 
Anschaulich  wird  durch   Ihn,  den  Sterngebomen. 


—     226     — 

Auch  Ihm,  der  uns  des  Morgenlandes  Schätze 
Und  ernster  Weisheit  Tempel  aufgeschlossen, 
Wo  goldner  Sonnen  Strahlen  sich  ergossen, 
Dass  sich  der  Geist  in  seinem  Urquell  letze. 

Lasst  mich  zuletzt  den  Götterjüngling  malen. 
Den  die  Natur  so  günstig  ausgestattet. 
Wo  Geist,  wo  Kraft,  wo  Wohllaut  nie  ermattet, 
Lasst  mich  beredt  mit  seinen  Wundern  prahlen! 

Wie  preis  ich  sie,  des  seltnen  Herrschers  Trauten, ' 
Die  durch  ein  magisch  Band  mit  ihm  verbunden, 
Vom  Flug  der  Zeit  errettend  goldne  Stunden, 
Ein  Neu- Athen  am  Strand  der  Um  erbauten?  — 

Doch  schweig^  mein  Lied!    Der  Meister  Zauberwerke, 
Germaniens  Stolz  —  ich  will  sie  nur  empfinden; 
Nur  der  kann  würdig  ihren  Ruhm  verkünden, 
Der  ihnen  folgt  mit  gleicher  Schwingen  St&rke. 

In  Blütenduft  hüllt  euch,  ihr  Huldigungen! 
Zum  stillen  Hain  will  ich  die  Schritte  lenken. 
Dort  krönt  Erinnerung  mein  Dichten,  Denken 
Mit  jenes  süssen  Traums  Beseligungcn. 

Dort  nahen  mir  mit  Huld  die  grossen  Geister, 
Mich  mit  der  Freundschaft  L&cheln  zu  berauschen, 
Kein  Satyr  wird  dort  der  Begeisterung  lauschen. 
Und  leis  entwallt  der  Brust  das  Lob  der  Meister. 


*   ,■ 


Zweites  Buch 

(1810—1825) 


Carl  Oft  Ob«rBdorff,  Eriaatruifra  •!»«  UrfroMmatttr.       15 


L  Kapitel. 

Witwe. 

Mit  einem  beklemmenden  Gefühle  schreibe  ich  das 
Jahr  1810,  welches  so  ruhig  und  behaglich  für  uns  in 
Varennes  begonnen  hatte,  mir  aber  in  seinem  Verlaufe 
den  schrecklichsten  Umsturz  meines  Glückes  brachte 
nach  des  Herrn  unerforschlichem  Ratschluss.  Das 
Frühjahr  war  wunderschön.  Von  politischen  Ereignissen 
ist  es  hauptsächlich  die  im  April  stattfindende  Ver- 
mählung Napoleons  mit  Erzherzogin  Marie-Luise  ge- 
wesen, die  viel  besprochen  wurde. 

Ich  erinnere  mich,  wie  glücklich  ich  mich  fühlte 
durch  das  stille  Zusammensein  mit  meinem  lieben 
Emil,  wie  wir  die  grünenden  und  blühenden  Fluren 
durchwanderten  in  traulichen  Gesprächen  und  über 
die  Zukunft  berieten,  da  es  uns  bewusst  war,  dass  die 
gegenwärtige  Lage  der  Dinge  nicht  von  Dauer  sein 
könnte,  und  wie  wir  uns  an  dem  Gedeihen  unserer  lieben 
Kinderchen  erfreuten,  die  uns  so  hoffnungsvoll  entgegen- 
lächelten und  lieblich  aufblühten. 

Da  geschah  es,  dass  Emil  eines  Montags  früh, 

nachdem  wir  am  Sonntag  noch  viel  im  Parke  zusammen- 

15* 


—     228     — 

gewesen,  über  Unbehagen  klagte.  Warum  mich  dies  so 
sehr  erschreckte,  lässt  sich  nur  durch  eine  unbewusste 
Ahnung  erklären,  die  mich  im  ersten  Augenblicke  warnte, 
denn  sein  Unwohlsein  schien  durchaus  nicht  von  Bedeu- 
tung. Bald  stellte  sich  aber  etwas  Fieber  ein,  und  Tags 
darauf  wurde  der  gute,  alte  Doktor  Jelly  gerufen, 
dessen  Mittel  aber  keine  Besserung  herbeiführten,  und 
als  sich  gar  Flecken  auf  der  Haut  zeigten,  konstatierte 
er  Röteln  oder  Masern.  Mittwoch  wurden  alle  Symptome 
schlimmer  und  ein  Ohnmachtsanfall  erschreckte  mich 
sehr.  Wie  Emil  dann  wieder  zu  sich  kam,  meinte  er,  es 
wäre  süss,  so  in  das  bessere  Leben  hinüber  zu  schlum- 
mern, was  mich  tief  ergriff,  und  worüber  ich  ihm  Vor- 
würfe machte.  Am  Donnerstag  fühlte  er  sich  sehr 
krank,  in  der  Fieberhitze  redete  er  oft  irre,  was  mir 
recht  bange  machte,  doch  hielt  mir  der  Herr  noch  die 
Augen  zu,  dass  ich  die  Gefahr  nicht  erkannte. 

Eigentlich  erachtete  niemand,  auch  der  Arzt  nicht, 
die  Krankheit  für  so  ernst,  als  sie  es  thatsächlich  war; 
dieser  yerliess  uns  wohl  mit  einiger  Besorgnis,  da  er 
sah,  wie  wenig  seine  Arzneimittel  wirkten,  fand  Emil 
aber  am  Freitag  Vormittag  besser  und  fuhr  deshalb 
nach  Chäteau-Thiery  zurück.  Mein  Vater,  der  dort  zu 
thun  hatte,  begleitete  ihn.  Unser  teurer  Kranker  ver- 
brachte diese  Stunden  bei  klarem  Bewusstsein,  schien 
jedoch  sehr  schwach  und  hatte  Mühe  zu  schlucken 
oder  deutlich  zu  sprechen,  was  mich  besonders  beäng- 
stigte. Einige  Stunden  nach  der  Abfahrt  meines  Vaters, 
nach  welchem  Emil  dringend  verlangte,  fand  ich,  dass 


—     229     — 

seine  Hände  und  Fttsse  kalt  worden.  Ich  befand  mich 
mit  dem  Kammerdiener  Lajeunesse  damals  allein  bei 
dem  Leidenden,  wärmte  Tücher  und  liess  eine  Wärm- 
flasche zu  seinen  Füssen  hinlegen ,  worauf  es  mir 
schien,  dass  die  Extremitäten  wieder  warm  worden. 
Doch  war  ich  so  onkondig  in  der  Krankenpflege,  dass 
ich  das  Schreckliche  seines  Zostandes  nicht  bemerkte. 
Der  alte  Lajeonesse  aber  erkannte  die  Gefahr  und 
bat  mich  dringend,  ein  wenig  ins  Freie  zo  gehen,  wie 
ich  es  jeden  Tag  aof  wenigstens  eine  halbe  Stande 
that,  om,  wie  er  sagte,  mir  Kräfte  zo  sammeln.  End- 
lich gab  ich  nach,  bat  ihn  das  Zimmer  nicht  zo  ver- 
lassen ond  küsste  meinen  Emil,  bevor  ich  ihn  verliess  — 
ach,  zom  letztenmal !  Dann  eilte  ich  zo  meiner  Motter, 
om  mit  ihr  ond  dem  goten  Fräolein  von  Sedaine, 
welches  aof  einige  Wochen  zo  ons  gekommen,  den  ge- 
wohnten kleinen  Spaziergang  zu  machen.  Mama  war 
eben  im  Begriff  gewesen,  mit  meinem  Broder  zom  teoem 
Kranken  zo  gehen,  Henri  verfügte  sich  non  aber  allein 
zo  ihm. 

Während  des  Gehens  sagte  ich  zo  Fräolein  von 
Sedaine,  dass  ich,  wenn  es  noch  länger  so  om  meinen 
Mann  stünde,  nicht  ohne  Besorgnis  bleiben  könnte.  Sie 
sochte  mich  zo  berohigen.  Als  wir  aber  am  Ende  des 
Parkes  angelangt  waren  ond  den  Bückweg  einschlogen, 
befiel  mich  plötzlich  eine  onüberwindliche  Herzensangst 
Ich  stiess  einen  Schrei  ans  ond  vermochte  einige  Aogen- 
blicke  nicht  weiter  zu  gehen,  dann  ermannte  ich  mich 
jedoch  und  eilte,  so  schnell  ich  konnte,  dem  Schlosse  zo. 


—    230    — 

Etwa  hundert  Schritte  vor  dem  EingaBg  in  dasselbe 
ergriff  mich  abermals  eine  fürchterliche  Bangigkeit; 
auf  der  Treppe  kam  mir  Lajennesse  entgegen ;  ganz 
aufgeregt  fragte  ich  ihn,  wie  es  stehe.  —  Ach !  er  ant- 
wortete mir  nicht,  sah  mich  tieferschüttert  an  und  sagte 
mir  die  Worte,  die  mir  wie  mein  Todesurteil  schienen 
und  die  ich  nie  vergessen  werde:  „Madame,  passez 
dans  Tappartement  de  madame  votre  mfere."  —  „Ah,  il 
est  mort!^  rief  ich  im  höchsten  Schrecken  aus  und  brach 

kraftlos  und  wie  zerschmettert  zusammen. 

Mir  war  nicht  anders,  als  wäre  ich  in  einen 

bodenlosen  Abgrund  gesunken  und  ledig  aller  Lebens- 
banden. —  Meine  Gedanken  verwirrten  sich,  ein  Schrei 
des  Entsetzens  und  der  unnennbarsten  Qual  folgte  dem 
andern.  Man  trug  mich  durch  die  vielen  Zimmer  und 
Säle  bis  zum  Bette  meiner  Mutter,  auf  welches  man 
mich  legte. 

Wie  lange  dieser  krampfhafte  Zustand  andauerte, 
weiss  ich  nicht  mehr  zu  sagen,  erinnere  mich  aber,  dass 
ich  aus  demselben  durch  meinen  Bruder  aufgerüttelt 
wurde,  der  mich  heftig  am  Arm  gefasst  hatte  und  mir  laut 
zurief:  „Mais  regardes  donc  ta  mfere,  et  vois  dans  quel 
6tat  tu  la  mets."  —  Dies  wirkte,  ich  gehorchte  ihm  me- 
chanisch, und  der  Anblick  meiner  armen  Mutter,  welche 
wie  stumpfsinnig  mit  geöffneten  Lippen  und  stieren 
Blicken,  die  sie  voll  unsagbaren  Schreckens  auf  mich 
heftete,  da  sass,  zwang  mich  zur  Fassung,  und  ich 
trachtete  vernünftig  über  die  namenlose  Pein  zu 
sprechen,  die  der  Herr  mir  auferlegte.    Ja,   ich  hatte 


—    231     — 

nun  das  Schrecklichste  erlebt,  das  man  empfinden  kann! 
—  Meine  Seele  und  ihre  Fähigkeiten  schienen  wie  ge- 
lähmt und  die  Glut  meines  Herzens  erloschen.  Als 
ich  wieder  einige  Kraft  gesammelt,  setzte  man  mich 
in  einen  Lehnstuhl  an  das  offene  Fenster.  Da  ver- 
mochte ich  erst  meine  Gedanken  etwas  zu  ordnen  und 
sie  zu  Gott  zu  erheben.  Ich  schien  mir  allein  mit 
Ihm  und  gelobte,  ergeben  das  schwere,  unerf erschliche 
Schicksal  tragen  zu  wollen,  da  es  also  Sein  Wille 
sei.  Ich  dachte,  ich  wäre  des  auserlesenen  Glückes 
nicht  wert  gewesen,  das  mir  beschieden  war,  doch 
konnte  ich  ebensowenig  begreifen,  wodurch  ich  mein 
hartes  Los  verdiente;  beides  wollte  ich,  da  es  aus 
Gottes  Hand  käme,  als  freie  Gabe  und  freies  Gericht 
hinnehmen  und  betete.  Er  möge  mir  helfen,  Ihm  mein 
Versprechen  zu  halten.  — 

Das  gute  Fräulein  von  Sedaine  war,  indem  sie 
mir  folgte,  als  man  mich  in  das  Zimmer  meiner  Mutter 
trug,  ohnmächtig  geworden.  Sie  kam  daher  erst  später 
zu  mir.  Ihr  Umgang  that  mir  wohl,  denn  wenige 
verstanden  mich  so  gut  wie  diese  treue  Freundin.  Es 
ist  mir  unbegreiflich,  dass  ich  nicht  darauf  bestand, 
mich  zur  lieben  Leiche  tragen  zu  lassen.  (Gehen  konnte 
ich  nicht,  denn  ich  schien  gelähmt  zu  sein.)  Freilich 
erlaubte  man  es  mir  auch  nicht,  und  ich  war  gewöhnt, 
mich  nie  gegen  den  bestimmten  Willen  meines  Vaters 
aufzulehnen.  So  grenzenlos  meine  Liebe  und  mein  Glflck 
gewesen,  so  grenzenlos  gestaltete  sich  jetzt  auch  mein 
Seelenschmerz ;  und  wenn  man  noch  überdies  bedenkt, 


—     232     — 

dass  meine  schwärmerische  GedankeBrichtong  mich  bis 
dahin  mehr  in  einer  idealen  Welt  leben  liess,  als  in  der 
wirklichen,  so  wird  man  sich  einen  Begriff  von  meiner 
inneren  Zerrissenheit  machen  können.  Das  religiöse 
Gefühl  allein,  obgleich  es  nicht  die  Kraft  des  eigent- 
lichen christlichen  hatte,  welches  ich  noch  nicht  so 
glucklich  war  zu  besitzen,  hielt  mich  aufrecht  und 
wuchs  fühlbar,  als  die  Zeit  des  unnennbaren  Schmerzes, 
der  mein  Herz  krampfhaft  zusammenzog,  vorüberging. 
Ich  vergass  zu  erwähnen,  dass  meine  liebe  Schwester 
einige  Zeit  vor  meinem  Unglück  mit  Tante  Malherbe 
in  die  Normandie  abreiste,  und  es  sich  daher  fügte,  dass 
sie  weder  bei  meiner  Vermählung,  noch  bei  dem  herben 
Verluste,  der  mich  nun  betroffen  hatte,  zugegen  ge- 
wesen ;  sie  kam  erst  später  mit  Onkel  und  Tante  Malherbe 
zurück.  —  Es  war  ein  herzzerreissendes  Wiedersehen! 
Doch  ich  muss  noch  auf  den  schrecklichen  Moment 
zurückkommen,  welcher  den  Frieden  und  das  Glück 
meines  Lebens  so  urplötzlich  zerstörte.  Nicht  nur  meine 
Seele  litt  darunter,  sondern  auch  mein  Körper,  denn  in 
den  ersten  Tagen  versagten  mir  die  Kräfte  so,  dass 
ich  das  Bett  nicht  verlassen  konnte.  Ich  lebte  in 
schrecklicher  Aufregung  dahin,  konnte  kaum  hie  und  da 
etwas  wenige  Speise  zu  mir  nehmen,  und  mein  Schlaf 
blieb  lange  Zeit  ganz  ungeregelt;  auch  noch,  als  ich 
mich  wieder  zu  den  andern  in  den  Salon  begeben 
konnte,  war  er  schwer  und  erquickte  mich  nicht,  denn 
um  ein  oder  zwei  Uhr  nachts  fuhr  ich  regelmässig 
mit  den  niederdrückendsten  Empfindungen,  die  meine 


—     233     — 

schmerzerregte  Phantasie  in  mir  wachrief,  daraus  empor. 
Der  Gedanke,  dass  die  Ärzte  die  Krankheit  meines  Emil 
nicht  erkannt  hätten,  worin  eine  unabweisbare  Gefahr 
fttr  sein  Leben  lag,  quälte  mich  oft,  denn  es  stellte  sich 
später  heraus,  dass  er  nicht  an  den  Masern  gestorben 
sei,  da  alle  Symptome  auf  einen  Flecktyphus  wiesen. 
Durch  diesen  innem  Kampf  lernte  ich  immer  mehr  ein- 
sehen, dass  in  allen  Dingen  nur  der  Wille  Gottes  den  Aus- 
schlag giebt,  denn  wäre  es  in  Seinem  Ratschlüsse  be- 
stimmt gewesen,  dass  mir  der  Gatte  durch  ärztliche 
Kunst  erhalten  blieb,  so  hätte  Er  mich  in  die  Lage 
versetzt,  geschicktere  Ärzte  zu  haben.  —  In  all  diesen 
Stürmen  der  Seele  fühlte  ich  des  barmherzigen  Gottes 
Nähe  und  beugte  mich  unter  Seine  gewaltige  Hand, 
die  ich  als  die  des  anbetungswürdigen  Vaters  küsste. 

Als  ich  wieder  ausgehen  und  daher  zum  Grabe 
meines  teuren  Gatten  wallfahren  konnte,  vertiefte  ich 
mich  immer  mehr  in  den  Gedanken  an  Gott  und  nahm 
mir  vor,  den  Kest  meines  Lebens  Ihm  durch  strenge 
und  treue  Übung  meiner  Mutterpflichten  zu  weihen 
und  dadurch  zugleich  auch  das  geliebte  Andenken 
meines  Gatten  zu  ehren. 

So  grossen  Trost  mir  meine  lieben  Kinder  auch 
boten,  konnte  ich  sie  anfangs  kaum  längere  Zeit  um 
mich  haben,  da  der  Gedanke,  sie  seien  nun  vaterlose 
Waisen,  mir  das  Herz  zerriss.  Dieser  Schmerz  ver- 
wandelte sich  erst  später  in  Friede,  und  die  Sorge  für 
ihre  Erziehung,  und  die  glückliche  Entfaltung  ihrer 
Geistesanlagen,  sowie  die  Entwicklung  der  kindlichen 


—    234     — 

Charaktere  wurde  mir  eine  unversiegbare  Quelle  des 
Trostes  und  der  Freude. 

Wie  dies  Jahr  verging,  weiss  ich  kaum  mehr. 
Die  ersten  Begebenheiten  der  Aussenwelt,  die  meine  Auf- 
merksamkeit zu  fesseln  vermochten,  waren  die  Brand- 
katastrophe beim  Ball,  den  der  österreichische  Bot- 
schafter, Fürst  Schwarzenberg,  in  Paris  zu  Ehren 
des  neuvermählten  kaiserlichen  Paares  gab  und  der 
Tod  der  vielgeliebten,  schönen  und  interessanten 
Königin  Luise  von  Preussen.  Doch  fQhlte  ich  auch 
bei  diesen  Anlässen,  wie  gelähmt  meine  Seele  sei,  da 
sie  unter  andern  Umständen  ganz  anders  davon  er- 
schüttert und  ergriffen  worden  wäre. 

Zu  Anfang  des  Jahres  1811  wollten  meine  Eltern 
und  Tante  Malherbe  mich  bewegen,  einige  Zeit  in 
Paris  unter  einem  Dache  mit  der  liebenswürdigen 
Amicie  zuzubringen,  denn  sie  glaubten,  dass  eine  ruhige 
Zerstreuung  mich  etwas  aufheitern  würde.  Dies  war 
aber  ganz  gegen  mein  inneres  Gefühl,  und  ich  konnte 
mich  nicht  dazu  entschliessen.  Obgleich  mir  der  Um- 
gang mit  meiner  lieben  Ad6Ie  unentbehrlich  schien, 
drang  ich  doch  darauf,  dass  sie  auf  einige  Zeit  nach 
Paris  gehen  möge,  um  ihre  schöne  Stimme  auszubilden 
sowie  auch,  um  sich  in  angemessenen  geselligen  Kreisen 
zu  bewegen.  Sie  selbst  wollte  sich  zwar  nicht  von 
mir  trennen,  doch  wurde  es  dann  trotzdem  beschlossen, 
dass  sie  gegen  Ende  Januar  dahin  abreise. 

Im  Frühjahr  kam  meine  liebe  Schwester  zurück, 
sie  hatte  ihr  Singtalent  bestens  ausgebildet  und  mir 


—    235    — 

viel  von  unserer  Freundin  Amicie  L  e  v  a  g  e  r  und  dem 
Kreise  liebenswürdiger  Menschen,  die  sie  umgaben,  zu 
erzählen. 

Wenn  ich  mich  nicht  irre,  geschah  es  auch  ungefähr 
um  diese  Zeit,  dass  Onkel  Keller  als  bevollmächtigter 
Gesandter  des  Fürst  -  Primas  nach  Paris  reiste  und 
zuvor  vierzehn  Tage  mit  uns  in  Varennes  zubrachte. 
Er  war  besonders  meinem  Vater  sehr  willkommen,  und 
obgleich  es  mich  sehr  schmerzlich  berührte,  ihn  nach 
meinem  harten  Verluste  wiederzusehen,  schien  es  mir 
doch  von  hohem  Werte,  mit  einem  so  nahen  Verwandten 
meines  unvergesslichen  Emil  zusammenzutreffen.  Mit 
Rührung  empfing  ich  ein  kleines  Herz  aus  schwarzer 
Lava,  von  einem  goldenen  Kleeblatte  umfasst,  das  mir 
meine  gute  Schwiegermutter  mit  folgender  von  ihr  ver- 
fassten  Widmung  durch  ihren  Bruder  übersandte : 


Kennst  da  dies  Herz,  von  stiller  Nacht  amdflstert, 

Dies  treue  Herz, 
Ans  welchem  sanft  der  Liebe  Stimme  flflstert, 

Der  Wehmut  Schmerz? 


Kennst  du  dies  Herz,  aus  Ätherglut  gewoben 

Bei  Sonnenschein, 
Dies  volle  Herz,  zur  Sternenflur  gehoben. 

Von  Weltlust  rein? 


Kennst  du  dies  Herz,  das  nie  ein  Sturmflug  beugte 

Zum  Staub  herab, 
Wo  tiefes  Leid  nur  höhern  Mut  erzeugte 

Für  mich  zum  SUb  ? 


—    236    — 

Es  ist  mein  Herz,  amdankelt  von  der  Trauer, 

Die  tief  dir  gilt, 
Wenn  Courtemont  mit  seines  Kirchhofs  Schauer 

Mir  zeigt  sein  Bild. 

Das  Jiebe  Bild  von  meinem  Erstgebornen, 

Voll  Glanz  und  Wert, 
Des  Wahlverwandten,  eigens  dir  Erkornen, 

Stets  treu  bewfthrt 

0  könnt  ich  hin  zu  jener  teuren  Stelle, 

Wo  sanft  er  ruhtl 
Da  löste  sich  vielleicht  des  Busens  Welle 

In  Thränenflut. 

Ich  fühl'  mit  dir  dieselben  Herzenswunden, 

Das  gleiche  Leid, 
Und  gleiche  Liebe  hat  uns  fest  verbunden 

Zur  Ewigkeit  1 

Stets  sah  ich  dich,  du  edle  Frauenblume, 

So  reich  an  Wert, 
Als  Sternbild  in  der  Liebe  Heiligtume 

Genannt,  geehrt. 

Bald  floh,  getrennt  von  jedem  Rosenschimmer, 

Dein  Glück  vorbei, 
Doch  Stern  und  Blume,  sie,  sie  bleiben  immer 

Sich  selbst  getreu! 

Du  ?rir8t  als  Heldin  stark  ihn  überwinden. 

Den  m&cht'gen  Schmerz, 
In  Mutterliebe  wird  dann  Tröstung  finden 

Pein  grosses  Herz. 


—     237     — 

Dir  weiht  mein  Herz  in  aoBgebrannter  Masse 

Jetit  sein  Symbol, 
Dass  es  dein  Gold,  mein  Kleeblatt,  stets  umfasse 

Dann  ist  ihm  wohll 


IL  Kapitel. 

In  Deutschland! 

Als  Onkel  Keller  im  darauf  folgenden  Jahre  nach 
Deutschland  zurückkehrte,  machte  er  mir  das  An- 
erbieten, mich  auf  einige  Monate  nach  Stedten  mit- 
zunehmen; auch  Alexander  könne  mitkommen.  So 
acceptierte  ich  denn  diesen  freundlichen  Vorschlag  mit 
Vergnügen,  da  ich  ja  meine  kleine  Clotilde  unter  der 
Obsorge  ihrer  Grossmutter  aufs  beste  aufgehoben 
wusste.  Wenn  ich  hätte  ahnen  können ,  dass  durch 
Umstände,  die  niemand  vorauszusehen  yeimochte,  mehr 
als  zwei  Jahre  vergehen  sollten,  bevor  ich  wieder  mit 
meinem  Töchterchen  vereint  würde,  so  hätte  ich  mich 
wohl  schwerlich  zu  dieser  Trennung  entschlossen. 

Uns  unbewusst  entwickeln  sich  ja  oft  die  Fäden 
unserer  Führung,  denn  eben  diese  so  ganz  unvorher- 
gesehene Verlängerung  meiner  Abwesenheit  von  Frank- 
reich gab  meinem  Schicksale  die  Richtung  nach  dem 
Mecklenburger  Lande  und  beeinflusste  meine  ganze  Zu- 
kunft. 

Im  März  1812  begab  ich  mich  also  mit  dem  guten 
Onkel  und  meinem  vierjährigen  Söhnchen  auf  den  Weg 


~     239     — 

nach  Deutschland.  So  schwer  mir  auch  der  Abschied 
von  Glotilde  und  all  den  lieben  Meinen  fiel,  war  mir 
doch  der  Gedanke  wohlthnend,  den  Sohn  Emils  seiner^ 
mir  so  lieben  Familie  zuzufahren  und  mich  wieder  im 
Kreise  derjenigen  einzufinden,  wo  ich  mich  eigentlich 
heimischer  fühlte,  als  selbst  unter  solchen,  die  mir  in 
mancher  Beziehung  näher  standen.  Nach  vier  langen 
Tagen,  frtlh  des  Morgens  aufbrechend  und  erst  Abends 
spät  in  der  Nachtherberge  anlangend,  erreichten  wir 
Frankfurt  am  Main.  Onkel  Keller  wollte  sich  einige 
Tage  dort  aufhalten,  schon  deswegen,  um  im  nahen 
Aschaffenburg  dem  Fürsten -Primas  aufzuwarten.  Da 
der  Wagen,  in  welchem  wir  fuhren,  nur  zweisitzig  war, 
hatte  ich  die  Reise  ohne  weibliche  Begleitung  angetreten 
und  etwas  meine  Kräfte  Überschätzt,  denn  ich  kam 
fieberkrank  und  erschöpft  von  der  langen  Fahrt  sowie 
von  der  ungewohnten  Mühe  des  Ein-  und  Auspackens 
und  der  Besorgung  meines  Knäbleins  an.  In  der  Ruhe 
erholte  ich  mich  aber  schnell.  Um  sie  mir  vollständig 
zu  verschaffen,  nahm  der  gütige  Onkel,  ein  grosser 
Kinderfrennd ,  mein  Söhneben  zu  sich  und  führte  es 
auch  in  der  Stadt  mit  sich  herum;  doch  war  er  an 
dessen  ungeheure  Lebhaftigkeit  nicht  gewöhnt  und 
ganz  verwundert,  als  er  ihm  plötzlich  mitten  im  Ge- 
dränge, auf  der  sogenannten  Zeile,  entwischte.  Ver- 
gebens suchte  er  ihn  überall  mit  den  Augen  und  war 
erst  dann  beruhigt,  als  der  Kleine  von  selbst  wieder  zu 
ihm  zurückkehrte. 

An  dem  Abstecher  nach  Aschaffenburg  musste  ich 


mich  auch  beteiligen,  da  der  alte  Fürst- Primasi 
Baron  Karl  Dalberg,  ein  Freund  meiner  Eindeijahre  und 
meiner  Eltern  gewesen.  Die  hierzu  erforderliche 
grössere  Toilette  fiel  mir  aber  recht  lästig,  obwohl 
mir  die  Zofe  von  Baronin  Bethmann  dabei  half.  Die 
Baronin  war  nämlich,  so  wie  ihr  Gemahl,  meinen  Eltern 
nahe  befreundet,  und  daher  mit  uns  zusammen  zum  Be- 
suche des  Fürst-Primas  nach  Aschaffenburg  gekommen. 
Ihre  Dienerin  hatte  während  der  Tafel  die  Obhut  über 
meinen  Alexander  übernommen.  Der  greise  Eirchen- 
fürst  war  sehr  freundlich  und  heiter  und  lenkte  das 
Gespräch  gern  auf  die  früheren  Zeiten.  Es  schien, 
dass  sie  ihm  besser  gefallen  hatten,  als  die  Gegenwart. 
Ich  konnte  es  kaum  erwarten  in  Eisenach  anzu- 
kommen, wo  ich  meine  liebe  Schwiegermutter  und 
Schwager  Gustav  mit  seiner  Gattin  fand  und  ach,  mit 
wie  viel  Thränen  wieder  umarmte !  Onkel  Keller  blieb 
nur  einen  Tag,  ich  aber  machte  einen  längeren  Aufent- 
halt daselbst  und  wurde,  so  wie  auch  mein  Söhnchen,  mit 
Liebe  überhäuft.  Gustav,  der  seinem  Bruder  in  gar 
treuer  Anhänglichkeit  zugethan  gewesen,  betrachtete 
dessen  Kind  wie  sein  eigenes  und  fand  mit  wehmütiger 
Freude  die  lieben  Züge  des  Verewigten  in  seinem 
Gesichtchen  wieder.  Die  Bekanntschaft  mit  meiner 
Schwägerin  Juliette  war  mir  eine  vollständig  neue. 
So  lieb  sie  mir  später  wurde  und  so  entgegenkommend 
sie  sich  mir  gleich  damals  zeigte,  kann  ich  doch  nicht 
sagen,  dass  sie  mir  so  einnehmend  erschien,  als  ich 
sie  mir  vorgestellt  hatte.  Ich  fühlte  keinen  eigentlichen 


-     241     - 

Herzenszug  zn  ihr.  Gustav  bemerkte  dies,  und  es  be* 
rührte  ihn  unangenehm,  was  ich  daraus  schloss,  dass  er 
mich  am  folgenden  Tage  fragte:  „Gefällt  dir  denn  mein 
liebes  Frauchen  nicht,  weil  du  mir  gar  nichts  über  sie 
sagst  ?^  Ich  antwortete,  so  gut  ich  eben  konnte  und 
so  freundlich  als  möglich  und  bestrebte  mich,  zuvor- 
kommender gegen  sie  zn  sein.  Ihre  kleine  Emma  mit 
dem  blonden  Lockenköpfchen  war  ein  allerliebstes,  noch 
nicht  zweijähriges  Eind,  welches  Alle,  besonders  die 
gute  Grossmutter,  entzückte. 

Auf  Mamas  Wunsch  blieb  ich  ziemlich  lange  in 
Eisen  ach  und  musste  auch  teilnehmen  an  den  länd- 
lichen Zusammenkünften  einer  zahlreichen,  aber  ge- 
schlossenen Gesellschaft,  welche  sich  alle  Donnerstage 
in  der  nahen  Spicka  einfand,  um  Ausflüge  auf  die 
Wartburg,  nach  Wilhelmsthal  und  anderen  hübschen 
Punkten  zu  veranstalten.  Viele  Orte,  die  wir  so  be- 
suchten, erweckten  in  mir  eine  lebhafte  Erinnerung 
an  mein  früheres  Zusammensein  mit  Emil,  und  so  war 
dies  bewegte  Leben  gar  nicht  nach  meinem  Sinn. 

Auf  einige  Tage  begab  ich  mich  dann  nach  Gotha, 
wo  ich  bei  der  lieben  Generalin,  Freifrau  von 
Wangenheim,  wohnte  und  zwar  zufällig  in  demselben 
Hause,  wie  meine  teuerste  Jugendfreundin,  Caroline 
von  Studnitz-Dalwigk,  welche  wiederzusehen  mich 
herzlich  freute  und  innig  bewegte. 

Dies  war  eben  die  Zeit,  in  welcher  Napoleon  mit 
seiner  grossen  Armee  gegen  Russland  zog,  so  dass 
alle  Gaue  voll  Militär  schienen.    Dieser  Eriegszug  ge- 

Carl  Graf  Obtrndorff,  SriimvnuigtB  tiatr  ürfroMmiitItr.         16 


—     242     — 

stattete  meinem  Onkel,  länger  von  Paris  entfernt  zn 
bleiben ,  nnd  ich  meinte ,  statt  im  Angnst ,  wie  es 
anfangs  in  meinem  Plane  lag,  nnn  etwa  Anfang  Oktober 
mit  ihm  nach  Frankreich  zm*ückznkehren.  —  Aber  es 
kam  ganz  anders!  — 

Mit  welchem  Gefühle  von  Wehmnt  und  Frende  ich 
die  vielgeliebten  Tanten  meines  Emils  wiedersah,  kann 
ich  nicht  ausdrücken.  Bald  wurde  es  mir  zwischen 
ihnen  sowie  den  lieben  Cousinen  Mimi,  Luise  und 
der  damals  sechzehnjährigen  Sophie,  die  ich  zuletzt 
als  Eind  gesehen  hatte,  gar  wohl  und  heimisch,  wie 
ich  mich  überhaupt  nirgends  mehr  zu  Hause  fühlte, 
wie  im  lieben,  traulichen  Stedten.  Als  ich  mit  all' 
diesen  Lieben  zusammenkam,  waren  noch  kaum  acht 
Tage  verflossen,  seit  Mimis  Schicksal  entschieden 
worden,  indem  sie  dem  Fürsten  Iwan  Bariatinsky 
ihr  Jawort  gegeben  hatte.  Ich  konnte  meine  Ver- 
wunderung über  diese  Nachricht  nicht  verhehlen,  da 
ich,  wie  schon  früher  erwähnt,  nicht  viel  Vorteilhaftes 
über  den  Fürsten  vernommen  hatte.  Durch  die  gute 
Tante  Am61ie  erfuhr  ich  aber,  dass  er  sich  schon  zur 
Zeit,  als  er  sich  zu  seiner  ersten  Ehe  mit  einer  liebens- 
würdigen Engländerin  entschloss,  ganz  verändert  und 
seine  frivole  Lebensanschauung  sowie  die  freigeistigen 
Grundsätze  durch  strenge  und  religiöse  Ansichten  ersetzt 
habe.  Ein  alter  Jugendfreund  der  Mutter  des  Fürsten, 
Herr  von  Fontaine,  den  wir  alle  von  jeher  als  sehr 
verlässlich  kannten,  bestätigte,  dass  er  seiner  ersten 
Frau  in  Liebe  und  Treue  zugethan  gewesen,  was  uns 


—    243    — 

für  die  Zukunft  und  das  Olilck  unserer  guten  Mimi  be- 
ruhigte. Ihr  Bräutigam  war  nun  eben,  dringender  Ge- 
schäfte wegen,  die  der  beginnende  Krieg  herbeiführte, 
nach  Russland  geeilt,  um  im  Herbste  zu  seiner  Ver- 
mählung wiederzukommen.  Wir  sahen  diesem  Momente 
mit  gemischten  Gefühlen  entgegen:  teils  Freude  und 
Befriedigung  über  das  glückverheissende  Los,  das 
Mimi  beschieden  schien,  teils  Betrübnis  über  die  Aus- 
sicht, dass  sie  nun  so  fem  ihrer  Heimat  leben  sollte. 
Ihre  Cousine  Luise  Botzheim,  die  seit  der  Kindheit 
unzertrennlich  von  ihr  gewesen,  litt  besonders  unter 
diesem  Gedanken. 

Nachdem  ich  einige  Monate  in  traulichem  Zu- 
sammensein mit  den  lieben  Bewohnern  von  Stedten 
zugebracht  hatte,  kehrte  ich  nach  Eisenach  zurück, 
wo  mich  Gustav  und  Juliette  als  Taufpatin  für  ihr 
zweites  Töchterchen,  welches  wir  Thekla  nannten, 
erwarteten.  Zu  meiner  Freude  fand  ich  dort  alles 
wohl,  blieb  drei  Wochen  und  kam  dann  über  Gotha 
nach  Stedten  zurück,  wie  ich  dachte  nur  mehr  für 
wenige  Tage.  Da  trafen  aber  eben  Nachrichten  vom 
Kriegsschauplatze  ein,  denen  zufolge  sich  der  Feldzug 
in  Eussland  in  die  Länge  ziehen  sollte,  was  meinen 
Onkel  veranlasste,  seine  Beise  nach  Paris  zu  ver- 
schieben ;  dies  konnte  mir  nicht  lieb  sein,  da  ich  mich 
schon  innig  nach  meinem  Töchterchen  sehnte. 

Der  Winter  war  sehr  streng,  und  die  Nachrichten 

aus  Russland  lauteten  immer  ungünstiger  für  Napoleon. 

Es  lässt  sich   denken,  mit  welcher  Begierde  wir  die 

16* 


—    244     — 

ZeitnngeB  erwarteten  und  lasen,  welche  Spannung  sich 
an  den  Endpunkt  in  Moskau  knüpfte  und  wie  dessen 
Biesenbrand  uns  üben*aschte  und  ergriff.  Nach  der 
ungeheuren  Niederlage  erfahren  wir  bald,  dass  Napoleon 
in  einem  bescheidenen  Reisewagen  mit  Conrierpferden 
durch  Sachsen  nach  Paris  geeilt  sei.  Nun  kamen  nach 
und  nach  die  unglücklichen  Reste  der  grossen  Armee 
an  und  füllten  nicht  nur  die  Hänser  mit  Einquartierung, 
sondern  auch  die  Spitäler  mit  meist  Ruhrkranken.  In 
Ermanglung  von  Platz  für  die  Verwundeten  und  Kranken 
wurden  auch  oft  Kirchen  als  Lazarette  benutzt.  Die 
Not  schien  grenzenlos.  In  Stedten  sahen  wir  weniger 
davon,  aber  in  Gotha  und  Eisenach,  wo  ich  mich 
einige  Zeit  aufhielt,  war  es  entsetzlich.  Meine  gute, 
so  mitleidige  und  mildthätige  Schwiegermutter  that 
sehr  viel  für  diese  Unglücklichen  in  ihrem  eigenen 
Hause,  und  ihr  Sohn  Gustav  zeigte  sich  unermüdlich 
in  der  Fürsorge  behufs  Unterbringung  und  Wartung  der 
Leidenden  in  geeigneten  Baulichkeiten  und  Lokalitäten. 
Als  Napoleon  wieder  in  Paris  thronte,  musste  sich 
das  ganze  diplomatische  Corps  von  neuem  dort  ver- 
sammeln und  durfte  daher  auch  der  Ministerresident 
des  Fürst -Primas  nicht  fehlen;  so  musste  also  Onkel 
Keller  an  seine  Rückkehr  nach  Paris  denken.  Ich 
vergass  zu  bemerken,  dass  er  von  Jugend  auf  mit 
Dalberg  aufs  innigste  befreundet  war  und  daher, 
dessen  Bitten  nachgebend,  eingewilligt  hatte,  den- 
selben als  bevollmächtigter  Gesandter  in  Paris  zu 
vertreten,  jedoch  nur  interimistisch.    Er  erhielt  vom 


—     245     — 

König  von  Preussen  um  so  leichter  die  Erlaubnis,  diesen 
Posten  zu  &bernehmen ,  als  er  deswegen  keineswegs 
seinen  Abschied  aus  dem  preussischen  Staatsdienste 
begehrte,  obgleich  er  schon  lange  nicht  mehr  im 
aktiven  Dienste  stand.  Im  Dezember  bei  strenger 
Kälte  trat  mein  Onkel  seine  Reise  in  einem  offenen, 
zweisitzigen  Wagen  an.  Unter  diesen  Umständen  konnte 
ich  es  nicht  wagen,  mich  ihm  anzuschliessen,  war  mir 
ja  schon  die  Reise  in  besserer  Jahreszeit,  aber  ohne 
Bedienung,  äusserst  anstrengend  gewesen.  Doch  kostete 
es  mich  einen  harten  Kampf,  bis  ich  den  Entschluss 
fasste,  zurückzubleiben.  Onkel  Keller  glaubte  äbrigens, 
bald  wieder  heimzukehren,  um  im  Frühjahre  abermals 
nach  Paris  zu  reisen,  und  ich  sagte  mir,  dass,  wenn 
dies  auch  nicht  geschehen  sollte,  ich  mir  dann  selbst 
eine  Gelegenheit  schaffen  würde,  mein  gewünschtes 
Ziel  zu  erreichen. 

Es  wäre  mir  gerade  in  dieser  Zeit  auch  schwer 
gefallen,  Stedten  zu  verlassen,  denn  die  geliebte  Tante 
Botzheim  war  ernstlich  erkrankt  und  ich  mir  bewusst, 
dass  es  für  die  Übrigen  eine  Beruhigung  sei,  wenn 
ich  bei  ihr  bliebe;  der  Moment  rückte  nämlich  heran, 
wo  Tante  Am^lie  Keller  mit  Mimi  zur  ausgemachten 
Zusammenkunft  in  Teplitz,  welche  deren  Vermählung 
veranlasste,  abreisen  sollte.  Gott  fügte  es  aber  tröst- 
licher, indem  sich  bald  nach  Abreise  meines  Onkels 
die  Krankheit  seiner  Schwester  zum  Bessern  wandte, 
und  sie  war  fast  gänzlich  hergestellt,  als  die  er- 
greifende Trennung  von  unserer  allgeliebten  Mimi  er- 


—     246     — 

folgte.  Die  Betrübnis  der  armen  Luise  Botzheim  über- 
stieg alle  Begriffe.  Seit  ihrer  Kindheit  hing  sie  mit 
inniger  Liebe  und  Begeisterung  an  ihrer  reizenden 
Cousine  und  Seelenfreundin;  nach  deren  Abreise  ver- 
fiel sie  in  Schwermut  und  wollte  sich  nicht  trösten 
lassen.  Meine  Schwiegermutter,  die  einige  Zeit  mit 
uns  in  Stedten  zubrachte,  geriet  in  ernstlichen  Un- 
willen darüber  und  meinte,  Luise  gebärde  sich,  als 
ob  Mimi  gestorben  wäre  und  scheine  den  grossen 
Wert  ihrer  trefflichen  und  sie  so  aufopfernd  lieben- 
den Mutter  nicht  hinreichend  zu  würdigen.  Mir  kam 
es  nicht  so  vor,  da  ich  ihre  Gefühle  für  ihre  Mutter 
kannte,  und  Luisens  seltsame  Art  nur  für  eine  über- 
spannte jugendliche  Schwärmerei  ansah,  wie  ich  selbst 
wohl  Ähnliches,  wenn  auch  nicht  so  auffallend,  in  meiner 
Jugend  für  Frau  von  Studnitz,  damals  Caroline  von 
Dalwigk,  empfunden  hatte.  Nach  und  nach  kam  aber 
Luise  wieder  ins  Gleichgewicht,  und  niemand  konnte 
sich  mehr  über  ihre  Gleichgiltigkeit  beklagen.  Die 
Briefe  aus  Teplitz  waren  immer  ein  Ereignis  in  Stedten, 
und  bald  erhielten  wir  Nachricht  über  die  dort  statt- 
gefundene Vermählung,  nach  welcher  Fürst  Bariatinsky 
mit  seiner  jungen  Frau  nach  Bussland  abreiste  und 
Tante  Keller  zu  uns  zurückkehrte. 

Kurz  darauf  begab  ich  mich  mit  der  ganzen 
Familie  Keller  nach  Gotha  und  freute  mich,  dort,  wo 
ich  so  viele  Bekannte  hatte  und  mir  der  Hof  so 
freundlich  gesinnt  war,  Aufenthalt  nehmen  zu  können. 

Indessen   erinnere  ich  mich  nicht  vieler  Einzel- 


—     247     — 

Iieiten  aus  dieser  Zeit.  Einen  grossen  Schrecken  ver- 
ursachte mir  Alexander,  als  er  sich  an  einen  im  Hofe 
des  Hauses  gespannten  Strick  hängte  und  dadurch  die 
lange  Holzrinne,  an  welcher  dieser  befestigt  war,  los- 
riss;  er  fiel  rücklings  zu  Boden  und  die  Rinne  quer 
Aber  ihn.  Ich  hörte  einen  dumpfen  Fall  und  zugleich 
ein  Geschrei,  eilte  ans  Fenster  und  sah  mein  liebes 
Kind  in  der  erschreckenden  Lage.  —  Es  zeigte  sich 
aber,  dass  er  keinen  weitem  Schaden  erlitten,  als  eine 
leise  Quetschung  an  den  Beinen,  und  gerührt  dankte 
ich  Gott,  der  ihn  vor  grösserem  Übel  beschützt  hatte. 
Du  hast  mir  manchen  Schrecken  dieser  Art  ver- 
ursacht, mein  lieber  Alexander,  und  ich  kann  gleich  noch 
eines  zweiten  Erwähnung  thun,  den  du  mir  im  folgenden 
Jahre,  ebenfalls  in  Gotha,  einjagtest.  Ich  beschäf- 
tigte mich  eben  in  Gesellschaft  der  beiden  lieben 
Tanten  und  Luise  Botzheims,  als  aus  dem  anstossenden 
grossen  Speisesaale,  wo  sich  alle  Kinder  unterhielten, 
plötzlich  ein  fürchterliches  Geschrei  nach  einem  vor- 
hergegangenen, schweren  Fall  erscholl.  Wir  eilten  hin- 
ein und  fanden  dich,  das  ganze  Gesicht  mit  Blut  über- 
strömt, neben  einem  umgestürzten  Tische  liegen.  Man 
brachte  gleich  Wasser  herbei,  um  untersuchen  zu 
können,  was  dir  eigentlich  geschehen  sei.  Zum  Glück 
waren  es  nicht  die  Augen,  wie  es  anfangs  schien, 
welche  gelitten  hatten,  sondern  eine  ziemlich  be- 
deutende Wunde  zwischen  denselben,  über  der  Nase, 
machte  es  ratsam ,  einen  Chirurgen  zu  berufen  lassen. 
Nachdem  dieser  sein  Heftpflaster  befestigt  hatte,  ent- 


—     248     — 

schuldigte  er  sich  vielmals ,  weil  er  uns  etwas  hätte 
warten  lassen,  doch  wäre  er  eben  bei  einem  Typhus- 
kranken beschäftigt  gewesen.  Wir  erschauderten  bei 
seinem  Geständnisse,  da  jene  damals  gerade  sehr  bös- 
artig auftretende  Ej'ankheit  für  äusserst  ansteckend  gilt. 

Auch  bei  dieser  Gelegenheit  hat  dich  der  Herr 
sichtbar  bewahrt  und  that  es  später  noch  mehrere 
Male,  als  gätiger  Lenker  deiner  und  unser  aller 
Schicksale. 

Wie  meine  Zeit  im  Frfihjahre  und  Sommer  des 
Jahres  1813  zwischen  Stedten  und  Eisenach  eingeteilt 
gewesen,  erinnere  ich  mich  nicht  mehr,  nur  weiss  ich  noch, 
dass  ich  an  beiden  Orten  gern  gesehen  war  und  stets  ge- 
beten wurde,  möglichst  lange  zu  verweilen,  auch  dass 
ich  mich  immer  mehr  zu  den  lieben  Tanten  hingezogen 
fühlte.  Zu  Eisenach  schien  mir  das  Leben  sehr  ver- 
weltlicht. Im  Hause  meiner  Schwiegermutter  hatte  ein 
Fräulein  Jeannette  von  P  a  n  h  u  i  s  einen  freundlichen 
Zufluchtsort  gefunden.  Obgleich  diese  schon  funfund- 
vierzig  Jahre  zählte,  sah  sie  doch  noch  fast  jugendlich 
aus  und  war  von  einnehmendem,  heiterem  Umgange. 
Meine  Schwägerin  Juliette  hatte  sie  besonders  lieb  ge- 
wonnen und  besuchte  mit  ihr  alle  Gesellschaften,  auch 
Landpartieen  und  die  sonstigen  Unterhaltungen,  die  das 
Stadtleben  bietet,  reichlich  durchgeniessend.  Zum  Gläck 
warMama,  obgleich  auch  sie  an  diesem  Treiben  Geschmack 
fand,  nicht  allzeit  dabei,  und  ich  richtete  mich  nach  ihr, 
und  sie  sich  insoferne  nach  mir,  als  sie  hauptsächlich  nur 
die  Ausflüge  in  die  herrliche  Gegend  mitmachte.    Ihre 


—     249     — 

grosse  Korrespondenz  und  dichterische  Arbeiten  fesselten 
sie  einen  Teil  des  Tages  an  ihren  Schreibtisch.  In 
den  Mussestunden  bereitete  es  ihr  viel  Genuss,  die 
Vergangenheit,  Gegenwart  und  mutmassliche  Zukunft 
mit  mir  zu  besprechen.  Übrigens  war  letztere  damals 
recht  trübe  verdeckt.  Napoleon  rückte  im  April  wie- 
der zu  Felde  mit  einmalhundertfünfzigtausend  Mann, 
welche  die  Gegenden  Sachsens  überschwemmten,  um 
die  Armee  des  Zaren,  der  sich  nun  wieder  mit 
Preussen  verbündet  hatte,  aufzusuchen.  Diese  war 
noch  nicht  so  stark  wie  Bonapartes  Heer,  lieferte  ihm 
aber  trotzdem  bei  Leipzig  und  dem  Dorfe  Gross- 
Görschen  eine  Schlacht,  die  nicht  glücklich  für  sie 
ausfiel.  Doch  konnte  sie  sich,  ohne  eigentlich  ge- 
schlagen zu  sein,  in  guter  Ordnung  nach  Mähren  und 
in  die  Lausitz  zurückziehen.  Leider  nahm  sie  dann 
in  Bautzen  abermals  eine  Schlacht  an,  die  sie  nicht 
zu  behaupten  vermochte. 

Air  die  grossen  Bewegungen  der  französischen 
Armeen,  sowohl  der  von  Frankreich  kommenden,  als  auch 
desjenigen  Teiles,  der  vom  russischen  Feldzuge  siech 
und  zerlumpt  in  die  Heimat  zurückkehrte,  machten  es 
mir  unmöglich,  an  die  Rückreise  nach  Varennes  zu 
denken.  So  gern  ich  auch  in  Deutschland  bei  meinen 
lieben  Freunden  und  Verwandten  weilte,  war  mir  doch 
der  Gedanke,  durch  Heere  von  meinem  Töchterchen 
abgeschnitten  zu  sein,  peinlich.  — 

Ich  erwähnte  noch  nichts  von  dem  Brautstande 
meiner  lieben  Schwester  AdMe.  Ihr  Bräutigam,  Marquis 


—     250    — 

de  Cansans,  hatte  in  seinen  ersten  Jünglingsjahren 
während  der  Emigration,  in  österreichischem  Kriegs- 
dienste gestanden,  welchen  er  zur  Zeit  der  Amnestie 
verliess,  um  auf  den  Gütern  seines  Vaters  zu  leben, 
ohne  Napoleon  dienen  zu  wollen.  Jetzt  musste  er  es 
aber  dennoch  thun,  da  alle  waffenfähigen  Männer  den 
Feldzug  gegen  Bussland  mitzumachen  hatten.  Es  mag 
ihm  wohl  der  Mangel  an  Offizieren  die  Vergünstigung 
verschafft  haben,  gleich  als  Bittmeister  in  die  Armee 
aufgenommen  zu  werden.  —  Er  kam  dann  in  russische 
Gefangenschaft  und  wurde  mit  seinen  Schicksalsge- 
nossen nach  Tobolsk  transportiert,  wo  er  sich  leidlich 
wohl  befand,  trotz  der  sibirischen  Temperatur  und 
vieler  Entbehrungen.  Es  war  ihm  sogar  möglich  ge- 
worden, den  Seinen  Kunde  von  sich  zu  geben  und  sie 
um  eine  Geldsendung  zu  bitten,  was  ich  durch  Ad^le 
erfuhr.  Ich  teilte  ihr  mit,  dass  ein  Kommissär,  dessen 
Name  mir  seither  entfallen  ist,  in  Dresdener  Blättern 
hatte  einrücken  lassen,  er  übernehme  alle  möglichen 
Sendungen  für  die  Gefangenen  im  Innern  Busslands. 
Daraufhin  schickte  mir  Gräfin  Marie  Causans  vierzig 
Louisd'or,  welche  ich  jenem  Herrn  übermachte.  Es 
stellte  sich  jedoch  später  heraus,  dass  er  ein  Betrüger 
war,  was  ich  auch  schon  gleich  beim  Lesen  seiner  Ant- 
wort auf  meinen,  das  Geld  begleitenden  Brief  mit 
Schrecken  geahnt  hatte.  So  blieb  der  Bedauernswürdige 
ohne  diese  wohlthuende  Hilfe.  Eine  spätere  Sendung 
erreichte  ihn  dann,  und  konnte  er  auch  auf  der  Bttck- 
reise  von  Vetter  Theodor  Keller  in  Biga  ein  Darlehen 


—    251     — 

erhalten.  —  Dass  meine  arme  Ad^le,  die  erst  seit 
kurzem  mit  ihm  verlobt  war,  seit  Beginn  dieses  Feldzuges 
sehr  beunruhigt  dahin  lebte ,  lässt  sich  wohl  denken, 
und  es  schien  daher  die  Obhut  und  Pflege  der  kleinen 
Clotilde  eine  wohlthätige  Zerstreuung  für  sie. 

Was  sich  vom  10.  August,  da  der  Waffenstillstand 
aufhörte,  der  nach  den  Schlachten  von  Gross-Oörschen 
und  Bautzen  eingetreten  war,  bis  zum  18.  Oktober, 
welcher  das  Schicksal  Deutschlands  so  siegreich  bei 
Leipzig  entschied,  alles '^zutrug,  übergehe  ich,  denn  es 
ist  aus  der  Geschichte  hinlänglich  bekannt.  —  Ich 
erwähne  nur,  dass  Onkel  und  Tante  Keller  (ersterer 
weilte  seit  Mai  wieder  bei  uns)  es  für  ratsamer  hielten, 
nicht  in  Stedten  zu  bleiben;  ich  zog  daher  mit  ihnen 
nach  Gotha.  Dort  sahen  wir  auch  nach  der  dreitägigen 
grossen  Völkerschlacht  zuerst  die  französischen  Truppen 
in  Menge,  dann  Napoleon,  Murat  und  alle  Notabilitäten 
nach  einander  auf  der  Flucht  und  dicht  an  ihren  Fersen 
die  sie  verfolgenden  Deutschen,  Kosaken,  Russen  und 
Baschkyren. 

In  den  Tagen,  da  die  fliehende  Armee  von  der 
siegreichen  gedrängt  wurde,  und  also  grosse  Un- 
ordnungen, vielleicht  sogar  Plünderung  und  Brand  zu 
befürchten  standen,  flüchteten  die  meisten  Frauen  und 
Kinder  der  adeligen  Familien  hinauf  in  das  Schloss. 
Herzogin  Caroline  hatte  auch  uns  aufgefordert,  dahin 
zu  kommen,  was  wir  gern  annahmen.  Ich  sah  noch 
von  meinem  Fenster  aus,  wie  Kosaken  mit  gespannten 
Pistolen  durch  die  Strassen  rannten,  und  folgte  mit 


—     252     — 

Alexander  der  lieben  Tante  durch  die  Hinterthflre  des 
Hauses  und  durch  Gärten  auf  den  Schlossberg.  Bei  uns 
befanden  sich  noch  ausser  Tante  Botzheim  mit  Luise 
und  Sophie,  auch  Adelheid  samt  dem  kleinen  acht- 
jährigen Gustav  Keller.  Der  Onkel  blieb  mit  den  altern 
Söhnen  und  deren  Erzieher  im  Hause.  Im  Schlosse 
war  eine  Art  Biwak  errichtet  und  herrschte  ein 
buntes  Gewühl  in  allen  Sälen  und  Zimmern.  Wir 
kampierten  zwei  Nächte  auf  Sofas,  zusammengerückten 
Stühlen,  oder  wie  es  eben  ging.  Von  den  Fenstern 
aus  sahen  wir  kleine  Husarenscharmützel,  desgleichen 
wie  auf  den  Anhöhen  Gefangene  die  Waffen  streckten ' 
und  fortgeführt  wurden.  Übrigens  verliefen  in  der 
Stadt  diese  Tage  ziemlich  ordentlich,  und  wir  fanden 
in  unserer  Behausung  alles  wieder,  wie  wir  es  verlassen 
hatten.  Nicht  so  gut  sah  es  in  Stedten  aus,  welches  durch 
und  durch  ausgeplündert  wurde.  Selbst  der  Schreib- 
kasten meiner  Tante  war  aufgebrochen,  und,  was  sie 
versäumt  hatte,  mitzunehmen,  geraubt  worden.  Die  Ein- 
richtung hatte  man  mit  boshafter  Lust  zertrümmert,  und 
die  Betten  aufgeschnitten,  um  die  Federn  verfliegen  zu 
lassen.  Ich  bttsste  nur  zwei  zurückgelassene  Zeichnungen 
ein,  eine  Madonna  und  ein  Porträt  von  Mimi,  welches 
ich  nur  ungern  misste.  Der  gute  Onkel  tröstete  sich 
aber  über  die  Zerstörung  in  seinem  Schlosse  und  allen 
erlittenen  Schaden  mit  der  Beruhigung,  dass  der  Ej'ieg 
einen  für  Deutschland  günstigen  Ausgang  gefunden 
habe.  Gott  hatte  eben  in  diesem  Jahre  eine  so  unendlich 
reichliche  Ernte  geschenkt,  dass  trotz  allen  Baubes  und 


—     253     — 

aller  Verwttstnng  noch  hinreichend  Getreide,  sowohl  xum 
Speisevorrat,  als  auch  fQr  die  Feldsaat  vorhanden  blieb. 

Da  Stedten  vor  der  Hand  unbewohnbar  war,  ver- 
weilten wir  noch  einige  Zeit  in  Gotha,  woselbst  nach  und 
nach  viele  Freunde  von  Tante  Am^lie  aus  der  russischen 
Armee  anlangten  und  sie  besuchten.  Darunter  befand 
sich  auch  Fürst  Konstantin  Lubomirsky,  dessen 
Schwiegermutter,  Gräfin  Tolstoy,  eine  Schwester  von 
Bariatinsky  war.  Beide,  Mutter  und  Tochter,  waren 
katholisch  geworden  und  deshalb  aus  Russland  aus- 
gewandert. —  Zur  grössten  Freude  Tante  Kellers  traf 
auch  ihr  geliebter  Bruder,  General  Graf  Sayn- 
Wittgenstein,  ein.  Er  erwartete  in  Gotha  die 
Ankunft  seiner  Gemahlin  und  bewohnte  mit  ihr  für 
einige  Zeit  das  sogenannte  Prinzenhaus,  welches  zwar 
unter  dem  Schlosse,  aber  noch  auf  der  Anhöhe  über 
der  Stadt  lag.  Wir  kamen  natürlich  viel  mit  diesen 
angenehmen,  liebenswürdigen  Menschen  zusammen,  und 
da  sie  mehrere  Söhne  im  Kindesalter  besassen,  bildeten 
diese  einen  lustigen  Kreis  mit  den  Unsrigen. 

Der  November  dieses  Jahres  (1813)  brachte  jedoch 
grosse  Betrübnis  über  meine  Verwandten  in  Eisenach. 
Juliette  war  mit  ihren  zwei  Töchterchen  zu  ihrem 
Vater  nach  Lippstadt  gereist,  und  von  dort  erhielt 
mein  armer  Schwager  Gustav  die  Nachricht,  dass  seine 
liebe  kleine  Emma  am  Scharlachfieber,  das  bei  ihr  gleich 
sehr  bösartig  aufgetreten  war,  gestorben  und  deren 
erst  einjähriges  Schwesterchen  Thekla  von  der  näm- 
lichen Krankheit  befallen  sei.    So  vielfältig  sich  auch 


—    254    — 

seine  Geschäfte  gestalteten,  die  er  mit  seltener  Pflicht- 
treue führte  und  so  leidend  er  sich  fühlen  mochte,  da 
er  sich  bei  seinen  häufigen  Besuchen  der  Lazarette 
den  Keim  des  Typhus  geholt  hatte ,  konnte  Gustav  doch 
nicht  widerstehen,  dem  Zuge  seines  Herzens  zu  folgen 
und  zu  den  Seinen  zu  eilen.  Trotz  der  Einwendungen 
der  Ärzte,  die  in  seinem  Unwohlsein  bereits  die  ernste 
Krankheit  erkannten,  reiste  er  dennoch  schnell  ab, 
und  zwar  ohne  sich  weder  bei  Tag,  noch  bei  Nacht 
irgendwo  aufzuhalten,  um  nur  ja  sein  Ziel  rasch  zu 
erreichen.  Ach !  er  kam  nur,  um  wenige  Stunden  später 
seine  liebliche  Thekla  verscheiden  zu  sehen !  Das  zärt- 
liche Yaterherz  war  zerrissen,  umsomehr  als  es  mit  dem 
eigenen  auch  noch  den  Jammer  der  untröstlichen  Juliette 
mitempfand.  Die  Ärmste  sollte  aber  noch  viel  schreck- 
licher geprüft  werden.  Die  Ermüdung  der  Reise,  die  bei 
der  schlechten  Jahreszeit  fast  unvermeidliche  Erkältung, 
vereint  mit  der  namenlosen  Seelenpein  waren  mehr 
als  hinreichend,  um  die  Krankheit  des  armen  Gustav 
zum  Ausbruche  zu  bringen.  Noch  einige  Tage  schleppte 
er  sich  herum,  dann  musste  er  sich  zu  Bette  begeben  und 
nach  wenigen  Tagen  war  er  dem  Typhus  erlegen!  — 
0  welch  ein  unaussprechlicher  Schmerz  für  die  arme, 
arme  Frau,  die  in  drei  Wochen  den  so  innigstgeliebten 
Mann  und  ihre  einzigen  anmutigen  Kinder  verloren 
hatte !  Wie  unglücklich  und  verlassen  musste  sie  sich 
fühlen !  Dass  sie  gegen  den  Wunsch  ihres  Mannes  und 
trotz  seiner  inständigen  Bitte,  für  dieses  eine  Mal, 
wegen  der  schon  vorgerückten  Jahreszeit  und  der  Kriegs- 


—     255     — 

unrnhen  ihren  alljährigen  Besuch  bei  ihrem  Vater  zu 
unterlassen,  diese  Reise  dennoch  unternommen  hatte, 
musste  ihre  Qual  nur  noch  verschärfen.  Sie  war  eines- 
teils allzu  gewissenhaft  beflissen,  das  bestimmt  gegebene 
Versprechen  ihrem  Vater  gegenüber  zu  erfttUen  und 
andemteils  zu  sehr  gewöhnt,  ihren  Willen  durchzusetzen, 
als  dass  sie  sich  in  diesem  Vorhaben  hätte  irre  machen 
lassen.  So  hörte  sie  denn  auf  keine  Einwendung  und 
meinte,  es  wärde  höchstens  eine  Abwesenheit  von  vier  bis 
f&nf  Wochen  erfordern,  und  sie  sei  es  ihrem  Vater  schul- 
dig, ihm  wenigstens  diese  kurze  Zeit  zu  widmen.  Welche 
Reue  musste  nun  noch  ihren  Schmerz  vergrOssern,  be- 
sonders der  guten  Mutter  gegenüber,  die  sie  so  liebevoll 
darauf  auf  merksam  gemacht  hatte,  dass  Gustav  bei  seiner 
anstrengenden  Arbeit  nur  darin  Erholung  fände,  die  ihm 
so  knapp  bemessene  freie  Zeit  im  Kreise  seiner  ge- 
liebten kleinen  Familie  zu  verbringen !  Sie  wusste  auch, 
dass  er  gern  oftmals  des  Nachmittags,  selbst  unter  der 
Arbeit,  das  Bettlein  der  kleinen  Thekla,  wenn  das  Herz- 
chen schlief,  neben  seinen  Schreibtisch  bringen  liess, 
um  sich  an  dem  Anblicke  dieses  Lieblinges  zu  er- 
freuen. —  Ach,  wie  mussten  diese  Gedanken  ihr  nun  zur 
Qual  werden! 

Kurz  vor  dieser  traurigen  Zeit  hatte  Tante  Keller 
ihre  Wohnung  in  Gotha  aufgegeben  und  war  mit  ihrer 
Schwägerin  Wittgenstein  nach  Stuttgart  gereist,  während 
Tante  Botzheim  sich  mit  der  übrigen  Familie  nach 
Stedten  begeben  hatte.  Die  mir  so  wohlwollend  ge- 
sinnte Herzogin  wünschte,  dass  ich  den  Winter  in  ihrer 


—    256    — 

Nähe  zubringe,  und  hatte  mir  einige  hübsche  Zimmer 
zur  Yerffigung  gestellt;  nun  konnte  ich  aber  von  diesem 
gütigen  Anerbieten  keinen  weiteren  Gebrauch  machen, 
denn  ich  wollte  nicht  länger  in  Gotha  bleiben,  nach- 
dem mich  dort  eine  Trauerbotschaft  nach  der  andern 
erreicht  hatte.  Das  schnelle  Hinscheiden  Gustavs 
erneuerte  meine  so  schwach  vernarbte  Herzenswunde, 
die  mir  der  Verlust  meines  teuem  Lebensgefllhrten 
geschlagen  hatte,  und  eine  unsägliche  Wehmut  drückte 
mich  nieder.  Es  fehlte  mir  die  Kraft,  zu  meiner  lieben, 
nun  kinderlosen  Schwiegermutter  zu  eilen,  obgleich  ich 
mir  sagte,  dass  ich  ihr  tröstend  zur  Seite  stehen  sollte. 
Allein  sie  war  stark  genug,  um  auch  ein  ungewöhnliches 
Mass  an  Leid  mit  Mut  zu  tragen;  zwei  Gedichte  von 
ihr,  die  ich  hier  einfüge,  geben  Zeugnis  von  der  ausser- 
ordentlichen Spannkraft,  die  ihr  innewohnte.  Das  erste 
verfasste  sie  vier  Monate  nach  dem  Tode  ihres  letzten 
Sohnes  und  dessen  beider  Kinder,  das  zweite  in  dem 
darauffolgenden  Frühjahre : 

I.  Lebensstillstand  bei  Gräbern. 

Von  Freifrau  Julie  von  Bechtolsheim-Keller. 

Wo  sind  die  Lebensgeister  hingeschwunden, 
Die  hold  mich  noch  der  Jugend  n&herstellten  ? 
Wo  sind  sie  hin,  die  golddurchwebten  Stunden, 
Wo  Bild  und  Wahrheit  mir  das  Dasein  hellten? 
Und  die  Gefühle,  die  ich  tief  empfunden. 
Die  kräftig  mir  des  Herzens  Wogen  schwellten?  — 
Es  ist  dahin  I  —  vom  Schicksal  hart  bemeistert. 
Erschein'  ich  mir  entkörpert  und  entgeistert 


—     25t     — 

Die  Kraft  zum  Lieben  —  o  sie  ist  verglommea ! 
Des  Herzens  Asche  hält  nicht  Glaten  mehr; 
Die  Kraft  zum  Denken,  ist  sie  mir  entkommen, 
Als  tief  sie  untersank  im  Thr&nenmeer? 
Ward  mir  der  Trieb  zum  Dichten  auch  genommen, 
Umspielt  die  Phantasie  kein  Blfltenheer? 

—  Ich  sank  dahin  in  tötliches  Ermatten 

Und  Yon  mir  selbst  bin  ich  kaum  mehr  der  Schatten  1 

Es  ist  vorbei,  mein  Stern  ist  untergangen, 
Mein  holder  Stern,  so  klar,  so  freundlich  mild. 
An  trflben  Wolken  nur  ist  aufgehangen 
Der  Zukunft  bleiches,  farbenloses  Bild; 
Vorbei  ist  sflsses  Hoffen  und  Verlangen, 
Es  bläht  fflr  mich  auf  Erden  kein  Gefild. 
Im  Mondenschimmer,  durch  beeiste  Lüfte 
Umweht  mich  stets  ein  Gruss  der  Totengrüfte. 

Ich  zähl'  sie  nicht,  die  Gr&ber  meiner  Lieben, 
Der  durch  Natur  und  Wahl  mir  Herzverwandten; 
Sie,  die  mit  mir  zu  gleichem  Ziel  getrieben, 
Fürs  Schöne,  Gute,  Wahre  hoch  entbrannten. 
Sie  sind  dahin  1  —  Mir  ist  zurückgeblieben 
Die  Sehnsucht  nach  dem  Glück,  dem  tief  erkannten. 

—  0  mein  Gemahl I  o  Schwestern!  teure  Söhne 
Und  ihr,  o  Knospen  zarter  Frühlingsschöne! 

Ihr  seid  fürs  Leben  hier  dem  Aug*  entschwunden. 
Ein  nie  gedachtes  Los  traf  mich  so  schwer. 
Der  neue  Schmerz  reisst  auf  die  alten  Wunden, 
Stellt  die  Verlornen  Alle  um  mich  her. 
Zeigt  mir  das  Glück,  das  ich  durch  sie  gefunden 
Und  l&88t  mich  jetzt  so  arm,  so  liebeleer  — 
Denn  die,  die  lebend  noch  mir  ruh'n  am  Herzen, 
Sind,  ähnlich  mir,  gelähmt  durch  eigne  Schmerzen. 

Wohin?  wohin  neigt  sich  in  ihrer  Trauer 

Die  Lebensmüde,  deren  Anker  fiel?  — 

Zu  euch,  ihr  Gräber!  die  ihr  sonder  Schauer 

Carl  Graf  Ob^rndorff,  Erinntraagta  tiaar  ürgroMmatlar.         17 


^    258     -- 

N&hrt  meiner  Sehnsucht  stetiges  Gefühl 

Und  heilend  stillt  des  Sehnens  Schmerzensdaaer, 

Vorspiegelnd  mir  mein  eignes  nahes  Ziel. 

Ihr  winkt  zur  Heimat,  zeigt  mir  Friedenspalmen 

Und  schärft  mein  Ohr,  zu  lauschen  Engelspsalmen. 

Und  mich  ergreift  aus  der  Gypressen  Wehen 
Ein  Geisterton,  der  sanft  mein  Herz  durchdringt. 
Der  wortlos  zwar,  doch  sinnig  zu  den  Höhen 
Der  Seele  Zug  und  Flug  mit  Kraft  heschwingt; 
Ich  lern'  allmählich  besser  ihn  verstehen, 
Den  Ton,  der  Kunde  mir  vom  Jenseits  bringt, 
Und  fahP  vom  Himmel  Balsam  niedertauen. 
Der  mich  erquickt  mit  seligem  Vertrauen. 

Drum  laset  mich  ruh'n  an  dieser  heiPgen  Stelle, 
Ihr  Freunde!  Seid  nicht  mehr  um  mich  verzagt; 
Hier  dringt  mein  Blick  durch  Nebel  auf  ins  Helle, 
Wo  mir  im  Ost  ein  goldner  Schimmer  tagt. 
Sanft  autgeregt  hebt  sich  des  Lebens  Welle, 
Der  Geist,  zum  Urlicht,  wo  mir  Ahnung  sagt: 
„Getrost,  du  wirst  nicht  immer  stille  stehen! 
Dich  krönt  Verklärung,  Liebe,  Wiedersehen.** 


II.  Leben  serweckung. 

Wair  empor,  du  armes  Herz, 
Sprich  in  sanfter  Klage 
Trauer  aus,  Verlust  und  Schmerz, 
Glück  entschwundener  Tage. 

Nur  dies  öde  Schweigen  nicht, 
Nicht  die  starre  Rinde! 
Öffne  dich  dem  milden  Licht, 
Dass  sein  Strahl  dich  finde! 


—    259    — 

Siehe,  wie  mit  Glanz  nmwebt, 
Frühling  wiederkehret 
und  in  Allem,  was  da  lebt, 
Last  und  Liebe  mehret! 

Blflten  sprossen  üppig  auf, 
Säten  grünen  prächtig. 
Und  des  Bergstroms  rascher  Lauf 
Treibt  den  Eisgang  mächtig. 

Als  des  Winters  Siegerin 
Tritt  hervor  die  Sonne, 
Streut  als  Weltenkönigin 
Ringsum  Licht  und  Wonne. 

Eine  zaubervolle  Glut 
Steigert  jedes  Leben 
und  vermag  gebeugten  Mut 
Kräftig  zu  erheben. 

Alles,  was  hier  atmet,  preist 
Aller  Schöpfung  Meister, 
Alles  kündet  und  verheisst 
Laut  den  Geist  der  Geister. 

Du  nur  bleibst  erstarrt  in  Eis, 
Armes  Herz,  so  lange. 
Du,  sonst  leicht  bewegt  und  heiss 
Beim  Empfindungsdrange? 

Schweigest  wie  das  stumme  Grab, 
Deine  teuren  Hügel, 
Fühlest  nicht,  wie  mild  herab 
Weht  der  Liebe  Flügel? 

Saugst  vom  Lebensstrom  nichts  ein, 
Der  ihr  hold  entfliesset, 

17^ 


—    260    — 

Labst  dich  nicht  am  RoBenschein, 
Der  sieh  rings  ergiesset? 

Horch,  dich  lockt  die  Nachtigall 
Unter  BlQtenranken, 
Und  der  Vögel  Waldchoral 
Will  dem  Schöpfer  danken. 

Wirf  hinab  der  Schwermut  Joch, 
Tötend,  wenn  es  bliebet 
In  dir  gloht  die  Inweit  noch, 
Ihre  SeeP  ist  liebe. 

Wall  empor,  o  reiches  HerzI 
Wohlthnn  sei  dein  Streben, 
Th&tigkeit  verbannt  den  Schmerz: 
Streben  nur  ist  Leben  1 


HL  Kapitel. 

Meine  Rückkehr  nach  Varennes. 

Was  sind  doch  Liebe  and  zarte,  herzliche  Gegen- 
liebe für  Stützen  im  Schmerz  und  für  Trost  gegen  alle 
Widerwärtigkeiten  des  Lebens!  Ich  hatte  mich  nach 
Stedten  begeben,  meinen  mit  gleichsam  elementarer 
Kraft  wieder  erwachten  Schmerz  an  dem  Herzen  der 
guten,  lieben  Tante  Botzheim  auszuweinen.  Sie,  ihre 
Tochter  und  Sophie  Keller  hatten  sich  bemüht,  mich 
wieder  zu  beruhigen,  und  vereint  opferten  wir  dem 
Herrn,  was  er  von  uns  verlangte.  Bald  war  ich  auch 
wieder  im  stände,  meinem  Söhnlein  die  gewohnten  Lehr- 
stunden zu  geben;  er  konnte  sich  mit  den  lieben  Ge- 
spielen unterhalten  und  herumtummeln,  und  durch  die 
frohe  Jugend  kam  auch  bald  die  natürliche  Heiterkeit 
unserer  Gemüter  wieder  zum  Vorschein. 

Als  die  siegreichen  Armeen  der  Alliierten,  nämlich 
Österreichs,  Preussens  und  Russlands,  in  Paris  einzogen, 
Napoleons  Schicksal  sich  entschied  und  Frankreich 
so  glücklich  war,  seinen  angestammten  König  wieder  auf 
dem  Throne  zu  sehen,  da  sehnte  sich  auch  mein  Herz 
mehr,  denn  je,  dorthin.  Ich  wusste,  dass  mein  künftiger 


—     262     — 

Schwager  y  nachdem  er  nun  aus  der  Gefangenschaft 
befreit  war,  so  schnell  als  möglich  heimkehren  würde 
und  bat  ihn  daher,  den  unbedeutenden  Umweg  aber 
Eisenach  zu  machen,  damit  ich  mich  ihm  anschliessen 
kOnne.  Er  nahm  bereitwilligst  diesen  Vorschlag  an 
und  glaubte  schon  im  Mai  ankommen  zu  kOnnen,  doch 
verzögerte  sich  leider  seine  Ankunft  bis  Anfang  Juli, 
was  meine  Geduld  hart  auf  die  Probe  stellte. 

