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Full text of "Festschrift zum siebzigsten Geburtstage Jakob Guttmanns. Hrsg. vom Vorstande der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums"

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Schriften 


herausgegeben   von   der   Gesellschaft    zur   Förderung   der 
Wissenschaft  des  Judentums 


Festschrift 

zum  siebzigsten  Geburtstage 
Jakob  Guttmanns 


Herausgegeben 

vom  Vorstande  der  Gesellschaft 
zur  Förderung  der  Wissenschaft  des  Judentums 


J.    Kauffmann    Verlag- 
Frankfurt  am  Main 


/; 


4 


Die    Gesellschaft    zur    Förderung    der    Wissenschaft 

des  Judentums  überläßt  den  Herren  Verfassern   die 

Verantwortung    für    die    von    ihnen     ausgedrückten 

wissenschaftlichen  Meinungen. 


'^ 


Einführung. 

Von  Martin  Philippson. 

Einem  der  besten,  verdienst-  und  wertvollsten  Männer  der 
zeitgenössischen  Judenheit  ist  dieses  Buch  gewidmet:  Jakob 
Guttmann.  Einem  Mann,  der  mit  tiefgründiger  Gelehrsamkeit, 
klarem  wissenschaftlichem  Blick  und  schöpferischer  Fähigkeit 
große  praktische  Begabung  und  Begeisterung  für  Judentum  und 
Judenheit  verbindet.  Selber  in  allen  Fasern  seines  Herzeus 
mit  der  religiösen  Überlieferung  unserer  uralten  Gemeinschaft 
verknüpft,  steht  er  doch  zugleich  der  Auffassung  und  den  Be- 
strebungen des  modernen  Geistes  mit  vollem  Verständnis  gegen- 
über. Diese  bewundernswerte,  weil  mit  reicher  Charakterstärke 
verbundene  Vielseitigkeit  Guttmanns  hat  ihn  zum  Mittelpunkt 
und  Führer  des  deutschen  Rabbinates  gemacht,  getragen  von 
der  Sympathie  und  Verehrung  aller  seiner  Kollegen  im  heiligen 
Berufe.  Diese  seine  Stellung  aber  hat  er  inmitten  der  ver- 
schiedenen Richtungen  und  Parteien  stets  im  Sinne  der  Ver- 
söhnlichkeit und  Eintracht  geltend  gemacht,  in  deren  Dienst  er 
sein  feuriges  Temperament  zu  zwingen  wohl  versteht.  So  ist 
er  anerkannt  und  wird  sein  Rat  gern  befolgt  von  allen  Seiten 
des  deutschen  Judentums-  Eine  der  markantesten  und  schärfst 
umzeichneten  Persönlichkeiten  in  unserer  Glaubensgenossen- 
schaft der  Gegenwart. 

Was  er  im  besonderen  für  die  ,, Gesellschaft  zur  Förderung 
der  Wissenschaft  des  Judentums"  bedeutet,  wer  weiß  das  nicht 
in  unseren  Kreisen?  Dem  Namen  nach  der  zweite  Vorsitzende 
der  Gesellschaft,  ist  er  in  Wirklichkeit  deren  Seele,  ihr  wirk- 
samster Führer  und  IVIitarbeiter.  Der  erste  unter  den  trefflichen 
Männern,  die  ihr  in  dem  gelehrten  Breslau  so  eifrig  dienen 
und    diese    Stadt   zum    eigentlichen  Sitze   unserer    Wissenschaft- 


—     IV     — 

liehen  Gemeinschaft  gemacht  haben.  Seiner  unermüdlichen, 
schöpferischen  und  geistvollen  Tätigkeit  ist  deren  innerer  Auf- 
schwung und  damit  auch  ihr  äußerer  Erfolg  zum  besten  Teile  zu 
danken.  Inmitten  dringender  Amtsgeschäfte  seiner  großen  Ge- 
meinde findet  er  stets  Zeit  und  Initiative  für  die  Bestrebungen 
und  Institute  der  Gesellschaft,  für  Rat  und  Tat  zu  ihrem  Ge- 
deihen. 

Um  so  tiefer  empfand  sie  die  ehrenvolle  Verpflichtung, 
dem  bescheidenen  Manne  zu  seinem  siebzigsten  Geburtstage 
die  Gabe  zu  bringen,  die  ihm  die  wertvollste  sein  mußte:  eine 
Sammlung  wissenschaftlicher  Arbeiten  seiner  Mitstreber,  Ver- 
ehrer und  Schüler  aus  dem  Gebiete  seiner  besonderen  Disziplinen 
—  einen  Strahlenkranz  um  sein  teures  Greisenhaupt,  entlehnt 
den  Lichtquellen,  die  er  selber  geschaffen  oder  wenigstens  ent- 
wickelt hat.  Das  Buch  möge  ihm  Freude  und  Befriedigung  ge- 
währen, eine  lautere  und  helle  Anerkennung  seiner  persönlichen 
und  wissenschaftlichen  Bedeutung,  ein  Zeugnis  der  Verehrung, 
die  er  allseits  genießt,  eine  reiche  Ernte  auf  dem  von  ihm  an- 
gebauten Felde.  So  versammeln  sich  um  ihn  seine  Mitkämpfer, 
Helden  des  Geistes,  und  heben  ihn  mit  freudigem  Zurufe  auf 
den  Schild. 

Guttmann  hatte  sich  schon  auf  der  Universität  das  Studium 
der  Philosophie  zu  seinem  Hauptfache  gewählt  und  seine 
Dissertation  dem  gegenseitigen  Verhältnisse  des  Kartesischeu 
und  des  Spinozistischen  Systems  gewidmet.  Von  da  ging  er, 
sowohl  auf  dem  Breslauer  Rabbinerseminar  wie  im  Verlaufe 
seiner  rabbinischen  Wirksamkeit,  zur  Geschichte  der  jüdischen 
Religionsphilosophie  über.  Sein  zweites  größeres  Werk  galt 
dem  Schöpfer  der  Wissenschaft  und  insonders  der  Philosophie 
des  Judentums,  Saadja.  Man  darf  sagen,  daß  Guttmann  zum 
ersten  Male  den  wahren  Charakter  des  Saadjitischen  Denkens 
und  seiner  Zusammenhänge  mit  der  arabischen  Philosophie  er- 
kannt und  dargelegt  hat.  So  ist  seine  Schrift  von  höchstem 
wissenschaftlichen  Werte,  nicht  nur  durch  ihre  Ergebnisse, 
sondern  auch  indem  sie  systematisch  den  Weg  vorzeichnete, 
den  jeder  Forscher  in  der  Philosophie  des  Judentums  zu  be- 
folgen hat.  Hieran  knüpfte  sich  eine  beträchtliche  Anzahl  von 
Büchern   imd  Artikeln,    betreffend  die   übrigen  jüdischen  Philo- 


—     V     — 

sophen  des  Mittelalters.  Besonders  seine  eingehende  Darlegung 
des  Systems  Ibn  Gabirols  ist  maßgebend  geblieben  bis  auf 
den  heutigen  Tag.  Überall  arbeitet  er  mit  gleichem  Verständ- 
nis und  Eifer  die  historischeu  Tatsachen  und  Zusammenhänge, 
die  großen  philosophischen  Gesichtspunkte  und  Entwickeluugs- 
reihen  heraus. 

Gerade  dieses  Hineinstellen  jedes  einzelnen  Autors  in 
seine  literargeschichtlichen  Zusammenhänge  veranlaßte  ihn 
weiter,  den  Einfluß  der  jüdischen  Religionsphilosophen  auf  die 
christlichen  Scholastiker  zu  beleuchten,  in  ebenso  originaler  und 
überraschender  wie  lehrreicher  Weise.  Vor  allem  ragt  hier 
sein  Buch  über  „Das  Verhältnis  des  Thomas  von  Aquino  zum 
Judentum  und  zur  jüdischen  Literatur"  hervor.  Es  weist  für 
den  bedeutendsten  und  einflußreichsten  Führer  der  Scholastik, 
der  seine  hohe  Stellung  innerhalb  der  katholischen  Theologie 
bis  zur  Gegenwart  behauptet  hat,  eine  starke  Beeinflussung  durch 
Maimonides  nach.  Für  die  neue  Aufgabe,  die  der  Scholastik 
im  dreizehnten  Jahrhundert  erwuchs,  nämlich  die  Versöhnung 
des  Aristoteles  mit  den  religiösen  und  theologischen  Grund- 
begriffen hat  Maimonides,  wie  Guttmann  überzeugend  darlegte, 
in  entscheidenden  Punkten  den  Weg  gezeigt.  Eine  ähnliche 
Tätigkeit  entwickelte  Guttmann  für  die  sonstige  Scholastik  jener 
Zeit.  Die  Spuren  der  Einwirkung  des  jüdischen  Geistes  auf 
christliche  Denker  bis  in  das  Reformationszeitalter  hinein  hat 
er  dann  rastlos  in  späteren  Jahren  verfolgt.  Daß  ein  so  gründ- 
licher Kenner  des  Judentums  und  seiner  großen  Tochterreligionen 
seine  Forschungen  und  die  in  solchen  gewonnenen  Über- 
zeugungen auch  für  die  Verteidigung  seines  angestammten 
Glaubenssystems,  für  die  Apologetik,  mit  Erfolg  verwenden 
werde,  mußte  mau  von  vornherein  annehmen,  uud  mit  der  ihm 
eigenen  Festigkeit  und  Offenheit  hat  er  solches  bei  verschiedenen 
Gelegenheiten  in  eindrucksvollster  Weise  getan.  So  steht  er 
überall,  wo  es  die  wissenschaftliche  Vertretung  des  Judentums 
und  seiner  Denker  gilt,  im  Vordergründe. 

Was  sollen  wir  diesem  ausgezeichneten  Manne  zu  seinem 
siebzigsten  Geburtstage  wünschen?  Daß  unserer  Religion  ihr 
beredter  Verkünder,  der  Wissenschaft  der  kundige  und  geist- 
volle  Forscher,    unserer    Gesellschaft    ihr    führender    Vertreter, 


—     VI     — 

allen,  die  ihn  zu  kennen  das  Glück  haben,  der  verehrte  und 
treue  Freund  noch  lange  Jahre  in  alter  Kraft,  Emsigkeit  und 
Tüchtigkeit  erhalten  bleibe!  Mit  dieser  innigen  Bitte  an  die 
Vorsehung  überreicht  ihm  die  Gesellschaft  dies  zur  Huldigung 
für  ihn  bestimmte  Sammelbuch. 


Verzeichnis  der  Schriften  und  der  gedruckten 
Reden  Jakob  Gnttmanns'. 

VoD  N.  M.  Nathan. 

I.  Selbständige  Abhandlungen  und  Werke  und 
Beiträge  zu  Sammelwerken. 

1.  De  Cartesii  Spinozaeque  philosophiis.  Gekrönte  Preis- 
schrift.    Diss.  Breslau  1868.    8«,  58  S. 

2.  Über  die  Entwickelung  der  jüdischen  Religionsphilosophie. 
Lb  6  1877, 1-2,  10-11,  21-22,  45-46,  65-66,  93—94,  97. 

3.  Die  Religionsphilosophie  des  Abraham  ibn  Daud  aus  Toledo. 
MS  26  1877,  461—477,  27  1878,  14—35,  110—129,  161 
bis  169,  202-217,  262—281,  304-316,  361-376,  400—422, 
452—469,  503-522,  532—568. 

Auch  als  S.-A.  u.  d.  Titel: 
Die    Religionsphilosophie     des    Abraham    ibn    Daud 
aus  Toledo.     Ein   Beitrag  zur    Geschichte    der   jüdi- 
schen Religionsphilosophie  und  der  Philosophie  der 


*  In  dem  Verzeichnis  sind  die  Titel  der  Bücher  gesperrt,  die  Titel  der 
Abhandlungen  in  gewöhnlicher  Schrift,  die  der  Bücherbesprechungen  in 
kleiner  Schrift  gedruckt;  bei  ßücherbesprechungen  mit  besonderem  Titel 
erscheint  der  besondere  Titel  in  gewöhnlicher,  der  Titel  des  besprochenen 
Buches  in  kleiner  Schrift. 

AZdJ  =  Allgemeine  Zeitung  des  Judentums.  —  D  Lz  =  Deutsche 
Literaturzeitung.  —  Lb  =  Rahmers  Jüdisches  Literaturblatt.  —  LC  ^ 
Literarisches  Centralblatt.  —  MS  =  Monatsschrift  für  Geschichte  und 
Wissenschaft  des  Judentums.  —  REJ  =  Revue  des  etudes  juives.  — 
Th  Lb  =  Theologisches  Literaturblatt.  —  Th  Lz  =  Theologische  Literatur- 
zeitung. —  ZfHB  =  Zeitschrift  für  hebräische  Bibliographie.  —  *  =  Neu 
bearbeitet  und  ergänzt. 

An  der  Sammlung  des  Materials  sind  Herr  Dr.  Jul.  G-uttmann-Breslau 
und  Herr  Prof.  Simonsen-Kopenhagen  beteiligt. 


—     VIII     — 

Araber.       Göttingen,    Vandenhoeck    und    Ruprecht,     1879. 
gr.  80,  VIII,  240  S. 

Besprechungen.  Berliner,  LC  1880,  483  und  Gegenkritik  ebenda 
605  f.-,  W.  Möller.  Th  Lz  1879,  479—481;  L.  Philippson,  AZdJ  1879,  427. 

4.  Die  Bibelkritik  des  Chivi  Albalclii  nach  Saadjas  Emuuoth 
we-Deoth.     MS  28  1879,  260-270,  289—300.' 

5.  Die  Religionsphilosophie  des  Saadja,  dargestellt  und 
erläutert.  Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht  1882.  8^, 
VII,  295  S. 

Besprechungen.  L.  Philippson.  AZdJ  1882,  799—800;  L.  Stein,  Lb 
1882,  49—51;  Steinschneider,  DLz  188^5,  Xr.  3;  Str|ack],  LC  1883.  1403  f. 

6.  Die  Philosophie  des  Salomon  ihn  Gabirol  (Avicebron), 
dargestellt  und  erläutert.  Gottingeu,  Vandenhoeck  &  Rup- 
recht, 1889.     80,  IV,  272  S. 

Besprechungen.  A.  Berliner,  LG  1890.  12;  N.  Brüll,  Jahrbücher 
9,  172—176;  M.  Güdemann,  AZdJ  1890.  240;  Krakauer,  Lb  1891. 
Nr.  41 — 44;  Löwenstein,  Magazin  1889,  266  f.;  M.  Steinschneider,  DLz 
1889,  52;  REJ  19,  156. 

7.  Guillaume  d'Auvergue  et  la  litterature  juive.  REJ  18  1889, 
243-255. 

*in:  Die  Scholastik  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  S.  13 — 31. 

8.  Alexandre  de  Haies  et  le  judaisme.    REJ  19  1889,  224-234. 

*in:   Die  Scholastik  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  S.  32 — 46. 

9.  Das  Verhältnis  des  Thomas  von  Aquino  zum  Juden- 
tum und  zu  der  jüdischen  Literatur.  Göttingen-,  Vanden- 
hoeck &  Ruprecht,  1891.     gr.  8o,  V,  92  S. 

Besprechungen.  J.  Abrahams,  Jew.  Qu.  Rev.  IV  13,  158 — 161; 
Beda  Adlhoch,  Philos.  Jahrb.  V  1892,  1  ;  Gr.  G.  Cameron,  Critical  Rev. 
of  theol.  and  philos.  lit.  II  2;  Dalman ,  ThLz  1892,  10;  Duchesne, 
Compte  rendu  de  l'ac.  des  inscr.  XIX,  326  f.:  R.  Duval,  Rev.  er.  39. 
154—157:  Krakauer,  Lb  1892,  Nr.  3—4;  Melzer,  Philos.  Monatsh.  XXIX. 
622  f;  Rabus,  ToLb  1892,  1.  Sp.  6;  M.  Steinschneider,  DLz  1891,  50; 
A.  C.    Zenos,    Presb.   and  Ref.  Rev.,   1892  Apr. 

10.  Die   Beziehungen    des   Johannes    Duns    Scotus    zum   Juden- 
tum.    MS  38  1894,  26—39. 

*in:  Die  Scholastik  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  S.  154 — 167. 

11.  Die  Beziehungen  des  Vincenz  von  Beauvais    zum  Judentum. 
MS  39  1895.  207—221. 

*in:  Die  Scholastik  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  S.  127 — 137. 


—     IX     — 

12.  Über  einige  Theologen  des  Franziskanerordens  und  ihre 
Beziehungen  zum  Judentum.     MS  40  1896,  314—329. 

*iii;  Die  Scholastik  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  S.  138 — 153. 

13.  Eine  bisher  unbekannte,  dem  Bachja  ihn  Pakuda  zugeeig- 
nete Schrift.     MS  41  1897,  241—256. 

14.  Über  zwei  dogmengeschichtliche  Mischnastellen.  MS  42  1898, 
289—305,  337—345. 

15.  Aus  der  Zeit  der  Renaissance.  Nicolaus  von  Cusa,  Jacobus 
Faber  Stapuleusis,  Bonet  de  Lattes,  Carolus  Bovillus.  MS 
43  1899,  250—266. 

*in:  Die  Scholastik  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  S.  168 — 185. 

16.  Die  philosophischen  und  ethischen  Anschauungen  in  Abraham 
bar  Chijjas  Hegjon  ha-nefesch.     MS  44  1900,  193—217. 

17.  Die  Scholastik  des  dreizehnten  Jahrhunderts  in 
ihren  Beziehungen  zum  Judentum  und  zur  jüdischen 
Literatur.     Breslau.  Marcus,  1902.    8«,  VII,  188  S. 

Besprechungen,  ß.,  Jahrb.  f.  Philos.  u.  spek.  Theo).  1903,  18; 
M.  Baumgarten,  DLz  1903,  960  f.;  Phil.  Bloch,  Th  Lz  1903,  144  f.; 
Ders.  ZfHB  7, 10—13;  Bessert,  ThLbl  1903,  123—125;  I.  Elbogen,  MS  47. 
287—288;  G^rützmacher,  Theol.  Lit. -Ber.,  Beilage  zu  D.  Beweis  des 
Glaubens,  1904,  82;  B.  Schäfer,  Allg.  Lbl.  1913,  107  f.;  J.  Wild, 
Jahrb.  f.  Philos.  u.  spek.  Theol.  190 i,  116;  M.  Wittmann,  Th.  Rev. 
1903,  409—411;  LC  1903,  1565;  REJ  45,  140;  Isr.  Wochenschr.  m. 
wissensch.  Beil.  1902,  474.     Frankfurter  Zeitung  1903,  26/4. 

18.  Über  Abraham  bar  Chijjas  „Buch  der  Enthüllung".  MS  47 
1903,  446—468,  545-569. 

19.  Über  Jean  Bodin  in  seinen  Beziehungen  zum  Judentum. 
MS  49  1905,  315—348,  459-489. 

Auch  als  S.-A.  Breslau,  Marcus,  1906.    8»,  65  S. 

Besprechungen.  E.  Appel,  Archiv  f.  Gesch.  d.  Philos.  1908,  568; 
Ad.  Poznanski,  REJ  59,  283-285;  Hist.  Jahrb.  d.  Görresges.  1906,  869. 

20.  Michael  Servet  in  seinen  Beziehungen  zum  Judentum.  MS 
51  1907,  77—94. 

21.  Moses  ben  Maimon.  Sein  Leben,  seine  Werke  und  sein 
Einfluß.  Schriften  hrsg.  von  der  Gesellschaft  zur  Förderung 
der  Wissenschaft  des  Judentums.  Bd  I.  Leipzig,  Fock,  1908. 
80,  VIII,  495  S. 


—     X     — 

Hierin : 

Der  Einfluß  der  maimonidischen  Philosophie  auf  das  christ- 
liche Abendland.  S.   135—230. 

Auch  als  S.-A.     Leipzig,  Fock,  1908.     8«,  96  S. 

Besprechungen.  G.  Aicher,  Th.  Rev.  1909,  Nr.  5;  E.  Bischoff, 
Th  Lz  1910,  659;  Bousset,  Th  Rundschau  XIV,  85;  M.  Jacquin,  Rev.  des 
sc.  philos.  et  theol.  3,  782—783;  S.  Krauss,  LC  1909,  1124  f.;  J.  Leipoldt, 
Ztschr. f.  Kirchengesch. 30, 1 ;  L. Levy,  L'uni vers isr.  1908,  527 — 529 u.  weiter ; 
M.  Liber,  REJ  60,  123—127;  Seydl,  Allg.  Lbl.  1910,  137;  U.  Zeller, 
Archiv  für  Kulturgeschichte  IX,  103—104;  K.  Ziesche,  Jahrb.  f.  Philos. 
u.  spek.  Theol.  1910,  236—238;  T.  H.  Weir,  Rev.  of  Theol.  and  Philos. 
4,  94-96;   P.  Volz,  Theol.  Jahresber.  28. 

22.  Die  Stellung  des  Simon  ben  Zemach  Duran  in  der  Ge- 
schichte der  jüdischen  Religionsphilosophie.  MS  52  1908,  641 
bis  672,  53  1909,  46—79,  199—228. 

23.  Die  philosophischen  Lehren  des  Isaak  ben  Salomon 
Israeli. 

=  Beiträge  zur  Geschichte  der  Philosophie  des  Mittelalters. 
Texte  und  Untersuchungen.  In  Verbindung  mit  G.  Freiherrn 
V.  Hertling  und  M.  Baumgartner  hrsg.  v.  Clemens  Baeumker. 
X.  Bd.  4.  Heft.  Münster,  AschendorfF,  1911.  8«,  VI,  70  S. 
Besprechungen.  C.  Baeumker,  Philos.  Jahrb.  derGörres-Gesellschaft, 
25,  201—203;  Ph.  Bloch,  MS  1912,  99—101;  J.  Golziher,  D  Lz  1912, 
21—23;  M.Horten,  Th  Lz  1912,  78;  v.  Walter,  Th  Lb  1912,  373;  M.  Witt- 
mann,  Th.  Rev.  1912,  475 ;  Museum  20, 69 ;  Phil.  d.  Gegenw.  hrsg.  v.  A.  Rüge 
ni,  656;  Revue  des  sciences  philos.  et  theol.  Kain  (Belg.)  VI  1912,  770. 

24.  Die  Beziehungen  der  maimonidischen  Religionsphilosophie  zu 
der  des  Saadia. 

In: 

Festschrift  zu  Israel  Lewys  70.  Geburtstag.  Breslau,  Marcus, 
1911.     80.     S.  308—326. 

Auch  als  S.-A.     Breslau,  Marcus,  1911.     8".     XIX  S. 

Besprechungen.  Perles,  OLZ  1913,  126—127;  A.  Schwarz,  D  Lz 
1911,  2716-2719;  H.  L.  Strack,  Th  Lz  1912,  201;  Phil,  des  Gegenw. 
hrsg.  V.  A.  Rüge  III,  2606. 

S.  Moses  bei  Maimon,  Bd.  II  S.  SOI— 216. 

25.  Die  Beziehungen  der  maimonidischen  Religionsphilosophie 
zu  der  des  Abraham  ibn  Daud. 

In: 

Judaica,  Festschrift    zu   Hermann   Cohens  70.   Geburtstag. 
Berlin,  Cassirer,  1912.     8o.     S.   135—144. 
S.  Moses  ben  Maimon,  Bd  11  S.  233—242. 


—     XI     — 

26.  Die  Familie  Schemtob  in  ihren  Beziehungen  zur  Philosophie. 
MS  57  1913,  177—195,  326-340,  419—451. 

27.  Mose  ben  Maimon.  Sein  Leben,  seine  Werke  und  sein 
Einfluß.  Schriften  hrsg.  von  der  Gesellschaft  zur  Förderung 
der  Wissenschaft  des  Judentums.    Bd  II.   Leipzig,  Fock,  1914. 

8°.  VIII,  358  S. 

Hierin : 

Vorwort  S.  VII— VIII. 

Die  Beziehungen  der  Religionsphilosophie  des  Maimonides 
zu   den   Lehren   seiner  jüdischen    Vorgänger.     S.    198 — 242. 

Auch  als  S.-A.     Leipzig,  Fock,  1914.     8",  45  S. 

28.  Abraham  ihn  Daud  —  Abraham  bar  Hiyya  as  a  moral 
philosopher  —  Albertus  Magnus  —  Alexander  of  Haies. 
The  Jew.  Enc.  I  101—103,  109-110,  323—324,  350—3511. 

II.    Besprechungen. 

29.  Gustav  Kanngießer,  Die  Stellung  Moses  Mendelsohns  in  der  Greschichte 
der  Ästhetik.     Frankfurt  a.  M.  1868.     MS.  17  1868,  429—437. 

30.  Ein  französischer  Sozialist  über  die  Bedeutung  des  Messia- 
nismus.     MS.  18  1869,  210—220. 

Fran9oi8  Huet,  Die  religiöse  Revolution  im  neunzehnten  Jahrhundert, 
übs.  von  M.  Hess. 

31.  Die  moderne  Kultur  und  das  Judentum. 

Gustav  Meinhardt  [W.  flerzberg],    Jüdische   Familienpapiere.     Briefe 
eines  Missionärs.     1868.  MS  19  1870,  .364—365. 

32.  Über   den  Begriff   der  Liebe. 

Carl  Abel,  Über  den  Begriff  der  Liebe  in  einigen  alten  und  neueren 
Sprachen.     MS  21  1872,  558—566. 

33.  Friedrich  Düsterdieck,  Soziales  aus  dem  alten  Testamente.  Hannover 
1893.     MS  39  1895,  522. 

34.  Clemens  Baeumker,  Avencebrolis  (Ibn  Gebirol)  Föns  vitae  ex  Arabico 
in  Latinum  translatus  ab  Johanne  Hispano  et  Dominico  Gundissalino. 
Ex  codicibus  Parisinis,  Amploniasi.  Columbino  primum  edidit.  Monasterii 
1895.     MS  40  1896,  379-381. 


'  Der  in  Jew.  Enc.  V  14 — 15  unter  dem  Namen  von  Jakob  Gutt- 
mann  veröffentlichte  Aufsatz  über  Duns  Scotus  ist  ein  Auszug  aus  seinem 
oben  No.  10  erwähnten  Aufsatz,  aber  nach  Mitteilung  von  Julius  Guttmann 
nicht  von  ihm  verfaßt. 


-     XII     — 

35.  Hermann  Cohen,  Einleitung  mit  kritischem  Nachtrag  zu  Fr.  Albert 
Langes  Geschichte  des  Materialismus  in  fünfter  Auflage.  MS  41  1897, 
89-92. 

36.  Salo  Stein.  Materialien  zur  Ethik  des  Talmud.  I.  Die  Pflichtenlehre 
des   Talmud.     Frankfurt  a.  M.     MS.  41  1897,  239—240. 

37.  David  Kaufmann,  Studien  über  Salomon  Ibn  Gabirol.  (Jahresbericht 
der  Landes-Eabbinerschule  in  Budapest  für  das  Studienjahr  1898/99.) 
Budapest  1899.     ThLz  25  1900,  706—708. 

38.  Michael  Wittmaun,  Die  Stellung  des  hl.  Thomas  von  Aquin  zu  Aven- 
cebrol  (Ibn  Gebirol)  untersucht.  (Beiträge  zur  Geschichte  der  Philosophie 
des  Mittelalters.  Bd  III,  Heft  3).    Münster  1900.     ThLz  26  1901,  13—15. 

39.  Baron  Gara  de  Vaux,  Avicenne  (Les  grands  philosophes).  Paris  19(X). 
ThLz  27  1902,  173—174. 

40.  Zwei  jüngst  edierte  Schriften  des  Berachja  hanakdan. 

Hermann  Gollancz,  The    ethical   treatises    of  Berachja,   son   of  Rabbi 
Natronai  Ha  Nakdan.     London  1902.  MS.  46  1902,  536—547. 

41.  Gollancz  Hermann,  The  ethical  treatises  of  Berachja,  son  of  Rabbi  Na- 
tronai  Ha  Nakdan.     London  1902.     ThLz  18  1903,  107—109. 

42.  Jacob  Kramer,  Das  Problem  des  Wunders  im  Zusammenhang  mit  dem 
der  Providenz  bei  den  jüdischen  Religionsphilosophen  des  Mittelalters 
von  Saadia  bis  Maimüni.  Diss.  Straßburg  1903,  108  S.  ZfHB  8  1904, 
104—107. 

43.  Wilhelm  Engelkemper,  Die  religionsgeschichtliche  Lehre  Saadja  Gaons 
über  die  Heilige  Schrift.  Aus  dem  Kitäb  al  Amänät  wal  I'tiquädat  über- 
setzt und  erklärt.  (Beiträge  zur  Geschichte  der  Philosophie  des  Mittel- 
alters. Bd.  IV,  Heft  4).     ThLz  29  1904,  54—56. 

44.  Maimonides. 

Louis-Germain  Levy,  Maimonide  (Les  grands  philosophes).    Paris  1911. 
AZdJ  76  1912,  342—348. 

III.  Reden. 

45.  Rede  zur  Einweihung  des  neuerbauten  Schulhauses  der 
Synagogengemeinde  zu  Hildesheim.  Hildesheim,  Gersten- 
berg, 1881. 

Besprechung.     L.  Philippson,  AZdJ  1881,  760. 

46.  Über  den  Unterricht  in  der  jüdischen  Geschichte  in  der 
Volks-  und  in  der  Religionsschule.  Referat,  gehalten  in  der 
Versammlung  des  Vereins  jüdischer  Lehrer  in  Hannover.  Isr. 
Wochenschr.  21  1890,  230—231. 


I 


—     XIII     — 

47.  Über  Dogmeubildung  im  Judentum.  Vortrag.  Herausgegeben 
vom  Verein  für  jüd.  Geschichte  u.  Literatur  in  Breslau. 
Breslau,  Jacobsohn,  1894.    8",  8  S. 

48.  Über  die  Bedeutung  des  Judentums  in  der  Gegenwart. 
Vortrag,  gehalten  auf  der  Generalversammlung  des  Rabbiner- 
Verbandes  in  Deutschland  zu  Frankfurt  a,  M.  1902.  Ver- 
handlungen   und   Beschlüsse   des    Rabbinerverbandes,    S.    2'6 

bis  33, 

Auch 

als  S.-A.     Frankfurt  a.  M.,   Kaufmann,   1902. 

in:  Jahrbuch  für  jüdische  Geschichte  und  Literatur  6  1903,  91 — 103 

und:  Isr.  Wochenschrift,  wissensch.  Beilage  1904,  315. 

In  dänischer  Übersetzung  von  L.  Nathanson  in:  Jödisk  Almanak  5674, 

Köbenhavn  1913. 

Besprechung.     Fiebig,  Th  Lb   1905   Nr.  26. 

49.  Die  Idee  der  Versöhnung  im  Judentum.  Vortrag,  gehalten 
auf  der  3.  Hauptversammlung  des  Verbandes  der  deutschen 
Juden  in  Breslau  1909.    Stenographischer  Bericht  S.  14 — 22. 

Mit  einem  Vorwort  auch  in:  AZdJ  74  1910,  61—63,  63—75. 

Auch  in:  Vom  Judentum.     Aufsätze  und  Vorträge,  hrsg.  vom  Verband 

der  deutschen  Juden.     Berlin  1913.     Heft  2.     8".     S.  1—15. 


50.  Gedächnisrede  auf  Zacharias  Frankel,  gehalten  am  Sabbath 
NiiT  'D  in  der  Synagoge  zu  Hildesheim.  Israelit.  Predigt-Magazin 
1875,  262-270. 

Auch  in : 

nn:T    n:T    Gedächtnisreden    auf  Zacharias   Frankel.     Magdeburg   1875, 
S.  262—270. 

51.  Rede  bei  der  vom  Vorstande  der  Synagogengemeinde  zu 
Hannover  veranstalteten  Gedenkfeier  für  den  verewigten  Land- 
rabbiner Dr.  Samuel  E.  Meyer.     1882. 

52.  Trauerrede  an  der  Bahre  des  Dr.  Paul  Lion.     1892. 

53.  Predigt  am  ersten  Tage  des  Laubhüttenfestes  (5655)  in  der 
neuen  Synagoge  zu  Breslau.     Breslau  1894. 

54.  Gedächtnisrede  an  der  Bahre  des  Dr.  David  Rosin,  Do- 
zenten am  jüd.-theologischen   Seminar  zu  Breslau. 

In:  Brauns  Jüd.  Volks-  und  Hauskalender  43  1895,  1 — 7. 

55.  Rede  bei  der  Enthüllung  des  Grabdenkmals  für  Louis  Wolf 
Egers.      Breslau  1895. 


-     XIV     — 

56.  Gedenkrede  auf  Joseph  Derenbourg. 

In:  Branns  Jüd.  Volks-  und  flauskalender  44  1896,  1 — 8. 

57.  Rede  an  der  Bahre  der  Frau  Flora  Hamburger,  geb. 
Bärwald.     1896. 

58.  Freundes  Worte,  gesprochen  an  der  Bahre  der  Frau  Dr.  Johanna 
Samuelsohn,  geb.  Fließ.     1898. 

59.  Trauerrede,  gehalten  an  der  Bahre  des  Herrn  I.  Z.  Ham- 
burger in  Breslau.     1898. 

60.  Gedenkrede  auf  Rabbiner  Dr.   Salomon  Cohn. 

In:   Gedenkblätter  an  Salomon  Cohn.     Breslau  1902,  S.  13—19. 

61.  Predigt  am  zweiten  Tage  desNeujahrsfestes  5664.  Breslaul903. 

62.  Rede  bei  der  Gedächtnisfeier  für  die  Opfer  der  russischen 
Judenverfolgungen  am  10.  Dez.  1905  in  der  Neuen  Synagoge 
zu  Breslau.     1905. 

63.  Worte,  gesprochen  an  der  Bahre  seiner  Schwiegermutter 
Frau  Simon  May  Wwe.  Zum  Andenken  an  Frau  Julie  May. 
Hamburg  1906. 

64.  Gedächtnisrede  an  der  Bahre  der  Frau  Pauline  Cohn, 
verwitweten  Frau  Geheimrat  Ferdinand  Cohn  in  Breslau.  1907. 

65.  Trauerrede  an  der  Bahre  des  Herrn  Professors  Dr.  Benno 
Wilhelm  Badt.     1909. 

66.  Gedächtnisrede  an  der  Bahre  des  Herrn  Julius  Schott- 
länder.    1911. 


67.  Reden  auf  der  Rabbiner -Versammlung  zu  Berlin  1884  und 
den  Generalversammlungen  des  Rabbiner-Verbandes  in 
Deutschland,  Berlin  1898,  Frankfurt  a.  M.  1902,  Berlin 
1907,  1911.  Verhandlungen  und  Beschlüsse  der  Rabbiner- 
Versammlung  und  der  Generalversammlungen 

1884,  S.  37. 

1898,  S.  71 — 75  (Referat  über  die  Gründung  einer  Relikten- 
kasse), 80,  110. 

1902,  S.  23 — 33  (Über  die  Bedeutung  des  Judenturas  in 
der  Gegenwart,  s.  oben  Nr.  48). 

1907,  S.  30-31,  33,  39—49  (Nachruf  auf  Salomon  Buberj, 
76-78. 

1911,   S.  1—10  (Eröffnungsrede),  153  —  156    (Schlußrede). 


—     XV     — 

68.  Reden  auf  dem  11.,  12.,  13.,  14.  Deutsch-Israelitischen  Ge- 
meindetage, Berhn  1909,  1911,  1912,  1914,  und  dem  3. 
Deutsch-Israelitischen  Vei'bandstage,  Berlin  1909.  Mitteilungen 
vom  Deutsch-Israelitischen  Gemeindebunde 

74  1909,  S.  42—46  (Über  die  Stellung  des  Rabbiners  nach 
dem  Entwurf  eines  Gesetzes  betr.  die  Verfassung  der  jüdi- 
schen Gemeinden  Preußens). 

79  1911,  S.  66-67;  82  1912,  S.  71;  86  1914,  S.  48  und 
74  1909,  S.  133. 

69.  Gedenkrede  auf  Ludwig  Philippson,  gehalten  in  der  Sitzung 
des  Ausschusses  der  Gesellschaft  zur  Förderung  der  Wissen- 
schaft des  Judentums  zu  Berlin  1912.  MS  55  1911,  758—760. 

IV.  Schulberichte. 

70.50.  —  72.  Jahresbericht  der  Gemeinde -Religionsunterrichts- 
anstalt. Breslau  1893—1915.     8^.  23  Hefte. 

Hieraus: 
1897  u.  d.  Titel:  Aus  einem  Schulprogramm.     AZdJ  1897,  S.  529-530. 
1899  S.-A.  u.  d.  Titel:  Über  den  Wert  des  Unterrichts  in  der  jüdischen 

Geschichte  für  die   religiöse  Erziehung  unserer  Jugend.      Breslau 

1899.     8'\ 

Auch  in:  Israel.  Wochenschrift,  wissenschaftl.  Beilage,  S.  30 — 31. 
1902    u.    d.    Titel:    Systematischer    Religionsunterricht.      Israelitische 

Wochenschrift  1902,  S.  21.5—216. 

V.  Verschiedenes. 

71.  Korrespondenz  aus  Hildesheim.  Israelitische  Wochenschrift 
7  1876,233-234. 

72.  Der  religiöse  Freisinn  und  der  Religionsunterricht.  1877. 
Israelitische  Wochenschrift  8   1877,   129/30. 

73.  Der  Judenspiegelprozeß  in  Münster  und  der  Schulchan  Aruch. 
Israelitische  Wochenschrift  15  1884,   18  —  19,  26—27. 

X  |74.  Noch  ein  Wort  an  Herrn  Prof.  Nestle.     Lb  13  1884,  65—66. 

75.  Zur  Notiz  des  Herrn  Prof,  Liebermanu  über  den  jüdischen 
Agenten  der  Königin  Elisabeth  in  Konstantinopel.  MS  53 
1909,  749. 


Inhaltsverzeichnis. 

,     Seite 

M.  Philippson,  Einführung lU — VI 

K  M.  Nathan,  Verzeichnis  der  Schriften  u.  Reden  Jakob  Guttmanns  VII — XV 

I.    Zur  jüdischen  Religionsphilosophie. 

H.  Cohen,  Der  heilige  Geist 1—21 

J.  Cohn.  Die  Weltschöpfung  in  der  Sapienz 22 — 27 

J.  Guttmann,  Chasdai  Creskas  als  Kritiker  der  aristotelischen  Physik  28—54 

S.  Horovitz,  Zur  Attributenlehre  Maiinunis 55 — 67 

J.  Lewkowitz,  Gott  und  Mensch 68 — 76 

A.  Lewkowitz,  Zur  Methode  der  Religionsphilosophie      ....  77 — 85 
M.  Steckelmacher,   Über   die    Gründe   der   jüdischen   Sympathien 

für  die  Kantsche  Philosophie 86 — 112 

IL    Zu  Talmud  und  Midrasch. 

Ph.  Bloch,  Rom  und  die  Mystiker  der  Merkabah 113—126 

J.  Horovitz,  "niy  -i^n 127—142 

N.  A.  Nobel,  Zur  talmudischen  Auffassung  des  concursus  delictorum  143 — 147 

J.  Theodor,  Drei  unbekannte  Paraschas  aus  Bereschit  rabba  .     .  148 — 171 

III.    Zur  jüdischen  Literaturgeschichte. 

L.  Cohn,  Pseudo-Philo  und  Jerachmeel 173  —  185 

I.  Elbogen,  Abraham  ibn  Daud  als  Geschichtsschreiber  ....  186 — 205 
J.  Preimann,  Paulus  de  Heredia  als  Verfasser  der  kabbalistischen 

Schriften  Igeret  ha-Sodot  und  Galie"  Raze 206 — 209 

D.  Simonsen,  Maimoniana      .     .     • 210—224! 

IV.    Zur  jüdischen  Geschichte. 

M.  Brann,  Etwas  von  der  schlesischen  Landgemeinde  ....  225 — 255 1 
A.  Lewinsky,  Zur  Geschichte   der  Juden   in  Deutschland    im   18. 

Jahrhundert  nach  Hildesheimer  Zeitungsstimmen  ....  256 — 272| 
M.  Sobernheim  und  E.  Mittwoch,   Hebräische  Inschriften  in   der 

Synagoge  von  Aleppo 273 — 28c 


I.    Zur  jüdischen   Religionsphilosophie. 


Der  heilige  Geist. 

Von  Hermann  Cohen. 

Die  im  Titel  angegebene  Übersetzung  der  Worte  znpT)  nn 
ist  falsch;  und  dieser  Fehler  entspringt  dem  falschen  Wege,  den 
der  Gedanke  bei  diesem  BegriiFe  eingeschlagen  hat.  Die  rich- 
tige Übersetzung  ist:  Geist  der  Heiligkeit.  Was  ist  der  Unter- 
schied zwischen  beiden  Bezeichnungen?  Die  Beantwortung 
dieser  Frage  erfordert  zunächst  die  gesonderte  Betrachtung  der 
Begriffe  Geist  und  Heiligkeit,  sodann  die  der  Verbindung  beider 
Begriffe  in  der  Wortverbindung  Geist  der  Heiligkeit. 

1.  Geist  und  Seele.  Gott  und  Mensch.  Sittlichkeit 
und  Heiligkeit.  Die  hebräischen  Worte  für  Geist  und  für 
heilig  haben  eine  lange  Geschichte,  beinahe  eine  parallele,  und 
in  ihnen  vollzieht  sich  die  innerlichste  Entwickelung  der  bib- 
lischen Religion. 

Der  Geist  ist  ursprünglich  der  Wind  und  der  Lebens- 
hauch. In  beiden  Beziehungen  aber  wird  er  und  bleibt  er  der 
Geist  Gottes.  Denn  Gott  regiert  die  Winde,  wobei  er  die  Erde 
entstehen  und  vergehen  läßt.  Und  ebenso  auch  wird  er  zum 
„Gott  der  Geister  für  alles  Fleisch"  (-]^2  ':'r^  nmiH  ^K  4.  M. 
16,22  =  27,16).  Er  ist  daher  gleichsam  die  Seele  des  Leibes. 
Und  die  Seele  hat  ja  Gott  im  Leibe  und  für  den  Leib  erschaffen. 

Je  mehr  nun  aber  die  Seele  für  das  Problem  der  Religion 
in  den  Vordergrund  tritt,  desto  unmittelbarer  wird  die  innere 
Beziehung  zur  Sittlichkeit,  wie  zu  allem  Geistigen.  So  tritt 
der  Geist  in  vielfache  Verbindung  mit  allen  den  verschiedenen 
geistigen  und  sittlichen  Eigenschaften  und  Betätigungen  der 
Seele.  Diese  Eigenschaften  der  Seele  aber  erlangen  ihre  Voll- 
endung in  demjenigen  Begriffe,  welcher  zum  Inbegriff  wird  für 
die  Eigenschaften  Gottes.  Diesen  Idealbegriff  der  Menschenseele, 
wie  Gottes,  bezeichnet  die  Heiligkeit. 

Guttmann,  Festschrift.  -^ 


—     2     — 

So  ist  in  dem  Ursprung  beider  Begriffe  zugleich  ihre 
Verknüpfung  im  Menschen  und  in  Gott  angezeigt. 

Gott  ist  der  Schöpfer,  der  Bildner  des  Geistes  im  Men- 
schen. So  verbindet  der  Geist  Gott  mit  dem  Menschen, 
den  Menschen  mit  Gott. 

Gott  ist  der  heilige  Gott.  Und  er  würdigt  die  Menschen 
des  Gebotes:  „Heilig  sollt  ihr  sein,  denn  heilig  bin  ich,  der 
Ewige,  euer  Gott."  0:f<  irnp  '2  vnn  D^l^^p  3.  M.  19,1).  So 
verbindet  auch  die  Heiligkeit  Gott  mit  dem  Menschen, 
den  Menschen  mit  Gott. 

2.  Die  Seltenheit  des  Wortes.  Eine  Steigerung  in 
der  Verinnerlichung  dieser  Verbindung  muß  offenbar  entstehen 
durch  die  Verbindung,  welche  zwischen  dem  Geiste  und  der 
Heiligkeit  eingegangen  wird.  Es  könnte  daher  vielleicht  auf- 
fäUig  scheinen,  daß  in  unserer  Bibel  nur  in  einem  Verse 
zweimal  bei  Jesaja  und  einmal  in  den  Psalmen  diese  Ver- 
bindung, diese  Nennung  des  Geistes  der  Heiligkeit  vorkommt. 
Hat  man  die  Verbindung  etwa  für  einen  Pleonasmus  gehalten? 
Oder  enthüllt  sich  eine  providentielle  Vorsicht  in 
dieser  Scheu  des  Sprachgebrauchs? 

Die  Jesaja- Stellen  werden  uns  beweisen,  daß  der  Geist 
der  Heiligkeit  kein  prinzipiell  neues  Moment  in  den  Geist  Gottes 
bringt.  Sofern  der  Geist  Gottes  die  Entwickelung  zur  Heiligkeit 
in  sich  trägt,  ist  er  seinem  Begriffe  nach  identisch  mit  dem 
Geiste  der  Heiligkeit. 

Und  diese  Identität  erstreckt  sich  ebenso  auch  auf  die 
Korrelation  von  Gott  und  Mensch.  Gott  ist  Geist,  und 
Gott  ist  heilig.  Daher  muß  er  den  Geist  und  die  Heiligkeit  in 
den  Menschen  verpflanzen,  und  durch  beide  sich  mit  dem 
Menschen  verbinden.  So  ist  der  Geist  der  Heiligkeit  bei  Gott 
zugleich  der  Geist  der  Heiligkeit  im  Menschen.  Die  Konse- 
quenz ist  schlicht  und  klar  —  und  dennoch,  welcher  Gehalt  und 
welche  Fülle  neuer  Konsequenzen  sind  in  dieser  ursprünglichen 
Identität  enthalten. 

Nur  die  eine  Psalmstelle   bringt  den  Geist  der  Heilig- 
keit in  eine  intimere  Verbindung  zwischen  Gott  und  dem  Men- 
chen.     Und  was  enthält  diese  Intimität? 


—     3     — 

Auch  diese  Stelle  bringt  kein  neues  Moment,  weder  in  den 
Begriff  von  Gott,  noch  in  den  vom  Menschen.  Ihre  Beweis- 
kraft in  bezug  auf  das,  was  sie  allein  beweisen  soll,  wird  daher 
nicht  geschwächt  dadurch,  daß  sie  die  einzige  Stelle  von  dieser 
Bedeutung  ist.  Denn  von  allen  Seiten  drängt  ja  sowohl  der 
Oeist,  wie  die  Heiligkeit,  auf  diese  Entwickelung  hin. 

Aber  die  Verbindung  desjenigen  Begriffs,  an  dem  diese 
Entwickelung  an  dieser  wunderbaren  Psalmstelle  sich  vollzieht, 
nämlich  des  Begriffs  der  Sünde,  mit  dem  Begriffe  von  Gott 
und  mit  dem  vom  Menschen,  das  ist  das  Neue  in  dieser  Ver- 
bindung. 

Und  es  ist  charakteristisch  für  die  Psalmen,  für  ihren  Stil- 
charakter, für  ihren  Begriff  von  der  Sünde  und  der  Erlösung: 
daß  sie  allein  es  sind,  welche  in  der  scharfen  Form  der 
Existenzfrage  des  Menschen  vor  Gott  diesen  Terminus 
gleichsam  im  einmaligen  Gebrauche  hervorbringen.  Ver- 
folgen wir  nunmehr  diese  Entwickelung  im  einzelnen. 

3.  Der  Geist.  Der  Geist  steht  zuvörderst  im  Gegen- 
satze zur  Materie,  und  so  auch  zur  Materie  des  Lebens. 
Aber  dieser  Gegensatz  wird  nicht  als  Widerspruch  gedacht, 
sondern  Geist  und  Materie  verbinden  sich  in  allem  Lebendigen, 
daher  besonders  im  Menschen.  Und  durch  diese  Verbindung 
von  Geist  und  Leben  im  Menschen  bildet  sich  ursprünglich 
schon  die  Verbindung  von  Gott  und  Mensch.  Denn  der 
Geist  ist  Gott,  nicht  allein  Seele. 

Die  Verbindung  zwischen  Geist  und  Gott  ist  für  Gott  selbst 
notwendig.  Denn  erstlich  steht  er  im  Gegensatze  zu  aller  Natur- 
kraft und  aller  Menschenmacht;  er  ist  nicht  im  Winde  und 
nicht  im  Feuer  (nni!  «^5;  ^'^2  üb  1.  Kön.  19,11.  12).  Und  ebenso 
steht  der  Geist  im  Gegensatze  zu  aller  menschlichen  Macht, 
besonders  des  Heeres  {UZZ  i<h^  '^'"'112  N':?  Zach.  4,6-,  aus  dieser 
spezifischen  Geistigkeit  Gottes  folgt  ferner  seine  Allgegenwart. 
„Wohin  soll  ich  gehen  vor  deinem  Geiste,  wohin  vor  dir  fliehen? 
•{mDN  TJSO  nJNl  inno  i^a  n:N  Ps.  139,7).  Auch  die  All- 
wissenheit folgt  hieraus. 

Je  geistiger  nun  immer  mehr  Gott  wird,  desto  innerlicher 
wird  die  Verbindung  zwischen  Gott  und  Mensch.  Schon 
für   den   Organismus    sahen   wir   sie   vorbereitet.      „Er  ist  der 

1* 


—     4     — 

Gott  der  Geister  für  alles  Fleisch"  ("1:^2  ^D^  s.  o.).  Schon  an 
diesen  beiden  Stellen  bedeutet  aber  der  Geist  nicht  nur  den 
Lebensgeist,  sondern  den  Geist  der  Gesamtheit,  und  daher  immer 
bestimmter  die  gesamte  Leitung  des  Menschen  durch  Gott. 
4.  Die  Schöpfung.  Diese  providentielle  Verbindung 
zwischen  Gott  und  Mensch,  wie  überhaupt  zwischen  Gott  und 
der  Natur,  wird  nun  aber  durch  den  Begriff  der  Schöpfung 
vertreten.  Gott  ist  mit  dem  Menschen  korrelativ  verbunden: 
er  muß  ihn  schaffen.  Und  wie  dies  vom  Menschen  überhaupt 
gilt,  so  besonders  vom  Geiste  des  Menschen,  wie  ja  schon 
von  der  Seele.  „In  seiner  Hand  steht  die  Seele  alles  Leben- 
digen" (^n  hD  irs:  itd  Hiob  12,10). 

Hiob  führt  aber  nicht  nur  Leben,  und  nicht  nur  Vernunft 
auf  den  Geist  Gottes  zurück,  sondern  in  der  Gewißheit  der 
Frageform  begründet  er  alle  geistige  Selbstbeherrschung  des 
Menschen  auf  seinen  Erbauteil  an  Gott.  „Was  wäre  der  Anteil 
an  der  Gottheit  von  oben  und  das  Erbe  des  Allmächtigen  aus 
der  Höhe?"  (Hiob  31,2).  Hier  wird  der  volle  Rechtsbesitz  des 
Menschengeistes  an  Gott  durch  die  beiden  Worte,  die  den  Erb- 
besitz bezeichnen  (H'^n^l  p'^Ti),  ausgedrückt,  als  ob  Hiob  sagen 
wollte:  Mein  Geist  hat  Anteil  an  der  Schöpfung  der  Gottheit 
von  oben,  und  er  ist  ein  Erbe,  das  der  Allmächtige  aus  den 
Höhen  an  mich  kommen  ließ.  Die  abstrakten  Ausdrücke 
einerseits  für  Gott:  die  Gottheit  und  der  Allmächtige,  und 
die  sinnlichen  andererseits  für  die  Herkunft  von  oben  und 
aus  den  Höhen,  erklären  sich  vielleicht  aus  dieser  Tendenz  des 
Gedankens:  den  ganzen  Menschen  aus  Gott  herzuleiten  und  in 
dem  Geheimnis  Gottes  das  Wesen  des  Menschen  zu  begründen. 
Man  bedenke  jetzt  den  Fortschritt  des  Gedankens. 

So  wird  Gott,  der  Schöpfer,  zum  Bildner  von  Herz  und 
Geist.  „Der  Bildner  insgesamt  ihrer  Herzen"  (C2t'  1""'  "li'TTl 
Ps.  33,15).  „Er  spannet  den  Himmel  und  gründet  die  Erde 
und  bildet  den  Geist  des  Menschen  in  seinem  Innern"^ 
02-lpD  D1N-nn  -1HV1  Zach.  12,1).  Wie  die  Schöpfung  von  Himmel 
und  Erde,  so  ist  die  Bildung  des  Geistes  im  Innern  des 
Menschen  eine  besondere  Tat  der  Schöpfung. 

5.  Die  Verantwortlichkeit  Gottes  für  den  Menschen. 
Die    Schöpfung   macht    Gott    selbst    verantwortlich    für    den 


l'i 


—     5     — 

Menschen.  Und  der  Geist  tritt  daher  in  alle  geistigen  und 
sittlichen  Beziehungen  ein,  die  der  Begriff  Gottes  erfordert.  Hiob 
pocht  mit  Fug  mit  besonderem  Nachdruck  auf  die  Schöpfung  des 
Geistes  durch  Gott.  „Der  Geist  Gottes  hat  mich  gemacht,  und 
die  Seele  des  Allmächtigen  erhält  mich  am  Leben."  {^i<  ni"l 
''j^nn  n^'  ncii'jl  '•JDIJ'JJ  Hiob  33,4).  Aber  nicht  allein  das  Leben 
des  Geistes  gründet  sich  in  Gott:  „Wahrlich,  Geist  ist  im 
Menschen,  und  die  Seele  des  Allmächtigen  macht  sie  ver- 
nünftig" (Cj^2n  ^-z'  ncijoi  irnix::  vsrrnn  px  Hiob  32,8). 

Das  intellektuelle  Wesen  des  Geistes  führt  schon  der 
Mythos  auf  Gott  zurück.  Von  ihm  hat  Bezalel  seine  Kunst, 
und  Joseph,  Josua,  die  Richter  alle,  zumal  der  Held  Sim- 
son;  und  Saul,  aber  auch  die  Propheten,  sie  haben  alle  ihre 
Weisheit  und  Kunst  von  Gott. 

6.  Der  Geist  Gottes  im  Messias.  Auch  der  Messias 
wird  durch  den  Geist  Gottes  beglaubigt.  Und  während  auch 
sonst  der  Geist  als  „guter  Geist"  (nnJ  HDiCCn  inm  Neh.  9,20, 
vgl.  Ps.  143,10)  bezeichnet  wird,  so  heißt  es  beim  Messias: 
„Und  es  wird  ruhen  auf  ihm  der  Geist  des  Ewigen,  der  Geist 
des  Rates   und   der  Heldenkraft,    der  Geist  der  Erkenntnis  und 

der  Furcht  Gottes  ('1  nNH^i  PiV'  nn  Hiiz^i  H^'j?  nn  . . .  vhv  nn:i 

Jes.  11,2).  Eine  höhere  Zusammenfassung  der  sittlichen 
Kompetenzen   des  Geistes   steht  auch  noch  nicht  beim  Messias- 

7.  Der  Geist  Gottes  und  das  Volk.  Der  Geist 
verbindet  jedoch  nicht  allein  das  menschliche  Individuum 
mit  Gott,  sondern  auch  das  Volk  Israel,  zunächst  aber  die 
Propheten.  Indessen  in  allem  Geistigen  soll  kein  Unter- 
schied bestehen  unter  den  Mitgliedern  des  Volkes.  „Möchte 
doch  das  ganze  Volk  Propheten  sein  und  Gott  seinen  Geist  auf  sie 
geben"  (cr^^hv  inn-^N  '1  |n^  ^2  C\X^2J  '1  nv  ^3  in"»  ^ü^  4.  M.  11,29). 
Dieser  ursprüngliche  Universalismus  des  Geistes  in  Israel  führt 
zum  Messianismus  und  kommt  zum  höchsten  Ausdruck  in 
ihm.  Bei  Jesaja  soll  ,,die  ganze  Erde  voll  sein  der  Erkennt- 
nis des  Ewigen"  ("1  nx  nyi  \nNn  mN'^d).  Und  bei  Jeremia 
hört  sogar  aller  Gradunterschied  in  der  Erkenntnis  unter  den 
Menschen  auf;  ,,denn  alle  werden  mich  erkennen  von  groß  bis 
klein"  (c'^nj  nyi  c:::p?:'?  "TIIN  1J?T  ch)J  31,33).  Die  letzte  Kon- 
sequenz  zieht   Joel:    ,,Und   ich   werde   meinen   Geist   ausgießen 


—     6     — 

auf  alles  Fleisch  .  .  .  und  auch  auf  die  Knechte  und  die  Mägde" 

(mnei^Ti  bv^n^^2vribv  ^:^  . . .  ']^2  hjbv  ^nn  hn  iidi^'n  3,1.  2). 

So  wird  es  zur  Wahrheit  im  messianischen  Sinne,  was 
schon  Ezechiel  für  das  Haus  Israel  ge weissagt  hatte:  „Und  ich 
will  euch  geben  ein  neues  Herz  und  einen  neuen  Geist  will 
ich  geben  in  euer  Inneres  .  .  .  und  meinen  Geist  will  ich  in  euer 
Inneres  geben"  (.  .  .  C2'\p2  jnN  nwin  nm  ^"\n  2^7  Gd'?  ^nnJI 
DD2ip2  pa  ^nn  HNT  36,26.  27;  39,29). 

8.  Die  Unsterblichkeit.  Kohelet  hatte  seine  Skepsis 
auf  den  Gedanken  gerichtet:  ,,Wer  kennt  den  Geist  der  Menschen- 
kinder, ob  er  nach  oben  steigt  (n'piyn  DliSH  '22  nn  VIT'  ^D 
rhV^"^  f<''n),  und  den  Geist  des  Tieres,  ob  er  nach  unten  fährt 
zur  Erde"  (3,21  f.).  Aber  gegen  den  Messianismus  kann  die 
Skepsis  nicht  aufkommen,  und  so  werden  wir  sehen,  wie 
sie  sich  auch  im  Kohelet  überwindet. 

Wenn  man  diese  Bindung  von  Gott  und  Mensch  durch  den 
Geist  betrachtet,  so  kann  man  es  nicht  verstehen,  daß  die  Un- 
sterblichkeit nicht  ein  ausdrückHches  Lehrgut  des  Monotheis- 
mus geworden  sein  sollte.  „In  deine  Hand  befehle  ich  meinen 
Geist"  (^nn  TpCiS*  11^2  Ps.  31,6).  Wenn  auch  ein  altes  Gebet 
noch  hinzufügt:  „Und  mit  meinem  Geiste  meinen  Körper,"  so 
ist  dieses  naive  Bekenntnis  des  Dichters  kein  Widerspruch  gegen 
das  Verlangen,  hauptsächlich  den  Geist  in  Gott  zu  bergen.  In- 
dessen zeigt  sich  an  diesem  alten  Gebete  der  Anstoß,  den  der 
strenge  Monotheismus  an  der  Unsterblichkeit  des  menschlichen 
Geistes  nehmen  durfte. 

Ist  es  denn  in  jedem  Sinne  richtig,  daß  der  Mensch  ewig 
sein  soll,  während  nur  Gott  der  Ewige  heißt?  Wiederholt  sich 
in  dem  Mythos  der  Unsterblichkeit  nicht  der  paradiesische  Ge- 
danke vom  ewigen  Leben   des  Menschen? 

Es  ist  eine  weise  Einschränkung,  welche  unsere  Bibel  an 
diesem  Gedanken  dadurch  vollzieht:  daß  sie  ihn  in  Einklang 
setzt  mit  der  Herkunft  des  Geistes  aus  Gott.  Und  es 
möchte  die  erhabenste  Lösung  sein,  die  diesem  Problem  ge- 
worden ist:  welche  Kohelet  ihm  gibt.  „Und  es  kehrt  zurück 
der  Staub  zur  Erde,  wie  er  war,  und  der  Geist  kehrt  zu- 
rück zu  Gott,  der  ihn  gegeben"  (H^Ht^C  pNH  hv  icyn  2'^''\ 
n:n:  ')Wü    D^n'^Nn    hi<    2Wr\  nnm  12,7).     Welcher   andere  po- 


—     7     — 

sitive  Sinn  von  höherer  Kraft  und  schlichterer  Reinheit  ist  jemals 
der  Unsterblichkeit  gegeben  worden,  als  sie  ihm  durch  dieses 
fromme  Wort  wird? 

Der  Geist  wird  nun  aber  nicht  etwa  göttlicher  Geist  nach 
dem  Tode;  er  bleibt  der  Geist  des  Menschen.  Und  er  wird  nicht 
etwa  mit  Gott  vereinigt,  sondern  er  wird  wieder,  was  er  ge- 
wesen war:  die  Schöpfung  Gottes.  Gott  ist  seine  Heimat.  „Er 
ist  der  Bildner  des  Geistes  des  Menschen  in  seinem  Innern." 
(I21p2  CIN  nn  11»"'1  Zach.  12,1).  Der  Schöpfer  seines  Geistes 
hat  diesen  aber  mit  dem  Körper  verbunden.  Nun  kehrt  der 
Staub  zurück  zur  Erde,  der  er  angehörte,  und  so  geht  der  Geist 
zurück  zu  Gott,  der  ihn  gegeben. 

Gibt  es  in  aller  Unsterblichkeitslehre  eine  schlichtere  und  be- 
stimmtere Auskunft  über  das  Schicksal  des  Menschen  nach  seinem 
Tode?  Er  ist  von  Gott  gekommen  und  geht  zu  Gott  zurück. 
Von  seinem  Ursprung  an  ist  der  Mensch  mit  Gott  verbunden, 
und  diese  Verbindung  bleibt  bestehen;  an  ihr  kann  der  Tod,  der 
den  Leib  trifft,  nichts  ändern  für  den  Geist.  Die  Schöpfung  des 
Geistes  ist  das  Prinzip,  welches  die  Unsterblichkeit  zur  Konse- 
quenz hat. 

Durch  die  Schöpfung  bestätigt  sich  die  Korrelation  von 
Gott  und  Mensch,  die  der  Geist  fordert  und  die  ihn  befriedigt. 
Der  Geist  ist  der  Geist  des  Menschen,  aber  Gott  hat  ihn  ge- 
geben; er  ist  für  ihn  verantworthch,  auch  für  seine  Verwahrung. 
Penn  von  Gott  kann  nichts  Vergängliches  kommen.  So  muß 
der  Geist  des  Menschen  wieder  zu  Gott  zurückkehren,  wenn 
der  Anteil,  den  der  Mensch  an  der  Erde  hat,  seine  individuelle 
Erscheinung  verliert. 

Was  bei  Gott  alsdann  aus  dem  Geiste  des  Menschen  wird^ 
darüber  enthält  sich  die  monotheistische  Lehre  vom  Geiste  jeder 
Mitteilung  und  jeder  Vermutung.  Für  den  Psalmisten  genügt 
die  Zuversicht:  „Jede  Seele  lobt  Gott"  (150,6).  Und  es  ist  cha- 
rakteristisch für  die  Psalmen,  daß  dieser  Satz  ihr  letztes  Wort 
ist.  Solches  Loben  vermag  nur  die  Seele,  nur  der  Geist:  „Sollte 
dich  bekennen  der  Staub,  sollte  er  verkünden  deine  Treue" 
(■]ncf<  Trn  icy  l"ivn  Ps.  30,10).  Der  Psalm  hatte  ja  den  Seelen- 
schatz gehoben:  „Wen  habe  ich  im  Himmel?  mit  dir  verbunden, 
habe  ich  kein  Verlangen  an  der  Erde;  ...  die  Nähe  Gottes  ist 


—     8     — 

mein  Gut"  (2M2  'h  D^h'pn  HD^p  .  .  .  ^n^^  'HüSn  iö  lüV^  C^Cli'D  ^h  ^D 
73,25.  28).  Und  in  dieser  „Nähe  Gottes"  hat  schon  ein  alter 
Denker  den  besten  Ersatz  der  Unsterblichkeit  erkannt.  f 

Eine  andere  Form  der  sittlichen  Betätigung  gibt  es  aller- 
dings nicht  mehr,  wenn  die  Seele  zu  Gott  wieder  heimgekehrt 
ist.  Aber  die  Frömmigkeit  fühlt  sich  so  befriedigt,  und  es  ge- 
schieht ihr  ein  so  völliges  Genügen,  wenn  sie  nur  Gott  loben 
und  seiner  Nähe  sich  erfreuen,  wenn  sie  nur  in  der  Liebe 
und  Verehrung  Gottes  verharren  kann,  daß  dieses  Ziel  des 
menschlichen  Daseins  in  der  Heimkehr  zu  Gott  ihr  höchstes 
Verlangen,  ihre  letzte  Zuversicht  ist.  So  erfüllt  sich  der  Aus- 
gang des  Geistes  von  Gott  in  diesem  Rückgang  zu  ihm  als  die 
beste  Gewähr  der  Unsterblichkeit,  über  die  jede  positive  An- 
deutung nur  aus  der  Religion  in  den  Mythos  zurückgleiten  muß. 
In  dieser  Einschränkung  aber  erfüllt  die  Heimkehr  zu  Gott  die 
Verbindung  von  Gott  und  Mensch,  ohne  daß  diese  zur  Auf- 
hebung ihres  Unterschiedes  führt. 

9.  Die  Heiligkeit  als  Absonderung,  Gehen  wir 
über  zur  Heiligkeit,  so  müssen  wir  an  die  primitivsten 
Bedeutungen  dieses  Grundbegriffs  zurückdenken,  die  im 
Gottesdienst  des  Opfers  diesem  Begriffe  entsprachen.  Wie 
im  Mythos  überhaupt  einzelne  Orte,  wie  Personen  und 
auch  Tiere,  Häuser  und  Geräte  sich  absonderten  von  dem  ge- 
meinen Gebrauche,  so  hat  der  Opferdienst  im  Heiligtum  und 
beim  Priester  diese  Bedeutung  der  Heiligkeit  als  Absonderung 
gesteigert. 

Aber  das  ist  ja  die  große  Entwickelungslinie,  die  der  Mo- 
notheismus von  Abraham  ab,  sofern  er  dem  Sabäerdienste 
sich  widersetzte ,  in  geschichtlicher  Kontinuität  durchgeführt 
hat:  daß  aus  allem  Mythos  in  Gedanken  und  Gebräuchen,  in 
Worten  und  Gesinnungen  der  eine  Parallelismus  sich  ausbildet: 
„Heilig  sollt  ihr  sein,  denn  heilig  bin  ich,  der  Ewige,  euer  Gott" 
(3.  M.  19,1).  Mit  dieser  Korrelation  verwandelt  sich  alle  my- 
thische Bedeutung  der  Heiligkeit  mit  einem  Schlage  in  die  neue 
Bedeutung  der  Sittlichkeit. 

10.  Heiligkeit  als  Aufgabe.  Der  Mythos  würde 
sagen:  heilig  werdet  ihr  werden,  denn  heilig  will  ich  euch 
machen.     Hier   aber   wird    die  Heiligkeit    von  Gott   gefordert, 


—     9     — 

-von  ihm,  dem  Menschen  zur  Aufgabe  gemacht.  Und  die 
Erteilung,  wie  die  Lösung  dieser  Aufgabe,  wird  nur  be- 
dingt durch  die  Korrelation  zwischen  Mensch  und  Gott. 
Nirgends  dürfte  sie  so  bestimmt  und  eindeutig  hervortreten,  wie 
hier.  Heilig  ihrl  Denn  heilig  ich.  Die  Aufgabe  hat  demnach 
diese  Korrelation  zur  Voraussetzung-,  die  Begründung  hätte  sonst 
keinen  Sinn.  Und  könnte  man  nicht  in  der  Tat  denken,  daß 
nur  Gott  heilig  sein  könne,  seinem  Begriffe  nach,  der  Mensch 
dagegen  seinem  Begriffe  nach  die  Heiligkeit  nicht  erreichen  könne? 
Es  ist  ja  auch  gar  nicht  gesagt,  daß  er  sie  wirklich  erreicht. 
Nichtsdestoweniger  hat  die  Aufgabe  als  solche  ihren  Bestand. 
Auf  das  Sollen  ist  der  Nachdruck  zu  legen,  während  bei  Gott 
der  Begriff  durch  seine  Definition  erfüllt  ist.  So  ist  es  lediglich 
die  Korrelation  von  Mensch  und  Gott,  welche  diese  Forderung- 
begründet,  welche  ihr  auch  zugrunde  liegt,  als  Voraussetzung. 
Sie   fordert,    sie    ermöglicht   diese  Verbindung  in  der  Heiligkeit. 

11.  Die  Vergeistigung  der  Gotteserkenntnis  und 
des  Gottesdienstes.  Die  Steigerung,  welche  sich  im  Begriffe 
der  Heiligkeit  vollzieht,  ausgehend  von  der  Absonderung  von 
Stoffen  und  überhaupt  von  materieller  Absonderung  zur  Abkehr 
von  allem  Weltlichen,  sofern  es  selbstisch  ist,  und  zu  sittlicher 
Läuterung,  sie  wird  in  natürlicher  Weise  vermittelt  durch  die 
Vergeistigung  der  Begriflfe  Gott  und  Mensch.  Und  dieser 
Entwickelung  entspricht  wiederum  die  Erhebung  des  Gottes- 
dienstes und  der  Gotteserkenntnis  zu  den  höchsten 
Idealen  des  Menschentums. 

12.  Die  Sabbatgesetzgebung.  Für  das  Leben  der 
Menschen  innerhalb  Israels  darf  der  Sabbat  als  das  Symbol 
höchster  sozialer  Sittlichkeit  bezeichnet  werden.  „Wer  den 
Sabbat  hütet,  daß  er  ihn  nicht  entweihe,  und  wer  seine  Hand 
hütet,  daß  sie  nichts  Böses  tue."  (IT  ^r2Z'^  1^':'n?2  HZl^'  lüZ' 
VI  ^2  mU'VC  Jes.56,2).  Und  mit  dem  Sabbat  hängt  die  ganze  Reihe 
der  sozial-agrarischen  Sabbatgesetze  zusammen,  welche 
in  dem  Jubeljahre  gipfelt. 

13.  Der  Messianismus.  Endlich  aber  schließt  sowohl 
diese  soziale  Sittlichkeit,  wie  die  Entwickelung  der  Korrelation 
von  Gott  und  Mensch  überhaupt  der  Messianismus  ab. 
Gott   schickt,    als    Ertrag   des  geschichtlichen  Lebens,    als 


—     10     — 

die  Hoffnung  und  Zuversicht  des  Völkerlebens,  den  Messias. 
Dieser  Gedanke  hat  sich  am  Ende  dahin  entwickelt,  daß  das 
Volk  Israel,  der  „Rest  Israels"  (^XHir"»  nnNlJ'),  in  den  Frommen, 
die  die  Armen  sind  (C'^JJ?  =  ^1:^?),  besteht,  so  daß  er  als  der 
Knecht  des  Ewigen"  ('1 12y)  bezeichnet  wird,  und  daher  selber 
zu  diesem  Messias  sich  entwickelt.  Und  da  ferner  aber  auch 
dieser  „Rest  Israels"  sich  erweitert  zum  Bruderbunde  der 
Menschheit,  da  alle  Völker  „sich  dem  Ewigen  anschließen" 
werden,  so  hat  sich  im  Begriffe  des  Messias  der  Begriff  des 
Menschen  von  allen  Unterschieden  der  Abstammung  befreit 
und  in  dem  einzigen  Gotte  seine  eigene  Einheit  entwickelt. 

In  allen  diesen  Vermittelungsbegriffen  haben  wir 
nun  die  entsprechende  Entwickelung  im  Begriffe  der  Heilig- 
keit,  sowohl   für  Gott,    wie   für   den  Menschen,    zu    betrachten. 

14.  Der  heilige  Gott,  der  Universalismus,  der 
Monotheismus  und  das  Sein  Gottes.  Gott  ist  heilig,  das 
will  sagen:  Gott  ist  der  Heilige.  Unter  den  vielen  geistigen 
und  sittlichen  Eigenschaften,  die  den  Begriff  Gottes  bilden,  ist 
kein  einziger  so  zentral,  wie  der  der  Heiligkeit.  Er  ist  der 
Inbegriff  aller  Eigenschaften  Gottes.  Er  ist  „der  Heilige  Israels", 
und  als  solcher  soll  er  „der  Gott  der  ganzen  Erde  genannt  werden"^ 

(Nip^  Y'\^n  hj  ''r]hn  hi<-)\i;^  w}ip  ibx:i  Jes.  54,5). 

Die  Heiligkeit,  aus  der  Absonderung  von  allem  Mythischen 
entstanden,  tritt  selbst  in  den  Dienst  gegen  den  Anthropomor- 
phismus  ein.  So  wird  aus  dem  heiligen  Gotte  „der  Name 
meiner  Heiligkeit".  Oli'ip  DI^'  Ezech.  39,7).  „Und  es  wird 
preisen  alles  Fleisch  den  Namen  seiner  Heiligkeit"  ("j"12n 
)W\p  Gir  ']^2  bD  Ps.  145,21). 

So  geht  die  Heiligkeit  im  Namen  und  durch  den  Namen 
zusammen  mit  dem  Universalismus,  ebenso  auch  zusammen 
mit  dem  Monotheismus:  „Niemand  ist  heilig,  wie  der  Ewige^ 
denn  niemand  ist  außer  dir"  (in^D  ]\X  ^2  1.  Sam.  2,2). 

Die  Heiligkeit  wird  identisch  mit  dem  Sein  überhaupt, 
und  ebenso  auch  mit  dem  Wesen  Gottes:  „Wem  wollt  ihr  mich 
vergleichen,  daß  ich  gliche,  spricht  der  Heilige"  Od  ':'X 
]Z'''\''\p  "IDN^  mti'kN"!  '':"|iC"in  Jesaja  40.25).  Und  die  Theophanie  des 
Jesaja  besteht  daher  in  der  dreimaligen  Nennung  des  Wortes 


—    11    — 

heilig  (6,3).  „Und  du  bist  heilig,  du  wohnst  in  den  Lobgesängea. 
Israels  (^ST^i'^  mt'Hn  2\L'^  Ps.  22,4). 

G  r  a  e  t  z ,  immer  fein  merkend,  findet  diesen  Ausdruck  auffällig. 
Indessen  dürfte  er  sich  eben  aus  der  Heiligkeit  erklären,  der  zufolge 
Gott  nicht  mehr  in  Zion  wohnt,  auf  seinem  heiligenBerge(Joel4,17), 
noch  in  seiner  heiligen  Wohnung  im  Himmel  (5.  M.  26,15),  noch 
in  seinem  heiligen  Tempel  (Ps.  138,2),  seinem  heiligen  Orte 
(Ps.  24,3).  Allen  diesen,  wie  immer  geistig  gedachten  Ortlich- 
keiten  stellt  sich  jetzt  die  Anerkennung  Israels  entgegen, 
mithin  die  Grundform  der  Korrelation  von  Gott  und  Mensch. 
Der  Heilige  ist  nicht  zu  denken  in  Zion  nebst  seinem  ganzen 
eigenen  Zubehör,  sondern  vielmehr  nur  in  den  Lobgesängen 
Israels. 

Und  von  Israel  geht  folgerecht  die  Korrelation  weiter  zu 
den  Völkern.  „Und  es  sollen  erkennen  die  Völker,  daß  ich  der 
Ewige  bin,  der  Heilige  in  Israel"  (^SIl^'^Z  l^'np  '"1  ^JwX  ^D  Cllin  IVTI 
Ezech.  39,7).  Die  Worte  vorher  machen  die  Prägnanz  dieser 
Namengebung  als  Heiliger  unverkennbar:  „Und  meinen  heiligen 
Namen  werde  ich  verkünden  inmitten  meines  Volkes  Israel,  und 
ich  werde  nicht  entweihen  lassen  den  Namen  meiner  Heiligkeit 
ferner".  Darauf  folgen  die  vorher  angeführten  Worte:  „und 
es  sollen  die  Völker  erkennen,  daß  ich  der  Ewige  bin,  heilig 
in  Israel".  Der  heilige  Gott  Israels  bedeutet  die  Forderung 
der  Gotteserkenntnis  für  alle  Völker.  So  gipfelt  auch  die 
Heiligkeit  im  Messianismus.  Und  dein  Erlöser,  der  Heilige 
Israels,  Gott  der  ganzen  Erde   werde  er  genannt  (Jes.  54,5). 

Endlich  verbindet  sich  der  Heilige,  wie  der  Geist,  mit  dem 
Schöpfer:  „Der  Heilige  Israels,  und  sein  Bildner"  ('PN'T^''  U'np 
nii'l"'"!  Jes.  45,11).  Die  Korrelation  vollendet  sich  in  dem  Ge- 
danken, daß  der  Ursprung  Israels  und  der  Menschheit 
in  der  Heiligkeit  Gottes  gelegen  ist. 

15.  Die  Übertragung  der  Heiligkeit  auf  den 
Menschen.  Und  jetzt  erwägen  wir  die  Übertragung  der  Heilig- 
keit,  in    der   Einschränkung   des    Gebotes,    auf  den  Menschen. 

Zunächst  wird  im  BegriflFe  Gottes  die  Losung  entfaltet: 
„und  der  heilige  Gott  wird  geheihgt  durch  Gerechtigkeit" 
(np"I2i2  l^'"pj  li'npn  hi<r\)  Jes.  5,16).  So  tritt  in  der  Gerech- 
tigkeit, dem  höchsten  Ausdrucke  der  Sittlichkeit,  die  Heiligkeit 


Sil! 

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—     12     — 

Gottes  in  die  Korrelation  zum  Menschen.  Und  die  Heiligkeit 
erscheint  demgemäß  als  die  Aufgabe  des  Menschen  in  dem 
Gebote:    ,,und  ihr  sollt  mich  heiligen". 

Dies  ist  die  Analogie  zu  dem  Satze:  „und  ich  werde  ge- 
heiligt inmitten  der  Israeliten"  ('pxitri  ^32  1^2  'PilLnp:)  3.  M.  22,32). 
Gott  vollzieht  seine  Heiligkeit  an  den  Menschen.  Und  die 
Menschen  erfüllen  ihr  Streben  nach  Heiligkeit  in  der  Aner- 
kennung des  Ideals  der  Heiligkeit  in  Gott,  dem  sie  nacheifern, 
und  in  dessen  Nacheiferung  sie  sich  selbst  heiligen.  „Und  ihr  sollt 
selbst  euch  heiligen  und  sollt  heilig  sein"  (CP^m  Cni^'lpnm 
C^lJ'Tip.  —  '':ii'npMt'  4.  M.  27,14).  So  durchdringt  die  Heiligkeit,  als 
Heiligung,  die  Korrelation  von  Gott  und  Mensch,  vollendet  den 
Begriff  Gottes  als  des  Ideals  der  Heiligkeit,  und  vollendet  den 
Begriff  des  Menschen  in  der  Aufgabe  und  somit  auch  in  der 
Fähigkeit,  zur  Heiligkeit  emporzustreben. 

Wie  der  Geist,  so  verbindet  auch  die  Heiligkeit  Gott  mit 
dem  Menschen,  den  Menschen  mit  Gott.  Und  beide  bleiben 
dennoch  voneinander  unterschieden.  Gott  wird  nicht  zum 
Menschen,  und  der  Mensch  wird  nicht  zum  Gotte.  Aber  die 
Heiligkeit  läßt  die  Unterscheidung  nicht  zur  Trennung  werden, 
sondern  sie  bewährt  sich  als  Idee,  indem  sie  die  Verbindung 
zustande  bringt  und  gewährleistet.  Die  Heiligkeit  wäre  zwecklos 
bei  Gott,  wenn  sie  nicht  ihre  Nutzanwendung  fände  beimMenschen. 
16,  Die  Analogie  von  Geist  und  Heiligkeit  —  Die 
Selbstheiligung.  Betrachten  wir  jetzt  die  Analogie  zwischen  ,j ': 
der  Heiligkeit  und  dem  Geiste;  sie  liegt  in  dem  Satze:  „Ich 
bin  der  Ewige,  der  euch  heiligt"  {D2\l'npl2  "\  ^JN  2.  M.  31,13; 
3.  M.  20,8.  21,8).  Wie  der  Geist  von  Gott  dem  Menschen  ge- 
geben Avird,  so  auch  die  Heiligkeit.  Dadurch  wird  die  Steigerung  ji 
nicht  abgeschwächt,  die  in  dem  Gebote  liegt:  „Und  ihr  sollt  " 
selbst  euch  heiligen,  und  ihr  werdet  heilig  sein"  (3.  M.  11,44). 
Denn  auch  diese  Selbstheiligung  entspricht  nur  der  Verleihung 
der  Heiligkeit  durch  Gott,  die  nicht  etwa  die  Übertragung  eines 
Heilsstückes  bedeutet,  sondern  nur  die  Anforderung  dieser 
Selbstheiligung.  Die  Auslegung  des  Sifra  beruht  daher  auf 
einer  richtigen  Gesamtexegese:  müD  Dl^mp  IT. 

Daher    ist    das    Analogon    zu     dem    Satze:     „Ich    heilige 
euch"   der  Satz:   „Ihn  sollt  ihr  heiligen"   (lli'Hpn  IHiS  Jes.  8,13). 


—     13     — 

Dieses  Gebot  entspricht  durchaus  der  Korrelation.  Gott 
muß  geheih'gt  werden;  dies  bedeutet:  seinem  Namen  muß 
Anerkennung  verschaflFt  werden.  Dies  fordert  schon  der  Mo- 
saismus,  der  keine  andere  Sünde  für  Mose  kennt  als  dieses 
Versagen  beim  Schlagen  des  Felsens.  Und  der  Messianismus 
ist  die  Erfüllung  dieser  Heiligung  Gottes    durch  die  Menschen. 

17.  Der  heilige  Geist.  Die  Analogie  mit  dem  Geiste 
führt  uns  nun  aber  endlich  zum  heiligen   Geiste. 

In  einer  Rede  von  gewaltiger  Schönheit  läßt  der  Verfasser 
des  Jesaja- Textes  plötzlich  zum  ersten  Male  im  alten  Kanon 
den  heiligen  Geist  erscheinen,  und  zwar  zweimal  in  zwei  auf- 
einanderfolgenden Versen.  Die  erste  Anführung  scheint  farblos. 
Nach  dem  Satze:  „Durch  seine  Liebe  und  Schonung  erlöste  er 
sie  und  hegte  sie  und  pflegte  sie  alle  Tage  der  Vorzeit"  heißt 
es:  „sie  aber  widerstrebten  und  betrübten  seinen  heiligen 
Geist"  (w'p  nn  HN  izi'yi  nc  ncm  Jes.  63,10).  Die  Wahl 
dieses  neuen  Ausdrucks  erscheint  hier  nicht  begründet.  Gott 
zu  betrüben,  bedarf  es  bei  ihm  keines  heiligen  Geistes.  Nun 
aber  heißt  es  unmittelbar  darauf,  wie  das  Volk  nun  weiter  der 
Tage  der  Vorzeit  gedenkt:  „Wo  ist,  der  in  ihre  IVIitte  legte 
seinen    heiligen    Geist?"    (1^'-p    nn    DN   12"^p2   CtiTI    n\x). 

Jetzt  ist  die  Anknüpfung  des  heiligen  Geistes  an  den 
Geist  gegeben.  Denn  auch  ihn  legt  Gott  in  den  Menschen, 
oder  er  „bildet  ihn  im  Innern  des  Menschen"  (C"IN  m~l  li"*! 
IZTpZ  Zach.  12,1).  Hier  ist  der  Geist  im  richtigen  Sinne  ge- 
nommen: Gott  legt  ihn  in  uns,  in  den  Menschen.  Und  so 
heißt  es  hier  vom  heiligen  Geiste,  daß  er  inmitten  des  Volkes 
gelegt  ward. 

Der  Heilige  Geist  unterscheidet  sich  somit  nicht  vom 
Geiste  überhaupt.  Und  es  bleibt  ein  literarisches  Rätsel,  wie 
er  an  dieser  durch  keine  neue  religiöse  Wahrheit  ausgezeich- 
neten Stelle  plötzlich  erscheint. 

18.  Der  heilige  Geist  und  die  Sünde.  Nun  aber 
kommen  wir  zum  Psalm,  der  den  heiligen  Geist  allein  noch, 
und  zwar  nur  einmal,  anführt.  Der  Psalm  51  ist  ein 
richtiger  Bußpsalm  mit  der  ganzen  Kraft  der  Reue  und  der 
Zuversicht  auf  Vergebung.  Vielleicht  hat  die  Tiefe  dieses 
Bußgebetes  die  Überschrift  veranlaßt:   „nachdem  er  zu  Bath- 


—     14     — 

seba  eingegangen  war".  Dagegen  spricht  nicht  V.  6:  „an  dir 
allein  habe  ich  gesündigt".  Denn  darin  spricht  sich  nur  das 
starke  Bewußtsein  aus,  daß  alle  Sünden  gegen  einen  anderen 
Menschen  zurücktreten  gegen  die  Sünde  gegen  Gott. 

Auch  am  eigenen  Bewußtsein  sucht  der  Dichter  zunächst 
keinen  Halt:  „siehe  in  Verschuldung  bin  ich  geboren,  und  in 
Sünde  hat  mich  meine  Mutter  empfangen"  (V.  7).  Die  christ- 
lichen Autoren  sind  nicht  so  geschmacklos,  hier  etwa  die  Erb- 
sünde zu  wittern.  Der  Dichter  will  nur  die  menschliehe 
Schwäche  schonungslos  aufdecken.  Der  folgende  Vers  lautet: 
„Du  verlangst  ja  Wahrheit  im  Innern  und  Geheimen,  so  laß 
mich  deine  Weisheit  wissen".  Und  nun  wird  die  Vergebung 
Gottes  angerufen:  „wasche  mich,  daß  ich  weißer  werde  als 
Schnee,  verbirg  dein  Angesicht  nicht  vor  meinen  Sünden". 
Die  Verzeihung  Gottes  kann  von  der  Sünde  erlösen. 

Aber  es  bleibt  nicht  bei  diesem  Gebet  um  Vergebung, 
sondern  der  Dichter  wendet  sich  nun  zu  seinem  eigenen  Herzen 
und  Geiste.  „Erschaffe  mir,  Gott,  ein  reines  Herz  und  er- 
neuere in  mir  einen  gegründeten  Geist."  Das  Herz  ist  also 
nicht  bei  der  Geburt  festgelegt,  noch  auch  der  Geist;  vielmehr 
soll  Gott  ein  neues  Herz  und  einen  neuen  Geist  schaffen,  als 
ob  dieser  dann  erst  „gegründet"  wäre.  Das  ist  die  richtige 
Ansicht  vom  Geiste,  daß  er  stets  erneut  werde,  oder  im  Ausdruck 
des  Gebetes,  dass  Gott  ihn  stets  erneue.  Damit  wird  die  Sünde 
vereitelt;  in  dieser  beständigen  Erneuerung  von  Herz  und  Geist 
vollzieht  sich  die  Erlösung  von  der  Sünde. 

An  diesem  Höhepunkte  religiöser  Erkenntnis  läßt 
es  sich  verstehen,  daß  der  Geist  heiliger  Geist  genannt 
wird.  Der  Dichter  wehrt  sich  gegen  die  Sünde  und  verlangt 
ihre  Tilgung  von  Gott.  „Verwirf  mich  nicht  von  deinem  An- 
gesicht,  und    nimm  deinen  heiligen  Geist  nicht  von  mir" 

■OJD^o  npn  ha.  iirip  nm  t^s^^  •»jd^'i^uti  bx  V.  13).    Es  ist  nicht 

richtig,  diesen  heiligen  Geist  mit  Kautzsch  als  den  „Geist  der 
Prophetie"  zu  verstehen;  denn  auch  der  Geist  wird  von  Gott 
nicht  nur  in  das  Volk  gelegt,  sondern  auch  in  das  Individuum, 
und  zwar  in  jeden  Menschen,  nicht  nur  in  den  Propheten. 

Ebenso  ist  jeder  Mensch  auch  heilig;  an  jeden  ist  die  Auf- 
rgahe   der  Heiligkeit  ergangen,   und   durch  jeden  Menschen  will 


—     15     — 

Gott  geheiligt  werden.  Was  isoliert  vom  Geiste  und  von  der 
Heiligkeit  gilt,  das  gilt  um  so  mehr  vom  heiligen  Geiste,  in  dem 
beide  Mittel  der  Korrelation  von  Gott  und  Mensch  sich  vereinigen. 
Und  nun  erkenne  man  die  tiefe  Innigkeit,  zu  welcher  diese 
Korrelation  hier  ausgereift  ist.  Der  Dichter,  der  seine  Sünde 
beklagt,  beruft  sich  für  sein  Gebet  um  Vergebung  auf  den 
heiligen  Geist  Gottes,  den  er  in  ihn  gelegt  hat.  Es  ist,  als  ob 
er  sagen  wollte:  du  darfst  ihn  mir  nicht  nehmen,  nachdem  du 
ihn  mir  gegeben  hast.  Der  heilige  Geist,  von  Gott  dem  Menschen 
gegeben,  bildet  den  unzerstörbaren  Charakter  des  Menschen. 
Die  Sünde  kann  dagegen  nichts  ausrichten;  gegen  sie  hilft  die 
Erneuerung  des  Geistes. 

19.  Die  beständige  Neuschöpfung  des  heiligen 
Geistes.  Und  vielleicht  bewährt  sich  gerade  in  dieser  Er- 
neuerung des  Geistes  die  eigentliche  Kraft  des  heiligen  Geistes. 
Der  Geist  überhaupt,  wenn  ich  davon  absehe,  daß  Gott  ihn  in 
mich  gelegt  hat,  könnte  vielleicht  an  sich  die  Erneuerung 
nicht  bewirken.  Aber  der  heilige  Geist  ist  die  Verbindung- 
des  Menschen  mit  Gott,  die  durch  keine  Sünde  abgebrochen 
werden  kann.  Gott  ist  der  Schöpfer  des  menschlichen  Geistes. 
Diese  Schöpfung  ist  nunmehr  als  beständige  Neuschöpfung  er- 
kannt. Und  hierin  läßt  sich  ja  wiederum  die  Heiligkeit  er- 
kennen, die  in  der  Selbstheiligung  gipfelt,  die  aber  jetzt 
durch  den  heiligen  Geist  im  Menschen  bestätigt  wird. 

20.  Unmöglichkeit  der  Erbsünde.  So  ist  die  Erb- 
sünde unmöglich,  ihr  Gedanke  überwunden.  Sie  widerspricht 
dem  heiligen  Geiste,  der  dem  Menschen  mit  Gott  gemein- 
sam ist.  Es  tritt  gar  nichts  Neues  in  diesem  Begriffe  auf; 
er  ist  nur  die  Konsequenz  der  beiden  Begriffe,  die  er  zusammen- 
faßt. Der  Geist  ist  dem  Menschen  gemeinsam  mit  Gott,  und 
die  Heiligkeit  ist  dem  Menschen  gemeinsam  mit  Gott,  So 
bedeutet  der  heilige  Geist  die  Verbindung  von  Gott  und 
Mensch  im  Problem  der  Heiligkeit  und  im  Organ  des  Geistes" 
Die  Sünde  kann  niemals  bewirken,  daß  Gott  den  Menschen  von 
seinem  Angesicht  verwerfen,  daß  er  ihn  der  Korrelation  mit 
Gott  berauben  könnte.  Diese  Korrelation  liegt  im  Begriffe 
Gottes.  Und  so  kann  der  Psalmendichter  mit  Recht  sagen,  daß 
•Gott  seinen  heiligen  Geist  nicht  von  ihm  nehmen  dürfe. 


16     - 


I 


21.  Nicht  der,  sondern  dein  heiliger  Geist.  Es 
ist  bedeutsam,  daß  weder  an  dieser  Hauptstelle,  noch  bei 
Jesaja,  der  heilige  Geist  absolut  steht.  Und  wenn  es 
sicherlich  anstößig  erscheinen  müßte,  würde  er  als  der  Geist 
des  Menschen  bezeichnet,  so  ist  es  um  so  tiefer  bedeutsam, 
daß  er  als  „dein  heiliger  Geist"  oder  „dein  Geist  der  Heilig- 
keit" oder  vielleicht  noch  genauer  „der  Geist  deiner  Heiligkeit" 
bezeichnet  wird.  Von  Gott  geht  der  Geist  aus,  Gottes  ist  im 
Ursprung  der  heilige  Geist.  Aber  Gott  legt  auch  ihn,  wie  den 
Geist  überhaupt,  in  das  Innere  des  Menschen. 

22.  Keine  persönliche  Vermittelung  zwischen  Gott 
und  Mensch.  Wie  die  Erbsünde  durch  diese  Bedeutung  des  hei-  ^ 
ligen  Geistes  unmöglich  ist,  so  erkennen  wir  den  Wert  dieses  Begriffes 
für  die  Festigung  der  Korrelation  von  Gott  und  Mensch. 
Diese  würde  zerrüttet,  wenn  in  dem  heiligen  Geiste  eine  eigene 
persönliche  Vermittelung  zu  denken  wäre.  Der  heilige  Geist 
kann  weder  Gott  noch  Mensch  sein,  noch  aber  etwa  auch  Gott 
und  Mensch  zugleich  sein;  sondern  er  ist  nichts  anderes  als 
ein  Attribut,  eine  Kraft,  gleichsam  ein  Organ  in  Gott  und  im  |||| 
Menschen.  Der  Geist  ist  nichts  anderes;  die  Heiligkeit  erst 
recht  nicht-,  wie  könnte  der  heilige  Geist  mehr  als  eine  Funktion 
bedeuten  sollen? 

23.  Die  logische  Bedeutung  der  Vereinigung. 
Der  Begriff  Gottes  im  Zusammenhange  mit  der  Korrelation 
hat  diese  neue  Konsequenz.  Gott  und  Mensch  müssen 
getrennt  bleiben,  wenn  sie  vereinigt  werden  sollen. 
Diese  Voraussetzung  des  Getrenntbleibens  gilt  für  den  logischen 
Begriff  der  Vereinigung  überhaupt.  Ohne  diese  Be- 
dingung wird  das  Denken  der  Vereinigung  materi- 
alisiert. Gott  ist  bedingt  durch  die  Korrelation  mit  dem 
Menschen.  Und  der  Mensch  ist  bedingt  durch  die  Korrelation 
mit  Gott.  Und  den  Höhepunkt  erreicht  diese  Korrelation  im 
Begriffe  des  heiligen  Geistes.  Aber  auch  für  ihn  muß  Gott  Gott 
bleiben  und  der  Mensch  Mensch,  wenn  anders  ihnen  der  heilige 
Geist  gemeinsam  sein  soll;  wenn  er  die  Heiligung  des  Menschen 
durch  den  Geist  Gottes,  und  hinwiederum  auch  die  Heiligung 
Gottes  durch  den  Geist  des  Menschen  bedeuten :  wenn  die  Korre- 
lation als  Vereinigung  im  heiligen  Geiste  denkbar  werden  soll. 


I 

\ 


11 


—     17     — 

24.  Vereinigung,  nicht  Vermittelung.  Es  läßt  sich 
schon  verstehen,  daß,  sobald  die  Entgleisung  vom  strengen  Ge- 
danken der  monotheistischen  Korrelation  anhebt,  der  erste 
Schaden  am  heiligen  Geiste  angerichtet  werden  konnte.  Erstlich 
ist  er  eine  so  einsame  Erscheinung,  und  sodann  setzt  er  an 
die  Stelle  der  Vereinigung,  welche  die  Korrelation  bedeutet, 
bei  aller  Festhaltung  der  Unterscheidung,  den  vagen  Begriff 
der  Vermittelung,  dem  es  ganz  an  Prägnanz  gebricht. 

Unter  den  Vorwürfen,  die  vom  Christentum  aus,  aber 
auch  vom  Pantheismus  und  von  der  Mystik  gegen  das 
Judentum  erhoben  werden,  möchte  am  schädlichsten  für  die 
Kultur  der  gewirkt  haben,  daß  es  keine  Verbindung  von 
Mensch  und  Gott  zulasse.  Dahingegen  haben  wir  uns  dahin 
überzeugen  wollen,  daß  die  echte  Verbindung,  nämlich  die 
wahrhafte  Vereinigung,  wie  sie  logisch  gedacht  werden  muß, 
durch  den  heiligen  Geist  in  Gott  und  im  Menschen  gewährleistet 
wird.  Eine  andere  Verbindung  kann  nicht  als  Vereinigung 
gedacht  werden. 

25.  Die  Zweideutigkeiten  Spinozas.  Auch  der 
Pantheismus  wird  so  gänzlich  entwurzelt.  Man  weiß,  wie 
Spinoza  mit  dem  Terminus  des  heiligen  Geistes  spielt,  indem 
er  ihn  bald  als  den  Geist  Christi  mit  der  Weisheit 
Gottes  gleichsetzt,  bald  aber  auch  nach  der  pantheistischen 
Grundformel  mit  dem  menschlichen  Geiste  überhaupt,  in- 
sofern dieser  an  der  Weisheit  Gottes  seinen  Anteil  hat. 
Aber  freilich  bleibt  dabei  unberücksichtigt,  daß  der  Geist  nur 
in  Stufen  an  der  Weisheit  Gottes  Anteil  hat.  Und  es  bleibt 
sogar  die  Frage,  ob  die  adäquateste  Erkenntnis  schlechthin 
identisch  ist  mit  ihr.  Aber  dabei  kommt  es  auf  den  Unter- 
schied zwischen  Erkenntnis  und  Ethik  an,  den  Spinoza 
jedoch  nicht  anerkennt. 

26.  Die  Begrenzung  des  heiligen  Geistes  auf  die 
Sittlichkeit.  Und  so  ergibt  sich  hieraus  der  Vorzug  dieser 
Vereinigung  durch  den  heiligen  Geist  vor  allem  Pan- 
theismus. Denn  der  heilige  Geist  begrenzt  das  Gebiet  des 
Geistes  auf  die  Heiligkeit,  auf  die  Sittlichkeit.  Und  die 
kritische  Philosophie  beruht  auf  dem  Unterschiede  der 
Gewißheit    in    der   wissenschaftlichen   Erkenntnis    und   in 

Gruttmann,  Festschrift.  a 


—     38     — 

der  Ethik.  Der  Pantheismus  stellt  sich  schon  durch  die 
Ignorierung  oder  gar  Bestreitung  dieser  kritischen  Grund- 
difFerenz  in  einen  unausgleichbaren  Widerspruch  nicht  allein 
zur  Ethik,  sondern  überhaupt  zur  wissenschaftlich  en  Philo- 
sophie. 

Daher  liebäugeln  philosophierende  Dichter  und  Dilet- 
tanten aller  Art  mit  dem  Pantheismus,  weil  sie  nicht  die  Vor- 
bereitungen auf  sich  nehmen ,  welche  die  Befassung  mit  der 
wissenschaftlichen  Philosophie  unbedingt  erfordert,  und  weil  sie 
ohne  diese  Rüstung  phantasierend  philosophieren  zu  dürfen 
glauben.  Spinoza  gewährt  noch  den  Vorwand,  daß  seine 
Definitionen  ihn  vor  dem  Verdachte  des  Phantasierens  schützen. 
Es  darf  aber  keine  Ethik  geben  vor  einer  Logik  und 
ohne  die  Unterscheidung  von  dieser.  Diese  Unter- 
scheidung ist  im  Begriffe  des  heiligen  Geistes  angelegt. 

Zwar  ist  die  Differenz  nicht  ausdrücklich  bezeichnet,  aber 
positiv  ist  der  eigene  Gegenstand  dieses  Geistes,  mithin  dieser 
Art  von  Ei'kenntnis  bezeichnet:  das  Heilige.  Während  Kant 
durch  den  „Primat  der  praktischen  Vernunft"  der  Ethik  im 
Werte  der  Erkenntnis  einen  Vorrang  zugesprochen  hat  vor  der 
der  Wissenschaft,  ist  hier  nur  schlicht  und  bestimmt  das  andere 
Gebiet  bezeichnet.  Das  Heilige  erfordert  einen  eigenen  Geist, 
das  Sittliche  eine  eigene  Erkenntnis.  Darin  besteht  der  metho- 
dische Vorzug  dieser  Lehre  vor  dem  Pantheismus. 

27.  Der  Vorzug  des  Judentums  vor  dem  Pan- 
theismus im  Begriffe  des  Individuums.  Indessen  bleiben 
alle  Vorteile  erhalten,  welche  aus  dem  Gesichtspunkte  der 
Verbindung  von  Gott  und  Mensch  der  Pantheismus  und 
das  Christentum  zu  bieten  scheinen.  Auf  beiden  Seiten  ist 
die  Verbindung  keine  widerspruchsfreie.  Es  bleibt  bei  ihnen 
nicht  der  Mensch  Mensch  und  Gott  Gott,  sondern  der  Wider- 
spruch von  Gott  und  Mensch  wird  nimmermehr  überwunden; 
auch  im  Pantheismus  nicht.  Denn  die  partikulare  Sache 
muß,  als  solche,  sich  aufheben,  wenn  sie  in  die  Idee  der 
Ewigkeit  und  der  göttlichen  Substanz  eingehoben  wird.  Es 
kommt  daher  gar  nicht  zur  Verbindung  mit  ihr,  sondern  ihre 
Vernichtung  und  Vereitelung  bleibt  der  letzte  Ratschluß  dieser 
Art  von  Gotteslehre  und  von  Menschenlehre.     Ist  es  denn  Ver- 


—     19     — 

einigung,  wenn  das  eine  Glied  derselben  im  Lichte  des  Ewigen 
schlechthin  verschwinden  muß? 

28.  Übereinstimmung  mit  dem  ethischen  Idealismus 
Dahingegen  wird  die  weiteste  Perspektive  gelichtet  für  die. 
Vereinigung  von  Gott  und  Mensch  durch  den  heiligen  Geist. 
Die  Unendlichkeit  bleibt  das  unterscheidende  Merkmal  der 
Gottheit.  Der  heilige  Geist  ist  nicht  zugleich  der  „Geist  der 
Geister  alles  Fleisches".  So  bleibt  auch  die  Substanz  eine 
Differenz  zwischen  Gott  und  Mensch.  Der  Mensch  ist  Er- 
scheinung, wie  schon  Piaton  sagte.  Und  wenn  Gott  nach 
Kantischer  Terminologie  das  Ding  an  sich  ist,  so  ist  er 
n.ach  derselben  Terminologie  dadurch  eben  auch  die  Idee, 
deren  Bedeutung  in  ihrer  Sendung  liegt  an  die  Menschenwelt, 
an  die  Welt  der  Erscheinungen,  welche  aber  zugleich  die 
Welt  der  wissenschaftlichen  und  auf  deren  Grunde  die  der 
ethischen  Erkenntnis  ist.  Mit  dieser  Lehre  läßt  sich  der  Ge- 
danke vom  heiligen  Geiste  in  Übereinstimmung  bringen. 

Durch  den  heiligen  Geist  ist  der  jüdische  Monotheismus  mit 
dem  wissenschaftlichen  Idealismus,  wie  mit  einem  natür- 
lichen Bande  der  Einfalt  und  der  Gewißheit  verknüpft.  Das  Inter- 
esse, dem  der  heilige  Geist  als  Vermitteler,  nicht  als  Vereiniger 
sich  dienstbar  macht,  ist  das  eigentliche  Interesse  der  spezifisch 
und  absolut  wissenschaftlichen  Welt,  die  die  Differenz  zwischen 
Gott  und  Mensch  durchaus  nicht  ertragen  und  daher  auch  die  Be- 
kenner  der  Einzigkeit  Gottes  im  letzten  Grunde  gar  nicht  be- 
greifen kann.  Der  griechische  Geist,  und  er  ist  der  Typus  des 
wissenschaftlichen  Weltsinnes,  sucht  die  Vermittelung,  wie  sie 
es  nennen,  zwischen  Gott  und  Mensch.  Diesem  griechischen 
Zauber  ist  der  Jude  Philo  mit  seinem  Logos  zum  Opfer 
gefallen. 

29.  Der  Grund  der  Differenz  zwischen  Pantheismus 

und  Monotheismus.     Welches  Interesse  beheiTscht  denn  nun 

aber  eigentlich  die  Menschen,  wenn  sie  durchaus  die  Kluft  zwischen 

Gott  und  Mensch  überbrücken  wollen?    Warum  denken  sie  denn 

nicht  wie  jener  Talmudlehrer:  „Er  imHimmel,  und  du  auf  der  Erde, 

darum  seien  deine  Worte  gering?  =  demütig."    Leitet  das  Denken 

denn  etwa  allein  die  logische  Regel,  welche  immer  nur  Einheit 

unter   dem   Seienden   nachweisen   will:    oder   setzt  diese  Einheit 

2* 


^ 


—     20     — 


selbst  nicht  auch  Verschiedenheiten  voraus,  die  ebenso 
nach  einer  logischen  Regel  anzuerkennen  sind?  Diese  Ver- 
schiedenheit wird  zwischen  Gott  und  Mensch  zugleich  zu  einer 
ethischen  Aufgabe,  sofern  die  Verwirklichung  der  Sitt- 
lichkeit auf  Erden  eine  Angelegenheit  der  Ethik  ist^ 
und  sofern  diese  am  letzten  Ende  nur  durch  die  Grund- 
legung Gottes  befriedigt  werden  kann.  Dieser  Gott  aber  ist 
daher  seinem  Begriffe  nach  verschieden  von  dem  Begriffe 
des  Menschen. 

Der  Kampf  zwischen  Monotheismus  und  Pantheismus  ist 
nicht  sowohl  ein  Kampf  zwischen  Philosophie  und  Religion,  als 
vielmehr  zwischen  Philosophie,  aber  ohne  die  Ethik  in  be- 
sonderer systematischer  Gestalt,  mit  derjenigen  Philosophie, 
welche  Ethik  als  eines  selbständigen  systematischen  Gliedes 
bedarf.  I 

Die  jüdischen  Philosophen  haben  sich  von  den  frühesten 
Zeiten  an  den  Reizen  des  Pantheismus  nicht  verschlossen,  aber 
immer  wurde  ihnen  von  jüdischer  Seite  selbst  die  Gefahr  vor- 
gehalten, mit  welcher  sie  den  Monotheismus  bedrohen.  Es  wäre 
zu  untersuchen,  ob  diese  jüdischen  Gegner  des  jüdischen  Pan- 
theismus auf  den  heiligen  Geist  sich  berufen,  und  ob  ihnen 
überhaupt  das  Bewußtsein  aufgegangen  ist,  daß  der  heilige  Geist, 
der  die  Sündhaftigkeit  des  Menschen  abwehrt,  und  der  als 
göttlicher  Geist  zugleich  menschlicher  Geist  ist,  ihre 
Zurückweisung  des  Pantheismus  irgendwie  beeinflußt  hat. 

30.  Der  heilige  Geist  als  der  soziale  Messias. 
Einen  geheimsten  Begriff  in  der  Geschichte  des  religiösen 
Geistes  bildet  dieser  heilige  Geist.  Den  Hellenismus  haben 
wir  schon  berührt  und  können  ihn  nicht  weiter  streifen.  Aber 
was  ist  in  Talmud  und  Midrasch  aus  dem  heiligen 
Geiste  geworden?  Überall  herrscht  die  naive  Ansicht  vor, 
daß  nur  Gott  selbst  der  heilige  Geist  sei;  daß  er  das 
Wesen  Gottes  vertritt,  wie  dies  ähnlich  gilt  von  der  Herrlich-  p 
keit  Gottes  oder  von  der  absonderlichen  Lagerung  (n^Dt^), 
durch  welche  das  Sein  Gottes  sinnbildlich  dargestellt  wird. 
Wie  Gott  nach  diesem  Sinnbild  ruht,  so  ruht  nach  einem 
anderen  hebräischen  Worte  auch  der  heilige  Geist  auf  dem 
Menschen. 


—     21     — 

Im  Midrasch  wird  von  Elias,  der  bekanntlich  der  Vor- 
bote des  Messias  ist,  der  Spruch  angeführt;  „Ich  rufe  als  Zeugen 
Himmel  und  Erde  dafür  an:  es  sei  ein  Israelit  oder  ein 
Heide,  ein  Mann  oder  ein  Weib,  ein  Sklave  oder  eine  Magd  — 
in  allen  nur  ruht  nach  den  Handlungen  eines  Menschen  der 
heilige    Geist    auf   ihm"     pNH    asl    C^Cli'H    HN    ^bv    ^JN   t^yo 

vbv  n~niJ'  li'ipn  nn  p  rw^)])^'  n^yo  ^^h  (Tanna  debe.  Elij.  Rabba 
ed.  Friedm.  c.  10.  S.  48)  So  hat  der  heilige  Geist  die 
messianische  Aufgabe  übernommen:  den  Völker-  und  den 
Standesunterschied  unter  den  Menschen  auszugleichen. 

Aber  der  heilige  Geist  richtet  sich  auch  nur  nach  den 
Handlungen  des  Menschen,  nicht  nach  seinen  Erkenntnissen. 
Der  heilige  Geist  ist  der  Geist  der  Ethik,  nicht  ein  theoretischer 
Geist,  und  daher  auch  überhaupt  kein  sogenannter  metaphy- 
sischer, der  das  Wesen  der  Gottheit  zu  bestimmen  hätte. 
Nur  allein  den  sittlichen  Begriff  des  Menschen  betrifft 
dieser  Geist  der  Heiligkeit  auch  nach  der  Ansicht  der 
Rabbinen. 

Auf  dem  Menschen  ruht  der  heilige  Geist,  nicht 
auf  dem  Israeliten. 

Das  ist  die  große  Entwickelung,  die  derjenigen  ent- 
spricht, welche  der  Begriff  der  Heiligkeit  zu  durchwandern 
hat.  So  ist  der  heilige  Geist  der  Geist  Gottes  und  der  Geist 
der  Menschheit.  Die  Korrelation  von  Gott  und  Mensch  hat 
den  messianischen  Sinn  erlangt.  Daher  kann  aber  die  Ver- 
einigung nicht  zur  Verschmelzung  führen.  Die  Gegensätze 
bleiben,  wenngleich  die  Vereigung  inniger  wird,  die  der 
heilige  Geist  vollzieht. 


Die  Weltschöpfang  in  der  Sapienz. 

Von  Rabb.  Dr.  Cohn,   Eschwege. 

Unter  den  Erzeugnissen  des  jüdisch-alexandrinischen  Geistes 
nimmt  das  zu  den  Apokryphen  des  AT.  gehörige,  dem  König- 
Salomo  zugeschriebene  „Buch  der  Weisheit"  oder  „die  Sapienz"^ 
einen  hervorragenden  Platz  ein.  Es  ist,  wie  schon  der  Titel 
andeutet,  ein  glänzender  Hymnus  auf  die  innerhalb  und  zum 
Heil  der  Menschenwelt  waltende  und  wirkende  göttliche  Weis- 
heit. Pseudosalomo  (PS.)  versteht  aber  darunter  nicht  die  in 
Gott  befindliche,  zu  seinem  Wesen  gehörige  vollkommene  Weis- 
heit, sondern  diejenige,  deren  auserwählte  Menschen  mit  heiliger,. 
reiner  Seele  auf  ihr  inbrünstiges  Flehen  und  heißes  Begehren 
oder  wegen  ihrer  Würdigkeit  in  jedem  Zeitalter  (xaxa  ysvsoci;  7,27) 
durch  Gottes  Gnade  teilhaftig  werden;  die  sie  zu  Lieblingen 
Gottes  und  zu  Propheten  macht  und  sie  sogar  befähigt,  Große» 
und  Wunderbares  zu  vollbringen  (10,16).  Dieser  Weisheit,  dem 
höchsten  Ideal  menschlicher  Geistesgröße  und  Heiligkeit,  gibt 
PS.  nach  Dichterart  ein  besonderes  Fürsichsein,  in  dem  Sinne 
etwa,  wie  wir  von  der  objektiven  Wissenschaft  reden  im  Gegen- 
satz zu  dem  subjektiven  Wissen  i.  Er  nennt  die  Weisheit  eine 
Beisitzerin   des   göttlichen    Thrones   9,4,    die   Mitwisserin    seiner 

'  Dadurch  entfernt  sich  PS.  nicht  vom  altbiblischen  Standpunkt. 
Seine  „Weisheit"  entspricht  im  allgemeinen  dem  biblischen  'n  nn,  dem 
Gottesgeiste,  der,  ebenfalls  von  Gott  gesandt,  die  von  ihm  Auserkorenen 
überkommt,  sie  erfüllt  oder  bekleidet.  Jes.  11,2  tritt  er  in  die  Erscheinung 
als  der  Geist  der  Weisheit  und  Einsicht,  der  Geist  des  Rates  und  der 
Stärke,  der  Geist  der  Erkenntnis  und  Gottesfurcht;  Eichter  3,10  als  Helden- 
mut; 2.  M.  31,3  als  Kunstsinn  und  Kunstfertigkeit;  Ps.  51,13  als  Geist  der 
Heiligkeit  und  4.  M.  11,29.  1.  Sam.  10,6  als  prophetische  Kraft  und  höchste 
Gottesbegeisterung.  —  Von  Philo  (de  Josepho  §  48)  wird  die  Gerechtigkeit 
(fi  8i>tr,)  die  Beisitzerin  Gottes  und  Aufseherin  über  die  (menschlichen)  Hand- 
lungen genannt.     Wollte  er  etwa  auch  diese  zu  einem  Mittelwesen  stempeln. 


n 


—     23     — 

Werke,  die  bei  der  Weltschöpfung  zugegen  war  9,9;  einen 
Hauch  («xpis)  der  göttlichen  Allmacht,  einen  reinen  Ausfluß  der 
Herrlichkeit  des  Allbeherrschenden,  einen  Abglanz  des  ewigen 
Lichts,  einen  Spiegel  der  Wirksamkeit  Gottes,  ein  Abbild  seiner 
Allgüte  7,25.  26.  Diese  Worte  wollen  nur  besagen,  daß  die 
Weisheit,  wie  sie  PS.  sich  denkt,  die  nur  in  der  Seele  der 
Reinen  und  Heiligen  ihre  Wohnstätte  aufschlägt,  alles  Gute  und 
Schöne  in  sich  vereinigt,  alle  Kenntnisse  und  Tugenden  besitzt, 
der  Abglanz  aller  göttlichen  Eigenschaften,  mithin  gottähnlich 
ist;  daß  sie  Gottes  Walten  und  Wirken,  selbst  seine  schöpferische 
Tätigkeit  im  Anfang  der  Zeiten  (cf.  7,18)  wie  in  einem  klaren 
Spiegel  erkennt,  daß  sie  seiner  unendlichen  Liebe  nachzueifern 
bestrebt  und  menschenfreundlich  (cpiT.avQ'pw-o?  7,23)  ist,  gleichwie 
seine  liebende  Fürsorge  sich  auf  alle  erstreckt,  die  er  geschaffen 
hat  6,8. 

Verfehlt  aber  wäre  es,  aus  diesen  verschiedenen  Bezeich- 
nungen der  Weisheit  zu  schließen,  daß  PS.  die  Weisheit  als 
ein  persönliches  göttliches  Wesen  ansieht,  als  sogenanntes  Mittel- 
wesen und  Stellvertreterin  Gottes,  dem  er  die  unmittelbare  Be- 
rührung mit  der  Erdenwelt  absprechen  müsse.  Sie  ist  nicht 
selbständig,  denn  „Gott  ist  der  Führer  der  Weisheit  und  der 
Lenker  der  Weisen"   7,15. 

Der  jüdische  Monotheismus  schließt  die  Existenz  eines 
außer  Gott  frei  und  unabhängig  waltenden  göttlichen  Wesens 
aus.  An  vielen  Stellen  seines  Buches  schildert  PS.  das  un- 
mittelbare Eingreifen  Gottes  in  die  Geschicke  der  Menschen, 
das  freie  Walten  seiner  Allmacht,  Güte  und  Gerechtigkeit.  Wer 
könnte,  ruft  er  aus  11,22,  der  Kraft  deines  Armes  widerstehen! 
Er  ist  Herr  über  Leben  und  Tod  16,13,  niemand  kann  seiner 
Hand  entfliehen  16,15.  Beherrschend  (deine)  Kraft,  richtest  du 
mit  Billigkeit  und  mit  vieler  Schonung  leitest  du  uns,  denn  bei 
dir  ist,  wann  du  willst,  das  Können   12,18. 

Im  Widerspruch  damit  scheint  Sie  Stelle  (11,18)  zu  stehen, 
wo  PS.  beiläufig  die  Bemerkung  einflicht,  daß  Gott  die  Welt 
aus  formlosem  Stoff  (sc    a[x6pffiOü    SIy]?)   geschaffen   hat.     Mit    üXy) 

zu  einer  Konkurrentin  seines  Logos?  Wie  die  Hellenisten  zu  solcher  Per- 
sonifikation kamen,  habe  ich  Monatsschr.  Jahrg.  1882  S.  523  ff.  zu  erklären 
versucht. 


—     24     — 

bezeichnet   die   griechische   Philosophie    das    „Baumaterial",  den 
Stoff,  aus  dem  die  Welt  entstanden  ist,  und  die  Beifügung  ajxop- 
moc,  will  sagen,  daß  der  Weltstoff,  bevor  der  Weltbaumeister  ihn 
in  Angriff  nahm,  noch  keine  erkennbare  feste,  bestimmte  Form 
und  Gestalt  hatte,  oder,  wie  Plato  im  Timaeus  30A  sagt,  noch 
nicht  in   einem  Ruhezustand,  sondern  in  einer  unharmonischen, 
ungeordneten  Bewegung  sich  befand.     Aber  die  Annahme  einer 
solchen   von   Ewigkeit   her  neben  Gott   bestehenden  Materie  ist 
unvereinbar  mit   der    jüdischen  Anschauung   von    der  absoluten 
göttlichen  Allmacht;  abgesehen  davon,  daß  HiSnz  eine  vollstän- 
dige Neuschöpfung  und  nicht  etwa  bloß  eine  Umformung  eines 
vorhandenen   Etwas   bedeuten   kann,    beweisen    uns    Bibelworte 
wie  Ps.  33,9.    1.  M.  18,14.     4.   M.    11,13    u.   a.    unwiderleglich, 
daß  Gott   auch   aus  nichts  schaffen  kann.     Daß  das  altjüdische 
Anschauung    und   Überzeugung    ist,    müssen    selbst    diejenigen 
Bibelerklärer   zugeben,    die  in  der  Kosmogonie  der  Genesis  die 
Voraussetzung   einer   präexistierenden   Materie    finden.     So  sagt 
z.   B.    Bruch    (Weisheitslehre    der    Hebräer    S.    76  f.),   daß   der 
Hebräer,  wenn  man  ihn  fragen  würde,  woher  der  Weltstoff  ge- 
kommen   sei,    unbedenklich    antworten    würde:    von    Gott.     Im 
Judentum  konnte  die  Idee  eines  ewigen  Urstoffs  nicht  Eingang 
finden-,    diejenigen,    die   in   1,121    inn   den  Urstoff  erblickten,  aus 
dem   die    Erde    geworden,   ließen   ihn  von  Gott  geschaffen  sein. 
So   erzählt   uns   der  Midrasch    (Ber.    r.    cap.    1):    Ein  Philosoph 
sprach  zu  Rabban  Gamliel:   „Euer  Gott  ist  ein  großer  Künstler, 
aber  er  fand  ja  die  zu   seinem   Kunstwerk  notwendigen  Mittel 
vor,  die  1.  M.   1,2  genannten  Dinge!"     Doch  R.  G.  bewies  ihm 
aus   anderen  Bibelstellen,   daß   alle   diese    Dinge    von   Gott  ge- 
schaffen   wurden,    mithin    nicht    von    Ewigkeit    her    vorhanden 
waren. 

Die  in  Rede  stehende  Stelle  im  Buche  der  Weisheit  ist 
aber  noch  in  anderer  Hinsicht  höchst  auffallend.  Betrachten 
wir  sie  im  Zusammenhang,  so  scheint  es  uns,  als  ob  PS.  sich 
selbst  gleichsam  in  einem  Atemzuge  widerspreche.  Er  sagt 
(das.  11,18  ff.):  „Nicht  unmöglich  war  es  für  deine  allmächtige 
Hand,  die  sogar  die  Welt  aus  formlosem  Stoff  geschaffen  hat, 
über  sie  (die  Ägypter)  eine  Menge  Bären  zu  senden  oder  neu- 
geschaffene   unbekannte    Tiere,    wuterfüllte,    feuerschnaubende. 


—     25     — 

funkensprühende,  deren  Anblick  schon  sie  zu  Tode  erschrecken 
und  töten  konnte;  aber  du  hast  alles  nach  Maß  und  Zahl  und 
Gewicht  angeordnet."  Er  will  also  die  absolute  Allmacht  Gottes 
durch  den  Hinweis  auf  die  Weltschöpfung  nachdrücklich  hervor- 
heben und  schränkt  sie  durch  aij..  ülr^  wesentlich  ein.  Größeren 
Nachdruck  und  Beweiskraft  hätte  er  seinen  Worten  gegeben, 
wenn  er  statt  zE,  a[j.6p(po'j  olric,  etwa  mit  2.  Maccab.  7,28  ti  oux 
ovTcov  gesagt  oder  die  Schöpfung  der  prima  materia  aus  nichts 
betont  hätte. 

Man    hat    geglaubt,    daß    nicht    sowohl    die    Vertrautheit 
mit    der    Terminologie    der    griechischen    Philosophie    als    viel- 
mehr  die   Übersetzung,    die   die    Septuaginta   von  inzi  IHH  gibt: 
ocöpa^oe    xal   a.Y.oi.'ZxcKzoxazoq    (unsichtbar   und   unzubereitet   d.  h. 
unfertig)  ihn   zur   Annahme    einer  präexistierenden   Materie  ver- 
leitet   habe,    da    axaTraaxsyaaTO?   dem    fSinne   nach    dem    ap-opcpo«; 
nahekommt.     Frankel  (Über  den  Einfluß  usw.  S.  37)  meint,  die 
Sept.  teile  mit  mehreren  talmudischen  Lehrern  die  Ansicht  einer 
von   Gott   (aus   nichts)    erschaffenen   Materie,    aus    der   dann  die 
Welt  geworden  sei,  und  vermutet,   daß  auch  Weisheit  Salomos  in 
i%  a[x.  u>wY]?  die  erschaffene  Materie  im  Auge  gehabt  haben  mag. 
Beides  erscheint  aber  als  wenig  einleuchtend.     Man  könnte  wohl 
eher  das  PiiTH  des  Urtextes  (1.  M.   1,2)  als  das  ?jv  der  Sept.  in 
der  Bedeutung  eines  Plusquamperfekts  fassen.     Die  Schilderung 
des   2.    Verses   geht   dem   Bericht   des  ersten  nicht  voran.     Die 
Erde  war,  sagt  die  Septuaginta,  nach  ihrer  Erschaffung  unsicht- 
bar,   da   Finsternis   über    dem   Abgrund   lagerte   und   das  Licht 
noch  nicht  geschaffen  war,  und  unfertig,  da  noch  nicht  Wasser 
und   Erde   geschieden  waren.     PS.  aber  kann  nicht  an  die  ge- 
schaffene Materie  gedacht  haben,  da  er  logischerweise  zur  Be- 
kräftigung  seiner   Behauptung    die    Erschaffung    der   Welt   oder 
des  Weltstoffes  aus  nichts  hätte  betonen  müssen. 

