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Full text of "Falco unregelmässig im Anschluss an das Werk "Berajah, Zoographia infinita" erscheinende Zeitschrift"

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 Zoographia infinita“ 


A 1905, No. 1. 
. (Preis des Jahrgangs 3 Mark.) 


Ausgegeben un 1905. 


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W. Sehlüter, Halle a. 8, Ludwig Wuchererstr. 9. 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinenäs Zeitschrift. 


Jahrgang 1905, No. 1. 
Preis dieses Heftes 1 Mark. (Preis des Jahrgangs 3 Mark.) 
Ausgegeben: Oktober 1905. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. S. 


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Verlag von W. Schlüter, Halle a. S., Ludwig Wuchererstr. 9. 


Du Falk mit Augen blank und hell 

Du Falk mit Flügeln schlank und schnell, 

Sie nennen Räuber dich und Dieb, — 

Ich schelte nicht, ich hab dich lieb! 

Kühn, offen, ehrlich greifst du an, 

Bist wie ein rechter Edelmann. 

Auf Höhen hältst du still die Wacht, 

Was drunten lärmt, nehm’ sich in Acht! 

Vom Eichenast in stolzer Ruh 

Sahst lang du fremdem Treiben zu. — 

Von deinem Sitz fährst du empor, 

Es traf des Falkners Ruf dein Ohr; 

Von meiner Faust lass ich dich los 

Zu freiem Flug und scharfem Stoss! 
OSKE. 


Falco 1905. Tar 


Typus von „Falco barbarus germanicus“ Erl. 


Steinzeichnung v. ©. Kleinschmidt. 


Vorwort des Herausgebers. 


„Falco“ heisst meine neue Zeitschrift, weil sie erscheint wie 
ein Falke. Sie ist kein Journal, denn nur gewöhnliche Vögel sieht 
man täglich, den Falken selten. Man weiss nie, wann und ob er 
wiederkommt. Verwünscht ist sein Kommen dem einen, erwünscht 
dem andern. Den fliegenden Vogel greift er als „Spezialist“ mit 
erstaunlicher Sicherheit, um ihn gründlichst zu rupfen und ana- 
tomisch zu untersuchen. Aber auch an Insekten und anderen 
Tieren vergreift sich ein Falke gelegentlich. Infusorien fängt er 
nicht und es beeinträchtigt seine Leistungsfähigkeit keineswegs, 
dass er bei seiner Jagd ohne Brille zurechtkommt und sich ganz 
auf sein Auge verlassen darf. Vor der Weisheit gelehrter, aber 
farbenblinder und lichtscheuer Eulen hat er keine Ehrfurcht. 

Doch dies alles ist Nebensache. Ich brauche diese kleine 
Zeitschrift 1) um den Subskribenten meines grossen Werkes 
„BERAJAH“ die nötigen Mitteilungen über dessen Fortgang zu 
machen und 2) um für mein Werk Zeit zu gewinnen, indem ich 
zahlreiche briefliche Anfragen ornithologischen Inhalts hier zu- 
sammenfassend erledige. Die Zahl derartiger Anfragen ist so gross 
geworden, dass ich unmöglich alle einzeln beantworten kann und 
mir niemand diesen Notbehelf verübeln darf. Gerade diese vielen 
Anfragen beweisen mir aber, dass es sowohl in Deutschland wie 
im Auslande ausser den zünftigen Ornithologen eine grosse Anzahl 
von jungen Kräften gibt, die bei geeigneter Anleitung sich zu 
trefflichen Beobachtern, Forschern oder doch zu treuen Freunden 
unseres Wissenschaftszweiges entwickeln werden. Ich will andern 
Zeitschriften nicht im Geringsten Konkurrenz machen, aber die 
Leute, die von ihnen nicht befriedigt sind, die will ich sammeln. 
Ich kenne schon jetzt unter ihnen vortreffliche Arbeiter. Die 
Ormithologie ist ja freilich ein kleiner Seitenzweig der zoologischen 
Wissenschaft. Aber sie darf nicht in engen Grenzen wühlen wie 


ein Maulwurf, sondern soll mit dem ins Weite gerichteten Blick 
1* 


IV Vorwort des Herausgebers. 


des Falken ihr Ziel verfolgen und ihre Stellung behaupten. Für 
grosse Fragen, die in der Gegenwart die gebildete und selbst die 
ungebildete Welt beschäftigen, bietet die Vogelkunde dankbares 
Material, Material in reicher Fülle und doch übersehbar. Das 
Leben des Vogels ist noch am leichtesten zu beobachten und zu 
verstehen, denn die Zahl der Säugetiere, die sich nicht durch Scheu 
oder nächtliche Lebensweise unseren Blicken entziehen, ist ver- 
schwindend gering. Sonst würde ich der Säugetierkunde den ersten 
Rang zugestehen. Andere Tiere bieten aber schon wegen ihrer ab- 
weichenden Organisation zu viele Rätsel. Zur Zeit ist aber die 
Wissenschaftlichkeit der ornithologischen Arbeit — von einer 
kleinen Anzahl von Arbeitern abgesehen — hinter den Leistungen 
auf andern schwierigeren Gebieten ganz mit Unrecht zurück- 
geblieben. Wir dürfen heute nicht mehr arbeiten wie vor 50 Jahren. 
Wer heute nur mit Naumanns oder Brehms Interessen die Natur 
befragt, wer heute nur im Bannkreise von Darwins Gedanken 
wandelt, dem würden diese Männer, wenn sie noch lebten, sagen: 
„Sehämt euch, unser Forschen sollte euch weiter vorwärts treiben. 
Ihr macht euch ein Ruhekissen daraus!* 

Kurz und gut: Weitblick genug hat der Falke bei aller Ein- 
seitigkeit seiner Jagd, und er ist wegen seiner Einseitigkeit nicht 
verachtet. Wir können von dem Vogel lernen. — 

Artikel dieser Zeitschrift, welche nicht von mir verfasst und 
am Ende mit O.K. gezeichnet sind, tragen stets den Namen des 
Autors, welcher allein für deren Inhalt verantwortlich ist. „Falco“ 
wird von Niemandem finanziell unterstützt oder garantiert. Weder 
der Verleger noch ich wollen Geld damit verdienen. Deshalb kann 
aber der Umfang der Zeitschrift und die Zahl ihrer Nummern 
und Tafeln erst mit der Zahl der Abonnenten wachsen, falls der 
Falke nicht eines Tages überhaupt auf Nimmerwiedersehen ver- 
schwindet, um minder heissblütigen Edel-Adlern und gewöhnlichen 
Sperlingen das Feld zu überlassen. 

OÖ. Kleinschmidt. 


Zur Ehre der Toten! 


I. Carlo von Erlangers Ansichten über den Formenring 
Falco Peregrinus. 


Hierzu das Titelbild. 


Der Falke ist ein polemisches Tier, aber im Gegensatz zu dem 
Geier ist er gewohnt, die Toten zu schonen und gegen die Leben- 
den seinen Angriff zu richten. In diesem Sinne sei ihm selbst; 
dem Edel- oder Wanderfalken, hier das erste Wort gewidmet. 

„Über die Gruppe der Edelfalken“ hat Carlo von 
Erlanger im Journal für Ornithologie 1903, p. 289 ff. „Kurze 
Betrachtungen“ veröffentlicht, von denen er selbst sagt, dass 
sie „nur eine Anregung bilden sollen, ein Stückwerk sind, vielleicht 
eine falsche Auffassung“. Mündlich hat er diese Zweifel noch 
stärker betont, und gewiss sind es Ausführungen dieser Arbeit ge- 
wesen (ich wüsste wenigstens nicht, welche anderen), die Schalow 
(J. £. Orn. 1905, p. 245) als „eigenartige zoogeographische Ideen® 
und als „Anlehnung an einige jüngere Vogelkundige* kritisiert. 

Erlanger war ein begeisterter Vertreter des Formenkreis- 
studiums. „Hoffentlich werden sich auch noch mehr Anhänger zu 
der Auffassung der Formenkreise oder Ringe der einzelnen Arten 
bekennen, welche gewissermassen aus Unterabteilungen, den zoo- 
geographischen Formen, bestehen.“ So schrieb er in der Einleitung 
der genannten Arbeit. Aber gerade diese Arbeit beweist klipp 
und klar, dass Carlo von Erlanger kein Mann war, der sich an 
andere anlehnte, beweisst ferner, dass ich kein Mann bin, der 
andern seine Ansicht aufzudrängen sucht: Ich muss darum jetzt 
noch die Frage meines toten Freundes beantworten: Warum „Falco 
Hierofalco“ und nicht „Falco islandus* für die Jagdfalken? 

Weil Falco Hierofalco 1901 (nee 1817) ein neuer Name für 
einen neuen Begriff ist. 


9 Otto Kleinschmidt. 


Subgenus und Species sind menschliche Gehirnprodukte, die 
sich von zwei Seiten her dem Naturprodukte, das sie ausfindig 
machen wollen, nur nähern. Der neue Begriff fällt völlig mit 
einem wirklich in der Natur ausserhalb des Menschen ganz real 
vorhandenen Etwas zusammen. Und dies neuentdeckte Etwas 
ist so scharf umschnitten wie ein Kristall. Man flickt mit neuem 
Tuch nicht alte Lumpen, wenn man das Zeug zu einem neuen 
Kleide hat. 

Das Bild, das Linne von der Natur hatte, war falsch. 
Das Bild, das Darwin von der Natur entwarf, ist gleich- 
falls falsch. Ein neues Naturbild entrollt sich heute 
durch die Funde weniger wenig beachteter ornitholo- 
gischer Systematiker vor unseren Blicken. Erlanger war 
sich der Tragweite seiner Funde noch nicht ganz bewusst, aber er 
hat die ersten und wertvollsten Linien zu dem neuen Bilde mit 
ziehen helfen. 

Wir nehmen von dem alten unbrauchbaren Kleide nur die 
wertvollen Schnallen und die Knöpfe, die Gattungs- und Formen- 
Namen seit 1758, aber neues Tuch ab anno 1900, und ich wette, 
das neue Kleid wird der Natur passen wie angegossen. 

Ich habe meine Freunde und mich hier mit Schneidern ver- 
glichen. Ein Grösserer als wir alle hat ja einst auch also getan. 
Wer sich von den folgenden Worten getroffen fühlt, möge es 
daher nicht übel nehmen, wenn auch er mit einer höchst ehrbaren 
Berufsklasse von Menschen verglichen wird. 

Es waren einst zwei Nachtwächter, die in bitterer Fehde 
lebten. Was war der Grund? — Der eine sang: „Bewahrt das 
Feuer und auch das Licht!‘ Der andere sang: „Verwahrt das 
Feuer und auch das Licht!“ Das konnte keiner dem andern ver- 
zeihen. 

Gelehrte aber sollten sich über nebensächliche Äusserlich- 
keiten nicht aufregen und lieber ihre Augen dem hellen Tages- 
lichte öffnen, statt den Nachtgesang vergangener Jahrhunderte teils 
in zweinamiger, teils in dreinamiger Form weiterzusingen. 

Carlo von Erlanger hat die nomenklatorischen Fragen manch- 
mal zu sehr in der Weise gelöst wie Alexander der Grosse den 
gordischen Knoten, aber wenn wir beisammen waren, hatten wir 
wirklich über Wichtigeres zu reden als über Nomenklaturfragen. 
Wir sammelten um die Wette schöne Falkenserien, und wie freuten 


Zur Ehre der Toten! 3 


wir uns, bei gegenseitigen Besuchen vor allem diese kostbaren 
Neuerwerbungen würdigenden Blicken vorzulegen und die Sache, 
nicht die Namen, zu besprechen. 

Daher nun die Frage, warum Falco Hierofaleo, warum nicht 
bei aller Übereinstimmung in der Sache, um der lieben Einigkeit 
willen, die Nomenklatur wie sie Hartert und Erlanger gewählt haben ? 

Ich lasse die Tatsachen selbst die Antwort geben: 

Den nordostafrikanischen Jagdfalken (Falco Hierofalco) nennt 

Hartert: Falco biarmiecus tanypterus, 
Erlanger: „ islandus R 

Den Falco islandus nennt aber 
Reichenow: Falco rustieolus L. 

Den tanypterus spaltet Neumann (J.f. 0.1904, p. 369 u. 405) 
in die Formen abessynieus, tanypterus und eine unbenannte nord- 
ägyptische Form, seinen abessynicus trennt er nochmals, ohne Neu- 
benennung, in eine nördlichere und südlichere Form. 

Beinahe so viel Geschmacksrichtungen gab es in der Zeit vor 
Linne. 

Ich sage Falco Hierofalco ist ein Kreis von Formen, deren 
Einheit nur der bezweifeln kann, der noch nicht genug Vögel 
gesehen und die Skelette nicht untersucht hat. 

Innerhalb dieser scharf gezogenen Linie mag man in der 
Formenscheidung so weit gehen, wie man kann, mag binär oder 
trinär benennen. 

Dass Übergangsformen innerhalb des Formenrings entdeckt 
würden, habe ich vorausgesagt. Ob es wünschenswert sei, alle zu 
benennen, daran zweifelt Neumann selbst mit Recht. 

Wie viel einfacher also, wenn man sagen kann „Falco 
Hierofalceo von Nord-Abessynien“ statt zu sagen „Falco 
biarmicus abessynicus, aber der ganz richtige abessynicus 
ist es nicht.* Die alte Nomenklatur wendet die Namen fort- 
während doppelt an in einem genauen und einem ungenauen Sinn. 
Wie viel wissenschaftlich korrekter, wenn man sagen kann: „Nach 
dem von Neumann untersuchten Material ist Falco Hierofalco 
in Unterägypten, Oberägypten-Nubien, Nordabessynien, Schoa nicht 
gleich gefärbt, die Form tanypterus also auf die oberägyptisch- 
nubischen Vögel zu beschränken. Ob die Untersuchung weiteren 
Materials unter Beachtung der individuellen Schwankung, der Alters- 
unterschiede, des Verbleichens der Farben ın der Brutzeit Zu- 


4 Otto Kleinschmidt. 


sammenfassung in vier, drei, zwei oder eine Form ermöglicht, 
bleibt abzuwarten.!) 

Bei meiner Nomenklatur gibt es also keine namenlosen In- 
dividuen, daher wenig neue Namen, aber gründliche Fixierung der 
vorhandenen Namen. 


Deshalb Falco Hierofalco! 


Ein Einwand, den Erlanger nicht erhoben hat, den aber andre 
erheben könnten, ist der, dass es Übergänge zwischen den Formen- 
kreisen geben könne. Hier kommt der Ausspruch Cabanis’ zu 
Ehren: „Übergänge von einer Art zur andern gibt es beiläufig in 
der Natur nicht, es wären denn Bastarde“* Das gilt von den 
Formenkreisen. Ich formuliere die These so: Übergänge zwischen 
zwei Lebensringen sind entweder Bastarde oder Glieder eines 
dritten Lebensrings. Wirkliche Zwischenglieder sind bis jetzt nicht 
gefunden. Neumann will solche gefunden haben z. B. in Falco 
fasciinucha ein Mittelglied zwischen dem Formenkreis des Falco 
barbarus und dem Falco cuvieri. Ich halte das für einen ganz 
schweren Irrtum, den das erste @ von Falco fasciinucha (er ist 
noch Unicum) besser widerlegen wird, als alle Worte. 

Hier hat Erlanger im Gegensatz zu Reichenow und Neu- 
mann mit dem Auge des Falkenkenners die wahre Verwandt- 
schaft erkannt. Falco fasciinucha ist ein zwerghafter rotnackiger 
Wanderfalke. 

Nun ist aber Erlanger seinerseits in einen Irrtum geraten. 
Er hat einen am 15. April 1899 zu Heldra bei Treffurt erlegten 
deutschen Wanderfalken, ein etwas kleines, einmal vermausertes 
Männchen mit rötlichen Nackenflecken und 29,3 cm Flügellänge als 


Falco barbarus germanieus 
beschrieben. Es ist dies das auf dem Titelbild abgebildete Stück 
seiner Sammlung, an dem ich wesentliche Unterschiede vom deutschen 
Wanderfalken nicht entdecken kann. Wie kam Erlanger zu dieser 
eigenartigen Ansicht? — Er nahm auf Grund der Literatur ünd 
allgemein verbreiteter Ansicht an, dass der Falco barbarus und 
peregrinus 2 Arten seien. Für diesen Irrtum ist nicht Erlanger 


1) Meine beiden prachtvollen alten Abessynier (von Schrader ge- 
sammelt) beweisen auch, wie schon von Neumann zugegeben, dass der 
Hauptunterschied seines „abessynicus“ schwankt. Das Männchen hat 
keine, das Weibchen (vom selben Platz) eine sehr breite Stirnbinde. 


Zur Ehre der Toten! 5 


verantwortlich zu machen, sondern ein alter Fehler, der seit 
1859 die Falkenliteratur verwirrt. Damals wurde der Falco bar- 
barus Linn& gewissermassen neu entdeckt im Atlas. Vielleicht 
aus Unkenntnis der Tatsache, dass bei den Wanderfalken auch 
das g' brütet und Brutflecken hat, wurden Vögel, die sicher ihrer 
Grösse nach nur Yo! sein können, für 2 2 gehalten. Obschon 
Salvin 2 junge lebende Vögel aus demselben Horst erbeutete, 
ein grosses @ und ein kleines rotnackiges 5‘, welche sehr ge- 
eignet waren, jene falsche Geschlechtsbestimmung zu korrigieren, 
traten die besten Autoritäten, Gurney, Dresser, erst kürzlich 
wieder Arrigoni degli Oddi in seine Fussstapfen. 

Es ist hier zu sehen, welche grosse Rolle die Suggestion selbst 
in der nüchternsten Wissenschaft spielt. Wenn man so ein Werk 
nach dem andern aufschlägt und säuberlich immer wieder Falco 
peregrinus und barbarus als nebeneinanderlebende Arten be- 
schrieben findet, die Massangaben vergleicht, dann fällt es ordent- 
lich schwer, vorurteilslos an die Sache heranzutreten. Man ist sehr 
barbarısch mit dem Falco barbarus umgegangen; man hat 
ihn von seiner rechtmässigen Gattin getrennt und diese als Falco 
punicus!) oder peregrinus von seiner Seite gerissen. Die 
Vögel, die man seither als Faleo barbarus bezeichnete, sind 
weiter nichts als die Männchen und hellen Exemplare süd- 
licher Wanderfalken. Einen mehr oder minder versteckten 
roten Nackenfieck besitzen von meinen vielen Wanderfalken 
die meisten, besonders aber die Männchen. Der ausgeprägte 
barbarus-Typus (deutlicher Nackenfleck und schwache Zeichnung 
auf der Unterseite) ist offenbar ein Wüstenkleid.. Ob in Nord- 
afrika dieser Wüstencharakter des Vogels ähnlich wie bei den 
Haubenlerchen mit der Entfernung von dem Meere abnimmt, lässt 
sich schwer ermitteln, da schon Wanderfalkengeschwister aus den:- 
selben Horst variieren. 

„Auch unsre deutschen Wälder bergen als Brutvogel einen 
Barbarusfalken“, sagt Erlanger. Das ist vollkommen richtig, 
nur dahin zu vervollständigen, dass alle bei uns brütenden Wander- 
falken nichts anderes sind, als germanische Falco barbarus, 
die nördliche Form ganz desselben Vogels. Es ist geradezu ein 
grosses Verdienst Erlangers, dass seine Arbeit zu der Alternative 


!) Erlanger zieht F. punicus richtig zu barbarus. 


6 Otto Kleinschmidt. 


drängt, entweder zwei durch die ganze Welt selbst in Deutsch- 
land nebeneinander herlaufende, nicht unterscheidbare, geheimnis- 
volle Falkenarten F. peregrinus und barbarus anzunehmen oder 
einzusehen, dass unser altbekannter Falco peregrinus in „Falco 
barbarus L.“ seinen ältesten Speciesnamen hat. 

Die übliche Nomenklatur muss also fortan den Namen „Falco 
peregrinus“ ausstreichen und dafür „Falco barbarus peregrinus“ 
setzen oder nur „Falco barbarus“ im Falle, dass jemand auf 
feine geographische Unterschiede nicht eingehen will. Damit wäre 
nun die Nomenklatur der Wanderfalken endgültig erledigt, wenig- 
stens soweit es den Namen „barbarus“ betrifft. Aber obschon er 
aus dem ersten Jahr der Linneschen Nomenklatur stammt (1758), 
wird seine Priorität nicht unangefochten bleiben. Ich habe darum, 
um dem stetigen Umkrempeln ein Ende zu machen, sämtliche 
Wanderfalken der ganzen Welt 


Falco Peregrinus (1901) 
genannt. Die Schüler Linnes und Darwins brauchen den Namen 
ja nicht anzuwenden, aber die einen sollen mir einen festen 
Namen, die andern einen Übergang zu Falco Hierofalco 
weisen, wenn sie können. 

Auf die geographische Variation des Falco Peregrinus 
will ich heute nicht genauer eingehen, und nur bemerken, dass 
Falco Peregrinus wie gesagt oft in Deutschland zwei kleine 
rote Nackenflecken hat, dass in Nordafrika die Jg’ wohl meist, 
die 2 9 wohl seltener deutliche Nackenfleckung tragen. Im 
Osten, schon in Ägypten wird das Rot auf dem Kopf der JG 
ausgedehnter, und auch beim Q® zeigt sich häufiger Rot im Nacken. 
Diese geringe Verschiedenheit gab zur Absonderung des Falco 
Peregrinus babylonicus Veranlassung, der als eine Annäherung 
an seinen Nachbar, den sehr hellen Falco Peregrinus leuco- 
genys aufzufassen ist, sich aber schwer definieren lässt. Als ich 
im Britischen Museum vor Jahren das reiche Peregrinus-Material 
durchmusterte, rief mir der stets humorvolle Sharpe resigniert 
zu: „Diese alten peregreinus! Wer sich mit denen abgibt, lebt 
nicht lange!“ Ich suchte aber nur die Brutvögel heraus und 
hatte bald ein klares Gesamtbild vor mir. Ich weiss noch, wie 
sehr es mich frappierte, einen spanischen leucogenys zu finden. 
Noch mehr erstaunte ich in diesem Frühjahr, als mir Hilgert 
einen Mitte April frisch aus dem Elsass erhaltenen leucogenys 


Zur Ehre der Toten! T 


zeigte von einem der früheren Lieferanten Carlo von Erlangers. 
Die genauere Besichtigung dieses zur Brutzeit in Westdeutschland 
erlegten sehr hellen Wanderfalkenweibchens ergab, dass es noch 
keine Brutflecken hatte, Hilgert erinnerte sich, dass das 
ovarıum noch unentwickelt war und eine Anfrage an den be- 
treffenden Forstmann ergab, dass der Vogel nicht am Horst er- 
legt war, sondern an einem vom Falken bevorzugten Ruheplatz. 
Ich erwarb das interessante Stück für meine Sammlung. Es ist 
merkwürdig, dass ich von demselben Winter 2 Stücke dieser grossen 
hellen östlichen Wanderfalkenform aus Deutschland erhielt. Die 
Erbeutung des andern, eines jungen Weibchens, das am 29. No- 
vember letzten Jahres hier geschossen wurde, habe ich in den Orn. 
Monatsberichten mitgeteilt. Seebohm fand in Sibirien (Lat. 69'/,) 
Mitte Juli (!) eimen Horst mit 4 bebrüteten Eiern. (Ibis 1878, 
p. 323.) Hall nahm an der Lena am 21. Juli (!) einen Horst 
mit Jungen aus und erlegte das alte Q@. Dieses wurde von Hartert 
als leucogenys bestimmt. (Ibis 1904, p. 427.) Der von Brehm 
offenbar nach deutschen Zugvögeln beschriebene Falco Pere- 
grinus leucogenys ist also im April noch auf dem Zuge, 
weil da in seiner Heimat noch ‚Winter ist. Er brütet erst im 
Hochsommer, zu einer Jahreszeit, wo die deutschen Wanderfalken 
lange ausgeflogen sind. Die nordischen und östlichen Wander- 
falken wandern durch die Gebiete der südlichen Formen sogar zu 
einer Zeit, wo diese schon brüten. Ein Zusammenbrüten 
zweier Falco Peregrinus-Formen im selben Gebiet kommt 
nicht vor, es handelte sich denn um einzelne in einem vereinzelten 
Jahr verirrte Stücke. 

Auf andere Arbeiten über Wanderfalken komme ich viel- 
leicht später zurück. Der Inhalt von Erlangers Skizze ist hier- 
mit gleichfalls nicht entfernt erschöpft. Ihren Zweck, eine An- 
regung zu bilden, verfehlt sie sicher nicht. Auf Grund des Irr- 
wegs, den so ziemlich sämtliche Lehrbücher eingeschlagen hatten, 
musste eine konsequente Untersuchung diesen Weg gehen und sehen, 
wohin er führt. Der Hauptwert der kleinen Skizze ist aber der, 
dass sie das zoogeographische Grundgesetz deutlich macht: 

Wo ähnliche Tiere nebeneinander dauernd vor- 
kommen, handelt es sich entweder um zwei grund- 
verschiedene Formenkreise oder um individuelle 
Varietäten, aber nicht um „verwandte Arten‘. 


g Otto Kleinschmidt. 


Wenn auch fernere Studien neben den rotrückigen Wander- 
falken überall blaunackige Stücke nachweisen, so haben wir doch 
nur eine Parallele zu den Variationen der Scheitelfärbung bei Falco 
Hierofaleo.. Ohne verwandtschaftliche Gründe werden die scharf- 
getrennten Formenkreise beide in Afrika blond bez. rotköpfig. Die 
dortigen Schwarzköpfe sind keine „peregrini“. Der germanische 
Vogel mit blondem Kopf kann unter seinen Ahnen afrikanisches 
Blut haben, braucht es aber nicht. Wie in der Anthropologie 
darf man nicht zu viel Rassengeheimnisse in das vereinzelte Blond 
und Schwarz legen. Ich male seit einiger Zeit alle meine Bilder 
nur noch mit 3 Farben. Wenn man weiss, dass in jedem Schwarz 
Rot enthalten ist, dann wird man es verstehen, dass in dem roten 
Genickfleck nur gleichsam eine sonst verdeckte Farbe zum Vor- 
schein kommt und nicht etwas Neues. Das zeigt sich bei Ver- 
schiebung der Genickfedern wunderschön, denn die Flecken er- 
scheinen oder verschwinden oft je nach der Präparation des Balges. 

Diese Blondköpfigkeit des Falco Peregrinus tritt an so 
vielen Stellen der Erde auf, dass daraufhin der Versuch gemacht 
werden konnte, einen rotköpfigen Formenkreis aufzustellen. Die 
Annahme, dass alle diese Falken mit Nackenfleck Nachkommen 
einer zufälligen Varietät oder Mutation wären, ist unmöglich, 
weil bei Falco Hierofalco nicht rein zufällig die Sache genau 
ebenso sein kann. Das ist für mich hier zunächst das wichtigste 
Ergebnis. 

Carlo von Erlanger war der einzige, der meine Arbeit 
über Falco Hierofalco (Aquila, 1901) voll und ganz verstanden 
hat, der einsah, dass die dort angewandte neue Nomenklatur nicht 
die Hauptsache, dass die dort gegebene Betrachtungsweise kein 
blosses „Schema“ ist, dass es mir nicht um das Bestimmen von 
Falkenbälgen und ihre Kennzeichen zu tun war, sondern um die 
Ermittlung der Tatsache: Falco Hierofalco ist nirgends mit 
Falco Peregrinus verknüpft. Die geographischen Varian- 
ten beider bilden keine divergierenden zufälligen Ent- 
wicklungsgänge, sondern einen gesetzmässigen Paralle- 
lismus. Die gleiche Ausarbeitung des Formenrings Falco Pere- 
grinus war jener Arbeit logisches Postulat. 

Darum war ich es dem Toten schuldig, ihm hier das erste 
Wort zu widmen, in dem Augenblick, wo der 1901 angedeutete 
Plan zur Verwirklichung reif ist. 


Zur Ehre der Toten! 9 


II. Eine Ehrentafel für Gaetke. 


Es war ein schöner Gedanke, das Andenken des verdienten 
„Vogelwärters* von Helgoland durch Anbringen einer Erinnerungs- 
tafel an dem einst von ihm bewohnten Hause zu ehren. Ich habe 
mein Scherflein dazu beigetragen mit dem Empfinden, dass die 
neueste ornithologische Literatur über Gaetke ihm eine Gedenk- 
tafel errichtet hat, die mit jener Ehrung im schärfsten Widerspruche 
steht. Sie besagt: 
Das Erinnerungsbild, das wir von Gaetke haben, ist falsch, denn 
1) von ganzem Herzen sehnte sich Gaetke von Helgoland weg, 
er hätte seinen Beobachterposten aufgegeben, wenn es seine 
finanziellen Mittel erlaubt hätten; 

2) er war „Am Ende der Dinge* erfüllt von dem Wunsche, seine 
Sammlung möglichst vorteilhaft zu Geld zu machen; 


3) gerade die Resultate seines Forschens, die ihn zum berühmten 
Manne machten, sind nichtig (selbständiger Zug der jungen 
Vögel, Höhe des Wanderflugs, Zug des Blaukehlchens, Umfärbung). 


Als ich die ad 1 und 2 erhobenen Anschuldigungen las, die 
ein Freund Gaetkes (lediglich — dies sei ausdrücklich betont 
und anerkannt — aus ehrlicher Wahrheitsliebe) erhob, musste ich 
unwillkürlich an das Wort denken: „Gott behüte mich vor meinen 
Freunden, vor meinen Feinden will ich mich schon selber retten.“ 
Ich habe einmal gesagt, dass Gaetke eine seiner Hypothesen etwas 
naiv formuliert habe, und auf Grund dieses Wortes hat man mich 
in die Debatte gezogen. Ich habe Gaetke nicht gekannt und habe 
keinerlei persönliche Beziehungen zu ihm, aber die Schlussworte 
jenes Artikels trieben mir, um dem Verfasser mit seinen eigenen 
Worten zu entgegnen, „die Galle ins Blut“, Ich kannte Gaetke 
nicht, aber ich kenne das isolierte Leben in der Einsamkeit. Ich 
fühle mich wohl darin, aber ich möchte wissen, ob Herr Schalow 
sich nicht langweilen würde, wenn er etwa durch ärztliche Ver- 
ordnung dazu verdammt würde, nur zwei volle Jahre ununter- 
brochen auf Helgoland zuzubringen, auch bei „strömendem Regen 
und qualmendem Nebel!“ Die Zugzeit bietet ja dort dem Ornitho- 
logen einzigartige Beobachtungsgelegenheiten, der Zug setzt fast 
nie ganz aus, aber wenn Jahr für Jahr im wesentlichen dasselbe 
Bild sich wiederholt, wenn die interessanten Ausnahmen und Iır- 


10 Otto Kleinschmidt. 


gäste ausbleiben, wenn der öde Winter kommt, und man kann 
nicht in die Ferne ziehen mit begüterten Badegästen und mit den 
beflügelten Wanderern, darf sich da nicht in einer „einsamen“ 
Menschenbrust das Fernweh regen? Ist es da ein Zeichen einer 
kleinen Seele, wenn der eingesperrte Zugvogel an den Käfig- 
wänden seines Geschicks flattert? Ich kenne dies Gefühl, Gott sei 
Dank, nicht, aber ich kann es verstehen. Wenn Schalow Gaetkes 
Eigensinn durch sein isoliertes Leben erklärt, warum entschuldigt 
er damit nicht auch sein Fernweh, das noch viel „erklärlicher* ist. 

2) Gaetke wollte Geld machen? Beweist das, dass er der 
Wissenschaft nicht dienen wollte? Wo sind die Ehrenmänner, 
denen es an Geld fehlt und die trotzdem keins verdienen wollen? 
Wenn Gaetke „zur Erhaltung seiner Familie dringend“ Geld 
brauchte, dann wäre es unmoralisch, dann wäre es eine Versündigung 
an seinen Angehörigen gewesen, wenn er sein Buch und seine 
Sammlung verschenkt hätte. Die Ornithologie ist aber eine noble 
Passion. Was heisst das? Erst muss jemand mit grossen Ver- 
lusten an Zeit oder Geld eine Sammlung anlegen. Dann darf er 
gratis Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen, 
damit die Schmarotzermilane des zoologischen Schriftstellertums 
Futter haben. Damit seine Artikel gelesen werden, muss er sie 
den Lesern der betreffenden Zeitschrift nochmals im Separatdruck 
zusenden und die wichtigsten Stellen rot anstreichen. Will er seine 
Sammlung sichern, so muss er sie verschenken oder sie wie alten 
Plunder, seine Arbeit unter Tagelöhnerpreisen verkaufen. Eine 
Sammlung, die so viel wichtige Belegstücke, so viel Unica enthält, 
wie die Gaetkes, war doch Geld wert. Wenn mehrere Arten falsch 
bestimmt waren (ich selbst habe auf solche Bestimmungsfehler 
aufmerksam gemacht), dann war es um so wichtiger, die Samm- 
lung in öffentlichen Besitz zu bringen. Warum haben die Berliner 
Herrn nicht durchgesetzt, dass sie nach Berlin kam? Hat Gaetke 
vielleicht da von seinen Freunden etwas erwartet, worauf sie in 
ihren Gedanken nicht kamen? Waren Gaetkes vertrauliche Mit- 
teilungen dazu bestimmt, nach seinem Tode veröffentlicht zu werden ? 
Aber ich will hier ganz und gar nicht gegen Herrn Schalow 
polemisieren. Es tut mir recht leid, dass gerade er auch in 
diesem zweiten Artikel der Gegenstand meines Angriffs sein muss. 
Ich verspotte in seinen Gedanken nur die allgemein herrschenden 
Ansichten und Begriffe, die die Ornithologie zu einem Kinde 


Zur Ehre der Toten! al 


machen, das nicht fähig ist, sein eigen Brot zu verdienen. Das 
ist aber ein ungesunder Zustand, denn lebensfähig muss unsere Arbeit 
sein. Gaetke war Maler. Wenn jeder Künstler seine Werke verschenken 
sollte, was würde aus der Kunst und ihren Werken? Gaetke dachte 
auch von seiner ornithologischen Arbeit nicht so gering, dass er sie 
nicht „ihres Lohnes wert“ erachtet hätte. Er hatte vielleicht auch 
von dem Wert seiner Sammlung einen nicht zu niedrigen Begriff. 
Es ist doch besser eine Sammlung wird rechtzeitig verkauft, als 
wenn sie jahrzehntelang wie die Brehmsche Sammlung der Gefahr 
der Vernichtung ausgesetzt ist. Herr Schalow ist in dieser Hin- 
sicht eben ein Ausnahmemensch und darf andere nicht nach sich 
selbst beurteilen. Er hat mir, als ich zum erstenmal in seinem 
gastfreien Hause weilte, in gewinnender Liebenswürdigkeit eine 
ganze stattliche Eiersammlung geschenkt, und zwar viel Schönes 
und Wertvolles, ich erwähne nur ein Ei von Didunculus strigi- 
 rostris, ein schlesisches Pratincola Atricapilla-Bi, viele | 
Eier der Nauwerkschen Sammlung, die vor einem Menschenalter 
gerade da, wo ich jetzt wohne, gesammelt worden sind. 

Verehrtester Freund, ich kehrte damals von Ihnen heim wie 
Odysseus von den Phaeaken, und doch muss ich gestehen, ich 
führte die Eierkiste von dannen wie ein verstossenes Kind. Treskow 
und Krüger-Velthusen haben mir mit der unverhehlten Wert- 
schätzung jedes Stücks ihrer Sammlungen geistig ebensoviel oder 
mehr gegeben für meinen Sammel- und Arbeitseifer. Verdammen 
Sie Gaetke nicht, wenn er nicht so nobel war wie Sie! Sie sagen, 
dass er sich nie entschliessen konnte, ein seltenes Stück aus den 
Händen zu geben. Ich achte diesen Sammlergeiz ebenso hoch wie 
Ihre liebenswürdige und vornehme Freigebigkeit. Er dient auch 
der Wissenschaft. 

Und nun ad 3. Bedenken wir, in welche Zeit Gaetkes Be- 
obachtungen zurückreichen. Wieviel haben da andere geirrt! Wie 
werden wir nach 50 Jahren überholt sein! Wie lange ist es denn 
her, dass noch unsere ersten Autoritäten felsenfest an die Um- 
färbung glaubten, und einige scheinen noch heute das Trugbild, 
das uns die Natur vorspiegelt, nicht völlig durchschaut zu haben. 
Dass Gaetke die Höhe des Wanderfluges überschätzte, unter- 
liegt keinem Zweifel, aber ist die Annahme, dass Wandervögel 
einem Luftballon sich nähern müssten, statt ihm schon von weitem 
auszuweichen, nicht auch ein Trugschluss? Das Helgoländer 


12 Otto Kleinschmidt. 


Blaukehlehen kommt nicht von Ägypten in einer Nacht, aber 
doch hat Gaetke hier unsere Aufmerksamkeit auf eine der inter- 
essantesten Zugerscheinungen gelenkt, dass nämlieh die west- und 
ostskandinavischen Blaukehlchen von verschiedenen Seiten her an- 
ziehen. Man muss eben Gaetkes Verallgemeinerungen auf Helgo- 
land beschränken. Dass dort die alten Stare nach den Jungen, 
die alten Steinschmätzer spät im Herbst eintreffen müssen, wie 
Gaetke auf Grund langjähriger Erfahrung behauptete, ist ganz 
selbstverständlich, wenn man weiss, dass die alten Stare (das ist 
bei vulgaris, faroönsis und unicolor der Fall) zu der Zeit, wo die 
Jungen ihre grösseren Ausflüge beginnen, in voller Flügelmauser 
stehen, dass dann auch die Jungen mausern, während bei den Stein- 
schmätzern die alten Vögel zur Zugzeit der Jungen, die die 
Schwingen überhaupt nicht wechseln, infolge der Mauser fast flug- 
unfähig sind, wenigstens weit übers Meer den Jungen ohne 
Schwanz und mit halben Schwingen schwerlich folgen können. 
Man vergleiche nur, wie prächtig Gaetkes Angaben zu dem Mauser- 
kalender dieser beiden Arten stimmen. Der Hauptwert von Gaetkes 
Arbeiten ist aber doch gerade der, dass er seine Gedanken nicht 
verschwieg, sondern zur Bearbeitung einer Menge interessanter 
Probleme Anregung gab. Die Behauptung vom selbständigen Zug 
junger Vögel unabhängig von der Führung der Eltern, die gewiss 
mancher ornithologische Praktiker von seinen wissenschaftlichen 
Jagden her bestätigen kann, führt uns weiter zu der Frage: Wenn 
die Führung der Eltern nicht notwendig ist, was gibt dann dem 
Vogel die Sicherheit der Zugrichtung? Ein Fernweh ohne geo- 
graphische Kenntnisse im Herbst, ein Heimweh ohne geographische 
Kenntnisse im Frühling? Aber das treibt nur an; was führt? 
Gaetke drängt uns zur Lösung der Frage. Vom zeitlichen Motor 
abgesehen, was ist der Lenker? Der alte Vogel nicht. — Der 
Zufall? — Nein, ein irres Ausstrahlen nach allen Richtungen, wobei 
eine Richtung zufällig die richtige ist, das ist der Vogelzug selbst 
bei einmaligen Wanderungen trotz aller Irrgäste nicht. Der Instinkt? 
Das ist eine Umschreibung des Problems, wenn auch durchaus 
keine schlechte, Das Problem lautet: Wie hat der weltenordnende 
Geist diese Ordnung in die Massen gelegt, die der Mensch sieht, 
ohne sie zu verstehen? Es bleiben zwei Fragen: Lebt im Gehirn 
des drei Monate alten Vogels erblich fixiert die Erfahrung von 
tausend Vorfahren, welche die Gefahren der Reise überstanden? 


Zur Ehre der Toten! 13 


Das ist auch nur eine Umschreibung. Zum mindesten ist dies eine 
Frage, an die wir erst herantreten werden, wenn wir die zweite 
verneinen dürfen: Lässt sich der Vogelzug statt aus vergangenen 
aus gegenwärtigen Ursachen erklären, aus der Organisation des 
Vogels und geographischen Gründen? Hier nur eine Andeutung: 
Ein Weg mag bis zu einem gewissen Punkte eine schwache Steigung 
haben, die ein Fussgänger nicht gewahr wird, und die das Auge 
nicht erkennt. Ein schnell dahinsausender Radfahrer fühlt aber 
diese Steigung als anregenden Widerstand bei frischer Kraft oder 
als erschwerendes Hindernis bei müden Muskeln. Je schneller die 
Fahrt, je grösser die Ermüdung, desto empfindlicher wird er für 
dies Gefühl sein, das ihm auch in dunkler Nacht ganz sicher sagt: 
„Es geht bergan.“ Der noch schneller dahin eilende Wander- 
vogel könnte in seinen ermüdeten Flugmuskeln auch ein Gefühl, 
einen Sinn haben, der ihn etwas von dem Relief der überflogenen 
Länder empfinden lässt und ausserdem vielleicht noch andere Dinge, 
von denen der menschliche Sinn nichts wahrnimmt. 

Ich glaube, dass die Arbeit, die auf Zugbeobachtungen ver- 
wandt wird, sich noch einmal herrlich lohnen wird. Dann wird 
man sich Gaetkes erinnern. Die einzig wahre Ehrentafel für einen 
Gelehrten sind die Anregungen, die er gibt über seinen Tod hinaus, 
und nicht nur diejenigen, bei welchen er recht hatte. Die Männer 
die zum Teil erfolgreich Gaetke kritisierten, haben seinem An- 
denken besser gedient als die, welche eine Erinnerungstafel an 
seinem Hause anbrachten. Die alten Vögel brauchen nicht zu 
führen, aber manchmal fliegen doch gerade sie voran, bei 
gewissen Arten sind sie die Nachzügler. 

Mir sind die Geister sympathischer, die, ob alt oder jung, 
frisch vorwärts eilen, auf die Gefahr hin, einmal zu irren, wie 
Heinrich Gaetke und Carlo von Erlanger. Man soll kühn sein 
in Hypothesen, vorsichtig in Behauptungen. Aber wenn ein leb- 
hafter Geist sich für seine Hypothese begeistert, sie behauptet, so 
führt das umsomehr zur Arbeit, der Frage der Beweisbarkeit. 

Die Unfehlbaren im Hintertreffen, die da lehren, dass zwei- 
mal zwei vier ist und nicht vom Fleck kommen, die sind die 
Schlimmsten. 0. Kl. 


Falco. >) 


Mitteilungen über BERAJAH. 


Was ist BERAJAH? Ein zoologischer, zunächst nur orni- 
thologischer Bilderatlas mit begleitendem Text, der in einzelnen 
Heften, je einen Formenkreis (eine wirkliche natürliche Art) be- 
handelnd ausgegeben wird. Es wird kein Gewicht darauf gelegt, 
das Erscheinen der Hefte zu beschleunigen und das Werk zum 
Abschluss zu bringen. Sein Wert besteht vielmehr gerade darin, 
dass es eine 

Zoographia infinita 

werden kann, d.h. eine Darstellung der Tierwelt, die nicht ab- 
schliesst, sondern die mit der Wissenschaft fortschreitet. Jederzeit 
können neue Entdeckungen, Berichtigungen, Ergänzungen auf 
weiteren Blättern und Tafeln zu jedem beliebigen Hefte nach- 
geliefert werden, denn jedes dieser Hefte ist besonders paginiert 
und bildet eine Sammelmappe. Die Hefte kann jeder nach seinem 
Geschmacke alphabetisch oder systematisch ordnen. Zu viele werden 
es vorerst nicht. Eine einzelne herausgenommene Tafel oder Seite 
(wenn jemand ungeheftete Aufbewahrung vorzieht) trägt rechts 
oben den Namen des betreffenden Formenkreises oder Lebensrings 
nebst Zahl der Seite oder Tafel, so dass man auf den ersten Blick 
sieht, wohin jedes Blatt gehört. Wer an Stelle der von mir an- 
gewandten neuen Nomenklatur die alte Linn&sche oder die Hartertsche 
beibehalten will, möge diese neuen Namen lediglich als praktische 
Orientierung ansehen, die jedes Missverständnis ausschliesst. 

Es handelt sich hier keineswegs nur um ein Werk, 
das lediglich für die Fachleute und die Gelehrtenwelt 
bestimmt ist, sondern jedem Laien soll es verständlich 
sein und durch bildliche Darstellung die Sache anschau- 
lich machen. 

Andererseits ist es nicht ein Excerpt aus der Literatur, das 
nur das wissenswerte Bekannte zusammenfasst, sondern durchweg, 


Mitteilungen über BERAJAH. 15 


eine möglichst auf eigenen Studien beruhende Arbeit, die neues 
zu Tage fördern und altes unter neuen Gesichtspunkten zeigen soll. 

Was heisst Berajah? Das sage ich später. Wer das Wort 
kennt, weiss doch noch lange nicht, was es sagt. Vorläufig ist 
es nur ein Name, ein abgekürzter Titel für Zoographia infinita, 
der wohl jede Verwechslung mit einem andern Buch ausschliesst. 
Vor allem nun zu der 


geschäftlichen Seite 


des Unternehmens. Verleger ist die bekannte Lehrmittelfirma 
W. Schlüter in Halle a. S., Ludwig Wuchererstrasse 9, an welche 
alle Bestellungen, Anfragen und Zahlungen zu richten sind. Autor 
und Verleger verpflichten sich in keiner Weise zur Fortsetzung 
des Werkes oder zu bestimmten Erscheinungsfristen. Die Preise 
und Zeitfolge der Hefte werden so reguliert, dass die Anschaffung 
für jedermann selbst bei beschränkten Mitteln möglich und be- 
quem wird. Jede Lieferung ist einzeln käuflich. Niemand ist zur 
Abnahme des ganzen Werkes verpflichtet. Während der nächsten 
Jahre erscheinen voraussichtlich höchstens 5 Hefte jährlich, wahr- 
scheinlich sogar nur 2—3, in diesem Jahre höchstens 2. Der Preis 
für ein Heft beträgt höchstens 2 Mark exclusive Porto. Zu diesem 
Preise ist das Heft nur direkt vom Verleger innerhalb der ersten 
vier Wochen nach dem Erscheinen jedes Einzelheftes zu beziehen. 
Nachher erhöht sich der Preis auf 3 Mark und wird das Heft 
dem Buchhandel freigegeben. Zur Abnahme der Zeitschrift Falco 
ist kein Subskribent verpflichtet. Doch ist deren Bezug ratsam, 
da die Zeitschrift das Werk ergänzt. Hefte von geringerem Um- 
fang werden durch den grösseren Umfang anderer Hefte und durch 
Supplementtafeln ausgeglichen. Ob der Umfang der Probelieferung 
(6 bunte und 3 schwarze Tafeln) innegehalten oder überschritten 
werden kann, hängt von der Zahl der festen Subskribenten ab. 
Auf eine frühere Bekanntmachung hin hat sich eine grössere 
Anzahl von Subskribenten gemeldet, aber das Verhältnis derselben 
zu den Kosten der Auflage ist noch so gering, dass es im Inter- 
esse der Freunde des Werkes liegt, andere Interessenten darauf 
aufmerksam zu machen. Ich denke wie Gaetke: Die Auslagen 
müssen wenigstens herauskommen. Sonst ist das Werk nicht lebens- 
fähig. Zur Zeit ist es noch so, dass auf jedes verkaufte Heft 
ein Defizit von etwa 18 Mark Herstellungskosten kommt. Das 
9*+ 


16 Otto Kleinschmidt. 


zeigt vielleicht den geehrten Subskribenten deutlicher als alles 
andere, dass es sich hier um ein Ausnahme-Angebot handelt. 


Gelingt es nicht, die Zahl der Käufer rasch zu erhöhen, so 
muss der Preis des Werkes erhöht, die Auflage erniedrigt werden, 
und es wird dann ein Nachschlagebuch, das nur in wenigen Biblio- 
theken und bei einzelnen reichen Privatbesitzern zu finden sein 
wird. Dies war der ursprüngliche Plan, aber mein Versuch, das 
Werk zu billigem Preise jedermann zugänglich zu machen, wird 
hoffentlich dankbare Anerkennung finden. Ich habe mir vollständig 
freie Verfügung über Umfang und Ausstattung der Hefte gesichert. 
Dafür ruht auch das finanzielle Risiko wesentlich auf meinen 
Schultern. 

Viele Subskribenten haben bereits die Zusendung der Liefer- 
ungen gegen Nachnahme erbeten. Dadurch werden die Kosten 
des Vertriebs ganz erheblich verringert, was wieder dem Umfang 
der Lieferungen zu gute kommt. Man vergleiche die Bezugs- 
bedingungen auf der letzten Seite dieser Nummer. 

Ich habe eine Menge Anfragen erhalten, warum das Werk 
nicht durch den Buchhandel zu beziehen ist und will hier die 
Antwort geben: Ich kenne das ornithologisch interessierte deutsche 
Publikum sehr genau. 

Die Zahl der Fachornithologen ist verschwindend gering. Die 
zahlreichen Freunde des Vogelschutzes beherzigen leider nicht alle 
das Wort, dass man nur dann wirksamen Vogelschutz treiben kann, 
wenn man die Vögel gründlich kennt. Von den Oologen bedenken 
auch nur wenige, wie wichtig für sie genaue ornithologische Kennt- 
nisse sind, ohne die ihre Liebhaberei zu einer unwissenschaftlichen 
Spielerei herabsinkt. Unter diesen Umständen ist ein so gross 
angelegtes Werk buchhändlerisch unmöglich. Durch Freigabe des 
Werkes zu erhöhtem Preise denke ich aber auch den Wünschen 
des Buchhandels tunlichst entgegen gekommen zu sein. 


Ferner antworte ich allen denjenigen, welche mit Ungeduld 
das Erscheinen des angekündigten Werkes erwartet haben, dass 
es namentlich die tadellose Reproduktion der Tafeln war, die mich 
lange beschäftigte und aufhielt. Für einzelne Liebhaber können 
die Tafeln durch ein kostspieliges nachträgliches technisches Ver- 
fahren eventuell noch ein vornehmeres Aussehen erhalten, doch 
kann dies nur durch ein besonderes Abkommen mit der Kunst- 


Mitteilungen über BERAJAH. 17 


anstalt gegen Vergütung der Kosten geschehen. Ich werde darüber 
später in dieser Zeitschrift Mitteilung machen. 

Nun noch einige Worte über das Verhältnis zu anderen Werken. 

Das Krausesche Eierwerk, Ornithologia universalis palae- 
arctica, das auch von Schlüter zu beziehen ist und gleiches Format 
wie „Berajah“ hat, bietet zu meinem Werk eine vortreffliche Er- 
gänzung, denn es ist ganz ähnlich eingerichtet. Der oologische 
Teil wird nämlich ın Berajah nur kurz und unter anderen Gesichts- 
punkten behandelt. 

Das Hartertsche Werk, Die Vögel der paläarktischen Fauna, 
ist eine systematische Übersicht, die aber viele treffliche biologische 
Skizzen enthält. Ich komme bei anderer Gelegenheit auf dies Werk 
ausführlicher zurück. Da jeder Fachornithologe Harterts Werk 
besitzt, so kann ich die Synonymik der einzelnen Formen, wo ich 
nicht abweichender Ansicht bin, weglassen. Harterts Werk hat 
mit dem meinigen die genaue Ermittelung der geographischen 
Formen gemein. Da über diesen Gegenstand vielfach noch sehr 
thörichte Vorurteile verbreitet sind, so sei bemerkt, dass nur durch 
genaue Kenntnis dieser Formen eine Menge falscher Verallgemeine- 
rungen vermieden werden kann. Der Laie, dem der viele neue 
Stoff unbequem ist, macht sich oft darüber lustig, dass so viele 
„Subspecies* benannt wurden. Er bedenkt dabei gar nicht, dass 
die meisten längst benannt sind und dass hier in der Hauptsache 
die vorhandenen Namen es sind, welche gesichtet und richtig 
gruppiert werden. Man sollte den Leuten, die den „Augiasstall® 
reinigen, dankbar sein. Mein Werk wird durch bildliche Über- 
sichten wohl manchen, wenn er nun die Sache vor Augen hat, 
mit der von Tschusi, Erlanger, Hartert, Hellmayr und anderen 
vertretenen Naturauffassung aussöhnen. 

Mein Unternehmen erscheint vielleicht dadurch besonders kühn, 
dass es unmittelbar auf die Herausgabe des neuen Naumann 
folgt, der doch alles Wissenswerte über jeden Vogel zusammen- 
zufassen scheint. Ich will hier gewiss nicht den Wert dieses 
Werkes in Frage stellen. Im Gegenteil, ich hoffe, der neue Nau- 
mann hat die Kenntnis der Vogelwelt in unserem Vaterlande so 
weit gefördert, dass jetzt erst Werke wie das Hartertsche und das 
hier besprochene Beachtung finden können. 

Ich bin ja Mitarbeiter am Naumann gewesen, und die Korrektur- 
bogen des ganzen Werkes sind vor der Drucklegung auch durch 


18 Otto Kleinschmidt. 


meine Hände gegangen. So weit ich Zeit fand, sie zu lesen, habe 
ich vieles berichtigt und ergänzt, auch auf mancher fremden Tafel 
grobe Fehler beseitigt, wenigstens bei den zuerst erschienenen 
Bänden, wo der Herausgeber öfters meine Hilfe in Anspruch nahm. 
Aber deshalb bin ich keineswegs mit dem Inhalt des Werkes völlig 
einverstanden. Naumanns Ausführungen sind bekanntlich schon 
recht breit gehalten. Es wäre richtig gewesen, ganz genau Nau- 
manns Text mit allen Eigentümlichkeiten seiner Sprache wieder- 
zugeben und in kurzen Fussnoten die nötigen Ergänzungen und 
Berichtigungen zu bringen. Publikum und Verleger hätten sich 
dabei besser gestanden. Man hat doch nicht das Recht, die Worte 
eines Toten zurechtzustutzen und sie dann als sein Werk aus- 
zugeben. Es hatte seine Vorteile, aber auch seine Nachteile, dass 
so viele an dem Werk herumfeilten. Der Herausgeber scheint 
aber über den Begriff des geistigen Eigentums nicht ganz klare 
Begriffe zu haben. Wenn er es z. B. aus übertriebener Bescheiden- 
heit richtig fand, Mitteilungen, die ihm von Thielemann nach 
Riesenthals Tod gemacht wurden, so einzufügen, dass man meinen 
muss, Riesenthal hätte die betreffenden Worte geschrieben oder 
doch citiert, so ist das zwar kein grosses Unglück, aber doch nicht 
korrekt. So verbesserte also Riesenthal Naumann, Hennicke Riesen- 
thal und wenn heute ein wirklicher Fachmann den Naumann durch- 
sieht, so hätte er an manchen Stellen noch viel zu bemerken und 
gelinde gesagt, zu ergänzen. Wenn auch einzelne Teile des Werkes 
vorzüglich bearbeitet sind, so darf es doch nicht als das 
angesehen werden, was die deutsche ornithologische 
Wissenschaft zu leisten vermag. Ob viele der ersten Orni- 
thologen Deutschlands wissentlich übergangen worden sind oder 
ob sie, wie ich es von einigen weiss, stolz die Mitarbeit ablehnten, 
ist mir unbekannt. Trotz verschiedener Mängel der Redaktion 
müssen wir allen Beteiligten dankbar sein, dass das grosse Unter- 
nehmen des Verlegers — denn diesem haben wir unzweifel- 
haft in allererster Linie den neuen Naumann zu ver- 
danken — vollendet wurde. 

Die Zoographia infinita ist kein Konkurrenzwerk für den neuen 
Naumann — ich kann dessen Anschaffung jedem meiner Sub- 
skribenten nur empfehlen — sie geht zwar auch von den inter- 
essantesten Vertretern der heimatlichen Vogelwelt aus, aber sie 
soll zeigen, wie man Heimatkunde treiben muss: nämlich so, 


Mitteilungen über BERAJAH. 19 


dass man von dem der Anschauung zugänglichen Tierleben aus- 
gehend den ganzen Erdkreis überschaut und dann die heimatliche 
Forschung im Lichte des Ganzen betrachtet. So lehrt die Heimat 
die Welt draussen und dann die Welt draussen wieder 
die Heimat verstehen. Ich glaube, das ist der gesunde, normale 
Entwicklungsgang des Menschengeistes. Was tun aber unsere 
grossen wissenschaftlichen Prachtwerke? Sie errichten zwischen 
der heimischen Ornithologie und der Ornithologie anderer Erd- 
teile eine Scheidewand, die ganz unnatürlich ist, die dem Heimat- 
kundigen die Aussenwelt verschliesst und dem Tropenforscher die 
Heimat entfremdet. Dann aber geht der höchste Zweck ihrer 
Arbeit verloren. Andere beschränken sich auf ein Land, einen 
Erdteil und behandeln alle Arten. Ich nehme immer eine Art und 
verfolge sie über die ganze Erde. Es kommt mehr dabei heraus. 
Ich will kein stolzes Gebäude aufrichten, sondern die Mängel 
unseres Wissens, die Legionen ungelöster Probleme zeigen. Nie- 
mand kann mir einen grösseren Gefallen tun, als wenn er mich 
auf einen Fehler aufmerksam macht. Mein Werk soll darin das 
wissenschaftlichste von allen sein, dass es stets leicht verbessert 
werden kann. O: Kl. 


Alle Rechte bleiben vorbehalten. Die Benutzung der Abbildungen 
in anderen Werken, auch mit Quellenangabe, kann ohne meine und des 
Verlegers Erlaubnis nicht geduldet werden. In einer ganzen Reihe 
von ornithologischen Werken sind Abbildungen, die von meiner Hand 
herrühren, benutzt, ohne dass ich darum wusste. Es gibt sogar Zeichner 
die mit unglaublicher Kindlichkeit ein Bildchen kopieren und ihren 
Namen darunter setzen. Bei jeder Reproduktion geht schon etwas von 
dem Original verloren. Wenn aber gar Reproduktionen reproduziert 
werden, entstehen zuletzt Karrikaturen. Die beleidigen aber nicht nur 
das Auge, sondern sie schaden auch der Wissenschaft. 

(Bezugsbedingungen vergleiche weiter unten.) ORT 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein. 


Von Carl Hilgert. 


Seit der Publikation „Beiträge zur Ornis des Grossherzogtums: 
Hessen und der Provinz Hessen-Nassau von Chr. Deichler und 
OÖ. Kleinschmidt“, Journal für Ornithologie Oktober-Heft 1896, 
ist über die Fauna hiesiger Gegend und speziell von Ingelheim 
wenig mehr bekannt geworden. 

Ich gedenke nun an dieser Stelle eine Besprechung der Brut- 
und Zugvögel fortlaufend zu veröffentlichen. 

Wo es mir wünschenswert erscheint, werde ich Masse und 
Beschreibung der Vögel einfügen. Zu diesem Zwecke gestatteten 
mir die Eltern des verstorbenen Freiherrn Carlo von Erlanger 
gütigst die Benutzung seiner grossen Lokalsammlung. | 


1. Erithacus Poeta (Kl.) 

Hier kommt die Nachtigall ziemlich früh an, gewöhnlich 
zwischen dem 10. und 20. April. Herrscht in der Ankunftszeit 
kaltes Wetter, wo die Jg’ mit dem Singen nicht herauswollen, 
so ist es schwer, den Ankunftstag genau zu bestimmen. Sie leben 
dann auch noch sehr zurückgezogen und sind schwer zu beobachten. 

Ich notierte: 14. April 99: 1. Gesang; 

13. „ 02:1.Gesang; 
26. „ 03:1. Beobachtung, 1. Gesang 28. April;') 
13. „ 04:1. Gesang; 
1l. „ 05:1.Gesang, am 7. Mai die ersten Jungen. 

Erfreulicherweise hat sich die Nachtigall in den letzten 
Jahren hier am Rhein und speziell in Ingelheim sehr vermehrt; 
ich darf sagen, dass wir heute doppelt so viel Brutpaare haben 
wie vor 10 Jahren. 

!) Sehr schlechtes Wetter den ganzen April hindurch mag wohl 
schuld gewesen sein an dem verspäteten Ankommen. 


1) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Erithacus Poeta (Kl.) 24 


Von Interesse dürfte es sein, eine Erklärung für diese ge- 
waltige Zunahme zu geben. Wir haben diese dem uns durch ein 
so tragisches Schicksal entrissenen Carlo von Erlanger und 
seinen Eltern zu verdanken. 

Sie erwarben den grössten Teil der der Axt verfallenen Feld- 
gehölze längs des Rheinufers. Im Volksmunde heissen diese schon 
von Deichler erwähnten Waldstreifen „die Klauern“. Sie lieferten 
früher Holz, Gras und Streunutzung. Naturgemäss duldete der 
Bauersmann keinen Busch und Strauchunterwuchs in den zum Teil 
schon recht lichten Beständen. Heute sieht es da anders aus, 
überall bildete sich dichter Unterwuchs, und das ist's, was unsere 
Sängerkönigin liebt. 

Wenn auch in früheren Jahren in den Klauern 6—8 Pärchen 
brüteten, so hat sich ihre Zahl heute verdreifacht. 

Es finden sich ausserdem grosse Parzellen junger Schonungen, 
vorwiegend aus Fichten bestehend, durchsetzt mit Eichen, Birken 
und Lärchen. Wenn auch in diesen Anlagen früher nur wenige Paare 
sich häuslich einrichteten, so war das begreiflich, denn das Wasser 
fehlte oder war weit entfernt. Das nächste Wasser war die Selz, 
ein kleiner Bach, der einige hundert Meter entfernt vorbeifliesst. 
Man konnte da in den Morgen- und Abendstunden die Vögel nach 
dem Bache fliegen sehen, um zu trinken. Leider wurde mit der 
Zeit dieses Wasser durch die anliegenden Fabriken so verunreinigt, 
dass es fast ungeniessbar, wenn nicht direkt schädlich wurde. 

Um diesem Übelstande abzuhelfen, liess Baron von Erlanger 
in seinen Anlagen einen Brunnen mit Trinkplätzen errichten. Der 
Erfolg war grossartig. Heute brüten jährlich in einem verhältnis- 
mässig kleinen Bezirke (60 bis 70 Morgen) 12 bis 15 Paare. Sie 
nisten da fast ausschliesslich in den Fichten.!) Sie schleppen mit 
Vorliebe Eichenlaub zu grossen Bündeln zusammen, worin der 
tiefe, säuberlich mit feinen Grashälmchen ausgepolsterte Napf fast 


!) Wenn von anderer Seite (siehe Naumann) behauptet wird, 
dass sie den Nadelwald meiden, so muss ich dem widersprechen. Wir 
haben hier ausser den gemischten Schonungen Parzellen, die fast nur 
aus niederen Fichten bestehen, mit nur wenigen überschössigen Birken 
und alle beherbergen Brutpaare. Hier im Park, wo die denkbar günstig- 
sten Nistplätze sind, nisten jährlich regelmässig 2 Pärchen in einer reinen 
Fichtenschonung. Zwei dieses Jahr im Efeu an der Erde brütenden 
Pärchen wurde die Brut zerstört, was beide veranlasste, in einzelstehen- 
den Fichten, '/, bezw. ®/, m hoch, ihre Nachbrut zu zeitigen. 


2) 


22 C. Hilgert. 


verschwindet. Ein Nichtkenner wird so ein Bündel Laub nie für 
ein Nest halten, und ich muss gestehen, dass ich selbst schon davor 
stand und lange zusehen musste, um den brütenden Vogel zu 
erkennen. 

Sie zeitigen nur eine Brut. Wird aber das erste Gelege zer- 
stört, so bauen und legen sie zum zweiten, selbst zum dritten und 
vierten Male. Erfolgt die Zerstörung, wenn kleine, einige Tage 
alte Junge im Neste sind, dann wird auch ab und zu dieser 
Schmerz noch überwunden und zu einer weiteren Brut geschritten, 
doch will ich dies nicht als Regel aufstellen. Zwei Fälle sind 
mir aber bekannt, wo es geschah und ich unwiderlegliche Beweise 
hatte, dass es dieselben Paare waren. Das Q des einen Paares 
hatte den Schwanz verloren, das andere Paar brütete so isoliert, 
dass eine Verwechselung mit einem anderen Paare ausgeschlossen war. 

Aus vorigem Jahre ist mir ein Fall bekannt, wo einem Paare 
dreimal die Eier geraubt wurden, bis es endlich die vierte Brut 
gross brachte. Man sollte da meinen, die Vögel würden den Platz 
verlassen, man könnte es ihnen gewiss nicht verübeln, dem war 
aber nicht so. Nicht einmal entfernt voneinander wurden immer 
wieder die neuen Nester gebaut, sodass vier Nester auf einem 
Flächenraume von ca. 20 m im Quadrat standen. 

Wie schnell sie immer wieder bauten und legten, möge aus 
folgenden Daten ersichtlich sein. 

12. Mai 1 Ei im ersten Neste; 

19. „ 5 Eier ım zweiten Neste; 

29. „ 1 Ei ım dritten Neste; 

25. Juni 3 Eier im vierten Neste, die andern Tags ausfielen. 

Das dazu gehörige Z' sang ununterbrochen bis Ende Juni. 
Sonst hört man im allgemeinen Ende Juni, öfters schon um die 
Mitte dieses Monats selten mehr eine Nachtigall im vollen Schlage. 
Der Liebestaumel, der die alleinige Triebfeder ist, ist vorbei. In 
anderen Gegenden mögen sie ja länger singen, hier können wir 
uns knapp zwei Monate dieses musikalischen Genusses erfreuen. 

Hier singen die Männchen bei warmem Frühlingswetter von 
den Abendstunden bis gegen Mitternacht, dann von der Morgen- 
dämmerung bis in den jungen Tag hinein am eifrigsten. Tags- 
über treten oft längere Pausen ein, die aber keinesfalls durch 
menschliche Störungen bedingt sind, eher mehr vom Wetter ab- 
hängen; so singen sie vor Beginn eines Sturmes oder starken 


(8) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Erithaeus Poeta (Kl.). 23 


Windes sehr wenig, dagegen vor und bei Gewittern wie toll. In 
sehr kühlen und Frostnächten hört man sie weniger, und die man 
hört, schlagen nicht durch. Nach solchen Nächten hat man tags- 
über doppelten Genuss, sie bemühen sich dann, wieder alles nach- 
zuholen. 

Die Jahre hindurch habe ich mir eine grosse Anzahl von Ge- 
legen angesehen, kann aber die Ansicht, dass in reichlich feuchten 
Orten die Eier lebhafter grünlich sind als in trockeneren Gebieten, 
nicht teilen. Ich fand im trockenen Fichtenwalde hellolivgrüne 
bis olivbraune Eier ebenso wie am Rheine und auf den Rheinauen. 

Wenn sie auch erst gegen Mitte August bei uns fortziehen, 
so verlassen sie aber schon im halben Juli hier ihre Brutplätze. 
Es gehört zu den grössten Seltenheiten Anfang September noch 
eine zu beobachten. 

Die tief am Boden brütenden Vögel haben ihren grössten 
Feind in dem Igel, ich fing mehrere dieser Missetäter an aus- 
geraubten Nestern und fand bei einem sogar Eischale im Magen. 
Wenn der Igel auch im allgemeinen nicht schädlich ist, ist es doch 
angebracht, ihn in geschlossenen Parkanlagen nicht zu dulden. 

Die Flügelmasse von elf Bälgen der Kollektion von Er- 
langer, bei Ingelheim gesammelt, sind: 

15. April 1895, 83 mm; 
8. Mai 1899, 82 „ 
19% April) 1899, 85. , 
8. Mar 1899, 34 , 
192 Aprıl 1899, 847, 
8. Mai 1899, 32 „ 
29. Mai. 1902,84, , 
30. April 1904, 85 „ 
l.-Junı 1899, 81, 
3 Jun: 1895, 83, 
452 Jule 1902:.783°, 

Die erste rudimentäre Schwinge, vom Vorderrande der Unter- 
flügeldecken gemessen, variiert von 13!) bis 17 mm. Englische, 
italienische und tunesische Vögel haben dieselben Masse. 

Neun Vögel aus Ober-Italien, im Mai und den ersten Tagen 
des Juni gesammelt, sind auf der Oberseite bedeutend heller und 


OO FOL 0 070,705 79, O5 


!) Bei diesem Vogel überragt sie die Handdecken noch um eirca 
1 mm. 


CS) 


24 C. Hilgert. 


grauer. Sie unterscheiden sich dadurch auffallend von allen andern. 
Wenn schon, wie Kollibay!) bemerkt, Vögel aus England, Süd- 
Frankreich und Tunesien ausscheiden und eventuell zur Abtrennung 
berechtigen, so ist dies bei den Italienern um so eher der Fall, 
da der Unterschied ein ganz bedeutender ist. 

Der Sprosser ist hier ein unbekannter Vogel, auch auf dem 
Frühjahrs- und Herbstzuge noch nicht beobachtet. 


Erithacus Dandalus (Kl.) 


Noch vor einem Jahrzehnt seltener Brutvogel, brütet das Rot- 
kehlchen heute sehr zahlreich hier. 

Die der Nachtigall so sehr zusagenden Örtlichkeiten werden 
auch von ihm bevorzugt. So brüten jährlich viele Paare in den 
Fichten und gemischten Schonungen. Hier findet man die Nester 
ın kurzen und flachen, verlassenen Kaninchenröhren oder im dürren 
Laub, das sich in den jungen Fichten festlegt. 

Regelmässig überwintern welche und haben dann bei strenger 
Kälte und Schnee Not, ihr Dasein zu fristen. Zutraulich, wie sie 
ohnedies sind, kommen sie, nach Nahrung suchend, in die Höfe 
und Gärten der Häuser. 

Im Februar 1902 kamen einige täglıch in den Hundehof der 
Erlangerschen Villa und taten sich gütlich am Hundefutter. 

Auf dem Durchzuge trifft man sie mitunter so massenhaft, 
dass sozusagen überall aus Busch und Strauch ihr Lockton zu ver- 
nehmen ist. Ich notierte: 

14. Oktober 1898 sehr häufig auf dem Durchzuge am Rhein, 
im Nadelwalde und den Parks. 

10. Dezember 1901. Am Rheine in den Klauern viele beobachtet. 

25. Februar 1902. Einige kommen täglıch an das Hundefutter. 

Anfang April 1902 wimmelt es überall von Rotkehlchen. 

Januar 1903. In den Fichtenschonungen öfter zu beobachten. 

13. März 1903. Sehr zahlreich überall, anscheinend auf dem Zuge. 

12. September 1903. Überall massenhaft anzutreffen, vereinzelt 
noch am 20. Oktober. 

14. November 1903. cf singt anhaltend auf einer Baumspitze 
bei trübem, aber warmem Wetter. 


!) C£. Journ. f. Ornith. 1904, p. 90 bis 91. 
(5) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Erithacus Dandalus (Kl.) 25 


12. Januar 1904. Eine kleine Gesellschaft, ca. 10 Stück, bei- 
sammen in den niederen Kopfweiden am Rheine getroffen. 

8. März 1904. Bei wärmeren Südwestwinden und Tauwetter 
riesige Zugbewegung, auch viele Rotkehlchen trafen ein. 

12. März 1905. Hie und da vereinzelt Exemplare beobachtet. 

24. März 1905. Sehr zahlreich, bis 10. April noch sehr häufig 
auf dem Durchzuge. 

4. Mai 1905. Nest mit 6 Eiern. Das Q© hatte die 6 Eier in 
6 Tagen gelegt. 

Sie brüten hier, wie schon gesagt, an allen möglichen Stellen. 
Am Rhein mit Vorliebe unter Reisighaufen und in horizontalen 
Baumhöhlen. So kannte ich Jahre hindurch ein Paar, dass immer 
in derselben Höhle brütete. 

Hier im Park nistete dieses Jahr ein Pärchen in einer Fels- 
grotte 1?/, m hoch, genau wie ein Hausrötling. 

Das Gelege besteht fast immer aus 6 Eiern, diese sind ge- 
wöhnlich von rahmfarbener Grundfarbe, oft reichlich blass rotbraun 
gefleckt. Ich sah Gelege, die an der stumpfen Hälfte so satt ge- 
fleckt waren, dass kaum etwas von der Grundfarbe durchsah, andere 
waren wieder so matt und spärlich gefleckt, dass man sie auf 
kurze Entfernung für einfarbig halten konnte. Doch kommen auch 
innerhalb eines Geleges stark und schwach gezeichnete Eier vor. 
Die allgemein verbreitete Ansicht, dass die dunkelsten Eier eines 
Geleges die ersten sein müssten, trifft beim Rotkehlchen nicht 
immer zu. Diese Beobachtung habe ich auch bei anderen Arten 
‘ gemacht und werde später darauf zurückkommen. 

Es liegen mir Vögel von hier, Italien, England, Griechenland, 
Schweden, der Schweiz, aus Tunesien und Madeira vor. 

Bei dem schwedischen Exemplar, das im April gesammelt ist, 
ist das Rot am hellsten, bei dem englischen, im Dezember ge- 
sammelt, am dunkelsten und feurigsten, diesem stehen am nächsten 
die Madeira-Vögel, dann folgen die Tunesen,!) diese stehen denen 
aus den übrigen Lokalitäten aber sehr nahe und sind kaum von 
ihnen zu unterscheiden. Man müsste ja in erster Linie mit Brut- 
vögeln der verschiedenen Gegenden rechnen, um endgültige Schlüsse 
zu ziehen, doch soviel scheint mir festzustehen, dass Engländer 
und Schweden nicht mit den anderen zu vereinigen sind. Es liegt 
9) Siehe auch Carlo Freiherr von Erlanger, Beiträge zur Avifauna 
Tunesiens (Journ. f. Ornith. 1899, p. 216). 

(6) 


26 C. Hilgert. 


mir ja aus Schweden und England nur je ein Vogel vor, immerhin 
ist es beachtenswert, dass diese beiden, mit Ausnahme eines Madeira- 
Vogels, die grössten Flügelmasse aufweisen. Drei Tunesen, im 
März gesammelt, möglicherweise Brutvögel, haben die kleinsten 
Flügelmasse, wie aus folgender Tabelle ersichtlich ist. 

‘'? N.-Ingelheim, 28. März 1895, Flügellänge 72 mm; 


5 21. Februar 1894, 4 Ta > 
g 24. März 1895, R ee 
. 29. Aprl 1896, > 1.1455, 
2 16. April 1905, { 13 5 

16..Aprıl#" 1905, 5 03% 


Öber-Italien, Januar 1897, Flügellänge 70 mm; 


a OT N 


3 ? 1897, e 735, 
„ ? 1897, 2 TE 
N DUrEEgT, ’ 71,5, 
{ Deere, ! Elan 


c&‘ Griechenland, 10. Juli 1898, Flügellänge 72,5 mm; 
g Schweiz, 20. April 1898, Flügellänge 70 mm; 

fd £ 10. April 1898, 2 71-+? mm; 

cf‘ England, 11. Dezember 1896, Flügellänge 74 mm; 
‘' Schweden, 14. April 1882, Flügellänge 74? mm; 
SZ Tunesien, 15. Februar 1897, Flügellänge 71 mm; 


g j März 1898, b 68, 

Q . März 1898, ® SHE 

N N 15. Februar 1897, hi 68,5 „ 
cf‘ Madeira, 11. Februar 1898, Flügellänge 74,5 mm; 
dj & 20. Aprıl ° 1897, E za 3 
Q R 11. Februar 1898, 5 71 a 
& R 11. Februar 1898, . 13 x 
Q : 27. März 1896, 2 73 , 


Erithaeus Astrologus (Kl.) 


Das weisssternige Blaukehlchen ist hier während der Zugzeit 
keine seltene Erscheinung. Besonders häufig wird es in manchen 
Jahren auf dem Frühjahrszuge beobachtet. Mit Vorliebe hält es 
sich da in den Schilf- und Weidenbeständen am Rheine auf, öfters 


M 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Erithacus Astrologus (Kl) 27 


trifft man es auch in den Wiesengräben, selbst wenn sie nur wenig 
Graswuchs aufweisen. 

Es sind aber nur gewisse Tage, gewöhnlich Anfang April, 
wo sie wirklich häufig durchziehen. Lange rasten sie hier nicht, 
und wenn man heute viele sah, so kann man andern Tages oft 
vergeblich nach ihnen suchen. 

Ich kann nicht sagen, dass sie auf dem Herbstzuge so häufig 
durchkommen wie ım Frühjahre, bezweifle es aber nicht. Im 
Frühjahre, wo wenig Vegetation da ist, ist es ja leichter, sie an 
ihren Lieblingsplätzen aufzusuchen, bezw. zu beobachten, als im 
Herbste, wo sich überall Deckung und Schutz bietet. Im Herbste 
bin ich auch mehr durch Berufsarbeiten beschäftigt und durch die 
Jagd in Anspruch genommen, so dass es mir nicht möglich ist, 
in dem Umfange, wie ich wünschte, die Zugverhältnisse zu studieren. 

Dass sie im Herbste oft in grösseren Gesellschaften durch- . 
ziehen, beweist der Umstand, dass wir sie bei der Hühnerjagd 
Mitte September 1902 in der Ebene öfter in den Rübenäckern 
antrafen. 

Frühester Termin des Frühjahrszuges war bis jetzt der 18. März 
1904. Das einzige beobachtete Exemplar, ein altes 5‘, hielt sich 
im Schilfe eines Rheinarmes auf. Ich traute meinen Augen kaum, 
als mein Hund den Vogel aufstöberte und er vor mir eine kleine 
Blösse überflog. Nach langem Bemühen gelang es mir, ihn zu 
erlegen. Daraufhin suchte ich alle geeigneten Örtlichkeiten tag- 
täglich ab, ohne ein weiteres Exemplar noch zu beobachten. Erst 
Mitte April konnte man sie wieder finden, und zwar überall an 
geeigneten Orten, selbst am 3. Mai konnte ich noch einige be- 
obachten. 1898 traf ich sie am 3. April sehr zahlreich und er- 
legte auch mehrere, 1899 am 6. April. 

Ich habe mir wiederholt die Frage vorgelegt, ob das Blau- 
kehlchen hier Brutvogel ist oder sein kann und kam zu dem 
Schlusse, die Frage zu bejahen. Ich bin fest überzeugt, dass es 
sogar in Mehrzahl hier brütet. Es ist ja so unendlich schwer, in 
den undurchdringlichen Weidenbeständen der Rheinauen und der 
Rheinebene, die zudem noch mit Kletterpflanzen und Brombeer- 
gesträuch durchwachsen sind, oder im Wirrwarr der Uferböschungen 
nach Nest und Gelege zu suchen. Wenn man nebenbei noch mit 
Millionen von Schnaken zu rechnen hat, wird es jedermann be- 
greiflich finden, dass die Sache nicht so ganz einfach ist, zumal 


(8) 


38 C. Hilgert. 


bei der versteckten Lebensweise dieser Vögel. Wenn auch tat- 
sächliche Beweise über Brüten hier vorliegen, Deichler erlegte am 
16. Juli 1893 in meinem Beisein ein Exemplar im Jugendkleide, 
so genügt mir das noch nicht, ich werde mich trotzdem nicht eher 
zufrieden geben, bis ich das Nest gefunden habe. 


Das rotsternige Blaukehlchen wurde hier wissentlich noch nicht 
beobachtet. Gewissheit ist aber nur mit der Schusswaffe zu er- 
reichen, da bei den weisssternigen Individuen z. B. sehr alte @ 9 
vorkommen, die man bei ihrer Flüchtigkeit mit dem Auge kaum 
vom rotsternigen Z' unterscheiden wird können, es sind deshalb alle 
Angaben, die auf blossen Beobachtungen dieser Art beruhen, mit 
Vorsicht aufzunehmen. 


Flügelmasse der mir vorliegenden Ingelheimer Stücke und Be- 
schreibung der Kehlfärbung. 


c‘ ad., 7. April 1895. Flügellänge 74 mm. Die ganze Kehle 
mit schwarzbraunen Federn durchsetzt, an der vorderen Hälfte der 
Kehle haben diese dunklen Federn graue Ränder, vor dem schwärz- 
lichen Brustbande liegt ein düsteres blaues Band. Der kaum sicht- 
bare und kleine weisse Stern befindet sich an der Basis blauer 
Federn und scheint erst durch die Abnutzung zum Vorscheine zu 
kommen. Nur einige helle Ränder an dem schwarzen Kropfschilde 
trennen dieses von dem blass rostroten Brustbande. 

g ad., 3. April 1898. Flügellänge 75 mm. Kehle hübsch 
hellblau, der weisse Stern ist zwar deutlich sichtbar, wird aber 
durch blassblaue Federränder noch etwas beeinträchtigt. Nur 
winzige Spuren blasser Federränder finden sich zwischen dem 
schwarzen und roten Kropfbande. 

d ad., 3. April 1898. Flügellänge 77 mm. Ein herrlich aus- 
gefärbtes Z mit rein blauer Kehle, rein weissem Sterne und deut- 
licher weissen Binde zwischen dem schwarzen und dem kastanien- 
rotbraunen Kropfbande. 

d ad. 18. März 1904. Flügelläinge 76 mm. Obwohl der 
Stern von grösster Reinheit ist, wird das Blau der Kehle durch 
graue und schwärzliche Federränder verdüstert, das helle Band 
zwischen dem schwarzen und dem kastanienrotbraunen Kropfbande 
ist deutlich durch helle Federränder markiert, dieses selbst zeigt 
noch nicht die reine Färbung, da es noch mit Resten heller Feder- 
ränder durchsetzt ist. 


9) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Erithacus Astrologus (Kl) 29 


d' ad., 19. April 1896. Flügellänge 76 mm. Die blassblaue 
Kehle wird beiderseits durch schwärzlichgraue Federpartien ein- 
geengt. Hebt man an der Stelle, wo der Stern sein soll, die Federn 
auf, so findet man einzelne an ihrer Hälfte weisse Federn. Das 
Blau der Kehle bekommt durch äusserst feine, hellgraue Feder- 
spitzen ein mattes Aussehen. Das Brustband ist hübsch rostfarben, 
zwischen ihm und dem schwärzlichen Bande deuten nur einige 
graue Federränder das trennende Bändchen an. 

d' ad., 3. April 1898. Flügellänge 75 mm. An die rein 
tiefblaue Kehle schliesst sich das schwarze Band, das durch eine 
deutliche weisse Linie von dem schmalen intensiv rostroten ge- 
trennt wird. Keine Spur eines Sterns vorhanden. 

Q ad., 30. Angust 1898. Flügellänge 72 mm. Kehle hell 
rostfarben, dann ein breites, blau, schwarz und grau meliertes Kropf- 
band, sehr lange weissliche Federspitzen reichen in das sich an- 
schliessende, hübsch rostfarbene, etwas verschwommene Brustband. 
Backenstreife schwärzlich mit blauem Anfluge. 

Q ad., 6. April 1899. Flügellänge 73 mm. Färbung wie 
bei vorherigem, aber Kehle blasser, Bartstreif schön hellblau, nur 
Spuren eines rostfarbenen Brustbandes vorhanden. 

2 iuv.? 21. August 1898. Flügellänge 72 mm. Keine Spur 
von Blau, grauweisse Kehle mit schwärzlichen Federn, an denen 
sich helle Ränder befinden, eingefasst. Die Brust erhält einen 
gelben Schimmer durch Federn, die in ihrer Hälfte eitronengelb sind. 

Ein bei Dresden in Sachsen im Mai 1871 gesammeltes Z ad. 
hat lebhafte blaue Kehlfarbe, kleinen reinweissen Stern, breites, 
schwarzes Kropf- und sehr breites, kastanienrotbraunes Brustband. 
Die weisse Trennungslinie ist nur an den Seiten durch Spuren 
heller Federränder angedeutet. 


Falco. 3 


Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


Herr E. Flückiger aus Dürrenroth in der Schweiz hat mir 
das Material seiner beiden Sammelreisen nach Algerien und 
seine wichtigsten Tagebuchaufzeichnungen zur Bearbeitung über- 
geben. Einige Einzelheiten darüber habe ich schon an andrer 
Stelle veröffentlicht. Ich werde hier die Ergebnisse der beiden 
Reisen ausführlich und zusammenhängend besprechen. 

Geradezu grossartig sind die schönen Reihen von Saxicola 
seebohmi, Haubenlerchen und Sperlingen und ganz besonders von 


Saxicola seebohmi, 
die Herr Flückiger mitbrachte. Ich bedaure nur, dass diese Serien 
zerrissen werden und nicht im ganzen in ein einziges Museum ge- 
langen. So soll wenigstens die Bearbeitung möglichst auf Grund 
des Ganzen erfolgen. 

Ich habe Saxicola seebohmi in der ersten Lieferung von 
„Berajah“ behandelt und teile daher zunächst im Anschluss an 
dieselbe und zur Ergänzung des dort Gesagten zwei Briefe 
von Flückiger mit. Ich machte ihn vor der zweiten Reise darauf 
aufmerksam, dass es nunmehr weniger auf weiteres Balgmaterial, 
als vielmehr auf genaue Beobachtungen über Saxicola seebohmi 
und ihr Brutgeschäft ankäme. Ich bat Herrn Flückiger, sofort 
an Ort und Stelle Aufzeichnungen zu machen und mir diese 
in protokollarischer Form brieflich mitzuteilen, um möglichst 
den unmittelbaren Eindruck an Stelle von Erinnerungen zu geben. 

Diesem Wunsch hat Herr Flückiger in vortrefflicher Weise 
entsprochen und am Fundort der interessanten Steinschmätzer 
seine Beobachtungen sofort mit Bleistift niedergeschrieben. Er 
hat mich später gebeten, diese skizzenhaften Notizen im Falle der 
Veröffentlichung etwas abzurunden. Ich habe dies nicht getan, 
um ihren Originalwert nicht zu schädigen. Gerade die vielen 
Wiederholungen geben ein sehr lebendiges Bild von dem Wesen 

(1) 


Saxicola seebohmi. 31 


des Vogels. Die Übereinstimmung mit dem Treiben unserer 
Saxicola oenanthe am Brutplatz muss jedem Kenner der- 
selben auffallen. O©.Kl 


Montagne nu (südl. Lamböse), 11. Juni 1904. 
Sehr geehrter Herr! 


Bin heute auf dem Montagne nu, um Nester von Saxicola 
seebohmi zu suchen. Es ist nicht gerade günstig, da ein starker 
Wind herrscht, und bei solchem Wetter sind diese Vögel ziem- 
lich scheu, was gar nicht der Fall ist bei schönem, stillem Wetter. 
Der Montagne nu gehört zu der ersten nördlichsten Kette des 
Auresgebirges. Er bildet oben ein baumloses Plateau, welches 
von wellenförmigen, ganz niedern Höhenzügen durchzogen ist; 
eins derselben bildet an einer Stelle eine kleine Felswand. Von 
diesem etwas über 1800 (genau 1835) Meter über dem Meere 
liegenden Plateau aus hat man eine schöne Aussicht auf die 
zweite Kette des Auresgebirges. Dessen zweithöchsten Berg, den 
Djebel Mahmel, welchen ich am 6. Juli letzten Jahres bestieg, 
und wo ich auch die Sax. seebohmi fand, erblickt man südlich, 
während der im Osten liegende, von mir am 2. Juli 1. J. besuchte 
höchste Gipfel, der Djebel Cheliah, wo ich die Sax. seebohmi 
auch fand, nicht sichtbar ist. Vom nördlichen Rande des Plateaus 
aus hat man eine weite Aussicht auf das Tell. Dieses Plateau 
ist teils sehr steinig (grauweisse Steine bedecken an vielen Stellen 
mehr oder weniger dicht den Boden), teils aber besteht es aus 
fruchtbarem Erdreich (ganz dunkler, rotbrauner Erde) und der 
eingeborene Chaouia, dessen Zelte man jetzt hier oben findet, 
pflanzt noch Gerste auf diesen luftigen Höhen. Angenehm ist 
es im Sommer hier oben; heute weht der Wind ziemlich stark 
und frisch. 

In dem steinigen Gelände ist es, wo man die Sax. seebohmi 
findet. Ca. 80 Meter vor mir auf dem Rasen zwischen den 
Steinen sehe ich ein 5‘ dieses Vogels hin- und herhüpfen, dann 
einige Augenblicke stillsitzen. Jetzt sitzt es auf ganz niederem 
Gesträuch, fliegt darauf ca. 10 Meter hoch in die Luft und lässt 
beim Niedersenken auf ein Gesträuch sein Lied erklingen, 
dann wieder von dem Gesträuch für einige Augenblicke auf den 


Rasen, dann einige Meter weit fliegend. Wieder fliegt es auf 
(2) 3* 


32 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


und lässt, sich niedersenkend, sein Lied erklingen. Mit Vorliebe 
sitzt der Vogel auf den zwischen den Steinen vorkommenden 
niedrigen Kugelbüschen.!) Noch beim Beginn des Weiterfliegens 
lässt er sein einfaches Liedchen erschallen. Jetzt sitzt er auf 
einem Stein, doch wie auch auf dem Gesträuch stets gegen den 
Wind schauend. Jetzt ist er ca. 20 Meter neben den Zelten der 
Eingeborenen auf dem Rasen (hierzu photographische Aufnahme?)), 
dann fliegt er wieder auf ein Gesträuch. Gleich bei Ankunft 
hier auf dem Platze sah ich das gepaarte Pärchen, das g' ein- 
mal das @ ziemlich lange verfolgen. Das Q war jetzt meinen 
Blicken entschwunden. — Jetzt sehe ich wieder das gepaarte 
Pärchen, bald auf einem Strauch, bald auf einem Stein sitzend. 
Es wird hier irgendwo unter einem Stein sein Nest haben, das 
aber schwer zu finden ist, wenn es nicht durch das davonfliegende 
Q verraten wird; vergeblich suche ich nach demselben. Die 
zwei alten Vögel streichen überhaupt ziemlich weit umher, so 
dass ich mehr oder weniger keinen Anhaltspunkt habe, wo ich 
das Nest suchen soll. — Ich schleiche mich an das Z heran 
und erlege es. Das Q@ suche ich nachher vergebens, finde es 
vielleicht übermorgen. Ich gehe weiter, um von einem andern 
Pärchen doch vielleicht noch ein Nest zu finden. An einer Stelle, 
wo ich am 30. Mai 2 Jg beobachtete, aber nicht erlegte, finde 
ich heute keinen dieser Vögel. Aber dicht bei der nur 6 bis 
7 Meter hohen Felswand befindet sich ein Männchen, fliegt auf 
dieselbe hinauf, bleibt eine Weile oben, fliegt noch etwas höher 
und senkt sich herab zur Erde, sein Liedchen erklingen lassend. 
Letzteres ist eine kurze Strophe und hat Ähnlichkeit mit 
dem Gesang der Rotschwänzchen. Sehe flügge Junge von E. 
moussieri, lasse deshalb die Sax. seebohmi sein und eile diesen 
Vögeln nach. 

Hoffentlich habe ich in einigen Tagen Gelegenheit zu weiteren 
Beobachtungen. 


Mit freundlichem Gruss 


Ihr ergebener 
E. Flückiger. 


1) Vergl. Berajah, Tafel 1. 
?) Dieselbe eignet sich leider nicht zur Reproduktion. Sie zeigt 
dieselben Landschaftscharaktere wie die Abbildungen Berajah, Tafel VII. 
OÖ. Kl. 
(3) 


Saxicola seebohmi. 33 


Montagne nu, den 13. Juni 1904. 
Sehr geehrter Herr! 


Bin heute wieder auf dem Montagne nu, wahrscheinlich zum 
letzten Mal in diesem Jahr, um noch einmal nach Nestern von 
Saxicola seebohmi zu suchen. Es ist 7 Uhr morgens. Heute 
herrscht ein starker, frischer, man kann fast sagen kalter Nordost- 
wind. Hoffe bald einen oder mehrere der gesuchten Vögel zu 
finden. — 

Jetzt sehe ich ein g', bald auf einem Stein, bald auf einem 
niederen Strauch oder Pflanzenstengel sitzend, lockend ähnlich 
wie E. moussieri „ü ü“. 

Sehe auch das 9. Beide Vögel locken (glaube gleich). 
Müssen hier irgendwo ihr Nest haben zwischen oder unter den 
den Boden dicht bedeckenden grauweissen Steinen. Das 2 sehe 
mit Futter im Schnabel bald auf einem Stein, bald auf einem 
Pflanzenstengel. Die Vögel sind heute besonders flüchtig. Das 
d' sucht Nahrung in dem zwischen den Steinen vorhandenen 
Erdreich. Jetzt sind beide Alten mit Futter im Schnabel nahe 
beieinander, wie gewöhnlich bald auf einem Stein, bald auf einem 
Pflanzenstengel. Der eine Vogel fliegt auf einen ziemlich flachen 
Stein und nach längerem Zögern auf den Boden neben dem- 
selben, wo ich ihn nicht sehen kann und fliegt dann ohne Futter 
weg. Der andere Gatte tut das Gleiche. Dort muss das Nest 
zu finden sein. Gehe hin und finde richtig den Eingang zum 
Neste unter dem Stein. Um die Vögel noch am Neste zu be- 
obachten, lege ich mich circa 60 Meter von demselben entfernt 
auf den Boden. Die beiden Alten kommen oft mit Futter in 
die Nähe. Das ? meist anf einen niederen Strauch, wieder weg- 
fliegend, dann wieder näher kommend, aber nie zum Nest. Ich 
gehe ca. 100 Meter weg. Jetzt kommt das Z' in die Nähe, hüpft 
dann, einige Male anhaltend, zum Stein, vor dem Eingang noch- 
mals eine Weile Halt machend, begibt sich endlich hinein, um 
bald wieder davon zu fliegen. Das 2 fliegt schnell ganz dicht 
über den Boden zum Nest, beide kommen miteinander hervor; 
das g' muss wieder wie vorher zum Neste gelaufen sein, konnte 
es wahrscheinlich wegen der Steine nicht sehen. Die Vögel 
locken nicht weit vom Nest. Es treibt sich noch ein zweites y' 
in der Nähe herum. 

(4) 


34 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


Die Alten kommen ziemlich oft mit Futter angeflogen. Das 
o‘‘ zuerst ca. 10 Meter von dem Neste entfernt auf einen Stein 
oder Strauch und dann unter Deckung von Steinen wohl zu Fuss 
zum Neste, mehrere Male anhaltend, dann entweder noch auf den 
Stein oder gleich zum Eingang. Auch beim Verlassen des Nestes 
bleibt es oft einige Augenblicke auf dem Stein, unter welchem sich 
das Nest befindet, oder in der Nähe desselben auf einem Pflanzen- 
stengel. Das @ kommt auch zuerst 10 bis 15 Meter von dem 
Nest auf einen Stein oder Strauch, dann aber gleich zum Nest 
geflogen, oft zuerst auf den Stein oder gleich zum Eingang. — 

Habe die Vögel jetzt ca. 1!/, Stunden beim Nest beobachtet, 
dieselben beachten mich nicht mehr viel. Suche nun dieselben 
zu erlegen. An das Z' kann ich mich ohne grosse Mühe an- 
schleichen und es erlegen. Das ® aber ist sehr flüchtig. Höre 
dasselbe oft locken, ohne es zu sehen. 

Das Nest befindet sich an einer Stelle, wo der Boden ziem- 
lich dicht mit grauweissen Steinen von ca. 1 bis 2 Meter Länge 
und 20 bis 30 Zentimeter Höhe bedeckt ist. Dasselbe ist unter 
einem Stein von ca. 1?/, Meter Länge, 60 bis 70 Centimeter Breite 
und ca. 20 Centimeter Höhe, welcher an einem Ende nicht 
auf dem Boden aufliegt. Dort unten ist der Eingang zum Nest, 
rechts liegt der Stein auf der Erde auf, links auf einem kleinen 
Stein, dazwischen der Eingang, oval, ca. 6 bis 7 Centimeter breit 
und 3 bis 4 Centimeter hoch. Das Nest befindet sich in der Mitte 
unter dem Stein in einer kleinen Vertiefung von ca. 7 bis 8 Centi- 
meter Höhe am Ende der ca. 50 Centimeter langen Eingangshöhle. 
Es befinden sich 5 Junge darin!) — Das ® ist sehr scheu, 
kann nicht ankommen, fehle es leider mit einem Schusse. — 
Nicht weit von dem gefundenen Nest ist noch ein Pärchen Sax. 
seebohmi. Das „ist sehr scheu, das Q erlege ohne Schwierig- 
keiten. — Nachher noch das ganze Plateau an den meisten diesem 
Vogel zusagenden Örtlichkeiten abgesucht und noch 8 Stück be- 
obachtet, darunter 2 gepaarte Paare. Das 2 lockt |üüü [üüü, 
der erste dieser 3 Töne am tiefsten, der zweite und dritte je etwas 
höher. Wenn es auf dem Boden weiter eilt und dann still steht, 
oder auch auf einem Stein, Strauch etc. sitzt, wippt es gewöhnlich 
einigemal mit dem Schwanze. Oft lockt es üüütäüüütä, das 


ı) Of. Berajah, Tafel VI und VII. O. Kl. 
5) 


Saxicola seebohmi. 35 


tä viel tiefer als die 3 ersten Töne, üüütätätä. Kann leider 
die Töne nicht ganz genau hören, da ich mich nicht genügend 
nähern kann und es zudem noch windig ist. — Ich nehme für 
dieses Jahr Abschied von dem Montagne nu, einem Orte, wohin 
ich immer mit Vergnügen meine Schritte lenkte. Hoffentlich ist 
es mir später doch einmal vergönnt, Eier von Saxicola seebohmi 
zu finden. 
Mit freundlichen Grüssen 
Ihr ergebener 
E. Flückiger. 


Aus Briefen von E. de Maes an den Herausgeber. 


Wyk auf Föhr, 16. August 1905. 


— — Gestern sah ich eine Sterna caspia in nächster Nähe. — 
Auf der ganzen nördlichen Hälfte der Insel darf wegen der Enten- 
fänge überhaupt nicht geschossen werden, ausgenommen nach 
9 Uhr abends. Es werden jetzt viele Krickenten erlegt. Die 
Seeschwalben füttern alle noch kaum flugfähige Junge. Sehr 
viele Aegialites (der häufigste Strandvogel) haben noch ganz 
kleine Junge. Genau so habe ich es in früheren Jahren hier 
schon beobachtet. Ein Beweis, dass der Schluss der Schonzeit 
viel zu früh angesetzt ist. Auch eine Lumme? wurde vorige 
Woche vom Schiff aus von ihren Dunenjungen weggeschossen. 
Die sinnlose Mörderei hier ist zu gemein und sollte verboten 
werden. Auf der Nachbarinsel Amrum soll es noch toller sein. 
Man findet viele verluderte Vögel am Strand angetrieben, weil 
die „glücklichen Schützen“ die Vögel als unbrauchbar einfach 
schwimmen lassen. Sie benutzen die leicht zu schiessenden herr- 
lichen Seeschwalben wie Tontauben. 


Wyk auf Föhr, 27. August 1905. 


Ganz besonders am Herzen liegen mir die Seeschwalben. 
Diese wunderschönen Vögel, die Zierde des Meeres, sind so zu- 
traulich, dass man sich ihnen bis auf 40 bis 50 Schritte nähern 
kann, ehe sie auffliegen, und dann sind sie noch in ihrem langsamen 
Fluge sehr leicht zu schiessen. Alle füttern noch Junge, 
was die Jagd sehr erleichtert; denn wenn ein Vogel geschossen, 
jung oder alt, so rütteln die andern über demselben, und es können 
leicht mehrere Stücke nacheinander geschossen werden, weil die 
übrig gebliebenen fast immer bis zum letzten Stück auf die Stelle 
zurückkommen. Manchmal rütteln sie so niedrig, dass man sie 
mit einer langen Stange erreichen könnte. Sie haben absolut 
keine Scheu vor dem Menschen; wenn sie Junge haben, verfolgen 


Briefe über Schutz der Seevögel. 37 


sie ihn schreiend. Auf diese Jagdart werden sie massenhaft ge- 
schossen zum „Vergnügen“. Es rühmten sich vor einigen Jahren 
zwei junge Herren, noch halbe Kinder, in einer Woche 120 Stück 
geschossen zu haben. Gleichzeitig schoss ein anderer Schiesser 
ca. 30 Stück. In diesem Jahre sah und hörte ich selbst von 
mindestens 12 Stück, welche verludert oder als zu arg zerschossen 
(aus nächster Nähe mit Schrot No. 4) weggeworfen wurden. Unter 
diesen Schiessern herrscht auch leider der unsinnige Glaube, alle 
Seevögel, besonders Seeschwalben und Möven vermehrten sich 
ungeheuer stark. Sterna minuta ist sehr selten geworden. Ich 
sah höchstens 10 Stück. Vorige Woche sah ich sie noch füttern. 

Viele Kiebitze sind da. Sie sind so zutraulich, dass man 
sie auf Schussweite ruhig mit dem Glase längere Zeit in ihrer 
Tätigkeit beobachten kann. 

Gestern sah ich unter den jetzt stark mausernden Staren 

ein Exemplar, welches ich zuerst ohne Glas für einen Rosenstar 
hielt, so hell, d.h. grossgefleckt waren Schulter und Bauch. Unter 
den Jungen gibt es graue mit heller Kehle und auch ganz ein- 
farbig dunkel russschwarze. Ist das Geschlechtsunterschied, oder 
sind die grauen von der ersten Brut und mehr verblichen? Sie 
sind ausserordentlich scheu, nur in der Nähe der Häuser, wo 
nicht geschossen wird, zutraulich. 
Alle Vögel brüten sehr spät auf den Inseln, was sich aus 
dem Umstand erklärt, dass es bis Juni, wie mir heute der hiesige 
Arzt sagte, sehr rauh hier bleibt. Das Vieh soll erst dann auf 
die Weiden kommen, weil vorher kein Gras wächst und eine 
Jahreszeit, der Frühling, gewissermassen ausfällt. 

Durch diesen späten Sommer wird also das späte Brüten er- 
klärt. In der zweiten Hälfte des August sah ich noch Rohr- 
sänger, Pieper, Stare etc. füttern. Der Termin des Jagdbeginns 
für See- und Strandvögel ist viel zu früh angesetzt. Die Schon- 
zeit müsste mindestens bis zum 15. August dauern. — Auf der 
Insel kennen die Leute das neue Jagdschongesetz noch nicht, 
wonach alle Strand- und Seevögel jetzt Jagdtiere sind und deren 
Eier nicht von jedermann eingesammelt, bezw. überhaupt nicht 
mehr genommen werden dürfen. Das Eiersammeln auf den Inseln 
und den benachbarten Halligen soll sehr ergiebig sein und eifrig 
betrieben werden bis in den Juni hinein. Auch daraus ist die so 
sehr späte Brutzeit zu erklären. 


383 E. de Maes. 


Die — — — sind vielfach Schiesser, welche alles morden. 
Gestern ging sogar eine Dame am Strande entlang und belustigte 
sich damit, Strandläufer zu schiessen. Was nützen Schon- 
bestimmungen für die Raubseeschwalbe Sterna caspia, wenn 
die alten Vögel, die sich hier manchmal zeigen, während der 
Brutzeit oder gar von den Jungen weggeschossen werden. 


30. August. 


Gestern und an den beiden vorhergehenden Tagen zogen 
Micropus apus über die Insel. Gestern zwei Trupps von 25 
bis 30 Stück, alle bei Ostwind (sie kamen kaum von der Stelle) 
nach Osten fliegend. Diese entgegengesetzte Richtung erkläre 
ich mir daraus, weil nach dieser Richtung das Festland liegt. 
In Bonn waren sie schon am 3. August fort. Die Cyps. apus 
waren sehr klein. Ich konnte, obschon sie sehr niedrig flogen, 
keine helle Kehle erkennen. Laubvögel zogen vorige Woche 
sehr stark, auch Trauerfliegenfänger. Der Gartenrotschwanz 
war sonst Ende August in sehr grosser Zahl hier. Dieses Jahr 
erst zwei Stück gesehen. Steinschmätzer sehr selten und 
scheu. Sie scheinen noch nicht zu ziehen, was in früheren Jahren 
bereits der Fall war. Ich habe damals genau mit dem Glas 
stark mausernde Vögel gesehen, welche hellgrau und braun ge- 
fleckt auf dem Rücken waren. Larus canus fängt einzeln an, 
sich zu zeigen, sonst waren sie schon am 20. August in Schwärmen 
da. Auch kommen jetzt erst noch ganz junge Silbermöven 
von den benachbarten Brutplätzen. 


31. August. 


Heute noch Seeschwalben füttern gesehen. Es waren an- 
scheinend drei Familien. Man hätte sie im Sitzen mit zwei 
Schüssen alle schiessen können, so dicht sassen sie beisammen. 
Merkwürdig, dass diese Vögel durch die stete Verfolgung nicht 
scheuer werden. 

Ganz übereinstimmend mit vorstehenden Briefen meines Freundes 
de Maes schrieb mir am 7. August 1904 Freiherr von Berlepsch: 
„Erwähnen Sie inIhrem Vortrage doch bitte auch den Schutz 
der Seevögel. Wie ich mich jetzt in Juist überzeugt habe, 
werden diese das ganze Jahr und in der Brutzeit am meisten 
seschossen, die Alten über den Nestjungen und Eiern. Es ist 


Briefe über Schutz der Seevögel. 39 


so eingebürgert, dass niemand etwas dabeifindet. Ich selber 
fand viele verhungerte Junge und faule Gelege von Tadorna, 
weil die Eltern abgeschossen waren.“ 

Ich habe in jenem Vortrage (auf dem letzten internationalen 
Zoologenkongress in Bern) diesen wunden Punkt nicht besprochen, weil 
ich dabei mit meinem Vaterlande wenig Ehre hätte einlegen können. 
Der Schutz der Seevögel, die mehr oder weniger Allerweltstiere sind, 
ist nicht das wichtigste und eiligste Kapitel in der Erhaltung der Natur- 
denkmäler. Diese haben ihren wirksamsten Schutz in ihrer weiten Ver- 
breitung, so dass dem Küstenbewohner die Nutzung, dem Badegast die 
unterhaltende Jagd nicht gänzlich entzogen zu werden brauchte. Was 
meinen Freund de Maes so sehr entrüstet, ist die Aasjägerei: die 
Vögel werden geschossen und weggeworfen, nur um der Schiesserei 
willen und dazu in der Brutzeit. Ein regelmässiger, beschränkter, 
kontrolierter Abschuss bis zu einer genau bestimmten Zahl unter Ver- 
wertung der Vögel (auch gesammelter Eier) zu wissenschaftlichen 
Zwecken (in Museen, Schulen, Sammlungen), selbst da, wo dies in der 
Brutzeit geschehen müsste, würde dem Nutzniesser ein erhöhtes Interesse 
am Bestande der Vögel geben und dem Vogel selbst am meisten zugute 
kommen. Vielleicht gelangen wir noch einmal dahin, dass den See- 
vögeln ein derartiger wirksamer Schutz zuteil wird. Solange der Staat 
hier nicht weiter eingreift, sollte die Fachpresse durch jährliche Berichte 
über den Bestand einzelner Kolonien von seltenen Arten ihre Pflicht 
tun zur Beseitigung einer Sache, die eine Schande ist für das edle 
deutsche Weidwerk. OKI 


Zur Pflege des Vogels im Käfig. 


L: 
Der Hinsbergsche Insektenfanggürtel als Futterquelle. 


Schon früher habe ich im Interesse des Vogelschutzes den 
Hinsbergschen!) Insektenfanggürtel empfohlen. Er besteht 
aus einem Streifen von Wellpappe, überzogen mit wasserdichtem, 
grünem Papier. Man legt diesen schon im Mai oder Juni ring- 
förmig um den Stamm von Obstbäumen, worauf sich massenhaft 
Insekten darin einnisten, die so leicht durch Abnahme des Gürtels 
gefangen und vertilgt werden können. 

Statt nun den Gürtel samt Insassen im Dezember zu ver- 
brennen, kann man ihn vorteilhaft zur Winterfütterung sowohl 
freilebender wie gefangener Vögel benutzen. Liebhaber zarter 
Insektenfresser haben oft betont, wie wertvoll es ist, wenn man 
seinen Lieblingen statt des Ersatzfutters und der Mehlwürmer 
bisweilen durch frische Insekten etwas Abwechslung in dem 
steten Einerlei der Ernährung bieten kann. Schon im Sommer 
entnahm ich den Fanggürteln in meinem Garten viele Insekten. 
Namentlich bei kaltem Regenwetter suchen erstaunliche Massen 
darunter eine Zuflucht, denn der Fanggürtel ist das einzige trockene 
Plätzchen an manchem Baum. Im Winter kann man einen 
Gürtel nach dem andern abnehmen und ausserdem sehr bequem 
die halberstarrten Insekten, die sich zwischen Gürtel und Rinde 
angesiedelt haben, ablesen. Besonders fallen hierbei die grossen 
Mengen von Apfelblütenstechern und von Raupen des Apfel- 
und Pflaumenwicklers auf, welch letztere für die Vögel einen 
beliebten und ansehnlichen Leckerbissen abgeben. Ich bin über- 
zeugt, dass bei ausreichender Verständigung zwischen Nachfrage 
und Angebot Vorräte gut besetzter Fanggürtel ein beliebter 


1) So genannt nach dem Erfinder O0. Hinsberg, Obstgut Langenau, 
Post Nackenheim bei Mainz, von dem das Material zu den Fanggürteln 
zu beziehen ist. Jeder Sendung wird eine Gebrauchsanweisung mit Ab- 
bildungen beigegeben, so dass ich hier von einer genaueren Beschreibung 
absehen kann. 


Zur Pflege des Vogels im Käfig. 41 


Handelsartikel für die Stubenvogelpflege werden können. Frei- 
lich wären Vorsichtsmassregeln zu treffen, um dabei einer Ver- 
schleppung von Obstbaumschädlingen genügend vorzubeugen. 

Die Sache hat nicht nur eine praktische, sondern auch noch 
eine wissenschaftliche Seite. Es ist nämlich recht wertvoll, 
wenn an vielen Vogelindividuen (gefangene Vögel sind gewiss 
darin individuell verschieden und teilweise abnorm) das Ver- 
halten gegenüber den einzelnen Obstbaumschädlingen be- 
obachtet wird. Man kann letztere wohl auf keine andere Weise 
so bequem in Mengen auftreiben wie durch die gewissermassen 
selbsttätigen Fanggürtel. Auffallend war es mir z. B. bei solchen 
Versuchen, wie gern ein Zeisig die Larven und Puppen des Apfel- 
blütenstechers frass, die ich ihm in den verschlossenen Blüten- 
knospen vorhielt und wie geschickt er die Blüte öffnete und das 
Insekt hervorholte. Es sah aus, als wäre ihm das eine alt- 
bekannte Sache, und doch hatte ich den Vogel im reinen Nestkleide 
erhalten und aufgezogen. 


I. 
Das Baden der Vögel. 


Ich habe oft den Eindruck gehabt, dass viele Vögel gegen- 
über einer Beschmutzung ihres Gefieders empfindlicher sind 
als gegenüber einer Verwundung des Körpers. Daher kommt 
es, dass ein angeschossener Vogel trotz schwerer Verletzungen 
noch das Weite sucht, während eine leichte Leimrute womöglich 
schon seine Flüchtigkeit und Widerstandskraft lähmt. 

Beim Käfigvogel wird nun einerseits das grosse Gefieder 
leicht beschmutzt und an Schwanz und Schwingen zerstossen, 
während andererseits das kleine Gefieder, z. B. am Rücken, nicht 
jene allmähliche Abnutzung erleidet, die in der Freiheit durch 
Regen und Sonnenbrand hervorgerufen, wahrscheinlich als fördern- 
der Reiz auf den Federwechsel einwirkt. 

Diesem Übelstand begegnet man beim Käfigvogel durch 
reichliche Badegelegenheit. Die meisten Vögel baden ja sehr 
gern, aber ich habe die Beobachtung gemacht, dass von Ge- 
schwistern aus derselben Brut das eine Individuum regelmässig 
badete und gesundes Gefieder behielt, während das andere nur 
höchst selten oder nie freiwillig von der gebotenen Gelegenheit 
Gebrauch zu machen sich herbeiliess. In solchen Fällen müssen 


42 Zur Pflege des Vogels im Käfig. 


zwangsweise Bäder oder Waschungen vorgenommen werden, 
sobald man merkt, dass das Befinden des Vogels unter den un- 
natürlichen Verhältnissen leidet. 

Dabei aber passiert es nur zu leicht, dass das Gefieder durch 
und durch nass wird, und dass alsdann Erkältung und durch 
diese sogar der Tod eintritt. Beim freiwilligen Baden wird meist 
die flaumige Basis des Gefieders trocken bleiben. Gar mancher 
Vogelpfleger hat aber wohl schon ratlos vor der zitternden Jammer- 
gestalt des künstlich gebadeten Vogels gestanden, der trotz alles 
Wärmens nicht rasch genug trocken werden wollte. Sterben doch 
selbst junge Schwimmvögel bei völliger Durchnässung ihres Dunen- 
kleides sehr rasch infolge des grossen Wärmeverlustes. 

Ich habe schon als Kind in solchen Fällen mit Vorteil das 
folgende Verfahren angewendet. Ist der Vogel ganz durchnässt 
und kalt, so erhält er ein kurzes lauwarmes Bad, wobei nur 
der Kopf aus dem Wasser herausragt. Dadurch wird er schnell 
und gleichmässig erwärmt. Sodann wird er dick mit Kartoffel- 
mehl bestreut, wobei wiederum die Atmungswege geschützt bleiben 
müssen. Das Kartoffelmehl (anderes Mehl ist unbrauchbar) 
muss natürlich in einem warmen Raum gestanden haben, damit 
es keine zu starke Abkühlung bewirkt. Das Mehl wird schnell 
abgestrichen und fortwährend in grosser Menge auf und in das 
Gefieder neu aufgestreut. Am besten hält man den Vogel mit 
einer Hand in ein Kästehen mit Mehl hinein und überstreut ihn 
ständig mit der andern Hand. Auf diese Weise kann man ganz 
und gar durchnässtes Gefieder in zwei Minuten vollständig trocken 
machen. Dabei hat das Kartoffelmehl die Eigenschaft, dass es 
die Federn reinigt und schlichtet, so dass verworrene und 
zusammengeklebte Flaumfasern sich ordnen und aufplustern. 
Nachdem sich der Vogel einigemal geschüttelt hat, sind bald die 
letzten Mehlkrümchen säuberlich von dem Gefieder abgefallen. 
Es ist mir gelungen, Vögel, die dem Verenden nahe waren, durch 
dieses einfache Mittel zu retten. Namentlich jungen Tierchen, 
die aus dem Neste gefallen und vom Gewitterregen überrascht 
sind, kann man so schnell ihre Flugfähigkeit wieder geben. Die 
Sache ist gewiss vielen bekannt, aber ich habe darüber noch 
nirgends etwas gelesen, denn bis jetzt hat man Kartoffelmehl nur 
zum Reinigen des Gefieders toter Vögel gebraucht. Man versuche 
es einmal. Probatum est. 0,.:Rl: 


Bücherbesprechungen.') 


E. Rey, Die Eier der Vögel Mitteleuropas. Verlag von 
Fr. Eugen Köhler, Gera-Untermhaus. 60 Mark. 


Das Werk, von dem eine Probetafel dieser Nummer beiliegt, ist 
nunmehr vollständig in zwei starken Bänden, deren einer den Text 
(681 Seiten), der andere die Abbildungen (128 Tafeln) enthält. Es stellt, 
besonders was die Abbildungen betrifft, zum gıössten Teil einen oolo- 
logischen Sonderabdruck für Eiersammler aus dem neuen Naumann dar, 
d. h. die Originalbeiträge des Verfassers zu diesem Werk. Doch sind 
die Abbildungen durch einige sehr interessante Stücke ergänzt, mit 
Rücksicht auf das kleinere und darum handlichere Format anders 
gruppiert und mit einem mattgrünen Hintergrunde versehen, der viele 
Eier besser hervortreten lässt. 

Besonders interessant wird das Werk durch den Versuch einer 
systematischen Gruppierung nach oologischen Merkmalen, ferner 
durch die nidologischen Mitteilungen aus der langjährigen Praxis des 
Verfassers. Die umfangreiche Aufzählung der einheimischen und fremden 
Trivialnamen kann auf Reisen für Sammler recht dienlich sein. Ich 
werde öfter Gelegenheit haben, auf dieses Werk zurück zu kommen.?) 
Es kann sowohl vom Verleger, wie auch durch die Versandstelle dieser 
Zeitschrift (Schlüter in Halle) bezogen werden. OKI. 


ı) Vollständige Literaturberichte findet man in der regelmässig erscheinenden, 
von Professor Reichenow herausgegebenen Zeitschrift „Ornithologische Monats- 
berichte“. Hier werden nur, soweit der Raum dazu ausreicht, solche Werke und 
Arbeiten besprochen oder kritisiert, die aus irgendwelchem Grunde ein besonderes 
Interesse in Anspruch nehmen. 

