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Erinnerungsblatter
| zum hundertjahrigen Jubilaum
der Universitat Breslau
im Anftrage von Rektor
und Senat herausgegeben
von
Ludwig Burgemeister, Richard Foerster
Heinrich Wendt und Johannes Ziekursch
Mit einem Anhang von 8 Bildern
Breslau 1911
Verlag von Wilh, Gottl. Korn
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Druc.k von Willi. Gottl.Korn in Breslau,
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BIBLIOTHBCA
tEGIA ACADK]
OEORGIAE
AUG.
Infaalt,
Spite
1. Breslau als Universitatsstadt. Von Stadtarchivar
Prof. Dr. Heinrioh Wendt 5
2. Das Universit&tsgebaude unci die MatthiasMrclie.
Von dem Provinzialkonservator der Kunstdenkmaler
Schlesiens, Banrat Dr. Ludwig Burgemeistex . 21
3. Die Aula Leopoldina, Von Greh.eim.en Regierangsrat
ITniversitatsprol'essor Dr. Hi chard Foerster . . 28
4. Die Kunst des Barock im Musiksaale der Universitat
Breslau. Von demselben -, . . 42
5. Universitatshaushalt, Lehrkorper uiid Studentenzahl.
Von Privatdozent Prof. Dr. Johannes Ziekurseh 51
Bilderanhang:
Nordseite der Universitat.
Siidseite der U$?\'ersit&t.
Aula Leopoldina.
Siidseite der Aula Leopoldina.
Musiksaal.
Deckengemalde des Musiksaales.
Hof der Universitat.
bmeres der Matthiaskirehe.
Breslau als Universitatsstadt.
Von Heinrich Wendt.
Unser geistiges Leben isfc dem wirtschaftlichen und poli-
tischen in der Entwickelung der Freiziigigkeit weit vorausgeeilt.
Die Wissenschaft und ihre Pflegestatten, die Universitaten,
waren schon in den triibsten Zeiten staatlicher Zersplitterung
Gesamtbesitz unseres Volkes, Sammelpunkt fur die Sonne
aller deutschen Stamme. Leicht gewinnt fiir uns heute das
Wort: Provinzialuniversitat, Landesuniversitat einen Beige-
Bchmack von riickstandigem Sondergeiste, iiberlebter geistiger
Inzucht. Trotzdem konnen und sollen sich unsere Universitaten
dem Einflusse des Bodens, auf dem sie erwachsen sind, nicht
ganz entziehen. Unbeschadet der Verbindung der Universi-
taten mit dem groBen Strome wissenschaftlicher Forschung
hemmen oder fordern ortliche, landschaftliche, in der Natur und
Geschichte ihrer Stadt und Provinz begriindete Einflusse ihre
Entwickelung; sie fiihren auf besondere Forsehungsaufgaben
Inn, stellen besondere Krafte in den Dienst der Wissenschaft.
Deshalb ist bei dem Riiekblicke auf das erste Jahrhundert
der Breslauer Universitiit die Frage nach dieser ihrer ortlichen
Bedingtheit wohl berechtigt, Wieweit erscheint unsere
Universitiit durch die Eigenart der Statte ihres Wirkens
beeinfluBt? Wie hat in Breslau die konfessionelle Mischung
der Bevolkerung, die Stellung der Stadt als Vorposten des
Deutschtums, als Brennpunkt eines stark entwickelten pro-
vinziellen Sonderlebens und als wirtschaltHcher Mittelpunkt
Sohlesiens, wie haben sonstige ortliche Besonderheiten auf die
Entwickelung der Universitiit eingewirkt? Uberall werden wir
bei Beantwortung dieser Fragen, Einflusse der Bodenstandig-
keit nachweisen konnen, nicht nur in mehr oder minder belang-
losen Aufierlichkeiten, sondern auch in Dingen, die das innerste
Wesen der Universitat beriihren.
Zeitgenossische und spatere Beurteiler der Breslauer Uni-
versitatsgriindung haben es ubereinstimmend als kiihnes,
unerliortes Wagnis bezeichnet, daB man in Breslau den iiber-
liefexten Grundsatz konfessioneller Einheitlichkeit der Universi-
taten verletzte, daB man zwei so ungleichartige Bestandteile,
— 6 —
wie die reformierte Frankfurter und die Breslauer Jesuiten-
universitat vereinigte und zwei theologische Fakultaten neben-
einander stellte. Vor allem mufite den aus konfessionell
einheitliclicn Gebieten stammenden fremden Golehrten, wie
Henrieh Steffens, die Durchfiihrbarkeit des Gedankens der
,,Simultan- Universitat" fraglich erscheinen. Aber audi in
Schlesien selbst fehlte es nicht an zweifemdexiStimmen. Zwarin
der fur die Uni versitatsgriindung so bedeutsamen Denkschrif t des
schlesischen Arztes Dr.K a.u s c h, deren Kenntnis wir R. F ors ter 1 )
verdanken, war die Zuversicht ausgesproehen, dafi „bei der
bekannten Toleranz der Schlesier" zwei theologische Fakul-
taten „ruhig nebeneinander bestehen" konnten. Andrerseits
bezeugt A. Kahlert 2 ), dafi man „imPublikum" iiber die Zweck-
niaBigkeit der Vereinigung der Viadrina mit der Leopoldina
sehr geteilter Meinung war. Darin muB man jedenfalLs Kausch
bripflichten, daB fur den ersten Versuch, in einer Universitat
Lehrende und Lernende beider Bekenntnisse mit voller Gleich-
berechtigung, zu friedhchem Nebeneinander zu vereinigen,
Schlesien und Breslau der gesehichtlich gegebene, giinstigste
Boden war en.
Hier batten der Volkscharakter und die Abhiingigkeit von
katholischen Landesherren dahin zusanimengewirkt, daB die
Ausbreitung des evangelischon Bekenntnisses mehr eine all-
mahliche „friedliche Durchdringung", als einen gewaltsamen
Umsturz darstellte. Solange wie moglich schonte man die
Ordnungen und Obrigkeiten der alten Kirehe, wahrte man den
Schein ihrer Anerkcnnung. Selbst als am Anfange des 17. Jahr-
hunderts die Bcvolkerung Schlesiens fast ganz evangelisch
geworden war, war die auBere Organisation der katholischen
Kirehe trotz schwerer EinbuBen in den Grundzugen noch un-
erschiittert. In Breslau standen der eifrig evangelischen Biirger-
gemeinde nach wie vor Bischof und Kapitel und die ihrer Be-
stimmung erhalten gebliebene groBe Mehrzahl der alten Kloster
und Stifter gegenuber. Die Gegenreformation und in ihrem Ge-
folge der DreiBigjahrige Krieg schlugen der Landeswohifahrt
schwere Wunden, ohne ihr Ziel, die Wiederhorstellung der Glau-
benseinheit, zu erreichen. Ihr Ergebnis fur die Schlesier: das
Gleichgewicht der Bekenntnisse und eine tiefwurzelnde Ab-
neigung gegen Religionszwang und GlaubenshaB, konnte durch
den Grundsatz des f riederizianischen Staates, sich moglichst
wenig in das Glaubensleben seiner Untertanen einzumischen,
1 ) Das Jakr 1807 und die Universitat Breslau (Bresl. 1907) S. 11 f.
2 ) Denkschrif t zur Feier ihres SOjahrigen Bestehens hcrausg. v. d
Schles. Gesellschaft f. vaterland. Kultur (Bresl. 1853) S. 15.
i
nur befestigfc werden. Nur wirtsehaftliche, nicht konfessionelle
Gegensatze waxen es, die in Breslau bei Einfiihrung der Stiidte-
ordnung die Vereinigung der bi slier unter geistlieher Ober-
hoheit stehenden Vorstadte init der Stadt ersehwerten.
Auch im letzten Jahrhundert ist die geschichtlich tief be-
grundete „Toleranz der Schlesier" zwar nicht iramer un-
gefahrdet, aber dock im wesentlichen erhalten geblieben. Langst
ist unsre Breslauer „Simulten-Universitat" nicht mehr die
einzige Korperschaft, in der Geistlicbe und Lai en beider Be-
kenntnisse vereint an Aufgabcri des geistigen Lebens arbeiten.
Selbstverwaltungskorperschaften, wie die Schuldeputationen
der Stadte, freie wissenschaftliche Vereinigungen, wie die Scaler
sische Gesollschaft fur vaterlandische Kultur und der Verein
fiir Geschi elite Schlesiens, suclien erfolgreich, geistigen Bediirf-
nissen beider Bekenntnisse zu dienen. Noch iramer erscheinen
fremden Beurteilern die konfessionellen Gegensatze Soblesiens
verhaltnismafJig milder als die des Westens. Aus hartereni Holze
geschnitzte deutsche Landsleute finden sogar den Schlesier
allzu geneigt, das „in dubiis libertas" zu betonen, das ,,in ne-
cessariis unitas' : zuriiokzustellen. Liegt darin wirklich eine
Schwache des seblesischen Stammescharakters, so kann sie
sicher nicht dureh angstliches Sichabschliefien der Bekennt-
nisse behoben werden, sondern nur durch weiteres, entschlossenes
Miteinanderarbeiten, dureh stetes Messen und Erproben der
Krafte, kurz auf dem Wege und in dem Rahmen, die der wissen-
schaftlichen Forschung und dem Hochsckuhmterricht dureh
die Griindung der Universitat Breslau gewiesen werden sind.
Nicht nur infolge ihres interkonfessionellen Charakters
schien die neugegriindete Breslauer Universitat fremden Be-
urteilern wenig Gewahr fiir ihre Lebensfahigkeit zu bieten;
auch ihre „abgeschlossene Lage" in fernem „halbslavischem"
Grenzlande wirkte abschreckend und beunruhigend. Auch
in dieser Hinsicht hat Steffens am scharfsten seine Zweifel, die
cr freilich spater als Vorurteile bezeiohnete, in oft zitierten
Worten ausgesprochen. Aber dasselbe Schlesien, das, nach
Steffens, „kaum ein wahres, lebendiges Glied des deutsehen
Reichs zu sein schien" 3 ), dasselbe Breslau, das noch zwanzig
Jahre spater auf Hoffmann von Fallersleben „gar nicht
den Eindruck einer deutsehen Stadt machte" 4 ), sie hatten seit
sechs Jahrhunderten ihre deutsche Art, ihr deutsches Geistes-
leben kraftig gewahrt; ja sie hatten eine reiche Fiiile deutscher
Kultureinfliisse weithin auf den slavischen (Men ausgestromt.
a ) Steffens, Was ich erkbte VII, 5.
4 ) Hoffmann von Fallersleben, Werke VII, 194.
— 8 -
Schon in den Zeiten, als Breslau zum ersten Male eine Universitat
zu besitzen strebte, liatte der schlesische HumanistBartel Stein
dem BewuBtsein dieser Kulturmission Schlesiens und vor
allem Breslaus kriiftigen Ausdruck verliehen. Auf den Bahnen
die Breslaus mittelalterlicher GroBhandelsverkehr wies, batten
sich deutsclics Stadtrecht, deutsoher Handels- und Han'dwerks-
brauch, deutsche Geistesbildung in den ostlichen Nachbar-
gebieten ausgebreitet. Dem Handler folgte der Handwerker
der Kiinstler, der Gelehrte. Breslaus evangelisches Kirehen-
und Schulwesen war in den Zeiten, als noch die Gewinnung
Polens und Ungarns fur die evangelische Lehre erreichbar
schien, als vorgeschobencr Posten des deutschen Protestantismus
von besonderer Bedeutimg. Durch das Selbstandigerwerden
der slavischen Volker, schlieBlieh auch durch die Trennung
Schlesiens, von der habsburgischen Monarchic waren die alt-
gewohnten Verbindungen mit dem Osten in wirtschaftlicher
wie in geistiger Hinsicht wohl wesentlich eingeschrankt, aber
durchaus nicht abgeschnitten worden. Es war eine keineswegs
iibertnebene Wiirdigung der immer noch bestehenden geistieen
Ferawirkungen Breslaus auf die ostlichen Nachbarlander, wenn
ein Bericht der Breslauer Regierung vom 6. April 1811 die
Hoffnung aussprach, daB die zu begriindende Universitat
„auch von Bewohnern des Herzogtums Warschau und der
angrenzenden osterreichischen Gegenden stark besucht werden
wiirde" 5 ).
So hat unsere Breslauer Universitat durch den Boden auf
dem sie erwachsen ist, wie v den beaonderen Charakter einer
Simultan-Universitat, so auch einen bestimmten nationalpoliti-
schen Einschlag, eine fur ihr Wirken hochbedeutsame Mission
nn deutsehslavischen Grenzgebiete erhalten. Die nur zu wechsel
voile Entwicklung der polnischen Prage ina allgemeinen und
des Verhaltmsses der preuBischen Polen zu ihrem Staate im
besonderen inuBte die Breslauer Universitat nachhaltig be-
rtihren. Von den Schauplatzen des modernen Kampfes um
die Ostmark gehort Oberschlesien zu ihrem eigentlichen Wir-
kungskreise. Aber auch Posen und WestpreuBen entsenden, trotz
der Anziehungskraft von Berlin und Kouigsberg, erheblichen
Zuzug. Die Beamtcnschaft, Geistlichkeit, Lehrerschaft, Arzte-
schaft jener Landesteile ist groBenteils auf der Breslauer Uni-
versitat vorgebildet. Aber auch iiber die Landesgrenze hinaus
entsendet unsere Universitat noch immer manchen Vertreter
deutscher Wissenschaft nach Osten. Breslauer Forscher waren
B ') n SP tl k^ a G ,T UehtQ der Stiffcun g d ^ Kgl. Universitat m
Breslau (Br. 1861) S. 12.
_ 9 —
L
lange Zeit die berufensten Sachverstandigen fiir Eragen der
geschichtlichenEntwickhmg und politischen Zustande desOstens.
Der Breslauer Geschichtsforscher Stenzel war in der Frank-
furter Nationalversammlung Berichterstatter iiber das Verhaltnis
der Provinz Posen zum ubrigen Deutschland. Ropells und
Caros Erforschung der mittelalterlichen polnischen Geschiehte
war eine bahnbrechende Tat deutscher Wissenschaft auf einem
bisher fast brachliegenden Felde.
Sieht sich auch in neuster Zeit die Breslauer Universitat
durch manche Mafiregeln zur Hebung des geistigen Lebens
der Ostmark in ihrer nationalpolitischen Wirksamkeit hier und
da eingeschrankt, so kann und wird sie daruni die nationalc
Vorpostenstellung, die ihr Schlesien und Breslaus Vergangenheit
anweist, nun und nimmermehr verlieren. Sie wird stets an
Jhrern Teile daran mitarbeiten mtissen, daB Schlesien ein ,,leben-
diges Glied" unseres Reichskorpers, des deutschen Volkstums
ist und bleibt.
Wenn VOF hundert Jahren fremde Beurteiler den inneren,
kulturellen Zusammenhang Schlesiens mit dem ubrigen Deutsch-
land einigermaBen anzweifelten, so beruhte das doch nicht allein
auf Vorurteil und Unkenntnis?. Zum Teil entsprang es der
zutreffenden Wahrnehmung eines ubermafiig starken land-
schaftliehen Sondergcistes und Sonderlebens. Schlesiens Um-
schlossensein von fremden Staatsgebieten und Nationalitaten,
seine Entfernung von den Brennpunkten des deutschen Geistes-
und Wirtschaftslebens bewirkte, daB die Schlesier sich zunachst
gegen das fremde Volkstum, mehr oder minder aber auch gegen
ihre eigenen deutschen Volksgenossen abschlossen. Das Selbst-
bewuBtsein, mit dem sich die Schlesier als Pioniere deutscher
Kultur fiihlten, steigorte sich zu ungesundcr Uberschatzung
aller schlesischen Menschen und Dinge, zu provinzieller geistiger
Inzuchfc. Der Heimatsinn wurde, wie Karl Weinhold 6 ) treffend
sagt, ,,ubertrieben bis zu dem Aberglauben, daB nur zwischen
den Sudeten und der Posenschen Grenzlinie sich leben lasse*" An
den Schlesischen Provinzialbliittern, diesem so schjitzbaren
literarischen Niederscldag des damaligen schlesischen Geistes-
lebens, tadelte Steffens 7 ) nicht mit Unrecht ,,die Beschaftigung
mit den engston provinziellen Verhaltnissen, die alle Aufmerk-
samkeit zu fesseln schienen in einer Zeit, in welcher die groBen,
tragischen Schicksale Deutschlands jeden Gedanken und alle
lat in Anspruch nehmen muBten, ferner eine gewisse breite
6 ) Rede bei der Feier des 80. Geburtstages Karl von Holteis
(Bresl. 1878) S. 17.
7 ) Was ich erlebte VII, 3.
— 10
Familienhaftigkeit, die sich in Denkmalern, d. h. Begrabnis-,
Hochzeits-, Geburtstags- und Trauungsliedern, durch eine ge-
schmacklose Sentiinentalitat verzerrt, nur zu sehr bemerkbar
machte,"
Aus diesem selbstgeniigsamen, provinziellen Stilleben \\ urden
nun Schlesien und Brcslau durcli die neue Universitat etwas
unsanft, aber recht heilsam aufgeriittelt. Die Voraussage
der Breslauer Regierung 8 ), „das Zusammensein vieler Gelehrten
werde der dieser Provinz so oft, vielleicht mit zuviel Harte
vorgeworfenen Geistes-Indolenz entgegenarbeiten," sollte sich
bald erfiillen. ,,Mit der Verlegung der Frankfurter Universitat
nach Breslau," sehreibt A. Kahlert 9 ), ,,gewann diese Stadt eine
ganz andere geistige Physiognomie und, bei vielen in die Augen
Bpringenden Vorteilen, zunachst Stoff zur Reibung zwischen
Altem und Neuem. Viele, die zu bequem oder auch schon zu alt
waren , uin deni Neuen Interesse abzugewinnen, spraehen
von fremdem Diinkel gegeniiber alter Gemiitlichkeit. Diejenigen
nur erkannten das Richtige, welche darauf drangen, dafi man
den Fremden vorurteilsfrei entgegenkomme und ilmen es er-
leiehtere, sich in dem damals, wo Schnellpost und Eisenbahn
noeh nicht existierten, noch sehr abgeschlossenen Schlesien
zu akklimatisieren."
Den gegebenenBoden fiir dieUbenvindung des provinziellen
Sondergeistes bot den fremden Gelehrten der Universitat die
„Schlesische Gesellschaft fiir vaterlandische Kulfcur". Im Jahre
1803 als ,, Gesellschaft zur Beforderung der Naturkunde und
Industrie in Schlesien" mit einem ebenso fachlich wie landschaft-
lich beschrankten Wirkungskreise begriindet, hatte sie sich
1808 erweitert zu ,,dem allgemeinen Institute einer Gesellschaft
der Schlesier fiir ihr Vaterland, an welches alles Geistvolle,
jedes treue, an Vaterland und Regierung fest hangende Herz
sich anschliefien" sollte. Damit hatte die Gesellschaft die
Grundziige ihrer jetzigen Verfassung, die universale Richtung
auf alle Wissenskreise und die Gliederung in Fachabteilungen,
in Sektionen erhalten. Allerdings unter ,, Vaterland" verstand
man damals immer noch in erster Linie oder gar ausschliefilich
Schlesien. Aber ein wirklich universale!-, in hohercm Sinne
gemeinniitziger Wissenschaftsbetrieb rnuBte von selbst den
Blick iiber die Grenzen der engeren Heimat hmausfiihren.
Fiir diese Weiterentwickelung der Schlesischcn Gesellschaft
war es von groBter Bedeutung, daB die durch die Universitats-
8 ) Ropell, Zur Gesehichte der Griindung der Kgl. Universitat S. 12.
9 ) Denkschi-ift z. Feier d. 50 jahrigen Bestehens d. Schles. Gesellschaft
f. vaterland. Kultur. S. 16.
— 11 —
griindmig nach Breslau gefiihrten fremden Gelehrten in sie
eintraten, ja bald, im Zusammemvirken mit den leistungs-
fahigsten'emheimischen Kraften, die Fiihrung in ihr erlangten.
Bald verschniolzen Universitat und Schlesische Gescllschaft
in ihren leitenden geistigen Kraften derartig mit einander, daB
man innerhalb bestimmtcr Grcnzen die Wirksamkeit bcidcr
einander gleichsetzen darf. Beiden Teilen brachte diese innige
Durchdringung erhohte Lobenskraft, volleren Erfolg, Die Sclile-
sische Gesellschaft, der ihre Griinder anfangs eine vorwiegend
praktische Tatigkeit, die Forderung des gcwcrblichen Lebens
durch angewandte Wissenschaft zugeschrieben batten, erhielt
durcli den EinfluB der Universitat je langer je mehr einen
iiberwiegend wissensckaffclichen Charakter. In lebendiger
Verkniipfung mit dem GroBen, Ganzen dor wissenschaftlicheii
Forschung wurde die Gesellschaft allmahlicli iiber die Sohranken
des landschaftlichen Sondergeistes hinausgehoben. Die ,,pro-
vinziellen Grenzen in Sehlesiens geistigem Leben" verschwanden ;
an die Stelle eines selbstvergotternden, kleinlichen, ausschlieBen-
den Lokalpatriotismus trat allmahlicli eine maBvolle, gesunde
Heimatsliebe, die dem verstandnisvollon, hingebenden Anschlusse
an das Ganze, das Allgemeine nicbt bindemd entgegenstcht,
im Gegenteil: ihm als stiitzende Grundlage dient. Mit vollem
Recht hat G. Kaufmann 10 ) beim Riickblick auf das liundert-
jahrige Wirken der Sclilesischen Gesellschaft die Bedeutung
dieses von der Gesellschaft vertretenen und geforderten „Ge-
meingefuhls" der Schlesier kraftig betont: ,,Die Bedeutung dieses
Gemeincrefuhls stcigert sich in Zeiten, in denen der Kampf der
politisehen, kirchlichen und wirtschaftliclien Parteien sell arf ore
Formen annimmt. In der gemeinsamen Arbeit fur das Leben
unseres trotz aller Gegensatze mit gleicher Liebe umgebenen
Landes gewinnen die Burger die Kraft und — was besonders
wichtig ist — die unmittelbare Veranlassung, iiber dem, was
sie trennt, nicbt zu vergessen, was sie eint. In der fursorgenden
Liebe zur Heimat liegt eine der stiirksten Wurzeln der Liebe
zum Vaterlande."
