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Full text of "erinnnerungsblaetterunivbreslau1911sub"

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Erinnerungsblatter 

| zum hundertjahrigen Jubilaum 
der Universitat Breslau 



im Anftrage von Rektor 
und Senat herausgegeben 



von 



Ludwig Burgemeister, Richard Foerster 
Heinrich Wendt und Johannes Ziekursch 



Mit einem Anhang von 8 Bildern 




Breslau 1911 
Verlag von Wilh, Gottl. Korn 

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Druc.k von Willi. Gottl.Korn in Breslau, 

EX 
BIBLIOTHBCA 

tEGIA ACADK] 

OEORGIAE 
AUG. 



Infaalt, 

Spite 

1. Breslau als Universitatsstadt. Von Stadtarchivar 
Prof. Dr. Heinrioh Wendt 5 

2. Das Universit&tsgebaude unci die MatthiasMrclie. 
Von dem Provinzialkonservator der Kunstdenkmaler 
Schlesiens, Banrat Dr. Ludwig Burgemeistex . 21 

3. Die Aula Leopoldina, Von Greh.eim.en Regierangsrat 
ITniversitatsprol'essor Dr. Hi chard Foerster . . 28 

4. Die Kunst des Barock im Musiksaale der Universitat 
Breslau. Von demselben -, . . 42 

5. Universitatshaushalt, Lehrkorper uiid Studentenzahl. 
Von Privatdozent Prof. Dr. Johannes Ziekurseh 51 

Bilderanhang: 

Nordseite der Universitat. 

Siidseite der U$?\'ersit&t. 

Aula Leopoldina. 

Siidseite der Aula Leopoldina. 

Musiksaal. 

Deckengemalde des Musiksaales. 

Hof der Universitat. 

bmeres der Matthiaskirehe. 



Breslau als Universitatsstadt. 

Von Heinrich Wendt. 



Unser geistiges Leben isfc dem wirtschaftlichen und poli- 
tischen in der Entwickelung der Freiziigigkeit weit vorausgeeilt. 
Die Wissenschaft und ihre Pflegestatten, die Universitaten, 
waren schon in den triibsten Zeiten staatlicher Zersplitterung 
Gesamtbesitz unseres Volkes, Sammelpunkt fur die Sonne 
aller deutschen Stamme. Leicht gewinnt fiir uns heute das 
Wort: Provinzialuniversitat, Landesuniversitat einen Beige- 
Bchmack von riickstandigem Sondergeiste, iiberlebter geistiger 
Inzucht. Trotzdem konnen und sollen sich unsere Universitaten 
dem Einflusse des Bodens, auf dem sie erwachsen sind, nicht 
ganz entziehen. Unbeschadet der Verbindung der Universi- 
taten mit dem groBen Strome wissenschaftlicher Forschung 
hemmen oder fordern ortliche, landschaftliche, in der Natur und 
Geschichte ihrer Stadt und Provinz begriindete Einflusse ihre 
Entwickelung; sie fiihren auf besondere Forsehungsaufgaben 
Inn, stellen besondere Krafte in den Dienst der Wissenschaft. 
Deshalb ist bei dem Riiekblicke auf das erste Jahrhundert 
der Breslauer Universitiit die Frage nach dieser ihrer ortlichen 
Bedingtheit wohl berechtigt, Wieweit erscheint unsere 
Universitiit durch die Eigenart der Statte ihres Wirkens 
beeinfluBt? Wie hat in Breslau die konfessionelle Mischung 
der Bevolkerung, die Stellung der Stadt als Vorposten des 
Deutschtums, als Brennpunkt eines stark entwickelten pro- 
vinziellen Sonderlebens und als wirtschaltHcher Mittelpunkt 
Sohlesiens, wie haben sonstige ortliche Besonderheiten auf die 
Entwickelung der Universitiit eingewirkt? Uberall werden wir 
bei Beantwortung dieser Fragen, Einflusse der Bodenstandig- 
keit nachweisen konnen, nicht nur in mehr oder minder belang- 
losen Aufierlichkeiten, sondern auch in Dingen, die das innerste 
Wesen der Universitat beriihren. 

Zeitgenossische und spatere Beurteiler der Breslauer Uni- 
versitatsgriindung haben es ubereinstimmend als kiihnes, 
unerliortes Wagnis bezeichnet, daB man in Breslau den iiber- 
liefexten Grundsatz konfessioneller Einheitlichkeit der Universi- 
taten verletzte, daB man zwei so ungleichartige Bestandteile, 



— 6 — 

wie die reformierte Frankfurter und die Breslauer Jesuiten- 
universitat vereinigte und zwei theologische Fakultaten neben- 
einander stellte. Vor allem mufite den aus konfessionell 
einheitliclicn Gebieten stammenden fremden Golehrten, wie 
Henrieh Steffens, die Durchfiihrbarkeit des Gedankens der 
,,Simultan- Universitat" fraglich erscheinen. Aber audi in 
Schlesien selbst fehlte es nicht an zweifemdexiStimmen. Zwarin 
der fur die Uni versitatsgriindung so bedeutsamen Denkschrif t des 
schlesischen Arztes Dr.K a.u s c h, deren Kenntnis wir R. F ors ter 1 ) 
verdanken, war die Zuversicht ausgesproehen, dafi „bei der 
bekannten Toleranz der Schlesier" zwei theologische Fakul- 
taten „ruhig nebeneinander bestehen" konnten. Andrerseits 
bezeugt A. Kahlert 2 ), dafi man „imPublikum" iiber die Zweck- 
niaBigkeit der Vereinigung der Viadrina mit der Leopoldina 
sehr geteilter Meinung war. Darin muB man jedenfalLs Kausch 
bripflichten, daB fur den ersten Versuch, in einer Universitat 
Lehrende und Lernende beider Bekenntnisse mit voller Gleich- 
berechtigung, zu friedhchem Nebeneinander zu vereinigen, 
Schlesien und Breslau der gesehichtlich gegebene, giinstigste 
Boden war en. 

Hier batten der Volkscharakter und die Abhiingigkeit von 
katholischen Landesherren dahin zusanimengewirkt, daB die 
Ausbreitung des evangelischon Bekenntnisses mehr eine all- 
mahliche „friedliche Durchdringung", als einen gewaltsamen 
Umsturz darstellte. Solange wie moglich schonte man die 
Ordnungen und Obrigkeiten der alten Kirehe, wahrte man den 
Schein ihrer Anerkcnnung. Selbst als am Anfange des 17. Jahr- 
hunderts die Bcvolkerung Schlesiens fast ganz evangelisch 
geworden war, war die auBere Organisation der katholischen 
Kirehe trotz schwerer EinbuBen in den Grundzugen noch un- 
erschiittert. In Breslau standen der eifrig evangelischen Biirger- 
gemeinde nach wie vor Bischof und Kapitel und die ihrer Be- 
stimmung erhalten gebliebene groBe Mehrzahl der alten Kloster 
und Stifter gegenuber. Die Gegenreformation und in ihrem Ge- 
folge der DreiBigjahrige Krieg schlugen der Landeswohifahrt 
schwere Wunden, ohne ihr Ziel, die Wiederhorstellung der Glau- 
benseinheit, zu erreichen. Ihr Ergebnis fur die Schlesier: das 
Gleichgewicht der Bekenntnisse und eine tiefwurzelnde Ab- 
neigung gegen Religionszwang und GlaubenshaB, konnte durch 
den Grundsatz des f riederizianischen Staates, sich moglichst 
wenig in das Glaubensleben seiner Untertanen einzumischen, 

1 ) Das Jakr 1807 und die Universitat Breslau (Bresl. 1907) S. 11 f. 

2 ) Denkschrif t zur Feier ihres SOjahrigen Bestehens hcrausg. v. d 
Schles. Gesellschaft f. vaterland. Kultur (Bresl. 1853) S. 15. 






i 






nur befestigfc werden. Nur wirtsehaftliche, nicht konfessionelle 
Gegensatze waxen es, die in Breslau bei Einfiihrung der Stiidte- 
ordnung die Vereinigung der bi slier unter geistlieher Ober- 
hoheit stehenden Vorstadte init der Stadt ersehwerten. 

Auch im letzten Jahrhundert ist die geschichtlich tief be- 
grundete „Toleranz der Schlesier" zwar nicht iramer un- 
gefahrdet, aber dock im wesentlichen erhalten geblieben. Langst 
ist unsre Breslauer „Simulten-Universitat" nicht mehr die 
einzige Korperschaft, in der Geistlicbe und Lai en beider Be- 
kenntnisse vereint an Aufgabcri des geistigen Lebens arbeiten. 
Selbstverwaltungskorperschaften, wie die Schuldeputationen 
der Stadte, freie wissenschaftliche Vereinigungen, wie die Scaler 
sische Gesollschaft fur vaterlandische Kultur und der Verein 
fiir Geschi elite Schlesiens, suclien erfolgreich, geistigen Bediirf- 
nissen beider Bekenntnisse zu dienen. Noch iramer erscheinen 
fremden Beurteilern die konfessionellen Gegensatze Soblesiens 
verhaltnismafJig milder als die des Westens. Aus hartereni Holze 
geschnitzte deutsche Landsleute finden sogar den Schlesier 
allzu geneigt, das „in dubiis libertas" zu betonen, das ,,in ne- 
cessariis unitas' : zuriiokzustellen. Liegt darin wirklich eine 
Schwache des seblesischen Stammescharakters, so kann sie 
sicher nicht dureh angstliches Sichabschliefien der Bekennt- 
nisse behoben werden, sondern nur durch weiteres, entschlossenes 
Miteinanderarbeiten, dureh stetes Messen und Erproben der 
Krafte, kurz auf dem Wege und in dem Rahmen, die der wissen- 
schaftlichen Forschung und dem Hochsckuhmterricht dureh 
die Griindung der Universitat Breslau gewiesen werden sind. 

Nicht nur infolge ihres interkonfessionellen Charakters 
schien die neugegriindete Breslauer Universitat fremden Be- 
urteilern wenig Gewahr fiir ihre Lebensfahigkeit zu bieten; 
auch ihre „abgeschlossene Lage" in fernem „halbslavischem" 
Grenzlande wirkte abschreckend und beunruhigend. Auch 
in dieser Hinsicht hat Steffens am scharfsten seine Zweifel, die 
cr freilich spater als Vorurteile bezeiohnete, in oft zitierten 
Worten ausgesprochen. Aber dasselbe Schlesien, das, nach 
Steffens, „kaum ein wahres, lebendiges Glied des deutsehen 
Reichs zu sein schien" 3 ), dasselbe Breslau, das noch zwanzig 
Jahre spater auf Hoffmann von Fallersleben „gar nicht 
den Eindruck einer deutsehen Stadt machte" 4 ), sie hatten seit 
sechs Jahrhunderten ihre deutsche Art, ihr deutsches Geistes- 
leben kraftig gewahrt; ja sie hatten eine reiche Fiiile deutscher 
Kultureinfliisse weithin auf den slavischen (Men ausgestromt. 



a ) Steffens, Was ich erkbte VII, 5. 

4 ) Hoffmann von Fallersleben, Werke VII, 194. 



— 8 - 

Schon in den Zeiten, als Breslau zum ersten Male eine Universitat 
zu besitzen strebte, liatte der schlesische HumanistBartel Stein 
dem BewuBtsein dieser Kulturmission Schlesiens und vor 
allem Breslaus kriiftigen Ausdruck verliehen. Auf den Bahnen 
die Breslaus mittelalterlicher GroBhandelsverkehr wies, batten 
sich deutsclics Stadtrecht, deutsoher Handels- und Han'dwerks- 
brauch, deutsche Geistesbildung in den ostlichen Nachbar- 
gebieten ausgebreitet. Dem Handler folgte der Handwerker 
der Kiinstler, der Gelehrte. Breslaus evangelisches Kirehen- 
und Schulwesen war in den Zeiten, als noch die Gewinnung 
Polens und Ungarns fur die evangelische Lehre erreichbar 
schien, als vorgeschobencr Posten des deutschen Protestantismus 
von besonderer Bedeutimg. Durch das Selbstandigerwerden 
der slavischen Volker, schlieBlieh auch durch die Trennung 
Schlesiens, von der habsburgischen Monarchic waren die alt- 
gewohnten Verbindungen mit dem Osten in wirtschaftlicher 
wie in geistiger Hinsicht wohl wesentlich eingeschrankt, aber 
durchaus nicht abgeschnitten worden. Es war eine keineswegs 
iibertnebene Wiirdigung der immer noch bestehenden geistieen 
Ferawirkungen Breslaus auf die ostlichen Nachbarlander, wenn 
ein Bericht der Breslauer Regierung vom 6. April 1811 die 
Hoffnung aussprach, daB die zu begriindende Universitat 
„auch von Bewohnern des Herzogtums Warschau und der 
angrenzenden osterreichischen Gegenden stark besucht werden 
wiirde" 5 ). 

So hat unsere Breslauer Universitat durch den Boden auf 
dem sie erwachsen ist, wie v den beaonderen Charakter einer 
Simultan-Universitat, so auch einen bestimmten nationalpoliti- 
schen Einschlag, eine fur ihr Wirken hochbedeutsame Mission 
nn deutsehslavischen Grenzgebiete erhalten. Die nur zu wechsel 
voile Entwicklung der polnischen Prage ina allgemeinen und 
des Verhaltmsses der preuBischen Polen zu ihrem Staate im 
besonderen inuBte die Breslauer Universitat nachhaltig be- 
rtihren. Von den Schauplatzen des modernen Kampfes um 
die Ostmark gehort Oberschlesien zu ihrem eigentlichen Wir- 
kungskreise. Aber auch Posen und WestpreuBen entsenden, trotz 
der Anziehungskraft von Berlin und Kouigsberg, erheblichen 
Zuzug. Die Beamtcnschaft, Geistlichkeit, Lehrerschaft, Arzte- 
schaft jener Landesteile ist groBenteils auf der Breslauer Uni- 
versitat vorgebildet. Aber auch iiber die Landesgrenze hinaus 
entsendet unsere Universitat noch immer manchen Vertreter 
deutscher Wissenschaft nach Osten. Breslauer Forscher waren 

B ') n SP tl k^ a G ,T UehtQ der Stiffcun g d ^ Kgl. Universitat m 
Breslau (Br. 1861) S. 12. 



_ 9 — 

L 

lange Zeit die berufensten Sachverstandigen fiir Eragen der 
geschichtlichenEntwickhmg und politischen Zustande desOstens. 
Der Breslauer Geschichtsforscher Stenzel war in der Frank- 
furter Nationalversammlung Berichterstatter iiber das Verhaltnis 
der Provinz Posen zum ubrigen Deutschland. Ropells und 
Caros Erforschung der mittelalterlichen polnischen Geschiehte 
war eine bahnbrechende Tat deutscher Wissenschaft auf einem 
bisher fast brachliegenden Felde. 

Sieht sich auch in neuster Zeit die Breslauer Universitat 
durch manche Mafiregeln zur Hebung des geistigen Lebens 
der Ostmark in ihrer nationalpolitischen Wirksamkeit hier und 
da eingeschrankt, so kann und wird sie daruni die nationalc 
Vorpostenstellung, die ihr Schlesien und Breslaus Vergangenheit 
anweist, nun und nimmermehr verlieren. Sie wird stets an 
Jhrern Teile daran mitarbeiten mtissen, daB Schlesien ein ,,leben- 
diges Glied" unseres Reichskorpers, des deutschen Volkstums 
ist und bleibt. 

Wenn VOF hundert Jahren fremde Beurteiler den inneren, 
kulturellen Zusammenhang Schlesiens mit dem ubrigen Deutsch- 
land einigermaBen anzweifelten, so beruhte das doch nicht allein 
auf Vorurteil und Unkenntnis?. Zum Teil entsprang es der 
zutreffenden Wahrnehmung eines ubermafiig starken land- 
schaftliehen Sondergcistes und Sonderlebens. Schlesiens Um- 
schlossensein von fremden Staatsgebieten und Nationalitaten, 
seine Entfernung von den Brennpunkten des deutschen Geistes- 
und Wirtschaftslebens bewirkte, daB die Schlesier sich zunachst 
gegen das fremde Volkstum, mehr oder minder aber auch gegen 
ihre eigenen deutschen Volksgenossen abschlossen. Das Selbst- 
bewuBtsein, mit dem sich die Schlesier als Pioniere deutscher 
Kultur fiihlten, steigorte sich zu ungesundcr Uberschatzung 
aller schlesischen Menschen und Dinge, zu provinzieller geistiger 
Inzuchfc. Der Heimatsinn wurde, wie Karl Weinhold 6 ) treffend 
sagt, ,,ubertrieben bis zu dem Aberglauben, daB nur zwischen 
den Sudeten und der Posenschen Grenzlinie sich leben lasse*" An 
den Schlesischen Provinzialbliittern, diesem so schjitzbaren 
literarischen Niederscldag des damaligen schlesischen Geistes- 
lebens, tadelte Steffens 7 ) nicht mit Unrecht ,,die Beschaftigung 
mit den engston provinziellen Verhaltnissen, die alle Aufmerk- 
samkeit zu fesseln schienen in einer Zeit, in welcher die groBen, 
tragischen Schicksale Deutschlands jeden Gedanken und alle 
lat in Anspruch nehmen muBten, ferner eine gewisse breite 



6 ) Rede bei der Feier des 80. Geburtstages Karl von Holteis 
(Bresl. 1878) S. 17. 



7 ) Was ich erlebte VII, 3. 






— 10 



Familienhaftigkeit, die sich in Denkmalern, d. h. Begrabnis-, 
Hochzeits-, Geburtstags- und Trauungsliedern, durch eine ge- 
schmacklose Sentiinentalitat verzerrt, nur zu sehr bemerkbar 
machte," 

Aus diesem selbstgeniigsamen, provinziellen Stilleben \\ urden 
nun Schlesien und Brcslau durcli die neue Universitat etwas 
unsanft, aber recht heilsam aufgeriittelt. Die Voraussage 
der Breslauer Regierung 8 ), „das Zusammensein vieler Gelehrten 
werde der dieser Provinz so oft, vielleicht mit zuviel Harte 
vorgeworfenen Geistes-Indolenz entgegenarbeiten," sollte sich 
bald erfiillen. ,,Mit der Verlegung der Frankfurter Universitat 
nach Breslau," sehreibt A. Kahlert 9 ), ,,gewann diese Stadt eine 
ganz andere geistige Physiognomie und, bei vielen in die Augen 
Bpringenden Vorteilen, zunachst Stoff zur Reibung zwischen 
Altem und Neuem. Viele, die zu bequem oder auch schon zu alt 
waren , uin deni Neuen Interesse abzugewinnen, spraehen 
von fremdem Diinkel gegeniiber alter Gemiitlichkeit. Diejenigen 
nur erkannten das Richtige, welche darauf drangen, dafi man 
den Fremden vorurteilsfrei entgegenkomme und ilmen es er- 
leiehtere, sich in dem damals, wo Schnellpost und Eisenbahn 
noeh nicht existierten, noch sehr abgeschlossenen Schlesien 
zu akklimatisieren." 

Den gegebenenBoden fiir dieUbenvindung des provinziellen 
Sondergeistes bot den fremden Gelehrten der Universitat die 
„Schlesische Gesellschaft fiir vaterlandische Kulfcur". Im Jahre 
1803 als ,, Gesellschaft zur Beforderung der Naturkunde und 
Industrie in Schlesien" mit einem ebenso fachlich wie landschaft- 
lich beschrankten Wirkungskreise begriindet, hatte sie sich 
1808 erweitert zu ,,dem allgemeinen Institute einer Gesellschaft 
der Schlesier fiir ihr Vaterland, an welches alles Geistvolle, 
jedes treue, an Vaterland und Regierung fest hangende Herz 
sich anschliefien" sollte. Damit hatte die Gesellschaft die 
Grundziige ihrer jetzigen Verfassung, die universale Richtung 
auf alle Wissenskreise und die Gliederung in Fachabteilungen, 
in Sektionen erhalten. Allerdings unter ,, Vaterland" verstand 
man damals immer noch in erster Linie oder gar ausschliefilich 
Schlesien. Aber ein wirklich universale!-, in hohercm Sinne 
gemeinniitziger Wissenschaftsbetrieb rnuBte von selbst den 
Blick iiber die Grenzen der engeren Heimat hmausfiihren. 

Fiir diese Weiterentwickelung der Schlesischcn Gesellschaft 
war es von groBter Bedeutung, daB die durch die Universitats- 



8 ) Ropell, Zur Gesehichte der Griindung der Kgl. Universitat S. 12. 

9 ) Denkschi-ift z. Feier d. 50 jahrigen Bestehens d. Schles. Gesellschaft 
f. vaterland. Kultur. S. 16. 



— 11 — 

griindmig nach Breslau gefiihrten fremden Gelehrten in sie 
eintraten, ja bald, im Zusammemvirken mit den leistungs- 
fahigsten'emheimischen Kraften, die Fiihrung in ihr erlangten. 
Bald verschniolzen Universitat und Schlesische Gescllschaft 
in ihren leitenden geistigen Kraften derartig mit einander, daB 
man innerhalb bestimmtcr Grcnzen die Wirksamkeit bcidcr 
einander gleichsetzen darf. Beiden Teilen brachte diese innige 
Durchdringung erhohte Lobenskraft, volleren Erfolg, Die Sclile- 
sische Gesellschaft, der ihre Griinder anfangs eine vorwiegend 
praktische Tatigkeit, die Forderung des gcwcrblichen Lebens 
durch angewandte Wissenschaft zugeschrieben batten, erhielt 
durcli den EinfluB der Universitat je langer je mehr einen 
iiberwiegend wissensckaffclichen Charakter. In lebendiger 
Verkniipfung mit dem GroBen, Ganzen dor wissenschaftlicheii 
Forschung wurde die Gesellschaft allmahlicli iiber die Sohranken 
des landschaftlichen Sondergeistes hinausgehoben. Die ,,pro- 
vinziellen Grenzen in Sehlesiens geistigem Leben" verschwanden ; 
an die Stelle eines selbstvergotternden, kleinlichen, ausschlieBen- 
den Lokalpatriotismus trat allmahlicli eine maBvolle, gesunde 
Heimatsliebe, die dem verstandnisvollon, hingebenden Anschlusse 
an das Ganze, das Allgemeine nicbt bindemd entgegenstcht, 
im Gegenteil: ihm als stiitzende Grundlage dient. Mit vollem 
Recht hat G. Kaufmann 10 ) beim Riickblick auf das liundert- 
jahrige Wirken der Sclilesischen Gesellschaft die Bedeutung 
dieses von der Gesellschaft vertretenen und geforderten „Ge- 
meingefuhls" der Schlesier kraftig betont: ,,Die Bedeutung dieses 
Gemeincrefuhls stcigert sich in Zeiten, in denen der Kampf der 
politisehen, kirchlichen und wirtschaftliclien Parteien sell arf ore 
Formen annimmt. In der gemeinsamen Arbeit fur das Leben 
unseres trotz aller Gegensatze mit gleicher Liebe umgebenen 
Landes gewinnen die Burger die Kraft und — was besonders 
wichtig ist — die unmittelbare Veranlassung, iiber dem, was 
sie trennt, nicbt zu vergessen, was sie eint. In der fursorgenden 
Liebe zur Heimat liegt eine der stiirksten Wurzeln der Liebe 
zum Vaterlande." 