2) Ein Punkt sei gleich hier erwähnt. Der Autor bildet die Eier des Sultan- 
huhnes (Porphyrio) mit ab. Im neuen Naumann wurde dieser Vogel vergessen. Seit- 
her war allerdings nur ein Fall des Vorkommens in Deutschland bekannt: Ein 
Stück wurde 1788 bei Melchingen in Sigmaringen, zwei Stunden von Mössingen, er- 
beutet. Cf. Landbeck, Vögel Württembergs, p. 67, Dresser, Birds of Europe, VII, 
p. 300. Die Art und Weise, wie der Vogel auf Sardinien auftritt, von wo ich ihn dann 
und wann erhalte, macht es wahrscheinlich, dass es sich bei den nördlich gefundenen 
Vögeln nicht um entwichene Stücke aus der Gefangenschaft handelt. Auf den Briti- 
schen Inseln ist Porphyrio wiederholt vorgekommen, so zweimal im Jahre 1863, 
Nun teilt Leverkühn („Die Heimat“, 1905, p. 177) eine briefliche Notiz H. F. Wieses 
mit, wonach 1863, also in demselben Jahre, inNorddeutschland (Segeberg bei 
Kiel) ein Stück gesehen wurde. In der Ornithologischen Monatsschrift, 1905, p. 520 
wird ein Fall für Böhmen vom 16. Juli 1905 bekannt gemacht, Da im Naumann so 
viele fremde Vögel aufgenommen sind, die ganz und gar nicht zu den mitteleuro- 
päischen gehören, und aus der Gefangenschaft entflohen sein können, so hätte viel 
eher das Sultanshuhn behandelt und abgebildet werden müssen. (Ich werde später 
eine Abbildung bringen.) Wenn dieses grosse hyacinthblaue Wasserhuhn mit rotem 
Fuss und Schnabel den deutschen Jägern mehr bekannt wird, dürfte noch mancher 
Fail von nordwärts verflogenen Stücken gefunden werden, O. Kl. 


Bezugsbedingungen 
für 


BERAJAH und Faleo. 


Um die Vertriebskosten wesentlich zu verringern, kann wegen 
des unregelmässigen Erscheinens der Versand der einzelnen Liefe- 
rungen innerhalb Deutschlands nur durch Nachnahme erfolgen. 
Es ist dies die einfachste und für beide Teile bequemste Art des 
Bezuges. 

Da Nachnahmesendung von Drucksachen nach dem Auslande 
aber nicht zulässig ist, werden die in Betracht kommenden Herren 
durch den Verlag rechtzeitig durch Zusendung einer Postkarte 
von dem Erscheinen der Lieferungen verständigt werden und 
wollen dann stets den Betrag einschliesslich des auf der Karte 
berechneten Portos für eine oder mehrere Lieferungen im voraus 
mittels Postanweisung einsenden. 

Das erste Heft wird auf Wunsch ausnahmsweise zur An- 
sicht versandt unter der Bedingung baldiger Rücksendung, falls 
nicht auf das Heft reflektiert oder auf das Werk subskribiert wird. 
Bei der Einsendung des Betrages an den Verleger wolle man deut- 
lich erklären, ob Zusendung der nächsten Lieferung gewünscht 
wird, ob man auf das ganze Werk oder auf eine bestimmte Zahl 
von Lieferungen jährlich subskribiert. Lieferung I ist spätestens 
bei Zusendung von Lieferung II mit zahlbar, dann freilich zum 
erhöhten Preise von 3 Mark. 

Die Bezugsbedingungen für Einzelhefte der Zeitschrift 
Falco sind dieselben wie die für Berajah. Baldige An- 
meldung und feste Subskription liegt im Interesse der Leser, die 
sich bei der niedrigen Auflage den Bezug eines vollständigen 
Exemplares sichern wollen. 


W. Schlüter, Naturhistorisches Institut, 
Halle a. S., L. Wuchererstrasse 9. 


2) Mr s 
Pi F 2 nnd 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinenäe Zeitschrift. 


Jahrgang 1905, No. 2. 
Preis des Jahrgangs 3 Mark. 


Ausgegeben: Anfangs Dezember 1905. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. S. 


> 


Verlag von W. Schlüter, Halle a. S., Ludwig Wuchererstr. 9. 


Entschuldigung. 


„Fälkchen ist klein, 

drum gewandt, 
Wo es eilt, 

flink bei der Hand, 
Schwenkt gar schnell 

um Türme und Ecken, 
Freut sich, den plumpen 

Bussard zu necken. 
Alca impennis! 

Zu dick ist dein Bauch, 
Wärest du kleiner, 

Flögest du auch. 

O. Kl. 


Eine Frage. 


Für Leser, die lieber denken als lesen, gibt folgende Er- 
wägung ausreichenden Stoff für einiges Nachsinnen: Schon da- 
durch, dass die gewölbte Erdoberfläche in einer ebenen Fläche 
(Landkarte) dargestellt wird, entstehen Verschiebungen und Miss- 
verständnisse der geographischen Tatsachen. Wenn aber das 
‘ Tierleben, das sich auf dieser Fläche abspielt, in eine Linie 
gezwängt wird, wie es in Linnäus’ System vor anderthalb Jahr- 
hunderten und in der Descendenzlehre vor rund hundert Jahren 
versucht wurde, liegt alsdann nicht die Gefahr nahe, dass die 
zoologische Wissenschaft zu einem Rapsodentum wird mit all 
seinen Mängeln? — 


Mitteilungen über BERAJAH. 


„Beste Wünsche für den Falken. Hoffentlich wird er mit 
der Zeit ein Edelfalke, gross und weithin fliegend und nicht ein 
Faleunculus.* So schrieb mir ein lieber Freund. Ich danke 
ihm für seine gutgemeinten Wünsche, hoffe aber meinerseits, dass 
der „Falco“ auch seinem Umfang nach stets ein schlanker Falke 
bleiben möge, je kleiner, desto flinker. Ein Falke von der Grösse 
eines Kondors ist aber vollends ein Ding der Unmöglichkeit. 
Diese zweite Nummer wird zeigen, wie der „Falco“ gemeint ist, 
denn sie soll das erste Berajah-Heft in raschem Fluge einholen. 
Um Jahresschluss ist voraussichtlich die dritte und letzte umfang- 
reichere Nummer des Jahrgangs fertig. Von Berajah kommt 
1905 keine weitere Lieferung. Die zweite Nummer erscheint 
wohl frühestens mit dem Vogel, den sie behandelt. Ein Grund 
dieser Verzögerung ist der für die Herstellung guter Tafeln sehr 
empfindliche Mangel an Tageslicht in den Wintermonaten. 

Mehr als zwei bis drei Lieferungen werden schwerlich im 
nächsten Jahre zustande kommen. Meinen Freunden und Korre- 


48 Mitteilungen über BERAJAH. 


spondenten, sowie einer Anzahl namhafter Örnitliologen, von 
denen ich vermute, dass es ihnen erwünscht ist, von meinem 
Werk Kenntnis zu nehmen, wird auf meine Veranlassung No. I 
von Berajah und Falco vom Verlag zur Ansicht zugesandt. 
Um dem Verleger die Beantwortung zahlreicher Anfragen zu er- 
sparen, wird bemerkt, dass für beide Hefte die auf den Um- 
schlägen angegebenen Preise für In- und Ausland ohne Porto- 
zuschlag einzusenden sind, falls man die Hefte zu behalten wünscht 
und auf Berajah und Falco für 1905 und 1906 abonniert. Eine 
Erhöhung des Preises tritt mit dem 8. Dezember für das Falco- 
Einzelheft nicht ein. Man vergleiche beiliegendes Blatt. 

Die eigentliche Veranlassung zur Ausgabe dieser kurzen 
eiligen Falco-Nummer ist folgendes: 

Obschon die Aufbewahrung der Berajah-Hefte dem Geschmack 
jedes einzelnen anheim gestellt wird, rate ich doch dringend, die 
Hefte nicht einzubinden, weil dadurch der Zweck der ganzen 
Anlage des Werkes vereitelt wird. Nur bei Aufbewahrung in 
Mappen kann jedes Heft beliebig vermehrt, können die einzelnen 
Tafeln bequem herausgenommen und verglichen werden. 

Original-Mappen. nach meinen Angaben eingerichtet, 
liefert billiger als dies bei Einzelherstellung möglich ist die Buch- 
binderei von A. Brauer, Wettin a. d. Saale, Prov. Sachsen, 
und zwar in einfacher Ausführung mit Leinwandrücken zu 
50 Pf., in eleganterer Ausführung mit Lederrücken zu 1 Mark. 
In diesen Mappen sind die Hefte und Tafeln gegen jede Be- 
schädigung geschützt. Der Name der betreffenden Vogelart ist 
auf dem Rücken der Mappe in echtem Golddruck eingepresst, 
bei den Mappen zu 1 Mark auch auf dem Deckel. Zusendung 
erfolgt gegen Nachnahme oder Voreinsendung des Betrags. Dabei 
sind in Deutschland und Österreich-Ungarn 30 Pf., im Ausland 
60 Pf. für Verpackung, Porto und Bestellgeld beizufügen. Bei 
Nachnahme erhöht sich der Preis um die Nachnahmegebühr. Be- 
stellungen richte man nur direkt an die genannte Buch- 
binderei. 0. Kl. 


Zu Falco, Seite 48. 


Zu beachten! 


Die Vorzugspreise gelten 


r 


für alle Käufer innerhalb der vierwöchigen Frist, also 
auch bei Einzelbezug; 


. bei Abonnement auf „Berajah allein“ für alle künftigen 


Lieferungen; 


. bei Abonnement auf „Berajah und Falco“ für die 


künftig erscheinenden und alle vorher ausgegebenen 
Lieferungen, wenn diese alle nachbestellt werden. 


Das Abonnement kann jederzeit beginnen, eine Subskriptions- 
frist gibt es also nicht. 

Für Porto (inkl. Verpackung) sind in Deutschland und Öster- 
reich-Ungarn 40 Pf., im Ausland 70 Pf. mit einzusenden. Bei 
Abonnement auf Berajah und Falco für 1905 und 1906 erfolgt 
die Zusendung portofrei. | 

Für 1905 sind also einzusenden 


I. 


ID 


2,40 Mark (Ausland 2,70 Mark), falls nur Berajah, Heft I 
gewünscht wird; nach dem 8. Dezember 3,40 Mark (bezw. 
3,70 Mark); 

3,40 Mark (Ausland 3,70 Mark), falls Falco, Heft I 
mit gekauft wird, nach dem 8. Dezember 4,40 Mark (Aus- 
land 4,70 Mark); 


. 3,40 Mark (Ausland 3,70 Mark), falls nach dem 8. De- 


zember auf Berajah allein abonniert wird; 


. 5.00 Mark für In- und Ausland, falls auf Berajah 


und Faleo für 1905 und 1906 abonniert wird. 


Bei Einsendung des Betrages wolle man deutlich erklären, 
ob man weitere Zusendung des Werkes wünscht oder nicht, 
und im ersteren Falle, ob nach Modus 1, 2 oder 3. 


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FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Wark 
„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


Jahrgang 1905, No. 3. Schlussheft. 


Preis des Jahrgangs 3 Mark. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. S. 


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Verlag von W. Schlüter, Halle a. 5, Ludwig Wuchererstr. 9. 


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FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 
„BERAJAH, 
Zoographia infinita” 


erscheinenäe Zeitschrift. 


Jahrgang 1905, No. 3. Schlussheft. 


Preis des Jahrgangs 3 Mark. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


Verlag von W. Schlüter, Halle a. 5, Ludwig Wuchererstr. 9. 


Auf der Sumpfwiese hält ein Trupp Kampfhähne Turnier, 
vornehme Kavaliere in bunter Halskrause, 

zierliche Degen ihre Waffen! — 

Aber die weichen Schnäbel sind stumpf. 

Kühn stossen sie zu, die Helden, doch sie tun sich nicht weh. 
— Da fuhr ein Falke unter sie. — 

Auseinander stob die Schar. — — 

„Er kennt nicht den Machetes-Comment,“ sprach der eine. 
„Er wird persönlich,“ rief der andere. 

„wie hässlich spitz ist sein krummer Schnabel,“ ein dritter, 
(nachdem er sich in Sicherheit gebracht). 

Der Falke aber sprach: „Mein Schnabel ist scharf und krumm, 
wer da will, mag das „krumm“ nehmen! 

Wahrer Adel kämpft nieht mit hölzernem Schwert, 

sondern mit scharfer Klinge. 

Mir ist die Sache immer ernst, 

und ernst wird sie auch für den, 

welchen ich fasse. 

Aber ein „Kampfläufer“ bin ich nicht!“ 

Und er flog seinen Weg weiter und 

scherte sich nicht mehr um die Sumpfvögel 

und ihr Geschrei. 


Wanderfalkenzug 1904/1905. 


In der ersten Nummer dieser Zeitschrift (p. 7) erwähnte ich, 
dass ich unlängst zwei Falco Peregrinus leucogenys für 
meine Sammlung erhielt. Um so mehr überraschte es mich, kürz- 
lich hier in allernächster Nähe im Besitz von Herrn Leutnant Rath 
in Neehausen ein ausgestopftes Stück dieser Wanderfalkenform 
vorzufinden, das von ihm um Ende März 1905 daselbst erlegt 
wurde, kaum eine Stunde entfernt von der Stelle, von wo 
ich am 29. November 1904 das junge Weibchen erhielt, und 
wiederum zur Zeit, wo die dunklen Wanderfalken des Südens und 
Westens schon beim Brutgeschäft oder doch am Horste sind. Der 
Vogel ist ein altes Weibchen von 36,5 cm Flügellänge. Es stimmt 
ganz mit dem auf p. 7 besprochenen Stück vom Elsass, dessen Balg 
ich damit genau verglichen habe, überein. Auch eigentümliche 
Schmutzflecken (offenbar von Erde herrührend) auf der Mitte der 
weissen, ganz ungefleckten Oberbrust und Kropfgegend fallen an 
beiden Vögeln auf. Ich führe diese darauf zurück, dass Falco 
Peregrinus leucogenys, der in den russischen Steppen und 
sıbirischen Tundren auf der Erde brütet, sich auch hier bei uns 
viel auf dem flachen Erdboden, z. B. auf Äckern aufhält, während 
unsere, auf Felsen und Bäumen horstenden Wanderfalken sich nıcht 
so oft auf dem Ackerboden das Gefieder beschmutzen. Der Kropf 
der Wanderfalken tritt nach einer Mahlzeit sehr stark hervor und 
kommt daher bei der wagerechten Haltung, die der Falke beim 
Kröpfen einnimmt, leicht mit der Erde in Berührung. 

Ich bitte darauf zu achten, ob Falco Peregrinus leuco- 
genys, der an seiner Grösse (besonders Flügellänge) und dem 
lichten Färbungstypus (schmalem Backenstreif, ganz ungeflecktem 
Kropf, verschwindender Brustfleckung, lichtblauer Oberseite) leicht 
kenntlich ist, in dem vorigen Winter auch anderswo gefunden 


52 Wanderfalkenzug 1904/1905. 


wurde, oder ob er in jedem Winter bei uns vorkommt und durch- 
zieht. Er ist ja diejenige Form, die den Namen „Peregrinus, 
Pellegrinus, Pilgrimfalke, Frömbdling und Wanderfalke“ wirklich 
Ehre macht durch ihre weiten Winterwanderungen. 

Sonst ist der Wanderfalke ein Vogel, der seine Flugkraft 
merkwürdig wenig zum Wandern anwendet, der kosmopolitischste 
Formenkreis, — und die Individuen, die Formen: alles andere als 
Kosmopoliten! 0... 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein. 
Von Carl Hilgert. 
(Fortsetzung von Falco, p. 29.) 


Erithacus Arboreus (Kl.) 


Wenn ich vorausschicke, dass wir hier sehr viel Kopfweiden 
haben, wird es gewiss nicht wundern, wenn ich das Garten- 
rotschwänzchen mit zu unseren häufigsten Brutvögeln zähle. 
Doch soll damit keinesfalls gesagt sein, dass es nur in den Kopf- 
weiden brütet. Wir finden es ausserdem in Parks und Gärten, in 
Obsthainen, Weinbergsanlagen und selbst in lichten Nadelwald- 
partieen, in Fichten- und gemischten Schonungen, doch liebt es die 
Nähe von Wasser, ist aber nicht daran gebunden. Einzelne Pärchen 
richten sich sogar in den Steinbrüchen am Berge häuslich ein. 

Im Volksmunde wird es hier „Wilder Rotschwanz“* ge- 
nannt, eine Bezeichnung, die wohl daher kommt, weil es mehr im 
Feld und Garten lebt als sein Verwandter, der Hausrotschwanz. 
Es ist aber öfter ebenso vertraut wie dieser und nistet auch an 
bewohnten Gebäulichkeiten. Jedes Jahr nistet hier in einem Parke 
ein Pärchen auf dem Vorsprung eines Balkens unter dem Dach- 
simse, genau wie ein Hausrötling. In den Kopfweiden nehmen sie 
mit allen möglichen Löchern fürlieb, doch wird ein seitlicher Eın- 
gang bevorzugt. Ist die Höhlung innen sehr weit, so wird das 
Nest, oder besser gesagt, die Nestmulde, in der äussersten Ecke 
angelegt. Das Ganze ist dann ein grosser Bau mit zierlichem, 
sauber ausgepolstertem Napfe. Ist der Platz beschränkt, dann 
wird nur wenig Nistmaterial eingetragen, und es kommt ihnen 
gar nicht darauf an, ob die Nestmulde rund oder länglich wird. 
Kleine Fluglöcher und öfter solche, wo man es kaum für möglich 
halten sollte, dass die Vögel hindurchkommen können, lieben sie 
sehr. Dadurch ist ihre Brut sehr vor Wieseln, Eichhörnchen und 
nicht minder vor den Tagedieben geschützt. 

(11) 


54 C. Hilgert. 


1899 beobachtete ich die ersten am 29. März. 

1902 . ni „. »6.April. 

1905 B en : » 1750. Marz 

Ende März oder in den ersten Apriltagen kommen sie hier 
an, die J'g‘ anscheinend 8 bis 10 Tage früher als die 2 92. Es 
mag dies nur eine Vermutung sein, da die unscheinbaren 2 9, 
zudem noch äusserst scheu, das schützende Holz in der ersten Zeit 
ihrer Ankunft nur ungern verlassen, mithin schwieriger zu be- 
obachten sind. Begründen möchte ich meine Ansicht mehr da- 
durch, dass die Jg’ in der ersten Zeit noch mehr ein Jung- 
gesellenleben zu führen scheinen, während sie Mitte April der 
Liebestaumel schon ganz ergriffen hat. 

Volle Gelege findet man schon Ende April, aber das hängt 
viel von Witterung und Ankunftstermin ab, Anfang Mai darf man 
aber sicher darauf rechnen. 

Ich notierte: 

18. Mai 1895, 5 Eier, frisch; 
13. „ 1896, 7 „ "etwas bebrütet; 
X 


13. 5.1896; < 2 R 
32 22.219042. 726:, 1% FErISeh® 

19521 7.1903,, bon: : 

al. 1905, 6 


Das zweite Gelege vom 13. Mai 1896 ist fast weiss, nur 
ganz blass bläulich angehaucht.!) Die ersten Gelege haben in der 
Regel 6 bis 7 Eier, während die der zweiten Brut aus 4 und 5 
bestehen. 

Ich habe im Laufe der Jahre schon hunderte von Gelegen 
angesehen, aber so helle, fast weisse Eier, wie das eine Gelege 
vom 13. Mai 1896 habe ich nie wieder gesehen. 

Ende September ziehen sie von uns weg. Bei leidlichem 
Wetter findet man in den ersten Oktobertagen noch vereinzelte, 
die zuweilen noch in der Mauser stehen und eine recht versteckte 
Lebensweise führen. 

Die Unterseite der 2 2 variiert individuell bedeutend. Es 
liegen mir aus der Kollektion v. Erlanger vier Anfang Mai ge- 
sammelte Exemplare (mithin wohl Brutvögel) vor. Darunter sind 
zwei Stücke mit fast rein weisser Bauchmitte, ein anderes Exemplar 


ı) Das Gelege befindet sich in der Kollektion v. Erlanger. 
(12) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Erithacus Domesticus (Kl) 55 


ist auf der ganzen Unterseite mit Ausnahme der Kehle, die bei 
allen mehr grau beschuppt ist, hübsch rostfarben, auf der Bauch- 
mitte nur eine Spur heller. Das andere Stück, wohl ein vor- 
jähriger Vogel, hat trübweisse Bauchmitte und Unterschwanzdecken; 
die übrige Unterseite hat ein schuppiges, graubraunes Aussehen 
mit kaum merklichem rostfarbenen Anfluge, der in den Weichen 
etwas deutlicher zum Ausdruck kommt. Bemerkenswert ist an 
diesem Stück das sehr abgenutzte Gesamtgefieder, 
Flügelmasse von Ingelheimer Brutvögeln: 


fd 29 
2x.80,0 mm, 79,5 mm, 
181558. UI DLAr, 
27905, 10) €, 

16.9... , 


Erithacus Domestieus (Kl.) 

Das Hausrotschwänzchen ist hier sehr gemein. Graue Zd 
sieht man so viel wie schwarze. Ich machte die Beobachtung, dass 
ein Pärchen das alte Nest renovierte, bezw. auf das alte Nest auf- 
baute und die zweite Brut darin aufbrachte. Es ist ja mit ab- 
soluter Gewissheit nicht zu sagen, dass es dasselbe Paar war, da 
an demselben Gebäude fünf Pärchen brüteten. Von diesen fünf 
Pärchen war nur in einem Falle das 5‘ schwarz. Eines Tages 
war es verschwunden und wurden die noch kleinen Jungen vom 
Q allein aufgezogen. 

Wenn das Wetter nicht gar zu schlecht ist, kommen sie schon 
Mitte März an. Ich glaube, dass die Ankunft stets nachts ge- 
schieht und die der Y'! einige Tage vor der Ankunft der 22. 

Ich notierte: 

1902, 19. März, mehrere graue Y'y‘ singend beobachtet; 
1903, 10. „ ein graues Exemplar beobachtet; 

1903, 12. ,„ erster Gesang; 

19047 19225 n R 

K305 12, & 5 

Ich habe dieses Jahr ein Pärchen beim Brutgeschäft genau 
beobachtet und folgende Notizen gemacht: 15. April ein Ei, 
19. April fünf Eier, auf denen das Q erst anderen Tags zu brüten 
anfing, 4. Mai (vormittags) ausgefallene Junge, die am 21. Mai 
ausgeflogen waren, nachdem sie schon zwei Tage auf dem Nest- 

(13) 


56 C. Hilgert. 


rande gesessen hatten. Mithin Dauer des Brutgeschäftes 
36 Tage exklusive Nestbau, der 9 Tage in Anspruch nahm. 

Am 9. Mai 1904 fand ich ein Gelege (zu 5 Eiern) mit roter 
Punktzeichnung.!) Das dazu gehörige Y' war grau. Die Zeich- 
nung besteht aus zahlreichen feinen und gröberen, blass rotbraunen 
Pünktchen und Fleckchen und tritt bei allen Eiern nur am stumpfen 
Pole auf. Sie ist bei einem Eı am härtesten, wird bei den anderen 
immer schwächer, bezw. feiner und besteht bei dreien nur aus 
feinen Spritzern. Die Zeichnung hat grosse Ähnlichkeit mit der- 
jenigen fein bespritzter Meiseneier und ist selbst bei dem am 
schwächsten gezeichneten Ei ohne Lupe noch auf eine Ent- 
fernung von einem Meter erkenntlich.?) 

Gefleckte Eier mögen öfter vorkommen als man vermutet, 
denn wer macht sich die Mühe, alle Nester zu untersuchen. Durch 
den Artikel von Kleinschmidt „Vierzehn Tage am Rhein“°) war 
ich erst veranlasst worden, mir alle Rotschwanzgelege, die ich 
finden konnte, näher anzusehen. 

Um das Pärchen nicht zu vergrämen und, wenn möglich, auch 
das Nachgelege zu bekommen, legte ich ihm Grünlingseier, die 
mir gerade zur Verfügung standen, in das Nest, die auch aus- 
gebrütet wurden. Doch als die Jungen halbwüchsig waren, fielen 
sie dem Raubzeug zum Opfer. Später habe ich noch alle Gelege, 
die ich finden konnte, genau nachgesehen, ein geflecktes war aber 
nicht mehr dabei. 

Als ich obigem Paare die Grünlingseier unterschob, trug ich 
ja Bedenken, ob die jungen Grünlinge das animalische Futter 
ihrer Pflegeeltern vertragen würden; dem war aber nicht so, sie 
gediehen vorzüglich und hatten schon Kiele, als sie durch Raub- 
zeug vernichtet wurden. 

Der Hausrötling scheint gegen kaltes und rauhes Wetter nicht 
so empfindlich zu sein wie sein Vetter, denn Ende Oktober, wo man 
gewiss keine Gartenrotschwänzchen mehr sieht, trifft man regelmässig 
noch Hausrötlinge an. Ja mitten im Winter werden öfter noch ver- 
einzelte beobachtet. So sah ich im Winter 1903 am 16. Januar 


ı) Das Gelege befindet sich in der Kollektion v. Erlanger. 

2) Vergleiche auch Kleinschmidt, Journ. f. Ornith. 1903, p. 428 f£., 
der auch ein Gelege mit roter Zeichnung fand, ferner Cab. Journ. 1875, 
p. 426; ©. Sachse, Ornithologische Notizen vom Westerwald. 

3) Journ. f. Ornith. 1903. 


(14) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Erithacus Domesticus (Kl) 57 


in den Dorfgärten einen grauen Hausrötling, den ich zur Sicher- 
stellung der Beobachtung erlegte') Am 4. November 1901 be- 
obachtete ich noch ein altes schwarzes Z. 

Heuer konnte man Ende September bis tief in den Oktober 
hinein noch singende g’ g' beobachten, nachdem sie von Ende Juli 
bis etwa Mitte September die Mauserzeit sehr zurückgezogen ver- 
lebt hatten. Die jungen Vögel führen nach der Brutzeit, etwa von 
Ende Juli bis Mitte September, ein Zigeunerleben und halten sich 
meistenteils im Felde auf, während die Alten sehr versteckt leben. 
Nach dieser Zeit bis zum Wegzug findet sich die ganze Gesell- 
schaft wieder an den Brutplätzen ein und übernachtet an den ge- 
wohnten Schlafplätzen. Noch heute, 31. Oktober, scheuchte ich 
einen Vogel an einem bekannten Schlafplatze auf. Am 1. No- 
vember sah ich noch ein schwarzes Z, für dieses Jahr die letzte 
Beobachtung. 

Flügelmasse Ingelheimer Brutvögel: 
ei nn 
1x87,5 mm, 1%X84,0 mm, 
370, ixso , 
2><86,0 , 
15&83,0) 
Vorjährige Zg, im April gesammelt, mit Spuren des 


schwarzen Kleides: 
2x 85,5 mm, 


1>< 84,5 ” 
12.84.07.) 

Vorjährige Z g,im April gesammelt, ohne Spuren des schwarzen 
Kleides. Es sind beides sichere Y'5', die singend beobachtet und 
deren Geschlecht durch Sektion unzweifelhaft bestimmt wurde: 

86,0 mm, 
840, 

Unsichere Brutvögel, drei alte Z Z', im September und Oktober 

gesammelt: 


88,0 mm, 
87,0: 7; 
855 „ 


!) Das Exemplar befindet sich in der Kollektion v. Erlanger. 

?2) Bemerkenswert ist bei diesem Exemplar das frisch vermauserte 
Kleingefieder, während Schwung- und Schwanzfedern noch das Nestkleik! 
repräsentieren. Die Kehle, Gesicht und Brust sind rein schwarz. 


(15) 


58 C. Hilgert. 


Unsichere Brutvögel, zwei alte ZZ, im März gesammelt: 
91,0 (!) mm, 
87,5 h 
Zwei alte 9°, im März und Dezember in Griechenland ge- 
sammelt: 
87,5 mm, 
Bm 
Drei alte 9‘, im April und Mai in der Schweiz gesammelt: 
89,0 mm, 
81,0% 
SD 7 


Pratincola Pratensis (Kl.) 

Das Braunkehlchen ist in den Wiesen häufiger Brutvogel. So 
zahlreich wie noch vor zehn Jahren ist es aber nicht mehr. Die 
Mehrzahl nistet auf den Wiesen. Sehr gern brüten sie auch in 
sogenannten alten Weidenschnitten. Es sind dies alte ungepflegte 
Weidenbestände, wo sich durch jährliches Schneiden fusshohe 
knorrige Köpfe bilden, dazwischen wuchern Brombeeren und Un- 
kraut aller Art. Die Nester sind im allen Fällen schwer auf- 
zufinden, selbst dann noch, wenn der brütende Vogel vor einem 
heraushuscht. Volle Gelege bestehen fast immer aus sechs Eiern, 
seltener aus fünf. Ende Juni, wenn das Mähen der Wiesen be- 
ginnt, werden ihre Nester zahlreich ausgemäht. Die Jungen oder 
die stark bebrüteten Eier werden dann mit wenigen Ausnahmen 
die Beute der Krähen. In früheren Jahren wurden die Wiesen 
nicht so früh gemäht, was ihrer Vermehrung sehr zustatten kam. 
In Jahren, wo durch schwere Wetter Ende Mai und Anfang Juni 
ihre erste Brut zugrunde ging, wurden beim Mähen Ende Juni 
und Anfang Juli überall frische Gelege gefunden. Wenn sich 
solche Fälle öfter wiederholen, kann es nicht wundern, wenn die 
Vögel seltener werden. Folgen aber wieder einige gute Jahre 
hintereinander, wo bei gutem Wetter Ende Juni, wenn das Mähen 
beginnt, das Brutgeschäft vorbei ist, so sind wieder alle Lücken 
ausgefüllt. 

Sie kommen gewöhnlich um Mitte April bei uns an, je nach 
dem Stande des Wetters, oft auch erst Ende dieses Monats. Heuer 
sah ich die ersten schon am 4. April. Es ist dies der früheste 
von mir beobachtete Termin. 

(16) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Pratincola Atricapilla (Kl) 59 


Ende August und Anfang September findet man sie oft massen- 
haft auf den Feldern, sowohl im Tal, als auch in höheren Lagen 
auf dem Durchzuge. 


Pratincola Atrieapilla (Kl.) 

Seltener Brutvogel bei uns, der an den Berghängen, Eisen- 
bahndämmen, an Wiesengräben und in alten Weidenschnitten !) 
brütet. Die Nester dieser Art sind, weil die Vögel seltener, noch 
schwerer zu finden als die von Prat. Pratensis. Wer aber etwas 
Routine im Nesterfinden besitzt, dem seien hier einige Winke ge- 
geben. Man muss schon anfangs oder spätestens Mitte April auf 
die Pärchen achten, wo sie ihre Standorte haben. Dort, wo man 
das 5%‘ auf der Spitze eines Busches oder auf sonst einem er- 
höhten Punkte öfter beobachtet, wird man, wenn die Vögel noch 
bauen oder wenn das Gelege noch nicht vollzählig ist, bald das 
unscheinbare Q sehen, und da sie sich fast immer in der Nähe 
des Nestes aufhalten, ıst es nicht allzu schwer, wenn man sich 
ruhig und gedeckt verhält, den ungefähren Standort des Nestes 
ausfindig zu machen. Sieht man dann längere Zeit das 9" allein, 
so ist der Moment gekommen, sich der Stelle vorsichtig zu nähern, 
bezw. die Örtlichkeiten, wo man das Nest vermuten kann, oder 
das Q@ verschwinden sah, abzusuchen. Während des Herantretens 
muss man aber die Augen offen halten, da das @, wenn es noch 
schwach bebrütete Eier hat, sehr frühzeitig weghuscht. Beobachtet 
man ein Z' öfter an einer bestimmten Stelle ohne das 9, dann 
darf man getrost nach dem Neste suchen, wobei es gut ist, sich 
einer Gerte oder Stockes zu bedienen, womit man über die Büsche 
etc. streicht, da, wenn die Bier stark bebrütet sind, das Q sehr 
fest sitzt. 

An trockenen Wiesengräben mit vereinzelten niederen Dorn- 
büschen brüten sie mit Vorliebe. Das Nest mit fünf unbebrüteten 
Eiern fand ich an einem solchen Graben gut versteckt unter einem 
mit Gras durchwachsenen Dornbüschehen am 12. April 1896, das 
Nachgelege dieses Paares mit ebenfalls fünf unbebrüteten Biern, 
ca. 30 Meter vom ersten Neste entfernt, am 21. Mai. Dieses 
Pärchen hatte ich an dieser Stelle öfter genau beobachtet, so dass 
es mir ein leichtes war, die Nester zu finden. 1899 fand ich am 


1) Vergleiche, was bei Pratincola Pratensis darüber gesagt ist. 
17) 


60 C. Hilgert. 


3. Mai am grasigen Bahndamme das Nest mit fünf zur Hälfte 
bebrüteten Eiern. 

Mitte April 1898 fand ich ebenfalls an der Böschung eines 
trockenen Wiesengrabens das Nest, nachdem ich einige Tage hinter- 
einander das Z' singend beobachtet hatte. Es enthielt am 14. April 
zwei Eier. Leider wurde es (anscheinend von Wasserratten) zer- 
stört. Unweit davon schritt dieses Paar sofort zur zweiten Brut, 
und konnte ich schon Ende Mai und noch bis Mitte Juni die 
Alten mit ihren Jungen am Nistplatze beobachten. Jedes Jahr 
brütet hier auch ein Pärchen am Rande einer sumpfigen Niede- 
rung, die mit Erlenhecken und Unkraut bewachsen ist. Dieses 
Pärchen hatte am 5. August 1904 flügge Junge. Es muss dies 
wohl die zweite Brut gewesen sein. Am 8. Juli machte ich mir 
über dieses Paar die Notiz, dass das g’ anhaltend auf der Spitze 
einer Erle sang, das @ sich im Gestrüpp aufhielt. 

Sie sind gegen die Unbilden des Wetters nicht so empfindlich 
wie das Braunkehlchen. Man sieht sie im Herbste viel länger 
und auch im Frühjahr früher als diese. 

Ich notierte: 24. Februar 1902 Z am Brutplatze beobachtet; 

15. März 71908 ‚0% S R 
IE Pre 1904 erste Beobachtung; 
ag, 10 1 

Auf dem Herbstzuge findet man sie oft sehr zahlreich in den 
Rüben- und Kartoffelfeldern, so 1903 vom 27. bis 31. September. 
Am 10. November erlegte ich noch ein altes 5* für die Sammlung. 

Flügelmasse eines gepaarten Paares vom 27. April 1902: 

‘ 64,0 mm, 2 64,0 mm. 

Ein am 17. April 1899 gesammeltes 5! hat ebenfalls 64,0 mm 
Flügellänge. 

Ein am 27. Oktober 1895 gesammeltes 5%! hat 65,0 mm 
Flügellänge. 

Ein am 29. März 1896 gesammeltes 2 hat 64,0 mm Flügellänge. 

Drei in den Wintermonaten in Griechenland gesammelte „'' 
haben 2 x 66,5 mm, 1x 64,0 mm Flügellänge. 


Saxicola Borealis (Kl.) 

War vor zehn Jahren noch sehr häufig hier, hat aber merk- 
lich abgenommen. In früheren Jahren, wo in den Weinbergs- 
anlagen amı Berge überall Steinhaufen lagen, waren ihnen die 

(18) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Saxicola Borealis (Kl.) 61 


denkbar besten Brutplätze geboten. Durch Neuanlage grösserer 
Chausseen fanden diese Steine, die dem Besitzer früher nur hinder- 
lich waren, bereitwillige Abnehmer. Mit ihnen (?) ist ein grosser 
Teil unserer Brutvögel verschwunden. 

Sie sind ja heute noch nicht selten, aber so gemein wie 
früher nicht mehr. An die Steine sind sie zwar keineswegs 
gebunden, sondern nisten auch an anderen passenden Stellen wie 
in flachen Kaninchenröhren, an Böschungen, unter Holzstössen, 
in den Erdhöhlen der Uferschwalben ete. In Baumlöchern habe 
ich aber noch keine nistend gefunden. Der Rückgang der Brut- 
vögel mag ja auch aus anderen Ursachen zu begründen sein, ich 
wüsste ihn aber nicht anders zu deuten. 

Anfangs, aber gewöhnlich erst Mitte April kommen sie an. 
Der Ankunftstermin richtet sich sehr nach der Witterung. 

Erste Beobachtung: 1899, 27. März; 
1902, 14. April;?) 


” ” 


Ä £ 1903, 26. , 
s Ir 1904, 18. , 
R 3 1905, 4. , 


Mitte August verlassen uns unsere Brutvögel und werden von 
Durchzüglern ersetzt. 

Ich notierte: 1903. 16. bis 25. August äusserst zahlreich auf 
den Feldern, dann grössere Pause bis Ende September, wo sie 
wieder sehr zahlreich waren. 

1905. Anfangs September überall auf den Feldern sehr häufig. 
Im Oktober aber keine mehr gesehen. 

Die ersten Gelege bestehen fast immer aus sechs Eiern, die 
späten aus vier und fünf. Im Laufe der Jahre habe ich mır viele 
Gelege angesehen, die immer einfarbig blass blaugrünlich waren. 
Am 22. Mai 1904 war ich aber so glücklich, ein Gelege zu sechs 
Eiern zu finden, von denen vier am stumpfen Pole einen schönen 
Fleckenkranz zeigten, ähnlich wie die Eier von Saxicola deserti.?) 
Dieses Jahr fand ich am 19. Mai ein Gelege zu sechs Eiern, die 
unbebrütet waren. 


!) Dr. Deichler hat schon 14 Tage früher die erste Beobachtung 


notiert. 
®) Das Gelege befindet sich in der Kollektion v. Erlanger. Ein 
Ei, und zwar ein ungeflecktes, zerbrach leider, so dass das Gelege nur 
noch aus fünf besteht. 
(19) 


62 C. Hilgert. 


Nach Erscheinen von Berajah, Heft I, sah ich mich ver- 
anlasst, das ziemlich bedeutende Material von Saxicola Borealis 
der Kollektion v. Erlanger genau zu untersuchen und im Anschluss 
an Kleinschmidts genaue Ausführungen daselbst das Material ein- 
gehend zu beschreiben. Wo nicht anders vermerkt, handelt es sich 
um Frühjahrs- bezw. Brutvögel. Ich lasse die @ weg, da sie 
nach meiner Ansicht zur Klärung der Sache weniger wertvoll sind. 


Flügellänge vom Bug bis zur Spitze in em. 


Hessen Bosnien Rumänien 
g ad. Imal 9,9, g ad. lmal 9,8, d ad. Imal 9,8, 
12,29% 1.3 ..36; 1: 2 4958 
2.0.90.) Sr 2. 9 
5,095, aa. 
1.90% 
Die Schwanzbinde variiert 
beı hessischen Stücken bei bosnischen bei rumänischen 
1,7—2,6, 1,7 —2,5, 21—2,3. 


Die Flügelgestalt eines alten Männchens vom 23. April 1899 
von Ingelheim entspricht genau der Abbildung Berajah, S. B., Tafel I 
neben Figur 2. 

Es ist bei diesem Vogel auch die vierte Schwinge eingekerbt, 
bezw. verjüngt und die Verjüngung der ersten beginnt genau auf 
gleicher Höhe mit dem Ende der Armschwingen. Bei drei 
anderen alten 5" vom gleichen Datum und Fundorte sind nur 
zwei Schwingen verjüngt und liegt auch hier der Einschnürungs- 
punkt der vorderen (= dritten) auf gleicher Höhe mit dem 
Ende der Armschwingen, ja sogar bei dem einen Vogel merklich 
dahinter. Dasselbe ist auch der Fall bei einem 5% aus Rumänien. 

Ich gebe anbei noch die Flügellängen von Vögeln aus 
anderen Ländern vom Bug bis zur Spitze in em. 

‘ad. England Nordostafrika Algerien 


2mal 9,6, lmal 10,1, lmal 9,6, 
1, 59,5; 7.202909, ee 196, 
2. 97, 
rn 7 


!) Das eine dieser beiden Stücke hat breite schwarzbraune Ränder 
an den langen Unterschwanzdecken. 


(20) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Saxicola Borealis (Kl.) 63 


Von leucorhoa liegen mir aus England drei %‘ ad. vor, die 
alle am 26. April 1898 gesammelt sind. Sie entsprechen der Ab- 
bildung auf Tafel II, Beraja, Heft I. Nur haben sie weniger Weiss 
auf der Stim. Bei zweien ist die Kehle im Schnabelwinkel wenig 
weisslich angeflogen. 


Flügellänge vom Bug bis zur Spitze in em. 
a ad. Imal- 10.4, 
22 1O.L. 
Die Sehwanzbinde variiert von: 
2,1—2,9. 

Von den Faröern liegen mir 2 Z vor, im Mai 1899 ge- 
sammelt, mit Flügellängen von 10,1 und 9,9 cm. Es sind beides 
junge, vorjährige g' mit braun gerändertem grauen Rücken, 
schwarzbraunen Flügeln mit hellbraunen Rändern. (Von Klein- 
schmidt erhalten und in Berajah mit angeführt.) Der kleinere 
Vogel hat sehr spitzen Flügel. 

Wo gehört nun aber folgender Vogel hin, der in England am 
19. April 1898 gesammelt ist? Eine „leucorhoa“ kann er nicht 
gut sein, denn er hat nur 9,3 cm Flügellänge, der Schwanz 
misst 6,0 em, die dunkle Schwanzbinde 2,3 cm. Der Flügel ist 
sehr spitz, die zweite Schwinge die längste, länger als die 
vierte. Die Oberseite ist rein grau wie bei unseren alten Brutvögeln, 
die Unterseite dagegen kaum eine Spur heller wie bei leucorhoa, 
Kehle wie Kropf lebhaft gelblichbraun, ohne eine Spur von 
Weiss. Der Vogel entspricht auf der Unterseite ziemlich genau 
der Abbildung auf Tafel II, Berajah, Heft I. Die Stirnbinde ist 
sehr schmal und wird aus weiss- und gelblichen Federchen ge- 
bildet. Spuren brauner Federränder befinden sich noch auf den 
Flügeln. Die Schnabellänge mit 12 mm entspricht dem Minimum 
auf Tafel III, Berajah, Heft I für „oenanthe“? 

Ich würde diesen Vogel, wenn er nicht so klein in seinen 
Flügelmassen wäre, ruhig zu leucorhoa ziehen und infolge seiner 
rein grauen Oberseite als ganz alten Vogel dieser Form bezeichnen. 
Dagegen spricht aber, wie schon gesagt, der kurze Flügel, der 
kurze Schwanz und die schmale Endbinde desselben. Kleinschmidt 
sagt ja, dass es von leucorhoa Z ad. wahrscheinlich noch kleinere 
Stücke gäbe, als er im Minimum seiner Masstabelle angibt. Doch 
ist es ausgeschlossen, dass dies Stück ein sehr kleines g' von 

21) 


64 C. Hilgert. 


leucorhoa sein könnte. Da die Vögel von den Faröern kleiner 
sind und das eine Z' von dort auch dieselbe Flügelformel auf- 
weist (bei 9,9 cm Flügellänge), ist es nicht ausgeschlossen, dass 
der englische Vogel auf dem Zuge nach den Faröern begriffen war 
und dass dort, wie auch Kleinschmidt in Fussnote auf Seite 3, 
Berajah, Heft I anführt, möglicherweise eine Zwischenform lebt.!) 

Das andere Stück mit 10,1 cm Flügellänge gleicht ja in seiner 
Schwingenformel oenanthe, ist aber auf der Unterseite zu lebhaft 
rostfarben, um damit vereint zu werden. Darin und in der Rücken- 
färbung, sowie Grösse des Schnabels kann ich keinen Unterschied 
von dem auf Tafel II, Berajah, Heft I abgebildeten 5 finden, nur 
hat die Stirne weniger Weiss. Der Vogel von den Faröern mit 
der oben angegebenen Flügelformel ist auf der Unterseite merklich 
blasser wie dieser. 


ı) Anmerkung des Herausgebers. Die beiden Faröervögel der 
Kollektion v. Erlanger stammen von mir. In derselben Sendung war 
ein Stück mit 10,3 em Fittichlänge (jetzt in meiner Sammlung). Ich 
besitze gleichfalls eine englische Saxicola Boralis, die durch braune 
Färbung, namentlich an den Schwingenkanten an S. B. leucorhoa er- 
innert. Entweder ist diese dunkle Färbung überhaupt öfter der eng- 
lischen Zwergform eigen, oder, was noch wahrscheinlicher ist, im 
Norden der Britischen Inseln (Schottland, Hebriden, Orkney, Shetlands- 
Inseln, schwerlich auf den Faröern) lebt eine Zwischenform zwischen 
der englischen Zwergform und leucorhoa. Spitze Flügel finden 
sich öfter bei Engländern neben ganz stumpfen (Balzflug des J' ad., 
vergl. Kiebitz!.. Nur sorgfältiges Sammeln von sicheren Brutvögeln, 
am Nest oder im Juni erlegt, kann diese Fragen lösen. Diese feinen 
Charaktere kann man nur an Reihen feststellen, selten zu Einzel- 
bestimmungen benützen. Collier gibt für Raasay, eine der nörd- 
lichsten der inneren Hebriden, den 10. April als Ankunftsdatum von 
S. Borealis an, was recht auffällig mit den südenglischen Daten kon- 
trastiert, aber zum Datum des von Hilgert besprochenen Zugvogels 
passt. 0. Kl. 


7 Über chinesische Vögel 


vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 


Von ©. Kleinsehmidt. 


In letzter Zeit wurden mir mehrere stattliche Samm- 


lungen 


chinesischer Vögel zur Bearbeitung übergeben, und zwar 


vom Roemer-Museum in Hildesheim zwei Sendungen: 


ie 


2> 


Collectio Ohlmer I. (leg. Bergen) aus verschiedenen 
Teilen Chinas. 

Collectio Ohlmer U. aus der Kiautschoubucht mit 
chinesischen Etiketten; die zweite Sammlung bes’eht fast 
nur aus Herbstzugvögeln, beide von Herrn E. Öhlmer- 
Tsingtau dem Museum geschenkt. 


Vom Städtischen Museum für Natur- und Heimat- 


kunde in Magdeburg 


3. 


mehrere Sammlungen, teils von verschiedenen Seiten ge- 
kaufte Bälge, teils Originalsendungen vorzüglich etikettierter 
Exemplare, gesammelt von Herrn Dr. M. Kreyenberg 
(zurzeit in Pingshiang) und meist von ihm und Herrn 
Dr. Wolterstorff dem Museum z. T. gegen Erstattung der 
Selbstkosten geschenkt. 


Von Herrn Lehrer Fritz Engler in Unterröblingen bei 
Öberröblingen am See 


4. 


Falco. 


eine zurzeit noch verkäufliche, namentlich an Raubvögeln 
reiche Kollektion. Die Vögel, 1903 bis 1905 von seinem 
Bruder Wilhelm Engler, Sergeant im II. Seebataillon 
Tsingtau, gemeinsam mit einem Freunde gesammelt, stammen 
nach dessen Angaben ohne Ausnahme aus dem Kiau- 
tschougebiet; die Wasservögel sind aus der Kiautschou- 
bucht, welche direkt an die Wohnung des Sammlers grenzt; 
sämtliche Raubvögel sind im Lauschangebirge erlegt, 
welches bekanntlich das nordöstliche Hinterland des Pacht- 
gebietes und mit seinen Ausläufern dieses selbst durchzieht. 
() 2 


66 Otto Kleinschmidt. 


Obgleich die Sammlungen schon ein recht hübsches Bild von 
der Gesamt-Ornis geben, fehlt doch noch die Hauptsache, eine 
wenn auch noch so kleine Anzahl zur Brutzeit mit Nest und Eiern 
gesammelter, mit genauen Notizen versehener Vögel. Erst dann 
lässt sich eine Liste der im Gebiet wirklich heimischen und nicht 
lediglich durchziehenden Arten aufstellen. 

Zu diesem wissenschaftlichen Zwecke ist es keineswegs nötig, 
Massen von angesiedelten Vögeln zu vernichten. Je langsamer 
und je weniger gesammelt wird, desto sorgfältiger kann dies 
Wenige präpariert und etikettiert werden. 

Ein paar Bemerkungen hierüber sind vielleicht am Platze, da 
diese Zeilen voraussichtlich mehreren draussen sammelnden Herren 
zu Gesicht kommen: Man binde sofort (am besten schon vor der 
Präparation) einen kleinen Zettel mit festem Zwirn an einen Fuss 
des erlegten Vogels. Der Zettel (beliebtestes Format etwa 7x2 cm) 
muss so gut befestigt sein, dass der Faden weder am Zettelrande 
ausreissen, noch vom Fusse sich lösen kann. Wenn man an einem 
vorschriftsmässig befestigten Etikett zieht, muss eher der Fuss 
vom Balg abreissen, als dass sich der Zettel vom Fuss trennen 
könnte. Der Doppelfaden zwischen Fuss und Etikett sei nur etwa 
2 bis 2'/, cm lang, damit die Etiketten verschiedener Bälge sich 
nicht miteinander verwirren. Etikettenmuster sende ich gern auf 
Verlangen. Auf die Etikette schreibe man sofort mit Bleistift 
oder Tinte recht deutlich Erlegungsdatum und Fundort. Weitere 
Notizen sind meist überflüssig, aber nicht unerwünscht. Bei Ge- 
schlechtsangaben ist stets zu notieren, ob sie p. s. — durch Sektion 
gesichert wurden, wenn man nicht vorzieht, Masse der Testes oder 
Övarien anzugeben. Gut ist es noch, wenn bemerkt wird, ob der 
Vogel selbst gesammelt oder als Balg aufgekauft wurde. In 
ersterem Falle garantiere man die Daten etwa durch die (eventuell 
abgekürzten) Worte „selbst erlegt“ oder „im Fleisch erhalten* 
und die (eventuell abgekürzte) Namensunterschrift. Jede irgend 
zweifelhafte Notiz kennzeichne man durch ein beigefügtes Frage- 
zeichen. Niemals lege man die Zettel lose bei. Durch 
kleine Nachlässigkeiten in der Etikettierung sind schon die fatal- 
sten wissenschaftlichen Irrtümer und andere üble Dinge herbei- 
geführt worden. Die Etikette an einem zoologischen Objekt ist 
eine wissenschaftliche Urkunde, die in einzelnen Fällen 
ausserordentliche Wichtigkeit erlangen kann. Man muss es 


(2) 


Über chinesische Vögel vorwiegend aus derGegend von Kiautschou. 67 


mit ihr ebenso ernst nehmen, wie man mit jeder anderen 
Urkunde tut. 

Eier werden durch ein seitliches Bohrloch entleert. Für 
rein wissenschaftliche Zwecke rate ich, das Bohrloch nicht zu klein 
zu halten und bei stark bebrüteten Eiern ein Stückchen Schale 
auszubrechen,!) es aber in das Ei zu legen und mit eingestopfter 
Watte vor Verlust zu sichern. Das entleerte Ei wird gereinigt, 
indem man aus dem unter Wasser getauchten Ei die Luft durch 
die Ausblaseröhre aussaugt. Blitzschnell dringt dann Wasser in 
das Ei. Das ausgespülte Ei lasse man möglichst unter Licht- 
abschluss auslaufen und trocknen. Den Herren, welche zurzeit in 
China sammeln, rate ich, Eier (in ganzen Gelegen) nur zu nehmen, 
wenn sie selbst das Nest am Standorte gesehen und einen oder 
beide alte Vögel erlegt haben. Jedes Ei muss durch Nummer 
oder Zeichen so sicher bezeichnet sein, dass man selbst 
beim Durcheinanderrollen aller gesammelten Eier sieht, zu welchem 
Vogelbalg es gehört. Auf dem Balgetikett muss der entsprechende 
Vermerk gemacht werden. 

Die Vögel, welche dem Jäger am meisten in die Augen fallen, 
Wasservögel, Strandvögel, überhaupt die grossen Arten, haben ın 
der Regel wenig wissenschaftliches Interesse und entsprechend ge- 
ringen Wert. 


Ich werde im nachfolgenden nach meiner Methode verfahren: 
vor allem die deutschen heimatlichen Arten im fremden Lande 
wiederzusuchen, und wo sie durch andere Farben verkleidet sind, sie 
zu demaskieren bemüht sein. Die exotischen Typen werden daher 
meist nur kurz gestreift.?) Ich finde die geographischen Ver- 


1) Für Liebhaber und Naturalienhandel sind solche und gross ge- 
bohrte Eier zwar wertlos, für rein wissenschaftliche Sammlungen aber 
viel erwünschter als ausgefaulte, zerbrechliche Schalen mit nadelfeinem 
Bohrloch. 

2) Mit der Anwendung der neuen Nomenklatur auf die exotische 
Vogelwelt entsteht nicht, wie einer meiner Freunde befürchtete, ein 
Chaos von neuen Namen, da die neuen Namen meist mit den alten 
völlig gleichen Klang haben. Für die paar europäischen Formenkreis- 
namen wird das vielgequälte Gedächtnis moderner Kulturmenschen 
wohl noch ein bischen Platz finden können. Übrigens gilt es wie beim 
Sammeln, so auch beim Ordnen, lieber langsam, aber dafür gründlich 
vorzugehen. 

(8) ” 


68 Otto Kleinschmidt. 


schiedenheiten an bekannten Tieren charakteristischer für das Land, 
welches sie hervorbrinst, als das Auftreten gewisser isolierter 
Arten, sogenannter Charaktertiere. 

Hier tritt uns nun eine auffallende Erscheinung entgegen. Die 
Vögel Nordostchinas haben in einzelnen Punkten eine auffallende 
Ähnlichkeit mit deutschen und westeuropäischen Formen. Eines- 
teils liegt dies daran, dass die hellen sibirischen Formen dort 
ein feuchteres und wärmeres Küstenklima erreichen, andererseits 
kommen hier Faktoren in Betracht, deren Aufklärung ausser- 
ordentlich interessante Aufschlüsse verspricht und die Annahme 
eines borealen Schöpfungszentrums oder einer Veränderung der 
Erdachse sehr wahrscheinlich macht. 

Diejenigen Arten bez. Formenkreise, welche nicht im Pacht- 
gebiet erlegt sind, sondern in anderen Teilen Chinas (in der Kollektion 
Öhlmer I. befinden sich viele Stücke von Südchina und Hainan), 
ebenso diejenigen, welche noch nicht für das Gebiet nachgewiesen 
sind, werden ohne Nummer aufgezählt und durch kleineren Druck 
der Namen gekennzeichnet. Die nicht bei Kiautschou erbeuteten 
Exemplare einer für Kiautschou nachgewiesenen Art werden in 
Klammern angeführt. 


Erithacus Poeta. 


Erithacus Poeta (Kl., Nachtigall, Journ. f. Orn. 1903, p. 316. 

Fehlt; gewichtige Gründe sprechen aber dafür, dass der chine- 
sische Erithacus sibilans, Erithacus akahige von Japan,!) 
Erithacus komadori von den Loo-choo-Inseln und „Turdus!‘ 
pallası (= aonalaschkae) von Nordamerika, die wirklichen nächsten 
Verwandten unserer Nachtigall sind. Es würde schwierig, jedoch 
hochinteressant sein, diese Vögel lebend zu importieren. Jeden- 
falls achte man sehr auf sie, wo man sie bei chinesischen oder 
japanischen Vogelliebhabern antrifft. Bei Kiautschou dürfte E. 
sibilans schwerlich gefunden werden. Der Vogel lebt wie die 
Nachtigall am Boden unter dichtem Waldgebüsch. Ich ver- 
mute, dass die Beobachtung über seine Stimme, nach welcher er 


!) Er hat mit unserem Rotkehlchen nur eine höchst verblüffende 
äussere Ähnlichkeit der Färbung im männlichen Kleide. Die japani- 
schen Namen akahige und „komadori“ sollen verwechselt sein. E. si- 
bilans sieht wie eine Nachtigall von sehr kurzem Wuchse aus, ist oben 
braun, unten weisslich und hat rotbraunen Schwanz. 


(4) 


Uber chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 69 


benannt ist, auf einem drolligen Missverständnis beruht. Es werden 
wohl die Laute junger, eben ausgeflogener Vögel beim Füttern 
gewesen sein, die man für den Gesang hielt. In Südchina (Macao) 
ist sıbilans nicht selten. Beobachtungen über Gesang und Lebens- 
weise, Nest, Eier und Bälge sind höchst erwünscht. 


1. Erithacus calliope (Pall.) 


In der Collectio Hildesheim II. sechs Stücke, drei mit roter 
Kehle. Diese haben 8,1, 8,0 und 7,95 cm Flügellänge. Beim kleinsten 
tragen die grossen Flügeldecken helle Flecken an den Spitzen. Ob 
dies immer ein Zeichen von Jugend ist? Von den drei anderen 
Vögeln hat ein Stück mit trübweisser schmuckloser Kehle und 
7,8 cm Flügellänge deutliche Flügelflecken, die zwei anderen nicht. 
Diese messen beide nur 7,5 cm und sind an Vorderbrust und 
Flanken mehr ockerfarbig. Während der eine von diesen kleineren 
Vögeln trübweisse Kehle hat, ist sie beim anderen rein weiss mit 
schwachem rubinrotem Anflug. Ich vermute, dass beide Weibchen 
sind. Eine Liste mit Geschlechtsangaben und chinesischen Namen 
zu den Bälgen ist zwar in meinen Händen, aber sie will nicht 
recht zu den Nummern stimmen. Vögel mit recht genauen Ge- 
schlechtsangaben oder einige in Spiritus oder Formalin gelegte 
Exemplare würden es ermöglichen, über die verschiedenen Kleider 
ins Klare zu kommen. Auch wäre noch festzustellen, ob die 
chinesischen Namen Hung-po, Chin-po und Ching Tao Chiao wirk- 
lich auf denselben Vogel gehen oder ob hier Irrtümer und Ver- 
wechslungen vorliegen. 

In der Collectio Engler befindet sich ein weiteres Stück 
mit schön rubinrotem Kehlschild und 8,0 cm Flügellänge, welches 
durch dunklere Färbung und sehr lange erste Schwinge 
auffallend von den anderen absticht. Die erste Schwinge ist 2,6 cm 
lang, bei jenen 2,0 bis 2,3 cm. Entsprechend verschieden ist das 
Verhältnis zur Länge der oberen Handdecken. 

Ob die Gruppe der rubinkehligen Nachtigall einen selb- 
ständigen Lebensring oder Formenkreis bildet, scheint mir noch 
nicht ganz ausser Zweifel. Es wäre festzustellen, ob der Vogel 
in der Gegend von Kiautschou brütet oder nur durchzieht. Für 
jede Mitteilung über den Nestbau der südlichen Formen wäre 
ich den Fachgenossen gleichfalls sehr dankbar. 


(5) 


70 Otto Kleinschmidt. 


Übrigens muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass das 
gelegentliche Vorkommen des Rubinkehlchens in Deutschland nicht 
unmöglich wäre, denn es soll sich schon bis nach Südfrankreich 
verirrt haben. So mancher seltene Fund geht durch Unkenntnis 
verloren. 

2. Erithaeus Astrologus. 


Erithacus Astrologus, Blaukehlchen, Journ. f. Orm. 1903, p. 336. 


Professor Reichenow zählt unter den Vögeln, welche das 
Königliche zoologische Museum zu Berlin von R. Zimmermann, 
Tsingtau, erhielt, ein Blaukehlchen, „Erithacus suecicus (L.) J* 
auf (Orn. Monatsber. 1903, p. 87). Herr Wilhelm Engler, der 
mich kürzlich besuchte, sagte mir gleichfalls, dass die Art bei 
Tsingtau durchzieht. Es wird sich wohl, um den echten Erithacus 
Astrologus suecicus (L.) handeln, den ich auch aus Indien besitze, 
und der im Sommer die ganze nordsibirische Küstenregion zu be- 
wohnen scheint, während in Südwestsibirien und Zentralasien ganz 
andere Blaukehlchenformen wohnen. 


Erithacus cyaneus (Pall.) 
In der Collectio Hildesheim I. zwei Stücke: 
d' ad., Chefoo, Mai 97, Flügel 7,2 cm. 
d' juv. (Unterseite nicht rein weiss), Zentral-Schantung, 3. Mai 00, 
Flügel 7,25 cm. 
Erithacus auroreus (Pall.) 


Dies Rotschwänzchen, das in seiner Farbenverteilung an unser 
Gartenrotschwänzchen erinnert, ist ziemlich typisch für die ost- 
asiatische Fauna. Es sieht aus wie ein Bindeglied zwischen 
Haus- und Baumrotschwanz, hat aber wohl mit beiden nichts zu 
tun. Ferner hat der Vogel, wenn man von der Kopffärbung ab- 
sieht, eine wunderbare Ähnlichkeit in Zeichnung und Farbe mit 
einer weitentfernten westlichen Art: Erithacus moussieri. Auch 
im Nestkleide ähneln sich beide sehr. Darauf komme ich gleich 
näher zurück. Für das Kiautschougebiet ist auroreus noch nicht 
nachgewiesen, wird aber wohl dort gefunden, da er ringsherum 
vorkommt. Es liegen folgende Bälge vor: 

Collectio Hildesheim I. 5, 16. März 98, Chefoo. 

Collectio Magdeburg. 2 ZZ, 1 2, 8. Oktober, 29. November, 
31. Oktober, Schanghai und eine Mumie, März 05, Futschou. 


(6) 


Über ehinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 71 


Die Flügellänge der letzteren 7,1 cm, alle anderen 7,3 cm. 
(Amurvögel meiner Sammlung messen bis 7,7 em, vielleicht nur 
zufällig. Ebenso wird es wohl Zufall sein, bez. auf jugendlichem 
Alter beruhen, dass bei einem männlichen Herbstvogel vom Amur 
die Oberseite infolge düsterer Federsäume fast einfarbig braun 
verschleiert ist.) 

Die beiden folgenden hat man zuweilen zu den Rotschwänzen 
gestellt, was als grober systematischer Fehler gilt. Ich zähle sie 
hier auf, um die Verwandtschaft der Spiegelrotschwänze zu er- 
örtern. 

Chimarrhornis leucocephala (Vigors) 

Zwei Herbstvögel, beide ZZ’ von Ichang, in Collectio Hildes- 
heim I. Der eine hat einen weisslichen Fleck auf der mittleren 
Schwanzfeder. Die Länge der ersten Schwinge, welche die Zu- 
gehörigkeit zu den Timeliiden beweisen soll, variiert bei dieser 
Art ganz bedeutend. Legt man zwischen diese und die vorige 
Art das alte Männchen von Erithacus erythrogaster (Gülden- 
städt) und E. grandis (Gould),!) fügt man ferner noch E. ery- 
thronotus und moussieri hinzu, so hat man eine wunderbare 
Übergangsreihe zwischen sehr verschiedenen Tieren vor sich. Aber 
Übergänge allein beweisen nichts. Mögen auch Verwandtschaften 
zwischen den Spiegelrotschwänzen zum mindesten vorliegen (Ver- 
breitung längs der Gebirgszüge), so muss ich doch vorläufig trennen: 
1) Chimarrhornis, 2) E. erythrogastra und grandis (Rothschild hielt 
sie seinerzeit für spezifisch verschieden), 3) auroreus, 4) ery- 
thronotus, 5) moussieri, denn die Weibchen von 1 sind den Männ- 
chen ähnlich, die von 2 ganz verschieden von ihnen (sie sehen 
wie grosse hellgraue Hausrotschwänze aus), die von 3 haben 
einen Spiegel im Flügel, bei 4 und 5 sind die Spiegel ganz anders. 
Die Eier ähneln bei 5 denen vom Hausrotschwanz, bei 3 sind sie 
grünlich mit rötlichen Flecken, bei 2 einfarbig blaugrün, wenn ein 
grandis-Ei meiner Sammlung echt ist, bei 1 sind sie weiss mit 
roten Flecken, also meisenähnlich. Aber auch bei unserem Haus- 
rotschwänzchen finden sich weisse, bläulichgrünliche und meisen- 
ähnliche Eier (vergl. Seite 56 dieser Nummer). Es liegen hier 
hochinteressante Fragen vor, die durch genaue Feststellung der 


ı) Issyk Kul bis Gansu, China. Vergl. den Artikel von W. v. Roth- 
schild, Nov. Zool. 1897, p. 167. Ich verdanke Herrn Schlüter prächtige 
Exemplare dieser hervorragend schönen Rotschwänze. 


(M 


72 Otto Kleinschmidt. 


Alterskleider, der Nistweise und vor allem der Lebensgewohn- 
heiten gelöst werden müssen. Chimarrhornis und Erithacus ery- 
throgaster leben an reissenden Gebirgsströmen, beide haben rein 
weisse Kopfplatte. Man vergleiche die Färbung des Vorderkörpers 
und der Kopfplatte bei Henicurus sinensis, einem ganz anderen 
Vogel, der ähnlich lebt. Nicht mehr „Systematik oder chaotische 
Descendenz?“ sondern „Conscendenz oder Parallelismus?“ sind die 
Fragen, die uns heutzutage auf Schritt und Tritt begegnen. Man 
vergleiche die Flügelspiegel beim chinesischen Steinrötel mit roter 
Brust und hellem Scheitel. Der folgende Vogel ist ein Beispiel, 
dass auch das kupferartige Rot bei Chimarrhornis und E. erythro- 
gaster sehr wohl eine Parallelerscheinung sein kann. 


Rhyacornis fuliginosus (Vig.) 
Ein altes Männchen und ein Weibchen ım Jugendkleide von 
Ichang in Collectio Hildesheim 1. 


Henicurus sinensis (Gould) 

Ich möchte diesen Vogel mit Cinelus in eine Gattung stellen, 
trotz seines langen Gabelschwanzes. Er bildet mindestens 
mit Henicurus frontalis (Elwes) von Malakka!) einen Formenkreis. 

In der Collectio Ohlmer I. befindet sich ein prachtvolles 
&, Ichang, 28. November 1901. Sammler werden gebeten, von 
etwa erbeuteten Stücken dieser Art, die wie eine riesige schwarz- 
weisse Bachstelze aussieht (Länge etwa 30 cm), die abgezogenen 
Körper nicht wegzuwerfen, sondern in Spiritus, Formalinwasser (aber 
gut etikettiert) aufzubewahren für anatomische Untersuchungen. 


Cinclus siemsseni (Martens)?) 


Cinelus siemsseni G. H. Martens, Orn. Monatsber. 1903, p. 186. 
Futschou. (Benannt nach Herrn Konsul C©. Siemssen, Futchou.) Cf. Sharpe, 
Cat. Birds Brit. Mus., VI, p. 316. 


Ein %, Ichang, 26. Oktober 1901, in der Collectio Ohlmer I. 


©) 
Hat 11,3 cm Flügellänge und bestätigt also diese Form aufs Beste, 
1) Elwes (A Revision of the Genus Henicurus, The Ibis 1872, p. 250, 
H. frontalis, pl. IX, p. 259) vereinigt die Form sinensis mit Henicurus 
leschenaulti (Vieill.) 1818. 
2) Ich klammere die Autorennamen immer ein und habe dafür 
a. a. O. die Gründe auseinandergesetzt. 


(8) 


Uber chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 73 


deren Hauptunterschied von den anderen einfarbig braunen Wasser- 
staren (C. pallası ete.) in der bedeutenden Grösse besteht. Martens 
gibt für sein Exemplar 10,5 cm Flügellänge an. Dass alle Wasser- 
stare der Welt eine natürliche Gattung, einen Formenkreis bilden, 
ist selbstverständlich. Auf die Nomenklatur desselben komme ich 
später zurück. 


3. Monticola Rutieilla gularis (Swinh.) 
Rote Steinmerle. 


Den Formenkreis des Steinrötels benenne ich als Monticola 
Rutieilla, denn die westliche rotschwänzige Form Monticola 
Rutieilla saxatilis (L.) zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit unserem 
Gartenrötel, die östliche grauschwänzige Form gularıs gewisse 
Analogien zu Ruticilla aurorea. Die alten Vögel beider Formen 
sind gewiss sehr verschieden gefürbt, aber der Begriff „Formen- 
kreis“ ist ja viel weiter als der Begriff Species etwa im Sinne 
Harterts. Monticola saxatilis hat in der Jugend den weissen Kehl- 
streif, der dem östlichen Steinrötel zum Namen gularis verhalf und 
alles andere erklärt sich durch Farbenverschiebungen, wie wir 
solche von den Starformen kennen. 

Es liegen mir von M.R. gularis vor ein schönes altes Männ- 
chen, Käfigvogel,!) vom Juli in der Collectio Engler (und ein 
Weibchen von Zentral-Schantüng, 28. April, Collectio Ohlmer 1.). 


4. Monticola Merula solitarius (St. Müll.) 


Blaue Steinmerle. 


Den Formenkreis der Blaumerle benenne ich als Monticola 
Merula, westliche Form Monticola Merula eyanus (L.), öst- 
liche Form Monticola Merula solitarius (Müller). Auf die 
Nomenklatur der Formen und auf die Zwischenformen kann ich 
mich hier nicht einlassen. 

Es liegt mir eine hübsche Reihe von fünf solitarıus vor 
(2, Nestkleid, Chefoo, 2, Lienchow, beide in der Collectio 
Ohlmer L), 3 Männchen von Tsingtau in verschiedenen Gefieder- 


1) Obsehon dies Stück in Gefangenschaft war, also nicht sicher ist, 
ob es im Kiautschougebiete erbeutet wurde, führe ich doch den Vogel 
unbedenklich numeriert auf, da er von Reichenow bereits für das Pacht- 
gebiet nachgewiesen ist. 


(9 


74 Otto Kleinschmidt. 


stadien, 2 in der Collectio Engler, ein ausgefärbtes (rotbrüstiges) 
Prachtexemplar im der Collectio Kreyenberg. 

Die rotbraune Brust von Monticola solitarius ist kein Über- 
gang zu Monticola saxatilis, sondern Folge eines geographischen 
Färbungsgesetzes, das ich weiter unten bei den Drosseln bespreche. 

Die zwei Englerschen Stücke haben einige blaue Federn auf 
der Brust. Dresser kam durch eingehende Studien (cf. Birds of 
Europe, U, p. 149, Appendix a) zu dem Resultat, dass die rote 
Brust zuletzt verschwindet und solitarıus im höchsten Alter der 
westlichen einfarbig blauen Form gleicht. Die mir vorliegen- 
den Bälge sprechen aber dafür, dass die Brustfärbung individuell 
variiert. Es wäre interessant, zu erfragen, was die chinesischen 
Vogelliebhaber darüber an gefangenen Vögeln beobachtet haben, 
ob also rotbrüstige Steindrosseln bei der Mauser ganz blaubrüstig 
geworden sind oder ob nur Federn mit abgestossenen blauen Feder- 
enden durch solche mit vollständigem (blauem) Endsaum ersetzt 
werden. Flügelmasse der fünf Stücke: 12, 11,8, 12, 12, 13 cm 
(Reihenfolge wie oben). 

Bei M. M. cyanus messe ich: 12,1, 12,2, 122, 12,2, 12,3, 
134.126. 127,122, 127, 127.431, 183 em. 


Turdus Vernus mandarinus (Bp.) 
Turdus Vernus, Schwarzamsel, Journ. f. Orn. 1903, p. 440. 
Drei Stück Wintervögel, bezeichnet als Z' ad. und 9 ad. (P), 
Shanghai, Museum Magdeburg, und 5‘ juv., Hangchow, Museum 
Hildesheim, messen 15,4, 15,9, 15,0 cm Flügellänge. Bei unserer 
deutschen Amsel habe ich nicht über 13,6 cm gefunden. 


5a. Turdus Borealis naumanni (Temm.) 

Turdus Borealis, Weindrossel, Journ. f. Orn. 1903, p. 464. 

Die Naumannsdrossel ist die ostasiatische Vertreterin von Turdus 
ilıacus (auct. nec. L.). Der rote Fleck unterm Flügel unseres 
Vogels ist bei naumanni auf die ganze Brust ausgedehnt und hat 
die schwarzen Flecken und Streifen fast ganz verdrängt. Bis- 
weilen tritt aber sehr deutlich die Weindrosselzeichnung hervor. 
Wer die enge Verwandtschaft beider Vögel bestreiten will, be- 
weist nur, dass er nicht genug Exemplare von beiden in Händen 
gehabt hat oder dass er kein Auge für die Plastik unserer ein- 
heimischen Drosseln besitzt. Die Verschiedenheiten der Naumanns- 

(10) 


Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 75 


drosseln lassen sich keineswegs alle als Alters- und Geschlechts- 
verschiedenheiten erklären, sondern sind zum Teil Anklänge an 
iliacus (auct.), zum Teil Anklänge an die folgende Form. Die 
Anklänge brauchen nicht durch Vermischung entstanden zu sein. 

Diese Drosseln scheinen zahlreich bei Tsingtau durchzuziehen. 
Es verlohnt sich, davon recht viele zu sammeln, nicht nur 
schöne alte Männchen. Es kommt hier besonders auf recht ge- 
naue und vorsichtige Geschlechtsangaben an. 

Es liegen vor sieben Stücke von Kiautschou, davon vier ın 
der Collectio Ohlmer IL, eins im Museum Magdeburg, zwei in 
der Colleetio Engler (ferner noch ein Stück von Shanghai im 
Museum Magdeburg). Die Flügellänge beträgt 13,3,') 13,3, 13,2, 
13,1, 12,8, 12,7, 12,5, 12,5 cm 


5b. Turdus Borealis fuscatus (Pall.) 
— Turdus Borealis dubius (Bechst.) 


(13,5), 13,1, 13, 12,8 cm sind die Masse von drei (vier) 
Stücken, davon (eins von Chefoo, Collectio Ohlmer I.) eins von 
Tsingtau, Collectio Kreyenberg, zwei in der Collectio Engler. Bei 
T. fuscatus ist die rote „iliacus“-Farbe auf den Öberflügel aus- 
gedehnt und die dunklen Flecke, die schon bei ıliacus (auct.) so 
gewaltig variieren, sind so sehr ausgedehnt, dass z. B. ein Stück 
meiner Sammlung von Wladiwostok oben fast einfarbig schwarz 
ist. Wenn man die individuelle Variation dieser „Art“ vor Augen 
hat, liegt der Gedanke nahe, dass T. fuscatus und T. naumannı 
Phasen derselben Form sind, wie es graue und rote Waldkäuze 
gibt. Es gibt ja wohl auch nicht viel gepaarte Paare dieser 
Drosseln in Sammlungen. Viel wahrscheinlicher ist es indessen, 
dass fuscatus und naumanni sich geographisch vertreten, dass das 
Zentrum des Brutgebiets von naumanni an der oberen Lena liegt, 
nördlich und östlich von fuscatus umschlossen wird, während iliacus 
längs der Küste östlich bis zur Lenamündung reicht und gelegent- 
lich auf seinen Herbstwanderungen die beiden ostasiatischen Bluts- 
verwandten mit nach Europa bringt. Die Verbreitungsgebiete der 
Vögel in Sibirien liegen anscheinend ganz anders, als man früher 


ı) Ich besitze T. B. naumanni bis zu 13,5 em, also sind naumanni 
und fuscatus ganz gleich gross, iliacus (auct. nee L.) besitze ich bis zu 
12.5 em. 


(11) 


76 Otto Kleinschmidt. 


auf Grund einzelner Reiselinien annahm.) T. B. fuscatus scheint 
sich zuweilen mit iliıacus zu vermischen. Die Jungen solcher Bruten 
werden dann leicht für Aberrationen oder für Bastarde mit Turdus 
pilaris gehalten.?) 

Sehr wichtig wird es sein, festzustellen, ob bei Tsingtau die 
helle und die dunkle Rotdrossel gemeinsam oder in getrennten 
Flügen wandern und ob sie gleichzeitig oder etwas nach- 
einander eintreften. 


6. Turdus Bragi hortulorum (Sel.) 

Ein altes Männchen von Tsingtau, im der Collectio Kreyen- 
berg, Flügel 11,9 cm. 

Ich habe seinerzeit den Formenkreis unserer Singdrossel 
Turdus Bragi°) genannt (Journ. f. Orn. 1903, p. 460), nicht um 
den fatalen, durch die Nomenklaturgesetze gebotenen Umtausch 
der Namen „iliacus“ und „musicus“*) zu vermeiden, sondern um 


1) Es entsteht dann leicht die Meinung, dass zwei Vögel Gebiete mit- 
einander bewohnen, während in Wirklichkeit die Gebiete zipfelförmig 
ineinandergreifen. Die Sammlungen von Popham und Hall liefern 
erst wenige, aber überaus wertvolle Punkte. Der späte Zug vieler 
Sibirier erschwert die Sache sehr. Nur identifizierte Nester sind daher 
für die Feststellung der Brutplätze massgebend. 

2) Der in the Ibis 1898, pl. VII abgebildete Vogel ist, soweit man 
nach der Abbildung urteilen kann, eher ein reinblütiger T. Borealis 
als ein Bastard. 

®) Nach dem germanischen Gott des Gesanges Bragi. Wenn unsere 
Ahnen auch Barbaren waren, so waren sie doch im zarten Natur- 
empfinden den Griechen und Römern weit voraus. 

4) Diese Sache hat in England mehrere Artikel veranlasst. Graf 
Salvadori (Ibis 1904, p. 552) eitiert die Namen „Turdus bragi und borealis“ 
als Speziesnamen und hat damit zwei nutzlose Synonyme in die Literatur 
eingeführt. Turdus Bragi (Kl.) ist kein Synonym der Singdrossel, sondern 
ein höherer systematischer Begriff, der uns über die Kurz- 
siehtigkeit des Linn&schen Systems erheben soll. Was die Namen- 
verwechslung betrifft, so wird nichts anderes übrig bleiben, als entweder 
„I. Borealis iliacus (plurimorum auctorum), T. Bragi musicus (pluriimn. 
auct.)“ zu schreiben oder die Weindrossel musicus und die Singdrossel 
iliacus (L.) zu nennen, wie es Hartert konsequent akzeptiert. Gerade die 
Bemühungen, die Namen im alten Sinn zu retten, haben bewiesen, dass 
nach allgemeiner Ansicht ein „Umtausch“ stattgefunden hat, also 
Linnes Natursystem von 1758 die Singdrossel „T. iliacus“ nennt. 
Ein Vertreter der alten Schule Englands dehnt seinen Widerspruch 
gegen nomenklatorische Neuerungen sogar auf das geographische Ge- 


(12) 


Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 77 


zur Erforschung der natürlichen Verwandtschaft der Singdrossel 
Anregung zu geben. In der Literatur wird allgemein Turdus auritus 
(Verr.) als chinesische Form unserer Singdrossel angeführt. Die 
hat aber gar nichts mit der Singdrossel zu tun, denn die ost- 
asiatische Singdrossel ist der sogenannte Turdus hor- 
tulorum (Sel.), der unter mehreren Namen (darunter sogar noch 
als Geocichla und als Merula)?) aufgeführt und abgebildet wurde, 
obschon z. B. auf der Tafel VII im Ibis 1872 der Singdrossel- 
charakter des Vogels vortrefilich von Keulemans wiedergegeben 
ist. Turdus hortulorum ist weiter nichts als eine farbenprächtige 
Singdrossel, bei der die Farbe des Unterflügels intensiver und auf 
die Körperseiten ausgedehnt ist. Dabei werden die dunklen Flecke 
der Unterseite gewissermassen absorbiert. Ich besitze eine hübsche 


biet aus. Er kann die neuen Namen „Bismarckarchipel, Neu- 
Pommern, Neu-Mecklenburg, Neu-Lauenburg“ nicht ver- 
schmerzen. Als er diese Namen zuerst auf Vogelbalgetiketten einer 
deutschen Sammlung las (ich stand zufällig dabei), seufzte er: „That the 
people, who always for priority“. Er hat seinem Bedauern über diese 
Namen neuerdings auch im Ibis Ausdruck gegeben. Ich meine aber, 
dass es von Deutschland ganz taktvoll war, mit dieser neuen Nomenklatur 
zu zeigen, dass ihm an der Herrschaft über ein „Neu-Irland‘, 
ein „Neu-Britannien“ oder sonst etwas Britannisches nichts 
gelegen ist. 

Hier beweist die Sache nur, dass es möglich ist, sogar eingebürgerte 
Namen erfolgreich zu ändern. 

Wir verdenken es dem omithologischen Alt-Britannien nicht, 
wenn er zähe an Linnes XII. Ausgabe und binärer Nomenklatur fest- 
hält, mit der es viel geleistet hat (gerade auch auf zoogeographischem 
Gebiet), aber es wird das aufblühende ornithologische Jung-Britannien, das 
Hand in Hand mit uns nicht die Namen, sondern die wahre Verwandt- 
schaft der Tiere ergründen will, in seiner Entwicklung nicht aufhalten. 

1) Dies Beispiel möge zeigen, wie sehr die vielen Untergattungen 
dazu dienen, die Übersicht über das natürlich Zusammengehörige zu 
zerreissen und das wirkliche Naturbild zu entstellen. Ich habe mir 
seinerzeit wohl überlegt, ob es nicht möglich wäre, die natürlichen Ver- 
wandtschaften durch Subgenera auszudrücken und zuerst (Orn. Jahr- 
buch 1897, p. 59) möglichst im Rahmen der bestehenden Nomenklatur 
zu bleiben versucht. Aber auf diesem Wege, den neuerdings die inter- 
nationalen Zoologenkongresse beschritten haben, entstehen viernamige 
Bezeichnungen: Turdus (Merula) merula merula (L.), Turdus (Merula) 
merula mauritanicus (Hart.), Corvus (Heterocorax) capensis minor (Heug!.). 
Das sind Formeln, aber keine Namen. Ich kehre daher der „vor- 
geschriebenen“ Nomenklatur den Rücken und schaffe mir meine eigene. 


(13) 


78 Otto Kleinschmidt. 


Reihe des Vogels in allen Kleidern von Wladiwostok. Während 
die jungen Vögel und Weibchen im vorderen Körperdrittel noch 
völlig unserer Singdrossel gleichen, sehen die alten Männchen ganz 
anders aus. Der Schnabel wird einfarbig gelb, die Oberseite ein- 
farbig blaugrau, ebenso der ganze Kopf und Hals bis auf die Vorder- 
brust.. Nur noch ganz zarte, kaum sichtbare mattgraue Flecken 
deuten die verschwundene Drosselzeichnung an. Die ganze Plastik 
ist die unserer Singdrossel. Durch seine Farben erinnert der Vogel 
zugleich an einfarbige Amseln, an den afrikanischen Turdus pelios, 
mit dem er verwechselt worden ist, und an die Rotdrossel. Der 
Laie würde diesen Vogel als Übergang zwischen iliacus und musicus 
(auct.) ansehen. Sowie man aber eine Rotdrossel neben ihn legt, 
sieht man, dass diese ein ganz anderes Rot, dasjenige von Turdus 
naumanni hat. Den Namen hortulorum soll der Vogel einer 
Verwechslung mit jungen Turdus cardıs verdanken. Ich besitze 
ein Drosselei vom Amur, das angeblich dieser Art zugeschrieben 
wurde, halte es aber für Turdus obscurus, weil es genau zu Ibis 
1901, Taf. IX, Fig. 5, stimmt. Ich bin überzeugt, dass das erste 
sorgfältig identifizierte Ei von Turdus hortulorum dem Typus 
unserer Singdrosseleier ähneln wird, wie es auch bei der viel mehr 
abweichenden amerikanischen Singdrossel (Turdus Bragi muste- 
linus) der Fall ist. 

Ich bitte besonders darauf zu achten, ob die blaugraue Drossel 
mit rostgelbroten Flanken und weisser Bauchmitte im Kiautschou- 
gebiete oder Hinterland brütet. Nest, Eier und Daten über Gesang 
und Lebensweise sind höchst erwünscht für Berajah! 


Turdus Arboreus (Kl.) 
Misteldrossel, Journ. f. Orn. 1903, p. 456. 


Noch viel dringender erwünscht ist mir Material von Turdus 
auritus Verr.,!) N. Arch. Mus. Bull., VI, p. 34 (1870), weil mir 
solches noch gänzlich fehlt. Der Vogel ist unserer Singdrossel so 
ähnlich, dass er allgemein mit ihr verglichen und für ihre chinesische 
Subspezies gehalten wurde (vergl. Neuen Naumann I, p. 203). Der 
Vogel kann aber keine Form von Turdus Bragi sein, denn 


1) Der Name ist übrigens durch Turdus auritus (Gm.) präokkupiert. 
Manche (z. B. Hartert) lassen gleichlautende Namen bestehen, wenn die 
Genera verschieden sind. Darauf komme ich ein andermal zurück. 


(14) 


Über chinesische Vögel vorwiegend aus derGegend von Kiautschou. 79 


1. können nicht zwei Formen der Singdrossel neben- 
einander vorkommen, und um Phasen kann es sich hier nicht 
handeln; 

2. kann nicht südlich von Turdus Bragi hortulorum ein 
weniger bunt gefärbter Vertreter desselben Formenkreises wohnen; 

3. ist die Farbe der Unterflügel ein geographischer Charakter; 

4. legt Turdus auritus Misteldrosseleier; 

5. hat der Vogel nach der Abbildung in Nouv. Archives Mus. 
Bull., Pl. 5, in der Zeichnung der Ohrgegend und der Unterseite, 
überhaupt in seiner ganzen Erscheinung den unverkennbaren 
Färbungstypus unserer Misteldrossel. 

Obgleich ich noch keinen Balg des Vogels gesehen habe, bin 
ich meiner Sache doch ganz sicher, und die Zukunft möge an 
diesem Beispiel zeigen, ob meine Formenkreislehre der Wissenschaft 
nützt oder nicht. Ich kenne nunmehr von Turdus Arboreus 
die Formen 

1. viscivorus (L.), Schweden, 

2. meridionalis (Brm.), Algier, mit grösserem Schnabel, 

3. bonapartei (Cab.), Himalaya, viel grösser, 

4. auritus (Verr.), viel kleiner. 

Ein Vogel meiner Sammlung von Russland und ein Stück 
von Merw in Collectio Kollibay, das ich untersuchte, sind viel- 
leicht zwei neue Zwischenformen zwischen 1 und 3. Vorläufig 
genüge es, festzustellen, dass hier, wie so oft, in China wieder eine 
kleinere Form auftritt. 

Da bei Kiautschou Wälder gänzlich fehlen, so ist wenig Hoff- 
nung vorhanden, den Vogel von dort zu erhalten. Vielleicht 
kommt er ım Hinterland vor. 

Beifolgende Zusammenstellung (S. 80) ergibt eines der schönsten 
Beispiele von geographischem Parallelismus. Zwischen Turdus 
Borealis naumannı und Emberiza leucocephala ist der 
Parallelismus zuweilen so gross, dass ich Bälge besitze, die der 
beste Vogelkenner nicht unterscheiden kann (ob Ammer oder 
Drossel!), wenn ich Kopf und Schwanz verdecke. Ich werde davon 
wahrscheinlich im Jahrgang 1906 eine Abbildung geben. 

Man beachte immer, dass die in der Tabelle einander gegen- 
übergestellten Formen nicht Subspezies sind. Selbst Hartert, der 
meinen Anschauungen so nahe steht, wird sie, wenn er seine seit- 
herige Methode konsequent durchführt, wohl nicht als Unterarten 

(15) 


Otto Kleinschmidt. 


80 


Formenkreis 


Europäische Form 


Ubersicht., 


Östasiatische Formen 


Deren geographischer Charakter 


Erithacus Poeta, Nachtigall . . 
Montiecola Ruticilla, Steinrötel . 
Monticola Merula, Blaumerle . . 


Turdus Borealis, Rotdrossel . . 


Turdus Bragi, Singdrossel . . . 


Turdus Arboreus, Misteldrossel . 


Turdus Socius, Wacholderdrossel 


luseinia 
saxatilis 
eyanus 


iliacus (auct.) 
= musicus (L.) 


musieus (auct.) 
= jliacus (L.) 


viscivorus 


pilaris?) 


Tringa minuta 


Emberiza eitrinella 


akahige 
gularis 
solitarius 


(fuscatus), naumanni 


hortulorum 


auritus 


(atrigularis) ruficollis 


Tringa minuta rufi- 
collis 


E. leucocephala 


rotkehlig. 
rot an Kehle und Unterrücken. 
rot an der Brust. 


(viel Schwarz), rot an den Brustseiten, nur 
an der Kehle noch etwas gefleckt. 


selbrot an den Brustseiten, nur an der 
Kehle noch etwas gefleckt. 


(16) 


rostrot unterm Flügel. 


(viel Schwarz), rostrot unterm Flügel, rost- 
rot an der Kehle, Flecken reduziert. 


rostrot an der Kehle, Flecken reduziert. 


rostrot an Kehle und Flanken, Flecken 
reduziert. 


!) Angebliche Bastarde zwischen atrigularis und fuscatus (cf. Sharpe ete.) werden sich beim näheren Zusehen als 
Übergänge zwischen pilaris und atrigularis erweisen. Die mystacinus-Hypothesen waren leere Phantasien. T. S. atri- 
gularis ist vielleicht ein teilweiser Parallelismus zu fuscatus. Doch ist auch die Ähnlichkeit von pilaris und fuscatus ein 
Parallelismus. T. S. pilaris scheint tief ins fuscatus-Gebiet hineinzureichen. 


immer in Kolonien. 


Auch T. S. pilaris brütet in Sibirien nicht 


Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 81 


auffassen, sondern als Arten, wie er es bei Wiesenpieper und Rot- 
kehlchenpieper getan hat. Ich selbst bin durchaus nicht der 
Meinung, dass die westlichen Formen nach Osten hin allmählich 
in die rostroten übergehen. Ziemlich scharf und vielleicht ohne 
Zusammenhang der Verbreitung stehen sich vielmehr die Formen 
gegenüber. Und doch sind es Formen desselben Lebens, ver- 
schiedene Färbungen identischer Vogelgestalten. Woran liegt dieser 
scharfe Gegensatz? Teilweise daran, dass die Westformen und 
die Ostformen mehr oder minder entgegengesetzte Richtungen bei 
ihren Frühlings- und Herbstwanderungen einschlagen, sodann viel- 
leicht daran, dass die roten Östasiaten auf einem anderen Wege 
aus einer gemeinsamen Urheimat südwärts gewandert oder ver- 
schoben sind als die Europäer. Nansen hat die Theorie vom 
polaren Ursprung des Lebens!) als sehr fraglich hingestellt, weil 
er fast überall durch Lotungen bedeutende Tiefen im Polarmeer 
feststellte Für mich hat gerade diese Entdeckung Nansens der 
Polar-Hypothese neue Wahrscheinlichkeit verliehen. Wenn die 
sagen wir einmal boreale Keimscheibe des Erdballs oder das 
nordische Schöpfungsgebiet mehr drüben auf amerikanischer Seite 
lag, dann würde Europa über Grönland, Island, Ostasien über 
Kamtschatka bevölkert worden sein, und die beiden Strömungen 
würden sich in Asien begegnen. Das ist wirklich das Bild, welches 
das Verhältnis der verwandten Formen darbietet. Ferner muss zu- 
gegeben werden, dass die hypothetische Polverschiebung viel an 
Wahrscheinlichkeit gewinnt durch die Beobachtung, dass in China 
südliche Farbenpracht verhältnismässig weit nach Norden ver- 
schoben erscheint (T. Bragi hortulorum). Halten wir vorläufig 
diesen Eindruck fest, um ıhn weiterhin an den Tatsachen zu prüfen. 


7. bkeoveichla varia (Pall.) 
Fünf Stücke, die beiden ersten in Collectio Kreyenberg (Tsingtau), 
die anderen in Collectio Engler, messen 16,5, 16,3, 16,5, 16,0, 16,6 cm 
Flügellänge. 


1) Die Annahme, dass alles Leben sich vom Nordpol aus verbreitet 
habe, ist natürlich eine furchtbare Einseitigkeit. Manchen grossen Gruppen, 
wie den Beuteltieren und den Kolibris, muss mit fast zwingender Not- 
wendigkeit eine antarktische Urheimat, von der sie weit nördlich vor- 
drangen, zugewiesen werden. Ich komme auf alle diese Dinge bald 
ausführlicher zurück. 

Falco (17) 6 


82 Otto Kleinschmidt. 


8. Geoeiehla sibiriea (Pall.) 
‘' ad. (Flügel 12,0 cm), Collectio Engler, und Z (?) junior 
(12,1 cm), Collectio Ohlmer I. 


9. Turdus obseurus (@m.) 
d' juv. (12,4 cm), Collectio Ohlmer II. 


10. Turdus pallidus (@m.) 
&, Januar 1898, Ningpo, 12,7 em. (Collectio Ohlmer I.) 
No. 7—10 verdienen wirklich den Namen „fremde Drosseln“, 
während die vorhergehenden nur fremde Formen, Farbkleider oder 
Masken unserer deutschen Drosseln sind. 


(18) 


Zur Pflege des Vogels im Käfig. 
(Vergl. S. 40.) 


1018 
Chinesische Kunstgriffe. 


Herr Engler, der mich mit seinem Bruder kürzlich besuchte, 
erzählte mir, dass die Chinesen über den Käfigen der Hauben- 
lerchen und anderer Vögel bunte Läppchen und Fähnchen an- 
bringen. Sie behaupten, dass diese durch ihre Farben und die 
Bewegungen im Winde die Gesangeslust der Vögel reizen und 
fördern. Es ist eine bekannte Sache, dass manche Vögel ihre Brut- 
oder Spielnester mit bunten Blumen, Federn und sonstigen farbigen 
Gegenständen schmücken. 

Zur Bedeckung des Käfigbodens benutzt der Chinese nach 
Herrn Englers Mitteilung zerkleinerten Ziegelstein. Dieses Material 
hat vor dem Sand oder Kies vielleichv den Vorteil, dass es poröser 
ist und Feuchtigkeit rascher aufsaugt und verdunsten lässt. Ferner 
werden kleine Steinchen, auch scharfkantige, von den meisten 
Vögeln gern verschluckt, da sie gewissermassen als Magenzähne 
zur Zerkleinerung der Nahrung dienen. Die Aufnahme minera- 
lischer Bestandteile (Eisen, Kalk ete.?) ins Blut spielt dabei viel- 
leicht ebenfalls eine Rolle. 

Statt der Sitzstangen fand Herr Engler in den Käfigen ein 
Brettehen auf einem aufrechtstehenden Holz, also gewissermassen 
einen kleinen Tisch. Für manche Arten (Steinrötel) mag diese 
Einrichtung zugleich einen bequemen Sitz und darunter ein Ver- 
steck für den Vogel abgeben. 

Hoffentlich kann Herr Engler später Photographien chinesischer 
Vogelkäfige und weitere Mitteilungen darüber senden. Das eine 
oder andere gibt vielleicht unseren Vogelpflegern Anlass zu Ver- 
suchen. 

6* 


54 Zur Pflege des Vogels im Käfig. 


IV. 
Uber den Insektenfanggürtel als Futterquelle 


schreibt mir Herr Hinsberg, dass an vielen Orten die Meisen die 
Fanggürtel so gründlich geleert haben, dass für Stubenvögel nicht 
mehr viel daraus zu entnehmen sein wird. Das ist auch in meinem 
Garten der Fall. Zwar findet man an manchen Bäumen, besonders 
unter dem Gürtel an der Rinde noch eine Menge fetter Obstmaden, 
aber um wirklich einen reichen Futtervorrat für Käfigvögel zu ge- 
winnen, müsste man natürlich die Gürtel zeitig abnehmen und 
in Gazebeuteln verwahren. Für Aquarien- und Terrarien- 
liebhaber dürfte gleichfalls diese Sache von Interesse sein. 


Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


11: 
Die Haubenlerchen. 


Nächst der grossen Serie von Saxicola seebohmi bilden 
die Haubenlerchen den interessantesten Teil der Ausbeute des 
Herrn Flückiger. Ehe ich diese bespreche, muss ich aber hier eine 
Erklärung für diejenigen Leser vorausschicken, welche über die 
dem Fachornithologen geläufigen neueren Forschungsergebnisse über 
diese wichtige Vogelgruppe nicht orientiert sind. 

Unsere allbekannte Haubenlerche, die uns so oft auf den 
Landstrassen bis auf wenige Schritte herankommen lässt, ändert 
in Deutschland so gut wie gar nicht ab. Überall trägt sie das- 
selbe staubgraue oder braungraue Kleid.') Ganz anders wird dies in 
Nordafrika. Da findet sich ein erstaunlicher Reichtum von Hauben- 
lerchenformen, grosse, kleine, solche mit mächtig langen, andere 
mit kurzen dicken Schnäbeln, und diese Gestaltsverschiedenheiten 
nun noch dazu in allen möglichen Farbenschattierungen, von tief- 
dunklen, oben zuweilen ganz schwärzlichen Vögeln bis zu weisslich- 
semmelgelben, dazwischen braune, graue, lebhaft rötliche. Also ein 
Bild, wie auf einem Hühnerhof, wo man dasselbe Geflügel in allen 
möglichen Rassen und jede Rasse wieder meist in mancherlei zu- 
fälligen Färbungen antrifft, nur mit dem Unterschied, dass, wie in 
einer säuberlich geordneten Geflügelzuchtanstalt die einzelnen Rassen 
in Volieren getrennt sind, so hier die einzelnen Lerchenformen 
bestimmte Teile des Atlasgebietes bewohnen, mit deren Bodenfarbe 
ihre Gefiederfarbe jedesmal übereinstimmt. 

Konnte ein besseres Beispiel gefunden werden, um die geist- 
reichen Gedanken Darwins zu illustrieren? Zunächst alles noch 


1) Von reinem hellem Sandboden habe ich noch keine deutschen 
Stücke gesehen. Von grösseren Sandflächen wären Exemplare noch zu 
vergleichen. 

(7) 


Ss6 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


im Fluss der Entwicklung und zugleich die grossartige An- 
passung an den Boden? Die Kenner, welche die Länder bereist 
hatten und einzelne Systematiker (englische Autoren, Hartert und 
namentlich Koenig) unterschieden zwar einzelne konstante Formen 
in dem Chaos, aber fast lächerlich erschien dieses Unternehmen 
gegenüber den bedenklich vielen neuen Zwischenformen, die fort- 
während entdeckt wurden und zuletzt selbst die Kenner verwirrten. 

Die Haubenlerchen erschienen wie ein Nebelfleck in der 
omithologischen Systematik, in dem nur eins deutlich erschien: 
die Anpassung an die Bodenfärbung. Man dachte sich die Sache 
so: die Haubenlerchen drangen in die Wüste ein.!) Sie wurden 
dort leicht die Beute von Raubvögeln. Nur einzelne abnorme 
Stücke, die heller waren, fielen auf den lichten Sandboden nicht 
auf und wurden verschont. In langen Zeiträumen wurden die 
Stücke, welche der Bodenfärbung nicht entsprachen, ausgemerzt, 
bis die übrig bleibenden Vögel, wenn sie sich auf den Boden ruhig 
hinsetzten, völlig unsichtbar waren durch ihre ganz und gar mit 
der Erde übereinstimmende Färbung. 

Koenig, der aufs sorgfältigste die Biologie der einzelnen 
Formen erforschte, traf nun aber im Süden von Algier auf hellem 
Boden plötzlich dunkle Stücke an und fand, dass diese der An- 
passungstheorie ganz und gar nicht entsprechen. 

Noch viel mehr änderte sich aber mit einem Schlage 
das Gesamtbild, als mein verstorbener Freund Carlo von Er- 
langer die grosse Sammlung der von ihm in Tunis erbeuteten 
Haubenlerchen gründlich durchgearbeitet hatte. 

Das war gar kein Chaos von Formen, kein Nebelfleck, 
keine noch in vollem Fluss befindliche Gruppe werdender 
Arten, kein Baum mit divergierenden Ästen, sondern ein Paralle- 
lismus von zwei ganz verschiedenen Lerchenarten. Die eine ist 
unsere Haubenlerche, die andere ein Vogel, der die Charaktere 
einer Heidelerche hat, aber äusserlich der Haubenlerche oft täuschend 
ähnlich sieht. Beide sind im Norden dunkel, in der Wüste sand- 
farbig. 

Ich proklamierte im Anschluss an dies Beispiel meine neue 
Nomenklatur, da ich mich überzeugt hatte, dass es in der ganzen 
Natur nicht anders ist. 
re: umgekehrt, sie wanderten aus der Wüste auf dunklen 
Ackerboden. 

(8) 


Die Haubenlerchen. 87 


Ich nannte unsere Haubenlerche und ihre Verwandten 
Alauda Galerita, 
den ihr ähnlichen Vogel, die kleine Lorbeerlerche, 
Alauda Thekla, 
um zu sagen, dass beide so verschieden sind wie Mensch und Affe, 
Löwe und Leopard, Wolf und Fuchs, Pferd und Esel, Elster und 
Dohle etc. 

Die Übereinstimmung zwischen den Vögeln und dem Boden 
und daher auch zwischen den Vögeln unter sich war ganz deutlich 
und verständlich, denn wenn zwei Dinge in einer Hinsicht einem 
dritten gleich sind, sind sie bezüglich dieses Punktes unter sich 
gleich. Darum gleicht jede Form von Alauda Thekla so fabelhaft 
der Alauda Galerita, welche mit ihr dasselbe Gebiet bewohnt. 
Wenn aber zwei verschiedene Tiergruppen diese gleiche Über- 
einstimmung mit dem Boden zeigen, dann muss um so mehr diese 
Ähnlichkeit auf festen Gesetzen beruhen, die es zu erforschen gilt. 
Ich ersuchte darum Herrn Flückiger, der schon von seiner ersten 
Reise viele Haubenlerchen mitgebracht hatte, an jedem Platz seines 
zweiten Reiseweges eine Anzahl dieser häufigen Vögel zu schiessen 
und von Ort und Stelle zu jedem Stück eine Erdprobe 
mitzubringen. Ich erhielt diese Erdproben sorgfältig gesammelt 
in gut verschlossenen und etikettierten Papiertüten und habe sie 
jetzt in Gläsern untergebracht, so dass ich nunmehr die ganze 
bunte Landkarte von der Küste an bis tief in die Sahara hinein 
in den wirklichen unzweifelhaften Farben vor mir habe und jeden 
Vogel genau mit dem Boden vergleichen kann, auf dem er erlegt 
wurde. Ich werde später davon eine Abbildung geben. 

Im Norden an der Küste bei Kerrata ist die Erde ganz 
dunkel schokoladenfarbig, an einzelnen Stellen findet sich heller, 
gelblicher Steinboden. Sodann kommt etwa von Öonstantine 
bis Batna lichtgrauer Boden. Von Biskra an findet sich allent- 
halben Sand, bald grob, bald fein, bald mit Ton vermischt, aber 
immer hell gelblich. So bleibt es in Algerien überall südlich 
der Atlaskette bis Touggourt. Südlich von Touggourt sammelte 
Flückiger ganz hellen feinen rötlichweissgelben Dünensand 
immer mit zugehörigen Lerchenbälgen. Natürlich ist das Bild, 
welches die Zusammenstellung all dieser Sandproben ergibt, nur 
für Flückigers Reiseweg massgebend, für die Mittellinie der 
Provinz Constantine. In den westlichen Provinzen, dem eigent- 

9) 


s8 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


lichen Algier und der Provinz Öran mögen die Bodenverhältnisse 
wesentlich andere sein, wenigstens in der Gruppierung der Färbungs- 
flächen. 

Fast immer, vielleicht sogar auf kleineren Flächen, stimmt 
die Haubenlerche, besonders Alauda Thekla genau mit dem 
Boden überein, auf dem sie gesammelt ist, aber es gibt auch 
Ausnahmen. 

Von grossem Interesse ist hier eine Arbeit von Professor 
J. Vosseler (Stuttgart) über Anpassung und chemische Ver- 
teidigungsmittel beinordafrikanischen Orthopteren (Ver- 
handl. d. D. Zool. Gesellsch. auf der XII. Jahresvers. zu Giessen 
1902, p. 108—121). Der Autor fand in Algier, z. B. nördlich von 
Laghouat Helioscirtus capsitanus Bonn. in einer ganzen Farben- 
skala, deren Abtönungen genau den oft nur wenige Quadratmeter 
grossen Bodenflächen entsprachen, auf denen die Tiere vorkamen. 

Seine Ansicht ist, dass die Heuschrecken kurz nach der Häutung 
unter rein äusserer Einwirkung des Lichts, d. h. der Farben- 
umgebung infolge chemischer Wirkung desselben ihre Färbung 
erhalten, die dann unverändert bleibt. Die frischgehäuteten Tiere 
sind fast farblos. 

(Es wird sogar durch rauhe Struktur der oberen Körperseite 
der Sand nachgeahmt, wofür eine Erklärung noch fehlt.) 

Die ausgefärbten Tiere verändern sich also nicht chamäleon- 
artig, sondern (und dies ist Vosselers Beobachtung, nicht 
Theorie) suchen wieder eine sympathisch gefärbte, soll 
heissen gleichgefärbte Bodenstelle auf, wenn sie beim 
Jagen versprengt wurden. (Auf diesen Gedanken, dass näm- 
lich die Tiere selbst eine ihnen ähnliche Bodenfärbung aufsuchen, 
kommt man auch beim Betrachten der Haubenlerchen.) Ab und 
zu trifft man nach Vosseler auch reine Wüstenformen auf kahlem, 
vollständig anders gefärbtem Boden an, und zwar immer flug- 
befähigte Arten. Vosseler nımmt an, dass diese bei Nacht vom 
Winde oder vom wehenden Sande verschlagen werden und am 
Tage eine harmonische Bodenstelle wieder aufsuchen, wenn sie 
eine solche erreichen können. 

Zu meiner grossen Freude fand ich im vergangenen Spät- 
sommer hier in nächster Nähe eine Stelle, wo ich an deutschen 
Acridiern Beobachtungen über ganz dieselbe Sache anstellen 
konnte. 

(10) 


Die Haubenlerchen. 89 


Ich habe bereits Präparate für Abbildungen angefertigt, will 
aber die Tiere erst noch mehrere Jahre beobachten, um, wenn mir 
Leben und Gesundheit vergönnt ist, zu sicheren Resultaten zu 
kommen. 

Man hat dabei die Möglichkeit, jederzeit Experimente an- 
zustellen. Aber dasselbe ist auch bei den Haubenlerchen möglich. 
Liebe (Orn. Schriften, S. 526) hat gezeigt, wie leicht Hauben- 
lerchen in der Stube gehalten werden können. Sie haben in seiner 
Vogelstube sogar gebrütet. Dabei beobachtete Liebe, dass das 
Männchen abends die Jungen, die sich ausserhalb des Nestes in 
eine schützende Vertiefung zusammenkauerten, mit Halmen, Blättern 
und Moosstücken zudeckte. Sollte dieser Trieb der Haubenlerchen, 
sich und ihre Jungen in Erdmulden zu verstecken, nicht auch zu 
ihrer Färbung mit beitragen, wenn sie sich in den Staub ein- 
wühlen? Ich besitze Haubenlerchen, die von Russ ganz schwarz 
sind und sich förmlich in Kehrichthaufen hineingewühlt haben 
müssen. 

Auch an den Haubenlerchen, die Herr Flückiger mitbrachte, 
finde ich auf rotem Boden einen rötlichen Ton (die Unterseite von 
A. Thekla ist sonst schwefelgelb angehaucht) im Gefieder, dem 
ich teilweise die Beschmutzung mit Erde zuschreibe. 

Einige Vögel sehen auf dem Unterrücken aus, als hätten sie 
sich selbst beim Putzen der Federn des Unterrückens mit Erde 
beschmiert. An der Stimm ist immer die Übereinstimmung des 
Vogels mit der Sandprobe am auffallendsten. Und an dieser Stelle 
wird er am häufigsten von Erde beschmutzt. Auf stark abfärben- 
dem Boden ist die Übereinstimmung mit dem Boden grösser als 
auf Sandboden, der nicht färben kann. 

Wenn man das Gefieder eines solchen Vogels mit einem 
Flöckchen Watte mittels Wasser und Seife abwäscht, so nimmt die 
Watte einen Hauch von der Färbung der zugehörigen Erdprobe an. 

Kurz, ich bin durch die sorgfältige Untersuchung der Flückiger- 
schen Ausbeute zu dem Resultat gekommen, dass die Färbung 
der Haubenlerchen, wenn wir von der Fleckenzeichnung ab- 
sehen, für die ich nachher eine andere Erklärung gebe, also der 
gelbliche oder rötliche Ton teilweise (auch nur teilweise!) auf eine 
Bestäubung des Gefieders zurückzuführen ist. 

Wie der Bienenhonig von der gleichen Pflanze auf ver- 
schiedenem Boden ganz bestimmte verschiedene Farben annehmen 

(11) 


90 Fiückigers Sammelreisen in Algerien. 


soll,') könnte die Haubenlerche ausserdem in ihrer Nahrung be- 
stimmte Bodenfarbstoffe mit aufnehmen. 

Die häufigste Färbung, das bleiche Isabellgelb beruht aber 
einfach nur auf Farbstoffmangel. 

Jedenfalls muss der Theorie der natürlichen Auslese, 
welehe dem Laien ein Dogma und manchem Zoologen ein 
bequemes Ruhekissen geworden ist, ein erneutes Suchen 
nach den wirklichen Ursachen entgegengesetzt werden. 


!) Eine wissenschaftliche Bestätigung dieser Behauptung fehlt 
mir noch. 


(12) 


Bücherbesprechungen. 


Erich Wasmann, 8. J., Die moderne Biologie und die Ent- 
wicklungstheorie, zweite vermehrte Auflage, Freiburg 
im Breisgau, Herdersche Verlagsbuchhandlung, 1904. 
(323 Seiten, 4 Tafeln.) 

Der Autor hatte die Liebenswürdigkeit, mir sein Werk zu- 
sehen zu lassen, das inzwischen ja genugsam besprochen und 
kritisiert worden ist. Das Buch richtet sich an vielen Stellen 
gegen Häckel. Beiden Gegnern muss man dafür Dank zollen, 
dass sie zeigen: die Naturwissenschaft ist nicht nur dazu da, 
praktischen Zwecken (Medizin, Tierzucht etc.) zu dienen, wie es 
ihre staatlichen Anstalten vorwiegend tun, und im übrigen nur 
leere Stunden mit angenehmer Unterhaltung auszufüllen, sondern 
es sind die tiefsten Fragen und höchsten Probleme, die heutzutage 
naturwissenschaftlichen Untersuchungen ein brennendes Interesse 
verleihen. Das müssen auch diejenigen Gelehrten zugeben, welche 
— selbst gleichgültig gegen diese Fragen — wie ein Registrier- 
ballon arbeiten wollen. 

Fesselnd wird Wasmanns Buch dadurch (abgesehen davon, 
dass es von vornherein für viele interessant sein wird, wie sich 
ein vielseitig gebildeter Jesuit zu den modernen naturwissenschaft- 
lichen Problemen stellt) auch für Fachleute, weil Wasmann als 
Tierpsychologe und namentlich als Ameisenkenner ein Forscher von 
Weltruf ist. Ich empfehle das Buch hier und bespreche es aus- 
führlicher, weil es dem einen oder anderen Leser als eine will- 
kommene Einführung in Wissensgebiete dienen kann, welche künftig 
vielfach in dieser Zeitschrift berührt werden. 

Wasmann gibt zunächst einen hübsch geschriebenen Überblick 
über die Entwicklung der biologischen Wissenschaften und über 
die Zellenlehre insbesondere mit dem Resultat: Die Schöpfungs- 
lehre ist ein Postulat der Wissenschaft. 


92 Bücherbesprechungen. 


In der zweiten Hälfte beantwortet das Hauptkapitel die Frage 
Konstanztheorie oder Descendenztheorie (eine m. E. unrichtig ge- 
stellte Frage) zugunsten der letzteren mit der Einschränkung, dass 
sich die Natur jetzt vorwiegend in einer Periode der Konstanz 
befinde. 

Das Schlusskapitel bestreitet die Affenabstammung des Menschen, 
über dessen Ursprung die Wissenschaft nichts wisse trotz Frieden- 
thals Blutversuchen. 

Wasmanns Formenreihen, Stammesreihen oder Entwicklungs- 
reihen kommen dem Begriff meiner Formenkreise nahe, sind 
aber viel weiter gefasst als diese. Das Wort Formenkreis be- 
deutet bei anderen Autoren meist eine verschwommene, undeutliche, 
systematische Gruppe, in meiner Fassung etwas ganz scharf Ab- 
gegrenztes, ein klargestelltes Stückchen Natur. 

Ferner unterschreibe ich fast jedes Wort, welches Wasmann 
p- 195 ff. über die Wahrscheinlichkeit vielstammiger Entwicklung, 
über systematische und natürliche Art sagt. 

Nicht einverstanden bin ich mit der weiten Fassung des Be- 
griffs „natürliche Art“ und über einige Erklärungen aus des Ver- 
fassers hochinteressantem Spezialgebiet, die Symbiose von Ameisen 
oder Termiten mit wunderbar gestalteten Käfern betreffend, habe 
ich andere Gedanken. Sollte nicht grosse Ähnlichkeit mit ähn- 
licher Bewegung zusammenhängen? Und sollte der Trutztypus 
nicht mehr dem Anprall an Pflanzen oder Nestwänden als den 
Bissen der Wirte trotzen? Die Gestalt dieser Käferchen, die auf 
Ameisen reiten und wie ein buckliger Reiter, dem der Gaul durch- 
seht, den Kopf einziehen, erinnert mich zu sehr an gewisse Krebse 
und Muscheln, die dem Wogenanprall Trotz bieten, an Schild- 
läuse, die der Gefahr, abgestreift zu werden, entgehen müssen, 
Handelt es sich um Trutz, dann müsste auch der Hinterleib ge- 
deckt sein wie bei einer Schildkröte. Sollte der unbedeckte Hinter- 
leib nicht ein Mittel für die Tierchen sein, sich wieder umzuwenden, 
wenn sie auf den Rücken fallen und die ganze Figur der minder 
ausgeprägten Trutztypen mehr einen Schutz gegen das häufige 
Überranntwerden und die Gefahr, dabei von den Ameisen um- 
gerannt und dann freilich aufgefressen zu werden, bilden? Inwieweit 
diese Vermutungen annehmbar sind, muss ich der Kenntnis des 
Spezialforschers überlassen. Auf seine Forschungen müssen 
namentlich dieOrnithologen aufmerksam gemacht werden, 


Bücherbesprechungen. 93 


die sich mit Studien über den Brutparasitismus des 
Kuckucks beschäftigen. 

Die Larven jener Ameisengäste (Lomechusa), welche geduldet 
und gepflegt werden, obschon sie die Vermehrung der Wirte direkt 
und indirekt schädigen, sind im vollsten Sinne des Wortes, was 
sie Wasmann nennt, — eine „Kuckucksbrut“. Wasmann scheint 
geneigt, anzunehmen, dass Parasiten bei verschiedenen Wirten in 
ähnlicher Weise verschiedene Formen bilden, wie andere Tiere in 
verschiedenen Klimaten und Ländern. 


Dr. Parrot, Ornithologische Wahrnehmungen auf einer 
Fahrt nach Ägypten. München 1903 (E. Reinhardt, 
50 Seiten). 


Die Arbeit bildet für Spezialisten viel Interessantes. Auf 
8. 40 bespricht Verfasser die kleinen grauköpfigen Schafstelzen, 
welche er vielfach beobachtete und wovon er drei Stück erlegte. 
Er hält sie mit vollem Recht für einheimische ägyptische Brut- 
vögel. Ich erhielt erst kürzlich wieder von Herrn Schlüter ein 
Stück dieser Zwergform, welche der 

Budytes pygmaeus Brm. 

ist. Es ist dies eine der kenntlichsten Schafstelzenformen. Der 
Flügel ist um einen Zentimeter etwa kürzer als bei den euro- 
päischen Verwandten, die Färbung genau wie bei borealis und cinereo- 
capilla, nur meist oben dunkler. Der Hauptunterschied liegt 
im Flügel, der bei pygmaeus ganz stumpf ist (die vier ersten 
Schwingen beinahe gleich lang), während borealis einen spitzen 
Flügel hat (die drei ersten Schwingen stehen weit über die vierte 
vor). einereocapillus steht zwischen beiden genau in der Mitte. 
Diese drei Schafstelzen, deren Brutgebiete auf derselben Zuglinie 
zu liegen scheinen, bilden eine sehr instruktive Reihe und eine 
hübsche Parallele zu den auf Tafel I von Berajah, Lieferung I 
abgebildeten Flügelunterschieden von Saxicola Borealis. 

Sehr richtig ist das, was Parrot auf 5. 33 über die ägyptische 
Nebelkrähe sagt: Der bräunliche Gefiederton ist eine Folge 
äusserer Einwirkungen (Sonnenbrand!. Der Unterschied der 
südlichen Nebelkrähen liegt fast nur in der geringeren Grösse, 
Meine seinerzeit vom sardinischen Vogel gegebene Beschreibung, 
die mehrere Kollegen zu kurz fanden, kann aus demselben Grunde 


94 Bücherbesprechungen. 


nicht länger sein. Alte Männchen der südlichen Form kommen 
überdies in der Flügellänge noch näher an cornix heran. 


Hartert, Die Vögel der paläarktischen Fauna, Heft III, 
Seite 241—384. Berlin 1905 (Verlag von R. Friedländer u. Sohn). 
Nur wer ähnliche Studien treibt, kann ermessen, welch un- 
geheure Arbeitsleistung in einem einzigen solchen Hefte steckt 
und wird darum um so mehr erfreut sein, dass wieder ein Stück 
fertig ist. Rascher als es geschieht, kann ein derartig gründliches 
Werk nicht fortschreiten. Es gibt ja leider viele Leute, welche 
denken, die Subspezies würden einfach von Leuten, die Vergnügen 
daran finden, so aus dem Ärmel geschüttelt. Es handelt sich 
wirklich um keine Kleinigkeitskrämerei, sondern darum, das Tier- 
leben so zu sehen, wie es wirklich aussieht. Es ist eine ganz 
und gar irrige Vorstellung, als wäre es die Absicht solcher Werke, 
recht viel neue Namen zu machen. Im Gegenteil wird in jeder 
Synonymik ein Sündenregister überflüssiger Namen aufgestellt, 
und niemand seufzt vielleicht mehr über den Leichtsinn mancher 
Autoren als gerade der Subspeziesforscher. 