Um  den  scheinbaren  Widerspruch  zu  lösen,  der  in  der 
Behauptung  der  Absolutheit  Gottes  und  in  der  gleichzeitigen 
Annahme  einer  ewigen  Urmaterie  liegt,  erinnere  ich  an  einen 
jüdischen  Philosophen  des  Mittelalters,  der  ebenfalls  eine 
Schöpfung  aus  formlosem  Stoff  gelehrt  hat.  Nämlich  Gersonides. 
Nachdem  dieser  ausführlich  bewiesen,  daß  weder  eine  Schöpfung 
aus    etwas,   noch   eine   Schöpfung   aus   nichts    anzunehmen    sein 


—     26     — 

könne,  spricht  er  seine  endgiltige  Ansicht  dahin  aus,  daß  beides 
der  Fall  sei:  1)iü  pND  t^"»!  "liQ  li'^D  ^^  die  Welt  sei  aus  etwas 
geschaffen,  da  sie  aus  einem  Urstoffe,  aus  nichts,  da  sie  aus 
einem  formlosen  Urstoff  entstanden  sei:  NlH  li/^ü  ^^  nnvn  ü'^INI 

miy  hj  "iiyj  c^yD  n^nn*^  nih  ]\nc  tr^  nnvn  d^jini  ,01^20  n^nnii' 
(r  piD  \x  phn  '^  icn?2  mcnSc). 

Die  hier  zitierten  Worte  des  Gersonides  —  ein  Beispiel 
für  viele  —  lehren  uns,  wie  die  jüdischen  Philosophen  des 
Mittelalters,  die  Aristoteles  als  „den  Weisen"  schlechthin  an- 
erkannten und  beinahe  völlig  im  Banne  seines  philosophischen 
Systems  standen,  in  dem  einem  Punkte,  der  Annahme  einer 
prima  materia  und  der  Unerschaffenheit  der  Welt,  einen  ab- 
weichenden Standpunkt  einnahmen.  PS.  würde  also  unter  den 
jüdischen  Denkern  mit  seiner  präexistierenden  Materie  allein 
stehen.  Gersonides  macht  zwar  der  heidnischen  Anschauung 
ein  schwaches  Zugeständnis;  er  gibt  eine  Schöpfung  aus  etwas, 
aus  völlig  formlosem  Stoff  nämlich,  zu,  aber  er  erklärt,  daß 
dieser  völlig  formlose  Stoff  mit  dem  Nichts  identisch  ist'.  Und 
dieser  Ansicht  muß  auch  PS.  sein;  nur  wenn  wir  seine  formlose 
Hyle  dem  Nichts  gleichsetzen,  geben  seine  Worte  einen  ver- 
nünftigen Sinn.  Ihm  konnte  es  nicht  unbekannt  sein,  daß  man 
in  den  griechischen  Philosophenschulen  seit  Aristoteles  viel  über 
das  Verhältnis  von  Stoff  und  Form  zueinander  —  „den  springen- 
den Punkt  in  der  peripatetischen  Philosophie"  —  diskutierte  und 
die  formlose  Materie  ein  ^.yj  ov  (ein  Nichtseiendes)  nannte,  da  es 
in  der  realen  Welt  einen  Stoff  ohne  alle  Form  nicht  gibt  und 
die  Vorstellung  eines  bloßen  Stoffes  in  vorweltlicher  Zeit  nur 
eine  Abstraktion  ist. 

Beiläufig  sei  hier  bemerkt,  daß  Philo,  der  keinen  vorwelt- 
lichen Urstoff  annimmt,  die  Mischung  der  beiden  Elemente 
Wasser  und  Erde  „eine  einzige  unterschiedslose  und  formlose 
Masse"  ([xtav  aBtaxpiTOV  xai  appcpov  (pücriv)  nennt:  de  opif.  m.  §  38. 
Hier  bedeutet  aber  appcpo?  nicht  „ohne  alle  Form",  sondern 
ohne  die  einem  jeden  der  beiden  Elemente  zukommende  Form. 
Nach  seiner  Ansicht  wurde  diese  Mischung  nach  der  Idee  der 
Erde,  aus  der  gedachten  Erde  gebildet,  die  wie  der  gedachte 


^  Zur  Würdigung  dieses  Ausgleichs  vgl.  Joel,  Levi  b.  Gerson  S.  72  ff. 


-     2.1     — 

Himmel  und  der  gesamte  Weltplan  am  ersten  Schöpfungstage 
im  Logos,  der  Personifikation  der  göttlichen  Vernunft,  ent- 
standen ist. 

Die  Stellung,  die  die  jüdischen  Aristoteliker  des  Mittelalters 
der  prima  materia  gegenüber  einnehmen,  hat  der  verehrte  Jubilar, 
dem  dieser  kleine  Beitrag  in  Liebe  gewidmet  ist,  im  dritten 
Kapitel  seines  Buches:  Die  Religionsphilosophie  des  Abr.  ihn. 
Daud  (Gott.  1879)  in  überaus  lichtvoller  Weise  geschildert. 


Chasdai  Creskas 
als  Kritiker  der  aristotelischen  Physik. 

Von   Julius  Guttmann, 

In  der  Geschichte  der  Naturphilosophie  hat  Chasdai  Creskas 
bisher  keine  Stelle  gefunden.  Der  knappe  Bericht,  den  Joels 
wesentlich  den  religion.sphilosophischen  Fragen  zugewandte  Dar- 
stellung von  seiner  Kritik  der  aristotelischen  Physik  gibt,  hat 
offenbar  nicht  ausgereicht,  um  die  volle  Bedeutung  dieser  Leistung 
sichtbar  zu  machen  und  ihr  die  Aufmerksamkeit  der  Geschicht- 
schreiber der  Philosophie  zu  gewinnen.  Auch  die  Forscher,  die 
der  EntwickeluDg  des  Naturbegriffs  im  Mittelalter  am  sorg- 
fältigsten nachgegangen  sind,  haben  den  Denker  übersehen,  der 
unter  den  Philosophen  des  Mittelalters  mit  an  erster  Stelle  zu 
den  Vorläufern  der  modernen  Naturauffassung  gezählt  werden 
darf.  Die  von  der  Naturphilosophie  der  Renaissance  an  den 
Grundbegriffen  der  aristotelischen  Physik  geübte  Kritik  ist  von 
Creskas  an  entscheidenden  Punkten  vorweggenommen.  Den 
Denkern,  die  diese  Entwickelung  eröffnen,  ist  er  in  der  Selb- 
ständigkeit und  Energie  der  Untersuchung  wie  in  der  Frucht- 
barkeit ihrer  Ergebnisse,  durchaus  ebenbürtig. 

Den  Schöpferdrang,  von  dem  jene  Zeit  gärt,  darf  man 
freilich  bei  Creskas  nicht  suchen.  Bei  aller  Berührung  in  den 
Ergebnissen  waltet  in  seiner  Kritik  des  überlieferten  Naturbegriffs 
ein  vollkommen  anderer  Geist  als  bei  den  Denkern  der  Re- 
naissance. Für  sie  ist  die  Kritik  der  aristotelischen  Über- 
lieferung nur  das  Mittel,  um  einen  selbständigen  Aufbau  des 
Naturbegriffs  vorzubereiten.  Aus  der  selbständigen  Erforschung 
der  Natur  erwachsen  ihnen  die  Gesichtspunkte,  mit  denen  sie 
an  die  Naturlehre  des  Aristotelismus  herantreten.  Mit  dem 
stetigen  Fortschritt   von   der  ungezügelten   Empirie    der    ersten 


—     29     — 

Naturphilosophen    bis    zu    der    begrifflichen    Grundlegung    der 
mathematischen  Naturwissenschaft    wächst   auch    die    Kritik  des 
aristotelischen  Weltsystems  ständig  an  Klarheit  und  Reife.     Der 
Kritik  des  Creskas  liegt  keine  eigene  Naturkonzeption  zu  Grunde. 
Sie   vollzieht   sich   ausschließlich    als   immanente    Kritik,  welche 
die  gegebenen  Theorien  begrifflich-dialektisch  zergliedert.     Ihre 
Stärke   liegt  in    der   begrifflichen    Schärfe,   mit   der   sie  im  An- 
schluß an  die  Diskussionen  innerhalb  des  arabischen  Aristotelis- 
mus    die   Beweisführung    des   Aristoteles    und   seiner  Anhänger 
nachprüft.     An   Klarheit    und   Nüchternheit    der    Forschung    ist 
Creskas  den  Anfängen  der  neueren  Naturphilosophie  um  eben- 
soviel  überlegen,   wie   er   —   wenigstens    in   diesem   Teil    seiner 
Untersuchung  —  an  Ideenfülle  hinter  ihnen  zurückbleibt.     Der 
positive    Ertrag    bleibt    auch    dieser    wesentlich    kritischen    Be- 
handlung  der   Probleme   nicht   versagt.     Vielfach   freilich  bleibt, 
sie  dabei  stehen,  die  Notwendigkeit   der  aristotelischen  Position 
zu   bestreiten    und    auf   andere    gleichberechtigte   Möglichkeiten 
hinzuweisen.     An   den   Punkten  jedoch,   die  im  Mittelpunkt  der 
Untersuchung  stehen,  dem  Raum-  und  dem  Unendlichkeitsproblem,, 
erhebt  sich  die  Kritik  zu  produktiver  Kraft  und  führt  zu  eigener 
Fassung  der  Begriffe  hin. 

Der  mittelalterliche  Denker,  der  schon  in  dieser  Methode 
der  Untersuchung  nicht  zu  verkennen  ist,  wird  nicht  minder  in 
dem  Interesse  deutlich,  das  zur  Prüfung  der  aristotelischen 
Naturlehre  den  Anlaß  gibt.  Creskas  untersucht  den  aristote- 
lischen Naturbegriff,  um  die  auf  ihn  gegründeten  Gottesbeweise 
der  Aristoteliker  nachzuprüfen,  die  in  der  Hauptsache  den 
aristotelischen  Beweis  für  einen  ersten  Beweger  variieren.  Die 
aristotelische  Lehre  von  der  Endlichkeit  der  Welt  und  der  Un- 
möglichkeit einer  unendlichen  Kausalreihe  verfällt  seiner  Kritik, 
weil  er  sie  als  Nerv  jener  Beweisführung  erkennt.  Schon  Mai- 
monides  hatte  seiner  Entwickelung  der  Gottesbeweise  eine  Zu- 
sammenfassung der  aristotelischen  Physik  und  Ontologie  in  2.6 
Lehrsätzen  vorangeschickt.  Creskas  folgt  seiner  Darstellung, 
indem  er  zunächst  die  aristotelische  Begründung  dieser  Sätze 
entwickelt  und  dann  in  einem  zweiten  Abschnitt  die  wichtigsten 
unter  ihnen  der  Reihe  nach  kritisch  durchgeht.  Seine  Dar- 
stellung ist  durchweg  von  einer  Präzision  und  Klarheit,  die  auch 


—     30     — 

seiner  Wiedergabe  der  aristotelischen  Einzellehren  einen  bleiben- 
den Wert  verleiht.  Der  systematische  Zusammenhang  der  Ge- 
danken aber  tritt  sowohl  in  der  Anordnung  der  Prämissen  des 
Maimonides,  wie  in  der  Gliederung  der  Argumente  bei  Creskas 
selbst  hinter  den  Rücksichten  der  Beweistechnik  zurück.  Ohne 
Rücksicht  auf  ihre  innere  Zusammengehörigkeit  erscheinen  die 
einzelnen  Lehrstücke  an  der  durch  den  Beweisgang  geforderten 
Stelle.  Um  ein  zusammenhängendes  Bild  von  Creskas'  Lehre 
zu  erhalten,  ist  daher  die  Emanzipation  von  dem  Aufbau  seiner 
Darstellung  unvermeidlich. 

Das  gilt  vor  allem  für  die  Behandlung  des  Raumproblems, 
das  von  Creskas  in  die  Prüfung  der  aristotelischen  Lehre  von 
der  Endlichkeit  der  Welt  verflochten  ist.  Nach  Aristoteles  ist 
eine  unendliche  Größe  unmöglich.  Sie  als  unkörperliche  Größe 
zu  denken,  verbietet  der  Begriff  der  Größe,  der  ein  körperliches 
Substrat  fordert  (Physik  III  5).  Die  Unmöglichkeit  einer  un- 
endlichen körperlichen  Größe  ergibt  —  neben  anderen  Gründen 
—  schon  die  aristotelische  Definition  des  Raumes  als  der  um- 
schließenden Grenze  des  Körpers,  nach  der  ein  unbegrenzter 
Körper  zugleich  ein  unräumlicher  wäre  ^  Als  verschwiegene 
Voraussetzung  des  ersten  Arguments  zeigt  Creskas  die  aristote- 
lische Bestreitung  des  leeren  Raumes  auf,  das  andere  setzt 
offenbar  die  Geltung  der  aristotelischen  Raumdefinition  voraus. 
Die  dadurch  geforderte  Kritik  der  aristotelischen  Raumlehre,  die 
diese  beiden  Seiten  gesondert  ins  Auge  faßt,  ruht  auf  dem 
Grundgedanken,  daß  Aristoteles  den  Begriff  des  Raumes  als 
dreidimensionaler  Ausdehnung  nirgends  mit  Schärfe  erfaßt  hat. 
Überall,  wo  er  sich  mit  dieser  Auffassung  des  Raumes  aus- 
einandersetzt, zeigt  sich  in  seiner  Kritik  das  Unvermögen,  die 
geforderte  Abstraktion  von  allen  physischen  Momenten  durch- 
zuführen. 

Aristoteles  gibt  dieser  Raumauffassung  die  Form,  der 
Raum  oder,  was  für  ihn  das  gleiche  ist,  der  Ort  eines  Körpers 
sei  der  Abstand  zwischen  seinen  Grenzen.     Wenn  er  sie  damit 


'  Der  Schluß  von  Physik  III  5,  an  den  Creskas  zu  denken  scheint, 
hat  das  Argument  in  dieser  Fassung  nicht.  Hier  wie  bei  vereinzelten  an- 
deren Abweichungen  von  dem  aristotelischen  Text  dürfte  Creskas  der  Auf- 
fassung der  arabischen  Übersetzer  und  Kommentatoren  gefolgt  sein. 


—     31     — 

widerlegen  will,  daß  ihr  zufolge  der  Ort  an  der  Bewegung  des 
von  ihm  eingenommenen  Körpers  teilnehmen  und  dadurch  selbst 
an   einen   anderen   Ort  versetzt   werden   müsse   (Physik   IV    4), 
so  stellt  Creskas  dem  gegenüber  nur  fest,  daß  gerade    die   von 
Aristoteles  bekämpfte  Ansicht  in  Wahrheit  die  Unbeweglichkeit 
des  Raumes  behauptet  i.     Daß  ihr  zufolge  nicht  nur  das  Ganze 
eines  Körpers,  sondern  auch  seine  Teile  einen  Raum  einnehmen, 
erscheint  ihm  nicht  als  ein  Einwand,  da  der  Begriff  des  Raumes 
es  fordert,   „daß  er  dem  in  ihm  befindlichen  Körper  und  seinen 
Teilen  gleich  ist"  -.    Die  Verkennung  dieser  dm-ch  die  Tatsachen 
geforderten  Auö'assung  des  Raumes  ist  an  all  den  Absurditäten 
schuld,    in   die   sich   die   eigene   Raumlehre    des  Aristoteles  ver- 
wickelt.    Creskas  beweist  ihre  Absurdität  weniger  in  prinzipieller 
Prüfung  ihrer  begrifflichen  Voraussetzungen,  als  durch  die  Auf- 
deckung   der    Konsequenzen,    zu    denen    sie    führt.       Die    von 
keinem  anderen  Körper  begrenzte  äußerste   Himmelssphäre  ge- 
hört nach  dem  aristotelischen  Raumbegriff"  dem  Räume  im  eigent- 
lichen Sinne  nicht  an  (Physik  IV  5).     Die  Fassung  des  Raumes 
als  umgebende  Grenze  stimmt   schlecht  zu  dem  den  Elementen 
zugeschriebenen   Streben   nach   ihrem   natürlichen    Ort.     In   der 
Lehre  von  den  natürlichen  Orten  der  Elemente  wird  der  ganzen 
Masse  jedes  Elements  ein  natürliches  Verharren  an  seinem  Orte 
zugeschrieben.     Dann  aber  kann  dieser  Ort  nicht  die  umgebende 
Grenze    sein,    die    von    dem   Element   nur   in   seinen   äußersten 
Teilen   berührt   wird,   sondern   muß   alle  Teile    des  Elements  in 
sich    zu   befassen   vermögen^.     Diese   in   ihrer  genaueren  Aus- 
führung nicht  sonderlich  interessierenden  Einwände  zielen  offen- 
bar darauf  ab,  der  aristotelischen  Lehre,    die  dem  umfassenden 
Körper  ein  anderes  Verhältnis   zum  Räume  als    dem  umfaßten, 
dem    Teü    ein    anderes    als    dem    Ganzen    zuschreiben  muß,  den 

1  Or   Adonai,  Traktat   1,    Abschnitt  2,    Kapitel   1,    2.  Untersuchung: 

n»n  '^:n  ^ln3  nr«  s'pmn»  r;  idi'D  ti^nv  on'?  ]":>'  ]'«  rivin  nr^  lasin  2"n  na?«  onpcni 
■»1JB3  onnsS  B'pn-inp  nes  Ij'ni  «n2  Nim  ,nnn  onpon  D»3"nnD  vn  t.si  '''::n  pnyna  cpnyj 
D♦yy1J.^o  »n^:  nipii. 

*  Ibid.:  rp:m  ib  cDipe':  nir  ,Tn>r  mnt  n<n  □ipsn  >;. 

^  Ibid.:  B7»ir  noS  ,K?Nn  nnnypa  rj'pan  nair.i  {<in  imao  <b?  a"^v  tinh  cipeir  nn 
U'Nir  CN  'v^an  leipe:  Nin»  d.s  üScj  nh  n>ij<nc  ^y^ünn  phm  cjdni  ii'Dm  nrny  aü  iS 
-\ZK  >v:an  icipcir  a"nn^  'y^cn  leipca  «m  dni  ,-r.s  nrs  mmsn  iS  ntSN  ,'y3an  iDipen 
rii:jn  n'S:n2  sini  ,bih  -ics  »yian  cipa?  r|^nn<  p'^rn^. 


—     32     — 

gemeinsamen  räumlichen  Charakter  alles  körperlichen  Daseins 
entgegenzuhalten,  der  für  Teil  und  Ganzes,  Umfassendes  und 
Umfaßtes  dasselbe  Verhältnis  zum  Räume  fordert. 

Die  gleichen  Gesichtspunkte  macht  Creskas  auch  gegen 
die  aristotelische  Kritik  des  leeren  Raumes  geltend,  die  gerade 
in  ihren  prinzipiellsten  Einwänden  nicht  sowohl  gegen  die  An- 
nahme eines  leeren  Raumes,  als  vielmehr  gegen  die  einer  vom 
Körper  unabhängigen  räumlichen  Ausdehnung  gerichtet  ist. 
Nicht  gegen  den  leeren,  sondern  gegen  den  dem  Körper  vorher- 
gehenden Raum  richtet  sich  der  Einwand  des  Aristoteles,  es 
widerstreite  der  Undurchdringlichkeit  des  Körpers,  daß  ein 
Körper  in  einen  leeren  Raum  eintreten  könne,  da  alsdann  zwei 
Räume,  ein  leerer  und  ein  erfüllter,  ineinander  wären.  Die- 
selbe Tendenz  hat  das  fernere  Argument,  wenn  der  Körper 
seiner  Ausdehnung  wegen  eines  Raumes  bedürfe,  in  dem  er  sei, 
müsse  das  Gleiche  auch  von  dem  gleichfalls  ausgedehnten  Räume 
selbst  gelten,  so  daß  es  zu  einer  unendlichen  Reihe  von  Räumen 
komme  (Physik  IV  8).  Auch  diese  Einwände  führt  Creskas 
auf  die  durchgehende  aristotelische  Verwechselung  des  Raumes 
mit  einem  physischen  Dasein  zurück.  Das  Eindringen  eines 
Körpers  in  einen  leeren  Raum  steht  mit  der  Undurchdringlich- 
keit des  Körpers  nicht  im  Widerspruch;  denn  die  Ündurch- 
dringlichkeit  kommt  nicht  der  Ausdehnung  als  solcher,  sondern 
nur  der  materiellen  Ausdehnung  zu.  Der  Hinweis  des  Aristoteles, 
daß  die  Undurchdringlichkeit  des  Körpers  nicht  auf  seiner  Sub- 
stantialität  seiner  Sichtbarkeit  u.  dgl.,  sondern  auf  seiner  Räum- 
lichkeit beruhe,  vermag  diesen  Sachverhalt  nicht  zu  erschüttern. 
Denn  wenn  freilich  auch  von  der  Undurchdringlichkeit  einer 
unausgedehnten  Materie  nicht  die  Rede  sein  kann,  so  gilt  doch 
das  Gleiche  auch  für  die  immaterielle  Ausdehnung.  Nur  die 
materiell  erfüllte  Ausdehnung  kann  als  undurchdringlich  gedacht 
werden,  nur  sie  vermag  andere  Körper  von  sich  auszuschließen. 
Nur  sie  bedarf  auch  eines  Raumes,  den  sie  einnimmt,  während 
die  Ausdehnung  als  solche  auf  keinen  anderen  Raum  mehr  zu- 
rückweist^.    Die   reine   Ausdehnung   ist   ja   nichts   anderes,    als 

*  Traktat  I,  Abschnitt  2,  Kapitel  1,    1.  Untersuchung:  'an  nsiorr  bjdki 

"iNiao   ipD  Nim    ,13^3   'sn  vpma   isa   Nin    iDJsn  cwi2  airj  yiana  maisn  nisipnn  nie» 
2»«  ,-ii3n  'Vya  nntr  nea  D»pmn  «jbd  hm  D«a»Bin  D»pn-in  »:&»  yjann  px»  ,nip-ia  onciNV 


—     33     — 

der  Raum,  der  fähig  ist,  einen  Körper  in  sich  aufzunehmen,  der 
Raum  eines  Körpers  die  ihm  gleiche  Ausdehnung,  die  von  ihm 
erfüllt  wird^. 

Diese  Auffassung  des  Raumes  schließt  seine  Unendlichkeit 
unmittelbar  in  sich.  Auch  wenn  wir  die  Welt  als  räumlich  be- 
grenzt vorstellen,  bleibt  die  Vorstellung  der  Endlichkeit  des 
Raumes  unvollziehbar.  Am  Ende  der  Welt  kann  nur  die  Wirk- 
lichkeit, aber  niemals  die  Möglichkeit  eines  ferneren  körperlichen 
Daseins  aufhören  2.  Jeder  begrenzte  Raum  muß  wiederum  in 
einen  Raum  ausgehen,  mag  dieser  nun  körpei'lich  erfüllt  sein 
oder  nicht.  Es  bleibt  uns  daher  nur  die  Wahl,  auch  die  Welt 
als  unendlich  zu  denken,  oder  jenseits  der  Welt  einen  unend- 
lichen leeren  Raum  anzunehmen. 

In  der  Abwehr  der  physikalischen  Einwände  des  Aristo- 
teles zeigt  es  sich  aufs  neue,  daß  es  sich  für  Creskas  bei  der 
Frage  nach  dem  leeren  Räume  wesentlich  um  den  Begriff  des 
Raumes  handelt.  Es  liegt  ihm  nicht  sowohl  daran,  die  tatsäch- 
liche Existenz  eines  leeren  Raumes  zu  behaupten,  als  vielmehr 
das  Verhältnis  des  Raumes  zur  Bewegung  klarzustellen.  Die 
Polemik  des  Aristoteles  ruht  durchweg  auf  der  Voraussetzung, 
die  Annahme  eines  leeren  Raumes  ziele  darauf  ab,  ihn  zur  Ur- 
sache der  Bewegung  zu  machen.  So  wenig  auch  die  von  ihm 
selbst  wiedergegebenen  Gründe  der  Atomistiker  von  dieser  Auf- 
fassung verraten,  die  aristotelische  Widerlegung  setzt  sie  unzwei- 
deutig voraus.  Aus  der  Verschiedenartigkeit  der  natürlichen 
Bewegung  der  Elemente  schließt  sie,  daß  der  durchweg  gleich- 
förmige leere  Raum  nicht  die  Ursache  dieser  Bewegung  sein 
könne  (Physik  IV  8  Anfang).  Sie  wäre  in  ihm  vielmehr  un- 
möglich, da  in  ihm  jeder  Unterschied  der  natürlichen  Orte,  und 
somit    jeder    natürliche   Bewegungsanlaß   wegfällt   (ibid.    IV    8). 

D»pn-in  ]2  DJ  nm  ,QipQ  Tia»  t6  a»pm  iS  rn  nh  osa?  .naS  -icnn  »jso  niyjann  j'nip  n-irt 
DipD  ^N  i;tl2S»  c'üiTBiD  a'pmntp  noNn»  ah  nt^i  ,Dipo  •\T''\a*  nh  icn  ^hyi  rn  ab  Da. 

*  Ibid.:  'i:3  oipan  uioni  ,DW3n  »pm  hzph  »U3n  nipcn  oj'jy  D'biaj  D'pmnjni 
Dtpja  Unna»  ic?.s  ntrjS  niB?n  'usn  a^n  crjS  «.-iCNn  nipanm . 

*  Ibid.:  w  n"23  opj  niyjonn  d'-idinh  cmac  ^sb  d»ji  Dhtyih  ym  ]*am  ',na  )3  dni 
yjöj  Nintp  '■th)  ,hi2i  hiv  niN>sa  p  aa  ixann  ,hi-\3  .vin-j  iNnnnir  inNi  .'njs  n-onz  ao 
,-inN  D^J  ha  nhw  ntrss  'ni  ,»Niö  'jn  i.s  otpj  ^n  nhv^  a^ine  xin»  na'?  ,1^  n»S;.nn  ni.s'se 
n»n»E;  tki  ,n"a3  ^-a:  hm  niN'so  nrnan  '•oh  p  n«  iN2nni  n"n'7  pi  «üb  vn  nhv  p  an  njn 
Siaj  IN  n'>n  DW3  ,,^"33  h-^^3  niN'sa  msna  iN2nn. 

Guttmann,  Festschrift.  O 


—     34     — 

Daß  der  Raum  nicht  die  Ursache  der  Bewegung  sein  kann,  gibt 
Creskas  vollkommen  zu.  Aber  er  zeigt,  daß  der  Annahme  des 
leeren  Raumes  jeder  Gedanke  an  eine  solche  Funktion  fernliegt. 
Sie  stützt  sich  lediglich  darauf,  daß  im  erfüllten  Räume  die  Un- 
durchdringlichkeit der  Körper  jede  Bewegung  ausschließt,  und 
fordert  darum  den  leeren  Raum  nicht  als  Ursache,  sondern  nur 
als  „akzidentielle"  Bedingung  der  Bewegung.  Deshalb  scheint 
ihm  auch  im  leeren  Räume  das  Streben  der  Elemente  nach  ihren 
natürlichen  Orten  nicht  ausgeschlossen.  Denn  dieses  Streben 
kann  niemals  auf  eine  vom  Räume  ausgehende  Wirkung  zurück- 
geführt, sondern  nur  einem  den  Elementen  selbst  innewohnenden 
Antrieb  zugeschrieben  werdend 

Schon  Abu  Bekr  hatte  die  Meinung  des  Aristoteles  wider- 
legt, daß  im  leeren  Räume  alle  Bewegungen  mit  gleicher,  und 
zwar  unendlicher  Geschwindigkeit  vor  sich  gehen  müßten.  Im 
Anschluß  an  ihn  deckt  Creskas,  ohne  die  Verteidigung  des  Aristo- 
teles durch  Ibn  Roschd  der  Wiedergabe  für  wert  zu  halten,  die 
Wurzel  des  aristotelischen  Irrtums  mit  vollkommener  Klarheit 
auf.  Nach  Aristoteles  entspricht  das  Verhältnis  der  Geschwindig- 
keiten mehrerer,  in  verschiedenen  Medien  bewegten  Körper  dem 
Verhältnis  dieser  Medien  zueinander.  In  Wirklichkeit  aber  ent- 
spricht dem  Verhältnis  der  Medien  nur  das  der  durch  sie  be- 
wirkten Verminderungen  der  Bewegungsgeschwindigkeit,  genau 
wie  durch  das  verschiedene  Maß  der  Ermüdung  eines  Menschen 
nur  die  Herabsetzung  der  ihm  möglichen  Schnelligkeit  der  Be- 
wegung bestimmt  wird.  Dabei  ist  eine  ursprüngliche  Geschwin- 
digkeit  der  Bewegung   notwendig   vorausgesetzt,    die    durch  die 


'  Ibid.:  nwym  nBionc?  ncij*  ,nj;unn  .nao  N»n  nipinir  inyn  »öS  icn  nipin  onaiNnip  »s'ji 
,mpi22  N^N  nyijnn  nao  nipin  n'n<ip  lai  n'?  mpia  nnoiNntp  nn  »ayan  »iDin  nr.ptp  nsaS 
□BJ  Djan  yianh  nnüSN  p.-iynn  nyiiri  n»nn  t6  ,nsöj  nip-in  n^n  ah  oaio  ,ia!pn  anip  m) 
n'^an  m  ^yis  nipnn  nrn  a»n«  nh  nrn  imn  hy  .  .  .  .  otpja. 

Ibid.:  nniD»'?  nvn  y:o»  ah  mh)  ,mpip  laa  mpaa  nao  ini»n  nSn  dSiji'?  ^ü1  ah  Sa« 
'131  »vaan  naipoa  ninisn  {nnh  nrn)  ,nipna  pa-iiya  i«n  dni.  Man  vermißb  an  dieser  Stelle 
ein  Eingehen  auf  die  unter  den  aristotelischen  Einwänden  gegen  den  leeren 
Raum  von  Creskas  angeführte  Auffassung,  die  einem  Körper  von  einem  an- 
deren übertragene  „gewaltsame"  Bewegung  könne  den  Moment  der  Berührung 
nicht  überdauern,  wenn  kein  Medium  die  Bewegung  aufnehme  und  dem 
geschleuderten  Körper  immer  neue  Impulse  erteile.  Möglicherweise  ist  eine 
Lücke  unseres  Textes  daran  schuld. 


—    35     — 

verschiedenen  Medien  in  verschiedenem  Maße  verringert  wird. 
Im  leeren  Räume,  wo  jedes  widerstehende  Medium  fortfällt,  be- 
wegen sich  daher  die  Körper  statt  mit  unendlicher  vielmehr  mit 
der  ihnen  ursprünglich  eigenen  Geschwindigkeit  i. 

Mit  sicherem  Blick  hat  Creskas  die  Schwäche  auch  der 
physikalischen  Einwände  des  Aristoteles  gegen  den  leeren  Raum 
erkannt.  Noch  aber  ist  er  zu  sehr  von  den  physikalischen  An- 
schauungen des  Aristoteles  beherrscht,  um  die  Konsequenzen  des 
veränderten  Raumbegriffs  für  den  Aufbau  der  Physik  zu  über- 
schauen. Dem  dialektischen  Verfahren  seiner  Kritik  entgeht 
der  unlösliche  Zusammenhang  zwischen  dem  Raum-  und  dem 
Bewegungsbegriff  des  Aristoteles,  In  seiner  eigenen  Position 
stoßen  daher  der  neue  Raumbegriff  und  die  aristotelische  Be- 
wegungslehre hart  aufeinander.  Wir  sahen  bereits,  daß  er  auch 
in  einem  vom  Körper  unabhängigen,  ja  sogar  im  leeren  Raum 
ein  Streben  der  Körper  nach  ihren  natürlichen  Orten  für  möglich 
hält  und  sich  damit  begnügt,  jede  Kausalität  des  Raumes  aus- 
zuschalten und  den  Bewegungsantrieb  ausschließlich  in  die  Ele- 
mente zu  verlegen.  Aber  gegen  dieses  Streben  der  Elemente 
nach  bestimmten  Teilen  eines  unterschiedslosen  Raumes  gilt 
offenbar  der  aristotelische  Einwand  in  voller  Stärke.  Je  schärfer 
der  Begriff  des  Raumes  von  allen  physikalischen  Bestimmungen 
gesondert  wird,  desto  unmöglicher  wird  es,  den  einzelnen  Raum- 
stellen eine  besondere  physikalische  Bedeutung  zuzuschreiben. 
Die  aristotelische  Erklärung  der  Bewegung  aus  dem  Streben  der 
Elemente  nach  ihren  natürlichen  Orten  ist  nur  in  dem  aristote- 
lischen Räume  möglich,  der  sich  erst  aus  den  Beziehungen  der 
Körper  zueinander  ergibt. 

Der  Raumbegriff  des  Creskas  fand  in  der  Erkenntnis  der 
Unendlichkeit  des  Raumes  seine  Vollendung.  Die  aristotelische 
Unterscheidung  der  natürlichen  Orte  hat  nur  in  einem  endlichen 
Raum  Sinn,  dessen  Mitte  das  absolute  Unten  und  dessen  Grenzen 
das  absolute  Oben  darstellen.  Creskas  selbst  hebt  gelegentlich 
hervor,    daß    es   in    einer    unendlichen   Ausdehnung  keine  Mitte 

^  Ibid. :  «ipntr  ]at  inb»  h^pan  pSnona»  3"nn>  nniösy^  ißt  n»»nn  nyunn»  nüh  .  .  . 
*iin»N  hü  n»c"iün  nyunn  iin»N  cn»w  nCNn»  nni  ,y»JDn  pin  >ch  yzun  Ssn  yiT  ny)irh 
^^•h■y  Tyn  -laripn  penn  TnnS  inn  n»-!  'j  njm  .  .  .  h^pan  bn  bjpün  Dn»3  n»»-itpn  nyunn 
^an  D»3ia  onai  nanni   nspan  nsan«. 

3* 


—     Be- 
gibt^,   ohne    indessen   die   Konsequenz   zu   ziehen,    daß  dadurch 
der  BegrifiF    des  Unten   und  damit  auch    der  Korrelatbegriff  des 
Oben  aufgehoben  wird.     Der  Unendlichkeit  des  Raumes  glaubt 
er  durch  die  Preisgabe  des  absoluten  Oben  und  die  Annahme 
eines    unendlichen    Fortganges    nach    oben    zu    genügen'''.     Die 
Unterscheidung  selbst    bleibt  von  seiner  Kritik  unberührt.     Mit 
ihr    läßt    er    auch   die    aristotelische    Deutung    der   Schwere    als 
Streben  nach  unten  unangetastet.     Seine  Umbildung  der  aristote- 
lischen Vorstellung   beschränkt    sich   auf  eine  Relativierung  des 
Gegensatzes   von    Schwer   und   Leicht.     Ähnlich   wie  Demokrit, 
zu  dessen  Position  er  gegen  die  Kritik  des  Aristoteles  vielfach 
zurückkehrt,  schreibt  er  allen  Körpern  Schwere  zu,  die  nur  den 
verschiedenen  Elementen   in  verschiedenem  Maße  eigen  ist,  und 
erklärt   das    Aufstreben    der   leichten   Körper    durch    den  Druck 
der  schwereren,   der  sie  nach  oben  treibt  3. 

Der  Grundgesichtspunkt,  unter  dem  Creskas  die  physika- 
lischen Probleme  betrachtet,  bringt  es  mit  sich,  daß  derartige 
Ansätze  keinen  weiteren  Ausbau  finden.  Die  Physik  beschäftigt 
ihn  nicht  als  eigenes  Problemgebiet,  sein  Interesse  für  ihre  Grund- 
begriffe reicht  vielmehr  nur  so  weit,  als  sie  für  seine  metaphy- 
sische Fragestellung  Bedeutung  gewinnen.  In  allen  nur  intern 
physikalisch  bedeutsamen  Fragen  liegt  ihm  nicht  daran,  zu  einer 
bestimmten  Stellung  zu  kommen.  Nicht  einmal  in  der  Frage 
nach  der  Endlichkeit  der  Welt  werden  wir  weiterhin  mehr  bei 
ihm  finden,  als  eine  Entkräftung  der  aristotelischen  Beweise, 
welche  die  Unendlichkeit  der  Welt  als  unmöglich  dartun  sollen. 
Die  Form,  die  seiner  Behandlung  dieses  Problems  dui'ch  die 
von  ihm  diskutierten,  aristotelischen  Erörterungen  vorgezeichnet 
wurde,    war   vollends    ungeeignet,   für   die  Theorie   der  physika- 


'  Traktati,  Abschnitt  2,  Kapitel  1,  4.  Untersuchung:  bh)WD  Nin»  nah  «3 
ysßN  i"*?  i»N  nnspn. 

^  Ibid.  3.  Untersuchung:  i'on  o'SnJiß  nnrn  oy  ninn  ninipoE?  -iön'b  iöinS  w* 

'jiaa  HTD  mp»  nh  aSmoa  n''7VD  nw  ]•«. 

"  Ibid.  1.  Untersuchung  (vgl.  Abschnitt  1.  Kapitel  6):  iDN»tr  icbn  >hm 
onas  inrn  m;nD  n'^n"  nhi;ah  □»yyunan  nr  »s^i  ,"in«i  mnsa  is'jnn'K;  k^k  no  nais  o^-hir 
Als  wichtigen  Vorzug  dieser  Auffassung  betrachtet  es  Creskas,  daß  sie  den 
horror  vacui  entbehrlich  macht  und  es  gestattet,  das  Einströmen  der  Luft 
in  entstehende  Hohlräume  auf  ihre  Schwere  zurückzuführen. 


r 


-     37     - 

lischen  Erscheinungen  einen  wesentlichen  P^rtrag  abzuwerfen. 
Die  Frage  der  Endlichkeit  oder  Unendlichkeit  der  Welt  läuft 
für  ihn  wesentlich  auf  die  Frage  nach  der  Möglichkeit  eines 
unendlichen  Körpers  hinaus,  die  er  gegen  Aristoteles  aufrecht- 
zuerhalten versucht.  Die  ihm  ersichtlich  am  meisten  zusagende 
Fassung  dieses  Gedankens  ist  die  einer  unendlichen  Erstreckung 
der  äußersten  aristotelischen  Himmelssphäre.  Diese  Konzeption 
verlegt  das  Unendliche  in  eine  von  der  irdischen  Welt  abge- 
sonderte Wirklichkeit,  und  läßt  deren  eigenes  Bild  so  ziemlich 
unverändert.  Dasselbe  gilt  von  der  an  anderer  Stelle  ent- 
wickelten Möglichkeit,  der  Creskas  sich  positiv  zuzuneigen 
scheint,  daß  im  unendlichen  Raum  eine  Vielheit  endlicher  Welten 
nebeneinander  besteht,  von  denen  eine  jede  in  sich  abgeschlossen 
ist,  ihren  eigenen  Mittelpunkt  und  ihre  eigene  Grenze  besitzt  ^ 
Die  Willkür  ist  besonders  deutHch,  mit  der  in  dieser  Annahme 
eine  Reihe  an  sich  gleichgültiger  Punkte  eine  besondere  physi- 
kalische Bedeutung  empfangen,  und  die  Körper  der  verschiedenen 
Welten  in  starre,  unüberschreitbare  Weltgrenzen  eingeschlossen 
werden.  Sind  diese  Voraussetzungen  aber  einmal  zugelassen, 
so  kann  sich  nunmehr  die  Physik  auf  der  hergebrachten  Vor- 
stellung des  endlichen  Weltgebäudes  aufbauen. 

Mit  größerer  Bestimmtheit  zieht  Creskas  die  logischen 
Konsequenzen  seines  Raumbegriffs.  In  dem  Nachweis  der  Un- 
abhängigkeit des  Raumes  vom  Körper  sieht  er  zugleich  die 
Widerlegung  der  aristotelischen  Annahme,  daß  der  Begriff  der 
Größe  notwendig  ein  dingliches  Substrat  fordert.  Die  Teile  des 
leeren  Raumes  gestatten  den  Prädikaten  Groß  und  Klein  die- 
selbe Anwendung,  sind  ebenso  den  Gesetzen  des  Maßes  unter- 
worfen wie  die  körperlichen  Dinge.  Der  Raum  ist  ein  zweifel- 
loses Beispiel  einer  unkörperlichen  Größe '-.  Die  in  der  Ge- 
schichte der  Philosophie  so   vielfach  bewährte  Kraft  des  Raum- 


'  Ibid.  4.  Untersuchung:  wz  =nu  niN'sa  ai«n  cipa  nas  isann  na:»  nn 
tf:-i-  .ncEs  c<2n  ca^r;  niN'SDü  nNizs  sin  n'^rip  ym  n"2n  «iSa  in  »ipn  rrm  n»::n  hyz 
cipan  hü  ^E'pa  im  V/^^-ia  nnio'na  ins  7;!?  hti  d^ij;  7n  D'?iyB  nnicn  nyiin  2"nn< 
1?  nm:n. 

2  Ibid.  1.  Untersuchung:  »Sin  hzK  .lOi-yn  y:aj  U'n  hiz:  hiua  -isnnrr  nni 
nwann  .  .  .  uaa  phr\2  nyira  xini  pp  in  hm  n  lax'  122  lasya  'Nisni  »•>  tni  .s'Mno 
Viaj  biM  niN'SB  i:  es. 


—     38     — 

begriflfes,  die  Unzulänglichkeit  einer  ausschließlich  dinglichen 
Betrachtungsweise  aufzudecken,  tritt  hier  auch  bei  Creskas  zu- 
tage. Das  Sein  des  Raumes  und  der  Größe  stellt  sich  ihm 
freilich  wiederum  als  eine  Art  dinglich  realer  Existenz  dar. 
Allein  so  wenig  er  das  Sein  solcher  kategorialer  Gebilde  von 
dem  empirischer  Wirklichkeiten  zu  sondern  vermag,  die  Einsicht 
verliert  dadurch  nichts  an  ihrer  Bedeutung,  daß  sich  im  Raum 
eine  Art  des  Seins  enthüllt,  die  mit  den  aristotelischen  Kate- 
gorien der  Substanz  und  ihrer  Bestimmungen  nicht  zu  erfassen 
ist.  Derselben  Einsicht  nähert  sich  Creskas  von  anderer  Seite. 
Gegenüber  der  Diskussion  der  arabischen  Aristoteliker,  ob 
Existenz  und  Einheit  mit  der  Wesenheit  eines  Dinges  zusammen- 
fallen oder  als  Akzidenzen  zu  ihr  hinzutreten,  weist  er  nach, 
daß  sich  in  den  Schwierigkeiten  beider  Standpunkte  die  Unzu- 
länglichkeit der  ihnen  gemeinsamen  Fragestellung  offenbart.  Die 
Existenz  —  und  dasselbe  gilt  von  der  Einheit  —  kann  weder 
mit  dem  Wesen  eines  Dinges  zusammenfallen,  da  sonst  jeder 
Existenzialsatz  zu  einer  tautologischen  Aussage  würde,  noch 
dem  Wesen  als  ein  Akzidenz  anhaften,  da  die  Substanz  bereits 
als  seiend  gedacht  werden  muß,  um  Träger  von  Akzidenzen  werden 
zu  können  und  da  überdies  bei  dieser  Auffassung  gleich  allen  an- 
deren Akzidenzen  auch  die  Existenz  existieren  müßte,  also  wieder 
einer  Existenz  bedürfte.  Sie  steht  vielmehr  dem  Wesen  als  eine 
Bedingung  gegenüber,  auf  der  seine  eigene  Älöglichkeit  und  sein 
Unterschied  von  einer  bloß  subjektiven  Setzung  ruht^.  Wiederum 
darf  man  die  Bedeutung  der  sich  hier  vollziehenden  Erkenntnis 
nicht  nach  der  Reife  dieses  eigenen  Lösungsversuchs  bemessen. 
Creskas  ringt  vergebens  nach  der  Bestimmung  der  jenseits  von 
Substanz  und  Akzidenz  liegenden,  kategorialen  Grundvoraus- 
setzungen. Mit  der  Forderung  aber,  den  Eigenwert  der  Be- 
dingungen auszuzeichnen,  die  dem  Sein  der  Dinge  zugrunde 
liegen  und  sich  darum  nicht  als  „Eigenschaften"  an  die  bereits 
gegebene  Substanz  anheften  lassen,  hat  Creskas  den  Grund- 
mangel der  aristotelischen  Kategorienlehre  getroffen,  von  dessen 
Überwindung  alle  moderne  Reform  der  Logik  ausgegangen   ist. 


1  Traktat  I,  Abschnitt  3,  Kapitel  1  und  3;   vgl.  dazu  Wolfsohn,  Der 
Einfluß  Gazalis  auf  Chisdai  Creskas,  S.  36  Anm.  2. 


-     39     - 

Die   Unabhängigkeit    des   Raumes    von    den   Dingen    ver- 
mochte Creskas  nur  zu  erfassen,  indem  er  ihm  eine   selbständige 
absolute  Existenz   zusprach.     Ihren  Abschluß  findet   diese  Vor- 
stellung des  Raumes  in   der  spekulativen  Deutung,  die  Creskas 
dem   Raumbegriff  zuteil   werden   läßt.     In    dem   Verhältnis    des 
Raumes  zu  den  Körpern  spiegelt  sich  das  Gottes  zu  den  Dingen 
wieder.     Das   ist  auch   der  Sinn  der   talmudischen  Bezeichnung 
Gottes  als  des  „Ortes"  (Makom).     Für  die  Form  und  das  Wesen 
eines  Dinges   gibt  es  kein  treffenderes   Bild  als    das  des  Ortes, 
in  dem  die  räumliche  Gestalt  des  Dinges  bestimmt  und  begrenzt 
ist.     Gott,  als  das  gestaltende  und  formende  Prinzip  aller  Dinge, 
bildet    darum    gleichsam    ihren    gemeinsamen    Ort.      Das    Bild 
seiner  alles  Sein  durchdringenden  und  erfüllenden  Allgegenwart 
ist   der   alles   körperliche   Sein    durchdringende    und    erfassende 
Raum^.     Von    dieser   Analogie    bis   zu   Spinozas   Erhebung   des 
Raumes    zum  göttlichen  Attribut,  an  die  Joel  erinnert,   ist  noch 
ein    weiter    Abstand.     Auf    das     genaueste    aber    ist    hier    bei 
Creskas    die   spekulative   Deutung    vorgebildet,    die    der   Begriff 
des  absoluten  Raumes  später  bei  Henry  ilore  und  Newton   ge- 
funden  hat,   und   die   bis   in  die  Anfänge    der  kritischen  Raum- 
lehre  Kants  in   der   Deutung  des   Raumes    als    „omnipraesentia 
phaenomenon"   nachwirkt. 

Der  aristotelischen  Zeitlehre  gegenüber  hat  Creskas  sich 
nicht  zu  gleicher  Freiheit  und  Selbständigkeit  des  Urteils  er- 
hoben. In  ihrem  Ansatz  freilich  geht  seine  Kritik  mit  der  an 
dem  Raumbegriff  des  Aristoteles  geübten  genau  parallel.  Der 
Loslösung  des  Raumes  vom  Körper  entspricht  hier  die  Ablösung 
der  Zeit  von  der  Bewegung,  an  die  sie  die  aristotelische  Defi- 
nition der  Zeit  als  Zahl  der  Bewegung  gebunden  hatte.  Die 
entscheidende  Instanz,  auf  die  sich  Creskas  beruft,  ist  die  Tat- 
sache, daß  der  Zeitbegriff  ebenso  auf  die  Ruhe,  wie  auf  die 
Bewegung  anwendbar  ist.  Die  Dauer  der  Ruhe  kann  ebenso 
als  groß  oder  klein  bezeichnet  werden,  wie  die  der  Bewegung. 

1  Traktat  I,  Abschnitt  2,  Kapitel  1,  2.  Untersuchung:  ^"irn  i.ii'n=7  nt=7i 
nn2  TCn  cnesa  nrn  ctpn  ^h  r»Nirn  iVnjoi  nmci  iinno  sin  <:  r.iN'sen  h'rzh  misn  xm 
>pmz  d'd:::  'Ubh  »pm  -,»«;  »=  abs:  nrn  pein  n<ni  .□'jiy  hw  laipa  sin  .  .  .  cipnn 
mhc\  n=7iyn  'p^n  ■■:;::  i-ian»  nu;  i:  mbut  own  vgl.  dazu  Joel,  Der  Chasdai 
Creskas  religionsphilosophische  Lehren  S.  24/25. 


—     40     — 

Allenfalls  könnte  man  meinen,  daß  wir  die  Dauer  eines  Ruhe- 
zustandes nur  zu  erfassen  vermögen,  indem  wir  sie  mit  der 
einer  vorgestellten  Bewegung  vergleichen.  Aber  auch  diese 
lediglich  psychologische  Gebundenheit  der  Zeit  an  den  Be- 
wegungsbegriff ist  unerweislich.  Die  Zeit  ist  ebenso  unmittel- 
bar das  Maß  der  Ruhe,  wie  das  der  Bewegung'.  Von  der 
hier  behaupteten  Unabhängigkeit  der  Zeit  von  jedem  tatsäch- 
lichen Geschehen  war  es  nur  noch  ein  Schritt  bis  zu  der  Auf- 
fassung der  Zeit  als  reiner  Dauer,  die  allem  zeitlichen  Geschehen 
ebenso  vorhergeht  wie  der  Raum  allen  körperlichen  Objekten. 
Wie  nahe  Creskas  diesem  Schritte  war,  ergibt  sich  deutlich  aus 
der  Anwendung,  die  er  in  der  Frage  nach  der  Ewigkeit  der 
Welt  von  seinem  Zeitbegriffe  macht.  Er  macht  hier  eine  scharfe 
Scheidung  zwischen  den  bei  Aristoteles  auf  einer  Linie  stehenden 
Fragen  der  Ewigkeit  der  Zeit  und  der  Bewegung.  Die  An- 
nahme eines  Anfanges  der  Welt  und  der  Bewegung  fordert 
keineswegs,  daß  auch  ein  absoluter  Zeitanfang  angenommen 
werde.  Da  die  Zeit  ebensowohl  die  Ruhe  umfaßt,  wie  die  Be- 
wegung, ist  ihr  Sein  von  dem  der  Welt  unabhängig.  Der  Begriff 
der  Schöpfung  hat  ihr  gegenüber  keinen  Sinn-.  Zu  der  Kon- 
sequenz aber,  die  Zeit  entsprechend  dem  Räume  als  Bedingung 
alles  zeitlichen  Seins  zu  erfassen,  kommt  es  trotz  alledem  nicht. 
Konnte  das  Sein  des  Raumes  noch  als  eine  Art  dinglicher 
Existenz  vorstellbar  erscheinen,  so  versagten  der  Zeit  gegenüber 
alle  derartigen  Möglichkeiten  sinnlicher  Veranschaulichung.  Sie 
bleibt  auch  für  Creskas  nur  als  Bestimmung  eines  anderen  vor- 
stellbar. Nur  daß  sie  ebensowohl  Bestimmung  der  Ruhe,  wie 
der  Bewegung  ist.  Sie  ist  das  Maß  des  kontinuierlichen  Be- 
harrens der  Ruhe  sowohl,  wie  der  Bewegung.  Die  Schwierig- 
keit des  Versuches,  die  Zeit  von  der  Bewegung  zu  lösen  und 
sie    doch    als   Bestimmung    eines    Seienden    zu    fassen,    kommt 


^  Ibid.  Kapitel  11:  m  ik'ns  ,nSnJ  nnuoa  •\ük>  nnair  insy^  nNiae  Ninip  ne"'? '; 
nin'sa  nSna  nnuaa  iyitr>  joinip  -iNina  n:n  .ayio  i»'  nj  iwaz  ,njBpi  ,h)'\3  pi  no  nm 
^^ls  ]»Nip  nöNn»  njn  na  i;y\ir.cn  iiv'tr  uni'sa  nnuon  lytTJE?  r,^n  dni  ,'j>'B2  nyunn 
uyDi  ana  hys2  tj'Tnnn  las  nyuna  u-irs  nSiia  nnuenip  pir  S21  ,]öta  SjiBa  nvunn  niN'sc 
nyunn  uits  nSita  na  ]üm  nyiir»  [nh]  nah  yiyi  in»  'r:  mn  p  ni  n»n  -icnsi. 

^  Traktat  III,  Abschnitt  1,  Kapitel  4:  uS  mpir  nao  niSpa  -isann  nastz? 
iiojn  DB«n  jö  ipiino  oSiyn  nrn  mijip  oy  Syiß  n^iysD  uj»n  ]üir\w  jitrsin  -iDsoa  u.  öfter. 


—     41     - 

Creskas  selbst  zu  Bewußtsein.  Da  die  Ruhe  etwas  bloß  Nega- 
tives ist,  kann  sie  nicht  als  existierend  gedacht  wei'den  und 
demnach  auch  nicht  Träger  objektiver  Bestimmungen  sein.  In 
dieser  Verlegenheit  greift  Creskas  auf  den  aristotelischen  Ge- 
danken zurück,  daß  die  Zeit  als  Maß  der  Bewegung  nicht  ohne 
die  messende  Seele  zu  sein  vermöge.  Hatte  Aristoteles  sie 
trotzdem  als  Akzidenz  der  Bewegung  definiert,  so  will  Creskas 
jede  Bezeichnung  vermieden  wissen,  die  auf  eine  Existenz 
außerhalb  der  Seele  hindeuten  könnte.  Die  Zeit  wird  nunmehr 
zu  dem  nur  in  unserer  Vorstellung  bestehenden  Maß  des  kon- 
tinuierlichen Beharrens  von  Ruhe  und  Bewegung  i.  In  den 
Widersprüchen  dieser  Definition,  die,  um  dem  negativen  Phänomen 
der  Ruhe  keine  Existenz  zuschreiben  zu  müssen,  die  Zeit  sub- 
jektiviert  dabei  aber  doch  ein  reales  und  meßbares  Beharren 
von  Ruhe  und  Bewegung  voraussetzt,  bleibt  Creskas  Zeitlehre 
stecken.  Die  Gesichtspunkte,  von  denen  aus  er  die  aristotelische 
Zeitlehre  kritisiert,  vermögen  sich  noch  nicht  in  einer  selb- 
ständigen Inangriß'nahme  des  Problems  zu  bewähren. 

An  den  die  aristotelische  Ontologie  beherrschenden  Grund- 
gegensatz von  Materie  und  Form  rührt  Creskas  grundsätzlich 
nicht.  Das  Werden  der  Dinge  stellt  sich  auch  für  ihn  als  Ge- 
staltung der  passiven  Materie  durch  die  wesenverleihende  Form 
dar.  Allein  in  seiner  Anwendung  auf  den  Körperbegriff  erfährt 
dieser  Begrifi'sgegensatz  eine  Verschiebung,  in  der  sich  eine 
völlig  veränderte  Auffassung  der  körperlichen  Substanz  in  ihn 
eindrängt.  Die  Zerlegung  des  sich  zunächst  als  Einheit  dar- 
stellenden Körpers  in  einen  materialen  und  einen  formalen 
Faktor  dient  bei  Aristoteles  vor  allem  der  Erklärung  des  Werdens. 
Die  Umwandlung  der  Dinge  ineinander  verlangt  ein  bleibendes, 
materiales  Substrat,  das  aus  der  einen  Form  in  die  andere 
übergeht.  Schon  Ihn  Roschd  hatte  daraus  gefolgert,  daß  bei  dem 
jedem  Wandel  entzogenen  Himmelsäther  die  Zerlegung  in  Form 
und  Materie  unnötig  sei.  In  der  Form  der  Körperlichkeit,  der 
dreidimensionalen    räumlichen    Ausgedehntheit,     erschöpft    sich 


^  Traktati,  Abschnitt  2,  Kapitel  11:  um'str  nah  nnuci   nv'uni  lyitp  oiani 
ic;  nnuca  nbm  N»n»  .  .   .  mz:2  jatn  niK'sa    nrn  hnt  nni    ,;ctn  ti^n  cmpiinn  niypa 


—     42     — 

sein  Dasein,  ohne  noch  eines  materialen  Substrates  zu  bedürfen. 
Dieselbe  Betrachtungsweise  aber  ist,  wie  Creskas  erkennt,  auch 
auf  die  irdischen  Körper  anwendbar.  In  allem  Wandel  der 
Elemente  bleibt  doch  die  Grundform  des  körperlichen  Daseins 
unverändert.  Als  das  beharrende  Substrat  aller  Veränderung 
ist  daher  statt  der  völlig  bestimmungslosen  aristotelischen  Materie 
eine  einheitliche  körperliche  Substanz  anzusetzen.  Statt  diese 
mit  Ibn  Roschd  als  Form  der  Körperlichkeit  zu  bezeichnen, 
betrachtet  sie  Creskas  vielmehr  als  Materie,  da  sie  ja  als  die 
gemeinsame  Grundlage  der  verschiedenen  Elemente  in  deren 
wesenhafte  Form  eingeht.  Ihrer  inneren  Struktur  nach  indessen 
steht  diese  einfache  Grundsubstanz  jenseits  des  Gegensatzes  von 
Form  und  Materie.  Als  bereits  bestimmte  Substanz  aber  vermag 
sie,  auch  ohne  in  die  Form  eines  der  Elemente  eingegangen 
zu  sein,  selbständig  zu  existieren  und  den  Raum  zu  erfüllen. 
Die  den  Körpern  gemeinsame  Materie  hat  sich  so  aus  der  be- 
stimmungslosen Möglichkeit  des  Seins  in  eine  qualitätlose  körper- 
liche Substanz  verwandelt^.  Die  logische  Rangordnung  von 
Materie  und  Form  hat  sich  damit  vollkommen  umgekehrt.  Die 
substanzialen  Formen  der  verschiedenen  Elemente  haben  nur 
noch  die  Funktion,  die  in  ihrer  Existenz  von  ihnen  unabhängige 
Materie  mit  bestimmten  Kräften  und  Qualitäten  auszustatten, 
während  sie  selbst  nur  in  Verbindung  mit  der  Materie  zu 
existieren  vermögen.  Wohl  bleiben  sie  für  Creskas  als  die  wir- 
kenden Ursachen  des  Geschehens  und  die  Bedingungen  der 
wesenhaften  Unterschiede  der  Dinge  von  bloßen  Akzidenzen 
streng  geschieden.  Allein  sie  gleichen  den  Akzidenzen  voll- 
kommen in  ihrem  Verhältnis  zu  der  materiellen  Grundsubstanz, 
an  die  ihr  Dasein  mit  Notwendigkeit  gebunden  ist'-. 


'  Ibid.  Kapitel  7:  hv^n  -in;!'  ah  icEnni  n'inn  nnn  ^ib'  tthw  ]z  cn  'niun  airjn 
cMinn  D«0BJ2  jr  ^asj  n"':d  yisi  jn'  'O  n-i;nn  nn  Y'2  nyT  's^  n:ni  -icna  ^^3  nz^'V'i  n 
l^nc  n;';inn  ins  '7;^  mnron  niisn  nti  n-isni  nietrjn  onn  -lonnr  naiS  nsn  Dnss:i 
.mm'an  misn  hu  nann  npria  nr^in  n'nn»  n'Cffj  mis  ^h^in  Nipjn  niccjm  nictrj^  nie'rcn 
bys2  Nsaji  cipa  vs  itjs»  mm»an  misn  n'rm  lann  p  on  n»n»i . 

^  Ibid.:  c»-iin"  sni»  nch  cnpa  cnrn  nnni'cn  nnis:  naiv  >int  ]"kü  hm  cn 
niTjn  nTcy  n^n>\s  ^2n  d»<ds>*  cnai  ohk?  nna  nas'  cjbn  rtm  ....  onpana  ona  ma» 
naScan  misn  dtb^i  Sy.ea  nx^saj  oSiyS  nm  Ntrun  j<>nü  niatpjn  misr  nnh  ,üb  n  larpi 
12  K»n  im«. 


—     43     — 

Was  sonst  in  Creskas'  Kritik  der  aristotelischen  Naturlehre- 
von  grundsätzlichem  Interesse  ist,  gehört  seiner  Polemik  gegen 
die   aristotelische   Beweisführung  für   die   Endlichkeit   der    Welt 
an.      Soweit   die    aristotelische   Unendlichkeitslehre    mit    diesem 
Problem  zusammenhängt,  setzt  er  sich  nach  allen  Richtungen  hin 
mit  ihr   auseinander.     Auf  ihre   andere  Seite  dagegen,    die  von 
Aristoteles  gegebene  Analyse  des  Stetigkeitbegriffs,  geht  er  nir- 
gends in  prinzipieller  Stellungnahme  ein.     Er  berührt  sie  immer 
nur  im  Vorübergehen,  wenn  man  nicht  einen  AngriflP  gegen  die 
aristotelische  Behauptung,    daß   außer  der  Kreisbewegung  keine 
stetige  Bewegung  möglich  sei,  hierher  rechnen  will  ^.    Daß  er  sich 
damit  begnügt,  die  Möglichkeit  einer  unendlichen  Welt  nach- 
zuweisen,   ohne   der  aristotelischen  Auffassung    eine  eigene  ent- 
gegenzustellen,   ist   bereits   hervorgehoben.      Das   gilt   indes   nur 
für   die   Anwendung   des    UnendlichkeitbegrifFs   auf    die    körper- 
liche  Wirklichkeit.     Die   Unendlichkeit   des  Raumes    haben  wir 
Creskas   mit  Bestimmtheit   vertreten    sehen,    und   zu    demselben 
Ergebnis  führen  auch  seine  Äußerungen  über  die  Unendlichkeit 
der  Zeit  und  der  Zahl.     Auch  in  der  Anwendung  des  Unendlich- 
keitbegriffs auf  die  Wirklichkeit  aber  vertritt  er  wenigstens  die 
Möglichkeit,  sie  als  unendlich  zu  denken,  mit  einer  Konsequenz 
und  Entschiedenheit,    die   in    der  Geschichte  des  Unendlichkeit- 
problems nicht  häufig  anzutreffen  ist.     In  allen  ihren  Wendungen 
tritt  er  der  aristotelischen  Beweisführung  für  die  Endlichkeit  der 
Welt    entgegen.     Nach    dem   bereits    behandelten   Nachweis    der 
Unendlichkeit   des    Raumes    geht   er   die   aristotelischen  Gründe 
gegen    die   Möglichkeit    eines    unbegrenzten   Körpers   der    Reihe 
nach  durch  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  weder  die  Existenz 
eines   unbegrenzten   Körpers,   noch   die  Möglichkeit,    ihm  gerad- 

^  Ibid.  Kapitel  9:  Gegen  Aristoteles  behauptet  hier  Creskas,  daß 
auf  einer  endlichen  Geraden  eine  kontinuierliche  unendliche  Bewegung 
möglich,  zwischen  zwei  entgegengesetzten  Bewegungen  also  kein  Piuhe- 
zustand  nötig  sei.  Er  beweist  das  an  dem  Fall,  daß  ein  sehr  schwerer  fallen- 
der Körper  auf  einen  sehr  leichten  aufsteigenden  trifft  und  ihn  mitnimmt. 
Würde  der  mitgenommene  Körper  beim  Übergang  in  die  Bewegung  nach 
unten  zunächst  ruhen,  so  müßte  auch  die  Bewegung  des  anderen  Körpers 
durch  ihn  einen  Augenblick  zum  Stillstand  gebracht  werden.  Ganz  ähnlicb 
argumentiert  Descartes,  Oeuvres  6d.  Cousin  IX,  S.  71  und  77  (vgl.  Cohu, 
Geschichte  des  Unendlichkeitproblems  S.  135). 


—     44     — 

'linige  oder  kreisförmige  Bewegung  zuzuschreiben,  von  Aristoteles 
widerlegt  sei. 

So  entschieden  Creskas  der  aristotelischen  Unendlichkeits- 
lehre in  ihren  Ergebnissen  entgegentritt,  von  ihrer  Problem- 
stellung vermag  er  sich  nicht  zu  befreien.  Der  Gedanke  der 
Unendlichkeit  der  Welt  erscheint  auch  bei  ihm  solidarisch  mit 
der  paradoxen  Annahme  eines  unbegrenzten  und  dabei  als 
Ganzes  Wirkungen  ausübenden  und  erleidenden  Körpers,  die 
den  hauptsächlichsten  Gegenstand  der  aristotelischen  Kritik  bildet. 
Wohl  vertritt  er  gegen  Aristoteles  auch  die  Möglichkeit  einer 
unbegrenzten  Zahl  körperlicher,  Größen  *  und  benutzt  die  sich 
aus  der  Unendlichkeit  des  Raumes  ergebende  Relativierung  des 
„Oben",  um  die  aus  dem  Begrifi  des  natürlichen  Ortes  abge- 
leiteten Einwände  des  Aristoteles  gegen  eine  unbegrenzte  Zahl- 
verschiedener Elemente  (Physik  III  5)  zurückzuweisen.  Allein  er 
ist  weit  entfernt,  diese  von  ihm  nur  sehr  summarisch  behandelte 
Annahme  der  eines  unendlichenKörpers  vorzuziehen.  Ausdrücklich 
stimmt  er  Aristoteles  in  der  (an  der  von  ihm  gemeinten  Stelle 
der  Physik  (I  4)  nur  implizite  enthaltenen)  Bemerkung  zu,  die  An- 
nahme unbegrenzt  vieler  endlicher  körperlicher  Größen  führe 
wieder  auf  die  eines  unbegrenzten  Körpers  zurück,  da  ihre 
Summe  eine  unendliche  Körpergröße  ergebe'-.  Daß  bei  dieser 
Annahme  die  Notwendigkeit  fortfällt,  einem  unbegrenzten  Köi'per 
einheitliche  Bewegung  zuzuschreiben  und  ihn  so  als  ein  ab- 
geschlossenes Ganzes  zu  denken,  läßt  er  unberücksichtigt.  Wäh- 
rend der  aristotelischen  Argumentation  gegen  die  Unendlichkeit 
der  Welt  in  der  Renaissance  der  Nachweis  entgegengesetzt  wird, 
die  von  ihr  bekämpften  Absurditäten  hafteten  nur  an  der  falschen 
aristotelischen  Vorstellung  der  Unendlichkeit  der  Welt  und 
würden  dem  wahren  Begriff  der  unendlichen  Welt  gegenüber 
vollkommen  gegenstandslos  3,  macht  Creskas  sich  zum  Verteidiger 

'  Ibid.  Kapitel  2. 

"  Traktat  1.  Abschnitt  1,  Kapitel  2;  Abschnitt  2,  Kapitel  1,  Unter- 
suchung 2  zu  Anfang;  ibid.  Kapitel  2.  Das  hier  dem  Aristoteles  zugeschriebene 
Argument  dürfte  auch  von  Kepler  der  Tradition  des  Aristotelismus  ent- 
nommen sein  (Opp  ed.  Frisch  VI,  139  zitiert  bei  Cohn,  a.  a.  0.  S.  111). 

^  Vgl.  bes.  Griordano  Bruno,  Dell'  infinito,  2.  Dialog.  Seine  Kritik  des 
aristotelischen  Raum-  und  Zeitbegriffs  dagegen  erinnert  überraschend  an 
Creskas. 


—     45     — 

des  von  Aristoteles  bekämpften  unbegrenzten  Körpers  und  nimmt 
keinen  Anstoß  an  der  Vorstellung  eines  Unendlichen,  das  als 
Ganzes  gegeben  und  wirksam  ist. 

Die  begrifflieben  Einwände  des  Aristoteles  gegen  die  Mög- 
lichkeit des  unbegrenzten  Körpers  weist  er  mit  Leichtigkeit  zu- 
rück.    Die   Begrenzheit   der  Körper   darf  nicht,   wie  Aristoteles 
will  (Physik  III  5),  aus  dem  Begriff  des  Körpers  als  des  durch 
Flächen  Abgegrenzten  gefolgert  werden.     Diese  Definition  setzt 
die  Endlichkeit    des   Körpers    bereits   voraus    und   kann   darum 
freilich   auf  einen   sich   ins   Unbegrenzte    erstreckenden    Körper 
nicht  passen.     Aber   durch   nichts  ist  das  Recht  bewiesen,    den 
Körper  so  zu  definieren  und  die  Definition  des  endlichen  Körpers 
zur  Norm  des  Körperbegriffs   überhaupt  zu    machend     Ebenso- 
wenig triflft  es  zu,  daß  ein  unbegrenzter  Körper  sich  nach  allen 
Seiten   hin   ins  Unendliche   erstrecken   müßte  und   keinen  Platz 
mehr  für  andere  Körper  übriglassen  könnte  (Physik  III   5).    Da 
die    Grenzenlosigkeit    eines    Körpers    ihm    nur    als    tatsächliche 
Eigenschaft  zukommt,   ohne  aus  seinem  Begriff  zu  folgen,   kann 
er    sehr    wohl    nach    einer    Seite    hin    sich   ins   Unendliche   er- 
strecken  und   nach   anderer  Seite  begrenzt   sein.     Die  aus  dem 
Raumbeffriff  hergeleiteten  Einwände  des  Ai'istoteles  endlich  setzen 
durchweg  seine  bereits  widerlegte  Definition  des  Raumes  voraus. 
Ein    unbegrenzter  Körper  ist  in  seinem    endlichen  Räume  aller- 
dings  unmöglich,    er   fällt    aus    dem   Räume    heraus,    wenn    der 
Raum  die  umschließende  Grenze  bedeutet.     In  dem  unendlichen 
Räume  aber,    in   dem  jeder  Köi'per  seinen  Ort  statt  an  der  ihn 
umschließenden  Grenze  vielmehr  an  der  von  ihm  erfüllten  Aus- 
dehnung hat,  begegnet  die  Annahme  eines  unbegrenzten  Körpers 
keiner  Schwierigkeit  mehr"-. 

Unter  den  physikalischen  Einwänden  des  Aristoteles  stellt 
Creskas  die  aus  den  Begriffen  der  Schwere  und  Leichtigkeit 
entnommenen  voran,  die  er  als  Bedenken  gegen  die  gradlinige 
Bewegung  eines  unendlichen  Körpers  bezeichnet.  Schreiben  wir 
einem   unbegrenzten   Körper   Schwere    zu   —  von  der  Leichtig- 


'  Traktat  1,  Abschnitt  2,  Kapitel   1,  2.   Untersuchung:  ':'7nn  iiN2n  njni 
D<nü»  IN  nur  u  ti»p'  c!PJ  hnv  maisn  njapn  noTpnnr  n'j'Sjn  ini^d  «in  .i':ni-i   m   'r'nnn» 

-  Ibid. 


—     46     — 

'keit  gilt  das  Gleiche  — ,  so  muß  auch  diese  unbegrenzt  sein. 
Denn  wäre  sie  nur  begrenzt,  so  könnte  sie,  wie  groß  wir  sie 
auch  ansetzen  mögen,  von  der  eines  endlichen  Körpers  jederzeit 
erreicht  werden,  da  sie  zu  der  eines  gegebenen  Körpers  not- 
wendig in  einem  bestimmten  Zahlenverhältnis  stehen  muß  und 
somit  durch  entsprechende  Vervielfältigung  dieses  Körpers  er- 
reichbar ist.  Als  unendlich  aber  läßt  sich  die  Schwere  des  un- 
begrenzten Körpers  darum  nicht  denken,  weil  er  sich  sonst  mit 
unendlicher  Schnelligkeit,  also  zeitlos  bewegen  müßte,  was  der 
zeitlichen  Natur  der  Ortsbewegung  widerspricht  (De  coelo  I  6). 
In  allgemeinerer  Weudung  desselben  Gedankenganges  zeigt 
Aristoteles,  daß  zwischen  einem  uaendlichen  Körper  und  an- 
deren —  endlichen  oder  unendlichen  —  Körpern  jedes  aktive 
oder  passive  Wirkuugsverhältnis  ausgeschlossen  ist.  So  müßte 
z.  B.  ein  unbegrenzter  Körper  einen  endlichen  Körper  in  kürzerer 
Zeit  bewegen,  als  irgendein  noch  so  großer  endlicher  Körper. 
Solange  aber  die  Geschwindigkeit,  mit  der  er  ihn  bewegt,  eine 
endliche  ist  und  in  bestimmtem  Zahlenverhältnis  zu  der  durch 
endliche  Körper  verursachten  Geschwindigkeit  steht,  kann  sie 
jederzeit  durch  entsprechende  Vervielfachung  des  bewegenden 
endlichen  Körpers  erreicht  und  übertroffen  werden;  sie  aber  als 
unendlich  zu  denken,  verbietet  wiederum  die  zeitliche  Natur  der 
Bewegung  (De  coelo  I,  7).  Der  Schärfe  dieser  Beweisführung 
vermag  Creskas  nur  die  willkürliche  Annahme  entgegenzusetzen, 
die  zeitliche  Natur  der  Bewegung  drücke  sich  in  einer  be- 
stimmten Maximalgeschwindigkeit  aus,  die  auch  durch  eine  un- 
endliche bewegende  Kraft  niemals  überschritten  werden  könne. 
Das  Bedenken,  daß  auch  eine  endliche  Kraft  von  bestimmter 
Größe  dieselbe  Geschwindigkeit  zu  erzeugen  vermöge  und  dem- 
nach in  ihrer  Wirkung  der  unendlichen  Kraft  vollkommen  gleich 
sei,  beschwichtigt  er  mit  der  Bemerkung,  daß  diese  Konsequenz 
durch  die  Natur  der  Bewegung  gefordert  werde  und  deshalb 
ruhig   zugestanden   werden  könne  i.     Von    der   funktionalen  Be- 


^  Ibid.  üntersucbung  3:  iipn  'ysoNn  hnbö  dn  »»-i»  jot  niSpi  iai:  v:V2^  n1^ 
lap  ]Dta  yyune  n»^:n  hy^  121;  p  cn  :"nn«  sh-\  ]C12  nyunn  ^tim  mm?  dni  yyun'  11 
n^hzn  hyi  >rhi  cwi  i^tth  nw  jatn  yjjijno  n»""?:;!  by2  dw  lai;  ni»n  a«»nn»  hza  n"aa  inira 
nNBCi  »ysDNn  dnec  ncK  >w'\isrt  pm  m'otp  n-in  rinea  mp  ntc  nüh  ^>aa  nta  n'ipi  sh) 
nyunn.     (Im  Prinzip    damit    identisch  Kapitel  8.     Wichtig  ist  dort    die  Be- 


—     47     — 

trachtungsweise  nimmt  Creskas  so  seine  Zuflucht  zur  ontologi- 
schen  Denkungsart  und  gibt  uns  damit  Gelegenheit,  den  Wider- 
streit beider  Denkrichtungen  in  seltener  Deutlichkeit  zu  be- 
obachten. Die  Geschwindigkeit  der  Bewegung  erscheint  zunächst 
als  Funktion  der  Größe  der  bewegenden  Kraft.  An  einer  be- 
stimmten Stelle  aber  wird  dieser  Zusammenhang  durch  die  Ein- 
führung einer  Grundgeschwindigkeit  unterbrochen,  die  nicht  mehr 
Funktion  einer  bestimmten  Kraftgröße,  sondern  Folge  der  ge- 
nerellen Wesens  form  der  Bewegung  ist.  Eine  absolute  Grenze 
der  Geschwindigkeit  wird  eingeführt,  jenseits  deren  jeder  fernere 
Kraftzuwachs  ohne  Einfluß  auf  das  Wachstum  der  Geschwindig- 
keit bleibt. 

Ungleich  tiefer  geht  Creskas  in  seiner  Auseinandersetzung 
mit  den  Gründen,  die  Aristoteles  gegen  die  Möglichkeit  der 
kreisförmigen  Bewegung  eines  unendlichen  Körpers  entwickelt. 
In  einer  Reihe  von  Variationen,  in  deren  Wiedergabe  Creskas 
an  mehreren  Stellen  von  unserem  Text  abweicht,  führt  Aristo- 
teles den  Gedanken  aus,  die  Kreisbewegung  eines  unendlichen 
Körpers  sei  undenkbar,  weil  sonst  eine  unendliche  Strecke  in 
endlicher  Zeit  durchlaufen  werden  müßte.  Das  ergibt  sich  am 
einfachsten  daraus,  daß  mit  der  Größe  der  vom  Mittelpunkt 
ausgehenden  Radien  auch  ihr  Abstand  zunimmt,  also  unendlich 
werden  muß,  sobald  die  Radien,  wie  es  bei  einem  unendlichen 
Körper  notwendig  ist,  unendlich  werden.  Da  dieser  unendliche 
Abstand  niemals  durchmessen  werden  kann,  ist  es  unmöglich, 
daß  ein  Radius  jemals  in  die  Lage  des  anderen  zu  gelangen 
vermag.  Dieselbe  Schwierigkeit  läßt  sich  auch  dadurch  veran- 
schaulichen, daß  wir  uns  in  dem  unendlichen  Körper  eine  un- 
endliche Sehne  gezogen  denken.  Vor  jedem  Schnittpunkt,  in  dem 
ein  sich  ihr  entgegen  bewegender  Radius  sie  trifi"t,  liegt  dann 
ein  anderer,  in  dem  er  sie  zuvor  getroffen  haben  muß,  während 
er  andererseits  eine  unendliche  Entfernung  zurückgelegt  haben 
muß,  bevor  er  wieder  von  ihr  loskommt  (De  coelo  I,  5). 

Creskas  greift  in  seiner  Entgegnung  zunächst  die  Behauptung 
an,  der  Abstand  zweier  ins  Unendliche  wachsenden  Radien 
müsse  gleichfalls  unendlich  werden.     Wenn    die  Mathematik  es 

merkung,  daß  eine  der  Stärke  nach  endliche  Kraft  der  Dauer  nach  unend- 
lich sein  kann.) 


—     48     - 

als  möglich  annimmt,  daß  zwei  Linien  sieh  einander  unbegrenzt 
nähern,  ohne  sich  doch  jemals  zu  schneiden,  so  muß  es  auch 
möglich  sein,  daß  ihr  Abstand  ständig  wächst,  ohne  daß  er  doch 
selbst  bei  unendlicher  Verlängerung  der  Linien  jemals  aufhörte, 
endlich  zu  sein.  Daß  die  aristotelische  Annahme  nicht  in  der 
allgemeinen  Form,  in  der  sie  ausgesprochen  ist,  zutreflFen  kann, 
ergibt  sich  direkt  daraus,  daß  wir,  auch  nachdem  ein  Radius 
unendlich  geworden  ist,  jederzeit  einen  anderen  Eadius  ziehen 
können,  dessen  Abstand  von  dem  ersten  endlich  ist,  indem  wir 
einen  benachbarten  Punkt  mit  dem  Zentrum  verbinden  i.  Durch 
diesen  Einwand  wird  freilich  der  Nerv  der  aristotelischen  Beweis- 
führung nicht  berührt,  da  es  für  sie  genügt,  wenn  der  Abstand 
zweier  Radien  bei  bestimmter  Winkelgröße  unendlich  werden 
muß.  Ihren  grundsätzlichen  Mangel  sieht  Creskas  darin,  daß 
sie  den  wahren  Begriff  des  Unendlichen,  der  eine  sich  über  jede 
Grenzehinaus  erstreckende  Größebedeutet, nichtmitStrengefesthält 
und  so  operiert,  als  ob  die  Unendlichkeit  an  bestimmter  Stelle 
erreicht  und  abgeschlossen  wäre. 

Am  unmittelbarsten  oflPenbart  sich  dieser  Irrtum  in  dem 
Schluß  des  Aristoteles,  durch  die  Kreisbewegung  eines  unend- 
lichen Körpers  werde  ein  unendlicher  Kreis  beschrieben,  während 
der  Kreis  als  eine  nach  allen  Seiten  hin  abgegrenzte  Figur  nicht 
zugleich  unendlich  sein  könne.  Dieser  unendliche  Kreis  könnte 
offenbar  nur  von  der  Peripherie  des  sich  bewegenden  Körpers 
beschrieben  werden.  Da  der  unendliche  Körper  aber  niemals 
abgeschlossen  und  begrenzt  ist,  kann  er  weder,  wie  Creskas 
den  aristotelischen  Schluß  verstanden  zu  haben  scheint,  selbst 
eine  bestimmte  Gestalt  besitzen  noch  durch  seine  Bewegung 
eine  solche  erzeugen 2.  Der  Punkt,  um  den  er  sich  bewegt, 
kann  daher  auch,  wie  Creskas  an  anderer  Stelle  hinzufügt,  nicht 


'  Ibid.:  nns'DN  (Apollonius,  Buch  der  Kegelschnitte)  Diannn  ison  iNann  nsD 
ühiyih  siDin»tp  -i»bn»  nsoina  !p":i  ....  n^ijj'j  -iictp  pmon  n»n«i  n»'7;n  »nSnS  pman  •)^pnn 
Dn»j»3  pmnn  n<n»ip  triann  o'NSvn  n"22  nmpn  n»'nn»  dn  njn  .  .  .  .  n  iictp  r»^;nn  n»n»ipi 
tsnona  o'Nsrn  o'ip  ■<iw  S:n  nt  3»<nn'  n:ir[  ipn  nsoina  tjau  pman  nrnS  n"3n  tj^pan  isa 
niV'tra  nnNn  ipn  b-iti  di»-iji  r"n3  Dn»:'3  pman  -,irN  :i<pen  nsa  t's:  •\ati2^  ,iBiTn  n'ir  n'Nai 
T;ian  mipj  \s-  naitp-o  mip:rfQ  ip  a^^inh  Mh  nipsx»  pso  i<x  mip:  yu\ 

''  Ibid.:  2UD3  yyunan  n"33n  npjn»  mainn  naipnn  hy  -iDi»a  [Sn]  'nn  nsian  njn 
l'N  nrti  nnspn  my;  Kin  n:n  n"3n  nwin-a  ihn^  iptp  Nim  n»nuo  [njian]  nyun  1^  w- 
njian  ib. 


—     49     — 

als  Mittelpunkt  des  Körpers  bezeichnet  werden,  da  das  Unend- 
liche ohne  Grenzen  und  somit  auch  ohne  Mittelpunkt  ist  i. 

Auch  die  Notwendigkeit,  die  von  dem  Bewegungszentrum 
ausgehenden  Radien  unendliche  Entfernungen  zurücklegen  zu 
lassen,  schwindet  bei  strenger  Innehaltung  dieses  Unendlichkeits- 
begriffs. Denn  sie  ergäbe  sich  nur  dann,  wenn  die  Radien  an 
irgend  einer  bestimmten  Stelle  aufhörten,  endlich  zu  sein.  Eine 
solche  Stelle  aber  existiert  nicht,  so  gewiß  das  Unendliche  kein 
Endglied  hat,  bei  dem  seine  Unendlichkeit  erreicht  wäre.  Jeder 
Punkt,  den  wir  auf  einem  Radius  bezeichnen,  ist  vielmehr  in 
endlicher  Entfernung  von  seinem  Ausgangspunkt  und  braucht 
daher  auch  bei  der  Kreisbewegung  nur  eine  endliche  Entfernung 
zurückzulegen.  So  paradox  es  auch  erscheinen  mag,  nötigt  uns 
die  Kreisbewegung  des  unendlichen  Körpers  niemals,  das  Bereich 
des  Endlichen  zu  verlassen.  Alle  Strecken,  die  an  der  Be- 
wegung Anteil  haben  und  alle  Entfernungen,  die  zurückgelegt 
werden,  bleiben  endlich,  ebenso  wie  nach  einer  parallelen  Aus- 
führung an  anderer  Stelle  trotz  der  Unendlichkeit  der  Zeit  die 
Entfernung  jedes  Zeitpunktes  von  der  Gegenwart  endlich  bleibt. 
Die  Unendlichkeit  des  bewegten  Körpers  besagt  nur,  daß  jenseits 
jedes  bewegten  Teiles  eine  unbegrenzte  Reihe  weiterer  bewegter 
Teile  vorhanden  ist,  die  sich  aber  immer  wieder  in  endlicher  Ent- 
fernung von  dem  Bewegungsmittelpunkt  befinden  und  endliche 
Bahnen  beschreiben  2. 

Die  Bedeutung  dieses  Gedankens  darf  nicht  nach  dem 
Erfolg  beurteilt  werden,  mit  dem  er  die  Kreisbewegung  eines 
unendlichen  Körpers  zu  retten  unternimmt.  Die  von  Creskas 
bekämpfte  Vorstellung,  die  das  Unendliche  als  Abschluß  auf  das 
Endliche  folgen  läßt,  wird  nicht  erst  von  der  Kritik  des  Aristo- 


^  Ibid.  Untersuchung  4. 

'  Ibid.  Untersuchung  3.  niN'XD  a"nr»  t<h  n"3a  )pn  ni»n  oytr  niDJn  noNn»  Hhs 
vhv  mip:  n  oiinjip  n"n  isinn  ja  ti-i^n  n"33n  ipn»  yn»  NinK»  nii  D»ipn  »:»  )»a  n"33  pmo 
mipi  h^H  nbü  n"23  ni»nS  n"n  D»ipn  \>2w  pmontp  nnsi  .n"n  Tinoni  mipjn  ]»2w  ipn  n>n> 
.n»ipn  uip  j'otp  n"a3n  pmo"?  ]3  dn  niN'sa  p«  nS  niN^sc  pK  ti^nn  mipjni  n"23  ipn  na  n'-nw 
pmort  NSBJ  T\''n  ihtit  ,r»'?2ni  nsp  [S'jiipd]  «in»  n  uicn  nas  n"a3  «in»  ipa  inwca  ^bai 
DN1  .iSni«»sa  i'N  D'ipn  pa  n"aa  pman  nm  nxpn  hbwa  Nim  nspa  n<n»ttr  »isi  mn  n'aa 
n'^jan  hy^  ip  'Ty  ahn  una  p'jn  yyMn^  16  njn  n'aa  Nim  yyun»  iSba  awma  n>n  (Der 
Nachweis,  daß  trotz  der  Unendlichkeit  der  Zeit  kein  unendlich  ferner  Zeit- 
punkt zu  existieren  braucht,  Traktat  III,  Abschnitt  1,  Kapitel  4.) 

Gottmann.  Festschrift.  4 


—     50    — 

teles  in  die  Annahme  der  Kreisbewegung  eines  unendlichen 
Körpers  hineingetragen;  in  dem  Gedanken  einer  einheitlichen 
Bewegung  des  Unendlichen  ist  vielmehr  seine  Auffassung  als 
ein  abgeschlossenes  Ganzes  bereits  enthalten.  Den  aristotelischen 
Einwand,  der  gerade  im  Sinne  des  Creskas  gegen  diese  Annahme 
geltend  macht,  daß  vor  jedem  Schnittpunkt  schon  ein  anderer 
liegen  müsse,  vermag  dieser  daher  auch  nicht  zu  entkräften. 
Für  die  von  ihm  entwickelte  Auffassung  des  Unendlichen  aber 
ist  die  Anwendbarkeit  auf  die  vorliegende  Einzelfrage  ohne 
Belang.  Ihre  Originalität  beruht  auf  der  Schärfe,  mit  der  sie 
die  unendliche  Größe  von  ihren  Elementen  unterscheidet.  Die 
unendliche  Größe  ist  ein  Inbegriff  von  Elementen,  die  durchweg 
endlich  sind,  die  unendliche  Gerade  z.  B.  ein  Inbegriff  von 
Strecken,  die  stets  endlich  bleiben.  Mit  der  Endlichkeit  aller 
Glieder  ist  die  Unendlichkeit  des  Ganzen  vereinbar,  weil  es  in 
der  Reihe  der  Glieder  kein  letztes  gibt.  Die  Reihe  der  end- 
lichen Glieder  setzt  sich  bis  ins  Unendliche  fort.  Diesen  Fort- 
gang ins  Unendliche  denkt  Creskas  nicht  mit  Aristoteles  als 
bloße  Möglichkeit  unbegrenzter  Zunahme.  Vollends  ist  seinem 
Realismus  der  Gedanke  fremd,  ihn  an  den  unendlichen  Fortschritt 
der  Erkenntnis  zu  knüpfen.  Ausdrücklich  bemerkt  er  gegen 
eine  freilich  psychologisch  verstandene  idealistische  Wendung 
bei  Aristoteles,  für  die  Möglichkeit  des  Unendlichen  sei  es 
gleichgültig,  ob  es  unserer  Erkenntnis  zugänglich  sei  oder  nicht  i. 
Den  Fortgang  ins  Unendliche  denkt  er  vielmehr  als  schlechthin 
seiend.  Nicht  anders  als  die  endlichen  Glieder  besteht  auch  ihr 
sich  ins  Unendliche  erstreckender  Zusammenhang, 

Auf  dasselbe  Ziel  streben  auch  seine  Ausführungen  über* 
die  Unendlichkeit  der  Zahl  hin,  wenn  es  in  ihnen  auch  nichi 
mit  gleicher  Bestimmtheit  erreicht  wird.  Gegen  die  Möglichkeit, 
daß  die  Welt  aus  einer  unendlichen  Menge  von  Elementen  be- 
stehe, hatte  besonders  Ibn  Roschd  eingewandt,  daß  dann  die-, 
Summe  der  Weltelemente  eine  unendliche  Anzahl  ergeben  müsse," 
während  Aristoteles  bewiesen  habe,  daß  die  Unendlichkeit  der 
Zahl  nur  potentiell  sei,  jede  bestimmte  Zahl  dagegen  end-^ 
lieh    sein   müsse,    da   sie   notwendig   entweder  gerade   oder   un-_ 

'■  Ibid.' 'Untersuchung  2:''ni^iV  anrnS  ni^nnn  ontp  ncs  ni^nnrin  n-i:no  ]'n  nit- 
lasja  nsno  Nim.  ■'■'! 


—     51     — 

gerade  sei  (Metaphysik  XIII  8).  Dagegen  bedient  sich  Cres- 
kas  zunächst  der  aristotelischen  Unterscheidung  des  Potentiellen 
und  Aktuellen,  indem  er  ausführt,  daß  wohl  jede  abgezählte 
Menge  endlich  sein  müsse,  das  Zählbare  aber  in  unendlicher 
Menge  vorhanden  sein  könne.  Damit  will  er  sich  indessen  der 
Anerkennung  der  Unendlichkeit  der  Zahl  nicht  entziehen.  Nach- 
dem er  zunächst  die  Möglichkeit  unendlicher  gerader  und  un- 
gerader Zahlen  erwähnt  hat,  spricht  er  seine  wahre  Meinung 
dahin  aus,  daß  der  Unterschied  von  Gerade  vmd  Ungerade  nur 
auf  endliche  Zahlen  anwendbar  sei,  die  unendliche  Zahl  dagegen 
jenseits  dieses  Gegensatzes  stehe,  weil  sie  keinen  Abschluß  habe^. 
Es  fehlt  hier  der  ausdrückliche  Hinweis,  daß  die  unendliche  Zahl 
durch  den  Fortgang  der  Reihe  der  endlichen  Zahlen  niemals  er- 
reicht wird  und  nicht  als  Endglied  dieser  Reihe  gedacht  werden 
darf.  Bei  der  Betonung  der  Unabgeschlossenheit  der  unendlichen 
Zahl  aber  schwebt  Creskas  offenbar  der  Gedanke  vor,  daß  alle 
Glieder  der  Zahlenreihe  endlich  bleiben,  die  Reihe  selbst  aber 
sich  ins  Unendliche  erstreckt. 

Unausgesprochen  liegt  dieselbe  Auffassung  des  Unendlichen 
auch  dem  Gedankengange  zugrunde,  durch  den  Creskas  den 
Einwand  entkräften  will,  die  Anerkennung  einer  unendlichen 
Größe  führe  zu  der  widersinnigen  Konsequenz,  daß  ein  Unend- 
liches größer  als  das  andere  sei.  Dieser  Einwand,  den  Creskas 
Tebrizis  Kommentar  zu  den  Propositionen  des  Maimonides  ent- 
nimmt, der  aber  ursprünglich  auf  IbnSinazurückgeht(Schahrastani, 
Deutsche  Übersetzung,  Band  II,  S.  295/6),  geht  dahin,  eine  Ge- 
rade, die  von  einem  bestimmten  Anfangspunkte  aus  ins  Unend- 
liche fortgeht,  könne  jederzeit  über  ihren  Anfangspunkt  hinaus 
um  ein  endliches  Stück  verlängert  werden.  Die  von  dem  nun- 
mehrigen Anfangspunkt  ausgehende  unendliche  Gerade  sei  dann 
um  das  hinzugefügte  Stück  größer  als  die  ursprüngliche,  die 
gleichfalls  unendlich  sei 2,     Denselben  Einwand  hatte  dann  Ger- 

'  Kapitel  2:  ibdd  nca  nniBon  idiS  nxn  hys^  -iBotanr  Nin  nrz  ncN»»  «iNntp  noi 
h^H  nsD^tp  D3mö  -\wa  V'n  "isaan  »Sya  Sas  ,n-i;na  n'^:n  v^a  '?3Jie  ^731  D»SaJis  an  mn 
DuiT  rn»tp  1B7BN  -a;i:^  nn  ,T\si  in  jit  n»n'2?  njin  iSi  nna  yiai  n"22n  ]>a  '?yBi  cniBD  dj'k 
Sajien  n"an  iBoon  um  t-ib:  S«i  jit  ha  -ibddS  npiSnnt?  sin  niöj.n  nasritp  nha  n"22  mneai 
TiBii  J1T2  nsinB  'nSa  Nin  h2i)ü  u»j<ip  nah  n"22n  iBDcn  Sns. 

*  Traktat  I,  Abschnitt  1,  Kapitel  1,  Untersuchung  1.  gegen  Ende.  Ibn' 

Sinn  ist  wohl  auch  die  Quelle  für  Roger  Bacon,    der  den  Beweis  allerdings 

4* 


—     52     — 

sonides  in  etwas  veränderter  Wendung  auf  das  Gebiet  der  Zeit 
übertragen  und  gegen  die  Ewigkeit  der  Welt  gerichtet,  bei  der 
sich  ergebe,  daß  die  in  zwei  verschiedenen  Zeitpunkten  abge- 
laufene Zeit  die  gleiche  unendliche  Größe  habe  und  daß  die 
Zahl  der  Umläufe  zweier  Himmelskörper  die  gleiche  sei,  auch 
wenn  die  Umlaufszeit  des  einen  kürzer  sei  als  die  des  anderen. 
Creskas  hält  alle  diese  Argumentationen  für  irrig,  weil  der  Be- 
griff des  Maßes  auf  das  Unendliche  nicht  anwendbar  sei  und 
daher  auch  kein  Maßverhältnis  zwischen  zwei  unendlichen  Größen 
bestehe.  Die  Größe  zweier  Unendlichkeiten  könne  weder  als 
gleich  noch  als  verschieden  bezeichnet  werden,  da  ihnen  eine 
Größe  im  eigentlichen  Sinne  nicht  zugeschrieben  werden  könne. 
Ein  Unendliches  könne  eine  Vermehrung  nur  nach  der  Richtung 
erfahren,  in  der  es  endlich  sei;  durch  eine  solche  Vermehrung 
aber  werde  es  als  Unendliches  nicht  vergrößert^.  Im  Hinter- 
grunde aller  dieser  zunächst  paradox  erscheinenden  Bestimmungen 
steht  wieder  der  Grundgedanke,  daß  die  Unendlichkeit  nur  der 
sich  ins  Unbegrenzte  forterstreckenden  Reihe  zukommt,  die  wegen 
ihrer  Abschlußlosigkeit  keiner  Maßbestimmung  unterworfen  ist. 
Seine  Verteidigung  des  Unendlichkeitbegriffs  dehnt  Cres- 
kas auch  auf  die  unendliche  Kausalreihe  aus.  Sein  Gedanken- 
gang nimmt  hier  eine  neue  Wendung  in  dem  Versuch,  die  An- 
nahme einer  unendlichen  Reihe  von  Ursachen  und  Wirkungen 
mit  der  Behauptung  einer  ersten  Ursache  alles  Seins  zu  ver- 
binden.    So  gut  es  möglich  sei,  daß  von  derselben  Ursache  eine 


nach  der  Darstellung  Jonas  Cohns  (a.  a.  0.  S.  76-77)  in  eigenem  Namen 
vorzutragen  scheint.  (Eine  Analogie  dazu  bei  Lasswitz,  Geschichte  der 
Atomistik  Bd.  I,  S.  194  f.). 

^  Traktat  I,    Abschnitt  2,    Kapitel   1,    Schluß   der    1.    Untersuchung: 

niV'Bn  hipa  »nSa  ina  hiw  »b'?  "inune  hMi  nnsn  ipn  n'n»  nb  ni^i  nyits»  Thz  ton  n»^3n  i'nbt 
1DSV2  "iNian  nn  n"a  «in»  isne  n^n  inuno  tjou  n^n  dni  -inNno  ^lu  u:»n  ntht  \hh^2. 
Traktat  III,  Abschnitt  1,  Kapitel  4  (gegen  Gersonides):  -iSDcn  ik  pta  n'n»trD 
n^h)  n"a3  yiüi  niy»Kfm  -\^y^>vn  »Snj  on»  nah  niip  tih^  ]upi  '^lui  oyoi  an  n  nos»  t*h  n"3a 
)api  h\t3  Daa  ion»!»  D5T;e  )»j<!p  nn  nniNOm  Tnona  n"32  D'ano  nay  du  "jiaa  uoo  n^p^  tth 
n\w  wh).  Genau  so  löst  Galilei  (Discorsi,  Deutsche  Übersetzung,  Bd.  1.  S.  31) 
die  gleiche  Schwierigkeit.  „Weder  ist  die  Menge  der  Quadrate  kleiner  als 
die  der  Zahlen,  noch  ist  die  Menge  der  letzteren  größer;  und  schließlich 
haben  die  Attribute  des  Gleichen,  des  Größeren  und  des  Kleineren  nicht  statt 
bei  Unendlichem,  sondern  gelten  nur  bei  endlichen  Größen." 


—     53     — 

unendliche  Zahl  koordinierter  Objekte  ^  hervorgebracht  werde, 
könne  auch  eine  unendliche  Reihe  auseinander  hervorgehen- 
der Wirkungen  gedacht  werden,  die  als  Ganzes  ihre  Existenz 
einer  und  derselben  Ursache  verdanke.  Die  weitere  Durch- 
führung dieses  Gedankens  beschränkt  sich  auf  die  Abwehr  des 
bekannten  Argumentes,  daß  der  Eintritt  einer  Wirkung  unmög- 
lich werde,  wenn  er  an  den  Ablauf  einer  unendlichen  Reihe  ge- 
knüpft sei^.  Unerörtert  dagegen  bleibt  die  Frage,  wie  eine 
Kette  von  Wirkungen  auf  eine  erste  Ursache  zurückgehen  kann, 
ohne  daß  es  eine  erste  Wirkung  gibt,  die  unmittelbar  aus  ihr 
hervorgeht.  Immerhin  ist  so  viel  deutlich,  daß  Creskas  eine 
doppelte  Art  der  Abhängigkeit  unterschieden  wissen  will  und 
die  gesamte  Reihe  in  einem  anderen  Sinne  von  der  ersten  Ur- 
sache abhängen  läßt,  als  ihre  einzelnen  Glieder  untereinander 
in  Abhängigkeit  stehen. 

An  dieser  Stelle  wird  das  metaphysische  Ziel  der  ganzen 
Untersuchung  vollkommen  deutlich.  In  keiner  Form  darf  die 
Endlichkeit  der  Welt  der  Beweisführung  für  die  Existenz  Gottes 
zugrunde  gelegt  werden.  Denn  weder  die  räumliche  Begrenzt- 
heit der  Welt  und  die  von  Aristoteles  aus  ihr  erschlossene  Be- 
grenztheit und  Erschöpfbarkeit  der  ihr  innewohnenden  Kraft, 
noch  die  Endlichkeit  der  Ursachenreihe  ist  wissenschaftlich  er- 
weisbar. Der  einzige  legitime  Gottesbeweis  ist  der  Schluß  von 
der  Zufälligkeit  der  Welt  auf  ein  ihr  zugrunde  liegendes  not- 
wendiges Wesen,  der  für  die  unendliche  Well,  ebenso  gilt  wie 
für  die  endliche.  Creskas  hat  die  Unendlichkeit  der  Welt  nicht 
behauptet,  aber  hat  zuerst  versucht,  der  Metaphysik  eine  Form 
zu  geben,  die  uuerschüttert  bleiben  konnte,  auch  wenn  sich  die 
mittelalterliche  Anschauung  von  der  Endlichkeit  der  Welt  als 
unhaltbar  erwies. 

Man  wird  ungern  darauf  verzichten,  Creskas  zu  den  Vor- 
bereitern der  sich  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  Neuzeit  voll- 
ziehenden Umbildung  des  aristotelischen  Naturbegriffs  zu  rechnen 
und  einen  Zusammenhang  zwischen  ihm  und  den  sich  vielfach 
eng  mit  ihm  berührenden  italienischen  Naturphilosophen  anzu- 
nehmen.    Allein  trotz  der  Wiedergabe,  die  einige  seiner  Haupt- 


»  Traktat  I,  Abschnitt  2,  Kapitel  3. 


—     54     — 

gedanken  bei  dem  jüngeren  Pico  gefunden  haben,  ist  ein 
solcher  Zusammenhang  bisher  nicht  nachweisbar.  Die  Aner- 
kennung aber,  daß  er  diese  Entwickelung  in  wesentlichen  Punkten 
vorweggenommen  hat,  hofit  ihm  unsere  Darstellung  fortan  ge- 
sichert zu  haben.  Sie  möchte  damit  eine  bescheidene  Fortsetzung 
der  dem  Anteil  des  mittelalterlichen  Judentums  an  der  Geschichte 
der  Philosophie  gewidmeten  Forschungen  meines  Vaters  bieten, 
dem  ich  sie  in  herzlicher  Liebe  darbringe. 


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Zur  Attributenlehre  Maimunis. 

Von  S.  Horovitz. 

Wir  beabsichtigen  keineswegs  eine  zusammenhängende 
Darstellung  der  Attributenlehre  Maimunis  zu  geben,  da  sein 
Standpunkt  im  großen  ganzen  klar  ist  imd  sich  prinzipiell  von 
dem  seiner  Vorgänger  nicht  unterscheidet.  Auf  Abweichungen 
in  Einzelheiten  kommt  es  hierbei  nicht  an.  Ob  ein  Attribut 
zu  den  Negations-  oder  Tätigkeitsattributen  gezählt  wird,  ist 
gleichgültig,  und  wir  sehen,  wie  die  einzelnen  Philosophen  selbst 
es  damit  nicht  genau  nehmen  und  ein  Attribut  bald  in  diese, 
bald  in  jene  Klasse  einreihen.  MitsolcherFreiheitverfährtbeispiels- 
weise  Jehuda  Halewi,  ohne  sich  eines  Widerspruchs  bewußt  zu 
sein  und  ohne  daß  wir  ihm  einen  solchen  vorwerfen  könnten  ^ 
Maßgebend  ist  bloß  die  prinzipielle  Frage,  welche  Attribute 
zulässig  seien,  und  in  dieser  Hinsicht  unterscheidet  sich 
Maimuni  nicht  von  den  anderen  jüdischen  Aristotelikern,  nur 
daß  er  vielleicht  mit  noch  größerer  Schärfe  und  mehr  Nachdruck 
die    Unzulässigkeit     der    Wesensattribute     betont  2.       Da     also 


*  So  ist  „lebend"  nach  Cusari  II  2  Negationsattribut,  um  die  Eigen- 
schaft des  Todes  zu  verneinen  (nion  iNn  ucn  Wa-:).  Einige  Zeilen  später 
jedoch  ist  es  Tätigkeitsattribut  und  bedeutet,  daß  von  Gott  Wirkungen  ausgehen 
ntpya  cno  .th»  nS  c»na  nnr  coyn  »n^N  mo  iJ3  ma  «in  n"n  o'n'^Ki  »n  '-«  naiNP  noi 
Ebenso  erklärt  er  in  demselben  Paragraph  „heilig"  als  Relation sattribu 
'131  ipnp  ^"ina  inuai  ins  laa  ni>'7Büni),  während  er  IV  3  dieses  Prädikat  als  Ne- 
gationsattribut erklärt,  um  auszudrücken,  daß  Gott  keine  Eigenschaft  von  den 
Eigenschaften  der  geschaffenen  Dinge  zukomme  niinona  nanai  aipi  Htnv  »U3  cnpi 
D'Niinn  nnaa  ma  )h  [1.  niNn»D]).  Es  ist  also  auf  die  Erklärung  der  einzelnen 
Ausdrücke  kein  Gewicht  zu  legen. 

'  Die  größere  Strenge,  mit  welcher  Maimuni  auf  die  Reinhaltung  des 
Gottesbegriffes  bedacht  ist,  zeigt  sich  z.  B.  auch  darin,  daß  er  More  I  35 
die  Forderung  stellt,  man  solle  selbst  Kindern  und  unwissenden,  welch« 
einer  vollkommen  philosophischen  Erfassung  des  Gottesbegriffes  nicht  fäbig 


—    56    — 

Maimuni  nach  der  prinzipiellen  Seite  nichts  wesentlich  Neues 
darbietet,  wollen  wir  lediglich  auf  einzelne  Punkte,  die  vielleicht 
von  Interesse  sind,  hinweisen. 

1.    Alter  des  Attributenproblems, 

Die    Gründe,    aus    welchen    Maimuni    die    Annahme    von 
Attributen   bedenklich    erscheint,    sind    die   nämlichen,    welchen 
wir  bereits  bei  Saadia  begegnen  und  die  aus  der  neuplatonischen 
Philosophie  stammen.    Das  oberste  Prinzip  muß  etwas  schlechthin 
Einfaches  sein,  durch  Attribute  hingegen  wird  eine  Zusammen- 
gesetztheit und  Vielheit  angenommen  und  die  absolute  Einfach- 
heit   Gottes    aufgehoben.      Hierbei    wird    von    dem    Anstößigen 
abgesehen,   welches  gewisse  Attribute  schon  durch  ihren  Inhalt 
haben,  insofern  sie  etwa  ein  Leiden,  eine  Veränderung  in  Gott 
ausdrücken,     d.    h.    eine    Anthropopathie,    eine    Versinnlichung 
Gottes  enthalten    und   die    rein  geistige  Auffassung  vom  Wesen 
Gottes    zu   trüben   geeignet  sind.     Zu   jenem   ersten   Bedenken 
von  der  Gefährdung  der  Einfachheit  kommt  noch  ein  Gesichts- 
punkt   hinzu,    welcher    bei   Plotin    von    großer    Bedeutung    ist: 
die   als  selbstverständlich  angesehene  Voraussetzung,  daß  in  der 
Ursache   mehr  als  in  der  Wirkung  enthalten  sein  muß  und  die 
erstere  nicht  der  letzteren  gleichen  kann,  aus  welchem  Grunde 
von  Plotin   der  ersten  Einheit  selbst  das  Denken  und  das  Sein 
abgesprochen  wird,  weil,  wie  er  sagt,  die  Ursache  des  Denkens 
und  des  Seins  jenseits  von  beiden  liegen  muß  —  ein  Gesichts- 
punkt,   der   namentlich  von  Saadia  mehrere  Mal   hervorgehoben 
wird.     Daß    nun    die    jüdischen   Religionsphilosophen    in    ihren 
Anschauungen  vom  Neuplatonismus  abhängen,   ist  bekannt,    ob- 
gleich sie  im  einzelnen  selbständig  verfahren.   So  erklärt  beispiels- 
weise Plotin  (Enn.  VI  9,  3)  nicht  einmal  Relationsattribute  für  statt- 
sind, doch  so  weit  als  möglich  eine  richtige  Vorstellung  vom  Wesen  Gottes 
beizubringen   suchen,    daher   man    ihnen  wenigstens  einschärfen  müsse,  daß 
Grott  kein  Körper,   mit  den  Geschöpfen  unvergleichbar  und  keinem  Leiden, 
keinem   Affekt    unterworfen    sei.     Damit    vergleiche   man  das   milde  Urteil 
Jehuda  Halewis  im  Cusari  IV  3,   der  selbst  das  Buch  „Schiur  Koma"  nicht 
verwerflich   fiadet,   wenn  dadurch  die  Ehrfurcht  vor  Gott  in   den  Gemütern 
befestigt   wird,   obgleich   es   selbstverständlich   ist  und  nicht  einmal  gesagt 
zu  werden  braucht,  daß  im  Prinzip  Jehuda  Halewi  nicht  weniger  als  Maimuni 
gegen  jode  Trübung  des  Gottesbegriffes  ist. 


—     57     — 

haft  und  behauptet  dementsprechendj  daß  wir  Gott  nicht  einmal 
Ursache  der  Welt  im  eigentlichen  Sinne  nennen  dürfen.  Es 
stimmen  mit  ihm  Saadia  und  Maimuni  überein,  von  welchen  der 
erstere  im  Anschluß  an  die  Kategorientafel  des  Aristoteles  die 
Kategorie  der  Relation  von  Gott  ablehnt  i,  während  Jehuda 
Halewi  und  Ibn  Daud  die  Attribute  der  Relation  unbedenklich 
finden.  Umgekehrt  gehen  Ibn  Daud  und  Maimuni  über  Plotin 
hinaus,  indem  sie  selbst  das  Attribut  der  Einheit  von  Gott  nur 
als  Negation  gelten  lassen,  während  für  Plotin  das  Attribut  der 
Einheit  die  einzig  passende  Beziehung  für  das  oberste  Prinzip  ist. 

Zwar  hat  bereits  Philo  Gott  „qualitätslos"  (axoio?)  genannt^, 
aber  an  einen  direkten  Einfluß  von  Seiten  Philos  ist  nicht  zu 
denken,  da  er  im  Mittelalter  unbekannt  war  und  nur  eine  dunkle 
Erinnerung  an  ihn  bei  Josef  Albasir  sich  erhalten  hat.  Hingegen 
verdient  die  Frage  erwogen  zu  werden,  ob  nicht  bereits  in  der  älteren 
talmudischen  Literatur  sich  Anklänge  an  das  Attributenproblem 
finden.  Daß  man  die  wörtliche  Wiedergabe  einzelner  Schrift- 
stellen für  bedenklich  hielt  und,  um  namentlich  bei  der  großen 
Menge  kein  Mißverständnis  aufkommen  zu  lassen,  eine  Um- 
schreibung für  geboten  erachtete,  ist  aus  dem  Targum  bekannt, 
auf  welches  die  jüdischen  Religionsphilosophen  häufig  hin- 
weisen; doch  berührt  dies  nicht  den  Kern  der  Attributenfrage. 
Es  sind  ganz  besondere  Rücksichten,  von  denen  das  Targum 
sich  leiten  läßt  und  die  sich  aus  dem  Inhalt  der  einzelnen 
Stellen  ergeben.  Es  sind  besonders  anthropomorphistische  und 
anthropopathische  Ausdrücke,  sowie  Stellen,  welche  leicht  eine 
unangemessene  Auffassung  über  die  Beziehungen  zwischen  Gott 
und  den  Menschen  aufkommen  lassen,  welche  eine  Paraphrase 
notwendig  machten  3.  Ahnlich  verhält  es  sich  mit  gewissen 
in  Talmud  und  Midrasch  geläufigen  Redewendungen,  in  welchen 
die     Eigenschaften    vom    Wesen     Gottes    getrennt    erscheinen. 


1  Vgl.  Em.  ed  Slucki  S.  52,  More  I  52.  Kreskas,  'n  -iin  ed  Ferrara  16  d 
wendet  gegen  Maimuni  mit  Recht  ein,  daß  man  doch  nicht  umhin  kann, 
zum  mindesten  von  Gott  zu  sagen,  daß  er  die  Ursache  der  Welt  sei, 
wodurch  ja    ein  Verhältnis    zwischen  Gott  und  der  Welt  ausgedrückt  wird. 

«  Zeller  III  2  S.  355. 

'  Vgl.  Maybaum,  Die  Anthropomorphien  und  Anthropopathien  bei 
Onkelos  usw.  S.  8—28. 


—    58     — 

Man  hat  mit  Unrecht  in  solchen  Redensarten  eine  Hyposta- 
sierung  der  göttlichen  Eigenschaften  gesehen,  und  vielfach  wollte 
man  sogar  aus  Stellen,  die  bei  unbefangener  Betrachtung  ganz 
harmlos  erscheinen,  einen  Einfluß  des  Gnostizismus  herauslesen^. 
In  Wirklichkeit  handelt  es  sich  bei  jenen  Umschreibungen  bloß 
um  eine  Art  Schicklichkeitsgefühl,  welches  die  unpersönliche 
Ausdrucksweise,  statt  der  persönlichen,  passender  erscheinen 
ließ.  Selbstverständlich  können  wir  einen  Gegenstand,  über  den 
schon  soviel  geschrieben  wurde,  hier  nicht  erschöpfend  be- 
handeln, wir  wollen  bloß  bemerken,  daß  die  Tatsache  der 
Paraphrase  gewisser  Aussagen  in  der  Schrift  und  gewisse 
scheinbare  Hypostasierungen  der  göttlichen  Eigenschaften  in  der 
älteren  Literatur  für  uns  nicht  in  Betracht  kommen.  Für  uns 
handelt  es  sich  lediglich  um  die  Frage,  ob  gewisse  Ansätze 
zum  mittelalterlichen  Attributenproblem  sich  schon  früher  nach- 
weisen lassen,  ob  man  schon  in  talmudischer  Zeit  gegen  die 
Attribute  im  allgemeinen,  welcher  Art  sie  auch  seien,  Bedenken 
trug  lediglich  mit  Rücksicht  darauf,  daß  sie  der  Einfachheit 
Gottes  Eintrag  zu  tun  scheinen,  obgleich  ein  solcher  Gesichts- 
punkt dem  nicht  philosophisch  geschulten  Denken  ziemlich  fern 
liegt.  Auf  eine  Stelle,  die  dafür  zu  sprechen  scheint,  weist 
Maimuni  (More  I  59)  hin.  In  der  Rüge,  die  Rabba  (Berachot 
33b)    einem    Vorbeter,     welcher     die    Attribute    Gottes    häufte,. 


^  Sehr  eJDgehend  handelt  bekanntlich  über  diesen  Punkt  Krochmal,^ 
More  Neb.  Has.  (Pf.  15)  und  Grätz,  Gnostizismus  im  Judentum.  Schlagend 
findet  Schmiedl  (Studien  über  jüdische,  insonders  jüdisch-arab.  Religionsphilos. 
S.  37)  den  Hinweis  auf  die  Worte  im  Gebete  R.  lochanans  (Berachot  16  b) 
^nlJnuvl  i2ia  mo  yish  Nsnt.  Man  hat  bei  dieser  Stelle  ebensowenig  an  eine 
Hypostase  zu  denken,  wie  etwa  bei  der  stereotypen  Redensart:  Es  sei  der 
Wille  vor  dir.  Eine  Erinnerung  an  die  gnostische  Lehre  von  den  Syzygien 
haben  Schmiedl  daselbst  Anm.  2  und  Joel,  Blicke  in  die  Religionsgeschichte  I 
S.  114  merkwürdigerweise  in  Bereschit  r.  c.  11  in  den  Worten  finden  wollen: 
jn  p  nn:  ti':  '7i  jit  p  nnj  hzh  y"pm  rt"2pn  ■>:th  na»  mo^s.  Noch  seltsamer  ist  die 
Erklärung  Joels,  welcher  die  Mischna  Chagiga  II  1  ninya  j'irin  ]'n  auf  die 
Syzygien  deutet.  Die  Unrichtigkeit  der  Erklärung  läßt  sich  direkt  durch 
den  Jer.  zu  St.  nachweisen,  welcher  bemerkt,  daß  die  Mischna  im  Sinne 
R.  Akibas  und  nicht  R.  Ismaels  ist.  Und  das  Zutreffende  dieser  Bemerkung 
ergibt  sich,  wie  bereits  Friedmann  in  seiner  Einleitung  zur  Mechilta  LXV 
und  Weiß,  11  S.  235  hervorheben,  aus  der  Tatsache,  daß  im  Sifra  zu  dem 
Abschnitt  von  nny  der  Midrasch  fehlt. 


—     59     — 

erteilte,    findet    er    seine    eigene   Ansicht    wieder,    daß   positive- 
Attribute    von   Gott    überhaupt    nicht    zulässig   seien.      Aber   es 
erscheint    fraglich,     ob     die    Stelle    wirklich     das    besagt,  .  was 
Maimuni  in  ihr  findet,  und  ob  er  nicht  lediglich  Gedanken,  die 
seine    Zeit    bewegen,    einer    älteren   Zeit    unterschiebt.     Bereits 
Kreskas   ('H  IIN*  17a)  bemerkt,  daß  der  Tadel  nicht  gegen   die 
Attribute   an   sich,    sondern   gegen    deren   Häufung   gerichtet   zu 
sein    scheint,    welche    den  Eindruck    erweckte,    als    ob   sie   die 
Attribute  Gottes  in  erschöpfender  Weise  aufzählen  wollte.     Weit 
mehr   erinnert   an   die   Diskussionen   der  mittelalterlichen  Philo- 
sophie eine  andere  Stelle,  auf  die  wir  hinweisen  möchten  und  die 
Maimuni  wohl  kannte,  ohne  daß  sie  von  ihm  oder  den  Kommen- 
tatoren  ausdrücklich   genannt  wird.     In  Sifre  Num.  Absch.   153 
heißt   es,   der  Schwär  unterscheide  sich  vom  Gelübde  dadurch, 
daß    das  Gelübde   einer  Versicherung   beim   Leben   des  Königs. 
der  Schwur  aber  einer  solchen  bei  der  Person  des  Königs  selber 
vergleichbar   sei,   und   eine   Anspielung   auf  diesen   Unterschied 
wird    in   der   Stelle    2   Könige   4,30   gefunden,   in    den   Worten: 
So    wahr    der   Ewige    lebt  und  beim  Leben  deiner  Seele  ('H  ""n 
lli'DJ  ""ni)  ^.     Es   wird  also,  wie  bereits  R.  David   Pardo   bemerkt,, 
auf  den  Unterschied  in  der  Aussprache  hingewiesen  und  in  der 
Verschiedenheit   der  Aussprache    die  Andeutung   gefunden,   daß 
bei  Gott   das  Leben   von   der  Wesenheit   nicht  getrennt  ist  wie 
beim  Menschen.     Hiermit   stehen   wir   aber  unmittelbar  vor  der 
Frage,   welche    die   mittelalterlichen  Philosophen   beschäftigt,  ob 
das    Leben   in    Gott   als   Wesensattribut   oder  in   anderer   Weise 
aufzufassen   sei.      Bereits   Maimuni   weist    auf    den   Unterschied 
in   der  Schwurformel  hin  und  deduziert  daraus,   daß  das  Leben 
bei  Gott  anders  aufzufassen  ist,  und  man  kann  wohl  mit  Recht 
annehmen,  daß  ihm  die  Stelle  im  Sifre  nicht  entgangen  ist,  wenn 
auch    weder    bei    den    älteren    Kommentatoren    noch    bei    den 
neueren,  welche  Maimuni  anführen,  Sifre  als  Quelle  angegeben 
wird 2.     Wir  sagen  demnach  sachlich  nichts  Neues;  von  Interesse 

^  b"j!n  iBsy  1^03  yntpj:  nynira  -\han  »nn  mu:  cmja  nyi;»'?  D»-nJ  ]»3  »len  no 
ISTyn  DN  itffBi  'm  'n  »n  izib  -,dt  imS  n»Nn  ^aw. 

a  Jesode  Hatt.  II  10  'n  'n  «=?n  'n  'n  idin  i'si  •]wti  »m  ny-iB  »n  inis  i2'bV 
D'Bun  "n  103  BUB  i"m  Ninn  ynis,  vgl.  cp-iB  njeiz?,  letztes  Kapitel  und  More  I  68. 
Zur    letzteren    Stelle    bemerkt    Munk    S.    302    A.    3,    daß    die    Bemerkung 


—     60     — 

ist  es  bloß,  zu  sehen,  daß  bereits  der  Sifre  in  aller  Kürze  das, 
was  den  Kern  der  Attributenfrage  ausmacht,  berührt.  Wir  können 
demnach  von  einer  gewissen  Kontinuität  in  der  Entwicklung 
der  jüdischen  Religionsphilosophie  sprechen;  es  waren  nicht 
völlig  neue  Probleme,  welche  die  mittelalterlichen  Philosophen 
beschäftigten,  wenn  sie  auch  vielleicht  eine  Zeitlang  aus  dem 
Gesichtskreis  geschwunden  waren  und  der  unmittelbare  Anstoß 
zu  ihrer  Wiederaufnahme  von  den  Arabern  ausging,  durch 
deren  Einfluß  das  philosophische  Studium  in  jüdischen  Kreisen 
wieder  in  Fluß  kam. 