Indem die Universitat, hauptsachlich auf dem Boden und 
im Rahmen der Sclilesischen Gesellschaft, an der tlberwindung, 
der Veredelung des provinziellen Sondergeistes arbeitete, hat 
sie viel gegeben, aber audi viel empfangen. Daraus, daB Schle- 
sien ein so ausgepragtes Eigenleben besaB, daB Breslau in 
hervorragendem MaBe der wirtschaftliche und geistige Mittel- 
punkt Sehlesiens war. hat die Universitat weitreichende 



10 ) Geschichte der Schlesischen Gesellschaft fur vatcrlandische 
Kultur (Breslau 1904) S. 10. 



— 12 — 

Forderung ihrer wissenschaftlichen Arbeit geschopft. Die 
fremden Gelehrten erhielten dadurch einen stiirkeren Antrieb, 
sich in Schlesien so recht eigentlich mit ihrer Forschungsarbeit 
zu akklimatisieren, ihre Arbeitsstoffe in der engeren Heimat, 
in der vielgestaltigen schlesischen Landesnatur zu suchen. 
Die Schlesische Gesellschaft mit ihren Sektionssitzungen und 
allgemeinen Versammlungen, mit ihrem iiber ganz Schlesien 
ausgebreiteten Netze korrespondierender Mitglieder, die um 
Belehrung baten, wissenschaftliche Beobaclitungen und Samm- 
lungen einsandten, war der Kanal, durch den die Universitat 
Anregungen wissenschaftlichen Lebens ausstromte, doch in 
gleicher Weise auch empfing. 

Die Schlesische Gesellschaft wirkte wesentlich dazu mit, daB 
die Gelehrten der Universitat, darunter viele aufierhalb Schle- 
siens geborene, in der Erforschung der schlesischen Landes- 
kunde, Landesgeschichte und Volkskunde fiihrend voran- 
schritten und sieh ihre Heifer am Werke heranbildeten. Karl 
von Raumer und H. Steffens durchforschten schon in den 
ersten Jaliren ihrer Breslauer Anitstatigkeit die schlesischen 
Gebirge, Ferdinand Romers ,,Geologie von Oberschlesien" 
schuf eine neue wissenschaftliche Grundlage fur die ErschlieBung 
der oberschlesischen Bodenschatze. Unter Benutzung der Vor- 
arbeiten von Boguslawskis und anderer entwarf Joh. Gott- 
fried Galle mit sicherer Hand die Grundziige der schlesischen 
Klimatologie. Was Heinrich Robert Goppert nicht nur selbst 
fiir die Erforschung der schlesischen Flora geleistet, sondern 
wie er seinen, meist dem Apothekerstande entnommenen Stab 
von Mitarbeitern in ganz Schlesien zu Beobaclitungen und Ar- 
beiten auf diesem und andern Gebieten der schlesischen Landes- 
kunde geschult hat — das zu schildern war niemand berufener 
als Joseph Partsch 11 ), der in seiner unendlich verdienstvollen 
Bibliographic der landes- und volkskundlichen Literatur und 
seiner Darstellung ,, Schlesien, eine Landeskunde fiir das deutsche 
Volk'" mit Meisterhand aus den Ergebnissen der modernen 
wissenschaftlichen Erforschung der schlesischen Landesnatur 
die Summe gezogen hat. Auf dem Gebiete der Landesgeschichte, 
die durch Sohlesiens Weltlage in weitreichende, enge Ver' 
bindung mit der Geachichto der Nachbargebiete gesetzt wird. 
brachen Stenzel, Ropell, Griinhagen als Forscher und als 
Leiter des von der Schlesischen Gesellschaft abgezweigten 
Vereins fur Geschichte Schlesiens die Bahn. Die Dialekt- 
forschung und die Volkskunde, der durch Schlesiens National!- 

(BresT\ ( 904fs C 24 f deF Schlesischen Gesellschaft fiir vaterl. Kultur 



— 13 — 

tatenmischung eine eigenartige Aufgabe gestellt wird, erweckten 
Weinhold, Vogt, Siebs, letztere zugleich als Leiter der Schle- 
sischen Gesellschaft fur Volkskunde, zu frischem Leben. 

Wenn auch in der Schlesischen Gesellschaft die Sektionen 
fur Landwirtschaft und Gewerbekunde keine sehr groBe Wirk- 
samkeit entfaltet haben und spiiter durch Sondervereine ab- 
gelost worden sind, so haben auf anderen Wegen die Bedurfnisse 
der bluhenden schlesischen Landwirtschaft und die reichent- 
wickelte Industrie besonders Oberschlesiens auf die Breslauer 
Universitat eingewirkt. Zwar der Altmeister der deutschen wissen- 
schaftlichen Landwirtschaf tslehre, der Schlesier Julius Kiihn, 
hat nach seinen von der Schlesischen Gesellschaft unterstiitzten 
wissenschaftlichen Erstlingsleiatungen seinen Wirkungskreis 
auBerhalb unserer Provinz gefunden. Aber dem von Kiihn 
geleiteten Hallenser Institut ist seit 1881 das Landwirtschaf t- 
liche Institut der Universitat Breslau als weithin wirkende 
Pflegestatte der Landwirtschaftslehre an die Seite getreten. 
Die Notwendigkeit einer Professur fin Chcmie wurde schon 
in dem von Siivern aufgesteliten Organisationsplane fur die 
neue Breslauer Universitat begriindet durch die Emvartung, 
daB ,,die Verbreitung richtiger Einsichten in diese Wissenschaft" 
auf die schlesische Industrie grofien EinfluB iiben werde. Hand 
in Hand mit dem Aufschwunge der Industrie, die namentlich 
in den Bodenschatzen Oberschlesiens und den Erzeugnissen 
der Landwirtschaft die Wurzeln ihrer Kraft fand, sind seitdem 
die Anforderungen an den chemisch-teehnischen Unterricht 
der Universitat fortgesetzt gestiegen, bis endlich die neueste 
Entwicklung der Technik und ihres Unterrichtswesens die 
Begriindung einer selbstiindigen technischen Forschungs- und 
Unterrichtsstiitte gebieterisch verlangte. Wie die Universitat 
die nicht miihelose Erringung einer Technischen Hochschule 
fiir Breslau an ihrem Teile kraftig unterstiitzt hat, so bleibt sie 
kiinftig mit der jiingeren Schwesteranstalt durch gemeinsame 
Interessen und Beriihrangspunkte verbundcn. Ein Teil der 
Einwirkung des schlesischen Wirtschaftslebens auf die wissen- 
schaftliohe Forschung ist allerdings nun von der Universitat 
auf die Technische Hochschule ubergegangen. Aber der EinfluB 
der Landesnatur auf die Universitat ist innerlich zu tief be- 
griindet, um nicht auch in Zukunft in mannigfachen Formen 
lebenweckende Kraft auszuuben. 

Ist uns bisher die Universitatstadt Breslau vorwiegend 
in ihrer kaum je bestrittenen Stellung als Hauptstadt und 
Mittelpunkt Schlesiens entgegengetreten, so miissen wir nun 
auch ihrer sonstigen, durch Lage und geschichtliche Entwicklung 
bcdingten ortlichen Besonderheiten gedenken, die auf die neu- 



— 14 — 

begriindete Universitat EinfluB gewannen, den aus anderen 
Landesteilen stammenden fremden Gelehrten in die Augen fielen 
,, Breslau," so schildert Steffens 12 ) seine ersten Eindriicke 
,,var zu der Zoit keineswegs in einer gunstigen Lage. Der trockne 
Sommer hatte der Oder allesWasser genommen, und in der diirren 
ausgedorrten Gegend lag Breslau, umgeben von seinen demo- 
lierten Wa-llen, so daB es fast den Eindruck einer zerstorten 
Stadt machen mufite. Innerhalb des engen Raumes einer 
Festungwaren damals 60 — 70000 Menschen zusammengedrangt. 
Dennoch imponierte die Stadt. Die hohen Hauser, die engen* 
dustern StraBen, die Warenlager, die auf einen grofien, obgleich 
jetzt ruhenden Betrieb deuteten, erregten die Auf merksamkeit • 
Kirchen und alte Gebaude legten Zeugniss© von einer bedeuten' 
den Vergangenheit ab; die ganze Stadt sah einem alten, be- 
tagten Greise ahnbch dessen durchfurehte Gesichtszuge auf 
em schwer durchkampftes Leben deuteten." Bei alter Anfecht 
barkeit m Einzelbeiten kennzeichnet die Sehilderang von 
feteffens das erne Wesentliche durohaua zutreffend: die Stadt 
hatfce damals erne der schwereten Krisen ihrer Geschichte 
zu durchleben; sie stand tatsachlich in vieler Hinsicht vor den 
Immmern einer groBen Vergangenheit, aus denen erst wieder 
neues Leben erbluhen sollte. 

Wie wurde einst das mittelalterliche Breslau getragen 

VemZT ^^^f «™t der natiirliehen Lage! Als 

JZl™ f 68 S 7 ute / austa f . Ches zwischen dem germanischen 

2 teT^T n ^ S ? dCn UM dem slav * schen Oaten, 

as Mittelpunkt ernes ganz Mittel- und Osteuropa umspannenden 

Sir b att T ^ Sfc n dt m i hrem GroB - und ^SS5 

und den auf ihrn beruhenden Gewerben scheinbar unerschopflicke 
Quellen des Wohlstandes. Das Breslau des 15. und 16 Sm 
derts gait kundigen Beurteilern als eine der groBten und sobnnsf™ 
unterden deutsehen Stadten. Die wfctBcSLftSTSSS 
poLtisehe Macht. Gegen Ende des Mittelalters konnte die Stadt 
wagon m den kirchhchen mid nationalen Kampfen des Ostena 
erne selbstandige Pobtik zu treiben. Der Beginn der Refer 
mationszeit sah sie fast unabbangig von der landesherrlichen 
Gewalt, strebend nach reichsstadtischer Freiheit und einem 
groBen, ihr allein untertanigen Landgebiete. Wie mit dem 
wirtschaftlichen und politischen Aufschwunge auch das eeistiee 
Leben gedieh, das kiinden uns die machtigen Kirchenbauten 
des Mittelalters, das prachtige Rathaus, alle die Denkmiiler 
kirchlicher und weltlicher Kleinkunst, die zahllosen urkund 
lichen Zeugnisse iiber die Bliite des mittelalterlichen Sehul 



12 



) Was ich erlebte VII, 8 f. 



— 15 — 

wesens, iiber die Menge der frommen und wohltatigen Stiftungen, 
die Breslau zu einem wahren Eldorado fiir die fahrenden Schiller 
aus aller Herren Lander machten. Es war eine reiche, machtige, 
selbstbewuBte, bildungsfrohe Stadt, die im Jahre 1505 mit 
alien Mitteln die Griindung einer eigenen Universitat zu erreichen 
suchte. Fiir das Scheitern dieses Versuchs land die Stadt seit 
der Reformation Ersatz in der Begriindung und Ausgestaltung 
ihres evangelischen Kirchenwesens, in der Fiirsorge fiir ihr, 
nacli zeitweiligem Verfall neu aufbliihendes Sehulwesen, in der 
opferwilligen Pflege der Kiinste und Wissenschaften durch ihr 
hochgebildetes, schonheitsfrohes Patriziat, das einen Thomas 
Rehdiger zu den Semen zahlte. 

Gegeniiber diesem Breslau des Mittelalters, der Reformation 
und der Renaissance bot die Stadt vor Imndert Jahren ein 
ganz anderes, weniger glanzendes Bild. Wohl war das Breslau, 
in das die Universitat einzog, mit fast 60 000 Seolen die ein- 
zige iiber 10 000 Einwohner zahlende GroBstadt Schlesiens, 
die zweitgroBte Stadt PreuBens. Um die bis 1807 in Festungs- 
werke eingeschniirte innere Stadt herum waren iiberall aus- 
gedehnte Vorstadte erwachsen. Immer noch war Breslau eine 
bedeutende Handels- und Gewerbestadt. Aber was einst in den 
Zeiten groBerer Handelsf reiheit eine seltene Gunst der natiirlichen 
Lage gewesen war, bedeutote jetzt in den Zeiten des Merkan- 
tilismus, der alle Staaten zu abgeschlosscuen, sich selbst ge- 
niigenden Wirtscliaftsgebieten zu machen strebte, ein schweres 
Hemmnis fiir ihr Wirken. Breslau sail sich seit der Trennung von 
Osterreich und dem stiirkeren Abschlusse Polens und Rufilands 
in seinem ostlichen Handel iiberall durch Zollgrenzen, Ein- und 
Ausfuhrverbote behindert. Mit dem prcuBischen Staate konnte 
es nur durch eine schmale Landbriicke verkehren. Fiir das, 
was Breslaus Fern- und GroBhandel durch die veriindertc Welt- 
stellung der Stadt eingebufit hatte, bot die einheiniische Tuch- 
und Leinenindustrie lange Zeit einen gewissen Ersatz, bis auf 
diesem Gebiete die napoleonischenKriege sehwer zu verwindende 
EinbuBen brachten. Wohl verhieB die an die Katastrophe 
des Staates anschlieBende Reformze.it aueh fiir Breslau die 
Entfesselung wirtschaftlicher Krafte, neue Entwiokelungs- 
moglichkeiten. Die von ihrem Festungsgiirtel befreite innere 
Stadt wurde auf Grund der Stadteordnung mit den Vorstadten 
vereinigt, das Gewerbe wurde von den Fesseln des alten Zunft- 
wesens befreit. Aber die Zunftverfassung, in anderen Stadten 
schon lange vor Einfuhrung der Gewerbefreiheit vielfach durch- 
brochen, war gerade in Breslau noch so festgewurzelt und hatte 
so tiefgreifende Gegensatze zwischen Stadt und Vorstadten 
geschaffen, daB man hier die segensreiche Neuerung zuniichst 



— 16 — 

als verderblichen Umsturz empfinden mufite, nur unter schweren 
Erschutterungen sich in das Neue allmahlich eingewohnen 
konnte. 

Auch das geistige Leben zeigte, entsprechend der wirt- 
schaftlichen Lage, Spuren von Stillstand und Stockung, trug 
den Stempel einer wenig befriedigenden XJbergangszeit. Die 
Jesuitenuniversitat, gegen den leidenschaftlichen Widerapruch 
der evangelischen Biirgerschaft Breslaus begriindet, war ein 
Torso geblieben, in ihrer Wirksamkeit fast ganz auf die Katho- 
liken beschrankt, fur das geistige Leben der Stadt von geringer 
Bedeutung. Die Versuche, das evangelische hohere Schul- 
wesen den Bediirfnissen der Zeit entsprechend umzugestalten, 
batten wenig Erfolg gehabt. Die Schiilerzahl des in eine Real- 
schule verwandelten Magdalenaums war zeitweilig auf 90 zuriick- 
gegangen und hob sich erst wieder unter der Leitung Mansos, 
der allmahlich in die Bahnen des alten Gymnasiums zuriick- 
lenkte. Naturwissenschaften und Heilkunde hatten einst in 
Breslau lebhafte Pflege gefunden. Hier schuf Ende des 16. Jahr- 
hunderts der Arzt Laurentius Scholz von Rosenau seinen 
weitberuhmten botanischen Garten. Breslauer Arzten verdankte 
die 1652 begrundete „Leopoldino-Carolinische Akademie der 
Naturforscher" eine wesentliche Erweiterung ihres Wirkungs- 
kreises, eine Anzahl ihrer wichtigsten Vcroffentlichungen. 
Breslauer Mitglieder der Akademie veroffentlichten 1717 — 26 
die vielbandige Sammlung der sogenannten ,,BresIauischen 
Observationes", in denen Berichte iiber die Witterungsver- 
haltnisse, iiber Menschen- und Tierseuchcn, iiber den Stand der 
Landwirtschaft, iiber neue Erfindungen, Entdeckungen und 
Literaturerseheinungen auf den Gebieten der Medizin und Natur- 
wissenschaften geboten wurden. Vor hundert Jahren zahlte 
Breslau wohl eine Anzahl tiichtiger Arzte, von denen mehrere 
in den Lehrkorper der Universitat eintraten. Aber die be- 
stehenden medizinischen Lehranstalten, die anatomische und 
die Hebammen-Lehranstalt litten an Diirftigkeit der Mittel 
und Unzulanglichkeit der Raume. Ein 1803 geplanter Neubau 
scheiterte an dem Einspruche der Jesuitenuniversitat, die zu 
seinen Gunsten in ihren Kiichen- und sonstigen Wirtschafts- 
raumen — es bestand damals noch gemeinsame Verpflegung — 
beschrankt zu werden fiirchtete 13 ), 

Aus dem geschilderten unbefriedigenden Ubergangszu- 
stande hat sich Breslau im Laufe des vergangenen Jahrhunderts 
mit rustiger Kraft herausgearbeitet. Schrittweise die Nach- 



13\ 



J ) Forster, Das Jahr 1807 und die Universitat Breslau (Br. 1907) 
fe . 1 U- 



— 17 — 

wirkungen des Alten iiberwindend, den Anforderungcn der 

Neuzeit sich anpassend, hat es in angespannter Arbeit seine 
jetzige Stellung unter den deutschen Grofistadten erkampft. 
Anfangs allerdings, in den zwanziger und dreiBiger Jahren des 
19. Jahrhunderts, Avar die Fortentwickelung nock iiberaus 
langsam und stockend. Nach dem groBartigcn geistigen Aiaf- 
schwunge und materiellen 'Kraftaufwande der Freiheits- 
kriege, an dem Stadt und Univcrsitlit so ruhmlichcn Anteil 
Jiatten war eine gewisse Abspannung und Entkraftung ein- 
getreten. Viele Kulturaufgabcn der modernen Stadtgemeinde: 
die Fiirsorge file das friiher ganz der Privattiitigkeit iiberlassenc 
Volksschulwesen, eine wirksamere.Armenpflege, die offentliche 
Gesundheitspflege, die Fiirsorge fur Verschonerung der Stadt — ■ 
alle diese Aufgaben wurden je langer je mehr in ihrcr Bedeutung 
erkannt, aber aus Mangel an Mitteln oder aus tcclmischem 
Unvermogen nur langsam und unzuliinglich gefordert. 

Die materielle Diirftigkeit, die sich ini Wirtschaftsleben 

und in der Verwaltung der Stadtgemeinde aussprach - - in ge- 

wissem Sinne nur ein Abbild allgemeiner, staatlicher Zustande — 

hat ein Gogenstuck audi in den ersten Jahrzehnten der 

Universitatsgeschichte. Sie zeigtc sich in der fur moderne 

Okren marchenhaft klingendcn iiuBeren Unzulangliohkeit der 

akademischen Institute und Sammlungen. Man denke nur an 

die spater als Universitatskarzer benutzten Raume des Physio- 

logischen Institute, des altesten in Europa, in dem der geniale 

Purkinje forschte und lehrte 14 ). Sie zeigte sich aber auch in der 

lange Zeit iiberaus diirftigen materiellen Lago ernes groBen 

Teils der Breslauer Studentenschaffc. Dem aus Halle kommenden 

Steffens 15 ) fiel es auf, daB an die „recht glanzenden Balle", 

zu denen die Hallcnser Studentenschaft die Professoreii und 

ihre Familien eingeladen hatte, in Breslau „bei der herrschcndcn 

Armut der Studicrcnden nieht zu denken war". „Im Oktober 

1833," so borichtet Hoffmann von Fallersleben 1H ), „kam 

ein neuer Professor zu uns, Adolf Friedrieh Stenzler, Professor 

des Sanskrit. Alle Welt schrie: Sanskrit in Breslau ! In Breslau, 

wo man nur Brotwissenschaft studiert, wo die Studenten ho 

arm sind, daB sie nicht einmal ein Publikum belegen, well sic 

2'/ 2 Sgr. dann an die Krankenkasse entrichten miisscn, wo zwei 

Studenten, wic man sieh erziihlt, nur ein Paar Stiefel haben." 

Aueh in den amtlichen Quollen jcner Zeit erscheint ein zahl- 

reiehes, unglaublich durftiges Studentenproletariat, zu dessen 



14 ) Die Sehlesische Geselbchaft l'iir yaterland. Kultur (Bresl. 1904) 

Q! ir 

' «) Was ich erlebte VIII, 173. 
l6 ) Werke VII, 194. 

*2 



— 18 — 

Vermehrung auBer der allgemeinen ungirastigen Wirtschafts- 
lage audi eine allzulaxe Stundungspraxis der Professoren 
beitrug 17 ). 