Von den in vorliegendem Hefte aufgezählten Formen neueren 
Datums habe ich zehn vor ihrer Beschreibung als neu gekannt, 
aber nur drei benannt. Versessen auf Neubenennungen sind wir 
Neueren wirklich nicht. In meiner Arbeit über Sumpfmeisen habe 
ich z. B. seinerzeit nur die vorhandenen Namen richtig geordnet, 
das Neue ohne Namen gebracht, allerdings einen Brehmschen 
Manuskriptnamen auf mein Konto genommen. Die betreffende Form, 
überhaupt die Verschiedenheit der Vögel des Rheintales von den 
mitteldeutschen erkennt Hartert an. Dass er den westdeutschen 
Baumläufer mit dem mitteldeutschen vereinigt, wundert mich. 
Dass die Weidenmeisen alle als Formen des amerikanischen 
Parus atricapillus aufgezählt werden, ist unbedingt richtig. (Ich 
habe in einer fast gleichzeitigen Veröffentlichung dasselbe gesagt.) 
Aber Parus selateri ist kein „Glanzkopf“, sondern ist trotz des 
glänzenden Kopfes ein Parus Salicarius. 

Ein Ausdruck wie „tabaksbraun“ bei den Certhien ist nicht 
sehr glücklich, da Tabak und Zigarren auch geographisch variieren. 
Dem Vogel nach (der Ausdruck ist von Hellmayr übernommen) 
muss man auf Zigarettentabak schliessen. 

Die inzwischen von anderer Seite beschriebenen Sturnus- 


Bücherbesprechungen. 95 


formen dürften zum Teil nur Phasen sein. Der Verfasser stellt 
einen Nachtrag darüber in Aussicht. Anthus pratensis und cervinus, 
Parus coeruleus und cyanus werden als Arten aufgefasst. Vorsicht 
kann nie schaden, aber sollte es sich mit diesen nicht ähnlich 
verhalten wie mit den asiatischen Drosseln? Man vergleiche die 
Schwingenverhältnisse der Pieper und der oben erwähnten Schaf- 
stelzen. 

Bei der Gattung Lullula hat der Verfasser, weil ihm die 
Formen fraglich erschienen, diese als Unterabteilungen der Art 
behandelt, was die Sache meines Erachtens übersichtlicher macht. 

Es wäre wünschenswert, dass die Nachträge paginiert und 
auf besondere Blätter gedruckt würden. Sie werden sonst zu leicht 
übersehen und bilden besser einen besonderen Band. 


Othmar Reiser, Materialien zu einer Ornis Balcanica, 
herausgegeben vom Bosnisch-Herzegowinischen Landesmuseum 
in Sarajevo. IH. Griechenland und die griechischen Inseln 
(mit Ausnahme von Kreta). Mit 4 Tafeln in Farbendruck (eine 
herrliche Tafel von 12 Eleonorenfalkeneiern, offenbar Natur- 
aufnahme), 5 Abbildungen in Schwarzdruck und einer Karte. 
Wien 1905 (der Kommissionsverlag ist noch nicht angegeben). 

Ein stattlicher Band von 589 Seiten! In seiner sympathischen 
Weise schildert Reiser seine drei Forschungsreisen nach Griechen- 
land, von denen es wahr ist, was der Autor sagt: Die Schilde- 
rungen führen in Gegenden, die andere Reisende selten oder nie 
betreten und geben Bilder von dem Hellas von heute, die man 
in anderen Reisewerken vergeblich sucht. 

Einen Überblick über die ornithologische Literatur Griechen- 
lands schmücken Abbildungen und Autogramme von Graf von der 
Mühle, Dr. Lindermayer und Dr. Krüper, drei prächtige Cha- 
rakterköpfe. 

Es folgt dann der Hauptteil, die Besprechung der einzelnen 
nachgewiesenen Arten. Am Schluss ist eine Liste der zweifel- 
haften oder fälschlich angegebenen Arten angefügt. Anerkennens- 
wert ist die scharfe sorgfältige Kritik aller faunistischen Angaben 
und Belegstücke ohne irgendwelche persönliche Rücksichten. Das 
ist unbedingt nötig, um alles Zweifelhafte zu beseitigen oder es 
doch zu dem zu machen, was es ist, zu einer blossen Frage für 
die Zukunft. 


96 Bücherbesprechungen. 


Die Fülle des Interessanten und Neuen ist so gross, dass es 
unmöglich ist, darüber einen Überblick zu geben. Wunderbar ist 
z. B. das völlige Verschwinden des Maskenwürgers aus der Um- 
gebung von Athen. Man hat da den Eindruck, als ob in diesem 
Lande zwei wechselnde Faktoren wirkten, das eigene Klima und 
die Fauna der Nachbarländer, also die Lage. 

Wenn man bedenkt, dass in die Zeit der Vorbereitung des 
Buches ein Ornithologenkongress in Sarajevo und eine Forschungs- 
reise des Autors ins Innere von Brasilien fielen, so muss man um 
so mehr staunen über die liebevolle Sorgfalt, mit der dies Werk 
ausgearbeitet, allen Nachrichten und Belegstücken aus älterer Zeit 
nachgeforscht ist. 

Neben diesen Anknüpfungen, die uns vergangene Zeiten leb- 
haft vergegenwärtigen, ist es die Eigenart von Reisers Darstellung, 
die die Aufzählung belebt. Es ist das derselbe Reiz, der die Ar- 
beiten von Koenig und Erlanger auszeichnet, der Forscher, denen 
es vergönnt ist, ihr Material an Ort und Stelle selbst zu holen. 
Do lässt uns Reiser seine Reisen miterleben, die Odysseusfahrten 
nach umbrandeten Klippen, die Jagd auf den Habichtsadler, 
der seinen auf malerisch gewölbtem Felstor angelegten Horst mit 
den frischen Zweigen der Eiche, des Lorbeers, des Ölbaums und 
den duftenden Blütenbüscheln des Goldlacks schmückt. Aber auch 
erfolglose Schüsse, Enttäuschungen, Misserfolge fehlen nicht. So 
erhalten wir ein lebendiges und doch in nüchtern naturwahren 
Farben gehaltenes Bild des Landes und seiner Ornis. 

Otto Herman, Recensio critica automatica of the Doctrine 
of Bird-Migration. With one map. Budapest 1905. 67 Seiten. 

Eine Gabe an die B. O. U. zum letzten Ornithologenkongress. 
Ein Extrakt aus der ganzen bis jetzt vorliegenden tatsächlichen 
und hypothetischen Arbeit über das Zugproblem, und das will 
viel sagen. Wer die staunenswerten Leistungen der Ungarischen 
Örnithologischen Zentrale in der Erforschung des Vogelzuges 
kennt, d. h. die Veröffentlichungen ihrer Zeitschrift Aquila mit 
Verständnis verfolgt, der ist hocherfreut darüber, dass der Leiter 
der Anstalt seine und seiner Freunde reiche Erfahrungen hier zu- 
sammengestellt hat. Er lässt sodann die Ansichten der Autoren 
(von denen viele eben nur Ansichten, Meinungen, nicht Arbeits- 
resultate sind) durch blosse Aufzählung derselben sich selbst durch 


Bücherbesprechungen. 97 


ihre Widersprüche kritisieren und zeigt so klar, wie nötig es war 
und ist, die Erforschung des Vogelzuges, um mit Kant zu reden, 
„allererst in den sicheren Gang einer Wissenschaft zu bringen“. 
Das wird immer OÖ. Hermans Verdienst bleiben. 

Am Schluss sind die bisher behaupteten Vogelzugstrassen 
alle auf einer Karte eingetragen. Es ergibt sich ein ganz toller 
Wirrwarr, ein kaum entzifferbares Durcheinander. Und das 
gerade will die Karte dartun, wenn auch das Durcheinander 
teilweise dadurch entsteht, dass die Arten und sogar die Formen 
derselben Art oft verschiedene Zugrichtungen haben. Und Zug- 
richtungen gibt es ja. Die brauchen keine Gänsemarschlinien zu 
sein. Was auf einer Fläche geschieht, darf man nicht in eine 
Linie zwängen wollen, weder in eine Streckenlinie, noch in eine 
Frontlinie. 

Ausgezeichnet ist O. Hermans Vorschlag, die Etikettendaten 
von Museen für Zugdaten zu bearbeiten. Ich würde hinzufügen: 
soweit sie Originaletiketten sicherer Persönlichkeiten sind. 

Der Gedanke ist ähnlich dem, welchen ich in Berajah durch- 
zuführen gedenke. Daten sicherer Beobachtungen und möglichst 
solche von tatsächlich erlegten und bestimmten Zugvögeln, auf 
einer Karte eingetragen, müssen schliesslich zuverlässige Bilder 
des Vogelzuges ergeben. Wenn wir erst von jedem Land eine 
Zugkarte hätten wie Ungarn vom Zuge der Rauchschwalbe, wie 
grossartig wäre dies. Und es ist möglich, wenn die Hermansche 
Schrift gebührende Beachtung findet. 


Johann Salomon Petenyi, Ornithologische Fragmente aus 
seinen Handschriften, deutsch bearbeitet von Titus 
Csörgey, mit einer Einleitung von Otto Herman. Gera- 
Untermhaus, Druck und Verlag von Fr. Eugen Köhler, 1905. 
(391 Seiten, viele Abbildungen und Tafeln.) 

Petenyi, der Zeitgenosse Naumanns und Brehms tritt jetzt 
erst in einem bescheidenen Band geretteter Fragmente neben das 
Riesenwerk Naumanns, neben die vielen Werke des alten Brehm. 
Brehm beschrieb Subspezies, Naumann Vogelkleider, Pe- 
tenyi wirkliche Vögel, Individuen mit Angabe von Ort und 
Datum ihrer Erlegung. Er gibt konkrete Beobachtungen, wirk- 
liche Daten, Facta. Solche aber haben unvergänglichen Wert. 


Und doch war Petenyis Werk nicht blosse Registrierarbeit. Er 
Falco. 7 


98 Bücherbesprechungen. 


war gross als Naturbeobachter und ein Künstler in der Einfügung 
der konkreten Daten in ein Bild, das nicht Mosaik ist, sondern 
eine einheitliche Darstellung des Lebens jeder Vogelart. 

Man muss den Riesenfleiss bewundern, der nötig war, um ein 
so grosses Werk so weit im voraus im Manuskript fertig zu stellen. 
Es hat mich eigentümlich berührt, als ich selbst im Begriff ein 
grosses Werk herauszugeben, die Fragmente Petenyis erhielt. Ich 
kann ihm nachfühlen, was er empfunden haben muss, als all sein 
Schaffen begraben blieb. 

Petenyis Methode ist mir ausserordentlich sympathisch. „Er 
machte für jede Art einen besonderen Umschlagbogen, worauf die 
Art vorerst nur benannt war. In diesem Umschlagbogen sammelte 
er auf besonderen Zetteln die eigenen und anderer Angaben. Jeder 
einzelne Zettel trug an der Spitze den Namen der Art, auf welche 
er sich bezog, so dass jede Verwechslung der Zettel unbedingt 
ausgeschlossen war und sie jederzeit in den richtigen Umschlag- 
bogen eingereiht werden konnten.* So berichtet Herman in der 
Einleitung zu Petenyis Fragmenten wörtlich. Die Arbeitsmethode, 
die Petenyi im Manuskript angewandt hat, soll Berajah ge- 
wissermassen im Druck verwirklichen. Ich freute mich zu sehen, 
dass der Gedanke des langsamen ruhigen Ausbaues von Mono- 
graphien schon so viele Jahrzehnte vorher von solch einem 
Manne als Ideal erkannt worden ist, das über Brehm und Nau- 
mann geht, denn Petenyi schrieb trotz Brehm und Naumann sein 
neues Werk. 

Herman sucht den Grund davon, dass Petenyis Plan damals 
nicht möglich war, in politischen Verhältnissen. Sollten nicht auch 
die damaligen technischen Schwierigkeiten bei Herstellung von 
Abbildungen und die damit verknüpften Kosten mit ein Hindernis 
gebildet haben? 

Die Fragmente sind mit modernen Textbildern und Dreifarben- 
drucktafeln von der Hand des verdienstvollen Bearbeiters Titus 
Czörgey geschmückt, die zu dem Besten gehören, was es aut 
dem Gebiet ormnithologischer Kunst gibt. Von diesen Fragmenten 
aber muss man sagen, dass das wahrhaft Gute zuletzt durch- 
dringen muss. 


Ernst Zollikofer, Über einen interessanten Brutort des 
Gänsesägers in der Schweiz. Mit zwei Tafeln, 20 Seiten, 


Bücherbesprechungen. 99 


Separatabdruck aus dem Jahrbuch der St. Gallischen Natur- 
wissenschaftlichen Gesellschaft. 1904. 

Ein wirklich sehr interessanter Beitrag zur Naturgeschichte 
des grossen Sägers. Ein ganz merkwürdiger Brutplatz desselben 
wird geschildert und abgebildet. Hoch oben in einem Mauerloch 
der Wände oder sogar des Turmes! von Schloss Werdenberg 
brütete dieser grosse Schwimmvogel seine Jungen aus. Diese 
mussten zunächst aus der Höhe herunter und dann über Treppen! 
und Strassen! nach dem nahen Werdenberger See gelangen. Hoffent- 
lich gelingt es, diese interessante Brutstätte zu erhalten und sie 
zu weiteren Beobachtungen zu benutzen. Verfasser beschreibt die 
Dunenjungen genau (abweichend von Naumann) und schildert deren 
Aufzucht. Mit Recht weist er darauf hin, dass mit M. merganser 
bei Linne nicht alles in Ordnung ist. Hoffentlich kommt der Ge- 
danke des Verfassers, mehr aus seinem bald zwanzigjährigen Tage- 
buchmaterial ‚zu veröffentlichen, bald zur Verwirklichung. Das 
Beispiel, einen interessanten Nistplatz photographisch festzuhalten, 
möge Nachahmer finden. 


Neben solchen schönen Originalarbeiten, wie vorstehend einige 
besprochen sind, entstehen andere Arbeiten, welche abgeschrieben 
sind und sich mit fremden Federn und Bildern schmücken, ohne 
dies zu sagen, wie es bei Benutzung anderer Werke Pflicht ist. 
Bisweilen finden sich noch dazu recht viele grobe Fehler in solchen 
„Leistungen“. Möge zunächst das gute Beispiel guter Literatur 
anregend wirken, damit Falco nicht zu Bücherbesprechungen weniger 
erfreulicher Art genötigt wird, um Unfug auf wissenschaftlichem 
Gebiet zu beseitigen. O> RI 


7*+ 


An meine Korrespondenten und Subskribenten. 


Die Schlussnummer von Falco 1905 erscheint um vier Wochen 
verspätet, weil auch für Falco sehr weitgreifende Arbeiten geplant 
sind, über die nicht im Handumdrehen disponiert werden konnte. 
Der Jahrgang 1906, von dem spätestens im März die erste Nummer 
erscheint, wird viel umfangreicher als der erste Jahrgang, für den 
nur eine sehr kurze Zeit zur Verfügung stand. 

Anfragen an Herrn Schlüter und mich, welche Berajah oder 
Falco betreffen, finden jedesmal in der nächsten Faleconummer ihre 
Beantwortung. Man vergleiche auch die beiden Beilagen dieser 
Nummer. 

Seit Erscheinen meines Werkes habe ich von Bekannten und 
Unbekannten so viele freundliche und anerkennende Briefe und 
Anfragen erhalten, dass ich diese letzteren nur nach und nach be- 
antworten kann. Eine von mehreren Seiten an mich gerichtete 
Frage, die von allgemeinem Interesse ist, sei hier herausgegriffen. 
An wirkliche Umfärbung des Gefieders ohne Mauser kann nach 
dem heutigen Stande der Wissenschaft nicht mehr gedacht werden. 
In den Fällen der sogenannten Umfärbung werden nur verhüllende 
Federränder oder Federstrahlen durch Abnutzung ent- 
fernt. Scheinbare Ausnahmen bilden die Federn des Bartgeiers, 
bei denen äussere Beschmutzung durch eisenhaltiges Bade- 
wasser oder Verdauungssäfte vom Schnabel aus stattfindet, die 
Färbungen durch Bodenmineralien, ferner die Reiher, bei denen 
Puderbestäubung von aussen schwarze Federn blau färbt. Bei 
Ardea bubulcus sollen sich die Schmuckfedern färben. 

Meine Äusserung über den Federwechsel der Schnee- 
hühner ist in der letzten Nummer des Journals für Orni- 
thologie (1906, p. 145) ganz unrichtig wiedergegeben. 
Ich habe nicht gesagt, dass die Federn angeschnitten sein könnten. 
(Man will bei Schneehühnern an gezeichneten Federn Verfärbung 
bemerkt haben.) Vielmehr habe ich etwa folgendes ausgeführt. 


Hofrat Dr. Paul Leverkühn 7}. 101 


Man behauptet, dass die Schneehühner sich die letzten Federn 
vom alten Kleide, die als weisse Flecken auf dem neuen Sommer- 
kleide oder als dunkle Flecken auf dem weissen Winterkleide 
stehen, selbst mit dem Schnabel ausreissen, sei es, dass 
diese Federn jucken, dass sie ihren Schönheitssinn stören oder 
dass die auffallende Kontrastfärbung reizt. 

Ich fand nun an solchen Federn, die ein Überbleibsel aus 
der anderen Jahreszeit bilden, in der Tat öfter Verletzungen, die 
ganz aussahen, als hätte der Vogel die Feder ausreissen wollen und 
dabei ein Stückchen mit dem Schnabel herausgebissen. Es wäre 
da sehr leicht möglich, dass, wenn ein Vogel zur Mauserzeit an 
seinen Federn zupft,!) Schnabelbisse an einer alten und zufällig auch 
an einer darunter wachsenden mitgepackten neuen Feder entstehen. 

Diese vom Vogel selbst verletzten Federn könnten mit Federn 
verwechselt worden sein, die durch einen Scherenschnitt gezeichnet 
wurden. 


Die Notizen, die mir einige Herren gesandt haben, werden 
später in Falco abgedruckt. ORT: 


Hofrat Dr, Paul Leverkühn Tr. 


Privatsekretär seiner Königlichen Hoheit des Fürsten von Bul- 
garien und Direktor der wissenschaftlichen Institute in Sofia, 
r am 5. Dezember 1905. 


Unter meinen unerledigten Briefen liegt ein solcher des Ver- 
storbenen. Er hatte mir eine interessante Arbeit von Xavier 
Raspail?) zur Ansicht geschickt, mit Abbildungen von Baum- 
nestern des Acrocephalus streperus (= Calamoherpe arborea 
Crett@ de Palluel (Naturaliste, 1 juin 1884, — Calamoherpe horti- 
cola Naum.!). Ähnliche Nester, wie sie dort in der Gegend von 
Paris gefunden wurden, hatte ich im Journal für Omithologie in 
meiner Ornis Marburgs abgebildet, und Raspail ist ganz im Recht, 
wenn er annımmt, dass es sich hier um eine abnorme Nistweise 
des echten Acrocephalus streperus handelt. 


!) Dass dies manche Vögel tun, ist von den Lappentauchern 
z. B. sicher. 

2) Existe-t-il deux especes d’effarvatte? Extrait du 
Bulletin de la Societe Zoologique de France, tome XXIX, secance du 
23 fevrier 1904, page 63. 


102 Hofrat Dr. Paul Leverkühn 7}. 


Leverkühn war der fleissigste Arbeiter auf dem Gebiete der 
ornithologischen Literaturkenntnis, und ich stand im Begriff, ihm den 
Vorschlag zu machen, für Berajah ein Literaturverzeichnis für jede 
Art auszuarbeiten. Ich hatte ein paar Blätter mit den ersten Ab- 
zügen der Tafeln für ihn zurechtgelegt, weil ich wusste, dass er 
dafür Interesse und Verständnis haben würde, da erhielt ich die 
Nachricht von seinem frühen Tode, der auch im Interesse meines 
Werkes tief bedauert werden muss. 

Wir hatten vor 12 Jahren sehr scharfe Differenzen. Leverkühn 
knüpfte später die Verbindung wieder an und ignorierte völlig, was 
hinter uns lag. Ich erwähne dies nicht nur, weil es ehrend für 
seinen Charakter ist, sondern aus einem anderen Grunde. Die Ur- 
sache, die damals unseren Konflikt herbeiführte, war gleichfalls 
ehrend für Leverkühn. Er wollte eine Sammelreise, die Bekannte 
von mir in gewissen Balkanländern unternahmen, im Interesse 
des Vogelschutzes in gutgemeinter Absicht verhindern, und ich 
mischte mich hinein. Diese Sache kann vielleicht heute dazu 
dienen, eine herbe Missstimmung aus manchen Gemütern zu be- 
seitigen und nicht nur drei Tote, sondern auch Lebende mit dem 
Toten zu versöhnen. 

Leverkühn hat (meines Erachtens nur aus biographischem 
Interesse) eine subjektive Äusserung Hartlaubs über Petenyi ver- 
öffentlicht, die er unbedingt hätte streichen müssen, statt sie nur 
anzuzweifeln.!) 

In den oben besprochenen Fragmenten Petenyis ist darum 
eine tiefgekränkte Aussprache O. Hermans über diese Angelegenheit 
enthalten, der sich fragt, wie war es möglich, dass Hartlaub über 
einen Ehrenmann wie Petenyi ein solches Urteil fällen konnte. 

Sollte nicht die Ursache jenes Zerwürfnisses zwischen Petenyi 
und Hartlaub eine ganz naheliegende sein, dieselbe wie seinerzeit 
zwischen Leverkühn und mir, bezw. jenen dritten, die nach Bulgarien 
kommen wollten. Der Hüter der Seltenheiten seiner Heimats-Fauna 
mag diese der Jagdlust oder dem wissenschaftlichen Eifer des be- 
freundeten Gastes nicht preisgeben, und dieser Konflikt wird ihm 
falsch ausgelegt. Noch ein anderes: Hartlaub war ein Geist, der 
für Männer wie Brehm und Petenyi und ihre Leistungen auf 
heimischer Erde nicht volle Würdigung, vielleicht überhaupt nicht 


ı) Dass Leverkühn dies selbst getan, darf nieht übersehen werden. 


Joachim Rohweder f. 103 


das rechte Verständnis haben konnte. Petenyi und Hartlaub waren 
geborene Gegensätze. Hier Heimatforschung, dort Forschungen, 
die über die Heimat hinweg in die Ferne schauen. Und nun 
kommt noch ein drittes hinzu. Petenyi war mehr als die Welt 
von ihm weiss, und als damals die Welt von ihm wusste. Er 
hatte 1839 die Hoffnung, sein Werk über ungarische Vögel bald 
veröffentlicht zu sehen. Wenn nun Hartlaub von all diesen Plänen 
nichts wusste? 

Wenn Petenyi sich vor die Frage gestellt sah, ob er Ent- 
deckungen, die er in jahrelangen Mühen gemacht, den anderen 
zeigen und sie die fremden Gäste gewissermassen als eigenes 
Forschungsergebnis ihrer Reise davontragen lassen sollte? Ich 
meine, diese Möglichkeiten machen eine Verstimmung so begreiflich, 
dass auch das, was einmal gedruckt ist und darum in den Annalen 
unserer Wissenschaft nicht getilgt werden kann, als abgetan gelten 
darf durch ein anderes gedrucktes Wort, auf dass kein Groll gegen 
einen der drei Toten bleibe. 


Am 29, Dezember starb in Husum im Alter von 65 Jahren 
Gymnasialoberlehrer 


Joachim Rohweder, 
dessen Tod gleichfalls einen herben Verlust für uns bedeutet. Man 
muss es Rohweder nachrühmen, dass er die Arbeit am neuen 
Naumann nicht nur bei den schönen, selbsthearbeiteten Abschnitten, 
sondern auch bei den Korrekturen der anderen Mitarbeiter mit 
peinlich gewissenhafter Sorgfalt erledigte. Darin habe ich so recht 
seine Treue in wissenschaftlicher Arbeit kennen gelernt. 


J. P. Prazäk T. 

Erst kürzlich erfuhr ich, dass PraZäk schon seit dem 14. Juli 
1904 tot ist. Die ornithologischen Zeitschriften haben darüber 
geschwiegen und die deutschen Zeitschriften haben schon lange 
geschwiegen über Dinge, über die sie nicht hätten schweigen dürfen. 

Vor mir liegt ein dicker Stoss Briefe, die Prazak an mich 
geschrieben hat und ein ausführlicher Brief über sein Leben und 
seine letzten Schicksale von Herrn Oberlehrer K. Kn&zourek in 
Starkoö, dem ich freundlichst für die gütige Auskunft danke. 


104 J. P. Prazäk }. 


Wollte ich alles schreiben, was mir von PraZäk bekannt ist, so 
würde ein dickes Buch zu stande kommen. 

1894 schrieb mir PraZäk und bat mich, ihm mein Sumpf- 
meisenmaterial zu leihen. Ich versuchte dieses noch etwas zu ver- 
grössern und entdeckte bei dieser Gelegenheit am Rhein Parus 
Salicarius, dafür bin ich ihm gewissermassen dankbar. Ich kann 
sagen, dass die Ansichten PraZaks nie auf mich gewirkt haben; 
ich war ja sein Gegner, aber seine Anregungen um so mehr. 
Ich habe versucht, an seine Unschuld zu glauben, so lange ich 
konnte und ihm, als das nicht mehr möglich war, offen meine 
Zweifel mitgeteilt. 

In England hatte ich ihn inzwischen persönlich kennen ge- 
lernt. Der Briefwechsel schloss im Januar 1900 wiederum mit 
einer Sumpfmeisenangelegenheit. PraZäk schickte mir eine Anzahl 
Stelzen und Meisen mit der Angabe, die letzteren seinen alle von 
Gross-Britannien. Die Vögel waren ohne Etiketten! aber in 
Papier gewickelt, auf dem eine Nummer stand! Eine junge Sumpf- 
meise konnte nicht aus England stammen, da sie ein Flügelmass 
zeigte, das nie in England vorkommt. Als ich den Vogel genauer 
untersuchte, erkannte ich an einer zerschossenen Feder, dass es 
ein Alpenvogel war, den ich sechs Jahre früher an Prazak gesandt, 
aber damals nicht zurückerhalten hatte. Dazu kamen die ganz 
unmöglichen nidologischen Notizen der Ornis Galiziens, so z. B. 
die, dass der Sperber seinen Horst mit grünen Zweigen schmücke. 
Prazak gab die Sache mit der Meise zu und erklärte sie für ein 
Versehen, die Irrtümer in der Ormis Ost-Galiziens erklärte er für 
Druckfehler. In einer handschriftlichen Antwort auf Lorenz’ Kritik 
seien sie alle richtig gestellt. PraZak gab sofort Fundort und 
Datum der Meise richtig an, wie ich in einem alten Katalog meiner 
Sammlung konstatieren konnte. Obschon er mir zwei Tage früher 
geschrieben hatte, er könne mir die Daten zu den Bälgen nicht 
schicken, da all seine Sachen versetzt seien. 

Ich hatte seinerzeit das Fehlen des Vogels gemerkt, hielt 
aber diese Kleinigkeit nicht für wert, PraZak daran zu erinnern. 
Ich schrieb PraZäk, ich würde ıhn noch schärfer anfassen als alle 
anderen. 

Prazak hat sich dann ganz von der Ornithologie und Zoologie 
(er befasste sich zuletzt mit Studien über die Equiden) zurück- 
gezogen. 


J. P. Prazäk }. 105 


Ich hebe seine Briefe auf. Sie sollen als Aktenstück bei 
meiner Sumpfmeisensammlung bleiben. Die Wissenschaft kann 
dergleichen nicht einfach begraben und verschweigen. Es könnten 
Generationen kommen, die PraZäk so beurteilen könnten, wie es 
heute noch viele tun, wie ich selbst, so lange es möglich war, es 
versucht habe: als einen Kranken, der an Kleptomanie und einer 
Überreizung des Gehirns durch anstrengende Studien litt. 

Demgegenüber muss auch in Deutschland offen erklärt werden: 

1. Jede Benutzung der vielverbreiteten, leider auch 
im neuen Naumann verwerteten PraZäkschen Arbeiten 
als Datenmaterial ist gänzlich unmöglich. 

2. Prazak hat selbst seine wissenschaftliche Ehre 
zu gering geschätzt, um auch nur einen ernstlichen Ver- 
such zu ihrer Herstellung zu machen. 

PraZaks Arbeiten haben angeregt durch die Notwendigkeit 
ihrer Nachprüfung,!) und hier und da mag noch ein Gedanke sein, 
der der Nachprüfung wert ist, aber auch nur das. Meine Be- 
arbeitung der Sumpfmeisen stand zu derjenigen PraZäaks in scharfem 
prinzipiellem Widerspruch. Die Darstellung der Gruppe im 
Naumann ist ein teilweise von mir korrigiertes, sehr unglück- 
liches Bild von einer der interessantesten Sachen. Seine grosse 
Arbeit im Journal sollte von jedem Besitzer einfach durchstrichen 
werden. 

„Er täuschte sich selbst und er täuschte andere, ja er täuschte 
die ganze wissenschaftliche Welt! Aber diese Täuschung entsprang 
nicht der Gewinnsucht, sie war ihm gleichsam angeboren,* schreibt 
Kne&zourek. 

Nach seiner Rückkehr von Edinburgh wurde PraZäk Lehrer 
an Privatschulen, verheiratete sich dann und widmete sich einer 


!) Ich hatte 1899 einen Schüler von mir, den Zahnarzt Dr. Franz 
Ulrich aus Nierstein, der sich nach Ostgalizien begeben wollte, dazu 
gewonnen, die Prazäkschen Behauptungen, auch das, was vielleicht daran 
wahr sein könnte, nachzuprüfen. Aber Ulrich fand kurz darauf Ge- 
legenheit, die Universitätskarriere zu ergreifen und ging nach Leipzig. 
Dr. Franz Ulrich, der ein begabter Vogelkenner und Beobachter war 
und eine wertvolle Arbeit über die Luftsäcke der Vögel geschrieben 
hat, ist im vergangenen Sommer in trauriger Weise verunglückt. Man 
fand seine Leiche in einem toten Rheinarm. Die Umstände liessen mit 
Sicherheit darauf schliessen, dass er beim Versuch, diesen sogenannten 
- Altrhein zu überschwimmen, ertrunken war. 


106 J. P. Prazäk +. 


kurzen Laufbahn als politischer Agitator. Er erlag einer Kehlkopf- 
krankheit (Tuberkulose). 

Es war schade um diesen Kopf und seine immensen Literatur- 
kenntnisse. 

Aber einiges Wertvolle hat PraZäk doch bewiesen: dass es 
auch bei Gelehrten manchmal lange dauert, bis ein Truggewebe 
durchschaut wird, dass auch die Wissenschaft zu nicht geringem 
Teil auf dem Vertrauen von Personen ruht, und dass sich der 
Hang zu Übertreibungen und selbst kleine Unehrlichkeiten später 
furchtbar rächen können an jedem, der nicht treu ist in dem 
heiligen Priesterdienst der Wahrheit. 


Inhalt des ersten Jahrgangs. 


Vorwort des Herausgebers. » » su... ...:.. s 
Zur Ehre der Toten. 
I. Carlo von Erlangers Ansichten über den Formenring Falco 


, 'ej..e, Le/lieiin oe), ‘eo 


Bereo ins ee en here, Ser re ee ee ee ee 

II. Eine Ehrentafel für a a ee ee ur 

Miiwerlunsenrüber Berajäh „» . „2 2.2. ce .0.. ER A 
Avifauna von Ingelheim a. Rhein (1—10) von ©. Hilgert 
Flückigers Sammelreisen in Algerien . .». .. 2.2... . 

Aus Briefen von E. de Maes an den Herausgeber (über Aldheit- 

der seevözel) . . 2. „u nun A  , on 


Zur Pflege des Vogels im Käfig. 
I. Der Hinsbergsche Insektenfanggürtel als Futterquelle . . 
I=DassBaden’der Vögel? 2... ... a OOo 
Besprechung von Rey, Die Eier der Vögel Mitteleuropas... . - 
Notiz über Vorkommen des Purpurhuhnes in Deutschland, Fussnote 
Bezugsbedingungen für Berajah und Falco (vergl. neuere Mitteilungen) 
IinesBrager.tu..00.o SR 3 a Se 
Aistenlunsenwuber Berajah 2» ...n 2a oa. nenne Ber 
Bezugsstelle für Originalmappen. »© » © use... 2 0 0 nen. 
Manderfalkenzug 1IWINIOH SR ee 
Avifauna von Ingelheim a. Rhein (11—22) von ©. Hilgert. .. - 
Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou 
Zur Pflege des Vogels im Käfig. 
IE ChinesischerKunstsriffe » 22.2.0 aecn.n. 
IV. Über den Insektenfanggürtel als aeeanelld ee 
Blückigers Sammelreisen in Algerien . . » 2... 2. e. 2.00. 
Bücherbesprechungen. 
Erich Wasmann, S. J., Die moderne Biologie und die Ent- 
wicklunsstheoriense. were ee ee een ee ee 
Dr. Parrot, Ornithologische Winnehmunsen auf einer Fahrt 
nach Ägypten . -.. . - ee She SE 
Hartert, Die Vögel der paläarktischen Fauna ....... 
Othmar Reiser, Materialien zu einer Ornis Balcanica. .. . 
Otto Herman, Recensio critica automatica of the Doctrine of 
Bird-Nuorablones ee le ee ee eheenlei,> 


108 Inhalt. 


Johann Salomon Petenyi, Ornithologische Fragmente aus seinen 


Handschriften er Renee N En 97 

Ernst Zollikofer, Über einen interessanten Brutort des Gänse- 
sagers an. der Schweiz % =... ve Yun. ae ee 98 
An meine Korrespondenten und Subskribenten. . . ».2..... 100 
Hofrat’Dr; PaulWDeverkuhn 7.2 eo. „, Suse rn 101 
Joachim Rohwedert’ wa. 20 A ee 103 
JB: Prazakoreene a 2 5108 

Abbildungen. 


Tafel I (einzige des Jahrgangs): Typus von „Falco barbarus ger- 
manicus“ Erl. 


Berichtigungen. 


Seite 29, Zeile 13 von oben lies August statt Angust. 
a le An »  » Pologia statt Ormithologia. 


- 5 ’ F- 


ıregelmässig im Anschluss an das 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


—— 


LU, 


# 


| Jahrgang 1906, No. 1. 
Preis des Jahrgangs 3 Mark. 
"Ausgegeben: Mai 1906. 


y 


Bere Herausgeber: 
0. Kleinschmidt, x 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


von W. Schlüter, Halle a. S., Ludwig Wuchererstr. 9. ER 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita” 


erscheinenäe Zeitschrift. 


Jahrgang 1906, No. 1. 
Preis des Jahrgangs 3 Mark. 
Ausgegeben: Mai 1906. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. S. 


———u a 


Verlag von W. Schlüter, Halle a. 5, Ludwig Wuchererstr. 9. 


Mein Ahn war ein Schmied in Germaniens Wald; 
Waldvögeleins Lied um die Werkstatt erschallt’. 
Draus klang seines Hammers hellklingender Schlag; 
Es ritt zu ihm durch den grünenden Hag 

Manch stolzer Ritter, für eine Maid 

Zu holen ein kunstvoll geschmiedet Geschmeid. 

Zu zierlichem Werk taucht des Meisters Hand, 
Geehrt war sein Name weithin im Land. 


Einst wogts überm Walde wolkenschwer, 
Des Sturmes Brausen zog drüber her, 

Es qualmte die Esse, da trat herein 

Ein Mann in den roten Feuerschein. 

Und herrisch sprach er: „Aus edelstem Gold 
Einen Ring alsbald ihr mir fertigen sollt.“ 
Der Schmied stand am Ambos zornig, stumm, 
Schlug auf das Eisen, sah kaum sich um, 
Dann brummt er grimmig in den Bart, 

’s war sonst nicht so des Alten Art: 

Schert euch zum Fafnir mit eurem Tand, 
Der ist jetzt aus meiner Schmiede verbannt. 
Drauf spricht er laut: Der Recken Zahl 
Heischt von mir Waflen aus hartem Stahl. 
Ihr kamt umsonst, lasst mich allein! 

Heut schmiedeich grob, heut „schmied’ ich nicht klein“ 


O0. Kl. 


Ad 1906! 


Ein seltsames Frühjahr! Blumen, Schmetterlinge, Amselschlag 
zeitig im März und dann noch einmal tiefer Schnee und Frost. 
Ihr armen Frühlingswanderer, Rotbrüstchen, Rotschwänzchen, 
Blaukehlchen! Und gar erst ihr Weidenlaubsänger, macht schleu- 
nigst Halt! Was wollt ıhr zarten Wesen auf beschneiten eis- 
überkrusteten Zweigen? Auch der Falco hat auf dem Frühlings- 
zuge noch einmal Halt machen müssen, aber nicht, dass mir das 
Tintenfass eingefroren oder der Stoff knapp gewesen wäre, nein 
der Stoff ist so gross, der Fragen sind so viele, dass ich nicht 
alles auf einmal bewältigen kann. 

Es liegt so viele grobe Arbeit vor, dass ich an die Klein- 
arbeit und an die nächste Berajah-Lieferung so rasch noch nicht 
komme. Mein Werk soll ja nicht nur eine schöne Bildersammlung 
sein. Freilich liegen in meinen Mappen Skizzen, nach dem Leben 
entworfen, auf deren Ausführung ich mich rein als Maler freue; 
aber alles, was an meinem Werk schön ist, ist doch. nur wie der 
selbstverständliche Schmuck, mit dem ein Waffenschmied sein Lieb- 
lingswerk verziert. Ein schönes Bilderbuch oder eine Anhäufung 
endlosen gelehrten Kleinkrames ist nicht mein Ziel. Dafür haben 
wir beide nicht Zeit, mein Leser und ich. Eine Waffe soll mein 
Werk sein, nicht um diesem oder jenem Gegner im Zweikampf 
einen Hieb zu versetzen, sondern um neue Gebiete der Erkenntnis 
zu erobern, oder lieber noch eine bescheidene Jagdwaffe, um Vögel 
zu schiessen, die sich seither scheu unserem forschenden Blick 
entzogen und immer nur in unklaren Umrissen von weitem be- 
trachtet werden konnten. Darum zuerst grobe Arbeit, später 
Zierraten! 

Es freut mich ganz besonders, dass neben den Anfragen und 
Briefen, die baldige Fortsetzung von Berajah wünschen, dringende 

1* 


A Ad 1906! 


Fragen nach dem vorliegen, worauf es bei der ganzen Sache an- 
kommt, nach der Naturanschauung, nach dem System, das dem 
Werke zugrunde liegt. Ich will versuchen, mit den Artikeln 
dieser Nummer möglichst viele solcher Fragen zu beantworten, 
bitte aber zu bedenken, dass sich diese Dinge nicht auf ein paar 
Druckseiten erledigen lassen, sondern nur durch den Ausbau des 
umfangreichen Werkes. Andere Leute haben viele Bände und 
Jahrzehnte gebraucht, um das verständlich zu machen, was sie 
sagen wollten. Man gönne mir ein paar Jahre. Also statt brief- 
licher Einzelantworten die Artikel dieser Nummer! Was „Berajah* 
heisst, was ein Formenkreis ist, warum zu Saxicola Borealis gerade 
die angegebenen Steinschmätzer gehören, das wird so allmählich 
schon deutlich werden. 

Aber nun noch zu Fragen äusserlicher Art. 

Warum ist Falco verhältnismässig teurer als Berajah?!) 
Warum kostet Falco Heft 1 eine Mark? Warum sind die Bezugs- 
bedingungen so umständlich? Weil nur so das Werk von Anfang 
an auf eine feste Basis gestellt war. Der Umfang von Falco ver- 
hält sich zu einem Normalband unserer vornehmsten ornithologischen 
Zeitschrift, des Journals für Ornithologie, genau wie die Preise 
beider Zeitschriften sich verhalten, nämlich wie 3 zu 20, und ist 
eher etwas reichlicher. Falco hat rascher, als ich dachte, einen 
senügenden Leserkreis gefunden, der hinreicht, die Zeitschrift 
zu sichern. Somit war die Basis gewonnen und die erste Stufe 
erreicht. Die Herstellung einer Berajah-Lieferung ist ausser- 
ordentlich kostspielig und riskant, sobald eine kleine Auflage über- 
schritten wird. Ohne die Stütze, die das Werk an Falco hat, 
wäre Berajah nie lebensfähig geworden. Falco ist jetzt noch ein 
Vogel im unscheinbaren Jugendgefieder. Berajah habe ich gleich 
nach Umfang und Bilderschmuck so ausgestattet, wie das Werk 
immer erscheinen soll, und den Preis dafür habe ich so niedrig 
wie irgend möglich angesetzt. Gerade die Billiskeit, im Vergleich 
zu dem normalen Preis von Falco, soll dem Abonnenten klar machen, 
dass er mit der Subskription keine grosse Ausgabe riskiert und 
wie ausserordentlich niedrig der Preis des eigentlichen Werkes ist. 
Je mehr die Zahl der Abonnenten zunimmt, desto reicher kann 


1) Der Preisunterschied wird übrigens für die Subskribenten durch 
den Vorteil portofreier Lieferung ausgeglichen. 


| 
j 


Ad 1906! 5 


Falco ausgestattet werden und desto mehr Lieferungen von Berajah 
(zunächst höchstens drei jährlich) können erscheinen. 

Es liegt mithin im Interesse der Leser, unter ihren Bekannten 
weitere Abonnenten zu gewinnen. Prospekte werden zu diesem 
Zweck jedem Freunde des Werkes auf Verlangen zur Verfügung 
gestellt. Ferner empfiehlt es sich im eigenen Interesse wie im Inter- 
esse des Unternehmens, dass Bekannte und Vereine, die an dem- 
selben Postort wohnen, die Lieferungen gemeinsam beziehen. Dadurch 
werden die Tafeln auf dem Transport mehr geschont als bei Einzel- 
versand, und die hohen Versandkosten werden etwas veringert. Es 
ist geradezu unglaublich, welche grossen Kosten durch die vielen 
Anfragen nach dem Werk bei Herrn Schlüter entstehen. Ich bitte 
deshalb alle Anfragen an mich zu richten und deren Beantwortung 
in der nächsten Falconummer abzuwarten, An Herrn Schlüter 
richte man nur Bestellungen und Zahlungen. Herr Schlüter hat 
aus reiner Gefälligkeit gegen mich bis auf weiteres den Verlag 
und Versand des Werkes übernommen. Es handelt sich nicht um 
ein Geschäftsunternehmen von seiner Seite, sondern um ein rein 
wissenschaftliches Unternehmen meinerseits. Herr Schlüter ist auch 
an dem Inhalt von Berajah und Falco, d.h. an der wissenschaft- 
lichen Richtung des Werkes in keiner Weise beteiligt. Es kam 
mir darauf an, ein Werk zu schaffen, welches nicht der Autor im 
Auftrage des Verlegers oder nach den Wünschen des Verlegers 
mit allerlei Fesseln und Einschränkungen ausführt, sondern wobei 
der Autor völlig frei ist und die Zensur des Verlegers wegfällt, 
die im günstigsten Falle sonst mindestens in Beschränkung des 
Umfanges und namentlich der Abbildungen zu bestehen pflegt. 
Der Verleger bekommt den Inhalt des Werkes und den von Falco 
erst zu Gesicht, wenn ihm die Auflage der betreffenden Lieferung 
oder Nummer zum Versand zugeht. Das ist auch mit diesen 
Zeilen der Fall, die ganz meiner Initiative entspringen. Ich will 
und kann aber meinem liebenswürdigen Verleger, der täglich in 
seinem Institut die Anfertigung und exakte Etikettierung einer 
riesigen Zahl der verschiedenartigsten naturwissenschaftlichen Prä- 
parate und eine gewaltige Korrespondenz beaufsichtigen muss, nicht 
zumuten, die zahlreichen Anfragen über Berajah zu beantworten 
und zugleich mich fortlaufend darüber zu benachrichtigen und zu 
befragen. Mir dagegen ist es lieb, über alle Wünsche und Meinungen 
meiner Leser orientiert zu sein. Also nochmals die Bitte: alle 


6 Ad 1906! 


Anfragen an mich: Adresse Volkmaritz bei Dederstedt, Bezirk 
Halle a. d. Saale. Wenn ich auch nicht immer mit kaufmännischer 
Pünktlichkeit antworte, so bleibt doch keine Zuschrift unerledigt; 
und sollte sie erst im nächsten Falcoheft an die Reihe kommen. 

Ferner mache ich darauf aufmerksam, dass die einzelnen Falco- 
Nummern nur dann in grünem Umschlag erscheinen, wenn sie 
aus mehreren Bogen bestehen. Kleine Nummern (der Umfang ist 
stets verschieden, vergl. No. 2 des 1. Jahrganges) werden ohne 
Umschlag versandt. In diesem Jahre erscheinen voraussichtlich 
kleinere Nummern als 1905, aber dann viel mehr als drei. 

Es sei nochmals an die Mappen erinnert, die von der Buch- 
binderei von A. Brauer, Wettin a. d. Saale, Provinz Sachsen zu 
den einzelnen Berajah-Heften geliefert werden und zwar zu 50 Pf. 
in einfacher, zu 1 Mark in elegantester Ausführung. Namentlich 
die hübsche Mappe zu 1 Mark (30 Pf. Porto kommen noch hinzu) 
ist überaus preiswert und wird jedem Besitzer die Freude an dem 
Werk erhöhen. Es ist dringend nötig, Berajah nur in Mappen 
aufzubewahren, weil von Zeit zu Zeit einzelne Tafeln und Seiten 
als Ergänzung hinzukommen. Für Saxicola Borealis liegt schon 
jetzt allerlei neues Material bereit. 

Von Falco werden von 1906 an einzelne Hefte nicht abgegeben, 
ohne Abonnement oder Ankauf des ganzen Jahrganges (zu 3 Mark). 
Die Angabe des Einzelpreises von „l Mark“ auf dem Titelblatt 
von 1905, No. 1 und die Angabe auf dem Umschlag von Berajah 
Lieferung 1 „bis 8. Dezember“ gaben zu vielen Fragen Anlass. Sie 
sind damit erledigt, dass das Abonnement bis auf weiteres jederzeit 
beginnen kann und auf jener Falco-Nummer, die ausnahmsweise 
einzeln abgegeben wurde, ein runder Preis sich besser ausnahm, 
als Bruchteile von Pfennigen. Das kleine Unrecht, das in der 
Bewertung dieser Nummer (44 Seiten) mit 1 Mark, mithin in der 
Bewertung der 64 Seiten von No. 2 und 3 mit 2 Mark liegt, wird 
durch den Umfang von Falco 1906 ausgeglichen werden. Ich 
konnte als der Titel gedruckt wurde, die Seitenzahl der Nummer 
ebensowenig berechnen als die des Jahrganges, und schliesslich 
richtet sich der Wert einer Publikation nicht lediglich nach der 
Menge des Druckpapieres. 

Hier muss ich noch zwei andere Fragen beantworten. Eine 
Anzahl Herren wagen nicht auf das Werk zu subskribieren, weil 
sie befürchten, dass ihnen dabei eines Tages riesige Ausgaben be- 


Ad 1906! 


vorstehen könnten, wenn die Zahl der jährlichen Lieferungen 
einmal plötzlich zunimmt. Das ist ganz unmöglich, denn so rasch 
lässt sich das Material nicht zusammenbringen, und vielleicht ge- 
nügt schon ein Cyklus von zehn Formenkreisen, um die Dinge, 
auf die es ankommt, deutlich zu machen. 

Zoographia infinita bedeutet eben gar mancherlei: un- 
begrenzt ist das Werk; ich weiss selbst nicht, wie viel Lieferungen 
es werden und wieweit der Ausbau der einzelnen Lieferungen fort- 
schreitet. Infinitus heisst aber ganz buchstäblich unbeendigt, 
nicht nur deshalb, weil ich nıe und nımmer auch nur die 
deutschen Vögel alle zu behandeln hoffe (dazu reicht mein Leben 
nicht aus), sondern weil ich vielleicht eines Tages darauf verzichte, 
das Werk fortzusetzen. Auch wenn es wirklich nur zehn Liefe- 
rungen werden sollten, werden diese als Monographien darum nicht 
schlechter sein, als wenn noch zehn andere hinzukommen. 

Eine Zuschrift, die ich heute erhalte, macht dem Werk den 
Vorwurf, dass es sich „zu sehr in Einzelheiten vertieft“. Ich meine, 
wenn die Einzelheiten nicht klar werden, werden die grossen 
Hauptfragen nicht klar, und mein Werk weist ja keineswegs nur 
die Mannigfaltigkeit, sondern die Einfachheit der Natur nach, denn 
vor dem Studium der Lebensringe schmelzen die „Arten“ zusammen 
wie Wachs überm Feuer. Die Feinde der Artzersplitterung er- 
leben vielleicht die Freude, dass im nächsten Berajahheft keine 
lateinisch benannten Formen vorkommen. Ich weiss aber heute 
noch nicht, wie ichs machen werde, nicht weil ich selbst schwanke, 
sondern weil ich das, worauf es ankommen wird, möglichst ein- 
fach darstellen will. 


Volkmaritz, im März 1906. OÖ. Kleinschmidt. 


Saxicolismus und Berajahlehre. 


Der Urmensch hat den letzten Meiselhieb getan an einem 
steifen, starren Steinbild. Staunend ob seiner eigenen Kunst kniet 
er bewundernd nieder, und flehend hebt er die Hände empor zu 
dem Gottesbild aus Stein. Aber der steinerne Gott bleibt un- 
gerührt. Zornig greift der Enttäuschte zum Hammer, schlägt in 
Trümmer sein mühsam geschaffenes Werk. „Er hört nicht, lebt 
nicht. Es gibt keinen Gott. Er war nur aus Stein, Gebilde 
meiner Hand.“ !) 

Dieser Urmensch hatte einen Bruder. Der lachte über des 
anderen Zorn ganz ebenso wie vorher über seine Frömmigkeit und 
meinte, beides sei wohl nur Licht- und Schattenseite desselben 
Irrtums. Als ihm bald darauf ein Sohn geboren wurde, gab er 
dem Kinde einen merkwürdigen Namen. Ein Nachklang dieses 
Namens aus späterer, übrigens immer noch alter Zeit ist der Name 
Berajah. Das soll heissen, ein ganz anderes, schöneres Bild 
als jener hässliche, steife, kalte Stein ist dies Kind, von dem 
Meister gestaltet, der Lebendiges bildet, neben dessen Kunst- 
werken jeder menschliche Versuch, sie darzustellen, 
Stümperei bleibt. 

Linn begann sein Natursystem mit den Worten: „OÖ Jehovah 
quam ampla sunt tua opera! quam sapienter ea fecisti! 
quam plena est terra possessione tua!* 

Wenn man heute ein naturwissenschaftliches Werk so an- 
fängt, finden das manche Leute mindestens altmodisch. Das schadet 
nichts, aber ich will die Leser von Berajah und Falco keineswegs 
mit theologischen, sondern mit rein naturwissenschaftlichen 
Dingen unterhalten. 

Auch in der Naturwissenschaft wie im gesamten Geistesleben 
von der Urmenschheit bis auf unsere Tage wiederholt sich der 
Gegensatz zwischen Saxicolisten?) und Berajah-Lehre. 


1) Vergl. Berajah, Lieferung I, S. 1, Anm. 1. 
®2) Hübsch ist die Wortbildung nicht, die Sache, ‚welche sie be- 
zeichnet, ist ja auch nicht hübsch. 


ze re ee ee See 


Saxicolismus und Berajahlehre. 9 


Man bildet starre Begriffe, nennt sie Naturgesetze, nennt sie 
Arten und zertrümmert sie wieder mit dem Ausruf: Es gibt kein 
Gesetz, kein Schema in der Natur und keine Art, es ist alles im 
Flusse, aus dem der Mensch Augenblicksbilder herausgreift, Kunst- 
begriffe formt, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. 

Aber mit diesem Vulgär-Linneismus und mit diesem Vulgär- 
Darwinismus!) bewegt man sich in demselben Circulus vitiosus 
wie der arme „Saxicola“. 

Was ıst Darwinismus? „Eine von vielen Theorien über die 
Entstehung der Arten.“ Was sind Arten? „Etwas, was es in 
der Natur nicht gibt“, so sagt man. Wie können Arten entstanden 
sein, wenn es keine gibt? 

Es sind mittelalterliche Gedankengänge, in denen man sich 
da bewegt. 

Ein Problem, das auf religiösem Gebiet schon vor Jahr- 
tausenden, auf philosophischem vor Jahrhunderten die Geister be- 
schäftigte, steht in der Naturwissenschaft jetzt auf der Tagesordnung. 

Im Mittelalter stritten Realisten?) und Nominalisten um 
die Universalia, die allgemeinen Begriffe, ob sie wirklich (real) 
seien oder blosse Namen (nomina), aber beide Parteien waren — 
Scholastiker. 

Heute wird immer noch gestritten, ob es Arten gibt oder 
ob es nur Individuen gibt und die Art ein blosser Name, ein 
Allgemeinbegriff des Menschen ist, dem in der Natur nichts Reales 
entspricht. 

Andere gehen noch weiter und zweifeln, ob es Individuen 
gibt, denn wo fängt das Individuum an und wo hört es auf? 
Beginnt der Vogel zu existieren, wenn er aus dem Hi schlüpft 
oder wenn das Ei gelegt wird, oder ist die Dotterkugel, die man 
in einem geschlossenen Vogel findet, schon ein Individuum? Und 
der scheckige Amselalbino, der geradezu als bestimmtes Individuum 
gezeichnet ist, hat möglicherweise bei der nächsten Mauser plötz- 
lich schwarzes Gefieder. Ist nicht das Individuum am Ende ein 


!) Die Leistungen Linn6s und Darwins herabzusetzen oder gering 
zu achten, fällt mir niemals ein, ich meine den Kometenschwanz von 
kleinen Geistern, die sich an ihre Sohlen heften. Was der Laie Dar- 
winismus nennt, deckt sich ja auch in vieler Hinsicht gar nicht mit 
Darwins Gedanken. 

?) Gerade der Gegensatz zu dem, was man heute Realismus nennt. 


10 Saxicolismus und Berajahlehre. 


Konglomerat täglich wechselnder Zellen, und ist nicht das Studium 
der Zelle als kleinster Einheit die eigentliche zoologische Wissen- 
schaft? 

Aber die Zelle ist ein Ding, das beim höheren Tier für sich 
allein keine dauernde Existenzfähigkeit hat, das nur mit ande- 
ren gleichgearteten Wesen existieren kann. Ist es auf die Dauer 
gerechnet mit dem Individuum anders, anders mit der Art? Nota- 
bene, wenn wir von dem präparierten Individuum von der Art im 
Museum absehen und von lebendigen Individuen und Arten reden? 
Drum nenne ich all jene Gedanken Saxicolismus. Wenn man das 
Leben in versteinerte Begriffe fasst, dann kommt man an kein Ziel. 

Der Kampf zwischen Linneismus und Darwinismus wird ebenso 
unerledigt bleiben, wie der über Realismus und Nominalismus. 
Die Fragestellung, die Universalia werden allmählich andere, denn 
wenn die Begriffe falsch waren, musste der Streit um sie frucht- 
los sein. 

Was ist nun ein richtiger Begriff? Ein lebendiger Begriff! 
Der packt den Gegenstand an einem Ende und sagt, dieses Ende 
habe ıch in der Hand, und wie das andere Ende aussieht, weiss 
ich noch nicht, erfahre ich aber vielleicht noch. 

Welche Lehre von der Art ich aufstelle? Welche Schöpfungs- 
lehre®? Gar keine! Ich weise mit meinen Abbildungen auf die 
lebendige Natur und meine, dass die uns noch viel sagen kann, 
wenn wir es verstehen, sie zu befragen, wenn wir nicht Be- 
kanntes aus Unbekanntem, sondern Unbekanntes durch Bekanntes 
zu erklären suchen. 

Am Ende steht in der lebendigen Natur ein Kunstwerk dicht 
vor unseren Augen, das wir nur deshalb nicht sehen, weil wir uns 
immerzu Steinbilder von ihm zurechtmeisseln und sie anbeten, um 
sie nachher zu zertrümmern. 

Der Mensch macht es immer wie die Taube in der Fabel, 
die da, als ihr das Nesterbauen gezeigt wurde, nach ein paar Mi- 
nuten meinte, so, nun habe ich’s schon begriffen, und die es nun 
nie zu einem ordentlichen vollständigen Neste bringt, sondern auf 
einem höchst leichtfertigen Bau brütet. 

Wozu schon Definitionen von Art und Artentstehung machen, 
um nachher wieder an der Möglichkeit von beiden zu verzweifeln? 
Vielleicht sind wir noch nicht so weit, beides definieren zu können. 
Drum bleibt unser Wissen vom Leben eine „Zoographia in- 


Saxicolismus und Berajahlehre. in! 


finita“. Wir brauchen mehr als einen Tag und ein Jahr, um 
die Definitionen der Natur selbst zu überschauen. Diese Grund- 
sätze sind der Gegensatz zum Saxicolismus. 

Und doch, hätte der Saxıcola nicht ein Bild von Stein oder 
Holz gemeisselt und angebetet, der Name Berajah wäre vielleicht 
nicht entstanden. Der Saxicolismus mit seinen vergeblichen Ver- 
suchen, die Welt befriedigend zu erklären, öffnet uns schliesslich 
die Augen für die Tatsachen, die fertig gebildet fertig vor uns 
liegen. OR 


Was ist ein Formenkreis? 


Diese Frage ist in letzter Zeit sehr oft an mich gerichtet 
worden, und sie liegt um so näher, weil meine in der engsten Fach- 
literatur versteckten und zerstreuten Arbeiten über diesen Gegen- 
stand den meisten meiner Leser unbekannt sind. Ich will ver- 
suchen, den Inhalt dieser Veröffentlichungen in drei Sätze zu- 
sammenzufassen: 

Das Formenkreisstudium sucht aus dem Chaos beschriebener 
Arten und Formen diejenigen heraus, die sich geographisch 
vertreten und ausschliessen und betrachtet sie in der für die 
Anschauung bequemen natürlichen Anordnung auf der Fläche 
der Erde, nicht in der für Gedächtnis und Buchdruck bequemen, 
aber unrichtigen Anordnung in einer Linie. 

Das Formenkreisstudium fasst solche Arten und Formen mit 
demselben Recht zusammen, mit dem man sämtliche Menschen- 
rassen ohne Rücksicht auf Hautfarbe, Grössenunterschiede und Ge- 
staltsverschiedenheiten unter dem Namen Mensch zusammenfasst. 

Das Formenkreisstudium beweist, dass zahllose Ähnlichkeiten, 
die man früher durch Stammverwandtschaft zu erklären suchte, 
auf Parallelismus beruhen und dass andererseits verwandte 
Formen sehr verschieden sein können; es führt so voraussichtlich 
zu einer neuen Erklärung des Naturganzen. 

Es ist somit das Formenkreisstudium, die Arbeitsmethode 
definiert, nicht aber die Frage beantwortet: „Was ist ein 
Formenkreis?* 

Es wäre meines Erachtens das Törichtste, was ich tun könnte, 
wollte ich den Gegenstand, nach dem ich forsche, im voraus 
definieren. 

Wenn ich eine Definition versuchen wollte, würde ich sagen: 
„Der Formenkreis ist ein Begriff, der viele grobe Fehler der 
Systematiker und Biologen aufdeckt, die Lücken unseres Wissens 


Was ist ein Formenkreis? 13 


deutlich macht und den Glauben an wissenschaftliche Autoritäten 
stark erschüttert, daher er vielen Leuten sehr unbequem und un- 
sympathisch ist.“ Das Wort Formenkreis wird in der Zoologie 
nicht nur von mir und meinen Anhängern angewendet, sondern 
ist schon lange in einem anderen Sinne im Gebrauch, nämlich für 
anscheinend verschwommene Gruppen, welche die frühere Syste- 
matik nicht zu entwirren vermochte. 

Formenkreisstudium in meinem Sinne ist etwas ganz anderes 
und darum verbunden mit einer 


neuen Nomenklatur. 


Für Leute, welchen das Wesentlichste, was sie von einem Vogel 
wissen, sein lateinischer Name ist, ist eine neue Nomenklatur von 
vornherein etwas Unmögliches. Aber wie das vorige Falcoheft 
zeigt, will ich keineswegs mit einemmal die alte Nomenklatur ab- 
schaffen, sondern nur da, wo das Formenkreisstudium beginnt, 
macht sich die neue Nomenklatur nötig. Wer da will, mag ruhig 
bei der Nomenklatur unserer zoologischen Altvordern beharren. 
Ich verdenke es keinem. Aber möge auch mir mein Vorgehen 
nicht verdacht und als Eitelkeit oder sonst etwas ausgelegt werden. 

Wie man in einer Gleichung mit einer oder mehreren un- 
bekannten Grössen diese nicht mit a, b, ce, sondern mit x, y, z be- 
zeichnet, so bezeichnet der Formenkreisname das, was man am 
Vogel erst studieren will und was in jedem einzelnen Fall studiert 
werden muss. 

So gut wie man neben mineralogischen Namen chemische 
Formeln gebraucht, die alles nur scheinbar und äusserlich Ver- 
schiedene zusammenfassen, ist neben der alten Nomenklatur eine 
neue berechtigt. Man muss sich aber klar machen, dass selbst ein 
so prächtiges gründliches Werk wie der Catalogue of the Birds in 
the British Museum noch auf der Stufe steht wie die Mineralogie vor 
dem Aufblühen der chemischen Wissenschaft. Ich könnte dra- 
stische Beweise anführen. 

Der Formenkreis ıst also etwas, was nicht definiert, sondern 
studiert werden will. Gründliches Studium braucht aber Zeit, und 
darum wird es keinem, der sich für diese Studien interessiert, an 
Zeit fehlen, sich die paar nach und nach erstehenden Namen zu 
merken. Es ist viel leichter, als sich über die fortwährenden 
Änderungen und Umkrempelungen zu orientieren, die von den An- 


14 Was ist ein Formenkreis? 


hängern der Linneschen Nomenklatur ausgetüftelt und nach dem 
Prioritätsgesetz selbstverständlich auch notwendig werden. 

Ist das wirklich zu viel für ein normales Gedächtnis, in der 
Zeit von 1900 bis 1906 folgende Namen zu behalten? 


Altes System. 
Galerida ceristata (L.), Haubenlerche, 


5 theklae (Brehm), Lorbeerlerche, 


a arborea, Heidelerche, 
Alauda arvensis (L.), Feldlerche, 
Erithacus luseinia (L.), Sprosser, 

r suecicus (L.), Blaukehlchen, 

5 rubicula (L.), Rotkehlchen, 

x phoenicurus (L.), Baumrot- 

schwanz, 
titis auct., Hausrotschwanz, 

Menticela saxatilis a, Steinrötel, 


: cyanus (L.), Blaumerle, 
Pratincola rubicola (L.), Schwarzkehl- 
chen, 


2 rubetra (L.), Braunkehlchen, 
Saxicola oenanthe (L.), Steinschmätzer, 
Turdus merula (L.), Schwarzamsel, 

„  torquatus (L.), Ringdrossel, 
„ viseivorus (L.), Misteldrossel, 
„  piaris (L.), Wacholderdrossel, 
»„  musicus (auct.), Singdrossel, 
iliacus (auct.), Weindrossel, 
Pholiescopis rufus (Bechst.), Weiden- 
laubvogel, 

: acredula (L.), Fitislaub- 

vogel, 

L sibilator (Bechst.), Wald- 

laubvogel, 


Neues System. 

Alauda Galerita 1900. 

„  Thekla 1900. 

„ Zullula 1900. 

„  Arvensis 1900. 
Erithacus Poeta 1903. 

„ Astrologus 1903. 

4 Dandalus 1903. 

N Arboreus 1903. 


1 Domesticus 1903. 
Monticola Ruticilla 1906. 

n Merula 1906. 
Pratincola Atricapilla 1903. 


5 Pratensis 1903. 
Saxicola Borealis 1903. 
Turdus Vernus 1903. 

„ ' Collaris.'1903: 
„  Arboreus 1903. 
„ Socius 1903. 
„‘ “Braei 1903; 
Borealıs 1903. 
Phyiloopas Zilpzalp1903. 


{ Fitis 1903. 


: Volitans 1903. 


Locustella naevia (Bodd.), Heuschrecken- Locustella Threnetria 1903. 


rohrsänger, 

Hypolais philomela (L.), Gartenlaub- 
vogel. 

Acrocephalus palustris (Bechst.), Sumpf- 
rohrsänger, 


Acrocephalus Hypolais 
1903. 
R Frumentarius 


1903. 


Was ist ein Formenkreis? 15 


Altes System. Neues System. 
Acrocephalus streperus (Vieill.), Teich- Acrocephalus Calamoherpe 
rohrsänger, 1903. 
B arundinaceus (L.), Drossel- R Turdoides 
rohrsänger, 1903. 
5 schoenobaenus (L.), Schilf- 2 Phragmitis 
rohrsänger, 1903. 


Parus atricapillus (L.), Erlkönigsmeise, Parus Salicarıus 1903. 


Die rechtsstehenden Namen sind keineswegs ein Ersatz für 
die linksstehenden Namen, sondern die alten Namen bedeuten nur 
ein kleines Bruchstück von dem, was diese neuen bedeuten (ver- 
gleiche Saxicola Borealis). Diese neuen Namen bringen aber auch 
eine grosse Vereinfachung. 

Als Linne seine lateinischen Speziesnamen einführte, brauchte 
man sich nicht mehr ein paar Dutzend Trivialnamen und Literatur- 
stellen für jeden Vogel zu merken, sondern man konnte deren Zu- 
sammenfassung unter dem lateinischen Namen nachlesen. 

Als das Prioritätsgesetz in der Nomenklatur aufkam, brauchte 
man sich nicht mehr ein Dutzend oder mehr Synonyme für jede 
Art zu merken, sondern man reichte mit dem ältesten Namen aus 
und konnte die Synonyme in jedem besseren Werk aufschlagen. 

Die Formenkreisnomenklatur erspart es, sich die Namen von 
so und so viel Spezies und Subspezies zu merken. Man kann sie 
alle mit einem Namen zusammenfassen und die Formennamen in 
einem Berajahheft jederzeit nachsehen. 

Ja vielleicht wird später der ungeheure Ballast der Spezies- 
und Subspeziesnamen für die praktische Gedächtnisarbeit ebenso 
überflüssig, wie es jetzt die Synonyme durch das Prioritätsgesetz 
geworden sind. (Für das wissenschaftliche Detailstudium werden 
die Subspeziesnamen immer ebenso wichtig bleiben, wie die Syno- 
nyme.) Hartert wählt als Bezeichnung der Formenkreise den 
Namen der zuerst beschriebenen Form. Ob sich seine oder meine 
Formenkreisnomenklatur einbürgert, ist mir ganz gleichgültig. Für 
mich besteht die Wissenschaft nicht in Namen, nicht darin, ob 
man eine unbekannte Grösse a oder x nennt. 

Meine neuen Formenkreisnamen geben den Hinweis auf die 
Stelle, wo zuerst mit dem Studium des betreffenden Formenkreises 
ein Anfang gemacht ist. Sie bleiben unabänderlich, während es 
bei Harterts Methode, um ein Beispiel anzuführen, passieren konnte, 


16 Was ist ein Formenkreis? 


dass die Erlkönigsmeise Parus palustris salicarius, Parus borealis 
salicarius, Parus salicarıus salicarius, Parus montanus salicarius, 
Parus atricapillus salicarıus genannt werden musste in dem 
Masse, wie das Studium des Formenkreises fortschritt. Bei mir 
heisst der Formenkreis von Anfang bis zu Ende Parus 
Salicarius. Bei meinem System weiss man auch immer, ob ich 
von dem ganzen Formenkreis (Saxicola Borealis) oder einer 
einzelnen Form (Saxicola oenanthe) rede bezw. schreibe. Aber 
wie gesagt, die Namen sind mir gleichgültig. Die Praxis mag 
und wird darüber entscheiden. Wenn wir nur in der Sache einig 
sind. Und das sind die Systematiker von heutzutage mit wenigen 
bedauerliehen Ausnahmen. Eine der nächsten Berajahnummern, 
vielleicht schon die in Vorbereitung begriffene, wird die grosse 
Vereinfachung, die mein System bringt, besser verdeutlichen als 
alle Worte. 


Warum gehört Saxiecola isabellina nicht zum Formenkreis 
Saxicola Borealis? 


Ich beantworte hier einen Briefabschnitt meines verehrten 
Kollegen Clodius mit seiner Zustimmung nochmals öffentlich, weil 
in diesem Briefe Bedenken ausgesprochen sind, die ich bei mir 
selbst früher lange erwogen hatte und deren Erledigung zugleich 
viele ähnliche Anfragen befriedigen wird. Die Briefstelle vom 
13. Februar 1906 lautet: 

„Lange schon wollte ich Ihnen meine grosse Freude über Ihr 
ornithologisches Unternehmen bezeugen, dessen Erscheinen ich stets 
mit Vergnügen entgegensehe. Ich glaube, ich schrieb Ihnen damals 
etwas geringschätzig über den Wert Ihrer neuen Art, die Natur 
zu betrachten. Nachdem mir die Sache aber vertrauter geworden 
ist, wird sie mir je länger, desto sympathischer, und ich zweifle 
nicht mehr daran, dass wir allerdings in dieser Weise endlich die 
Natur so sehen und begreifen, wie sie in Wahrheit und Wirklichkeit 
ist. Nur ist mir trotz des ersten reizenden Heftes über Saxicola 
nicht ganz klar, wie Sie die Zugehörigkeit zu einem Formenkreis 
in jedem Fall eruieren wollen, und wie Sie sie von dem nächsten 
Kreis bestimmt unterscheiden wollen, beides ohne willkürlich zu 
scheinen, z. B. bei der Unterscheidung von Saxicola Borealis und 
isabellina. Sie geben ja die Unterschiede an, aber mich dünkt, 


Was ist ein Formenkreis? 17 


die sind gegen die gewaltigen Unterschiede von beispielsweise 
S. Borealis oenanthe und phillipsi so gering, dass es einem Laien 
schwer möglich, ja unmöglich ist, sich zu überzeugen, er es viel- 
mehr auf guten Glauben hinnehmen muss. 

Sollte wirklich der „helle Streif am Innensaum der Schwingen“ 
für alle Formen des Formenkreises von isabellina das gewisse 
Kennzeichen sein, dieser Streif nicht vielmehr auch schwinden oder 
bei einem anderen Formenkreis auftreten? Jedenfalls ist es absolut 
notwendig, dass durchaus verlässliche Kennzeichen angegeben werden, 
an denen jeder die zusammengehörigen Formen desselben Kreises 
erkennt und von den anderen Kreisen unterscheidet. Sonst bleibt es 
doch reine Gefühlssache des einzelnen, wohin man diese oder jene 
Form weisen will. Oder sollte vielleicht doch die Natur so viel- 
gestaltig sein, dass es überhaupt nie gelingt, alle Gestalten be- 
stimmten Formenkreisen zuzuweisen? Ich weiss es nicht, manch- 
mal will es mir so scheinen —. Ich habe früher eifrig Kryptogamen, 
vor allem die Laubmoose studiert und beschäftige mich noch jetzt 
von Zeit zu Zeit damit.. Am meisten interessierte mich die eigen- 
artige Familie der Sphagneen (Torfmoose). Auch da findet sich, 
durch Wasseraufenthalt bedingt, ein Fülle von Formen, die durch- 
gehends ganz gut unterschiedenen Formenkreisen zuzuführen sind. 
Bei einigen allerdings will der Zweifel sich nicht legen, aber wir 
können getrost unsere noch mangelhafte Unterscheidungsgabe dafür 
ins Feld führen.“ (Der Schluss des Briefes betrifft das Vorkommen 
von Parus Salicarius in Mecklenburg, worüber Herr P. Clodius die 
Liebenswürdigkeit hatte, mir einen Artikel für die vorliegende 
Nummer zur Verfügung zu stellen) — 

Ich antworte: Die Unterscheidungsgabe für die Zugehörigkeit 
zu einem Formenkreis besitzen in vollem Masse nur die Kreaturen 
selbst, welche zu einem Formenkreis gehören. Die Naumanns- 
drossel schliesst sich längst der Weindrossel bei westlichem Zuge 
an. Das Tier hat gleichsam noch einen sechsten Sinn, der ihm 
sagt: „das ist Fleisch von meinem Fleisch und Knochen von meinem 
Knochen“. Dieser Sinn kann auch einmal irren, wie alle Sinne, 
er irrt aber viel seltener als das Auge des Systematikers. Durch 
lange Übung und biologische Kenntnisse kann dieser nur not- 
dürftig das ersetzen, was der Vogel empfindet. Das Tier elektrisiert 
vielleicht schon der erste von weitem vernommene Lockton, die 


Witterung, die ihm ein Windhauch zuträgt; der Anblick der Augen 
Falco. 2 


[4 


18 Was ist ein Formenkreis? 


sagt ihm schon: „Fleisch von meinem Fleisch‘. Das Tier braucht 
nicht erst die Merkmale, die wir nötig haben. 

Der lichte Schwingensaum von Saxicola isabellina ist ein 
solches Merkmal. Betrachtet man den Vogel genauer, dann merkt 
man: auch abgesehen von den Gefiederunterschieden ist das ein 
ganz anderes Tier. 

Von Tschusi nannte schon vor vielen Jahren die Färbung zu- 
treffend eine Maske, und vor Jahrzehnten wurde der Gedanke aus- 
gesprochen, dass wirkliche Arten auch als Albinos oder Melanismen, 
ja in gerupftem Zustande verschieden sein müssen, und das 
alles trifft zu. 

Sollte ich dazu kommen, den Formenkreis von Saxicola 
isabellina (Öretzschm.) in Berajah zu behandeln, so wird es 
deutlicher werden, dass dieser Vogel nicht zu S. Borealis gehört. 
In dem geographischen Überblick über das Ganze hat der Mensch 
einen Vorteil, der den scharfen Artsınn des Tieres einigermassen 
ersetzt. 

Häckel hat einmal gesagt: „die am wenigsten bekannten 
Arten sind die besten; sie werden um so schlechter, je besser 
wir sie kennen lernen‘. Das trifft für Formen zu und für ihre 
Unterschiede. 

Formenkreisunterschiede werden um so grösser, je mehr 
man die Formenkreise kennen lernt. Der Laie wird Rabenkrähe 
und Saatkrähe verwechseln. Der Kenner muss aber erstere zu 
der ganz abweichend gefärbten Nebelkrähe stellen; er wird dem 
Laien sagen: Es ist nur die Färbungsmaske, welche dir vor- 
täuscht, dass Saat- und Rabenkrähe einander näher stünden als 
Raben- und Nebelkrähe. 

Durchaus verlässliche Kennzeichen für Formenkreise können 
immer nur aufgestellt werden für die Formen, welche bekannt sind. 
Das Wesen des Formenkreises wird in hundert anderen Eigen- 
tümlichkeiten bestehen, die kein Federn zählender Systematiker 
definieren kann. Die künstlerische Darstellung des Vogels kann sie 
vielleicht teilweise verdeutlichen. Das Gesamtbild der geographischen 
Verbreitung mit einem Wort: eine immer gründlichere Vertiefung 
in die Kenntnis des Tieres wird uns vor Verwechslung der Formen- 
kreise schützen. Wie wir den lebenden Vogel im Freien erkennen, 
ohne ihn tot in der einen Hand und ein Lehrbuch in der anderen 
zu halten, so werden uns schliesslich auch die Formenkreise gute 


Was ist ein Formenkreis? 19 


Bekannte, für die wir keine Kennzeichen brauchen, weil wir uns 
das Gesamtbild angeeignet haben. Gefühlssache ist es gewisser- 
massen freilich, wohin man diese oder jene Form zu weisen hat, 
aber in vielen Fällen leitet uns ja das Gefühl richtiger als die 
Verstandesoperationen. Willkürlich ist aber die Vereinigung in 
Formenkreise nicht. Willkürlich ist die Vereinigung in Subgenera, 
willkürlich ist das Zersplittern und Zerreissen der natürlichen 
Formenkreise im „gute Arten“. Bei einem Formenkreise fragt 
man sich immer wieder: Ist die Verwandschaft natürlich? Und 


‘gerade durch diese unablässige Kritik, die ich selbst an jedem 


Formenkreise übe, sollen, so hoffe ich, erst die interessantesten 
Seiten der Sache zutage treten. Gerade darum gebe ich meinen 
Formenkreisen neue Namen, um die Kritik, das Weiterarbeiten 
herauszufordern, zu erzwingen. Ich vereine nicht willkürlich, sondern 
gehe langsam und vorsichtig voran. So habe ich zuerst (s. Journ. 
f. Ornith. 1903, 8. 389, 392) nur die Formen $. oenanthe und 
leucorhoa unter Saxicola Borealis vereinigt und die Zugehörigkeit 
von S. seebohmi als möglich aber fraglich bezeichnet. Diesen 
Steinschmätzer sah man früher als eine aussterbende oder aus- 
gestorbene Urform an und bot fabelhafte Preise für ein Stück. 
Nachdem Flückiger den Vogel so gründlich erforscht hat, wissen 
wir, er lebt wie S. oenanthe, hat die jugendlichen und weiblichen 
Kleider mit oenanthe gemein, beide nähern sich in schwarz und 
weisskehligen Varietäten (s. Berajah I, Taf. IV.); nach Flügel 
und Schnabelgestalt passt seebohmi in die Variationsreihen von 
S. Borealis hinein (Berajah I, Taf. I und ID), Nest und Eier sind 
gleich in allem Wesentlichen. Da schwindet jeder Zweifel. Was 
S. phillipsi betrifft, so bewog mich nach einigem Schwanken der 
Umstand, dass viele andere Formenkreise in den Somaliländern 
kleine, hell gefärbte, kurzflügelige Formen bilden, die Form ohne 
ein Fragezeichen mit aufzunehmen, und gerade diese Form wird 
durch Vergleich mit dem nächsten Formenkreis sehr interessant. 
Ob nun noch weitere Steinschmätzer hinzugehören, weiss ich noch 
nicht. Die auf Seite 2 von Berajah aufgeführten und die an den 
Brutplätzen der bekannten S. Borealis-Formen wohnenden Arten 
können nicht dazu gehören. 0. Kl. 


20 


Reichenows Skeptizismus. 


Da ich einmal in dieser Nummer systematische Fragen er- 
örtern muss, die einen Teil meiner Leser wenig interessieren werden, 
will ich hier noch die Angriffe kurz streifen, welche Professor 
Reichenow gegen die Hartertsche Naturauffassung gerichtet hat. 
Reichenow erklärte noch auf der Jahresversammlung der Deutschen 
Ormithologischen Gesellschaft in Dresden 1897, dass die Auf- 
teilung der Art in Subspezies bald allgemein als not- 
wendig bezeichnet werden würde. Auf dem V. Internatio- 
nalen Zoologenkongress zu Berlin aber gab er feierlichst die Parole 
aus: „Wir müssen umkehren“. Und er kehrte wirklich zurück 
zu einer Auffassung, welche nur die Arten, einerlei, ob sie deut- 
lich oder undeutlich (subtil) sind, als von der Natur vorgeschriebene 
und in der Natur vorhandene Gruppen, alle weiteren systemati- 
schen Begriffe dagegen als willkürliche Gedankengebilde des Syste- 
matikers auffasst. 

Ich selbst hatte zwar auch schon Jahre vorher davor gewarnt, 
Verwandtschaftsbeziehungen im System ausdrücken zu wollen, und 
zwar deshalb, weil damals nach Ansicht der besten Kenner die 
beiden Haubenlerchen, Sumpfmeisen, Baumläufer als Subspezies 
aufgefasst wurden und die beginnende Klärung dieser interessanten 
Gruppen durch das Vorurteil: „Sehr ähnlich, also eng verwandt“ 
wieder getrübt zu werden drohte. Aber ich hatte dabei keine 
Resignation im Sinne. Ich wollte nur, dass der Weg zu bevor- 
stehenden Erkenntnissen nicht verbaut würde, durch voreilige 
falsche Verwandtschaftsbegriffe. Die damals bevorstehende, jetzt 
gewonnene Erkenntnis ist aber die, dass lediglich die Vereinigung 
geographischer Vertreter zu natürlichen Formenringen, entsprechend 
der Vereinigung aller Menschenrassen in den Formenring „Mensch“ 
zu einem System führt, das der Wirklichkeit entspricht. Wenn 
Reichenow die Gattungen und alle seitherigen höheren systematischen 
Begriffe für Kunstprodukte erklärt, die der Natur nicht entsprechen, 


Reichenows Skeptizismus. al 


so kann ich ihm nur von Herzen zustimmen. Die Genera sind fast 
durchweg ganz willkürliche Kunstbegriffe, mindestens ihrem Um- 
fang nach. Sie sollten möglichst vereinfacht werden. Aber wenn 
Reichenow nun diesen an sich sehr gesunden und freudig zu be- 
grüssenden Skeptizismus auf alle, also auch auf alle künftigen 
systematischen Begriffe ausdehnt, so scheidet die zoologische 
Systematik aus der Wissenschaft aus und erhält lediglich eine 
Portierstelle am Tore des Tempels der Scientia Zoologica. Zum 
mindesten stünde dann der Briefmarkensammler wissenschaftlich 
höher als der zoologische Systematiker, weil er wenigstens nicht 
willkürlich nach Farben, sondern nach Geographie und 
Zeit ordnet. Reichenow nennt die Vereinigung der geographischen 
Vertreter zu einem Gruppenbegriff „hypothetisch“. Wenn man 
Jugendstadium und Alterskleid desselben Vogels (Individuen, die 
Vater und Sohn sein können) als Arten beschreibt, dann müssen 
freilich diese ähnlichen „Arten“ nebeneinander vorkommen. Wenn 
man Tiere, die getrost in verschiedenen Gattungen gestellt werden 
könnten, als Konspezies ansieht, weil man vergass, ihnen unter 
die Flügel zu gucken, so wird man dem Grundsatz der geo- 
graphischen Sonderung engverwandter Tiere zu widersprechen 
wagen. Das Formenkreisstudium wird aber viele solcher Irrtümer 
ans klare Sonnenlicht bringen. 

Der eifrige Systematiker ist meines Erachtens hier in eine 
Sackgasse geraten, aus der ihn nur abermalige „Umkehr“, die 
ja für den echten Gelehrten keine Schande, sondern eine Ehre 
ist, zu retten vermag. Etwas höhere Ziele als das Anlegen von 
Briefmarkensammlungen hat die ornithologische Systematik denn 
wohl doch vielleicht noch. Oder haben wir ihn alle nicht ver- 
standen ? 

Möge Reichenow eine Forschungsmethode finden, die zu 
besseren Erfolgen führt als diejenige, welche von Hartert vertreten 
wird und von einigen „anderen Örnithologen, namentlich der 
. Jüngeren Generation‘, die Reichenow anscheinend nicht zu 
nennen und nicht anzugreifen wagt. Dann will ich gern um- 
kehren und ihm folgen. Anderenfalls geht die „jüngere Gene- 
ration“ ihren Weg weiter. Die jüngere Generation unterscheidet 
sich aber noch darın sehr wesentlich von der älteren, dass sie 
systematische Begriffe durch Ausarbeitung einzelner Gruppen kon- 
kreten Materials nicht durch Entwicklung von Ansichten und 


22 Reichenows Skeptizismus. 


Debatten auf ornithologischen Versammlungen zu gewinnen sucht, 
wie man es in alter Zeit so gern versuchte. Nicht Meinungsstreit, 
sondern der allem Skeptizismus zum Trotz fortschreitende Einblick 
in das Gefüge der lebendigen Natur wird schliesslich zur Ver- 
ständigung und Einigung führen. 

Hier muss ich noch eines drolligen Missverständnisses Er- 
wähnung tun. Als ich im vergangenen Herbst in einer Sitzung 
der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft das Erscheinen von 
Berajah und Falco ankündigte, sagte ich Herrn Professor Reichenow, 
dass ich in „Falco“ seine Ansichten angreifen würde. Das geschieht 
in diesem Artikel. Herr Professor Reichenow scheint diesen An- 
griff seither vergeblich gesucht zu haben und glaubt ihn irrtüm- 
lich in dem Ausdruck „Schmarotzermilane des zoologischen Schrift- 
stellertums“ zu finden, denn er wendet dies Wort durch eine ebenso 
witzige wie geschmackvolle Bemerkung auf die Herausgeber wissen- 
schaftlicher Zeitschriften, mithin auf sich selbst an. Er meint, 
ich sei als Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift doch wohl 
auch unter die Futter suchenden Schmarotzermilane gegangen und 
meine Leser würden für das gebotene Futter dankbar sein. Herrn 
Professor Reichenow muss es bekannt sein, dass die Falken oft das 
selbsterbeutete Wild Schmarotzermilanen überlassen. So macht 
es allgemein der Gelehrte, der seine Arbeiten gratis in Zeitschriften 
veröffentlicht, und es ruhig geschehen lässt, ja sich noch ge- 
schmeichelt fühlt, wenn diese von gewissen populären Schriftstellern 
verbotenus abgeschrieben werden; denn dies ist ja noch besser, 
als wenn die Originalstudien in den Archiven begraben und ver- 
gessen ruhen. Wenn Gätke einmal eine Ausnahme machte und 
sein Buch mit Erfolg direkt dem Publikum, auch dem Laien- 
publikum darbot, wenn er dabei wirklich Ge!d verdienen wollte, statt 
zu warten, bis etwa ein geschickter Abschreiber sich seiner Ver- 
öffentlichungen erbarmte, dann war das kein Mangel an Vornehm- 
heit. Er wollte Geld verdienen mit demselben Recht, mit dem 
ein Edelfalke schliesslich eins von den selbst erbeuteten Stücken 
in den eigenen Horst trägt. So war's gemeint! — Die einzige 
Beziehung, die es zwischen dem verdienstvollen Herausgeber des 
Journals und dem Genus Milvus gibt, ist die, dass ein Milan Milvus 
reichenowi heisst. Ausser dieser ehrenvollen Beziehung weiss ich 
wirklich keine. Falco greift offen an, und, so oft er’s tut, ge- 
schieht's grob und ehrlich, nicht versteckt. O.:KE 


Stammbaumlehre und Baumstammlehre. 


Wie ein Baum von einem Stamm ausgehend sich immer mehr 
verzweigt und immer neue Seitentriebe und Haupttriebe entsendet, 
so soll das organische Leben sich entwickeln und sein gegen- 
wärtiger Zustand nur ein Momentbild in der ewigen Entwicklungs- 
reihe sein. Das ist die Art von Entwicklungslehre oder Des- 
cendenzlehre, der ich nicht zuzustimmen vermag. Dasselbe 
Bild hat noch eine andere Seite. Hat der Baumstamm seine Wachs- 
tumsgrenze erreicht, dann ist alles an ihm hartes unbiegsames 
Holz. Er setzt wohl weitere Jahresringe an, bleibt aber sonst ziem- 
lich unverändert, denn Blätter, Blüten, Früchte und neue Zweige 
anzusetzen, ist Sache des jungen Holzes, nicht mehr die des alten 
Baumstammes. Der Leser urteile und wähle selbst. 


I. Hypothese, 
Stammbaumlehre. 
1. Alles bleibt ım Fluss und 
ständigen Wechsel, auch die 


Weltkörper. 


2. Alles bleibt im Fluss und 
ständigen Wechsel, auch der 


Umriss von Land und Meer. 


II. Gegenhypothese, 
Baumstammlehre. 

1. Die Entwicklungsreihe Sonne, 
Erde und Mond ıst, dıe Kant- 
Laplacesche Theorie voraus- 
gesetzt, abgeschlossen. 

Auf altem Stamm wächst grü- 
nes Holz. 

2. Die Wandlung von Land 
und Meer. Sie ist heute im we- 
sentlichen abgeschlossen. Wir 
brauchen so rasch nicht zu be- 
dass Europa eines 
Nachts im Ozean versinkt, ob- 
schon dazu eine ganz gering- 
fügige Änderung genügte.t) 

Auf festem Stamm wächst 
grünes Holz. 


fürchten, 


!) Die Entstehung des bei weitem grösseren Teils der heutigen 
Kontinente dürfte in der Weise erfolgt sein, dass sich am Nordpol der 


24 Stammbaumlehre und Baumstammlehre. 


3. Alles bleibt ım Fluss und 
ständigen Wechsel, auch die Ent- 
stehung und Umbildung der 
Arten. 


4. Alles bleibt im Fluss und 
ständigen Wechsel, auch der Kör- 
per des Menschen. Es wird sich 
allmählich z. B. die Zahl seiner 


3. Die Schöpfung der Pflanzen 
und Tiere ist ım wesentlichen 
abgeschlossen, seit die Polar- 
ländermitihren günstigen Wachs- 
tumsbedingungen endgültig ab- 
gekühlt und vereist sind!) und 
keine neuen Formen liefern. 

4. Auch der Mensch ist körper- 
lich fertig, d.h. am Ende seiner 
Wachstumsgrenze; der Körper ist 
heute das, was am Baume Stamm 


Fusszehen vermindern. ist. Er hat feste Gestalt. 


glutflüssigen Erdkugel eine Scholle bildete, wie Tanginseln (Meerwiesen) 
im Zentrum von Meeresströmungen auftreten, und Eisschollen sich zu- 
erst als dünnes Jungeis in langsam rotierenden Strömungen der Ufer- 
buchten grosser Flüsse zeigen. Ganz analog der Kant-Laplaceschen 
Theorie mögen auch hier zuerst centripetale, später centrifugale Wir- 
kungen aufgetreten sein, so dass die Urscholle zerriss und ganz all- 
mählich die heutige Form der Kontinente und Meere entstand, die trotz 
aller Hebungen und Senkungen schon lange dieselbe ist. Viele Sedi- 
mente werden nicht mehr als Niederschläge der Ozeane, sondern als 
Barrenwirkungen (Überströmen der in der Mitte muldenartig vertieften 
Schollen) erklärt. Auch hier eröffnet die Pendulationstheorie interessante 
neue Gesichtspunkte. Natürlich bleibt nicht alles für ewige Zeiten un- 
verändert. Auch der Baumstamm ist nicht versteinert, und er steht 
nicht ewig. 

1) Seit die Eiszeiten durch die Pendulationstheorie (die, wenn sie 
überhaupt jemals fallen sollte, nur durch eine ganz ähnliche Theorie 
ersetzt werden kann) eine den Tatsachen entsprechende Erklärung ge- 
funden haben, ist eine Wiedererwärmung der jeweiligen Pole nicht 
denkbar. Die körperliche Entwicklung des Menschen ist im wesent- 
lichen abgeschlossen. Die Verpflanzung seiner Formen in andere Kl- 
mate mag noch Änderungen hervorbringen. Aber höchst merkwürdig 
ist es, dass der Kulturmensch nicht grösseren Veränderungen unter- 
worfen ist, um so merkwürdiger, als die Haustiere gewaltige Verände- 
rungen zeigen. Es muss angenommen werden, dass die Gleichförmig- 
keit ihres Gefängnisdaseins hier ganz andere Bedingungen und Wachs- 
tumsverhältnisse zu Wege bringt, als sie heute die freie Natur und der 
freie Mensch besitzt. Der Mensch ist körperlich zurzeit das aller- 
konstanteste Wesen, denn er weicht allem Einfluss, der ihm unbequem 
ist, aus oder bekämpft ihn erfolgreich. Der Mensch ist aber einer solchen 
Veränderung, wie sie die Haustiere zeigen, offenbar nicht mehr fähig, 
und wir brauchen nicht zu fürchten, dass unser Körper eines Tages 
seine Proportionen verliert. 


Stammbaumlehre und Baumstammlehre. 25 


5. Das geistige Leben und 
aller Kulturfortschritt ist 
Folge oder Begleiterscheinung 
der unter 1—4 angeführten fort- 


nur 


währendenEntwicklungsprozesse. 
Es ist wie die vergängliche Blüte 
am Stammbaum, dem ewig 
wachsenden. Die Anfängevon 1—5 
sind zeitlich scharf getrennt, die 
Fortentwicklung erfolgt gemein- 
sam. Sie endiet erst mit dem Tod. 


5. Nur das geistige Leben, 
die historische Entwicklung der 
Menschheit 
vollem Sinne ım Fluss, ist wirk- 
liche „Entwickelung‘. Was 
unter 1—4 angeführt ist, ist ihre 
Grundlage, ist das, was der Stamm 
ist für die Zweige. 


ıst heute noch ın 


An einem Baumstamm mag 
sich noch manches ändern, aber 
er biegt und schlängelt sich nicht 
wie der einjährige Trieb einer 
Winde. Wie die Erde Formatı- 
onen hat und der Stamm Jahres- 
ringe, denen Jahrestriebe ent- 
sprechen, so sind 1—5 eine 
Reihenfolge.) Übrigens sind die 
Stufen zeitlich nicht scharf ge- 
trennt. Getrennt ist ihr Ende. 


ı) Dass die Auffassung des Menschen als „Krone der Schöpfung“ 


eine wahnwitzige Eitelkeit sei, sehe ich nicht ein. Es kann ja noch 
viele ähnliche Wesen auch anderswo im Weltall geben. Wenn wir 
einen seltenen Vogel jagen, dann ist uns die Ente, die wir verfolgen, 
wichtiger als der See, auf dem sie schwimmt, und vielleicht ist es wirk- 
lich so. Der Falke sagt nicht: „Ich bin nur ein Vogel unter tausend 
anderen“, sondern er frisst jährlich tausend auf. Ein Goldhähnchen be- 
weist durch seine Lebenspraxis, dass es hunderttausende von Wesen 
gibt, die seinen Magen füllen müssen. Sollte da nicht auch der kleine 
belebte Erdball. mehr sein als die grosse glühende Sonne und ein 
Menschenhirn mehr als tausend Zentner Holz oder Sandstein, trotzdem 
es schon ein einziger zermalmen kann? DIRT: 


26 


Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 


Der Gedanke, dass das gesamte Leben der Erde sich vom 
Nordpolargebiete aus verbreitet habe, ist alt. Die Entdeckungen 
des Inders Tilak (The arctic home of the Vedas, Poona and 
Bombay 1903) gaben dieser Hypothese neues Interesse. Tilak 
wies in den Veden Stellen nach, die für Indien völlig sinnlos und 
unverständlich sind, die aber für die Polargegenden nicht nur ver- 
ständlich werden, sondern die mit geradezu verblüffender Deut- 
lichkeit auf diese als Ursprungsstätte der Überlieferung oder als 
Volksheimat hinweisen. 

Gewisse Rasse-Enthusiasten erheben ein Jubelgeschrei und 
suchen diese grossartige Entdeckung möglichst zur Verherrlichung 
der Indogermanen auszubeuten.!) Wenn sich nun aber die Er- 
innerung an eine hochnordische Urheimat auch bei anderen Völkern 
findet? So viel ist schon jetzt wahrscheinlich, dass der Mensch 
überhaupt vom Norden herabgekommen ist und die Tier- und 
Pflanzenwelt desgleichen, der Mensch aber zuletzt. 

Damit würde das Fehlen menschlicher Reste in älteren Erd- 
schichten erklärlich, über das noch unlängst Branco humorvoll 
erklärte: „Die Schweine und Rhinozeronten, das Rindvieh und 
manch anderer Wiederkäuer, Kamele, Pferde, Elefanten u. s. w., 
die könnten voll Stolz und voll Hochmut auf den Menschen nieder- 
blicken, der als ahnenloser Parvenu plötzlich in ihrer Mitte 
dasteht.* Es bleibt ja freilich immer noch vorläufig die andere 


!) Ich kann mich rühmen, Germane von reinstem Blut und reinstem 
Typus zu sein, und ich habe für die germanische Mythologie eine ge- 
radezu begeisterte Vorliebe, aber ich finde es mehr als lächerlich, wenn 
man die Geschichte nur als Rassenkampf zu unseren Gunsten auffasst 
und statt einer Menschheitsbibel eine Germanenbibel verlangt. Zum 
mindesten müssten die Germanen, an „deren Wesen die Welt genesen 
soll“, etwas geklärtere Geister sein als jene kühnen Recken. Welcher 
Rasse die Zukunft gehört, das wissen „die Nornen“! 


Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. Dar 


Erklärung möglich, welche die grosse Seltenheit des Urmenschen 
als Ursache nimmt. Wenn wir aber einmal das unvermittelte 
Auftreten des Menschen durch boreale Heimat erklären, dann 
werden auch für Tiere und Pflanzen die Widersprüche zwischen 
der Stammbaumlehre und zahlreichen paläontologischen und re- 
zenten Tatsachen lösbar durch die bekanntlich schon lange von 
verschiedenen Seiten aufgestellte Hypothese eines polaren 
Schöpfungsgebietes. Dabei ist immer zu beachten, dass viele 
Argumente ebensogut für den Südpol und die früheren südlichen 
Kontinente gelten können und dass früher andere Punkte der Erde 
Pole gewesen sein können, endlich noch, dass Wanderung und 
Schiebung!) vom Nordpol nach Süden Rückwanderungen nicht 
ausschliessen. Die zoogeographische Ausarbeitung möglichst vieler 
einzelner Formenkreise und eine Vergleichung der so gewonnenen 
Resultate mit denen der Paläontologie (letzteres hatte ich schon 
vor Jahren betont) wird uns der Lösung dieses interessanten Pro- 
blems näher bringen. Neben dieser eigentlichen Arbeitsaufgabe 
hat es aber noch viel Interesse, andere Argumente zu beachten, 
welche die Hypothese stützen oder doch sie weiterer Prüfung um 
so mehr wert erscheinen lassen. Das sind 


I. Allgemeine Erwägungen. 


1. Da in den Polarländern nachweislich früher ein warmes 
Klima geherrscht hat und von den Polen her die Abkühlung der 
Erde äquatorwärts fortschritt, liegt es nahe, anzunehmen, dass das 
Polargebiet zuerst für lebende Wesen bewohnbar wurde. Die 
allmähliche Vereisung durch Abkühlung der Erde (wobei die Pol- 
verschiebung durch Pendulation mitwirkte) und die Entstehung 
der Polarmeere drängte den Menschen und den grössten Teil der 
Tiere südwärts. Die Zugvögel suchen alljährlich ihre alte Heimat 
wieder auf. 


1) Wenn man eine Kugel erwärmt und an den Polen mit Fett be- 
deckt, so schieben sich bei richtig ausprobierter Rotation um diese Pole 
Fettfiguren über die Kugelfläche, welche an die dreieckige südlich zu- 
sespitzte Form der Kontinente erinnern. Ein schwacher Rest solcher 
zentrifugaler Schiebung könnte heute noch den Kontinenten innewohnen 
und früher stärker gewesen sein. Die Pendulationsschwankung scheint 
sich an einem einseitig etwas belasteten Kreisel als Folge früherer Ver- 
teilung der Kontinente nachweisen zu lassen. 


DV 
6) 


Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 


2. Die gleichmässige Temperatur (hohe Erdwärme, geringe 
Sonnenwirkung), ferner die halbjährigen Tage und halbjährigen 
lauen Nächte boten für ungestörtes Wachstum der Arten einer- 
seits und für Kraftentfaltung und Kraftansammlung andererseits 
derartig günstige Bedingungen, wie sie heute nirgends mehr 
auf der Erde vorkommen. 

3. Durch die allmähliche Südwanderung lässt sich die Scheidung 
zwischen Tag- und Nachttieren (Polareule (Schneeeule) — Tag- 
vogel), durch die Polarnächte das Nachtleben vieler Tagtiere er- 
klären. Nächtliche Wanderung von Tagvögeln gehört vielleicht 
auch hierher. 

4. Die Vereisung der Pole und marine Veränderungen machten 
diesen günstigen Bedingungen für immer ein Ende. Die Meinung 
vieler Zoologen, die sich der Theorie einer endlos fortdauernden 
Entwicklung der Arten gegenüber ablehnend verhalten und die 
Gegenwart als eine Zeit geringer Veränderungen ansehen, wäre 
damit begründet. Tageshitze und kühle Nacht, Sommer und 
Winter lassen dem Tiere nicht mehr Zeit zu grossen Wandlungen, 
wie ja die Entwicklung des Einzelwesens auch meist an gleich- 
mässiges Dunkel und gleichmässige Wärme im Eı oder mütter- 
lichen Organismus gebunden ist. 

5. Die Polschwankungen durch Pendulation könnten die nicht 
mehr an Polarnächte gewöhnten Tiere verdrängt und so das Polar- 
gebiet wiederholt für Neuschöpfungen frei gemacht haben.!) 

6. Die Verbreitung der rezenten Landtiere erklärt sich 
spielend leicht, wenn man Verbreitung von den Polen aus annimmt, 
während sonst die umständlichsten Verschleppungs- und Wande- 


!) Die Pendulationspole als ursprüngliche Rotationspole aufzufassen, 
ist wohl nicht möglich. Simroth scheint sie als Schöpfungspole 
(selbstverständlich nicht als Rotationspole) aufzufassen. Ich stimme voll- 
ständig dem zu, dass ihr gleiches Klima dem ungestörten Anwachsen 
höchster Farbenpracht günstig gewesen sein muss, bestreite auch die 
frühere Landesverbindung beider durch einen Tropengürtel nicht. Ich 
vermute aber, dass die Konstruktionen früherer Kontinentbilder gerade 
auf Grund der Pendulation und ihrer Ursachen eine weitgehende Kor- 
rektur erfahren müssen. Die Ähnlichkeit von Bewohnern identischer 
Punkte erklärt sich aber meines Erachtens unvergleichlich viel besser, 
wenn man nord- oder südpolaren Ursprung übereinstimmender Tier- 
gestalten annimmt, die ihren dauernden Wohnsitz an verschiedenen 
Punkten mit ähnlichem Klima gefunden haben (cf. Ähnlichkeiten zwischen 
japanischen und westeuropäischen Vögeln). 


une Ge 


Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 29 


rungshypothesen aufgestellt und die gesuchtesten Erklärungen an 
den Haaren herbeigezogen werden müssen. Es sei nur auf die 
gemeinsamen Formen der Alten und Neuen Welt, die gewaltigen 
Unterschiede der südamerikanischen und nordamerikanischen, süd- 
polaren und nordpolaren, australischen und nordasiatischen Fauna 
hingewiesen. Ich stelle mir, um in einem Bilde zu reden, die Bildung 
der (nord-)amerikanischen, europäischen, asiatischen und afrika- 
nischen Fauna, soweit sie borealen Ursprungs ist, vor wie ein 
mehrteiliges Gewebe, dessen fertige Teile nach unten rutschen, 
während es am oberen (polaren) gemeinsamen Ende (oder Anfang!) 
weiter gestrickt wird. Zugleich tauchen die fertigen unteren Teile 
in verschiedene färbende Flüssigkeiten ein oder werden von be- 
sonderen Maschinen in verschiedener Weise geglättet und gefestigt. 

Natürlich fällt es mir gar nicht ein, die Möglichkeit von 
anderen Schöpfungsgebieten zu leugnen. Die Bibel lässt Gott 
über Meerestiefen und in der Wüste schaffen. Die Zoologie sollte 
nicht engherziger sein als sie. 


II. Der biblische Schöpfungsbericht. 

Das biblische Schöpfungsgemälde wird so oft von natur- 
wissenschaftlichen Gelehrten verspottet, dass es auch einmal in 
einer naturwissenschaftlichen Zeitschrift wissenschaftlich besprochen 
werden muss. Weil die meisten von jenen Herren sich nur als 
Kinder damit beschäftigt haben, verspotten sie ihre eigene kind- 
liche Auffassung und Unwissenheit. Und das ist kein Kunststück. 
Der sogenannte biblische Schöpfungsbericht ıst überhaupt kein 
Bericht, ist nicht mosaisch, sondern er besteht aus zwei sprachlich 
verschiedenen Gemälden, die nicht aus vergänglichen Farben be- 
stehen, sondern mit echten Gold- und Silberfäden uralter Volks- 
erinnerungen gewebt sind. 

Das zweite Bild interessiert uns hier nicht. Es schildert die 
Einführung des Menschen in die Wüste und in seine Kultur- 
aufgaben. 

Das erste Bild dagegen ist für uns sehr wichtig, denn meines 
Erachtens weist es ebenso deutlich wie die von Tilak be- 
sprochenen Veden-Stellen auf die hochnordische Heimat 
des Menschen hin. Atmet das zweite Bild Wüstenglut, so 
atmet dieses den feuchten Hauch des Meeres vom Anfang bis zu 
Ende. Nicht an ein Land grosser Ströme, sondern an die nordische 


30 Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 


Meeresküste erinnert es Wort für Wort, woher Gott den Menschen 
„gebracht“ hatte, den er dort „gebildet hatte“. 

1. Wo ist es noch heute lange Zeit finster über der Tiefe? 
In der Polarnacht! 

2. Wo wird es Tag und Nacht, wo erscheint Abend- und 
Morgendämmerung lange, ehe die Sonne erscheint? Am Ende 
der Polarnacht. 

3. Wo ist Licht und Finsternis anfangs nicht geschieden? In 
der langen Polardämmerung. („Es war nicht Nacht, es war 
nicht Tag, es war ein seltsam Grauen.“) 

4. Wo entsteht aus Abend- und Morgendämmerung der Tag? 

5. Wo werden Tag und Nacht schärfer geschieden, wo 
entstehen die Jahreszeiten? Bei der Wanderung vom Pol nach 
Süden. Darum das Wunderbare, dass das Schöpfungsbild nicht, 
wie es unserem Empfinden heute so naheliegt, vom Gegensatz 
zwischen Winter und Sommer, vom Erwachen des Frühlings in der 
Natur ausgeht. Das Weihnachtsfest, der feste Mitternachtspunkt, 
ist uralte Erinnerung des in der Polarnacht wartenden Menschen, 
ihm noch wichtiger als der allmählich erscheinende Frühling. 

6. Wo ıst Wasser und Himmel anfangs nicht geschieden? 
Nicht in den asiatischen Steppen oder Gebirgen, nicht in den 
babylonischen Überschwemmungsgebieten, sondern da, wo blauer 
Himmel auf blauer Ozeanferne ruht. 

7. Warum die Schöpfungsreihe Fische, Vögel, Landtiere? 
Nicht weil Moses, der diese Worte gar nicht erfunden hat, geo- 
logische und palaeontologische Kenntnisse besass, sondern weil der 
Mensch zuerst und vor allem auf das Meer als Nahrungsquelle an- 
gewiesen war, an dessen Gestaden er wohnte und in dessen Fluten 
er vielleicht seine Toten, nach deren Resten wir vergeblich suchen, 
begrub. „Our home is the ocean“ können wir alle (nicht nur der 
britische Seemann) sagen. 

S. Warum werden die Vögel zu den Fischen gestellt? Weil 
in den Polarländern Massen von Schwimmvögeln gleich Fischen 
tauchen und aus brausenden Fluten emporflattern, wie es unabsichtlich 
ein alter katholischer Hymnus im Anschluss an Genesis I so schildert. 

9. Wo herrscht der Mensch über die Fische und über 
die Vögel? In Asien? Lächerlich, überhaupt überall!?) Herrschaft 
3) Es gibt zwar uralte Abbildungen grossartiger Vogelfänge (z. B. 
in Ägypten). Aber die dürften eitel Renommisterei sein. 


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Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 31 


über den freien geflügelten Vogel? Aber in den Polarländern, da 
ist der Mensch der Herrscher über die Vögel und entnimmt ihren 
Nestern jährlich den reichen Tribut an Eiern zu seiner Nahrung. 
Die Falkenbeize ist auch in Asıen zu Hause, aber wo konnte sie 
der Mensch besser lernen als in der Heimat des Jagdfalken, da wo 
Falco Hierofalco seinen Horst auf dem flachen Boden baut und 
es leicht ist, seinen Jungen den frischen Raub wegzunehmen. 

Man hat gesagt: „Le desert est le monotheisme.* Ist nicht 
die lange Nacht eine noch bessere Schule des Nachdenkens? Ver- 
langt sie nicht von dem Wesen, das in ihr am längsten ausharrte, 
vorsorgende Zurüstungen? Die lehrten den Menschen sozialen Zu- 
sammenschluss, ebenso wie die Bienen und Ameisen. 

Die heutigen Bewohner der Polarländer sind nun aber keines- 
wegs hoch entwickelte Völker. Das ist kein Widerspruch, denn 
der Urmensch wohnte nicht in schmutzigen Erdhütten in eisiger 
Kälte, sondern er brachte die sommerlich lauen Nächte im Freien 
zu. Darum ist die Astronomie der älteste Zweig der Natur- 
wissenschaften. 

Bis dahin wäre das alles nicht mehr als eine nicht gerade 
unwahrscheinliche Hypothese. Aber es kommt noch eine weitere 
Stütze hinzu. In einer überaus gründlichen Untersuchung hat 
Gunkel!) nachgewiesen, dass Genesis I., der biblische Schöpfungs- 
bericht, nicht, wie man früher annahm, eine freie Konstruktion des 
Verfassers, auch nicht im jüdischen Volk entstandene Tradition 
sein kann, sondern eine Menge uralter Züge besitzt, die weit 
zurückreichen. 

Gunkel behandelt sodann die merkwürdigen Chaosungeheuer, 
in denen er Personifikationen des Meeres sieht. Er bespricht u. a. 
Behemoth und Leviathan, die bekannten prächtigen Schilde- 
rungen des Nilpferdes und Krokodils, weist aber in diesen 
Züge nach, die ganz fabelhaft klingen und nicht der Beobachtung 
dieser Tiere entnommen sein können. Ich habe nun all diese 


1) H. Gunkel, Professor der Theologie in Berlin, Schöpfung und 
Chaos in Urzeit und Endzeit, eine religionsgeschichtliche Unter- 
suchung über Gen. 1 und Ap. Joh. 12 mit Beiträgen von Heinrich 
Zimmern, a. o. Professor der Assyriologie in Leipzig, Göttingen 189. 
Das Buch enthält im Anhang interessante babylonische Schöpfungs- 
mythen, in deren einem es z. B. vom Weltanfang heisst: Langhin 
zogen sich die Tage“. (Lange polare Schöpfungstage ?) 


32 Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 


Stellen nachgeprüft und finde, dass diese Züge nicht fabelhafter 
Art sind, sondern so konkret, wie etwa bei Gesner die Beschreibung 
des Waldrapp gegenüber der des Meermönchs. Sie passen näm- 
lich prachtvoll auf die schon in Genesis I. erwähnten „lang- 
gestreckten Meerungeheuer“ die — Walfische. Die Wale werden 
im biblischen Schöpfungshymnus gleich zu Anfang erwähnt. Vom 
Behemoth heisst es: „Er ist der Anfang der Wege Gottes“ 
(Hiob 40, 19). 

Ich kann die deutlichen Erinnerungen an die Wale bei Schilde- 
rung der beschriebenen oder mit den Feinden des Reichs höhnend 
verglichenen Ungeheuer kaum alle anführen und will nur die 
Hauptzüge hier kurz erwähnen: „Dampf geht auf von seiner 
Nase wie von heissen Töpfen und Kesseln‘“,!) „Er macht 
die Tiefe sieden wie einen Topf“. Die Stelle: „Sein Schwanz 
strecket sich wie eine Öeder“, „Seine Kraft ist in seinen Lenden 
und sein Vermögen in den Sehnen seines Bauchs“, die auch nicht 
auf das Nilpferd passt, habe ich noch nicht genau nachgeprüft. Um 
so deutlicher sind die Gedankenreihen: Das Ungetüm ist so mächtig, 
dass es nur Gott bändigen kann. Er tötet es nicht, sondern er 
wirft es auf das Land, da ist es wehrlos (der gestrandete Wal). 
Das Bild des Aases eines gestrandeten Riesenwales, auf dem sich 
die Vögel des Himmels niederlassen, an dem sich die Tiere der 
ganzen Welt sättigen (Ez. 32), erinnert uns aufs Lebhafteste an 
das Getümmel, das Reisende uns heute noch von gestrandeten 
Walen beobachten und schildern. Und die Hauptsache: diese Züge 
kommen nicht einzeln vor, sondern kehren immer wieder. Worte 
wie „Dampf geht auf von seiner Nase“ werden noch in ganz 
anderem Sinne gebraucht.) Man merkt, diese Züge sind Zitate, 


ı) Der Wasserstrahl, den die Wale ausstossen. „Sein Niesen glänzet 
wie ein Licht“ u. a. gehört wohl auch hierher, und die Ewaldsche Kon- 
jektur für Ez. 32, 2 (nur „ch“ statt „h*): „Du sprudeltest mit deinen 
Nüstern“ scheint besser als das: „Du brachst hervor mit deinen Strömen“, 
das schon die Personifikation des Meeres im Wal enthalten würde, was 
übrigens ganz dasselbe meint. 

?) Das Bild des aus den Fluten emportauchenden, Wasser empor- 
spritzenden Wals wird zunächst auf Vulkane angewandt. (Prächtiger 
Vergleich mit der dunklen Masse eines Vulkankegels, der sich schnaubend 
aus dem Meere erhebt und es „sieden macht wie einen Kochtopf“.) So- 
dann wird das Bild in der alten Naturpoesie der Ausdruck für Gottes 
Zorn, wie der Donner im Gewitter mit seinem Schelten verglichen 


Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 33 


Reste alter Lieder, die riesigen Wale der nordischen Urheimat 
schildernd, welche der Urmensch nicht erlegen konnte, und die 
ihm darum um so mehr imponierten. In Nilpferd und Krokodil 
waren Tiere gefunden, auf die man diese alten Drachenlieder teil- 
weise anwenden konnte, darum die absonderlichen, scheinbar 
fabelnden Wendungen. Die Zeitgenossen, die die alten, zu Sprich- 
wörtern gewordenen Ausdrücke aus der Volkstradition kannten, 
freuten sich der geschickten Zitate. Es war so, wie wenn heute 
jemand in die Schilderung der Begegnung mit einer Giftschlange 
die Schillerschen Worte einflechten wollte: 

„Denn nahe liegt zum Knäul geballt 

Des Feindes scheussliche Gestalt.“ 

Dass so stark verbreitete und vielfach zitierte Traditionen von 
einem anderen Volk übernommen sein könnten, halte ich für un- 
wahrscheinlich. Sie werden Gemeingut sein, das sich bei dem 
Volk am besten erhielt, das seine Traditionen am treuesten be- 
wahrt hat, die älteren mündlichen, sowie später die schriftlichen. 

Im Kaukasischen Museum ın Tiflis befindet sich das Skelett 
einer im Mai 1880 bei Batum gestrandeten Balaenoptera ro- 
strata Fabr. Es können also immerhin Wale früher öfter in 
irgend ein irgendwo verschwundenes asiatisches Binnenmeer in 
Nordasien gelangt sein, aber in die Hochländer Asıens kann man 
die Entstehung von Walfischgesängen nicht verlegen.') 

Vorstehende Ausführungen sind nur eine Skizze. Es liesse 
sich unendlich viel mehr darüber sagen. Man vergleiche nun ein- 
mal Tafel I und Tafel V des erschienenen ersten Berajahheftes, so 
fällt es gewiss auf, dass die südlichste Form den ältesten, die 
nördlichste den jugendlichsten, aber auch jugendkräftigsten 
Eindruck macht. Aber das sei vorläufig nur ein Eindruck. Wiır 
sind jedenfalls zu der Vorstellung von der Verbreitung des Lebens 


wird (wobei das tierische „Nüstern“ in „Nase“ verwandelt wird). Merk- 
würdig! Grossartige vulkanische Erscheinungen im Nordpolarmeer sind 
geradezu geologische Postulate der Theorie einer borealen Urheimat 
des Menschen. Man denke an Island. Der erste Gebrauch des Feuers 
wird beiläufig auch vom Aufenthalt an Vulkanen erklärt. Zuletzt wird 
das Bild politisch Wal — brandendes Meer — Vulkan — feind- 
liche Gewalten — angewandt. 

t) Bemerkenswert ist, dass nach der Tradition der syrischen Christen 
die Decke der Stiftshütte aus Häuten des Dugong (Halicore taber- 
naculi! Rüpp.) hergestellt gewesen sein soll. 

Falco. 3 


34 Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens. 


gekommen, dass nicht neue Formen von den alten ausstrahlen, 
sondern dass die alten den jungen den Platz überlassen. Darum 
sind die Nordländer nicht alte, sondern junge Völker, die nach 
der Eiszeit, das verlorene Gebiet wieder eroberten, soweit es sich 
noch verlohnte. Das verarmte Polargebiet aber gehört heute 
der anspruchslosesten Rasse. Sie lebt mehr auf dem Eise als dem 
unter ihm verschwundenen Land, und sie kann deshalb weder als 
Rest einer Urrasse, noch als jüngster Spross der Menschheit an- 
gesehen werden. Sie wohnt in einem alten Schlosse nicht als 
Erbe, sondern wie der Zigeuner in den Trümmern einer Ruine, 
deren Mauern einst anderes Leben umhesten. Ob heute noch Auf- 
schluss am Nordpol zu holen ist??? — Er ist ja nur noch ein Grab, 
und vielleicht ein leeres. 