Indem die Universitat, hauptsachlich auf dem Boden und
im Rahmen der Sclilesischen Gesellschaft, an der tlberwindung,
der Veredelung des provinziellen Sondergeistes arbeitete, hat
sie viel gegeben, aber audi viel empfangen. Daraus, daB Schle-
sien ein so ausgepragtes Eigenleben besaB, daB Breslau in
hervorragendem MaBe der wirtschaftliche und geistige Mittel-
punkt Sehlesiens war. hat die Universitat weitreichende
10 ) Geschichte der Schlesischen Gesellschaft fur vatcrlandische
Kultur (Breslau 1904) S. 10.
— 12 —
Forderung ihrer wissenschaftlichen Arbeit geschopft. Die
fremden Gelehrten erhielten dadurch einen stiirkeren Antrieb,
sich in Schlesien so recht eigentlich mit ihrer Forschungsarbeit
zu akklimatisieren, ihre Arbeitsstoffe in der engeren Heimat,
in der vielgestaltigen schlesischen Landesnatur zu suchen.
Die Schlesische Gesellschaft mit ihren Sektionssitzungen und
allgemeinen Versammlungen, mit ihrem iiber ganz Schlesien
ausgebreiteten Netze korrespondierender Mitglieder, die um
Belehrung baten, wissenschaftliche Beobaclitungen und Samm-
lungen einsandten, war der Kanal, durch den die Universitat
Anregungen wissenschaftlichen Lebens ausstromte, doch in
gleicher Weise auch empfing.
Die Schlesische Gesellschaft wirkte wesentlich dazu mit, daB
die Gelehrten der Universitat, darunter viele aufierhalb Schle-
siens geborene, in der Erforschung der schlesischen Landes-
kunde, Landesgeschichte und Volkskunde fiihrend voran-
schritten und sieh ihre Heifer am Werke heranbildeten. Karl
von Raumer und H. Steffens durchforschten schon in den
ersten Jaliren ihrer Breslauer Anitstatigkeit die schlesischen
Gebirge, Ferdinand Romers ,,Geologie von Oberschlesien"
schuf eine neue wissenschaftliche Grundlage fur die ErschlieBung
der oberschlesischen Bodenschatze. Unter Benutzung der Vor-
arbeiten von Boguslawskis und anderer entwarf Joh. Gott-
fried Galle mit sicherer Hand die Grundziige der schlesischen
Klimatologie. Was Heinrich Robert Goppert nicht nur selbst
fiir die Erforschung der schlesischen Flora geleistet, sondern
wie er seinen, meist dem Apothekerstande entnommenen Stab
von Mitarbeitern in ganz Schlesien zu Beobaclitungen und Ar-
beiten auf diesem und andern Gebieten der schlesischen Landes-
kunde geschult hat — das zu schildern war niemand berufener
als Joseph Partsch 11 ), der in seiner unendlich verdienstvollen
Bibliographic der landes- und volkskundlichen Literatur und
seiner Darstellung ,, Schlesien, eine Landeskunde fiir das deutsche
Volk'" mit Meisterhand aus den Ergebnissen der modernen
wissenschaftlichen Erforschung der schlesischen Landesnatur
die Summe gezogen hat. Auf dem Gebiete der Landesgeschichte,
die durch Sohlesiens Weltlage in weitreichende, enge Ver'
bindung mit der Geachichto der Nachbargebiete gesetzt wird.
brachen Stenzel, Ropell, Griinhagen als Forscher und als
Leiter des von der Schlesischen Gesellschaft abgezweigten
Vereins fur Geschichte Schlesiens die Bahn. Die Dialekt-
forschung und die Volkskunde, der durch Schlesiens National!-
(BresT\ ( 904fs C 24 f deF Schlesischen Gesellschaft fiir vaterl. Kultur
— 13 —
tatenmischung eine eigenartige Aufgabe gestellt wird, erweckten
Weinhold, Vogt, Siebs, letztere zugleich als Leiter der Schle-
sischen Gesellschaft fur Volkskunde, zu frischem Leben.
Wenn auch in der Schlesischen Gesellschaft die Sektionen
fur Landwirtschaft und Gewerbekunde keine sehr groBe Wirk-
samkeit entfaltet haben und spiiter durch Sondervereine ab-
gelost worden sind, so haben auf anderen Wegen die Bedurfnisse
der bluhenden schlesischen Landwirtschaft und die reichent-
wickelte Industrie besonders Oberschlesiens auf die Breslauer
Universitat eingewirkt. Zwar der Altmeister der deutschen wissen-
schaftlichen Landwirtschaf tslehre, der Schlesier Julius Kiihn,
hat nach seinen von der Schlesischen Gesellschaft unterstiitzten
wissenschaftlichen Erstlingsleiatungen seinen Wirkungskreis
auBerhalb unserer Provinz gefunden. Aber dem von Kiihn
geleiteten Hallenser Institut ist seit 1881 das Landwirtschaf t-
liche Institut der Universitat Breslau als weithin wirkende
Pflegestatte der Landwirtschaftslehre an die Seite getreten.
Die Notwendigkeit einer Professur fin Chcmie wurde schon
in dem von Siivern aufgesteliten Organisationsplane fur die
neue Breslauer Universitat begriindet durch die Emvartung,
daB ,,die Verbreitung richtiger Einsichten in diese Wissenschaft"
auf die schlesische Industrie grofien EinfluB iiben werde. Hand
in Hand mit dem Aufschwunge der Industrie, die namentlich
in den Bodenschatzen Oberschlesiens und den Erzeugnissen
der Landwirtschaft die Wurzeln ihrer Kraft fand, sind seitdem
die Anforderungen an den chemisch-teehnischen Unterricht
der Universitat fortgesetzt gestiegen, bis endlich die neueste
Entwicklung der Technik und ihres Unterrichtswesens die
Begriindung einer selbstiindigen technischen Forschungs- und
Unterrichtsstiitte gebieterisch verlangte. Wie die Universitat
die nicht miihelose Erringung einer Technischen Hochschule
fiir Breslau an ihrem Teile kraftig unterstiitzt hat, so bleibt sie
kiinftig mit der jiingeren Schwesteranstalt durch gemeinsame
Interessen und Beriihrangspunkte verbundcn. Ein Teil der
Einwirkung des schlesischen Wirtschaftslebens auf die wissen-
schaftliohe Forschung ist allerdings nun von der Universitat
auf die Technische Hochschule ubergegangen. Aber der EinfluB
der Landesnatur auf die Universitat ist innerlich zu tief be-
griindet, um nicht auch in Zukunft in mannigfachen Formen
lebenweckende Kraft auszuuben.
Ist uns bisher die Universitatstadt Breslau vorwiegend
in ihrer kaum je bestrittenen Stellung als Hauptstadt und
Mittelpunkt Schlesiens entgegengetreten, so miissen wir nun
auch ihrer sonstigen, durch Lage und geschichtliche Entwicklung
bcdingten ortlichen Besonderheiten gedenken, die auf die neu-
— 14 —
begriindete Universitat EinfluB gewannen, den aus anderen
Landesteilen stammenden fremden Gelehrten in die Augen fielen
,, Breslau," so schildert Steffens 12 ) seine ersten Eindriicke
,,var zu der Zoit keineswegs in einer gunstigen Lage. Der trockne
Sommer hatte der Oder allesWasser genommen, und in der diirren
ausgedorrten Gegend lag Breslau, umgeben von seinen demo-
lierten Wa-llen, so daB es fast den Eindruck einer zerstorten
Stadt machen mufite. Innerhalb des engen Raumes einer
Festungwaren damals 60 — 70000 Menschen zusammengedrangt.
Dennoch imponierte die Stadt. Die hohen Hauser, die engen*
dustern StraBen, die Warenlager, die auf einen grofien, obgleich
jetzt ruhenden Betrieb deuteten, erregten die Auf merksamkeit •
Kirchen und alte Gebaude legten Zeugniss© von einer bedeuten'
den Vergangenheit ab; die ganze Stadt sah einem alten, be-
tagten Greise ahnbch dessen durchfurehte Gesichtszuge auf
em schwer durchkampftes Leben deuteten." Bei alter Anfecht
barkeit m Einzelbeiten kennzeichnet die Sehilderang von
feteffens das erne Wesentliche durohaua zutreffend: die Stadt
hatfce damals erne der schwereten Krisen ihrer Geschichte
zu durchleben; sie stand tatsachlich in vieler Hinsicht vor den
Immmern einer groBen Vergangenheit, aus denen erst wieder
neues Leben erbluhen sollte.
Wie wurde einst das mittelalterliche Breslau getragen
VemZT ^^^f «™t der natiirliehen Lage! Als
JZl™ f 68 S 7 ute / austa f . Ches zwischen dem germanischen
2 teT^T n ^ S ? dCn UM dem slav * schen Oaten,
as Mittelpunkt ernes ganz Mittel- und Osteuropa umspannenden
Sir b att T ^ Sfc n dt m i hrem GroB - und ^SS5
und den auf ihrn beruhenden Gewerben scheinbar unerschopflicke
Quellen des Wohlstandes. Das Breslau des 15. und 16 Sm
derts gait kundigen Beurteilern als eine der groBten und sobnnsf™
unterden deutsehen Stadten. Die wfctBcSLftSTSSS
poLtisehe Macht. Gegen Ende des Mittelalters konnte die Stadt
wagon m den kirchhchen mid nationalen Kampfen des Ostena
erne selbstandige Pobtik zu treiben. Der Beginn der Refer
mationszeit sah sie fast unabbangig von der landesherrlichen
Gewalt, strebend nach reichsstadtischer Freiheit und einem
groBen, ihr allein untertanigen Landgebiete. Wie mit dem
wirtschaftlichen und politischen Aufschwunge auch das eeistiee
Leben gedieh, das kiinden uns die machtigen Kirchenbauten
des Mittelalters, das prachtige Rathaus, alle die Denkmiiler
kirchlicher und weltlicher Kleinkunst, die zahllosen urkund
lichen Zeugnisse iiber die Bliite des mittelalterlichen Sehul
12
) Was ich erlebte VII, 8 f.
— 15 —
wesens, iiber die Menge der frommen und wohltatigen Stiftungen,
die Breslau zu einem wahren Eldorado fiir die fahrenden Schiller
aus aller Herren Lander machten. Es war eine reiche, machtige,
selbstbewuBte, bildungsfrohe Stadt, die im Jahre 1505 mit
alien Mitteln die Griindung einer eigenen Universitat zu erreichen
suchte. Fiir das Scheitern dieses Versuchs land die Stadt seit
der Reformation Ersatz in der Begriindung und Ausgestaltung
ihres evangelischen Kirchenwesens, in der Fiirsorge fiir ihr,
nacli zeitweiligem Verfall neu aufbliihendes Sehulwesen, in der
opferwilligen Pflege der Kiinste und Wissenschaften durch ihr
hochgebildetes, schonheitsfrohes Patriziat, das einen Thomas
Rehdiger zu den Semen zahlte.
Gegeniiber diesem Breslau des Mittelalters, der Reformation
und der Renaissance bot die Stadt vor Imndert Jahren ein
ganz anderes, weniger glanzendes Bild. Wohl war das Breslau,
in das die Universitat einzog, mit fast 60 000 Seolen die ein-
zige iiber 10 000 Einwohner zahlende GroBstadt Schlesiens,
die zweitgroBte Stadt PreuBens. Um die bis 1807 in Festungs-
werke eingeschniirte innere Stadt herum waren iiberall aus-
gedehnte Vorstadte erwachsen. Immer noch war Breslau eine
bedeutende Handels- und Gewerbestadt. Aber was einst in den
Zeiten groBerer Handelsf reiheit eine seltene Gunst der natiirlichen
Lage gewesen war, bedeutote jetzt in den Zeiten des Merkan-
tilismus, der alle Staaten zu abgeschlosscuen, sich selbst ge-
niigenden Wirtscliaftsgebieten zu machen strebte, ein schweres
Hemmnis fiir ihr Wirken. Breslau sail sich seit der Trennung von
Osterreich und dem stiirkeren Abschlusse Polens und Rufilands
in seinem ostlichen Handel iiberall durch Zollgrenzen, Ein- und
Ausfuhrverbote behindert. Mit dem prcuBischen Staate konnte
es nur durch eine schmale Landbriicke verkehren. Fiir das,
was Breslaus Fern- und GroBhandel durch die veriindertc Welt-
stellung der Stadt eingebufit hatte, bot die einheiniische Tuch-
und Leinenindustrie lange Zeit einen gewissen Ersatz, bis auf
diesem Gebiete die napoleonischenKriege sehwer zu verwindende
EinbuBen brachten. Wohl verhieB die an die Katastrophe
des Staates anschlieBende Reformze.it aueh fiir Breslau die
Entfesselung wirtschaftlicher Krafte, neue Entwiokelungs-
moglichkeiten. Die von ihrem Festungsgiirtel befreite innere
Stadt wurde auf Grund der Stadteordnung mit den Vorstadten
vereinigt, das Gewerbe wurde von den Fesseln des alten Zunft-
wesens befreit. Aber die Zunftverfassung, in anderen Stadten
schon lange vor Einfuhrung der Gewerbefreiheit vielfach durch-
brochen, war gerade in Breslau noch so festgewurzelt und hatte
so tiefgreifende Gegensatze zwischen Stadt und Vorstadten
geschaffen, daB man hier die segensreiche Neuerung zuniichst
— 16 —
als verderblichen Umsturz empfinden mufite, nur unter schweren
Erschutterungen sich in das Neue allmahlich eingewohnen
konnte.
Auch das geistige Leben zeigte, entsprechend der wirt-
schaftlichen Lage, Spuren von Stillstand und Stockung, trug
den Stempel einer wenig befriedigenden XJbergangszeit. Die
Jesuitenuniversitat, gegen den leidenschaftlichen Widerapruch
der evangelischen Biirgerschaft Breslaus begriindet, war ein
Torso geblieben, in ihrer Wirksamkeit fast ganz auf die Katho-
liken beschrankt, fur das geistige Leben der Stadt von geringer
Bedeutung. Die Versuche, das evangelische hohere Schul-
wesen den Bediirfnissen der Zeit entsprechend umzugestalten,
batten wenig Erfolg gehabt. Die Schiilerzahl des in eine Real-
schule verwandelten Magdalenaums war zeitweilig auf 90 zuriick-
gegangen und hob sich erst wieder unter der Leitung Mansos,
der allmahlich in die Bahnen des alten Gymnasiums zuriick-
lenkte. Naturwissenschaften und Heilkunde hatten einst in
Breslau lebhafte Pflege gefunden. Hier schuf Ende des 16. Jahr-
hunderts der Arzt Laurentius Scholz von Rosenau seinen
weitberuhmten botanischen Garten. Breslauer Arzten verdankte
die 1652 begrundete „Leopoldino-Carolinische Akademie der
Naturforscher" eine wesentliche Erweiterung ihres Wirkungs-
kreises, eine Anzahl ihrer wichtigsten Vcroffentlichungen.
Breslauer Mitglieder der Akademie veroffentlichten 1717 — 26
die vielbandige Sammlung der sogenannten ,,BresIauischen
Observationes", in denen Berichte iiber die Witterungsver-
haltnisse, iiber Menschen- und Tierseuchcn, iiber den Stand der
Landwirtschaft, iiber neue Erfindungen, Entdeckungen und
Literaturerseheinungen auf den Gebieten der Medizin und Natur-
wissenschaften geboten wurden. Vor hundert Jahren zahlte
Breslau wohl eine Anzahl tiichtiger Arzte, von denen mehrere
in den Lehrkorper der Universitat eintraten. Aber die be-
stehenden medizinischen Lehranstalten, die anatomische und
die Hebammen-Lehranstalt litten an Diirftigkeit der Mittel
und Unzulanglichkeit der Raume. Ein 1803 geplanter Neubau
scheiterte an dem Einspruche der Jesuitenuniversitat, die zu
seinen Gunsten in ihren Kiichen- und sonstigen Wirtschafts-
raumen — es bestand damals noch gemeinsame Verpflegung —
beschrankt zu werden fiirchtete 13 ),
Aus dem geschilderten unbefriedigenden Ubergangszu-
stande hat sich Breslau im Laufe des vergangenen Jahrhunderts
mit rustiger Kraft herausgearbeitet. Schrittweise die Nach-
13\
J ) Forster, Das Jahr 1807 und die Universitat Breslau (Br. 1907)
fe . 1 U-
— 17 —
wirkungen des Alten iiberwindend, den Anforderungcn der
Neuzeit sich anpassend, hat es in angespannter Arbeit seine
jetzige Stellung unter den deutschen Grofistadten erkampft.
Anfangs allerdings, in den zwanziger und dreiBiger Jahren des
19. Jahrhunderts, Avar die Fortentwickelung nock iiberaus
langsam und stockend. Nach dem groBartigcn geistigen Aiaf-
schwunge und materiellen 'Kraftaufwande der Freiheits-
kriege, an dem Stadt und Univcrsitlit so ruhmlichcn Anteil
Jiatten war eine gewisse Abspannung und Entkraftung ein-
getreten. Viele Kulturaufgabcn der modernen Stadtgemeinde:
die Fiirsorge file das friiher ganz der Privattiitigkeit iiberlassenc
Volksschulwesen, eine wirksamere.Armenpflege, die offentliche
Gesundheitspflege, die Fiirsorge fur Verschonerung der Stadt — ■
alle diese Aufgaben wurden je langer je mehr in ihrcr Bedeutung
erkannt, aber aus Mangel an Mitteln oder aus tcclmischem
Unvermogen nur langsam und unzuliinglich gefordert.
Die materielle Diirftigkeit, die sich ini Wirtschaftsleben
und in der Verwaltung der Stadtgemeinde aussprach - - in ge-
wissem Sinne nur ein Abbild allgemeiner, staatlicher Zustande —
hat ein Gogenstuck audi in den ersten Jahrzehnten der
Universitatsgeschichte. Sie zeigtc sich in der fur moderne
Okren marchenhaft klingendcn iiuBeren Unzulangliohkeit der
akademischen Institute und Sammlungen. Man denke nur an
die spater als Universitatskarzer benutzten Raume des Physio-
logischen Institute, des altesten in Europa, in dem der geniale
Purkinje forschte und lehrte 14 ). Sie zeigte sich aber auch in der
lange Zeit iiberaus diirftigen materiellen Lago ernes groBen
Teils der Breslauer Studentenschaffc. Dem aus Halle kommenden
Steffens 15 ) fiel es auf, daB an die „recht glanzenden Balle",
zu denen die Hallcnser Studentenschaft die Professoreii und
ihre Familien eingeladen hatte, in Breslau „bei der herrschcndcn
Armut der Studicrcnden nieht zu denken war". „Im Oktober
1833," so borichtet Hoffmann von Fallersleben 1H ), „kam
ein neuer Professor zu uns, Adolf Friedrieh Stenzler, Professor
des Sanskrit. Alle Welt schrie: Sanskrit in Breslau ! In Breslau,
wo man nur Brotwissenschaft studiert, wo die Studenten ho
arm sind, daB sie nicht einmal ein Publikum belegen, well sic
2'/ 2 Sgr. dann an die Krankenkasse entrichten miisscn, wo zwei
Studenten, wic man sieh erziihlt, nur ein Paar Stiefel haben."
Aueh in den amtlichen Quollen jcner Zeit erscheint ein zahl-
reiehes, unglaublich durftiges Studentenproletariat, zu dessen
14 ) Die Sehlesische Geselbchaft l'iir yaterland. Kultur (Bresl. 1904)
Q! ir
' «) Was ich erlebte VIII, 173.
l6 ) Werke VII, 194.
*2
— 18 —
Vermehrung auBer der allgemeinen ungirastigen Wirtschafts-
lage audi eine allzulaxe Stundungspraxis der Professoren
beitrug 17 ).