Die Oleichartigkeit der Entwickelung zwischen Stadt und 
Universitat kiBt sich iiber die ersten knappen, miiden Jahr- 
zehnte naeh den Befreiungskriegen Mnaus verfolgen. Als in den 
vierziger Jahren die Verbindung Schlesiens mit dem groBen 
Wirtschaftsgebiete des Zollvereins und vor allem die Anfanse 
des Eisenbahnbaues Breslaus wirtsehaftliche Lage besserten, 
sein Wachstum beschleunigten, kain gleichzeitig ein friseher 
Zug in die ganze Stadt verwaltung, eine lebhafte politische 
und soziale Bewegung in die Biirgersehaft. Neben Konigsberg 
.stand Breslau in erster Reihe bei dem Streben des Biirgertiuns 
nach Erweiterung der Volksrechte, nach Einiiihrung einer 
Volksvertretung. Die gemeinsamen politischen Bestrebungen 
weckten ein bisher unbekanntes Gemeingefuhl in alien Be- 
volkerungssehichten, lieBen bisher herrschende Standesunter- 
scbiede zuriioktreten. Im Leben der Universitat auBerte sich 
der EinfluB der neuen Zeit dadureh, daB die wirtsehaftliche 
Lage der Stndentenschaft sich hob, daB die Universitatslehrer 
tnehr als bisher Fiihlung mit weiteren Kreisen der Biirgersehaft 
suchten. AuBer der Tatigkeit in der Stadtverordnetenversamin- 
iung, in die 1842 der erste Universitatsprofessor eintrat, niuBte 
die Wirksamkeit in Vereinen und in offentlichen Vortragen 
dazu dienen, Steffens hatte schon in den Anfiingen seiner 
Breslauer Lehrtatigkeit in Vortragen auf ein groBeres Pubhkum 
zu wirken gesueht. Auch die Schlesische Gesellschaft war in 
ihren allgemeinen Versammlungen und in besonderen Vortrags- 
zyklen iiber die Kreise der Eachgelehrten binausgegangen, 
Jetzt unternahm in den Jahren 1842 — 45 ein von Nees von 
Esenbeek, Stenzel und Kahlert gelciteter „Wissenschaft- 
licher Verein", ,,dasjenige aus dem Bereiche der Wissenschaften, 
was von allgemein menschliehem Interesse, ohne Vorbildung 
fur ein spezielles Each, dem Verstandnisse zuganglieh gemacht 
werden kann", einem ,,gr6Beren Kreise gebildeter Zuhorer" 
vorzufiihren. Wie von den Stromungen des Vormarz, wurde von 
der in Breslau besonders lebhaften politischen Bewegung des 
Jahres 1848 aueh die Universitat ergriffen. Wiihrend sich ein 
groBerTeil der Studentenschaft mit jugendlichem Peuer in den 
radikalen Klubs und in der Biirgerwehr betatigte, suchten die 
in den Parlamenten und in politischen Vereinen tatigen 
Professoren, an einem dauerhaften Ausbau des neuen kon- 
stitutionellen Staatswesens initzuarbeiten. 

'") Freumdliche Mitteilumr von Dr. A. Kern. 



t$i&S£2.*sx£3£*tKl 



— 19 — 

Die seit den sechziger Jahren mit aller Kraft einsetzende 
letzte Phase des groBstadtischen Waohstums Breslaus hat zweifel- 
los die Entwiekelung der Universitiit in vieler Hinsieht gestutzt 
undgefordert. Je mehr die Stadtverwaltung outer weitblickender, 
tatkraftiger Leitung voll auf der Hobe ihrer rastlos waehsenden 
Aufgaben stand, urn ho mehr hat sie an ihrcm Teil aueh den 
Interessen der Universitiit zu dienen gewuIJt. Die Beriihrungen 
zwisehen Stadt und Universitat sind zwar weniger mannig- 
faltig und umnittelbar', seit die Verhindung der Universitats- 
kliniken mit den stadtiseben Krankenhausern aufgehort hat; 
trotzdem findet die Stadtverwaltung inuner nocla Gelegenheit, 
verstandnisvollen Anteil fiir das Oedeihen der Universitiit 
zu betatigen. Nicht zu untersehatzen ist ferner der Resonanz- 
boden, den das bewahrte Bildungsstreben \veiterer Bevolke- 
rungskreise unserer modernen GroBstadt fiii* die gelehrte For- 
sehiing bietet. Die unendlieh gesteigerte Vereinstatigkeit 
bringt die Universitatslehrer in fortgesetzte Beriibrung mit 
den akademisch gebildeten Vertretern anderer Berufe, Welclie 
Bedeutung in dieser Hinsieht namentlich den mediziniseh- 
naturwissensehaftliehen Sektionen der Schlesiseben Gesellschaft 
heute noeli zukommt, ist bei der hundertjahrigen Jubelfeier 
der Gesellschaft mit Recht hervorgehoben worden. Wenn endlieh 
gemeinsame Betatigung in der Kunstpflege sicher geeignet 
ist, zwisehen den Vertretern der wissenschaftlichen Forschung 
und weiteren Kreisen der Gebildeten ein einigendes Band zu 
kniipfen, so darf daran erinnert werden, daB Breslau, wenn 
nicht als Pflegestatte der bildenden Kunst, so doeh als Musik- 
stadt sieb iiber das grofistadtisehe DurchschnittsmaB hinaus 
betatigt. 

Andererseits muB eine GroBstadt wie Breslau, die dureh 
ihre natiirlichen Daseinsbedingungen nicht gerade vor ibres 
Gleichen begunstigt erscheint, auf ihreUniversitatauch hemmende 
Einflusse ausiiben. Die allgemeine Gefahr eiher Uberflutung 
der Universitiiten mit Horern, denen an einer allgemeinen wissen- 
schaftlichen Durchbildung weniger gelegen ist, als an der eng 
begrenzten praktisehen Berufebildung, muB bier verhaltnix- 
malJig starker hervortreten. 1st die materiele Lage der Stu- 
denten, entsprochend der allgemeinen Steigerung des Wohl- 
standes, weit giinstiger als friiher, so werden doch auoh heute 
noeh nur zu viele dureh materielle Sorgen und Note von dem 
eigenthehen Zweeke ihrer Stndienzeit abgezogen. Das seit 
mehreren Jahren se.gensrcich wirkende Studentenheim, das 
als bleibendos Gedachtni^ der Jubelfeier in eigenen Ran men 
die Moglichkeit weit ausgedebnteren Wirkens erhalten soil, 
entspricht gerade in Breslau einem langgcfiihlten, dringenden 

2* 



— 20 - 

Bedurfniwe. Wohl hat audi in Breslau frohliches Studenten- 
leben und em vielgestaltiges Verbindungswesen seine Bluten 
getneben. Aber erne eigentliche Vergniigungs- und Luxus- 
imiversitat gleich ihren Schwestern an der Saale hellem Strande 
am Neckar und am Rheine ist unser Breslau me gewesen unci 
wird es nie werden konnen. 

In der zum 13. Deutschen Geographentage von 1901 ver- 
faBten anziehenden Studie iiber Breslaus raumliehe Ent- 
wiokelung schrieb Aloys Sehulte: „Breslau hat viele Kilo- 
meter Oderufer, aber es kennt merkwiirdigenveise keinen Bier- 
garten unmittelbar an der Oder. Bis vor kurzem standen an 
der Eoke der Dominsel vier Tische in der Veranda eines reeht 
pnmitiven Wirtshauses. Mit ilim versdiwand das letzfce Bres- 
lauer Wirtshaus am Wasser. Die Breslauer Oder mufl arbeiten- 
die Elbe von Dresden und Vater Rhein bei Koln sind daneben 
behagliche Rentiers." Durch diese, abgesehen von der auBersten 
Ostvorstadt, duxchaus zutreffende Beobaehtung wird vortrefflieh 
veranschaulicht, wie unserer Stadt emste, angespannte Arbeit 
unerlaBliehe Vorbedingung zur Selbstbehauptung in hartem 
Wettbewerb, den Stempel aufgedriickt hat. DaB dies alles in 
allem aucb. fur unsere Universitat zutrifft, wird den vielen 
Gescldechtern ihrer fruheren Schiiler kein Hindernis, v iel- 
mehr ein srerstarkter Antrieb sein, in festb'cher Stunde der alten 
Alma Mater in Treue und Dankbarkeit zu gedenken. 









£2» 



— 21 — 



Das Universitatsgebaude und die 
Matthiaskirche. 

Von Ludwig Burgemeister. 



In der arnisten Zeit des Vaterlandes richtete man vor 
einem Jahrhundert die neue Universitat in Breslau, die bei dem 
geistigen Aufschwung der Nation so segensvoll mitzuwirken 
berufe.n war, in dein stolzen Gebaude am Odcrstrome ein, das 
sich einst die Jesuiten als Sitz ilirer Universitat erricbtet hutten. 
Fur die neue Lchrstattc bedurfte man keines Prunkgebiiudes, 
das olmehin dem enthaltsamen Geiste der Zeit widerstrebte. 
Aber man nahm den Bau, der sich so bequem hot und iiberdies 
nacli der Verwiistung in sclilimmen Kriegszeiten nur noeb 
ein Sehatten seines friihercn Glanzes war. Langc genug hat 
seitdem im Ernst stiller Arbeit der Bau ein bescheidenes Dasein 
gefiihrt und erst in den letzten Jahrzchnten, als der zunehmende 
Wohlstand des Staates die Aufwendung groBerer Mittcl fur 
Kunstpflege zulicB, konnte das Bauwerk als Phonix aua der 
Aseke allmahlich wieder zu seiner vollen Schonheit ersteben. 
!So erfreut sich die Breslauer alma mater ernes Wohnsitzes, dessen 
Glanz, iiber das wissensehaftliche Bedurfnis hinausgehend, auch 
der Phantasie reicbe Nahrung gibt und aus dem Bereich der 
Alltagliehkeit zu der Hoke der Begeisterung erhebt, dcren audi 
die Wissenschaft nicht entraten kann. 

Die Gesellschaft Jesu war 165') in den Besitz der kaiserlichen 
Burg gelangt, die auf der heute von der Matthiaskirche, dem 
Chemigchen Institut und dem ostlichen Teil der Universitat bis 
zum Kaisertor eingenommeneji Grundflaehe lag. 13er Rektor 
des Kollegiums, Pater Wolff ven Laid inghausen, riohtete 
seme Plane zurtachst auf die Frrichtung einer Kirohe, inn sich 
dadureh den von der Stadt angefoehtenen Besitz der kaiser- 
lichen Schenkung sicker zu stellen. 1689 wurde der Bau der Ki rche 
nach Niederlegung der alten Burgteile an der Siidostecke be- 
gonnen. Im zehnten Baujabre 1698 wurde das Werk zu Endc 
gefiihrt und am Tage des Ordensstif ters, 31. Juli, unter groBem 



— 22 — 

Pomp geweiht. Aber noch war der Bau keineswegs vollendet. 
Die Innenausstattung feJilte noch fast ganzlich und wurde erst 
in den nachsten Jahren nachgeholt. Dann wurde bis 1706 in 
etwa zweijiihriger Arbeit die Kirehe durch Johann Michael 
Rottniaycr vnn Rosenbrunn ausgeinalt. 

Die Ausfuhrung der Kirehe zum Namen-Jesu, jetzigen 
Matthia^kirelie, bis zum Jahre 1 700 bcwogt sich in den strengen 
maBvollen Bahnen, die anfangs fur die Bautatigkeit der Jesuiten 
eingehalten wurden. ZweckmaBigkeit und Dauerhaftigkeit 
wurde angestrebt, aueh GroBziigigkeit fehlte nicbt. Dagegen 
wurde Prunk bis dahin als mit dem Ordensgeliibde der Armut 
in Widerspruch stchend vermiedcn. Zu Anfang des achtzehnteii 
Jahrhunderts aber wich die Enthaltsamkeit und Bescheiden- 
heit der ecclesia militans naeh gewonnenem Siege dem stolzen 
SelbstbewuBtsein der ecclesia triuniphans. Im Shine einer alles 
ubertonenden Praeht entfaltet sich von 1722 ab an der Namen- 
Jesu-Kirche eine zweite Bauzeit. Es beginnt unter dem tat- 
kraftigen Rektor Franz Wentzl die Tatigkeit des Jesuiten- 
bruders Christoph Tausch, eines' Schiilers des bekannten 
Pozzo. Ihm verdankt das Innere der Kirehe den bestrickenden 
Glanz. Er schuf den bedeutenden Hochaltar, fiihrte die Innen- 
architcktur der kannelierten Saulen in Stuckmarmor aus und 
bekleidete die Wande mit Purpurtapetcn. Weiterer Schmuck 
von Nebenaltaren, Figuren und Leuchtern kam hinzu. Erst 
1728 waren diese Arbeiten vollig abgeschlossen. Aueh auBer- 
lieh wurde eine Verschonerung fiir notig gehalten. Die ohne 
Turin entworfene Kirehe erhielt 1726 einen zierlichen Dach- 
reiter. 

Wie es das Hauptziel des Barockstils ist, rnoglichst groBe 
Hauptraume aus einem Stuck zu schaffen, so eharakterisiert 
sich die Namen-Jesu-Kirche als einschiffige weitgespannte An- 
lage. Die Nebenschiffe sind weggef alien und durch eine Kapellen- 
reihe mit daruber liegender Empore ersetzt. So wird trotz der 
geringen Tiefe der Kapellen der Eindruck der Weifcraumigkeit 
gewonnen. Von den sieben Jochen sind die beiden ostlichsten als 
Clior zusamniengezogen, das westlichejooh hatauf der Empore die 
Oi'gel aufgenommen. Die Breslauer Jesuitenkirche entsprieht 
in ihrer GrundriBbi kiting genau dern Typus, der sich auf der 
Grundlage von Gesu in Rom im Bereichc der osterreichischen 
Provinzen gebiidet hatte. Er tritt am ausgesprochensten 
bei der Linzer Ignazkirche zutage und wirkt in Schlesien bei 
den katholischen Pfarrkirehen in Liegnitz und Brieg, wie aueh 
bei der Kreuzkirche in Neisse nach. Wie oben nachgewiesen 
hat Tausch dem Inneren seinen Stempel aufgedriiekt. Aber 
der eigentliehe Architekt des Baues ist niclit bekannt. Seine 



— 23 — 

Art l&Bt das akademische kfihle AuBere erkennen, Das auf 
alien vier Fronten durckgefuhrte System zeigt zwiscken flachen 
bis zum Hauptgesinls durchgehenden, doppelt vorgezogcnen 
Pilastern mit korinthisierenden Kapitelien zwei Reihen einfaeh 
gebildeter rundbogiger Fenster. Ini Inneren sind dem ersten 
Architekten die vornehmen Raumverhaltnisse gutzuschrciben. 
Die Deokengemalde der Kirche von Rottmayer stehen an der 
Spifcze der barocken Monumentalmalerei der ganzen Provinz. 
Sie gipfeln samtlich in einer Verherrlichung des Namens Jesu. 
Den Hohepunkt der Darstellungen bildet das Mittelfeld, welches 
in einer Glorie die Anbetung des Namens Jesu durch die Heiligen 
des neuen Testaments darstellt. Das scheinbare Himmels- 
gewolbe wird umrandet von Gruppen, welehe hinter einer Balu- 
strade einen saulengetragenen Raum beleben. Die Figuren auf 
den vier Seiten vertreten die vier Weltteile, ein damals be- 
liebter Gedanke. Wie das groBe Mittelbild durch cine raumlicho 
Halle mit dem Architekturgeriist den Bancs in Beziehung ge- 
bracht ist, treten audi die iibrigen Einzelbilder durch arehitek- 
tonische Fassungen mit den Baugliedern in Verbhidung. D^r 
festliche Zug, dor schon in Rottmayers Kunst hervortritt, 
wurde noch scharfer in Tausch betont, Aber audi was dieser 
hinzufiigte an prunkendem Schmuok ini Sinne eines rauschenden 
Jesuitenstils hat noch italienisches Geprage. 

Der Bau der Namen-Jesu-Kirohe, der schon bei den Zeit- 
genosscn gebiihrende Bewunderung fand, bildete die Einleitung 
jcner gewaltigen Barockbautafigkeit, die sich damals in Breslau 
entfaltete. Es ist erstaunlich, schon allein vom volkswirtschaft- 
lichen Standpunkte aus, mit welch gewaltigen Mitteln damals 
die ganze katholische Kirche sich regte. Uriel nun war auch die 
Zeit gckommen, wo die Jesuiten Hire Langst bestehenden Plane 
fur einen Neubau ihres Kollegiums ausfuhren konnten. Trotz 
aller Gegenbemiihungen war es dem einfluBreichen Pater Wolff 
schon 1702 gelungen, die Griindung einer Universitiit durch- 
zusetzen. In Rektor Wentzi war jetzt der Mann erstanden, 
der nach Ausschmuekung der Kirche auch der langst driickend 
empfundenen Beschranktheit der Raume in der ruinenhaften 
und verwinkelten Kaiserburg ein Endo machen sollte. Dem 
Noubau des Kollegien- unci Schulgebaudes standen nJcht 
geringe Sehwierigkeiten entgegen. Die ftir den Neubau mit in 
Aussicht genommenc Flache des Sperlingsberges gehorte, mit 
Auanahme des Stallgebitudes, gar nicht der Sozietat, sondern 
war seit undenkliohen Zeiten rait kleinen Biirgerhauschen 
besetzt, die sich an die Stadtmauer anlehnten. Das selir gpitz- 
findig nachgewiesene Besitzrecht wurde von der die Ausbrei- 
tungsversuche der Jesuiten eifersiichtig verfolgenden Burger- 



B 



- 24 — 

schaft lebhaft bekampft. Weiter erregte die beabsichtigte Be- 
seitigung des alien Kaiscrtores und tJberbauung des Stadt- 
cinganges mit dem Schulanbau viele Bcdenken. Abcr der Tat- 
kraft Wentzls, die in dem oft und deutlich bekundeten Willen 
des Kaisers ihre Stiitze land, gelang es, in einem Vergleiche 
vom 14. Mai 1728 alio Hindernisse aus dem Wogc zu raumen. 
Die Niedcrlegung der vorhandenen Bauliehkeiten begarni 
im Mai von Westen aus. Am 19. Mai fand der erste Spaten- 
stich, am 6. Dezember die feierliehe Grundsteinlegung statt. 
In den nachsten Jahren wurde der Bau von Westen her hocli- 
gefiihrt und allmahlich unter Dach gebraeht. 1731 war der 
Turm iiber dem Haupttreppenhaus (Stern wartenturm) solion 
bis fast zur Hohe des Daches gefordert, und der anschlieBende 
Bauteil bis zum Kaisertor war einige Stock angewachsen, als 
sioli ein schwerer Bauunfall ereignete. Es bracken vler Pfeiler 
des Marianisehen Oratoriums (jetzt Musiksaal) zusammen, und 
der ganze Gebaudeteil nahe der Haupttreppe stiirzte ein. Danacb 
muBte cine vollige Anderung der Gestaltung des Oratoriums 
vorgenommen und der fruher dreischiffige Raum einschiffig 
angelegt werden, indem die nordliche Pfeilerreihe weg- 
fiel und an Stelle der siidlichen cine starke Wand trat. In- 
zwischen war der akademische Festsaal (Aula Leopoldina) 
groBtenteils fertiggestellt und ausgemalt. In dem dariiber ge - 
legenen Komodiensaal (jetzt zu Horsalen umgebaut) war die 
Ausmalung ebenfaJls dem Ende nahe. Beide Sale konuten sehon 
mi nachsten Jahre, 1732, eingeweiht werden. Der bis zum 
Kaisertor reichende Bauteil wurde im folgenden Jahre sowohl 
im Aufieren als im Inneren der Hauptsache nach vollendet 
Nunmehr wurde audi der vom Kaisertor nach Siidosten 
verlaufende Fliigel der kaiserlichen Burg niedergelegt unci an 
dieser Stelle im Oktober der Kollegienbau begonnen, an den sich 
1735 noeh der Bauteil in der Verlangerung des Langflugels 
ostlich vom Kaisertor in etwa 30 in Lange anreihte. Die alte 
Burg war jetzt groBtenteils beseitigt, Beschwerden, die seitens 
der Stadt vorgebracht wurden, hielten den Bau nicht auf 
Anfangs 1730 wurde der Rekfcor Wentzl abberufen, als dessen 
eigenstes Werk der Bau gelten konnte. Sein Nachfolger Johann 
Hildebrandt hatte in den nachsten Jahren die beiden Osl- 
flugel zu vollenden, Allmahlich wurden 1740 die meisten Kiiume 
bewohnbar. Ruckstandig waren noch zwei Bauteile, der Ver- 
bindungsbau zwischen dem Kollegium und der Kirche, sowie 
der geplante Turmbau liber dem Kaisertor. Beide wurden vor- 
laufig in unschoner Weise abgedeckt, denn es bracken welt- 
geschichtliche Ereignisse herein, die der Bautatigkeit ein Ende 
setzten. 



— 25 — 

Konig Friedrich von PreuBen war im Dezeniber 1740 
in Schlcsien eingeriickt, urn nach Kaiser Karls VI. Todc seine 
Anspriiche auf Scblesien geltend zu machen. Das noch unvoll- 
endete Universitatsgebaude hatte nun alle Fahrliohkeiten des 
Krieges zu bestehen. Kranke und verwundete Soldaten wurden 
in den Neubau gelegfc. Die Jesuiten batten alsbald den schmah- 
lich zugerichteten Ban instandzusetzen, fanden aber damn noch 
die Kraft die stattlieh iiberwolbte Verbindungshalle am Siidost- 
fli'sgel zwischen dcr Kiche und dem Kollegienbau fertigzustcllen. 
Tiber dem Kaisertor sollte ein hoher Turin errichtet werden. 
Das Gebaude hatte bis daliin an dieser Stelle unfertig dage- 
legen. Jetzt gewann die schnierzliehe Tjbcrzeugung Oberhand, 
da!3 man auf seine Ausfiihrung verzichten niiisse. Daher wurde 
das Daeb durchlaufend zugedeckt. Die letzten Arbciten zum 
AbschluB des bestelienden Gcbiuides ficlen in das Jalir 1743 
und bczogen sich auf die Fcrtigstelhmg innerer Teile im Rahmen 
des bis daliin erreichten Umfanges. 

Damit war der Universitatebau abgescblossen. Fiinfzehn 
Jahre 1st an ihm gobaut worden. Wie die Ausfiihrungen der 
letzten Jahre schon iliichtig waron und den eingetretenen Ge Id- 
mangel erkennen lassen, so macbten die politisehen Breignisse 
die regelrechte Beendigung seblieBlich ganz umnoglich. Was 
dann die spatercn Kriege dem Bauwerk an Unbeil und Zer- 
storang zufiigten, kann bier nicbt im einzchien verfolgt werden, 
Nur soviel sei wiederholt, daB der praehtige Ban in ruinen- 
baftem Zustandc ins 19. Jahrhundert eintrat und in der Not 
der Zeit nur in unzulanglichster Weise fiir die weiteren Zweekc 
hergerichtet werden konnte. 