2.    Der  Einfluß   der  Attributenlehre  Maimunis 

auf  die   Araber. 
"Wir    haben    soeben    auf    den   Anteil   hingedeutet,    welcher 
den   Arabern   an    der  Wiederbelebung   der   philosophischen    Be- 
strebungen im  Judentum  gebührt.     Wir  können  diese  Tatsache 
als   bekannt   voraussetzen   und  brauchen  nicht  erst  des  näheren 
nachzuweisen,  welchen  bestimmenden  Einfluß  sowohl  der  Kalam 
als  auch  die  arabisch-aristotelische  Philosophie  auf  die  ganze  Richtung 
und  Entwicklung  der  jüdischen  Religionsphilosophie  ausübte.    Hin- 
gegen wissen  wir   nichts  von   einer  Rückwirkung  des  jüdischen 
Geistes  auf  die  arabische  Philosophie.     Man  hat  den  Eindruck, 
als  ob    die  Werke    der    jüdischen  Religionsphilosophen    in    den 
Kreisen  des  Islams,  auf  die   es  wahrscheinlich   auch   von   vorn- 
herein gar  nicht  abgesehen  war,  gar  keine  Beachtung  gefunden 
hätten.     Zwar    behauptet    Kaufmann,    Saadia    hätte   sich   darum 
in    seinem   Werke   jeder   Polemik   gegen    den   Islam    enthalten, 
weil    er    dasselbe    von    vornherein    so    angelegt    hätte,    daß    es 
auch   in   arabische  Kreise  Eingang  finde,  und  es  sei  auch  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  den  Arabern  nicht  unbekannt  gewesen 
(Attributenlehre    S.  SOff".).     Diese   Behauptung   ist  jedoch   unzu- 
treffend,   da    viele    Stellen    in    Emunot    tatsächlich    gegen     den 
Islam  gerichtet  sind.     Dahin  gehört  beispielsweise  der  Abschnitt 
über  die  Möglichkeit  der  Abrogation  des  Gesetzes.     Ebenso  ist 
die   Erklärung  zu  Deut.  32,2  (Em.    S.  68)   gegen   die   bekannte 


Maimunis  in  frappierender  Weise  bestätigt  wird  durch  solche  Stellen,  wo 
die  beiden  Ausdrücke,  *n  und  'n,  zusammen  gebraucht  werden.  Wie  wir 
sehen,  beruft  sich  der  Sifre  tatsächlich  auf  eine  solche  Stelle.  | 


—     61     — 

Deutung    gerichtet,    welche    in    jener   Stelle   einen   Hinweis    auf 
die    Sendung    Muhammeds    sehen    wollte  i.      Was    jedoch    den 
Gottesbegriff   des    Islams    betrifft,    so    hatte    Saadia    keine    Ver- 
anlassung,   gegen     diesen    zu     polemisieren.       Die    Behauptung 
Kaufmanns,     Saadia    hätte     sein    Werk    gleich    mit    Rücksicht 
auf    arabische    Kreise    abgefaßt,    ist    daher    mehr    als    fraglich. 
Jedenfalls    findet    sich    nirgends    auch    nur    der    geringste    An- 
haltspunkt   dafür,     daß    es    in    Wirklichkeit    in   jenen    Kreisen 
irgendwie   Verbreitung    gefunden    hätte.      Das    gleiche    gilt   von 
den   Werken    der    anderen  jüdischen   Religionsphilosophen    mit 
Ausnahme  Maimunis,  dessen  More  sicheren  Nachrichten  zufolge 
schon  frühzeitig  auch  außerhalb  des  Judentums  bekannt  wurde. 
Bereits    'Abdu-1-Latif,    ein    Zeitgenosse    Maimunis,    hatte    den 
More  gelesen,  und  Tebrizi,  ein  anderer  arabischer  Schriftsteller, 
verfaßte  einen  Kommentar  zu   den  25  Prämissen  am  Anfang  des 
zweiten   Teiles    vom   More.     Noch    mehr    aber    zeugt   von    dem 
hohen  Ansehen,    dessen   sich   das  Werk  Maimunis   auch   in   der 
muhammedanischen    Welt    erfreute,    die    von    Josef    Kaspi    be- 
richtete Tatsache,   wonach   in   den   muhammedanischen   Schulen 
von  Fez   und   anderen  Ländern   unter   Anleitung   jüdischer   Ge- 
lehrter   das  Studium   des  More  betrieben   wurde 2.     Es  ist   aber 
bisher,  soweit  mir  bekannt  ist,  noch  nirgends  eine  Stelle  in  der 
philosophischen    Literatur     der    Araber    aufgezeigt    worden,     in 
der    sich    eine   Bekanntschaft    mit    dem   More    und    ein   Einfluß 
desselben    offenbart.      Wir    glauben    nun    auf    eine    Stelle    hin- 
weisen   zu    können,     welche    die    Abhängigkeit   von   More   I  60 
deutlich  verrät  und  zeigt,  wie  ein  von  Maimuni  ausgesprochener 
Gedanke    zu    einer   Streitfrage    in    den    Schulen    wurde,   an   der 
die  Jünger   ihren  Scharfsinn  übten.     Maimuni  zieht  in  dem  ge- 


^  Es  ist  ganz  unbegründet,  wenn  Kaufm.  Attributenlehre  S.  83 
in  bezug  auf  die  letztere  Stelle  sagt:  Saadia  habe,  wie  sich  aus  dem  Zusammen- 
hange der  ganzen  Auseinandersetzung  ergibt,  die  Christen  und  nicht  die 
Muhammedaner  im  Auge.  Wie  ist  das  überhaupt  möglich,  da  doch  die 
Erklärung  zur  Bibelstelle,  die  von  Saadia  widerlegt  wird,  doch  nur  von 
Muhammedanern  herrühren  kann?  Ebenso  ist  die  ganze  Abhandlung  über 
die  Abrogation  vorzugsweise  gegen  die  Muhammedaner  gerichtet,  da  die 
von  Saadia  widerlegten  angeblichen  Beweise  für  die  Abrogation  von 
Muhammedanern  vorgebracht  wurden. 

^  Vgl.  Kaufmann,  Gesammelte  Schriften  U  S.  158. 


—     62     - 

nannten  Kapitel,  das  auch  wegen  der  verschiedenen  Auslegung, 
4ie  es  bei  alten  und  neueren  Erklärern  gefunden  hat,  von  Interesse 
ist,    das   Ergebnis    seiner   vorangehenden   Betrachtungen,    indem 
er  nochmals   vor   den    großen   Grefahren   warnt,   welche   für  den 
reinen    Gottesbegriff  in    der   Annahme   von   positiven  Attributen 
liegen.     Er    faßt    dann    seine   Ansicht    in  folgendem   Urteil  zu- 
sammen:  Wer  positive  Attribute  annimmt,  den  trifft  nicht  etwa 
bloß  der  Vorwurf,    daß   er  eine  unvollkommene  Erkenntnis  von 
Gott  habe,  ebensowenig  begeht  er  den  Fehler  der  „Zugesellung", 
indem   er  Gott   andere  Wesen   an    die  Seite  stellt,  auch  faßt  er 
nicht  etwa  Gott  bloß  entgegengesetzt  seinem  wirklichen  Sein  auf, 
vielmehr   eliminiert   ein   solcher   die  Erkenntnis  Gottes   gänzlich 
aus   seinem   Glauben,    ohne   sich   dessen   bewußt   zu  sein.     Den 
Irrtum  der  positiven  Attribute  kann  man  nicht  als  unvollkommene 
Erkenntnis   (liJp?2)   bezeichnen,    weil   von   einer   solchen  nur  die 
Rede  sein  kann,  wenn  jemand  einen  Teil  von  etwas,  nicht  aber 
das    Ganze    erkennt,    z.    B.   wenn  jemand   vom    Menschen   seine 
tierische,   nicht   aber   seine   vernünftige   Natur   erfaßt.     Da   Gott 
jede  Zusammensetzung  ausschließt,    kann  mithin  von  einer  teil- 
weisen Erkenntnis  bei  ihm  nicht  gesprochen  werden.     Auch  als 
Zugesellung   (=]int^')   kann   man  jenen    Irrtum   nicht    bezeichnen, 
weil   Zugesellung    soviel    bedeutet    als:     den    richtig    erkannten 
Begriff  eines  Wesens   auf  ein   anderes  übertragen,  während  die 
Attribute,  wie  deren   Anhänger  selbst  behaupten,  doch  nur  zum 
Wesen    hinzukommende    Akzidenzien,    nicht    aber    das    Wesen 
selbst    sind.      Aber    ebensowenig    kann    man    den    Irrtum    der 
Attributisten   als   eine   dem  wahren  Tatbestand  entgegengesetzte 
Auffassung   (^'i':'")    charakterisieren,   weil   von  einer  solchen  nur 
gesprochen    werden    kann,    wenn    wenigstens    etwas    an    einem 
Gegenstand   der  Wahrheit   entsprechend   vorgestellt  wird.     Hält 
aber  beispielsweise  jemand  den  Geschmack  für  eine  Quantität, 
so    kann  man  nicht  sagen,  daß  er  sich  die  Sache  im  Gegensatz 
zu  ihrem  wahren  Sein  vorstelle,  vielmehr  hat   derselbe  von    der 
Existenz    des    Geschmackes    überhaupt    keine   Vorstellung    und 
weiß  nicht,  worauf  sich  dieser  Name  bezieht.     Ebenso  hat  der- 
jenige,   der    Gott  Attribute    beilegt,    die   ihm   nicht   zukommen, 
von  Gott   überhaupt   keine  Kenntnis   und  überträgt  den  Namen, 
den    er  vom   Hörensagen  kennt,   auf  ein   Wesen,    das   nirgends 


-     63     — 

in  der  Wirklichkeit  anzutreffen  ist  und  nur  in  seiner  Einbildung 
existiert!.  Maimuni  beleuchtet  diesen  Gedanken  noch  näher 
und  erläutert  ihn  durch  ein  Beispiel,  worauf  wir  jedoch  nicht 
weiter  einzugehen  brauchen.  Für  unseren  Zweck  genügt  es  zu 
bemerken,  daß  an  den  dargelegten  Gedankengang  Maimunis  eine 

'  More   I   60:    in   inja^nn   -ispn   nV;n<   htib   cnan   a^nonip   neiN    [1.    ':'ni]    «jni 
»b:   nnx   Di";   nncx   t»S'  ibn  Nin  ■\nn  yiyh  ^i^srcn  pi  'i:i  ntn-s  na  rii=:nz  u<rn  in  rinira 
'in   nnNnn   i^ni   in«   dxv'?   Ninn   ninnsn   2»ni   xinc   na.     Wir    haben    ejinc?    in    der 
Bedeutung  genommen:  Gott  ein  anderes  Wesen  zugesellen.     Die  Erklärungen 
gehen    jedoch    auseinander.     AYas   Maimuni    hier   sagt,   scheint   seinen  Aus- 
führungen unmittelbar  vorher  zu  widersprechen.     Diejenigen,  sagt  er,  welche 
positive  Attribute   behaupten,   müssen   schließlich   doch   zu  Negationen   ihre 
Zuflucht  nehmen,  indem  sie  sagen,  Gott  wisse  durch  ein  Wissen,  das  nicht 
dem  unserigen   gleiche,   und   das  gelte  auch    von  seiner  Existenz.     Sie  be- 
wegen, sich    also   doch    in    Negationen   und   ihre   Behauptung    läuft    darauf 
hinaus,  daß  Gott  eine  Substanz  mit  unbekannten  Attributen,  ein  Subjekt  mit 
einigen  Prädikaten   sei,    doch  sei  der  Begriff  des  Subjekts  hier  ein  anderer 
als   sonst,  und  ebenso   der  Begriff  des  Prädikats.     Folglich  fährt   er   dann 
fort:  psB   n'^tz   cnicj  hyz  nipu  hz  i;  in.s  -laT  n^  t\^nar\  njiaNn  dniz  unjpn  n'^Jin  n»n'i 
'i;i  vhy  Nipjn  i»:v  'n'J-  Nipun  i'JV  ':  niN»sea  ins  xin  cni  nija  c»:r  Nim.     Hier  liegt 
nun   ein   direkter  Widerspruch   vor.     Die  alten  Erklärer  nehmen  an  beiden 
Stellen,    ohne    sich    auf    den   Widerspruch    einzulassen,   e\}.-\ü  im   Sinne   von 
Homonymie,  d.  h.  es  wird  von  Gott  bloß  dem  Namen  nach  ausgesagt,  was 
von   anderen  Wesen   gilt.     Nach  Munk   heißt   e\)r\w  an  beiden  Stellen:  Gott 
ein  anderes  Wesen   zugesellen,  Polytheismus.     Nach  Kaufmann,  Attributen- 
lehre S.  460  bedeutet  i\w:;   an    erster  Stelle   Polytheismus,   an  zweiter  Ho- 
monymie, was  er  sehr  weitläufig  zu  beweisen  sucht.     Nach  unserem  Dafür- 
halten   kann    rji.itp    an   zweiter  Stelle  nur   Polytheismus  bedeuten,   weil  für 
Homonymie   die   Begründung   Maimunis    gar    nicht    paßt.     Nur  wegen    der 
großen    Verwirrung,    welche    über    die    Terminologie    Maimunis    in    diesem 
Punkte  herrscht,  konnte  man  .-ii.-ir  an  zweiter  Stelle  im  Sinne  von  Homonymie 
nehmen.     Nicht  so   sicher  sind  wir  über   Bedeutung   des  Wortes  an  erster 
Stelle.     Man   könnte    es   als   Homonymie   erklären,   wofür   auch    der   Zusatz 
TM  ^2l  N7   zu   sprechen    scheint,  und   die  Worte   'i:i  nc?u  hz  »:   müßten   dann 
eine   Begründung   sein   für   das   Vorhergehende   'i;i   Ninn  Nirun  nh  d.  h.  wenn 
Subjekt  und  Prädikat  bei  Gott  dasselbe   wie   sonst  bedeutete,   müßte  Gott 
eine  Zweiheit   sein,   was   er   aber   nach    der   Ansicht   der  Gegner  nicht   sein 
soll.     Von   einem   Widerspruch   zwischen   beiden   Stellen   wäre    dann    keine 
Rede.      Und    dennoch    scheint    mir    die    Bedeutung    Polytheismus    in    den 
Zusammenhang  besser  zu  passen.    Man  muß  demnach  annehmen,  daß  Maimuni 
an   erster  Stelle   sich   der   gangbaren  Auffassung   anpaßt,   wonach    auch    die 
Annnahme   von    ewigen  Eigenschaften   in  Gott   riinur  heißt.     An   der  zweiten 
Stelle  berichtigt   er   dann   diese  Auffassung  und  meint,    daß  dies  nicht  qinw 
genannt  werden  kann. 


-     64     — 

Stelle  bei  Senussi,  einem  Theologen  des  fünfzehnten  Jahrhunderts, 
erinnert.  Er  macht  einmal  beiläufig  die  Bemerkung,  man  könnte 
vielleicht  die  Ansicht  vertreten,  daß  jemand,  der  aus  Unkenntnis 
einer  Sache  eine  Eigenschaft  beilegt,  die  ihr  nicht  zukommt, 
überhaupt   keine   Kenntnis   von   der   Sache   habe.     Dies    sei   die 

V 

Ansicht,  welche  von  dem  Seich  Abu  'Amran  aus  Fez  an- 
genommen wurde  in  der  bekannten  Frage,  welche  also  lautet: 
Wenn  jemand  eine  Eigenschaft  Gottes  nicht  kennt  und  ihr  eine 
entgegengesetzte  beilegt,  die  mit  seiner  Natur  unverträglich  ist, 
z.  B.  die  Körperlichkeit,  Räumlichkeit  und  dergleichen,  die  in 
bezug  auf  Gott  unmöglich  sind,  kann  man  da  behaupten,  daß 
er  von  Gott  überhaupt  keine  Kenntnis  habe?  Die  einleuchtendste 
Antwort  nach  der  Ansicht  des  Abu  'Amran  ist,  daß  er  Gott 
überhaupt  nicht  kennte  Wer  dieser  Abu  'Amran  aus  Fez  ist, 
weiß  ich  nicht,  vielleicht  liegt  gar  eine  Verwechselung  mit 
Maimuni  selbst  vor  :  Abu  'Amran  statt  ben  'Amran.  Wie  dem 
auch  sei,  wir  glauben,  daß  die  Ausführungen  Maimunis  den 
Stoff  zu  der  von  Senussi  angeführten  Frage  geboten  haben. 
Uns  wenigstens  ist  aus  der  älteren  Zeit  nicht  bekannt,  daß  man 
über  eine  solche  Frage  debattiert  hätte.  Die  Bezeichnung:  die 
bekannte  Frage  spricht  dafür,  daß  der  Gedanke  Maimunis  auf 
einen  sehr  fruchtbaren  Boden  fiel,  weil  er  für  die  Disputier- 
kunst, Entfaltung  des  Scharfsinnes  und  subtile  Unterscheidungen 
einen  weiten  Spielraum  eröffnete.  Im  übrigen  scheint  Senussi 
die  Ausführungen  Maimunis  selbst  nicht  zu  kennen,  da  er  sonst 
das,  was  Maimuni  lediglich  in  bezug  auf  Gott  behauptet,  nicht 

^  Senussi,  Les  prolögomenes  th^ologiques,  ed.  Luciani  Alger  1908,  S.  37: 
vj^JIäJ     L^vX«?    >^Lilj     NÜAÜi-    H.ÄAÄJ    J~&-=-'    e)'    [^     ^'-^^    Nxiyw    aJ'Li'^) 

^AvLäJl     jmL^£-         £.^1      ^-yj.Ci.Jl      ~^$S.A      yS!^      L^J      J^.:S\i.J       ■^'^y.A      NÜasJ»»! 

^Jj^Jl  s.Ä/aj  J~^l      -^j  O^^L    ».j..^^^Jl   Ni.y»Aw..«.Jl  ^h  SJ.C.    nUi    i^-^j 

.^-^UJI  ^1^^  ^1    s^LiS-l  U/  X^j   Jo-  &.  J^Li^ 


—     65     — 

ohne    weiteres    verallgemeinert    und    auf   jedes    Objekt    über- 
tragen hätte, 

3.    Zur  Terminologie  Maimunis. 

Als  einen  Schlüssel  zum  Verständnis  der  Schrift  erklärt 
Maimuni  die  Kenntnis  von  der  verschiedenen  Anwendung  der 
Nomina.  Gleich  am  Anfange  der  Einleitung  zum  More  zählt 
er  nach  der  Verschiedenheit  des  Gebrauches  drei  Klassen  von 
Nomina  auf:  homonyme  (CDPI^'C),  metaphorische  (C^'^'NIli^'?^)  und 
amphiboli8che(C"'pE}1DC),  sogenannt,  weil  man  sie  so  wohl  aisHomony- 
me,  wie  auch  als  Namen,  die  nach  Übereinkunft  (ncrDPiZ!)  gebraucht 
werden,  auffassen  kann  i.  Bei  der  seltsamen  Unklarheit,  welche 
über  die  Bedeutung  dieser  Termini  durchweg  herrscht,  erscheint 
es  uns  nicht  unangebracht,  auf  den  Gegenstand  näher  ein- 
zugehen. Zwar  haben  wir  darüber  bereits  anderwärts  (die 
Psychologie  d.  jüd.  Religionsphil.  217  Ä.  15)  beiläufig  gehandelt, 
doch  halten  wir  es  für  angezeigt,  auch  den  Sprachgebrauch  und 
die  Auffassung  Maimunis  im  besonderen  zu  erörtern.  Lediglich 
um  darzutun,  daß  die  Ausdrücke  einer  Erklärung  bedürfen  und 
der  Sinn  nicht  von  selbst  aus  dem  Zusammenhange  zu  ersehen 
ist,  verweisen  wir  auf  Munk,  der  zur  Erklärung  des  Ausdruckes: 
conventioneil  (croi^)  bemerkt,  es  seien  darunter  Nomina  appelativa  zu 
verstehen.  Der  Ausdruck  rühre  daher,  daß  nach  aristotelischer 
Auffassung  die  Sprache  durch  Übereinkunft  entstanden  ist^. 
Wir  begreifen  nicht,  wie  Munk  bei  dieser  Erklärung  sich  zurecht 
fand.  Ist  denn  auch  nur  eines  von  den  vielen  Beispielen,  die 
Maimuni  bis  Kap.  50  als  homonym  oder  amphibolisch  erklärt, 
etwas  anderes  als  ein  Nomen  appellativum?  Wie  soll  also  in 
dieser  Bezeichnung  ein  Gegensatz  zu  den  anderen  zwei  Termini 
(p]n"llfC  und  pSIDC)  liegen?  Auch  Tibbou  in  seiner  Erklärung  der 
Fremdwörter  gibt  keinen  hinreichenden  Aufschluß  über  Ursprung 
und   Bedeutung    der   verschiedenen   Termini.      Das    gleiche    gilt 


'  More,  Anfang:   nioe?na   nsnjn  nsoa   ini  nictr   »Juy  i^av  u«:y  nrn  nQNßn 

^  Munk,  Guide  I,  S.  6  A.  2.  Ebenso  unverständlich  übersetzt  Bacher, 
die  Bibelexegese  Moses  Maimunis  S.  45:  „teils  aber  sind  es  aniphibolische 
Ausdrücke,  der  man  bald  in  ihrer  appellativischen  Bedeutung,  bald  in  einer 
apeziellen  Bedeutung  als  Homonymen  verstehen  zu  können  vermeint. 

G  nttman  n,  Fegtschrift.  O 


—     66     — 

vom  Verfasser  des  Buches  |n  m~l,  dessen  Darstellung  sehr 
verworren  ist,  wenn  auch,  wie  wir  sehen  werden,  bei  ihm  sich  die 
ursprüngliche  Bedeutung  des  Terminus  „conventionell"  erhalten 
hat.  Das  Nächstliegende  natürlich  ist,  die  von  Maimuni  selbst 
in  seiner  Logik  Kap.  13  zu  den  von  ihm  gebrauchten  Termini 
gegebene  Erklärung  zu  vergleichen.  Zu  den  gemeinsamen 
Namen,  sagt  er,  gehören  die  homonymen,  Conventionellen  und 
amphibolischen^.  Zur  ersteren  Klasse  gehören  Namen,  die  ver- 
schiedene Dinge  bezeichnen,  die  gar  keine  Ähnlichkeit  mit- 
einander haben,  z.  B.  im  Hebräischen  der  gemeinschaftliche 
Name  für  Quelle  und  Auge  2.  Die  zweite  Klasse  umfaßt  Namen, 
welche  verschiedene  einander  wesensgleiche  Dinge  bezeichnen, 
z.  B.  der  Gattungsname  Tier  für  die  verschiedenen  Arten.  Die 
dritte  Klasse  von  Namen  bezeichnet  verschiedene  nicht  wesens- 
gleiche, aber  einander  äußerlich  ähnliche  Dinge,  z.  B.  der  Name 
Mensch,  vom  lebenden  Menschen  und  vom  Standbild  gebraucht^. 
So  einfach  und  übersichtlich  diese  Einteilung  erscheint,  so  ist  sie 
dennoch  nicht  ursprünglich  und  in  der  Natur  der  Sache  be- 
gründet. Denn  mit  Recht  wird  bereits  im  Kommentar  z.  St.  gefragt, 
wie  es  denn  denkbar  sei,  daß  zwei  einander  völlig  ungleiche 
Dinge  den  gleichen  Namen  erhalten  haben.  Vergleichen  wir 
die  griechischen  Quellen,  so  ergibt  sich,  daß  bei  Aristoteles  als 
Beispiel  eines  Homonyms  aufgeführt  wird,  was  Maimuni  zu  den 
amphibolischen  Bezeichnungen  zählt;  ebenso  ist  ein  stehendes 
Beispiel  für  synonym,  was  Maimuni  mit  dem  Terminus  con- 
ventionell bezeichnet.  Ursprünglich  aber  bedeutete  dieser 
Terminus  gerade  das  Gegenteil.  Man  bezeichnete  damit  eine 
besondere  Klasse  von  Homonymen,  die  wegen  irgendeiner 
Ähnlichkeit  verschiedenen  Dingen  beigelegt  wurden  im  Gegen- 
satze zu  den  rein  zufälligen  Homonymen,  wie  die  Gleichnamigkeit 
zweier    Individuen.      Wir    haben    also    hier    ein    merkwürdiges 


*  onei  niBj  t]in»  D^enipa  one  n^pSn  nwwh  ^phn^>  wanwan  nioiffn  jrjn  ni'jn  c.  13 
'1D1  D'pBDD  Dnoi  D'D3DD.  Die  anderen  Namen  gehen  uns  nichts  an.  Im  An- 
fange bedeutet  n^eniipo  ganz  allgemein  gemeinsame  Namen. 

*  Das.  o'on  y)2a  "ryi  niNin  »in  Sy  ionj  ran  yy  d»3  Das  folgende  Beispiel 
ist  korrumpiert.  Es  muß  heißen  V'i  n"n  Syi  asirn  hy  ncwn  (st.  n;i;n)  a^an  dipdi 
«»♦oipn  33i2ni  (st.  «onn  a:i;ni  nainn  asisn)  »D«n  n^sni  nmcn  zhin  hy. 

'  Das. 


—     67     — 

Beispiel  von  einer  gänzlichen  Verschiebung  der  Terminologie  ^ 
Munk  hatte  also,  ohne  sich  über  die  Gründe  klar  zu  sein,  ganz 
Recht,  wenn  er  unter  den  conventioneilen  Nomina  appellativische 
Ausdrücke  im  Gegensatze  zu  Eigennamen  verstand,  nur  ist  es 
ganz  falsch,  bei  Maimuni  das  Wort  in  diesem  Sinne  zu  nehmen. 
Nur  der  Verfasser  von  |ri  mi  gebraucht  noch  den  Ausdruck 
in  seinem  ursprünglichen  Sinne  2.  Was  den  Sprachgebrauch 
Maimunis  betrifft,  so  ergibt  sich  für  uns  das  Resultat,  daß  C2D1C» 
bei  ihm  immer  soviel  als  synonym  bezeichnet 3.  Ferner  beruht 
der  Unterschied,  den  er  zwischen  homonymen  und  amphibolischen 
Ausdrücken  macht,  auf  sehr  schwankender  Grundlage.  Daher 
kommt  es,  daß  er  in  seinen  Schrifterklärungen  selbst  sich  oft 
darüber  nicht  im  klaren  ist,  ob  ein  Ausdruck  in  die  eine  oder 
die  andere  Kategorie  gehört. 

^  Siehe  die  Belege  in  „die  Psychologie  der  jüd.  Religionsph." 
S.  217  A.  15.  Hier  genügt  es,  zur  besseren  Übersicht  zu  bemerken:  iioj  ijintp 
oder  wie  es  bei  Ibn  Daud  heißt  mpon  siintp,  entspricht  dem  griechischen 
äiizo  vjfji\<;.  Die  Bedeutung  ist  gänzlich  in  Vergessenheit  geraten  und  man  hat 
dafür  etwas  anderes  untergeschoben.  0:010  bedeutete  ursprünglich  im  Gegensatz 
dazu  dasselbe,  was  griechisch  homonym  im  Siavoia;  heißt.  Hingegen  bedeutet  es 
bei  Maimuni  und  anderen  so  viel  als  synonym.  peiDD  entspricht  wahrscheinlich 
dem  griechischen  äcp'  evo?  xai  upo?  ev.  Auch  hier  hat  sich  die  ursprüngliche 
Bedeutung  nicht  erhalten  und  es  wurde  dafür  eine  andere  gesetzt. 

*  Bei  ihm  bedeutet  c;oid  soviel  wie  homonym,  während  er  für  synonym 
die  Bezeichnung  niNnn  um  hat,  wofür  er  das  übliche  Beispiel  vom  Gattungs- 
begriff anführt,  der  synonym  von  den  Arten  ausgesagt  wird. 

^  Daß  auch  Kaufmann  mit  sich  über  die  Bedeutung  nicht  im  reinen 
war,  ergibt  sich  aus  seinen  schwankenden  Erklärungen  und  seinem  Zitat 
aus  der  Übersetzung  Haarbrückers,  Attributenlehre  S.  419  A.  48. 


5* 


Gott  und  Mensch. 

Von  Julius  Lewkowitz,  Berlin. 

Der  um  die  Aufhellung  und  Darstellung  der  jüdischen» 
Religionsphilosophie  des  Mittelalters  hochverdiente  Forscher^ 
dem  zu  Ehren  diese  Festschrift  erscheint,  gehöri  zu  den  wenigen 
Gelehrten,  die  bei  aller  Stärke  des  geschichtlichen  Interesses^ 
bei  aller  Sorgfalt  und  Genauigkeit  der  Einzeluntersuchung  sich 
den  Blick  für  das  Wesentliche,  für  die  Grundfragen  des  Glaubens 
gewahrt  haben.  Daraus  erklären  sich  auch  die  bekannten  Vor- 
züge seiner  Arbeiten. 

Man  wird  ja  einem  Philosophen  der  Vergangenheit  nicht 
gerecht,  wenn  man  das  Detail  seiner  Lehren  mit  noch  so 
gewissenhafter  Treue  reproduziert.  Sinn  und  Bedeutung  seines 
Systems  enthüllen  sich  erst,  wenn  man  es  vom  Zentrum  der 
Philosophie  aus  betrachtet  und  daraufhin  untersucht,  wie  es  sich 
zu  den  Grundfragen  des  menschlichen  Geistes  stellt.  Dann 
aber  ergibt  sich  vielfach,  daß  Theorien,  die  durchaus  zeitlich 
bedingt  und  für  die  Gegenwart  bedeutungslos  erscheinen,  in 
Wirklichkeit  Variationen  ewiger  Grundfragen  sind. 

Der  Realismusstreit  des  Mittelalters,  die  Frage  nach  der 
Wirklichkeit  des  Allgemeinen  und  des  Besonderen  ist  dem 
geschichtlichen  Charakter  nach  erkenntnistheoretischer  und 
metaphysischer  Art,  aber  in  der  religiösen  Form  des  Problems, 
in  der  Frage,  ob  Gott  nur  das  Allgemeine,  oder  auch  das 
Einzelne  denkt,  seine  Fürsorge  nur  der  Gattung,  oder  auch  dem 
Individuum  schenkt,  verrät  sich  deutlich  die  Grundfrage  aller 
Religion  nach  dem  Verhältnis  des  Menschen  zu  Gott,  nach  dem^ 
Wert  und  der  Bedeutung  des  Einzellebens. 

Mit  diesem  Problem  stehen  alle  religiösen  und  ethischen 
Fragen    der   Gegenwart  in   engstem  Zusammenhang.      Wie   ein 


—     69     — 

Mensch  seine  metaphysische  und  ethische  Stellung  im  Weltall 
bestimmt,  davon  hängt  die  Form  seiner  Religion  ab.  Soweit  dies 
in  einer  kurzen  Abhandlung  möglich  ist,  soll  darum  die  Frage 
nach  dem  Verhältnis  zwischen  Gott  und  Mensch  vom  Standpunkt 
der  Gegenwart  aus  untersucht  werden. 

Das  Problem  Gott  und  Mensch  enthält  verschiedene  Einzel- 
fragen. Die  erste  lautet:  Auf  welche  Weise  gelangen  wir  zur 
Erkenntnis  Gottes?  Wie  entsteht  der  Glaube?  Darüber  belehren 
uns  am  sichersten  die  Männer,  denen  wir  die  religiöse  Wahrheit 
Terdanken,  unsere  Propheten.  So  dunkel  auch  die  Worte  sind, 
mit  denen  sie  den  Durchbruch  der  schöpferischen  Erkenntnis 
beschreiben,  das  eine  ist  sicher,  daß  ihre  Seele  von  einer 
ungeheuren  Erschütterung  ergriffen  ist,  daß  die  Propheten  nicht 
kühle  Denkergebnisse,  sondern  in  ekstatischem  Fühlen  erlebte 
Wahrheiten  aussprechen. 

Wenn  die  Herrlichkeit  Gottes  an  Moses  vorüberzieht, 
Jesaja  den  Ewigen  schaut,  „wie  er  auf  hohem  und  ragendem 
Throne  sitzt",  so  können  diese  Worte  nur  den  einen  Sinn  haben, 
daß  die  Gegenwart  Gottes  der  Seele  des  Propheten  fühlbar  ist. 
Eben  deshalb,  weil  die  prophetischen  Lehren  nicht  durch  ruhige 
Reflexion  des  Verstandes  gewonnen,  sondern  aus  dem  Aufruhr 
der  Seele  geboren  sind,  vermag  die  Bibel  heute  noch  religiöses 
Leben  zu  wecken,  vermittelt  sie  nicht  logische  Erkenntnisse, 
sondern  religiöses  Erleben. 

Daß  Religion  nicht  ein  Erfassen  begrifflicher  Inhalte, 
sondern  ein  unmittelbares  Erfassen  der  Wirklichkeit  Gottes, 
ein  Erleben  seines  Seins  und  Wirkens  ist,  brauchte  nicht  noch- 
mals gesagt  zu  werden,  wenn  nicht  vor  kurzem  Hermann  Cohen 
sich  gegen  diese  Auffassung  gewandt  hätte  ^  Wir  haben  allen 
Grund,  ihm  dafür  zu  danken,  daß  er  die  Grenze  zwischen 
jüdischer  und  liberal -christlicher  Denkweise  so  scharf  wie 
möglich  zu  ziehen  sucht,  aber  es  scheint,  als  ob  seine  leiden- 
schaftliche Liebe  zum  prophetischen  Judentum  ihn  zu  mancher 
Übertreibung  verleitet  hätte. 

Daß  die  Frage  nach  der  Möglichkeit  und  dem  Wert 
religiösen  Erlebens  nicht  durch  Bibelzitate  gelöst  werden  kann, 


^  Die  religiösen  Bewegungen  der  Gegenwart. 


-     70     - 

ist  selbstverständlich.  Da  aber  Cohen  die  Thoraworte:  „Denn 
der  Mensch  sieht  mich  nicht  und  lebt",  dahin  deutet,  daß  wir 
das  Leben  auch  nicht  zum  Erleben  für  die  Erkenntnis  Gottes 
benutzen  können,  so  muß  darauf  hingewiesen  werden,  daß  die 
Thora  selbst  ihre  Worte  erklärt,  indem  sie  Gott  zu  Moses 
sprechen  läßt:  \S1^  i6  ^jDI  nuN  HN  n\X-il.  Die  Möglichkeit, 
Gottes  Gegenwart  unmittelbar  zu  erleben,  wird  demnach  von 
der  heiligen  Schrift  nicht  bestritten. 

Die  logischen  Gründe,  die  Cohen  gegen  die  Ansicht  anführt, 
daß  lebendige  Religion  nicht  gedacht,  sondern  empfunden  ist, 
nicht  aus  dem  Denken,  sondern  aus  dem  Fühlen  und  Erleben 
stammt,  sind  nicht  stichhaltig.  Er  behauptet:  „Leben  ist  immer 
restloses  Aufgehen  in  der  Wirklichkeit.  Das  idealste  Erleben 
bleibt  an  diese  restlose  Wirklichkeit  des  Ideals  gebunden;  und 
es  will  an  sie  gebunden  sein.  Die  Idee  dagegen  fordert  den 
Abbruch  der  Wirklichkeit  für  den  Aufstieg,  den  unablässigen 
zum  Unendlichen  hin.  So  enthüllt  sich  in  dem  Erleben  ein 
grundsätzlicher  Gegensatz  zum  unendlichen  Streben  der  mensch- 
lichen Sittlichkeit." 

Diese  ganze  Beweisführung  scheint  mir  irrig  zu  sein. 
Abgesehen  davon,  daß  Leben  und  Wirklichkeit  sich  nicht  decken, 
sondern  alles  Sehnen,  Erwarten  und  Hoffen,  die  doch  einen 
wesentlichen  Teil  des  Lebens  bilden,  über  die  gegebene  Wirklich- 
keit hinausstreben,  ist  nicht  nur  das  Wirkliche,  bereits  Realisierte, 
sondern  auch  die  Aufgabe,  das  Ideal  erlebbar.  Der  begriffliche 
Inhalt  der  sittlichen  Gebote  wird  von  unserem  Denken  analysiert, 
die  Majestät  des  Sittlichen  aber,  die  Erhabenheit  und  Größe 
des  Guten  kann  von  uns  empfunden  und  erlebt  werden,  noch 
bevor  es  durch  unsere  Tat  Wirklichkeit  geworden  ist.  Solange 
dies  Erleben  fehlt,  das  Sittliche  nur  erkannt,  aber  nicht  in 
seinem  Glanz  und  seiner  Schönheit  empfunden  ist,  wird  auch 
dem  sittlichen  Streben  die  Kraft  und  Tiefe  fehlen.  Die  Leiden- 
schaften und  Triebe  der  Menschenseele  sind  auch  nicht  durch 
die  klarste  Erkenntnis,  sondern  nur  durch  stärkere  Affekte  zu 
bezwingen,  und  solange  das  Sittliche  nicht  selbst  leidenschaftliche 
Sehnsucht  wird,  schwebt  es  kraftlos  über  dem  Aufruhr  der 
Seele.  Erleben  und  sittliches  Streben  sind  demnach  nicht 
grundsätzlich  Gegensätze,  sondern  bedingen  einander. 


—     71     — 

Der  Prophet,  dessen  Seele  die  Worte  vernahm:  „Nach 
Heiligkeit  sollt  ihr  streben,  denn  heilig  bin  ich,  der  Ewige"  hat 
Gott  unleugbar  nicht  als  unendliche  Aufgabe  erkannt  und 
gedacht,  sondern  die  sittliche  Vollkommenheit  als  lebendige 
Macht,  als  die  stärkste  und  machtvollste  Wirklichkeit  empfunden, 
und  dieses  Erleben  hat  sein  sittliches  Streben  nicht  geschwächt  und 
vernichtet,  sondern  im  Gegenteil  die  sittliche  Sehnsucht  entzündet. 

Der  entscheidende,  wenn  auch  nicht  ausdrücklich  angegebene 
Grund,  der  Cohens  Stellungnahme  in  dieser  Frage  bestimmt, 
ist  sein  Bestreben,  die  Transzendenz  Gottes  mit  aller  Schärfe 
und  Bestimmtheit  zu  betonen.  Der  ethische  Charakter  des 
Judentums  erfordert  eine  klare  Unterscheidung  der  Wirklichkeit 
vom  sittlichen  Ideal  der  moralischen  Forderung.  Im  religiösen 
Erleben  aber  ist  die  Transzendenz  Gottes  beseitigt.  Der  Kampf 
gegen  die  Immanenzlehre,  den  Pantheismus  also,  den  Cohen  mit 
unermüdlichem  Eifer  führt,  hat  seine  Ablehnung  der  Theorie 
des  Erlebens  verursacht.  Somit  leitet  unsere  Untersuchung  uns 
zu  der  zweiten  Frage,  die  im  Problem  Gott  und  Mensch  enthalten 
ist,  zur  Bestimmung  der  metaphysischen  Stellung  des  Menschen. 
Sind  Gott  und  Mensch  voneinander  streng  geschieden,  oder  ist 
Gott  im  sittlichen  Streben  des  Menschen  immanent? 

Der  Dualismus  des  Judentums,  die  Gegenüberstellung  von 
Gott  und  Mensch  ist  nicht  eine  historische,  veränderliche  Form 
des  jüdischen  Gottesglaubens,  sondern  die  notwendige  Folge 
seines  Prinzips.  Aus  dem  ethischen  Charakter  unserer  Gottes- 
lehre ergibt  sich,  daß  Gott  und  Natur  nicht  zusammenfallen 
können.  Die  Natur  steht  an  sich  nicht,  wie  dies  im  Piatonismus 
und  im  Christentum  der  Fall  ist,  im  Gegensatz  zum  Sittlichen. 
Die  Materie,  der  Körper  ist  nicht  die  Quelle,  das  Prinzip  des 
Bösen,  aber  sowohl  die  Kräfte  der  Natur,  als  auch  die  Triebe 
des  menschlichen  Körpers  bedürfen  der  Leitung  und  Beherrschung. 
Sittlichkeit  ist  nicht  eine  selbstverständliche  Tatsache  der  Natur, 
sondern  eine  Aufgabe,  die  im  Kampf  mit  der  Natur  gelöst 
werden  muß.  Der  Widerstand,  den  die  Natur  dem  sittlichen 
Willen  entgegensetzt,  ist  nicht  ein  antimoralischer,  sie  will  nicht 
das  Böse,  sondern  sucht  in  aller  Unschuld  ihre  Energie  zu 
entfalten,  aber  da  sie  keine  Schranken  kennt,  muß  sie  durch 
die  Kraft  des  sittlichen  Willens  gebändigt  werden. 


—     72     — 

Damit  ist  das  Verhältnis  von  Gott  und  Natur  gegeben. 
Sie  fallen  nicht  zusammen,  sondern  sind  streng  zu  scheiden. 
Gott  ist  transzendent,  jenseits  der  Natur,  die  seinem  Willen 
o-ehorcht.  Ob  bei  dieser  Bestimmung  die  Natur  völlig  zu  ihrem 
Recht  kommt,  ob  ihr  Sinn  nur  in  der  Unterordnung  unter  das 
Sittliche  liegt,  das  ist  allerdings  fraglich,  aber  solange  wir  Gott 
nicht  als  den  allmächtigen  Schöpfer  des  Weltalls,  als  schaffende 
Urkraft,  sondern  als  heiliges,  sittlich  vollkommenes  Wesen 
betrachten,  müssen  wir  ihn  von  der  Natur  unterscheiden.  Soweit 
nun  der  Mensch  mit  seinen  körperlichen  Trieben  zur  Natur 
gehört  und  das  Sittliche  für  ihn  eine  noch  zu  lösende  Aufgabe, 
ein  fernes  Ideal  ist,  muß  Gott  auch  in  seinem  Verhältnis  zum 
Menschen  transzendent  erscheinen. 

Woher  aber  gewinnt  denn  der  Mensch  die  Fähigkeit  zu 
sittlichem  Streben,  zur  Erfüllung  seiner  sittlichen  Aufgabe  und 
zur  Annäherung  an  Gott?  Wenn  wir  das  ethische  Ideal,  die 
moralische  Aufgabe  und  den  Menschen  einander  schroff'  gegen- 
überstellen, Natur  und  Sittlichkeit  als  Gegensätze  bezeichnen, 
dann  ist  nicht  einzusehen,  wie  ihre  Verbindung  möglich  sein 
soll,  der  Mensch  das  Ziel  seiner  sittUchen  Bestimmung  erreicht. 
Im  Christentum  wird  diese  Schwierigkeit  durch  die  Lehre  von 
der  göttlichen  Gnade  beseitigt.  Hier  schwindet  also  der  Gegen- 
satz von  Natur  und  Sittlichkeit  durch  ein  göttliches  Wunder. 
Die  jüdische  Religion  unterscheidet  sich  ja  aber  vom  Christen- 
tum gerade  dadurch,  daß  sie  dem  Menschen  die  Freiheit  und 
Kraft  zu  sittlichem  Handeln  zuerkennt. 

Woher  gewinnt  nun  der  Mensch  diese  Kraft?  Offenbar 
aus  seiner  sittlichen  Natur.  Er  hat  die  Fähigkeit,  zur  Höhe 
des  Guten  emporzustreben  und  sie  zu  erreichen,  weil  das 
Sittliche,  das  Göttliche  in  seiner  Seele  als  Sehnsucht  und  heiliges 
Verlangen,  als  lebendige  Kraft  wirkt.  Darum  nennt  die  Bibel 
den  Menschen  auch  das  Ebenbild  Gottes,  weil  sie  im  sittlichen 
Willen  des  Menschen  einen  Teil  der  sittlichen  Urkraft  Gottes 
erkennt,  und  diese  Lehre  ist  ebenso  wie  die  Gotteslehre  der 
Bibel  die  Voraussetzung  für  die  sittliche  Forderung,  die  sie  dem 
Menschen  stellt.  Wären  Gott  und  Mensch  einander  absolut  wesens- 
fremd, dann  wäre  es  sinnlos,  eine  Annäherung  des  Menschen 
an  Gott  zu  verlangen.     Ebenso,  wie  das  Sittliche  seinem  Wesen 


—     73     — 

nach  von  der  Natur  unterschieden,  Gott  als  transzendent  vor- 
gestellt werden  muß,  ist  demnach  seine  Immanenz,  das  Zusammen- 
sein von  Natur  und  Sittlichkeit  im  Menschen  notwendig,  wenn 
die  sittliche  Aufgabe  lösbar  sein  soll. 

Wir  gelangen  damit  zu  einem  logisch  widerspruchsvollen 
Ergebnis,  Transzendenz  und  Immanenz  schließen  sich  ja  ihrem 
Begriff  nach  aus,  aber  ist  damit  nicht  von  neuem  bestätigt,  daß 
metaphysische  Fragen  nicht  in  logisch  einwandfreier  Form 
gelöst  werden  können,  daß  unsere  Begriffe  nicht  ausreichen, 
um  das  Geheimnis  des  Lebens  zu  fassen?  Die  Vorstellung  der 
Transzendenz  ist  ebenso  wie  die  der  Immanenz  ein  kümmerlicher 
Notbehelf,  um  wenigstens  eines  Teils  der  Wahrheit  habhaft  zu 
werden. 

Unser  Ergebnis,  daß  Gott  als  sittliche  Aufgabe  des  Menschen 
transzendent  und  als  sittliche  Kraft  im  Menschen  immanent 
gedacht  werden  muß,  führt  uns  zu  einem  neuen  Problem.  Die 
Immanenz  Gottes  scheint  die  Freiheit  der  sittlichen  Handlung 
des  Menschen  aufzuheben,  die  gute  Tat  ist  dann  ja  das  Werk 
Gottes  und  nicht  Eigentum  des  Menschen,  und  umgekehrt  scheint 
die  Freiheit  des  menschlichen  Handelns  die  Mitwirkung  Gottes, 
das  Walten  der  Gnade  auszuschließen.  Wir  befinden  uns  also 
in  einem  scheinbar  unlösbaren  Dilemma.  Zur  Lösung  der 
sittlichen  Aufgabe  ist  sittliche  Kraft,  die  Immanenz  Gottes 
erforderlich,  und  durch  sie  wird  die  Freiheit  des  Menschen, 
seine  sittliche  Würde  vernichtet. 

Was  aber  ist  denn  unter  menschlicher  Freiheit  zu  ver- 
stehen? Wann  nennen  wir  eine  Handlung  frei?  Wenn  sie  im 
Einklang  mit  der  Natur  des  Menschen  steht  und  aus  ihr 
entspringt.  Die  Frage,  ob  sie  gesetzmäßig  oder  willkürlich 
erfolgt,  sich  mit  Notwendigkeit  ergibt  oder  ausbleiben  kann, 
ist  für  diese  Bestimmung  belanglos.  Es  handelt  sich  hier  nicht 
darum  zu  entscheiden,  ob  es  Gesetze  des  Seelenlebens  gibt, 
sondern  festzustellen,  welchen  Anteil  der  Mensch  an  seinem 
sittlichen  Tun  hat.  Gleichviel,  ob  eine  Handlung  determiniert 
oder  kausalitätslos  ist,  solange  sie  mit  dem  Charakter  des 
Menschen  nicht  im  Widerspruch  steht  und  ihren  letzten  Ursprung 
in  seinem  Wesen  hat,  dürfen  wir  sie  frei  nennen.  Unfrei  wäre 
sie  erst  dann,  wenn  sie  mit  seinem  Charakter  unvereinbar,  ihm 


—     74     — 

wesensfremd  wäre,  und  ihre  Entstehung  ausschließlich  mecha- 
nischem Gehorsam  verdankte,  aus  seinem  Wesen  nicht  ab- 
leitbar wäre. 

Weil  nun  das  Judentum  die  Natur  des  Menschen  als 
sittliche  kennzeichnet  und  in  seiner  sittlichen  Kraft  das  innerste 
und  tiefste  Wesen  des  Menschen  erblickt,  darum  lehrt  auch  die 
jüdische  Religion  die  Freiheit  des  Menschen.  Seine  sittlichen 
Handlungen  stammen  aus  seiner  sittlichen  Natur,  sie  haben 
ihren  Ursprung  in  seiner  sittlichen  Kraft  und  sind  darum  sein 
eigenstes  Werk. 

Wird   diese  Freiheit   dadurch   beeinträchtigt,    daß  er  seine 
sittliche  Kraft   sich   nicht   selbst  verliehen   hat,    sondern  sie  der 
Gnade    Gottes    verdankt?      Ein  Widerspruch   zwischen   Freiheit 
und  Gnade    wäre    nur   dann   vorhanden,    wenn  wir  die  sittliche 
Kraft,    das  Göttliche  in  unserer  Seele  als  unserer  menschlichen 
Natur  widersprechend,  als  wesensfremd  empfinden  würden,  eine 
fremde   Macht    über    uns    Gewalt    hätte    und   Taten    vollbringen 
würde,   in   denen   wir  uns  selbst  nicht  erkennen.     Das  Sittliche 
aber,    das    wir    in    religiöser  Scheu    und  Ehrfurcht  als   göttlich 
verehren,    ist    ja    das   im  tiefsten   Sinne   Menschliche,    das    den 
innersten  Kern   unseres  Wesens   bildet,   und   deshalb  hebt  auch 
der   göttliche  Ursprung  unserer  sittlichen  Kraft  das  Bewußtsein 
unserer  Freiheit  nicht  auf.    Solange  wir  auf  die  einzelne  Handlung 
achten,    die    unserer   sittlichen   Kraft   ihren  Ursprung   verdankt, 
empfinden  wir   unsere  Freiheit,    sobald  wir   uns  aber  die  Frage 
vorlegen,    woher  unsere    sittliche   Kraft   stammt,    erkennen   wir, 
daß  sie  ein  Geschenk  der  Gnade  ist,  nicht  aus  unserer  sinnlichen 
Natur,  sondern  aus  Gott  strömt.    Das  ist  der  Sinn  der  jüdischen 
Gnadenlehre. 

Ihr  eigentümlicher  Charakter  tritt  noch  deutlicher  hervor^ 
wenn  man  die  christliche  Gnadenlehre  mit  ihr  vergleicht.  Im 
Gegensatz  zu  dem  jüdischen  Glauben  an  die  sittliche  Kraft  des 
Menschen  behauptet  das  Christentum  die  sittliche  Verderbtheit 
und  Ohnmacht  der  Menschennatur.  Eine  sittliche  Handlung 
kann  demnach  nicht  vom  Menschen  aus  eigener  Kraft  vollzogen 
werden,  sondern  es  bedarf  einer  göttlichen  Mitwirkung,  des 
Eiuströmens  besonderer  göttlicher  Kraft  in  die  menschliche 
Seele.     Die  sittliche  Tat  steht  im  Widerspruch  zur  unsittlichen 


—     75     — 

Menschennatur  und  wird  nicht  vom  Menschen,  sondern  von  Gott 
gewirkt. 

Nach  jüdischer  Anschauung  aber  braucht,  damit  eine  gute 
Handlung  geschehe,  die  Natur  des  Menschen  nicht  durch  ein 
Wunder  verändert  und  erhöht  zu  werden.  Seine  sittliche  Kraft 
ist  die  Quelle  alles  Guten,  das  er  vollbringt,  und  die  göttliche 
Gnade  offenbart  sich  nicht  darin,  daß  im  Augenblick  der 
Handlung  ein  Wunder  eintritt,  sondern  darin,  daß  sie  der 
menschlichen  Seele  zugleich  mit  den  anderen  Kräften  auch  die 
Kraft  des  Guten  verliehen  hat.  Es  bedarf  also  keiner  göttlichen 
Gnade  für  die  einzelne  sittliche  Tat.  „Ein  reines  Herz  erschaffe 
mir,  o  Gott,  und  gib  mir  einen  neuen,  festen  Sinn."  So  äußert 
sich  die  ethische  Sehnsucht  und  die  Erkenntnis,  daß  der  Mensch 
seine  sittliche  Natur  und  Kraft  sich  nicht  selbst  verleihen,  sie 
nicht  aus  seiner  naturhaften  Anlage  gewinnen  kann,  sondern  als 
Geschenk  der  göttlichen  Gnade  empfängt.  Weil  wir  aber  die 
sittliche  Kraft,  die  Gott  uns  verliehen  hat,  nicht  als  wesensfremd, 
als  Fessel  empfinden,  sondern  gerade  in  ihr  den  innersten  Kern 
unserer  Persönlichkeit  erkennen,  und  weil  zur  Ausführung  sittlicher 
Handlungen  unsere  sittliche  Kraft  ausreicht,  darum  sind  wir 
berechtigt,  von  sittlicher  Freiheit  des  Menschen  zu  sprechen. 
Somit  ist  im  Judentum  ein  Widerspruch  zwischen  Freiheit  und 
Gnade,  wie  er  im  Christentum  besteht,  nicht  vorhanden.  Die 
christliche  Gnadenlehre  hat  zur  Voraussetzung,  daß  der  Mensch 
aus  eigener  Kraft  zum  Guten  nicht  fähig  ist.  Im  Judentum 
aber  bedeutet  Freiheit  die  sittliche  Kraft  der  Menschenseele  und 
Gnade  ihren  göttlichen  Ursprung. 

Aus  der  Erkenntnis,  daß  Gottes  Liebe  dem  Menschen  die 
Kraft  zum  Guten  verleiht,  ergibt  sich  die  Lösung  der  Frage 
nach  dem  Verhältnis  des  einzelnen  Menschen  zu  Gott,  dem 
Wert  und  der  Bedeutung  des  Einzellebens.  Solange  man  auf 
die  Verschiedenheit  der  geistigen  Begabung,  der  seelischen  Kraft 
und  Bedeutung  achtet,  die  den  einen  auf  das  bescheidenste  und 
geringfügigste  Wirken  beschränkt  und  dem  anderen  einen  be- 
stimmenden Einfluß  auf  die  kulturelle  Entwickelung  der  gesamten 
Menschheit  verleiht,  solange  man  sich  bemüht,  das  Rätsel  des 
menschlichen  Schicksals  zu  lösen,  scheint  es,  als  ob  die  göttliche 
Gnade    nicht    allen   Menschen    in   gleicher  Weise   zuteil   würde,. 


—     76     — 

als  olo  der  einzelne  bedeutungslos  wäre  und  das  Schicksal 
gleichgültig  über  ihn  hinwegschreite.  Sobald  wir  aber  erkannt 
haben,  daß  die  wesentliche  Bedeutung  unseres  Lebens  in  der 
Erfüllung  unserer  Pflichten  liegt,  die  sittliche  Aufgabe  in  gleicher 
Weise  für  alle  Menschen  besteht,  und  die  Kraft  zum  Guten 
jeder  einzelnen  Menschenseele  verliehen  ist,  verschwindet  auch 
die  äußerliche  Ungleichheit,  wir  erkennen  die  Übereinstimmung 
im  Letzten  und  Tiefsten,  und  es  ergibt  sich,  daß  Gottes  Gnade 
auch  dem  Schlichtesten  und  Geringsten  zuteil  wird.  Warum 
Gott  die  Schätze  des  Geistes  und  die  äußeren  Güter  des  Lebens 
so  ungleich  verteilt,  bleibt  für  uns  in  ewiges  Dunkel  gehüllt, 
aber  in  jedem  Wort  des  Mitleids  und  Erbarmens,  in  der  Treue 
schlichtester  Pflichterfüllung  offenbart  sich  die  Gnade  des 
Höchsten, 


Zur  Methode  der  Religionsphilosophie. 

Von  Albert  Lewkowitz,  Breslau. 

Die  Energie,  mit  der  Religion,  wie  sie  als  Lebensmacht 
ihrem  Charakter  gemäß  herrscht,  die  Totalität  des  Lebens  durch- 
dringt oder  zu  durchdringen  strebt,  stellt  die  Philosophie  der 
Religion  vor  eine  doppelte  Schwierigkeit:  Versucht  sie  den 
Totalitätscharakter  der  Religion  zur  Geltung  zu  bringen,  so 
scheint  die  Religion  die  Autonomie  nicht  allein  des  subjektiven 
Lebens,  sondern  auch  der  objektiven  Kultursphären  zu  ge- 
fährden, die  Souveränität  der  Wissenschaft,  Sittlichkeit,  Kunst 
zu  bedrohen.  Man  braucht  nur  der  Eutwickelung  der  wissen- 
schaftlichen, sittlichen  und  künstlerischen  Kultur  zu  ge- 
denken, um  zu  bemerken,  in  wie  leidenschaftlicher  Tiefe  des 
Kampfes  gegen  theologische  Bevormundung  Wissenschaft,  Sitt- 
lichkeit und  Kunst  ihre  Selbständigkeit  erstreiten  mußten. 
Erkennt  man  aber,  wie  es  notwendig  ist,  die  Autonomie  der 
wissenschaftlichen,  sittlichen  und  künstlerischen  Kultur  an,  so 
scheint  mit  dem  das  Ganze  der  Kultur  durchdringenden  Charakter 
der  Religion  sie  selbst  aufgehoben,  ihr  wesenhafter  Zusammen- 
hang mit  der  Totalität  des  Lebens  vernichtet. 

So  ist  das  Problem  der  Religionsphilosophie  die  objektive 
Bestimmung  des  Verhältnisses  der  Religion  zur  Kultur.  Soll 
und  kann  die  Religion  innerhalb  der  Kultur  ihren  Rang  behaupten,, 
so  darf  ihr  Wesen  nicht  in  einer  Negation  der  Selbständigkeit 
der  Kultur  bestehen,  und  soll  Rehgion  nicht  überflüssig  sein, 
so  muß  sie  nicht  nur  im  Einklang,  sondern  im  intensivsten 
Zusammenhang  mit  dem  Prinzip  der  Kultur  stehen,  ein  Neues 
und  Notwendiges  geben,  das  in  Wissenschaft,  Sittlichkeit  und 
Kunst  nicht  gegeben  ist. 

Seit  Kant  ist  es  das  unverlierbare  Besitztum  der  philo- 
sophischen Erkenntnis,  daß  Wissenschaft  und  Religion  nur  durch 


—     78     — 

doffmatisches  Überschreiten  ihres  Machtbereiches  in  Konflikt 
geraten  können.  Denn,  so  gewiß  Wissenschaft  die  Erkenntnis 
des  Seienden,  Religion  aber  der  Glaube  an  einen  Sinn  des 
Seienden  ist,  sind,  wie  ihre  Ideen,  so  ihr  Gehalt  wohl  auf- 
einander zu  beziehen,  nicht  aber  zu  vermengen.  Wie  es  keine 
wissenschaftliche  Religion  gibt,  so  auch  keine  religiöse  Wissen- 
schaft, wohl  aber  erhebt  sich  in  der  Idee  des  wissenschaftlichen 
Systems  die  Aufgabe,  die  Totalität  des  Seienden  auf  die  Idee 
eines  Vernunftzusammenhanges  des  Universums  zu  beziehen. 
So  wenig  die  Idee  des  Vernunftzusammenhanges  der  Wirklichkeit 
im  System  der  Gesetze  schon  selbst  das  Objekt  des  religiösen 
Glaubens  konstituiert,  ermöglicht  sie  doch  seine  mit  der 
Wirklichkeit  nicht  in  Widerspruch  stehende  Konstituierung  durch 
den  religiösen  Glauben.  Und  andererseits  stellt  der  religiöse 
Glaube  an  einen  Sinn  des  Universums  die  Aufgabe,  den  Sinn 
des  Geschehens  auf  die  von  der  Wissenschaft  festgestellte 
Wirklichkeit  des  Geschehens  zu  beziehen.  Nicht  in  der  Weise, 
als  wäre  der  Sinn  des  Geschehens  in  Form  der  Theodizee  in 
der  Wirklichkeit  nachzuweisen.  Der  religiöse  Glaube  lehnt  es 
ab,  die  Wahrheit  seines  Glaubens  auf  den  das  Geschehen 
rechtfertigenden  Verstand  zu  gründen.  Wohl  aber  hält  der 
religiöse  Glaube  daran  fest,  daß  der  Sinn  des  Geschehens  in 
allem  Geschehen  also  auch  den  von  der  Wissenschaft  fest- 
gestellten Zusammenhängen  der  Wirklichkeit  sich  behauptet. 
So  bewahren  Religion  und  Wissenschaft  einen  notwendigen 
Zusammenhang. 

So  gewiß  aber  Religion  Glaube  an  den  Sinn  des  Universums 
in  allem  Geschehen  ist,  besteht  der  innigste  Zusammenhang 
zwischen  Sittlichkeit  und  Religion.  Ohne  auf  die  leicht  zu 
korrigierende  eudämonistische  Komplikation  des  kantischen 
Gedankenganges  einzugehen,  ist  ersichtlich,  daß  gerade  die 
Autonomie  des  Imperativs  der  Pflicht  das  Problem  hervortreibt, 
in  welchem  Zusammenhang  das  sittliche  Handeln  des  Menschen 
mit  dem  Weltgeschehen  steht,  ob  das  Sittliche,  die  unendliche 
Aufgabe  der  Menschheit  nur  der  von  Menschen  erdachte  Sinn 
ihres  Lebens  und  darum  ohne  Zusammenhang  mit  den  Mächten 
der  Wirklichkeit,  oder  aber  letzter  und  tiefster  Sinn,  zugleich 
letzte   und   höchste  Macht   der  Wirklichkeit  ist.     So  gewiß  nun 


11 


—     79     — 

das  Sittliche  wirklich  werden  soll,  postuliert  die  Ethik  das 
sittliche  Ideal  als  weltbeherrschende  Macht,  und  so  gewiß  die 
Eeligion  den  Sinn  des  Universums  allein  im  Sinn  des  Menschen- 
lebens begreift,  der  Sinn  des  Universums  nur  die  Idee  des 
Guten  sein  kann,  ist  Eeligion  Glaube  an  die  weltbeherrschende 
Macht  des  sittlichen  Ideals.  Darum  sind  Sittlichkeit  und 
Religion  bei  vollkommener  methodischer  Selbständigkeit  ihrer 
Ideen  aufeinander  zu  beziehen. 

Die  Kunst  als  Hervorbringerin  des  Schönen  aber  ist 
Versöhnung:  der  Wirklichkeit  mit  der  Idee  in  der  Souveränität 
der  künstlerischen  Form.  Die  künstlerische  Darstellung  selbst 
der  Dissonanzen  des  Lebens  erhebt  auch  die  Tragödie  des 
Lebens  zum  Frieden  des  durch  den  Lebensgedanken  bezwungenen, 
oder  geweihten  Lebens.  In  der  Kunst  feiert  die  Wirklichkeit 
ihre  symbolische  Vereinigung  mit  der  Idee,  deren  absolute 
Wahrheit  Glaubensgehalt  der  Religion  ist.  Alle  Kunst  deutet 
hin  auf  die  Harmonie  der  Wirklichkeit  und  Freiheit,  deren  Sein 
Inhalt  des  religiösen  Glaubens  ist. 

Wenn  der  Tiefsinn  der  kantischen  Religionsphilosophie 
nicht  zugleich  die  abschließende  Lösung  des  religionsphilo- 
sophischen Problems  bedeutet  hat  und  bedeuten  kann,  so  ist 
der  Grund  dafür,  daß  Kant  es  unterlassen  hat,  außer  der 
kulturellen  Bedeutung  und  ideellen  Notwendigkeit  des  Glaubens- 
inhalts auch  die  psychische  Selbständigkeit  der  religiösen  Energie 
festzustellen.  Aller  Nachweis  der  teleologischen  Notwendigkeit 
des  religiösen  Glaubensinhalts  läßt  die  Frage  unbeantwortet,  auf 
welchem  Wege  jener  Glaube  selbst  entstanden  ist,  so  gewiß 
glauben  Sollen  noch  nicht  Glauben  ist.  Hier  setzt  die  Leistung 
Schleiermachers  ein. 

Hat  Kant  die  Objektivität  des  Glaubensinhalts  teleologisch 
begründet  durch  den  Nachweis,  daß  der  Glaubensinhalt  letzte  Fragen 
der  Wissenschaft,  Sittlichkeit  und  Kunst  zur  erstrebten  Lösung 
bringt,  so  hat  Schleiermacher  die  psychische  Aktivität  des 
religiösen  Glaubens  selbst  in  ihrer  seelischen  Ursprünglichkeit 
entdeckt.  Schleiermacher  hat  der  modernen  Menschheit  das 
Bewußtsein  gegeben,  daß  Religion  nicht  Spekulation  und  nicht 
Postulat,  sondern  zentrales  Gefühlserlebnis  ist.  Hat  Kant  der 
Religion  ihren  Platz  im  Kosmos  der  objektiven  Kultur  erstritten, 


—     so- 
so  hat  Schleiermacher  die  selbständige  Wurzel  der  Religion  in 
der  Seele  des  Individuums  entdeckt,    die  Quelle  freigelegt,    aus 
der  der  Kulturinhalt  der  Religion  genährt  wird. 

Indem  Schleiermacher  das  religiöse  Erlebnis  als  Wurzel 
der  Religion  in  jedem  lebendigen  Glauben  erwies,  hat  er  die 
Religion  von  der  Rationalisierung  befreit,  in  der  nicht  allein  die 
vorkantische  Metaphysik,  sondern  auch  Kants  Rechtfertigung 
des  Glaubensinhalts  ihre  Selbständigkeit  beeinträchtigt  hat. 

Seit  Schleiermacher  erst  ist  es  möglich,  zwischen  Dogmatik 
und  Glauben,  Metaphysik  und  Religion  klar  zu  scheiden  und 
erstere  als  die  rationalistische  Formulierung  des  religiösen 
Erlebnisgehalts  zu  bestimmen,  die  ihre  Wahrheit  nur  so  lange 
behauptet,  als  das  religiöse  Gefühl  sie  als  Erkenntnis  Gottes  zu 
bewähren  vermag. 

Die  Schleiermachersche  Begründung  der  Religion  auf  dem 
Gefühlserlebnis  aber  scheint  nun  ihrerseits  die  Objektivität  der 
Religion,  ihren  Kulturcharakter  aufs  tiefste  zu  gefährden.  Denn 
nur  zufällig  ist  in  der  Religionsphilosophie  Schleiermachers  das 
Zusammentreffen  des  subjektiven  religiösen  Erlebens  mit  den 
von  Kaut  als  Idee  des  religiösen  Glaubens  konstituierten  Glaubens- 
inhalten. Nur  die  Individualität  Schleiermachers  vereinigt  in 
seiner  Religionsphilosophie  die  Intensität  des  religiösen  Erlebens 
mit  den  objektiven  Werten  des  Kulturlebens.  Sein  religions- 
philosophisches Prinzip  hingegen  überantwortet  die  Religion 
prinzipiell  der  Subjektivität  und  Anarchie  des  individuellen 
Erlebens. 

Dieser  Schwierigkeit  sucht  Schleiermacher  dadurch  zu 
entgehen,  daß  er  das  religiöse  Gefühl  als  das  Gefühl  der 
schlechthiunigen  Abhängigkeit  alles  individuellen,  einzelnen  Seins 
von  der  alles  durchdringenden  beherrschenden  Macht  Gottes 
bestimmt.  Indem  das  Individuum  sich  in  seiner  Ganzheit  und 
Totalität  durch  Gott  bedingt  fühlt,  kann  nicht  sein  individuelles 
Begehren  als  solches  in  seinem  Leben  gesetzgebend  sein.  Was 
aber  schließt  aus,  daß  Gott  selbst,  wenn  man  den  Weltwillen 
Schopenhauers  so  nennen  darf,  als  der  blinde,  zerstörende, 
unverwüstliche  Wille  nach  bloßem  Dasein  erlebt  wird  und  als 
solcher  sich  auch  im  individuellen  Sein  bekundet?  Nur  durch 
die  Inkonsequenz,  die  allem  Pantheismus  notwendig  ist,  vermag 


—     81     — 

alsdann,  wie  bei  Spinoza,  so  bei  Schopenhauer  das  Individuum 
sich  von  der  Kette  der  Notwendigkeit  loszureißen  und  dem 
blinden  Weltwillen  entgegen  die  Negierung  des  selbstsüchtigen 
Willens  zu  vollbringen. 

So  scheint  die  Konsequenz  der  Schleiermacherschen 
Begründung  der  Religion  auf  dem  Gefühl  die  Religion  um  die 
Gewißheit  ihres  idealen  Gehalts  zu  bringen  und  ein  natu- 
ralistischer Pantheismus  die  Ethik  selbst  in  der  Reinheit  ihrer 
Ideen  zu  bedrohen. 

Aus  der  Tiefe  der  Erkenntnis  dieser  Gefahr  hat  in  unserer 
Zeit  Hermann  Cohen  alle  Begründung  der  Religion  auf  dem 
Gefühl  abgelehnt  und  den  Wahrheitsgehalt  der  Religion  durch 
philosophische  Erkenntnis  zu  sichern  gesucht.  Philosophische 
Erkenntnis  aber  bedeutet  in  der  Totalität  der  Cohenschen 
Philosophie  logische  Begründung  der  Erkenntnisgültigkeit  der 
Prinzipien  der  Kultur.  Darum  darf  das  Problem  der  Erkenntnis- 
gültigkeit der  Religion  nicht  anders,  als  im  strengsten  syste- 
matischen Zusammenhang  mit  der  philosophischen  Begründung 
der  Erkenntnisgültigkeit  der  Kulturgebiete  der  Wissenschaft 
und  Sittlichkeit  erfolgen. 

Die  begründende  Rechtfertigung  der  Wissenschaft  erfolgt 
durch  den  Nachweis,  daß  Wissenschaft  darum  von  unbezweifel- 
barer  Objektivität  ist,  weil  der  Gegenstand  der  Erkenntnis  in  der 
Erkenntnis  selbst  durch  logische  Methoden  konstituiert  wird.  Die 
a  priorische  Grundlegung  der  Natur  in  der  Naturwissenschaft 
sichert  der  Natur  ihr  objektives  Erkanntwerden,  der  Erkenntnis 
selbst  ihre  a  priorische  Möglichkeit.  Die  Identität  der  Natur  und 
Naturwissenschaft  im  System  der  methodischen  Erkenntnis  sichert 
das  Sein  der  Natur  und  der  Erkenntnis. 

Die  Idee  der  Sittlichkeit  kann  nur  dadurch  ihre  Objektivität 
und  Autonomie  bekunden,  daß  sie  in  methodischer  Unabhängig- 
keit von  aller  Konstituierung  des  Seins  der  Natur  das  Sittliche 
als  die  Aufgabe  des  reinen  Willens  erfaßt.  Die  Idee  des 
a  priorisch  gültigen  Sollens  allein  ist  der  Grund  der  Sittlichkeit. 
AUe  sittliche  Wirklichkeit  ist  Bewegung  zu  dem  Ziele  des 
sittlichen  Willens  hin,  ist  der  Prozeß  der  Verwirklichung  des 
sittlichen  Willens,  der  aber  ein  unendlicher  und  wenn  auch 
sittlich    notwendig,    so    doch    allein    in    der    Unendlichkeit    der 

G  n  1 1  m  a  n  n,  PesUchrift.  " 


—     82     — 

Weltgeschichte  gegeben  ist.  Was  sichert  die  Konstanz  der 
sittlichen  Entwickelung,  ohne  welche  das  Sittliche  wohl  logisch 
gültig  wäre,  aber  keine  Wirklichkeit  erlangt? 

Hier  hatte  Kant  das  sittliche  Postulat  der  Unterordnung 
des  Weltgeschehens  unter  die  Idee  eines  heiligen  Willens  ein- 
treten lassen.  Wir  haben  gesehen,  daß  ein  Postulat  keine 
Realität  zu  verbürgen  vermag,  so  gewiß  es  selbst  nur  die 
Feststellung  ist,  daß  eine  Idee  Realität  sein  sollte.  Cohen  weist 
einen  anderen  Weg. 

Natur  und  Sittlichkeit,  so  verschieden  ihre  methodische 
Grundlegung  ist,  haben  doch  insofern  gleichen  Grrund,  als  die 
das  Sein  der  Natur  und  das  Sollen  des  Sittlichen  begründenden 
Prinzipien  beide  a  priorische  Ideen  sind.  Die  Gleichheit  ihres 
a  priorischen  Charakters  sichert  ihren  Zusammenhang,  so  gewiß 
logische  Prinzipien  sich  nicht  widersprechen  können.  Die 
Unauflösbarkeit  und  a  priorische  Notwendigkeit  des  Zusammen- 
hanges der  Prinzipien  der  Natur  und  der  Idee  der  Sittlichkeit 
folgt  aus  dem  Aprioritätscharakter  nicht  als  bloßes  Postulat, 
sondern  als  Grundsatz  der  Wahrheit.  Der  Grundsatz  der 
Wahrheit  sichert  die  Konstanz  der  Unterordnung  der  Natur 
unter  die  Idee  des  Sittlichen,  ist  aber  zugleich  die  systematische 
Erkenntnis  des  Gottesbegriffs.  Denn  nichts  anderes  ist  Gott, 
als  der  Urgrund  des  Guten,  der  das  Wirklichwerden  der 
sittlichen  Idee  im  unendlichen  Prozeß  der  Geschichte  garantiert. 
Gott  ist  nicht  nur  sittliches  Postulat,  sondern  zugleich  System- 
begriff der  Wahrheit. 

Die  strenge  Geschlossenheit  des  Cohenschen  Rationalismus 
macht  eine  isolierte  Stellungnahme  ausschließlich  zu  seiner 
Religionsphilosophie  unmöglich.  Eine  Auseinandersetzung  mit 
der  erkenntniskritischen  Grundlage  des  Systems  in  Logik  und 
Ethik  ist  notwendig.  Diese  Auseinandersetzung  kann  im  Rahmen 
dieser  Abhandlung  nicht  erfolgen  und  ist  anderweitig  versucht 
worden.  Doch  soll  auch  an  dieser  Stelle  gesagt  werden, 
daß  wir  die  Cohensche  Identifizierung  von  Wirklichkeit  und 
Erkenntnis  nicht  anzuerkennen  vermögen,  so  daß  logische 
Zusammenhänge  von  Methoden  uns  noch  nicht  Zusammen- 
hänge der  ihnen  entsprechenden  Wirklichkeit  bedeuten  können. 
Der    Grundsatz    der    Wahrheit    stellt    zudem    nur    die    logische 


—     83     — 

Widerspruchslosigkeit  zwischen  den  Prinzipien  der  Natur  und 
der  Idee  der  Wirklichkeit  fest,  daraus  folgt  aber  nicht  die 
Notwendigkeit  eines  systematischen  Zusammenhanges  von  Natur 
und  Sittlichkeit,  so  gewiß  die  Prinzipien  der  Natur  und  Sittlich- 
keit sich  gerade  darum  nicht  widersprechen,  weil  ihr  Sinn  ein 
pi'inzipiell  verschiedener  ist. 

Es  erhebt  sich  darum  von  neuem  das  Problem  einer 
.methodischen  Begründung  der  Religion. 

Die  Schwierigkeit,  an  der  Schleiermachers  Begründung  der 
Religion  scheiterte,  war,  daß  sie  durch  die  Bestimmung  des 
religiösen  Gefühls  als  des  Gefühls  der  schlechthinnigen  Ab- 
hängigkeit vom  Universum  den  idealen  Gehalt  der  Religion  nicht 
zu  sichern  vermochte.  Und  doch  ist  es  evident,  daß  nicht 
zufällig  in  allen  Religionen  gerade  ihr  idealer  Gehalt  auch  der 
zentrale  Gehalt  des  religiösen  Erlebnisses  ist.  Eine  neue  Unter- 
•suchung  des  Verhältnisses  von  religiösem  Erleben  und  Ideen- 
gehalt der  Religion  scheint  uns  notwendig,  ob  vielleicht  hierdurch 
der  notwendige  Zusammenhang  von  Religion  und  Kultur  als 
•objektiver  und  subjektiver  mit  dem  Faktum  des  religiösen 
Erlebens  gegeben  hervortrete. 

Das  Erleben  Gottes  ist  nie  ein  Abstrahieren  von  der 
Wirklichkeit  der  Natur  und  der  Ideen,  sondern  stets  erfaßt  das 
Teligiöse  Erlebnis  in  der  Wirklichkeit  der  Natur  und  der  Wahr- 
iheit  der  Ideen  Sein  und  Wesensbestimmtheit  Gottes.  Selbst,  wo 
Gott  als  transzendentes  Sein  von  der  Wirklichkeit  der  Natur 
■und  der  Ideenwirklichkeit  des  geschichtlichen  Seins  streng 
geschieden  wird,  ist  nur  das  Dasein  Gottes  von  der  Wirklichkeit 
des  empirischen  Seins  getrennt.  So  gewiß  aber  Gott  der  Gott 
dieser  Welt  ist,  besteht  eine  begriffliche  Relation  zwischen  Gott 
und  Welt.  Diese  Relation  ist  eine  ira  religiösen  Erlebnis 
ursprünglich  konstituierte.  Wäre  Gott  eine  auch  dem  nicht 
religiösen  Bewußtsein  bestehende  Wirklichkeit,  so  könnten  die 
religiösen  Relationen  und  die  Beziehungen  zum  Menschen  zur 
Existenz  Gottes  erst  nachträglich  hinzutretende  sein.  Da  aber 
Gott  allein  dem  religiösen  Bewußtsein  als  Wirklichkeit  feststeht, 
sind  die  Relationen,  die  das  religiöse  Bewußtsein  zwischen  Gott 
*und    Welt     konstatiert,     zugleich     die     Gottesexistenz     allererst 

6* 


—     84    — 

schöpferisch   enthüllenden.      Darum    bedeutet   eine   Analyse   des 
religiösen  Erlebnisses    zugleich  eine  Begriffsbestimmung  Gottes- 

In  drei  Seinsbestimmtheiten  der  Wirklichkeit  und  der  Ideen 
erfaßt  das  religiöse  Bewußtsein  die  Wirklichkeit  und  Wesensbe- 
stimmtheit Gottes,  denjenigen  Seinsbestimmtheiten,  welche  zugleich 
den  Fundamentalbegriff  alles  kulturellen  Seins  bedeuten: 

Die  alles  natürliche  Sein  konstituierende  Gesetzlichkeit 
des  Universums  ist  nicht  nur  das  Fundament  aller  Erkenntnis 
der  Wirklichkeit,  sondern  dem  religiösen  Erlebnis  zugleich 
Bekundung  des  die  Welt  gesetzlich  beherrschenden  Gottes.  In 
der  unabänderlichen  Gesetzlichkeit  allen  Geschehens  steht  nicht 
nur  der  Wissenschaft  die  Rationalität  der  Wirklichkeit  fest, 
sondern  enthüllt  sich  zugleich  dem  religiösen  Bewußtsein  Gott 
als  der  geistige  Grund  der  Wirklichkeit.  Die  Gesetzlichkeit 
des  Universums  ist  nicht  nur  der  Erkenntnisgrund  der  Wissen- 
schaft, sondern  zugleich  das  Fundament  des  religiösen  Erlebnisses 
Gottes  als  des   Gesetzgebers  des  Universums. 

Die  schon  die  anorganische  Natur,  in  noch  höherem  Grade 
die  organische  Natur  durchflutende  Energie  schöpferischen 
Lebens  ist  nicht  allein  Erkenntnisobjekt  der  energetischen  und 
biologischen  Wissenschaften,  sondern  die  Schöpferfülle  der 
kosmischen  Energien  ergreift  das  religiöse  Bewußtsein  mit 
der  Gewißheit,  im  Leben  des  Universums  die  Schöpfertätigkeit 
Gottes  zu  fühlen. 

Die  das  geschichtliche  Leben  der  Menschheit  konstituierenden 
Werte  der  Wahrheit,  Gerechtigkeit,  Liebe  sind  nicht  nur  die 
objektiven  Normen,  die  das  menschliche  Leben  zu  menschlichem 
Leben  werten.  Das  religiöse  Bewußtsein  erlebt  sie  als  die 
Bekundung  des  göttlichen  Willens  selbst,  als  Offenbarung  seines 
göttlichen  Seins.  In  der  Gesetzmäßigkeit  des  Universums,  den 
schöpferischen  Energien,  den  normativen  Werten  liegen  die 
gemeinschaftlichen  Wurzeln  aller  Erkenntnis  des  Wirklichen 
und  der  Ideen  des  Menschenlebens  und  der  religiösen  Erkenntnis 
Gottes.  Religion,  wissenschaftliche  und  sittliche  Kultur  sind  so 
notwendig  in  Übereinstimmung,  da  es  die  gleichen  Grundbegriffe 
und  Seinsbestimmtheiten  sind,  die  die  Fundamente  der  wissen- 
schaftlichen und  sittlichen  Kultur  und  die  Wurzeln  des  religiösen 
Erlebens  sind. 


—     85     — 

Mit  dieser  prinzipiellen  Hervorhebung  des  Kulturgehalts 
und  der  kulturellen  Wurzelung  des  religiösen  Erlebnisses  soll 
nicht  behauptet  werden,  auch  nur  ein  Schema  der  geschichtlichen 
Entwickelung  der  Religion  gegeben  zu  haben.  Hier  kam  es 
darauf  an,  das  religiöse  Erlebnis  der  Totalität  seines  Gehaltes 
nach  in  seiner  methodischen  Ursprünglichkeit  zu  analysieren, 
gleichviel,  wo  und  wann  dieses,  oder  jenes  einzelne  Moment 
des  religiösen  Erlebnisses  eine  dominierende  Stellung  erlangt  hat. 
Aber  so  viel  darf  wohl  behauptet  werden,  daß  in  ihrer  vollen 
Intensität  Religion  die  originäre  Umpräguug  aller  kulturellen 
Prinzipien  und  Werte  zu  Offenbarungen  und  Bekundungen  des 
Absoluten,  Gottes  ist. 

Wie  stark  in  der  Geschichte  der  Religionen  der  Wurzel- 
punkt der  Religionsbildung  das  Wünschen  und  Begehren  des 
Individuums  ist,  die  Geschichte  der  Religion  selbst  ist  nichts 
anderes,  als  die  kontinuierliche  Befreiung  der  individuellen 
Frömmigkeit  des  Geborgenseins  in  Gott  von  allem  bloß  Ego- 
istischen zu  der  Reinheit  und  Tiefe  des  Vertrauens,  durch  die 
restlose  Verschmelzung  seines  individuellen  Lebensgefühls  mit 
einer  auf  objektive  Werte  gerichteten  Arbeit  allein  des  göttlichen 
Schutzes  würdig  und  gewiß  zu  sein.  Bis  in  die  zartesten  Ver- 
ästelungen des  religiösen  Lebens  ist  Religion  und  kulturelles 
Leben,  Persönlichkeit  und  Objektivität,  Gefühl  und  objektive 
Richtung  der  Totalität  des  persönlichen  Lebens  in  dem  religiösen 
Erlebnis  Gottes  als  des  Grundes  alles  objektiven,  dynamischen 
und  sittlichen  Seins  zur  unauflöslichen  Einheit  gebracht. 


über  die  Gründe  der  jüdischen  Sympathien  für 
die  Kantsche  Philosophie. 

Von  M.  Steckelmacher. 
(Nach  einem  Januar  1898  gehaltenen  Vortrage.) 

Man  weiß,  von  welch  herzlicher  Wertschätzung  Kant  gegen 
einzelne  Bekenner  des  jüdischen  Glaubens  erfüllt  war,  so 
namentlich  gegen  Moses  Mendelssohn  und  Markus  Herz.  Auch 
von  Salomon  Maimons  Begabung  und  Leistungen  dachte  er 
nicht  gering.  Ein  erheblicher  Teil  der  bedeutsamen  Briefe 
Kants  an  die  genannten  jüdischen  Denker  zeugt  von  wahrhaft 
wohlwollender  Gesinnung.  Das  Judentum  dagegen  und  die 
Judenheit  erfahren  von  dem  großen  Weltweisen  die  unfreund- 
lichste Beurteilung.  Er,  der  die  finsteren  Zwingburgen  der 
Scholastik  mit  nie  erhörter  Kraft  zertrümmert  hat,  behauptet 
ganz  in  mittelalterlich  abwürdigenden  Geiste,  das  Judentum 
sei  überhaupt  keine  Religion,  sondern  nur  ein  Inbegriff 
statutarischer  Gesetze,  bestimmt,  darauf  eine  Staatsverfassung 
zu  gründen  1;  seine  Satzungen  beträfen  nur  äußerliche  Hand- 
lungen ohne  Absicht  auf  moralische  Gesinnung.  Aus  dem 
Judentum  sind  die  beiden  Weltreligionen  —  Christentum  und 
Islam  —  hervorgegangen,  und  es  soll  selbst  keine  Religion 
sein!  Das  Judentum  besteht  ferner  schon  nahezu  zweimal  so- 
lange ohne  Staat,  als  es  mit  einem  solchen  bestanden,  und  es 
soll  nichts  als  eine  statutarische  Staatsverfassung  sein!  Da& 
Prophetentum  endlich,  diese  Seele  des  Israelglaubens,  eifert 
immer  wieder  für  Verinnerlichung  der  Religiosität  und  gegen 
alles  bloße  Formelwesen  als  etwas  Grundverkehrtes,  Gott- 
verhaßtes, die  Gottheit  Beleidigendes,  und  die  Gebote  des  Juden- 

*  Offenbar  ist  die  ähnliche  Äusserung  W.  v.  Humboldts  (b.  Brann,. 
Jahresber.  d.  jüd.  theo!.  Seminars  1913)  durch  das  Kantsche  Urteil  bestimmt.. 


i 


—     87     — 

tums  sollen  nur  äußerliche  Handlungen  betreffen,  ohne  Absicht 
auf  morahsche  Gesinnung!  —  Ebenso  mittelalterlich  vorurteilsvoll 
spricht  Kant  über  die  Juden  im  allgemeinen,  die  er  verächtlich 
„die  unter  uns  lebenden  Palästiner"  nennt  und  für  eine  „Nation 
von  Betrügern"  zu  halten  geneigt  ist.  So  wenig  vermochte 
selbst  ein  Kant  sich  über  die  engherzigen,  generell  ver- 
dammenden Vorstellungen  seiner  Zeit  zu  erheben. 

Die  völlige  Verfehltheit  der  Kantschen  Behauptungen  liegt 
für    jeden    Unterrichteten    auf    der    Hand    und    soll    hier    nicht 
neuerdings    nachgewiesen    werdend       Die    Erinnerung    an    die 
Ungunst,   mit   der  Kant  das  Judentum  betrachtet,  soll  uns  jetzt 
nur    dazu    dienen,    die   Reinheit   und  Aufrichtigkeit,    mit   denen 
Juden   von   allem  Anfang   an   die   Kantsche  Philosophie   geliebt 
und  verehrt   haben,   um    so   heller   zu   beleuchten,  die  Tatsache 
zu   beleuchten,    daß,  wie  frostig  auch  Kant  zum  Judentum  sich 
verhalten  hat,  das  Verhältnis  des  Judentums  zu  Kant  von 
vornherein  das  wärmste  war.      „Man  könnte  kaum"   —  heißt  es 
in   einem   Briefe    Schleiermachers 2  —  „drei    oder   vier   jüngere 
gebildete  jüdiscbe  Familienväter  finden,  unter  denen  nicht  jedes- 
mal wenigstens    ein  Kantianer  wäre."     Also   nicht  nur  einzelne 
hervorragend  veranlagte  wirkliche  Philosophen  wie  Herz,  Maimon, 
Bendavid,  die  geradezu  Apostel  der  Kantschen  Philosophie  wurden 
—  und   wir  wissen,    daß  dieses  Apostolat  bis  auf  den  heutigen 
Tag  von  nicht  wenigen  mehr  oder  minder  bekannten  Kantianern, 
in  eminent  kongenialer  Weise  aber  von  dem  großen  Fortbildner 
Kants,  Hermann  Cohen,   fortgeführt   wird   —   sondern   auch  die 
Gebildeten  aus   der  Gesamtheit   der  deutschen  Juden  bekunden 
für   die   Kantschen    Gedanken    allsogleich   Verständnis    und   Be- 
geisterung.    Das  scheint  aber  nur  um  so  mehr  auf  starke  Dis- 
positionen hinzudeuten,  welche  die  Kantsche  Philosophie  in  der 

'  Ich  habe  in  einem  in  BrüUs  Popul.  wissensch.  Monatsblättern  v.  J.  1892 
abgedruckten  Vortrage  „Über  d.  Stellung  einiger  neuerer  Philosophen  z. 
Judentum"  (S.  97  f.  u.  S.  121  f.)  eine  Widerlegung  zu  geben  gesucht, 
und  Julius  Guttmann  hat  in  seinem  Leipzig  1908  veröffentlichten  aus- 
gezeichneten Vortrage  „Kant  und  das  Judentum",  in  welchem  ich  zu  meiner 
Freude  manche  Übereinstimmung  mit  den  hier  folgenden  Ausführungen 
wahrnehme,  die  Irrtümer  Kants  in  sehr  interessanter  Weise  auf  eine  Be- 
einflussung durch  Spinozas  theol.  polit.  Traktat  zurückgeführt. 

2  Bei  Graetz,  Gesch.  d.  Jud.  II  S.  152. 


—    88     — 

durch    Hauptmomente    ihrer    Religion    bestimmten    jü- 
dischen Psyche  vorfand. 

Dergleichen  Dispositionen  dürften  ja  überhaupt  schon  früher 
überall  da  vorauszusetzen  sein,  wo  wir  eine  besondere  Zu- 
wendung zu  bestimmten  auswärtigen  Philosophemen  antreffen. 
Denn  ist  es  auch  sicherlich  zu  viel  gesagt,  wenn  man,  wie  Philo 
getan,  die  Lehre  Israels  selbst  schon  als  Philosophie  bezeich- 
net \  so  steht  doch  anderseits  fest,  daß  ihr  Inhalt  mit  dem 
Augenblick,  daß  der  Zweifel  sich  an  ihn  heranwagt  und  eine 
Verteidigung  erforderlich  macht,  als  der  subtilsten  Begründungen 
fähig  sich  erweist  und  zu  wertvollsten  religionsphilosophischen 
Aufschlüssen  die  Handhabe  bietet,  wovon  uns  glänzende  Doku- 
mente auch  in  den  religionsphilosophischen  Werken  vorliegen, 
wie  sie  uns  besonders  der  hochverdiente  Jubilar,  zu  dessen 
Ehrung  auch  dieser  bescheidene  Beitrag  etwas  mitsteuern 
möchte,  in  einer  Reihe  gediegener  Darstellungen  aufs  lichtvollste 
vors  Auge  geführt  hat^. 

Also  nicht  zwar  eine  bereits  fertige  Philosophie,  die 
als  solche  von  Haus  aus  gewisse  geschichtliche  Beziehungen  zu 
anderen  Philosophien  mitbringt,  aber  ein  gleichsam  latenter 
philosophischer  Grundstoff,  der  im  Judentum  schon  von  jeher 
lag,  lieferte  zweifellos  auch  hier  immer  die  nötigen  Anknüpfungs- 
punkte, und  es  wäre  m.  E,  keine  des  Reizes  entbehrende  Arbeit, 
bei  jedem  der  jüdischen  Philosophen  auszumitteln,  welche  Seite 
des  Judentums  ihn  wohl  innerlich  zu  diesem  eher  als  zu  jenem 
fremden  Systeme  hinneigen  ließ.  Hier  aber,  im  Hinblick  auf  Kant, 
zu  dessen  Zeit  wir  es,  wie  bemerkt,  nicht  nur  mit  einzelnen  aus  der 
gebildeten  Menge  heraustretenden  philosophischen  Schriftstellern 
zu  tun  haben,  sondern  mit  dieser  gebildeten  Menge  selbst,  die 
wir  uns  damals  noch  gewiß  mit  dem  Lehrgehalt  ihres  Glaubens 
wohl   vertraut    und    für    ihn   interessiert   denken   dürfen,    drängt 


1  Z.  B.  Leb.  Mos.  S.  348  ed.  Colin.  Die  jüdisch  alexandrinischen  Be- 
mühungen, das  Judentum  als  höchste  Philosophie  hinzustellen,  haben  aller- 
dings bei  den  griechischen  Philosophen  keinen  geringen  Erfolg  gehabt.  „In 
steigendem  Maße  —  sagt  Harnack  (Dograengesch.  I  S.  502)  haben  seit  der 
Zeit  des  Josephus  griechische  Philosophen  den  „philosophischen"  Charakter 
des  Judentums  anerkannt." 

-  Vgl.  dessen  Einleitung  z.  d.  Religionsphilosophie  des  Saadia  S.  3fi. 


li 


—    89    — 

sich  die  Frage  um  so  energischer  auf  nach  den  zwar  nicht 
gerade  immer  ausgesprochenen,  aber  innerlich  wirksamen  und 
mehr  oder  weniger  bewußten  wahlverwandtschaftlichen  Motiven, 
die  diese  starke  jüdische  Hinneigung  zur  Philosophie  Kants  ver- 
ursacht haben  mögen.  Ich  möchte  sie  meinerseits  in  folgenden 
Kantschen  Theorien  und  Forderungen  vermuten. 

Zunächst  meine  ich,  mußte  die  epochale  Raum-  und 
Zeittheorie  auch  für  die  Aufhellung  gewisser  Grundideen  des 
Judentums  von  größter  dogmatischer  Wichtigkeit  erscheinen. 
Man  denke  nur  an  die  Verlegenheiten,  die  dem  sinnenden  Bibel- 
gläubigen schon  etwa  bei  dem  Satze  entstanden:  „Im  Anfange 
schuf  Gott  Himmel  und  Erde."  Die  Welt  war  also  nicht  von 
jeher,  wie  das  Heidentum  annahm,  sondern  von  Gott  ins  Dasein 
gerufen.  Das  war  indes  schon  zu  begreifen:  denn  dem  anscheinend 
unüberwindlichen  „Aus  nichts  wird  nichts"  der  griechischen 
Philosophie  steht  eben  der  vom  Judentum  zuerst  gefaßte  und 
den  Heiden  unbekannt  gebliebene  Gedanke  eines  allmächtigen, 
unendlich  weisen  Gottes  gegenüber.  Der  unvollkommene  Heiden- 
gott freilich  kann  keine  Welt  aus  nichts  schaffen,  wohl  aber  ein 
allervollkommenstes,  über  alles  erhabenes  Wesen,  wie  es  mit 
dem  Gotte  Israels  gedacht  wird.  Allein  schwerer  begreiflich 
als  die  Zeitlichkeit  der  Welt  ist  die  schon  in  jenem  ersten 
Bibelverse  vorausgesetzte  Ewigkeit  Gottes.  Wie  ist  es 
möglich,  ein  ewiges  göttliches  Sein  zu  denken?  Um  zu  sein, 
muß  man  doch  irgend  einmal  angefangen  haben  zu  sein.  Ein 
ewiges,  d.  h.  nicht  nur  in  alle  Zukunft,  sondern  auch  in  alle 
Vergangenheit  sich  erstreckendes,  von  jeher  bestehendes  Sein 
heißt  doch  ein  nie  angefangenes,  mithin  auch  ein  gar  nie 
existiert  habendes  Sein,  also  ein  Widerspruch,  wie  er  nicht 
härter  gedacht  werden  kann!  Diese  Schwierigkeit  besteht  nun 
zwar  auch  für  die  griechische  Philosophie,  ja  für  sie  besteht 
sie  zugleich  in  Bezug  auf*  die  Welt  selbst,  da  sie  ja  auch  die 
Welt  selbst  wie  die  Gottheit  sich  ewig  denkt.  Allein  gerade 
der  letztere  Umstand  mildert  wieder  die  Verlegenheit  für  das 
griechische  Denken.  Die  Welt  besteht  doch  augenscheinlich, 
obgleich  sie,  der  Voraussetzung  nach,  nicht  angefangen  hat  zu 
bestehen  —  dasselbe  könnte  nun  auch  bei  der  Gottheit  der  Fall 
sein.      Allein    der    jüdischen   Lehre    zufolge    ist    ja   die   Welt 


—     90     — 

entstanden  und  vergänglich,  der  jüdischen  Lehre  zufolge  ist  es 
töricht,  eine  unerschaffene  Welt  zu  denken  —  so  drängt  sich 
denn  das  Rätsel  um  so  schärfer  auf:  Wie  kann  Gott  ewig 
gedacht  werden?  Ja,  der  jüdische  Glaubenssatz,  wonach  die 
Welt  zu  einer  bestimmten  Zeit  erschaffen  worden,  fordert 
noch  zu  der  weiteren  Frage  heraus:  Was  war  vor  Erschaffung 
der  Welt,  was  hat  Gott  vorher  getan? 

Nun  hatte  freilich  schon  Sirach  (3,20f.)  und  nach  ihm  der 
Talmud  (Chagiga  11 — 13)  die  Warnung  ausgesprochen:  „Forsche 
nicht  nach  Dingen,  welche  über  deinen  Horizont  gehen;  grüble 
nicht  über  das,  was  dir  verborgen  ist.  Auf  das  dir  überlassene 
Gebiet  richte  dein  Denken  und  bleibe  weg  von  dem  dir  Un- 
erschließbaren."  Ja,  die  Lehrer  der  Mischna  (Chagiga  II  1) 
sagen  geradezu:  „Wer  über  folgende  vier  Dinge  Betrachtungen 
anstellt,  für  den  wäre  es  besser,  er  wäre  gar  nicht  geboren: 
über  das,  was  in  der  Höhe  und  über  das,  was  in  der  Tiefe, 
über  das,  was  vor  der  Welt  gewesen,  und  über  das,  was  nach 
der  Welt  sein  wird"  ^ 

Alles  dies,  das  übrigens  eine  große  Ähnlichkeit  mit  der 
Stellung  hat,  die  schon  Sokrates  gegenüber  den  Denkaus- 
schweifungen seiner  Vorgänger  genommen 2,  ist  sehr  gesund  und 
richtig.  Es  ist  nicht  etwa  Geistesbeschränktheit  und  Köhler- 
glaube, die  aus  jenen  Sätzen  reden,  denn  dann  würde  das 
Denken  überhaupt  in  Acht  erklärt  worden  sein.  Aber  nein, 
nicht  vor  dem  Denken  überhaupt,  sondern  nur  vor  dem  un- 
befugten und  unersprießlichen  Denken  wird  gewarnt^.  Das 
zeugt  sogar  von  tief  eindringendem  Denken  und  reichem  Wissen. 
Es  waren  offenbar  über  die  mancherlei  zügellosen  Spekulationen 
ihrer  Zeit  wohl  Unterrichtete,  die  zu  jener  Mäßigung  gemahnt 
haben.  Sie  hatten  sich  selbst  von  der  Vergeblichkeit  alles 
menschlichen  Bemühens,  in  gewisse  Regionen  zu  dringen,  über- 
zeugt, ähnlich  wie  Sokrates  von  dei*  Unfruchtbarkeit  der  voran- 


^  Mit  diesen  Aussprüchen  will  nach  Saadia  u.  a.  untersagt  sein,  „daß 
wir  nicht  darüber  nachgrübeln  sollten,  wie  wir  uns  mit  unserer  Ver- 
nunft sein  (Gottes)  Sein  ohne  Anfang  vorstellen".  (Guttmann,  Die 
Religionsphilosophie  des  Saadia  S.  77.) 

-  Vgl.  Zeller,  Die  Philosophie  der  Griechen  II  S.  52  ff.  ' 
^  Vgl.  Saadja,  Emunoth  Einleitung  S.  11  ed.  Slucki. 


—     91     — 

gegangenen  griechischen  Systeme,  darum  erteilten  sie  jenen  Rat 
Also  gesund  und  richtig  war  zweifellos  jene  Warnung. 
Allein  der  Beweis  dafür,  daß  sie  gesund  und  richtig  ist,  war 
nicht  erbracht.  Sokrates,  Sirach  und  der  Talmud  haben  mit 
sicherem  Instinkt  herausgefühlt:  es  gibt  eine  Grenze,  über 
die  hinaus  der  menschliche  Geist  nicht  zu  dringen  vermag. 
Aber  wo  liegt  diese  Grenze,  wodurch  wird  sie  gebildet?  —  eine 
solche  Frage  war  noch  nicht  einmal  gestellt,  geschweige  denn 
beantwortet  worden. 

Angesichts  dieser  Sachlage  kann  es  uns  nicht  wundernehmen, 
wenn  wir  den  spekulativen  Geist  auch  im  Judentum  zuweilen, 
ohne  daß  er  sich  dessen  bewußt  wird,  seine  Befugnis  überschreiten 
und  mit  seinen  Gedankenbauten  in  das  Nebelreich  der  Phantasie 
geraten  sehen  (Philo,  Gnostiker,  Kabbala,  auch  Gabirol).  Sodann 
aber  werden  wir  es  wiederum  als  ein  Glück  bezeichnen  müssen, 
daß  die  großen  jüdischen  Denker  sich  von  jenem  talmudischen 
Gebote  der  Zurückhaltung  nicht  zum  Verzicht  auf  alle  philo- 
sophische Forschung  haben  bestimmen  lassen.  Es  hat  freilich 
Autoritäten  gegeben,  welche  unter  dem  Banne  frommer  Ängstlich- 
keit solchen  Verzicht  verlangten;  jene  Denker  aber  kehrten 
sich  nicht  an  dieses  Verlangen,  und  das  Judentum  weiß  ihnen 
dafür  ewig  Dank.  Was  würde  aus  dem  Judentum  geworden 
sein,  wenn  nicht  ein  Mann  wie  Saadja  in  einem  kritischen  Zeit- 
punkte die  Vernunftgemäßheit  des  Judentums  gegen  allerlei 
Angriffe  aufgezeigt',  wenn  nicht  ein  Maimonides  mit  hell- 
leuchtenden Fackeln  alles  abergläubische  Element  aus  allen 
Schlupfwinkeln  zu  verscheuchen  gesucht  hätte  und,  allen  Dunkel- 
männern zum  Trotz,  den  Geist  der  Wissenschaft  und  der  Auf- 
klärung wach  und  rege  zu  erhalten  beflissen  gewesen  wäre!'^ 
Es  ist  nun  fast  rührend  wahrzunehmen,  wie  diese  Geistes- 
helden einerseits  zwar  ihrem  philosophischen  Drange  mit  wahrer 
Herzenslust  folgen,  anderseits  aber  doch,  namentlich  bei  dem 
Raum-  und  Zeitbegriff,  die  Grenze  wittern,  bei  der  jene 
talmudische  Warnung  in  ihre  Rechte  tritt,  und  in  ihrer  Art 
ihren  Gedankenlauf    zu    hemmen   sich   bemühen.     So   antwortet 


'  Guttmann,  D.  Phil.  d.  Saadia,  Einleituüg. 

*  Vgl.   die   treffliche  Charakterisierung   dieser  Maimonidischen  Wirk- 
samkeit durch  Guttmann  (Moses  ben  Maimon  I  S.  136  f.). 


^  Em.  wed.  ed.  Slucki  S.  38.  Guttmann,  D.  Religionsphil,  des  Saadia 
S.  84.  Die  Ansicht  entspricht  der  des  Plato,  wonach  die  Zeit  erst  mit  der 
Welt  entstanden  (Zeller,  D.  Philos.  d.  Griechen  II  S.  256).  Ähnlich  Philo 
(Üb.  d.  Weltschöpfung  S.  85  ed.  Cohn)  mit  einer  peripatetisierenden  Be- 
gründung (Vgl.  Dähne,  Darstellung  d.  jüd.  alex.  Religionsphil.  S.  213). 
Interessant  sind  die  bezüglichen  Äußerungen  des  mit  dem  gleichen  Problem 
ringenden  Augustin  in  seinen  Bekenntnissen  (übers,  von  Bachmann,  Buch  11, 
Kap.  12):  „.  .  .  wie  konnten  unzählige  Jahrhunderte  vergehen,  die  du  nicht 
geschalFen  hättest,  wenn  du  aller  Jahrhunderte  Urheber  und  Schöpfer 
bist?  .  .  .  Denn  gerade  diese  Zeit  ist  es,  die  du  geschaffen  hattest,  und  es 
konnten  keine  Zeiten  vorübergehen,  bevor  du  die  Zeit  erschufst.  Wenn  es 
also  vor  Himmel  und  Erde  keine  Zeit  gab,  wie  kann  man  dann  fragen,  was 
du  damals  machtest?     Denn  es  war  kein  damals,  wo  noch  keine  Zeit  war." 

''  Guttmann,  D.  Religionsphilosophie  d.  Abr.  ib.  Daud  S.  136  f. 


—     92     — 

Saadja  (10.  Jahrh.)  auf  die  Frage*.  Warum  hat  Gott  die  Welt 
nicht  vor  der  in  der  Schrift  angegebenen  Zeit  geschaffen?  —  | 
„Es  gab  vorher  keine  Zeit"  '.  —  Ebenso  Abraham  b.  Chijja 
(11.  Jahrh.)  in  seinem  Hegjon  hannephesch  ed.  Freim.  S.  2a: 
„Es  ist  wahr  und  feststehend,  daß  vor  Erschaffung  der  Welt- 
wesen .  .  .  nichts  von  Zeit  und  Zeitpunkten  existierte  .  .  .;  denn 
die  Zeit  ist  nichts  Wirkliches  (it'CC  ^b  tt'^tr  IDI  pn  ]^N  ""D); 
sie  ist  nur  ein  Wort  (H'T'CN),  ein  Gedanke,  die  vorhandenen 
Dinge  zusammenhaltend  (mNiJCJP,  nni:VC)."  —  Und  Salomo  ibn 
Gabirol  (11.  Jahrb.),  der  neuplatonisierend  zwischen  Zeit  und 
Ewigkeit  und  dem  über  beiden  stehenden  Absoluten  unter- 
scheidet (Vgl.  Joel  in  Beitr.  S.  30  u.  Guttmann,  D.  Phil.  d. 
Sah  ibn  Gabirol  S.  118),  singt  in  der  „Königskrone":  „Du  bist, 
und  eh'  noch  die  Zeit  war,  dauertest  du  fort,  und  throntest,  eh' 
noch  gewesen  der  Ort."  —  Auch  Josef  ibn  Zaddik  (Mikrokosm. 
ed.  Horovitz  S.  53,  54,  74)  betont  mit  allem  Nachdruck,  nur 
dem  Körperlichen  hafte  Raum  und  Zeit  an,  Gott  aber  als  reiner 
Geist  sei  über  beides  erhaben.  —  Offenbar,  um  alles  mit  dem 
Zeitbegriff  Zusammenhängende  von  Gott  abzuwehren  und  die 
Schwierigkeit  der  Vorstellung  von  Gottes  Ewigkeit  zu  beseitigen, 
behauptet  Abraham  ibn  Daud  (12.  Jahrb.):  „Gottes  Ewigkeit 
bezeichnet  .  .  .   die  Unveränderlichkeit    seines  Wesens"^. 

Am  strengsten  findet  sich  bekanntlich  jene  Abwehr  in  der 
Attributenlehre  des  Maimonides  durchgeführt.  Wenn  wir, 
lehrt  Maimonides  in  Übereinstimmung  mit  ähnlichen  Bemerkungen 


i 


—     93     — 

Früherer  \  von  Gott  irgendein  Attribut  aussagen,  z.  B.  das  Sein, 
die  Einheit,  die  Ewigkeit,  so  können  wir  damit  nur  etwas 
Negatives  aussagen,  nämlich,  was  das  Sein  betrifft,  um  das 
Nichtsein  von  ihm  abzuwehren,  was  die  Einheit  betrifft,  um 
die  Vielheit  von  ihm  fernzuhalten,  und  was  die  Ewigkeit 
betrifft,  um  das  Entstandensein  Gottes  zu  leugnen;  die  Ewigkeit 
kann  nur  in  einer  Beziehung  zur  Zeit  gedacht  werden,  Gott 
aber  ist  außer  aller  Zeit.  Ja,  die  Zeit  ist  selber  mit 
der  Welt  erst  von  Gott  geschaffen^. 

Man  sieht,  wie  alle  die  genannten  Denker  sich  die  größte 
Mühe  geben,  innerhalb  des  Statthaften   menschlicher  Forschung 
zu   bleiben,   und  der  Gedanke  „Gott  ist  außer  aller  Zeit",  „die 
Zeit    ist    mit    ein   Geschöpf  Gottes",   oder    „die    Zeit  ist   nichts 
Wirkliches",  ist  für  den  damaligen  Stand  der  Philosophie  gewiß 
sehr  achtenswert.     Aber  war  dieser   Gedanke  damals  mehr  als 
eine  geistreiche  Hypothese?     War  er  überhaupt  mit  den  Mitteln 
der   damaligen  Philosophie   zu    verstehen?     Wenn    etwas    außer 
aller   Zeit  ist,    dann  ist   es   eben    für   das   gewöhnliche    Denken 
nicht,  Sein  und  in  der  Zeit  sein  ist  identisch.     Man  mag  Josef 
ihn  Zaddik  bezüglich  des  Räumlichen  gewissermaßen  gutgläubig 
zugestehen,  daß  es  nur  dem  Körperlichen  zukomme,  dem  Geistigen 
aber   seinem   Begriffe   nach   nicht    beigemessen    werden    könne  ^ 
—   aber   wie    sollte    solches   Zugeständnis    auch    bezüglich    des 
Zeitlichen  ohne  weiteres  erwartet  werden?     Man  mag  auch  Mai- 
monides  einräumen,  das  Sein  Gottes  sei  nicht  vergleichbar  mit 
irgendeinem    anderen   Sein,    aber    eine    wissenschaftlich    exakte 
Sonderung  auch  des  Zeit-  und  Raumbegriffs  von  dem  gött- 
lichen   Sein    ist     auf     dem     Standpunkte     der    Maimonidischen 
Philosophie    schlechterdings    noch   nicht   vollziehbar.     Die   Be- 
hauptung,   es  gebe  ein  Sein  außer  aller  Zeit  und  allem 
Raum,      ist     noch     völlig     unbewiesen     und     erscheint 
durchaus  nur  als  eine  dogmatische  Behauptung. 


•  Vgl.  Kusari  2,2  u.  Cassels  Anmerkung  das. 

-  S.  Joel,  Mos.  Maimonid.  Beiträge  I  S.  21  u.  a.  a.  0.  Vgl.  besonders 
Moreh  II  Kap.  13  f.  u.  Guttnaann,  Moses  ben  Maimon  I  S.  162  f. 

^  Es  sei  hier  wieder  an  die  interessante  Bemerkung  Augustins  (Be- 
kenntnisse VII  1)  erinnert:  „Was  ich  mir  nicht  räumlich  denken  konnte, 
schien  mir  gar  nichts  sein  zu  können,  ein  völliges  Nichts." 


—     94     — 

Nur  der  auch  sonst  sehr  kühne  und  mit  manchem  über- 
raschenden Gedankenstrahl  erst  viel  später  voll  entdecktes 
Neuland  schon  streifende  Chasdai  Creskas  (14.  Jahrh.)  ahnt 
auch  hier  die  Wahrheit,  wenn  er  gegen  die  hergebrachte 
aristotelische  Ansicht  behauptet:  „Sie  (die  Zeit)  ist  das  Maß, 
mit  welchem  die  Seele  sowohl  Bewegung  als  Ruhe  mißt.  Aber 
eben  darum  ist  sie  kein  Akzidens  der  Bewegung,  sondern 
der  Seele"  (Joel,  Don  Chasdai  Creskas'  religionsphil.  Lehren 
S.  28).  Die  richtige  Spur  wird  indessen  nicht  weiter  verfolgt. 
Der  Zustand  der  Verlegenheit,  der  wohl  auf  allen  denkenden 
Bibelgläubigen  trotz  Sirach  und  Mischna  von  jeher  gelastet  hat, 
dauert  bis  tief  in  die  Mendelssohnära  hinein,  da  auch  sie  noch 
ganz  in  den  alten  Bahnen  verharrt'. 

Da  kam  Kant,  und  wie  Schuppen  fiel  es  von  aller 
Augen;  denn  er  entdeckte  aufs  genaueste  eben  jene 
Grenze,  bis  zu  welcher  allein  der  menschliche  Verstand 
zu  gelangen  vermag;  und  indem  er  dabei  das  wahre  Wesen 
von  Zeit  und  Raum  gefunden,  ermöglichte  er  zugleich,  den  in 
das  Bereich  des  Glaubens  gehörenden  Gottesgedanken  ohne 
allen  störenden  Widerspruch  zu  fassen. 

Was  ist  Zeit  und  Raum?  fragt  Kant.  Und  er  antwortet 
und  begründet  seine  Antwort  mit  unwiderleglichen  Be- 
weisen: Zeit  und  Raum  sind  keine  außerhalb  unseres 
Geistes  für  sich  seiende  oder  den  Dingen  außerhalb 
unser  irgendwie  anhaftende  Wesenheiten,  sondern  nur 
die  allgemeinen  Formen,  mit  denen  unsere  Sinne  aus- 
gestattet sind,  um  vermittelst  ihrer  die  Dinge  der  Welt 
anzuschauen,  d.  h.  die  mannigfaltigen  Eindrücke,  die  wirr 
und  ungeordnet  von  den  Dingen  der  Welt  auf  uns  eindringen, 
zu  formen,  zu  ordnen,  zu  gestalten.  Nicht  durch  Erfahrung, 
nicht  weil  auch  ohne  uns  die  Dinge  au  sich  im  Räume  waren 
und    die   Begebenheiten    an    sich   in   der   Zeit   vor   sich   gingen, 


'  Als  Kuriosuni  sei  erwähnt,  daß  der  kabbalistische  Apostel  des  Sabbathai 
Zewi  im  17.  Jahrhundert,  Nehemia  Chajon,  auf  die  Frage,  warum  die  Welt 
zu  einem  bestimmten  Zeitpunkte  geschaffen  worden  und  nicht  früher?  die 
Antwort  gibt,  die  Voraussetzung  der  Frage  sei  falsch,  „die  Schöpfung  sei 
eben  mit  dem  Scliöpfer  zugleich  entstanden"  (Geiger,  Jüd.  Zeitschr. 
VI.  Jahrg.  S.  221). 


I 


m 


-     95     — 

wissen  wir  von  Zeit  und  Raum,  sondern  unser  Wahrnehmungs- 
vermögen selbst  ist  so  organisiert,  daß  es  die  Gegenstände  und 
die  Geschehnisse  in  Raum  und  Zeit  sich  vorstellt.  Raum  und 
Zeit  sind  lediglich  in  uns,  in  unseren  Sinnen,  in  unserer  An- 
schauungskraft. Wir  sind  es,  die  wir  die  Dinge  erst  mit 
Raum  und  Zeit  umkleiden.  Wir  sind  es,  die  wir  Raum  und 
Zeit  an  die  Dinge  erst  heranbringen.  Die  Dinge  an  sich  aber, 
abgesehen  von  uns  Menschen,  in  ihrer  Losgelöstheit  von  unseren 
anschauenden  Sinnen,  existieren  zeit-  und  raumlos.  Zeit  und 
Raum  sind  nur  Bedingungen  für  unsere  Art,  die  Welt  an- 
zuschauen, aber  nicht  Bedingungen  des  Seins  überhaupt. 

Man  stelle  sich  vor,  wie  gewaltig  diese  nicht  etwa  nur 
behaupteten,  sondern  exakt  bewiesenen  Sätze  wirken  mußten! 
Sie  wirkten  für  die  Wissenschaft  wie  eine  neue  Kopernikus- 
entdeckung,  für  die  Religion  aber  wie  eine  Offenbarung  für 
die  Offenbarung,  wie  ein  plötzlich  aufgehendes  Licht,  von 
dem  namentlich  der  jüdische  Geist  sich  mächtig  ergriffen  fühlen 
mußte.  Imponierte  diesem  überhaupt  von  jeher  das  Originelle, 
während  das  nur  Erklärende,  Explizierende  ihm  immer  als  zu 
selbstverständlich  galt,  um  von  ihm  sonderlich  hoch  geschätzt 
zu  werden,  so  mußte  ihm  vollends  die  verblüffend  neue  und 
zugleich  das  Siegel  der  Wahrheit  an  sich  tragende  Raum-  und 
Zeittheorie  Kants  die  größte  Bewunderung  einflößen,  aber  auch 
die  größte  Befriedigung  gewähren.  Erschienen  doch  durch  sie 
bislang  ungelöste  und  für  unlösbar  gehaltene  Fragen  von  höchstem 
Interesse  gelöst.  Jenes  Maimonidische  „Gott  ist  außer  aller 
Zeit",  wie  war  es  nun  völlig  aufgehellt  —  denn  Gott  ist  ja  das 
Sein  an  sich,  und  Zeit  und  Raum  sind  ja  nur  unsere  an- 
geborenen persönlichen  Anschauungsweisen,  Eigenschaften  le- 
diglich unserer  Menschlichkeit.  Das  Sein  in  der  Zeit  vorzustellen, 
ist  eben  nur  Bedingung  unseres  menschlichen  Vorstellungs- 
vermögens, nicht  aber  Bedingung  des  Seins  überhaupt.  Fragen 
also  wie:  Wie  konnte  Gott  von  ewig  her  sein,  da  er  doch  dann 
gar  nicht  angefangen  hat  zu  sein  und  also  niemals  existierte, 
oder  was  war  vor  der  Weltschöpfung?  und  ähnliche  auf  den 
Zeitbegriff  zurückgehende  Schwierigkeiten  —  die  Kantsche 
Lehre  benahm  ihnen  alle  Bedeutung.  Vor  und  nach,  ewig 
und   zeitlich,    das   sind  ja  lauter  Prädikate  nur  für  die  Formen 


-     96     — 

unserer  Sinnlichkeit,  nicht  für  das  Ding  an  sich,  geschweige 
denn  für  Gott.  Und  ganz  ward  nun  erst  Maimonides  begriffen 
und  gerechtfertigt,  wenn  er  behauptet,  selbst  die  Ewigkeit  ist 
bezüglich  Gottes  nur  negativ,  nämlich  zur  Verhütung  der 
Meinung  des  Entstandenseins,  auszusagen,  oder  wenn  von  all 
den  genannten  Denkern  mit  Einstimmigkeit  festgehalten  wird, 
Gott  habe  auch  die  Zeit  geschaffen.  Er  hat  sie  geschaffen, 
indem  er  den  Menschen  mit  seinen  Sinnen  und  deren  eigen- 
artigen Funktionsformen  geschaffen.  Und  ebenso  ward  jetzt 
erst  eine  Frage,  wie  sie  die  Materialisten  immer  aufzuwerfen 
lieben,  die  Frage:  Wo  ist  Gott?  da  doch  der  Himmel  nach 
der  Naturwissenschaft  von  rein  Materiellem  erfüllt  ist,  in  ihrer 
totalen  Oberflächlichkeit  erkannt.  Nur  unseren  Sinnen  erscheint 
alles  im  Räume,  weil  der  Raum  die  uns  angeborene  Form  all 
unseres  Anschauens  ist;  die  Dinge  an  sich  aber,  abgesehen 
von  dem  anschauenden  Subjekt,  haben  eine  unräumliche  Existenz. 
So  wurde  durch  die  Kantsche  Raumtheorie  erst  über  den  bib- 
lischen Begriff  eines  reinen,  über  alles  Körperliche  und  Räumlich- 
ausgedehnte absolut  erhabenen  göttlichen  Geistes  ein  wunder- 
bares Licht  gebreitet^. 

Ebenso  wie  der  Begriff  eines  zeit-  und  raumlosen,  und 
doch  im  höchsten  Sinne  existenten  Geistes,  wie  ihn  das  Juden- 
tum mit  seiner  Gottesidee  verkündet  hat,  gewann  auch  das 
auf  diese  Idee  sich  stützende  Dogma  von  der  Unsterblich- 
keit der  Seele  durch  Kants  Raum-  und  Zeittheorie  an  Klarheit. 

^  Es  konnte  freilich  manch  einer  nun  auch  die  Welt  als  Ding  an 
sich  betrachten,  die  dann  aber  als  unzeitlich  nicht  zu  irgendeiner  Zeit,  wie 
die  Bibel  lehrt,  geschaffen  wurde,  sondern  gleichfalls  ewig  ist.  Dieser 
Grübler  konnte  sich  aber  gerade  nach  Kant  den  Bescheid  geben,  die  Bibel 
rede  hier  von  der  Welt  der  zeitlich  und  räumlich  bedingten  Erscheinungen. 
Allenfalls  konnte  ihm  auch  die  im  Lichte  Kants  ganz  kapable  Auskunft 
Gabirols  (s.  Guttmann,  Die  Phil.  d.  Sal.  ibn  Gab.  ö.  228  u.  S.  230)  zur  Be- 
ruhigung dienen,  daß  die  Substanzen  zwar  geschaffen,  aber  nicht  in  der 
Zeit  geschaffen,  zwar  zeitlos,  aber  nicht  ewig  seien.  Ob  er  sich  aber  dabei 
zufrieden  gab,  oder  nicht:  die  Hauptschwierigkeit  bestand  ja  für  den  den- 
kenden Bibelgläubigen  nicht  bezüglich  der  Weltschöpfung  —  machte  doch 
ein  Maimonides  sich  anheischig,  ev.  die  Weltewigkeit  mit  den  jüdischen 
Grundlehren  als  vereinbar  zu  erweisen  —  sondern  darin,  wie  man  die 
Ewigkeit  Gottes  zu  denken  vermöge,  diese  Schwierigkeit  aber  war  nun- 
endgültig behoben. 


—     97     - 

Bekanntlich  hat  Kant  in  seiner  Kritik  der  praktischen  Vernunft 
diesem  Dogma  vermittelst  seiner  Ethik  die  Bahn  wieder  geöffnet, 
die    er   ihm   in   der  Kritik  der  reinen  Vernunft  theoretisch  ver- 
sperrt hatte.     Auf  diese  Förderung  des  Unsterblichkeitsglaubens 
möchte    allerdings   —   vom  Standpunkte  des  Judentums  aus  — 
weniger   Wert   zu   legen  sein;   sie  ist  auch  vielfach  angefochten 
worden.     Dem  Judentum    handelt   es  sich  überhaupt  weder  bei 
dem  Gott-  noch  bei  dem  Unsterblichkeitsglauben  um  Beweise, 
durch   welche   diesen  Dogmen  erst  Halt  und  Berechtigung  ver- 
liehen würde.     Die  Dogmen  des  Judentums  —  in   erster  Linie 
der   Monotheismus  —  haben  für    das  normale  Gemüt,  ohne  be- 
wiesen  zu    sein    und   werden    zu   können,    eine   unmittelbar  eia- 
leuchtende,    bezwingende    Gewalt.     Daher    die   Merkwürdigkeit, 
daß  Kants  Keulenschläge  gegen  die  hergebrachten  Beweise  für 
das  Dasein   Gottes  im  Judentum  keinerlei  Bestürzung  hervor- 
gerufen  haben.     Ja   ich   möchte   den   Satz    aussprechen   —  wie 
paradox  er  auch  klinge    —  daß    vielleicht   auch  das  gerade  die 
Sympathie  des  Judentums  für  Kant  mitbewirkte,  daß  er  die  ver- 
schiedenen  scholastischen   Beweise   für   das  Dasein    Gottes,  die 
die  ganze  mittelalterliche  Theologie  und  Philosophie  beherrschten, 
als  nichtig  aufgezeigt  und  den  Gottesglauben  vielmehr  auf  sittliche 
Freiheit    begründet    hat.     Ein    durch    Beweise,    also    immerhin 
durch,  wenn  auch  geistigen,  Zwang  bewirkter  und  vermittelter 
Gottesglaube  hat  nicht  mehr  das  Beglückende  und  Beseligende, 
mit   höchster   Befriedigung   und   Beruhigung  Erfüllende   wie  ein 
unmittelbares  Erfassen  und  Erkennen  Gottes,  wie  eine  freie  und 
freudige    Hingebung   an   Gott.     Das   Judentum    aber   kann   sich 
bei  dem  logisch  unanfechtbaren  Charakter,  bei  der  vollen  Ver- 
nunftgemäßheit und  zugleich  tiefen  Beseligung  seiner  Gottesidee 
gleichsam  den  Luxus  eines  freien,  selbständig  auf  sich  beruhen- 
den Glaubens  gestatten.     Dagegen   mußte  es  auch  dem  Juden- 
tum willkommen  sein,  gewisse  Unverständlichkeiten,  die  jedem 
Glauben    an  Übersinnliches    naturgemäß    anhaften,    beseitigt   zu 
sehen.     Zu    diesen   Unverständlichkeiten  gehört   wie  "die  vorhin 
erörterte  Ewigkeit  Gottes  auch  das  Fortleben  der  menschlichen 
Seele.     Wo    weilt    sie   —   fragten    von    jeher    die    Materialisten 
—  wenn  sie   von   hinnen  gegangen?     Aus  dem  Himmel,  wohin 
mau    sie    versetzen  wollte,   hat  sie  ja  die  Naturwissenschaft  ein 

Guttmann.  Festschrift. 