Die Oleichartigkeit der Entwickelung zwischen Stadt und
Universitat kiBt sich iiber die ersten knappen, miiden Jahr-
zehnte naeh den Befreiungskriegen Mnaus verfolgen. Als in den
vierziger Jahren die Verbindung Schlesiens mit dem groBen
Wirtschaftsgebiete des Zollvereins und vor allem die Anfanse
des Eisenbahnbaues Breslaus wirtsehaftliche Lage besserten,
sein Wachstum beschleunigten, kain gleichzeitig ein friseher
Zug in die ganze Stadt verwaltung, eine lebhafte politische
und soziale Bewegung in die Biirgersehaft. Neben Konigsberg
.stand Breslau in erster Reihe bei dem Streben des Biirgertiuns
nach Erweiterung der Volksrechte, nach Einiiihrung einer
Volksvertretung. Die gemeinsamen politischen Bestrebungen
weckten ein bisher unbekanntes Gemeingefuhl in alien Be-
volkerungssehichten, lieBen bisher herrschende Standesunter-
scbiede zuriioktreten. Im Leben der Universitat auBerte sich
der EinfluB der neuen Zeit dadureh, daB die wirtsehaftliche
Lage der Stndentenschaft sich hob, daB die Universitatslehrer
tnehr als bisher Fiihlung mit weiteren Kreisen der Biirgersehaft
suchten. AuBer der Tatigkeit in der Stadtverordnetenversamin-
iung, in die 1842 der erste Universitatsprofessor eintrat, niuBte
die Wirksamkeit in Vereinen und in offentlichen Vortragen
dazu dienen, Steffens hatte schon in den Anfiingen seiner
Breslauer Lehrtatigkeit in Vortragen auf ein groBeres Pubhkum
zu wirken gesueht. Auch die Schlesische Gesellschaft war in
ihren allgemeinen Versammlungen und in besonderen Vortrags-
zyklen iiber die Kreise der Eachgelehrten binausgegangen,
Jetzt unternahm in den Jahren 1842 — 45 ein von Nees von
Esenbeek, Stenzel und Kahlert gelciteter „Wissenschaft-
licher Verein", ,,dasjenige aus dem Bereiche der Wissenschaften,
was von allgemein menschliehem Interesse, ohne Vorbildung
fur ein spezielles Each, dem Verstandnisse zuganglieh gemacht
werden kann", einem ,,gr6Beren Kreise gebildeter Zuhorer"
vorzufiihren. Wie von den Stromungen des Vormarz, wurde von
der in Breslau besonders lebhaften politischen Bewegung des
Jahres 1848 aueh die Universitat ergriffen. Wiihrend sich ein
groBerTeil der Studentenschaft mit jugendlichem Peuer in den
radikalen Klubs und in der Biirgerwehr betatigte, suchten die
in den Parlamenten und in politischen Vereinen tatigen
Professoren, an einem dauerhaften Ausbau des neuen kon-
stitutionellen Staatswesens initzuarbeiten.
'") Freumdliche Mitteilumr von Dr. A. Kern.
t$i&S£2.*sx£3£*tKl
— 19 —
Die seit den sechziger Jahren mit aller Kraft einsetzende
letzte Phase des groBstadtischen Waohstums Breslaus hat zweifel-
los die Entwiekelung der Universitiit in vieler Hinsieht gestutzt
undgefordert. Je mehr die Stadtverwaltung outer weitblickender,
tatkraftiger Leitung voll auf der Hobe ihrer rastlos waehsenden
Aufgaben stand, urn ho mehr hat sie an ihrcm Teil aueh den
Interessen der Universitiit zu dienen gewuIJt. Die Beriihrungen
zwisehen Stadt und Universitat sind zwar weniger mannig-
faltig und umnittelbar', seit die Verhindung der Universitats-
kliniken mit den stadtiseben Krankenhausern aufgehort hat;
trotzdem findet die Stadtverwaltung inuner nocla Gelegenheit,
verstandnisvollen Anteil fiir das Oedeihen der Universitiit
zu betatigen. Nicht zu untersehatzen ist ferner der Resonanz-
boden, den das bewahrte Bildungsstreben \veiterer Bevolke-
rungskreise unserer modernen GroBstadt fiii* die gelehrte For-
sehiing bietet. Die unendlieh gesteigerte Vereinstatigkeit
bringt die Universitatslehrer in fortgesetzte Beriibrung mit
den akademisch gebildeten Vertretern anderer Berufe, Welclie
Bedeutung in dieser Hinsieht namentlich den mediziniseh-
naturwissensehaftliehen Sektionen der Schlesiseben Gesellschaft
heute noeli zukommt, ist bei der hundertjahrigen Jubelfeier
der Gesellschaft mit Recht hervorgehoben worden. Wenn endlieh
gemeinsame Betatigung in der Kunstpflege sicher geeignet
ist, zwisehen den Vertretern der wissenschaftlichen Forschung
und weiteren Kreisen der Gebildeten ein einigendes Band zu
kniipfen, so darf daran erinnert werden, daB Breslau, wenn
nicht als Pflegestatte der bildenden Kunst, so doeh als Musik-
stadt sieb iiber das grofistadtisehe DurchschnittsmaB hinaus
betatigt.
Andererseits muB eine GroBstadt wie Breslau, die dureh
ihre natiirlichen Daseinsbedingungen nicht gerade vor ibres
Gleichen begunstigt erscheint, auf ihreUniversitatauch hemmende
Einflusse ausiiben. Die allgemeine Gefahr eiher Uberflutung
der Universitiiten mit Horern, denen an einer allgemeinen wissen-
schaftlichen Durchbildung weniger gelegen ist, als an der eng
begrenzten praktisehen Berufebildung, muB bier verhaltnix-
malJig starker hervortreten. 1st die materiele Lage der Stu-
denten, entsprochend der allgemeinen Steigerung des Wohl-
standes, weit giinstiger als friiher, so werden doch auoh heute
noeh nur zu viele dureh materielle Sorgen und Note von dem
eigenthehen Zweeke ihrer Stndienzeit abgezogen. Das seit
mehreren Jahren se.gensrcich wirkende Studentenheim, das
als bleibendos Gedachtni^ der Jubelfeier in eigenen Ran men
die Moglichkeit weit ausgedebnteren Wirkens erhalten soil,
entspricht gerade in Breslau einem langgcfiihlten, dringenden
2*
— 20 -
Bedurfniwe. Wohl hat audi in Breslau frohliches Studenten-
leben und em vielgestaltiges Verbindungswesen seine Bluten
getneben. Aber erne eigentliche Vergniigungs- und Luxus-
imiversitat gleich ihren Schwestern an der Saale hellem Strande
am Neckar und am Rheine ist unser Breslau me gewesen unci
wird es nie werden konnen.
In der zum 13. Deutschen Geographentage von 1901 ver-
faBten anziehenden Studie iiber Breslaus raumliehe Ent-
wiokelung schrieb Aloys Sehulte: „Breslau hat viele Kilo-
meter Oderufer, aber es kennt merkwiirdigenveise keinen Bier-
garten unmittelbar an der Oder. Bis vor kurzem standen an
der Eoke der Dominsel vier Tische in der Veranda eines reeht
pnmitiven Wirtshauses. Mit ilim versdiwand das letzfce Bres-
lauer Wirtshaus am Wasser. Die Breslauer Oder mufl arbeiten-
die Elbe von Dresden und Vater Rhein bei Koln sind daneben
behagliche Rentiers." Durch diese, abgesehen von der auBersten
Ostvorstadt, duxchaus zutreffende Beobaehtung wird vortrefflieh
veranschaulicht, wie unserer Stadt emste, angespannte Arbeit
unerlaBliehe Vorbedingung zur Selbstbehauptung in hartem
Wettbewerb, den Stempel aufgedriickt hat. DaB dies alles in
allem aucb. fur unsere Universitat zutrifft, wird den vielen
Gescldechtern ihrer fruheren Schiiler kein Hindernis, v iel-
mehr ein srerstarkter Antrieb sein, in festb'cher Stunde der alten
Alma Mater in Treue und Dankbarkeit zu gedenken.
£2»
— 21 —
Das Universitatsgebaude und die
Matthiaskirche.
Von Ludwig Burgemeister.
In der arnisten Zeit des Vaterlandes richtete man vor
einem Jahrhundert die neue Universitat in Breslau, die bei dem
geistigen Aufschwung der Nation so segensvoll mitzuwirken
berufe.n war, in dein stolzen Gebaude am Odcrstrome ein, das
sich einst die Jesuiten als Sitz ilirer Universitat erricbtet hutten.
Fur die neue Lchrstattc bedurfte man keines Prunkgebiiudes,
das olmehin dem enthaltsamen Geiste der Zeit widerstrebte.
Aber man nahm den Bau, der sich so bequem hot und iiberdies
nacli der Verwiistung in sclilimmen Kriegszeiten nur noeb
ein Sehatten seines friihercn Glanzes war. Langc genug hat
seitdem im Ernst stiller Arbeit der Bau ein bescheidenes Dasein
gefiihrt und erst in den letzten Jahrzchnten, als der zunehmende
Wohlstand des Staates die Aufwendung groBerer Mittcl fur
Kunstpflege zulicB, konnte das Bauwerk als Phonix aua der
Aseke allmahlich wieder zu seiner vollen Schonheit ersteben.
!So erfreut sich die Breslauer alma mater ernes Wohnsitzes, dessen
Glanz, iiber das wissensehaftliche Bedurfnis hinausgehend, auch
der Phantasie reicbe Nahrung gibt und aus dem Bereich der
Alltagliehkeit zu der Hoke der Begeisterung erhebt, dcren audi
die Wissenschaft nicht entraten kann.
Die Gesellschaft Jesu war 165') in den Besitz der kaiserlichen
Burg gelangt, die auf der heute von der Matthiaskirche, dem
Chemigchen Institut und dem ostlichen Teil der Universitat bis
zum Kaisertor eingenommeneji Grundflaehe lag. 13er Rektor
des Kollegiums, Pater Wolff ven Laid inghausen, riohtete
seme Plane zurtachst auf die Frrichtung einer Kirohe, inn sich
dadureh den von der Stadt angefoehtenen Besitz der kaiser-
lichen Schenkung sicker zu stellen. 1689 wurde der Bau der Ki rche
nach Niederlegung der alten Burgteile an der Siidostecke be-
gonnen. Im zehnten Baujabre 1698 wurde das Werk zu Endc
gefiihrt und am Tage des Ordensstif ters, 31. Juli, unter groBem
— 22 —
Pomp geweiht. Aber noch war der Bau keineswegs vollendet.
Die Innenausstattung feJilte noch fast ganzlich und wurde erst
in den nachsten Jahren nachgeholt. Dann wurde bis 1706 in
etwa zweijiihriger Arbeit die Kirehe durch Johann Michael
Rottniaycr vnn Rosenbrunn ausgeinalt.
Die Ausfuhrung der Kirehe zum Namen-Jesu, jetzigen
Matthia^kirelie, bis zum Jahre 1 700 bcwogt sich in den strengen
maBvollen Bahnen, die anfangs fur die Bautatigkeit der Jesuiten
eingehalten wurden. ZweckmaBigkeit und Dauerhaftigkeit
wurde angestrebt, aueh GroBziigigkeit fehlte nicbt. Dagegen
wurde Prunk bis dahin als mit dem Ordensgeliibde der Armut
in Widerspruch stchend vermiedcn. Zu Anfang des achtzehnteii
Jahrhunderts aber wich die Enthaltsamkeit und Bescheiden-
heit der ecclesia militans naeh gewonnenem Siege dem stolzen
SelbstbewuBtsein der ecclesia triuniphans. Im Shine einer alles
ubertonenden Praeht entfaltet sich von 1722 ab an der Namen-
Jesu-Kirche eine zweite Bauzeit. Es beginnt unter dem tat-
kraftigen Rektor Franz Wentzl die Tatigkeit des Jesuiten-
bruders Christoph Tausch, eines' Schiilers des bekannten
Pozzo. Ihm verdankt das Innere der Kirehe den bestrickenden
Glanz. Er schuf den bedeutenden Hochaltar, fiihrte die Innen-
architcktur der kannelierten Saulen in Stuckmarmor aus und
bekleidete die Wande mit Purpurtapetcn. Weiterer Schmuck
von Nebenaltaren, Figuren und Leuchtern kam hinzu. Erst
1728 waren diese Arbeiten vollig abgeschlossen. Aueh auBer-
lieh wurde eine Verschonerung fiir notig gehalten. Die ohne
Turin entworfene Kirehe erhielt 1726 einen zierlichen Dach-
reiter.
Wie es das Hauptziel des Barockstils ist, rnoglichst groBe
Hauptraume aus einem Stuck zu schaffen, so eharakterisiert
sich die Namen-Jesu-Kirche als einschiffige weitgespannte An-
lage. Die Nebenschiffe sind weggef alien und durch eine Kapellen-
reihe mit daruber liegender Empore ersetzt. So wird trotz der
geringen Tiefe der Kapellen der Eindruck der Weifcraumigkeit
gewonnen. Von den sieben Jochen sind die beiden ostlichsten als
Clior zusamniengezogen, das westlichejooh hatauf der Empore die
Oi'gel aufgenommen. Die Breslauer Jesuitenkirche entsprieht
in ihrer GrundriBbi kiting genau dern Typus, der sich auf der
Grundlage von Gesu in Rom im Bereichc der osterreichischen
Provinzen gebiidet hatte. Er tritt am ausgesprochensten
bei der Linzer Ignazkirche zutage und wirkt in Schlesien bei
den katholischen Pfarrkirehen in Liegnitz und Brieg, wie aueh
bei der Kreuzkirche in Neisse nach. Wie oben nachgewiesen
hat Tausch dem Inneren seinen Stempel aufgedriiekt. Aber
der eigentliehe Architekt des Baues ist niclit bekannt. Seine
— 23 —
Art l&Bt das akademische kfihle AuBere erkennen, Das auf
alien vier Fronten durckgefuhrte System zeigt zwiscken flachen
bis zum Hauptgesinls durchgehenden, doppelt vorgezogcnen
Pilastern mit korinthisierenden Kapitelien zwei Reihen einfaeh
gebildeter rundbogiger Fenster. Ini Inneren sind dem ersten
Architekten die vornehmen Raumverhaltnisse gutzuschrciben.
Die Deokengemalde der Kirche von Rottmayer stehen an der
Spifcze der barocken Monumentalmalerei der ganzen Provinz.
Sie gipfeln samtlich in einer Verherrlichung des Namens Jesu.
Den Hohepunkt der Darstellungen bildet das Mittelfeld, welches
in einer Glorie die Anbetung des Namens Jesu durch die Heiligen
des neuen Testaments darstellt. Das scheinbare Himmels-
gewolbe wird umrandet von Gruppen, welehe hinter einer Balu-
strade einen saulengetragenen Raum beleben. Die Figuren auf
den vier Seiten vertreten die vier Weltteile, ein damals be-
liebter Gedanke. Wie das groBe Mittelbild durch cine raumlicho
Halle mit dem Architekturgeriist den Bancs in Beziehung ge-
bracht ist, treten audi die iibrigen Einzelbilder durch arehitek-
tonische Fassungen mit den Baugliedern in Verbhidung. D^r
festliche Zug, dor schon in Rottmayers Kunst hervortritt,
wurde noch scharfer in Tausch betont, Aber audi was dieser
hinzufiigte an prunkendem Schmuok ini Sinne eines rauschenden
Jesuitenstils hat noch italienisches Geprage.
Der Bau der Namen-Jesu-Kirohe, der schon bei den Zeit-
genosscn gebiihrende Bewunderung fand, bildete die Einleitung
jcner gewaltigen Barockbautafigkeit, die sich damals in Breslau
entfaltete. Es ist erstaunlich, schon allein vom volkswirtschaft-
lichen Standpunkte aus, mit welch gewaltigen Mitteln damals
die ganze katholische Kirche sich regte. Uriel nun war auch die
Zeit gckommen, wo die Jesuiten Hire Langst bestehenden Plane
fur einen Neubau ihres Kollegiums ausfuhren konnten. Trotz
aller Gegenbemiihungen war es dem einfluBreichen Pater Wolff
schon 1702 gelungen, die Griindung einer Universitiit durch-
zusetzen. In Rektor Wentzi war jetzt der Mann erstanden,
der nach Ausschmuekung der Kirche auch der langst driickend
empfundenen Beschranktheit der Raume in der ruinenhaften
und verwinkelten Kaiserburg ein Endo machen sollte. Dem
Noubau des Kollegien- unci Schulgebaudes standen nJcht
geringe Sehwierigkeiten entgegen. Die ftir den Neubau mit in
Aussicht genommenc Flache des Sperlingsberges gehorte, mit
Auanahme des Stallgebitudes, gar nicht der Sozietat, sondern
war seit undenkliohen Zeiten rait kleinen Biirgerhauschen
besetzt, die sich an die Stadtmauer anlehnten. Das selir gpitz-
findig nachgewiesene Besitzrecht wurde von der die Ausbrei-
tungsversuche der Jesuiten eifersiichtig verfolgenden Burger-
B
- 24 —
schaft lebhaft bekampft. Weiter erregte die beabsichtigte Be-
seitigung des alien Kaiscrtores und tJberbauung des Stadt-
cinganges mit dem Schulanbau viele Bcdenken. Abcr der Tat-
kraft Wentzls, die in dem oft und deutlich bekundeten Willen
des Kaisers ihre Stiitze land, gelang es, in einem Vergleiche
vom 14. Mai 1728 alio Hindernisse aus dem Wogc zu raumen.
Die Niedcrlegung der vorhandenen Bauliehkeiten begarni
im Mai von Westen aus. Am 19. Mai fand der erste Spaten-
stich, am 6. Dezember die feierliehe Grundsteinlegung statt.
In den nachsten Jahren wurde der Bau von Westen her hocli-
gefiihrt und allmahlich unter Dach gebraeht. 1731 war der
Turm iiber dem Haupttreppenhaus (Stern wartenturm) solion
bis fast zur Hohe des Daches gefordert, und der anschlieBende
Bauteil bis zum Kaisertor war einige Stock angewachsen, als
sioli ein schwerer Bauunfall ereignete. Es bracken vler Pfeiler
des Marianisehen Oratoriums (jetzt Musiksaal) zusammen, und
der ganze Gebaudeteil nahe der Haupttreppe stiirzte ein. Danacb
muBte cine vollige Anderung der Gestaltung des Oratoriums
vorgenommen und der fruher dreischiffige Raum einschiffig
angelegt werden, indem die nordliche Pfeilerreihe weg-
fiel und an Stelle der siidlichen cine starke Wand trat. In-
zwischen war der akademische Festsaal (Aula Leopoldina)
groBtenteils fertiggestellt und ausgemalt. In dem dariiber ge -
legenen Komodiensaal (jetzt zu Horsalen umgebaut) war die
Ausmalung ebenfaJls dem Ende nahe. Beide Sale konuten sehon
mi nachsten Jahre, 1732, eingeweiht werden. Der bis zum
Kaisertor reichende Bauteil wurde im folgenden Jahre sowohl
im Aufieren als im Inneren der Hauptsache nach vollendet
Nunmehr wurde audi der vom Kaisertor nach Siidosten
verlaufende Fliigel der kaiserlichen Burg niedergelegt unci an
dieser Stelle im Oktober der Kollegienbau begonnen, an den sich
1735 noeh der Bauteil in der Verlangerung des Langflugels
ostlich vom Kaisertor in etwa 30 in Lange anreihte. Die alte
Burg war jetzt groBtenteils beseitigt, Beschwerden, die seitens
der Stadt vorgebracht wurden, hielten den Bau nicht auf
Anfangs 1730 wurde der Rekfcor Wentzl abberufen, als dessen
eigenstes Werk der Bau gelten konnte. Sein Nachfolger Johann
Hildebrandt hatte in den nachsten Jahren die beiden Osl-
flugel zu vollenden, Allmahlich wurden 1740 die meisten Kiiume
bewohnbar. Ruckstandig waren noch zwei Bauteile, der Ver-
bindungsbau zwischen dem Kollegium und der Kirche, sowie
der geplante Turmbau liber dem Kaisertor. Beide wurden vor-
laufig in unschoner Weise abgedeckt, denn es bracken welt-
geschichtliche Ereignisse herein, die der Bautatigkeit ein Ende
setzten.
— 25 —
Konig Friedrich von PreuBen war im Dezeniber 1740
in Schlcsien eingeriickt, urn nach Kaiser Karls VI. Todc seine
Anspriiche auf Scblesien geltend zu machen. Das noch unvoll-
endete Universitatsgebaude hatte nun alle Fahrliohkeiten des
Krieges zu bestehen. Kranke und verwundete Soldaten wurden
in den Neubau gelegfc. Die Jesuiten batten alsbald den schmah-
lich zugerichteten Ban instandzusetzen, fanden aber damn noch
die Kraft die stattlieh iiberwolbte Verbindungshalle am Siidost-
fli'sgel zwischen dcr Kiche und dem Kollegienbau fertigzustcllen.
Tiber dem Kaisertor sollte ein hoher Turin errichtet werden.
Das Gebaude hatte bis daliin an dieser Stelle unfertig dage-
legen. Jetzt gewann die schnierzliehe Tjbcrzeugung Oberhand,
da!3 man auf seine Ausfiihrung verzichten niiisse. Daher wurde
das Daeb durchlaufend zugedeckt. Die letzten Arbciten zum
AbschluB des bestelienden Gcbiuides ficlen in das Jalir 1743
und bczogen sich auf die Fcrtigstelhmg innerer Teile im Rahmen
des bis daliin erreichten Umfanges.
Damit war der Universitatebau abgescblossen. Fiinfzehn
Jahre 1st an ihm gobaut worden. Wie die Ausfiihrungen der
letzten Jahre schon iliichtig waron und den eingetretenen Ge Id-
mangel erkennen lassen, so macbten die politisehen Breignisse
die regelrechte Beendigung seblieBlich ganz umnoglich. Was
dann die spatercn Kriege dem Bauwerk an Unbeil und Zer-
storang zufiigten, kann bier nicbt im einzchien verfolgt werden,
Nur soviel sei wiederholt, daB der praehtige Ban in ruinen-
baftem Zustandc ins 19. Jahrhundert eintrat und in der Not
der Zeit nur in unzulanglichster Weise fiir die weiteren Zweekc
hergerichtet werden konnte.