Der Neubau hatte zwei Zwecken zu dieuen. Zuiiachst 
sollte er Versammlungs- und Schulraunie, dann aber Wohn- 
und Wirtschaftsraume liefern. Sehulbau und Kollegienbau 
slnd daher zu trennen. Ersterer, die Reprasentationsraume 
umfassend, und in giinstiger Zeit entstanden, prunkt in jesuiti- 
schem Glanze, letzterer zeigt moncbische Hlinfaehheit und tragt 
die Spuren der Kriegsnote. Der Sehulbau erstreckt sieh west- 
lieb. von der fStoekgasse bis zum Kaisertor. Etwa die Mitte des- 
selben nimmt der mathematische Turin, jetzt Sernwarte, ein. 
Westlich von ihm liegt der drcigeschossige Saalfliigel, ostlich 
der vicrgesebossige Klassenfliigel. Der Saalfliigel enthielt im 
ErdgesohoB zwei groBe Klaason; im erston Stockwerk liegt die 
Aula Leopoldina und iiber dieser befand sich das fiir Theater- 
auffiihrungen bestimmte Auditorium comicum. Letzteres 
diente seit der Ncubegriindung der Universitat als naturwissen- 
schafthche Samralung und ist neuerdings zu Horsalen aus- 
gebaut worden. Der Treppenturm, der an den Saalfliigel ostlich 



26 — 



grenzt, entlialt die dreiarmige Treppe. Im Treppenhaus 
und in den Fluren cntfaltet sick anmutiges Banderwerk 
auf den Gurthogcn und Zwiekeln, wie in den Fensternisclien. 
Zwei reiche Portale mit Kartusehenbekronung und iigiirlichem 
Schmuck aus stucco lustro steigern die architektonische Wirkung. 
Die reiche Ausgestaltung findet ihren AbschluB in den Gemalden 
auf den Gewolben, den von Felix Anton Scheffler gemalten 
,,Furstentumern". Der ostliche Teil des Sehulbaues, der Klassen- 
fliigel, enthielt im ErdgeschoB das groBere Marianische Ora- 
torium, jetzt Musiksaal ; im ersten Stock lag das kleine Marianisebe 
Oratorium. Die iibrigen Raume dienten zu Schulzweeken. Der 
Bauteil ostlich vom Kaisertor, aus zwei sich gabelnden Eliigeln 
bestehend, diente den Wohnbediirfnissen. Die Raume dieses 
Baues* haben daber geringere Tiefe und sind schlicbt ausge- 
stattet. Nur die im ErdgesehoB des SiidostfliigeLs belegene, jetzt 
als Auditorium benutzte Apotheke ist reieh mit Stuck und Malerei 
geschiniickt. Das Risalit am Gstende Jag bis 1896 in ruinen- 
haftem Zustande und wurde dann erst aufgebaut. 

Das AuBere des Gebiiudes bat bei verhaltnismaBig ein- 
faclier Gliederung eine auBerordentlich monumentale Wirkung. 
Das ErdgesehoB ist als Unterbau mit leichten bandartigen 
Schichten behandelt. Die Obergesehosse zeigen eine auf warts 
gerichtete Bewegung, indem die drei Fenster jeder Achse, sieh 
iibereinander aufbauend, zusammengezogen sind. Die Westecke, 
der Sternwartenturm und das Kaisertor sind dureb Risalite 
mit Pilastern betont, deren Kompositkapitelle ein Gebalk 
mit hoben gescliwungenen Konsolen tragen. Die Fenster zeigen 
meist gerade Sturze, die im ersten und zweiten Stoekwerk 
mit wechselnd geschwungeneri Verdaebungen abgedeckt sind. 
Der JBau ist jetzt unsynrmetrisch und wird durch den Siidost- 
fliigel in seiner Harmonic unleugbar beeintrachtigt. Aber man 
muB berueksichtigen, daB er ein Torso geblieben ist. Es wurde 
bereits erwahnt, daB fiber dem Kaisertor ein holier Turin ge- 
dacht war. Er solite das Mittelstiick einer ganz symmetris'chen 
Nordfront bilden. Beim Ostfliigel, der nicht vollendet wurde, 
sollte sich also die Baumasse des Westfliigels mit einem der 
jetzigen Sternwarte entspreehenden Turm wiederholexi. Es 
war ein groBartiger Baugedanke, dessen Durchfiihmng leider 
duroh die Geschicke versagt war. 

Als Arehitekt des Universitatshaues ist jetzt der Stadthau- 
meister und Kammerbaumeister Christ oph Haekner fest- 
gestellt, der audi das ebemalige Hatzfeldtsche Palais und die 
Hoebbergsche Kapelle bei der Vinzenzkirche entworfen hat. 
Schon bei der Kirche der Jesuiten waren die beteiligteu Kiinstler 
soweit wir sie kemien, Deutsche; aber sie arbeitcten noch in 






27 — 



italienisehem Geiste. Beim Univei'sitatsgebiiudc sind nur uoch 
deutsche Meister am Werke, und ihre deutsche Art im Sinne 
des in den dsterreichischen Erblanden entwiekelten Barocks 
kommt klar zum Ausdruck. Auch die Stuekateure und Bild- 
hauer Johann Schatzel, Johann Albrecht Siegwitz und Franz 
Joseph Mangold sind durchweg Deutsche. Und schlieBlicb 
wurdcn auch zur Ausmalung deutsche Kimstler herangezogeii. 
Als Maler der Aula und des Musiksaals hat sich Johann Christopb 
Handtke bewahrb. Die Trcppenhausbilder Schefflers Bind 
bereits erwahnt; und bei der Ausschmuckung des Komodien- 
saales, wie einzelner Klassen hat der Jesuitenpatcr Joliann 
Kuben als Maler gewirkt. 

Der UniversiUitsbau mlt der anstoBenden Kirche, die jetzt 
der Matthiasgemeinde iiberwiesen ist, bikiet eine der vornehmsten 
Leistungen der durch die starke religiose Aufriittelung urn 
die Wende des 18. Jahrhundeits in Schlesien entfaehten Kunst- 
bewcgung. Es ist ein nicht zu untersehatzendes Stuck Kultur, 
das sich hier an der auBersten Grenze Deutsch lands entfaltet, 
selbstverstandhch der allgemeinen Entwiekelung der zeitliehen 
Kunst folgend, aber doch voll heimisehcr Eigenart, 






28 



Die Aula Leopoldina.*) 

Von Richard Foerster. 



Unsere heutige Kaiser- Geburfcstagsfeier erhalt ihren be- 
sonderen Charakter von ilirem Raume. BaJJ wir sic in der 
wiederhergestellten Aula begehen durfen, danken wir nicht 
am wenigsten demjonigen, clem die Feier gilt. Wir gcdenken jener 
Sonntagsstunde des 9. September 1906, in der miser koniglicher 
Eerr and in ihm zurq ersten Male ein Deutscher Kaiser aus 
Hohenzolleins Stamm in diesem ehrwiirdigen Raume weilte 
and nicht nur seiner Bewunderung, sondem audi seiner Ge- 
neigfcheit zur wurdigen Erneuerung dieser Schopfung kiinsl- 
lerischen Geistes Worte lieh, ja selbst mit Ratschlagen fur 
sie nicht zuriickhielt. So ist in Erfiillung gegangen der Wunsch 
welchem der Sprecher an dem gleichen Festtage vor zwcilf 
Jaliren namens der Universitat Ausdruck gab, dab" das Werk 
reeht bald in seinem urspriinglichen Glanze wiederhergestellt 
werden niochte. 

Nachst Seiner Majestslt danken wir der. he-hen Staats- 
regierung, den jetzigen mid den friiheren Vertretern des Kultus- 
ministermms und des Kuratoriums, der Bauverwaltung, aber 
audi den anderen Bcteiligten, vor allem den Kimstlern. daJB 
sie einmiitig mit Lust und Liebe alle Krafte daran setzten 
das Werk zum heutigen Tage zu vollenden, besonders dem Maler 
Herrn Josef Langer. Stellt unser Universitatsgebaude die 
Hohe der Kunst des Barock in Sehlesien, dar, so weist 
es in seiner Aula und seinem Musiksaale Festraume auf, mit 
denen sicli die keiner anderen deutschen Universitat messen 
konnen. So danken wir in dieser Stunde mit Worten, danken aber 
auch mit der Tat, wie sie einer Statte wiasenschaftlioher Arbeit 
ziemt. Wir stellen, was bisher nur unvoUkomnien geschehen 
Aula und Musiksaal in den groBen Zusammenhang der kunst- 

i 

*) Rede zur akadeiinschen Feier des Getmrtstages Seiner Majestat 
des Kaisers unci Konigs Wilhelm II. am 27. Januar 1911, gehalten voni 
Gelieimen Regierungsrafc Professor Dr. Richard Foerster, gedrtickt in 
der , Schlesischen Zeitung" 1911, Nr. 82 und 85, hier an einigen Stellen 
geandert. 



. 



T- 



— 29 — 

gescbicbtliehen Entwickelung und gedenken besonders, was 
bisher nocli nie gesebehen ist, des Sebopfers der beiden Kunst- 
werke. 

Wobl crgibt sicli aus den alljahrlich von den Leitern des 
Jesuitenkollegiums nacb Rom gesandten Berichten, Mas in 
jedem der secbzehn Jabre von 1728 bis 1743 an dem Ban der 
seholae und des collegium gesebehen ist, aber von den Nam en 
der Kiinstler ist in ihnen niebt die Rede, selbst dann niebt, 
wenn eine Arbeit als von einem Angehorigen der Gesellsehaft 
Jesu Jierriibrend bezeicbnet wird. Auck in beiden Siilen sucht 
man vergeblich nacb der Spur eines Kunstlernamens. Der Musik- 
saal entbebrt jeglicher derartiger Inschrift. An der Decke 
der Aula findet sieli allerdings die Jahreszahl 1731 und an der 
blinden Tiir der Eingangsseite die Zabl 1732 binter den An- 
fangsbucbstaben der Namen der beiligen drei Konige C f M f B "i". 
Audi weisen ein Ballen und ein FaB in dem Gemiildo an der 
RuckwanddesSangercbors^velehesdieOderscbiffabrtverhei-rliebt, 
Buchstabenligaturen auf, in denen sicb, wie zu vermuten nabe 
liegt, die Anfangsbuehstaben der Naraen des Kiinstlers ver- 
steeken; aber wer vermocbte sie olme weiteres zu entziffern? 
Aucb in den allerdings sebr sparlieh vorliandenen Quittungen 
und sonstigen Urkunden ist der Kimstlernamc niebt erhalten. 
Der erste, weleher iiber den Bau sprieht, fubrt Klage dariiber, 
daB so „vieles bei Admodum Reverendis Patribus Societatis 
Jesu selbst niebt aufgezeiclvnet worden sei". 

Es war der gelebrtc Arzt Doktor Jobann Christian Kund- 
m ami in seinem 1741 in Breslau gedruckten Werke: ,,Academiae 
et Seholae Germaniae, praecipue Ducatus Silesiac, cum Biblio- 
tbeeis, in Nummis, Oder: Die Holien und Niedern Scbulen 
Teutschlandes, insonderbeit des Hertzogthums Scblesiens, mil 
ihren Biieber-Vorrathen, in Miintzen." Er war selbst in das 
Gebaude gegangen und bat audi den Namen des Malers, wenn 
aucb niebt des Musiksaales, so dock der Aula und einiger Audi- 
torien ausgckundscbaftet. Auf seinem Zeugnis allein konnte 
man bisher fuBen. Da traf es sich sehlecht, daB gerade die 
neueste Eorscbung vielfaeli gewicHtige Ursacbe gehabt bat, 
fvundmann der Unzuverlassigkeit zu zeihen. So war aucb bier 
sein Zeugnis in Frage zu stclien. Da darf es als ein grolier 
Gliicksfall bezeicbnet wcrden, daB das vcrflossene Jabr, wie 
es den Namen des Baumeisters des Hauses — Hackner*) — 
gebracbt, so audi den des Malers der Aula und des Musiksaales 
urkundlicb festgostellt und Kundmann in diesem Falle ent- 



*) L. Burgemeisfcer, s ,Schles, Zeitung" 1910 Nr. 916: „Breslaus 
groBter Barockbaumeister." 



30 — 






lastet hat. Er hat den Namen, weim auch nicht ganz, so doch 
im wescntlichen richtig gehort und wiedergegeben. 

Es verstand sich von selbst, dafi die Jcsuiten alles daran 
setzten, sowohl die Aula, auch Auditorium Academicum 
genannt, den Raum fur die akademischen Feierlichkeiten, ins- 
besondere die Promotionen, als auch den Musiksaal, d. h. das 
Oratorium Mat'ianum der Congregatio Latina Maior Beatae 
Virginia, in bervorragendem MaBe kiinstlerisch auszugestalten 
vor alleni mit sinnvollem malerischen Sehmuck zu versehen. 
Wer stand fur diese Aufgabe zur Verfiigung? 

Der Stolz Sehlesiens, der schlesisclie Apelles oder schie- 
sisehe Rafael, obwohl weder von Geburt noeli durch Schule 
Schlesier, aber iiber ein halbes Jahrhundert ausschlieBlicli in 
Schlesien in kirchlicher Kunst t&tig,- Michael Willmann, 
hatte seine Augen schon am 26. August 1706 gesch lessen ;. vier 
Tage darauf sein Sohn Michael Leopold Willmann und ain 
23. August 1712 sein Stiefsohn Lischka, beide dem Vater nicht 
ebenbiirtig. Audi Rottmayer von Rosenbrunn, der die an- 
stoBende Ordenskirche so wirkungsvoll ausgemalt hatte, war 
am 25. Oktober 1780 aus dem Lcben geschieden; ein Jahr darauf 
(4. November 1731) Christoph Tauseh, der dem Orden an- 
gehorige Maler-Architekt, dem die Kirche ilire innere Einrielltung 
und Ausschmuckung verdankte. Kuben, ebenf alls Jesuit, wurde 
zwar fiir kleinere Arbeitcn herangezogen, schien aber mit Recht 
jener Aufgabe nicht gewaehsen. KurzeZeit vorherwar Felix Anton 
Sclieffler nach Schlesien gekommen, urn hier sein Gliick zu 
machen, und hatte 1730 inNeisse dieDecke derPeter-Pauls-Kirche 
gemalt. Auch ihm traute man nicht das liohe Kunstvermogen 
zu. Er wurde mit der Ausmalung des Vestibiils, der Treppen und 
fvorridore abgefunden. Wohl aber erinnerte man sich eines 
Kiinstlers, der nicht lange vorlier sich an einer ganz ahnliehen 
Aufgabe trefflich bewahrt hatte, zwar nicht in Schlesien, wohl 
aber in dem mit diesem politisch wie religids zusammengeliorigen 
Mahren. Wahrscheinlich war es Wentzl, der Rektor des 
Kollegiums, der auf den ihm von seinem friiheren dortigen 
Aufenthalte bekanntcn Kiinstler hinwics. Fiir Mahren 
war sehon lange eine scliaffensfreudige Zeit auf dem Gebiete 
sakraler Kunst angebrochen. Die groBcn Orden der Pramon- 
stratenser, Augustiner-Chorherren und Jcsuiten wetteiferten 
im Xeu- und Umbau von Kirchen und kirchlicben Gebauden. 
Die Kuppeln, Gewolbe und Decken wurden mit Gemillden iiber- 
sclmttet, anfangs von italienischen, bald audi von einhelmischen 
Kunstlern. So waren audi die Jesuiten in Olmiitz 1717 an die 
Aussehmiickung der Aula in ihrem fiinf Jahre zuvor neugebauten 
Kollegium gegangen und batten mit dioser Arbeit eincn jungen 



- 31 



einheiniischen Maler betraut. Es war Johann Christopli Handke, 
geboren don 18. Februar 1694 in Johnsdorf bei Ronierstadt, 
der Sohn armer Leute. Er sollte das vaterliche Handwerk eines 
Schuhmachers erlernen, war aber audi durch die Schlage des 
Vaters niclit dazu zu bewegen, weil er ein Maler werden wollte, 
obwohl er nie cinen Maler gesehen hatte, ja nieht wufite, ob die 
Maler Menschen sei en. So hatte er es endlieh durehgesetzt, dafi er 
1708 in die Lehre zu Meister Langer in Fieudenthal uud nach 
deren Beendigung 1715 naeh Olmiitz kain. Es war ein erster 
Versuch, den die dortigen Jesuitenin der Aula mit ihm maehten, 
und obwohl nur in Wasserfarben ausgeftihrt und nachmals 
von ihm selbst abfallig beurteilt, fiel er dock zur Zufriedenheit 
der Besteller aus und versohaffte ihm neue Auftrage in Olmiitz, 
wie das Auditorium comicum, den Saal fiir die Lustspielauf- 
fiihrungen seitens der Jesuitenzoglinge (1725), das Refektorium 
und die Bibliothek im Kollegium (1726) und die Kapelle im 
Konviktgebaude (1728), und, auBerhalb von Olmiitz, die Mino- 
ritenkirehe in Troppau (1724) und die Marianische Kapelle 
in Mahmeh-Neustadt (1730). Woher stammen diese liier zum 
crsten Male nur in einer Auswahl gebotenen Angaberi sowohl 
iiber den auBcren Lebensgang als iiber die innersten Seelenstim- 
mungen des Kiinstlers, wo wir bisher durch Kundmann nur 
den Sehemen eines Kihistlernainens hatten? Wie wunderbar! 
Als Handke im Jalne 1890 zum ersten Male eine eingehendere 
Wiirdigung zuteil wurde durch seinen Landsmann, den Kustos 
des Kaiser-Franz-Josef-Gewerbe-Museums in Olmiitz, Pro- 
fessor Adolf Nowak, beklagte dieser, daB zu einer Biographie 
des Kiinstlers fast ale urkundliehen Daten fehlten. Er ahnte 
nieht das Vorhandensein einer vorziigliehen Quelle. So sehr 
war diese in vollige Vergessenbcit geraten. — Es war im Jahre 
1766. Handke fiihlte, daB das W T crk seines Lebens in der 
Hauptsache ausgerichtet sei. Er hatte mehr gemalt als 
irgend einer seiner Landsleute und aueh durch die innere und 
auBere Beschaffenbeit seiner Bilder alle iibertroffen. Da setzte 
er sich bin und schrieb mit eigener Hand sein Leben, keines- 
wegs sich bespiegelnd, sondern sich streng beurteilend, keines- 
wegs mit Veraehtung auf die iibrige Welt herabbliekend, sondern 
treuherzig und naiv, nieht versohweigend, in welchen Kl (intern 
ilim die Arbeit durch die kostlichsten Bissen und edelsten 
Tropfen gewiirzt worden sei. Er sah sein Leben in seinen Werken 
und verzeichnete — mit Hilfe seiner Rechnungsbiieher — wie 
die Arbeiten Jahr fiir Jahr entstanden, in welcher Technik 
sie ausgef iihrt waren, wer die Gehilfen, wer die Besteller, welches 
die Praise waren. Was wurde die Kunstgesehichte darum geben, 
wenn sie von einem der groBen Meister einen solchen index 









— 32 






i 



rerum a se gestaruni besiiBe! In dieser von mir im vorigen 
Jahre aus der Verborgenheit hervorgezogenen Selbstbiographie*) 
finden sich niclit nur jene Bekenntnisse, sondern audi folgende 
Eintragung: „Anno 1732 bin ich auff Bresslau mit zwey Scolaren 
gereisset, bey den PP. Jesuiten in dem Neiien Gebew daB Audi- 
torium in Fresco gemahlet , Accordirt 1200 rhein. Gulden. 
Ihro Hocliwirden Heir P; Joannes Wentzl ware Rector 
Magnifious undt der Herr P: Hcrtzig war Cantzlern." 

,,Anno 1733 Bin ich wiederumb auff Bresslau gereisset 
undt daB Marianische oratorium gemahlt. Ihro Hocliwirden 
Herr P: Grim war damahls Praeses. Accordirt 600 rhein 
Gulden."**) 

Vollig neu ist bier die Angabe, daB audi die Malerei des 
Musiksaales von ilim herriihrt. Bisher fehlte iegliche tjber- 
Jieferang iiber dessen Maler, und der auBcrordentlieh schleohte 
Erhaltungszustand der Earben der Gemalde lieB audi nach 
der Wiederherstellung des Saalcs zu keineni besfcimmten Urteil 
gelangen. 

Hand Ice stand in der Bliite seiner Jahre und war fur die 
ilim hier gestellten Aufgaben wohi vorbereitet, ja in den Ideen- 
kreis, der zur Darstellung gelangen solltc, vollig eingelebt 
audi mit den Problemen, welche die malerische Ausschmuckung 
der einzelnen Teile des Raumes bot, vertraut. Hatte sich dock 
audi in den Fresken der Bibliothek des Jcsuitcnkollegs von 
Olmiitz die Durcbiuhrung des Gedankens, Huldigung der Ktiuste 
und Wissenschaften an die Religion, bis in die Fensternisdien 
lu'nein erstreckt. Unci wie in der dortigen Aula, gait es niereinen 
dreiteiligen Raum zu schmiicken: Apsis, Mittelfeld, Sangerchor. 

Die Apsis unserer Aula stellt dar: die Universitat dureh- 
ihren Schutzpatron, den heiligen Leopold, und durcli Engel 
dargebracht der Gnade der Jungfrau Maria, den Schutzheiligen 
Schlesiens, Johannes dem Taufer, Joseph, Hedwig, dem Stifter 
und dem Apostel des Jesuitenordens, den 200 Jahre zuvor 
heiliggesprochenen Ignatius von Loyola und Franciscus Xaverius. 
Im Mittelfelde thront gleichsam als Lenkerin der Universitat 
die gottliche Weisheit, von welcher Erleuchtung empfangen 
die auf die vier Seiten verteilten Evangdisten, die groBen Lehrcr 
der Kirehe, Hioronymus und Papst Leo der GroBe, Ambrosius 
und Augustinus, Gregor der GroBe, der heilige Aloysius, und 
die Schutzheiligen der theologischen und philosophi'schen 
Fakultat, Thomas von Aquino und Catharina von Alexandrien. 



*) Sie erscheint ini Druck in der Festschrift der SeHesasolien Ge- 
sellscfaaft fur vaterlandische Kultur zum Universitats-Jubilauin. 
**) Erhalten hat er nach den Litterae annuao 50 Gulden roehr. 






. 