Es sind nicht meine Ansichten, die ich hier vorgetragen 
habe. Es sind nur Gedanken, von denen ich dasselbe aussprechen 
möchte, was Gunkel in seinem oben genannten Buche am Ende 
des Vorworts sagt: „Was darin Irrtum ist, möge der Wind ver- 
wehen. Ist aber darin etwas Wahres, so möge es nicht unwert 
sein, an seinem bescheidenen Teile mitzuhelfen, die Erkenntnis der 
Wege Gottes zu fördern.“ Ich füge hinzu: des Gottes, der nicht 
etwa nur mit dem Finger der ersten organischen Zelle einen Stoss 
gab und dann alles Weitere ihrer Entwicklung überliess, sondern 
des Gottes, dem das sich Entwickelnde und das Fertige gehorcht, 
in dessen Dienst alle schaffenden, bildenden, gestaltenden Kräfte 
stehen. Das bedeutet nämlich Berajah, ein aus „bara Jahwe* 
abgekürzter Name, in dem mithin die ersten Worte des uralten 
Schöpfungshymnus zusammengefasst wurden: „@ott hat (ihn) ge- 
schaffen,“ d. h. das Kind. Der wirkliche Schöpfungsgedanke 
widerspricht nicht der Tatsache ganz natürlicher Geburt. Die Tat- 
sachen der Natur machen diesen Gedanken um so mehr verständ- 
lich, und er lehrt wiederum sie tiefer ergründen und begreifen. 
Sie sind nicht Gegensätze, sondern sie gehören zusammen, die 


Schöpfung und das Werden! OKT 


Otocorys auf den ostfriesischen Inseln. 


Von O. Leege-Juist. 


Früher wusste man vom Vorkommen der Alpenlerche in 
Deutschland sehr wenig, sagt doch unser Altmeister Naumann, 
„dass sie in Deutschland unerhört selten vorkommt, beweist der 
Umstand, dass sie fast in allen Privatsammlungen fehlt und "man 
für die grösseren sich Exemplare aus Nordamerika oder Sibirien 
kommen lassen musste. Nach einigen Angaben soll sie auf ihren 
Zügen oft scharenweise längs den Seeküsten hinstreichen und sich 
gern auf sandigen Hügeln aufhalten.“ 

Nach Gätke war sie auf Helgoland bis zum Herbst 1847 nur 
in drei Exemplaren bekannt, von da an wurde sie plötzlich zahl- 
reich auf dem Herbst- und Frühjahrszuge angetroffen, von 1883 
an nahm sie derart zu, dass sie an manchen Tagen alle Felder 
vollständig bedeckte. Im Frühjahr 1884 erschienen mehr als viel- 
leicht während der Frühjahrszüge aller voraufgegangenen Jahre. 
Seit jener Zeit hat ihre Zahl während beider Zugzeiten nicht ab- 
genommen. Während sie auf Helgoland nur Durchzügler ist 
(Oktober-November, April-Mai), ist sie im übrigen Küstengebiet 
der südlichen Nordsee Wintergast, wenn auch nicht regelmässiger. 

Auf den ostfriesischen Inseln war die Öhrenlerche ehemals 
ebenfalls unbekannt, hat Droste sie doch auf Borkum von 1862 
bis 1868 nicht gesehen. Am 21. April 1868 beobachtete Drostes 
Gehilfe Ahrens fünf ihm unbekannte Vögel, von denen er zwei 
erlegte; es waren Alpenlerchen. Im Winter 1868/69 hat er ver- 
schiedene beobachtet und vier Stück erlest. 

Seit Mai 1882 bin ich auf Juist ansässig, und seit jener Zeit 
kenne ich sie als regelmässigen, anfangs spärlichen Durchzügler 
und unregelmässigen Wintergast. Im Laufe der letzten Jahre hat 
sie an Zahl bedeutend zugenommen und zählt auch im Winter zu 


den alltäglichen und bekanntesten Erscheinungen. Sie erscheint 
3*+ 


36 Otocorys auf den ostfriesischen Inseln. 


Ende September oder Anfang Oktober, gewöhnlich gleichzeitig mit 
Lerchen, Piepern, Berghänflingen und Schneeammern und ver- 
schwindet allmählich im April bezw. in den ersten Maitagen. Die 
Ankunftszeit im Herbst zeichnet sich durchweg durch stürmische 
Westwinde mit Regengüssen aus, und häufig ist die gleiche Witterung 
auch dem Ankunftstage vorausgegangen. Nach Tausenden zählende 
Züge, wie auf Helgoland, sind auf unseren Inseln unbekannt, 
meistens sieht man nur 5 bis 30 beisammen, doch gleichzeitig an 
verschiedenen Punkten manche Trupps. 

1902 kamen die ersten am 30. September; im November 
waren sie massenhaft, besonders nach stürmischem West und bei 
bedeckter Luft, ebenso im Dezember. 1903 erlegte ich die ersten 
vier (darunter ein altes Männchen) am 6. Oktober bei stürmischem 
Südwest mit Regen. Auch während der voraufgegangenen vier 
Tage herrschte dasselbe Wetter. 1904 und 1905 war ich während 
der zweiten Septemberhälfte verreist, traf aber jedesmal gleich 
nach meiner Rückkehr Ohrenlerchen an, die nach Aussage der 
Insulaner schon einige Tage da gewesen sein sollen. So häufig 
wie in diesem Winter habe ich sie nie zuvor angetroffen, dabei 
ist die Witterung sehr gelinde, Frosttage hatten wir nur wenige, 
und der Schnee, der fiel, schmolz sofort. Auffallend häufig ist 
ferner die Schneeammer und ebenso der Berghänfling; seit Jahren 
sahen wir nicht mehr solch grosse Flüge wie jetzt. Andere 
nordische Wintergäste dagegen fehlen fast völlig. Unter den Ohren- 
lerchen sieht man verhältnismässig wenige alte Männchen, die 
Mehrzahl sind Weibchen und jüngere unscheinbare Vögel. 

Regelmässig trifft man sie auf der salzigen Aussenweide an 
und zwar auf den flachen, wenig bewachsenen Sandrücken, welche 
sich öfter an dem Rande hinziehen. Höhere Fluten haben hier 
einen Auftriebgürtel gebildet, der besonders Samen von Halophyten 
enthält, die mit Vorliebe von den Vögeln gefressen werden. In 
der Anfangszeit sind sie wenig scheu, pflegen, wenn sie sich be- 
obachtet glauben, höhere Stellen aufzusuchen und Umschau zu 
halten, und dann treten bei den älteren Männchen die zierlichen 
„Ohren“ deutlich hervor. Öfters beschossen weichen sie dem Men- 
schen rechtzeitig aus, setzen sich aber bald wieder. Meistens sind 
die Gesellschaften unter sich, zuweilen aber auch untermischt mit 
Feldlerchen, Berghänflingen und Schneeammern, von denen sie sich 
aber trennen, sobald sie beschossen werden. Letztere Arten bevor- 


Uber die nordeuropäische Form der Alpenlerche. 3 


zugen jedoch die mehr schlickige Aussenweide, auf der die Salz- 
kräuter üppig gedeihen, und zwischen deren grauen Stengeln Lerchen 
und Hänflinge völlig verschwinden. Auf Äckern sieht man die 
Alpenlerche selten, ebenfalls an der höchsten Auswurfkante des 
Nordstrandes, niemals dagegen in den Dünen oder in deren Tälern. 


Über die nordeuropäische Form der Alpenlerche. 
Hierzu die schwarze Tafel I. 


Herr Leege war so liebenswürdig, mir im Januar einige 
Öhrenlerchen im Fleisch zu übersenden. Das Aussehen der Vögel 
überraschte mich. Sie kamen mir ausserordentlich zierlich vor und 
schienen kleinere Schnäbel und dunkleren Rücken zu haben als 
meine Exemplare von anderen Orten. Herr Leege schickte mir 
auf meine Bitte im Februar eine Anzahl weiterer Stücke, so dass 
jetzt 14 Stück vorliegen, die ich sorgfältigst anatomisch auf Ge- 
schlecht und Alter untersucht und mit grossem Material, das noch 
Herr Schlüter durch seine stattlichen Vorräte unterstützte, ver- 
glichen habe. Herr Schlüter, dem ich nur schrieb, dass es sich 
um zwei nordeuropäische Formen zu handeln scheine, fand darauf- 
hin gleichfalls die Unterschiede heraus, denn unter seinem Material 
befanden sich einige Vögel von Texel, die ebenfalls zierlichen 
Wuchs zeigten. 

Die Tafel soll lediglich den auffallenden Schnabelunter- 
schied zeigen (von der Seite und von oben gesehen). Auf die 
Rückenfleekung gebe ich deshalb nicht viel, weil sie individuell 
varııert und im Alter abzunehmen scheint, sie kommt mir aber 
im Durchschnitt dunkler vor als bei östlichen Stücken. Die Kücken- 
färbung ist bei östlichen Vögeln bräunlicher, aber es kommt 
auch bei den westlichen grauer und brauner Rücken vor. Ausser- 
dem scheint die Rückenfarbe in Sammlungen ins Bräunliche zu 
verschiessen. 

Die Grösse gibt Hartert mit 10,6—11,2 für das Männchen 
und 10,2—10,6 für das Weibchen an. Die amerikanische Form, 
die echte alpestris, soll 2—3 mm mehr haben. 


38 Über die nordeuropäische Form der Alpenlerche. 


Ich messe bei den Vögeln von Juist Männchen 10,6—11,2, 
Weibchen 9,9—10,6, bei östlichen Vögeln mehr, z. B. Schweden 
11,5!, Lappland bis 11,4, Südrussland 11,3. 

Die östlichen Vögel scheinen viel reinere Färbung zu besitzen. 
Ich habe zum Vergleichen der Schnabelgrösse und Färbung nur 
Wintervögel benutzt. (Die Schweden und noch mehr die Lapp- 
länder (Sommerstücke) scheinen in der Mitte zu stehen.) 

Am auffallendsten ist die Schnabeldifferenz, denn bei russischen 
Vögeln ist der Schnabel fast stets dicker oder länger. 

Nun hat Brehm schon einen Phileremos striatus (Vogelf. 
S.122) beschrieben als kleiner, oben grauer und deutlicher gestreift 
mit kurzem Schnabel, Europa. Obschon dies ausgezeichnet passt, 
zweifle ich an der Form noch, weil geringe Grösse, stärkere 
Streifung und kleiner dünnerer Schnabel ein Zeichen jüngerer 
Vögel ist und es ja möglich ist, dass vorzugsweise jüngere Vögel 
nach den ostfriesischen Inseln ziehen. Es ist in der Tat auffallend, 
wie wenig Männchen erlegt wurden; von den 14 Stück sind nur 
vier Männchen (nach Sektion), neun Weibchen (nach Sektion), ein 
Stück nach Sektion fraglich, nach Gefieder und Grösse wohl zweifel- 
los Weibchen. Die Grösse und Stärke des Schnabels variiert so 
sehr, dass ich trotz auffallender Verschiedenheit zweifle, ob eine 
besondere Form vorliegt. Und wäre jeder Zweifel beseitigt, ich 
würde die Form doch nicht absondern, solange ich nicht ihren 
Brutplatz gefunden hätte, der etwa im nordwestlichen Norwegen 
zunächst zu suchen wäre. Wozu nun aber sich mit solchen 
Kleinigkeiten überhaupt abquälen? Wozu eine Form be- 
sprechen und abbilden, solange man darüber selbst im Zweifel ist? 

Es ist ja von Interesse, ob die auf Juist überwinternden Vögel 
junge Individuen und Weibchen sind, ob die ganz alten stärkeren 
Männchen zurückbleiben oder weiterziehen. Es ist ferner für Zug- 
fragen von Interesse, woher die Nordseevögel kommen. Es ist 
weiter von Interesse, ob der Name Eremophila alpestris flava (Gm.), 
den Hartert für die europäischen und nordasiatischen Vögel an- 
wendet, auf die in Sibirien und Nordosteuropa brütende Form be- 
schränkt werden muss. Aber das alles ist nebensächlich 
gegenüber einer ganz anderen Frage. 

Die Alpenlerche geht in zahlreichen Formen in Amerika 
vom Norden bis nach Südamerika (Bogota) herunter, bei uns von 
Skandinavien bis Nordafrika (vielleicht bis Südafrika, was aber 


Über die nordeuropäische Form der Alpenlerche. 39 


sehr fraglich), in Asien vom Norden bis zum Himalaya. Es wurde 
behauptet, die Alpenlerche habe sich von Amerika aus erst neuer- 
dings weiter verbreitet, was Hartert (Vögel der paläarktischen 
Fauna, S. 256) damit widerlegt, dass sie schon 1736, 1747 und 
1767 ın Deutschland bekannt war. Wir stehen also hier vor der 
interessanten Frage, ob die Älpenlerche um die Erde gewandert 
ist oder ob sie gleichzeitig überall von einer circumpolaren Ur- 
heimat sich nach Süden verbreitet hat. Das letztere ist mir 
ganz entschieden wahrscheinlicher. Dadurch wird nun die Frage 
recht interessant, ob Nordeuropa eine besondere Form in Norwegen 
hat, und ob diese etwa neuerdings sich häufiger südlich zeigt. 
Oder locken sie neu angesiedelte Nahrungspflanzen ? 

Ein ganz ähnliches Verbreitungsbild wie die Öhrenlerchen 
bieten die Kolkraben, die Erlkönigsmeisen, die Jagdfalken und 
andere Formenkreise. 

Den Lesern, welche sich nicht für die subtile Formenscheidung 
interessieren, möge dies zeigen, wie wichtig dieselbe ist und wie- 
viel Mühe oft die Untersuchung und Feststellung einer einzigen 
Form macht, wie ängstlich gewissenhaft man dabei sein muss, um 
später weitgehende Schlüsse ziehen zu können. Für mich ist die 
Frage ganz ebenso wichtig, zu wissen, ob die Alpenlerche, welche 
auf Juist überwintert, wirklich genau die sibirische Form flava 
ist, wie die andere Frage, ob sie eine abtrennbare Form ist. Ich 
benenne den Formenkreis der Alpenlerche als 

Alauda Otocorys. 

In meiner Sammlung besitze ich folgende Formen: 

1. Alauda Otocorys von den Nordseeinseln, Wintergast. 


2. a a flava (Gm.) aus verschiedenen Teilen Russlands 
(Lappland). 

3. 3 s brandti (Dress.), Wintervögel, Zentralasien. 

4. 2 » albigula (Bp.), nordpersische Grenze. 

5, s : penicillata (Gould), Kaukasus. 

6. n y bilopha (Temm.), Ägypten. 


Es ist merkwürdig, dass man diesen nordischen Vogel ganz 
sandfarbig rot auf den Plateaus der Sahara findet, während er auf 
so manchen zwischenliegenden Gebieten fehlt. Oder sollten die Vögel 
von Juist nordwärts wandernde Wintergäste von einem westeuro- 
päischen Gebirge sein, wie vermutlich die Wasserpieper des Rheins? 
Ich glaube es kaum. 


40 


Parus salicarius Brm. in Mecklenbure. 
Von G. Clodius, Camin bei Wittenburg. 


Durch die Veröffentlichungen Kleinschmidts auf die matt- 
köpfigen Graumeisen aufmerksam gemacht, fing ich im Winter 
1903/1904 an, mich hier gelegentlich nach solchen umzuhören, in 
der Hoffnung, vielleicht einmal P. borealis anzutreffen. 

Eine grosse Schar Meisen aller Arten samt Goldhähnchen, 
Kleibern und Baumläufern durchstreift allwinterlich tagaus tagein 
das nahe Karkbruch. Dies ist wirkliches Erlen- und Birkenbruch 
mit alten überstehenden Eichen und Buchen und enthält auf etwas 
höheren Partien Fichtenhorste. Ischiaslahm humpelte ich eines 
Tages durch das Bruch, verhörte die Meisenschar und wurde bald 
von einigen Graumeisen gefesselt, die im engsten Verband mit den 
anderen Arten am liebsten die Fichten durchstöberten und ab und 
zu heiser und energisch „däh däh däh“ riefen. Sofort wusste ich, 
die Stimmen hatte ich hier schon seit Jahren gehört. Ich sah die 
Tiere, konnte aber weiter nichts von der bekannten Nonnenmeise 
Abweichendes an ihnen bemerken. Etwa 1!/, km weiter in dichtem 
Fichtenwalde begrüsste mich wieder das auffallende „däh däh‘; 
also auch hier! 

Im Winter 1904/1905 war ich nicht mehr lahm, verhörte 
die Meisengesellschaft fast täglich, hörte wieder jedesmal die hei- 
seren „däh däh däh“ Stimmen; fand, dass etwa vier Tierchen so 
riefen, sah sie mehrfach auf wenige Meter Entfernung, denn sie 
waren ebensowenig scheu wie die anderen Arten, konnte aber 
weiter keinen Unterschied bemerken, als dass ihre Seiten schön 
rostgelblich überflogen waren. Das Betragen wich, soweit ich es 
bemerken konnte, nieht von dem der anderen Arten ab. Nach 
einem grossen schwarzen Kehlfleck suchte ich vergeblich, und — 
war enttäuscht, denn die Stimme liess mich fast freudig auf 
P. borealis hoffen, wozu die rostgelbliche Färbung gar nicht 


Parus salicarius Brm. in Mecklenburg. 41 


passte. Zuletzt am 10. März schoss ich ein Stück — aus einer 
Fichte heraus — und zu meinem grossen Vergnügen hatte ich doch 
eine mattköpfige Graumeise in Händen. Der Kehlfleck war doch 
anders als bei der Nonnenmeise, der stufige, merklich spitzfederige 
Schwanz fiel sofort auf. Es ist ein Weibchen, Länge 112 mm, 
Flügel 57 mm; die 4. Schwanzfeder die längste, die 1.6 mm 
kürzer; die 4. von da an, wo sie aus der Haut tritt, 52 mm lang; 
Schnabel 7,4 mm vom Nasenloch an. Der kleine Kehlfleck zeigt fast 
überall einzelne weissliche Federstrahlen, aber das Schwarz setzt 
sich, immer mehr von Weiss verdeckt, noch circa 20 mm nach der 
Brust zu fort, und man erkennt deutlich an jeder Feder zwischen 
dem grauen Grund und der weissen Spitze einen rein schwarzen 
Bogenausschnitt. Die Aussensäume der Armschwingen sind heller 
als bei der Nonnenmeise, aber dies fällt bei meinem Stück nicht 
so sehr in die Augen. Im übrigen stimmt die Farbe, wenn man 
die Abnutzung und Beschmutzung der Federn in Betracht zieht, 
durchaus mit der Beschreibung und der Abbildung im neuen Nau- 
mann, Tafel 21, Nr. 1, Parus salicarıus Brm., überein. Also nicht 
Parus borealis, sondern salıcarıius hier beı Uamin! 

Die übrigen Parus salicarius beobachtete ich nun desto eifriger, 
bald erkannte ich sie auch schon an dem feinen „sı si“, welches 
etwas von dem der anderen Meisen abweicht, ferner an einem 
einzelnen „däih“. Mit zunehmendem Frühlinge zerstreute sich die 
ganze Schar mehr, die salicarius traf ich durchgehends in oder bei 
einem grösseren Fichtenhorste, sie hielten sich jetzt gerade wie 
die anderen Arten meist in grosser Höhe, besonders den Kronen 
der eingesprengten Birken, auf, in denen sich ja die ersten Insekten 
einfinden; tiefer herab traf ıch sie nicht wieder, eine deutlich 
grössere Unruhe unterschied jetzt ihr Betragen von dem der an- 
deren Arten; es war schwer, sie zu beobachten, im Umsehen waren 
sie aus den Augen verschwunden, noch einmal hörte man ein däh 
däh däh, dann — waren sie fort. Ihr schönes Pfeifen gaben sie 
mir nicht zum Besten. Am 21. April hörte ich sie zuletzt. Ich 
nehme an, dass es zuletzt ein Pärchen war und sich dies irgendwo 
zum Brüten zurückgezogen hat, ohne dass ich den Platz entdeckte. 

Am 1. Juli früh morgens bemerkte ich, wie alljährlich etwa 
um diese Zeit, das beginnende Umherstreifen unserer Standvögel 
in meinem Garten, es zeigten sich Kleiber und Singdrosseln und — 
ein Parus salicarius; unruhig strich die Meise durch den Garten, 


42 G. Clodius. 


flog über freies Feld dem Kirchhof zu, kehrte nach 10 Minuten 
zurück und gab nun, von Baum zu Baum eilend, ausser dem däh 
däh däh ihr helles Pfeifen „tschitschi* und einen niedlichen 
Gesang zum Besten, dabei sass sie kurze Zeit still. So kannte 
ich auch diese Töne, von denen P. subpalustris keine Ahnung hat. 
Der Kehltfleck war bei diesem Stück deutlich grösser. 

Im Winter 1905/1906 hat die grosse Meisenschar im Kark- 
bruch auffallenderweise nicht die fichtenreiche Nordseite, sondern 
die fichtenarme Südseite als Standquartier erwählt; nur einmal 
hörte ich einen Parus salicarius an der alten Stelle, sonst keinen 
in diesem Waldteil. Aber am 21. Januar bemerkte ich ein Stück 
5 km von hier in einer Reihe dichter Fichten, und am 9. Februar, 
einem hellen Frosttage, begrüsste mich in der grossen Forst Kogel, 
in der ich bisher immer vergeblich nach P. salicarius geforscht 
hatte, in einem Fichtenhorst ein Stück mit andauerndem däh däh 
däh däh; der Grund seiner Aufregung, ein Lanius major, flog von 
der Spitze einer Fichte fort, und nun lockte ıch das Tierchen, was 
bei den neugierigen Meisen durch Zirpen mit den Lippen leicht 
angeht, heran und bemerkte, dass es ein recht grosses Stück mit 
grossem Kehlfleck war; es liess jetzt einige Male sein niedliches 
Pfeifen und einen leisen quinkelierenden Gesang hören, war also 
wohl ein Männchen; der Gesang war, der frühen Jahreszeit ent- 
sprechend, noch schwach und kurz. 

Am 12. Februar zeigten sich mir, in den Garten tretend, einige 
Baumläufer, und ich hörte ein däih. Bald fand ich die Graumeise, 
ganz nach Nonnenmeisenart in einem Apfelbaum tätig; auf mein 
Locken, was meine halbzahmen Gartenmeisen sofort herbeistürzen 
lässt, reagierte sie nicht, sie strich also samt ihren Gefährten nur 
durch; da klang es „däh däh däh“* und wieder und nochmal, ich 
schoss, fehlte, das Tierchen flog nur erschrocken in den nächsten 
Baum, aus dem ich es herabschoss. Es ist ein Männchen, Länge 
115 mm, Flügel 59 mm, Schwanzfeder 54 mm (längste Feder vom 
Austritt aus der Haut), die erste Schwanzfeder 5 mm kürzer als 
die vierte. Schnabel von der Stirnhaut 9,5, vom Nasenloch 7,4 mm 
bis zur Spitze. Im übrigen ganz genau wie das Stück vom 10. März 
1905, ein typischer P. salicarius mit auffällig hellen Kanten der 
Armschwingen. 

Resultat: Parus salicarıus Brm. hier um Camin herum das 
ganze Jahr sparsam vorhanden; stets kenntlich an dem tiefen, 


Parus salicarius Brm. in Mecklenburg. 43 


heiseren däh däh däh, zuzeiten an dem hellen Pfeifen und dem 
artigen Gesang. P. meridionalis subpalustris ruft auch manchmal, 
ich hörte es noch gestern, „dä dä dä dä“, aber jedes einzelne dä 
ist stets viel kürzer als jenes „däh* und das ganze viel schneller 
gerufen, so dass, wenn man P.salicarius erst mehrere Male gehört 
hat, eine Verwechselung ganz ausgeschlossen ist. Der Frühlings- 
ruf von P. meridionalis wird gewöhnlich als ein Klappern da da da 
beschrieben, darüber muss ich mich sehr wundern, denn damit tut 
man dem Meischen grosses Unrecht, sie rufen vielmehr ungemein 
eifrig und anhaltend von Baum zu Baum eilend oder stillsitzend 
sehr laut und fröhlich: schip schip schip schip oder zip zip zip, 
jedenfalls klingt ein helles i oder ü; aber P. salicarius weiss hier- 
von nichts und sein Pfeifen ist völlig anders. Die Färbung der 
hiesigen P. salicarius entspricht sehr gut der genauen Beschreibung 
Kleinschmidts, die matte, rein schwarze Kopfplatte, der Kehlfleck, 
die hellen Säume der Armschwingen, der stufige Schwanz lassen 
die Art, wenn man sie in der Hand hat, auch ohne Vergleichen 
stets erkennen; kann man sie mit meridionalis subpalustris ver- 
gleichen, so bleiben die Schwanzfedern ein auffallendes Merkmal, 
diese sind bei meridionalis an der Spitze mehr breit abgerundet, 
bei salicarius schmaler zugespitzt. Die Art ist hier nicht scheuer 
als die anderen Waldmeisen, hält sich im Winter zu ihnen, zeigt 
dann kein wesentlich anderes Betragen als P. meridionalis, major 
und coeruleus, ist vielleicht etwas unruhiger und scheint dies im 
Frühling und Sommer wesentlich mehr zu sein. Fichten scheinen 
ihr besonders zu gefallen. Es dürfte die hiesige Form wohl der 
ächte P. salicarius sein, obwohl meine Stücke recht klein sind. 

Soweit meine bisherigen Beobachtungen. Aus dem übrigen 
Mecklenburg besitze ich ein Stück vom März 1891 von Lenschow 
bei Parchim, das ich erst jetzt erkannte. Da bei uns ausser mir 
bisher wohl keiner P. salicarius und subpalustris voneinander unter- 
schieden hat, so sind mir noch keine weiteren Mitteilungen über 
die Art zugegangen, doch hoffe ich für dies Jahr schon auf der- 
artige Beobachtungen. 


44 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein. 


Von Carl Hilgert. 
(Fortsetzung von Falco 1905, S. 64.) 


Turdus Vernus (Kl.) 


(Sechwarzamsel, Turdus merula.) 


Geradezu gemein und dem Garten- und Weinbau lästig ist 
die Amsel bei uns geworden. In den grösseren Parks, den um- 
zäunten Fichten- und Laubholzparzellen, wo ihr mehr denn nötig 
Schutz gewährt wird, vermehrt sie sich ganz bedenklich, so dass 
sie die in der Nähe liegenden Weinberge geradezu plündert. 
Spatzen und Stare kann man durch Alarmschüsse ja von diesen 
Anlagen fern halten, während dies bei ihr kaum möglich ist. Sie 
sitzt ruhig im Laube der Weinstöcke und Spaliere, nur höchstens 
eine kleine Strecke fortflatternd oder fortlaufend, wenn ein Schuss 
fällt. Ganz anders gestaltet sich aber ihr Benehmen, wenn man 
Ernst macht und ıhr mit Blei auf den Leib rückt, dann kommt 
bald ihre List und die bekannte Scheu zum Ausdruck. Nie bin 
ich versucht gewesen, unsere Amsel zum vertrauten Parkvogel zu 
stempeln, sie ist nichts weniger als dies. 

Wie ja bekannt, überwintern viele Amseln bei uns, aber ich 
wage es zu behaupten, dass wir hier am Rheine von einem Weg- 
zuge im allgemeinen nicht sprechen können. Ja ich gehe so weit, 
dass ich ihre Zahl in manchen Wintern noch höher schätze und 
begründe dies dadurch, dass viele Vögel aus höheren Lagen und 
nördlicheren Gegenden in unserer geschützten Rheinebene über- 
wintern. "elbstredend soll das nur für die normalen Winter 
gelten, wie wir sie ja selten anders kennen lernen. In strengen 
Wintern gestaltet sich das Bild wesentlich anders und man wird 
da nur wenige zurückgebliebene Stücke finden, die dann oft grosse 
Not haben, ihr Dasein zu fristen. Was hiervon Sperber und 
Habicht entgeht, fällt in der Regel der Kälte zum Opfer. Die in 

(23) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Turdus Vernus (Kl.) 45 


normalen Wintern massenhaft überwinternden Vögel halten sich 
tagsüber Nahrung suchend auf den nassen Wiesenfeldern, in den 
Parks und Dorfgärten auf, des Abends aber suchen sie die Fichten- 
schonungen als Nachtquartier auf. Von allen Seiten kommen sie 
da herbeigeeilt und sind die letzten Ankömmlinge der vielen 
tausend von Vögeln,!) die daselbst übernachten. Ich übertreibe 
nicht, wenn ich die Zahl der Amseln, die ın den Herbst- und 
Wintermonaten ın den Fichten übernachten, auf 150 bıs 200 
schätze. 

Mit dem Brutgeschäft beginnen sie sehr zeitig, auch sind sie 
bei uns zu den ersten Sängern zu zählen. Ich notierte: 

22. Januar 1899, erster Gesang; 
28. Februar 1902, „ E 
26. = SID 1 

Nicht selten hört man auch ıhren Gesang im Herbste bei 
schönem Wetter, so notierte ich 4. November 1903 und merk- 
würdigerweise auch den 4. November 1905. 

13. April 1902, 4 stark bebrütete Hier; 
29. März 1903, 5 frische Eier; 
152021904, Bi; 

23. April 1905, ausgeflogene Junge; 

14. „1906, 5 etwas bebrütete Eier. 

Im ersten Teil meiner Arbeit habe ich beim Rotkehlchen 
schon darauf hingewiesen, dass das hellste Ei eines Geleges nicht 
unbedingt das zuletzt gelegte sein muss. Da mir Nester und Ge- 
lege der Amsel in grosser Anzahl mühelos zugänglich sind und 
die Vögel sich auch gegen Störungen nicht so empfindlich zeigen, 
hatte ich mir ihre Eier als Versuchsobjekt?) ausgewählt. Ich 


‘) Es überwintern hier und suchen diese Schonungen als Naclhıt- 
quartier auf ungeheuere Flüge von Fringilla montifringilla, Fringilla 
coelebs, Sturnus vulgaris, Turdus pilaris ete. ete. 

?) Da auch die Eier der Amsel innerhalb des Geleges wenig 
variieren, wäre es ja praktischer, andere Gelege zu wählen; doch kann 
man auch bei Amselgelegen von schwächer und stärker gefleckten 
Eiern innerhalb eines Geleges sprechen. Raubvogeleier würden ja ein 
entschieden besseres Versuchsobjekt bieten, nur ist da die Sache mit 
grösseren Schwierigkeiten verknüpft. Die Gelege unserer Sperlinge und 
insbesondere die des Feldsperlings eignen sich übrigens auch sehr gut 
zu solchen Untersuchungen, und ich habe hierin noch nicht abgeschlossen, 
kann aber heute schon soviel sagen, dass auch hier das hellste Ei 
nicht immer das letzte ist. 

(24) 


46 C. Hilgert. 


numerierte die Eier mehrerer Gelege der Reihenfolge nach, wie 
sie gelegt wurden, und das Resultat war folgendes: In einem Falle 
war das hellste Ei das erste und zudem das kleinste bei einem 
Gelege zu fünf Eiern. Bei einem anderen Gelege zu ebenfalls fünf 
Eiern war das dritte Ei das hellste und normal gross. In zwei 
anderen Fällen waren die helleren Eier die letzten. 

Wie es sich bei den Amselmännchen mit der Schnabelfärbung 
verhält, darüber war ich mir, angeregt durch eine briefliche An- 
frage Dr. Harterts, nicht ganz im klaren und bin überzeugt, dass 
so mancher diese Frage nicht kurzerhand erschöpfend hätte be- 
antworten können. Ich habe mich nun überzeugt und bin zu dem 
Resultat gekommen, dass das Männchen ım ersten Frühling, der 
auf sein Geburtsjahr folgt, schon den gelben Schnabel bekommt 
und ihn sein Leben lang behält. Im Sommer verliert er allerdings 
etwas von seinem Feuer, was wohl durch die Nahrungssuche im 
losen Erdreich bedingt ist. Vorjährige Männchen haben gewöhn- 
lich anfangs März noch eine dunkle Schnabelfirste, die aber Ende 
März, längstens anfangs April auch verschwindet. 


Turdus Collaris (Kl.) 
(Ringamsel, Turdus torquatus.) 

Scheint seltener Durchzügler zu sein, da ich nur einige Be- 
lege dafür anführen kann. In den Wildprethandlungen in Mainz 
und Frankfurt findet man sie dagegen öfter. Würde man im Herbst 
und Frühjahr mehr dunkle Amseln erlegen oder fangen, so bin ich 
überzeugt, dass man sie doch öfter bestätigen könnte. Ich wollte 
z. B. am 24. September 1898 eine Amsel für den Uhu erlegen und 
konnte nach dem Schusse eine Ringamsel aufheben. Es war ein 
junges Weibchen, das mein Hund aus einer Fichtenschonung 
stöberte.e Am 30. April 1903 fand ich ein von einem Raubvogel 
halbgekröpftes altes Männchen. In seiner Ornis des Grossherzog- 
tums Hessen erwähnt Deichler ein am 20. Aprıl 1893 unter dem 
Telegraphendraht aufgefundenes Weibchen, das mir damals von 
einem Bahnwärter überbracht wurde. 


Turdus Arboreus (Kl.) 
(Misteldrossel, Turdus viscivorus.) 
In den Kiefernwaldungen, wo sie ihr Nest gewöhnlich in be- 
deutender Höhe anlegt, häufiger Brutvogel. Alle Nester, die ich 


(25) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Turdus Arboreus (Kl.) 47 


ım Laufe der Jahre fand, standen auf Kiefern, und kann ich mich 
nicht erinnern, je eins auf einem anderen Baume gefunden zu haben. 

Es sind äusserst scheue und vorsichtige Vögel, die nur während 
des Brutgeschäftes etwas von ihrer Scheu ablegen, so dass es dann 
nicht schwer ist, sie aus der Nähe zu beobachten. Ist das Gelege 
stark bebrütet oder es sind gar Junge im Neste, dann wird jede 
Störung und Gefahr durch wütendes Geschnarr abzuwehren ge- 
sucht. Sie sitzen oft so fest auf den Eiern oder den kleinen 
Jungen, dass man sie nur durch wiederholtes energisches An- 
klopfen an den Baum zum Abstreichen bringt. Es ist mir ein 
Fall bekannt, wo ich den Vogel auf dem Neste sitzen sah (der 
lange Schwanz steht immer ein beträchtliches Ende über den Nest- 
rand hinweg), es aber nicht möglich war, ihn durch Anklopfen 
zum Abfliegen zu bewegen; erst als ich oben ankam, strich er 
schnarrend ab. In diesem Falle wäre es mir ein Leichtes ge- 
wesen, ihn auf dem Neste zu greifen. Das Nest enthielt drei 
eben ausgefallene Junge und ein faules Eı. 

Mitte Mai 1905 liess ich bei einem Reviergange meinen Hund 
- im Walde ein wenig revieren und hörte kurz darauf ein ununter- 
brochenes Geschnarr und Laute wie oak-oak, letztere täuschend 
ähnlich wie von einer Elster, nur etwas schwächer. Ich vermutete 
Elstern, die der Brut der Misteldrossel nachstellten und birschte 
vorsichtig nach dem Platze Ich war nicht wenig erstaunt, als 
ich zweı Misteldrosseln meinen Hund attakıeren sah, immerwährend 
schnarrend und die Laute oak anhängend. Sie hatten eben dem 
Neste entflogene Junge, die in den Kronen der niederen Kiefern 
sassen. Trotzdem ich jährlich eine grössere Anzahl Brutpaare zu 
beobachten Gelegenheit habe, kann ich mich nicht entsinnen, je- 
mals diese Laute „oak“ gehört zu haben. 

Nicht selten trifft man die Misteldrossel auch in den Winter- 
monaten vereinzelt hier, es ıst aber kaum anzunehmen, dass dies 
unsere Brutvögel sind. Meines Erachtens kommen unsere Brut- 
vögel Ende Februar bei uns an und beziehen auch gleich die alt- 
gewohnten Reviere. Anfang März sieht man mitunter noch kleine 
Trupps auf dem Durchzuge. Ich notierte: 

28. Februar 1902, erster Gesang; 

22. e 1903, B R 

8. März 1904, in kleinen Trupps beobachtet; 

17. April 1904, Nest mit vier einige Tage alten Jungen; 
(26) 


48 C. Hilgert. 


27. Februar 1905, Paar am alten Brutplatze beobachtet, Z 
singt, 25. März äusserlich fertig; 
12. Januar 1906, drei Stück zusammen beobachtet (sehr 
scheu!); 
26. Februar 1906, singen die Z überall; 
15. April 1906, zwei Stück zusammen beobachtet, wovon 
: das eine Nistmaterial trägt. 
ame} 1906, Nest mit vier stark bebrüteten Eiern steht 
niedrig im Kiefernhochwald auf verkrüppel- 
ter, 2 m hoher Kiefer. 
Flügelmasse zweier Ingelheimer Brutvögel: 9 155, $ 151 mm. 
Die gleichen Flügellängen finde ich auch bei Vögeln aus 
Tunesien, der Herzegowina und England. Mit Ausnahme der 
Tunesen sind dies nur im Herbst und Winter gesammelte Vögel. 
Ich möchte hier kurz noch einmal auf den von Baron v. Erlanger 
(Ornith. Monatsber. 1897, p. 192) beschriebenen T. deichleri zurück- 
kommen. Wie ja bekannt, zog Baron v. Erlanger diese Form 
(Journ. f. Ornith. 1899, p. 248) wieder ein. Später hat nun Kollibay 
(Ormith. Monatsber. 1905, p. 141) die Form wieder zu begründen 
versucht. Ich schliesse mich dieser Ansicht vollkommen an. Die 
Form kann mit demselben Rechte aufrecht erhalten werden, mit 
dem wir so viele nordafrikanische Formen begründen, z. B. Pra- 
tincola rubetra spatzi, Lanius senator rutilans, Apus apus carloi, 
Carduelis carduelis africanus etc. etc. 


Turdus Soeius (Kl.) 
(Wacholderdrossel, Turdus pilaris.) 

Nur als häufiger Wintergast bei uns in der Rheinebene be- 
kannt. Die ersten Trupps kommen ungefähr Ende Oktober an. 
Im November und Anfang Dezember treffen immer mehr ein, so 
dass dann oft ganz gewaltige Flüge entstehen, die den Winter 
über vereint mit Staren die Wiesen beleben. Die zuerst ein- 
treffenden finden an Vogelbeeren und den Samenkörnern des 
Spargels den Tisch noch reichlich gedeckt. Im Winter, wenn 
Schneefall eintritt, vermindert sich ihre Zahl oft bedeutend, d. h. die 
Mehrzahl zieht weiter oder streift nur nach schneefreien Gegenden; 
denn kaum ist der Schnee wieder weg, sind sie wieder da. 

Mit Vorliebe übernachten sie in den niederen Fichten, die mit 
Eichen und Birken durchsetzt sind. Interessant ist da ihr Benehmen 


27) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Turdus Bragi (Kl.) 49 


vor dem Einfallen. Im Herbste und Winter sammeln sie sich ge- 
wöhnlich erst auf den Überständern, ehe sie ihre Schlafplätze auf- 
suchen, während sie im März und Anfang April nach mehrmaligem 
Kreisen sich direkt ın das Holz stürzen. Wiederholt konnte ich 
die Beobachtung machen, dass selbst grössere Gesellschaften in 
den Kopfweiden übernachten, sie sitzen da ganz unten auf den 
Köpfen. Vereinzelt übernachten sie sogar auf der Erde an den 
Böschungen der Rheindämme und den Rändern der Wiesengräben. 


Turdus Bragi (Kl.) 
(Singdrossel, Turdus musiecus auct.) 


Die Singdrossel ist recht häufiger Brutvogel in den Klauern 
am Rhein, den Feldgehölzen, den Parkanlagen und im gemischten 
Niederwalde. In den meisten Fällen nistet sie niedrig, 0,5 bis 
1,5 m vom Boden entfernt, seltener über Mannshöhe. Ihre Brut 
wird sehr vom Eichelhäher gefährdet. Sie wehrt sich ja dabei 
ganz verzweifelt, aber der Strauchdieb bleibt doch immer Sieger. 
Ich sah einmal einem solchen Kampfe zu, wo sich beide Gatten 
verzweifelt für ihre kleinen Jungen wehrten. Ein andermal sah 
ıch einen Eichelhäher hinter einer alten Drossel herstürzen, und 
zwar mit einer solchen Schnelligkeit, wie ich’s nur einem Sperber 
oder Falken zutrauen würde In beiden Fällen konnte ich noch 
rettend eingreifen. 

Zur Herbst- und Frühjahrszugzeit kommt die Singdrossel oft 
in Massen durch, doch ist es nichts Ungewöhnliches, mitten im 
Winter vereinzelte Stücke zu finden. Ich beobachtete z. B. 1905 
am 26. Dezember ein Exemplar und wollte es zum Belege erlegen, 
es schien mir aber nach meinem Schuss gesund abzustreichen. An- 
fang Januar fand ich ein verendetes Exemplar unweit dieser Stelle, 
und ich nehme an, dass es dasselbe war. 


Turdus Borealis (Kl.) 
(Weindrossel, Turdus iliacus auct.) 


Im Herbst und Frühjahr häufiger Durchzügler, der sich aber 
selten lange hier aufhält. Gewöhnlich sieht man sie aber nur 4 
bis 5 Tage. In manchen Jahren ist in diesen Tagen alles über- 
schwemmt mit Weindrosseln. So 1904 am 26. Februar, 1905 am 
2. März. Im Herbste, Ende September und Anfang Oktober, findet 

Falco. (28) 4 


50 C. Hilgert. 


man viele in den Weinbergen zerstreut, weniger in geschlossenen 
Gesellschaften. 

Dieses Frühjahr traf ich sie am 6. März in grossen Flügen 
am Rheine und auf den Wiesen. Jetzt, Ende März, sind sie noch 
massenhaft da. Als am 14. März starker Schneefall eintrat und 
anderen Morgens das Thermometer auf 5 Grad unter Null fiel, da 
war es beinahe um die Frühlingsboten und die geradezu massen- 
haft hier gestauten Drosselflüge (meistens iliacus und musicus) 
geschehen. Mit gesträubtem Gefieder sassen sie überall herum und 
man konnte ihnen so nahe kommen, dass man sie greifen konnte, 
während sie sonst recht vorsichtig und scheu zu nennen sind. Um 
ihnen Gelegenheit zum Nahrungsuchen zu bieten, brach ich auf 
grosse Strecken an den Rändern der überschwemmten Wiesen- 
flächen das Eis auf und entfernte es. Kaum hatte ich damit be- 
gonnen, da sah ich meine Absicht schon erreicht; denn sie kamen 
massenhaft dicht neben mich und suchten, wie ich beobachten 
konnte, nicht vergebens nach Nahrung. In ihrer Gesellschaft be- 
fanden sich ausserdem noch Rotkehlehen, Braunellen, Fitis- und 
Weidenlaubvögel. Auch fanden sich später die Stare ein, die bis 
zum Bauche im Wasser herumwateten. Wenn ich auch so 
hunderten von Insektenfressern vorübergehend eine Nahrungsquelle 
eröffnet hatte, hätte ich es auf die Dauer doch nicht durchführen 
können. Zum Glück setzte am Nachmittage Regen mit gelindem 
Südwest ein, sodass anderen Tages wieder der Schnee mit dem 
Eise verschwunden war. Später hatten wir ja noch öfter Schnee- 
fall, doch leckte ihn Mutter Sonne an Böschungen und sonstigen 
geschützten Stellen bald wieder weg, so dass sich schnell wieder 
Nahrungsplätze boten. Am 26. und 27. Februar konnte ich eine 
Abnahme der Weindrosseln konstatieren, also begann der Wegzug. 
In diesen Tagen konnte ich öfter Männchen aus nächster Nähe 
singend beobachten. 

Cinelus Bechst. 

Der Wasserstar soll früher hier vereinzelt beobachtet worden 
sein, was ich aber bezweifle. Im Taunus, meinem Wohnorte gegen- 
über, nur einige Kilometer entfernt, ist er regelmässiger Brut- 
vogel. Mit Vorliebe nistet dort jedes Jahr ein Pärchen unter 
einer Holzbrücke, die über einen kleinen Gebirgsbach führt. Mitte 
April hat das Paar gewöhnlich Eier, die ihm regelmässig ge- 
nommen werden, trotzdem baut und legt es nochmals. Wiederholt 

(29) 


Avifauna von Ingelheim a. Rhein, Cinelus Bechst. 51 


wurden auch schon beide Gatten erlegt; doch nahm dann gleich 
wieder ein anderes Paar von diesem beliebten Nistplatze Besitz. 
1905 wurden am 21. April vier unbebrütete Eier genommen, von 
denen zwei in meinen Besitz kamen. Sie messen 25x19, 24x19 
mm. Die beiden dazu gehörigen Vögel liegen mir auch vor. 
Ferner besitze ieh ein Männchen aus Westfalen, erlest am 14. No- 
vember 1905, das mir ein dortiger Forstbeamter im Fleisch über- 
sandte. 

Nach Vergleich dieser drei Stücke mit dem Material in der 
v. Erlangerschen Kollektion ersehe ich, dass unsere westdeutschen 
Vögel nicht mit der Form aquaticus übereinstimmen. Sie stehen 
dem typischen C. cinclus aus Skandinavien und Lappland sehr 
nahe, haben aber etwas mehr Rotbraun an der Brust, das sich bei 
dem einen Stück (Männchen? Taunus) noch bis auf die Bauchmitte 
ausdehnt; es erreicht aber nicht ım entferntesten die Intensivität 
der Vögel aus Steiermark und der Schweiz, die der Form „albi- 
collis* angehören. In der Färbung der Oberseite kann ich zwischen 
den drei westdeutschen Stücken und denen aus Skandinavien und 
Lappland keinen Unterschied finden, während die Vögel aus Steier- 
mark und der Schweiz bedeutend helleren, fahlgraubrauneren Kopf 
und Nacken haben, auch ihre übrige Oberseite bedeutend heller 
ist. Typische C. aquaticus liegen mir zum Vergleiche nicht vor, 
doch zeichnen sich ja diese durch lebhaftes Rostrot auf der 
Brust aus. 

Aus dem hier angeführten geht mit ziemlicher Gewissheit 
hervor, dass unsere Brutvögel eine gute lokale Form bilden.!) Ich 
werde es nicht versäumen, mir mehr Material zu beschaffen und 
dann später noch einmal auf diese Frage zurückkommen. 


!) Nachdem ich vorstehende Seite im Manuskript abgeschlossen 
hatte, nahm ich Kleinschmidts Ornis Marburgs zur Hand, und war nicht 
wenig überrascht, dass ich unbeeinflusst zu demselben Resultat ge- 
kommen war. 


(30) 42 


Desiderata. 


Für die nächste Berajahlieferung 


sind mir baldıgst erwünscht alle Mitteilungen über den Haus- 
rotschwanz, welche meinen Korrespondenten irgendwie bemerkens- 
wert erscheinen. Es fehlen mir noch Brutvögel aus Frankreich, 
Spanien und namentlich Portugal, wo der Vogel nicht selten 
sein soll. 

Ferner interessiert es mich lebhaft, ob man irgendwo in 
Deutschland Stücke gefunden hat, welche dem in meiner „Örnis 
Marburgs“ abgebildeten Vogel gleichen oder ähneln. (Über das 
Vorkommen grauer Männchen, das sogenannte cairei-Kleid, sind 
meine Untersuchungen abgeschlossen.) 

Von Interesse sind alle Daten über Ankunft, Brutdaten, Ge- 
legezahl, Eiermasse und Gewichte bestimmter Objekte in Samm- 
lungen, bläuliche und rotgefleckte Eiervarietäten, ferner Mit- 
teilungen über in Sammlungen vorhandene sichere Eier von 
Ruticilla ochrura und rufiventris, Photographien interessanter 
Nistplätze und Nester,') Aufzeichnungen über abnorme Gesänge 
(Imitationen). 

Für spätere Lieferungen 

benötige ich: Nebelkrähe g' ad. (sehr schwer zu erlegen). Das 
mehrjährige Männchen erkennt man an der bedeutenden Grösse, 
fehlendem Brutfleck und unverletzter Schwanzspitze. Ferner: Blau- 
kehlehen aus dem westlichen Norwegen nebst Ei, Cinclus, alt, 
aus Thüringen. Ich erhielt kürzlich ein altes Weibchen vom 
Westerwald, das durch seine dunkle Unterseite die von mir ver- 
mutete und von Hilgert bestätigte Annäherung der Vögel dieses 
Rheingebietes an die britische Form immer wahrscheinlicher macht. 

!) Sehr erwünscht sind mir diese auch von Blaukehlchen, und 


zwar 1) vom Nest, 2) von der den Nistplatz charakterisierenden Land- 
schaft. 


Desiderata. 53 


Von weisssternigen Blaukehlchen findet man in den 
meisten Sammlungen nur Zugvögel Es würde mich sehr inter- 
essieren, wo Brutvögel (Männchen und Weibchen) und Nestkleider 
aus Deutschland in Sammlungen vorhanden sind. In welchen 
Sammlungen befinden sich weisssternige Blaukehlchen aus Asien? 
Diese sind sehr wertvoll. 

Ich schliesse hieran einige weitere 

Fragen, 
die schon seit Jahren vergeblich in meinem ornithologischen Ka- 
lender der Beantwortung harren: 

Ändert der Augenlidrand der deutschen Schwanzmeise 
und besonders der der westdeutschen Form im Frühjahr die Farbe, 
indem er rötlicher wird oder bleibt er genau so gelb wie im Winter? 

Wann und wie erhält Muscicapa atricapilla ihr schwarzes 
Gefieder? Im Herbst erkennt man die alten Vögel an der bräun- 
lichen Färbung und den gelblich angeflogenen Spiegeln. Dass die 
schwarzen Vögel im Herbst wieder braun werden, ist schon lange 
bekannt. Aber wie und wann werden sie schwarz? Wie und 
wann werden es die jungen Vögel? Meine Sammlung zeigt graue, 
schwarzgescheckte und schwarze Vögel, die aussehen, als würde 
zum Teil ein schwarzer Federgrund freigelegt. 

Ist Muscicapa collaris eine von M. atricapilla grundver- 
schiedene Art? Ich habe viele im Fleisch und im Balge unter- 
sucht, aber ein ganz echtes gepaartes Paar ist mir noch nicht zu 
Gesicht gekommen. 

Die nordafrikanischen und kaukasischen Vögel bilden doch 
ein Bindeglied zwischen beiden. Ein Vogel von Korsika, von 
dem ich nur den total defekten Balg erhielt, hatte das Aussehen 
von atricapilla, aber den dunklen Schwanz von collaris. 

Hat Bombycilla ein Herbstkleid, das sich durch grauere 
Färbung auszeichnet? Ich erhielt von der Vogelwarte Rossitten 
drei Seidenschwänze, die ein prachtvoll zartes, nur leise mit Karmin- 
duft!) angehauchtes, sehr graues Gefieder zeigten, während die 
Stücke meiner Sammlung viel bräunlicher sind. Ich legte davon 
ein Stück in meine Sammlung in der Erwartung, dass es nach 
einigen Jahren die Färbung der übrigen annehmen würde. Allein 
es ist noch heute nach Jahren ebenso grau wie es im frischen 


1) Sollte nicht die Farbenpracht vieler nordischer Vögel (Somateria 
ete.) mit dem einstigen Tropenklima der Polarländer zusammenhängen ? 


54 Desiderata. 


Zustande war. Zwei an Graf Arrigoni degli Oddi gegebene 
Vögel stimmten mit diesem Stücke genau überein. Ich vermute, 
dass nur das frischvermauserte Gefieder die Ursache ist, denn die 
ältesten Präparate sind die braunsten. Oder sollte es irgendwo 
im Osten eine grauere, weniger braune Form des Seidenschwanzes 
geben? 

Haben alle Elstern zur Brutzeit einen bläulichen nackten 
Fleck hinter dem Auge, oder ist dies nur bei einem Teil der 
westeuropäischen Vögel (z.B. am Rhein) der Fall? 

Endlich bitte ich noch, überall da, wo Wanderfalken am 
Horst erlegt werden, über deren Färbung zu berichten, etwa, indem 
man dieselben mit den Tafeln im neuen Naumann vergleicht und 
die Breite der Bartstreifen, die Kropfzeichnung, Brustlleckung und 
die Färbung der Unterseite, endlich noch die Länge des zusammen- 
gelegten Flügels vom Bug bis zur Spitze angibt. 

Es sind das alles Fragen, die möglichst aus allen Teilen 
Deutschlands beantwortet werden müssen, und dıe darum der Ein- 
zelne schwer lösen kann. OÖ. Kleinschmidt. 


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Sommervögel aus Lappland. 


Von Herrn Schlüter erhielt ich unlängst eine kleine Sendung 
von Vögeln, die in Hochsommer in Lappland erbeutet waren. 
Abgesehen von dem, was mich sonst an diesen Vögeln interessiert, 
bot die Sendung im ganzen ein merkwürdiges Bild, nämlich im 
Gegensatz zu den matten Farben nordischer Vögel im Frühling 
und Winter, grelle, bunte, kontrastreiche Färbungen, im Gegensatz 
zu dem weichen „Winterpelz* ein ausserordentlich stark ab- 
genutztes Gefieder. Mir wurde durch diese Sendung mit einemmal 
eine Sache klar, die mich lange mit Zweifeln erfüllt hat. 

Ich habe die Theorie aufgestellt, dass in Ländern mit feuchtem 
Klima sich dunkelste Pigmentierung finde, und dass diese ein 
Schutz der Feder gegen starke Abnutzung sei. In trockenen 
Ländern, also in regenarmen Wüsten und im Norden, wo der 
Frost das Wasser in Form von Schnee bindet, findet man dagegen 
lichte Färbung und schwindende Zeichnung, verbunden mit sehr 
geringer Abnutzung des Gefieders.!) 

Ich glaubte aus dieser Bedeutung des Pigments auch die Zeich- 
nungen der Schmetterlinge erklären zu können. In scharfem Wider- 
spruch stand nun aber damit die Erscheinung, dass gewisse 
Schmetterlinge im Norden, wo die Vögel hell sind, gerade dunklere 
Zeichnung haben. Man denke an die Form polaris von Vanessa 
urticae, die sich durch grössere Ausdehnung der schwarzen 
Flecken kennzeichnet. 

Die Schmetterlinge sind nun aber Sommertiere, und die 
Vögel jener Gegenden sind gleichfalls im Sommer sehr dunkel, 
oben geradezu schwarz (Schneehuhn, Schneeammer, Bergfink, Kopf 
von Budytes borealis). Die Abnutzung des Gefieders ist zugleich 

1) Es ist vielleicht bezeichnend, dass sich in Ägypten alte Schriften, 
in Sibirien Mammutskadaver Jahrtausende halten, während sie in feuchtem 
Klima hundertmal in der Erde wie an der Luft vermodert wären. 


56 Sommervögel aus Lappland. 


eine ganz gewaltige, so dass z. B. die Flügel um ein ganzes Stück 
verkürzt!) werden, oder Federschäfte als kahle Spitzen über die ab- 
genutzte Feder vorragen. Während also im Winter das Gefieder 
wenig auszuhalten hat, wird es im Hochsommer plötzlich einer 
ganz gewaltigen Abnützung ausgesetzt, der es nur durch seine 
stark pigmentierte, dann zum Vorschein kommende Basalfärbung 
zu trotzen vermag. Damit mögen denn wohl auch die erwähnten 
Schmetterlingsfärbungen im Einklang stehen. Man schiebt 
ja diese meist dem Einfluss der Temperaturunterschiede zu, 
aber hat man bei den Versuchen auch die Feuchtigkeitsgrade 
der Luft berücksichtigt? Es ist doch bekannt, dass bei derartigen 
Experimenten die Puppen leicht vertrocknen oder an Feuchtigkeit 
zugrunde gehen. Es würde mich lebhaft interessieren, ob man 
schon in genügender Weise die Einwirkung feuchter und 
trockener Luft auf die Schmetterlingspuppe untersucht 
hat, und wie dabei die Resultate ausfielen. Die Schwierigkeit 
liegt darin, dass bei grosser Wärme selbst feuchte Luft aus- 
trocknend wirken kann und dass kalte Gegenstände selbst bei 
relativ trockener Luft sich noch beschlagen und feucht werden 
können. Vielleicht gibt darüber einmal ein Lepidopterologe nähere 


Auskunft. 0. 


!) Es entsteht hier die interessante Frage, ob die vielbesprochene 
Flügellänge nordischer Vögel eine Reaktion gegen diese Abnutzung 
oder gegen die nur einmal im Jahre erfolgende Fluganstrengung ist. 
(Letzteres ist wahrscheinlicher, wobei aber die Annahme, dass die Flügel 
der südlichen Verwandten stumpfer geworden sind, eine völlig gleich- 
wertige Hypothese ist.) 


57 


Zum Vogelschutz. 


Der Tagespresse entnehme ich die Nachricht, dass die neue 
Fassung des Vogelschutzgesetzes vom Bundesrate dem Reichstage 
zugegangen ist. Unter anderem handelt es sich um den Zusatz, 
dass Dispens von dem Gesetz auch „zur Wiederbevölkerung 
mit einzelnen Vogelarten“ erteilt werden kann. Das ist ein 
sehr schöner Gedanke, der aber bei mangelnder genauer Fach- 
kenntnis geradezu zu einem Unfug werden kann. In zwei Rich- 
tungen können solche Wiederbevölkerungsversuche zur Zer- 
störung statt zur Erhaltung von Naturdenkmälern dienen, 
nämlich 1) wenn Plätze, wo eine seltene Vogelart noch häufig ist, 
dadurch entvölkert werden und 2) wenn durch die Einführung 
von Vögeln aus entfernteren Gegenden die einheimische Form, die 
seit Jahrhunderten an alle Gefahren ihrer Heimat gewöhnt ist, in 
ihrer Rassenreinheit gefährdet und damit in ihrer Widerstands- 
kraft gegen ganz bestimmte Klima- und Kulturverhält- 
nisse geschwächt wird. Auch die ornithologische Wissen- 
- schaft kann empfindlich geschädigt werden, wenn solche Versuche 
in grossem Umfang erfolgen. Lieber sollen unsere deutschen 
Edelraben zugrunde gehen, als dass wir eine unechte Rasse 
dieses urgermanischen Vogels einbürgern. Lieber will ich nur 
selten eine wilde Nachtigall in meinem Garten hören als zehn 
freigelassene Käfigvögel. Es wird in fast allen Fällen genügen, 
Niststätten zu schaffen. Die Vögel kommen dann von selbst. 
Unbedenklich ist die Wiederbevölkerung nur, wenn aus nahe- 
gelegenen Gegenden importiert wird, also die Vögel, welche von 
dem, der etwa neu angelegte Vogelschutzgehölze rasch bevölkern will, 
selbst gefangen werden. Interessant wäre es, ob durch „fremde 
Eier im Nest“ sich erwünschte Vogelarten einbürgern lassen. 

Jedenfalls müssten von den Behörden alle derartigen Unter- 
nehmungen kontrolliert werden; auch sollte ein Verzeichnis der Arten 


58 Zum Vogelschutz. 


und Orte veröffentlicht werden, für die der Dispens beansprucht 
wurde, damit das Naturdenkmal unserer schönen einheimischen 
Vogelwelt nicht durch gutgemeinte, aber zweckwidrige Experimente 
verhunzt wird. Sonst haben wir schliesslich nach hundert Jahren 
nur noch eine Bastardfauna, etwa statt der Girlitze lauter Ka- 
narienmischlinge. Das ist selbstverständlich Scherz und Über- 
treibung, aber ich möchte damit vor Übertreibung der „Wieder- 
bevölkerung“ warnen. 


Verschiedentlich wurden die Vogelzugversuche der deutschen 
Vogelwarte Rossitten kritisiert und als Tierquälerei hingestellt. 
Es scheint dabei von einigen übereifrigen Vogelfreunden geradezu 
angenommen worden zu sein, der Leiter der Vogelwarte wünsche, 
dass lebenden Rotkehlchen der mit einem Ring gezeichnete Fuss 
abgeschnitten und ihm übersandt würde. Das ist ein Gegenstück 
zu der immer wiederkehrenden albernen Behauptung, die Kolibris 
würden lebendig abgebalgt. Es können doch oft genug tote Rot- 
kehlchen gefunden werden in Dohnenstiegen, von Katzen oder 
Raubvögeln zerrissen u. s. w. Dass alsdann der Fuss mitgeschickt 
werden soll, ist schon deshalb wünschenswert, damit man sieht, 
ob der Ring den Vogel beschädigt hat. Ich habe so oft Ringe 
von Schmutz und Federfasern an den Füssen kleiner Vögel ge- 
funden, dass eine Belästigung des Vogels durch einen geeigneten 
Ring nicht anzunehmen ist. Die Versuche der Vogelwarte mit 
gezeichneten Vögeln haben recht interessante und wissenschaftlich 
wertvolle Resultate ergeben. Bemängelungen dieser Versuche sollte 
keine Zeitschrift abdrucken, da sie zum Teil aus Unkenntnis her- 
vorgehen, zum Teil aus offenkundig unlauteren Motiven ausgestreut 
werden, in dem hier erwähnten Falle aber geradezu lächerlich sind. 


0. Kl 


59 


Ein ausgestopfter Vogel als Seismograph. 


In meiner verschlossenen Sammlung fand ich eine ausgestopfte 
Grauammer mitten auf dem Fussboden, und zerbrach mir den 
Kopf, was den Vogel von seinem zwar sehr scharf in west-öst- 
licher Richtung balancierenden,!) aber ohne Erschütterung sicheren 
Standpunkte herabgeworfen haben könnte, da irgend ein Luftstoss 
oder eine Erschütterung des Gebäudes durch Wind, Menschen oder 
Wagen ausgeschlossen ist. Ein oder zwei Tage darauf las ich in 
der Zeitung, dass man an verschiedenen Orten Deutschlands Erd- 
erschütterungen gemessen hat. Leider hatte ich Tag und Stunde 
meiner Beobachtung nicht aufgeschrieben, glaube aber, dass die 
Zeit stimmt (19. oder 20. April). Das interessiert uns hier nicht, 
aber gesetzt, dass meine Annahme zutrifft, so meine ich: Was hier 
so schwach und wirkungslos verläuft, dass es einen lebenden 
Vogel wohl nicht einmal zum Wanken oder Auffliegen gebracht 
hätte, das hatte vorher an anderen Orten gewaltige Wirkungen 
und schwere Folgen. Aber sollten selbst diese nicht blosse Nach- 
wehen sein von Vorgängen, die einst noch viel Grösseres wirkten 
auch für die lebendige Vogelwelt? Hier sanfte Welle — dort 
Brandung! Es gibt vielleicht noch mehr naturwissenschaftliche 
Dinge, mit denen es sich ähnlich verhalten könnte, sogar in mehr- 


facher Hinsicht. OKT. 


!) Der Vogel ist so ausgestopft, dass er ohne Postament nur auf 
seinen Fusszehen ruht und er stand auf einer völlig walzenrunden Fläche. 


60 


Bücherbesprechungen. 


Verhandlungen der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern 
1904, Band V. Mit 3 Abbildungen im Text. Im Auftrage 
der Gesellschaft herausgegeben von Dr. med. C. Parrot. 
München 1905. Im Buchhandel zu beziehen durch die Verlags- 
handlung Gustav Fischer in Jena. 

Dieser Band stellt eine Arbeitsleistung dar, zu der man die 

0. @. B. beglückwünschen muss. Einen vollständigen Überblick 

über den Inhalt zu geben, ist bei dessen Reichtum (447 eng be- 

druckte Seiten!) natürlich unmöglich. Neben einer Anzahl inter- 
essanter Artikel (Bastarde von Spielhuhn und Fasan, Cursorius, 
in Bayern erlegt, Ciconia-Brutorte, wirtschaftliche Bedeutung 
der Spechte u. a.) bildet den wichtigsten Teil der Abschnitt: 

Materialien zur bayrischen Ornithologie IV. unter Mit- 

wirkung von K. Bertram, L. Freiherr von Besserer und 

Dr. J. Gengler, bearbeitet von Dr. C. Parrot. Der Beobachtungs- 

bericht zerfällt in zwei Teile: A. das rechtsrheinische Bayern, 

B. das linksrheinische Bayern. Die Arten sind alphabetisch ge- 

ordnet, was ein rasches, bequemes Auffinden ermöglicht. Für jede 

Art sind alsdann die Mitteilungen aus dem Beobachtungsnetz pro 

1903 und 1904 zusammengestellt. Ein paar Stichproben werden 

am besten zeigen, welche Fülle von wertvollen und interessanten 

Daten hier aufgespeichert ist. p. 133: Bastard von Corvus 

cornix und Corvus corax;!) p. 239: 16. IX. Birkhahn mit noch 

teilweise braunem Kopf, Hals und Rückengefieder erlegt; die 
gute Entwicklung des Stosses würde eher einen etwas älteren 

Hahn statt eines heurigen vermuten lassen (sollte es sich am 

Ende um das interessante Sommerkleid des Birkhahnes handeln?); 


ı) Wo befindet sich das interessante Stück? Es wäre wichtig, Ge- 
naueres über sein Aussehen, seine Grösse, Schwingenverhältnisse ete. 
mitzuteilen. 


Bücherbesprechungen. 61 


p. 241: Turmfalke stösst auf eine Fledermaus vergeblich, diese 
flog gegen ihn an und wich dann geschickt aus (eine hübsche 
Beobachtung; die Fledermaus hielt wahrscheinlich das Summen 
der Flügelspitzen des stossenden Falken für ein Insekt); p. 376: 
Parus Salicarius am Rhein beobachtet. — Besonders interessieren 
wird es dıe Leser, dass auch Herr Parrot von Juist zwei Saxi- 
cola Borealis leucorhoa erhielt (p. 27). 

Aufs Leichteste kann man sich über das Vorkommen und 
Brüten bestimmter Arten in Bayern und die Zugverhältnisse da- 
selbst orientieren, und immer findet man konkrete Tatsachen, nicht 
allgemeine Urteile. Das ist der grosse Wert dieser mühsamen 
und darum doppelt dankenswerten Zusammenstellungen. Der Band 
sei jedem Ornithologen, der ihn noch nicht kennt, angelegentlichst 
empfohlen, denn wie von vornherein zu erwarten, bietet das 
schöne Bayernland, das im Süden bis zu den Alpen reicht und 
Donau-, Main- und Rheingebiet umfasst, ein überaus reiches und 
vielseitiges Feld für die ornithologische Forschung. 


Dr. phil. Guido Schiebel. Die Phylogenese der Lanius- 
Arten, Untersuchungen über die gegenseitige Abstammung 
sämtlicher Arten der echten Würger auf Grund der Zeichnungs- 
entwicklung des Federkleides. Mit 7 farbigen und 1 Schwarz- 
druck-Tafel und 2 Skizzen im Text. (Abdruck aus: Journ. £. 
Ornith. 1906, p. 1—77 und 161—219), in Kommissionsverlag 
von R. Friedländer u. Sohn, Berlin, Karlstrasse 11. Preis 8 Mark. 

Den Inhalt gibt schon klar der Titel an. Obschon ich in 
vielem und nicht etwa nur in nebensächlichen Kleinigkeiten 
dem Verfasser widersprechen müsste, freue ich mich doch über 
diese schöne Arbeit sehr. Zunächst gibt sie deutlich das Natur- 
bild, zu dem die zurzeit herrschenden Ansichten in konse- 
quenter Durchführung gelangen müssen. Es können daher nur 
diese, nicht der Verfasser angegriffen werden. Das Hauptverdienst 
der Arbeit besteht darin, dass Verfasser zeigt (und darin bin ich 
mit ihm einig), wie vortrefflich sich gerade ornithologisches Material 
zur Erörterung der Descendenzprobleme eignet. Bemerkenswert 
ist ferner, dass der Stammbaum, den er konstruiert, die Formen 
nicht alle in eine verzweigte Linie zwängt, sondern fast alle 

Hauptformenreihen von Anfang an nebeneinander (von einem Mittel- 

punkt) beginnen lässt. Bei den Raubwürgern wird für die Alte 


62 Professor Anton Goering ;. 


Welt wie für Amerika Entwicklung aus den eireumpolaren, 
fast identischen Formen borealis-major angenommen und für 
diese der ostasiatische Lanius bucephalus als gemeinsamer Stamm- 
vater angesehen. Die Selektionslehre wird als „schwer anwendbar“ 
bezeichnet. Das biogenetische Grundgesetz, also die Annahme, dass 
das Jugendkleid die frühere Zeichnung des Vogels repräsentiert, 
ist überall die Grundlage, von der aus die Verwandtschaft er- 
mittelt wird (mit voller Gewissheit, wie der Verfasser meint). Die 
ernst wissenschaftliche Gesinnung, die auf jeder Seite der Arbeit 
zutage tritt, bürgt dafür, dass der Autor selbst an dem Stoff und 
den daraus gezogenen Schlüssen weiter arbeiten wird. Es ist mir 
aber viel zu interessant, zu welchem Ziele er dabei von selbst 
gelangen wird, als dass ich hier seinen Studien vorgreifen möchte. 
Auch schätze ich die sorgfältige Studie viel zu hoch, um ihre 
Kritik nur in einer Rezension mit ein paar Worten abzutun. Ich 
muss zunächst diese Arbeit insofern als Bundesgenossen begrüssen, 
weil sie nachweisen hilft, welch hohe Ziele die ornithologische 
Systematik hat und welch wichtige Aufgaben ihr bevorstehen. 
Interessant ist namentlich auch der allgemeine Teil der Arbeit, 
z. B. die Abschnitte, worin Schiebel seine Nomenklatur, die Formen- 
kreislehre, den Artbegriff und die völlige Vereinbarkeit der Des- 
cendenzlehre mit der Theistischen Weltanschauung bespricht. 


Professor Anton Goering T. 


Professor Jean Louis Cabanis T. 


Dr. Vietor Fatio T. 

Der Tod hat in letzter Zeit mehr als je die Reihen der 
Ornithologen gelichtet. Andere Zeitschriften werden die Verdienste 
der Verstorbenen ausführlich würdigen oder haben es schon getan, 
ehe diese Zeilen zur Ausgabe gelangen. Aber es drängt mich doch, 
jedem von ihnen auch meinerseits ein Wort der Erinnerung zu 
widmen. 

Wer Goering nur als Tropensammler und Tropenmaler oder 
Tiermaler kennt, der kennt ihn nur halb. Wer aber seinem köst- 
lichen Humor gelauscht hat, der kannte ihn wirklich. Goering 


Professor Jean Louis Cabanis }. Dr. Victor Fatio }. 63 


malte, wenn er in der richtigen Stimmung war, mit Worten min- 
destens so gut wie mit dem Pinsel. Wie verstand er die Zeit 
des alten Brehm zu schildern. Ich lernte ihn durch Liebe kennen, 
in dessen traulichen Räumen, wo die Zimmer halb für Vögel, 
halb für Menschen eingerichtet waren, wo während des Frühstücks 
zwei Waldkäuze frei umherflogen und ihr Morgenbad nahmen, — 
da musste man Goering erzählen hören. Was er mit Liebe zu- 
sammen geleistet hat für den Vogelschutz, das ist sein wich- 
tigstes Werk. 

Cabanis gedachte ich zum 90. Geburtstag hier ein Wort 
zu widmen. Er hat ihn nicht mehr erlebt. Er war Museums- 
systematiker durch und durch, aber gerade hier mag es interessant 
sein, eines längeren Gespräches zu gedenken, das ich im Jahre 
1901 mit ihm hatte. Es drehte sich um die Würger, denen er 
stets ein besonderes Interesse zuwandtee Er sagte etwa: Der 
Lanius excubitor, ja der kann sich ändern und geographische 
Arten bilden, weil er mehr am Wohnort bleibt, der Zugvogel 
Lanius minor nicht. Er schrieb mir zuletzt über Luscinia golzi 
und erfreute mich mit seinem Bilde. Vier Jahrzehnte lang hat er 
als Herausgeber des Journals für Ornithologie unendlich viel für 
den Ausbau unserer Kenntnisse gewirkt. Da erscheint es begreif- 
lich, dass er sich im hohen Alter gänzlich von der Arbeit in die 
Ruhe zurückzog. 

Fatio lernte ich 1904 in Bern auf dem letzten Zoologen- 
kongress persönlich kennen. Er zeigte mir Korrekturbogen und 
Probetafeln seines prächtigen Werkes „Faune des vertebres de la 
Suisse“, und wir hatten eine lange interessante Unterhaltung über 
die Sumpfmeisen der Schweiz und über den Waldrapp. Ich hatte 
dabei Gelegenheit, die jugendliche Geistesfrische des 65jährigen 
vielseitigen Gelehrten und sein lebhaftes Interesse nicht nur für die 
Arten und Formen, sondern auch für das Problem ihrer Entstehung 
zu bewundern, während bei uns leider viele, die sich Ornithologen 
nennen, solchen Dingen gleichgültig gegenüberstehen. Fatios Tod 
bedeutet für die Schweiz und für die gesamte Omithologie einen 
herben Verlust, zumal er noch mitten im freudigen Schaffen stand. 


Ö. Kl. 


64 


Zwei seltene Gelegenheiten für Sammler: 


Ramphocorys elot-bey (Bp.). 

Schöne frische Bälge der Wüstenknackerlerche, von Herm 
Flückiger in Algerien gesammelt, sind bei Herm Sehlüter ver- 
käuflich. Preis pro Stück 12 Mark. 

Ferner ist ebenda zurzeit vorhanden: 


Rutieilla semenowi (Sarudny) 


von der Grenze Nordpersiens (vielleicht eine etwas grössere Form, 
jedenfalls aber, wenn nicht ganz, so doch nahezu identisch mit 
dieser neu beschriebenen Form, soweit sich nach Beschreibung 
urteilen lässt). Dieser Vogel ist ungemein interessant, weil er 
seiner Färbung nach genau zwischen Haus- und Gartenrotschwanz 
steht. Manchem Ornithologen wird es vielleicht willkommen sein, 
sich vorher eine eigene Meinung über dies „Zwischenglied“ zu 
bilden, ehe er meine Ausführungen über diesen Vogel zu Gesicht 
bekommt. 
Preis pro Stück 6,00 Mark. 0. Kl. 


Diese Nummer enthält als Gratisbeilage die Bro- 
schüre des Herausgebers: „Nistplätze und Nistkästen für 
Vögel“, jedoch nur für die derzeitigen Subskribenten. 
Von späteren Abonnenten kann die Schrift (Einzelpreis 20 Pf.) 
vom Verlage derselben (B. G. Teubner, Leipzig, Poststrasse 3) 
bezogen werden. 


Falco 1906. 7377: 


Russland. cd’ 
Juist, o” 
Russland. cd’ 
Juist, [og 


Alauda Otocorys (Kl.) 


Steinzeichn. von O, Kleinschmidt, 


| BERAJAH, 


 Ioographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


halt der nächsten Jahreänge: 


ein Zoogeographie, — 
Ornithologische Heimatkunde, — 
& a. u.a. 


Herausgeber: 


a. Kleinschmidt. 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinenäe Zeitschrift. 


Jahrgang 1906, No. 2. 
Ausgegeben: September 1906. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


—— NT 7 | r ED 1 A} 


Kommissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


Jahrelang gräbt der Forscher nach Edelgestein in der Tiefe, 
Mühelos bildets ein Schelm schnell aus trügendem Glas. 


Mitteilungen über Berajah und Falco. 


Am 27. Juli ds. Js. sind Berajah und Falco vertragsmässig 
in den Kommissionsverlag von Erwin Nägele in Leipzig, Liebig- 
strasse 6 übergegangen. Ich spreche Herrn Schlüter in Halle, 
der den vorläufigen Verlag und Vertrieb übernommen hatte, hier 
öffentlich meinen Dank aus für die uneigennützige Art, mit der 
er das Zustandekommen des Werkes soweit unterstützt hat. 

Mit der Verlagsänderung treten folgende Bezugsbedingungen 
an Stelle der früheren. 

Berajah und Falco, die sich gegenseitig ergänzen, können 
fortan nur zusammen abgegeben werden. 

Das Abonnement beträgt jährlich 8 Mark. Ausserdem 
fallen dem Besteller die geringen Kosten für Porto und Verpackung 
zur Last. 

Geliefert wird dafür ein Jahrgang Falco und eine Mono- 
graphie, d. h. eine reich ausgestattete Lieferung von Berajah jährlich. 
Über weitere Hefte von Berajah in einem und demselben Jahr- 
gang ist noch nichts vertragsmässig festgelegt. 

Für 1905 und 1906 bleibt für jeden, der vor dem 27. Juli 
die früher erschienenen Teile von Berajah und Falco ganz oder 
teilweise bezogen hat, der seitherige Abonnementspreis von 
5 Mark jährlich, also von 10 Mark für die beiden Jahre (1905 
und 1906 zusammen) bestehen. Die von einigen Abnehmern 
eingesandten höheren Beträge werden auf das nächste Jahr ver- 
rechnet. 

Die nächste Monographie (Berajahlieferung) behandelt die 
Schleiereule und erscheint Ende dieses Jahres. Für 1907 ist 
der Hausrotschwanz in Aussicht genommen. 

Für die seitherigen Abonnenten kommen mit dieser Nummer 
6 Tafeln des in Vorbereitung begriffenen, später selbständig er- 
scheinenden Prachtwerkes von Professor Dr. A. Koenig „Ornis 
Aegyptiaca“ gratis zur Ausgabe. Sie stellen sämtlich teils in 
Ägypten erlegte, teils dort jung aus dem Horste genommene und 
vom Autor in der Voliere erzogene Falken dar. 

Kleinschmidt. 


67 


Nachtrag zu „Avifauna von Ingelheim a. Rhein“. 
Von Carl Hilgert. 


Turdus Vernus (Kl.) 

Vergl. pag. 44—46. 
Flügelmasse von Ingelheimer Brutvögeln: 
Vorjährige Zd 
130,0 
127,0 


Flügelmasse von Ingelheimer Herbstvögeln: 


altes Z 131,0 alte 2 9 
junge Y'g' 126,5 125,0 
126,0 122,0 

125,0 


& ıim Herbstkleide 129,0 

Die beiden alten 2 2 sind kaum voneinander verschieden, 
nur hat das eine mehr weissgescheckte Kehle. Auf der Unterseite 
sind sie schwarzgrau mit einer Spur von braunem Anfluge, die 
Kropfgegend ist trüb rotbraun verwaschen. 

Aus Ober-Italien liegen mir 7 2 2 vor, die im Februar und 
März gesammelt sind. Ich lasse ihre Beschreibung hier folgen, 
vielleicht kann dies zur Klärung der fraglichen Form „montanus“ 
von Nutzen sein.!) 


Anm. Aus Versehen hatte der Autor mir ein Blatt seines Manu- 
skripts nicht mit eingesandt, dessen Abdruck hier nachgeholt wird. 
Der Herausgeber. 
') Vergleiche auch O. Kleinschmidt, Ornis von Marburg, Journ. f. 
Orn. 1893, p. 441. € H. 
(3) 3 


68 Carl Hilgert, Nachtrag zu „Avifauna von Ingelheim a. Rh.“. 


1. 2 ad. Cremona 10. März 1902. 

Auf der ganzen Unterseite, mit Ausnahme des Bauchendes, 
lebhaft rostbraun, Bauchmitte etwas blasser. Die herzförmige 
dunkle Fleckung auf Kehle und Brust deutlich ausgeprägt. 

2. @ ad. Cremona 11. März 1902. 
Wie 1, aber Kehle und Bauchmitte heller, weisslicher. 
3. 2 ad. Toscana 29. März 1901. 

Wie 1, aber Kehle mit weisser Längsstrichelung und schwärz- 
lichgraue Bauchmitte. 

4. @ ad. Cremona 5. März 1902. 

Nur Kropfgegend trüb rostbraun, an der Kehle wie 3, 
Bauch schwärzlichgrau, Weichen olivbraun angehaucht. 

5. 2 ad. Cremona 30. März 1902. 

Kropf und Brust blass rostfarben, Kehle wie 3 und 4, Bauch 

schiefergrau mit Atlasschimmer. 
6. 2 ad. Cremona 5. März 1902. 

Nur wenig rostfarben am Kropfe, Kehle mit sehr viel 
Weiss, übrige Unterseite schiefergrau mit hellen Federrändern 
und Schaftstrichen. 

7. 2 ad. Toscana 9. Februar 1901. 
Wie 6, aber ganze Unterseite mehr gelblich verwaschen. 
Flügelmasse: 1x 127,0 
1x 124,0 
2x123,0 
3x.122,0. 


(32) 


69 


Zwei interessante Kleider von Falco Peregrinus. 


Wenn diese Nummer erscheint, wird der Wanderfalkenzug in 
vollem Gange sein. Es sei deshalb auf eine Sache aufmerksam 
gemacht, zu deren Untersuchung sich jetzt Gelegenheit bietet. Die 
Frage, wann und wie ein Vogel mausert, wie der Wechsel der 
verschiedenen Kleider erfolgt, ist nicht eine nebensächliche Detail- 
frage, sondern eine Hauptfrage, weil sie zum Schlüssel wird für 
die Beurteilung so mancher biologischen Beobachtung. Ihre Be- 
antwortung ermöglicht es unter anderem in vielen Fällen erst, das 
Alter des Individuums richtig zu ermitteln. Gerade jene Vögel, 
welche mitten in der Mauser stehen, und deshalb irrtümlich für 
nicht präparierbar gelten und weggeworfen werden, sind oft die 
für uns wertvollsten. So ist es auch bei Falco Peregrinus. 
Wie und wann geht sein Federwechsel von statten? Bei alten 
Vögeln fand ich im Mai beginnende Flügelmauser und im September 
und Oktober noch unfertige Keilschwänze. Vom jungen Vogel 
ist sicher, dass auf das längsgefleckte Jugendkleid, das durch Ab- 
nutzung die braunen Säume verliert und stark ausbleicht, direkt 
ein quergebändertes Alterskleid folgt. Ob und wie dieses sich 
weiter verändert, das ist noch unsicher. Der junge Vogel wechselt 
einzelne, vielleicht zufällig beschädigte Federn schon frühzeitig. 
Die eigentliche Mauser scheint aber erst ein Jahr nach dem Flügge- 
werden, also dann, wenn seine nächstjährigen Geschwister den Horst 
verlassen, zu beginnen. Sie scheint ferner nicht auf einmal, sondern 
in zwei getrennten Perioden stattzufinden. Dafür sprechen zwei 
Exemplare der sardinischen Form, die kürzlich durch meine 
Hände gingen. Das eine, ein Weibchen vom 25. Mai stand in 
vollem Federwechsel. Das sonst bei dieser Form so dunkel blau- 
schwarze Jugendgefieder war ganz fahl und verblichen (starke Ab- 
nutzung ist wohl Ursache jener kräftigen Pigmentierung). Der 
andere Vogel, ein Männchen vom 2. November trug dreierlei 
Gefieder 1) an Flügeln, Stoss und Körper einzelne Federn des 


70 Über eine neue Form des Rotkehlchens. 


Jugendkleides, 2) das fast vollständige frische Alterskleid, 
aber 3) auf den Schultern Federn des Alterskleides, die ihrer Ab- 
nutzung nach schon viel früher gewachsen sein mussten. Es 
waren genau die Federn, welche bei dem Weibchen vom Mai 
eben hervorgesprosst waren. Es hatte also eine Mauserperiode im 
Mai und eine andere im Herbst stattgefunden. Möglicherweise 
trifft das nicht ganz zufällig mit den Jahreszeiten bester Ernährung 
zusammen, wo der Falke reichliche und bequeme Beute macht, 
beim Ausfliegen junger Vögel und zur Zugzeit. Das ist zwar nur 
Theorie. Noch etwas anderes ist von Interesse: Die neuen Schwanz- 
federn sind kürzer als die alten des Jugendkleides, oder die neue 
Feder mit Saum ist von gleicher Länge wie die Alte ohne Saum. 
Ähnlich scheint es sich mit den Schwingen zu verhalten. Ich ver- 
mute, dass der muskelkräftigere erwachsene Vogel raschere Be- 
wegungen macht, und dazu kürzere Federn genügen oder vorteil- 
hafter sind. Wer Gelegenheit hat, möge diese Beobachtungen 
nachprüfen. 0..Kl. 


Über eine neue Form des Rotkehlehens. 


Nur auf dem Zuge oder als Wintergast findet sich auf Sar- 
dinien unser gewöhnliches nordisches Rotkehlchen. Von diesem 
unterscheiden sich die dort einheimischen Brut- und Standvögel 
durch ihr dunkles Kolorit. Sie ähneln sehr der englischen Form, 
Erithacus Dandalus melophilus (Hartert)?!), zeigen aber auf der 
Oberseite eine weniger braune, mehr dunkelgraue Färbung, durch 
welche sie an die prächtige Teneriffa-Form, Erithacus Dandalus 
superbus (Koenig) erinnern. Ich habe über ein Dutzend Exemplare 
verglichen und alle übereinstimmend gefunden. Die Form fiel mir 
zwar bei dem ersten Stück auf, das mir in die Hände kam, aber 
da Rotkehlchen in den Sammlungen die Farben sehr verändern, 


1) Vergl. die ausführliche Besprechung der Rotkehlchen - Formen 
auf Seite 95—99 von Harterts interessantem Werk: „Aus den Wander- 
jahren eines Naturforschers, Reisen und Forschungen in Afrika, Asien 
und Amerika nebst daran anknüpfenden, meist ornithologischen Studien“ 
(Kommissionsverlag von R. Friedländer & Sohn, Berlin, Karlstr. 11). 


Über eine neue Form des Rotkehlchens. al 


wartete ich weiteres Material ab. Jetzt, wo mir die Form in allen 
Altersstadien vorliegt, kann ich sie getrost benennen: 


Erithaeus Dandalus sardus Forma nova. 


Sardinien (ob auch Korsika?), mit keiner der bereits benannten 
Formen zu identifizieren, Rücken deutlich dunkler und grauer als 
bei Erithacus Dandalus rubecula (L.), rote Brustfärbung nicht so 
intensiv wie bei E. D. superbus (Koenig), Brustseiten dunkel wie 
der Rücken, Flügel kürzer als bei melophilus, länger als bei 
superbus. Schwingenformel variierend wie bei E. Dandalus über- 
haupt, jedoch deutlich zwischen superbus und den andern Formen 
in der Mitte stehend. Schwanzwurzel wie der Rücken, nicht braun. 

Es kommt uns bei solchen Studien nicht auf die Entdeckung 
neuer Arten an (es liegt ja hier keine neue Vogelart, sondern nur 
eine neue Rotkehlchenart = Form vor), sondern auf die Klar- 
stellung eines zoogeographischen Gesetzes. Dieses Gesetz 
lautet: Viele Vögel zeigen auf Sardinien eine dunklere Pig- 
mentierung als in Deutschland, sie ähneln darin den 
britischen Vögeln, übertreffen aber diese noch ein wenig 
in ziemlich gleich gerichteter geographischer Variation. 
Wanderfalk, Habicht, Sperber, Meisen, Spatz, Zitronenzeisig, Häher, 
Buntspecht, Fink und andere beweisen mindestens den ersten Teil 
dieses Gesetzes übereinstimmend. Wäre es da nicht einfacher, das 
allgemeine Gesetz auszusprechen und von der Benennung der 
vielen geographischen Formen abzusehn? Nein! Gerade 
weil die Ermittlung solcher Gesetze so wichtig ist, darf man nicht 
so nachlässig und unordentlich sein, sie nur allgemein auszusprechen. 
Das Gesetz gilt nicht von beliebigen Vögeln, sondern von ganz 
bestimmten. Es hat auch interessante Ausnahmen. Nur wenn 
man sich auf Schritt und Tritt an die konkreten Tatsachen hält, 
wird man hinter das Geheimnis kommen, warum das so ist und 
zu einer neuen Schöpfungslehre gegenüber tiefeingewurzelten Irr- 
tümern und Vorurteilen. Das Rotkehlchen von Sardinien ist nicht 
eine beginnende Art. Es wird nach hundert Jahren die Farben- 
pracht des Teneriffavogels ebensowenig erreicht haben, wie jetzt. 
Es sind nicht beliebige Richtungen, nach denen einzelne Vogel- 
arten variieren, es liegen da auch nicht innere feste Richtungen 
vor, es sind bestimmte äussere Ursachen, die alle Rotkehlchen, 
welche dauernd auf Sardinien wohnen, zwingen, ganz bestimmte 


73 Rud. Zimmermann. 
Färbungsgrade zu zeigen und sie hindern, dieselben über gewisse 
Grenzen hinaus zu überschreiten. ÖOrdnet man die Rotkehlehen 
nach ihrer Ähnlichkeit, so würde eine Ziekzackwanderung von 
England nach Sardinien, von da nach Teneriffa herauskommen. 
Das geht doch nicht! Die hölzerne Stammbaummethode muss 
endlich als „hölzern“ erkannt werden. „Erithacus Dandalus 
sardus“ bedeutet zu deutsch: Sardinien wirkt auf Erithacus Dan- 
dalus ähnlich, aber doch nicht genau so ein wie England und 
Teneriffa. Der sardinische Erithacus Dandalus liefert einen weiteren 
Fall des geographischen Variationsgesetzes. 0.Kl. 


Allerlei Interessantes aus der Rochlitzer Brut- 
saison 1906. 


Von Rud. Zimmermann, Rochlitz i. S. 


Turdus musicus L., T. merula L., T. viscivorus L., Parus ater L., 
Motacilla alba L., Lanius collurio L., Riparia riparia (L.), Dryocopus 
martius (L.), Cerchneis tinnuncula (L.), Astur palumbarius (L.). 

Die Brutsaison der Vögel ist für den beobachtenden Ornitho- 
logen die ergiebigste Zeit im ganzen Jahre; vom frühesten Morgen 
bis in die sinkende Nacht hinein möchte er im Freien sein und 
dazu auch noch die wenigen Stunden, die sonst dem Schlaf ge- 
widmet sind, zu den notwendigsten Einträgen in die Tagebücher 
benutzen. Trotz alledem aber will seine Zeit noch nicht ausreichen, 
und selbst in der ornithologisch ärmsten Gegend entsteht im Herzen 
eines eifrigen Beobachters der unerfüllbare Wunsch, die Tage 
möchten länger sein. So erging es mir und meinem Freund 
Heyder. Trotzdem wir und speziell ich manchen Tag und manche 
Stunde auf unsere Beobachtungen verwenden konnten, vermochten 
wir die geplante Arbeit bei weitem nicht zu bewältigen und mussten 
manche wichtige Frage auf ein späteres Jahr zurückstellen. Eine 
eingehende Bearbeitung der wichtigsten Ergebnisse unserer Brut- 
beobachtungen, speziell auch in oologischer Hinsicht, haben wir 
gemeinsam für die Zeitschrift für Oologie und Ornithologie fertig- 
gestellt; einige allgemeinere Angaben, sei mir gestattet, an dieser 
Stelle mitzuteilen. 

Zunächst machte ich eine interessante Beobachtung an Turdus 
musicus L. — In einem älteren Neste, an dem die Zeit nicht ohne 


Allerlei Interessantes aus der Rochlitzer Brutsaison 1906. 713 


merkliche Spuren ihrer zerstörenden Tätigkeit vorübergegangen 
war und in dem zahlreiche vom Nestbaum, einer Fichte, herab- 
gefallene Nadeln lagen, fand ich am 20. April, nachdem ein T. 
musicus-Weibchen vom Neste abgestrichen war, neben zwei vor- 
jährigen, innerlich ausgetrockneten und in der Schale stark von 
Wind und Wetter angegriffenen Eiern, zwei etwa 5 bis 6 Tage 
bebrütete diesjährige. Eine Erklärung dieser eigenartigen Funde 
ist vielleicht damit gegeben, dass der im Legen begriffene und 
bereits einen Teil seiner Eier produziert habende Vogel an seinem 
ursprünglichen Neste gestört und von ihm vertriebeu worden ist, 
und dass er in seinem Legedrange das vorgefundene alte in Besitz 
senommen und hier auf den älteren und zwei von ihm noch 
produzierten Eiern weitergebrütet hat. — Eine auffallende Er- 
scheinung, die darin bestand, dass — nachdem das erste Gelege 
von T. musicus einige Tage früher als im Vorjahre gefunden 
wurde — weitere belegte Nester nur sehr spärlich und diese auch 
erst nach langem Suchen zeitlich ziemlich spät entdeckt wurden, 
trat noch augenfälliger bei T. werula L. zutage. Trotz der grossen 
Häufigkeit der Amsel in der hiesigen Gegend und aller darauf 
verwendeten Aufmerksamkeit, die noch erhöht wurde, je mehr das 
Ausbleiben der Eier aufzufallen begann, liessen sich lange Zeit 
keine Gelege der ersten Brut und dann auch nur spärliche nach- 
weisen. Eine stichhaltige Erklärung für diese Erscheinung!) zu 
geben, ist mir nicht möglich, denn wenn auch vielleicht dadurch, 
dass ein grosser Teil unserer Amseln in oder in der Nähe be- 
wohnter Ortschaften nistet, viele ihrer Nester von Gassenbuben, 
Katzen und sonstigem zweibeinigen und vierfüssigen, vernunft- 
begabten und unvernünftigen Gesindel geplündert und zerstört 
werden, so ändern sich diese Verhältnisse doch an den einsamen 
und weniger besuchten Waldorten, an denen die Vögel in früheren 
Jahren gebrütet haben und an denen ältere Nester auch in Menge 
gefunden wurden. — Am 26. April fand ich ein T. merula-Nest 
mit einem Ei, während am Boden die Federn des (von einem 
Raubtier) geschlagenen weiblichen Vogels lagen, und am 19. Mai 
wurde ein weiteres Nest, das am vorhergehenden Tage noch vier 
Eier enthielt, anscheinend von einem Marder geplündert, vor- 
gefunden. 


!) Ist sie vielleicht auch anderwärts beobachtet worden? D. Verf. 


74 Rud. Zimmermann. 


Eines der wichtigsten Ergebnisse der diesjährigen Brutperiode 
ist die von mir und Freund Heyder gemeinsam erfolgte Feststellung 
der Misteldrossel, T. viscivorus L., als Brutvogel unseres Gebietes. 
Nachdem wir Vögel am 22. April und am 13. Mai in Waldgebieten, 
die sich in jeder Beziehung für ihre Brutplätze eigneten, später 
wieder am 24. Juni und besonders zahlreich am 1. Juli beobachtet 
hatten, wurde uns volle Gewissheit von dem Brüten des Vogels 
in der Rochlitzer Gegend durch die Auffindung einer jungen 
Misteldrossel am 4. August. 

Über die Schnelligkeit in der Aufeinanderfolge der Bruten 
machte ich an einer Tannenmeise, Parus ater L., interessante Be- 
obachtungen. Ein Nest in einer natürlichen Höhle eines Chaussee- 
baumes enthielt am 2. Mai sieben Eier. Da ich Strassenjungen 
am Neste gesehen hatte und nicht ohne Grund fürchten musste, 
dass sie es noch ausräubern würden, nahm ich die ungleich be- 
brüteten Eier mit mir. Drei Tage später enthielt das Nest ein 
nachgelegtes Ei. Bei der Entnahme desselben wurde der Vogel 
vom Neste weggefangen (aber wieder freigelassen) und das letztere 
selbst auch mit entfernt. Aber schon nach wenigen Tagen war 
ein neues Nest fertig, das am 14. Mai bereits wieder acht Eier 
enthielt. Nachdem auch sie dem Neste entnommen worden waren, 
lag am 17. Mai ein neues Ei darin. Am 28. Mai wurden acht 
gezählt, auf denen der Vogel bereits mehrere Tage fest brütete. 
Leider sollte auch diesmal seine Brut nicht auskommen: am 3. Juni 
wurde das Nest doch noch von Gassenjungen geplündert vor- 
gefunden; das Material war aus der Höhle herausgerissen und die 
Eier sämtlich zerschlagen. 

Einen ungewöhnlichen Standort für sein Nest hatte sich ein 
Bachstelzenpaar, Motacilla alba L., ausgesucht. In dem auf der 
Bahnstrecke Rochlitz-Grossbothen (17 km) täglich zweimal ver- 
kehrenden Packmeisterwagen hatten sie es angelegt und ihre Brut, 
die am 3. Juni fast flügge war, ist darin auch glücklich aus- 
gekommen. 

Auch der rotrückige Würger, Lanius collurio L., lieferte 
Material zu einigen interessanten Beobachtungen. Zunächst in 
bezug auf die Schnelligkeit in der Aufeinanderfolge der Gelege. 
Ich sammelte ein solches von sechs Eiern am 4. Juni und konnte 
bereits am 15. desselben Monats das Nachgelege von fünf Eiern 
dem neuen Neste entnehmen. Zwei andere am 3. Juni gefundene 


Allerlei Interessantes aus der Rochlitzer Brutsaison 1906. 75 


Gelege von je sechs Eiern stellen zwar nicht mit absoluter Sicherheit, 
nach den begleitenden Umständen aber doch mit grösster Wahr- 
scheinlichkeit gleichfalls Nachgelege von zweimal sechs, am 23. Mai 
den Nestern entnommener Eier dar. — Ein einzelnes, am 25. Mai 
aufgefundenes Ei lag in einem unfertigen Grasmückenneste; es 
wurde darin bereits am 23. Mai gesehen und ihm entnommen, als 
es infolge seiner Schwere fast schon durch das lose Nestmaterial 
hindurchgefallen war. In unmittelbarster Nähe davon wurde 
wenige Tage darauf ein Nest fertig, das am 3. Juni fünf Eier 
von der gleichen grünen Färbung wie das Einzelei enthielt. Die 
Eier stammen daher auf alle Fülle von ein und demselben Vogel 
und es handelt sich in dem Falle des Einzeleies wohl um ein 
vorzeitig abgelegtes, das allerdings beachtenswert durch den Um- 
stand ist, dass seine Ablage in ein unfertiges, fremdes Nest erfolgte. 

Von der Uferschwalbe, Riparia riparia (L.), die aus unserer 
Avifauna verschwunden zu sein schien — sie wurde letztmalig 
1895 brütend beobachtet — wurde wieder eine Kolonie von sechs 
bis zehn brütenden Pärchen in einer kleinen Sandgrube angetroffen. 

Der Schwarzspecht, Dryocopus martius (L.), wurde in diesem 
Jahre, das sich durch einige recht warme und sonnige Tage in 
der ersten Hälfte des Februar auszeichnete, bereits am 12. Februar — 
also ungewöhnlich frühzeitig — bei seinem überaus anziehenden 
Liebesspiel beobachtet. Noch nicht flüoge Junge in der Höhle 
wurden im Gegensatz dazu noch ziemlich spät konstatiert, nämlich 
am 26. Juni. Obwohl wir — Herr Oberlehrer Höpfner, Freund 
Heyder und ich — lange Zeit hindurch in der Nähe des Brut- 
baumes sassen, konnten wir doch keinen der alten Vögel fütternd 
beobachten. Sie hielten sich aber in der Nähe auf — bei unserem 
endlichen Wegsange sahen wir einen abstreichen — waren jedoch 
vollständig ruhig und lautlos im Gegensatz zu ihrem Benehmen 
ausserhalb der Brutzeit, wo sie unser Eindringen in ihr Gebiet 
stets mit erregten und zornigen Rufen quittierten. 

Ein Buteo buteo-Horst, in einer Waldabteilung, in der der 
Mäusebussard Jahre hindurch gebrütet hat, und an dem Bussarde 
noch am 18. März von mir beobachtet wurden, war anfangs April 
vom Hühnerhabicht, Astur palumbarius (L.), besetzt. Am 17. April 
bestieg ich den Horst und entnahm ihm vier Eier, von denen drei 
gleichmässig etwa sechs Tage, das vierte und grösste aber nur 
zwei Tage bebrütet waren. Das Habichtspaar schien auf Grund 


76 Allerlei Interessantes aus der Rochlitzer Brutsaison 1906. 


verschiedener Beobachtungen mit einem identisch zu sein, dem 
ich im Vorjahre am 28. Mai drei hochbebrütete Eier weggenommen 
hatte. Es hat damals seinen Brutbezirk verlassen und jedenfalls 
auf dem in diesem Jahre wieder bezogenen Bussardhorste, den 
im Vorjahre die junge Brut wohl schon verlassen hatte, sein Nach- 
selese ausgebrütet. 

Für die Hockeschen Worte: „Besonders bemerkenswert ist, 
dass die Turmfalken im Gegensatz zum Wander- und Baumfalken 
eine sehr unbestimmte und äusserst lange Brutzeit besitzen“, liefern 
unsere diesjährigen Beobachtungen an Üerchneis tinnuncula (L.) 
eine treffende Illustration. Ein ungleich hoch bebrütetes Gelege 
von sieben Eiern wurde von mir bereits am 8. Mai gesammelt, 
noch nicht flügge Junge von R. Heyder am 2. Juli im Horste 
konstatiert. Über das Verhalten der Vögel hier berichtet er: „m 
längeren, knapp einstündigen Pausen kamen die Alten füttern. 
Und zwar stets gemeinsam; während das Weibchen die Jungen 
ätzte, begleitete das Männchen diese Tätigkeit mit lautem „Glick, 
glick*-Rufen. Nur selten einmal stimmte auch das Weibchen in 
die Rufe ein, sie waren aber dann lauter und erfolgten langsamer. 
Kam den Vögeln der Ort unsicher vor, so stiess einer der Gatten 
ein kurzes „kiack“ aus, worauf augenblickliche Stille eintrat und 
nichts mehr die Anwesenheit der Vögel verriet“. 


Zum Brutvorkommen 
des weissen Storehs im westlichen Sachsen. 
Von R. Heyder-Rochlitz i. Sa. 


In den Ormnithologischen Monatsberichten 1901, p. 49 gibt 
Herr O. Koepert einige Mitteilungen über das Vorkommen des 
weissen Storchs als Brutvogel in Ostthüringen. Veranlasst durch 
diese suchte ich am 29. Juli 1906 den in der Arbeit am ein- 
sehendsten abgehandelten Ort Haselbach und seine prächtigen 
Teiche auf und kann die Angaben Dr. Koeperts nur bestätigen. 
Ausserdem gelang es mir, auch für das angrenzende Königreich 
Sachsen einige Orte ausfindig zu machen, die Storchnester beher- 
bergen, resp. bis vor kurzer Zeit enthielten. Eine Zunahme der 
Vögel — am wenigsten eine solche, die mit der intensiven des 
Schwarzspechts vergleichbar wäre — lässt sich allerdings aus den 


Zum Brutvorkommen des weissen Storches im westlichen Sachsen. 77 


mir gemachten Angaben nicht konstatieren, wohl aber sind in 
einigen Orten die regelmässig brütenden Storchpaare seit den letzten 
Jahren verschwunden oder haben sich zum kleinen Teil in der 
Nähe der alten Brutorte angesiedelt. So ist ein Paar, welches ein 
turmähnliches Gebäude in Görnitz (westlich von Borna) bewohnte, 
vor Jahren durch Abbruch des Nistorts verdrängt worden und hat 
sich im benachbarten Deutzen angesiedelt. Überhaupt ist durch 
das Verschwinden der Strohdächer, ferner durch den Russ auf- 
blühender Industrieorte und die Steinwürfe der hoffnungsvollen 
Jugend manchem Storchenpaar die Lust zum Weiterbewohnen der 
alten Brutorte genommen worden, namentlich auf Borna lassen 
sich die beiden erstgenannten Faktoren beziehen. Auch in Röthigen 
sollen unbesetzte Horste vorhanden sein. Besetzte Nester fand ich 
je eins in Regis und bei Bergisdorf, drei in Deutzen, darunter das 
oben genannte, vom ehemaligen Görnitzer Paar stammende, eins 
bei Deutzen in der Richtung nach Bergisdorf zu, und es bleibt 
übrig die Erwähnung zweier Horste in Blumroda, von denen ich 
nicht in Erfahrung bringen konnte, ob sie auch dieses Jahr be- 
zogen worden waren. Überall standen die Nester auf Pappeln, 
die in der Gegend ziemlich zahlreich vorhanden sind und als Nist- 
plätze den in einigen Orten auf den Dachfirsten befestigten Rädern 
doch vorgezogen zu werden scheinen. 


78 


Bücherbesprechungen. 


P. Dr. Fr. Lindner, Ornithologisches Vademecum, Taschen- 
kalender und Notizbuch für ornithologische Exkursionen. Zweite 
vermehrte und verbesserte Ausgabe. Neudamm 1906, Verlag 
von J. Neumann. 

Die neue Auflage ist ein erfreuliches Zeichen von der Brauch- 
barkeit dieses Tagebuchs für Beobachter und Sammler, aber auch 
ein Zeichen, dass in Deutschland fleissig beobachtet und gearbeitet 
wird. Wiederholt bin ich nach der vorteilhaftesten Anlage der 
Tagebuchnotizen gefragt worden. Ich notiere dieselben jetzt nur 
noch auf einseitig beschriebene Blätter, und bemerke stets Art, 
Ort und Zeit. Man kann dann später die Blätter herausschneiden 
und in Zettelkästen artenweise ordnen. Chronologisch geordnete 
Notizen lassen sich selbst bei sorgfältig geführtem Index zu schwer 
für grössere Arbeiten verwerten. Nun hat aber auch die phäno- 
logische Anordnung viel Interesse. Das Vorteilhafteste ist, jede 
Notiz doppelt einzutragen, um sowohl eine chronologische, wie 
auch eine nach Arten geordnete Notizensammlung zu haben. Die 
doppelte Herstellung würde zugleich gegen Verlust sichern. Kräftige 
Bleistiftschrift ist bekanntlich das Dauerhaftestee Am schönsten 
wäre es, wenn auf jede Seite des Tagebuchs eine Seite zum Ab- 
reissen folgte und zwischen beide ein färbendes Blatt gelegt würde, 
das die Schrift auf das nächste Blatt überträgt. Dies würde dann 
für den artenweise geordneten Zettelkatalog herausgenommen, 
während im Tagebuche der chronologische Bericht bleibt. 

Zum Brutkalender sei bemerkt, dass die Brutzeit von Parus 
Salicarius später liest als die der glanzköpfigen Sumpfmeisen. 
Die ornithologisehen Tagebücher 1847—1887 von H. Gaetke. 

Herausgegeben von Rudolf Blasius. Sonderheft des 
LIV. Jahrganges (1906) des Journals für Ornithologie. 175 Seiten 
mit einem Bilde: Gaetke im Jagdanzuge 1893. 


Bücherbesprechungen. 19 


In dem ersten Hefte dieser Zeitschrift hatte ich eine scharfe 
Lanze für den vielfach ungerecht kritisierten toten Meister ein- 
gelegt. Da ist es mir eine grosse Freude, dass nun Gaetke auf 
diese Art gerechtfertigt wird. „Jeder der lesen und sehen will“, 
sagt Professor Blasius, „kann sich von der unmittelbaren Wahrheit 
und der ausserordentlichen Vorsicht überzeugen, mit der Gaetke 
seine Wahrnehmungen zu Papier brachte.“ 

Nun ist eine feste Basis da für die Beurteilung von Gaetkes 
Arbeiten und Ansichten. Und wenn man ihn kritisiert, dann möge 
man bedenken, um wie viel höher seine Arbeit einzuschätzen ist, 
weil sie vor 60 Jahren begann, zu einer Zeit, wo noch nicht so 
auf dem Gebiete des Vogelzuges gearbeitet wurde wie heute. 
Eins ist aber heute noch so wie damals. Solch fleissige Arbeit 
wie die der Ungarischen ornithologischen Zentrale und der 
OÖrnithologischen Gesellschaft in Bayern werden nicht genügend 
beachtet und anerkannt. Mögen Gaetkes Tagebücher vielen ein 
Vorbild und ein Ansporn sein, und manches Exemplar von Lindners 
„Vademecum“ sich mit den Schätzen reicher Daten füllen. 
Forstmeister Rothe. Seele und Sinne des Tieres, contra 

Dr. Th. Zell. Eine Erwiderung auf die Schrift des Dr. Th. Zell 
„Ist das Tier vernünftig?“ Dresden 1906. Hans Schulze, Verlags- 
buchhandlung. Preis 1 Mark. 

Fragen, wie die nach den psychischen Fähigkeiten der Tiere 
können meines Erachtens weder durch Theorien, noch durch per- 
sönliche Ansichten gelöst werden, sondern durch wiederholte 
experimentelle Beobachtungen. Auch sind populäre Streitschriften 
und Broschüren kaum der geeignete Weg, der Wirklichkeit näher 
zu kommen. Es wird da zu leicht auf beiden Seiten gefehlt. Die 
vorliegende Broschüre will vom Standpunkte des erfahrenen Weid- 
mannes gegen Zells Gedanken protestieren. Die Heftigkeit dieser 
Angriffe und die zahlreichen Beispiele machen Rothes Gegenschrift 
zu einer anregenden Lektüre. Aber Rothe passieren ebensogut 
zahlreiche Irrtümer wie seinem Gegner Zell, z. B. wenn er meint, 
dass die Eulen am Tage nicht sehen können, und aus ihrem 
Gesichtsausdrucke zu erkennen glaubt, dass sie „vergebens ihre 
schmerzenden Augen anstrengen“. 

Die Wildschweine, welche mit den Gebrechen die herab- 
gelassene Leine von den gefangenen Genossen entfernten, handelten 
nicht aus Überlegung, um diese zu befreien, wie Rothe annimmt, 


s0 Bücherbesprechungen. 


sondern sie liessen ihre Wut an dem einzigen Gegenstande aus, 
den der Mensch in ihren Bereich brachte Ein einzelner an- 
geschossener Keiler oder eine wütende Bache zerfetzt ganz ebenso 
einen Stock, den man von einem Baume herunterhält. Ja, ein 
kleiner Frischling machte die kühnsten Luftsprünge, um meine 
herabhängenden Füsse zu erreichen, während ich ihm auf der 
Palisadenwand des Saufanges sitzend zusah. 

Dass die gefangene Maus eine Schlinge durchbeisst, liegt daran, 
dass sie gewohnt ist, sich mit Hilfe ihrer Nagezähne den Weg 
frei zu machen, denn es passiert ihr jeden Tag, dass sie irgendwo 
hängen bleibt oder auf Hindernisse stösst. Die Drossel sieht und 
meidet Schlinge oder Netz vorher. Gefangen und dadurch er- 
schreckt ist aber der Vogel so aufgeregt, dass es die grösste Mühe 
kostet, ihn zu befreien, denn so etwas ist noch nie in seinem 
Leben vorgekommen. Das ist der Grund des verschiedenen Ver- 
haltens, nicht die verschiedenen Hauptorgane und nicht ein ver- 
schiedener Grad von Intelligenz. 

Die Drosseln werden nicht allmählich durch Hunger gleich- 
gültiger gegen die Gefahr der Dohnenschlingen, es sind gar nicht 
dieselben Vögel, die sich verschieden verhalten, sondern es sind 
nachher die weniger misstrauischen Zugvögel aus anderen Gegenden, 
die sich zahlreich fangen. 

Das Zählen der Tiere beruht zum Teil darauf, dass sie die 
Unvollständigkeit eines gewissen Quantums empfinden. Der brütende 
Falke würde schon an dem ungekühlten dritten Brutfleck spüren, 
dass ihm ein Ei genommen ist. 

Rothe überschätzt die psychischen Fähigkeiten der Tiere ganz 
entschieden. In dem Hauptgedanken muss man ihm aber von 
ganzen Herzen zustimmen: dass die Leichtgläubigkeit auch des 
gebildeten und sogar des naturwissenschaftlich gebildeten Publi- 
kums auf dem hier besprochenen Gebiete unendlich oft ge- 
missbraucht wird. 0. Kl. 


s 
a 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


Inhalt der nächsten Jahrgänge: 
Vorarbeiten für Berajah und eine allgemeine Schöpfungslehre, — 
Vergleichende Zoogeographie, — 
Ornithologische Heimatkunde, — 
Vogelschutz u. a. 


Herausgeber: 
O0. Kleinsehmidt. Bee. 
a onlan Inst N 
FEBıR 1919 
ea A } 


Preis für Berajah und Falco jährlich 8 Mark. 


Kommissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig. Liebigstr. 6. 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 
„BERAJAH, 
Zoographia infinita” 


erscheinende Zeitschrift. 


Jahrgang 1906, No. 3. 
Ausgegeben: Dezember 1906. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


——— 


Kommissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


83 


Vor achtundvierzig Jahren! 


Für die Leser des zweiten Berajah-Heftes sind zwei Artikel 
von Interesse, die vor nahezu 50 Jahren in der Naumannia 
erschienen sind, nicht wegen der Einzelheiten, die sie bringen, 
sondern wegen der ganzen Art und Weise ihrer Auffassungen 
und des Widerspruches zwischen beiden. Ich mag sie nicht in 
Berajah stückweise zitieren und setze sie deshalb lieber ganz 
hierher, den Leser vorläufig seinen eigenen Gedanken über diesen 
Meinungsstreit überlassend. 

Ich könnte einfach bitten, diese Artikel in der Naumannia 
nachzulesen, aber nur ganz wenigen Lesern dürfte diese heute 
fast vergessene Zeitschrift zugänglich sein. Ich wüsste nichts, 
was besser ein Bild der damaligen Zeit gäbe, als gerade diese 
beiden Arbeiten. 

Und da fällt mein Blick, nachdem ich die Veröffentlichung 
von Gaetkes Tagebuch besprochen habe, auf einen Aufsatz in 
demselben Naumannia-Band, den es sich gleichfalls verlohnt, nach 
so langer Zeit noch einmal durchzulesen. Schade, dass Herr 
Professor Rudolf Blasius diesen Artikel seines Vaters nicht zu- 
gleich mit dem Tagebuche Gaetkes voll zum Abdruck gebracht 
hat. Ich kann mir nicht versagen, wenigstens einiges davon hier 
anzuführen. Aus diesen drei Artikeln lässt sich dann etwas 
schliessen, was für die ornithologische Arbeit der Gegenwart nicht 
ohne Bedeutung ist. OFRE 


6* 


84 


I. 
Naumannia 1858, p. 303: 


Auszug aus „Briefliche Mitteilungen über Helgoland. 
Von Prof. Dr. H. Blasius. 


Braunschweig, Anfang September 1858. 


Ich soll Nachricht über meine Sommerexkursionen geben. 
Also zunächst über Helgoland.... Seit langer Zeit habe ich 
für den Bestand der europäischen Vogelfauna keine so interessante 
Sammlung gesehen, als die Lokalsammlung des Malers und 
Gouvernements-Sekretärs H. Gaetke in Helgoland. Die Mit- 
teilungen Naumanns in der Rhea, die von Gaetke in Cabanis’ 
Journal, waren’ wohl geeignet, die Aufmerksamkeit eines jeden 
Ornithologen auf diesen einsamen Felsen im Meere zu lenken 
und die Ungeduld des ornithologischen Publikums auf eine be- 
denkliche Probe zu stellen. Hatten die tatsächlichen Mitteilungen 
Gaetkes, abgesehen von seinen Ansichten in dem so lebhaft ge- 
führten Streit über Mausern und Verfärben, doch sogar dahin 
geführt, dass sie unumwunden in Zweifel gezogen wurden. Von 
Homeyer sagt in Cabanis’ Journal 1857, p. 143 unter anderem: 
„... Da nun ein Interesse des Sammlers durchaus nicht vorlag, 
so schwindet vollends jeder Grund des Misstrauens. Anders ist 
es freilich mit solchen Vögeln, die als Neuheiten oder grosse 
Seltenheiten in die europäische Fauna, namentlich von Helgoland, 
fortwährend eingeführt werden. Hier handelt es sich um ganz 
zuverlässige Angaben, wenn dieselben überhaupt Berücksichtigung 
erwarten. Die Helgoländer besitzen leider durch den häufigen 
Verkehr mit Fremden nicht mehr die frühere Sittenreinheit. Da 
ihnen sehr wohl bekannt ist, welchen Wert ein auf ihrer Insel 
erlegter Vogel gegen einen von ausserhalb gebrachten derselben 
Art hat, so liegt die Versuchung sehr nahe, durch unrichtige An- 
gabe den Wert eines Exemplars um das Zehn- oder Zwanzigfache 


Naumannia 1858. 35 


zu erhöhen. Es möchte daher im Interesse der Wissenschaft 
liegen, wenn die Ornithologie Helgolands den Ornithologen nicht 
ferner verschlossen bliebe.“ 

So standen die Angelegenheiten der Helgoländer Ornithologie 
im vergangenen Jahre. Vieles war als auf Helgoland vorgekommen 
angegeben; vieles wurde in kurzen Andeutungen brieflich von 
Gaetke gleichsam angedroht. „Sie sehen, die Bereicherungen 
unserer europäischen Ornis nehmen kein Ende!“ sagt Gaetke 
selber in Cabanis’ Journal 1856, p. 378. Nun aber sollte, nach 
von Homeyers Andeutungen, die neue reiche Fundgrube sich 
in ein prinzipielles Verfälschungsdepot auf Grundlage eines 
schmutzigen Handelsschwindels auflösen. Wenn die Andeutungen 
von Homeyers Glauben fanden, musste eine unerbittliche orni- 
thologische Krisis unvermeidlich über Helgoland hereinbrechen. 