Durch  die  ersten  Briefe  aus  Frankreich,  die  ich 
nach  langer  Zeit  endlich  wieder  erhielt,  erfuhr  ich,  dass, 
als  sich  der  Krieg  den  üfem  der  Marne  näherte,  meine 
Mutter  sich  mit  Ad^le  und  der  kleinen  Clotilde  zu 
Tante  Malherbe  nach  Ecures  in  der  Normandie  begeben 
hätte,  während  mein  Vater  und  mein  Bruder  in  Varennes 
zur  Wahrung  des  Besitzes  und  der  Ordnung  geblieben 
wären.  Die  erste  Zeit  des  Aufenthaltes  in  Ecures 
ging  es  allen  sehr  gut  und  meine  Mutter  fühlte  sich 
überselig  ob  der  Bückkehr  des  legitimen  Herrschers. 
Sie  schrieb  uns  äusserst  interessante  Briefe,  und  ich 
freute  mich  über  die  Nachrichten  von  meiner  Clotilde. 
Im  Laufe  des  Monats  April  erkrankte  jedoch  meine 
liebe  Mutter  an  Brust-  und  Leberentzündung  und  nach 
achttägigem,  schwerem  Leiden  verschied  sie  nach 
Empfang  der  hl.  Sakramente  selig  im  Herrn.  Meine 
arme  Schwester  verblieb  tief  ergriffen  und  erschüttert 
unter  der  liebenden  Fürsorge  der  trefflichen  Tante 
Malherbe  und  fand  in  ihr  eine  Stütze  in  ihrer  grossen 
Trübsal  und  Trauer. 

Ich  befand  mich  gerade  mit  Juliette  in  Eisenach  bei 


—     263      - 

unserer  lieben  Schwiegermutter,  durch  welche  ich  diese 
Trauerpost  erfuhr;  man  hatte  sie  ihr  mitgeteilt,  damit 
sie  mich  darauf  vorbereiten  könne.  Es  war  hart  zu 
denken,  dass  ich  die  geliebte  gütige  Mutter  bei  meiner 
nun  endlich  bevorstehenden  Rückkehr  ins  Vaterhaus, 
nicht  mehr  unter  den  Lebenden  finden  sollte  und 
den  wehmütigen  Trost  entbehren  müsste,  von  ihr  den 
letzten  Abschied  zu  nehmen.  Doch  durch  so  viele  vorher- 
gegangene Leiden  und  herbe  Verluste  belehrt,  trachtete 
ich  auch  dieses  Opfer  dem  Herrn  willig  darzubringen. 

AdMe  und  Glotilde  wurden  im  Mai  von  meinem 
Vater  abgeholt  und  in  Paris  der  Fürsorge  der  guten 
treuen  Marchais  übergeben,  wo  sie  bis  zu  meiner 
Rückkehr  blieben.  Dadurch  ward  ihnen  die  Gelegenheit 
geboten,  den  Einzug  des  Königs  Ludwig  X VTIL,  der 
Herzogin  von  Angoulgme  und  der  Prinzen  des 
Hauses  zu  sehen  und  Zeugen  der  enthusiastischen 
Freude  zu  sein,  die  das  Publikum  darüber  äusserte. 
Glotilde  erzählte  mir  später,  dass  auch  sie  ein  weisses 
Tuch  geschwenkt  und  „Vive  le  roi''  gerufen  habe. 

Ein  grosser  Trost  wurde  mir  dadurch  zuteil,  dass 
ich  nun  wieder  mit  Ad61e  fleissig  korrespondieren 
konnte,  und  es  interessierten  mich  natürlich  auch  die 
Nachrichten,  die  sie  mir  über  die  Restauration  der 
alten  Monarchie,  für  die  wir  alle  eine  so  grosse  An- 
hänglichkeit bewahrt  hatten,  mitteilte.  Voll  Be- 
dauern dachte  ich  dabei  oft,  dass  unsere  teure 
Mutter  es  nicht  mehr  erlebte,  wie  alles  in  Frank- 
reich nun  diejenige  Wendung  nahm,   die  sie  durch  so 


—     264     — 

lange  Zeit  mit  Seufzen  ersehnl;  und  herbeigewünscht 
hatte. 

Nach  Eisenach  kamen  während  dieser  Zeit,  mehrere 
interessante  Besuche,  von  denen  mir  aber  jetzt  nur 
mehr  einige  in  Erinnerung  sind,  wie  der  des  Erbprinzen, 
nachmaligen  Herzogs  von  Hildburghansen,  der  des 
Grafen  von  Loeben  (Dichter  Isiderus),  der  sich  sehr 
liebenswürdig  bezeigte,  dann  der  eines  Herrn  von  C  h  a  r  o  n , 
welcher  früher  um  Juliette  geworben  hatte  und  ein 
entfernter  Verwandter  von  ihr  war.  Der  gute  General 
von  Schöler,  der  meinem  Emil  ein  so  aufrichtiger 
Freund  gewesen,  scheute  den  Umweg  von  zwölf  Meilen 
nicht ,  um  mich  und  Alexander  zu  sehen ,  es  war  mir 
eine  wahre  Erquickung  mit  diesem  edlen,  hochsinnigen 
Manne  einen  halben  Tag  in  traulichen  Gesprächen  zu- 
zubringen und  mich  dadurch  in  vergangene  glückliche 
Zeiten  zurückzuversetzen.  Er  hatte  mit  seinem 
17  jährigen  Sohne  in  der  Völkerschlacht  bei  Leipzig 
mitgefochten  und  kam  jetzt  eben  von  Paris  zurück, 
nachdem  er  unterwegs  zu  Varennes  Emils  Grab  be- 
sucht. Mein  Vater  hatte  ihn  sehr  freundschaftlich 
aufgenommen,  und  er  beeilte  sich  nun,  mir  Nachricht 
von  den  Meinen  zu  überbringen.  Im  Jahre  1806,  gleich 
nach  Preussens  Unglück,  war  er  als  Botschafter 
nach  Petersburg  geschickt  worden,  wo  ihn  Kaiser 
Alexander  so  lieb  gewann,  dass  er  wann  immer 
direkt  bei  ihm  vorsprechen  durfte  und  viel  von 
ihm  zu  erreichen  vermochte.  Später  vertrat  er 
Preussen  beim  Bundestage  zu  Frankfurt,  woselbst  er 


—    265     — 

noch  vor  den  Umwälzungen,  die  das  Jahr  1848  mit 
sich  brachte,  starb. 

Endlich  nach  langer  Erwartung  traf  im  Juli 
mein  nachmaliger  Schwager  Josef  von  Gausans  aus 
Sibirien  über  Petersburg,  Livland  und  Königsberg  in 
Eisenach  ein.  Dnser  Zusammentreffen  erneute  meinen 
Schmerz  über  den  Verlust  meiner  unvergesslichen 
Mutter,  welchen  ich  ihm  mitteilen  musste,  er  erfuhr 
es  zu  grossem  Leidwesen,  denn  er  war  ihr  aufrichtig 
anhänglich  und  auch  dankbar,  weil  sie  seinen  sehn- 
lichsten Wunsch :  die  Hand  unserer  AdMe  zu  erhalten, 
gegen  manche  Einwendungen  meines  Vaters  befürwortet 
hatte. 

Nach  wenigen  Tagen  der  Buhe  für  ihn  und  der 
Vorbereitungen  für  mich,  begaben  wir  uns  mittelst 
Lohnwagens  nach  Frankfurt  a.  M.  Von  dort  setzten 
wir  die  Beise  mit  Extrapost  fort  in  einer  schönen 
neuen  Kalesche,  die  wir  im  Auftrage  meines  Vaters  f&r 
ihn  in  Offenbach,  wo  berühmte  Wagenfabriken  waren, 
gekauft  hatten.  Da  wir  auch  manche  Nacht  durch- 
fuhren, ging  es  sehr  schnell  unserm  Ziele  zu.  Es  lässt 
sich  denken,  dass  die  Ankunft  in  Varennes  unsere 
Herzen  bewegte.  Die  Freude  der  Wiedervereinigung 
war  aber  durch  den  Verlust  unserer  lieben  Mutter  ge- 
trübt. —  Die  Trauer  um  sie  bewog  uns,  AdMens 
Hochzeit  bis  zum  Herbst  zu  verschieben,  doch  blieb  ihr 
Bräutigam  noch  einige  Zeit  bei  uns.  —  Nach  seiner 
Abreise  konnte  ich  das  so  lang  entbehrte  Zusammen- 
sein mit  meiner  Schwester  noch  recht  geniessen ;  später 


—    266     — 

kamen  dann  Onkel  und  Tante  Malherbe,  sowie  nnser 
Vetter  Henri  de  Belsunce  und  brachten  längere  Zeit 
bei  uns  zu.  Ende  September  kehrte  Josef  Causans 
zurück,  um  bis  zu  seiner  Hochzeit,  die  auf  den 
4.  November  festgesetzt  wurde,  bei  seiner  Braut  zu 
bleiben.  Die  Tage  vergingen  uns  sehr  angenehm,  und 
die  langen  Herbstabende,  welche  wir  gemeinschaftlich 
im  Salon  zubrachten,  wurden  oft  durch  Spiel  verkttrzt, 
besonders  unterhielt  es  uns  nach  gegenseitiger  Aufgabe 
kleine  Verse  oder  auch  Endreime  nach  gegebenen 
Worten  zu  machen  und  auswendig  gelernte  Gedichte 
zu  deklamieren.  Als  ich  eines  Tages  ein  solches 
memorierte  und  dabei  einige  Strophen  laut  für  mich  her- 
sagte, bemerkte  ich,  wie  meine  Kinder,  die  bis  dahin 
gesprochen  hatten,  plötzlich  ganz  still  wurden  und  mir 
aufmerksam  lauschten ;  als  ich  dann  aufhörte,  baten  sie 
mich,  es  ihnen  noch  einmal  zu  wiederholen.  Obgleich 
sie  es  gewiss  nicht  verstehen  konnten,  gefiel  ihnen  der 
Rhythmus,  was  mir  lieb  war,  und  ich  sagte  ihnen,  von 
da  an,,  gerne  manche  Verse  vor.  Seitdem  hatte  ich 
noch  oftmals  Gelegenheit  zu  beobachten,  dass  dies 
Wohlgefallen  am  Rhythmus  vielen  Menschen  angeboren 
sei  und  sie  den  Gesang  der  Poesie  lieben,  auch  ohne 
das  Gesagte  zu  verstehen. 

Alle  Gäste,  welche  sich  am  2.  November  einfanden, 
aufzuzählen,  ist  mir  nicht  mehr  möglich.  Vor  der 
kirchlichen  Trauung  musste  nach  dem  Codex  Napoleon, 
den  man  beibehalten  hatte,  zuerst  die  Civil  Vermählung 
stattfinden.  Diese  seltsame  Handlung  kam  uns  besonders 


—     268     — 

erst,  als  wir  wieder  nach  Hanse  znrückkebrten^  da  ich 
zn  sehr  mit  meiner  Ad61e,  der  ich  an  Mutterstelle  zur 
Seite  gestanden,  beschäftigt  gewesen.  Die  Kirche  von 
Conrtemont,  und  besonders  deren  Hanptaltar,  vor  welchem 
die  Trauung  stattfand,  war  aufs  beste  mit  Teppichen 
und  Blumen  geziert,  und  ganz  Varennes  war  dem  impo- 
santen Hochzeitszuge  gefolgt.  Bei  der  Rückkehr  in  den 
Schlosshof  wurden  kleine  Geldstücke  in  Menge  unter  die 
Dorfkinder  geworfen.  Das  Haschen  danach  versetzte 
diese  in  die  heiterste  Aufregung.  Um  den  Tag  fröhlich 
zu  beschliessen,  hatte  der  alte  Kammerdiener  Lajeunesse 
einen  kleinen  Ball  für  die  Dienerschaft  veranstaltet. 
Wir  gönnten  ihnen  diese  Freude  gern,  nur  wollten 
wir  nicht,  was  ihr  lebhafter  Wunsch  war,  daran  teil- 
nehmen. Indessen  bat  der  alte,  treue  Lajeunesse,  der 
uns  Schwestern  schon  als  kleine  Kinder  auf  seinen 
Armen  getragen  hatte,  wiederholt  so  dringend  und  an- 
gelegentlich,  wir  möchten  ihnen  die  grosse  Ehre  an- 
thun,  einen  einzigen  Tanz  mitzumachen,  dass  wir  end- 
lich nachgeben  mussten.  — 

Es  wird  mir  immer  in  Erinnerung  bleiben,  wie 
schmerzlich  sich  mir  die  Trennung  von  meiner  lieben 
Ad61e  gestaltete,  als  sie  mit  ihrem  Gemahl  nach  Paris 
abreiste,  um  ihre  hübsche  Wohnung  in  der  Eue  de 
Grenelle  zu  beziehen.  Ich  blieb  noch  eine  geraume 
Zeit  mit  meinem  Vater,  meinem  Bruder  und  Vetter 
Henri  de  Bulsunce  in  Varennes  und  beschäftigte  mich 
viel  mit  meinen  Kindern,  die  nun  im  siebenten  und 
sechsten   Jahre   standen,   und   deren   Unterricht   ich 


—     269     — 

leitete;  mit  Vetter  Henri  setzte  ich  nnsere  allabend- 
lichen poetischen  Übungen  fort. 

Da  er  sich  hänflg  bei  mir  anfhielt  und  ich  mich 
wieder  viel  mit  Zeichnen  beschäftigte ,  kam  es  mir  in 
den  Sinn,  ihn  als  Modell  zu  benützen.  Er  hatte  schOne 
und  markierte  Oesichtszflge ,  und  es  gelang  mir  sein 
Porträt  im  Ritterkostüm ,  mit  Halskrause  und  ge- 
schlitzten Ärmeln,  ziemlich  gut  in  gewischter  und 
punktierter  Zeichenmethode  auszufahren. 

Diese  Sitzungen  gaben  Veranlassung  zu  Ge- 
sprächen, die  der  Entwicklung  seines  jugendlichen  Ge- 
mütes nur  von  Nutzen  sein  konnten.  *  Ich  war  gewohnt, 
ihn  als  jüngeren  Bruder  oder  fast  noch  mehr  als  mein 
Eind  anzusehen,  so  dass  ich  gar  nicht  bemerkte,  dass 
er  nach  und  nach  eine  zärtliche  Neigung  zu  mir  fasste, 
wie  sich  später  herausstellte.  Sobald  ich  dessen  inne 
geworden,  hielt  ich  es  für  angezeigt,  ihm  den  Bat  zu 
geben,  zu  unserer  Grossmutter,  der  Gräfin  Pauline 
von  Belsunce,  gebomen  de  Lalive  d'Epinay,  nach 
Paris  zu  gehen.  Diese  bemühte  sich  eben  zu  dieser 
Zeit  darum,  dass  er  Adjutant  des  Herzogs  von  Bourbon, 
nachmaligen  Prinzen  von  Gond6,  werde,  was  ihr  auch 
gelang.  So  ungern  er  unser  stilles  Zusammensein  auf- 
gab, that  er  es  dennoch,  da  ich  es  wünschte.  Ich 
fürchtete  die  Einsamkeit  durchaus  nicht,  sonst  würde 
ich  sagen,  dass  auch  mir  diese  Trennung  ein  Opfer 
gewesen  wäre,  was  aber  durchaus  nicht  der  Fall  war, 
da  mir  seine  Liebe,  so  zart  sie  sich  auch  äusserte, 
doch  eher  lästig  fiel. 


—    270    — 

Za  dieser  Zeit  war  der  Architect,  Herr  Bruyeant, 
ans  Cond6,  wo  er  seine  Arbeit  vollendet  hatte ,  nach 
Yarennes  gekommen,  nm  mit  meinem  Vater  den  Ban 
der  projectierten  Hermitage  im  Parke  zu  besprechen. 
Er  war  nns  schon  früher  bei  manchem  Baue  treuer  Bat- 
geber gewesen  y  und  wir  kannten  ihn  als  einen  sehr 
gntmfltigen,  taktvollen  und  munteren  Gesellschafter, 
der  auch  gern  an  den  Jagdvergnügen  unserer  Herren 
teilnahm.  Ich  erwähne  ihn,  weil  er,  wie  ihr  euch  er- 
innern werdet,  im  Momente  unserer  Flucht  nach  Deutsch- 
land unser  Begleiter  bis  Ghälons  wurde. 

Mit  grossen  Opfern  hatte  es  mein  Vater  zu  er- 
reichen gewusst,  dass  sein  Sohn  vom  Kriegsdienste 
unter  Napoleon  befreit  blieb ;  es  scheint  fast  unbegreif- 
lich, dass  ihm  dies  gelang.  Nach  der  Rückkehr  des 
EOnigs  Ludwig  XVUI.  trat  mein  Bruder  jedoch  so- 
fort als  Garde  du  corps  in  die  Armee  ein.  Seit  der 
Abreise  von  Henri  de  Belsunce,  war  ich  daher  allein 
mit  meinem  Vater  geblieben  und,  da  er  sich  durchaus 
nicht  gern  vereinsamt  wusste,  fühlte  ich  mich  als  seine 
Gesellschafterin  von  wahrem  Nutzen  für  ihn.  AdMe 
schrieb  mir  fleissig  von  Paris  aus.  Die  politischen 
Nachrichten  lauteten  aber  immer  trüber,  und  besonders 
beängstigend  wurden  die  vielen  Verschwörungen,  deren 
immer  neue  entdeckt  wurden. 

Eines  Tages  erhielt  mein  Vater  die  Einberufung 
als  Mitglied  des  Gonseil  d6partemental ,  welcher  sich 
im  Augenblicke  der  Gefahr  im  Gheflieu  versammelte. 
Es  hatte  sich  nämlich  die  Nachricht  bestätigt,  dass 


—     2?1     — 

Napoleon  Elba  verlassen  habe  nnd  auf  französischem 
Boden  gelandet  sei,  wo  sich  bereits  eine  Anzahl 
Truppen  um  ihn  schare. 

Papa  billigte  meinen  Entschlnss,  mich  während 
seiner  Abwesenheit  zu  den  Causans  nach  Paris  zu  be- 
geben, um  nicht  allein  auf  dem  Lande  zu  sein,  wenn 
die  Dinge,  was  zu  befürchten  stand,  eine  bedenkliche 
Wendung  nehmen  sollten.  Ich  traf  also  gleich  meine 
Vorbereitungen  für  diese  kleine  Reise.  Napoleon  be- 
trieb jedoch  alles  mit  solcher  Eile,  dass  ich  schon  Tags 
darauf  erfuhr,  er  habe  bereits  mehr,  als  den  halben 
Weg  nach  Paris  zurückgelegt,  und  dass  sich  daselbst 
eine  grosse  Bewegung  zu  seinen  Gunsten  vorbereite, 
gegen  welche  sich  die  Boyalisten  zur  Verteidigung  an- 
schickten. Diese  Nachricht  machte  mich  in  meinem 
Vorhaben  wankend,  und  ich  fasste  den  Entschluss,  mich 
auf  unbestimmte  Zeit  aus  Frankreich  zu  entfernen  und 
zu  meiner  Schwiegermutter  zu  eilen.  Ich  wurde  darin 
noch  bestärkt  durch  einen  neuerlichen  Brief,  worin  mir 
Adöle  schrieb,  dass  sie  bereits  einpacke,  um  mit  ihrem 
Mann  nach  England  abzureisen,  bis  sich  die  Sachlage 
klären  würde. 


IV.  Kapitel. 

Eisenach  und  die  Einquartierung  zu  Stedten. 

Alsbald  schickte  ich  einen  Boten  zum  Sonspr^fecten 
nach  Ghätean  Thiery,  nm  fftr  mich  und  die  Meinen  einen 
Pass  nach  Deutschland,  speciell  Eisenach,  zu  erhalten. 
Er  wurde  mir  jedoch  nicht  ausgefolgt.  Nichtsdesto- 
weniger betrieb  ich  eiligst  meine  Beisevorbereitungen, 
liess  einpacken  und  den  grossen  Wagen  in  gehörigen 
Stand  setzen,  um  darin  mit  starken  Wirtschaftspferden 
bis  Chälons  zu  fahren.  Ich  wnsste,  dass  der  dortige 
Präfekt  ein  Bekannter  meines  Vaters  war,  von  dem 
ich  hoffen  konnte,  einen  Pass  ins  Ausland  zu  erhalten. 
Zur  grössern  Sicherheit  liess  ich  mir  aber  auch  einen 
Pass  bis  Ohälons  ausstellen,  musste  jedoch,  um  ihn  zu 
erhalten,  selbst  bei  der  Munizipalität  erscheinen.  Den 
guten  alten  Bruyeant,  der  zu  seiner  verheirateten  Tochter 
nach  Epinal  heimzukehren  wünschte,  nahm  ich  mit  mir. 
Es  diente  mir  auch  zugleich  als  Beruhigung,  nicht  ohne 
männlichen  Schutz  meine  Reise  anzutreten. 

Ich  liess  Varennes  für  den  Augenblick  ganz  ver- 
waist zurück  unter  der  Obhut  des  bewährten  Lajeunesse 
und  der  Haushälterin  Madame  Fontaine,  welche  beiden 


-  2n  - 

sich  meistens  feindlich  gegenüber  standen.  Den  ver- 
lässlichen Diener  Chaumont  sowie  auch  den  Entscher 
hatte  ich  mitgenommen.  Meinen  Vater  benachrichtigte 
ich  brieflich  von  all  diesen  durch  die  anerwarteten 
Umstände  veranlassten  Massregeln.  — 

So  fahren  wir  denn  ganz  tranrig  nach  Chälons.  Schon 
unterwegs  konnte  man  revolutionäre  Bewegungen  be- 
merken,  noch  deutlicher  aber  in  Chälons  selbst.  Im 
Gasthote,  wo  ich  abstieg  ^  gab  man  mir  ein  Zimmer, 
das  an  ein  anderes  stiess,  in  welchem  mehrere  Offi- 
ziere zusammen  speisten  und  ihre  Ansichten  so  laut 
aussprachen,  dass  ich  ihre  Beden  im  Nebenzimmer 
hören  musste.  Ich  zögerte  nicht,  mich  in  Begleitung 
des  Herrn  Bruyeant  zum  Präfekten  zu  begeben,  ^em 
ich  zuerst  melden  Hess,  dass  ich,  die  Tochter  des  Grafen 
du  Roux  de  Bueil,  in  einer  dringenden  Angelegenheit 
mit  ihm  einige  Worte  zu  sprechen  hätte.  Er  kam 
mir  wohl  sehr  freundlich  entgegen,  als  ich  ihm  aber 
auseinandergesetzt  hatte.  Wie  notwendig  es  in  meiner 
Lage  wäre,  einen  Pass  über  die  Landesgrenze  zu  er- 
halten, bedauerte  er,  meinem  Wunsche  nicht  nach- 
kommen zu  können,  indem  die  Verwirrung  des  Augen- 
blickes seine  Thätigkeit  in  dieser  Hinsicht  lähme. 

Er  gab  mir  den  Rat,  meinen  Wagen  zurückzu- 
schicken und  die  Diligence  zur  Reise  bis  über  die 
Grenze  zu  benutzen,  wo  man  mir  dann  gewiss  keine 
Schwierigkeiten  machen  würde.  Da  unsere  Wege  nun 
auseinandergingen,  verabschiedete  ich  mich  vom  guten 
alten  Herrn  Bruyeant  und  bestieg,  zum  erstenmal  in 

C»rl  Oraf  Obtrndorff,  Eriiiii«nuif«B  «iiitr  Ur^roMmotUr.         18 


—     274    — 

meinem  Leben,  mit  meinen  Kindern  und  einer  Dienerin 
einen  öffentlichen  Wagen.  Ich  mnss  gestehen ,  dass 
mich  dies  sehr  unangenehm  berährte,  aber  ich  fand  zum 
Olück  eine  anständige  Eeisegesellschaft  und  hatte  in 
der  That  nicht  den  geringsten  Anstand  auf  der  Grenze. 
Meinen  ferneren  Weg  setzte  ich  in  einem  Mietwagen 
bis  Eisenach  fort. 

Dort  angekommen,  yerliess  ich  schon  eine  kleine 
Strecke  vor  dem  Hanse  meiner  Schwiegermutter  das 
Gefährt,  um  sie  durch  mein  und  meiner  Kinder  plötz- 
liches Erscheinen  zu  überraschen,  was  mir  auch  voll- 
kommen gelang.  Sie  sass,  wie  gewöhnlich,  an  ihrem 
Schreibtisch,  als  wir  bei  ihr  eintraten,  und  konnte  sich 
nicht  genug  über  uns  verwundern  und  erfreuen.  Nach- 
dem ihr  die  von  ihr  halberratene  Ursache  unserer  so 
unerwarteten  Ankunft  auseinandergesetzt  worden,  ging 
es  an  ein  Fragen  und  Antworten  ohne  Ende.  Juliette 
und  Fräulein  von  Panhuis  waren  ebenfalls  zu  Hause 
und  zeigten  sich  gleichermassen  freudig  überrascht,  mich 
so  unverhofft  wiederzusehen  und  ausser  Alexander 
nun  auch  Clotilde  kennen  zu  lernen.  Es  schien  mir 
bei  dem  unerwarteten  Sturm  der  Zeit,  der  mich  so 
plötzlich  ergriffen  hatte,  sehr  beruhigend  und  wohl- 
thuend,  mich  wieder  im  bekannten  freundlichen  und 
heimlichen  Asyl,  im  Eltemhause  meines  unvergesslichen 
Emil  zu  befinden.  Wir  bewohnten,  wie  immer,  das 
Erdgeschoss  und  blieben  mehrere  Monate  bei  der 
gütigen  Mama. 

Hier  ist  wohl  der  Platz,  eine  Begebenheit  zu  er- 


—     276     — 

Schon  im  Jahre  1814  hatte  ich  bei  einer  Soir^e^  die 
Letztere  gab,  den  damaligen  Begierungsrat  von  Gers- 
dorf;  welcher  bald  daranf  Minister  wurde,  kennen  ge- 
lernt und  mich  mit  ihm  und  noch  einigen  anderen 
Herren,  worunter  sich  auch  der  nachmalige  Kanzler 
Gerstenberg  befand,  lebhaft  über  manch  inter- 
essanten Gegenstand  unterhalten,  doch  war  mir  kaum 
etwas,  weder  von  den  Gesprächen,  noch  von  den 
Sprechenden  in  Erinnerung  geblieben.  Ihrerseits  war 
dem  aber  nicht  so.  Es  mochte  mein,  durch  stille 
Zurückgezogenheit  und  eifrige,  ernste  Lektüre  ausge- 
bildeter Geist  im  Fluss  der  Bede  sich  wohl  besonders 
vorteilhaft  gezeigt  haben,  denn  die  beiden  genannten 
Herren  waren  ganz  entzückt  von  mir  und  meinen  Vor- 
zügen, welcher  Eindruck  wahrscheinlich  auch  durch 
meine  Natürlichkeit  hervorgebracht  wurde;  es  lag  ge- 
wiss nicht  in  meiner  Absicht,  dass  ich  ihnen  gefallen 
wollte,  und  dennoch  wurde  der  sehr  lebhafte  Herr 
von  Gersdorf  von  heftiger  Leidenschaft  für  mich  er- 
fasst,  ohne  dass  ich,  Gottlob,  etwas  davon  merkte. 
Als  wir  nun  abermals  in  Eisenach  zusammentrafen, 
dauerte  es  keine  vierzehn  Tage,  dass  er  schriftlich 
bei  meiner  Schwiegermutter  um  meine  Hand  anhielt« 
Ich  bat  sie,  ihm  meinen  ganz  bestimmten  Entschluss, 
ja  die  obwaltende  Unmöglichkeit,  je  wieder  zu  heiraten, 
kund  zu  thun.  Sie  beauftragte  seinen  innigen  Freund, 
Herrn  vonMathesius,  ihm  meine  verneinende  Antwort 
mit  aller  Schonung  und  den  Tröstungen  der  Freundschaft 
zu  übermitteln.    Nichtsdestoweniger  traf  es  sein  Herz 


—     277     — 

aufs  schmerzlichste,  und  er  war  eine  Zeitlang  wie  von 
Sinnen.  Er  schrieb  meiner  Schwiegermutter,  um  seinem 
Herzen  Lnft  zu  machen  und  seine  brennende  Qual 
auszudr&cken ,  er  schrieb  auch  mir  und  sandte  mir 
ein  schwärmerisch  schönes  Gedicht.  Ich  wollte  aber 
auf  keinen  Fall  selbst  seinen  Brief  beantworten  und 
bat  Mama,  es  statt  meiner  zu  thun.  Diese  jedoch  trat 
da,  zu  meiner  grossen  Enttäuschung,  auf  einmal  als 
Mittlerin  auf;  sein  übermässiger  Schmerz  und  seine 
Schwermut  schienen  ihr  Überwältigend,  und  sie  dachte, 
ich  wflrde  endlich  doch  noch,  wenn  auch  nur  aus 
Mitleid,  mich  bewegen  lassen,  meinen  Sinn  zu  ändern. 
Nicht  wenig  war  ich  empört  und  gegen  Mama  auf- 
gebracht, als  sie  anfing,  von  den  Vorteilen  zu  reden, 
die  nicht  nur  ftLr  mich,  sondern  selbst  auch  für 
meine  Kinder  aus  dieser  Heirat  erwachsen  könnten. 
Sie  fand  dieselbe  in  pekuniärer  Einsieht  annehmbar 
und  betonte  die  glänzende  Laufbahn,  die  Herrn  von 
Gersdorf  bevorstände.  Ich  setzte  ihr  auseinander,  dass 
mir  schon  der  Gedanke  an  eine  zweite  Ehe  un- 
erträglich sei  und  es  mir  ein  Glflck  schiene,  dass 
ich  diese  Vorteile  nicht  herausfinden  könne.  Sobald 
ich  eine  zweite  Verbindung  einginge,  könnte  ich  nicht 
mehr  meine  Kinder  nach  meiner  Einsicht,  meinem 
Ziele  und  somit  nach  den  Eingebungen  meines  Mutter- 
herzens leiten  und  erziehen.  Wflrden  nun  gar  Kinder 
aus  einer  zweiten  Ehe  geboren,  so  hörten  meine 
jetzigen  Lieben  auf,  das  Centrum  aller  meiner  Sorgfalt 
zu  sein,   uneingedenk  aller  Unannehmlichkeiten  und 


—     278     — 

Znrücksetzungeiiy  denen  selten  von  Seiten  eines,  wenn 
auch  noch  so  edeldenkenden  Stiefvaters,  der  eigene 
Kinder  hat,  vorzubeugen  ist.  Was  das  Pekuniäre  be- 
träfe, fand  ich,  meine  Kinder  hätten  ja  gar  keine  An- 
sprüche an  das  Vermögen  meines  zweiten  Gatten  zu 
machen,  während  das  meinige  für  sie  verkürzt  würde, 
wenn  sie  es  vielleicht  mit  Halbgeschwistem  würden 
teilen  müssen. 

Dies  alles  lag  so  klar  vor  mir,  dass,  wenn  ich 
selbst  keine  so  treue  Liebe  für  meinen  verewigten 
Gatten  empfunden  hätte,  schon  die  Abneigung  eine 
neue  Ehe  einzugehen,  hinreichend  gewesen  wäre,  mich 
hiervon  abzuhalten.  Manche  Freunde,  welche  die  Vor- 
teile ef  wogen ,  die  mir  eine  solche  Stütze  auf  meiner 
Lebensbahn  in  so  jungen  Jahren  bieten  würde,  wollten 
dies  nicht  einsehen,  was  mich  umsomehr  ärgerte,  als 
ich  gar  kein  Bedürfnis  nach  irgend  einer  Stütze  fühlte 
und  in  der  Aufgabe,  die  Erziehung  meiner  Kinder  best- 
möglich zu  leiten,  meinen  einzigen  Lebenszweck  sah. 
Der  glückliche  Erfolg  hat  mehr  als  hinlänglich  dieses 
mein  Vorgefühl  und  mein  nachmaliges  festes  Vertrauen 
in  die  Hilfe  Gottes  gerechtfertigt.  —  Ihm  sei  Preis 
und  Dank  dafür! 

Herr  von  Gersdorf,  durch  manchen  seiner  Freunde 
in  der  Voraussetzung  bestärkt,  dass  ich  mit  der  Zeit,  durch 
seine  Beständigkeit  und  Treue  gerührt,  die  so  bestimmt 
gegebene  abschlägige  Antwort  doch  noch  zurücknehmen 
würde,  und  auf  die  Hilfe  meiner  Schwiegermutter  ver- 
trauend, richtete  noch  viele  Briefe  an  sie.    Er  schrieb 


—     279     — 

auch  mir  noch  einmal,  und  wieder  erhielt  ich  schöne 
Verse  von  ihm,  aber  ich  blieb  dabei,  ihm  nicht  selbst 
zu  antworten.  Es  war  ihm  sehr  peinvoU,  keine  Zeile 
von  meiner  Hand  zn  erhalten,  und  er  schwärmte  so 
in  seiner  unglücklichen  Liebe,  dass  er  sich  etwas  von 
mir  als  Andenken,  oder,  wie  er  sagte,  Reliquie  ausbat 
Dies  schlug  ich  zwar  meiner  Schwiegermutter  rund  ab, 
allein  sie  bestOrmte  mich  so  sehr,  dass  ich  endlich, 
sehr  wider  meinen  Willen,  eine  kleine  Perlen-Schnur, 
die  ich  manchmal  getragen,  hergeben  musste.  Das 
erinnerte  mich  an  eine  Äusserung,  die  Emil  einmal 
scherzweise  seiner  Mutter  gegenüber  gethan  hatte: 
wenn  er  eine  Tochter  hätte,  so  würde  er  sich  hüten, 
sie  ihr  anzuvertrauen  wegen  ihrer  allzu  idealen  und 
schwärmerischen  Gteistesrichtung.  Bei  ihrem,  allem 
Edlen,  Guten  und  Schönen  zugewandten  Charakter 
war  dies  gewiss  ein  seltsames  Benehmen  gegen  die 
Witwe  ihres  eigenen  Sohnes,  und  nur  dadurch  zu  er- 
klären, dass  sie  überzeugt  war,  ich  würde  mich  später 
dennoch  zu  dieser  Heirat  entschliessen.  Für  mich 
gestaltete  sich  diese  Episode  meines  Lebens  höchst 
peinlich,  denn  immer  verneinend  diesen  liebevollsten 
und  leidenschaftlichsten  Beweisen  grosser  Zuneigung 
gegenüberzustehen  und  immer  befürchten  zu  müssen, 
dass  mein  nur  gewöhnlich  freundliches  Benehmen  für 
mehr  gehalten  werden  möchte  und  Hoffnungen  erwecken 
könnte,  welche  um  jeden  Preis  vermieden  werden  sollten, 
das  wurde  mir  wirklich  unerträglich.  Dazu  kam  noch, 
dass  ich  das  Unglück  hatte,  auch  anderen  Neigung  ein- 


—     280     — 

Zuflössen y  was,  obwohl  es  mir  I&stig  fiel,  dennoch  die 
Eifersucht  des  armen  Gersdorf  erweckte.  Bis  dahin 
war  in  meinen  Witwenjahren  noch  nichts  Derartiges  vor- 
gekommen! allein  es  fanden  sich  von  diesem  Zeitpunkte 
ab  viele;  die  sich  teils  nur  in  bescheidener  Feme  um 
mich  bewarben,  teils  deutlicher  mir  Gefühle  zu  ver- 
stehen gaben ;  die  ich  jedoch  weder  erwiedern,  noch 
auf  irgend  eine  Weise  bestärken  wollte. 

Um  dergleichen  Belästigungen  aus  dem  Wege  zu 
gehen,  unterbrach  ich  meinen  Aufenthalt  in  Eisenach 
mehrere  Male  und  begab  mich  nach  Stedten,  wo  ich 
immer  eines  freundlichen  Empfanges  sicher  war. 

Ich  muss  noch  auf  Einiges  zurückkommen,  das  sich 
zu  Stedten  während  des  Durchzuges  der  Truppen  be- 
geben hatte.  Es  sind  dies  einzelne  Beweise  von  der 
hochherzigen  Menschenfreundlichkeit,  die  stets  einen 
Hauptzag  des  Charakters  unserer  lieben,  verehrten 
Tante  Am61ie  bildete.  Der  zur  Zeit  der  Napoleonischen 
Kriege  unausgesetzten  Truppendurchzüge  halber  glich 
das  Schloss  einer  grossen  Herberge,  deren  Gäste  kom- 
men und  gehen,  ohne  eine  Spur  zu  hinterlassen,  wie 
bunte  NebelbilJer,  welche  über  eine  Leinwand  dahin- 
streifen. 

Da  nicht  nur  die  Spitäler,  sondern  auch  alle  Häuser 
der  ganzen  Gegend  von  Tjrphus-Kranken  überschwemmt 
waren,  so  galt  es  ein  vorbeugendes  Mittel  gegen  diese 
Krankheit  zu  gebrauchen,  was  wir,  die  Erwachsenen 
sowohl  als  auch  die  Kinder,  gewissenhaft  thaten :  näm- 
lich des  Morgens  ein  Stück  Schwarzbrot,  mit  Kümmel 


—     281     — 

bestreut;  nnd  daranf  ein  Glas  Wein  zn  geniessen.  Wenn 
es  wirklich  von  Wirksamkeit  war,  so  bewährte  es  sich, 
als  drei  Offiziere  auf  mehrere  Tage  einquartiert  wurden 
und  einer  derselben,  Major  von  Polchinsky ,  in  Stedten 
so  an  Typhus  erkrankte,  dass  er  das  Bett  nicht  ver- 
lassen konnte.  Wie  es  damals  noch  meistens  der  Fall 
war,  wurde  das  Leiden  nicht  gleich  erkannt.  Als  aber 
der  Arzt  den  Regiments-A^jutanten  später  vom  wahren 
Sachverhalt  in  Kenntnis  setzte,  eilte  Letzterer  sogleich 
zu  Gräfin  Keller,  um  es  ihr  zu  melden  mit  dem  Bemerken, 
dass  am  folgenden  Tage  Mittel  und  Wege  geschafft 
wfirden,  um  den  Kranken  mit  thunlichster  Vorsicht  in 
das  Lazarett  nach  Erfurt  zu  transportieren.  Sie  er- 
kundigte sich  genau  nach  dem  Zustande  des  armen 
Majors  und  als  sie  erfuhr,  dass  er  sehr  geschwächt 
daniederliege,  wollte  sie  von  dessen  Transport  bei 
Winterszeit  nichts  hOren,  da  sie  glaubte,  der  Offizier, 
der  Familienvater  war,  könne  dadurch  in  ernstliche 
Lebensgefahr  geraten.  Nachdem  sie  sich  mit  uns  be- 
sprochen hatte,  wurde  beschlossen,  dass  Polchinsky  in 
seinem  Zimmer  verbleibe,  aber  alle  Verbindungen  zu 
den  Eingängen  in  unsere  Wohnräume  abgesperrt  würden, 
und  nur  die  in  die  entgegengesetzte  Bichtung  mündenden 
Thüren  benützt  werden  sollten.  Die  Geräumigkeit  des 
Schlosses  machte  dies  leicht  ausführbar.  Lidem  sie 
ein  solches  Werk  der  Nächstenliebe  an  einem  gänzlich 
Unbekannten  ausübte,  mochte  sie  wohl  an  ihre  im 
Felde  stehenden  Söhne  gedacht  haben  und  ihnen  in 
einem  ähnlichen  Falle  die  gleiche  Behandlung  wünschen. 


—     282     — 

Später  kam  anch  ein  Major  üolani  mit  Frau  und 
zahlreicher  Familie  nach  Schloss  Stedten  ins  Quartier. 
Dieser  Schwärm  war  der  gütigen  Hausfrau  wohl  nicht 
sehr  angenehm,  da  sich  aber  Colanis  Gattin  in  gesegneten 
Umständen  und  nahe  ihrer  Niederkunft  befand,  behielt 
sie  dennoch  ihn  und  die  Seinen  für  längere  Zeit  im  Hause, 
ohne  auf  ihre  schnelle  Übersiedlung  nach  Erfurt  zu  drin- 
gen. Die  gute  Tante  berücksichtigte  eben  deren  allem  An- 
scheine nach  dürftige  Lage;  ja,  sie  erlaubte  sogar,  dass 
Frau  Colani  ihr  Wochenbett  unter  ihrem  Dache  abmache 
und  pflegte  sie  selbst  in  wahrhaft  mütterlicher  Weise. 

Unter  den  vielen  Russen,  die  entweder  nach 
Frankreich  zogen  oder  von  dort  zurückkehrten,  befand 
sich  auch  Vetter  Theodor  Keller,  der  älteste  Sohn 
von  Tante  Am61ie,  der  in  Bussland  diente  und  seit 
zwei  Jahren  mit  Sophie,  geborner  Gräfin  von  der 
Borch,  vermählt  war.  Diese  kam  ihrem  Gatten  nach 
Stedten  nach  und  blieb  eine  geraume  Zeit  dort,  während 
ihn  sein  Dienst  fem  hielt.  Gerade  damals  weilte 
jedoch  die  gute  Tante  in  der  Ferne,  indem  sie  zu 
Stuttgart  ihre  Schwägerin  während  deren  Wochen 
pflegte.  Sie  befand  sich  dadurch  auch  dem  Kriegs- 
schauplätze näher,  wo  sie  drei  Söhne  in  beständiger 
Gefahr  wusste.  Wie  sie  mir  später  sagte,  fühlte  sie, 
die  von  Natur  aus  sehr  ängstlich  war,  sich  oft  durch 
diesen  Gedanken  bedrückt  und  nur  ihr  felsenfestes 
Vertrauen  auf  Gottes  Güte  und  Allmacht  bewirkte  es, 
dass  ihr  eine  glaubens-  und  hoffnungsvolle  Fassung 
zu  teil  wurde. 


—     283     — 

Zu  dieser  Zeit  ging  ihr  auch  der  sehnliche  Wunsch 
in  ErfBllnng,  die  Bekanntschaft  der  berühmten  Fran 
von  Krfidener,'*')  der  merkwürdigen  Frenndin  Kaiser 
Alexanders,  zn  machen»  Dieselbe  widmete  sich 
nach  einer  sehr  bewegten  Jugend,  ganz  der  Frömmigkeit 
und  glaubte  an  ihre  Mission,  den  Beherrscher  Russlands 
beeinflussen  zu  müssen.    Zufällig  meldete  sie  sich  bei 

'*')  „Barbara  Jalianne  von  Krüdener,  geborene  von  Vietmghoff, 
religiöse  Schw&rmerin,  geboren  21.  November  1764  zu  Riga, 
gestorben  25.  Dezember  1824  in  Karasabazar  in  der  Krim;  wnrde 
zu  Paris  erzogen  und  achtzehn  Jahre  alt,  gegen  ihre  Neigung,  an  den 
Freiherm  von  KrOdener  yerheiratet,  der  als  rassischer  Gesandter  1785 
nach  Venedig,  1786  nach  Kopenhagen,  femer  nach  Berlin,  Leipzig, 
Sflddeatschland,  Schwäz  and  1800  nach  Berlin  ging.  Nach  dem  Tode 
desselben  1802,  zog  sie  nach  Paris,  wo  ihr  Roman  „Valerie*  (Par.  1804, 
zwei  Bände,  nene  Aaflagel878)  erschien,  der  in  der  Tomehmen  Pariser 
Welt  Aafsehen  erregte.  Übersättigt  von  ihrem  bisherigen  leicht- 
sinnigen Leben  and  mit  hermhatischen  Kreisen  in  Berflhrong  ge- 
kommen, wandte  sie  sich  nan  einem  frommen  Leben  zn.  In  Karlsrahe 
schloss  sie  sich  an  Jang-Stilling  an  and  kanfte  ein  Gat  bei  Bönnigheim 
in  Wflrttemberg;  zog  dann  als  Reisepredigerin  amher  and  gründete 
mit  dem  Pfarrer  Empaytaz  Gebetsvereine.  Kaiser  Alexander  I. 
verkehrte  1815  mit  ihr  in  Heilbronn  and  Heidelberg;  sie  folgte 
ihm  nach  Paris  and  hatte  ihn  dort  zam  ZahOrer  in  ihren  hänslichen 
Bet-  and  Bibelstunden.  Im  Oktober  1815  ging  sie  nach  Basel,  wo 
sie  mit  Spittler  die  i^Baseler  Traktatengesellschaff*  gründete,  aber 
bald  aasgewiesen  warde.  Dasselbe  Schicksal  traf  sie  in  verschiedenen 
andern  Orten  Badens  and  der  Schweiz  and  1824  anch  in  Peters- 
barg,  woraaf  sie  sich  mit  ihrer  Tochter  and  deren  Gatten  in  die 
Krim  begab.  —  Litteratar:  Eynard  „Yie  de  Madame  de  Krfldener** 
(Par.  1849,  2  Bände) ;  Capefigne  ^La  Baronne  de  K.  et  l'emperear 
Alexandre  I<*  (Par.  1866).  .Fraa  von  K.  ein  Zeitgemälde**  (Bern  1868). 
Lacroix  ^Madame  de  K.,  ses  lettres  etses  oavragesin^its(Par.  1880^.** 
—  Entnommen  ^Pierers  Kon versations- Lexikon*  8.  Band  7.  Aafl. 
pagina  883. 


—     284     — 

ihm  in  einem  Momente,  als  er,  der  schon  viel  von  ihr  ge- 
hört hatte,  den  Wnnsch  hegte,  sie  zu  sehen.  Dies  eigen- 
tümliche Zusammentreffen  frappierte  ihn  derart,  dass 
er  sich  wirklich  in  religiösen  Dingen  ihrer  Leitung 
unterwarf.  Meine  Tante  hatte  bald  diese  seltene  Frau 
sehr  lieb  gewonnen  und  durchaus  nichts  Fanatisches 
an  ihr  bemerkt,  im  Gegenteil  war  die  Art  und  Weise, 
wie  sie  ihr  Trost  zusprach,  überzeugend  und  wohl- 
thuend.  Als  sie  aber  zwei  Jahre  später  aus  der 
Schweiz  mit  einem  seltsamen  und  zahlreichen  Zuge 
ganz  in  die  Nähe  von  Stedten  kam,  fürchtete  Tante 
Keller,  dass  sie  sich  mit  ihrer  Begleitung  etwa  bei  ihr 
einquartieren  möchte,  und  ging  ihr  aus  dem  Wege. 
Übrigens  nahm  diese  merkwürdige  Beise  ein  gutes, 
stilles  Ende.  Frau  von  Erüdener  zog  sich  auf  ihre 
Güter  in  Livland  zurück,  lebte  dort  in  wohlthätiger 
Wirksamkeit  für  Arme  und  Kranke,  und  soll  sie  zuletzt 
ihr  so  lebendiger,  fast  wunderwirkender  Glauben  der 
katholischen  Kirche  zugeführt  haben. 

Um  wieder  auf  mich  und  meine  Erlebnisse  zurück- 
zukommen, muss  ich  erwähnen,  dass  ich  mich  bei  den 
verschiedenen  Anlässen,  die  mich  von  Zeit  zu  Zeit 
nach  Gotha  führten,  stets  freute,  dort  liebe  Bekannte, 
worunter  sich  auch  viele  geistreiche  Männer  befanden, 
wiederzusehen.  Ich  erneuerte  die  alte  Freundschaft 
mit  dem  Hofrate  Jakobs,  welche  aus  meinen  ersten 
Jugendjahren  stammte,  femer  jene  mit  dem  geist- 
vollen Göchhausen,  dem  Freunde  und  Waffengefährten 
meines  Mannes,  sowie  die  mit  den  Herren  von  Schlot- 


—     285     — 

heim  und  von  Lichtenau;  der  Letztere  wurde  später 
Minister  von  Sachsen.  Damals  besorgte  er  die  Stern- 
warte bei  Gotha  und  that  sich  nicht  nur  als  Astronom, 
sondern  auch  während  der  stürmischen  Eriegszeit  als 
Quasi-Eundschafter  sehr  hervor.  Letzteres  Fach  mehr  als 
Dilettant  betreibend,  gereichte  es  ihm  zur  Befriedigung, 
viel  hin  und  her  zu  reisen  und  Nachrichten  aus  Preussen 
zu  bringen,  die  wir,  als  die  Armeen  uns  von  diesem 
Seiche  trennten,  sonst  nicht  erhalten  hätten.  —  Ich  las 
„Bosaliens  Nachlasse  von  Jakobs  und  fand  dies  Werk  da- 
mals noch  nicht  so  seicht,  als  es  mir  später  erschien ;  dann 
versorgte  mich  dieser  liebenswürdige  Autor  auch  mit 
ernsterer  Leetüre  und  die  teils  religiösen,  teils  philo- 
sophischen Unterredungen,  welche  dadurch  veranlasst 
wurden,  führte  ich,  um  ungestört  zu  bleiben,  manches- 
mal in  der  herzoglichen  Bibliothek,  der  er  vorstand. 
Er  gab  mir  auch  den  Jacobi  zu  lesen,  der  mich  durch 
seinen  innig  gläubigen  Sinn  anzog;  ich  freute  mich, 
dass  dieser  Philosoph  bestimmt  den  „persönlichen^  Oott 
annahm,  im  Gegensatze  zum  Pantheismus  eines  Spinoza 
und  Goethe. 


V.  KapiteL 

Wieder  bei  Hof. 

Gegen  Ende  des  Jahres  1815  war  ich  einer  oft  wieder- 
holten freundlichen  Einladung  der  in  Eitscher  wohnenden 
Familie  Keller  folgend,  dahin  abgereist,  weil  sich  mir 
die  sehr  passende  Gelegenheit  bot,  den  Weg  bis  Leipzig 
in  Gesellschaft  von  Tante  Am61ie  zurückzulegen.  Diese 
hatte  in  Berlin  zu  thun  und  glaubte  etwa  sechs  Wochen 
dort  zu  bleiben,  doch  vergingen  zwei  Monate,  ehe  sie 
mich  abholen  kam.  Ich  wurde  von  den  Verwandten 
in  Eitscher  mit  der  grössten  Liebe  und  Zuvorkommen- 
heit aufgenommen  und  fühlte  mich  sehr  wohl  in  dem 
dortigen  angenehmen  Familienkreise.  Noch  vor  unserer 
Bückreise  erhielt  ich  einen  Brief  von  meiner  treuen  Freun- 
din Caroline  von  Studnitz-Dalwigk.  Sie  teilte  mir  darin 
mit,  dass  eine  unserer  beiderseitigen  Bekannten,  Frau  von 
Dörnberg,ihr  geschrieben  habe,  sie  hätte  seitens  der  Erb- 
grossherzogin  von  Mecklenburg,  geborenen  Prinzessin 
von  Weimar,  den  Antrag  erhalten,  Obersthofmeisterin 
ihrer  Stieftochter,  Prinzessin  Marie,  zu  werden,  doch 
sich  hierfür  nicht  geeignet  gefunden  und  daher  refü- 
siert.    Auf  eine  weitere  Anfrage  hin,   ob  sie  nicht 


—     287     — 

eine  Dame  vorzuschlagen  wüsste,  die  für  diesen  Ver- 
trauensposten geeignet  wäre,  habe  sie  mich  genannt. 
Infolge  des  unerwarteten  Todes  der  Erbgrossherzogin 
sei  die  Sache  unerledigt  geblieben,  müsse  aber  jeden- 
falls wieder  zur  Sprache  kommen.  Nun  fragte  mich 
Caroline,  ob  es  meine  Absicht  sein  könnte,  diese  Stelle 
anzunehmen  und  ob  ich  nichts  dawider  hätte,  wenn 
diesbezügliches  eingeleitet  würde.  Nach  reiflicher 
Überlegung  hatte  ich  erwogen,  dass  eine  solche  Position 
in  meiner  Lage  als  junge  Witwe,  mir  wohl  einen  in 
manchen  Dingen  erwünschten  Schutz  gewähren  würde, 
jedoch  andererseits  war  ich  froh,  mich  dui*ch  Mutter- 
pflichten gebunden  zu  fühlen.  Mein  Entschluss, 
Alexander  in  eine  Erziehungsanstalt  zu  geben,  war 
wohl  längst  gefasst,  doch  wollte  ich  ihn  auch  dann  in 
meiner  Nähe  behalten  und  mich  jedenfalls  nicht  von 
meinem  Töchterchen  trennen.  In  diesem  Sinne  schrieb 
ich  an  Caroline  und  bat  sie,  nichts  in  dieser  Sache 
zu  unternehmen.  Sollte  mir  aber  die  Stelle  ohne  mein 
Zuthun  angeboten  werden,  so  würde  mir  schon  Gott 
den  einzuschlagenden  Weg  zeigen. 

um  allen  Erörterungen  in  dieser  Angelegenheit, 
die  mir  nun  als  abgethan  galt,  zu  entgehen,  sprach  ich 
mit  niemandem  darüber,  weder  mit  Tante  Am61ie,  noch 
mit  meiner  Schwiegermutter,  die  einige  Zeit  bei  uns 
in  Stedten  zubrachte.  Etwa  einen  Monat  später  kam 
der  Erbgrossherzog  mit  seiner  Tochter  zu  sechswöchent- 
lichem Aufenthalte  nach  Weimar,  und  als  diese  Zeit 
abgelaufen   war,   ohne  dass  ich  etwas  vernahm,  das 


—     288     — 

anf  mich  Bezug  gehabt  hätte,  erzählte  ich  endlich 
meinen  Lieben  in  Stedten,  welche  Wendung  mein 
Schicksal  hätte  nehmen  können.  Sie  schienen  sehr 
verwundert  über  diese  verspätete  Mitteilung.  Am 
folgenden  Tage  kam  Mama  mit  geheimnisvoller  Miene, 
um  mir  mit  verlegenem  Lächeln  zu  sagen,  das  sie  es 
nicht  über  das  Herz  habe  bringen  können ,  zu  unter- 
lassen, an  die  Grossherzogin  von  Weimar  in  Ange- 
legenheit der  Wahl  einer  Oberhofmeisterin  ihrer  Stief- 
enkelin zu  schreiben,  für  welchen  Wirkungskreis  sie 
mich  so  ganz  für  geeignet  befände.  Ich  war  über  dies 
Beginnen  meiner  Schwiegermutter  wie  aus  den  Wolken 
gefallen  und  wusste  nicht,  ob  ich  mich  ärgern  oder 
schämen  sollte,  als  sie  mir  gestand,  welch  schönes 
Bild  sie  der  Grossherzogin  von  mir  entworfen  habe. 
Einige  Tage  darauf  erhielt  sie  einen  Brief  vom  Erb- 
grossherzog,  worin  er  sie  bat,  mit  mir,  ohne  dass  ich 
wissen  möge,  weshalb,  auf  einige  Tage  nach  Weimar 
zu  kommen.  Als  Vorwand  zu  dieser  Reise  könne  sie 
ja  die  Konzerte  gelten  lassen,  die  der  berühmte  Sänger 
Brizzi  gerade  damals  zu  Weimar  gab.  —  Weder  die 
Grossherzogin  noch  ihr  Schwiegersohn  wussten  nämlich, 
dass  mich  Mama  von  ihrem  Schritte  bereits  unterrichtet 
hatte. 

Wenige  Tage  nach  Empfang  des  Briefes  begaben 
wir  uns  auf  den  Weg  nach  Weimar,  wo  wir  auf  das 
freundlichste  empfangen  und  gleich  zur  Hoftafel  geladen 
wurden.  Tags  darauf  liess  sich  der  Erbgrossherzog 
bei  meiner  Schwiegermutter  anmelden,   und   die  Be- 


—    289    — 

sprechnngen  begannen.  Er  fand  zwar,  dass  ich  neben 
seiner  Tochter,  die,  obgleich  erst  dreizehn  Jahre  alt, 
doch  schon  eine  grosse  stattliche  Figur  hatte,  etwas 
jung  zu  einer  so  imponierenden  Stellung  erschiene, 
indessen  sähe  man  doch  an  meinem  ganzen  Wesen 
meine  dazu  gehörige  Reife,  und  er  zweifle  nicht,  dass 
ich  ganz  hierfür  passen  würde.  Die  Grossherzogin,  die 
mir  schon  von  meiner  ersten  Jugend  an  viel  Interesse 
bewiesen  hatte,  war  sehr  f&r  diese  Idee  eingenommen,  und 
der  Erbgrossherzog  Hess  meine  Bedenken  nicht  gelten 
und  äusserte  sich,  dass  meine  Kinder  kein  Hindernis  sein 
könnten,  denn  er  fände  es  ebenso  natürlich,  als  lobens- 
wert, dass  ich  mich  nicht  von  ihnen  trennen  wolle. 
Beinahe  eine  Woche  blieben  wir  in  Weimar  und  wurden 
sowohl  von  unseren  Bekannten  am  Hofe,  als  auch  durch 
die  Fürstlichkeiten  selbst  vielfach  ausgezeichnet.  In 
einigen  kleinen  Abendgesellschaften  lernte  ich  Prin- 
zessin Marie  und  ihre  Gouvernante,  Mademoiselle 
Salomon,  kennen.  Die  Prinzessin  war  für  die  Welt 
zwar  noch  wenig  gebildet,  zeigte  sich  aber  dennoch 
sehr  freundlich  gegen  mich  und  andere;  auch  die  geist- 
volle Mademoiselle  Salomon  machte  mir  einen  ange- 
nehmen Eindruck.  Nach  Stedten  zurückgekehrt,  wurde 
natürlich  viel  über  meine  nächste  Zukunft  gesprochen, 
und  ich  beschloss,  bald  nach  Frankreich  abzureisen, 
wohin  ich  auch  die  Kinder  und  meine  unglückliche 
Dienerin  Aim6e,  bei  welcher  sich  öfter  Spuren  von 
Geistesgestörtheit  zeigten,  mitnehmen  wollte.  Ich  leugne 
nicht,  dass  mir  der  Gedanke,  sowohl  meine  eigene,  als 

Carl  Graf  Obtrndorff,  EriimaraiiftB  «iaar  UrfroMmiittar.         19 


—    290    — 

auch  die  Familie  Emils  zu  verlassen  und  in  eine 
Stellung  zu  treten,  wo  mir  alles  fast  unbekannt  war, 
etwas  peinlich  gewesen.  Doch  folgender  Brief,  der 
bald  darauf,  als  Einlage  in  ein  Schreiben  an  meine 
Schwiegermutter,  anlangte,  machte  jede  Umkehr  un- 
möglich. 

Weimar,  ce  11.  April  1816. 

Madame!"^) 

J'6prouye  une  yive  satisfaction  de  me  yoir  autoris6 
k  Vous  offrir  l'hommage  de  ma  sinc^re  reconnaissance, 


*)  Deutsche  Übersetzang:  Weimar,  den  11.  April  1816. 
Madame !  Ich  empfinde  lebhafte  Freude,  Ihnen  meinen  tiefgefdhl- 
testen  Dank  ausdrücken  zu  dürfen  für  Ihre  gütige  Einwilligung  in 
den  Vorschlag,  den  Ihre  Frau  Schwiegermutter  die  Freundlichkeit 
hatte,  Ihnen  in  meinem  Namen  zu  machen.  Durch  diese  Bereit- 
erklärung betreffs  Übernahme  der  Erziehung  meiner  Kinder,  gaben 
Sie  mir  den  schmeichelhaften  Beweis  Ihrer  Güte  und  zugleich  den 
besten  Trost,  der  mir  in  meiner  traurigen  Lage  zuteil  werden 
konnte.  Möchten  Sie  doch  von  meiner  grössten  Dankbarkeit  über- 
zeugt sein,  Madame,  sowie  von  meinem  Bestreben,  soweit  es  von 
mir  abhängt,  stets  zu  Ihrem  Glücke  beizutragen,  um  Sie  würdig 
für  das  Opfer  zu  entschädigen,  welches  Sie  sich  dadurch  aufer- 
legten, dass  Sie  sich  von  Ihren  lieben  Verwandten  trennten,  um 
meiner  Familie  Schicksal  zu  teilen.  Den  Monat  Juni  mit  wirk- 
licher Ungeduld  herbeisehnend,  werde  ich  des  Tages  Ihrer  Ankunft 
stets  als  eines  meiner  glücklichsten  gedenken. 

Meine  Kinder  empfehle  ich  schon  im  Vorhinein  und  wärmstens 
Ihrer  Güte. 

Niemand  wird  mit  mehr  Dankbarkeit  und  Hochachtung,  als 
ich,  Madame,  sich  zeichnen  als 

Ihr  unterthänigster  und  gehorsamster  Diener 

Friedrich  Ludwig. 


—    291     — 

poar  rassentiment,  que  Voas  avez  bien  voala  donner  k 
la  propositioD;  que  Madame  Votre  bellem6re  a  eu  la 
complaisance  de  Vous  faire  de  ma  part.  En  consen- 
tant  k  donner  Vos  soins  k  TSducation  de  mes  enfants 
Vous  m'accordez,  Madame,  une  marque  flatteuse  de  Vos 
bontös  et  la  plns  grande  consolation,  dont  je  sois  sns- 
ceptible  dans  la  malhenreuse  position  oü  je  me  tronve. 
Daignez  vous  persuader  de  ma  plns  vive  reconnaissance, 
Madame,  et  de  mon  dSsir  toujours  constant  de  con- 
tribner  en  tont  ce,  qui  d6pendra  de  moi,  k  Votre  satis- 
faction,  afin  de  pouvoir  reconnaitre  le  sacrifice,  que 
Vous  faites  en  Vous  s^parant  de  parents  cli6ris  pour 
suivre  le  sort  de  ma  famille.  Je  vais  au  devant  du 
mois  de  Juin  avec  une  y^ritable  impatience,  et  mar- 
querai  le  jour  de  Votre  arriv6e  chez  nous  comme  un 
jour  fort  heureux  pour  moi. 

Je  recommande  d'avance  et  bien  instamment  mes 
Enfants  a  Vos  bont^s. 

On  n'est  pas  avec  plus  de  reconnaissance  et  de 
respect,  que  moi,  Madame, 

Votre  trös  humble  et  tr6s  ob6issant  serviteur 

Fr6d6ric  Louis. 

Für  diesen  Brief  drückte  ich  dem  Erbgrossherzog 
meinen  Dank  aus:  ich  hoffte,  es  würde  schon  die  Zu- 
kunft sein  Vertrauen  rechtfertigen,  indem  ich  diese 
Stelle  mit  Zuversicht  auf  Gott  anträte  und  ich  be- 
dauerte, nicht  alsogleich  nach  Mecklenburg  reisen  zu 
können,   da  ich  zuerst  von  meinem  lieben  Vater  Ab- 

19» 


—    292     — 

schied  nehmen  and  meine  sämtlichen  Geschäfte  ordnen 
müsse. 

Die  Keise  zu  Papa  machte  ich  mit  Extrapost  und 
nahm  auch  meinen  deutschen  Bedienten;  Namens  Klap- 
roth,  mit,  welcher,  seines  Handwerks  ein  Friseur,  sich 
sehr  darauf  freute,  in  Paris  die  freien  Momente  zur  Ver- 
vollkommnung in  dieser  seiner  Kunst  benatzen  zu  können. 
Von  meinem  französischen  Kammermädchen  Aimie,  von 
welchem  ich  schrieb,  ich  wollte  sie  mitnehmen, 
hätte  ich  richtiger  gesagt,  ich  m  u  s  s  t  e  es  thun,  denn 
sie  war  entrüstet  über  meinen  Vorschlag,  sie  bei  einer 
erprobten  Vertrauensperson,  die  gut  französisch  sprach, 
unterzubringen,  und  lehnte  ihn  mit  grösstem  Wider- 
willen ab. 

Auf  der  Beise  bereitete  sie  mir  manche  Verlegenheit 
So,  als  sie  mich  mit  Vehemenz  in  einem  Gasthofe,  wo 
wir  uns  aufhielten,  beschuldigte,  ich  hätte  Leuten, 
mit  denen  ich  überhaupt  nicht  gesprochen,  ihre  ganze 
Lebensgeschichte  erzählt.  Ein  anderesmal,  als  wir  den 
Wagen  verliessen,  um  einen  Berg  zu  Fuss  hinanzu- 
steigeu,  setzte  sie  sich  auf  einen  Stein  und  wollte 
nicht  vorwärts,  bis  ich  sie  durch  den  Bedienten  am 
Arme  fassen  liess ;  dann  erst  bequemte  sie  sich  wieder 
zum  Einsteigen.  Von  diesem  Moment  an  wurde  sie 
ruhig,  bis  wir  in  Varennes  ankamen.  Dort  vereitelte 
sie  alle  Versuche,  sie  zu  ihrer  Mutter  nach  Chäteau 
Thierry  zu  bringen,  obgleich  sie  ihre  Familie  ausser- 
ordentlich liebte.  Sie  erriet  mit  der  den  Irren  eignen 
Schlauheit   die   beabsichtigten   Fallen,    die   man   ihr 


—     293     — 

stellte,  und  trotzdem  ich  mit  ihr  nie  über  die  Möglichkeit 
einer  Trennung  sprach,  hatte  sie  dieselbe  stets  vor 
Augen.  Schliesslich  wurde  mir  dieser  wohl  nicht  unbe- 
gründete Argwohn  schon  allzu  störend,  denn  sie  blickte 
mir  über  die  Schulter,  wenn  ich  schrieb,  und  lauschte 
besorgt  an  allen  Thüren,  kurz,  sie  benahm  sich  so, 
als  hätte  sie  das  Schlimmste  von  uns  zu  befürchten. 
Mit  grösster  Schonung  brachte  ich  ihr  bei,  dass  ich 
anderweitig  für  sie  sorgen  wolle,  sie  mir  aber  nicht 
mehr  nach  Deutschland  zurück  folgen  könne.  Ich 
wollte  ihr  das  volle  Jahresgehalt  geben  und  sie 
meiner  Schwester  empfehlen,  die  sie  sehr  lieb  hatte« 
Trotz  alledem  erschwerte  sie  mir  dadurch  den  Ab- 
schied sehr,  dass  sie  mit  fliegenden  Haaren  vor  mich 
hinstürzte  und,  meine  Kniee  umklammernd,  flehte,  ich 
möge  sie  ja  nicht  von  mir  lassen. 

Nur  eine  kurze  Zeit  konnte  ich  in  Varennes  zu- 
bringen, wo  ich  noch  so  Vieles  mit  meinem  lieben 
Vater  zu  besprechen  und  zu  ordnen  hatte,  dann  begab 
i#h  mich  zu  meiner  Schwester  nach  Paris.  Die  voraus- 
sichtlich lange  Trennung  traf  uns  beide  recht  schmerz- 
lich. Wir  nutzten  unser  Zusammensein  so  viel  als  mög- 
lich aus,  ja,  wir  machten  sogar  die  Besuche  bei  Freun- 
dinnen zusammen.  Nur  um  die  nötigen  Einkäufe  zu  be- 
sorgen, leistete  mir  die  gute  Mademoiselle  Marchais 
Gesellschaft,  da  Ad^le  ihren  kleinen,  neun  Monate  alten 
Henri  nicht  immer  verlassen  konnte.  Manchmal  ging 
ich  auch  mit  meinen  Kindern  aus,  welche  die  grosse 
Stadt  sehr  interessierte.  Im  Eifer  dieser  Beobachtungen 


—    294     — 

eilte  Alexander  mit  seinem  Schwesterchen  einmal  so 
weit  voraus,  dass  ich  beide  schon  fast  ans  den  Angen 
verlor.  Als  ich  ihn  dann  darüber  zur  Eede  stellte, 
entschuldigte  er  sich  mit  der  naiv-schlauen  Antwort: 
„II  faut  cependant,  que  je  voie  Paris." 

Die  Abende  brachte  ich  meistens  in  traulichem 
Gespräche  mit  meiner  Schwester  zu,  doch  gingen  wir 
auch  einigemale  zu  unserer  lieben  Amicie  de  la  Motte 
Levayer.  Einmal  geriet  ich  ganz  unvermutet  in  einen 
grossen  Ereis  von  nähern  Bekannten  Amicies,  welche  den 
Abend  bei  ihr  zubrachten.  Darunter  befanden  sich  auch 
Marquise  de  R  o  n  g  6  und  Fürstin  Bertha  von  B  o  h  a  n , 
welche  ich  schon  früher  in  Karlsbad  kennen  gelernt 
hatte.  Die  Gesellschaft  sass  um  einen  Tisch  und  spielte 
jeux  d'esprit,  woran  teilzunehmen  auch  ich  aufgefordert 
wurde.  Herr  von  Bonge,  der  mir  gegenüber  sass, 
fragte,  warum  Georgine  Fergusson,  die  ein  be- 
sonderes Talent  für  diese  Spiele  besass,  nicht  anwesend 
sei.  Amicie  antwortete :  ^  J'ai  oubli6,  de  lui  faire  dire, 
de  venir."  Ungeduldig  erwiderte  Bong6:  „Fiire  bfete!" 
Durch  diesen  Ausruf  befremdet,  sagte  ich  Amicie  ins 
Ohr:  „Quel  ton  ce  monsieur  a  avec  vous!"  Lachend 
forderte  sie  mich  auf,  ich  möchte  doch  mein  Erstatmen 
über  diese  Äusserung  der  Fürstin  Bertha  Bohan,  die 
mir  zur  Bechten  sass,  auf  deutsch  ausdrücken.  Ich 
wollte  dies  natürlich  nicht  thun,  da  ich  nicht  begreifen 
konnte,  warum  sie  es  wünsche,  aber  sie  bestand  so 
lange  darauf,  bis  ich  es  endlich  that.  Alsbald  wendete 
sich  der  Marquis  de  Bong6  lachend  zu  mir,  um  mir  in 


—     295     — 

bestem  Deutsch  zu  erklären,  dass  es  ihm  sehr  leid  thue, 
sich  so  anstössig  benommen  zu  haben.  Amicie  setzte 
mir  dann  auseinander,  dass  sie  von  ihrer  Kindheit  an 
sich  als  Geschwister  betrachteten,  und  alle  lachten 
herzlich. 

Auch  einige  kleine  Soir6en  besuchte  ich  bei  Adölens 
Tante,  Marquise  de  Raigecourt,  gebornen  Causans, 
deren  Gemahl,  Pair  von  Frankreich,  gleich  ihr,  sich 
von  liebenswfirdigem  Umgang  erwies.  Ihre  Töchter, 
Frau  von  Beuvier  und  Gräfin  Lascase,  waren  unsere 
intimsten  Freundinnen.  Bei  ihr  lernte  ich  auch  die 
Herzogin  de  La  Rochefoucauld-Montmorency 
kennen  sowie  die  liebensw&rdigen  Schwägerinnen  meiner 
Schwester,  Emilie  und  Jos6fine  de  Causans. 

Leider  konnte  ich  mich  dieser  mir  so  anziehenden 
neuen  Erscheinungen  nur  vorfibergehend  erfreuen,  denn 
mein  Vater  und  dessen  Schwester  Malherbe  erwarteten 
schon  mit  Sehnsucht  meine  Rückkehr  nach  Varennes. 
Noch  eine  kurze  Woche  blieb  ich  dortselbst  mit  ihnen 
und  meinem  Bruder  vereint,  der  aus  seiner  Garnison 
in  Meaux  nach  Hause  kam,  um  sich  von  mir  zu  ver- 
abschieden. 

Mitte  Mai  begab  ich  mich  dann  wieder  nach  Deutsch- 
land zurück  und  blieb  noch  eine  Zeit  lang  in  Eisenach  bei 
meiner  Schwiegermutter  und  Juliette.  Manche  Freunde 
aus  der  Umgegend  kamen  noch  herbei,  mich  zu  begrfissen 
und  mir  Lebewohl  zu  sagen.  Mit  Mama  hatte  ich  aus- 
gemacht, dass  Clotilde  anfänglich  noch  auf  kurze  Zeit 
bei  ihr  zurückbleibe,   ich   aber  trat  mit  Alexander 


—     296     — 

und  meiner  bewährten  Eammerfran  L&dritz  die  weite 
Reise  nach  dem  Norden  per  Extrapost  an. 

In  Kassel  angekommen,  bemerkte  ich,  dass  ich 
meine  Reisekasse  in  Elisenach  vergessen  hätte,  es  blieb 
mir  also  nichts  Andres  übrig,  als  eiligst  eine  Stafette 
abznsenden,  die  sie  holen  sollte.  Meine  Schwiegermutter 
hatte  zum  Olück  mein  Versehen  bemerkt  und  gleich- 
falls eine  Stafette  mit  dem  Qelde  abgeschickt;  diese 
beiden  trafen  sich  unterwegs  and  erkannten  sich. 
So  konnte  ich  am  folgenden  Tage  meine  Reise  wieder 
fortsetzen,  die  dnrch  das  schönste  Wetter  begünstigt 
wurde.  In  einer  Station,  unweit  der  Elbe,  hatte  ich  Mühe, 
Postpferde  zu  bekommen,  es  war  dort  eben  Eirchweih, 
und  «schwere  Wolken,  die  sich  am  Himmel  gesammelt 
hatten,  Hessen  ein  Gewitter  für  die  hereinbrechende 
Nacht  befürchten.  Kaum  waren  wir  eine  Zeit  lang 
gefahren,  brach  auch  schon  ein  furchtbares  Unwetter 
los,  doch  konnten  wir  noch  glücklich  auf  einer  Fähre 
über  die  Elbe  setzen. 

Wie  freute  ich  mich,  als  wir  uns  Ludwigslust 
näherten,  dass  nun  bald  die  ermüdend  lange  Reise  be- 
endet sein  würde!  Am  18.  Juni  gegen  Mittag  kam 
ich  endlich  dort  an,  fuhr  aber  nicht  direkt  ins  Schloss, 
sondern  Hess  mich  erst  in  einem  Hotel  absetzen,  von  wo 
aus  ich  dem  Erbgrossherzog  meine  Ankunft  zu  melden 
befahl.  Dieser  suchte  mich,  als  ich  kaum  noch  Zeit 
gefunden  hatte,  mein  Gabelfrühstück  zu  vollenden, 
persönlich  auf  und  machte  mir  Vorwürfe,  dass  ich 
nicht  gleich  im  Schlosse  abgestiegen  sei.    Ich  liess 


—    297     — 

f 

darum  auch  sofort  wieder  meinen  Reisewagen  an- 
spannen und  traf  dortselbst  schon  wenige  Minuten  nach 
ihm  ein.  Er  fährte  mich  sogleich  in  meine  sehr 
hübschen  Gemächer.  Bald  kam  auch  Prinzessin 
Marie  mit  ihrer  Gouvernante  herbei,  mich  zu  bewill- 
kommnen, und  als  ich  mich,  nachdem  sie  sich  wieder 
entfernt  hatte,  eben  etwas  ausruhen  wollte,  besuchte 
mich  noch  Fräulein  von  der  Tann,  die  bei  der  vor 
einem  halben  Jahre  verstorbenen  Erbgrossherzogin 
Hofdame  gewesen.  Wir  hatten  uns  schon  früher  in 
Weimar  kennen  und  lieben  gelernt.  Damals  war  sie 
mit  Oberst  von  Both  verlobt. 