— 33 



*) Ebenso iihnelt die Hinimolfahrt der Maria im Musikaaale dor 
gleiolien von Handke unterhalb dea Orgelchores in der Jesuitenkirche zu 
Olmtitz gemalten, dort aber in zwei Szencn, Atifstieg und Ankunft, ge- 
teilten Daratellung. Vgl. S. 47. 



1 



Ihr dienen auch — die Verbindung mit den Wanden herstellend — 
die sieben f reien Kiinste und funf Vertreterinnen der anderen 
artes, welche im Gebaude eine Statte gefunden haben, der Typo- 
graphic, der Malerei, der Plastik, der Pharniazie und der Poesie. 
Von ihr empfangen audi Erleuchtiing die groBen Meister allcr 
Weisheit und Kunst von Moses bis auf Sylveira herab, deren 
Brustbilder sich in Medallions zwischen den Fensterwanden be- 
finden, lotztore nicht, wie die Decke, in wirklichem Fresko, 
sondern in fresco secco, wie es scheint von der Hand der Ge- 
hilfen gemalfc. tJber dem Siingerchor schwebt die Weltweisheit 
in Gestalt einer Pallas vom Himmel herab, mit Genien, welche 
des Segens Fiille bringen der Silesia selbst, umgeben vom Odcr- 
strom Viadrus und der Vratislavia, und ihren beiden hoohsten 
Vertretungen, der Supreina Curia und der Camera, dem Iiochsten 
Gerieht und der Obcrverwaltung. Unter dem Sangerchore 
sind Gruppen muslzierender Engel wieder in fresco secco gemalt. 
Bndlich befanden sich, wie in der Aula zu Olmiitz, ebenfalls 
von Handke gemalt, im Mittelschiff oberlialb der Fakultats- 
logen die Olbilder von Papsten und Kaisern. welche sich um 
das Jesuitenkolleg verdient gemacht batten, sowie des Bischofs 
von Breslau und des Ordensgenerals. Dazu kamen bier in der 
Apsis drei Statuen: namlich in der AbschluBnisehe das Sitz- 
bild des Stifters der Universitiit , Kaiser Leopolds I., und die 
Standbilder seiner beiden Sohne, Josephs I. und des regierenden 
Kaisers Carls VI., und in der Mitte der Briistung des Chors 
die Biiste des obersten Beamten der Provinz und kaiserlieben 
Kommissars, des Direktors des Obcramts und Prasidenten 
der Kammer, dessen Verdienste um die Universitat in einer 
Inschrift mit riesigen Lettern gefeiert werden, des Grafen 
Hans Anton Schaffgotscli. Kein Wunder daber, wenn sieh auch 
im einzelnen mehr als ein bemerkenswerter Anklang an die 01- 
mtitzer Werke des Meisters findet, besonders — aus einem als- 
bald zu erwahnenden Grande — an die Fronleiehnamskapclle 
im Konviktsgcbaude vom Jahre 1728. Dort ist es die nach der 
Besiegung der Mongolen von Jaroslaw von Sternberg gelobte 
fvirehe, bier das Universitatsgebaude, welches die Erzengel 
der in den Wolken thronenden Maria darbringen. Hier wie dort 
stellt sich der Vorgang oberhalb finer reichen Architektur dar. 
Auch die Pallas der Weltweisheit ahnclt stark der Bellona ties 
Olmiitzer Fresko*). 



i 















— 34 - 

Hier wie dort derselbe Scliwung der rauschenden Ge- 
wancler. Hier wie dort die gleiche Malweise, die Bevorzugmig 
lichter, mftiger, gleichsam durchsichtiger Gestalten, Vorliebe 
fur blasse Gesiehter, fiir blauc und grune Farbentone in den 
Fresken, fiir dunklere Farben in den Olbildern. Hier wie dort 
Ubergang von Malerei zur Plastik. Hier wie dort aber auch 
dieselbe technische Meisterschaft in der Behandlung der Per- 
spektive und dasselbe dekorative Vermogen. Mag auch im 
einzelnen manches weniger befriedigen, der Anerkennung, daB 
alles zu einer hannonischen Gesamtwirkung zusamrnen- 
gestimmt sei, wird schwerlich jemand sicfa entziehen konnen, 
Handke war nicht nur der fruchtbarste und vielseitigste unter 
semen Landslcuten, wenn aueh im Fresko bedeutender als 
in der Olmalerei, er hat sie aueh an Leistungsfahigkeit in der 
Kunst, groBe Riiume sinn- und wirkungsvoll zu schmiicken, 
iibertroffen. Und unter semen Werken wiederum standen 
Aula und Musiksaal in der vordersten Reihc. Aueh die Be- 
stcller waren zufrieden. Noch in demselben Jahre 1733 erhielt 
er den Auftrag, das Refektorium des Jesuitenkollegs in Glogau 
auszuinalen. Und groBere Arbeiten folgten. Vor allem durfte 

er nun 1735 — aueh die Aula im Olmiitzer Jesuitenkolleg 

in wirkliehem Fresko neu malen. Die Augustinerchorherren 
in Sternberg iibertrugen ihm die Ausmalung ihrer Refektorien 
und desLusthausesim Garten desStiftes, fiir welches in origineller 
Weise Szenen aus dem liohen Liede Salomonis gcwahlt wurden, 
die Pramonstratenser den Bibliotheks- und den Pralatensaal im 
Stifte Hradisch, und Kuppel, Oratorien, Kapelle, Refektorium 
in ihrer Sommerresidenz auf dem beiligen Berge, Graf Zirotin 
SchloG mit Kapellen in Ullersdorf. Manehe der zuerst im Musik- 
saale angeschlagenenTone lieBHandke in seinem groBtenWerke, 
der Liebfrauenkirche in Olmiitz, wiederklingen. So war er ein 
vielbeschaftigter, viel begehrter Mann geworden. Und doch ist 
er bald in Vergessenheit gesunken. Es kam die Zeit, in der man 
so wenig Kenntnis von ihm besaB, daB man ihn zu einem 
Ordenspriester machte. Und die neueste Gesohichto der Stadt 
Olmiitz nennt nicht einmal Mahren als seine Heiinat, laBfc ihn 
in Schlesien geboren sein. Seine Grabstatte — in der Liebfrauen- 
kirche zu Olmiitz — ist nicht mehr erhalten, seine Familie in 
Olmiitz ausgestorben. Erst in neuestcr Zeit hat man daselbst 
angefangen sich wieder auf ihn zu besinnen. Eine in der 
ersten Entwickelung begriffene StraBe ist naeh ihm genannt 
worden. 

Vor allem aber ist seinen Werken in der Heimat vom 
Schicksal aufs iibelste mitgespielt worden. Sie sind zum groBten 
Teile zugrunde gegangen. 



35 



Handke hatte seine Augen noch nicht lange, am 28. 
Dezember 1774, geschlossen, als mit dem neuen Herrn, Joseph II., 
einneuer Geist aufkam. Die Orden warden aufgehoben, ihre Bauten 
in Kasernen und Spitaler verwandclt. Und wenn dieser Geist 
auch auf kurze Zeit wich, or kehrte wieder in der Gestalt der 
Gleichgiiltigkeit oder Feindseligkeit. Welches Schieksal er- 
wartete die Werke Handkes, als Olmiitz in eines der sfcarksten 
Bollwerke und Waffenplatze umgeuandeli wurde? DieFresken 
des Jesuitenkollegs wurden mit einer dieken Kalksehioht iiber- 
ti'mcht, nurdie der Fronleichnamskapelle im Konvikt blieben er- 
halten, aber in welch em Zustande? Die Kapelle, ein Prachtstuck 
aller bildenden Ktinste, heute vollig auBer Gebraueh und mit 
mehreren Schlossern vcrschen, bietet das Bild starker Baufallig- 
keit und volliger Verwahrlosung, sie seufzt naeh Wiederher- 
stellung. Von den Bildern der Aula sind nur die Portrats der 
Wohltater in einem Saale des heutigen Gymnasiums er- 
halten. Ubertiincht sind die Bilder der Stiegen und des Rcfek- 
toriums in Sternberg. Die Bibliothek in Hradisch, an deren 
Decke Handke Kunst und Wissenschaft verherrlieht hatte, 
dient als Lazarett. Das Lusthaus in Sternberg, die Dreifaltigkeits- 
kirche ebendaselbst, die Karthause in Olmiitz sind dem Erd- 
boden gleichgemaoht worden. Dasselbe Schieksal traf 1838 
die Liebfrauenkirebe in Olmiitz, in deren alio Raume bedeckenden 
Fresken Handke von 1749 bis 1766 das Hauptwerk seines 
Lebens geschaffen hatte. Nicht ohne Bewegung liest man die 
Worte des Berichterstatters iiber den Vorgang: ,,Es haben 
sich zwar einige Kunstfreunde bemiiht die Bilder abzulosen, 
allein es felilten ihnen teils die erforderlichen Kenntnisse, teils 
die notigen Werkzeuge; und so blieb auch dieser lobliche Ver- 
such, einigcs dem Untergange zu entroiBen, fruchtlos. Man sah 
ganze Scharen dahin wallen, um sich mit stiller Wchmut die 
Bilder noch einnial zu betraehten, die in kurzem sich in Staub 
und Sclmtt verwandelten, und von denen nichts iibrig blieb, 
als erne dunkle und traurige Erinnerung." Es ist so. Nur ein 
Engelskopf wurde gerettet. 

Wer heute mit dem eigenhandigen Verzeichnis der Werke 
des Kiinstlers Olmiitz und Umgegend durehwandert, muB 
zu dem beach iimenden Gestiindnis kommen: die meisten und 
bedeutendsten seiner Werke sind untergegangen. Mit denen 
unserer Aula kann sich keines vergleiehen, audi nicht die am 
besten erhaltenen in der Jesuitenkirehe und im Dom von Olmiitz 
und in der Marienkapelle auf dem Heihgen Berge. Leider konnen 
wir den Musiksaal nicht im vollen Shine mit einschlicfien, 
weil die Parben der Gemiilde durch den RuB, in Zeiten des 
Kriogcs auch durch anderes, zu selir gelitten haben. Vor der 

3* 






— 36 — 

Aula hat zum Gliick auoh die Kriegsnot fast ganz Halt gemacht. 
Hier war daher, wie audi Seine Majestat der Kaiser bei der Be- 
sichtigung sofort erkannte, nicht ein starkes Eingreifen, sondern 
eine zarte Hand am Platze, um ihren urspriingliohen Zustand 
moglichst wiederherzustellen. CJnd diese Aufgabe darf im 
wesentlichen als gelost gelten. 

Das Bild freih'eh, welches die Aula bei Hirer ersfcen Ein- 
weihung am 19. August 1732 darbot, in Jedem Betracht wieder- 
zugewinnen, hatte nicht einmal als Ideal aufgestellt werden 
diirfen. Dagegen hiitte die Richterin iiber alles, die Geschi elite 
Einsprach erlioben. Sic hat zu tief audi in der Aula ihre Spuren 
eingegraben, aus ihr aueh eine Schatzkammer histori seller 
Erinnerungen und patriotischer Empfindungen gemacht, 

Schon neun Jahre spater, am 7. November 1741, huldigten 
die Fiirsten und Stildte Niederschlesiens im Furstensaale unseres 
Rathauacs dem jugendliehen Konige von PreuBen. Am Tage 
vorher hatte er die Privilegien der Universitat bestatigt, und 
sic beteiligte sich mit einer prachtigen bis ans Daeh der Kirche 
reichenden, mit sinnreichen Emblemen verzierten Ehrenpforte 

an der allgemeinen Illumination der Stadt. Aber wer wird 

sich wrradern? — die neue Ordnung der Dinge war doeh reelit 
wenig nach ihrem Sinn. Die offentlichen Behorden, das Zoll- 
Miinz-, Post- und Salzamt, hatten ohne weiteres die kaiser- 
lichen Doppeladler von ihren Gebauden entfernt und dureli 
den preuBischen ersetzt. Die Universitat striiubte sich dagegen. 
Es bedurfte eines besonderen Befehls des Konigs, daB das 
Gleiche am-Universitiitsgebaude geschah. Nur im Inneren, mithin 
auch an den gemalten Verzierungen der Decke der Aula, sowie 
am Zepter durfte der Doppeladler bleiben. Aueh fur das Bikinis 
des neuen Herrn mu!3te ein Platz in der Aula geschaffen werden. 
Aber wo? Acht Bildnisse von Miinnern, welche sich um die Uni- 
versitat oder den Orden Verdienste erworben hatten, schmuckten 
die Wande. Es sind die acht Rundbifder, welche mit ihren prach- 
tigen Rahmen passend indie Architektur eingefiigt sich an bevor- 
zugter Stelle an den vorspringenden Pfeilern iiber den FakuMts- 
logen befinden: die Bildnisse zweier Papste: Urbans VIII. 
unter dessen Pontifikat der Orden 1638 seine erste Residenz 
in Breslau errichtet hatte, und Clemens' XII., unter dem das 
Gebaude aufgefiihrt und die Aula eingeweiht worden war- 

sodanndieBildnissevonviergekrontenHauptern.'Ferdinandsl/ 
welcher zuerst dem Orden Aufnahme in Habsburgs Landen 
gewahrt hatte, Rudolfs II., unter dem die Jesuiten zuerst eine 
Missionstatigkeit in Breslau entfaltet hatten, Ferdinands IIP, 
des Vaters Leopolds I., unter dessen Regierung 1646 die Residenz 
zu cinem Kollegium erlioben worden war, sodann Franz 5 von 



' 



— 37 — 



Lothringen, des von Karl VI. zum Eidam und Tlironerben 
ausersehenen Herzogs von Lothringen; endlich die Bildnisso 
zweier geisthcher Haupter, des Bisehofs von Breslau und des 
generals des Ordens. Ein neuntes Bild IieB sich nach der 
Arclutektur des Saales nicht anbringen. So kam man auf den 
Ausweg ernes der acht Bundbilder zu entfernen und dureh 
das des Konigs Friedrich zu ersetzen; naturgemaB eines 
der Bildnisse der gekronten Haupter. Aber welches f Das 
nachstliegende war das von Franz. War er doch noch nicht ein 
mal Kaiser — seine Wahl erfolgte erst am 13. September 1745 — 
sondern mir Herzog von Lothringen. Aber einst Friedrichs 
Freimd doch seit der Vermahlung mit Maria Theresia sein un- 
vcrsohnlicher Gegner, mit seinen Gedanken stets auf eine — 
sei es auch nut Frankreichs Hilfe zu verwirldichende — Wieder 
gewinnung der sohonen Silesia gerichtefc, schien er audi im 
Bilde den alten Freunden der Austria in Schlesien die Hoffnung 
auf einen Umschwung der Dingo zu nahren und zu beleben 
Auch die beiden Eerdmande wollte man nicht missen: sie batten 
sich zugroBe Vardienate urn den Orden erworben. So traf die 
Keihe KudoJl II /war war er ein Freund der Gelehrten und 
Kunstler, ja selbst ein Gelehrter und Kiinstler gewesen aber 
in Monsdienscheu, zuletzt in geistige Nacht versunken, war er 
bei lebendigem Leibe ein toter Maim geworden. Wie im Leben 
so ■ dankte er nun auch im Bilde ab. So kam es, daB auch in,' 

™T nder g e S eniiber etehen der Lothringer und der Held 

von Mollwitz. 

Bald traten andere Ereignisse ein, die ihre Spuren in den 
Rundbildern zuruckliefien. Am wenigsten bedeutungsvoll 
war der am 28. September 1747 erfolgte Tod des Jnhabers 
des Bischofstuhles von Breslau, des Kardinals Philipp Ludwig 
Graf von Sinzendorff. Schon in den letzten Lebensjahren 
war er nur wenig hervorgetreten. Die Nachfolge im Amte 
Jie im Bilde erhielt Philipp Gotthard Graf Schaffgotsch 
der Sohn des Oberamtsdirekfors, dessen Buste sieh am Cbor 
be tmdet. Den Vater hattc Friedrich ungnadig behandelt den 
boim ubersehuttete er mit Gunstbezeigungen. Friedrich hatte 
er die Lrhebung in den Fiirstonstand, die Erhebung auf den 
B-schofsstuhl zu danken. Urn so tiefer war der Schmorz des 

die ZZv- ■? ° ^T* Sein ° S G ^ t] ^- Nicht bestand er 
dem 8 p^n <? i ng d ? Jahies 1757 - An J onom 5 - Dezember, an 
S, ™ Carl von Lothringen, der Bruder des unkriegerischen 

Wei 2Jt T ^ LeUthen g^™^^ verlieB er, einer 
Weisung Maria Theresias folgend, seinen Bischofsstuhl und 
begab sich in den osterreichischen Teil seiner Diozese. Er hat 
unsere Stadt nicht wiedergosehen. Auch im Bilde ist er beseitigt 















- 38 — 

worden. Nur die halb erloschene, jetzt iiberdcckte Insclirift 
(Philippus Godhardus Prineeps de Schaffgotsch episcopus 
Wratisla.) halt die Erinnerung an ihn fest. 

Bald nacli der Entscheidungsschlacht von Leuthen kam 
aber auch die Zeit, dafi man sich eines Mannes erinnerte, der 
sich die groBten Verdi enste um die Erriehtung des Gebiiudes 
erworben hatte, des Rektors des Jesuitenkollegs Franz Wentzl. 
Ihm war die gewaltige Auf'gabe zugef alien, den ganzen Bau durch- 
zufiihren, alle die schwierigen Verhandhingen mit deni Ober- 
amte, der Stadt, den Bauleuten zu fiihren. Zu diesem Zwecke 
hatteer elf Jahrenacheinander, von 1726 bis 1736, nach dem Willen 
seiner Oberen die schwere B'iirde des Rektorates getragen. Erst 
als der Bau im wesentlichen vollendet und In Gebraueh ge- 
nommen war, wurde er — am 15. April 1736 — als Provinzial 
nacli Prag abberufen. Hier starb er am 4. April 1757. Sein Tod 
rief die Erinnerung an diese seine Verdienste wach. Man lieB sein 
Bikinis fur die Aula raalen. Thomas Scholler fee. anno 1758 
lautet die erst bei der Restaur! erung zutage getretene Insclirift 
des Bildes. ZielbewuBt und wohlgemut schaut der sehwarz- 
tiugige Pater aus dem Bilde, dessen Hintergrund das Innere 
der Universitatskirche bildet, und weist mit dem Zeigefinger 
der rechten Hand auf sein Hauptwerk, den Plan des Universi tilts- 
gebaudes.* Ob das Bikinis zunachst an die Stelle dessen von 
Schaffgotsch kam und erst spater seinen jetzigen Platz neben 
der Rektorloge erhielt, muB vorliiufig noch unentschieden bleiben. 
Sicker ist, daB auch das Bild des einen der beiden Papste, und 
zwar dessen, unter dem die Aula eingeweiht worden war, 
Clemens XII, weichen muBte. Vielleieht erst unter der Macbt 
ganz neuer Verhaltnisse. 

Konig Pried rich behielt wle die wirtschaftliche Eorderung 
so auch die geistige Hebung Schlesiens, das ihm erst die Kriifte 
zu europiiischer Machtstellung verheh, unablassig im Auge. 
Wenn er der Universitat versprochen hatte, sie in ihren Rechten 
zu erhalten, soweit diese mit der allgemeinen Wohlfahrt des 
Herzogtums vertraglioh seien, so hat er auch hierin sein konig- 
liches Wort gehalten. Ja, als Papst Clemens XIV. den 
Jesuitenorden 1773 auf hob, bot Eriedrich der Welt das Schau- 
spiel eines protestantisehen Seluitzers des Ordens, wahrlich, 
nicht aus Sympathio fiir ihn, sondern lediglich aus der Riick- 
sicht auf das Beste des Staatsganzen. Es standen keine anderen 
Kriifte zur Erziehung des katholisehen Klerus in Scblesien 
zur Verfiigung. Aber der Konig verlangte und erlangte auch 
eine recht wesentliche Reform der Einrichtungen. Das ,,Regle- 
ment fiir die Universitat Breslau vom 11. Dezember 1774" 
und die ^Instruction fiir die Priester des Schulinstituts vom 



— 39 



26. August 1776" beseitigten sowohl die Aufsicht des Ordens- 
obern iiber die Universitat als auch den Anspruch des Bischofs 
auf dieses Reelit und unterstellten die Universitat wie das ge- 
samte Schulwesen des Ordens in Schlesien und der Grafschaft 
Glatz einer Schulenkommission, an deren Spitze em vora Konig 
ernannter Kurator stand und als dessen technisches Organ ein 
Direktor fungierte, weleher zwar dem Orden entnommen wurde, 
aber vor allem ein tiichtiger Padagoge sein sollte. Der an der 
Durehfiilirung dieser Reform nieist beteiligte Mann war der 
schlesische Justizminister Graf Car me r. Als er 1780 als GrolJ- 
kanzler nacli Berlin berufen wurde, empfand man es, wie es 
heifit, „um seine Vcrdienste in dankbarem Andenken zu er- 
halten" mit Recht als Pflicht auch sein Bildnis in der Aula 
aufzuhiingen. Hatte man ihn im Scherz den neuen Ordens- 
general genannt, so war auch fur sein Bildnis der Platz gegeben. 
Das des vormaligcn Jesuitengenerals Pater Retz muBte 

weichen. 

Audi nach der Aufhebung der letzten Ordensniederlassungen 
unter Friedrich Wilhelm II. verblieb die Universitat tatsachlich 
noeh den Jesuiten, obwohl die Patres sich „Priester des konig- 
lichen Schulinstituts" nennen und das Gewand des Ordens 
mit dem der Pri ester vertauschen mufiten. Verblieben war der 
jesuitisehe Geist, die Beschrankung auf Theologie und die pro- 
padeutischen Facker, die Lehrmethode. Aber das achtzehnte 
Jalvrhundert konnfcc nieht zu Ende gehen ohne die Erkeimtnis, 
dafl keine jener Beschrankungen den Forderungen der Zeit ent- 
sprach. In einem unter dem 9. Marz 1799 an Friedrich Wilhelmlll. 
erstattet-en Berichte sprach der Naehfolger Carmers, der Minister 
fiir Schlesien, Graf Hoym, die Notwendigkeit aus, die noeh be- 
stehende klosterliche Verbindung der Mitglieder des Schul- 
instituts ganz aufzuheben, die Lehrstellen auch geschickten 
Weltgeistlichen zu ubertragen, das Vermogen des Schulinstituts 
fiir einen koniglichen Schulf onds zu erklaren, fiir das padagogische 
Fach einen weltlichen Direktor einzusetzen, auch fiir die Rechts- 
und Arzneiwissenschaft je zwei Professores katholischer Re- 
ligion anzustellen, mit einem Worte, ,,den exjesuitischen esprit 
de corps auszutreiben." Der Konig stcllte sich entschlossen auf 
die Scito des Ministers. Zwar kara es nieht zur Anstellung 
von juristisclien und mcdizinischen Professoren, aber im iibrigen 
wurde das auf den Vorschlagen des Ministers beruhende Schul- 
regiement unter dem 26. Juli 1800 bestiitigt. Die Korporation der 
Priester des koniglichen Schulinstituts wurde aufgehoben, die 
Professoren wurden wie die Lehrer der Gymnasien Staatsdicner, 
die Lehrstellen auch katholischen Laien zuganglich gemaclit, 
das gesamte Schulwesen Schlesiens einer eigenen, vom Minister 



! 