Aber auf welche Weise soll die Ornithologie Helgolands den 
Ornithologen aufgeschlossen werden? Und vollends, wenn die 
ornithologischen Beobachter auf Helgoland als verdächtig dar- 
gestellt, als wissenschaftliche Betrüger gebrandmarkt werden? Soll 
die Ornithologie Helgolands zu den Ornithologen kommen? Soll 
Gaetke jedem Ornithologen, der ein Interesse daran nimmt, seine 
betreffende Sammlung zusenden! Möglich mag das sein! Ich 
würde aber geglaubt haben, die Grenzen der Bescheidenheit zu 
überschreiten, wenn ich an einen mir ganz fremden Mann diese 
Anforderung hätte stellen wollen! Doch was könnte es auch 
nutzen, wenn die ganze Sammlung auf Schwindel beruhte, wenn 
sie „von ausserhalb eingebracht“ wäre. Ein erschwindeltes 
Exemplar lässt sich ja auch versenden. Und wenn einmal öffent- 
lich der Verdacht feststeht, es sei jemand ein unzuverlässlicher 
Schwindler, wozu dienen dann die ausführlichsten Angaben und 
alle möglicherweise fremdher beigebrachten Belege! 

Mir schien das beste Mittel zum Aufschluss, wenn die Orni- 
thologen sich selbst nach Helgoland bemühten, und sich durch 
den Augenschein und persönliche Mitteilung aufzuklären suchten. 
Und so habe ich es persönlich im laufenden Sommer gehalten. 
Ich bin nach Helgoland gegangen, habe mich sofort an Gaetke 
gewandt und ihm offen und ehrlich erklärt, ich sei nicht seinet- 
wegen oder der Insel wegen, sondern bloss seiner Sammlung 


s6 Naumannia 1858. 


wegen nach Helgoland gekommen: und ich habe von seiten 
Gaetkes eine Bereitwilligkeit und Offenheit der Mitteilung ge- 
funden, die mir nichts zu wünschen übrig liess. 

Gaetke, kein geborener Helgoländer, sondern ein Preusse, 
ist durch die Kunst nach Helgoland geführt und durch Zufall 
zum Sammler und ornithologischen Beobachter gemacht worden. 
Dieser Zufall ist in Gestalt eines auf Helgoland frisch erlegten 
norwegischen Gierfalken ihm in den Weg getreten. Auf einem 
Gebiete, in dem bloss Haussperlinge und Lummen brüten, muss 
ein edler Jagdfalke eine auffallende Erscheinung sein. Gaetke 
hatte es bedauert, dass der schöne Vogel hätte verfaulen müssen, 
und den Versuch gemacht, ihn, so gut als es gegangen, aus- 
zustopfen. Das ist der noch erhaltene Anfang seiner Sammlung 
gewesen. An diesen Anfang haben sich allmählich alle dortigen 
Vorkommen, die ihm von Interesse geschienen, angereiht. Zuletzt 
hat er es sich zur Aufgabe gemacht, alle vorkommenden Arten nach 
dort erlegten Exemplaren in seiner Sammlung zu repräsentieren, 
und bis jetzt auf dem engen Gebiet der Felseninsel von etwas 
mehr als 500 europäischen Arten mehr als 400 erhalten. Zur 
Erreichung dieses Resultats sind ihm einige eingeborene Helgo- 
länder, Fischer und Jäger, besonders die Gebrüder Aeukens, 
behilflich gewesen. @aetke hat von der ersten Zeit seines 
Sammelns an über die dort erlegten selteneren Erscheinungen 
ein genaues Tagebuch geführt. In diesem findet man 
Zeit, Ort und Umstände der Beobachtung und Erlegung 
ganz genau verzeichnet.!) Ausserdem enthält es ganz spezielle 
Massangaben, wie man sie grossenteils nur an frischen Vögeln 
im Fleisch beobachten kann, auf eigentümliche Weise durch An- 
legen des Vogels auf dem Papier verzeichnet. Die Farben sämt- 
licher Teile, die durch Präparation verloren gehen oder wechseln, 
sind ausführlich angegeben. Auch über Stimme, Stellung und 
Bewegung des lebenden Vogels fehlen die einschlagenden An- 
gaben nicht. Wer sich je mit beobachtender Ornithologie befasst 
hat, muss sich sofort überzeugen, dass hier von keiner Fälschung 
die Rede sein kann, sondern dass er die Angaben eines sehr 
gewissenhaften und sorgfältigen Beobachters vor sich sieht. Wer 
den Verlauf dieses Tagebuches überblickt, den Inhalt der ersten 


1) Obige Worte habe ich im Druck hervorheben lassen. Kl. 


Naumannia 1858. 87 


Jahrgänge mit dem der späteren vergleicht, muss die Idee, dass 
es auf eine Täuschung hätte abgesehen sein können, mit Unwillen 
von der Hand weisen. Es ist nach meiner Meinung zu 
wünschen, dass von den in diesem Tagebuche aufgezeichneten 
Beobachtungen für die europäische Ornithologie nicht eine 
einzige verloren gehe.t) 

Mit dem Verlauf und den Angaben des Tagebuches geht der 
Bestand der Sammlung Hand in Hand. Die im Tagebuche ver- 
zeichneten Individuen von seltenen Arten sind fast ohne Aus- 
nahme noch in der Sammlung erhalten. Die Art der Aufstellung 
lässt keinen Zweifel darüber, dass die aufgestellten Exemplare 
aus frisch erlegten Individuen und nicht aus trockenen, fremdher 
eingeführten Bälgen hergestellt sind. Sie rühren sämtlich von 
Gaetkes eigener Hand her, und Gaetke hat in der Aufstellung 
nicht allein die Anforderungen des Künstlers, sondern auch die 
des Naturbeobachters, des Naturforschers an sich gestellt und 
meisterhaft erfüllt. Vollendetere Darstellungen in Stellung und 
Federlage, wie die meisten Vögel seiner Sammlung darbieten, 
kenne ich nirgends. Ausgestopfte Vögel von einer Schönheit, wie 
sein Prachtexemplar von Motacilla certhiola Pall. im frischen 
Gefieder, wie sein Turdus varius Pall., zahlreiche Exemplare von 
Emberiza pusilla Pall., von Actitis rufescens Vieill. und das Winter- 
kleid von Larus roseus Jard. u. Selby, sind mir noch nicht vor- 
gekommen. 

Auch die zufällig hingeworfenen Äusserungen und Angaben 
der Inselbewohner über die vorgekommenen Vögel stimmen ganz 
mit den Tagebüchern und der Sammlung Gaetkes überein. Von 
systematischen Namen haben die Insulaner, die sich für die Vogel- 
welt interessieren, wenig oder gar keine Vorstellung; sie be- 
zeichnen die Vögel nach den Eigentümlichkeiten der Stimme 
und des Benehmens, im Anschluss an bekannte Namen. So heisst 
Anthus Richardi Vt. nach seinem Lockton der Brief und Anthus 
campestris der kleine Brief. In der Regel sind diese Be- 
zeichnungen naiver Natur, immer aber schlagende Belege von 
einer bestimmten und lebendigen Auffassung und Beobachtung. 
Sie kennen die seltenen Vögel genau, und jedes vorgekommene 
Individuum hat seine lebendige Geschichte. Wie der leidenschaft- 


1) Obige Worte habe ich im Druck hervorheben lassen. Kl. 


38 Naumannia 1858. 


liche Jäger von jedem starken Hirsch oder Rehbock, den er er- 
legt, auch nachträglich noch jeden Schritt und Tritt und jede 
Bewegung kennt und sich dabei jedes einzelnen Gedankens, jedes 
Gefühls unauslöschlich erinnert, wie er sich gedrückt und gebückt, 
wie er geschlichen oder auf flacher Erde hingekrochen, um dem 
scheuen Wilde nahe zu kommen; so erinnern sich die Helgoländer 
Jäger jedes einzelnen seltenen Vogels, den sie in die Sammlung 
von Gaetke geliefert. Geht oder fährt man mit ihnen um die 
Insel und bringt das Gespräch auf diesen Gegenstand, so ist's, 
als ob sich jeder Felsvorsprung belebte: „Hier fand ich unter 
mehr als hundert toten Schwalben die schöne rotköpfige (Hirundo 
rufula Temm.), die Gaetke mit Lebensgefahr schon zwei Tage 
lang verfolgt hatte, hier schoss mein Bruder die schöne rote, 
spitzschwänzige Möwe (Larus roseus Jard. u. Selby) u. s. w. u. s. w.“ 
Nach einem solchen Spaziergang um die Insel in Gesellschaft 
eines Insulaners, ohne Gaetke, mit historisch-ornithologischen 
Reminiszenzen fragte ich einen begleitenden Freund: Glaubst Du, 
dass die Leute die Wahrheit reden, oder dass sie uns Schwindel 
vorlügen? Die Antwort war: Wie kommst Du darauf? Wenn 
das Schwindel ist, so ist der ganze Inselfels eine Erdichtung und 
wir sitzen hier nicht mitten im Meere, sondern weit eher in der 
Lüneburger Heide! 

Und doch, man denke sich, das alles sei Lug und Trug, das 
genaue Tagebuch, in dem so bestimmt Zeit, Ort, Mass, Stimme 
und Benehmen, nebst dem glücklichen Finder bezeichnet sind, 
die Übereinstimmung des Tagebuches mit der Sammlung, die 
Übereinstimmung der Aussagen der Insulaner unabhängig von- 
einander und von Gaetke mit den Angaben Gaetkes und seiner 
Sammlung, die genauen und von vielen Seiten bestätigten Jagd- 
geschichten jedes einzelnen seltenen Vogels, die Sammlung selber, 
die nur nach frischen Exemplaren im Fleisch mit Künstlerhand 
hat hergestellt werden können: setzte das nicht eine ganze Schule 
des Luges und Betruges voraus, an der ein grosser Teil der Be- 
völkerung Helgolands teil genommen im Interesse eines einzelnen, 
der ihnen fremd ist und den sie auch jetzt noch kaum als den 
ihrigen betrachten! Der Gedanke scheint mir an Ort und Stelle 
eine Absurdität. In Helgoland, wo ein jeder weiss, was der andere 
treibt und was ihm widerfährt, herrscht nur eine Stimme darüber, 
dass von irgend einem Nebengedanken nicht die Rede sein könne. 


Naumannia 1858. 89 


Woher sollten auch manche Vögel, die auf Helgoland erlegt 
und noch vorhanden sind, durch den Handel bezogen sein? Ich 
will nur Motacilla Certhiola Pall., Motacilla salicaria Pall. oder 
Sylvia caligata Licht., Regulus modestus Gould, Motacilla citreola 
Pall., Turdus varius Pall., Pyrrhula rosea Pall., Larus roseus Jard. 
u. Selby, Larus Sabinii (Leach) anführen. Von anderen, wie 
Emberiza pusilla Pall., hat Gaetke zahlreiche Exemplare besessen, 
ehe sie von irgendwo durch den Handel zu beziehen waren. Und 
um zuletzt nur mit einem Worte den letzten angeblichen Zweck 
des ganzen Schwindels zu berühren: Gaetke hat nur auf starkes 
Zudringen einige wenige Exemplare seiner Sammlung von seltenen 
Arten, die er zahlreich besass, ehe sie durch irgend einen Händler 
ins Publikum gelangt waren, aus den Händen gegeben; was an 
auffallenden Seltenheiten dort vorgekommen ist, kann man fast 
gänzlich auch noch in seiner Sammlung sehen. 

Was speziell den Vogelhandel in Helgoland betrifft, so be- 
fassen sich damit nur einige Insulaner. Sie schiessen und 
präparieren im Herbst, Winter und Frühling Vögel, um sie im 
Sommer an Badegäste zu verkaufen. Unter ihren Vorräten findet 
man nicht selten Sachen, die auf dem Kontinent als Seltenheiten 
angesehen werden müssen. Die Preise derselben sind aber der- 
art, dass kein Naturalienhändler in Deutschland, dass kein Orni- 
thologe in der Welt die Vögel, wenn er sie besässe, zu solchen 
Spottpreisen hergeben würde Ich kann das mit Bestimmtheit 
behaupten, da ich selber manchen seltenen Vogel gekauft habe 
und auch Kunde von den Preisen besitze, die von handelnden 
Örnithologen eingehalten werden. Am höchsten verhältnis- 
mässig stehen in Helgoland die grossen Möwen: Larus marinus, 
Larus fuscus und argentatus im Preise; aber bloss deshalb, weil 
die Badegäste am meisten Wert auf dieselben legen. Von einem 
ornithologischen Handelsschwindel und von Fälschungen zum 
Zweck desselben kann nicht die Rede sein, sondern nur von 
einem ehrlichen und sehr bescheidenen Nebenerwerb. 

Doch nun genug, und schon mehr als zuviel über die öffent- 
lich ausgesprochene Verdächtigung. Ich habe geglaubt, nach 
diesem öffentlichen Ausspruch nicht verschweigen zu dürfen, wie 
die Sachen stehen. Nicht um Gaetkes und der Helgoländer 
Ehre zu retten: das ist Privatsache! und ausserdem überflüssig, 
da von Homeyer nicht eine einzige unbezweifelbare Tatsache 


90 Naumannia 1858. 


zugunsten eines wirklich vorgekommenen Betruges hinstellt. 
Auch nicht, um von Homeyers Verdächtigung zu tadeln, die 
nach dem Zusammenhange, in dem sie ausgesprochen wurde, 
im Unmute über abweichende Ansichten in der Mauser- und 
Verfärbungsfrage nebenbei zutage gekommen ist. Aber ich habe 
mich für verpflichtet gehalten, die Folgen dieser Verdächtigung 
von unserer Wissenschaft, für die auch von Homeyer sein Wort 
einlegt, fern zu halten. Es wäre zu verwundern, wenn von 
Homeyer in Sachen der europäischen Ornithologie sein Wort 
in die Wagschale würfe, ohne ihm irgend eine Bedeutung bei- 
legen zu wollen. Was aber folgt, wenn auch andere dem in 
dieser Sache ausgesprochenen schweren Worte eine ernste Be- 
deutung beilegen? Ein jeder Unparteiischer kann und muss zwar 
sagen, es ist nicht ein einziger tatsächlicher Grund für die Ver- 
dächtigung beigebracht worden; aber wie viele sind geneigt, auf 
eine bestimmte Autorität zu bauen! Wer dieser Verdächtigung 
nur irgend eine Bedeutung beilegte, müsste alle durch Gaetke 
über Helgoland bekannt gewordenen Tatsachen gänzlich ignorieren. 
Diese Tatsachen und Beobachtungen aber, von deren Richtigkeit 
und Unverdächtigkeit ich mich überzeugt habe, glaubte ich der 
europäischen Ornithologie retten und erhalten zu müssen.“ 


M. 
Naumannia 1858, p. 214: 


„Die Schleierkäuze, Strix Linn. 


Die Schleierkäuze sind ohne Widerrede die schönsten aller 
Eulen und über alle Weltteile verbreitet. Sie unterscheiden 
sich von ihren Verwandten durch den ungewöhnlich aus- 
gebildeten Federkreis, welcher das Auge umgibt, 
Schleier genannt wird und den Vögeln den Namen gegeben hat, 
durch die langen nur mit einzelnen Haaren besetzten 
Zehen und langen, dünn befiederten oder vielmehr be- 
haarten Fusswurzeln, das ungemein weiche Gefieder, 
die schwarzen und weissen, in Schnüren stehenden 
Fleckchen des Oberkörpers und die für eine Eule kleinen, 
sehr gewölbten Augen. Die verschiedenen Arten haben mehr 
oder weniger Ähnlichkeit miteinander. Bei den meisten derselben 


Naumannia 1858. 91 


sind die Weibchen dunkler und mehr gefleckt, bei allen grösser 
als die Männchen. Sie bewohnen die Gebäude, besonders die 
Türme und Kirchböden, die Trümmer der Burgen und die Felsen- 
löcher, wo sie auch nisten. Ihre Jungen sind im Dunenkleide 
mit sehr langem, weissem Flaum bedeckt. 

Wir geben hier eine kurze Beschreibung von denen, welche 
wir besitzen und deren mehrere von anderen Schriftstellern noch 
nicht beschrieben sind. 


1. Die echte Schleiereule, Strix flammea L. 

Linn stellt in seiner Fauna suecica als Artkennzeichen dieser 
Eule S. 73 auf: „Strix capite laevi corpore luteo“, in seinem 
Syst. Nat., 13. Ausg. von Gmelin, S. 293 heisst es von ihr: 
„St. corpore luteo punctis albis, subtus albido punctis nigricantibus“. 
Weiter unten: „habitat in Europa et America, boreali quoque 
Asia, Mongolis sacra, 14 pollices longae; rostrum album; irides 
obscurae, rectrices intus albae, extus obscure lineatae. Die Haupt- 
farbe des Oberkopfes und Nackens ist dunkel aschgrau. 
Der Unterkörper wenig gefleckt. Sie zerfällt in folgende 
Gattungen (Subspezies). 


a. Die dunkle Schleiereule, Strix flammea obscura. 


Der Oberkörper ist tief dunkel aschgrau, nur an den Seiten 
des Hinterkopfes und Nackens rotgelblich mit äusserst kleinen 
schwarzen und weissen Längsfleckchen; die hell rostfarbigen, 
auf der inneren Fahne grossenteils weisslichen, mit drei bis vier 
schwarzen Querbändern besetzten Schwungfedern sind auf der 
äusseren Fahne mit dunkel aschfarbigen Flecken, Punkten und 
Querlinien, zu denen auch weisse kommen, fast bedeckt. Die 
Oberflügeldeckfedern tief aschfarben, heller gewässert, mit schwarzen 
und weissen Längsschmitzchen; der weissliche, vorn schwarz ge- 
bänderte und gewässerte Unterflügel ist an den kleineren Deck- 
federn blass rostgelb mit kleinen braunen Flecken. Der 
rostgelbe Schwanz hat drei schwärzliche Querbinden und ein 
tief aschgraues, weisslich gewässertes, breites Spitzenband. Der 
Unterkörper ist dunkel rostgelb mit braunen und weissen Fleck- 
chen, der Schleier bei dem Männchen an der oberen Hälfte 
rostfarben, an der unteren rostfarbig weiss, beim Weibchen oft 
ganz rostfarben. Bei beiden von den Augen mit einem schwarz- 


92 Naumannia 1858. 
braunen Flecken nach dem hell horn gelblichen Schnabel zu. Der 
denselben einfassende Federkranz hoch rostfarben. Der Augenstern 
ist schwarzbraun, von dem schwarzen Augapfel kaum zu unter- 
scheiden. In der Gegend von Altenburg. 


b. Die gemeine Schleiereule, Strix flammea vulgaris. 

Sie ist etwas grösser als die vorhergehende, ihr auf dem 
Oberkörper ähnlich, aber mit vier schwärzlichen Schwanz- 
binden an den Unterflügeldeckfedern mit vielen braunen Fleckchen 
oder ohne sie. Auf dem Unterkörper etwas lichter, aber ebenso 
gefleckt wie die von a. Der Schleier aber ist ganz anders, denn 
er ist grossenteils weiss, vor dem Auge braun und rostfarbig, beim 
Weibchen an der oberen Hälfte rostfarben überflogen. Das Weib- 
chen ist viel dunkler als das Männchen. Wir besitzen ein ge- 
paartes Paar aus der Gegend von Leipzig und mehrere einzelne 
aus Altenburg. Das gepaarte Paar wurde am 8. Mai 1836 in 
einem Taubenschlage gefangen. 


c. Die besprengte Schleiereule, Strix flammea adspersa. 

Sie ähnelt der zunächst vorhergehenden, ist aber durchaus 
lichter gefärbt als sie, auf dem Kopfe und Nacken, besonders 
beim Männchen, rostgelb überflogen, am Schwanze mit vier 
schwärzlichen Querbinden, auf dem Unterkörper blass rostgelb, 
beim Weibchen wenig dunkler als bei dem Männchen, mit braunen, 
bei dem Männchen kaum bemerkbaren Punkten sparsam besprengt. 
Der Schleier ist trüb weiss, vor den Augen mit einem rostbraunen 
Fleck, der ihn einfassende Federring rostgelb. Die blass rost- 
gelben Unterflügeldeckfedern sind stets ungefleckt. Sie unter- 
scheidet sich von a und b durch die lichtere Grundfarbe, 
die kleineren Fleckchen am Unterkörper, mehr Weiss 
zeigenden Schleier und die stets ungefleckten Unter- 
flügeldeckfedern. Ich erhielt sie aus der Gegend von Eisenberg 
und aus dem Orltale; in dem letzteren brütet sie jedoch nicht. 


d. Die betropfte Schleiereule, Strix flammea guttata. 

Sie unterscheidet sich durch die bedeutende Grösse und 
die lichte Zeichnung des Unterkörpers sehr leicht von allen 
vorhergehenden. Sie ist bis 15“ alt par. M. lang, auf dem Ober- 
körper den vorhergehenden ähnlich, mit vier Schwanzbinden, auf 


Naumannia 1858. 03 


dem Unterkörper aber ganz anders gefärbt. Dieser ist beim 
Männchen blendend weiss, auf dem Unterhalse, Kropfe und 
der Oberbrust weissgelblich, mit deutlichen braunen Fleckchen 
besetzt. Das Gesicht ist weiss, vor und um das Auge ein wenig 
rostbraun; der weisse, an den Schwungfedern mit kurzen Quer- 
flecken gezierte Unterflügel an den weissen Deckfedern mit wenig 
bemerkbaren braunen Längsfleckchen. 

Das Weibchen ist auf dem Unterkörper blass rostgelb mit 
deutlichen braunen, weiss eingefassten Fleckchen. Der Schleier 
ist weniger rein weiss als bei den Männchen und hat mehr Rost- 
braun als bei diesem. Die Schleiereinfassung ist beim Weibchen 
rostgelb, beim Männchen weiss, bei beiden am äusseren Rande 
rostbraun. Diese Eule ist der folgenden ähnlicher als der vorher- 
gehenden und scheint dem Norden anzugehören, weswegen es im 
Syst. Nat. heisst „subtus albo (corpore)“. Ich erhielt sie durch 
die Güte des Herrn von Homeyer aus Pommern und ein gepaartes 
Paar von meinem seligen Oskar, welcher es am 14. Februar 1848 
in einem Taubenschlage zu Sandersleben gefangen hatte. — 


2. Die beperlte Schleiereule, Strix margaritata 
Paul. de Wrttbe. 
Sie hat viele Ähnlichkeit mit der zunächst vorhergehenden; 
unterscheidet sich aber auf den ersten Blick von ihr 
1. durch die viel grösseren rundlichen und pfeil- 
förmigen braunen Fleckchen des Unterkörpers und der 


Unterflügel, 
2. durch die gelbliche Hauptfarbe des Hinterkopfes 
und Nackens. — Dieses Kennzeichen ist ganz untrüglich, und 


3. durch fünf schwärzliche Schwanzbinden. 

Se. Hoheit der Herzog Paul von Württemberg entdeckte diese 
Eule in Nordafrika, und hatte die Güte, mir ein Stück zu über- 
lassen. Ich erhielt sie aber auch aus dem Rodatale im Oktober 
1845 und früher schon, nämlich im Jahre 1826 aus Gera. Sie 
ist in meinem Handbuche als Strix guttata beschrieben. 


3. Die auffallende Schleiereule, Strix paradoxa Brm, 
Ich nenne diese Eule die auffallende, weil sie auf dem ganzen 
Oberkörper ein vorherrschendes hohes Rostgelb hat, welches längs 
dem Oberarme an dem Handgelenke, den Schulter- und hinteren 


94 Naumannia 1858. 


Schwungfedern, wie an dem Hinterkopfe und längs der Mitte des 
Öberrückens mit einem tiefen, weissgewässerten Aschgrau ge- 
dämpft und an diesen Teilen deutlicher als bei allen vorher- 
gehenden mit schwarzen und weissen Flecken besetzt ist. Die 
Schwungfedern sind hoch rostgelb, auf der inneren Fahne grossen- 
teils weiss, an der Spitze aschgrau und weiss gewässert, der Ober- 
flügel ist grossenteils hoch rostgelb, der weisse Unterflügel an 
dem Handgelenke mit kaum bemerkbaren braunen Längsschmitz- 
chen. Der Schleier weiss mit einem dunkel rostfarbigen Fleck 
vor den Augen und einer schmalen rostfarbigen Einfassung der- 
selben; der gelblichweisse Unterkörper am Kropfe blass rostgelb, 
von ihm an mit äusserst zarten braunen Fleckchen besetzt. Der 
blass rostgelbe Schwanz hat vier schwarze Querbinden, aber kein 
dunkles Spitzenband. Sie unterscheidet sich von allen vorher- 
gehenden und der zunächst folgenden 

l. durch die scharf abgesetzte gelbe und aschfarbige 
Zeichnung des Öberflügels und 

2. die fast ganz gelben Schwungfedern — bei allen 
hier beschriebenen Eulen, die Nr. 5 folgende Strix Kirchhoffii 
ausgenommen, sind sie viel mit Aschgrau und Weiss gewässert 
— und 

3. durch die sehr einfache Schwanzzeichnung ohne 
dunkles Spitzenband. 

Da sie nun mit der Strix margaritata die Grundfarbe des 
Unterkörpers, mit der Strix splendens die zarte Zeichnung auf 
demselben und mit Strix Kirchhoffii die Farbe der Schwungfedern 
gemein hat; hielt ich als für nicht unpassend, sie Strix paradoxa 
zu nennen. Herr Dr. Buvry in Berlin, welcher sich während 
seines Aufenthaltes in Algerien um die Ornithologie dieses Landes 
sehr verdient gemacht hat, brachte mehrere dieser Eulen aus 
diesem Lande mit und hatte die Güte, mir eine derselben zu 
übersenden. — 


4. Die glänzende Schleiereule, Strix splendens Hemprich. 

Diese Eule hat auf dem Oberkörper eine aus Aschgrau und 
Gelb gemischte Grundfarbe mit kleinen — beim Männchen — 
und grösseren — beim Weibchen — schwarzen und weissen 
Fleckchen, fünf schwärzlichen Querbinden auf dem rostgelben, 
an der Spitze in einem breiten Bande tief aschgrau und weiss 


Naumannia 1858. 95 


gewässerten Schwanze, an den Deckfedern des weissen Unter- 
flügels viele kleine und auf dem glänzend weissen Unterkörper 
wenigere, aber besonders bei dem Weibchen grössere braune 
Fleckchen. Der weisse, vor dem Auge mit einem rostbraunen 
Fleck besetzte Schleier ist auch an dem ihn umfassenden Feder- 
kranze weiss, einen sehr schmalen äusseren rostbraunen Ring 
ausgenommen. Das Weibchen ist nur auf dem Oberkörper etwas 
dunkler als das Männchen, auf dem Unterkörper ebenso weiss. —- 

Der selige Hemprich entdeckte und benannte diese schöne 
Eule auf seiner ihm den Tod bringenden Reise in Nordostafrika 
und mein Sohn Alfred brachte mehrere mit, welche er in Sennaar 
geschossen hatte. Ich erhielt aber auch eine von einem freund- 
lichen Schullehrer bei Strassburg — leider kann ich seinen Namen 
nicht nennen, weil ich ihn nur einmal im Oktober 1842 an- 
getroffen habe und nicht wieder sah, sondern die schöne Eule 
geschickt erhielt, — welche für mich von einem sehr hohen 
Werte ist, da sie in der Umgegend von Strassburg geschossen, 
ihrer Art das deutsche Bürgerrecht verschafft hat. Ich fühle mich 
gedrungen, hier meinen Dank öffentlich auszusprechen. Es ist 
mir kein Beispiel bekannt, dass ausser der meinigen Strix splendens 
in einem europäischen Lande erlegt worden wäre. Wir sehen 
hieraus, wie wichtig es ist, wenn recht viele sich mit Sammeln 
von Naturalien beschäftigen; dann geht wenig von seltenen Stücken 
verloren und der Forscher findet dann oft auch in einer kleinen 
Sammlung einen ihm wichtigen Gegenstand. 

Wir haben gesehen, dass die Strix splendens ein schöner Vogel 
ist; allein sie steht in der Schönheit weit zurück hinter der 


5. Kirchhoffs-Schleiereule, Strix Kirchhoffii!) nobis. 

Sie ist ein wahrhaft prachtvoller Vogel, merklich grösser als 
die zunächst vorhergehende — ihre vollständige Beschreibung soll 
nächstens gegeben werden — und ähnelt ihr auch in der Farbe 
und Zeichnung. Ihr Oberkörper ist schön rostgelb, ohne asch- 
graue Mischung, welche auch die zunächst vorhergehende zeigt, 
nur längs der Mitte des Rückens, auf den Schultern und vor dem 
Handgelenke etwas aschgrau gewässert, überall mit schwarzen 


!) Der königlich hannöversche Herr Major Kirchhoff zu Schäferhof 
wird uns, dem Vater und den Söhnen erlauben, ihm aus wahrer Ver- 
ehrung und Dankbarkeit diese geringe Huldigung darzubringen. 


96 Naumannia 1858. 


und weissen, auf dem Kopfe äusserst kleinen Fleckchen; die 
schön rostgelben, kaum merklich aschgrau gewässerten Schwung- 
federn haben wenig bemerkbare dunkle Binden. Der Unterflügel 
ist blendend weiss, nur die fängste Unterflügeldeckfeder vorn 
schwarzgrau. Die Steuerfedern sind matt rostgelb, die äusserste 
weisse ausgenommen, vor der weissen Spitze weit herauf asch- 
grau gewässert mit drei bis vier undeutlichen schwarzen Quer- 
binden. Der ganze Unterkörper ist blendend weiss mit 
seidenartigem Glanze, welcher sich auf dem weichen, zarten Ge- 
fieder sehr schön ausnimmt; der blendend weisse Schleier hat vor 
dem Auge einen dunkel rostfarbigen Fleck, seine rostbraune Ein- 
fassung ist nur in einer schmalen Spitzenkante an den äussersten 
Federn sichtbar und deswegen sehr schmal; sie unterbricht das 
herrliche Weiss des Unterkörpers auf eine sehr angenehme Weise. 
Der Augenstern ist wie bei den Verwandten schwarzbraun, der 
Augenlidrand sehr dunkel. — 

Diese wunderschöne Schleiereule, deren Geschlechter gleich 


gefärbt sind — das Weibchen ist kaum weniger schön als das 
Männchen — unterscheidet sich von den beiden zunächst vorher- 
gehenden 


1. durch den rostgelben, nur hier und da aschgrau 
gewässerten Oberkörper und 

2. durch den ganz ungefleckten, blendend weissen 
Unterkörper und Unterflügel. 

Sie lebt in Südspanien und bewohnt, wie die vorhergehenden, 
die grossen Gebäude, Trümmer und Felsen, aber sehr einzeln, 
und ist bei dem spanischen Volke um deswillen verhasst, weil 
man ihr schuld gibt, dass sie das Öl der ewigen Lampen in den 
Kirchen austrinke. Über ihr Betragen und ihre Fortpflanzung 
werden meine Söhne Nachricht geben. 


6. Die gefleckte Schleiereule, Strix maeulata nobis. 

Diese etwas grosse Schleiereule — sie hat denselben Um- 
fang wie unsere Strix flammea guttata — ist wegen ihres 
stark gefleckten Unterkörpers mit keiner der vorhergehenden 
zu verwechseln. Ihr Oberkörper ist tief aschgrau, fast schwarz- 
grau, weiss gewässert mit wenig Rostgelb vermischt und mit 
ziemlich grossen schwarzen und weissen Fleckchen, welche wie 
bei den Verwandten in Schnüren stehen, besetzt; die rostgelben, 


Naumannia 1858. 97 


an der inneren Fahne grossenteils weissen Schwungfedern sind auf 
den breiten schwarzen Binden weiss- und zwischen ihnen schwarz- 
grau gewässert und haben an den Spitzen weisse und schwarze 
Fleckchen. Der gelblichweisse Unterflügel ist an den blass rost- 
gelben Deckfedern mehr als irgend eine der vorhergehenden ge- 
fleckt; denn die schwarzbraunen und schwärzlichen Flecken sind 
ziemlich gross und sehr häufig. Der rostgelbe mit vier schwarzen 
Querbinden und schwarzen und weissen Spitzenflecken besetzte 
Schwanz ist an der vorderen Hälfte schwarz und weiss gewässert. 
Der Schleier ist weisslich, vor den Augen mit einem rostbraunen 
Fleck, an dem Federkranze mit einem schmalen rostbraunen Halb- 
ringe; der übrige Unterkörper ist rostgelb, beim Männchen blass 
rostgelb, heller als beim Weibchen, mit sehr deutlichen runden, 
länglichen und herzförmigen, tiefbraunen Flecken selbst 
an den Schienbeinen dicht besetzt. Diese Flecken sind beim 
Weibchen grösser als beim Männchen. Die sehr ausgezeichnete 
Eule lebt im Sennaar und ist wie die beiden zunächst vorher- 
gehenden von uns entdeckt und zuerst beschrieben. 

Wir sehen bei diesen Eulen eine herrliche Stufenfolge in 
der Färbung von den dunklen Rostfarben zum blendenden Weiss, 
welche jeden Beobachter mit Verwunderung erfüllen muss. Sollte 
es mir gelingen, die von den hier aufgeführten Schleiereulen 
verschiedenen amerikanischen und australischen zu erhalten: 
so werde ich sie auch noch beschreiben und in der Naumannia 
bekannt machen. — 


Renthendorf, im Julius 1858. 
L. Brehm.“ 


II. 
Naumannia 1858, p. 409: 


„Uber die Schleierkäuze. 


Von Premierleutnant von Preen. 


Es macht auf den Leser einen sonderbaren Eindruck, wenn 
er in einem Buche, und wäre es eine Zeitschrift, die direktesten 
Widersprüche unmittelbar nebeneinander findet; man kann sich 
da nicht enthalten, Partei zu nehmen, besonders wenn die Sache 
interessiert. In dem dritten Hefte des Jahrgangs 1858 der Nau- 


Falco. tf 


98 Naumannia 1858. 


mannia finden wir neben den Arbeiten von Dr. Zander und 
Dr. Blasius, die eifrig bemüht sind, diejenigen Namen aus der 
Örnithologie zu verbannen, die nur Alters- oder individuelle Ver- 
schiedenheiten einzelner Spezies mit veränderlicher Färbung be- 
zeichnen, einige Aufsätze des trefflichen Forschers Dr. L. Brehm, 
in denen er die minutiösesten Färbungsverschiedenheiten einiger 
Arten beschreibt und sie als neue Spezies oder Subspezies auf das 
freigebigste mit besonderen Namen versieht. Von diesen Auf- 
sätzen bleibt der über die Haubenlerchen, mit dem Eingange 
über Materialismus und Schöpfungsglaube, jedem Leser vollkommen 
unverständlich, der nicht etwa Herrn Brehms Haubenlerchen zur 
Hand hat. Denn an und für sich allen haben Ausdrücke, wie 
gross und klein, hell und dunkel und so weiter, wie auch ihre 
Komparative und Superlative, gar keine Bedeutung. Auch von 
den „untrüglichen Hauptkennzeichen‘, die zuweilen angeführt 
werden, kann man sich kaum einen Begriff machen, wenn man 
überhaupt einige Vögel zu unterscheiden versucht hat. 

Über die Steinkäuze verbittet sich Herr Dr. Brehm jedes 
Urteil von solchen, die seine Steinkäuze nicht sehen oder besitzen. 
Da nun aber wohl niemand so glücklich ist, grade dieselben Tiere 
zu haben wie der Verfasser, so hat dieser seine Vögel geschickt 
gegen jede Kritik gesichert. 

Es bleiben demnach zur Beurteilung nur die Schleierkäuze 
übrig, die dann des Interessanten gar manches bieten. Leider hat 
Herr Dr. Brehm es unterlassen, plastische Unterschiede und die 
Grösse der beschriebenen Individuen anzugeben; sonst sind die 
Beschreibungen so ausführlich, dass man die Vögel darnach malen 
könnte. Meine folgende Zusammenstellung der Charaktere hat 
nur den Zweck, eine Übersicht zu ermöglichen und habe ich mich 
dabei, soweit es der Raum zuliess, der Brehmschen Ausdrücke 
bedient. 

(Hier folgt die auf besonderem Bogen abgedruckte, von mir 
an einigen Stellen korrigierte Tabelle. Ich empfehle, dieselbe 
in der diesjährigen Berajahmappe aufzubewahren. ©. Kl.) 

Aus dieser Zusammenstellung nun scheint mir klar und evident 
hervorzugehen, dass wir es hier nur mit verschiedenen Färbungs- 
stufen einer Art zu tun haben. Wenn nur die beiden Nr. 5 
und 6 bekannt wären, so würden beide bestimmt für Arten ge- 
halten werden können, gibt man aber der St. maculata die Nr. 1, 


Naumannia 1858. 99 


dann ist es nicht mehr möglich, sie wegen der vollständigen Über- 
gänge von der St. Kirchhoffii zu unterscheiden. 

Der Kopf durchläuft alle Stadien von tief Dunkelaschgrau 
bis zum schön Rostgelben, indem er bei den zwischenstehenden 
erst lichter (Nr. 1, b, c), dann rostgelb angeflogen (Nr. 2), rost- 
gelb gemischt (Nr. 4), rostgelb mit grauem Hinterkopfe (Nr. 3) 
und endlich schön rostgelb (Nr. 5) wird. Genau ebenso ist die 
Färbungsabstufung beim Oberkörper, wenn auch zuweilen etwas 
andere Ausdrücke gebraucht sind. Der Schleier ist weiss mit 
braunem Fleck vor dem Auge; das Braun ist bald etwas mehr 
oder weniger ausgebreitet.!) Die Schwungfedern schliessen sich 
in der Färbung genau dem Oberkörper an, da hier das Grau vor- 
herrscht, findet sich’s auch bei den Schwungfedern. Am Schwanze 
sind bald drei, bald vier oder fünf Binden, Nr. 1a und Nr. 5 haben 
drei, die Nr. 6, Nr. 1b, c, d und Nr. 3 haben vier, dagegen Nr. 2 
und 4 fünf Binden. Man sieht, die Zahl varıiert; ich besitze eine 
Alte mit dem Jungen, jene hat vier, dieses drei Binden; dabei 
gleicht die Alte keiner der Beschreibungen, von Nr. la hat sie 
die Oberkörperfarbe und die Schwanzbinden,?) von Nr. 3 die Färbung 
des Unterkörpers, von Nr. 6 die der Schienbeine. Die Färbung 
der Schwungfedern finde ich gar nicht beschrieben. Das Junge 
könnte Nr. 1a sein, wenn es nicht die Schwungfedern von Nr. 5 
hätte. Da nach den Brehmschen Beschreibungen alle Kenn- 
zeichen so hübsch gleichmässig sich ändern, so ist es schade, dass 
die Schwanzbinden so revolutionär sind; wäre vielleicht nicht mit 
drei verschiedenen Genus zu helfen? und zu dem Zwecke Nr. la 
in zwei oder mehr Subspezies zu trennen? Die Unterseite durch- 
läuft alle Färbungsstufen vom Dunkelrostgelb, stark gefleckt, bis 
zum blendend Weiss, ungefleckt. Denn nachdem die Färbung in 
Nr. 1b und ce immer lichter geworden ist, die Flecken immer 
mehr abgenommen haben (wobei Nr. 1b als Kennzeichen erhält 
„Unterflügeldeckfeckfedern mit vielen braunen Flecken oder ohne 


!) Hier will ich nur bemerken, dass ich vor zwei Jahren sehr 
viel Eulen in Raubvogelfallen fing und wieder fliegen liess, worunter 
sich eine Schleiereule mit ganz braunem Schleier befand, während eine 
in derselben Nacht dicht daneben gefangene einen ganz weissen Schleier 
hatte. Sonst waren beide gleich gefärbt. L. Preen. 

*) Dies widerspricht der Angabe vier Binden, zwei Zeilen darüber. 

0. Kl. 
T7*+ 


100 Naumannia 1858. 


sie, was mir denn doch zu genial vorkommt), ist bei Nr. 1d das 
Sg blendend weiss, nur am Kropfe noch gelblich, während das 9 
seinen gelben Unterkörper behält. Ich würde bei diesen Vögeln . 
auf Scheidung antragen, wenn ich dadurch nicht etwa in den Ruf 
des Unglaubens oder des Materialismus käme und die Scheidungs- 
gesetze nicht so schwierig wären. | 

Wie Nr. 2 gefärbt ist, wird nicht gesagt, Nr. 3 ist noch 
gelblichweiss, Nr. 4 glänzend, aber Nr. 5 blendend weiss. Die 
Grösse der Flecken nımmt unmerklich ab, mit dem Weisswerden 
des Unterkörpers; nur bei Nr. 2 scheint eine Ausnahme, doch ist 
die Beschreibung sehr mangelhaft und nur auf Vergleiche und 
Komparative gestützt. Der Unterflügel folgt in der Färbung den 
Stufen der Unterseite. Das Weisswerden der Unterseite scheint 
genau parallel zu gehen mit dem Gelbwerden des Oberkörpers, 
nur bei Nr. 1d, vielleicht einer besonders alten Eule, ist es etwas 
vorausgeeilt. Wenn Nr. 6 nicht da wäre, so würden die Fund- 
orte auf ein Hellerwerden nach dem Süden zu hindeuten, also 
dürften wir lokale oder klimatische Abänderungen annehmen. Nun 
ist aber Nr. 6 aus dem Sennaar gemeinschaftlich mit Nr. 5.1) 

Sollten wohl hohe Gebirge denselben Einfluss haben wie 
nördliches Klima, und könnte wohl der 15000 Fuss hohe Abbu 
Jared in seinen Felsenschluchten eine Schleiereule beherbergen, 
die in ihrer Ausfärbung zum reinen Weiss ebenso gehemmt wäre, 
wie die Schleiereulen in Altenburg und Leipzig? 

Das Verdienstliche des Brehmschen Aufsatzes, wofür ıhm 
jeder Ornithologe Dank wissen wird, ist jedenfalls das, dass er die 
immer noch hin und wieder auftauchende Strix splendens gründ- 
lich und überzeugend zur Ruhe gebracht hat; und er würde uns 
zu noch mehr Dank verpflichten, wenn er das Alter seiner Schleier- 
eulen einmal genau, d.h. anatomisch an den Schädelresten unter- 
suchen wollte. Denn nach allem scheint es, als ob die Schleier- 
eulen mit dem Alter immer heller werden, dies im Süden schneller 
vor sich geht wie im Norden, wie sich dort alle Tiere schneller ent- 
wickeln, und als ob die Strassburger St. splendens und die sonder- 
bare Nr. 1d solche durch hohes Alter bevorzugte Individuen wären. 

Kann aber Herr Dr. Brehm uns bestimmte plastische Ver- 
schiedenheiten für seine Spezies angeben, die nicht ineinander über- 
gehen, kann er Beschreibungen entwerfen, wie die von Dr. Blasius 

1) Soll heissen Nr. 4 O.Kl. 


Naumannia 1858. 101 


über die vier Circus-Arten in Naumannia 1857, dann versprechen 
wir ihm der erste zu sein, der seine Arten anerkennt. Bis dahin 
. tue er uns den Gefallen, Herrn Dr. Blasıius nicht mit Arbeit zu 
überladen, nicht fortwährend neue Spezies zu beschreiben, so dass 
dieser vielleicht gezwungen würde, die schlechten Unarten noch 
leben zu lassen, weil er erst die schlechtesten töten muss. Herr 
Professor Dr. Blasius möge es mir verzeihen, dass ich ihm hier 
ins Handwerk gepfuscht, die Gelegenheit war zu günstig und er 
findet ja doch noch übermässig viel Stoff für seine Tätigkeit. 
Schwerin, den 28. Dezember 1858. 


Der Premierleutnant von Preen.* 


Auch die Leser, welche diese Artikel längst kennen, mögen 
es sich nicht verdriessen lassen, sie nochmals zu durchblättern und 
darin den toten Punkt zu suchen, auf dessen Erkenntnis es an- 
kommt. — 


Das Vorkommen und Brüten von Nachtigallen 
in reinen Nadelholzwäldern. 
Von Emil Rzehak. 


Carl Hilgert spricht in seiner Avifauna von Ingelheim am 
Rhein in „Falco“, Heft 1, S. 21, 1905, über das Vorkommen und 
Brüten von Nachtigallen, Erithacus Poeta (Kl.), in reinen Fichten- 
wäldern und bemerkt in einer Fussnote folgendes: 

„Wenn von anderer Seite (siehe Naumann) behauptet wird, 
dass sie den Nadelwald meiden, so muss ich dem widersprechen. 
Wir haben hier ausser den gemischten Schonungen Parzellen, die 
fast nur aus niederen Fichten bestehen, mit nur wenigen über- 
schüssigen Birken, und alle beherbergen Brutpaare. Hier im 
Park, wo die denkbar günstigsten Nistplätze sind, nisten all- 
jährlich regelmässig 2 Pärchen in einer reinen Fichtenschonung. 
Zwei dieses Jahr im Efeu an der Erde brütenden Pärchen wurde 
die Brut zerstört, was beide veranlasste, in einzelstehenden 
Fichten !/, bezw. ?/, m hoch ihre Nachbrut zu zeitigen.* 

Ich schliesse mich hier Hilgert ganz an; denn dass dies tat- 
sächlich der Fall ist, dass Nachtigallen in reinen Nadelholz- 
waldungen nicht nur vielleicht gelegentlich vorkommen, sondern 
auch brüten, kann ich aus eigener Erfahrung und Beobachtung 
bestätigen. 


Inhalt des zweiten Jahrgangs. 


Seite 
Adi II0B NEE ee Le OS RR a N ER LEERLEEE 3 
Saxieolismus-und Berajahlehre. 2 2 2 Er Eee 0 ERS 
Was.ist ein Formenkreis? . » 02.2 2.2. un! © 12 
Reichenows Skeptieismus „2a nn m zn Be 20 
Stammbaumlehre und Baumstammlehre . .... 2... .... 23 
Der Nordpol als Ursprungsstätte des Lebens . . ».. 2... 2... ab 
ÖOtocorys auf den ostfriesischen Inseln. Von O. Leege-Juist . . . 35 
Über die nordeuropäische Form der Alpenlerche . . ..... en 
Parus salicarius Brm. in Mecklenburg. Von G. Clodius, Camin bei 
VIllenbumpne er er ee ee ee. ecn 40 
Avifauna von Ingelheim a. Rhein. Von Carl Hilgert (Fortsetzung) 44 
Desiderata - sure ware al ee ee a Se Eee 02 
Sommervögel'aus Lappland. 1. =. ae er ln A 
Zum Vogelschutz/@. 2 la ma Bot) 2 Be ind ae ne ken 57 
Ein ausgestopfter Vogel als Seismograph. . » » ee... 0... 59 


Bücherbesprechungen: 
Verhandlungen der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern 
EEE Be a or a ee 60 
Dr. Guido Schiebel, Die Phylogenese der Laniusarten . . . 61 
Professor Anton Goering 7, Professor Jean Louis Cabanis f, Dr. Vietor 


Bauort ka faygertierte Mebne 1 rheenden  L E RUE: Mn (op 
Zwei seltene Gelegenheiten für Sammler. ..... a Re 64 
Mitteilungen über Berajah nnd Falco’ - -.. „ru... dust u ne 66 
Nachtrag zur Avifauna von Ingelheim a. Rhein. Von Carl Hilgert 67 
Zwei interessante Kleider von Falco Peregrinus . .». .. v2... 69 


Über eine neue Form des Rotkehlehens (Erithacus Dandalus sardus) 71 
Allerlei Interessantes aus der Rochlitzer Brut-Saison 1906. Von 


Bud. Zimmermann, Rochlitz 1. 8. 2 02 2 ee an I 12 
Zum Brutvorkommen des weissen Storchs im westlichen Sachsen. 
Von R. Heyder, Rochlitz 3.9. = » » zen u su. GE 76 


Bücherbesprechungen: 
Lindner, Ornithologisches Vademecum . . » 2.0... 7 


Blasius, Ornithologische Tagebücher von Gaetke . ..... 78 
Rothe, Seele und Sinne des Tieres. - . . » co. ne 0 ol 79 
Vor>achtundyierzie Jahren: 2.2. 2 Ce ce Er Eee 83 
Das Vorkommen und Brüten von Nachtigallen in reinen Nadelholz- 
wäldern. Von Emil Rzehak. ........ Re , - . 408 
SCHIUSSWOTL „Seal c a Be N rc . 103 
Abbildungen. 


Tafel I (einzige des Jahrgangs): Alauda Otocorys (Kl.). 


Berichtigung. 


Seite 14, Zeile 12 von oben lies rubecula statt rubicola. 


‚BERAJAH, 


Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


Tr 


u I} 


Jahrgang 1907, No. 1. 
Ausgegeben: März 1907. , 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. $. 


‚unsonlan 27 : 
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FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


Jahrgang 1907, No. 1. 
Ausgegeben: März 1907. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. S. 


ee  — 


Kommissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


„Ist das dein stetig Federkleid ?* 
Fragt nicht den jungen Falco immer wieder! 
Ein Rohrspatz wird er nicht — trotz allem Neid! 
Es braucht ja mehr denn Jahresfrist, 
bis er so weit vermausert ist, 
dass kenntlich wird sein dauerndes Gefieder. 
Lasst der Entwicklung ruhig ihre Zeit! 

T. et K. 


Zum Wanderfalkenzug im Winter 1906/1907. 


Von Herrn Hilgert erhielt ich kürzlich wiederum ein schönes 
Exemplar von Falco Peregrinus leucogenys (Brm.), ein junges 
Weibchen, am 31. Dezember 1906 bei Gross-Lubin-Langenfeld, 
Provinz Posen, erlegt. Der Vogel ist ausserordentlich hell. Der 
rötlichweisse Scheitel trägt eine vorn offene hufeisenförmige Zeich- 
nung, die eine grosse, nur schwach gestrichelte weisse Stirnplatte 
und das breit weisse Genick frei lässt. Die Oberseite ist über und 
über mit hellbraunen Säumen bedeckt, die dem Rücken ein ganz 
buntes Aussehen verleihen. Die Unterseite ist so licht und so 
schmal gestreift, wie ich es überhaupt noch bei keinem Wander- 
falken gefunden habe. Das Brustbein zeigt die grösste von mir 
bis jetzt beobachtete Länge. Es scheint, dass die Form leucogenys, 
welche nach Angabe russischer Forscher die Steppen und Tundren 
des Ostens bewohnt, im Winter strahlenförmig nach ver- 
schiedenen Richtungen streichend, bald mehr, bald weniger 
weit nach Westen und Süden vordringt. 

Um darüber Gewissheit zu erlangen, müssten die geographi- 
schen und individuellen Verschiedenheiten der nördlichen und öst- 
lichen Wanderfalken noch genauer festgestellt werden. Es ist ganz 
falsch, wenn man meint, die Formenscheidung müsste soweit ver- 
einfacht werden, dass sich jedes Individuum auch auf dem Zuge, 
also ohne Kenntnis der Brutheimat sicher bestimmen lässt. Man 
kommt bei dieser groben, gleichsam ohne Dezimalstellen rechnenden 
Methode nur zu leicht dahin, Nachbarformen zusammenzuwerfen 
und sich dann von deren Zug ein falsches Bild zu machen. Es 
muss noch genau ermittelt werden, wo der echte leucogenys 
brütet und ob zwischen sibirischen und europäischen Vögeln Unter- 
schiede bestehen. OK. 


Vom Wanderfalken in der Grossstadt. 


Ein trübselig dämmernder Wintermorgen in Königsberg i. Pr., 
während ich bei Lichterschein klinische Morgenvisite mache. Öde 
Einförmigkeit blickt erkältend von draussen in die Klinikfenster 
herein. Drum vor der ermüdenden, strengen Tagesarbeit rasch 
einen Blick in ein ganz anderes Reich, einen Blick aus den oberen 
Klinikfenstern, wie täglich, nach dem nur ca. 50 m Luftlinie von 
meinem erhöhten Standpunkte entfernten, hochragenden, alten Neu- 
rossgärter Kirchturm! und aus der Zimmer- und Korridoratmosphäre 
bin ich auf eine kleine Zeit wenigstens in Felstäler und Wälder 
der Heimat zurückversetzt: Dort drüben auf dem verschneiten und 
vereisten Rand des kupfergedeckten Turmhelms hockt ein bekannter 
Schatten in der Morgendämmerung, unbeweglich, als sei er eine 
Zinne des Turmes selber, wie die Kollegen oft glauben. Aber 
beim Wiedervorbeikommen an demselben Fenster nach Beendigung 
meiner Visite geht jetzt der Blick in grössere Helligkeit da draussen: 
Da sitzt er nun deutlich, hoch dort drüben, der mir wohlbekannte, 
mich aber gleichgültig übersehende Artgenoss meiner ersten Raub- 
vogelbeute im Thüringer Wald, reckt und dehnt sich dem öst- 
lichen Winterlicht entgegen, ordnet noch hie und da am Gefieder, 
breitet langsam die Schwingen aus und — da ein jähes Vorwärts- 
schiessen, schnelle Flügelschläge, und hoch und weit über die 
Dächer und Türme der schlaftrunken erwachenden Grossstadt jagt 
er hin, frei und kühn, beneidenswert in Kraft und Schnelligkeit: 
der Wanderfalk! 

So haust er oder einer seiner Artgenossen, wie mehreren ost- 
preussischen Ornithologen bekannt, jahrelang schon auf dem schönen 
Kirchturm, dessen herrliche Patina er mit kalkweissen Streifen 
kontrastreich versieht. Bis zu drei Wanderfalken sah ich gleich- 
zeitig droben sitzen, immer in ca. achtzehntel der Turmhöhe am 
exponierten Rand des oberen Turmhelms, niemals in einem der 


Vom Wanderfalken in der Grossstadt. 5 


dicht darunter anschliessenden hohen Bogenfenster, der sogenannten 
„Laterne“, die einen geschützteren und bequemeren Sitz geboten 
hätten, niemals auch oben auf der Wetterfahne; sie horsten nicht 
auf dem Turm, der ihnen dazu auch keine Gelegenheit böte, aber sie 
schlafen, ruhen und kröpfen dort oben fast regelmässig, stets von- 
einander abgesondert, niemals enger beieinander hockend. Einen 
oder seltener mehrere konnte ich im Herbst, Winter und Vorfrühling, 
weniger im Hochsommer, droben fast täglich wahrnehmen, im Früh- 
ling oder Vorsommer kam mir keiner zu Gesicht, denn da horsten 
sie draussen in den Wäldern Ostpreussens. 

Wenn dann im Spätsommer wieder ein Gewirbel weisser 
Federchen, wie unzeitige Schneeflocken, vom Turmhelm sich auf 
die Strasse herabsenkte, starrte der Kinderhaufe zur Höhe nach 
dem „Habicht“, der die guten Tauben der Stadt fing und rupfte. 
Aber zu gleicher Zeit oft umkreisten Taubenflüge sorglos den Turm, 
sassen sogar einzelne Tauben weiter entfernt darunter auf dem 
Kirchdach! als wüssten sie, dass der gesättigte Räuber ihnen vor 
dem morgigen Tage gleichgültig sein könne. Am Vormittag ging 
der zumeist auf die Jagd, bemerkenswerterweise nicht in die nähere 
Umgebung, sondern viel weiter in die Reviere der Grossstadt hinein, 
bis er dann mit einer geschlagenen Taube, meist einer weissen, 
zurückkam; dabei war ich einst Zeuge, wie die Last einer solchen 
ihn zu tief zog, er im Anflug gegen den Turm nicht seinen be- 
kannten Sitz ersteigen konnte, sondern erst in einer weiten Kurve 
schräg nach oben um den Turm herum zum Kröpfplatz mühsam 
sich emporschraubte; ich sah aber auch einmal, wie die gepackte 
Taube selbst noch mitflog und vom Falken förmlich gesteuert wurde. 

Niemals, so lange ich den Falken beobachtete, nahm ich eine 
andere Beute als Tauben bei ihm wahr; die vielen Flüge derselben, 
die sich — im Sonnenschein aufblitzend — in Schwenkungen über 
dem Häusermeer tummelten, boten ihm leichte Jagd. Kehrte er 
von solcher zurück, so warnten Schwalben und Bachstelzen; Krähen 
hielten sich respektvoll fern; nur im strengen Winter sah ich 
zweimal, wie eine Nebelkrähe in höchst vorsichtigem Anflug bei 
Abwesenheit des Falken dessen Kröpfplatz revidierte und an ge- 
{rorenem Taubenkadaver herumzerrte. 

Die Vogelwelt wurde übrigens niemals durch einen Wander- 
falkenschrei aufgestört; ich habe in der ganzen Zeit keinen einzigen 
der Falken jemals rufen hören. Da keine wirklich störenden Nach- 


6 Vom Wanderfalken in der Grossstadt. 


stellungen sie trafen, sassen oder schritten sie (unbehilflich) mit 
dem souveränen Gleichmut Unbeteilister am Strassentreiben auf 
ihrem metallenen Turmhelmrand. So sah ich selbst ein starkes, 
schönes Weibchen, als ich auf dem Kirchturm, einer wahren Land- 
warte, aus den „Laternen *-Bogenfenstern unter dem Turmhelm hinauf- 
spähte, ca. 3 m über meinem Kopf sitzen, unbekümmert um alles, 
was unter ihm vorging; der starke Wind zauste ihm den Stoss, dessen 
Federn ich einzeln zählen konnte; ein sausender Abflug führte den 
grossen, prächtigen Vogel über die tief unter ihm liegende Dächer- 
menge nach seinem zweiten Sitz, einer Zinne des überragenden 
Schlossturmes. 

Wenigen nur ist es bekannt, dass hier über der mächtig aus- 
gedehnten Festung, unbekümmert um ihr Getöse und Gewimmel, 
in und über dem Rauch aller Essen ein Herr im Reich der Luft 
siedelt, der dem Wald Entbehrenden, ans Haus Gefesselten Freude 
und Bewunderung entlockt und in das Einförmige des Luftreiches 
über einem staubigen Häusergewirr herrliche Bilder der Ab- 
wechselung bringt. 

[Mich selbst erstaunt das unbesorgte Verweilen des Wander- 
falken im Lärm der Grossstadt nicht mehr, sah ich doch schon 
vor ca. fünf Jahren in Berlin einen Wanderfalken keck über den 
Drahtleitungen der elektrischen Strassenbahn dicht am Reichstags- 
gebäude hin und her streichen und endlich in dreiviertel Höhe 
dieses Gebäudes selbst aufhaken, wo ich ihn noch lange beobachten 
konnte. ] 


Königsberg i. Pr. Dr. R. Thielemann. 


Über peripherische und eentrale Ursachen. 


Wenn ein Rebhuhn vom Schuss getroffen wird, so liegt die 
Ursache (zum Teil wenigstens) in dem Umstand, dass der Schütze 
den Flintenlauf in die Verbindungslinie von Auge und Ziel- 
objekt gebracht hat. Genauer betrachtet hängt aber der Erfolg 
eines Schusses davon ab, ob die Kurve, welche das tötliche Ge- 
schoss beschreibt, im richtigen Punkt die Flugbahn des Wildes 
schneidet. 

Denken wir uns den Zusammenhang von Ursache und Wirkung 
unter dem Bilde einer zwei Punkte verbindenden Linie, so tun 
wir gut, uns diese Linie als Gerade oder noch besser als Kreis- 
linie vorzustellen, die das Reguläre einer Punktreihe zum Aus- 
druck bringt. 

Ich rede hier lediglich von einem Bilde. Warum ist der Uhr- 
zeiger jetzt bei 12 angelangt? — Weil er vor einer Stunde auf 
11 stand. Warum das? — Weil er eine Stunde früher auf 10 
stand. Was ist die Ursache dieser Ursachenreihe? — Dass er 
eine weitere Stunde früher auf 9 stand? — Nein! Die An- 
gabe der peripherischen Ursache verschiebt die Frage nur. Centrale 
Ursache ist das Uhrwerk, das vom Mittelpunkt des Zifferblattes 
aus den Zeiger bewegt. 

In Wissenschaft und Schule (Schmeil) macht sich jetzt eine 
Naturbetrachtung geltend, die nicht in der Peripherie bleiben, 
sondern den centralen Ursachen näher kommen will. Von der 
Systematik gilt das auch. Und da ist zu bedenken, dass nur von 
einer wirklichen Kreislinie aus, nicht von einer leichtfertig frei- 
händig gezogenen sich ein Mittelpunkt finden lässt. 

Aber Flugbahn des Schrotkornes und Flugbahn des Rebhuhns 
sind doch zwei Linien? Und die Peripherie fällt doch gerade 
zusammen mit dem bewegten Endpunkt des Radius? — Dies 
beides ist ja der Spass bei der ganzen Sache! Der Unterschied 
ist nur der, dass die centrale Begründung die endlos sich im Kreise 
drehende peripherische Begründung zu einem Abschluss bringt, — 
und dabei empfindet der Denker eine ähnliche Befriedigung wie 
der Schütze nach einem guten Schuss oder der Falke nach erfolg- 
reichem Stoss. DER, 


Flückigers Sammelreisen in Algerien. 
II. 


Die Haubenlerehen. 
(Fortsetzung.) 


Die Haubenlerchen habe ich schon in einer allgemeinen Ein- 
leitung (Falco 1905 p. 85—90) besprochen und komme nun zu 
den Einzelheiten dieser prachtvollen Sammlung. 

Herr Flückiger erbeutete von Alauda Thekla, dem Formen- 
kreis der kurzschnäbeligen Lorbeerlerche, nördlich von der Atlas- 
kette viele Stücke, südlich von derselben nur zwei Exemplare. 
Umgekehrt sammelte er von Alauda Galerita, dem Formenkreis 
der ächten Haubenlerche von Biskra bis Touggourt eine über- 
aus stattliche Reihe, nördlich vom Atlas dagegen keine einzige.!) 
Es kann dies nicht im geringsten wunder nehmen, wenn man 
das Gelände der Sammelstationen des Herrn Flückiger mit den 
von Carlo von Erlanger in seinen „Beiträgen zur Avifauna 
Tunesiens“* (Journ. f. Orn. 1899, S. 325) gegebenen Mitteilungen 
vergleicht, wonach im allgemeinen A. Galerita die offne eigent- 
liche Steppe liebt, A. Thekla sie meidet. 

Die Unterschiede der beiden Formenkreise sind so erschöpfend 
festgestellt, dass darüber nichts Neues zu sagen ist. Erwähnen 
will ich, dass auch bei Alauda Thekla die erste Schwinge zuweilen 
kürzer ist als die Handdecken, ferner, dass man bei der Schnabel- 
grösse die wissenschaftliche Vergleichsmethode anwenden muss, 
welche Maximum mit Maximum und Minimum mit Minimum 
vergleicht. (Cf. Berajah, Saxicola Borealis, Tafel IV., Strix 
Flammea, Tafel V.) 


!) Dass sie dort keineswegs fehlt, ist ja nachgewiesen. Ich selbst 
besitze ein von einem anderen Sammler angeblich bei Böne erbeutetes 
auffallend helles Stück. In Tunesien und Marokko wurden beide 
Formenkreise viel öfter nebeneinander, sowohl im Norden wie im 
Süden, angetroffen. 


(13) 


Flückigers Sammelreisen in Algerien. 9 


Qa.Thekla 
a IN 
= m 
P% 7, 
332. Korıelı S pi 196.4 Baer S' 
"Bı.TeEr, monstros, N Per, 


N F4 
a. Tnekla. a.gaferita. B 


Monstrositäten kommen zwar überhaupt nicht in Be- 
tracht, zeigen aber in den hier in natürlicher Grösse abgebildeten 
Fällen den Schnabelcharakter gleichsam in übertreibender Karrı- 
katur um so deutlicher. Als mir Herr Flückiger von dem lang- 
schnäbligen Vogel schrieb, dachte ich es müsse eine A. duponti- 
Form sein, es ist aber eine echte Haubenlerche. 

Wenn man die beiden Haubenlerchen einmal kennt, so sieht man 
ohne Messen und Vergleichen von Einzelheiten sofort, welche man vor 
sich hat. Alauda Thekla ist der Heidelerche (Alauda Lullula) ähn- 
licher, weshalb ich zur Vermeidung des Ballastes von Gattungsnamen 
alle drei einfach Alauda nenne. Wer da will, mag es anders machen. 

Als engeren Aufenthalt gibt Flückiger auf Etiketten von 
Alauda Thekla an: „Steiniges Gelände“ — „Saatfeld* — „Steiniges 
Gelände in Waldnähe“ — „Auf kleinem Baum“. Das letztere 
ist bezeichnend für den Heidelerchen-Charakter.') Es muss immer 
festgehalten werden, dass Alauda Thekla keine Varietät oder Rasse 
der Haubenlerche ist, sondern ganz selbständig neben ihr hergeht. 
Sie soll uns zunächst allein in diesem Abschnitt beschäftigen. 


1) Die Beobachtung Reys aus Portugal über aufgebaumte Hauben- 
lerchen (Neuer Naumann III. p. 41) dürfte sich auch auf A. Thekla 
beziehen. Um so bemerkenswerter, dass der letzte Band der „Aquila“ 
(1906 p. 217) drei Beobachtungen von Nagy bringt, wonach ein Auf- 
bäumen auf niedrigen Zweigen (a. 0,3—2,5 em hoch) auch von der 
ungarischen Alauda Galerita bemerkt wurde. Unsere Haubenlerche 
sitzt ja oft auf hohen Dächern, und auch die Feldlerche sah ich aus- 
nahmsweise auf einem Busch singen. 


(14) 


10 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


Alauda Thekla (Kl.) 
Algerische Formen: 
1. Alauda Thekla schlüteri (Kl. 1904) 


Zehn 1a „  harterti (Erl. 1899)? 
= % 2 superflua (Hart. 1897)? 
4. : a deichleri (Erl. 1899)? 


1. Kerrata Gebiet. 
Alauda Thekla schlüteri (Kl.) 
Orn. Mtsber. 1904, p. 196 und 1905, p. 188. 


Ich habe s. Zt. diese Form nach Herrn Schlüter genannt, 
der durch Zusendung schönen Materials (besonders von Marokko) 
sowohl bei den Erlangerschen Studien wie bei den meinigen ganz 
wesentlich zur Klärung der beiden Formenkreise beigetragen hat. 
Er schickte mir u. a. eine Anzahl bei Böne erlegter Hauben- 
lerchen im ganz frischen Herbstgefieder, die sehr dunkel waren, 
grau oder schwach rötlichgrau mit kräftiger Rückenfleckung. Sie 
passten aber zu keiner der beschriebenen Formen. Als dann 
Herr Flückiger noch am Schluss seiner letzten Reise einen Ab- 
stecher nach Kerrata machte, fand er dort dieselben dunkeln 
Vögel. Es wurde mir bei Besichtigung seiner Sammlungen klar, 
dass damit nicht nur eine etwas abweichende Haubenlerche, sondern 
ein für zoogeographische Einzelstudien überaus dankbares neues 
Gebiet entdeckt war, ein Gebiet, das die Verlängerung von 
Marokko I bildend, dem Erlangerschen Gebiet I als algerisches 
Küstengebiet oder Küstenstreifen vorgelagert ist. Herr 
Flückiger machte dort aufregende Jagden auf Affen und Raub- 
vögel, von denen später berichtet werden soll. Zur wertvollsten 
Ausbeute gehören aber die Thekla-Lerchen von Kerrata. Ich muss 
zunächst einige systematische Bemerkungen machen, sodann 
das Material aufzählen und daran die Frage untersuchen: 

Was sind die Ursachen der Färbung der Haubenlerchen 
und wie ist ihre wunderbare Übereinstimmung mit dem 
Boden, auf dem sie leben, zu erklären. 

Meine Benennung der Thekla-Lerche von Kerrata und Böne 
wurde von einem meiner Freunde verworfen, da sie nicht von 
einer genügenden Beschreibung begleitet, also nomen nudum 
sei. Ich hatte in der Originalbeschreibung gesagt, dass Galerida 
schlüteri zwischen Galerida Thekla erlangeri, Galerida Thekla 

(15) 


Die Haubenlerchen. Bl 


theklae und Galerida Thekla harterti genau in der Mitte steht. 
Ferner geht aus den Bemerkungen hervor, dass A. T. schlüteri 
eine Zwischenform zwischen den zwei Formen erlangeri und 
harterti sein muss. Wer also ein Mittel zwischen 3 Typen nicht 
für möglich hält, konnte sich hieran halten. 


Ich bin über diese Kritik nicht im mindesten ärgerlich, viel- 
mehr wird dadurch erst um so klarer werden, was ich will. Ob 
man Galerida schlüteri 1904 als nomen nudum ansieht, ist mir 
ganz gleichgültig. Dann erlangt der Name 1907 durch die genaue 
Darstellung des ganzen Materials Gültigkeit. 


Es war der Fehler des Linneismus, dass man statt der 
bunten Variationsreihe oder -Linie einen Punkt, den Speziestypus, 
setzte. Es ist der Fehler des Darwinismus (im weitesten Sinne 
also — Häckelismus), dass man das ganze System, das ganze 
bunte Naturleben glaubt in eine Linie, in eine Reihe zwängen zu 
können. Welche Mühe hat es gekostet, bis unsere besten Forscher 
zu der Einsicht kamen, dass man wohl 1) die deutsche Hauben- 
lerche, 2) die spanische Lorbeerlerche und 3) deren Wüstenform 
in einem Atem hintereinander nennen, in einer Buchzeile auf- 
zählen kann, dass aber in der Natur eine solche Reihe nicht vor- 
kommt, weil die geographischen Rassen aus der Reihe der 
eigentlichen sogenannten Arten herausgerückt werden müssen. 
Und nun behaupte ich: Auch die Aufzählung der geographischen 
Formen in der fortlaufenden Buchzeile ist so unnatürlich wie die 
Aufstellung der ausgestopften Vogelregimenter in altmodischen 
Museen. 


Ich lasse hier einen andern Autor statt meiner reden: 
W. A. Schulz, der Wiederentdecker der Pipra opalızans, sagt 
in seiner Arbeit über „Hymenopteren Amazoniens“ (Sitzungs- 
berichte der mathem.-phys. Klasse der Kgl. Bayer. Akademie der 
Wissenschaften, Bd. XXXIII 1903, Heft V): 


„Subspezies a unterscheidet sich von b und c durch anders 
gefärbtes Dorsulum und Abdomen. Während nun aber b und c 
durch die Färbung der Hinterbeine und Mesopleuren voneinander 
getrennt sind, hat a wieder je eins der letztgenannten Merkmale, 
mit ce nämlich Hinterbeinfarbe, und mit b Färbung der Meso- 
pleuren gemein. Es entsteht somit ein völlig geschlossener Kreis 
oder Ring. Dies ist die Ordnung, in der alle Organismen, sei es 

(16) 


12 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


nun in den höheren Gruppen, sei es in den niederen, gruppiert 
sind. Das Leben bewegt sich eben nicht, wie man seinerzeit 
bei Aufstellung der Descendenztheorie etwas voreilig annahm, in 
einer geraden Linie, auch nicht in Gestalt eines Baumes oder 
Fächers, wie viele Naturforscher jetzt noch wollen, sondern in 
Kreisen oder, allgemeiner gesprochen, in Kurven, die sich häufig 
zu Kreisen schliessen, und es gilt überall die Drei- (oder Mehr-) 
Zahl, nicht aber die Zwei-Zahl aufzusuchen. „Die Gerade ist die 
Linie des Todes, der Anorganismen (z. B. Krystalle)“. Diese Er- 
kenntnis ist nicht neu... .. Nur von Konow ist, soweit ich 
zu überblicken vermag, die Theorie der systematischen Anordnung 
aller lebenden Wesen, speziell der Hymenopteren (Chalastrogastren) 
in Kreisform seit langem und wiederholt mit Schärfe verfuchten 
worden. Ob freilich auch nun, wie dieser Forscher will, mit der 
soeben erörterten Erkenntnis die ganze Descendenztheorie in sich 
zusammenfällt, erscheint mir sehr fraglich und neuere, umfang- 
reichere Untersuchungen werden uns hierüber erst noch Klarheit 
schaffen müssen.“ 

Ganz ähnlich liegt die Sache hier: Die Kerrata-Lerche bildet 
einen Variationskreis!), der in seinen dunkelsten Stücken 
die nordmarokkanische Form, in seinen schwachgefleckten die 
spanische und nordtunesische Form berührt. Andererseits erreicht 
er in den grauer getönten Stücken fast theklae (und erlangeri), 
in den rötlich und gelblich getönten Stücken fast harterti. 
Einzelne Extreme könnte man, ohne dass sie auffallen würden, 
in eine Reihe der Nachbarformen einschieben. Und das ist nicht 
nur bei der Kerrata-Form, sondern bei allen benachbarten Hauben- 
lerchenformen Nordafrikas so. 

Was folgt daraus? Für die Systematik alten Stils, dass man 
ja keine Haubenlerchen aus dem algerischen Küstengebiet in die 
Sammlung oder das System aufnehmen darf, da sonst die schöne 
Unterscheidung verschwimmt. Für die Stammbaum-Begeisterten, 
dass hier die Stammform der differenzierten Extreme gefunden 
ist, oder dass die Form eine Vermischung der westlichen und 
östlichen Form darstellt. Das alles ist aber unhaltbar. Die Vögel 
sind da und ebensowenig eine Mischform, wie lauwarmes Wasser 


!) Sobald man genauer zusieht, besteht keine Haubenlerchenform 
aus ganz gleichgefärbten Vögeln. 


679) 


Die Haubenlerchen. 13 


aus der Mischung von heissem und kaltem entstanden sein muss. 


Nun endlich das Material: 


Rötliche Phase von Alauda Thekla schlüteri. 
Alle von Kerrata. 


No. _Erdprobe. Vogel. Datum. en BER R 
266 dunkel rötlichgrau schwärzlich 28. 4. 1904 10,8 d' 

| rötlichbraun gefleckt 
267 wie ebenso 28. 4. 1904 10,7 3 


Kakaopulver Fleckung geht am Unter- 
rücken in Rostrot über 


272 — 2926 =2996 29. 4. 1904 10,8 5 
etwas dunkler etwas dunkler 
277 — 266 grossesehwarze Rückenfleck. 29.4. 1904 10,7 = 
| viel dunkler als 266 
276 I nicht ganz braun verblich. Rückenfleck. 29.4. 1904 10,3 2 
so rot viel brauner als 267 
279 etwas weniger = 276 29. 4. 1904 6 
rot. etwas weniger braun 
zwischen 272 u.276 
281 2 schwächer gefleckt 29. 4. 1904 10,7 5 
auf rötlichem Grund 
284 blass bräunl. mit dunkel 29. 4. 1904 10,2 2 


heller. Steinchen zwischen 276 u.277 
291 = 266, sehr rot sehr dunk. u. sehr rötl. 2.5. 1904 10,5 5 


292 — 266 4.5. 1904 106 
295 — 266 dunkel 4.5.1904 105. — 
296 = 266, etwas —7266 4.5.1904 10,8 oh 
mehr rot 
| 


Gelbliche Phase von Alauda Thekla schlüteri. 


Alle von Kerrata. 
Flügel- Ge- 
länge schlecht 
305 hellgelbu.grau licht hellgelbbraun 10. 5. 1904 10,3 2 jun. 
gemischt, Steinch. einige Mauserfedern 


No. Erdprobe. Vogel. Datum. 


dunkler 
308 ganz grauer wie 266, 13. 5. 1904 11,0 (J) 
Ackerboden aber ohiie Rot 
„Kerrata, westlich“ 
332  hellgelbgraue —219 21.5. 1904 10,38 d jun. 
Erde 


(18) 


14 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


No. _Erdprobe. Vogel. Datum. N Be. 
333 hellgraue Steinchen — 308 21.5. 1904 103g 
(Vogel auf klein. Baum) 
334) ganz hell gelbgraue — 308 21.5.1904 11,0 dad. 
Steine Boden identisch 
335 — fahler als 334 21. 5. 1904 10,4 d' juv. 
336 ganz hellgelblich — 335 21.5.1904 10,8 d juv. 
337 identisch mit 336 — 335 21.5.1904 10,8 d’ juv. 


nur (frische?) Schulter- 
federn dunkler 


338 _ ziemlich dunkel rötlich, 21.5 1904 10,6 oh 
Unterseite über d. ganze 
Brust hin gefleckt 

Bei den beiden letzten Vögeln ist die Fleckung ganz ver- 
blichen und verschwommen. 

Neben jedem Vogel liegt ein Glas, gefüllt mit einer Probe 
von der Erde, auf der er angetroffen und geschossen wurde. 

Hat nun der Vogel genau die Farbe der Erde? Annähernd 
ja, aber nicht genau, denn das Gefieder dieser grob und an den 
einzelnen Stellen der Oberseite verschieden gezeichneten Lerchen 
ist keineswegs einfarbig. 

Geradezu verblüffend aber wirkt es, wenn man zwei 
beliebige Erdproben miteinander vergleicht und dann genau 
dieselbe Farbendifferenz an den zugehörigen Bälgen 
findet. Die Vögel der zweiten Phase von dem hellen gelblichen 
Steinboden sind alle hell gelbgrau, die von dem roten schokoladen- 
farbenen Ackerboden dunkelrötlich. Das ist so deutlich, dass 
man zwei ganz verschiedene Haubenlerchenformen vor sich zu haben 
glaubt, die eine auf rötlich schokoladenbraun getöntem, die andere 
grünlich gelbgrauem Grunde dunkel gefleckt und zwar die zweite 
heller gefleckt. 

Sind sie aus verschiedenen Gegenden? Aus verschiedenem 
Gelände offenbar! - 

Nach den mir vorliegenden sorgfältigen Tagebuchnotizen des 
Herrn Flückiger hat er vom 28. April bis zum 4. Mai von 
Kerrata aus täglich Exkursionen in westlicher Richtung gemacht. 

Vom 21. Mai finden sich u. a. folgende Tagebuchnotizen: 
„Nachher südlich um die Bergkette herumgegangen bis in das 
andere Tal westlich. An einer Felswand an der Südseite des 

(19) 


Die Haubenlerchen. 15 


Berges sehr viel Turmfalken, Alpenkrähen, Alpensegler, Mehl- 
schwalben, Petronia, Felsentauben .... Heiss! War müde, da 
der Weg weiter war, als ich glaubte. 16 Stück erlegt. Um 
12 Uhr in Kerrata.“ 


Also auch hier hatte sich Herr Flückiger nicht weit von 
Kerrata entfernt. 


2 Formen also in demselben Gebiet, so nah beieinander, 
allenfalls durch einen Höhenzug getrennt. Macht das nicht die 
ganze Aufstellung von Haubenlerchenformen lächerlich, wenn wir 
in jedem Tal eine neue Form finden? Nein, die Vögel sind nur 
Phasen und nicht einmal das. Ich habe schon früher erwähnt, 
dass man die rote Färbung mit Seifenwasser auswaschen kann. 
Auch mit Alkohol geht es. Nimmt man aber einen Tropfen 
Benzin auf ein Flöckchen weisser Watte und fährt man damit 
über das Gefieder der roten Phase, so löst das Benzin das klebrige 
Fett des Gefieders, das Bindemittel, auf, und auf dem Benzin- 
fleck der schneeweissen Watte präsentiert sich ein roter Erd- 
fleck, genau mit der zugehörigen Erdprobe im Farbenton über- 
einstimmend. Unter Lupe und Mikroskop erkennt man, dass er 
aus feinen Erdkrümchen besteht. 


Die überraschende, verblüffende Übereinstimmung zwischen 
Gefiederton und Erdfärbung beruht also erstens darauf, dass 
der Staub des Bodens das Gefieder beschmutzt und färbt. 


Damit ist vorläufig nur die Verschiedenheit der roten und 
gelben Phase von Alauda Thekla schlüteri erklärt. 


Was bleibt? Eine Verschiedenheit in der Fleckung, die bald 
mehr schwarz, bald (namentlich auf dem Unterrücken) mehr rost- 
braun ist. Da dieser Unterschied sich bei 276 und 277 (auch 
266, 267 u. a), also bei auf gleichem Boden erlegten Vögeln 
findet und das Gefieder des braungefleckten Vogels mehr abgerieben 
ist, so ist es deutlich, dass dies lediglich auf Abnutzung (Sonnen- 
brand) beruht, da ja selbst das Gefieder südlicher Raben stellen- 
weise ausbleicht und in Braun verschiessen lässt. Der Vogel 
No. 277 mag ein Stück sein, der infolge höheren Alters oder 
stärkerer Pigmentierung widerstandsfähiger gegen diesen Kinfluss 
blieb. Die verblichenere Färbung der im letzten Maidrittel er- 
legten Vögel, zumal, wenn sie noch vielleicht von der heissen 
Südwand stammen, wird uns dann ganz begreiflich. Also zweitens 

(20) 


16 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


Sonnenbrand, der durch Abstumpfung von Farben diese meist 
den trüben Erdfarben nähern wird. 


Und nun der Beweis hierfür! Die beiden frischvermauserten 
Vögel von Böne (von Schlüter) (leider ohne Erdprobe) sind im 
Grundton grauer, in der Fleckung dunkler, schwärzlicher. Und 
genau denselben Unterschied zeigen einige frischver- 
mauserte Federn auf der Oberseite von No. 291 und 305. 


Was bleibt nach Abzug dieser beiden durch Erdbeschmutzung 
und Sonnenbrand (Jahreszeit) hervorgerufenen Färbungen. 


Ein bald mehr grauer, bald mehr rötlicher Untergrund und 
die mehr oder weniger ausgedehnte schwarze Fleckenzeichnung. 
Ehe wir weitergehen, müssen wir nun die anderen Formen be- 
trachten. 


2. Batna Gebiet. 
Alauda Thekla harterti (Erl.)? 
Flügel 


Fundort u. Erdprobe Vogel Datum Geschlecht 
?4 Constantine, Saat- Kann noch zu schlüteri 10. 3. 04. 10,5 9’ 
feld, junge Saat, gerechnet werden, ist viel 
grau wie Kerrata dunkler als die folgenden. 
308. 


Batna, steiniges Hell rötlichgrau, viel röt- 12. 3. 04. 9792 

7. | Gelände in Wald- licher und lichter als 4. 
nähe. Ganz hell- No. 8 ist besonders am 
roter Gries, ähnlich Hinterhals sehr rötlich. 

Kerrata 296 aber 
lichter, auch röt- 
licher und lichter 

8. ) als 4 (mit Steinchen a Luz, 

gemischt). 

10. Batna, steinigesGe- Vogel sehr licht, ohne den 12. 3. 04. 9,82 
lände. Ganz hell roten Ton von 8, aber 
weisslich-grauer Fleckung kräftiger. Die 

Boden, Grundfarbe passt zum 
Boden. Die Fleckung 
macht den Vogel aber viel 
dunkler. 

11. Batna, steinigesGe- Vogel genau wie 10, auf 12. 3. 04. 11,0 4 
lände, einen Stich dem Rücken die Ränder 
dunkler als 10 (im grauer, die Fleckung 
Gefüge Körnelung weniger grell hervor- 

genau so). tretend. 


(21) 


Die Haubenlerchen. 187 


Fundort u. Erdprobe Vogel Datum Te Mlecht 
16. Batna,steiniges@e- Ähnlich 8 und 10 aber 12. 3. 04. 105 

lände. Erdprobe 6“, viel lichter als beide, so 

wohl hierher ge- hell wie die folgenden 
hörig, ganz ähnlich (superflua). 
II. 
13. Batna, steiniges Ge- Sehr licht, —= 16, fast ganz 12. 3. 04. 10,7 4 
lände. in meine Suite tunesischer 
„superflua“ passend. 

3. Biskra Gebiet? 
Alauda Thekla superflua (Hart.)? 


Exped. I. 1053 Lamböse Etwas lichter als No. 13. 12. 6. 03. 10,4 


s 937 4 — 13, aber Rücken weiss- 12, 5. 05. 10,8 
lich ausgeblichen. 
5 1055 5 Rücken teilweise frisch- 12. 6. 03. 9,7 


vermausert, ganz licht 
gelbgrau, nicht so rötlich 
wie die anderen. 

Auffallend sind die bedeutenden Masse, welche unter den bis- 
her aufgezählten Vögeln vorkommen (3 mal 11,0, oft 10,8 cm). 
In Tunis und Marokko wurden solche Flügellängen bisher nicht 
gefunden. Batna und Lamböse liegen ganz nahe, vielleicht gerade 
an einer Grenze. Die Bestimmung besagt nur, dass die Vögel 
mit harterti bez. superflua in der Färbung übereinstimmen. Die 


Batna-Vögel sind aber im ganzen um eine Spur heller als harterti. 
4. Sahara. 


Alauda Thekla deichleri (Erl.)? 


Gepaartes Paar von Kef el Dor, ganz nahe bei der Bordj, 
im Kehricht. 


No. Erdprobe Vögel Datum Flügel, Geschlecht 

70 , Ganzheller, hell- Ganzleichtisabellfarbig. 21.3.04. 10,2 d' 
rosa gefärbter Genau mit den Typen 
: , von deichleri überein- 
Sand mit ver- „;mmend, welcheichge- 
schiedenfar- nau damit verglichen 
bigen Steinchen. habe. Diese beiden Vögel 
Eine von Sind so hell, dass sie 
> ne sichgarnichtmitden 
Bi Isiert 22 vorher aufgezählten 
Tunesiensüdlich vergleichen lassen. 
Douz ge- Sie stimmen gut zum 
nommene Sand- Boden, haben aber einen 

$ . . wesentlichanderen 

zı | probe ist viel „oihlicheren Farbenton, 21.3.04. 9,7 5 
) mehr rot. der zwischen der Boden- 
farbe von Kef el Dor 

und der von Douz 
(Tunesien) liegt. 


DD 


Falco. (22) 


18 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 


Auf Grund von 2 Stücken (anscheinend jüngeren Exemplaren) 
lässt sich natürlich über den Gesamt-Charakter der südalgerischen 
Thekla-Lerchen nichts Sicheres aussagen. Das ist aber auch gar 
nicht der Zweck dieser Studie. 

Vergleichen wir die beiden Sahara-Vögel mit A. T. schlüteri 
und zugehörigen Erdproben, so erscheint wieder die Anpassung 
an den Boden trotz aller kleinen Differenzen zwischen Rückenfarbe 
und Erdfarbe erstaunlich deutlich, Ist nun die bleiche Isabell- 
farbe, die den Wüstensand man möchte sagen wiederspiegelt, auch 
auf Bestäubung und bleichenden Sonnenbrand zurückzuführen ? 
Nein oder doch nur zum geringsten Teil. Alauda Thekla deichleri 
ist im frischen Gefieder schon ein ebenso lichter Vogel, der auf 
weisslichem statt grauem Grunde rötlich statt schwarz gefleckt 
ist. Fast wie ein Albino sieht er aus. Woher nun die rötliche 
Farbe? Die braucht nicht erst durch Naturzüchtung zu ent- 
stehen, denn alle, auch die dunkelsten Haubenlerchen besitzen sie 
an den äusseren Schwanzfedern und anderen schwach pigmentierten 
Körperstellen. Wie ein schwach pigmentierter Mensch rot- oder 
blondhaarig ist, so kommt bei der Wüstenform von A. Thekla 
die rote Grundfarbe zum Vorschein, als etwas bereits im Vogel 
Vorhandenes. 


Dies wäre nun die dritte Ursache der Übereinstimmung 
der Haubenlerchen mit dem Boden. 

Beweis: Die Wüstenformen des Wanderfalken und Jagd- 
falken zeigen gleichfalls nach dem Schwinden des schwarzen 
Scheitelpigments die rötliche Grundfarbe. Die sardinische Schleier- 
eule zeigt nach dem Schwinden des schwarzen (grauen) Pigments 
auf der Oberseite die rötlichgelbe Grundfarbe. 

Was bleibt nun noch? Lediglich ein gradueller Unter- 
schied in der Pigmentierung als letzte und wichtigste Ursache der 
sogenannten Anpassung. 


Küstenzone: Zwischen Küste u. Wüste: Wüste: 
Federmitte: schwarz, graubraun, rötlich. 
Federsaum: graubraun, rötlich, weisslich. 


Die Pigmentierung ist an der Ecke vom Atlantischen Ocean 
und Mittelmeer am stärksten (erlangeri), wird am Mittelmeer 
schwächer (schlüteri, harterti), landeinwärts nimmt sie noch mehr 
ab (superflua), und in der Wüste wird sie ganz schwach (carolinae 

(23) 


Die Haubenlerchen. 19 


und deichleri). Diesen Tatsachen entspricht aber durchaus der 
Eindruck, den wir von den algerischen Thekla-Lerchen gewonnen 
haben, dass nämlich diese sich nicht recht den Rubriken der 
Systematiker fügen wollen. Während sie an der Küste (näher 
dem Atlantischen Ozean) dunkler sind als die Tunesen, sind sie 
im Innern heller als wir erwarten sollten. 

Hilgert und ich haben hier das gesamte Haubenlerchen- 
material der Kollektion von Erlanger, meiner Sammlung und der 
Flückigerschen Ausbeute auf einer in grossem Massstabe ent- 
worfenen Landkarte ausgebreitet, so dass diese ganz von Hauben- 
lerchen bedeckt war. Auf Grund des so entstandenen Bildes stelle 
ich das Gesetz auf: 

Die Fleckung der Haubenlerchen ist um so schwächer, 
je mehr sie von dem Meere entfernt wohnen oder ab- 
gegrenzt sind, umso stärker, je mehr ihre Heimat gegen 
das Meer offen ist. 

Wie ich schon wiederholt an anderen Orten ausgeführt habe, 
halte ich die Fleckung für einen durch feuchtes Klima bedingten 
Schutz der Feder. 


Das feuchte Klima ist es aber zugleich, das im Küsten- 
gebiet dunklen Humusboden und dunkle Haubenlerchen 
hervorruft. Das trockene Wüstenklima zeitigt Sand und 
sandfarbene albino-ähnliche Lerchen. Damit wäre auch 
der vierte und letzte Grund erklärt. 

Ich lasse mich gern widerlegen, sobald man eine hellsand- 
farbene Haubenlerchenform auf dem Sande eines Meeresgestades 
entdeckt, das nicht an die Wüste grenzt. 

Dass sich der Vogel auf gewohntem Boden am wohlsten fühlt, 
und auch einmal durch seine sympathische Farbe einem Feind 
entgeht, bestreite ich nicht. Die Färbung der Haubenlerche ist 
aber in erster Linie nicht Schutzfärbung vor Raubvögeln!), sondern 
Schutzfärbung vor dem gefiederzerstörenden Klima. Für den 
Farbenkundigen ist die scheinbar so „farbige“ rote Wüstenform 
farblos oder doch farbenarm. 

Ich habe das hier besprochene Material fast drei Jahre lang 
liegen lassen und es immer wieder untersucht und verglichen, um 


1) Wenn die Lerchen so in steter Furcht leben würden, hätten sie 
wohl längst verlernt, in die Lüfte zu steigen und zu singen. 


(24) 2“ 


20 Flückigers Sammelreisen in Algerien. 
in einer so wichtigen Sache nicht vorschnell zu urteilen. Was 
hier gesagt ist, gilt von den Formen von Alauda Thekla unter 
sich verglichen, nicht von Alauda Thekla. Es gilt bei weiteren 
Studien, sich einmal davon los zu machen, dass man mit dem 
Begriff der Form einen Speziesbegriff verbindet. Wir werden 
untersuchen müssen, ob nicht im Regenschatten einer Bergkette 
besondere Färbungen auftreten‘), also die Wasserscheiden hier 
nicht als Verbreitungsgrenzen, sondern als Klimagrenzen zu gelten 
haben. Dass noch weitere Faktoren, z. B. photochemische, 
mitwirken können, bestreite ich ja nicht. Noch wissen 
wir ja nicht, wie die Feuchtigkeit die stärkere Pigmentierung 
hervorruft. Die Darwinsche Selectionslehre, für die die Hauben- 
lerchen lange als eines der glänzendsten Musterbeispiele galten, 
ist aber hier ganz auszuschalten. Geradezu lächerlich wäre es 
doch, anzunehmen, dass durch Auslese seitens der Raubvögel hier 
auf hellgelbem Steinboden die lichten Vögel und auf der anderen 
Bergseite die dunkeln Vögel übrig bleiben. So gut wie Herr 
Flückiger die normalgefärbten Vögel sehen und erlegen konnte, 
würde sie auch das scharfe Auge des Sperbers eräugen, ob sie 
dem Boden gleichen oder nicht. Doch dies und andres, was man 
darüber sagen könnte, sind hundertmal gesagte Dinge. Einen 
neuen Gedanken eröffnet aber die hier sich ergebende Betrachtungs- 
weise noch. Wenn die ermittelten Ursachen der sympathischen 
Färbung von A. Thekla richtig sind, dann braucht die Natur eine 
neue Form nicht erst zu entwickeln oder heranzuzüchten, wie es 
der Mensch mit einer Geflügelrasse tut, sondern die Haubenlerche 
ändert ihr Kleid im alten Gebiet nur gleichzeitig mit dem 
Boden, sie wandert in ein neues Gebiet nur ein in sympathisch 
gefärbten Exemplaren, ist also gleich fertig, ohne einer jahr- 
tausendelangen Auslese zu bedürfen. Das nenne ich Schöpfungs- 
lebre, und die Erscheinung mag man als Parallelismus bezeichnen. 
Sandfarbene Vögel wandern nicht in das Kerratagebiet. Ihr Ge- 
fieder würde dort kein Jahr lang halten, und die Kerratavögel 
würden in der Wüste nicht rechtzeitig zur Mauser gelangen und 
infolge davon nicht rechtzeitig brutfähig. Man beachte also, dass 
diese Auffassung von den sympathischen Färbungen ja nicht ver- 


!) Dies macht die helle Phase von A. T. schlüteri schon höchst 
wahrscheinlich. 


(25) 


Die Haubenlerchen. 2 


wechselt werden darf mit der irrigen Lehre von klimatischen 
Varietäten. Das sind die Formen nicht. Eine Wüstenlerche 
wird nicht schwarz werden, wenn man sie einmal in einer Voliere 
bei Kerrata vermausern lässt und eine Kerrata-Lerche würde nicht 
sofort isabellfarben, wenn man dasselbe Experiment mit ihr bei 
Kef el Dor machte. Der Kanarienvogel wurde in der trockenen 
Stube ein Weissling, aber nicht sofort. Eine Weile wirken 
peripherische Ursachen nach. Als zentrale Ursachen wirken bei 
A. Thekla, wie wir gesehen haben, zusammen: Erdstaub, Sonnen- 
brand, Färbungsgesetze und Luftfeuchtigkeit und was dabei nicht 
als bewiesen angesehen wird, traue ich mir zu, noch beweisen zu 
können — an anderem Material. Die Zweifel vieler moderner 
Forscher an der Mimikrylehre sind nur allzu berechtigt. Ich sah 
einen der eifrigsten Selektionsapostel über diesen Thekla-Lerchen 
in helle Wut geraten. Das sagt genug. Ich wiederhole, dass 
ich hier vorerst nur von den Formen der Alauda Thekla ge- 
sprochen habe. OKT 


189) 
ID 


Wie hält der fliegende Raubvogel seine Beine? 
Von C. Hilgert. 


Wenn ich mir erlaube, heute auf dieses Thema zurückzukommen, 
so geschieht es in dem Bewusstsein, von einer längst anerkannten 
Tatsache zu reden. Auf Grund langjähriger gewissenhafter Be- 
obachtungen an Tausenden von Raubvögeln aus nächster Nähe 
halte ich mich für kompetent, jeder gegenteiligen Ansicht ent- 
schieden entgegenzutreten. 

Der fliegende Raubvogel hält seine Beine nach hinten, 
so dass sich die Fänge ungefähr in der Mitte der Unterschwanz- 
decken anlegen, aber nicht im Fersengelenk nach vorn biegen. 

Als seinerzeit Hartert mit dieser Ansicht in die Öffentlichkeit 
trat, vergl. Journ. f. Ornith. 1889, p. 341 und Ornith. Monatsber. 
1894, p. 5, war er wohl der erste, der diese Beobachtung machte, 
bezw. sie öffentlich ausprach. Welche Aufnahme er damals damit 
fand, bitte ich aus oben zitierten Stellen ersehen zu wollen. 

Bekanntlich ist ja in unseren Breiten so wenig Gelegenheit 
geboten, fliegende Raubvögel nahe genug beobachten zu können, 
um sich über die Haltung der Beine zu orientieren. Wenn aber 
Kundige aus fernen Ländern, wo mitunter hundert und mehr Raub- 
vögel an einem Tage beobachtet werden können, über dieses 
Faktum berichten, so sollte man nicht kurzerhand darüber hinweg- 
gehen und an dem alten Zopfe festhalten, sondern jeden, der in 
die Lage kommt, solche Länder zu bereisen, veranlassen, sein 
Augenmerk auf diese Tatsache zu richten. Ich bin überzeugt, 
dass selbst ein Laie in diesem Falle, um das Richtige heraus- 
zufinden, nur zwei offene Augen benötigt. 

Es war, wenn ich nicht irre, Anfang der neunziger Jahre, als 
mich Kleinschmidt und Deichler baten, auf die Haltung der Beine 
der fliegenden Raubvögel zu achten. Als passionierter Hütten- 
jäger, der auch mal stecken lassen kann, wenn es einer besseren 
Sache gilt, hatte ich schon hier in der Heimat an unseren meisten 
Raubvögeln konstatieren können, dass sie im Fluge die Beine nach 


Wie hält der fliegende Raubvogel seine Beine ? 23 


hinten strecken. Auch sass ich stundenlang unter den Horsten 
der Gabelweihen, Bussarde und Turmfalken, wo es mir mittels des 
Glases nicht schwer war, die Haltung der Beine zu erkennen. Wer 
noch daran zweifelt, dem rate ich, dergleichen zu tun — er wird 
sich überzeugen. Ferner sind mir im Laufe der Jahre viele Raub- 
vögel durch die Hände gegangen, bei denen ich mit Sicherheit 
die Stelle erkennen konnte, wo während des Fluges die Fänge 
ruhen. Bei manchen fand ich in den Unterschwanzdecken förm- 
liche Löcher, wo recht oft noch Blutspuren, Wolle, Federn und 
Fleischfragmente anhafteten, die nur von den dort liegenden Fängen 
herrühren konnten. Wiederholt hatte ich solche charakteristische 
Raubvogelschwänze aufbewahrt und auch an Kleinschmidt gesandt. 

Zum erstenmal war es mir vergönnt, massenhaft Raubvögel 
in dieser Beziehung zu beobachten auf der Expedition mit dem 
leider so früh dahingeschiedenen Freiherrn Öarlo von Erlanger 
in Tunesien in den Jahren 1896—97. Während der Heuschrecken- 
epidemie in Süd-Tunesien sahen wir oft täglich grosse Scharen 
Turm- und Rötelfalken Jagd auf diese Insekten machen. In den 
weitaus meisten Fällen wurde die Beute gleich im Fluge verzehrt 
wobei die Beine bezw. Fänge öfter von hinten nach vorn und 
umgekehrt gestreckt wurden. Auch an den Milanen, Aasgeiern 
und Feldegssfalken hatte ich mich dazulande schon über die Bein- 
haltung vollkommen orientiert. Später war ich so glücklich, die 
grosse Expedition mit Baron Erlanger in Nordostafrika mit- 
zumachen. Nach kurzem Aufenthalte im Hinterlande von Aden 
nahm dieselbe, wie ja bekannt, ihren Anfang auf afrıkanischem 
Boden von der Somaliküste bei Zeila. 

In der Hafenstadt Zeila selbst trafen wir solche Mengen 
Schmarotzermilane, dass sie geradezu eine Landplage bildeten; so 
war es auch im Hinterlande von Aden bei El-Hota, wo wir auf 
mehrere Tage ein Lager bezogen hatten. Dass es ausgeschlossen 
war, Fleisch, kleine Schädel, Vögel oder Felle auch nur auf 
Augenblicke unbewacht liegen zu lassen, wird jeder begreiflich 
finden, der mit dieser Sippe schon in Berührung kam. Unsere 
Leute machten sich oft das Vergnügen, Fleischstücke in die Höhe 
zu werfen, die regelmässig mit einer bewundernswerten Gewandt- 
heit erhascht wurden. Wenn es mir hier an den Schmarotzer- 
milanen ohne besondere Mühe möglich war, die Beinhaltung genau 
zu erkennen, so hatte ich später in den Somali- und Gallaländern 


24 C. Hilgert. 


in ebenso reichlichem Masse Gelegenheit, auch meine Studien an 
anderen Raubvögeln fortzusetzen. 

Im Arussi-Gallalande bei Ginir, wo ich umständehalber ge- 
zwungen war, mit einem neu ausgerüsteten Karawanentrosse auf 
ca. 3 Monate Standquartier zu beziehen, hatten sich infolge täg- 
lichen Schlachtens für 120 Mann und die vielen Abfälle der Jagd- 
beute eine Menge Raubvögel angesiedelt, die oft in grosser Zahl 
mitten im Lager sich an den Abfällen herumzankten. Es waren 
da vertreten die unvermeidlichen Milvus aegyptius, ferner Neophron 
percnopterus, Gyps auricularis und rüppelli, Pseudogyps africanus, 
Lophogyps occipitalis, Aquila rapax, Buteo augur und als regel- 
mässiger Gast Gypaötus barbatus nudipes. Wenn ich damals die 
Zahl der ständig im und um das Lager anwesenden Raubvögel 
auf 200 schätzte, so hatte ich durchaus nicht zu hoch gegriffen. 
An manchen Tagen waren es gewiss weit mehr. 

An allen diesen konnte ich mühelos im Fluge stets nur die 
Beinhaltung nach hinten konstatieren. Zweifler, die an unseren 
Raubvögeln das Experiment versuchen wollen, dürfen nur be- 
obachten, wo ein aus der Nähe beschossener und gefehlter grösserer 
Raubvogel seine Beine hernimmt, wenn er sie nach unten streckt, 
um sich wieder ins Gleichgewicht zu steuern. Wenn sich die 
ganze Gesellschaft mitten im Lager an den Gedärmen eines Schlacht- 
tieres versammelt hatte und durch einen Schuss aufgescheucht 
wurde, so entstand ein Rauschen, als setzte ein gewaltiger Orkan 
ein, dann begann ein kurzes Kreisen und Aufhaken auf den nächsten 
Bäumen, und nach wenigen Minuten waren sie wieder alle am 
Luder. Dieses Spiel wiederholte ich beliebig oft, ohne die Vögel 
merklich scheu zu machen. 

Wenn im Vorstehenden die Beinhaltung im ruhigen Schwebe- 
fluge gemeint ist, ohne dass der Vogel Beute in den Fängen trägt, 
ändert sich natürlich das Bild, wenn es sich um Tragen von Raub 
u. s. w. handelt. Trägt ein Raubvogel ein kleines Beutestück, dann 
hält er die Beine in der Regel nach hinten, oder er zieht sie unter 
dem Bauche an. Ist die Beute aber grösser, dann werden die Beine 
nach unten gestreckt, oder besser gesagt, das Gewicht der Beute 
lässt eine andere Haltung nicht zu. 

Wenn ich hoffe, annehmen zu dürfen, dass man sich nun 
endlich von der alten Ansicht trennt, die bedauerlicherweise in 
die neueste Zeit hinübergeschleppt wurde, möchte ich in erster 


Wie hält der fliegende Raubvogel seine Beine? 25 


Linie das mit meiner Ausführung bezwecken, dass diejenigen, 
die dazu berufen sind, die Raubvögel dermoplastisch natur- 
getreu wiederzugeben, dies auch wirklich tun und künftighin 
fliegende Raubvögel mit nach hinten gestreckten Beinen, so dass 
sich die Fänge in der Mitte der Unterschwanzdecken anlegen, 
wiedergeben.') Es wird ja heute im Präparationsfache Grossartiges 
geleistet, aber wenn man in unseren erstklassigen Instituten ruhig 
fliegende Raubvögel sieht, die die aufgebrochenen Fänge dräuend 
zum Schlage bereit an den Bauch angezogen haben, so ist dies 
keine natürliche Wiedergabe. 

Ich selbst bin auch Fachmann und habe seit Jahren schwebende 
Raubvögel nur mit nach hinten gestreckten Fängen dargestellt, bin 
aber überzeugt, dass mancher Forstmann und Jäger, dem ich solche 
Präparate lieferte, trotz meiner diesbezüglichen Versicherung arg- 
wöhnisch blieb. So nahe ja die Sache liegt, so befremdend wirkt 
sie für den, der es zum ersten Male sieht. So erging es auch 
mir einmal vor Jahren, als ich in Nierstein a. Rhein — es war 
Anfang der achtziger Jahre — in einer Wirtsstube einen kleinen 
fliegenden Raubvogel an der Decke hängen sah, der die Fänge 
nach hinten hielt. Es war, wenn ich nicht irre, eine Weihe. Ich 
konnte mich damals nicht enthalten, dies zu tadeln. Ob dieser 
Vogel absichtlich oder nicht so präpariert war, weiss ich nicht. 
Drum will ich auch über niemand den Stab brechen, der sich der 
Sache gegenüber immer noch skeptisch verhält, aber man beweise 
mir das Gegenteil. Allen, die Gelegenheit haben, die Hüttenjagd 
auszuüben oder sonst Raubvögel nahe genug beobachten zu können, 
z. B. an den Horsten, lege ich ans Herz, mit beizutragen, dass end- 
lich dieses Thema klipp und klar zur Aussprache kommen möge. 


!) Der Ausdruck „nach hinten gestreckte Fänge“ hat früher mehr- 
fach Anlass zu Missverständnissen gegeben. Für Maler und Präparatoren 
sei daher bemerkt, dass bei normaler Flughaltung das Knie stark nach 
vorn gezogen und das Fersengelenk ganz schwach gewinkelt wird, 
so dass der nach hinten gestreckte, ganz wenig gesenkte Tarsus 
mit den leicht geschlossenen Zehen mehr oder weniger in den Furchen 
der Unterschwanzdecke verschwindet. Ganz steif und gerade nach 
hinten gestreckte Fänge würden selbstverständlich auch sehr unnatür- 
lich aussehen, während bei richtiger Präparation das Natürliche der 
nach hinten angelegten Fanghaltung sofort in die Augen springt. Gerade 
bei ganz angelegten Fängen zeigt sich erst"die Eleganz der Körperformen 
des fliegenden Raubvogels in vollstem Masse. Der Herausgeber. 


Aphorismen über den Vogelschutz. 


An den Herausgeber: 


Lieber Freund! Sie haben in Ihrem letzten Schreiben den 
Wunsch geäussert, ich möge mich kurz darüber aussprechen, was 
ich über den Vogelschutz denke, was ich von ihm halte, wie ich 
mich demselben gegenüber stelle. Da meinen Auslassungen räum- 
lich beschränkte Grenzen gezogen sind, so wähle ich für selbe die 
aphoristische Form. 

Die Vogelschutzfrage ist vorwiegend eine entomologische. 
Insektenfresser werden als solche im allgemeinen für nützlich ge- 
halten, weil man zwischen nützlichen und schädlichen Insekten ge- 
wöhnlich keinen Unterschied macht und die dem Insektenreiche 
entnommene Nahrung, die ausserdem, wie begreiflich, eine nach 
den Jahreszeiten verschiedene sein muss, nicht, zu mindestens ganz 
ungenügend kennt. Aber auch dann, wenn wir durch sorgfältige 
Untersuchungen über die Nahrungstiere aufgeklärt sein würden, 
dürfte das Resultat vielen eine grosse Enttäuschung bringen. Ich 
glaube nicht, dass es eine nur nützliche Vogelart gibt, wenn ich 
auch durchaus nicht den zeitweiligen direkten Nutzen mancher 
Arten leugnen will. Die Begriffe Nutzen und Schaden sind so 
relativ, dass eine allgemeine Einigung darüber unmöglich erzielt 
werden kann. 


Die Frage nach Nutzen und Schaden bei jedem Dinge kenn- 
zeichnet den menschlichen Egoismus, dem wir uns doch niemals 
ganz zu entziehen vermögen. Mir hat sich im Laufe der Jahre 
durch das in freier Natur Geschaute die Überzeugung aufgedrängt, 
dass Tier und Pflanze in ihrer Gesamtheit ihren Platz im Naturhaus- 
halte ausfüllen. Die Kultur mit ihrem Gefolge von Veränderungen 
hat gewaltige Verschiebungen verursacht, die auf die Tierwelt 
von grossem Einflusse waren und es sind. Das vor unseren Augen 


Aphorismen über den Vogelschutz. 97 


sich vollziehende Zurückweichen der Tier-, insbesondere der Vogel- 
welt konnte ja niemandem entgehen, aber man suchte die Ursachen 
desselben statt in der Nähe, allgemein in der Ferne: im Vogel- 
fange in den südlichen Ländern, der dort von altersher betrieben 
wurde wie einst bei uns. Nicht er trägt die Schuld an der lokalen 
Verminderung vieler Vogelarten, sondern ganz allein der Um- 
stand, dass ihnen durch die intensive Ausnützung des 
Bodens die geeigneten Brutstätten entzogen werden. Die 
Kenntnis der Ursache weist uns gleichzeitig auf die Mittel hin, 
die wir zu ergreifen haben, um, was noch zu retten ist, zu retten. 
Sie heissen Schutz und naturgemässe Hege, wie sie mit soviel 
Erfolg von Baron H. von Berlepsch propagiert wird. 

Die Gesetzesparagraphen vermögen dem Vogel wohl Schutz 
vor ungerechtfertigten Nachstellungen, aber nicht mehr zu ge- 
währen, und das ist sehr wenig. Erst durch verständnisvolle Hege 
wird dem Vogel das durch die Kultur Geraubte einigermassen zu 
ersetzen gesucht. Dazu gehört aber nicht der gute Wille allein, 
sondern volles Verständnis; nur auf dieser Basis wird der Erfolg 
nicht ausbleiben, wenn jenes in weitere Kreise dringt. 

Warum ich für einen vernünftigen Schutz der Vögel eintrete, 
ohne ein gläubiger Anhänger ihrer gepriesenen Nützlichkeit zu sein, 
ist der, dass man sich nicht stets von Utilitätsrücksichten leiten 
lassen darf, sondern auch ethischen und ästhetischen Gründen 
Rechnung tragen muss. Eine Gegend ohne Vögel wäre tot; sie 
sind das belebende Element, das man nicht missen möchte, das 
Leben trägt in die grösste Öde. 

Auch den Raubvögeln möchte ich hier ein Wort reden. Wir 
sind natürlich berechtigt, ihren Eingriffen entgegenzutreten, wenn 
von einem tatsächlichen Schaden die Rede ist, doch soll selbes 
niemals in einen vollständigen Ausrottungskrieg ausarten. Auch 
sie erfüllen ihren Zweck ım Naturhaushalte, indem ihnen in erster 
Linie die minder lebensfähigen Individuen zum Opfer fallen, die 
starken aber erhalten bleiben. Sorglosigkeit verweichlicht und 
degeneriert. Das sieht man vielfach an dem Wilde der Kultur- 
länder, das den Gefahren durch Raubtiere und dem Nahrungs- 
mangel nahezu entrückt ist. Als wahre Schatten erscheinen im all- 
gemeinen unsere Rehe und Hirsche gegenüber denen des Südostens, 
wo in unentweihter Natur noch tatsächlich der Kampf ums Dasein 
herrscht, der ein starkes Geschlecht erzieht. 


28 Aphorismen über den Vogelschutz. 


Vermindern wir die Zahl der uns schädlichen Tiere, wenn 
selbe überhand nehmen; aber einer gänzlichen Ausrottung derselben 
vermöchte ich niemals das Wort zu reden. Wenn wir unsere 
älteren Faunen durchblättern, sehen wir mit Staunen, wie viel sich 
da in wenigen Dezennien geändert hat. Retten wir in letzter Stunde, 
was noch zu retten ist; gewähren wir auch den sogenannten Räubern 
in der Vogelwelt: den Adlerarten, dem Wanderfalken, dem 
Uhu und dem Kolkraben, einzelne Freistätten, ehe der letzte 
von ihnen dem Blei verfallen ist. Nicht vernichten die letzten 
Reste, sie zu erhalten soll unser eifrigstes Bemühen sein. 


Dem Vogelliebhaber das Halten von Käfigvögeln, dem Omi- 
thologen das Sammeln beschränken zu wollen, halte ich für ein 
durch nichts zu rechtfertigendes Vorgehen, gegen das jederzeit 
Stellung genommen werden muss. 


Wenn ich auch kein Anhänger der Verfechter der als nütz- 
lich betrachteten Insektenfresser bin, so bin ich doch ihr warmer 
Freund. Nutzen und Schaden werden zumeist überschätzt und auf 
einzelne Fälle basiert, die eben nicht Regel sind. Dieselbe Art, 
die hier nützt, kann dort schädlich werden; denn die Bewertung 
von Nutzen und Schaden ist relativ. Sicher ist es jedoch für 
mich, dass der Vogel als Glied in der Kette der Lebewesen seine 
Stelle ausfüllt und nur wir es sind, die die Glieder lockern. 


Villa Tännenhof bei Hallein, im Dezember 1906. 
v. Tschusi zu Schmidhoffen. 


Ein Seeadler im Thüringerwald. 


So selten man im deutschen Mittelgebirge Adler antrifft, um 
so mehr werden Ornithologen und Jäger es begrüssen, wenn dann 
ein solcher Vogel nicht unerkannt geschossen verludert, sondern iden- 
tifiziert einen Anhalt für den Zug derartiger Irrgäste geben kann. — 

Am 31. Oktober 1892, einem wunderbar schönen Herbsttage, 
kam ich zu einer seltenen Beute: 

Beim Nachmittagspirschgang auf weibliches Rotwild am nord- 
östlichen Abhange des Thüringerwaldes nahe dem Gebirgskamme 
(im oberen Teil des Leinagrundes zwischen dem „Neuen Haus“ 
und dem Dorfe Finsterbergen, Forstort Brandleite) hörte ich plötz- 
lich, wie dicht hinter meinem Rücken, einen rauschenden Flügel- 
schlag, drehte mich um und sah zirka 30 m hinter mir einen un- 
gewöhnlich starken Raubvogel abstreichen, der auf einer der 
höheren Fichten am Rande einer den Bergkamm überschreitenden 
Stallung gesessen haben musste. Auf meinen Schuss hin machte 
der Adler (denn als einen solchen erkannte ich ihn gleich) halb 
fallend eine Wendung und strich talauswärts ab, um, während 
seines Fluges genau von meinem Blicke verfolgt, auf einer starken 
Tanne am Forstorte Heuberg wieder aufzuhaken. Sofort rannte 
ich talauswärts nach, um mich an den Vogel heranzupirschen, als 
dieser plötzlich von oben in der Höhe der Baumkronen nach dem 
Wasserlauf herabstrich, dicht vor mir einen Haken schlug und nun 
direkt über mich hinzog. Auf meinen zweiten Schuss bergan 
streichend, fiel er zwischen den Bäumen nieder. Da er mich kampf- 
bereit erwartete, trat ich ihn rasch auf den Hals und fing ihn ab. — 
Die nähere Besichtigung ergab einen ausgewachsenen weiblichen 
Seeadler (H. albicilla) mit weissem Stoss und etwas abgeriebenem 
Gefieder von 8!/, Pfund Gewicht und 2,20 m Flügelspannung. Nach 


30 Ein Seeadler im Thüringerwald. 


Aussage des Ausstopfers bestand der Mageninhalt aus einer frisch 
gekröpften Krähe. — 

Wie sich nachträglich herausstellte, hatte sich dieser Seeadler 
schon mindestens 2 Tage vorher in derselben Gegend aufgehalten. Am 
29. Oktober 1892 war er von einem Treiber bei einem Fuchstrieb 
in der Nähe meiner ersten Anschussstelle aufgescheucht worden, 
als er auf einem verendeten Hirsche sass.. Am Tage darnach 
wurde er frühmorgens von einem Forstschutzbeamten gesehen und 
gemeldet. 

Das Wetter während dieser Zeit war ungetrübt. Diese Gegend 
des Gebirges ist fast ausschliesslich von Nadelholzhochwald ein- 
genommen, zwischen dem sich einzelne Schonungen und Wald- 
wiesen hinziehen; nur spärliche Wasseradern finden sich auf den 
Höhen, grössere Gewässer fehlen gänzlich. Der nächst grössere 
Flusslauf ist viel weiter westlich die Werra. 

Ich füge noch an, dass einige Jahrzehnte zuvor nur zirka 
1'/, Stunden von der Stelle meiner Beobachtung entfernt, nord- 
westlich vom Gebirgskamme, ebenfalls ein Seeadler erlegt worden 
sein soll. 

Gotha 1907. Öberförster R. Schaber. 


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Beobachtungen über Strix Flammea 
als Waldvogel. 


In meinem Aufsatze über das Vorkommen der Schleiereule 
auf der Balkanhalbinsel habe ich in den Wiener Mitteilungen über 
die Vogelwelt, Jahrg. VI, 1906, auf Seite 183 folgendes erwähnt: 

„Ferner ist auch die Behauptung falsch, die besagt, dass man 
die Schleiereule in Wäldern und im Gebirge vergebens sucht. Ich 
selbst habe in den Wäldern der Ausläufer des mährisch-schlesischen 
Gesenkes Schleiereulen angetroffen und ein brütendes Weibchen 
auf den Sparren eines „Heustadls“ mit Hilfe meines Begleiters 
sogar gefangen.* 

Gelegentlich unserer damaligen ornithologischen Streiferei, es 
war am 4. Maı 1891, kamen wir in einem Walde bei Wiese, nächst 
Jägerndorf in Österreichisch-Schlesien, der den Namen „Kreuzberg“ 
führt, an das erwähnte „Heustadl“, an dessen Spitze ein Haus- 
rotschwanz sass. Wir vermuteten sofort und mit Sicherheit, dass 
der Vogel sein Nest unter dem Dache habe, traten unter dasselbe, 
fanden aber kein Hausrotschwanznest, sondern auf einigen schwachen 
Sparren lag etwas Heu und auf diesem sass eine Eule. Mein Be- 
gleiter fasste rasch den Vogel, während ich mit der Hand 
in das Nest — wenn man überhaupt von einem solchen reden kann — 
fühlte und vier Eier zählte. Wir hielten das Gelege für nicht voll- 
ständig und hofften, bei unserem nächsten Wiederkommen fünf 
Stück Eier vorzufinden. 