Während  meine  Kammerfrau  die  Koffer  auspackte, 
gesellte  sich  Prinzessin  Marie,  deren  Zimmer  neben 
den  meinigen  lagen,  zu  ihr,  um  dieser  reichlichen  Be- 
schäftigung mit  kindlicher  Neugier  zu  folgen.  In- 
zwischen war  die  Essensstunde  gekommen,  und  so 
führte  sie  mich  gleich  in  den  sogenannten  Trompeter- 
saal hinauf,  wo  die  Kindertafel  stattzuhaben  pflegte, 
an  der  ich  mit  ihr,  dem  damals  vieijährigen  Prinzen 
Albert,  ihrem  Halbbruder,  und  den  beiden  Fräulein 
Schwestern  von  Salomon  speisen  sollte.  Adrienne, 
die  ältere,  war  Gouvernante  bei  meiner  aimablen  Prin- 
zessin, und  Nancy,  die  jüngere,  hatte  die  Obsorge 
über  die  kleine  Prinzessin  Helene,  die  erst  zwei 
und  einhalb  Jahre  zählte.  Nach  dem  Essen  begaben 
wir  uns  zu  dieser  lieben  Kleinen,  die  wohl  während- 
dessen geschlafen  haben  mochte.  —  Der  Erbgrossherzog 
gab  uns  das  Geleite,  da  er  seine  Tochter  mir  selbst  vor- 


—     298     — 

stellen  wollte.  Sie  wnsste  schon  nm  meine  Ankunft  und 
erwartete  mit  grösster  Ungeduld  mein  Töchterchen,  das 
sie  bei  mir  vermeinte.  Als  ich  in  das  Zimmer  trat, 
rief  sie  sogleich:  „Klein  Mädchen,  klein  Mädchen!^ 
Nachdem  ich  das  ganz  allerliebste  Kind  herzlichst  ge- 
küsst  hatte,  vertröstete  ich  es  damit,  dass  „klein 
Mädchen''  bald  nachkommen  würde.  Ohne  regelmässige 
Züge  zu  besitzen,  hatte  sie  schon  damals  den  lieb- 
reizenden Ausdruck,  den  sie  immer  behielt.  Ihre 
spätere  schlanke,  elegante  Gestalt  konnte  man  frei- 
lich bei  dem  rundlichen  Kinde  noch  nicht  voraus- 
sehen. —  Wie  seltsam  verschlungen  sind  doch  die 
Pfade  des  Lebens!  Vermochte  ich  damals  zu  ahnen, 
dass  dies  schwache  kleine  Wesen  einst  Helene  von 
Orleans,  die  starke  Heldin  und  treue  Freundin 
meiner  späteren  Lebensjahre,  werden  würde! 

Des  anderen  Tages  machte  ich  Professor  Schu- 
berts*) Bekanntschaft,  der  Prinzessin  Marie  in  Ge- 
schichte, Geographie  und  deutscher  Sprache  Unterricht 
gab.    Ich  werde  noch  auf  diesen  biederen,  verständigen 

*)  Gotth.  Heinrich  von  Schnbert,  Natorphilosoph ,  geboren 
1780  zn  Hohenstein  in  Sachsen,  erhielt  seine  Schnlbildiing  zu 
Weimar,  wo  ihn  Herder  in  sein  Haus  nahm.  An  der  Universität 
Leipzig  studierte  er  1800  Theologie,  in  Jena  machte  er  sich  mit 
Schellings  Natorphilosophie  bekannt.  1809  wurde  er  nach  Nürn- 
berg berufen  und  weilte  dortselbst  bis  1816»  in  welchem  Jahre 
er  sich,  der  Bitte  des  Erbgrossherzogs  Friedrich  Ludwig  von 
Mecklenburg-Schwerin,  die  Erziehung  von  dessen  Kindern  zn  leiten, 
folgeleistend,  nach  Ludwigslust  begab.  Von  dort  ging  er  1819 
als  Professor  der  Naturwissenschaften  nach  Erlangen.  1827  wurde 
er  in  München  zum  Geheimrat  ernannt  und  in  die  Akademie  auf- 


—     299     — 

and  teilnehmenden  Charakter  znrückzakommen  Ge- 
legenheit haben  Mit  der  Prinzessin  besachte  ich  die 
Oberhofmeisterin  Fraa  von  Lützow  and  das  alte 
Fränlein  von  Böse,  eine  bewährte  Frenndin  des 
grossherzoglichen  Hofes ,  and  Fräalein  von  der  Tann 
machte  mich  mit  den  übrigen  Damen  von  Ladwigslast 
bekannt,  die  sich  mir  alle  sehr  freandlich  and  ent- 
gegenkommend zeigten. 

Nach  etwa  vierzehn  Tagen  begaben  wir  ans  nach 
Doberan,  wo  die  Prinzessin  Seeb&der  gebraachen 
sollte,  unsere  sehr  bescheidene  Wohnnng  im  Amtshaase 
war  hflbsch  gelegen,  der  protestantischen  Kirche  gegen- 
über and  nahe  dem  Buchenberge,  in  dessen  Waldungen 
wir  sehr  schöne  Spaziergänge  machen  konnten.  Wir 
fuhren  jeden  Morgen  in  das  eine  halbe  Stande  ent- 
fernte Seebad,  wo  ich  zum  erstenmale  den  majestätischen 
Anblick  des  Meeres  genoss.  Den  Grossherzog  von 
Mecklenburg  mit  den  Prinzen  Gustav  und  Karl 
trafen  wir  am  Meeresufer.  Der  Grossherzog  lud  uns 
sogleich  zu  einer  Seefahrt  auf  seiner  Yacht  ein.  Prin- 
zessin Marie  war  darüber  sehr  erfreut  und  machte 
mich  auf  die  Schönheit  der  See  aufmerksam ,  welche 
violett  und  grün  im  Sonnenscheine  funkelte.  Am  An- 
fange  dieser   Fahrt  bewunderte   ich   den   prächtigen 


genommen.    Er  starb   dorUelbBt  den  1.  Jali  1860.    Unter  seinen 

lahlreichen  Schriften   ist  die  bekannteste  „Geschichte  der  Seele** 

(Stattg.    1830,   2.    Aufl.    1878).     Über    ihn    schrieb   Schneider 

,,0.  H.  V.  Schubert"  (Bielefeld  1863). 

Der  Herausgeber. 


—     300    — 

Anblick,  aber  nicht  lange  konnte  ich  das  schöne 
Wellenspiel  betrachten,  denn  bald  verspOrte  ich  einen 
heftigen  Schwindel  —  ich  war  seekrank!  Dies  Übel- 
befinden  wurde  stärker  and  stärker,  bis  ich  endlich, 
alles  vergessend,  mich  über  Bord  lehnen  musste  .  .  . 
Vermutlich  lächelte  der  Grossherzog  &ber  mich,  liess 
aber  rasch  nach  dem  Ufer  steuern.  Am  Strande  an- 
gelangt, fühlte  ich  mich  bald  wieder  ganz  wohl. 

Den  nächsten  Tag  fuhren  wir  nach  dem  soge- 
nannten Heiligendamm,  welcher  ein  Überrest  aus  der 
alten  Dmidenzeit  war  und  daher  auch  diesen  Namen 
führte.  Die  Damenbäder  sind  von  den  Herrenbädern 
getrennt,  einesteils  durch  den  Heiligendamm  und 
andersteils  durch  einen  weiten  Platz,  der  vom  grossen 
Eursaal,  sowie  von  den  Seitengebäuden  umgeben  ist, 
welche  die  warmen  Bäder  enthalten.  Über  den  Letzteren 
befinden  sich  sehr  gesuchte  Wohnungen  für  kränkere 
Kurgäste. 

Der  vierwöchentliche  Aufenthalt  in  Doberan  hatte 
sich  sehr  angenehm  für  mich  gestaltet.  Ich  konnte  meinen 
Alexander  um  mich  haben,  und  unser  Kreis  hatte  sich 
erweitert  durch  die  Anwesenheit  des  Fräuleins  von 
Böse  und  der  Miss  Sims,  einer  gewesenen  Vorleserin 
der  verstorbenen  Mutter  von  Prinzessin  Marie.  Auch 
Professor  Schubert  war  uns  mit  Familie  nachge- 
kommen, um  der  Prinzessin  Unterricht  nicht  zu  unter- 
brechen. 

Nach  Ludwigslust  zurückgekehrt,  führten  wir  ein 
sehr  einförmiges  Leben.     Sobald  die  Prinzessin  des 


—    301     — 

Morgens  mit  Mademoiselle  Adrienner  de  Salomon  ihre 
Erbanungslektüre  beendet  hatte,  begannen  ihre  Lehr- 
standen bei  Professor  Schubert  oder  der  Religions- 
unterricht, den  sie  durch  den  Oberprediger  in  Gegen- 
wart des  Fräuleins  von  Salomon  erhielt.  Um  ein  Uhr 
pflegten  wir  zusammen  ein  Oabelfrfih stück  einzunehmen, 
wonach  wir  einen  cirka  einstündigen  Spaziergang  im 
grossen,  schönen  Parke  machten.  Dann  zog  sich  jedes 
auf  sein  Zimmer  zurück.  Um  die  Essenszeit  fanden  wir 
uns,  nach  gemachter  Toilette,  im  Trompetersaale  wieder, 
der  so  hiess,  weil  eine  Stunde  später  ein  Trompeter 
auf  dem  Balkon  dieses  Saales  ein  zweimaliges  Zeichen 
zur  Grossherzoglichen  Tafel  gab.  Nach  Tisch  wurde 
meistens  die  kleine  Prinzessin  Helene  besucht  und  zwar 
bevor  für  ihre  grosse  Schwester  der  Unterricht  im 
Französischen,  Englischen  und  Zeichnen  begann. 
Meistens  mit  mir  machte  letztere  dann  noch,  je  nach  der 
Jahreszeit,  eine  Ausfahrt  oder  einen  kleinen  Spaziergang. 
Einen  Teil  des  Abends  lasen  wir,  nämlich  die  Prin- 
zessin, Mademoiselle  de  Salomon  und  ich,  französische 
litterarische  Werke  und  später  verfügten  wir  uns  zum 
Erbgrossherzog  zum  Thee  in  seine  Gemächer.  Manch- 
mal nahmen  wir  aber  auch  den  Thee  bei  Fräulein  von 
Böse  oder  bei  der  Ministersfrau  von  PI  essen,  mit 
welchen  beiden  wir  auf  sehr  vertrautem  Fusse  standen. 
Im  Laufe  des  Winters  wohnte  die  Prinzessin,  so 
jung  sie  auch  noch  war,  doch  schon  mehreren  Hofbällen 
bei,  aber  sie  blieb  nicht  bis  zu  deren  Ende.  Ihr  Vater 
erwähnte  mir  gegenüber  öfter  mit  Befriedigung  ihre 


—    302     — 

Schönheit  and  gnte  Haltung  und  freute  sich  sichtlich, 
dass  ihr  ein  schönes  Ballkleid  mit  lila  Glockenblumen  ge- 
schmflckt,  welches  er  ihr  von  Paris  hatte  kommen  lassen, 
auffallend  gut  stand.  Ihre  rötlichblonden  Haare  ge- 
fielen ihm  besonders  gut,  und  er  war  etwas  erschrocken, 
als  ich  ihm  von  einem  Kamme  aus  Blei  erzählte,  den 
ich  mitgebracht  hatte,  um  die  rote  Farbe  ihrer  Haare 
damit  zu  verändern,  wie  es  mir  geraten  worden  war. 
Ihre  Erscheinung  war  bereits  damals  durch  ihren 
blendend  weissen  Teint  und  ihre  Schönheit  auffallend, 
und  sie  fand  stets  nicht  nur  durch  letztere,  sondern 
auch  ihrer  Liebenswürdigkeit  und  Anspruchslosigkeit 
halber  allgemeinen  Beifall.  Besser  als  dies  alles  schien 
mir  jedoch  ihre  Gemütlichkeit  und  Herzensgüte  gegen 
jeden,  mit  dem  sie  verkehrte,  was  sie  auch  zum  Liebling 
ihres  Vaters,  ihres  Grossvaters,  ihrer  Onkel  und  aller 
Mecklenburger  machte. 


VI.  Kapitel. 

Eine  Hochzeit  im  Hause  Meclclenburg  und  Todesfälle. 

Im  Frühjahr  1817  machte  mir  der  Erbgrossherzog 
die  Eröffnung,  dass  er  gesonnen  sei,  sich  seiner  Kinder 
wegen  wieder  zu  vermählen.  Er  teilte  mir  mit,  dass 
seine  liebe,  verstorbene  Gemahlin,  ihren  nahen  Tod 
voraussehend,  ihn  um  das  Versprechen  gebeten  habe, 
nach  ihrem  Ableben  sich  um  ihre  Cousine,  Auguste 
von  Hessen-Homburg,  zu  bewerben.  Sie  sagte,  der 
Gedanke,  ihre  Kinder  würden  eine  zweite  Mutter  er- 
halten, von  der  sie  wüsste,  dass  sie  alle  Eigen  schalten 
besitze,  um  sie  auf  ihren  Lebenswegen  richtig  zu 
leiten,  wäre  ein  grosser  Trost  für  sie  beim  Scheiden 
aus  dieser  Welt.  Ihre  Furcht,  die  auch  der  Erbgross- 
herzog teilte,  bestand  darin,  dass,  wenn  die  Prin- 
zessinnen ohne  Vertraueneinflössende  Stiefmutter  blieben, 
ihre  beiderseitigen  Grossmütter  sie  für  die  Zeil  ihrer 
Erziehung  bei  sich  zu  haben  wünschen  würden.  Er 
fügte  hinzu,  es  sei  ihm  also  eine  heilige  Pflicht,  diese 
ihre  Bitte  zu  erfüllen  und  er  würde  bestimmt  nach 
Homburg  reisen,  um  die  Prinzessin  Auguste  kennen 
zu  lernen  und   sich  mit  ihr  über  diese  Sache  zu  be- 


—    304    — 

sprechen.  Zwar  habe  ihm  Prinzessin  Wilhelm  von 
Prenssen  versichert,  jene  passe  gar  nicht  zu  ihm, 
weder  in  ihren  Gewohnheiten  noch  in  ihrem  Äusseren 
und  dem  Alter  nach,  doch  hielte  ihn  dies  von 
seinem  Vorhaben  nicht  ab.  Sein  Weg  nach  der 
Schweiz,  woselbst  er  sich  schon  seit  langem  vor- 
genommen hatte,  seinen  sechzehnjährigen  Sohn  Paul, 
der  sich  dort  studienhalber  aufhielt,  zu  besuchen, 
führte  ihn  über  Homburg,  wo  er  ja  auch  einen  kleinen 
Aufenthalt  nehmen  konnte.  Der  Zeitpunkt,  an  dem 
er  dahin  abreiste,  ist  mir  nicht  mehr  erinnerlich,  seine 
Rückkehr  fand  jedoch  Ende  Juli  statt.  Wir  warteten 
sie  ab,  um  nach  Doberan  reisen  zu  können. 

Obwohl  mir  der  Erbgrossherzog  während  seiner 
Abwesenheit  öfter  schrieb,  hauptsächlich  um  Nachricht 
von  seiner  Tochter  zu  erhalten,  mit  der  er  übrigens 
auch  im  Briefwechsel  stand,  erfuhr  ich  erst  nach  seiner 
Heimkehr  Näheres  über  diese  Brautwerbung,  da  er  es 
mir  vertraulich  mitteilte. 

Bei  seiner  Ankunft  in  Homburg  weihte  er  die 
Brüder  der  Prinzessin  in  sein  Vorhaben  ein.  Diese 
sowohl,  als  auch  deren  Mutter,  eine  Schwester  der 
Grossherzogin  von  Weimar,  fanden  besagtes  Heirats- 
projekt für  Auguste  sehr  passend,  da  sie  dieselbe  mit 
allen  Geistesvorzügen  ausgestattet  wussten,  welche  sie 
für  die  vorgeschlagene  Stellung  geeignet  machen 
mussten.  Sie  versprachen,  den  alten  Landgrafen 
darauf  vorbereiten  zu  wollen,  drückten  aber  zugleich 
die  Vermutung   aus,    dass  derselbe  anderer  Meinung 


—    305    — 

sein  w&rde.  Einesteils,  weil  er  aus  inniger  Liebe 
sich  nicht  von  ihr  trennen  könne,  andernteils,  weil 
sie  ihm  immer  in  seinen  Regierangsangelegenheiten 
znr  Seite  stehe,  nnd  seine  vorzüglichste  Ratgeberin 
sei.  Die  Prinzessin  hatte  bisher  alle  Anträge  zurfick- 
gewiesen.  Ihre  Brüder  waren  jedoch  überzeugt,  dass 
die  Schwester,  wenn  die  Eltern  diese  Heirat  gewähr- 
ten, deren  Willen  Folge  leisten  würde. 

Zur  Zeit  des  Todes  ihrer  Cousine,  der  Erbgross- 
herzogin  Caroline  von  Mecklenburg,  hatte  Prin- 
zessin Auguste  eines  Abends,  nachdem  sie  zu  Bette 
gegangen,  eine  Erscheinung  der  sogenannten  „weissen 
Frau" ,  die  sich  den  Mitgliedern  der  Hessen-Darm- 
städtschen  Familie  dann  und  wann  zeigt.  Wie  mir  die 
Prinzessin  später  selbst  versicherte,  verursachte  ihr  dies 
einen  grossen  Schrecken,  zugleich  aber  hatte  sie  die 
Vorahnung,  dass  ihr  damit  ein  künftiger  Heiratsantrag 
angekündigt  würde.  Als  sie  von  ihrer  Schwester,  der 
Prinzessin  Wilhelm  von  Preussen,  bald  nachdem  der 
Erbgrossherzog  mit  derselben  über  diese  Angelegenheit 
gesprochen  hatte,  einen  Brief  erhielt,  wollte  sie  den- 
selben nicht  öffnen,  befürchtend,  er  berühre  den  von 
ihr  geahnten  Gegenstand,  was  auch  wirklich  der  Fall 
war.  Sie  zeigte  sich  jedoch  allen  Heiratsplänen  so  ab- 
geneigt, sowohl  ihrer  vierzig  Jahre  wegen,  als  der  stillen 
Gewohnheiten  ihres  Lebens  und  des  Bewusstseins 
halber,  ihrem  Vater  fast  unentbehrlich  zu  sein,  dass 
sie  der  Schwester  ablehnend  antwortete.  Wenige 
Tage  vor  seiner  Abreise  von  Ludwigslust  wurde  dies 

Carl  Graf  Obaradorff,  ErioatnuigaB  tiatr  UrgroMmatltr.     20 


—    306    — 

durch  Prinzessin  Wilhelm  dem  Erbgrossherzog  mit- 
geteilt, welcher  sich  jedoch  in  seinem  Vorhaben,  die 
Beise  Aber  Homburg  zu  unternehmen,  nicht  wankend 
machen  Hess.  Die  Brüder  der  Prinzessin  fände  sien 
in  dieser  ablehnenden  Stimmung,  als  sie  mit  ihr  den 
Antrag  des  Erbgrossherzogs  zuerst  besprachen  und  sie 
dafür  zu  gewinnen  suchten.  Sie  war  so  fest  überzeugt, 
dass  ihr  Vater  dagegen  sein  würde,  dass  sie  nichts 
hindern  wollte,  was  auch  ihre  Brüder  bei  ihm  vor- 
bringen möchten. 

Wie  mir  der  Erbgrossherzog  später  mitteilte, 
hatte  er  mit  ihr,  als  er  persönlich  um  sie  warb,  eine 
längere  Unterredung,  in  welcher  er  ihr  den  Wunsch 
seiner  verewigten  Frau  und  den  vorteilhaften  Einfluss, 
den  sie  auf  deren  Kinder  haben  würde,  auseinander- 
setzte. Sie  entgegnete  darauf,  dass  er  sich  wohl  auch 
täuschen  könne,  wenn  er  sie  so  passend  für  diese  Stellung 
halte,  und  meinte,  er  möge  sich  lieber  an  die  26  jährige 
Prinzessin  Adelheid  von  Meiningen  wenden,  die 
als  sehr  verdienstvoll  geschildert  werde  und  gegen- 
wärtig in  Frankfurt  lebe.  Daraufhin  erwiderte  er: 
dass,  nachdem  er  ihre  Bekanntschaft  gemacht  und 
der  Wunsch  seiner  verstorbenen  Frau  nun  auch  ganz 
der  seine  sei,  er  sich  in  seinem  Vorhaben  nur  be- 
stärkt fühle  und  sich  nicht  mehr  davon  abbringen 
lassen  könne,  wenn  er  auch,  wie  sie  es  ihm  vorschlug, 
nach  Frankfurt  ginge,  um  sich  nach  der  gewiss  aus- 
gezeichneten Prinzessin  umzusehen.  Er  schloss  damit, 
dass  er  sie  versicherte,   nicht  die  Hoffnung  aufgeben 


—    307     — 

zu  können,  dass  ihr  Vater  doch  noch  endlich   darein 
willigen  würde. 

So  geschah  es  denn  auch.  Er  ging  nach  Frank- 
fart,  kam  aber  nach  kurzer  Zeit  wieder  zurück,  und 
nachdem  Prinzessin  Auguste  geäussert  hatte,  sie  würde 
den  Willen  ihrer  Eltern  als  die  Stimme  Gottes  ansehen, 
wendeten  ihre  Brüder,  auf  Bitte  des  Erbgrossherzogs, 
ihre  ganze  Beredsamkeit  auf,  um  den  Vater  günstiger 
zu  stimmen;  auch  die  Landgräfin  sagte  ihm  ihre  Für- 
sprache zu.  Diesen  vereinten  Bitten  konnte  jener  nicht 
länger  widerstehen  und  gab,  wenn  auch  nicht  mit 
Freude,  dem  ihm  sonst  sehr  zusagenden  Freier  seine 
Einwilligung. 

Daraufhin  reiste  der  Erbgrossherzog,  höchst  be- 
friedigt hierüber,  in  die  Schweiz.  Er  glaubte  sich 
seiner  Sache  sicherer  als  sie  war,  denn  bei  seiner 
Bückkehr  nach  Homburg  bat  ihn  seine  Braut  aufs 
inständigste,  ihr  das  Jawort  zurückzugeben,  da  sie  den 
Schmerz  und  den  Unmut  ihres  Vaters  nicht  länger  er- 
tragen könne.  Dieser  habe  von  ihr  verlangt,  sie  solle 
die  Verlobung  rückgängig  machen.  Es  schien  dies 
allen  sehr  unrecht,  und  die  Prinzessin  that  es  nur  aus 
kindlicher  Liebe  und  Gehorsam.  Der  Bräutigam  wollte 
jedoch  davon  nichts  hören  und  reiste  bald  darauf  nach 
Mecklenburg,  nachdem  er  den  Monat  April  des  folgenden 
Jahres  als  Zeitpunkt  der  Vermählung  ausgebeten  hatte. 

So  beglückt  er  sich  nun  durch  die  Annahme 
seines  Antrages  fühlte,  so  schwer  fiel  ihr  das  ge- 
spannte Verhältnis  ihres  alten  Vaters  zum  Verlobten. 

20* 


—    308    — 

Der  Landgraf  kam  immer  auf  seine  Betrübnis  über 
die  bevorstehende  Trennung  und  seinen  Wunsch,  den 
Heiratsplan  aufgegeben  zu  wissen,  zurück,  so  dass 
seine  Tochter  meinte,  diese  schwere  Zeit  nicht  über- 
stehen zu  können.  Man  kann  sich  denken,  was  ein 
so  edles  Herz,  wie  das  der  Prinzessin  Auguste,  leiden  ^ 
musste,  da  sie  fühlte,  dass  es  nicht  mehr  in  ihrer 
Macht  liege,  die  Sachlage  zu  ändern,  und  sie  sich 
durch  ihr  gegebenes  Wort  verpflichtet  hielt,  den  Wunsch 
ihrer  verewigten  teuren  Cousine  zu  erfüllen. 

Als  der  Erbgrossherzog  im  April  1818  zu  seiner 
Vermählung  nach  Homburg  reiste,  wurde  er  dort  all- 
seits auf  das  freundlichste  und  zuvorkommendste 
empfangen,  nur  sein  künftiger  Schwiegervater  zeigte 
sich  ihm  selten.  Vor  der  von  ihm  genehmigten  Trauung 
verliess  der  alte  Herr  das  Schloss,  um  dem  Abschied 
von  seiner  Tochter  zu  entgehen.  Derselben  fiel  es 
äusserst  schwer,  scheiden  zu  müssen,  ohne  ihren  Vater 
noch  einmal  gesehen  zu  haben. 

Wir  waren  benachrichtigt  worden,  den  Erbgross- 
herzog an  einem  bestimmten  Tage  in  Ludwigslust  zu 
erwarten.  Er  kam  am  Vormittag  von  der  eine  Stunde 
entfernten  kleinen  Handelsstadt  Grabow,  wo  er  seine 
Gemahlin  zurückgelassen  hatte,  in  Begleitung  des  Herrn 
von  Rantzau  und  der  Hofdame  Fräulein  Gustavie  von 
Sinclair  herbei,  um  ihr  seine  Tochter  vorzustellen, 
und  forderte  uns  auf,  mit  ihm  nach  Grabow  zu  fahren, 
von  wo  aus  er  mit  den  beiden  Prinzessinnen  zurück- 
kehren würde,  während  ich  in   meinen  Wagen  ausser 


—     309     — 

Fräulein  von  Salomon  auch  noch  Fräulein  Sinclair  auf- 
nehmen sollte.  Letztere,  damals  zwanzig  Jahre  alt, 
während  ich  dreissig  zählte,  unterhielt  sich  während 
der  ersten  einstQndigen  Fahrt  angelegentlich  mit  uns 
über  die  trefflichen  Eigenschaften  der  Prinzessin 
Auguste,  welche  gleichen  Alters  mit  ihrem  Gemahle 
war  und  etwas  sehr  Freundliches  und  Zutrauen- 
erweckendes an  sich  hatte.  Während  dreier  Tage  der 
Erwartung  des  feierlichen  Einzuges  in  Schwerin,  hatten 
wir  im  engen  Familienkreise  Gelegenheit,  all  dies  Oute 
bestätigt  zu  finden,  und  dankten  Gott  für  diese  neue 
Mutter  der  Prinzessinnen. 

Nach  diesen  Rasttagen  fuhren  wir  von  Ludwigslust 
nach  Bedwin,  wo  wir  nach  eingenommenem  Gabelfrüh- 
stück Toilette  machten  für  die  Einzugsfeier  in  dem 
eine  Viertelstunde  von  Ludwigslust  entfernten  Schwerin, 
wo  der  Grossherzog  die  neue  Schwiegertochter  in 
seiner  Residenz  erwartete. 

Die  Erbgrossherzogin  bestieg  mit  Prinzessin  Marie 
den  festlichen  grossen  Glaswagen,  neben  welchem  der 
Erbgrossherzog  ritt.  Der  Einzug  erfolgte  beim  Läuten 
aller  Glocken  und  unter  Kanonendonner.  Dem  Gala- 
wagen fuhr  der  Kavaliers  wagen  voran.  Die  Oberhof- 
meisterin Frau  von  Lützow  und  ich  folgten  demselben, 
dann  kam  der  Wagen  mit  den  Hofdamen.  Selbstver- 
ständlich ging  der  Zug  nur  langsam  von  statten,  da  die 
Deputationen  der  Landstände,  der  Bürgerschaft  von 
Schwerin  und  anderer  Körperschaften  Anreden  hielten, 
die  die  neue  Erbgrossherzogin  immer  sehr  befriedigend 


j 


—     310     — 

beantwortete.  Nachdem  der  Grossherzog  seine  Schwieger- 
tochter anfs  freundlichste  begrüsst  hatte,  fand  das 
grosse  Oaladiner  statt,  worauf  wir  nach  Ludwigslust 
zurückfuhren,  zufrieden,  dass  die  Ceremonie  vorüber  sei. 
Nun  fing  unser  gewohntes  Leben  wieder  an  und 
für  Prinzessin  Marie  der  regelmässige  Unterricht, 
den  ihr  Schubert  und  andere  erteilten,  nicht  zu  ver- 
gessen, dass  sie  täglich  mehrere  Stunden  bei  ihrer 
Stiefmutter  zubrachte,  was  ihr  immer  grosse  Freude 
bereitete.  Der  Erbgrossherzog ,  der  sehr  viel  Ver- 
trauen in  mich  setzte,  liess  nicht  ab,  mir  von  den  er- 
freulichen Geistesgaben  seiner  Frau  zu  sprechen,  die  ihn 
immer  mehr  und  mehr  an  sie  fesselten.  Da  seine  Ge- 
sundheit es  erforderte,  musste  er  bald  zum  Kurgebrauche 
nach  Karlsbad  abreisen,  wohin  ihn  auch  sein  Bruder 
Gustav  begleitete.  Während  dieser  Abwesenheit 
wurde  unser  Verhältnis  zur  Erbgrossherzogin  immer 
vertraulicher  und  liebevoller.  Professor  Schubert,  den 
sie  bereits  durch  seine  Schriften  kannte,  wurde  ihr 
bald  sehr  angenehm,  denn  da  alles  Wissenschaftliche 
sie  interessierte,  konnte  er  trotz  seiner  angebornen 
Schüchternheit  auf  ungezwungene  Weise  mit  ihr  ver- 
kehren. Dass  er  aber  häufig  davon  sprach,  Ludwigs- 
lust und  das  Hof  leben,  für  das  er  sich  nicht  geschaffen 
fühlte,  zu  verlassen,  war  ihr  nicht  recht.  Er  wollte 
nämlich  einem  sehr  dringenden  Rufe  nach  Erlangen 
behufs  Wiederaufnahme  seiner  akademischen  Laufbahn 
Folge  leisten.  Dem  Erbgrossherzog  war  sein  Scheiden 
ebenso  unangenehm.  Nachdem  sich  beide  vergeblich  be- 


—     311     — 

m&ht  hatten;  ihn  zum  Bleiben  zu  bewegen,  gaben  sie 
mir  den  Auftrag,  ein  Gleiches  zu  thun.  Dies  ging  um  so 
schwerer,  als  ich  wusste,  dass  seine  Frau  mit  ihrem 
Kinde  sich  sehnlichst  nach  Baiern  zur&ckwünschte.  Ich 
sprach  mehrere  Male  sehr  ernstlich  mit  ihm  über  das 
Oute,  das  er  nicht  blos  bei  der  Grossherzoglichen 
FamiliQ  wirken  könne,  sondern  bereits  bei  vielen  Per- 
sonen des  Mittelstandes  durch  sein  freundliches  und 
religiöses  Wesen  gefördert  habe,  und  bat  ihn  darüber 
nachzudenken,  ob  er  diesen  Wirkungskreis  so  leicht 
im  Stiche  lassen  dürfe.  Seine  Gegengründe  überwogen 
aber  alles,  was  ich  sagen  konnte,  da  er  ja  auch  wegen 
seiner  Familie  zur  Abreise  drängte,  denn  seine  Tochter 
Selma  hatte  erst  vor  kurzem  eine  schwere  Krankheit 
durchgemacht  und  sollte  sich  nun  durch  den  Luft- 
wechsel erholen. 

Durch  unseren  guten  Schubert,  der  sich  deshalb 
an  Bischof  S  a  i  1  e  r  in  Begensburg  wandte ,  hatte  ich 
mich  für  meinen  Alexander  nach  einem  katholischen 
Hofmeister  umsehen  lassen,  der  sich  aber  trotz  vieler 
Bemühungen  nicht  finden  lassen  wollte.  So  entschied 
ich  mich  denn  für  einen  jungen  und  talentvollen 
protestantischen  Kandidaten  der  Theologie,  Namens 
Zahn,  der  mit  Alexander  bei  unserm  katholischen 
Pfarrer ,  den  man  Pastor  Schulze  nannte,  wohnen 
sollte.  Sie  lebten  mit  demselben  in  guter  Freund- 
schaft, brachten  jedoch  ihre  abendlichen  Mussestunden 
bei  Schubert  zu.  Selma  und  ihre  Pflegeschwester 
Adeline  waren  Alexanders  Gespielinnen,  und  ihre  Eltern 


—     312     — 

behandelten  meinen  Sohn  and  seinen  Ereieher  mit 
freundlicher  Anfmerksamkeit. 

Anfangs  August  kehrten  die  Prinzen  aus  Karlsbad 
zurück,  und  zwar  zuerst  Herzog  Gustav,  dann  der  Erb- 
grossherzog.  Beide  brachten  uns  kleine  Andenken  von 
dorten  mit,  und  es  schien  mir  merkwürdig,  dass  ich 
von  einem  jeden  von  ihnen  ein  Kruzifix  erhielt;  das 
vom  Erbgrossherzog  habe  ich  noch  auf  meinem  Tische 
stehen.  Ich  erinnere  mich  auch  der  Worte,  die  er  auf 
verbindliche  Weise  sagte,  als  er  es  mir  übergab:  „Je 
vous  apporte  ce  crucifix,  pourque  vous  mettiez  chaque 
d^sagr6ment,  qui  pourrait  vous  arriver  chez  nous,  au 
pied  de  la  croix." 

Um  diese  Zeit  traf  man  die  Vorkehrungen  zur  all- 
jährlichen Beise  nach  Doberan.  Auf  dem  Wege  dorthin 
bot  uns  in  einem  Walde  bei  Segeberg  ein  Forstmeister 
auf  reichlicli  besetzter  Tafel  ein  Gabelfrühstück  an, 
und  Abends  erreichten  wir  unser  Reiseziel,  wo  wir 
unsere  gewohnten  schlichten  Gemächer  wieder  bezogen. 
Die  Erbgrossherzogin  erfreute  sich  am  Anblicke  des 
Meeres,  der  für  sie  neu  war.  Der  Erbgrossherzog  lud 
auch  meinen  Sohn  dorthin  ein;  so  kam  er  denn  mit 
Schubert,  blieb  wohl  nur  acht  Tage,  doch  konnten 
wir  dies  Zusammensein  nach  Herzenslust  geniessen. 

Nach  vollendeter  Badekur  kehrten  wir  alle  zu- 
sammen nach  Ludwigslust  zurück.  Nahe  davon  in 
einem  Walde  befindet  sich  das  Schloss  Neustadt, 
welches  wir  öfters  auf  Landpartieen  besuchten.  Ich 
musste  mich  immer  wundern,   die  beiden   Schweize- 


—     313    — 

rinnen,  Fräulein  von  Salomon,  die  doch  an  die  gross- 
artigen Naturschönheiten  ihrer  Heimat  gewöhnt  waren, 
so  entzückt  darüber  zu  sehen,  denn  mir  kam  die  Gegend 
recht  nüchtern  vor.  Es  konnte  wohl  nur  der  Gegensatz 
des  grünen  Forstes  zum  Öden  Ludwigslust  das  Wald- 
schloss  ihnen  so  lieblich  erscheinen  lassen. 

Im  Oktober  dieses  Jahres  kam  die  Nachricht, 
dass  Kaiserin  Marie  von  Russland,  die  Grossmutter 
unserer  Prinzessin  Marie,  nach  Deutschland  und  zwar 
zuerst  nach  Weimar  kommen  würde.  Man  dachte 
natürlich  gleich  daran,  letztere,  so  wie  ihren  Bruder 
Paul  ihr  vorzustellen,  und  es  wurde  bestimmt,  dass 
wir  am  18.  November  nach  Weimar  abreisen  sollten. 

Bezüglich  unserer  ersten  Aufwartung  bei  der 
Monarchin  muss  ich  gestehen,  dass  mir  alles  Nähere  da- 
rüber entfallen  ist;  nur  weiss  ich  noch,  dass  die  Kaiserin 
sehr  freundlich  gegen  uns  alle  war  und  eine  baldige 
Unterredung  mit  mir  begehrte,  um  sich  über  die  Er- 
ziehung ihrer  Enkelin  zu  unterrichten.  Von  Personen, 
die  ich  damals  kennen  leinte,  erinnere  ich  mich  noch 
der  Oberhofmeisterin  Gräfin  Lieven,  welche  die 
Erbgrossherzogin  Marie  von  Weimar  und  deren 
Schwester  erzogen  hatte,  dann  der  Frau  von  Hopf- 
garten,  der  Hofmeisterin  der  Prinzessinnen  Marie  und 
Auguste  von  Sachsen,  welche  damals  sechzehn  und 
fünfzehn  Jahre  zählten.  Auch  zweier  russischer  Hof- 
damen kann  ich  mich  gleichfalls  entsinnen,  von  welchen 
die  ältere  Turkestanow  hiess,  und  die  jüngere  ein 
grossartiges  Talent   für  das  Klavier  hatte.    Dies  ver- 


—     314     — 

anlasste  auch,  dass  die  Kaiserin  sie  bei  einem  grossen 
Hoffeste  aufforderte,  ans  etwas  vorzuspielen,  was  sie 
auch  meisterhaft  ausführte. 

Unter  den  vielen  Festen  aller  Art,  welche  der  Kaiserin 
zu  Ehren  gegeben  wurden,  muss  ich  eines  besonders  Er- 
wähnung thun:  es  war  dies  eine  kostAmiei-te  Vorstellqng 
der  Werke*)  aller  bertlhmten  Weimarischen  Dichter, 
wie  Goethe,  Schiller,  Wieland  etc.  Sie  wurde  von  Mit- 
gliedern der  Hofgesellschaft  gegeben  und  mit  allem 
erdenklichen  Prunke  ausgestattet.  Die  Ministerin  von 
Pritsch,  geborene  von  Wolfskeel,  und  Gräfin 
Egloffstein  deklamierten,  die  eine,  welche  als  „Nacht*' 
auftrat,  einen  von  Goethe  gedichteten  Prolog,  die 
andere  einige  Strophen  Qber  jedes  der  dargestellten 
Bilder. 

Während  dieser  so  brillanten  Zeit  in  Weimar 
hatte  ich,   ohne  es  zu  wissen,   das  Unglück  gehabt. 


*)  Hier  ist  Goethes  „Maskenzag  bei  Allerhöchster  An- 
wesenheit Ihro  Majestät  der  Kaiserin-Matter  Maria 
Feodorowna  in  Weimar,  den  18.  Dezember  1818^  gemeint, 
wobei,  laat  des  von  Goethe  zasammengestellten  Programmes, 
(siehe  Goethes  s&mtliche  Werke  Bd.  VI.  pag.  150.  Leipzig, 
Ph.  Reclam  Jan.)  Gräfin  Egloffstein  als  „Nacht''  aaftrat;  Goethe 
selbst  erschien  als  „Mephistopheles**,  Prinz  Paul  von  Mecklen- 
burg, der  Bruder  der  liebenswürdigen  Prinzessin  Marie,  als  „Ro- 
manow^, Graf  von  Keller  als  „Trompeter^,  Fr&ulein  von  Sinclair 
als  B.  von  Bruneck";  auch  dürfte  der  Leser  dieses  Baches,  wenn 
er  das  Goethesche  Programm  überfliegt,  noch  aaf  manchen  anderen, 
ihm   aus   den  ».Erinnerungen'*  bekannten  Namen,   wie  Buchwald, 

Struve  etc.  etc.  stossen. 

Der  HeraoBgeber. 


—     315     — 

meine  vielgeliebte  Schwester  auf  ihrem  Oat  in  der 
Normandie  zn  verlieren.  Sie  starb  im  Wochenbett  am 
10.  November  1818.  Der  Brief,  der  mir  diese  Trauer- 
botschaft bringen  sollte ,  wurde  an  den  Hofmarschall 
von  Oertzen  adressiert,  welcher  jedoch  in  einer  wich- 
tigen Angelegenheit  nach  Dänemark  verreist  war.  So 
geschah  es  denn,  dass  ich  es  erst  viel,  viel  später  er- 
fuhr, nachdem  der  bedeutendste  Teil  des  Aufenthaltes 
der  Kaiserin  bereits  vorüber  gewesen.  Ich  war  eben  mit 
Fräulein  Adrienne  von  Salomon  allein,  als  man  mir  den 
Brief  überbrachte.  Aufs  erschütterndste  traf  mich  dieser 
unerwartete  harte  Schlag.  Ich  bat  Adrienne,  mich  auf 
eine  halbe  Stunde  zu  verlassen,  denn  ich  musste  in 
meinem  tiefen  Schmerz  allein  mit  Gott  sein.  Es  ist 
nicht  zu  sagen,  was  ich  während  dieser  Zeit  litt,  bis 
ich  mich  in  Ergebenheit  fassen  konnte.  Die  gute 
Erbgrossherzogin,  welche  durch  Fräulein  von  Salomon 
meinen  Kummer  erfahren  hatte,  kam  sogleich  herbei, 
um  mir  mit  grösster  Liebe  Trost  zuzusprechen.  Acht 
Tage  lang  durfte  ich  nun  in  der  Zurückgezogenheit 
bleiben,  und  während  dieser  Zeit  war  die  Kaiserin  ab- 
gereist, dann  gab  es  kein  Hindernis  mehr,  dass  ich 
in  Trauerkleidern  erscheinen  konnte. 

Noch  ein  andermal  wurde  ich  ungefähr  eine 
Woche  vom  Hofe  fem  gehalten.  Als  ich  nämlich  mit 
Prinzessin  Marie,  dem  Prinzen  Paul  und  Fräulein  von 
Salomon  zur  Kaiserin  und  dem  eben  angekommenen 
Kaiser  Alexander  fuhr,  war  gerade  starkes  Glatt- 
eis und  inmitten  des  Weges  lag  ein  bedeutender  Stein, 


—     316     — 

von  dem  der  Wagen  zurückprallte.  Prinz  Paul  sass 
mir  gegen&ber,  und  durch  die  unerwartete  heftige 
Erschfitterüng  stiess  er  mit  aller  Gewalt  mit  seinem 
Kopfe  an  den  meinen.  Er  blickte  mich  ganz  verwundert 
an  und  fragte  dann  erschreckt :  „Pardon,  Madame,  que 
voulez-vous,  que  je  fasse?"  Dies  sagte  er,  da  er  mein  Ge- 
sicht durch  eine  starke  Verwundung  an  der  Stirn  mit  Blut 
Übergossen  sah,  während  er  nur  eine  Beule  davontrug. 
Ich  hatte  im  ersten  Augenblicke  kaum  einen  Schmerz 
gefühlt,  aber  Fräulein  von  Salomon  riet,  sogleich  nach 
Haus  zurückzukehren,  wo  ich  erst  gewahrte,  wie  mich 
die  Verletzung  an  meiner  Stirn  entstellte,  die  sogleich 
eine  starke  Anschwellung  nach  sich  zog. 

Ich  war  kaum  in  das  Vorzimmer  der  Erbgross- 
herzogin  eingetreten,  als  der  Kaiser  Alexander  zu  ihr 
kam,  dem  sie  mich  in  diesem  Zustande  vorstellt«.  Er 
erfuhr  den  Verlauf  meines  Unfalles,  bezeigte  sich  sehr 
liebenswürdig  und  versprach  mir,  seinen  Arzt  zu  schicken, 
was  mir  recht  unnötig  schien.  Übrigens  blieb  es  mit 
dem  einmaligen  Besuche  desselben  abgethan,  denn  mein 
Übel  bestand  nur  in  einer  heftigen  Contusion,  welche 
mehr  die  Zeit,   als  angewandte  Mittel  heilen  musste. 

Es  fand  sich,  dass  ich  am  1.  Januar,  eben  im  Be- 
griffe, der  Erbgrossherzogin  Marie  von  Weimar  meine 
Aufwartung  zu  machen,  ganz  vergass,  die  Trauer- 
kleider abzulegen ;  beim  Eintritt  in  ihr  Vorzimmer  bat 
mich  ihre  Hofdame  ganz  erschreckt,  schnell  mich  zu 
entfernen,  weil  in  Russland  das  Erscheinen  im  Trauer- 
gewand am  Neujahrstage  als  Vorzeichen  eines  Todes- 


—     317     — 

falles  gelte.  Dieser  rechtzeitigen  Warnnng  wusste  ich 
Dank,  als  am  4.  Januar  die  Schwester  der  Erbgross- 
herzogin  Marie,  Königin  Katharina  von  Württem- 
berg, an  der  Kopfrose  starb. 

Hatte  der  Hof  schon  seit  der  Abreise  der  Kaiserin 
zurückgezogen  gelebt,  so  war  dies  nach  dem  Tode 
der  Königin  Katharina  noch  mehr  der  Fall.  In  den  Zim- 
mern von  Prinzess  Marie  und  meinen  daran stossenden 
brachten  wir  meist  die  Abendstanden  zu.  Auch  die 
sehr  gemütliche  Frau  von  Schiller,  die  Witwe  des 
grossen  Dichters,  und  der  Erbgrossherzog  fanden  sich 
öfters  dabei  ein.  Die  Trennung  von  Fräulein  Adrienne 
von  Salomon  war  damals  bevorstehend,  denn  sie 
sollte  am  21.  Januar  mit  Baron  Schmid,  dem  Hof- 
meister des  Prinzen  Paul,  getraut  werden.  Es  war 
dies  der  Tag  vor  unserer  Abreise.  Wir  bedauerten  alle, 
dass  sie  aus  unserem  Kreise  scheiden  sollte,  besonders 
aber  ging  es  Prinzess  Marie  nahe,  welche  ihr  seit 
ihren  frühesten  Jahren  sehr  zugethan  war.  Der  ganze 
mecklenburgische  Hof  begleitete  das  Brautpaar  zur 
Hauptkirche  von  Weimar.  Zu  unser  aller  Schrecken 
hatte  Baron  Schmid  vergessen,  den  Trauerflor,  den  er 
für  die  Königin  von  Württemberg  trug,  abzunehmen; 
es  schien  uns  dies  ein  böses  Omen,  was  sich  auch  leider 
bestätigte,  denn  nach  Jahresfrist  starb  seine  Frau  im 
Wochenbette. 

Während  des  Aufenthaltes  in  Weimar  konnte  ich 
eine  Woche  in  Stedten  bei  der  lieben  Familie  Keller 
zubringen,  denn  ich  führte  meine  Clotilde  hin^  welche 


—     318     — 

dort  verblieb.  Es  war  mir  eine  schmerzliche  Freude, 
Cousine  Mimi  Bariatinsky  wiederzusehen,  die  dort  ihre 
Woche  zubrachte.  Sie  erkundigte  sich  auf  das  um- 
ständlichste nach  meiner  armen  Schwester,  die  sie  von 
Herzen  liebte,  und  ich  durfte  ihr  nicht  deren  Tod 
verraten,  da  ihre  Gesundheit  zu  angegriffen  schien. 
Es  interessierte  mich  sehr,  ihre  Kinder  kennen  zu  lernen. 
Ihre  älteste  Tochter  Olga  wurde  später  Frau  von 
Davidoff,  ihr  Sohn  Alexander  ist  jetzt  Gouverneur 
von  Tiflis,  Leonille  Fürstin  Wittgenstein  und 
Marie  Fürstin  Kotschubei.  Die  Taufe  dieser 
Letztem,  der  ich  damals  beiwohnte,  war  die  erste 
nach  griechischem  Ritus,  welche  ich  noch  gesehen;  ich 
wusste  früher  nicht,  dass  man  dem  Kinde  das  Abend- 
mahl in  der  Gestalt  des  Weines  reiche. 

Hätte  mich  die  bevorstehende  Trennung  von  meiner 
lieben  Clotilde,  die  ich  auf  unbestimmte  Zeit  bei  Tante 
Keller  lassen  sollte,  und  das  bedrückende  Gefühl  ob 
des  Todes  meiner  Schwester  nicht  so  tief  betrübt,  so 
wäre  mir  dieser  kurze  Aufenthalt  in  der  mir  so  sehr 
teuern  Familie  als  freudiges  Ereignis  in  Erinnerung. 

In  Ludwigslust  angekommen,  nahmen  wir  das  ge- 
wohnte Leben  wieder  auf,  während  Prinz  Paul  mit 
seinem  Hofmeister  Baron  Schmid  ein  Studienjahr  in 
Jena  zubrachte.  Jm  Laufe  des  Sommers  gingen  wir 
wieder  ins  Seebad  Doberan,  wohin  in  diesem  Jahre  auch 
Grossfürst  Nikolaus*)  mit  seiner  Gemahlin  Alexandra 

*)  Seit  1825  Kaiser  Nikolaas  I.,  gestorben  2.  März  1855. 

Der  Herausgeber. 


—    319    — 

(Charlotte  von  Preassen)  kam.  Sie  schien  sehr  an- 
gegriffen von  der  Seereise,  viar  auffallend  bleich  und 
zitterte  mit  dem  Kopfe;  durch  ihren  überfeinen  Teint 
sah  man  die  Adern.  Trotz  ihres  Schwächezustandes 
liebte  sie  nichts  so  sehr  als  den  Tanz,  und  der  Gross- 
f&rst,  ein  schöner,  stattlicher  Mann,  sann  nur  immer 
darauf,  sie  an  diesem  ihrer  Gesundheit  äusserst  schäd- 
lichen Vergn&gen  zn  hindern.  Vom  Grossfürsten 
Nikolaus  erzählte  man  viel  Gutes  hinsichtlich  seiner 
Wirksamkeit  für  die  Erziehung  des  Mittelstandes. 
Er  leitete  selbst  eine  Schule,  die  er  zu  diesem  Zwecke 
gegründet  hatte.  Die  Grossfürstin  wurde  von  ihrer 
preussischen  Familie  angebetet,  und  die  Mitglieder 
derselben  suchten  sie  nach  einander  in  Doberan  auf. 
Das  hohe  Paar  wurde  natürlich  sehr  gefeiert. 
Den  Höhepunkt  errreichten  aber  die  verschiedenen 
Feste  während  der  Anwesenheit  des  Vaters  der  Gross- 
fürstin, des  Königs  Friedrich  Wilhelm  III.  von 
Preussen.  Hauptsächlich  ihm  zu  Ehren  fand  eine  sehr 
brillante  Illumination  im  Kurgarten  statt,  bei  welcher 
der  ganze  Hof  unter  den  festlich  beleuchteten  Bäumen 
sich  erging.  Ich  erinnere  mich,  wie  der  Grossfürst, 
als  er  nicht  gleich  seinen  Schwiegervater  finden  konnte, 
glaubte,  er  würde  ihn  beim  Marionettentheater  an- 
treffen, was  die  Prinzessinnen  verneinten;  erfand  ihn 
richtig  dort  mit  dem  Grossherzog  und  rief  triumphierend 
der  Grossherzogin  zu:  „Quand  je  vous  ai  dit,  que  Papa 
6tait  ä  Polichinell  ,^  was  uns  allen  beim  gewohnten 
Ernste    des   Königs    höchst    drollig    vorkam.     Auch 


—    320    — 

Prinzessin  Luise  von  Preussen,  die  Enkelin  Friedrich 
Wilhelms  III.,  lernte  ich  in  Doberan  kennen.  Sie 
war  nicht  h&bsch,  aber  sehr  unterrichtet  und  religiös. 
Später  heiratete  sie  ihren  Vetter ,  den  Prinzen 
Friedrich  von  Oranien,  nachdem  sich  ihr  Vater 
lange  geweigert  hatte,  seine  Zastimmnng  zu  dieser 
Verbindung  zu  geben  wegen  der  allzu  nahen  Bluts- 
verwandtschaft. 

Im  September  kehrten  wir  nach  Ludwigslust  zurück. 
Auch  der  Grossherzog  folgte  uns  dahin  der  Jagden 
halber.  Er  blieb  dann  meistens  über  den  ganzen 
Winter  bei  der  Familie  seines  Sohnes. 

Mitte  November  erkrankte  der  Erbgrossherzog, 
ohne  dass  man  es  Anfangs  bedenklich  fand.  Vom 
20.  an  verschlimmerte  sich  jedoch  sein  Zustand,  und 
man  Hess  ausser  dem  Hofrat  Dr.  Störzl  noch  einen 
zweiten  Arzt;  Dr.  Sachs  aus  Schwerin,  kommen.  Als 
aber  dann  ein  Nervenschlag  hinzukam,  blieb  keine 
Hoffnung  mehr,  ihn  am  Leben  zu  erhalten. 

Es  ist  mir  in  schmerzlichem  Andenken,  wie  man 
uns  am  28.  November  früh  acht  Uhr  meldete,  dass 
Prinzessin  Marie  schnell  hinaufkommen  müsse,  wenn 
sie  ihren  Vater  noch  sehen  wolle.  Wir  vollendeten 
so  rasch  als  möglich  unsere  Toilette  und  eilten  an 
das  Krankenlager,  an  welchem  wir  die  Erbgrossherzogin 
in  Thränen  aufgelöst  fanden.  Der  Erbgrossherzog  hatte 
den  Gebrauch  der  Sprache  verloren,  gab  aber  durch 
Zeichen  zu  verstehen,  dass  er  seine  Kinder  segnen  wolle. 
Prinzessin  Marie  war  die  Einzige  von  ihnen,  welche  noch 


—     321     — 

rechtzeitig  dazukam.  Als  er  dann  die  Besinnung  verlor, 
liess  man  die  Kleinen  nicht  mehr  kommen,  und  Prinz 
Paul  weilte  in  Rostock.  Man  hatte  ihn  so  rasch  als 
möglich  verständigt,  aber  trotz  aller  Eile  traf  er  nur 
wenige  Stunden  vor  dem  Ende  seines  teuem  Vaters 
ein  und  sah  ihn  nur  noch,  als  er  bereits  in  den  letzten 
Zügen  lag.  Der  siebenundzwanzigstündige  Todeskampf, 
während  welchem  wir  nur  abwechselnd  in  dem  kleinen 
Zimmer  verweilen  durften,  war  eine  schreckliche  Zeit 
für  uns  alle. 

Die  Frau  Erbgrossherzogin  allein  wich  nicht  vom 
Sterbelager  ihres  Gatten  und  wiederholte  in  ihrem 
Innern  die  Worte:  „Herr,  dein  Wille  geschehe.^  Das 
vertraute  sie  mir  später  an. 

Während  dieses  Todeskampfes  wurde  Prinzess 
Marie  gegen  ihren  Willen  aus  dem  Krankenzimmer 
geschickt,  um  sich  auf  ein  Kanapee  im  Nebenraume  zu 
legen,  da  sie  kaum  mehr  stehen  konnte;  die  Ärzte 
rieten,  sie  möge  etwas  zu  sich  nehmen,  da  sie  nicht 
gefrühstückt  hätte,  was  sie  aber  durchaus  verweigerte. 
Nachdem  sich  jedoch  bei  ihr  Nervenkrämpfe  einstellten, 
gehorchte  sie  und  genoss  ein  wenig  Bouillon.  Die 
Erbgrossherzogin  musste  ein  Gleiches  thun.  Gegen 
Mittemacht  wurden  wir  alle  nicht  zur'  Familie  Ge- 
hörenden in  ein  Nebenzimmer  gerufen,  um  ein  leichtes 
Souper  einzunehmen. 

Der  Hofmarschall  von  Oertzen,  der  sich  trostlos 
in  den  Gemächern  bewegte,  erinnerte  sich  an  einen 
schon  vor  längerer  Zeit   erhaltenen  Befehl,   welchem 

Carl  Oraf  Obtrndorff,  BrinntraBfOi  «latr  UrfroMmvttw.         21 


—     322     — 

zu  gehorchen,  er  den  Oberhofprediger  rufen  liess,  da- 
mit er  am  Sterbebett  Gebete  verrichte.  Dabei  bemerkte 
man,  dass  der  Kranke  nicht  vollständig  ohne  Besinnung 
sei,  indem  er  mehrere  Male  Amen  zu  den  Gebeten 
stammelte.  Es  ist  wohl  unnötig,  länger  von  dem 
schmerzlichen  Zustande  zu  sprechen,  in  welchen  uns 
die  Erwartung  der  Auflösung  des  verehrten  Erbgross- 
herzogs  mittags  versetzte.  Dieselbe  erfolgte  am  29.  No- 
vember 1819  um  12  Uhr. 

Wie  wir  die  Stunden  bis  Nachmittags  5  Uhr  ver- 
lebten, ist  mir  unmöglich  zu  schildern.  Dann  verlangte 
Prinzessin  Marie,  zur  Leiche  ihres  Vaters  gebracht  zu 
werden.  Unendlich  rührend  gestaltete  sich  der  Aus- 
druck der  trauernden  kindlichen  Liebe  meiner  guten, 
armen  Prinzessin,  die  gar  nicht  mehr  die  Überreste 
ihres  teuren  Vaters  verlassen  wollte.  Etwas  später 
brachten  wir  die  funQährige  Prinzessin  Helene  auch 
dorthin.  Sie  zeigte  sich  sehr  verwundert  und  ernst 
beim  Anblick  der  Leiche,  aber  nicht  so  schmerz- 
ergriffen, als  wir  es  gedacht.  Wir  trachteten  ihr  an- 
schaulich zu  machen,  dass  sie  ihren  Vater  in  diesem 
Leben  nicht  mehr  sehen  und  sprechen  würde,  und  ver- 
mochten, dass  sie  darüber  gerührt  wurde.  Sie  fasste 
sich  aber  bald  wieder  und  sagte  zu  mir  in  ihrer  ge- 
wohnten zutraulichen  Weise:  „Aber  lieb'  Freundinle, 
Sie  haben  mir  ja  doch  erklärt,  man  wäre  so  glücklich, 
wenn  man  gut  gewesen,  nach  dem  Tode  beim  lieben 
Gott  zu  sein!" 

Mit  Prinzessin  Marie  ging  ich  mehrere  Male  zur 


—     323     — 

Leiche  ihres  Vaters,  die.  bevor  sie  auf  dem  Paradebett 
aufgebahrt  wurde,  in  den  Salon  des  Verewigten  gebracht 
worden  war.  Ich  muss  gesteheu,  dass  mir  dies  zuerst 
viel  Überwindung  kostete,  da  mir  bis  dahin  der  An- 
blick eines  Toten  den  Eindruck  versteinerten  Lebens 
machte;  je  länger  ich  aber  die  irdischen  Überreste  des 
verschiedenen  Erbgrossherzogs  betrachtete,  desto  klarer 
wurde  es  mir,  dass  dieselben  nur  die  abgestreifte 
Hülle  seiner  Seele  seien. 

Als  die  Leiche  nach  zwei  Tagen  auf  dem  Parade- 
bett ausgestellt  wurde,  strömten  die  Bewohner  von 
Ludwigslust  in  Massen  herbei,  um  die  Züge  des  all- 
verehrten Fürsten  noch  einmal  zu  sehen.  Er  ist 
wirklich  ungemein  beliebt  gewesen,  schon  wegen  seiner 
Leutseligkeit  und  der  wahren  Teilnahme  an  allem, 
was  Unglückliche  betraf. 

Eine  Woche  nach  seinem  Ableben  fand  das  Be- 
gräbnis statt.  Er  wurde  in  einen  doppelten  Sarg 
gelegt,  wovon  der  äussere  mit  Sammet  ausgeschlagen 
war;  Eammerherren  trugen  ihn.  Sie  mussten  sich  von 
Zeit  zu  Zeit  ablösen,  denn  der  Weg  durch  den  Park 
bis  zur  griechischen  Kapelle  war  lang.  In  der  dort 
befindlichen  Gruft,  wo  er  beigesetzt  werden  sollte, 
ruhten  auch  seine  beiden  verstorbenen  Frauen.  Dem 
Sarge  folgte  Erbgrossherzog  Paul  und  alle  Prinzen 
des  Hauses,  sowie  auch  die  tieferschütterte  Witwe 
mit  Prinzessin  Marie,  denen  sich  der  ganze  Hofstaat 
anschloss.  Die  grosse  Abendkälte  war  für  uns  Damen 
sehr  empfindlich,  da  wir  der  tiefen  Trauer  wegen  keine 

21* 


—     324    — 

Mäntel  nmnehmen  durften.  Man  kann  sich  denken, 
dass  der  von  zahllosen  Flambeanx  beleuchtete  Zug, 
der  sich  langsam  unter  den  entlaubten  Bäumen  dahin- 
bewegte,  einen  feierlich  ergreifenden  Eindruck  machen 
musste. 

Obgleich  der  Verstorbene  in  seinem  Testamente 
den  Wunsch  geäussert,  dass  keine  Leichenrede  gehalten 
und  nur  ein  Vaterunser  fftr  seine  Seelenruhe  gebetet 
werden  solle,  liess  es  sich  der  Oberhofprediger  nicht 
nehmen,  in  einer  kurzen  Ansprache  der  ausgezeichneten 
Eigenschafben  des  Verblichenen  zu  gedenken. 

Wenn  nun  auch  die  Tageseinteilung  dieselbe  blieb, 
wie  vorher,  kamen  wir  uns  alle  nach  diesen  traurigen 
Ereignissen  vereinsamt  vor.  Der  Erbgrossherzog  war 
eben  die  Seele  unseres  Familienlebens  gewesen,  und  ein 
jedes  empfand  schmerzlich  seinen  Verlust. 

Früher  schon  hatte  ich  die  Anregung  gegeben, 
einen  Frauenverein  zur  Unterstützung  von  Armen  zu 
gründen,  jetzt  kam  diese  Idee  zur  Ausführung.  Sie 
fand  grossen  Anklang  in  Ludwigslust,  und  es  meldeten 
sich  sehr  zahlreich  Teilnehmerinnen  aus  allen  Ständen. 
Herr  von  Eantzau  wurde  Buchführer  und  Kassierer, 
Frau  von  Buch-Lützow,  sowie  die  Fräulein  von  Lützow 
und  von  Sinclair  waren  besonders  thätig  dafür.  Wir  hatten 
es  so  eingerichtet,  dass  nicht  nur  Geld,  sondern  auch 
Arbeiten  gespendet  wurden,  was  eine  sehr  wohlthätige 
Wirkung  hatte.  Leider  mischte  sich  einige  Jahre  später 
der  Staat  in  unser  Unternehmen  und  nahm  uns  die  Mittel 
aus  der  Hand,  indem  von  ihm  unsere  monatlichen  Bei- 


—     325     — 

träge,  worunter  die  sehr  betr&chtlichen  der  Prinzessinnen, 
einkassiert  wurden. 

Der  Winter  verlief  still  und  einförmig  bis  zu 
jenem  Momente,  da  die  gute  Nancy  von  Salomon  die 
Nachricht  der  Entbindung  ihrer  Schwester,  Frau  von 
Schmid,  erhielt.  In  freudiger  Aufregung  rüstete  sich 
Nancy,  um  sich  zu  Adrienne  nach  Rostock  zu  begeben, 
als  am  Vorabende  des  ftlr  ihre  Abreise  bestimmten  Tages 
Herr  von  ßantzau  mir  einen  Brief  des  trostlosen  Herrn 
von  Schmid  brachte,  der  den  Tod  seiner  geliebten 
Oattin  mitteilte.  Ich  fühlte  wohl,  dass  es  meine  Pflicht 
sei,  diese  Trauerbotschaft  der  ahnungslosen  Schwester 
zu  überbringen,  indessen  schien  es  mir  eine  gar  zu 
schreckliche  Aufgabe,  diese  aus  ihrer  übergrossen 
Freude  zu  reissen.  So  wendete  ich  mich  an  die  Frau 
Erbgrossherzogin ,  um  sie,  ihres  starken  Charakters 
wegen,  zu  bitten,  mir  diese  Last  abzunehmen.  Sie 
erschrak  unaussprechlich  und  konnte  im  ersten  Augen- 
blick nicht  die  Kraft  finden,  sogleich  die  arme  Nancy 
aufzusuchen.  Jedoch  war  Eile  geboten,  und  als  die 
eben  anwesende  gute  Oeneralin  von  Both  endlich  vor- 
schlug, diese  traurige  Aufgabe  auf  sich  zu  nehmen, 
entschloss  ich  mich,  es  dennoch  selbst  zu  thun.  Bei 
meinem  Eintritt  in  ihr  Zimmer  bemerkte  sie  den  Brief 
in  meiner  Hand  und  fragte  mich,  was  er  wohl  zu  be- 
deuten habe,  worauf  ich  sie  bat,  das  letzte  Schreiben 
ihres  Schwagers  noch  einmal  durchzulesen,  denn  in 
diesem  so  eben  erhaltenen  sage  er,  dass  es  nicht  mehr 
80  gut  um  ihre  Schwester  stehe,   als  in  den  ersten 


—     326     — 

TageD.  Sie  erschrak  heftig,  wahrscheinlich  über  mein 
Aussehen y  und  war  kaum  fähig,  den  Brief  zu  finden. 
Sie  fing  an  zu  zittern  und  rief  aus:  „Ist  meine  Schwester 
bedenklich  erkrankt?"  —  Ich  ergriff  ihre  Hand,  welche 
ich  schweigend  an  mein  Herz  drückte,  und  doch  ver- 
stand sie  mit  dem  der  Liebe  eigenen  Instinkte,  was 
ich  verschwieg.  Infolge  des  tiefen  Schmerzes  und  der 
gewaltigen  Aufregung  verfiel  sie  in  ein  heftiges  Nerven- 
fieber. Frau  von  Buch  und  Fräulein  von  Sinclair 
wechselten  mit  mir  bei  der  Pflege  der  Kranken  ab. 
Einige  Nächte  blieb  ich  bei  ihr,  da  sich  ihr  Zustand 
besorgniserregend  gestaltete.  Es  dauerte  längere  Zeit, 
bis  sie  wieder  im  stände  war,  sich  ihren  Berufspflichten 
zu  widmen.  Einstweilen  teilten  die  Erbgrossherzogin 
und  ich  uns  in  die  Erziehung  unserer  lieben  Prinzessin 
Helene,  die  sich  sehr  über  den  Zustand  der  guten 
Nancy  betrübte.  Wenige  Tage  nach  ihr  erkrankte 
auch  der  Hofmarschall  von  Oertzen,  den  wir  alle  sehr 
schätzten,  und  der  auch  mir  ein  sicherer  und  trefflicher 
Eatgeber  in  vielen  geschäftlichen  Angelegenheiten  ge- 
wesen. Sein  Leiden  verschlimmerte  sich  von  Tag  zu 
Tag,  und  nach  einer  Woche  verschied  er,  zum  tiefen 
Bedauern  des  ganzen  Hofes.  Die  Erbgrossherzogin 
hatte  ihn  während  seiner  Krankheit  öfter  teilnehmend 
besucht,  wofür  er  sich  ihr  sehr  dankbar  zeigte. 

Ausser  den  traurigen  Ereignissen,  die  im  Monat 
Februar  1820  in  meiner  nächsten  Umgebung  in  Mecklen- 
burg vorfielen,  erschütterte  uns  auch  die  Nachricht,  dass 
am  13.  desselben  Monats  der  Herzog  von  Berry  in 


—     327     — 

Paris  ermordet  worden  sei.  Nachdem  dieser  früher  in 
England  morganatisch  mit  einer  Miss  Brown  ver- 
heiratet gewesen,  vermählte  er  sich  im  Jahre  1816 
mit  Caroline  Prinzessin  von  Neapel.  Der  Herzog 
war  der  Letzte  ans  der  altem  Linie  der  Bourbons; 
nm  mit  ihm  dies  Geschlecht  auszurotten,  erdolchte  ihn 
der  Fanatiker  Louvel  im  Momente,  als  er  beim  Ver- 
lassen der  Oper  seine  Gemahlin  zu  ihrem  Wagen  führte. 
Louvel  war  ein  in  den  königlichen  Stallungen  be- 
diensteter  Sattler. 


vn.  Kapitel. 

Weiteres  vom  Mecklenburger  Hofe. 

Im  folgenden  Sommer  kam  die  Herzogin  von 
Dessau  an  nnsern  Hof,  am  ihrer  Schwester,  der  neu- 
verwitweten  Erbgrossherzogin  y  tröstende  Gesellschaft 
zu  leisten.  Teils  deshalb  und  teils  wegen  ihrer  Ge- 
sundheit begleitete  sie  dieselbe  auch  nach  Doberan, 
wohin  wir  uns,  wie  alljährlich,  zum  Seebädergebrauche 
begaben. 

Indem  ich  des  damaligen  Aufenthaltes  am  Meere 
gedenke,  erinnere  ich  mich,  dass  wir  zu  dieser  Zeit 
zuerst  von  den  wunderthätigen  Heilungen  hörten,  die 
Prinz  Alexander  Hohenlohe-Schillingsfürst, 
ermutigt  durch  die  Zureden  des  frommen  Bauersmannes 
Martin  Michel,  an  vielen  Kranken  in  Bamberg 
und  Würzburg  ausübte.  Dies  war  für  meinen  Glauben 
sehr  stärkend,  und  ich  bestrebte  mich,  mit  grösserem 
Eifer  zu  beten,  wobei  mir  die  Freude  zu  teil  wurde, 
mehrere  auffällige  Gebetserhörungen  zu  erlangen.  Doch 
fasste  ich  den  Vorsatz,  den  Herrn  nicht  zu  versuchen, 
und  nahm  daher  eines  Morgens  die  an  ihn  gestellte 


—     329    — 

Bitte,  auf  der  See  nicht  von  dem  gewohnten  Übel  be- 
fallen za  werden,  znräck. 

Desselben  Tages  fuhren  wir  an  den  Heeresstrand, 
um  dort  den  Thee  zu  nehmen.  Daselbst  angekommen,  sagte 
mir  die  liebe  Erbgrossherzogin,  dass  sie  so  gern  den 
Abend  allein  mit  ihrer  Schwester  zubringen  mOchte, 
und  bat  mich,  ob  ich  nicht  währenddessen  mit  Prinzessin 
Marie  eine  Schifffahrt  machen  wolle.  Sie  dachte  so 
wenig,  wie  ich  selbst,  an  die  mir  drohende  Seekrankheit, 
von  der  ich  noch  jedesmal  in  heftigster  Weise  zu  leiden 
gehabt  hatte.  Wir  fuhren  bei  schönstem  Wetter  hinaus 
auf  der  opalfarbenen  Flut,  die  ich  sehr  bewunderte, 
ohne  das  geringste  Unbehagen  zu  empfinden,  während 
andere  und  sogar  Fräulein  von  Sinclair,  die  fbr  be- 
sonders seetüchtig  galt,  diesen  Abend  von  der  fatalen 
Krankheit  befallen  wurden.  Erst  dann  fiel  mir  ein, 
dass  der  Herr  mein  Gebet  wohl  erhört  habe,  welches 
ich  morgens  aus  Demut  zurückgenommen  hatte!  — 

In  diesem  Jahre  verliess  uns  der  gute,  hoch- 
geschätzte Professor  Schubert.  Er  gab  uns  nach 
unserer  Rückkehr  aus  Doberan  noch  einen  sehr  inter- 
essanten Unterricht  in  der  Astronomie,  wodurch  wir  viele 
Sternbilder  kennen  lernten,  die  wir  aaf  der  Plattform 
des  Schlosses  in  Ludwigslust  beobachten  konnten.  Es 
kommt  mir  vor,  als  ob  im  selben  Jahre  die  grosse 
Sonnenfinsternis  gewesen  wäre,  die  uns  alle  mit 
Schubert  im  Trompetersaal  um  ein  Uhr  mittags  ver- 
einte. Mit  regem  Interesse  verfolgten  wir  den  Ein- 
druck,   den   dies    Naturereignis    auf   Menschen    und 


—     330     — 

Tiere  machte ,  besonders  auf  Enten  nnd  Tanben  im 
Schlosshof;  die  ängstlich  hin  nnd  herflatterten,  worüber 
sich  die  Kinder  nicht  genug  wundem  konnten. 

Schon  im  Vorjahre  hatte  ich  mich  entschlossen, 
meinen  Alexander  nach  Batzeburg  auf  das  Gymnasium 
zu  schicken,  unter  der  Leitung  seines  Hofmeisters,  des 
Herrn  Zahn,  eines  äusserst  begabten  und  yerläss- 
lichen  jungen  Mannes.  Sie  wohnten  beim  Bektor, 
Namens  Busswurm,  und  waren  bald  mit  ihm  und 
seiner  Frau  sehr  befreundet.  Überhaupt  gefiel  sich 
Alexander  sehr  gut  in  dem  freundlichen  Städtchen  am 
schönen  Batzeburger  See.  Eben  dieser  See  aber  wäre 
ihm  ohne  Gottes  Hilfe  verhängnisvoll  geworden,  als 
er  sich  am  17.  Januar  1821,  einem  schönen  Winter- 
tage, auf  demselben  mit  Schlittschuhlaufen  unterhielt. 
Herr  Zahn  hatte  ihn  unter  der  Aufsicht  des  achtzehn- 
jährigen Fritz  Koch,  eines  Bruders  des  Lehrers 
unseres  Prinzen  Albert,  dort  zurückgelassen,  nachdem 
er  ihm  verboten  hatte,  eine  bestimmte  Grenze  der 
Eisfläche  zu  Oberschreiten,  weil  darüber  hinaus  eine 
wegen  Zusammenflusses  verschiedener  Gewässer  be- 
kannt gefährliche  Stelle  sei.  In  jugendlichem  Leicht- 
sinne folgte  aber  Alexander  mehr  der  Versuchung,  als 
dem  Bäte  seines  Lehrers  und  der  Warnung  des  ihm 
nachrufenden  Fritz  Eoch,  und  brach  im  Eise  ein,  unter 
welchem  er  sofort  versank,  zum  namenlosen  Schrecken 
der  Zuschauer.  Auf  deren  lautes  Bufen  und  Schreien 
kam  ein  junger  Gärtner  mit  einem  langen  eisernen 
Haken  eiligst  herbei  und  stiess   blindlings  mit   dem- 


—     331     — 

selben  anter  das  Eis  an  eben  der  Stelle,  wo  Alexander 
versunken  war.  Das  Eisen  hing  sich  in  wirklich 
wunderbarer  Weise  in  den  Aufschlag  seines  Ärmels 
ein,  so  dass  er  alsbald  daran  herausgezogen  werden 
konnte.  Er  wurde  sogleich  in  das  nahe  gelegene  Haus 
des  Eonrektors  ßusswurm  gebracht,  wo  man  ihn  mit 
grosser  Teilnahme  aufnahm  und  in  wollene  Decken 
hüllte. 

Man  kann  sich  den  Schrecken  und  das  Entsetzen 
des  rasch  herbeigerufenen  Hofmeisters  denken  beim 
Anblicke  seines  anscheinend  leblosen  Zöglings,  den  er 
so  innig  liebte.  Zugleich  mit  Herrn  Zahn  kam  auch 
ein  Apotheker  herbei,  der  einen  gedruckten  Zettel 
bei  sich  trug,  auf  welchem  verschiedene  Mittel  ver- 
zeichnet waren,  bei  scheinbar  Ertrunkenen  anzu- 
wenden. Die  wirksamsten  wurden  versucht,  und  ein 
hinzugeeilter  Arzt  bestrebte  sich,  ihm  gleichzeitig  eine 
Arznei  einzufiössen,  was  wegen  der  krampfhaft  ge- 
schlossenen Zähne  längere  Zeit  nicht  gelingen  wollte. 
Nach  fortgesetztem  äussern  Abreiben  bemerkte  man 
endlich  einige  Bewegungen  seiner  Atmungsorgane; 
nun  konnten  ihm  einige  Tropfen  Arznei  beigebracht 
werden,  welche  dann  bald  die  gewünschte  Reaktion 
bewirkten,  zur  grössten  Freude  des  guten  Herrn  Zahn, 
der  inzwischen  unaufhörlich  Gottes  Güte  um  Hilfe 
angefleht  hatte.  Nach  einiger  Zeit  rief  Alexander  noch 
mit  geschlossenen  Augen  und  schwacher  Stimme :  „See, 
See!",  dann  blickte  er  noch  ganz  verworren  vor  sich 
hin.    Nachdem  er  eine  Weile  geruht,   konnte  Zahn 


—     332    — 

einige  Worte  mit  ihm  reden ,  am  ihn  aufzufordern, 
Gott  für  seine  Bettung  zu  danken  und  hiebei  besonders 
auch  meiner  zu  gedenken.  Mich,  die  ich  von  dem 
Vorfall  nichts  wissen  konnte,  benachrichtigte  Herr 
Zahn  am  nächsten  Tage  brieflich.  Zu  meiner  Beruhigung 
waren  auch  einige  Zeilen,  von  Alexander  selbst  ge- 
schrieben, beigefügt. 