Der Neubau hatte zwei Zwecken zu dieuen. Zuiiachst
sollte er Versammlungs- und Schulraunie, dann aber Wohn-
und Wirtschaftsraume liefern. Sehulbau und Kollegienbau
slnd daher zu trennen. Ersterer, die Reprasentationsraume
umfassend, und in giinstiger Zeit entstanden, prunkt in jesuiti-
schem Glanze, letzterer zeigt moncbische Hlinfaehheit und tragt
die Spuren der Kriegsnote. Der Sehulbau erstreckt sieh west-
lieb. von der fStoekgasse bis zum Kaisertor. Etwa die Mitte des-
selben nimmt der mathematische Turin, jetzt Sernwarte, ein.
Westlich von ihm liegt der drcigeschossige Saalfliigel, ostlich
der vicrgesebossige Klassenfliigel. Der Saalfliigel enthielt im
ErdgesohoB zwei groBe Klaason; im erston Stockwerk liegt die
Aula Leopoldina und iiber dieser befand sich das fiir Theater-
auffiihrungen bestimmte Auditorium comicum. Letzteres
diente seit der Ncubegriindung der Universitat als naturwissen-
schafthche Samralung und ist neuerdings zu Horsalen aus-
gebaut worden. Der Treppenturm, der an den Saalfliigel ostlich
26 —
grenzt, entlialt die dreiarmige Treppe. Im Treppenhaus
und in den Fluren cntfaltet sick anmutiges Banderwerk
auf den Gurthogcn und Zwiekeln, wie in den Fensternisclien.
Zwei reiche Portale mit Kartusehenbekronung und iigiirlichem
Schmuck aus stucco lustro steigern die architektonische Wirkung.
Die reiche Ausgestaltung findet ihren AbschluB in den Gemalden
auf den Gewolben, den von Felix Anton Scheffler gemalten
,,Furstentumern". Der ostliche Teil des Sehulbaues, der Klassen-
fliigel, enthielt im ErdgeschoB das groBere Marianische Ora-
torium, jetzt Musiksaal ; im ersten Stock lag das kleine Marianisebe
Oratorium. Die iibrigen Raume dienten zu Schulzweeken. Der
Bauteil ostlich vom Kaisertor, aus zwei sich gabelnden Eliigeln
bestehend, diente den Wohnbediirfnissen. Die Raume dieses
Baues* haben daber geringere Tiefe und sind schlicbt ausge-
stattet. Nur die im ErdgesehoB des SiidostfliigeLs belegene, jetzt
als Auditorium benutzte Apotheke ist reieh mit Stuck und Malerei
geschiniickt. Das Risalit am Gstende Jag bis 1896 in ruinen-
haftem Zustande und wurde dann erst aufgebaut.
Das AuBere des Gebiiudes bat bei verhaltnismaBig ein-
faclier Gliederung eine auBerordentlich monumentale Wirkung.
Das ErdgesehoB ist als Unterbau mit leichten bandartigen
Schichten behandelt. Die Obergesehosse zeigen eine auf warts
gerichtete Bewegung, indem die drei Fenster jeder Achse, sieh
iibereinander aufbauend, zusammengezogen sind. Die Westecke,
der Sternwartenturm und das Kaisertor sind dureb Risalite
mit Pilastern betont, deren Kompositkapitelle ein Gebalk
mit hoben gescliwungenen Konsolen tragen. Die Fenster zeigen
meist gerade Sturze, die im ersten und zweiten Stoekwerk
mit wechselnd geschwungeneri Verdaebungen abgedeckt sind.
Der JBau ist jetzt unsynrmetrisch und wird durch den Siidost-
fliigel in seiner Harmonic unleugbar beeintrachtigt. Aber man
muB berueksichtigen, daB er ein Torso geblieben ist. Es wurde
bereits erwahnt, daB fiber dem Kaisertor ein holier Turin ge-
dacht war. Er solite das Mittelstiick einer ganz symmetris'chen
Nordfront bilden. Beim Ostfliigel, der nicht vollendet wurde,
sollte sich also die Baumasse des Westfliigels mit einem der
jetzigen Sternwarte entspreehenden Turm wiederholexi. Es
war ein groBartiger Baugedanke, dessen Durchfiihmng leider
duroh die Geschicke versagt war.
Als Arehitekt des Universitatshaues ist jetzt der Stadthau-
meister und Kammerbaumeister Christ oph Haekner fest-
gestellt, der audi das ebemalige Hatzfeldtsche Palais und die
Hoebbergsche Kapelle bei der Vinzenzkirche entworfen hat.
Schon bei der Kirche der Jesuiten waren die beteiligteu Kiinstler
soweit wir sie kemien, Deutsche; aber sie arbeitcten noch in
27 —
italienisehem Geiste. Beim Univei'sitatsgebiiudc sind nur uoch
deutsche Meister am Werke, und ihre deutsche Art im Sinne
des in den dsterreichischen Erblanden entwiekelten Barocks
kommt klar zum Ausdruck. Auch die Stuekateure und Bild-
hauer Johann Schatzel, Johann Albrecht Siegwitz und Franz
Joseph Mangold sind durchweg Deutsche. Und schlieBlicb
wurdcn auch zur Ausmalung deutsche Kimstler herangezogeii.
Als Maler der Aula und des Musiksaals hat sich Johann Christopb
Handtke bewahrb. Die Trcppenhausbilder Schefflers Bind
bereits erwahnt; und bei der Ausschmuckung des Komodien-
saales, wie einzelner Klassen hat der Jesuitenpatcr Joliann
Kuben als Maler gewirkt.
Der UniversiUitsbau mlt der anstoBenden Kirche, die jetzt
der Matthiasgemeinde iiberwiesen ist, bikiet eine der vornehmsten
Leistungen der durch die starke religiose Aufriittelung urn
die Wende des 18. Jahrhundeits in Schlesien entfaehten Kunst-
bewcgung. Es ist ein nicht zu untersehatzendes Stuck Kultur,
das sich hier an der auBersten Grenze Deutsch lands entfaltet,
selbstverstandhch der allgemeinen Entwiekelung der zeitliehen
Kunst folgend, aber doch voll heimisehcr Eigenart,
28
Die Aula Leopoldina.*)
Von Richard Foerster.
Unsere heutige Kaiser- Geburfcstagsfeier erhalt ihren be-
sonderen Charakter von ilirem Raume. BaJJ wir sic in der
wiederhergestellten Aula begehen durfen, danken wir nicht
am wenigsten demjonigen, clem die Feier gilt. Wir gcdenken jener
Sonntagsstunde des 9. September 1906, in der miser koniglicher
Eerr and in ihm zurq ersten Male ein Deutscher Kaiser aus
Hohenzolleins Stamm in diesem ehrwiirdigen Raume weilte
and nicht nur seiner Bewunderung, sondem audi seiner Ge-
neigfcheit zur wurdigen Erneuerung dieser Schopfung kiinsl-
lerischen Geistes Worte lieh, ja selbst mit Ratschlagen fur
sie nicht zuriickhielt. So ist in Erfiillung gegangen der Wunsch
welchem der Sprecher an dem gleichen Festtage vor zwcilf
Jaliren namens der Universitat Ausdruck gab, dab" das Werk
reeht bald in seinem urspriinglichen Glanze wiederhergestellt
werden niochte.
Nachst Seiner Majestslt danken wir der. he-hen Staats-
regierung, den jetzigen mid den friiheren Vertretern des Kultus-
ministermms und des Kuratoriums, der Bauverwaltung, aber
audi den anderen Bcteiligten, vor allem den Kimstlern. daJB
sie einmiitig mit Lust und Liebe alle Krafte daran setzten
das Werk zum heutigen Tage zu vollenden, besonders dem Maler
Herrn Josef Langer. Stellt unser Universitatsgebaude die
Hohe der Kunst des Barock in Sehlesien, dar, so weist
es in seiner Aula und seinem Musiksaale Festraume auf, mit
denen sicli die keiner anderen deutschen Universitat messen
konnen. So danken wir in dieser Stunde mit Worten, danken aber
auch mit der Tat, wie sie einer Statte wiasenschaftlioher Arbeit
ziemt. Wir stellen, was bisher nur unvoUkomnien geschehen
Aula und Musiksaal in den groBen Zusammenhang der kunst-
i
*) Rede zur akadeiinschen Feier des Getmrtstages Seiner Majestat
des Kaisers unci Konigs Wilhelm II. am 27. Januar 1911, gehalten voni
Gelieimen Regierungsrafc Professor Dr. Richard Foerster, gedrtickt in
der , Schlesischen Zeitung" 1911, Nr. 82 und 85, hier an einigen Stellen
geandert.
.
T-
— 29 —
gescbicbtliehen Entwickelung und gedenken besonders, was
bisher nocli nie gesebehen ist, des Sebopfers der beiden Kunst-
werke.
Wobl crgibt sicli aus den alljahrlich von den Leitern des
Jesuitenkollegiums nacb Rom gesandten Berichten, Mas in
jedem der secbzehn Jabre von 1728 bis 1743 an dem Ban der
seholae und des collegium gesebehen ist, aber von den Nam en
der Kiinstler ist in ihnen niebt die Rede, selbst dann niebt,
wenn eine Arbeit als von einem Angehorigen der Gesellsehaft
Jesu Jierriibrend bezeicbnet wird. Auck in beiden Siilen sucht
man vergeblich nacb der Spur eines Kunstlernamens. Der Musik-
saal entbebrt jeglicher derartiger Inschrift. An der Decke
der Aula findet sieli allerdings die Jahreszahl 1731 und an der
blinden Tiir der Eingangsseite die Zabl 1732 binter den An-
fangsbucbstaben der Namen der beiligen drei Konige C f M f B "i".
Audi weisen ein Ballen und ein FaB in dem Gemiildo an der
RuckwanddesSangercbors^velehesdieOderscbiffabrtverhei-rliebt,
Buchstabenligaturen auf, in denen sicb, wie zu vermuten nabe
liegt, die Anfangsbuehstaben der Naraen des Kiinstlers ver-
steeken; aber wer vermocbte sie olme weiteres zu entziffern?
Aucb in den allerdings sebr sparlieh vorliandenen Quittungen
und sonstigen Urkunden ist der Kimstlernamc niebt erhalten.
Der erste, weleher iiber den Bau sprieht, fubrt Klage dariiber,
daB so „vieles bei Admodum Reverendis Patribus Societatis
Jesu selbst niebt aufgezeiclvnet worden sei".
Es war der gelebrtc Arzt Doktor Jobann Christian Kund-
m ami in seinem 1741 in Breslau gedruckten Werke: ,,Academiae
et Seholae Germaniae, praecipue Ducatus Silesiac, cum Biblio-
tbeeis, in Nummis, Oder: Die Holien und Niedern Scbulen
Teutschlandes, insonderbeit des Hertzogthums Scblesiens, mil
ihren Biieber-Vorrathen, in Miintzen." Er war selbst in das
Gebaude gegangen und bat audi den Namen des Malers, wenn
aucb niebt des Musiksaales, so dock der Aula und einiger Audi-
torien ausgckundscbaftet. Auf seinem Zeugnis allein konnte
man bisher fuBen. Da traf es sich sehlecht, daB gerade die
neueste Eorscbung vielfaeli gewicHtige Ursacbe gehabt bat,
fvundmann der Unzuverlassigkeit zu zeihen. So war aucb bier
sein Zeugnis in Frage zu stclien. Da darf es als ein grolier
Gliicksfall bezeicbnet wcrden, daB das vcrflossene Jabr, wie
es den Namen des Baumeisters des Hauses — Hackner*) —
gebracbt, so audi den des Malers der Aula und des Musiksaales
urkundlicb festgostellt und Kundmann in diesem Falle ent-
*) L. Burgemeisfcer, s ,Schles, Zeitung" 1910 Nr. 916: „Breslaus
groBter Barockbaumeister."
30 —
lastet hat. Er hat den Namen, weim auch nicht ganz, so doch
im wescntlichen richtig gehort und wiedergegeben.
Es verstand sich von selbst, dafi die Jcsuiten alles daran
setzten, sowohl die Aula, auch Auditorium Academicum
genannt, den Raum fur die akademischen Feierlichkeiten, ins-
besondere die Promotionen, als auch den Musiksaal, d. h. das
Oratorium Mat'ianum der Congregatio Latina Maior Beatae
Virginia, in bervorragendem MaBe kiinstlerisch auszugestalten
vor alleni mit sinnvollem malerischen Sehmuck zu versehen.
Wer stand fur diese Aufgabe zur Verfiigung?
Der Stolz Sehlesiens, der schlesisclie Apelles oder schie-
sisehe Rafael, obwohl weder von Geburt noeli durch Schule
Schlesier, aber iiber ein halbes Jahrhundert ausschlieBlicli in
Schlesien in kirchlicher Kunst t&tig,- Michael Willmann,
hatte seine Augen schon am 26. August 1706 gesch lessen ;. vier
Tage darauf sein Sohn Michael Leopold Willmann und ain
23. August 1712 sein Stiefsohn Lischka, beide dem Vater nicht
ebenbiirtig. Audi Rottmayer von Rosenbrunn, der die an-
stoBende Ordenskirche so wirkungsvoll ausgemalt hatte, war
am 25. Oktober 1780 aus dem Lcben geschieden; ein Jahr darauf
(4. November 1731) Christoph Tauseh, der dem Orden an-
gehorige Maler-Architekt, dem die Kirche ilire innere Einrielltung
und Ausschmuckung verdankte. Kuben, ebenf alls Jesuit, wurde
zwar fiir kleinere Arbeitcn herangezogen, schien aber mit Recht
jener Aufgabe nicht gewaehsen. KurzeZeit vorherwar Felix Anton
Sclieffler nach Schlesien gekommen, urn hier sein Gliick zu
machen, und hatte 1730 inNeisse dieDecke derPeter-Pauls-Kirche
gemalt. Auch ihm traute man nicht das liohe Kunstvermogen
zu. Er wurde mit der Ausmalung des Vestibiils, der Treppen und
fvorridore abgefunden. Wohl aber erinnerte man sich eines
Kiinstlers, der nicht lange vorlier sich an einer ganz ahnliehen
Aufgabe trefflich bewahrt hatte, zwar nicht in Schlesien, wohl
aber in dem mit diesem politisch wie religids zusammengeliorigen
Mahren. Wahrscheinlich war es Wentzl, der Rektor des
Kollegiums, der auf den ihm von seinem friiheren dortigen
Aufenthalte bekanntcn Kiinstler hinwics. Fiir Mahren
war sehon lange eine scliaffensfreudige Zeit auf dem Gebiete
sakraler Kunst angebrochen. Die groBcn Orden der Pramon-
stratenser, Augustiner-Chorherren und Jcsuiten wetteiferten
im Xeu- und Umbau von Kirchen und kirchlicben Gebauden.
Die Kuppeln, Gewolbe und Decken wurden mit Gemillden iiber-
sclmttet, anfangs von italienischen, bald audi von einhelmischen
Kunstlern. So waren audi die Jesuiten in Olmiitz 1717 an die
Aussehmiickung der Aula in ihrem fiinf Jahre zuvor neugebauten
Kollegium gegangen und batten mit dioser Arbeit eincn jungen
- 31
einheiniischen Maler betraut. Es war Johann Christopli Handke,
geboren don 18. Februar 1694 in Johnsdorf bei Ronierstadt,
der Sohn armer Leute. Er sollte das vaterliche Handwerk eines
Schuhmachers erlernen, war aber audi durch die Schlage des
Vaters niclit dazu zu bewegen, weil er ein Maler werden wollte,
obwohl er nie cinen Maler gesehen hatte, ja nieht wufite, ob die
Maler Menschen sei en. So hatte er es endlieh durehgesetzt, dafi er
1708 in die Lehre zu Meister Langer in Fieudenthal uud nach
deren Beendigung 1715 naeh Olmiitz kain. Es war ein erster
Versuch, den die dortigen Jesuitenin der Aula mit ihm maehten,
und obwohl nur in Wasserfarben ausgeftihrt und nachmals
von ihm selbst abfallig beurteilt, fiel er dock zur Zufriedenheit
der Besteller aus und versohaffte ihm neue Auftrage in Olmiitz,
wie das Auditorium comicum, den Saal fiir die Lustspielauf-
fiihrungen seitens der Jesuitenzoglinge (1725), das Refektorium
und die Bibliothek im Kollegium (1726) und die Kapelle im
Konviktgebaude (1728), und, auBerhalb von Olmiitz, die Mino-
ritenkirehe in Troppau (1724) und die Marianische Kapelle
in Mahmeh-Neustadt (1730). Woher stammen diese liier zum
crsten Male nur in einer Auswahl gebotenen Angaberi sowohl
iiber den auBcren Lebensgang als iiber die innersten Seelenstim-
mungen des Kiinstlers, wo wir bisher durch Kundmann nur
den Sehemen eines Kihistlernainens hatten? Wie wunderbar!
Als Handke im Jalne 1890 zum ersten Male eine eingehendere
Wiirdigung zuteil wurde durch seinen Landsmann, den Kustos
des Kaiser-Franz-Josef-Gewerbe-Museums in Olmiitz, Pro-
fessor Adolf Nowak, beklagte dieser, daB zu einer Biographie
des Kiinstlers fast ale urkundliehen Daten fehlten. Er ahnte
nieht das Vorhandensein einer vorziigliehen Quelle. So sehr
war diese in vollige Vergessenbcit geraten. — Es war im Jahre
1766. Handke fiihlte, daB das W T crk seines Lebens in der
Hauptsache ausgerichtet sei. Er hatte mehr gemalt als
irgend einer seiner Landsleute und aueh durch die innere und
auBere Beschaffenbeit seiner Bilder alle iibertroffen. Da setzte
er sich bin und schrieb mit eigener Hand sein Leben, keines-
wegs sich bespiegelnd, sondern sich streng beurteilend, keines-
wegs mit Veraehtung auf die iibrige Welt herabbliekend, sondern
treuherzig und naiv, nieht versohweigend, in welchen Kl (intern
ilim die Arbeit durch die kostlichsten Bissen und edelsten
Tropfen gewiirzt worden sei. Er sah sein Leben in seinen Werken
und verzeichnete — mit Hilfe seiner Rechnungsbiieher — wie
die Arbeiten Jahr fiir Jahr entstanden, in welcher Technik
sie ausgef iihrt waren, wer die Gehilfen, wer die Besteller, welches
die Praise waren. Was wurde die Kunstgesehichte darum geben,
wenn sie von einem der groBen Meister einen solchen index
— 32
i
rerum a se gestaruni besiiBe! In dieser von mir im vorigen
Jahre aus der Verborgenheit hervorgezogenen Selbstbiographie*)
finden sich niclit nur jene Bekenntnisse, sondern audi folgende
Eintragung: „Anno 1732 bin ich auff Bresslau mit zwey Scolaren
gereisset, bey den PP. Jesuiten in dem Neiien Gebew daB Audi-
torium in Fresco gemahlet , Accordirt 1200 rhein. Gulden.
Ihro Hocliwirden Heir P; Joannes Wentzl ware Rector
Magnifious undt der Herr P: Hcrtzig war Cantzlern."
,,Anno 1733 Bin ich wiederumb auff Bresslau gereisset
undt daB Marianische oratorium gemahlt. Ihro Hocliwirden
Herr P: Grim war damahls Praeses. Accordirt 600 rhein
Gulden."**)
Vollig neu ist bier die Angabe, daB audi die Malerei des
Musiksaales von ilim herriihrt. Bisher fehlte iegliche tjber-
Jieferang iiber dessen Maler, und der auBcrordentlieh schleohte
Erhaltungszustand der Earben der Gemalde lieB audi nach
der Wiederherstellung des Saalcs zu keineni besfcimmten Urteil
gelangen.
Hand Ice stand in der Bliite seiner Jahre und war fur die
ilim hier gestellten Aufgaben wohi vorbereitet, ja in den Ideen-
kreis, der zur Darstellung gelangen solltc, vollig eingelebt
audi mit den Problemen, welche die malerische Ausschmuckung
der einzelnen Teile des Raumes bot, vertraut. Hatte sich dock
audi in den Fresken der Bibliothek des Jcsuitcnkollegs von
Olmiitz die Durcbiuhrung des Gedankens, Huldigung der Ktiuste
und Wissenschaften an die Religion, bis in die Fensternisdien
lu'nein erstreckt. Unci wie in der dortigen Aula, gait es niereinen
dreiteiligen Raum zu schmiicken: Apsis, Mittelfeld, Sangerchor.
Die Apsis unserer Aula stellt dar: die Universitat dureh-
ihren Schutzpatron, den heiligen Leopold, und durcli Engel
dargebracht der Gnade der Jungfrau Maria, den Schutzheiligen
Schlesiens, Johannes dem Taufer, Joseph, Hedwig, dem Stifter
und dem Apostel des Jesuitenordens, den 200 Jahre zuvor
heiliggesprochenen Ignatius von Loyola und Franciscus Xaverius.
Im Mittelfelde thront gleichsam als Lenkerin der Universitat
die gottliche Weisheit, von welcher Erleuchtung empfangen
die auf die vier Seiten verteilten Evangdisten, die groBen Lehrcr
der Kirehe, Hioronymus und Papst Leo der GroBe, Ambrosius
und Augustinus, Gregor der GroBe, der heilige Aloysius, und
die Schutzheiligen der theologischen und philosophi'schen
Fakultat, Thomas von Aquino und Catharina von Alexandrien.
*) Sie erscheint ini Druck in der Festschrift der SeHesasolien Ge-
sellscfaaft fur vaterlandische Kultur zum Universitats-Jubilauin.
**) Erhalten hat er nach den Litterae annuao 50 Gulden roehr.
.