Den Vogel direkt wieder auf das Nest zu setzen, hielten wir 
nicht für ratsam, weil derselbe nicht sitzen geblieben, sondern sofort 
aufgeflogen wäre und das Weite gesucht hätte, bei welcher Gelegen- 
heit die Eier ohne Zweifel aus diesem primitiven Neste geworfen 
worden wären; so haben wir den Vogel näher angesehen und 
gefunden, dass es eine Schleiereule war. 


32 Beobachtungen über Strix Flammea als Waldvogel. 


Diese war auf der Oberseite des Körpers dunkelaschfarben 
(graubraun) und auf der Unterseite gelbbräunlich mit viel dunklen 
Perlflecken, der Schleier hellrostfarben. 

Nehmen wir die Tafel VI von „Berajah“, Heft 2, zur Hand, 
so sah die damals von uns in Händen gehabte Schleiereule jener 
rheinischen sehr ähnlich, die sich als die dritte von unten befindet; 
nur war der Unterkörper viel mehr „beperlt* und der Schleier 
nicht weiss wie bei jener vom Rhein, sondern, wie ich schon be- 
merkte, hellrostfarben, also auch nicht so intensiv, so dunkel, als wie 
dies am zweiten rheinischen Vogel von unten auf derselben Tafel 
zu sehen ist. 

Nach dieser nur oberflächlichen Musterung ist die Eule frei- 
gelassen worden, flog nach dem ersten nächsten Baume und setzte 
sich ganz gemütlich auf einen Ast, von welchem aus sie jede 
unserer Bewegungen beobachtete. 

Ich komme hier auch auf die Behauptung zurück, nach welcher 
die Schleiereule bei Tage wenig oder gar nichts sehen soll. Ich bin 
aber überzeugt oder glaube es wenigstens zu sein, dass die Schleier- 
eule bei Tage sehr gut sieht, denn unser freigelassener Vogel starrte 
vom Aste durchaus nicht so glotzend ins Leere; im Gegenteil, er 
hat jede unserer Bewegungen, wie schon erwähnt, genau beobachtet 
und mit seinen Blicken verfolgt; und als wir uns entfernten, blieb 
die Eule auch nicht ruhig auf dem Aste sitzen, sondern sie drehte 
sich nach jener Richtung hin, nach welcher wir gegangen sind, 
offenbar nur zu dem Zwecke, um uns weiter beobachten zu können. 
Würde die Schleiereule bei Tage schlecht oder gar nichts sehen, 
so hätte sie unmöglich mit einer solchen Präzision auf dem Aste 
aufbäumen können und fürs zweite würde sie uns mit ihren Blicken 
undenkbar so verfolgt haben. 

Leider ist es uns damals des schlechten Wetters wegen nicht 
möglich gewesen, das Schleiereulennest zur rechten Zeit aufzusuchen, 
und als wir erst nach zirka 3 Wochen, am 23. Mai, hinkamen, 
sassen bereits die Jungen im Neste. Von diesen hatten wir nur 
zwei in Händen und soviel als ich mich zu entsinnnen vermag, 
sind die Jungen intensiver gefärbt gewesen als diejenigen auf 
„Berajah“-Tafel I. Nach weiteren zwanzig Tagen war das 
Nest ler. Ob die Jungen vielleicht von irgend einem 
Raubtier — es konnte ja auch ein zweibeiniges sein! — genommen 
worden oder zwischen den Sparren zu Boden gefallen sind und 


Aus einem Briefe an den Herausgeber. 33 


sich zerstreut haben, wer vermag das zu wissen? Kurz, die jungen 
und die alten Schleiereulen waren verschwunden und ausser etwas 
Gewölle und einigen Dunenfedern war von ihnen keine Spur mehr 
zu finden. Auch von Eischalen lag nichts am Boden. 

Ob in der Grösse der Jungen ein Unterschied zu sehen war, 
kann ich nicht entscheiden, denn ich hatte nicht alle vier beieinander 
gehabt, sondern nur zwei; übrigens hatte ich damals darauf nicht 
geachtet. 

Ebenso ist es mir nicht klar, ob wir das brütende Weibchen 
oder das Männchen in Händen hatten; ich glaube aber annehmen 
zu dürfen, dass es das erstere war; einen zweiten alten Vogel haben 
wir überhaupt nicht gesehen, trotz langen Suchens. 


Brünn, am 20. Januar 1907. Emil Rzehak. 


Aus einem Briefe an den Herausgeber. 


Letzten Sonntag machte ich bei Tiefenbachmühle (Ilfelder 
Tal bei Nordhausen) eine interessante Beobachtung: 

Eine Strecke oberhalb der Tiefenbachmühle bemerkte ich am 
Waldesrande eine ganz frisch gescharrte Höhlung unter dem tiefen 
Schnee, ähnlich einem Kaninchen- oder Fuchsbau. Der Gang war 
mit Tannennadeln und feinen Holzstückchen bedeckt. Es zeigte 
sich, dass es ein Ameisenbau war. Als ich näher herantrat, schoss 
auf einmal ein Grünspecht (Picus viridis, Weibchen) heraus und 
flog ein Stück weg. Bei der Rückkehr, nach 3 bis 4 Stunden, 
fand ich, dass der Gang von neuem gescharrt und der ganze Bau 
unterhöhlt war. Der Specht war aber verschwunden. Wie der 
Vogel unter dem tiefen Schnee den Hügel hat finden können, ist 
mir ein Rätsel. Übrigens war in der Nähe noch ein Ameisennest, 
welches ebenfalls unterminiert war, aber keine frischen Arbeits- 
stellen zeigte. — Übrigens habe ich an demselben Tage weiter 
oberhalb bei dem „Karlshause* ein Pärchen Schwarzspechte 
gesehen. 

Eisleben, 7. Februar 1907. Prof. Otto. 


Falco. B) 


34 


Verheilte Schusswunde am Schnabel 
eines Turmfalken. 


Herr W. Engler sandte mir kürzlich einen präparierten Turm- 
falken von Tsingtau, erlegt am 11. November 1906 bei Tsau po ling, 
Kiautschou-Gebiet. Der Vogel zeigt am Schnabel die hier ab- 
gebildete verheilte Verletzung. Ein starkes Schrotkorn hat von 
unten beide Kiefer durchbohrt und zerschmettert, 
so dass die Mundhöhle völlig offen liegt. Trotz- 
dem brachte der Vogel es fertig, sich zu ernähren 
und dazu noch sein Gefieder zu wechseln. Er 
steht mitten in der ersten Mauser. Herr Engler 
schreibt: „Im Magen fanden sich nur Heu- 
schrecken. Der Vogel flog ebenso wie jeder andere Raubvogel, 
nicht matt. Er war nicht abgemagert. Ein Zeichen davon, dass 
ihm die Heuschrecken hinreichend Nahrung geboten haben.* Ob 
sonst in Nord-China, wie es in Afrika der Fall ist, Heuschrecken 
zur ganz normalen Lieblingsnahrung der Turmfalken gehören, weiss 
ich nicht. Doch liegt es nahe, anzunehmen, dass der vorliegende 
Vogel sich ausschliesslich dieser Nahrung zugewandt hat. Inter- 
essant sind solche Vögel mit verkrüppelten oder entarteten?) 
Schnäbeln aus einem anderen Grunde: Die Natur ist doch nicht 
so unbarmherzig, wie man es der Selektionslehre zu liebe heute 
fast allgemein annimmt. Auch das Schwache und Kranke muss nicht 
durchaus vernichtet werden und zugrunde gehen. Theoretiker 
machen eine einzige kannibalisch gruselige Mordgeschichte aus dem 
gesamten Naturleben. Der tiefere Beobachter und Kenner aber 
weiss, dass es wohl einen ständigen Kampf in der Natur gibt, den 
siegreichen „Kampf der Lebensenergie gegen Lebenshinder- 
nisse“, dass aber der eigentliche Widerstreit (Konflikt), „der so- 
genannte Kampf ums Dasein“, nur einen sehr kleinen Teil 
von jenem ausmacht. 


1) Ich könnte das Beispiel der oben abgebildeten Haubenlerche und 
dieses Turmfalken noch um zahlreiche andere aus meiner Sammlung 
vermehren. O. Kl. 


Besprechung der dem Herausgeber eingesandten Schriften ete. 
erfolgt in nächster Nummer. 


35 


Mitteilungen über Berajah und Falco. 
Die Abonnenten werden gebeten, nachzuprüfen, ob sie die 
erschienenen Teile richtig erhalten haben. 
Erschienen sind bis jetzt: 


Falco 1905. 1 bunte Tafel, 108 Seiten Text. Preis für nach- 
Berajah 1905. Saxicola Borealis, 6 bunte, 3 schwarze | Pestellende neue 
Tafeln, 22 Seiten Text. 8 Mark. 


Falco 1906. 1 schwarze Tafel, 104 Seiten Text. Preis für mache 
Berajah 1906. Strix Flammea, 7 bunte, 3 schwarze \ bestellende neue 
Tafeln, 20 Seiten Text. Abonnenten 

Beilage. Tabelle der Brehmschen Schleiereulen. 8 Mark. 

Der Preis für Falco 1907 und Berajah 1907 zusammen 
beträgt für alle Abonnenten 8 Mark. 

Falco erscheint von 1907 an mindestens vierteljährlich einmal 
und ist wenigstens 100 Seiten im ganzen stark. Davon wird ein 
Teil auf die allmählich erscheinende Beilage: Deutsches Vogelschutz- 
buch verwandt werden. 

Berajah bringt 1907 zwei kürzere Monographien, die erste 
über den Steinkauz, die andere über den Hausrotschwanz. Davon 
wird die erste spätestens im Mai, die zweite voraussichtlich im 
Oktober vollständig. Ein Teil ist bereits seit Dezember 1906 
fertig, doch kann bei Redaktionsschluss dieser Falconummer noch 
nicht entschieden werden, ob in diesem Jahre mit jedem Heft von 
Falco zugleich ein Teil von Berajah erscheint, oder ob die beiden 
Monographien dem Mai- und Oktoberheft beigegeben werden. Für 
die Monographie des Steinkauzes sind drei Tafeln, für die des 
Hausrötels 6 Tafeln vorgesehen. Über Mappen wird später Näheres 
mitgeteilt. 


Wegen Aufnahme anderer Studien hat sich Herr Rob. Lenssen 
in Odenkirchen, Rheinprovinz, entschlossen, seine Sammlung 
aufgestellter Vögel und einige Säugetiere (Wildkatze, Fisch- 
otter etc.), meist ausgesuchte einheimische Stücke, ein Teil Exoten, 
zu billigem Preise in gute Hände abzugeben. Anfragen direkt 
an Herrn Fabrikant Lenssen. OKI. 


3*+ 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 
erscheinende Zeitschrift. 


Jahrgang 1907, No. 2. 
Ausgegeben: Mai 1907. 


” 


| Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, | 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. >. 


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Kommissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


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FALCO. 


Dritter Jahrgang. 


No. 2. Mai. 1907. 


Die deutschen Wanderfalken. 


Im vergangenen Winter schickte mir Herr Hilgert noch zwei 
prachtvolle alte Wanderfalkenmännchen im Fleische zur Begut- 
achtung, die durch ihre lichte Färbung dem hier wiederholt be- 
sprochenen Falco Peregrinus leucogenys sehr nahe standen, 
aber geringere Masse zeigten. Sie passten genau zu mehreren mir 
früher zur Ansicht gesandten, gleichfalls zur Winterszeit in Deutsch- 
land erlegten Weibchen und bewiesen zunächst, dass man sich 
hüten muss, jeden hellen Wanderfalken als leucogenys zu be- 
zeichnen. Ich habe nun noch vier russische Vögel der von 
Erlanger’schen Sammlung genau verglichen und bin zu folgen- 
dem Resultat gelangt: Die hellen, aber kleinen deutschen Winter- 
vögel stimmen mit drei Brutvögeln vom Gouvernement Peters- 
burg überein, denn von diesen sind zwar die zwei Männchen grösser, 
aber das Weibchen relativ klein (Flügel: 31,0, 31,2, 35,0 cm). 
Diese Vögel brüteten auf dem Boden und hatten im Juni Junge. 
Ein leucogenys-Männchen von Petrowsk vom 17. Mai 1895 hat 
weiter gestellte Bänderung auf dem Unterflügel, und der Fittich 
misst, wenn man sich die mausernde zweite Schwinge ergänzt 
denkt, 31,0 bis 31,5 cm. Dieser Vogel war wahrscheinlich erst 
auf dem Zuge nach dem Norden bez. Nordosten. Um nun ganz 
ins Klare zu kommen, gilt es festzustellen, wie die hellsten 
Wanderfalken aussehen, welche in Deutschland brütend 
gefunden werden, ob die Vögel mit reinweisser Grundfarbe 
des Unterflügels wirklich nur im Winter bei uns weilen. Dann 
kommt die Frage, wie weit im Norden und Nordosten (Skandi- 
navien, Russland, Sibirien) einerseits kleine, andrerseits dunkle 
Vögel neben typischen grossen und hellen Vögeln sich finden. 
Bis zu dieser Feststellung bleiben die Formen griseiventris, 
brevirostris, leucogenys fraglich oder unklar. Aber nicht die 
subtile Trennung der Subtilformen ist hierbei unser Ziel, sondern 


vielmehr die Frage: Verleiht dem Wanderfalken, dessen cn er 


Falco. 


38 Ein interessantes Brutpaar von Strix Flammea. 


jeder Isolationstheorie spottet, den nur die Heimatliebe zum Horst- 
platz zurücktreibt, natürliche Rassenzüchtung die Farben, oder 
bewirkt der feuchtere oder trockenere Lufthauch, in dem der Vogel 
täglich sein Gefieder badet, die auffälligen geographischen Unter- 
schiede, die vielleicht nicht jedes einzelne Individuum, aber wohl 
die Gesamtheit der in einem Gebiete heimischen Falken bestätigt? 
OÖ. Kl. 


Ein interessantes Brutpaar von Strix Flammea. 


Im vergangenen Jahre erzählte mir Freiherr von Berlepsch 
gelegentlich einer Besichtigung seiner Vogelschutz-Versuchsstation 
in Seebach, dass bei Cassel die englische Form der Schleiereule 
gefunden worden sei und dass sich der interessante Vogel im Be- 
sitz der Dermoplastischen Kunstanstalt von Bleil& Wögerer 
in Öassel befände Auf nähere Erkundigung hin gab mir die 
Firma bereitwilligst Auskunft und stellte mir das auf Tafel 1. 
reproduzierte Photogramm in liebenswürdigster Weise für „Falco“ 
zur Verfügung. Der helle Vogel, der an Hals, Brust und Bauch 
rein weiss ist, war ein Weibchen und mit dem daneben sitzenden 
normalgefärbten Männchen gepaart. Beide Eulen wurden beim 
Kirchturm in Niederzwehren gefangen. Die genannte Firma 
brachte dieselben käuflich an sich und trat sie später an Herrn 
Carl Schütze in Cassel ab. 

Es wird sich wohl kaum um einen nach Deutschland ver- 
irrten englischen Vogel, sondern wahrscheinlich um eine extreme 
Varietät, richtiger Aberration, der mitteldeutschen Schleiereule 
handeln. In dem Begleitschreiben wird gleichfalls letztere Ansicht 
ausgesprochen: „Rein weisse Färbung, wie diese war, mag wohl 
hierzulande sehr selten sein. In unserer ganzen Praxis in allen 
Teilen Deutschlands ist dies der zweite Fall, dass wir ein solches 
Exemplar unter die Hände bekamen. Der erste war in Öhringen, 
Württemberg, wo die Eule tot in einer Scheune gefunden wurde.“ 

Gelegentlich weiteren Briefwechsels teilten mir Herr Bleil und 
Wögerer noch mit, dass die Geschlechtsbestimmung unzweifelhaft 
sicher ist, da sich im Ovidukt des weissen Vogels zwei Eier vor- 
fanden, das eine legereif mit Schale, das zweite von Normalgrösse 
ohne Schale. Am Ovarıum befanden sich noch drei in verschieden 


Ein interessantes Brutpaar von Strix Flammea. 39 


entwickelten Stadien befindliche Eier von der Grösse einer Hasel- 
nuss bis zu der einer Eirbse. 

Es wäre demnach wohl weniger Langsamkeit der Eierbildung, 
als Bebrütung vom ersten Tage des Eierlegens an, was die merk- 
würdige Verschiedenheit der Entwicklung bei Eulenbruten her- 
vorruft. 

Im letzten Brief teilten mir die erwähnten Herren noch Fol- 
gendes mit: „Die Verschiedenheit der Grösse der Jungen einer 
Brut konnten wir vergangenes Jahr wiederholt feststellen, da uns 
sechs solche in die Hände kamen. Eine davon zogen wir auf, 
wobei sich das Grössenverhältnis im Laufe der Entwicklung voll- 
ständig bis auf den Geschlechtsunterschied ausglich.!) Eine noch 
nicht flügge Brut von 5 Stück erhielten wir noch am 25. November 
1906 mit ganz gewaltigen Grössenunterschieden.* 

Das abgebildete Pärchen hat deshalb noch ein besonderes 
Interesse, weil es recht anschaulich die Tatsache vor Augen führt, 
dass einzelne Aberrationen nicht die Stamm-Mütter neuer 
Arten werden können, sondern sich durch die Vermischung mit 
normalen und entgegengesetzt variierenden Individuen wieder aus- 
gleichen. 

Vielleicht ist einmal jemand so glücklich, von einem auch 
nur annähernd so verschiedenen Brutpaar die Färbung der Jungen 
festzustellen, oder bei ähnlicher Verschiedenheit von Geschwistern 
die Färbung der Eltern. ORT. 


1) Herr Seminardirektor P. Ernst Schmitz in Funchal bemerkt 
in einem Brief, worin er mir in dankenswertester Weise eine Variations- 
reihe der Madeira-Form für die Nachträge zu Berajah, Heft II. zur 
Verfügung stellt, dass eine dort gefundene Brut von 6 jungen Schleier- 
eulen — die schönsten vollen Wollkugeln — mit Ausnahme eines 
Exemplars keine Grössenunterschiede zeigte und dass das Dunen- 
kleid (also wohl das zweite) rein weiss war. Ob hier der Unterschied 
bereits ausgeglichen war? Die Madeira-Form zeigt auch sonst kleine, 
offenbar durch ihre Heimat bedingte Verschiedenheiten. DIR 


4* 


40 


Das Ende eines Sperbers. 


Von Eugen Donner. 


Am 28. November v. J. wurde mir von einem jungen Burschen 
ein Sperber ins Haus gebracht. Es war ein Weibchen und ein 
sehr schönes Exemplar. Folgende Masse konnte ich feststellen: 
Ganze Länge: 37 cm, Klafterweite: 70 cm, Schwanz: 20 cm, Länge 
des Laufes: 6,3 cm, der Mittelzehe: 3,9 em. Wie man sieht, ein 
ganz respektabler Kerl. Der Überbringer erzählte mir, dass der 
Sperber ein Opfer seiner Mordlust geworden sei. In einem be- 
nachbarten Garten hatte der Bursche Leimspindeln zum Fange 
von Vögeln aufgerichtet (ein Vorgehen, das selbstverständlich ver- 
boten ist), und richtig fing sich bald ein Dompfaff — Gimpel, 
wie man hier in Wien sagt. Der Vogel sollte eben befreit werden, 
als sich in sausendem Schwung ein Sperber auf ihn stürzte. Die 
Spindeln legten sich auf die Schwingen des tollkühnen Räubers. 
Er mochte herumschlagen, so viel er wollte, der zähe Leim hielt 
ihn gefesselt. Nach vergeblicher Gegenwehr wurde der Raubvogel 
von den Leimruten befreit und abends mir übergeben. Während 
der Bursche den Vogel noch in der Hand hielt, näherte ich meinen 
Finger dem Sperber, welcher mit seinem Fang sofort nach mir 
schlug. Die nadelscharfen Krallen verursachten sofort entsprechende 
Wunden, weshalb ich beschloss, von nun an mit dem Herrn nur 
mit Glac&handschuhen zu verkehren. Um ihm nach den Auf- 
regungen Erholung zu gewähren, steckte ich ihn in einen Käfig. 
Der Raubvogel blieb in der hintersten Ecke auf den Sand gedrückt 
hocken. Aus Furcht vor einer Beschädigung seiner schönen Schwanz- 
federn lancierte ich ihn mittels eines Stabes auf das Trittholz 
hinauf, wo er nun ruhig sitzen blieb. Auf einem Stäbchen reichte 
ich ihm ein mit Ossa sepia und Federn bedecktes Stück Rindfleisch. 
Wütend hackte er darnach, behielt das Fleisch eine Weile im 
Schnabel, warf es aber schliesslich wieder weg. Wasser wurde 
ebenfalls verschmäht. Nun legte ich seine Mahlzeit neben ihn 
hin, hoffend, dass der Sperber bei eingetretener Ruhe kröpfen 


Das Ende eines Sperbers. 41 


werde, doch am nächsten Morgen lag das Stück Fleisch unberührt 
da. Ein neuerliches Aufdrängen war wieder vergeblich. Während 
des Tages sass er apathisch, ohne den Platz zu wechseln, auf dem 
Trittholz. Am Abend ging ich daran, ihm eine Lederfessel an- 
zunähen, damit ich mit seiner Zähmung ausserhalb des Käfigs be- 
ginnen könne. Das war nun keine leichte Arbeit. Ich warf ihm 
ein Tuch über den Kopf, packte ihn am Rücken und legte ihn auf 
eine Tischplatte. Ein Gehilfe hielt den Vogel fest; unterdessen 
erhaschte ich einen der Fänge, mit denen er wie rasend um sich 
hieb, und umwickelte die Zehen mehrmals mit Handschuhleder. 
Jetzt erst waren alle Vorbereitungen getroffen. Um den noch 
blossen Fang legte ich nun unter Assistenz oberhalb der Fuss- 
wurzel die Lederfessel mit dem Ring an, die dann fest vernäht 
wurde Nach dieser Prozedur schien der Sperber etwas betäubt, 
obwohl ihm, worauf ich sehr achtgab, kein Leid zugefügt wurde. 
Er erholte sich rasch und blieb auf dem Ständer angekettet sitzen, 
nur kröpfen wollte er nicht. Am Morgen des 30. November waren 
meine Bemühungen, ihn zur Annahme von Nahrung zu bewegen, 
leider neuerdings erfolglos. Regungslos sass das Tier tagsüber in 
seinem Käfig. Abends nahm ich es heraus und setzte es auf den 
Ständer. Der Sperber blieb ruhig sitzen, rührte sich auch nicht 
als ich ganz an ihn herantrat, liess sich anrühren, stieg nach 
einiger Nötigung auf meine Hand, wieder zurück auf den Ständer, 
ja auch gegen eine kleine Wanderung auf meiner Hand im Zimmer 
hatte er nichts einzuwenden, selbst streicheln liess er sich, was 
er sonst doch höchst übel aufgenommen hatte. Diese all zu grosse 
Vertraulichkeit im Vereine mit der beharrlichen Verweigerung der 
Nahrungsaufnahme brachte mir die Gewissheit, dass der Vogel 
krank sein müsse, obwohl die gewöhnlichen Anzeichen von Indis- 
positionen (Sträuben des Gefieders, Verstecken des Kopfes unter 
den Flügeln, Schliessen der Augen u. a. m.) gänzlich fehlten. Ich 
wollte den armen Kerl nicht länger quälen und setzte ihn in sein 
Häuschen, aber am nächsten Morgen, dem 1. Dezember, lag er, 
von dessen Zähmung ich mir so viel des Interessanten versprochen 
hatte, tot im Sande. Was wohl die Ursache war? Kam das Tier 
schon mit einer Verletzung — es hätte nur eine innere sein 
können — in meine Hände? Oder trat der Tod infolge des 
Schmerzes über den Verlust der Freiheit ein? Dies scheint mir 
am naheliegendsten. Hunger kann es kaum gewesen sein, denn 


42 Beobachtungen über Sperber. 
Raubvögel können eine Woche hungern. Ja, der Verlust der gol- 
denen Freiheit, der kann wohl den kühnen Räuber getötet haben. 
Welch ein Unterschied zwischen dem schrankenlosen Leben draussen 
und dem freudlosen Dasein hinter den Gitterstäben. Deshalb sass 
der arme Wicht ganz gleichgiltig, mit sich und der Welt zerfallen, 
da. An dieser Depression ist er zugrunde gegangen. Die Raub- 
vögel sind alt eingefangen schwer fortzubringen, nicht alle, doch 
immerhin etliche. Der Sperber, ein echter Strauchritter, dürfte 
einen solchen Schicksalsschlag nicht leicht überwinden können. 
Aber gerade diese Eigenschaften, dieser unbändige Trotz machen 
mir die Raubvögel so interessant. Hoffentlich habe ich bald 
wieder Gelegenheit, einen wild eingefangenen Räuber zu bekommen, 
und das Glück ist mir dann günstiger als bei meinem armen 
Sperber. 


Beobachtungen über Sperber. 


Der vorstehende mir für den Falco eingesandte Artikel gibt 
mir Veranlassung, einige meiner eigenen Beobachtungen anzufügen, 
denn auch für mich bildet die Psyche des Sperbers noch ein 
recht ungeklärtes Rätsel. In Gefangenschaft hielt ich diesen 
kleinen Räuber zweimal. Im Jahre 1891 zog ich mehrere junge 
Sperber auf und fand diese von recht verschiedenem Naturell. 
Einer badete regelmässig und hielt sein Gefieder tadellos in 
Ordnung.!) Ein anderer war ein unverbesserlicher Struwwelpeter. 
Letzterem wollte ich die Freiheit geben, aber er benahm sich 
draussen so ungeschickt und trotzig, dass er sich von einem daher- 
eilenden Hund überrennen liess. 

Im Dezember 1902 schickte mir Herr Brauer aus Wettin 
ein Männchen, einen Wildfang. Ich konnte die wunderbare Ge- 
wandtheit beobachten, wenn ich es in der Stube umherfliegen liess. 
Ich fesselte den Vogel auf einem Stuhle an, um ihn zu zeichnen. 
Er legte sich anfangs immer kampfbereit auf den Rücken und 
blieb regungslos so liegen, so lange ich in der Stube war. Frisch- 
geschossene noch blutwarme Sperlinge griff er sofort mit Ungestüm, 
wenn ich sie ihm zuwarf, und kröpfte sie dicht vor mir auf dem 


!) Bei allen wurde die Irisfarbe weiss statt gelb. 


Beobachtungen über Sperber. 43 


Stuhle neben meinem Schreibtisch. Dann sass er zusammengeduckt 
und aufgeplustert in träger Verdauungsruhe mit zum Bersten 
gefülltem Kropf. Bei dem liess also der Appetit nichts zu 
wünschen übrig. Der Vogel war jung, Herrn Donners Vogel 
vielleicht alt und darum widerspenstiger. 

Hier muss ich erwähnen, dass über das Jugend- und Alters- 
kleid des Sperbers immer noch irrige Ansichten verbreitet sind. 
Auch in dem vom Kaiserlichen Gesundheitsamt herausgegebenen 
Flugblatt No. 31 über Turmfalk und Sperber wird das 
Jugendkleid des letzteren so abgebildet und beschrieben, als ob 
pfeilförmige Flecken und nur schwach angedeutete Bänderung 
auf der Unterseite die Regel wäre. 

In Ostdeutschland mögen solche Sperber häufiger vorkommen. 
In Mittel- und Westdeutschland sind sie eine verhältnismässig 
seltene Ausnahme. Hier ist, wie ich an zahlreichen kaum flüggen 
Nestjungen nachweisen konnte, schon das Jugendkleid in der Regel 
gebändert. Das einzige sichere Kennzeichen, ob man einen alten 
oder jungen Sperber vor sich hat, ist die Färbung der Oberseite. 
Beim jungen Vogel fehlen ihr nie die rostfarbenen Federsäume, 
die auch im ganz abgeriebenen Zustand noch teilweise erkenn- 
bar sind. 

Nachfolgend will ich drei höchst merkwürdige Beobachtungen 
über Sperber mitteilen. Die erste rührt von Herrn R. Wohlfromm 
aus Brödlauken (Ostpreussen) her, den ich als sehr tüchtigen und 
höchst sorgfältigen Beobachter kennen lernte. Ich führe hier 
den Wortlaut seines Briefes an. 


„Schlodien, 25. Februar 1896“. 


„Vor einigen Tagen hatte ich hier Gelegenheit, die Schlauheit 
eines Sperbers zu bewundern. Ich stand am Fenster und sah den 
kleinen Vögeln zu, die unten auf der Erde herumhüpften. Plötz- 
lich erschien ein Sperber, die Vögel mussten ihn wohl zu früh 
gesehen haben, denn es gelang ihnen entweder hoch in die Luft 
zu steigen oder in die Ställe zu flüchten. Der Sperber beachtete 
die Tiere scheinbar nicht weiter, sondern setzte sich auf einen 
kleinen Arbeiterschlitten und blieb dort. Nach kurzer Zeit fing 
er an zu taumeln, breitete die Flügel aus, fiel nach vorn über 
und blieb liegen. Die Spatzen, die ihn beobachtet hatten, näherten 
sich langsam und setzten sich zuletzt auf den Rand des 


44 Beobachtungen über Sperber. 


Schlittens!). Plötzlich fuhr der Sperber auf, ergriff nach kurzer 
Verfolgung einen Sperling und verschwand. Die Sache war mir 
sehr interessant, da ich zum ersten Male ein solches Kunst- 
stückchen von einem Sperber gesehen hatte. 

Jetzt ruht er schon in den ewigen Jagdgründen, denn er 
stiess vorgestern bei der Verfolgung eines Vogels gegen ein 
Drahtgitter, fiel betäubt herunter und liess sich dann von einem 
Baume, auf den er zuletzt noch hinflatterte, leicht herabschiessen.*“ 

Ich teilte, wenn ich mich recht entsinne, Herrn Wohlfromm 
damals meine Zweifel mit betreffs der Deutung dieses Vorgangs. 
Der Sperber konnte ja schon vorher einmal bei hitziger Jagd 
seinen Kopf an einen Zweig oder dergleichen gestossen haben 
und wirklich betäubt oder sonst krank gewesen sein. 

Seitdem konnte ich aber selbst zwei Beobachtungen machen, 
die die Frage nahelegen, ob der ja bekanntlich fast stets hinter- 
listig jagende Sperber, der in der Überraschung der Opfer seinen 
Erfolg sucht, nicht geradezu zur Verstellung greift. 

Ich stand vor dem Dorfe Schönstadt bei Marburg in Hessen. 
Ein Sperber eilte an mir vorüber in niedrigem Fluge den nächsten 
Häusern zu, wo er es offenbar auf Überraschung von Sperlingen 
abgesehen hatte Als er in die Nähe der Häuser und der sie 
umgebenden Dorfgärten kam, nahm er — ich traute fast meinen 
Augen nicht — plötzlich den hüpfenden Bogenflug des 
Grünspechtes an, um dann zwischen den Dächern zu ver- 
schwinden. 

Am 4. September 1903 stand ich mit meinem Freunde 
Dr. Thielemann, mit dem ich manche Sperberjagd am Horst 
gemeinsam erlebt habe und der das Flugbild des Sperbers eben- 
sogut kennt wie ich, im Hofe des Pfarrgehöfts hier in Volkmaritz. 
Hoch in der Luft lärmte ein Flug Schwalben. Sie verfolgten 
einen Vogel, der eine ganz merkwürdige Flugbewegung hatte: 

!) Sollte der Sperber in dieser Stellung auf die neugierigen Vögel 
ähnlich gewirkt haben wie ein Steinkauz? Die weissen Oentren der 
gesträubten Schulterfedern und die gelben Augen bilden eine ge- 
gewisse Analogie, die mir schon als Kind auffiel. Ein merkwürdiger 
Gegensatz zu dem Entsetzen, das das auch nur von fern erscheinende 
Flugbild des Sperbers bei den Sperlingen hervorruft. Aber ich habe 
öfter gesehen, dass Baumfalken und Sperber, sobald sie schwerfälligen 


(ermüdeten ?) Flug zeigten, eifriger von den Schwalben und Bachstelzen 
verfolgt wurden. O. Kl. 


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Beobachtungen über Sperber. 45 


immer zwei Flügelschläge mit nah an den Körper gehaltenen 
Schwingen. 

Wir hielten es für ausgeschlossen, dass es ein Raubvogel sein 
könne und disputierten — meine Frau war gleichfalls Augenzeugin 
des Vorganges — ob es ein Star, ein Specht oder eine Drossel 
wäre. Letzteres war meine Meinung. 

Da plötzlich kehrt sich der Verfolgte blitzschnell um, greift 
aus dem verfolgendem Schwarm eine Schwalbe und entpuppt sich 
als Sperbermännchen,?!) das nun im normalen Flug des Raubvogels 
mit der Beute in den Fängen abzieht. 

Man kann nun freilich in beiden Fällen annehmen, dass lediglich 
eine Verlangsamung des Flugtempos von dem Vogel beabsichtigt 
war und dadurch die sonderbaren Flugbilder entstanden. Wenn 
man einen gefangenen Sperber im Zimmer fliegen sieht, kann man 
dies begreifen und wundert sich, dass der so geschickte Vogel in 
anderen Fällen an Hindernisse oder Fensterscheiben stösst. 

Oder haben diese drei Sperber doch Verstellungskünste geübt? 
Vielleicht veranlasst dieser Artikel andere Mitteilungen, welche die 
Sache weiter klären??) Ich möchte, da die Mimikryfrage jetzt viel 
erörtert wird, dazu Anregung geben. 

Die unangenehmste Seite des Sperbers in der Gefangenschaft 
ist die Gewohnheit, seine Entleerungen weit; wegzuspritzen. Das 
macht ihn den meisten Falkenliebhabern auf die Dauer unmöglich. 

Herr Präparator Tautz in Halle erzählte mir unlängst von dem 
sehr merkwürdigen „Ende eines Sperbers“, der im vergangenen 
Winter in seine Hände kam und dem jene Eigenschaft zum Ver- 
hängnis wurde. Der Vogel hatte sich, so berichtete man ihm, 
mit seinem Kote den Schwanz, d.h. wohl die Unterschwanzdeck- 
federn, beschmutzt (infolge von Krankheit?) und war bei strengem 
Froste mit diesen auf dem Aste, auf dem er sass oder schlief, festge- 
froren. So fand man ihn, wenn ich mich recht entsinne, bereits verendet. 


0. Kl. 


1) Ich habe inder Tagebuchnotiz bemerkt: „(oder Merlin-Männchen)‘, 
weil selbst der Geübte (vergl. Brehm) in manchen Fällen, so unwahr- 
scheinlich es klingt, diese zwei kleinen Raubvögel verwechseln kann. 
Hier ist es kaum anzunehmen. Ich habe noch notiert, dass sowohl Flug- 
bewegung wie Flugbild beide zuerst ganz befremdend waren. 

®) Naumann und E. von Homeyer haben ja bereits Ähnliches be- 
obachtet. | 0. Kl. 


46 Die grönländische Form der Stockente. 


Die grönländische Form der Stockente. 


Lehn Schioler hat die grönländische Stockente 1905 als 
Anas boschas spilogaster 
abgetrennt auf Grund ihres blasseren Rückens, ihrer bedeutenderen 
Grösse und ihres kleineren Schnabels. 

Chr. L. Brehm hat aber bereits die grönländische Form unter- 
schieden und ganz übereinstimmend mit Schioler den kürzeren 
Schnabel und die lichtere Zeichnung als Charakter angegeben. Der 
Name spilogaster muss also vor dem älteren Namen 

Anas boschas conboschas (Brm.) 
1855 Vollst. Vogelfang, p. 272, zurücktreten. 

Ich besitze ein Männchen dieser Form und habe dasselbe bereits 
im Neuen Naumann, Band X, Tafel 3, Fig. 1 abgebildet. Die Zahl 
der Steuerfedern ist wie bei der gewöhnlichen Stockente.e Am 
auffallendsten ist die bedeutende Grösse bezw. Flügellänge, 30 cm 
gegen 27 bei dem auf der ersten Naumanntafel abgebildeten 
boschas-Männchen vom Rhein. Die Schnäbel differieren nur um 
ein paar Millimeter, doch fällt die Differenz sehr ins Auge. Wo 
man bei Entenjagden dazu Gelegenheit hat, versäume man nicht, 
die Fittichmasse ausgefiederter Erpel zu notieren, da es vielleicht 
noch weitere geographische Grössenverschiedenheiten gibt und Fest- 
stellung der Variationsweite des einheimischen Vogels vor allem 
nötig ist. O0. KE 


Über eine Vogelsendung aus Südrussland. 


Von Herrn Schlüter erhielt ich unlängst eine Anzahl Vogel- 
bälge von der Wolga. Da diese Vögel auf Grund vorher auf- 
gestellter Desideratenliste zur Lösung bestimmter Fragen gesammelt 
waren, ergaben sie mehreres recht Interessante, das ich hier kurz 
bespreche. 

Alauda Galerita tenuirostris (Brm.) 

Die von Hartert (Vögel der pal. Fauna p. 230) angegebenen 
Unterschiede dieser noch fraglichen Form treffen bei dem leider 
einzigen Exemplar, das die Sendung enthielt, zu (mit einer Suite 
von caucasica verglichen). 

Alauda Otocorys. 

Eine hübsche Reihe von Wintervögeln bestätigt, dass in 

der Tat die in Falco 1906 p. 37 und 38 besprochenen Unter- 


Über eine Vogelsendung aus Südrussland. 47 


schiede zwischen den von O. Leege gesammelten Vögeln und denen 
östlicher Herkunft bei aller Geringfügigkeit konstant sind. Wird 
man auch nicht jedes einzelne Stück ohne Kenntnis der Heimat 
bestimmen können, so muss doch zwischen der sibirischen Form 
flava und der westskandinavischen striata künftig unterschieden 
werden. Inwieweit erstere von der amerikanischen alpestris unter- 
schieden werden kann, bleibt zu untersuchen. Das interessante 
ist, dass die dunkle Form die feuchte Meeresküste, die helle die 
trockene Steppe als Winterquartier wählt. 


Erithacus volgae form. nov. 
Ein Blaukehlchen vom Maı hat weissen Stern. Von Erithacus 
Astrologus cyaneculus unterscheidet es sich durch kürzeren Flügel. 
Von der asiatischen Form abbottı durch kürzeren Schnabel. 


Emberiza citrinella erythrogenys (Brm.) 


Eine Suite zeigt die von Hartert (V. pal. F. p. 169) ange- 
gebenen Unterschiede. Zwei Vögel zeigen Spuren von rotem 
Kinnfleck. 

Carduelis carduelis major (Tacz.) 


Von diesem prachtvollen reingefürbten grossen Stieglitz ent- 
hielt die Sendung gleichfalls mehrere Stücke. Bisher hatte ich 
einen Distelfink von Kumbaschinsk (Transkaspien, 9. Februar 1896) 
für major gehalten. Nun sehe ich, dass er entweder ein Mischling 
von major und orientalis ist oder dass man ihn wegen seiner 
geringen Grösse (Flügel 80 mm) zu dem von Hartert auf Seite 70 
seiner Vögel d. pal. Fauna erwähnten Carduelis elegans brevirostris 
oder minor Sarudny ziehen muss. Hartert hat übersehen, dass der 
Name C. c. brevirostris durch Carduelis flavirostris brevirostris 
(Moore 1855) den bleichen östlichen gelbschnäbligen Hänfling 
präokkuppiert ist (s. Hartert p. 77). Auch der Name Carduelis 
minor ist durch Carduelis minor Brehm verbraucht. Sarudnys 
kleiner grauer Stieglitz muss also einen neuen Namen haben. 
Trennt man die Gattungen Carduelis und Acanthis, so wird dies 
nicht nötig. Mit einer Neubenennung empfiehlt es sich zu warten, 
bis die Brutheimat von „Carduelis brevirostris (Sarudny 
nec Moore) ermittelt ist, damit der neue Name sicherer begründet 
ist als der alte. OKI. 


48 


Literaturbesprechungen. 
Prof. Dr. Otto Schmiedeknecht, Die Wirbeltiere Europas 


mit Berücksichtigung der Faunen von Vorderasien und Nordafrika. 
Verlag von Gustav Fischer in Jena 1906. 472 Seiten. 


Ein Werk, das man sich längst gewünscht hat und dessen 
Fehlen seither mancher Naturfreund schmerzlichst vermisste. Die 
Einzelforschung hat sich so riesig ausgedehnt, dass der Zoologe, 
der etwas leisten will, geradezu genötigt ist, sich ein Sondergebiet 
auszusuchen. Um so nötiger wird deshalb eine kurz orientierende 
Übersicht über das Ganze. Die Spezialisten werden an einer der- 
artigen Arbeit leicht Einzelheiten zu tadeln finden und dies Be- 
denken war es, was seither das Erscheinen einer solchen Zusammen- 
fassung verhindert hat. Um so mehr sollte man deshalb dem 
Verfasser ohne kleinliches Mäkeln Dank zollen. Seit 1840 hat 
sich niemand an die Aufgabe herangewagt. Wenn Verfasser sogar, 
was man von einem solchen Werke gar nicht verlangen konnte, 
auf die geographischen Verschiedenheiten eingeht, so hat ihm wohl 
der Weitblick, den er auf seinen Reisen gewann, den Wert der- 
selben gezeigt. Das Ganze ist ein systematischer Bestimmungs- 
schlüssel. Sehr beherzigenswert sind einige Sätze aus dem Vor- 
worte. Es heisst da: 

„Man rede deshalb heutzutage nicht von der toten Systematik, 
wie das so Mode geworden ist. Es ist dem Neuling freilich be- 
quemer, und es geht weit schneller, sich mit einigen kühnen 
Sprüngen zum Entdecker gewagter Behauptungen und Hypothesen 
zu machen, als in jahrelanger Lehrzeit den Blick erst zu schärfen 
und sich so allmählich zum Meister emporzuarbeiten. Man spricht 
jetzt so viel von Biologie. Da habe ich nun die Beobachtung 
gemacht, dass viele dabei recht wenig, oder was noch häufiger 
der Fall ist, viel zu viel sehen. Das ist eben der grosse Nutzen 
der Systematik, dass man durch sie erst das Sehen lernt. Der 
müsste überhaupt ein merkwürdiger Systematiker sein, der nicht 
zugleich Biolog wäre.* 


Literaturbesprechungen. 49 


Möchten sich diesen gesunden Standpunkt recht viele aneignen! 
Das Buch ist dem Erzherzog Ludwig Salvator von Österreich 
gewidmet. 


Verhandlungen der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern 
1905. Band VI. Mit 4 Tafeln. Im Auftrage der Gesellschaft 
herausgegeben von Dr. ©. Parrot. München 1906, im Buch- 
handel zu beziehen durch die Verlagsbuchhandlung Gustav Fischer 
in Jena. 

Der Jahresbericht bietet wieder viel des Interessanten, sowohl 
an Einzelheiten (Beobachtung von Gypaetos barbatus im Stubai- 
Tal) wie an grösseren Arbeiten. Unter letzteren ist vor allem 
wichtig: Die Ankunft der Rauchschwalbe im Frühjahr 1905 in 
Bayern. Auf Grund einer angestellten Massenbeobachtung bearbeitet 
von Direktor Wilh. Gallenkamp. Wie bei den grossartigen Arbeiten 
der Ungarischen Ornithologischen Zentrale lieferte auch hier die 
Lehrerschaft!) das Material. Wenn das Beispiel von Bayern und 
Ungarn mehr Nachahmung fände, würde man bald ein prächtiges 
Bild vom Zug der Rauchschwalben in Europa gewinnen können. 
Vielleicht nehmen die deutschen Lehrer die Sache selbst in die 
Hand. Neben Artikeln von Besserer, Gengler u. a., auf die leider 
wegen Raummangel nicht ausführlicher eingegangen werden kann, 
ist noch die ausführliche Arbeit über den europäischen Kuckuck 
von Link höchst interessant. Link kommt in seiner Monographie 
zu dem Ergebnis, dass die Zahl der in Farbe und Zeichnung mit den 
Nesteiern übereinstimmenden Kuckuckseier niemals ein Zehntel 
vom Hundert erreicht und wendet sich gegen die Annahme 
vieler, z. T. sehr geschätzter Forscher, die für eine Naturauslese 
und Färbungsanpassung eingenommen sind. Man dürfe nicht nach 


1) Lehrer an Landschulen vermögen durch Fragen in der Schul- 
klasse, wo fragliche Beobachtungen leicht nachgeprüft bez. bestätigt 
werden können, über die Ankunft der Rauchschwalbe überaus sicheres 
Datenmaterial zu sammeln, wenn sie alljährlich die ersten Beobachtungen 
mit der Zahl der Augenzeugen und die erste eigne Beobachtung notieren. 
Vielleicht sind die Lehrer, welche Leser meiner Zeitschrift sind, zu der- 
artigen Feststellungen bereit, die alsdann einzeln oder kartographisch 
zusammengestellt veröffentlicht werden könnten. 


50 Literaturbesprechungen. 


ausgewählten Sammlungsstücken, sondern man müsse nach dem 
Naturbefund urteilen.!) 


Aquila, XIII. Jahrgang 1906, Budapest. 

Der überaus reichhaltige Jahrgang beginnt mit einem Artikel 
des Herausgebers über Formenkreis und Ornithophänologie. Er 
widmet darin dem ersten Hefte von Berajah eine eingehende 
ehrenvolle und würdigende Besprechung. Wenn ich recht ver- 
stehe, sind unsere Spezialforscher für Vogelzug in Budapest und 
München sehr für die Annahme isothermalen Zuges, und gewisse 
Tatsachen liegen dem zweifellos zu grunde Aber man hüte sich 
gerade hier vor zu frühzeitigen Schlüssen. Die Schwalben von 
Gibraltar und Lappland sind nicht identisch. Wäre der Zug rein 
isothermal, so müsste die Woge einer ungeheuren dichtgedrängten 
Vogelmasse sich nord- und nordostwärts wälzen. Warum bleiben 
die nordischen Steinschmätzer und Blaukehlchen aber anfangs so 
weit hinter den südlicheren Formen zurück??) Ich will ganz und 
gar nicht einen neuen Apparat an die Stelle der Ornithophäno- 
logie setzen. Ich stelle die Formenkreistatsachen neben sie, wie 
Herman richtig sagt. Der phänologische Teil von Berajah (ver- 
gleiche die Andeutung Heft I S. 15) ist — und zwar aus rein 
redaktionellen Gründen — noch nicht erschienen. Gerade die 
Wichtigkeit dieses Teils lässt mich damit zögern, ihn festzulegen. 
Es wird wahrscheinlich zunächst ein Versuch mit einer Beilage 
zu Falco gemacht werden. 

Von ausserordentlichem Interesse sind die kartographischen 
Darstellungen der einzelnen Zugtypen Seite 13 ff. Die Schwalbe 
dringt von der Donau aus, der Storch mehr von Osten (Durchzug 
aus östlichen Winterquartieren), die weisse Bachstelze von Westen 
her in Ungarn ein. Der Kuckuck scheint je nach der Brutzeit 


!) Wenn es einen Eiersammler gibt, der es übers Herz bringt, ein 
Kuckucksei — vielleicht von einer in seiner Sammlung schon vorhan- 
denen Färbung — liegen zu lassen, um Beobachtungen an dem jungen 
Kuckuck zu machen, so möchte ich die Frage anregen, ob die rote Varietät 
des Kuckucks mit einem bestimmten Eiertypus oder Pfleger korrespondiert. 

?2) Auf Seite VI von Hermans Artikel findet sich ein Miss- 
verständnis. Eine Form Saxicola borealis ist nirgends beschrieben. 
Überall wo der reguläre Zug einer Vogelart drei Monate dauert, werden 
verschiedene geographische Formen diese Reihe bilden. Ich bin neu- 
gierig, ob der Nachweis nicht selbst bei den Schwalben gelinst. O. Kl. 


Literaturbesprechungen. Si 


der Singvögel, bei welchen er hauptsächlich in einzelnen Gegenden 
seine Eier unterbringt, früher oder später einzuwandern. Viel 
treue Arbeit war nötig, um diese Zugbilder festzustellen. 

Die rostfarbigen Bussarde, von denen T. Csörgey auf zwei 
schönen Tafeln Abbildungen gibt, dürften doch zu desertorum 
gehören und die Grösse auf Variation oder auf buteo-Blut- 
mischung, nicht auf Einwanderung aus dem Kaukasus zurück- 
zuführen sein. Doch können da erst weitere Studien entscheiden. 
Anmutige Bildchen und Einzelheiten aus den ungarischen Sümpfen, 
in denen sogar die Elstern im Schilf über dem Wasser brüten, 
schliessen den interessanten Band. An dem auf Seite 207 
erwähnten Wanderfalkenhorst wäre zu prüfen, ob die Zieselreste 
auf dem Felsvorsprung nicht von einem Uhu herrühren. Ich fand 
am Rhein, dass Uhu, Kolkrabe, Steinmarder und Weanderfalk 
abwechselnd gemeinsam in derselben Felsnische gehaust hatten. 


Hartert, Die Vögel der paläarktischen Fauna, Heft IV. 
Berlin, R. Friedländer & Sohn. Ausgegeben im März 1907. 
Behandelt Meisen, Würger, Fliegenschnäpper, Laubvögel. 

Wer nicht selbst auf gleichem Gebiet arbeitet, weiss nicht, welch 
riesige Arbeit in derartiger Scheidung von Metall und Schlacken 
steckt. Dass ein derartiges Werk, wenn es gut werden soll, nur 
langsam fortzuschreiten vermag, ist ganz selbstverständlich. Auf 
den Inhalt einzugehen erübrigt sich, da kein Fachmann das Werk 
selbst entbehren kann. Nur einen Hinweis! 

Auf $. 484 sagt der Autor: „In Anbetracht der Ähnlichkeit 
in Färbung, Fortpflanzung und Lebensweise mit der von Muscicapa 
atricapilla und der etwas zwischeninne stehenden M. a. semitor- 
quata kann man die Vermutung nicht unterdrücken, dass sich 
M. collaris ursprünglich geographisch getrennt als sogenannte 
Subspecies von M. atricapilla entwickelt hat, aber später in die 
Gebiete von letzterer wieder eingewandert ist und nun als scharf 
getrennte sogenannte Art neben ihr wohnt.“ 

Damit ist überhaupt das Problem des Formenkreisstudiums 
ausgesprochen. 

Wo der Halsbandfliegenschnäpper einzeln brütet, da stelle 
man doch einmal fest, ob das zugehörige Weibchen atricapilla 
oder collaris ist, mit anderen Worten, ob der Vogel überhaupt, 


52 Zur Beachtung! 


wo er in einzelnen Paaren auftritt, seine Art rein zu erhalten 
vermag oder in atricapilla aufgeht. 


Dr. Alexander Koenig, Universitätsprofessor in Bonn a. Rhein, 
Die Geier Ägyptens. Separatabdruck aus Journal f. Ornitho- 
logie 1907 p. 59 bis 91, mit vier schwarzen und zwei bunten 
Tafeln. 

Eine Vorarbeit für das später erscheinende grosse Prachtwerk 
über die Vogelwelt Ägyptens. Auf Grund seiner Reiseerlebnisse 
und gewissenhafter Studien gibt Verfasser hier schon eine kleine 
Geier-Monographie. Sie enthält eine scharfe Kritik des neuen 
Naumann und bringt eine ganze Reihe von Berichtigungen, so 
betreffs Gelegezahl von Gyps fulvus!), der Fussfärbung von 
Neophron ete. Die Anführung der Originalbeschreibung von Gyps 
fulvus ist der terra typica wegen (Persien) recht wichtig für die 
Nomenklatur der von Erlanger und Reichenow behandelten Formen 
dieses Geiers. Ö. Kl. 


Zur Beachtung! 
(Vergl. 8. 35). 


Von Berajah erscheint Ende dieses Monats oder einige Tage 
später die erste diesjährige Lieferung mit 3 bunten Tafeln. Eine 
zweite Lieferung (der Rest des Jahrgangs) erscheint im Herbst. 

Falco erscheint in diesem Jahre sechsmal. Der Preis bleibt 
derselbe (3 Mark für Berajah und Falco exel. Porto). 

Vorliegende Nummer enthält Seite 37 bis 52 und Tafel ], 
jedoch keinen Teil des Vogelschutzbuches. 


Herr Engler teilt mir mit, dass von einer soeben eingetroffenen 
Sendung aus Kiautschou auf dem Transport von Wilhelmshaven 
hierher ein Teil gestohlen worden ist. Sollten einem meiner Be- 
kannten in nächster Zeit in irgendwie Verdacht erregender Weise 
von unsicherer Seite chinesische Bälge angeboten werden, so bitte 


ich um freundliche Nachricht. O0. Kl. 


!) Auch ich besitze zwei Gelege von nur je einem Ei, von denen 
ich das eine schwer bebrütete, also sicher vollständige, selbst präparierte. 
Sollte Rey ausSpanien für seine abweichende Angabe einen Beweishaben? 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita” 


erscheinende Zeitschrift. 


Jahrgang 1907, No. 3. 
Ausgegeben: August 1907. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


—— > — 


Kommissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


s\ 


Dritter Jahrgang. 


No. 3. August. 1907. 


Pflege der Käfigvögel in China. 


Von W. Engler, Tsingtau. 


Zu Tafel li 


Die Photographie im letzten Brief stellt einen Chinesen 
auf dem Spaziergang dar, circa fünf Kılometer von seiner 
Wohnung entfernt. Das Vogelbauer hat er mitgenommen, weil, 
wie er sagt, der Vogel noch zu schüchtern ist. Er soll sich an 
den Anblick von fremden Dingen gewöhnen. Mit den kleinen 
bunten Fähnchen, von denen ich erzählte!), ist das Bauer nicht 
ausgerüstet, dafür aber mit allen möglichen anderen Gegenständen, 
die nach der Meinung der Chinesen zu einem so weiten Spazier- 
gange erforderlich sind. Das Bauer ist vollständig aus Bambus 
angefertigt. Das Sitzholz ist ein Stück von dem sogenannten 
Lau schan wörl, wie es die Chinesen bezeichnen, ein ziemlich 
seltenes Holz. Es wird von alten Leuten und Berghütern im 
Lauschan mit Vorliebe als Stock benutzt. Es soll von dem 
Holze eine besondere Kraft ausgehen, erzählte mir ein alter Berg- 
hüter, den ich fragte, weshalb er denn einen so verkrüppelten 
Stock hätte. Doch vom Lau schan wörl später einmal. 

Das blaue Tuch, welches das Bauer einhüllt, wenn der 
Vogel Ruhe haben soll, ist hochgeschlagen. An dem Drahthenkel 
oben ist ein kleines Glasfläschehen für Futter zu sehen — ich 
habe auch häufig Wasser darin gefunden —, ferner eine kleine 
Holzschaufel aus Bambus und eine kleine Bürste. 

Die beiden letzteren Gegenstände dienen zum Säubern des 
Bauers. Die kleine Bürste wird häufiger in Funktion gesetzt, 
wenn das Innere gescheuert wird, sehr selten jedoch die Schaufel. 
Es kommt kaum vor, dass Unrat sich im Bauer ansammelt und 
festkleben kann. Letzteres wird durch eine Schicht trockenen 
Sandes oder Ziegelmehls verhindert. Auch wird der Unrat 


Falco. 


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1) Siehe Falco 1905, Seite 83. ET TR 


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7 


54 Zur Naturgeschichte der Nachtigall. 


mittels Pinzette, wie eine solche neben dem kleinen Futter- 
fläschchen zu sehen ist, häufiger entfernt. Die Schaufel wird dabei, 
wenn die Pinzette unzureichend ist, mit zur Hilfe genommen. 

Die beiden an den Seiten angebrachten Töpfchen enthalten 
eins Hirse, das andere Wasser. Sie sind aus Ton gebrannt. 


Zur ae IE 


Die andere Photographie zeigt ein Bauer mit den bunten 
Fähnchen. Der Vogel, welcher auf dem kleinen Tischchen in der 
Mitte des Bauers sitzt, gehört zu den beliebtesten Arten. Er hat 
die Gestalt einer Lerche Von einem Freunde wurde er mir als 
Wanderlerche bezeichnet; der Chinese sagt „be ling“. Bei sorg- 
samer Pflege sollen diese Vögel über vierzig Jahre alt werden, 
so versicherten mir wiederholt Chinesen. Wie ich selbst beobachtet 
habe, sind diese Tiere sehr anhänglich; sie kennen genau ihren 
Pfleger. Alles versuchen sie nachzuahmen und können einem 
durch ihren Gesang und ihre Bewegungen angenehm die Zeit 
vertreiben. Der Gesang wird weniger an sich als der Nach- 
ahmungsgabe wegen geschätzt. 

Ich erhalte in diesen Tagen einen solchen Sänger, muss aber 
dafür 8 Dollars (nach dem jetzigen Kurs etwas über 18 Mark) 
bezahlen. Der Eigentümer hat ihn schon einige Jahre und ver- 
kauft ihn mir nur, um mir einen Gefallen zu tun. Unter Chinesen 
ist der Preis ebenso hoch, weil ein guter Vogel nur unter ganz 
besonderen Umständen weiterverkauft wird. Wenn es mir möglich 
ist, bringe ich ein Pärchen lebend mit nach Deutschland. Die 
Vögel sollen hauptsächlich aus der Provinz Tschili kommen. 


Zur Naturgesehichte der Nachtigall. 


Von W. Seemann, Osnabrück. 


Der grosse Hausgarten des Herrn Rentners Höger hierselbst ist 
ein wahres Vogelparadies. Verschiedene Umstände machen ihn zu 
einem solchen, zuerst seine Grösse: er ist hundertdreissig Schritt lang 
und dreissig Schritt breit, von diesem Areal ist allerdings die Fläche, 
die das mittelgrosse Wohnhaus einnimmt, abzusetzen; dann seine 
Lage: Herr Höger wohnt ausserhalb der eigentlichen Stadt; ferner der 
überaus reiche Bestand an Bäumen, unter denen nur wenige Obst- 


Zur Naturgeschichte der Nachtigall. 55 


bäume, und an dichtem und gedrängt stehendem Gebüsch; weiter 
die Einhegung des Gartens mit einer Dornhecke, ein Weinspalier, 
eine üppige Efeubekleidung an Hauswänden und Grottenmauern; 
endlich die warme Vogelliebe des Besitzers, die sich äussert in der 
Pflege und dem Schutze seiner Lieblinge. Schutz gewährt er ihnen, 
vor allem in der Brutzeit, gegen Katzen und unnütze Jungen; 
als Pfleger betätigt er sich, indem er zahlreiche Nistkästen hängen 
hat, im Winter und, wenn nötig, auch im Sommer füttert und zu 
jeder Jahreszeit das Trink- und Badebedürfnis der Vögel befriedigt. 
So nisten denn in dem Garten alljährlich an dreissig verschiedene 
Vogelpaare: Turmsegler — unter dem hohen Hausdache —, Star 
und Spatz, Amsel, Finken, beide Rotschwänzchen, Weidenlaubvogel, 
Meisen, Grasmücken, grauer Fliegenschnäpper, Zaunkönig, Nachti- 
gall. So lange wie Herr Höger Haus und Garten besitzt, d. h. 
seit Ostern 1898, hat in jedem Frühling ein Nachtigallenpaar 
bei ihm gebrüte. Von Anfang an ist er nun bemüht gewesen, 
sich das Zutrauen seiner Nachtigallen zu erwerben, und seine Be- 
mühungen sind mit dem schönsten Erfolge belohnt worden. Gleich 
nachdem im Frühjahr 1898 eine männliche Nachtigall in seinem 
Garten eingekehrt war, begann er damit, unter beständigem Locken: 
„Männe, komm! Komm, Männe! Nun, so komm doch!“ in der 
Nähe des Dickichts, das der bevorzugte Aufenthaltsort des Vogels 
war, auf den Gartenweg ein paar lebende Mehlwürmer zu streuen, 
dann bis auf eine angemessene Entfernung zurückzugehen und 
hier unbeweglich stehen zu bleiben. Bald hatte das scharfe Auge 
der Nachtigall die Leckerbissen entdeckt, nach langem Zögern, 
währenddessen Herr Höger unaufhörlich lockt und zuredet, wagt sie 
sich endlich aus ihrem Dickicht hervor auf den Gartenweg, fährt 
aber beim Anblick des Menschen entsetzt wieder zurück. Herr 
Höger vergrössert die Entfernung zwischen sich und der Futter- 
stelle noch um zwei, drei Schritt und hört nicht auf zu locken. 
Die Lieblingsspeise reizt zu mächtig: nach einer Weile erscheint 
der Vogel wieder, doch nur, um abermals blitzschnell zu ver- 
schwinden. Noch ein drittes Mal verhält er sich ebenso. Endlich 
beim vierten Male siegt die Begehrlichkeit über die Furcht: er 
stürzt herbei, erschnappt einen Mehlwurm und fährt mit ihm wie 
gehetzt davon. Aber es ist noch mehr von dieser Leckerei zu 
holen, und noch immer ertönt die freundlich zuredende Stimme 


des Menschen: wiederum dreimal ein vergeblicher Anlauf, der vierte 
5* 


56 Zur Naturgeschichte der Nachtigall. 


erst lässt das lüsterne Schnäbelchen zum Ziele kommen. Um den 
dritten Mehlwurm endlich entbrennt ein dritter Kampf zwischen 
Begierde und Furcht, um ebenfalls mit dem Siege der ersteren 
zu enden. Und jetzt erst verstummt das Locken und entfernt 
sich der Mensch. — Der im vorstehenden geschilderte Vorgang 
wiederholt sich an demselben Tage noch ein-, zweimal, den folgen- 
den Tag und die folgenden Wochen Tag für Tag geht es ebenso, 
und auf diese Weise erreicht Herr Höger zunächst, dass der Vogel 
das Locken, das natürlich immer mit denselben Worten und 
mit demselben Tonfall der Stimme geschieht, und das Füttern in 
Verbindung miteinander bringt, sodann, dass allmählich, aber sehr 
allmählich, das Misstrauen, die Furcht des Vögelchens vor dem 
Menschen schwindet und die Entfernung zwischen den beiden sich 
immer mehr verkürzt, schliesslich bis auf wenige Schritt. 

Das war der Erfolg des ersten Sommers. Da Herr Höger 
das Glück hatte, dass dasselbe Männchen im folgenden Jahre wieder- 
kam — der Beweis der Identität lag im Benehmen des 
Vogels —, so konnte er auf der Grundlage, die er sich im Vor- 
jahre geschaffen hatte, weiterbauen. Im Verlauf des zweiten 
Sommers brachte er es dahin, dass der Vogel die Mehlwürmer 
ihm unmittelbar vor den Füssen wegholte. Aber je zutrau- 
licher das Tierchen wurde, desto besorgter war die Frage des 
Freundes, wenn es die Herbstreise antrat: „Wirst du ım Lenz 
auch wiederkehren?“ Fünf Jahre hatte Herr Höger die mit 
jedem Frühling wachsende Freude, dasselbe Männchen zu be- 
grüssen. Dieses kam schliesslich zu ihm, sobald er sich im Garten 
nur sehen liess, lief ihm um die Füsse, nahm ihm den Mehlwurm 
zwischen den Fingern weg, flog, wenn er am Gartentisch sass, 
auf die zwischen den beiden Kreuzfüssen desselben angebrachte 
Stange und sang. Rührend waren die Freudenbezeigungen, mit 
denen das Vögelchen seinen Pfleger bei seiner letzten Rückkehr 
im Frühling 1902 begrüsstee. Die Tage vor seiner Ankunft, die 
am 18. April erfolgte, herrschte ungünstiges Wetter. Am Abend 
des 17. sprang der Wind nach Süden um, und Herr Höger sagte 
zu seiner Gemahlin: „Diese Nacht muss Männe kommen.“ In der 
Frühe des anderen Tages wacht er auf und hört eine Nachtigall 
im Garten schlagen. Mit dem freudigen Ausruf: „Da ist Männe!* 
springt er aus dem Bette, kleidet sich notdürftig an und eilt in 
den Garten. Auf seinen Willkommensgruss „Männe, komm! 


Zur Naturgeschichte der Nachtigall. 57 


Männe, bist du da?“ kommt das Vögelchen sofort auf den Garten- 
tisch geflogen, an dem er stehen geblieben ist, hüpft lebhaft vor 
ıhm hin und her, ruft unaufhörlich „wied, wied, wied“, weiss sich 
mit einem Worte vor Freude nicht zu lassen, dass es seinen Freund 
wiedersieht. 

Im nächsten Frühling aber erhielt Herr Höger seinen Lieb- 
ling nicht zurück, und es lässt sich denken, wie sehr ihn dieser 
Verlust betrübte Ein anderes Männchen war es, das sich dies- 
mal eingestellt hatte; aber die Arbeit, die dem ersten Männe 
gewidmet worden war, begann sofort auch bei dem neuen, und 
auch bei diesem ist sie nicht vergeblich gewesen. Das zweite 
Männchen ist vier Jahre nacheinander gekommen, von 1903—1906. 
Im Sommer 1906 habe ich selbst es mehrfach beobachten können. 
Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass es auf den Ruf seines 
Schützers vor dessen Füssen einen Mehlwurm aufnahm, um den 
seinen Jungen zu bringen, und das so oft wiederholte, als noch 
Mehlwürmer dalagen. Ich stand währenddessen mit meiner Frau 
und meiner Tochter unmittelbar neben Herrn Höger; doch unsere 
Gegenwart minderte die Vertrautheit des Vögelchens nicht im 
geringsten: sein Pfleger war anwesend, das genügte ihm. Ein 
anderes Mal sah ich, dass es Herrn Höger, der sich auf einen 
Gartenstuhl gesetzt hatte, auf das Knie flog und ihm einen vor- 
gehaltenen Mehlwurm abnahm. 

Herr Höger hätte wohl verdient, sich der Freundschaft dieses 
Vogels, die er sich durch liebevolle Bemühung erworben hatte, 
noch länger zu erfreuen; doch sein sehnlicher Wunsch, den er 
mit mir und so manchem andern teilte, ist nicht in Erfüllung 
gegangen; in diesem Frühling 1907 erschien ein neues Männchen, 
das dritte in den letzten zehn Jahren. Aber sofort begann das 
Werben auch um dessen Freundschaft. 

Was nun die Weibchen anlangt, so hat Herr Höger sich 
ernstlich bemüht, auch deren Gunst zu gewinnen; der Erfolg war 
aber viel geringer als bei den Männchen. Das erste Weibchen 
wurde wenigstens soweit vertraut, dass es ganz nahe an Herrn 
Höger herankam, um Futter aufzunehmen; die beiden folgenden 
zeigten nur eine geringe Abnahme ihrer ursprünglichen Scheu. 
Dieser unbedeutende Erfolg erklärt sich wohl zum Teil durch den 
Umstand, dass die „Lernzeit* der Weibchen nicht. so lang war 
wie die der Männchen — die neun Jahre von 1898—1906 ver- 


58 Kommt der Steinsperling in Mähren vor? 


teilen sich auf zwei Männchen, aber auf drei Weibchen —, haupt- 
süächlich aber, wie ich meine, durch das Naturell des weiblichen 
Vogels, das diesen mehr in der Verborgenheit hält und um Nest 
und Brut mehr besorgt macht als das Männchen. 


Kommt der Steinsperling in Mähren vor? 
Von Emil Rzehak-Brünn. 


Die Heimat der gewöhnlichen Form des Steinsperlings, Petronia 
petronia (L.), ist, wie wir aus der ornithologischen Literatur er- 
fahren, das südliche Europa. Sie bewohnt Spanien, Süd-Frankreich, 
einzelne verstreute Orte in den Vorbergen der österreichischen 
Alpen, Italien, Griechenland und bis nach Smyrna in Klein-Asien. 

In Deutschland ist er selten und kommt nur im Thüringer 
Muschelkalkgebiete, an der Saale und ihren Zuflüssen, der Unstrut, 
Ilm und Gera vor, wo ihn Dr. Schmiedeknecht und bei der Ruine 
„Hohensalzburg“ im Rhöngebirge Lehrer Brückner in sehr vielen 
Exemplaren antrafen. Nach älteren Angaben soll er auch in der 
Wetterau und im Rheintale vorkommen, wo man ihn aber in 
letzter Zeit nicht mehr beobachtet hat. 

Ausser diesen Mitteilungen finden sich noch Nachrichten von 
seinem gelegentlichen Vorkommen aus verschiedenen Gegenden 
Mittel-Europas. 

Was speziell das Vorkommen des Steinsperlings in Mähren 
betrifft, so wird desselben von den älteren heimischen Vogel- 
kundigen, wie Müller, Heinrich, Kolenati, Schwab 
und Talskyf gar keiner Erwähnung getan; hingegen fand ich im 
„Casopis vlastenecköho muzejniho spolku Olomouck&ho“, Jahr- 
gang 1888 auf Seite 54 eine Angabe des verstorbenen Pfarrers 
Kaspar, nach welcher derselbe im Oktober 1860 einen Stein- 
sperling aus der Umgebung von Napajedl erhalten hatte, wo der 
Vogel damals erlegt worden ist. Nun befindet sich im Olmützer 
Museum ein Teil der KaSparschen Kollektion mährischer Vögel 
nebst einem von ihm selbst geschriebenen und dazu gehörigen 
Verzeichnis, worunter eben auch „fringilla petronia aus Napajedl* 
angeführt ist. Später, nach genauer Untersuchung und Vergleichung 
des fraglichen Exemplars, scheint Dechant KaSpar offenbar den 
unterlaufenen Irrtum eingesehen und erkannt zu haben, dass er den 


Kommt der Steinsperling in Mähren vor? 59 


— vermeintlichen — Steinsperling falsch diagnostizierte, denn 
„Fringilla petronia® erscheint in dem gedachten Verzeichnis von 
Kaspars Hand durchstrichen und in der Anmerkung insoweit 
korrigiert, dass dieser Vogel kein Steinsperling ist, sondern ein — 
Rohrammer! Das betreffende Exemplar befindet sich jetzt noch 
im Olmützer Museum. 

Wie mir Herr von Tschusi zu Schmidhoffen 
auf meine Anfrage, ob ıhm vielleicht über das Vorkommen des 
Steinsperlings in Mähren etwaige Nachrichten bekannt sind, mit- 
teilte, besass Dechant KaSpar nach seiner brieflichen Mitteilung 
an Herrn von Tschusi zu Schmidhoffen ein im Herbst 1872 bei 
Kremsier erlegtes Stück in seiner Sammlung. Nachdem sich aber 
in der dem Olmützer Museum geschenkten Kollektion nur der eine 
und falsche Steinsperling befand, so ist es schwer kontrollierbar, 
wohin dieses zweite und vielleicht auch falsche Stück ge- 
kommen ist. Aller Vermutung nach liegt auch hier vielleicht 
derselbe Irrtum vor wie mit dem bei Napajedl erlegten Rohrammer. 
Auch der mährische Ornithologe Prof. Talsky in Olmütz schrieb 
mir, über die KaSparschen Steinsperlinge befragt, dass Dechant 
Kaspar gewiss keine Steinsperlinge in Mähren sammelte, so 
wie auch er selbst nie eine Kenntnis von einem solchen Vogel 
erhalten hatte. 

Eine weitere Angabe über den Steinsperling in Mähren, die 
aber ebenso problematisch bleibt wie die vorher besprochene, 
findet sich im Journal für ÖOrnithologie, Jahrgang 1867 auf 
Seite 54 von Major Alexander von Homeyer, nach welcher 
derselbe während des österreichisch-preussischen Feldzuges Ge- 
legenheit hatte, in der Umgebung von Brünn in Mähren ormni- 
thologische Beobachtungen anzustellen. Nach seiner im oben 
genannten Journal gemachten Mitteilung bemerkte er anfangs 
August 1866 bei Ratschitz nächst Brünn einen Steinsperling, den 
er aber auch nur ein einziges Mal dort sah und hörte. 

Mehr als zwei Dezennien nachher, am 8. Mai 1887, hielt 
Lehrer Cäpek aus Oslawan in jener Gegend eine Umschau nach 
dem Steinsperling, konnte ihn aber dort richt auffinden und glaubt 
vielmehr, wie er selbst in dem genannten Jahrgang des „Casopis“ 
mitteilt, dass Major von Homeyers Beobachtung nur eine zufällige 
sein konnte und dass der Vogel die dortige Gegend verliess, nach- 

das Gebirge um Ratschitz mit Gebüsch bewachsen war. 


60 Kommt der Steinsperling in Mähren vor? 


Auch ich habe mich für das Vorkommen des Steinsperlings 
in Mähren überhaupt nicht wenig interessiert und am 30. Juni 
des heurigen Jahres eine Exkursion in jene von hier aus in 
1!/, stündiger Eisenbahnfahrt leicht erreichbare Gegend unter- 
nommen, um selbst eine Nachschau nach diesem interessanten 
Vogel zu halten; aber ebenso wie Lehrer Cäpek, musste auch ich 
den Rückweg antreten, ohne auch nur eine Spur von Petronia 
petronia gefunden zu haben, denn heutigen Tages sind jene 
Örtlichkeiten kein Aufenthaltsort mehr für den Steinsperling, 
falls sie es einst gewesen sein sollten. Ehemals, vor mehr als 
vierzig Jahren, als Major von Homeyer in dieser Gegend weilte, 
waren die um Ratschitz gelegenen, zwischen 400 bis 500 Meter 
hohen Berge, wie z. B. die Höhen „Nad skalou“, die „Ostateönä 
hora*, die „Hruba skala*, der „Kräatky kopec“, der „Sukdolec“ 
und der „Rakovec“, jedenfalls noch ganz kahl, während dieselben 
jetzt mehr oder weniger bewachsen sind. 

Es ist wohl möglich, dass Major von Homeyer den Stein- 
sperling bei Ratschitz zufällig sah; dennoch bleibt diese seine 
Mitteilung fraglich; jedoch nicht vielleicht deshalb, weil Cäpek 
und ich den Vogel dort nicht wiederentdecken konnten, sondern 
deshalb, weil Petronia petronia in Mähren überhaupt unbekannt 
ist; für sein gelegentliches Vorkommen hier im Lande haben wir 
also vorläufig keine positiven Anhaltspunkte. 

Brünn, am 4. Juli 1907. 


Nachschrift des Herausgebers: Ähnliches schreibt 
mir P. Dr. Fr. Lindner vom Harzgebiet: 


„Nach Mitteilung des Präparators Liemann in Halberstadt 
soll 1869 im Steinholze bei Quedlinburg (3/, km nordwestl. der 
Stadt) von einem Rentner Klietz ein Steinsperling erlegt sein. Es 
hat jedoch die Richtigkeit dieser Überlieferung nicht festgestellt 
werden können. In der Umgebung von Quedlinburg finden sich 
sehr viele Sandstein-, Kalk- und Gipsbrüche, sowie viele alte 
Warten und Burgruinen. Es ist also eine wie für den Steinsperling 
geschaffene Gegend. Trotzdem sind alle meine eifrigen Bemühungen, 
den gesuchten Vogel hier aufzufinden, vergeblich gewesen, obgleich 
ich die ganze Umgegend gründlich danach abgesucht habe. Der 
positive Nachweis des Vorkommens des Steinsperlings im Harz- 
gebiet fehlt noch immer. Quedlinburg, 7. August 1907.* 


"11 'FeL 


Sueäisızeds wouD ne Sıpypp5oA Au 9sauly) 


"4O6, 09183 


Falco 1907. 


Tag III. 


Chinesischer Vogelkäfig mit bunten 


Fähnchen. 


als AN FPERHIE dic 1 a 


Systematik und Biologie. 61 


Man vergleiche die Angabe Dressers und die dankenswerte 
Übersicht, die F. Lindners Bruder (C. Lindner, Om. 
Mtsschr. 1906, Heft 2, p. 116 über das Vorkommen des Stein- 
sperlings in Deutschland während der letzten hundert Jahre gibt. 
Immerhin lasse man sich durch negative Ergebnisse nicht ab- 
schrecken, weiter auf das Vorkommen des bei uns so seltenen 
gelbkehligen Sperlings zu achten. 07Rl. 


Systematik und Biologie. 


„Sie beschäftigen sich wohl mit Systematik?* 
fragte mich ein Universitätsdozent, der in schwerer Krankheitsnot 
einem Gliede meiner Familie zu Hilfe kam. In meinem Studier- 
zimmer lagen ein paar Vogelbälge, — Spechte, meinte er. — 
Es waren russische Stare. Ich war damals nicht zum Lachen 
gestimmt, aber ich musste doch still für mich lächeln, nicht wegen 
der Verwechslung, sondern mehr darüber, dass in dem Augenblick 
jeder sich still über den andern belustigte, denn aus jener Frage 
klang deutlich die Verwunderung, dass es überhaupt 
heute noch solche fossile Menschen gibt, die 
„Systematik treiben“ Wie damals jener übrigens von 
mir hoch verehrte und naturwissenschaftlich hoch gebildete Mann, 
denken heute nicht nur unsere Universitätszoologen, sondern die 
gesamte Wissenschaft will von der obersten Systematik nichts 
wissen, die einst eine Königin aller Fakultäten, ihren Thron trotz 
Kant immer noch nicht wiedererlangt hat. 

Kein Wunder, dass da bis in die Laienwelt herab ein Wider- 
wille gegen alles Philosophische, Systematische herrscht, das man 
einzelnen Spezialisten oder Sonderlingen überlässt. 

Auf unserem Sondergebiet vor allem wird ständig von der 
trockenen unfruchtbaren Systematik gesprochen, der man die 
Biologie entgegenstellt. Die Bedeutung beider Worte oft ver- 
wechselnd spricht man von dem Gegensatz zwischen Balgforschung 
und Feldornithologie. Nun sind aber leider, wenn man unsere 
Zeitschriften durchblättert, gerade die Berichte unserer Feld- 
ornithologen vielfach trockene Aufzählungen systematischer latei- 
nischer Namen oder doch Spezies-Bestimmungen. Gewiss, es gibt 
kurzsichtige, sehr kurzsichtige Systematiker. Aber es gibt 


62 Falco eaucasicus form. nov. 


auch Feld- und Waldornithologen, die trotz bester Ferngläser 
ebenso kurzsichtig sind in ihrem Studium. Seit das Stu- 
dium derArten und derArtfrageunabtrennbarge- 
wordenistvonihrer geographischen Verbreitung 
und Gliederung, treten überall neue Aufgaben und Ziele 
hervor. Früher war das System nur das sauber ausgerechnete 
Einmaleins, das man innehaben musste, sei es, dass man den Vogel 
im Käfig bestimmen, sei es, dass man ihn frei im Garten hegen 
und beobachten, oder weit im Lande seinen Spuren nachforschen 
wollte. Heute bildet die Systematik ein Problem, zu dem alles 
andere nur Vorschule und Vorarbeit sein kann. Manchem mag 
freilich die systematische Arbeit noch trocken und langweilig er- 
scheinen, aber wenn man weiter im Eifer des ornithologischen 
Interesses fortschreitet, dann beginnen auch die stummen Bälge 
ihre Sprache zu reden, dann sieht man die Sonne über Steppen 
glühen, auf Schneefeldern glänzen, man kostet all die Erinnerungen 
an kühlen Waldesschatten und heisse Anstrengungen. Systematiker 
schreiben nicht viel über „biologische Beobachtungen“, aber manche 
von ihnen könnten davon mehr erzählen als gewisse voreilige 
Spötter denken. Man wende der Systematik ein wenig neues 
Interesse zu, und man wird auch dem lebendigen Tier draussen 
mit stets neuem Interesse begegnen. OKT: 


Falco caucasicus form. nov. 
(Formenkreis Falco Peregrinus.) 

Von Herrn Schlüter erhielt ich unlängst zwei Wanderfalken 
vom nordöstlichen Kaukasus, von denen der eine, ein helles 
junges Stück, wohl nordischer Zugvogel (leucogenys) ist, während 
der zweite, ein altes Weibchen, zu zwei andern Vögeln meiner 
Sammlung aus derselben Gegend passt. Diese Falken bilden das 
Bindeglied zwischen dem sogenannten Falco peregrinus und Falco 
barbarus. Der neue 

Falco Peregrinus caucasicus 
lässt sich folgendermassen kennzeichnen: Ein kleiner Wanderfalke 
(Flügel des Weibchens 33 em gegen 34—37 bei nördlichen Vögeln) 
mit schwacher roter Nackenzeichnung, die ein Band um den Hinter- 
kopf von Schläfe zu Schläfe und zwei Halbkreise an den Hals- 
seiten bildet. Vielleicht fehlt der Nackenfleck, der ja auch bei 


Zum geographischen Variieren von Strix Athene. 63 


F. P. barbarus nicht immer vorhanden ist, zuweilen, und solche 
Vögel mögen es sein, die russische Forscher als F. P. cornicum 
bestimmten. Die Unterseite ist wenig heller als bei deutschen 
Vögeln. Die Tafel in Falco 1905 könnte beinahe ganz gut als 
Bild des kaukasischen Vogels gelten. Das Brutgebiet könnte sich 
weiter nach Norden bis zum Ural erstrecken. Offenbar schiebt 
sich die Form zwischen die Gebiete von leucogenys, babylonicus 
und die westlichen Wanderfalken ein. Es wäre wunderbar ge- 
wesen, wenn der Kaukasus, der seinen besondern Star, seinen 
Häher, seinen Steinkauz usw. hat, nicht auch von dem geographisch 
so abänderungsfähigen Formenkreis des Wanderfalken seine be- 
sondere Form besässe. OSKT 


Zum geographischen Variieren von Strix Athene. 
(Vorarbeit für’ Berajah.) 

Es liegen mir 96 Steinkauzbälge vor, in der Hauptsache be- 
stehend aus dem vereinigten Material der Kollektion von Erlanger 
und meiner Sammlung, das noch Herr Schlüter um einige Stücke 
vermehrt hat. Sonst sind dabei 3 chinesische Bälge (Mus. Hildes- 
heim und Kollektion Engler) und 2 aus der Kollektion Flückiger. 

Ich gebe hier kurz das Resultat meiner Untersuchung mit 
der Bitte, dasselbe an anderem Material weiterzuprüfen und für 
Aufklärung der fraglichen Punkte Material zu sammeln. 


1. China. Strix Athene plumipes (Swinh.) 
3 Vögel von der Kiautschoubucht. Etwas dunkler und röt- 


licher als die folgende Form, auch anscheinend noch reicher an 
den Füssen befiedert. Flügel 15,5—15,9 cm. 


2. Transkaspien. Strix Athene bactriana (Hutt,) 

9 Stück untersucht. Bleicher und mehr gelbgrau als 1. 
Flügel 16,0—16,7. Auch bei dieser Form scheint die Zehen- 
befiederung wie bei der folgenden im Frühjahr dünner zu werden. 
Ob sich nach Fussbefiederung, Färbung nicht weitere Formen in 
Asien finden? 


3. Kaukasus. Strix Athene caucasica (Loudon). 


1 Stück, Nalıtschik, 16,4 cm. Ob Nord- und Südostkaukasus 
identisch? Das Stück stimmt zur Originalbeschreibung. Schwanz- 
färbung und Zeichnung wie bei No. 2. 


64 Zum geographischen Variieren von Strix Athene. 


4. Dobrudsecha. Strix Athene caueasica oder 
forma nova. 


3 Stück. 16,4—16,6 cm. Anscheinend Zwischenform zwischen 
4 und 5. Fusszehen beim Wintervogel der Kollektion von Erlanger 
dicht, bei den 2 Junivögeln meiner Sammlung weniger dicht be- 
fiedert. Schwanz wie bei No. 5. 


5. Balkanhalbinsel. Strix Athene indigena (Brm.) 

a. Griechenland 15 Stück, 16,0 —17,3 em (grösst. 17,3—17,5 
Kollektion Kl... b. Herzegowina 6 Stück, 16,3—16,7 cm. 

Es ist mir unbegreiflich, wie man es fertig gebracht hat, 
diesen Kauz mit dem mitteleuropäischen oder mit glaux zu identi- 
fizieren. 

Charakteristisch ist die Zeichnung und Färbung der mittleren 
Schwanzfedern: statt 3 bräunlicher Binden meist 2 Reihen runder 
weisser Flecken. Das Schwanzende ungezeichnet. Dieser fast 
durchgängig vorhandene Zeichnungstypus ist charakteristisch für 
das ganze Gefieder: helle Basis unter langen dunkeln Spitzen ver- 
steckt. Färbung viel bräunlicher als bei No. 7. Unterseite meist 
licht gezeichnet. Attika-Vögel vielleicht zum Teil rötlicher und 
variabler. Selten Stücke, welche No. 7 ähneln. Brehms Typus 
hatte nicht normale Schwanzzeichnung. Ein bosnischer Vogel 
gehört wohl nicht hierher. 


6. Italien. Strix Athene chiaradiae (Gigl.)? 


Wenn man, wie Hartert und ich es mit dem Namen Corvus 
varıus (Brünn) getan, den Namen Athene chiaradıae auf die 
normalen Nestgeschwister mit anwenden will, kann man vielleicht 
neben der aberratio chiaradiae von einer forma chiara- 
diae reden. Zwei (nord-)italienische Stücke meiner Sammlung 
von 15,0—15,4 cm Flügellänge scheinen etwas rostfarbig, auch 
an den lichten Federteilen. Schon die Vögel von Hallein sind 
nach Loudon und von Tschusi (in litt.) heller als nördliche. 


%. Mitteldeutschland. 


Schwanzbinden bräunlich angeflogen. Den Namen Strix 
noctua deutet Naumann auf den Waldkauz. Es wäre 
doch eine zu kühne Annahme, dass Scopoli gerade die dunkel- 
äugige aberratio chiaradiae vorgelegen hätte. Strix noctua Retz. 


Zum geographischen Variieren von Strix Athene. 65 


ist aber durch Strix noctua Scop. praeoccupiert. 3 Stücke messen 
16,1—16,5 cm. 
5. Rhein. 


12 alte Vögel, von denen einzelne dunkler sind als die vorigen 
(vergl. Berajah 1907, Tafel II, Fig. 1), messen 15,4—17,0 cm. 
Ein pullus von Ingelheim hat an Stirn und Brust neue Federn 
mit reiner Querzeichnung, und ein alter Vogel von ebenda hat 
dichter befiederte Fusszehen. (Beides abnorm). 


9. Sardinien. Strix Athene sarda form. nov. 


3 Stück augenblicklich in meinen Händen. Ich habe aber 
mehr gesehen. Dem mitteldeutschen Vogel ähnlich, im Herbst 
bisweilen dunkler, im Sommer bisweilen lichter als 7 und S. 
Unterscheidet sich durch die engere Zeichnung. Der Schwanz 
eng und schmal weisslich gebändert. Am deutlichsten wird der 
Unterschied an den Schulterfedern. Die weissen Querflecken sınd 
hier sehr klein und werden von einem dunkeln Schaftstrich 
längs der Federmitte geteilt. Das sardinische Käuzchen bildet 
eine hübsche Parallele zu Falco Peregrinus brookei. 


10. Spanien. Strix Athene vidali (C. L. Brm.). 


Material fehlt mir noch. Von Brehm als sehr abweichende 
Form beschrieben. Vergleichende Untersuchung spanischer Stücke 
darum sehr erwünscht. 


11. Nordmarokko. 


Vögel von Tanger sind No. 13 ähnlich, vielleicht noch etwas 
dunkler, Flügel: 15,4—15,9 cm. 


12. Südmarokko. Strix Athene rufieolor form. nov. 


Dunkel schokoladenfarbig und sehr gross für südliche Vögel. 
9 Stück messen 15,7—16,5. (Besonders auffällige Parallele zu den 
Haubenlerchen). 


13. Nordalgerien. Strix Athene intercedens (C.L.Brm.) 
Auffallend viel dunkler als 14 und 15. Ein Männchen von 
Kerrata mit Spuren von chiaradiae-Zeichnung an den Primär- 


schwingen hat sehr graue Schultern. Zwei männliche Stücke: 
15,2—15,7 cm. 


66 Zum geographischen Variieren von Strix Athene. 


14. Mittieres Algerien. 


Ein Vogel von Lamböse (Kollektion Flückiger) ist sehr hell 
und misst 15,3 cm. 


15. Südalgerien. (Nomenklatorisches später!) 


2 Bishra-Vögel sind so hell und lebhaft rostrot, wie sie 
aus keiner anderen Gegend vorliegen. Es ist dies die von Baron 
von Erlanger entdeckte, zwar beobachtete, aber nicht gesammelte 
und daher unbenannte Saharaform. Flügel 15,0—15,8 cm. 


16. Nord-Tunis. 


2 Stücke, No. 12 sehr äbnlich, heller als 13, dunkler als 15, 
messen 15,0 bis 15,9 cm. (Parallele zu den Haubenlerchen). 


17. Tunesische Ostküste. 


10 Stück, etwas variabel, zwischen 15 und 16. (Parallele zu 
den Haubenlerchen). Flügel 15,0—15,83 cm. 


18. Südtunesien, fern von der Küste. 
Wohl gleich No. 15 (vergl. Erlangers Angaben). 


19. Nordägypten. Strix Athene glaux (Savigny). 
Ich besitze zwar nur ein Stück der echten glaux, wage aber 
zu behaupten, dass mindestens die hier benannten Formen, ob- 
zwar man seither alle Mittelmeerkäuze zu glaux gezogen hat, davon 
ganz verschieden sind. 


20. Oberägypten. Strix Athene ferruginea (©.L.Brm.) 


Der Beschreibung nach mit keiner der andern Formen ganz 
identisch. Wohl’ ähnlich 15, vielleicht Annäherung an 21, oder 
nur Varietät von 19? 


21. Abessinien. Strix Athene spilogaster (Heuglin). 


/Zwergform, ähnlich der folgenden, grösser und heller. 


22. Somaliland. Strix Athene somaliensis 
(Reichenow). 
Noch kleiner als No. 21, dunkler braun, öfter mit einfarbigem 
Scheitel. Typen untersucht, Flügel 13,6—14,2, s. Berajah 1907, 
Tafel II! 2 mit geflecktem Oberkopf, 4 mit einfarbig braunem, 


Die nordafrikanischen Rotkopfwürger. 67 


an der Stirn wenige helle Flecken, bei zweien am Hinterkopf 
verloschene Querbinden. Mittlere Schwanzfeder bei einer einfarbig. 

Strix brama (Temm.), wovon mir ein sehr heller Vogel 
von Beludschistan (Kollektion Erlanger) und ein sehr dunkler 
junger Vogel aus Indien (in meiner Sammlung) vorlagen, scheint 
durch die langen Flügel, die Schwingen-, Kopf- und besonders die 
Schwanzzeichnung (welche ein wenig an den Rauchfusskauz er- 
innern) zu sehr von Strix Athene abzuweichen, um in diesen 
Formenkreis zu passen. Ich trage wenigstens vorläufig Bedenken, 
Strix brama hier einzufügen. Beobachtungen über die Lebens- 
weise dieser Eule und ein Stück in Spiritus also Desiderata! 

Bei Untersuchung von Steinkäuzen muss man folgende all- 
gemeinen Punkte beachten: 

1. Die Färbung bleicht im Sommer aus, zumal diese Vögel 
oft gegen alle Eulentradition „Sonnenbäder* nehmen. 

2. Die Fussbefiederung wird nach Osten stärker, aber sie 
schwankt individuell, und sie nutzt sich im Sommer ab. 

3. Die jungen Vögel scheinen oft kleiner zu sein bezw. kürzere 
Flügel zu haben als die alten und erschweren die Grössenberechnung 
für die einzelnen Gegenden. 

4. Neben der geographischen Variation kommen individuelle 
Schwankungen wie überall, so auch hier vor. Als Endziel gilt 
(mir wenigstens) nicht dıe Fixierung der Formen und ihrer latei- 
nischen Namen, sondern die Ermittlung des Zusammenhangs 
zwischen Gefiederabtönung und Luftfeuchtigkeit, vor allem aber 
die Ausarbeitung dieser vernachlässigten Gruppe im Hinblick auf 
ihren wundervollen Parallelismus zu den Haubenlerchen. O0. Kl. 


Die nordafrikanischen Rotkopfwürger. 

Hartert bezweifelt in Heft IV seiner „Vögel der paläark- 
tischen Region“ die früher behauptete Verschiedenheit des Lanius 
senatorsenator(Terratypica: Rhein, woherschon Willoughby 
ein Stück beschrieb) und des nordafrikanischen Rotkopf- 
würgers, den man seither als Lanius senator rutilans 
abtrennte. Hartert weist nach, dass selbst im Falle einer Ver- 
schiedenheit der Name rutilans nicht verwendbar und die afrıka- 
nische Form unbenannt sei. Durch Harterts Buch angeregt 


68 Die nordafrikanischen Rotkopfwürger. 


habe ich die afrikanischen Rotkopfwürger erneut untersucht und 
gefunden, dass die Nordafrikaner sehr oft eine weisse Basis 
der mittleren Schwanzfedern und ein durchschnittlich schmaleres 
Stirnband besitzen, das dem Weibchenöfter ganzfehlt. 
Beim nördlichen Vogel ist es in der Regel kräftig ausgeprägt. 
Ich benenne daher den so gekennzeichneten Nordafrikaner neu als 


Lanius senator flückigeri, 


Terra typiea: Gegend von Lambese, Algier und komme bald näher 
auf den Formenkreis zurück. 

Biologisch hat diese systematische Neubenennung den Wert, 
dass sie beweist, dass unsere deutschen Rotkopfwürger nicht von 
der Zugwelle nördlich vorgeschobene Eindringlinge aus Nord- 
afrika, sondern eine schon vor anderthalb Jahrhunderten am Rhein 
konstatierte einheimische Form sind. OR 


Erinnerung an den Insektenfanggürtel. 


Zum Anlegen der früher in dieser Zeitschrift besprochenen 
Insektenfanggürtel ist es jetzt, soweit man die etwaige Absicht 
noch nicht ausgeführt hat, höchste Zeit. Von 0. Hinsberg, 
Nackenheim a. Rhein, kann die neueste Gebrauchsanweisung und 
Preisliste pro 1907 (in einem hübsch ausgestatteten Heftchen über 
Obstbaumpflege) gratis bezogen werden. 0. Ki 


 „BERAJAH, 


| 


 Toographia infinita“ 


IN 


er Zeitschrift. 


ne 1907, No. 4. 
Ausgegeben: N ovember 1907. 


_ Herausgeber: 


® ‚Kleinschmidt, 


FALCO. 


Dritter Jahrgang. 


No. 4. November. 190%. 


Über das Vorkommen von Rutieilla titys (Scop.) 
in Holland. 
Geschichtliches. 


C. Nozeman, M. Houttuiju und C. Sepp. Nederlandsche 
Vogelen 1790—1829, fünf Bände Folio. Kennen die Art nicht. 


J. Braak, Catalogus Avium der Provinz Groningen 1821. Kennt —. 


sie auch nicht. 

C. J. Temminck, Manuel d’Ornithologie Ed. II, I. p. 218, 
1820, schreibt: „Tres-rare et accıdentellement en Hollande“. 

H. Schlegel, Revue critique des oiseaux d’Europe, 1844, p. 
XXXI Hab.: „Europe, Asie Mineure, Afrique septentrionale‘“. 
Erwähnt Holland nicht absonderlich. 

C. de Gavere und A. A. van Bemmelen. Lyst van Vogels in 
de prov. Groningen en op het eiland Rottum waargenomen. 
(Verzeichnis der Vögel der Provinz Groningen und der Insel 
Rottum), 1856; haben Ruticilla titys nicht. 

H. Schlegel, Vogels van Nederland 1854—58, p. 158, Taf. 88: 
„Bewohnt Süd- und Mittel-Buropa, gehört aber zu jenen Vögeln, 
welche sich jährlich allmählich nach N. verbreiten; zeigt 
sich heutzutage jährlich, auch gelegentlich in der Provinz 
Holland, ohne dortselbst aber zu brüten. Brütet in einigen 
nahe der Grenze gelegenen Städten, wie Nymegen, Arnheim, 
Zütphen, Breda.‘“ 

A.A. van Bemmelen. Waarnemingen betreffende Vogels in Neder- 
land in den wilden staat aangetroffen (in Bouwstoffen voor 
eene Fauna van Nederland II, 1858, p. 209): „Im April 1856 
während mehrerer Tage ein Exemplar und in demselben 
Monate, 1857, ein Männchen und ein Weibehen während mehr 
als 14 Tagen innerhalb Leiden (Süd-Holland) beobachtet.“ KANN 


N. Groenewegen. Nog eenige bouwstoffen voor de or 
Falco, 


mn. 


u 


70 Über das Vorkommen von Ruticilla titys (Scop.) in Holland. 


va Nederland (ibid. p. 289): „Im September bei Velsen (Nord- 
Holland) in Dohnen gefangen.* 

H. Schlegel. Dieren van Nederland (Vogels) 1860, p. 64, Taf. 8, 
Fig. 7 und 8. Schreibt genau dasselbe wie 1854—58. (Siehe 
oben.) 

H. Albarda. Naamlyst der in de Provincie Friesland in wilden 
staat waargenomen vogels 1884: „Jährlich im April zeigen 
sich einige Stücke auf den höchsten Gebäuden in Leeuwarden 
(Hauptstadt der Provinz); sie scheinen dortselbst aber nicht 
zu brüten.“ 

H. Albarda. Ornith. Jahresbericht 1885: „7. November wurde ein 
wenige Tage vorher bei Loosduinen (Süd-Holland) gefangenes 
Weibchen dem Zoologischen Garten im Haag übergeben.“ 

H. Albarda. Ornith. Jahresbericht 1886: „Ein Herr Dys schreibt, 
dass die Art früher bei Soest (Utrecht) fehlte, jetzt aber dort- 
selbst häufig brütet.* 

H. Albarda. Ornith. Jahresbericht 1887: Herr de Graaf schreibt 
„Mir sind zwei Fälle des Brütens der Ruticilla titys in 
Süd-Holland bekannt. Anfang März bis 8. Mai hielt ein 
Pärchen sich auf einem wenig betretenen, dem Publikum nicht 
zugänglichen Grundstücke hinter dem Zoologischen Garten im 
Haag auf. 8. Mai fing man das Weibchen, das im Bauer 
noch ein Ei legte. Das Männchen blieb noch während einiger 
Tage an derselben Stelle, liess sich aber nicht fangen. Erst 
später fand man das Nest. Dieses lag in einer Kopfweide 
ungefähr einen halben Meter unterhalb des Einflugloches und 
enthielt 4 Eier. — Auch ist sicher konstatiert worden, dass 
diese Art wenigstens einmal in der St. Petrikirche in Leiden 
genistet hat.“ 

H. Albarda. Ormith. Jahresbericht 1889. „25. Juli wurde ein 
Männchen in der Stadt Groningen erlegt. Das Weibchen 
leitete die Jungen. Dieses ist der erste Nachweis des Brütens 
der Art in einer unserer nördlichsten Provinzen.“ 

R. Snouckaert van Schauburg. Ornith. Jahresbericht 13898 —99. 
3. November 1898 ein Weibchen gefangen bei Haag (Coll. 
Reichsmuseum Leiden); 20. Januar 1899 wurde ein grauer 
Vogel dortselbst beobachtet. 

R. Snouckaert van Schauburg. Ornith. Jahresbericht 1905--06. 
Die Überwinterung eines Pärchens bei Roermond (Limburg) 


Über das Vorkommen von Rutieilla titys (Scop.) in Holland. 71 


wurde 1904—05 konstatiert. 5. November 1905 wurde ein 
schwarzes Männchen bei Tiel (Gelderland) geschossen. 

H. Albarda. Aves N£erlandicae 1897, p. 40 schreibt vom Haus- 
rötel: „Sommervogel. April bis Oktober. Brütete ehemals 
nur in Limburg, Nord-Brabant und Gelderland, hat sich aber 
allmählich über das ganze Land verbreitet.“ 

Ich notierte dabei: „Kommt manchmal schon im März an; 
ich sah 6. März 1891 ein schwarzes Männchen auf den Dünen 
bei Scheveningen (Süd-Holland). Überwintert des öfteren.“ 


Aus obigen Notizen geht hervor, dass Ruticilla titys vor 
einem Jahrhundert etwa ein ziemlich unbekannter Vogel ın Holland 
war, dass die Art sich seitdem mehr ın westlicher und nördlicher 
Richtung verbreitet hat und jetzt Brutvogel ist in Gegenden, wo 
man sie früher kaum als Durchzügler kannte. 

Jedoch kann man sie nicht überall als häufig bezeichnen, und 
vielerorts fehlt sie gänzlich. Im allgemeinen ist sie am zahl- 
reichsten im Süden und im Osten des Landes vertreten, z. B. in 
Limburg, Brabant, Gelderland, Overysel (in der Nähe des grossen 
Bentheimer Waldes, wo sehr viele Pärchen in der Stadt Bentheim 
und am innerhalb des Waldes gelegenen Bade brüten). Dagegen sieht 
man Ruticilla titys im Westen und im Norden nur sporadisch, 
auch jetzt noch. Im allgemeinen hält die Art sich mehr an Sand- 
boden. Ich habe z. B. niemals ein Exemplar in meinem Wohn- 
orte (Lehm) Neerlangbroek gesehen. Dagegen brütet die Art 
alljährlich in mehreren Pärchen im nur + 3 km entfernten Doorn 
(Sand). In letzterem, von mir 1897--1903 bewohntem Dorfe 
notierte ich die erste Ankunft des Hausrötels: 8. April 1898, 
4. April 1899, 4. April 1900, 5. April 1901, 11. April 1902, 
3. April 1903. Und im Jahre 1905 sah ich dortselbst schon am 
24. März ein Männchen. 


Neerlangbroek (Holland), am 14. August 1907. 


R. Snouckaert van Schauburg. 


6* 


72 F. Tischler. 


Parus Saliearius borealis (Selys) als ost- 
preussischer Brutvogel. 
Von F. Tischler. 
Hierzu Tafel IV. 


Im VI. Jahresbericht der Vogelwarte Rossitten (Journal für 
Orith. 1907 p. 522/523) hat Dr. Thienemann eine von mir her- 
rührende Notiz über den ersten ostpreussischen Nestfund von 
Parus borealis wiedergegeben. Es ist dort ferner die Nisthöhle 
kurz beschrieben und erwähnt, dass eine Kollektion von Sumpf- 
meisen aus der Bartensteiner Gegend — sowohl von glanz- wie 
mattköpfigen Exemplaren, die im Juni und Juli 1906 gesammelt 
wurden, — an Herrn Pfarrer Kleinschmidt geschickt worden ist. 
Inzwischen war dieser unter dem 22. August 1907 so liebens- 
würdig, meine Bestimmung zu bestätigen und mir mitzuteilen, 
dass von den ihm gesandten Meisen mehrere zu borealis (Selys) 
gehören. Da über das Brutgeschäft und das Freileben dieser Art 
im ganzen noch wenig bekannt ist, sei beides hier etwas aus- 
führlicher geschildert. 

Die nordische Meise ist bei Bartenstein, im südlichen Teile 
des Kreises Friedland, in Ostpreussen ein regelmässiger und durch- 
aus nicht seltener Jahresvogel. Sie ist hier während des grössten 
Teiles des Jahres Nadelwaldbewohnerin und anscheinend nur zur 
Brutzeit und auf dem Striche auch ausserhalb des Fichtenwaldes 
an sumpfigen, mit Weiden oder Erlen bewachsenen Stellen anzu- 
treffen. Am zahlreichsten sieht man sie in den Monaten März 
und August— September, da dieses augenscheinlich die Haupt- 
strichzeit ist. Ich hörte z. B. in Losgehnen in einem kleinen 
Fichtenwalde am 19. März 1906 8—10, am 29. März 1907 5—6 
singende bezw. pfeifende Männchen, und in den genannten Herbst- 
monaten gelangen stets besonders viele zur Beobachtung, so dass 
mit Leichtigkeit in kurzer Zeit ein Dutzend erlegt werden könnte. 
Zur Brutzeit verteilen sich die Paare über ein grösseres Gebiet; 
in Losgehnen brüten wohl jährlich nur 1—2 Paare. Schon seit 
Jahren vermutete ich das Brüten für die hiesige Gegend,!) doch 
war es mir bisher noch nicht gelungen, das Nest aufzufinden und 
dadurch den sicheren Nachweis zu erbringen. Ein vor kurzem 


t) Vergl. meine Bemerkung im Journ. für Ornith. 1905, p. 389/390 
und in der Ornith. Monatsschrift 1906, p. 266/267. 


Parus Salicarius borealis (Selys) als ostpreussischer Brutvogel. 73 


ausgeflogenes Junges erlegte ich aber bereits im Juni 1902. Erst 
im Jahre 1906 war es mir vergönnt, eine Nisthöhle mit Jungen 
zu entdecken und die Alten lange am Nest zu beobachten. 

In einer sumpfigen, bei höherem Wasserstande völlig über- 
fluteten Kopfweidenpflanzung am Ufer des Dostflusses in Losgehnen 
bemerkte ich am 29. April 1906 2 Parus borealis, die sehr auf- 
geregt waren, so dass ich auf ein Nisten daselbst schloss. Da 
die Vögel aber ganz wider ihre Gewohnheit ziemlich scheu waren 
und das Terrain schwer zugänglich ist, konnte ich die Nisthöhle 
zunächst nicht finden. Die Örtlichkeit ist ähnlich wie die von 
Kleinschmidt im Journ. für Ornith. 1903 Tafel V. dargestellte Nur 
von einer Seite kann man überhaupt in die Pflanzung gelangen; 
an zwei Seiten ist sie von, gewöhnlich unpassierbarem, Sumpf 
mit hohem Schilf und Rohr, an der dritten Seite vom Dostfluss 
begrenzt. 

Am 20. Mai sah ich hier wieder eine einzelne, ziemlich stille und 
flüchtige, der Stimme nach zu borealis gehörige Meise, wahr- 
scheinlich das Männchen. Am 7. Juni endlich traf ich beide 
Meisen beim Futtertragen an, und es gelang mir auch, nachdem 
ich mich etwas versteckt hatte, den Nistbaum zu entdecken. Am 
nächsten Tage erstieg ich den Baum mit einer Leiter und sah 
Junge in der Höhle, die mir aber — ich nahm keins heraus — 
noch nicht flugfähig zu sein schienen. Ich beobachtete die Alten 
längere Zeit; sie fütterten sehr eifrig und zwar fast ausschliesslich 
mit kleinen grünen Raupen. Fortwährend liessen sie ihr warnen- 
des „deh deh deh“ hören, bisweilen auch ein heftiges „spitt spitt 
spitt“. Einmal pfiff das Männchen auch, aber nur kurz und leise, 
und zwar tiefer „tjü-tjü-tjü,“ erinnernd an das „dü-dü-dü* von 
Phylloscopus sibilator, und höher „mih-mih-mih“. Im ganzen 
waren sie am Nest ziemlich scheu und flogen nur in die Höhle, 
wenn ich gedeckt stand. 

Da ich auf einige Zeit verreisen musste, übernahm es mein 
Vetter, Referendar Schütze aus Rössel, die Meisen zu überwachen; 
bereits am 12. Juni aber fand er das Nest leer und hörte nur 
noch das „deh deh“ der Alten in der Nähe. Am 17. Juni kam 
ich selbst wieder zurück und suchte nun sofort die Niststätte auf. 
Trotz eifrigen Suchens konnte ich aber in der Kopfweidenpflanzung 
und in deren Nähe von den Meisen nichts entdecken; wohl aber fand 
ich an demselben Tage einige hundert Meter davon in einer Fichten- 


74 F. Tischler. 


dickung eine Gesellschaft junger Sumpfmeisen, deren Stimme sichnicht 
wesentlich von dem Futtergeschrei anderer junger Meisen unter- 
schied, während die Alten eine Stimme überhaupt nicht hören 
liessen. Ich erlegte zwei Junge, die noch nicht ausgewachsen 
waren und gelbe Mundwinkel hatten, und beide gehören, wie mir 
Herr Kleinschmidt mitteilte, zu borealis. Das eine Junge erinnert 
durch die Kehlfärbung an den amerikanischen Parus atricapillus L. 
Auch eine an demselben Tage in der Nähe der Jungen geschossene 
alte Meise in sehr abgetragenem Kleide gehört zu borealis. Jeden- 
falls war diese Meisenfamilie, von der ich die drei genannten Stücke 
erlegte, dieselbe wie die von mir am Nest beobachtete. Die Meisen 
hatten sich also, wohl unmittelbar nach dem Ausfliegen, in den 
von ihnen so bevorzugten Nadelwald zurückgezogen. In der Folge- 
zeit erlegte ich dann in diesem Walde noch einzelne borealis, die 
nun schon die typische Stimme hören liessen, am 30. Juni, 1., 2. 
und 16. Juli, und zwar alles junge Vögel im Nestkleide. 

Am 2. Juli sägte ich den Weidenkopf, der die Nisthöhle 
enthielt, ab und sandte ıhn an Dr. Thienemann. Die Höhle befand 
sich 2,55 m über der Erde in einer Weide (Salıx alba L.), die am 
Boden einen Umfang von 92 cm besitzt. Nach Thienemanns 
Beschreibung (l. ce. p. 523) ist es eine natürliche Höhlung mit 
einer durch Ausfaulen eines Astes entstandenen Eingangsöffnung 
von unregelmässiger Gestalt und etwa 5 cm Durchmesser. Die 
Höhlung selbst ist etwa 19 cm tief und 6 cm breit und enthält 
kein Nistmaterial, nur etwas Holzmulm. 

Im Jahre 1907 hat mindestens ein Paar dieser Meisen wieder 
in Losgehnen gebrütet. Ich beobachtete ein solches nämlich noch 
am 3. Mai in der Nähe eines Erlenbruches, und als ich Anfang 
Juli nach längerer Abwesenheit zurückkehrte, traf ich in dem 
mehrfach erwähnten Fichtenwalde eine Gesellschaft Junger an. 

Nach allem, was ich bisher von Parus borealis hier gesehen 
habe, glaube ich mit Bestimmtheit sagen zu können, dass sie hier 
nur einmal im Jahre brüten. Irgend welche Anzeichen, die auf 
eine zweite Brut schliessen lassen, habe ich bisher nicht bemerkt. 
Nach dem Ausfliegen der Jungen, das anscheinend in der ersten 
Hälfte des Juni erfolgt, treiben sich die Alten mit ihnen zunächst in 
ziemlich engem Verbande, im Laufe des Juli und August sich über ein 
grösseres Gebiet ausbreitend, in Fichtenwäldern umher. Ein Teil 
streicht im August und September etwas weiter weg, was die meisten 


Parus Salicarius borealis (Selys) als ostpreussischer Brutvogel. 75 


anderen Meisen in weit höherem Masse tun. In dieser Zeit sieht 
man sie besonders zahlreich und auch an vielen Orten, an denen 
sie nicht brüten. Eine erhebliche Vermehrung des Bestandes durch 
zuwandernde Stücke ım Winter habe ich nicht fesstellen können; 
überhaupt glaube ich, dass gerade bei den Sumpfmeisen ein eigent- 
licher Zug weniger wie bei anderen Arten stattfindet, eine Be- 
merkung, die auch Kleinschmidt schon gemacht hat (Ornith. Jahr- 
buch 1897 p. 65). Auch Thienemanns Beobachtungen auf der 
Kurischen Nehrung, wo Sumpfmeisen als Brutvögel wie auf dem 
Zuge fast gänzlich fehlen, sprechen gegen die Annahme einer Zu- 
wanderung nordischer Meisen im Winter von Russland her; andere 
Meisenarten dagegen, z. B. Kohl-, Blau- und Tannenmeisen, ziehen 
auf der Nehrung regelmässig und zahlreich. 

Im Winter und überhaupt während ihres Aufenthalts ın 
Nadelwäldern suchen sie die Gesellschaft von Parus ater und 
eristatus, Regulus regulus und Üerthia familiaris gern auf und 
begleiten diese auf ihren täglichen Streifereien; sie selbst sieht 
man ın dieser Zeit meist nur einzeln oder paarweise, nicht in 
grösseren Flügen, und es ist auch ein gewisser Hang zur Einsam- 
keit nicht zu verkennen. Da die Wälder, die sie hier bewohnen, 
nur klein sind und vielfach auch Laubholzbestände aufweisen, 
kann es nicht fehlen, dass sie oft auch mit Nonnenmeisen zu- 
sammentreffen, die hier sehr häufig sind und den Kohlmeisen an 
Zahl nicht nachstehen. Es bietet sich hierbei die beste Gelegen- 
heit, beide Arten miteinander zu vergleichen. Abgesehen von 
der Stimme, an der auch ungeübte Beobachter, wie ich hier mehr- 
fach gesehen habe, beide Arten sofort zu unterscheiden vermögen, 
ist auch das ganze Betragen ein etwas anderes, so dass ich mich, 
auch wenn die Vögel still sind, selten in der Bestimmung täusche. 
Gewöhnlich sind die nordischen Meisen wenig scheu, oft sogar 
überraschend zutraulich und nur am Nest, wie oben erwähnt, 
flüchtiger und schwerer zu beobachten. Am meisten erinnert ihr 
Betragen an Parus cristatus. In den Gutsgarten von Losgehnen, 
in dem Nonnenmeisen häufig jahrüber sich aufhalten und auch 
brüten, kommt borealis fast gar nicht, obwohl mehrere Fichten- 
gebüsche vorhanden sind. Dasselbe gilt auch für cristatus, dagegen 
zeigt sich ater auf dem Striche gar nicht selten. Nur ein einziges 
Mal, am 16. April 1905, sah ich eine einzelne borealis schnell 
durch den Garten streichen, der aber sofort anzumerken war, dass 


76 F. Tischler. 


sie sich nicht heimisch fühlte. Gerade die Verschiedenheit der 
Stimme bei den im Garten täglich beobachteten und den im Walde 
wohnenden Sumpfmeisen war es, die mich ebenso wie Natorp (Ornith. 
Monatsschrift 1905 p. 256/257) zuerst, im Winter 1898/99, auf 
borealis aufmerksam machte. 

Was nun diese Stimme angeht, so ist der gewöhnlichste als 
Lockruf, Unterhaltungsstimme und Warnungsruf verwendete Laut 
ein zeterndes, gedehntes, scharf abgesetztes „deh deh deh“ oder 
„däh däh“. Es wird sehr verschieden betont; oft klingt es heiser 
und breit, wie „tjäh tjäh,“ oft wieder kürzer und heller, immer 
aber ıst es ein charakteristischer und höchst auffallender, von dem 
„zihähähä® oder „zjidädädä* der Nonnenmeise gänzlich ver- 
schiedener Ruf, an dem diese Meisen am leichtesten zu erkennen 
sind. Früher glaubte ich, dass auch Parus cristatus eine ähnliche 
Stimme besitze!) doch halte ich diese Ansicht nunmehr für irrig. 
Bestärkt in meiner Annahme wurde ich durch Naumann, der der 
Haubenmeise eine von ihm mit „täh täh“ wiedergegebene Stimme 
zuschreibt (vergl. neue Ausgabe Bd. II. p. 270.) Nachdem ich 
nunmehr aber zeitweise fast täglich Hauben- und nordische Meisen 
nebeneinander stundenlang beobachtet und auf jede Äusserung 
geachtet habe, glaube ich mit Bestimmtheit sagen zu können, dass 
die Haubenmeise eine wie „täh täh“ klingende Stimme nicht 
besitzt. Auch Voigt (Exkursionsbuch 4. Aufl. p. 97) erwähnt eine 
solche Stimme für eristatus nicht. Was ich früher für Stimm- 
laute der Haubenmeise hielt, war sicher alles borealis, und ich 
wurde nur durch die verschiedene Betonung und Dehnung sowie 
die Gleichartigkeit des Aufenthalts beider Arten zu meinem Irrtum 
veranlasst. Eine Verwechslung dieses Rufes mit dem anderer 
Meisenarten ist also m. E. völlig ausgeschlossen. 

Ausser diesen charakteristischen Tönen besitzt borealis noch 
eine Menge anderer Stimmlaute, so ein scharfes „sisi“ oder „sitsit*, 
entsprechend dem Unterhaltungslaut anderer Arten, aber doch von 
ganz eigener Betonung, so dass ich auch hieran die Art fast stets 
zu erkennen vermag; in Worten lässt sich jedoch der Unterschied 
kaum angeben. In höchster Erregung rufen sie heftig „spitt 
spitt spitt“, so z. B. wenn sie angeschossen zur Erde fliegen oder 
überhaupt, wenn sie plötzlich erschreckt werden. 


!) Vergl. meine Bemerkung im Journ. für Ornith. 1905 p. 389, in 
der Ornith. Monatsschrift 1906 p. 267. 