Sowohl  durch  Schuberts  Einfluss,  als  auch  durch  den 
Trieb  seines  eigenen  Herzens,  hatte  Herr  Zahn  bisher 
eine  starke  Hinneigung  zum  Katholizismus  empfunden, 
was  für  Alexander  in  Ermangelung  eines  katholischen 
Erziehers  nur  von  Nutzen  gewesen.  Nach  einigen 
Monaten  teilte  er  mir  jedoch  zu  meinem  Leidwesen  mit, 
dass,  seitdem  seine  Glaubensgenossen  durch  einige  von 
Klaus  Harms  in  Kiel  aufgestellte  Thesen  zu  einer 
„christlich  gläubigem''  Richtung  sich  bekannt  hätten, 
seine  Abwendung  von  der  lutherischen  Konfession  sich 
geändert  habe  und  es  daher  für  Alexander  angezeigter 
schiene,  einen  katholischen  Hofmeister  zu  bekommen. 
Er  entwickelte  mir  auch  seinen  Plan,  ein  Bauernhaus 
zu  mieten  und  dies  für  sich  und  seine  jüngeren  Brüder 
einzurichten,  deren  Erziehung  er  sich  ganz  widmen 
wolle,  indem  er  mit  Schmerzen  beobachtet  habe,  wie 
dieselben  durch  den  Vater  zur  Neologie  angeleitet 
würden.  Was  konnte  ich  dagegen  einwenden  ?  Sowohl 
hinsichtlich  Alexanders  musste  ich  ihm  beipflichten, 
als^auch  sein  edles  Vorhaben  bezüglich  seiner  Brüder 
gutheissen.  Als  Graf  Anton  Stolberg  in  Peters- 
waldau  erfuhr,  dass  Zahn  uns  verlassen  wollte,  bot  er 


—     333     — 

ihm  sofort  die  Hofineisterstelle  bei  seinen  Söhnen  an, 
was  jener  aber  seiner  Brüder  wegen  ausschlug.  Um 
sein  Ziel  zu  erreichen,  machte  ihm  nun  Graf  Stolberg 
den  Vorschlag,  diese  Br&der  in  einem  sehr  christlichen 
Erziehungsinstitut  zu  Torgau  in  Sachsen  unterzubringen, 
was  Zahn  mit  Dank  annahm.  Die  Trennung  gestaltete 
sich  ffir  ihn  und  Alexander  überaus  schmerzlich.  Ich 
liess  noch  bis  zum  Ende  des  Schuljahres  meinen  Sohn 
in  Batzeburg  bei  Bektor  Busswurm,  welcher,  so  wie 
seine  Gattin,  voll  Güte  und  Aufmerksamkeit  für  ihn 
waren.  Doch  fühlte  sich  Alexander  recht  vereinsamt, 
bis  ein  gewisser  Zimmermann,  der  sich  später 
entschloss  Theologie  zu  studieren,  als  erwünschter 
Gefährte  in  das  Busswurmsche  Haus  kam.  Für  die 
Ferien  nahm  ich  Alexander  zu  mir  nach  Ludwigslust, 
in  der  Absicht,  ihn  so  bald  als  möglich  zu  seiner 
weitern  Ausbildung,  auf  Schuberts  Bat,  nach  Begens- 
burg  zum  dortigen  Weihbischof  Sa i  1er  zu  schicken. 
—  Doch  muss  ich  früher  noch  erwähnen,  wie  Alexander 
ein  zweites  Mal  für  seinen  ungehorsam  stark  von  der 
Hand  des  Herrn  gezüchtigt  wurde: 

Im  Busswurmschen  Hausgärtchen ,  das  dicht  am 
See  gelegen  war,  machte  er  eines  Tages  mit  Zimmer- 
mann sogenannte  „Petermännchen^  aus  Pulver,  was 
ihn  sehr  unterhielt.  Der  Bektor  untersagte  es  je- 
doch wegen  des  herrschenden  starken  Windes.  Sie 
wollten  gehorchen,  aber  Alexander  konnte  der  Ver- 
suchung nicht  widerstehen,  noch  ein  letztes  kleines 
Feuerwerk  mit  Hilfe   seines  Genossen    abzubrennen. 


—     334     — 

Dieser  war  zu  nachgiebig,  am  es  zu  verhindern.  In 
der  Eile  ging  Alexander  nn vorsichtig  zu  Werke,  nnd 
das  Pulver  flog  ihm  vom  heftigen  Winde  getrieben 
ins  Gesicht ;  es  versengte  die  ganze  Haut,  die  Augen- 
brauen und  die  Wimpern.  Er  sagte  später,  der  Schmerz 
sei  so  gross  gewesen,  dass  er  ins  Wasser  sprang,  um 
sich  das  Gesicht  abzuktthlen,  was  aber  im  Gegenteil 
den  Schmerz  nur  noch  steigerte,  so  dass  er  seinen 
Gefährten  um  einen  Schlaftrunk  bat.  Dieser  eilte  jedoch 
zum  Rektor,  der  sofort  einen  Arzt  rufen  Hess,  welcher 
ihm  eine  in  Öl  getunkte  Leinwandmaske  auflegte  und 
wegen  des  heftigen  Fiebers  die  grösste  Euhe  im  Bett 
anbefahl. 

Ohne  etwas  von  diesem  Unfall  zu  ahnen,  begab 
ich  mich  einige  Tage  darauf  nach  Lübeck,  um  meine 
Jugendfreunde  Nolken  bei  ihrer  Durchreise  dort  zu 
sehen.  Mein  Weg  führte  durch  Eatzeburg,  und  ich 
freute  mich  herzlich,  meinen  lieben  Sohn  zu  überraschen, 
und  vermutete  ihn  unter  den  in  der  Nähe  des  Gym- 
nasiums befindlichen  Bäumen  anzutreffen,  wo  die  Jugend 
in  den  Erholungsstunden  sich  spielend  hemmzutummeln 
pflegte.  Da  ich  ihn  daselbst  nicht  sah,  ging  ich  so- 
gleich in  das  nahe  gelegene  Eektorat  und  direkt  in 
Alexanders  Zimmer.  Wie  gross  war  aber  mein 
Schrecken,  da  ich  ihn  mit  der  weissen  Leinwandmaske 
erblickte.  Als  ich  dabei  laut  aufschrie,  setzte  er  sich 
im  Bette  auf  und  rief:  „Liebe  Mutter,  es  ist  nichts!" 
Um  mich  zu  trösten,  fügte  er  noch  hinzu :  „Das  Übel,  wegen 
dessen  ich  den  Ölumschlag  auf  dem  Gesicht  habe,  ist 


—     335     — 

schon  beinahe  ganz  vorbei.^  —  Die  gute  Rektorin,  die  in 
demselben  Augenblicke  dazn  kam,  erzählte  mir  den 
Hergang  der  Sache,  und  wie  gnädig  Gott  sein  Augen- 
licht bewahrt  habe.  Statt  nach  Lübeck  weiter  zu  reisen, 
blieb  ich  nun  bei  meinem  Sohn  und  schickte  meine 
Grttsse  an  die  Freunde  Nolken.  — 

In  der  ersten  Hälfte  Septembers  des  Jahres  1821 
erhielt  die  Frau  Erbgrossherzogin  eine  sehr  beun- 
ruhigende Nachricht  über  den  Gesundheitszustand  ihrer 
Mutter.  Sie  entschloss  sich,  sogleich  mit  Prinzessin 
Marie  und  mir  nach  Homburg  zu  reisen,  um  dieselbe 
aufzusuchen.  Während  unserer  mit  höchster  Eile  be* 
triebenen  Vorkehrungen,  kamen  noch  bedenklichere 
Mitteilungen  über  die  gefährliche  Erkrankung  der 
verwitweten  Landgräfin  von  Hessen,  und  als  wir  in 
Homburg  anlangten,  war  sie  bereits  am  Morgen  des- 
selben Tages  verschieden.  Noch  unterwegs  erhielten 
wir  die  Trauerbotschaft,  welche  die  arme  Erbgross- 
herzogin tief  ergriff  und  erschütterte.  In  Homburg 
angekommen,  eilte  sie  weinend  und  schluchzend  zu 
ihrem  Bruder  und  dessen  Gemahlin  Elisabeth,  einer 
geborenen  Prinzessin  von  England,  um  die  teuere 
Leiche  zu  sehen.  Prinzessin  Marie,  Fräulein  von 
Sinclair  und  ich  blieben  in  den  für  uns  bereiteten  Ge- 
mächern  zurück. 

Als  ich  diesen  Abend  im  Begriffe  war,  zu  Bette  zu 
gehen,  wurde  an  meiner  Thür  geklopft,  und  als  ich 
öffnete,  erblickte  ich  die  liebe  Frau  Erbgrossherzogin 
schon  im  Nachtkostüm.    Mich  umarmend,  sagte  sie: 


—    336    — 

„Sie  haben  mich  trostlos  gesehen,  und  ich  wollte  nicht 
zur  Ruhe  gehen,  ehe  ich  Ihnen  gesagt  hätte,  wie  gnädig 
der  Herr  f&r  mich  war,  dass  er  mir  die  nötige  Kraft 
nnd  den  nötigen  Trost  verliehen,  das  Schreckliche  zu 
tragen.  Er  thut  alles  wohl  und  immer  zu  unserem 
Besten,  wenn  wir  es  auch  nicht  gleich  verstehen." 
Sie  eilte  dann  schnell  hinweg,  nachdem  sie  noch  bei- 
gefügt hatte,  dass  die  Beisetzung  am  nächsten  Tage 
stattfinden  werde. 

Des  andern  Morgens  gingen  wir  mit  der  Frau 
Erbgrossherzogin,  die  aufgebahrte  Leiche  zu  besuchen. 
Diese  war  einbalsamiert  worden,  und  viele  Blumen 
zierten  das  Gemach,  welches  dadurch  mit  fast  be- 
täubendem Wohlgeruch  erfüllt  war.  Viele  Personen 
befanden  sich  in  demselben.  Bei  der  Beisetzung  schloss 
ich  mich  den  Leidtragenden  an  und  begleitete  die 
Leiche  bis  in  die  landgräfliche  Gruft.  Zwar  hatte  ich 
keinerlei  Verpflichtung  dazu,  doch  that  ich  es  aus 
Freundschaft  f&r  die  liebe  Hoheit  und  ihren  Bruder, 
die  sich  nachträglich  ganz  gerührt  darüber  äusserten. 

Kurze  Zeit  nach  dem  Begräbnisse  kam  Prinzessin 
Adelheid  von  England,  die  Schwester  der  alten 
Landgräfin,  einer  geborenen  Herzogin  von  Sachsen- 
Meiningen,  für  längere  Zeit  zu  Besuch.  Als  die 
erste  Trauer  vorüber,  wurde  daher  wieder  eine  voll- 
ständige fürstliche  Tafel,  an  welcher  der  ganze  Hof- 
staat teilnahm,  eingerichtet;  des  Abends  versammelte 
man  sich  zum  Thee,  wonach  öfter  „Lotto  Dauphin"  ge- 
spielt wurde,  oder  man  machte  Musik.    Meist  war  es 


—     337     — 

die  englische  Hofdame  Lady  Taylor,  die  uns  mit 
ihrer  schönen  Stimme  vorsang. 

Unsere  Erbgrossherzogin  erschien  immer  später  als 
die  Übrigen,  weil  sie  die  Abendstunden  dazn  benutzte, 
um  nach  testamentarischem  Auftrag  ihrer  Mutter  deren 
Papiere  durchzusehen  und  zu  ordnen ;  dieselben  füllten 
einen  grossen  Kasten.  Dies  bedeutete  eine  gewaltige 
und  langwierige  Aufgabe.  Diese  Arbeit,  die  sie 
gründlich  vollenden  wollte,  beanspruchte  mehrere 
Wochen,  trotz  der  Hilfe,  die  ihr  ihr  Bruder  Ludwig, 
der  preussischer  Generalgouvemeur  war,  dabei  leistete. 

So  lange  das  Wetter  schön  und  die  Tage  noch 
lang  genug  schienen,  machten  die  Prinzessinnen  mit 
uns  und  dem  Landgrafen  schöne  Ausflüge  in  das  nahe 
Gebirge, 

Unterdessen  erhielt  ich  von  Baron  Nolken  die 
Nachricht,  dass  seiner  Frau  die  Kur  in  Wiesbaden 
verordnet  worden  sei  und  sie  mich  vorher  auf  der 
Durchreise  in  Homburg  besuchen  wollten.  Ich  freute 
mich  herzlich  auf  das  Wiedersehen  mit  dem  Freunde 
aus  meiner  Kinder-  und  Jugendzeit,  der  ja  damals  zu 
wiederholtenmalen  als  Courier  der  Kaiserin  Katharina 
zu  Baron  Grimm  nach  Gotha  geschickt  worden  war. 
Sie  hielten  sich  etwas  in  Homburg  auf,  es  ward  mir 
manch  angenehmer  Besuch  zuteil,  während  dessen  ich 
die  liebenswürdige  Gattin  des  Baron  Nolken,  so  wie 
deren  Schwester  näher  kennen  zu  lernen  Gelegenheit 
hatte,  und  ich  verkehrte  viel  mit  dieser  mir  so 
sympathischen  Familie.    Der  geheime  Hofrat  und  Arzt 

Carl  Orftf  ObtrBdorff,  SriaBtrufta  «iatr  UigxoMmatttr.        22 


Schellenberg  gesellte  sich  auch  zn  uns  (er  und 
Baron  Nolken  hatten  sich  eng  befreundet);  sie  beide 
konnten  uns  viel  Interessantes  aus  ihrem  früheren 
Leben  mitteilen.  Schellenberg  war  erst  seit  einem  Jahre 
zum  echten  Katholizismus  zurückgeführt  worden.  Durch 
ein  kaum  dreizehnjähriges  Mädchen  nämlich,  welches 
er  auf  magnetische  Weise  zn  kurieren  unternommen, 
wurde  ihm  eröffnet,  dass  er  nicht  auf  dem  rechten 
Wege  sei  als  Naturphilosoph.  Dies  machte  ihn  be- 
stürzt und  gab  ihm  viel  nachzudenken.  Bald  darauf 
sah  er  ipi  Traum  seinen  Vater  mit  einer  Binde  vor 
den  Augen.  Die  Binde  fiel,  und  er  erkannte  mit  einem 
Blick,  dass  sich  dies  auf  die  Mitteilung  des  Mädchens 
bezog  und  es  die  Wahrheit  gesagt  habe.  Er  ging  in 
sich,  und  das  Christentum  kam  ihm  von  nun  an  viel 
grösser  und  erhabener  vor,  als  der  Naturalismus,  durch 
den  er  geglaubt  hatte,  so  Vieles  zu  erkennen.  Bis  dahin 
war  er  auch  Fi-eimaurer,  sogar  Meister  vom  Stuhl  in  Hom- 
burg gewesen,  legte  aber  dieses  Amt  nieder,  als  Papst 
Pins  VII.  neuerdings  unter  Exkommunikation  jedem 
Katholiken  verbot ,  dieser  Genossenschaft  anzugehören. 
Ende  Oktober  hatte  die  Erbgrossherzogin  ihr 
pietätvolles  Werk,  die  Sichtung  der  Papiere  ihrer 
Mutter,  vollendet,  und  wir  reisten  zu  dieser  Zeit  nach 
Rudolstadt,  wo  sie  ihre  zwei  Schwestern,  die  Fürstin- 
Mutter  und  Fürstin  Luise,  besuchte.  Erstere  hatte 
zwei  Töchter,  wovon  die  Eine  ihren  Onkel,  den  Prinzen 
Gustav  von  Hessen-Homburg,  einen  öster- 
reichischen General,  geheiratet  hatte. 


—     339    — 

In  Badolstadt  bestand  ein  sehr  angenehmeb 
intimes  Familienleben.  Wir  fühlten  nns  dort  sehr 
schnell  heimisch.  Mich  zog  besonders  die  Fürstin- 
Mntter  an,  welche  sich  voll  Liebe  nnd  Zutrauen  f&r 
mich  bewies  nnd  mich  sehr  häufig  in  meinem  Zimmer 
aufsuchte.  Nachdem  ich  einen  kleinen  Ausflug  nach 
Stedten  unternommen ,  wo  ich  Tante  Keller  und  bei 
ihr  meine  Clotilde  besuchte,  kehrten  wir  in  unser  liebes 
Mecklenburg  zurfick.  Prinzessin  Helene  und  Prinz 
Albrecht  erwarteten  uns  dort  mit  Sehnsucht.  Wie 
alljährlich  wurde  am  10.  Dezember  das  Geburtsfest  des 
Grossherzogs  sehr  feierlich  begangen,  woran  der  ganze 
Hof  aus  Schwerin  nnd  die  Landstände  teilnahmen. 

Am  25.  Mai  1822  fand  die  VermähluDg  des  jugend- 
lichen Erbgrossherzogs  Paul  (geb.  1800)  mit  Prinzessin 
Alexandrine,  der  Tochter  des  Königs  Friedrich 
Wilhelm  III.  von  Preussen,  statt.  Sie  wurden  ein 
äusserst  glückliches  Paar.  Der  Empfang  der  Neuver- 
mählten war  sehr  feierlich,  ähnlich  wie  es  bei  Ankunft 
der  Erbgrossherzogin  der  Fall  gewesen. 

Einiger  Ballfeste  wegen ,  deren  Unterhaltung 
Prinzessin  Marie  sehr  liebte,  brachten  wir  mehrere 
Tage  in  Schwerin  zu.  Bald  darauf  kam  König  Friedrich 
Wilhelm  III.  von  Preussen,  seine  geliebte  Tochter  in 
Ludwigslust  zu  besuchen.  Er  blieb  nur  einen  vollen 
Tag  daselbst,  wo  ihm  zu  Ehren  ein  prächtiges  Feuer- 
werk vis-ä-vis  dem  Schlosse  abgebrannt  wurde. 

Während    der    Vorkehrungen    dazu    hatte    man 

Prinzessin  Marie  und  mir  aufgetragen^  S.  Majestät 

22* 


—    340    — 

zu  nnterhalten,  was  bei  dessen  bekannter  Wortkargheit 
keine  leichte  Anfgabe  war.  Ich  erinnere  mich,  dass, 
als  wir  endlich,  um  ihn  zn  beschäftigen,  verschiedene 
chinesische  Gegenstände  betrachteten,  das  Gespräch 
schon  gar  nicht  mehr  recht  in  Flnss  kommen  wollte; 
da  wendete  ich  mich  an  Prinzessin  Marie  and  sagte, 
dass  sie  gewiss  nicht  wisse,  dass  ich  etwas  Chinesisch 
könne.  Sie  forderte  mich  auf,  dies  zn  beweisen,  und 
ich  citierte  die  elsässisch -deutschen  Fragen  und  Ant- 
worten, die  ich  unlängst  durch  Alexander  gehört  hatte : 
„Tu,  Schorsch,  schint  d'Sunn  schon?  Ja,  Schülih, 
d'Sunn  schint  laug  schon.  —  Hat  Schang  Schuh? 
Schang  hat  Schuh.  Mäht  Anna  Hai  ?  Sie  mäht 
Hai."  Da  lachte  sie  und  auch  der  König,  und  die 
Konversation  ging  auf  heitere  Art  ganz  gut  wieder 
von  statten. 

Im  Laufe  des  Sommers  gingen  wir,  wie  alljährlich, 
nach  Doberan,  wo  der  Besuch  des  Grossherzogs  von 
Oldenburg  stattfand,  der  den  Wunsch  hegte  und 
äusserte,  Prinzessin  Marie  zu  heiraten.  Er  gefiel  ihr 
aber  nicht,  doch  zeigte  sie  sich  ihm  gegen&ber  so 
verbindlich,  als  es  unter  solchen  Umständen  möglich. 
Firbpriuz  Paul  und  seine  junge  Gemahlin  jedoch  Hessen 
nur  zu  deutlich  merken,  dass  er  nicht  erwünscht  sei, 
und  beleidigten  ihn  auf  verschiedene  Weise,  so  dass 
er  sehr  unzufrieden  von  uns  schied.  Gegen  seine 
Tante,  Kaiserin  Marie  von  Russland,  äusserte  er  sich 
dann  so,  wie  wenn  ihm  Prinzessin  Marie  nicht  gefallen 
hätte;  von  anderer  Seite  erfuhr  sie  aber,   dass  das 


—     342     — 

Mutter  hatte  viel  und  lange  gelitten,  was  ihren  Gemahl 
so  sehr  ergriff ,  dass  er  öftere  Male  sich  von  ihrer 
Seite  entfernte,  um  seine  Aufregung  zu  verbergen. 
Als  aber  endlich  ein  gesundes  Söhnchen  zur  Welt  kam, 
schien  die  Olfickseligkeit  der  jungen  Eltern  unbe- 
schreiblich. Der  Erbgrossherzog  kam  eilends  zu  mir 
und  umarmte  mich  herzlichst,  als  ob  er  mein  Sohn 
gewesen  wäre.  Zur  Wöchnerin  ging  ich  nicht  gleich 
hinein,  hatte  aber  die  Freude,  im  Nebenzimmer  den 
neugebomen  Prinzen  baden  zu  sehen,  und  liess  es  mir 
nicht  nehmen,  ihm  das  erste  Hemdchen  anzuziehen, 
welches  ein  sorgsam  aufbewahrtes  Erbstück  seiner 
Grossmutter,  der  Grossfürstin  Helene  von  Kuss- 
land, war.  Man  wartete  mit  der  Taufe,  bis  die  junge 
Mutter,  auf  der  Chaiselongue  liegend,  derselben  bei- 
wohnen konnte.  Sie  war  unaussprechlich  gerührt  und 
auferbaulich  in  ihren  Gesprächen  über  diese  Feierlichkeit. 
Noch  sehe  ich  das  reizende  Bild  vor  mir,  wie  die  jugend- 
lich schöne,  anmutsvolle  hohe  Frau  ihren  Erstgebornen 
im  weissen  Taufkleidchen  in  den  Armen  hielt  und 
glückstrahlend  das  Eind  herzte. 

Im  Laufe  desselben  Jahres  (1823)  beurlaubte  ich 
mich  auf  vier  Wochen,  um  mit  meinen  Kindern  nach 
Baiern  zu  reisen.  In  Kegensburg  sollten  sie  ihre  erste 
Kommunion  empfangen  und  vom  Bischof  Sailer  geflrmt 
werden.  Dieser  gewann  sie  beide  sehr  lieb.  Schon 
vor  einem  Jahre  war  ihm  Alexander,  samt  seinem 
Hofmeister  Herrn  Adler,  anempfohlen  und  seiner 
Oberleitung    übergeben     worden.     Sie    wohnten    der 


—    343    — 

bischöflicheD  Residenz  gegen&ber,  und  Sailer  war  so 
gütig,  Alexanders  Stadien  zn  überwachen  und  ihm 
persönlich  den  Religionsunterricht  zu  erteilen. 

Meine  beiden  Kinder  empfingen  die  heiligen 
Sakramente  mit  grosser  Andacht.  Als  Firmpaten 
fungierten  Melchior  von  Diepenbrock  für 
Alexander y  und  Sailers  Nichte,  Fräulein  Therese 
Seitz,  für  Clotilde.  Von  diesem  Augenblicke  mag 
die  innige  Freundschaft  herrühren,  die  diese  ausge- 
zeichneten Personen  mit  uns  verband.  Diepenbrock 
(nachmaliger  Kardinal  und  Fürsterzbischof  von  Breslau) 
war  damals  zu  Sailer  gekommen,  um  sich  für  das 
Priestertum  vorzubereiten.  Später  zog  auch  seine 
Schwester  Apollonia  nach  Regensburg,  wo  sie  ein 
überaus  wohlthätiges,  heiligmässiges  Leben  führte.  In 
ihrer  Wohnung  hatte  sie  ein  kleines  Spital  eingerichtet, 
in  welchem  sie  sieben  unheilbare  Kranke  pflegte. 

Sailer  war  voll  Freundlichkeit  für  uns  und  widmete 
uns  die  Zeit,  die  er  erübrigen  konnte.  Er  machte 
uns  auf  die  schönsten  Punkte  in  Regensburgs  Um- 
gebung aufmerksam  und  nahm  uns  auf  mehreren 
Besuchen  mit,  die  er  in  Franenklöstem  zu  machen 
hatte.  So  begaben  wir  uns  einmal  mit  ihm  in  das 
Salesianerinnen  -  Kloster  nach  Pielenhofen,  wo  wir 
noch  einige  Karmeliterinnen,  als  Überreste  ihres  auf- 
gehobenen Ordens,  antrafen.  Ziemlich  früh  aufge- 
brochen, machten  wir  Mittag  in  Etterzhausen,  bekannt 
durch  eine  ziemlich  geräumige  natürliche  Grotte,  zu 
welcher  Gartenanlagen  führen,  und  waren  entzückt  von 


—     344    — 

diesem  Spaziergang.  Da  der  Weg  von  Etterzhaasen 
bis  Pielenhofen  zum  Fahren  sehr  schlecht  ist,  hatten 
die  Elosterfranen  dem  Bischof  ein  Schiff  entgegen- 
geschickt, worin  wir  mit  ihm  Platz  nahmen.  Die 
Fahrt  gestaltete  sich,  sowohl  durch  die  Anmut  und 
Schönheit  der  Gegend,  als  auch  durch  geistige  Anregung, 
höchst  interessant,  so  dass  uns  der  ziemlich  lange  Weg 
äusserst  kurz  vorkam.  In  Erwartung  des  Bischofs 
hatte  sich  die  ziemlich  zahlreiche  Bevölkerung  von 
Pielenhofen  samt  der  Geistlichkeit  im  Chorrock  am 
Ufer  der  Laber  versammelt,  und  vom  Schiff  aus  spendete 
ihnen  Bischof  Sailer  den  Segen.  Es  freute  ihn  zu 
sehen,  wie  schön  zu  seinem  Empfange  die  Kirche  und 
ihre  Umgebung  mit  Blumengewinden  geschmückt  worden. 
Wir  folgten  ihm  in  einiger  Entfernung  in  die  Kloster- 
kirche, in  welcher  an  beiden  Seiten  des  Altars,  vor  den 
Chorstühlen,  die  kleine  Zahl  der  von  der  Säcularisation 
übrig  gebliebenen  Karmeliterinnen  stand.  Sich  gegen 
dieselben  wendend,  hielt  der  Bischof  einen  herrlichen 
Vortrag  über  den  Segen  Gottes.  Die  Kirche  war  mit 
Andächtigen  gefüllt,  und  Alle,  besonders  die  Kloster- 
frauen, schienen  tief  ergriffen.  Mit  dem  Bischof  und 
den  Nonnen  verfügten  wir  uns  dann  in  das  Befectorium 
des  Klosters,  wo  uns  Erfrischungen  vorgesetzt  wurden. 
Auch  die  übrigen  Innenräume  wurden  uns  gezeigt, 
wobei  wir  Gelegenheit  hatten,  die  hübsche  Aussicht 
so  wie  mehrere  schöne  Bilder  verstorbener  Mitglieder 
des  Ordens,  von  denen  einige  heiliggesprochen,  zu  be- 
sichtigen. 


—     345     — 

Sailer  hatte  den  frenndlichen  Gedanken,  bei  unserer 
Bückkehr  nach  Mecklenburg  bis  Amberg  mit  uns  zu 
fahren,  er  wollte  dort  eben  eine  bischöfliche  Visitation 
vornehmen.  Hier  geschah  es  also,  dass  wir  von  ihm 
Abschied  nahmen.  Den  lieben  Alexander  jedoch  hatten 
wir  in  Begensburg  zurückgelassen ,  wo  ich  ihn  zu 
meinem  Tröste  so  gut  aufgehoben  wusste. 


vnL  Kapitel« 

Abschied  von  Mecklenburg. 

In  Ludwigslust  angekommen,  feierten  wir  ein 
äusserst  freudiges  Wiedersehen  mit  den  Prinzessinnen 
und  unseren  übrigen  Lieben.  Wir  blieben  nur  kurze 
Zeit  noch  dort,  da  im  Juli  nach  Doberan  übergesiedelt 
wurde,  wo  sich  die  ganze  grossherzogliche  Familie, 
obgleich  in  verschiedenen  Häusern  wohnend,  gern  zu- 
sammenfand. 

Während  dieses  Aufenthaltes  begann  der  Brief- 
wechsel zwischen  der  Erbprinzessin  von  Hildburg- 
hausen, später  von  Alten  bürg  genannt ,  gebomen 
Prinzessin  von  Württemberg,  mit  unserer  Herzogin 
Marie  sehr  lebhaft  zu  werden.  Erstere  hegte  den 
innigen  Wunsch,  Letztere  mit  ihrem  Schwager  Georg 
von  Altenburg  verbunden  zu  sehen.  Wir  hatten 
die  Erbprinzessin  1818  in  Weimar  kennen  gelernt, 
und  schon  damals  gewannen  sich  die  beiden  Prin- 
zessinnen sehr  lieb ,  trotz  des  Altersunterschiedes, 
da  Marie  erst  fünfzehn  Jahre  zählte.  Durch  ihre 
Briefe  erlangte  die  Erbprinzessin  grossen  Einfluss  auf 
ihre  nun  zwanzigjährige  Freundin,  welche  auch  bald 


—     347     — 

anfing  zn  wünschen,  mit  ihr  verwandt  zu  werden.  Ob- 
gleich dieser  Wunsch  später  erfüllt  worde,  blieb  er 
noch  zwei  Jahre  lang  das  Geheimnis  zwischen  den 
beiden. 

Von  diesen  zwei  Jahren  weiss  ich  nichts  Nennens- 
wertes zu  melden  ausser  der  Geburt  eines  Töchterchens*) 
des  Erbprinzen  Paul,  welches  nach  seiner  Grossmutter, 
der  schönen  und  heldenmätigen  Königin  von  Preussen, 
Luise  genannt  wurde.  Ich  empfand  eine  lebhafte 
Freude  an  dem  Brüderchen  und  bald  auch  schon  an 
der  kleinen  Luise,  da  beide  gar  anmutige  Kinder  waren. 
Es  hatte  sich  so  mit  der  Zeit  um  mich  eine  liebe  jugend- 
liche Schar  gesammelt)  von  der  jedes  einzelne  Glied 
mir  zärtlichst  zugethan  und  unaussprechlich  teuer 
war:  Prinz  Albrecht  damals  zwölfeinhalb  Jahre  zählend, 
seine  liebreizende  Schwester  Helene  zehnjährig  und 
Ida  von  Bassewitz  gleichen  Alters,  welchen  beiden 
meine  liebe  Tochter  Clotilde  um  fünf  Jahre  voraus 
war.  Wir  trafen  oft  im  Garten  des  verstorbenen  Erb- 
grossherzogs  Friedrich  Ludwig  ^susammen,  wo  für  dessen 
erste  Gemahlin  Helene,  eine  gebome  Grossfürstin  von 
Russland ,  jene  griechisch  -  orthodoxe  Kapelle  im  ent- 
sprechenden Baustil  errichtet  worden  war.  Seine  zweite 
Gemahlin,  eine  gebome  Prinzessin  von  Weimar,  sowie 
deren  einjähriges  Söhnchen  und  später  er  selbst,  wurden 
ebenfalls   dort  bestattet.     Am  Jahrestage  des  Todes 


*)  Diese  heiratete  am  20.  Oktober  1849   den  Forsten  Hugo  eq 
WindischgrätE  und  starb  den  9.  M&rz  1859, 


—     348     — 

der  Grossfürstin  Helene  wurde  immer  ein  ^echiscber 
Oottesdienst  in  dieser  Graftkapelle  abgehalten,  welchem 
ausser  der  grossherzoglichen  Familie  auch  zufällig 
anwesende  Bussen  und  Griechen  beizuwohnen  pflegten. 
Im  Februar  des  Jahres  1825  kam  Prinz  Georg 
von  Sachsen  -  Altenbnrg  (damals  noch  Hildburghausen 
genannt)  nach  Schwerin,  um  während  der  Ball- 
saison Gelegenheit  zu  haben,  mit  Prinzessin  Marie 
näher  bekannt  zu  werden.  Beide  jange  Leute  gefielen 
einander  gut,  und  der  Prinz  nahm  durch  sein  edles 
und  liebenswürdiges  Wesen  die  ganze  Hofgesellschaft 
für  sich  ein;  nichtsdestoweniger  wünschte  man  nicht 
diese  Verbindung.  Man  hielt  den  apanagierten  Prinzen 
eines  kleinen  Fürstenhauses  für  eine  viel  zu  unbe- 
deutende Partie  für  die  schöne,  gefeierte  Herzogin 
Marie,  um  welche  sich  zu  gleicher  Zeit  auch  Prinz 
Karl  von  Preussen  bewarb.  Die  Prinzessin  aber, 
welche  höchst  solide  Ansichten  betreffs  ihrer  Ver- 
heiratung hatte,  bemerkte  mir,  dass  Prinz  Karl,  so 
schön  er  auch  sei,  nicht  die  Eigenschaften  besässe, 
welche  zu  ihrem  Glück  erforderlich  wären,  deshalb 
zöge  sie  ihm  den  Prinzen  Georg  von  Altenburg  vor. 
Dieser  versäumte  nicht,  ihr  stark  den  Hof  zu  machen, 
was  sie  sehr  gut  aufnahm  und  sich  ihm  auch  liebens- 
würdig zeigte.  Als  er  dann  Schwerin  verliess,  war 
die  Sache  schon  so  weit  gediehen ,  dass  ausgemacht 
wurde,  der  Prinz  dürfe  im  Frühjahr  wiederkommen, 
wenn  der  alte  Grossherzog  Friedrich  Franz  und 
die  Kaiserin  Marie  von  Russland  bis  dahin  ihre  Zu- 


—     349    — 

Stimmung  gegeben  haben  würden.  Die  Letztere,  welcher 
man  alles  Gute  vom  Prinzen  Georg  gesagt  hatte,  be- 
merkte als  Antwort,  sie  wisse  sonst  nichts  von  ihm, 
als  dass  er  Adjutant  des  Königs  von  Bayern  gewesen! 
Trotz  der  Voreingenommeuheit  gegen  diese  kleine 
Heirat  ihrer  Enkelin  gab  sie  schliesslich  dennoch  ihre 
Einwilligung  dazu.  Nach  vollzogener  Hochzeit  schrieb 
ich  an  die  Kaiserin  und  erhielt  von  ihr  folgenden 
Brief,  aus  dem  ersichtlich,  dass  sie  ihre  Ansicht  ge- 
ändert hatte  und  die  guten  Eigenschaften  des  jungen 
Gatten  anerkannte. 

Madame*)  la  Baronne  de  Bechtolsheim !  J'ai  eu 
le  plaisir  de  recevoir  Votre  Lettre  du  10  de  ce  mois 
et  Je  sais  parfaitement  rendre  justice  aux  sentiments, 
qui  Tont  dict6e,  et  qui  Me  la  rendent  d'autant  plus 
interessante.  Je  M'unis  du  fond  de  Mon  coeur  ä  Vous 
dans  les  voeux,  que  Vous  formez  pour  le  bonheur  de 
Ma  chöre  Petite-Fille,  en  Vous  remerciant  de  ceux,  que 
Vous  y  joignez  pour  Hoi ;  ainsi  que  de  Tesp^rance,  que 
Vous  Me  faites  concevoir,  de  raccomplissement  de  nos 


*)  Deutsche  Übersetzung:  Frau  Baronin  Bechtolsheim! 
Ich  war  sehr  erfreut,  Ihren  Brief  vom  10.  d.  M.  eu  erhalten,  und 
trage  den  Gefühlen,  die  Ihnen  denselben  diktierten  und  ihn  mir 
daher  nur  noch  interessanter  machen,  Rechnung.  Von  Herxen 
meine  Wünsche  mit  den  Ihren  vereinend,  die  Sie  für  das  Glück 
meiner  lieben  Enkelin  zum  Himmel  sandten,  danke  ich  Ihnen  auch 
zugleich  für  diejenigen,  welche  mich  betrafen ;  diese  guten  Wünsche' 
gehen  also  jetzt  in  Erfüllung  infolge  der  edlen  Eigenschaften  des 
Gatten,  dem  ihr  Schicksal  jetzt  anvertraut  wird.  Ich  wage  zu 
hoffen,  dass  der  Himmel  sowohl  deigenigen  Ihrer  Verwandten,  als 
auch  den  meinigen  Rechnong  tragen  werdet    ich  begreife  wohl. 


—     350    — 

voeux  par  les  qaalitös   distingu^s  de  r^poux  anqael 

Son  sort  est  maintenant  confi6.  J'ose  donc  penser,  que 

le  Ciel  daigne  confirmer  les  b^nödictions  de  Ses  parens 

et  les  Miennes !    Je  con^ois  tout  ce,  qae  Vous  avez  da 

gprouver  en  Vous  s^parant  d'EUe,  mais  c'est  ane  doace 

consolatioiiy  que  je  partage  avec  Vous,  celle  de  voir  les 

sentiments  d'attachement,  qu'Elle  a  su  imposer,  et  les 

regrets,   qu'EUe  laisse  dans  Son  pays.    Puisse-t-EUe 

gtre  apr6ci6e  de    mSme  dans    les  lieux    qa'Elle,  ya 

maintenant  habiter.  —  J'aime  ä  Tespferer  et  je  recevrai 

avec  bien  du  plaisir  toutes  les  nouvelles,  que  Votre  s^jonr 

rapproch6  de  la  future  rfesidence  de  Ma  Petite-Fille 

Vous  mettront  h  m^me  de  Me   donner  ä  cet  6gard. 

Je  Vous  prie  de  croire,  que  je  serai  toujours  charmöe 

de  Vous  t^moigner  les  sentiments  de  bienveillance  avec 

lesquels  Je  suis 

Votre  affectionnee 

Gatschina  ce  27  Octobre  1825.  Marie  J. 


was  Sie  im  Momente  der  Trennung  von  ihr  litten,  doch  das  ist 
ein  süsser  Trost,  den  ich  mit  Ihnen  teile,  alle  die  Gefühle  der 
Anhänglichkeit  wahrzunehmen,  die  jene  in  ihrem  Vaterlande  zurück- 
liess.  Möge  sie  auch  in  ihrer  neuen  Heimat  gleich  gesch&tzt  und 
geliebt  werden  1  Ich  glaube  es  hoffen  zu  dürfen  und  werde  mit 
Freuden  alle  Nachrichten  empfangen,  die  Sie  mir,  da  Sie  sich  in 
der  nächsten  Nähe  des  künftigen  Aufenthaltsortes  meiner  Enkelin 
befinden  werden,  zukommen  lassen.  Seien  Sie  versichert,  dass  es 
mir  immer  Freude  bereiten  wird,  Ihnen  die  Gefühle  meines  Wohl- 
wollens auszudrücken,  mit  denen  ich  stets  verbleibe 

Ihre  wohlgewogene 

Gatschina,  den  27.  Oktober  1825.  Marie  J. 


—     351     — 

Anfangs  Jnni  kam  Prinz  Georg  wieder,  und  am 
13.  wurde  die  feierliche  Verlobung  gehalten.  Nach 
wenigen  Tagen  schieden  sie  ganz  gerührt,  der  Bräutigam 
musste  heimwärts  nach  Hildbnrghausen  eilen,  um  das 
dortige  schöne,  in  grossartigen  Verhältnissen  er- 
baute Schloss  zum  Empfange  der  Prinzessin  vorzube- 
reiten. 

Im  September  reisten  wir  nach  Ludwigslust,  wo 
ich  dann  sehr  viel  zu  thun  hatte,  teils  wegen  des 
Trousseaus  der  Prinzessin,  teils  der  von  ihr  zu  machen- 
den Geschenke  halber.  Man  brachte  zu  diesem  Behufe 
nach  und  nach  20  000  Thaler  in  Fässern  in  mein 
Zimmer,  wo  diese  Summe  auf  dem  Parkettboden  aus- 
gebreitet und  überzählt  wurde.  Die  Ausstattung  war 
ausnehmend  schön.  Es  befand  sich  darunter  ein  pracht- 
volles weisses  Pointkleid  aus  Brüsseler  Spitzen  und 
zwei  Kleider  aus  Silber-Brokat,  wovon  eines  mit  Kosa 
durchwirkt  und  das  andere  mit  Lilien  und  Rosen 
erhaben  gestickt  war.  Diese  beiden  kamen  aus  Berlin. 
Prinzessin  Marie  besass  einen  grossen  Reichtum  an 
Edelsteinen.  Es  wurde  davon  ein  wundervoller  Schmuck 
mit  Brillanten  und  schönen  grossen  Saphiren  gefasst 
Sie  hatte  in  ihrem  Besitze  drei  Eommodeschubladen  voll 
Kleinodien  der  schönsten  Art,  welche  die  Hälfte 
des  Schmuckes  ihrer  Mutter  ausmachten.  Die  andere 
Hälfte  war  ihrem  Bruder  Paul  als  Erbteil  zugefallen, 
welcher  daraus  viele  schöne  Gegenstände  für  seine 
Gemahlin  herzustellen  befahl.  Prinzessin  Marie  Hess 
die  meisten  Steine  ungefasst  und  verwendete  sie   in 


—     352     — 

späteren   Jahren  zam   Ankaufe   von   Landgütern    f&r 
ihre  Söhne. 

Die  Hochzeitsfeier  fand  am  7.  Oktober  mit 
grossem  Pompe  statt.  Das  Kleid  der  Brant  war  aas 
Silberstoff  mit  prachtvoller  Stickerei ,  ihren  Kopfputz 
bildete  ein  Myrtenkranz  mit  vielen  fenersprfihenden 
Diamanten  untermischt.  Es  war  damals  noch  nicht 
Sitte,  einen  Brautschleier  zu  tragen.  Der  Tag  ver- 
lief auf  das  Glanzvollste  in  Lust  und  Freude.  Am 
Abend  geleitete  die  Frau  Erbgrossherzogin  und  ich 
mit  ihr  die  Neuvermählten  in  die  für  dieselben  bereiteten 
Gemächer,  von  wo  ich,  nach  damaligem  Hofgebrauch, 
sogenannte  „Stücke  von  den  Strumpfbändern  der  jungen 
Frau^  mitbrachte ;  es  waren  dies  gestickte  Bänder,  um 
deren  Besitz  sich  die  Gesellschaft  drängte. 

Noch  einen  Tag  brachten  Prinz  und  Prinzessin 
Georg  mit  uns  zu,  dann  reisten  sie,  begleitet  von  den 
aufrichtigsten  Glück-  und  Segenswünschen,  nach  Hild- 
burghausen ab.  Es  versteht  sich,  dass  dieser  Abschied 
uns  erschütterte  und  rührte.  Auch  unter  der  Be- 
völkerung war  die  Teilnahme  an  der  Zukunft  unserer 
Herzogin  Marie  eine  allgemeine,  und  manche  Thräne 
wurde  ihr  nachgeweint,  da  sie  immer  so  freundlich 
und  wohlthätig  gewesen.  Ich  fühlte  mich  durch  ihre 
Abreise  zwar  sehr  vereinsamt,  doch  die  Menge  der 
Geschäfte,  die  ich  noch  abzuwickeln  hatte,  sowie  die 
teure  Gesellschaft  der  Erbgrossherzogin,  der  Fräulein 
von  Böse  und  Nancy  von  Salomon  mit  der  kleinen 
Prinzessin   Helene,   vermochten   mich   zu   zerstreuen. 


—     353    — 

Auch  Erbgrossherzog  Paul  war  während  dieser  Tage 
besonders  herzlich  in  seiner  Freundschaft  zu  mir 
nnd  bat  mich  um  Verzeihung,  dass  er  öfter  gegen 
meinen  Willen  gehandelt  habe,  indem  er  darauf  ge- 
drungen, dass  seine  Schwester  länger,  als  es  bestimmt, 
auf  Bällen  und  in  Gesellschaften  verweile.  Dann 
wieder  sprach  er  mir  seine  Dankbarkeit  daf&r  aus,  dass 
ich  in  vielen  Gelegenheiten  Partei  fär  ihn  ergriffen 
hätte,  indem  ich  trotz  seines  Leichtsinnes  immer  das 
Bessere  in  seinem  Wesen  erkannte. 

Die  liebe,  gute  Erbgrossherzogin  sowie  auch 
meine  übrigen  Freunde  drangen  in  mich,  länger  bei 
ihnen  zu  verweilen,  und  ich  selbst  hätte  es  einesteils 
gar  gern  gethan,  allein  die  nahende  Winterszeit  sowie  die 
Sehnsucht  meines  lieben  Alexander,  uns  wiederzusehen, 
die  auch  uns  erfasst  hatte,  machten  einen  Aufschub 
meiner  Abreise  unmöglich.  Freilich  musste  es  ein 
neuer  Schmerz  für  mich  sein,  von  all  den  Lieben, 
möglicher-,  ja  wahrscheinlicherweise,  für  immer  zu 
scheiden;  trotzdem  aber  bestimmte  ich  den  zehnten 
Tag  nach  der  Hochzeit  dazu,  die  Reise  anzutreten. 
Leider  verbitterte  mir  meine  alte  Kammerfrau  Lüdritz 
diese  letzte  Woche,  die  ihr  für  das,  was  sie  zu  thun 
hatte,  viel  zu  kurz  schien. 

Schon  vor  einiger  Zeit  war  ich  mit  dem  Ge- 
danken umgegangen,  mich  mit  meinen  lieben  Kindern 
irgendwo  auf  dem  Lande  niederzulassen.  Doch  hatte 
ich  noch  mit  Niemandem  über  diesen,  mir  selbst  noch  un- 
klaren Plan  gesprochen,   als  mir  Alexander  plötzlich 

Gftrl  Orftf  Obtradorff,  Erbui«niBf«a  tiatr  UrgroM»«tUr.        23 


—    354    — 

schrieb,  dass  in  der  Nähe  von  Begensbnrg  ein  kleines 
Landgut  verkauft  werden  sollte,  und  mir  den  Vorschlag 
machte,  es  zu  erwerben.  Ich  erkundigte  mich  darnach, 
und,  da  es  mir  empfohlen  wurde,  kaufte  ich  es.  Dort- 
hin wollte  ich  mich  nun  begeben ,  vorher  aber  noch 
meine  liebe  Tante  Bozheim,  welche  mit  ihren  Enkelinnen 
in  Paray,  unweit  Magdeburg,  lebte,  besuchen. 

Mit  grosser  Liebe  und  herzlicher  Freude  wurden 
wir  dort  empfangen.  Die  Kinder,  deren  ältestes  zehn 
Jahre  zählte,  schienen  geistig  sehr  begabt  und  wurden 
von  ihrer  Grossmutter  vortrefflich  einzogen.  Clotilde 
gab  sich  gern  mit  ihnen  ab,  während  ich  mit  der 
guten  Tante  über  Vergangenes  und  Hoffnungen  für  die 
Zukunft  mich  unterhielt.  Sehr  störend  kam  ein  Un- 
wohlsein über  mich,  das  mich  verhinderte,  mehreren  Ge- 
sellschaften beizuwohnen,  welche  bekannte  Damen  in 
nahegelegenen  Villen  freundlichst  mir  zu  Ehren  geben 
wollten. 

Als  ich  mich  wieder  erholt  hatte,  reisten  wir  weiter 
und  hielten  uns  bei  Frau  von  Bülow,  geborenen  von 
Gadow,  in  Gentin  auf.  Diese  so  wie  ihr  Gemahl,  zwei 
liebenswürdige,  angenehme  Menschen,  wurden  später 
Herrenhuter,  indem  sie  in  die  Gemeinschaft  der 
„mährischen  Brüder"  eintraten.  Dem  Direktor  des 
Armen-Institutes  in  Quedlinburg  hatte  ich  versprochen, 
den  einzigen  katholischen  Knaben,  der  sich  in  seiner 
Anstalt  befand,  nach  Baiern  mitzunehmen.  So  hielt 
ich  mich  in  dieser  Stadt  auf,  da  mir  dieser  übergeben 
werden  sollte.    Er  hiess  Christian  und  sollte  Gärt- 


—     366    — 

gekommen,  schien  mir  ganz  ausser  Atem  nnd  blass 
vor  Frende.  Mit  ihm  begaben  wir  uns  sofort  in  unser 
neues  Heim.    Es  war  dies  am  12.  November  1825. 


Hier  enden  die  Aofzeichnongen  meiner  Urgrossnintter.  Sie 
hatte  dieselben  eben  nnr  fflr  ihre  Kinder,  Alexander  nnd  Clotilde, 
yerfasst,  um  ihnen  damit  ein  anschanliches  Bild  jener  Zeiten 
zu  geben,  welche  den  beiden,  entweder  ihrer  damals  noch  allzn- 
grossen  Jugend  oder  ihrer  zeitweiligen  Abwesenheit  vom  Aufent- 
haltsorte der  Mutter  halber  nicht  bekannt  oder  erinnerlich  sein 
konnten.  Jetzt,  wo  sie  mit  ihren  Kindern  vereint  war,  diese  also 
die  t&giichen  Erlebnisse  kannten,  entfiel  für  sie  die  Veranlassung 
ihre  Memoiren  weiterzuführen. 

Das  Landgut,  welches  sie  zuerst  in  Baiern  besass,  entsprach 
weder  ihren  Gewohnheiten,  noch  ihrem  Oeschmacke.  Sie  yerkanfte 
es  daher  bald  wieder  und  erwarb  das  Schlossgut  Bodenstein  bei 
Nittenau  in  der  bairischen  Oberpfalz,  welches  durch  lange  Jahre 
ihr  Wohnsitz  blieb.  Dort  war  sie  die  Wohlthäterin  der  ganzen 
Umgegend :  so  errichtete  sie  unter  anderem  eine  Schule  in  Boden- 
stein und  erhielt  das  Lehrerpersonal  aus  eigenen  Mitteln.  Allen, 
die  sich  in  Not  oder  Bedrängnis  an  sie  wandten,  half  sie  bereit- 
willigst mit  Rat  und  That. 

Im  Jahre  1829  hatte  Glotilde  einen  Gutsnachbam,  den  Reichs« 
grafen  Gustav  von  Oberndorff,  geheiratet,  und  im  Jahre  1837 
Alexander  die  Freiin  Caroline  von  Freiberg-Eisenberg  ge- 
ehelicht, worauf  er  sich  in  Regensburg  niederliess.  So  blieb 
Katharina  von  Bechtolsheim  in  der  N&he  und  in  beständigem  Ver- 
kehr mit  ihren  Kindern  und  deren  Familien. 

Im  Jahre  1843  unternahm  sie  die  letzte  Reise  nach  Frank- 
reich, um  ihren  damals  schon  hochbetagten  Vater  und  die  Familie 
ihres  Bruders  zu  besuchen.  Es  wnrde  der  grosse  Reisewagen  ge- 
packt, die  Koffer  daraufgeschnürt  und  befestigt,  die  kleine  silberne 
Reiseuhr  im  Schildkrötengehäuse  im  Innern  des  Wagens  aufgehängt 
und  die  Fahrt  mit  der  Kammeijungfer  und  einem  bewährten  Be- 
dienten per  Extrapost  angetreten.   „Lebt  wohl,  liebe  Kinder,  gross 


—     357     — 

and  klein,**  sagte  sie  bdm  Abschied,  „ich  gehe,  ftLr  kurze  Zeit 
wieder  Kathinka  zu.  sein!  Bei  meiner  Rflckkehr  werde  ich  dann 
wieder  ausschliesslich  Mama  und  Grossmama !" 

Aber  nicht  nnr  ihren  Angehörigen  galt  diese  Reise,  sondern 
auch  der  Herzogin  Helene  von  Orleans,  geb.  Prinzessin  von 
Mecklenburg,  welche  der  Freundin  ihrer  Kindheit  durch  das 
ganze  Leben  treue  Anhänglichkeit  bewahrte.  Die  Prinzessin  hatte 
im  Jahre  1837  den  damaligen  Kronprinzen  von  Frankreich,  Herzog 
Ferdinand  yon  Orleans,  geheiratet.  Baronin  Bechtolshelm  war 
anfangs  gegen  diese  Verbindung  eingenommen  gewesen,  musste  sie 
ja  doch  als  echte  Rojalistin  die  Linie  Orleans  als  Usurpatoren 
der  KOnigswflrde  betrachten.  Die  Person  des  Herzogs  Ferdinand 
war  ihr  jedoch  sympathisch  geworden,  seit  sie  zur  Überzeugung 
gekommen,  dass  Prinzessin  Helene  in  glQcklichster  Ehe  mit  ihm 
lebte.  Im  Jahre  1842  ereignete  es  sich,  dass  der  Herzog  auf  einer 
Fahrt,  als  die  Pferde  plötzlich  scheuten  und  durchgingen,  einen 
unglflcklichen  Sprung  aus  dem  Wagen  that  und  infolge  der  dabei 
erlittenen  Verletzungen  starb.  —  Nun  hatte  die  untröstliche  Witwe 
in  ihren  h&ufigen  Briefen  den  lebhaften  Wunsch  geäussert,  ihre 
liebe  Freundin  wiederzusehen.  Dies  mochte  die  eigentliche  Ver- 
anlassung zu  der  damaligen  Reise  gewesen  sein. 

Noch  einmal  besuchte  ue  in  späteren  Jahren  die  ihr  so  teuere 
Herzogin,  um  derselben,  soviel  es  in  ihrer  Macht  stand,  tröstend 
zur  Seite  zu  stehen.  Als  nämlich  das  Jahr  1848  die  Dynastie 
Orleans  stürzte,  musste  auch  die  Herzogin  mit  ihren  Söhnen  Frank- 
reich verlassen  und  bei  den  deutschen  Verwandten  Schutz  suchen, 
welche  ihr  einstweilen  Schloss  Eisenach  zur  VeriÜgung  stellten, 
wohin  sie  auch  Baronin  Bechtolsheim  einlud,  welche  gern  diesem 
Rufe  folgte,  der  so  ganz  dem  Zuge  ihres  Herzens  entsprach.  Sie 
verbrachte  einige  Wochen  in  ihrem  für  sie  an  Erinnerungen  so 
reichen  Eisenach. 

Das  Jahr  1852  nannte  sie-  mit  Recht  das  schmerzlichste 
ihres  Lebens,  denn  am  30.  Januar  starb  ihr  innigstgeliebter  Sohn 
Alexander,  welchem  am  18.  April,  also  kaum  drei  Monate  später, 
seine  Schwester  Clotilde  von  Oberndorff  in  die  Ewigkeit  folgte. 
Tief  gebengt  durch  diesen  doppelten  Verlust,  fand  Baronin  Boch- 


—    358    - 

tolBheim  nur  Trost  nnd  Stirke  in  Gott  und  dem  edlen  Bestreben, 
ihren  Enkeln  die  fi-Oh  eDtriaBenen  Eltern  zd  eraetien.  Sie  starb 
am  17.  Februar  1872  in  Hanchen  im  HauBe  ibrea  SchwiegerBohaet, 
bei  dem  sie  die  letzten  Jzbre  ihres  Lebens  znbrftchte. 

Der  BentnBgeber. 


Zwei  Anhänge. 


(1.  Briefe  ans  dem  Nachlasse  des  Barons  von  Grimm. 
2.  Ein  Ehekontrakt  ans  dem  Jahre  1786.) 


Erster  Anhang. 

Briefe  aiis  dem  Nachlasse  des  Barons 

von  Orimm«^) 

I. 

Fünf  Briefe  und  elf  Brieffragmente  der 
Kaiserin  Katharina  IL  von  Rnssland  an 
Friedrich  Melchior  Baron  Grimm  von  Grimmhof. 

Erster  Brief. 

k  P^tersbourg  ce  7/26  de  Mars  1771. 

Monsieur! 
J^ai  regu  yos  deux  lettres  du  14  et  27  F^yrier  presque 
en  m6me  temps.  Yous  d^sirez  que  je  yous  dise  un  mot  sur 
les  grossidrtös  et  les  sottises  des  Chinois,  dont  j^ai  fait  men- 
tion  dans  une  de  mes  lettres.  Nous  sommes  yoisins,  comme 
Tous  le  sa^ez;  nos  lisi^res  de  part  et  d'autres  sont  borddes 
de  peuples  pasteurs,  Tartares  et  payens.  Ges  peuplades  sont 
trös  portdes  au  brigandage;  ils  s'enl^yent  (souyent  par  re- 
prössaiiles)  des  troupeaux  et  m6me  du  moüde.  Ces  querelles, 
quand  elles  ont  Heu,  sont  ddciddes  par  des  Comroissaires 
enyoyes  sur  les  frontiöres.  Messieurs  les  Chinois  sont  si 
grands   chicaneurs  que   c'est  la  mer  k  boire  que  de  finir 


*)  Die  Originale  aller  nachfolgenden  Briefe  befinden  sich  im 
gräflich  Erdödjschen  Archive  zu  Galg6cz,  NeatraerComitat,  Ungarn. 


—     362     — 

mdme  des  mis^res  avec  eux,  et  il  est  arriv^  plus  d'une  fois, 
que,  n'ayant  plus  rien  k  demander,  iU  exigeaient  les  os  des 
morts,  non  pas  pour  leur  rendre  honneur,  mais  uniquement 
pour  chicaner.  Des  mis^res  pareilles  leur  ont  servi  de  pr^- 
texte  pour  interrompre  le  commerce  pendant  dix  ans;  je  dis 
de  pr^texte,  parceque  la  yraie  raison  ^tait  que  Sa  Majest^ 
Chinoise  ayait  donn^  ä  un  de  ses  Ministres  en  monopole  lo 
commerce  avec  la  Bossie.  Les  Chinois  et  les  Kusses  s'en 
plaignaient  ^galement;  et,  comme  tout  commerce  naturel  est 
tr^s  difficile  k  g^ner,  les  deux  nations  ^changeaient  leurs 
marchandises  1&,  oü  il  n'y  avait  point  de  douane  Stabile,  et 
pr^f6raient  la  n^cessitd  aux  risques.  M.  le  Ministre  yexait 
les  provinces  chinoises  limitrophes  et  ne  commer^it  pas. 
Lorsque  d^ici  on  leur  ^crivait  sur  l'etat  des  choses,  en  r^- 
ponse  on  recevait  des  cahiers  tres  amples  de  prose  mal 
arrang^e,  oü  l'esprit  philosophique  ni  la  politesse  ne  se 
faisaient  pas  m^me  entreyoir,  et  qui  d'un  bout  jusqu'ä  Tautre 
n'ötaient  qu'un  tissu  dMgnorance  et  de  barbarie.  On  leur 
a  dit  dHci  qu'on  n'avait  garde  d'adopter  leur  stile,  parcequ'en 
Europe  et  en  Asie  ce  stile  passait  pour  impoli.  Je  sais 
qu^on  peut  rdpondre  k  cela  que  les  Tartares  qui  ont  fait  la 
conqudte  de  la  Chine  ne  valent  pas  les  anciens  Chinois;  jo 
le  veux  croire,  mais  toujours  cela  prouve  que  les  conqu6rants 
n^ont  point  adoptd  la  politesse  des  conquis,  et  ceux  ci  courent 
risque  d'^tre  entrain^s  par  les  moeurs  dominantes. 

J'en  yiens  k  präsent  k  Tarticle  Loix  que  yous  ayez  bien 
youln  me  communiquer,  et  qui  est  si  flatteur  pour  moi. 
Assur^ment,  Monsieur,  sans  la  guerre  que  le  Sultan  m*a  in- 
justement  d^clar^e,  une  grande  partie  de  ce  que  yous  dites 
serait  fait,  mais  pour  le  prdsent  on  ne  peut  paryenir  encore 
qvCk  faire  des  projets  pour  les  diffärentes  branches  du  grand 


—     363     — 

arbre  de  la  If^gislation  d'apr^s  mes  principes,  qui  Bont  im- 
prim^s  et  que  yous  connaissez.  Nous  sommes  trop  oecop^ 
k  nous  battre,  et  cela  nous  donne  trop  de  distration  pour 
mettre  tonte  Tapplication  convenable  k  cet  immense  ouvrage 
dans  le  moment  pr^ent. 

J'aime  mieux,  Monsieur,  yos  vers  qu^un  corps  de  troupes 
auxilliaires;  Celles  ei  pourraient  tourner  le  dos  dans  un  mo- 
ment d^cisif ;  yos  Yors  feront  les  d^lices  de  la  post4rit6,  qui 
ne  sera  que  l'^cho  de  yos  contemporains.  Geux  que  yous 
m^aYOz  euYoy^s  s'impriment  dans  la  memoire,  et  le  feu  qui 
y  rigne  est  ^tonnant;  il  me  donne  Tenthousiasme  de  pro- 
ph^tiser.  Yous  YiYrez  deux  cents  ans !  on  espöre  Yolontiers 
ce  que  Ton  souhaite.  Accomplissez,  sHl  yous  plait  ma  pro- 
ph^tie;  c'est  la  premidre  que  j'aie  faite. 

Catherine. 

Zweiter  Briet 

k  Czarskozölo  le  17  aYril  1776. 
J'ai  reQu  Yotre  lettre  de  Naples  dans  les  jours  les  plus 
affreux  de  ma  Yie.  Le  dix  aYril  k  quatre  heures  du  matin 
mon  fils  Yint  me  chercher  parceque  son  ^pouse*)  sentait  les 
douleurs  de  Tenfantement.  Je  sautais  du  lit,  et  j'aecourus. 
Je  la  trouYais  se  tourmentant  bcaucoup,  mais  sans  qu'il  y 
eut  rien  d'extraordinaire.  Uoe  femme  et  un  Chirurgien  ha- 
bile  la  secouraient ;  le  temps  et  la  patience  doYaient  la  tirer 
d'affaire.  Cet  ötat  continua  jusqu'ä  la  nuit;  il  y  eut  des  inter- 
Yalles  tranquilles,  du  sommeil  mdme,  les  forces  ne  diminuaient 

*)  Natalie,  geborene  Landgräfln  yon  Hessen -Darmstadt,  des 
nachmaligen  Kaisers  Paul  I.  erste  Gattin  (f  1776),  noch  im  selben 
Jahre  heiratete  er  Marie,  geb.  Herzogin  Yon  Wflrttemberg. 

Der  Herausgeber. 


—    364    — 

point.  Le  lundi  se  passa  dang  une  attente  et  im  £tat  pareille 
et  tr^s  inquiötant.  Outre  son  m^decin,  qui  ne  qaittait  pas 
'antichambre ,  celui  du  Grand  duc  et  un  autre  accoucheur, 
le  plus  habile  quMl  y  eut,  furent  appell^B  pour  servir  de 
conseil  k  ceux  qui  y  6taient.  Leur  conseil  ne  produisit  ni 
Boulagement  ni  nouveaux  exp^dients.  lU  demandirent  mardi 
mon  m^decin  et  un  ancien  accoucheur  habile,  pour  faire  une 
nouvelle  consultation.  Le  r^sultat  fut  qu'il  fallait  sauver 
la  möre,  parceque  probablement  Tenfant  6tait  mort  Les 
instrumenta  furent  employ^s.  Un  concours  de  malheureuses 
circonstances  oecasionn^  par  la  conformation ,  et  par  diveni 
accidents,  rendirent  toute  la  science  humaine  inutile  —  le 
jeudi  la  Grand'duchesse  regut  tous  les  sacrements.  Le  prince 
Henry*)  proposa  son  m^decin;  il  fut  admis  et  justifia  ses 
confr^res.  Le  vcndredi  cette  Princesse  rendit  Täme  k  cinq 
heures  du  soir.  Hier  eile  fut  ouverte  en  pr^sence  de  treize 
m^decins  et  chirurgiens,  et  par  leur  rapport  unanime  il 
rosulte  que  c'est  un  cas  presque  unique  et  irrem6diable. 
Yous  ne  sauriez  youb  imaginer  ce  qu'elle  a  du  souffrir  et 
nous  avec  eile.  J'en  ai  Vkme  d^chir^e.  Je  n'ai  pas  en  un 
moment  de  repos  pendant  ces  cinq  jours.  Je  n^ai  quitt^ 
cette  Princesse  ni  jour  ni  nuit  jusqu^ä  ce  qu'elle  a  eu  les 
yeux  fermds.  Elle  me  disait  au  milieu  de  ses  sonffrances: 
„Yous  6tes  une  excellente  gardemalade/  Imaginez  yous  ma 
Situation.  Consoler  Tun,  raffermir  Tautre,  n^en  pouvant  plus 
de  Corps  et  d'äme;  obligöe  d'encourager,  de  d^cider,  de 
pr^voir  tout  ce  qui  ne  devait  point  6tre  oubli^.    Je  yous 

♦)  Wohl  Prinz  Heinrich  von  Preussen,  der  Bruder  Friedrichs 
des  Grossen.  Dieser  weilte  nämlich  in  den  siebziger  Jahren  des 
18.  Jahrhunderts  längere  Zeit  in  Petersburg. 

Der  Herausgeber. 


—     365     — 

avoue  que  de  ma  vie  je  ne  me  suis  trouv^e  dans  une  Situa- 
tion plus  difficile,  plus  horrible,  plus  penible.  J^oubliai  boire, 
manger  et  dormir,  et  mes  forces  se  soutenaient  je  ne  sais 
comment.  Je  commence  k  croire  que  si  de  cette  aventure 
mon  Systeme  nerveux  ne  se  d^range  pas,  il  est  ind^rangeable. 
Yingt  quatre  heures  avant  la  mort  de  la  Grand^duchesse 
j'envoyai  prier  le  prince  Henry  de  s'emparer  pour  mon 
soulagement  du  Grandduc.  II  vint  et  ne  le  quitta  plus. 
11  Supporte  son  profond  chagrin  avec  assez  de  fermet^,  mais 
aujourd'hui  il  a  pris  la  fi^vre.  D^s  que  son  Epouse  fut 
morte  je  Tenlevai  pour  le  mener  ici.  Adieu,  je  r^pondrai 
k  Yotre  lettre  une  autre  fois. 

du  18  avril. 
Rendez  gräce  k  Dieu,  bien  loin  de  vous  lamenter  de 
n'^tre  pas  du  Yoyage  du  Prince  Henry.  Yotre  boyau  f^l^ 
n'aurait  pas  resist^  au  speetacle  dont  vous  avez  tu  les  details 
dans  ma  feuille  d^hier.  Nous,  qui  ne  sommes  pas  dans  yotre 
cas,  k  peine  somme  nous  en  yie.  II  y  avait  des  moroents 
oü  je  sentais  des  d^ohirements  d'entrailles  et  k  chaque  cris 
je  me  sentais  d^faillir.  Le  vendredi  je  deyins  pierre  et  k 
präsent  encore  je  ne  me  sens  pas.  J'ai  des  heures  de  fai- 
blesse,  d'autres  de  force;  cela  tient  de  la  fi^vre  intermittante, 
mais  eile  est  plutot  morale  que  physique.  Personne  n'a 
d'id^e  de  cela  k  moins  de  Favoir  tu  ou  ^prouy^.  Imaginez 
vous  que  moi  qui  suis  pleureuse  de  profession,  j'ai  tu  mourir 
Sans  repandre  une  lärme.  Je  me  disais,  si  tu  pleures,  les 
autres  sangloteront ;  si  tu  sanglotes,  les  autres  s'^yanouironti 
et  tout  le  monde  perdra  la  t6te.  Mais  je  coupe  court  k  tout 
cela  et  k  tout  ce  que  j'aurais  k  yous  dire  sur  ce  sujet  Je 
m'en  rapporte  au  Prince  Henry,  et  ne  yous  en  dirai  plus 
rien.    Yous  Yoyez  que  Thomme  propose  et  que  Dieu  dispose. 


—     366     — 


Dritter  Brief. 

k  P^tersbourg  le  14/25  Decembre  1777. 

Connaissez  vous  Monsieur  Alexandre?  Alles  Yons  sou- 
vent  &  Yersailles  ?  En  ce  cas  voas  connaissez  ou  bien  tous 
ne  connaissez  pas  les  commis  des  commis  de  Monsieur 
Alexandre,  c'est  k  dire  de  ce  Monsieur  Alexandre  dont  il 
est  tant  question  dans  „ring^nu?^  Mais  je  parie  que  vous 
ne  connaissez  point  du  tout  Monsieur  Alexandre,  du  moins 
celui  dont  je  vais  yous  parier.  Ce  n'est  point  d^Alexandre 
le  grand  qu'il  s^agit,  mais  d'un  tout  petit  Alexandre*)  qui 
yient  de  naitre  le  12  de  ce  mois,  k  dix  heures  trois  quarts 
du  matin.  Tout  cela  veut  dire  que  la  GrandMuchesse 
vient  d^accoucher  d'un  fils  qui  k  Thonneur  de  Saint  Alexandre 
Newsky,  a  re^u  le  nom  pompeux  d' Alexandre,  et  que  j^appelle 
moi  „Monsieur^  Alexandre  parceque  s'il  se  m^le  de  vivre,  sans 
faute  avec  le  temps,  ses  commis  auront  des  commis.  Yoyez 
un  peu  ce  que  c'est  que  les  proph^ties  et  le  comm^rage  de 
Grand'mSre.  Ne  voilä-t-il  pas  une  preuve  de  perspicacit^ 
trds  ^clatantel  Aber,  mein  Gottl  was  wird  denn  aus  dem 
Jungen  werden?  Je  me  rassure  avec  Bayle  et  le  pdre  de 
Tristram  Shandi  qui  ^taient  d'avis  que  le  nom  influait  sur 
la  chose.  Convenez  que  celui  ci  est  illustre.  II  y  a  eu  des 
matadors  qui  i'ont  port^.  Pourvu  que  les  as  ne  soiönt  pas 
passös  k  cette  bände  \k,  Les  exemples  de  famille  y  fönt  ils 
quelque  chose?  Que  pensez  vous?  Le  choix  embarrasse 
quelquefois,  les  exemples  n'y  fönt  rien  au  dire  de  T^vangile 
du  vönerable  Pasteur  Wagner.    C'est  le  naturel  qui  fait  tout. 

♦)  Kaiser  Alexander  I.  Paulowitsch,  geb.  12.  Dezember  1777. 

Der  Herausgeber. 


—     367     — 

Mais  oü  le  cheroher  celui  \k?  Est-ce  au  fond  du  sac  de  la 
bonne  Constitution?  Celle-ci  parait  y  6tre,  pounru  que  la 
masse  n'absorbe  point  le  flogistique,  les  chairs,  les  ob,  cela 
tiraille  Tesprit  k  droite  et  k  gaache.  J'enverrai  d^battre 
tout  cela  k  la  Reine  douairi^re  de  Su^de,  eile  s^en  tirera 
mieux  que  moi.  C'est  dommage  que  les  f^es  ont  pass^  de 
mode.  Elles  yous  douaieut  un  enfant  de  tout  ce  qu'on 
Youlait  Je  leur  aurais  fait  de  beaux  pr^sents,  et  je  leur 
aurais  chuchot6  k  l'oreille :  „Mesdames,  du  naturel,  un  tantinet 
de  naturel,  et  Texp^rience  fera  k  peu  prös  le  reste.  Adieu, 
portez  YOUS  bien.* 

J'ai  reQu  Yotre  postscripture  aux  bell  es  choses  que 
m'apporte  Thier  de  Yotre  part,  mais  celui-ci  n^est  point 
encore  arriY^.  Etes  yous  content  de  T^loge  de  Madame 
Qeoffrin?  Je  trouYe  que  cela  est  bien  dit,  mais  qu^il  n^en 
reste  rien  dans  la  t^te.  Je  sais  bien  ce  qui  y  manque.  Cet 
auteur  n'est  pas  le  mien,  nos  totes  ne  Yont  point  ensemble 
Gott  weiss,  alle  die  Leute  wollen  mehr  wie  sie  können,  und 
ich  liebe  die  Köpfe  die  ohne  Wollen  und  ohne  sich  auf- 
zuziehen, Yon  selbst  laufen.  En  doYonant  Yieux,  je  crois 
qu'on  doYient  trop  difficile  et  que  c'est  mon  cas. 


Vierter  Brief. 

k  P^tersbourg  le  22  Decembre  1777. 
N^est  il  pas  Yrai  que  rien  n'est  plus  importun  que  de 
bombarder  les  gens  de  lettresP  J'en  couYiens  moi  mdme. 
Voilä,  me  parait,  la  troisi^me  que  je  yous  ^cris,  sans  trop 
saYoir  pourquoi,  mais  il  faut  que  je  yous  ^criYe»  ma  t6te 
le  Yeut.  Eh  bien,  ne  la  lisez  pas,  il  y  a  remMe  k  tout,  je 
yous  le  rep6te,  jettez   la   au   feu  sans  la  lire.    Monsieur 


—    368     — 

Alexandre  a  ^t^  baptis^  avant  hier,  et  tout  le  monde  se 
porte  bien,  hormis  les  Anglais  qui  ont  la  t^te  penchi^e  aar 
leur  estomac  depuis  la  d^plorable  aventure*)  du  G^n^ral 
Bargoyne.  H  y  a  l&  de  quoi  se  ronger  Iqs  doigts  k  la  fa^on 
du  Prince  Potemkin.  Cela  met  le  sang  en  mouTement.  Si 
celui  du  Parlement  de  la  Grande  Bretagne  reste  calme,  je 
les  di^clare  moi  ehrwürdige  Passgänger.  II  y  a  lä  yingt 
r^solutions  k  prendre  seien  moi  les  unes  plus  belies  et  plus 
^clatantes  que  les  autres.  Nous  yerrons  un  peu  ce  qu'ils 
feront,  et  s'ils  fönt  bien,  cela  nous  fera  devenir  sage  et  nous 
apprendra  k  renfcrmer  nos  opinions  et  k  morig^ner  notre 
Imagination,  m'entendez-vous?  Schach  Baham  et  moi,  nous 
nous  entendons  bien  nous  m^mes.  Quand  yous  m'^crirez  un 
jour  parlez  moi  un  peu  de  M.  Quirini,  de  Tabb^  Galiani  et 
de  Mengs!  Ce  dernler  fait-il  mes  tableaux?  Oh  mon  Dieu, 
si  YOUS  Yoyez  comme  malgr^  toutes  yos  mauYaises  pr^dictions, 
je  suis  bien  log^e  cet  hiYer.  II  y  a  tout  plein  de  choses 
admirables  et  comme  yous  n*en  avez  jamais  yu,  dparpill^es 
partout  k  Tentour  de  moi  qui  ne  me  sont  bonnes  k  rien,  et 
dont  je  ne  me  sers  point  du  tout;  c'est  une  felicit^  de  Yoir 
cela  seulement.  Je  ressemble  au  Chan  des  Eirgis  auquel 
rimp^ratrice  Elisabeth  donna  une  maison  k  Orenbourg  et 
qui  fit  dresscr  sa  tente  dans  la  cour  pour  y  demeurer.  Je 
me  tiens  dans  mon  coin  et  le  parement  d'eglise  Ya  son  train, 
nous  en  sommes  au  second  lai  de  Fautel.  L*introduction  des 
r^glements    Ya   son    train   aussi,  la  lögislation   aussi,  mais 


*)  Der  englische  General  John  Burgoyne  mosste  sich  im  nord- 
amerikanischen  Befreiungskriege  bei  Saratoga,  in  einen  Hinterhalt 
gefallen,  am  17.  Oktober  1777  mit  seinem  ganzen  5550  Mann 
starken  Korps  dem  amerikanischen  General  Gates  ergeben. 