—     98     — 

für  allemal  verwiesen!  Wir  sehen,  vor  Kants  Zeit-  und  Raum- 
theorie schwindet  auch  dieser  Anstoß.  Alles,  was  irgendwie  auf 
Zeitliches  und  Räumliches  Bezug  hat,  eignet  eben  nur  unseren 
irdischsinnlichen  Organen;  der  reine,  der  Sinnlichkeit  entledigte 
Geist  aber,  als  welcher  die  Seele  nach  dem  Tode  gedacht  wird, 
der  Mensch  als  Ding  an  sich,  besteht  räum-  und  zeitlos  un- 
sterblich fort. 

Eine  sehr  wichtige  Lehre  des  Judentums  ist  ferner  die 
von  der  menschlichen  Willensfreiheit.  Trotz  allen  Schwie- 
rigkeiten, welche  diese  Lehre  von  jeher  den  Denkern  geboten, 
wurde  sie  mit  aller  Macht  festgehalten  und  verteidigt,  selbst 
zum  Teil  auf  Kosten  der  göttlichen  Allwissenheit,  wie  bei  Levi 
ben  Gerson.  Die  Religionsphilosophen  des  Mittelalters  hatten 
sich  nämlich  besonders  mit  dem  Problem  der  Vereinbarkeit  des 
göttlichen  Vorherwissens  mit  der  menschlichen  Willensfreiheit 
abgemüht.  Man  hatte  eben  erkannt,  die  Willensfreiheit  ist  der 
festeste  Grund  für  eine  Ethik,  für  sittliche  Verantwortung.  Ist 
der  Wille  des  Menschen  unfrei,  wie  darf  er  wegen  Vergehungen 
zur  Rechenschaft  gezogen  werden,  und  was  für  Verdienst  hat 
dann  die  Tugend?  —  Nun  aber  steht  dieser  tatsächlich  gefühlten 
und  von  dem  Begriff  einer  Ethik  unweigerlich  geforderten  Willens- 
freiheit nicht  nur  das  eben  erwähnte  Problem  entgegen,  —  das 
indes  in  der  Kantschen  Zeit  die  Gemüter  wohl  nicht  mehr  weiter 
im  Anspruch  nahm  —  sondern  vor  allem  die  unleugbare  Tatsache 
eines  Kausalzusammenhangs  in  allem,  was  in  der  Welt  ge- 
schieht. Wie  ist  die  Willensfreiheit  emerseits  und  das  Gesetz 
von  Ursache  und  Wirkung  anderseits,  wonach  jedes  Geschehen 
eine  notwendige  Folge  eines  vorausgegangenen  Geschehens  ist, 
zusammenzureimen?  Sollte  etwa,  um  solchem  Dilemma  zu  ent- 
gehen, mit  Spinoza  und  anderen  die  Willensfreiheit  geopfert 
werden?  Dabei  konnte  sich  das  tief  ethische  jüdische  Glaubens- 
bewußtsein nicht  beruhigen.  Oder  sollte  die  Forderung  der 
Naturwissenschaft,  die  das  Kausalitätsgesetz  statuiert,  in  den 
Wind  geschlagen  werden?  Das  war  der  vom  Geiste  der  Auf- 
klärung erfaßten  jüdischen  Intelligenz  ebensowenig  möglich. 
Da  kam  wieder  Kant  und  gab  eine  —  freilich  nur  ihm  mög- 
liche —  Lösung,  wonach  keines  der  beiden  Gebiete  auch  nur 
das    Geringste   von   seiner   Berechtigung   verlor.     Die  Welt  der 


-     99     — 

Erscheinungen,  wie  Kant  die  Welt  nennt,  insofern  wir  Men- 
schen sie  anschauen  vermittelst  der  unseren  Sinnen  angeborenen 
Formen  der  Zeit  und  des  Raumes,  im  Gegensatz  zu  ihrer  Be- 
schaffenheit, die  ihr  ohne  diese  unsere  subjektive  Zutat  als  In- 
begriff der  Dinge  an  sich  zukommt  —  die  Welt  der  Erschei- 
nungen, somit  auch  der  Mensch,  insofern  er  sich  auch  selbst 
in  Zeit  und  Raum  anschaut,  stehe  allerdings  unter  der  Botmäßig- 
keit des  Kausalitätsgesetzes  —  allein  der  Mensch  als  Wesen 
an  sich,  als  intelligibles  Wesen,  als  Noumenon,  wie  es  auch 
Kant  bezeichnet,  besitzt  Freiheit.  Der  Mensch  als  Erscheinung 
handelt  nach  den  ehernen  Gesetzen  von  Ursache  und  Wirkung, 
aber  der  Mensch  als  Ding  an  sich  ist  frei.  Hier  sei  die  Stelle, 
an  welcher  durch  das  sittliche  Verantwortlichkeitsgefühl  die 
ideale  Welt  der  Dinge  an  sich  in  diese  Welt  der  Erscheinungen 
hineinragt.  Wie  dunkel  auch  diese  Partie  der  Kantschen  Philo- 
sophie sich  ausnehme,  so  werden  wir  doch  Schopenhauer  bei- 
pflichten müssen,  wenn  er  meint,  es  sei  hier  das  Tiefste,  was 
Kant  gelehrt  hat.  Wir  werden  auch  auf  dem  ganzen  Gebiete 
der  Geschichte  der  Philosophie  kaum  einer  tieferen  und  geist- 
volleren Erklärung  für  die  Möglichkeit  der  Tatsache  begegnen, 
daß  einerseits  alles  Weltgeschehen  nach  strengen  Naturgesetzen 
verläuft  und  anderseits  der  Mensch  willensfrei  ist,  wie  er  es 
in  seinem  Innersten  fühlt.  Ich  glaube  deshalb,  daß  hier  gleich- 
falls einer  der  Gründe  liegt,  derentwegen  Kant  dem  Judentum 
so  sympathisch  werden  mußte,  weit  sympathischer  jedenfalls  als 
Spinoza  mit  seinem  nüchternen  Determinismus. 

Es  ist  klar,  daß  die  moralische  Energie  des  Willens  ge- 
fährdet wird,  ja  die  Lehre  von  der  Willensfreiheit  geradezu  in 
Determinismus  sich  zu  verkehren  droht  (vgl.  Augustinj  durch 
christlich  dogmatische  Anschauungen,  nach  denen  ein  bloßer 
Glaube  sündenvergebend  wirke,  und  vollends  durch  die  Dogmen 
von  der  Erbsünde  und  der  Gnadenwahl.  So  wird  denn  die  ent- 
schiedene Stellungnahme  Kants,  dem  der  reine  moralische  Wille 
ein  unveräiißerlicher  Bestandteil  der  praktischen  Philosophie  ist, 
gegen  all  dergleichen  nicht  überraschen.  „Es  ist  gar  nicht  ein- 
zusehen", sagt  er  (Relig.  innerh.  der  Grenzen  der  bloß.  Vernunft 
S.  138)  „wie  ein  vernünftiger  Mensch,  der  sich  strafschuldig 
weiß,  im  Ernst  glauben  könne,  er  habe  nur  nötig,   die  Bot- 

1* 


—     100     — 

Schaft  von  einer  für  ihn  geleisteten  Genugtuung  zu 
glauben  .  .  .,  um  seine  Schuld  als  getilgt  anzusehen,  und  zwar 
dermaßen  (mit  der  Wurzel  sogar),  daß  auch  fürs  Künftige  ein 
guter  Lebenswandel,  um  den  er  sich  bisher  nicht  die  mindeste 
Mühe  gegeben  hat  .  .  .  die  unausbleibliche  Folge  sein  werde". 
Das.  S.  139:  „Wenn  aber  der  Mensch  von  Natur  verderbt 
ist,  wie  kann  er  glauben,  aus  sich,  er  mag  sich  auch  bestreben,^ 
wie  er  wolle,  einen  neuen  Gott  wohlgefälligen  Menschen  zu 
machen,  wenn  er  unter  der  Macht  des  bösen  Prinzips  steht  usw.?" 
Das.  S.  50:  „Gesetzt  zum  Gut-  und  Besserwerden  sei  noch  eine 
übernatürliche  Mitwirkung  nötig,  so  mag  diese  nur  in  der  Ver- 
minderung der  Hindernisse  bestehen  oder  auch  positiver  Bestand 
sein,  der  Mensch  muß  sich  doch  vorher  würdig  machen,  sie 
zu  empfangen,  und  diese  Beihilfe  annehmen".  Das  ist  doch 
das  richtige  Talmudwort:  „Wer  da  kommt,  um  sich  zu  läutern,^ 
dem  wird  höhere  Hilfe  zu  teil"  IPIN  jT'DC  IH^^t'  N2  (Joma  38b), 
wie  überhaupt  alle  diese  Kantschen  Äußerungen  eine  Rechtfer- 
tigung der  gesunden  Anschauungen  des  Judentums  in  diesen 
wichtigen  Fragen  bedeuten  und  die  Sympathie  für  die  Kantsche 
Philosophie,  aus  der  solche  absichtslose,  aber  desto  wertvollere 
Rechtfertigung  herauswuchs,  bei  den  Juden  um  so  mehr  be- 
stärken mußten. 

Die  Lehre  der  Willensfreiheit  ist  jedoch  nur  ein  Hilfs- 
dogma  für  die  Ethik.  Die  Seele  aber  der  Kantschen  Ethik  ist 
der  kategorische  Imperativ,  d.  h.  die  unbedingte,  nicht  aus 
irgend  einem  außerhalb  liegenden  Zwecke  geschöpfte  und  darum 
moralische  Verbindlichkeit.  Es  ist  der  rein  apriorische,  d.  h. 
nicht  anders  woher  als  aus  dem  Menschengemüte  selber  kom-  I 
mende  unbedingte  Befehl,  der  jedesmaligen  Pflicht  zu  gehorchen, 
gleichviel  ob  mir  deren  Befolgung  Vorteil  oder  Nachteil  bringt: 
die  Pflicht  gebietet,  und  das  ist  genug.  Wer  diesem  Befehle 
schon  um  des  Befehles  willen  gehorcht,  der  handelt  moralisch  j 
—  wer  zwar  dem  Befehle  der  Pflicht  gemäß  handelt,  aber  aus 
externen  Gründen,  weil  er  etwa  göttliche  oder  menschliche  Strafe 
fürchtet,  der  handelt  wohl  legal,  aber  nicht  moralisch i.  Es  ist 
nun  kein  Zweifel,  daß  Kant  selbst,  wie  es  der  Zusammenhang 


*  Krit.  d.  prakt.  Vernunft  S.  86  ed.  Kirchni.  u.  a.  a.  0. 


—     101     — 

seines  Systems  fordert,  ein  großes  Gewicht  auf  das  Apriorische 
des  kategorischen  Imperativs  legen  mußte,  d.  h.  darauf,  daß  die 
Pflichtgebote  rein  aus  dem  Menschengemüte  und  nicht  etwa  erst 
aus  einer  Mitteilung  von  außen,  wie  Offenbarung,  stammen. 
Solche  mittelbare  Erkenntnis  würde  ihm  schon  eine  Erfah- 
rungserkenntnis bedeuten,  dann  aber  mangelte  ihm  —  nach 
seiner  Theorie  —  das  absolut  Gebietende  und  Reine  des  ethischen 
Prinzips.  Nicht  deshalb  ist  uns  —  meint  er  —  die  Moral  heilig, 
weil  sie  Gott  geboten,  sondern  sie  gilt  uns  als  von  Gott  geboten, 
weil  wir  sie  innerlich  —  a  priori  —  als  heilige  Pflicht  erkennen. 

—  Es  ist  aber  anderseits  wiederum  klar,  daß  für  uns  die 
■Frage  nach  dem  Ursprünge  der  Moralforderungen,  ob  sie  auto- 
nomen oder  heteronomen  Charakters  seien,  durchaus  nicht  den 
großen  Wert  besitzen  muß,  den  ihr  Kant  beilegt.  Uns  ist  das 
Wichtigste  und  Bleibende  in  der  Kantschen  Ethik:  einmal  die 
Betonung  der  lauteren,  uninteressierten  Absicht  in  allen  Pflicht- 
ihandlungen  und  dann  die  hervorgehobene  Unbedingtheit  der 
Autorität  des  Pflichtgefühls.  In  beidem  trifft  aber  das  Juden- 
tum wieder  mit  Kant  völlig  zusammen.  Kant  selbst  meinte  zwar 
sonderbarerweise  in  diesem  Punkte  etwas  zu  sagen,  was  dem 
Judentum  schnurstracks  zuwiderlaufe.  Die  Satzungen  des 
Judentums,  meinte  er,  wie  schon  eingangs  erwähnt,  —  und  er 
verrät    da    die  Einwirkungen    seines    paulinischen  Christentums 

—  beträfen  nur  äußerliche  Handlungen,  ohne  Absicht  auf  mora- 
lische Gesinnungen.  Allein  gerade  in  diesem  Kernpunkte  der 
Ethik  hat  Kant  nichts  anderes  gelehrt,  als  was  schon  das  Alte 
Testament  und  darauf  fußend  das  ganze  spätere  jüdische  Schrift- 
itum  eingeschärft  hat.  Was  anderes  als  lauterste,  uneigennützig- 
ste Absicht  in  den  von  Gott  gebotenen  Handlungen  verlangt  der 
Satz:  „Du  sollst  lieben  den  Ewigen,  deinen  Gott,  mit  deinem 
ganzen  Herzen,  deiner  ganzen  Seele  und  deinem  ganzen  Ver- 
mögen", oder  „Dienet  nicht  dem  Herrn  um  eines  Lohnes  willen", 
oder  „Gott  will  nur  das  Herz"  und  ähnliche  unzählige  Aussprüche! 
Ja  Kant  selbst  sagt  in  der  Metaphysik  der  Sitten  (S.  295  §  21), 
wo  er  davon  redet,  daß  „die  Handlungen  nicht  bloß  pflichtmäßig, 
sondern  auch  aus  Pflicht  geschehen"  sollen,  hier  gelte  das 
Gebot:  „Seid  heilig!"  Und  dieses  Gebot  kommt  erstmals  in  der 
ganzen  Weltliteratur  im  3.  Buche  Mose  19,2  vor!   Daß  aber  die 


—     102     — 

Schrift  auch  Lohnverheißungen  enthält,  verschlägt  gar  nichts;  sie 
wollen  nur  als  namentlich  für  gewisse  Kulturstadien  pädagogisch 
wertvolle,  ja  notwendige  Ankündigungen  des  Erfolges  eines 
gottgefälligen  Lebens  aufgefaßt  werden,  wie  ja  auch  das  Neue 
Testament  voll  von  solchen  Lohnverheißungen  ist,  und  wie  ja 
auch  Kant  selbst  schließlich  nicht  umhin  kann,  von  einem 
„höchsten  Gut"  als  Endzweck  aller  Moral  zu  reden.  Der  Um- 
stand aber,  daß  die  Moralgebote  nicht  als  lediglich  dem  Men- 
schengemüte  entsprungen,  sondern  auch  von  Gott  diktiert  be- 
zeichnet werden,  bildet  schon  deshalb  in  ethischer  Hinsicht 
keine  tiefere  Differenz,  weil  ja  eben  mit  der  Reinheit  des  Wollens 
eine  völlig  spontane  Aufnahme  in  die  Seele  und  eine  Assimilierung 
mit  ihr  vorausgesetzt  und  gegeben  ist.  Ob  ich  das  Moralgesetz 
aus  mir  erzeuge  oder  das  von  anderwärts  Gehörte  —  das  Ge- 
offenbarte —  in  mir  durch  die  Überzeugung,  daß  es  Wahrheit 
sei,  wiedererzeuge,  das  kann  am  Ende  gleich  sein.  Die  Rein- 
heit der  Gesinnung  aber  und  die  innere  Identifizierung  mit  dem 
göttlichen  Willen  wird  von  der  Religion  des  Judentums,  nament- 
lich von  deren  berufensten  Verkündern,  den  Propheten,  von 
Mose  bis  Maleachi,  aber  auch  von  den  Verfassern  der  übrigen 
biblischen  Schriften,  besonders  der  Psalmen,  und  vielfach  von 
der  ganzen  nachbiblischen  talmudischen  und  philosophischen 
Literatur  bis  auf  unsere  Tage  mit  aller  Entschiedenheit  ge- 
forderte —  Und  ganz  dasselbe  ist  auch  hinsichtlich  des  Charak- 
ters der  Unbedingtheit  der  Pflichtgebote  der  Fall.  „Du  sollst 
nicht  stehlen!"  „Du  sollst  kein  falsches  Zeugnis  aussagen!" 
„Du  sollst  nicht  lügen,  nicht  übervorteilen!"  „Du  kannst  dich 
nicht  entziehen,  dem  Hilflosen  beizustehen!"  „Du  sollst  lieben 
deinen  Nächsten  wie  dich  selbst!"  „Du  sollst  lieben  den  Fremd- 
ling wie  dich  selbst!"  und  unzählige  andere  mit  solchem  „Du 
sollst"  eingeführte  Gebote  sind  lauter  kategorische  Imperative. 
Der  Herbartianer  Ziller  (Ethik  S.  107)  sagt  daher  mit  Recht, 
daß  der  Kantsche  Pflichtbegriff  in  der  Tat  erst  auf  dem  Boden 
des  Judentums  ausgebildet  worden  sei,  wie  sich  denn 
auch  daraus  erklärt,  daß  Schopenhauer  in  seiner  Polemik  gegen 
Kant  sagen  konnte,  dessen  kategorischer  Imperativ  gehe  auf  den 
t)e,kalog  des  Mosaismus  zurück.    —    Allerdings  kennt  das 

'-       * 'Vgl.  mein  Prinz,  d.  Ethik  S.  221  ff. 


—     103     — 

Judentum  auch  noch  andere  als  rein  moralische  Gebote  —  die 
Zeremonialgesetze  — ,  aber  auch  in  Bezug  auf  diese  verlangt 
es  völlig  reine  Gesinnung.  Ein  religiöses  Tun,  das  etwa  nur 
im  Hinblick  auf  Lohn  und  Strafe,  überhaupt  nur  äußerlich,  nach 
„statutarischen  Satzungen"  erfolgt,  war  dem  wahren  Judentum 
stets  ein  Greuel.  Und  weil  eben  das  Judentum  in  der 
Verdammung  solcher  Pseudofrömmigkeit  sich  durch 
Kants  auf  reine  Gesinnung  dringende  Ethik  aufs  kräf- 
tigste unterstützt  sah,  gerade  darum  mußte  es  sich  um 
so  mehr  von  der  ganzen  Philosophie  Kants,  die  solche 
verwandte  ethische  Gedanken  aus  sich  heraus  ent- 
wickelte, angeheimelt  fühlen.  Das  Judentum  hörte  aus 
Kants  „kategorischem  Imperativ"  gewissermaßen  nur  den  philo- 
sophischen Widerhall  seiner  Propheten  heraus. 

Wie  sehr  aber  auch  das  erwähnte  jüdische  Zeremonial- 
gesetz  einen  guten,  ja  unentbehrlichen  ethischen  Sinn  und  Zweck 
habe,  konnte  gleichfalls  am  besten  aus  Kant  selbst  erwiesen 
werden.  An  verschiedenen  Stellen  seiner  Metaphysik  der 
Sitten  1  spricht  er  nämlich  von  der  Notwendigkeit,  sich  die 
Tugend  nicht  nur  durch  Belehrung,  sondern  auch  durch 
Übung  anzueignen.  Durch  die  bloße  Lehre  werde  wohl  das 
Wissen  um  die  Regeln  der  Tugend,  noch  nicht  aber  die  Kraft, 
sie  auszuüben,  erworben.  Es  sei  deshalb,  wie  schon  die  Stoiker 
gewollt,  eine  Kultur  der  Tugend  nötig,  eine  moralische 
Asketik,  die  aber  nicht  in  mönchisch  düsterer  Selbstpeinigung, 
sondern  in  einer  mit  fröhlicher,  gesunder  Gemütsverfassung  ver- 
bundenen Dietätik  für  den  Menschen  besteht.  Es  ist  eine 
ethische  Gymnastik,  welche  befähigt,  die  Naturtriebe  zu  be- 
herrschen, wenn  der  Moralität  Gefahr  droht.  —  In  diesen, 
übrigens  mit  dem  grundsätzlich  weitabgewandten  Christentum 
in  grellem  Widerspruch  stehenden,  dagegen  mit  dem  bei  allem 
hohen  Ernste  durchaus  lebensfrohen  Judentum  vollkommen  har- 
monierenden Sätzen  ist  zugleich  die  beste  Begründung  des 
jüdischen  Zeremonialgesetzes,  namentlich  soweit  es  auf  Enthalt- 
samkeit   abzielt,    gegeben 2.     Kant   hat    mit   ihnen,    obgleich    er 

1  Z.  B.  S.  334,  343,  344  ed.  Kirchmann. 

*  Vgl.  Kusari  II  50  u.  III  1  ff.  Vgl.  auch  Kant,  Rel.  innerh.  d.  Grenz, 
d.  bloßen  Vernunft  S.  25,  ed.  Kirchm.  wo  er  entschieden  für  freudige  Befol- 
gung der  Tugendgebote  und  gegen  asketisches  Muckertum  sich  ausspricht. 


—     104     — 

dabei  nur  an  die  Stoiker  denkt,  unbewußt  das  jüdische  Zere- 
monialgesetz  in  seiner  prinzipiellen  Berechtigung  aufgezeigt.  Kant 
denkt  dabei  an  die  Stoiker,  die  ja  aber  eigentlich  nur  erstrebten, 
was  das  Judentum  im  Zeremonialgesetz  von  jeher  besaß '. 

Ein  in  der  Kantschen  Ethik  immer  wiederkehrender  Be- 
griff ist  ferner  der  von  der  Würde  der  Menschheit,  die  in 
jedem  Menschen,  selbst  in  dem  Verbrecher  noch,  der  zur  Richt- 
statt geführt  wird,  zu  ehren  sei.  Wer  erkennt  aber  hier  nicht 
die  philosophische  Prägung  der  biblischen  Lehre:  „Der  Mensch 
ist  im  Ebenbilde  Gottes  geschaffen?"  Der  Mensch  darf  nicht, 
sagt  Kant,  wie  alles  andere  in  der  Schöpfung,  bloß  als  Mittel 
gebraucht  werden;  denn  er  „ist  Zweck  an  sich  selbst"  2. 
„Werdet  nicht  der  Menschen  Knechte!"  ruft  er  aus^.  Genau 
dasselbe  aber  meint  der  Talmud,  wenn  er  sagt:  „Gott  sprach: 
Meine  Knechte  sollen  sie  sein,  aber  nicht  Knechte  von  Knechten." 
Aus  dem  Gesichtspunkte  der  unveräußerlichen  Menschenwürde 
verwirft  Kant  —  wieder  ganz  im  Geiste  des  Judentums  —  die 
in  Bildern  erfolgende  Anbetung  der  Gottheit*.  Kant  ist  ferner 
für  das  Wiedervergeltungsrecht  (ius  talionis)  und  daher  auch, 
wie  die  Bibel,  für  Tötung  des  Mörders ;  aber  alle  Mißhandlung, 
welche  die  Menschheit  in  der  leidenden  Person  zum  Scheusal 
machen  könnte,  müsse  fernbleiben^.     Auch  das  entspricht  ganz 


'  Ähnlich  verhält  es  sich  mit  bezüglichen  Äußerungen  Kants  in  der 
Religion  innerh.  d.  bloßen  Vernunft.  Er  sagt  hier,  freilich  nur  im  Hinblick 
auf  das  Christentum:  Der  Kirchenglaube  sei  nötig,  „wegen  des  natürlichen 
Bedürfnisses  aller  Menschen,  zu  den  höchsten  Begriffen  und  Gründen  immer 
etwas  Sinnlichhaltbares,  irgend  eine  Erfahrungsbetätigung  u.  dgl. 
zu  verlangen"  (S.  129).  Die  „Formen  und  Observanzen"  sollen  zu  „Mitteln 
dienen",  eine  auf  Vernunftprinzipien  zu  gründende  Kirche  zustande  zu 
bringen"  (S.  189).  Die  statutarischen  Sätze  kann  der  Kirchenglaube 
„vorjetzt  nicht  entbehren";  aber  er  muß  zugleich  ein  Prinzip  enthalten, 
„die  Religion  des  guten  Lebenswandels,  als  das  eigentliche  Ziel,  um  jener 
dereinst  gar  entbehren  zu  können,  herbeizuführen"  (S.  210).  Kant  sagt  all 
das,  wie  bemerkt,  nur  hinsichtlich  des  Christentums;  aber  die  jüdische  In- 
telligenz erkannte  darin  nur  echtes  jüdisches  Gut  und  ließ  sich  in  dessen 
Würdigung  durch  Kants  ignorierendes  Verhalten  nicht  beirren. 

'  Krit.  d.  prakt.  Vernunft  S.  105  ed.  Kirchm. 

»  Met.  d.  Sitt.  S.  281  §  12  ed.  Kirchm. 


*  Das. 

»  Das.  S.  133,  174  ff.  315. 


I 


—     105     - 

den  biblischen  und  talmudischen  Weisungen,  wonach  bei  Be- 
strafungen, ja  auch  in  dem  Verbrecher  noch,  der  zur  Richtstatt 
geführt  wird,  die  Menschenwürde  wohl  zu  wahren  sei.  (Vgl. 
Deut.  25,3.     Babli  Sanh.  10  b  u.  a.  a.  O.). 

Kant  unterscheidet  ferner  sehr  treffend  zwischen  Liebe 
und  Wohltun.  Letzteres  allein,  das  Wohltun,  könne  geboten 
werden  als  eine  Pflicht;  dagegen  sei  „eine  Pflicht,  zu  lieben, 
ein  Unding".  „Wenn  es  also  heißt  —  sagt  Kant  — :  du 
sollst  lieben  deinen  Nächsten  als  dich  selbst,  so  heißt  das  nicht: 
du  sollst  unmittelbar  (zuerst)  lieben  und  vermittelst  dieser  Liebe 
(nachher)  wohltun,  sondern:  tue  deinem  Nächsten  wohl,  und 
dieses  Wohltun  wird  Menschenliebe  (als  Fertigkeit  der  Neigung 
zum  Wohltun  überhaupt)  in  dir  bewirken!"^  Diese  Auslegung 
stimmt  grammatisch  genau  mit  dem  hebräischen:  IV")'?  HDriNi 
statt  1J?~1  nx  n^riXI  überein.  Ohne  den  Urtext  zu  kennen,  — 
Kant  scheint  überhaupt  das  AT.  leider  nicht  näher,  das  spätere 
jüdische  Schrifttum  aber  gar  nicht  zu  kennen  —  erfaßte  der  er- 
leuchtete Mann  gleichsam  divinatorisch  den  wahren  Sinn  des 
erhabenen  Gebotes. 

Merkwürdig  übereinstimmend  mit  dem  Judentum  ist  auch 
folgende  Äußerung  Kants  über  Wohltun:  „Wohltun  ist  im  Fall, 
daß  jemand  reich  .  .  .  ist,  von  dem  Wohltäter  selbst  fast  nicht 
einmal  für  eine  verdienstliche  Tat  zu  halten;  ob  er  zwar  dadurch 
zugleich  den  andern  verbindet.  Das  Vergnügen,  was  er  sich 
hiermit  selbst  macht,  welches  ihm  keine  Aufopferung  kostet,  ist 
eine  Art,  in  moralischen  Gefühlen  zu  schwelgen,  - —  Auch  muß 
er  allen  Schein,  als  dächte  er  den  andern  damit  zu  verbinden, 
sorgfältig  vermeiden;  weil  es  sonst  nicht  wahre  Wohltat  wäre, 
die  er  diesem  erzeigte,  indem  er  ihm  eine  Verbindlichkeit  (die 
den  letzteren  in  seineu  eigenen  Augen  immer  erniedrigt)  auf- 
legen zu  wollen  äußerte.  Er  muß  sich  vielmehr  als  durch  die 
Annahme  des  andern  selbst  verbindlich  gemacht  oder  beehrt, 
mithin  die  Pflicht  bloß  als  seine  Schuldigkeit  äußern, 
wenn  er  nicht  (welches  besser  ist)  seine  Wohltätigkeit  ganz  im 
Verborgenen  ausübt"  2.  —  „Das  Vermögen  wohlzutun,"  —  sagt 
Kant  weiter  —  „was  von  Glücksgütern  abhängt,  ist  größtenteils 

*  Met.  d.  Sitt.  S.  236  f.  ed.  Kirchm. 
'  Das.  S.  303  §  31. 


—     106     — 

ein  Erfolg  aus  der  Begünstigung  verschiedener  Menschen  durch 
die  Ungerechtigkeit  der  Regierung,  welche  eine  Ungleichheit 
des  Wohlstandes,  die  anderer  Wohltätigkeit  notwendig  macht, 
einführt.  Verdient  unter  solchen  Umständen  der  Beistand,  den 
der  Reiche  den  Notleidenden  erweisen  mag,  wohl  überhaupt  den 
Namen  der  Wohltätigkeit,  mit  welcher  man  sich  so  gern  als 
Verdienst  brüstet?"  ^ 

Das  ist  im  wesentlichen  die  Auffassung,  welche  das  Juden- 
tum von  Wohltätigkeit  hat.  Wohltätigkeit  heißt  im  Judentum 
Zödakäh,  d.  h.  Gerechtigkeit.  Wohltätigkeit  des  Reichen  dem 
Armen  gegenüber  ist  kein  Akt  der  Gnade,  sondern  der  Ge- 
rechtigkeit. Auch  galt  von  jeher  im  Judentum  diejenige  Wohl- 
tätigkeit, durch  welche  der  Beschenkte  am  meisten  in  seinem 
Ehrgefühl  geschont  wird,  also  namentlich  im  Verborgenen,  als 
die  gottgefälligste  2. 

Man  könnte  indes  aber  vielleicht  hier  einwenden,  es  be- 
stehe doch  gerade  hinsichtlich  der  humanitären  Momente  der 
Ethik  ein  fundamentaler  Gegensatz  zwischen  Kant  und  dem 
Judentum.  Kant  will  alles  Mitleid,  alles,  was  an  Wohl- 
wollen und  Neigung  grenzt,  aus  der  Nähe  seines  kategorischen 
Imperativs  gebannt  wissen.  Lediglich  aus  Pflicht  geschehe 
alles,  lediglich  der  Pflichtcharakter  mache  die  Majestät  der  Sitt- 
lichkeit aus.  Das  Judentum  dagegen  —  hält  es  nicht  das 
Mitleid,  das  lebendige,  warme  Mitgefühl,  das  „gute  Herz"  für 
das  Höchste  und  Achtungswürdigste?  Bedeutete  nicht  R.  Jochanan 
b.  Sakkai  seinen  Schülern,  daß  das  „gute  Herz"  derjenige  Weg 
sei,  den  der  Mensch  am  ehesten  erwählen  solle?  —  Allein  es 
obwaltet  hier  ein  Mißverständnis  sowohl  in  Bezug  auf  Kant,  als 
auch  in  Bezug  auf  das  Judentum.  Allerdings  meint  Kant^, 
selbst  eine  so  edle  Handlung  wie  Wohltätigkeit  könne  noch 
nicht  als  eigentlich  moralische  Handlung  angesehen  werden,  so- 
fern sie  nur  aus  Neigung,  nicht  aber  aus  Pflicht  geschieht. 
Selbst  das  „Gefühl  des  Mitleids  und  die  weichherzige  Teil- 
nehmung,  wenn   es   vor   der    Überlegung,    was  Pflicht  sei,  vor- 

1  Das.  S.  304. 

*  Vgl.  u.  a.  Babli  Sabb.  156  Jerusch.  Sabb.  VI.  Babli  Kethub.  67. 
Sanhedr.  11  u.  a.  St. 

*  Kr.  d.  pr.  V.  ad.  Kirchm.  S.   142. 


t 


—     107     — 

hergeht  und  Bestimmungsgrund  wird,"  ist  wohl  denkenden 
Personen  selbst  lästig,  bringt  ihre  überlegten  Maximen  in   Ver- 
wirrung und  bewirkt  den  Wunsch,  ihrer  entledigt  und  allein  der 
gesetzgebenden    Vernunft  unterworfen    zu   sein^.     „So    soll    ich 
z.  B.  fremde  Glückseligkeit  zu  befördern  suchen,  nicht  als  wenn 
mir   an   deren   Existenz    etwas   gelegen    wäre    (es    sei  durch  un- 
mittelbare Neigung  oder  irgend  ein  Wohlgefallen  ....),  sondern 
bloß    deswegen,    weil   die   Maxime,    die  sie    ausschließt,  nicht  in 
einem    und    demselben    Gesetze   begriffen    werden    kann'' 2.  — 
Dieser    Rigorismus    hat    denn    auch    bekanntlich    selbst    einen 
Schiller,  der  ein  begeisterter  Kantverehrer  war,  zu  jenem  ironi- 
schen Xenion  veranlaßt.     Allein  diese  Ironie  übersah,  daß  Kant 
nur  die  Absicht  hatte,  die  Übung  der  Wohltätigkeit  und  Menschen- 
liebe auf  eine  unerschütterlich  feste  und  gediegene  Grundlage  zu 
stellen;    eine    solche    Grundlage   aber   hat  er  mit  Recht  in  den 
wandelbaren   und   weichlichen   Regungen    des   Mitleids   und   der 
Neigung    nicht    finden    können.      Was    für    Schicksal    hätte    die 
Wohltätigkeit  und  die  Liebesübung  gegen  Fremde,  gegen  Feinde, 
gegen  Menschen,   die  uns  persönlich  nicht  behagen,  obgleich  sie 
an   sich    tadellos    sind,    wenn  für  unser  Verhalten  gegen   sie  le- 
diglich jene  Regungen  unseres  Gemütes  als  bestimmend  und  maß- 
gebend gelten  dürften?  —   Kant   will  aber   auch   Mitgefühl  und 
Mitleid   keineswegs    beseitigt,    vielmehr   als   edle,  ethische  Hilfs- 
elemente sogar  gepflegt  wissen.    Es  sind  eben  seine  Bemerkungen 
hierüber  in  der  Metaphysik  der  Sitten  übersehen  worden.     Das 
Mitgefühl,  sagt  er  dort,  dürfe  keineswegs  abgestumpft  werden; 
denn   es    sei    ,,eine   der   Moralität  .  .  .  sehr   diensame   natürliche 
Anlage" 3.    Ferner:  Wenn  alle  Moralität  nur  auf  Rechtspflichten 
eingeschränkt  und  Wohlwollen  nur  unter  die  gleichgültigen  Dinge 
gezählt    würde,    so    fehlte   es    der   Menschheit   an   einer  großen 
Zierde,  nämlich  an  der  Menschenliebe,  die  durchaus  zur  mensch- 
lichen  Vollkommenheit    gehört.     Das  Mitgefühl   ist  einer  der  in 
uns  von  der  Natur  gelegten  Antriebe,  dasjenige  zu  tun,  was  die 
Pflichtvorstellung   für    sich   allein   nicht   ausrichten   würde  ^.     Es 

'  Vgl.  das.  S.  9ii. 

2  Met.  d.  Sitt.  ed.  Kirclim.  S.  68. 

«  Das.  S.  290. 

*  Das.  S.  308. 


—     108     — 

sei  also  jedenfalls  eine,  wenn  auch  bedingte  Pflicht,  Mitleid  und 
Mitfreude   in   uns    zu  fördern.     Nur   Barmherzigkeit,    als  Wohl- 
wollen    auch     gegen    Unwürdige,     müsse    ■ —    betont     Kant, 
eigentlich    gegen    das  Evangelium  ^  —  verworfen  werden  (Das. 
S.  307).  —  Dieselben   Ideen   können   wir  nun    aber   wieder   im 
Judentum  gewahren.     Wohl  hatte  jener  Weise  das  „gute  Herz" 
als    den   erstrebenswertesten   Weg   bezeichnet,    den    der   Mensch 
erwählen  solle;  aber   nur   als  Weg,  nicht  als   Ziel;   als    Mittel, 
aber  nicht  als  Zweck.     Zweck  und  Ziel  und  Ausgangspunkt  ist 
auch   ihm   das    Gebot   Gottes,    d.  i.  in  die  Sprache  Kants  über- 
setzt:   das    Gebot   der   Pflicht.     Das    „gute   Herz"    wird,   meinte 
R.  Joch.  b.  Sakkai,  am  zuverlässigsten  zu  treuer  Pflichterfüllung 
führen.     Das  gute  Herz,  d.  h.  nicht  nur  das  mitleidige,  gefühl- 
volle,  sondern  auch  das  in  seinen  Regungen  gut  geleitete,  ver- 
nunftmäßig geregelte,  einsichtige  Herz,  wie  denn  überhaupt  das 
hebräische  2^  „Gemüt  und  Intellekt"  vereint  bedeutet.     Verpönt 
aber  ist  nicht  nur  das  harte,  grausame,  kalte  Herz,  sondern  auch 
das   Herz,    das    sein   Mitleid  blind,    ohne  Wahl   ergießt  und  da- 
durch   auch    die    Schlechtigkeit  züchtet,   das   sein   Mitleid  nicht 
etwa   in    dem   löblichen    Sinne    auch    den   Unwürdigen    weiht, 
daß  es  sie  zu  bessern  und  auf  den  rechten  Pfad  zu  leiten  sich 
bemühten,  sondern  unbesehen,  nur  um  der  Last  des  mitempfun- 
denen   Wehs    sich    zu    entledigen,    spendet    und   Opfer    bringt. 
Verpönt   vollends   ist   das  „gute"  Herz  derjenigen,  die  zwar  zu 
Taten   des   Mitleids   sich  bereit  finden  lassen,  aber  von  Recht 
und    Gerechtigkeit  nichts   wissen    wollen.      Am   Boden   muß    er 
erst    sein,    der   Unglückliche,    krank,    hilflos,    besiegt   und    ge- 
demütigt, ohnmächtig  —  erst  dann  öfinen  sie  ihm  die  Schleusen 
ihres   Mitleids,   um  mit  der  Flut   ihrer  gleißnerischen   Liebe  die 
Not,    aber   auch   die   Ehre   des   Nächsten   zu   tilgen.     Zunz    hat 
einmal    (in    seinen   Nachgelassenen    Schriften)    diese  Art  „Rach- 
mones'',  die    er    in  gewissen   Kreisen   erlebte,   bitter   gegeißelt^. 


*  Vgl.  u.  a.  Matth.  21,28  ff.  Mark.  2,13  fi. 

^  Die  Forderung  christlicher  Demut  brachte  es  im  deutschen  Volke 
des  Mittelalters  mit  sich,  solche  mitleiderregende  Demütigung  von  dem  Armen 
und  dem  besiegten  Feinde  zu  verlangen.  „Der  Bettler  mußte  rühren  durch 
klägliches  Aussehen  und  traurige  Gebärde;  von  dem  besiegten  Feinde  wurde 
gefordert,  daß   er  im  Büßergewand  und  barbeinig   sich   zu  den  Füßen   des 


—     109     — 

Aber  auch  schon  der  Midrasch    sagt  wahr  und  treffend:    „Wer 
barmherzig  ist,  wo  es  gilt  rücksichtslos  zu  sein,  der  wird  auch 
rücksichtslos    sein,    wo    es    gilt,    barmherzig    zu    sein"  i.      Wir 
brauchen  aber  nur  auf  die  Quelle  des  Judentums  —  die  Bibel 
—  zurückzugehen,    um    auch   hier  die    vollste  Übereinstimmung 
des    Judentums    mit    Kant   zu    erkennen.     Wir   lesen   im   3.    B. 
M.    25,35:      „Wenn    dein    Bruder    wankt    und    läßt    seine   Hand 
sinken  neben  dir"  —  man  könnte  da  etwa  als  Nachsatz  erwarten: 
„so  sollst  du  mit  ihm   Mitleid  haben",    aber   nein,   es  wird  fort- 
gefahren:  „so  sollst  du  ihm  unter  die  Arme  greifen,  er  sei 
Fremdling  oder  Beisasse,  daß  er  lebe  neben  dir".    Ferner  im  5.  B. 
M.  15,7  ,,Wenn  ein  Dürftiger  sein  wird  ...  in  deinem  Lande  ...  so 
verhärte  nicht  dein  Herz  und  verschließe  ihm  nicht  deine  Hand  .  .  . 
sondern  öffnen  sollst  du  ihm  deine  Hand  .  .  .  geben  sollst 
du   ihm,   und   nicht   sei  übelgestimmt  dein  Herz,  indem  du  ihm 
gibst,     denn    eben    deshalb    segnete    dich  ja   der   Ewige.''     Die 
Pflicht    gebietet    dir,    deinem   Nebenmenschen   zu   helfen,    also 
müssen  etwaige   mißwollende    Stimmen   des  Herzens  schweigen. 
Das    Herz    hat   wohl   und    soll  haben  ein  einflußreiches  Votum, 
aber   nur   um  den  Gehorsam   gegen  die  Pflicht  zu  unterstützen, 
nicht    um     ihn    zu    schwächen     oder    gar    aufzuheben.        Eben 
darum  aber:   .,Wenn  du  den  Ochsen  deines  Feindes  oder  seinen 
Esel   herumirrend    triffst,  führe    sie  ihm  zurück.     Wenn  du  den 
Esel  deines  Hassers  erliegen   siehst  unter  seiner  Last,  und  du 
wolltest    unterlassen,    ihm    zu    helfen  —  helfen   sollst    du    ihm" 
(5.  B.  M.  23,5).    Und  (Spr.  Sal.   25,21)    „Hungert  deinen  Feind, 
so   gib   ihm   Brot,    dürstet  ihn,  so  gib    ihm  Wasser."     Also  nur 
im  Hinblick  auf  den  Ursprung  der  Pflicht  gehen  das  Judentum 
und  Kant  auseinander  —  das  Judentum  führt  sie  unmittelbar 
auf  Gott,  Kant  nur  mittelbar  auf  Gott,  unmittelbar  auf  unsere 
eigene    Vernunft    zurück   —   aber   in    der   Hauptsache,    daß  alle 
Moral,  also  auch  Wohltätigkeit  sich  auf  Pflicht  gründet,  darüber 
herrscht  zwischen  dem  Judentum  und  Kant  vollkommene  Über- 
einstimmung, und  es  ist  dem  Judentum  aus  der  Seele  gesprochen. 


königlichen  Siegers  niedersenkte".     (Freitag,  Bilder  aus  der  deutschen  Ver- 
gangenheit I  S.   412). 
1  Koh.  rab.  7,33. 


—     110     — 

wenn  Kant  (Kr  d.  pr.  V.  S.  104)  begeistert  ausruft:  „Pflicht! 
du  erhabener  großer  Name,  der  du  nichts  Beliebtes,  was  Ein- 
schmeichelung  bei  sich  führt,  in  dir  fassest,  sondern  Unter- 
werfung verlangst,  doch  auch  nichts  drohest,  was  natürliche 
Abneigung  im  Gemüte  erregte,  ....  sondern  bloß  ein  Gesetz 
aufstellst,  welches  von  selbst  im  Gemüte  Eingang  findet,  und 
doch  sich  selbst  wider  Willen  Verehrung  .  .  .  erwirbt,  vor  dem 
alle  Neigungen  verstummen,  wenn  sie  gleich  insgeheim  ihm  ent- 
gegenwirken". 

Wenn  endlich  Kant  von  der  Liebe  und  dem  Wohltun  der 
einzelnen  Menschen  untereinander  zu  der  Idee  einer  ,, Men- 
schenfreundschaft" sich  erhebt,  „wobei  man  alle  Menschen  als 
Brüder  unter  einem  allgemeinen  Vater,  der  aller  Glückseligkeit  will, 
sich  vorstellt  1;  wenn  er  insbesondere  in  der  Abhandlung  „Zum 
ewigen  Frieden"  mit  Wärme  von  der  großen  Aufgabe  spricht, 
durch  Befestigung  des  Rechts  im  Bewußtsein  der  Menschheit 
sich  der  Zeit  immer  mehr  zu  nähern,  in  der  die  Völker  bei 
aller  Mannigfaltigkeit  in  ihren  nationalen  Bestrebungen,  bei  aller 
Verschiedenheit  in  Sprache  und  Religion,  bei  allem  Wetteifer, 
sich  in  ihrem  schöpferischen  Können  vor  einander  auszuzeichnen, 
doch  in  Frieden  miteinander  leben,  auf  dem  Wege  friedlicher 
Verständigung  etwaige  Mißhelligkeiten  schlichten,  den  Krieg 
aber  mit  seinen  unvermeidlichen  Roheiten  und  Abscheulichkeiten 
für  immer  in  Acht  erklären;  wenn  Kant  an  einer  andern  Stelle - 
schlechtweg  sagt:  die  moralisch  praktische  Vernunft  in 
uns  spreche  ihr  unwiderrufliches  Veto  aus,  es  solle  kein 
Krieg  sein:  ist  das  nicht  das  erhabene  Ideal,  zu  dessen  Ver- 
wirklichung der  Jude  an  seinen  heiligsten  Festtagen  die  Hilfe 
Gottes  mit  den  Worten  erfleht:  „O  möchten  doch  alle  Geschaffenen 
einen  Bund  bilden,  deinen  Willen  zu  tun  mit  ungeteilten 
Herzen!"  —  das  Ideal,  das  schon  Israels  Propheten  begeistert 
als  das  Endziel  aller  geschichthchen  Entwicklung  verkündet 
haben?  —  ,,Voll  wird  einst  die  Erde  von  Erkenntnis  des  Herrn 
sein."  ,,Ich  mache  zu  deiner  Obrigkeit  den  Frieden  und  zu  deinen 
Vögten  die  Gerechtigkeit.     Nicht  wird  mehr  von  Gewalt  gehört 


'  Metaphysik  der  Sitten  S.  328  ed.  Kirchm. 
«  Met.  d.  Sitte  S.  200  a.  Kirchm. 


-    111   — 

in  deinen  Mauern,  von  Eaub  und  Zerstörung  in  deinen  Grenzen" 

—  das  ist  die  Idee  der  vollkommenen  Herrschaft  des  Rechts  auf 
Erden.  ,, Nicht  mehr  erhebt  Volk  gegen  Volk  das  Schwert,  und 
nicht  mehr  lernen  sie  den  Krieg"  —  das  ist  das  Verschwinden 
des  Krieges  für  immer.  ,,Und  es  weilt  der  Wolf  neben  dem 
Lamme,  und  der  Parder  lagert  neben  dem  Böcklein,  und  Kalb 
und  Leu  und  Mastrind  zusammen,  und  ein  kleiner  Knabe  leitet 
sie.  Und  Kuh  und  Bär  weiden,  zusammen  lagern  ihre  Jungen, 
und  der  Löwe  wie  das  Rind  frißt  Stroh"  —  das  ist  das  Be- 
stehenbleiben eines  friedlichen  Wettkampfes  der  mit  ihren  indivi- 
duellen Verschiedenheiten  sich  weiterhin  betätigenden  Völker. 
Keine  gewaltsame  Nivellierung,  sondern  Toleranz,  keine  Furcht 
und  keine  Mißgunst  der  Schwächeren  gegenüber  den  Stärkeren, 
keine  Überhebung  und  keine  Feindschaft  der  Stärkeren  gegen- 
über den  Schwächeren,  sondern  freudige  gegenseitige  Anerkennung 
der  von  jedem  zu  leistenden,  ihm  vermöge  seiner  besonderen 
Gaben  eigentümlichen  Beiträge  zur  Vervollkommnung  aller,  zur 
Förderung  allgemeinen  Heils.  —  Wie  ergreifend  klingt  doch  all 
das  in  dieser  furchtbaren  Zeit  des  Völkerkrieges ! 

Die  bisherigen  Darlegungen  dürften,  auch  wenn  wir  von 
weiteren  Berührungspunkten  und  Anklängen  absehen,  die  Har- 
monie, die  zwischen  dem  Judentum  und  der  Philosophie  Kants 
besteht,  genügend  aufgezeigt  haben  und  es  vollauf  erklären, 
daß  diese  Philosophie  jüdischerseits  von  vornherein  aufs  dank- 
barste begrüßt  und  aufs  eifrigste  studiert  wurde,  daß  so  das 
Verhältnis  des  Judentums  zu  Kant  sowohl  subjektiv  als 
objektiv  als  überaus  freundlich  sich  darstellt.  Hätte  nun 
auch  Kant  seinesteils  das  Judentum  mit  gleicher  Unbefangen- 
heit und  Gründlichkeit  kennen  zu  lernen  sich  beflissen  oder 
Gelegenheit  gehabt,  so  würde  er  ihm  gleichfalls  sicherlich  eben 
so  subjektiv  —  d.  h.  in  seinen  direkten  persönlichen  Urteilen 

—  gerecht  geworden  sein,  wie  er  mit  ihm  objektiv,  d.  h.  wie 
seine  Philosophie,  seine  ganze  Weltanschauung,  mit  ihm  tatsächlich 
zusammenstimmt.  Dieser  obj  ektive  Zusammenklang  aber,  der 
uns  feststehen  darf,  ist  ja  das  wesentliche,  bleibend  wertvolle 
Moment.  Und  da  die  Philosophie  Kants,  dieser  wahrhaft 
edle  und  gesunde  Idealismus,  so  recht  die  tiefste  und  lauterste 
deutsche  Art  widerspiegelt,  so  erscheint  hier  wieder  durch  ein 


—     112     — 

eminentes  Beispiel  eine  schon  öfter  bemerkte  erhebende  Tat- 
sache bestätigt,  die  Tatsache,  daß  der  wohlverstandene  Geist  des 
Judentums  und  der  wohlverstandene  Geist  des  Deutschtums 
nicht  nur  nicht  einander  feindlich  gegenüber  stehen,  wie  Bös- 
willige behaupten,  sondern  vielmehr  einander  suchen,  fördern, 
ergänzen  und,  wenn  sie  sich  nur  wahrhaft  kennen  gelernt  haben,^ 
auch  in  voller  Gegenseitigkeit  lieben  und  schätzen  müssen. 


IL   Zu  Talmud  und  Midrasch. 


Q 

Gattmann,  Festschrift.  " 


,. 


Rom  und  die  Mystiker  der  Merkabah. 

Von  Philipp  Bloch. 

Die  Mystiker  der  Merkabah  (nZDID  mv)  sind  für  die 
jüdische  Literargeschichte  so  gut  wie  verschollen^,  und  doch 
scheinen  sie  dem  jüdischen  Volksgeist  bedeutsame  und  bleibende 
Impulse  gegeben  zu  haben.  Sie  haben  nicht  nur  auf  die  jüdische 
Liturgie  in  der  Richtung  der  Keduschah  und  des  Kadisch  einen 
bestimmenden  Einfluß  geübt,  sondern  auch  wahrscheinlich  zur 
Entwickelung  eines  reinhebräischen  Stils  in  der  jüdischen  Lite- 
ratur beigetragen.  Ihre  ganz  und  gar  visionäre  Mystik,  welche 
durch  Askese  und  Anrufung  von  Gottes-  und  Engelnamen  bis 
zum  Throne  Gottes  oder  dem  Thronwagen  der  Ezechielschen 
Vision  vordringen  zu  können  vermeinte,  stammt  wahrscheinlich 
aus  Babylon,  jedenfalls  aus  dem  Orient,  und  hat  dann  wohl, 
wie  aus  einer  zwar  sagenhaften,  doch  genug  deutlichen  Mit- 
teilung zu  ersehen  ist,  eine  weitere  Ausbildung  in  Italien  er- 
fahren 2.     Das  uns  vorliegende  Grundbuch  der  Merkabah-Mystik, 


^  Selbst  das  umfassende  Geschichtswerk  von  Graetz,  dem  sonst  nicht 
das  Geringfügigste  entgeht,  weiß  von  diesen  Mystikern,  den  nnsiD  mi»,  nichts 
zu  berichten  und  nennt  nicht  einmal  diesen  Namen.  Zum  erstenmal  werden 
sie  wieder  aufgefunden  und  geschildert:  in  Monatsschr.  für  Gesch.  und 
Wissensch.  des  Judent.  J892,  Neue  Folge,  1.  Jahrg.  S.  18  ff.;  ferner  Winter 
und  Wünsche,  die  jüdische  Literatur  usw.  Bd.  III  S.  223,  hiervon  Sonder- 
abdruck, Geschichte  der  Entwickelung  der  Kabbala  usw.  S.  5  flF. ;  Elbogen, 
Der  jüdische  Gottesdienst  S.  378.  —  Im  babylonischen  Talmud  findet  sich 
auch  nicht  die  geringste  Andeutung  auf  diese  Mystiker,  dagegen  liegt  im 
Jerusalemitiachen  Talmud  (Berachoth,  Hai.  4  am  Schluß)  eine  Frage  betreffs 
des  Ofanimgebetes  vor,  das  von  den  Merkabah-Mystikern  ausgegangen  ist. 
Wenn  dieses  Stück  nicht  ein  späterer,  nachträglicher  Zusatz  wäre,  so 
müßten  unsere  Mystiker  bereits  gegen  Ende  des  5.  Jahrh.  (?)  existiert  haben. 

'  Revue  des  Etudes  juives  1891  S.  236  ff.;  Winter  und  Wünsche  a.  a.  0. 
S.  235,  Sonderabdruck  das.  S.  35. 

8* 


—     114     — 

das  Buch  „Hechaloth"  (nitT^H  "^DD  oder  ^l^b2^r^  'plEJ),  das  uns 
in  einem  überaus  verwahrlosten  und  verstümmelten  Textzustand 
überkommen  ist,  würfelt  in  seinem  Inhalt  Inkantationen,  Gottes- 
und  Engelnamen  und  die  dadurch  zu  erzeugenden  Wunder  wirkungen 
u.  dgl.  bunt  durcheinander.  Auch  ein  geschichtlicher  Erzählungs- 
stofiF  ist  darin  enthalten,  mystisch  hergerichtet,  der  offenbar  nur 
in  Italien  entstanden  sein  kann  und  wahrscheinlich  in  Rom  seinen 
Ursprung  hat,  nämlich: 

1.  Die  Legende  von  den  zehn  Märtyrern  (D^Dhü  "»^nn  r\1\l/V). 

2.  Die  Legende  von  R.  Chananja  ben  Teradjon,  welche 
sich  wie  ein  Anhängsel  oder  Ausläufer  der  ersteren 
ausnimmt. 

1.  Die  Legende  von  den  zehn  Märtyrern. 

Die  Legende  von  den  zehn  Märtyrern  ist  ein  Produkt  der 
Merkabah-Mystik,  die  sich  dabei  an  Midrasch  Echah  rabbah  zu 
Klagelieder  2,2  anlehnt.  Daselbst  heißt  es:  „Andere  Erklärung 
(zu)  „Der  Ewige  hat  schonungslos  alle  Triften  Jakobs  ver- 
tilgt", d.  h.  all  die  Trefflichsten  von  Jakob,  wie  z.  B.  R.  Ismael, 
[R.  Simeon,  Sohn]  des  Rabban  Gamaliel,  R.  Jischbab,  R.  Jehu- 
dah  ben  Baba,  R.  Chuzpith  den  Torahdolmetsch,  R.  Jehudah 
Hanechtam,  R.  Chananja  ben  Teradjon,  R.  'Akiba,  Ben  '^Asaj 
und  R.  Tarfon.  Manche  streichen  R.  Tarfon  und  setzen  an 
seine  Stelle  den  R.  Eleasar  ben  Charßanah  ein."^  Man  merke 
wohl,  hier  wird  keine  Zahl  angegeben,  es  werden  nur  zehn 
Personen  namhaft  gemacht,  als  Beispiel  für  die  Vortrefflichen, 
welche  Gott  schonungslos  dem  Tode  auslieferte.  Ebensowenig 
findet  sich  dabei  eine  Andeutung,  wonach  diese  Opfer  zu  einer 


^  Ein  gleicher  Ausspruch  findet  sich  im  Midrasch  zu  den  Psalmen 
{o>hnr\  B-no  oder  3ia  initr)  zu  c.  9,13.  Aber  der  Midrasch  zu  den  Psalmen 
ist  unzweifelhaft  ein  später  Midrasch,  der  in  Italien  zusammengestellt  ist, 
wie  Zunz  (Die  gottesdienstlichen  Vorträge  der  Juden  1.  Aufl.  S.  268)  mit 
feinem,  scharfen  Blick  erkannt  hat.  Was  Weiß  in  seinem  hebräischen 
Geschichtswerk  Bd.  III  S.  259  und  ihm  folgend  Buber  in  seiner  Einleitung 
zur  Neuausgabe  dieses  Midrasch  (Bd.  I  S.  6  ff.)  hiergegen  ^'orbringt,  triift 
nicht  den  Kern  der  Sache  und  ist  belanglos.  Abgesehen  davon,  bietet 
gerade  diese  Stelle  zu  9,13  abweichende  Lesarten,  und  der  betreffende 
Passus  erregt  stark  den  Verdacht  einer  Interpolation.  —  Über  die  zehn 
Märtyrer  vgl.  Zunz  a.  a.  0.  S.  142  Anm.  b  und  c. 


I 

i 
I 


—     115     - 

und  derselben  Zeit  hingerichtet  wurden;  Ben  Asaj  wurde  auch 
gar  nicht  hingerichtet,  sondern  erlag  einem  inneren,  geistigen 
Zwiespalt.  Dagegen  begegnen  wir  —  zum  erstenmal  —  im 
Buche  „Hechaloth"  der  ausdrücklichen  Zahlenangabe  von  zehn 
und  der  Behauptung,  daß  jene  Synagogenlehrer  zu  gleicher  Zeit 
gemeinsam  von  einem  römischen  Kaiser  getötet  wurden,  was 
bekanntlich  den  geschichtlichen  Tatsachen  nicht  entspricht. 
Beides  ist  dann  von  dem  sich  anschließenden  Schriftenkreis 
übernommen  worden;  wenn  bei  einzelneu  Namen  Abweichungen 
uns  stutzig  machen,  so  ist  das  auf  Kopistenfehler  zurückzuführen. 
Die  zehn  Märtyrer  haben  auch  nach  ihrem  Tode  das  böse 
Schicksal  gehabt,  daß  sämtliche  Erzählungen  und  Dichtungen, 
die  sich  mit  ihnen  beschäftigen,  an  fehlerhaften  und  lückenhaften 
Texten  leiden.  Am  jämmerlichsten  freilich  ist  der  textliche 
Zustand  des  Hechalothbuches  selbst.  Die  einzelnen  Stücke  der 
Legende  werden  von  den  drei  vorhandenen  Ausgaben  dieses 
Buches  1,  wiewohl  einer  jeden  von  ihnen  eine  andere  Hand- 
schrift zur  Vorlage  diente,  in  einem  so  unzusammenhängenden, 
wirr  durcheinander  laufenden  und  defekten  Text  gegeben,  daß 
es  mir  nicht  geglückt  ist,  durch  Kombinierung  der  verschiedenen 
Lesarten  einen  geordneten,  widerspruchslosen  Wortlaut  herzu- 
stellen. Trotzdem  kann  der  Sinn  im  wesentlichen  nicht  zweifel- 
haft sein.  Eine  wörtliche  Übersetzung  ist  daher  ausgeschlossen, 
falls  man  sich  nicht  auf  willkürliches  Raten  verlegen  will;  doch 
der  Inhalt  kann  immerhin  bei  möglichstem  Anschluß  an  den 
Wortlaut  getreu  skizziert  werden.  Dabei  ist  auch  der  Midrasch 
„Ele  eskera"  (mriN  rbü),  der  seinen  Stoff  aus  dem  Hechaloth- 
buch  geschöpft  und  ihn  nach  talmudischen  Berichten  mit  dra- 
matischer Lebendigkeit  gestaltet  hat,  zur  Ergänzung  heran- 
gezogen   worden,    wiewohl    sein    Text    ebenfalls    zu    wünschen 


^  Drei  Druckausgaben  liegen  vor:  1.  Jellinek,  Bat  ha  Midrasch  T.  III 
mhvn  '□  S.  83  fF.;  dazu  Varianten  und  Zusätze  nach  cod.  hebr.  22  der 
Münchener  Staatsbibliothek  S.  XLV.  —  2.  n-hyn  «pns  von  S.  A.  Wertheimer, 
Jerusalem  1877.  —  3.  nhvn  'pns  in  einer  Sammlung  nym  yy  sto  ncNC  von 
Jesajah  ben  Joseph  Leb  (lebte  um  1327),  herausgegeben  von  Salomo  Mußa 
aus  Buchara,  Jerusalem  1891;  bei  der  letzteren  Ausgabe  wird  in  den  philo- 
sophischen Erklärungen  des  Jesajah,  der  ganz  Maimunist  ist,  wieder  ein 
ajuderar  Töxt  gegeben. 


—     116     — 

läßt^.     Dennoch    können    wir   folgendes   als    den   Inhalt   der   er- 
zählenden Stücke  des  Hechalothbuches  angeben: 

Das  Unglück,  das  die  Söhne  Judas  betroffen  hat,  haben 
sie  selbst  dadurch  verschuldet,  daß  sie  die  Zerstörung  des 
Tempels  nicht  nach  ihrem  Ernst  gewürdigt  haben;  sie  meinten 
vielmehr,  daß  die  großen  Lehrer,  deren  sie  sich  zu  erfreuen 
hatten,  solchen  Verlust  aufwiegen.  Wie  die  Bäume,  als  das 
Eisen  aufkam,  klagten,  daß  sie  nun  dem  Untergang  verfallen 
seien,  und  zur  Antwoi't  erhielten:  solaoge  sie  nicht  aus  ihrem 
eigenen  Holz  den  Stiel  zur  Axt  hergeben,  werde  ihnen  nichts 
geschehen 2,  ebenso  erging  es  den  Weisen  Israels.  Der  Kaiser 
von  Rom  äußerte  den  Wunsch,  sich  in  der  Lehre  Mosis  von 
jenen  Weisen  unterrichten  zu  lassen,  und  sie  erklärten  sich  dazu 
bereit.  Als  er  im  2.  B.  M.  21,16  gehört  hatte:  „Wer  einen 
Menschen  stiehlt  und  ihn  verkauft,  oder  er  wird  bei  ihm  gefunden, 
so  soll  er  getötet  werden",  erklärte  er  den  jüdischen  Weisen, 
daß  er  sie  daraufhin  zum  Tode  verurteile;  die  Brüder  Josefs  könne 


^  Der  Midrasch  n-i;TN  nha  ist  gar  kein  Midrasch,  d.  h.  ist  keine  aggadische 
Deutung  und  Erklärung  zu  einem  Bibelstück,  sondern  ein  eigens  hergerichteter 
Auszug  aus  der  Erzählung  des  Hechalothbuches,  der  überdies  die  Vorgänge 
bei  der  Hinrichtung  jedes  einzelnen  frei  nach  rabbinischen  Quellen  schildert. 
(Vgl.  Zunz  a.  a.  0.  S.  142j.  Die  beste  Ausgabe  ist  die  von  Jellinek,  Leipzig 
1853  herausgegeben,  in  Bet  ha  Midrasch  T.  II  S.  64  wieder  abgedruckt. 
Weitere,  weniger  gute  Rezensionen  finden  sich  bei  Jell.  Bet  ha  Midrasch 
T.  VI  S.  19  S.,  die  allerlei  Zusätze  bringen  und  zur  Textemendation  des 
Hechalothbuches  benutzt  werden  können.  Nach  dem  Midrasch  „Ele  eskera", 
der  also  aus  der  Merkabahmystik  hervorgegangen  ist,  darf  man  folgendes  be- 
haupten: 1.  Die  Juden  haben  sich  in  Rom  bis  dahin,  wenigstens  in  dem 
Zeitraum  vorher,  einer  verhältnismäßigen  Ruhe  und  Duldsamkeit  zu  erfreuen 
gehabt.  2.  Es  muß  unter  den  Juden  daselbst  oder  doch  in  Italien  eine 
große  Zahl  hervorragender  gelehrter  Autoritäten  gegeben  haben.  3.  Die 
jüdischen  Gelehrten  haben  die  Christen  in  der  Kenntnis  der  hebräischen 
Sprache  unterrichtet,  wie  dies  in  der  „Geschichte  der  Juden  in  Rom"  von 
Vogelstein  und  Rieger  Bd.  IS.  173  bereits  aus  christlichen  Quellen  nach- 
gewiesen wurde.  4.  Es  fehlte  nicht  an  Stimmen,  welche  die  Erteilung  eines 
solchen  Unterrichts  an  Christen  mißbilligten.  —  Bet  ha  Midrasch  T.  V.  S.  167 
bis  169  gibt  ein  Hechalothfragment  mit  allerdings  korrektem  Text,  das  aber 
vielfach  bereits  abgedruckt  ist. 

"  Dieses  Fabelgleichnis  ist  Bereschith  rabb.  p.  5  zum  Schluß  entlehnt, 
findet  sich  aber  bereits  im  alten  Achikarroman ;  vgl.  Smend,  Alter  und 
Herkunft  des  Achikarromans  S.  77,  79. 


-     117     — 

er  nicht  mehr  strafen,  an  ihrer  Stelle  ziehe  er  die  jüdischen 
Weisen  zur  Rechenschaft  (Midrasch  Ele  Eskera,  zum  erstenmal 
nebst  Zusätzen  herausgegeben  von  A.  Jellinek,  Leipzig  1853,  S.  5). 
„Es  sagte  R.  Ismael^:  Es  war  an  einem  Donnerstag, 
als  die  böse  Kunde  von  der  großen  Stadt  Rom  kam,  man  habe 
vier  Männer  festgenommen,  die  größten  Geister  Israels,  und 
zwar  R.  Simeon  ben  Gamaliel,  R.  Ismael  ben  Elisa,  R.  Elieser 
ben  Damah^  und  R.  Jehudah  ben  Baba  und  8000  Gelehrte 
Jerusalems,  ihre  Jüngerschaft.  Sobald  R.  Nechunja  ben  Haka- 
nah  merkte,  daß  es  ein  himmlisches  Verhängnis  sei,  erhob  er 
sich  und  versenkte  mich  in  die  Merkabah.  Ich  richtete  nun 
die  Frage  an  Surijah,  den  Fürsten  (der  Engel)  des  Angesichts, 
und  er  antwortete  mir:  zehn  hat  das  himmlische  Gericht  ver- 
zeichnet und  dem  Samael,  dem  Schutzgeist  Roms,  mit  den 
Worten  ausgeliefert:  gehe  hin  und  vernichte  von  den  großen 
Geistern  Israels  die  besten  und  edelsten,  um  dem  Urteilsspruch 
gerecht  zu  werden:  „Wer  einen  Menschen  stiehlt  und  ihn  ver- 
kauft, oder  er  wird  bei  ihm  gefunden,  so  soll  er  getötet  werden." 
Jedoch  die  Strafe  dafür  bleibt  dir  aufgespart  für  jene  Zeit  „da 
der  Herr  strafen  wird  das  Heer  der  Höhe  in  der  Höhe  und  her- 
nach die  Könige  der  Erde  auf  der  Erde"  (Jes.  24,21),  dann 
wird  er  und  die  Fürsten  seines  Reiches  geschlachtet  daliegen, 
wie  die  Lämmer  und  Böcklein  des  Versöhnungsfestes  (mt'D^n  D 
c.  4,4  in  JelHnek,  Bet  ha  Midrasch  Bd.  III  S.  86,  nebst 
Varianten  und  Zusätze  S.  XLV;  m'^IDTI  ""plE  c.  5  S,  3b  von 
A.  Wertheimer). 

^  K.  Ismael  galt  als  der  Träger  und  Sprecher  der  Merkabahtnystik 
im  Hechalothbuch,  in  welchem  die  einzelnen  Aussprüche  fast  stets  mit  den 
Worten  eingeleitet  werden:  „Es  sagte  ß.  Ismael."  Ob  der  Name  rein 
fingiert  ist,  oder  ob  dahinter  eine  wirkliche  Persönlichkeit  sich  verbirgt, 
läßt  sich  nicht  ermitteln.  Gemeint  scheint  der  Tanaite  R.  Ismael  ben  Elisa, 
der  Zeitgenosse  und  Opponent  des  R.  Akiba  zu  sein.  Er  galt  als  ein  Enkel- 
Bohn  des  Hohepriesters  Ismael  ben  Elisa,  von  dem  wir  im  Talmud  (Berachoth 
7a  und  51a)  zwei  mystische  Aussprüche  haben,  deren  Ausdrucksweise  sich 
die  Merkabahmystik  angeeignet  hat.  Das  Hechalothbuch  pflegt  mit  diesem 
Namen  zu  spielen,  daß  man  manchmal  nicht  weiß,  ob  der  Großvater  oder 
der  Enkelsohn  gemeint  ist. 

-  Elieser  ben  Dama,  der  Schwestersohn  des  R.  Ismael,  ist  nicht  von 
den  Römern  hingerichtet  worden,  sondern  an  einem  Schlangenbiß  gestorben 
(Abodah  sarah  27  b). 


—     118    — 

Es  sagte  R.  Ismael:  Alle  möglichen  Drohungen  und  Ver- 
warnungen richtete  man  an  den  ruchlosen  Samael;  er  jedoch 
antwortete:  alles  nehme  ich  auf  mich,  aber  diese  zehn 
Größen  (Israels)  müssen  vertilgt  werden.  Darauf  wurde 
Soharariel,  der  Herr,  der  Gott  Israels  \  über  Samael  und  seinen, 
boshaften  Trotz  so  wütend,  daß  er  sich  nicht  die  Zeit  nahm 
dem  Schreiber  zu  sagen:  schreibe  die  schwersten  Strafen  und 
die  schrecklichsten  und  häßlichsten  Plagen  über  das  ruchlose 
Rom  nieder!  sondern  er  ergriff  selbst  sofort  das  Papier  und 
schrieb  folgendes  nieder:  für  den  Tag  der  Rache,  die  unaus- 
bleiblich für  das  ruchlose  Rom  aufgespart  ist,  soll  eine  Wolke 
über  das  ruchlose  Rom  erscheinen  und  sechs  Monate  lang 
feuchten  Grind  auf  Mensch  und  Tier,  auf  Gold  und  Silber,  auf 
Früchte  und  jedes  eherne  Gerät  herniedersenden.  Dann  wird 
eine  andere  Wolke  sie  ablösen  und  an  ihrer  Stelle  sechs  Monate 
lang  bösen  Aussatz  und  Geschwülste  und  alle  nur  möglichen 
Plagen  auf  das  ruchlose  Rom  herabschicken;  es  wird  damit  so 
weit  kommen,  daß  man  jemandem  anbieten  wird:  hier 
hast  du  Rom  mit  allem,  was  darin  ist,  für  einen  einzigen 
Pfennig,  worauf  jener  erwidert:  ich  mag  es  gar  nicht." 
(Das.  Jellinek  c.   5;  Wertheimer  c.  6.) 

Die  grauenhafte  Notlage  Roms,  wie  sie  hier  zum  Schluß 
geschildert  wird,  ist  eine  geschichtliche  Tatsache.  Zu  einem 
solchen  Grad  verzweifelter  Trostlosigkeit,  daß  man,  wie  das 
Hechalothbuch  sagt,  Rom  selbst  geschenkt  nicht  haben  mochte, 
war  die  einst  mächtige,  weltbeherrschende  Stadt  nur  ein  einziges 
Mal  hinabgesunken,  und  zwar  in  der  zweiten  Hälfte  des  sechsten 
Jahrhunderts,  als  sei  damals  für  Rom  der  Tag  gekommen,  den 
Scipio  im  Geist  vorausahnend  geschaut,  als  er  in  die  Flammen 
des  untergehenden  Karthago  blickte.  Man  lese  einmal  die 
Schilderung  nach,  welche  Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt 
Rom  im  Mittelalter,  Bd.  2,  von  jener  Zeit  entwirft,  wo  er  in 
der  Einleitung  (S.  4)  sagt:  „Die  Verödung  Roms  in  der  ersten 
Epoche   der   byzantinischen   Herrschaft,    als    sich   das  Volk,  von 

^  Das  ist  eiae  Ausdrucksweise  des  Hechalothbuches,  die  Gott  nach 
irgend  einem  mystischen  Attribut  bezeichnet,  und  die  dem  Ausspruch  des 
Hohepriesters  Ismael  ben  Elisa  (Berachoth  7a)  nachgebildet  ist,  der  den 
Akathriel  so  bezeichnet. 


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—     119     — 

Hunger  und  Pest  gequält  und  in  beständiger  Angst  vor  dem 
Schwert  der  Langobarden  in  der  ausgestorbenen  Stadt  der 
Cäsaren  schattenhaft  verlor,  zu  schildern,  mag  sich  die  tief- 
aufgeregte  Phantasie  bemühen,  doch  wird  ihr  die  Kraft  ver- 
sagen, ein  so  furchtbares,  dämonisches  Nachtgemälde  darzu- 
stellen." 

Während  jener  bösen  Jahre  scheint  zugleich  eine  blutige 
Verfolgung  der  hervorragendsten  Synagogenlehrer  aus  dem  Kreis 
der  Merkabah-Mystiker  eingesetzt  zu  haben;  es  geht  dies  aus  der 
Entrüstung  hervor,  mit  der  berichtet  wird,  daß  Samael,  der 
Schutzgeist  Roms,  alle  erdenklichen  Qualen  und  Plagen  erdulden 
zu  wollen  erklärte,  wenn  ihm  nur  verstattet  würde,  die  jüdischen 
Gesetzeslehrer  zu  vernichten.  Als  auffällig  muß  an  dieser  Erzäh- 
lung auch  vermerkt  werden,  daß  zuerst  nur  von  vier  Blutopfern 
die  Rede  ist,  und  erst  der  Engelfürst  von  zehn  Rabbinen  als 
Märtyrern  spricht.  War  der  Verkauf  des  Josef  durch  seine 
Brüder  wirklich  der  Vorwand,  um  jene  Synagogenlehrer  oder 
Mystiker  zu  verurteilen?  dann  hätte  die  Zehnzahl  ihre  Be- 
rechtigung, da  ja  an  dem  Verkauf  Josefs,  welche  Schuld  durch 
jene  Märtyrer  gesühnt  werden  soll,  zehn  Söhne  Jakobs  beteiligt 
waren.  Aber  warum  werden  zuerst  gerade  vier  angegeben? 
Hier  muß  ein  tatsächlicher  Kern  zugrunde  liegen,  daß  etwa  vier 
große  Gelehrte,  Merkabah-Mystiker,  dem  Glauben  zum  Opfer 
fielen.  Die  Namen,  die  dabei  genannt  werden,  sind  nicht 
authentisch,  weder  die  der  vier,  noch  die  der  zehn,  es  sind 
eben  Decknamen,  zu  denen  man  die  jedem  Talmudkundigen 
geläufigen  Namen  verwendete.  Die  wahren  Namen  anzugeben, 
hat  man  wahrscheinlich  gefürchtet,  es  wurden  nun  an  ihrer 
Stelle  unverdächtige  Bezeichnungen  gewählt,  die  aber  wohl 
durch  irgendwelche  Andeutung  die  Zeitgenossen  erkennen  ließen, 
welche  Persönlichkeit  damit  gemeint  sei.  So  wird  als  Schlüssel- 
bewahrer  der  Merkabah- Geheimnisse  R.  Nechunja  ben  Hakauah 
gefeiert.  Warum?  Im  ganzen  talmudischen  Schrifttum  ist  auch 
nicht  ein  Hauch  zu  verspüren,  daß  sich  R.  Nechunja  ben  Hakanah 
irgendwie  mit  mystischen  Gedanken  oder  Bestrebungen  zu  schaffen 
machte.  Unwillkürlich  drängt  sich  die  Vermutung  auf,  daß 
zwischen  diesem  Namen  und  einem  der  hervorragendsten  Märtyrer 
jener  Zeit  Beziehungen  bestanden,  deren  Rätsel  wir  heute  nich^ 


—     120     — 

mehr  zu.  lösen  vermögen,  auch  wenn  wir  annehmen  wollten,  daß 
ein  völlig  verblaßter  Schatten  jener  Tage  durch  die  Vorrede  zum 
Buch  Peliah  (nkN"'t'en  ICD)  huscht.  Ebenso  rätselhaft  bleibt  der 
Kaiser  von  Rom,  Lupinus.  Einen  Kaiser  solchen  Namens  hat 
es  nicht  gegeben,  ja  man  sucht  überhaupt  in  Rom  vergebens 
nach  einem  solchen  Namen.  Nun  gar  ein  römischer  Kaiser 
Lupinus,  der  sich  von  den  Rabbinen  in  der  heiligen  Schrift 
unterrichten  lassen  will!  Es  kann  dies  nur  ein  hochgestellter 
Geistlicher  von  großem  Einfluß  in  dem  damaligen  Rom  gewesen 
sein,  von  dem  die  jüdischen  Gelehrten  sich  eines  solchen  Über- 
falles nicht  versehen  hatten.  Ob  vielleicht  der  Papst  Pelagius  II? 
Man  könnte  noch  mancherlei  Vermutungen  ausspinnen,  aber  die 
Fäden  sind  zu  schwach,  um  wirkliche  Tatsachen  tragen  zu 
können.  Hypothesen  aufstellen,  ist  leicht;  sie  ernsthaft  zu  be- 
gründen, schwer,  zumal  wo  jede  direkte  Nachricht  versagt. 

Als  tatsächliches  Resultat  ergibt  sich  demnach  aus  diesen 
Ausführungen,  daß  a)  die  erzählenden  Stücke  im  Buche  Hecha- 
loth  in  Rom  oder  doch  in  Italien  entstanden  sind  und  wohl  nicht 
allzu  lange  nach  590,  also  in  der  ersten  Hälfte  des  siebenten 
Jahrhunderts,  abgefaßt  sein  mögen;  daß  b)  nicht  allzu  lange  vor 
590  eine  Verfolgung  und  Hinrichtung  römischer  Synagogen- 
lehrer vorgenommen  worden  sei.  Das  Jahr  590  wird  hier  zur 
Zeitbestimmung  gewählt,  weil  einerseits  die  Bedrängnis  Roms 
damals  ihren  Höhepunkt  erreicht  hatte,  und  weil  anderseits  in 
diesem  Jahre  Gregor  I.  den  päpstlichen  Stuhl  bestieg.  Dieser 
Papst  aber  hat  sich,  gleichviel  ob  eine  besondere  Veranlassung 
dazu  vorgelegen  oder  nicht,  ausdrücklich  gegen  eine  Zwangs- 
taufe der  Juden  ausgesprochen';  man  ist  daher  wohl  zu  der 
Annahme  berechtigt,  daß  unter  seiner  Herrschaft  Zwangstaufen 
ausgeschlossen  waren.  Ein  peinlicher  Prozeß  gegen  jene  rö- 
mischen Synagogenlehrer,  unter  welchem  Vorwande  er  auch 
immer  eingeleitet  wurde,  konnte  dermalen  keinen  anderen  Zweck 
haben,  als  sie  zur  Taufe  zu  zwingen.  Sie  zogen  freudig  den 
Tod  vor  und  endeten  als  Märtyrer.  Wie  hießen  sie?  waren  es 
vier?  waren  es  zehn?  Es  scheint,  als  ob  die  Furcht  den  Über- 
lebenden den  Mund  geschlossen  und  auch  die  Feder  nur 
schüchterne  Andeutungen  wagte. 

^  Vogelstein  und  Rieger,  Geschichte  der  Juden  in  Rom,  Bd.  1  S.  133. 


121 


2.  Die  Legende  yoii  R.  Clianaiija  ben  Teradjoo. 

Zu  den  vielen  unüberwindlichen  Schwierigkeiten  des  Hecha- 
lothbuches  kommt  noch  hinzu,  daß  selbst  bei  dieser,  noch  am 
besten  verständlichen  Erzählung  von  den  zehn  Märtyrern  in 
einzelnen  Punkten  Widersprüche  oder  Varianten  sich  vorfinden, 
z.  B.  daß  R.  Nechunja  ben  Hakanah  nicht  bloß  den  Ismael,^ 
sondern  sämtliche  Sanhedrin  in  die  Merkabah-Mystik  eingeweiht 
habe  (JelL  S.  93  c.  13,14.  —  Werth.  6a  c.  15,16).  Dazu  gibt 
es  noch  manche  ergänzende  und  erweiternde  Stücke,  welche  die 
Tendenz  zeigen,  die  gequälten  Juden  durch  den  Ausblick  auf 
die  messianische  Herrlichkeit  der  Zukunft  zu  trösten,  darunter 
eines,  das  so  wehmütig  und  rührend  gehalten  ist,  als  wenn  der 
Verfasser  den  Zeitereignissen,  aus  deren  Stimmung  die  mystische 
Legendendichtung  hervorgegangen  ist,  nahe  gestanden  hätte;  bei 
dem  letzteren  Stück  wird  ein  sonst  wenig  bekannter  Engelfürst, 
Segansagel  —  nicht  Suriel  oder  Surijah  oder  Hadarniel  — 
als  tröstender  Geist  genannt.  (Werth.  S.  4a  c.  6,3  und  in  allen 
Texten,  fehlt  nur  bei  Jell.  und  ist  auch  in  den  Varianten  und 
Zusätzen  S.   XLV  lückenhaft.) 

Jedoch  das  Merkwürdigste  und  Rätselhafteste  bleibt  die 
Legende  von  R.  Chananja  ben  Teradjon,  bei  der  es  sich  um 
eine  wunderbare  Personenvertauschung  handelt. 

R.  Chananja  war  von  einem  so  heiligen  Lehreifer  beseelt,  daß 
er  nicht  nur  eine  große  Schülerzahl  um  sich  sammelte,  sondern  aucli 
vor  keiner  Gefahr  zurückschreckte  und  jede  Zeit  und  Gelegenheit 
unermüdlich  benutzte,  um  Torah  zu  lehren  und  ihre  Kenntnis 
zu  verbreiten.  Hierüber  ergrimmte  der  römische  Kaiser  Lupinus 
—  so  erzählt  der  Engelfürst  Suriel  oder  Surijah  dem  R.  Ismael  — 
und  er  befahl,  den  eifrigen  und  hervorragenden  Talmudlehrer 
hinzurichten.  Daraufhin  wird  die  Frau  des  Kaisers,  seine 
Kinder  und  sein  ganzes  Hofpersonal,  selbst  der  Arzt  von  einem 
so  häßlichen  Tod  getroffen,  daß  der  Kaiser  alles  daran  setzte, 
um  die  schreckhaften,  einen  entsetzlichen  Mißduft  ausströmenden 
Leichen  beerdigen  zu  lassen;  sobald  aber  jemand  herantritt,  um 
dies  auszuführen,  versinkt  er  in  einen  Abgrund,  der  ihn  erst 
frei  gibt,  wenn  er  seine  Hand  davon  läßt.  Der  Engelfürst  Suriel 
fordert  nun  den  Kaiser  auf,  seinen  Blutbefehl  gegen  den  großen 


—     122     — 


Synagogenlehrev  zurückzunehmen,  der  Kaiser  jedoch  erwiderte: 
„er    muß    sterben    und    alle    seine    Angehörigen;    selbst 
wenn  ganz  Rom  darüber  zugrunde  gehen  sollte,  nehme 
ich  meinen   Befehl  nicht  zurück.*'      Suriel  erhält  daraufhin    , 
den  Auftrag,  den  Kaiser  Lupinus  in  der  Nacht  aus  seinem  Palast 
zu   entführen   und   in  dem  Schweine-   und   Hundezwinger  unter- 
zubringen.    An   seine    Stelle   versetzte    er   in    den  Palast  den  R. 
Chananja   ben   Teradjon.     Als   die    Henker   kamen,   um    den   R. 
Chananja    hinzurichten,    hielten    sie    den    Kaiser    für   den   Rabbi 
und    schlugen    ihm     das    Haupt    ab.     (Gegen    Ende    desselben 
Kapitels   6.    bei   Jell,    8.    bei  Werth.    heißt   es   ganz   zusammen- 
hanglos,  also  als  eine  andere  Variante:   „sie  stellten  den  Kaiser 
Lupinus  in  der  Gestalt  des  R.   Chananja  ben  Teradjon  vor  Rom 
hin,  ergriffen  ihn,  warfen  ihn  ins  Feuer  und  töteten  ihn,  und  in 
derselben  Art  alle  zehn  Weisen  Israels").     Währenddessen  band 
sich  R.  Chananja  im  Palast  die  königliche  Krone  um  und  regierte 
in  der  Gestalt  des  Lupinus  sechs  Monate  und  ließ  öOOO  Fürsten 
(oder   Bischöfe)   töten,  je  1000  in  einem  Monat  —    —    —  (Jell. 
S.  87  ff.  c.  5,ö  nebst  den  Varianten  S.  XL  VI;  Werth.  S.  4  a  c.  7,8. 
Der  Schluß  fehlt  überall). 

An  dieser  Sage  ist  alles  auffällig  und  seltsam.  Man  kann 
nicht  verkennen,  daß  wir  in  der  Erzählung  von  R.  Chanauja  ben 
Teradjon  eine  jüdische  Spielart  der  bekannten  Fridolinsage  vor 
uns  haben,  nach  welcher  der  Unheilstifter,  der  einem  andern 
eine  Grube  gräbt,  durch  Verwechslung  mit  diesem  anderen  selbst 
hineingestürzt  wird.  Jedoch  welcher  Anlaß,  welcher  Anstoß  lag 
für  den  jüdischen  Volksgeist  vor,  seine  Lust  zu  fabulieren  gerade 
nach  dieser  Richtung  hin  spielen  zu  lassen?  Wenn  wir  die  sagen- 
hafte Erzählung  in  ihrem  freilich  überaus  verstümmelten,  lücken- 
haften und  zerstückelten  Text  mit  Aufmerksamkeit  lesen,  so 
können  wir  uns  dem  Eindruck  nicht  entziehen,  daß  der  schwache 
Schimmer  einer  tragischen  Wirklichkeit  darüber  hinflimmert,  daß 
derselbe  tatsächliche  Kern,  oder  doch  ein  ähnlicher,  wie  in  der 
Legende  von  den  zehn  Märtyrern,  auch  hier  vermutet  werden 
muß.  Warum  wird  jedoch  R.  Chananja  ben  Teradjon,  der  doch 
sicherlich  schon  unter  den  zehn  Märtyrern  aufgezählt  war,  noch 
besonders  von  der  Volkssage  verherrlicht? 

Die   Figur   des   R.    Chananja   ben    Teradjon,   wie    sie   der 


—     123     — 

Talmud  (Abodah  sarah  18a)  schildert,  wurde  vielleicht  als  Spiegel- 
bild verwendet,  um  dadurch  einen  Lehrer  jener  Zeit  kenntlich 
zu  machen,  der  mit  besonderem  Eifer  und  Erfolg  unermüdlich 
bestrebt  war,  das  Wort  des  Talmuds  und  die  Lehre  des  Judentums 
unter  seinen  Glaubensgenossen  zu  fördern  und  zu  verbreiten.  Da- 
durch mag  er  den  unversöhnlichen  Zorn  eines  weltlichen  oder  geist- 
lichen Machthabers  erregt  haben,  der  einer  solchen  Lehrtätigkeit 
den  Mißerfolg  zugeschrieben  haben  mochte,  den  er  mit  seiner 
berechtigten  oder  unberechtigten  Aussicht  auf  eine  Bekehrung 
der  Juden  erfahren;  daher  das  schonungslose,  unerbittliche  Vor"' 
gehen  gegen  ihn  seitens  seines  Gegners,  wie  die  besondere  Ver- 
herrlichung seitens  seiner  Glaubensgenossen. 

Auf  die  Personenvertauschung  mag  die  Volksphantasie  durch 
ein  Ereignis  verfallen  sein,  das  gerade  in  jener  aufgeregten  Zeit 
die  Gemüter  stark  beschäftigt  haben  wird.  Gregorovius  (Gesch. 
Roms  usw.  Bd.  II  S.  35)  berichtet  von  den  Prozessionen,  welche 
der  Papst  Gregor  L  bei  seinem  Amtsantritt  590  zur  Abwendung 
von  Pest  und  Not  veranstaltete  und  schließt  den  Bericht:  „Gregor 
war  im  Begriff,  mit  der  Prozession  nach  St.  Peter  zu  ziehen,  und 
auf  die  Brücke  gekommen,  als  sich  vor  den  Augen  des  Volkes 
ein  himmlisches  Bild  entfaltete.  Ein  Engel  schwebte  über  dem 
Grabmal;  er  steckte  ein  flammendes  Schwert  in  die  Scheide,  zum 
Zeichen,  daß  die  Pest  erloschen  sei  usw."  In  jenen  Tagen  also 
wurde  die  Bildsäule  Hadrians,  welche  sein  Mausoleum  krönte^ 
entfernt,  und  an  ihren  Platz  die  Bildsäule  des  Erzengels  Michael 
gestellt  (vgl.  Wetzer  und  Weite,  Kirchenlexion,  2.  Aufl.,  Stich- 
wort „Engelsburg"),  wie  ja  schon  vorher  das  Hadrianische  Mau- 
soleum zum  Zufluchtsort  des  Papstes  bei  feindlichen  Einfällen 
und  zu  einem  Staatsgefängnis  gedient  haben  mag.  Den  Juden 
galt  Hadrian  als  das  Urbild  eines  grausamen  Kaisers,  und  die 
römischen  Juden  werden  gewiß  das  Grabmal  des  Hadrian  und 
seine  Kolossalstatue  hoch  oben  mit  den  gleichen  Gefühlen,  wie 
den  Titusbogen,  betrachtet  haben.  Als  nun  der  Kaiser  von 
seinem  Postament  verschwand  und  au  seiner  Stelle  der  Ei'z- 
engel  Michael,  der  auf  seiner  Bildsäule  einen  ins  Orientalische 
schillernden  Ausdruck  gezeigt  haben  wird,  Aufstellung  nahm, 
hat  die  jüdische  Phantasie  sich  des  Stoffes  bemächtigt  und  das 
Märlein   geträumt   von   R.    Chananja   ben   Teradjon,  der  den  rö- 


—     124     ~ 

mischen  Kaiser  durch  die  Hilfe  eines  Merkabah-Engels  aus  dem 
Staatszimmer  seines  Palastes  verdrängt,  sich  auf  seinen  Platz 
gesetzt  und  ihn  sechs  Monate  lang  eingenommen  hat. 

Wenn  hierbei  nur  mit  Vermutungen  operiert  wurde,  so  ist 
doch  wenigstens  der  Versuch  gemacht,  für  ein  so  überaus  ab- 
sonderliches und  unverständliches  Sagengebilde  eine  Erklärung, 
eine  Motivierung  aufzufinden.  Auch  die  Märchenträume  haben 
ihre  allerdings  eigenartige  Logik.  Der  geschichtliche  und 
psychologische  Weg,  auf  dem  sie  ihre  Entwickelung  genommen, 
läßt  sich  nicht  nach  einer  mathematischen  Formel  berechnen 
und  nicht  nach  den  Regeln  der  Schullogik  bestimmen.  Man  ist 
gezwungen,  die  Phantasie  zu  Hilfe  zu  nehmen,  um  das  Rätsel  zu 
lösen.     Die  Frage  ist  nur,  ob  das  Rätsel  restlos  gelöst  ist. 

Was  für  die  gegebene  Deutung  und  Erklärung  spricht,  ist 
der  Umstand,  daß  die  Sage  demselben  Literaturkreis  und  derselben 
Zeit  angehört,  wie  die  Legende  von  den  zehn  Märtyrern.  Beide 
stehen  also  in  naher  verwandtschaftlicher  Beziehung,  beide  be- 
zeugen sich  daher  gegenseitig  ihr  Heimatsland  und  ihre  Ur- 
sprungszeit.    Sie  haben  in  Rom  oder  doch  in  Italien  ihre  Heimat. 

Es  wäre  demnach  zu  vermuten,  daß  das  Alphabet  des  R. 
'Akiba  {ü2'^pV  '"n  DVmvN)  ebenfalls  in  Italien  seinen  Ursprung  hat, 
vielleicht  auch  gar  das  Buch  Jezirah  (ni^ü^  'D)  trotz  der  doppelten 
Aussprache  des  Reschbuchstabens,  Doch  sind  das  nur  Ver- 
mutungen, nichts  weiter  als  Vermutungen!  Sie  werden  gleichwohl 
ausgesprochen,  um  möglicherweise  einmal  einen  findigen  Kopt  auf 
die  rechte  Fährte  zu  leiten.  Sollten  diese  Vermutungen  auch  nur 
teilweise  zutreifen,  so  würde  sich  daraus  ergeben,  daß  die  lite- 
rarische Tätigkeit,  die  außerhalb  der  Halachah  fällt,  zur  Gaonen- 
zeit  in  Italien  sich  eine  Werkstatt  geschaffen  hat. 


Von  Jakob  Horovitz^. 

Nathan  ben  Jecbiel  bringt  in  seinem  Aruch  zwei  Er- 
klärungen für  T^y  nzn,  nachdem  er  die  Talmudstellen  Rosch 
Haschana  34b,  Megilla  27  a  und  Berachoth  21a  verzeichnet  hat. 
Die  eine  geht  vermutlich  auf  den  Gaon  Hai  zurück^  und  lautet: 

(Gen.    XIV   3).      Die    andere    meint:     iJ2    |n2nnc^    DIpD    HIDÜ 

ii'^u'  üpc  hj  iiy^N  '1  hw  iDii'Q  nc\s  mm^  '"i  iz  ':''^Dnn^  i^yn 

1D1  mZüJ.  A.  Kohut  hat  bereits  in  seiner  Ausgabe  des  Aruch 
darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  diese  zweite  Erklärung  von 
R.  Chananel  herrührt.  Or  Sarua  I,  Hilchoth  TefiUa  Nr.  89 
bringt  die  genannten  Worte  ausdrücklich  in  dessen  Namen. 

Diese  beiden  Erklärungen  werden  gewöhnlich  als  einander 
ausschließend  angesehen.  Seit  den  Ausführungen  von  A.  Geiger 
in  seiner  Urschrift  S.  122  f.  glaubt  man  aber  allgemein  der 
Auffassung,  welche  jetzt  als  diejenige  des  R.  Chananel  fest- 
gelegt scheint,  folgen  zu  sollen.  Ja,  J.  Levy  in  seinem  Neu- 
Hebräischen  und  Chaldäischen  Wörterbuch  u.  a.,  neuerdings 
auch  Elieser   ben  Jehuda  in   seinem  Thesaurus   meinen,     durch 


'  Die  vorliegende  Untersuchung  ist  ursprünglich  von  einer  schwierigen, 
in  den  „Frankfurter  Rabbinen"  meines  Vaters  s.  A.  besprochenen  Stelle  aus 
dem  Buche  Eben  llaeser  des  R.  Elieser  ben  Nathan  ausgegangen.  Je 
tiefer  ich  in  die  Materie  eindrang,  desto  mehr  erwies  sich  als  notwendig, 
zunächst  einmal  die  Bedeutung  von  l>y  lan  im  älteren  rabbinischen  Schrift- 
tum selbst  zu  klären.  Ich  hoffe,  auf  den  Gegenstand  noch  in  einem 
weiteren  Zusammenhang  zurückzukommen. 

''  Die  Handschrift  Halberstamm  hat  nach  triTö  die  Worte  V't  ]1kj  ;  s. 
Kohut,  Aruch  Completum  s.  v.  inn.  Mit  'r"!  jisJ  ist  aber  bei  Aruch  gewöhn- 
lich Hai  gemeint;  s.  Kohut,  I,  Einleitung  p.  XIV. 


—     1:^6     — 

die  Beweisfühning  Geigers  sei  endgültig  klargestellt,  daß  an 
sämtlichen  Stellen  "V)}  12ri  gelesen  werden  müsse,  daß  also  das 
Wort  inn  in  diesem  Zusammenhang  sprachlich  überall  im  Sinne 
des  biblischen  12"  (Hosea  VI  9;  s.  auch  Sprüche  XXI  9  und 
XXV  24;  doch  ist  nicht  ganz  sicher,  wie  ~12n  an  diesen  beiden 
Stellen  aufzufassen  ist)  zu  nehmen  sei.  Beide  sind  aber, 
sit  venia  verbo,  Geigerischer  als  Geiger  und  haben  übersehen, 
daß  Geiger  selbst  sich  widerspricht,  indem  er  a.  a.  0.,  Anm.  2, 
gelegentlich  die  Tosefta  Pea  IV  16  und  Schebiith  VII  9  nennt, 
an  welchen  Stellen  die  Bezeichnung  "T^y  IZTl  vorkommt  und 
unzweifelhaft  nur  auf  eine  Einzelperson  bezogen  werden  kann. 
Geiger  spricht  im  Text  a.  a.  O.  in  diesem  Zusammenhang 
allerdings  nur  von  ID'i'^  ^Is  „dem  einzelnen  Mitglied  des  Priester- 
bundes", kann  aber  diese  Lesart,  für  die  er  sich  auf  das 
biblische  izh  beruft,  in  der  Anmerkung  nur  in  der  Mischna 
Menachoth  IX  (X)  9,  bzw.  in  der  Gemara  94a  nachweisen, 
während  an  den  angeführten  Toseftastellen,  wo  von  "T^y  inn  die 
Rede  ist,  unbedingt  "^.^V  "I^H  gelesen  werden  muß  und  auch  von 
Geiger  gelesen  wird.  Geiger  selbst  führt  die  bezeichneten 
Stellen  untermischt  mit  solchen  an,  in  denen  das  Wort  "izn 
für  sich  genannt  wird. 

So  sehr  nun  auch  auffallend  erscheint,  daß  das  Rabbinische 
außer  der  Bezeichnung  ~l''y  ~l2n  den  Ausdruck  12"  nicht  ver- 
zeichnet, —  Geiger  behauptet  zwar  a.  a.  O.,  daß  man  „die 
Priestergenossenschaft  zu  Zeiten  der  Pharisäer  ~l2n  oder  1"'^  12n 
genannt  habe,  ohne  aber  den  ersten  Ausdruck  auch  nur  durch 
ein  einziges  Beispiel  quellenmäßig  zu  belegen,  —  so  sehr  scheint 
zunächst  eine  Reihe  von  Talmudstellen  zu  erweisen,  daß  an 
ihnen  I^V  12n  gelesen  werden  muß. 

Niemand   wird   bezweifeln,    daß  in  der  Mischna  Berachoth 

30a:  "121  i^v  I2n2  N't'N  pcDicn  n^en  |\x  icin  nniy  ]2  ')'ivhi<  'i 

die   Worte   T'j;   ~!2n   im    Sinne   von    „Gemeinde",   Zehnzahl   von 
männlichen    Personen,     zu    nehmen    sind^.      Diese    Auffassung 


^  Über  die  interessante  Einwirkung  dieser  Bestimmung  auf  den 
Islam  s.  Eugen  Mittwoch,  Zur  Entstehungsgeschichte  des  Islamitischen  Ge- 
bets und  Kultus.  Abh.  der  Königl.  Preuß.  Akad.  der  Wissenschaften,  Jhg. 
1913.     Phil.  Histor.  Klasse  Nr.  2,  S.  31  u.  35. 


—     127     — 

ergibt  sich  aus  der  Stelle  selbst',  besonders  deutlich  aber  auch 
aus  dem  jerusalemitischen  Talmud  z.  St. 2,  wie  denn  auch 
R.  Chananel  (s.  o.)  und  Raschi  z.  St.:  (~i::n  ."Tiz:i2  wS^X  •lMi:pn  üh 
~\''V  n~l"lZ:n  "!''>)  das  Wort  so  erklären,  (ebenso  auch  Schitta 
Mekubezeth,  s.  Kohut  s.  v.  ~\2n),  und  der  Schulchan  Aruch, 
Orach  Chajim  Kap.  286  §  2  (vgl.  noch  Türe  Sahab  zu  Jore 
Dea  Kap.  355)  als  Halacha  bringt:  rh^r\  ^SsDüb  2^^"  -^-1  h2 
n'?  \S  l^yz  llD-i  lJ'i  CN  V2  p^Dicn.  S.  auch  R.  Elieser  ben 
Nathan,  Eben  Haeser  44b,  Kap.  177  (•ii'"'LJ'  üpC  TP  ~2mD  ]^Z 
mZi*  yaZ'  Cipc  ^.'y  ^.2r,2  ahz'  p  "IIZ:»),  R.  Elieser  ben  Joel  Halevi, 
ed.  V.  Aptowitzer,  Kap.  88  §  66,  R.  Jona  ben  Abraham  Gerondi 
zum  Alfasi,  Mordechai  z.  St.,  Agudda,  Berachoth  §  101  u.  v.  a. 


^  S.  die  Gemara  z.  St.,  welche  zum  Beweise  dafür,  daß  die  Halacha 
mit  R.  Jehuda  entscheide:  j^scian  n-sna  "iiüs  i^nvi  n^  nnn  a-j  »»r  cipa  ^3  ausführt, 

".»>*  nana  n-d  T«n»  «Nim  Tn«a  «^  »?si  iri  n^i  ijai  it'tjni«  «nar 

'  Die  bezü<;liche  Stelle  lautet  cira  "laNtr  nti»  na  na^n  -an  r,in  n  ana  »a'a  n 
n<CT  ;»:  in  n^n  xsbikt  n*--i  n^  "ai»  jn  xjn  las  '7Nib»7  p  lax  ^Nia»"r  .Tn'j'a  n<-.Tjf  ja  "ir;?N  n 
».Vt^si  xiia»s  iri  nSi  kdi^j  »m  nna.     Wenu  aber  A.  Büchler  in  seiner  Schrift 

Der  galiläische  Am  haarez  des  zweiten  Jahrhunderts.  Beilage  zum  Be- 
richt der  Wiener  Israel.  Theol.  Lehranstalt  1906,  S.  212  Anm.  den  folgen- 
den Passus  a.  a.  0.  bringt:  piss  -»  pira  -Tsr.ai  -;ai>'  «x:»  n  nn  wni  'jx  ]jr:.>  n  -,a7 
;'ni3'sa  Tj?  lan  j'ni  sjaia  hv  ^^snai  nias  n  i^nai?  statt  der  hier  mitgeteilten 
Anfangsworte  der  jerus.  Gemara  und  an  ihn  die  Bemerkung  knüpft:  „Wie 
soll  da  anter  vy  lan  ein  einzelner  Gelehrter  gemeint  sein!  Soli  diese  Stadt, 
die  damals  ein  großes  Lehrhaus  hatte,  keinen  Gelehrten  von  Bedeutung 
gehabt  haben?  Dagegen  wäre  es  begreiflich,  daß  in  der  heidnischen  Stadt 
diese  Art  der  religiösen  Körperschaft  nicht  bestand'',  so  hat  er  den  Sinn 
der  Frage  ims'Äa  Tj?  lan  i>Ni  in  sein  Gegenteil  verkehrt.  Das  will  diese  ja 
gerade  besagen,  daß  doch  selbstverständlich  in  einer  Stadt  wie  in  Sepphoris 
ein  "17  lari  sei.  Hätte  man  also  nur  diese  Frage  im  Auge,  dann  könnte  TV  "lan 
ebensowohl  einen  einzelnen  Gelehrten  wie  eine  Gemeinde  von  zehn  männ- 
lichen Mitgliedern  bedeuten.  Und  gerade,  weil  die  Art  von  religiöser  Körper- 
schaft, an  die  Büchler  denkt,  für  Sepphoris  weniger  selbstverständlich  er- 
scheint, ist  sie  schon  von  vornherein  in  jener  Bezeichnung  nicht  zu  ver- 
muten. Graetz,  Geschichte  der  .Juden,  HI,  1.  4.  Aufl.  S.  78  Anm.,  der  meint, 
wer  noch  an  der  Bedeutung  „städtisches  Gemeinwesen"  zweifle,  könne  sich 
Belehrung  aus  unsrer  Stelle  holen,  wo  die  Frage  ims'ia  ".7  nan  pNi  bedeute: 
„Hat  etwa  S.  kein  städtisches  Gemeinwesen,  bildet  die  Stadt  nicht  eine  ge- 
schlossene Einheit,  eine  Gemeinde?",  hat  den  Anfang  der  Stelle  ebenso 
üb-ersehen  wie  Schürer,  Gesch.  des  jüd.  Volkes,  II,  4.  Aufl.  1907.  S.  503  Anm.  10, 
der  ihm  in  der  Hauptsache  folgt  und  "i'V  lan  im  Unterschied  zu  der  reli- 
giösen Gemeinde  als  einen  „bürgerlichen  Gemeindeverband"  verstehen  will. 
Gnttm.iun,  Festschrift.  9 


—     128     — 

Und  ebensowenig  wie  in  Berachoth  kann  über  die  Bedeutung 
des  Begriffes  ~l"'V  IDn  in  Rosch  Haschana  34  b  *  irgend  ein  Zweifel 
sein.  Raschi  erklärt  dort  "lIDi»'  mD",  Alfasi  setzt  einfach  an 
Stelle  der  Worte  n^y  IDH^  vX"12  der  Gemara  ~n21»2  iX"-2 
(s.  auch  Ascheri),  und  ebenso  hat  Maimonides,  Hilchoth  Schofar 
111  7  IDli  statt  "l"'y  ~12m,  wie  sich  dieselbe  Auffassung  auch  aus 
Orach  Chajim  Kap,  592  §§  1  u.  2  ergibt. 

Eine  einzige  Ausnahme  scheint  bezüglich  der  angeführten 
Stelle  in  Berachoth  der  Mischnakomnaentar  des  Maimonides  zu 
machen.  Dieser  meint:  TJJ  "12m  irnTE:i  CZ"  '^ühD  CIL'  "izn 
MriJ^M    ÜpC.      Beachtet   man   indessen   die  Worte   "lyz   ^i:r  Nim 

rmv  p  "■Tyt'N  -]"i  cr\2^'  crnn  ^:d^  f^t)«  i-iDpn^  ^*t'L^•  hnpr]  n^Dn 

~;ir:i2  n':'«  nnx  }hh^r\^  i6  ^DV:  rhzri'^'  n?2\S,  welche  bei  Mai- 
monides den  oben  mitgeteilten  unmittelbar  folgen,  so  ist  sofort 
klar,  daß  eine  sachliche  Differenz  nicht  besteht 2,  und  daß  sich 
Maimonides  hier  nur  an  die  Erklärung  von  Hai  hält,  dennoch 
aber,  wie  fast  scheint  es  auch  Hai  '!"'>'  "12"  im  Zusammenhang 
dieser  Stelle  als  "i"!2i*  auffaßt. 

Danach  könnte  fraglich  erscheinen,  ob  R.  Hai  und  R.  Cha- 
uanel  in  der  Erklärung  des  Begriffes  T'y  12"  wesentlich  von- 
einander abweichen.  Allerdings  erklärt  R.  Hai  und  ihm  folgend 
Maimonides  das  Wort  TV  "12n  deutlich  als  "1^  "I2n  und  kann, 
wenn  überhaupt,  so  erst  durch  einen  Umweg  zu  einer  kollektiven 
Auffassung  des  Gesamttextes  gelangen,  w^ährend  R.  Chananel  das 
Wort  l"*;?  ~l2n  ohne  weiteres  im  Sinne  von  „Gemeinde"  erklärt,  so 
daß  also  die  Annahme  berechtigt  und  mindestens  möglich  erscheint, 
dieser  habe  ~12n  gelesen. 

Jedenfalls  ist  aber  wahrscheinlich,  daß  die  beiden  von 
Aruch  mitgeteilten  Erklärungen  sich  auf  die  Stelle  in  Berachoth 
beziehen.  Bei  der  des  R.  Gh.  liegt  das  auf  der  Hand.  Da 
aber    die    Hiuzufügung    CJpiM    '"2   V"^]!   l"i>?"   "ll^'N   wahrscheinlich 


'^2K  n*v  Mnz  n"-i2   ni:n:  -ns  ">'i  "ncn  ^j?  iyüi»  iiitivz'  «inr:  ':n  ♦;::  ü>:n>  n»>'  irn;  n^k 
m;i3  -110  hy  n^i?i  -.id.i  "'jjj  lyair  tj?  "cna  n'ti:'' 

-  Danach  muß  auch  die  Angabe  bei  Schürer,  a.  a.  0.  S.  503,  der  von 
unserer  Stelle  ebensowenig  wie  von  einigen  hier  wesentlichen  Stellen  im 
Jad  Hachasaka  Kenntnis  zu  haben  scheint,  berichtigt,  bzw.  ergänzt  werden; 
vgl.  noch  Maimonides,  Hilchoth  Schofar  a.  a.  0.  und  unsre  Abhandlung  w.  u. 


—     129     — 

macht,  daß  auch  R.  Hai  hier  eine  Stelle  im  Auge  hat,  bei 
welcher  man  mit  der  Deutung  "riyn  ":''l~:  an  sich  allein  nicht 
auskommt,  und  Aruch  R.  Hai  in  unmittelbarem  Anschluß  an 
die  Mischna  in  Berachoth  bringt,  welche  er  an  letzter  Stelle  nennt, 
so  darf  man  wohl  annehmen,  daß  sich  jene  Erklärung  ebenfalls  auf 
die  Mischna  Berachoth  a.  a.  O.  bezieht.  J.  Levy  Wiirterbuch  II, 
S.  9  behauptet,  daß  Aruch  an  den  zitierten  drei  Stellen  zwischen 
der  Lesart  Ty  ~l?n  oder  Ty  "^^n  schwankt.  Das  mag  richtig 
sein,  obwohl  man  es  keineswegs  mit  solcher  Bestimmtheit  sagen 
kann.  Aruch  hat  vielleicht  zwei  verschiedene  Erklärungen  zu 
Berachoth  zugleich  auch  auf  jene  anderen  Stellen  bezogen;  in 
Wahrheit  hat  aber  wohl  R.  Chananel,  auch  wenn  er  in  Berachoth 
"VV  1?n  gelesen  hat  und  ebenso  jeder,  der  der  gleichen  Ansicht 
war.  dennoch  in  Megilla,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  l'^V  1?" 
gelesen. 

Die  betreffende  Stelle,  Megilla   27  a  u.  b,    lautet:    ^21    I^N 

rp'::i  p'hv  pDci  mnwx  i^vh  -^zhr^^z'  -i^y-  ^:2  -!\s?:  "i  cr^'12  pm"» 
^cj  N^:n  .p?v  ^^3y  n:;  pDJ"iD72i  'p2V  ~n\s  ]\x^2?:  |\s2  in^'n  ]':m: 
i\xz  ]^r^'2^  pm:  np-iJ  ]r\tv  ipDSi  n-inx  -i^v^p  ^^br^z'  -^^yn  ^:z  ^rn 
^^ivh  |njn  np-i':i  vr;  ipoei  nnn^  i^yS  -pr:^'  iri^i  p't2V  nniN  p.x^z^ 

hv:}  lü  p  n^mi  r^P  n?2wx  ^n''i2h  lyz  '2  ^zn^i  pipii'  in^^y  iz:-) 
^ZN  Ty  izn  cit'  jwi^'D  n"i2  iSi^jn  int^  icn  priNc  ":y  rc  d:i?:i 
^rv:D  ^':'y  in^ii  ^i^"  ^^:y~  '-i"'!!  Ty  ^zn^  ]njn  Ty  -izn  clj*  i:*\ 

Nun  haben  sowohl  Kohut  wie  Jehuda  und  andere  bemerkt, 
daß  Raschi  hier  "Tiy  "IZ:"  anders  als  in  Berachoth  und  Rosch 
Haschana  versteht,  und  zwar  als  TZi*  ^Z-l':»'!  pDyncH  C2n  "i^cbn. 
Beide  haben  aber  nicht  beachtet,  daß  Raschi  seinen  abweichenden 
Kommentar  offenbar  aus  dem  hier  von  uns  besonders  hervor- 
gehobenen Schluß  der  Gemara  schöpft',  ebenso  aber  aus  den 
Worten  '1*1  D:"1D:i  "l^i^JI  lü  ]h  ri''Zm:  n'»':' ICN*  im  Zusammenhang 
mit  den  Worten  '^2^  "^.^V  "IZÜZ  n""I2.  J.  Levy  geht  wenigstens 
auf  die  Sache  einigermaßen  ein.  Wenn  er  aber  a.  a.  O.  meint, 
daß  Raschi  in  Megilla  zu  Unrecht  Ty  "IZ"  lese   und   seinerseits 


^  ßüchler  a.  a.  0.  S.  212  meint  gar,  daß  „zu  der  Annahme  Raschis 
nicht  die  geringste  Veranlassung  vorliege."  Schürer  irrt  also  auch  in  Bezug 
auf  unsere  Stelle,  wenn  er  sagt,  daß  die  Bedeutung  „hürgerlicher  Gemeinde- 
verband" hier  sehr  wohl  paßt. 

9* 


—     130     — 

erklärt,  daß  R.  Huna  als  Oberhaupt  eines  Gemeindeverbandes 
verlangt  habe,  daß  man  ihm  dieses  Geld  zur  Verteilung  über-r 
gebe,  so  hat  er  die  berührten,  einer  solchen  Auffassung  gegenüber- 
stehenden Schwierigkeiten  nicht  befriedigend  beseitigt.  In  der 
Tat  verstehen  die  Erklärer  und  Dezisoren  "]''])  mn  hier  genau 
so  wie  Raschi.  S.  Maimonides,  Hilchoth  C^^V  m^PD  VII  4 
(s.  auch  R.  David  ben  Simra  z.  St.),  Tur  O.  Ch.  Kap.  256, 
Seh.  A.  0.  Ch.  a.  a.  O.  Ende,  Mordechai  und  R.  Nissim  ^  zum 
Alfasi,  während  allerdings  Agudda  Megilla  §  40  "1"'^  "izn  durch 
MpliJ  "71^  D'^D  erklärt,  was  aber  jene  Auffassung  keineswegs 
auszuschließen  braucht.  In  den  handschriftlichen  Bemerkungen 
meines  Vaters  s.  A.  zu  den  Vorbemerkungen  seiner  Frankfurter 
Rabbinen  linde  ich  einen  Hinweis  auf  R.  Meir  aus  Rothenburg: 
CiCDTbi'  ~11dS  ni2"'"'^'n  mZllJ'n  Nr.  10,  wo  für  unsere  Stelle  die 
gleiche  Erklärung  der  Worte  Ty  "lin,  wie  sie  Raschi,  Maimonides 
usw.  haben,  zum  Ausdruck  gebracht  und  wohl  auch  für  R.  Tam 
vorausgesetzt  ist.  Übrigens  hat  auch  der  Lehrer  des  R.  Meir, 
R.  Isak  Or  Sarua  TJ?  IDH  an  unserer  Stelle  in  dem  gleichen 
Sinne  verstanden,  wie  dies  aus  der  Anführung  bei  Mordechai, 
Baba  Bathra  §  495  deutlich  hervorgeht.  Eine  einzige  Ausnahme 
macht  R.  Elieser  ben  Nathan,  Eben  Haeser  79  c,  der  auch  hier 
erklärt:  T>  miZfl.  Möglicherweise  sind  aber  die  betreffenden 
Worte  der  Zusatz  eines  Späteren,  der  etwa  an  die  Stelle  Rosch 
Haschana  oder  Berachoth  a.  a.  O.  gedacht  hat.  Die  jedenfalls 
von  allen  anderen  Erklärern  übereinstimmend  gegebene  Deutung 
der  Worte  T»!;  "1271  in  Megilla  wird  auch  durch  Baba  Bathra 
8b  unten  und  besonders  9a  oben  bestätigt,  wo  es  heißt:  ""Li'N  2~1 

iriiS  ^TT   N*nyiN  \-in*  api  t'2-i   xj-nii  vst)  ^c:  "i:nx  wn  i?2n. 

Maimonides,  Hilchoth  C^jV  mJHC  IX  10,  hat  aus  diesem  Satze 
die   Halacha   geschöpft:    hv  ]'2^:   b^rwi/  t'HJ   Crn  r\:nr22  n^n  CvN 

nc  ^2^  ]r^yz'b  \s::n  p,i  nn  rii<i^z'  nc  ^23  c":yb  phn^  Nim  myi 

"lIZKn  TIÜD  ib  riNTi:',  welche  von  Tur  Jore  Dea  Kap.  256  und 
Seh.  A.  J.  D.  a.  a.  O.  §  4  wörtlich  übernommen  wird,  nur  daß 
es  bei  Tur  an  Stelle  der  Worte  ^n:  DZn  n:nc2  H^H  CN  in  noch 
deutlicherer  Anlehnung  an  die  Gemara  in  Megilla  heißt:  i:"»  CN 

^  Dieser  bringt  wörtlich  die  Erklärung  Rascbis  zu  unserer  Stelle,  fügt 
ihr  aber  die  Worte  an:   nns  u»>n  t^  "lan  n-m  ;"S3T  3"yH> 


—     131     — 

'b'i'j  C"X  It'ITE:  T>  12"  T'yz  (s.  auch  Beth  Josef  a.  a.  O.)- 
Zieht  man  nun  noch  die  genannten  Toseftastellen  Pea  und 
Schebiith  heran,  in  welchen  die  auf  den  Armenzehnt,  bzw.  auf 
Schebiith  und  den  zweiten  Zehuten  bezügliche  Bestimmung  ver- 
zeichnet wird:  v'~'^rh  pn*:»i  D^-DH  m'^^c:!  bz'  -^z-i  i:cri  ]Töz'r2 

mZIu^Z  TJ?  ~]2rh  in\S  pjmjl,  und  in  welchen,  wie  wir  gesehen 
haben,  selbst  Geiger  TV  lin  liest,  so  muß  man  sich  wundern, 
-daß  die  neueren  Lexikographen  die  Bezeichnung  Ty  "llin 
überhaupt  nicht  bringen.  Diese  Unterlassung  ist  um  so  auf- 
fälliger, als  eine  weitere  Toseftastelle  Megilla  IV  29  diese 
Lesart  auch  schon  bei  dem  ersten  flüchtigen  Durchlesen  als  die 
einzig   mögliche   erscheinen   läßt.     Dort  heißt  es:    ]V2'\72  l^"'*tf  pD 

11  n  PiTi  CN  12  'chzrcr:  cvr:^'  ':^r2  ve:2  hn  a^^  i^"^  v^3i2i  v-112 

~im?2  Tii  "'"^H  Ty.  Geiger,  der,  wie  bereits  mitgeteilt  wurde,  jene 
anderen  Toseftastellen  nur  beiläufig  in  einer  Anmerkung  nennt, 
bringt  auch  diese,  hat  aber  seine  eigenen  Nachweise  so  sehr 
vergessen,  daß  er  glaubt,  hier  Cli*  nach  HVi  Ci^  einschieben  zu 
müssen,  nur  um  die  Lesart  Tv'  "12"  aufrecht  zu  erhalten.  Und 
er  ist  so  sehr  in  seine  Theorie  verstrickt,  daß  er  eine  solche 
Textesergäuzung  vorschlägt,  obwohl  er  selbst  weiß  und  mitteilt, 
♦daß  der  palästinensische  Talmud  Megilla  IV  8  und  Taanith  IV  1 
an  Stelle  des  Ausdruckes  "^^  ^.2~  PiVi  die  Worte  M^V2  U"l  H^n  hat, 
welche  doch  deutlich  genug  die  Lückenlosigkeit  des  iu  Frage 
-stehenden  Toseftatextes  zeigen^. 


'  Büchler  a.  a.  0.  S.  213,  der  auf  die  Ausführungen  Geigrers  keinerlei 
Bezug  nimmt,  will  trotz  dieser  Parallele  an  der  Bedeutung  „Vereinigung  der 
Stadt"  festhalten,  „denn  es  ist  nicht  erfindlich,  wie  n<y  -.z-  dem  it-;:  n  ent- 
sprechen sollte."  Gegen  vorgefaßte  Meinungen  kämpfen  die  besten  Gegen- 
gründe vergeblich!  -,»y  iin  in  Tosefta  Pea  IV,  16  meint  Büchler  „ganz 
zweifellos"  in  dem  gleichen  Sinne  auffassen  zu  dürfen.  V.  Aptowitzer  macht 
dagegen  in  seiner  Besprechung  des  Büchlerschen  Buches.  Monatsschrift  19U8, 
S.  748.  unter  Hinweis  auf  die  Mischna  in  Bikkurim  III  Ende:  i'N  nai«  "  n 
nar^n  nrn^  am«  pjnu  mit  Recht  geltend,  daß  der  Ausdruck  n2iaa  weder  im 
Sinne  von  Gunstbezeugung  noch  dankeshalber  auf  die  Stadtbehörde  paßt. 
(Vgl.  noch  n;vj=  und  niia  cwh  in  Mischna  Schebiith  IV  1  u.  2,  Jeruschalmi 
'z.  St.,  Tosefta  Pea  IV  4  u.  a.  0.).  Daß  an  den  genannten  Toseftastellen 
Pea  IV  16  und  Schebiith  VII  9  unter  Ty  -in  ein  einzelner  verstanden  wird, 
■scheint  auch  Geiger  aus  Bikurim  a.  a.  0.  zu  folgern.  Wenn  er  aber,  von 
seiner  Gleichsetzung  eines  angeblichen  nan  mit  tj?  ia~  ausgehend,  die  Be- 
zeichnung "r;  izr.  als  gleichbedeutend  mit  nrn  schlechthin  verstehen  will  und 


—     132     — 

1"'^  "iZn  kommt  noch  an  einigen  weiteren  Stellen  des 
älteren  rabbinischen  Schrifttums  vor.  Auf  diese  bin  ich  hier 
sachlich  näher  einzugehen  genötigt,  weil  erst  nach  Forträumung 
einer  Reihe  von  Schwierigkeiten  die  Frage  erörtert  werden 
kann,  was  1''])  "12n   an  ihnen  bedeute. 