— 33
*) Ebenso iihnelt die Hinimolfahrt der Maria im Musikaaale dor
gleiolien von Handke unterhalb dea Orgelchores in der Jesuitenkirche zu
Olmtitz gemalten, dort aber in zwei Szencn, Atifstieg und Ankunft, ge-
teilten Daratellung. Vgl. S. 47.
1
Ihr dienen auch — die Verbindung mit den Wanden herstellend —
die sieben f reien Kiinste und funf Vertreterinnen der anderen
artes, welche im Gebaude eine Statte gefunden haben, der Typo-
graphic, der Malerei, der Plastik, der Pharniazie und der Poesie.
Von ihr empfangen audi Erleuchtiing die groBen Meister allcr
Weisheit und Kunst von Moses bis auf Sylveira herab, deren
Brustbilder sich in Medallions zwischen den Fensterwanden be-
finden, lotztore nicht, wie die Decke, in wirklichem Fresko,
sondern in fresco secco, wie es scheint von der Hand der Ge-
hilfen gemalfc. tJber dem Siingerchor schwebt die Weltweisheit
in Gestalt einer Pallas vom Himmel herab, mit Genien, welche
des Segens Fiille bringen der Silesia selbst, umgeben vom Odcr-
strom Viadrus und der Vratislavia, und ihren beiden hoohsten
Vertretungen, der Supreina Curia und der Camera, dem Iiochsten
Gerieht und der Obcrverwaltung. Unter dem Sangerchore
sind Gruppen muslzierender Engel wieder in fresco secco gemalt.
Bndlich befanden sich, wie in der Aula zu Olmiitz, ebenfalls
von Handke gemalt, im Mittelschiff oberlialb der Fakultats-
logen die Olbilder von Papsten und Kaisern. welche sich um
das Jesuitenkolleg verdient gemacht batten, sowie des Bischofs
von Breslau und des Ordensgenerals. Dazu kamen bier in der
Apsis drei Statuen: namlich in der AbschluBnisehe das Sitz-
bild des Stifters der Universitiit , Kaiser Leopolds I., und die
Standbilder seiner beiden Sohne, Josephs I. und des regierenden
Kaisers Carls VI., und in der Mitte der Briistung des Chors
die Biiste des obersten Beamten der Provinz und kaiserlieben
Kommissars, des Direktors des Obcramts und Prasidenten
der Kammer, dessen Verdienste um die Universitat in einer
Inschrift mit riesigen Lettern gefeiert werden, des Grafen
Hans Anton Schaffgotscli. Kein Wunder daber, wenn sieh auch
im einzelnen mehr als ein bemerkenswerter Anklang an die 01-
mtitzer Werke des Meisters findet, besonders — aus einem als-
bald zu erwahnenden Grande — an die Fronleiehnamskapclle
im Konviktsgcbaude vom Jahre 1728. Dort ist es die nach der
Besiegung der Mongolen von Jaroslaw von Sternberg gelobte
fvirehe, bier das Universitatsgebaude, welches die Erzengel
der in den Wolken thronenden Maria darbringen. Hier wie dort
stellt sich der Vorgang oberhalb finer reichen Architektur dar.
Auch die Pallas der Weltweisheit ahnclt stark der Bellona ties
Olmiitzer Fresko*).
i
— 34 -
Hier wie dort derselbe Scliwung der rauschenden Ge-
wancler. Hier wie dort die gleiche Malweise, die Bevorzugmig
lichter, mftiger, gleichsam durchsichtiger Gestalten, Vorliebe
fur blasse Gesiehter, fiir blauc und grune Farbentone in den
Fresken, fiir dunklere Farben in den Olbildern. Hier wie dort
Ubergang von Malerei zur Plastik. Hier wie dort aber auch
dieselbe technische Meisterschaft in der Behandlung der Per-
spektive und dasselbe dekorative Vermogen. Mag auch im
einzelnen manches weniger befriedigen, der Anerkennung, daB
alles zu einer hannonischen Gesamtwirkung zusamrnen-
gestimmt sei, wird schwerlich jemand sicfa entziehen konnen,
Handke war nicht nur der fruchtbarste und vielseitigste unter
semen Landslcuten, wenn aueh im Fresko bedeutender als
in der Olmalerei, er hat sie aueh an Leistungsfahigkeit in der
Kunst, groBe Riiume sinn- und wirkungsvoll zu schmiicken,
iibertroffen. Und unter semen Werken wiederum standen
Aula und Musiksaal in der vordersten Reihc. Aueh die Be-
stcller waren zufrieden. Noch in demselben Jahre 1733 erhielt
er den Auftrag, das Refektorium des Jesuitenkollegs in Glogau
auszuinalen. Und groBere Arbeiten folgten. Vor allem durfte
er nun 1735 — aueh die Aula im Olmiitzer Jesuitenkolleg
in wirkliehem Fresko neu malen. Die Augustinerchorherren
in Sternberg iibertrugen ihm die Ausmalung ihrer Refektorien
und desLusthausesim Garten desStiftes, fiir welches in origineller
Weise Szenen aus dem liohen Liede Salomonis gcwahlt wurden,
die Pramonstratenser den Bibliotheks- und den Pralatensaal im
Stifte Hradisch, und Kuppel, Oratorien, Kapelle, Refektorium
in ihrer Sommerresidenz auf dem beiligen Berge, Graf Zirotin
SchloG mit Kapellen in Ullersdorf. Manehe der zuerst im Musik-
saale angeschlagenenTone lieBHandke in seinem groBtenWerke,
der Liebfrauenkirche in Olmiitz, wiederklingen. So war er ein
vielbeschaftigter, viel begehrter Mann geworden. Und doch ist
er bald in Vergessenheit gesunken. Es kam die Zeit, in der man
so wenig Kenntnis von ihm besaB, daB man ihn zu einem
Ordenspriester machte. Und die neueste Gesohichto der Stadt
Olmiitz nennt nicht einmal Mahren als seine Heiinat, laBfc ihn
in Schlesien geboren sein. Seine Grabstatte — in der Liebfrauen-
kirche zu Olmiitz — ist nicht mehr erhalten, seine Familie in
Olmiitz ausgestorben. Erst in neuestcr Zeit hat man daselbst
angefangen sich wieder auf ihn zu besinnen. Eine in der
ersten Entwickelung begriffene StraBe ist naeh ihm genannt
worden.
Vor allem aber ist seinen Werken in der Heimat vom
Schicksal aufs iibelste mitgespielt worden. Sie sind zum groBten
Teile zugrunde gegangen.
35
Handke hatte seine Augen noch nicht lange, am 28.
Dezember 1774, geschlossen, als mit dem neuen Herrn, Joseph II.,
einneuer Geist aufkam. Die Orden warden aufgehoben, ihre Bauten
in Kasernen und Spitaler verwandclt. Und wenn dieser Geist
auch auf kurze Zeit wich, or kehrte wieder in der Gestalt der
Gleichgiiltigkeit oder Feindseligkeit. Welches Schieksal er-
wartete die Werke Handkes, als Olmiitz in eines der sfcarksten
Bollwerke und Waffenplatze umgeuandeli wurde? DieFresken
des Jesuitenkollegs wurden mit einer dieken Kalksehioht iiber-
ti'mcht, nurdie der Fronleichnamskapelle im Konvikt blieben er-
halten, aber in welch em Zustande? Die Kapelle, ein Prachtstuck
aller bildenden Ktinste, heute vollig auBer Gebraueh und mit
mehreren Schlossern vcrschen, bietet das Bild starker Baufallig-
keit und volliger Verwahrlosung, sie seufzt naeh Wiederher-
stellung. Von den Bildern der Aula sind nur die Portrats der
Wohltater in einem Saale des heutigen Gymnasiums er-
halten. Ubertiincht sind die Bilder der Stiegen und des Rcfek-
toriums in Sternberg. Die Bibliothek in Hradisch, an deren
Decke Handke Kunst und Wissenschaft verherrlieht hatte,
dient als Lazarett. Das Lusthaus in Sternberg, die Dreifaltigkeits-
kirche ebendaselbst, die Karthause in Olmiitz sind dem Erd-
boden gleichgemaoht worden. Dasselbe Schieksal traf 1838
die Liebfrauenkirebe in Olmiitz, in deren alio Raume bedeckenden
Fresken Handke von 1749 bis 1766 das Hauptwerk seines
Lebens geschaffen hatte. Nicht ohne Bewegung liest man die
Worte des Berichterstatters iiber den Vorgang: ,,Es haben
sich zwar einige Kunstfreunde bemiiht die Bilder abzulosen,
allein es felilten ihnen teils die erforderlichen Kenntnisse, teils
die notigen Werkzeuge; und so blieb auch dieser lobliche Ver-
such, einigcs dem Untergange zu entroiBen, fruchtlos. Man sah
ganze Scharen dahin wallen, um sich mit stiller Wchmut die
Bilder noch einnial zu betraehten, die in kurzem sich in Staub
und Sclmtt verwandelten, und von denen nichts iibrig blieb,
als erne dunkle und traurige Erinnerung." Es ist so. Nur ein
Engelskopf wurde gerettet.
Wer heute mit dem eigenhandigen Verzeichnis der Werke
des Kiinstlers Olmiitz und Umgegend durehwandert, muB
zu dem beach iimenden Gestiindnis kommen: die meisten und
bedeutendsten seiner Werke sind untergegangen. Mit denen
unserer Aula kann sich keines vergleiehen, audi nicht die am
besten erhaltenen in der Jesuitenkirehe und im Dom von Olmiitz
und in der Marienkapelle auf dem Heihgen Berge. Leider konnen
wir den Musiksaal nicht im vollen Shine mit einschlicfien,
weil die Parben der Gemiilde durch den RuB, in Zeiten des
Kriogcs auch durch anderes, zu selir gelitten haben. Vor der
3*
— 36 —
Aula hat zum Gliick auoh die Kriegsnot fast ganz Halt gemacht.
Hier war daher, wie audi Seine Majestat der Kaiser bei der Be-
sichtigung sofort erkannte, nicht ein starkes Eingreifen, sondern
eine zarte Hand am Platze, um ihren urspriingliohen Zustand
moglichst wiederherzustellen. CJnd diese Aufgabe darf im
wesentlichen als gelost gelten.
Das Bild freih'eh, welches die Aula bei Hirer ersfcen Ein-
weihung am 19. August 1732 darbot, in Jedem Betracht wieder-
zugewinnen, hatte nicht einmal als Ideal aufgestellt werden
diirfen. Dagegen hiitte die Richterin iiber alles, die Geschi elite
Einsprach erlioben. Sic hat zu tief audi in der Aula ihre Spuren
eingegraben, aus ihr aueh eine Schatzkammer histori seller
Erinnerungen und patriotischer Empfindungen gemacht,
Schon neun Jahre spater, am 7. November 1741, huldigten
die Fiirsten und Stildte Niederschlesiens im Furstensaale unseres
Rathauacs dem jugendliehen Konige von PreuBen. Am Tage
vorher hatte er die Privilegien der Universitat bestatigt, und
sic beteiligte sich mit einer prachtigen bis ans Daeh der Kirche
reichenden, mit sinnreichen Emblemen verzierten Ehrenpforte
an der allgemeinen Illumination der Stadt. Aber wer wird
sich wrradern? — die neue Ordnung der Dinge war doeh reelit
wenig nach ihrem Sinn. Die offentlichen Behorden, das Zoll-
Miinz-, Post- und Salzamt, hatten ohne weiteres die kaiser-
lichen Doppeladler von ihren Gebauden entfernt und dureli
den preuBischen ersetzt. Die Universitat striiubte sich dagegen.
Es bedurfte eines besonderen Befehls des Konigs, daB das
Gleiche am-Universitiitsgebaude geschah. Nur im Inneren, mithin
auch an den gemalten Verzierungen der Decke der Aula, sowie
am Zepter durfte der Doppeladler bleiben. Aueh fur das Bikinis
des neuen Herrn mu!3te ein Platz in der Aula geschaffen werden.
Aber wo? Acht Bildnisse von Miinnern, welche sich um die Uni-
versitat oder den Orden Verdienste erworben hatten, schmuckten
die Wande. Es sind die acht Rundbifder, welche mit ihren prach-
tigen Rahmen passend indie Architektur eingefiigt sich an bevor-
zugter Stelle an den vorspringenden Pfeilern iiber den FakuMts-
logen befinden: die Bildnisse zweier Papste: Urbans VIII.
unter dessen Pontifikat der Orden 1638 seine erste Residenz
in Breslau errichtet hatte, und Clemens' XII., unter dem das
Gebaude aufgefiihrt und die Aula eingeweiht worden war-
sodanndieBildnissevonviergekrontenHauptern.'Ferdinandsl/
welcher zuerst dem Orden Aufnahme in Habsburgs Landen
gewahrt hatte, Rudolfs II., unter dem die Jesuiten zuerst eine
Missionstatigkeit in Breslau entfaltet hatten, Ferdinands IIP,
des Vaters Leopolds I., unter dessen Regierung 1646 die Residenz
zu cinem Kollegium erlioben worden war, sodann Franz 5 von
'
— 37 —
Lothringen, des von Karl VI. zum Eidam und Tlironerben
ausersehenen Herzogs von Lothringen; endlich die Bildnisso
zweier geisthcher Haupter, des Bisehofs von Breslau und des
generals des Ordens. Ein neuntes Bild IieB sich nach der
Arclutektur des Saales nicht anbringen. So kam man auf den
Ausweg ernes der acht Bundbilder zu entfernen und dureh
das des Konigs Friedrich zu ersetzen; naturgemaB eines
der Bildnisse der gekronten Haupter. Aber welches f Das
nachstliegende war das von Franz. War er doch noch nicht ein
mal Kaiser — seine Wahl erfolgte erst am 13. September 1745 —
sondern mir Herzog von Lothringen. Aber einst Friedrichs
Freimd doch seit der Vermahlung mit Maria Theresia sein un-
vcrsohnlicher Gegner, mit seinen Gedanken stets auf eine —
sei es auch nut Frankreichs Hilfe zu verwirldichende — Wieder
gewinnung der sohonen Silesia gerichtefc, schien er audi im
Bilde den alten Freunden der Austria in Schlesien die Hoffnung
auf einen Umschwung der Dingo zu nahren und zu beleben
Auch die beiden Eerdmande wollte man nicht missen: sie batten
sich zugroBe Vardienate urn den Orden erworben. So traf die
Keihe KudoJl II /war war er ein Freund der Gelehrten und
Kunstler, ja selbst ein Gelehrter und Kiinstler gewesen aber
in Monsdienscheu, zuletzt in geistige Nacht versunken, war er
bei lebendigem Leibe ein toter Maim geworden. Wie im Leben
so ■ dankte er nun auch im Bilde ab. So kam es, daB auch in,'
™T nder g e S eniiber etehen der Lothringer und der Held
von Mollwitz.
Bald traten andere Ereignisse ein, die ihre Spuren in den
Rundbildern zuruckliefien. Am wenigsten bedeutungsvoll
war der am 28. September 1747 erfolgte Tod des Jnhabers
des Bischofstuhles von Breslau, des Kardinals Philipp Ludwig
Graf von Sinzendorff. Schon in den letzten Lebensjahren
war er nur wenig hervorgetreten. Die Nachfolge im Amte
Jie im Bilde erhielt Philipp Gotthard Graf Schaffgotsch
der Sohn des Oberamtsdirekfors, dessen Buste sieh am Cbor
be tmdet. Den Vater hattc Friedrich ungnadig behandelt den
boim ubersehuttete er mit Gunstbezeigungen. Friedrich hatte
er die Lrhebung in den Fiirstonstand, die Erhebung auf den
B-schofsstuhl zu danken. Urn so tiefer war der Schmorz des
die ZZv- ■? ° ^T* Sein ° S G ^ t] ^- Nicht bestand er
dem 8 p^n <? i ng d ? Jahies 1757 - An J onom 5 - Dezember, an
S, ™ Carl von Lothringen, der Bruder des unkriegerischen
Wei 2Jt T ^ LeUthen g^™^^ verlieB er, einer
Weisung Maria Theresias folgend, seinen Bischofsstuhl und
begab sich in den osterreichischen Teil seiner Diozese. Er hat
unsere Stadt nicht wiedergosehen. Auch im Bilde ist er beseitigt
- 38 —
worden. Nur die halb erloschene, jetzt iiberdcckte Insclirift
(Philippus Godhardus Prineeps de Schaffgotsch episcopus
Wratisla.) halt die Erinnerung an ihn fest.
Bald nacli der Entscheidungsschlacht von Leuthen kam
aber auch die Zeit, dafi man sich eines Mannes erinnerte, der
sich die groBten Verdi enste um die Erriehtung des Gebiiudes
erworben hatte, des Rektors des Jesuitenkollegs Franz Wentzl.
Ihm war die gewaltige Auf'gabe zugef alien, den ganzen Bau durch-
zufiihren, alle die schwierigen Verhandhingen mit deni Ober-
amte, der Stadt, den Bauleuten zu fiihren. Zu diesem Zwecke
hatteer elf Jahrenacheinander, von 1726 bis 1736, nach dem Willen
seiner Oberen die schwere B'iirde des Rektorates getragen. Erst
als der Bau im wesentlichen vollendet und In Gebraueh ge-
nommen war, wurde er — am 15. April 1736 — als Provinzial
nacli Prag abberufen. Hier starb er am 4. April 1757. Sein Tod
rief die Erinnerung an diese seine Verdienste wach. Man lieB sein
Bikinis fur die Aula raalen. Thomas Scholler fee. anno 1758
lautet die erst bei der Restaur! erung zutage getretene Insclirift
des Bildes. ZielbewuBt und wohlgemut schaut der sehwarz-
tiugige Pater aus dem Bilde, dessen Hintergrund das Innere
der Universitatskirche bildet, und weist mit dem Zeigefinger
der rechten Hand auf sein Hauptwerk, den Plan des Universi tilts-
gebaudes.* Ob das Bikinis zunachst an die Stelle dessen von
Schaffgotsch kam und erst spater seinen jetzigen Platz neben
der Rektorloge erhielt, muB vorliiufig noch unentschieden bleiben.
Sicker ist, daB auch das Bild des einen der beiden Papste, und
zwar dessen, unter dem die Aula eingeweiht worden war,
Clemens XII, weichen muBte. Vielleieht erst unter der Macbt
ganz neuer Verhaltnisse.
Konig Pried rich behielt wle die wirtschaftliche Eorderung
so auch die geistige Hebung Schlesiens, das ihm erst die Kriifte
zu europiiischer Machtstellung verheh, unablassig im Auge.
Wenn er der Universitat versprochen hatte, sie in ihren Rechten
zu erhalten, soweit diese mit der allgemeinen Wohlfahrt des
Herzogtums vertraglioh seien, so hat er auch hierin sein konig-
liches Wort gehalten. Ja, als Papst Clemens XIV. den
Jesuitenorden 1773 auf hob, bot Eriedrich der Welt das Schau-
spiel eines protestantisehen Seluitzers des Ordens, wahrlich,
nicht aus Sympathio fiir ihn, sondern lediglich aus der Riick-
sicht auf das Beste des Staatsganzen. Es standen keine anderen
Kriifte zur Erziehung des katholisehen Klerus in Scblesien
zur Verfiigung. Aber der Konig verlangte und erlangte auch
eine recht wesentliche Reform der Einrichtungen. Das ,,Regle-
ment fiir die Universitat Breslau vom 11. Dezember 1774"
und die ^Instruction fiir die Priester des Schulinstituts vom
— 39
26. August 1776" beseitigten sowohl die Aufsicht des Ordens-
obern iiber die Universitat als auch den Anspruch des Bischofs
auf dieses Reelit und unterstellten die Universitat wie das ge-
samte Schulwesen des Ordens in Schlesien und der Grafschaft
Glatz einer Schulenkommission, an deren Spitze em vora Konig
ernannter Kurator stand und als dessen technisches Organ ein
Direktor fungierte, weleher zwar dem Orden entnommen wurde,
aber vor allem ein tiichtiger Padagoge sein sollte. Der an der
Durehfiilirung dieser Reform nieist beteiligte Mann war der
schlesische Justizminister Graf Car me r. Als er 1780 als GrolJ-
kanzler nacli Berlin berufen wurde, empfand man es, wie es
heifit, „um seine Vcrdienste in dankbarem Andenken zu er-
halten" mit Recht als Pflicht auch sein Bildnis in der Aula
aufzuhiingen. Hatte man ihn im Scherz den neuen Ordens-
general genannt, so war auch fur sein Bildnis der Platz gegeben.
Das des vormaligcn Jesuitengenerals Pater Retz muBte
weichen.
Audi nach der Aufhebung der letzten Ordensniederlassungen
unter Friedrich Wilhelm II. verblieb die Universitat tatsachlich
noeh den Jesuiten, obwohl die Patres sich „Priester des konig-
lichen Schulinstituts" nennen und das Gewand des Ordens
mit dem der Pri ester vertauschen mufiten. Verblieben war der
jesuitisehe Geist, die Beschrankung auf Theologie und die pro-
padeutischen Facker, die Lehrmethode. Aber das achtzehnte
Jalvrhundert konnfcc nieht zu Ende gehen ohne die Erkeimtnis,
dafl keine jener Beschrankungen den Forderungen der Zeit ent-
sprach. In einem unter dem 9. Marz 1799 an Friedrich Wilhelmlll.
erstattet-en Berichte sprach der Naehfolger Carmers, der Minister
fiir Schlesien, Graf Hoym, die Notwendigkeit aus, die noeh be-
stehende klosterliche Verbindung der Mitglieder des Schul-
instituts ganz aufzuheben, die Lehrstellen auch geschickten
Weltgeistlichen zu ubertragen, das Vermogen des Schulinstituts
fiir einen koniglichen Schulf onds zu erklaren, fiir das padagogische
Fach einen weltlichen Direktor einzusetzen, auch fiir die Rechts-
und Arzneiwissenschaft je zwei Professores katholischer Re-
ligion anzustellen, mit einem Worte, ,,den exjesuitischen esprit
de corps auszutreiben." Der Konig stcllte sich entschlossen auf
die Scito des Ministers. Zwar kara es nieht zur Anstellung
von juristisclien und mcdizinischen Professoren, aber im iibrigen
wurde das auf den Vorschlagen des Ministers beruhende Schul-
regiement unter dem 26. Juli 1800 bestiitigt. Die Korporation der
Priester des koniglichen Schulinstituts wurde aufgehoben, die
Professoren wurden wie die Lehrer der Gymnasien Staatsdicner,
die Lehrstellen auch katholischen Laien zuganglich gemaclit,
das gesamte Schulwesen Schlesiens einer eigenen, vom Minister
!