Der  Herausgeber. 


—     369    — 

doucement.    Je  ne  sais  ce  que  c'est    Si  c'est  la  mati^re  ou 
la  t^te  qui  en  est  cause,  mais  les  enjamb^es  deviennent  rares, 
c^est  une  fi^yre  lente  et  cootinue  sans  dlans.   Ne  tous  6tait-il 
pas  bien  n^cessaire  de  savoir  tont  cela?   Le  Patriarche  m^a 
fait  rhonneur  de  m'enyoyer  an  livre  qu'il  a  iotitul^  9^1*^^ 
de  la  justice  et  de  rhumanit^'.   U  veut  que  cela  serye 
k  faire  un   code   crimioel  qu'il  yeut  ayoir  pour  cent  louis. 
Cela  est  modique.    Moi  je   crois  qu'il  sera  fait  gratis  ou 
point  du  tout.    Pour  le  faire,  il  faut  p^cher  dans  le  ooeur, 
dans  rexperience,  dans  les  loix,  coutumes  et  moeurs  d'une 
natioD,   et   point   dans   la  bourse.    Les  prix  accad^miques 
aiguisent  Tesprit  des  jeunes  gens;  ici  c'est  Taffaire  de  barbous 
(3clair6s,  de  gens  qui  ont  eu  le  maniement  de  bien  des  choses 
et  pour  qui  cent  louis  ne  sont  rien.   A  propos  de  cela,  sayez 
yous  bien   que  l'Opera  de  Paisiello  ^tait  une  chose*  char- 
mante ?   J'ai  oubli6  de  yous  en  parier.   J'ai  ^t^  toute  oreille 
pour  cet  opera,  malgr6  Tinsensibilit^  naturelle  de  mon  tympan 
pour  la  musique.    Je  mets  Paisiello  k  c6t^   de  Galuppi.    II 
yient  d*arriyer  un  bouffon  qui  est  fort  dröle,  la  musique  m^me 
qu'il  chante,  me  fait  rire.    Dieu  sait  comme  cela  est  arrangc. 
£coutez,  homme  k  deyeloppement,  deyeloppez  moi  d'oü  yient 
que  la  musique  de  ce  bouffon  me  fait  rire,  tandis  que  la  mu» 
sique  des  operas  comiques  frangais  m'inspire  de  Tindignation 
et   du  m^pris,   k  moi   qui  n'aime   ni    ne  sais    la   musique. 
Yous  ne  ferez  point  imprimer  cette  lettre  par  une  raison  de  plus, 
c'est  qu^ello  est  la  production  d'un  malade  qui  griffonne  pour 
s'amuser.   J'ai  aujourd'hui  mal  k  la  t6te,  et  yous  dtes  mon 
souffre  douleur  depuis  longtemps.   Je  puis  m6me,  quand  yous 
le  youdrez,  yous  donner  un  attestat  comme  t6moin  que  yous 
ayez  fait  preuye  deyant  moi  d'une  patience  incroyable.  Adieu, 
portez  yous  bien.  Voilä  quatre  pages  remplies  tr^s  exactement. 

Carl  Oraf  Obtrndorff,  EriaBtroBfta  «Ibm  ürgroMmstttr.         24 


—     370    — 


Fünfter  Brief. 

k  P^tersbonrg  du  14  F^yrier  1778. 

Monsieur  le  souffre-doulenr,  il  faut  que  je  yous  ^crive, 
car  j'ai  mal  k  la  t^te.  Ne  vons  attendez  pas  aujourd^hui  k 
grande  Imagination,  oü  bien  k  nombre  de  paroles  culbutant 
les  unes  sur  les  autres  comme  les  eaux  d'une  digue  rompue. 
Ce  n'est  point  cela;  il  ne  s'agit  qne  d'un  simple  r^oit  de  la 
jfi&te  du  seigneor  Azor.  Or  donc  pour  entrer  en  matiöre,  il 
faut  YOus  rappeller  ce  que  je  yous  ai  dit  ddijii,  que  nous 
^tions  dans  les  fötes  et  mascarades  jusque  par  dessus  les 
oreilles,  et  que  nous  roulions  par  la  YÜle  de  maison  en 
maison  comme  les  rats  de  grenier  en  grenier.  II  s'est  trouY^ 
un  malheureux  petit  jour  de  repos  Mardi  13  F^yrier  oü  tont 
le  monde  ^tourdi  par  la  musique,  accabl^  de  danse  et  d^- 
fatigu^  comptait  respirer  chacun  dans  son  manoir.  Ne 
Yoilä-t-il  pas  que  Satanas,  cet  ennemi  du  repos,  Yient  s'en 
mMerl  Que  fait-ilP  II  inspire  au  Seigneur  Gentilhomme 
Africain  l'id^e  de  choisir  un  jour  d'opdra  oü  les  loges  £taient 
presque  Yuides  et  le  parterre  assez  clair  sem^,  de  se  montrer 
tout-ä-coup  dans  la  salle,  afiPubl6  dans  le  costume  de  son 
pays  et  de  präsenter  k  une  trentaine  de  personnes  les  plus 
consid^rables  lemanifeste  ci  Joint  imprimd.  Ce  bei  ^crit 
oü  personne  ne  comprenait  rien,  mit  toutes  les  totes  en  l'air. 
Qu'est-ceP  Que  sera-ce?  De  quoi  s*agit-il?  Je  devine. 
Je  ne  deyine  pas.  On  imaginait,  on  supposait,  on  ce  cassait 
la  t^te,  et  Ton  en  riait  d'autant.  ^Bonne  prc^paration  pour 
la  f^te^,  disait  le  Seigneur  Azor.  A  la  moiti^  de  TOp^ra, 
Selon  le  d^sir  dudit  Seigneur  Africain,  tout  le  monde  ioYit^ 
se  rendit  au  Heu  assignc^.    On  fut  oblig6  de  monter  par  un 


—     371     — 

petit  escalier  toarnant  et  fort  ^troit,  non  pas  pr^cis^ment 
au  grenier,  mais  dans  certains  entresols,  oü  tout  respire 
rambroisie  de  TAsie.  Lk  trois  grandes  tables  k  tapis  de 
yelours  ^taient  dress^es  pour  le  macao.  Sur  chacune  se 
trouvait  placke  une  petite  botte  avec  une  petite  cuiller  d'or. 
(J'entre  dans  ces  d(^tail8  pour  la  commodit^  de  ceux,  qui 
Youdront  imiter  le  Seigneur  Azor).  L'affiche  ci  jointe 
accompagnait  les  boites.  La  compagnie  s^empressa  k  remplir 
les  intentions  de  rh6te.  Rien  de  plus  anim^  que  ce  jeu-Ui, 
disaient  les  hommes.  Rien  de  plus  amüsant,  disaient  les 
femmes.  C'est  joli  de  jouer  anx  diamants.  Cela  ressemble 
aux  mille  et  une  nuits.  On  avait  de  Tespoir  comme  quatre, 
et  l'or  et  les  bijoux  roulaient  d'autant.  Les  politiques  disaient 
que  c'^tait  une  nouveaut^  trös  piquante,  d'autres  se  taisaient, 
mais  amenaient  neuf.  Enfin  ce  beau  jeu  dura  une  beure  et 
demie  jusqu^au  souper,  et  les  bottes  n'^taient  pas  yides.  On 
prit  alors  le  parti  de  partager  ce  qui  restait  entre  les  joueurs. 
Apr^s  quo!  on  descendit  l'escalier  par  lequel  on  avait  mont^, 
et  Ton  se  trouve  dans  un  appartement  tout  en  glaces,  murs 
et  plafond,  tout  en  6tait  couvert.  En  face  de  Tescalier  est 
une  grande  croi8<^*e  dont  les  rideaux  s'ouvrirent  subitement 
et  decouvrirent  un  grand  A  de  la  longueur  d^une  arcbine, 
d'une  largeur  proportionnee,  formö  des  plus  beaux  diamants 
de  la  couronne.  Sous  cet  A  immense  se  trouTait  une  Ting- 
taine  de  pages  y^tus  d^^toffes  d'or  avec  des  ^charpes  de 
satin  bleu.  Ils  devaient  faire  le  seryice  des  tables  et  grou* 
paicnt  parfaitement  bien  dans  la  croisee  sous  TA  de  diamants. 
Les  tables  ^taient  placc^es  le  long  des  murs  k  droite  et  k 
gauche,  adosses  aux  glaces  de  fa^on  que  les  conyiyes  se 
trouvaicnt  en  face.  Mais  comment  yous  d^*crire  le  dessert 
plac6  dcyant  ces  glaces?    G'^taient   les  plus  belles  pi^ces 

24* 


—     372    — 

da  sartout  Bretenil  couYertes  par  tous  les  bijonx  des  qnatre 
armoires,  que  tous  oonnaissez.  Le  dessin  et  rarrangement 
de  tont  cela  6taient  k  la  lettre  une  chose  charmante.  J'ai 
ordonn^  d*en  faire  an  dessin  et  de  le  graver,  je  voas  Ten- 
Terra!.  En  entrant  dans  la  salle  toat  le  monde  resta  ^bahi 
de  la  beaat^  et  de  la  richesse  da  spectacle,  et  plas  d'ane 
demie  heare  se  passa  sans  qa'on  püt  paryenir  k  faire  asseoir 
les  conyiYes  aax  tables,  qui  les  attendaient.  Pendant  le 
souper  rentbousiasme  ne  diminaa  point :  on  remonta  ensuite 
aax  entresols.  J'ai  oabli6  de  tous  dire  qu^ön  entrant  la 
premi^re  fois  dans  ces  appartements ,  on  passa  par  cette 
salle,  oü  il  n'y  avait  aucune  d^coration  et  que  toat  s^est 
arrang^  pendant  le  jeu  aux  diamants.  Yis-ä-vis  da  grand 
A  en  diamant  de  la  crois^e  il  y  avait  dans  une  nicho  un 
autre  grand  A  tout  pareil  form6  de  perles.  Mais  en  yoWk 
assez  pour  aujourd'hui. 

Manifeste. 

Francisque  Azor,  ancien  Gouverneur  de  tortues  k  la 
Guadeloupe,  aujourd^hui  ayantageusement  connu  k  la  Cour 
imperiale  de  Russie,  a  eu  Thonneur  de  d^clarer  plus  d'une 
fois  en  pr^sence  de  t^moins,  comme  quoi  il  ^tait  gentil- 
homme  Africain.  II  ignore  si  c^est  par  envie  ou  par  d'autres 
motifs,  que  plusieurs  ont  voulu  lui  contester  cette  qualit^. 
Mais  cela  lui  est  assez  indifferent  aujourd'hui,  oü  il  se 
d^termine  enfin  k  deployer  en  face  du  public  le  caractere 
de  Repräsentant  de  sa  patrie,  de  celle  de  Tor  et  de  Targent, 
des  pierreries  et  des  monstres,  en  un  mot  de  la  grande  partie 
du  globe  terrestre ,  appel^e  Afrique.  II  administrera  ses 
preuves  k  quiconque   le   präsent  dcrit  sera  par  lui  ou  par 


—     373     — 

son  Bubd^legu^  remis  en  mains  propres,  pourvu  qu'on  veuille 
bien  se  rendre  au  sortir  du  spectade  le  Mardi  13  Feyrier 
1778  dans  les  appartements  de  rimp^ratrice,  tenant  cet  4crit 
k  1a  main.  Les  personnes  ^clair^es  conviendront,  que  le 
Seigneur  repr^sentant  ne  pouvait  choisir  un  moment  plus 
fayorable  pour  contribuer  k  Tdclat  de  cette  ^poque  brillante, 
en  faisant  yaloir  ses  droits.  II  finit  en  soubaitant  qu^aprds 
jeu  et  souper  un  doux  sommeil  Tienne  au  secours  des  yeux 
fatigu^s  de  ses  conviTes. 

A  f  f  i  c  h  e. 

Le  Seigneur  Repräsentant  a  expos^  sur  chaque  table 
une  botte  remplie  de  diamants,  non  pas  en  vente,  mais  afin 
qu'en  jouant  au  Macao,  chaque  neuf  soit  pay6  de  sa  part 
d'un  brillant. 


Erstes'Fragment.* 

P^tersbourg,  5  Octobre  1777. 

Quand  vous  y  serez  (en  France)  je  yous  prie  de  trouver 
une  occasion  pour  dire  k  Monsieur  Necker,  que  Monsieur 
de  Schouwalow*)  m'a  remis  son  livre  sur  le  commerce  des 
grains,  et  que  je  lui  en  ai  mille  obligations ;  c^est  un  excellent 
livre.     Voilä  pour  lui,  et  voici  qui  est  pour  youb.    L^auteur 


*)  „Iwan  Iwanowitsch  Graf  von  Schnwalow»  GOnitling  der  Eaiserin 
Elisabeth,  geb.  12.  November  1727,  ward  ?on  der  Kaiieria  anm 
Oberkammerherrn  ernannt  and  gründete  1755  die  Universitit,  nebst 
zwei  in  ihr  gehörigen  Gymnasien  zu  Moskau,  sowie  1758  die 
Akademie  der  Künste  zu  Petersburg;  er  starb  hier  tm  25.  Noy. 
1798."  (Entnommen  ans  Meyers  Konversationslexikon  4.  Aufl. 
14.  Bd.  pag.  672.) 


—     374     — 

de  ce  liyre,  que  je  lis  moi  möme,  est  une  tAte  profonde.  Ce 
n^est  pas  an  livre  fait  pour  tout  le  monde,  et  il  n^j  a  qu'une 
certaine  trempe  de  gens  qui  le  comprendront  Je  Tai  raDg^ 
parmi  mes  livres  classiqaes  k  moi;  pour  cette  partie  lä  c'est 
mon  Blackstone.  Qaand  je  nomme  Blackatone,  il  me  vient 
tout  de  Buite  en  t^te  et  les  loges  de  Bafael  et  le  livre  de 
Bibiena.  Par  cons^quent  le  livre  de  Monsieur  Necker  est 
aussi  admis  chez  moi  aux  honneurs  du  crayon  rouge.  J'aime 
beaucoup  le  chapitre  qui  commence  page  136.  Surtout  ce 
quUl  dit  du  nord,  je  ne  puis  me  ranger  de  son  avis.  N'y 
ayant  Jamals  ^te,  il  n'en  connait  pas  assez  le  local,  et  trancho 
et  gcneralise  trop  vaguement.  Si  je  le  connaissais,  j^entrerais 
parci-parlä  en  dispute  avec  lui.  Je  lui  dirais  par  exemple: 
Les  pays  du  nord  ont  des  provinces  vers  le  midi  les  plus 
fertiles  du  monde,  qui  ne  ressemblent  en  rien  aux  rives  de 
la  mer  glaciale.  Si  ces  rives  sont  peu  peupices,  sachez  que 
Ic  tcrrain  manquc  dans  d'autres  contrees  etc.  etc.  Patience, 
dans  quelques  annces  vous  verrez  des  cartes  de  la  Russie 
qui  en  donneront  une  idee  juste.  Beaucoup  de  ces  meprises 
viennent  de  ce  que  les  capitales  ont  ete  placces  sous  des 
points  de  ciel  disgracieux  .  .  . 

*  Die  mit  *  bezeichneten  Fragmente  (and  zwar  das  1.,  2., 
8.,  9.  nnd  10.)  enthalten  Reflexionen  aber  Werke  Neckers.  — 
Jacques  Necker  (1732—1804),  berühmter  französischer  Finani- 
minister  Ludwig  XVI.,  schrieb :  „Eloge  de  Colbert**  (Paris  1778), 
„Essai  sur  la  Idgislation  et  le  commerce  de  grains'*  (Paris  1775) 
—  siehe  1.  Fragment  —  „Compte  rendu  au  roi'*  (Paris  1775)  — 
siehe  2.  Fragment  — ;  „Padministration  des  finances^*  (Lausanne 
1784);  „Nou?eaux  öclaircissements  sur  le  compte  rendu*'  (1788); 
„De  Padministration  de  Necker  par  lui-m6me*'  (Paris  1791); 
„De  la  rävolution  fran^aise"  (Paris  1796,  4  Bde.)  etc.  etc.  —  Er 
wurde  vom  Könige  mehrere  Male  entlassen  und  wieder  berufen. 

Der  Herausgeber. 


—     375     — 

Zweites  Fragment.  * 

du  10/21  Juillet  (1778?) 

Enfin  M.  Necker  n'est  plus  en  place.  Voilä  c'est  an 
beau  rSve  que  la  France  a  faite,  et  une  grande  yictoire  pour 
ses  ennemis.  Le  caractire  de  cet  homme  rare  est  k  admirer 
dans  ses  deux  ouvrages,  car  „le  M^moire*^  vaut  bien  ,le 
Compte  rendu'.  Le  Roi  de  France  a  touch^  du  pied  k  une 
grande  gloire.  Das  findet  sich  nicht  sobald  wieder.  H  fallait 
k  M.  Necker  une  töte  de  mattre  qui  suivit  ses  enjamb^es  . . . 

Eh,  mon  dieu,  pourquoi  avec  toute  la  bonne  yolont^ 
suivent-t-ils  en  bottant  si  r^ligieusement  les  traces  du  grand- 
papaP    Ce  n^est  pas  ainsi  que  se  conduit  M.  le  beau  fröre. 

Drittes    Fragment. 

du  11/22  JuUlet. 

La  lettre  que  M.  Necker  yous  a  (Perlte,  m*a  fait  grand 
plaisir,  je  suis  seulement  fächere  qu'il  ne  seit  plus  en  place. 
Je  connais  un  homme  dans  le  monde  k  qui  le  ciel  a  destinä 
la  premiöre  place  en  Europe»  sans  contredit  la  premiöre  pour 
la  gloire.  II  faut  qu'il  vive,  il  faut  qu'il  suryiye  k  une  couple 
de  ses  contemporains ,  et  alors  cet  astre  sera  k  oul  autre 
comparable,  et  ses  contemporains  resteront  loin  derriör«  lui. 

Viertes  Fragment 

du  11  Aout  1778  de  OimkwMQ. 

II  faut  conyenir  que  yous  ayez  un  gout  AMi^  |K>ttr  \m 
postscriptum.    En  yoilä  un  du  15  Juillet  qui  iiuH  iiiire  pAfi* 


—     376     — 

dant  k  un  No.  20  qui  n^est  pas  arriv^,  me  semble,  car  il 
y  a  une  ^ternit^  que  je  n'ai  re^u  de  vos  lettres,  ni  ne  voas 
ai  ecrit,  j'attendais  pour  prendre  la  plume  quelque  grand 
mal  de  t^te  ou  quelqu'autre  ^yenement  important  qui  reyeili&t 
rimagination.  Yotre  postscriptum  bariol^  me  met  primo 
dans  Tattente  des  bustes  de  Stoadon.  "^  II  m'apporte  secundo 
les  tetes  gray<!*e8  de  Voltaire.  Je  vous  confesse  que  depuis 
la  mort  du  patriarche  je  ne  puls  les  regarder.  Les  yers 
de  Madame  de  Bouffiers  en  revanche  m'ont  fait  grand  plaisir. 
Nous  viTons  ici  dans  rattente  des  grands  <^y<^nement8.   Yon 

allen  Seiten  wird On  dirait  que  c'est  l'histoire 

des  litt^rateurs  fran^ais  et  la  proportion  de  M.  de  la  Harpe 
k  Voltaire.  Notez,  s'il  yous  platt,  que  je  n'ai  jamais  rien 
lu  de  ce  M.  de  la  Harpe  et  que  par  instinct  j^ai  du  d^gout 
pour  ce  qu'il  6crit.  Aliens,  premier  d^yeloppeur  que  je 
connaisse,  d^yeloppez  moi  le  principe  de  cette  injustice  criante 
de  juger  un  auteur  sans  ayoir  yu  Tenyeloppe  de  ses  ouyrages  . . . 
C'est  une  belle  chose  que  la  politique.  II  y  entre  une  esscnce 
de  babil,  de  longs  discours  sur  rien  qui  ne  yalent  pas  la 
peine  d'^tre  relev^s,  le  tout  assaisonn^.  de  conjectures  dont 
la  plupart  du  temps  pas  une  n^est  juste  ni  yraie ,  et  Yoilk 
comme  se  gouyerne  le  monde  et  ce  qui  tr^s  souyent  d^cide 
du  sort  des  nations.  Wahrhaftig  arme  Leute  und  elende 
Sachen!  Depuis  que  Voltaire  est  mort,  il  me  semble  qu'il 
n'y  a  plus  d^honneurs  attach^s  k  la  bonne  bumeur;  il  ^tait 
le  dieu  de  la  gaiet6  ?    Faites  moi  donc  ayoir  un  exemplaire 


*)  In  AnerkennuDg  seines  Geschmackes  und  seiner  Kenntnisse 
war  ßaron  Grimm  nämlich  von  der  Kaiserin  beauftragt,  auf  seinen 
vielen  Reisen  oder  in  Paris  für  dieselbe  allerhand  alte  und  neue 
Kunstschätze,  Rarietäten  oder  Kuriositäten  zu  sammeln  und  ihr  zu 
übersenden.  Der  Herausgeber. 


—     377     — 

bien,  bien  complet  de  ses  oeuvres  pour  renouyeller  et  corro- 
borer  en  moi  la  disposition  naturelle  au  rire.  Si  vous  ne 
m'enyoyez  pas  cela  au  plut6t,  je  ne  vous  enyerrai  plus  que 
des  el^gies.     Adieu,  cela  suffit  pour  aujourd*hui. 


Fünftes   Fragment. 

du  17  Aout  1778  de  Czarskoz^lo. 

Depuis  qu'il  existe  dans  ce  monde  des  Barons  allemands, 
il  n^y  en  eut  Jamals  d^aussi  passionncS  pour  les  postscriptum 
que  vous,  a  peine  ai-je  eu  le  temps  de  repondre  k  un,  que 
Yoilä  une  oontinuation  de  postscriptum  du  15  Juillet  annex^e 
au  No.  20,  que  je  pr^tends  n'avoir  point  re^^u,  qui  yient 
m'assaillir.  Aber  was  wird  denn  daraus  werden  ?  Je  n'aime 
point  les  Nachtrag  depuis  que  j'ai  tu  dans  un  Nachtrag 
la  renonciation  d'un  Duc  Albert  d* Antriebe  sur  la  Bavi^re. 

Je  me  joins  k  M.  Reiffenstein  *)  pour  vous  souhaiter 

une  parfaite  sant^.  J'esp^re  de  m^me  que  lui,  que  mes 
pr^c^dentes  vous  seront  parvenues  dans  leur  temps.  Je  n'ai 
encore  regu  ni  caisses  ni  bailots  exp^di^s  par  M.  Reiffenstein, 
contenant  marbres  etc.  etc.  acquis  par  ordre  de  M.  de 
Schouwalow  qui  NB.  se  trouve  ici  präsent,  par  la  raison  que 
les  fregates  parties  de  Livoume  ne  sont  point  arriv^es  encore, 
ni  par  consc^quent  toutes  les  autres  helles  choses  qui  YOguent 


*)  Job.  Friedr.  Reiffenstein,  Kunstkenner,  geb.  1719,  studierte 
zu  Königsberg  die  Rechte  und  schönen  Künste.  1745  wurde  er 
Pagenhofmeister  zu  Kassel.  Später  ging  er  nach  Rom,  wo  er  mit 
seinem  Freunde  Winckelmann  ganz  der  Kunst  lebte.  Vom  Herzog 
von  Gotha  und  der  Kaiserin  Katharina,  für  die  er  h&ufig  Kom^ 
missionen  in  Kunstsachen  übernahm,  erhielt  er  eine  lebensl&ng- 
liche  Pension.  —  Er  starb  17dd.  Der  Herausgeber. 


—     378    — 

en  pleine  mer,  et  dieu  Yeuille  sauTer  les  loges  de  Rafael 

des  temp^tes Je  crains  beaucoup  qne  la  toux 

n'emporte  Menge  ayant  qu^il  ait  commenc^  mes  tableaux. 
II  y  a  an  an  qu'ils  sont  command^s,  et  cette  ann^e  est 
malheureusement  marqu^e  par  la  perte  des  grandes  totes* 
Monsieur  je  suis  encore  de  Tavis  de  M.  Reiffenstein  accom- 
pagn^  du  Prince  de  Saxe  Gotha  et  du  G6n^ral  Woronzof 
k  Rome,  je  regrette  infiniment,  tout  comme  eux,  de  ne  pas 
jouir  de  yotre  conversation  et  de  votre  agr^able  compagnie. 
J'^cris  tout  ceci  tenant  la  lettre  de  M.  Reiffenstein  k  la  main, 
et  tout  en  la  lisant,  me  YoiU  arriy^e  au  P^re  Jacqaier  et 
k  Tabb^  Chigi,  j'ai  lu  d'un  beut  k  Tautre  moi  mörne  la 
lettre  du  premier  öcrite  en  belles  pattes  de  mouohe.  J'aeeepte 
avec  empressement  la  d^dicace  de  la  carte  de  la  Sicile  et 
cela  en  faveur  de  mon  cousin  le  mont  Ethna  pour  lequel 
yous  connaissez  ma  passion  tr^s  d(5cid^e.  J'ai  d'ailleurs  une 
tr^s  grande  rc^pugnanco  pour  les  d^dicaces,  mais  en  fayeur 
de  mon  cousin  que  j'aime  infiniment,  je  fais  exception  k  la 
r^gle ,  et  j'aurais  envie  que  M.  Reiffenstein  se  cbargeät 
d^embrasser  fr^re  Jacquier  et  Tabbd  Cbigi  de  la  charmante 
idee  qu^ils  ont  congue.  J^attends  aycc  impatience  le  tableau 
de  Hackert  representant  mon  surdit  cousin,  je  le  ferai  copier 
en  miniature,  pour  le  porter  en  bracelet,  tant  je  Taime. 
Apparement  que  sa  Majest^  Catholique  aimc  les  sujets  tristes, 
Yu  la  sc^ne  desagrc^able  qu'elle  a  command^e  aMengs*)  et 
qui   emp^che    Tartiste    de    commencer  les  tableaux  que  je 


'*')  Rafadl  Mengs,  ausgezeichneter  Maler  des  18.  Jahrhunderts, 
geboren  1726  zu  Aossitz  in  Böhmen,  studierte  unter  der  überaus 
strengen  Anleitung  seines  Vaters  in  Dresden  und  Rom.  Wurde 
1744  Hofmaler  König  August  III.  von  Sachsen.  1752  folgte  er 
einem  Rufe  Karls  III.  nach  Spanien,  wo  er  alle  Nebenbuhler  sieg- 


—     379     — 

Youdrais  avoir.  H  y  a  longtemps  qae  j'ai  dit  k  M.  de 
Schouwalof  que  je  ne  trouvais  rien  de  eher  de  la  pari  de 
Mengs;  je  crois  m^ine  qn'il  lui  a  d^jä  enYoy6  de  Targent 
d'ayance.  J'ai  ordonn^  de  payer  au  Baron  de  Fr^ederiezs 
pour  M.  Reiffenstein  274  scudi  romani  90  bajochi  ^a*  Preiiez 
deux  exemplaires  pour  inoi  des  oeuTres  de  Metastasio,  s'il 
Yous  platt.  Du  reste,  je  me  recommande  k  Thoiinear  de 
votre  Souvenir.    Adieu! 


Sechstes  Fragment 

du  premier  Septembre  1778. 
Je  mourrai,  je  mourrai  pour  sure,  il  fait  un  tris  grand 
vent  de  la  mer,  le  pire  de  tout  pour  Timagination.  J'ai  ^t^ 
ce  matin  au  bain,  cela  m'a  fait  monter  le  sang  k  la  t6te, 
et  cette  apr^s  midi  les  loges  de  Bafael  me  sont  tomb^es 
entre  les  mains.  II  n'y  a  absolument  que  l'esp^rance  qui 
me  soutienne,  je  vous  conjure  de  me  sauyer.  Ecrivez  tout 
de  suite,  je  yous  en  prie,  k  Reiffenstein  de  faire  copier  ces 
Youtes  de  m^me  que  les  murs  en  grandeur  naturelle,  et  je 
fais  Yoeu  k  S.  Rafael  de  faire  construire  ces  loges  coute  qui 
coute  et  d^y  placer  les  copies,  car  il  faut  absolument  que 
je  les  Yoie  comme  elles  sont.  J'ai  une  teile  Y^ndration  pour 
ces  loges,  ces  plafonds,  que  je  leur  Youe  la  d<^,pence  de  oe 
bätiment  et  que  je  n*aurai  ni  paix  ni  repos  qu'il  ne  soit  sur 
pied.    H61as   si  l'on  Youlait   me  faire   un  petit  modöle  du 


reich  aas  dem  Felde  schlug.  Später  Hess  er  sich  wieder  dauernd 
in  Rom  nieder.  Von  ihm  rOhren  zahlreiche  grosse  Deckengemälde 
fflr  deu  König  von  Spanien,  für  den  Papst,  etc.  etc.  sowie  Ölbilder 
und  Kopien  nach  altitalienischen  Meisterwerken  her.  Er  starb 
1779  stt  Rom.  Per  Uerausgeber. 


—     380    — 

b&timent  ayec  les  dimensions  exactement  priBes  dans  1a  ville 
deB  modMes,  dans  Borne  on  m^approcherait  bien  de  mon  but. 
Or  c^est  encore  le  divin  Reiffenstein  qui  pourrait  se  charger 
de  cette  belle  commission,  si  M.  le  Baron  de  Grimm  le  voulait 
bien.  Je  yous  avoue  que  j'aime  mieux  yous  en  charger  que 
M.  de  Schouwalof ,  parceque  celui  \k  est  toujours  k  mettre 
des  incertitudes  partout,  et  les  incertitades  sont  de  toutes 
les  choses  de  ce  monde,  celle  qui  fait  le  plas  p&tir  des  gens 
conformes  corome  moi.  Yous  nommerez  tout  cela  du  rai- 
sonnement  ou  du  d<^rai8onnement ,  comme  il  yous  plaira, 
maintenant  il  n'y  a  que  chacun  raisonne  ou  d^raisonne  comme 
il  peut.  Adieu  Monsieur,  que  le  ciel  yous  tieone  en  joie  et 
en  sant6.    Dites  moi  un  jour  pourquoi  .  .  . 


Siebentes   Fragment. 

27  Ayril  vieux  stile  1785. 

Vous  m'ayez  parle  de  Zelmire  que  yous  m'aYez  re- 
commandee  de  la  part  de  ses  parents.  Je  dois  d^abord  yous 
dire  qu^elle  se  conduit  parfaitement  bien ,  et  qu^il  n'y  a 
aucune  esp^ce  de  reproche  k  lui  faire ;  mais  son  belitre  de 
mari  est  un  homme  intraitable.  II  a  ayec  eile  une  conduite 
si  brutale  et  si  inconsiddree  qu'il  fera  mourir  de  chagrin 
cette  pauYre  petitc  femme,  et  en  ydritc^,  je  ne  sais  pas  trop 
si  sa  yie  et  sa  sante  sont  en  surete  avec  lui.  II  a  eu  ayec 
eile  la  semaine  passee  une  seene  scandaleuse  dont  tout  le 
monde  est  instruit;  il  Ta  battue,  Ta  tir^.c  par  les  cheyeux 
et  puis  Ta  enfermee  sous  clef  dans  sa  maison.  Tout  le 
monde,  sa  propre  soeur,  son  beaufr^re  sont  du  cot^  de  la 
femme.    D^s  que  j'en  ai  eu  connaissance,  sans  compromettre 


—     381     — 

la  femme  ni  personne  des  complaignants,  j'ai  enyoy^  le  mari 
dans  son  gouvemement  sous  pr^texte  d'affaire  pressante. 
Au  moment  du  d^part  ils  ont  fait  une  paix  pl&tr^e  qui  ne 
peut  ^tre  de  dur^e.  Elle  viendra  avec  moi  k  la  campagne 
oü  je  yais  aprös  demain.  Monsieur  son  mari  lui  dit  k  toute 
heure  qu'il  ne  peut  la  souffrir;  c'est  le  plus  doux  compliment 
qn'elle  en  re^oit.  Je  crois  quMl  serait  utile  pour  la  pauvre 
petite  que  ses  parents  sussent  le  malheureux  dtat  dans  lequel 
eile  se  trouve  sans  faute  quelconque  de  sa  part;  mais  il 
faudrait  leur  recommander  de  ne  la  point  compromettre. 
Elle  ignore  enti^rement  que  j^^cris  ceci,  et  je  l'^cris,  parceque 
je  pr^?ois  qu'on  sera  obltg«^  t6t  ou  tard  de  les  s^parer  si  on 
veut  lui  conserver  la  yie.  Yous  ferez  de  tout  ceci  Tusage 
que  yous  jugerez  convenable.  Si  nous  pouvons,  nous  övite- 
rons  tout  eyc^nement  troublant  la  paix ;  mais  la  chose  parait 
difficile  ayec  un  furieux  comme  celui  \k 


Achtes  Fragment.  * 

du  8  Noyembre  1785  P^tersbourg. 

J'ai  enfin  pu  lire  Tintroduction  du  livre  de  M.  Necker, 
je  yiens  de  Pacheyer.  Puisqu'il  est  sensible  k  Testime, 
assurez  le  de  toute  la  mienne.  On  yoit  qu'il  ^tait  k  sa 
place  et  qu'il  la  remplissait  ayec  passion,  il  en  conyient  lui 
m6me.  J'aime  ce  mot :  „Ce  que  j'ai  fait,  je  le  ferais  encore/ 
On  ne  parle  point  ainsi  sans  6tre  bon,  et  il  faut  Tötre  öperda- 
ment,  pour  n^en  ayoir  rien  perdu  aprös  beaucoup  de  trayers. 
Je  m'en  vais  lire  le  reste  et  yous  en  parlerai  encore  ayant 
que  cette  missiye  soit  tcrminc^e.  Arme  Leute!  ungestiefelte 
Leute  können  die  gestiefelten  nicht  yertragen :  Sind  zu  stark, 


—     382     — 

zu  fest,  zu  schwer,  zu  raisoniert,  zu  beweisend,  zu  Yoll;  alles 
das  ist  beschwerlich.  Das  Gemälde  ist  gross,  ist  schön,  aber 
was  hilft  das  ?  Wer  wird  nach  dem  Gemälde  heute  suchen  ? 
und  wo  wiederfinden  ?  Die  Kunst  besteht,  mit  allerlei  Leuten 
die  Sachen  gehen  zu  machen,  so  gut  wie  möglich,  und  alle 
Tage  besser. 


Neuntes   Fragment. * 

du  10  Novembre  (1785). 

Les  frais  du  recouvrement  m'ont  mortellement  ennuy^. 
En  g^n^ral  les  finances  de  sa  Majest^  tr^s  Chr^tienne  sont 
une  chose  tout-ä-fait  d^goutante.  C'est  \k  que  je  dis  k 
chaque  ligne:  Nun,  Gott  sey  Dank!  so  weit  ist  es  bey  uns 
noch  nicht  getrieben.  De  ce  pas  je  m'en  yais  k  la  coro^die 
allemande  pour  m^en  refaire 


Zehntes   Fragment. * 

du  11  Novembre. 

Convenez  que  c'est  une  mati^re  bien  dögoutante  que  les 
finances  du  Roi  tr^s  Chr^tien.  Je  ne  le  föliciterai  pas  d^ayoir 
48  receveurs,  au  lieu  de  douze.  Je  crois  que  bient6t  S.  M. 
saura  lequel  de  ces  6chantillons  de  finance  6tait  le  plus  de 
son  gout.  II  a  tät6  des  Turgot,  des  Necker  et  du  Salmi- 
gondis  actuel.  Jede  hatten  ihre  Art  zu  denken,  Economisten, 
Philosophen,  Beuteldrücker.  Gott  sei  Dank!  ich  bin  mit 
allen  wohl  zufrieden,  et  tout  est  au  mieux  dans  le  meilleur 
des  mondes  possibles.    Die  Beutel-Purganz  ist  auch  gut! 


—     383    — 

Elftes  Fragment. 

du  20  Noyembre  (1785). 

En  lisant  toujours  le  liyre  de  M.  Necker  il  m^est  yena 
dans  Tesprit,  qu'il  est  indispensablement  n^cessaire  que  je 
Yous  dise,  en  cas  que  tous  Tignoriez,  ce  que  je  pense  des 

faiseurs  de  projets H  faut  que  je  yous  dise  en- 

core  que  Quarenghi  est  Yenu  m*interrompre  au  milieu  de  ma 
phrase  pour  me  parier  du  charmant  th^&tre  qu^il  a  construit 
au  beut  de  T Eremitage,  qui  passe  pr^sentement  par  dessus 
le  canal  moy^nant  une  arche  en  Tair  et  se  perd  dans  le 
Yieux  palais  de  Pierre  premier  .  .  . 


II.  Drei  Briefe  des  Fürsten  de  Ligne"^) 

an  Baron  Orimm. 

Erster  Brief. 

de  Moscou  ce  3  Juillet  1787  (nouyeau  style). 

II  y  a  aujourd^hui  deux  mois  que  nous  sommes  partis 
de  KioYie  et  nous  arriyons  ioi  tous  en  bonne  santi,  sans 


*)  Karl  Josef  Fflrst  de  Ligne,  österreichiBcher  Feldmarsdudl, 
geboren  1735  sa  Brüssel,  war  ein  eleganter  Schriftsteller  und 
Zeichner  sowie  einer  der  geistreichsten  und  witzigsten  Mftnner 
seiner  Zeit.  Er  trat  1752  in  die  Osteneichische  Armee  und  that 
sich  im  7jährigen  Krieg  herror.  Kaiser  Josef  II.  ernannte  ihn  zum 
Generalleutnant,  als  welcher  er  sich  im  kurzen  Feldznge  Yon  1778 
grossen  Ruhm  erwarb.    Katharina  IL,  welche  er  anf  ihrer  Reise 


—     384  •  — 

la  moindre  contrari^t^  et  sans  le  plus  petit  accident,  da 
Toyage  le  plus  interessant,  le  plus  triomphal  et  le  plus 
magnifique,  qui  se  seit  Jamals  fait.  H  ne  m^est  pas  possible 
de  m'emp^cher  de  dire  que  les  gazettes  qui  ont  eues  la 
bonte  de  s'occuper  de  nous,  nous  ont  bien  amus^.  Pour 
rassurer  tant  de  gens  bien  intentionn^s  pour  la  Russie,  je 
leur  dirai  qu'apr^s  une  navigation  charmante  sur  le  Boris- 
thöne,  nous  avons  trouv^  des  ports,  des  arm^es  et  des  flottes 
dans  retat  le  plus  brillant;  que  Cberson  et  Sdbastopol  sur- 
passent  tont  ce  qu^on  peut  en  dire,  et  que  chaque  jour  ^tait 
marqu^  par  quelque  grand  ^v^nement.  Tant6t  c'^tait  la 
manoeuvre  de  70  escadrons  de  troupes  regl^es  et  süperbes 
qui  chargeaient  en  ligne  k  merveille;  tant6t  un  nuage  de 
Cosaques,  qui  exer^aient  autour  de  nous  k  leur  mani^re; 
tant6t  les  Tartares  de  la  Crim^e  qui,  infiddles  jadis  k  leur 
Kan  Sahin-Guerai  parcequ'il  voulait  les  enr^gimenter,  avaient 
form6  d'eux-mömes  des  corps  pour  venir  au  de?ant  de 
rimperatrice.  Les  espaces  de  desert  qu'on  avait  k  traverser 
pendant  deux  ou  trois  jours  aux  lieux  d^oü  sa  Majest^  Im- 
periale a  chasse  les  Tartares  Nogais  et  les  Zaporoviens  qui, 
il  y  a  dix  ans  encore,  ravageaient  ou  mcnacaient  Tempire, 


in  die  Krim  begleitete,  schenkte  ihm  Güter  dortselbst  and  machte 
ihn  zu  ihrem  Feldmarschall.  Da  sein  Sohn  an  dem  Aufstände  der 
österreichischen  Niederlande  beteiligt  war  und  auch  er  selbst  im 
Verdachte  stand,  mit  der  Partei  der  sogenannten  ^^Patrioten"  zu 
sympathisieren,  so  avancierte  er  durch  lange  Jahre  nicht  mehr  und 
ward  erst  1808  durch  Kaiser  Franz  zum  Hauptmann  der  Garde- 
trabanten und  Feldmarschall  ernannt.  Er,  der  Vielgefeierte,  dessen 
Bonmots  sich  einst  die  ganze  Welt  erzählte,  starb  arm  nnd  ver- 
gessen am  13.  Dezember  1814  zu  Wien,  und  erst  die  Nachwelt  hat 
wieder  seine  Verdienste  zu  würdigen  verstanden. 

Der  Herausgeber. 


—     385     — 

dtaient  orn^s  de  tenies  magnifiques  aux  diners  et  aux  coucbers, 
et  ces  campements  de  pompe  asiatiqae,  ayec  Tair  de  f^te, 
qui  8ur  Teau  comme  sur  la  terre  nous  a  snivi  partont,  pr^sen- 
taient  le  spectacle  le  plus  militaire.  Qae  ces  d^serts  m^me 
n'allarment  pas  trop  les  gens  bien  intentionn^s ,  comroe  les 
Gazetiers  du  Bas-Rhin,  de  Leyde,  le  Courier  de  TEurope  etc., 
ils  seront  bient6t  couyerts  de  grains,  de  bois  et  de  Tillages. 
On  y  en  b&tit  d^j&  de  militaires ;  qui  ^tant  l'babitatioii  d'un 
r^giment,  deyiendront  bient6t  celle  des  paysans  qui  s'y  ^tabli- 
rout  k  cause  de  la  bont^  du  terrain.  Si  ces  Messieurs  appren- 
nent,  que  dans  chaque  yille  de  Oouyemement  Tlmp^ratrice 
a  laiss^  des  pr^sents  pour  plus  de  cent  mille  6ous,  et  que 
chaque  jour  de  repos  ^tait  marquä  par  des  dons,  par  des 
bals,  des  feux  d'artifice  et  des  illuminations  k  deux  ou  trois 
Heues  k  la  ronde ,  ils  sHnquiöteront  sans  doute  des  fiuances 
de  l'Empire.  Malheureusement  elles  sont  dans  T^tat  le  plus 
florissant,  et  la  banque  nationale,  sous  la  dir^ction  du  Comte 
Andr^  Schuvalow,  Tun  des  bommes  qui  a  le  plus  d'esprit 
et  de  connaissances ,  source  in(3puisable  pour  la  souyeraine 
et  les  Sujets,  doit  les  rassurer.  Si  par  humanit^  ils  sont 
inqui^ts  du  bonbeur  des  sujets,  quUls  sachent  qu'ils  ne  sont 
esclaves  que  pour  ne  pas  se  faire  du  mal  ni  k  eux,  ni  aux 
autres,  mais  libres  de  s'enricbir,  ce  quUls  fönt  souyent  et 
ce  qu^on  peut  yoir  par  la  richesse  des  diff^rents  costumes 
des  proyinces  que  nous  ayons  trayers<^es.  Pour  les  affaires 
^trang^res,  que  les  bien  intentionniSs  s'en  rapportent  k  Tim« 
p^ratrice  eile  m^me ;  eile  trayaillait  tont  les  jours  en  yoyage 
le  matin  ayec  le  Comte  Bezborodka,  ministre  du  plus  grand 
m^rite;  et  qu'ils  apprennent  outre  cela  que  le  Prince  Po- 
temkin,  homme  du  g^nie  le  plus  rare,  esprit  yaste,  ne  yoyant 
Jamals  qu'en  grand,  seconde  parfaitement  les  yues  de  Tim- 

Carl  Gtmt  Obtradorff,  ErlBBtraaftB  «ia«  ürfrMtm«tl«r.         25 


—     386     — 

p^ratrice,  ou  les  prdvient,  soit  comme  chef  da  ddpartement 
de  la  guerre  et  des  arm^es,  oa  comme  chef  de  plusieurs 
gouvernementfl.  L^Imp^ratrice  qui  ne  craint  paa  qu^on  raccuse 
d'^tre  gouvern^e  par  qiielqu'un,  lui  donne,  ainsi  qu'ä  ceux 
qu'elle  emploie  toute  Tautorit^  et  la  confiance  possible,  il 
n'y  a  que  pour  faire  du  mal  qu^elle  ne  donne  de  pouvoir 
k  personne.  Elle  se  jostifie  de  sa  magnificence  en  disant 
que  de  donner  de  Targent  lui  en  rapporte  beaucoup,  et  que 
son  devoir  est  de  r^compenser  et  d'encourager ;  d^avoir  cr^ä 
beaucoup  d'emplois  dans  les  provinces,  parceque  cela  fait 
circuler  les  esp^ces,  61^Ye  des  fortunes  et  obligo  les  gentils- 
hommes  h  y  demeurer  plutöt  qu'ä  s'entasser  k  P^tersbourg 
et  k  Moscou;  d'avoir  hkü  en  pierre  237  yilles  parcequ^elle 
dit,  que  tous  les  villages  de  bois,  brüUs  si  souvent,  lui  con- 
taient  beaucoup;  d^avoir  une  flotte  süperbe  dans  la  mer 
noire,  parceque  Pierre  I.  airoait  beaucoup  la  marine.  YoiliL 
comme  eile  a  toujours  quelqu'excuse  de  modestie  pour  toutes 
les  grandes  choses  qu'elle  fait.  II  n'y  a  pas  d'idöe  k  se 
faire  du  bonheur  qu'on  a  eu  de  la  suivre.  On  faisait  quinze 
Heues  le  matin,  on  trouvait  au  premier  relai  k  ddjeuner  dans 
un  joli  petit  palais  de  bois,  et  ensuite  k  diner  dans  un  autre ; 
et  puis  encore  quinze  Heues,  et  un  plus  grand,  plus  beau  et 
meubl^  k  meryeille  pour  coucher,  k  moins  que  ce  ne  fut 
dans  les  yilles  de  gouyernement  oÜL  les  gouyemeurs  g^n^raux 
ont  partout  de  süperbes  r^sidences  en  pierres,  colonnades 
et  toutes  sortes  de  d^corations.  II  y  a  des  marchands  tr^s 
riches  dans  toutes  les  yilles,  et  beaucoup  de  commerce  depuis 
Krementschuk,  Eaursk,  Orel,  Toula  jusqu'ici,  et  une  surpre- 
nante  population,  dont  Tlmpdratrice  est  adoröe.  Dans  le 
denombrement  qu'on  en  rapporte  quelquefois  dans  les  papiers 
publics,  on  ne  parle  que  des  m&les,  et  dans  les  autres  pays 


—     387     — 

on  compte  tout.  Si  les  bien  intentionn^  (car  je  n'^cris  que 
pour  eux)  craignent  que  la  Tauride  ne  soit  une  mauvaise 
acquisition,  qu'ils  se  consolent  en  apprenant  qu^apr^  avoir 
travers^  quelques  espaces  abandonnös  par  des  familles  qoi 
demandent  aujourd'hni  k  y  reyenir,  on  trouve  le  pays  le 
mieox  cultiv^;  qu'il  y  a  des  formte  süperbes  dans  les  mon- 
tagnes,  que  les  c6tes  de  la  mer  sont  gamies  de  villages  en 
amphitb^ätre*);  et  tous  les  yallons  planlos  en  yignes,  grena- 
diers,  palmiers,  figuiers,  abricotiers,  et  toates  sortes  de  fruits 
et  plantes  pr^cieuses  de  beaucoup  de  rapport.  Je  trouye 
enfin  qu'il  ne  suffit  pas,  que  nous  ayons  ^t^  fort  beureox 
de  suiyre  rimp^ratrice  et  que  ses  sujets  le  soient,  mais  quMl 
faut  encore  que  les  gazetiers  et  ceux  qui  les  ont  cm,  le 
soient  aussi  en  apprenant  la  fausset^  de  leurs  nouyelles,  et 
qu'ils  nous  aient  une  <^temelle  Obligation  de  les  ayoir  rassur^s 
au  point  qu'ils  peuyent  promettre  de  notre  part  une  recom- 
pense  de  mille  louis  k  celui  qui  prouyera  la  fausset^  d'un 
seul  des  faits  que  nous  ayons  rapport^s  ici  par  Tint^r^t  le 
plus  pur  pour  leur  Instruction,  ce  que  leur  fera  croire  qu'en 
conseryant  nos  mille  louis,  nous  n'ayons  pas  mis  autant  de 
soins  k  öconomiser  notre  temps  que  notre  argent 


Zweiter  Brief. 

Moscou  ce  3  Juillet  1787. 

On  yous  aime  beaucoup,  Monsieur  le  Baron,  on  parle 
souyent  de  yous,  mais  yous  <^crit-on?  Catherine  j,\e^  Orand 
(car  eile  fera  faire  une  faute  de  frangais  k  la  postörit^)  n'en 


*)  Die  bekannten  PotemkinBchen  CoalissendOrfer. 

Der  Herausgeber, 
25^ 


—    388    — 

a  pent-6tre  pas  le  temps,  peut-6tre  ces  trds  petits  d6tail8, 
que  je  yiens  de  dicter  vous  donneront-ils  une  id^e ,  qnoique 
bleu  faible  de  ce  que  nous  ayonsTu;  d'aillears  c'estindig- 
Batio  fecit  relation,  car  je  suis  outr^  de  la  basse  Jalousie 
qu'en  Europe  Ton  a  con^ue  contre  la  Russie.  Je  voudrais 
apprendre  k  viyre  k  cette  petite  partie  de  TEurope  qui 
cherche  k  d^shonorer  la  plus  grande;  si  eile  se  donnait  la 
peine  du  voyage,  eile  verrait  oü  il  y  a  le  plus  de  barbarie. 
II  est  extraordinaire,  par  exemple,  que  les  gr&ces  aient  saut^ 
notre  saint  Empire  k  pieds  joints  pour  yenir  de  Paris  s^^tablir 
k  MoBcou,  et  200  werstes  encore  plus  loin,  oü  nous  ayons 
trouy6  des  femmes  charmantes,  mises  k  meryeille,  dansantes, 
chantantes  et  aimantes  peut-6tre  comme  des  anges. 

L'Empereur  Josef  II.  *)  a  ^t^  extr^mement  aimable  les 
3  semaines  qu'il  a  pass^  ayec  nous.  Les  conyersations  de 
deux  personnes,  dont  les  pays  ont  60  millions  d'habitants 
et  800  mille  soldats,  ne  pouyaient  etre  qu'int^ressantes  en 
yoiture  oü  j'en  profitais  bien,  les  interrompant  souyent  par 
quelque  b^tise,  qui  me  faisait  rire,  en  attendant  qu^elle  fit 
rire  les  autres :  car  nous  ayons  toujours  joui  de  la  libert6, 
qui  seole  fait  le  charme  de  la  soci^t^,  et  yous  connaissez  le 
genre  simple  de  celle  de  Tlmp^ratrice  qu'un  rien  diyertit  et 
qui  ne  monte  k  T^l^yation  du  sublime,  que  lorsqu^il  est 
question  de  grands  objets. 

II  faut  absolument,  Monsieur  le  Baron,  que  nous  reyenions 
ici  ensemble,  ce  sera  le  moyen  que  je  sois  encore  mieux 
rcQu.  Ce  n^est  pas  que  yous  ayez  besoin  de  rappeler  k 
rimp^ratrice   tout   ce  que   yous  ayez  d^aimable,   car  absent 

*)  Kaiser  Josef  II.  hatte  sich  persönlich  nach  Rassland  be- 
geben, um  mit  Katharina  II.  die  Vertreibung  der  Türken  aus 
Earopa  zu  besprechen. 


—    389    — 

eile  Y0U8  Yoit,  mais  eile  eera  fort  aise  de  dire,  präsent,  je 
le  trouve.  Yoas  ferez  de  charmantes  connaissances;  M.  de 
Mamonow,  par  exemple,  est  un  sujet  de  grande  esp^rance,  il 
est  plein  d'esprit,  d'agr^ments  et  de  connaissances.  Vous  yoas 
doutez  bien  de  Tagr^ment  que  le  comte  de  S<^gor  a  r^pandu 
dans  tout  le  voyage.   Je  suis  ddsol^  qu'il  soit  presque  fini. 

J'ai  fait  bätir  un  temple  d^di^  h  rimp^ratrice  par  une 
inscription,  pr^s  d^un  rocber  oü  ^tait  celui  dlphig^nie,  et  un 
autel  k  Tamiti^  pour  le  Prince  Potemkin,  au  milieu  des  plus 
beaux  et  gros  arbres  k  fruit  que  j'aie  vus,  et  an  bord  de  la 
mer,  oü  se  r^unissent  tous  les  torrents  des  montagnes.  Cette 
petite  terre,  que  ni*a  donn^e  Tlmp^ratrice,  s'appelle  Partbe- 
nizza  ou  le  cap  Yierge  et  est  habit^e  par  96  familles  Tar- 
tares,  qui  ne  le  sont  pas  autant  que  les  Deesses  et  les  Rois, 
qui  exigeaient  de  durs  sacrifices,  corome  tout  le  monde  sait 
Je  ne  connais  pas  de  stte  plus  d^licieux,  je  pourrais  dire 
sur  les  bords  fortun^s  de  Tantique  Idalie,  Heu  oü  finit 
r£urope  et  commence  TAsie,  car  on  d^couvre  les  montagnes 
de  la  Natolie.  Ce  qu'il  y  a  d'assez  singulier,  c*est  que  c'est 
snr  les  bords  de  la  mer  noire  que,  tranquille  et  vivant  au 
milieu  des  infid^les,  j^ai  appris  que  les  fidöles  sujets  de  la 
maison  d' Antriebe  se  reyoltaient  sur  les  bords  de  l'Oc<^an. 
Je  ne  m'attendais  pas  qu'il  y  eüt  plus  de  suret^  pour  moi 
dans  mes  terres  du  Pont-Euxin  que  dans  Celles  de  la  Flandre. 

Auriez-Tous  la  bont^  de  faire  remettre  ce  paquet  k  son 
adresse  et  de  recevoir  les  assurances  de  la  consid^ration 
distingui^e  que  je  partage  pour  vous  avec  tous  ceux,  qui 
TOUS  connaissent  ou  ont  entendu  parier  de  vous,  de  m6me 
que  je  partage  ayec  yos  amis  le  tendre  attachement  que  vous 
inspirez  si  Tite,  et  avec  lequel  j'ai  l'honneur  d'^tre 

Prince  de  Ligne. 


—     390     — 


Dritter   Brief.*) 

Un  mot  k  Monsieur  1e  Baron.  M.  Baur  parti,  je  n'ai 
pas  le  temps  de  jaser:  mais  j^ai  toujours  celui  de  penser 
k  Tami  et  protecteur  du  nord,  le  bien  aim^  du  grand 
Fr^d^ric,  et  de  Catherine  le  grand,  et  celui  enfin  quo  j'aimais 
sur  parole,  avant  de  le  conoaitre.  J'espöre  voir  un  peu  du 
Choczim**)  Tun  de  ces  jours,  avec  les  Autrichiens;  un  peu 
de  rOczakow***)  ayec  les  Busses.  On  boit  ayec  Tun,  on  boit 
avec  Tautre;  et  tout  cela  m^l<^  ensemble,  je  voudrais  me 
faire  un  petit  fagot  de  lauriers.  Mais  au  lieu  de  cela,  je 
m'apper^ois  que  je  vous  en  conto:  et  je  finis  pour  vous 
obliger,  k  main  armde,  k  recevoir,  et  k  croire  aux  assurances 
de  mon  tendre  attachement. 

Prince  de  Ligne. 
k  Elizabethgorod  ce  16  Mars  (1789). 


*)  Siehe  Facsimile  -  Beilage  No.  1    am  Schluss  des  Werkes. 
**)  Choczim  oder  Chotim,  eine  wichtige,  Eaminiec  gegenüber- 
gelegene  ruBsische  Grenzfestung,  wurde  1788  von  den  Österreichern 
den  Türken  abgenommen. 

***)  Stadt  im  russischen  Gouvernement  Gherson  an  der  Mündung 
des  Digepr  ins  schwarze  Meer.  Diese  starke  türkische  Festung 
wurde  am  17.  December  1788  von  den  Russen  unter  Suwaroff  ge- 
stürmt und  genommen.  Der  Herausgeber. 


—    391     — 

III.  Sieben  Briefe  des  Grafen  S6gnr*) 
an  Baron  de  F6ronce. 

Erster   Brief. 

k  Wishny  Wolotschok  ce  10  Juin  1789. 

Me  Yoici  arriv^  k  Wishny  -  Wolotschok ,  mais  ne  toqs 
attendez  k  aucun  detail  sur  mon  voyage,  qua  lorsque  je 
serai  de  retour.  Je  suis  parfaitement  bien  portant  et  par- 
faitement  heureaz.  Tout  ce  que  je  Yois  est  si  interessant 
et  si  curienx  que  j*ai  a  peine  le  temps  de  refl^chir  sur  tont 
ce  dont  je  jouis.  C'est  un  süperbe  spectade  qu'un  vaste 
empire,  tir^  en  un  siöcle  du  chaos  et  qui  porte  partout 
Terapreinte  du  g^nie  qui  y  a  tout  commenc^  et  de  celui 
qui  y  perfectionne  tout.  Je  ne  vois  que  des  bois  nouvelle- 
ment  perc^s,  des  marais  nouvellement  d^s^ch^s,  des  cam- 
pagnes  nouvellement  cultiv^es,  des  yilles  nouvellement  fon- 


*)  Loais-Phil.  Graf  S4gar,  geboren  zu  Paris  1753,  gestorben 
ebendaselbst  1830,  begann  seine  militärische  Laufbahn  bei  der 
Kavallerie,  wurde  nach  7 jähriger  Dienstzeit  Oberst  eines  Infanterie- 
regimentes, welches  er  im  amerikanischen  Kriege  unter  Rochambean 
kommandierte,  und  erhielt  den  Ciocinatus-Orden.  1783  wurde  er 
▼on  Louis  XVI.  als  bevollmächtigter  Minister  nach  Petersburg  ge- 
schickt, wo  er,  ein  liebenswürdiger,  geistvoller  und  gewandter  Ge- 
sellschafter,  die  Gunst  der  Kaiserin  Katharina  II.  zu  erringen 
wüsste,  wodurch  es  ihm  gelang,  das  gestörte  gute  Verhältnis 
zwischen  Frankreich  und  Russland  wiederherzustellen  und  einen 
gOnstigen  Handelsvertrag  zwischen  diesen  beiden  Mächten  zu  ver- 
mitteln. S^gur  begleitete  die  Kaiserin  auf  ihrer  Reise 
in  die  Krim  und  befreundete  sich  hierbei  mit  Fflrst 
de  Ligne.  Während  der  Revolution  wurde  er  zum  Deputierten 
der  Nationalversammlung  gewählt,  dann  vom  König  zum  Maröchal- 
de-camp  und  später  zum  Gesandten  zuerst  nach  Rom,  dann  nach 


—     392     — 

d6es,  des  müliers  de  villagea  enrichis,  que  des  couyents 
justement  appauvris,  partout  des  peuples  reconnaissants,  qui 
▼iennent  remercier  Catherine  des  lois  qu^elle  leur  donne. 
Mais  figurez  yous  le  plaisir  que  je  dois  ayoir  d'admirer  toas 
ces  prodiges  auprös  de  Tenchanteur  qui  les  a  fait,  k  Yoir 
cette  grande  souyeraine  suiyie  par  des  paysans  en  foule, 
qui  baisent  ses  mains,  Tappellent  leur  märe,  montrent  par 
leurs  larmes  la  sinc^rit6  de  leur  cris  de  joie.  Bepr^sentez 
yous,  que  je  suis  souyent  huit  ou  neuf  heures  en  yoiture 
ayec  cette  femme  c^löbre,  dont  la  conyersation  est  douce  et 
plus  yari6e  et  plus  piquante  que  Celle  d'aucun  homme  de 
lettre  que  j^aye  yu.  Elle  est  d'ailleurs  aussi  bonne  maitresse 
de  chllteau  que  bon  l^gislateur  et  bon  politique,  et  le  chapeau 
de  yoyageuse  lui  sied  aussi  bien,  que  la  couronne  d'Imp^ra- 
trice.  Elle  est  d'une  bont6  qui  ne  se  con^oit  pas,  il  n'existe 
pas  une  attention  possible  qu'elle  n^glige.  Elle  me  demande 
Cent  fois  si  je  ne  m'ennuie  pas,  si  je  ne  me  fatigue  pas  du 

Berlin  ernannt.  Nach  Ludwigs  Absetzung  yerliess  Sägur  den 
Staatsdienst,  trat  aber  während  des  Eonsalates  wieder  in  denselben, 
wnrde  Mitglied  des  gesetzgebenden  Körpers  und  Staatsrat,  auch 
Mitglied  der  Akademie.  Napoleon  machte  ihn  zu  seinem  Ober- 
zeremonienmeister,  1813  znm  Senator  und  1JB14  zum  ausserordent- 
lichen Kommissär  bei  der  18.  Militär division.  Nach  der  ersten 
Restaaration  erhob  ihn  Lndwig  XVI II.  zum  Pair.  In  seinem  Prlyat- 
leben  war  S^gur  überaas  achtungswert,  während  der  yerschiedenen 
politischen  Wechself&lle  hatte  er  oft  mit  materiellen  Sorgen  zu 
kämpfen  and  erhielt  zeitweilig  seinen  Vater  und  seine  Familie 
durch  sein  Schriftstellertalent.  In  spätem  Jahren  beschäftigte  er 
sich  fast  aosschliesslich  mit  historischen  Stadien  und  der  Litteratur. 
£r  hinterliess  zahlreiche  Werke,  die  viel  gelesen  wurden.  —  Über 
Baron  F^ronce  siehe  Näheres  im  1.  Buche,  3.  und  4.  Kapitel 
„Baron  Grimm**  und  „Braanschweiger  Bekanntschaften". 

Der  Herausgeber. 


—     393    — 

Yoyage,  si  j'ai  tout  ce  qu'il  me  faut,  si  je  yeux  descendre 
de  Yoiture,  si  le  soleil,  si  le  vent  ne  m^iucommodeDt  pas. 
Une  femme  qui  n'aurait  aatre  chose  k  faire  qvCk  plaire  et 
qu'ä  ^tre  aimable,  Yoadrait  en  yain  Titre  autant  qu'elle. 
Nous  faisons  d'ailleurs  la  chair  la  plus  d^licate  et  la  plus 
magnifique.  On  joue  le  soir  k  toutes  sortes  de  jeux,  dans 
la  joam^e  on  a  la  conversation  la  plus  agr<^able,  la  plus 
instructive.  On  satisfait  sa  vue  par  les  objets  les  plus 
int^ressants  et  les  costumes  les  plus  vari^s.  Avouez  que 
c*est  en  tout  nn  charmant  yoyage  et  faites  comme  moi,  c'est 
k  dire:  Aimez  Tlmp^ratrice  autant  que  je  Tadmire.    Adieu. 


Zweiter  Brief. 

k  Moseou  ce  15  Juin  1789. 
Encore  une  lettre  qui  yous  impatientera  surement,  d^abord 
parceque  yous  Taurez  longtemps  attendue,  et  puis  parcequ'elle 
YOUS  donnera  beaucoup  k  d^irer  sans  yous  faire  jouir  de 
rien.  La  date  de  ma  lettre  yous  ^tonnera  premiörement  beau- 
coup. Ouiy  je  suis  k  Moseou,  ce  Yoyage  sans  lequel  je  n'aurais 
Jamals  cru  connattre  la  Russie,  mais  que  je  n'esp^rai  faire 
qu'ä  la  fin  de  ma  mission,  je  le  fais  actuellement,  sans  TaYoir 
pr^YU  ayeo  la  souYeraine  eile  möme,  me  faisant  expliquer 
tous  les  prodiges  actuels  par  celle  qui  en  est  Tanteur  —  cela 
fait  au  mieux  par  le  meilleur  historien  de  la  Bussie,  qui  est 
encore  eile.  Je  ne  Yeux  point  encore  anticiper  sur  la  r^lation 
soign6e  et  d^taill^e  que  yous  receyrez  de  moi  quand  j'aurai 
le  temps  de  le  faire,  mais  je  ne  penx  cependant  m'empdcher 
de  YOUS  parier  de  l'enchantement  oü  je  suis  depuis  Torshok 
k  Twer.  La  Bussie  est  nn  jardin  oü  ne  sont  plus  les  tristes 
marais,  les  ennuyeux  bois  de  sapins,  au  milieu  desquek 


—     394    — 

Pierre  le  grand,  en  d^pit  de  la  natare,  a  plac4  P^tersbourg; 
ce  Bont  des  pr^s  bien  yerts,  des  bois  bien  frais,  des  ruisseaux 
bien  clairs,  des  fruits  bien  abondants,  des  bl^s  bien  ^pais, 
des  fleurs  bien  vives,  des  oiseaux  bien  chantants,  et  des 
habitants  bien  nombreux  et  bien  gais.  II  est  yrai  qu'dtant 
traite  comme  je  le  suis,  n'ayant  aucun  embarras  de  yoyage, 
causant  avec  1a  femme  la  plus  aimable  du  monde  et  yoyant 
tout  ^clair6  par  un  soleil  qui  semble  fait  expr^s,  je  peux 
6tre  accus6  de  n'ayoir  pas  un  yerre  bien  net,  le  bonheur 
est  un  prisme,  qui  donne  k  tous  les  objets  des  couleurs,  qui 
leur  sont  souyent  fort  ^trangöres,  mais  yous  yerrez  par  les 
d^tails,  que  je  yous  ferai,  que  je  n^y  mets  aucune  partialitd. 
Tout  est  bien  loin  d'^tre  encore  parfait  —  et  oü  cela  se 
rencontre-t-il  ?  mais  on  yoit  partout  la  perfection  cheminer 
k  pas  de  g^ants.  Rien  de  loin  ne  ressemble  plus  k  Paris 
que  Moscou,  c*est  la  m^me  dtendue ,  et  une  Situation  assez 
semblable,  quand  on  y  est  arriy^  la  difförence  est  extreme : 
Les  maisons,  les  palais,  les  rues,  les  clochers,  les  ^glises, 
les  habitants,  les  boutiques,  les  habits  tout  y  montre  l'anti- 
quit<^  de  la  nation,  et  la  nouyeaute  de  son  association  au 
reste  de  TEurope.  Le  jardin  public  yous  fait  croire  que 
yous  6tes  k  Londres,  les  maisons  de  bois  paintes  yous  ram^- 
nent  en  Pologne.  Le  Crcmlin  ayec  ses  creneaux,  ses  tours, 
ses  Souterrains  yous  rappeile  les  anciens  czars,  leur  guerres, 
leur  dissentions,  leur  richesse  et  leur  simplicit^.  Les  russes 
y^tus  de  robes  couyertes  de  barbos  (?)  yous  transportent 
en  Scithie,  les  eglises  yous  rappellent  Constantinople,  cela 
Empereur,  cela  Patriarche  grec.  Yous  renoontrez  un  tartare, 
qui  yous  rappelle  k  la  fois  k  leur  cruaut^,  k  leur  gloire 
pass6e  —  k  leur  aneantissement  actuel.  Entrez  yous  dans 
le  palais  du  Gouyerneur,  dans  les  maisons  des  7  ou  8  mille 


—     395    — 

nobles,  qui  d^corent  cette  belle  ville,  tous  y  voyez  le  si^cle 
präsent,  le  gout  de  la  magnificence,  les  commoditi(^e8  de  notre 
Paris.  Allez  vous  aux  boutiques,  vous  y  voyez  toos  les  fruits 
de  notre  industrie  d^jä  melös  avec  la  prodoction  des  manu- 
factures  de  Russie  et  rivalis^s  par  eile,  mais  tout  cela  est 
vendu  dans  des  boutiques  rassembl^es  par  quartier  dans  la 
m^me  enceinte  qui  repr^sentent  un  des  caravanserails  d'orient. 
Passez  vous  sur  la  place  d^armes  yous  voyez  de  nombreux 
battaülons  bien  tenus,  bien  disciplin^s,  qui  vous  fait  imaginer, 
que  vous  dtes  k  Metz  ou  k  Berlin;  je  ne  connais  rien  de 
plus  piquant,  de  plus  interessant  que  ce  m^lange  et  cette 
vari^t^.  C^est  le  spectacle  le  plus  propre  k  faire  beaucoup 
penser  et  peu  ^crire,  et  cepeudant  beaucoup  de  gens  disent 
qu'ils  connaissent  la  Russie,  et  oseDt  la  d^fiuir  d'une  maniöre 
tranchaote,  moi  j'y  mettrai  autant  de  sein  que  si  j'^tais  charg^ 
de  donner  k  quelqu'un  une  id^e  et  un  extrait  de  TEncyclop^die, 
car  ceci  est  une  encyclop^die  de  si^cles,  de  climats,  d'usages, 
de  langues,  de  v^tements,  de  ricbesses,  d'abus,  de  moyens, 
d'obstacles;  un  g^nie  a  tir^  tout  cela  du  chaos,  un  autre 
g^uie  y  met  tout  Tordre,  toute  la  solidit^  d'une  savante 
Idgislation.  Elle  a  travaille  et  essay^  ses  loix  vingt  ans 
avant  de  les  promulguer,  eile  commence  k  en  voir  le  succis, 
tous  ses  Sujets  sont  p^u^tr^s  d^amour  et  de  reconnaissance. 
Si  la  paix  dure  en  Europe,  comme  je  Tespöre,  en  peu  de 
temps  la  gloire  et  Tadmiration  de  Catherine  sera  aussi  in- 
variablement  assurde  et  aussi  ^videment  d^montr^e  que  la 
gloire  brillante,  que  la  derniöre  guerre  lui  a  acquise:  Bon 
6tat  sera  form^,  son  commerce  aura  mille  nouveaux  d^- 
bouch^s  et  son  empire  aura  autant  de  grandeur  en  solidit^ 
qu'il  en  a  en  ^tendue.  Les  faiseurs  de  gazettes,  dont  je  la 
vois  se  moquer  avec  beaucoup  de  gaiet^,  de  gr&ce  et  de  sei, 


—     396     — 

les  nouTellistes  qai  la  fönt  si  Bouvent  malade  k  mourir,  seront 
un  peu  d<^coDcert<^8  par  ce  Toyage  ci.  II  y  a  quelque  jours 
je  TcnaiB  de  la  Boivre  assez  loDgtempB  k  pied  et  eile  me 
demanda,  comme  eile  me  voyait  un  peu  fatigu^,  si  je  troa- 
vais  qae  sa  sant^  Boit  auBsi  d^licate,  que  leB  gazetiers  le 
diBaient,  je  TaBBuraiB,  que  bUIb  la  Buiyaient  danB  bcb  prome- 
nadeB  ils  Be  retracteraient  promptement,  mais  qae  probable- 
ment  cette  circonBtance  leur  ferait  faire  des  menBongeB  d^un 
autre  genre  et  deB  Boppositions  politiqueB  k  perte  de  Tue; 
et  de  \k  nouB  ayonB  chacun  commence  k  faire  un  article  de 
gazette.  Elle  met  k  toutes  ccb  plaiBanterieB  de  Boci^t^  autant 
de  facilit^  et  de  gr&ce,  que  Bi  eile  n'aTait  rien  autre  chose 
au  monde  k  faire  qu^ä  6tre  aimable.  II  n'exiBte  aueun 
ouvrage  connu  dauB  notre  litt6rature  qu^elle  n'ait  lu,  et  dont 
eile  ne  Be  Bouyienne,  point  de  chanBon  un  peu  jolie  qu'elle 
ne  Bache,  de  comc^die  dont  eile  n'ait  retenu  Iob  traits,  et 
amais  cependant  on  n'a  eu  une  imagination  pluB  brillante, 
ce  qui  rend  la  memoire  moinB  ncicessaire ;  mais  je  me  laisse 
aller  k  causer  un  peu  trop  longtemps  avec  youb,  il  est  deux 
heures,  il  faut  dormir,  demain  matin  de  bonne  heure  nous 
partons  pour  aller  Yoir  des  acqueducs  qu'on  construit. 


Dritter  Brief. 

k  Wishny  Wolotschok  ce  21  Juin  1789. 
Je  vouB  ^cris  encore  deux  lignes  de  Wishny- Wolotschok, 
oü  je  suis  revenu.  Demain  nous  serons  arriv^s  k  Borowitschi 
oü  nous  nous  embarquerons,  pour  aller  par  eau  k  P^tersbourg, 
par  le  Mista,  Tllmen,  le  Wolchow,  le  Ladoga,  et  la  Neva. 
Peut-6tre  6tant  embarquö,  j'aurai  le  temps  de  vous  ^crire 
avec   plus   de   d^tails,  jusqu'ä  prösent   nous  n'ayouB  ni  le 


—     397     — 

temps,  ni  le  moyen  d'^crire  an  pea  longuement.  Nos  affaires 
et  nos  gens  partent  de  bonne  heure  le  matin  avant  nous 
et  nous  les  retrouyerons  que  pour  nous  coucher.  Ma  sant^ 
est  toujours  parfaite,  le  voyage  me  charme  de  plus  en  plus, 
je  m^attache  y^ritablement  k  rimp^ratrice ,  eile  Joint  k  ses 
grandes  qualit^s  tant  de  gr&ces,  d'aisance,  de  piquant,  une 
memoire  si  riebe,  une  imagination  si  viTe,  et  une  gaiet^  si 
naturelle  et  si  soutenue  qu'on  ne  peut  s'empdcher  de  Taimer 
quand  on  la  connalt.  Hier  j'ai  6t6  toute  la  joum^e  dans 
sa  Toiture  et  apr^s  avoir  eu  la  conversation  la  plus  inter- 
essante sur  rhistoire,  nous  en  avons  eu  de  si  yariös,  de  si 
gaies,  de  si  piquantes  que  sept  heures  m'ont  parn  sept 
minutes. 


Vierter   Brief. 

Sur  la  Mista  pr^s  du  lac  Urnen  et  de  Nowgorod 

le  29  Juin  1789. 