— 40 — 

fiir Schlcsien geleiteten Bohorde unterstollt. Als die Universitat 
am 18. August 1803 in dieser Aula, aber unter Verhaltnissen, 
welche von denen der Griindung gewaltig abstachen, die Feier 
ihres hundertjahrigen Bestehens beging, bcsehloB sie audi die 
Aufstellung eines Bildnisses ihres zweiten Kurators und Re- 
formators, des Grafen Hoym. Fiir dieses, von Thilo gemalt, 
war der allein passende Platz gegeniiber dem Carmers. Das 
Scliulreglement vom 26. Juli 1800 liegt auf dem Tisohe, an 
welchem er sitzt. So war der gegenwartige Zyklus der adit 
Rundbilder errelcht. 

Aber auch die letzte Reform war nicht durchgreifend 
gewesen. Die Universitat blieb eine Art Oberklasse des Gym- 
nasiums, behielt ihre schulmaOige Organisation und Disziplin 
Rechts- und Heilkunde entbehrten jeghcher Vertretung. Die 
Anstalt fristete ein kiimmerliches Dasein. Und dies in Schlesien, 
das schon scit den Tagen, da die Horer der deutschen Nation 
der Universitat Prag den Riicken kehrten, noch machtiger 
seit dem Anbruch des neuen Zeitalters im Beginn des sechzelmten 
Jahrhunderts von starkster Sehnsucht nach einer vollen Uni- 
versitat erf iiHt war. Erst die NotderZeit sollte sie stillen. Fried- 
rich Wilhelm III. hat sein inhaltsschweres Wort „Der Staat 
muB dureh geistige Krafte ersetzen, was er an physischen 
verloren hat" in koniglicher Weise in die Tat umgesetzt. Noch 
lag PrcuBen gedemiitigt und der Half'te seiner Lander beraubt 
am Boden, da erhielt nicht nur die Hauptstadt des Staates, 
sondern audi die Hauptstadt Schlesiens cine voile Universitat! 
Und indem die erste von einem Hohenzollern gegriindetc Univer- 
sitat, die Viadrina reformierter Konfession, Frankfurt nacli 
Breslau verlegt und mit der Jesuitengrimdung Leopoldina 
verbunden wurde, erhielt zum ersten Male der Gedanke, dafi 
die Wissenschaft und das Vaterland liber der Konfession stehen, 
sieghaften Ausdruck. In der Lehr- und Lemfreiheit ward 
der neuen, alle Fakultiiten umfassenden Anstalt die kostlichste 
Mitgift zuteil. Das Vertrauen Deutschlands auf PreuBens 
geistigen Beruf war hergestellt, Auf dem goldenen Medaillon, 
welches der Konig dem Rektor als Amtsiusigne vcrlieh, nennt 
er sicJi Universitatis Litterarum Stator. Wahrlicli, er hatte 
sich ein Recht darauf erworben, daB die Universitat sein von 
ihm erbetenes eliemes Brustbild an bevorzugter Stellc in der 
Apsis der Aula auf st elite* (1834). 

Hout grti Ben ung von dersclben Stellc zum ersten Male 
zwei andere plastische Bildwerke, welche die Universitat von 
der Huld Seiner Majestat und von der Munifizenz des Herrn 
Ministers erbat und erhielt, die Brustbilder des Sobnes und des 
Urenkels des Stifters der jetzigen Universitat. 



41 - 



Es war nicht die Rucksicht darauf, daB auch dem Sitz- 
bilde Kaiser Leopolds die Standbilder seiner beiden Sonne und 
Nachfolger an der Krone beigesellt waren. Ausschlaggebend 
fur die Wahl des Sohnes war aucli nicht der historische Ge^ 
sicktspunkt, daB Willi elm I. Konig von PreuBen war, als die 
Universitiit ihr funfzigjahriges Jubilaum beging. Wir wahlten 
ilm, und konnten es nicht lassen, davon in dieser Stunde zu 
reden, auch wenn wir nicht von der vierzigjahrigen Erinne- 
rung an den 18. Januar 1871 herkamen, wir wahlten ihn, 
weil er nicht bios ElsaB und Lothringen, welches jener 
Ferdinand III. und jener Franz von Lothringen an Frankreich 
abgetreten hatten, fur Deutschland wiedergewonnen, sondern 
auch eine Jahrhunderfce alte Sehnsucht, die noch miichtiger 
war als die Sehnsucht nach der vollen Universitat, und nicht 
nur eine Sehnsucht der Schlesier, sondern aller deutschen 
Stamme war, die Sehnsucht nach dem Deutschen Reiche aufs 
herrlichste erfiillt hat. 

Und von ihm zum Bildnis dessen, dem die heutige Feier 
gilt, der uns die hochste Majestat des Vaterlandes vcrkorpert, 
der das bei der Proklamation in Versailles fiir sich und seine 
Nachfolger an der Kaiserkrone ausgesprochene Gelobnis des 
GroBvaters zu dem seinen gemacht hat, das Gelobnis, allzeit 
ein Mehrer des Reichs an den Giitern und Gaben des Friedens, 
auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung 
sein zu wollen, zu ihm, dem Schirmherrn und Forderer von 
Wissenschaft und Kunst! Aucli wir griiBen ihn im Bilde ehr- 
furchtsvollen Dankes voll mit dem Gelobnis. auch unsererseits 
niit alien Kriiften beitragen zu wollen zur geistigen GroBe 
PreuBens und Deutschlands und so zum Wohle der Mensch- 
heit, die Wissenschaft zu lehren und zu mehren, ein lernbe- 
gieriges, denk- und willensstarkes, gottesfiirchtiges und vater- 
landsliebendes Geschlecht heranzubilden. Wir erflehen den 
Segen des Leakers aller menschlichen Gesehicke herab wie auf 
dieses Gelobnis, so auf den, dem unsere heilJen Wiinsche gelten, 
auf den Kaiser und sein Haus, indent wir rufen : 

Seine Majestat, unser allorgnadigstcr Kaiser und Konig 

Willi elm II. lebe hoch! 



- 42 — 






Die Kunst des Barock im Musiksaale 
der Universitat Breslau .*) 

Von Richard Foerster. 



Wie dor Ordensstifter Ignaz von Loyola sich die Himmels- 
konigin zur Schutzpatronin erkoren und ebenso wie Franz 
Xaver seinem Orden die Pflegc des Marienkults eingescharft 
hattc, so waren audi im Anschlufi an den Orden hesondere 
der Marienverelirung geweihte Kongregationen gebildet worden. 
In Breslau bcreits 1639, deni Jahre der zweiten Mission der 
Jesuiten daselbst. Und als liundert Jahre spater (1732) daw 
Jesuitenkollegium und mit ihm die Universitat ihr neues Heiin 
bezog, bestanden an ihr zwei solcher Kongregationen: die eine 
fiir die Theologi et Philosophi, die Studierenden, die andere 
fur die vier Unterklassen, die Gymnasiasten. Letztere Congregatio 
Latina Minor Beatae Virgini's Mariae erhielt einen Saal im 
ersten Stockwerk, der zugleicH als Auditorium der Theologia 
scholastica diente (heut Auditorium I, II und Professoren- 
sprechzimmer), erstere den Raum, in dem wir mis befinden. 
Hier sollten ihre Statte haben die Meditationen und Anspracheii 
der im Jahre 1732 auf die Zahl von 300. featgesetzten Sodales 
Congregati, unter denen sich viele Mitglieder des schlesischen 
Aclels und Klerus befanden, audi wenn sie dem Kollegium 
nicht mehr angehorten; hier sollte aber auch allsonntaglich 
das Mefiopfer dargebracht, Kommunion und Beichte gehalten 
werden. Ja schon 1734 hat hier eine Trauung stattgcfundcn. 
Dieses Oratorium Congregation is Latinae Maioris Beatae Vir- 
ginis sollte eine Gesamtlange von hundcrfc Fufi haben, ist aber 
nicht ganz so zur- Ausfuhrung gelangt, wie es geplant war. 

*) Aus der Rede am 27. Januar 1909 hut Feier des Geburtstags 
Sr. Majestat des Kaisers im Musiksaale der Universitat gehalten von 
Professor Geheimrat Dr. Richard Foerster, im Verlage der Koebnerschen 
Buchkandlung Breslau 1909,erschienen und hieraneinigen Stellongeandert. 



-• 43 — 



Elf Achsen lang, von denen nur die letzte durch einc Zwischen- 
wand fur die Sakristei abgetrennt war, sollte der Saal durch 
eine doppelte Pfeilerreihe in drei Schiffe geteilt werden. Da 
stiirzten zu Beginn des Baues an der Vigilie,des heiligen Lauren- 
this, also am 9. August 1731, vier Pfeiler mid mit ihnen der 
der Haupttreppe des Gebaudes benachbarte Teil des Saales 
zusainmen, drei Arbeiter unter sich begrabend, Da sieb Zweifel 
an der Sicherheit der Konstruktion regten, wurde die Pfeiler- 
stellung und damit die Teilung in Schiffe aufgegeben: die nord- 
liche Pfeilerreihe fiel ganz, die stidliche wurde durch eine Wand 
ersetzt, gleichzeitig die Zahl der Achsen auf zehn eingeschriinkt, 
von denen zwei auf die Sakristei kamen: so wie es si eh uns heut 
darstellt. Was den Saal aueh in dieser verkurzten Gestalt von 
anderen Barockbauten scheidet, sind seine Verhaltnisse. Wahrend 
der Baroek wie die Gotik auf Hohenausdehnung Bcdacht nahm, 
ist der Saal im Verhaltnis zur Lange und Breite niedrig. Die 
Brbauer haben es, wie sich aus ihrcn alljahrlieh nach Rom 
erstatteten Berichten ergibt, selbst enipfuuden, aber nicht zu 
andern vermocht. Der Bau des Kollcgiunis mufite, urn alle 
Raumbediirfnissc zu befriedigen, in diesem Telle vier Stock- 
werke hoch gefuhrt werden und lieB fur dieses Oratorium, zumal 
sick das der Congregatio Latina Minor dariiber befand, keine 
andere Hohe zu. Umsomehr mufJte man darauf bedacht sein, 
dies wenigstens fiir das Auge etwas auszugleichen; einmal 
dadureh, daB man den aus buntem Marmor besfehenden 
FuBboden zwei Stufen tiefer legte als den Eingang, sodann 
und noch mclir durch das Dekorationsprinzip selbst. 

Die Leitung des ganzen Werkes war gewiB, wie audi sonst, 
beim Rektor des Kollegs, dem ebenso tatkraftigen wie kunst- 
verstandigen Franz Wentzl, der seinerseits wiederum nicht 
unterlassen haben wird, sich mit den Oberen in Rom ins Ein- 
vernehmen zu aetzen. Seiner Eeder wird aueh der Baubericht 
in den Litterae annuae entstammen. DaB in ihm iiber den 
Namen des Kiinstlers*) mit Stillschweigen hinweggegangen 
wird, entspricht den Gepflogenheiten des Ordens. Der kiinst- 
lerische Geist aber, der sich im Ganzen bekundet, verdient hohe 
Anerkennung; an Feinheit und Anmut ist er dem der Aula 
vielleiebt noch iiberlegen. Ein dekoratives Meisterstiick nennt 
den Saal derjenige, dem die groOte Erfahrung auf dem Ge- 
biete des Baroek zur Seite stent, Cornelius Gurktt. 

•Der,weilkirchlichenZweckendienend,nachWestenorientierte 
Raum ghedert sich in zwei Hauptteile, das Presbyterium 
und das Sclviff, ersteres zwei, letzferes sechs Achsen umfassend. 



*) Es ist Handke. Vergl. oben S. 32. 









— 44 





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1 


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5 



Die Decke des Presbyteriums, zu welchem vier Stufen 
aus schwedischem Marmor herauffiihrten und welches du eh 
fechranken vom Schiffe abgeschlossen war, ruht auf vier frei- 
«tehenden Saulen yon rotem Marmor. Ihre Kapitelle sind mit 
Engelskopfen geschmiickt. Auf den Kampferplatten sitzen 
ebenfalls vjer anmutige Engel. Die Riiekwand wird durch 
zwei hermenarfcige Pfeiler eingefafit, deren Schaft groBenteils 
dureh die Pliigel ernes Seraph gedeckt wird und auf denen ie 
zwei Engel mit den prieeterlichen Symbolen (Stola und Wedel 
Buch und Schliissel) sitzen. Vor der Ruckwand stand dem 
Oratonum Majestat verleihend, der Altar, ein compendium 
omms sculpturae ae caelaturae cum marmorum delectu auricme 
copra, wie dieLitterae annuae ihn nennen. DieRuckwand desheut 
vollig versehollenen Altars stiitzten zu beiden Seiten je ie 
kngcl aus kunstlichem weiBen Marmor. Im Altar selbst W J 
aus versdbertem Metall der Englische GruO und die Vermahl Z 

Kan z r g gCSteilt - Welter V ° r ZUr Rechten sta " ' 

_ Die flachbogige Decke des Schiffes ruht auf den muschelfor 
nugen Konsolen, welche sioh oberhalb der ebenfalls mit Kneels" 
kopfen aus Sandstein geschmuokten Kapitelle der ££ Stfck 

au h sr^i L akanthu8 ^- <**«*, aus stuck ^s 

Aucn die Wolbungen smd mit solehem blattartigen Gerank 
yerziert, desgleichen die Fensterleibungen nur da! In dZt 

kel ~! lu rru 7^ durchwegin ^ mUS? 

keit, daB dasse be Mofciv sich immer nur an den zwei cinander 

genau entsprcchenden Stellen findet. Mrgends Uberladun! 

— ^thmisches Spiel der Linien und fS vontofe 

fa 1 ™ erhalb der an das Presbyterium und die Emigre 

anstoBenden Wolbungen sind Medallions fur plastisebe A^Sn 

ausgespart Die in die Wolbungen sehneidenden StichkapBen 

smd der Maerei iiberlassen. Ebenso natuigomaB die groBen 

Machen der Decke selbst. Aueh das Sohiff gfedert sfch in zte 

Telle: denn es ist an der Westeeifce eine Achse umfassend ele 

Empore emgebaut, bestimmt fur den Sangerehor und di 0^ 

Unter ihr befanden sich die Beichtsthhle So erhalt aueh das 

Presbyterium sein Gegenstuck im Saale. Das Ganze bietet eh 

wunderbares Zusammenspiel von Lmienschwung und Farbcn 

tonen, in dem das Einzelno nur der Oesamtwirkung dient daher 

aueh nicht fur S1 ch, sondern nur als Teil des GamengeS 

sem will, well es zum Ganzen strebt, m dem Architektur, Plastik 

Malerej, dazu aueh die Musik, sich die Hand reichten Ware 

es nun zu verstelien, wenn von der Harmonie, zu welcher alle 

aelcorativen leile zusammenstreben, ausgeschlossen ware die 






, 



— 45 — 



Seelc des Ganzen, der geistige Gehalt, wie er sich in den Ge~ 
maiden ausspricht? Schwerlich. Man gebe sich nur ein wenig 
Miihe, in ihren geistigen Zusammenhang einzudringen, und 
man wird einsehen, daB es nieht richtig ist zu sagen, der Barock 
habe gauze Wande mit Figuren bedeckt, ohne damit etwas 
besonderes zu sagen, wird einsehen, daB solches Bcmiihen 
niclit lie j lit „phllologische Tuitelei" treiben, sondern in die 
Werkatatt des schaffenden Kiinstlers treten. Audi Ziehen die 
Gemalde mehr durch den Gesaratgehalt an, als durch die hier 
und da fliichtige Einzclausfiihrung. 

Die Kongrcgation, welehcr der Saal als Oratorium diente, 
nannte sich nach der Beata Virgo Maria ab Archangelo salutata. 
Demnach muBte das mysterium tutelare des Endhschen GruiBes 

v FT) 

eine gewisse Hervorhebung erhalten. Als Gegenstand fiir eines 
der groBen Deckengemiilde aber eignete sich diese im ver- 
sehlosscnen Zimmer spielendc, auf zwei Pcrsonen, Maria im Bet- 
stuhl und den mit Lilienzweig griiBendcn Erzengel Gabriel, be- 
schrankte Szene gar nieht. Der Kiinstler, Handke , half sich, in- 
dem er dieselbe einmal, gewisscrmaBen als Leitmotiv, in uberein- 
stimmender Weise liber den zwei Eingangstiiren der Sudwand 
und liber den Fenstern des eigentliclien Saales — nicht des Prcs- 
byteriums — abwechselnd rot und grim malte, sodann plastisch 
auiHochaltar und— wenig abweichend — ■ in denSchildern der 
Bogen der Tribuna und Empore anbrachte. Auch fiir die andern 
nieht figurenroichenSzenen nahm er nur die vier diesenSchildern 
entsprechenden Medallions in Anspruch. In ihnen bildete 
er in vergoldetem Stuck die Vermahlung der Maria, die 
Anbetung des Kindes durch Maria, Anna und Joseph, die 
Flueht nach Agypten, endlich Maria, das Christuskind haltend 
und mit dem rechten FuBe der alten Feindin, der den Erd- 
kreis umschlungen haltenden Schlange, den Kopf zertretend. 

Das heilige Drama von der Deipara aber lieB er wie in 
fiinf Akten, in den fiinf groBen Gemalden der Decke sich ab- 
spielen, 

Es versteht sich, daB dasselbe seinen Anfang im Presby- 
terium oberhalb des Altars nimmt. Dem Sanger der Ilias 
vergleichbar, der in dem Verhangnis von Ilion die Voll- 
endung des Ratschlusses des hochsten Gottes sieht, verlegt er 
den Beginn in den Himmel, in den RatsehluB von Gott Vatcr. 
Aus diesem ist die Erlosung des Menschengeschlechtes hervor- 
gegangen. Ahnlich, aber schemer als in dem vonPozzo in der 
Kirche von St. Ignazio in Rom gemalten und durch seine Per- 
spectivae pictorum, Toil II, Figur 67, zu allgemeiner Kenntnis 
gebrachten Wandgemalde erhebt Gott Vater, eine Prachtgesfcalt, 
die Verkorperung ewiger Weisheit und Liebe, sich auf die 









— 46 — 

Himmelskugd stiitzend, in der Linken das kreuzformige Zepter 
haltend, die Reehte empor zur Sendung des heiligen Geistes, 
der nach einer im Barock so haufigen Vennischung von Malerei 
und Plastik, plastisch die Spitze des Altars kronend, gebildet 
war. Gabriel, den Blick noch auf Gott Vater gerichtet, eilt 
von damien, wahrend sein Genosse auf der -anderen Seite sich 
demiitig verneigt. 

Der nachste Akt an die Vcrbindung von Presbyteriuni und 
Saal gelegt, spielt auf Erden (Maria Heimsuchung), Maria be- 
sucht ihre betagte Base Elisabeth, ihr Dienst und Hill'e anzu- 
tragen. Elisabeth eilt ihr entgegen, ihr das Haus zur Verfiigung 
zu stellen, aus der ihr zuteil gewordenen Erlouchtung des 
Geistes heraus demiitig sprechend: ,,Woher mir das, daB die 
Mutter meines Herrn zu mir kommt?" Den Lippen der Maria 
wird im nachsten Augenblicke das Magnificat entquillen: 
,,Meine Seele erhebet den Herrn und inein Geist freuet sich 
Gottes, meines Heilands." Hinter Elisabeth kommt ihr Gemahl 
Zach arias. Auf der SchweUe aber stelit, genau so wie in den 
Miniaturen, mit welchen Nielas von Glookendon 1524 und 1531 
das MeB- und das Gebetbuch des Erzbischofs von Mainz, Albreeht 
von Brandenburg, geschmuckt hat, der treue WacMer des 
Hauses, ein weiBer Spitz, zum Beweis, wie auch die Kunst des 
Barock bei allem Hange zum Mystischen doch bemiiht war, 
volksmaBigem Empfinden entgegenzukommen, einem heimat- 
lichen Zuge Rechnung zu tragen. 

Einer ahnlichenErsckeinung werden wir inneimdrittenBilde, 
welches sich iiber dem Sangerchore befindet, der heiligen Nacht! 
Maria zeigt das in der Krippe liegende Kind den eivsten Menschen, 
denen seine Ankunft verkiindigt, sein Anblick verstattet war.' 
Wir gewahren nur einen Hirten, der ein Lamm tragt. Ihm 
aber ist seine Familie beigesellt: vier weibliche Figuren*), eine 
mit Strohhut und einen Korb tragend. Die himmlisehen Heer- 
scharen aber singen Gloria in exoelsis Deo. So ist die dritteSzene 
einerseits fiir den Sangerchor geeignet, andererseits entspricht 
sie der ersten: sie ist die Verwirkliclmng des gottlichen Rat- 
schlusses auf Erden und das Echo, das diese im Himmel findet. 
Ebenso entspricht das vierte Bild, Maria Reinigung, dem zweiten. 
Maria bringt, sich als niedrige Magd fuhlend, nach vierzig 
Tagen nicht ein Lamm, sondern wie die Armsten ihres Volkes, 
ein Paar Tauben zum Reinigungsopfer dar. Joseph fcragt den 
Behalter, dazu eineKerze. Der greise Simeon, dem vom Geiste 
geweissagt war, daB er nicht sterben werde, bevor er den Messias 






*) Jordaens (in Antwerpen) war darin vomngegangen. 