— 40 —
fiir Schlcsien geleiteten Bohorde unterstollt. Als die Universitat
am 18. August 1803 in dieser Aula, aber unter Verhaltnissen,
welche von denen der Griindung gewaltig abstachen, die Feier
ihres hundertjahrigen Bestehens beging, bcsehloB sie audi die
Aufstellung eines Bildnisses ihres zweiten Kurators und Re-
formators, des Grafen Hoym. Fiir dieses, von Thilo gemalt,
war der allein passende Platz gegeniiber dem Carmers. Das
Scliulreglement vom 26. Juli 1800 liegt auf dem Tisohe, an
welchem er sitzt. So war der gegenwartige Zyklus der adit
Rundbilder errelcht.
Aber auch die letzte Reform war nicht durchgreifend
gewesen. Die Universitat blieb eine Art Oberklasse des Gym-
nasiums, behielt ihre schulmaOige Organisation und Disziplin
Rechts- und Heilkunde entbehrten jeghcher Vertretung. Die
Anstalt fristete ein kiimmerliches Dasein. Und dies in Schlesien,
das schon scit den Tagen, da die Horer der deutschen Nation
der Universitat Prag den Riicken kehrten, noch machtiger
seit dem Anbruch des neuen Zeitalters im Beginn des sechzelmten
Jahrhunderts von starkster Sehnsucht nach einer vollen Uni-
versitat erf iiHt war. Erst die NotderZeit sollte sie stillen. Fried-
rich Wilhelm III. hat sein inhaltsschweres Wort „Der Staat
muB dureh geistige Krafte ersetzen, was er an physischen
verloren hat" in koniglicher Weise in die Tat umgesetzt. Noch
lag PrcuBen gedemiitigt und der Half'te seiner Lander beraubt
am Boden, da erhielt nicht nur die Hauptstadt des Staates,
sondern audi die Hauptstadt Schlesiens cine voile Universitat!
Und indem die erste von einem Hohenzollern gegriindetc Univer-
sitat, die Viadrina reformierter Konfession, Frankfurt nacli
Breslau verlegt und mit der Jesuitengrimdung Leopoldina
verbunden wurde, erhielt zum ersten Male der Gedanke, dafi
die Wissenschaft und das Vaterland liber der Konfession stehen,
sieghaften Ausdruck. In der Lehr- und Lemfreiheit ward
der neuen, alle Fakultiiten umfassenden Anstalt die kostlichste
Mitgift zuteil. Das Vertrauen Deutschlands auf PreuBens
geistigen Beruf war hergestellt, Auf dem goldenen Medaillon,
welches der Konig dem Rektor als Amtsiusigne vcrlieh, nennt
er sicJi Universitatis Litterarum Stator. Wahrlicli, er hatte
sich ein Recht darauf erworben, daB die Universitat sein von
ihm erbetenes eliemes Brustbild an bevorzugter Stellc in der
Apsis der Aula auf st elite* (1834).
Hout grti Ben ung von dersclben Stellc zum ersten Male
zwei andere plastische Bildwerke, welche die Universitat von
der Huld Seiner Majestat und von der Munifizenz des Herrn
Ministers erbat und erhielt, die Brustbilder des Sobnes und des
Urenkels des Stifters der jetzigen Universitat.
41 -
Es war nicht die Rucksicht darauf, daB auch dem Sitz-
bilde Kaiser Leopolds die Standbilder seiner beiden Sonne und
Nachfolger an der Krone beigesellt waren. Ausschlaggebend
fur die Wahl des Sohnes war aucli nicht der historische Ge^
sicktspunkt, daB Willi elm I. Konig von PreuBen war, als die
Universitiit ihr funfzigjahriges Jubilaum beging. Wir wahlten
ilm, und konnten es nicht lassen, davon in dieser Stunde zu
reden, auch wenn wir nicht von der vierzigjahrigen Erinne-
rung an den 18. Januar 1871 herkamen, wir wahlten ihn,
weil er nicht bios ElsaB und Lothringen, welches jener
Ferdinand III. und jener Franz von Lothringen an Frankreich
abgetreten hatten, fur Deutschland wiedergewonnen, sondern
auch eine Jahrhunderfce alte Sehnsucht, die noch miichtiger
war als die Sehnsucht nach der vollen Universitat, und nicht
nur eine Sehnsucht der Schlesier, sondern aller deutschen
Stamme war, die Sehnsucht nach dem Deutschen Reiche aufs
herrlichste erfiillt hat.
Und von ihm zum Bildnis dessen, dem die heutige Feier
gilt, der uns die hochste Majestat des Vaterlandes vcrkorpert,
der das bei der Proklamation in Versailles fiir sich und seine
Nachfolger an der Kaiserkrone ausgesprochene Gelobnis des
GroBvaters zu dem seinen gemacht hat, das Gelobnis, allzeit
ein Mehrer des Reichs an den Giitern und Gaben des Friedens,
auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung
sein zu wollen, zu ihm, dem Schirmherrn und Forderer von
Wissenschaft und Kunst! Aucli wir griiBen ihn im Bilde ehr-
furchtsvollen Dankes voll mit dem Gelobnis. auch unsererseits
niit alien Kriiften beitragen zu wollen zur geistigen GroBe
PreuBens und Deutschlands und so zum Wohle der Mensch-
heit, die Wissenschaft zu lehren und zu mehren, ein lernbe-
gieriges, denk- und willensstarkes, gottesfiirchtiges und vater-
landsliebendes Geschlecht heranzubilden. Wir erflehen den
Segen des Leakers aller menschlichen Gesehicke herab wie auf
dieses Gelobnis, so auf den, dem unsere heilJen Wiinsche gelten,
auf den Kaiser und sein Haus, indent wir rufen :
Seine Majestat, unser allorgnadigstcr Kaiser und Konig
Willi elm II. lebe hoch!
- 42 —
Die Kunst des Barock im Musiksaale
der Universitat Breslau .*)
Von Richard Foerster.
Wie dor Ordensstifter Ignaz von Loyola sich die Himmels-
konigin zur Schutzpatronin erkoren und ebenso wie Franz
Xaver seinem Orden die Pflegc des Marienkults eingescharft
hattc, so waren audi im Anschlufi an den Orden hesondere
der Marienverelirung geweihte Kongregationen gebildet worden.
In Breslau bcreits 1639, deni Jahre der zweiten Mission der
Jesuiten daselbst. Und als liundert Jahre spater (1732) daw
Jesuitenkollegium und mit ihm die Universitat ihr neues Heiin
bezog, bestanden an ihr zwei solcher Kongregationen: die eine
fiir die Theologi et Philosophi, die Studierenden, die andere
fur die vier Unterklassen, die Gymnasiasten. Letztere Congregatio
Latina Minor Beatae Virgini's Mariae erhielt einen Saal im
ersten Stockwerk, der zugleicH als Auditorium der Theologia
scholastica diente (heut Auditorium I, II und Professoren-
sprechzimmer), erstere den Raum, in dem wir mis befinden.
Hier sollten ihre Statte haben die Meditationen und Anspracheii
der im Jahre 1732 auf die Zahl von 300. featgesetzten Sodales
Congregati, unter denen sich viele Mitglieder des schlesischen
Aclels und Klerus befanden, audi wenn sie dem Kollegium
nicht mehr angehorten; hier sollte aber auch allsonntaglich
das Mefiopfer dargebracht, Kommunion und Beichte gehalten
werden. Ja schon 1734 hat hier eine Trauung stattgcfundcn.
Dieses Oratorium Congregation is Latinae Maioris Beatae Vir-
ginis sollte eine Gesamtlange von hundcrfc Fufi haben, ist aber
nicht ganz so zur- Ausfuhrung gelangt, wie es geplant war.
*) Aus der Rede am 27. Januar 1909 hut Feier des Geburtstags
Sr. Majestat des Kaisers im Musiksaale der Universitat gehalten von
Professor Geheimrat Dr. Richard Foerster, im Verlage der Koebnerschen
Buchkandlung Breslau 1909,erschienen und hieraneinigen Stellongeandert.
-• 43 —
Elf Achsen lang, von denen nur die letzte durch einc Zwischen-
wand fur die Sakristei abgetrennt war, sollte der Saal durch
eine doppelte Pfeilerreihe in drei Schiffe geteilt werden. Da
stiirzten zu Beginn des Baues an der Vigilie,des heiligen Lauren-
this, also am 9. August 1731, vier Pfeiler mid mit ihnen der
der Haupttreppe des Gebaudes benachbarte Teil des Saales
zusainmen, drei Arbeiter unter sich begrabend, Da sieb Zweifel
an der Sicherheit der Konstruktion regten, wurde die Pfeiler-
stellung und damit die Teilung in Schiffe aufgegeben: die nord-
liche Pfeilerreihe fiel ganz, die stidliche wurde durch eine Wand
ersetzt, gleichzeitig die Zahl der Achsen auf zehn eingeschriinkt,
von denen zwei auf die Sakristei kamen: so wie es si eh uns heut
darstellt. Was den Saal aueh in dieser verkurzten Gestalt von
anderen Barockbauten scheidet, sind seine Verhaltnisse. Wahrend
der Baroek wie die Gotik auf Hohenausdehnung Bcdacht nahm,
ist der Saal im Verhaltnis zur Lange und Breite niedrig. Die
Brbauer haben es, wie sich aus ihrcn alljahrlieh nach Rom
erstatteten Berichten ergibt, selbst enipfuuden, aber nicht zu
andern vermocht. Der Bau des Kollcgiunis mufite, urn alle
Raumbediirfnissc zu befriedigen, in diesem Telle vier Stock-
werke hoch gefuhrt werden und lieB fur dieses Oratorium, zumal
sick das der Congregatio Latina Minor dariiber befand, keine
andere Hohe zu. Umsomehr mufJte man darauf bedacht sein,
dies wenigstens fiir das Auge etwas auszugleichen; einmal
dadureh, daB man den aus buntem Marmor besfehenden
FuBboden zwei Stufen tiefer legte als den Eingang, sodann
und noch mclir durch das Dekorationsprinzip selbst.
Die Leitung des ganzen Werkes war gewiB, wie audi sonst,
beim Rektor des Kollegs, dem ebenso tatkraftigen wie kunst-
verstandigen Franz Wentzl, der seinerseits wiederum nicht
unterlassen haben wird, sich mit den Oberen in Rom ins Ein-
vernehmen zu aetzen. Seiner Eeder wird aueh der Baubericht
in den Litterae annuae entstammen. DaB in ihm iiber den
Namen des Kiinstlers*) mit Stillschweigen hinweggegangen
wird, entspricht den Gepflogenheiten des Ordens. Der kiinst-
lerische Geist aber, der sich im Ganzen bekundet, verdient hohe
Anerkennung; an Feinheit und Anmut ist er dem der Aula
vielleiebt noch iiberlegen. Ein dekoratives Meisterstiick nennt
den Saal derjenige, dem die groOte Erfahrung auf dem Ge-
biete des Baroek zur Seite stent, Cornelius Gurktt.
•Der,weilkirchlichenZweckendienend,nachWestenorientierte
Raum ghedert sich in zwei Hauptteile, das Presbyterium
und das Sclviff, ersteres zwei, letzferes sechs Achsen umfassend.
*) Es ist Handke. Vergl. oben S. 32.
— 44
H
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1
[
5
Die Decke des Presbyteriums, zu welchem vier Stufen
aus schwedischem Marmor herauffiihrten und welches du eh
fechranken vom Schiffe abgeschlossen war, ruht auf vier frei-
«tehenden Saulen yon rotem Marmor. Ihre Kapitelle sind mit
Engelskopfen geschmiickt. Auf den Kampferplatten sitzen
ebenfalls vjer anmutige Engel. Die Riiekwand wird durch
zwei hermenarfcige Pfeiler eingefafit, deren Schaft groBenteils
dureh die Pliigel ernes Seraph gedeckt wird und auf denen ie
zwei Engel mit den prieeterlichen Symbolen (Stola und Wedel
Buch und Schliissel) sitzen. Vor der Ruckwand stand dem
Oratonum Majestat verleihend, der Altar, ein compendium
omms sculpturae ae caelaturae cum marmorum delectu auricme
copra, wie dieLitterae annuae ihn nennen. DieRuckwand desheut
vollig versehollenen Altars stiitzten zu beiden Seiten je ie
kngcl aus kunstlichem weiBen Marmor. Im Altar selbst W J
aus versdbertem Metall der Englische GruO und die Vermahl Z
Kan z r g gCSteilt - Welter V ° r ZUr Rechten sta " '
_ Die flachbogige Decke des Schiffes ruht auf den muschelfor
nugen Konsolen, welche sioh oberhalb der ebenfalls mit Kneels"
kopfen aus Sandstein geschmuokten Kapitelle der ££ Stfck
au h sr^i L akanthu8 ^- <**«*, aus stuck ^s
Aucn die Wolbungen smd mit solehem blattartigen Gerank
yerziert, desgleichen die Fensterleibungen nur da! In dZt
kel ~! lu rru 7^ durchwegin ^ mUS?
keit, daB dasse be Mofciv sich immer nur an den zwei cinander
genau entsprcchenden Stellen findet. Mrgends Uberladun!
— ^thmisches Spiel der Linien und fS vontofe
fa 1 ™ erhalb der an das Presbyterium und die Emigre
anstoBenden Wolbungen sind Medallions fur plastisebe A^Sn
ausgespart Die in die Wolbungen sehneidenden StichkapBen
smd der Maerei iiberlassen. Ebenso natuigomaB die groBen
Machen der Decke selbst. Aueh das Sohiff gfedert sfch in zte
Telle: denn es ist an der Westeeifce eine Achse umfassend ele
Empore emgebaut, bestimmt fur den Sangerehor und di 0^
Unter ihr befanden sich die Beichtsthhle So erhalt aueh das
Presbyterium sein Gegenstuck im Saale. Das Ganze bietet eh
wunderbares Zusammenspiel von Lmienschwung und Farbcn
tonen, in dem das Einzelno nur der Oesamtwirkung dient daher
aueh nicht fur S1 ch, sondern nur als Teil des GamengeS
sem will, well es zum Ganzen strebt, m dem Architektur, Plastik
Malerej, dazu aueh die Musik, sich die Hand reichten Ware
es nun zu verstelien, wenn von der Harmonie, zu welcher alle
aelcorativen leile zusammenstreben, ausgeschlossen ware die
,
— 45 —
Seelc des Ganzen, der geistige Gehalt, wie er sich in den Ge~
maiden ausspricht? Schwerlich. Man gebe sich nur ein wenig
Miihe, in ihren geistigen Zusammenhang einzudringen, und
man wird einsehen, daB es nieht richtig ist zu sagen, der Barock
habe gauze Wande mit Figuren bedeckt, ohne damit etwas
besonderes zu sagen, wird einsehen, daB solches Bcmiihen
niclit lie j lit „phllologische Tuitelei" treiben, sondern in die
Werkatatt des schaffenden Kiinstlers treten. Audi Ziehen die
Gemalde mehr durch den Gesaratgehalt an, als durch die hier
und da fliichtige Einzclausfiihrung.
Die Kongrcgation, welehcr der Saal als Oratorium diente,
nannte sich nach der Beata Virgo Maria ab Archangelo salutata.
Demnach muBte das mysterium tutelare des Endhschen GruiBes
v FT)
eine gewisse Hervorhebung erhalten. Als Gegenstand fiir eines
der groBen Deckengemiilde aber eignete sich diese im ver-
sehlosscnen Zimmer spielendc, auf zwei Pcrsonen, Maria im Bet-
stuhl und den mit Lilienzweig griiBendcn Erzengel Gabriel, be-
schrankte Szene gar nieht. Der Kiinstler, Handke , half sich, in-
dem er dieselbe einmal, gewisscrmaBen als Leitmotiv, in uberein-
stimmender Weise liber den zwei Eingangstiiren der Sudwand
und liber den Fenstern des eigentliclien Saales — nicht des Prcs-
byteriums — abwechselnd rot und grim malte, sodann plastisch
auiHochaltar und— wenig abweichend — ■ in denSchildern der
Bogen der Tribuna und Empore anbrachte. Auch fiir die andern
nieht figurenroichenSzenen nahm er nur die vier diesenSchildern
entsprechenden Medallions in Anspruch. In ihnen bildete
er in vergoldetem Stuck die Vermahlung der Maria, die
Anbetung des Kindes durch Maria, Anna und Joseph, die
Flueht nach Agypten, endlich Maria, das Christuskind haltend
und mit dem rechten FuBe der alten Feindin, der den Erd-
kreis umschlungen haltenden Schlange, den Kopf zertretend.
Das heilige Drama von der Deipara aber lieB er wie in
fiinf Akten, in den fiinf groBen Gemalden der Decke sich ab-
spielen,
Es versteht sich, daB dasselbe seinen Anfang im Presby-
terium oberhalb des Altars nimmt. Dem Sanger der Ilias
vergleichbar, der in dem Verhangnis von Ilion die Voll-
endung des Ratschlusses des hochsten Gottes sieht, verlegt er
den Beginn in den Himmel, in den RatsehluB von Gott Vatcr.
Aus diesem ist die Erlosung des Menschengeschlechtes hervor-
gegangen. Ahnlich, aber schemer als in dem vonPozzo in der
Kirche von St. Ignazio in Rom gemalten und durch seine Per-
spectivae pictorum, Toil II, Figur 67, zu allgemeiner Kenntnis
gebrachten Wandgemalde erhebt Gott Vater, eine Prachtgesfcalt,
die Verkorperung ewiger Weisheit und Liebe, sich auf die
— 46 —
Himmelskugd stiitzend, in der Linken das kreuzformige Zepter
haltend, die Reehte empor zur Sendung des heiligen Geistes,
der nach einer im Barock so haufigen Vennischung von Malerei
und Plastik, plastisch die Spitze des Altars kronend, gebildet
war. Gabriel, den Blick noch auf Gott Vater gerichtet, eilt
von damien, wahrend sein Genosse auf der -anderen Seite sich
demiitig verneigt.
Der nachste Akt an die Vcrbindung von Presbyteriuni und
Saal gelegt, spielt auf Erden (Maria Heimsuchung), Maria be-
sucht ihre betagte Base Elisabeth, ihr Dienst und Hill'e anzu-
tragen. Elisabeth eilt ihr entgegen, ihr das Haus zur Verfiigung
zu stellen, aus der ihr zuteil gewordenen Erlouchtung des
Geistes heraus demiitig sprechend: ,,Woher mir das, daB die
Mutter meines Herrn zu mir kommt?" Den Lippen der Maria
wird im nachsten Augenblicke das Magnificat entquillen:
,,Meine Seele erhebet den Herrn und inein Geist freuet sich
Gottes, meines Heilands." Hinter Elisabeth kommt ihr Gemahl
Zach arias. Auf der SchweUe aber stelit, genau so wie in den
Miniaturen, mit welchen Nielas von Glookendon 1524 und 1531
das MeB- und das Gebetbuch des Erzbischofs von Mainz, Albreeht
von Brandenburg, geschmuckt hat, der treue WacMer des
Hauses, ein weiBer Spitz, zum Beweis, wie auch die Kunst des
Barock bei allem Hange zum Mystischen doch bemiiht war,
volksmaBigem Empfinden entgegenzukommen, einem heimat-
lichen Zuge Rechnung zu tragen.
Einer ahnlichenErsckeinung werden wir inneimdrittenBilde,
welches sich iiber dem Sangerchore befindet, der heiligen Nacht!
Maria zeigt das in der Krippe liegende Kind den eivsten Menschen,
denen seine Ankunft verkiindigt, sein Anblick verstattet war.'
Wir gewahren nur einen Hirten, der ein Lamm tragt. Ihm
aber ist seine Familie beigesellt: vier weibliche Figuren*), eine
mit Strohhut und einen Korb tragend. Die himmlisehen Heer-
scharen aber singen Gloria in exoelsis Deo. So ist die dritteSzene
einerseits fiir den Sangerchor geeignet, andererseits entspricht
sie der ersten: sie ist die Verwirkliclmng des gottlichen Rat-
schlusses auf Erden und das Echo, das diese im Himmel findet.
Ebenso entspricht das vierte Bild, Maria Reinigung, dem zweiten.
Maria bringt, sich als niedrige Magd fuhlend, nach vierzig
Tagen nicht ein Lamm, sondern wie die Armsten ihres Volkes,
ein Paar Tauben zum Reinigungsopfer dar. Joseph fcragt den
Behalter, dazu eineKerze. Der greise Simeon, dem vom Geiste
geweissagt war, daB er nicht sterben werde, bevor er den Messias
*) Jordaens (in Antwerpen) war darin vomngegangen.