On  chercherait  inutilement  k  arranger  un  Toyage  plus 
agrc^able  que  celui  ci,  mdme  quand  ce  serait  pour  omer  an 
roman  et  la  fiction  serait  encore  audessous  de  la  r^alit^: 
Nous  avons  la  meilleure  compagnie,  la  plus  belle  humeur 
et  le  plus  beau  temps  du  monde,  avec  ces  trois  donn^es  1&, 
il  est  difficile  qu'un  yoyage  toume  tristement.  Yoici  le 
quatri^me  jour,  que  nous  sommes  sur  Teau.  Je  me  suis 
embarqu6  le  premier  ayec  M.  Fitz -Herbert  et  le  Prince 
Potemkin  pour  francbir  les  cataractes,  qui  embarassent  le 
cours  de  la  Mista  et  qui  fönt  pi^rir  chaque  ann^e  beaucoap 
de  barques.  Le  courant  est  si  rapide  en  cet  endroit,  qu^on 
fait  trente  werstes  en  moins  de  deux  heores;  on  passe  par 
dessus   des  rochers  presqu'i  fleur  d'eau,  la  barque  agit^e 


—     398    — 

par  le  mouvement  des  vague«  plie  comme  si  eile  allait  se 
rompre,  il  ne  nous  est  arriv^  d*autre  accident  que  d'avoir 
an  trou  &  notre  bätiment,  que  des  matelots  k  la  nage  et 
saspendos  par  la  ceinture  ont  boucb^  aveo  une  adresse  et 
une  promptitude  incroyable.  L'Imp^ratrice  noas  a  rejointe 
au  lieu  oü  les  cataractes  finissent,  et  tont  le  monde  s'est 
embarquö.  C'est  un  charmant  spectacle  que  cette  petita 
rivi^re  sur  laquelle  flottent  nos  quinze  gal^res  et  une  ving- 
taine  d'autres  petits  b&timents.  Les  riTages  sont  bien  yerts, 
bien  varids,  bien  cultiv^s,  bien  bord^s  de  monde  devant 
chaque  village,  bien  retentissants  de  cris  de  joie  et  de 
chants  d^alUgresse  quMnspire  la  Yue  de  notre  aimable  sou- 
veraine.  Nos  gal^res  sont  charmantes  bien  distribu^es,  nos 
potits  appartements  sont  commodes  et  proprement  meubl^s, 
les  rameurs  nombreux  61^gament  y^tus ;  chacun  a  son  canot 
et  pcut  se  promener,  faire  des  yisites  aux  autres  gal^res, 
aller  k  terre,  rejoindre  la  flotte,  rcvenir,  se  renfermer  dans 
son  b^timent.  Yoila  la  vie  que  nous  menons :  Nous  restons 
chacun  libre  jusqu'ä  midi.  A  midi  nous  passons  sur  la  galcre 
de  rimp^ratrice,  apr^s  avoir  caus^  quelque  temps  avec  eUe 
nous  la  suivons  sur  une  autre  galcre  oü  nous  trouvons  le 
dtner  servi,  et  ce  dtner  est  toujours  aussi  gai  que  bon.  Apr^s 
dtner  eile  s'enferme  chez  eile,  nous  allons  jouer  chez  le 
Prince,  k  quatre  heures  je  rentre  dans  ma  galcre,  ä  six 
nous  nous  rassemblons  chez  la  souveraine,  nous  jouons  ayec 
eile  au  Whist  jusqu'ä  huit  heures  et  de  \k  jusqu'li  dix  on 
cause,  on  dit  des  follies,  des  chansons,  on  joue  au  propos 
interrompus,  on  fait  des  rc^bus,  des  calembours,  k  dix  on 
soupe,  apres  souper  on  va  encore  jouer  chez  le  prince 
Potemkin.  Je  ne  saurais  tous  dire  k  quel  point  rimp6ra- 
trice   est  aimable,   avec  quel  sein  eile  s'informe  de  tout  ce 


—     399     — 

que  nous  pouYons  d^sirer,  quelle  inqui^tode  eile  montre, 
quand  eile  croit  qu'il  peut  nous  manquer  quelque  chose.  Son 
attention  s'^tend  jusque  sur  le  plus  petit  indiyidu  de  sa  suite 
on  de  la  nötre.  Elle  nous  met  k  Taise  avec  eile  comme  si 
eile  n'^tait  que  particuli^re ,  mais  eile  a  un  tacte  qui  fait 
que  cette  familiarit^  n'a  aucun  inconv^nient  et  que  les  plus 
inconsid^r^s  n^oseraient  en  abuser.  Elle  a  fait  une  gazette 
de  Moskou  au  sujet  de  notre  Yoyage,  qui  est  un  chef 
d'oeuvre  de  gaiet^,  de  bon  gout  et  d^esprit.  Elle  m'a  promis 
de  me  faire  lire  d'autres  ouvrages  d'elle,  plus  importants, 
c'est  une  histoire  de  Russie  qu'elle  ^crit,  et  je  lui  crois  pour 
ce  genre  difßcile  de  litt^rature  plus  de  moyens  qu'ä  per- 
sonne.   Adieu. 


Fünfter  Brief. 

k  P^tersbourg  ce  8  Juillet  1789. 
Le  minstre  de  la  marine  m^a  pr^t^  une  lle  couverte  de 
bois,  avec  un  joli  pavillon  je  vais  chercher  k  j  yiyre  quel- 
ques jours  en  retraite,  mais  ayant  de  le  pouYoir  j'ai  encore 
beaucoup  de  temps  k  passer  dans  le  tourbillon.  Je  yais 
deraain  coucher  chez  M.  Fitz-Herbert  k  la  campagne,  et  le 
lendemain  j'irai  k  Pdterhoff  faire  ma  cour  k  Tlmp^ratrice. 
On  dit,  que  les  f^tes  de  la  St.  Pierre,  qui  dureront  deux 
jours,  sont  magnifiques ;  il  y  aura  bal  par^,  bal  masqu^, 
illumination,  ce  lieu  d'ailleurs  conyient  aux  f^tei;  situ^  sur 
une  hauteur  au  bord  de  la  mer,  entour^  de  jardins  süperbes, 
et  meubl^  dans  cette  occasion  par  ce  quMl  y  a  de  mieuz  k 
la  cour,  et  de  plus  jolies  femmes  dans  la  yille.  Je  n'ai  pas 
eu  d^autre  incommodit^,  depuis  que  je  suis  ici,  qu^un  assez 
grand  mal  de  dents,  qui  dure  encore  un  peu.   Je  yous  ayoue, 


—     400    — 

qae  j'aurais  Toula  aToir  ici  moins  de  bucc^s  k  mon  d^but, 
je  crains  toujoars,  qu'il  ne  se  soutienne  pas,  mais  jusqu'^ 
präsent  mon  am  cor  propre  n'a  que  des  occupatioDS  flatteases. 
II  ne  tiendrait  qu^k  moi  de  m^eniyrer  de  la  mani^re  dont  je 
suis  pr6n^,  ^cout6,  re^u,  mais  Toas  sayez,  qae  je  n'ai  jamais 
eu  nn  grand  fond  de  fatuit^.  La  Beule  choBe  qui  pourrait 
me  toumer  la  t^te  d'amour-propre,  c'est,  Bi  je  vois  durer  la 
bonne  opinion  qae  Tlmp^ratrice  a  dit,  qu'elle  avait  de  moi. 
Si  V0U8  la  connaiBBiez,  voas  verriez,  que  c'est  un  des  juges 
doDt  un  esprit  d^licai  doli  le  pluB  appr^cier  le  Buffrage. 


SechBter   Brief. 

k  P^tersbourg  ce  13  Juillet  1789. 
Me  Yoici  revena  des  föteB  de  P^terhoff;  je  BuiB  obligö 
d'avouer  qu'elles  m^ont  plu  totalement,  ei  qu'elleB  m'ont  pani 
r(^unir  la  magnificence  d'une  f^te  royale  k  la  gatt^  d'un  bal 
particulier.  U  est  vrai  que  Tlmpöratrice  a  un  talent  singulier 
net  ue  esp^ce  de  magie  pour  donner  de  la  majest^  k  ses 
amusements,  et  de  la  gaiet^  k  ce  qui  n'est  ailleurs  que  con- 
Bacr6  k  la  cdr^monie,  aucun  lieu  dans  le  monde  d'ailleurs 
n^est  plus  propre  aux  fötes  que  P^terhoff.  C'est  un  trös 
beau  palais  situ«^  au  bord  de  la  mer.  II  est  embelli  inti^rieure- 
ment  par  toutes  les  productions  des  arts  et  euvironnö  par 
des  jardins  süperbes.  La  partie  qui  est  pr^s  du  palais  a 
cette  symdterie  et  cette  magnificence  k  laquelle  les  Rois  sont 
condamn^B,  plus  loin  est  un  jardin  anglais  charmant,  qui 
vcnge  la  nature  de  la  contr einte  de  Part,  et  qui  repose  les 
yeux  de  la  fatigue  du  luxe  de  Tautre  jardin.  En  sortant 
des  id^es  douces  qu'inspire  cette  agrdable  retraite  les  regards 
sont  frapp^s  par  le  spectacle  imposant  de  la  mer ;  d'un  cötö 


—     401     — 

dans  r^loignement  on  appergoit  les  clochers  dores  de  P^ters- 
bourg  et  de  l'autre  les  vaisseaux  de  guerre,  qui  sont  dans 
la  rade  de  Kronstadt,  viennent  rappeler  Pierre  le  grand,  ses 
travaux,  ses  prodiges,  les  Saccus  de  Catherine,  la  hardiesse 
qui  lui  a  fait  envoyer  ses  flottes  des  bords  glac^s  de  la 
Finelande  dans  les  mers  de  Tarchipel,  et  la  c^lobre  victoire 
de  Tschesm6,  qui  a  couronn6  ses  efforts  et  immortalis6  son 
regne.  Les  f6tes  durerent  deax  jours  k  P^terhoff.  Le  premier 
ce  n^est  qu'une  cour  magnifique,  toot  le  monde  est  superbe- 
ment  T^tu,  on  baise  la  main  k  Tlmp^ratrice  et  eile  joue  ayeo 
quelques  personnes  pendant  le  bal  par^,  mais  le  lendemain 
il  n'y  a  plus  d'c^tiquette,  on  arrive  en  domino  ou  en  masque, 
tous  les  (^tats  j  sont  m^I6s,  tout  ce  qui  est  en  domino  de 
quelque  condition  qu'il  seit,  remplit  les  appartements  du 
palais.  Le  soir  tous  les  jardins  sont  illumin^s,  le  vert  des 
arbres,  la  blancheur  des  eaux,  la  vari^t^  des  feux,  tout  ce 
que  Yous  ayez  yu  k  Trianon,  r^uni  pour  donner  k  cet  en- 
semble  un  air  de  f^erie.  Partout  on  trouve  des  tables,  par- 
tout du  peuple  et  partout  du  plaisir!  L'Imp^ratrice  pendant 
ces  f^tes  m'a  trait6  ayec  sa  bont^  ordinaire,  je  vous  assure 
qu'elle  ra^a  tout-ä-fait  captiy<^,  et  que  si  eile  6tait  particuli6re, 
je  passerais  toutes  mes  journ<^es  chez  eile,  car  je  ne  connais 
rien  de  plus  aimable.  Le  jour  du  bal  par6  j*ai  cependant 
M  un  pcu  embarrass<^,  vous  connaissez  ma  gaucberie  pour 
le  jeu.  L'Iniperatrice  m'avait  fait  appeler  pour  jouer  avec 
eile  avec  quatre  personnes,  on  joue  tour  k  tour  suivant  sa 
carte.  II  s*est  trouvö,  que  c'^tait  au  piquet  que  je  ne  sais 
pas  du  tout,  eile  s'est  aper^ue  de  mon  embarras  et  a  eu  la 
bonte  de  me  conseiller,  de  me  donner  le^on  sans  parattre 
6tonnee  ni  importunt^e  de  mon  ignorance  et  de  ma  mala- 
dresse.    Sans  parier  de  souverains,  on  ne  trouTe  pas  je  crois 

Carl  Graf  Obtradorff,  BriaaanuiftB  «iBaff  UrgioMmafttor.        26 


--    402    — 

beaucoup  de  maitresses  de  maison,  qui  aeant  cette  grftce 
indulgeDte,  aassi  je  Taime  v^ritablement  de  tout  mon  coeur, 
et  presqu^autaDt  que  je  Fadmire.  Nous  ayons  k  präsent  un 
temps  affreux  qui  me  contrarie  d^autant  plus  que  tout  le 
monde  est  k  la  Campagne,  et  qui  faut  ötre  toute  la  joum^e 
en  courses.  Le  long  de  la  mer  on  suit  le  chemin  de  P^ters- 
bourg  k  P^terhoff  pendant  huit  Heues  on  trouve  peut-^tre 
Boixante  maisons  de  campagne,  toutes  fort  jolios  avec  des 
jardins  fort  om^s  et  fort  soign^s. 

Siebenter   Brief. 

k  Czarskozi^lo  ce  29  Juillet  1789. 

La  dato  de  ma  lettre  yous  prouvera  que  Tlmp^ratrice 
continue  toujoars  k  me  traiter  ayec  la  möme  bont^;  apr^s 
m'avoir  fait  Toir  une  partie  de  son  yaste  empire  qu'elle  a 
etendu,  embelli,  anime,  peuple,  enricbi,  eile  yeut  bien  me 
faire  voir  ses  jardins  dans  lo  plus  grand  detail,  et  il  fant 
avouer  que  les  jardiniers  feront  fort  bien,  comme  les  rois, 
de  la  prendre  pour  modele.  Si  eile  n'ayait  pas  6t^  placöe 
pour  se  faire  une  gloire  dans  le  genre  de  Pierre  le  Qrand, 
eile  aurait  eu  par  ses  jardins  plus  de  röputation  que  M. 
de  Qirardin  par  Ermenonyille  *) ;  et  la  gräce  la  suit  dans  ses 


*)  Das  Dorf  Ermenonville  im  Dep.  de  l'Oise  ist  besonders 
bekannt  durch  seinen  2600  Morgen  grossen  Park.  Infolge  der 
Hevolation  kam  es  zum  Yerkanf,  und  schon  wollte  es  die  soge- 
nannte Bande  noire  erstehen,  als  Stanislaus  Marquis  von  Qirardin, 
der  nachmalige  bekannte  liberale  Depatlerte  (gestorben  1827),  die 
Gesellschaft  überbot  und  den  Besitz  erwarb,  auf  dessen  Ver- 
schönerung er  grosse  Summen  verwendete,  so  dass  auf  diesem 
schönen  Landsitze  bald  der  Schmuck  der  Kunst  mit  dem  Reich- 
tum der  Natur  wetteiferte.  Der  Heransgeber. 


—     403     — 

actions  journ alleres  comme  la  gloire  la  guide  dans  ses  grandes 

occupations,  mais  ce  qae  le  prince  de  Ligne  dit  d^elle  est 

tr^s  juste  et  compl^te  son  ^loge.    Elle  n^est  pas  seulement 

un   grand  homme,   c'est  encorö  un  bon  homme,   et  si  son 

esprit  pique  et  sa  gr&ce  plait,  si  Ton  admire  son  g^nie,  c'est 

sa  bont^  qui  attache,  bont^  qui  perce  k  chaque  minute,  dans 

chaque  occasion,  et  qui  lui  fait  faire  plus  de  conqu6tes  parmi 

ses  Sujets   que  les  arm^es  n'en  ont  fait  en  dc^hors.    Je  suis 

yraiment  fach6  que  vous  ne  la  connaissez  pas,  yous  Taimeriez 

k  la  folie.    Le   prince   de   Ligne  m^a  nomm^  son  ministre 

aupr^s  d'elle,  je  me   suis  si  bien   acquitt^  de  ma  mission, 

que  je  lui  envoye  a^ec  ma  r^ponse  une  lettre  de  Tlmp^ra- 

trice   qui  est  aimable  comme   eile.    Elle  vient  de  me  faire 

präsent  de  deux  petits  levriers  charmants,  yous  n'aYCz  rien 

Yu  de  plus  l^ger,  de  plus  caressant,  de  plus  SYelte.    Je  les 

soignerai   de  mon  mieux  et  je  crains  qu^ils  ne  fassent  un 

peu  de  tort  k  Cibelle.   Nous  allons  d'ici  k  Pilla,  une  nouYelle 

maison  de  plaisance  de  Tlmp^ratrice  k  trente  werstes  d'ici 

sur  la  N^Ya.    Je  doute  qu'elle  me  plaise  autant  que  celle-ci, 

oü  Ton  a  rcuni  ce  que  la  nature  peut  cröer  de  plus  Yariö, 

et  oü  Tart  est  si  bien  cach^,  qu'il  paratt  qu'il  n'a  fait  qu'obeir 

k  la  nature :  Des  Yergers  si  frais  que  la  canicule  y  perd  ses 

efforts,    des  pi6ces  d'eau  doucement  irr^guliers,   des  lies  si 

heureusement  plac<^es,  des  arbres  si  bien  group^s,    des  me- 

langes  de  Yert  si  bien  choisis,  des  sltes  si  Yarii^s,  fönt  qu'on 

se  croit  dans  les  jardins  du  paradies.    Ce  ne  sont  point  de 

ces  ponts  n^s  d'hier,  ni  de  ces  tours  gotbiques  ayant  Tair 

dccrdpit   sans   aYoir  l'air  antique,  mais  ce  sont   tantdt  de 

nobles    ruines    qui   yous    transportent   en   Gr^ce    ou    dans 

Tantique  Rome,  tautet  un   b&timent  moderne  de  structure 

Elegante  qui  plac6  entre  un  bois  öpais  et  le  lac  charmant, 

26* 


—    404    — 

que  j'ai  peint,  rassemble  les  chef  d'oeuYres  de  sculpture  de 
touB  les  si^cles.  Plus  Ioid  c'est  un  poDt  de  marbre  qai 
^tale  ayec  la  science  de  Tantique  architecture  les  richesses 
de  la  Sibdrie.  Au  sortir  d*iin  bois  saer^  voos  trouvez  un 
portail  gothique  qui  rappelle  nos  yieilles  vertus  et  nos  yieux 
exploits.  Yoas  ^tes  attir^  d'un  autre  c6t^  par  une  muBique 
douce  dans  un  pavillon  iure,  parfaitemeut  imit£  et  richement 
om^,  oü  YOUB  trouvez  tous  les  fruits  et  tous  les  mets  des 
quatre  parties  du  monde.  Les  flots  tranquilles  d'une  petite 
rivi^rc  mollemeut  serpentante  youb  transportent  dans  un 
autre  pays,  tous  ^tes  au  milieu  d'une  yille  chinoise,  et  tous 
ne  trouvez  pas  cette  Illusion  invraisemblable  en  songeant 
que  vous  ^tes  dans  un  enpire,  qui  a  pour  fronti^re  l'Am^- 
rique,  la  Pologne,  la  Su^de  et  la  Chine.  Dans  une  autre 
partie  de  ce  vaste  jardin  vous  trouvez  la  ville  de  Sophie  et 
vous  revenez  apr6s  avoir  admir^  toutes  ces  merveilles,  ad- 
mirer  celle  qui  les  op^re  et  qui  couronne  tout  ce  qu'elle 
fait  de  brillant  par  une  simplicit^  qui  en  double  le  prix. 
Elle  dit  toujours  en  parlant  d'elle:  „Nous  autres  ignorants**; 
toutes  les  accad^mies  des  sciences  de  TEurope  doivent  lui 
faire  une  r^v6rence  pour  ce  compliment.  Adieu,  ma  santä 
est  excellente,  celle  du  Chevalier  de  La  Colini^re  (?)  est 
r^tablie. 

IV. 

Vier  Briefe  der  Kaiserin  Maria  Feodorowna*) 
von  Enssland  an  Baron  von  Grimm. 

Erster   Brief. 
St.  P^tersbourg  ce  14/25  f^vrier  1797. 
Je  mets  bien  de  Tempressenient  k  vous  r6pondre,  Monsieur 

*)  Kaiserin  Maria  Feodorowna,  zuvor  Sophie  Dorothea  Au- 


—     405     — 

de  Qrimm,  mais  o^est  qu*il  m'importe  infiniment  de  vous  faire 
connattre  la  justice  qae  je  rends  k  vos  Bentiments,  et  ceux, 
que  je  yous  porte:  Les  regrets,  que  vous  donnez  k  feu  8.  M. 
rimp^ratrice  yous  donnent  un  droit  de  plus  k  mon  estime: 
La  reconnaissance  est  la  premi^re  des  Yertus,  c'est  eile  qui 
sert  de  base  au  Y^ritable  attachement,  k  ce  lien  pr6cieux 
de  rhumanit^,  qui  en  fait  le  principai  bonheur.  Yos  prin- 
cipes,  Monsieur,  inspirent  de  la  confiance,  yous  en  Yorrez 
Teffet  par  la  lettre  de  TEmpereur,  k  la  connaissance  duquel 
je  me  suis  häti^e  de  porter  le  contenu  de  YOtre  lettre.  Yous 
le  Yerrez  encore  par  la  commission  particuli^re  dont  je  yous 
prierai  de  yous  charger:  deYcnez,  Monsieur,  le  distributeur 
des  peu  de  secours  que  je  destine  au  soulagement  des  mal- 
heureux  ^migr^s  respectables  et  par  leurs  principes  et  par 
leur  conduite.  M.  de  Nicolai  yous  fera  passer  de  mes  fonds, 
le  jour  de  poste  prochain,  une  lettre  de  change  de  la  Yalcur 
de  trois  mille  rbls.  Yous  en  reccYrez  encore  une  de  deux 
mille  en  Septembre  pour  le  m^me  objet,  et  yous  pouYez 
compter,  Monsieur,  recevoir  annuellement  de  ma  cassette  la 
m^me  somme  de  cinq  mille  rbls.,  mais  je  yous  prie  de  ne 
me  nommer  que  dans  les  occasions  tout-äfait  indispensables, 
car  je   desire   Yraiment  que  la  source  de  ces  secours  reste 

gaste,  des  Herzogs  Friedrich  Engen  Yon  Württemberg  Tochter, 
geboren  25.  Oktober  1759.  Seit  24.  März  1801  Witwe  nach 
Kaiser  Paal  (Gothaischer  Hofkalender  fflr  das  Jahr  1826).  —  Sie 
war  die  Mutter  der  Kaiser  Alexander  I.  and  Nikolaus  L,  so- 
wie des  mir  von  mütterlicher  Seite  her  Ycrwandten  Grossfürsten 
Constantin,  dessen  Gattin,  eine  geborene  Prinzessin  von  Sachsen- 
Cobarg,  die  Schwester  meiner  Urgrossmutter  Sophie,  verehelichten 
Gräfin  Mensdorif-Poailly,  war.  —  Was  die  in  diesen  Briefen  be- 
handelte Wohl thätigkeits- Kasse  anbelangt,  so  vergleiche 
I.  Bach  1.  and  3.  Kapitel.  Der  Herausgeber. 


—    406    — 

inconnue.  Je  tous  en Terra!  de  m6me  les  lettres  de  tous  les 
^migr^s  qui  pourront  s'adresser  k  moi.  Yous  qui  dtes  sur 
les  lieux,  Monsieur,  yous  saurez  distinguer  et  choisir  les  yrais 
n^cessiteux.  Je  vous  annonce  par  la  poste  prochaine  trois 
r^ponses,  Tune  k  Mad.  la  Princesso  de  Chimay  et  les  denx 
autres  k  Mesdames  de  Beauregard  (soeurs  du  malheureux 
Roche- Jacqueliu,  qui  p^rit  dans  la  Yendöe)  et  de  Belsunce; 
la  premi^re  comme  vous  le  verrez  par  sa  lettre  ne  demande 
que  des  secours  pour  pouvoir  en  distribuer,  mals  les  deu^ 
autres  dames  en  ont  bcsoin  pour  elles-m^mes.  Yous  Youdrez 
bien  leur  en  faire  passer  k  toutes  trois  de  la  somme  que  je 
YOUS  ferai  parvenir.  Je  recommande  bien  instamment  k  yob 
soins  Madame  de  la  Bochelambert,  dont  le  sort  m'int^resse 
infiniment. 

Ecrivez-moi  souvent,  Monsiear,  tos  lettres  contentent 
et  le  coeur  et  Tesprit,  elles  seront  regues  avec  plaisir,  et 
j'en  aurai  toujours  un  nouveau  k  vous  renouveller  les  assu- 
rances  de  Testime  que  yous  porte 

Yotre  bien  affectionnc^e  Marie. 

ce  25  feYrier  1797. 
Je  rouvre  ma  lettre,  Monsieur,  pour  y  joindre  moi  m^me 
la  lettre  de  change  que  je  yous  avais  annonc^e  deYoir  6tre 
enYoyee   par  Nicolai,   mais   TEmpereur   vous   envoyant   un 
Courier,  je  me  häte  de  profiter  de  cette  bonne  occasion. 

Zweiter   Brief.*) 

Ce  1  Mars. 
Je  regois  votre  lettre  k  Tinstant,  Monsieur,  j'y  r^ponds 
dans  le  moment  malgre  tout  les  embarras  du  moment  par- 

*)  Siehe  Facsimile-Beilage  No.  2  am  Schlass  des  Werkes. 

Der  Heransgeber. 


—    407     — 

tant  aujourd'hui  pour  Moscou.    Vous  aurez  vu  par  ma  pr^c^- 

danie  mes  arrangements,  qui  j'espere  vous  mettront  k  m6me 

d'aider  quelques  personnes.   Je  suis  assur^e  que  vos  premiers 

soins  se  seront  port^s  sur  Madame  de  Rochelambert,  k  la- 

quelle   vous  Youdrez  faire   paryenir  Tincluse  dont  je  voas 

envoie  la  copie.    Adressez  yous  toujours  avec  confiance  k 

moiy  Monsieur  le  Baron,  vos  lettres  seront  constamment  regoes 

ayec  plaisir  et  je  saisirai  toujours  chaqu^occasion  avec  em- 

pressement,   qui  me  donnera  celle  de  yous  assurer,   que  je 

suis  sinc^rement 

YOtre  bien  afifoctionn^e  Marie. 

Dritter   Brief.*) 

Pawlowska  ce  30  acut  1801. 

Monsieur  le  Baron  de  Orimml 
Je  YOUS  prie  de  remettre  de  mon  fond  pour  les  ^migr^s, 
k  Mad.  la  Princesse  de  Ghimay  pour  son  Institut  d'Erfurt 
la  m^me  somme  que  yous  lui  aYez  fourni  antöc^demment, 
des  qu*elle  yous  la  demandera.  Portez  yous  bien  et  soyez 
sAr  de  mon  aifection  pour  yous. 

Yotre  bien  affectionnde  Marie. 

Je  Yiens  de  recoYoir  Yotre  lettre  aYec  les  comptes  ren« 
dus,  je  ne  puis  assez  louer  Yotre  exactitude,  et  suis  touch(^e 
de  la  mani^re  dont  yous  administrez  les  secours.  Je  d<Uire 
par  ces  lignes  yous  en  marqaer  ma  reconnaissance.  Je  fais 
mes  amiti^s  aux  deux  aimables  secr^taires.**) 

*)  Siebe  Facsimile-Beilage  No.  3  am  Schluss  des  Werkes. 
**)  Katharina  and  Ad^le  de  Baeil,  meist  aber  erstere  allein, 
besorgten  die  Korrespondenz  des  balb^rblilideten  Freiherm. 

Per  Herausgeber. 


—     408    — 

Madame  de  Chimay  a  confi6  les  ^migr^s  d'Erfort  k  ce 
qu'elle  me  mande,  k  une  personne  de  votre  connaissance  et 
que  Y0U8  estimez,  vous  lui  remettrez  donc  les  secours  nsitös 
pour  la  colonie  d'Erfurt  soign^e  par  celle-ci. 

Si  mon  fils  me  parle  des  affaires  de  M.  de  Bueil,  tous 
devez  6tre  bien  sürs,  Monsieur,  du  plaisir  que  j'aurai  k  Ini 
ötre  utile. 

Vierter   Brief. 

St.  Pdtersbourg  c.  15  mars  1802. 

Vous  avez  raison,  Monsieur  le  Baron,  de  vous  plaindre 
de  mon  silence,  je  m^en  aceuse  et  me  le  reproche,  mais 
Tcxp^rience  personnelle  tous  aura  fait  ^prouyer  que  l'&me 
affaissöe  par  les  Souvenirs  les  plus  douloureux,  devient  moins 
active,  et  se  platt  k  ce  recueillement  int<^rieur  qui  yous  ram^ne 
toujours  k  la  pensde  des  objets  ch^ris  qui  pour  ^tre  ren- 
fermi^s  k  jaraais  dans  la  tombe  n^en  occupcnt  pas  moins  en 
entier  notre  coeur,  notre  &me,  notre  existence  cnticre.  Toute 
autre  oceupation  gcne ,  et  on  a  la  faiblesse ,  on  commet  la 
faute  (car  certainement  c'en  est  une)  de  remettre  du  jour 
au  lendemain  une  r(^ponse.  Je  m'en  corrigerai,  Monsieur 
le  Baron,  et  cela  ne  m'arrivera  plus.  Ne  croyez  pas  cepen- 
dant,  que  ma  paresse  pour  Tecriture  iufluc  sur  les  sentiments 
de  mon  coeur,  non  assurement,  plus  occupee  que  jamais  du 
raalheur  de  ma  respectable  amic*),  je  les  ai  port6  k  la  con- 
naissance de  mon  bien  eher  et  excellent  fils,  et  Tai  conjur^ 
de  proteger  la  vertu  personnifiee,  il  me  Ta  promis  des  lors, 


*)  Es  war  dies  die  Witwe  des  1793  guillotinierten  Herzogs 
Egalitd  von  Orleans  und  Mutter  Louis  Philipps. 

Der  Herausgeber. 


—    409    — 

et  il  a  doDn6  ses  ordres  en  cons^quence.  Je  lui  ai  renou- 
yel6  la  m^me  pri^re  encore  hier,  et  il  m'a  assurd  quHl  s'en 
oceuperait  encore.  Je  youb  avoue  m^me,  Monsieur  le  Baron, 
qu*ä  Taudience  de  li.  de  Calincourt,  j'ai  fait  tomber  la  con- 
versation  gar  mon  amie,  et  lui  en  ai  parl^  avec  tout  cet 
int<^r6t  si  yif  qu'elle  sait  inspirer.  J'en  yiens  pr^sentement 
au  d^sir  que  mon  amie  youb  t^moigne  de  Youloir  placer  un 
de  ses  fils  au  serYice  de  TEmpereur;  tous  ferez  bien,  Mon- 
sieur le  Baron,  de  la  dissuader  de  cette  d^marche  et  de  cette 
id6e.  Yous  sentirez  que  dans  les  circonstances  actuelles, 
soos  tous  les  rapports  la  chose  ne  serait  pas  admissible:  son 
rang,  son  grade,  le  souyenir  du  pere  y  met  des  obstacles 
dont  la  reflexion  ne  yous  6chappera  pas. 

Je  me  fais  un  plaisir  de  yous  prier,  Monsieur  le  Baron, 
d'assarer  notre  respectable  amie,  que  tous  ses  d(^sirs  seront 
des  lois  pour  un  coeur  rempli  d'amiti^  et  d'int^r^t  pour  Elle, 
ainsi  je  m'engage  de  continuer  apr^s  Elle  (ce  mot  me  serre 
le  coeur)  k  la  princesse  sa  fille  la  pension  de  trois  mille  rbls. 
jusqu'au  moment  qn'elle  soit  Stabile,  en  se  mariant, 
ou  qu'elle  soitrentrde  en  France  dans  la  possession 
des  biens  de  Madame  sa  m6re.  Marquez  lui  cette  assu- 
rance,  Monsieur  le  Baron,  yous  sentez  qu'il  m'est  impossible 
de  lui  en  parier  moi  möme.  Yoici  mon  incluse  pour  Elle, 
que  YOUS  me  ferez  le  grand  plaisir  de  lui  faire  paryenir 
en  y  joignant  les  assurances  de  Tamiti^  la  plus  constante 
et  la  plus  tendre:  Les  derni^res  gazettes  m'allarment  sur 
r^tat  de  sa  sant6,  le  ddcouragement  que  je  Yois  dans  sa 
derni^re  lettre  me  peine,  par  ce  que  ce  n'est  pas  dans  son 
caractöre  qui  sait  opposer  la  formet^  et  T^nörgie  au  malheur. 
J'attendrai  de  yos  nouYelles,  Monsieur  le  Baron,  aYec  la  plus 
grande  impatience,  et  serai  tres  exacte  k  yous  röpondre  et 


—    410     — 

k  Yoas  renouveler  les  assurances  quo  je  suis  et  serai  con« 

stamment 

votre  bien  affectionn^e  Marie. 

Hes  compliments  k  votre  aimable  famille*).  Je  n'ai 
pas  cachetä  ma  lettre  de  mes  armes  pour  ne  pas  compro- 
mettre  mon  amie,  vous  me  ferez  le  plaisir  de  la  mettre  sous 
Yotre  enveloppe. 


V. 

Zwei  Briefe  von  Kaiser  Alexander  L  von  Bass- 

land  an  Baron  Grimm. 

Erster  Brief. 

Vos  titres  a  mon  estime  particuliere  sont  trop  puissants, 
et  Yous  savez  trop  bien  les  appr(3cier  vous  m^me,  pour  quMl 
puisse  6tre  d'aucune  n^cessit^  pour  moi  de  yous  en  donner 
ici  Tassurance.  Je  ne  yous  parlerai  donc,  que  du  plaisir 
que  j'ai  eu  de  reccYoir  votre  lettre,  et  de  Temotion  qu^elle 
m^a  caus^e,  en  me  rappelant  le  temps  heureux,  oü  libre  des 
soucis,  qui  entourent  toujours  le  tr6ne,  j'admirais  les  vertus 
de  mon  ai'eule,  dont  yous  m'avez  si  bien  retracd  l'image. 
Ce  Souvenir  sera  pour  moi  une  source  intarissable  de  jouis- 
sances  ddlicieuses.  Yous  en  augmenterez  la  somme  en  m*^cri- 
vant  de  temps  en  temps,  et  ce  service  est  le  plus  grand 
que  vous  puissiez  me  rendre  personnellement.  Je  saurai 
toujours  le  reconnattre,  et  Tbomme,  qui  a  constamment  joui 


*)  Hier  ist  die  gräfliche  Familie  Baeil  gemeint 

Der  Herausgeber. 


—    411     — 

des  bont^s  de  Timmortelle  Catherime  aura  toujours  des  droits 

k  mon  estime.  Je  salue  votre  aimable  secr^taire  qui  s'acquitte 

si  parfaitement  de  ses  foDctions 

Yotre  affectionn^ 

Alexandre. 
St.  P^tersbourg  lo  2  de  mal  1801. 


ZweiterBrief.  ^ 

Monsieur  le  Baron  de  Orimml  J'ai  re^^u  votre  lettre 
du  15/27  Septembre  avec  une  satisfaction  bien  sincöre,  et 
Yous  sais  un  gr6  infini  des  voeux  que  yous  y  formez  pour 
mon  bonheur.  Je  me  croirai  heureux,  si  je  parviens  en 
effet  k  rendre  tel  le  peuple,  qui  m'est  confiä,  et  la  recom- 
pense  la  plus  douce  pour  mon  coeur  de  toutes  les  peines 
et  de  tous  les  soins  qu^il  m'en  aura  cout^,  sera  de  Yoir  la 
paix  et  la  prosp^rit^  dans  mes  6tats.  Les  fastes  de  Thistoire 
ne  s^occupent  que  de  grands  faits,  mon  eher  Baron,  les 
historiens  aiment  k  tremper  leurs  plumes  dans  le  sang,  coulant 
k  grands  flots  sur  un  champ  de  bataille!  —  Que  je  d6sirerai 
ne  pas  m^riter  leur  suffrage  k  ce  prix,  et  je  renonce  Yolon« 
tiers  k  toute  place  dans  leurs  6crits,  pour  n'en  occuper  qu'une, 
que  la  reconnaissance  me  marquera  dans  les  coeurs  de  mes 
Sujets.  Je  YOUS  r<^pdte  ma  demande  de  me  donner  de  yos 
nouYelles  et  yous  offre  avec  plaisir  Tassurance  de  ma  yiyo 
estime. 

St.  Pötersbourg  le  20  9bre  1801.  Alexandre. 


—    412    — 


VI. 

Ein  Brief  des  Herzogs  Ernst  IL'*')  von  Sachsen- 

Gotha  an  Baron  Grimm. 

En  Yi^rit^,  mon  eher  et  digne  ami,  je  suis  plus  que  confus, 
de  toutes  las  choses  obligeautes  et  flatteuses  que  yous  Youlez 
bien  me  dire  k  Tc^gard  de  mon  chiffon  de  lettre  du  8  Mars» 
et  je  me  trouYe  bien  assurdment  dans  le  cas  du  „Bourgeois 
gentilhomme',  quand  il  appergut  qu'il  aYait  fait  de  la  prose 
sans  le  saYoir.  Je  ne  reYiens  pas  de  mon  ^tonnement  sur 
les  choses  sublimes,  que  j'ai  pu  yous  y  dire.  Je  n'ai  cra 
et  n^ai  youIu  qu'^pancher  mon  coeur  dans  le  sein  d^un  ami, 
et  lui  ai  dit  tont  simplement  les  idt^es  qui  se  pr^sentaient 
k  mon  esprit,  sans  leur  supposer  d^autre  mörite;  mais  je  me 
trouYe  bien  heureux  de  m'6tre  trouYc  d^aecord  dans  ma  fa^on 
de  Yoir  et  de  sentit*  sur  bien  des  points,  aYec  celui  de  mon 
ami  que  j'aime  et  que  je  consid^re  le  plus,  depuis  les 
Premiers  instants  qui  m'oDt  lie  et  attache  k  lui.  Puissai-je 
meriter  tant  que  j'existerai  votre  confiance  et  votre  appro- 
bation,  ce  sera  une  des  plus  douces  consolations  de  ma  Yie» 
qui  ne  laisse  pas,  que  d'aYoir  aussi  ses  amertumes  k  eile. 
Eh!  qui  n^cn  a  pas?  sans  doute;  mais  ma  position  est 
d'autant  plus  penible,  que  je  me  trouve  isoU^  et  n'ai  d'autres 
ressources  que  mon  faible  coeur,  et  les  prejuges  tant  Yrais 


*)  Ernst  II.  Ludwig,  geb.  1745,  ein  trefflicher,  sparsamer, 
einsichtsvoller  und  freisinniger  Regent  sowie  Gönner  der  Künste 
und  Wissenschaften,  war  seit  1769  mit  Marie  Charlotte  Amalie  Yon 
Sachsen -Meiningen  vermählt.  £r  hob  das  Schulwesen  im  Lande, 
trat  1785  dem  Fürstenbunde  bei  und  starb  tiefbetrauert  1804. 

Der  Herausgeber. 


—     413     — 

que  fauxy  dont  mon  ^ducation  et  mes  r^lations  m'ont  imbü 
depuis  que  j^existe.  Mes  fautes,  mes  faux  pas,  comme  les 
d^marches  sens^es  que  j'ai  faites  durant  le  cours  de  ma  yie, 
n'ont  pas  eu  d'autre  source,  ni  d'autres  causes;  et  plus  j^y 
rdfl^chis,  plus  je  crois  que  mon  ^tat  mi^rite  plus  Tindulgence 
que  la  critique  trop  s^y^re  du  philosophe.  Et  surtout  dans, 
ces  temps  critiques  et  orageux  de  la  fin  de  ce  dix  huiti^me 
si^cle,  oü  tont  a  chang^  de  face  en  comparaison  des  senti- 
ments  qui  pr^valaient  il  y  a  40  ä  50  ans!  Je  reconnais 
bien  votre  sagesse,  mon  eher  et  respectable  ami,  au  conseil, 
que  Tous  avez  donn^  au  mari  de  Yotre  aimable  pupille*)  de 
retourner  k  son  foyer  pour  pr^venir  sa  destruction  totale, 
c'est  un  parti  qu'ont  pris  plusienrs  des  ^migrds  k  ce  que 
nous  disent  les  papiers  publics,  en  attendant  leur  Situation 
me  parait  tont  aussi  douteuse  chez  eux,  qu^^migr^s,  pers6- 
cut6s  partout,  ils  risquent  et  leur  vie  et  leurs  biens ;  en  atten- 
dant c^est  l'expddient  le  plus  sür  qui  se  präsente  au  rai- 
sonnement  Quant  k  votre  aimable  pupille  eile  sera  la  bien 
venue  k  Gotha,  si  jamais  tous  songez  s^rieusement  k  Yj 
^tablir  pour  quelque  temps,  et  je  yous  r6ponds  de  ma  bonne 
volonte  k  concourir  k  tout  ce  qui  d^pendra  de  moi  pour  lui 
en  rendre  le  s^jour  agr<^able  et  je  me  croirai  bien  heureux 
de  faire  sa  connaissance.  L'espoir  que  yous  Youlez  bien  me 
donner,  mon  eher  et  digne  ami,  de  yous  Yoir  ici  dans  un 
mois  ou  deux,  yous  mettra  k  mdme  de  juger  par  yob  propres 
yeux  si  ce  local  et  tout  ce  qui  en  dopend  pourra  bien  lui 
couYcnir.  Je  crains  bien,  qu'en  apprdciant  sur  les  lieux  le 
pour  et  le  contre  de  ce  projet  agr^able  et  flatteur,  yous  ne 


*)  Gräfin  Duronx  de  Baeil-Belsonce,  die  Matter  der  Verfasserin. 

Der  Herausgeber. 


—     414     — 

changiez  d^avis  et  d'opinion.  Nous  varions!  II  y  a  trop 
d^agr^ments  pour  moi  pour  que  j'ose  esp^rer  de  le  Yoir 
rdussir  et  s'effectuer,  je  n'ose  cependant  en  dire  plus  pour 
le  moment,  et  vous  en  jugerez  yous  mdme  plus  juste  par 
Yotre  propre  perspicacit^.  L'id^e  de  me  voir  raprochd  de 
rbomme  du  monde  que  j'aime,  que  j'estime,  que  je  respecte 
le  plus,  dont  Tamiti^,  les  conseils  me  seraient  les  plus  utiles 
et  les  plus  consolants,  est  trop  belle,  trop  flatteuse  pour  que 
j'ose  m'y  liyrer  au  gr6  de  mon  teudre  coeur.  Mes  cb&teaux 
en  Espagne  ne  m^ont  gu^re  röussi  jusqu'ici,  et  mon  bonheur, 
ma  satisfaction  ont  toujours  ^prouy^  des  entraves  que  je 
n'ai  pu  surmonter. 

Vous  en  jugerez  ^galement,  mon  respectable  ami,  lorsque 
je  serai  k  m^me  d'^paneber  dans  le  sein  de  Taroiti^,  tous 
les  divers  sentiments  qui  m'oppriment  si  souvent.  Uni,  mon 
digne  ami,  oui,  vous  me  flattez  de  la  mani^re  la  plus  sen- 
sible et  la  plus  toucbante,  par  la  confiance,  que  yous  youIoz 
bien  me  marquer  dans  yos  affaires  de  finance. 

Et  pour  vous  montrer  que  je  ne  d^sire  que  d'y  r^pondre 
et  que  de  m'en  rendre  digne  h  vos  propres  yeux,  je  con- 
sens  avec  le  plus  grand  plaisir  au  pr^t,  que  vous  me  deman- 
dez,  et  M.  Moeller  sera  autoris6  de  ma  part,  k  yous  faire 
les  avances  que  vous  voudrez  lui  faire  Thonneur  de  lui  de- 
mander,  et  pour  vous  mettre  tout-ä-fait  k  votre  aise,  car  je 
ne  connais  que  trop  les  nuances  de  votre  delicatesse  je  vous 
pr^terai  k  usure;  il  n'y  a  cependant  que  sur  les  pour  Cent 
ou  nous  trouverons  de  la  peine  k  nous  accorder.  Vous 
m'offrez  5  p.Ct.  d'inter^t;  k  cela  je  n'ai  qu'une  Observation 
k  faire,  c'est  que  vous  trouveriez  fort  aisc^ment,  en  donnant 
les  suret^s  n^cessaires,  k  empruntcr  k  Gotha  mdme  des 
sommes  assez  considdrables  a  3%,  voulez  vous,  ou  pouvez 


—    415    — 

Y0U8  Boohaiter  que  je  sois  plus  usurier  que  les  particuliers 
capitalistes  de  G.  ?  presque  tous  les  capitaux  qu'on  place  ici, 
soit  dans  les  caisses  publiques,  seit  particuli^res  ne  rendent 
gu^re  de  plus  gros  int^r^ts,  j'en  ai  plac^  divers  moi  möme 
k  ce  taux.  II  n'y  a  que  le  cas  oü  j'ai  cru  que  Temprunteur 
pouvait  gagner  lui  m^me,  qui  m'ait  engag^  a  m^^loigner  de 
cette  r^gle,  j'ai  pr^t6  k  notre  libraire,  k  Tapothicaire  de  cette 
Tille  au  4%,  mais  je  crains  bien,  mon  digne  ami,  que  vous 
ne  serez  pas  dans  le  möme  cas,  et  que  ce  ne  soit  pas  ponr 
Yous  enrichir,  que  vous  emprunterez  de  votre  ami.  J^aimerais 
le  mieux  que  yous  empruntiez  de  moi  sans  le  moindre  int^r^t, 
mais  je  connais  Yotre  d^licatesse  sur  ce  point,  et  ce  serait 
7  r^pondre  tr^s  mal,  si  je  Youlais  empi^ter  sur  les  droits 
de  Catherine  n.  et  yous  me  donnerez  3  pour  Cent  dMnt^röt 
par  an  s^entend  pour  les  petites  sommes  que  M.  Moeller  yous 
aura  avanc^  en  mon  nom,  et  yous  les  rembourserez  k  Yotre 
aise.  J'espere,  mon  digne  et  respectable  ami,  aYoir  rempli 
Yos  Yues  et  yos  intentions  de  cette  mani^re. 

Ah  mon  amil  quelle  nouYelle  et  horrible  catastrophe 
que  cet  assassinat  de  Gustave  m.  I  Ce  n'est  pas  un  homme 
que  j'estime  infiniment,  ni  sur  la  conduite  duquel  j^aimerais 
k  me  confier,  ou  pour  lequel  je  Youlusse  r^pondre,  mais 
enfin  il  est  homme,  et  brave.  S'il  y  a  des  piaintes  contre 
lui,  et  certes  il  y  en  a  de  maintes  esp^ces,  pourquoi  ne  pas 
le  saisir  lui  faire  nn  proc^s,  lui  faire  l^galement  perdre  la 
t^te,  comme  k  un  parjnre,  un  usurpateur?  II  y  a  bien  des 
gens  m^me,  qui  pr^tendent  qu'il  a  successivement  fait  p^rir 
et  son  pcre  et  sa  m^re  par  le  poison.  Si  ces  faits  ^taient 
bien  constat^s,  sans  doute  qu'il  serait  bien  coupable  et  bien 
mür  pour  subir  un  jugement  l^gal.  Mais  un  assassinat  est 
une  chose  atroce  ä.mes  yeux,  et  an  moyen  indigne,  de  ceaZ| 


—    416    — 

qui  ont  des  raisons  pour  le  hair  et  de  le  pers^cuter.     En 
g^ndral  il  paratt  qu'il  existe  une  ligue  universelle  contre 
toiis  les  souverains  de  TEurope,  car  on  r^pand  que  Catherine 
pourrait  bien  suivre  Leopold  au  tombeau.    Des  lettres  ano- 
nymes Tassurent  publiquement.    Et  k  mon  avis  la  mort  de 
Leopold  IL  n^est  point  tellemeDt  ^claircie  qu*elle  seit  lavee 
du  soupQon,    qu'elle   ne    soit   pas   Teffet  du  poison.     Yoici 
Fextrait  d'une  lettre  de  Copenhague  qui  paratt  fonder  mon 
opinion;   eile  est  6crite  par  le  Dr.  Munter  fils  du  fameux 
Munter  qui  croit  avoir  converti  Struens^e  avant   son   ex6- 
cution.    Le  p^re,  natif  de  Lubec,  a  vdou  plusieures  ann^es 
ici  commo  pasteur.    II  6pousa  une  demoiselle  de  Wangen- 
heim qui  est  möre  du  jeune  homme  en  question  et  qui  est 
n6e  k  Gotha,  11  y  a  encore  deux  filles  de  ce  mariage  dont 
Tune    au   moins    est   aussi  d<^jä  marine  en  Danemarc.     En 
dernier  lieu  le  p^ro  <^tait  superintendant,  ou  premier  pasteur 
k  Tonna,  et  ayait  un  diooese  assez  6tendu.   II  fut  appel^  en 
Danemarc  et  aeeepta  cette  vocation.    II  y  a  quelques  annöes 
qu'il  repassa  ici,  pour  revoir  ses  anciens  amis  et  parents  de 
sa  femme ,  et  dans  son  esp^ce  c'est  un  homme  de  m^rite, 
hon  pr^dicateur  et  m^me  po6to.    Le  fils,  homme  de  m^rite 
et  do  savoir,  a  longtemps  Toyag6  aux  frais  du  roi  en  Italie 
et  en  Sicile,  oü  il  a  fait  diverses  d^couvertes  litteraires,  qu'ü 
a  publikes.     II  m'est  fort  attach^,   mais  c*est  un  esprit  fort 
exalt^,  pocte  et  vif:  Avec  le  temps  et  Tage,  il  se  fera  fort 
estimer.     II  ne  mc   reste  plus ,   mon  respectable  ami ,   qvCk 
Yous  renouveler  les  assurances  de  Tamiti^,  la  plus  tendre 
et  la  plus  inyiolable,  avec  laquelle  je  yous  suis  attach^  pour 
le  reste  de  mes  jours.    Puisse  le  moment  6tre  bicn  rapproch^ 
qui  Yous  ramönera  ici ,   dans  les  bras  de  Tamitid  et  de  la 
reconnaissance.    Je  fais  assur^ment  les  voeux  les  plus  tendres 


—     417     — 

et  les  plus  ardents  pour  Yotre  satisfaction  et  le  repos  de 
Yotre  aimable  pupille.  Et  puisse  le  voyage  de  Carlsbad  vous 
conserver  longtemps,  pour  le  bonheur  de  ceux  qui  ont  besoin 
de  TOS  conseils  et  de  yos  soins  paternels. 

Ce  4  avril  1792. 


üftrl  Orftf  Obtrndorff,  RriaatnuftB  tiaar  UfgroMaatltr.         27 


Eine  deutsche  Übersetzung  dieser  33  Briefe. 

I. 
Kaiserin  Katharina  II.  an  Melchior  von  Grimm. 

(5  Briefe  and  11  Brieffragmente.) 

1.  Brief.  Petersburg,  den  17.  oder  26.  März  1771. 

Mein  Herr!  Ich  habe  Ihre  zwei  Briefe  vom  2.  nnd  14.  Febmar 
beinahe  gleichzeitig  erhalten.  Sie  wünschten,  dass  ich  Ihnen  einige 
Worte  über  die  Grobheit  und  Albernheit  der  Chinesen  schreibe, 
deren  ich  in  einem  meiner  Briefe  Erwähnung  that.  Wir  sind 
Nachbarn,  wie  Sie  es  wohl  wissen  werden;  unsere  Grenzen  sind 
beiderseits  von  Hirtenvölkern,  Tartaren  und  Heiden  bewohnt. 
Diese  Stamme  beschäftigen  sich  hauptsächlich  mit  Räuberei;  sie 
stehlen  sich  (meist  als  Wiedervergeltung)  gegenseitig  Herdenvieh, 
ja  selbst  Leute.  Zwistigkeiten,  wenn  solche  unter  ihnen  herrschen, 
werden  durch  Kommissäre,  die  man  an  die  Grenze  schickt,  ent- 
schieden. Die  Herren  Chinesen  sind  so  grosse  Plagegeister,  dass 
es  leichter  wäre  das  Meer  auszutrinken,  als  endlich  ihren  Seka- 
turen  ein  Ziel  zu  setzen,  und  mehr  als  einmal  hat  es  sich  schon 
zugetragen,  dass  dieselben,  als  sie  bereits  gar  nichts  mehr  zn  be- 
gehren wussten,  die  Gebeine  ihrer  Toten  von  uns  forderten,  nicht, 
um  ihnen  ein  ehrenvolles  Begräbnis  zu  sichern,  nein,  lediglich 
nur,  um  uns  auf  irgend  eine  Weise  zu  chicanieren.  Solche 
Lappalien  haben  ihnen  sogar  als  Verwand  gedient,  den  ganzen 
Handel  mit  uns  zehn  Jahre  lang  zu  unterbrechen;  ich  sage  „Ver- 
wand^', weil  der  eigentliche  Grund  wohl  darin  zu  suchen  ist,  dass 


—    419     — 

Seine  Chinesische  Majestät  einem  seiner  Minister  das  Monopol 
anf  den  Handel  mit  Russland  verliehen  hatte.  Chinesen  und 
Russen  beklagten  sich  gleichermassen  bitter  hierüber;  und  da  aber 
schon  einmal  jeder  natürliche  Handel  sehr  schwer  zu  unterdrücken 
ist,  so  tauschten  beide  Nationen  ihre  Waren  einfach  an  Orten 
ans,  wo  sich  keine  Zollämter  befinden,  denn  dringendes  Bedürfnis 
macht  wagemutig.  Der  Herr  Minister  plagte  aber  nur  die  chine- 
sischen Grenzbezirke  und  trieb  selbst  keinen  Handel.  Als  man 
ihnen  jedoch  einen  Bericht  über  den  Stand  der  Dinge  zukommen 
Hess,  da  kamen  sie  mit  sehr  umfangreichen  Schriftstücken  in 
schlecht  gefügter  Prosa  angerückt,  worin  sich  weder  Logik,  noch 
Artigkeit  blicken  Hess,  und  die  von  Anfang  bis  zu  Ende  nur  ein 
Gewebe  von  Ignoranz  und  Roheit  waren.  Hier  bedeutete  man 
ihnen,  dass  man  sich  wohl  hüten  werde,  ihren  Stil  als  nachahmens- 
wertes Vorbild  anzunehmen,  da  sowohl  in  Europa,  als  auch  in 
Asien  eine  derartige  Schreibweise  für  recht  flegelhaft  passiere. 
Ich  weiss,  dass  man  mir  hierauf  antworten  könnte,  dass  die  Tar- 
taren, die  einst  China  eroberten,  nicht  so  manierlich  sind,  wie  es 
die  alten  Chinesen  waren,  und  will  es  gern  glauben;  jetzt  ist  be- 
wiesen, dass  die  Eroberer  nicht  die  Artigkeit  der  Eroberten  an- 
genommen haben,  und  die  letzteren  riskieren  durch  sie  noch  mit 
diesen  dominierenden  Sitten  angesteckt  zu  werden. 

Ich  komme  nun  zu  jenem  Gesetzesartikel,  den  Sie  mir  gütigst 
mitteilten  und  der  für  mich  so  schmeichelhaft  ist.  Sicherlich, 
mein  Herr,  ohne  den  Krieg,  den  mir  der  Sultan  so  ungerechter 
Weise  erklärte,  wäre  ein  grosser  Teil  Ihrer  Vorschläge  ausgeführt 
worden,  aber  für  jetzt  ist  dies  nicht  möglich,  da  man  nur  vorerst 
Projekte  für  die  verschiedenen  Zweige  des  grossen  Baumes  der 
Legislation  machen  kann  und  zwar  nach  meinen  Ihnen  bereits 
mitgeteilten,  also  wohlbekannten  Grundsätzen.  Wir  sind  mit  dem 
Kriege  zu  beschäftigt,  und  das  bietet  uns  zu  viel  Zerstreuung, 
um  momentan  die  notwendige  Aufmerksamkeit  dieser  ungeheuren 
Arbeit  zuwenden  zu  können. 

Ich  liebe  weit  mehr  Ihre  Verse,  mein  Herr,  als  Kriegstruppen, 

27* 


—     420    — 

diese  können  höchstens  im  entscheidenden  Momente  daTonlaofen, 

Ihre  Gedichte   hingegen  werden   der  Nachwelt,   die  ja  nur   das 

Echo  Ihrer  Zeitgenossen  sein  wird,  Frende  and  Gennss  bereiten. 

Die,  welche  Sie  mir  zusandten,   haben  sich  meinem  Ged&chtnisse 

fest  eingeprägt,  und  das  Feuer,  das  darinnen  loht,  ist  überraschend; 

in  mir  hat  es  einen  prophetischen  Enthosiasmus  geweckt.     Sie 

werden  zweihundert  Jahre  leben!    Man  hofft  nur  das,  was  man 

wünscht.    Ich  bitte  Sie,  erfüllen  Sie  meine  Prophezeihang;  es  ist 

die  erste,  die  ich  je  vom  Stapel  Hess! 

Katharina. 


2.  Brief.  Gzarskozelo,  den  17.  April  1776. 

Ich  erhielt  Ihren  Brief  aus  Neapel  in  den  fürchterlichsten 
Tagen  meines  Lebens.  Den  10.  April  um  4  Uhr  früh  kam  mein 
Sohn  zu  mir,  da  seine  Gemahlin*)  Geburtswehen  verspürte.  Ich 
erhob  mich  sofort  und  eilte  an  ihr  Lager.  Ich  fand  sie  in  grossen 
Schmerzen,  doch  ohne  noch  etwas  Ausserge  wohnliches  dabei  za 
bemerken.  Eine  Hebamme  und  ein  geschickter  Chirurg  leisteten 
ihr  Hilfe;  Zeit  und  Geduld  sollten  sie  aus  ihrer  schweren  Lage 
befreien.  Dieser  Zustand  hielt  bis  in  die  Nacht  an;  doch  gab 
es  auch  einige  Pausen,  in  denen  sie  der  Ruhe,  ja  selbst  des 
Schlafes  genoss.  Ihre  Kräfte  nahmen  nicht  ab.  Da  aber  der 
Montag  in  derselben  Erwartung  verstrich  und  ihr  Zustand  sich 
nicht  besserte,  so  schien  uns  dies  sehr  besorgniserregend.  Ausser 
ihrem  Leibarzte,  der  das  Vorzimmer  gar  nicht  verlassen  durfte, 
wurden  auch  noch  der  des  Grossfürsten  und  ein  anderer  bekannter 
Geburtshelfer,  der  beste,  der  sich  auftreiben  Hess,  berufen,  um 
den  bereits  anwesenden  Kollegen  mit  Rat  und  That  beizustehen. 
Aber  ihre  Anordnungen  brachten  weder  Erleichterung  noch  Be- 
schleunigung   der    Entbindung.      Dienstag    verlangten    sie    noch 

*)  Alle  Auskünfte  über  die  mit  Stern*)  bezeichneten  Worte  sind 

beim  französischen  Urtexte  zu  suchen. 

Der  Herausgeber. 


—    421     — 

meinen  Leibarzt  nnd  einen  alten,  gewiegten  Spezialisten  behnfs 
einer  neuen  ßeratong.  Das  Resaltat  dieser  Unterredungen  ging 
dahin,  man  mflsse  die  Mntter  retten,  da  das  Kind  vermutlich  tot 
Die  nötigen  Instrumente  wurden  herbeigeschafft.  Ein  Zusammen- 
trefi'en  unglücklicher  Verhältnisse,  hervorgerufen  durch  ihre  KOrper- 
bildung  und  verschiedene  andere  Zufälligkeiten,  machte  aber  alle 
menschliche  Kunst  zu  nichte,  —  und  Donnerstag  wurde  die  Gross- 
fürstin mit  allen  heiligen  Sakramenten  versehen.  Der  Prinz 
Heinrich*)  schlug  vor,  noch  seinen  Arzt  zu  berufen;  dieser  vermochte 
aber  nur  seine  Kollegen  zu  rechtfertigen.  Am  Freitag  um  5  Uhr 
Abends  hauchte  die  Prinzessin  ihre  Seele  aus.  Gestern  wurde 
sie  in  Gegenwart  von  dreizehn  Doktoren  und  CMrurgen  geöfi'net, 
und  nach  dem  Ausspruche  derselben  war  es  ein  fast  einzig  da- 
stehender Fall,  an  dem  jede  ärztliche  Kunst  scheitern  musste. 
Sie  können  sich  nicht  vorstellen,  was  sie  gelitten  hat,  und  wir 
mit  ihr.  Mein  Herz  blutet.  Ich  genoss  nicht  einen  Augenblick 
der  Ruhe  während  dieser  fünf  Tage.  Weder  bei  Tag  noch  bei 
Nacht  verliess  ich  die  Grossfürstin,  bis  sie  die  Augen  schloss. 
Sie  sagte  mir  inmitten  ihrer  grössten  Schmerzen:  „Sie  sind  eine 
ausgezeichnete  Krankenwärterin  !**  Stellen  Sie  sich  meine  Lage 
vor!  Den  einen  trösten,  den  anderen  stärken,  selbst  an  Leib  und 
Seele  gebrochen;  alles  bestimmen,  alles  vorsehen  müssen,  damit 
ja  nichts  vergessen  oder  übersehen  werde  1  Ich  gestehe  Ihnen 
aufrichtig,  in  meinem  Leben  war  ich  noch  nie  in  einer  so  schweren, 
so  schrecklichen,  so  peinlichen  Lage.  Ich  vergass  zu  essen,  zu 
trinken,  zu  schlafen,  und  meine  Kräfte  erhielten  sich  doch,  ich 
weiss  nicht  wie!  Ich  begann  zu  glauben,  dass  mein  Nervensystem, 
wenn  es  jetzt  nicht  einmal  zerrüttet  worden,  unzerrüttbar  sei. 
Yierundzwanzig  Stunden  vor  dem  Tode  der  Grossfürstin  schickte 
ich  zum  Prinzen  Heinrich  mit  der  Bitte,  dass  er  üch  des  Gross- 
fürsten annehmen  möge.  Er  kam  sofort  und  verliess  ihn  nicht 
mehr.  Der  Arme  ertrug  seinen  unendlichen  Schmerz  mit  Kraft 
und  Festigkeit,  aber  heute  erkrankte  er  an  einem  heftigen 
Fieber.   Sobald  seine  Frau  verschieden  war,  führte  ich  ihn  hierher. 


—    422     — 

Leben  Sie  wohl!    Ihren  Brief  werde  ich  ein  anderes  Mal  beant- 
worten! 

den  18.  April. 
Danken  Sie  lieber  Gott,  statt  zn  klagen,  dass  Sie  den  Prinzen 
Heinrich  nicht  anf  seiner  Reise  hierher  begleiten  konnten.  Ihr 
beschädigter  Darm  hätte  diesem  tranrigen  Schauspiele,  das  ich 
gestern  so  genau  beschrieb,  gewiss  nicht  widerstehen  können. 
Uns,  die  wir  nicht  in  Ihrem  Falle  sind,  h&tte  es  fast  das  Leben 
gekostet.  Es  gab  Momente,  in  denen  mir  war,  als  zerrissen  meine 
Eingeweide,  und  bei  jedem  Schrei,  den  sie  ausstiess,  fühlte  ich 
mich  einer  Ohnmacht  nahe.  Freitag  wurde  ich  zu  Stein  und 
jetzt  noch  habe  ich  gar  kein  Gefühl.  Ich  habe  Stunden  änsserster 
Schwäche,  dann  wieder  andere,  in  denen  ich  mich  stark  fQhle; 
dies  alles  ist  wie  eine  Art  Wechselfieber,  aber  mehr  ein  seeliecheSy 
als  physisches.  Niemand  kann  sich  davon  einen  Begriff  machen, 
der  es  nicht  selbst  an  sich  erlebt.  Denken  Sie  sich,  ich,  die  ich 
so  leicht  zn  Thränen  gerührt  bin,  ich  sah  sie  dahinsterben,  ohne 
eine  Thräne  zu  vergiessen!  Ich  sagte  mir  eben:  Wenn  du  weinst, 
so  werden  die  anderen  schluchzen,  wenn  du  aber  schluchzest,  so 
werden  die  anderen  gar  ohnmächtig,  und  alles  verliert  den  Kopf. 
Doch  nun  breche  ich  kurz  ab  mit  allem,  was  ich  Ihnen  noch  zu 
sagen  hätte.  Und  werde  selbst,  indem  ich  Sie  an  Prinz  Heinrich 
verweise,  nicht  mehr  diese  düstere  Sache  berühren.  —  Sie  sehen: 
Der  Mensch  denkt  und  Gott  lenkt! 


3.  Brief. 

Petersburg,  den  14.  oder  25.  Dezember  1777. 

Kennen  Sie  Herrn  Alexander?  Gehen  Sie  oft  nach  Versailles? 
Kennen  oder  kennen  Sie  nicht  in  diesem  Falle  die  Unterbeamten 
dieses  Herrn,  von  dem  so  viel  im  „Ing^nu**  die  Rede  ist?  Aber 
ich  wette,  dass  Sie  den  Monsieur  Alexander  gar  nicht  kennen, 
wenigstens  nicht  dei^enigen,  von  dem  ich  Ihnen  erzählen  will. 
Es  ist  nicht  Alexander  der  Grosse,  um  den  es  sich  handelt,  sondern 


—     423     — 

ein  gans  kleiner  Alexander*),  der  am  12.  d.  M.  um  %10  Uhr 
morgens  das  Licht  der  Welt  erblickte.  All  das  besagt,  dass  die 
Grossfürstin  eines  Knaben  genas,  der  zu  Ehren  des  heiligen 
Alexander  Newsky  diesen  pompösen  Namea  erhielt,  und  den  ich 
Herrn  Alexander  nenne,  weil  er  leben  will  and  jedenfalls  seiner- 
zeit ein  ganzes  Heer  von  Beamten  kommandieren  wird.  Jetzt 
sehen  Sie,  was  das  Geschwätz  nnd  die  Prophezeihungen  von  Gross- 
mama bedeuten  sollen!  Ist  das  nicht  ein  glänzender  Beweis 
meiner  Sehergabe?  (deutsch)  Aber,  mein  Gott,  was  soll 
denn  aus  dem  Jungen  werden?  Ich  tröste  mich  mit  Bayle 
und  dem  Vater  des  Tristram  Shandi,  dass  der  Name  einen  £in- 
fluss  auf  das  künftige  Schicksal  habe.  Und  Sie  werden  doch  gewiss 
zugeben,  dass  dies  ein  sehr  glänzender  Name  ist.  Es  gab  ja 
schon  gewaltige  Matadore,  die  ihn  trugen.  Wenn  nur  nicht 
diese  illustre  Bande  schon  alle  guten  Karten  für  sich  behalten 
hatl  Machen  nicht  auch  schon  die  leuchtenden  Vorbilder  der 
eigenen  Familie  etwas  aus?  Was  glauben  Sie?  Die  richtige 
Wahl  derselben  bringt  einen  oft  in  Verlegenheit,  und  Vorbilder 
bedeuten  überhaupt  nichts,  wie  uns  der  würdige  Pastor  Wagner 
in  seinem  Evangelium  lehrt.  Es  ist  das  Naturell,  das  alles  macht, 
aber  wo  es  suchen?  Ist  es  vielleicht  gar  im  Sacke  einer  guten 
Konstitution  verborgen?  Es  scheint  so  zu  sein,  vorausgesetzt, 
dass  die  Masse  nicht  den  Geist  absorbiert ;  das  Fleisch,  die  Knochen 
ziehen  den  lieben  Verstand  ohnehin  bald  rechts,  bald  links.  Ich 
werde  diese  Betrachtungen  der  Königin-Witwe  von  Schweden 
schicken,  die  sicherlich  besser  hierüber  debattieren  können  dürfte, 
wie  meine  Wenigkeit  Wie  schade,  dass  es  keine  Feeen  mebr 
giebt!  Diese  würden  sicher  einem  Kinde  alles  in  die  Wiege 
legen,  was  man  nur  wünscht  Ich  hätte  ihnen  reizende  Geschenke 
gemacht  und  ihnen  dann  ins  Ohr  geflüstert:  ^^^üie  Damen,  ich 
bitte  für  ihn  um  etwas  Mutterwitz,  nur  um  ein  klein  wenig  Mutter- 
witz, das  weitere  wird  dann  schon  später  die  Schule  des  Lebens 
besorgen !*'    Adieu,  gehaben  Sie  sich  wohl! 

Ich  erhielt  Ihre  Nachschrift  zu  all  den  schönen  Sachen,  die 


—    424     — 

mir  Thiers  von  Ihnen  flberbringen  sollte,  er  selbst  ist  jedoch  noch 
nicht  eingetroffen.  Sind  Sie  mit  der  Apotheose  der  Madame  Geoffirin 
zufrieden  ?  Ich  finde,  die  Sache  ist  recht  gnt  gesagt,  aber  im  Ge- 
dächtnisse bleibt  einem  gar  nichts  davon.  Ich  weiss  anch  sehr 
gut,  was  daran  fehlt.  Dieser  Autor  ist  nicht  nach  meinem  Ge- 
schmacke,  unsere  Köpfe  passen  nicht  zusammen,  (deutsch)  Gott 
weiss,  alle  Leute  wollen  mehr,  als  sie  können,  und  ich 
liebe  die  Köpfe,  dis  ohne  Wollen  und  ohne  sich  aufzu- 
ziehen, von  selbst  laufen.  Wenn  man  in  die  Jahre  kommt, 
wird  man  doch  gar  zu  difficile,  und  dies  ist  auch  mein  Fall. 


4.  Brief.  Petersburg,  den  22.  Dezember  1777. 

Kicht  wahr,  es  giebt  keine  grössere  Zudringlichkeit,  als  wenn 
man  in  einem  fort  die  Leute  mit  Briefen  bombardiert  Das  ist 
anch  meine  Ansicht.  Sehen  Sie,  da  kommt  schon,  wie  mir  scheint, 
der  dritte  angerückt,  den  ich  Ihnen  schreibe,  ohne  recht  zu  wissen 
warum,  aber  ich  muss  es  thun,  mein  Kopf  will  es!  Nun,  so  lesen 
Sie  ihn  einfach  gamicht,  es  giebt  ja  für  alles  ein  Mittel,  ich 
wiederhole  Ihnen,  werfen  Sie  ihn  nur  aneröffnet  ins  Feuer!  Herr 
Alexander  wurde  yorgestern  getauft,  und  allen  geht  es  pr&chtig, 
ausser  den  Engländern,  die  seit  dem  unseligen  Abenteuer*)  des 
General  Burgoyne  den  Kopf  bis  auf  den  Magen  hängen  lassen. 
Da  könnte  man  wohl  nach  der  löblichen  Gewohnheit  des  Fürsten 
Potemkin  an  seinen  Fingernägeln  kauen.  Das  bringt  ja  das  Blut 
in  Wallung.  Wenn  die  Herren  im  grossbritannischen  Parlamente 
auch  da  noch  ruhig  bleiben,  so  erkläre  ich  sie  für  (deutsch)  ehr- 
würdige Passgänger.  Man  muss  hier  nach  meiner  Ansicht 
wenigstens  zwanzig  Beschlüsse  fassen,  einen  schöner  und  glänzender, 
wie  den  anderen.  Schauen  wir  einmal  ein  wenig  zu,  wie  sie  sich 
halten  werden,  und  wenn  sie  es  gut  machen,  so  wollen  wir  daraus 
eine  kluge  Lehre  ziehen  und  lernen  unsere  Ansichten  für  uns  zu 
behalten  und  unsere  Phantasie  zu  zügeln,  verstehen  Sie  mich? 
Schach  Bahman  und  ich,   wir  Terstehen  uns  sehr  gut.    Wenn  Sie 


—     425     — 

mir  wieder  einmal  schreiben,  so  geben  Sie  mir  Nachricht  Yon 
Monsienr  Qoirini,  Abbö  Galiani  and  Herrn  von  Mengs.  Arbeitet 
dieser  letztere  wohl  an  meinen  Gem&lden?  Ach  mein  Gott,  wenn 
Sie  nur  sehen  könnten ,  wie  famos  ich ,  trotz  aller  Ihrer  bösen 
Prophezeiungen,  diesen  Winter  nntergebracht  bin.  Hier  ist  alles 
voll  der  vrunderschönsten  Sachen,  wie  Sie  solche  wohl  noch  nie 
gesehen  haben,  alles  am  mich  her  verstreut,  ohne  dass  sie  mir 
zu  etwas  nfltzten,  und  dass  ich  eine  Verwendung  dafOr  hätte;  es 
ist  eine  wahre  Wonne,  dies  alles  auch  nur  anzuschauen.  Ich 
komme  mir  wie  jener  Eirgisen-Ghan  vor,  dem  die  Kaiserin  Elisa- 
beth dn  Haus  in  Orenburg  schenkte,  und  der  sich  mitten  im  Hofe 
desselben  ein  Zelt  als  Wohnst&tte  errichten  Hess.  So  halte  ich 
mich  in  meiner  behaglichen  Ecke,  und  die  Ausschmflckung  der 
Kirche  schreitet  rüstig  fort,  wir  sind  schon  beim  zweiten  Altare 
angelangt  Die  Einführung  der  Verordnungen  geht  ruhig  ihren 
Weg,  desgleichen  auch  die  Gesetzgebung,  doch  langsam.  Ich 
weiss  nicht  was  das  ist:  Ob  daran  wohl  Stoff  oder  Kopf  schuld 
sind,  aber  jedenfalls  werden  die  tollen  Sprünge  immer  seltener, 
und  das  Ganze  gleicht  einem  langsamen  und  beständigen  Fieber 
ohne  inneres  Feuer.  War  es  nicht  notwendig  für  Sie,  alles  das 
genau  zu  wissen  ?  Der  Patriarch  beehrte  mich  mit  der  Zusendung 
einer  Broschüre,  die  er  „Preis  der  Gerechtigkeit  und  Hu- 
man i  tat  **  betitelte.  Er  wünscht,  dass  dies  als  Vorlage  für  ein 
neues  Kriminalgesetzbuch  dienen  möge,  und  verlangt  dafür  hundert 
Louis  Honorar.  Das  nenne  ich  bescheiden!  Ich  bin  jedoch  der 
Meinung,  dass  dies  wohl  gratis  oder  gar  nicht  zustande  kommen 
werde.  Um  das  auszuführen,  muss  man  einen  tiefen  Blick  in  die 
Herzen,  in  die  Erfahrungen,  in  die  Gesetze,  Sitten  und  Gebräuche 
einer  Nation  thun,  nicht  nach  der  Geldkatze  schielen.  Akademische 
Preise  spornen  den  Ehrgeiz  junger  Leute,  hier  aber  ist  ein  Arbeits- 
feld für  erfahrene  Graubärte,  für  Persönlichkeiten,  die  schon  die 
Leitung  des  Staatswesens  in  eigenen  Händen  hatten  und  für  die 
hundert  Louis  gar  keinen  Wert  haben.  Apropos,  wissen  Sie,  dass 
die  Oper  von  Paisiello  charmant  war?   Ich  hatte  vergessen,  Ihnen 


—    426    — 

darüber  zu  berichten.  Während  der  Aafführong  war  ich  ganz 
Ohr,  trotz  der  angeborenen  Gefühllosigkeit  meines  Trommelfelles 
gegen  Masik.  Ich  erkl&re  Paisiello  dem  Galappi  ebenbürtig.  Es 
ist  gerade  ein  sehr  guter  Komiker  angekommen,  schon  eine  blosse 
Melodie  ans  seinem  Monde  macht  mich  herzlich  lachen.  Gott  weiss, 
was  das  wohl  bedenten  mag  1  Hören  Sie  mich  an,  Sie  berühmter  £x- 
plikator,  erkl&ren  Sie  mir,  warum  mich  der  GesangSTortrag  dieses 
Buffo  lachen  macht,  w&hrend  gerade  die  Musik  der  französischen 
komischen  Opern  mich  sonst  förmlich  empört  und  mit  Verachtnog 
erfüllt,  mich,  die  im  übrigen  die  Tonkunst,  von  der  ich  nichts 
yerstehe,  kalt  lässt.  Sie  werden  wohl  nie  diesen  Brief  drucken 
lassen,  da  er  ja  doch  nur  das  Greistesprodukt  einer  Kranken  ist, 
die  gerne  schmiert,  um  sich  dabei  zu  zerstreuen.  Ich  habe  heute 
wieder  einmal  sehr  starke  Kopfschmerzen,  und  Sie  sind  mein 
Sündenbüsser  schon  seit  langem.  Ich  kann,  wenn  Sie  es  wünschen, 
Ihnen  selbst  ein  Attest  ausstellen,  dass  Sie  mir  gegenüber  schon 
oft  Beweise  unglaublicher  Geduld  abgelegt  haben.  Adieu,  bleiben 
Sie  gesund  1  Das  sind  jetzt  vier  Seiten,  die  ich  auf  das  Genaueste 
ausfüllte. 