Die  Gemara  Chulin  94a  bringt  die  folgende  Baraitha:  "l/""  N':' 

tt"»  CiXi  inj/'nc:^'  ^:^ü  c^ü  i:n^di  i<h^  i^'-pi^pncn  ft>  mzi  tr^n  n^^b  cix 

imc  "^^V  "'-H  CZ'.  R.  Gerschom  bemerkt  zur  Stelle,  ^^]ü^h2  ~T'y  12" 
während  Raschi  und  ihm  folgend  R.  Nissim  ben  Ruhen  (s.  Alfasi  z. 

St.)  meint:  ^ZNH  HN  D^K'nn^  piDPz:  nr  u^2']  CIL'  w^w  i^y  miDn 

mn^n  "IDD  "PTI^I  imn  '1D1  in^J^yz.  Wieder  anders  übersetzt  und 
erklärt  Büchler  a.  a.  O.  S.  210 f.  die  Baraitha:  „. .  .  wenn  aber  dort 
die  Stadtvereinigung  anwesend  ist,  darf  man  es  tun."  „Das  Mahl 
ist  bereits  durch  diese  versorgt,  daher  es  gleichgültig  ist,  was 
noch  der  einzelne,  der  auch  kommt,  in  seiner  Flasche  mitbringt. 
Schon  hieraus  wird  klar,  daß  ~l"'J7  "lln  nicht  irgendeinen  hoch- 
stehenden einzelnen  Mann  bezeichnet,  sondern  die  Rolle  der 
milDn  in  Jerusalem  und  der  n"n2n  in  Galiläa  hat."  Diese  Er- 
klärung erscheint  im  ersten  Augenblick  bestechend.  Allein  un- 
mittelbar  vorher   heißt   es   in  Chulin  a.  a.  O.:   TND  "\  mTI  N''Jn 

nz")^  N^i  lyiD  i:\sLj'  12  yivi  i'^ijx  myo'p  ^i2rh  ein  zmo^  ':'«  i?:^\x 
"»^un^  nm2cn  rivzn  )h  nns'»  n^i  bzpü  ij\st:'  12  y-ivi  n2npn2  i^ 
imo  11122  ^3^21^2  CN1  ]p^~)  iDc  |?2r  11D  "b  lüü,''  iöi  ij?mn  2"N\X. 

in  diesem  wie  in  jenem  das  „einzelne  Mitglied  der  städtischen  Priester- 
genossenschaft" erblickt,  abgesehen  von  denjenigen  Stellen,  an  welchen  "lan 
offensichtlich  eine  weitere  Bedeutung  hat,  so  ist  das  entschieden  ein  Irrtum, 
vor  dem  schon  die  Tatsache  schützen  sollte,  daß  der  Ausdruck  -i";  nan  im 
Unterschiede  von  lan  schlechthin  deutlich  genug  gerade  an  den  bezeichneten 
Stellen  gebraucht  wird.  Ebensowenig  darf  aber  weder  i'y  "lan  noch  auch  ^an 
mit  ]n;  ohne  weiteres  gleichgesetzt  werden,  wie  dies  Geiger  unter  Bezug- 
nahme auf  Mischna  Challa  IV  8  u.  19  versucht.  Vgl.  die  gegen  Bertinoro 
gerichtete  Bemerkung  von  Tossephoth  Jomtob  zu  Challa  z.  St.  L.  Fried- 
länder  erklärt  in  seinem  Kommentar  nabw  pirn  zu  Tosefta  Seraim  die  Worte 
nmaa  17  nnn'?  Pea  a.  a.  0.:  ny  ^y  i^sn  ]*n:m  i»n»B  T5?n  inn'?  ya  nn^'  nniD  pi  101^3 
nwn  nnia  vy  '»tpi  pisn.  Das  ist  im  wesentlichen  richtig,  nur  daß  die  nwn  naia 
schon  in  dem  Verfügungsrecht  selbst  gegeben  ist.  Der  Ty  nnn  spielt  hier 
also  genau  die  gleiche  Rolle  wie  in  Talmud  Megilla  a.  a  0.  So  bekräftigen 
die  angeführten  Toseftastellen  aufs  neue  die  Auffassung,  welche  wir  für 
Ty  lan  in  Megilla  ohnehin  gewonnen  haben. 


—     133     — 

Danach  und  nach  dem  ganzen  Zusammenhang,  in  dem  die  Tosefta 
B.  Bathra  VI  13   (ed.  Zuckermandel   S.  406)   mitteilt:   iSm   TPH 

imD  ~i^y  "i2n  n^n  dni  c:n  njyts  i:j;it:L^  ^jdd  c"'?2,  dürfte  die  von 

den  Dezisoren  (Tur  u.  Seh.  A.  Ch.  Harn.  Kap.  228)  gleichfalls 
angenommene  Tendenz  der  Erklärung  des  R.  Gerschom  bzw. 
Raschis,  welche  von  Büchler  nicht  berücksichtigt  werden  —  wie 
Tur  u.  Seh.  A.  a.  a.  O.  das  Wort  ~!V  12"  auffassen,  ist  nicht 
recht  deutlich  —  die  einzig  mögliche  sein. 

Interessant  ist,  daß  die  Tosefta  die  Hinzufüguug  hat:  D"'!':'  IN 
nnil'Dn.  Dieser  Zusatz,  auf  den  übrigens  Büchler  selbst  nicht 
verweist,  schiene  mit  Rücksicht  auf  die  Tosefta  Megilla  IV  15  (ed. 

Zuckermandel  S.  226):  niVi^üh  i^N  H^^m:  n^^^'n^zu'  nm^n  vn  '2 
t^ZiSn  r\'2h  i\si  nnii'cr,  n^zS  i^n*  pxiir^:  m'^v^b  i^ni  ^diin  und  Se-- 
raachoth  XII :  ri^y?  i'?f<i  ^ZNH  n^2^  i'^N  c^ii'n^z  pii'iy  nmzn  ph  ir 

nni^'Cn  geeignet,  die  von  diesem  versuchte  Gleichsetzung  jener 
nmzn  mit  "l"»!;  "izn  zu  stützen.  An  diese  letztere  Stelle  hat  Büchler 
offenbar  gedacht.  Indessen  fährt  Semachoth  a.  a.  O.  fort: 
mCij;  '^phb  1\n1  jZn  V^2\L'h  I'PN,  ebenso  wie  es  in  Tosefta 
Megilla  a.  a.  O.  heißt:  mCKi?  '^^phb  )hü)  pH  J!12U''?  I^N,  während 
bezüglich  des  Zusammenlesens  von  Gebeinen  in  Semachoth 
a.  a.  ().  einige  Zeilen  vorher  bestimmt  wird:  "12n2  |n'''^y  'C^'^V  fi^ 
liTD  "inz  |Mi':)y  piZD  "'ZN  TJ?.  So  ist  klar,  daß  jene  nmzn 
keineswegs  mit  1''y  12n  gleichzusetzen  sind  i. 

Wie  sind  nun  aber  die  Worte  I^J,'  "IDHD  irp'i^j;  ["»^IJ?  ]^N  zu  ver- 
stehen? Sie  begegnen  uns  in  Semachoth  XI  noch  in  einem  anderen 


'  Wie  Büchler  den  Schwierigkeiten  aus  dem  Wege  geht,  statt  sie  zu 
lösen,  mag  man  aus  dem  Satze  ersehen,  den  er  den  bereits  S.  134  mitgeteilten 
folgen  läßt:  „Das  wird  durch  Semachoth  XII  bestätigt,  wo  von  dem  Zusammen- 
lesen der  Gebeine  eines  Bestatteten,  an  welchem  die  jerusalemitischen 
Genossenschaften  teilnahmen,  gesagt  wird:  Man  veranstaltet  die  Beileid- 
kundgebung nicht  (wie  in  alter  Zeit)  in  Anwesenheit  der  Körperschaft 
der  Stadt,  sondern  nur  im  Hause".  So  widerspricht  sich  Büchler  innerhalb 
weniger  Zeilen.  In  Chulin  sorgt  nach  seiner  Erklärung  „die  Stadtvereinigung" 
für  das  Trauermahl  im  Hause,  während  sie  hier  gerade  mit  dieser  Trauer- 
mahlzeit nichts  zu  tun  hat.  Und  diesen  Widerspruch  beschwört  die  von 
mir  hervorgehobene,  von  Büchler  in  Klammern  beigegebene  Texteseinschaltung 
herauf,  die  dem  Zwecke  dienen  soll,  seine  Identifizierung  von  -i";  -sn  und 
mnn  aufrecht  zu  erhalten. 


—     134     — 
Zusammenhang.  Dort  heißt  es:  "^'Wn  nx  ]'n'jr2  C'\S-:)  rrX'ü  pzr  CnZ" 

c^jD  n^  iJ"*  CN  1C1N  ^"1  riit'Nn  ^y  pzc  i\si  •i:'\xri  ^y  ]nzc  nt^\sn 

DPlcy  pz?::  CTiTp.  R.  Joel  Sirks  zu  Jore  Dea  Kap.  355  hat  sie 
hier    dahin   verstehen  Avollen:   TJ-Ti   i^HjC  NlPili'  CZnnt'  "122  j^Nl^' 

nTi2p^  Mn\x  ]\xi^irrr  "'^'Nm  ^j;  n'piy  ^xn^ti'  vivii  ^c  ^y  ]^:m:  -i^yn  ^2iJ' 

und  ebenso  nach  seinem  Vorbilde  R.  Sabbatai  Cohen  zu  J.  D. 
a.  a.  O.  Angesichts  dessen,  daß  sonst  im  Tode  keinerlei  Unter- 
schied gemacht  wird  zwischen  den  Ehrenbezeugungen,  welche 
man  einem  Mann  oder  einer  Frau  erweist  (s.  besonders  Jad 
Hachasaka,  b^ii  n^rtTl  XII  5,  Seh.  A.  J.  D.  Kap.  344,  §  2), 
ein  Umstand,  auf  welchen  schon  Türe  Sahab  zu  J.  D.  Kap.  355 
in  diesem  Zusammenhang  aufmerksam  macht,  sowie  ferner 
angesichts  dessen,  daß  berühmte  Rabbinen  am.  Grabe  von  Frauen 
Trauerreden  hielten  (Berachoth  28b,  Rosch  Haschana  25a,  Me- 
gilla  28b  u.  a.  a.  0.  Aum.  1;  s.  auch  die  Dezisoreu  a.  a.  O.  ^; 
in  der  bei  Nachmanides  Thorath  haadam  f.  29a  aus  Isak  ihn 
Giat  angeführten  Stelle  fehlt  i6,  s.  nnü^'  nj?L^'  II  ed.  Bamberger  41 
und  die  Note  206  R.  S.  B.  Bambergers  z.  St.),  erscheint  diese 
Erklärung  von    vornherein   Avenig  befriedigend.     Einleuchtender 


*  Uoerfindlich  ist  mir,  wie  Krauß,  Talmudische  Archäologie  II,  S.  68, 
dem  doch  die  genannten  Talmudstellen  nicht  unbekannt  sein  können, 
schreiben  darf:  „Ob  auch  Frauen  Leichenreden  gehalten  wurden,  kann  be- 
zweifelt werden."  Hervorzuheben  ist  noch,  daß  die  Dezisoren  (s.  Tur  und 
Seh.  A.  J.  D.  Kap.  344  §  19)  aus  Meüilla  a.  a.  0.  mit  Recht  schließen,  daß 
den  Gattinnen  von  Gelehrten  hinsichtlich  der  Trauerrede  eine  Ehrung 
zuteil  wird,  die  nur  diesen,  nicht  aber  anderen  Männern  erwiesen  wird: 
cyn  iNff  n"t  't^x  tman  n>2;i  noisn  n«23  in'ni»Ji  r\"r\  ]n>ssa.  Wenn  Krauß  a.  a.  0. 
S.  481  Anm.  459  Ty  iin  au  unserer  Semachothstelle  mit  „gemeinsamer 
Leichenzug"  übersetzt,  so  scheint  er  mit  dieser  gelegentlichen  Deutung  n"2 
und  •]"a  zu  J.  D.  a.  a.  0.  zu  folgen,  während  der  Ausdruck  „gemeinsamer" 
wohl  sagen  will,  daß  die  Begleitung  von  Frauen  natürlich  gestattet  ist.  Da 
im  allgemeinen  bei  Beerdigungen  je  nach  dem  Ortsgebrauch  Frauen  vor 
oder  nach  der  Bahre  einherschritten  (Sanhedrin  20a),  jedenfalls  aber  von 
den  Männern  getrennt  (a.  a.  0.  und  j.  Sanhedrin  II  4),  ist  dieser  Ausdruck 
besten  Falles  ungenau.  Die  Unwahrscheinlichkeit  der  Deutung  des  R.  Joel 
Sirks  und  des  K.  Sabbatai  Cohen  erhellt  aber  auch  aus  der  in  den  letzt- 
genannten Stellen  bezeugten  Tatsache.  Haben  Frauen  an  dem  Leichengefolge 
von  Männern  teilgenommen,  so  wohl  doch  auch  Männer  an  demjenigen  von 
Frauen. 


—     135     — 

kliugt  die  R.  Josua  Falks   in    seinem   r;Z"'~^.E^    zu  Tur  Kap.  355: 

i^y  "izn  inivs  |mpi  'y;w  'd  ]i:ph-o  i^y  h'Z'  mDImID  ihd^  j^HjC  rp- 
c'^izi:'  ^D^  ci^'  ~ciy  vNinij'  cpc2  (biz  i^'Dpn:  "i^yn  '^nj  ^"y.i&'  ^d'? 

1"^  ':'y  V^-"'pr"i  ]mp  ■D':'''.  V^.nvX  |n~13j  —  ich  sehe  hier  von  der 
Worterklärung,  in  der  R.  Josua  Falk  ja  nur  Frühereu  folgt, 
zunächst  ab  —  und  von  Türe  Sahab  a.  a.  O.:  iLI'n^D  r.rPlJ'  T^^ 

fz  ptn  yn'^'  n^c^ii'e:  nm^t'  (^:y^  h^a  '"v^'  d"z  -^.i::2  izüh  pvh 

::'\S'7  PiLlW.  S.  auch  ßaer  Heteb  z.  St.  Nach  Hai  (Aruch  s  v. 
T.Z  und  Schitta  Mekubezeth  zu  Kethuboth  8b)  und  Scherira 
(Sehitta  Mekubezeth  a.  a.  O.)  wurde  nun  die  Tum  r.2"lD  un- 
mittelbar nacli  der  Beerdigung  gesprochen  und  zwar  dann^, 
bevor  sich  die  Trauernden  das  erstemal  niedersetzten,  bei  der  in 
der  Mischna  sowie  Gemara  Megilla  23  b  und  Tosefta  Megilla  IV  14 
(ed.  Zuckermandel  S.  226)  erwähnten  und  Baba  Bathra  100b 
näher  beschriebenen  Sitte  des  siebenmaligen  2'\l"n2^  icyc.  Da 
aber  dieses  sowohl  anläßlich  der  Bestattung  von  Männern  wie 
von  Frauen  in  Betracht  kam  (s.  B.  B.  a.  a.  O.,  Maimonides 
•^ZX  mzSri  XII  5  und  Lechem  Mischne  z.  St.)   —   allerdings  fand 

^  Nach  Nachmanides  Thorath  haadam  49b   wurde   die   nrn-,  m-.2   erst 
gesprochen,   nachdem  bereits  die  sieben  Stationen  gemacht  worden  waren. 
Diese  fanden    nach    ihm    statt  nnapn  n'3'7  iiöd  nipoa,  jene  tv  "J»  ^nnn    d.    h. 
"Tj;?  iiacn  nima"  s.  auch  Schitta  Mekubezeth  a.  a.  0.,  während  nach  Hai  nnm 
und  n'nan  ni  jn^asc»  mE^,  die  Stätte  des    scini  Toyö,  immer  ein  und  derselbe 
Platz  ist  in  unmittelbarer  Nähe  des  Friedhofs,     nam  n2-i2  ist  gleichbedeutend 
mit  a<=j:N  nrin;  s.  Megilla  23b,   Tossaphoth   a.  a.  0.  s.  v.  pns»  n  nax^.  und  j. 
Sanhedrin  VI  9,  wo  es  statt  nam  heißt  n=J:n  n'aa  jnöiN!?,  wofür  wieder  Mai- 
monides XII  7   b2nn  n'aa  hat.     Dieser  Ausdruck  ist   aber   möglicherweise  so 
zu    erklären,    wie    ihn    cjeh    nx-,;:    zum    jerusal.    Talmud    a.    a.    0.    deutet: 
•jaN.T  -.^z^'^  i'sjrnn  ;.Tr  n«2.     Übrigens  sehe   ich  jetzt,   daß  Alfasi,  Moed  Eatan 
111  15b,   die  betreffende  Stelle   aus  dem  Jeruschalmi  bringt  und  als  solche 
verzeichnet,  aber  gleichfalls  hat  '7axn  n'=a  nnaiNa?  n«':aN  .n:na  in  m.     Man  wird 
da.    wo  Maimonides   einen   abweichenden  Text   bringt,    häufig  die  Quelle  in 
Alfasi    fioden.     Eine   Beachtung    dieses  Punktes    dürfte    oft  genug   manche 
mehr   oder   weniger  geistreiche    Konstruktion    überflüssig   machen.      Schitta 
Mekubezeth   a.  a.  0.    führt  noch   eine    andere,    ganz  abweichende  Ansicht 
über    nam  nana    an.      S.  über    diese    weiter    unten    S.    140.      In  Babylonien 
war  die  nam  nana  jedenfalls  nicht   üblich,   Hai  bei  Aruch  a.  a.  0.,  Hai  und 
Scherira  bei  Schitta  Mekubezeth  a.  a.  0.,  Giat  nnaw  njr»  II  65,  Nachmanides 
a.  a.  0.   Pt.  Paltoi  bei  Giat  a.  a.  0.  und  bei  Ascheri  zu  Kethuboth  I  14  schreibt: 
•liavn  -T.ti  i<:-ian  n'?x  nam  nana  ;':  n>'7  WTsn .     Weiteres  über  nam  nana  anderswo. 


-     136     — 

das  siebenmalige  „Aufstehen  und  Sichsetzen"  nur  dann  statt,  wenn 
zehn   männliche  Verwandte   des  Verstorbenen   anwesend  waren, 
deren  Verwandtschaftsverhältnis  wieder  nicht  so  nahe  war,  daß 
sie  selbst  zu  den  „Trauernden"  gehörten  (s.  B.  B.  a.  a.  O.)   — 
möchte  ich  für  wahrscheinlich  halten,  daß  die  ganze  Bestimmung 
"VV  ~l2n2  ]''hyV  Vi<  sich  an  unserer  Stelle  überhaupt  nicht  auf  die 
Frau    als   Tote,    sondern   auf  die   Frau   als    Trauernde    bezieht. 
Daß    die   Anordnung   nH'vSn    hv   ]n2C   ]\S1    U'Wn   hv   (n2D    so    zu 
deuten  ist,  unterliegt  ja  ohnehin  keinem  Zweifel,  wie^  diese  denn 
auch  von  den  Dezisoren  so  ausgelegt  wird  mit  dem  HinzufügeUj 
daß   nur  Männer  einer  Frau  die  Trauermahlzeit  nicht  ins  Haus 
schicken,  wohl  aber  Frauen  dies  tun  dürfen,  ja-  nach  manchen 
sogar  zu  tun  verpflichtet  sind.     Die  beiden  Verordnungen  treten 
dann  in  eine  Linie  mit  derjenigen,  die  ohnehin  von  der  Mischna^ 
irebracht  wird,  und  die  Semachoth  an  erster  Stelle  nennt;  bezieht 
sich   auch    die   erste  Bestimmung   auf  die  Frau  als  Tote,  so  ist 
doch    allen    der   Gesichtspunkt    gemeinsam,    die   Ehre   und   die 
sittliche  Würde  der  Frau  zu  schützen 4. 


1  R.  Meir  bei  Ascheri  zu  Moed  Eatan  III  Cap.  84.  Mordechai  Cap.  930, 
Tur  und  Seh.  A.  J.  D.  Cap.  378  §  2.  Tur  beruft  sich  auf  Maimonides.  Bei 
diesem  findet  sich  aber  diese  Bestimmung  uicht.  Vermutlich  haben  die  Ab- 
schreiber aus  »"1  oder  »"in  =  R.  Me'ir  nn-mn  gemacht.  Mit  V't  tno  U'an 
ist  hier  aber  wohl  nicht  R.  Meir  aus  Rotheuburg  gemeint,  da  sich  der  betr. 
Passus  nirgends  in  seinen  Rechtsgutachten,  aber  vor  allem  auch  nicht  in  den 
ninac'  ni3':n  des  n»r  n:rn3  findet  sondern  R.  Me'ir  aus  England,  dessen  iii'?^«  nis^i 
im  .Ti=?  nina  öfters  gebracht  werden  (s.  z.  B.  ninw  ni3=?n  Cap.  36,  92  u.  112), 
ebenso  auch  in  n»aBW  ■nnS  ni3»>ün  nmari  No.  18  (s.  Groß,  Revue  des  Etudes 
Juives  VI,  S.  185)  und  Mordechai  M.  K.  111,  913,  920,  921.  Groß  nennt  auch 
noch  '72N  "^  n)'JiD"a  ninjn  Cap.  13.  Dort  heißt  es  indessen  nur  U'an  nio  ]wh 
V's;  TKD.  Einige  andere  Stellen,  in  welchen  R.  Meir  aus  England  erwähnt  wiid, 
bringt  Benjakob,  D»nsDn  tüs  I,  S.  138  No.  339. 

2  So  ausdrücklich  Ascheri  bzw.  R.  Meir  und  Mordechai  a.  a.  0. 

^  Moed  Katan  27a:  iiasn   'JBO  d^ij;""  a>m  T:r  xh;  vgl.  dort  28a  oben. 

*  Als  Grund  der  Bestimmung  n»Kn  r;  pao  i»n  geben  Mordechai  a.a.O. 
und  ihm  folgend  andere  an:  n-.»;';  =:j-in  mira  NOjjai.  Weiter  heißt  es  dort: 
Dni'?^  )»Ni  D»!PJ  n':«  D^'^-aN  n2«^t  j««n  in-ib  ''-^tin  nV'rS  ]»^»jnü  ncn  nap:»  nn«'-  nüya  »nhoi 
wüib  13  !'»!>'  i'N  in>i"^  "asn  n«  i»i':a»  "t  iin  n3»2  dji.  Der  Ausdruck  l'T'rj)  ;«'7ij>  r« 
Tj>  lana  ist  nach  der  von  mir  gegebenen  Deutung  etwas  hart.  Indessen  heißt 
es  ja  aber  auch  nvurt  hy  paa  ]•«,  nur  daß  hier  Nachmanides,  Thorath  haadam 
fol.  35a,  Ascheri  zu  Moed  Katan  a.  a.  0.,  ßeth  Josef  zu  J.  D.  Cap.  378 
zitieren:  rt\sKn  7i'N  jnro  p^i  »»«n  ^sn  inaa.     Dieser  abweichende  Text,  der  viel- 


—     137     — 

Nur    eine     Schwierigkeit    ist    noch    zu    erörtern.       Sema- 
choth    XII    heißt    es    unmittelbar    vor    den    Worten:    pb^V    ]\\' 

^2iX  b'Z'  in^2  iin2   jrp^j;   ]n2^  t'zx  ^^v   ""-n^  jrp^y,  die  ich 

bereits     angeführt     habe:     p?:\S     ]\X"1     H-nti-^  .  p^V     pcij;    ]\S 

l^-JV^  in:in:n  crpby  pr\s  'pzk  c^^2n  i?:injm  c^^2n  nriD  jp^bv. 

Danach  wäre  C^^ZN  nZ~:Z  jH^bv  ]nc\S  ]\S*  also  nicht  identiscli 
mit  TJJ  ~!2n2  irp'ry  f'7iy  ]''N,  so  daß  diese  Worte  also  auch 
nicht  auf  die  niri"1  PDIZ!  bezogen  Averden  könnten.  Eine  Lösung 
ist    möglich    mit   Rücksicht   auf  Raschi   zu   Kethuboth   a.  a.    O.: 

nx  ]n2C"^'2  :n2m2  pnv  'n  ir:;N*p  ^2  .x^vs  vS2\x  ^c  rro:i'2  r2^2 
]^-^2c  vn  (:i2)  ]::p  "lyic  pncvX-2  cnnx  h^i'r^  n:iii\x-i  nnyD  '72vxri 

C"''?2N  n213  C*ii'  ]:"'2~12?2'1  ri2in~!2  imx.  Wenn  in  den  Kethuboth 
a.  a.  O.  mitgeteilten  Segenssprüchen  in  bildlicher  Redeweise  von 
dem  Leid  gesagt  wird:  p  C^wlIi^Xin  nni:'C2  ^^\Z'^  ^»2^  mti'  C'2^. 
CJnriN  7T\'^"t2j  so  empfiehlt  sich  die  Erklärung  Raschis  ganz 
besonders,  zumal  Moed  Katan  25  a  —  diese  Stelle  und  nicht  die 
in  unseren  Ausgaben  angezeichnete  Stelle  27  b  ist  gemeint  — 
mitgeteilt  wird:  n2n~:2  l^'^JJ  r^2C  t'2r,1.  Im  engeren  Sinne  ist 
also  zu  unterscheiden  zwischen  der  Mahlzeit  selber  und  den 
Segenssprücheu,  die  unmittelbar  nach  der  Beerdigung  gesprochen 
wurden.  Die  Worte  ^^2«  r212  ]r\''hv  1^^?2\X  ]\X  beziehen  sich 
auf  diese,  die  l^i?  -I2n2  jrP^J?  p':'lj;  ]\X  auf  jene.  Der  Nachsatz 
"121  ]n'''?J?  ]n2C  '72N*  wird  nun  vollkommen  klar,  ebenso  braucht 
aber  die  Wiedergabe  jener  Stelle  bei  Tur  Kap.  403  ]n2r  i\x 
T'y  12n2  Xr?'')V  durchaus  nicht  als  eine  andere  Lesart  in  Semachoth 
a.  a.  O.  angesehen  zu  werden,  wie  dies  2p>"'  n'^Hj  z.  St.  und 
andere    meinen,    sondern   nur   als   eine    erklärende   Paraphrase  1. 

leicht  nur  die  Sache  verdeutlichen  will,  ohne  daß  er  eine  andere  Lesart 
voraussetzt,  wird,  soweit  ich  sehe,  von  den  Erklärern  zu  Semachoth  nicht 
gebucht.  In  keinem  Falle  stellt  übrigens  cn^Sy  eine  Schwierigkeit  für  unsere 
Auffassung  dar. 

^  Übrigens  geht  Tur  a.  a.  0.  in*'?;  jnris  i's  auf  Ascheri,  Moed  Katan 
I  10  zurück,  ebenso  wie  Mordechai  Moed  Katan  §  929  T>«n  =ima  i-T'j';  -n^D  )'n 
in«-3  •\\T\2.  in»'?j?  inao  '72«.  S.  jedoch  noch  unsere  Ausf.  am  Schlüsse  der  Abh. 
Tur  bringt  den  Nachsatz  in  der  folgenden  Fassung:  ms-;':  in^'^y  )naD  ':2n.  Auch 
das  braucht  keine  andere  Lesart,  sondern  nur  eine  Erklärung  zu  sein.  Mög- 
licherweise ist  jener  Ausdruck  auch  in  Erinnerung  an  das  Vorangehende 
jDsp  j»ßin:n  in»':y  jnmN  lan  gebraucht.  Die  Lesart  in'2  -ins,  die  auch  Ascheri 
a.  a.  0.,  Mordechai  a.  a.  0.,  Nachmanides,  Thorath  haadam  79  b  (s.  Betb 
Josef  und  Pherischa  z.  St.)  haben,  ist  jedenfalls  die  richtige. 


—     138     — 

Bei  dem  konipilatorischen  Charakter,  den  Semachoth  stellenweise 
hati,  wäre  allerdings  auch  denkbar,  daß  die  Worte  TJ?  "IDD:;  \'^b^V  pf^ 
genau  dasselbe  bedeuteten  wie  C'^ZN*  71212  |^1?21N  pN,  in  jenem 
Ausdruck  der  Segensspruch  und  in  diesem  die  Trauermahlzeit 
„auf  dem  freien  Platze"  mitinbegriflfen  wäre,  und  der  Redaktor 
seine  verschiedenen  einander  ergänzenden,  sich  z.  T.  aber  auch 
wiederholenden  Quellen  hier  nur  vorführte,  ohne  ihren  Wortlaut 
irgendwie  zu  beschneiden.  Wir  Avissen  ja,  daß  weder  der  baby- 
lonische noch  der  jerusalemitische  Talmud  die  Bestimmung 
IV  IZnZ  p'^iy  pN  an  irgend  einer  anderen  Stelle  bringt.  Schitta 
Mekubezeth  zu  Kethuboth  a.  a.  O  führt  noch  die  folgende,  wenig 
beachtete   Meinung   über   n2rn  nZIZ   an:  rci2  Znz  ^"1  ^DV  T'ni 

rr^ür»  nx  cü'  ]^rp:r2ii'  ny-ii-z  nr^iy  nziz  c^ic\xl:'  nnz  iX^in  nzm 
•vN':n^c  bzp  ^2  ':  12  rnri^  "i?2n-i  r,i2i2  ^:r,  p:2  ncr,  -^zp^z'  c"np 
Ty  h'Z'  nzniz  ]-<üi6  i2r,:Lj'  c^t^ZN'  mziz  jn  i\x  . . .  'izi .    In  dieser 

Auffassung  würde  der  „Segensspruch  auf  dem  freien  Platze" 
der  mit  dem  Segensspruch  der  Trauernden  gleichzusetzen  ist, 
von  der  „Trauermahlzeit  auf  dem  freien  Platze",  die  natürlich 
erst  nach  der  Beerdigung  stattfindet,  zeitlich  vollkommen  zu 
trennen  sein.  Indessen  ist  jene  Ansicht,  die  allein  zu  stehen 
■scheint,   auch   an   sich   wenig   einleuchtend. 

Vielleicht  ist  auch  eine  schwierige  Stelle  iu  Semachoth 
XIV,  die  letzte,  welche  in  diesem  Zusammenhange  noch 
zu     erwähnen     ist,     in     ähnlichem     Sinne    zu     erklären.        Sie 

lautet:  iZnZ'2  ci^-i  TtJ'z  fixspc^^:  ^zxu  n^z^  ybvn  bzr, 
rn'.p  rrc'V'2  >x  *>:r-zz'  cipcz  "i?:n  :"ZL^n   c^rn  nvj'i^pi  pi^-Ty. 

Büchler  S.  211    übersetzt   hier:    „Alle  Speisen  darf  man  in  das 


*  S.  N.  Brüll,  Jahrbücher  für  jüdische  Geschichte  und  Literatur  I, 
Frankfurt  a.  M.  1874:  Die  talmudischen  Traktate  über  Trauer  um  Ver- 
storbene, S.  37  Anm.  76.  Unter  den  verschiedenen  Beispielen,  die  Brüll 
für  diese  Behauptung  nennt,  wird  auch  der  Satz:  'i;i  r»«"?  ns^N  ]'3tr  cnai 
liervorgehobeo. 

-  Nachmanides,  Thorath  haadam  66b  und  R.  Jakob  ben  Ascher,  Tur 
J.  D.  Kap.  378  schreiben:  un:r  ztpi  (Tur:  \n:-.  hittz)  '-rzHZ  N'jn  ns'J  ;*"'-in  zk 
(Nachm.:  j-!:sn  'eS  t:n)  yb-zart  ]"i  -.m  =rr  un:r  cipc  p^«:«::  z-z-.yi  ci'rz.  R.  Jakob 
Naumburg  in  zp-p  r,'":  zu  Semachoth  Kap.  XIV  meint  mit  bezug  auf  diese 
Stelle  zu  der  hier  oben  angeführten:  -n.s  pr'"::  nsp  17  r.zbn  N»:n  n":;»  's  11^2. 
Nun  bringt  wohl  R.  Isak  ihn  Giat  (nnss?  ny»,  ed.  Bamberger  S.  51)  jene  bei  Tur, 
bzw.  Nachmanides  mitgeteilte  Überlieferung,  indessen  ohne  sie,  was  auch  von 


—     139     — 

Trauerhaus  bringen,  Fleisch  und  Fische  und  im  Verbände  der 
Stadt  auch  Gemüse,  Hülsenfrüchte  und  Fische."  R.  Simon  ben 
Gamaliel  sagt:  „Wo  es  Sitte  ist,  darf  man  auch  flüssige  Speisen^ 
bringen."  Daß  diese  Übertragung  nicht  richtig  ist,  liegt  auf  der 
Hand.      Schon   das  Wort   C^l.    das    sowohl   der  Vordersatz   hat 


N.  Brüll,  Zur  Kenntnis  jüdischer  Trauerbräuche  in  Kobaks  Jeschurun  VIII,  1872 
S.  32  und  Jahrbücher  a.  a.  0.  übersehen   wurde,  als  ein  Zitat  aus  72.s  'cd  bzw. 
»n2T  hzti  zu  bezeichnen.   R.  S.  B.  Bamberger  a.  a.  0.  bemerkt  wieder:  '::X3  wn  12 
'nytff  o  mani  ;"2ain  iN»2n  »nan.  So  geht  alles  in  einem  Zirkel.  Unsere  Semachoth- 
stelle   wird,    soweit  ich  sehe,   in  den  älteren   Ritualwerken   nirgeuds  zitiert. 
Diese  schweigen  aber  auch  über  manche  ähnliche  Mitteilungen.    Dazu  kommt, 
daß  sich  das  bei   ibn  Giat  Mitgeteilte  keineswegs  mit  unserer  Semachoth- 
stelle  deckt.     Vielleicht  beruht  daher  h2K2  K':n  bei  Nachmanides  —  Tur,  der 
sofort  nach  den  angeführten  Worten  fortfährt,  .inrn'?  n't-j  un:»  mpn  i-"ö-.n  ;";i 
'131,  schöpft  offenbar  seinerseits  auch  hier  aus  Nachmani  —  auf  einem  Lese- 
fehler,   bzw.    einein   Versehen.     Ibn   Giat    führt   nämlich  am  Schlüsse  eines 
größeren  Zitats  unmittelbar  vor  den  Worten,  'i:i  unj»  mpa,  Hiob  XIV,  20  an: 
■jaND  v":';  issJi  2N2<  vTj!  itj2  -h.     Xachmanides    bringt    nun    im   Dii<n  min   oft 
auf  einem  Blatr  Zitate  aus  den  verschiedensten  Werken.     Da  Anführungen 
aus  Semachoth  häufig  durch  hzaz  'n  oder  7:x  schlechthin  eingeleitet  werden, 
konnte  das  vor  'i:i  mpo  stehende  hian  im  Augenblick  leicht  irreführen,  und 
das   um   so   eher,   als   die  vorangehende  Stelle  aus  nn^-j  <-,>-r  hier  für  Nach- 
manides nicht  in  Betracht  kam.  Meine  Vermutung  wird  dadurch  fast  zur  Gewiß- 
heit, daß  da«,   was  bei  ibn  Giat  auf  den  Satz  'i:i  unj©  oipa  bis   3r::^n  's^  btn 
folgt;  iiK  ü-ii  n^-y-r;  Y:;  "r^szn  z^y  n'syi  k"n  nas:  m»n  im«  nj.t  tu  app»  i;'i  i:»-iaNp  c.im 
i"?  i'x  "jr«  ^N  ne  n?  i'x  r.  -.r-y  na  t'n  'tj'tj  '72n  ?,«  ':j'?j  n  »i^  no  a^any  'je?  ü"k.]  -  i'2.s  pns' 
'':i2N  pns»  2T  12  'j.s'ic'j  n  ':'2p  n2n  n2  N"n  n  pi  ^3  »a'jBn'ai  'j;»22  »ainj':  «3».s  2"ö  ns 
)>ni3'7a  ]'':2J<i  »"Jias  n«>';  7»2p  pn-i»  2n  n2 'jKiatff  n  ~fli  121  oan  i»n»i  T872  ]»'73ni 
KjniD  H>m  na3   iön  in»;;,    lückenlos    die   Quellen  jenes  Satzes,   nämlich 
B.  ß.  16  b    und   jer.  Berachoth  III,   1   angibt,    die  ja  für  jene  Behauptung 
einander  ergänzen.     Jedenfalls  haben  auch  Nachmanides   und  Tur  den  Satz 
nicht  in  Semachoth  vor  sich  gehabt  und  berufen  sich  eben  darum  auf  Giat. 
Was   n"2   zu   Tur   a.   a.   0.    bemerkt,    ist   nicht   einleuchtend.     Es  ist   schon 
schwierig  die  Auffassung,  daß  unter  Nnuivi  Sabbat  136  a  Fleisch  und  Leckereien 
zu   verstehen   ist,    die   übrigens    auch   Nachmanides   a.  a.  0.  hat,   in  Raschi 
z.  St.  ausgedrückt  zu  sehen.     Dieser  sagt  nur:   hziin  r..s*  ]<V:Nnr  wcy^ia.     Ua- 
möglicii  aber  kann  die  Bemerkung  von  Tossaphoth  z.  St.  ]V£'7  inya  onj  :Nn'jiis 
nuiTttl   n-i»jj,   die   nur  feststellen    will,    daß    mit    Aruch  j>Ti':Ti-   und   nicht  mit 
Raschi  z.  St.  nd'JIis  zu   lesen   ist  und   im  Anschluß   an  jene  Lesung  und  an 
Aruch,   der   das   Wort   s.    v.   ns   bringt,    dessen   sprachliche   Bedeutung   aus- 
einandersetzt, dahin  verstanden  werden:  n'i22  ü^k  in2a  i«KT  D>D';aa -.riTS  ]»«  nai'73 
D»Bij)i.     Über   tir>'':-:-i   e.   noch  Raschi  zu  Moed  Katan  20b:   '72nt  nnjja  und  die 
Bemerkung  von  Salomo  ben  Hajathom,  Kommentar  zu  Moed  Katan  ed.  H.  F. 
Chajes,  Berlin  1909  S.  105,  sowie  die  Notiz  des  Herausgebers  a.  a.  0.  Anm.  6. 


—     140     — 

wie  der  Nachsatz,  verbietet,  zu  übersetzen:  „im  Verbände  der 
Stadt  au  eil."  Alles  wird  klar,  wenn  sich  der  Nachsatz  auf 
die   „Trauermahlzeit  auf  dem  freien  Platze"   bezieht '. 

Welches  istnun  der  Wortsinn  von  ']'^V  "1-"  an  diesen  Semachoth- 
stellen?  Wenn  wir  die  Bestimmung  rnt^'>;?2mnDL:^b2Xn2n2]nDlX]\S  2 
und  die  weitere:  pcP,  ]C  C^'l'ZN  |\S-''  ins  Auge  fassen,  für  die  die  Er- 
klärer die  verschiedensten  Gründe  angeben-^,  wird  auch  hier  die  Be- 
deutung "Ti2iJZ  die  wahrscheinlichste  sein.   Ob  "iZn  oder  ~]2n  zu  lesen 

^  Wohl  nur  infolge  eines  Versehens  hat  Büchler  cvpci'jp  bezw.  niNpDi':j 
(s.  Elia  Wilna  z.  St)  unübersetzt  gelassen.  Über  diese  s.  jetzt  Krauss,  Tal- 
mudische Archäologie  I  S.  105,  S.  272  Anm.  435  u.  436.  Wenn  aber  Krauss 
a.  a.  0.  S.  105  sagt:  „ Aber  auch  innerhalb  derselben  Gesellschafts- 
klasse gab  es  im  Leben  bestimmte  Anlässe,  in  denen  zu  besserem  oder  auch 
zu  schlechterem  Brote  gegriffen  wurde.  In  dem  „Brote  des  Elends"  kam 
passend  die  Trauer  zum  Ausdruck,  während  ein  Festgelage  und  ein  Hoch- 
zeitsmahl gewiß  besseres  Brot  auf  den  Tisch  brachten",  und  dann  fortfährt: 
..Ein  Zeichen  der  Wohlfahrt  war  es,  wenn  man  sich  den  Genuß  von  ge- 
wissen runden,  schön  geformten  Wecken,  ]'pm'7J  =  xoXlii,  genannt,  gönnen 
konnte",  so  ist  diese  Angabe,  soweit  sie  unsern  Gegenstand  angeht,  durch 
unsere  Stelle  als  irrig  erwiesen.  (.-)iNpai':j  mit  Falk  Lisser,  yu'in»  j'ja  z.  St.  zu 
erklären  nns  «D'?ip  in:  nt'7  j>i2,  ist  nicht  gut  angängig.)  Aber  auch  die  Ausdrucks- 
weise: „In  dem  Brote  des  Elends"  usw.,  deren  sich  Krauss  wohl  im  Hinblick  auf 
l'esachim  36a  und  36b:  nj»JN2  "iinj  ij»k»  n-  ns'  niJ»Jsa  '::w»  na  ':y  cn'?  bedient,  ist  in 
jeder  Hinsicht  inkorrekt,  sieht  man  sich  diese  Stelle  einmal  im  Zusammenhange 
an  (s.  Raschi  a.  a.  0.  und  Mischna  Maasser  Scheni  V  12).  Jer.  Berachoth  III  1 
bezieht  sich  auf  die  Mahlzeit  vor  der  Beerdigung;  s.  an-n  nsc  ':j;ao  bits  (Talmud 
Jeruschalmi  ed.  Sitomir  1866)  z.  St.  und  Beth  .Tosef  zu  Tur  Cap.  378.  Diese  Auf- 
fassung ergibt  sich  aus  dem  Zusammenhang  und  einem  Blick  auf  Berachoth  17  a 
unten,  Moed  Katan  23b,  Semachoth  X  und  j.  Berachoth  III,  1.  Nedarim 
56a  zeigt  deutlich,  daß  nach  der  Beerdigung  nicht  nur  Wein  getrunken, 
sondern  auch  Fleisch  gegessen  wurde.  S.  noch  Nachmanides,  Thorath 
haadam  66  b,  Tur  und  Beth  Josef  a.  a.  0.  und  oben  S.  140  Anm.  2 
Ende.  Über  rmp  nwjjD,  das  Büchler  nicht  genau  wiedergibt,  s.  jetzt  Krauss  I  S. 
1Ü6,  122  "und  475.  Tur  Cap.  378  Schluß  berichtet:  ^asn  dw  nipcT:  j'jnu  i'na> 
iniN  iniß  vn  D"n«i  t>'  'rtr  naims  ntni:'  n»;a  o'riyn  "7-^'  "j'^anno  aya  i':»;»Nn'7i  inn  di3 
"Tixn  n'na«  Woher  R.  Jakob  ben  Ascher  das  hat,  wird  nicht  gesagt. 
Offenbar  ist  aber  die  Vermutung,  Thorath  haadam  67  a:  vnzr  ♦'7  nnii 
n2im2  er  n»n»  n»n:  c^vsyn  'la  ':»!?:nn  ;o  a>'0  a'7»3Nn^i  d>'72H'?  di':t  ":!?  ci:  iniN  nipPiT?  ]»jnij 
"^^NH  n»aa  v'^y  jnaa  :"nNi  n»j?  'Jir  bei  Tur  a.  a.  0.  zu  einer  feststehenden  Tat- 
sache gestempelt  worden. 

-  Mischna  Meg.  IV  3  Tosefta  Meg.  IV  14  (ed.  Zuckermandel  S.  226). 

^  Tosefta  Megilla  a.  a.  0.,  Megilla  23  b  und  Kethuboth  8  b. 

*  S.  Raschi  a.  a.  0.  Über  andere  Gesichtspunkte  s.  S.  B.  Bamberger 
in  pRS«  pi»  zu  Isak  Giat,  nnotp  nj;»  II,  S.  42  Note  231. 


—     141     — 

ist,  kann  auch  angesichts  dieser  Stellen  nicht  entschieden  werden. 
Wird    sich    aucli    jene   Lesung    von    vornherein    als    die   wahr- 
scheinUchere  empfehlen,   so  darf  doch  auch  hier  nicht  vergessen 
werden,    daß    das  Rabbinische,   welches    die    Bezeichnung  miDn 
hundertfältig   anwendet,    den  Ausdruck  ~:zri  außerhalb  der  Ver- 
bindung T>   "i^M,   soviel  ich  sehe,  nirgends  hat,  ebensowenig  wie 
auf  der  anderen   Seite  die  Bezeichnung  l^y   nmZn  zu  finden  ist. 
So  ist  nicht  unniüglich.  daß  die  Auffassung  Hais  bzw.  des  Mai- 
monides    sich  als  die  richtige  erweist.      Wie  die  Gelehrten  sich 
häufig  genug  der  verschiedensten  Angelegenheiten  angenommen 
haben  ^  und  das  alte   Judentum  am  wenigsten  den  weltfremden, 
nur   auf  sich  selbst  und  seine  engeren  Interessen  beschränkten 
Stubengelehrten   kennt,    so^   haben   gerade    sie   mehr  als  andere 
das  Wort   des  Koheleth  VII  2   bestätigt:    „Besser   ist   es  in  ein 
Haus   der   Trauer   zu   gehen,    als   in    ein  Haus    des  Gastmahls." 
In  Kethuboth  a.  a.  O.    hören   w^ir,    daß   R.  Chija  bar  Abba  und 
sein   „Methurgeman"    sich    anläßlich    des  Todes    seines  Schülers 
am  zweiten  Trauertage  im  Trauerhaus  einfinden,  um  den  „Segens- 
spruch der  Trauernden"   zu  sprechen,  bzw.  sprechen  zu  lassen, 
Sabbath    152a   u.   h    wird   uns   mitgeteilt,    daß   Rab    Jehuda   an- 
läßlich  des  Todes    eines  Ungenannten,   der  keine  „Trauernden" 
hinterlassen  hatte,  täglich  zehn  Leute  im  Sterbehaus  versammelt 
zum  gemeinsamen  Gebet.     So  mag  das  Wort  "!2m,  das,  wie  wir 
gesehen  haben,  au  einigen  Stellen  zweifellos  auf  einen  einzelnen 
zu  beziehen  ist,   eine  weitere  Bedeutung  erlangt  haben  und  über 
sich  selbst  hinausgewachsen  sein. 

Nicht  ausgeschlossen  ist  allerdings,  daß  an  den  angeführten 
Semachothstellen  ursprünglich  überhaupt  nicht  "l"";/'  "lln^  ge- 
standen hat,  sondern  "l'^J/Ti  zrr.Z.  Dieser  Ausdruck  findet 
sich  ja  bekanntlich  Richter  XIX  15  u.  17,  Esther  IV  6.  VI 
9    u.    11,     Esra    X    9.      Das    würde    dann    ganz    dem 


^  S.  Moed  Eatan  6a:  nr-;  n-::i  'T'=  t:  .s.-i!::  k:\st  ]:2:ü  t^z-n  r,::z  •;c'c 
.s''si  u.  a.  0. 

-  S.  Tosefta  Megilla  IV,  15:  'i:i  'Jr  i'j'i;':  -jr^n  r.>z  cipc  n\T  'jsyö»'  n, 
Semachoth  XII  u.  a.  0.,  Nacbmanides,  Tborath  haadam  35b:  c'Tcn  Kin  Nim 
;:  j»»i*?  iv-»  c»:iE?Nnn.  Vgl.  aucb  noch  die  Bestimn^ungen  über  das  Begleiten  einer 
Leiche  Berachoth  18a.  Moed  Katan  28b,  Kethuboth  17a  und  b;  Tosefta 
Megilla  IV,  16  u.  a.  0. 


—     142     — 

Kethuboth  8b  u.  a.  O.  entsprechen.  Mordechai,  Moed  Katan 
III    329    zitiert    Sernachoth    XII    in     der    folgenden    Fassung: 

Tni!  p'hv  ]n2c  ^zn  \r\'hv  pzc  ]\xi  i^j?n  21  m  2  iidd  |\xi 

'?2J<  b'Z'  in"'Z.  Moses  Isseries  glaubte  "l""!?"  streichen  zu 
sollen.  Der  Artikel  scheint  mir  aber  schon  dafür  zu  sprechen, 
daß  das  Wort  hier  an  seiner  Stelle  steht.  Allerdings  würde 
auch  unter  dieser  Voraussetzung  nicht  bewiesen  sein,  daß 
Mordechai  diese  Worte  so  in  Sernachoth  vorgefunden  hat.  Seine 
Worte  geben  ohnehin  jene  Stelle  frei  wieder.  Unmittelbar  vorher 
heißt  es  bei  Mordechai  nach  seiner  Vorlage:  nr~12  CICIN  pX"! 
cn"''^y  C'^ZN.  Vielleicht  wollte  Mordechai  die  von  mir  hervor- 
gehobene SchAvierigkeit,  die  darin  liegt,  daß  C'''?Zt<  rZ"1Z  und 
nzrn  nZIZ  ein  und  dasselbe  ist,  dadurch  mildern,  daß  er  die 
erste  Bezeichnung  hier  auf  den  Fall  von  mijnn  CJC  bezieht, 
in  welchem  von  einer  nzmz  HZIZ  im  Avörtlichen  Verstände  ja 
nicht  gesprochen  werden  kann,  während  er  die  Worte  "iznz  ]"''Piy  j\S 
]7vbv  "^^V  von  der  „Trauermahlzeit  auf  dem  freien  Platze"  und  zu- 
gleich von  dem  „Segensspruch  auf  dem  freien  Platze"  im  eigent- 
lichen Sinne  sprechen  läßt.  Das  wäre  jedenfalls  ein  Erklärungs- 
versuch, der  der  Wahrheit  mindestens  nahekommt  und  auch  jene 
Hypothesen  unnötig  macht,  die  ich  in  dieser  Hinsicht  vorge- 
tragen habe  ^. 


'■  Mordechai  a.  a.  0.  Kap.  929  bringt  die  Stelle  Sernachoth  XI,  N<:n, 
'i:!  tr'.s'-?  nrj<  j'ir  s»-!:i  »r.2n  'rr.sa.  Gerade  die  Bestimmung  t^  isna  i»'?lj>  l'N 
wird  aber  a.  a.  0.  überhaupt  nicht  genannt.  —  Ben  Jehuda,  Theraurus  III, 
S.  1435  macht  auf  'n  'i  yiz'n  n"w  aufmerk.sain:  n'?»  ntPN  »ip'»  »n  ■::!»  lO'Dontr 
'jnpn  »JpTi  an»j;  nnn  nyia,  wo  n'j?  t^n  bedeute:  i>V=  ■i'?>'Jni  münn.  Ich  habe  mir  außer 
den  schon  genannten  Stellen  bei  den  Dezisoren,  in  welchen  i";  "i^n  eine 
Einzelperson  bezeichnet,  noch  Bertinoro  zu  Schekalim  III  2  notiert. 


Zur  talmudischeu  Auffassung  des 
concursus  delictorum 

von  N.  A.  Nobel. 

Wenn  der  concursus  delictorum,  das  ZusammentrefFen  von 
Verbrechen  in  derselben  Person,  sei  es  durch  die  Einheit  der 
Handlung,  sei  es  durch  die  Einheit  des  verbrecherischen  Vor- 
satzes, sei  es  auch  nur  durch  die  Einheit  des  verletzten  Rechts- 
gutes oder  des  verletzten  Rechtsträgers,  eintritt,  so  ist  dem 
rechtswissenschaftlichen  Denken  ein  Problem  aufgegeben.  Die 
folgende  Untersuchung  macht  es  sich  zur  Aufgabe,  einiges 
darüber  darzulegen,  ob  das  talmudische  Strafrecht  dieses  Problem 
erkennt  und  wie  es  sich  damit  abgefunden  hat.  Da  sich  meine 
bescheidene  Arbeit  nicht  nur  an  Juristen  wendet,  sei  einleitend 
in  Kürze  das  Wesen  der  verschiedenen  Möglichkeiten  des  Zu- 
sammenströmens  von  Verbrechen  dargelegt. 

Die  ungeheure  Literatur  über  diese  viel  umstrittene  Frage 
von  Savigny  bis  zu  den  neuesten  Lehrbüchern  des  Strafrechtes 
und  den  maßgebenden  Kommentaren  zu  §  73  und  §  74  des 
geltenden  Strafrechts  zitieren,  hieße  den  Nichtjuristen  verwirren, 
für  den  Juristen  Eulen  nach  Athen,  oder  talmudisch  und 
härter  ausgedrückt,  Stroh  nach  Aphraima  tragen.  Eine  Ausnahme 
machen  einige  Stellen  aus  den  Pandekten.  Die  nur  kasuistische 
Behandlung,  welche  die  Pandekten  unserer  Frage  zuteil  werden 
lassen,  läßt  schon  in  der  Methode  die  außerordentliche  Ähnlich- 
keit mit  den  talmudischen  Pandekten  ahnen.  Dem  Stand- 
punkt der  Pandekten  wird  also  etwas  größere  Ausführlichkeit 
zukommen. 

Wenn  dieselbe  Rechtsperson  durch  ein  verbrecherisches 
Eingreifen  in  ein  fremdes  Rechtsgut  den  Tatbestand  eines 
Strafgesetzes     wiederholt    verwirklicht,     ohne    daß    eine    dieser 

Guttmann,  Festschrift.  •'•^ 


! 


—     144     — 

deliktischen  Verwirklichungen  eine  gesetzmäßige  Aburteilung 
erfahren  hätte,  so  hat  sie  eine  Realkonkurrenz  geschaffen,  ein 
reales  Zusammentreffen  mehrfacher  Vergehungen.  Das  Problem 
des  Zusammentreffens  ist  aber  nur  schwach  entwickelt,  ja  steht 
auf  der  niedrigsten  Stufe  rechtlicher  Entfaltung,  weil  die  Ein- 
heitlichkeit auf  der  niedrigsten  Stufe  eines  rechtlich  gültigen 
und  wirksamen  Maßes  verbleibt.  Bei  dem  realen  Zusammen- 
treffen ist  das  Zusammentreffen  also  am  wenigsten  real,  die 
rechtliche  Verschiedenheit  des  Zusammentreffenden  um  so  realer. 
Aber  selbst  bei  dieser  Konfluenz,  die  nach  der  Anschauung  und 
Praxis  des  geltenden  Rechtes  dem  eigentlichen  rechtswissen- 
schaftlichen Problem  nicht  viel  mehr  ähnlich  sieht  als  der  Rhein 
in  Holland  unserm  Rhein,  haben  wir  im  talmudischen  Strafrecht 
infolge  einiger  eigenartiggeschichteter  talmudischer  Rechts- 
anschauungen, eigenartige  rechtliche  Ergebnisse.  Zur  Ver- 
gleichung  ziehe  ich  heran  1.  7  §  5  D.  de  accusationibus  et 
inscriptionibus  48,2: 

„cum  sacrilegium  admissum  esset  in  aliqua  provincia,  deinde 
in  alia  minus  crimen,  divus  Pius  Pontio  Proculo  rescripsit, 
postquam  cognoverit  de  crimine  in  sua  provincia  admisso, 
ut  reum  in  eam  privinciam  remitteret,  ubi  sacrilegium  admisit. 
Das  Reskript  erörtert  einen  Fall,  in  dem  Tempelraub  und 
ein  minus  crimen,  wohl  ein  privatrechtliches,  realiter  konkurriren. 
Es  gebietet,  den  Tatbestand  des  minus  crimen  festzustellen, 
den  Angeklagten  sodann  an  den  Schauplatz  des  sacrilegium  zu 
transportieren.  Die  Realkonkurrenz  ist  mit  besonderer  Deutlich- 
keit dadurch  gekennzeichnet,  daß  die  beiden  Verbrechen  an 
verschiedenen  Stätten,  sogar  in  verschiedenen  Provinzen  sich 
abspielen,  so  daß,  wie  es  für  die  Realkonkurrenz  erforderlich, 
keine  Einheitlichkeit  weiter  zurückbleibt  als  die  Vereinheitlichung 
des  Subjektes,  als  des  Trägers  beider  Übertretungen  und  die 
Unabgeschlossenheit  beider  Delikte,  indem  der  Vertreter  des 
Rechtes,  der  Richter,  beiden  noch  nicht  seine  strafende  und 
sühnende  Gewalt  hat  angedeihen  lassen.  Der  rechtliche  Sinn  i 
der  Vorschrift  ut  reum  in  eam  provinciam  remitteret,  ubi 
sacrilegium  admisit  wird  sich  aus  der  nach  Provinzen  ver- 
schiedenen Artung  des  sacrilegium  und  seiner  rechtlichen 
Ahndung  ergeben.     Immerhin  ist  anzunehmen,  daß  das  römische 


—     145     — 

Gesetzbuch  diesen  Fall  darum  besonders  erörtert,  weil  hier 
■durch  die  örtliche  Entfernung  der  Tatstätten  ein  untrügliches 
principium  divisionis  gegeben  ist. 

Im  talmudischen  Recht  ist  für  die  konkurrierenden  Ver- 
brechen ein  principium  divisionis  geschaffen,  das  dem  Richter 
als  klassische  Bezeugung  für  die  Getrenntheit  der  verbreche- 
rischen Handlungen  zu  dienen  berufen  ist.  Der  Talmud  ver- 
langt bei  strafrechtlichen  Handlungen  den  Beweis  dafür,  daß 
die  Rechtswidrigkeit  tatsächlich  als  gewollter  Erfolg  der  ver- 
brecherischen Handlung  vorschwebte,  in  der  untrüglichen  Form 
einer  dem  Verbrechen  vorausgehenden  Verwarnung.  Diese  be- 
zweckt nicht  nur  Sicherheit  darüber  zu  schaffen,  daß  ein  aus- 
gesprochener dolus  sich  der  richterlichen  Beurteilung  darstellt, 
talmudisch  ausgedrückt:  T'Ta'?  JUIE'  ^D  J'D^n'?,  sondern,  mit  der 
Erweckung  des  bestimmten  Bewußtseins  eines  direkten  dolus 
(nicht  etwa  eines  nur  eventuellen  oder  generellen  dolus)  sich 
noch  nicht  begnügend,  verlangt  der  Talmud  von  der  Verwarnung, 
daß  sie  die  Art  der  Bestrafung  dem  Verbrecher  deutlich  be- 
nenne, talmudisch  ausgedrückt:  nn'cb  "?2ay  -)\"""':i'  n^.  — 

Nur  in  Klammern  sei  bemerkt,  daß  diese  doppelte  Forde- 
rung der  HNirn,  der  Verwarnung,  nicht  allgemeingültig  ist  und 
nicht  als  unbedingte  Norm  talmudischen  Rechts  angesehen  werden 
kann.  Sie  vereinfacht  sich  dort,  wo  die  Persönlichkeit  des 
Verbrechers  Gewähr  dafür  bietet,  daß  ihm  die  die  vorsätzliche 
Rechtswidrigkeit  bedrohende  Strafe  bekannt  sein  wird,  oder  daß 
der  erforderte  dolus  bei  ihr  auch  ohne  .INIPH  klar  ist.  Tal- 
mudisch ausgedrückt:   HNirn  "ina  |\s'  i<}'iif  HNirn  y-\)i  TN  "inn 

Ein  Gesetzkundiger  bedarf  der  Verwarnung  nicht,  soweit 
sie  eine  Rechtsbelehrung  in  sich  schließt.  Der  Nachweis  des 
dolus  wäre  wohl  auch  bei  ihm  notwendig.  Bei  wem  offen- 
kundige und  bekundete  Feindseligkeit  gegen  den  Betroffenen  vor 
der  verbrecherischen  Handlung  gegeben  ist,  für  den  ist  das 
Vorhandensein  des  dolus  als  gegeben  anzunehmen.  Doch  wird 
die  Rechtswohltat  der  Belehrung  als  Erfordernis  der  Bestrafung 
ihm  logischerweise  nicht  abgesprochen  werden  können. 

Das  Ergebnis  wäre,   daß    für    realiter   konkurrirende   Straf- 
taten das  talmudische  Recht  in  einer  Forderung  der  Verwarnung 
die    für    jedes    einzelne    Verbrechen    besonders    erteilt    werden 

10* 


—     146     — 

muß,  ein  unbedingt  fehlerlos  wirkendes  Mittel  hat,  um  die 
Vorbedingung  der  Realkonkurrenz,  die  Uneinheitlichkeit  der 
Handlungen  festzustellen. 

Von  Realkonkurrenz  wird  im  Talmud  häufig  auch  ge- 
handelt, wenn  bei  rituellen  Vergehungen,  bei  denen  jeder  dolus 
fehlt,  sakrale  Straferfolge  eintreten,  die  mehr  den  Charakter  der 
Sühne  als  den  der  Strafe  tragen  müssen.  Auch  hier,  wo  das 
strafrechtliche  principium  divisionis,  die  Verwarnung,  in  Weg- 
fall kommt,  sucht  der  Talmud,  um  eine  Mehrheit  von  verletzten 
Sakralgütern  real  konkurrieren  zu  lassen,  nach  einem  Grundsatze, 
der  die  Mehrheit  und  das  Auseinanderfallen  der  verschiedenen 
rituellen  Vergehungen  bekundet. 

Erst  wenn  feststeht,  daß  zwei  oder  mehr  Vergehungen 
nicht  unter  dem  Schutz  derselben  ignorantia  ("IHN  C'^'yriD)  be- 
gangen sind,  oder  daß  sie  durch  eine  getrennt  erfolgende  Be- 
wußtwerdung  'JtJ'n  by  ib  ymjT  lim  pia'Nin  by  ^b  yiu,  in  getrennte 
Rechtsgutverletzungen  zerfallen,  ist  eine  Kumulation  der  aufzu- 
legenden Opfer  zulässig. 

Von  besonderem  Interesse  ist,  daß  die  talmudische  Dis- 
kussion sich  gar  nicht  genug  daran  tun  kann,  zu  betonen,  wie 
weitgehend  als  Bedingung  einer  Kumulation  die  Getrenntheit 
der  konkurrierenden  Vergehen  zu  fordern  ist.  Es  wird  nämlich 
lebhaft  erörtert,  ob  die  zeitlich  auseinanderfallende  Bewußt- 
werdung  der  Vergehen  Genüge  biete  für  die  auseinanderfallende 
rechtlich- sakrale  Behandlung.  Es  taucht  die  Meinung  auf,  daß 
dies  auch  nicht  genüge,  sondern  hinzutreten  müsse  die  HLJ'iDn 
d.  h.  der  bereits  erfolgte  Beginn  der  sakralen  Reinigung  für  das 
erste  Vergehen.  Dann  erst  sei  eine  genügende  Scheidung  der 
Vergehungen  geschaffen,  dann  erst  jede  einheitliche  Zusammen- 
fassung zerstört,  oder  juristisch  ausgedrückt,  dann  erst  die  Vor- 
bedingung einer  Realkonkurrenz  geschaffen.  Nach  dieser 
juristischen  Betrachtung  folge  die  Stelle  aus  Sabbath  71  b,  an 
der  diese  Erörterungen  in  gewohnter  kasuistischer  Form  nieder- 
gelegt sind:  ]wti-\n  'py  -h  l}l^2'\  ma  nbynD  n'pn  \nn  ^je?  'pdn  irsn^'N 
N^N  D^^n  ij"'N  -iDN  b""n  DTB'  T"'n  -icN  ]2nv  '~\  "'jci'n  b};  i"?  yi-oi  iim 
t'pd  nh^t  ^j'''pd  ntJ'iDH  omp  '^b  yi\"^"'N-i  ^l^n  y^b  nj^idi  b"ü  ''2^  nnx 

nw~\t)n  -iHNb  '•'b  y-i-^in^Nn  No'pn  in  n^r^  D^"'m  ]2nv  "6  b"-)  .t^  mo 


—     147     — 

b2^  npbn^  mDD  idd  im  mp'pna  mti'-iDn  i3d  -im  "'j^'pd  n-3"i  ■'j^^d 
^^bn  'iN  ,rnN  n'^n  n^n  'j^ni  v:;^pb  w\b  pm-'  '"''?  '2-\  mo  h^idp-i  mip 
npi'pnc  'T3  p  "n  |^d  nidpod  '•'b  nr^N  ,ppibnQ  in  j^m  in  p.  Es 
ist  also  eine  noch  weitergehende  Anschauung  vertreten,  wonach 
der  Beginn  der  sakralen  Handlung,  als  welcher  ntl'iDn  anzu- 
sehen wäre,  noch  nicht  genügte,  um  den  Tatbestand  der  Real- 
konkurrenz zu  geben.  Vielmehr  np'^'no  m~iQD  erst  die  voll- 
kommen abgeschlossene  sakrale  Sühne  würde  Vergehung  von 
Vergebung  genügend  trennen,  um  r'Nün  p'bn  zu  schaffen,  um 
die  Vergehungen  unter  den  Gesichtspunkt  der  Realkonkurrenz 
zu  stellen.  — 

Den  talmudischen  Erörterungen  über  die  ungleichartige 
Realkonkurrenz,  über  Idealkonkurrenz  und  Gesetzeskonkurrenz 
sei  eine  Fortsetzung  dieser  Arbeit  gewidmet.  Dabei  wird  es 
von  besonderem  Wert  sein  zu  erkunden,  was  etwa  im  Talmud 
über  die  wurzelhaften  Zusammenhänge  der  Ideal-  und  Gesetzes- 
konkurrenz grundsätzlich  ausgesprochen  ist. 


Drei  unbekannte  Paraschas  aus  Bereschit  rabba. 

Von  J.  Theodor. 

Die  drei  Paraschas,  die  hier  zum  ersten  Male  veröffentlicht 
werden,  sind  Par.  95—97  in  Cod.  Vat.  Ebr.  30  ^  die  —  fremd 
den  Ausgaben  und  den  anderen  mir  bekannten  Hss.^,  wie  auch 
Aruch,  Jalkut,  dem  anonymen  Kommentar  zu  B.  r.^,  Raschi 
und  Lekach  tob"*,  aber  in  zahlreichen  Auszügen  in  den 
Kompilationen  des  Midrasch  haggadol  (Sp.  687  —  721)  uns 
vorliegend  5  —  wohl  einen  echten  und  sehr  wichtigen  Bestand- 
teil  des    Bereschit   rabba   bilden,   über   dessen   letzte    Paraschas 

1  Eine  alte  sehr  wertvolle  Pergamenthandschrift  der  Vaticana  (V),  alte 
deutsche  Quadratschrift,  Schriftgröße  16'/,xl2V2,  193  Blatt,  fortlaufend  pa- 
giniert, aber  vielfach  defekt;  fol.'iabeginntn»;?  iüh  Sa  ns  D-hn  nti  man  (in  Par.  8,7), 
fol.  9b  endet  N*?»  Dü'3  iSnax  (in  Par.  6,9),  fol.  10a  beginnt  Ncnn  d'':k  nn^'i  (in  17,1); 
auf  fol.  19a  folgt  auf  uco  -ma^  wn  rnsn  in  D»'po  "«  ^^i  (i^  -^•^)  unmittelbar 
D'p'oyon  nn  (24,1);  fol.  193b  endet  die  Hs.  .  .  'junn  'Jsö  pN'?  nnipj  'Jn«  «nn  (in 
100  2);  über  eine  eigentümliche  Versetzung  auf  fol.  26 äff.  in  die  Parascha 
»pi»«  ahü"  vgl.  Mschr.  39,486  (Die  Angabe  ebend.  „vom  J.  1073"  wie  Mschr. 
37,170  „enthaltend  B.  r.,  yn  vom  J.  1073  und  nm  H'-jk"  beruhte  auf  einer 
mir  gemachten  ungenauen  Mitteilung;  diese  beiden  letzteren  Werke  sind  im 
Cod.  Vat.  Ebr.  31  von  J.  1073  enthalten,  nach  welchem  Friedmann  den  Seder 
Eliahu  rabba  und  Seder  Eliahu  zuta,  Wien  1902.  herausgegeben  hat.  Ich 
besitze  von  Cod.  Vat.  Ebr.  30  eine  genaue  von  mir  in  Rom  kollationierte 
Abschrift  bis  Ende  Par.  53  und  von  fol.  81b  bis  zum  Schlüsse  eine  vorzüg- 
liche photographische  Reproduktion. 

2  Vgl.  Mschr.  37,l69£f.  und  das  D>:D»2n  ni'?  in  meiner  Ausgabe  des 
B.  r.;  zu  den  „Hss."  zähle  ich  hier  nicht  die  späte  jemenitische  Hs.  (n), 
die,  wie  mein  kritischer  Apparat  zeigt,  fast  ganz  mit  den  früheren  Ausgaben 
übereinstimmt    und    vielleicht    von   einer   alten   Ausgabe    abgeschrieben   ist. 

^  Vgl.  meinen  xm  n»!PNia  üivb  'jy  iönd  in  der  Lewy-Festschrift,  hebr. 
Teil  S.   132  ff. 

*  Vgl.  jedoch  zu  S.  158  Zeile  19. 

"  Der  gelehrte  Herausgeber  der  M.  hagg.  mußte  alle  diese  Stellen,, 
deren  Quelle  ihm  nicht  bekannt  sein  konnte,  mit  „v"s"  notieren. 


—     149     — 

(von  Ende  IJTl  iu  den  Ausgaben)  ein  besonderes  Schicksal  ge- 
waltet haben  muß',  der  aber  gewiß  nicht,  wie  Zunz^  vermutete, 
defekt  geblieben  ist 3. 

In  den  Ausgaben  ist  schon  Par.  95,  deren  Text  auch  die 
anderen  Hss.  haben,  sehr  auffällig.  Bereschit  rabba,  dessen 
Paraschas  mit  Proömien  mancherlei  Art  beginnen-^,  ist  kein 
Homilien-Midrasch,  wie  die  beiden  Pesiktas,  die  beiden  Tanchumas, 
Vajikra  rabba,  Debarim  rabba  u.  a.,  sondern  ein  Ausleguugs- 
Midrasch,  der,  wie  die  tannaitischen  Midraschim,  den  Schrifttext 
von  Vers  zu  Vers  begleitet  ^  Mit  Par.  95  {ri^l'^'  rmn"'  HNl) 
bricht  die  fortschreitende  Auslegung  ab;  die  Parascha  ist  eine 
Homilie  über  Gen.  46,28  mit  dem  messianisehen  Schluß 
'in  kSZ"  C:':;i>'?  'TZN  .  .  n"2pri  ^^  "ir^vS'^,  die  wir  im  Tanchuma  voll- 
ständiger wiederfinden  (Tanchuma  ed.  Buber  *lJT1  Nr.  9,  10,  12, 
Tanch.  ZT^  Nr.  8,  9,  11)'^:  dieser  Homilie  ist  in  den  anderen  Hss. 
noch  die  Auslegung  zu  Gen.  47,2  (H^p^l)  beigefügt,  auf  die  in  den 
Agg.  noch  ein  Satz  zu  Gen.  47,16  folgt  (vgl.  S.  159,  Z.ll).  Cod.  V 
hat  in  Par.  95  einen  ganz  anderen  Text  mit  der  fortlaufenden 
Auslegung   zum   ganzen    Schriftabschnitt   ("CIPD  '2   und  Seder)! 

Par.  96  (zpV  "'""'1)  der  Agg.,  die  auch  die  anderen  Hss. 
haben*^,    ist   wieder   ganz  mit  Tanchuma  übereinstimmend  (Tan- 

'  Aruch,  Jalkut.  u.  a.  kannten  auch  zum  Segen  Jacobs  nur  die  Re- 
zension der  njnn  na»w,  vgl.  w.  u.S.  153  Lurja  bemerkt  schon  zu  Par.94,8  msnDUn  '3 
D'oa  laa  niB?3i»iii  nnsipa  i'tk  nunn«  m>»iaD  t'32  ;  als  ein  Zusatz  zu  dieser  Parascha, 
den  wohl  auch  V  hat.  erweist  sich  nach  A  und  anderen  Hss.  die  ganze 
iSTo.  9;  das  auffallende  Stück  -[n;»  cpircn  ir  n"t  Ende  Par.  88  fehlt  auch  in 
V,  vgl.  Mschr.  38,523. 

■'  G.V.  S.  256. 

=>  Vgl.  auch  Weiss,  Dor  III  S.  258  ff. 

*  Vgl.  Zur  Komposition  der  agadischen  Homilien.  Mschr.  28,112  ff., 
169 ff.;  Mschr.  38.5-0;  Lerner.  Anlagen  und  Quellen  des  Bereschit  Ptabba 
S  16ff.,  26ff.,  129ff.;  Bloch.  Studien  zur  Aggadah,  Mschr.  34,174ff.;  Maybaum, 
Die  ältesten  Phasen  usw.  S.  15ff. ;  Bacher,  Die  Proömien  usw.  S.  26ff. ; 
Künstlinger,  Die  Petichot  des  Midrasch  rabba  zu  Genesis  S.  1  ff. 

^  Vgl.  Die  Midraschim  zum  Pentateuch  und  der  dreijährige  palästinen- 
sische Cyclus,  Mschr.  34,363  f. 

«  Vgl.  Mschr.  28,1(.9;  34,425. 

'  Vgl.  auch  Lerner  a.  a.  0.  S.  120,  Buber,  Einleitung  z.  Tauch.  S.  73. 

*  A  und  E  jedoch  nur  bis  n"nn  ni^jisa ;  das  letzte  Stück  niü  j"'  uui  fehlt 
auch  in  PO'O^M;  schon  Lurja  verweist  zu  96,2  auf  Tanchuma  nonsn  bi  -hdh 
n3>i  jiüTn  -iWHi  n"3n  p  nj««i  a»D  npnjjin  n- 


—     150     — 

chuma  B.  "»n^l  Nr.  1-6,  Tan  eh.  ^n^^  Nr.  1  bis  Nr.  3  gegen  Ende)i. 
Cod.  V  hat  auch  in  dieser  Parascha  einen  ganz    anderen  Text! 

In  Par.  97  der  Agg.  beginnt  die  Auslegung  erst  zu  Gen. 48,15; 
es  fehlt  die  Auslegung  zu  Gen.  48,1—14.  Diese  Parascha  ist 
Par.  98  in  Cod.  V,  wo  Par.  97  die  fehlende  Auslegung  zu 
Gen.  48,1 — 14  bietet!  Die  anderen  Hss.  haben  zum  ganzen 
Schriftabschnitt  Gen.  48,1  —  22  (nmns  'C  und  Seder)  gar  keine 
Auslegung. 

Die  drei  Paraschas  in  V  zeigen  in  ihrer  Anlage  und  Aus- 
führung das  Gepräge  des  echten  Bereschit  rabba.  Auch  die 
Sprache  ist,  wie  zum  allergrößten  Teil  in  B.  r.,  fast  durchweg 
neuhebräisch  ^,  an  einigen  Stellen  mit  wenigen  aramäischen  Aus- 
drücken vermischt^;  nur  in  Erzählungen,  volkstümlichen  Deu- 
tungen, sprichwörtlichen  Aussprüchen,  oft  gebrauchten  Wendungen 
usw.  ist  die  Sprache  aramäisch  oder  gemischt  aram. -hebräisch-^. 
Das  für  B.  r.  so  charakteristische  kSn/^rvSS  findet  sich  in  seinen 
beiden   Bedeutungen   als   Fragepartikel    und    Interjektion ^    auch 


^  Aus  der  vollständigen  Homilie  in  Tanch.  ß  fehlt  im  Tanchuma  der 
Anfang  No.  1  und  in  B.  r.  Agg.  No.  7  mit  dem  messianischen  Schluß 
'1D1  Kan  d'^ij?'?  hm  >  >  n-opn  noN. 

2  Die  Ansicht  in  den  G.V.  S.  176,  daß  B.  r.  auch  in  Bezug  auf 
die  Sprache  „durchaus  mit  der  jerusalemischen  Gemara  übereinstimmt",  ist 
nicht  zutreffend.  Das  Verhältnis  zwischen  dem  Hebräischen  und  Aramäischen 
im  j.  T.  bedarf  noch  der  Feststellung. 

^  S.  156,  Z.  7  (vgl.  c.  33,2;  S.  304  in  meiner  Ausgabe);  S.  159,  Z.  11. 

17;  S.  169,  Z.  9. 

*  S.  lo7,Z.15;  S.159,Z.  13;  S.164,  Z.  13;  S.165,  Z.  2;  S.166,  Z.  11;  S.167, 
Z.l,  7;  S.  168,  Z.  4;  S.  169,  Z.  14.  —  S.  i61,  Z.  4.  —  S.  164,  Z.  8.  —  S.  160, 
Z.  19;  S.  161,  Z.  3.  6.  17;S.  162,  Z.  1,8,12  (n'nytpnama).  Man  vergleiche  damit 
dieStellen  solcher  Art  B.  r.  (meine  Ausgabe)  S.  44  f.,  51,  80  ff.,  87.91  ff.,  125, 127, 
131, 139,  143,  145,  147,  152  ff,  163,  170,  172,  177,  189,  196,  205,  210,  213,  216, 
225,  227,  236,  242,  247,  257,  265,  266,  272,  273,  275,  280,  283,  296,  300  ff.,  304  ff, 
319,  327,  328  ff.,  335,  336,  338,  345,  357,  359,  361  ff,  3S4,  385,  389,  393, 
452,  479,  496,  502  f,  511,  513  f.,  527,  528,  543,  554,  565,  574,  583,  599,  600, 
604,  625,  632,  636,  638,  639;  ferner  c.  60  (8  u.  9),  c.  62  (2),  c.  63  (8),  c. 
64  (10),  c.  65  (13,  16,  22)  c.  67  (2,  5,  6),  c.  68  (12),  c.  70  (13,  14,  19), 
c.  74  (2,  4),  c.  75  (5),  c.  76  (6,  8),  c.  77  (2),  c.  78  (1,  6,  11,  12,  15),  c.  79  (6,  7), 
c.  80  (1),  c.  81   (3),  c.  87  (3),  c.  89  (8),   c.  91  (3,  7),  c.  92  (6),  94  (7)  u.  a. 

^  Vgl.  Bacher,  Die  exegetische  Terminologie  11,  S.  236. 

•  Vgl.  B.  r.  S.  3,  36,  41,  54,  44,  162,  177,  202,  447  u.  a. 


—     151     — 

in  den  drei  Paraschasi,  ebenso  die  Formel  HICN  mn,  zur  An- 
knüpfung einer  These  an  den  Schrifttext 2,  }<in  mn  für  ""HP,^, 
ferner  m^'J?  in  der  Bedeutung  „sich  aufhalten",  „verweilen"*, 
wie  mehrmals  im  B.  r.  Acht  Stellen  in  den  drei  Paraschas^ 
sind  Wiederholungen  aus  früheren  Paraschas;  solche  Wieder- 
holungen von  einzelnen  Sätzen  und  umfangreichen  Stücken,  die 
nach  ihrem  Inhalt  oder  den  in  ihnen  gedeuteten  Versen  aus 
der  Genesis  auch  in  andere  Paraschas  aufgenommen  werden 
konnten,  sind  im  B.  r.  überaus  zahlreich  ß.  Das  gleiche  Ver- 
fahren, dieselben  Stellen  zu  wiederholen,  ist  schon  bei  der 
Redigierung  der  tannaitischen  Midraschim  und  des  Talmuds, 
insbesondere  des  j.  T.,  in  weitem  Umfange  angewandt  worden". 
In  V  ist  öfter  die  wiederholte  Stelle  gekürzt  und  mit  einem 
eigentümlichen  Ausdruck  auf  die  frühere  Stelle  verwiesen S; 
sehr  bemerkenswert  ist,  daß  bei  einer  solchen  Kürzung  in  Par.  65 
auf  die  spätere  Stelle  in  einer  dieser  drei  Paraschas  verwiesen 
wird^,  die  also  der  Schreiber  des  Cod.  V  nicht  etwa  später  aus 
einer  fremden  Quelle  ergänzt  hat,  sondern  in  seiner  Vorlage 
als  echte  Paraschas  des  B.  r.  vorgefunden  haben  muß. 

Das    Verhältnis    zum    jerusalemischen   Talmud    in    diesen 


^  S.  165,  Z.  14;  S.  167,  Z.  18;  S.  169,  Z.  2;  S.  170,  Z.  18  (auch  zwei- 
mal in  V.  Par.  99)    Nnanx,  S.  161,  Z.  15  par\n. 

^  S.  159,  Z.  5;  S.  165,  Z.  14,  vgl.  B.  r.  S.  87,  484,  505,  530,  548,  573, 
c.  78,8,  c.  98,5  und  Bacher  a.  a.  0.  S.  45. 

3  S.  159,  Z.  8;  ö.  167,  Z.  20;  S.  168,  Z.  10;  S.  169,  Z.  4;  S.  170,  Z.  5; 
S.  171,  Z.  11;  oft  abgekürzt  n"n  in  meiner  Ausgabe,  vgl,  Bacher  ebend. 

*  S.  157.  Z.  14;  S.  160,  Z.  11;  wie  B.  r.  c.  53,  q  (S.  564),  c.  54,4  (S.  580), 
c.  54,6  (S.  584.  vgl.  Anm.),  c.  57,4  (S.  615),  c.  78,16. 

"  S.  156,  Z.  3;  S.  157  Z.  10;  S.  160,  Z.  4;  S.  162,  Z.  3;  S.  165,  Z.  6; 
S.  167,  Z.  16;  S.  168,  Z.  11;  S.   171,  Z.  1. 

*  Nach  meiner  Zählung  in  Par.  1 — 94  über  120  Stellen,  darunter  um- 
fangreiche Stücke  wie  c.  5,1  (S.  32)  und  c.  28,2;  c.  22,5  und  c.  34,9  (S.  318); 
c.  52,5  und  c.  74,7;  mehrmalige  Wiederholungen  wie  c.  1,14,  c.  22,2,  c.  53,15; 
c.'3,2,  c.  10,9,  c.  12,10,  c.  27,1;  c.  8,1,  c.  21,3,  c.  24,2;  c.  11  (S.  88 f.),  c  12 
(S.  103),  c.  82,15;  c.  20,6,  45,10,  c.  48,20,  c.  63,7;  c.  25,3,  c.  40,3;  c  64,2; 
-c.  32,3,  c.  34,2,  c.  55,2;  c.  50,3,  c.  68,8,  c.  86,2;  c.  50,9,  c.  68,12,  c.  78,2  usw. 

■•  Vgl.  Weiss  a.  a.  0.  S.  259. 
«  So  S.  157,  Z.  11,  vgl.  z.  St. 
"  Vgl.  zu  S.  168,  Z.  12. 


—     152     — 

drei  Paraschas  ist  ganz  dasselbe  wie  im  übrigen  Midrasch^. 
Schwerlich  kann  man  von  den  Stellen  auf  S.  164  und  166  f.  sagen^ 
daß  sie  Entlehnungen  aus  dem  j.  T.  sind,  auf  dessen  stark 
abweichenden  Text  in  den  Anmerkungen  hingewiesen  ist-,  man 
vergleiche  nur  S.  164,  Z.  15  rrpi:?^  jnr,1  HDIIJ^  p  mril  pCN  mit 

Tii'Qb  rp^  ]'pD^  pM  -ir  \x  p^rn  n^n  ir  ic^j  im  j.  T.! 

Mit  Gewißheit  darf  man  annehmen,  daß  die  drei  Paraschas 
in  Midrasch  Kohelet  benutzt  sind 2.  Das  Proöm  in  B.  r.  Par.  33,2 
und  das  Proöm  der  ersten  der  drei  Paraschas  bilden  die  ersten 
zwei  Variationen  in  M.  Khl  zu  9,14  und  15;  das  Proöm  der 
zweiten  der  Paraschas  ist  daselbst  zu  Khl.  9,11  aufgenommen.  — 
Für  die  Erzählung  über  Chananja  b.  Chachinai  in  der  Version 
Vajikra  r.  Par.  21,8»  liegt  uns  vielleicht  in  V  Par.  95  (S.  18) 
die  Quelle  vor. 

Die  drei  Paraschas,  deren  Echtheit  man  nicht  zu  bezweifeln 
braucht,  stellen  mit  Par.  97  der  Agg.,  die  auch  V  (als  Par.  98) 
hat^,  die  Verbindung  zwischen  B.  r.  Par.  94  und  den  Aus- 
legungen zu  Gen.  49,1  ff.  (Segen  Jacobs)  in  Par.  98  —  100  der 
Agg.  her,  die  —  ohne  das  sS':^-«  XJLJ'"'':'  in  Par.  99,5 — 12  — 
gleichfalls  in  V  (Par.  99 — 101)  enthalten  sind. 

Nach  Zunz^  ist  an  den  letzten  fünf  Kapiteln  der  B.  r.  fast 
alles  „anders  als  in  den  übrigen  Paraschas:  die  Anfänge,  die 
Ausdrücke,  die  Darstellung.  Nächst  Wiederholungen  aus 
Bereschit  rabba  finden  sich  doppelte  Rezensionen  und  ein 
beträchtlicher  Teil  des  Inhalts  stimmt  mit  Tanchuma  überein." 
Der  Cod.  V  zeigt  uns,  daß  alle  Argumente  Zunz'  hinfällig  sind! 
Dieser  Hs.  ist  fremd  die  ganze  Par.  96  der  Agg.  mit  dem  An- 
fange '^2^  n^iHD  ii  nijns  rir2h  cn-i?^  p.sz  zpv^  ^n^i^  den  Aus- 

^  Vgl.  Lerner  a.  a.  0.  S.  72  —  S.  95;  für  L.  beweisen  die  von  ihm 
behandelten  Stellen  mit  einem  hohen  Grade  von  Wahrscheinlichkeit,  daß 
der  echte,  von  Zusätzen  und  Glossen  freie  B.  r.  vom  j.  Talmud  vollständig 
unabhängig  ist. 

-  Über  die  Benutzung  der  Proömien  älterer  Midraschim  im  M.  Khl. 
vgl.  Mechr.  29,  185  ff. 

'  Vgl.  Bacher,  Agada  der  Tanuaiten,  2.  Aufl.  S.  435. 

*  Vgl.  ob.  S.  150. 

*  GV.  S.  254.  —  Par.  95  hat  Zunz  gar  nicht  in  Betrachtung  gezogen. 
'  Vgl.  G.   V.  ebend.  Anm.  a  bis  e;    Zunz  notiert   die  Stellen  in  B.  r. 

nach  der  Midraschausg.  Frankfurt  a.  0.  1705,  den  Jalkut  noch  der  Ausgab» 
Frankfurt  a.  0.  1709. 


—     153     — 

drücken  C^czr.  nCN  (96,4),  i:\-n2"l  nCN  (96^5),  den  vielen. 
ImN  1Z"t  (96,1  u.  5).  der  Übersetzung  ins  Hebräische  (96,5):  die 
ganze  Parascha  ist  eine  Tanchuma-Homilie,  für  die  V  eine 
ganz  andere  Parascha  hat.  —  In  den  Anfängen  von  Par.  98  — 101 
in  V  (Agg.  97  — 100)  stehen  ganz  regelrecht  die  Schrifttexte  vor 
den  Proömialtexten  ^,  die  in  den  Agg.  ausgefallen  sind.  Die 
Wiederholungen  aus  früheren  Paraschas  sind  ja  im  B.  r.  ganz 
gewöhnlich"^.  Die  doppelte  Rezension  in  Agg.  99,5 — 12  fehlt 
gänzlich  in  V5  sie  stimmt,  nach  dem  abweichenden  Anfang  in 
Nr.  5,  ganz  mit  Tanchuma  Ti''!  Nr.  9 — 13  überein  ^;  das  zweite 
Winx  NJl^'''?  in  Agg.  Par.  100,12  u.  13,  das  gewiß  auch  V  nicht 
kannte*^,  stammt  gleichfalls  aus  Tanchuma  (Tanch.  B.  ^n^l  Nr.  17  u. 
18,  Tanch.  Nr.  16  u.  17).  Sonst  finden  sich  in  den  vier  Para- 
schas nur  wenige  Stellen,  die  ähnlich  in  Tanchuma  vorkommen. 
Parallelen  zwischen  den  einzelnen  Midraschim,  auch  zwischen 
B.  r.  und  Tanchuma,  sind  ja  vielfach  vorhanden.  Nichts  hindert, 
diese  Parascha  nach  ihrer  Sprache  und  dem  reichen  Inhalt  der 
Auslegungen  zum  deutungsreichen  Schriftabschnitt  für  echt  zu 
halten,  und  Par.  100,  Nr.  11  Ende  (Agg.)  CU'^^T  in\x  ^^Jr^^  ~"7^n 

ncniic  c\s*Im  hmiL'^  ^:2  m^i^*  n^j^i  ]n  ^72^  c^ijcz  inNZ  ist  wohl 

der  echte  Schluß  des  B.  r.  ^. 

Eine  andere  „eigene  Bewandtnis"  hat  es  mit  der  nw^n  Tll^'^lL' 
zum  Segen  Jacobs  S;  Anfang  und  Ende  —  beinahe  die  Hälfte  — 


^  In  V  beginnt  Par.  98  (Agg.  97)  ""•  ns  int  'ui  c»n-Nn  "on'i  tjcr  nn  -n^n 
'121  n'>'^T^  n  'BN  '1JI  vjfvp,  Par.  99  (Agg.  98)  'i;i  pry  c'^rnb  Nip«  'ui  vi2  hn^py  snp'i, 
Par.  100  (Agg.  99)  'i;i  ]r,)i-\r\  na-  'ui  .-jia»  3nt  ]n»J2,  Par.  101  (Agg.  100)  apy«  hy] 
'121  '2  )yi  'IJ1  i'^ji  tjDN'i  lun  na  ms- . 

-  Vgl.  ob.  S.  151 ;  in  Par.  97  Agg.  ist  No.  2  wiederholt  aus  30,10;  No.  3- 
aus  20.9;  No.  4  Ende  aus  6,9  u.  84,11;  No.  6  Ende  aus  80,10;  die  mit  '121 
gekürzten  Stellen  sind  in  V  Par.  98  vollständig  wiedergegeben;  solche  Kür- 
zungen haben  die  Agg.  auch  Par.  24,6,  80,5;  90,4,  wie  auch  die  Hss.  (vgl. 
meine  Ausgabe  S.  103,  236,  356,  496),  j.  Talmud  (vgl.  Mebo  136b,  142a), 
b.  Talm.  (vgl.  Beza  10  a);  für  Nns-mi  *:i»  t'n  in  No.  3  hat  V  richtig  nd»  n  'cn, 
vgl.  Par.  20  (S.  192)  und  Mebo  100  a. 

'  Aus  Tanchuma  (Jelamdenu)  —  No.  9  —  zitiert  auch  Ar.  s.  v.  "120 
und   Kimchi  i»T2a   an,   vgl.    Raschi   zu  Gen.  49,5   und  Gr.  Y.   S    255  Anm.  c. 

*  Was  sich  leider  bei  dem  defekten  Schluß  der  Hs.  nicht  mehr  fest- 
stellen läßt. 

"  Vgl.  Weiss  a.  a.  0.  S.  260. 

^  i^ish  )i'2ti  apjj'  n2'i3  hy  n2"i  .tipmii^  n»in  na'»   Venedig  1602,    Hamburg 


—     154     — 

stammen  aus  Tanchuma-Homilien  über  die  Sedarim  Gen.  49,1 
und  49,27^  (vgl.  Tanchuma  ed.  Buber  TP1  Nr.  8  —  11,  Tauchuma 
Nr.  8  undTanch. B.  Nr.  13, 15  Ende,  16Ende,  17, 1 8  und  Tanch.  Nr.  14 
Anf.,  15  Ende,  16,  17)  und  in  der  Mitte  lauge  Variationen  über 
Gen.  49,8  imi  PHN  miH^^  ferner  Auslegungen  zu  vv.  8  —  103, 
13,  14,  17,  19  —  22  (zusammen  eine  halbe  Spalte  in  der  Wiln. 
Ausg.),  in  denen  besonders  die  Kürze  auffällt,  mit  der  Josef 
bedacht  ist  (vgl.  B.  r.  Par.  98,  Nr.  18  —  20).  Merkwürdigerweise 
kennen  Aruch  und  Jalkut  nur  die  Pil^in  rrciL'',  wie  auch  die 
anderen  Hss.  den  Text  der  n'Z'  haben!-* 

Zunz  schreibt  dem  11.  und  12.  Jahrhundert  „die  Zusammen- 
stellung und  Ausstattung  der  jetzt  vorhandenen  Hagadas  zu 
Vaichi  zu,  in  welchen  die  Bestandteile  des  echten  Bereschit  rabba, 
wenn   dieser   überhaupt   nicht  defekt  geblieben,  nur  in  geringer 


1782  (s.  GV.  S.  254),  auch  im  Jellinek,  Bet  ha-Midrasch  LT,  S.  72—82  und 
in  der  Wilnaer  Midraschausgabe.  Wie  schon  der  Titel  besagt,  beginnt  die 
n"B  zu  Gen.  49,1;  ungenau  bei  Zunz  ebend.  „zu  der  Parascha  Vaichi"  und 
S.  255  Anm.  b  „dahingegen  scheinen  Raschi  (s.  Gen.  47,28  und  „dessen" 
Kommentar  zu  ß.  r.  c.  97  [1.  c.  96],  Jalkut  (Gen.  48  c  etc.)  .  .  .  auch  unsere 
Rezension  als  ß.  r.  anzuerkennen".  Raschi  a.  a.  0.  fließt  aus  B.  r.  c.  96,  ebenso 
ist  in  Jalkut  §  156  Er.  r.  c.  96  exzerpiert,  und  diese  Parascha  findet  sich  auch 
in  den  Hss  ,  die  zum  Segen  Jacobs  die  n"tr  haben;  Jalkut  §  157  Anf.  ist  ein 
Exzerpt  aus  ß.  r.  c.  20,  vgl.  Mschr.  39,489. 

1  Vgl.  Mschr.  34,467. 

-  Nach  Zunz  ebend.  S.  256  Anm.  a  berechtigen  die  Menge  von  Ver- 
gleichungen,  die  Zahlen-Allegorien  usw.  und  eine  Angabe  in  Pugio  fidei,  daß 
eine  der  n"ü  angehörige  Stelle  ein  Auszug  aus  einer  Stelle  des  größeren 
Werkes  des  R.  Moses  haddarschan  sei,  zu  der  Annahme,  daß  dieser  be- 
rühmte Hagadist  Verfasser  des  ganzen  ersten  Midrasch  min»  sei,  vgl.  auch 
GV.  S.  289:  nach  ebend.  S.  291  Anm.  c  wird  auch  eine  Stelle,  die  sich  am 
Schluß  der  Auslegungen  zu  'i3i  nns  min»  befindet,  auf  R.  Moses  hadd.  zurück- 
geführt, wodurch  „die  Vermutung,  daß  jene  na»»  teils  in  dem  Werke  dieses 
Hagadisten  sich  befunden,  teils  von  ihm  ausgegangen  sei,  neue  Bestätigung 
erhält".  Da  Anfang  und  Ende  der  ri'a  aus  Tanch.-Homilien  entlehnt  sind,  so 
kann  sich  diese  Vermutung  nur  auf  die  Einfügung  des  mittleren  Teils  in 
die  n"2?  beziehen;  derselbe  ist  in  Jalkut  §  158,  159,  160,  161  exzerpiert  und 
im  n"3  2?n<B  (in  der  ed.  pr.  zu  c.  98)  kommentiert,  vgl.  auch  Lekach  tob  zu 
Oen.  49,8  ff. 

3  In  den  Ausgaben  der  n"»  fehlt  der  Passus  zu  'i3l  nS»r  xn»  '3  ij?,  den 
■die    Hss.   haben,   vgl.   auch   Jalkut   §   160   und  Jalk.  Machiri  zu  Jesaia  18,7. 

*  Vgl.  Mschr.  39,441  u.  488. 


—     155     — 

Anzahl  vorhanden  sind  ^".  Den  nach  Hss.  berichtigten  Text 
der  n"t&*  wird  meine  Ausgabe  bieten;  das  Urteil  über  Echtheit 
und  Alter  der  Par.  97,  98,  99,  Nr.  1—4,  100,  Nr.  1—11 
(V  Par.  98  —  101)  wird  jetzt  anders  lauten  müssen. 

Ein  Rätsel  bleibt  es,  daß  diese  Paraschas,  wie  die  drei 
Paraschas  in  V  95  —  97,  die  erst  im  Midrasch  Haggadol  wieder 
auftauchten,  Aruch  und  Jalkut  und  so  vielen  auch  alten  Hss. 
fremd  geblieben  sind.  Ein  günstiges  Schicksal  ließ  mich  die 
drei  Paraschas  wieder  entdecken,  die  ich  als  eine  gewiß 
willkommene  Gabe  dem  Jubilar  und  allen  Mi  draschfreunden 
überreiche. 

Bei  dem  Abdruck  der  drei  Paraschas  habe  ich  nur  wenige 
notwendige  Emendationen  vorgenommen.  Die  Orthographie  in 
V  ist  vielfach  dieselbe  wie  in  der  Hs.  A,  die  meiner  Ausgabe 
des  B.  r.  zugrunde  liegt 2. 


'  GV.  S.  256. 

^  Vgl.  Mschr.  37,207  ff. ;  öfter  in  V  n  als  suflF.  3  pers.  sg.  masc.  wie 
nanj,  nh  (mehrmals,  S.  162  Z.  9  nS),  mip,  vgl.  B.  r.  S.  566  Komm.;  'D^n,  wie 
oft  >D'N  in  A,  vgl.  xMebo  63  a,  100  a. 


r 


in' 


•IT    nJDp   n^y   (T  D  n^^p)   'ij-,    nJüp   i^y^    [nm.T   DKl]'*  (HD  1Ö 
'D'i  ^^n;!  ibn  h^'pn  ndi  ^D^anE-'n  n'iE'y  "'?"'n  üvd  nn  d^k'JNi  ^nnao 
mb:i;'^   i'p^N  (D»  n«')  n^ynj  nmao   n^'pv   njm  ,f]DV  ni  (°^  °^)   'tn 
DJD''  Nbc'i  ^omon  •'jcj'n  din  djd^  n'^ls''  iny  n'?  dj3^  vvt't:'  nnt:'  minj 

,^3.1  "iJJD  biptf  i^DHiJ' p"'a  n'pn  f]Dr  bx  '■'jd'?  nt'ts'  min''  hni  lam 
.15  'iji  ^jNi   IHN  i3y^   rnn   criN  pna^  '1  'cn  ,bDn  ijj^  bipi^  iboni^ 

ibDn    -IJJD    ^ipLl'   iboHK'   p"'Q   n'pn   (o  t  «"») 

,'p^aai  N3  nN  fj-iu  GN  Tits'  I'pjd'?  n'ü'pa  b'12'b  itv  nihlj'  ni'p  Visb 
ID-iHNi  nyt!''?  Ninii'  f]Di^  biü"'  fiovi  min"'"  ,'p"'iJD'i  nd  -nit'  ]"'n  p)-id  dn  nN 

»na)  Dtt'  a"a  n^np  btio  ,'"iiup  1*5?  'ö  '^'^'''p  ß'mn  ,303  ix  yhs  to  '»j?i  ,687  'loy  J"nD  ^ 
.  KDinJn  '»yi  'j  '»d  n"ss  T'3  ^     :(n"j)S)  d"j}B  n»E?«n2  mjs  ,'n  '»d  b?j«i  a"D  NDin:n  ,(125  iy  «aiT 

;'2  '»D  ü"DS  T'2  '*y  ■*    :i5""yi  de?  j'Tid  *    :t"'  "o  wo  a"0 

.  mpan  n^512n  cnon  id»^i»  n'tdi  '>Di£n3  s)du  n"sb  T'^a  2  :mnN  na'nsn  i"»Dn  n'-cin  is  « 
.  n'opn  'CN  j"nDs  J  :  'i:i  ra«  de?  rnns»»  ly  c»  'un  "on  »je731  ,  i"»3i  "':"'2a  ce?  dj  kd«^  nii ,  DipoS 
:D»  »"Dl  j"nai  304  is  T'aa  "yi  'ui  mm»  hni  n»'?  n37ö  n:n  n»:im37N  sh  jins  a»aaB?"'7 
»"isa  ':trej  min»  n  :  nir  »"ca  "yi  369  is  a"':s  T'aa  loa  ;»»:yn  ]d  n^yo'?  'na  no  nr  jujd  ^ 
ri»mn  '»yi  :)nu»  axr  ]»D»ja  asia  'j»aj  i»D»jai  iS  mn  niw  ni:aniE?a  ^»d:  tjoi»!  min»  n»iN  n« 
'»D  »n»i  'n  /»D  crj»!  Nainjnai  j"»  "d  »n»i  'a  '»o  c?j»i  a"a  Nainjnai  o  '»d  a"SB  'n  '»d  n"i'S  T'aa 

:db  a"j«ai  T" 


—     157     — 

,D'?iy'p  Nintf  rrnn"'  p-inNi  nytt't'  Nint:'  |D''J3  br^'  ]ü':2'^  rrün'   .b"'L*m  nu 

^Nit:'''  pinx"!  nyK''p  int:'  rh'i^n  moiN  i'^io''    Dyi;;n  TiDInt  bti')'^''  ,ch^yb 

nDHN  ^^ni^  p  T'^ct^  '^   'cn2  '1J1  innsna  s^cv  nci<^i   (^^^  lo 

man  nx  t:':!n"'"i  -ip32  cninx  □dk'"'".  r^Di  -c^~ij!"  ni't^n  hn  nbp'ppa 

p-f  'mn  ^Din  p"'"iN  •'dd  iv 

'IT  ^^j^rn  p  n^jjn3  crsn  nmiax  ^Dv  Sx  bsnr^  n^x^i  ö 

vhw  uuj  r^v^^  p~'3  ""J32  nn^y   'i  ^^n  nn',n  -i?2'p'?  'o'?n  "nv  p  j-yoE' 
na  yi"'  mn'i  n^^n':'  ]''3nD  n'^a^a  mn   "nv  p  j-yai^  '•^.   ,njE'   hil^j?  is 
no   yT   HiH   N^i  .Tri"'^3t'  ]^-2rD  rhz'T2  mn  n"?  ^^j^^n  p  n^Jjn  ,n''r"n3 
n'i3  nTpy  '^  nDi.-  ,nN^i:'ni  n3  mJD  irn  ib  niCNi  irt^N  nnt'i:'  ,mn''"'33 
nn^'pot'  tJiN   ,-i3v  na^  ,nNii^"'i  "b"'  nijin  rn  it?  \d''^  "'d  ^^d  'cn  t^mpn 


:N"»  "D  c»  Nßinjn  ,3"»  "d  btj»!  3"e  «Dinjn  ,'j  "d  n"sa  t's  "5?i  ,688  'lej)  j"nn  * 

:o  2"D  niain;  ,('a  v;p  Nnp«D2)  /n  '»d  n"3S  t"i  "y  ^     :592  7S  i":3  t's  * 

:338  1S1  Du  »"oni  264  is  n'oa  T'sa  "j)i  je»: 2  im  p  169  is  jop^  n"2i  « 
ri»3  i"*?  i'pnn?  'qin  «cn  m  'i:i  ppnn^  'oin  nj'jn  n  mm"'?  ina  pnyin  j'-nca  J  :Nini27i"»;a  ^ 
«n«»  no'-n  n«a  i"?  ppnn^  n»Dnj  n  'on  nninS  ina  ■"»23  njiDJn  '»jn  n"ss  t'331  ,min'7  lyi 
u"sa  T'23  ■>  :DC  3"a  Kein:n2  "yi  'i2i  i^  yin  minn  nx  u  jnip  c<ü2Bn  in»»  'i2i  «ma 
'a«  ]ia»D  'T2  mi»  n  m»  n»3  'dn  janj  n3  ''■xintp  n  id'W  'a«  itj?'?  n  'i2i  mjaa  i"«33  T"a  "d 
cn2T  »16221  ,215  1^  t;»i2»»j  y>f\  '»  'i  n^jai  'h  'y  n"B  n^»jB  '»n»  '»j?i  '1di  m»  n'2i  »»n2Js 
i"»3  2ni:n  n  :'3  'n  D»nos  'n  T'B  r.iana  '»j?i  icu'j  nj;p2  i?  'n  n;n2  sSai  is'ii  n"j»  '»b 
i"»22  D'iain  i2i  ,'121  »2in  p»nN  D»»Dai  'i2i  cm3N  d2B"1  ^»nnan  i"JS2  nascn  ^x  laii  j?ap 
ns  »"a2  y"»yi  'i2i  n22T  nyaip  inb  43  is  »"a2i  '121  »an  -y  'i2i  nipsm  nt^nj  39  is  "'B2  •r:j»»sa? 
'»n»3  D'iain  jujd  iniK3i  ,168  ix  jap^  ♦nnj;n3  cj  '»yi  626  isi  580  is  576  is  154 
,'»aBT  T'y  '121  n"irNn  b^'hj  'n  n"j  n"3  ttj  ^r\"viM  '121  c»n"N  i2i»i  2»n2  na  n  wh  3"s  ni3a 
inpi  1  :'n  3"ap  '»  \"h  »"n2n2  ''yi  '1:1  !r"nj  '-\  n"2  i"s  m2in2i  'n  n"c  n"B  'n  .n"b  j"b  nbv 
na  T  :n»  "'a3i  564  is  j"JB  T'22  '»yi  '121  njyy  u»3ni  11  o»  160  ri  jap'?  )2i  ,t'»i3  '»jn-r  iB3 
n3^n  1^  »''yi  112  »x-a  »'j>2n  n3  nnaiN  m2Ni!Pn  hv  f^ip  yaw  c»a  er  ;»2nid2?  nipa'':  ■|':n  ni?y 
021  7TN1  NnTyn  2d:  np  i"-ii  T'ai3  d»  T'»131  ,  '121  np»BDn  iti  in»27  nDJ2J»  ly  n»nnN  ■j'rn  Nim 
l^n  T\vf  na  i':  p»^Di  ^»n^1p  »i^b  NJ»jn  n3  i-,BN  x  n » » -  a  t  '{rrp  ya»  n»bjt  ]inn»i'7a  ^y  n»^  3n»i 
y"B3i  i»jB^  -ax  nnaarj  nn:s»»  iy  imxi"'-  intpx  np»BDn  xv  mxnB  n»inx  2:2:  in»3  ^ln'?  ncJiJ»  ly  n»"\nN 
'jTX  »nnjni  rti:ü  2in2  v"22i  ,nBu-  npsj  mrn  nyo  nnixa  »7  n:»nan»  nja?  j"»  inx""?  n-i2ip  n  11  n»»jy 
(«"»  T'2  n»ipxi3j  r,i2xiB7n  cjnir.a»  ia2  nn^'^rai  jn^p  V'u  »'71x1  ,  xn»»fB'-   njin   ;i»':j31   ,  nn'^ra^ 


10 


15 


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—     158     — 

HD^na  P'-n  ,jh  p'D^  yrb^p  ''hü  ''2'^nbü  mn  ]icn  nT.nban  ]rhpv^^ 

n"Dpn  piDi  ntj'bty  ■'^nv  p   pyo^  '")  'on^  :mTn  p-i?3N-i  n''NT  ,nnniz/j    |' 
ony  inDD  t^atj'Dm  pnK'Di  iroND  imNH  jn  "^''ni  pniN  "'jw  ^jni  ]^y,]£r 

min  nj^jn  'ni  .td^^^'p  p':'d  nin  hd  pnv  'n  ,n^nnbK'  in^n'?  naim  bp 
nniND  iTiD^  ^n'n  ^iN-)2  [n^DH  nni!2N]  f]Di^b  'oiN  t'Nii:'^  pt:^  j.oyDa" 

pn  "jT.y  o  ^':'  nrnaNi  nnn'p^iz't:'  ■'^i'^^n  oyDn 

Miin  njK'DD 
p-iinn  HD  nmyr  '-i^n  Nrins*  '^  'r^N''  SM  y:^h  n^nit2  yii<  (' 
,112  piDi  pina  jnb^nn  'pn^ls'^'?  n^iaa  vr\  p  lo  pim  pino  inb^nn  i'pbn 

HD  5  [nrns  ns  npr^  "^-a^i]  'ui  vns  npr^  ns  s]dv  sn^i  (ü-t 

jiy  Dt!'  HM"^  :cnaD  px  "^^  tn  nptf^i  ^t'j-n^  di^p^j^  nby^  ^^m^  p  ]^v^\l; 
-i^bio  u^Ni  Nin  nipy  nn^D  DninNS  'in  nn^n  n^  ib  i^qn  nyr^n  nniNn 
non  VJD  lüDb"  n\-it5'  Nin  loay  cnn^N  cnb  'dn  ,d^;;3i:'3"'  ij3  ]3  nni 

,n"j!r  i"J!r  ''B  n;nan  n«n  neo  ''y  '     :691  'lav  J"^»  ^     :'=^  '""  '"""'^  /^^^  "^"'^  "V  ' 
:'j  u"2  3"B  D'nDB  'iPiT  ''VI  ,692  'icy  j"nD  *     :'j  '»d  n"ss  -i"n  v"";i  /n  a"s  «ap  «an 
j"nö  '     :'3  ''D  2"»B  V'en  ,i"2  '»d  nb-:  Nßin:ni  2"ü  xDin:n  ,'n  '"in  '»y  *     :nir  j"nö  ^ 

:n"D  ''D  n"b  n"aT  ,565  ns  j"jb  i"!  ^     :Dir 

yo»  NiniT  Niux  a»n»  ^tn  n»i,  in«  ji^jan  niB«cn  nninDai  ,  t"13  'una?  i»d  «n^'^ai  in  ar\»hü 
>m  innuT  io<n»  nin  mnn  "jtn  'isi  'jnu  sni  i'n'jip  »bn  'i3i  »Nj»3n  na  nh  np  um  Nn»ai  N»nnS 
152  IS  r'»s  T'aa  '»yi  -\üDi  r^n  nhm  n"a  n»jjn  v-aa  "jn  n:i:ji  /'lai  vjs'j  iön  nnn  ms  'lai  n»nnn 
yayao  nin  nm  n*»'?»  Snbd'?  p'^o  nin  la  i:ni»  n  u'JsS  "jn  Dir  T-'m  /unja  la'n  «  :Dir  »"»ai 
jvSja  2  :^y^yD  nin  i">io  pnyin  689  'lay  j"neai  .yaya  'y  '■"nayai  inya  "yi  i^ip  yo»ii  dw  hy 
naiaa  oniöE?  i'rBajp  nwNi  'Snsj  p  ij  n'riaT  njiDo  nir  nsnn  na'isa  Nim  n"':»B3a  tjou  va 
'»DiBia  n»  T'aa  n3s»ni  /d»  p"aai  ts""yi  nyis  ■>:th  oj'sni  «idi»  np'-»  i»n  nn»  niin  njiroa  nirn 
Dnioip  ntrn  'jsa  n':»  j'ouai  ia»»<  'i"':  jiyoK?  jaiNi  npSa^  (oi  'n  n"»3i  n"<3i  b"»31  V'«3a  dji) 
tLi'^^ra  DJ  '>yi  J"Jp  n  aipS'ai  Dir  p"3  nisoinai  n"ny  '"isna  T'aa  mjsn  nsain  pi  ,;3naiff3 
apy»  '131  niVNö  cusn  (»ana  n^ana)  »aia  pan  n»3ia  T'n  nh»«  dü  awi  xoinjni  a"a  Nainjna  J 
n'jyiri i'jjn';  di^»j  n'jy  V'n  laia  (naia  nai)  nai  laia»  ly  i'?sNa  ns»  nS  nyns  ^ss  iWa  (U'aN  apy») 
»"ina  y"»yi  «ainin  Dira  irnnsain  n"ny  »"»na  dji  /D»  T'aaa  '»yi  apyina»i  naNJcr  ]«:a  i  i':jna  Di':»i 
n'7jniBn  na'naa  nSan  nsiin  pi  .y^apaxT^p  '"^  :ipsj  D»ya»a  j"naa  t  :aiD  biffi  a'-p'-ai 'n 
laa'ja  na'na'ji  ,344  ns  a"n  N"nj«a  lyaxa  pajS  an3cr  ib3  (iub  inoSp  j"naa  pi)  inaSp  ntao^p 
apy»"?  '?i«B?^  nyifl  nNi  na  a"p"-a  dj  »mm  ,291  ns  D»np  '>yi  (y^apax.xTipiov)  i»Tup^a  nan 
"yi  nma«  Kin»  nsn  iiaoai  u'a«  omas^  nan  u»aN  apy  "'r»  j'jip's  r^niB  «b^  i"n  »J»  «a»  naa 

:636  IS  a-osi  561  ns  j"JB  393  is  a"B  T'aa  y"«yi  aia  i-aca 


—     159     — 

-y-iD  bi'i  Dp;?"'  ION"''!  TN  CJK'  HDD  p  ^b 'r2i<  rrh'i<^  ^bi<'^  b^npi]  ,'b 
'njiDp  ']2'2'7  ':'2^  NJHD  ^D  NDN  '")  'ON ^  D^y^T  ü^D  : 'iri  ■'JK^  ^a'' 
"D^^  ^^nv  p  iiyctf  '1  'CN  ,D^y^i  toyn  nnnN  ]^2b  ^j^ü  ,(>*'  -'^  'TU'ni^) 
in:^  \l6ü']  c'ii/bitf  ■p''nD  y:o:  V'd^  r-vyn  übm  n"^nbii;2  irr  Niptj^ 
rnr:N  mns  [c^tsn  ^sS  urh]  "lii  V2ü  nx  ?]Dr  SdSs^i  (3^  5 

-.rvbr.s  \s'^n  mn  »[D^n::!::  pK  nSm]  'iJi  pxn  S^n  px  nnh^  (r 

aD^:pö  nn  r'iDr  n?2x^i  'ui  an::!::  px^  ?]DDn  an^i  (t-ld  -l^  lo 

'i:i  N\nn  ™:rn  Dnm  'i:n  ^^dv  Si^  on^sp?::  ns»  ix^n^i  (n^  r 
-3;  ]:n}t2  -n  nr.nß  isnianxi  lin^i:  DK  ^nbn  ^nx  ^:s':'  "ist?:  i6] 

^v-it:'^  TN  D^J'ia  "iH^  N^tf^  n'pn'  onyt'  inx  i^nyn  oyn  pnt  lo^ibi 

:n:!n  3n^i  n^n  jd  noj  n^n  dh^t 
]-pnDDn  ^*J^3  13  nzn  '1  cn  'i:i  n]p  k':'  d^m^h  nDix  pn  (3d 

:njp  n'?  ]CHy'?  ijptJ'  no  ,njp  □nbt:'  20 


y'no  *        :694  'ley  j"nn   '";  »        :693  'loy  y'na  "'        :'n  '»c  i"vs  n":  ''v  ' 

:'2  'd  \>hm  /ai  's  »"nn  '«y  '       :695  'ley  y'ne  *^       :n"ss  -iis  -)"z  '«y  ^       :dip 

is"nea  b-ieck?  neson  mra?  'nj  2  pj^n;  >j.n  '^;i  «rijt:p  i"yD  •'/'na  ;"3nt  "iöno;  »* 
•D«  i»n»)  D»J!P  ;;"':  ipy  'jb  muco  nom  no'?!  njtp  mcy  yntr  »n'i  tpn  a"»-)  'sin  mj« 
nns  nyiB  iWiP  nyiraic  «st'  'i;i  n'7ya  >b^2  nmtp  hy  (njK?  s"p  n«n  pns'i  nj-^  T"Dp  i>»n  »iz? 
'121  na:  apy«  ha  ny-is  -icn'i  p  S"-i)  nns-in  ;«jai  c»vii  ay»  '1:1  ^py  ncN'i  T'n  »Jtp  «a» 
naa  im»  izinn  xinip  rjan  »b'j  cn7  j"nD2  J  :nn»n  ce'rBi  nc^e  an  (cnnua  'ao  ny 
y'naai  ,i"»;3  n";  "f  :'n  'a  nuin;  '»yi  N«n  N:t!7»'?T  ntjip  train  raraa  »'jini  ,'1:1  ^:in  Nin» 
Nsnj  ni  -iBNa  '■>  :n^ii  •]''?n  Nian  nny  ';  'bn  riNT  na:  ayia  nyj»nJtp  '1:1  nSm  n\s 
D«tpn»D  »jr  or  i£sin':i)  «»"rsa  fi^p)  ^hzph  cian  ctr  'um  ,n"sB  t)io  n"2a  '»oisin  nsoina  dj 
,'':th  c:^tp  D'Dicn  ^tn  sjc:  cen  dn  t]«  '1S2  nnD:n  n7;ic  Nim  hjjS  dich  icKan  eye  »Sini  /(nnr 
'»D  3"ss  -;"33  ia:  n'^sz  ri=7p  ns^^jam  ,'121  o'dicz  cn^  tjcr  on^  jmi  pinsTj?  picea  -lasj  ]:Si 
irn'B  y"'yi  434  ns  b"^  p'rn  n"an  '»yi)  'i:i  n«^sa  ms'jp  'iDi  itpy  .in  tibz^h  »jn  •;  i"':2  :"' 
]i«Sj2  njini  ':ai.s  /'«rn  '  :y"!{i  n»ans  "'':21p':  n»'^  oisn  i"»;3  jnii  ,(o"Tn  .snin»  n"a»n 
nn  mn  j"na3i  ,»jaiaiN  ptrS  ?y  ^bu  pipS  unais  ic-m  ,327  is  n"SB  Y'aa  '»yi  uaiaiN 
»an  «Sa  «na  n»?  'axi  fici»  »aip  n»S  api  nhni  n^aij  (e?»Nai  S"si)  ü»Bai  «lEy  h^z3  'i;i 
pina  pnyin  j"nB3i  ,4  is  n"b  n"a3  '1:1  in»  n'jb?  pcSn  i;i  ^  :unan!<i  umu  »Spn  »an  »m 
:499  IS  a"BB  n"a3  '»yi  Txaxpixov  "         :ü"pS2i  n"ny  »"ip-ini  ic"»'yi  zu 

Guttmann,  Festscbrift.  11 


—     160     — 

niNiDH^  HMT  'IN  Nim  D^iyn  mb  ib  pN  ny-iD  -i^  'i  □ti'D  pjDon 
tynDntr  it?  'DIN  u^N  ^b:ß  b^n^  ri"2pn  ^dn  'ui  [nyiDb  n-'a'^Dn  onnji] 

:nni:j';;c  "ihn  n'^n  'h 

'1   'DN   ,t'1D'?   |QDD     DN   NJHD  13  NDN  'l  ^   'IJll  lin^HH  nÜX"!    (HD 

5  nin  n^iyn  c^^n  üb  nrn:  ^jn"'^nn  n'pn  'hd  pN  un^n  jorn  in  Widl:' 

:N3n  D^iyn  D^n: 
HDn  '1J1  Dnsiia  pxn  ':'Knty^  s^^i  'i:n  f]DV  nmx  atr^i  (in  in 
N^N  {"^^  T  «ip'O  .-ithn'?  dd"?  imj  ''JN  "it^N  iDfiN  i'^n^i  nn  iThn"'!  lonN 
l'^i'?  Din  nn  ithn^i  in  nih  p"'d'?  jinj"'a  niüt^  ^nja"?  T'^iia  nyiN  p** 
10  :nJDD  ü^bu  orN  in"?  dni  ninNb  gp.ot  dn  mnNb  □n'?  jm:  ^jn  ii^'n 
n^D^  ij^3-n2  n3ir  nn^r  rnu?  '"12:12  psn  npp"'  ^n^i  (nn 
□  nao  pNn  npy  "•nn  npioD  ]ir\  hdij  'py  Nipi  hjk'  nitry  yncj'  ims^an 

:n~itj'y  ynt::'  DmD''an  min''  "'n"'i  nji^  niiry  ynti' 

n"?  ^n]  K'atJ'n  rnn  nNi*  ^nnt:'^  ':)x*itr^  ^ö^  ID^p^l  (ton  10 
15  vbi-)2  bp  büllfl}^  Wya  id'?':'  -\b  ^^^^  («'  «  "^'ip)  i.n  ['i^non  □^'pp'? 
tj'Qnn  "^N  n'jnn  "'inND  ijnN  '.nn^i  'on  Nina  .it^vk'  ncD  nn  ("'  ^  a"») 
'dn  ,-ijnND  -lab'?  ib  ii/^  {°^  q»  ^'^•ip)  non'pDn  □mnj'?  n^i  ,(«  dk'  q») 
by  niDN  ti/tf  "lun  Ninti'  "pmn  nnb  din^  1':'  n^n  n:  |id''d  'i^n  min^  '1 
'IN  Nina  nTytt'  nDo"'  in  .-udn':'^  innND   ihn    rTn"?  n'pi    hidn   tj'tj' 

n"?  n"»B  niiifiD  'a  a"?  ta"B  D»«b  '»n»  '*yi  ,702  'loy  j"nD  -         :s"b  rjio  Y'a  ' 
2?-no  '»yi  ,698  ns  J"n!2  *         :'J  '»o  dip  NOinjn  ,'i  ''d  «n'i  a"D  Nöinjn  ,i"sb  t)iD  Y'a  ,'n 
:'a  ''D  )jnnNi  NOimn  ,(123  is  «an  t:?"nD)  ctp  a"ö  nSnp  'niD  ,nN-!i  »natp  'b  nSnp 

:  y"si  onn  am  natp  niajS  ims  yi«n  ]N3  na  D»tnNJ  rn  na  ithnm  itt'-ni  pms  V'sr  'ij  *< 
«oSiPiTai  /i3i  mirr  »n'i  .tipbj  'jy  nip  »mi  'i;i  ntp  nay  j"nöai  ,14  'itp  157  is  'j'y':  '»y  ^ 
N-iip  n»m  'i3i  -n  n»n  r<na  nainjnai  Y'aai  /i;i  min»  »n«i  'i2i  n«D-u  'jy  «npi  'in  n»S  a»n»  mn 
nstn  ntff-iBn  naSi  mn«  na^nsa  rjou  i"«3  p^'^rjai  ,'i3i  min»  nmi  '131  'n«i  losy  Sy  («npi) 
N'n  nnS  h"i  'ntp«  'Ty  onsn  niayip  ^»nnn  apy»  iüB:tp  p«:  n^n  n-iinaz?  nro^iBn  'r3a  nmno 
nns  b  i:eo  nno»  »JBß  noinD  N»n  nah  n"-t  uoo  onnDJi  ypn  nn  n^h^h  apy»  »pn»  »jbd  noina 
B"nni  ö"pSi  n"ny  '"ipiai  n"jp  'n  Bip''7»a  y"'yi  »n<i  'b  »n  a"a  NBinjnai  -,"aa  '«yi  nSiyatp 
n^jB'jtr  ntnBH  nio  oy  iieoi  pai  '131  »n'i  piosn  tr^sni  naino  n  ncnsip  dibbi  ,a"iPT  'sin  mjN 
:'n  niK  DB  Nainjna  a"©n  nnyna  '»yi  n"sB  tjiDa  '1:1  U'ani  '131  apy«  »n»i  iBNOn  ins  noj 
Di'n  '131  'jiBnN  apy«  u»2n  nt  ynan  D»^p^  ah  >3  '131  nnii  «naip  mu^rn  \TiP  nSnp  cmaa  •^ 
hnwy  131  i"ni  Vana  n"3)  havy)  ^lanx  '131  ^p  Wyi  -^ütaw  hawy  nt  '131  D'^pv  nS  «3  n"i  'i3' 
/i3i  nvni  '131  ypia  du  'rians  hbb  nt  yncn  n'^p'?  n^  «3  n"t  no'cn  db»  iiyi  'i3i  (i"'3a 
nsDin«:  j"nBai  ,n"aa  nin»nsn  iujd3  nn'nsn  riioa  '131  apy«  nt  'i3i  n"i  n3«»n  jsa  nji3Ji 
K?-nBai  Dtr  D»»u«tpn  b  '«yi  man  niBmn  dw  i))))  nmnBn  ysaxa  '131  n»a  nt  '131  k"i  nD«irn 
'aal   ,j"nBa   rtsB   psj'ri    ,Naa   ins  i"«33  ""         :D!r  pnnNi   NCinjnai   a"ta  n'jnp  'aai  nhnp 

••l'jyn  b22  Nca  a"a  nSnp 


—     161     — 

nii    NulDi   ,('  3  n=7np)   i'pQj;   ^^q   ipt)n    H^H    .IT.   ''N  N^iHD  n^Pyii' Tun  12 

"•^y-i  DTN  ^jun  ^jun  "iN  N'.na  nTiVti'  r.DD  12  (j  «  3^  '"oi  inü  ^d^n 

'-1^3  NiiHN  '-I  'ON   ,yt:'u-!"'    ni   (=»  DK?  n'Tnp)   ^n   Ü^y-Jl^t'  n'?   DJ"!   ,(«:  "'  D») 

TüD  TN  nn  v'^in"'  ntt-o  i'?  'on"'  (^2  »"  i^iea)  cNt'D  nira  ^jin  'h  'dnb' 
^(b:  00  D»)  "Uli  i"i  Qy  !p3  1^1  i<3^  p  NiJVD  'pNnc'^  bD  'rhn  ,-d  Njpa  ^jnlj'  id  10 
DIN  ytJ'i.T  nt'is  'h  'qn  C  3=7  nie»)  n:n:22  nanbo  Vip  i'p  'dnli'  nyi:'^ 
PN  ,'np'?  ^ip  p3  jn^'?  ;;"iv  'J"'n  n"üi  g^b'lj'  bv  ni-iD  jihj'p  thv  nihe' 
['pNit:'''  -Gji]  "1-"'  ni^D  D^i^  -it^ND  HMi  n""iDn  (n'c»cB7)  nii:::  mjy  ^Tp 
HN  ycj'in"'  B''?n"''i  n"iDn  ("'  =^  =»)  .-it:'"t'n  n'jy  Vip  tn  ,(«'  '*  b»)  'ui 

"•DV  '1     DN   (n»  n=:   de?)   y^^ltT   ^DJN   P'2l}   b'p   IHCrN'""    (J'  ''  dip)   'iji  p'poy    15 

^npy  HT  ^nnn  □^'pp^  n"?  ^d  n"i  :j;c'E'  ^djn  n^i  n-i'ü;;t'  ö'h^p  b^p 

"iN   NiH    .IQ    HTyE'   PDD   "iD"     (' n;  n'2?Ki:)    y^tt'    'nDQ    Dpy^     NiJ^I    ^PiarN 

n'?  npTot'n^   i'?"'DN  (Si:3  (^  i^^  °«)  ]mü  2pii'  '""n  ^NitJ'"'  ^22  inlj'm 

r'CD  ij  ^n^nit'un  ^dj  bv^  ppDn   tn   -i^nyo   Ninty   htd  pnv    '1  'qn2  20 
,]V'^''rib  b'^2'  N'b  np\""o'?D  "^''dn  ]di:3  'pn^li'^  "ijn  inb'^-J  'in  nihd  n^pyts' 


,n»n  nn  's  rhnp  tmo  ,'2  ';  i'-nn:c  ,'3  n"o  ]»b'J  ,'j  ':  2"d  imnjo  'en*  '»y  ^ 

:z"'>  '»D  y"B  "i"a  *        :'h  '»c  niD  nns  Nnin:n 

-ipn  m^v  nap  ii;  d'boi  rhs  115  d'ü?ü  nnj<  arS  mns  nn'nra  o'jBin  i"»:  jr^jn  *< 
,n'mp  i"';2  -  iD'cnN  nnmsi  -iicn'i  »ssi  S'nd  naS  ]Ni-  hnci  »jjt  ipa  oncyi  n'Kis 
'eai  ,4U0  nsi  244  is  270  ns  i"n  V'noya  '»yi  nun  snirpi  myp  snipi  hs  xnsip  '»bi 
iSpc  ncNi  Ni'N  3"o  r'rnp  'cai)  n'mtpp  'i;i  n«jp  '1:1  nnip  icnt  \sa  '»Jn  'n2r  'e  n^np 
CB7  'atiirn'ai  ^rrmerp  -idnt  ]nö  nnip  noNi  ind  '1:1  n<n  nn  'e  dioi  ,(n»mE?ip  '131  mp  'i:i 
im  n«p  nr  'cn  in  p'nym  ni»c7  j"no3i  ,n»m2?»p  ]ncT  n<N  x'jp  i»iCT  n'Ni  snBin  pim  n»K 
inN  im  i^pa  idn  nn  de?  ]»b'J3  «iBjn  iie?''73  Nim  ,'1:1  D'nnsn  by  iTno  n«ni  i':pa  nr  'as 
ip  '1?  111V-1  °^  imnjD  D"in  ''yi  n:u  ibn  im  dip  )»-nnjc2i  de?  i:':e^i)  ':;i  iTna  n^n  mp 
'»yi  (de?  V'x  p)  n»rncfip  n"<i  mp  k"»i  its  njp  n"»  '121  n»n  nn  de?  nia  nnn  «ainjnsi  ,('j 
n'?i.  n7np  E?-na3  ^  :n";  hin  nn«  3"b  NCin:n3i  n"':  ms  nia  nn«  Nnp'Dsa  3"Dn  nnyna 
»S  nnx  Njpcn  nE?B  \h  -las»!  "jnp  'na3  "<  :i':'y3  jn  ps  nüi  nb)  j"nB3i  ,vj»y3  p  'jbjj 
V'»;3  DJi  ,i"';3  jn:  n"2  ^  :i":i  '»b  -jn^yna  'iec3  '»yi  '1:1  wpna  »jn  -js  yE?in»  i'?  lan 
'131  ^13»  n>n  nS  NpiJiSj3  i'j'BN  Dn'3N  'i;i   ine7<i   '».in   j"nB3i  ,lectica   1  :pnanN  usbj 

y'nam  ,e?i3»c?3  'j:  i"»:3  ]n;  'jBsin  p  ^         :319  nsi  174  is  D»npi  NpiJiSj  'y  ^ny3  '»yi 
1^'BNi  ]BU3  Dn»3N  '131  iNC'1  3"j  '»jn  nSnp  'B31    ,nBBn  'jy  3e?»i  Snie?»  ptnn»i  'en  ]N3  N3in 
:nBan  Sn  i»ij"i  tiiDN<i  'Bn  dc  «nin  '131  ü^hph  nh  '3  E?mai  /i3i  .sp»Bp7Ja 

11* 


—     162     — 

-i3i  ,0j  k''  oir)  n^T  Dpy  n^rn  b'T^r^^  ,2p])'  ni  cn"?  c^dh'?  n'^  djit 

N*?    DJ!    ,(-  J!2  =2")    ^DTN    U^Ö    IJ"?    'iintt'    'i3itJ'    "iN    NiHD    H^'^yi^    TüD 
P0"'D    '■)!    (JO  'J  °^)    "!ND    li"'Nn    flD^i    yiDPN    ^Dpy    HT    ILT^y    CJiDj'? 