Parus Salicarius borealis (Selys) als ostpreussischer Brutvogel. 77 


Die verschiedenartigsten Töne hört man von ihnen im Früh- 
jahr. Öfters vernahm ich dann einen an das „deroit“ von Hypo- 
\lais philomela erinnernden Ton und gar nicht selten lassen sie in 
dieser Zeit auch ihren Gesang und Pfiff ertönen. Der Gesang ist 
recht eigenartig, nicht gerade schön, aber doch ein ganz ansprechen- 
des Liedchen, das aber meist nur kurz ist. Eingeleitet durch leise 
„sisi*-Töne besteht es gewöhnlich aus etwas gequetscht oder 
würgend, nicht sehr laut vorgetragenen, klirrenden Lauten, bei 
denen die Buchstaben „r* und „l“* deutlich herauszuhören sind.!) 
Den Schluss bildet meist ein eigentümlich schnalzender Ton. 

Ganz verschieden von diesem Gesange ist der viel lautere 
Frühlinsspfiffl, der, wie bereits erwähnt, in zwei verschiedenen 
Tonarten vorgetragen wird, mit denen jedes Männchen regelmässig 
abwechselt. Die eine Tonreihe klingt voll und tief, wie „tjü tjü 
tjü tjü tjü* und erinnert so auffallend an das „düdüdü“ des Wald- 
laubsängers, dass die Töne von ungeübten Beobachtern, wie ich 
aus eigener Erfahrung weiss, leicht verwechselt werden. Das 
einzelne „tjü* wird meist fünfmal wiederholt, seltener nur viermal, 
bisweilen habe ich auch 7—8 Wiederholungen gehört. Die Töne 
folgen schneller aufeinander, wie die gleichartigen des Waldlaub- 
sängers, die Vortragsweise und Tonstärke ist aber sehr ähnlich. 
Die zweite Tonreihe ist vermutlich die von Kleinschmidt mit 
„tschih tschih tschih“ wiedergegebene; sie ist höher und spitzer 
wie die zuerst erwähnte. Einen S-Laut kann ich allerdings nicht 
heraushören, ich möchte sie daher eher mit „tjih tjih tjih“ oder 
„mih mıh mih“ bezeichnen. 

Am meisten hört man das Pfeifen im März und April, 
während der Brutzeit nur noch selten, gelegentlich auch einmal, 
aber nur leise im Herbst. Den klirrenden Gesang vernahm ich 
in der Regel früher im Jahr wie das Pfeifen, oft schon im Februar, 
und auch im Spätsommer und Herbst häufiger wie letzteres. 
Während der Hauptsangeszeit im März und April überwiegen aber 
die pfeifenden Töne; doch geht der Gesang oft in den Pfiff, seltener 
‘der Pfiff in den Gesang über. 

Während der Brutzeit sind diese Meisen meist still und heim- 
lich und verraten durch ihre Stimme ihr Nest nicht leicht, auch 
die sonst unvermeidlichen „däh däh“-Töne lassen sie in dieser 
Zeit nur selten hören. Die Stimme der kürzlich ausgeflogenen 

1) Clodius (Falco 1906 p. 42) bezeichnet ihn als „quinquelierend‘“. 


7 F. Tischler. 


Jungen ist der anderer junger Meisen ähnlich, Sie lassen aber 
ihr Futtergeschrei nur kurze Zeit, etwa 2 Wochen, hören; sehr 
bald hört man deutliche „däh“-Laute heraus, die dann allmählich 
nur noch allein ausgestossen werden. 

Wie aus der vorstehenden Schilderung der Stimmlaute von 
Parus borealis hervorgeht, die im allgemeinen wohl für alle For- 
men von Parus Salicarius gelten dürfte,!) ist eine Verwechslung 
der Stimme mit der der Nonnenmeise — die hiesigen gehören nach 
Kleinschmidt zu Meridionalis meridionalis Liljeb. — beinahe aus- 
geschlossen. Weder an das bekannte „zizigäg“ oder „zjidä 
zjıdädädä“ noch an den klappernden Gesang der Nonnenmeise, 
der wie „zje zje zje* oder „djüb djüb djüb“ klingt, aber auch 
bisweilen moduliert wird, erinnernde Töne habe ich jemals von 
borealis vernommen und dabei habe ich im Laufe der Jahre viele 
Dutzende stundenlang überhört. Voigt wirft in seinem Exkursions- 
buch (p. 93—95) beide Sumpfmeisenarten zusammen; die von ihm 
im Siebengebirge wie die im Kaisergebirge gehörten waren nach 
der mitgeteilten Stimme wohl sicher Formen der Salicariusgruppe. 
Von einer lediglich individuellen Verschiedenheit, wie Schuster 
behauptet (Journ. für Ornith. 1904 p. 441), kann nach meinen 
Beobachtungen, die völlig mit den grundlegenden Angaben Klein- 
schmidts (Ornith. Jahrbuch 1897 p. 45—103) übereinstimmen 
und diese nur ergänzen, überhaupt nicht die Rede sein. Beide 
Arten halte ich für schärfer geschieden, wie z. B. Acrocephalus 
palustris und streperus. 

Bezüglich der Färbung und der Gefiedereigentümlichkeiten 
der hiesigen Exemplare von Parus borealis vermag ich Klein- 
schmidts Mitteilungen (]. ec. p. 88/89) nichts hinzuzufügen. 

Über die Verbreitung der Art in Ostpreussen wissen wir 
noch wenig, ich glaube aber, dass sie bei uns sehr viel häufiger 
ist, als früher angenommen wurde. Als erster hat Kleinschmidt 
auf Grund eines von Wohlfromm bei Brödlauken erlegten Exem- 
plars borealis für Ostpreussen nachgewiesen (Ornith. Monatsberichte 
1896 p. 191) und ihr Brüten hier vermutet (Ornith. Jahrbuch 
1897 p. 88). Für letzteres fehlte aber bisher noch immer der 
sichere Nachweis, den ich nunmehr erbracht habe. Da die nordische 


1) Auch Clodius’ Angaben über die Stimme von Parus Salicarius 
salicarius (Brehm) aus Mecklenburg (Falco 1906 p. 40—43) stimmen 
mit meinen Beobachtungen durchaus überein. 


Parus Salicarius borealis (Selys) als ostpreussischer Brutvogel. 79 


Meise bei Bartenstein ausser in Losgehnen auch sonst an geeigneten 
Stellen überall vorkommt, wird dies wohl auch für andere Teile 
der Provinz zutreffen; denn ein isoliertes Vorkommen in hiesiger 
Gegend ist doch äusserst unwahrscheinlich, Für eine grössere 
Verbreitung spricht auch, dass ich sie am 27. Mai 1906 in der 
Stadtheide bei Mehlsack und mein Vetter, Referendar Schütze, der 
sie von Losgehnen her kennt, sie im April 1907 ım Ramter 
Wald bei Rössel beobachtet haben. Ich werde auf die Verbreitung 
von Parus borealis in der Provinz, auf das Brutgeschäft, die Eier 
etc. fortgesetzt achten und hoffe später darüber noch weiteres 
berichten zu können. 

Nachsatz: Nachträglich ersehe ich aus Kleinschmidts Aufsatz 
in der Ornith. Monatsschrift 1898 p. 29—31, dass Wohlfromm auch 
im Sommer mehrere Exemplare von Parus borealis, zum Teil im 
Jugendkleide, im östlichen Östpreussen gesammelt und dass Hartert 
die Art in der Oberförsterei Ramuck bei Allenstein gefunden hat. 
Es sprechen diese Tatsachen auch für die von mir vermutete weite 
Verbreitung in Östpreussen. 

Erwähnen will ich schliesslich noch, dass sich die von Klein- 
schmidt revidierten hiesigen Belegexemplare in der Sammlung der 
Vogelwarte Rossitten befinden. Die auf der Tafel IV wieder- 
gegebenen Photographien der Nisthöhle verdanke ich der Liebens- 
würdigkeit des Herrn Dr. Thienemann. 


s0 Eine Exkursion nach Parus Salicarius rhenanus. 


Eine Exkursion nach Parus Salicarius rhenanus. 


Im Herbst vergangenen Jahres weilte ich ein paar Tage in 
Darmstadt. Bei dieser Gelegenheit besichtigte ich in dem neuen 
Museum, das bald darauf eröffnet werden sollte, die nahezu fertig 
aufgestellten zoologischen Sammlungen und die vortrefflich ein- 
gerichteten Präparationsräume'). Da in der Lokalsammlung die 
Weidenmeise noch fehlte, erbot ich mich, eine solche zu be- 
schaffen. 

Ich holte mir vom Ministerium des Innern den nötigen Dis- 
pens, kaufte mir ein wenig Vogeldunst und fuhr am andern 
Morgen — es war am 11. Oktober — nach Stockstadt. Auf 
dieser Fahrt, sowie auf einer späteren Eisenbahnfahrt längs der 
Bergstrasse konnte ich feststellen, dass zwischen dem Odenwald 
(bezw. Spessart) und den Weidenwildnissen der Rheinufer keine 
für Parus Salicarius geeignete Waldbrücke besteht, dass vielmehr 
der Landschaftscharakter der hessischen Riedebene die Salicarius- 
Form des Rheines hier nach Osten hin isoliert. 

Bei Stockstadt fuhr ich über den zur Zeit sehr niedrigen 
Altrhen nach der grossen Rheininsel Guntershausen (meist 
Schmittshausen oder Kühkopf genannt) und zwar zunächst nach 
der Besitzung des bekannten Reichstagsabgeordneten Freiherrn 


1) Das Programm wurde bereits 1899 von G. von Koch in einer 
Schrift veröffentlicht: Die Aufstellung der Tiere im neuen 
Museum zu Darmstadt, Verlag von Wilhelm Engelmann, Leipzig. 
In der systematischen Abteilung, die mit anatomischen Darstellungen 
Hand in Hand geht, sind in sehr praktischer Weise Füsse, Flügel 
und Schnäbelalter mangelhafter Vogelpräparate verarbeitet, 
um die Unterschiede der Gattungen bez. Familien ins Auge zu rücken. 
In besonderen Räumen ist die Tierwelt des Grossherzogtums Hessen 
(z. T. in hübschen biologischen Gruppen) und in grossen Gesamtbildern 
die Charakterfauna fremder Gebiete dargestellt. Unter jener fallen die 
von Herrn von Koch eigenhändig nach dem Leben bemalten Natur- 
abgüsse der heimischen Froschlurche und Molche als Werke raffinier- 
tester Technik auf, wie sie nur ein mit allen Geheimnissen des Bild- 
hauers und Malers vertrauter Künstler herstellen konnte. 


Eine Exkursion nach Parus Salicarius rhenanus. 81 


von Heyl zu Herrnsheim. Da sowohl der Besitzer, wie auch 
seine Jagdbeamten abwesend waren, besichtigte ich nur die in 
letzter Zeit um manches schöne Stück vermehrte Sammlung im 
Jagdhause (sie enthält unter anderem den dort erlegten Gleitaar 
(Elanus)), und begab mich sodann zu dem nicht weit entfernt 
wohnenden Staatsförster. Ein herrlicher sonniger Tag im Herbst- 
walde. Über den dichtverwachsenen Pfad flog lockend ein Trupp 
Glanzkopfmeisen, Parus Meridionalis longirostris. Hoch über das 
schmucke Forsthaus zog schon eine Nebelkrähe Rasch waren 
ein paar schwache Patronen geladen, und wir eilten zum nahen 
Altrhein, der jetzt ganz versandet ist und damals stellenweise 
knapp 1 m Tiefe hatte. Der niedrige Wasserstand kam uns sehr 
zu statten, denn das sonst in dem Weidengürtel des Ufers stehende 
Wasser war auf einzelne kleinere oder grössere Tümpel beschränkt. 
Ich lenkte nach einer mir geeignet scheinenden Stelle. Überall 
dichte Vegetation auf dem schlammigen Boden. Meisenschwärme 
flüchten vor uns her, aber alles nur Parus major und caeruleus. 
Dazwischen Certhia brachydactyla. 

In einer Kopfweide finde ich ein Nestloch. Die geringe 
Weite und das Fehlen von Nestmaterial deuten auf Parus Salicarius. 
Auch der Pilz, der das Holz erweicht und so seine Bearbeitung 
vorbereitet hat, ist vorhanden, ganz wie bei dem früher von mir 
abgebildeten Nest (s. Journ. f. Orn. 1903, Taf. V). Aber ein 
unsicheres Nest will ich für das Museum nicht mitnehmen, so 
gering hier der mögliche Zweifel auch sein mag. 

Grosse Entenflüge flattern dicht vor mir aus den im Gestrüpp 
versteckten Lachen. Ich versuche ein in das Schlammufer des 
Altrheins hinausragendes Weidendickicht zu umgehen, bis mich 
die Gefahr, einzusinken, zur Umkehr nötigt. Nirgends der er- 
sehnte Lockruf des gesuchten Vogels! Nur leises Blätter- 
rauschen, dann und wann Kohlmeisen. Sollten die im angrenzen- 
den Wald aufgehängten Nistkästen diese auf Kosten der Weiden- 
meisen vermehrt haben? Kaum denkbar! Nach der Seite, der 
wir uns jetzt zugewandt haben, wird die Pflanzenwirrnis noch 
toller. Das ist kein Gehen mehr. Man kann nicht mehr schreiten. 
Nein bei jedem Schritt muss man über Schilf und Sumpfpflanzen, 
die das Knie umstricken, über die Zweige versunkener Weiden 
hinübersteigen und klettern. Jetzt ist es nur ein schmaler Streif, 
wo der Fuss noch das Trockene und sichern Halt findet. Immer 


82 Eine Exkursion nach Parus Salicarius rhenanus. 


reicher wird aber das Vogelleben. Stockenten und wieder Stock- 
enten. Über eine Lücke blauen Himmels zieht eine Lachmöve. 
Ein Fasan poltert vor meinen Füssen heraus, dort geht eine Krick- 
ente hoch, dort ein Reiher; zwei Eisvögel schwirren vom nieder- 
gebogenen, noch schwankenden Schilfhalm, alles in selten gestörter 
Ruhe überrascht. Aber kein Parus Salicarius! 

Eine rechte Erlkönigslandschaft ist es zwischen diesen düsteren 
Weidenköpfen. Auf einer meiner letzten Exkursionen in derartiges 
Gelände zur Beobachtung der seltenen Meisen begleitete mich der 
hier verunglückte Ornitholog Dr. Ulrich aus Niersten. Der För- 
ster erzählte mir die traurigen Einzelheiten. Ulrich war noch 
bei ihm gewesen. Seine Leiche wurde kurz darauf im Altrhein 
gefunden, bei einer nahen Sandbank, der Kiebitzinsel. Ob eine 
Vogelstimme ihn in den Tod gelockt? Wie oft war ich früher 
versucht, eins dieser von Wasserpflanzen durchwucherten Alt- 
wasser zu durchschwimmen, um, wie Ulrich es vielleicht wollte, 
einen weiten Weg abzukürzen, aber der Gedanke an so manches 
Unglück, von dem diese stillen Wasser erzählen, hielt mich immer 
davon ab. Sie haben etwas Unheimliches bei all ihrem Reiz. 
Ich entsinne mich, dass selbst einer der allerbesten Schwimmer 
und Taucher des Rheins bei einer Entenjagd, von Wasserpflanzen 
umstrickt, ertrank. Sind es solche Gedanken oder die selten vom 
Menschenfuss betretene Landschaft, die hier eine Stimmung wecken, 
wie sie sonst nur der Tropenforscher im Urwald empfindet. Wer 
die kleinen Weidenstreifen vom Dampfer aus sieht, würde darüber 
lachen, weil er nie in ihre Geheimnisse eindringt. 

Es wird so sumpfig, dass wir umkehren müssen. Zudem habe 
ich den Schlagbolzen aus dem klapprigen Schloss des Teschins 
verloren, das ich vom Förster mitnahm. Wir geben die erfolg- 
lose Suche auf. Als wir die Weiden auf einem trockenen Damm 
verlassen, flüchten ein paar Singdrosseln aus dem Brombeergestrüpp 
neben uns in die Kopfweiden zurück. Ihr Angstruf weckt dort 
ein heiseres Echo: däh däh! 

Endlich noch zu guter Letzt! Unter allen Vogelstimmen würde 
ichs erkennen. Sofort bin ich vom Damm herunter, winke den 
Förster heran, tausche die Flinten. Mein altes Mittel, ein Halb- 
kreis um den flüchtigen Vogel! Rasch kommt es näher, das „däh 
däh* von Baum zu Baum. Jetzt ist die Entfernung recht. Rasch 
den Schuss dorthin geworfen, und zwischen einigen herabrieselnden 


Eine Exkursion nach Parus Salicarius rhenanus. 83 


Weidenblättern plumpst schneller als sie ein kleiner Gegenstand 
zu Boden, auf den man fest das Auge heften muss, um ihn im 
Pflanzengewirr nicht zu verlieren. Wie schön ist sie, die Weiden- 
meise, wenn man sie so frisch geschossen vom Boden aufhebt, 
mit ihren duftig zarten Farben, dem matt sammetschwarzen Kopf 
und den crömeweissen Halsseiten, dem weisslichgrauen Längs- 
schimmer auf dem Flügel und dem gefächerten Stufenschwanz. 
Keine Rasse unsrer Sumpfmeise, nein etwas ganz anderes, vielleicht 
ein Rest germanischer Urwaldfauna in die letzten Asyle verdrängt 
von der Kultur! Wie lange sie sich noch halten wird? Solange 
hier Weiden stehn. Schon verarbeitet man den Rheinschlamm 
fabrikmässig ein paar hundert Schritte weiter für Ziegeleien. Aber 
das gibt wieder tieferes Wasser für einige Zeit und vielleicht unzu- 
gängliche Weideninseln. Die Weidenmeise ist wenigstens noch da, 
wenn auch eine weniger. 

In besserer Stimmung als vorhin wird der Heimweg fort- 
gesetzt. Der Förster erzählt mir noch von einem früher im 
Winter erlegten Seeadler und von hier eingebürgerten Königs- 
fasanen. 

Ja die Fasanen! Es wird manchmal geklagt, dass sie so sehr 
das ganze Interesse des Jägers absorbieren, die edlen Fremdlinge. 
Begreiflich und verzeihlich ist sie, die Freude an dieser Fälschung 
unserer Ornis. Ich habe selbst mit Vergnügen eine Woche 
später in Ingelheim mit dem ersten Schuss zwei Hähne auf 
einmal aus der Luft heruntergeholt. Sie hat ihr historisches Recht, 
und sie ist völlig harmlos diese Faunenfälschung, denn der Fasan 
verdrängt nichts, die Hege des Fasans kommt andern Vögeln mit 
zu gute. Aber eine viel edlere Aufgabe als die Einbürgerung des 
Neuen besteht darin, ein so echtes Stück heimischer Natur in 
seiner Ursprünglichkeit zu erhalten. 

„Wer mochte glauben, dass ein solches in sich abge- 
schlossenes Bild, aus blitzenden Wasserflächen, blauem Himmel 
und hohem Wald geschaffen, nur wenige Stunden von den Höhen 
der Bergstrasse wie von den ausgedehnten reizlosen Kiefern- 
wäldern und den fruchtbaren aber einförmigen Ackergeländen 
des Rieds zu finden sei!* 

Diese Worte stehen neben einer wunderhübschen Steinzeichnung 
(„Vom Altrhein*) in dem „hessischen Kalender“ 1907 von 
Schmoll, Eisenwerth und Anthes (Hohmann, Darmstadt). Das 


34 Eine Exkursion nach Parus Salicarius rhenanus. 


Landschaftsbild zeigt nur erst die Aussenseite der schönen Rhein- 
insel. 

Die Purpurreiherkolonie, die sich einst dort befand, ist längst 
dahin. Das Bestreben, die Kopfweidenpflanzungen in nutzbare 
Wiesen umzuwandeln, schränkt die Brutplätze der Weidenmeisen 
(und unzähliger andrer Kleinvögel!) immer mehr ein, wenn von 
Darmstadt aus, wo man sonst im Heimatschutz am weitesten voran 
ist, nicht bald eingegriffen wird (die Weidenpflanzungen sind Staats- 
eigentum). 

Ich sammelte auf dem Heimweg noch ein paar Schnecken, 
die trotz des trockenen Wetters hier im westdeutschen Auwalde 
hoch an den immer feuchten Stämmen umherkrochen. Am 
andern Tag habe ich den Vogel für das Museum präpariert. 

Die Weiden- oder Erlkönigsmeise ist, wie diese Schilderung 
zeigt, die eigentliche „Sumpfmeise“. Sie hat durch Gesner für 
den „Parus palustris“ Gevatter gestanden. In vergangenen Jahr- 
hunderten, damals als 1631 in diesen Uferweiden das schwedische 
Heer den Rheinübergang erkämpfte, mag er ein weitverbreiteter, dem 
Volke überall bekannter Vogel gewesen sein, der Parus Salicarius 
rhenanus, nach dem man heute so mühsam suchen muss. Einst- 
weilen schirmen die Hochwässer des Rheins, von deren Höhe die 
von ihnen angesäten Farnkräuter oben auf den Weidenköpfen 
zeugen, noch sein Reich oder besser sein „Asyl“. 0. Kl. 


Neuere Literatur über Parus Salicarius. s5 


Neuere Literatur über Parus Salicarius. 


1. Parus Salicarius-Formen der Schweiz. 

Katalog der schweizerischen Vögel, bearbeitet im Auf- 
trag des eidgenössischen Departements des Innern (Abteilung 
Forstwesen) von Dr. Th. Studer und Dr. V. Fatio unter Mit- 
wirkung zahlreicher Beobachter in verschiedenen Kantonen. Er- 
scheint in jährlichen Lieferungen in zwanglosen Heften. IV. Liefg.: 
Braunellen, Schlüpfer, Wasserstare, Meisen, bearbeitet von 
G. von Burg, Bern (Stämpfli & Co.) 1907. 

Achtundvierzig Seiten des Katalogs widmet von Burg den 
Sumpfmeisen. Sehr dankenswert ist der Abdruck der alten Arbeiten 
von C. von Baldenstein, H. von Salıs und V. Fatio über die 
Alpenmeisen, die von Burg seinen wertvollen Untersuchungen 
und den Mitteilungen seiner Beobachter vorausschickt. Seine end- 
gültige Ansicht gibt von Burg in einem Artikel: 

Uber die Verbreitung der Graumeisen in der Schweiz. 
(Gelesen an der Jahresversammlung der schweizerischen Natur- 
forsch. Gesellschaft (Sektion für Zoologie) in Freiburg, 30. Juli 1907.) 

Er benennt darin die Formen nach Hartert und nimmt für 
die Schweiz das Vorkommen von 

1. Parus Salicarıus montanus (Baldenst.) als Brutvogel, 

2. Parus Salicarius salicarius (Brm.) als Durchzugsvogel, 

3. Parus Salicarius rhenanus (Kl.) als Wintergast an. 

In dankbarster Würdigung und Wertschätzung dieser beiden 
Arbeiten gebe ich hier nur wenige Bemerkungen über die Punkte, 
die noch klarzustellen sind. 

Die interessante Frage, ob die Alpenmeise überall in der 
Höhe grösser, im Tal kleiner wird, wird in Anlehnung an Hartert 
verneint. Auch mir scheinen die Schwankungen in den Alpen nur 
individuell zu sein. 

In der flachen nordwestlichen Schweiz scheint nach von Burgs 
Vögeln der kleine Parus Salicarius rhenanus vorzukommen, dann aber 
meines Erachtens als Brut- und Standvogel, nicht als Wintergast. 

Falco. 1 


s6 Neuere Literatur über Parus Salicarius. 


Was von Burg als Parus Salicarius salicarius (Brm.) bestimmt, 
sind nicht Zugvögel aus den Brutgebieten dieser Form, sondern 
ein wenig umherstreichende Standvögel und zwar Zwischen- 
stufen zwischen Parus Salicarius rhenanus und Parus Salicarius 
montanus. 

Ich glaube nicht an einen Zug der Sumpfmeisen, vor allem 
nicht an einen Zug der mattköpfigen. Die klimatischen Höhen- 
verhältnisse der Schweiz bedingen aber innerhalb des Landes kleine 
Verschiebungen (selbst Zusammenscharungen) im Herbst, im Winter 
und vor der Brutzeit, die stellenweise ganz den Eindruck erwecken 
mögen, als fände wie bei andern Meisen ein regulärer Durchzug 
statt. Es handelt sich gewiss um Verschiebungen, die allenfalls 
zwischen Berg und Tal oder nur längs der Flussläufe stattfinden, 
schwerlich aber um einen Zuzug von Norden. Im Herbst sind 
auch am Rhein die Weidenmeisen häufiger. Sie sind aber nicht 
durch Zuzug verstärkt, sondern die einsam und zurückgezogen 
lebenden Brutpaare sind dann um die Jungen vermehrt. Immerhin 
gebe ich zu, dass von Burgs Beobachtungen so vieler Vögel auf 
einmal sehr auffallend sind. Gewiss geben sie ihm und den andern 
dortigen Beobachtern Anlass, diese Dinge noch weiter zu er- 
forschen. 

Seite 504 muss es selbstverständlich statt Parus montanus 
atricapillus — Parus atricapillus montanus heissen. Die Angabe, 
dass die Alpenmeise stellenweise zweimal brüte, widerspricht andern 
Beobachtungen und anatomischen Befunden. Sie ist, wenn be- 
weisbar, neu, andernfalls nachzuprüfen. von Burg selbst betrachtet 
seine Ausführungen nicht als abgeschlossen, und so werden meine 
in keiner Weise polemisch gemeinten Anregungen wohl nicht un- 
willkommen sein. Ich werde sehr oft nach Parus Salicarius und 
seinen Formen gefragt. Man hält die Sache meist für schwieriger 
als sie ist. Sie ist in Wirklichkeit höchst einfach. 

Parus Salicarius ist ein selbständiger Formenkreis, eine gute 
Art im Sinne der alten Klassiker, in der ganzen Welt scharf ge- 
trennt von den gewöhnlichen Glanzköpfen.) Man nennt die Vögel 


!) Die Vögel im Nestkleide, die bei beiden Arten mattschwarze 
Köpfe haben, erkennt man an dem lichten Längssaum auf dem Flügel, 
der ein Hauptmerkmal bildet und auch bei ganz abgenutztem Gefieder 
alter Vögel meist noch ein untrügliches Kennzeichen gibt. Die Kopf- 
platte ist auch bei der grossen Alpenform im frischen Gefieder tief- 


Neuere Literatur über Parus Salicarius. 87 


von Skandinavien, Nordrussland, Ostpreussen borealis (Selys), 


die von Mitteldeutschland salicarıus (Brm.), 

die vom Rhein rhenanus (Kl.), 

die von England kleinschmidti (Hellm.), 
die der Schweizer Alpen montanus (Baldenst.), 


die der transsylvan. Alpen und Karpathen assimilis (Brm.), 

weil die Flügellänge der grössten Männchen 6,8, 6,5, 6,3, 6,1, 
7,1, 6,9 em erreicht bez. nicht überschreitet und ım frischen 
Gefieder die Rückenfarbe in den kalten Gegenden grauer, in den 
warmen und feuchten brauner ist. Es bestehen auch feine Unter- 
schiede in der Schnabelform. Arten sınd das nicht, auch nicht 
direkte Klima-Einflüsse, sondern lang vererbte Klima-Einflüsse: geo- 
graphische Rassen oder Formen. Wo man Zwischenstufen (Über- 
gänge) findet, wie sie anscheinend von Burg in der nordwestlichen 
Schweiz gesammelt hat, zwänge man sie nicht in einzelne Formen 
hinein, sondern sage einfach: Es ist Parus Salicarius zwischen 
rhenanus und montanus. Haben die Brutvögel der Aare einen 
festen Durchschnittscharakter, so können sie einen neuen Form- 
namen erhalten. Es ist aber wohl nicht ratsam, obige Namen 
zu vermehren. 

Man hat mir früher öfter vorgeworfen, ich hätte zu viel 
Sumpfmeisenformen „gemacht“. Ich habe nur die vorhandenen 
Namen gesichtet und klarstellen helfen. Die beiden Zwergformen, 
die vom Rhein und die von England (diese der Sache nach) habe 
ich allerdings entdeckt und auf Grund derselben die spezifische, 
anatomische und biologische Verschiedenheit der beiden Sumpf- 
meisen als getrennter Formenkreise gezeigt. Es ist mir eine kleine 
Genugtuung, dass diese Entdeckung eines neuen Vogels in der 
Heimat, die anfänglich von vielen Gegnern verlacht, selbst von 
Freunden wohlwollend belächelt wurde, jetzt von allen Kennern 
anerkannt und bestätigt wird. Es wird mit meiner gesamten 
Systematik nicht anders gehen. Wo Tatsachen sind, müssen 
diese zuletzt den Sieg erzwingen. 


schwarz, nicht braun. Ein Seidenglanz kommt bei schönen Stücken der 
nördlichen Formen auch vor, aber gegen das Licht gehalten erscheint der 
Kopf rötlichschwarz. An jedem Ort, der nicht gerade ein Grenzgebiet 
ist, kommt nur eine Form von Parus Salicarius vor. Parus accedeus 
Brm. und Parus murinus Brm. sind z. B. nur die individuellen Grössen- 
extreme von Parus Salicarius salicarius. 

TE 


S8 Neuere Literatur über Parus Sacilarius. 


2. Parus Saliearius-Form Englands. 


The British Willow Tit (Parus atricapillus klein- 
schmidti Hellm.). By the Hon. Walter Rothschild, Ph.D. 

In der neugegründeten englischen Zeitschrift British Birds 
hatte Selater die Weidenmeise eine „angeblich* neue englische 
Meise genannt. Dr. Walter Rothschild widmet ihr eine ausführliche 
Besprechung (pag. 44—47). Er weist die Torheit derer zurück, 
die die Weidenmeise für das Jugendkleid der Sumpfmeise hielten, 
während sie Parus borealis als Spezies anerkannten. Dann müssten 
sie diese auch für das Jugendkleid des Glanzkopfs halten. Die 
Mehrzahl der englischen Ornithologen scheint es nicht für nötig 
zu halten, von der Literatur in deutscher Sprache genügend Kenntnis 
zu nehmen. Die Herausgeber der neuen Zeitschrift bitten in einer 
Schlussanmerkung um Beobachtungen über den Vogel. Sie meinen, 
es möge gefunden werden, dass, wie schon vermutet worden sei, 
die Gewohnheiten und Stimme der britischen Weidenmeise vielleicht 
von der der britischen gewöhnlichen Sumpfmeise verschieden sei. 
Das ist längst sicher, denn dadurch wurde sie ja gefunden. Ich 
schrieb einem englischen Präparator, der mir von Hartert als 
sehr tüchtig empfohlen war, er möge mir Sumpfmeisen von 
düsteren sumpfigen Stellen mit dem Lockton „day day“ 
besorgen. Er präsentierte uns bald darauf drei wunderhübsche 
Bälge von Parus Salicarius. Da Parus Salicarius borealis 
und Parus Salicarius rhenanus in der Lebensweise so sehr 
übereinstimmen,!) wird bei der wenig verschiedenen englischen 
Form dasselbe der Fall sein. oO Kl 


1) Recht erwünscht wären von beiden noch ganz frisch vom Vogel 
selbst gemeiselte Nester. Mein Salicarius-Nest ist vom Vogel selbst ge- 
meiselt, aber ein mehrjährig benutzter Bau. Die Pfeiftöne im Frühling 
enthalten auch bei Parus Salicarius kein s, wie ja die Vögel überhaupt 
unsre Konsonanten nicht haben und unsre Wortbilder nur annähernd 
ihre Stimme wiedergeben. Studien darüber, ob die gewöhnliche Sumpf- 
meise selbst Nester meiselt und woraus sie die Nestmulde baut, sind auch 
sehr willkommen. ©. Kl. 


Neuere Literatur über Parus Salicarius. 89 


Der Herbstgesang der glanzköpfigen Sumpfmeise. 


Herr Hans Kurella, Godesberg teilt mir einige Beobachtungen 
über niedliche Gesänge mit, die er von gewöhnlichen Sumpfmeisen 
vernommen hat. Er schreibt: „Das Merkwürdieste daran ist, dass 
man scheinbar nur im Herbst und später solche kleine Gesänge 
beobachtet hat.“ Das stimmt. Auch ich habe diesen plaudernden 
Gesang, der viel schöner ist als das eintönige Klappern im Früh- 
jahr, bis jetzt nur im Herbst vernommen. Die einzige Sumpf- 
meise, welche hier in Volkmaritz während 3 Jahren in meinen 
Garten kam (am 9. September 1901), sang wunderhübsch und ab- 
wechselnd.!) Ich hätte sie gerne geschont, schoss sie aber, um 
ganz sicher zu sein. Es war ein echter Glanzkopf. Mag es das 
Wohlgefühl des Vogels nach der Mauser in der Vollkraft besten 
Ernährungszustandes oder die Sehnsucht nach Artgenossen sein, 
was ihn zu diesen Liedern veranlasst? Interessant ist es jedenfalls, 
dass sich hier, wo regelmässig Goldhähnchen und andre hier nicht 
brütende Vögel durchziehen, nur einmal in diesem Zeitraum eine 
Sumpfmeise gezeigt hat. Ich habe oft den Wunsch, welche aus- 
zusetzen, unterdrückt, um über das Wandern von Sumpfmeisen 
positives oder negatives Beobachtungsmaterial zu gewinnen. 

Nachsatz: Inzwischen hat mir Herr Kurella den Schädel 
einer am 7. September von ihm und Herrn A. von Jordans beim 
Gesang beobachteten Meise eingesandt, wodurch die Bestimmung 
ausser Zweifel gestellt wird. Der Schädel zeigt sehr deutlich die 
charakteristische Stirnbildung des Formenkreises Parus Meridionalis 
und den langen Schnabel der westdeutschen Form, zu der er schon 
wegen des Fundorts gehört. 


Zur Nahrung der glanzköpfigen Sumpfmeise. 


Herr A. von Jordans, Bonn, schickte mir Zweig und Frucht 
einer Thuja, von der Sumpfmeisen, jedenfalls Glanzköpfe, mit Vor- 
liebe Früchte wegholten. Beide Sumpfmeisen lieben Sämereien. 
Über Verschiedenheit der Nahrung beider Formenkreise lässt sich 
am ehesten an einem Futterplatz etwas feststellen. 


!) Der Gesang der Weidenmeise ist freilich wegen einzelner ge- 
zogener Töne noch schöner. 


90 


Mitteilungen über Berajah. 


Es hat sich herausgestellt, dass einerseits das Material über 
den Hausrotschwanz zu umfangreich ist, um in einer Lieferung 
zum Abschluss zu kommen und dass andrerseits die Darstellung 
sehr erleichtert wird, wenn die Lieferung über den Gartenrot- 
schwanz nebenhergeht. Ich will das zweite Berajahheft 1907 
Ende Dezember (wenn es möglich wird, wieder gerade zu Weih- 
nachten) herausgeben und zwar zusammen mit dem Anfang der 
Lieferung 1907 oder so, dass mehrere kleine Hefte in rascher 
Folge erscheinen. Ich denke im Jahr 1908 Haus- und Gartenrot- 
schwanz abzuschliessen und Abbildungen sämtlicher andern Rot- 
schwanzarten zu bringen, so dass diese Gruppe, soweit jetzt be- 
kannt, gleich völlig erledigt wird. Sehr erwünscht wären Zu- 
sammenstellungen wie die zu Anfang dieser Nummer aus anderen 
Gegenden, da die dort berührte Frage von grosser Bedeutung ist. 


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Falco 1907. 


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108 Seiten Text, 1 bunte Tafel. a Präik für nach 
Saxieola Borealis, 6 bunte, 3 SR 
Tafeln, 22 Seiten Text. In 
104 Seiten Text, 1 Rare Tafel. 
Tabelle der Brehmschen Schleierenlen.. A 
Strix Flammea, 7 bunte, 3 schwarze 

. Tafeln, 20 Seiten Text. SR 
No, 12 Amit Defel IV. aaa 
Deutsches BOBSRENENUUEN, Ttehm und 
Vorwort. 

Erstes Heft, Strix Athene, e: Tateln, 

6 Seiten Text. y 


alt, erscheinen ferner Falco No. 26, 
ren Deutsches | 


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lan, Be ah oder Falco werden nicht mehr een “ 


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 „BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 
3 erscheinende Zeitschrift. 


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Jahrgang 1907, No.5. - 
Ausgegeben: Dezember 1907. 


N Herausgeber: 


Be 0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


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Komwissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


FALOO. 


Dritter Jahrgang. 


No. 5. Dezember. 1907. 


Urzeiterinnerungen. 


Im vorigen Jahrgang (p. 29) suchte ich zu zeigen, dass mög- 
licherweise in den Überlieferungen der semitischen Völker un- 
bewusste Erinnerungen an eine polare Urheimat des Lebens 
enthalten sein könnten. Was ich dort vorläufig skizziert habe, 
scheint nicht allein zu stehen. Hier einen Schritt weiter unter 
dem Vorbehalt, dass dies nur Vorstudien und Anregungen auf dem 
Gebiet einer Arbeitshypothese sein wollen! 

1. Caesar schreibt im Buch VI. Cap. 18 des Bellum Gal- 
lieum: „Die Gallier erklären, dass sie alle vom Vater Dis ab- 
stammen und behaupten, dies sei von den Druiden überliefert. 
Aus diesem Grunde bestimmen sie alle Zeiträume nicht nach der 
Zahl der Tage, sondern der Nächte. Geburtstage und den 
Anfang von Monaten und Jahren rechnen sie so, dass der Tag 
erst auf die Nacht hintennachfolgt.* 

Der Name „Dis“ ist die wörtliche lateinische Übersetzung 
des griechischen Pluton (der Reiche — Gott der Unterwelt) und 
wird von Caesar mit dem keltischen Gott der Nacht identifiziert. 

Die Zeitrechnung „Nacht: Tag“, die sich bei vielen Völkern 
findet, hat man bisher dadurch zu erklären gesucht, dass das 
(stellenweise sogar göttlich verehrte) Gestirn der Nacht, der Mond 
mit seinem auffälligen Phasenwechsel, der Ausgangspunkt für die 
Zeitrechnung der Naturvölker gewesen sei. 

Gewiss, die Mondsichel hat diese Rolle gespielt, aber warum 
wird in der semitischen Kosmogonie der Mond erst geschaffen, 
nachdem längst die Ordnung „Nacht — Tag“ im Gange ist? 

Caesar (und vielleicht sogar das gallische Volk selbst) führte 
die Reihenfolge „Nacht — Tag“ auf die Herkunft vom Gott 
der Nacht zurück. Sollte der Grund dieser Sage nicht die Herkunft 
aus dem Lande der Nacht sein, wo der Tag erst auf eine Nacht 


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eine lange Dämmerung, folgt? Sansenlan Instig 
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& Honal Musst 


92 Urzeiterinnerungen. 


2. Das Schlachten der jüdischen Opfer an der Mitter- 
nachtseite des Altars und in der Dämmerung ist, wenn 
ich mich recht entsinne, schon von anderer Seite als Erinnerung 
an nordische Herkunft und an den ältesten Auszug gedeutet 
worden. 

Die früher oft naiv umstrittenen Bibelstellen von der still- 
stehenden (nicht untergehenden) Sonne, alle lediglich zurückgehend 
auf das Citat eines alten Kampfliedes aus einem poetischen Buch, *) 
sind vielleicht, wenn auch nicht sicher, das Gegenstück zu der 
nicht aufgehenden Sonne Hiobs und Nachklänge von Volksgesängen 
aus der polaren Urheimat, wo die Sonne im Winter nicht auf-, im 
Sommer nicht untergeht. 

Diese Begründung gilt natürlich nur als fraglich neben der 
viel einleuchtenderen Reihenfolge der biblischen Schöpfung, die 
ganz dem Polarfrühling entspricht: Dämmerung (Gen. I. V. 3), 
hell und dunkel (V. 4), Dämmerung und sonnenloser Polarmorgen; 
viel später erst die Sonne (V. 14). Es ist interessant, dass neben 
„Abend — Morgen“ hier wie auch vorher schon (V. 5) 
„Tag und Nacht“ steht. 

3. Zwingend werden vielleicht erst die persischen und indi- 
schen Angaben, von welch letzteren ich nur aus dem weiter unten 
besprochenen Buche von Biedenkapp eine Stelle anführen will, 
die die deutlichste zu sein scheint: Mahäbhärata, Vanaparvan, 
Cap. 163, Vers 37 und 38. „Am Meru (d. h. Götterberg, Nordpol 
fide Biedenkapp) gehen Sonne und Mond alltäglich 
rings von der Linken zur Rechten, und so thuns alle 
Sterne. — — Den Bewohnern des Ortes sind Tag und Nacht 
zusammen gleich einem Jahr.“ Eine altpersische Literaturstelle 
(Avesta) redet von einmaligem Sonnenaufgang im Jahre. 

Ich habe einen Fachmann auf dem Gebiet altorientalischer 
Literatur gebeten, diese Dinge nachzuprüfen und, wenn möglich, 
zu widerlegen, denn es ist ganz und gar nicht meine Absicht, 
beweisen oder behaupten zu wollen, wo es lediglich gilt, weiter 
zu tasten und zu suchen. 


Nach Abschluss dieses Artikels kommt mir zufällig franzö- 
sische Literatur über Namen und Ursprung der Kelten in die 


*) Also nicht biblischen, sondern vorbiblischen oder doch ausser- 
biblischen Ursprungs. 


Professor Ecksteins Frage. 93 


Hände. Ich finde dort (leider ohne nähere Quellenangabe) den 
Satz, dass nach der Lehre der Druiden ein Teil der Gallier von 
fernen Inseln und Ländern kam, vertrieben durch Kriege und eine 
Überflutung des Ozeans. Der Autor (C. Jullian in L’Anthropologie 


1903, p. 251) denkt an die nordgermanischen Meere. 
0: Kl 


Professor Ecksteins Frage. 


Herr Professor Eckstein, Eberswalde, stellt in einem sehr 
liebenswürdigen und interessanten Brief vom 14. Juli eine ganze 
Reihe von Daten über Wanderungen in ost-westlicher Richtung 
zusammen. Er erbietet sıch, darüber eine Notiz ın dieser Zeitschrift 
zu bringen, schlägt mir aber vor, lieber selbst gleich an seinen 
Brief anknüpfend die darin enthaltene Frage weiter anzuregen. 
Ich tue das um so lieber, weil das Hauptinteresse bei den nächsten 
Berajahlieferungen sich um diese Frage konzentriert. 

Die Zusammenstellung betrifft: 

Wanderung von Säugetieren (z. B.Haus-und Wanderratte), 

. die jährlichen Wanderungen der Vögel, 

. Völkerwanderungen (Hunnen, Gothen), 

. eine Reihe kulturgeschichtlicher Erscheinungen bis in 
die neuste Zeit. 

Bei all diesen Vorgängen tritt ein Drängen nach Westen, 
also eine der Erddrehung entgegengesetzte Richtung zutage, so 
dass die Frage naheliegt: Wirkt hier nicht unbewusst eine ge- 
meinsame natürliche Ursache? 

Ich will die einzelnen Daten nicht aufzählen, teils weil dergl. 
jedem Kenner sofort in Menge einfallen, teils weil es unrecht wäre, 
in einem Brief ausgesprochene, in ihrer Form nicht direkt für die 
Veröffentlichung bestimmte Gedanken einer an vereinzelten Punkten 
natürlich möglichen Kritik auszusetzen. 

Meiner Meinung nach handelt es sich hier um die Frage, ob 
durch alle Widersprüche und Ausnahmen hindurch sich eine solche 
Hauptrichtung feststellen lässt. Viele Widersprüche lösen sich 
aber, wenn man statt einer rein ost-westlichen eine nordost- 
südwestliche Hauptrichtung annimmt. Werfen wir einen Blick 
auf die Karte der Zugrichtungen der Vögel in OÖ. Hermans 
trefflicher Recensio critica automatica, die ja gerade die 


Widersprüche der Autoren zeigen soll, so gibt uns Ecksteins 
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94 Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 


Frage doch zu denken, zumal wenn wir die Möglichkeit von Tier- 
wanderungen und Völkerwanderungen in breiter Front in den 
Bereich unserer Erwätungen ziehen. Eine Gebirgsfaltung steht 
senkrecht zum Faltungsdruck, die Wellenfront senkrecht zur Wellen- 
richtung, aber eine Welle läuft oft auf einem Flügel lang- 
samer, und in Rinnen läuft sie schneller. Ich würde also die Frage 
so gestalten: Lässt sich für Tierwanderungen und Tierverbreitung 
eine südwestliche Front und Hauptrichtung ermitteln und welches 
mögen die Ursachen sein? Die Erklärung aus der Gestalt der 
Kontinente erscheint nicht ausreichend. Dass viele Formenkreise 
im Westen weniger weit nach Süden reichen als im Osten und 
dass die nordafrikanische Vogelwelt mehrfach östlichen Typus zeigt, 
ist sehr beachtenswert. 0. Kl. 


res 


+ Über chinesische Vögel vorwiegend aus der 
Gegend von Kiautschou. 
(Siehe Faleo 1905, p. 82.) 

Inzwischen erhielt ich mancherlei neues Material aus China, 
auch von den bereits behandelten Arten. Von letzteren muss ich 
mindestens eine Drossel erwähnen, der ich nach altem System gar 
keinen Namen geben könnte. Sie ist in allem ein reinblütiger 
Turdus naumanni mit dem dunkeln Brustband von Turdus fus- 
catus. Es wird also immer deutlicher, dass diese beiden nur 
Formen oder vielleicht nur Phasen derselben Form sind von 

Turdus Borealis, 

den Rotdrosseln, zu denen unsre Weindrossel gehört. Genaues 
Studium hat mich nunmehr überzeugt, dass die Angaben im neuen 
Naumann über die Kleider der Naumannsdrossel unrichtig sind. 
Der reine naumanni-Typus ist schon im ersten Herbst dem alten 
Vogel ganz ähnlich. Der interessante Vogel mit der fuscatus-Brust- 
binde ist alt und wurde von Herrn Engler am 25. März 1906 in 
Tsingtau bei der Kaserne des III. Seebataillons erlegt. Wie ich 
diesen Vogel für einen Übergang, nicht für einen Bastard halte, 
so halte ich auch den auf Tafel 2 der Abh. des III. Internat. 
Orn. Kongresses abgebildeten Vogel nicht für einen Bastard von 
Turdus obscurus und iliacus, sondern für einen Übergang, der 
iliacus (auct.) mit naumanni und fuscatus verbindet oder ihn diesen 
nähert. Auch iliacus (auct.) erhielt ich hier kürzlich mit auffallend 
stark ausgeprägter dunkler Brustbinde. 


Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 95 


Tarsiger cyanurus (Pall.) 


Vom Blauschwänzchen, (so könnte man diesen Vogel 
nennen), liegen drei Stücke vor, ein schönes altes Männchen, Shang- 
hai, 23. 11. 03 (Mus. Magdeburg), ein matter gefärbtes jüngeres 
Männchen, Chefoo, Herbst 97 (Mus. Hildesheim), und ein Weibchen, 
Shanghai, 1. 11. 03 (Mus. Magdeburg). Diese Art bietet so viel 
des Interessanten, dass ich ausführlicher auf sie eingehen muss. 

Die Verbreitung der Gattung Tarsiger ist sehr eigentümlich, 
sie reicht weit nördlich (bis in die sibirischen Koniferenwälder 
und bis ans ochotskische Meer) und kehrt dabei im Süden und 
Südosten Afrikas wieder. 

Dies ist um so bemerkenswerter, als einem hier die wunder- 
bare Angabe einfallen muss, dass der ostasiatische Abendfalke 
Falco vespertinus amurensis (Radde*) nach Südafrika wandert und 
schwarzweisse Schildkrähen in China und Afrika vorkommen.**) 

Mir scheint es nun, dass der neuerdings in Südafrika entdeckte 
Erithacus swynnertoni (Shelley) sehr nahe Beziehungen zu Tarsiger 
cyanurus hat. Er soll dem Rotkehlchen sehr nahe stehn. Aber 
das ıst auch bei dem Blauschwänzchen der Fall, wenn auch nicht 
in gleichem Masse. Es sieht nach Gestalt und Gefiederstruktur 
völlig aus wie ein Zwischending zwischen einem Rotkehlchen und 
einem Fliegenschnäpper. Das Weibchen erinnert auch in der Farbe 
sehr an das Rotkehlchen, nur ist der Schwanz blau überflogen und 
das Rot von der Brust unter die Flügel gerutscht. Beim Männchen 
dagegen ist die ganze Oberseite blau, am Schwanz und über den 
weissen Stirnseiten am schönsten, die Unterseite weiss mit rotgelben 
Brustseiten und einem grauen (Querschatten über die Vorderbrust. 
Eier und Benehmen des Vogels, der sich bald in der Höhe, bald 
auf der Erde bewegt, werden von den einen als ganz fliegen- 
schnäpperartig, von den andern als ganz rotkehlchenartig geschildert. 

Wenn auch oologische Merkmale allein nicht systematisch 
massgebend sind (cf. Podoces humilis und Montifringilla mandellı), 
so muss einem doch hier die Bemerkung Reys einfallen, der in 
seinem System (Eier der Vögel Mitteleuropas, p. 146) das Rot- 
kehlchen und die Fliegenschnäpper, speziell den Zwergfliegen- 
schnäpper, wegen der grossen Übereinstimmung der Eier neben- 
einander stellt. 


*) Cf. jedoch Ibis 1882, p. 147. 
**) Hierzu cf. Ibis 1907 p. 105, wonach Corvus capellanus vielleicht 
Zwischenglied zwischen torquatus und albus (= scapulatus). 


96 Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kiautschou. 


11. Museicapa latirostris (Raffl.) 

W., Tsintau, Sept. 1898 (Coll. Ohlmer I, Mus. Hildesheim). 
Dieser Fliegenfänger (ähnlich den grauen Männchen bezw. Weibchen 
unsres Trauerfliegenfängers, aber ohne weissen Flügelfleck, also 
höchst schlicht — oben grau, unten weisslich — gefärbt, auch 
kleiner und kürzer) soll bisweilen bläulichgrüne Eier legen. Das 
Nest soll in Astgabeln und Weidenköpfen stehn. Die Angaben 
über die Farbe der Eier widersprechen sich so sehr, dass Eier 
mit am Nest geschossenen und am besten ganz in Alkohol auf- 
bewahrten Vögeln sehr wertvoll wären. 

Muscicapa griseisticta (Swinh.) 

Dieser Vogel sieht aus wie eine Miniaturausgabe unsres grauen’ 
Fliegenschnäppers, hat aber eine sprosserartig kurze erste Schwinge. - 
Wenn er mit jenem nicht verwandt ist, ist die Färbungsanalogie 
um so interessanter. 

Ein M., Chimeh, Schantung, Juni (!) 1898. Coll. Ohlmer I. 
(Mus. Hildesheim). 


12. Museiecapa eyanomelana (Temm.). 

Ein Stück dieses prachtvoll gefärbten Fliegenfängers (oben 
blau, unten weiss, an der Kehle schwarz), dessen Schnabelform 
sich schon mehr der des Seidenschwanzes nähert, befindet sich ın 
der Kiautschou-Sammlung von Herrn Engler. Das Auftreten blauer 
Farben bei ganz verschiedenen Vögeln im Osten und Südosten 
von Asien ist eine auffallende zoogeographische Erscheinung. 


13. Perierocotus einereus (Lafresn.) 

Ein Kiautschouvogel (Coll. Ohlmer II) mit chinesischem 
Etikett. Pericrocotus erinnert durch Schnabel- und Fussbildung 
an den Seidenschwanz, von dem ihn aber die eigenartig abgestuften 
seitlichen Schwanzfedern und die im übrigen halb würger-, halb 
fliegenfängerartige Erscheinung entfernen. 

Pericrocotus speciosus elegans (M’Clell). 

W., Nodva, Hainan, 15. April 1899 (Coll. Ohlmer ].). 


14. Pratincola Atricapilla. 
Schwarzkehliger Wiesenschmätzer. 
M. ad. 30. 8.(?) 1905, Tsingtau (Coll. Kreyenberg, Mus. 
Magdeburg), M. ad., 20. April 1898, Chefoo, W., ganz weisskehlig, 


Literatur-Vorlagen, 97 


20. April 1898, Chefoo. Diese Vögel gehören der Form an, die 
allgemein als maura bezeichnet wird und die unsern schwarz- 
kehligen Wiesenschmätzer im Norden Asiens vertritt. Sobald mehr 
Material, vor allem ein sicherer Brutvogel aus China, vorliegt, 
dürfte die dortige Form neu zu beschreiben sein. Interessant 
wird dieser Formenkreis dadurch, dass er bis Südafrika reicht 
und dass die südafrıikanische Form und die ostafri- 
kanischen Vögelsich gar nicht leicht von einzelnen 
asiatischen Formen unterscheiden lassen. Wie sie 
heute aus Westasien nach Afrıka wandern, so sind sie vielleicht 
überhaupt aus dem Osten gekommen. Ich hoffe, bei anderer 
Gelegenheit einmal ausführlich auf diesen interessanten Formen- 


OÖ. Kl. 


kreis zurückzukommen. 


Literatur-Vorlagen.*) 


Dr. Ludwig Wilser, Die Urheimat des Menschenge- 
schlechts, Heidelberg 1905, Carl Winters Universitätsbuch- 
handlung. 26 S. Sonderdruck aus Verh. d. Naturhist. Medizin. 
Vereins zu Heidelberg, N. F. VIII, 2. Heft p. 220. 

Der Verfasser sucht zu zeigen, dass nicht Australien, sondern 
der Norden die Urheimat der gesamten Lebewelt ist. Er wendet 
sich gegen die Annahme einer doppelten Schöpfung an Nord- 
und Südpol. Im Norden stehe viel einstiges Festland unter Wasser. 
So wurden auf der Doggerbank von den Schleppnetzen häufig 
Elefanten- und Nashornknochen zutage gefördert. Die berühmten 
australischen Fussspuren im Urgestein sollen, wie von mehreren 
Seiten jetzt eingeräumt wird, nicht von Menschen, sondern von 
einer Känguruhart herrühren. Wilser meint, dass dagegen in 
Europa alle Richtungslinien wie Strahlen eines Fächers zusammen- 
laufen und dass hier der gemeinsame Ausgangspunkt zu suchen 
sei (während Drummond den Norden von Amerika annimmt) bez. 
in der unerforschlichen von ewigem Eis oder tiefem Meer (einer 
Sintflut) bedeckten Arktogäa. In dem Pithecanthropus europaeus **) 


*) Wie schon früher bemerkt, ist es nicht die Aufgabe meiner 
Zeitschrift, die neueste ornithologische Literatur und diese in vollem 
Umfang zu besprechen. Es handelt sich hier um Schriften und Bücher, 
auch nicht ganz neue, zu deren Besprechung irgend ein besonderer 
Anlass oder eine Beziehung zu dem sonstigen Inhalt des Falco vorliegt. 

*#*) Von diesem Rätselwesen gelingt es mir hoffentlich, später eine 
gute Abbildung zu bringen. 0. Kl. 


98 Literatur-Vorlagen. 


von Mas-d’Azil sei der Vorläufer des Affen und Menschen zu er- 
blicken. (Ich finde nur die lange Nase zu sehr mit der eines 
Anthropomorphen im Widerspruch und das Vorkommen neben 
Homo priscus würde andrerseits nach dem Formenkreisgesetz 
direkte Verwandtschaft mit diesem ausschliessen.) Es ist ja klar, 
dass bei einem derartigen Gegenstand jeder in dieser oder jener 
Einzelheit vielleicht anders denkt. Besonders wichtig aber ist für 
uns Wilsers Verbreitungsgesetz. Die fossilen Vorläufer finden sich 
näher, die lebenden ferner vom Verbreitungszentrum, also etwa 

1. fossile Vorläufer im Norden, 

2. lebende Vorläufer im Süden, 

3. die höchststehende Rasse (letzte Welle) im Norden. 
Dr. Georg Biedenkapp. Der Nordpol als Völkerheimat. 

Jena, Hermann Costenoble, 1906. 

An obige Veröffentlichung von Wilser sich anschliessend, be- 
zeichnet Biedenkapp die Heimat des Menschengeschlechts als un- 
sicher, die seiner edelsten Rasse, der Indogermanen, bez. Germanen, 
als weniger unsicher, redet auch einmal von einem Indogermanen 
und Semiten umfassenden Urvolk bez. Nordpolarvolk. In dem 
195 Seiten starken Buch, das mehr Lektüre als ernste Studie sein 
will, behandelt er mythologische Beweise für die Nordpolarhypo- 
these. Wenn davon auch nur ein Teil, der besser hätte hervor- 
gehoben werden müssen, wirklich einleuchtend ist, so bietet doch 
das Buch manches Interessante, auch bei nebensächlichen Dingen. *) 

Dass an dem „Knochengerippe“ eines Menschen, das unten 
im Berliner Tierkundemuseum steht, „unmerklich entwickelte 
Krallen“ zu sehen sind, und der Urmensch eine „bekrallte Faust“ 
wie ein richtiger Teufel besass, sind Dinge, die beim Lesen zwar 
recht erheitern, aber wie manches Ähnliche gerade deshalb den 
Wert des Buches nicht erhöhen und der Wichtigkeit der darin 
behandelten Hypothese nicht entsprechen. 0.'KE 


*) Z. B. das Froschlied (p. 178) aus Rigveda VII. 103. Mein ver- 
ehrter Freund Dr. Wolterstorff hat unlängst den Formenkreis der Wasser- 
frösche wiederholt besprochen und dabei auf die Biologie einer chinesi- 
schen Form hingewiesen, die im trockenen Schlamm gewissermassen 
seinen Schlaf hält. Vielleicht ist das keine Anpassung, sondern die ur- 
sprüngliche Lebensgewohnheit. Das oben erwähnte Lied schildert 
drastisch das Erwachen der Frösche in der Regenzeit. Auf den Nordpo] 
weist das gerade nicht hin. Aber der Autor will zeigen, dass es ein 
Charakterzug der Germanen wie der alten Inder war, sich über die 
Priester lustig zu machen. 0. Kl. 


BER RER 
Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


„Jahrgang 1907, No. 6. 
. Ausgegeben: Dezember 1907. 


_ Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, a 
Volkmaritz. bei Dederstedt, Bez. Halle a. Ba 


u 


° al Mus 


ER 


omwissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, | 


FALCO. 


Dritter Jahrgang. 


No. 6. Dezember. 190%. 


Zum 60. Geburtstage. 


Viktor Ritter von Tschusi zu Schmidhoffen. 


Am 28. Dezember dieses Jahres feiert Herr Viktor Ritter 
von Tschusi zu Schmidhoffen seinen 60. Geburtstag. Ich 
glaube den Gedanken vieler meiner Leser Ausdruck zu geben, 
wenn ich dem rüstigen Meister heimatlicher Ornithologie 
hier die kleine Huldigung eines öffentlichen Glückwunsches 
darbringe. Möge sie dieser „Falco“ mit eiligem Flügel nach der 
stillen Villa bei Hallein tragen, über die Bergwälder, zu denen 
eine hohe Waidmannsgestalt oft emporsteigt, um mit einer kleinen, 
aber um so kostbareren Jagdbeute zurückzukehren, in das Arbeits- 
zimmer, von wo der Blick hinüberschweift zu den Höhen des Tänn 


gebirges und sich dann zurückwendet zu hundert er nian in 
Falco. 9 


FEBıRr]9] 


stjt 


100 Zum 60. Geburtstage. 


dem stillen Zauber, der das Wirken eines Mannes umgibt, der es 
verstanden, durch manches Jahrzehnt 

zu sammeln still und unerschlafft 

im kleinsten Punkte die höchste Kraft. 

Es laufen da ım stillen Landhause mehr Fäden wissenschaft- 
licher Arbeit zusammen, als im lärmenden Getriebe mancher Gross- 
stadt. Aber wer es fertig bringt, sein Leben ganz solch stiller 
Arbeit des Privatgelehrten zu widmen, der sucht nicht nach aussen 
zu glänzen. Es erscheint mir überflüssig, die Verdienste eines 
Mannes aufzuzählen, dessen Arbeiten jedem Fachmann bekannt 
sind und bekannt sein müssen. Aber drei Verdienste müssen doch 
hervorgehoben werden. 

Von Tschusi hat zu einer Zeit, wo die heimische Vogel- 
kunde vielen ein abgeerntetes Feld schien, in richtiger Beschränkung 
des Stoffes und in richtiger Erweiterung des Gesichtskreises die 
Arbeit neu aufgenommen durch die Begründung des ornithologischen 
Jahrbuchs als eines Organs für das paläarktische Faunengebiet. 

Von Tschusi hat uns namentlich durch planmässiges Sammeln 
gelehrt, ein Variationsbild zusammenzustellen, das nicht nur von 
einem Extrem der Form zum andern, sondern auch von Form zu 
Form führt. (Subspezies Extreme der Variation). 

Von Tschusi hat schon vor langen Jahren die jetzt immer 
mehr sich bewährende Auffassung ganz klar ausgesprochen, dass 
die Färbung des Vogels eine Maske ist, die es zu durchschauen 
gilt, um zunächst nach plastischen Merkmalen die wirkliche Art 
zu erkennen. (Auf die Spitze getrieben heisst dieser Satz: Arten, 
die sich einzig und allein durch verschiedene Färbung unterscheiden, 
sind keine wirklichen Arten. Selbst in dieser Form wird die These 
richtig bleiben, soviel bequemer auch oft Farbenunterschiede, ledig- 
lich als Bestimmungsmerkmal gewertet, sich darbieten.) 

Man könnte hier noch gar viele Resultate anfügen, namentlich 
auch solche, die von dem systematischen auf das praktische Gebiet 
übergehen und überall den Kenner, den kühlen und weitschauenden 
Kritiker verraten. 

Was aber viele, die Herrn von Tschusi kennen, ıhm besonders 
hoch anrechnen, das ist die Gabe, junge ornithologische Kräfte 
einerseits zu ermutigen und andererseits auf den rechten Weg zu 
weisen. Er besitzt diese Gabe, wie sie im gleichen Masse Hofrat 
Liebe eigen war. Es gibt nun einmal wenig Fachleute, die für 


Zum 60. Geburtstage. 101 


die vielen Fragen und Gedanken, die der ungeduldige Anfänger 
auf dem Herzen hat, Zeit und Geduld finden. 

Lebhaft ist noch in meiner Erinnerung der Gegenstand, der 
unsre erste Bekanntschaft vermittelte. 

Ich hatte, es sind bald 20 Jahre her, eine Falle für einen 
rotköpfigen Würger aufgestellt. Aber kurz, ehe sich dieser fing, 
ging zu meinem grossen Bedauern ein Rotschwänzchen in die 
Falle, das sich dabei schwer verletzte. Als ich den grauen, ver- 
meintlich weiblichen Vogel präparierte, fand ich zu meiner Ver- 
wunderung, dass es ein junges Männchen war. Kurz darauf kam 
mir ein Artikel über Ruticilla cairei, den Gebirgsrotschwanz, in 
die Hände. Schleunigst schickte ich meinen Vogel, der sich als 
eine so kostbare Seltenheit entpuppt hatte, „eingeschrieben“ an 
Herrn von Tschusi mit der Bitte mir zu sagen, ob es wirklich 
der Gebirgsrotschwanz sei. Umgehend kam das Wertobjekt, diesmal 
als „Muster ohne Wert“, zurück mit der orientierenden Nachricht, 
dass Lechthaler-Dimiers Untersuchungen an lebenden Vögeln 
gezeigt haben, dass Ruticilla cairei lediglich das Jugendkleid 
unsres Hausrotschwanzes ist. 

Ich kam nachher in die Schule der Berliner Ormithologen 
und des wohl grössten Vogelkenners, des Grafen von Berlepsch, 
wo mir manche andre Auffassung begegnete. Aber von Tschusi 
behielt Recht. Es ist überall wie bei Ruticilla cairei: Die 
Färbung ist nur eine Maske. 

In den letzten Jahrzehnten hat sich viel gewandelt, auch unsre 
Ansichten. Man sagt jetzt: Alles, auch die Gestalten sind nur Masken 
desselben gewandelten Lebens. Aber vielleicht wird da jener Satz von 
Tschusis noch zu einer tieferen und richtigeren Erkenntnis den Weg 
bahnen als die ist, die heute die Sperlinge von den Dächern pfeifen. 

Gern hätte ich statt dieser Falconummer den Abschluss der 
einst unter seiner Leitung begonnenen und dann auf eignen Wegen 
weiter geführten Rotschwanzstudien dem Meister gewidmet, aber 
gerade deshalb, weil sich das von ihm aufgestellte Gesetz immer 
wieder bestätigte, weil ich erst alle Masken durchschauen musste, 
kann die Veröffentlichung nur schrittweise geschehen, und das 
wird nicht zu ihrem Schaden sein. Schliesslich sind die literarischen 
Arbeiten nicht die wichtigsten. Viel mehr als das gedruckte Wort, 
das wir lesen, sind uns die persönlichen Anregungen, die wir 
empfangen und austauschen. ®..KT. 

en ee 9* 


102 Rückblick auf 1907. 


Rückblick auf 1907. 


Durch seine abnormen Witterungsverhältnisse bot das Jahr 
1907 manche besondere Gelegenheit zu Beobachtungen. Nur einige 
seien hier aufgeführt: Ausserordentlich gross war wieder der Ver- 
lust an Schwalben. Sowohl von urbica wie von rustica wurden 
mir in Menge sterbende und tote Stücke, natürlich meist junge, 
zugetragen. Die Frage, ob Nahrungsmangel, Kälte oder Nässe am 
meisten schaden, muss noch offen bleiben. Bei rustica fand ich 
den Magen voll von Bienen, (Drohnen!), bei einem jungen grauen 
Fliegenschmätzer enthielt der Magen eine Rattenschwanzlarve 
(Eristalis). Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass junge Vögel 
(es handelte sich um Fasanen) durch die Bewegungen zu grosser 
lebendig verschluckter Kerbtiere im Schlund geängstigt, so in Auf- 
regung geraten sollen, dass sie eingehen. Vielleicht aber ist das 
nur Vermutung, da der Vogel das ihm Widerstrebende leicht 
wieder auswirft. 

Herr Professor Schwarz in Rinteln sandte mir einen inter- 
essanten jungen Lanius collurio im Jugendkleid. Dasselbe ist so 
dunkel gefärbt, wie ich es sonst nur von Sardinien besitze. Sollte 
die feuchte Witterung schuld sein? Der Schwanz zeigt dunkle 
Endhälfte und helle Basalhälfte, beide durch einige Querbänder 
geschieden. 

Auffallend häufig waren in diesem Jahr melanistische Varietäten 
der Raupen des Wolfsmilchschwärmers (Spinx euporbiae). Da man 
durch Fütterung von Schmetterlingsraupen mit stets benetzten 
Pflanzen dunkle Schmetterlingsvarietäten gezogen hat, so könnte 
hier ein Einfluss der Witterung auf die Färbung vorliegen. 

Zu meinem Bedauern habe ich es versäumt, in diesem inter- 
essanten Jahr Vanessa urticae in grösserer Anzahl zu sammeln und 
eine Anzahl von jungen Lanius collurio zu schiessen. 

Man hat oft behauptet, dass gewisse Varietäten von Tieren 
oder Vogeleiern in manchen Jahren vorwiegen. Vielleicht hat 
jemand anders frühzeitiger an diese Frage gedacht als ich und 
daraufhin mehr gesammelt. OK: 


Neue palaearktische Formen. 103 


Neue palaearktische Formen. 
I Ralco Hierotalcorsschusrnı. 

Ein Edelfalke von Marokko wurde von Professor Koenig jüngst 
als Falco tanypterus bestimmt wegen seiner dunklen Färbung und 
Grösse. Diese Bestimmung beruht auf einer Verschiedenheit der 
tunesischen und marokkanischen oder doch jedenfalls der süd- 
tunesischen und nordmarokkanischen Falken, die mir längst auf- 
gefallen war. Die Vögel von Tanger sind dunkler als erlangeri 
und haben grössere Flecken auf der Brust. Natürlich kann hier 
nur von einem Durchschnittscharakter die Rede sein, den jedenfalls 
der Unterschied zwischen feuchtem Küstenklima und trockenem 
Wüstenklima verursacht. Den Vogel von Tanger mit der durch- 
schnittlich erheblich grösseren Form der Nilländer zu vereinigen, 
geht aber nicht an. Wir haben hier eine Parallelerscheinung ohne 
Zusammenhang vor uns, wenn auch das Vorkommen von dunkleren 
Übergängen an der nördlichen Mittelmeerküste denkbar wäre. Ich 
trenne daher den Vogel von Tanger von Falco Hierofalco erlangeri 
ab und gebe ihm den obigen Namen. Der Typus, ein altes 
Weibchen mit Brutflecken, befindet sich in meiner Sammlung. Es 
zeigt sich immer mehr, dass die Vögel von Nordafrika auch in 
ost-westlicher Richtung verschiedene Formen bilden. Von Tschusi 
hat dies zuletzt an den Hähern gezeigt, und wenn der Falke, dessen 
Abhängigkeit von klimatischen Einflüssen ich früher monographisch 
nachgewiesen habe, hier keine Ausnahme bildet, so ist mithin 
seine Dedikation doppelt motiviert. 


2: Jynx torquilla tschusiıı. 

Der Wendehals von Sardinien zeichnet sich durch dicht- 
gefleckte Unterseite aus, wie ich sie von Marokko bis Japan sonst 
bei keinem Stücke gefunden habe. Zu dieser dunklen Färbung 
kommt anscheinend noch geringe Grösse hinzu, um den Vogel 
höchst auffällig von unsrer Form zu unterscheiden. Die Färbung 
bildet eine prachtvolle Parallele zu den dunkel oder doch 
dichtgebänderten Wanderfalken und Sperbern (Falco 
Peregrinus brookei und Accipiter nisus wolters- 
torffi), ferner zu dem wirklich sehr dunklen sardinischen 
Sperling (Passer hispaniolensis arrigonii Tschusi) 
und den anderen dunklen, schon früher in dieser Zeitschrift er- 
wähnten sardinischen Formen. 07K1. 


104 Cinelus aquaticus tschusii. — Emberiza cia forma nova? 


Cinelus aquatieus tschusii (Kleinschmidt et Hilgert).') 


Herr Freiherr Geyr von Schweppenburg sandte mir vor einiger 
Zeit einige sehr interessante Vogelbälge aus Westdeutschland, 
darunter einen Öinclus aus dem Hunsrück. Es bestätigt sich, dass, 
wie bereits früher von Hilgert und mir erwähnt, der Wasserstar 
der Rheingegenden auf der Unterseite viel dunkler ist als der 
mitteldeutsche Vogel. Auch die Oberseite ist im frischen Gefieder 
recht dunkel. Er nähert sich also dem britischen und dem sar- 
dinischen Vogel. 0. Kl. 


Emberiza cia forma nova? 

Herr von Schweppenburg erfreute mich ferner mit einem 
Pärchen Emberiza cia vom Rhein (Bacharach und Oberwesel.) Das 
Weibchen ist dem Männchen sehr ähnlich. Beide Vögel bieten 
ein ganz anderes Aussehen als griechische, denn die Flügelbinden 
sind schmal und trüb gefärbt, während sie bei letzeren breit und 
grell weiss sind. Der griechische Vogel hat im ganzen eine viel 
grellere Färbung, die besonders auch an den Schwungledern deut- 
lich wird. 

Die Frage des freundlichen Gebers: „Unterscheiden sich unsere 
so weit westlich und nördlich vorgeschobenen Vögel eigentlich gar 
nicht von südlichen, ist also entschieden zu bejahen. Vögel aus 
Spanien, der Schweiz, Italien stehen in der Mitte. Algerische sind 
gelblicher. Vielleicht sind beide Extreme zu benennen. Ich 
möchte erst die Meinung der Fachgenossen abwarten, welches die 
eigentliche typische Emberiza cia ist. Es wäre ja schnurrig, wenn 
ein im Osten so variabler formenreicher Formenkreis im Westen 
ganz einförmig wäre. 0... 


ı) Hierzu bemerkt Herr Hilgert: Nachdem nun auch Herr Klein- 
schmidt in der Lage ist, den mittelrheinischen Cinclus als gute konstante 
Form anzuerkennen, bestätigt sich meine in Falco 1906 p. 51 ausge- 
sprochene Vermutung. An einzelnen Stücken dürfte der Unterschied 
ja weniger auffallen, aber anhand von Serien tritt er deutlich hervor, 
eine Abtrennung ist deshalb angebracht. 


Mitteilungen über Berajah. 105 


Mitteilungen über Berajah. 


Wie schon in No. 4 mitgeteilt, will ich sämtliche Rotschwanz- 
arten in Berajah behandeln, um so ein vollständiges Bild dieser 
interessanten Gruppe zu geben. Es kommt mir aber nicht darauf 
an, zu zeigen, wieviel Rotschwanzarten es auf unserem Planeten 
gibt, und welche Federn bei dieser Art anders sind als bei jener, 
sondern es kommt mir darauf an, eine Reihe von Gesetzen deutlich 
zu machen, vor allem die so interessanten Verbreitungsgesetze zu 
ergründen. Die Verbreitung der Hausrotschwänze stimmt mit der 
der indogermanischen Völker fast überein. Das gibt zu denken, 
umsomehr, wenn beide Verbreitungslinien eine fernliegende Ursache 
haben sollten. Sodann ergibt Erithacus hodgsoni einen interes- 
santen Fall von sogenannter Mimikry. Ich gebe vorerst Tafel 
I—IV ohne Text aus. Tafel V und VI sind gleichfalls fertig, 
müssen aber aus technischen Gründen und der Ersparnis halber 
im Januar zusammen mit weiteren Tafeln gedruckt werden. Es 
wird dadurch möglich, den Abonnenten statt 6 bunter und 
3 schwarzer Tafeln pro 1907 7 bunte und 2 schwarze Tafeln zu 
liefern. Den Text möchte ich nicht zerreissen und gebe ihn daher 
im Januar vollständig. Aus gleichem Grunde verspätet sich das 
Vogelschutzbuch ein wenig. Einige Abonnenten haben ihrer Un- 
geduld Ausdruck gegeben. Mein Amt macht es mir nicht immer 
möglich, mit meinen Publikationen so pünktlich zu sein, wie ich 
möchte, und das Wort unregelmässig auf dem Titel von Falco 
kann ich darum nicht streichen. Ich hoffe aber bald zu zeigen, 
dass das Jahr 1907 auch für mein Werk ein sehr ergiebiges und 
fruchtbares gewesen ist. Die vielen immer wiederkehrenden Fragen 
zwingen mich, mit dem Plan des Ganzen bald völlig klar hervor- 


zutreten und das kann geschehen, sobald eine Gruppe abschliessend 
behandelt ist. 0. Kl. 


106 . Bücherbesprechungen. 


Bücherbesprechungen. 

Vogelkalender zur Einführung in unsre heimische Vogel- 
welt, herausgegeben von Professor Hanns Fechner, 
verfasst von OÖ. Kleinschmidt mit Steinzeichnungen von 
Berthold Clauss. Verlag von Fr. W. Grunow, Leipzig. 

Kinderbücher sind nicht etwas Unwichtiges, sondern etwas 
sehr Wichtiges. Deshalb ist vielleicht selbst hier ein Hinweis auf 
obigen, soeben erschienenen Kalender nicht unangebracht. Er ist 
in seiner Art und Anlage ein Gedanke des bekannten Malers 

Prof. Hanns Fechner. Nach unsern Entwürfen und Vorschlägen 

hat Berthold Clauss die künstlerische Ausgestaltung übernommen 

und den Kalender mit flotten bunten Steinzeichnungen ausgestattet, 
die denselben stimmungsvollen Charakter tragen, wie alle Land- 
schaften und Schabeblätter des jungen Hamburgers. Sonst allem, 
was nicht streng wissenschaftliche Arbeit ist, in meinem Sonderfach 
durchaus abgeneigt, konnte ich nicht nein sagen, wo echte Kunst 
so freundlich die Hand bot, um die schöne Seite des Natur- 
erkennens auch dem Laien und selbst dem Kinde zu zeigen. Wie 
die rein künstlerisch gehaltenen Bilder nur den Haupteindruck 
des Vogels geben, so ist auch der Text (nur 28 Seiten in grosser 
altdeutscher Schrift) auf die wichtigsten Beobachtungen und Vogel- 
schutzregeln an der Hand weniger Singvogelarten beschränkt. 

Es sollte ein ganz deutsches Buch für die Jugend sein und ein 

Stückchen populärer Kunst. Ich denke, mancher Leser wird es 

mir verzeihen, dass ich über dem Kalender mit anderen Dingen 

— wie übrigens meine Freunde wissen, ohne meine Schuld — 

etwas verspätet bin. O0. Kl. 


Es werden ausgegeben (zu Weihnachten): 

Falco No. 5 und zugleich No. 6, ferner Berajah, Erithacus Do- 
mesticus Tafel I—4 mit Neudruck des Textes von Strix Athene 
Seite 2—5 (wegen eines störenden Druckfehlers und anderer 
Mängel bei der ersten Ausgabe). 

Tafel 5 und 6 und der erste Teil des Textes von Erithacus 
Domesticus (sowie der erste Teil des Vogelschutzbuches) werden 
nachgeliefert, da sie vorteilhafter mit der Fortsetzung zeitig 1908 
erscheinen. Ich möchte gern diese interessante Lieferung so aus- 
führlich und vollständig wie die von 1905 gestalten. 

Inhaltsverzeichnis von Falco 1907 wird nachgeliefert. O. Kl. 


WA y, 


Inhalt des dritten Jahrgangs. 


AumsWandertalkenzug: im: Winter :1906/07. 2. 2 2.0. „22.2.2083 
Vom Wanderfalken in der Grossstadt. Von Dr. R. Pirelemann SIERT | 
Flückigers Sammelreisen in Algerien. III. Die Haubenlerchen. . . 8 
Wie hält der fliegende Raubvogel seine Beine. Von C. Hilgert . . 22 
Aphorismen über den Vogelschutz. Von von Tschusi zu Schmidhoffen 26 
Ein Seeadler im Thüringerwald. Von Oberförster R. Schaber . . . 29 
Beobachtungen über Strix Flammea als Waldvogel. Von Emil 


Izehakgareer irn a. . ER NE FETT el 
Aus einem Briefe an den her (Grünspecht im ee 

Mon Erofs Otto): u brencce erlernen RES A Se 
Verheilte Schusswunde am Schnabel eines Turmfalken. ...... 34 
Mitteilungen über Berajah und Falco. . » . „u.a. u... 2. 35 
Anzeise, (betr. Sammlung Benssen). > = © „a... Jane). 35 
Die deutschen Wanderfalken .ı..... ... DRS ER EHER NENNT, 37 
Ein interessantes Brutpaar von Strix Klammea ERENBEREHLRR. LER RE (E, 38 
Das Ende eines Sperbers. Von Eugen Donner . . ........ 40 
Beobachtungen über Sperber. » » 2... 0... RIETERDRARENHE 42 
Die grönländische Form der Stockente . . » 2». 2... 00,0 . 46 
Über eine Vogelsendung aus Südrussland .-....:. 2... . 0x. 46 


Literaturbesprechungen: 
Prof. Dr. Otto Schmiedeknecht, Die Wirbeltiere Europas. . . 48 
Verhandlungen der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern 


29088 Bande Ve a a he SE ne 49 
Aduila,, XIIE:) Jahrsanz=21906. 72.7. We... ae nn 50 
Hartert, Die Vögel der paläarktischen el Het IV... 298 
Koenie\ Die, Geier Ägyptens. sl an et abe m) Aal 52 

Zi Beachtungzewe Su a Eu A 2 ERDE EEE 52 
Pflege der Käfigvögel in China. Von W. Engler. ee 53 
Zur Naturgeschichte der Nachtigall. Von W. Seemann . . . . . . 94 
Kommt der Steinsperling in Mähren vor. Von Emil Rzehak. . . . 58 
Systematik und Biologiern nee ee Sulal 2 S : 61 
Haleo caueasieus 2... 20. AUS) DE REN IE EEE ERBE REN O6 62 
Zum geographischen Variieren von Strix Athene . .». ve... 63 
Die nordafrikanischen Rotkopfwürger. ». » » ee... ne. 67 
Erinnerung an den Insektenfanggürtel » ». » : 2... er een. 68 


Falco. 10 


108 Inhalt des dritten Jahrgangs. 


Seite 
Über das Vorkommen von Rutieilla titys (Scop.) in Holland, Ge- 
schichtliches von R. Snoukaert van Schauburg. ..... 69 
Parus Salicarius borealis (Selys) als ostpreussischer Brutvogel. Yon 
ERTischler. 2.0: We. ee RE ode 72 
Eine Exkursion nach Parus Saliearius rhenanus . . . . 2. ... 80 


Neuere Literatur über Parus Salicarius: 
1. Parus Salicarius- Formen der Schweiz. (von Burg, Ren 


der schweizerischen Vögel) . ....... 85 
2. Parus Salicarius-Form Englands (W. von Rothschild, The 
British Willow Tit). ..... ro ce 88 

Der Herbstgesang der glanzköpfigen Sumpfmeise. . ..... el) 
Zur Nahrung der glanzköpfigen Sumpfmeise . ». .». : 2.2.2... 89 
Mitteilungen uber, Berajah., „en eve ee Sue 90 
ÜTZEILPIIRRETUNGENE 4%. ul an le lee Kal a erh te Neck ee 9 
Professor. Beksleins Frage. EEE en el en . 93 
Über chinesische Vögel vorwiegend aus der Gegend von Kıautzehee 

(Fortsetzung, Museicapiden) ». » 2... 2... Rue hai a /Ie Fre) 1eR RAR: 
Literatur-Vorlagen: 

Wilser, Die Urheimat des Menschengeschlechts . . . »... . 97 

Biedenkapp, Der Nordpol als Völkerheimat . ....... 98 
Zum 60 Geburtstage (mit Porträt Victor Ritter von Tschusis zu 

Schmidhoktten)erz- ze, ee er ee te ee GUSER Big ae ..99 
Bickblick (auf 19074, 2 ran, le te ee RE 102 
Neuespaläarktische }Formen, 2.2 0..2 20.0 2 2.0, Gun Eee 103 
Cinclus aquaticus tschusii (Kleinschmidt et Hilgert). ....... 104 
Eiraberiza ca I0TMA Nnovalze „ee. a oa lee 104 
Misteillunsen über: Berajahr = lE >» kineie pp lee er Bel ue 105 
Bücherbesprechungen: 


Vogelkalender zur Einführung in unsere heimische Vogelwelt 106 


Beilage: Deutsches Vogelschutzbuch, Vorwort. 


Abbildungen. 
Textfigur (Schnabel von Haubenlerchen). . » 2»... 2... N 
(Schusswunde am Schnabel eines Turmfalken) ... ... 34 
Datel I: Brotpaar von Stux Ramms.’ > „are . zu Seite 88 


„ I: Chinese mit Vogelkäfig auf einem Spaziergang, zu Seite 53 
„ III: Chinesischer Vogelkäfig mit bunten Fähnchen, zu Seite 54 
„ IV: Nisthöhle von Parus Salicarius borealis. . . . zu Seite 72 


Neu beschriebene Formen. 


Erithacas.wiolgae 2 20 N RE SER ENENE AR Rn. hr 
Falco WANCBSICHS. a Ne ee ee er ae Te RN RE Le 62 
Sirix Athene Sarda 4, u. DE No RR 165 
Stirix Athene Irmiicolor... «au. var a ee N Re 65 


Inhalt des dritten Jahrgangs. 109 


Seite 

KaleogEHlerotalcortschusiiereer ee 103 

vn torauillastschusie, ar. 4 002 u ee 103 

Einelusraquaticus:tschusii ee eu ee ee 104 
Vorläufig unbenannt: 

BOTmMenEvon: Strixz Athener 64ff. 

Eimberizareiatformar nova, ee 104 


Seite 47: 


Bu Bar 


91: 


84: 
102: 


Berichtigungen. 


A. Sachliches. 


Die grosse Stieglitzform Russlands, welche man seither zu 
major (Taecz.) zog, wurde 1906 als Carduelis volgensis 
(Buturlin) beschrieben. 

Die Farnkräuter auf Weidenköpfen brauchen nicht durch 
Hochwasser angesät bezw. angepflanzt zu sein. Ich fand 
sie jedoch dort äusserst selten, nur zweimal, und jedesmal 
dicht an der Hochwasserlinie des Rheins. 

Über „Dis“ vergleiche Falco 1908. 


B. Druckfehler. 


lies Hochwasser statt Hochwässer. 
lies Sphinx euphorbiae statt Spinx euporbiae. 


Tafel I und II von Erithacus Domesticus sind im Druck misslungen und 


werden später in neuer Auflage nachgeliefert. 


10* 


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unregelmässig im Anschluss an das Werk 
... Zoographia infinita“ 
erscheinende Zeitschrift. 

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f Jahrgang 1908, No. 1. | 
Ausgegeben: Februar 1908. BAHR ar 


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Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a.S. 


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DEE, 


Ph Ahs6l Han 


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von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinenäe Zeitschrift. 


Jahrgang 1908. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. S. 


Kommissionsverlag von Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


Ebenso sorgfältig, als der Brotgelehrte seine Wissenschaft 
von allen übrigen absondert, bestrebt sich jener, ihr Gebiet 
zu erweitern und ihren Bund mit den übrigen wieder herzu- 
stellen . . 

Schiller. 


FALCO. 


Vierter Jahrgang. 


No. 1. Februar. 1908. 


Faleo Peregrinus. 
(Hierzu Tafel 1.) 


Der Palaeontologe und Geologe hat seine Leitfossilien, die 
ihm einen festen Anhalt geben. Beim zoogeographischen Studium 
sind es bestimmte Formenkreise, die durch ausgeprägten Formen- 
reichtum (man denke an Sumpfmeisen, Haubenlerchen) das Studium 
der andern erleichtern. Ein Formenkreis, den man überall 
vertreten findet, wird hierzu der geei&netste sein, und dies ist der 
Formenkreis des Wanderfalken, des Falco Peregrinus. 

Wir haben deshalb ein ganz besonderes Interesse daran, rastlos 
zuerst an seiner Klärung zu arbeiten. Sharpe hat s. Zt. eifrig 
vorgearbeitet. ©. von Erlanger hat die richtige Fragestellung er- 
kannt. Nun treten wieder Ansichten auf, die den Falco barbarus 
als „Art“ retten möchten. „Der Wanderfalke soll die Querbänder- 
zeichnung in ausgeprägter und gleichmässiger Verteilung auf der 
ganzen Ventralseite unter allen Umständen behalten“ (J. f. Orn. 
1907, p. 442). Ich lege meinen Lesern Tafel I, ein Originalphoto- 
gramm nach Bälgen meiner Sammlung, vor und bin der Meinung, 
dass ein Streit über die Einheit des wichtigsten Formenkreises 
nicht nötig und nicht möglich ist. Die Form „barbarus* hat 
die Kopfzeichnung mit der kaukasischen Form, die Ventral- 
zeichnung mit leucogenys, die geringe Grösse mit brookei ge- 
meinsam. Man kann doch nicht barbarus abtrennen, wenn man 
leucogenys und brookei vereint und wenn schon unter Geschwistern 
dunklere Stücke von gewöhnlichem Typus und hellere Stücke mit 
barbarus- Typus vorkommen. Richtig ist nur, dass Falco Pere- 
grinus vielleicht den östlichen Formen näher steht als seinen 
nördlichen Nachbarn. Sollte er auch von Osten eingewandert sein? 


0. KL 


Falco. 1 


2 Spürkunst. 


Spürkunst. 


Man bewundert die Geduld des Hochwildjägers, der nach ein 
paar flüchtigen Runenzeichen im weichen Erdboden die Aussichten 
seiner Jagd berechnen muss. Der Ornithologe ist eigentlich noch 
übler dran. Der im Blätterrauschen fast verklingende Ruf der 
Weidenmeise, das im Augenblick der Sichtung schon wieder ver- 
schwindende Flugblild des Falken zwischen deu Kıiefernwipfeln 
muss ihm genügen, um sein edelstes Wild zu erkennen. Und oft 
ist dies flüchtige Hören und Sehen ihm schon Lohn, der Erfolg 
mühsamen Suchens, vieler vergeblicher Wege. Und nun gar erst 
des seltenen Vogels Nest, des Falken Horst finden! Eine winzige 
weisse Taubenfeder liest am Wege und ein Blutstropfen klebt 
daran. Beweisen tuts gar nichts. Eine Marktfrau ist vielleicht 
mit geschlachteten Tauben im Korbe hier vorbeigegangen. Es 
ist immer noch eine grosse Zahl von Möglichkeiten, auf die das 
rote Pünktchen die unbegrenzten Vermutungen einschränkt. 

Aber gegen den Wind gehend finden wir eine zweite und 
dritte Feder, und dort liest ein ganzer Kranz von Federn auf dem 
grünen Moos. Die Schwungfederkiele sind zerbissen von — 
einem Fuchs oder Hund. Aber es könnte sein, dass der nur an 
den Resten von des Raubvogels Mahlzeit herumgekaut hat. 

Wir sind den Berg hinangestiegen. Da liegt wieder ein 
Federkranz auf der Felsplatte. Monate, vielleicht jahrelang finden 
wir nichts als diese fraglichen Spuren. Hat ein Wanderfalke 
hier nur gerastet, und ist er längst weiter gezogen? Bis dahin 
ist alles ungewiss und vielleicht alle Mühe des Nachforschens 
vergeblich. Doch nein. Eın blauer Schatten gleitet aus dem 
zuletzt ins Auge gefassten Winkel der dunkeln Bergwand, der 
Edelfalkenhorst ist entdeckt, und so oft wir wollen, können wir 
hier eine Augenweide geniessen, die früher Könige mit schwerem 
Gold erkauften: den Anblick der höchsten Glanzleistungen des 
Vogelfluges. — 

Unser Freund geniesst sie nicht; er ist daheim geblieben, denn 
schon das erstemal spottete er über die Unwahrscheinlichkeit unsrer 
Vermutungen: „Das ist doch alles höchst fraglich und unsicher!“ 


Hypolais pallida reiseri subsp. nov. 3 


Der Jäger, der so sagen wollte, müsste seine ganze Spürkunst an 
den Nagel hängen, und der Gelehrte, der über die Unsicherheit 
einer heuristischen Arbeitshypothese lächelt, ist kein Forscher 
mehr. Der Falke selbst muss manchen Flügelschlag vergeblich 
tun, ehe er zum Stoss ansetzen kann, und selbst mancher Stoss 
geht ıhm fehl. Das schadet nichts. Es gelingt das nächste Mal. 
Einen Versuch lohnt es doch, wenn die meinetwegen noch so un- 
gewisse Beute eine hinreichend wertvolle ist. Drum möge diese 
Schilderung ein Vorbild sein für gewisse Untersuchungen dieses 
Jahrgangs. — Weiter will sie nichts. — OR! 


Hypolais pallida reiseri subsp. nov. 
Von Carl Hilgert. 


Da sich das Erscheinen des Kataloges der von Erlanger’schen 
Sammlungen unerwartet verzögert, halte ich es für ratsam die 
daselbst beschriebene Form des Wüstenspötters hier zu publi- 
zieren und gebe die diesbezügliche Stelle im von Erlanger’schen 
Kataloge Seite 203 und 204 hier wörtlich wieder. Ich benenne 
diese Form Herrn Reiser zu Ehren, dem ich hier nochmals meinen 
verbindlichsten Dank ausspreche. Typus M. Biskra 26. April 1903. 

Die von Flückiger im April in Algier gesammelten Stücke 
weichen wesentlich von typischen Stücken ab. Besonders in der 
lichteren Färbung kommen sie „rama“ sehr nahe, so dass ich ver- 
sucht war, sie zu dieser Form zu stellen, da ich annahm, es könnten 
Zugvögel sein. Herr Kleinschmidt, dem ich bei seinem Hıersein 
diese Vögel zeigte, machte mich aber auf verschiedene Merkmale, 
die sie von rama unterscheiden, aufmerksam und riet mir, diese 
Stücke Herrn Reiser zu senden, der anhand von hinreichendem 
Material mir diese Vögel identifizieren könnte. Ich gebe hier Herrn 
Reisers Ansicht und Tabelle wörtlich wieder: Obwohl mir leider 
kein nennenswertes Vergleichsmaterial vorliegt, schicke ich voraus, 
dass ich an die Zugehörigkeit von rama nicht glauben kann, sondern 
eher der Ansicht bin, dass es sich hier um eine noch nicht be- 
schriebene Lokalform handelt. Von Hypolais pallida der Balkan- 
halbinsel sind diese Vögel natürlich sehr verschieden. Die folgende 
Vergleichstabelle dürfte Näheres enthalten. 

1* 


4 Ein interessantes Kleid von Lanius Collurio L. 


Hypolais sp.? Hypolais pallida, Hypolais rama 
aus Algier. Balkanländer. | aus Turkestan. 


nishkheni 10 and Durchschnitt bei |nach 2 Exempl. u. 


Schnabel: N einer grossen |Literaturangaben: 
Reihe: 12 mm 14—16 mm 
äussere Steuer- äussere Steuer- 
federn nur wenig | federn fast stets | äussere Schwanz- 
Schwanz: (bis 3 mm) kürzer| nur unmerklich |federn viel kürzer 
als die mittleren| kürzer als die als die mittleren 
und längsten mittleren 
Dange ga 65—68 mm 64—66 mm 57-65 mm 
Flügels: 


Die Abortiv- 
Schwinge 6, 6.5, 7, T und 14, 4, 4.5, 4.75 und 

überragt die 8 mm 5 mm 

Deckfedern: 


6 u. 7.5 mm 


3... 4. w 5. fast 
2 * 3. und 4 am 9.4 5 
ER gleichlangu.über-| ,. _. „4 und 5. 
Schwingen- SER, Aa längsten und fast | „ net 
£ ‘ OSE c 
verhältmis: | Bu UnTangesen, gleichlang, 7 


6. um etwa 4 mm fast gleichlang. 


kürzer 


5. etwas kürzer 


Ein interessantes Kleid von Lanius Collurio L. 


Ich schoss hier am 16. August 1907 ein altes Weibchen, das 
man als hahnenfedrig bezeichnen könnte. Schiebel hat schon einen 
Vogel beschrieben, der dem Männchen ähnelt. Bei meinem Stück 
zeigt lediglich die äussere Schwanzfeder eine Annäherung an das 
Kleid des Männchens in Gestalt eines bis über die Mitte hinaus- 
reichenden weissen Keilflecks auf der Innenfahne Als ob die 
Farbe nur verdrängt wäre, umgibt diesen Streif ein schwarzer 
Saumstrich. Bei einem andern Stücke meiner Sammlung findet 
sich dieselbe Erscheinung in schwächerem Masse. So auffällig, 
wie bei dem erstgenannten Vogel, sah ich sie aber nie. O.KI. 


Der. Götterberg Meru. 5 


Der Götterberg Meru. 


Dass in vielen Ländern hohe Berge als Sitze der Götter an- 
gesehen wurden, ist nicht verwunderlich. Hohe Felszacken, nur 
vom Adler umkreist, oder gar erst Schneegipfel, die nur zeitweilig 
über Nebelschleiern zwischen den Wolken sichtbar werden, sie 
machen ganz den Eindruck von Himmelsburgen, vollends da, wo 
sie unnahbar sind. Man könnte sich denken, dass in Landschaften 
Indiens, wo nordwärts Schneegipfel hinter Schneegipfeln sich er- 
heben,*) die Vorstellung eines Götterbergs im Norden besonders nahe 
lag und dass Nachrichten von den Polarländern, die von andern 
Völkern kamen, dazu anregten, die alpinen und polaren Natur- 
erscheinungen zu verknüpfen und diesen Göttersitz in den fernsten 
Norden zu verlegen. 

Ob sich so die Rolle, die der Götterberg Meru in der indischen 
Literatur spielt, erklären lässt — oder ob die Stellen die An- 
nahme einer nordischen Urheimat nötig oder wenigstens wahr- 
scheinlich machen, das ist die Frage, die für das Problem der 
Tierverbreitung von grosser Wichtigkeit werden kann. 

Wenn es eine Hauptrichtung in der Verbreitung des 
Lebens auf der Erde gegeben hat, dann ist ihr teilweise auch der 
Mensch gefolgt. Religionsgeschichte und Tiersagen bieten uns da 
wertvolle Hılfsquellen, wenn sie uns auch zuerst vor fast verwirrende 
Rätsel stellen. 

Es ist auffallend, dass es in der Masaisteppe einen 
Meruberg gibt. Ist das Zufall? Ich habe mich bei einem 
Kenner afrikanischer Sprachen erkundigt. Er meint, dass seines 
Wissens der Name eine Eingeborenen-Bezeichnung sei, dass aber 
die Masai den Berg nicht Meru, sondern den „schwarzen Berg“ 
nennen. Nun ist aber „der schwarze“ zugleich eine Bezeichnung 
Gottes, und es gibt ja noch einen Vulkan ’Ngai dort (’Ngai ist 
der Name Gottes bei den Masai). 

Es gibt ja auch einen thessalischen Olymp und einen phry- 
gischen Olymp, einen phrygischen Ida und einen kretischen Ida, 


*), Man vergleiche die herrliche Abbildung und Schilderung in 
Harterts „Wanderjahren eines Naturforschers“ p. 237: 


6 Das Zeichen dJ'. 


einen moabitischen Berg Nebo und einen babylonisch-assyrischen 
Gott Nebo. 

Man nimmt an, dass in der Bibel Jesaija 14, 14 mit dem 
„Berg des Stifts in der fernsten Mitternacht“ der 
Meruberg gemeint sei. Es ist ein merkwürdiges Zusammen- 
treffen, dass dort der König von Babel als der „Helle, der Sohn 
der Morgenröte“ angeredet wird und dass der babylonische Gott- 
und Königsname Marduk in der Bibel „Merodach“ heisst. Die 
Etymologie von Merodach soll noch unsicher sein. Merodach ist 
der Gott des Morgenlichts. Sollte zwischen Merodach und Meru 
ein Zusammenhang sein? Die Bedeutung von Merodach muss 
schon in alter Zeit unbekannt geworden sein, wie der Schreibfehler 
„Berodach-Baladan“ beweist. 

Bei den Masai*) ist die Benennung für Norden und für 
das Land der Urheimat (Kopebob) dieselbe Nach Norden 
beten sie Mit dem Kopf nach Norden (und dem Gesicht nach 
Osten!) legen sie ihre Toten, denn im Norden suchen sie das 
Paradies als Wohnort der Verstorbenen. 

Vielleicht lohnt es sich, diesen Dingen weiter nachzugehen. 

Entweder wird sich zeigen, Namen wie Meru, Mero, Meroe usw. 
kommen ohne Zusammenhang vor (die alte Sache, dass Ähnlich- 
keiten nicht immer Verwandtschaft beweisen), oder wir finden eine 
indisch-europäische Frontlinie mit einem Vorläufer in der Ostecke 
von Afrika. 

Unser Material ist aber heutzutage so reich, dass ein paar 
noch fehlende Mosaiksteinchen genügen können, die Anlage des 
Gesamtmusters der Zoogeographie zu erschliessen. Ö. Kl. 


Das Zeichen J. 


Das Zeichen Z, das wir in der Zoologie zur Angabe des 
männlichen Geschlechts verwenden, ist bekanntlich das Zeichen 
des Planeten Mars. Schon Jacob Grimm hat auf die Ähn- 
lichkeit der Siegrune hingewiesen, die der germanische Krieger 


*) Dinge, wie der Name des Urdrachen en tiamassi (babylonisch 
Tiamat) scheinen zu beweisen, dass die wunderbare Übereinstimmung 
der Masai-Überlieferungen mit denen der Juden nicht auf altem, christ- 
lichem Einfluss von Abessinien her beruhen kann. 


Das Zeichen dJ'. y/ 


auf sein Schwert ritzte. Diese Rune ? war das Zeichen des 
Schlachtengottes Tyr oder Ziu, des alten germanischen Haupt- 
gottes, der schon im Altertum geradezu mit Mars identifiziert, 
später vor dem eindringenden Wodankult mehr zurücktrat. Zau 
war ursprünglich der Hauptgott vieler Völker. Tyr (Hdda), Tius 
gothisch), Zeus, Dios (griechisch), Djaus (Sanskrit) stellte schon 
Grimm nebeneinander. 

Dieser alte Haupt- und Himmelsgott wird (am deutlichsten 
bei den Kretern) geradezu identifiziert mit dem göttlich verehrten 
Tag, Dies, daher Diespiter, Dis pater (umbrisch, Hat nun 
Caesar (cf. Falco 1907 p. 91) das italische Dis angewandt und 
das Zählen nach Nächten daraus erklärt, dass die Tage zum Zeit- 
mass nicht profan genug waren? Das scheint doch sehr gekünstelt. 
Nein, der Dis der Kelten war Taggott und Nachtgott; der Tag- 
gott ist überall von der Sonne unabhängig, da er schon ehe die 
Sonne aufgeht, das Licht spendet. „Der Tag als Folge der Sonne“ 
musste dem Naturvolk als ein filius ante patrem erscheinen, ein 
Unding. „Dies“ ist aber ein alter Genitiv von Tag, so dass der 
Gott Diespater auch der Vater des Tages sein kann,*) der 
Nachtgott, der den Tag hervorbringt. Die Masai wissen 
nicht mehr, warum sie @ott narok =schwarz nennen. Unbewusstes 
ist uralt. Vielfach wurden schwarze Gottheiten verehrt. Hel, die 
doch mit Nifelheim in Verbindung steht, wurde elsterfarbig ge- 
dacht, halb schwarz, halb weiss. Sollten diese Merkwürdigkeiten 
nicht auf den Norden deuten, wo Tag und Nacht nicht scharfe 
diametrale Gegensätze sind. Vielleicht ist der Gott, der im Finstern 
wohnt und waltet und aus der Finsternis das Licht hervorruft, 
der der ältesten nordischen Religionen. Für den Süden passt 
das nicht. 0-.Kr 


*) Grimm bemerkt wenigstens (Deutsche Mythologie p. 177): „gleich- 
sam diei pater“. Dieser ursprüngliche Sinn wird mit dieser immerhin 
sehr fraglichen grammatischen Erklärung nicht hinfällig, weil er sach- 
lich begründet ist. Der Tag ist im Norden nur eine Lichterscheinung 
des Nachthimmels unter vielen andern. Auch der nominativisch ge- 
fasste Diespiter, Diuspiter, Juppiter ist des Himmels (Uranus) Enkel. 
Diese Theogonie entspricht aber nur der Kosmogonie, wonach Äther 
und Hemera (Tag) die Kinder von Erebos und Nyx (Urfinsternis und 
Nacht) sind. 


8 Nachtrag zu Jahrgang 1905, p. 70. 


Nachtrag zu Jahrgang 1905, p. 0. 


Erithaeus Auroreus orbis nov. 
Formen: 


1. Erithacus Auroreus auroreus (Pall.. 

Vom Baikalsee, t. typ. Selenga, zum stillen Ozean. Flügel 
bis 7,7 cm. 

2. Erithacus Auroreus filchneri (Parrot). 

West-China, t. typ. Kin-tschou. Flügel bis 8,0 cm. 

(E. A. leucopterus (Blyth.) ist wohl Synonym der ersten, 
kleineren Form.) 

Die erste Form des ostasiatischen Rotschwänzchens hat in- 
zwischen Herr Engler in 3 Exemplaren in Tsingtau gesammelt. 
Sie gehört also gewissermassen zu den deutschen Vögeln. Die 
zweite hat kürzlich Herr Dr. Parrot beschrieben. Wie er mir 
mitteilt, unterscheidet sie sich von auroreus nur durch die wenig 
stärkeren Masse. Der Formenkreis E. Auroreus bleibt also nach 
unsern jetzigen Kenntnissen weit von E. grandis und erythrogaster, 
die einen um mehr als 2 cm längeren Flügel haben, entfernt. 

Eine der interessantesten zoogeographischen Tatsachen ist 
die Ähnlichkeit von Erithacus Auroreus mit dem nordafrikanischen 
Erithacus moussieri, während oologisch beide sehr verschieden sind. 
Ich komme bald in Berajah ausführlicher darauf zurück. O. Kl. 


Scehläst der Wanderfalke Ziesel? 


Von Hans Winkler. 


In den Jahren 1899/1900 war ich in der südrussischen Steppe 
im Chersonschen Gouvernement im Elisavetgrader Kreise zwischen 
den Ortschaften Obosnowka, Katherinowka, Russkoja und Schesta- 
kowka mit Schürfarbeiten beschäftigt. In der dortigen Gegend 
gab es Ziesel in Massen, die durch den Schaden, den sie im Ge- 
treide anrichteten, zur Landplage wurden. Eines Morgens, als ich 


Schlägt der Wanderfalke Ziesel? 9 


an einem erhöhten Punkte der Steppe sass, um das Terrain zu 
skizzieren, sah ich in einer Entfernung von kaum 30 m einen 
Wanderfalken unbeweglich sitzen. Nicht weit entfernt davon kam 
ein Ziesel aus seiner Röhre, machte Männchen, stiess einen leisen 
Pfiff aus und lief dann in der Ackerfurche entlang. In demselben 
Augenblick stiess der Wanderfalke auf das Ziesel, schlug es mehr- 
mals mit den Fängen und bearbeitete es mit dem Schnabel. Dann 
trug er es ein Stück fort, um es zu kröpfen. Ich habe diesen 
Vorgang aus so geringer Entfernung beobachtet, dass eine Täuschung 
betrefis der Art des Falken vollständig ausgeschlossen ist. Hätte 
ich s. Zt. von bestehenden Zweifeln Kenntnis gehabt, so wäre es 
mir ein Leichtes gewesen, einen Wanderfalken nach der Mahlzeit 
zu schiessen, so dass dann aus dem Mageninhalt die Richtigkeit 
meiner Beobachtung festgestellt werden konnte.*) 


*) Anmerkung des Herausgebers: Ich hatte Falco 1907, p. 51 solche 
Zweifel geäussert. Der neueste Jahrgang der „Aquila* (1907) enthält 
auf S. 317 zwei Nachrichten von Mäuse- und Zieselresten, die in 
Gewöllen und im Magen von Wanderfalken gefunden wurden. Die 
Ungarische Orn. Centrale bemerkt dazu: „Vorläufig muss nur noch die 
Art der Erbeutung beobachtet werden“. — Hier ist sie. Ich habe Herrn 
Winkler Bälge des Wanderfalken und Würgfalken vorgelegt, und erer- 
klärte eine Verwechslung mit letzterem für ausgeschlossen. Die von der 
Bevölkerung geschonten Raubvögel seien dort so vertraut, dass sie, auf 
einer Erdscholle ruhend, einen oft bis auf ca. 10 m herankommen liessen. 
Die U. O. C. weist auf O. Mtschr. p. 74 hin, wo Biedermann, ein 
überaus gründlicher Kenner unserer Raubvögel, bereits bemerkt, dass 
der Wanderfalke aus geringer Höhe stossend Beute sowohl vom Boden 
wie vom Wasser aufnehmen kann. Diese Möglichkeit wurde früher 
geradezu von vielen Beobachtern geleugnet. Rohweder dagegen meinte 
sogar, dass der Wanderfalke Miesmuscheln frisst. (Orn. Centralblatt 
1878 p. 58). Diese allerdings mögen von schmarotzenden Krähen zu 
der Schlachtbank des Falken getragen sein. Verwechslung mit kleinen 
Männchen des Falco Hierofalco gyrfalco oder uralensis, denen eher 
Bodenjagd zuzutrauen ist, wäre zu fernliegend. Vielleicht handelt es 
sich hier um einen biologischen Unterschied der östlichen steppen- 
bewohnenden Wanderfalken von den westlichen. Man möge also nicht 
nur auf den Kropf- und Mageninhalt jedes geschossenen Wanderfalken, 
sondern auch auf das Gefieder und die Flügellänge des Vogels achten, 
um festzustellen, welcher Form er angehört. Im Horst der westlichen 
. Form konstatierte ich bis jetzt nur Vogelreste. Die ungarischen Wander- 

falken werden freilich von unseren im Gefieder kaum viel verschieden 
sein. Man sehe auch bei uns genauer nach. O. Kl. 


Falco. 2 


10 Über Strix Flammea. 


Über Strix Flammea. 
Aus Briefen an den Herausgeber. 


I. 


Die Zähnelung an den Krallen von Strix Flammea dienen 
meiner Ansicht nach dazu, das Öl, welches der Schnabel der 
Bürzeldrüse entnimmt, in die Kopffedern zu verreiben. Einen 
ähnlichen Zweck hat wohl auch die Krallenzähnelung bei Capri- 
mulgus. Bei den Nachtvögeln ist sie besonders ausgeprägt, weil 
das Kopfgefieder stark entwickelt ist. Bei den anderen Eulen 
ist sie nicht so nötig, weil die Zehen mit vielen Federn und Borsten 
besetzt sind. Überhaupt ist das Einfetten des Kopfes mit den 
Zehen eine sehr wenig bekannte Tatsache. Sie können diese Er- 
klärung vielleicht kurz im Falco notieren. Die Reinigung des 
Gefieders möchte ich kaum für den Zweck der Zähnelung halten. 


H. Frh. Geyr von Schweppenburg. 


II. 


Ihre Mitteilung über ein interessantes Brutpaar von Strix 
Flammea im Falco (1907, Taf. V) gibt mir Veranlassung, Sie auf 
ein Pärchen in unsrem Museum zu verweisen, das uns am 11. März 
1903 von der Bleiche einer grossen Bandfabrik bei Gr. Ammens- 
leben gesandt wurde. 

Das Männchen zeigt fast genau dasselbe Aussehen, wie das 
von Ihnen abgebildete Weibchen. Die Unterseite ist nämlich mit 
Ausnahme einer kleinen Stelle dicht um den Schleier, der schwach 
gelblich angelaufen ist, rein weiss, ebenso die Befiederung der 
Beine. An beiden Aussenrändern finden sich aber ähnlich, wie 
die Tafel auch zeigt, einige rautenförmige Flecken und Schaft- 
striche von grauer Farbe, während die Mitte ganz weiss ist. Auch 
die sämtlichen Schleierfedern sind zart weiss, nur die äussersten, 
den Rand bildenden haben einen ganz schmalen gelbschwarzen 
Saum, wieder wie auf dem Bilde. 

Das zugehörige 9 ist normal. 


A. Mertens, 
Direktor des städtischen Museums für Natur- und Heimatkunde 
in Magdeburg. 


Eine neue Buntspechtform aus Spanien. al 


Eine neue Buntspechtform aus Spanien. 
Von Willy Schlüter. 

Mit einer Sendung aus Spanien (Umgebung von Sevilla) er- 
hielt ich kürzlich auch einige Buntspechtbälge, die mir sofort durch 
die wenn auch individuell verschieden stark ausgeprägte rote Brust- 
binde auffielen. Bei eingehender Vergleichung mit den in Betracht 
kommenden Formen aus Marokko und Sardinien (Picus major 
mauritanus und P. major harterti) stellte sich auch der spanische 
Buntspecht als gute Form heraus. 


Pieus major hispanus form. nov. 

Vor mir liegen 4 Bälge, 1 J und 3 22. 

Das „5 zeigt die rote Brustbinde am kräftigsten, fast ebenso 
schön ein @, während die anderen 2 @ @ nur einen roten Anflug 
besitzen. Die rote variable Brustbinde ist also bei hispanus fast 
so schön wie bei mauritanus vorhanden, dagegen sind beide Formen 
durch die wesentlich kürzeren Flügel des marokkanischen Bunt- 
spechts deutlich unterschieden. Auch scheint mir der Spanier, 
soweit es sich nach trocknen Bälgen feststellen lässt, etwas grösser 
zu sein, als der Marokkaner. Mit harterti hat hispanus die dunkle 
Färbung und den gelblichen Anflug des Weissgefieders gemein, 
dagegen fehlt harterti die rote Brustbinde gänzlich. Der gleiche 
Unterschied gilt gegenüber der Inselform canariensis. Auch unter- 
scheiden sich meine 4 hispanus von den mir zum Vergleich vor- 
liegenden 5 harterti durch geringe Grösse. Der Schnabel ist 
schlank, wie bei allen westlichen Buntspechten, und zeigt keine 
wesentlichen Unterschiede. 


Mitteilungen über Berajah. 


Es befinden sich z. Z. sechs bunte Tafeln im Druck. Ferner 
ist eine Neuauflage der Tafeln I und II von Erithacus Domesticus 
in Arbeit, da diese Tafeln infolge zu eiligen Drucks einige Un- 
genauigkeiten aufwiesen. Man beachte also, dass von Tafel I und II 
ein verbesserter Neudruck, gekennzeichnet durch die Jahres- 
zahl 1907/08 (statt 1907) geliefert wird. Die Ausgabe der umfang- 
reichen Nummer ist erst für Anfang April in Aussicht genommen, 
um durch langsameren Druck ein abermaliges Misslingen zu ver- 


meiden. Die kostspielige Falco-Tafel, welche dieser Nummer 
2* 


1» Mitteilungen über Berajah. — Literatur. 


beiliegt, hat gleichfalls, da ein Teil der Auflage ergänzt werden 
musste, Aufenthalt hervorgerufen. Bei all diesen ärgerlichen Ver- 
zögerungen mögen die geehrten Abonnenten die Mühe anerkennen, 
welche auf die grösste Sorgfalt in der technischen Herstellung 
der Abbildungen verwandt wird. 

Sehr erwünscht ist mir für die weitere Bearbeitung Material 
über die Frühlingsankunft des Gartenrotschwanzes (Erithacus Ar- 
boreus phoenicurus) namentlich n Skandinavien und Russ- 
land sowie über hahnenfedrige Weibchen dieses Vogels, 
auch über normale und höchste Gelegezahl in verschiedenen 
Ländern. O0.Kl. 


Literatur. 


Ludwig Goldsehmidt, Kant und Häckel. Gotha, E. F. 
Thienemann, 1906. 14 (bez. 137) 8. 

Dieser erste Teil einer kleinen, drei philosophische Abhand- 
lungen umfassenden Schrift ist die einfachste, sachlichste 
und vornehmste Widerlegung von Häckels Grenzüberschrei- 
tungen, geschrieben von einem Fachgelehrten ersten Ranges. Ver- 
fasser meidet jedes Eingehen auf das Gebiet des Naturforschers, 
aber ein philosophischer Irrtum muss immer auf jegliche wissen- 
schaftliche Arbeit schädigend zurückwirken. Deshalb hat vor- 
liegende Schrift, die eigentlich unser Gebiet gar nicht berührt, 
doch hier für uns Interesse auch in ihren weiteren Abschnitten. 
Freunde und Gegner Häckels finden hier klar, scharf und un- 
parteiisch die Grenze gezogen, die sie beide respektieren müssen, 
schon im Interesse ihrer Arbeit. 

Nun hat aber Schiller gerade das Betonen der Grenzen 
als den Gegensatz zum philosophischen Kopf bezeichnet. (Vergl. 
das Motto dieses Jahrgangs) Wie reimt sich das? Erstens 
ist dort von Grenzen der einzelnen wissenschaftlichen Ge- 
biete, nicht der Wissenschaft überhaupt, die Rede Zweitens 
wird man nur dann froh, rechtmässig und ungefährdet über Grenzen 
gehen können, wenn man genau weiss, wie sie verlaufen und 
welche Rechte sich mit ihnen ändern. Grenzenkenntnis in diesem 
Sinn ist das einzige, was Philosophie zu geben vermag, aber diese 
Gabe ist wertvoll genug. DR, 


Falco 1908. Tafel |. 


Nackenzeichnung. 


Falco Peregrinus barbarus. Falco Peregrinus caucasicus. 


brookeiı W. 


brookei M. 
leucogenys W. 


Falco Peregrinus barbarus M. 


Spörl, phot, 


12 


um iu N AIR, N Yahı Y4 a Pe NEN Ge 
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IE FAUNE 


Von Berajah und Falco ; ve 
sind bis jetzt erschienen: 
Falco 1905. 108 Seiten Text, 1 bunte Tafel. 


l 
4 
So 
08] 


Preis für nach- 


Berajah 1905. Saxicola Borealis, 6 bunte, 3 schwarze Ko 
= onnenten 
Tafeln, 22 Seiten Text. 8 Mark. 
Falco 1906. 104 Seiten Text, 1 schwarze Tafel. Preis für nach- 
Beilage. Tabelle der Brehmschen Schleiereulen. bestellende 
Berajah 1906. Strix Flammea, 7 bunte, 3 schwarze a R, 
ark. 


Tafeln, 20 Seiten Text. 


Falco 1907. 106 Seiten Text, 4 schwarze Tafeln. IE 
Beilage. Deutsches Vogelschutzbuch, Titel und 


Vorwort. Preis für nach- 


Berajah 1907. Erstes Heft, Strix Athene, 3 Tafeln, bestellende 
6 Seiten Text. Abonnenten 
Zweites Heft, Erithacus Domesticus, 8 Mark. 


Tafel 1—4, Neudruck vom Text zu 
Strix Athene (s. 1908). 


Falco 1908. No. 1, Tafel I. 


Berajah 1907/08 erscheinen teilweise zusammen- 
hängend. Preis für den 


1908 erscheinen ferner Falco No. 2—6, N 
von Berajah mehrere Hefte (im April) und das Rn 
Deutsche Vogelschutzbuch. 


Neu eintretende Abonnenten sind nicht zur Abnahme 
früherer oder künftiger Jahrgänge verpflichtet, können 
aber erstere jederzeit einzeln nachbeziehen. Einzelne Hefte von 
Berajah oder Falco werden nicht mehr abgegeben. Wo keine 
Buchhandlung zur Hand ist, bestelle man direkt von der Verlags- 
buchhandlung Erwin Nägele, Leipzig, Liebigstr. 6. 