5.  Brief.  Petersburg,  den  14.  Februar  1778. 

Also,  mein  werter  Herr  Sündenbüsser,  ich  muss  Ihnen  heute 
wieder  einmal  schreiben,  denn  ich  habe  starke  Kopfschmerzen. 
Erwarten  Sie  nun  etwa  ja  nicht  blühende  Phantasiegebilde  oder 
gewaltige  Wortarmeen,  die  sich  gleich  Wassermassen  bei  einem 
Schleusenbrucho  bervorwälzen,  nein,  die  ganze  Geschichte  dreht 
sich  nur  um  ein  Fest,  yeranstaltet  von  Seiner  Hoheit  Azor.  Um 
also  meinen  Bericht  gut  einzuleiten,  muss  ich  Sie  daran  erinnern, 
dass  wir  uns  jetzt  bis  über  die  Ohren  in  der  Zeit  der  Feste  und 
des  Mummenschanzes  befinden  und  dass  wir  deshalb  durch  die 
ganze  Stadt  von  Haus  zu  Haus  rollen,  wie  die  Ratten,  die  von 
Speicher  zu  Speicher  wandern.  Und  wie  sich  schliesslich  ein  arm- 
seliger  kleiner   Kasttag    far   uns   fand,    nämlich    Dienstag,    der 


—     427     — 

13.  Febrnar,  da  sehnte  sich  wohl  jedermann,  schon  ganz  flberdrflssig 
der  Masik,  nnd  yom  Tanze,  sowie  von  den  übrigen  Strapazen 
flbermfldet,  nnn  endlich  daheim  frei  aufatmen  zn  können.  Doch 
mnsste  nicht  Satanas,  der  Feind  aller  Rohe,  sofort  seine  Nase 
dabei  haben!  Was  that  er?  Er  flösste  unserer  afrikanischen 
Hoheit  den  Gedanken  ein,  sich  an  einem  Opemtage,  an  dem 
sowohl  Logen,  wie  Parterre  recht  dOnn  bCTÖlkert  waren,  plötzlich 
im  Theatersaale  im  Eostflme  seines  Landes  zu  zeigen  und  unge- 
fähr dreissig  der  vornehmsten  unter  den  Anwesenden  persönlich 
ein  gedrucktes  Manifest  zu  fiberreichen.  Dieses  artige  Dokument, 
aus  dem  niemand  klug  werden  konnte,  versetzte  m&nniglich  in  Er- 
stannen. Was  ist  das?  Was  soll  das  bedeuten?  Wovon  handelts 
denn  eigentlich?  Ich  habs!  Ich  kann  es  unmöglich  entr&tseln! 
So  riet  und  vermutete  man  hin  und  her  und  zerbrach  sich  den 
Kopf  darüber,  bis  man  endlich  in  ein  herzliches  Gelächter  aus- 
brach. „Es  ist  nur  eine  wflrdige  Vorbereitung  auf  ein  Fest,* 
sagte  Prinz  Azor.  Mitten  in  der  Vorstellung  erhoben  sich  die 
also  Eingeladenen,  um  sich  auf  den  Wunsch  ihres  exotischen  Gast* 
gebers  in  ein  bestimmtes  Appartement  zu  verfügen.  Nun  ging  es 
eine  kleine,  enge  Wendeltreppe  empor,  die,  wenn  auch  nicht 
gerade  auf  den  Speicher,  so  doch  in  ein  gewisses  Halbgeschoss 
führte,  wo  uns  alle  Düfte  Asiens  umhauchten.  Daselbst  standen 
drei  grosse,  mit  Samtteppichen  bedeckte  Tische  für  den  Makao 
bereit  Auf  jedem  derselben  befand  sich  eine  kleine  Schachtel, 
neben  der  ein  goldenes  Löffelchen  lag.  (Ich  beschreibe  diea  alles 
so  genau  lediglich  zur  grösseren  Bequemlichkeit  deijenigen,  welche 
Herrn  Azor  imitieren  wollen.)  Neben  einer  jeden  solchen  Schachtel 
lag  eine  kleine  gedruckte  Ankündigung.  Die  ganze  Gesellschaft 
war  eifrig  bestrebt,  den  Wünschen  des  Gastgebers  nachzukommen. 
¥s  giebt  nichts  animierteres,  als  dieses  Spiel,  sagten  die  Herren. 
Es  giebt  nichts  amüsanteres,  sagten  die  Damen.  Es  ist  in  der 
That  eine  hübsche  Sache,  um  Diamanten  zu  spielen.  Das  erinnert 
an  „Tausend  und  eine  Nacht*.  Jeder  hatte  Hoffnung  für  Vier, 
und  das  Gold  und  die  Edelsteine  rollten  nur  so  auf  dem  Tische 


—     428     — 

hernm.  Die  Scblaaköpfe  meinten,  dies  Spiel  sei  eine  pikante 
Neuigkeit,  die  anderen  schwiegen,  hazardierten  aber  nur  desto 
mehr.  Trotzdem  diese  schöne  Unterhaltung  anderthalb  Stunden 
bis  zum  Souper  w&hrte,  waren  die  Schachteln  noch  immer  nicht 
geleert.  Da  kam  man  denn  zum  Entschlüsse,  alles,  was  in  den- 
selben übrig  blieb,  unter  die  Spieler  zu  verteilen.  Als  dies  ge- 
schehen, stiegen  wir  dieselbe  Treppe  wieder  hinab,  die  uns  heranf- 
gefohrt  hatte,  und  standen  in  einem  Saale,  dessen  Mauern  und 
Decke  ganz  mit  Spiegeln  bedeckt  waren.  Gegenüber  der  Treppe 
befand  sich  ein  grosses  Fenster,  dessen  Vorhänge  sich  plötzlich 
öffneten  und  uns  ein  grosses  A  von  gewaltiger  L&nge  und  pro- 
portionierter Breite  sehen  Hessen,  das  aus  den  schönsten  Eron- 
diamanten  zusammengesetzt  war.  Unter  diesem  immensen  A  standen 
zwanzig  Pagen  in  goldstrotzende,  mit  blauen  Atlassch&rpen  gezierte 
Gew&nder  gekleidet.  Diese  waren  dazu  bestimmt,  den  Dienst  bei 
Tische  zu  übernehmen,  und  bildeten  eine  geschmackvolle  Gruppe 
unter  dem  grossen  Diamanten-A.  Die  Tische  hatte  man  rechts 
und  links  der  Länge  der  Mauer  nach  aufgestellt  und  also  an  die 
Spiegel  wände  gelehnt,  dass  sich  alle  Gäste  en  face  in  denselben 
sehen  konnten.  Doch,  wie  könnte  ich  Ihnen  das  Dessert  be- 
schreiben, das  vor  diesen  Spiegel  wänden  aufgestellt  war!  Hier 
fand  man  die  schönsten  Aufsätze,  beladen  mit  allen  den  Edelge- 
steinen  aus  den  vier  grossen  Kästen,  die  Ihnen  ohnehin  bekannt 
sind.  Das  ganze  Arrangement  war  bnchstäblich  charmant.  Ich 
befahl  allsogleich,  eine  Zeichnung  davon  anzufertigen,  die  ich 
gravieren  lassen  und  Ihnen  zusenden  werde.  Bei  ihrem  Eintritte 
In  den  Saal  blieben  alle,  geblendet  von  all  dieser  Schönheit  und 
dem  Reichtume,  der  sich  ihnen  darbot,  wie  angewurzelt  stehen, 
und  es  brauchte  wohl  eine  halbe  Stunde,  bis  sie  endlich  bewogen 
werden  konnten,  sich  au  den  Tischen  niederzulassen,  welche  ihrer 
harrten.  Während  des  Soupers  verminderte  sich  dieser  Enthu- 
siasmus nicht,  und  nach  Beendigung  desselben  stieg  man  wieder  in 
das  Halbgeschoss  hinauf.  Ich  vergas s  ganz,  Ihnen  zu  sagen,  dass 
wir,  ehe  wir  in  die  oberen  Appartements  gelangten,  den  grossen 


—     429     — 

Saal  passieren  massten,  der  damals  noch  gar  keine  Dekoration 
enthielt,  and  dass  dies  alles  erst  w&hrend  unserer  originellen 
Spielpartie  so  hergerichtet  wurde.  Dem  grossen  Diamanten -A  im 
Fenster  gegenflber  befand  sich  noch  ein  zweites,  gleichgezeichnetes 
aus  Perlen.    Aber  nun  ist  es  genug  für  heute! 


Manifest: 

Franciscus  Azor,  ehemaliger  Gouverneur  der  Schildkröten  Ton 
Guadeloupe ,  derzeit  Torteilhaftest  am  russischen  Hofe  bekannt, 
nimmt  sich  die  Ehre,  vor  Zeugen  zu  erkl&ren,  auf  welche  Weise 
er  afrikanischer  Edelmann  wurde.  Er  weiss  nicht,  ob  es  aus  Neid, 
oder  aus  anderen  Gründen  geschah,  dass  ihm  viele  seinen  Titel 
streitig  machen  wollten.  Aber  heute  ist  ihm  das  auch  ganz  gleich- 
giltig,  da  er  sich  endlich  entschlossen  hat,  im  Angesichte  der  Öffent- 
lichkeit seinen  Charakter  als  Repräsentant  seines  Vaterlandes  und 
zugleich  de^enigen  des  Goldes,  des  Silbers,  der  Edelsteine  und 
Ungeheuer,  mit  einem  Worte  des  grössten  Erdteiles,  genannt 
Afrika,  zu  beurkunden.  Er  wird  persönlich  oder  durch  seinen 
Sublegaten  einem  jeden  schriftliche  Beweise  zu  Händen  geben, 
der  sich  Dienstag,  den  13.  Februar  1778  nach  Schluss  der  Theater- 
vorstellung in  die  Appartements  I.  M.  der  Kaiserin  zu  verfügen 
gewillt  ist,  diesen  Zettel  in  der  Hand  haltend.  Die  hochgeschätzten 
Herrschaften  werden  zugeben  mflssen,  dass  S.  Hoheit  keinen  besseren 
Augenblick  wählen  konnte,  als  zu  diesem  brillanten  Feste  dadurch 
beizutragen,  dass  er  seine  Rechte  geltend  machen  wird.  Er  schliesst 
mit  dem  frommen  Wunsche,  dass  nach  Spiel  und  Souper  ein 
sanfter  Schlummer  die  mQden  Augen  seiner  Gäste  schliessen  möge. 


Ankandigung: 

Der  Herr  Repräsentant  hat  auf  jeden  Tisch  eine  dlamanten- 
gefQllte  Schachtel  gestellt,  nicht  zum  Verkaufe,  sondern  damit 
jeder  lyNeuner**  von  ihm  aas  mit  einem  Diamanten  bezahlt  werde. 


—     430     — 

1.  Fragment.*  Petersburg,  den  5.  Oktober  1777. 

Wenn  Sie  (nach  Frankreich)  zorflckgekehrt  sein  werden,  so 
bitte  ich  Sie  Gelegenheit  zu  finden,  Herrn  von  Necker  anszo^chten, 
dass  mir  Graf  Schuwalow*)  sein  Buch  Aber  den  Getreidehandel 
übergab,  and  dass  ich  ihm  hierfür  sehr  verbunden  bin;  es  ist  ein 
ausgezeichnetes  Buch.  Dies  gehört  für  ihn  und  folgendes  für  Sie: 
Der  Autor  besagten  Baches,  das  ich  selbst  lese,  ist  ein  offener 
Kopf.  Dieses  Buch  scheint  durchaus  nicht  für  jedermann  ge- 
schrieben, und  es  giebt  nur  gewisse  Kreise,  die  es  verstehen 
werden.  Ich  habe  es  unter  meine  Klassiker  eingereiht,  anter 
denen  er  mein  Blackstone  ist.  Sobald  ich  den  Namen  Blackstone 
ausspreche,  kommen  mir  gleich  die  Loggien  Rafaels  und  das  Bach 
Bibienas  iu  den  Sinn.  Folglich  habe  ich  auch  die  Broschüre  des 
Herrn  von  Necker  in  die  Ehrenrubrik  des  roten  Stiftes  gesetzt. 
Das  Kapitel,  das  auf  Seite  136  beginnt,  gefällt  mir  sehr.  Doch 
bin  ich  gar  nicht  einverstanden  mit  dem,  was  er  vom  Norden  be- 
hauptet. Er  war  nie  dort,  er  kennt  die  Verhältnisse  nicht  and 
schreibt  daher  viel  zu  leichthin  darüber.  Wenn  ich  ihn  kennen 
würde,  so  möchte  ich  hie  und  da  mit  ihm  in  Streit  geraten.  Ich 
würde  ihm  z.  B.  sagen:  Die  Länder  des  Nordens  haben  auch 
südliche  Provinzen,  die  fruchtbarsten  der  Erde,  die  in  keiner 
Weise  den  Gestaden  des  Eismeeres  gleichen.  Wenn  diese  on- 
wirtlichen  Gestade  auch  sehr  dünn  bevölkert  sind,  so  möge  er  zu- 
gleich erfahren,  dass  es  in  anderen  Gegenden  bereits  allzu  dichter 
Besiedelung  halber  an  Grund  gebricht  etc.  etc.  Geduld,  Geduld, 
schon  in  wenigen  Jahren  werden  Sie  Karten  von  Russland  sehen, 
die  Ihnen  erst  vom  Ganzen  eine  richtige  Idee  geben  werden.  Viele 
Irrtümer  stammen  daher,  dass  zahlreiche  Städte  an  Punkte  ge- 
baut wurden,  die  der  Himmel  nicht  begnadete  .... 

2.  Fragment.*  den  10./21.  Juli  (1778?). 

Nun  ist  Herr  von  Necker  nicht  mehr  im  Amte !   Das  war  ein 
schöner  Traum,   den  Frankreich   träumte,   und   nun  haben  seine 


—    431     — 

Feinde  einen  grossen  Sieg  errangen.  Den  Charakter  dieses  seltenen 
Mannes  mass  man  in  seinen  zwei  Werken  bewandem,  doch  seine 
„Memoiren''  überflügeln  noch  bei  weitem  sein  ^\e  compte  rendn". 
Der  König  von  Frankreich  hat  einen  berühmten  Mann  mit  Füssen 
getreten,  (deutsch)  Das  findet  sich  sobald  nicht  wieder. 
Herr  von  Necker  h&tte  eben  einen  tüchtigen  Herrscher  gebrancht, 

der  seine  Pläne  erkannt  und  unterstützt  h&tte 

0  mein  Gott,  warum  hinken  sie  trotz  allen  guten  Willens  so 
getreulich  Grosspapas  Spuren  nach?  So  führt  sich  der  Herr 
Schwager  denn  doch  nicht  aufl 

3.  Fragment.  den  11. /22.  Juli. 

Der  ßrief,  den  Herr  Necker  Ihnen  schrieb,  hat  mich  sehr  ge- 
freut, nur  das  eine  ärgert  mich,  dass  er  nicht  mehr  im  Amte  ist. 
Ich  kenne  einen  Mann  hienieden,  dem  der  Himmel  den  ersten  Platz 
in  Furopa  bestimmt  hat,  widerspruchslos  die  höchste  Sprosse  des 
Ruhmes.  Er  muss  leben,  er  muss  seine  Zeitgenossen  überleben, 
und  dann  wird  dieses  unvergleichliche  Gestirn  alle,  die  da  wandeln, 
m&chtig  überstrahlen 

4.  Fragment.  Czarskoz^lo,  den  11.  August  1778. 

Ich  muss  zugestehen,  dass  Ihre  Geleitbriefe  immer  mit  de- 
cidiertom  Geschmacke  abgefasst  sind.  Vor  mir  liegt  ein  solcher 
vom  15.  Juli,  der  zu  einer  Postsendung  No.  20  gehören  soll,  die 
aber,  wie  mir  scheint,  noch  nicht  eingetroffen  ist;  ach,  es  ist  ja 
schon  eine  Ewigkeit  her,  dass  ich  weder  Briefe  von  Ihnen  erhielt, 
noch  Ihnen  schrieb,  ich  wartete  immer,  um  endlich  die  Feder  zur 
Hand  nehmen  zu  können,  auf  ein  grosses  Kopfweh  oder  sonstiges 
Übelbefinden,  das  meine  Phantasie  etwas  aufrühren  würde.  Ihr 
Geleitschreiben  setzt  mich  erstens  in  ungeduldige  Erwartung  der 
Büsten  von  Stoudon*),  zweitens  enth&lt  es  auch  eine  Gravierung 
mit  dem  Kopfe  Voltaires.  Ich  gestehe  Ihnen,  dass  ich  sie  gar 
nicht  ansehen  kann,  so  schmerzt  mich  der  Tod  dieses  Patriarchen. 


—     432    — 

Wir  leben  hier  in  Erwartong  grosser  Ereignisse,  (deutsch)  Von 
allen  Seiten  wird Man  sagte,  dies  w&re  die  Ge- 
schichte der  französischen  Schriftsteller  and  das  Verhältnis  Herrn 
de  la  Harpes  zu  Voltaire.  Ich  bitte  Sie,  merken  Sie  sich«  dasB 
ich  noch  nie  etwas  von  Monsienr  de  la  Harpe  gelesen  habe  and 
dass  ich  einen  instinktiven  Ekel  vor  allem  empfinde,  was  er 
schrieb.  Auf  denn,  Sie  bester  Explikator,  den  ich  kenne,  expli- 
zieren Sie  mir  den  Qrund  dieser  schreienden  Ungerechtigkeit, 
einen  Schriftsteller  za  yerdammen,  ohne  selbst  auch  aar  den  Um- 
schlag seiner  Werke  je   gesehen   za  haben  I Bei 

Gott,  die  Politik  ist  eine  famose  Sache!  Sie  ist  das  Prototyp 
leeren  Gewäsches  und  endloser  Reden  ohne  Sinn,  die,  nicht  einmal 
wert  beachtet  zu  werden,  noch  tüchüg  mit  meist  erlogenen  oder 
ungerechten  Anwürfen  gewürzt  sind,  und  damit  regiert  man  die 
Welt  und  entscheidet  über  die  Geschicke  der  Völker!  (deutsch) 
Wahrhaftig,  arme  Leute  und  elende  Sachen!  Mir  scheint 
fast,  dass  man  seit  Voltaires  Tode  keinen  Wert  mehr  auf  gute 
Laune  legt;  er  war  der  Gott  der  Heiterkeit.  Lassen  Sie  mir  doch 
eine  ganz  vollständige  Kollektion  seiner  Werke  zukommen,  damit 
ich  wieder  einmal  von  Herzen  lachen  kann.  Wenn  Sie  mir  nicht 
bald  schicken,  was  ich  begehre,  so  werde  ich  Ihnen  nur  mehr  kläg- 
liche Jammerepisteln  schreiben.    Adieu,  für  heute  genug! 

5.  Fragment.  Gzarskoz^lo,  den  17.  August  1778. 

Seitdem  es  deutsche  Barone  giebt,  hat  unter  ihnen  gewiss 
noch  kein  so  leidenschaftlicher  Fabrikant  von  Geleitsnachträgen 
existiert,  wie  Sie;  kaum  hatte  ich  noch  Zeit,  den  einen  zu  beant- 
worten, siehe,  da  kommt  auch  schon  ein  zweiter,  mit  dem  Datam 
15.  Juli,  angerückt,  der  sich  ebenfalls  auf  No.  20  bezieht,  welch 
letzteres  ich  leider  noch  immer  nicht  erhalten  zu  haben  erkläre, 
(deutsch)  Aber  was  wird  denn  daraus  werden?  Ich  liebe 
die  Nachträge  nicht  mehr,  seitdem  ich  in  einem  derselben  die 
Verzichtleistung  des  Erzherzogs  Albert  von  Österreich  auf  Baiem 


—    433     — 

gelesen Herr  yod  Reiffenstein*)  und  ich 

wflnschen,  dass  Sie  sich  YoUkommener  Gesundheit  erfreaen  mögen. 
Wir  hoffen  desgleichen  in  Kompagnie,  dass  ihnen  meine  vorher- 
gehenden Briefe  rechtzeitig  zugekommen  sind.  Ich  habe  weder 
die  Eisten ,  noch  die  Ballen  erhalten,  welche  Herr  von  Reiffenstein 
nach  dem  Auftrag  des  Grafen  Schuwalow  expedierte  und  die  den  Marmor 
etc.  etc.  enthielten;  notabene,  Schuwalow  befindet  sich  momentan 
hier,  weil  die  Fregatten  noch  nicht  aus  Livomo  zurflckkehrten, 
und  folglich  auch  alle  anderen  schOnen  Sachen,  die  noch  auf  hoher 
See  schaukeln,  derzeit  ausständig  sind,  und  Gott  wolle  die  Loggien 

Rafaels   vor  allen  StOrmen   behüten Ich 

fflrchte  sehr,  dass  der  tückisehe  Husten  Mengs  dahinrafft,  ehe  er 
noch  meine  Gem&lde  begonnen  hat  Es  ist  bereits  ein  Jahr  ver- 
flossen,  seitdem  sie  bestellt  wurden,  und  gerade  das  heurige  ist 
unglücklicherweise  durch  den  Verlust  grosser  Männer  gekenn- 
zeichnet Mein  Herr,  ich  bedauere  gerade  so  hier,  wie  Herr 
von  Reiffenstein,  der  Herzog  von  Sachsen-(}otha  und  General 
Woronzoff  in  Rom,  nicht  Ihre  geistvolle  Konversation  und  Ihre 
angenehme  Gesellschaft  gemessen  zu  können.  Ich  schreibe  dies 
alles,  Herrn  von  Reiffensteins  Brief  in  der  Hand  haltend,  nieder, 
also  zugleich  lesend,  und  bin  soeben  bei  P^re  Jacquier  und  Abbö 
Chigi  angelangt;  ich  habe  auch  einen  Brief  des  Ersteren,  der  in 
artigen  Mückenfüsschen  geschrieben  ist,  persönlich  von  einem  Ende 
bis  zum  anderen  durchgemacht.  Mit  Vergnügen  nehme  ich  die 
Widmung  der  Karte  von  Sizilien  an  und  zwar  zu  Ehren  meines 
lieben  Herrn  Vetters,  des  Berges  Ätna,  für  den  ich,  wie  Sie  wissen, 
rege  Sympathie  empfinde.  Ich  hege  zwar  sonst  einen  grossen 
Widerwillen  gegen  alle  Widmungen,  aber  dieses  meinen  teueren 
Vetters  wegen  mache  ich  gerne  eine  Ausnahme  von  der  Regel 
und  bitte  Herrn  von  Reiffenstein,  an  meiner  statt  Päre  Jacquier 
und  Abb^  Chigi  für  ihre  charmante  Idee  zu  umarmen.  Mit  Un- 
geduld erwarte  ich  Hackerts  Gemälde,  meinen  werten  Bergvetter 
vorstellend,  und  werde  es  en  miniature  kopieren  lassen,  um  es  an 
einem  Armbande   zu  tragen,   so  sehr  liebe  ich  ihnl    Mir  scheint, 

Carl  Graf  Obcradorff,  BrbiMnuiftB  «Ibm  UrgroMmatl«r.         28 


—     434    — 

S.  katholische  Miyestftt  (Spanien)  sind  ein  Freond  traoriger  Szenen, 
denn  sie  befahlen  solche  bei  Mengst  nnd  das  verhinderte  leider 
den  Künstler,  meine  Bestellungen  in  Angriff  za  nehmen  Es  ist 
schon  lange  her,  dass  ich  Herrn  von  Schawalow  sagte,  Menge' 
Forderungen  erschienen  mir  keineswegs  zu  hoch,  and  ich  glaube, 
er  hat  ihm  bereits  einen  Vorschuss  zugesendet.  Desgleichen  habe 
ich  auch  dem  Baron  von  Fr^dericzs  befohlen,  Herrn  von  Reiffen- 
stein  274  Scudi  romani  90  bigochi  V2  ^^  zahlen.  Kaufen  Sie  mir, 
ich  bitte  Sie,  zwei  Exemplare  der  Werke  Metastasios.  Im  übrigen 
empfehle  ich  mich  Ihrem  freundlichen  Angedenken.  Leben  Sie 
wohl ! 


6.  Fragment.  den  1.  September  1778. 

Ich  sterbe,  ich  sterbe,  es  herrscht  ein  furchtbarer  Seesturm, 
der  das  Ärgste  befQrchteo  lässt.  Heute  früh  war  ich  im  Bade, 
das  machte  mir  das  Blut  zu  Kopte  steigen,  und  heute  Nachmittag 
fielen  mir  Abbildungen  der  Loggien  Rafaöls  in  die  Hände.  Nur 
mehr  die  Hoffnung  erhält  mich  aufrecht,  ich  beschwöre  Sie,  retten 
Sie  mich!  Bitte  schreiben  Sie  sofort  an  Reiffenstein,  dass  er  die 
Mauern  und  Decken  in  natürlicher  Grösse  kopieren  lasse,  und  ich 
gelobe  dem  hl.  Rafael,  augenblicklich,  koste  es,  was  es  wolle,  die 
Loggien  bauen  und  die  Kopien  hineinräumen  zu  lassen,  denn  ich 
muss  durchaus  sehen,  wie  es  ausfallen  wird.  Ich  hege  für  diese 
Loggien,  für  diese  Plafonds  eine  solche  Verehrung,  dass  ich  ihnen 
jedwede  Ausgabe  widmen  und  weder  ruhen  noch  rasten  werde, 
bis  alles  vollendet  ist.  Ach,  wenn  man  mir  einen  kleinen  Grundriss 
dieses  Gebäudes  mit  genauen  Grössen  in  Rom  selbst,  der  Stadt 
aller  schönen  Vorbilder,  anfertigen  wollte,  so  wäre  ich  meinem 
Ziele  schon  um  vieles  näher  gerückt!  Es  ist  wiederum  der  gött- 
liche Reiffenstein,  der,  wenn  der  Herr  Baron  von  Grimm  nichts 
dagegen  haben,  diese  schöne  Kommission  übernehmen  könnte. 
Ich  gestehe  offen,  dass  ich  lieber  Sie,  wie  Herrn  von  Schuwalow 
mit  dieser  Geschichte  betraue,  da  der  letztere  immer  und  überall 


—     435     — 

voller  Bedenken  ist,  und  gerade  diese  sind  onter  allen  Sachen 
diejenigen,  die  solche  Leute  wie  mich  am  meisten  yerdriessen. 
Nennen  Sie  das  alles  weise  oder  unsinnig,  wie  es  Ihnen  eben 
vorkommt,  ein  jeder  plaudert  ja  mehr  oder  minder  dumm  oder 
gescheit  daher,  ¥rie  es  eben  in  seinem  Können  und  Wissen  ge- 
legen ist.  Adieu,  mein  Herr,  Gott  beschütze  Sie  und  bleiben  Sie 
nur  gesund  1    Sagen  Sie  mir  einmal  bei  Gelegenheit,  warum  .  .  .  . 


7.  Fragment.  den  27.  April  (alten  Stils)  1785. 

Sie  haben  mich  nach  Zelmire  gefragt,  die  Sie  mir  auf  die  Bitte 
ihrer  Eltern  empfohlen  hatten.  Ich  kann  Ihnen  nur  sagen,  dass  sie 
sich  ausgezeichnet  auffahrt  und  dass  an  ihr  nichts  zu  tadeln  w&re; 
ihr  Grobian  von '  einem  Gatten  dagegen  ist  ein  höchst  störriger 
Geselle.  Er  benimmt  sich  so  brutal  und  rflcksichtslos  gegen  sie, 
dass  diese  arme  kleine  Frau  wohl  bald  ihr  Kummer  dahinraffen 
dürfte,  ja,  ich  befürchte  thatsächlich,  dass  ihre  Gesundheit  und 
ihr  Leben  durch  ihn  gefährdet  sind.  Vergangene  Woche  hatte  er 
einen  skandalösen  Auftritt  mit  ihr,  was  bald  allgemein  ruchbar 
wurde;  er  schlug  sie,  zerrte  sie  bei  den  Haaren  und  sperrte  sie 
schliesslich  zu  Hause  ein.  Alle  Welt,  selbst  seine  leibliche 
Schwester  und  deren  Gatte  hält  es  mit  der  unglücklichen  jungen 
Frau.  Sobald  ich  davon  Kunde  erhielt,  Hess  ich  mir  den  Grobian 
kommen  und  schickte  ihn  unter  dem  Verwände  dringender  Ge- 
schäfte, und  dies  nur  zu  dem  Zwecke,  dass  weder  seine  Frau, 
noch  jener  dritte,  der  ihn  bei  mir  verklagt  hatte,  kompromittiert 
würde,  in  sein  Gouvernement  Im  Augenblicke  des  Abschiedes 
schlössen  sie  Frieden,  doch  ich  glaube  kaum,  dass  dieser  von 
Dauer  sein  dürfte,  Sie  wird  übermorgen  mit  mir  aufs  Land  reisen. 
Ihr  Herr  Gemahl  versichert  ihr  stündlich,  dass  er  sie  nicht 
leiden  möge;  dies  ist  noch  das  zarteste  Kompliment,  das  er  ihr 
macht.  Ich  glaube,  es  wäre  wohl  das  beste  für  die  arme  Kleine, 
wenn  ihre  Eltern  von  dem  unglücklichen  Zustande,  in  dem  sie 
sich,  und  zwar  ganz  ohne  eigenes  Verschulden,  befindet,  unterrichtet 

28* 


—    436     — 

würden;  aber  man  müBSte  ihnen  empfehlen,  das  Ganze  geheim  za 
halten,  am  sie  nicht  ins  Gerede  zu  bringen.  Sie  weiss  gar  nicht, 
dasB  ich  dies  schreibe,  doch  ich  thae  es,  da  ich  Yoraossehe,  daas 
diese  Ehe  früher  oder  später  gelöst  werden  müsse,  wenn  man  sie 
am  Leben  erhalten  will.  Ich  bitte  Sie,  von  diesem  meinem  Oe- 
schreibsel  nur  den  Gebranch  zu  machen,  den  sie  für  notwendig 
erachten.  Wenn  es  nur  irgendwie  möglich  ist,  werden  wir  alles 
vermeiden,  was  den  Frieden  stören  könnte,  doch  dies  scheint  mir 
bei   einem  solchen  Wüterich  wie  diesem  äusserst  schwierig  .... 

8.  Fragment*  Petersburg,  den  8.  November  1785. 

Endlich  kam  ich  dazu,  die  Vorrede  von  Herrn  Neckers  Buch 
zu  lesen,  und  habe  sie  nun  glücklich  beendet.  Da  er  so  em- 
pfänglich für  Lob  ist,  so  yersichern  Sie  ihn  auch  des  meinigen  im 
vollsten  Masse.  Man  sieht,  dass  er  gerade  auf  dem  richtigen 
Platze  war  und  sein  Amt  mit  dem  grössten  Eifer  verwaltete,  er 
gesteht  dies  auch  selbst.  Mir  gefällt,  wenn  er  sagt:  „Ich  werde 
immer  auf  der  Bahn  fortschreiten,  die  ich  betreten!''  So  spricht 
nur  ein  edler  Mann  und  er  muss  es  bis  aufs  Ausserste  sein ,  um 
nicht  nach  so  viel  Widerwärtigkeiten  in  seinen  Vorsätzen  zu 
wanken.  Ich  gehe  jetzt  die  Sache  fertig  zu  lesen  und  werde  Ihnen 
davon  Mitteilung  machen,  bevor  Sie  noch  meinen  Auftrag  aus- 
geführt haben,  (deutsch)  Arme  Leutel  ungestiefelte  Leute 
können  die  gestiefelten  nicht  mehr  vertragen:  Sind 
zustark,  zu  fest,  zuschwer,  zuraisonniert,  zubeweisend, 
zu  voll;  alles  das  ist  beschwerlich.  Das  Gemälde  ist 
gross,  ist  schön,  aber  was  hilft  das?  Wer  wird  nach 
dem  Gemälde  heute  suchen?  und  wo  wiederfinden?  Die 
Kunst  besteht,  mit  allerlei  Leuten  die  Sachen  gehen  zu 
machen,  so  gut,  wie  möglich  und  alle  Tage  besser. 

9.  Fragment.*  den  10.  November  1785. 

Die  Kosten  der  Stenereintreibung  haben  mich  tötlich  gelang- 
weilt.   Die  Finanzen  Seiner  all  erchristlichsten  Majestät  sind  über- 


—     437     — 

hanpt  eine  sehr  ärgerliche  Sache.  Da  kann  ich  wohl  bei  einer 
jeden  Zeile  ausrufen:  (deutsch)  Nun,  Gott  sei  Dank,  so 
weit  ist  es  bey  uns  noch  nicht  getrieben!  Von  hier  gehe 
ich  mit  einem  grossen  Schritte  zur  deutschen  Komödie  über,  um 
mich  zu  erholen 


10.  Fragment.*  vom  11.  November. 

Geben  Sie  zu,  dass  die  Finanzen  Seiner  allerchristlichsten 
Majest&t  ein  nur  allzu  unerfreuliches  Thema  sindl  Ich  will  ihn 
wahrlich  nicht  dafür  beglückwünschen,  dass  er  achtund vierzig 
statt  zwölf  Steuereinnehmer  hat!  Ich  glaube,  dass  Seine  Majestät 
nur  zu  bald  wissen  werden,  welches  von  diesen  Finanzlichtern 
höchstdero  Geschmacke  am  meisten  entspricht.  Er  hat  ja  schon 
Turgot,  Necker  und  den  jetzt  amtierenden  Salmigondis  durchge- 
kostet, (deutsch)  Jede  hatten  ihre  Art  zu  denken,  Eko- 
nomisten,  Philosophen,  Beuteldrücker.  Gott  sei  Dank, 
ich  bin  mit  allen  wohl  zufrieden,  und  alles  kann  zum  Besten 
der  Erde   dem    besten  ihrer  Kinder  innewohnen,    (deutsch)    Die 

Beutel-Purganz  ist  auch  gut! 

« 

11.  Fragment.  den  20.  November  (1785). 

Indem  ich  in  einem  fort  das  Buch  des  Herrn  Necker  durch- 
studiere, ist  mir  der  Gedanke  gekommen,  Ihnen  um  jeden  Preis, 
falls  Sie  es  noch  nicht  wissen  sollten,  zu  sagen,  was  ich  von  den 
Projektenmachem  halte Ich  muss  Sie  noch  darauf  auf- 
merksam machen,  dass  Quarenghi  mich  mitten  in  meinem  Satze 
unterbrach,  um  mir  von  dem  charmanten  Theater  zu  erzählen, 
das  er  am  Ende  der  Eremitage  erbaut  und  das  sich  gegenwärtig 
in  kühnem,  durch  die  Luft  geführtem  Bogen  über  den  Kanal 
wölbt,   um  sich  im  alten  Palaste  Peters  I.  za  verlieren 


—     438     — 


IL 

Drei  Briefe  des  FQrsten  von  Ligne*)  an  Baron  Grimm. 

Erster  Brief.       'Moskau,  den  3.  Juli  (neuer  Rechnung)  1787. 

Heute  sind  es  zwei  Monate  her,  dass  wir  von  Kiew  abreisten ; 
wir  trafen  alle  in  guter  Gesundheit,  ohne  irgend  eine  Unannehm- 
lichkeit oder  auch  nur  den  mindesten  Unfall  erlitten  zu  haben, 
hier  ein  von  der  interessantesten  und  wunderbarsten  Reise,  die 
dem  grössten  Triumphzuge  glich,  der  je  stattfand.  Es  wird  mir 
unmöglich  an  dieser  Stelle  die  famose  Unterhaltung  unerwähnt  zu 
lassen,  die  uns  jene  Zeitungen  boten,  welche  die  Güte  hatten, 
sich  mit  uns  zu  beschäftigen.  Um  alle  diese  den  Russen  so  wohl 
gesinnten  Leute  zu  beruhigen,  teile  ich  Ihnen  mit,  dass  wir  nach 
einer  charmanten  Wasserfahrt  auf  dem  Di^jepr  (Boristhenes) 
Häfen,  Armeen  und  Flotten  im  brillantesten  Zustande  vorfanden, 
dass  Cherson  und  Sebastopol  unsere  Erwartungen  noch  weit  Aber- 
trafen  und  dass  jeder  Tag  durch  irgend  ein  grosses  Ereignis  ge- 
kennzeichnet war.  Bald  gab  es  Manöver  von  siebzig  Eskadronen 
regulärer  Truppen,  die  sich  prachtvoll  geschult  erwiesen  und  in 
der  Linie  mit  bewunderungswOrdiger  Raschheit  ihre  Gewehre 
luden,  bald  waren  es  Kosaken,  die  vor  uns  ihre  eigenartigen 
Kriegskünste  produzierten,  bald  wieder  Tartaren  aus  der  Krim, 
die  ihren  Chan  Sachin-Guerai,  als  er  sie  in  die  von  ihm  errichteten 
Regimenter  stecken  wollte,  verlassen  und  auf  eigene  Faust  Fähnlein 
errichtet  hatten,  weiche  sie  nun  der  Kaiserin  vorführten.  Jene 
wüsten  Steppen,  die  wir  zwei  bis  drei  Tage  lang  durchziehen 
mussten,  um  in  das  Gebiet  zu  gelangen,  woraus  Ihre  Majestät  die 
nogaiischen  Tartaren  und  Zaprovier  vertrieben  hatte,  die  vor  noch 
kaum  zehn  Jahren  sengend  und  brennend  die  Grenzen  des  Reiches 
bedrohten,  waren  nun  mit  wunderhübschen  Zelten,  in  denen  man 
as9  und  schlief,  geschmückt,  und  dieses  mit  asiatischem  Pompe 
ausgestattete  und  festlich  gezierte  Biwak,   das  uns  überallhin,  zu 


—    439    — 

Wasser  wie  zu  Lande,  begleitete,  bot  einen  ungemein  kriegerischen 
Anblick  dar.  Damit  aber  diese  verlassenen  Gegenden  ja  nicht 
am  Ende  die  uns  so  wohlgesinnten  nnterrheinischen,  leydenschen 
and  „Europäischen  Gourier'^-Zeitungsschreiber  allzusehr  irritieren 
möchten,  so  teile  ich  diesen  Herrschaften  noch  ferner  ergebenst 
mit,  dass  dortselbst  in  wenigen  Jahren  Felder,  W&lder  und  Dörfer 
emporblühen  werden.  Man  verpflanzte  bereits  Militär  dorthin; 
und  jene  Länderstrecken,  die  jetzt  nur  vorerst  von  Kriegstruppen 
bevölkert  sind,  werden  bald  durch  die  Trefflichkeit  ihres  Bodens 
bäuerliche  Kolonisten  anlocken.  Wenn  aber  diese  Herren  nun 
gar  erfahren  werden,  dass  die  Kaiserin  in  jeder  Gouvernements- 
Stadt  Geschenke  im  Werte  von  mehr  als  hunderttausend  Thalern 
hinterlassen  hat;  und  dass  sich  jeder  Tag  der  Ruhe  durch  neue 
Gaben  sowie  durch  Bälle,  Feuerwerke  und  Illuminationen  an  zwei 
oder  drei  Orten  in  der  Runde  kennzeichnete,  so  würden  sie 
zweifelsohne  in  die  höchste  Besorgnis  um  die  Finanzen  des  Reiches 
geraten.  Doch  leider  befinden  sich  gerade  diese  so  wohl,  und  die 
Nationalbank  bildet  unter  der  Leitung  des  geistreichen  und  er- 
fahrenen Grafen  Andreas  Schuwalow  tür  die  grosse  Kaiserin  und 
alle  ihre  Unterthanen  eine  so  unerschöpfliche  Quelle,  dass  die 
guten  Freunde  von  der  Presse  nun  völlig  beruhigt  sein  können. 
Wenn  dieselben  nur  aus  reiner  Menschenliebe  für  das  Wohl 
russischer  Unterthanen  besorgt  sind,  so  mögen  sie  erfahren,  dass 
letztere  nur  insoweit  wie  Sklaven  gehalten  werden,  als  man  sie 
strengstens  verhindert,  sich  selbst  und  anderen  Schaden  zuzufügen, 
doch  steht  es  ihnen  vollkommen  frei,  sich  zu  bereichern,  und  sie 
bringen  das  auch  oft  genug  zu  stände,  wie  wir  aus  der  Pracht 
der  mannigfaltigen,  wertvollen  Nationaltrachten  in  den  Provinzen, 
die  wir  durchreisten,  schliessen  konnten.  Was  jedoch  die  aus- 
wärtigen Angelegenheiten  betrifft,  so  mögen  sich  unsere  biederen 
Federhelden  an  die  Kaiserin  selbst  halten ;  sie  arbeitet  alle  Tage 
unserer  Reise  des  Morgens  mit  dem  hochverdienten  Minister, 
Grafen  Bezborodko;  ferner  mögen  sie  auch  noch  wissen,  dass 
Fürst  Potemkin,   ein  Mann   von   seltener  Genialität  und   klarem 


—    440     — 

Verstände,  der  alles  nur  yom  höchsten  Standpunkte  ans  erfasst, 
der  Kaiserin  alle  Wünsche  von  den  Angen  abliest  nnd  ihr,  als 
Chef  des  Eriegsdepartements,  der  Armee  und  mehrerer  Goaveme- 
ments,  in  zuvorkommendster  Weise  beisteht.  Die  Kaiserin,  der 
doch  gewiss  niemand  Herrschsucht  vorwerfen  kann,  gesteht  ihm, 
sowie  auch  allen  anderen,  deren  Hilfe  sie  bei  ihrem  grossen  Werke 
bedarf,  alle  denkbare  Autorität  zu  und  bringt  ihnen  das  grösst- 
mOgliche  Vertrauen  entgegen;  nur  denjenigen,  deren  Thun  sie 
filr  unrecht  hält,  räumt  sie  keine  Macht  ein.  Ihren  grossen  Prunk 
und  ihre  scheinbare  Verschwendungslust  rechtfertigt  sie  dahin, 
dass  ihr  solche  Ausgaben  reiche  Zinsen  trügen,  dass  es  auch 
ferner  ihre  Pflicht  sei,  zu  belohnen  und  aufzumuntern,  sowie  Neu- 
ämter in  den  Provinzen  zu  schaffen,  weil  das  Verkehr  und  Geld- 
umlauf hebe  und  die  Edelleute  zwinge,  mehr  am  Lande  zu  bleiben, 
statt  wie  früher  die  meiste  Zeit  in  St.  Petersburg  oder  Moskau 
zu  verleben;  sie  hat  zweihundertsiebenunddreissig  Städte  in  Stein 
gebaut,  weil  sie,  nach  ihren  eigenen  Worten  zu  schliessen,  Block- 
bauan Siedlungen  für  zu  fenersgef&hrlich  hält  und  häufige  Brände 
ihr  immense  Kosten  verursachen;  femer  erachtet  sie  es  auch  für 
geboten,  eine  süperbe  Flotte  in  den  Gewässern  des  schwarzen 
Meeres  zu  erhalten,  denn  schon  Peter  I.  habe  ja  die  Marine  so  sehr 
geliebt  und  gefördert.  Das  sind  ihre  bescheidenen  Entschuldig- 
ungen für  die  vielen  grossen  Werke,  die  sie  geschaffen.  Man 
kann  sich  nicht  vorstellen,  welches  Glück  es  gewährt,  ihres  Um- 
ganges zu  gemessen. —  Man  reist  fünfzehn  Meilen  des  Morgens,  findet 
beim  ersten  Relais  in  einem  kleinen,  hübschen  Holzpalaste  ein 
gutes  Frühstück,  später  in  einem  anderen  ein  brillantes  Diner 
und  schliesslich  nach  fünfzehn  weiteren  Meilen  in  einem  viel  grösseren 
und  schöner  möblierten  ein  treffliches  Nachtlager,  wenn  man  nicht 
zufällig  in  eine  Stadt  kommt,  woselbst  die  Gouverneure  stets 
prächtige  Residenzen,  von  Stein  gebaut  und  mit  Kolonnaden  und 
allerhand  anderem  Aufputze  geschmückt,  besitzen.  Es  leben  auch 
in  diesen  Städten,  angefangen  von  Krementschuk,  ferner  zu  Kaursk, 
Orel,  Tula  und  so  fort,  bis  hierher,  viele  wohlhabende  Kaufleute, 


—     441     — 

die  einen  lebhaften  Handel  betreiben,  und  rings  nmdr&ngt  uns 
ein  buntes,  überraschend  zahlreiches  Menschengewühl,  in  anbeten- 
der Liebe  zur  Kaiserin  emporblickend.  Bei  Volkszählungen,  von 
denen  hier  und  da  die  Presse  zu  berichten  weiss,  wird  nur  das 
m&nnliche  Geschlecht  berücksichtigt,  während  man  in  den  anderen 
Ländern  alles  zählt.  Wenn  aach  die  famosen  Herren  Zeitungs- 
schreiber (denn  ich  erzähle  ja  dies  alles  nur  ihnen  zu  Ehren) 
glauben,  dass  Taurien  eine  schlechte  Acquisition  war,  so  werden 
sie  sich  dennoch  trösten  müssen,  wenn  sie  erfahren,  dass  wir 
das  bestkulti vierte  Land  nach  Durchkreuzung  einiger  öder 
Gegenden  vorfanden,  welch  letztere  nur  von  Leuten  verlassen 
worden  waren,  welche  übrigens  bereits  wieder  zurückzukehren 
wünschen;  da  gab  es  prächtige  Waldgebirge,  deren  dem  Gestade 
des  Meeres  zugekehrte  Hänge  mit  amphitheatralisch  aufgebauten 
Dörfern'^)  geschmückt  waren,  während  alle  die  Thäler  mit  ihren 
Weinreben,  Granatäpfeln,  Palmen,  Feigenbäumen,  Aprikosen  und 
sonstigen  Sorten  von  Früchten  und  Nutzpflanzen,  ein  reiches  Er- 
trägnis versprachen.  —  Wir  waren  ebenso  glücklich,  der  Kaiserin 
folgen,  als  ihre  Unterthanen,  sie  sehen  zu  dürfen,  und  die  Herren 
Journalisten  schliesslich,  sowie  die,  welche  ihnen  Glauben  schenk- 
ten, werden  es  gewiss  auch  sein,  wenn  sie  erfahren,  wie  schlecht 
man  bisher  beraten  war,  und  ewig  werden  sie  uns  dafür  Dank 
wissen,  dass  wir  sie  so  trefflich  aufklärten;  ja,  nuu  könnten  sie 
kalten  Blutes  einem  jeden  ans  unserer  Kasse  1000  Louis  ver- 
sprechen, der  uns  auch  nur  einer  falschen  Beobachtung  zu  be- 
zichtigen vermöchte  in  diesem,  unserem  Berichte,  den  vrir  doch 
gewiss  nur  aus  purem  Interesse  an  ihrer  Belehrung  brachten,  und 
da  sich  natürlich  unter  solchen  Umständen  keiner  finden  wird, 
der  uns  um  1000  Louis  leichter  machte,  so  dürfte  sich  ihnen 
am  Ende  noch  die  Vermutung  aufdrängen,  dass  wir  weniger  unsere 
Zeit,  als  unser  Geld  zu  sparen  bedacht  waren. 


—     442     — 

2.  Brief.  Moskau,  den  3.  Jnli  1787. 

Man  liebt  Sie  sehr,  Herr  Baron,  man  spricht  oft  yon  Urnen, 
aber  schreibt  man  Ihnen  anch?  Katharina  »der*  Grosse  (denn  die 
Nachwelt  wird  ihrethalben  diesen  Artikelfehler  begehen)  hat 
möglicherweise  keine  Zeit  hierzu.  Vielleicht  werden  Ihnen  diese 
kleinen  Details,  die  ich  diktierte,  einen,  wenn  auch  nur  schwachen 
Begriff  von  dem  geben ,  was  wir  sahen  und  erlebten ;  übrigens 
dürfte  das  eine  indignatio  fecit  (gehamischte)  Erzählung  werden, 
denn  ich  bin  über  den  niedrigen  Neid ,  der  in  Europa  gegen 
RuBsland  vorherrscht,  empört.  Ich  möchte  doch  jenem  kleinen 
Teilchen  unseres  Kontinentes,  der  dies  Riesenland  anzugreifen 
wagt,  ein  bischen  Lebensart  beibringen;  wenn  sich  unsere  biederen 
Landsleute  nur  der  Mühe  unterzögen,  zu  reisen,  so  würden  sie 
bald  gewahr  werden,  wo  es  mehr  Barbarei  giebt,  hier  oder  dort. 
Hier  hat  es  z.  B.  fast  den  Anschein,  als  w&ren  die  Grazien  von 
Paris  und  quer  über  unser  heiliges  römisches  Kaiserreich  herüber- 
geflogen, um  ihren  Wohnsitz  in  Moskau  aufzuschlagen,  und  noch 
200  Werste  weiter  haben  wir  so  elegante  Damen,  ho  Ide  Engel,  gleich 
bezaubernd  im  Tanze,  im  Gesänge  und  in  der  Liebe  Yorgefunden. 

Kaiser  Josef  II.  war  die  drei  Wochen,  die  er  mit  uns  zu- 
brachte*), ungeheuer  liebenswürdig.  Die  Konversation  der  beiden 
Monarchen,  die  über  Länder  von  60000000  Einwohnern  und  Heere 
von  800000  Mann  gebieten,  war  selbstverständlich  hochinteressant; 
ich  habe  viel  davon  profitiert,  weil  ich  mit  ihnen  im  gleichen 
Wagen  fuhr,  und  ich  unterbrach  sie  auch  oftmals  mit  ein  paar 
schlechten  Witzen,  über  die  ich  zu  guterletzt  selbst  lachen  musste, 
als  ich  ihr  schallendes  Gelächter  vernahm:  denn  wir  bewegten 
uns  mit  der  grössten  Freiheit,  welche  ja  allein  der  Gesellschaft 
Reiz  zu  verleihen  vermag,  und  was  die  bescheidenen  gesellschaft- 
lichen Ansprüche  der  Kaiserin  anbelangt,  so  kennen  Sie  dieselben 
ohnehin;  selbst  mit  dem  Geringsten  zufrieden,  offenbart  sie  ihre 
geistige  Überlegenheit  erst  dann,  wenn  über  wichtige  Fragen 
verhandelt  wird. 

Wenn  ich  wieder  einmal  hinreise,  so  müssen  Sie,  Herr  Baron, 


—     443     — 

mich  begleiten;  dann  bin  ich  wohl  einer  noch  glänzenderen  Auf- 
nahme sicher.  Es  ist  zwar  nicht  notwendig,  dass  Sie  der  Kaiserin 
Ihre  ganze  Liebenswürdigkeit  ins  Gedächtnis  zorflckmfen,  denn 
dieselbe  hat  sie  anch  in  Ihrer  Abwesenheit  Tor  Augen,  aber  es 
wird  ihr  eine  grosse  Freude  bereiten,  sagen  za  können:  Er  ist 
hier!  Sie  werden  da  charmante  Bekanntschaften  machen;  Herr  von 
Mamonow  z.  B.  ist  eine  Persönlichkeit,  die  za  grossen  Hoffnungen 
berechtigt,  sowie  ein  geistreicher,  angenehmer  und  weitgeschfttzter 
Gesellschafter.  Mit  welcher  Anmut  die  Gegenwart  des  Grafen  Yon 
Sägur  unsere  Reise  verkl&rt,  werden  Sie  sich  wohl  vorstellen 
können.  Ich  bin  ganz  trostlos  darüber,  dass  sie  sich  schon  ihrem 
Ende  zuneigt. 

Nahe  dem  Felsen,  den  Iphigeniens  Tempel  krönte,  lasse  ich 
nach  einer  eigens  zu  diesem  Zwecke  yeranstalteten  Sammlung,  ein 
Heiligtum,  der  Kaiserin  geweiht,  errichten,  sowie  einen  Altar 
der  Freundschaft  für  Fürst  Potemkin,  und  diesen  inmitten  der 
schönsten  und  grössten  Fruchtbäume,  die  ich  je  sah,  und  am  Ge- 
stade des  Meeres,  wo  sich  alle  Gewässer  der  Berge  yereinigen. 
Dieses  kleine  Stück  Erde,  welches  mir  die  Kaiserin  verehrte, 
heisst  Parthenizza  oder  Jungfernkap  und  ist  von  96  Tartaren- 
familien  bewohnt,  welche  wohl  sicherlich  nicht  mit  jenen  Göttinnen 
und  Königen  des  Altertums  identisch  sind,  die,  wie  jedermann 
weiss,  so  blutige  Opfer  forderten.  Ich  kenne  keine  schönere  und 
angenehmere  Lage,  als  die  meines  Gütchens  am  Ufer  der  mytho- 
logischen Idalia,  dort,  wo  Europa  endigt  und  Asien  beginnt,  denn 
man  sieht  schon  von  ferne  Natoliens  Berge  herüberblauen.  Merk- 
würdig berührte  es  mich,  als  ich,  an  den  Gestaden  des  schwarzen 
Meeres  ruhig  unter  erbitterten  Feinden  ihrer  russischen  Ober- 
herrschaft lebend,  erfhhr,  dass  sich  die  getreuen  Unterthanen  des 
Hauses  Österreich  an  den  Küsten  der  Nordsee  empört  hätten.  Das 
hätte  ich  denn  doch  nicht  erwartet,  sicherer  auf  meinen  Gütern 
am  Pontus  Euxinus,  als  auf  meinen  flandrischen  zu  leben  1 

Hätten  Sie  die  Güte,   beigeaandtes  Paket  an  seine  Adresse 
zu  befördern,  sowie  auch  die  Versicherung  meiner  Hochachtang 


—    444    — 

entgegenzunehmen,  die  ich  mit  allen  jenen  teile,  welche  das  Ver- 
gnügen hatten,  Sie  persönlich  kennen  zu  lernen,  oder  doch  wenigstens 
Yon  Ihnen  gehört  zu  haben,  and  indem  ich  die  treue  Anhänglichkeit 
an  Sie  mit  allen  Ihren  Freunden  teile,  nehme  ich  mir  die  Ehre  za 
zeichnen  Fürst  de  Ligne. 

3.  Brief.*) 

Herr  Baron,  in  aller  E^le  ein  paar  Zeilen!  Monsieur  Bauer 
ist  abgereist,  und  ich  habe  nicht  viel  Zeit  zum  Plaudern:  doch 
finde  ich  noch  immer  Zeit,  des  Freundes  und  Gönners  des  Nordens, 
des  Lieblings  Friedrichs  des  Grossen  und  Katharinas  zu  gedenken, 
den  ich  schon,  auf  mein  Wort,  liebte,  bevor  ich  ihn  noch  kannte. 
Ich  hoffe  auch  dieser  Tage  Ghoczim**)  mit  seinen  Österreichern 
und  auch  ein  wenig  von  Oczakow***)  mit  seiner  russischen  Besatzung 
zu  sehen.  Man  zecht  mit  diesen,  man  zecht  mit  jenen  und  be- 
freundet sich  mit  Beiden;  ich  wollte  mir  auch  gerne  ein  Büschel 
Siegeslorbeern  mitnehmen  zum  Andenken.  Anstatt  dessen  be- 
merke ich  jedoch,  dass  ich  nichts,  wie  schwätze:  daher  schiiesse 
ich  nun,  mit  dem  ernsten  Vorsätze,  Sie  vi  armata  zu  zwingen,  den 
Ausdruck  meiner  zärtlichsten  Anhänglichkeit  entgegennehmen  zu 

wollen. 

Fürst  de  Ligne. 

Elisabethgorod,  den  16.  März  1789. 


III. 

Sieben  Briefe  des  Grafen  Segur*)  an  Baron  von  Feronce. 

1.  Brief.  Wischny  -  Wolotschok,  den  10.  Juni  1789. 

Ich  bin  soeben  in  Wischny-Wolotschok  glücklich  angekommen, 
aber  erwarten  Sie  ja  nicht  vor  meiner  Rückkehr  irgend  welche 
Details  über  meine  Reise.    Ich  befinde  mich  sehr  firisch  und  wohl- 


—    445     — 

auf.  Alles,  was  ich  sehe,  ist  so  interessant  and  neuartig,  dass  ich 
gar  nicht  Zeit  finde.  Ober  diese  Genüsse  nachzudenken.  Es  ist 
ein  wanderbares  Schauspiel  anzusehen,  wie  von  zwei  grossen 
Monarchen  ein  so  gewaltiges  Kaiserreich  in  einem  Jahrhunderte 
aus  chaotischen  Uranf&ngen  emporgehoben  wurde,  das  nun  überall 
sowohl  das  Siegel  des  grundlegenden  Geistes,  als  auch  die  Spuren 
des  Genies  trägt,  das  alles  yervollkommnete.  Soweit  mein  Auge 
schweift,  erblickt  es  nur  aufgeforstete  W&lder,  ausgetrocknete 
Sümpfe,  frischangelegte  Felder,  neubegründete  Stftdte,  tansende 
von  reichen  Dörfern,  w&hrend  die  ElOster,  wie  billig,  yerarmen 
und  eingehn,  und  überall  ein  dankbares  Volk,  welches  yon  allen 
Seiten  herbeiströmt,  der  grossen  Katharina  für  die  Gesetze  zu 
danken,  die  sie  ihm  gab.  Aber  stellen  Sie  sich  den  Genuss  yor, 
den  ich  empfinden  muss,  all  dies  in  Gesellschaft  der  Zauberin, 
die  es  schuf,  bewundem  zu  können,  also  diese  gewaltige  Herrscherin 
zu  sehen,  umringt  yon  Scharen  ihrer  ünterthanen,  die  ihr  die 
H&nde  küssen,  sie  Wohlth&terin  und  Mutter  nennen  und  mit  ihren 
Thrftnen  die  Wahrheit  dieser  zur  Schau  getragenen  Gefühle  be- 
weisen. Bedenken  Sie  femer,  dass  ich  oft  8  bis  9  Stunden  im  gleichen 
Wagen  mit  dieser  berühmten  Frau  fahre,  dass  ihre  sanft  dahin- 
fliessende  Konyersation  abwechslungsreicher  und  pikanter  ist,  als  die 
aller  Schöngeister,  die  ich  je  kannte.  Sie  ist  übrigens  eine  ebenso 
ausgezeichnete  Hausfrau,  als  Gesetzgeberin  und  Politikerin,  und  der 
Reisehut  steht  ihr  gerade  so  gut  zu  Gesichte,  wie  die  Kaiserkrone. 
Sie  ist  yon  einer  geradezu  unbegreiflichen  Güte,  yoller  Rücksichten, 
deren  keine  yon  ihr  ausser  acht  gelassen  wird.  Hundertmal  des 
Tages  fragt  sie  mich:  ob  ich  mich  nicht  langweile,  ob  ich  yon 
der  Reise  nicht  schon  ermüdet  w&re,  ob  ich  alles  habe,  dessen 
ich  bedürfe,  oder  ob  mir  etwes  abgehe,  ob  ich  aaszosteigen 
wünschte,  ob  mich  Sonne  oder  Wind  incommodiere.  Eine  Frau, 
die  auf  nichts  anderes  bedacht  w&re,  als  aller  Welt  zu  gefallen 
und  liebenswürdig  zu  scheinen,  könnte  sich  Katharina  zum  Vor- 
bilde w&hlen.  Wir  speisen  auf  das  Grossartigste  und  Feinste.  Des 
Abends  ergötzen  wir  uns  an  allerhand  Spielen,  des  Tagee  gemessen 


—     446     — 

wir  der  angenehmsten  ond  lehrreichsten  Konversation.  Das  Ange 
wird  durch  den  Anblick  der  interessantesten  Dinge  und  verschieden- 
artigsten Kostüme  gesättigt.  Gestehen  Sie  doch,  dass  dies  eine  in 
jeder  Beziehung  charmante  Reise  ist,  und  machen  Sie  es  mir  nach, 
d.  h.y  lieben  Sie  die  Kaiserin  so,  wie  ich  sie  bewandere!    Adien! 


2.  ßrief.  Moskau,  den  15.  Juni  1789. 

Wieder  ein  Brief,  der  Sie  sehr  ungeduldig  machen  wird,  erstens, 
weil  Sie  ihn  gewiss  schon  lange  erwarteten,  und  zweitens,  weil  er 
in  Ihnen  viele  Wünsche  erwecken  dürfte,  ohne  dass  Sie  im  stände 
sein  werden,  dieselben  zu  befriedigen.  Das  Datum  meines  Schreibens 
wird  Sie  sehr  in  Erstaunen  setzen.  Ja,  ich  bin  in  Moskau;  diese 
Reise,  ohne  die  ich  Russland  wohl  nie  kennen  gelernt  haben 
würde  und  die  ich  erst  am  Ende  meiner  Mission  zu  machen  hoffte, 
diese  unternahm  ich  thatsächlich  schon  jetzt  und,  was  ich  doch 
nie  getr&umt  hätte,  mit  der  Kaiserin  selbst,  welche  mir  alle  die 
Wunder  erklärt,  deren  Schöpferin  ja  nur  sie  selbst  ist,  und  sie 
versteht  dies  besser  zu  thun,  als  der  beste  russische  Geschichts- 
schreiber. Ich  will  in  die  wohlgeordnete  und  ausführliche  Be- 
schreibung, die  Sie,  sobald  ich  Zeit  finde,  sie  niederzuschreiben, 
von  mir  empfangen  werden,  noch  nicht  vorgreifen,  aber  ich  kann 
nicht  umhin,  Ihnen  von  dem  Entzücken  zu  berichten,  in  das  mich 
unsere  Reise  zwischen  Torschok  und  Twer  versetzt  hat.  Russland 
ist  jetzt  ein  blühender  Garten ,  in  dem  man  nicht  mehr  jene 
traurigen  Sümpfe  tind  monotonen  Tannenforste  vorfindet,  in  deren 
Mitte  Feter  der  Grosse,  der  Natur  zum  Trotze,  St.  Petersburg 
anlegte,  nein,  so  weit  das  Auge  blickt,  prangen  saftige,  grüne 
Wiesen,  taufrische  Wälder,  klare  Bäche,  Obst  in  Hülle  und 
Fülle,  wogende  Getreidefelder  und  farbenreiche  Blumen,  lieder- 
frohe Vögel  und  Tausende  glücklicher  Menschen  bevölkern  dies 
Paradies.  Es  ist  wahr,  wenn^s  Einem  so  gut  geht,  wie  mir,  der  ich, 
von  keinen  Reisesorgen  geplagt,  immer  im  Gespräche  mit  der  geist- 
reichsten und  liebenswürdigsten  der  Frauen  begriffen  bin  und  alles 


N 


—     447     — 

▼00  einer  Sonne  beleuchtet  sehe,  die  nar  fflr  ihn  erschaffen 
scheint,  dem  könnte  man  leichtlich  Yorwerien,  dass  er  alles  durch 
eine  allza  rosige  ^Brille  sieht.  —  Das  Glück  ist  eben  ein  Prisma, 
das  allen  Gegenständen  Farben  verleiht,  die  sie  oft  gar  nicht  be- 
sitzen; Sie  jedoch  werden  ans  den  genauen  Details,  die  ich  Ihnen 
geben  will,  ersehen,  dass  ich  ganz  unparteiisch  bin.  Es  ist  ja 
alles  noch  recht  weit  davon  entfernt,  vollkommen  zu  sein,  aber 
wo  findet  man  auch  totale  Vollkommenheit?  Man  sieht  jedoch, 
dass  alles  derselben  mit  Riesenschritten  entgegenstrebt.  Nichts 
gleicht  Paris  von  weitem  mehr,  als  Moskau,  denn  es  besitzt  die- 
selbe Grösse  und  eine  frappant  ähnliche  Lage.  Kommt  man  aber 
näher  heran,  so  gewahrt  man  denn  doch  einen  ganz  gewaltigen 
Unterschied:  die  Häuser,  die  Paläste,  die  Gassen,  die  Türme,  die 
Kirchen,  die  Gewölbe,  die  Einwohner  und  ihre  Trachten,  all  das 
weist  auf  das  Alter  der  Nation  und  die  Neuheit  ihrer  Beziehungen 
zum  übrigen  Europa  hin.  Die  öffentlichen  Gärten  könnten  Sie 
im  Geiste  nach  London  versetzen,  die  buntbemalten  Holzhäuser 
hingegen  in  die  Polackai.  Der  Kreml  mit  seinen  Giebeln,  Türmen 
und  unterirdischen  Gelassen  führt  Sie  ganz  in  die  Zeiten  der 
alten  Czaren  zurück,  in  die  ihrer  Kriege,  ihrer  Fehdelust  und 
ihrer  primitiven,  rohen  Pracht  Die  Russen  erinnern  uns  in  ihren 
zottigen  (?)  Gewändern  an  die  Scythen,  ihre  Kirchen  jedoch  an 
Byzanz  mit  seinen  Kaisern  und  griechischen  Patriarchen.  Da  be- 
begegnet uns  wieder  ein  Tartare,  uns  gleichzeitig  an  die  zügel- 
lose Grausamkeit,  den  vergangenen  Ruhm  und  die  jetzige  Ver- 
nichtung seines  Volkes  gemahnend.  Treten  Sie  hingegen  in  den  Palast 
des  Gouverneurs  oder  in  eines  der  den  sieben-  bis  achttausend 
Edelleuten  gehörigen  Stadthäuser,  die  diese  schöne  Metropole 
schmücken,  so  befinden  Sie  sich  wieder  im  jetzigen  Jahrhundert, 
umgeben  vom  Geschmacke,  der  Pracht  und  Bequemlichkeit  des 
modernen  Paris.  Wenn  Sie  die  Kaufläden  besuchen,  so  werden 
Sie  dort  alle  Früchte  unserer  Industrie,  aber  bereits  gemischt 
mit  spezifisch  russischer  Manufakturware  antreffen,  welche  ihr  noch 
starke  Konkurrenz  macht;  diese  Handelsgeschäfte  sind  ausnahmt- 


—     448     — 

loB  in  einem  Stadtviertel  yereinigt,  das  ans  lebhaft  an  die  Bazare 
des  Orientes  gemahnt.  Begeben  Sie  sich  nun  noch  za  gnterletzt 
auf  den  Exerzierplatz,  so  werden  Sie  dort  viele  gntarmierte 
und  -disziplinierte  Bataillone  bewundern  können  and  sich  plötzlich 
nach  Berlin  oder  Metz  gezaubert  fahlen ;  sagen  Sie,  giebt  es  wohl 
etwas  Pikanteres  und  Interessanteres,  als  dieses  bantgemischte 
Treiben  and  diese  reiche  Abwechslang  1  Wie  viel  kann  man  über 
ein  solches  anbeschreibliches  Schaaspiel  nachdenken  and  wie  wenig 
ist  man  im  stände,  es  richtig  za  schildern!  Und  trotzdem  be- 
haupten viele  Leute,  Rassland  aus  dem  X  zu  kennen  und  wagen 
es  sogar  noch,  das  unendliche  Reich  aof  bissige  Weise  zu  zer^ 
gliedern;  ich  hingegen  will  mich  bemühen,  mit  aller  Aufmerksam- 
keit zu  Werke  zu  gehen,  gleich,  als  wäre  ich  beauftragt,  jemandem 
eine  genaue  Idee  hievon  oder  gar  einen  Auszug  aus  der  „Ency- 
klopädie"  hierüber  zu  geben;  und  ist  Russland  nicht  eine  Ency- 
klopädie  von  Jahrhunderten,  von  Kiimaten,  von  Gebräachen,  von 
Sprachen,  von  Trachten,  von  Sch&tzen  aller  Art,  von  Unsitten,  von 
Mitteln  zu  deren  Beseitigung  und  von  Hindernissen,  die  sich  diesen 
entgegenstellen?  Ein  Genie  hat  dies  alles  aus  chaotischen  Ur- 
anfängen emporgezaubert,  ein  zweites  Genie  verleiht  nun  dem 
Ganzen  gefällige  Ordnung  und  das  feste  Gerüst  einer  weisen  Ver- 
fassung. Zwanzig  Jahre  hindurch  hat  die  Kaiserin  an  ihren  Ge- 
setzen gearbeitet  und  geprobt,  bevor  sie  dieselben  veröffentlichte ; 
nun  beginnt  sie  die  Erfolge  dieses  hehren  Werkes  zu  sehen,  und 
ihre  Unterthanen  sind  von  Liebe  und  Dankbarkeit  gegen  sie  er- 
füllt. Wenn  der  europäische  Friede,  wie  ich  es  zu  hoffen  wage, 
andauert,  dürfte  sicherlich  dieser  neue  Ruhm  der  allbewunderten 
Monarchin  sich  ebenso  unwandelbar  gestalten,  wie  der  in  ihrem 
letzten  Kriege  erworbene :  ihr  Staatsgebäude  wird  ausgeformt  sein, 
ihrem  Handel  werden  sich  tausende  neuer  Quellen  eröffnen,  und 
ihr  Kaiserreich  wird  dastehen  in  der  gewaltigsten  Grösse  und 
festesten  Sicherheit,  die  man  je  erträumt.  Die  Zeitungsschreiber, 
über  die  sie  sich  oft  mit  graziösem  Mutwillen  und  geistreicher 
Schärfe    mokiert,   die   famosen    Herren  Berichterstatter,   die   ans 


—     449     — 

Katharina  so  oft  schon,  als  mit  dem  Tode  ringend,  vorgeschwindelt 
haben,  werden  sich  dnrch  die  Ergebnisse  dieser  meiner  Reise  sehr 
entt&nscht  fühlen.  Es  sind  erst  wenige  Tage  her,  dass  ich  von 
einem  weiteren  Spaziergange  mit  der  Kaiserin  etwas  ermüdet  heim- 
kehrte und  dass  sie  mich,  meine  kleine  Erschöpfung  bemerkend, 
fragte,  ob  ich  ihre  Gesundheit  ebenso  schwach  and  zart  f&nde,  wie 
die  Herren  von  der  Presse,  ihren  Darstellungen  zu  eQtnehmen; 
ich  versicherte  ihr  mit  gutem  Gewissen,  dass  dieselben,  wenn  sie 
Ihre  Migest&t  auf  Spaziergängen  folgen  müssten,  sicherlich  solch 
eitles  Geschwätz  schleunigst  widerrufen  würden,  um  anstatt  dessen 
andere  nicht  zu  berechnende  Spiegelfechtereien,  etwa  politischer 
Art,  aufzutischen,  und  wir  begannen  gleich  selbst  einen  solchen 
Artikel  zu  verfassen.  Alle  diese  witzigen  und  umfassenden  Ge- 
spräche führt  sie  mit  einer  so  angenehmen  Leichtigkeit  und  Grazie, 
als  wenn  sie  auf  der  Welt  nichts  anderes  zu  thun  hätte,  als  liebens- 
würdig zu  sein.  Es  existiert  gar  kein  Werk  in  unserer  Litteratur, 
das  sie  nicht  schon  gelesen  hätte  und  dessen  sie  sich  nicht  er- 
innerte, kein  hübsches  Lied,  das  ihr  unbekannt  geblieben  wäre, 
keine  dramatische  Arbeit,  deren  Sinn  sie  nicht  erfasst  hätte,  und 
nie  hat  es  wohl  eine  glänzendere  Phantasie  gegeben,  als  die  ihre, 
die  sogar  in  vielen  Fällen  das  Gedächtnis  ersetzt;  aber  ich  plaudere 
zu  lange,  es  geht  schon  auf  zwei  Uhr,  und  ich  muss  ans  Schlafen 
denken,  denn  morgen  heisst  es  früh  aufstehen,  weil  wir  fortreisen, 
um  den  Bau  der  Aquädukte  zu  besichtigen. 


3.  Brief.  Wischny-Wolotschok,  den  21.  Juni  1789. 

Ich  schreibe  Ihnen  noch  ein  paar  Zeilen  von  Wischny-Wolot- 
schok, wohin  ich  zurückkehrte.  Morgen  werden  wir  in  Boro- 
witschi  ankommen,  wo  wir  uns  einschiffen,  um  zu  Wasser  über 
die  Mista,  den  llmensee,  den  Wolochow,  den  Ladogasee  und  die 
Newa  nach  St.  Petersburg  zu  gelangen.  Vielleichtwird  mir  auf  dem 
Schiffe  Müsse,  um  Ihnen  weitläufiger  zu  schreiben ;  bis  jetzt  hatte 
ich  jedoch  weder  Zeit  noch  Lust,  Ihnen  längere  Briefe  zu  schicken. 

Carl  Oraf  Obtrndorff,  EriaavnuiftB  «iBW  UrgroMantUr.         29 


—    450    — 

Dienenchaft  nnd  Effekten  Verden  ans  schon  sehr  frOhe  voraas- 
fahren,  and  wir  treffen  erst  auf  der  Nachtstation  mit  ihnen  zu- 
sammen. Ich  erfreue  mich  stets  der  besten  Gesundheit,  die  Reise 
entzückt  mich  immer  mehr  and  mehr,  und  ich  werde  der  Kaiserin 
mit  jedem  Tage  anhänglicher,  denn,  abgesehen  von  ihren  anderen 
grossen  Eigenschaften,  entwickelt  sie  soviel  Freundlichkeit  und 
Güte,  soviel  prickelnden  Witz,  ein  so  lebhaftes  Gedächtnis,  eine 
derart  rege  Phantasie  und  natürliche  gute  Laune,  dass  man  wirk- 
lich nichts  anderes  vermag,  als  sie  zu  lieben  und  wieder  za  lieben, 
wenn  man  sie  kennt.  Gestern  fuhr  ich  den  ganzen  Tag  mit  ihr 
im  gleichen  Wagen,  vrir  führten  ein  sehr  lebhaftes  und  interessantes 
Gespräch  über  Geschichte  und  hatten  darüber  so  verschiedene 
Ansichten,  so  lustige  und  pikante  Wortwechsel,  dass  uns  sieben 
Stunden  wie  sieben  Minuten  vergingen. 


4.  Brief.  Auf  der  Mista,  in  der  Nähe  von  Umensee  und 

Nowgorod,  den  29.  Juni  1789. 