'?Dt'3  Ninn  Qictf^  -iQi  jD  pi'pD  n'pt  ,N-,2n  ontj'y'  hnd  'cn  |J21  ,c^3t'D 
n^nytJ'  TDQ  iD  ,  pn'^D  inn  it;?  '^d'?  N'on  onii/yi  hnd  "idi  |d'  d^jd  tij/ 

10  nnbi  p'iN-^  nifya  "ryi^^  (a-  no  n»)  iry-|i  ^jd  tj;-!^  ^lapN  ,3pj;''  ni 
D^-üi  "'b   '"^Jirj  ib  i':'jrj  n'pk'  onm  dn  hd  ,-iDm  min^  nt^'yo  ^ny-^ 

15  n''  i"?  inD  Dpy  ^D  ^py  n*  r'üNzt:'  IiHd^  ,n^'Dbr22\i^  Tinnm]^  nw^^j^r 
[d''N"'3J3^'  -iinD3  ,r,iüb  '^xie''  "•n"'  i^ip^i  g^q"'  ranp  12  'dnji  0  "'"^p  d'*?'"!") 
■'"1  ncNn  D^o"'  rnnp  ^n  'cnj^i  f^:  ip  °ipJ  'iji  n"'nn  ni^'a  "''pi'7  nrc  n; 
nnn^  I  Tit  ni  c^d'7dd!2'  iinDn  ,{t  «"^  q'^^"')  mn'?  v^'  '^ip  in  ntt'c  '^n 

20  bib^  i^-^p'v^  n'2~\pD'  ^2Jü'^  D^JDij'o  ^:dd  njhd  ~i3  NUN  ■->  'cn"'  :i«  3  «<"o) 
HjmjT  piNia  niiDn  bau  npy^  nhid  [pn]  ,N'in  yia  DDty  njro  ncN^ 
nni-i  nt^'a  ,ni,-i  yno  22:1;  Td  naN^  n'pij'  □noN'p  njniji  ni^Joa  fior'p' 
[m^'po]"  tJüij  Ti|-n  NiH  y-ia  ddii'  'ra  iidn^  n'pk'  piNnb  nipa'  T'V-t^'^' 
]Dn:  12  bii^üw  't^  :j?id  22::^  'na  '-idn^  n^uJ'  nDb:j''p  njmji  ihuind 

25  n^n  nniDN  N^'a  pn  ^cht'ün  p-\Db  n.TmJC!/  ly^jn  Nt'ts'  jpjv  '1'  dlj'D 
HND  n^"'n  Dpy^i  ,nJLi:'  Duiatri  hnd  .T''n  pny  ,GUcf  ^'oni  n''y::üJ"i  "nq 
NaiQ  PN  ,  nn''p'3N  piD^?  cn"'PiJi2'  ly^jn  n^pl^  'c  in  ^Vin  njri'  yn^i  D^yniN" 
mm  mbü'\'^  n''Lj't'K'i  HNO  iT^n  nnpi  nj^  yntj'-'  o^tj't'LJ'i  hnd  .T^n  'ib 


'»D  i"ss  Y'a  '«vi    ,703  'laj;  j"nD  *  :'t  '»d  n;in  NDinjni   a"D  NCimn  ''>'i  ,702  'lay 

:'a  ''D  015  NDinjn  ,'t  '»o  'n«i  a"i2  NDinjn  /i 

y-iB'i  'bS  j"ve  S»yb  i"»2a  ii:j^  sn^Ntr  102  jiyetp   'i  aca  'nnjni   pvec  'i^a  i"»:a  *< 

'»yi  "inp  iBDcn  jD'D  D27  DJ  Kn'N  2"2NT  -ic{<03i  ,N3N    13   iiyo»  'n  cca  jiD'D  'n  '1:1  c'sn 

)"»:  p»Sj3  d'?!!?!:!  )2  '"'         :'i:i  'jdu  apy  nsic  nx  3"3n-i  'on  j"ne3  ^         :i"na2  dj  '»yi 
:'i3i   lyon   tf:   'eis  pni»  'n  oca  i"2Wt  nanp  jna  'cnj  hd"-:  a"-i  j"nDa'  ''        :j"noa  n"2i 

:yaci  i"»33  "         rc'?»!  i"':3  ^ 


—     163     — 

.N^tj'  njtj'  DnL^'yl  HNn   n^n  nK'a   nj^'  ynt^'i''  □''K''?ty"  hnd  n"n  D~)Dyi 

'Dx  v^in  3;i;:2ND  D'\-i^  i*?  idV  l^^'o  'n  nai  cn^by  G^'^^ip  n-'pnn'pK^  5 
C1"'  nti'p'p  ■r''D2  n'?  cn  NM  mn  nbiyn  gidv  pi  ypitj'  n^i  t:  ^j^n 
□7"'-ia.-i  ]^2h  "j''j^3  PN  ii'"'pt'  p  pvo^  '">  'on'"*  :i"ijjd  d'm  nt^'prjii'  (na  =731'«) 
:mbn  t^'^'^^  "id'^^'P  ^°'"!  ^''^^  VD'tJ'  T'^J^n  '1  'cn  ^-dSd  hd  i'ün  n'pn"' 
c^yiT'  p''N  GTnm  i-'cf'.y  o^non  na  cyiv  n^^n  K'"'p'?  p  ]'v^^  '1  'on 
:(n  B  nSnp)  ip  iQitJ'  n^yir  n''"'nn  'd  'ya  no  j"'t!'"iv  □"nn  no  hd'nd  10 
"'z  'vD  ."iQ'i  .ayy  "'JD3  o'piy  '.t'  ^^  p"'-ai  pnij  ^jd  cs'^t'  p  pv^e'  '1  'cn^ 
-13-in  na'?  b^D  iHiN  D"'''pti''(D  ,(.i  2»  d»)  '-d-,  [ia'?',y]  rriD  ha  dinh  iVin 

pü'piOnDDNI  □"'DID-'NI  D^DDi-!"  lOy  'iDJDJl  HJna'?  DJDJüi'  DI'  ~it^n  ■j'PD'?  HDi"! 
,  M-ni!    ^^b    HTit^'   nnNT    -IHN    'PD    N^N    THN    'b'D2^    C^DJDJ    □^011'   ^D  '^y  F]N 

^JD3  cb-i;;  'b  tf^  pny'  pna  'pd  n^pn  nr.'^  oyi:  G-ayiD  'p^he'  ^d^j;dn  id  i5 
GiTO"!  E'''p'?  p  pyo::'  '-I  'aN^  /"iji  ri"'3  'pn  Q-Nn  i^ün  ■'d  'j;g  hdi  "iDyy 


,70-t  'loy  j"nD  2       :'a  ',3  b'b  Vst  ^nw  NOinjn  ,02?  2"o  NOinjn  ,am  n"a  '";  ^ 

:'j   '»D   'V  D'Snn   btic   ,'3   i"d   3"»si   '2   'n   a"B   »nai  snp'cs  /J  2"d  j"b  t"j?  'k^it  ''J!1 

-,"2  '";i    ,c!P  J"ne  ■*         n^in  »:  's  nSnp  cmc  /«  '»d  n"»E  n"»i  ''>-i   ,703  'icj!  j"no  ^ 

,j"n!:2  D'-isDon  |i::'?i  /;  n">  t"-j)  '1  nie»  ''vi  cjtpn  nsoD  »nruni  ,ohv\  1"':=  >* 
n>n  mey  '»jn  n"cp  'n  d';^o  'pS<i  i"jp  'i  aip^'2i  n">;i  s"«:i  V'»;2  n»  n"22  dj-^  n!2'ni 
TV12  ntp  -i"22  3  -:j"ysi  ma  e?':2?i  d'b^iti  nsa  'n  may  c»  2"d  Neinjn2  dji  ,'1:1  3"bp 
vn  i»n  n:!P  r\wa  y2iND  -inv  o»ö:n  nes  (n2iy  «»'  i2ivi  ryu  i"ii  n"£n2  ntPi)  »»«  n2iyi 
];n  ,i"n  i'n  'i;i  y2nNa  im»  ij'ni2-i  ncs  '»»1  i2iy  ryn  2"a  N0injn2  j^i  (in"n  ^"»22) 
2"->n  ni-ivn2i  ü"p^2  ''yi  rrn  n:w  niNO  'in  nni»  V'nN  n2iyi  »er«)  i2iyi  iy2  ''jn  a»  Nmnjn2 
n"i  '1:1  i»D«  12-ip  in  'ah  ca  i"2i2i  ,db'  «"c21  46  ns  V'ß  -."2  '«yi  icCBn  'ib  -^  :cm 
j'j2n  k"t  c»»p  n»ai  ypiir  »:«ni  ti  »J'k  y"tff2-i  -las  n"2prt  «jbS  '?2p  ni'n  xa'D  n"s  j  n  ina 
ni;2?  mina  picy  »jnit  iina  ntpo  inN  '121  ncy  na  Di<n  imN2  ninS  1^  n^nzr  nirc  yi'K?  ii»2  na« 
':'N  1CN  hj:;  ntrpnai  -laiy  n'ni  träte'?  la-i  n"2pn  ntry  na  n^ü2  mum  ypitr  ci»n  D"n 
"laistp  mN2  '121  mp  jn  ma  'i2i  nispnj»  ni»  ntrpi'  'n'22  n'?  dn  ntrisa  21««  li'sS  'i;i  ypiip 
ci'n  n"2pn  na«  i2-ipM  inn  Dir  sainjni  i"ss  •i"22i  /i:i  Y'jan  »:sS  yh-<;  h3.p  'jiSs  n'2n^ 
j"na2  "f  :i2-ip»i  »in  n'2n  V;  2np  >ji^s  (naiN  Nintr)  -laisp  mN2  cip»  Nin  '2  -.aiS  tH"  ^^ip 
E'pns^i  u»J'2  "i'S  V'2  tr"-i  nas  ctp  «e'7tPiT2i  ,'1:1  yaiir  nan  ni'v't  'n  'as  12''2  -.u^in  n'tn 
ici'?«?  nan  yaw  )"!rN  n"«  crnn  -jina:  iDiS»p  nan  Nin  ycitp  'ryt  -i"n  12^2  ns  inn  i6n 
iih2  -,i2nn  n'tn  cnan  cpns^  c"nn  i'2  ;««  »ci'  '12  nan  n".s  2"b  n"»c32i  ,=rn  iinas 
»"a2i  511  Ti  a"as  T'2  '»yi  ;»u-«ancNi  i"»22  ^  -.z-r  y"B2  '»yi  '121  n"2pnS  c'o'rpa  cm 
.,«ntr  -i"»i2i  ,nw  i"'23  f         :iUN'>B2  i"-ii  -i"3i2  n^np 'e2i  ,i'^ib2  V'«i2v  ,7uSlifi  '         :ctp 

:m22  »bS  lasy  'je2  mitri  iSm  j"na2i  ,n-iitpi  i^in  n'rnp  'aai 


—     164     — 

N^N  p    TD   i'N  n"iD^   bi<~\W'   3ipi'    (t  n'?  nnai)  nia'?   "1^0'   'Oip   ]n   n'7N 

5  nnv  'by  D^nn  n<^  ^h  'dn  '^dv'?  'jd't  no^i  riDV  ISnb  Klp^'l 
inb  bs  ]r.'  ^nn-  nm  mn  ^mb  ina  pNK'i-  pb  \— i^'  -{"^'i^^^  ,d^idq 
-inj;  inb   ^N  ]n^  ^nm   Ninc^  -D'^py  '^  ü-^d  'qn  i^nd  'i^  /a  ;  rhnp) 

NJD  '-1   DN  ,13'?  '?y  inn^D  r:mj  ]nii;  ]yn^^   '^'^   '^^  "^^  ^^'  ''^'^^ 

10  d'pli'd  G^D^^yn  ^n  pna  ^a*N  'n  'dn^  ,]Dpb  nb^o  -iQ^cb  nb  by  r^ro  nnb 

-'DV  'i'i  nji^   -1'*  ,nnon  n-'p^Qjn  n^yo-iD  nvinnE'  ny^oDi  nyoD  ^d  iDti' 

,n^D^JNi'  pn^-^  nn  in  b^'ü:i;  'n-i   n^ony  ^aip"  ni^yi  '^b  ^vl:'  h^di^  '^ 

13  rV'^iÄ'  '-n  n^D-iy  "'Dip  ^^j^  '-h  W  pm-»  'i  Nm  ,rp'n-i  ir,n-i  'qn 

16  n^W   nc'i   ^HüpiJDD"'   ii.Ti   nonjn   p   n'-m   tit^n   ,n^n^jNi   p-iK"i.T 

D^nDyc  D^jnnm   yNin  •':'    dn  ^'^'iyn^  niH::  r^nn  p-in'^   n'^^y  crnpan^ 


:'j  '»D  DB  Noimn  /n  ''d  'n'i  2"d  snimn  /n  '«d  i"se  ^''a  '«vi  /"^OS  'lay  .V'ne  ^ 
nmns  /a  n"3  jap  lyia  ,'2  n"^  t"b  nnin:  'B?n'  ,t"s  mmn:   (j"b)  V'b  n=?'jo  Nnsoin  '»y  - 
TTj  'a  'i  j"s  ni:-ia    trn'  '«y  *         :in<  »nm  's  n^np  Dma  '";  '^         :'=  j"c  omj  ,'n  3"v 

:'2  'n  2"h  micn  '»y  °         :'n  i"J  t"s 

/JE?  na  nns  i<ni  3;ib'  nn«  i»»n  »»p'?  »»-i  las  Dtr  i"aai  ,p'Ni  p  vaai  ,j"nen  n"2  '^ 
'»yi  '121  nns  psi  nn«  ]üa:  i"n  iT'apn  V'n  E'»p"'-  »n  na«  er  »n'i  3"a  NBinjnai  ,'i;i  hay>ü'>  »a»  mp'i 
ips»  ipB  VDN  riN    y»2E;»!?  ^  :D!r  nDia  NBinjn  ^pmaa  »janj   na  ^Niap  n  nn«D  iujd 

,n»  D«mia  '»yi  )i2a»7  »2a  qou  i"«2  jv'rja  ■^  :D2nN  nta  »mosy  nx  nn»^yni  B2nN  D^n"?« 
linap'T  n^p  i^nayn  Tay  pnyin  821  isi  n»  j'-naai  «dc  •a'rtpn'a  "yi  inap»!  nup  nnn  jNai 
IJii^n  '11^  i:  inayn  sion  iiay  i"ii  T'Bia  n'jnp  'aai  ,snBDina  '»yi  iJii^n  »iS  [i:nBDn  iisb] 
'?8jnm  n^np  'aa  n"3i  'nnj.11  Sajnn  i"»2a  "<  :  üv  niain2i  p"aa  «yi  '121  map  ijhbd't  niBO 
D'p'isn  )hii  »as  n  'üh  )2h  '^h  in»  »nni  n"t  j"naa  '"■  iinon  V»8Jnm  j»ion  "j'aj  j"naai  ,i2n 
1JJ2  inn»B  i'jnuip  'i3i  i^n  la'?  "'■n  in'  »nni  wa  t'n  n'jnp  'aai  ,  '121  na'?  n:b  i"n  uaiPin  bbi  '121 
Kinip  D'a'jiyn  «n  nr  la'?  '^n  jn«  'nni  n"t  J"n8a  ^  :]an  N'-ai  la'B  a'rn  '■y  ]'»ni3  nD"':'i  p': 
ny'Döi  ny'DB  '72  hy  wi  laS  12»  ahwa  sintrr  n'a'jiyn  «n  m  'i2i  »nni  n"t  n'jnp  'Bai  ,'121  d'twb 
'1  D»3  k<^<Sj  »Dl'  'T  n^v  '1  nnji  nona  'iffino  pi  ,«nnjni  n"'7»':jn  i"'2a  ^  tcnon  ni'7»8ja 
ni)>  n  na  NT  n^np  'aa  Bia»tpai  ,'a  x"p  '"naan  «yi  '121  I'^niip  i»n  (nj»:n  ja  »di»  'i)  WJn  na  nd« 
iTD  «B'?»n'2i  ,'121  n«BT  '1  Km  j"^  n'jnp  'aa  "  :'i2i  D»Bn2n  WNn  iy  yu»p  J"naai  ,'i2i  I'K 
ia»irni  '  :  632  is  b":b  n"a  '»yi  ina»B  «jb^  "  :  '121  n»aT  'i  sni  '121  pni»  n  .<ni  onasan 
mn  nh  anp  nin  12  «'j  ava  mn  p»m  mn  12  'bn  n»'?  aua  xini  "i»u  'ci-rai  ,3'j  'y  'r'-nBya  '»yi 
'♦yi  napJiBa  njim  napusa  n»nip  n:  vaa  *<'  :'i2i  p'm  n-n  12  na«:  ni2na  'it'iTai  ,n^h  aua 
IwSl  ,i"»3  ii'^jja  D^^trin  p  2'  :j"ysi  o»  »"aa  cai  papuBai  c»DiiNJa  148  lu  t"ub  n"a 
la  (HüJJB  m  n"2i  iiyatp  'r'-si)  'jniatf  m  '121  »aip  »nj»  'i^  '"nip  pni'  'i  «ni  m2na  'E?n»a  iBNart 


—     165     — 

D^Dron  ''jn  :V'0  niij;  DC'Dns  [n^D^yo  n^jn^ni  b^Nin  ,rJo  nm  piu 

CIN  1^5  ti'^^  ^j^'.p;  PI2N  nn^a  ^nN^tJ'  lon^  riösi  HDn  n^J?  n't?J?l 

HN  inD  n-iinn  hidnis'  ^'p  3"'^n  pn  ri-]^r\  idio^  ,Nin  pdn  np^a -ihn'^e' 

n"2pn'?tJ'  VID-ID  ,("  J3  »''»ß)  'J"i  njp  PDN  'PDl  (a»  2  niotp)  -jqn  'NT  ^3« 
by    n^    P"'!!'"'    F]Din    ib    'ON  NiHK'   ('  '  ■TOI')    PON    □Tl'^N    ^"'"'i   ^'^  D^H  PN 

,naj;   np^t^y  lon  ib"'D  nin  imn  "'loy  np'ti'y  dn  ,(n  lo  n»!pxin)  -j^j^y 
poNi  -iDH  nay  p-'tyy  'niN  n\~i  ib^DLJ'3  c^iyn  n-idjk'  npy  pnu^  '^  'cn 

non  in^  .T'^JDDND  i^a  nncN  nin  ,j<nDPN 
n-i9P  1  icn  -\üD^  'pn  'dp  ^^n  iID'  i<bü^  '^:it2n  ^nnpn  X]  bx  i5 

nn'p  yati''?  dn  /j'hn  •'jd^  G^Ji^'yDT  d'n3  |n  inay"^  ,(=  t''  "lot^')   'Ji  ntt'n 
'n  'dn'   ,priti'  n^jDn  b^   nn   ''n  |n  p'p  yoia^  t^b  dni  tj'jyj  ^jn  nn 


10 


:dw  NOimni  a"D  NOinJn  ,'n  '»d  i"sd  i''^  '";   -         :636  is  a"js  Y'a  ,02' Ji"ne  * 

:dip  Noinj.ni  2"o  NOinjn  ,G!p  i"a  ,710  'ißy  j"no  '»v  *         =''09  'iiay  j"nD  * 

,nMah  n»^  i'pDO  pin  i:  in  p<m  nin  is  id«j  ri^h  a'jo  'im  n»3n  pia'?  in'rij?  trnpn  pisi» 
n»'?  i'poD  nin  tz  ins  n»"^  nun  xini  'i3i  ünpn  pisr  ja  pyDi»  'n  'idi  xm  n»u  'tt'nui 
'1D1  trnpn  pTiin»  n  ]ij?ött?  m  'isi  n»nip  '1D1  hna  jjnr  n  vni  T'Sia  nhnp  'oai  ,'i3i 
:Vmn  '«nai  3"i23  tp"»»j)i  'jjja  nnu»n!pa  i»aD-;D  n'jnsntPD  na  >':via  ma  n«an  piaS 
(pDB»)  piDS»  Nötff  77JDn  n'^^jjja  '»iidn  "jn  n'7np  nei  «D^cn^ai  ,nison  nn  iaDy»i  j"noa  ** 
iD'pn'?  1Ü11  li'rn  no  hy  nsona  psS  'jsji  p'^nn  ^  :nison  ]d  asynn  nijdji  ina  in«':»  iSijd 
n»:spT»D  i"ya  jins  □»  nma  'trn'ai  /nnjni  'isi  n»j»n3»Ni  'lai  i»'?:«  aina  i"»3ai  ,tt?^n:»  iniNsoi 
DKT  "i»u  '»n»ai  ,'131  »nni  dip  ^^y  iJ»nNT  p^  p'?  idn  )3  ino  n»"?  iion  dip  iDsan  irjiDi  'i3i  n'Jin3iyNi 
•  •  inD  aina  rfn  i"'3ai  /i3i  «nm  jj'jm  jn':  p^  noN  pK  ins  h"ti  'i3i  '•'JinscNi  n»Jispra  »ya  jins 
,y"si  ;3'7  N*?  jöDJ  p'^jjai  .j^tin  in^i  njini  jj^hnt  pn'?  p'?  nax  aina  iiyi  ,N3n  ij;  njini  pnaji 
na  Nn  lan':  la  p»nNT  i<a'?v  ])h  lax  p  ina  n»'?  inan  'i3i  n':in3»Ki  n'Jisipiia  p^w  n^np  'aai 
133^'  3"n  nnt<  min  naia  )h  'aN  n"t  j"naa  ^  nasan  pnj?in  nS  j"naai  ,'i3i  'nm  lan»«! 
T'N  na«  D'n'rN  'ni  'n3i  'i3i  n«t:'>  «iDin  ''^  'onj:'  »"':  a"n  nnx  n'-apn'?!»  maia  'bn  n"t  i^aN  nx 
a"B  Nain:na  "^  :'i3i  i':b  nax  iN3a  3"i3xv  atti  'Ja  in»?  '13i  ahjjn  xnajür  apji«  dn  na  pns' 
iB'a  -iPN  Oü  (nnian'':  p'jiipa  p»)  niana  i'7»aj»  nnsan  »a  na*  n'?©  apy«  nax  n'n  aa  Nainjn' 
:dip  T'aai  j"naa  '»yi  'i3i  man  iübi  a«n3i  hn-^w  mns  n»  o»  n©a  ('jwa)  »n'rtt^a:  »jni  mira  D»nian 
]f\'>hy  pnnnS  nap  n«  laaici  isia»  unm  onsan  ^7^  niaan  isu'Kra  xT'nj  n"t  J"naa  -\nn  pjjoa  " 
.»aa  3pv»a  pK  iibnm  ''r^nna  n^aip  db  xsaj  in';  dni  Dipan  »3»k  nn  ':''sa  NsaJ  in»'?y  jjnnn  ns 
DtP3w  T'7  iniN  w;»  nhw  Dnsa3  n3p»S  n"?»  3pj)»  U'3n  irp3  na  »jsa  n"t  do  T'33  inK  jujd3  iiyi 
pns«  T'N  N"T  Ji"nBa  ^        :tr"»'j;i  Nainjn  »i^niaa  n"3i  'i3i  layjn  la  pyiBJ  la  laiyn  ja  i^y^tw 

:NBimn  «»■na3i  T'aa  "yi  d»:3  n3B3  i»nnn  neyn  »'m>  «a»  KT»nj 


—     166     — 

:Dipa  ^DD  !2'''n~iD  ^^nnnti' 

5  ,(i"'jD  onDi  'ON  ii'^b  p  i'iycsj'  'i)  vvin  Dn^-i  'on  """ib  p  ytyin^  'n  i^jn 

noifJ  im:  ndh  jq  n^  \n^^a  nidp  n^  dkg  c^^"?  p  pvot^  't  ,n^t:'Dn 
,iTDDn  nbijnt:'  u^mni  p  dn  ^^d"'d  'n  n^b  'qn  ,(n  a»  "»vir»)  n^b;;  oy^ 

10  ^Npw)  Dn"'^ni  DDD  "'nii  "t.pji^  nm  nin  o^^n  an  bsni^^  \ntib  pyjo 
ib^DN  pnn  jiDn^ti'o  nh  'pNiK^n  NyiN  ^jd*?  on  rri^OND^  ']di  i''nd  '~i  Ut  t'? 
DM  dd"?  ^^1^  n^  ':' izri  'di  t'Nit^'^  pN  Nini^  d"'d  ^j'iIn  un  -iqni  mia  p 


:'j  '»D  Du  NQinjn  ,'1  '»d  >n>i  a"n  Nßinjn  ,  Dir  -i"a  '»yi  ,709  'iny  j"nn  ^  :'a  'n 

Nin  na  Nim  p  b  npy«  Dmnpa  'amapi  onsoe  »jassr^Ji  3«n3  Dir  d'n^  'irn'3  '^ 
'-I  232  Dnm  noN  wjn  'n  3J2  c>nm  idn  iiy^  '1  (tcsq  ne  map  Nim  ];\-i  hi  'iSs)  »sjö 
nisiNa  'n  'js''?  ihnnn  -,dn  iP'p'j  ;n  iiyoir  'n  2jn  onai  ina  3J3  onm  -ion  »1^  p  yann» 
nio»^  m»nn  i"n  n>.-i»e!r  px  N-iBp  in  nirn  V'att'i  'iDi  -iis  n^n  D"nn  nisiN  ]»n  N'rni  a»<nn 
puB^  n"an  T^nn  "d»d  i"n  n»DBn  n^uaip  unnm  nnya  n'?»*  'm  nctrj  inu  aya  nni  n'tren 
'7y  D2nN  «nnjni  oya  nni  irr'ry  'nnn  ]ipb:  'jni»»  "[»-inS  'idi  ii»di  nnus  j'^j'jjne  im  ]'-i.sn  na 
D'-iDNon  iinm  ,nuin:  'irn»a  »u»»  nspa  n"Di  ,'idi  2:2  »nn  »nnJi  'rN-iir»  nmN 
'n  uuB^tr  DnoNön  dj  nnx  -noai  d»jw  D'UJ'cn  insqj  nieipen  uira  aw  »cSE-nn  n»jid3 
nnin:  '^ani  ,Dtr  n"»CB2  dj  '»yi  'idi  'snip  na  «an  'idi  nj<at  -ia  xas  'n  'idi  n^iy  'idi  tnd 
nS  ><d»  lua  DH  n>Tdn  na'?  'iDi  uon  Dpy<  n»,i  yii»  ud  onai  wnp  idn  'idi  nnsöo  »jriN^Ji  Dir 
Nßinjn  »irmoai  i"aai  ,'1di  ua  d^dt  Nj»jn  T'n  'idi  s]di»  ya»»i  naiN  nn«  naia  xsvD  nii»na'?  riDT* 
D»iaT  iry'jN  t'n  'jNTi»»  ps  miap  j'aanai  )«yain  (niasn  naSi)  nuNn  ':d  .ia'':i  naxan  '^»nnB  de? 
»">  ■>iäh  i^nns  ua  DnDi  ina  (Nainjna  n'O)  ua  DnaT  »1^  ja  ysrin»  T'n  ua  Dnai  n»jjn  T'n  ua 
v'N  'n^atr  021  j'aana  nuNn  na'?  n'^rn  n  Dtra  onai  »J»  u^nian  nan  ntr  o  D"nNi  ,D»»nn  nisn^a 
Dniap  DHir  D»pnsn  n»Dsn  p  dn  iia»D  T'n  'idi  n»»an  nutr  ^Sdini  n»»an  (nia»^)  nia»a  n^nn  D"n 
nnyaD  jniN  ntnyi  psa  ni':"na  jnS  nariy  n»iy  .T'apn  na  n'?«  (riapj  yrnh  nsina»)  psS  nswa 
,  '1D1  »aia  noya  oDi  i»':j'7;na  pi  (i'j^t  nnUD  jniN  ntt>yi  psn  nx  jn'JB'?  mna  a"B  Nainjna)  )hin 
irai  'iDi  nasj  ,i»n!rD  U'ai  ODi  iübj  n«n!rD  .titn»  '1  'idi  p^rnaa  .TnirD  pni'  o  onaNan  Dir  iiyi 
D'iai  my^N  n  'ax  '1D1  niaNn  ^d  naS  jitrNin  naxan  pi  Nn»N  V'»;a  d»  Toai  /idi  »irn  n:»  j"» 
■  p'jn  n"Ba  "yi  D"nn  nisn^a  'i:i  ihnnii  Nua  onai  sina  »i':  ja  yirin»  n  'at*  Nj»jn  n  'an  Nua 
'mjDni  ,i»Jn  n  i"»Dai  Nj»jn  o  »nnjni  ,3U7  is  N"n  V'naya  '»yi  i«ja  "jn  i"»aai  ,481*  is  a"? 
DD»nnapa  bdon  »n'^^yni  oD^nnap  nn  nnis  »jn  ,ijn„  sjdu  1"»d  iv'^ja  ^  :i'ja  '1D1  ]iya2r  n 

j'TiBai  ,348  Ti"  v'tb  tjiD  Y'aa  "y  •^  :üü  T'aa  "yi  "id  nriNi  ^Nnc*»  naiN  ^n  ddon  «nNani  'ay 
•]»Bi»N  nin  a'H  d»n^d  '»noi  ,'idi  'jiaji  'nai  nb'  -ij  7y  'jiin  lan  jin'?  'bn  odi  tbib  nin  7d  Q"^  Dir 
^?B♦  s)u  '?y  «Diy  »an»  ji^  ibn  ]d  "Bn  ;iDin  iisn^ira  «n  'pMntr'T  syns  »jaS  |nia»N  ibn  n'»d«2  n'S 
'iDi  pDn'ira  nt  »t  'idi  »ja'?  pias  «»»oxa  ^»ai'N  b"t  niainD  'irn»ai  /idi  ma»  d»B»  '7y  sm  »3  a»nDT 

:  1 55  Ti  njtran  »Diia  '»yi 


—     167     — 

'dn  /^n  ni^  iQ-iD**  ]Drb  rn:  '^NyntJ'"'  nn  nb'v  :(i  t?  12102)  'iji  ^njn 
NJN'i  "'t'  n^'Jn  nai]  rint»  'j:n'  ,^^"11^  nvin'p  i^  i^poa  ]jn-  p^an  n^  n^ 
p"'n3  .■TL:'?iDb   iCN  p''n3   .-iü)yiDn   riDn  n^  [ndndq  Ny-ixn  t^'^jid  t'^id 

/n'D  rnN  niL*  fso  iDpji  □k'  nD.i  ,n^3  mni?  'rii:'^  ciy  -i^pji  n^j^  non  5 
:jbn':'iZ'  np"'o  'py  niDDo  pt:'  nTüp  ,'it:3  |\v  thn  nny  i^^dn  'dn  njim 
n^n^^Lj"!  D'Dt'^N  n-nn"'  Nrn-xn  j^y'?  j^dp"'  j"nn  niy^  '-i'  wi-p  13  "di^ 
Nmp  ■'JN  11;;^  '-\h  N^iip  id  'i  n^'?  'dn  ,pN^  i^'na  □'■n3  huiin  'ni 
TNDLjm  TN^m  DDTi'Dm  (t 3 h^dt)  n^v-int?  DPDK'  ^r'^nji  dd^^hd  ibw  b]} 
cn^by  ]"'jriij  in  '^Nitf''  pN^?  Dij;"'ja  p^  p^  ^'^  '^^  f  *="'''  ^"^^  '^'"^^f  riN  lo 

inj  nniHNn  nN^  nonti'  □^ji'ya  npy  "J'^n  nNiti'  po^  pniä^  3-1  -)2  'PNiat:/ 
,Ni-iDnN  a'-ijo  ^JN  ibwbti'  ion'?  'cn  □"'jnn  n"2pn  n-pDKr  iv^i  nia'nj'?  "nyi 

S3  i"i  -[',-111  N"in  mn  hni  nj^Dt^  cn  pni:^  'n^  ^,-in'?  ';j^3n*  2pv'b^  'P'^d  20 


'•yi  ,712  'iDy  J"na  ^  :';  '»d  «"ys  n"z  ,cr  j"na    -  :711  'lay  j"ne  ^ 

:'3  '»3  tjiD  CD  NCinjn 

w  nn:n  nai  on'?  idn  ■"'hH  inw  n'^jyo  un»  nysn  Hh  )h  iidn  hids'?  >nnn  niaS  najwa  ** 
nai  »na^trni  ,»ni»  i"»:2i  ntp  'nnjni  ,'i;i  nan  n'?  nxaa  pxa  »naiffj 'i'ra  'n"'7jna  i»2Ka  »jni  »i 
'32  ji  na  n»S  ina«  ♦33a'?  »n»i  tbi^b  mn  "TNyar*  -13  nVijj  d»i  ,j"na3  priym»  ibs  021  ö  n"jn 
]in  »23  iS  na  n»'-  inas  »23  «t^  pn  ibtn  nin  sninj  «'ny  n»N'':3  'isn'2T  /1D1  -[h  ]j»pDB  psi 
n»K  n":n  nai  ni3in2  '»n'3i  ,  021  n'7  NnsKca  xynx  1  j  '121  73ia  njx  >b  n^jn  nai  ji"?  na«  '121 1'?  i'poD 
na«  ins  ■':"n3  n»!?B:  nj  »"«i  p'^jo  mm  >jn  nin  abv;  nnins  »-333  nn«  |ijjd3i  ,  021  i3ia  «jni  '>b 
mu'ip  nan  u'n  en"?  na«  S3  uns  iS  nes  man  nsaa  nais  'jy  s'jiy  njs  ibn  mySs  nb  n»^ 
»Br>rn»3i  ,'i:i  n<3  nnN  ]n3  i3pji  '121  n«3  »»  nns  «n»  j"nB3  ^  :nri»a  nn.s'j  inahp'?  D»»nD 
n»3  »»  '131  D»nw  n»3  »'  '121  ibn  ^n  021  u'jn  n  nas  (n3n  n)  nj»bt  ",3  n3n  '-;  niaipan  ♦J»3 
Ni'jn  n3  NBn  m  n»  NBinjn  >!ma3i  t'33i  ,'i3i  msia  (mnp)  ]n33»  mi3p  na«  njini  nn« 
"yi  '121  3'n3  ^2»  n«3  tr«  nin»B  »n»  C2>  n3p:i  px'-  ni'in3  natz?  »a  nas  (3"a  «ainjns  n'O) 

D\D   D'N"3   'Cn»21    ,N»pn3  'T  '3 'J  D»  T'»DS31  ,«N"llp   13   »3T   J"na3   pnyin    pl    •^       :'H   'i    Z'S  T"n33 

niy'jN  '11  Ni-ip  '13  ncya  3"a  «ainjnsi  ,x"ii  »3i3  n»ya  n»  «ainj-ii  i"33i  Kn'pi3  'i  (i  3"'?) 
c^x'rs  's-n^si  -ca  »"B3i  327  n  r'ha  i"3  '>y  "t  :4  n  3"n  N"njN3i  3"»i  nnyns  ^"»»yi  '131 
»!»i»pi3  i"N  ;»iK7  yinh  nüina  (niN3  in»)  ;'N3  vntp  nunx  ini  ;»iud»n3  i»^"aa  jiin  c-lT  ni3in3i 
n3nn>B3  »sik  dn  'i31  iNuni  C2"n3  n3yin'7  'i3i  in'rn:!  on^hy  Niip  »jn  i^»n  iVyin  na  '121  (s'ip  13) 


—     168     — 

npDD  min   ^dv  '-i  ,ij^mjpn  nonbo  uoy  "t^'y  "o^nnyjn  □n^'^y  unE^^tr 

5  pj^m  N'iin^Dn  rh^v  i3[-i]  N-non  nn^^müD^a  '?y  inn^  pinn  n"?^  n^nnnb 

p  -in  i^^DJij  |nn  ^y  larDo  nüm  ^hd^d'?  rm"'  nih^n   -i3  ,pjiD  ]j^ja 

ib  y-in  ^ij^mjpi'p  Di^D  ijb  D^n^jD  un  r^^  d^^^  '^^  /l'^^tj  ina  nxi  id 

10  ^ö^'b  noN^i  n'^N-  Dnnin  ^nx  \-i^i  n\-i  mn  ^bin  n^b  nd  ppints'  r^ 
'QN  njp^i  ynn  dh-idn  td^d  '^^n  ht,^  'i  'cn-^  Tiri  [n'^in  ^dn  n:n] 
■jinov"'  133^  ^ob  ynv  din  i"'Ni  □ipn'?  d^djdj  ijm  3n  D^obiyn  pDi  vjd'p 
mD  ^3-1  T'n  n"3pn  ib  'dn  ,133^  ^d^  ynv  din  njpn^  dn^  mayo  rNti' 
-laytt'  ]i^D-i  njpi  'ra  r^  |nd  "lyi  iddh  rh^nnü  ,b'nr:D  "-jn  iodi  nry^n 

15    pna^     ,(«<    ■!=    n'tTNnn)    n^OiZ    N3    ]pT    DHIDNI    njp^    ^h    p^'J    Dn~l3N    'J'3N 

nniHD  r^n  ni^m  ri'O''  ^b  no  ntN  a^Dtsiyn  pai  vjDb  'dn  imo^^  ynn 
it)  'QN  ,njJD  nmra  ]nn  htd  |\v  p-no-  vb])  n^dd  HNtJ'  T^ai  iijjd 
PN  ]D  lyi  ^DDH  nt'^nra  ,b'nr.ü  n'H  -aa-i  nryDn  niD  tDi  T'n  n"npn 
[j^HDm]  pna^  jpi  ^D  ^n^i  p^io^^  ib  ]n^j  pna^  nnya'  p^3i  pmo^  'hd 
20  Nb  p.D  DIN  D^Q^iyn  '3-^  vjd'?  'on^  ^^inn  hn  y^n  npy^  ,(«  '=  °^)  _'ijt 
Dij'^^Q  Nin  G^D^  r]üb^  ü'2^  nb^n  Nint^  "j'.rc  ,"^jn  pn'  nti'^^c  u^ni  ^bin 
!^Dv'p  noN^  b^nna  NiH  po  nnynn  yrc  n^i  T^n  n"Dpn  ^ö  'Dn  ,vj3  ]^d 
Dpy^  pmo^^  ui'-^n  pna^  njpi  t^'Tn  dh-ün*  ^'b  'i  'qn   ,nbin  ^dn  hjh 

n"DB  "i"a  *         :'n  3"d  nuin;  '»j?  ^         :'j  'd  n"s  hü's  '!rn>  -         •■üiü   j"nD  ' 

:713  'loy  j"no  ''y  "^         :'a  '«d 

T'sai  ,i"»Dsn  "yi  'i3i  inms  isdi  2'nDT  pnx  ^y  i'n»j«i  nsy  »u  i'^au  (vn)  in  'i5i  p'D  n«':  n»j< 
:tp"»»yi  '131  riD  ''tr  jins  ini  (snnaD  ym  '?»  »Sisn)  «nnu':  pnt:'  »Vsa  i»2'7nD  i'n»  'Dinjnai 
-ID1N    <ai    »3    'rNyaiT'    'n    »jn    ds'    ns»3    'triTi    ^  :rnnN  n3»n:a   V":a  n^^m    p    ^ 

)mpai  iND  ]»JJis  intr  cimna  n'riy  na  ^ip  »-nan  n«n  So  niNaossn  'jy  latpn  ab  J  :'i3i  D'jas 
N^j'iy  -lai  n-noT  NJrna  'n"aitsDö  'ry  iia'^  )ian»n  nh  'i3i  ipsa  nji'  n  de?  »»"'rtPiTai  -tjun  ns 
in«  (283  IS  «""tb  Y'a '»yi)   n"nu  onay   uk?    Sy   lanaD  n»ni  i'im'?  Ti»  t  :rJUS  iu'nt 

las  ij':  ins  nnxi  -p  tr»  nan  nr  ""^a  »an  i''?  na«  Nin  lapii  ps^  'jis»^  raa  i»n  i'jNara  into  U'a»D 
jnna  »nca  nnj  nin  inas  n  otp  »a'jtffi-i'ai  o"nea  n"3i  va  ii»'7ja  na''-Enn  iispti  n':ai  ,'i3i  a.T? 
p'?  -las  pan  ina  rr"':  i^ön  jispTi  i'yitr  pBpTi  i^yiip  i"nu  ;nn  "jy  ^anD^a  mm  'na»Di  poian 
n"Da  i"a  i"»aa  n  :  'n  'rn  'y  inyai  dü  niaina  »^aa  y"»yi  nvsa  »jsa  '»yi  »nup'iS  »na  ♦ma'Er 
nns  'nn  'na  nioTJ  laa»  »a':  yii»  ms  I'ni  'i31  nmaN  ]ia»D  'Ta  mi»  'i  'as  pns'  ipt  »3  »mi 
,Bn»JirD  laa  «'?in  ^hMnh  ■•hm  p  nsitt?  p'a  pnj  la  'jNiatr  'i'aN'ui  tjoi»'?  naNM  n^xn  'ann 
niaoa  pi  p  i"»3a  i  :11  'w  157  is  ':»5>'?  "Vi  U'Jb'?»  laxan  "tn  laii  db  ya'p  iBioni 


—     169     — 

"imyi  nb'n  T'':'na  "iQiyi  n'pin  d-ink'  iina  n'7n  ,NnorN  imo  dv  i;;  imN 
n'p"'nn  "p^nnn  Nin  iod  nnynn  dil:  -)m  i^^n  n"2pr[  ^b  'cn  ,  nD"''7LS'  .-aic^r  nriy'i 

ro.TJtJ'a  -Q^  'h^n  ^'pinb  'bin  pn  hmsi'  [p'd]"'  ?cnj  13  '7N'o:5'  '1  'cn  5 
n.N  bö^2^  nntj'cn  n^nb  i'pin  nuT^  nn  ^i^r  rjn  ^3:r  ni^  np^l 

:ti'-npn  mi 
ntr'^^D"  ,n2b^b  -idd  pi^nb  t'^Dt^-n-^  ntsüin  hv  2t:"1  '"ir^  pinn^l 

:D^Dbr2b  iidd  pi'^nb  b'2^:i  "'"lomp  p  n^'?  Dwp  n^no  nv.n  n\'""n'7  15 

pi>5^3  ntr2!2T  nnax]  'i:i  n^^n  ^5tr  nnri  'i:i  'mm  i^i^t2  ^]:n 

njnD  '7J-  'i'pw  HDi  □^D^tt^  i^n''  -b^N  p)n  ü'122ü  pyott'T  p "n")  na  *  [|l27l:2tn 
onsN  njna  ['^J']^'    |^^^  ^^  'V?;t:'  n::a  v'^yi  0  =  "i^'^")  njo^r  p'Ni 

:(d  du?  oü)  nti'JD  nua  v'pyi  na^  20 
'j^Nan  mmpc  nK'ibij'3  r^n  '-i  pn  ^  'iji  n*rbin  "itTK  "[n^Siiai  (t 
imn  d^dn]  ':2b  m'?''-i3Dn  D^iym  ntj'jDt'L:'  ip'pn  iinn  '7^1:  cidn 
[nt^'JD  i'ira]  DnsN  ^^"^2   "'v'^J  ^"  ^^  >''^'"')  '^J'   [nti'jc  "'JD  n':'nj 
i^lJ^k-'d'?  ,D^Dn"'\-"Q  "ibw'^r  jmac'  ^T.a''N  ^d-'n  '1  Pn  ,[in:3'i]^'  (-  -'  n<csitp) 


:715  'iny  j"no  "''  :'a   ''  j"b  -i"«cs  /i  '»o  »mi  Nninjn  '»yi  ,714  'ley  y'nc   * 

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15  "  :Dt!r  j"n3i  594  ns  n"jB  "i"33  '»yi  nir^'B  j"nB3  "  :1  'Itf  157  is  'j'y'?  '<yi  'i3i 
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—     170     — 

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,y"si  i"»3a  n"3  ■^  :b!p  yaa  '»yi  03i  nanSaa  'rsTyr»  ^"':n»  sjVn  nixa  »an  i''-«  Nun  B'tp«an  nn 
npisn  '?»2u?n  i'^'ss  ^oa  ntppan  n3N  i"-  laxi  rrs  ub'^  aa«  nJON  nx  N'sni?  nta  na  atp  -['"aasi 
fiioN  1^  i<«sin  ;jin;  «ri*  i^n-ü  ja'«  fiNW  nb»  ^ar^  i:'2N  npy  ign  cmn  au'  j"nB2i  ,'i3i  nn 
nn^insn  nia  Nina  ms.  a»n^N  »^  ;n:  ibs  t^n  'as:  ■]3S  inx  nria  inix  iitpn'-  n"':»  nay  nna)n3i 
piasn  üisa  »"i  ""  :2"!Pn  'sin  n-js  »maai  n"ny  «"Knai  'n  '"ina  '»yi   inytp  »b^  j»»n»pl 

»j»yi  B»  n"»B3ai  ,Bipn  nna  niNiS  'rai»  nS  trin  yni  .nia-t;  hs)>  ah  jpna  naa  hnia*  «j'yi  iai»S3 
»paa  n''nvz)  mh  nt  B'pia-r  i>ni  ;piTe  naa  rj<y  »nn»  Nipa  hto  lyacaa  min»  t'k  '13i  ''•a-\w> 
uaa  np'ncj»  nisiS  ^31»  n^  na  ai'rt»!  an  (n«onj  n  'r'-si)  ;anj  ai  i'?  nsN  am«  n^in  n«n  niNn'? 
031  n^ni  n':«  Tiy  nhi  'lai  ^»J^  nsi  iüwb3  piasn  ]N3  bj  »nsa  <"n  '^  :  B'^  yaa  '»yi  E^iipn  nn 
siiB":)  ,031  njni  na'?  o;i  -»jb  nxn  »iiSn  cnn  J'ni  ,n"aa  nm  B»ays  laa  ns^sn  n'ra  jsa  «nanKi 
BN'sim  ]3üa  tnpn  nn  uca  np^naj»  .-ai»  nKitra  üipn  nn  uaa  np'rnaj  i»a  j"»3  jv'rja  PiBU  umn 
:a»  Nain:na  '»yi  n«  'nh  '»»1  i»3"ia  aya  aniN  rjai»  nsi»i  B»am  ippsa  n«ni 


—     171     — 

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:n"s  .i>rNnn  mjN  ,Dr  NCin:n  '»y     ^  :'«  2"'  dip  -,">ca  '<jji  ,721 

'131  niV^riiin  ;o  »21  njin  t'n  i'jyn  »s'j  n^nn  ;nd  o  v'-ai  vs  T'23  dj  niajs?  ht  iDNoa  ** 
npja  '?»  imiDa-  npj?»  ^e?  n»  ^a»  min»  yn  t'»os3  ^  :'iDi  lap»  vpin  d»i  nniiaii  :"nNi 
itPTS  D»  »"T  naini  ,  'idi  ]rf>nh  ^»aiffB  ariD»  ,103  2?iipn  nn'?  apy  Se?  in»  iS'atrn  '?  3  »  idn  j'hi 
DjninD  U'js'?  y\  »12131  .jj"^i  251  is  yn  n".iJN3  dj  '»yi  n»ja»  p^n  '?3iff  »in  »"i»  c»ü?ison 
i">DS3i  ,v"si  '131  »löx  »3^:  ^71^13  h)i'\2  j"nö3  '  :n"nj?  »"»la  dj  '»yi  ^n)T>h  iun»3nN  N"n3  dj 
nDNP3  »myiiT  'jy  nnp  »nn»«  d»isn  ^^3'?  riipn  nna  »nb'i  »mn  'i3i  »n'-Jin  3ni  »ohd  idno3  dw 
'j'aspn  3pj?»'?  p"nn  «n^jin  '131  «n'rjin  »;jni  dz'  NDinjnai  ,d»  yon  '>j)i  '131  Dnp  tiDi»S  apy» 
:'i3i  nyp   nniN3  ipy»»  p"nn  np^nnj  d»oj?s  »jb  janj  13  '■«la»  t'k  eis« 


in.   Zur  jüdischen  Literaturgeschichte. 


Pseudo-Philo  und  Jerachmeel. 

Von  Leopold  Cohn,  Breslau. 

In  dem  Aufsatz  An  apocryphal  worh  ascribed  to  PJiilo  of 
Alexandria  (Jewish  Quarterly  Review  X  [1898],  277 — 332)  habe 
ich  eine  interessante  Schrift,  die  beinahe  verschollen  war,  zu 
neuem  Leben  erweckt.  Zusammen  mit  Bruchstücken  einer 
altlateinischen  Übersetzung  von  Philos  Quaestiones  et  Solutiones 
in  Genesim  und  dem  Anfang  einer  altlateinischen  Übersetzung 
der  Philonischen  Schrift  De  vita  contemplativa  veröffentlichte  der 
Humanist  Johannes  Sichardus  in  Basel  1527  unter  dem  Titel 
Phüonis  ludaei  Antiquitatum  Bihlicarum  über  incerto  interprete 
ein  Buch,  das  weder  von  Philo  herrührt  noch  irgend  etwas  von 
biblischen  Altertümern  enthält.  Den  falschen  Titel  Antiquitates 
hihlicae  hat  Sichard  dem  Buche  gegeben.  In  den  Hss.  ist  es 
teils  ohne  Titel  überliefert  teils  mit  der  aus  dem  Inhalt 
erschlossenen  Überschrift  Historia  Phüonis  ab  initio  mundi 
usque  ad  David  Regem.  Das  Buch  enthält  eine  midraschartige, 
mit  unbekannten  Legenden  und  vielen  Reden  ausgeschmückte 
Erzählung  biblischer  Begebenheiten  von  Adam  bis  zum  Tode 
König  Sauls.  Der  lateinischen  Bearbeitung  liegt  zweifellos  eine 
griechische  Vorlage  zugrunde.  Aber  auch  diese  war  nicht 
Original,  das  ursprüngliche  Werk  war  vielmehr,  wie  ich  nach- 
gewiesen zu  haben  glaube,  hebräisch  geschrieben.  Das  hebräische 
Original  und  die  griechische  Übersetzung  sind  spurlos  verloren 
gegangen,  erhalten  ist  nur  die  lateinische  Übersetzung.  Diese 
stammt  nach  ihrem  sprachlichen  Charakter  etwa  aus  dem 
4.  Jahrhundert  n.  Chr.,  das  hebräische  Original  ist,  wie  gewisse 
Beobachtungen  ergeben,  wahrscheinlich  kurz  nach  der  Zerstörung 
des  zweiten  Tempels  verfaßt. 

Die  kurzen  Bemerkungen  über  die  handschriftliche  Über- 

Guttmann,  FesJachrift.  12 


—     174     — 

lieferung,  die  ich  in  dem  oben  erwähnten  Aufsatz  gemacht  habe, 
kann  ich  jetzt  auf  Grund  besserer  Kenntnis  wesentlich  be- 
richtigen und  vervollständigen.  Sichard  benutzte  für  seine 
Ausgabe,  wie  er  in  der  Vorrede  sagt,  zwei  Hss.,  eine  aus  dem 
Kloster  Lorsch,  eine  aus  Fulda.  Die  letztere  ist  nicht,  wie 
ich  damals  glaubte,  verschollen,  sondern  heute  noch  vorhanden: 
ich  weiß  längst,  daB  sie  sich  jetzt  in  der  Landesbibliothek  zu 
Cassel  befindet,  und  habe  sie  vor  einigen  Jahren  vollständig 
verglichen.  Dagegen  ist  es  zweifelhaft,  ob  die  Lorscher  Hs. 
noch  existiert;  denn  allen  Nachforschungen  in  den  verschiedenen 
Bibliotheken,  in  die  nachweislich  Hss.  des  ehemaligen  Klosters 
Lorsch  verschlagen  wurden,  ist  es  bisher  nicht  gelungen,  die 
von  Sichard  benutzte  Hs.  aufzufinden.  Meine  Vermutung,  daß 
sie  mit  einer  Hs.  in  Cheltenham  identisch  sein  könnte,  erwies 
sich  bald  als  falsch:  aus  den  Mitteilungen  eines  englischen 
Freundes,  der  Gelegenheit  hatte,  die  Hs.  zu  sehen,  erkannte 
ich,  daß  die  Cheltenhamer  Hs.,  die  der  von  dem  Sammler  Sir 
Thomas  Phillipps  begründeten  Bibliothek  angehört,  nicht  aus 
Lorsch,  sondern  aus  einer  Klosterbibliothek  in  Trier  stammt. 
Mit  der  Lorscher  (die  durch  die  Sichardsche  Ausgabe  vertreten 
wird),  der  Casseler  und  der  Cheltenhamer  Hs.  ist  aber  die 
handschriftliche  Überlieferung  bei  weitem  nicht  erschö[)ft.  Bis 
jetzt  sind  mir  insgesamt  14  Hss.  bekannt,  die  die  Antiquitates 
bihlicae  enthalten.  Die  wichtigsten  und  ältesten  unter  ihnen 
stammen  aus  dem  11.  oder  12.  Jahrhundert,  so  die  Fuldaer 
oder  Casseler,  eine  Hs.  in  dem  Kloster  Admont  (Steiermark), 
eine  in  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek,  eine  im 
Ungarischen  Nationalmuseum  in  Budapest '.  Die  Casseler  Hs. 
stimmt  im  allgemeinen  mit  dem  Sichardschen  Text  überein,  die 
anderen  Hss.  dagegen  weichen  vielfach  von  ihm  ab :  die  von 
mir  verglichenen  Hss.  nus  Admont,  München  und  Budapest 
zeigen  die  gleiche  Überlieferung,  aus  der  manche  Fehler  der 
Sichardschen  Ausgabe  verbessei't  und  Lücken  ergänzt  werden 
können. 

Die   große  Zahl  der  vorhandenen,    in  den  verschiedensten 
Gegenden  und  Bibliotheken  zerstreuten  Hss.  beweist,  daß  unsere 

'  Näheres    in    den    Prolegomena    zu    dem    vor    kurzem   erschienenen 
6.  Bande  der  kritischen  Philo-Ausgabe. 


—     175     — 

Schrift   das  ganze  Mittelalter  hindurch  stark  verbreitet  gewesen 
sein    muß    (einige   Hss.    sind   im    15.  Jahrhundert  geschrieben). 
Wir    haben    aber   auch  Beweise,    daß    sie   gelesen   und   benutzt 
wurde.      Bei    G.  Becker,    Catalogi   bibliothecarura    antiqui  (Bonn 
1885)    p.  206   ist    aus    dem  Briefe    eines  Mönches    an   den  Abt 
Conrad    von   Tegernsee    (12.    Jahrhundert)    folgende    Stelle    ab- 
gedruckt:   Iiogamtis  igitur  in  caritate  librum  Philonis  nohis  ad 
horam  praestari.     Der  Mönch   bittet  den  Abt,   ihm   die  Philohs. 
zu    leihen.     Da    nicht  daran   zu   denken   ist,    daß  im  12.  Jahr- 
hundert in  einem  deutschen  Kloster  eine  griechische  Philohs. 
vorhanden    gewesen    ist,    geschweige    denn    studiert   wurde,    so 
kann    nur    eine    lateinische    gemeint    sein,    in    der    die    pseudo- 
philonischen    Antiqiiitates    hihlicae    und   die   lateinischen   Bruch- 
stücke von  Philos  Quaestiones  in  Genesim  und  De  vita  contemplativa 
enthalten    waren.      Wahrscheinlich    war    es    die   oben   genannte 
Miincheuer  Hs.   (Cod.  Monacensis    lat.   18481),    die    ehemals  der 
Klosterbibliothek    in    Tegernsee    gehörte.      Albertus    Magnus 
zitiert  Philo  mehrmals,  und  seine  Zitierweise  zeigt,  daß  er  eine 
ähnliche   Hs.    in   Händen   gehabt   haben   muß.      Im    Kommentar 
zum  Propheten  Hosea  Kap.  9  (Tom,  VHI  p.  31  ed.  Lugd.  1651) 
erwähnt   er  die  im  Kichterbuch  Kap.   19  erzählte  Schandtat  der 
Männer    von    Gibea    und    bemerkt   dazu:    Dominus,    sicut    dicit 
Philo     in    libro    centum    trium    Quaestionum,     vindicavit    et    in 
Isra'clitas  et  in  Gahaonitas:   in  Israelitas,   quia  bis  ceciderunt,   in 
Gabaonitas,    quia    ex   Ubidine    tixorem    alterius    et   violaverunt  et 
occiderunt.    causa  vindicationis  in  Israelitas  liaec  fuit,  ut  dicitur, 
quia  uxorem  Lcvitae,  qiiae  propter  adulterium  a  marito  recesserat 
et  secnndum  legem  lapidanda  fuerat,  cindicaverunt  et  idolum,  quod 
in  domo  Micliae  invenerunt  (ludic.  18),  secum  asportaverunt  et  in 
Mieliam  non  vindieaverunt,  cum  tarnen  adulterium  minus  scelus  sit 
qiwAH   idololatria.    in   Gabaonitas    auteni,    quia  contra   honestatem 
humanam  uxorem  sacerdotis  stimnlo  libidinis  inferfecerunt.    Diese 
Begründung    stammt    nicht    aus   Philos   Quaestiones   in   Genesim, 
sondern   aus   den   pseudophilonischen  Äntiquitates  biblicae  (Sich, 
p.  45  ff.).     Albertus  M.    nennt  irrtümlich    die  Quaestiones,    weil 
vermutlich  in  seiner  Hs.  nur  dieser  Titel  stand,  und  die  pseudo- 
philonische    Schrift    ohne   Titel    war.     An    einer   anderen    Stelle 
(Comm.  in  lib.  IV  Sentent.  Dist.  33,  Tom.  XVT  p.  688)  nimmt 

12* 


—     176     — 

er  auf  Pseudo-Philo  mit  folgenden  Worten  bezug:  .  .  .  cum 
instabat  muÜitudo  pertralientium  ad  idololatriam  et  paucitas  Deiim 
colentium  in  tcmtuni,  quod,  ut  narrat  Philo  in  suo  Pentateucho, 
Abraham  carcere  et  igne  cogebatiir  nomen  suum  lateri  impressum 
venerandiim  posteritati  praebere  a  ducibus  qui  venenmt  ab  Oriente. 
Hier  ist  auf  eine  Legende  von  Abrahams  Errettung  vom  Feuer- 
tode beim  Turmbau  zu  Babel  angespielt,  die  Pseudo-Philo  allein 
kennt  (Sich.  p.  6  ff.  cf.  Jew.  Quart.  Rev.  a.  a.  O.  p.  285).  Bei 
Petrus  Comestor  (saec.  XIIj  in  seiner  Historia  Scholastica  lib. 
Genes,  cap.  XXXVII  (Migne,  Patrol.  lat.,  T.  198)  findet  sich 
folgendes  Zitat:  Narrat  autem  Philo  ludaeus  vel  ut  alii  volunt 
gentilis  pMlosophus  in  libro  Qiiaestionum  super  Genesim,  quod  ex 
tribiis  filiis  Noe  adhuc  ipso  vivente  sunt  nati  viginti  quatuor  milia 
virorum  et  centum,  extra  mulieres  et  parvulos,  habcntes  tres  super 
se  duces^  quos  praediximus.  Hier  haben  wir  dieselbe  Vermengung 
der  Philouischen  Quaestiones  in  Genesim  und  der  pseudophilonischen 
Schrift.  Die  Angabe  bezieht  sich  auf  Pseudo-Philos  Erzählung 
von  der  großen  Musterung  der  wehrfähigen  Nachkommen  der 
drei  Söhne  Xoahs  durch  die  drei  Heerführer  Jectam  (Joqtan), 
Phenech  (Pinchas)  und  Nembroth  (Nimrod),  die  noch  zu  Leb- 
zeiten Noahs  stattgefunden  haben  soll  (Sich.  p.  5  f.).  Die 
angegebene  Ziffer  Aveicht  allerdings  erheblich  ab,  Pseudo-Philo 
gibt  die  Zahl  auf  914100  an;  es  liegt  aber  vermutlich  nur  eine 
Verschreibung  in  der  betreffenden  Hs.  vor  (viginti  quattuor  statt 
nongenti  quattuordecim).  In  einer  im  13.  Jahrhundert  ge- 
schriebenen Hs.  der  Aurora  (einer  versifizierten  Bibel)  des  Petrus 
de  Riga  (saec.  XII)  in  ( )xford  finden  sich  Randbemerkungen,  in 
welchen  Philo  (einmal  Phylo  Alexandrinus  disertissimus  ludaeorum) 
d.  h.  Pseudo-Philo  c.  30  Mal  zitiert  wird:  vgl.  M.  R.  James, 
Journal  of  theol.  studies  VII  (1906)  p.  565. 

Kurz  nachdem  mein  Aufsatz  über  Pseudo-Philo  erschienen 
war,  veröffentlichte  M.  Gaster  aus  einem  hebräischen  Manuskript 
der  Bodleiana  in  Oxford  in  englischer  Übersetzung  Teile  einer 
Sammlung  von  chronikartigen  Notizen  und  biblischen  Legenden, 
die  in  einigen  Stücken  große  Verwandtschaft,  ja  wörtliche  Über- 
einstimmung mit  Pseudo-Philo   zeigte     Geschrieben  ist  die  Hs. 


*  The    Chronicles    of   Jerahmeel;    or    the    Hebrew    Bible    Historiale, 
London  1899. 


—     177     — 

im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts,  nach  A.  Neubauer  im  Jahre  1325, 
von  einem  gewissen  Eleazar  ben  Ascher  Halevi,  der  am  Rhein 
lebte.  Dieser  hat,  wie  er  in  der  Vorrede  bemerkt,  aus  ver- 
schiedenen Büchern  das  Werk  zusammengestellt.  An  einer 
Stelle  (Kap.  XXXI  §  5  bei  Graster)  hat  er  ein  Stück  aus  Josippon 
eingeschoben,  wie  er  unter  Nennung  seines  Namens  ausdrücklich 
angibt.  Sonst  scheint  in  dem  von  Gaster  herausgegebenen  Teil 
hauptsächlich  die  Chronik  des  Jerachmeel  ben  Schelomo  n 
benutzt  oder  vielmehr  wörtlich  aufgenommen  zu  sein.  Denn  ij 
dieser  nennt  sich  in  dem  Werke  Aviederholt  als  Verfasser  mit 
Wendungen  wie  ':;NCm"»  '':n  \~i}<'i*>n  u.  ä.,  und  Eleazar  b.  Ascher 
sagt  am  Ende  jenes  aus  Josippon  eingeschobenen  Stückes 
^^NrCnT  m^bct'  ~^,iTn:  (Kap.  XXXI  §  15  bei  Gaster)  i.  A.  Neu- 
bauer, der  den  Inhalt  der  Hs.  genau  beschrieben  und  einige 
poetische  und  prosaische  Traktate  des  Jerachmeel,  die  sich 
außer  der  Chronik  darin  finden,  veröffentlicht  hat,  sprach  die 
Vermutung  aus,  daß  Jerachmeel  um  das  11.  Jahrhundert  in 
Süditalien  gelebt  hat.  Aus  einigen  Zitaten  und  aus  der  Form 
gewisser  geographischer  Namen  in  der  Chronik  wollte  er  den 
Schluß  ziehen,  daß  Jerachmeel  griechisch  verstand  und  nicht 
nur  hebräische  Quellen  benutzte  (unter  diesen  in  sehr  aus- 
gedehntem Maße  den  Josippon),  sondern  auch  griechische. 
Darin  irrte  Neubauer,  denn  die  geographischen  Namen  zeigen 
viehnehr  (wie  Gaster  richtig  bemerkt)  lateinische  Form:  "•'^111^2 
(Gaetuli),  \Jn^iJ  (Cyrene),  ''i'^r?  (Phoenice),  ^ij:!^  (Franci),  v^^-^j 
(Graeci)  u.  ä.  Auch  die  Übereinstimmung  mit  Petrus  Comestor 
in  den  betreffenden  Abschnitten  spricht  dafür,  daß  bei  Jerachmeel 
eine  lateinische  Quelle  für  die  weltchronikartigen  Notizen  nicht- 
jüdischen Charakters  benutzt  ist.  Außerdem  ist  es  an  sich  un- 
Avahrscheinlich,  daß  ein  mittelalterlicher  jüdischer  Schriftsteller,  der 
im  Abendlande  lebte,  gi'iechisch  verstand;  wohl  aber  dürfen  wir 
ihm  Kenntnis  der  lateinischen  Sprache  zutrauen.  Das  Vaterland 
des  Jerachmeel  läßt  sich  nicht  feststellen,  seine  Lebenszeit  fällt 
wohl  in  das  12.  Jahrhundert.  In  der  Chronik  des  Jerachmeel 
ist  nun  noch  eine  zweite  lateinische  Quelle  benutzt,  unsere 
pseudophilonische  Schrift. 


Vgl.  A.  Neubauer,  Jewish  Quarterly  Review,  Vol.  XI  (1899)  p.  364  fF. 


—     178     — 

Jeracbmeel  (denn  ihm,  nicht  dem  Schreiber  der  Hs.  Eleazar^ 
dürfen  wir  das  Zitat  zuweisen)  zitiert  Philo  d.  h.  Pseiido-Philos 
Antiqiiitates  biblicae  nur  an  einer  Stelle  mit  folgenden  Worten 
(Cap.  LVII  §  1  bei  Gaster):  Philo,  der  Freund  von  Joseph  hen 
Gorion,  erzählt  in  seinem  Buche,  daß  nach  dem  Tode  des  Josua 
die  Kinder  Israel  Jceinen  Fiihrer  besaßen.  Es  folgt  die  Erzählung 
von  der  Wahl  des  Kenaz  und  den  merkwürdigen  Begebenheiten, 
die  sich  unter  ihm  zugetragen  haben  sollen  (cf.  Jew.  Quart. 
Rev.  1.  1.  p.  295);  nach  Pseudo-Philo  (p.  25  ff.  Sich.).  Darauf, 
daß  Philo,  der  angebliche  Verfasser  des  ausgeschriebenen  Buches, 
hier  als  Freund  des  Joseph  ben  Gorion  bezeichnet  wird,  ist 
weiter  kein  Gewicht  zu  legen.  Josippou  (Joseph  ben  Gorion) 
wurde  im  Mittelalter  für  identisch  gehalten  mit  Flavius  losephus. 
Jerachmeel  (oder  sein  Gewährsmann),  der  die  Gleichartigkeit 
der  pseudophilonischen  Schrift  mit  seiner  Hauptquelle  Josippon 
erkannte  und  wohl  auch  wissen  mochte,  daß  der  Philosoph 
Philo  und  der  Historiker  losephus  vielfach  zusammen  genannt 
wurden  (wie  bei  den  Kirchenvätern),  glaubte  die  neue  Quelle 
nicht  besser  charakterisieren  zu  können,  als  indem  er  Philo  und 
Josippon  zu  Freunden  machte.  An  anderen  Stellen  sind  die 
Äntiquitates  biblicae  stillschweigend  benutzt.  Sicher  liegt  folgenden 
Abschnitten  der  Chronik  des  Jerachmeel  Pseudo-Philo  als  Quelle 
zugrunde:  Kap.  XXVI  §  2— 15  (Nachkommenschaft  Adams  und 
Kains);  §  21  (Anrede  Gottes  an  Noah  nach  der  Sintflut). 
Kap.  XX VH  (Nachkommenschaft  der  drei  Söhne  Noahs  bis 
Terach).  Kap.  XXVIII  (Musterung  der  wehrfähigen  Mannschaft 
durch  die  drei  erwählten  Heerführer  Joqtan,  Nimrod  und  Piuchas). 
Kap.  XXIX  (Turmbau  von  Babel  und  Abrahams  Errettung  vom 
Feuerofen).  Kap.  XXX  §  1—5  (Sprachverwirrung  beim  Turm- 
bau). Kap.  XLII  §  5—9  (Reden  Amrams  und  Prophezeiung 
Miriams).  Kap.  LVH  (Erzählung  von  Kenaz).  Kap.  LVIII  §  7 
(Gideon);  §  10  (Jair).  Kap.  LIX  §  1—8  (Jephtha  und  seine 
Tochter);  §  12  (Micha);  §  14  und  17  (Piuchas).  Mit  Kap.  LIX 
endet  der  biblische  Teil  der  Chronik  des  Jerachmeel  und  damit 
auch  die  Benutzung  der  pseudophilonischen  Schrift. 

An  und  für  sich  liegt  es  nahe  anzunehmen,  daß  auch  bei 
Jerachmeel  Pseudo-Philo  in  der  Gestalt,  in  der  er  uns  vorliegt, 
d.    h.    in    der  lateinischen  Übersetzung   als  Quelle    gedient  hat. 


—     179     — 

Denn  von  dem  mutmaßlich  erscblosseuen  hebräischen  Original 
wie  von  der  griechischen  Übersetzung,  die  der  lateinischen 
zugrunde  liegt,  hat  sich  nirgends  auch  nur  die  geringste  Spur 
gezeigt.  Dazu  kommt,  daß  bei  Jerachmeel,  wie  wir  gesehen 
haben,  noch  eine  zweite  lateinisch  abgefaßte  Quelle  benutzt  ist. 
Graster  ist  anderer  Meinung,  er  behauptet,  daß  wir  in  den  mit 
Pseudo  -  Philo  übereinstimmenden  Stücken  der  Chronik  des 
Jerachmeel  das  von  mir  vermutete  hebräische  Original  des  von 
Sichard  herausgegebenen  Werkes  zu  erblicken  haben.  Diese 
Behauptung  bedarf  zunächst  einer  wesentlichen  Einschränkung. 
Gaster  selbst  weist  darauf  hin,  daß  die  lateinische  Übersetzung 
den  vollständigen  Text  des  ursprünglichen  Werkes  zu  bieten 
scheint,  während  der  hebräische  Text  der  betreffenden  Stücke 
bei  Jerachmeel  sehr  fragmentarisch  ist.  Genauer  ausgedrückt, 
ist  der  Wortlaut  bei  Jerachmeel  gegenüber  dem  lateinischen 
Text  vielfach  stark  verkürzt.  Wir  hätten  es  also,  gesetzt  Gasters 
Ansicht  wäre  zutreffend,  bei  Jerachmeel  nicht  mit  dem  ( )riginal 
selbst,  sondern  nur  mit  einer  verkürzten  Bearbeitung  des  Originals 
des  pseudophilonischen  Werkes  zu  tun.  In  Wirklichkeit  aber 
handelt  es  sich  bei  Jerachmeel  wie  bei  anderen  Benutzern  nur  um 
Auszüge  aus  der  uns  vorliegenden  lateinischen  Übersetzung, 
also  um  eine  Rückübersetzung  ins  Hebräische.  Die  einzige 
Begründung,  die  Gaster  für  seine  Behauptung  anführt,  besteht 
darin,  daß  in  den  Eigennamen  der  Genealogien  die  Unterscheidung 
von  n  und  n,  von  iX  und  >,  von  l:  und  P.  von  2  und  p,  von  C, 
Z'  und  K  nicht  vorkommen  dürfte,  wenn  eine  Rückübersetzuns; 
vorläge,  weil  es  im  Griechischen  und  Lateinischen  entsprechende 
Laute  für  alle  diese  nicht  gibt.  Als  stichhaltig  kann  dieser 
Einwand  nicht  gelten.  Einem  Manne  wie  Jerachmeel  dürfen 
wir  zutrauen,  daß  er  bemüht  gewesen  ist,  die  Namen,  die  ja 
größtenteils  der  Bibel  entlehnt  sind,  in  einer  Form  wiederzugeben, 
die  ihm  auf  Grund  seiner  Bekanntschaft  mit  der  Bibel  und  mit  dem 
Geist  der  hebräischen  Sprache  der  lateinischen  Vorlage  zu 
entsprechen  schien.  Gerade  die  Eigennamen  sind  aber  in  dem 
lateinischen  Text  vielfach  entsetzlich  verderbt,  und  Jerachmeel 
scheint  einen  hier  und  da  vielleicht  etwas  besseren,  im  all- 
gemeinen aber  denselben  verderbten  Text  vor  sich  gehabt  zu 
haben,    so    daß    er    in    vielen   Fällen    auf   die    Herstellung   von 


—     180    — 

Ij 
unbekannten  Namen  verzichtete  und  sie  in  der  Form  wiedergab,         i 

wie  er  sie  in  seiner  lateinischen  Hs.  las.  Gaster  weist  selbst 
darauf  hin,  daß  die  Namen  der  Söhne  Joqtans  (Kap.  XXVII  §  5) 
in  derselben  korrupten  Form  bei  ihm  geschrieben  sind  wie  im 
lateinischen  Text.  Das  ist  aber  nicht  eine  Ausnahme,  sondern 
die  Regel:  eine  Unmasse  sonderbarer  Namen  erscheint  gleich 
oder  ganz  ähnlich  lautend  bei  Jerachmeel  und  im  lateinischen 
Text,  die  im  hebräischen  Original  des  pseudophilonischen  Werkes 
unmöglich  eine  so  unhebräische  Form  gehabt  haben  können. 
Wenn  z.  B.  Jerachmeel  mit  sorgsamer  Hinzufügung  von  Vokalen 
(die  er  bei  den  meisten  Namen  unterläßt)  Namen  wie  Sa^m  Äsin 
durch  ]2Tj;  i<lW  wiedergibt,  Elidia  durch  nj;"]''':N,  Cechar  durch 
~1?"'r,  AcJiaun  durch  jlxry,  Feledi^  durch  H"'';?,  so  dürfen  wir 
wohl  Sägen,  daß  er  eine  lateinische  Vorlage  gehabt  hat,  die  von 
dem  Sichardschen  Text  nicht  zu  sehr  abwich. 

Wir  haben  aber  noch  stärkere  Beweise.  In  Gasters  Ubez'- 
setzung  erscheinen  allerdings  viele  Namen  sehr  verändert  gegen- 
über dem  lateinischen  Text.  Man  muß  aber  bedenken,  daß 
Sichard  nur  zwei  Hss.  zur  Verfügung  hatte,  die  noch  dazu  die 
gleiche  Überlieferung  zeigten.  Jerachmeel  kann  eine  Hs.  gehabt 
haben,  die  einer  anderen  Überlieferungsklasse  angehörte  als  die 
Lorscher  und  die  Casseler  Hs.  Und  in  der  Tat  verringert  sich 
die  Zahl  der  Abweichungen  in  den  Namen,  wenn  wir  andere 
Hss.  zum  Vergleich  heranziehen.  Aus  meinen  Kollationen  der 
Hss.  von  Admont,  München  uad  Budapest  kann  ich  nachweisen, 
daß  Jerachmeel  dieser  Überlieferung  näher  steht  als  der  durch 
Sichard  bisher  allein  bekannt  gewordenen.  Ein  großer  Teil  der 
Abweichungen,  die  dabei  zutage  treten,  erklärt  sich  aus  der  bei 
den  mittelalterlichen  Schreibern  häufig  vorkommenden  Ver- 
wechselung ähnlich  aussehender  Buchstaben,  wie  I  und  l.  z 
und  li.  ch  und  cZ,  in  und  m  u.  a.  Gleich  in  der  ersten  gene- 
alogischen Reihe  (Nachkommen  Adams,  Seths  und  Kains: 
Kap.  XXVI  §  2  ff.)  finden  sich  außer  den  erwähnten  noch 
folgende  bemerkenswerte  Namen,  die  sich  nur  aus  der  Benutzung 
der  lateinischen  Vorlage  erklären,  und  Übereinstimmungen  mit 
den   genannten  Hss.,   während   der  Text  bei  Sichard   etwas  ab- 

*  Mehrere  Hss.  haben  dafür  Felech;  ursprünglich  lautete  also  der 
Name  wohl  Fclcg. 


—     181     — 

weicht:  §  2  ncm*  Zarama  (Sichard  :  Harama).  §  3  Seth  hat 
zwei  (Sichard  :  tres)  Töchter  i6^T\\  N^'''rD  Malila  (Sich.  :  Malida) 
et  Thila.  §  6  |"':C1N''~1'?  (Graster  liest  Luriütin)  Lodiotim  (Sich.  : 
Lodootim).  §  9  HiV^y  Ämuga  (Sich.  :  Aniuga).  §  11  "CP  Themech 
(Verwechselung  von  ch  und  d).  ibid.  nn  Te^-e  (Sich. :  Tehe);  der 
nächste  Name  ist  deutlich  uZtl';.  =7e.sc«  (Gaster  liest  YeshbaJi). 
§  13  der  älteste  Sohn  des  Enoch  (des  Sohnes  Kains)  heißt  in 
der  Bibel  "ly)),  bei  Pseudo-Philo  CirafmJ  und  so  bei  Jerachmeel 
N";''':  die  Abweichung  im  Anfangsbuchstaben  hat  offenbar  ihren 
Grund  in  der  Verwechselung  von  J?  und  ü,  die  dem  Übersetzer 
zur  Last  fällt:  denn  im  hebräischen  ( )riginal  waren  die  aus  der 
Bibel  unmittelbar  übernommenen  Namen  nicht  verändert.  Dann 
fehlt  bei  Pseudo-Philo  der  Name  t'vX^in?;,  als  Sohn  des  Cira 
(  =  ~TJ7)  wird  Matusael  C^N'^'-inc)  genannt;  dieselbe  Lücke  findet 
sich  bei  Jerachmeel,  während  sie  im  hebräischen  Original  des 
Pseudo-Philo  schwerlich  anzunehmen  ist. 

Einige  weitere  Beispiele  seien  aus  Kap.  XXVII  (Genealogie 
der  Nachkommen  Japhets,  Chams  und  Schems)  angeführt.  §  3 
:m^?2'n  flN  'Z"'b'Z'  (falsch  übersetzt  Gaster  ivas  flooded)  PiliDJ  TN* 
l"'"!"'  nN  VJ2  '''\V22^"^  =  et  timc  divisa  est  pars  tertia  terrae.  Domereth 
et  ßlii  eins  acceperunt  Ladecli.  Hier  ist  zunächst  von  Jerachmeel 
falsch  interpungiert  und  Domereth  irrtümlich  mit  terrae  verbunden. 
n~!V2Tl  (so  im  Faksimile  deutlich  zu  lesen,  Gaster  liest  Romidath) 
ist  leichte  Verschreibung  für  DT'CTi.  Domeretfh]  hat  also 
Jerachmeel  sicher  in  seiner  Vorlage  gelesen,  so  wie  bei  Pseudo- 
Philo  überliefert  ist.  Dies  kann  aber  nach  dem  Zusammenhang 
nichts  anderes  sein  als  eine  Verschreibung  für  Gomer  et  (das 
zweite  et  Dittographie)  ^  Der  Name  "!"•""•  statt  Ladech  beruht 
auf  Verwechselung  von  I  und  l  und  von  d  und  ch  (vielleicht 
aber  ist  der  Name  "]"•"!"•  zu  lesen).  Bei  den  folgenden  Namen 
hat  Sichard  mehrmals  *  gesetzt,  als  ob  Lücken  im  Text  wären; 
man  braucht  aber  nur  durch  falsche  Verbindung  entstandene 
Namen  in  ihre  Bestandteile  zu  zerlegen,  so  ergibt  sich  ein 
lückenloser  Text  und  Übereinstimmung  mit  Jerachmeel:  für 
Deyalmadam    ist    zu    lesen  Degal  .  Madain    (""IC  'JUI  :  tir"),    für 

^  Auf  dieses  Beispiel  hat  bereits  Siegm.  Fraenkel  hingewiesen  als 
Beweis  für  die  Benutzung  der  lateinischen  Übersetzung  des  Pseudo-Philo 
<iurch  Jerachmeel  (Theol.  Lit.-Zeit.  XXA^  [1900],  452). 


—     182     - 

Godariphath  haben  die  Hss.  selbst  Goda.Riphaih  (rE:^~  ":2'.:nT.:), 
für  PJmdelisa  dieselben  Futh.  Elisa  (mLS'^^s*  ^:^1 :  'i^lS),  für  Thabola- 
thesis  dieselben   ThaMa  .  Thesis   (li'^tl'^n  ^:zi  trc).     §  4  heißen 
bei   Gaster   die   Söhne   des  Chusch:    Sheha,    Tudan,    Vahni    (?), 
Mrdpön,    Tinos,    Siliö,    Tiluf,   Gilug,   Lipukh.     Für    Vabni   zeigt 
aber  das  Faksimile  deutlich  "i:!!  (tmd  die  Söhne),  in  dem  folgenden 
Worte   ]"IE:\S^   steckt   der  Name  Phun,    wie  Pseudo-Philo   vorher 
den   dritten  Sohn    des  Cham   (statt  PJiutJ   genannt   hat,    und  die 
weiteren   Namen    sind   die   der   Söhne    dieses   Phun.      So    ergibt 
sich   auch    hier  Übereinstimmung   mit  dem  lateinischen  Pseudo- 
Philo,    nur   müssen   wir   die  Lesarten   der   oben  erwähnten  Hss. 
einsetzen:  et  filii  Phuni  (.  Tenus)  .  Zeleu  .  Telup  (Sich. :  Effuntcuus, 
Zeleutehip)  .  Gelucli .  LefucJi.      Im    §  5    gibt   Jerachmeel    für   die 
Söhne    des    Joqtan    auffallenderweise    zum    Teil    ganz    andere 
Namen    als   in    der  Bibel  (1.  Mos.   10,26—29)    stehen.     Es   sind 
dieselben  Namen    wie   bei  Pseudo-Philo  (abgesehen  von  kleinen 
Verschreibungen),soN~^u:D^C'=Äa?a5^ra,  CNTi;2  =  ili«-ra('»*.vS^MkS^~:= 
Bea.Buram,  h2hp''  =  I)eglaha1,  bn'\ü'r2  =  3Iimoel,  y^^^^2^^ ^ Sah- 
thifin.     Man  erkennt  aber  leicht,  daß  diese  sonderbaren  Namen 
nichts    als  Verstümmelungen    der   biblischen   Namen   sind:    in 
Salastra    (verschrieben    für  Scdaftra)    et  Muzaam    stecken   p]"?'^' 
niDl^n  nNl,  in  Em  .  Duram  C~}Vin  n.x;.  mT,  Deglahcd  (Declahal) 
ist  verstümmelt  aus  S^l'V  HN^^  M^p",  Mimoel  aus  ':'N^^2%s*,  Sahthifin 
aus   "i^lX  HN^  Nril*.      Pseudo-Philo    hat    da,    wo    er    die    in    der 
Bibel   vorkommenden   Namen   verwendet,    ihre  Form   nicht  ver- 
ändert.    Derartige  Verstümmelungen   und  Verderbnisse  können 
nur   von   dem  lateinischen  Übersetzer  oder  von  den  Schreibern 
der    lateinischen  Hss.    herrühren.     Daraus   folgt   auch   hier   der 
zwingende   Schluß,    daß    die   Quelle    des  Jerachmeel   nicht   das 
hebräische  Original  des  Pseudo-Philo,  sondern  nur  die  lateinische 
Übersetzung  gewesen  sein  kann. 

Wie  die  Verstümmelungen  der  Namen,  so  kehren  auch 
andere  Textverderbnisse  der  lateinischen  Übersetzung  bei 
Jerachmeel  wieder.  Ein  auffallendes  Beispiel  bietet  ein  Satz, 
der  sich  S.  2  (Sich.)  findet.  Dort  Avird  von  Jobal  (Jubal)  erzählt: 
.  .  .  qui  initiavit  docere  omnem  psalmum  organorum.  In  tempore 
illo  cum  initiassent  hahitantes  terram  opcrari  iniqua,  unusquisque 
in  uxorem  proximi  sui,   coniamimmtes  eas,  indignafns  est  deus,  et 


li 


—     183     — 

coepit  percutere  cyneram  et  cijtharam  et  omne  Organum  dulcis 
2)salterii,  et  corrumpere  terram.  Der  Unsinn,  den  der  Satz  enthält, 
ist  natürlich  nur  durch  Schuld  eines  Abschreibers  entstanden. 
Man  erkennt  leicht,  daß  die  Worte  et  coepit  —  dulcis  psalterii 
sich  nur  auf  Jubal  beziehen  können,  daß  sie  also  an  den  Schluß 
des  vorhergehenden  Satzes  nach  omnem  psalmum  organorum 
umgestellt  werden  müssen.  Die  Worte  et  corrumpere  terram 
beziehen  sich  offenbar  auf  die  Imhitantes  terram  und  gehören 
vor  die  Worte  indignatns  est  deus.  Bei  Jerachmeel  nun  lautet 
der  Satz  nach  Gasters  Übersetzung  folgendermaßen:  XXVI  §  14 
(so  auch  schon  XXIV  §  6)  Then  the  inltahitants  of  ilie  lund 
hegan  io  commit  vioJence  and  to  defile  the  ivives  of  tJieir  neighhours, 
thus  Tiindling  the  anger  of  the  Lord;  and  they  then  hegan  to  plai/ 
upon  the  harp  and  the  reed  pipe  and  to  sport  ivith  every  kind  of 
song,  corrupting  the  eartJi.  ^  Offenbar  hat  der  Verfasser  den  in 
so  arge  Verwirrung  geratenen  Text  des  Pseudo-Philo  so  vor 
sich  gehabt,  wie  wir  ihn  bei  Sichard  lesen;  er  hat  aber  das 
Unpassende  der  Verbindung  der  Worte  indignatus  est  deus  und 
et  coepit  usw.  gefühlt  und  deshalb  versucht,  den  Unsinn  dadurch 
zu  beseitigen,  daß  er  coepit  durch  den  Plural  übersetzte,  so 
daß  bei  ihm  die  anstößigen  Worte  sich  auf  die  habitantes  terram 
beziehen,  wodurch  nun  aber  der  neue  Unsinn  entsteht,  daß  sie 
durch  Harfen-  und  Zitherspiel  die  Erde  verdorben  haben. 

Gewöhnlich  ist  in  den  pseudophilonischen  Stücken  bei 
Jerachmeel,  wie  bereits  bemerkt,  die  Erzählung  stark  gekürzt. 
Ein  Mehr  gegenüber  dem  lateinischen  Text,  das  man  als  Beweis 
für  die  Benutzung  des  hebräischen  ( >riginals  anführen  könnte, 
Aveist  der  Text  bei  Jerachmeel  nicht  auf.  Kleine  Abweichungen 
vom  Sichardschen  Text  in  dieser  Beziehung  werden  wiederum 
durch  die  Handschriften  beseitigt  oder  aufgeklärt.  In  der 
Erzählung  von  Jephthas  Tochter  wird  berichtet,  wie  sie  ihren 
Vater  um  Erlaubnis  bittet,  vor  ihrem  Opfertode  in  die  Berge 
zu  gehen,  um  ihr  Geschick  zu  beklagen,  wie  sie  dann  auf  den 
Berg  Telag  geht  und  Gott  ihr  Opfer  annimmt.  Dann  heißt  es 
bei  Jerachmeel  (Kap.  LIX  §  6)  nach  Gasters  Übersetzung 
weiter:  Seeiah,  the  daughter  of  Jephihah,  then  feil  upon  her 
mothers  bosom,  and,  ivent  on  the  mountain  of  Telag  iveeping  and 
hewailed  her  fate.     Auffallend  sind  die  Worte  then  feil  upon  her 

13* 


—     184     — 

-mothers    bosom,    sie    sind   hier   nicht   recht   am  Platze,    nachdem 
vorher  (§  5)  bereits  gesagt  war,  daß  Seeiah  mit  ihren  Freundinnen 
auf  den  Berg  Telag  ging.    Von  der  Mutter  der  Tochter  Jephthas 
ist  sonst  nirgends  die  Rede.     In  Sichards  Text  findet  sich  nichts 
Entsprechendes,    dort    heißt    es   in   richtigem   Anschluß    an   das 
Vorhergehende    (p.   41):    Et    ut  venit  filia   JepJithae  in  montem 
Thelac,  coepit  plorare.     Die  Verschiedenheit  der  beiden  Texte  hat 
ihren  Grund  darin,  daß  in  den  von  Sichard  benutzten  Hss.  durch 
Ausfall    einiger  Worte    eine   kleine   Lücke    entstanden   ist.     Bei 
Sichard   endet   der   den    eben  erwähnten  Worten  vorausgehende 
Satz  mit  den  Worten:  et  erit  mors  eins  preciosa  ante  conspectum 
meum  omni  tempore  (=Jerachmeel  §  5   and  her  deatli  shall  he 
very  precious  in  my  sigJd),  in  anderen  Hss.  dagegen  folgen  noch 
die  Worte:    d   dbiens  decidet  in  sinum   matrum  suariim.     Diese 
können  wohl  kaiim  einen  anderen  Sinn  haben  als:  „und  scheidend 
wird  sie  zu  ihren  Müttern  eingehen"  (nach  Echa  2,12).    Jerachmeel 
hat  offenbar  die  Worte  mißverstanden,  er  übersetzt  matrum  suarum 
durch  den  Singular  und  verdreht  den  Sinn  der  Worte,  indem  er 
sie  aus  ihrem  Zusammenhang  herausreißt  und  in  den  nächsten 
Satz  hineinbringt,  in  den  sie  nicht  hineingeboren.     Hätte  er  das 
hebräische   Original    des    pseudophilonischen   Werkes    vor   sich 
gehabt,  so  wäre  ihm  kaum  ein  solches  Mißverständnis  begegnet. 
Der   Beweis    dürfte    nunmehr    wohl   zur   Genüge   erbracht 
sein,    daß    die    Quelle    der    pseudophilonischen    Stücke    in    der 
Chronik  des  Jerachmeel  die  allein  erhaltene  und  uns  vorliegende 
lateinische  Übersetzung  gewesen  ist.     Es  fragt  sich  aber  —  und 
diese  Frage    soll   schließlich   noch   kurz   berührt   Averden  —    ob 
Jerachmeel    überhaupt    Pseudo-Philo    direkt    benutzt    hat.      Die 
Art,  wie  bisweilen  ohne  jede  Andeutung  eines  Quellenwechsels 
in     die    pseudophilonischen    Stücke    Nachrichten    aus    anderen 
Quellen    eingeschoben    und    umgekehrt     aus    anderen    Quellen 
stammende  Erzählungen  durch  kurze  Auszüge  aus  Pseudo-Philo 
unterbrochen  werden,  legt  die  Vermutung  nahe,  daß  Jerachmeel 
aus   einem   älteren  Werke   geschöpft   hat,    in   dem  verschiedene 
Quellen  (darunter  Pseudo-Philo)  bereits  mit-  und  ineinander  ver- 
arbeitet  waren.     Der  Umstand,    daß  er  an   einer  Stelle  Pseudo- 
Philo    ausdrücklich    zitiert,    würde    nicht  unbedingt   gegen    eine 
solche  Vermutung  sprechen.     Ebenso  wie  manche  anderen  Zitate 


—     185     — 

(Strabo,   Nikolaus  von  Damaskus)  kann  er  auch  das  Philo-Zitat 
aus  seiner  direkten  Quelle  einfach  übernommen  haben.    Auffällig 
ist    bei   Jerachmeel   insbesondere    die   häufige    Verquickung   der 
pseudophilonischen     Stücke    mit    kurzen    Auszügen    aus     einer 
(lateinisch    geschriebenen)    synchronistischen    Weltchronik,    die 
ganz  in  derselben  Weise  von  Petrus  Comestor  benutzt  ist.     Im 
Kap.  XXVI,  wo  die  Benutzung  des  Pseudo-Philo  bei  Jerachmeel 
beginnt,  stammen  §  2 — 15  aus  dem  Anfang  des  pseudophilonischen 
Werkes,  §  15  (von  den  Worten   This  same  Jubal  discovered  an) 
bis  20  dagegen  aus  anderer  Quelle,  die  auch  bei  Petrus  Comestor 
Genes,    cap.  XXVIII   benutzt   ist,    §  21  wiederum   ist   eine   ver- 
kürzte  Wiedergabe    des    Sintflutberichts    aus   Pseudo-Philo,     In 
Kap.   XXX    sind    nur    §   1 — 4    aus    Pseudo-Philo,    §  5—7    aus 
anderer  jüdischer  Quelle,   und  Kap.  XXXI   ist  der  lateinischen 
Bearbeitung  eines  Aia(j,sp!,crp,ö?  ■r^  y^?  (Verteilung  der  Erde  unter 
die  Nachkommen  der  drei  Söhne  Noahs)  entnommen,  von  deren 
Benutzung    auch    bei    Petrus    Comestor    Genes.  Kap.   XXXVII 
Spuren  vorhanden  sind.    Übereinstimmung  mit  diesem  zeigt  auch 
das  folgende  Kap.  XXXII  des  Jerachmeel,   und  merkwürdiger- 
weise findet  sich  gerade  in  diesem  Abschnitt  bei  Petrus  Comestor 
das    Philo-Zitat  (s.  ob.    S.    176).      Ähnliche    Quellenmischungen 
finden  wir  bei  Jerachmeel  in  Kap.  XLII  (nur  §  5 — 9  aus  Pseudo- 
Philo),  Kap.  LVIII  (§  1   aus  Josippon,    §  2  aus  der  mit  Petrus 
Comestor  gemeinsamen  nichtjüdischen  lateinischen  Quelle,  §  4  und 
5  khngen  an  Pseudo-Philo  an,  §  6  wieder  aus  der  lateinischen 
Quelle,  §  7  aus  Pseudo-Philo,  §  8  und  9  aus  der  lateinischen  Quelle, 
§    10    aus    Pseudo-Philo,    §    11    aus    der    lateinischen    Quelle), 
Kap.  LIX   (§  1—8  aus  Pseudo-Philo,   §  8  Ende-§  11  aus  der 
lateinischen  Quelle,  §  12,  14,   17  aus  Pseudo-Philo).     Angesichts 
solcher   Stellen    möchte    die   Vermutung    berechtigt    erscheinen, 
daß   die    darin   hervortretende  Verarbeitung  ganz   verschiedener 
Quellen   nicht   erst   von   Jerachmeel   vorgenommen   ist,    sondern 
aus    einem    älteren    Werke    übernommen    wurde.      Die    Frage 
erfordert    jedoch    eine    sorgfältigere   Untersuchung,    auf  die   ich 
mich  hier  nicht  einlassen  kann. 


Abraham  ibn  Daud  als  Geschichtsschreiber. 

Von  I.   Elboffen. 


'ö 


Der  Religionsphilosophie  des  Abraham  ibn  Daud  war  das 
erste  größere  Werk^  gewidmet,  mit  dem  der  Jubilar  seinen 
Ruf  als  Gelehrter  begründet  hat,  er  hat  damit  das  wenig  be- 
kannte Emuna  Raraa  der  wissenschaftlichen  Beurteilung  zu- 
gänglich gemacht  und  auf  den  Verfasser  als  den  ersten  folge- 
richtigen Vertreter  der  peripatetischen  Philosophie  unter  den 
Juden  des  Mittelalters  nachdrücklich  hingewiesen.  Eine  wissen- 
schaftliche Würdigung  Abraham  ibn  Dauds  als  Geschichts- 
schreiber ist  bis  auf  wenige  Bemerkungen^  bisher  nirgends 
erfolgt,  obwohl  seine  Leistungen  auf  diesem  Gebiete  weit  ver- 
breitet und  häufig  verwertet  Avurden. 

AiD  hat  drei  geschichtliche  Arbeiten  verfaßt:  1)  das  Buch 
von  der  Tradition,  das  er  selbst  als  n'^'ZpD  "1"!D  ~1SC^  bezeichnet, 
Abraham   Zacuto-^   jedoch   unter   dem   Titel   Ct'iy   m?'"    anführt; 


*  J.  Guttmann,  Die  ßeligionsphilosophie  des  Abraham  ibn  Daud  aus 
Toledo,  Göttiugen  1879  (vorher  Monatsschrift  1877,  1878),  vgl.  auch  Jew. 
Enc.  I  101. 

-  Steinschneider.  Die  Geschichtsliteratur  der  Juden.  §  30  S.  45  ff. ; 
Graetz.  Gesch.  der  .luden,  VU,  S.  166.  Noch  am  eingehendsten  finde  ich 
es  besprochen  in  dem  wenig  bekannten  ^ntj<  men  S;  von  Golomb,  1901,  S.  87. 

^  Am  Ende  von  2:  nbzpn  -no  iso  rhnpz  r\byab  'm;T  i:;.  Bei  Neubauer 
(vgl.  S.  187  Anm.  4)  47  gleich  am  Anfang  heißt  es  inunns  n^spn  -,-r  nt,  dafür 
steht  in  der  Ed.  Pr.  und  einer  Handschrift  n^ap.n  ibd  ht;  auch  später  wird 
es  meist  so  genannt,  richtig  ist  wahrscheinlich  die  Zusammensetzung  beider 
Worte  wie  im  Text.  Auch  das  von  Xissim  b.  Jacob  in  Kairuan  beabsichtigte 
Werk  heißt  minn  »'jrpta  ^^D  -so;  vgl.  dazu  S.  Poznanski  i^r.'p  »ejjn  S.  38 
(Harkavy-Festschrift  S.  212). 

•*  Juchasin,  ed.  London,  216  b  Tsnn  nhzp  'c  V'n  üh)y  nnn  hyi  .  .  .  an:  :"•; 
sr.T  iin»  r;  '7B>':ia2  nac  V't  pnsn  »i^n  iint  ]3  'i'^n  nmsN  'i,  vgl.  auch  das.  204b. 
Die  letztere  Nachricht  siehe  auch  bei  Neubauer  a.  a.  0.  94  und  102. 


—     187     — 

dazu  gehört  als  Anliang-  2)  ''^Z'  n"'22  hiT'Z'^  TtT^  ''^■-"h  eine 
Geschichte  der  Juden  von  der  Makkabäerzeit  bis  zur  Zerstörung 
Jerusalems  durch  Titus  und  3)  V^n  "'"iZ"*!  |1~iri,  d.  i.  eine  Auf- 
zählung der  römischen  Kaiser  bis  zum  Beginn  des  VII.  Jahr- 
hunderts und  die  allerallgemeinsten  Nachrichten  zur  Geschichte 
Spaniens.  Es  wäre  rar>glich,  daß  der  Name  Cviy  min  vom 
Verfasser  als  Bezeichnung  des  Gesamtwerkes  gebraucht  worden 
wäre.  Das  Hauptwerk  bleibt  an  Umfang  hinter  dem  Anhang 
zurück,  aber  der  Verfasser  verweist  ausdrücklich  auf  diesen 
besonderen  Teil',  und  so  bleibt  über  das  Verhältnis  beider  kein 
Zweifel.  Die  beachtenswerte  Trennung  des  Stoffes  erfolgte  aus 
dem  Grunde,  daß  AiD  den  Beweis  von  der  ununterbrochenen 
Fortdauer  der  Tradition  nicht  durch  die  Darstellung  der  po- 
litischen Geschehnisse  unterbrechen  wollte'.  Das  Buch  von 
der  Tradition  ist  nach  der  eigenen  Angabe  des  Verfassers 
IKiO  613  entstanden,  wir  haben  keinen  Anlaß  zu  zweifeln,  daß 
auch  die  es  ergänzenden  Teile  in  derselben  Zeit  niedergeschrieben 
wurden.  Eine  kritische  Ausgabe  besitzen  wir  nur  von  der 
Hauptsclirift^,  die  beiden  Anhänge  sind  äußerst  schlecht  über- 
liefert. 

Das  V^n  "•12"  ]1"iri,  um  mit  der  kleinsten  Schrift  an- 
zufangen, beginnt  mit  der  Gründung  Roms,  erwähnt  die 
Regierungszeit  der  Könige  und  die  Einsetzung  der  Republik  mit 
Konsul  und  Senat  an  der  Spitze,  um  dann  gleich  zu  Cäsar  und 
zur  Einsetzung  des  Kaisertums  überzugehen.  Es  folgt  eine 
trockene  Aufzählung  der  Kaiser  und  der  Dauer  ihrer  Regierung, 
die  nur  selten  durch  Hervorhebung  eines  Charakterzuges  oder 
wichtiger  Ereignisse  aus  der  Lebenszeit  der  Herrscher  unter- 
brochen wird.  Erst  gegen  Ende  schweift  AiD  ab :  „In  seinen 
Tagen   (d.  i.  des  Honorius)   drangen    die   Kinder  'Us,    d.   s.    die 

'  S.  Neubauer  S.  53  u.  S.  81  f.  (der  letzte  Absatz  fehlte  in  allen 
früheren  Ausgaben).     Vgl.  auch  das  Zitat  in  Note  3. 

■'  S.  53. 

''  Das.  S.  61. 

■*  In  Neubauerb  Mediaeval  Jewish  Chronicles  Bd.  I  S.  47 — 82  (Anecdota. 
Oxoniensia,  Sem.  Ser.  1  4,  Oxford  1887J ;  im  folgenden  ist  stets  diese  Aus- 
gabe des  nhzprt  -id  zitiert.  Die  Anhänge  sind  nach  Ed.  Amsterdam  1711 
angeführt,  die  von  der  Ed.  Pr.,  Mantna  1516,  nur  an  wenigen,  meist  von  der 
Zensur  geänderten  Stellen  abweicht  und  im  Gegt^nsatz   zu  ihr  paginiert  ist. 


—     188     — 

Gothen,  in  Spanien  ein,  sie  bestanden  aus  drei  Abteilungen: 
Vandalen,  Alanen,  Sueven  (nach  den  Vandalen  nannte  man 
Sepharad  Andalusien),  sie  eroberten  das  ganze  Land  von  einem 
Volke,  das  man  Hispanier  nannte,  weshalb  ihr  Land  Hispanien 
hieß.  Sie  stammten  von  Tubal,  dem  Japhetiten  \  die  Bne  'Us 
erschlugen  sie  und  setzten  sich  an  ihrer  Stelle  fest.  Hingegen 
die  Bewohner  von  Navarra  vertrieben  sie  nicht,  die  heißen 
Basken  und  haben  sich  bis  heute  erhalten.  Dann  wurde 
Theodorich,  König  der  Sueven,  siegreich,  er  schlug  alle  Könige 
der  Vandalen  und  Alauen  und  nahm  von  ihnen  Barcelona, 
Saragossa  bis  Lerida,  Cordova,  Sevilla,  Toledo,  Merida,  Astorga 
bis  zur  Rhone 2,  alles  eroberte  er,  und  er  war  noch  Heide." 
Dann  folgen  wieder  römische  Kaiser  bis  zur  Zeit  Mohammeds, 
in  dessen  Tagen  Papst  Gregor  der  Große  lebte,  der  ein  großer 
Philosoph  war,  sowie  die  Brüder  Isidoro  und  Leander,  Bischöfe 
von  Sevilla,  die  mit  Unterstützung  des  Königs  Rekkared  den 
Katholizismus  verbreiteten.  Der  kleine  Abriß  liegt  in  einem  sehr 
schlechten  Texte  ^  vor,  viele  Namen  fehlen,  die  meisten  vor- 
handenen sind  verstümmelt.  Die  Regierungszeiten  der  Kaiser 
sind  nur  in  vollen  Jahren  angegeben,  infolge  von  Fehlern  der 
Abschreiber  häufig  ebenfalls  ganz  ungenau.  Wir  besitzen 
andere  hebräische  Kaiserlisten  aus  dem  Mittelalter,  die  weit 
zuverlässiger  sind*.  ^ 

Die  "iJL^'  r\'^22  bi<']\V''  T/0  n2"l  sind  so  angelegt,  daß  etwa 
je  ein  Drittel  auf  die  Zeit  der  Hasmonäer  (50a — 60a),  des 
Herodes  (60b— 69a),    und    auf  den  jüdischen    Krieg   (69b  — 79) 

'-  Gen.  10^,  vgl.  The  Chronicles  of  Jeralimeel  (ed.  Gaster)  S.  67;  die 
ältere  jüdische  Tradition  setzt  ^2in  =  Bithynien,  vgl.  Kraiiß  ia  MS.  IXL 
S.  2.  u.  10. 

-  Die  Eeihenfolge  ist  geographisch  sehr  anfechtbar;  wo  er  Länder 
aufzählt  (z.  ß.  S.  67,  78),  ist  AiD  vorsichtiger. 

^  Schon  in  der  Ed.  Pr.  Auch  in  der  hier  angeführten  Stelle  ist  der 
Text  mehrfach  verderbt.  Die  Identifizierung  der  Namen  geschah  zum 
großen  Teil  schon  durch  Zunz  in  Zeitschr.  f.  d.  Wissenschaft  d.  Juden- 
tums I  114  ff. 

*  Vgl.  z.  B.  Neubauer  a.  a.  0.  S.  185  f.  S.  Krauß,  Studien  zur 
byzantinisch-jüdischen  Geschichte,  Wien  1914,  S.  143  f.,  scheint  unsere 
Chronik  als  byzantinisch  angesehen  zu  haben,  obwohl  an  der  zitierten  Stelle 
(Steinschneider,  Geschichtsliteratur,  §  30)  richtig  AiD  als  Verfasser  genannt 
ist.     y)y  kennt  Krauß  das.  99  ff.  nur  als  Äquivalent  für  Byzanz. 


I 


—     189     — 

kommt.  Sie  beginnen  mit  dem  Tode  Alexanders  des  Großen 
und  der  Entstehung  der  Septuaginta.  Dann  geht  der  Verfasser 
zur  Religionsverfolgung  durch  die  Syrer  und  dem  Aufstande 
des  Mathatias  über.  Von  seinen  Söhnen  wird  nur  Juda  Makkabi 
ausführlich  behandelt,  Eleasar  kurz  und  Simon  mit  wenigen 
Worten  abgetan.  An  Johann  Hyrkan  interessiert  ihn  besonders 
die  Niederwerfung  der  Samaritaner  und  die  Zerstörung  ihres 
Tempels  auf  dem  Gerisim  sowie  der  Bruch  mit  den  Pharisäern. 
Unter  Alexander  Jannai  und  Salome  werden  fast  nur  solche 
Ereignisse  mitgeteilt,  die  sich  auf  den  Streit  der  Parteien  be- 
ziehen, ziemlich  ausführlich  wird  dann  vom  Kampfe  Hyrkans 
bezw.  Antipaters  mit  Aristobul  und  seinen  Söhnen  Alexander  und 
Antigonos  sowie  vom  Eingreifen  der  Römer  gesprochen.  Auch 
das  Leben  des  Herodes  wird  eingehend  behandelt,  besonderen 
Raum  nimmt  der  unaufhörliche  Familienzwist  ein ;  die  Pracht 
des  Tempelbaues  wird  begeistert  geschildert.  Von  Archelaus 
wird  nur  erzählt,  daß  das  Volk  ihn  bei  Augustus  erfolglos  ver- 
klaffte, daß  der  Kaiser  aber  schließlich  doch  nach  Jerusalem 
kam  und  ihn  absetzte.  Sein  Nachfolger  wurde  Herodes  Antipas, 
dann  regierte  Agrippa,  in  dessen  Tagen  Nero  das  Volk  be- 
drückte, so  daß  der  Aufstand  ausbrach.  Es  wird  nun  die  Vor- 
geschichte des  xVufstandes  erzählt,  dann  die  Entsendung  Ves- 
pasians  und  die  Organisation  des  Widerstandes,  die  Eroberung 
Galiläas  durch  die  Römer.  Ehe  es  zur  Belagerung  Jerusalems 
übergeht,  wird  das  Parteiwesen  im  Innern  der  Stadt  behandelt. 
Dann  erst  folgt  ein  im  Verhältnis  zum  Ganzen  eingehender 
Bericht  über  die  Belagerung  Jerusalems  und  seine  allmähliche 
Eroberung,  über  die  tapfere  Verteidigung,  das  Schreckens- 
regiment der  Zeloten  und  den  schließlichen  Untergang.  Daran 
wird  der  Midrasch  von  den  zehn  Wanderungen  Israels  (ni''':>:i  ID'J?)  ^ 
angereiht,  und  mit  einer  Nutzanwendung,  die  sich  auf  das 
ganze  Werk  bezieht  und  in  einer  symbolischen  Auslegung  von 
Secharja  XI  gipfelt,  wird  geschlossen. 

Das  Pi/DpH  ~1~D  enthält  einleitend  eine  Übersicht  der 
großen  Epochen  von  der  Schöpfung  bis  zur  Eroberung  Kanaans, 
dann   eine  Aufzählung   der   Richter   und   Könige.     Nach  David 


»  Vgl.  dazu  M.   Grünhut  c«::ip=:n  'c,  IIL   1899,  S.  1  ff. 
Guttmann,  Festschrift.  ^'^ 


—     190    — 

werden  nur  seine  Nachkommen  genannt,  dafür  aber  über  die 
Reihe  der  Exilsfürsten  hinweg  bis  zu  Hillel  und  in  dessen 
Dynastie  bis  Jehuda  ha  Nassi  fortgesetzt.  Erst  dann  folgt  die 
Traditionskette  im  Ä.nschluß  an  den  Anfang  von  Abot,  denn 
die  der  Erforschung  zugängliche  Geschichte  der  Tradition  beginnt 
erst  mit  den  Männern  der  großen  Versammlung.  Die  Nennung 
ihres  Namens  führt  zu  einer  Digression  und  einer  Beleuchtung 
der  damaligen  Zeitlage  durch  die  Prophetie  Daniels,  ebenso 
wird  bei  Simon  dem  Gerechten  die  Begegnung  mit  Alexander 
dem  Großen,  bei  Antigonos  die  Entstehung  der  Parteien,  zu 
Josua  b.  Perachja  die  jüdische  Annahme  über  die  Zeit  der 
Geburt  Jesu  und  die  abweichende  christliche  Rechnung  erwähnt  *. 
Au  Hillel  wird  wiederum  die  Liste  seiner  Nachkommen  an- 
geschlossen und  die  Besonderheit  ihrer  Stellung  betont.  Bei 
den  folgenden  fünf  Tannaitengeschlechtern  werden  neben  den 
Führern  auch  die  wichtigsten  Zeitgenossen  und  Erlebnisse 
genannt.  Ebenso  bei  den  sieben  Amoräergeschlechtern,  deren 
Aufzählung  sich  nach  R.  Jochanan  auf  die  babylonischen 
Gelehrten  beschränkt,  da  nur  sie  als  Träger  der  Tradition 
gelten.  Bei  Erwähnung  der  Religionsverfolgungen  in  Persien 
im  V.  Jahrhundert  wird  ein  Abriß  der  persischen  Geschichte 
eingefiochten.  Die  Saboräer  werden  in  fünf  Geschlechter  geteilt, 
die  bis  zum  Jahre  1000  der  Seleucidenära'-*  reichen;  erwähnt 
wird  das  Auftreten  Mohammeds  und  der  Untergang  des  Perser- 
reiches. Die  Geonim  zerfallen  in  acht  Geschlechter,  bei  den 
älteren  werden  lediglich  die  Namen  mitgeteilt,  der  Entstehung 
des  Karäertums  wird  in  einigen  Sätzen  gedacht.  Bei  Saadja 
wird  die  Erzählung  ausführlicher  und  persönlicher,  sie  bleibt  es 
dann  bis  zum  Schluß  des  Gaonats.  Die  Überleitung  zu  den 
folgenden  Gelehrten,  den  „Rabbinen",  bildet  die  Erzählung  von 
den  „vier  Gefangenen".  Über  Moses  und  Chanoch,  die  nach 
Cordova  gelangten,   wird   eingehend   berichtet,  ihre  Erfolge  und 


'  S.  53,  der  Absatz  war  ia  den  früheren  Ausgaben  mit  Ausnahme 
der  Ed.  Pr.,  aber  auch  in  jüngeren  Handschriften  weggelassen;  zur  Sache 
vgl.  H.  L.  Strack,  Jesus  und  die  Häretiker  usw.  I  A  §  8  b.  c. 

■^  Nach  einer  sehr  glücklichen  Bemerkung  I.  Lewys  in  seiner  Inter- 
pretation des  I.  Abschnittes  des  paläst.  Talmud-Traktats  Nesikin,  Breslau  1895, 
.S.  b  Anm. 


—     191     — 

die  Aufeiuduugen,  denen  sie  ausgesetzt  waren,  geben  Anlaß  zu 
Schilderungen  aus  dem  Leben  der  Juden  in  Cordova.  Ebenso 
werden  die  Schicksale  Samuel  ha  Nagids  und  seines  Sohnes 
Josef  ausführlich  mitgeteilt.  Die  nächste  Generation,  die  der 
fünf  Isaake,  führt  den  Verfasser  bis  zu  seiner  eigenen  Jugend, 
Josef  ihn  Megas  ist  der  letzte  Träger  der  Tradition,  der  erwähnt 
wird.  Es  folgt  eine  Auseinandersetzung  mit  den  Karäern,  denen 
der  Mangel  einer  begründeten  Tradition,  ihre  geringe  Zahl  und 
das  Fehlen  bedeutender  literarischer  Leistungen  entgegengehalten 
wird;  mit  Genugtuung  wird  von  ihrer  Demütigung  und  ihrer 
schließlichen  Vertreibung  aus  Kastilien  um   1146  ^  berichtet. 

AiD  war  nicht  historischer  Schriftsteller  im  wissenschaft- 
lichen Sinne  des  Wortes,  vielmehr  verfolgte  er  mit  seinem  drei- 
teiligen Werke  bestimmte  Tendenzen.  Am  deutlichsten  ist 
das  beim  Buche  der  Tradition,  dem  die  Tendenz  auf  die  Stirn 
geschrieben  ist:  ..Ich  habe  dieses  Werk  geschrieben,  um  den 
Gelehrten  klar  zu  machen,  daß  alle  Worte  unserer  Lehrer,  der 
Weisen  der  Mischna  und  des  Talmuds,  allesamt  auf  Überlieferung 
beruhen,  immer  ein  großer  Gelehrter  und  Frommer  aus  dem 
Munde  des  anderen,  ein  Schulhaupt  und  sein  Anhang  aus  dem 
Munde  der  anderen  bis  hinauf  zu  den  Männern  der  großen 
Versammlung,  die  ihre  Überlieferung  von  den  Propheten  emp- 
fangen haben.  Niemals  haben  die  Gelehrten  des  Talmuds, 
geschweige  denn  die  der  Mischna,  etwas  nach  ihrem  eigenen 
Ermessen  gesagt,  mit  Ausnahme  der  Verordnuugen,  die  sie  mit 
allgemeiner  Zustimmung  trafen,  um  einen  Zaun  um  das  Gesetz 
zu  machen.  Sollte  dem  gegenüber  ein  Ketzer  auf  die  vielen 
Kontroversen  der  Talmudlehrer  verweisen,  so  sei  ihm  erwidert, 
daß  niemals  über  die  Grundlage  eines  Gebotes,  sondern  nur 
über  die  Folgerungen  und  die  Art  der  Ausführung  gestritten 
wird"'^.  Ebenso  wird  an  anderen  Stellen  des  Buches  die  Echtheit 
und  Vollkommenheit  der  mündlichen  Tradition,  „der  Uber- 
heferung  der  Weisen  aus  dem  Munde  der  Propheten,  wie  glaub- 


1  1146  entriß  Alfonso  VII.  von  Kastilien  die  Burg  Calatrava,  d.  i.  das 

nanv-j  unseres  Textes  S.  80,    dem   Reiche    von    Cordova.     Welche  Dienste 

Jehuda  ibn  Esra  bei    diesen  sehr  gefahrvollen   Kämpfen    geleistet  bat,  ist 

nicht  beiiannt. 