Drei Vogelschutzwandtafeln 
über Vogelschutzgehölze, Nisthöhlen, Winterfütterung (für Schulen | 
besonders zu empfehlen) können für 10 Pfennige pro Exemplar 
ohne Porto vom Hessischen Tierschutzverein zu Cassel, ms 
"schutzabteilung, bezogen werden. 0. Kl, E; 


er 


FALCO, 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


Jahrgang 1908, No. 2. 
Ausgegeben: August 1908. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


Kommissionsverlag von 
anbr.Schretschke; Druckerei und Verlag m. b. H., Halle a. $. 


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FALCO. 


Vierter Jahrgang. 


No. 2. August. 1908. 


Neues und Altes über Falco Hierofaleo. 


I. Nordische Jagdfalken in Deutschland. 
Hierzu Tafel II. 

Seltene Gäste, Steppenhühner aus dem Orient, zeigen sich 
wieder in Deutschland. Aus Holland meldete Herr Baron Snouckaert 
van Schauburg schon vom 23. August 1906 einen Fall. Noch 
seltenere Gäste sind die Jagdfalken, seltsamerweise bei uns selten. 
Ob auch ihnen kultiviertes Land keine dauernde Heimat sein kann? 
In letzter Zeit sind mehrere Fälle zu genauerer Kenntnis gekommen. 

1. Am interessantesten ist der letzte Fall, da es sich wieder 
um ein weisses Stück des grossen Gerfalken handelt. 
Der Besitzer, Herr Lehrer Vöge in Kiel, hat mir die schönen 
Abbildungen des von ihm meisterhaft präparierten und bereits 
richtig bestimmten Vogels mit ausführlichen Notizen zur Ver- 
fügung gestellt und mir alle weiteren Fragen in liebenswürdigster 
Weise beantwortet. Hiernach ist der Vogel ein d’. Das Ge- 
schlecht ist durch Untersuchung sicher festgestellt. Er wurde am 
12. Februar 1908 bei dem Badeort Labö von dem 
Pächter des dortigen Kurhauses Herrn Ad. Witt am Strande 
(Ostufer) der Kieler Föhrde erlegt, während er unter lautem 
Schreien rüttelnd in der Luft stand (nach Angabe des Erbeuters). 
Er wurde Herrn Vöge zum Ausstopfen gebracht und ging durch 
Kauf in seinen Besitz über. Über die Ursache des merkwürdigen 
Betragens des Falken (der nicht vor dem Uhu geschossen ist) 
konnte Herr Vöge nichts Sicheres ermitteln. Der Kropfinhalt 
war ganz frisch, nur wenige nicht näher bestimmte schwarze 
Federn eines Wasservogels (Wasserhuhns?) waren dazwischen. 
Der Flügel mass von der Schulter 56—57 em, von der Hand ca.! 


nsonian Instjt,,,n 
hellblaugrau, letztere etwas ins Grünliche spielend. Dig/Zei gen nı Go,‘ 


Haleio, [ 2 


14 Neues und Altes über Falco Hierofalco. 


sind schwärzlich braungrau (nicht schwarz), alle übrigen Gefieder- 
teile reinweiss. Die auf dem Bilde verdeckten Steuerfedern sind 
ungebändert, die Bürzelfedern tragen die charakteristische Jugend- 
zeichnung. Der Vogel ist somit, wie schon aus der Abbildung 
zu ersehen ist, ein junges im Jahre 1907 erbrütetes Stück. Im 
Alter würde dieses Stück mehr querlaufende Zeichnungen der 
Oberseite und eine nahezu ungefleckte Unterseite erhalten haben. 

2. Über einen andern Fall hat inzwischen die Deutsche 
Jägerzeitung, Neudamm, die auch in diesem Jahre wieder 
viele interessante ornithologische Nachrichten bringt, unter Bei- 
fügung einer Abbildung (1908, S. 393) berichtet. Herr Pastor 
Clodius gab mir über den Vogel am 18. II. und 27. III. folgende 
Notizen für den „Falco*. 

„Neulich hatte ich einen herrlichen Vogel in Händen, den 
ersten Falco gyrfalco aus Mecklenburg. ... Der fragliche 
Gerfalke ist am 12. Januar 1908 auf der Insel Poel (bei 
Wismar) erlegt, von einem der dortigen Fischer, die alle grosse 
Wasserjäger sind; er ist im Besitz von Hofkonservator Knuth 
in Schwerin. Es ist ein 2, alt, genau der Abbildung im Naumann 
Tafel 11, Fig. 1 entsprechend, nur war der Schwanz nicht so hell, 
mehr hellgrau. Fittich 39,7 cm, Schwanz 23,5 cm. Der Magen- 
inhalt ist leider nicht beachtet, da Knuth mir den frischen Balg 
zuschickte, während der Kadaver schon vernichtet war; doch war 
der Vogel geschossen, während er auf Enten jagte. An den Zehen- 
häuten sassen einige Federchen, was auch Sie im Naumann be- 
merken.“ Ich schliesse mich der Bestimmung an, zumal, wenn 
das Geschlecht feststeht, doch kann, da es auch vom grossen Ger- 
falken teils kleinere, teils dunklere Stücke gibt, kein Ornithologe 
mit völliger Gewissheit sagen, ob dieser Jagdfalke von Skandinavien, 
Island oder Nordasien gekommen ist. 

Zwei andre Fälle, über die hier nur referiert werden soll, 
liegen weiter zurück. 

3. Ein junges 2, im Besitz des Provinzialmuseums zu Hannover, 
am 12. Oktober 1905 in Hollinde bei Hollenstedt (Kreis Harburg) 
erlegt, wird von A. Fritze im Jahrbuch des Provinzial- 
museums zu Hannover 1907 mit dankenswerter Sorgfalt be- 
schrieben und vortrefflich abgebildet. (Seite 86 und 87. Taf. VIII 
Fig. 1 und 2.) 

Da ich ein von Alfred Edm. Brehm am 20. August 1860 in 


Neues und Altes über Falco Hierofalco. 15 


Norwegen gesammeltes Weibchen mit 41 cm Flügellänge besitze, 
so ist auch hier keine völlig sichere Bestimmung möglich. Der 
Autor deutet den Vogel als ıslandus (Brünn.) 

4. In demselben Artikel bespricht Fritze den weissen 
Vogel, der sich im Besitz von Graf K. v. Alten-Linsingen 
in Linden bei Hannover befindet, und schon von Leege, auch 
von mir im neuen Naumann erwähnt ist. Dieser Falke, der 
wohl zweifellos zur grossen Form gehört, wurde am 7. März 
1890 in den Ostdünen von Juist erlegt, wo ersich von Osten 
kommend (!) auf einem höheren Dünenkopf niederliess. 


11. Die Ansichten von 6. Krause und B. Hantzseh 
über die nordischen Jagdfalken. 


Von Krauses „Dologiauniversalispalaearctica‘ 
liegen nunmehr die Tafeln der grossen Falken anscheinend voll- 
ständig vor, entzückende Bilder für den Eier sammelnden Liebhaber. 
Dass vom Wanderfalken nur brandenburgische Gelege abgebildet 
sind, statt einer universalen Übersicht, ist gar nicht zu tadeln. 
Um so besser gestattet diese schöne Reihe von einem Punkt einen 
Vergleich mit den Variationen andrer Gegenden. Aber es ist doch 
eine arge Inkonsequenz, wenn beim Wanderfalken die nord- 
afrikanischen, westasiatischen und europäischen Wanderfalken (ich 
bitte hier wieder einen Blick auf Falco 1908, Taf. I zu werfen) 
als eine Art zusammengefasst werden, dagegen die grossen 
nordischen Jagdfalken in drei Arten (den Grönländer, Isländer 
und Skandinavier) gespalten werden. An dieser Inkonsequenz 
krankt freilich nicht nur Krauses Oologie, sondern das ganze heutige 
Schulsystem. Krause gibt an: Eier von 

Grönland 64,7 X 47,9 bis 57,4 X 45,5 mm 
Island DIET, „53, x 458 , 
Skandinavien 62,7 X 46,8 „ 56,9 X 446 „ 

Wen die Sache interessiert, der vergleiche die von mir im 
Neuen Naumann zitierten Angaben unsrer angesehensten Oologen.*) 
Es wird sofort deutlich, dass die von Krause angegebenen 
Variationsgrenzen ein sehr unvollständiges Bild geben.**) 


*) Krüper-Velthusen ist ein Druckfehler statt Krüger-Velthusen. 
**) Sogar bei gemeinen deutschen Raubvogelarten sind die Krause- 
schen Extreme, wie ich später aus meiner Sammlung beweisen werde, 
auf zu geringes Material basiert. 
9%* 


er 


16 Neues und Altes über Falco Hierofalco. 


Auch ist es falsch, wenn Krause den Namen candicans Gmelin 
für den Grönländer wieder einführen will, denn dieser Name geht 
auf isländische und angeblich nordschottische (ausgestorbene) 
Vögel. Er ist also Synonym von islandus Brünn. Auf andre 
Einzelheiten will ich jetzt nicht eingehen. 

Hantzsch trennt in seiner soeben erschienenen prächtigen 
Arbeit über die Vogelweltdesnordöstlichen Labradors 
(Journ. fr. Orn. 1908 p. 307 ff.) gleichfalls den Grönländer 
vom Isländer und von beiden den Labradorvogel. Ich be- 
sitze aber von Rama in Labrador einen recht lichtgefärbten 
Jagdfalken, der noch Reste der Blutkiele an den Schwungfedern 
hat, also sich gewiss nicht weit von der Heimat entfernt haben 
kann. Es ist bei den Jagdfalken wie bei den Schleiereulen. Es 
müssen sehr grosse Variationsreihen verglichen werden. 
Selbst die Skandinavier sind keineswegs gleich gefärbt. Nachdem 
ich ein riesiges Material bei Schlüter verglichen und die 
wichtigsten Stücke für meine Sammlung ausgewählt hatte, habe 
ich die Jagdfalken des Tringmuseums, der Dresserschen 
Sammlung, des Britischen Museums und des Berliner 
Museums besichtigt und wage bis heute nur zwei nordische Formen 
(islandus und gyrfalco) zu unterscheiden, abgesehen von einer oder 
zwei fraglichen asiatischen Formen. 

Wie der folgende Abschnitt zeigt, wäre es höchst interessant, 
wenn die Ansichten von Krause und Hantzsch zu neuen 
Studien Anlass gäben. Aber ich möchte vorschlagen, es zunächst 
bei den in meiner Monographie (Aquila, 1901) aufgestellten Formen 
zu lassen und, wie ich es in Berajah halte, die gar zu feinen 
und fraglichen Unterschiede als unbenannte Subtilformen 
nicht beiseite zu schieben — nein! ja nicht! —, sondern genau 
zu studieren. 

Wie wichtig das ist, sieht man, sobald man statt des Schul- 
systems das natürliche geographische System anwendet. 

Nach Hantzschs Ansicht (und der Sache nach kann sich 
seine Ansicht, was Island betrifft, später als richtig erweisen) würde 
der hier abgebildete Vogel von Labö von Grönland verirrt 
sein. Aber sollte er nicht vielmehr von Sibirien kommen oder 
der schwer unterscheidbare Falco Hierofalco, Subtilform uralensis 
sein ? 

Es wäre recht dankenswert, wenn Sammler Maße von Jagd- 


Neues und Altes über Falco Hierofalco. 7 


- falkeneiern, die sich in ihrem Besitz befinden, zu einer Zusammen- 
stellung einsenden wollten, wenn einmal die lichteste Färbung, 
die Falco Hierofalco in Nordeuropa erreicht, recht genau be- 
schrieben würde, wenn endlich über asiatische Vögel und alte 
Labradorbrutvögel genauere Nachrichten kämen. Island 
ist überhaupt nicht massgebend, denn die Leute, die den Geyrvogel 
ausrotteten, haben wohl auch mit dem weissen isländischen Falken 
seit Jahrhunderten eine unnatürliche Selektion getrieben. 


III. Falco Hierofaleco als Wegweiser. 
Eine Arbeitshypothese. 

Lassen wir die langschwänzigen Edelfalken Australiens und 
Indiens (meinetwegen als frühe Vorläufer) beiseite, so ergeben sich 
für den osteologisch bestimmbaren Falco Hierofalco drei 
Hauptformen: Jagdfalk, Würgfalk, Lanner, von Norden 
nach Süden: 


In der alten Welt: In der neuen Welt: 
Gerfalk, Gerfalk, 
Würgfalk, Würgfalk, 
Lanner. 


Die Seltenheit, mit der sich weisse Jagdfalken zu uns ver- 
irren, die Fraglichkeit der Landbrückenhypothese machen es un- 
wahrscheinlich, dass die Verbreitung der Würgfalken durch eine 
plötzliche weite Wanderung über heutige Meere erfolgt sei. Sonst 
mag sehr wohl die Verbreitung mit der einstigen Verteilung von 
Wasser und Land zusammenhängen. 

Wir suchen die Urheimat etwa im nordöstlichen Asien und 
nordwestlichsten Amerika. 

1. Die älteste Hauptrasse, die Lanner, verbreiteten sich beim 
Schwinden des Tertiärklimas nach Südwesten. Wie noch heute 
der Falco amurensis von Ostasien nach Südafrika wandert, so 
fanden sie in Afrika das Endziel ihres Weges. 

2. Die im Steppenstaub und verarmter Fauna des Nordens 
verbleibenden Vögel, die Würgfalkenrassen, wichen vor weiter zu- 
nehmender Kälte sowohl in der alten wie in der neuen Welt 
nach Süden. 

3. An den nordischen Küsten gaben die Vogelberge und 
Schneehühner ein neues Jagdwild ab, und die Urrasse ward dort 


18 Bemerkungen zu dem letzten Berajah-Heft. 


im Kampf gegen die Polarkälte zu den herrlichen Recken im 
Schneegefieder. In der alten, von warmem Meer bespülten Erd- 
feste Skandinavien erhielt sich ein alter kleiner und dunkler 
Stamm. Hin und wieder taucht bei Würgfalk und Gerfalk noch 
der Farbenreichtum der Urzeit auf, und das sind die Vögel, die 
alle Kunst des beschreibenden Schulsystems zu nichte machen. 

In der alten Welt ging der Weg von Ost nach West. Die 
Afrikaner zeigen hochentwickelte Farbensehönheit bei primi- 
tiver Schwäche des Wuchses. Wenn man an dieser Hypo- 
these ändern will, so wird man immerhin hier dankbares Materıal 
finden zum Umbau. Für die Frage nach der Lage eines nordischen 
Schöpfungszentrums, das vorläufig alle Schwierigkeiten am besten 
erklärt, wird die Abgrenzung der Form bezw. Subtilform gyrfalco, 
die in den zentralasiatischen Gebirgen (Falco altaicus) wiederzu- 
kehren scheint, von hohem Interesse sein. Europa aber ist der 
einzige Erdteil, der von allen drei Hauptrassen Wellen empfangen 
oder nach andrer Meinung von allen drei Hauptrassen Reste zurück- 
behalten hat. Es sind ganz dieselben Fragen, an denen gegen- 
wärtig die Anthropologie arbeitet. Möge man dort wie hier 
Hypothesen als den Anfang zur Arbeit, nicht als das Ziel und 
damit als das Ende wissenschaftlicher Forschung ansehen. 


OKT 


Bemerkungen zu dem letzten Berajah-Heft. 
E 


Das letzte schöne Heft von Berajah, das ich mit grossem 
Interesse studiert habe, veranlasst mich zu einigen Mitteilungen. 


1. Erithacus phoenicurus. 
Die Ankunft habe ich in Ostpreussen beobachtet *) 


l mal am 18. 4. l mal am 29. 4. 
a N RN Rn 
EN EHI EAN re N 
1 aM 2 U I EN 


Die Daten beziehen sich auf 11 Jahre. Sie rühren sämtlich 
von mir her und zwar beziehen sich zehn auf Losgehnen bei 
Bartenstein, eins auf Angerburg. Ich habe die Art fast stets als 


*) Vergl. damit Berajah, E. Arboreus, Seite 11. 


Bemerkungen zu dem letzten Berajah-Heft. 19 


scheuen Waldvogel, seltener in Gärten, noch nie auf Gebäuden 
beobachtet. 


2. Der Hausrotschwanz ist in Ostpreussen noch recht 
selten; ob er neuerdings häufiger wird, ist noch immer fraglich. 
Jedenfalls kommt er nur sehr sporadisch vor. Sichere Brutnotizen 
fehlen fast völlig. 


3. Bezüglich des späten Durchzugs nördlicher Formen 
möchte ich auf Budytes flavus hinweisen. Bei Bartenstein 
und wohl überhaupt im Innern der Provinz erfolgt der Einzug 
dieser Art in der zweiten Aprilhälfte, einen Durchzug von gelben 
Bachstelzen im Mai habe ich noch nie dort beobachtet. 


Ganz anders auf der Kurischen Nehrung. Hier findet ge- 
wöhnlich in der zweiten Maihälfte ein Massendurchzug von gelben 
Bachstelzen statt — ich habe dieses z. B. im Mai 1906 beobachtet, 
Thienemann erwähnte es öfter in den Jahresberichten —, und 
zwar gehören dieselben zum grössten Teil zu borealis, wenn ja 
auch die Kopffärbung sehr variiert. 

Ähnlich steht es mit Anthus pratensis, der auch noch 
bis Ende Mai in Rossitten durchzieht, während der Zug in der 
ersten Märzhälfte beginnt. 


Es ist dies sicher eine analoge Erscheinung wie die in Berajah 
für den Gartenrotschwanz erwähnte. 


Angerburg, Ostpreussen, M- Pisichler. 


I, 


Betreffs Erithacus Arboreus phoenicusus benutze ich die Ge- 
legenheit*), mitzuteilen, dass die Art hier in der letzten April- 
Woche oder ersten Mai-Woche ankommt. Die Eier sind 5—7 in 
der Zahl, gewöhnlich 7. 


Forssa, Finland. Volter Pousar. 


*) Herr Pousar sandte mir eine schöne von Parus Salicarius 
borealis gemeiselte Nisthöhle mit wertvollen nidologischen Notizen. 
Eine ähnliche Höhle hat einlebender Parus Salicarius borealis, den mir 
Herr Hermann Grote vor seiner Ausreise nach Afrika schenkte, jetzt 
bei mir im Käfig nahezu vollendet. Ich gehe auf die höchst dankens- 
werten Zuwendungen beider Herrn vorläufig im „Falco“ nicht ein, weil 
ich vielleicht bald in der Lage sein werde, darüber in Berajah näheres 
bei der Monographie von Parus Salicarius zu berichten. 


2) Uber das Vorkommen von Erithacus Domesticus in Krain. 


II. 


Gerne ein Steinchen beitragend zur Beantwortung Ihrer Frage 
über die Gelegezahl bei Erithacus Arboreusphoenicurus 
(Falco 1908, No. 1 pag. 12) beehre ich mich Ihnen zu melden, 
dass inHolland die normale Gelegezahl 6 ist und die höchste 
8 Eier. Es kommt jedoch diese letzte Zahl nur ausnahms- 
weise vor, dagegen wird ein Gelege mit 7 öfters angetroffen. 


Wageningen, Holland. A. A. van Pelt Lechner. 


Uber das Vorkommen von Erithacus Domestieus 
in Krain. 
Literarisches. 

Heinrich Freyer, Fauna der in Krain bekannten Säugetiere, 
Vögel, Reptilien und Fische. Nach Cuviers System geordnet, mit 
Abbildungs-Zitaten und Angabe des Vorkommens. Nebst einem 
vollständigen Register der lateinischen, deutschen und krainischen 
oder slavischen Namen. Laibach. Gedruckt in der Egerschen 
Gubernial-Buchdruckerei. 1842, schreibt pag. 14: „In Felsen, auch 
Steinen der Alpen“. 

Ferdinand Schulz, Verzeichnis der bisher in Krain beob- 
achteten Vögel. Separatabdruck aus den „Mitteilungen des Museal- 
vereines für Krain“. Laibach, Buchdruckerei von Jg. v. Klein- 
mayr & Fed. Bamberg 1890, pag. 10, No. 113: „Sommervogel, 
erscheint gegen Ende März und zieht Ende Oktober bis Anfangs 
November wieder ab.“ 

Fran Erjavee, Domade in tuje Zivali v podobah. Drugi zvezek. 
Ptice. Na svetlo dala in zaloZila Druzba sv. Mohorja v Celoveu. 
(Drugi natis.) V Celovcu 1893. (Deutsch: Franz Erjavec. Die 
einheimischen und ausländischen Tiere in Bildern. Zweiter Band. 
Die Vögel. Herausgabe und Verlag des St. Hermagoras-Ver- 
eines in Klagenfurt. Zweite Auflage. Klagenfurt 1893), schreibt 
auf Seite 76 (in wortgetreuer deutscher Übersetzung): „Überall 
in unseren Gärten, insbesondere in Berggegenden, kommt noch ein 
anderer wohl bekannter Schläger (Singvogel) vor, das ist der Haus- 
rotschwanz. Er ist schlanker und länger als das Rotkehlchen und 
hat schwarzen Kopf, graulichen Rücken und Brust, weisslichen 
Bauch sowie braun-rötlichen Schwanz. 


Über das Vorkommen von Erithaceus Domestieus in Krain. >27 


Der Hausrötling ist nicht so zutraulich als das Rotkehlchen, 
allein er hält sich doch gerne bei den Häusern auf, sei es in der 
Stadt, im Dorfe oder beim einsamen Weiler; am allerliebsten pflegt 
er auf den Dächern zu sitzen und von dort erschallt frühmorgens 
sowie spätabends sein lieblicher Gesang. Das Nest baut er irgend- 
wo unter dem Hausdache, in gebirgigen Gegenden aber auch in 
den Felsen. 

In Gesellschaft des Rotkehlchens überwintert er in Süd-Europa, 
woher er bald nach dem Rotkehlchen zu uns zurückkommt.* 

Jvan Macher, Prirodopis Zivalstva. Ljubljana 1907 (Johann 
Macher, die Naturgeschichte des Tierreiches, Laibach 1907) schreibt 
(wortgetreu aus dem Slovenischen ins Deutsche übersetzt) auf Seite 82: 
„Ein fluggewandter Zugvogel ist das Hausrotschwänzchen, welches 
sich bei uns mehr an die Gebirgsdörfer hält.* 

Nach den vorstehenden Notizen, nach der Ansicht des hiesigen 
Musealassistenten Ferdinand Schulz, des besten jetzt lebenden Vogel- 
kenners Krains, sowie nach meinen eigenen Wahrnehmungen ist 
der Hausrötling zwar hierzulande Brutvogel, doch kommt er unter 
600 m Seehöhe nirgends vor, wobei ich aufmerksam mache, 
dass das Kronland Krain zwischen 45°25° und 46°31° nördlicher 
Breite sowie zwischen 31°16‘ und 33022‘ östlicher Länge von Ferro 
gelegen ist. — So beobachtete obengenannter Musealassistent in 
den Jahren 1878 bis 1880, als er die Grabungen nach Altertümern 
aus der Hallstätter Periode leitete, oberhalb des Marktfleckens 
Vate bei der Ortschaft Klenik (609 m) jährlich diesen Vogel beim 
Brutgeschäftee Am 6. September 1907 unternahmen Schulz und 
ich eine ornithologische Exkursion in die Steiner oder Sanntaler 
Alpen, welche die Grenze zwischen Krain und Steiermark bilden. 
Unser Ziel waren die Velika planına (1555 m) und die Mala 
planina (1507 m); es ist dies ein wellenförmiges Hochplateau im 
ungefähren Ausmasse von zusammen 14 km?. Auf der erstgenannten 
Bergweide (planina — Bergweide) befinden sich 75 Sennerhütten, 
auf der zweiten, kleineren, nur deren 33, jede mit einem Brut- 
paare des Hausrötels. Dieser unser Ausflug hat sich wider unseren 
Willen wegen hier nicht näher zu erörternder Hindernisse sehr 
verspätet und wir fanden nur mehr alte Männchen vor, die Weibchen 
samt Jungen hatten ihre Brutplätze schon verlassen. 

Zugdaten konnte ich nirgends erfahren, so sehr ich mich auch 
bemühte. Eigene Aufzeichnungen hierüber besitze ich nicht, da 


29 Kleine Mitteilungen. 


ich bisher noch keine Gelegenheit hatte, diesbezügliche Selbst- 
beobachtungen anzustellen. Schulz sah den Hausrötling öfters im 
Frühling bei Laibach in Gesellschaft des Gartenrotschwänzchens 
und des Rotkehlchens ziehen. 


Laibach, am 25. Februar 1908. Dr. Janko Poneb$ek. 


kleine Mitteilungen. 


Den „Falco* wird es interessieren, dass ich seinen japanischen 
Vertreter im Innern Japans, in Nikko, dem berühmten Tempelort 
der Hauptinsel, antraf. — Er sass auf dem Steven eines modernen 
Kriegsschiffes mit ausgebreiteten Flügeln, jede Feder genau zu er- 
kennen, ein nicht sehr altes Exemplar und unsrem Wanderfalken, 
wenigstens von vorn, sehr ähnlich. 

Er war von einem modernen Künstler ganz realistisch und 
in pleinair gemalt, dahinter das Meer mit japanischen Schlacht- 
schiffen ; das Gemälde hing über einer inneren Tempeltür, gerahmt 
in Gold — —, ein Weihegeschenk japanischer Seeoffiziere, wie 
ich annehme. 

Wir würden den Seeadler oder einen heraldisch stilisierten 
Raubvogel dahin setzen: der Japaner nahm einen völlig bis ins 
Kleinste naturalistisch behandelten Wanderfalken und wenn er 
vielleicht in ornithologischer Kenntnis des Kosmopoliten Peregrinus 
den Wanderfalken als ein Symbol der weltumspannenden See- 
macht Japans repräsentativ wählte, so handelte er konsequent der 
einem auf Schritt und Tritt begegnenden derzeitigen japanischen 
Bescheidenheit. 


Otaru (Yezo), 23. V. 1908. Dr. R. Thielemann. 


Ergänzungen zum neuen Naumann. 


In der Sammlung des Leipziger Zoolog. Instituts befindet sich 
nach Mitteilung von Herrn Prof. Dr. VoigteimeÖrtygometra 
porzana mit rein schiefergrauer Oberbrust aus Ost- 
preussen, also das seltene Kleid, auf das ich im neuen Naumann 
hinwies. 

Herr Prof. Voigt machte mich ferner auf den Widerspruch 
zwischen Abbildung und Text betreffend das Sommerkleid 


Kleine Mitteilungen. 23 


der Schellente in genanntem Werk aufmerksam. Ich besitze 
von der männlichen Schellente ausser dem Prachtkleid 1) das 
Jugendkleid, gleich dem Weibchen, mit etwas weisslicherem Flügel, 
2) das Sommerkleid des alten (?) Vogels mit weissem Oberflügel. 
Der von Bechstein für dies Kleid angegebene weisse Zügelfleck 
fehlt fast vollständig. Nur verschwindend wenige weisse Federchen 
sind vorhanden. Diese sind also ein Rest oder Anfang des 
Winterkleides. Die meisten sind durch braune ersetzt. 
Vielleicht achtet man bei Entenjagden auf diese Sache. Auch im 
zoologischen Garten in Berlin liesse sie sich völlig klar stellen. 


Der Gartenlaubvogel singt zuweilen bei Nacht. Ich war 
lange zweifelhaft, ob der herrliche Mondscheinsänger nicht em 
laut singender Sumpfrohrsänger sei, aber da ich denselben Vogel 
an derselben Stelle bei Tage erhörte, halte ich eine Verwechslung 
für ausgeschlossen. 


Hans Kurella und A. von Jordans melden weitere Beobachtungen 
von Weidenmeisen an der Siegmündung. Sie hielten die Stimme 
zuerst für die eines Feldsperlings, der in der Tat oft ganz ähnliche 
Töne hören lässt. 


Mein lebender Parus Salicarius borealis zeigt durch sein 
munteres Wesen recht deutlich, wie wenig einen gesunden Vogel 
die Mauser angreift. Möchten Vogelpfleger bei künstlicher Mauser 
recht genau die Reihenfolge der auszuziehenden Schwungfedern 
beachten. 


Staats von Wacquant-Geozelles sucht die Ursache der 
Vernichtung der meisten Singvogelnester in der mangelnden Raub- 
zeugvertilgung, zu der Kastenfallen nach seiner Ansicht nicht ge- 
nügen, da sie vom Marder, der seinen Gefährten in der Falle hat 
klappern hören, für immer gemieden werden. Wie sehr Marder die 
Vogelwelt schädigen können, sah ich in diesem Jahr in meinem 
Garten. Keine Vogelbrut blieb verschont. Der Räuber war 
schliesslich so frech, dass er eine Bruthenne auf einen Baum 
schleppte, ganz nahe an einem erleuchteten Fenster tötete und 
dann dicht an mir vorbeischlich. Hoffentlich ereilt ihn die Rache. 


OR: 


24 Literatur-Besprechungen. 


Literatur-Besprechungen. 


Hans Schmidt, Jona, Eine Untersuchung zur ver- 
gleichenden Religionsgeschichte, mit 39 Abbil- 
dungen im Text. 194 S. Göttingen, Vandenhoek und Ruprecht 
1907. 

„Und also kann auch der Prophet Jonas von keinem grön- 
ländischen Walfisch verschlungen worden seyn ? Es muss ein anderes 
grosses Meerungeheuer gewesen seyn? Aber was wohl für eins? 
Etwa der Hayfisch?* — Mit dieser Frage quält sich beispiels- 
weise die in der Darstellungsweise überaus köstliche Naturgeschichte 
von Raff (XIII. Aufl. 1826) beim Grönlandwal, beim Pottfisch 
und bei dem „zu den Amphibien gehörigen“ „Haifisch* ab. Bei 
letzterem wird gar noch eine moderne Jonasgeschichte von 1758 
erzählt; vielleicht sind manchem Leser aus seinen Kinderjahren 
derartig naive Gedankengänge erinnerlich. 

Das vorliegende Buch geht natürlich auf dergleichen nicht 
ein. Es weist nach, dass der Stoff des Jonas-Epos oder besser 
gesagt dieses religiösen Lehrgedichts*) sich in unzähligen Fisch- 
mythen bei den Völkern der alten wie der neuen Welt wieder- 
findet. Sogar das Märchen vom Rotkäppchen wird als eine 
Ausgestaltung dieses Stoffes angesehen. Das Buch gliedert sich 
in drei Kapitel: „I. Der Fisch als Feind, I. der Fisch 
als Retter, II. der Fisch als Unterwelt.“ Die über- 
raschend und unerwartet in den verschiedensten Ländern wieder- 
kehrenden Züge des Mythus sind etwa folgende: 

Der Held wird von einem Meerungeheuer ver- 
schlungen. Erzerschneidetdiesem die Leber, oder 
er tötet es mit Stacheln seiner Rüstung, oder er 
verliertvonderFeuerhitze im Fischleıb die Haare, 
so dass er diesen kahlköpfig verlässt. Schmidt sieht 
darin ein Bild der Sonne, die untergehend vom Meere ver- 
schlungen wird und vom Meere ausgespieen wieder aufgeht, wobei 
sie ihren Strahlenkranz verliert. 

Es wird gezeigt, dass der Mythus nicht bei verschiedenen 
Völkern gleichzeitig entstanden sein kann, sondern dass er von 
einer Heimat aus seine „weltweite Wanderung“ angetreten 


*) Den religiös-prophetischen Zweck näher zu bezeichnen, ist hier 
nicht der Ort. 


Literatur-Besprechungen. 3 


(u | 


habe. Zu denken sei etwa an eine südlich von Asien gelegene Insel- 
gruppe des indischen Ozeans, wo sowohl der Sonnenuntergang im 
Meer, wie auch ihr Wiederauftauchen zu beobachten war. Doppelt 
interessant wird das Buch durch die zahlreichen Abbildungen, die 
zum Teil von Leo Frobenius („Aus den Flegeljahren der Mensch- 
heit“ und „das Zeitalter des Sonnengottes“) entlehnt sind. 
Kritisch bemerkeich folgendes: Sollte irgend etwas 
anderes, etwa das Erscheinen seefahrender Helden, die in glänzendem 
Schuppenpanzer (Oannes-Sage) dem Bauch ihrer Schiffe entstiegen, 
bei einem der Schiffahrt unkundigen Volke die Sage hervorgebracht 
haben? Dem widersprechen u. a. die in ganz entfernten Ländern 
wiederkehrenden Einzelzüge, wie das Zerschneiden der Leber. Die 
von Schmidt gegebene Erklärung bleibt wohl die einzige, die 
einen Sinn ergibt. Dass Schmidt gegenüber Gunkel, der bei 
den babylonischen Schöpfungssagen an ein Land grosser Ströme 
dachte, an eine Meerlandschaft denkt, berührt sich eng mit 
früher in dieser Zeitschrift Gesagtem,*) („blauer Himmel über 
blauer Ozeanferne‘). Der Sonnenaufgang kann aber überm Land 
erfolgen, da ja der Held am Lande, nicht im Meere gerettet wird. 
Das Wandern eines solchen Mythus vom indischen Ozean nach 
Amerika halte ich nicht für möglich. Ich meine, dieser uralte 
Sagenstoff ist mit den Menschen gewandert. Die mehrfache 
Lokalisierung in Joppe erklärt der Bericht des Plinius Lib. IX. 
Cap. IV., dass dort das Skelett eines Meerungeheuers aufbewahrt 
worden, dessen Rippen grösser als Elefantenrippen seien. Offenbar 
handelt es sich um das Skelett eines gestrandeten Wales. Das 
dort äusserst seltene Erscheinen mag die dichterische Behandlung 
des alten Sagenstoffes neu belebt haben. Wie in den Schöpfungs- 
hymnen die Walfische eine auffallende Rolle spielen, so ist 
auch hier der Wal das ursprüngliche Tier, nicht ein Fisch. 
Die interessanten bildlichen Darstellungen der Haida-Indianer 
zeigen den Dampfstrahl der Wale über dem Kopf der merk- 
würdig stilisierten Tiere. Dieser Dampfstrahl musste die Ansicht 
hervorbringen, dass es in dem Innern des Tieres kochend heiss 
sel. Daher verliert Jonas die Haare durch Hitze, während die 
die Sonne doch abends in ein kühles Bad taucht. Und mag 
auch die Farbenglut des Sonnenuntergangs gemeint sein, der 


*) Unabhängig von einer mir erst jetzt bekannt gewordenen von 
anderer Seite ausgearbeiteten phantasiereichen Hypothese. 


26 Literatur-Besprechungen. 


dampfatmende Wal ist die nächste Erklärung. Er ist die Ver- 
körperung des „wallenden, siedenden, brausenden“ Meeres, das die 
Sonne verschlungen hat. 


Sollten aber die Völker diesen Mythus gedichtet und ihn in 
jährlichen Festen gefeiert haben, um eine ganz alltägliche Er- 
scheinung zu verherrlichen? — Nie und nimmer! Da, wo 
das Verschwinden der Sonne ein erschreekendes Ereignis war, 
da wo ihr Wiedererscheinen eine grosse Freude hervorrief, im 
Norden suche ich die Heimat des Mythus. Nicht nur sind noch 
viele nordische Quellen heranzuziehen, dieser Stoff ist nur ein 
Glied in einer Reihe von drei Ursagen, auf die ich noch öfter 
zurückkomme. Eine geographische Übersicht über die einzelnen 
Variationen der Sage wäre wertvoll, auch wenn sie neue Rätsel 
aufgibt. 


Albert Bauer, Kant und unsere modernen Naturforscher. 
37 S. Mayer’s Buchhandlung (E. Paulus), Esslingen a. N. 


Die frisch und leicht verständlich geschriebene Broschüre 
wendet sich gegen Prof. Ziegler, Jena, Prof. Weis, Darmstadt, und 
Prof. Haeckel, Jena. Man liest so vielfach, dass der Ruf „Zurück 
zu Kant!“ immer lauter in unsern Tagen wird. Statt „Zurück 
zu Kant!“ sollte man lieber sagen: „Endlich einen Anfang mit 
dem Verständnis Kants?* Kant hat meines Erachtens zwei Fehler 
gemacht: Er ist seiner Zeit zu weit vorausgeeilt, und er hätte 
seine Arbeit besser „Wissenschaftslehre und Wahrheitslehre* ge- 
nannt, statt die Fremdworte „Philosophie und Metaphysik* zu ge- 
brauchen. Wie Karl der Grosse im Alter noch Lesen und Schreiben 
lernte, so muss unser Zeitalter Versäumtes nachholen und einsehen, 
dass es nicht sogenannte Philosophenträume, sondern die mathe- 
matisch-sicheren Grundlagen unsres Forschens sind, um die es sich 
bei Kants Lehre handelt. Diese Einsicht will Verfasser vorliegender 
Schrift fördern, und der Ton, in dem er schreibt, erleichtert viel- 
leicht gerade manchem Leser das Verständnis der Kantschen 
Grundgedanken. 

Prof. Dr. Edm. König, Kant und die Naturwissenschaft. 
232 8. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1907. 
Vorliegendes Werk, das 22. Heft der „Sammlungnatur- 


wissenschaftlicher und mathematischer Monogra- 
phien“, bildet eine äusserst dankenswerte Arbeit. Für Zoologen, 


Literatur-Besprechungen. 37 


die mit der kritischen Erkenntnislehre schon etwas vertraut sind, 
wird besonders das letzte Kapitel über das biologische und psycho- 
physische Problem von hohem Interesse sein, ganz besonders aber 
der leider nur kurze Abschnitt Seite 33 und 34 über Kants Ideen 
zur Entwicklungsgeschichte der Organismen. Wer ın dem Wahn 
lebt, dass die Grundgedanken der Deszendenztheorie Entdeckungen 
der Neuzeit seien, der mag sich an den hier zitierten Stellen über- 
zeugen, dass sie von Kant klarer ausgesprochen und besser be- 
urteilt worden sind, als von irgend einem seiner Nachfolger. 
Obschon bereits Haeckel 1868 (Natürl. Schöpfungsgeschichte 8. 82) 
mit Bewunderung diese „merkwürdigen“ Stellen bei Kant hervor- 
hob, sind sie nicht genügend beachtet und von niemand praktisch 
verwertet worden. Es gilt hier auch das Wort: „Ein Prophet gilt 
nirgend weniger, denn im Vaterland und daheim bei den Seinen.‘ 
Wenn Koenigs Buch auch nur das eine erreichte, dass diese natur- 
wissenschaftlichen Gedanken Kants nach ihrem Wert und Verdienst 
beachtet würden, dann wäre schon viel gewonnen, noch mehr aber, 
wenn sie Anlass gäben, nicht mehr Bücher über Kant, sondern 
Kant selbst zu studieren, und gewiss zielt dahin das Autors Absicht.) 
Dr. Ludwig Wilser, TierweltundKErdalter, entwicklungs- 

geschichtliche Betrachtungen. Stuttgart, Strecker & Schröder 

1908. 127 8. mit 5 Tafeln und vielen Abbildungen. 

Die hübsch ausgestattete und dabei doch billige volkstümliche 
Schrift bildet das Gegenstück zu der „Menschwerdung“ des be- 
kannten Anthropologen. Er vertritt energisch die Theorie einer 
nordischen Urheimat und führt sie durch alle Erdalter mit 


*) Die Literatur über „Kant und Darwin“ hoffe ich später einmal 
zusammenhängend zu besprechen. Ich selbst habe meine Ansichten über 
die Abstammungslehre nicht von Kant entlehnt. Als ich vor längerer 
Zeit eine kleine Sendung gewöhnlicher japanischer Vogelbälge auspackte 
und plötzlich unverhofft Garrulus lidthi in der Hand hielt, war ich 
nicht so erstaunt, wie in dem Augenblick, als ich Kants Gedanken über 
die Abstammungslehre las und fast buchstäblich das Programm des 
Formenkreisstudiums bei ihm vorgezeichnet fand. Nicht zitiert 
finde ich bei Koenig die interessante Stelle aus Kants Rezension über 
Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit 1785: 
„Nur eine Verwandtschaft unter ihnen, da entweder eine Gattung aus 
der anderen, und alle aus einer einzigen Originalgattung, oder etwa aus 
einem einzigen erzeugenden Mutterschosse entsprungen wären, würde auf 
Ideen führen, die aber so ungeheuer sind, dass die Vernunft vor ihnen 
zurückbebt.“ Ein „Pfarrer“ (anonym = Prof. K.L. Reinhold) bemerkte 


28 Literatur-Besprechungen 


ihren wechselnden Gestalten durch. Man braucht nur beide Schriften 
mit ähnlichen zu vergleichen, um sofort zu sehen, wie ausser- 
ordentlich viel Wilsers Schrift durch die mehr geographische Be- 
trachtungsweise vor ähnlichen Arbeiten voraus hat. Der Pferde- 
stammbaum ist wohl nur der Kürze wegen in einer Reihe auf- 
gezählt, denn dass die Amerikaner Hipparion und Equus jetzt zu 
verschiedenen Formenkreisen mit gesonderten Vorfahren rechnen, 
kann dem Verfasser nicht unbekannt sein. Wilser widerspricht 
der Pendulationstheorie*), betont aber wie Simroth Europa 
als Ausgangspunkt der Wanderungen. Besonders wichtig ist das 
schon früher hier erwähnte Wilsersche Verbreitungsgesetz. 
Der Fundort bestimmt erst die Bedeutung eines Fossils. Beutel- 
tierknochen in Europa bedeuten etwas ganz anderes, als wenn sie 
in Australien gefunden werden. So wenig die Fauna verschiedener 
wänder heute gleichartig, so wenig brauchen identische Faunen 
weitentfernter Länder gleichzeitig zu sein. 


Georg E. F. Schulz, Natururkunden. Heft1, Vögel. Berlin, 
Paul Parey 1908. 20 Seiten Text, 20 Tafeln. Preis 1 Mk. 


Die photographischen Aufnahmen lebender Vögel sind vor- 
züglicb scharf und vortrefflich reproduziert. Es wird so vieles für 
Aufnahmen nach dem Leben ausgegeben, was deutlich nach aus- 
gestopften oder toten Vögeln photographiert ist. Da freut man 
sich um so mehr über diese echten Natururkunden. Man staunt, 
wie es dem Forscher gelungen ist, an die brütenden Möven und 
Seeschwalben heranzukommen und den glücklichsten Moment 
zur Aufnahme zu erhaschen. Vielfach zeigt sich ein wirklich 


damals gegen Kant: „Die gesunde ihrer Freiheit überlassene Vernunft 
bebt auch vor keiner Idee zurück.“ Kant entgegnete: Es sei der horror 
vacui. In der Kritik der Urteilskraft sagt er, es gebe wenige Natur- 
forscher, „denen eine Hypothese solcher Art nicht bisweilen durch den 
Kopf gegangen wäre“. Kant hat alles durchdacht, was über die 
Abstammung des Menschen vom Vierfüssler (Rezension über Moscati 1771) 
und über die Abstammung aller Tiere von einem niedrigen organisierten 
Urwesen, ja von der „rohen Materie“ gedacht werden kann, aber er hat 
sofort getreu seiner Wissenschaftslehre alles abgelehnt, was nicht 
erfahrungsmässig (durch Studium der Formenkreise = species 
naturales) nachgewiesen werden kann. Das bedeutet einen scharfen 
Protest und eine vernichtende Kritik der Modezoologie unsrer Zeit 
gegenüber. 
*) Auf diese hoffe ich später hier ausführlich zurückzukommen. 


Literatur-Besprechungen. 29 
künstlerischer Blick ın der Auswahl und Abgrenzung der Bilder, 
dies besonders bei den gleichzeitig erschienen Bändchen, die Blumen 
und Pilze darstellen. Der Text atmet ganz die Frische der freien, 
lebendigen Natur, aus der er ebenso geschöpft ist wie der bildliche 
Teil der hübschen und preiswerten Gabe. Sie wird gewiss viel 
Freunde finden. 

Bernhard Landsberg, Streifzügedurch Wald und Flur. 
Vierte Auflage, B. @. Teubner 1908, 273 Seiten mit 88 Ab- 
bildungen. 

Sclater hörte ich einmal sagen, ein Ornithologe müsse auf 
jedem Spaziergang seine allgemein zoologischen und botanischen 
Kenntnisse erweitern. Wer nur Seltenheiten ın der Natur sucht, 
dem geht der Reiz der alltäglichen Natur verloren, er wird blind 
für das, was ihm am nächsten liegt. Das vorliegende Buch will 
die erwachsene Jugend zu sinniger Naturbetrachtung anleiten. Es 
ist geeignet, in die geheime Kunst des „Spazierengehens mit offenen 
Augen“ einzuführen und was noch wichtiger ist, es lehrt überall 
über das Gesehene nachdenken. 


&. Ciodius, Ornithologischer Bericht über Mecklenburg (u. 
Lübeck) für das Jahr 1906. Arch. V. d. Fr. d. Naturgesch. 
1. Meckl. 1907 (mit Witterungs- und Zugstabelle). 

Von den Mitteilungen wird das weitere Vorkommen von 
Parus Salicarıus und eine Beobachtung über Falco pere- 
grinus besonders interessieren. Man fand an der Stelle, wo der 
Wanderfalke gesessen hatte, Fell und Eingeweide einer 
Maus. Der Vogel rüttelte, ehe er sich wieder niederliess. 


Dr. E. Hartert, On Birds represented in the British 
Isles by peculiar forms. Brit. Birds 1907. pag. 208. 
Eine solche Zusammenstellung der den britischen Inseln eigen- 
tümlichen Formen war längst erwünscht. Eine ähnliche Liste sollte 
jeder Lokalfauna vorangehen. Mit dem neubenannten kleinen 
Buntspecht sind es 22 Formen. N 


Otto Herman, Reponseäla critiquedeM.leDr. Guinet. 
Ann. Soc. royale Zool. et Mal. Belg. 1908. p. 139 bis 145. 
Eine mit gutem Humor geschriebene Antwort auf die oft 
gehörten Angriffe der sogenannten „biologischen“ Ornithologie 
auf die streng wissenschaftliche. Interessant ist der Satz: „Die 


Ungarische ornitholog. Zentrale besitzt 500 000 Zugdaten. Wenn 
Falco. 3 


30 Literatur-Besprechungen. 


wir bei 2 Millionen angekommen sind, werden wir die allmähliche 

Ausarbeitung der Arten beginnen.“ 

Carl Hilgert, Katalog der Collektion von Erlanger 
in Nieder-Ingelheim a. Rh. Berlin 1908. R. Friedländer & Sohn. 
527 Seiten. (Preis 4 Mark.) 

Die soeben erschienene Aufzählung (Balgsammlung 12 559 
Nummern und Eiersammlung 1140 Nummern) bildet ein weiteres 
schönes Denkmal der Schaffenskraft des uns so früh entrissenen 
Freiherrn Carlo von Erlanger. Sie gibt zugleich einen Be- 
griff, wie ernst wissenschaftlich sein Streben war und zu einem 
wie grossen Institut diese Sammlung sich bei weiterem Ausbau 
entwickelt haben würde. Aber selbst so, wie sie ıst, bildet die 
Sammlung einen Schatz, an dem der arbeitende Systematiker nicht 
vorübergehen kann. Es ist deshalb äusserst dankenswert, dass die 
Selbständigkeit und Vollständigkeit der Sammlung nun durch den 
Katalog gesichert bleibt und man sich leicht über das Material 
derselben orientieren kann. Carl Hilgert hat mit Geschick und 
Umsicht im. Auftrag der Mutter des verewigten Besitzers die 
schwierige Arbeit vollendet. Durch die vielen eingestreuten syste- 
matischen Bemerkungen, z. B. bei der interessanten Haubenlerchen- 
gruppe, gewinnt das Werk erhöhten Wert, der ihm einen Ehren- 
platz unter ähnlichen Arbeiten sichert. 

Mir ist oft der Gedanke gekommen, ob es nicht lohnend wäre, 
Lokalfaunen an Sammlungskataloge anzuschliessen. Man sieht 
deutlicher, was dahinter steckt. Leider ist das Interesse an ernst 
wissenschaftlichem Sammeln und an Sammlungen ein äusserst 
geringes. So mussten Hartert und ich die Veröffentlichung eines 
Katalogs der Brehmschen Sammlung wieder aufgeben. Viel- 
leicht komme ich wenigstens einmal dazu, die interessantesten 
Teile, z. B. die Leinzeisige, wovon das Manuskript fertig vorliegt, 
herauszugeben. 

Die Verwertbarkeit eines Katalogs besteht darin, dass die 
Daten und Fundorte angegeben sind, und mancher Sammler würde 
durch solche Veröffentlichungen mehr nützen als durch eine Reihe 
allgemeiner Urteile. 

Viktor Ritter v. Tschusi zu Schmidhoffen, Die Typen 
meiner Sammlung, Originalbeschreibungen der jetzt im 
k. k. naturhist. Hofmus. i. Wien befindl. Typen. — Derselbe: 


Die Farbenaberrationen meiner Sammlung, jetzt im 


Literatur-Besprechungen. > 


Besitze d. k. k. naturhist. Hofmus. in Wien. (Sep. a. Bd. XXI. 
Ann. Nat. Hofm. Wien 1906.) 

Namentlich die erste Liste ist höchst wertvoll und erspart 
viel Such- und Nachschlagearbeit. Aber wieviel Sammel-, Such- 
und Vergleichsarbeit war nötig, um die hier auf 16 Seiten zu- 
sammengestellten Resultate herauszuarbeiten, die zum Teil ganze 
Gruppen auf einmal geklärt haben. Die andre Liste zeigt über- 
raschenden Reichtum der Sammlung an albinistischen und andern 
Aberrationen. 

Dr. @. Schiebel, Beiträge zur Ornithologie der süd- 
dalmatinischen Insel Lesina. Sep. a. Orn. Jahrbuch 
1907 5u. 1908. 

Resultate einer planvoll ausgeführten Sammelreise. Besonders 
interessant wird die Arbeit durch die Beobachtungen von weiss- 
lichen Steinschmätzern, deren beide von mir angezweifelte Arten 
der Autor in der Tat gepaart fand und ünper die er eine interessante 
Hypothese aufstellt. (Vergl. meine Bemerkungen Orm. Jahrb. 
1908 p. 145.) 

G. Friedrichs im Lehrmittel-Sammler, (Peter, Halle) 1908, S. 83. 
Notiz über eineauf Helgoland erleste Saxıicola Borealis 
leucorrhoa. 

Vogelbuch, herausgegeben und verlegt vom Bund für Vogelschutz. 
Stuttgart 1907. Die Verfasser sind Dr. K. G. Lutz, Fr. Wink, 
J. Bass. 364 8. 

Ein hübsches Werkchen, das mich veranlasst, den Plan meines 
Vogelschutzbuchs zu verschieben und abzuändern, um nicht etwas 
zu Ähnliches zu bieten. Der sorgfältig bearbeitete Text gibt hier 
und da interessante Notizen über das Vorkommen einzelner Arten 
in Süddeutschland (meist nach Koenig-Warthausen). In den Ab- 
bildungen begrüsst man liebe Bekannte, sie sind nach dem alten 
Naumann verkleinert, meist gut gelungen. Bei einigen, z. B. beim 
Fischadler, ist das verdorbene Deckweiss mit reproduziert. 

Dr. Kurt Floericke, Jahrbuch der Vogelkunde 1907. 
Stuttgart, Kosmos 1908. 94 Seiten. 

Der Verfasser beweist hier, dass er für die Kosmos-Gesellschaft 
der rechte Mann ist, denn hübsch liest sich diese Blütenlese 
aus der ornithologischen Literatur 1907. Dass Kap. UI, 1 nicht 
vollständig ist, schadet nichts. Ich will mich gleichfalls auf eine 
Blütenlese beschränken. 8. 83 nennt sich Verfasser den 

Bu 


323 Literatur-Besprechungen. 
„Begründer der Vogelwarte Rossitten“. — Dach nicht 
des jetzigen Instituts? An dessen Arbeiten wird wieder die ge- 
gewohnte, schon nicht mehr anständige Kritik geübt. So 
plump, wie es hier und an einigen andern Stellen geschieht, sollte 
ein Schriftsteller seine Voreingenommenheit nicht selbst an 
den Pranger stellen. Die Adresse Schalows nennt Floericke 
mit dem Zusatz: „Kompilatorische Arbeiten“. Es ist zwar be- 
kannt, dass Herr Schalow ein guter Literaturkenner ist, und seine 
Arbeiten sind durch die genauen Literaturangaben sehr wertvoll, 
aber Floerickes Arbeiten wird er nie kompilieren. Dies „kom- 
pilatorische Arbeiten“ nimmt sich in einem durch und 
durch kompilatorischen Jahrbuch recht merkwürdig aus. 
Von Tschusi wird als „Bälgekenner“ charakterisiert. Hartert 
wird das herablassende Zeugnis ausgestellt, dass sein Werk von 
„fast“ vollendeter Genauigkeit ist. Als ob Floericke es besser 
könnte! Früher glaubte einmal Hartert dem allzugrossen Sub- 
spezies-Eifer Floerickes wehren zu müssen, jetzt spricht Floericke 
verachtungsvoll vom „Subspezieskram“. Er wittert diesen 
sogar wunderbarerweise in meinem Vogelkalender und schiebt ihn 
dazu dem in dieser Hinsicht völlig ungefährlichen Fürstenmaler 
Fechner in die Schuhe. Seite 16 wird ein Omithologe namens 
Ribbeck erwähnt. Existiert ein solcher wirklich? Ich gönne 
es dem Verfasser von Herzen, sein unzweifelhaftes Talent als 
Volksschriftsteller in möglichst vielen Kosmos-Jahrbüchern leuchten 
zu lassen, aber anständig”) zu sein, möchte ich ihm raten, gegen 
die Leute, die er kompiliert. Zu einer wissenschaftlichen Kritik 
von oben herab ist doch wohl weder Herr Floericke noch die 
Kosmos-Gesellschaft überhaupt die berufene Autorität. Im Not- 
fall soll das beiden noch deutlicher gemacht werden. 


Dr. J. Thienemann, VII. Jahresbericht (1907) der Vogel- 
warte Rossitten der deutschen Ornithologischen Gesellschaft. 

J. £. O. 1908 p. 393—470. 
Die Vogelwarte hat ein neues Museumsgebäude und einen 
angestellten Museumsdiener erhalten. Von den Vogelzugversuchen 


*) Zu S. 13. Ich selbst kann mich nicht entsinnen, wo ich über 
die Augenfarbe von Orpheusgrasmücken geschrieben habe. 
Aber Reiser sagt (Orn. bale. 1905): Die Irisfärbung ist bei alten Vögeln 
(von jerdoni) stets hellgelb. Eine Käfig-Beobachtung macht doch diese 
Angabe nicht „lächerlich“. 


Literatur-Besprechungen. 33 
haben die beäden ın Frankreich erbeuteten Möven und der ın 
Pommern gezeichnete, in Südafrika erlegte Storch berechtigtes 
Aufsehen errest. Wenn man sieht, wie schwierig selbst bei den 
wohlunterschiedenen Jagdfalken die Bestimmung der Herkunft 
eines Zugvogels ist, dann muss es hoch erfreulich sein, durch die 
sicherste wissenschaftliche Methode, das Experiment, die Zuge- 
richtungen zu ermitteln. Möchten die Versuche immer mehr Be- 
achtung finden. Dass der Verfasser auf Einwände, die teils von 
unnötiger Gefühlsweichheit, teils von Gehässigkeit diktiert sind, 
nicht mehr eingeht, ist sehr berechtigt. Vielleicht dient das Zeichnen 
von Störchen gelegentlich auch einmal dazu, die jüngst wieder in 
mehreren Zeitschriften so irrig gedeuteten Vorgänge an Storch- 
nestern, die sogenannten Storchgerichte, vernünftig aufzuklären, 
denn man fragt sich da immer, woher bei ungezeichneten Störchen 
der Beobachter weiss, welcher Storch heimisch oder fremd, welcher 
das Männchen und welcher das Weibchen ist. 

G. Clodius, Ornithol. Bericht über Mecklenburg (u. 
Lübeck) für das Jahr 1907. Sep. Arch. V.d. Fr. d. Naturgesch. 
i. Meckl. 1908, p. 118—138, mit Zug- und Witterungstabelle. 

Der mir soeben zugehende Bericht enthält schon eine genaue 
Beschreibung des in dieser Nummer unter 2 erwähnten am 12. 
Januar an der Küste von Poel erlegten F. gyrfalco. Parus Salı- 
carius salicarius (Brm.) wurde bei Lübeck (von Hagen), bei Güstrow 
(von Reuter) und bei Camin (von Clodius) beobachtet, Falco cenchris 
am 12. Mai 1907 bei Salendorf erlegt. Die Zugdaten von 1907 
zeigen gegen 1906 starke Verspätung. Das Ministerium hat eine 
Reihe seltener Vogelarten unter besonderen Schutz gestellt, so die 
Kolkraben, Wanderfalken. Sehr hübsch ıst der Bericht über zwei 
geschonte Schreiadlerhorste. Solche dankenswerten Schritte sind 
wichtiger und eiliger als aller andre Vogelschutz. 

Prof. Dr. Schmeil, Lehrbuch der Zoologie, für höhere 
Lehranstalten und die Hand des Lehrers, sowie für alle Freunde 
der Natur. 20. Auflage 1908. Verlag von Erwin Nägele, 
Leipzig. (Julius Klinkhardt.) 

Die neue Auflage des rühmlich bekannten Lehrbuchs ist durch 
zahlreiche neue Textbilder, flotte Federzeichnungen und bunte 
Tafeln erweitert. Besonders interessant ist der in Text und Bild 
prachtvolle Abschnitt über den Blauwal. Wer sich für das Werk 
interessiert, muss des Verfassers Schrift: „Über die Reformbe- 


34 Literatur-Besprechungen. 


strebungen auf dem Gebiete des naturgeschichtlichen Unterrichts“ 

(1905) hinzunehmen. 

Prof. Dr. Smalian, Grundzüge der Tierkunde für höhere 
Lehranstalten. Ausgabe A für Realanstalten 1908. G. Freytag, 
Leipzig, F. Tempsky, Wien. Zugleich erschien Anatomische 
Physiologie der Pflanzen und der Menschen, nebst 
vergleichenden Ausblicken auf die Wirbeltiere, für die Ober- 
klassen höherer Lehranstalten und die2. Auflage der Grund- 
züge der Pflanzenkunde. 

Die bunten Tafeln von Kuhnert (besonders Menschenaffen 
und Raubtiere) sind ganz vorzüglich und auch hier verrät der 
Text den Fachmann. Die Werke von Schmeil und Smalian 
sind so ähnlich in Plan und Anlage, dass sie hier gemeinsam be- 
sprochen werden können. Die Zoologie im Unterricht muss auch den 
Spezialisten interessieren. Was diesen Reformwerken ihren Reiz 
verleiht, ist der im wissenschaftlich korrekten Sinn Kants teleo- 
logische Gesichtspunkt. Die innere Zweckmässigkeit, der 
Zusammenhang zwischen Organ und Funktion wird überall gezeigt. 
Fehler, ein Zuweitgehen der Erklärungsversuche wird es dabei 
immer geben. Das schadet nichts. Missgriffe lassen sich aus- 
merzen. Smalian will darin vorsichtiger sein als Schmeil, er weist 
häufiger auf erdgeschichtliche Tatsachen hin. Gerade dadurch 
wird ein Vergleichen beider Werke interessant. Ist dies auch eine 
Annäherung an wirkliche „Naturgeschichte“, so bleibt doch deren 
vollständige Behandlung in der Schule eine Arbeit der Zukunft. 

Die Farbenbeschreibung der Vögel bedarf bei 
Smalian einer Revision, wie sie bei Schmeil schon erfolgt ist, 
doch handelt es sich vielleicht nur um einige Druckversehen. 
Dem grossen Buntspecht wird in beiden Werken irrtümlich ein 
niedriger Brustbeinkamm zugeschrieben. Finken, 
Lerchen, Spechte sind als Pflegeeltern des Kuckucks nicht 
glücklich gewählt. Deutsche Elche lässt Schmeil nur ın 
wenigen Stücken im Forst von Ibenhorst vorkommen, Smalian 
sich ein paar hundert „an“ der Kurischen Nehrung tummeln. 
Auf der Kurischen Nehrung gibt es z. Zt. nach Thienemann einige 
20 (vielleicht auch 30), in ganz Ostpreussen noch etwa 375 bis 
400. Das Schwarz und Weiss des Zebrafelles soll nach Smalıan 
„in der grellen Tropensonne“, nach Schmeil „abends 
oder nachts“ in ein gleichmässiges „Grau zusammenfliessen*. 


Literatur-Besprechungen. 35 


Beides mag sein, die Zeichnung (ein Schulbuch müsste hier auf 
die Apfelzeichnung unsrer Pferde hinweisen) hat aber wohl ganz 
andre Bedeutung. Warum soll der Lehrer nicht öfter darauf auf- 
merksam machen, dass man vieles noch nicht weiss. „Darüber sind 
die Gelehrten noch nicht einig“, war die häufige Antwort eines 
meiner Naturgeschichtslehrer. Wir spotteten als törichte Knaben 
darüber. Heute bin ich dem Mann für diese Vorsicht und Ehrlich- 
keit dankbar. Kinder sind geborene Philosophen, warum soll man 
sie nicht selbst denken lassen? Das ist es gerade, was Schmeil 
und Smalian wollen. Dann muss aber dieses sonst befolgte Prinzip 
auch bei den Ansätzen zur „eigentlichen Naturgeschichte“ befolgt 
werden. Die feine Nase des Jagdhundes wird in beiden Werken 
durch Züchtung (Selektion) erklärt. Es wäre aber vielmehr hier 
eine hübsche Gelegenheit vorhanden, zu zeigen, dass darüber „die 
Gelehrten noch nicht einig sind“. 

I. Möglichkeit: Der Hund hat eine unübertrefflich feine Nase 
vor uralten Zeiten von Natur als jagendes wildes Raubtier (wie 
Fuchs und Marder) besessen und dies Erbteil in einzelnen Rassen 
und Stämmen bis heute nicht verloren. 

II. Möglichkeit: Der Mensch hat immer die zufällig besten 
Sucher zur Jagd benutzt und so die feine Nase des Jagdhundes 
durch Auswahl gezüchtet. 

II. Möglichkeit: Der Mensch hat durch unablässige Übung 
des Jagdhundes eine von Natur vorhandene Anlage einseitig aus- 
gebildet und dies vererbte Geschick immer wieder aufs neue durch 
den Gebrauch geübt und gestärkt, durch glückliche Auswahl sich 
wohl diese Arbeit abgekürzt, aber auch dabei nur das vererbte 
Resultat ausdauernder Übung benutzt. 

Man vergleiche die Züchtung von Mastschweinrassen und frage, 
ob Jagdhunde in der Stadt, Rennpferde im Stall gezüchtet werden 
können usw. 

So könnte die Schuljugend zu kritischem Denken erzogen 
werden, und Aufsätze über derartige Fragen würden wohl auch 
für den Lehrer recht interessant sein, wenn sie selbständig solche 
Möglichkeiten bezw. Betrachtungsweisen beurteilen, ab- 
wägen oder verknüpfen. 

Wer bei Schmeil ein zu weitgehendes Erklären tadeln will, 
möge erst seine Bemerkungen in den „Reformbestrebungen‘“ 
lesen. Er will in der Schule allgemein biologische Sätze vom 


36 Mitteilungen über Berajah und Falco. 


Schüler finden lassen und unterscheidet diese von Naturgesetzen, 
die der Schüler sich nicht vermessen kann, aufzustellen. Die 
Schwierigkeit besteht nur in der scharfen Formulierung der Voraus- 
setzung, unter der das Naturgesetz gilt, sozusagen in Funktion 
tritt oder zulrifft. Das auf S. 58 von Darwin entlehnte Beispiel 
des Wiesenknarrers ist unrichtig. Man vergleiche die relative 
Zehenlänge von Crex, den verschiedenen Ortygometra-Arten und 
Perdix genau und man wird gerade hier das Gesetz oder die 
„Regel“ möglichst grosser Übereinstimmung zwischen Aufenthalt, 
Lebensweise und Körperbau in einem besonders schönen Fall be- 
stätigt finden. 

Selbstverständlich will ich mit all diesen Beispielen die beiden 
Werke, die zu den gediegensten gehören, die wir z. Zt. für den 
Schulgebrauch besitzen, nicht bemäkeln, sondern im Gegenteil auch 
ferner Stehende auf sie und die interessante Frage „Zoologie und 
Schule“ überhaupt aufmerksam machen. 


Mitteilungen über Berajah und Falco. 


Der Vertrieb von Berajah und Falco erfolgt von dieser 
Nummer an durch die Firma: Gebauer-Schwetschke, Druckerei 
und Verlag m. b. H., Halle a. d. Saale. An diese Firma 
wolle man die rückständigen Abonnements pro 1908 nach 
Empfang dieser Nummer einsenden. Für Porto und Verpackung 
(s. Falco 1906 S. 66) ist eine Mark beizufügen, da sich die angestrebte 
Frankosendung, zumal bei der Rückständigkeit vieler Abonnements, 
z. Zt. nicht ermöglichen lässt. 

Alle Erinnerungen, Beschwerden usw. erbitte ich an meine 
Adresse. Abbestellungen können nicht für den laufenden Jahrgang 
erfolgen. 

Von Falco erscheinen, wenn nicht eilige Veröffentlichungen 
vorkommen, in diesem Jahre nur 3 (nicht 6) Nummern, um für 
Berajah mehr Raum zu gewinnen. Von letzterem erscheint ausser 
dem vorliegenden grünen und blauen noch ein rotes Heft. 


OÖ. Kleinschmidt. 
Adr.: Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. 8. 


Von Berajah und Falco 
sind bis jetzt erschienen: 


Falco 1905. 108 Seiten Text, 1 bunte Tafel. 
Berajah 1905. _Saxicola Borealis, 6 bunte, 3 schwarze 
Tafeln, 22 Seiten Text. 


Falco 1906. 104 Seiten Text, 1 schwarze Tafel. 
Beilage. Tabelle der Brehmschen Schleiereulen. 
Berajah 1906. Strix Flammea, 7 bunte, 3 schwarze 
Tafeln, 20 Seiten Text. 


Falco 1907. 106 Seiten Text, 4 schwarze Tafeln. 
Beilage. Deutsches Vogelschutzbuch, Titel und 
Vorwort. 
Berajah 1907. Erstes Heft, Strix Athene, 3 Tafeln, 
6 Seiten Text. 
Zweites Heft, Erithacus Domesticus, 
Tafel 1—4, Neudruck vom Text zu 
Strix Athene. Nachgeliefert: Neudruck 
von Tafel 1 u. 2, Erithaeus Domesticus, 
Text Seite 1—12, Tafel V u. VI, Ta- 
belle A. 
Falco 1908. No. 1 u. 2, Tafel I u. I. 
Berajah 1908. Erithacus Domestieus, Tafel VII, Eri- 
thaeus Arboreus, 2 Tafeln, 12 Seiten 
Text. 
Erithaeus Diplootocus, 1 Tafel, 4 Seiten 
Text. 
Anfang und Ende (Vorwort), 8 Seiten, 
Tabelle A, 
1908 erscheint ferner Falco No. 3, von 


Berajah noch ein kleines Heft. 


Neu eintretende Abonnenten sind nicht 


Preis für nach- 
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8 Mark. 


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Preis für den 
Jahrgang 
8 Mark, 
exkl. Porto u. 
Verpackung. 


zur Abnahme 


früherer oder künftiger Jahrgänge verpflichtet, können 
aber erstere jederzeit einzeln nachbeziehen. Einzelne Hefte von 
Berajah oder Falco werden nicht mehr abgegeben. 


FALCO 


unregelmässig im Anschluss an das Werk 


„BERAJAH, 
Zoographia infinita“ 


erscheinende Zeitschrift. 


Jahrgang 1908, No. 3. 
(Scehlussheft, s. Notiz am Ende dieses Heftes.) 


Ausgegeben: Dezember 1908. 


Herausgeber: 


0. Kleinschmidt, 
Volkmaritz bei Dederstedt, Bez. Halle a. S. 


nn 


sonlan inakjz, 


a, an NE 
Pi B IR] 9 
onal Mu 


Kommissionsverlag von 
Gebauer-Schwetschke, Druckerei und Verlag m. b. H., Halle a. 8. 


en 
m 


Falco 1908. Tafel TıI. 


Regelmässiger Albinismus 
beim Teichhuhn, Gallinula chloropus (L.). 


FALCO. 


Vierter Jahrgang. 


No. 3. Dezember. 1908. 


Farbentod. 
Hierzu Tafel IM. 

Mag die Schönheit des bunten Herbstlaubes unser Auge noch 
so sehr entzücken, ım naturwissenschaftlichen Sinn ist sie kein 
Schmuck, keine Lebenserscheinung der Pflanzenwelt, sondern das 
Sterben ihrer Farben. Die grünen Blätter, die bunten Blüten 
haben sogenannte adhärente Schönheit; ihnen gegenüber ist 
das Herbstlaub — so barbarisch es klingen mag — fehlfarbig. 
Ein Herbarium, das letzteres vor ersteren bevorzugt, würde zwar 
nicht dem guten Geschmack, wohl aber dem wissenschaftlichen 
Ernst seines Besitzers ein schlechtes Zeugnis ausstellen. 

In demselben Sinn hat das Aufbewahren albinistischer Tiere, 
die vom Laien als wertvolle Seltenheiten betrachtet werden, für 
wissenschaftliche Sammlungen wenig Wert*), denn Albinos sind 
fehlfarbene Tiere. Es handelt sich um Defekte, um Rückschritte der 
Natur, und darum dürfte das Wort Albinismus deutsch gut mit 
„Farbentod“ wiedergegeben werden, zwischen normaler Weissfärbung, 
richtiger Farblosigkeit, und Farbentod aber scharf zu scheiden sein. 

Das Photogramm des auf Tafel III abgebildeten Teichhuhns 
(2, Umgebung von Kassel) wurde mir von der dermoplastischen 
Kunstanstalt von Bleil & Wögerer, Kassel im vergangenen Jahre 
zugesandt mit dem Bemerken, dass dies kein gewöhnlicher Al- 
binismus sei, da Augen und Nägel normal waren. 


*) Auch die Züchtung reiner oder partieller Albinos und die 
Hegung von weissem Wild ist eigentlich Spielerei, meist eine Schädigung 
der Rasse, doch mag sie zuerst zur künstlichen Rassezüchtung durch 
reine Selektion geführt haben, wie auch in der Literatur hier der Be- 
griff der Zuchtwahl schon früh deutlich ist: „Wenn man unter den 
vielen Küchlein, die von denselben Eltern geboren werden, nur die 
aussucht, die weiss sind, und sie zusammentut, bekommt man endlich 
eine weisse Rasse, die nicht leicht anders ausschlägt“ (Kant, phys. Geo- 
graphie). 

4 


38 Farbentod. 


Der partielle Albinismus ist bekanntlich bald unregel- 
mässig (scheckig), baldregelmässig, baldgleichmässig 
(Blässe sonst normaler Zeichnungen und Farben). Einige Fälle, 
besonders solche von regelmässigem partiellem Albinismus sind 
nun aber doch von wesentlichem wissenschaftlichem Interesse. 


1. Wenn ein neues regelmässiges Gesamtmuster entsteht, 
das der Zeichnung anderer Arten entspricht. Der abgebildete 
Vogel erinnert uns an eine ganze Anzahl tauchender und 
schwimmender Arten, namentlich durch die Kopfzeichnung. 
Bei zahmen Stockenten kommen weisse Zügelflecken vor, die 
an die der Schellente erinnern, bei Rabenkrähen nebelkrähen- 
artige Zeichnung. Es beweist dies, dass die Gefiedermuster 
nicht zufällig angezüchtet, sondern im Zusammenhang mit 
der sonstigen Organisation entstanden, also „adhärent“ 
sind und auf allgemeinen Gesetzen beruhen, z. B. das Vor- 
wiegen des Pigments auf der Oberseite. 


2. Wenn neue regelmässige Einzelmuster in der Zeich- 
nung der einzelnen Feder entstehen. Man vergleiche das in 
Berajah unter Athene chiaradıae Gesagte. In beiden Fällen 
sind nicht die weissen, sondern die dunklen Zeichnungen, in 
denen sich die Natur gleichsam gegen den Albinismus wehrt, 
von Interesse. 


Dadurch erhält der regelmässige Albinismus eine Ähnlichkeit 
mit den normalen Weisslingen, wie wir solche beim gemeinen 
Bussard und beim Jagdfalken (s. Tafel II) finden. Es ist aber 
falsch, die hellen Bussarde und Jagdfalken albinistisch zu nennen, 
denn sie sind keineswegs abnorm. Die reduzierte Zeichnung ist 
meist um so intensiver, je mehr sie zusammengedrängt ist. Al- 
binistische Federn des Jagdfalken haben keine normale Zeichnung. 
Albinistische Bussarde sehen ganz anders aus als sogenannte „weisse“. 
Gerade während ich diesen Artikel unter der Feder habe, sendet 
mir Herr Pastor Grasshoff aus Brandenburg Federproben eines 
lebenden Albinos vom Bussard, der mit seinen beiden extrem 
dunkeln Geschwistern aufgezogen wurde. Die Eltern sollen normal 
gewesen sein. Dieser Vogel hat alle Zeichnungen eines normalen 
Bussards in einem ganz bleichen braungrauen Hauch, der gerade 
noch sichtbar ist. 


Die normalen weissen Bussarde haben im frischen Herbst- 


Die Pendulationstheorie. 39 


gefieder meist prachtvolle gelbe und rotbraune Tönungen. An 
eine Schneeanpassung ist hier nicht zu denken. 

Anders beim Jagdfalken. Hier spricht schon die Ähnlichkeit 
mit der Schneeeule dafür, dass die weissen Vögel sozusagen die 
Polarphase der Polarform sind. 

Aber über die weisse Färbung der Polartiere gehen die Mei- 
nungen noch sehr auseinander. Es gibt auch weisse Vögel in 
den Tropen. Und nehmen wir etwas Allbekanntes: unsre Schmetter- 
linge. Die Nonne zeigt genau dieselben Abstufungen wie der 
Jagdfalke von der hellen bis zur dunklen Varietät, und bei der 
Häufigkeit all dieser Varietäten kann man hier nicht von Aber- 
rationen reden. Man muss diese Verschiedenheiten Phasen nennen 


Phasen der Nonne (Psilura monacha [L.)). 


wie beim Jagdfalken. Wenn sich nun genau dieselben Phasen 
bei Polartieren und bei einem gewiss nicht dem Schnee angepassten 
Schmetterling finden, dann liegen hier vielleicht doch Zeichnungs- 
und Variationsgesetze zu Grunde, die wir noch nicht kennen, und 
die Hypothese einer Naturzüchtung aus zufälligen Albinos ist 
verkehrt. 

Vor allem aber möge dies Beispiel aus der Insektenwelt es 
handgreifllich machen, wie irrig es ist, wenn man zwischen Farben- 
tod und normalen Weisslingen nicht unterscheidet. OKT 


Die Pendulationstheorie. 


Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Gestaltung der Erd- 
oberfläche und die Tierverbreitung auf ein gemeinsames Grund- 
prinzip zurückzuführen. Linne nahm an, dass zuerst ein Berg am 


40 Die Pendulationstheorie. 


Äquator an seinem Fuss tropische, auf seinem Gipfel polare Tiere 
beherbergt habe, und dass die leichtbeschwingten Vögel beiden 
die Stimmen abgelauscht hätten. 

Der Physiker Paul Reis nahm, wenn ich mich nicht falsch 
entsinne, auf Grund seiner Studien über Sonnenfleckenperioden 
und Wasserstand der Flüsse an, dass das Vorwiegen der Wasser- 
oder der Landmassen zwischen der nördlichen und südlichen Erd- 
halbkugel in riesigen Perioden wechsle Es wird schwer halten, 
einen Überblick über alle derartigen Hypothesen zu geben. 

Wenn die seit mehr als 150 Jahren ausgesprochene Ansicht, 
dass die schiefe Stellung der Erdachse durch Gleichgewichts- 
störungen in der Erdrinde entstanden sei, noch diskutierbar ist, 
worüber ich mir kein Urteil erlauben kann, so ist die auf die gleiche 
Ursache gegründete langsame Pendulation der Erdkugel zwischen 
den festen Polen Ecuador und Sumatra gleichfalls ohne die Hypo- 
these vom Aufsturz eines zweiten Mondes möglich. Was nun in 
Zukunft das Schicksal der Pendulationslehre sein mag, die reich- 
haltige Zusammenfassung tiergeographischer, pflanzengeographischer 
und erdgeschichtlicher Tatsachen unter einem Gesichtspunkt, 
die Simroth nach einer Reihe von Vorarbeiten nunmehr in 
seinem Hauptwerk *) gegeben hat, wird allein schon eine Leistung 
von dauerndem Werte bleiben. 

Es sind eigentlich zwei Theorien, die Simroth verknüpft. 

I. Die Erklärung der Eiszeiten durch nördliche Ver- 
schiebung Europas, das gleichsam in die Eiszone versetzt wird. 

II. Die Theorie des hauptsächlichen Schöpfungs- 
zentrums oder doch Umbildungszentrums in Europa, 
von wo die durch Kälte verdrängten Tiere oft nach symmetrisch 
gelegenen Punkten bis nach Ostasien und Amerika auswandern, 
bis sie ein der verwüsteten Urheimat ähnliches Klima finden. 

Gegen den ersten Teil der Hypothese sprechen trotz Simroths 
Gegengründen die Studien des Glacialgeologen Hauthal über 
gleichmässige Abnahme der Gletscher unter allen Himmelsstrichen. 

Für diesen Teil spricht aber m. E. am meisten der Umstand, 
dass Botaniker”*), ohne die zoologischen Arbeiten Simroths zu 
kennen, auf Grund der Flora ein warmes Tertiärklimain 


*) Die Pendulationstheorie, von Dr. H. Simroth, Professor a. d. 
Universität Leipzig. Leipzig 1907. 
*#) s. Gothan. 


Die Pendulationstheorie. 41 


Europa und ein gleichzeitiges kaltes Klima in Japan be- 
rechneten und selbständig eine Verlagerung des Nordpols nach 
Östsibirien annahmen. 

Was nun den zweiten Teil der Hypothese betrifft, so ist 
bekanntlich kaum ein Teil des Erdballs vor der Ehre verschont 
geblieben, als einziges Schöpfungszentrum proklamiert zu werden, 
Australien, Zentralasien, Sibirien, Afrıka, Patagonien, Nordamerika, 
die Polarländer, Skandinavien usw. 

Zweifellos bilden Teile von Europa eine uralte Weltinsel, 
wenn auch Simroth oft zu scharf die schmale Linie des Schwin- 
gungskreises ins Auge fasst. 

Noch viel wichtiger aber als Europa ist das nordamerikanisch- 
ostasiatische Schöpfungsgebiet. Nehmen wir Simroths Theorie 
als richtig an, so müssen wir dieselben Vorgänge, die Simroth 
für Europa schildert, zu entgegengesetzten Zeiten für die Gegend 
der Behringsstrasse und die benachbarten Kontinentteile annehmen. 
Wie viel einfacher wird dann das Verbreitungsbild der Picea 
sitehensis, der Kamele und Lamas, der Kaimane und vor allem 
zahlreicher Vögel, auf die ich später zurückkomme! 

Sımroth selbst spricht sich im Vorwort seines Werks sehr 
vorsichtig und bescheiden über seine Hypothese aus. Die Farben- 
pracht an den Schwingungspolen, die symmetrische Verbreitung, die 
nördlichen Fundorte fossiler Vertreter heutiger Tropentiere, der 
adriatische Winkel sind feste zoogeographische Tatsachen. Mag das 
Gesamtbild, das die Hypothese bietet, durch künftige Studien weit- 
gehend, ja völlig umgestaltet werden, es ist hier ein energischer 
Anfang gemacht, der wieder einmal die Notwendigkeit, endlich 
ganze Formenkreise klarzustellen, dringend vor Augen führt. In 
den ornithologischen Abschnitten ist Reichenows grosses afrikanisches 
Werk zu wenig und der neue Naumann, der Zoogeographisches nur 
in beschränktem Masse bieten kann und dafür nicht ausreicht, zu 
einseitig benutzt. Interessanter sind die Teile, wo der Autor selbst 
Spezialist ist (Mollusken). Die neue Deutung der Vogelzug- 
erscheinungen, deren mathematisch scharfe Lösung Simroth be- - 
ansprucht, bildet ein Kapitel für sich, das späterer Behandlung 
vorbehalten werden muss. 

Hier soll zunächst nur auf die Anregungen Simroths hinge- 
wiesen und die notwendige Ergänzung der Hypothese durch die 
Annahme analoger, wenn auch nicht gleichzeitiger Vorgänge in 
Ostasien (bez. Westamerika) betont werden. OERI. 


43 Der Waldrapp, Comatibis eremita (L.), in Europa. 


Der Waldrapp, Comatibis eremita (L.), in Europa. 


Mag das Verschwinden des Waldrapp aus Europa für die 
Hypothese einer wiederkehrenden Tertiärzeit unbequem sein, so 
bleibt es eben eine unbequeme Tatsache. Vietor Fatio hatte in 
seinem Werk über die Wirbeltiere der Schweiz den Waldrapp 
nicht erwähnt und als dies in „The Ibis“ moniert wurde, erklärt, er 
halte das Vorkommen in der Schweiz nicht für erwiesen, da sich 
weitere Nachrichten hätten finden müssen. Ich habe eine Wider- 
legung von Fatios Bedenken nicht für nötig gehalten, will aber 
doch kurz auf die Sache zurückkommen, um alle etwa möglichen 
Zweifel zu zerstreuen. 

Auf dem VI. Internationalen Zoologenkongress in Bern sprach 
mir Fatio seine Freude und Überraschung aus, endlich einen Balg 
des Waldrapp zu sehen. Er bat mich auch um einen Abzug des 
Artikels aus den Novitates Zoologicae. Als ich endlich den letzten 
verfügbaren Abzug gefunden hatte, starb Fatio, ehe ich ihm diesen 
zusenden konnte. Er hat also anfangs den Vogel nicht gekannt 
und vielleicht auch die wichtigste Publikation nicht besessen. 
Jedenfalls beruhten seine Zweifel auf einem bedauerlichen Vor- 
urteil. Der Mähnenibis hat gewiss nicht die Hochgebirge, auch 
nicht die gesamte Schweiz, sondern, wie heute noch in südlichen 
Ländern, nur ganz bestimmte Punkte bewohnt. 

Ich erhielt mein nordafrikanisches Exemplar durch Vermitt- 
lung eines Berliner Kaufmanns von einem syrischen Missionar, 
mein nordostafrikanisches Stück durch Schrader. In beiden Teilen 
Afrikas haben viele namhafte Ornithologen z. T. fast gleichzeitig 
Reisen gemacht, ohne einem einzigen Waldrapp zu begegnen, und 
.meine Lieferanten haben den Vogel nur auf Grund einer von mir 
eingesandten Abbildung entdeckt. So darf es also nicht Wunder 
nehmen, wenn tüchtige Schweizer Beobachter von dem Waldrapp 
nichts wussten und wenn fossile Funde nicht zu erwarten sind. 

Es liegt eine Reihe ganz verschiedener und ganz selbständiger 
zweifelloser alter Abbildungen des Waldrapp aus Europa vor, und 
in bezug auf Vogelbilder glaube ich mir ein kompetentes Urteil 
erlauben zu dürfen. Dass diese von Rothschild, Hartert und mir 
in unserem Artikel reproduzierten 4 alten Abbildungen*) — man 
vergleiche meinen Artikel in Journal für Ornithologie 1903, p. 123 
— sämtlich den Waldrapp und nichts anderes darstellen und dass 


*) Darunter zwei farbige. 


Der Waldrapp, Comatibis eremita (L.), in Europa. 43 


ihnen verschiedene Individuen desselben Vogels zu Grunde lagen, 
steht ausser Zweifel. Es ist schon ein grosses Entgegenkommen 
gegen den Leser, wenn man Abbildungen reproduziert, statt sie 
nur zu zitieren, Es wäre aber zu weit gegangen, wollte ich noch- 
mals in einem Berajahheft das ganze Material bringen. Der Raum 
wird dort vorläufig für Wichtigeres gebraucht. 


Ein Brief Schraders, der versuchen will, einen lebenden Wald- 
rapp von seiner nächsten Reise mitzubringen, hat mich an diese 
Sache erinnert, die so klar ist, dass sie eigentlich keiner Bekräfti- 
gung bedarf. Es mag aber nützlich sein, darüber nicht ganz zu 
schweigen. 


Meine Ausführungen richten sich nicht gegen den verstorbenen 
Victor Fatio, der sehr höflich seine Meinung aussprach. Wie 
weit sich das Brutgebiet des grossen deutschen Ibisses in die 
Schweiz hinein erstreckte, mögen Gelehrte der Schweiz feststellen 
oder mit Fatio weiter für eine schwierige Frage erklären. Ich 
möchte aber verhindern, dass eine nicht orientierte Meinung von 
anderer Seite sich ein falsches Gewicht beilege. Ich zitiere daher 
nochmals hier, was ich in einem offenbar von Victor Fatio über- 
sehenen Artikel im Journal für Ornithologie 1903, p. 123 über 
Aldrovandus’ Beschreibung des illyrischen Vogels bemerkte: 


„Also langer, spitzer, roter Schnabel, nackter Kopf mit 
fleischfarbiger Lederhaut, eine Halsmähne wie bei einem 
Kapaun, von dem Aldrovandus (Lib. XIV, p. 161) weiss, dass er 
längere Halsfedern hat als ein nicht kastrierter Hahn („Capıs 
tamen juba est major quam gallıs“), Füsse ohne Schwimmhaut, 
das alles beweist, dass die Abbildung, die ihm ein Verwandter aus 
Illyrıen geschickt hatte, ein recht deutliches Bild des Waldrapp 
und nicht des Ph. desmaresti gewesen sein muss. Auf Tafel IX, 
Fig. 10 ist es im Holzschnitt reproduziert, die Mähne deutlicher 
als bei dem in den Novitates wiedergegebenen Bild usw.* 


Woher soll denn der unter Angabe der Sammlung und des 
Fundortes (Schweiz) von Albin gross und farbig abgebildete Mähnen- 
ibis gekommen sein? Woher die farbige Abbildung in kolorierten 
Exemplaren des Bechstein, dessen Zweifel an der Existenz eines 
solchen Vogels die Sicherheit und Unbefangenheit der unbekannten 
Quelle dieses Bildes verbürgen? Wie sollte man darauf verfallen 
sein, afrıkanische Vögel für europäisch auszugeben? Victor Fatios 


44 Gyps fulvus und Gyps rüppelli. 


Andenken in Ehren, aber plumpe Ignoranz soll aus seinen Worten 
nicht Kapital schlagen! Je unbequemer eine Tatsache ist, desto 
mehr muss sie hervorgehoben werden, und der Mähnenibis in 
Europa widerspricht leider der Pendulationstheorie oder ist doch 
eine durch sie nicht erklärbare Tatsache. Aber Sımroths „adria- 
tischer Winkel“ trifft hier wieder einmal zu, wie beim Feldeggs- 
falken. ORT: 


Gyps fulvus und Gyps rüppelli. 

In „The Ibis“, 1907, p. 496 wird gelegentlich einer Kritik 
an Königs und (©. von Erlangers Arbeiten behauptet, es sei irrig, 
den Sperbergeier und Gänsegeier als geographische Formen anzu- 
sehen, da sie in der libyschen Wüste nebeneinander vorkämen 
(nach Aussage von Arabern). Salvadori erwähnt (Boll. Mus. Zool. 
Torino XXIII, 576) junge Gänsegeier, die in den Gebieten der von 
ihm in einer sorgfältigen Literaturrevision geschiedenen Sperber- 
geierformen rüppelli und erlangeri gefunden seien. Endlich will 
man noch Gyps rüppelli in Südafrika neben Gyps kolbei gefunden 
haben. 

Hilgert folgert logisch richtig, dass unter dieser Voraus- 
setzung Gänsegeier und Sperbergeier in der That grundver- 
schiedene Tiere wären. Aber diese Voraussetzung ist nicht er- 
wiesen. Meines Erachtens hat man Erlangers Arbeit J. f. O. 1904, 
p. 139—150 nicht gründlich gelesen. 

Der angebliche südafrikanische „marmorierte“ G. rüppelli ist 
nach Erlanger, da er gestreiften Kropf hat, das mittlere Kleid 
von Gyps kolbei. 

Die angeblich in Abessynien gefundenen „Gyps fulvus“* sind 
junge Sperbergeier. Wie bei Pseudogyps das Brustschild 
in der Jugend heller braun, im Alter dunkelbraun ist (S. 150), so 
ist es auch bei „Gyps fulvus erlangeri“ und rüppelli. Erlanger 
sagt deutlich S. 147 von alten Vögeln: „Brustschild dunkel- 
braun“, vom jüngsten Vogel: „Brustschild braun.“ 

Ich besitze selbst ein derartiges junges Stück, wohl von 
Chartum, von Alfred Brehm gesammelt. 

Der Hauptspass bei dieser ganzen Geierfrage ist aber, dass 
der echte Gyps fulvus ein ganz andres Tier sein muss als unser 
europäischer, zumal westeuropäischer Gänsegeier. Er ist nämlich 


Jagdfalkeneier. — Wahrnehmungen an Futterplätzen. 45 


von Persien als ein Vogel mit ganz lichtem Kropfschild be- 
schrieben und neigt wohl zu Gyps himalayensis. Die angebliche 
von Koenig zitierte lateinische Originalbeschreibung ist nur eine 
gekürzte Übersetzung der in schlichtem Deutsch veröffentlichten 
wirklichen Originalbeschreibung Hablizls. 


Die Dobrudscha- und Kaukasus-Vögel, die Erlanger zu Gyps 
fulvus zieht, könnten mit ıhm übereinstimmen, die Sardinier schon 
gewiss nicht. Die Kropffärbung variiert wohl bei allen Forınen 
etwas. f 

Erlangers Übersicht ist also das Vernünftigste, was über diese 
Gruppe bis jetzt geschrieben ist. 0. Kl. 


Jagdfalkeneier. 


Der in Falco IV, p. 16 ausgesprochene Wunsch, Masse von 
Jagdfalkeneiern zu erhalten, veranlasst mich zu folgender Mit- 
teilung. 

Ein Gelege von 4 Eiern, den 13. Mai 1907 in Enontekiö, 
Nord-Finnland, Lappland genommen, No. 8 in meiner Sammlung, 
hat folgende Masse: 

a) 56,1 41,65, 

b) 56,6 X 41,2, 

c) 59,05% 43,0, 

d) 59,2 X42,.2, 
von welchen Massen das Minimum kleiner ist als das von Krause 
in seiner Oologia und das im neuen Naumann angegebene kleinste 
Stück. Die Eier sind überhaupt mehr gleichfarbig und feinpunktiert 
als die Abbildungen in Krauses Werk. 

Kotka. Alb. Collin. 


Wahrnehmungen an Futterplätzen. 


Auch da, wo kein Bedürfnis zur Winterfütterung vor- 
liegt, kann man sich durch einige versteckte Futterplätze das 
Vergnügen verschaffen, auf einsamen Spaziergängen im Winter 
stets eine reiche Vogelwelt zu beobachten. Die Nähe von fliessen- 
dem Wasser oder gar warmen Quellen ist dabei möglichst zu be- 


46 Literaturbesprechungen. 


nutzen. Einen wenig auffallenden Futterapparat für Meisen, der 
zugleich für Finken und andre Bodensucher die erwünschte 
sparsame Streuung ergibt, bringt neuerdings Herr Dr. C. A. Bruhn, 
Verlag „Parus“‘, Hamburg 36, in den Handel. Nach meinen 
bisherigen Erfahrungen kann ich diese „Meisendose“ bestens emp- 
fehlen. Einige andere neuere Futterapparate werde ich später 
hier oder im Vogelschutzbuch besprechen. 


Sehr drollig ist es, zu beobachten, wie am Futterplatz selbst 
unter Individuen derselben Art eine Rangliste gilt, bei der Alter 
oder Temperament die Hauptrolle spielen. Im letzten Winter sah 
ich hier mehrere Amseln mit teilweise fehlenden Schwanzfedern. 
Die Oberherrschaft führte ein altes Paar mit unverletztem Ge- 
fieder. Dann nahte scheu ein Vogel mit bereiften Schwanzfedern. 
Wer nur einzelne Schwanzfedern hatte, durfte sich allenfalls an 
der Peripherie einen Brocken holen, und erst wenn der jeweilige 
Platzvogel einen mit nur einer Schwanzfeder verjagte und ver- 
folgte, konnte die Amsel mit gar keiner Schwanzfeder auf 
einige Augenblicke sich eiligst sättigen. 

Ob die Vögel sich selbst, ob ihnen Katzen, Sperber oder 
Eulen die Schwänze ausgerissen haben? Eine Amsel wurde mir 
lebend, aber ganz matt überbracht. Mit dem ganz zerzausten und 
zerdrehten Schwanzende hatte sie an einem Zweig gehangen. 
Wahrscheinlich hatte sie gebadet und war mit dem Schwanzende 
angefroren, ähnlich wie der im vorigen Jahrgang (1907, S. 45) 
erwähnte Sperber. OKT 


Literaturbesprechungen. 


Da ich den Raum für diesen Abschnitt sehr beschränken musste, 
wird aus den rückständigen Manuskripten nur das Wichtigste aus- 
gewählt. 

Dr. B. Placzek, Die Vogelwelt in ihren Beziehungen 
zu Insekten und verwandten Kleintieren. Ver- 
änderte mit Zusätzen versehene Sonderausgabe der Aufsätze in 
der „Österreichischen Forst- und Jagd-Zeitung“ 1905 und 1906. 
Wien, Selbstverlag, Buchdruckerei Karl Gerolds Sohn, 1906. 
(119 Seiten.) 


Literaturbesprechungen. 47 


Die Namen der Kapitel lauten: „Japanische Kriegsführung, 
Vogelweltschmerz, Vogeltrutz, Psaphonis aves, Jenseits von Logisch 
und Unlogisch, Nachgewiesenes und Nachweisliches, Amerikaner 
und Japaner, Bansai!“ 

Wer sich über den zurzeit recht lebhaft gewordenen Streit 
über die Nützlichkeit der Vögel (ob Insekten durch Vögel oder 
nur durch Insekten bekämpft werden können) orientieren will, 
für den dürfte dies mehr als temperamentvoll geschriebene Buch 
viel Interesse haben. So richtig es ist, dass wir von der neuen 
Richtung manches lernen können, so zweifellos ist auch das Um- 
gekehrte der Fall. Eine auf einen ruhigeren Ton herabgestimmte 
Diskussion über den Gegenstand ist ja bereits im Falco eröffnet 
und soll entsprechend fortgesetzt werden. Es sind nicht nur die 
Plaözekschen Einwürfe, sondern die Bedenken einer ganzen Anzahl 
gelehrter Zoologen, mit denen sich der Vogelschutz zu seinem 
eignen Vorteil ruhig und sachlich auseinanderzusetzen haben wird. 
Möchte von keiner Seite das Kind mit dem Bade ausgeschüttet 
werden! 


Internationaler Frauenbund für Vogelschutz 
(Deutsche Abteilung. Jahrbuch für das Jahr 1907. 
IV. Jahrgang. Im Auftrage des Vorstandes veröffentlicht von 
Dr. Heuss. Berlin 1908. 

Das Jahrbuch beweist, dass die Leitung des Bundes bemüht 

ist, Vogelschutz auf gesunder Grundlage zu treiben. Die S. 20 

erwähnten Vogeltränken von Forstmeister Kullmann, 

Darmstadt sollten mehr beachtet werden. Zu einigen hier 

nebensächlichen Punkten wären Anmerkungen nötig. Dass ein 

Schwalbenweibchen seine eignen Jungen tötet, um die zweite Brut 

zu beginnen, halte ich nicht für möglich. Es wird ein fremdes 

Weibchen an die Stelle der verunglückten Mutter getreten sein. 

Auf meinem Pfarrgehöft fand das Gegenteil statt. In meiner Ab- 

wesenheit wurde der Fehler gemacht, aus dem Nest gefallene 

Stadtschwalben (Chelidon urbica) in ein bereits belegtes Nest der 

Rauchschwalbe (Hirundo rustica) zu setzen. Die Rauchschwalben 

nahmen sich der fremden Jungen an, während die eigne Brut zu- 

grunde ging, da die Eier nicht bebrütet werden konnten. 


Aus dem Örnithologischen Jahrbuch, Organ für 
das paläarktische Faunengebiet,. Heft 1, 2. 1907. 


48 Literaturbesprechungen. 


Der Jahrgang 1907 beginnt mit einer 18 Seiten langen 
Monographie des Zwergfliegenfängers von Jul. 
Michel. Sie möge ein Beispiel sein, wie viel lohnender die 
ornithologische Arbeit ist, wenn sie sich konzentriert und sich 
nicht dem Unterhaltungsbedürfnis des Lesers zuliebe in kleinen 
Feuilletonartikeln zersplittert. Von den übrigen Artikeln seien 
nur erwähnt, die Untersuchung von J. @engler über die Färbung 
des alten Weibehens von Lanius minor und die von 
Frh. Geyr von Schweppenburg über die Nahrung süd- 
paläarktischer Schleiereulen (häufiger Insekten, auf 
Madeira viele Ratten in den Gewöllen). 

Otto le Roi in Bonn, Die Vogelfaunader Rheinprovinz. 
Sonderabdruck aus den Verhandlungen des naturhistorischen 
Vereins der preuss. Rheinlande und Westfalens. 63. Jahrgang. 
1906. (325 Seiten.) 

Ein für jeden westdeutschen Ornithologen sehr wertvolles 
Buch. Besonders interessant sind die Mitteilungen über Caccabis, 
Locustella luscinioides, Monticola saxatilis.') 

Heimatkunde des Saalkreises einschliesslich des- 
Stadtkreises Halle und des Mansfelder See- 
kreises. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachmänner heraus- 
gegeben von Dr. Willi Ule, Professor, Halle a. S., seit 1906. 
Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. 

6 Lieferungen ä 2 M. (480 Seiten) bis jetzt erschienen, be- 
handeln Geographie, Tierwelt, Klima, Geschichte, Siedelungen, 
Landwirtschaft, Geologie. Das Kapitel über die Vögel ist ein 
ergänzter Abdruck der in Ormith. Monatsschr. 1893 erschienenen 
Arbeit von Prof. 0. Taschenberg.?) Das Ganze ist ein in seiner 
Art vorbildliches Unternehmen. 


1) Von dem auf Seite287 erwähnten 18 Jahre von de Maes gepflegten 2 
besitze ich ein Ei. Die zoogeographische Sonderstellung des Rheingebiets 
ist viel deutlicher, als dies zurzeit erkannt und anerkannt ist. 

2) Seite 83 wird eine Mitteilung von mir an Prof. Otto im Katalog 
der Vogelsammlung des Kgl. Gymnasiums zu Eisleben, Osterprogramm 
1901, zitiert, die auf dem Missverständnis einer mündlichen Äusserung 
beruht. Bei Schwittersdorf wurde um 1900 ein junges Exemplar der 
Grosstrappe (Otis tarda) erlegt. Die Kolbenente (Fuligula rufina) wurde 
um jene Zeit zwischen dem Süssen See und Bindersee von mir auf so 
grosse Entfernung beobachtet, dass ich die Sicherheit der Bestimmung 
nicht ganz verbürgen kann. Ich habe sie nicht wieder bemerkt. 


Literaturbesprechungen. 49 


Mag. phil. E. W. Suomaleinen, Über die Vogelfauna 
der Umgebungen des Kallavesi-Sees im nördlichen 
Savo (Savolaks), Finnland. Eine topographische Studie. Acta 
Societatis pro Fauna et Flora Fennica, 31, No. 5, (1908) 140 
Seiten (in finnischer Sprache) mit einer Karte und einem 
Referat über die Resultate der Arbeit (10 Seiten) in 
deutscher Sprache. Letzteres ist sehr dankenswert, denn 
die Studie enthält viel wichtiges Material, vor allem Zugdaten 
aus den Jahren 1845 bis 1908. 

Die verschiedenen Landschaftstypen werden in mustergiltiger 
Weise geschildert, desgleichen Schlüsse gezogen über die zoo- 
geographische Stellung des behandelten Gebiets in der Fauna 
des Gesamtlandes. (Diese wichtigste Frage wird sonst meist von 
Lokalforschern ignoriert.) Das Kallavesigebiet bildet die West- 
grenze der östlichen und südöstlichen Vogelarten. Besonders 
interessant sind die Daten, an denen der Verfasser zeigt, dass von 
mehreren Strandvögeln im Herbst zuerst die alten Vögel 
wegziehen und dann nach längerer oder kürzerer Zeit die 
jungen folgen (also umgekehrt als es die vielumstrittene 
Gätkesche These für den Starenzug auf Helgoland behauptete). 
Die Zugdaten von Erithacus Arboreus phoenicurus 
(30. IV. bis 17.V.(2)) und von Saxicola Borealis oenanthe 
(20. IV. bis 13. V.) bestätigen das in Berajah über den späten 
Durchzug der Nordländer Gesagte. 

Prof. Dr. Yngwe Sjöstedt, Wissenschaftliche Ergebnisse der 
schwedischen zoologischen Expedition nach dem Kilimandjaro, 
dem Meru und den umgebenden Massaisteppen 
Deutsch-Ostafrikas 1905—1906 unter Leitung von Prof. Dr. 
Yngwe Sjöstedt. Herausgegeben von der Königl. Schwedischen 
Akademie der Wissenschaften. 3. Vögel. Upsala 1908, (173 
Seiten mit 5 Tafeln). 

Für das seit 1862 von vielen Ornithologen besuchte Gebiet 
werden 75 Arten neu nachgewiesen, mehrere Arten und Kleider 
überhaupt neu beschrieben und abgebildet. Das vornehm aus- 
gestattete Werk (Format wie Berajah) istindeutscher Sprache 
erschienen, und man muss das an vielen Stellen hervortretende 
glänzende Geschick des Verfassers bewundern, mit dem er plastisch 
einzelne Vogelgestalten schildert und von ihren Bewegungen mit 
ein paar Worten ein deutliches Bild vor den Augen des Lesers 


50 Literaturbesprechungen. 


hervorruft. Dasselbe gilt von der geradezu künstlerischen Schilde- 
rung der Landschaften im allgemeinen Teil. Der gespenstische, 
graue, flechtenbehangene Bergwald, die in blendender Tropensonne 
über die Natronseen flatternden Zwergtaucher, das Schnurren der 
Ziegenmelker und das Konzert der Grillen in klarer Mondnacht, 
das alles tritt dem Lesenden so deutlich vor die Seele, dass man 
hier wieder einmal lächeln muss über die törichte Behauptung, 
dass streng wissenschaftlich-systematische Arbeit die Freude am 
Leben der Tierwelt und an der Schönheit der Natur abstumpfen 
müsse. 


Alexander Bau, Die Vögel Vorarlbergs, Sonderabzug aus 
dem 44. Jahresbericht des Vorarlberger Museumsvereins, Bregenz 
1907. > 


275 Arten werden besprochen. Praktisch ist die Massnahme, 
dass die durch Belegstücke nachgewiesenen Arten und die durch 
Eierfunde des Autors festgestellten Brutvögel durch besondere 
Zeichen kenntlich gemacht sind. Am 7. September 1900 hat der 
Forstjäger Alois Neyer in Bürserberg auf dem Fallenkopf einen 
Geier erlegt und an einen Unbekannten verkauft, der nach An- 
sicht des Schützen ein Gypaätos barbatos gewesen ist. 
Bau ist geneigt, die Schleiereule dort als Zugvogel anzusehen. 


Prof. Dr, Bernh. Hoffmann (Dresden), Kunst und Vogel- 
gesang in ihren wechselseitigen Beziehungen vom naturwissen- 
schaftlich-musikalischen Standpunkte beleuchtet. Verlag von 
Quelle & Meyer, Leipzig 1908. (320 Seiten). 


Auf Grund 20 jähriger Vorarbeiten behandelt hier ein Fach- 
mann auf dem Gebiete der Musik die Kunst im Vogelgesang 
(I. Teil) und den Vogelgesang in der Kunst (II. Teil). Im ersten 
Teil, der natürlich den Hauptinhalt bildet, werden all die ver- 
schiedenen Probleme des Vogelgesangs in sehr gründlicher und 
glücklicher Weise erörtert. Die Ausführungen gipfeln in dem 
Satz: Die Tonkunst des Vogels unterscheidet sich 
von der des Menschen nur durch die Nichtbe- 
teiligung des Verstandes. Das Werkchen dürfte die 
wichtigste Erscheinung auf diesem Gebiet genannt werden. 


Prof. Dr. Alwin Voigt, Deutsches Vogelleben, Leipzig 
(Teubner „Aus Natur und Geisteswelt“ No. 221) 1908. 


Literaturbesprechungen. 51 


Eine Schilderung des einheimischen Vogellebens!) nach den 
verschiedenen Landschaften (Gärten, Nadelwald, Heidemoor, Gebirgs- 
bach etc.), also unter einem ganz neuen Gesichtspunkt, ein dankens- 
wertes Gegenstück zu dem Exkursionsbuch über Vogelstimmen des 
bekannten Verfassers. 

Dr. jur. Leo v. Boxberger, Das deutsche Vogelschutz- 
gesetz vom 30. Mai 1908, nebst den das Flugwild betreffen- 
den Bestimmungen der preussischen Jagdordnung vom 
15. Juli 1907. Berlin, J. Guttentags Verlagsbuchhandlung 
Gm. :b: HL, 1909. 

Ausser dem Vogelschutzgesetz, der preussischen Jagdordnung 
und den zu den einzelnen Paragraphen gegebenen Erläuterungen 
des Verfassers enthält das Büchlein (No. 89 der Guttentagschen 
Sammlung deutscher Reichsgesetze, 57 Seiten, bequemes Taschen- 
format) ein lexikalisches Verzeichnis der europäischen Vögel mit 
Angaben über den Grad des ihnen gewährten Schutzes und Hin- 
weis auf die betreffenden gesetzlichen Bestimmungen. Preis des 
mir bereits vom Verlag zugegangenen Schriftchens 1 Mark. 

Mit einem Punkt der Erläuterungen kann ich mich nicht ein- 
verstanden erklären. Der Verfasser, der bekannte Eiersammler, scheint 
anzunehmen, dass der Transport wissenschaftlicher Präparate von Vogel- 
eiern und Vogelbälgen wenigstens teilweise für den Lehrmittelhandel 
und Sammler erschwert sei, dass z. B. wissenschaftlich präparierte Vogel- 
bälge im Sommer nicht versandt werden dürften. Der wirklich wissen- 
schaftliche Sammler kann sich leicht durch behördlichen Dispens gegen 
alle unverständigen Belästigungen schützen, und der wissenschaftliche 
Verkehr darf in keiner Weise durch das Gesetz gestört werden. Zwischen 
wissenschaftlich präparierten Vogelbälgen, bezw. Eiern, und allem, was 
zu Nahrungs- oder Putzzwecken verkauft wird, ist ein grosser Unter- 
schied. Unpräpariert wird wohl niemand Eier aus Turkestan (S. 13) 
einsenden. Die Anmerkungen S. 13 und 33 stehen daher nicht in vollem 
Einklang. Dem gewinnsüchtigen Raubsammler, der unwissenschaftlichen 
Spielerei wollen wir auf alle Weise das Handwerk legen. Ernste wissen- 
schaftliche Studien, auch die des bescheidensten Anfängers, sowie 
Sendungen wissenschaftlicher Reisenden und anständiger Naturalien- 
handlungen zu hindern, liegt nicht im Sinn des Gesetzes. Ich bitte um 
Mitteilung, wenn irgendwo nach dieser Richtung hin eine falsche An- 
wendung des Gesetzes vorkommen sollte oder zu befürchten ist. OSRE 


!) Zu S. 151: Der Wiedehopf ist hier im Mansfelder Seekreis auf 
Schafweiden noch eine regelmässige, nicht seltene Erscheinung, sowohl 
am süssen See, wie bei Volkmaritz. Er scheint wie sein biologischer 
Vetter „Upupa“ eremita (L.), der Waldrapp, das Schicksal zu teilen, 
leicht von tüchtigen Feld-Ornithologen übersehen zu werden. 


Inhalt des vierten Jahrgangs. 


Seite 
EaltoPeresrinus. 1. Koeln ee 1 
SPUFRUMEL.L. er lee ee ae Make Va Ten SE LET 2 
Hypolais pallida reiseri subsp. nov. Von C. Hilgertt. ....... 3 
Ein interessantes Kleid von Lanius CollurioL.. .. 2»... a | 
Der. Götterberg. Meru. -... ars re cr. 2 a nee 5 
Das: Zeichen! u. este Ba ee ee ee RR su 
Nachtrag. zu‘ Jahrgang 1905.5.70, 2 22 0. ei ee er 8 
Schlägt der Wanderfalke Ziesel? Von Hans Winkler ....... 8 
Über Strix Flammea von Frh. Geyr v. Schweppenburg und Dr. A. 
Mertenstaa Nee ee ar ee kan a Ze ee Dre Re Re ee 10 
Eine neue Buntspechtform aus Spanien. Von Willy Schlüter ... 11 
Mitteilungen über Berajah „1. en. san. ne 18 
Literatur. 
LGoldschmidt, Kant und Häckel. ur 2.7 2a Er Rn 12 
Neues und Altes über Falco Hierofalco: 
I. Nordische Jagdfalken in Deutschland. . ». 2.2... .... 13 
II. Die Ansichten von G. Krause und B. Hantzsch über die 
nordischen Jardtalken =. KEIN 15 


III. Falco Hierofalco als Wegweiser, eine Arbeitshypothese . . 17 
Bemerkungen zu dem letzten Berajah-Heft. Von F. Tischler (Ost- 


preussen). „. ... ee lc: 19 
Von Volter BousarıEmland)e er. 2. ee Be ©, 
Von A... A ®-Belt-Rechner’(Holland) 2 Wi: Ei 20 

Über das Vorkommen von Erithacus Domesticus in Krain von Dr. 
I: ;Ponebiek 2 DER nee ASt a RI ee 
Kleine Mitteilungen: 

(Japanisches Falkenbild). Von Dr. Thielemann . ...... 22 

Ergänzungen zum neuen Naumann. Von Prof. Dr. Voigt. . 22 

(Gesang des Gartenlaubvogels bei Nacht) . .... . ee; 

(Weidenmeisen ander'Dieg)> 2...% ame n Peine oe 23 

(Künstliche Mauser); 2.22. ale 1. a a ee 23 

-(Sehädlichkeit des Marders).2. 2. 2m le na 23 

Literaturbesprechungen: 

Hans Schmidt. Jona.» ..... EEE NE 24 

Albert Bauer, Kant und unsere modernen Naturforscher. . . 26 

E. Koenig, Kant und die Naturwissenschaft . . . .. 2... 26 


L. Wilser, Tierwelt und Erdalter. ...„ -» „.. 2. 2 2.. 2027 


Inhalt des vierten Jahrgangs 53 


Seite 
Geier Schulz, Natururkunden So f.macm en See 228 
B. Landsberg, Streifzüge durch Wald und Flur ....... 29 
G. Clodius, Ornithologischer Bericht über Mecklenburg 1906 . 29 
E. Hartert, Birds repr. i. the Brit. Isles by pec. forms . . . . 29 
O2Hermman, Reponse a M. le Dr. Guinet 2. „2. 2.2 20. 29 
C. Hilgert, Katalog der Collection von Erlanger . ..... 30 
v. Tschusi, Typen meiner Sammlung . .... A ante 30 
G. Schiebel, Ornithologie der Insel Lesina ........» 31 
G. Friedrichs, Saxicola Borealis leucorrhoa . . .»....... 3 
Isutze Wink, Bass; Vogelbuch 22 2.22 nn zue 31 
C=Bloericke, Jahrbuch der Vogelkunde. » . » » cn... 31 


J. Thienemann, VII. Jahresbericht der Vogelwarte Rossitten . 32 
G. Clodius, Ornithologischer Bericht über Mecklenburg 1907 . 33 


Schmeil,, Behrbuch der Zo0locies „0... m. see 33 

Smalanı Grundzuzerder-Tierkunde. . v2 n or. 34 
Mitterilungenluber Berajah und Falco: . .. .. ».. 2 2... . 836 
Banbenkade ms en en ee Bere Re Leere 37 
Dieser tBendulationstheorieu Er Seen a or) 
Der Waldrapp, Comatibis eremita (L.), in Europa... . 2.2... 42 
Gyps fulvus-und Gyps rüppelli. . ...... Eee Se ee 
Jaerdialkeneien. - .» .... Sn le Re BEE NEE 45 
Wahrnehmungen an Ballerplätzen Bo, u mon Are re dd, 


Literaturbesprechungen: 
Dr. B. Plaözek, Die Vogelwelt in ihren Beziehungen zu Insekten 


und verwandten Kleimtierene. . 2. 0 ou. 000. 200.46 
Internationaler Frauenbund für Vogelschutz (Deutsche Ab 

EINE ee ee Tl 
Aus dem Ornithologischen Jahrbuch ae se: 47 


Otto le Roi in Bonn, Die Vogelfauna der Rheinprovinz . . . 48 
Heimatkunde des Saalkreises einschliesslich des Stadtkreises 
Halle’ und des Mansfelder Seekreises .. . 2. ..2....» 48 
Mag. phil. E. W. Suomaleinen, Über die Vogelfauna der Um- 
gebungen des Kallavesi-Sees im nördlichen Savo (Savolaks), 
rmalyanlare or. Breo = 8 Dre ee ade a Dig . 49 
Prof. Dr, Yngwe Sjöstedt, Wissenschaftliche Ergebnisse der 
schwedischen zoologischen Expedition nach dem Kilimandjaro, 
dem Meru und den umgebenden Massaisteppen Deutsch- 


VSTaIK as ee ee een le 49 
Alexander Bau, Die Vögel Vorarlberss „.. „u 2... ... 50 
Prof. Dr. Bernh. Hoffmann (Dresden), Kunst und Vogelgesang 50 
Prof. Dr. Alwin Voigt, Deutsches Vogelleben . . . .....50 


DraslBeosBoxberser, Vozelschutzgesetz : „ana nen 51 


54 Inhalt des vierten Jahrgangs. 


% Seite 
Abbildungen. 

Tafel I: Formen von Falco Peregrinus ..... ..... .,Zzu Delle 

„ IH: Junger Jagdfalke, erlegt am 12. Februar 1908 bei 
TabON 2 ee se = enge Wen Be 2, 

„ UI: Regelmässiger Albinismus beim Teichhuhn, Galli- 
nula Chloropusalle) ur a ve ee ee 1 
Textbild: Phasen/der Nonne”. . 2 . = 210 0 Ne. rei Bee ee 

Neu beschriebene Formenkreise und Formen. 

Hypolais pallida reiseri (Hilgert) .» - - » „ .. a0. 2 2 we 3 
Errithaeus Auroreus (KL)... 000 0 20a 0 ae ee 8 
Picas’ major hıspanus (Schlüter) =. ugs nen 2 er ei! 


In das Schlussheft von Berajah 1908 (Ausländische Rot- 
schwänze), welches spätestens Weihnachten erscheint, wolle 
man Tafel und Text von eh Diplootocus (bereits 
früher erschienen) einfügen. "Der erste Bogen des Deutschen 
Vogelschutzbuches gelangt voraussichtlich gleichfalls im 
Dezember zur Ausgabe. O. Kl. 


ER 


Von Berajah und Faleo 
sind bis jetzt erschienen: 


108 Seiten Text, 1 bunte. Tafel. 
Saxicola Borealis, 6 bunte, 3 schwarze 
Tafeln, 22 Seiten Text. 


104 Seiten Text, 1 schwarze Tafel. 
Tabelle der Brehmschen Schleiereulen. 
Strix Flammea, 7 bunte, 3 schwarze 
Tafeln, 20 Seiten Text. 


Faleo 1905. 
Berajah 1905. 


Falco 1906. 
Beilage. 
Berajah 1906. 


Falco 1907. 
Beilage. Deutsches Vogelschutzbuch, Titel und 
Vorwort. 
Erstes Heft, Strix Athene, 3 Tafeln, 
6 Seiten Text. 
Zweites Heft, Erithacus Domesticus, 
Tafel 1—4, Neudruck vom Text zu 
Strix Athene. Nachgeliefert: Neudruck 
von Tafel 1u.2, Erithacus Domesticus, 
Text Seite 1—12, Tafel V u. VI, Ta- 
belle A. 


No, 1,2 u.»3/%@PafelJ, Hu 1IE 
Erithacus Domesticus, Tafel VII, Eri- 
thacus Arboreus, 2 Tafeln, 12 Seiten 
Text. 

Erithacus Diplootocus, 1 Tafel, 4 Seiten 
Text. 

Anfang und Ende (Vorwort), 8 Seiten, 
Tabelle A. 


Sıehe Notiz am Ende dieses Heftes. 


‚ Berajah 1907. 


Falco 1908. 
Berajah 1908. 


106 Seiten Text, 4 schwarze Tafeln. 


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Preis für nach- 

bestellende 

Abonnenten 
8 Mark. 


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bestellende 
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8 Maırk. 


Preis für nach- 


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Preis für den 
Jahrgang 
8 Mark, 


exkl. Porto u. 


Verpackung. 


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