- T --' -— " 



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gesehen, ist von jenem getrieben in den Tempel gekommen, 
nimmt das Kind auf seine Arme und spricht gen Himmel 
blickend: „Nun lassest Du Deinen Diener, o Herr, in Frieden 
fahren nacli Deinem Worte: denn nieine Augen liaben Deinen 
Heiland gesehen." Die greise Prophetin Hanna hebt in Ver- 
ziickung Bliek und Hande zu dem Kinde auf. Maria aber kniet 
an den Stufen des Altars, an dessen anderer Seite Ministranten 
beschaftigt sind, neigt demiitig das Haupfc und faltet die Hande, 
wie wenn sie aus dem Munde Simeons auch die Weissagung 
vernahme: „Dieser ist gesetzt slg GfjfteTov awiX&ydfAWOv", 
zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, und „Deine Seele 
wird ein Schwert durehdringen". Sie wird es fcragen. Und 
sie bat es getragen. Die Vollendung wird ihr zuteil. Diese, 
auf welche die anderen Bilder vorbereiten und welcber sie 
von beiden Seiten zustreben, wird im groBen Mittelbilde vor- 

gefiihrt. 

Die Seknsucht der Maria, mit dem ihr durch den Kreuzes- 
tod entrissencn Sonne in ewiger Gememsehaft verbunden zu 
sein, wird erfullt. Wolvl war audi sie gestorben, ihr Leib aber 
durch ihren Sohn vor Vervvesung bewabrt. ,,Wie eine von 
Schonheit prangende Braut", mit Johannes von Damaskus 
zu reden, „vom unkorperlichen Glanze des heiligen Geistes 
strahlend umsohlossen" war sie von den Aposteln durch die Stadt 
Jerusalem nach Gethsernane getragen worden, „wahrend der 
Konig der Konige sie mit dem Glanze seiner unsichtbarcn 
Gottlieit iiberschattete". Aber das Grab war auch fiir sie nur 
eine Vorhalle. Am dritten Tage erwachte sie aus dem Schlummer 
des Todes. Man findet das Grab leer. Sie wird aufgehoben gen 
Himmel im Beisoin nicht nur der Apostel, unter denen Johannes 
hervorragt, dem sie der Sohn am Kreuzesstamme ans Herz ge- 
legt hattc, sondern auch vonMannernundFrauen aus demVolke. .*) 
Sie wird aufgehoben, nicht wie Tizians zwei Jahrhunderte zuvor 
(1518) fiir die Klosterkirche Santa Maria de Frari gemalte 
Assunta, leise aufschwebend, in sanf tern Gesausel, auf einer Wolke 
stehend, im Geleit der Engel, sondern in starker Bewegung 
gleichsam aufrauschend, gestiitzt und gehoben von den Soharen 
der Erzengel und Engel. Nicht nimmt, wie bei Tizian, ihren 



*) Die Komposition beriihrt sick mit derjemgen dor Fresken, welchc 
Handke unter dom Orgelchore der Jesuitenkirche in Olmutz gem&lfc 
hatte. Diese setzt Nowak, Kirclil. Kunst-Denkinale aus Olmutz, Text- 
heft, zweite Serie (Olmutz 1892) S. 8 in die Jahre 1730—1732, freilieh 
ohne Quellenangabe. Die Selbstbiographie bietet keinen Anhalt dafiir. 
tibrigens ist die Beeinflussung durch Kompositionen von Rubens (in 
Briksel mid Galleria Colonna in Rom) und Jordaens (in Antwcrpen) 
unverkennbar. 













1 



























— 48 — 

aufwarts gerichteten Blick der nur mit dem Oberkorper fast 
wagerecht aus der Glorie herausragende Gott Vater auf *), sondern 
der Sohn, ebenfalls auf Wolken sitzend und von Engeln gehalten 
noch die blutigen Male an Hand und FuB, aber das Krcuz hinter 
sich ; er neigt sick zu ilir und streckt ihr die Arme entgegen ihr 
die, das Haupt mit der Sternenkrone umgebcn, in it ihren Augen 
nur ihn sucht. Im nachsten Augenblicke wird sie an seiner Seite 
sitzen und von iieuern den Lobgesang des Magnificat ansthnmen 
wie die Himmelsbcwohner von neueni jubeln, Saiteninstrumente 
ruhren, Rauchfasser schwingen, ihr Salve Regina entgegenruien 
Der Kiinstler hat sich auf die liebreizenden, auch in der heiligen 
Nacht allein tatigen Hiiumelsbewohner, die Engel beschrankt 
nieht die Patriarchen, Propheten, Martyrer und Bekenner hinzu- 
gefugt. Es feliltc der Platz, urn ihnen geniigende Vertretune 
zu versehaffen, und dem Element des Ernsten und Sinnenden 
war dureh die Apostel der Gcgenseite bereits Reehnung getragen 
Damit hat das heilige Drama seinen Abschlufl erlangt* 
Wassonst noch an Raum zur Aufnahme von bildlichern Sehmuck 
mi Saale vorhanden ist, kann nur die Schilderung der Wir 
>ungen jenes Dramas erhalten. So die Bilder des fiir die Beieht 
stuhle bestimmten Raumes unter der Empore, wenn sie in der 
Mifete den sundigen Menschen zu Maria betend, links sie urn Ein- 
!aU in die Himmelspforte anflehend, reehts zu Boden gestiirzt 
von ihr der Stella Maris, gehalten, zeigen und auf BandroIIen 
die Worte geben: Alma Redemtoris mater, quae pervia coeli 
porta manes peccatoram miserere, stella maris, succurre cadenti 
Worte des Antiphons des frommen Monchs von Reichenau 
aus dem eltten Jahrhundert, Hermanns des Lahmen**) 

Aber auch die Stichkappen sollten bildlichen, abwechselnd 
m rot und grun gehaltenen Sehmuck erhalten; keine leichte 
Aufgabe, fur 16 kleine herzformige Felder durch einheitlichen 
Cxesichtspunkt beherrschte Kompositionen zu gewinnen Und 
auf den ersten Blick kann es scheinen, als sei die Losuno- nieht 
gelungen, als sei der eben zuriickgewiesene Vorwurf berechtiet 
wenn wir in den Stichkappen des Presbyteriums am Fenster 
em einfaehes Haus, daneben eine geof fnete Tiir, an der Innenwand 
gegenuber eine Truhe, daneben eine Schlafende gewahren 
Aber nur auf den ersten Blick. Denn bald erkennen wir jenes Haus 
als em goldgesehmuektes, die Truhe mit Krone verziert und 
an Tragstangen hangend, an der geoffneten Tiir einen Engel 
ubcr der Schlafenden einen Stern und die aufgohcndc Sonne 

*) Die Gestaltcn sowohl von Gott Vater als von Christus beruhren 
Sich mecter mit dem zweiten der cbengenannten Olmutzer Fresken 
) ^utigc Mittei]ung des Hcrrn Kollegen Laemmer. 



49 



usw. Bald konimen mis auch der iiber alien Darstellungen 
in der Glorie strahlende oder von der Konigskrone bedeckte 
Namenszug der Maria und die Unterschriften zu Hilfe. Wir 
sehen die Donius aurea, in der sich die gottliche Weisheit ein 
Haus erbaut hat (Pro v. 9, 1), gegeniiber die Foederis area, 
die mit goldener Krone gezierte, niit Gold iiberzogene Bundeslade, 
das Abbild des gottlichen Heiligtums, die Janua Coeli, die Tiir, 
welche durch Beispiel und Fiirbitte den Glaubigen zur Himmels- 
tiir wird, die Stella niatutina, den Morgenstern, der die Sehlum- 
meniden behiitet und von dem die Sonne ausgeht, die Sahis 
infirinorum, das nach der Himmelfahrt von ihr auf Arrrufung 
gebrachte Heil der Kranken, die Zuflucht der Sunder, die 
Trosterin der Betrubten, die Hilfe der Christen, die Kdnigin 
der Engel, der Patriarchen, der Propheten, der Apostel, der 
Martyrer, der Bekenner, der Jungfrauen, aller Heiligen. So 
verherrlichen die 16 Stichkappen die Beinamen der Maria in 
der Reihenfolge, in der sie die Litania Lauretana bietet, das 
Gebet, das zuerst zu ihren Ehren in ihreni von den Engcln 
auf den Hugel von Loretto getragenen Hause gesungen worden 
war.' — Fiigon wir endlioh hiirzu, daB die Fensterleibungen 
des ejgentlichen Saales noch heut tJberreste von Attributen, 
bei der Regina Prophetarum z. B. ein Buch, bei der Consolatrix 
affliotorum den rettenden Anker eines Schiffcs aufweisen, welche 
zuni Emblem selbst in unverkennbarer Bezlehung stehen, so 
werden wir zugestehen miissen, nicht nur, daft der inhaltliche 
Reichtum der bildlichen Darstellung der Fiille von Dckorations- 
motiven gleich ist, sondern aueh, daft es dem Kiinstler gelungen 
ist, den ganzen Abglanz der Hoheit und des Wirkens der Maria 
annuntiata et assumpta iiber den Saal ausstrahlen zu lassen. 

Wie inogen die Augen aller geleuehtet haben, denen es ver- 
gbmit war, den Saal zu sehen, als er zum ersten Male — am 
22. November 1 73. l i — seine Pforten zur Einweibung und zugJeieh 
zur Einfuhrung des Rektors und der Assistenten der Kongre- 
gation offnete ! 

Bald sah er ganz andere Gesichter! Am Neujahrstage 
1741 Inert Fridericus Rex Einzug in Breslau. Der Saal ist die 
letzte Schopfung des Barock in Breslau. Die Ausschmiickung 
des vom Fiirstbiscbof Pnilipp Graf von Sinzendorf gebauten 
Lusthauses auf der Klosterstrafie durch seinen Naehfolger 
Pnilipp Graf Schaffgotsch 1749/50, fiir dessen plastischen 
Schmuek derselbe'Siegwitz tatig war, der audi im Jesuiten- 
kollegium und somit wohl auch in diesem Saale gearbeitet hat, 
gehort bereits dem Rokoko an. Dieses ist in Schlesien noch 
sparlicher vertrefcen als der Klassizi sinus. Die politische und 
wirtsehaftliohe Bedrangnis des Landcs hielt die Kunstregungen 



— 50 — 






nieder. _ Der Saal selbst vcrkam nicht bloB durch die Drangsale 
des Krieges, welche aus dem Gebaude ein Lazarett, Massen- 
quartier, Proviantmagaziri machten, sondern audi durch Ver- 
nachlassigung im Frieden. Manche Bilder wurden bis zur TJn 
kenntlichkeit entatellt. Die Congregatio Latina Maior bestand 
zwar weiter, ja besteht in veranderter Gestalt noch heut, und 
niehrere unserer verehrten Kollegen gehdren ihr an, aber der 
Saal wurde durch die 1811 erfolgte Neuordnung der TJniversitats- 
verhaltnisse einer anderen Bestimmung iibergeben, wurde zur 
Aula Minor und zum Musiksaa-1, 

-Die GemaJde rufen nur bei einem Telle von uns dieselben 
religiosen Emijfindungen hervor, welche von ihren Schopfern 
gehegt, in ihren ersten Beschauern geweckt wurden. Und nicht 
wenigen vielleicht wird es schwer fallen, sich in sie hinein zu 
versetzen. Aber wir alle wiirdigen die Kunstschopfung als 
Gauzes, als etwas von bleibender Bedeutun ff . Wir danken daher 
audi der hohen Staatsregierung, dafi Rie dieselbe zu neueiu 
Lebeu erstehen lieB und damit an der Schwelle des zwanzigsten 
Jahrhunderts gut machte, was das neunzehnte versaumt hatte 
Wji- danken alien, die an den. Werke geholfen haben . 



— 51 



1 



Universitatshaushalt, 
Lehrkorper nnd Studentenzahl. 

Von Johannes Ziekursch. 



Als Konig Ludwig Xll. von Frankreich den Gondottiere 
Trivulzio uber die notwendigen Vorkehrungen fiir erne Er- 
oberung des Herzogtums Mailand befragte, erhielt er die be- 
riihmt gewordene Antwort: ,,Tre cose, Sire, oi bisognano prepa- 
rare, danari, danari et poi danari," Der Satz gilt aueh anf dem 
Kampfplatz der Gcister und uniso rnehr, je starker man sich der 
Gegenwart nahert. tfber recht kargliche Mittel, nur liber 
63 000 Mark heutiger Wahrung, hatte im Beginn des 19. Jahr- 
hunderts die Universitat in Frankfurt a. 0. zu verfiigen; die 
nur aus zwei Fakultaten bestehende Breslauer Jesuitenuniver- 
sitat muBte sich sogar mit 28 000 Mark begmlgen. Bei der Be- 
griindung unserer Breslauer Universitat wollfce der PreuBiscke 
Staat nicht bloB diese beiden altersschwach gewordenen Kor- 
porationen mit einander verschrnelzen, sondern ein neues Ge- 
bilde, eine den Bedurfnissen der Zeit entsprechende und dem- 
gemafl ausgestattete, der freien Eorsehung und Lehre geweihte 
Statte schaffen; deshalb entschloB er sich, ein Jahr, naeh dem 
unter dem Druek der entsetzliehsten Not der Finanzminister 
Freiherr von Altenstein die Abtretmig Schlesiens an Napoleon 
zur Begleichung der Kriegssclmld, also die freiwillige Vernicli- 
tung des letzten Restes preuBischer GroBmachtstellung be- 
rarwortet hatte, zur Zeit, da ein neuer Krieg gegen Frank - 
reich oder RuBland heraufzog, in tollkiihnem Idealismus, die 
neue Universitat in Breslau mit doppelt so groBcn Mitteln zu 
bedenken, als sic der Frankfurter und der JesuitenuniversitMt 
zusammen zugestanden batten, also mit etwa 180 000 Mark. 
Bis zuni Regierangsantritt Friedrich Wilhelms IV, stieg dann 
dieser Etat, in der Hauptsaehe durch das Anwachsen der Neben- 
einnalimen, auf etwa 215 000 Mark. 















— 52 — 



s 



u^ eU ? au ? ttei1 djeser Summe braokte tier gtaat aus eigenen 
Mittelnauf und zwar folgendermaflen. Nach derErobcrune Ichle 
sions durch Friedrich den GroBen war den Rlttergutern eine 
Grundsteuer von 28*/, % Hires Reinertrages auferW worden 
die geiBthchen Giiter muBten 50 % geben, also eine ,,Mehr 8 teuer" 
von jlf 3 / . 18H wur den sie sakularisiert und, urn einen Ted 
der iranzosischen Kontribution abtragen zu konnen nieist 
verkauft; die Mehrsteuer muBten die Kaufer welter zahlen- aus 

1 7n nS u\ Si? iJ te J d6n s °g enannten Universitatskanon von 
170 000-184 000 Mark. Die Krciskassen zogen ihn ein und 
heferten ihn unmittelbar an die Universitatskasse ab so z B 
die Kasse des mit geistlichen Giitern friiber stark durchsetzten 
-trankensteiner Kreises in den Rechiiungsjahren 1831/3 aus 
clenen der erste noch erbaltene Etat stamnit, je 3470 Taler 
11 Sdbergrosch^ und 3 Pfennigs die Brieger Kreiskasse nur 
i , i i 6 8]]hei W°schen 3 Pfennigs die Oelser 1011 Taler 
14 Silbergroschen, davon aber 2 Taler 15 Silbergroschen in 
SSi h mt ^ ne ™ Agio von 13% % gegen Courant. Die 
Etatsgebariing des 18. Jahrhunderte, die jedem Ausgabe 
posten gem erne genau bestimmte Einnahmequelle zuwies 
batte sich hier voll erlialten. ^wies, 

Univer,ifff°t em ^ ^^ ^tliehen G " te ™ erhobenen 
Umversitatskanon steckten gewissermaBen die fruheren Ein- 
nahmen der Jesuitenuniversitat. Die zumeist in der Mittelmark 
gelegenen Frankfurter Universitatsguter waren dem Domten" 
beatande des preuBisehen Staates einverleibt worden ■ dage^en 
uberjnes man wohlweislich der neuen Breslauer UniveS 
che der Frankfurter gehorigen Giiter und Gefalle aus der Al 

SSStotd D tU f al " 7 d ^ h ~» einigar altmarkisetr 
fetadte und Dorfer, der Domprobstei zu Salzwedel ferner 
KanomkatsgefaUe aus Halberstadt, weil man mit Re'eht an- 
nahm dafi die Regierung des Konigreiehs Westfalen zu dem 
die Altmark und Halberstadt seit 1807 gehorten, die e Eigen 
tumsrechte eber sehonen wiirde, wenn sie einer' Korporalon 
als wenn sie dem preuBisehen Fiskus zustanden. Ferner blieb 
aucli die Breslauer University im Besitz der Frankfurter 
Umversita sgebaude, fur deren Benutzung dureli die Regie 
rung und das Oberlandesgericht ihr eine Entsebadigungssumme 
jahrkoh zuteil wurde. 1831 batte die Breslauer UnlversiSt 
aus dem frankfurter Erbe eine Einnahme von 13 700 Mnrk 
Im Laufe des 1 9 . Jahrhunderte wurden die altmarkischen 
Zmsenauf Grand der modernen Agrargesetzgebung langsam 
abgelost; die daraus emkommenden Gelder dienten in erster 
Lime neben Ersparnissen an Gehaltern bei Vakanzen usw 
zur Vermehmng des Kapitalvermogens der Universitat Bei 









53 — 



der Begriindung dor Universitat brachte es 675 Mark Zinsen, 
diirfte also 17 000 Mark betragen haben; 1831 belief es sicb 
auf 21 500 Mark mit 850 Mark Zinsen, 1842 sohon auf 64000 Mark. 

Zu diesen drei Posten, dem Universitatskanon, dem Ertrag 
des Frankfurter Erbes und den Kapitalzinsen, gesellten sich 
noch einige in ihrer Hohe schwankeu.de kleincre Einnahmen 
aus der in Erbpacht gegebenen Universitatsbuchdrackerei, 
der verpaehteten Institutsapotlieke, einzelnen vermieteten 
Raumen in dem Bibliotheks- und Conviktsgebaude, 1831 liber 
6000 Mark; von den Gebiihren fiir die Immatrikulationen, 
Abgangszeugnisse, Promotionen und Habilitationen flossen 
1831 der Universitatekasse liber 2000 Mark zu; endlieb aus 
Kirchenkollekten in Schlesien 1831: 4750 Mark, in Poscn nur 
800 Mark. Seit dem Etat von 1834 gewahrte der Staat noeh 
einen besonderen jahrlichen ZusehuB von 1200 Mark fiir die 
geburtshilfliche Poliklinik, seit 1837 noch 300 Mark fiir das 
Mineralienkabinett, 1840 noch 240 Mark fiir das physiologiscbe 
Institut: die ersten bescbeidenen Sonderaufwendungen auf 
diesem Gebiete. 

Diese efcatsmaBIgen Einnahmen betragen zusammen 1821: 
201000 Mark, 1831: 213 000 Mark, 1841: 215 000 Mark, un- 
gefahr drei Viertel des Berliner UmVersitatsetats. Man wiirde 
aber irren, wenn man glauben wollte, dafi diese Etatssumme den 
Universitatsbedarf gedeekt hatte. Eine vergleichende Zu- 
sammenstellung aller Einnahmen unci Ausgaben der Univer- 
sitat nach kauf mannischen Gesichtspunkten ist niemals versucht 
warden und laBt sich vielleicht auch kaum geben, in der Gegem 
wart sicher noch schwerer als in der Vergangenheit, jedenfalls 
nioht geben ohne groBe Willkurlichkeiten und ohne ei'ne iiberaus 
zeitraubende, mit dem Ergebnis in keinem Verhaltnis stehendc 
muhevolle Durchsieht aller spezieUen Rechnungsakten, vor- 
ausgesetzt, daB sie aus friiheren Zeiten noch vorhanden waren. 
So lafit sich der Wert der bei der Griindung der Universitat 
iiberwiesenen Baulichkeiten und Grundstucke wie der Dlenst- 
wohnungen gar nicht abschatzen. Dazu kamen 1836 als auBer- 
ordentliebe Zuwendung 136 000 Mark fur den Neubau der 
Anatomic. Welch e Zahl soil bei den Kollegiengeldern in 
Rechnung gesetzt werden unter Riicksicht darauf, daB in den 
Jahren 1845—1853 in der katboliscb-theologischen Fakultat 
94 % gestundet, 1 % erlassen wurden, in der evangelisch- 
theologiscben 70 % gestundet, 14 % erlassen, in der philo- 
sophischen 56 % gestundet, 9 % erlassen, in der juristischen 
49 % gestundet, 2 % erlassen und in der mediziniscben 19 % 
gestundet, aber 15 % erlassen wurden ! Zu den Etatszahlen 
miissen jedenfalls noch hinzugerechnet werden die 7300 Mark 



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Ei nnalimen clcr Stipend ienfondsl 843, die 3150 Mark derStiftungs- 
fonds, einige hundert Mark von den Einnabmen der 1822 be- 
griindeten Professoren - Witwen - und Waisen - Versorguncs- 
anstalt usw, Infolgedessen muB, wenn wir uns im Folgenden 
zunachst an die Etatszahlen balten, beriieksicbtigt werden, 
daB den Angaben nur ungefahre Ricbtigkeit zukonimt. 

Von den 213 000 Mark des Etats im Jahre 1831 warden 
114 000 Mark auf die Gelialter der 32 Ordinarien und 14 Extra- 
ordinarien verwandt (zu dieser Summe gesellten sick nocb Ge- 
lialter fiir Nebenamter als Konsistorialrate, Kanoniker usw., zabl- 
reiclie Dienstwobnungen, Gebiibren von den Promo tionen usw., 
zusammen 14 000 Mark und die Kollegiengelder) ; fiir die Witwen- 
und Waisenversorgung scboB der Staat 3000 Mark zu; diese 
Ausgaben fiir die Lehrkrafte bikleten 55 % des Etats. Auf die 
akademischen Institute und Sammlungen kamen 54 000 Mark 
oder 25 % Prozent der Ausgaben, und zwar 17 000 Mark fiir 
die Bibliothek, 8430 Mark fur den botaniseben Garten, 7700 Mk. 
fiir die medizmische Kk'nik, 6000 Mark fiir die cbirurgiscbe, 
2700 Mark fiir das naturhistorische Museum, 2b'00 Mark fiir die 
Anatomic, 1200 Mark fiir das Hebammenlebrinstitut usw. Die 
Verwaltung rait ibren Beamten- und Bureaukosten, die Heizung, 
Beleucbtung und Rcinigung und die Baureparaturen forderten 
14,5 % des Etats. Eiir Preisfragen, Ereitisebe und Unter- 
stiitzung der Studentcn, wurden, abgesehen von den Einnabmen 
der Stipendienfonds, 11 500 Mark oder 5,5 % ausgegeben. 