-  S.  47. 

13* 


—     192     — 

würdige  Zeugen  berichten"*,  nachdrücklichst  betont.  „Wir 
wissen  das  in  wahrer  Überlieferung  von  Mischna  und  Talmud, 
die  nichts  verwechselt  haben"  2.  Daher  wird  die  Abfassungszeit 
des  Talmuds  in  Beziehung  zu  allen  nur  möglichen  wichtigen 
Daten  sehr  sorgfältig  festgelegt  3,  er  wird  zu  den  heiligen 
Schriften  gezählt-^,  und  es  wird  hervorgehoben,  „daß  der  Talmud 
sich  in  ganz  Israel  verbreitete,  allgemein  angenommen  und  an- 
erkannt, von  den  Gelehrten  einer  jeden  Zeit  öifentlich  gelehrt 
wurde,  und  daß  man  ihm  nichts  hinzufügen  und  nichts  hinweg- 
nehmen dürfte"  ^. 

Wohin  diese  Ausführungen  zielen,  lehren  andere  sonst 
auffällige  Stellen.  Dem  Berichte  von  der  Begegnung  Alexanders 
des  Großen  mit  Simon  dem  Gerechten  wird  hinzugefügt,  daß 
eines  derartigen  Wunders  weder  Anan  noch  Qirqisani,  die 
Ketzerhäupter,  gewürdigt  worden  wären^.  Ein  ähnlicher  Angriff 
wird  später  vom  Zaume  gebrochen;  zur  Zeit  der  Hasmonäer  und 
der  Herodianer,  berichtet  AiD,  wurde  den  Nachkommen  Hillels 
bereitwilligst  die  Leitung  des  Synedriums  und  aller  religiösen 
Angelegenheiten  überlassen,  „Qirqisani  hingegen  hat  man  niemals 
in  dieser  Weise  Gehorsam  bezeugt,  auch  nicht  Anan"  ''.  Selbst- 
redend wird  das  Auftreten  Anans  mit  gehässigen  Ausfällen 
erwähnt,  aus  Neid  und  Rachsucht  wühlte  er  alles  auf  und  erhob 
sich,  um  Israel  von  der  auf  die  Propheten  zurückgehenden 
Tradition  der  Weisen  abzulenken  und  zu  verführen;  er  gab 
ihnen  eigene  Gesetze  und  richtete  die  Sektierer,  die  nach  der 
Zerstörung  des  Tempels  schwach  geworden  waren,  wieder  auf  ^. 
Auch  die  erwähnten  Einwendungen  gegen  die  Vollwertigkeit  der 
Tradition  sind  die  von  den  Karäern  vorgebrachten.  Daß  das 
nicht  rein  akademischer  Haß  gegen  das  karäische  System  war, 
sondern  offene  Fehde  gegen  eine  bestehende  mächtige  Richtung^ 


'  S.  49  u.  63. 

2  S.  53. 

^  S.  61. 

*  S.  72. 

«  S.  59. 

«  S.  51. 

'  S.  54. 

»  S.  63  f. 


—     193     — 

zeigt  der  Schluß,  wo  mit  allen  auffindbaren  Argumenten  gegen 
die  Karäer  polemisiert  wird^  Wenn  AiD  sie  auch  dadurch 
zu  widerlegen  glaubt,  daß  er  auf  ihre  geringe  Anzahl  hinweist, 
so  scheinen  sie  doch  während  seiner  Jugend  in  Spanien  eine 
erfolgreiche  Propaganda  betrieben  zu  haben.  Auch  Ibn  Hazm- 
bestätigt  im  XI.  Jahrhundert,  daß  sie  in  Toledo  und  Talavera 
zu  finden  waren.  Von  gewaltigem  Einfluß  müssen  die  Werke 
Qirqisanis  gewesen  sein,  wenn  gerade  dieser  karäische  Gelehrte 
in  der  Polemik  neben  Anau  so  häufig  als  Führer  genannt  wird. 
Mit  besonders  grimmigem  Hasse  aber  wird  Said  ibn  Al-Tarras 
genannt,  der  „des  Gottesleugners,  Verräters  und  Verführers 
Abu'l  Farag"3  Werke  nach  Kastilien  verpflanzt  hatte;  seinen 
Eifer  für  die  Ausbreitung  seiner  Sekte  vererbte  er  auf  seine 
Witwe,  die  von  den  Karäern  als  große  Lehrerin  verehrt  wurde. 
Josef  ibn  FadhaiH  gelang  es  dann  durch  seine  Stellung  am 
kastilischen  Hofe,  sie  zu  demütigen,  aber  erst  Jehuda  b  Josef 
ibn  Esra  setzte  durch,  daß  sie  aus  Xeukastilien  vollständig 
vertrieben  Avurden.  Wie  sein  älterer  Zeitgenosse  Jehuda  ha  Levi 
sich  im  Kusari  gegen  die  karäische  Dogmatik  wendet,  so  sah 
sich  AiD  genötigt,  eine  Widerlegung  des  Abu'l-Farag  zu 
schreiben;  sein  Widerspruch  richtete  sich  nicht  allein  gegen 
den  Karäer,  er  bekämpfte  gleichzeitig  als  Aristoteliker  den 
Mutaziliten^. 

Ebenso    deutlich   ist   die  Tendenz    in    den   beiden   anderen 
Schriften,    die  der  Schluß  des  u^Zpu   TiD  klar  ankündigt.     Die 


^  S.  78  ff. 

-  Vgl.  MS.  XXXIV.  1885,  S.  1.39  f. 

^  Nach  Sclireiner,  Studien  über  Jeschua  b.  .Jehuda,  S.  89  ist  das 
.Jeschua  b.  Jehuda,  der  um  1050  lebte  (S.  3).  Hingegen  sieht  Steinschneider, 
Arabische  Literatur  §  48.  in  ihm  den  karäischen  CTramuiatiker  Abu'l  Farag 
Harun  b.  al  Farag  (Ahron  b.  Jeschua?).  der  etwa  ein  Geschlecht  früher  lebte. 

■•  S.  79.  Der  Text  der  Ausgaben  nzp^x  ;;r£^N  px  tic» '-.  N»rj.T  ist  sicher  falsch, 
in  vier  Handschriften  findet  sich  ein  Beiname,  der  mit  ns  oder  niB  beginnt. 
Am  einleuchtendsten  scheinen  die  Lesarten  von  0  ^Sj'rri:  und  A  'jnsji'.ie. 
Zu  beachten  ist,  daß  der  Xame  im  p<is  -.:t  irip  des  Josef  ibn  Saddik  hamus 
lautet  (das.  S.  93),  vielleicht  ist  daher  der  auch  sonst  bekannte  Name 
Fadhail  zu  lesen. 

*  Schreiner  a.  a.  0.  Gattmann  hat  in  seiner  Religionsphil,  des  AiD, 
S.  184,  Anm.,  bereits  auf  die  auffallende  Tatsache  hingewiesen,  daß  im 
Emuna   liama  die  Verbindlichkeit  der  Tradition  nicht  behandelt  wird. 


—     194     — 

Geschichte  der  Könige  währenddes  zweitenTempels  ist  verfaßt  zum 
Zwecke  des  Nachweises,  daß  nicht,  wie  die  Karäer  behaupten,  die 
Trostverheißungen  der  Propheten  damals  bereits  in  Erfüllung 
gegangen  sind,  sondern  daß  wir  ihre  Verwirklichung  erst  in 
Zukunft  zu  erhoffen  haben;  denn  den  Angelpunkt  der  Zukunfts- 
hoffnung bildet  die  Regierung  der  Davididen,  und  die  hasmo- 
näischen  Könige  sind  keine  Davididen  gewesen.  Und  so  schließt 
denn  AiD  mit  dem  frohen  Ausblick  auf  die  Zeit  des  messia- 
nischen  Königs  aus  Davidischem  Hauset  Der  Abriß  der 
römischen  Geschichte  hat  den  Zweck  nachzuvveisen,  daß  die 
christliche  Zeitrechnung  sich  nicht  in  Übereinstimmung  mit  den 
rabbinischen  Angaben  über  Jesu  Geburt  befindet-  und  —  wie 
im  n'P2pn  C  ausgeführt 3  —  falsch  ist,  daß  daher  die  Abfassung 
der  Evangelien  erst  lange  nach  Jesus  erfolgte^. 

Die  Tendenz  hat,  wie  das  nicht  anders  sein  kann,  die 
Darstellung  beeinflußt,  hat  verhindert,  daß  das  Buch  wurde, 
was  es  bei  den  ausgebreiteten  Kenntnissen  und  Interessen  des 
Verfassers  und  seiner  unbestreitbaren  Darstellungsgabe  hätte 
werden  können.  AiD  hatte  tiefes  Interesse  an  den  Wissen- 
schaften, er  unterläßt  es  nicht,  unter  Hadrian  Ptolemäus  und 
die  Abfassung  des  Almagest  zu  erwähnen^,  um  200  zu  berichten, 
daß  damals  Galens  Schriften  entstanden  sind,  während  Hippo- 
krates  ein  Zeitgenosse  Esthers  Avar^.  Auch  das  Bedürfnis  nach 
geschichtlicher  Orientierung  war  in  ihm  sehr  ernst,  er  vertiefte 
sich  in  die  allgemeine  Geschichte  und  stellte  die  der  Römer 
und  Perser  dar;   wenn  das  auch  nur  in  den  gröbsten  Umrissen 


'  Ed.  Amsterdam  1711,  50a  und  79. 

^  S.  49  Anm.  rj'?  nj»  niN»  '^  'ntih  Di-nin*":!  amay^  nci  c\ih  rnin  ppn  wn 
♦an  nm  ]n;Tn  nr  lai  uiin  nr  yninSi  .nys  Dnirvi  nisD  ynN»  nn'^  u:uü'n'?  'rns  Djutrn^ 
ntn  ci>n  ly  umh  noitS  n:n:i  »ono  nü'  Nim.     So  nach  Ed.  Pr. 

^  Vgl.  ob.  S.   190  Anm.  1. 

*  n=?3pn  'd  Ende,  S.  82. 
^  Das.  S.  56. 

*  S.  57;  auch  jn:T  49  a  wird  Galen  als  Quelle  für  den  Brand  Roms 
zur  Zeit  des  Kaisers  Comodus  zitiert.  Man  hat  bezweifelt,  ob  AiD,  wie 
Graetz  (VP,  160)  behauptete,  Arzt  war;  zu  beachten  ist  jedenfalls  sein 
Interesse  für  die  medizinische  Literatur.  In  jn;;  das.  wird  erwähnt,  daß 
Antoninus  Pius  an  jn'jb,  das  ist  der  arabische  Name  für  Apoplexie  (Stein- 
schneider, Hebr.  Übers.  S.  1008  ob.),  gestorben  ist. 


—     195     — 

geschieht,  so  merkt  man  doch  seiner  Darstellung  an,  daß  er 
vielerlei  gelesen  hatte  *  und  daß  das  Anekdotische  ihn  besonders 
interessierte.  AiD  wäre  der  Mann  dazu  gewesen,  eine  Geschichte 
der  jüdischen  Literatur  zu  schreiben,  wenn  die  einseitige  Ver- 
folgung seiner  Tendenz  ihn  nicht  irregeleitet  hätte.  So  wie  das 
Werk  vorliegt,  beschränkt  es  sich  darauf,  die  Träger  der  Tra- 
dition, die  Inhaber  von  leitenden  Schulen 2  zu  nennen;  auch  von 
ihren  Verdiensten  werden  nur  diejenigen  erwähnt,  die  sich  auf 
die  Förderung  des  Talmudstudiums  beziehen.  Da  den  Karäern 
gegenüber  die  hervorragenden  Leistungen  der  Rabbaniten  gerühmt 
werden  sollen,  sind  gegen  Ende  die  Namen  der  berühmten 
spanischen  Sprachforscher  und  Dichter  3  wenigstens  kurz  genannt, 
andere  Fächer,  wie  selbst  ßeligionsphilosophie,  werden  nicht 
berücksichtigt.  Auch  auf  dem  Gebiete  des  Talmuds  bleibt  es 
bei  den  in  Spanien  bekannten  Gelehrten,  über  die  blühenden 
Schulen  Deutschlands  und  Nordfrankreichs  ist  der  Verfasser 
nicht  unterrichtet,  allenfalls  besitzt  er  einige  Kunde  von  süd- 
französischen ^  Gelehrten;  in  welchem  Verhältnis  sie  zu  den  von 
ihm  erwähnten  Trägern  der  Tradition  stehen,  läßt  ihn  gleich- 
gültig. Im  letzten  Teil  wird  der  Leser  durch  die  reichen  bio- 
graphischen Einzelheiten  vielfach  auf  eine  falsche  Fährte  geführt, 
in  Wirklichkeit  bleibt  AiD  innerhalb  des  selbstgesteckten  Rahmens, 
die  mitgeteilten  Episoden  sollen  nur  zur  schärferen  Charakteristik 
seiner  Helden  dienen.  Obwohl  es  den  Anschein  hat,  als  verliere 
er  sich  in  Einzelheiten,  behält  er  sein  Ziel  doch  stets  im  Auge^, 

'■  Manche  Irrtümer,  z.  B.  daß  er  Domitian  zum  Zeitgenossen  Bar 
Kochbas  macht  (S.  55),  sind  unbegreiflich. 

-  S.  81  12^3  nii'i:'»  >^V2  N^N  unsTH  ah. 

^  S.  81;  auch  von  Saadjas  Werken  sind  nur  das  biographische  Daten 
enthaltende   »iS;)n   '□   und   die  Widerlegungen   der  Ketzer  genannt  (S.  65  f.). 

*  S.  78.  Die  Echtheit  der  Stelle,  die  in  den  Ausgaben  stark  gekürzt 
ist,  erscheint  mir  nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben;  da  wo  die  Namen  be- 
ginnen, wird  der  Stil  recht  holperig,  wahrscheinlich  sind  sie  später  ein- 
geschoben. In  Juchasin,  ed.  London  214  b,  finden  sich  nur  die  Namen,  nicht 
der  allgemeine  Satz;  das  ist  auffällig,  da  Juchasin  sonst  im  ganzen  Kapitel 
AiD.  wörtlich  ausschreibt.  In  welcher  Weise  „Ergänzungen"  zum  Text 
gegeben  wurden,  zeigt  deutlich  der  lange  Zusatz  in  der  Handschrift  bei 
Neub.  82  ff. 

^  Die  sinnlose  Art,  in  der,  von  der  Ed.  Pr.  an  bis  zur  letzten  Ausgabe, 
beim  Druck  Absätze  gemacht  wurden,  hat  viel  Anlaß  zu  Mißverständnissen 
gegeben. 


—     196     — 

von  Zeit  zu  Zeit  faßt  er  das  Ergebnis  seiner  Arbeit  in  der 
beliebten  Zählung  von  Generationen^  zusammen  und  gibt  dadurch 
zu  erkennen,  Avorauf  es  ihm  ankommt. 

Bei  den  beiden  Anhängen  ist  es  schwerer  zu  sagen,  in 
welcher  Weise  die  Tendenz  die  Darstellung  beeinflußt  hat. 
Sicher  ist  es  auffällig,  daß  vorzugsweise  die  Stellungnahme  der 
hasmonäischen  Fürsten  zu  den  religiösen  Parteien,  Herodes  in 
seinen  häuslichen  Verwickelungen  berücksichtigt  werden,  aber 
AiDs  Darstellung  ist  hier  durchaus  nicht  originell  und  voll- 
ständig von  den  Quellen  abhängig. 

Am  Anfang  der  t'NltT'"'  T'i^'C  "ii::"  nennt  er  „das  Buch  des 
Josef  b.  Gorion  und  andere  wahrhafte  Schriften"  als  seine 
Quellen.  Die  anderen  Quellen  sind  wahrscheinlich  Talmud' 
und  Midrasch,  die  hier  und  da  benutzt  werden.  Im  übrigen 
läßt  sich  eine  durchgehende  Abhängigkeit  von  Josippon  fest- 
stellen, der  im  Mittelalter  so  viel  gelesen  wurde  und  den  AiD, 
wie  alle  jüdischen  Autoreu,  eifrig  benutzt  hat.  Allerdings  war 
es  im  Mittelalter  Sitte,  einen  Autor,  den  man  zugrunde  legte, 
ohne  Scheu  wörtlich  auszuschreiben.  Das  tat  AiD  nicht,  er 
konnte  es  auch  nicht,  weil  seine  Darstellung  weit  kürzer  sein 
wollte  ^,  er  ließ  durchweg  alle  langen  Reden  und  Schilderungen 
fort,  strich  auch  sonst  seine  Vorlage  gründlich  zusammen. 
Infolgedessen  weicht  seine  Erzählung  von  der  Josippons  vielfach 
ab.  Die  Abhängigkeit  ist  auch  in  den  einzelnen  Teilen  ver- 
schieden; die  Erzählung  des  jüdischen  Krieges  schließt  sich 
weit  getreuer  an  die  Vorlage  an  als  die  der  beiden  ersten 
Teile.  Mau  könnte  sich  daher  zu  der  Annahme  veranlaßt  sehen, 
daß  AiD  auch  noch  eine  zweite  Quelle  benutzt  hat,  bei  näherem 
Zusehen  jedoch  erweist  sich  das  als  irrig.  Nur  muß  man  sich 
gegenwärtig  halten,  daß  ein  Buch  wie  Josippon  im  Mittelalter 
nicht  einheitlich  überliefert  wurde.  Wie  es  selbst  mit  seinen 
Quellen  frei  verfuhr,  so  gingen  die  Benutzer  mit  ihm  willkürlich 


'  Vgl.  ö.  57,  61  f.,  78. 

-  Bei  Erwähnung  der  Mutter  und  der  sieben  Söhne  heißt  es  Ed. 
Amsterdam  50  b  nie^na  «inr  isi,  das  letzte  Wort  fehlt  mit  Recht  in  Ed.  Pr. 

^  70  b  ni  1SC  ijsap  vnipjv  »niai  »;c'  n»3  laii  Snj  nsa  nantp  . .  .  jmu  p  ^loi'i. 
Der  entsprechende  Abschnitt  des  verbreiteten  Josippon  ist  etwa  fünfmal, 
der  von  ed.  Mantua  viermal  so  groß  wie  die  Sn-.c  ';^d  »-im. 


—     197     — 

um,  die  Abschreiber  wurden  zugleich  Überarbeiter.  Juda 
Mosconi  (um  1850)^  lagen  vier  Exemplare  des  Josippon  vor, 
in  deren  jedem  große  Stücke  fehlten,  er  kannte  das  Werk  in 
ausführlicherer  und  gekürzterer  Form.  Die  gekürzten  Rezen- 
sionen   führte   er    auf  Spanien,    eine    auf  Samuel  ha  Nagid,  eine 

ähnliche  auf  rrcr.:  '722'  ^b^':^^  pi--i\s*  p  ynvi  -ni  p  ^it^n  crn^wx  'n 

zurück 2;  das  ist  kein  anderer  als  unser  AiD,  dessen  Familie 
aus  Granada  stammte,  der  wegen  seines  Märtyrertodes  den  Bei- 
namen p''~'':i'r\  führte  3.  Da  das  feststeht,  wäre  es  verfehlt,  aus 
den  vorliegenden  Verschiedenheiten  zwischen  AiD  und  Josippon 
allzu  weitgehende  Schlüsse  zu  ziehen,  zumal  die  Abweichungen 
stilistischer,  nicht  sachlicher  Natur  sind.  Von  den  bekannten 
Rezensionen  des  Josippon  steht  die  verbreitete  dem  Texte  AiDs 
näher  als  die  von  Mantua-*,  aber  am  Anfang  mag  seine  Vorlage 
von  beiden  abgewichen  sein. 

Beim  n':'ZpM  ~1~D  vermögen  wir  die  Quellen  leichter  nach- 
zuweisen. Einzelne  freilich,  die  AiD  vorgelegen  haben,  sind 
verloren.  So  scheint  er  Saadjas  '''h:^'^  'D  noch  besessen  zu 
haben,  dessen  IT.  Abschnitt  die  Zeit  der  Prophetie,  die  Ab- 
fassuno-  der  Mischna  und  des  Talmuds  behandelte».  Ebenso 
lag  ihm  das  Sendschreiben  vor,  das  Dosa,  Saadjas  Sohn,  an 
Chisdai  ihn  Schaprut  gerichtet  hatte,  das  wahrscheinlich  eine 
Biographie  Saadjas  enthielt^.  Auch  R.  Nissims  ""nflu  ''1>2pn  'D, 
wenn  es  jemals  verfaßt  worden  ist.  wird  ihm  vorgelegen  haben '^. 
Ferner  hat  er  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  Samuel  b.  Chofnis 

»  Jew.  Enc.  IX,  39. 

-  Berliner  in  Magazin  III  153,  Ozar  Tob  I  21. 

3  Vgl.  Jucbasin  S.  216  b,  ob.  S.  186  Anm.  4. 

*  Über  die  Ausgaben  des  Josippon  s.  Steinschneider,  Geschichts- 
literatur §  19,  S.  28  fP. 

°  Harkavy,  Studien  und  Mitteilungen  V  152  f. 

«  S.  66. 

'  Die  Absicht,  das  Werk  zu  schreiben,  ist  im  nnsD,  Einleitung,  aus- 
gesprochen, ein  Zitat  aus  dem  Werke  hat  sich  aber  nirgends  erhalten. 
Was  Meiri  aus  dem  ='c:  'i  'rir  nSapn  'd  mitteilt  (Einleitung  zum  Abot- 
Kommentar,  15  b),  steht  zum  Teil  im  n.nee;  ob  der  Rest  dem  mi.in  ^hzpn  '= 
entnommen  oder  ein  Zusatz  von  Meiri  ist  und  in  unserer  einzigen  (?) 
Handschrift  des  nnsc  fehlt,  läßt  sich  nicht  entscheiden.  Vgl.  Steinschneider, 
Gesch. -Literatur,  S.  25  Anm.  und  S.  174;  S.  Pozaanski  ).sn'p  tj.s  S.  38 
{Harkavy-Festschrift  S.  212j. 


—     198     — 

Einleitung  in  den  Talmud  benutzt,  aus  deren  historischen  Ab- 
schnitten nur  einige  Zitate  bekannt  sind,  die  obendrein  Samuel 
ha  Nagid  zugeschrieben  werden  K  Wie  weit  das  zurückgeht,  ist 
schwer  zu  sagen,  da  das  Werk  verloren  gegangen  ist,  vielleicht 
ist  es  nicht  allzu  kühn,  anzunehmen,  daß  der  ganze  Aufbau 
der  Traditionskette  von  dort  stammt.  Denn  AiD  folgt  deutlich 
der  Keihenfolge  des  Traktats  Abot,  und,  wenn  wir  vom  Seder 
Tannaim  we  Amoraim  aus  schließen  dürfen,  waren  die  sura- 
nischen^  Darstellungen  nach  diesem  Prinzip  aufgebaut.  Es  mag 
gewagt  erscheinen,  derart  zu  argumentieren,  aber  im  Mittelalter 
herrscht  nun  einmal  die  Sitte,  gleichartige  Literaturwerke  nach 
der  selbigen  Schablone  anzulegen,  und  die  Juden  machen 
hierin  keine  Ausnahme.  Auch  das  Sendschreiben  Scheriras 
hat  AiD  vorgelegen,  seine  Angaben  über  die  Geonim  zeigen 
manche  deutlichen  Spuren  der  Benutzung  3  —  mitunter  gewahrt 
man  die  wörtliche  Übersetzung  aus  dem  Aramäischen  ins 
Hebräische  —  wenn  auch  anderseits  manche  Abweichung 
dann  schwer  zu  erklären  ist.  Für  die  Zeitgeschichte  Saadjas 
hat  er  auch  Nathan  ha  Bablis  Geschichte  von  Bagdad"*  benutzt. 
Aus  der  spanischen  Zeit  muß  er  eingehende  gute  Aufzeichnungen, 
besonders  aus  Cordova,  besessen  haben,  über  deren  Ursprung 
wir   nichts   mehr  Avissen^;   für   uns  ist  da  AiD  selbst    die  erste 

'  Epstein  weist  in  der  Harkavy-Festschrift  168f.  nach,  daß  keiner  der 
älteren  Spanier  Samuel  ha  Nagid  die  Einleitung  zuschreibt.  Die  Frage 
scheint  mir  durch  die  Veröffentlichung  Cowleys  das.  I61ff.  gelöst;  denn  das 
dortige  unzweifelhaft  echte  Blatt  ist  das  arabische  Original  des  uns  in  der 
hebräischen  Übersetzung  vorliegenden  tjj.t  tNictP  '-i=:  Dnhnn  nzn,  ist  aber  dort 
Samuel  b.  Chofni  zugeschrieben. 

-  Vgl.  Epstein  a.  a.  0.  166. 

»  Deutliche  Zeichen  der  Benutzung  Scheriras  S.  64  'n  bw  vas  '=« 
■)hv  nsio  n\n  NTn»,  wo  der  ganze  Passus  aus  Scherira  das.  37  wörtlich  übersetzt 
ist,  allerdings  sind  die  Namen  nicht  ganz  genau.  Ebenso  ist  S.  66  über 
Aaron  b.  Sargado  wörtlich  aus  Scherira  40  übersetzt,  S.  67  aus  Scheria  S.  33. 
Andererseits  steht  manches  bei  AiD,  was  er  nicht  aus  Scherira,  sondern 
aus  verlorenen  Quellen  hat;  manches  hat  er  auch  kombiniert,  vgl.  weiter 
S.  200  Anm.  3. 

*  Vgl.  JQR  XVII  747  ff. 

^  Wahrscheinlich  hatte  sein  Großvater  Isaak  ihn  Albalia,  der  in 
Cordova  aufgewachsen  war,  manches  überliefert,  solche  Erzählungen  jedoch, 
wie  die  über  den  Aufstieg  der  Ibn  Gau,  muß  er  bereits  niedergeschrieben 
vorgefunden  haben. 


—     199     — 

und  eine  sehr  wichtige  Quelle.  Was  an  Nachrichten  für  ihn 
erreichbar  war,  hat  er  benutzt,  so  lag-  ihm  jedenfalls  Chisdais 
Briefwechsel  mit  dem  Chasarenkönig  vor^  Ferner  bemühte  er 
sich  um  mündliche  Belehrung  und  verdankte  ihr  manche 
Nachricht 2.  Die  einleitenden  Stücke  sind  selbstredend  der 
Bibel  und  dem  Midrasch  entlehnt,  aber  in  der  Art  der  Ver- 
arbeitung wüßten  wir  unter  den  Juden  kein  direktes  Vorbild  zu 
nennen,  hier  scheint  AiD  selbständig  gearbeitet  zu  haben  und 
dem  Beispiel  gefolgt  zu  sein,  das  er  in  den  Königslisten  anderer 
Völker  kennen  gelernt  hat. 

Am  schwierigsten  gestaltet  sich  der  Nachweis  der  Quellen 
für  das  kleine  ^^n  nzi  ]1"irT,  schon  darum,  weil  es  so  schlecht 
überliefert  ist.  Da  die  Geschichte  bis  zur  Zeit  Mohammeds 
geführt  ist,  liegt  es  am  nächsten,  an  eine  Quelle  zu  denken,  die 
gerade  bis  zu  jener  Zeit  reicht;  so  bietet  sich  das  Chronicon 
des  Isidoro  von  Sevilla  3,  das  615  verfaßt  ist,  geradezu  von  selbst 
dar,  auch  seine  Historia  de  regibus  Gothorum-*  mag  verwertet 
worden  sein.  Nach  den  Formen  einiger  Namen  bei  AiD  scheint 
es  fast,  als  hätte  er  eine  spanisch  geschriebene  Quelle  benutzt''. 
Möglicherweise  waren  Isidoros  Schriften  spanisch  bearbeitet  oder 
andere  Chroniken  im  Umlauf,  die  gleichfalls  an  den  durch  Eu- 
sebius  bzw.  Hieronymus  geschaffenen  Chronikstil  anknüpften. 
Sicher  hat  eine  solche  Chronik  AiDs  Einteilung  nach  Generationen 
beeinflußt,  auch  seine  sorgfältige  Beachtung  der  Ära  muß  von 
dort  aus  angeregt  worden  sein.  Neben  den  Chroniken  aber 
muß  AiD  auch  Geschichtsbücher,  vielleicht  Darstellungen  in 
arabischer  Sprache^,  gekannt  haben, 

AiD  war  nicht  der  Mann,  seine  Quellen  kritisch  nach- 
zuprüfen, er  übernahm  sie  auf  Treu  und  Glauben,  so  wie  er 
sie  vorfand:  den  Autoritätsglauben,  den  er  forderte  und  durch 
seine  Schriften  zu  fördern  wünschte,  betätigte  er  seinen  Quellen 


*  Siehe  S.  78  unten. 

-  Vgl.  S.  74  tr2'2  'z  TSD  't  -h   n»i,   S.  77  »=:  nc   (rn'jNa^s   '2  ira  '-1)   Nim. 
ä  Migne,  Patrologie  LXXXIII,  1017  ff. 

*  Das.  1059  tf. 

*  Z.  B.  'J)N»"m  itunSn  •i''7i:2,  »iv'paa.     Andererseits  finden  wir  ai'abische 
Formen  wie  aip'?«,  N"'7'2rN. 

®  Daher  mögen  die  Ausführungen  bei  Neub.  S.  60  f.  stammen. 


—     200     — 

o^egenüber,  er  verwertete  sie,  wenn  auch  nicht  wortgetreu,  so 
doch  inhaltlich,  in  der  Weise,  wie  sie  ihm  überliefert  waren, 
unbekümmert  darum,  ob  sie  zuverlässig  waren  oder  nicht.  Er 
kannte  den  Unterschied  zwischen  zuverlässigen  (CJD)  und  un- 
zuverlässigen Quellen,  aber  das  Kriterium  für  die  Zuverlässigkeit 
lag  für  ihn  nicht  im  historischen  Wert,  sondern  im  d  ogmatischen 
Ansehen  der  Quelle,  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  Traditions- 
schriften. Die  Verehrung  der  alten  Quellen  hat  ihn  freilich 
nicht  gehindert,  es  bisweilen  an  der  nötigen  Sorgfalt  in  ihrer 
Benutzung  fehlen  zu  lassen,  seine  Darstellung  ist  von  Flüchtig- 
keiten ^  und  Uugenauigkeiten-  nicht  freigeblieben.  Wo  seine 
Quellen  ihn  im  Stiche  ließen,  scheute  er  sich  nicht,  durch  un- 
begründete Kombinationen  nachzuhelfen".  Wo  mehrere  gleich- 
wertige Quellen  vorlagen,  legte  er  eine  zugrunde,  während  er 
die  andere  zeitweise  mit  ihr  verarbeitete.  Sehr  glücklich  ist  er 
in  der  Vergleichung  der  Quellen  nicht  gewesen.  Das  läßt  sich 
am  Zeitalter  der  Geonim  deutlich  verfolgen,  wo  ihm  bekanntlich 
das  Mißgeschick  zugestoßen  ist,  daß  er  bei  den  ersten  drei 
Generationen  die  Reihen  der  Geonim  von  Sura  und  Pumbedita 
miteinander  vertauscht  hat-^.  Selbst  wenn  in  seiner  suranischen 
Quelle  bereits  ein  solcher  Fehler  enthalten  gewesen  sein  sollte  s, 

*  Iq  der  Aufzählung  der  Geonim  z.  B.  fehlen  mehrfach  Namen,  die 
Jahreszahlen  sind  falsch,  und  die  Fehler  sind  nicht  immer  durch  die  Ab- 
schreiber verschuldet,  vgl.  Epstein  das.  173. 

*  Das.  Vgl.  ferner  die  Angaben  über  den  letzten  Exilarchen,  Neu- 
bauer S.  67  und  das.  178  (siehe  S.  Poznanski,  Babylonische  Geonim  im 
nachgaonäischen  Zeitalter  S.  1).  Die  Angabe,  daß  Samuel  ha  Nagid  1020 
Sekretär  des  Königs  Habus  wurde,  ist  als  ungenau  erwiesen  von  S.  Mnnk, 
Notice  sur  Abou'l-walid,  S.  90.  Hai  starb  nach  S.  67  im  Jahre  4798,  nach 
S.  71  dreizehn  Jahre  später  als  der  4775  gestorbene  Chanoch.  Derartige 
Ungenauigkeiten  sind  freilich  sehr  oft  von  den  Abschreibern  verschuldet. 
S.  auch  oben  S.  198  Anm.  3  und  weiter  S.  202  Anm.   2. 

^  Epstein  das.  hat  bereits  darauf  verwiesen,  daß  er  aus  keinem 
anderen  Grunde  als  wegen  der  Namensgleichheit  Rabba  zum  Verfasser  der 
Rabbot  macht,  daß  alle  seine  Angaben  über  die  Entstehung  der  Halachot 
Gedolot  auf  haltlosen  Vermutungen  beruhen. 

*  Zuerst  von  S.  J.  Rapaport  ;nj  'i  nn'jin  Anm.  24  nachgewiesen. 

5  Epstein  das.  So  aber  dürfen  Scheriras  Worte,  daß  ihm  die  Geonim 
von  Sura  bis  zum  Jahre  1000  Sei.  nicht  genau  bekannt  sind  (Neubauer  S.  36, 
Epstein  166),  nicht  gedeutet  werden;  es  kann  über  einzelne  Namen  und 
ihre  Folge,  aber  nicht  über  ganze  Reihen  Unklarheit  bestanden  haben. 


-     201     — 

was  kaum  glaublich  ist,  da  man  in  Sura  doch  wohl  über  die 
Xamen  der  eigenen  Schulhäupter  richtig  unterrichtet  sein  mußte, 
so  hatte  er  doch  auch  Scheriras  Aufstellungen  vor  sich  und 
konnte  durch  den  Vergleich  mit  anderweitigen  Nachrichten 
unschwer  die  Wahrheit  ermitteln. 

An  anderen  Stellen  sehen  wir  AiD  mit  großer  Vorsicht  ver- 
fahren und  gewinnen,  wo  wir  ihn  kontrollieren,  über  seine  Zu- 
verlässigkeit ein  günstiges  Urteil.  Um  nur  einiges  hervorzuheben, 
sei  auf  die  vorsichtige  Datierung  der  Geschichte  der  vier  Ge- 
fangenen verwiesen  *;  von  ibn  Oau  hebt  er  die  ungewöhnliche  Wohl- 
tätigkeit hervor,  die  auch  anderweitig^  bestätigt  ist.  Ebenso  ist  der 
wunderbare  Wandel  in  Samuel  ha  Nagids  Geschick  durch  viele 
zeitgenössische  Berichte  beglaubigt^.  Die  Charaktere  sind  richtig 
gezeichnet,  bei  wichtigen  Ereignissen  ist  das  Wesentliche  kurz 
und  treffend  hervorgehoben.  Moses'  Ankunft  in  Cordova  wird 
vom  Kalifen  freudig  begrüßt,  weil  er  hofft,  daß  die  Juden  sich 
dadurch  vom  östlichen  Kalifat  losmachen  Averden,  was  der 
Feindschaft  zwischen  beiden  Höfen ^  entspricht.  Jakob  ibn  Gau 
wird  mittels  Bestechung  vom  Vesir  Almansur  bevorzugt,  was 
mit  der  bekannten  Geldgier  dieses  Beamten  übereinstimmt  5. 
An  Joseph  ha  Nagid  wird  die  Freigebigkeit  gerühmt,  aber  auch 
der  Hochmut  richtig  als  Ursache  des  Falles  erkannf.  Die 
genannten  Beispiele  gehören  sämtlich  in  den  letzten  Teil  des 
S.  ha  Kabbala,  in  die  Zeit  also,  der  AiD  persönlich  nahe  stand, 
um  deren  Quellen  er  sich  daher  auch  mehr  mühte  als  um  die 
anerkannten   Werke  weit  zurückliegender  Epochen. 

AiDs  Darstellung    hat  ebenfalls  ihre  Schwächen.     Daß  er 


S.  69;  die  Abschreiber  und  Herausgeber  freilich  haben  diese  Zahl  ver- 
stümmelt. Da  Abderrahman  961  bereits  gestorben  ist,  wäre  besser  mit 
Juchasin  S.  210  Jtrn  =  943  zu  lesen,  aber  dann  sind  wir  von  Schei-ira.  der 
nach  AiD  968  Gaon  wurde,  weit  entfernt. 

-  Abulwalid,  Rikma  XIX,  ed.  Goldberg  S.  122,  vgl.  Munk,  Notice 
S.  78  Anm. 

'  Munk  das.  96  ff.,  Graetz  VP  S.  11  und  lY  20  der  hebräischen 
Übersetzung.      Vgl.  auch  Graetz  das.  Note  3. 

*  Phil.  Luzzatto,  Notice  sur  Abou-Joussouf  usw.  S.  5. 

5  Vgl.  A.  Müller,  Der  Islam  im  Morgen-  und  Abendland,  II  561  &'. 

«  Munk  a.  a.  0.,  97—106. 


202 


seine  Familie  hervorzuheben  strebt^,  fällt  nicht  schwer  ins 
Gewicht,  daß  er  sich  durch  den  Ahnenstolz  hätte  verleiten 
lassen,  andere  Männer  parteiisch  zu  beurteilen,  läßt  sich  kaum 
nachweisen.  Wohl  aber  wurde  seine  Darstellung  dadurch  be- 
einflußt, daß  er  nicht  nur  vom  Vorsehungs-,  sondern  auch  vom 
Wunderglauben  stark  beherrscht  war.  Er  läßt  gern  Ereignisse 
durch  überirdisches  Eingreifen  entscheiden,  die  nach  seiner 
Quelle  auf  natürliche  Weise  verliefen,  er  scheut  sich  nicht  vor 
Übertreibungen 2,  Wie  er  Erzählungen  auszuschmücken  liebt, 
dafür  sei  nur  ein  Beispiel  angeführt,  bei  dem  wir  zufällig  die 
Genesis  gut  verfolgen  können.  Für  den  Konflikt  Saadjas  mit 
dem  Exilarchen  David  b.  Sakkai  benutzte  er  den  Bericht  Nathan 
ha  Bablis.     Vergleicht  man  nun  beide  miteinander, 


AiD  (S.  65.) 

PP-IJ/'D     2't>     ^"^^h     nr    1:2    \N2T 

irm  IHN  i:'\xr  ch^D  ^üp^  cbc 
n2"^n  cr,^^y:c2  N^i^'jn  p  nx 
V2N  pinnm  nnz^i  chj:  v^ah  i^m 


Nathau  (Neub.  II  81) 

'ih  -]üii^  m^jU'  cj/'d  ^"'^s  -^in 

"IC^v  vxbl  niE)^  C'JD  -)ID2  nnjJD 

nrpzz  iS  -^cN  'i'ZN  vzN  nz"i  ^h 
n2  nn^cDTi  nx  c^p-']L^  i^ dt» 221 
P2N  p^  ^}^2  r\ptni2  t5iE:n  Nyi^' 

N^i  p^2'^  D'üV^  vbü  nri^'i  |nd>  \ b'p'ü  n'^ni  nr2i  m2'7;22 

^2  nnj/'D  'ih  mS:^  i2n  nii"! 
D^^Dc   '?2N   V2wx   ü   ncNis'   na 

pi  1:^2  npit)-^  kS'nn  n^lj'  ^2 
r2N  inn:2nir  \V2  n?  1212  V2x 
c^-ImI  ien*  mn  min 21  n 2"' tri 2 
N^  CN  'h  ']r2ü^  nnyc  2"i2  it 
1^  ^QiSi^'  1C2  nntT'ii'n  cmnn 
"lec  Ni'^  "i2~n  12  ^"i*  nr^^vs  in  ^2n 
innii    nnyD    21    ^Lt':«!   "ly:" 


»  s.  74, 77. 

^  Übertreibungen,  z.  B.  S.  67  die  Plünderung  Hais,  das.  heißt  es  von 
Chiskija  Tpa  ]>naü  ih  ^»^<B^  n^  und  dennoch  wird  unmittelbar  darauf  von  seinen 
zwei  überlebenden  ;~^öhnen  gesprochen.     S.  69  sind  die  täglichen  Aufzüge  der 


—     203     — 

■so  ergibt  sich,  daß  AiD  zwar  seine  Quelle  stark  zusammen- 
gestrichen, aber  doch  aus  einem  ziemlich  einfachen  und  leicht 
verständlichen  Vorfall  eine  Skandalszene  gemacht  hat;  während 
nach  Nathan  Juda^  sich  die  größte  Mühe  gibt,  einen  Eklat  zu 
vermeiden,  wird  er  bei  AiD  der  leichtfertige  Anstifter  desselben. 
Wie  weit  AiD  an  der  Ausgestaltung  der  Episode  von  den  vier 
Gefangenen,  die  sich  als  völlig  unhaltbar  erwiesen  hat-,  selbst 
schuld  und  wie  weit  er  von  seiner  Quelle^  irregeführt  worden 
ist,  läßt  sich  heute  noch  nicht  erkennen,  aber  es  ist  anzunehmen, 
daß    die  dramatische  Belebtheit  der  Szenerie  von  ihm  herrührt. 

Unbedingte  Anerkennung  verdient  der  Stil  seiner  Schriften. 
Soweit  unsere  Kenntnis  reicht,  war  AiD  nächst  Josippon  der  erste 
jüdische  Geschichtsdarsteller  größeren  Stils  im  Mittelalter,  der  sich 
der  hebräischen  Sprache  bediente.  Er  hat  sich  um  die  Ausarbeitung 
sehr  gemüht,  eine  flüssige,  gut  lesbare,  lebendige,  anschauliche 
Darstellung  geboten,  es  verstanden,  seinen  Leser  zu  fesseln. 
Der  Stil  ist  durchaus  selbständig,  selbst  da,  wo  er  Josippon 
verwertet,  hat  er  seine  eigene  Ausdrucksweise,  eine  gehobene, 
schöne,  weder  überladene  noch  schwülstige,  eine  der  Bibel  an- 
gepaßte Sprache^. 

Der  Einfluß  von  AiDs  Schrift  über  die  Überlieferung  war 
außerordentlich  groß.  Fast  alle  späteren  Gelehrten,  die  es 
unternahmen,     die    Entwicklung    der    jüdischen    Literatur    dar- 


700  Anhänger  des  Jos.  ihn  Abitur  sicher  übertrieben.  Sehr  ausgeschmückt 
ist  die  Erzählung  von  den  vier  Gefangenen,  S.  67  f.,  sowohl  in  der  Kom- 
position als  auch  in  den  Einzelheiten.  Reich  an  Wundergeschichten  ist  das 
ur  n'i  ^z^a  nai,  auch  an  solchen  Stellen,  die  im  Josippon  fehlen. 

*  AiD  nennt  ihn  irrtümlich  Sakkai. 

-  Vgl.  zuletzt  S.  Eppenstein,  Beiträge  zur  Geschichte  und  Literatur 
usw.  S.  149  ff.  (MS    LV  324  ff.,  LVI  80  ff.). 

^  Nach  David  Conforte,  nmn  N-.ip  (ed.  Cassel)  5  a  hat  auch  Samuel 
ha  Nagids  iiD^nn  nsc  die  Erzählung  enthalten.  Ob  wirklich  Conforte  im 
XVII.  Jahrhundert  noch  ein  vollständiges  Exemplar  des  ^lc^■^^  nzü  gesehen  hat? 

*  Josippon  nennt  z.  B.  den  römischen  Konsul  !:7'2?>,  AiD  jp:,  den 
Feldherrn  sas  i».  AiD  whr  (vgl.  Targ.  zu  Ex.  14,7),  Jos.  gibt  Wege  nach 
Maß  D>T  an,  AiD  d'S'  ."prta,  AiD  gebraucht  gern  das  Wort  nin  für  Vater, 
bei  Kämpfen  hunzt  j'C»  y\,  Zweikampf  heißt  bei  ihm  innh  ins  ns».  Antiochus 
Kriegszug  schildert  er  itn  Anschluß  an  biblische  Vorbilder,  auch  Kämpfe 
und  Belagerungen  sind  möglichst  mit  biblischen  Wendungen  wiedergegeben, 
■während  Josippon  seine  Vorlage  übersetzt. 


—     204     — 

zustellen,  legten  sein  Werk  zugrunde,  sie  übernahmen  es  häutig 
wortgetreu,  sogar  mit  seinen  Fehlern,  allenfalls  suchten  sie  es 
zu  ergänzend  Nicht  alle  Autoren  haben  durch  Angabe  ihrer 
Quelle  ihre  Dankbarkeit  bezeigt,  aber  wo  auf  ihn  verwiesen 
wird,  geschieht  es  mit  vollem  Geständnis  der  Abhängigkeit.  So 
schreibt  Isaak  b.  Josef  Israeli  in  seinem  Überblick  über  die 
Männer  der  Tradition-,  daß  er  das  meiste,  was  er  über  berühmte 
Männer  und  große  Gelehrte  mitgeteilt,  aus  dem  n'l'ZpH  D 
entlehnt  hat 3.  Auch  Gedalja  ihn  Jachia  erklärt,  daß  er  nur 
bis  zu  der  Zeit,  die  AiD  beschrieben,  gut  unterrichtet,  daß  aus 
späteren  Epochen  zu  viel  verloren  sei,  daß  Abraham  Zacuto*, 
er  selbst  und  viele  andere  ihre  Schriften  aus  AiDs  Werk  ent- 
nommen hätten ,  daß  AiD  ihm  als  Vorbild  eines  Forschers 
diente,  der  in  all  seinem  Sinnen  und  Trachten,  in  seiner  Arbeit 
und  dem  Verkehr  mit  älteren  Zeitgenossen  sich  darauf  verlegt 
hatte,  die  Wahrheit  über  die  berühmten  Männer  der  Vorzeit  zu 
ermitteln  und  schriftstellerisch  zu  verwerten^.  Durch  seine 
Nachbeter  wurden  AiDs  Irrtümer  von  Geschlecht  zu  Geschlecht 
überliefert,  bis  S.  J.  Rapaport  als  erster  auf  die  Unhaltbarkeit 
vieler  seiner  Aufstellungen  hinwies^.  Seitdem  hat  AiD  viel 
von  seiner  Geltung  verloren,  die  neuere  jüdische  Geschichts- 
forschung hat  seine  Angaben  nicht  mehr  kritiklos  übernommen, 
sie  konnte  jedoch  nicht  umhin,  ihn  für  die  Zeit,  für  die  er  fast 
die  einzige  zusammenhängende  Quelle  ist,  ausgiebig  zu  ver- 
werten. Aber  darüber  hinaus  hat  er  auf  die  Geschichts- 
darstellungen eingewirkt,  indem  sie  einzelne  seiner  Eigenheiten, 
wie  die  Einteilung  nach  Gelehrteuklassen,  innerhalb  dieser  nach 
Zeitaltern  bis  auf  die  Gegenwart  beibehielten'^.  Auch  christliche 
Gelehrte  haben  seine  Schriften  geschätzt  und  eifrig  studiert; 
alle  drei  Teile  des  Geschichtswerkes  sind  ins  Lateinische,  die  Ge- 


^  So  besonders  Abraham  b.  Salomo  in  seinem  n^ap.i  nee,  Neubauer  I  101. 
^  Vgl,  Steinschneider,  Geschichtsliteratur  S.  57. 
'  Ed.  Berlia  1846,  35  b. 

*  Vgl.  Juchasiu  216  b,  ob.  S.  186  Note  4. 

*  nTnpn  nbvhm  Einleitung  und  bei  Erwähnung  AiDs. 
^  ]ni  't  nn^in  Anm.  24  und  öfter. 

'  Besonders     durch    Graetz    ist    AiDs    Einteilung    und  '  Terminologie 
außerordentlich  bekannt  geworden. 


—     205     — 

schichte  des  zweiten  Tempels  auch  mehrfach  ius  Deutsche  über- 
traaen  worden  ^  Das  Buch  der  Tradition  beherrschte  bis  in  die 
Neuzeit  wie  die  jüdischen  so  auch  die  christlichen  ]3arstellungen 
der  jüdischen  Geschichte,  mit  seinen  Vorzügen  wurden  auch 
seine  Fehler  verbreitet.  So  wenig  AiDs  Werk  einer  kritischen 
Prüfung  standhalten  kann,  in  der  geschichtlichen  Literatur 
gehört  es  zu  den  einflußreichsten,  am  stärksten  wirkenden 
Erscheinungen. 


^  Näheres  bei  Steinschneider,  Geschichtsliteratur  S.  47  f. 


Guttraann,  Festschrift. 


14 


Paulus   de  Heredia   als  Verfasser   der  kabba- 
listischen Sciiriiteu  Igeret  ha-Sodot  und 

(lalie  Raze. 

Von  A.  Freimaun. 

Der  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  Aragouieii 
lebende  Paulus  de  Heredia  ^  huldigte  der  Sitte  seiner  Zeit, 
Glaubenslehren  durch  kabbalistische  Schriften,  die  man  einem 
Gelehrten  des  Altertums  beilegte,  zu  beweisen.  In  seiner  Zeit 
und  wohl  auch  in  seiner  Heimat  entstanden  die  mystischen 
Bücher  Pelia  und  Kana,  die  in  der  kabbalistischen  Literatur 
großes  Ansehen  erlangt  haben  2.  Wiederum  ist  es  Nechunja  b. 
Hakkana.  an  dessen  Namen  sich  eine  ganze  Reihe  pseudo- 
epigraphischer  Schriften  knüpfen  3,  der  hier  als  Verkünder  neuer 
Lehren  auftritt.  Wahrend  er  aber  in  Pelia  und  Kaua  nur 
antitalmudische  Sätze  verkündet,  werden  ihm  jetzt  christhche 
Dogmen  in  den  Mund  gelegt,  die  in  dieser  Form  erst  nach  dem 
Konzil  von  Nicäa  festgelegt  wurden.  Paulus  de  Heredia  ver- 
faßte eine  mystische  Schrift,  die  er  nmOH  m^N  (Brief  der 
Geheimnisse)  nannte,  legte  sie  dem  Tannaiten  Nechunja  und 
seinem  Sohne  Hakkana  bei,  behauptete  jedoch,  sie  nur  auf- 
gefunden und  ins  Lateinische  übersetzt  zu  haben.     Den  beträcht- 


»  Wolf,  Bibl.  Hebr.  I  No.  1809. 

2  Vgl.  Jellinek,  Bet  ha-Midrasch  III,  Einleit.  p.  XXXVIII  ff.,  Graetz, 
Gesch.  d.  Jud.  Bd.  8  S.  4.^.8  f.,  Weiss,  Dor  we  Dorsch.  V,  32 f.  Der  cod. 
Vat.  187  enthält  die  Hs.  des  Sefer  Pelia  geschr.  in  Greta  um  1463  vgl.  auch 
Krauss  in  REJ.  51  S.  9.")  und  ZfHB  X  95. 

'  Bahir  vgl.  SteinHclmf^ider,  CB.  No.  3423;  Groß  in  Mtschr.  1881 
S.  557  und  Neubauer  in  JQIJ.  IV  358;  Sefer  ha  Temuna  Korzec  1784. 
Seinem  Namen  begegnet  riiau  auch  in  den  nach  seinem  Schüler  Rabbi 
Ismael  genannten  Hechalot  labbati,  vgl.  Bacher,  Die  Agada  der  Tannaiten. 
2.  Aufl.  Bd.  1  S.  56  und  2fi2. 


1: 
1 


—     207     — 

Hellsten  Teil  nehmen  in  dieser  Schrift  acht  Fragen  ein,  die 
Nechunja  in  dem  Werke  Galie  Raze  des  nach  ihm  lebenden  ^ 
< Jrdners  der  Mischna  Rabbi  Jehuda  ha-Nasi  verzeichnet  fand. 
Da  die  Titel  r.'"icri  n"13{<  und  N""*"!  ''hy  von  späteren  oft  zitiert 
werden,  wenige  jedoch  die  überaus  seltene  Schrift"'^  des  Paulus 
de  Heredia  gelesen  haben,  ist  es  w-ohl  angebracht,  auf  ihren  Inhalt 
genauer  einzugehen.  Sie  ist  dem  Marquis  de  Santillane,  Inigo 
Lopez  de  Mendoza,  gewidmet''.  Neumia,  Sohn  des  Haccana, 
richtet  an  seinen  Sohn  Haccana  einen  Brief  über  die  Geheimnisse. 
Ich  Neumia  fand  die  Ankunft  des  Messias  verzeichnet  im  Buche 
Galerazaya  des  Rabbenu  Haccados  und  will  nun  einzelne  Stellen 
daraus  insbesondere  die  acht  Fragen,  die  Antoninus,  Consul  der 
Stadt  Rom,  an  Rabbenu  Haccados  richtete,  mitteilen^.  Die  erste 
Frage  betrifft  den  viev-,  zwölf-  und  zweiundvierzigbuchstabigen 
Namen  Gottes.  Die  Antwort  lautet:  die  Erklärung  ist  ein 
Geheimnis,     aber    ich    will    es    enthüllen.      Der    Semhameforas 

bedeutet:  p  cT.^N  zx:  r^iL'h'Z'2  "lüN  '^^2  n'^L'bu/]  c'rhi<  -^npr:  nn 

'C'pTi  nni  ;i  ~i^:  GTi'^N.  Es  folgt  eine  Postilla  des  Paulus  de 
Heredia,  die  aus  Sohar  Deuter.  Kap.  XI  und  aus  Targum 
Jonatan    zu    Jesaja   Kap.  VI    die   Richtigkeit    obiger    Erklärung 

^  Vgl.  Bartolocci,  Bibliotheca  III  y.  247  f. 

-'  Der  genaue  Titel  lautet:  Beg.  lUustrissimo  ac  sapientissimo  domino 
D.  Enigo  de  Mendocza  Comili  Tendiliae  .  .  .  Paulus  de  Heredia  salutem 
perpetuatnque  foelicitatem.  [Fol.  3  verso:!  Xeumiae  filii  Haccanae  epistola 
de  aecretia  ad  Haccanam  filium.  —  [Fol.  35  verso:]  Haccanae  filii  Neumiae 
ad  cognitatione  generatiöis  xpi  Epistola.  [Rom,  Georg  Herolt  er.  1488?] 
4ö  Bl.  25  1.  4°.  Lit:  Hain  11695;  Proctor  3947;  Cop.  II  4398;  Panzer  IV165 
No.  850.  [Wonach  CB  p.  2057  zu  berichtigen  ist].  Im  Katalog  des 
Br.  Museums  xxnter:  Nechoniah,  ben  Ha-Kanah,  Rabbi.  Ich  benutze  das 
Exemplar  der  Landesbibliothek  in  Stuttgart  (Incun.  No.  7878)  auf  das  mich 
Herr  Prof.  Konrad  Haebler  verwies,  der  außer  diesem  in  Burgers  handschrift- 
lichem Inventar,  noch  die  Exemplare  der  Stadtbibliothek  in  Reutlingen  und 
in  der  Hof-  u.  Staatsbibliothek  in  Wien  verzeichnet  fand,  in  der  Bibl.  Nat. 
in  Neapel  findet  sich  eine  andere  Ausgabe  dieses  Buches:  Florenz,  Franc. 
Dini,  1482  vgl.  Reichling,  Suppl.  z.  Appendix.  Index  auct.  gener.  S.  90. 

*  Vgl.  Firmin  Didot,  Nouv.  Biographie  generale  Bd.  34  S.  945  f. 

*  .  .  .  decrevi  coUigere  particulas  nonnulorum  dictionum  secretorumque 
profundorum  ex  eis  quae  repperi  in  eo  ipso  libro  gale  razaya  super  quibusdam 
petitionibus  quas  Anfoninus  consul  urbis  Rhomae  petiit  a  Rabbeno  hacchados. 
Ex  quibus  epistolam  confaeci,  eamque  Niggheret  hazodot  [nnion  m;«]  hoc 
est  epistola  secretorum  appello. 

14* 


—     208     — 

beweist'.  Die  zweite  Frage  behandelt  Proverbia  Kap.  XXX,  15 
Tria  sunt  mihi  difficilia  et  qiiartum  penitus  ignoro,  die  dritte 
Frage  Jesaja  Kap.  VIII  3  et  accessii  ad  prophetissam  et 
concepit  peperitqne  filium.  Die  vierte  Frage  behandelt  das 
Holz,  aus  dem  der  Stab  Moses  bestand  und  woher  Moses  ihn 
erhalten  habe.  Die  Antwort  wird  aus  dem  Buche  mechar 
hazodot  des  Simon  ben  Jochai  gegeben 2.  Er  stamme  von  Adam, 
der  ihn  seinem  Sohne  Seth  gegeben,  dieser  habe  ihn  in  die 
Wüste  gepflanzt  und  er  habe  Früchte  getragene  Die  fünfte 
Frage  behandelt  Amos  Kap.  V  21  odi  et  proieci  festivitates 
vestras  und  Maleachi  Kap.  I  10  Quis  est  in  vobis,  qui  claudat 
Ostia.  Die  Antwort  ist  nach  Simon  b.  Jochais  liber  investigatio 
secretorum.  In  der  Postilla  fügt  Paulus  de  Heredia  noch  eine 
Mechiltastelle  hinzu.  Die  sechste  Frage  lautet,  warum  Israel 
populus  dei  peculiaris  genannt  werde.  Wiederum  erfolgt  die 
Antwort  nach  Simon  b.  Jochais  liber  mechar  hazodot:  Die  siebente 
Frage  behandelt  Psalm  74,  schließlich  die  achte  die  Chronologie 
von  Jesaias  Weissagung  7,14  bis  Christi,  die  600  Jahre  beträgt, 
da  die  Weissagung  im  vierten  Jahre  der  Regierung  des  König 
Achas  erfolgte.  Dann  folgt  der  Brief  des  Haccana  über  die 
Geschlechtsfolge  Christis  und  seines  Lehrers  Josua  b.  Perachia, 
an  dessen  Schluß  der  Schreiber  bekennt:  ego  haccana  sum 
unus  ex  illis  qui  credunt  in  cum.  Justinian,  Bischof  von  Nebia, 
hat  in  den  Noten  zu  seiner  Psalmenausgabe  —  die  bekanntlich 
auch  die  Stelle  über  Columbus  Entdeckungen  enthalten  — 
Genua  1516,  zu  Psalm  67  eine  größere  Stelle  aus  nmon  n"^2vX 
und  N"»""!  ''h:^  mitgeteilt,  welche  sich  auch  bei  Galatin  II  c.  10 — 1 3 
findete     Justinian    hat   den   hebräischen   Text   dieser   Stelle,    so 


'  Diese  Stelle  üodet  sich  aucb  in  Juatinians  Glosse  zu  Psalm  67  in 
seiner  Psalmenausgabe  Genua  1516  —  Galatin,  De  arcanis  üb.  11  Kap.  10 
hat  sie  wörtlich  aus  unserer  Schrift  entlehnt  —  ferner  bei  Kircher,  Ödipus 
Ägyptiacus,  Rom   1652.    tom.  II  p.  233. 

2  Dieses  Buch,  welches  Galatin  lib.  I  Kap.  3  (vgl.  Wolf,  BH.  II  p.  1349) 
nennt    und    nur    aus   unserer  Schrift   kennt,    ist    gleichfalls    von   Paulus    de       I 
Heredia    erfunden.     Die    Antwort    findet    sich    wörtlich  bei  Galatin   lib.  VI 
Kap,  17  (p.  484). 

^  Berichte  über  den  Stab  Moses  verzeichnet  Grünbaum,  Neue  Beiträge 
z.  sem.  Sagenkunde.     Leiden  1893  S.  162  f. 

*  Geiger,  Proben  II  S.  50  Note  7  in  Bresslauer,  Jahrbuch  1852. 


',4 

1 


—     209     — 

daß  es  den  Anschein  hat,  als  ob  Paulus  de  Heredias  Schrift 
von  ihm  selbst  oder  von  einem  Zeitgenossen  ins  Hebräische 
übertragen  wurde.  Die  Schrift  Heredias  wurde  von  den  Juden 
kaum  beachtet,  jedenfalls  hat  sie  keine  Entgegnung  von  ihnen 
erfahrend  In  christlichen  Kreisen  jedoch  fand  sie  viele  Leser. 
Justinian  hat  die  erste  Petitio  wörtlich  ausgeschrieben,  Galatiuus 
hat  das  Buch  ausgiebig,  besonders  in  Buch  II  seines  Werkes 
de  arcanis  benutzt,  die  hebräische  Stelle  über  den  vierbuchstabigen 
Gottesnamen  stimmt  wörtlich  mit  der  von  Justinian  mitgeteilten 
überein.  Aus  Galatinus  hat  sie  Kircher,  welcher  in  Class.  IV 
des  Oedipus  Aegyptiacus:  Cabala  Hebraeorum  die  jüdische 
Geheimlehre  ausführlich  behandelt.  Aber  keiner  nennt  den 
Namen  des  Verfassers  dieser  pseudoepigraphischen  Schriften 
nniDH  rnjN  und  N^n  "'':5:i,  keiner  nennt  den  Namen  des  Paulus 
de  Heredia,  obgleich  es  feststeht,  daß  Justinian  und  Galatin 
unabhängig  voneinander 2  sich  dieser  Schrift  bedient  haben.  Die 
Zweifel  an  der  Authentizität  unserer  Schrift  sind  ziemlich  all- 
gemein^. Dennoch  hat  man  in  der  Sucht,  in  den  kabbalistischen 
Schriften  der  Juden  Beweise  für  die  Trinität  zu  finden,  noch 
lange  auf  die  Schrift  des  Paulus  zurückgegriffen. 


1  Graetz  Bd.  8  S.  232. 
-  Vgl.  Geiger  ibid. 

*  Vgl.    Zusamtueastellung    der    Schriften   hierüber  bei    Wolf,   BH.  II 
p.  1274. 


Maimoniana. 

Von  D.   Simo Ilsen. 

Länger  als  ein  Menschenalter  bin  ich  mit  dem  Jubilar 
durch  enge  verwandtschaftliche  Bande  verknüpft.  Aber  in  noch 
frühere  Zeit  geht  es  zurück,  daß  die  Untersuchungen  des  da- 
mals schon  reifen  Gelehrten  Jacob  Guttmann  und  diejenigen 
eines  Seminaristen  sich  begegneten  und  ich  dem  mir  damals 
persönlich  unbekannten  Hildesheimer  Rabbiner  einige  Noten  und 
Vorschläge  zur  Prüfung  vorlegte.  Es  ist  mir  deshalb  eine 
ganz  besondere  Freude,  meinem  lieben  Schwager  auch  mein 
Scherflein  zur  wohlverdienten  Ehrung  am  Jubeltage  darbringen 
zu  können.  Und  da  unsere  Gedanken  in  dieser  langen  Zeit 
auf  verschiedene  Weise  um  Moses  ben  Maimon  gekreist  haben, 
nicht  am  wenigsten  in  dem  letzten  Dezennium,  so  habe  ich  vor- 
gezogen, den  uns  beiden  teuren  einzigen  Meister  des  jüdischen 
Mittelalters  und  seinen  Sohn  hier  zur  Sprache  kommen  zu 
lassen,  um  nur  selbst  einige  kurze  Bemerkungen  an  die  hand- 
schriftlichen  Veröffentlichungen  zu  knüpfen. 

In  den  verschiedenen  Anordnungen,  die  wir  von  Maimo- 
nides  kennen,  tritt  durchgehend  sein  konservativer  Sinn  an  den 
Tag.  Was  die  großen  Lehrer  der  Vorzeit  angeordnet  haben 
und  was  der  allgemeine  Brauch  geheiligt  hat,  das  ist  ihm  un- 
verbrüchlich, und  er  streitet  mit  seiner  ganzen  Autorität  gegen 
die  Mißbräuche,  die  sich  früher  oder  in  seiner  Zeit  eingeschlichen 
haben  und  die  geheiligten  Übungen  und  Vorschriften  zerstören 
würden.  Um  so  mehr  ist  die  Aufmerksamkeit  auf  eine  seiner 
Anordnungen  gelenkt  worden,  die  ihn  als  einen  Reformator 
innerhalb  der  Ordnung  des  öffentlichen  Gottesdienstes  erscheinen 
läßt.  Ich  denke  an  die  berühmte  Bestimmung,  daß  mau  künftig- 
hin  die    Teiilla  am  Sabbat    und   an    den  Feiertagen   nur  einmal 


-     211     — 

und  zwar  laut  vortragen  solle,  eine  Auorduung,  welche,  wie  sein 
Sohn  Abraham  3Iaimuni  berichtet,  den  vollen  Beifall  der  ge- 
lehrten Zeitgenossen  fand,  die  eben  wie  Maimimi  die  Notwendig- 
keit einsahen,  von  der  talmudischen  Gottesdienstordnung  wenig- 
stens zeitweilig  abzugehen  ^  (Bekanntlich  ist  man  später  doch  zu 
der  alten  Ordnung  zurückgekehrt.)  Nun  gehört  Moses  Maimo- 
nides  gewiß  zu  den  Schriftstellern,  die  auf  uns  einen  ausgereiften 
Eindruck  machen.  Würden  wir  jedes  der  drei  umfangreichen 
Meisterwerke,  die  er  uns  hinterlassen  hat,  für  sich  nehmen,  den 
Mischnakommentar,  die  Jad  Hachasaka  und  den  More,  so  könnten 
wir  jedes  einzelne  Werk  als  die  reife  Frucht  des  langen  Arbeits- 
lebens eines  tiefsinnigen  und  kundigen  Meisters  nehmen.  Jetzt, 
wo  wir  sie  alle  und  dabei  auch  kleinere  Schriften  vor  uns  haben, 
können  wir  die  Entwickelung  nachweisen,  und  es  ist  ja  eine 
schon  lang  erkannte  und  auch  immer  noch  nötige  Aufgabe,  den 
Mischnakommentar  mit  der  Jad  und  die  einleitenden  Abschnitte 
der  Jad  mit  dem  More  auf  ihre  Abweichungen  und  Überein- 
stimmungen zu  prüfen.  Hier  haben  wir  es  mit  der  inneren  Ent- 
wickelung des  großen  Mannes  bezw.  mit  der  Erweitung  seiner 
Kenntnisse  zu  tun.  Bei  jener  oben  erwähnten  Anordnung,  die 
selbstverständlich  von  seinen  der  Tradition  noch  ganz  folgenden 
Weisungen  in  der  Jad  Hachasaka  abweicht,  scheint  ihn  nach 
einem  bis  jetzt  unveröffentlichten  Gutachten  ein  ihm  bekannt 
gewordener  Brauch  beeinflußt  zu  haben 2.  Wir  lesen  nämlich  in 
der  hebräischen  Handschrift  der  Bodlejana,  Katalog  Neubauer 
No.    2359  Resp.  221  folgendes: 

fW'  ü'n'pz  r,bzr<2  n^in   •-■  '7ripr;  bz   wi-  -gdi:-  rr-2  rr-'nn  |'"r  hi; 
.rh'ü'^'?  riD~i3 . f "^r.  rn;n  rrnr  2"s'  '?>Dr~'7  72  •jwx'  cl:' 


^  Da  ich  hier  nicht  Hinweise  häufen  möchte,  die  für  Fachgenossen 
doch  überflüssig  sind,  verweise  ich  nur  auf  I.  Elbogen,  Der  jüdische  Gottes- 
dienst S.  515. 

-  Nachdem  dieses  abgeschrieben  war.  erfuhr  ich.  daß  Israei  Friedländer 
ein  ungedrucktes  Gutachten  über  unser  Thema  im  Juliheft  der  Jew.  Quart. 
Rev.  yeröffentlicht  hat.  Die  Verkehrsstörungen  des  Krieges  sind  der  Anlaß, 
daß  ich  das  Heft  bis  zum  Abschluß  des  Druckes  nicht  einsehen  konnte. 


—     212     - 

ano  '"'K'  iii'DN  DN  DJDN  ,N--  ^"t^n  b^hn  nn  pintj'i  y,n.-i  nDi*.  nb'C2  7^n'\i;2 

.riüD  nnDT  :d-i  tJipn  n'pDnn  iiono  onb  ind  did  ni  n'ph 

Verstehe  ich  dieses  Gutachten,  das  gewiß  aus  dem  arabischen, 
und  vielleicht,  wie  es  anderen  Gutachten  in  dieser  Sammlung 
schon  passiert  ist  (siehe  weiter),  nicht  ganz  richtig  übersetzt, 
vermutlich  auch,  wenigstens  was  die  Anfrage  betrifft,  gekürzt 
ist,  dann  besagt  es  doch,  daß  man  schon  vor  der  maimonidischen 
Anordnung  in  einer  Gemeinde  den  Gebrauch  gehabt  hat,  die 
Tefilla  (auch  am  Wochentage)  ausschließlich  laut  vorzutragen. 
Maimonides  seufzt  hier  gewissermaßen  noch  bei  seiner  Zustimmung. 
Vielleicht  mag  aber  solche  Mitteilung  dazu  beigetragen  haben,  den 
konservativen  Mann,  der  den  Übeistand  in  den  Gemeinden  schon 
längst  bedauert  hatte,  zu  dem  reformatorischen  Schritt  zu  führen. 

Ein  anderer  Ausspruch  des  Maimuni  in  einem  Gutachten  ist 
ebenfalls  berühmt  i.  Anknüpfend  an  die  Sitte,  sich  beim  Gebete 
unmittelbar  gegen  die  Wand  zu  kehren,  erläutert  Maimuni,  daß  am 
liebsten  auch  solche  „trennende"  Gegenstände  gemieden  werden 
sollen,  die  zwar  zur  Ausschmückung  des  Gebetraumes  dienen, 
aber  wegen  ihrer  Farben  und  dergleichen  die  Gedanken  doch  ab- 
leitenkönnten. Er  selbst  schließe  vorkommenden  Falles  seine  Augen. 
Gedruckt  zuerst  in  hebräischer  Übersetzung  in  Abudirhams  Gottes- 
dienstordnuug,  ist  das  Gutachten  dann  durch  Joseph  Caro  (Bet 
Joseph  zu  ( )rach  Chajim  90)  bekannter  geworden.  In  einer  anderen 
Übersetzung,  die  in  der  obengenannten  Handschrift  als  Resp. 
215  sich  findet,  ist  der  Zweck,  die  Vertiefung  bei  dem  Gebet, 
etwas    deutlicher   ausgesprochen,    weshalb    ich    es    hier    mitteile: 

noNi  ">  ib  ]2  ycj'in^  '~i  NOTNi  31  -ION  ni  1.1^  m  idn  h"n  'noN  .  nbxtü' 
i^n  ]':ib  ^2'2  fi?in  nh"»  i<bii;  bb^r^b  |^j?3  ioin  ^ü^n  ndn  Nn^jnnn  rh 
rwibr^n  niDiiDn  nL'"'Knn  t-nt  t'bDD  djdm  ,-17.-1  ^v  v:d  in^pin  no^i  idnjk' 

.•N'b   DN   D"''7mD3 

'ob  ]'0'^  -inv3  iHTi^tJ'  nD  -\'pb  ^iprri'^  bbEiri2n  nvn  rao  HDim 
-w  7]]2  NijT'Di  D"'n-iND  'N  u^ii/n  .iMP  n^^yn-  ''D  ni  G^yjiD  niDiiQn  pn"' 
i^iao  brron  in  niDncn  vn^  ii^/ndi  d'^qp-d  irj'.D  p'PDni  v'?n  ^^b  w^n 
:nT  ':b  ny^D  n^Dpa  u^j^j;  D^byn'7  ujnja  qwj  onv^*  nro 
.ntJ'D  2PD1 


*  Vgl.  D.  Kaufmann,   Gesammelte  Schriften  I,  S.  93. 


—     213     — 

In  ganz  andere  Richtung  scheinen  wir  nun  durch  ein  Gutachten 
geführt  zu  werden,  das  uns  erklärt,  warum  in  dem  Raum,  wo  wir 
beten, Fenstersichfindensolleu.  Das  Gutachten stehtinPeerHador 
141  in  Mordechai  Tamas  recht  flüchtiger  Übersetzung,  besser  aber 
doch  nicht  ganz  zufriedenstellend  in  Ma'ase  Rokeach  und  da- 
raus in  Lichtenbergs  Kobez  No.  139.  Da  ich  nun  außer  der 
arabischen  Vorlage  des  Mordechai  Tama  (meine  Maimonides-Hand- 
schrift  I  Responsum  145)  noch  eine  Kopie  der  Bodlejana  Hand- 
schrift Kat.  Neub.  No.  814  besitze,  wo  dieses  Responsum  als 
No.  24  ebenfalls  arabisch  vorkommt,  möchte  ich  zunächst  nach 
den  einander  supplierenden  arabischen  Texten  die  Rokeachsche 
Übersetzung  überarbeiten:  -i"üi;  r\'?Dph  l^nron  mrD'ipJDrr,  ri"'DJD  \n2 

HM"'!!'  iw[']  njii3-  2^-\pr\h  •'?  D''yjts'  ■'q'p  ri"v  bn'^n  üE'iy  n\iii'  v:)D  in^D^ 

l'Ni    G^^tTil^    i;jD    NiriE'    1JiV212    -)"i"'i'"'ü'    'ID     1''iN''7     niHD    jl'Pn    VJD    "iJJD 

-jvü  '-D^^n''  uvai"  ~T  ^i^iJLi'  pDD  PNI  nniD  Tin  ^n  □n:D  nx-nn 
''h  mNIJ  P  ,n':>i"i:i.  Maimuni  will  also  die  Vorschrift  nicht  für 
Synagogen  oder  ähnliche  dem  Gottesdienste  ständig  geweihten 
Räume  gelten  lassen.  Nicht  nur  in  jenen  Gegenden,  wo  ein 
Dach  nicht  so  nötig  war  wie  in  den  unseren,  ist  man  in  den 
Synagogen  ohne  Seitenlicht  ausgekommen^.  Auch  hier  im  Norden, 
wo  für  jede  Kirche  doch  ein  festes  Dach  absolut  nötig  war, 
findet  man  noch  alte  norwegische  Holzkirchen,  in  die  das  Licht 
von  außen  kaum  dringt.  Weiter  erklärt  Maimonides  also,  daß 
der  freie  Avisblick  durch  die  geöffneten  Fenster  wie  nach  Jeru- 
salem hin  die  Andacht  bei  den  Betenden  hervorrufe.  Beide  Gebets- 
sitten stehen  übrigens  als  talmudisch  begründet  in  Hilchot 
TefiUa  V,  6  friedlich  vereint  nebeneinander,  und  als  gemeinsam 
für  beide  Sitten  tritt  ja  auch  gewissermaßen  hervor,  daß  „Tren- 
nendes" beseitigt  wird.  Aber  ganz  verschiedener  Art,  je  nach- 
dem man  sich  gegen  die  dunkle  Wand  oder  gegen  das  offene 
Fenster  kehrt.  Vielleicht  haben  wir  hier  „Palästina"  und  „Baby- 
lon", wie  auch  anderswo  im  jüdischen  Leben,  miteinander  ver- 
bunden. Die  Begründung,  daß  man  sich  beim  Gebete  unmittel- 
bar vor  die  Wand  stelle,  ist  ja  in  letzter  Instanz  die  Gebetstellung 

^  S.  Rabbinowitz,  Dikduke  Soferim  I  S.  188  No.  90. 

-  D.  h.:  notwendig  mit  sich  führt.  *  S.   Elbogen  a.  a.  0.  464. 


—     214     — 

des  Königs  liiskia.  von  dem  Jesaja  38,2  erzäblt  wird.    M«jglicher- 
weise   haben   diejenigen  recht,   welche   meinen,    daß    die    Wand 
des  Königshauses  an  die  Wand  des  Tempels  grenzte,  sonst  würde 
man  ja   auch    auf   andere   Weise   die  Wendung   des  totkranken 
Königs  von  den  Menschen  ab  gegen  die  dunkle  Wand  gut  ver- 
stehen   können.     Der   Brauch,    beim  Gebete    die    Fenster   offen 
gegen   Jerusalem   zu  haben,   geht,   wie    ebenso   bekannt   ist,    auf 
die  Gebetstellung  Daniels   —   in  Babylon  —  zurück  (Dan.  6,11). 
Nun  finden   wir  aber  noch  ein   zweites  Beispiel  vom  Gebete  in 
alter  Zeit  vom  Hause  aus  nach  dem  Freien,  das  ebenfalls  sehr 
charakteristisch  ist.     Ich  denke  an  Tobit  (3,11  und  17),  wo  die 
unglückliche  Sara,  ihr  Herz  auszuschütten,  an  das  Fenster    des 
Obergemaches,  von  wo  sie  frei  ausschauen  kann,  tritt  und  betet. 
Das  Buch  Tobit  habe  ich  schon  früher  als  dem  Osten  angehörig 
bezeichnet;  jetzt,  nachdem  wir  den  Achikar-Roman  aramäisch  in 
einem  Elephantine-Papyrus  gefunden  haben,  dürfte  kein  Zweifel 
mehr  möglich  sein.     Vielleicht  ist  die  Sache  also  einfach  so  zu 
erklären,  daß  in  Babylon,  wo  durchgängig  der  Blick  das  flache 
Land  weit  überschauen  konnte  und  wo  die  Sehnsucht  nach  der 
heiligen  Stadt  die  Blicke  auch  sonst  nach  der  Ferne  zog,  es  eben 
natürlich  wurde,  auch  beim  Gebete  in  einem  sonst  geschlossenen 
Raum  sich  den  Blick  ins  Weite  zu  eröffnen,  wogegen  im  gebirgigen 
Palästina,  wo  der  Blick  —  abgesehen  von  besonders  hochgelegenen 
Häusern  —  doch  immer  behindert  wurde,  die  Versenkung  in  die 
Dunkelheit  der  Sammlung  der  Gedanken  günstiger  war. 

Ich  habe  dieses  Gutachten  nicht  ohne  Rücksicht  darauf 
zum  Gegenstand  meiner  Ausführungen  gemacht,  daß  der  Forscher, 
den  wir  heute  feiern,  gleich  Maimonides  der  hervorragende 
Rabbiner  ist.  Bei  meiner  verwandtschaftlichen  Stellung  zu 
Jacob  Guttmann,  die  es  mit  sich  gebracht  hat,  daß  ich  sowohl 
den  gelehrten  Talraudisten  Moses  Guttmann.  den  Vater  des  Jubi- 
lars, habe  kennen  lernen,  als  auch  Julius  Guttmann,  seinen  ge- 
lehrten Sohn,  länger  kenne  als  die  meisten  Fachgenossen,  dürfte 
ich  vielleicht  noch  hier  ein  Gutachten  anführen,  das  dem  Glück- 
wunsch zum  Jubeltag  besonderen  Inhalt  gibt.  Gerade  auf  dem 
Gebiete  der  jüdischen  Theologie  soll  es  ja  nach  dem  Ausspruch 
des  Talmuds  (B.  Mez.  85  a)  den  Kindern  selten  gelingen,  den  Vätern 
recht  nachzufolgen.     Und  als  eine  Erklärung  dieser  Merkwürdig- 


—     215     — 

keit  wird  u.  a.  g-enannt  "'^nn  rr^PiZ  yz'^.-ü  (WX*  '':E}C.  Maimonides 
wird  befragt,  was  dieses  bedeutet,  und  gibt  eine  Auslegung,  die  er 
gehört  hat,  und  eine  andere,  die  ihm  besser  einleuchtet.  Dieses  6A. 
—  fragmentarisch  in  JQR  XI  548  f.  mitgeteilt  —  steht  in  meiner 
Handschrift  I  No.  25  und  ist  in  hebräisch  außer  der  undeutlichen 
Übersetzung  des  M.  Tama  iu  Peer  Hador  No.  42  =  Kobez  No.  50 
noch  gekürzt  in  der  älteren  hebräischen  Übersetzung  Cod.  Bodl. 
2359  No.  176  vorhanden.  Ich  drucke  diese  ab,  damit  man  teils 
sehe,  AA'as  besser  ist  als  in  der  Tamaschen  Übersetzung,  teils, 
wie  gedankenlos  auch  jene  alte  Übersetzung  verfahren  konnte: 
D"'ODnn  T'n-  iidn  ni-  r"Db  rh^'?r2  iiN^cn  'd  n--  ht^  "o^'py  -^DD-tj*  no 
nNnj.Ti  ,rhihi2  n^yjc:  •■'ni  nnir  idd'^  rhi;h  ~'jj':rn  cn^j^y^  ,-u'p  DD'n 
iN  n"y  jHD  v2Db  n'7ij;i  roj^n  r^23  2'Z''^  cdh  i^o'^n  'rviin  nih  nn  '2b 
UOD  yn:  wV'-ü-'  'O.  Was  bedeutet  TiDSni^'  HC?  Im  Anfang  der 
Antwort  steht  arabisch  üZ^bv  ~"D?  n'^'X:  „Dasjenige,  was  uns  er- 
klärt wurde."  Der  Übersetzer  hat  falsch  "DE?  für  ""D?  gelesen 
und  dann  ganz  sinnlos  übersetzt! 

Maimuni  war  groß  auch  als  praktischer  Richter.  Die  über- 
wiegende Mehrheit  der  uns  erhaltenen  arabischen  Responsen 
bezieht  sich  auf  das  Zivilrecht,  einen  der  Teile  des  Traditions- 
stoffes, der  in  jetziger  Zeit  mangels  genügender  Veranlassung 
weniger  erforscht  wird.  Dennoch  möchte  ich  aus  handschrift- 
lichem Material  ein  Beispiel  der  Tätigkeit  Maimunis  nach  dieser 
Richtung  hin  anführen.  Schon  längst  wissen  wir  etwas  von  seiner 
Stellung  zu  dem  aus  dem  christlichen  Europa  eingewanderten 
DajanPinchas  in  Alexandrien.  Maimuni  belehrt  ihn,  schützt  ihn  und 
widerspricht  ihm  auch,  wenn  es  nötig  ist.  Der  in  der  Christen- 
heit erzogene  Gelehrte  war  naturgemäß  mit  dem  Zivilrecht  nicht 
so  vertraut  wie  der  im  Orient  Aufgewachsene,  wo  eben  in  noch 
weit  höherem  Maße  als  in  Europa  der  Rabbiner  auch  der  Zivil- 
richter war.  Aber  nicht  nur  an  Gelehrsamkeit,  sondern  auch  an 
Gedankenklarheit  überragt  Maimonides  in  dieser  Materie  weit 
den  Alexandriner  Dajan.  Ohne  mich  weiter  auf  das  von  Maimo- 
nides oft  erörterte  Thema  ~"!:)N*  IN  ~"13  einzulassen,  drucke  ich 
nun  aus  meiner  jüngst  erworbenen  Maimonides-Handschrift  II 
No.  1.33 — 35  eine  den  Fachgenossen  ohne  weiteres  verständliche 
Korrespondenz  ab,  in  der  wir  eben  diese  Klarheit  des  Oberrichters 
sich  auf  schönste  Weise  ausdrücken  sehen. 


—     216     — 

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Arabismus  des  Schreibers]  y^Nn  pyct&'  N2]?2TniTDl  yil^  ]CI  nj?  ^i^b  ip'pn 
.1^'?  -'JINI  ]^i}^üb  r\-\jr:^  p'Ni  n2'  Iun  'n  IiJ-  nj^z  p"N-i  [=  ynr.'i 
jiy?2tt'  N''yvL^  ]nn  p  tc''  -üb  hl-)  n"?  in  -üb  nj^n  'b  n""-  sh:!;  ^jdq  ip^n 
nycti'b  "'"b  -icib  Vü''  N'CLi'  "N  NtJ  "vv  "irMi"'Dty  ]CT  ninn  jt:  iD'E'n  "•'i'?'? 
f:";'«]  i\x  ?^^^  n^hü'^  -yi  --''^Jp  Clip  n\— iDtf  •jn^i'  in-üTtJ  n?2ip  ti'üt 

^1'?  'ü'h  "^iT  nnm  üia-in  ir.in  -idiqk'  ^r^'?  Na'py-  "iDcb  iün  in  -ü- 
Di'^tyn  ly  ^JN^inrB'  ^d  ■^hn'?  niDa'?  b'o^  nnN  ^x  n^Dtj'':n  piNit?  -iDiij'n 
'jN"'a'in'pi  ninn  pütj'b  ■nij'-i  npN  pN  icay^  nrN*  ^i'^^dni  ■'?  'r-^^^i/rt^'  icin 

N^t  NJOn-l   -1J2N   -IDCQ    l^jnCN  ^C  HNJ  iN  -ib  pN   iN)    "CN-D'i  ^TH  1^  PN^pj 

••:  ,-NJ-iN  rh  PN  'N  HNJ'N  nb  a'"'  r.n"'DtJ'  ni"-;  'i  ■•yNn  [:v'j  n"2]  Dnn(clel.r'n"'Dii' 

"c  "2N  n^b  -)?2N  NJts'  n'?  N':t'-  IN  r.'-i"«DB'  n':;i  njchi  idn  '\D1212  'jn^^N 
N^n  m^D'i  rr^^^b  w.t  nddd  id?:?:  üir  sb  cy.y  "id?:?:  'nDan  'dt  ^td 
ruypip  ij^d'?^  •  niTDis'  pjy  -ls'dj  ncr:  'rp  pbLibü^:^  N^p  ^nh-  J!"yNi 
ID^D^  ( ly?:!^'  -i:d?2?:'?  nr:-p  nr?:?:i  PNipj  -)2?:r2  pitdis'  ]ct  '?2-\  ]^bi:b'üi2'2 
pii^Dü'  pi  pi^D  iy  ^"ib  mi^Lj'  nD  n^jn  n:p  ^b  ]'^^^  ~2j:ii;D  np'??^-  ni:pd 
^r2-i  \v-i  bnx  .-i\'^':n:2  p^-ni  ni^j?:  r^'-v  n^  p^ycE^^  ''^  '^  it^n"! 
"niD  t>yD  -ün  "n  -ü-i  NJ'iz  1::  ictj'  ^r:  ^^n  nN:p^  di-'d  ]'iycts''?  nn^Dcr, 
PNE?  p-Nn?2  -iDi?:n  ^ib  ]D'^  b2  ^niD  "^yn  ninn  ic  "'P"n  pN^Ki?2i  ^d"?: 
py^E'  -^b  'cNp-  pn^Dii'n  i^^t  □^bz'Nty  -y  ün-:.-  nr-pn  piy"2tj't'  'c''?  b)y 
inN?:"  "1^5  vni^  p"dt-  n^n  •]'■>  ^'2wn  Nbc:'  n^'^r^n^  p^pni  nidjid  PD^y  n"? 
-PN  Qj  Ni""  niDC  'niD  'i'yD  -ün  "^n  -ü-  Njn'p  it  ni"'-i  p-ciy  np\-iJ' 
bti'  N:n  \vn^  ]2^Db'i  N^bi  iii/D:  ü':^  rb'D2  pn^D^'m  iniD  'pyn  Nijp 
pni  "ij-i?-)2  niDr:  p3  n-i^Dcn  n-np  -inNt)  ni'Dti'm  dpd  ypnp  i^igk'  ^q 
"'r:-i2  "'?  pNii*  N~iar2  "isi  nj'iz  "n  -ün  uv  -"J-  njhd  |üd  .ni^  t'yn 
p-'inm  rn''D?2-  ^qi  ^3"'pti'  -inN:^  to?:''?  ib  i^nt  npi'p'p  &o  n'^n  di'pd  pn^DE'n 
iG^iyb  ^n*  nK'?2  ^•'21  d"i-  Tr^'ppr.  ri)-  ncj  "i:'?  □''pd  btJ'  hnj-  -3  -jip- 

NJ'-    C'B'C    ^r^^h   N^L^J^    -131    NJ"'-    •'2N-    N*?!    '?'?D   "T  j^"  '''7  "Nl^  Nt» 


—     217     — 

-)ij^M  bi^nb  n"'?iÄ'D  N"--  p  Nr}''p  i-)"'3n  -ac  by  -jipn  ^jd^  iun  'n  lui 
Nip^i;?:  pn^Dtfn  n'7Ljn  'pboi  lacn  "p^d  n2t  np^.bn  N"n  n-'DK'n  dn  p'd'ti 
]"'N*i  N-Ti  rc^^i  n:"2J  nn-'uc'  yi-i"'  ]^6  •p'?n  i^Diz'nir  pDritm  ]c  -hn  ^dn 
N~i3j?2  rsny  N*?  \v-i  rjn?2N  nm  ijc:2  "^niä'  'Dntc'b  n^btrD  fimt^n  rii 
'?l23'?  b',2'  rr-  ^b  i^  nr'^E'  n:  iy<^h  ~)r:*N  -iD'.ti'n  nnti'  ~\"?2n'3  n^^'N- 
nryi^k:'  -rnsü  N^v  ':'2r2  ~r':p^  ^:d*:  npN  nriN  bionr  T'N"'  "'n'i''::?!^' 
üjip-  nit'  w  w-"  Nt^N  "ijcc  niJN  p  rj':  ':>;;  n^-'jpi  ^':'  niDsyi^  ^'^~ll:!• 
■p'pn  '^7  -i'rüT  'N  ~r'n'::w  ja*  dt'tJ'n  -y  "'p'^n  ^j:2Q  ii^tr  w  i2',ii:''p  -i-z'h 

rriNiJü  Ni~r  NiJ'zri'  ~\2-2  p-pin  nrx'  pDD  ~:2 
3"aT  |^''~r;  |i'2'':  ^"21^3  n^^ 

Meinez.T.direktaus  den  Originalen  kopierte  Maimonides-Hand- 
schrift  II  enthält  in  ihrer  2.  Abteilung  Gutachten  von  Abraham 
Maimuni.  Daraus  möchte  ich  einige  wertvolle  Stücke  eines  ausführ- 
lichen Briefwechsels  mit  einem  späteren Dajaa  zu  Alexandrien  vor- 
legen, durch  die  einige  längst  bekannte  Stücke  erst  ihre  rechte  Be- 
leuchtung erhalten.  Die  Sachlage  ist  folgende:  Der  gelehrte 
Franzose  Joseph  ben  Gerschom  war  als  Dajan  in  Alexandrien 
mit  dem  ahnenstolzen  „Nasi"  Hodja,  Sohn  des  Nasi  Jischai, 
in  Streit  geraten,  und  dieser  sehr  ungeberdige  Mann  hatte  sich  zu 
allerlei  Bannsprüchen  und  Drohungen  hinreißen  lassen.  Unwille 
gegen  die  Europäer  und  deren  Theologie  spielte  mit.  Ein  Teil 
der  Antwort  des  Abraham  Mainumi  findet  sich  schon  in  den  Igrot 
Ha-Rambam  g.  E.  und  daraus  in  Kobez  I  No.  250 — 251.  Jetzt 
erst  bekommen  wir  durch  die  vollständige  Korrespondenz  eine 
Aufklärung  darüber,  was  jene  Antwortenfragmente  eigentlich  be- 
deuten. In  allen  alten  Responsensammlungen  dürfte  es  ja  vor- 
kommen, daß  bald  die  ganze  Korrespondenz  vorliegt  und  bald 
nur  Auszüge,  die  uns  eben  nur  halbwegs  verständlich  sind,  weil 
der  Hintergrund  fehlt.  Über  Joseph  ben  Gerschom  und  über 
die  „Fürsten"  lernt  man  schon  viel  aus  dem  Responsum  selbst; 
weiteres  wird  man  erfahren  aus  einem  höchst  lehrreichen  Buche, 
dessen  Aushängebogen  mir  vorliegen,  aus  der  Feder  meines 
Freundes  Dr.  S.  Poznanski,  „Babylonische  Geonim  im  nach- 
gaonäischen  Zeitalter".  Unser  „Fürst"  Hodja  ben  Jischai  war  aber 


—     218     — 

bis  jetzt  unbekannt.  Aus  der  Antwort  des  Abraham  Maimuui 
lernen  wir  von  neuem  die  Liebenswürdigkeit  des  iu  seiner  hohen 
Stellung  als  Nagid  bescheidenen,  frommen  Sohnes  des  großen 
Vaters  kennen.  Er  Avill  keinem  zu  nahe  treten.  Er  schätzt  die 
hervorragende  Gelehrsamkeit  des  Joseph,  auch  wenn  dieser  an- 
züglich ist,  er  schätzt  aber  auch  den  Erbadel  des  Nasi,  selbst 
wenn  dieser  sich  ihm  gegenüber  vergessen  hat.  Auch  hier  will 
ich  das  Thema  nicht  weiter  beleuchten,  der  Gegenstand  ist  auch 
hier  den  Fachgenossen  leicht  verständlich,  und  ich  beschränke 
mich  des  Raumes  wegen  auf  Veröffentlichung  derjenigen  Stücke, 
die  noch  nicht,  bezw.  nicht  so,  gedruckt  sind. 

Ein  zweites  Exemplar  dieser  Gutachten  Abraham  Maimunis 
findet  sich  in  der  Handschrift  der  Bodlejana,  Cat.  Hebr.  Neu- 
bauer-Cowley  II  No.  2670,  3.  Es  liegt  mir  durch  Cowleys  Güte 
in  Photographie  vor  und  soll  hier  mit  B.  bezeichnet  werden, 
während  S.  meine  Handschrift  bedeutet.  In  B.  fehlen  aber 
gerade  die  interessanten  Auseinandersetzungen  des  Klägers  vor 
der  Formulierung  der  Anfragen,  ferner  die  gleich  interessanten 
Prämissen  des  Gutachters  vor  den  eigentlichen  Antworten,  und 
endlich  die  fünfte  Frage  mit  der  dazu  gehörenden  Schlußantwort. 
Dagegen  findet  sich  in  B.,  was  in  S.  fehlt,  eine  Zustimmung 
von  Ephraim  ben  Eliezer  zu  Abraham  Maimunis  Gutachten  und 
dann  eine  Zustimmung  der  Gelehrten  der  Stadt  Akko,  unter 
denen  jetzt  Joseph  ben  Gerschom  auftritt,  zu  einer  „Tekana" 
des  Abraham  Maimuni  über  Bannsprüche,  welche  Anordnung 
wohl  mit  unserer  Korrespondenz  in  intimer  Verbindung  steht, 
aber  doch  wohl  etwas  später  und  für  sich  besonders  ausgestellt 
ist.     In  orthographischen  Kleinigkeiten  folge  ich  S. 

Die  Klage,  die  dem  Nagid  vorgelegt  wurde  —  im  jetzigen 
Deutschland  würde  sie  vielleicht  dem  Vorsitzenden  des  Rabbiner- 
verbandes  unterbreitet   werden  —  hat  zunächst   folgende  Über- 
schrift durch  den  Kopisten  —  von  S.   —  erhalten: 
y"::'   2-~   ^ÖV    -iZZ-i'i    '2~\r2    'p   ':   '2   r~l~~   p:  [«=-   =n:ar=]  -ii;   n^n^ 

\>:zh  =]   -i^   p3  i^,v  yx;']   ^-iri  Q'.Ljnj  ij^-n  "j-i':  'p'j'D  p  b"^'^  ^^'^-^  =1 
]ü^r'  -r'22  "iPHij":  h'<~\:,n  i^nn  w'-pn  2^>n  cni2N  /o"'ts'N~  niL:y  'jjmn 

irrha^  [-B=a  ^':'  =1  nty 
Dann  fängt  der  Kläger  an: 

n-^y^a  □■12'  ii'hü2  -n-jy  y"i?2  rh  ^z^n  i<h  nnjrj  ^:?2a  ryi  nN"?D 


—     219     — 

-i^N  ]nri  m?2  ^y  pyi;  D'nnn  ^'j-^nt'v:  "n::  px  •'2:>n  wph^b  ^2  ,rh''bn 

ij-3"ic:'n  ]^2'  ':^2'2  'y-z'  pms  hy  ~pm<  p^ina  i:*''n  ]\s'i  bifMif  ''üi<~\2^nnpb      1 

7"n  bv  P  N^  cn^-i  rM-2'7  '^'Dnn  b"!  t^nj-  n-cj,-  ^l^*"  r^  "JN^a'j  nn-.n   ^ 

,^N"iy:'"'  '72^7  rn'.jr:  n^e':^  hto?:  '"'t:n-  N-nn  i::i'j;  ^y  N~)'pi  ,pn^  n^i  ijn- 

i-'N-ii  ■|'?r2  'py  2x  ^r  -'luj^rz  121:  n^-^*:  vh  rNi  iv^'pr.n  n3in  p^ni  t^^  'j 

•  •  •  i 

TN"  'r^22n  n-n^  -n  -r:':  rr^n?:  n:r2r.*  N'^ti'  T'^^^"  '^^'^'~'^"  P^  '^V  ~2'^" 

•nN^i^'Jo  'pN'''?;^:  pi  '^cz!'?  "Lnn:'  nin--  rjiD-  N"~n  ^d  niirD  'oroa  'pn;  "11-3 

'P'bT[p  "^D  yr^c'"  '-  r'~i'2;  ii^"  '^  2T2'r::  -■di  ^"^^  V'^p'^V  hddd  bv 

rr-i^^  •n'^nr  b2  y-oxirb  t^DVK'  "irit)  vm-nnj  t'bc'?  .inj  ^o'?  D"'aDn  'idn' 

'-«M  n'ijnn  1?:  dn  '^  mr,  -n-  np?:  'n^  bN^t'CJ  pi'  ,  wü^-np  p  3py^  'n  ^dg 

-n  n^22   in':'!  ?3"c'  ,n^£1'J  njcr:  n\-  Niiy^  mci'y  ]nD  nnry  jn  -iiy'^N 

ZTD-  -i'rz  N^r:  np'c  -^?2"  ,r-n  nr^D.nn  dn  ">:)  hin"'!;:':  bLi'  Nrto  N't'n 

rxr  N^::':  nn-nn  p-iKn-n  v-'tn  '-  riiL*?2  ^2:2  phn  ni^yi  Ni^n^  n'E'J  ib'n 

n'yni:'  'pe'  pi  P'22  m'tn  i'P':  r""^yo  r^'  W'^  /''n^N  'i  dn  ^2  V3.i  t^y 

pp-  n'?  pi^.ip-1  nn  -rpuiyD  ^2  -ns-n':  n^.  -lapt)  py  .-:  ^52  '7yi   ."inNi 

■T'2''Pri    •J'^^jy    P2    IQTPi    ni2    ]2P:  N^P  'PNIE'"'  pN  b^'  HTti'^  'C^'N")  DJ  lt'r2  Ij'P^ 

N"::'j  r,\-  •'p^dn:  inx'?  r^T\2  n2n2D  pNi  'pN-iJt'i  pN2i  TiDD  ^2:2  1^20  u^  pN" 
-:i2:  11-2  "b^  Nt)  □"'pii''  on  dn  iipyn'p  'in  ■'D2n'p  n2  ^"^  Tr\T\  pin2 

-2'C    N'7    ^2    *J2    'PN   ':!2'   lpyi"i:!?2  'PiN  pimo  niDi:'  N^12/j" ''o'?B'n"'2  NP^N-2 

^2ü:'  i2"'0  "i^i"'  N^2  t:ipy?2  'P2"  '1  cy  cn*2yo  yoiti'  "'2Jn  iji'n  nyiG&'.i 
•22n  piyarDL:'  p"'2  □'?':y2  Nisn  N'72  i^^dn"  ci^nyn':'  cn^-in  '-  cy  'pnilj'^ 
y^nn^  'i'p  p.nyi,-;  'py  VN^t'D:  121  i-i^2ynr  p-2n2-i  p'-n222  np\\-2  di" 
-•pD-r  p-iNM  Dy*?  't'^a  ^j-  •"ip2t'  ."njr2  i2V22n  -^c'pp-i  N'.n  tmv''  dn" 

2N  'z'^2'!n  pp  'wv  "üiyr.  "pin  .--"'jcj'  □2n  p2  jt?  iJtf  Nt?  n~)2y  "•2.1^  nn^^:^ 
l'':2*2  PN  rriDti'  □2n  -"'q'pp  i*?  N?2^p"i  /mj-  -iiaci''?  'PNit::'"'  '72  pz'^n  "riTj 

:;2n    -"'q'pP    piJQ    ]'N~    D2n    ■N   N^C:   -i122'7    "l^'n^i   '7p   '"O   N^D.-i1D2   ip.in 

-:n'  nr  "py  .vü'jn  i2y  cn'  y-i?2  nDD2  -n2n2  ^'^t  twq  ij2-i  poD  pi 
'•■•'J2  HM^i  ■•n"':  inL*  -j-nc  "'?2  m^jK'  "«d  ";a2  ^'nP  D2n  -^rhr\  ipin  uITji 
[t"'  p"n]  K/^pt!  Li'n  pjt;  wSD'TiD-  vV-i2iy  N-inn  ''2  ^n^'  D2n.-i  'pb'  iiihnh  "n^j' 
-Dpnn  per'?  icj'I'd  ^b  12  "»piDpHE'  Py  -n-'y-!;:'  ciy •  -.2  \p-iDpn  nP  ^jn  d:i 
,piri  pa2n2  ^Jr2Q  :^3id  ijw  ^-^rw  12-1  ^by  pN  ^pnDpn  P^dnt  /.yi^  n'pi 
-•a^p  p  '.w  c:  ,N"n  n^c'j  b^'  1:2  p  n^k'J  p  ^2  'rv\  ^S2  idn^  dn  d:; 
2:'r2yD  no2  '2  i^Dpn  er.  ^2:n*  p't-  n?22  ny  D2n  i^n'pn  '?ts'  ij2  p  □"'D2n 
,N"2'7y^  c^/w  Pl^'n  i^ph'?  nipj  f]D2  D^y2a'  intt'  ^pnp'pty  -hyi  -idn  vp^2dt 

^nN    p    -iTlN    pE''?2    DPP^D    -iHn"?    D^I22nn    ^P12vS    'p'ppi    "iTDa   \P1N   Nlpl 

-DDQ'i  .ni'üi  Pia-  n".j  ^-112'?  D"'tJ'"iyi  cno-üi  n"'j^c  PD~ia  "'J2  t'2'7  Nipi 


/ 


f 


—     220     — 

wN^'i  '';2i~i  N^  ""DDJO  njn^i^'  n^  ^:)  cnn-i  D'DDh  "'-■D':'ri  bü'  |r'L2"'D  -"nN 

n'?   DH   D^lV   '^V   ^^  DN'i   /'^'^^    VrUVüD   HTiD   "'JN   j^NÜ'  lOim  hp^   ^"'t'j;  15'"' 

nD  nya  onjn  n"iti'v  pcN  nj  ■>:::!:  v^p2  dj  ,N"n  no  "iDpn  ]wb  lyn^ 
j;db'J'  nnj-i  nj'icti'  d.ic  it»  ■N"'3n'i  aaa.v  tjy  iDnnniz^  inx  D~)n  nTnt» 
□^Dt:'  ü^^  cinn  t'y  c^iid'j;  d^h  21-)  vn'  rnti'vn  |D  r-non  Dinn  th"'  n^^c' 
nin^  N^'  iVDtt'j  ^z:  ^^7  iriH  dj  ,n-i\"",nb  ^12  T'^o  '7t^  Ty^Dr  bv  'pbnpc 
myn  ^k'ni  "^y  t.-iqn'i  niivt'  TNjpi  T-Dy  üt  h^2^'2  ,nmND  i'?  p^'p 
L:yD  ]-  Dl  in  nn-iJ  ii"i  idtjh  n^e'j'?  jn^'?  nai"'!:'  ^d  ':'d  D^tfjyi  cti'jNb 
HD'ND  ijrr  t'N  onn-  rirn  b^nc^^  -jn  -imn  nnia  '"p  p^nn  ■'Jni  n^rr  i'n:: 
UDi  nin  iJi^j:  "jr-N  'd  ^y  -j''jQnJi^*  nnN'  /o^j^yb  rin  -i^qp  n"?  "'d 
□rNün'i  'rb]!  n^b'^^'D  i^yn  -j^jy  bnpn  bv  nnm  ^jn  ]^"i  r"'D  r,vn'7  dhidn 
rinn  pjy  bi^  iJ'i'n  n^i  /T^yn  '^'r^'^"  V^^^  njQji  'pici'Dd  i^dji  unNia  'ry 
D"'D2n  'ncN  pi  ,QDn  cn  'd  bbj  N'k^'j  idtj  ny'121:'  in  inj  "n  njpr  'n  ein 
nN"'L5'j  nmn'  'n  '^jb  ^':'n?:Nn  wni  ,NDnc  d^gdh  ]wb  in  'pdi  i^iq  ddh 
bü'^v:/''  pN  '7K'  ni]''!:''  tni  cdh  n'nti'  nD?2  ~n  mn  t-  r*D  hdo  in'7  •inl:'^'?- 
•JD^  ^i':':!  N"'£i'jn  nn-n^  '1  ici^",  t^'inpn  "o^di  t'K'  un  p  njnn  nac  Ninn 

:n-ü'?Qi  nj'.nD  id  nmr  nb-nj  n'tD"'CJ  n-n  \son  bD 

Joseph  ben  Gerschom   formuliert  dann  seine  fünf  Fragen 
(bzw.  in  B.  vier  Fragen,  im  ganzen  dort  etwas  gekürzt). 

nrn  [B  nin]  idd  nr  nii;2  c'Nipjn  □w^ti'jn  bj  dn  n3irx"l  nbxr 
PN  'ryn  nvjy  ^^b  "t   .n"?  dn  n'DbnD  n^un  "n  nnir^  nin^n  N^tiu  "cd 
NnLt'n  jj"'Dpjn  nt»-.!  •Li'Ni  nvnb  njiccn  dn  ^d  oyn  'i^ii^b  nn^m  triDn 
|jncN-D  jj-'cpiQ  N^  rv'?;  ''ifNi  "'JK/'i  mcbrn  [B  ropr]  Njpoo  ^dd  -'yt2 

:^'rh  nnD-  ^je/  i'n".  mnb  -hn  idi 

-l-'pDn    V'P^DN-    u-irDD    DDP    n^C^PP    PmJ^    DDH   -N  N^K'J  t'D'"'  DN   ,  rf^jf 

-'nbr]  ijnoNn  -.^''?y  iDyi!:'  nn^nyo  d-idd  "'Dny  n*:?  pynn  "'d^-  "D  [B  n^opn] 

-  iDD*?  IDim  bp  N'DniDD]  DN  1  (del.  ^"t^'nDnD  bD)  'PIN  p-JQ  PN  [B  niDU'  DDP 

[B  DN  DJi  ynon  iqdd  V'iai  i^n  u^di*.  ijmo  ]iN:in  poD  p"i  DDm  N^tfj 
NPQiZ'D  "'hTb  nD.i  """'N  NDinN  'qn"   inn'j"  DDnn  itHi  nn^ji  N"'tt'Jn  iDy 

-ID^D":    -IIDD    n^DH    Nmpr    ^Q    ,n''tr^bt2?      :jitJ'N-)n    'N    ^m^J    piHNn    ^m^J 

''JE'D  "':5HN  PDNPJ  N^ty  iD-D"  PD~)L'  bn/  u^Djn  ''-^übv^  'piÄ'  |PD"'?D  nnN 
Dxn  rr'''0  nnN  ddp  TOt'P  pb  Niip'  C'"''^  ~^^'^''  ~'^^'^'  —  '"^^  Dnn'D  Dny 

:',:-'-  na  iiIn  p  i'in 
•iN  [B"'Jm"']  ^Oi-i  njmti'  "«Q  b:^  Dnnn.  D^n->n  pn  '^bpif  'c  ,nT^n'n 
DPiN  nüD'i  mao  niE'y'pa  D-'Din  DDyc"  dddd  ddh  n'?  ^py  "iiddjc  ^-dil' 
D^jiDon  nnm  ^:n  ^-^ipnLr  Dinn  '7y  ,n^r^i::n    .'J-n  no  D^^nn  ^D-no 


—     221     — 

ijiv  -T  b2  bv  [?]  njnan  "'ji^-  cy  p]^n  n-i^rnt»  ^'\v  cnu^y  •DnnnK^  Dim 
tlJ'n  aniDN  -ij-Di  Dnn  iJI'JJ  ujhn'?  nb-ibn',  .Q^otfn  ]d  ^.dd  n^t^'i  "j2-i 
,nQiDN'  ''b)}2  v^y  iioN"«-^'  ,n"iLy::"  -ddp  ^D'i2''i2  irD'Q  ,nnirn  r'ptrt'ia'D  Nin 
'p-2  "jr-  IN  ,nD-'nb  xnDo  'jti  ,N'r^Q  N^jD^Dn'  ,nD'on  'pli'  nynT  n->DJ  ^d 

Darauf  antwortet   Abraham   Maimuni   zunächst    einleitend: 

'2  p  DHiisN  ijji-N  ijni'  ".jirD  r'pyc  rip"'  'p  'j  'd  d-l^'-i^*  nnii&'rn 
::'nbNr;  rw  n^'r:  n'^DiQH  n^nn  ijjtin  'jn-ii  ij^q  rir'o  p-indh  'p  'j 

.-"22  irn"j"2  Nnn 
7-12-    bi!   \— ^-'^y   Snjan    riycn    r'~~   ''^'~^~   cD^nn    ^j-'v^-x* 

^b  DnNi  'iD"  i:Ds^'?22  c^JD  niDn  n^  'DiN  nir^m  pp  ]^n  ^nj  ]^3  cin'? 
nnDi^'aQ  '<n^2  ry>D  D^p"'  niz^n  i^un  iddjh  n^-^'JH  ht  '^^n  int»  *j"'Jd'?  croj^:  \ 
c'^-,  ip:  D-N  -Qyyn  N'm  D"n"'  rt'cj'^K'  nw'^j  (del.  d^j-.nj)  idji  d^^*??;  ]''j  n^iij  1 
\-^i:'y  mT  "':dd"i  n:"'m  .-i?23n  "i2  tj'^i  c^a^n  pn  b-^ry>   'i-iN2  nyict:*  1'?  i 

y-.iJT    nN?:    N2N    11-i    Cnon    Ti'^GJ'i    pN    ll-^    ""J-IJa'     "'Dil    ^DD    'T0D3     • 

pNH  ]D  x-^'v:'  "^\v  \'"noNv  'T-yn  rrMr::^  'j'y  \"-a':5yn'  nn  ibna  ^jnt 

□"'ID'n    ""P   '.DIN    Ilt'ND'.    ,VJD'7    CI^DJI    Ü'31    INH^    ItfND    "IiDDi    □l'pK'n    TNIH     ^ 

'•zoN  by  n"3p,-i  cnniÄ'  -y  d^31  ■y--' ■  ry-'K'  -?2  '7d  üü'?  ynwi  i'.qn  njd  j 
iiriM  rDDDHD  D-iy^pn  annDjn  n^j^nn  nrN  aD-f  b])  cri]}  jpTi  ~i''yn 

ND'^'Di    ny-"'!^'   'DD    iDyD    12'pW''    □!&•-    N'L^J.l     HT    DyD    Cr^DDH    by  T:DDD-"i 

nrn  'riN  "TiWIi    -^TiDD  n't-^  D-i'p  ""'jd  Ti^Dpm  'p^n  "td^i  "ub^N  run 

^DDH    '^y.    -■''7y   •IDl'^D'    DK?D    On-LJ^D    bbpbo    'O'it:''?   l'DtC"'    N^T    'DyD  "^IJ!   iD'? 

ysr  i'7Ni  \-yy  yct:'  n"?'  \-i'?d''  "'dd  'P'n  TLopti'n".  niCNti'  'dd  rsii' 
D^jpi"  D^DDn  n:n  nrN  ^N2i^•D  ^ay  "rnp^'i  'H^d  -idd'pt  ib  diü  hm  TL*y 
N*?!  n'^-)  n3-  u"ip:j'n'7i  li3'2'2  whi^  b^L^rh  ip^d'?  vbt<  ^rjbn'  D^D't^'m 
p'yiDi^*"  TD'-ri  PiD"in  VDD  N-iain'  loyDD  f]^D'.m  'PD-'ts'D  -ay  n':'n  pl^i 
□N  ''ü  z:'''n  Pt'tJ'D'  lOyD  CL>-\-ib  ^jiai  jw  "'d  DPa^"?  iJP\i  n'?!!'  □nn-i 
-y  Dy'ü  N'n  cn'i  ,Ci^d  in^jQ  n^n  'ouy  hddc  uw  n'.piz'  "D"y"N  nb"'bD  '.idd  'pi^'d 
□;  nj^DPi  bj^n  "iifjN'  PDDnn  ^'7yD'i  nNi\p  '''^yn  "•jdd  'pi'p-iin'?  'i^uy'?  cij  -m'.v 
'7"':'i'?  ij'?  "j-ny  HD'  •ij\~N-)^  "j~n  n"'jj  n^i  "j^-yia  'jhjn  Näj  ttb  pNn  ■'oy  ^jdd 

!Ti-l3"in    'Py    'PayDi    '.OyDD    ■'PNJpLJ'   D"yNi    IP^D    IiDDD    D"'D"n    iJHJNi  'TDDD 

ijiiab  nrND  Q'Dn  p2  inniD  n\ni£'  dl^'H  '^ibn  '^y  "ü  "-p-iyri  'pdd  "nu"'!:' 
■ij"nc''7  D"DyNi  Dl'?  -iDD  j-^pyiP  jw  cct^p  ^i^H  ii'''i:'  Dipi:  '^d  ij"'p~np  ''p^r:;r2 
n"DpM  nnnN^  ^b  ^h  pvD  loyD'  PDipc  p^''  nnit  bNCK'  nhp  oy.y'?  b'"! 
ijD-ipa  jDNn  d'?  "i-'D^i  v:Dbü  pdiu  nayD  q'pid  'pn-ilj'"'  ipn''i  'ijpp^i  "iJ^jpp'' 
b2^p  nPN"   iD  [>v^  'y]  -i"'Dpn  ii-dde'  ^b]}  '7Dip  n'p  njm  ptt'D  2b  ':b  in** 

Guttm  ann,  Festschrift.  lO 


"    —     222     — 

□PTui'''  N^ti*  üT2^r2  'p:  ^JN'i  ,rD^y  •':D::n3'i  ■]\'~'nN2'  "z  TDpn  Nina'  ''by 
1DD  onn'  IN  n-j^K'  n^v  nun  "j^n  NiHct'  'i:'-!  ddq  -hn  bz  tt'p^T.  udk'dz 
',D'in^3  N^cs'j  ^'iip  Nim  tJ^Nin  "tDt'3  i:oq  '^n-üU'^  "yo:i"i  ns.n^a'  ''üb'  ni.'T'yi' 
r.Dia  "'ii'jWi  in  -i^Dpn'7  b^nrr]  N-nti'  yiv  •JNts'  rcvs-ni  id'pd  -i-  r^n'7 
ry:2  nn  ]'0i<  njo  ^t?  y^jn  "üpd  /rDii'  nrNt^-  -nnyT.  ri-Dpn  -^22  n^o 
it»  iDnj  ir'N  mtJ'Di  ip'n  dh'n  .thlt  -ihnot  pn  rvn'?  ^by  'iQ^ddh-l:* 
,nD^a  ^oDnb  N^i  thi^n'p  n^i  it'  p'r  t<b  &o  nv^  pn  nynpjK/  "i-üyn  3^in^ 
]j\v'  D^mby  D^ODn  iiycj'  ^dd  rvnb  i^inDb  ^uv-n  wp  n^  Nip^t:'  ^N'p  Nüif'.p 
y.D  ^2h  m\tt  "UDn  nir^T^^  ryn  n"-  n:n  ^t»  -::n  rr-h  1'^  n;  "121  D^nb-y 
•i^vD  E'^'-in  •'JN  ]'N'  T'N  ~:y  'r^^v  nt:'yr  n^i^'d  loyD  ry^^  \~iN  nii-*" 
□^12'^  □K'':'  n'^iz'  "i'üan  'py  nipi  ncw  'rb-a^n  ^Vy  1:21':  ':'Di^  no  n^b^riT] 
-lavS'T'  'tdv  n^  N'ts'^  \~-yn*^o  yazn  nnx  t^cj  -n^'  "■rnpb  'i2DZ':2  Ti^n 
rn2  bs•^z"  ^"^'7N  ■n'7N  r-nnyn  Hpiz'D  ^jn'c  n'^n  'by  cnnx  n^i  nih  n't 
pNji'  Dnn-!D  HD  Na'^D'  riNinrii'.-i'  r^yn^n  nznr: •  td:  ^22-  ^zn'?  tJDD  'icti' 
NPN^t'yD  ^"p^a  ^Jn  ^2  ^di  n-y^  nh^'  -^'znn  c\-2r2  -Z2'  cnn  ^rroro  ^:n 
rü^ii/rn  ^bn"  ii-^d  ^-^e^c:'  r^ti'^'-  b])  z^to  ^djn  nj-'  r^üi2  ywTC 
■  tr-i^Ncyn  Q-np  im-  p':'nr2  imr  iin^Dr  v:  nniiiT  nNsr^ 

Dann  geht  er  zur  Beantwortung  der  einzelnen  Fragen  über. 

I.  lasse  ich  aus,  weil,  wie  schon  oben  gesagt  ist,  diese 
Antwort  längst  in  den  „Briefen"  des  Moses  Maimuni  und  da- 
raus in  Kobez  (No.  250)  gedruckt  ist.  Ich  bemerke  nur,  daß 
der  Text  in  B.  besser  zu  dem  gedruckten  stimmt  als  S.,  in 
welcher  Handschrift  sowohl  eine  Bemerkung  über  die  arabische 
Titulatur  Rais  (Kobez  I  Bl.  50  Col.  b)  und  die  Schlußzeilen  50d 
von  Zeile  7  an  "\Z'\  HUT  fehlen. 

Die  Beantwortung  von  Frage  11  lautet: 

in-N  riJO  I'N  '■■'J  ^'bv  v^'T^z'  ni"2y  -.zy  i^'dn  ''22n  'r^^-, 
]:T\r2  ND^ia-  Ni-rjN'  i:d^q  N2iyaD  [^'^  ="^  'yi  «">'  ="J  ='"=s]  n^qj^  pnoN-z  : 
N^.  [B  n^D.-nDD  -r-N  y-i^  ]\s'  n^ot^-  -^?2^r  t>  ^o'T  " 'J^']  n^dj^'n'  .Jo^n  n^t 
]-2  CN  N^N  '?2Dn  'br  p-:?2  jw  □t'iyb-  □"'au'  iinr?:  c-'i  -kg  --gd  f^p-y 
pr-iyn  'fnD  n-hc'  :nnN  n>JJ-io  r'^''-\:iz  '^7\m  pj2  ,  ■-•  t'y  n^cc'  cti'  t'^np: 
^DT  n-"n^  ^31  n^-cKH  .-i^:y?3'iti'  ""Jd  vini  jj^ii  Nniii'  nm-hd  nn  NL-i^r-. 
i'D'^pn'i  njii'cn  •'CDnn  "j-ni"  2nb  i-üd  pp'^'n  pN  cli'-  yi':'n  '^^\l'  cipr: 
-i'-iN  'N  NPD^'  ]r^'7'^  'm":2  n^  r;-iy.r  nD^::2  :::2a  i::pn  lö^^  anr:  '^M^nt:' 
-'spnts'   IHN   'am    'ct'P    P'-:r.   y-ap":   nx-:'?   w   cDn'r  pn   p:   ^d'?- 


—     223     - 

C'QDn  -'■abrii  ni^jit  ]2'~d^"  -2  TDprri^  px-  "aya  -hn  niin;  idd  d 
[B  pnü-  pNjn]  i^'TD  ~i^•^fD  pN.-  ayt?  Npi-  ^'-"'j  t'iT'ji  'n'2D'?  mjD 
-i^Dpni^  D^D^n  'a'?n  hns  yio  -i3D3  niin  "iiD^r,  rrobn^  y'ar  nND  n3n 

cn^jci't'  -i^üD  -j-i-D  t>'nD-iy  '-D  2^yj.-i  id^d"''  n^^no  r^Tiü  K'pn'?  'n.N  -y'JD^i 

:pNn  ^oy  -jdz  n'-dh-idd  n'?  nyja3"i 
Obgleich  die  Beantwortung  von  Frage  III  schon  gedruckt 
ist  („Briefe"  und  Kobez  Xo.  251).  lasse  ich  sie  doch  nach  S. 
folgen,  um  einige  Abweichungen  von  dem  gedruckten  Text,  der 
im  ganzen  mit  B.  stimmt,  zu  geben,  zumal  da  diese  Antwort 
ganz  kurz  ist,  und  schließe  daran  die  Antwort  auf  IV. 