- T --' -— "
__ 47 —
gesehen, ist von jenem getrieben in den Tempel gekommen,
nimmt das Kind auf seine Arme und spricht gen Himmel
blickend: „Nun lassest Du Deinen Diener, o Herr, in Frieden
fahren nacli Deinem Worte: denn nieine Augen liaben Deinen
Heiland gesehen." Die greise Prophetin Hanna hebt in Ver-
ziickung Bliek und Hande zu dem Kinde auf. Maria aber kniet
an den Stufen des Altars, an dessen anderer Seite Ministranten
beschaftigt sind, neigt demiitig das Haupfc und faltet die Hande,
wie wenn sie aus dem Munde Simeons auch die Weissagung
vernahme: „Dieser ist gesetzt slg GfjfteTov awiX&ydfAWOv",
zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, und „Deine Seele
wird ein Schwert durehdringen". Sie wird es fcragen. Und
sie bat es getragen. Die Vollendung wird ihr zuteil. Diese,
auf welche die anderen Bilder vorbereiten und welcber sie
von beiden Seiten zustreben, wird im groBen Mittelbilde vor-
gefiihrt.
Die Seknsucht der Maria, mit dem ihr durch den Kreuzes-
tod entrissencn Sonne in ewiger Gememsehaft verbunden zu
sein, wird erfullt. Wolvl war audi sie gestorben, ihr Leib aber
durch ihren Sohn vor Vervvesung bewabrt. ,,Wie eine von
Schonheit prangende Braut", mit Johannes von Damaskus
zu reden, „vom unkorperlichen Glanze des heiligen Geistes
strahlend umsohlossen" war sie von den Aposteln durch die Stadt
Jerusalem nach Gethsernane getragen worden, „wahrend der
Konig der Konige sie mit dem Glanze seiner unsichtbarcn
Gottlieit iiberschattete". Aber das Grab war auch fiir sie nur
eine Vorhalle. Am dritten Tage erwachte sie aus dem Schlummer
des Todes. Man findet das Grab leer. Sie wird aufgehoben gen
Himmel im Beisoin nicht nur der Apostel, unter denen Johannes
hervorragt, dem sie der Sohn am Kreuzesstamme ans Herz ge-
legt hattc, sondern auch vonMannernundFrauen aus demVolke. .*)
Sie wird aufgehoben, nicht wie Tizians zwei Jahrhunderte zuvor
(1518) fiir die Klosterkirche Santa Maria de Frari gemalte
Assunta, leise aufschwebend, in sanf tern Gesausel, auf einer Wolke
stehend, im Geleit der Engel, sondern in starker Bewegung
gleichsam aufrauschend, gestiitzt und gehoben von den Soharen
der Erzengel und Engel. Nicht nimmt, wie bei Tizian, ihren
*) Die Komposition beriihrt sick mit derjemgen dor Fresken, welchc
Handke unter dom Orgelchore der Jesuitenkirche in Olmutz gem&lfc
hatte. Diese setzt Nowak, Kirclil. Kunst-Denkinale aus Olmutz, Text-
heft, zweite Serie (Olmutz 1892) S. 8 in die Jahre 1730—1732, freilieh
ohne Quellenangabe. Die Selbstbiographie bietet keinen Anhalt dafiir.
tibrigens ist die Beeinflussung durch Kompositionen von Rubens (in
Briksel mid Galleria Colonna in Rom) und Jordaens (in Antwcrpen)
unverkennbar.
1
— 48 —
aufwarts gerichteten Blick der nur mit dem Oberkorper fast
wagerecht aus der Glorie herausragende Gott Vater auf *), sondern
der Sohn, ebenfalls auf Wolken sitzend und von Engeln gehalten
noch die blutigen Male an Hand und FuB, aber das Krcuz hinter
sich ; er neigt sick zu ilir und streckt ihr die Arme entgegen ihr
die, das Haupt mit der Sternenkrone umgebcn, in it ihren Augen
nur ihn sucht. Im nachsten Augenblicke wird sie an seiner Seite
sitzen und von iieuern den Lobgesang des Magnificat ansthnmen
wie die Himmelsbcwohner von neueni jubeln, Saiteninstrumente
ruhren, Rauchfasser schwingen, ihr Salve Regina entgegenruien
Der Kiinstler hat sich auf die liebreizenden, auch in der heiligen
Nacht allein tatigen Hiiumelsbewohner, die Engel beschrankt
nieht die Patriarchen, Propheten, Martyrer und Bekenner hinzu-
gefugt. Es feliltc der Platz, urn ihnen geniigende Vertretune
zu versehaffen, und dem Element des Ernsten und Sinnenden
war dureh die Apostel der Gcgenseite bereits Reehnung getragen
Damit hat das heilige Drama seinen Abschlufl erlangt*
Wassonst noch an Raum zur Aufnahme von bildlichern Sehmuck
mi Saale vorhanden ist, kann nur die Schilderung der Wir
>ungen jenes Dramas erhalten. So die Bilder des fiir die Beieht
stuhle bestimmten Raumes unter der Empore, wenn sie in der
Mifete den sundigen Menschen zu Maria betend, links sie urn Ein-
!aU in die Himmelspforte anflehend, reehts zu Boden gestiirzt
von ihr der Stella Maris, gehalten, zeigen und auf BandroIIen
die Worte geben: Alma Redemtoris mater, quae pervia coeli
porta manes peccatoram miserere, stella maris, succurre cadenti
Worte des Antiphons des frommen Monchs von Reichenau
aus dem eltten Jahrhundert, Hermanns des Lahmen**)
Aber auch die Stichkappen sollten bildlichen, abwechselnd
m rot und grun gehaltenen Sehmuck erhalten; keine leichte
Aufgabe, fur 16 kleine herzformige Felder durch einheitlichen
Cxesichtspunkt beherrschte Kompositionen zu gewinnen Und
auf den ersten Blick kann es scheinen, als sei die Losuno- nieht
gelungen, als sei der eben zuriickgewiesene Vorwurf berechtiet
wenn wir in den Stichkappen des Presbyteriums am Fenster
em einfaehes Haus, daneben eine geof fnete Tiir, an der Innenwand
gegenuber eine Truhe, daneben eine Schlafende gewahren
Aber nur auf den ersten Blick. Denn bald erkennen wir jenes Haus
als em goldgesehmuektes, die Truhe mit Krone verziert und
an Tragstangen hangend, an der geoffneten Tiir einen Engel
ubcr der Schlafenden einen Stern und die aufgohcndc Sonne
*) Die Gestaltcn sowohl von Gott Vater als von Christus beruhren
Sich mecter mit dem zweiten der cbengenannten Olmutzer Fresken
) ^utigc Mittei]ung des Hcrrn Kollegen Laemmer.
49
usw. Bald konimen mis auch der iiber alien Darstellungen
in der Glorie strahlende oder von der Konigskrone bedeckte
Namenszug der Maria und die Unterschriften zu Hilfe. Wir
sehen die Donius aurea, in der sich die gottliche Weisheit ein
Haus erbaut hat (Pro v. 9, 1), gegeniiber die Foederis area,
die mit goldener Krone gezierte, niit Gold iiberzogene Bundeslade,
das Abbild des gottlichen Heiligtums, die Janua Coeli, die Tiir,
welche durch Beispiel und Fiirbitte den Glaubigen zur Himmels-
tiir wird, die Stella niatutina, den Morgenstern, der die Sehlum-
meniden behiitet und von dem die Sonne ausgeht, die Sahis
infirinorum, das nach der Himmelfahrt von ihr auf Arrrufung
gebrachte Heil der Kranken, die Zuflucht der Sunder, die
Trosterin der Betrubten, die Hilfe der Christen, die Kdnigin
der Engel, der Patriarchen, der Propheten, der Apostel, der
Martyrer, der Bekenner, der Jungfrauen, aller Heiligen. So
verherrlichen die 16 Stichkappen die Beinamen der Maria in
der Reihenfolge, in der sie die Litania Lauretana bietet, das
Gebet, das zuerst zu ihren Ehren in ihreni von den Engcln
auf den Hugel von Loretto getragenen Hause gesungen worden
war.' — Fiigon wir endlioh hiirzu, daB die Fensterleibungen
des ejgentlichen Saales noch heut tJberreste von Attributen,
bei der Regina Prophetarum z. B. ein Buch, bei der Consolatrix
affliotorum den rettenden Anker eines Schiffcs aufweisen, welche
zuni Emblem selbst in unverkennbarer Bezlehung stehen, so
werden wir zugestehen miissen, nicht nur, daft der inhaltliche
Reichtum der bildlichen Darstellung der Fiille von Dckorations-
motiven gleich ist, sondern aueh, daft es dem Kiinstler gelungen
ist, den ganzen Abglanz der Hoheit und des Wirkens der Maria
annuntiata et assumpta iiber den Saal ausstrahlen zu lassen.
Wie inogen die Augen aller geleuehtet haben, denen es ver-
gbmit war, den Saal zu sehen, als er zum ersten Male — am
22. November 1 73. l i — seine Pforten zur Einweibung und zugJeieh
zur Einfuhrung des Rektors und der Assistenten der Kongre-
gation offnete !
Bald sah er ganz andere Gesichter! Am Neujahrstage
1741 Inert Fridericus Rex Einzug in Breslau. Der Saal ist die
letzte Schopfung des Barock in Breslau. Die Ausschmiickung
des vom Fiirstbiscbof Pnilipp Graf von Sinzendorf gebauten
Lusthauses auf der Klosterstrafie durch seinen Naehfolger
Pnilipp Graf Schaffgotsch 1749/50, fiir dessen plastischen
Schmuek derselbe'Siegwitz tatig war, der audi im Jesuiten-
kollegium und somit wohl auch in diesem Saale gearbeitet hat,
gehort bereits dem Rokoko an. Dieses ist in Schlesien noch
sparlicher vertrefcen als der Klassizi sinus. Die politische und
wirtsehaftliohe Bedrangnis des Landcs hielt die Kunstregungen
— 50 —
nieder. _ Der Saal selbst vcrkam nicht bloB durch die Drangsale
des Krieges, welche aus dem Gebaude ein Lazarett, Massen-
quartier, Proviantmagaziri machten, sondern audi durch Ver-
nachlassigung im Frieden. Manche Bilder wurden bis zur TJn
kenntlichkeit entatellt. Die Congregatio Latina Maior bestand
zwar weiter, ja besteht in veranderter Gestalt noch heut, und
niehrere unserer verehrten Kollegen gehdren ihr an, aber der
Saal wurde durch die 1811 erfolgte Neuordnung der TJniversitats-
verhaltnisse einer anderen Bestimmung iibergeben, wurde zur
Aula Minor und zum Musiksaa-1,
-Die GemaJde rufen nur bei einem Telle von uns dieselben
religiosen Emijfindungen hervor, welche von ihren Schopfern
gehegt, in ihren ersten Beschauern geweckt wurden. Und nicht
wenigen vielleicht wird es schwer fallen, sich in sie hinein zu
versetzen. Aber wir alle wiirdigen die Kunstschopfung als
Gauzes, als etwas von bleibender Bedeutun ff . Wir danken daher
audi der hohen Staatsregierung, dafi Rie dieselbe zu neueiu
Lebeu erstehen lieB und damit an der Schwelle des zwanzigsten
Jahrhunderts gut machte, was das neunzehnte versaumt hatte
Wji- danken alien, die an den. Werke geholfen haben .
— 51
1
Universitatshaushalt,
Lehrkorper nnd Studentenzahl.
Von Johannes Ziekursch.
Als Konig Ludwig Xll. von Frankreich den Gondottiere
Trivulzio uber die notwendigen Vorkehrungen fiir erne Er-
oberung des Herzogtums Mailand befragte, erhielt er die be-
riihmt gewordene Antwort: ,,Tre cose, Sire, oi bisognano prepa-
rare, danari, danari et poi danari," Der Satz gilt aueh anf dem
Kampfplatz der Gcister und uniso rnehr, je starker man sich der
Gegenwart nahert. tfber recht kargliche Mittel, nur liber
63 000 Mark heutiger Wahrung, hatte im Beginn des 19. Jahr-
hunderts die Universitat in Frankfurt a. 0. zu verfiigen; die
nur aus zwei Fakultaten bestehende Breslauer Jesuitenuniver-
sitat muBte sich sogar mit 28 000 Mark begmlgen. Bei der Be-
griindung unserer Breslauer Universitat wollfce der PreuBiscke
Staat nicht bloB diese beiden altersschwach gewordenen Kor-
porationen mit einander verschrnelzen, sondern ein neues Ge-
bilde, eine den Bedurfnissen der Zeit entsprechende und dem-
gemafl ausgestattete, der freien Eorsehung und Lehre geweihte
Statte schaffen; deshalb entschloB er sich, ein Jahr, naeh dem
unter dem Druek der entsetzliehsten Not der Finanzminister
Freiherr von Altenstein die Abtretmig Schlesiens an Napoleon
zur Begleichung der Kriegssclmld, also die freiwillige Vernicli-
tung des letzten Restes preuBischer GroBmachtstellung be-
rarwortet hatte, zur Zeit, da ein neuer Krieg gegen Frank -
reich oder RuBland heraufzog, in tollkiihnem Idealismus, die
neue Universitat in Breslau mit doppelt so groBcn Mitteln zu
bedenken, als sic der Frankfurter und der JesuitenuniversitMt
zusammen zugestanden batten, also mit etwa 180 000 Mark.
Bis zuni Regierangsantritt Friedrich Wilhelms IV, stieg dann
dieser Etat, in der Hauptsaehe durch das Anwachsen der Neben-
einnalimen, auf etwa 215 000 Mark.
— 52 —
s
u^ eU ? au ? ttei1 djeser Summe braokte tier gtaat aus eigenen
Mittelnauf und zwar folgendermaflen. Nach derErobcrune Ichle
sions durch Friedrich den GroBen war den Rlttergutern eine
Grundsteuer von 28*/, % Hires Reinertrages auferW worden
die geiBthchen Giiter muBten 50 % geben, also eine ,,Mehr 8 teuer"
von jlf 3 / . 18H wur den sie sakularisiert und, urn einen Ted
der iranzosischen Kontribution abtragen zu konnen nieist
verkauft; die Mehrsteuer muBten die Kaufer welter zahlen- aus
1 7n nS u\ Si? iJ te J d6n s °g enannten Universitatskanon von
170 000-184 000 Mark. Die Krciskassen zogen ihn ein und
heferten ihn unmittelbar an die Universitatskasse ab so z B
die Kasse des mit geistlichen Giitern friiber stark durchsetzten
-trankensteiner Kreises in den Rechiiungsjahren 1831/3 aus
clenen der erste noch erbaltene Etat stamnit, je 3470 Taler
11 Sdbergrosch^ und 3 Pfennigs die Brieger Kreiskasse nur
i , i i 6 8]]hei W°schen 3 Pfennigs die Oelser 1011 Taler
14 Silbergroschen, davon aber 2 Taler 15 Silbergroschen in
SSi h mt ^ ne ™ Agio von 13% % gegen Courant. Die
Etatsgebariing des 18. Jahrhunderte, die jedem Ausgabe
posten gem erne genau bestimmte Einnahmequelle zuwies
batte sich hier voll erlialten. ^wies,
Univer,ifff°t em ^ ^^ ^tliehen G " te ™ erhobenen
Umversitatskanon steckten gewissermaBen die fruheren Ein-
nahmen der Jesuitenuniversitat. Die zumeist in der Mittelmark
gelegenen Frankfurter Universitatsguter waren dem Domten"
beatande des preuBisehen Staates einverleibt worden ■ dage^en
uberjnes man wohlweislich der neuen Breslauer UniveS
che der Frankfurter gehorigen Giiter und Gefalle aus der Al
SSStotd D tU f al " 7 d ^ h ~» einigar altmarkisetr
fetadte und Dorfer, der Domprobstei zu Salzwedel ferner
KanomkatsgefaUe aus Halberstadt, weil man mit Re'eht an-
nahm dafi die Regierung des Konigreiehs Westfalen zu dem
die Altmark und Halberstadt seit 1807 gehorten, die e Eigen
tumsrechte eber sehonen wiirde, wenn sie einer' Korporalon
als wenn sie dem preuBisehen Fiskus zustanden. Ferner blieb
aucli die Breslauer University im Besitz der Frankfurter
Umversita sgebaude, fur deren Benutzung dureli die Regie
rung und das Oberlandesgericht ihr eine Entsebadigungssumme
jahrkoh zuteil wurde. 1831 batte die Breslauer UnlversiSt
aus dem frankfurter Erbe eine Einnahme von 13 700 Mnrk
Im Laufe des 1 9 . Jahrhunderte wurden die altmarkischen
Zmsenauf Grand der modernen Agrargesetzgebung langsam
abgelost; die daraus emkommenden Gelder dienten in erster
Lime neben Ersparnissen an Gehaltern bei Vakanzen usw
zur Vermehmng des Kapitalvermogens der Universitat Bei
53 —
der Begriindung dor Universitat brachte es 675 Mark Zinsen,
diirfte also 17 000 Mark betragen haben; 1831 belief es sicb
auf 21 500 Mark mit 850 Mark Zinsen, 1842 sohon auf 64000 Mark.
Zu diesen drei Posten, dem Universitatskanon, dem Ertrag
des Frankfurter Erbes und den Kapitalzinsen, gesellten sich
noch einige in ihrer Hohe schwankeu.de kleincre Einnahmen
aus der in Erbpacht gegebenen Universitatsbuchdrackerei,
der verpaehteten Institutsapotlieke, einzelnen vermieteten
Raumen in dem Bibliotheks- und Conviktsgebaude, 1831 liber
6000 Mark; von den Gebiihren fiir die Immatrikulationen,
Abgangszeugnisse, Promotionen und Habilitationen flossen
1831 der Universitatekasse liber 2000 Mark zu; endlieb aus
Kirchenkollekten in Schlesien 1831: 4750 Mark, in Poscn nur
800 Mark. Seit dem Etat von 1834 gewahrte der Staat noeh
einen besonderen jahrlichen ZusehuB von 1200 Mark fiir die
geburtshilfliche Poliklinik, seit 1837 noch 300 Mark fiir das
Mineralienkabinett, 1840 noch 240 Mark fiir das physiologiscbe
Institut: die ersten bescbeidenen Sonderaufwendungen auf
diesem Gebiete.
Diese efcatsmaBIgen Einnahmen betragen zusammen 1821:
201000 Mark, 1831: 213 000 Mark, 1841: 215 000 Mark, un-
gefahr drei Viertel des Berliner UmVersitatsetats. Man wiirde
aber irren, wenn man glauben wollte, dafi diese Etatssumme den
Universitatsbedarf gedeekt hatte. Eine vergleichende Zu-
sammenstellung aller Einnahmen unci Ausgaben der Univer-
sitat nach kauf mannischen Gesichtspunkten ist niemals versucht
warden und laBt sich vielleicht auch kaum geben, in der Gegem
wart sicher noch schwerer als in der Vergangenheit, jedenfalls
nioht geben ohne groBe Willkurlichkeiten und ohne ei'ne iiberaus
zeitraubende, mit dem Ergebnis in keinem Verhaltnis stehendc
muhevolle Durchsieht aller spezieUen Rechnungsakten, vor-
ausgesetzt, daB sie aus friiheren Zeiten noch vorhanden waren.
So lafit sich der Wert der bei der Griindung der Universitat
iiberwiesenen Baulichkeiten und Grundstucke wie der Dlenst-
wohnungen gar nicht abschatzen. Dazu kamen 1836 als auBer-
ordentliebe Zuwendung 136 000 Mark fur den Neubau der
Anatomic. Welch e Zahl soil bei den Kollegiengeldern in
Rechnung gesetzt werden unter Riicksicht darauf, daB in den
Jahren 1845—1853 in der katboliscb-theologischen Fakultat
94 % gestundet, 1 % erlassen wurden, in der evangelisch-
theologiscben 70 % gestundet, 14 % erlassen, in der philo-
sophischen 56 % gestundet, 9 % erlassen, in der juristischen
49 % gestundet, 2 % erlassen und in der mediziniscben 19 %
gestundet, aber 15 % erlassen wurden ! Zu den Etatszahlen
miissen jedenfalls noch hinzugerechnet werden die 7300 Mark
— 54 —
Ei nnalimen clcr Stipend ienfondsl 843, die 3150 Mark derStiftungs-
fonds, einige hundert Mark von den Einnabmen der 1822 be-
griindeten Professoren - Witwen - und Waisen - Versorguncs-
anstalt usw, Infolgedessen muB, wenn wir uns im Folgenden
zunachst an die Etatszahlen balten, beriieksicbtigt werden,
daB den Angaben nur ungefahre Ricbtigkeit zukonimt.
Von den 213 000 Mark des Etats im Jahre 1831 warden
114 000 Mark auf die Gelialter der 32 Ordinarien und 14 Extra-
ordinarien verwandt (zu dieser Summe gesellten sick nocb Ge-
lialter fiir Nebenamter als Konsistorialrate, Kanoniker usw., zabl-
reiclie Dienstwobnungen, Gebiibren von den Promo tionen usw.,
zusammen 14 000 Mark und die Kollegiengelder) ; fiir die Witwen-
und Waisenversorgung scboB der Staat 3000 Mark zu; diese
Ausgaben fiir die Lehrkrafte bikleten 55 % des Etats. Auf die
akademischen Institute und Sammlungen kamen 54 000 Mark
oder 25 % Prozent der Ausgaben, und zwar 17 000 Mark fiir
die Bibliothek, 8430 Mark fur den botaniseben Garten, 7700 Mk.
fiir die medizmische Kk'nik, 6000 Mark fiir die cbirurgiscbe,
2700 Mark fiir das naturhistorische Museum, 2b'00 Mark fiir die
Anatomic, 1200 Mark fiir das Hebammenlebrinstitut usw. Die
Verwaltung rait ibren Beamten- und Bureaukosten, die Heizung,
Beleucbtung und Rcinigung und die Baureparaturen forderten
14,5 % des Etats. Eiir Preisfragen, Ereitisebe und Unter-
stiitzung der Studentcn, wurden, abgesehen von den Einnabmen
der Stipendienfonds, 11 500 Mark oder 5,5 % ausgegeben.