Entsprechend dem Verfahren vieler Stadtverwaltungen in 
den dreiBiger Jabren, erfolgte beim Regierungsantritt Friedricli 
Wilbelms IV. eine zeitgemaBe Umgestalttmg des Etats der 
Universitat. Sie verzichtete theoretisch auf den Universitats- 
kanon, auf die unmittelbare Zablung aus den einzelnen Kreis- 
kassen, sie erhielt fortan den jetzt als DotationszuscbuB be- 
zeichneten Hauptteil ilirer Einnabmen aus der Breslauer Re- 
gierungsbauptkasse in Quartalsraten auf Rechnung der Unter- 
ricbtsvenvaltung. Die Agiogelder fiir die Goldzablungen, 
die Halberstadter Kanonikatsgefalle, die Entsclnidigung fiir 
die Benutzung der Frankfurter Universitatsgebaudedurcb andere 
staatliche Bebordeti, die in den clreiBiger Jabren erfolgten 
oben erwabnten Sonderbewilligungen fiir einzelne Institute 
verscliwanden aus dem Etat von 1843, indeni sie zum Dotations- 
fonds geschlagen warden. Neu eingestellt wurden in den Etat 
die bisher andernorts verreebnete Remuneration fiir den auBer- 
ordentlicben Regieruiigsbevollniacbtigten, fiir seine Reprasen- 
tationskosten und die Remuneration des Universitatsric liters 
in der Gesamtbobe von 8000 Mark. Der Dotationsfonds stieg 
urn 45 600 Mark auf insgesamt 234 200 Mark; dadurch und dureb 



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das Wachsen der Nebeneinnahmen kam dcr Gcsamtetat auf 
262 000 Mark oder urn 18 % holier als der Etat von 1840/2. 

Die Vermehrung dcr Einnahmcn erlaubtc cine Aufbesserung 
der Gehalter der 39 Ordinarien und 10 Extraordinarien; bierfur 
konnten 13 000 Mark mehr als 1831 ausgegeben werden, Der 
Etat der Institute unter EinscbluB der Gehalter fur die wenigen 
Assistenten stieg auf 69 300 Mark; teils wurden den bestehenden 
Instituten grofiere Mittel zugefiihrt, teils neue Institute und 
Semlnare, z. B. das historische mit 600 Mark geseliaffen. Dem- 
gemaS kamen auf Prof essorengeh alter und Witwenkasse nur 
noch 50 %, auf die Bibliothck, die Institute und Seminare 
pin etwas hoherer Prozentsatz als friiber, namlich 26,5 %. 

Auf dieser Grandlage blieb der Etat im groBen und ganzeu 
unter der Regierung Friedrich Wilbebns IV. Mit der Neuen Ara 
begann aUmabJich aucb eine neue Ara im Universitatshaushalt; 
von Etatsperiode zu Etatsperiode wurde der staatliche Zu- 
schuB verstarkt, seit den siebziger Jahren goht er in gewaltigen 
Sprungen empor. 1858 befcrug er 240 000 Mark, 1867: 283 000 
Mark, 1871 : 314 000 Mark. Bei der Begriindung dcr Universitat 
1811/2 war ein StaatszuschuB von 170 000 Mark vorgesehen 
worden, nach 59 Jahren hatte er aich beinabe verdoppelt. 
Zehn Jahre spater, 1881, war der DotationszuschuB auf 
690 000 Mark gestiegen, d, b. auf mehr als das Vierfache des 
Zuschusses von 1812. 1908 belief er sielv mit 1 436 000 Mark 
auf mehr als das Achtfache des Zuschusses von 1812; 1910 be- 
trug er selion mehr als das Neunfache; im Jubeljahre wird 
er sieb. also verzehnfacht baben. 

Und doch, trotz dieses gewaltigen Anschwellens, spieli der 
StaatszuscliuB nicht mehr die Rolle im Universitatshausbalt 
wie friiber; 1831 bildete er noch 86,4% der ordentlichen Ge- 
samteinnahme; 1910 nur noch 75%. Der „eigene Erwerb" 
der Universitat isfc noch viel starker gewachsen; 1831 brachten 
ihr die Gebiihren fur Promotlonen usw., der einzige eigene 
Erwerb, den sie hatte, 2100 Mark, 1906 etwa das Siebzehnfache 
34 600 Mark; vor allem aber fielen ins Gewicbt die Ertrage 
der Khniken durch Aufnabme zahlungsfahiger Kranker, der 
Gewinn der landwirtschaftlichen Institute durch den Verkauf 
direr Produktc, die von den Studenten zu entrichtenden Bc- 
nutzungsgebuhren fur die Institute usw. 1871 belief sich der 
eigene Erwerb noch auf 8900 Mark. 1891 auf 41 000 Mark, 
1901 auf 290 000 Mark, 1910 auf 490 000 Mark oder 23 % des 
ordentlichen Etats, Diesen Summen gegeniiber kommen die 
durch starkere Ausniitzung der Universitatsgebaude fiirLebr- 
zwecke verminderten Mietseinnahmen aus dem Grundbesitz 
und die Zinsen des Kapitalvermogcns kaum noch in Betracht. 









T 



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Die ordentliclie Gresaniteinnahme der Universitat Initio 
1858: 281 000 Mark ausgemacht, 1871 bet rug sic 362 000 Mark 
oder etwa das Doppelte des Jahres 1812 (185 000). 1881 liatte 
sie sich wieder verdoppelt auf 746 000 Mark; 1901 bildete 
sie mit 1492 000 Mark das Achtfache des Etats von 1812 
1908 mit 1 889 000 Mark das Zchnfaehe, 1910 mit 2 135 000 Mark 
das Elfeinhalbfache, freilich damit noch nicht die Ha'lfte des 
Berliner Etats. 

Hier mufi nun noch viel starker als voriier betont werden 
daJ3 diese Zahlen ein hochst unvollkommenes Bild abgeben! 
Zu dem ordentlielien Etat gesellt sich der aufierordentliche! 
Er betrug im zehnjahrigen Durchschnitt in den fiinfziger Jahren 
7900 Mark, in den sechziger 42 800, in den siebziger 80 400, 
in den aclitziger Jahren 234 000, in den neunziger Jahren 
533 000 und in dem ersten Jahrzelmt des 20. Jahrhunderts 
422 000 Mark. Mit diesen in den letzten 50 Jahren veraus- 
gabten 13 MiJlionen sind in erster Linie unsere modernen 
Khniken und Institute geschaffen wordon. Bliebe der bisher 
rasch und dauernd gestiegene eigene Erwerb der Institute auf 
seiner gcgemvartigen Hohe stehen, so wiirde er doch diese 
13 Millionen mit 4 % verzinsen; also nur die ordentlielien Auf- 
wendungen fiir die Institute fallen dem Staate wirklich zur 
Last; der Bau neuer Institute entspricht etwa einer Kapitals- 
anlage in preuBischen Konsols. 

Zu dem ordentlielien und aufierordenthchen Etat kommen 
nun noch jahrlich 12 000 Mark des Studentenunterstiitzungs- 
fonds, darunter die seit 1895 nicht mohr durch den Etat gehen- 
den Kollekten fiir arme Studenten der Theologie aus den evan- 
gelischen Kirchen, wahrend die Kollekten der katholischen 
Kirchen in ScMesien dem fiirstbisclioflichen Konvikt zuflielien. 
Die Einnahmen der Stipendienfonds haben sich seit 1843 ver- 
sechsfacht; sie sind auf 43 400 Mark gestiegen; die Stiftungs- 
fonds werfen jahrhch 15 (500 Mark ab. Von dem Staafcszuschufl 
zur Witwen- und Waisenversorgung steht nur ein kleiner 
Bruchteil von 3000 Mark im Etat. Endlieh iniissen doch noch 
die Kollegiengelder beraeksichtigt werden, sovveit sie nicht als 
Institutsgebuhren zuin eigenen Erwerb der Universitat schon 
gerechnet sind. Alio diese Einnahmen, den ordentlielien und 
den auBerordentliehen Etat unifaBt die folgende Zusammen- 
stellung fiir das Etatsjahr 1909, und zwar nicht als Voranschlag, 
sondern als Ergebnis des Rechnungsabschlusses; sie soil zeigen^ 
in welcher Hohe und von welcher Seite die zum Unterhalt 
der Universitat in der Gegenwart notigen Mittel aufgebracht 
werden; der Nutzwert der Gebaude ist naturlich nicht in An- 
sehlag gebracht worden. Die Universitat vereinnahmte also: 




— 57 — 

aus der Staatskasse im Ordinarium Ml 601 100 

im Extraordinarium. . . . „ 201300 
oder 58,1 % der Gesamt-Binnahme. 

aus Grundeigentum und Kapitalzinsen „ 122 500 

oder 4,0 % der Gesamteinnahme. 
aus eigenem Erwerb der Institute ......,, 538 200 

oder 17,4 % der Gesamteinnahme. 

an Kollegiengeldern und Gebiihren j, 577 200 

oder 18,6 % der Gesamteinnahme. 
an sonstigen Einnahmen, Kollektengeldern usw. „ 59 700 
oder 1,9 % der Gesamteinnahme. Sa. M 3 100 000 

Verausgabt wurden: 
fiir den Lehrkorper (Gehalter, Wohnungsgeld, Ho- 
norare und Gebiihren) und die Hinterbliebencn- 

versorgung ffl> 1 137 500 

oder 36,7 % der Gesamtausgabe. 
fiir die Institute an ordentlichen und auBerordent- 

lichen Aufwendungen ,, 1 690 400 

oder 54,5 % der Gesamtausgabe. 
fiir die Verwaltung, Bureaukosten, Heizung, Be- 
leuchtung, Reinigung, Baureparaturen, Ab- 

gaben und Lasten » 1*4 100 

oder 5,6 % der Gesamtausgabe. 
fiir Freitische, Stipendien und Unterstiitzung der 

Studenten, Krankenkasse usw. ......,, 92 600 

oder 3,0 % der Gesamtausgabe. 

aus Stiftungsfonds zu anderen Zwecken . . ... „ P 400 

oder 0,2% der Gesamtausgabe. Sum ma: M 3100000 

Aut' Gehalter und Wohnungsgeld der Universitatslchrer 
kam im ordentlichen Etat nicht ganz das Fiinffache des Etats 
von 1811/2, auf die Institute das Dreifiigfache, prozentual aber 
31 und 60 %. Das Verhaltnis dieser beiden wichtigsten Ausgabe- 
posten hatte sieh also im Vergleich mit der ereten Peri ode, 
der Regierungszeit Eriedrich Wilhelms III., ungefahr in das 
Gegenteil umgewandeit*). In Berlin wird heute fur die In- 

*) Diese kurze Skizze fiber die Entwickelung des Etats beruht auf 
den Etatsakten der Quiistur und der Universitatschronik von B. Nadbyl 
mx Jubelfeier von 1861. Fiir die letzten Jahrzehnte warden die immer 
auf drei Jahrc aut'gestellten ordentlichen Etats, welche also die iiberaus 
atarken. Veranderungen durch die jahrliehen Budgetbewilligungen nicht 
bemcksichtigen karmen, ein voHig schieles Bild ergeben, ganz abgeseben 
davon, daS die Kliniken wieder ihren eigenen Etat haben, der zu emem 
Toil, aber merkwiirdigerweise eben nur zu einem Ted in den ordentlichen 
hineingreift; bier stiitze ieh mich auf die Zusamnienatellungen, die der 
gegenwartigo Quastor, Rechnungsrat Gries, fiir den zweiten Band der 
Jubilaumsschrift des Jahres 1911 angefertigt und mir liebenswurdiger- 
weise zur Verfiigung gestellt hat; ihm verdanke ieh an eh die oben ge- 
gebene Etatsaufstellung fiir das Jahr 1909. 

5 




— 58 — 

stitute 147 inal so viel ausgegeben als im Griindungsjahr. Diese 
Verschiebungen unter den Ausgabeposten verraten, daft, um 
einen anderswo gepragten, etwas spitzen Ausdruck zu wieder- 
holen, die Vorlesungsuniversitat zur Arbcitsuniversitat, der 
Universitat der praktischen Ubungen, Kurse und Seminare 
geworden ist. 

In den ersten Jahren cles Bestehens der Breslauer Univer- 
sitat warden namlich die Bibliothek, 2 Seminare und 11 In- 
stitute und Kliniken eingerichtet ; Berlin besaB damals kaum 
ein halbes Dutzend derartiger Institute. Bis 1861 kanien in 
Breslau noeh je 3 Seminare und Institute hinzu; gegenwartig 
bestehen aber 16 Seminare und 36 Institute und Kliniken, 
wahrend Berlin 82 wissenschaftliebe Anstalten besitzt. 

Mit dieser Entwickelung hangt zu einem guten Teil das 
Anschwellen des Lehrkorpers zusammen. Im Grundungsjahr 
wirkten an der Universitat 35 Ordinarien, 4 Extraordinarien 
und 4 Privatdozenten, also 43 Dozenten und 8 Lektoren. Berlin 
wies damals 33 Ordinarien, 8 Extraordinarien und 14 Privat- 
dozenten auf. Die Zahl der Breslauer Ordinarien belief sich 
1858 auf 38, 1871/2 auf 48, 1896/7 auf 73, also auf mebr als den 
doppelten Stand des Griindungsjahres, 1910/41 auf 80 unter 
EinschluB der ordentliehen Honorarprofessoren. Extraordi- 
narien und auBerordentliche Honorarprofessoren gal) es 1858: 
10, 1871/2: 15, 1896/7: 29, also siebenma] so viele wie im 
Jhimdungsjahr, 1910/11 wieder 29. Am starksten wuclis die 
Zahl der Privatdozenten; sie verdoppelte sich bis 1815/6 auf 8, 
vervlerfachte sich bis 1838, verachtfachte sich bis 1861/2, ver- 
sechzehnfachte sich bis 1906/7; 1910/11 betrug sie 77 oder den 
19 fax-hen Stand des Griindungsjahres. Kanien damals auf einen 
Privatdozenten 9 Ordinarien, so besitzen gegenwartig beide 
Gruppen eine ungefahr gleiehe Starke. Bildeten anfangs die- 
Privatdozenten ein kleines, wohl entbehrlich.es Anhtngse] 
des Lehrkorpers, mag heute in manchen Fachern starke Uber- 
fiilhmg herrsehen, so kann doch die Universitat mit ihren Kli- 
niken, Instituten und Seminaren ihrer langst nicht mebr ent- 
raten; denn — ganz abgesehen von der gewaltlgen Speziali- 
sierung aller Wissensehaften — wenn auch 100 Studenten, 
wie friiher 20, die gleiehe Vorlesung horen konnen, in den 
Seminaren und Instituten vermogen unter der Leitung eines 
Lchrers wohl 20, aber nicht l()t) mit Erfolg zu arbeiten. Aus 
diesen Verhaltnissen ergeben sich bei den Privatdozenten 
wie den Extraordinarien, wohl auch bei den Studenten starke 
Wunsche nach mannigfaltigen Reformen, und es entstehen 
ernste Probleme fiir die Weiterentwickelung der Universitats- 
verfassung. 1811/12 gab es unter EinschluB der Lektoren 









— 59 — 

an der Breslauer Universitat 51 Lehrer, 1871/2 wurde das erste 
Hundert iiberschritten, Berlin hatte schon 1826 diese Stufe 
erklommen; im Jubilaumsjahr diirfte in Breslau das zweite 
Hundert vol] erreicht werden,was in Berlin 1876 gesehah,wahrend 
gegenwartig dort mehr als 500 Dozenten wirken, in dem gleielien 
Rahmen, der vor hundert Jahren den neunten Teil umspannte. 
Das Berliner Beispiel weist den Weg, den auBerhch in der Zu- 
kunft audi die Entwiokelung der Provinzialuniversitaten 
nehmen wird. Bilden nun 500 Leute ; die sicli personlich zu 
einem groBen Teil gar nicht kennen, wirklich noch eine le- 
bendige KorporationY Diese Frage darf zum mindesten aufge- 
worfen werden. 

Das Anwachsen des Lehrkorpere erstreckt sich nun aber 
bezeichnenderweiae nicht gleiehmaBig auf alle fiinf Fakultiiten; 
die evangelisch-theologische Fakultat hat sich in den hundert 
Jahren nur verdoppelt, die katholisch-theologisclie ist auf das 
Zweieinhalbfache ihres ersten Bestandes gestiegen, die juristischo 
auf das Vierfaehe, die philosophische auf das Vieremhalbfache, 
die medizinische auf das Siebeneinhalbfache. Die philosophisehe 
umfaBte im Griindungsjahr wie in der Gegenwart die knappe 
Half te aller Dozenten, damals 20 von 43, 1910/11: 90 von 186. 
Die Zahl der Lektoren blieb sich iinmer so ziemlich gleich. 

Doppelt so stark wie der Lekrkorper ist die Studentenzahl 
gewaohsen. Ira ersten Jahre ihres Bestehens wurde die Univer- 
sitat von 298 Studenten und zwar von 77 katliolisclien mid 67 
evangelischen Theologen, 72 Juristen, 46 Medizinern und nur 
86 Philosopher! besueht; Berlin zahlte im Herbst 1810 nur 
256 Studenten. Die Jahre der Freiheitskriege braehten starke 
Versehiebungen; dann stieg die Studentenzahl ununterbroehen 
bis auf 1147 im Jahre 1828/9, ging die miehsten elf Jahre wieder 
herunter bis auf 633 im Jahre 1839/40, in der ersten Halfte 
der fiinfziger Jahre hielt sie sich iiber dem achten Hundert, in 
den nachsten Jahren sank sie wieder unter diese Grenze; in 
der Mitte der siebziger Jahre wurde das erste Tausend iiber- 
schritten; mit mehr als 1600 Studenten trat die Universitat 
in das neue Jahrliundert; ini Sommersemester 1910 zahlte sie 
2402 Studenten und 223 Horer. Mit diesem Bestande bleibt 
Breslau unter den deutschen Universitaten nur hinter Berlin. 
Munohen, Leipzig, Bonn und Halle zuriick. 

Im Laufe des Jahrhunderts hat die Studentensehaft ihren 
Cliarakter stark verandert, sie ist arg verweltlieht. Anfangs 
machten die Theologen beider Konfessionen die Halfte aus, 
Knde der zwanziger und Ende der dreiBiger Jahre noch 47 % 
Mitte der fiinfziger 41 %, Mitte der sechziger, achtziger und 
neunziger Jahre 25—28%, wahrend des Kulfcurkampfes in 



60 


















der Mitte der siebziger Jahre 10 %, 1910 knapp 17 %. Gegen- 
wartig gibt es etwa ebenso viele evangelisebe Theologen wie 
im Griindungsjahre; die katholischen Theologen liaben sich 
vervierfaeht, die Juristen versiebenfaeht, die Mediziner ver- 
neunfacht, die Philosophen — wenn man ihnen, uni einen Ver- 
gleich zu ermoglichen, wie friiher die Zahnarzte zurechnet — 
verdreifiigfacht, obwohl die Gesanitzahl der Studenten nur 
um das Achtfaclie gestiegen ist. Gehorte vor lmndert Jahren 
erst der achte Student zur philosopliischen Fakultat, so gegen- 
wartig beinahe jeder zweite: die Pliilosophen haben also den 
Platz der Theologen eingenommen. Innerhalbderphilosophischen 
Fakultat haben in den letzten zwei Jahrzehnten die Studenten 
der mathematisch-naturwissenschaftlichen Facher das nume- 
rische Ubergewicht iiber Philologen und Histoiiker erhalten. 
Unter allem Wechsel hat aber die Breslauer Studentenschaf t 
voni ersten Tage an bis zur Gegenwart ihren provinziellen Cha- 
rakter nicht verleugnen konnen; nur 22 Marker waren 1811 
von Frankfurt nacb Breslau mit iibergesiedelt ; im ersten Studien- 
jahre gab es in Breslau mehr Ausliinder als Marker. Die Sehlesier 
bildeten 1811: 81%, 1910: 75%. Die Provinz Posen stellt 
gegenwartig 9 % unserer Studenten. Das neue Jahrhundert 
hat der Universitat die weibliehen Studenten gesohenkt; 1910 
bildeten sie schon 4,25 % aller Immatrikulierten. 

So hat in den hundert Jahren ihres Bestehens die Ent- 
wickelung der Universitat die kiihnsten Hoffnungen ihrer 
Griinder weit hi inter sich gelassen. Die bose Zahlenmasse, die 
soeben am Auge des Lesers vorbeizog, be we ist wohl zur Geniige, 
welch e Opfer aber audi der preuBische Staat fur die Pflege 
geistiger Kultur gebracht hat und bringt und bringen wird; 
dafi er sich der Bedeutung der Universitat in der deutschen 
Ostmark voll bewufit ist, verrat die Tatsache, daB Breslau. die 
viertgroBte preuBische Universitat, den zweitgroBten Etat 
besitzt. Der Lehrkoiper hat sich vervierfacht, die Studentenzahl 
verachtfaeht, aber — ein Wermutstropfen in den Freudenkelch — 
am starksten ist der Universitatsliaushalt gewachsen, im Ordi- 
narium allein um das Elf einhalbf ache. Soil sich unsere Univer- 
sitat als Pflegstatte moderner wissenschaftlicher Forschung 
und Lehre auf ihrer Hohe im Vergleich mit den anderen deutschen 
und auBerdeutsehen Hoehschulen halten, so wird diese Tendenz 
noch starker hervortreten ; deshalb miissen sich in Zukunft 
nicht bloB die Regierung, sondern hauptsik-hlich nacb ameri- 
kaniscbem Muster die leistungsfahigen Sehichten unserer Be- 
vulkerung das Wort Trivulzios vor Augen halten: ,,Tre cose, 
Sire, ci bisognano preparare, danari, danari et poi danari/ 1 







Phot. Tli. Lic-htenberg 
A. Koelsfh 



Hof dep Universitat 




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K|*r 




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