Ich  glaube  kaum,  dass  je  eine  angenehmere  Reise  veranstaltet 
¥rurde,  als  diese;  selbst,  wenn  man  sie  in  einem  Roman  beschreiben 
wollte,  bliebe  die  Erfindung  noch  weit  hinter  der  Wirklichkeit 
zurück.  Wir  gemessen  in  guter  Laune  der  angenehmsten  Geseil- 
schaft, begünstigt  vom  denkbar  besten  Wetter,  und  wenn  diese 
drei  Voraussetzungen  eintreffen,  ist  es  gewiss  schwer  möglich, 
dass  unsere  Reise  einen  unerwünschten  Eindruck  in  uns  zurück- 
lassen könnte.  Wir  befinden  uns  heute  schon  den  vierten  Tag 
zu  Wasser.  Mr.  Fitz -Herbert;  Fürst  Potemkin  und  ich  schifften 
uns  als  Erste  ein,  um  die  Katarakte  der  Mista  zu  befahren,  in 
denen  jährlich  sehr  viele  Fahrzeuge  zugrunde  gehen.  Dort  ist 
der  Fluss  so  reissend,  dass  man  dreissig  Werste  in  weniger  als  zwei 
Stunden  zurücklegt;  man  fährt  über  Felsen,  die  fast  bis  an  die 
Wasseroberfläche  reichen,  dahin,  und  das  machtlos  auf  den  Wogen 
tanzende  Schiff  ächzt  in  allen  Fugen,  als  ob  es  bersten  wolle; 
doch  ausser  einem  kleinen  Leck,  das  schwimmende  und  an  einem 


—     451     — 

Garte  hängende  Matrosen  mit  onglaablicher  Geschwindigkeit  anf 
das  Geschickteste  verstopften,  ist  ans  kein  anderer  Uniall  be- 
gegnet. Wo  die  Katarakte  enden,  stiess  die  Kaiserin  za  uns,  und 
wir  schifften  ans  nan  alle  anfs  nene  ein.  Der  kldne  Floss,  aof 
dem  wir  nan  in  fünfzehn  Galeeren  and  nngeföhr  zwanzig  geringeren 
Fahrzeugen  dahinsegelten,  gewährte  einen  entzückenden  Anblick. 
Die  Ufer  mit  ihren  grünen  Matten,  wohlbebaaten  Feldern  and  all 
den  bnnten  Bauernscharen  vor  jedem  Dorfe,  deren  begeisterte 
Hochrufe  und  jabelnde  Gesänge  beim  Anblicke  unserer  liebens- 
würdigen Monarchin  die  Luft  erfüllten,  bieten  ein  abwechslungs- 
reiches Bild  dar.  Unsere  charmanten  Galeeren  sind  trefflich  ein- 
geteilt, die  bequemen  kleinen  Appartements  mit  hübschen  Möbeln 
versehen  und  die  zahlreichen  Ruderer  aufs  Geschmackvollste 
livriert;  jedem  von  uns  steht  ein  Boot  zur  Verfügung,  um  es  nach 
Belieben  zum  Besuche  der  anderen  Schiffe  oder  gar  des  Landes 
benützen  und  auch  im  letzteren  Falle  sich,  wieder  zur  Flotte 
stoBsend,  in  sein  schwimmendes  Haus  zurückbegeben  zu  können. 
Das  Leben,  wie  es  hier  von  uns  geführt  wird,  ist  folgendes:  Bis 
Mittag  vertreibt  sich  jeder  die  Zeit,  wie  er  mag.  Schlag  zwölf 
Uhr  begeben  wir  uns  auf  die  Galeere  der  Kaiserin,  und  nachdem  sie 
einige  Zeit  mit  uns  konversiert  hat,  folgen  wir  ihr  auf  ein  anderes 
Schiff,  wo  man  uns  ein  ausgezeichnetes  Diner  serviert,  das  immer 
in  der  heitersten  Stimmung  zu  verlaufen  pflegt.  Nach  dem  Essen 
zieht  sich  die  Migestät  zurück,  und  wir  gehen  auf  ein  Spielchen 
zu  Fürst  Potemkin;  um  vier  Uhr  kehre  ich  auf  mein  Schift 
zurück;  um  sechs  Uhr  versammeln  wir  ans  im  Salon  der  Kaiserin 
und  geben  ans  mit  ihr  bis  8  Uhr  dem  Whist  hin,  bis  zehn  Uhr 
herrscht  lebhafte  Konversation,  man  erzählt  sich  allerhand  Aben- 
teuer, singt,  und  Rätselauflösungen  wechseln  mit  Witzen  und 
geistreichen  Wortspielen;  um  zehn  Uhr  soupiert  man,  und  hieraaf 
wird  zum  Fürsten  Potemkin  gerudert,  wo  schon  die  Karten  unser 
harren.  Nicht  genug  kann  ich  die  Liebenswürdigkeit  der  grossen 
Herrscherin  rühmen,  die  stets  besorgt,  dass  alles  nach  unseren 
Wünschen  sei,  und  dass  es  uns  ja  an  nichts  gebreche,  und  diese 

29» 


—    452    — 

rührende  Anfmerksamkdt  80gar  auf  das  geringste  IndiTiduum  ihrer 
und  unserer  Suite  ausdehnt.  Sie  verkehrt  mit  ans  geradeso,  als 
wären  wir  ihresgleichen,  aber  mit  so  feinem  Takte,  dass  diese 
ihre  Leutseligkeit  nicht  bedrückend  wirkt,  und  dass  selbst  die 
Unyersch&mtesten  es  nicht  wagen  könnten.  Missbrauch  damit  xa 
treiben.  Schon  yon  Moskau  an  führt  sie  ein  Tagebuch  über 
unsere  Reise,  ein  Meisterwerk  von  Geist,  gutem  Geschmack  und 
Humor;  doch  versprach  sie  mir  auch  bedeutsamere  Werke  ihrer 
Feder  zur  Lektüre,  und  zwar  eine  Geschichte  Rasslands,  die  sie 
yerfasst  hat,  und  ich  glaube,  dass  sie  für  dieses  Genre  der 
Litteratur,  trotz  der  Schwierigkeiten,  die  es  bietet,  mehr  Talent 
als  irgendeiner  besitzt.    Adieu! 


5.  Brief.  Petersburg,  den  8.  Juli  1789. 

Der  Marineminister  hat  mir  ein  waldiges  Eiland,  auf  dem  er 
ein  hübsches  Landhaus  besitzt,  leihweise  überlassen,  um  dortselbst 
einige  Tage  in  Weltabgescbiedenheit  zu  verleben,  aber  bevor  ich 
mich  dorthin  zurückziehen  kann,  bin  ich  noch  gezwungen,  mich 
gründlich  in  den  Strudel  der  Yergnügangen  zu  stürzen.  Morgen 
werde  ich  bei  Mr.  Fitz -Herbert  am  Lande  nächtigen  und  über^ 
morgen  heisst  es:  auf  nach  PeterhofT!  um  der  Kaiserin  meine  Auf- 
wartung zu  machen.  Man  sagt,  dass  die  zweitägigen  Feierlich- 
keiten zu  Ehren  des  heiligen  Petrus  sich  wirklich  herrlich  zu 
gestalten  versprechen ;  es  wird  ein  Ball  in  geschlossenem  Hofzirkel, 
hierauf  ein  Maskenfest  und  schliesslich  eine  Illumination  statt- 
finden; Peterhoff  eignet  sich  übrigens  am  besten  zu  solchen  Fest- 
lichkeiten, auf  einer  Anhöhe  am  Gestade  des  Meeres  erbaut,  von 
herrlichen  Gärten  umgeben  und  auf  die  kostbarste  Weise  ein- 
gerichtet, während  in  der  nahen  Stadt  die  liebreizendsten  Frauen 
von  weit  und  breit  zu  finden  sind.  Ich  habe  mich,  seitdem  ich 
hier  bin,  über  keine  andere  Unannehmlichkeit  zu  beklagen  gehabt, 
als  über  ein  ziemlich  starkes  Zahnweh,  das  auch  jetzt  noch  nicht 
ganz  geschwunden  ist.    Kein  so  riesiger  Erfolg  bei  meinem  ersten 


—     453     — 

Debüt,  ich  gestehe  es  Ihnen,  wäre  mir  lieber  gewesen,  denn  ich 
fOrchte,  dass  er  nicht  anhalten  wird;  bis  jetzt  hat  jedoch  mein 
Ehrgeiz  hier  immer  nur  sehr  schmeichelhafte  Erfahrungen  gemacht. 
Ich  bin  ganz  berauscht  von  der  Art,  wie  man  mich  überall  heraus- 
streicht, meinen  Worten  lauscht  und  mich  empfängt,  aber 
ich  habe,  glauben  Sie  es  mir,  trotzdem  nie  einen  thörichten 
Dünkel  verspürt.  Das  dnzige,  was  mir  den  Kopf  verdrehen 
könnte,  w&re  nur  die  hohe  Meinung,  welche  die  Kaiserin,  nach 
ihrem  eigenen  Ausspruche,  von  mir  hat.  Wenn  Sie  sie  kennen 
würden,  so  müssten  Sie  zugeben,  dass  sie  einer  deijenigen  Richter 
ist,  auf  deren  Ausspruch  ein  feiner  Kopf  das  höchste  Gewicht 
legen  darf. 


6.  Brief.  '  Petersburg,  den  13.  Juli  1789. 

Jetzt  bin  ich  glücklich  wieder  daheim  nach  den  Peterhoflfer 
Feierlichkeiten  und  muss  gestehen,  dass  sie  mir  sehr  imponierten, 
denn  sie  vereinigten  in  sich  die  Pracht  eines  königlichen  Festes 
und  die  Gemütlichkeit  eines  Privatballes.  Die  Kaiserin  besitzt, 
wahrlich,  ein  spezielles  Talent  und  eine  gewisse  Zauberkraft,  ihre 
Hofvergnügungen  migestäüsch  zu  gestalten  und  ihnen  dabei  doch 
den  Reiz  fröhlicher  Herzlichkeit  zu  verleihen,  wo  sonst  nur  eisernes 
Ceremoniell  zu  herrschen  pflegte;  auch  eignet  sich  kein  Ort  der 
Welt  besser  zu  solchen  Lustbarkeiten,  als  gerade  Peterhoff,  dieser 
prachtvolle  Palast  an  der  Meeresküste,  der  innen  mit  kostbaren 
Kunstwerken  aller  Zeiten  geschmückt  und  aussen  rings  von  pracht- 
vollen Girten  umgeben  ist.  In  dengenigen  Teile  derselben,  welcher 
direkt  das  Schloss  umgrenzt,  herrscht  leider  jene  gestutzte  Symmetrie 
und  steife  Pracht  vor,  zu  der  nun  einmal  die  Könige  verdammt 
sind,  etwas  weiter  herum  ist  aber  ein  charmanter  englischer  Park 
angelegt,  der  die  Natur  hier  reichlich  für  den  Zwang  entschädigt 
welcher  ihr  dort  auferlegt  wurde,  und  wo  sich  die  von  der 
kalten  Stilpracht  des  anderen  Teiles  ermüdeten  Augen  erholen 
können.    Indem  ich  mich  jetzt  von  den  angenehmen  Eindrücken 


—     454    — 

abwende,  welche  diese  l&ndliche  Stille  in  mir  reifte,  wird  mein 
Blick  vom  imposanten  Schauspiele  des  Meeres  geblendet,  dort  sehe 
ich  in  weiter  Feme  die  goldblitzenden  Türme  St.  Petersborgs 
herüberschimmern,  hier  liegt  die  Eronstädter  Rhode  vor  mir  mit 
ihren  m&chtigen  Kriegsschiffen,  alles  an  Peter  den  Grossen,  seine 
Arbeiten  und  seine  Wunderwerke  gemahnend,  sowie  auch  an  die 
Erfolge  Katharinens  und  an  ihren  Mut,  der  sie  ihre  stolze  Flotte 
an  Finnlands  Eisufer  und  in  das  Meer  des  Archipelagus  senden 
hiess,  sowie  an  den  glorreichen  Sieg  von  Tschesme,  der  alle  ihre 
Mühen  krönte  und  ihren  Namen  unsterblich  machte.  —  Die  Peter- 
hoffer  Feste  dauerten  zwei  Tage.  Das  erste  war  lediglich  ein 
glänzendes  Hoffest,  die  yomehme  Welt  erschien  aufs  Kostbarste 
gekleidet,  man  küsste  der  Kaiserin  die  Hand,  und  sie  huldigte 
während  des  Balles  nur  mit  einigen  der  bevorzugtesten  Persönlich- 
keiten dem  Spiele,  am  nächsten  Tage  jedoch  gab  es  keine  Etikette 
mehr,  man  kam  in  Domino  oder  mit  vorgebundener  Maske,  alle 
Stände  waren  gemischt,  und  jeder  Maskierte  hatte  freien  Zutritt 
in  die  Gemächer  des  Palastes.  Abends  fand  eine  grosse  Illumi- 
nation aller  Gärten  statt,  das  dunkle  Grün  der  Bäume,  der  weisse 
Glanz  des  Meeres  und  alles  das,  was  Sie  wohl  bereits  schon  in 
Trianon  sahen,  vereinte  sich  hier,  um  dem  Ganzen  einen  feeenhaften 
Anblick  zu  verleihen.  Überall  reichbeladene  Tische,  überall  rege 
Menschenmassen,  überall  Freude  1  Während  dieser  Feste  behandelte 
mich  die  Kaiserin  mit  ausserordendlicher  Güte,  die  mich,  ich  ver- 
sichere Sie,  ganz  fesselte;  wenn  sie  eine  Private  wäre,  so  würde 
ich  alle  Tage  meines  Lebens  bei  ihr  verbringen,  denn  ich  kenne 
nichts  Liebenswürdigeres.  Am  Tage  des  bal  parä  kam  ich  jedoch 
in  einige  Verlegenheit.  Sie  kennen  ja  meine  Ungeschicklichkeit 
im  Spiele.  Die  Kaiserin  Hess  mich  rufen,  um  mit  mir  und  noch 
vier  anderen  Personen  tour  ä  tour,  wie  es  eben  die  Karten  forderten, 
zu  spielen.  Es  zeigte  sich,  dass  ich  vom  Piqu^  gar  nichts  verstand. 
Doch  die  hohe  Frau,  welche  meine  Verlegenheit  bemerkte,  hatte 
die  Güte,  mir  zu  raten  und  mich  im  Spiele  zu  unterrichten, 
ohne   sich  über  meine  Ignoranz  und  Ungelehrigkeit  erstaunt  oder 


—    455    — 

nngedaldig  za  zeigen.  Ich  glaube,  dass  man  anter  unserer  gesamten 
Damenwelt  —  von  den  gekrönten  H&uptem  gar  nicht  zu  sprechen 
—  nicht  viele  von  solcher  Nachsicht  und  Freundlichkeit  beseelte 
Frauen  finden  dürfte,  und  ich  bewundere  und  liebe  sie  auch  von 
ganzem  Herzen.  Wir  haben  jetzt  abscheuliches  Wetter,  was  mich 
sehr  verdriesst,  umsomehr,  da  alle  Leute  noch  auf  ihren  Gütern 
weilen  und  man  daher  den  ganzen  Tag  unterwegs  sein  muss. 
Der  Weg  nach  Petersburg  geht  acht  Meilen  an  der  Meeresküste 
fort;  man  findet  auf  dieser  Strecke  im  ganzen  ungefähr  sechzig 
Tillen,  alle  sehr  schön  gebaut  und  von  netten,  wohlgepflegten 
O&rten  umgeben. 


7.  Brief.  Czarskoz^lo,  den  29.  Juli  1789. 

Das  Datum  dieses  Briefes  möge  Ihnen  beweisen,  dass  die 
Kaiserin  fortfährt,  mich  mit  der  bisherigen  Güte  und  Liebens- 
würdigkeit zu  überhäufen  und,  nachdem  sie  mich  ja  schon  einen 
grösseren  Teil  ihres  unendlichen  Reiches,  das  sie  selbst  erweitert, 
verschönt,  bevölkert  und  bereichert  hat,  sehen  Hess,  zeigte  und 
erklärte  sie  mir  nun  auch  bis  ins  geringste  Detail  ihre  pracht- 
vollen Gärten,  und  ich  muss  gestehen,  dass  die  Gärtner  gutthäten, 
wenn  sie  die  Kaiserin,  gerade  so,  wie  es  auch  die  Herrscher  thun 
sollten,  zu  ihrem  Vorbilde  nehmen  würden.  Wäre  sie  nicht  dazu 
ausersehen  gewesen,  sich  ihren  Ruhm  wie  Peter  der  Grosse  zu 
erwerben,  so  hätte  sie  schon  durch  ihre  Gartenanlagen  einen 
grösseren  Namen  erlangt,  als  selbst  Herr  von  Girardin  durch  die 
seinen*)  zu  BIrmenonville;  alle  ihre  täglichen  Beschäftigungen 
sind  von  ihrer  Grazie  so  verklärt,  und  auch  alle  ihre  Unter- 
nehmungen haben  stets  einen  für  sie  so  rühmlichen  Ausgang  ge- 
funden, dass  alles,  was  Fürst  von  Ligne  über  sie  schreibt,  wahr, 
gerecht  und  nur  wie  zur  Vervollständigung  ihres  Ruhmes  ge- 
schaffen erscheint.  Katharina  ist  nicht  nur  gross,  sondern  auch 
gut,  und  wenn  sie  einerseits  über  einen  so  prickelnden  Geist  und 
eine  derart  gefällige  Grazie  verfügt,   dass  alles  zur  Bewunderung 


—    456     — 

iiingerisBen  wird,  bo  iBt  es  andererBeitB  ihre  hohe  Güte,  die  jeder- 
mann an  sie  fesBelt,  eine  Qflte,  die  sich  jede  Minute  nnd  bei 
jeder  Gelegenheit  bewährt  nnd  noch  mehr  Siege  in  den  Herzen 
ihrer  üntertbanen  erringt,  alB  ibre  Armeen  in  fernen  Ländern. 
Es  betrübt  mich  wirklich  sehr,  daBS  Bie  Ihnen  nicht  perBÖnlich  be- 
kannt iBt,  Sie  würden  sie  Bonst  biB  zur  Raserei  lieben.  Fürst 
von  Ligne  hat  mich  zn  seinem  Stellvertreter  bei  ihr  ernannt,  and 
ich  habe  diese  Geschäfte  so  gut  geführt,  dass  ich  ihm  zugleich 
mit  meinem  Berichte  einen  Brief  der  Kaiserin  übersenden  konnte, 
der  gerade  so  liebenswürdig  war,  wie  sie  selbst  Sie  schenkte  mir 
auch  zwei  charmante  kleine  Windhunde,  und  es  giebt  kaum  etwas 
leichtfüssigeres ,  schmeichlerischeres  und  schlankeres,  als  diese 
Geschöpfe.  Ich  pflege  sie,  so  gut  ich  kann,  nur  fürchte  ich,  dass 
sie  meiner  Gibelle  allzusehr  Konkurrenz  machen  werden.  Wir 
reisen  bald  von  hier  nach  Pilla,  einem  neuen  LustschloBse  der 
grossen  Monarchin  ab,  das  dreissig  Werste  von  Gzarskoz^lo  ent- 
fernt, am  Ufer  der  Newa  liegt.  Ob  es  mir  auch  dort  so  gut 
gefallen  wird,  wie  hier,  wo  sich  alle  Naturschönheiten  mit  edler 
Kunst  in  solcher  Weise  paaren,  dass  man  auch  letztere  für  Natur 
hält,  bezweifle  ich.  Die  Obstgärten  prangen  in  so  voller  Frische, 
wie  wenn  hier  der  Hundsstern  seine  sengende  Kraft  verloren  hätte, 
in  den  mit  küDStlerisch  geschmackvoller  Regellosigkeit  angelegten 
Teichen  sind  Inseln  so  glücklich  geschaffen,  die  Bäume  des  Parkes 
so  wohl  gruppiert,  die  Nuancen  ihres  Grüns  so  malerisch  ge- 
mischt und  Ruheplätze  von  so  reicher  Abwechslung  ringsum  her- 
gezaubert, dass  man  sich  in  die  Gärten  des  Paradieses  versetzt 
fühlt.  Da  giebt  es  keine  zierlich-modischen  Brückchen  und  keine 
gotischen  Türme,  die  nur  baufällig  aussehen  und  doch  kein 
altertümliches  Gepräge  besitzen,  nein,  stolze  Ruinen  sind  es,  die 
den  Geist  erheben  und  uns  nach  Griechenland  oder  ins  antike 
Rom  versetzen,  und  zwischen  dem  dichten  Walde  und  dem  wunder- 
baren See,  den  ich  neulich  malte,  strebt  ein  prächtiger  Palast 
empor,  nach  allen  Regeln  moderner  Baukunst  aufgeführt  und  in 
seinen   Sälen   die  Kunstwerke   der   Bildhauer   aller  Jahrhunderte 


—     457     — 

vereinigend.  £twaB  weiterab  liegt  eine  marmorne  Brücke,  auf  der 
alU  Denkm&ler  klassischer  Architektur  neben  Sibiriens  Sch&tzen 
prangen.  Sobald  ?rir  aus  dem  heiligen  Haine  treten,  ragt  uns  ein 
echt  gotisches  Portal  entgegen,  an  Tugend  und  Heldentum  des 
Mittelalters  gemahnend,  während  uns  von  anderer  Seite  her  sanft- 
melodische Kl&nge  zu  einem  türkischen  Pavillon  locken,  der  nicht 
nur  im  ganzen  orientalischen  Motiven  wunderbar  nachgebildet, 
sondern  auch  insbesondere  innen  reichlich  verziert  ist,  und  woselbst 
man  alle  Früchte  und  Gerichte  von  vier  Weltteilen  vorfindet  Die 
firiedlichen  Gewässer  eines  in  sanften  Windungen  dahingleitenden 
Flüsschens  entführen  uns  nun  in  ein  anderes  Land,  wir  befinden 
uns  plötzlich  mitten  in  einer  chinesischen  Ortschaft  und  finden 
diese  Illusion  gar  nicht  so  unwahrscheinlich,  wenn  wir  bedenken, 
dass  wir  in  einem  Kaiserreiche  leben,  welches  Amerika,  China, 
Polen  und  Schweden  benachbart  ist.  In  einem  anderen  Teile  dieses 
immensen  Parkes  kann  man  die  Stadt  Sofia  bewundem,  und  nach- 
dem wir  dies  alles  erschaut,  kehren  vrir  zurück,  diejenige  anzu- 
staunen, welche  jene  Märchenpracht  aus  dem  Nichts  hervorge- 
zaubert und  alles,  was  sie  vollbringt,  mit  einer  Bescheidenheit 
krönt,  die  ihren  Werken  doppelten  Wert  verleiht  Sie  sagt  stets, 
so  oft  sie  von  sich  selbst  spricht:  „Wir  armen  Ignoranten  1"  Alle 
Akademiker  £uropas  sollten  ihr  für  ein  solches  Kompliment  Dank 
bezeugen.  — 

Adieu,  ich   erfreue  mich   der   besten  Gesundheit  und   auch 
Chevalier  de  La  Colini^re  (?)  hat  sich  vollkommen  erholt  — 


IV. 

Vier  Briefe  der  Kaiserin  Maria  Feodorowna*)  von  Russ- 
land an  Baron  Grimm. 

1.  Brief.  St  Petersburg,  den  14./25.  Februar  1797. 

Herr  von  Grimm  1    Ich  beeile  mich,  Ihnen  zu  antworten,  denn 


—    458    — 

es  dr&ngt  mich,  der  Gerechtigkeit  Ihrer  GefOhle  Rechnung  zu 
tragen,  sowie  Ihnen  auch  die  meinen ,  die  ich  aufrichtig  fflr  Sie 
hege,  kundznthan.  Das  tiefschmerzliche  Andenken,  welches  Sie 
weiland  Ihrer  Majest&t  der  Kaiserin  bewahrten  and  dem  Sie  mir 
gegenüber  Ausdruck  zu  geben  beliebten,  gew&hrt  Ihnen  noch  mehr 
Anrecht  auf  meine  Hochachtung,  denn  Dankbarkeit  ist  und  bleibt 
die  erste  aller  Tugenden,  die  Basis  der  wahren  Zuneigung,  des 
teuersten  Gutes  der  Menschheit  und  des  höchsten  GlQckes  Be- 
gründerin. Ihre  Grundsätze,  mein  Herr,  flössen  uns  das  grösste 
Vertrauen  ein,  und  Sie  werden  den  Ausdruck  desselben  auch  im 
Briefe  des  Kaisers  vorflnden,  dem  ich  mich  Ihr  Schreiben  mitzu- 
teilen beeilte.  Noch  mehr  dürften  Sie  es  aus  der  ganz  besonderen 
Mission  ersehen,  mit  der  ich  Sie  jetzt  betraue :  o,  übernehmen  Sie 
freundlichst,  mein  Herr,  die  Austeilung  der  leider  nur  kleinen 
Hilfeleistungen,  die  ich  der  Unterstützung  unserer  armen  Emi- 
granten weihe,  welche  durch  ihre  Grundsätze  und  ihre  Lebens- 
führung gewiss  die  vollste  Hochachtung  verdienen.  Herr  von  Nicolai 
wird  Ihnen  am  nächsten  Posttage  einen  Wechsel  auf  3000  Rubel 
aus  meiner  Privatschatulle  zugehen  lassen.  Weitere  2000  Rubel 
werden  Sie  zu  demselben  Zwecke  im  September  erhalten  und 
können  überhaupt  mit  Bestimmtheit  darauf  rechnen,  alljährlich  die 
gleiche  festgesetzte  Summe  von  5000  Rubel  aus  meinen  persön- 
lichen Einkünften  zu  empfangen ;  nur  möchte  ich  Sie  bitten,  mich, 
wenn  es  nicht  unumgänglich  notwendig  sein  sollte,  niemandem  zu 
verraten,  denn  es  wäre  in  der  That  mein  sehnlichster  Wunsch, 
dass  die  Quelle  dieser  Hilfeleistungen  unbekannt  bliebe.  Alle  mir 
etwa  von  Emigranten  zugehenden  Bittgesuche  will  ich  Ihnen  gleich- 
falls persönlich  einsenden.  Da  Sie  sich  ja  mitten  unter  jenen  be- 
finden, so  können  Sie  noch  am  ehesten  die  Bedürftigsten  heraus- 
wählen und  beteilen.  Mit  der  nächsten  Post  annonciere  ich  Ihnen 
drei  Antwortschreiben  meiner  Feder,  das  eine  für  Frau  Fürstin 
von  Chimay,  die  beiden  anderen  für  die  zwei  Damen  von  Beauregard 
(Schwestern  des  unglücklichen  Roche-Jacquelin,  der  in  der  Vend^e 
fiel)  und  für  Belsunce;  die  erstere  bittet  mich  nur  um  einige  Unter- 


—    459     — 

Btatziingen,  am  sie  austeilen  za  können,  die  zwei  anderen  Damen 
benötigen  es  jedoch  für  sich  selbst  Sie  werden  wohl  so  freund- 
lich sein,  diesen  dreien  die  Summen,  die  ich  Ihnen  anweisen  werde, 
zu  flberroitteln.  Ich  lege  Ihnen  besonders  Madame  de  la  Roche- 
lambert ans  Herz,  deren  Schicksal  mich  ausserordentlich  inter- 
essiert. 

Schreiben  Sie  mir  nur  recht  oft,  mein  Herr,  Ihre  Briefe  er- 
frischen mir  Kopf  und  Herz,  werden  stets  freudig  aufgenommen 
und  bieten  mir  die  angenehme  Gelegenheit,  Ihnen  jene  Gefühle 
der  Hochachtung  stets  aufs  neue  auszudrücken,  die  für  Sie  hegt 

Ihre  wohlgewogene  Marie. 

den  25.  Februar  1797. 
Ich  öffne  meinen  Brief  noch  einmal,  um  jenen  Wechsel  bei- 
zulegen, den  ich  Ihnen  durch  Nicolai  zu  senden  versprach;  da  aber 
der  Kaiser  einen  Courier  an  Sie   abzuschicken  beabsichtigt,  so 
mache  ich  mir  gleich  diese  Gelegenheit  zu  nutze. 

2,  Brief.*)  den  1.  M&rs  1797. 

Mein  Herr!    Ihren  Brief  erhielt  ich  soeben  und   beeile  mich, 

ihn  sofort  zu  beantworten,  trotzdem  ich  unserer  heutigen  Abreise 

nach  Moskau  wegen  sehr  beschäftigt  bin.   Sie  ersahen  aus  meinem 

letzten  Schreiben  die  Arrangements,  die  ich  traf,  und  ich  hoffe, 

Sie  werden  dadurch  in  den  Stand  gesetzt,  mehreren  die  so  ersehnte 

Hilfe  zu  leisten.    Ich  bin  überzeugt,  dass  Sie  Ihre  erste  Sorge  der 

Frau  von  Rochelambert  zuwenden  werden,  der  ich  Sie  auch  das 

hier  Eingeschlossene,  von  dem  ich  Ihnen  eine  Abschrift  sende,  zu 

übermitteln  bitte.    Wenden  Sie  sich  nur  in  allen  Fällen  Vertrauens« 

voll  an  mich,  Herr  Baron.  Ihre  Briefe  sind  immer  willkommen,  und 

ich  werde  stets  jede  Gelegenheit  ergreifen,  die  mir  ermöglicht,  Sie 

des  Ausdruckes  meiner  Hochachtung  zu  versichern,  mit  der  ich 

verbleibe 

Ihre  wohlgewogene  Marie. 


—    460    — 

8.  Brief.*)  Pawlowska,  den  30.  August  1801. 

Herr  Baron  von  Grimm! 
Ich  ersuche  Sie,  der  Frau  Fürstin  von  Chimay  fOr  ihre  An- 
stalt zu  Erfurt  aus  meiner  Emigranten-Kasse  dieselbe  Summe,  wie 
letztesmal,  zu  bewilligen,  sobald  sie  es  verlangen  wird.    Gehaben 
Sie  sich  wohl  und  seien  Sie  wieder  meiner  Hochachtung  versichert. 

Ihre  wohlgewogene  Marie. 

Ich  erhielt  soeben  Ihren  Brief  mit  dem  Ausweise  über  den 
Verbrauch  der  Summen  und  kann  Ihre  Umsicht  nicht  genug  loben, 
sowie  ich  auch  sehr  gerührt  über  die  rücksichtsvolle  Art  und  Weise 
bin,  mit  der  Sie  die  Unterstützungen  austeilen.  Mit  diesen  wenigen 
Zeilen  wünschte  ich  Ihnen  meine  Dankbarkeit  hiefür  auszudrücken. 
Desgleichen  empfehle  ich  mich  auch  Ihren  beiden  liebenswürdigen 
Sekretären.**) 

Frau  von  Chimay  hat,  wie  sie  mir  schrieb,  die  Emigranten 
zu  Erfurt  einer  Ihnen  wohlbekannten  und  von  Ihnen  sehr  ge- 
schätzten Persönlichkeit  anvertraut,  und  Sie  werden  gewiss  die 
Güte  haben.  Letzterer  die  gewöhnlichen  Unterstützungen  für  die 
Erfurter  Kolonie,  deren  Versorgung  ihr  nun  obliegt,  zu  über- 
mitteln. 

Sobald  mein  Sohn  sich  für  die  Angelegenheiten  des  Herrn 
von  Bueil  interessiert,  können  Sie  überzeugt  sein,  mein  Herr,  dass 
ich  mit  Freuden  trachten  werde,  ihm  nützlich  zu  sein. 

4.  Brief.  St.  Petersburg,  den  15.  März  1802. 

Herr  Baron,  mit  Recht  beklagen  Sie  sich  über  mein  Schweigen, 
dessen  ich  mich  ja  selbst  beschuldige  und  das  ich  mir  stets  vor- 
werfe, doch  Sie  werden  wohl  aus  eigener  Erfahrung  wissen,  dass 
eine  durch  schmerzliche  Erinnerungen  ganz  niedergedrückte  Seele 
nicht  so  thätig  sein  kann  und  lieber  in  innerer  Beschaulichkeit 
verweilend  sich  stets  ihre  teuren  Toten  ins  Gedächtnis  zurückruft, 
denen  unser  Herz,  unsere  Seele,  unser  ganzes  Leben  geweiht  ist, 


—     461     — 

obwohl  sie  schon  das  Grab  iimschliesst.  Jede  Beschäftigang  ist 
einem  zuwider,  nnd  man  hat  die  Schwäche,  man  begeht  den  Fehler 
(denn  es  ist  ja  doch  sicherlich  einer),  alle  Antwort  auf  den  nächsten 
Tag  zu  verschieben.  Ich  werde  mich  gewiss  bessern,  Herr  Baron, 
und  es  wird  ni^  mehr  so  etwas  vorkommen.  Doch  glauben  Sie 
beileibe  nicht,  dass  diese  meine  Trägheit  im  Briefschreiben  die 
Gefühle  meines  Herzens  beeinflnsst,  nein  gewiss  nicht,  mehr  als 
je  beschäftigt  mit  dem  Unglück  unserer  liebwerten  Freundin*), 
habe  ich  diese  Empfindungen  meinem  ausserordentlich  gütigen 
Sohne  zu  wissen  gegeben  und  ihn  beschworen,  diese  personifizierte 
Tugend  zu  schützen;  er  versprach  es  mir  bereitwilligst  und  gab 
sofort  die  nötigen  Befehle.  Gestern  erneuerte  ich  die  gleiche 
Bitte  abermals,  und  er  versicherte,  dass  er  sich  noch  näher  damit 
befassen  wolle.  Ich  gestehe  Ihnen  femer,  Herr  Baron,  dass  ich 
während  der  Audienz  des  Herrn  von  Calincourt  das  Gespräch  auf 
diese  meine  Freundin  zu  lenken  wusste  nnd  mit  ihm  über  sie 
voll  von  jener  regen  Anteilnahme  sprach,  die  sie  uns  ja  einflössen 
muss.  Nun  komme  ich  auf  den  Wunsch  meiner  teueren  Freundin 
zu  reden,  dahingehend,  einen  ihrer  Söhne  im  Dienste  des  Kaisers 
unterzubringen;  Sie  würden  wohlthnn,  Herr  Baron,  sie  von  diesem 
Schritte  und  von  dieser  Idee  abzubringen.  Dies  ist,  wie  Sie  wohl 
einsehen  werden,  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  in  jeder  Be- 
ziehung ganz  unthunlich:  sein  Rang,  seine  Charge  und  die  böse 
Erinnerung  an  seinen  Vater  dürften  wohl  die  Haupthindemisse 
sein,  und  nach  reichlicher  Ober  legung  werden  Sie  mir  wohl  bei- 
stimmen. 

Es  bereitet  mir  ein  grosses  Vergnügen,  Sie,  Herr  Baron,  zu 
bitten,  unserer  werten  Freundin  bekannt  zu  geben,  dass  alle  ihre 
sonstigen  Wünsche  Gesetze  sein  werden  für  ein  Herz,  das  so  ganz 
von  Liebe  und  Interesse  für  sie  eriüllt  ist;  auch  verpflichte  ich 
mich  für  den  Fall  ihres  Ablebens  (es  schmerzt  mich  tief,  dieses 
Wort  aussprechen  zu  müssen),  ihrer  Tochter,  der  Prinzessin,  eine 
Pension  von  dreitausend  Rubel  auszuzahlen,  nnd  zwar  bis  zum 
Augenblicke  einer  dauernden  besseren  Versorgung,  sei 


—     462     — 

es  nun  darch  eine  Heirat  oder  darch  Rückkehr  nach 
Frankreich  and  Besitzergreifung  der  Gflter  ihrer 
Matter.  Bitte,  behalten  Sie  diese  Versichernng  wohl  im  Ge- 
dächtnis, Herr  Baron,  denn  Sie  begreifen  ja  wohl,  dass  es  mir 
unmöglich  ist,  persönlich  ihr  davon  Mitteilung  zn  machen.  Ich 
schliesse  neuerdings  einen  Betrag  für  sie  bei,  und  es  wird  mir 
grosse  Freude  bereiten,  wenn  Sie  ihr  die  Versicherung  meiner 
innigsten  und  treuesten  Liebe  bei  Oberreichung  desselben  geben 
würden.  Die  letzten  Zeitungsnachrichten  machen  mich  ernstlich 
besorgt  um  ihre  Gesundheit,  desgleichen  schmerzt  mich  auch  die 
Entmutigung  sehr,  die  aus  ihrem  letzten  Briefe  spricht ,  denn 
dieser  Zug  liegt  sonst  gar  nicht  in  ihrem  Charakter,  der  allen 
Widerwärtigkeiten  stets  Mut  und  Energie  entgegenzusetzen  pflegte. 
Ich  sehe  Ihren  weiteren  Nachrichten  mit  der  grössten  Ungeduld 
entgegen  und  werde  sie  stets  umgehend  beantworten»  inzwischen 
bitte  ich  auÜB  neue  die  Versicherung  hinzunehmen,  dass  ich  bin 
und  immerdar  verbleibe 

Ihre  wohlgewogene  Marie. 
Ihrer  liebensvrürdigen  Familie*)  meine  besten  Empfehlungen. 
Ich  siegelte  diesen  Brief  nicht  mit  meinem  Wappen,  um  nicht  am 
Ende  die  arme  Freundin  zu  kompromittieren;   bitte  ihn  gefälligst 
in  Ihre  Enveloppe  zu  schliessen. 


V. 

Zwei  Briefe  von  Kaiser  Alexander  I.  von  Russland 

an  Baron  Grimm. 

1.  Brief. 

Ihre  Ansprüche  auf  meine  besondere  Hochachtung  sind  zu 
mächtig,  und  Sie  wissen  sie  nur  zu  sehr  zu  schätzen,  als  dass  es 
nötig  wäre,  Sie  hier  derselben  noch  einmal  zu  versichern.  Ich 
will  Ihnen  demnach  nur  von  dem  Genüsse  erzählen,  der  mir  bei 


—     463     — 

Empfang  Ihres  Briefes  zuteil  wurde,  sowie  von  der  Rührung,  die 
mich  überkam,  als  Sie  mir  die  glücklichen  Zeiten  ins  Gedächtnis 
zurückriefen,  da  ich,  frei  von  allen  Sorgen,  welche  ja  stets  die 
Throne  umschweben,  die  hohen  Gaben  meiner  Grossmutter  bewun- 
derte, deren  Bild  Sie  mir  wieder  in  so  schönen  Zügen  vor  die 
Seele  zauberten.  Die  Erinnerung  an  sie  wird  für  mich  immer 
eine  Quelle  wunderbarster  Freude  sein.  Sie  werden  dieselbe 
immer  in  mir  erwecken,  wenn  Sie  mir  so  von  Zeit  zu  Zeit  über 
sie  schreiben,  und  dieser  Dienst  ist  der  grösste,  den  Sie  mir 
persönlich  zu  leisten  im  stände  sind.  Ich  will  ihn  immer  aner- 
kennen, und  der  Mann,  der  beständig  der  Güte  und  Liebe  unserer 
unsterblichen  Katharina  genoss,  wird  stets  das  erste  Anrecht  auf 
meine  Hochachtung  haben.  Ich  grüsse  auch  auf  das  Freundlichste 
Ihren  liebenswürdigen  Sekretär,  welcher  in  so  vollkommener  Weise 
seine  Aufgaben  erledigt. 

Ihr  ergebener  Alexander. 

St.  Petersburg,  den  2.  Mai  1801. 

2.  Brief. 

Herr  Baron  von  Grimm  1  Mit  aufrichtiger  Freude  erhielt  ich 
Ihren  Brief  vom  15./27.  September  und  bin  Ihnen  sehr  dankbar 
für  die  freundlichen  Glückwünsche ,  die  Sie  darin  aussprechen. 
Mein  höchstes  Glück  wäre  das  Wohlergehen  des  Volkes,  das  mir 
anvertraut  ist,  und  der  grösste  Lohn  für  alle  Mühen  und  Sorgen, 
die  mir  die  Krone  auferlegt,  Friede  und  Wohlstand  in  meinen 
Staaten.  Die  Geschichte  kümmert  sich  nur  um  grosse  Thaten, 
mein  werter  Baron,  und  die  Herren  Historiker  lieben  es,  ihre  Federn 
in  das  Blut  zu  tauchen,  das  in  grossen  Strömen  auf  Schlachtfeldern 
fliesst!  —  W^ie  würde  ich  von  Herzen  wünschen,  nicht  um  diesen 
Preis  ihr  Lob  zu  gewinnen,  und  wie  willig  möchte  ich  auf  jeden 
Platz  in  ihren  Schriften  verzichten,  um  nur  den  einzunehmen, 
welchen  mir  die  Dankbarkeit  in  den  Herzen  meiner  Völker  sichert. 
Meine  Bitte  wiederholend,   mir  recht  bald   wieder  Nachrieht  über 


—     464     — 

sich  nnd  Ihr  Thnn  and  Treiben  znkommen  la  lassen,   yersichere 
ich  8ie  aoÜB  nene  freudig  meiner  immerwährenden  Hoehachtong. 

Alexander. 
St  Peiersborg,  den  20.  September  1801. 


VI. 

Ein  Brief  des  Herzogs  Ernst  IL"*)  von  Sachsen  -  Gotha 

an  Baron  Grimm. 

Ich  bin  thatsächlich  ganz  verblOfFt,  mein  lieber  nnd  wflrdiger 
Freund,  über  alle  Ihre  netten  und  schmeichelhaften  Danksagungen, 
die  Sie  mir  für  meine  Schmiralie  vom  8.  M&rz  zuteil  werden 
Hessen,  nnd  befinde  mich' momentan  in  der  Lage  des  ^.Bourgeois 
Gentilhomme,**  da  er  eben  inne  wurde,  dass  er  ein  Schriftsteller  sei, 
ohne  es  zu  wissen.  Ich  kann  mich  noch  nicht  von  meinem  Er- 
staunen darüber  erholen,  dass  mir  so  viele  erhabene  Dinge  bei- 
fallen konnten,  als  ich  Ihnen  darin  mitteilte.  Eigentlich  wollte 
ich  ja  nichts  anderes,  als  nur  mein  Herz  in  den  Busen  eines 
Freundes  ausschütten;  ich  habe  Ihnen  lediglich  Ideen  mitgetheilt, 
die  in  meiner  Seele  auftauchten,  ohne  dass  ich  denselben  auch 
nur  das  geringste  Verdienst  beigemessen  h&tte,  und  es  beglückt 
mich  überaus,  in  meiner  Anschauungs-,  Denkungs-  und  Fühlungs- 
weise über  so  manche  Punkte  mit  einem  Freunde  übereinzustimmen, 
dem  ich  die  höchste  Liebe  und  Achtung  zolle  schon  seit  dem 
ersten  Augenblicke,  der  mich  an  ihn  mit  treuer  Anhänglichkeit 
kettete.  0,  könnte  ich  nur  mein  Leben  lang  Ihr  Vertrauen  und 
Ihre  Billigung  verdienen,  das  wäre  der  süsseste  Trost  meines 
Daseins,  das  mir  sonst  ohnehin  genug  Bitterkeiten  bietet.  Und 
wer  bliebe  auch  je  von  solchen  verschont!  Meine  Stellung  ist  un- 
zweifelhaft Dur  umso  beschwerlicher,  als  ich  mich  ganz  vereinsamt 
fühle,  ohne  eine  andere  Ansprache,  als  mein  armes,  schwaches 


—     465     — 

Herz,  ein  Herz,  so  voll  gerechter  oder  ungerechter  Yorarteile, 
welche  ihm  Eräehong  oder  Umgebung  während  meines  bisherigen 
Erdenwallens  einimpften.  Alle  meine  Fehler  und  falschen  Schritte, 
doch  auch  das  Oute,  das  ich  hienieden  gewirkt,  all  dies  hat  keine 
andere  Quelle  gehabt  und  keine  anderen  Entwicklungsgründe; 
jemehr  ich  hierüber  nachdenke,  destomehr  dr&ngt  sich  mir  die 
Überzeugung  auf,  dass  mein  Seelenzustand  mehr  Mitleid,  als  den 
allzustrengen  Tadel  der  Philosophen  verdient.  Und  gar  jetzt  in 
diesen  kritischen  und  stürmischen  Zeiten  am  Ende  des  achtzehnten 
Jahrhunderts,  da  sich  unser  Gesichtskreis  ganz  und  gar  veränderte 
—  man  denke  nur  der  Ansichten,  die  vor  vierzig  oder  fünfzig 
Jahren  vorherrschten  und  der  jetzigen!  —  Ihre  Weisheit,  mein 
verehrter  Freund,  erkenne  ich  an  dem  Rate,  den  sie  dem  Gatten 
ihres  liebenswürdigen  Mündels*)  gaben:  zu  seinem  heimatlichen 
Herde  zurückzukehren,  um  dessen  g&nzliche  Zerstörung  zu  ver- 
hindern ;  auch  andere  Emigranten  thaten  das  gleiche,  wie  uns  die 
Blätter  berichten,  und  mir  scheint  die  Lage  derselben  um  nichts 
gefährlicher,  als  die  der  Entflohenen,  die,  überallhin  verfolgt,  ihr 
Hab  und  Gut  und  vielleicht  auch  das  Leben  aufs  Spiel  setzen, 
und  ihre  Schlussfolgerung  zeigt  sich  als  die  richtigste ,  die  uns 
Vernunft  unter  solchen  Umständen  eingeben  konnte.  Was  ihr 
liebenswürdiges  Mündel  betrifft,  so  wird  sie  uns  in  Gotha  stets 
willkommen  sein,  wenn  Sie  je  daran  denken  sollten,  sie  für  einige  Zeit 
herzubringen,  desgleichen  versichere  ich  Sie  meines  guten  Willens,  ihr 
den  Aufenthalt  bei  uns  so  angenehm  als  möglich  zu  gestalten,  und 
dasB  es  mich  sehr  freuen  würde,  ihre  Bekanntschaft  zu  machen. 
Wenn  Sie,  mein  liebenswürdiger  Freund,  meine  Hoffnung,  Sie  in  einem 
oder  zwei  Monaten  bei  mir  zu  sehen,  in  Erfüllung  gehen  lassen, 
so  werden  Sie  sodann  übrigens  selbst  am  besten  beurteilen  können, 
ob  die  für  jene  bereitgehaltene  Wohnung  samt  Zubehör  ihr  zu- 
sagen dürfte.  Ich  befürchte  jedoch,  das  Für  und  Wider  dieses  mir 
so  angenehmen  Projektes  abwägend,  dass  Sie  am  Ende  noch  einen 
anderen  Entschluss  fassen.  Wir  sind  ja  unbeständig  1  —  Diese 
Aussichten  bereiten  mir  eine  solche  Freude,  dass  ich  beinahe  be- 

Carl  Graf  Obcradorff,  Kriui«raBf«a  «inM  Urgroiamottor.      30 


—     466     — 

fürchte,  dass  ich  umsonst  gehofft;  ich  wage  jetzt  schon  kaum  mehr, 
davon  zu  reden,  Sie  werden  sich  ja  wohl  mit  dem  Ihnen  so  eigenen 
Scharfsinne  am  hosten  in  meine  Lage  versetzen  können.  Der  Ge- 
danke, mich  jenem  Manne  n&her  zu  wissen,  den  ich  von  allen 
Sterblichen  am  meisten  liebe,  ehre  nnd  sch&tze,  nnd  dessen  liebe- 
volle Ratschlftge  mir  nun  fflrder  zum  grössten  Nutzen  nnd  Tröste 
gereichen  werden,  ist  zu  schOn  und  zn  schmeichelhaft,  als  dass 
ich  den  Mut  f&nde,  mich  ihm  von  ganzem  Herzen  hinzugeben. 
Noch  alle  Luftschlösser  brachen  mir  zusammen,  nnd  mein  Glflck 
und  meine  Zufriedenheit  haben  stets  noch  so  schwere  Enttäuschungen 
im  Gefolge  gehabt,  dass  ich  mich  bis  jetzt  noch  nicht  davon  er- 
holen konnte.  Sie  werden  am  besten  darüber  urteilen  können,  mein 
liebster  Freund,  wenn  es  mir  endlich  vergönnt  sein  wird,  Ihnen 
alle  diese  Sorgen,  die  mich  bedrflcken,  mflndlich  anzuvertrauen. 
Ja,  mein  würdigster  Freund,  Sie  schmeicheln  mir  schon  dadurch 
auf  die  rührendste  und  gefühlvollste  Weise,  dass  Sie  mir  Ihre 
finanziellen  Angelegenheiten  so  offen  darzulegen  belieben.  Und 
ich  will  Ihnen  beweisen,  dass  ich  nur  begehre,  Ihrem  Vertrauen 
zu  entsprechen  und  mich  dessen  vor  ihren  Augen  würdig  zn  zeigen. 
Mit  grösster  Freude  bewillige  ich  das  Darlehen,  welches  Sie  von 
mir  begehren,  und  werde  Herrn  Möller  erm&chtigen,  Ihnen  jene 
Vorschüsse  zu  übermitteln,  welche  Sie  die  Gewogenheit  haben 
werden,  von  ihm  zn  verlangen,  und  um  Sie  völlig  zu  beruhigen, 
denn  ich  kenne  nur  zu  gut  den  hohen  Grad  Ihres  Zartgefühls, 
will  ich  Ihnen  auf  Wucher  leihen;  nur  über  den  Zinsfuss  werden 
wir  Mühe  haben,  uns  zu  verständigen.  Sie  bieten  mir  5®/o  Inter- 
essen an,  darauf  habe  ich  nur  eine  Bemerkung  zn  machen,  näm- 
lich, dass  Sie  leicht  in  Gotha  gegen  die  nötige  Sicherstellung  selbst 
bedeutende  Summen  gegen  3®/o  geliehen  bekämen;  und  wollen  Sie 
denn,  dass  ich  wucherischer  meine  Zinsen  berechne,  als  die  anderen 
Kapitalisten  in  Gotha?  Fast  alle  Gelder,  welche  man  hier  in  öffent- 
lichen Banken  oder  privat  anlegt,  tragen  selten  höhere  Interessen; 
ich  habe  selbst  mehrere  zu  diesem  Zinssatze  ausgeliehen.  Nur 
dann  ging  ich  von  dieser  Regel  ab,  wenn  ich  voraussetzen  mnsste, 


—     467     — 

dass  der  Ausleiher  selbst  dlimit  gewinnen  könne;  dem  hiesigen 
Apotheker  sowie  dem  Buchhändler  habe  ich  zu  vier  Prozent  ge- 
borgt, bei  Ihnen  jedoch,  mein  würdiger  Frennd,  befürchte  ich 
leider,  dass  Sie  sich  nicht  in  der  gleichen  Lage  befinden  and  dass 
Sie  nicht  dies  Anlehen  bei  Ihrem  Freunde  machen,  am  damit  nur 
auf  gut  Glück  zu  spekulieren.  Es  w&re  mir  zwar  am  liebsten, 
wenn  Sie  es  ohne  alle  Zinsen  von  mir  annehmen  würden,  aber  ich 
kenne  Ihr  Zartgefühl  in  dieser  Richtung,  doch  würde  ich  demselben 
nicht  Rechnung  tragen,  wenn  ich  hierbei  ein  Vorrecht,  wie  Katha- 
rina II.  beanspruchen  würde,  Sie  mögen  mir  daher  drei  Prozent 
Interessen  pro  Jahr  leisten,  und  zwar  für  jene  kleinen  Summen» 
welche  Ihnen  Herr  Möller  in  meinem  Namen  vorstrecken  soll,  und 
die  Sie  mir  ganz  nach  Ihrem  Belieben  zurückerstatten  können.  Ich 
hoffe  also,  mein  würdiger  und  verehrter  Freund,  auf  diese  Weise 
Ihrem  Charakter  und  Ihren  Wünschen  gerecht  geworden  zu  sein. 
0  mein  Freund!  Diese  Ermordung  Gustavs  III.,  welch  neue 
und  schreckliche  Katastrophe  1  Er  ist  wohl  nicht  der  Mann,  den 
ich  schätzen  könnte,  dessen  Leitung  ich  mich  anvertrauen,  oder 
fQr  den  ich  einstehen  möchte,  aber  er  ist  doch  ein  Mensch  und 
ein  tapferer.  Wenn  Klagen  gegen  ihn  erhoben  werden  können 
—  und  sicherlich  giebt  es  solche  verschiedener  Art  —  warum  er- 
greift man  ihn  nicht,  macht  ihm  einen  Prozess  und  richtet  ihn 
dann  als  Meineidigen  und  Usurpator?  Es  giebt  sogar  Viele,  welche 
behaupten,  dass  er  nacheinander  Vater  und  Mutter  durch  Gift 
aus  dem  Wege  rftumte.  Sind  diese  Anschuldigungen  thats&chlich 
begründet,  dann  wftre  er  zweifellos  schuldig  und  überreif,  vor  ein 
gesetzmftssiges  Gericht  gestellt  zu  werden.  In  meinen  Augen  ist 
jedoch  der  Mord  selbst  für  die  eine  Verruchtheit  und  ein  unwürdiges 
Behelfsmittel,  welche  einen  Grund  haben,  ihn  zu  hassen  und  za 
verfolgen.  Oberhaupt  scheint  eine  allgemeine  Verschwörung  gegen 
alle  Monarchen  Europas  zu  bestehen,  und  es  wird  verbreitet,  dass 
Katharina  wohl  Leopold  ins  Grab  folgen  könnte.  Anonyme  Briefe 
prophezeihen  dies  öffentlich.  Nach  meiner  Ansicht  ist  die  Todes- 
ursache Leopolds  II.  keineswegs  so  offenkundig  klargestellt,  dass 

80* 


—     468     — 

sie  ganz  frei  vom  Verdachte  w&re,  die  Folge  einer  Vergiftang  za 
sein.  Anbei  der  Auszug  eines  Briefes  ans  Kopenhagen,  der  diese 
meine  Ansicht  nnr  zn  bekräftigen  scheint.  Herr  Dr.  Munter  schrieb 
ihn,  der  Sohn  jenes  bekannten  Munter,  der  Struensee  noch  vor 
seiner  Hinrichtung  bekehrt  zu  haben  behauptet.  Dieser  ältere 
Munter,  zn  Lübeck  geboren,  wirkte  auch  hier  einige  Jahre  als 
Pastor.  Kr  ehelichte  ein  Fräulein  von  Wangenheim,  die  Matter 
des  oben  erwähnten  jungen  Mannes,  der  zn  Gotha  das  Licht  der 
Welt  erblickte.  Dieser  Ehe  entsprossen  auch  noch  zwei  Töchter, 
von  denen  die  eine  bereits  in  Dänemark  verheiratet  ist.  Munter 
senior  war  Superintendent  oder  erster  Pastor  in  Tonna,  woselbst 
er  einem  grossen  Pfarrsprengel  vorstand.  Später  wurde  er  nach 
Dänemark  berufen  und  acceptierte  dies  Anerbieten.  Vor  einigen 
Jahren  führte  ihn  sein  Weg  hier  durch,  als  er  seine  alten  Freunde 
und  die  Bekannten  seiner  Fran  wiedersehen  wollte.  In  seiner 
Art  ist  er  ein  verdienstvoll  er  Mann,  guter  Prediger  nnd  sogar  Dichter. 
Sein  wackerer  und  wissenschaftlich  sehr  gebildeter  Sohn  bereiste 
auf  Kosten  des  Königs  längere  Zeit  Italien  und  Sizilien  und  machte 
dortselbst  verschiedene  litterarhistorische  Entdeckungen,  die  er 
veröffentlichte.  Er  ist  zwar  ein  recht  exaltierter  Kopf,  doch  mir 
sehr  anhänglich;  auch  er  dichtet.  Nun  bleibt  mir  nichts  mehr 
übrig,  als  Ihnen,  wertgeschätzter  Freund,  die  Versicherung  meiner 
treuen  und  innigen  Zuneigung,  die  ich  Ihnen  mein  Leben  lang 
bewahren  werde ,  zn  erneuern.  0  möchte  nur  der  Augenblick 
recht  nahe  sein,  der  Sie  in  die  Arme  Ihres  liebenden  und  dank- 
baren Freundes  führt.  Ich  hege  gleichzeitig  die  heissesten  und 
innigsten  Wünsche ,  dass  alles  zu  Ihrer  Zufriedenheit  ausfallen 
und  dass  Ihr  liebenswürdiges  Mündel  die  gewünschte  Ruhe  finden 
möge.  0  möchte  Sie  Ihre  Reise  nach  Karlsbad  uns  noch  recht 
lange  bewahren  zum  Glücke  aller  derer,  die  Ihrer  Ratschläge  und 
Ihrer  väterlichen  Fürsorge  bedürfen. 

den  4.  April  1792. 


Zweiter  Anhang. 

Gontrat   de  Mariage 

entre  Monsieur  le  Comte  de  Bueil  et  Madame  la  Gomtesse 

de  Belsunce: 

Par  devant  leg  Gonseillers  da  Roi  Notaires  aa  Chatelet 
de  Paris  soussigiii^s  furent  pr^sents. 

Tr^s  haut  Tr^s  puissant  Seigneur  Alexandre  Louis 
Auguste.  Du  Roux  de  Chevrier,  Comte  SouTerain  de  Bueil 
en  Pi^mont,  Seigneur  de  Courtemont  -  Varennes  et  pour 
moiti^  de  Boulages,  sous  lieutenant  en  premier  au  Regiment 
des  gardes  frangaises ,  demeurant  ordinairement  en  son 
chäteau  de  Varennes  prös  Ch&tean  Thierry,  diocdse  de  Sois- 
sons,  ^tant  de  present  k  Paris,  log^.  rue  cloche  perche 
paroisse  St.  Paul,  mineur,  6mancip<^  d'dge,  fils  de  defunts 
Tr^s  haut,  Trös  puissant  Seigneur  Robert  Gabriel  Du  Roux 
de  Ghevrier,  Marquis  de  Varennes,  Seigneur  de  Gourtemont- 
Varennes,  Tftchy  et  autres  lieux,  et  de  Tris  haute,  Trös 
puissantc  Dame  Marthe  Eleonore  Du  Roux  de  TAchy 
decedf^e,  son  6pouse.  Ledit  Seigneur  Gomte  de  Bueil  proce* 
dant  sous  Tautoritd  et  assistance  de  rillustrissime  fröre 
Gharles  Marie  Du  Roux  de  Ghevrier  de  Varennes,  son  oncle, 
Seigneur  de  Verden,  Gheyalier  profös  de  TOrdre  de  St  Jean 
de  Jerusalem ,    Gommandeur   de   Saint   Mauris ,    demeurant 


—    470    — 

k  Paris,  rue  Portefoin,  paroisse  8t  Nicolas  des  Champs,  au 
nom  et  comme  procureur  de  Trös  haut,  Tr6s  puissant  Seig- 
neur  Charles  Jean  Du  Roux  de  Chevrier  Comte  de  Yerdon, 
Yicomte  de  Couyrel,  Seigneur  du  dit  Heu  et  de  rEchelle  le 
franc,  ancien  capitaine  au  Regiment  du  Boi  Infanterie, 
Gheyalier  de  TOrdre  Royal  et  militaire  de  St.  Louis,  demeu- 
rant  ordinairement  en  son  ch&teau  de  CouYrel,  suiyant  sa 
procuration  speciale  k  Teffet  des  präsentes,  pass^e  ensuite 
du  projet  des  principaux  articles  du  contrat  de  manage  cy 
aprds  devant  lescur  de  son  confrdre,  No'*'  Royaux  de  Ch&teau 
Thierry.  Ge  dix  mars  präsent  mois,  laquelle  procuration 
ledit  Seigneur  Comte  de  Yerdon  a  ainsi  donn^e  en  qualit^ 
de  tuteur  ad  hoc  dudit  Seigneur  Comte  de  Bueil,  son  neveu; 
nomm^  de  Tavis  des  Seigneurs  ses  parents  et  amis,  homo- 
loguö  par  sentence  de  Monsieur  le  Lieutenant  g^n^ral  an 
Baillage  de  Ch&teau-Thierry  du  möme  jour  dix  mars  präsent 
mois,  par  laquelle  ledit  Seigneur  Comte  de  Yerdon  a  accept^ 
lad.  qualitä,  la  grosse  de  laquelle  sentence  et  le  brevet  ori- 
ginal de  lad.  procuration  scellös,  controll^s  et  l^galis^s  ont 
6te  certifids  v^ritables,  signes,  paraphes  et  diposes  pour 
minute  k  Mr.  Chaudot,  Tun  des  notaires  soussign^s,  par  acte 
du  seize  Mars  pr<^sent  mois,  ensuite  d^un  autre  du  quatre  du 
m^me  mois. 

Ledit  Seigneur  Comte  de  Bueil  stipulant  pour  lui  et  en 
son  nom  d'une  part: 

Trös  haut,  Trös  puissant  Seigneur  Dominique  de  Bel- 
sunce  Yicomte  de  M^hann  en  Basse  Navarre,  grand  bailly 
du  pays  de  Mixe,  mestre  de  camp  d'Lifanterie,  Cheyalier  de 
rOrdre  Royal  et  militaire  de  St.  Louis,  demeurant  k  Paris, 
rue  St.  Honor^,  paroisse  St.  Roch  stipulant  tant  en  son  nom 
personnel  qu'en  celui  de  Tris  haute,  Tr^s  puissante  Dame 


—    471     — 

Ang^Hque  Louise  Charlotte  Delaliye  d'Epinay,  Yicomtesse 
de  Belsunce  son  epouse,  Dame  de  Bueil  la  Chevrette  et 
d'autres  lieux,  (^iant  de  pr<^8ent  au  ch&teau  de  M^harin,  con- 
fomK^ment  k  un  acte  pass^  devant  led.  Mr.  Chaudot  No'*, 
qui  en  a  minute  et  son  confr^re,  le  trois  Mars  mil  sept  cent 
quatre-Tiugt  cinq,  pour  Tr^s  haute,  Tr^s  puissante  Demoiselle 
Marie  Ren6e  Th^röse  Emilie  de  Belsunce,  Demoiselle,  leur 
fille  mineure,  chanoinesse  do  chapttre  noble  de  TArgenti^re, 
80U8  le  nom  de  Gomtesse  Emilie,  fille  d'honneur  de  sa 
Majest6  rimp£ratrice  de  Russie,  demeurante  k  TAbbaye 
royale  St.  Antoine,  grande  nie  du  faubourg  St  Antoine, 
paroisse  St  Marguerite,  k  ce  präsente  et  de  son  consente- 
ment.  Stipulante  aussi  pour  eile  et  son  nom  d*autre 
part 

Et  Fr£d6ric  Melchior  Baron  Grimm  de  Grimmhof  et  du 
Saint  Empire,  Conseiller  d'Btat  de  Sa  Majest^  Tlmp^ratrice 
de  Russie,  Ministre  pl^nipotentiaire  de  son  Altesse  S£r£nissime 
le  Duc  de  Saxe- Gotha  et  Altenbourg  pr^s  du  Roy,  demeu- 
rant  k  Paris  nie  de  la  Ghauss6e  d*Antin  paroisse  de  la 
Madeleine  de  la  Ville  TEy^sque;  stipulant  tant  en  son  nom 
personnel  qu'en  sa  qualiti  de  conseiller  d^Etat  de  sa  Majest6 
Imperiale  en  yertu  des  ordres  particuliers  ^  pour  et  au  nom 
de  sa  Majest^  Tlmp^ratrice  de  toutes  les  Russies,  a  raison 
des  dons  et  a?antages  que  led.  Seigneur  Baron  de  Grimm 
ezd.  nom,  fera  ci  apris  k  lad.  De.  Gomtesse  Emilie  de  Bel- 
sunce encore  d^autro  part.  Lesquelles  parties  avant  de  passer 
k  )a  c616bration  qui  doit  6tre  faite  incessament  en  face  de 
notre  mere  St  Eglise  du  mariage  propos^  et  conyenn  entre 
ledit  Seigneur  Comte  de  Bueil  et  lad.  Dame  Gomtesse  Emilie 
de  Belffunce,  ont  fait  et  arr^fti  le  trait  civil  dudit  mariage, 
ainsi  qu'il  suit  en  pr6sence  et  de  Tagr^meat  de  leurs  Majest^s 


—     472     — 

Le  Roy,  La  Reine, 

Monsieur,  Madame,  Monseigneur  Comte  d^Artois, 

Madame  Comtesse  d'Artois, 

Madame  Elizabeth  de  France, 

Mesdames  Adelaide  et  Yictoire  de  France, 

Monseigneur  le  Duc  D^AngouUme, 

Et  Monseigneur  le  Duc  de  Berry. 

AuBsi  en  prisence  de  Monseigneur  le  Mar^chal  de  S6gur, 

Monseigneur  le  Mar6chal  de  Castries, 

Monseigneur  le  Comte  de  Yergennes, 

Monseigneur  le  Baron  de  Breteuil 

(Tous  quatre  minbtres  et  secretaires   d^Btat  aux  d£- 

partements  de  la  guerre,  de  la  marine,  des  affaires 

6trangeres  et  de  la  maison  du  Roy.) 
Et  de  M.  de  Calonne,  aussi  ministre  d'Etat  et  contro- 

leur  g6n6ral  des  Finances. 
Et  enfin  en  pr^sence  et  du  consentement  des  Seigneurs 

et  Dames  parents  et  amis  ci-apr^s  nomm^s,  savoir. 
Du  c6t6  dud.  Seigneur  futur  6poux: 
Madame  la  Marquise  de  Yilvaud6,  iante, 
Madame  la  Marquise  de  Boursonne,  cousine, 
Monsieur  le  Marquis  et  Madame  la  Marquise  de  Ou^rchy, 
Monsieur  le  Marquis  du  Tiercent  et  \ 
Monsieur  le  Marquis  de  Moubu(?)      /  ^<^^"»8' 
Monsieur  le  Baron  de  Boisteli,  Mar6chal  de  camp, 
Monsieur  le  Chevalier  de  Chaban,  officier  au  r6giment 

des  gardes  frangaises,  et  Madame  sa  m^re,  amis ; 
Et  du  cöt6  de  lad.  D«"«  future  dpouso: 
Monsieur  le  Yicomte  Henry  de  Belsunce, 
Monsieur  le  Chevalier  de  Belsunce,  freres,   capitunes 

au  r6giment  de  S6gur,  Dragons, 


—     473     — 

Monsieur  1e  Marquis  de  Belsunce,  cousin,  Mar6ohal 
de  camp,  m^nin  de  Monseigneur  le  Dauphin  k  prä- 
sent Roy  et  Mademoiselle  de  Vergas,  son  ipouse, 

Monsieur  DelaÜTO,  conseiller  honoraire  au  Parlement, 
Grand-oncle, 

Monsieur  le  Comte  d'Houdetot,  Lieutenant  g6n£ral  des 
arm^es  du  Roy  et  Mademoiselle  Delalive  son  ^pouse, 
tante, 

Madame  de  Nettine  Y^*  De  la  Live, 

ll«u*  PreTost,  V'»  De  laLiye  de  la  Briche  ancien  In- 
troduoteur  des  Ambassadeurs,  Belle-tante, 

Monsieur  le  Yicomte  de  Tintimille  et  Mademoiselle 
DelaÜTO,  son  ^pouse,  cousine, 

Madame  Gabrielle  Charlotte  de  BeauTeau,  abbesse  de 
l'Abbaye  royale  St.  Antoine,  amie. 


-^•- 


Notizen  des  Herausgebers: 

I. 

„Declaration  sur  la  g^n^alogie  de  la  famille  Du  Ronx  de  Va- 
rennes  de  Bueil/'  liefert  den  Nachweis  für  den  bis  zum  Jahre  1370 
zurückreichend  ununterbrochenen  Adelsbesitzstand  dieser  aus  der 
Auvergne  stammenden  Familie. 

n. 

B  e  1  s  a  n  c  e. 
Dies  ist  ursprünglich  der  Name  eines  Schlosses,  mit  dessen 
Besitz  der  Titel  ,,Vicomte*'  verknüpft  gewesen  und  das  im  Thale 
der  Arberone  in  Unter -Nayarra  11  Meilen  westlich  von  Pau  lag. 


—     474    — 

Es  diente  der  alten  Türnehmen,  sp&ter  ntcb  ihm  benannten  Familie 
zum  Wohnaitz,  deren  Oberhaupt  in  froheren  Zeiten  die  erbliche 
WOrde  eines  „Golonel'*  Aber  die  gesamte  Miliz  des  Thaies  der 
Arberona  innehatte  and  das  Recht  besass,  in  den  Yersammlangen 
der  Landst&nde  dem  Alkalden  und  dem  königlichen  Richter  des 
Gaaes  Toransogehen.  Das  erste  bekannte  Glied  dieser  Familie 
Ist  Roger  de  Belsonce,  der  im  Jahre  1154  das  Vicomtä  deMacai^ 
im  Pays  de  Laboor  erwarb.  Von  dessen  Nachkommen  wären  an 
nennen:  Wilhelm  Arnold,  der  Oberstk&mmerer  nnd  einer  der 
ergebensten  Offiziere  Karls  des  Strengen  (le  manyais),  KOnigs  Yon 
Navarra,  und  Garci  Arnold  IL,  der  1384  mit  den  Herren  von 
Grammont,  nnd  Lune  den  Friedensschloss  zwischen  Frankreich 
und  Spanien  unterzeichnete;  femer  Johann  lY.  der  Ratgeber 
Johannas  Ton  Nayarra,  der  Matter  Heinrichs  IV.,  die  ihn  mit, 
ihrem  höchsten  Vertraaen  beehrte,  and  schliesslich  Johann  Y. 
der  in  hoher  Gunst  bei  Heinrich  lY.  und  Ludwig  XHI.  stand. 
Auch  jener  bekannte  Bischof  Ton  Marseille  entstammte  dieser 
Familie. 


& 


,4 


ß 


kr 


Verlag  von  F.  Fontane  &  Co.  Berlin  W 


RUDOLF  SCHICK 


Tagebuchaufzeichnungen 

aas  den  Jahren  1866  1868  1869 

ober 

Arnold  Böcklin 


Herausgegeben  von 

Hugo  von  Tschndi 

gesichtet  von 

Cäsar  Flaischlen 


geh.  M.  12.—  ;  geb.  M.  15.— 


Di«  „Strattbargtr  Pott"  lekreibi:  Ein  Teil  diatar  Taff6b«e)uMfk«lelia«]if«B 
ist  tvent  im  .Pan*  erfchieoen  und  hat  beraiU  in  dleMr  Foim  MreohtifiM  AnflMlian 
•rreft ;  mit  um  bo  gröwerer  Frenda  wird  nan  dia  ralltt&iidifa  Avagaba  ia  Bvekferm 
bagrftaaan,  daran  Haravsgaba  Profaiaor  Dr.  Engo  r.  Ttohadi,  Dirakior  dar  könif  McliaB 
Mationalgaleria  in  Barlin,  towia  Dr.  CAsar  Flaiaohlan,  dar  Mkar»  Sadaktau  daa 
•Paa",  nntamaoiBan  habaa.  Daa  Maiata,  waa  dia  Uakar  araelüaaaBaB  Sakrlftaa  tbar 
Bteklia  aohaldig  fabliabaa  aiad,  aohraibt  H.  t.  Taohadi  ia  aiaam  karaaa  Yorwoii, 
aatbaltaa  dia  AnfsaiobaaaffaB  Sohieka,  aiaaa  Jnagaa  Bariiaar«,  dar  im  Jakra  1864  daa 
froasaa  Staatapraia  arrongaa  batta  aad  aaf  aalaar  8tadiaarai(M  aaek  Born  kam.  Ala 
2öjibrifar  Jtnfliaf  trifft  ar  daa  im  kraflrollataa  Maaaaaaltar  atabaadaa  Maistar. 
Er  wird  Toa  dam  Aaltaraa  ni  iatimam  Varkakr  karaagaMgaa,  aiaa  Zait  laaf  aofar 
aaia  Ataliarfaaoaaa  aad  bat  daa  OlAck.  aaa  dam  aaidlaa  araobloaaaaaa  Bara  aiaar 
raiebaa  Erfabraaf  nad  alaaa  ia  aaltaaam  Xaaaaa  darabffabildataa  KnaatTantaadaa 
aoLIVpfaa  sa  dftrfaa.  Tra«  daa  wacksalndaa  Eraipiaaaa  daa  Tafaa  falgaad,  laaaaa 
Sobioka  Taf  abflabar  aiaaa  aamittalbaraa  Bliak  ia  daa  raioba  aad  aaf  aract«  EAaatlar- 
daaaia  tbaa.  Daa  Bild  aiaaa  Tollaa  aad  faaiaa  Maaacbaa  atallt  aiab  aaa  dar.  Niobt 
miadar  faaaalad  aiad  dia  AaflMblftaa«,  dia  wir  flbar  daa  Kftaitlar  arbaltaa,  ib«r  dia 
Art  aaiaaa  Mataratadiama ,  ftbar  dia  darabdaobta  Arbaitafibraaf  aad  daa  wiaaan- 
aobafUieba  lataraaaa,  aüt  dam  alla  taebaiaobaa  Yorf iafa  babaadalt  wardaa.  üabar 
daa  atata  Straban,  daa  Matarial  ta  Tarrallkommaaa  aad  aa  ia  dar  rattoaallataa  Walaa 
t«  rarwartaa.  Uabar  all  daa  andliab,  waa  dia  paraAalioba  Aaatbatik  daa  Maiatara 
aaamaobt  Mit  Staaaaa  wird  maa  fawabr,  walab  bobar  Orad  raa  Uabarlafaaf  aad 
Toa  Eiaaiebt  ia  dia  malariaebaa  Wirkaafaa  aia  Sobalfba  baatimmt,  daa  aebaiabar 
mlbalaa  aiaar  aaarbArt  prodaktiTaa  Pbantasia  aatateAmt  Daa  Beiaammanaaia  Sabiaka 
aüt  dam  Maiatar  biatat  aararaiaf  liabaa  Aaiaaa  Ar  BrArtaraaf  dar  wiabtigataa,  taoh- 
aiaebaa  aad  &atbatiaebaa  Fraffaa.  —  Dia  TacabaabbUttar  babaa  daa  Maebaa  Rata 
daa  paraAaliob  Brlabtaa  aad  bildaa  —  wia  fiMbadi  ia  dar  Yarrada  wdtar  aaft  — 
aia  aaaobitibaraa  Dakamaat  f&r  dia  Cbaraktariaiaraag  dar  klaatlariaebaa  Pan^auab- 
kait  daalfaistan. 


VERLAG  VON  F.  FONTANE  &  CO.  BERLIN  W  35. 

• 

RUDOLF  SCHICK:  TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN 
AUS  DEN  JAHREN  1866  1868  1869  ÜBER 
ARNOLD  BOECKLIN.  hebausoboeben  von  huqo 

TON  TSCHUDI.    GESICHTET  VON  DR.  CÄSAR  FLAI8CHLBN. 
GEHEFTBT^12  MARK.    GEBUNDEN  15  MARK. 

HEINRICH  ALFRED  SCHMID :  ARNOLD  BOECKLIN. 

ZWEI  AUFSÄTZE.    MIT  ACHT  ILLUSTRATIONEN. 
GEHEFTET  S  MARK.    GEBUNDEN  4  MARK. 


FRIEDRICH  EGGERS  UND  KARL  EGGERS : 

CHRISTIAN  DANIEL  RAUCH,  mit  2  Bildnissen 

RAUCHS   UND    127  LICUTDRUCKTAFELN    SEINER  WERKE 
geheftet  63  MARK.  GEBUNDEN  73  MARK.   FÜNF  BANDE. 

KARL  EGGERS :  RAUCH  UND  GOETHE. 

URKUNDLICHE  MITTEILUNGEN. 
GEHEFTET  6  MARK.    GEBUNDEN  8  MARK. 

KARL  EGGERS :    BRIEFWECHSEL 

ZWISCHEN  RAUCH  UND  RIETSCHEL. 

ZWEI  BÄNDE.    MIT   HOCHÄTZUNGEN.    JE    1  LICHTDRUCK 

UND  JE  1  PH0T0TTPI8CHEN  FACSIMILE. 

PREIS  JEDES  BANDES  GEH.  M.  10,-;  GEB.  M.  12,60. 

OTTO  KNILLE :  WOLLEN  UND  KÖNNEN  IN  DER 

MALEREI.      UMSCHLAGZEICHNUNG    VOM   VERFASSER. 
GEHEFTET  i  MARK.    GEBUNDEN  3  MARK. 


DURCH   ALLE  BUCHHANDLUNGEN  ZU  BEZIEHEN. 


Bachdnicker«!  Roitxich  vorm.  Otto  Noaok  A  Co.