Entsprechend dem Verfahren vieler Stadtverwaltungen in
den dreiBiger Jabren, erfolgte beim Regierungsantritt Friedricli
Wilbelms IV. eine zeitgemaBe Umgestalttmg des Etats der
Universitat. Sie verzichtete theoretisch auf den Universitats-
kanon, auf die unmittelbare Zablung aus den einzelnen Kreis-
kassen, sie erhielt fortan den jetzt als DotationszuscbuB be-
zeichneten Hauptteil ilirer Einnabmen aus der Breslauer Re-
gierungsbauptkasse in Quartalsraten auf Rechnung der Unter-
ricbtsvenvaltung. Die Agiogelder fiir die Goldzablungen,
die Halberstadter Kanonikatsgefalle, die Entsclnidigung fiir
die Benutzung der Frankfurter Universitatsgebaudedurcb andere
staatliche Bebordeti, die in den clreiBiger Jabren erfolgten
oben erwabnten Sonderbewilligungen fiir einzelne Institute
verscliwanden aus dem Etat von 1843, indeni sie zum Dotations-
fonds geschlagen warden. Neu eingestellt wurden in den Etat
die bisher andernorts verreebnete Remuneration fiir den auBer-
ordentlicben Regieruiigsbevollniacbtigten, fiir seine Reprasen-
tationskosten und die Remuneration des Universitatsric liters
in der Gesamtbobe von 8000 Mark. Der Dotationsfonds stieg
urn 45 600 Mark auf insgesamt 234 200 Mark; dadurch und dureb
— 55 —
das Wachsen der Nebeneinnahmen kam dcr Gcsamtetat auf
262 000 Mark oder urn 18 % holier als der Etat von 1840/2.
Die Vermehrung dcr Einnahmcn erlaubtc cine Aufbesserung
der Gehalter der 39 Ordinarien und 10 Extraordinarien; bierfur
konnten 13 000 Mark mehr als 1831 ausgegeben werden, Der
Etat der Institute unter EinscbluB der Gehalter fur die wenigen
Assistenten stieg auf 69 300 Mark; teils wurden den bestehenden
Instituten grofiere Mittel zugefiihrt, teils neue Institute und
Semlnare, z. B. das historische mit 600 Mark geseliaffen. Dem-
gemaS kamen auf Prof essorengeh alter und Witwenkasse nur
noch 50 %, auf die Bibliothck, die Institute und Seminare
pin etwas hoherer Prozentsatz als friiber, namlich 26,5 %.
Auf dieser Grandlage blieb der Etat im groBen und ganzeu
unter der Regierung Friedrich Wilbebns IV. Mit der Neuen Ara
begann aUmabJich aucb eine neue Ara im Universitatshaushalt;
von Etatsperiode zu Etatsperiode wurde der staatliche Zu-
schuB verstarkt, seit den siebziger Jahren goht er in gewaltigen
Sprungen empor. 1858 befcrug er 240 000 Mark, 1867: 283 000
Mark, 1871 : 314 000 Mark. Bei der Begriindung dcr Universitat
1811/2 war ein StaatszuschuB von 170 000 Mark vorgesehen
worden, nach 59 Jahren hatte er aich beinabe verdoppelt.
Zehn Jahre spater, 1881, war der DotationszuschuB auf
690 000 Mark gestiegen, d, b. auf mehr als das Vierfache des
Zuschusses von 1812. 1908 belief er sielv mit 1 436 000 Mark
auf mehr als das Achtfache des Zuschusses von 1812; 1910 be-
trug er selion mehr als das Neunfache; im Jubeljahre wird
er sieb. also verzehnfacht baben.
Und doch, trotz dieses gewaltigen Anschwellens, spieli der
StaatszuscliuB nicht mehr die Rolle im Universitatshausbalt
wie friiber; 1831 bildete er noch 86,4% der ordentlichen Ge-
samteinnahme; 1910 nur noch 75%. Der „eigene Erwerb"
der Universitat isfc noch viel starker gewachsen; 1831 brachten
ihr die Gebiihren fur Promotlonen usw., der einzige eigene
Erwerb, den sie hatte, 2100 Mark, 1906 etwa das Siebzehnfache
34 600 Mark; vor allem aber fielen ins Gewicbt die Ertrage
der Khniken durch Aufnabme zahlungsfahiger Kranker, der
Gewinn der landwirtschaftlichen Institute durch den Verkauf
direr Produktc, die von den Studenten zu entrichtenden Bc-
nutzungsgebuhren fur die Institute usw. 1871 belief sich der
eigene Erwerb noch auf 8900 Mark. 1891 auf 41 000 Mark,
1901 auf 290 000 Mark, 1910 auf 490 000 Mark oder 23 % des
ordentlichen Etats, Diesen Summen gegeniiber kommen die
durch starkere Ausniitzung der Universitatsgebaude fiirLebr-
zwecke verminderten Mietseinnahmen aus dem Grundbesitz
und die Zinsen des Kapitalvermogcns kaum noch in Betracht.
T
— 56 —
Die ordentliclie Gresaniteinnahme der Universitat Initio
1858: 281 000 Mark ausgemacht, 1871 bet rug sic 362 000 Mark
oder etwa das Doppelte des Jahres 1812 (185 000). 1881 liatte
sie sich wieder verdoppelt auf 746 000 Mark; 1901 bildete
sie mit 1492 000 Mark das Achtfache des Etats von 1812
1908 mit 1 889 000 Mark das Zchnfaehe, 1910 mit 2 135 000 Mark
das Elfeinhalbfache, freilich damit noch nicht die Ha'lfte des
Berliner Etats.
Hier mufi nun noch viel starker als voriier betont werden
daJ3 diese Zahlen ein hochst unvollkommenes Bild abgeben!
Zu dem ordentlielien Etat gesellt sich der aufierordentliche!
Er betrug im zehnjahrigen Durchschnitt in den fiinfziger Jahren
7900 Mark, in den sechziger 42 800, in den siebziger 80 400,
in den aclitziger Jahren 234 000, in den neunziger Jahren
533 000 und in dem ersten Jahrzelmt des 20. Jahrhunderts
422 000 Mark. Mit diesen in den letzten 50 Jahren veraus-
gabten 13 MiJlionen sind in erster Linie unsere modernen
Khniken und Institute geschaffen wordon. Bliebe der bisher
rasch und dauernd gestiegene eigene Erwerb der Institute auf
seiner gcgemvartigen Hohe stehen, so wiirde er doch diese
13 Millionen mit 4 % verzinsen; also nur die ordentlielien Auf-
wendungen fiir die Institute fallen dem Staate wirklich zur
Last; der Bau neuer Institute entspricht etwa einer Kapitals-
anlage in preuBischen Konsols.
Zu dem ordentlielien und aufierordenthchen Etat kommen
nun noch jahrlich 12 000 Mark des Studentenunterstiitzungs-
fonds, darunter die seit 1895 nicht mohr durch den Etat gehen-
den Kollekten fiir arme Studenten der Theologie aus den evan-
gelischen Kirchen, wahrend die Kollekten der katholischen
Kirchen in ScMesien dem fiirstbisclioflichen Konvikt zuflielien.
Die Einnahmen der Stipendienfonds haben sich seit 1843 ver-
sechsfacht; sie sind auf 43 400 Mark gestiegen; die Stiftungs-
fonds werfen jahrhch 15 (500 Mark ab. Von dem Staafcszuschufl
zur Witwen- und Waisenversorgung steht nur ein kleiner
Bruchteil von 3000 Mark im Etat. Endlieh iniissen doch noch
die Kollegiengelder beraeksichtigt werden, sovveit sie nicht als
Institutsgebuhren zuin eigenen Erwerb der Universitat schon
gerechnet sind. Alio diese Einnahmen, den ordentlielien und
den auBerordentliehen Etat unifaBt die folgende Zusammen-
stellung fiir das Etatsjahr 1909, und zwar nicht als Voranschlag,
sondern als Ergebnis des Rechnungsabschlusses; sie soil zeigen^
in welcher Hohe und von welcher Seite die zum Unterhalt
der Universitat in der Gegenwart notigen Mittel aufgebracht
werden; der Nutzwert der Gebaude ist naturlich nicht in An-
sehlag gebracht worden. Die Universitat vereinnahmte also:
— 57 —
aus der Staatskasse im Ordinarium Ml 601 100
im Extraordinarium. . . . „ 201300
oder 58,1 % der Gesamt-Binnahme.
aus Grundeigentum und Kapitalzinsen „ 122 500
oder 4,0 % der Gesamteinnahme.
aus eigenem Erwerb der Institute ......,, 538 200
oder 17,4 % der Gesamteinnahme.
an Kollegiengeldern und Gebiihren j, 577 200
oder 18,6 % der Gesamteinnahme.
an sonstigen Einnahmen, Kollektengeldern usw. „ 59 700
oder 1,9 % der Gesamteinnahme. Sa. M 3 100 000
Verausgabt wurden:
fiir den Lehrkorper (Gehalter, Wohnungsgeld, Ho-
norare und Gebiihren) und die Hinterbliebencn-
versorgung ffl> 1 137 500
oder 36,7 % der Gesamtausgabe.
fiir die Institute an ordentlichen und auBerordent-
lichen Aufwendungen ,, 1 690 400
oder 54,5 % der Gesamtausgabe.
fiir die Verwaltung, Bureaukosten, Heizung, Be-
leuchtung, Reinigung, Baureparaturen, Ab-
gaben und Lasten » 1*4 100
oder 5,6 % der Gesamtausgabe.
fiir Freitische, Stipendien und Unterstiitzung der
Studenten, Krankenkasse usw. ......,, 92 600
oder 3,0 % der Gesamtausgabe.
aus Stiftungsfonds zu anderen Zwecken . . ... „ P 400
oder 0,2% der Gesamtausgabe. Sum ma: M 3100000
Aut' Gehalter und Wohnungsgeld der Universitatslchrer
kam im ordentlichen Etat nicht ganz das Fiinffache des Etats
von 1811/2, auf die Institute das Dreifiigfache, prozentual aber
31 und 60 %. Das Verhaltnis dieser beiden wichtigsten Ausgabe-
posten hatte sieh also im Vergleich mit der ereten Peri ode,
der Regierungszeit Eriedrich Wilhelms III., ungefahr in das
Gegenteil umgewandeit*). In Berlin wird heute fur die In-
*) Diese kurze Skizze fiber die Entwickelung des Etats beruht auf
den Etatsakten der Quiistur und der Universitatschronik von B. Nadbyl
mx Jubelfeier von 1861. Fiir die letzten Jahrzehnte warden die immer
auf drei Jahrc aut'gestellten ordentlichen Etats, welche also die iiberaus
atarken. Veranderungen durch die jahrliehen Budgetbewilligungen nicht
bemcksichtigen karmen, ein voHig schieles Bild ergeben, ganz abgeseben
davon, daS die Kliniken wieder ihren eigenen Etat haben, der zu emem
Toil, aber merkwiirdigerweise eben nur zu einem Ted in den ordentlichen
hineingreift; bier stiitze ieh mich auf die Zusamnienatellungen, die der
gegenwartigo Quastor, Rechnungsrat Gries, fiir den zweiten Band der
Jubilaumsschrift des Jahres 1911 angefertigt und mir liebenswurdiger-
weise zur Verfiigung gestellt hat; ihm verdanke ieh an eh die oben ge-
gebene Etatsaufstellung fiir das Jahr 1909.
5
— 58 —
stitute 147 inal so viel ausgegeben als im Griindungsjahr. Diese
Verschiebungen unter den Ausgabeposten verraten, daft, um
einen anderswo gepragten, etwas spitzen Ausdruck zu wieder-
holen, die Vorlesungsuniversitat zur Arbcitsuniversitat, der
Universitat der praktischen Ubungen, Kurse und Seminare
geworden ist.
In den ersten Jahren cles Bestehens der Breslauer Univer-
sitat warden namlich die Bibliothek, 2 Seminare und 11 In-
stitute und Kliniken eingerichtet ; Berlin besaB damals kaum
ein halbes Dutzend derartiger Institute. Bis 1861 kanien in
Breslau noeh je 3 Seminare und Institute hinzu; gegenwartig
bestehen aber 16 Seminare und 36 Institute und Kliniken,
wahrend Berlin 82 wissenschaftliebe Anstalten besitzt.
Mit dieser Entwickelung hangt zu einem guten Teil das
Anschwellen des Lehrkorpers zusammen. Im Grundungsjahr
wirkten an der Universitat 35 Ordinarien, 4 Extraordinarien
und 4 Privatdozenten, also 43 Dozenten und 8 Lektoren. Berlin
wies damals 33 Ordinarien, 8 Extraordinarien und 14 Privat-
dozenten auf. Die Zahl der Breslauer Ordinarien belief sich
1858 auf 38, 1871/2 auf 48, 1896/7 auf 73, also auf mebr als den
doppelten Stand des Griindungsjahres, 1910/41 auf 80 unter
EinschluB der ordentliehen Honorarprofessoren. Extraordi-
narien und auBerordentliche Honorarprofessoren gal) es 1858:
10, 1871/2: 15, 1896/7: 29, also siebenma] so viele wie im
Jhimdungsjahr, 1910/11 wieder 29. Am starksten wuclis die
Zahl der Privatdozenten; sie verdoppelte sich bis 1815/6 auf 8,
vervlerfachte sich bis 1838, verachtfachte sich bis 1861/2, ver-
sechzehnfachte sich bis 1906/7; 1910/11 betrug sie 77 oder den
19 fax-hen Stand des Griindungsjahres. Kanien damals auf einen
Privatdozenten 9 Ordinarien, so besitzen gegenwartig beide
Gruppen eine ungefahr gleiehe Starke. Bildeten anfangs die-
Privatdozenten ein kleines, wohl entbehrlich.es Anhtngse]
des Lehrkorpers, mag heute in manchen Fachern starke Uber-
fiilhmg herrsehen, so kann doch die Universitat mit ihren Kli-
niken, Instituten und Seminaren ihrer langst nicht mebr ent-
raten; denn — ganz abgesehen von der gewaltlgen Speziali-
sierung aller Wissensehaften — wenn auch 100 Studenten,
wie friiher 20, die gleiehe Vorlesung horen konnen, in den
Seminaren und Instituten vermogen unter der Leitung eines
Lchrers wohl 20, aber nicht l()t) mit Erfolg zu arbeiten. Aus
diesen Verhaltnissen ergeben sich bei den Privatdozenten
wie den Extraordinarien, wohl auch bei den Studenten starke
Wunsche nach mannigfaltigen Reformen, und es entstehen
ernste Probleme fiir die Weiterentwickelung der Universitats-
verfassung. 1811/12 gab es unter EinschluB der Lektoren
— 59 —
an der Breslauer Universitat 51 Lehrer, 1871/2 wurde das erste
Hundert iiberschritten, Berlin hatte schon 1826 diese Stufe
erklommen; im Jubilaumsjahr diirfte in Breslau das zweite
Hundert vol] erreicht werden,was in Berlin 1876 gesehah,wahrend
gegenwartig dort mehr als 500 Dozenten wirken, in dem gleielien
Rahmen, der vor hundert Jahren den neunten Teil umspannte.
Das Berliner Beispiel weist den Weg, den auBerhch in der Zu-
kunft audi die Entwiokelung der Provinzialuniversitaten
nehmen wird. Bilden nun 500 Leute ; die sicli personlich zu
einem groBen Teil gar nicht kennen, wirklich noch eine le-
bendige KorporationY Diese Frage darf zum mindesten aufge-
worfen werden.
Das Anwachsen des Lehrkorpere erstreckt sich nun aber
bezeichnenderweiae nicht gleiehmaBig auf alle fiinf Fakultiiten;
die evangelisch-theologische Fakultat hat sich in den hundert
Jahren nur verdoppelt, die katholisch-theologisclie ist auf das
Zweieinhalbfache ihres ersten Bestandes gestiegen, die juristischo
auf das Vierfaehe, die philosophische auf das Vieremhalbfache,
die medizinische auf das Siebeneinhalbfache. Die philosophisehe
umfaBte im Griindungsjahr wie in der Gegenwart die knappe
Half te aller Dozenten, damals 20 von 43, 1910/11: 90 von 186.
Die Zahl der Lektoren blieb sich iinmer so ziemlich gleich.
Doppelt so stark wie der Lekrkorper ist die Studentenzahl
gewaohsen. Ira ersten Jahre ihres Bestehens wurde die Univer-
sitat von 298 Studenten und zwar von 77 katliolisclien mid 67
evangelischen Theologen, 72 Juristen, 46 Medizinern und nur
86 Philosopher! besueht; Berlin zahlte im Herbst 1810 nur
256 Studenten. Die Jahre der Freiheitskriege braehten starke
Versehiebungen; dann stieg die Studentenzahl ununterbroehen
bis auf 1147 im Jahre 1828/9, ging die miehsten elf Jahre wieder
herunter bis auf 633 im Jahre 1839/40, in der ersten Halfte
der fiinfziger Jahre hielt sie sich iiber dem achten Hundert, in
den nachsten Jahren sank sie wieder unter diese Grenze; in
der Mitte der siebziger Jahre wurde das erste Tausend iiber-
schritten; mit mehr als 1600 Studenten trat die Universitat
in das neue Jahrliundert; ini Sommersemester 1910 zahlte sie
2402 Studenten und 223 Horer. Mit diesem Bestande bleibt
Breslau unter den deutschen Universitaten nur hinter Berlin.
Munohen, Leipzig, Bonn und Halle zuriick.
Im Laufe des Jahrhunderts hat die Studentensehaft ihren
Cliarakter stark verandert, sie ist arg verweltlieht. Anfangs
machten die Theologen beider Konfessionen die Halfte aus,
Knde der zwanziger und Ende der dreiBiger Jahre noch 47 %
Mitte der fiinfziger 41 %, Mitte der sechziger, achtziger und
neunziger Jahre 25—28%, wahrend des Kulfcurkampfes in
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der Mitte der siebziger Jahre 10 %, 1910 knapp 17 %. Gegen-
wartig gibt es etwa ebenso viele evangelisebe Theologen wie
im Griindungsjahre; die katholischen Theologen liaben sich
vervierfaeht, die Juristen versiebenfaeht, die Mediziner ver-
neunfacht, die Philosophen — wenn man ihnen, uni einen Ver-
gleich zu ermoglichen, wie friiher die Zahnarzte zurechnet —
verdreifiigfacht, obwohl die Gesanitzahl der Studenten nur
um das Achtfaclie gestiegen ist. Gehorte vor lmndert Jahren
erst der achte Student zur philosopliischen Fakultat, so gegen-
wartig beinahe jeder zweite: die Pliilosophen haben also den
Platz der Theologen eingenommen. Innerhalbderphilosophischen
Fakultat haben in den letzten zwei Jahrzehnten die Studenten
der mathematisch-naturwissenschaftlichen Facher das nume-
rische Ubergewicht iiber Philologen und Histoiiker erhalten.
Unter allem Wechsel hat aber die Breslauer Studentenschaf t
voni ersten Tage an bis zur Gegenwart ihren provinziellen Cha-
rakter nicht verleugnen konnen; nur 22 Marker waren 1811
von Frankfurt nacb Breslau mit iibergesiedelt ; im ersten Studien-
jahre gab es in Breslau mehr Ausliinder als Marker. Die Sehlesier
bildeten 1811: 81%, 1910: 75%. Die Provinz Posen stellt
gegenwartig 9 % unserer Studenten. Das neue Jahrhundert
hat der Universitat die weibliehen Studenten gesohenkt; 1910
bildeten sie schon 4,25 % aller Immatrikulierten.
So hat in den hundert Jahren ihres Bestehens die Ent-
wickelung der Universitat die kiihnsten Hoffnungen ihrer
Griinder weit hi inter sich gelassen. Die bose Zahlenmasse, die
soeben am Auge des Lesers vorbeizog, be we ist wohl zur Geniige,
welch e Opfer aber audi der preuBische Staat fur die Pflege
geistiger Kultur gebracht hat und bringt und bringen wird;
dafi er sich der Bedeutung der Universitat in der deutschen
Ostmark voll bewufit ist, verrat die Tatsache, daB Breslau. die
viertgroBte preuBische Universitat, den zweitgroBten Etat
besitzt. Der Lehrkoiper hat sich vervierfacht, die Studentenzahl
verachtfaeht, aber — ein Wermutstropfen in den Freudenkelch —
am starksten ist der Universitatsliaushalt gewachsen, im Ordi-
narium allein um das Elf einhalbf ache. Soil sich unsere Univer-
sitat als Pflegstatte moderner wissenschaftlicher Forschung
und Lehre auf ihrer Hohe im Vergleich mit den anderen deutschen
und auBerdeutsehen Hoehschulen halten, so wird diese Tendenz
noch starker hervortreten ; deshalb miissen sich in Zukunft
nicht bloB die Regierung, sondern hauptsik-hlich nacb ameri-
kaniscbem Muster die leistungsfahigen Sehichten unserer Be-
vulkerung das Wort Trivulzios vor Augen halten: ,,Tre cose,
Sire, ci bisognano preparare, danari, danari et poi danari/ 1
Phot. Tli. Lic-htenberg
A. Koelsfh
Hof dep Universitat
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3
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