TN  jiDiD  "iTu!a  'n'-2nb  Ni-,pn  nziizTH  ly-^  □■-^D'^nr;   -Jüp  öt  im 
r'p'^Q.i  }D  ~iiü!D  Dk^•::  N't?t5'*i  n^y^-^.v  np.'?  n'^:^  n^nn  hn  '?'?p?3m  n^yD-iN- 

D">'N'    nNinm   !2'1V3   N'PN  mp'PD   JW'    C^J'-.-   -.NIiC'    iQD   ir*N  -id^"?    ■'init 

TN  nnan"  ,::'?yjn  p  h'^tid  typ^"'-,  iN^na  Zil:'';:'  "y  NDinn  id^^  ^ini  p 
tJ^pon'  D^DDn  "-'o^r.  n3",r3!Z/-!yD"'^c:^"i-i''.-i3"in  n^^.  [Bo'p^y'?]  pbn  'h  p^fD^DD^ 
]cyy'?  p'jviy  po-i",:  cn  ügd  □"'jnnib  nnh  '"n  ,nnvLyn  D^yc  a^nin  tn 
1*?^  üDst'-n^ii'  -latTD  L^n-oQ  N'rn  ,'^d:  niiao  idik'  ■j^i^-'p-i  i^d  idie' 
"iD'K'ia-  -pDn^-  -fii'jo'i  iNDDD  -Q*y  HM  'n^n  ''^r  r.Nn  nMts'3  n"y  n-nn"" 

:noN3  i^rz'  x'Z'i  N",n'  *~"":'i  *2-!  :b  N-np"  nan 

.VDDJQ  \-.D-ii-  IN  [B  •jiV]  ^c"~i  -j.-"'^  '0  nnn.-ii  'pb^pt:'  'q  "py 


nnnvirn  l^r^^^..-'"?/^  ^ 


'-?2N  CN  ,.~p-i,-  nt:'y"K;  ■•q  t^y  □"'in-'i^'  "a  j-z"  --T  p2  ::'~Dn  "Ntr 
nicjD   t^nD^-D  ^n*:  a-i".-!  Nins^*  ^m*:  "■~i."  iJ'n^  ^a  [B  --jod]   rrnjan    ' 
i"2Nj  HQ  ND''-i-iDn  ^jwp  ^DNi  NiDJ  Nuim  i^^'p^  p  i^yoti'  -)"-  Hi^'yan 
^72  'N-n   -3'u  "i^  pnnn'Pi  innct^"!  iriN  iin'p  msjati'  man    n'^'y   r\i2!22 
i^L^'r^b  n-rn"  n'Pp-  ^h'^mj;  rr^i'z  •.aäy  "^'Dn  ~t  cnn  onn-E' 

Hier  folgen  also  in  B.  die  Unterschrift  Abraham  Maimunis, 
datiert  13.  Adar  1545  Sei.  und  darauf  die   oben  erwähnten  Zu-    M\J/\£i'V^i^^-(. 
\  .  Stimmungen.     Daraus  erwähne  ich  nur,  daß  die  Gelehrten  Akkos  -*- 1-4-    ^X^ 
1 '  präzisieren,  daß,  wenn  zur  Lösung  eines  Bannspruches  eine  be-  _r^  _    ^'M^" 

^     sondere    Geldbuße   beansprucht    werden    sollte,    diese   dann   nie  'M/^^V  'V?   i-T^t  m 
dem  Bannenden  oder  dessen  Beauftragten  zufallen  dürfe,  sondern     ,  ;.>;\  'Ij 


—     224     — 

ausschließlich    für    die   Armen    oder    die   Synagogen  verwendet 
werden  solle. 

In  S.  folgt  dagegen  noch  Antwort  auf  Aufrage  V  mit  ab- 
schließenden Bemerkungen  des  Respondenten. 

tj'jiyn  p  G>'n  '^^ijn'yi  nr^n  nnib  inm  tiw'in  hd  hj^l:  -d  Ty-r  s^ 
bw2^^  Dr^K'y  c^jcn:  d^i^^jn  nnriN  ^do  'oyaci'  i^i'ND  c^nn  'py  cnry  "nL!:' 
nn  iiN  "iN  np-iy "i  nnu  n in  gn  'b  ipoD*^'  ,  i^on  r ii'n  ^y*  ,  dh-'^d  ^n~*^* *  :"::?2 
liDDH  CNi  ,N^jn  N^"a  vv^jr  ^^ND  ornDN-  -^112  crx  ornD-'n  n':'  ■r<2' 
bi!  -\D^  npb^^  \s'~)^^  i'D  "D  yatj'-'t:'  ~im'?  "•  iN  cinn  rnnn  'py  -iDiZ'  p'DDr 
n'PDi  imiy  Tyn*?  d'''7l;d  vj*-  jm'?  n::r  ^lJ-jd  nm  nD'ny  nj^"2  =•:'-.- 
rr'by  np^*?  "ini?^  ninn  n^rn  ^di  n'ppQ  idn  'n^iVi  rnyo  ^d  v?2'*3  rupi^ 
-i3r  n':»!  nnv  maa  irnrn  cn  ]'ui2^'  r^"  i-'^"»  i'^  V~  njw^:'  ':d":  ~rt:' 
nn^n  .-naai  '^^N'n "  inuv  i\--t'  pN  rüiiü  njw  CiV^  nn  id2'  uz'  bti'u."  pz 
n'?  "ininn  bij  ot^'n  ■jd'pc  c^':'3po  arN  ~)2ii/  ,^:'v^i  p  nyn  'p''b*T?  T^r" 
,r\2i}'i2  Ditf  HD  DD'''?y  pNi  DK'  '7i'7ni  H^Dy  i2  ]L'^z'  n^in  p  p,':'^  ^zr 
tö^f  -"-nb^  -lyui  "-j'yD  nii'ptt'  pm  -y  ■''^y  n^ü  n'7-o  nnv^Tn  rN'r  "hn- 
^■pDD  itj  n\T  N^L!''  ,7ri3N'  Tit'yD'i  -jn^y:"  'nzjn  '^b  Pm.i  -'i^d  -^  -•-- 
D'-iHN  iTiyn  Dy^n  ':5DvS'  b'-.)n  -r^n  i'üDi  iDin^  rt'yr:  '^b  -u2d-  ]^  D'^dd 
T1DD1  M'2D  n^n  noDnri"  nyin  ^jz  rw^  "rayt'  yoLJ'  i^n"!  miN  pb^iia 
'^^Dnt»  Hinj  N*?!  ^Dij  N*?  n^^b  '2~r2  ic'"'  na  yai^'  'iJWc:'  ""iHN":"  ,t*3 
DiiD  D^yjn  ^2  yi^tJ  nn^j^y  ntr '  ~it:o  ^'p  t'Nntj"  b'?  ir*  dl:'"  ^r'z  -'2z 

:py"i  M^  pi  -i'^n  ]^üb  ~ii;d:  bni  p^^  bn  -c^bx  '"'  tn  h^hn^  -yni  22':> 
:'ypTy'T  HiJ'Q  n^3  Dn-)3N  ^pd* 

In  S.  bemerkt  der  Schreiber,  daß  er  seine  Kopie  gemacht 
hat  aus  der  Handschrift  des  anfragenden  Gelehrten  und  aus  der 
des  Respondenten,  „des  heiligen  großen  Nagid,  der  in  Ehre 
ruhe";  diese  Festschrift  soll  dem  Jubilar  zeigen,  daß  wir  dem 
Lehrer,  Führer  und  Freunde  wünschen,  noch  lange  in  Ehre  weiter 
arbeiten  zu  können. 


IV.   Zur  jüdischen  Geschichte. 


I 


iÜ 


r)f^ 


Etwas  von  der  schlesischen  Landgemeinde. 

Von  M.  Brann. 

Seit  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  gab  es  in  Schlesien 
keine  Juden  mehr.  Nur  ein  kleines  Häuflein  saß  noch  in  Glogau 
und   Zülz.     Als   freie  Männer,  unbeschränkt  in  ihrem   Erwerbs- 


■  7 


leben  und  unbehelligt  in  ihren  Glaubensmeinungen,  waren  sie 
vor  fünfhundert  Jahren  ins  Land  gekommen.  Wie  eine  wert- 
lose Nutzung,  die  für  ihre  Gewalthaber  nicht  mehr  einträglich 
genug  war,  und  ihres  Glaubens  wegen  verhaßt  und  verachtet, 
mußten  sie  zum  Wanderstabe  greifend 

Aber  schon  nach  wenigen  Jahrzehnten  änderte  sich  das 
Bild.  Vor  dem  Greuel  der  Verwüstung,  das  der  Dreißigjährige 
Krieg  heraufbeschwor,  verloren  die  teuer  erkauften  Privilegien 
der  Städte  und  die  hartnäckig  festgehaltenen  Beschlüsse  der 
Fürsten  und  Stände'^  jeglichen  Wert.  Die  Kriegssohäden  gingen 
damals  in  der  Tat  ins  Ungeheuerliche.  Am  29.  April  1630 
berichtete  der  Reichshofrat  Dr.  Justus  Gebhardt  an  den  Kaiser, 
daß  ganz  Schlesien  „durch  die  vielfältigen  Kriegs-  und  anderen 
Ausgaben  äußerst  erschöpft,  aller  Handel  und  Wandel  verderbt, 
das  Geld  ganz  aus  dem  Lande  und  keines  wieder  hereingebracht 
sei  und  also  je  länger  je  mehr  ein  jeder  Fürst  und  Stand  ad 
impossibile  reducirf'  werde  •^.  Wie  entsetzlich  es  im  einzelnen 
aussah,  lehrt  u.  a.  ein  Verzeichnis  aus  dem  Jahre  1634,  welches 
meldet,  daß  allein  ,,die  gesamte  Herrschaft  Pleß,  dero  Land  und 
Städtlein  um  all  ihre  Barschaft  gebracht  und  über  dieses  die 
armen  Leute  dermaßen  geängstiget  und  bedränget  worden,  daß 


*  Vgl.  ßrann,  Geschichte  der  Juden  in  Schlesien,  S.  201. 
^  Vgl.  Brann,  Geschichte  des  Landrabbinats  in  Schlesien,  S.  A  ,  S   2. 
^  Krebs,  Rat  und  Zünfte  der  Stadt  Breslau  in  den  schlimmsten  Zeit' n 
des  30jährigen  Krieges  (Breslau  1912),  S.  27,  Anm.  7. 


—     226     — 

ilmeu,  was  noch  irg-end  an  Viktualieu  übrig  geblieben,  vollends 
ausgepreßt  und  sie  noch  dazu  gezwungen  wurden,  Geld  zu  er- 
borgen und  ihren  Peinigern  zu  contribuiren."  Dort  allein,  in 
diesem  südöstlichen  Winkel  Schlesiens,  belief  sich  der  Schaden 
auf  251066  Thaler  33  Groschen  und  6  Heller  i. 

Um  die  Regalien  der  böhmischen  Krone,  zu  denen  das 
Recht  der  Juden-Aufnahme  und  -Duldung  gehörte,  kümmerte  sich 
angesichts  solches  Elends  kein  Mensch  in  diesen  friedlosen 
Zeiten.  Daher  saßen  bereits  2  1628  Juden  in  Myslowitz  und 
Glatz,  1630  in  den  Breslauer  Vorstädten  auf  dem  Elbing  vor 
dem  Odertor  bei  den  Kreuzherrn  mit  dem  roten  Stern,  in  der 
Tschepine  beim  Jungfern-Gestifft  ad  Sanctam  Ciaram  und  bald 
auch  bei  dem  Kretscham  zu  den  eiif  Brettern  auf  dem  Grund- 
stück des  alten  Judenfriedhofs  vor  dem  Ohlauer  Tor,  1634  in 
Neiße,  1635  zeitweise  sogar  in  der  inneren  Stadt  Breslau,  1636 
in  Deutsch- Weichsel  (Kr.  Pleß),  1Ü37  in  Teschen,  1640  in  Pleß, 
1648  in  Oppelu,  1650  in  Brieg,  1654  in  der  Herrschaft  Oder- 
berg, 1656  in  Beuthen  O./S.,  1657  auf  den  Barawischen  Gütern, 
in  Bramstwitz,  Windiseh-Marchwitz,  Nimkau,  Kl.  Öls,  Radaxdorf, 
Raudten,  Schmograu,  Städtel,  Steinau,  Winzig  und  Wohlau,  1663 
in  Ohlau,  1664  in  Bielitz,  1674  in  Brankwitz  und  Nicolai,  1676  in 
Wartenberg,  1683  in  Namslau,  1684  in  Pardewitz,  1686  in  Tichau, 
1688  in  Dyhernfurth  und  Sabor,  1689  in  Dombrau  und  Trachen- 
berg.  1693  in  Woschütz  und  1694  in  Bernstadt,  Hünern,  Mittel- 
walde, Ober-Glogau  und  Sohrau. 

Durch  ihre  Fähigkeit,  mit  geringen  Mitteln  Handel  und 
Verkehr  zu  heben  und  jeden  nützlichen  Erwerb  zu  unterstützen 
durch  ihre  wirtschaftlichen  Tugenden,  ihre  Arbeitslust,  Nüchtern- 
heit und  Sparsamkeit,  empfahlen  sie  sich  den  verarmten 
Grundherrschaften  und  wurden  überall  gern  aufgenommen  als 
Pächter  von  Brauerei-  und  Branntwein-Urbaren,  von  Bäckereien, 
Fleischereien,  Mauthen,  Zöllen  und  Pottasch-Siedereien,  in 
Dyhernfurth  sogar  als  Nutznießer  des  herrschaftlichen  Druckerei- 
Privilegiums. 


^  Acta  publica,  herausg.  vom  Verein  für  Geschichte  Schlesiens,  VI,  335. 

'  Vgl.  im  „Allgemeinen  Archiv  des  Ministeriums  des  Innern  in  Wien" 
1\  .  T.  1,  den  Bericht,  d.  d.  29.  März  1694  und  weitere  einzelne  Nachweise 
aus  Breslauer  Akten  bei  Brann,  Geschichte  des  Landrabbinats  S.  2  ff. 


1 


—     227     — 

Nur  selten  wurden  sie  durch  die  gewiß  teuer  erkaufte 
Nachsicht  der  Grundherrschaften  in  größerer  Anzahl  geduldet, 
wie  z.  B.  in  Ciessowa\  Dyhernfurth-,  Kraskau'',  Langendorf*, 
Nicolai  5  und  Städtel^.  wo  sie    sogar  Friedhöfe   anlegen  durften. 

^  Hier  stammen  die  ältesten  mir  bekannten  Hebräischen  Urkunden, 
einige  handschriftliche  Gebete  beim  Herausnehmen  der  Thora  an  den 
Feiertagen  (>'"ii'm),  aus  dem  Jahre  1705. 

-  Vgl.  meine  Abhandlung  „Gescliicbte  und  Annalen  der  Djhernfurther 
Druckerei"  in  der  MS  1896,  S.  518  f.  Der  Grundherr  war  damals  übrigens  nicht  \\ 
Herr  von  Glaubitz,  sondern  der  Graf  von  Jaroschin,  vgl.  Herda,  Dyhernfurth, 
S.  75. 

^  Hier  kaufte  am  22.  Februar  1765  R.  Meinster  b.  R.  Salomo  von 
Kraskau  (»aipSNip)  „im  Namen  alle  Juden  Schaft  in  Kraskowe"  von  der  Oom- 
mende  Neuhoff  ein  Stück  Acker  zu  einem  Friedhof  für  einen  Spezies-Dukaten 
und  hatte  dafür  jährlich  auf  Martini  an  die  Grundherrschaft  einen  Taler 
und  außerdem  an  den  jedesmaligen  Cummendator  sowie  an  den  Pfarrer  von 
Kuhnau  je  „sechs  Stück  Taugliche  Schnup-Tüchel"  zu  zahlen.  Im  Jahre  1835 
erwarb  die  Kreuzburger  Judenschaft  durch  einen  von  3  zu  3  Jahren  ver- 
längerten Vertrag  das  Mitbenutzungsrecht  des  Friedhofs.  Zwölf  Jahre  später 
ging  dann  die  Gemeinde  Kraskau  in  die  nur  ]  km  entfernte  Gemeinde 
Krouzburg  auf.  Die  Synagoge,  Schule  und  Tauche  befand  sich  auf  einem  be- 
sonderen Grundstück.  Die  Gebäude  wurden  aber  durch  Brand  vernichtet, 
und  das  Land  war  bereits  1856  als  Garten  verpachtet  (Akten  der  Synagogen- 
gem. Kreuzburg  betr.  Grundsachen,  fol.  1.  7.  9  ff .  29). 

*  Vgl.  unten  S.  244.  Anm.  1. 

'"  Die  erste  Erwähnung  des  Friedhofes  finde  ich  in  einer  handschrift- 
lichen Eintragung  in  dem  Exemplar  des  in  Oels  1530  gedruckten  hebräischen 
Pentateuchs,  das  jetzt  der  Bodl.  in  Oxford  gehört.  Sie  stammt  zweifellos  von 
ehemaligen  Besitzern  des  Buches  her,  von  Mitgliedern  der  Familie  Singer, 
die  seit  1637,  bezw.  1640  in  Teschen  und  Pleß  saßen.  Ich  setze  sie,  obwohl 
nur  der  Schluß  sich  auf  Nicolai  bezieht,  vollständig  hierher,  weil  so  leicht  nie- 
mand, der  sich  für  den  Inhalt  interessiert,  wieder  in  den  stillen  Winkel  kommt, 
in  dem  sie  zu  finden  ist.  ai«  pn  (:=  30.  XII  1682)  r;2ü  rri  n  m»  n^n  ibn  j'an  njipn 
'::7  c»'n  ,"ipa".:'i  nna  c>"732  n'.i  yjn  nwa  Tnns  e^^'^ar^  »j.-rt  rwjn  yno  nn  mo  nyu:irt  »nai  inn 
•i-M  '.T  '?»'72  (d.  i.  Auschwitz,  jetzt  Oswiecini)  piS»««  p"pn  mapii  mnx'?  'n  Di»a  »n 
z^v/i  Nin  'U2  '7»  a'»i  nn'n  «'>>»»  n"asjn  "j'-jn  p'a"?  '7"a»j  n"D  van  n-zMm  n"»n  o  ni»  nm'7 
-•;vz  TT  DV2  nv-i  (=  28.  I.  1683)  y'jan  i'-inx*?  :22V  n"i2  «nrun  tint  di>  i.-iin  B'ajjs":!  nna  o 
i-;»22  -.apji  cy'jE  Ty;  »-n  Di»r  cj  noa  Tnns  tiTrsn  ':nn  «n  '?;':  D»»n  pys  n*?'^  ni^n  ins  n 
insiis  3"j?  ;»i»sa'iN  p"p'7  ■]>'7in'7  "wsn  rm  n'tk?  »jeb  (=  Nicolai)  <i7Np>a  tj;  'jsn  D»>nn 
•(?)  T7in  'a  nijp7  ein»:»  a'^sf  •>pin'7  »»i  '»an  nj;'?  n>n  ntrx  n'7nj  npjTi"  usai  '»piaj  "aya  nasa 
(?)  in»'7  i»-:n  ;'nü7  n"?  cx  »Njr.n  c»»p'?  vaia  i»s£tpiN  p"pa  psp  'jcn  't  iyi  naiy  unap  '7123  »NJn  'ly 
.T  asiri  (?)  nawa  (?)  np»a.  So  steht  am  Kndn  der  Rückseite  des  Blattes,  auf 
dem  der  Pentateuch  zu  Ende  ist.  Diis  Kxomplar  besteht  aus  155  (niin)  -j- 
16'/4  (ni'JJO)  +  14  (nnasn)  Bl.  =  185  Bl.  Als  Eigentümer  nennt  sich  am  Anfang 
von  -'7  1':  '3  Jehuda  Loeb   b.   Moscheh  s.  A.   aus  Pleß.     Nach  Anführungen 


—     228     — 

Selbstverständlich  mußten  sie  ihren  Aufenthalt  und  ihr  Ein- 
kommen in  Stadt  und  Land  den  Eatsherren  und  den  Inhabern 
der  geistlichen  und  weltlichen  Gewalt  hoch  versteuern.  Die 
Landesregierung  hatte  zunächst  kein  Einkommen  von  ihnen. 
Jahrzehnte  vergingen,  bis  sie  überhaupt  auf  die  Erscheinung 
aufmerksam  wurde. 

Erst  am  17.  April  1680  verlangte  die  böhmische  Hof  kauzlei 
vom  Oberamt  in  Schlesien,  daß  es  sich  über  die  Tatsachen 
,, gründlich  informiere,  die  Possessores  zur  Begründung  ihrer 
Befugnisse  anhalte  und  über  den  Befund  Bericht  erstatte".  Jahre 
lang  zogen  sich  die  Ermittlungen  hin.  Die  Possessores  gaben 
am  liebsten  gar  keine,  oder  höchstens  lückenhafte  Auskünfte,  bis 
die  erneute  Wahrnehmung,  daß  die  „Judenschaft  im  Herzogtum 
Schlesien  sich  von  Tag  zu  Tag  mehr  augire",  die  Hofkanzlei 
veranlaß te,  am  5.  März  1691  das  Oberamt  zum  so  und  sovielten 
Male  anzuweisen,  durch  die  Landeshauptleute  und  die  anderen 
Instanzen  im  Lande  endlich  festzustellen,  ,,wo  und  wieviel  Juden, 
auch  ex  quo  privilegio  vel  cujus  permissu  sie  sich  nieder- 
gelassen, was  und  wem,  auch  sub  quo  titulo  sie  Schutzgelder 
zu  entrichten  pflegen." 


der  Pleßer  Rentbücher,  die  von  1660  an  erhalten  sind,  war  damals  Löbel 
Singer  Pächter  des  Branntweinurbars  für  die  Amter  Schädlitz,  Deutsch- 
Weichsel  und  Kobier  und  für  die  Städte  Pleß  und  Nicolai.  Und  nach  dem 
Land-  und  Urkundenbuch  der  Herrschaft  Pleß  für  die  Jahre  1670  —  1704, 
fol.  64,  kaufte  Moyses  Singer,  Löbels  Vater,  am  12.  März  1659  von  der  Eva 
Rößlerin  ein  Haus  in  der  Stadt  und  den  dazu  gehörigen  Garten  an  der 
Hedwigskirche  (Mitteilung  des  fürstlichen  Archivars  Herrn  Dr.  Zivier  in 
Pleß).  Ein  Aktenstück  über  den  Nicolaier  Friedhof,  das  etwa  ein  .Jahr- 
hundert jünger  ist,  habe  ich  in  meinem  Jahrbuch  für  1S92,  S.  57  f.  benutzt. 
Es  ist  jetzt  dem  Gesamtarchiv  der  deutschen  Juden  überwiesen.  Der  älteste 
Grabstein,  den  ich  in  N.  gefunden  habe,  trägt  das  Datum  von  Sonnabend, 
(20.  Schebat  488  =)  31.  Januar  1728,  vgl.  MS.  1895,  S.  383. 

*  Die  älteste  Erwähnung  der  Ortschaft  in  einer  hebräischen  Urkunde 
finde  ich  auf  einem  Dyhernfurther  Grabstein  aus  dem  Jahre  1732.  Danach 
ist  die  Frau  Chawwah  b.  R.  Nissan,  die  Frau  des  R.  David  Städtel  CJöytsiP), 
am  (1.  Schebat  492  =)  28.  Januar  1732  gestorben.  Auf  dem  Friedhof  in 
Städtel  habe  ich  Grabschriften,  die  älter  als  1840  sind,  nicht  gefunden.  Auf 
dem  älteren  Teil  des  Friedhofs  sind  Leichensteine  nicht  mehr  zu  sehen. 
Auch  sonstige  Gedenkbücher,  Urkunden  und  Aufzeichnungen,  die  älter  als 
die  zweite  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  sind,  sind  nicht  erhalten. 


—     229     — 

Allmählich  liefen  nun  auch  die  Auskünfte  aus  den  einzelnen 
Landschaften  ein  und  förderten  das  interessante  Ergebnis  zutage, 
daß  in  Bernstadt,  Brankwitz,  Dambrau,  Deutsch-Weichsel,  Nams- 
lau,  Nicolai,  Pardewitz,  Pleß,  Trachenberg  und  Woschütz  außer 
der  zu  erlegenden  Pachtsumme  von  den  jüdischen  Ansiedlern  gar 
keine  Steuern  bezahlt  wurden.  Im  Fürstentum  Jägerndorf,  in 
der  Herrschaft  Oderberg,  in  Prausnitz  und  Teschen  hatten  sie 
nur  die  onera  civica  zu  tragen.  Zu  besonderen  Steuern  wurden 
sie  auf  dem  Elbing  und  auf  der  Tschepine  in  Breslau,  in  Ober- 
Glogau,  in  Myslowitz,  Sabor  und  Sohrau  angehalten  \ 

Man  sieht,  daß  auch  jetzt  immer  noch  zahlreiche  Grund- 
herrschaften mit  ihren  Berichten  im  Rückstande  geblieben  waren. 
Die  Hofkanzlei  drängte  aber  zu  einem  Abschluß,  weil  inzwischen 
ein  mährischer  Jude,  Salomon  Mandl  oder  Mendel  von  Dobit- 
schau,  eine  ganze  Reihe  von  Vorschlägen  zur  Hebung  der 
Landeseinkünfte  aus  Mähren  und  Schlesien  gemacht  hatte-. 
Unter  anderem  sagt  er  wörtlich  in  seinem  Gesuch  an  den  Kaiser: 
..Vierdtens,  weil  die  Juden  in  Schlesien  wegen  ihres  treibenden 
Handels  nichts  geben,  so  wolte  solche  dahin  disponiren,  daß 
Sie  auch  jährlich  2000  Gulden  Ihr  Mäytt  contribuirten,  jedoch 
daß  Ihr  Kais.  Mäytt  zu  Allergnädigster  Erkänntnüs  meiner  Treu 
und  erzeigenden  Eyffers  in  Vermehrung  dero  Cameralia  mich 
zu  einem  Primus  der  schlesischen  und  mährischen  Juden  aller- 
gnädigst  zu  erklären  belieben  möchten.  Fünftens  ist  in  dem 
Markgrafthumb  Mähren   und  Schlesien   die  Landesrabbinerstelle 


^  Das  Nähere  über  alles  dieses  in  dem  Kasten  IV  T  1  des  Wiener 
Staatsarchivs,  und  zwar  in  der  Zusammenstellung  vom  29.  März  1694.  Die 
Anforderungen  ware'n  sehr  verschieden.  In  Myslowitz  zahlte  jeder  ein  oder 
zwei  Steine  Unschlitt  und  1  Thlr.  18  Groschen,  in  Breslau  auf  dem  Elbing 
jeder  3  Gulden,  auf  der  Tschepine  ein  Geringes  ohne  nähere  Angabe,  in 
Oberglogau,  Sabor  und  Sohrau  zahlten  sie  eine  Pauschsumme  von  42, 
bzw.  400  und  450  Thlr. 

-  Das  Nähere  a.  a.  0.  und  außerdem  in  den  kaufmännischen  Proto- 
kollen von  1690 — 1694  im  Breslauer  Stadtarchiv  Boe  A  73  fol.  6  £F.  Das 
Kais.  Rescript  an  das  Oberamt  wegen  einer  gutachtlichen  Äußerung  über 
die  Vorschläge  Salomon  Mendels  datiert  vom  23.  Dez.  1690.  Nach  Grunwald, 
Samuel  Oppenheimer  und  sein  Kreis,  S.  319,  war  Salomon  Mändl  aus  Tobit- 
schau  Kommissionär  der  Gräfin  Zobor  und  gehörte  zu  den  Agenten  und 
Helfern  Oppenheimers. 


—     230     — 

vacant'.  Nun  ist  in  Böheimb  der  Gebrauch,  daß  kein  Land 
Rabiner  ohne  IhrKais.Mäytt  allergnädigstenConsens  aufgenommen 
werde,  in  Mähren  aber  von  dem  Privat  Herrn  erserzt  (?)  und 
also  der  Nutzen  auch  selben  zukommt,  wenn  also  dieses  hin- 
führo  geendert  und  nach  dem  Exempel  des  Königreichs  Böhmen 
gemacht  würde,  könnte  Ihr  Kays.  Mäytt  bei  ieder  mahliger  Ein- 
setzung eines  Land  Eabiners,  so  alle  6  Jahre  einmal  zu  ge- 
schehen pfleget,  bis  in  1000  Thlr.  zu  nutze  kommen."  Die 
höheren  und  niederen  Landesbehörden,  die  über  die  Ratschläge 
Salomon  Mendels  sich  zu  äußern  hatten,  gaben  kein  günstiges 
Gutachten  ab.  Die  Breslauer  Kaufmannschaft'^  sagte:  „Daß  der 
unverschemte  Mährische  Jude  Salomon  Mendel  gegen  einen 
jährlichen  Contributions-Vorschlag  von  denen  Juden  auf  2000  Fl, 
einen  Primatum  der  Schles.-  und  Mährischen  Juden  vormessent- 
lich  aufwirft  und  affectirt,  ist  ein  gantz  warrlicher,  höchst  arro- 
ganter und  im  Lande  Schlesien  niemahls  erhörter  TituI,  welcher 
Magistratus  und  Jurisdictionalia  über  die  gantze  Judenschaft 
intendiert  und  nach  sich  ziehen  würde,  dergleichen  denen  Juden 
nirgends  nachgesehen  und  zugelassen  wird,  auch  die  erbetenen 
Jährlichen  2000  Fl.  deßhalber  gar  keine  proportion  führen  und 
erklecklich  sein  würde  .  .  .  Inzwischen  weiß  man  hier  in  Schlesien 
von  gantz  keiner  Land  Rabiner  Stelle,  welche  dieser  impertinente 
hoffärtige  Jude  gleichfalls  verlanget,  davor  das  Erbitten,  auf 
6  Jahre  deßhalben  mit  denen  1000  Thlren  übermäßig  gar  keine 
Consideration  machen  kann  und  gleichwol  eine  solche  odiose 
und  viel  mehr  böses  nach  sich  ziehende  Würrung  durch  sehr 
starke  Einwurtzelung  des  Judenthums  solt  eingeführt  werden." 
Das  Oberamt  aber  berichtete  3,  die  Fürsten  und  Stände  hätten 
gebeten,  den  Simon  Mandl  gänzlich  abzuweisen,  und  dargethan, 
wie  nachtheilig  diese  „einen  Juden  beschehende  elocationes  dero 

'  In  der  Tat  starb  1690  am  9.  Juni  der  mährische  Landrabbiner 
Elieser  Mendel  b.  Mordechai  Fanta,  vgl.  Feuchtwang  in  Brann-Rosenthal, 
Gedenkbuch  zur  Erinnerung  an  David  Kaufmann,  S.  376,  wonach  beiläufig 
Löwenstein  a.  a.  0.  S.  540  zu  berichtigen  ist.  Die  älteste  mir  bekannte 
Approbation,  die  David  Oppenheim  als  R.  in  Nikolsburg  erteilte,  ist  vom  2. 
Kislew  1691  (zu  nya»  r\hni  Th.  II)  datiert,  vgl.  Freudenthal  aus  der  Heimat 
Moses  Mendelssohns  S.  236,  bezw.  167  und  Wiener  nm  .Tjnp  No.  1847. 

2  In  dem  Memorial  vom  6.  Febr.  1691  Boe  A  73,  fol.  25  ff.  | 

■^  In  dem  Bericht  vom  29.  März  1694  im  Wiener  Staatsarchiv  IV  T  1. 


—     281     — 

Kays.  Cameral-Intraden  .  .  .  seyen  .  .  ,  würden,  auch  wie  nach- 
dencklich  die  einführiin<2^  des  im  Lande  vorbin  nicht  erhörten 
Juden  Primats  und  Ral)iiierstelle  wegen  Hierunter  intendierender 
Stabilirung  der  Judenschafft  seyn,  Sondern  auch  hiegegen  mit 
ziemblichen  nachdruck  Remonstriret,  wie  dero  Kays.  Interesse 
und  des  Landes  Wohlfahrt  vielmehr  abträglich  sein  würde, 
wenn  .  .  .  dieses  von  Gott  verworfene  Volk  auß  hiesigen  dero 
Erblanden  vollendes  exterminirt  .  .  .  werden  möchte". 

Daraufhin  wurde  der  Jude  abgewiesen.  Die  Behörden 
aber  waren  eifrig  darauf  bedacht,  die  Zunahme  der  anwesenden 
Judenschaft  zu  beschränken  und  die  Einwanderung  neuer  An- 
siedler zu  verhindern.  Nichtsdestoweniger  constituirte  sich  die 
Landgemeinde  allmählich  aus  eigner  Kraft  gerade  um  die  Wende 
des  18.  Jahrhunderts.  Einen  Rückhalt  bot  ihr  dabei  die  neue 
grundsätzliche  Änderung  in  der  gesetzlichen  Lage  der  Juden, 
die  im  Jahre  1713  beliebt  wurdet  Die  maßgebenden  Instanzen 
sahen  ein,  daß  es  töricht  sei,  vermögende  Juden  außer  Landes 
zu  jagen  oder  ihnen  die  Niederlassung  unmöglich  zu  machen. 
Das  einseitige  Prohibitivsystem  wurde  darum  aufgegeben.  An 
seiner  Stelle  gestaltete  man  nun  die  Duldung  ihres  Aufenthalts 
zu  einer  einträglichen  Einnahmequelle  für  den  Staat  um.  Jetzt 
wurde  durch  ein  Staatsgesetz  als  Entgelt  für  das  Aufenthalts- 
recht der  sogenannte  Toleranz-Impost  als  Staatssteuer  für  die 
bereits  anwesenden  und  für  etwa  zuwandernde  Juden  eingeführt. 
Daneben  verhinderte  ein  kunstvoll  ersonnenes  System  kleinlicher 
Maßregeln  die  unerwünschte  Zunahme  der  Inländer  durch  natür- 
liche Vermehrung  und  die  Einwanderung  „unnützer",  d.  h.  armer 
jüdischer  Ausländer.  Immerhin  gewannen  jetzt  wenigstens  die 
Bemittelten  einen  Anspruch  auf  das  Recht  des  Aufenthaltes  in 
Stadt  und  Land.  Dadurch  wurde  allmählich  der  Zuzug  stärker 
und  die  Landgemeinde  zahlreicher.  Im  Jahre  1722  umfaßte 
sie  in  70  Ortschaften  etwa  650,  im  Jahre  1753/54  bereits  2510 
und  im  Jahre  1791  in  36  Städten  und  etwa  30  oberschlesischen 
Dörfern  zusammen  3779  Seelen 2. 


'  Gesch.  d.  Landrabbinats,  S.  A.,  S.  18. 

^  Bresl.  Staatsarchiv  P  A  II  b  16;  Gesch.  d.  Landrabbinats,  S.  32, 
Anm.  2;  vgl.  auch  Zimmermann.  Gesch.  u.  Verfassung  der  Juden  im  Herzogtum 
Schlesien  S.  98  ff.  In  Breslau  gab  es  1791  im  ganzen  2484,  in  Glogau  1791 
und  in  Zülz  1012  Juden. 


—     232     — 

Breslau  war  natürlich  der  Mittelpunkt,  den  die  Laudjuden 
samt  und  sonders  mehr  oder  minder  häufig  aufsuchen  mußten. 
War  doch  hier  der  Stapelplatz  für  Kaufniannswaren,  deren  die 
Kaufleute,  Krämer  und  Hausierer  bedurften,  um  ilu-e  Vorräte  zu 
ergänzen.  Hier  saßen  auch  zu  jeder  Zeit  gelehrte  Glaubens- 
brüder, die  ihnen  aus  den  talmudischen  und  rabbinischen  Ge- 
setzbüchern Rat,  Auskunft  und  Belehrung  für  ihr  religiöses  Leben 
gaben.  Heimatsberechtigt  in  der  Innern  Stadt  war  freilich 
nur  ausnahmsweise  einmal  der  und  jener.  Jahrzehnte  laug 
Avaren  die  Familien  Kuh  und  Lazarus  die  einzigen,  die  sich  eines 
solchen  Vorzuges  erfreuen  konnten  '.  Polnische  Juden  aber  hatten 
unbeschränktes  und  Mitglieder  der  Glogauer  und  Zülzer  Gemeinde 
wenigstens  ein  beschränktes  Aufenthaltsrecht.  Zu  ihren  Ge- 
rechtsamen gehörte  es,  daß  sie  sich  in  entlegenen  Winkeln 
ßetstuben  mieten  durften,  wenn  diese  nur  nach  außen  hin  in 
keiner  Weise  als  solche  kenntlich  waren.  So  entstanden  seit 
der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  etliche  polnische,  zwei 
Glogauer  und  die  Zülzer  „Schul"-.  In  allen  diesen  Gebets- 
versammlungen wurde  jeder  Sondergebrauch  der  Heimatsgemeinde 
mit  Sorgfalt  gepflegt  und  in  den  Totenlisten  das  Andenken  der 
verewigten  Ortsrabbiner  mit  Andacht  gefeiert.  Fremden  Be- 
suchern, wie  den  Landjuden,  von  denen  stets  einige,   wie  es  ihre 


'  Gesch.  d.  Landrabbinats  S.  4.  22. 

^  Es  gab  eine  Kalischer,  eine  Krotoschiner,  eine  Leuiberger,  eine 
Lissaer  und  eine  Wolliner,  d.  h.  wolhynisch-littauische  Schul.  Von  allea 
diesen  hat  sich  bis  heute  nur  die  Lemberger  erhalten.  Die  sogenannte 
U  Sklower-Schul  hat  nicht  von  der  Stadt  Sklow  (in  Lilthauen)  den  Namen, 
'  sondern  ist  eine  im  Jahre  1772  von  der  Familie  Sklower  ins  Leben  gerufene 
Beth  ha-Midrasch- Stiftung  (vgl.  Bresl.  Staatsarchiv,  Stadt  Breslau  II  26  p 
und  mein  Jahrbuch  für  1899,  S.  88,  Anm.  22).  Der  Zuzug  der  Glogauer 
wurde  im  18.  Jahrhundert  so  stark,  daß  zwei  Betkammern  für  sie  nötig 
wurden.  Die  jüngere,  die  sich  im  Mühlhof  befand  —  hier  hielt  Salomon 
Pleßner  1816  seine  erste  deutsche  Predigt  —  ging  ein,  als  das  Grundstück, 
auf  dem  sich  jetzt  die  Sparkasse  und  die  Stadtbibliothek  befinden,  städtisches 
Eigentum  wurde.  Die  ältere  besteht  noch.  Die  bereits  verschwundene 
Zülzer  Schul  ist  sogar  ausdrücklich  auf  einem  Grabstein  erwähnt,  den  ich 
in  Zülz  gefunden  habe.  Er  steht  zu  Häupten  des  R.  Abraham  b.  ß.  Nathan 
DJ-IS,  der  am  Sonnabend,  den  3.  Tag  Chol  ha-Moed  des  Hüttenfestes,  also  am 
(19.  Tischri  515)  =  5.  Oktober  1764  gestorben  ist  und  als  p"pT  yriz::  npiü  'nzj 
«"Japan  p»s  bezeichnet  wird. 


—     233     - 

Geschäfte  mit  sich  brachten,  auf  kürzere  oder  längere  Zeit  an- 
wesend waren  ^,  war  die  Teilnahme  am  Gottesdienste  selbst- 
verständlich freigestellt.  Da  sie  aber  besondere  Rüciisichten 
weder  erwarten  noch  beanspruchen  durften,  taten  sie  sich  bald, 
sei  es  mit  Erlaubnis,  sei  es  unter  Zulassung  der  Obrigkeit,  zu 
einem  Sondergottesdienst  in  der  noch  heute  bestehenden  „Land- 
schul"-  zusammen.  Über  ihre  Entstehung  und  Entwicklung 
sind  Urkunden  bisher  nicht  aufgefunden  worden.  Aber  aus  dem 
Gedenkbuch  3,  das  sie  aulegten,  kann  man  mit  einem  gewissen 
Maß  von  Sicherheit  auf  den  Beginn  ihrer  Wirksamkeit  schließen. 
Da  es  nämlich  in  der  Landgemeinde  eingeborene  Gelehrte  und 
sonstige  verdiente  Männer  vorläufig  nicht  gab,  nahmen  die  Stifter 
in  ihre  Totenliste  die  denkwürdigen  Personen  auf,  zu  denen 
einflußreiche  und  urteilsfähige  Mitglieder  der  Landgemeinde  mit 
besonderer  Ehrfurcht  emporblickten,  oder  deren  Andenken  sie 
aus  besonderen  Gründen,  sei  es  wegen  ihrer  früheren  Heimats- 
augehörigkeit, sei  es  wegen  der  religiösen  Belehrung  und  sonstigen 
Förderung,  die  sie  den  Verstorbenen  verdankten,  feiern  wollten^. 


•  Bei  einer  Zählung  im  Jahre  1722  fanden  sich  ihrer  24,  und  zwar  2 
aus  Dyhernfurth,  1  aus  Kl.  EUguth,  2  aus  Herrnstadt,  1  aus  Kamionke,  2 
aus  Koben,  1  aus  Militsch,  7  aus  Prausnitz,  1  aus  Ratibor,  1  aus  Sehätzke 
(Kr.  Militsch),  3  aus  Schreibendorf,  1  aus  Ötädtel,  1  aus  Trembaczow  und 
1  aus  Wischnitz.  Gleichzeitig  zählte  man  24  Glogauer  und  19  Zülzer  in 
der  Stadt  (Breslauer  Staatsarchiv  A  A  II  21b.  Vgl.  Gesch.  d.  Land- 
rabbinats  S.  12,  Anm.  4). 

-  Heute  nennt  sie  sich  pleonastisch  die  ,,Land8chul-Synagoge". 

■^  Wir  besitzen  davon  eine  von  dem  Schreiber  Ghajjim  b.  Urschraga 
Feiwel  ha-Levi  mit  anerkennenswerter  Meisterschaft  hergestellte  Abschrift. 
Sie  ist  1814  auf  Kosten  der  Brüder  Mose,  Hirsch  und  Gerson  Kassirer  an- 
gefertigt. Aus  dem  Inhalt  ergibt  sich  deutlich,  daß  der  Schreiber  ein  ebenso 
tüchtiger  Kalligraph  wie  ungelehrter  Mann  war,  der  sklavisch  seiner  nicht 
mehr  vorhandenen  Vorlage  gefolgt  und  gerade  darum  als  ein  zuverlässiger 
Berichterstatter  zu  erachten  ist. 

*  So  erklärt  sich  die  endlose  Liste,  die  wir  fol.  20a f.  des  Gedenk- 
Jbuches  finden.  Darin  werden  zuerst  in  der  allerschönsten  geographischen 
und  chronologischen  Unordnung  33  Rabbiner  (aus  Posen,  Zülz,  Krakau, 
Amsterdam,  Nikolsburg,  Wien,  Posen,  Darmstadt,  Tysmienic  bei  Stanislau, 
Breslau.  Holleschau,  Krotoschin,  Woydyslaw,  Frankfurt  a.  M.,  Glogau,  Posen, 
Przemysl,  Metz,  Prankfurt  a.  M.,  Prag,  Berlin,  Brody,  Trebitsch,  Wien,  Lissa, 
Dobre,  Breslau.  Glogau.  Fürth,  Nikolsburg,  Hannover,  Eisenstadt  und  Preß- 
burg),  und   zwar    mit   Angaben,    die   der   Berichtigung  bedürfen,  aufgezählt. 


—     234     — 

Das  älteste  Seelengedächtnis,  das  sich  darin  findet,  zählt  sechs 
berühmte  Männer  auf,  die  in  der  Zeit  von  1695  bis  1727  ge- 
storben sind*.  Man  wird  demnach  annehmen  dürfen,  daß  frühe- 
stens gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  die  Landjuden  ihren 
besonderen  Gottesdienst  in  Breslau  eingerichtet  haben. 

So  wichtig  aber  auch  der  Besitz  einer  besonderen  Bet- 
kammer in  der  Hauptstadt  war,  so  wenig  war  damit  allein  dem 
religiösen  Bedürfnis  der  Landjudenschaft  genügt.  In  jenen 
Tagen  ging  eben  der  Mensch  ganz  im  Juden  auf.  Kein  Lebens- 
gebiet gab  es,  auf  dem  er,  wenn  er  nicht  selbst  in  den  nationalen 
Studien  heimisch  war,  eines  sachkundigen  Helfers  und  Beraters 
entbehren  konnte.  Nicht  bloß  in  rituellen  Sonderfällen,  in  Ehe- 
und  Erbschaftssachen,  sondern  auch  in  allen  inner-jüdischen 
Rechtsfällen  war  er  darauf  angewiesen,  bei  einem  als  gesetzes- 
kundig  anerkannten  Rabbiner   Auskunft    einzuholen.     Hier  kam 


Alle  diese  lebten  in  der  Zeit  von  1707  bis  c.  1790.  Darauf  folgen  die  Namen 
von  15  Landrabbinern  und  Breslauer  Rabbinern  und  Dajjanim,  die  von  dem 
bereits  früher  einmal  genannten  R.  Chajjim  Jona  Theomini  an  bis  1814  zur 
Zeit  der  Anfertigung  der  Liste  gelebt  haben.  Das  Verzeichnis  schließt  mit 
13  weiteren  Namen  aus  dem  vergangenen  Jahrhundert,  deren  letzte  Mose 
Montefiore  und  Cledalja  Tiktiu  sind. 

1  Es  lautet  (fol.  19b  des  Gedenkbuches):   ma  natrj   n«   cthto  o:i   -."»n 

a"D['j]nNi  jnsn  pns""i  ann  cß  ja  »'rnsj'-i  ain  a"a[o)nNi  iwun  nann  ja  prri'n  ain  a"o['3]nKi 
"iiaj)a(!)  D'O'Tiv':  i2':nD  j;Bin»n  am  D"a  :i3  n:i»n  am  »"C  [o  ]  nti)  s)ci""i  ann  ca  ja  jiipar  n  ann 
'131  miaya  npri  amu  nin  (!)  anipn  ':r\pn  "73».  Es  handelt  sich  also  um  den  am 
19.  Mai  1707  in  Breslau  verstorbenen  Krakauer  Rabbiner  R.  Saul  b.  R.  Josua 
Heschel,  um  R.  Samuel  b.  Uri  Schraga  aus  Woydyslaw,  den  Verfasser  des 
Kommentars  '7N1öi5  n'a  zum  3.  Teil  des  Schulchan  aruch,  der  sich  wiederholt 
in  Breslau  aufgehalten  hat  und  vor  1705  gestorben  ist  (ßrann,  Gesch.  d. 
Laudrabbinats,  S.  14;  Löwenstein,  Jahrbuch  der  jüdisch-literarischen  Gesell- 
schaft, Bd.  VI,  S.  16  ff.),  um  den  Lissaer  Rabbiner  R.  Isak  b.  Gerscbon, 
gestorben  10.  Mai  1695  (vgl.  Lewin,  Geschichte  der  Juden  in  Lissa,  S.  231), 
um  R.  Naphtali  b.  R.  Isak  ha-Cohen,  Rabbiner  in  Posen  und  Frankfurt  a.  M., 
der  etliche  Jahre  vor  seinem  Lebensende  in  Breslau  gelebt  und  auf  dem  Wege 
nach  dem  heiligen  Lande  am  15.  Januar  1719  (Brann,  Gesch.  d.  Landr. 
S.  I6f.)  in  Konstantinopel  gestorben  ist,  um  R.  Samson  b.  Joseph  Wertheimer 
aus  Wien,  den  Oberhoffaktor  dreier  deutscher  Kaiser,  der  zu  Breslau  in 
nahen  Beziehungen  stand  und  am  6.  August  1724  gestorben  ist  (vgl.  Brann 

a.  a.  0.  S.  14,  Kaufmann,  Samson  Wertheimer,  S.  110)  und  R.  Chajjim  Jona 

b.  Josua  Theomim,  den  ersten  Breslauer  Rabbiner,  der  am  30.  Dezember 
1727  aus  dem  Leben   geschieden  ist. 


—     235     — 

dem  Landjuden  die  seit  Jahrhunderten  bestehende  und  öffentHch 
anerkannte  Organisation  der  polnischen  Judenschaft  zu  Hilfe  ^. 
Der  große  Judeulandtag,  die  sogenannte  Vierländer-Synode,  beider 
die  Vertreter  der  Landschaften  Groß-  und  Kleinpolen,  Reußen 
und  Litthauen  sich  zweimal  jährlich  einfanden,  besaß  die  Be- 
fugnis, geeignete  Gelehrte  zu  beauftragen,  in  den  großen  Handels- 
städten, deren  Besuch  den  Juden  nur  zu  Marktzeiten  freistand, 
Rechtsstreitigkeiten  der  jüdischen  Kaufleute  zu  entscheiden.  Hier 
im  deutschen  Osten  geschah  das  regelmäßig  von  Posen  aus  für 
Thorn  und  Danzig^,  Noch  etwas  anders  lag  die  Sache  in  Breslau, 
weil  hier  die  jüdischen  Kaufleute  aus  Polen  jahraus,  jahrein 
Zutritt  hatten.  Darum  übertrug  der  Landtag  die  Ausübung  der 
rabbinischen  Gerichtsbarkeit  gewiß  am  liebsten  einem  Sach- 
kundigen, der  nicht  nur  das  nötige  Wissen,  sondern  auch  den 
Anspruch  auf  einen  dauernden  Aufenthalt  am  Orte  nachweisen 
konnte.  Ein  so  vielseitiger  Mann  war  ohne  weiteres  der  wegen 
seiner  Gelehrsamkeit,  seiner  vornehmen  Herkunft  und  seiner 
materiellen  Unabhängigkeit  hochangesehene  R.  Baruch  Wesel, 
wie  ihn  die  Juden,  oder  Benedix  Rüben  Gumpertz,  wie  ihn  die 
öffentlichen  Urkunden  nannten.  Er  war  ein  Sprößling  des  reichen 
und  klugen  Elia  Gompertz  von  Emmerich,  den  sein  Landesherr^ 
der  große  Kurfürst,  wegen  seiner  besonderen  Treue  und  An- 
hänglichkeit mit  ausgedehnten  Privilegien  begnadet  hatte  3.  Hier 
in  Breslau  war  Philipp  Lazarus  Hirschel,  der  reiche  Münzjude, 
dessen  Vorfahren  bereits  seit  1684  in  Breslau  heimatsberechtigt 
waren,  sein  allernächster  Verwandter,  der  Mann  seiner  Schwester 
Helena.  Schon  darin  allein  lag  eine  Büi-gschaft  dafür,  daß  seiner 
dauernden  Niederlassung  wesentliche  Hindernisse  nicht  im  Wege 


^  Braon,  Landr.  12.  L.  Lewin,  Neue  Materialien  zur  Geschichte  der 
Vierländer  Synode,  I,  II  S.  A.  aus  dem  Jahrbuch  der  literarischen  Gesell- 
schaft für  1905  und  1906;  «a»'?  njnaa  ni'Kruin  ni':np  ijji  iv>  njnon  opja  von  1623 
bis  1781,  herausgegeben  von  S.  Dubnow  als  Anhang  zur  Zeitschrift  Jewres- 
kaja  Starina,  Jahrgang  1909  ff. 

*  Vgl.  Lewin  I,  S.  5. 

^  Vgl.  Landr.  S.  13.  21  ff.  Kaufmann-Freudenthal,  Die  Familie  Gomperz, 
cap.  VI,  S.  216  fi".  Landsberger,  Zur  Biographie  des  R.  Baruch  Wesel 
(ßendix  Rüben  Gumpertz)  im  Jahrbuch  der  jüd.-literar.  Gesellschaft,  Bd.  V, 
19U7,   S.  A.  S.  4. 

Gnttmann,  Festschrift.  lo 


—     236     — 

stehen  würden  i.  So  wurde  er  in  der  Tat  von  den  Rabbinern 
und  Vorstehern  der  Vierländer-Synode  um  das  Jahr  1728  zum 
Eabbiner  der  in  Breslau  in  der  Innern  Stadt  und  in  den  Vor- 
städten verkehrenden  polnischen  Juden  ernannt^  und  erhielt 
damit  eine  offizielle  Anerkennung  seines  rabbinischen  Amtes. 
Mindestens  schon  ein  Jahrzehnt  früher  aber  hatte  die  Land- 
judensehaft  sich  in  rabbinischen  Angelegenheiten  seinen  Rat  und 
seine  Belehrung  erbeten  3,  und  es  scheint,  daß  er  nach  altem  Her- 
kommen sich  ihnen  im  Ehrenamt  zur  Verfügung  stelltet  Mit 
Recht  konnte  er  daher  in  seiner  Immediateingabe  an  Friedrich 
den  Großen  am  11.  Oktober  1741  sich  auf  Zeugnisse  berufen, 
„welcher  gestalt  er  von  den  Pohlnischen  Richtern,  Eltesten  und 
Rabbinern,  auch  den  Crohn-Eltesten  in  Fohlen  und  33  Familien 
in  Schlesien  zum  Land-Rabbiner  allhier  ernennet,  gleich  wie  ihn 
freyes  Fürstl.  Stiflfts  Ambt  zu  St.  Vincentz  zum  Rabbiner  der 
unter  Ihnen  stehenden  Judenschafi't  erwehlet,  und  auch  per 
Diploma  von  der  itzigen  Königin  in  Ungarn  zum  Rabbiner  ge- 
setzet   und   er   auch    confirmiret  worden"    sei^.     Die  Nachweise 


'■  Vgl.  Landr.  S.  22;  Ein  Breslauer  Gedenktag  in  meinem  Jahrbuch  für 
1899,  S.  92flf.,  Landsberger  a.  a.  0.  S.  4;  Kaufmann-Freudenthal  a.  a  0.  S.  220. 

*  Das  Nähere  darüber,  wie  es  ihm  gelang,  aller  Schwierigkeiten  Herr 
zu  werden,  bei  Braun,  S.  24  S.  und  besonders  bei  Landsberger  S.  6  S. 

^  In  der  Approbation  zur  Dyrenfurther  Pentateuchausgabe  von  1728 
wird  er  in  der  Überschrift  als  .T?  nsim  N^DjJia  Tj?3  D>N!Söjn  p'7is  »tPJN'7  fO)  T'2K 
bezeichnet. 

''  Darum  bezeichnete  er  sich  in  der  Approbation  zum  »DTid  ioxd'd 
des  Mordechai  b.  Jehuda  Loeb  iP»'7in,  d.  d.  21.  Ijar  1718,  und  in  derjenigen 
zu  dem  1718  erschienenen  Traktat  ßaba  bathra  der  Frankfurter  Talmud- 
ausgabe als  n:nani  «"jopi  ns  njin.  Und  noch  genauer  wird  er  im  in  Tyn 
fol.  93  b  und  in  der  Approbation  dazu  als  nn'non  '731  nsim  «'7D5?nD  ns  njin,  d.  h. 
als  Rabbiner  von  Breslau  in  der  inneren  Stadt,  in  den  Vorstädten  und  in 
allen  benachbarten  Gemeinden  bezeichnet.  Vgl.  Brann,  Ein  Brsl.  Gedenktag, 
S.  95.  Freudenthal,  Zum  Jubiläum  des  ersten  Talmuddrucks  in  Deutschland 
in  der  Monatsschrift,  Jahrgang  42  (1898)  S.  232,  283.  Kaufmann-Freudenthal, 
Die  Familie  Gomperz,  S.  225. 

^  In  einem  Schreiben  an  das  Oberamt  erklärten  am  23.  Dezember 
1733  die  Toleranzpächter,  daß  „des  Gompertz  Rabbiner  sein  mehr  ein  Ehren- 
amt sei,  als  daß  er  solche  officia  gebührlich  und  in  der  That  effectuirte 
herentgegen  ganz  notorisch,  daß  er  ajß  Wechßler  negotiante  ein  großer 
Capitalist  sei".     (Brsl.  Staatsarchiv.  A.  A.  II.  21  f.). 

*  Geh.  Staatsarchiv  Berlin,  Rep.  21,  205,  gedr.  bei  Kaufmann-Freuden- 
thal, S.  227. 


I 


—     237     — 

genügten  den  Behörden  offenbar,  und  bei  der  Neuordnung  des 
Judenwesens  in  Breslau  befahl  der  König  in  der  Declaration 
vom  6.  Mai  1744  daß  „wir  den  jedesmahligen  Breslauischen 
Rabbiner  den  Tittel  eines  Land  Rabbiners  allergnädigst  ertheilet 
haben,  und  ihn  davor  unter  den  Juden  gehalten  wissen  wollen." 
Um  aber  auch  seinen  Griaubensbrüdern  zu  beweisen,  daß  er  zu 
der  vornehmen  Stellung  nicht  bloß  ernannt,  sondern  auch  be- 
rufen sei,  ließ  er  sogleich  im  nächsten  Jahre  eine  Auswahl  seiner 
gelehrten  Rechtsbescheide  erscheinen,  die  freilich  nach  Umfang 
und  Inhalt  etwas  bescheiden  ausgefallen  ist^.  Noch  ein  Jahr- 
zehnt  erfreute    sich   R.  Baruch    der  Würde    des    neuen   Amtes  2. 


*  Sie  erschien  unter  dem  Titel  ins  nipn  zum  ersten  Mal  in  Dyhern- 
furth  und  in  zweiter  Auflage   1771  in  Amsterdam. 

'^  Landsberger  (a.a.O.S.22)  hat  aus  den  Akten  des  Breslauer  Staats- 
archivs tadellos  festgestellt,  daß  er  zwischen  dem  4.  Februar  und  22.  März 
1754  gestorben  ist.  Dem  widersprechen  auf  den  ersten  Blick  einige  An- 
gaben auf  dem  Titelblatt  der  ersten  Auflage  seiner  RGA.  Hier  wird  der 
Verfasser  als  lebend  (i""ij  anjp  ^ni)  bezeichnet  und  das  Druckjahr  durch 
das  Chronostich  nnp«  =  5515  ^  1755  ausgedrückt.  Zugleich  nennt  sich 
als  Buchdruckereibesitzerin  die  Frau  Ester,  die  Gattin  des  verstorbenen 
Berel  Nathan  ('^''STjjaj  ]n:  rinioa  r;2  nsE^tp«)  und  Tochter  des  lebenden  R. 
Joseph  (i"S»  fjDi»  Tnnia).  Die  steinernen  Urkunden  auf  dem  Friedhof  zu 
Dyhernfurth  bezeugen  aber,  daß  Berel  Nathan  am  Sabbatb,  80.  Januar  1745, 
lind  Joseph,  Sohn  des  Schabtai  Baß,  des  Begründers  der  Buchdruckerei,  am 
Freitag,  1.  November  1754  verstorben  sind.  Alle  Unebenheiten  gleichen  sich 
jedoch  aus  durch  die  naheliegende  Annahme,  daß  das  Jod  des  Wortes  nnp» 
zu  Unrecht  fett  gedruckt  und  demnach  das  Druckjahr  vielmehr  1745  ge- 
wesen ist.  Im  Buche  selber  findet  sich  nur  eine  einzige  chronologische  An- 
gabe. Das  RGA  Nr.  9  (fol.  19  ff)  bezieht  sich  auf  einen  Vorfall  am  (7. 
Peßachtage  =)  23.  April  1745.  Es  kommt  hinzu,  daß  im  Inhalt  des  Büch- 
leins nichts  dafür  spricht,  es  sei,  wie  ich  früher  (Landr.  S.  85  f.)  annahm, 
aus  dem  Nachlaß  des  Verfassers  herausgegeben.  Als  ich  die  Geschichte  des 
Landrabbinats  schrieb,  war  mir  die  vergleichsweise  seltene  erste  Auflage 
mit  dem  Vorwort  des  Herausgebers,  das  in  der  2.  Ausgabe  fortgelassen  ist, 
nicht  bekannt.  Der  Vorredner  Mose  ha-Cohen,  ein  Schüler  des  Verfassers, 
stellt  es  vielmehr  so  dar,  als  ob  er  aus  der  reichen  Fülle  des  verfügbaren 
Materials  nur  einige  Proben  mitteilen  wolle  und  wegen  der  hohen  Druck- 
kosten auf  weitere  vorläufig  verzichtet  habe.  Aus  eben  diesem  Grunde 
bezeichnet  er  seine  Ausgabe  als  Teil  I  (nuvi'ni  ni'jNcn  'k  p7n),  und  diese  Be- 
zeichnung fehlt  ebenfalls  in  der  2.  Auflage.  Nachträglich  sehe  ich  übrigens, 
daß  in  dem  erst  vor  einigen  Jahren  angeschafften  Exemplar  unserer  Seminar- 
Bibliothek  ein  Vorbesitzer  die  Buchstaben  "n  "n  "p  des  Chronostichs  mit 
Strichlein  versehen  hat.     Wahrscheinlich  hat  er  den  richtigen  Sachverhalt 

16* 


—     238     — 

In  demselben  Jahre  aber,  in  dem  das  Landrabbinat  öffent- 
lich anerkannt  wurde,  werden  zum  ersten  Mal  auch  ,, Alteste  der 
Landjudenschaft"  erwähnt  i.  Sie  hatten  die  Aufgabe,  die  Obrig- 
keit bei  der  Durchführung  der  Maßregeln,  die  die  Gesamtheit 
ane-insen,  zu  unterstützen.  Einen  der  Landesvorsteher  lernen 
wir  sogar  namentlich  kennen.  Er  hieß  Isak  Pleß  und  ruht  auf 
dem  Friedhof  zu  Nikolai  seit  Sonntag,  3.  April  1746 '2.  Als 
Körperschaft  hießen  sie  „die  Vorsteher  und  Ältesten  der  Ober- 
und  Niederschlesischen  Stadt-  und  Landjudenschaft."  Wie  und 
in  welcher  Anzahl  sie  gewählt  und  ergänzt  wurden,  wann  und 
wo  sie  zusammen  traten,  ist  uns  nicht  überliefert.  Vermutlich 
wurden  sie  von  den  Toleranzämtern  ^  vorgeschlagen,  vom  Land- 
rabbiner begutachtet  und  von  der  Kriegs-  und  Domänenkammer 
bestellt.  Ihre  Aufgabe  war  es  sicherlich,  die  Ausführung  der 
staatlichen  Judengesetzgebung  unter  eigener  Verantwortung  sorg- 
fältig zu  überwachen. 

So  war  die  „Landgemeinde"  um  die  Mitte  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  mit  allen  Einrichtungen,  die  für  die  Ordnung  ihrer 
Angelegenheiten  unentbehrlich  waren,  wohl  versehen.  Von  einer 
freien  inneren  Entwicklung  konnte  aber  gar  nicht  die  Rede  sein. 
Denn  in  der  Hoffnung,  durch  den  siegreichen  jungen  Preußen- 
könig von  dem  schweren  Druck,  unter  dem  sie  seufzten,  befreit 


noch  gekannt.  Hiernach  wären  die  Angaben  bei  St.  C.  B.  4518,1.  Zedner, 
S.  677,  Benjacob  e  2121  und  die  Darstellung  bei  Kaufmann-Freudenthal 
S.  231  f.  zu  berichtigen. 

1  Bresl.  Staatsarch.  P.  A.  II  39  c.  fol.  31. 

-  Auf  dem  Grabstein  heißt  er  ausdrücklich  njnisn  j'.ijdi  djis.  Er  war 
der  Stammvater  der  Familien  Pleßuer,  Muhr,  Skutsch  u.  a.  Sein  Sohn, 
Salomon  Isak  oder  R.  Scholim  Pleß,  erhielt  1764  wegen  seiner  Verdienste 
um  die  Tuchfabrikation  und  zur  Förderung  der  Salzeinfuhr  aus  Galizien 
vom  Könige  ein  Generalprivilegium.  Dieser  Salzfaktor  wurde  1788  zum 
Obergeschworenen,  der  oberscblesischen  Steinkohlengruben  ernannt.  Auch 
als  Bergmeister  erscheint  er  in  den  Urkunden.  Das  von  ihm  bei  Ruda  und 
Poremba  entdeckte  Steinkohlenflöz  baute  der  Grundherr,  Baron  von  Stechow, 
unter  dem  Namen  Maximiliane  an.  Vgl.  Fechner,  Wirtschaftsgeschichte  der 
Provinz  Schlesien  (Breslau  1907)  S.  453.  609.  Zeitschrift  für  Berg-,  Hütten- 
und  Salinenwesen,  Band  50,  S.  470.  Im  Jahrgang  1794  der  oberscblesischen 
Provinzialblätter  soll  sein  Testament   erwähnt  sein. 

ä  Es  gab  deren  11  in  Ober-  und  10  in  Niederschlesien.  Vgl. 
Laadr.  S.  33. 


I 


—     239     — 

zu  werden,  sahen  sie  sich  bald  schwer  enttäuscht.  Bei  aller 
Vorurteilslosigkeit  in  Sachen  der  Religion  und  bei  aller  Be- 
geisterung für  die  Ideale  der  Aufklärung  seiner  Zeit  ließ  der 
große  König  niemals  die  realen  Faktoren  der  Politik  aus  dem 
Auge.  Es  fiel  ihm  garnicht  ein,  zu  gestatten,  daß  der  „über-j 
schwengliche  Schwärm  jüdischen  Volkes"  sich  weiter  als  bisher  ! 
verbreite.  Es  war  vielmehr  seine  feste  landesväterliche  Willens- 
meinung i,  alles  aus  dem  Wege  zu  räumen  und  abzustellen,  was 
dem  Flor  des  „Commerzii  hinderlich  und  dem  Wohlstand  der 
Kaufmannschaft,"  d.  h.  selbstverständlich  der  christlichen  Kauf- 
mannschaft, „entgegen  sein  könnte."  Nach  wie  vor  gipfelte 
demnach  den  Juden  gegenüber  die  Staatsweisheit  in  dem  ein- 
fachen Bestreben,  möglichst  hohe  Gefälle  für  ein  möglichst  ein- 
geschränktes Feld  der  Betätigung  von  einer  möglichst  geringen 
Anzahl  von  Juden  zu  erzielen.  Eine  schier  unübersehbare  Zahl 
kleinlicher  Maßnahmen  sollte  die  Ordnung  unter  ihnen  aufrecht- 
erhalten. Da  gab  es  vor  allem  acht  oder  neun  Sorten  ver- 
schiedener Steuern,  die  sie  zu  zahlen  hatten.  Für  die  einfachsten 
Menschenrechte  mußten  sie  Gefälle  erlegen:  für  das  Recht  zu 
leben  und  zu  atmen  die  „ Personal- Accise", für  das  Recht,  auf  eigene 
Kosten  sich  im  Lande  aufzuhalten,  die  „Toleranzgebühr",  für 
das  Recht,  sich  im  Schweiße  ihres  Angesichts  ihr  Brot  zu  ver- 
dienen, die  „Einkommen-  und  Nahrungssteuer".  Zur  Erleichte- 
rung der  einheimischen  Münzprägung  hatten  sie  den  sogenannten 
Silber-Lieferungs-Beitrag  zu  zahlen.  Für  jedes  ernste  und  freudige 
Familienereignis  mußten  sie  an  den  Ortspfarrer  die  Stolgebühren 
abführen,  die  er  zu  beanspruchen  gehabt  hätte,  wenn  an  ihrer 
Statt  Gläubige  am  Orte  gelebt  hätten.  Ungleich  teurer  war  der 
Trauschein,  den  sie  lösen  mußten,  bevor  sie  an  eine  Ver- 
heiratung denken  durften.  Selbstverständlich  hatten  sie  da- 
neben wie  alle  übrigen  Untertanen  die  Abgaben  an  die  Kämrae- 
reien  und  die  Grundherrschaft  zu  entrichten  und  außerdem, 
wie  sichs  gebührte,  die  Mittel  zur  Aufrechterhaltung  der  gemein- 
samen religiösen   Bedürfnisse  aufzubringen. 

In  schreiendem  Gegensatz  zu  der  Mannigfaltigkeit  der  Ab- 
gaben, die  zu  erlegen  waren,  stand  die  Eintönigkeit  der  Berufe, 


^  Einleitung  zur  Deklaration  vom  6.  Mai  1744. 


—     240     — 


i 


die  ihnen  gestattet  waren.  Krämer,  Trödler  und  „Koberjuden 
d.  h.  Hausierer  und  Dorfläufer,  durften  sie  werden.  Eine  Zeit- 
lang durften  sie  auch  Brauereien,  Brennereien,  Fleischereien  und 
Pottaschsiedereien  pachten.  Von  1780  an  aber  war  ihnen  das  bis 
zum  Ende  der  Regierung  Friedrichs  des  Großen  verboten.  Von 
den  Waren,  an  denen  sie  Geld  verdienen  durften,  gab  es  ein  ge- 
naues Verzeichnis.  Jede  Mißachtuog  davon  war  mit  den  grau- 
samsten Strafen,  Geld-  und  Zuchthausstrafen,  und  bei  der  dritten 
Übertretung  mit  ewiger  Landesverweisung  bedroht. 

Mit  gleicher  Sorgfalt  hatten  die  Landjuden  die  Städte  *  zu 
meiden,  die  von  alters  her  das  jus  prohibendi  besaßen,  und 
das  waren  meist  gei*ade  die  Ortschaften,  die  über  eine  besonders 
kaufi?;räftige  Bürgerschaft  verfügten.  Ebensowenig  durften  sie 
die  LandesfestuDgen  und  die  Gebirgsstädte  betreten.  Durch 
eine  Verfügung  vom  Jahre  1776  wurde  ihnen  sogar  der  zeit- 
weise Aufenthalt  in  Stadt  und  Land  auf  dem  ganzen  linken 
Oderufer  untersagt.  Knapp  einen  Monat  erhielten  sie  Frist  zur 
Übersiedlung  auf  das  rechte  Oderufer.  Nach  Ablauf  dieses 
Termins  durfte  bei  10  Taler  Strafe  keine  Judenseele  mehr  in 
dieser  Gegend  gefunden  werden'-^.  Aber  auch  hier  war  ihnen 
keine  lange  Rast  gegönnt.  Schon  nach  fünf  Jahren  zwang  sie 
eine  neue  Verordnung,  sofort  vom  platten  Lande  in  die  ober- 
schlesischen  Städte  zu  ziehen,  und  die  Dominien  wurden  an- 
gewiesen, sie  „bei  Vermeidung  rigoureusester  Ahndung"  mit 
Hab  und  Gut  aus  dem  Dorfe  zu  jagen  3. 

*  Das  galt  von  Cosel,  Leobschütz,  Neisse,  Neustadt,  Oppeln  und 
Ratibor  (Zimmermann,  S.  66,  79).  Dazu  kamen  durch  Verf.  vom  .3.  Aug. 
1781  noch  die  Städte  Falkenberg,  Ober-Glogau,  Juliusburg,  Medzibor,Pietscheu 
und  Tarnowitz,  vgl.  unten  Änm.  3. 

^  Zimmermann  a.  a.  0.  S.  78  f. 

^  Verordnung  vom  3.  August  1781.  (Neue  Sammlung  sämmtlicher  in 
Schlesien  und  der  Grafschaft  Glatz  publizierten  Verordnungen,  Band  XVII, 
Nr.  99,  S.  198).  Nur  in  Ciessowa,  Kraskau,  Langendorf  und  Städtel,^ 
wo  von  altersher  Friedhöfe  waren,  durften  sie  bleiben,  vgl.  oben  S.  ^27, 
Anm.  2 — 6.  Von  Lissau  und  Kieferstädtel,  die  Zivier  (Jubiläumsbericht  des 
Synagogen-Gemeinde- Verbandes  des  Regierungsbezirkes  Oppeln,  S.  51)  an- 
gibt, ist  nirgends  die  Rede.  Dagegen  brachte  ihnen  einige  Erleichterung 
die  Bestimmung  vom  1.  Mai  1787,  nach  welcher  sich  jüdische  Gastwirte  in 
den  Dörfern  an  den  Landstraßen,  die  nach  Polen  führten,  ansiedeln  durften, 
um  den  stark  ,,benefizierten  wirklichen  pohlnischen  Juden"  die  Reise  ange- 


—     241     — 

Am  unmenschlichsten  aber  wirkte  die  Heiratsordnung, 
Auch  unter  preußischer  Herrschaft  erwarb  nur  ein  einziger  Sohn 
aus  jeder  Familie  das  Heimatsrecht,  alle  übrigen  mußten  un- 
weigerlich das  Land  räumen.  Allein  unter  Friedrich  dem  Großen 
erschienen  nicht  weniger  als  zehn  Verordnungen,  die  allesamt 
darauf  ausgingen,  den  Zuwachs  der  jüdischen  Bevölkerung  zu 
hintertreiben  1.  Erst  nach  umfangreichen  Erhebungen  über  die 
Herkunft,  das  Lebensalter,  das  Vermögen,  den  bisherigen  und 
zukünftigen  Wohnsitz  und  den  in  Aussicht  genommenen  Nahrungs- 
zweig der  Brautleute  durfte  die  Heiratserlaubnis  erteilt  werden. 
Jeder  Trauschein  verursachte  einen  Kosteuaufwand  von  30  Talern. 
Außerdem  hatte  der  Landrabbiner  seine  Trauungsgebühren  zu 
fordern.  Denn  er  allein  war  berechtigt,  die  Trauungen  der  Land- 
juden zu  vollziehen''^. 

Zu  behaglichem  Wohlstand  und  traulichem  Familienglück 
konnte  kaum  je  so  ein  Landjude  gelangen.  „Nix  als  m'!'"  [xlrww^] 
und  Schnorrerei"  ^  herrschte  unter  ihnen,  wie  1763  ein  in  die 
Fremde  verschlagener  Sprößling  der  Gemeinde  urteilt.  Bei  alle- 
dem hielten  die  Unglücklichen  stand,  gehorchten  den  grausamen 
Gesetzen  und  seufzten  unter  dem  harten  Druck.  Denn  sie 
wußten  allesamt  genau,  daß  sie  nirgends  unter  den  Christen 
auf  ein  größeres  Maß  von  Duldsamkeit  und  Mitleid  rechnen 
konnten. 

Wohin  die  Vielen  versprengt  worden  sind,  die  auf  Grund 
der   Heiratsgesetze    das    Land    räumen    und    zum   Wanderstabe 


nehm  zu  machen  durch  die  Gelegenheit,  sich  unterwegs  rituell  zu  verpflegen 
(Breslauer  Staatsarchiv  P.  A.  II  49a).  Seitdem  wohnten  einzelne  Juden  in 
Bankau  (Kr.  Kreuzburgl  Bodzanowitz  u.  Boroschau  (Kr  Rosenbergi.  Dyhern- 
grund  (Kr.  Pleß),  Falkowitz  (Oppeln),  Gostin  (Pleß),  KaHnow  (Gr.  Strehlitz), 
Kopcziowitz  (Pleß),  Krogulno  (Oppeln),  Lendzin  und  Mokrau  (Pleß).  Neuhof 
(Wartenberg),  Ruptau  (Pleß),  Simenau  (Kreuzburg),  Stubendorf  (Gr.  Strehlitz), 
Tichau  (Pleß),  Wiersbic  (Lublinitz),  Zabrzeg  (Pleß),  Zernik  (Tost)  und  Zbo- 
rowski  (Lublinitz). 

'  Vgl.  die  Verordnungen  vom  29.  September  1744,  19.  März  1746, 
Oktober  1747,  7.  Dezember  1750,  2.  März  1751,  1.  April  1755,  30.  November 
1762,  4.  Dezember  1763,  20.  August  1773  und  -26.  November  1778  bei 
Zimmermann,  a.  a.  0.  S.  76  ff". 

•^  Vgl.  Landsberger  a.  a.  0.  S.  A.  S.  15  f. 

'  Vgl.  unten  S.  252,  Text  n.  Anm.  2. 


—     242     — 

greifen  mußten,  weil  sie  das  Heimatsrecht  nicht  erwerben  konnten, 
ist  uns  nicht  überliefert.  Nur  ein  verwehtes  Blatt  gibt  uns 
Kunde  von  der  unauslöschlichen  Liebe,  mit  der  die  verstoßenen 
Söhne  und  Brüder  an  dem  entlegenen  Winkel  hingen,  in  dem 
die  Voreltern  gewohnt  hatten  und  jetzt  die  Eltern  und  die 
jüngeren  Geschwister  saßen  und  ihr  kümmerliches  Brot  ver- 
dienten. Es  ist  uns  erhalten  durch  die  Tatsache,  daß  es  von 
Wert  und  Wichtigkeit  für  die  Gremeinde  war,  zu  deren  Mit- 
gliedern der  Empfänger  gehörte  ^.  So  etwa  um  die  Zeit,  in  der 
Schlesien  durch  den  Hubertsburger  Frieden  (15.  Februar  1763) 
endgültig  in  preußischen  Besitz  gelangte,  flog  es  in  das  Ortchen 
Wielowisz  oder  Langendorf  und  rief  dort  zweifellos  eine  große 
und  nachhaltige  Aufregung  hervor.  Es  brachte  die  dortige 
Judeuschaft  in  einen  Zusammenhang,  der  auch  für  den  heutigen 
Leser  einiges  Interesse  erwecken  wird. 

Nahezu  100  Jahre  waren  es  damals  gerade  her,  seitdem 
der  erste  Jude,  der  Großvater  des  Briefschreibers,  sich  am  Orte 
niedergelassen  hatte.  Das  wohlerhaltene  Urkundenbuch,  ein 
Band  in  schmalem  Folio,  das  über  die  Satzungen,  die  Lasten, 
das  Synagogen-Inventar,  die  Tagungen,  die  Einnahmen  und 
Ausgaben  der  Gemeinde  gewissenhaft  Rechenschaft  ablegt,  be- 
riishtet  über  die  Entstehung  des  Gemeidwesens  Folgendes  2;  „Der 
erstehiesige  Ansiedler  war  der  verstorbene  vornehmeR.  Jonathan, 
Sohn  des  gelehrten  R.  Jacob  Koppel  Bloch,  geboren  in  Krakau 
und  erzogen  und  ausgebildet  in  Prag.  Er  war  der  Bruder 
des  Gelehrten  R.  Urschrago  Feibusch,  der  zuerst  in  seiner  Jugend 


1 


^  Es  findet  sich  in  dem  Langendorfer  (remeindebuch,  einem  Folianten, 
welcher  etwa  öO  deutsche,  1  polnische  und  42  hebräische  Urkunden  aus 
den  Jahren  1762  bis  1842  enthält,  unter  Nr.   14  der  hebr.   Urkunden. 

*  Im  Urtext   lautet  die  Notiz,  —  sie  bildet  Punkt   3  der  im  Oktober 

1750  (p"S'7  in»  Dy  «oxi  sjDNnnn  aia'ji  mo'j)  auf  Grund  eines  Gemeindebeschlusses 
schriftlich  formulierten  Satzungen  —  wie  folgt:  1J21!»»»  i»»ni  i»Nn  nno^nn  n':nn  ni  o 
''jsiDn  (»spn  nijßn  »"j?  i^ny  n»n  jiDNin  »unn«  c<nz,i  nnn'3  mcsD'?  nrn'?  20"nj  »d  «"yi  na 
jKia  'pa  'jijnji  nputp  'p  n»'7»o  n^n  iü«  in'js  yt  "jaKp  apjj»  n"i  inii»  T'nniaa  nna  coniaon 
p"p3  j"nNcn  T'2si  an  inn'J'a  in'7«nna  n»n  iipn  tpa"s  Njisnx  Tnno:  isca  ap»J  nuan  vnsi 
':j?a  y'T  yaya  nsniaon  iiNin  aina?  'a»a  «pNip  'pa  T'a  »nt?  '7apiiJ  ynai  ;»'7ia  nj'-aa  »jin'j 
nji»'D  i»spn  '7!^  nj?»iJ  »d»  yunai  "j'on  j"-ina  pNjn  ':sn  tipa-\p  'pa  un«  ]aa:i  nipiaj;  n'7ja  'd  nanan 
ana  'si  ;n  niJ»n  nw'iv  V'th  lanas  hts  jb^c  an":  ;nji  p"BT  n»np  Nnan.T?  N'7a  naa  las  p"s  '7"jn 
1»:b2  njtp  D'üani  njin»  rrn  «n  '73':  aü^ry  patctp  inj;»ij  m»  tj?  i'?»  nnD'nn  di«bs'  "air«  '7j?  cipan  p 
p"B  uns  TJJJ1  pva'j  a"sn  ny^r  t»n  'n  »yai  Di»a  n>n  inn»a  di»i  jn- 


—     243     — 

Rabbiner  in  Tarnow  und  später  in  Krakau  ^  in  den  Tagen  des 
berühmten  R.  Nathan  Spiro,  des  Verfassers  des  S.  Megalleh 
Amukoth,  Rosch  Beth  Din  gewesen  und  unmittelbar  neben  dem 
genannten  großen  Manne  begraben  ist.  In  seiner  Sterbestunde 
sagte  R.  Jonathan  zu  den  Mitgliedern  der  frommen  Brüderschaft, 
die  sein  Lager  umstanden,  laut  und  deutlich:  Unsere  Weisen 
.reden  von  drei  Arten  der  Anmut'-.  Eine  davon  ist  die  Anmut 
des  Ortes.  Das  gilt  auch  von  dem  hiesigen  Orte.  Denn  von 
meiner  Niederlassung  bis  zu  meiner  Sterbestunde  sind  gerade 
58  Jahre  nach  dem  Zahlenwert  von  |n  verflossen".  Der  Sterbe- 
tag aber  war  Mittwoch  (5.  Ijar  482=)  22.  April  1722 ^ 


•  In  Krakau  erscheint  er  unter  dem  Namen  »psi  ^inn  i»i!SO  pn  »jmnn  t)i'7Nn 
Ur  Schraga  Feiwisch  b.  ß.  Jakob  Koppel  R.  Wolf  Dajjans.  Er  gehörte 
nicht  nur  in  den  Tagen  des  R.  Nathan  Spiro  (gestorben  80.  Juli  1633),  son- 
dern auch  unter  dessen  Nachfolgern  zu  den  Mitgliedern  des  Rabbiuats.  Mit 
R.  Joel  Serkes  (n"2)  unterzeichnete  er  die  Satzungen  über  Erziehung  und 
Unterricht,  d.  d.  (25.  Tebeth  398  =)  11.  Januar  J638.  Er  starb  in  der 
Nacht  zu  Donnerstag,  den  (7.  Ab  427  =)  28.  Juli  1667  und  wurde  am 
Donnerstag  begraben.  Über  die  Familie  seiner  Frau  Zipperl,  gestorben  den 
(14.  Tischri  425  =)  3.  Oktober  1664  erfahren  wir  Näheres  durch  Wetstein 
]»'?1S2  vD;m  'JKns"  .in'^in'j,  Heft  11,  S.  A.  aus  Eschkol,  Krakau  1913,  S.  29.  Sein 
Sohn  Chajjim  unterschrieb  am  (8.  Adar  434  =)  14.  Februar  1674  (Krakauer 
Gemeindebuch  fol.  25b)  und  am  (16.  Schebat  455  =)  1.  Februar  1695  (dag. 
fol.  253a)  einige  Urkunden  in  seiner  Eigenschaft  als  Mitvorsteher  der  Ge- 
meinde. Auch  die  Urkunde  von  Donnerstag,  den  (18.  Schebat  444  =^)  3. 
Februar  1684  trägt  seine  Unterschrift  (Vgl.  pE?y  in3  'd,  ed.  Freimann, 
Warschau  1904,  S.  22j.  Sein  Schwiegervater  Jona  b.  R.  David  R.  Siseles 
war  ebenfalls  in  Krakau  Vorsteher  und  starb  daselbst  am  (16.  Tebeth  441  :=) 
31.  Dezember  1680  (Krakauer  Gedenkbuoh,  fol.  l97b).  Ein  Sohn  Chajjims, 
namens  Jakob  Bloch,  war  wie  sein  Großvater  Rabbinatsmitglied  in  seiner 
Heimatsgemeinde  und  unterzeichnete  als  solcher  eine  Urkunde  vom  (22.  Ijar 
484  =)  15.  Mai  1724  (Gemeindebuch  fol.  60a.  Dies  nach  brieflichen  Mit- 
teilungen Wetsteins,  d.  d.  Wien,  26.  Oktober  1914)  Vgl.  auch  Friedberg, 
1112;  nini^,  2.  Auflage  (1904),  S.  27,  Anm. 

-  Sotah  47a,  vgl.  jer.  Joma  41b. 

^  Die  Inschrift   auf   dem    wohlerhaltenen  Grabstein  lautet,  wie  folgt: 
■jNno'n  nyi»»  ntpy  iztn  nia»  pivn 

p"S'7   2"Sn  T'N  'n 

ni'jnjn  nnixan  i'jnj^r  di»2 

mnin  nnna'j  u'?  «»n» 

n-iay  n'7Sj  ':  -nh  n:  »in 

rmip  nnattn  maa  nz»  yn 


—     244     - 

Für  die  wichtigsten  Einrichtungen  der  Gemeinde,  die  regel- 
mäßigen Gebetsversammlungen  und  den  Friedhof*  hatte  er  be- 
reits Sorge  getrofien  und  damit  der  neuen  Ansiedlung  einen 
dauernden  Bestand  gesichert.  Seine  Tugenden,  seine  Gottes- 
furcht und  sein  Gemeinsinn  waren  das  beste  Erbgut,  das  er 
seinen  Nachkommen  hinterließ.  Sein  Sohn,  R.  Hirsch,  gehörte 
dem  Ausschuß  an,  der  1748  und  1749  mit  der  Grundherrschaft 
wegen  der  Erlaubnis  zur  Erbauung  eines  Zaunes  um  den  Friedhof 
und  zur  Anlage  der  Sabbatschnüre  zu  verhandeln  hatte  2.  Die 
schönsten  Tempelvorhänge  und  Thoramäntelchen  und  die  wert- 
vollsten Beleuchtungskörper  für  das  Gotteshaus  waren  die  Spenden 
seiner  Söhne  und  Enkel  3.  Aber  im  dritten  Geschlecht,  bei  den 
Kindern  R.  Hirschs,  begann  bereits  die  Unrast,  die  die  neue 
Heiratsordnung  über  die  Landjudeuschaft  brachte.  Zwar  galt 
bereits  in  der  Habsburgischen  Zeit,  wie  oben  bemerkt,  der  Grund- 
satz, daß  nicht  mehr  als  ein  Sohn  die  Rechte  des  Vaters  erben 
dürfe.  Aber  für  jeden,  der  zahlen  konnte,  gab  es  damals  immer 
noch    einen   Weg,    der   hart   an   der   strengen   Satzung    vorüber 


inji«  n"in  »'!r»ni  ''7Sicn  »:ann  r["n 
■li'rs  ^'ST  '7'BMp  apj?»  n"ia  hi 
naia  na'ca  lo':^^'?  nasjtff 
ns'OD  na  »»tr  na'»o  a^^vi  ]pt 
D»»nn  o  10')  'j'jsnn':  3"na  yap 
•  D"nn  a"s  i»bj  snn  n-  niDTai 
^  So   lesen   wir   in  der  vorletzten  Zeile  der  Grabscbrift.     Der  älteste 
Grabstein,  den  ich  auf  dem  Friedhof  gefunden  habe,   trägt  das   fehlerhafte 
Datum    von   Sonntag   (1.  Adar  463  =)  1.  März  1702  und  steht  zu  Häupten 
der  Frau  Jittel,  Tochter  des  Gelehrten  ('d)  R.  Isafe  Eisak.     Der  ßegräbnis- 
platz  ist  aber  vermutlich  schon  einige  Jahre  früher  angelegt.     Denn  wahr- 
scheinlich hat  dort  auch  schon   die  Frau  des  R.  Jonathan   Bloch,  Berachah, 
Tochter  R.  Salomos,  die  am  (14.  Thammus  454  =)  17.  Juli  1694  gestorben 
ist,    die  letzte    Ruhestätte  gefunden.     Ein    nach   Monaten  geordnetes  Ver- 
zeichnis   der   Verstorbenen    enthält   ein   Band    in     Schmalfolio    mit   der   un- 
grammatischen,    unorthographischen     und      sachlich     falschen     Aufschrift: 
]1>D  D"»  finNijyjJK'j  iJ)^JU  nj)='^  ,T';pn  ny:>  p  hd'jjj  »ti'j  [»"jint  ni»npn  niotrjn  ncE?nj   nso 
p"B':    ^"^^r)   nj»,    5.   Juli    1853.     Der   Sterbetag   der   erwähnten   Berachah   und 
vieler  anderer  vor  1764  verstorbener  Personen  steht  nämlich  auch  schon  in 
diesem  Verzeichnis.     Die   Urkunden  Nr.  1.  2.  18.  25.  35.  36  des  S.  242,  Anm.  1 
erwähnten   Gemeindebuchs   beziehen   sich    auf  den  Friedhof.     Sie  stammen 
aus  den  Jahren  1762,  1820  u.  1839. 

-  Vgl.  das  Statutenbuch  (oben  S.  242)  Folio  10. 
3  A.  a.  0.  fol.  6  S. 


—     245     — 

führte.  Unter  HohenzoUernschem  Regiment  regierte  jetzt  die 
ernste  Pflicht.  Wer  daheim  bleiben  durfte,  war  des  Schutzes 
sicher,  solange  er  seine  Schuldigkeit  tat.  Wer  nach  dem  Gesetze 
fort  mußte,  für  den  war  des  Bleibens  nicht.  Kaum  dem  Knaben- 
alter entwachsen,  mußte  der  Nachwuchs  hinaus,  um  sich  eine  neue 
Heimat  zu  suchen.  Einen  Blick  in  diese  neue  Zeit  gibt  uns  der 
nachfolgende  Familienbrief  ^  Sein  Empfänger  war  der  soeben  . 
genannte  Hirsch  Bloch  in  Langendorf,  der  Absender  dessen 
Sohn  Salomon  in  London.     Der  Brief  lautet  wie  folgt: 

p"Db  X'jpn  -02^'  '"1  p"^v  tJ'mj"'?  n"3.  [Geloht  sei  Gott.  London, 
Freitag,  den  {14.  Schehat  523  =)  28.  Januar  1763]. 

'Tint^  DQ'Hd'd  [Friedensgruß  meinem  liehen  Vater  B.  Zwi  und  meiner 
Frau  Mutter,   Frau  Fromet,  sie  soll  leben]. 

Liebe,  herzige  Eltern.  Euer  Brief  inj;.-!  'P^D^ -Vd  'n  jD  [vofi 
Sonntag,  den  {26.  Kisleiv  d.  J.  =)  12.  Dezemher  1762]  habe  erst 
"iDyn  y'nK'n  [in  voriger  Woche]  entfangen,  ronc  [weil]  weil  jnd 
[hier]  schon  über  r'r\^'\p  ^nj  'lynit'  'n  [fünf  Wochen  große  Kälten] 
waren  und  Paketen  nit  regulär  gekommen  ist.  Mir  leid,  daß 
mein  liebe  Mutter  ry  h'2  fallezeit]  so  kränklich  ist.  Wünsche 
ihr  n-)na3  hniD-i  [haldige  Besserung].  Hier  laut  3"^  |Q  zrD  ^h'n 
'^■^  '-{  '~\]2'h  [Wechselhrief  von  12  Pfund  4  Schilling]  zu  sagen 
-i3yn  "^'^N  n"i  |0  niit;  •'an  bi^  zu  V'^nn  id"»:  n"-i  [auf  '/ü  «^«^*"  vo7n 
vorigen  Bosch- Chodesch  Flui  hts  künftigen  Bosch- Chodesch  Nissan] 
und  '2  [2]  Guineas  für  "iDN  [meine  Mutter]  für  Kaffee  und  Zucker. 
Wer[de]  ry  bj  n"\v  [=  Dtfn  nai"'  dn,  d.  h.  so  Gott  will.,  allezeit] 
solches  regulär  besorgen,  weil  ich  leb.  Cn::"  [und  ivenn]  sollte 
sein  n"2^i2'n  [=  NiH  pnr"'  ct^ri,  d.  h.  Gottes,  geloht  sei  er]  sein 
j-iai  [Wille]  daß  vor  Euch  sterb,  alß  habe  ich  gekauft  auf  Euere 
beide  Leben,  njiz'  b^  niü"''?  n"^  [12  Pfund  jedes  Jahr],  solcheß 
zu  remittiren  (V),  j^LJp  b^j  ^i'ö'b  HK'LJ'  HJK'  ^L'H  b^  [jedes  halbe  Jahr 
6  Pfund  durch  den  vornehmen]  R.  Jechiel  Präger'-^,  der  jND  [hier] 

^  In  dem  oben  (S.  242,  Anm.  l)'erwähnten  ürkundenbuch  Nr.  14  (hebr.). 
Ich  habe,  um  die  Lesbarkeit  zu  erleichtern,  sogleich  [in  Kursivschrift]  die 
Übersetzung  der  hebr.  Wendungen  und  hin  und  wieder  eine  kurze  Erläuterung 
im  Text  hinzugefügt. 

*  Ob  und  in  welcher  Weise  er  genealogisch  mit  Wolf  Präger  zu- 
sammenhing,  der  bei  der  Entstehung  der  Hambro  Synagogue  am  ^3.  Siwan 


—     216     — 

wohnt  und  is  Bruder  zu  die  Prägers  in  Amsterdam  ^  Zu  sagen, 
wann  iriN  [einer]  von  Euch  V'n  [=  n^h^'\  DD,  d.  h.  Gott  behüte] 
sterbt,  wert  die  ganze  Summa  m"J  [=  nJK'  ^d]  a-\l2''7  3"^  ]ü 
[von  12  P[und  jährlich]  der  andere  haben.  Nu,  sobald  alß  ich 
wer  [de]  sehn,  wie  n"y  [=  D'b^r\  v'pyj  b^Dyp  ^HN'  [meines  Bruders 
Koppel,  über  ihn  sei  der  Friede]  sein  Affairen  außtallen,  denn 
hab   '~\'i2''b   rriNO    'J   ny"i3  [die  Absicht,  300  Pfund]  mehr  auß  zu 

legen  und ^  y^i  ^=  p  cj  (i.  h.  attc/i^  an  Euch  sein,  weil  Ihr 

lebt  und  CD^ma  IHN  [nach  Eurem  Tode]  solcheß  verteilen  an 
Brüder  und  'J-iai  ''Eib  G'D'.r"'  [deren  verwaiste  Kinder  nach  meinem 
Willen].  Nu  \\er[de]  Euch  regulär  schreiben  nD"'D'?  Nti'na  [von 
Anfang  bis  zu  Ende],  wie  bestelt  ist  mit  T]"])  TIN  [meinem  seligen 
Bruder]  sein  ~NVia  [Testament]  und  Affairen. 

Ihr  mußt  wissen,  liebe  Eltern,  wann  |N2  [hierher]  ri"y  "TIN 
[mein  seliger  Bruder]  gekommen  ist  C"i~iL:L:'aNa  [von  Amsterdam] 
in  1757,  war  er  ganz  arm.  Zu  sagen  was  er  spendirt  hat  auf 
die  Reis'  und  das  rrj'PTJl  [RciMberei]  in  Breslau  und  h''ch^'^ 
[UnglücJ],  das  in  Amsterdam  mit  r^b'n  [Krankheiten]  gehat 
hat,  zu  welche  wir  haben  Euch  nit  wollen  i>'iO  [betrüben]  sein 
und  nit  gewußt,  waß  an  zu  fangen,  weil  sich  rD~in''J  [schämen] 
hat,   nach   Philadelphja   wider   in   mNK'*   [Dienst]  zu   gen,    und 

485  =)  15.  Mai  1725  beteiligt  war  (Kaufmann,  Transact.  of  Jew.  Hist.  Soc.  III, 
104  ff.,  vgl.  HyamsoQ,  History  of  the  Jews  in  Enj^land,  S.  241  if.),  ist  mir 
unbekannt.     Vgl.  auch  Ivaufmann-Freudeutbal,  die  Familie  Gomperz,  S.  320. 

^  Die  Familiennamen  Präger.  Prag,  van  Praag,  von  Praag,  auch  v. 
Praagh  begegnen  öfter  in  Amsterdam  und  im  Haag  (vgl.  van  Zuiden,  De 
hoogduitsche  Joden  in's  Gravenhage  (Haag,  1913,  4),  Beilage  IV,  X,  XI; 
ri=N»,  Jahrg.  1789,  S.  376;  Izr.  Letterbode,  ßd.  IV,  S.  86  ff.).  Über  ihre 
genealogische  Zusammengehörigkeit  ist  nichts  bekannt.  Mein  verehrter  Freund 
und  Ratgeber  in  diesen  Dingen,  Herr  S.  Seeligmann  in  Amsterdam,  möchte 
hier  zunächst  an  den  in  Band  IV  d.  Letterbode  mehrfach  (S.  86,  88,  92,  94) 
erwähnten  in  'ns  0"is  jn  TJjrns  pT"N  n  a'os  denken. 

-  Vier  Buchstaben  fehlen. 

^  =  Schlimm-Massel. 

*  Gemeint  ist  natürlich  nicht  nnNtf,  wie  im  Text  steht,  sondern  riiT». 
Sachlich  ist  hieraus  zu  entnehmen,  daß  Salomos  Bruder,  Koppel  Bloch,  oder, 
wie  er  sich  offiziell  nannte:  Jakob  Henry,  bereits  vor  1757  in  Philadelphia 
als  Angestellter  tätig  gewesen  war.  Hier  befand  sich  damals  schon  seit  drei 
'  Jahren  sein  Landsmann,  Vetter  und  Schwager  ynnjö  ne'?»  "i'o  ij)2  oder 
Barnard  Gratz  (geboren  1738  in  Langendorf,  gestorben  20.  April  1801  in 
Baltimore),    und    zwar    zuerst   als    Handlungsdiener   bei   David  Franks,  und 


—     247     - 

kein  Gelt,  iniD  [Kaufmann]  zu  sein.  Doch  sein  erlich  Gemüt 
und  Regard,  das  D"'1J  nn'.D  [christliche  Kaufleute]  vor  ihm  gehat, 
haben  gewußt,  daß  rM^2  b'r\i  (?)  [große  Einsichten  (?)]  und 
NpnDy^  niiriD  [Waren  in  Amerika]  hat.  Ist  ihm  offerirt  worden, 
eine  Partie  liy^  pmriD  [Waren  im  Werte]  vor  [für]  d^d':?n  ';; 
[3000]  Sterling,  ij^'M"  [d.  h],  er  soll  die  Assuranzia^  zahlen, 
welcheß  bald  Nnc^'p  riNTO  '2  [200  Pfund]  wahr,  und  ich  soll  2'ni} 
[Bürge]  sein  vor  die  Kapital.  Alß  hab  ihm  ~^r2  [sofort]  solcheß 
offeriert,  aber  er  hat  nit  wollen  solcheß  akzeptieren,  weil  ni'd 
[Furcht]  gehat  hat,  wann  V'n  [Gott  behüte]  ihn  möchte  zu  kommen 
mit  r'p'']r\  [Schaden].  Denn  wollt  mir  pD"'j\s'-i  (?)  [registern  (?)] 
und  '("^^DN  [auch,  seihst]  die  '-)D"''?  PiND  '2  [200  Pfund]  sonder 
r^iDiy  [Bürgschaft]  ach  nit  wollen  nemen.  Doch  der  "imo  [Kauf- 
mann] hat  kein   'JCD   P'Oiy  [Bürgschaft  von  mir]  w^ollen  haben. 


dann,  wohl  sogleich  nach  seiner  Verheiratung  1760,  als  selbständiger  Kauf- 
mann. Jakob  Henrys  Brief,  d.  d.  New  York  (N'rpn  a:tp  n'n  =)  6.  Januar  1761, 
ist  die  Zweitälteste  Urkunde,  die  die  Familie  Gratz  über  ihre  Ansiedlung  in 
Philadelphia  besitzt  (vgl.  Rosenbach,  H.  P.,  The  Jews  in  Philadelphia 
prior  to  1800,  S.  6  f.,  Morais,  H.  S.,  The  Jews  of  Philadelphia  S.  269).  Er- 
rührt natürlich  erst  aus  der  Zeit  her,  in  der  Jakob  Henry  zum  zweiten 
Mal  in  Amerika  war.  Gratz  und  Henry  waren  nach  den  Totenlisten,  Grab- 
schriften und  sonstigen  Xachrichten  und  Andeutungen  etwa  wie  folgt  ver- 
wandt: (»nnja  nC:»  n,  der  selbstverständlich  weder  aus  der  gefürsteten 
Grafschaft  Steiermark,  noch  aus  dem  Herzogtum  Troppau,  wo  es  im  17.  Jahr- i 
hundert  ganz  gewiß  keinen  einzigen  Juden  gab,  sondern  einfach  aus  Graetz! 
(Kr.  Buk,  in  der  Pr.  Posen)  stammte,  war  durch  seine  Tochter  Berachah 
Jonathan  Blochs  Schwiegervater  und  zog  früher  oder  später  wohl  auch  nach 
Langendorf.  Berachahs  Bruder  Meier  hatte  einen  Sohu  Salomon  (gestorben 
6.  Ijar  504  =  18.  April  1744),  von  dem  uns  vier  Söhne:  Jonathan  (starb 
in  Gr.  Strehlitz  am  5.  Kislew  545  =  18.  November  1784),  Chajjim  (starb 
in  Tworog  am  6.  Schebat  524  =  10.  Januar  1764),  Beer  und  Jechiel,  und 
zwei  Töchter:  Gitel  (starb  am  22.  Adar  II  532  =  27.  März  1772)  und  f 
Lea  bekannt  sind.  Von  den  Söhnen  gingen  Beer  und  Jechiel  nach  Amerika 
und  hießen  in  ihren  neuen  Gewändern  Barnard  und  Michael  Gratz.  Die 
beiden  Töchter  heirateten  zwei  Brüder  Bloch  (Jonathan,  starb  am  8.  Siwan 
461  =^  20.  Mai  1801  und  Feiwel,  starb  nach  der  Mitteilung  seines  Enkels 
und  Namenträgers,  meines  verehrten  Freundes,  des  Rabbiners  Prof.  Dr. 
Philipp  Bloch  in  Posen,  im  Jahre  1804),  die  durch  ihren  Vater  Zwi  Hirsch 
die  Enkel  des  Begründers  der  Gemeinde  waren.  Koppel  und  Salomo, 
zwei  andere  Söhne  Zwi  Hirsch  Blochs,  zogen  nach  England  und  Amerika  und 
erscheinen  dort  als  Jakob  und  Solomon  Henry  wieder. 
'  Gemeint  ist  vermutlich:  Assecurantia. 


—     248     — 

Und  hab  'lü"''?  iv  niNo'^  [210  Pfund]  n"y  ma  [meinem  seligen 
Bruder]  —  £  210  —  gelehnt  und  iß  mit  '"'^D'?;;-ib^D'?  rniRD 
[Waren  nach  PhiladelpJiia]  gangen,  und  wie  [als  er]  ü^  [dorthin] 
gekummen  ißt  [und]  nbTiPDb  [von  vornherein]  sein  ni'riD  [Ware] 
nit  ""a  [sofort]  ap  gesetzt,  iß  er  nebbech '  bald  [beinahe] 
j;:i'tJ'D  [verrüclt]  worden,  alleß  [iveil  er]  ni'D  Furcht  gehat,  daß 
[ich]  'weT[de]  bei  ihm  zu  kurz  kommen.  Und  D"j  "in-iD  [der 
Kaufmann  ebenfalls]  wie  Ber  und  'PNTi"'^  n-iyo  [bezeugen]  kannen 
sein.  D"Dy  [=  D':d  b^  bi),  d.  h.  jedenfalls],  weil  nanbo  [Krieg] 
wahr,  hat  n"3  [=  CLJTi  "jnn,  d.  h.  Gott  sei  Danlc]  b't^  [Glüch] 
gehat  und  besser  geworden  und  vor  ein  "i^n  [Teilhaber]  ge- 
schrieben, welcher  in'D  [Kaufmann]  ihm  geschickt  hat  mit  selbig 
Summa  r~nnD  [Waren],  daß  war  i~iyb  [ungefähr]  in  Jahr  1759. 


'  l^yj,  etwa:  „leider". 

*  Die  letzten  beiden  Worte  sind  im  Text  gestrichen.  Der  hier  ge- 
strichene Jechiel.  der  nach  brieflichen  Mitteilungen  des  Herru  Mayer  Sulz- 
berger  in  Philadelphia,  vom  2.  Juni  1898  und  16.  Juni  1901,  auf  seinem 
Grabsteine  Mß'?»  T'a  '7ND»ö  genannt  ist,  war  der  Bruder  des  oben  (S.  246  Anm.  4) 
genannten  ßaer  oder  Barnard  Gratz.  Im  Jahre  1740  in  Langendorf  ge- 
boren, wanderte  er  nach  London  und  von  dort  1759  nach  Amerika  aus,  wo  er 
zuerst  der  Nachfolger  seines  Bruders  im  Handelshause  David  Franks  war  und 
später  der  Teilhaber  seines  Bruders  wurde.  Ein  an  ihn  nach  London  ge- 
richteter Brief  seines  Bruders  Chajjim  ('Jisnao  isij  n"n)  d.  d.  n»aBiPia  's  Di»  jixiia 
a"«pn  B3!»  N"3,  d.  h.  Tworog  (Dorf  etwa  7  km  östlich  von  Laugendorf),  21. 
Schebat  519  ^  18.  Februar  1759,  ging  ihm  unter  der  Adresse  seines  Vetters  und 
Schwagers  Solomon  Henry,  des  Schreibers  unseres  Briefes,  zu,  der 
damals  in  London  in  Jenowes  Caffe  House  wohnte.  Er  enthält  interessante 
Nachrichten,  die  die  Langendorfer  Akten  glücklich  ergänzen  und  die  dortigen 
Zustände  in  demselben  Lichte  wie  der  vorliegende  Brief  zeigen.  Sie  melden 
u.  a.,  daß  der  Vater  noch  zwei  Brüder,  Mordechai  und  Jesaja,  hatte,  die,  wie 
Sulzberger  bemerkt,  „both  dalfonim"  waren,  und  einen  dritten  Bruder  Isak, 
der  als  lo"?»  bei  seinem  Brudersohn  R.  Jonathan  in  Gr.  Strehlitz  tätig  war 
und  ,,evidentiy  not  a  kozin"  gewesen  ist.  Von  diesem  Bruder  Jonathan 
findet  sich  eine  Nachschrift  im  Briefe,  in  der  er  Michael  auffordert  schleunig 
heimzukehren,  weil  ,,he  has  a  good  shidduch  in  view"  für  ihn,  übersetzt 
Sulzberger,  ,,with  the  daughter  of  R.  Joseph  Tost.''  Am  Ende  war  das 
aa«D  e)Di«  ynn  na  .N'j«n,  die  nun  nach  Piskowitz  oder  Peiskretscham  statt  nach 
Philadelphia  heiratete  und  in  Langendorf  am  (2.  Ab  563  =)  21.  Juli  1803 
zu  Grabe  kam.  Vielleicht  entschließt  sich  Herr  Sulzberger  doch  noch,  wie 
es  längst  seine  Absicht  war,  die  beiden  Briefe  aus  den  Jahren  1759  und 
1761  zu  veröffentlichen.  Michael  Gratz  starb  am  12.  September  1808.  Über 
ihn  und  seine  Nachkommenschaft  s.  Morais,  S.  270  ff.  und  Jew.  Encycl.  s.  v- 


—     249     — 

TNI  "IHN  [danach]  hat  mit  nnn  [dem  Teilhaber]  nit  kanen  accor- 
tiren  und  'J"'nb  ':''2  [inzivischen]  hab  ich  |NZi  nbilJ  HDD  /"/ii'er 
größeres  Ungemach]  gehat  bei  r'iD"''?D  h])'2  [BankerotteurenJ  und 
anderen  Sachen.  Hab  rausen  schreiben  an  n"y  TIN  [meinen 
seligen  Bruder],  mein  Gelt  zurück  ab  sparen  können,  hatte  ihm 
alleß  partikulär  geschrieben.  Sobald  alß  mein  Briw  entfangen 
hat,  hab  angesehen,  daß  ich  über  '"iü"'b  P'SD  '2  [200  P[und]  ver- 
lohren  hab.  Alß  hat  mir  und  erste  ip^D  (?)  .  .  .  .K  Zu  sagen 
mein  eigene  £  210  und  daß  andere  mir  gelehnt,  ob  nötig  hab, 
und  dabei  geschrieben,  wenn  nit  nötig  hab,  solcheß  zu  halten 
und  £  210  auß  [zu]  legen  an  Government  vor  Eltern,  welcheß 
N-iD^/  'lo  iny'p  [etwa  9  P[und]  l^"D  [^  nJK'  b^:  jährlich]  ein  ge- 
bracht hätt.  Mir  gleich  dernach  habe  em[en]  Briw  entfangen, 
wo  er  'lu'''?  HNQ  "iiy'p  ^bi)  [auf  mich  etwa  100  Pfund]  gezogen 
hat  und  mir  geschrieben,  daß  [er]  mJ'VD  [leider]  ganz  krank  ist 
und  doktort,  und  ordinirt  haben  zu  gehn  zu  W  [Wasser]  in  ein/e/ 
warme  nJ"'~D  [Gegend],  und  daß  er  ap  is  von  sein  ~i3n  [Teil- 
haher], und  daß  nyiD  [die  Absicht  hat],  so  bald  als  [e>]  nach 
Phihidelphia  kommt,  mit  Schif  jND  [hierher]  zu  kommen,  und 
denn  [zu]  sehn,  alleß  zu  rechnen  rono  [wegen]  Eltern.  Scheint 
wohl,  er  hat  sein  HNVia  [Testament]  gemacht  in  Philadelphia 
April  14.  1760  und  is  nach  ein  Platz  gegangen,  vor  sein  Gesund 
■ij':'"'\x  "nN"]  N"lp:ti'  [genannt  Rhode  Island],  is  ein  Tt>r\'p [Gemeinde] , 
und  sie  bauen  ein  Schul2,  wo  'n  "TIN  [mein  Bruder  fünf]  Guineas 
derzu  gegeben  hat  und  DCi'  [dort]  ganz  Sumer  über  CNI^J  n"'Q"' 
[die  hochheiligen  Festtage,  d.  h.  Neujahr  und  Versöhnungstag]  ge- 
bliben  ist  und  dann  nach  New  York  gereist  und  ^^TQ  [sich  be- 
raten] gewesen  mit  alle  Doktorim,  die  zu  die  Armee  gehören. 
Sundern  [Außer  dem]  was  hab  ihm  "'aayn  [ich  selber]  geschickt 
"IHN  nD3  zh^2^  |NDD  HiNiDi  jD  [von  Arzneien  von  hier,  und  alle 
haben  einstimmig  erklärt],  daß  "i"'a  [sofort]  nach  England  gehn 
soll.     p~i  [mir]   sein   letzter   Briw,   das   mir  von   New   York  ge- 


^  Drei  oder  vier  Wörter  sind  unleserlich. 

*  In  der  Tat  befand  sich  hier  1762  eine  Gemeinde  von  60—70  Mit- 
gliedern und  beschloß,  eine  Synagoge  zu  bauen,  vgl.  Wiernik,  History  of 
tbe  Jews  in  America,  S.  74.  Nach  unserem  Briefe  fiele  das  Datum  bereits 
ins  Jahr  1761. 


-     250     — 

schrieben  hat,  welcheß  war  iHiO  Dl"p  mj?DtS'  'n  -{-^yb  [etwa  5 
Wochen  vor  seinem  Tode],  daß  er  muß  gehn  '"'''D'7yi"''piD'p  [nach 
Fhiladelphia],  sein  Affären  besser  zu  besorgen.  Nu,  so  bald 
daß  [er]  n^  [dorthin]  gekommen  ist,  hat  über  ^^w:;  '2  [3  Wochen] 
nit  gelebt.  Ich  hab  solcheß  nit  gehört  bis  'lyn:;!'  IHN  iJ^\"n  [d.  h. 
nach  Pfingsten]  von  andre  Leut  pnN"'  n^''JD  [aus  New  York].  Denn 
[=  dann]  iniQ  nnN  nJü'  'n  ■jiy'p  /e^if a  em  Ja/ir  wac/i  seinem  Tode] 
is  die  HNliy  [Testament]  gekommen,  welcheß  hesti[mm]t  TNID 
[etwa  wie  folgt]:  Erst  ordinirt  [er],  alle  seine  n3?n2  [Schulden] 
zu  zahlen  und  rrrinp  nNaiH  [Begräbniskosten],  und  dann  hat  er 
gegeben  in  daß  ÜV~^^^  ''V^  ''\i2^bTr  ^^^bl}i^b'ti2  ]^Db^  n^^ [den Fried- 
hof in  Fhiladelphia  10  Pfund  nach  ihrer  Währung]  ^,  is  n^^  ■|ij;'? 
'~\l2^b  [ungefähr  6  P[und]  Sterling.  Und  an  Beer  und  Jechiel 
mit  samen  '~\D''b  na"?  livb  [ungefähr  30  Pfund]  Sterling,  und  R. 
David  Frenks  P^^•D  DJ  [auch  Matthes]  Busch  ^,  ein  mn'  [Jude], 
seiner  DiDi~iLJ'DNf  [Sachwalter,  Testamentsvollstrecker]  und  hat  sie 
gelaßt  riNDt'  'n  [5  Prozent]  von  allem,  wenn  sie  kannen  alle  min 
[Schulden]  zu  kriegen,  HNT  ihnI  [danach]  vor  last  [hinterläßt  er] 
alleß  an  mir,  da  mit  zu  tuhn,  wie  mir  gefehlt.  DNi  [und  wenn] 
ich  solte  vor  ihm  sterben,  dann  hat  er  eß  gelast  Euch,  und 
dann  aTiNb  [den  Geschwistern]  und  'imn''  [deren  Erben]  —  '"|  GJ 
'iD^b  [auch  20  Pfund]  zu  unsre  Schul  tJ'"iTi'py"'"nD  [in  Wielowisch] . 
Aber   wenn   ich  leb   nach    sein   Taut,  jedere  üWD  [Pfennig]  an 

^  Das  Wort  heißt  richtig:  riuin. 

'  Also  wohl  nach  der  amerikanischen  Währung.  Hier  ist  am  Ende 
ein  urkundlicher  Beweis  für  die  frühzeitige  Existenz  des  für  die  Mitglieder 
der  Familie  Gratz  allein  bestimmten  Teiles  des  Friedhofs  an  der  Spruce- 
street  in  Philadelphia,  der  heute  noch  den  Namen  Griatz  Reservation  führt. 
Es  wird  angenommen,  daß  der  Friedhof  kurz  nach  der  endgültigen  Ein- 
richtung der  Gemeinde  Mikweh  Israel,  zu  dessen  ersten  Vorstehern  Barnard 
und  Michael  Gratz  gehörten,  angelegt  worden  ist,  und  daß  damals  bereits 
Michael  Gratz  einen  Teil  zum  Erbbegräbnis  für  seine  Familie  vorbehalten 
hat;  vgl.  Morais,  S.  201  f. 

*  Gemeint  ist  zweifellos  Matthias  Busch,  der  gerade  so  wie  David 
Franks  und  Barnard  und  Michael  Gratz  zu  den  Unterzeichnern  der  Non- 
Importation-Resolutions  vom  25.  Oktober  1765  gehört  hat.  Diese  Resolu- 
tionen gaben  bekanntlich  die  Veranlassung  zum  Kriege,  dem  die  Vereinigten 
Staaten  ihre  Unabhängigkeit  verdanken  (Morais,  S.  22,  Jew.  Encycl.  IX,  671a). 
M.  Buschs  Sohn  Solomon  war  beiläufig  der  erste  amerikanische  Jude,  der 
zum  Range  eines  Lieutenant-Colonel  emporstieg,  vgl.  Morais,  S.  456  f. 


—     251     — 

mir,  und  zu  tun  da  mit,  waß  ich  wil,  un  zu  teilen,  wie  mir  ge- 
fehlt. Nu,  libe  Eltern,  bis  date,  welches  hy^n  'niD  [nächsten 
PurimJ  schon  '''l^  'D  [3  Jahre]  ist  ^,  sint  iniD  [seit  seinem  Tode], 
habe  inv  ih  [nicht  mehr]  als  £  100  bnpn  [empfangen]  gewesen, 
yi""'  nciTl  /"Go/^  tveiß]^  wie  sein  Affairen  auß  fallen  wer/Vi/en. 
Beste[h]t  alleß  in  rOiH  [Schulden]  zwischen  (?)  cmn^  [Juden], 
da  seinen  schon  HD^'pD  '1  "n  'J  /5  OfZer  4  bankrott],  "lyp'p  [kurz], 
kann  bis  dato  noch  nichts  sagen.  Sein  ~i3n  [Teilhaber]  ist  ]ND 
[hier]  und  hat  ni'd  [Furcht],  seine  Affairen  wer/cZyen  nit 
so  gut  außfallen,  wie  er  gedacht  hat.  7i?2DN  N"i  t'y  D"Dy 
[Jedenfalls,  darauf  verlaß  ich  mich],  weil  ich  leb,  solt  Ihr  das 
Eurige  ny  b'2  1I2D  [ivie  jeder  Zeit]  haben  und  "Tiia  ihn'?  fwac/i 
meinem  Tode],  wie  schon  Dipa  [vorher]  geme\[de]t  hab. 

Habe  "'^d'^VI^'p^dd  /uow  Philadelphia]  schon  an  sint  in  'i 
D^ii'in'n  [seit  4  oder  5  Monaten]  kein  Briw  gehat.  So  bald  Briw 
krig  '""nx  nn  "'Jna  /uow  (i^eset?  beiden  Brüdern,  nämlich  offenbar 
von  Beer  und  Jechiel],  wer[de]  überschiken.  nnn  [die  Winde] 
wahren  über  '^tinn  'n  [2  Monate]  konträr,  und  nan^Q  [der  Krieg] 
hat  :"J  [ebenfalls]  gehiüdert.  Nu  glaube,  wert  gewiß  "h^  [Frieden] 
sein.     Wert  alleß  mit  2"^  [=-  l^DPP  Gt:',  Gottes  Hilfe]  beßer  gehn. 

Was  belangt  '^Din^  [Waisenkinder],  habe  schon  mpa  [vorher] 
mein  Wort  gegeben,  daß  will  alleß,  n^üV^'-^  /kas  in  meiner  Kraft 
steht],  tuhn  um  Gotteswillen.  Waß  willt  Ihr  ^jod  [von  mir] 
haben?  Warum  willt  Ihr  mich  so  traktiren  alle  Zeit  mit  solche 
um  riJcnnn  Schnor  Briw  [unbarmherzigen  Bettelbriefen]'?  Ich 
glaub,  wann  ich  JNZ  [hier]  in  riD^DH  [im  Zuchthause  säße],  solt 
nn  ^72.-1  [alles  eins]^  zu  Euch  sein,  wenn  nur  Gelt  schick.  Rätßet] 
Ihr   noch    das   TiJTu:'^    [die   Einsicht]    gehat    schon  mer(?)  ^X'  Tl 

fünf  Jahre    das  .  .  J3 *  vor  Euch   mit  sameu  gewesen 

und  die  mp^in  [Schäden],  das  gehat  hab,  sondern  waß  Euch 
bewußt  ist,  wie  pb:n  [beraubt]  bin  worden  bei  beide  meine 
Brüder,  um  amahl  zu  schreiben,   wie  es  mir  geht,  ob  er  rb^D''2  ^ 


1  Jakob  Henry  Bloch  starb  demnach  am  20.  März  1761. 

2  Richtig  heißt  das  Wort:  n':i30 

ä  Das  heißt:   „das  würde  euch  ganz  gleichgiltig  sein". 

*  Hier  fehlt  ein  Stück,  auf  dem  8—10  Buchstaben   gestanden  haben 
mögen. 

*  Vgl.  oben  Anm.  2. 

Guttmann,  Festschrift. 


—     252     — 

[im  stände]  ißt,  [etivasj  zu  tun  i<b  "n  [oder  nicht] ;  na  S  ich  bin 
den  Hammer  Schlak  gewohnt.  Alleß  v:fr>2r  (?)  }r  "'D  (?)  'i  daß, 
daß  ich  pDpy  (?)  mir  "'O''  ^D  /aZZe  ineme  Lehtage]  kein  pläsirlich 
Briwen,  niks  alß  n'H  [Armut]  und  Schnorrerei 2.  Alß  ersuche, 
libe  Eltern,  mir  nur  schreiben,  wie  Ihr  fahrt,  und,  wenn  Zeit 
kommt,  '"'Din"'  [die  Waisenkinder]  zu  besorgen,  mir  wissen  laßen. 
Euer  Gelt  seit  Ihr  n"^N  [=  uu;r\  nan^  gn:  so  Gott  will]  HJK'  'an  b 
/a?Ze  Halbjahre]  regulär  krigen  "Ti'D  iriN'"  "'"'nn  /6e«  meinen  Leb- 
zeiten und  nach  meinem  Tode] . 

Liber  Vater,  nu  ersuche  ich,  mir  daß  Gefallen  zu  tun,  und 
bitte  kein  Remur  [Rumor]  davon  zu  machen  und  rekommaudirn, 
daß  alleß  mit  TDN  [Wahrheit]  un  Ehrlichkeit  besteht,  un  mir  wissen 
lasen,  riNHul  nos  [ivie  viel  Kosten]  sein  möcht,  um  ein  neu  Schul 
zu  bauen  in  Wielowisch  mußt  und  kein  Eil  sein,  bis  all/e/ß  '"C 
[=  ipn^  (?)  in  Ordnung  (?)]  schreiben  kannßt.  Habe  mein  Re- 
song,  und  naD  [wieviel]  ein  mpD  [Badehaus] ^  kosten  solt  auf  zu 
bauen,  Werßt  sunder  Fehl  mir  solcheß  bekannt  machen.  Sonsten, 
lib  herzig  Vater  und  Mutter,  lebt  wohl,  grißt  an  meine  Brüder, 
D.T'JD'  ürT'ii'J'i  an  [sie  und  ihre  Weiber  und  Kinder]  und  "'Jn  'pd'7 
'?'?D2  "UTiDDCD  [alle  unsre  Familienmitglieder  insgesamt] ,  und  par- 
tikulär mein  Schwegerniß  bekannt  machen,  daß  ihre  Briwen 
~iDyn  y  i3K/n  üDNDH  t'y  [auf  der  Post  vorige  Woche]  entfangen  und 

wer[de]  solcheß  ....•*  stellen.     Wünsch    mein   liebe 

[dd^O'']  n^onN  lyn  iT^yon  ddjd  ^joo  [von  mir,  Eurem  Sohn,  der  für 
Euer  langes  [Leben]  betet]  'pn  [=  ]i^pr\  der  bescheidene]  riüh^ 
T<^2  "-ns  -)"2  [Schelomo,  Sohn  des  R.  Zeivi  Bloch]. 

NB.  Wev[dejt  mir  n3"i:'n  "i'D  [bald  Antwort]  schreiben  rann 
^'h'n  [wegen  des  Wechsels],  und  "'3N  [mein  Vater]  wert  seinen  Namen 
schreiben  oyiiN  'cd  [wie  auf  der  Adresse],  weil  hab  iDii'  [seinen 
Namen]  in  selbig  Manier  jND  [hier]  lassen  schreiben. 


'  Das  Wort  ist  wohl  ein  deutsches  ,,Mah'*.  Wir  pflegen  hochdeutsch 
eher  „pah"  zu  sagen. 

^  „"N  -insjK»"  steht  in  der  Urschrift.     Vgl.  oben  S.  241. 

^  über  das  Bethaus  handeln  die  deutschen  Urkunden  Nr.  3  —  5  (aus 
dem  Jahre  1771),  über  das  Badehaus  die  Urk.  Nr.  15  (aus  dem  Jahre  1803) 
des  Gemeindebuches. 

*  Der  Raum  für  etwa  neun  Buchstaben  ist  abgerissen. 


—     253     — 

[Die  Adresse  lautet:] 

Mr.  Hirschel  Jonas  Henry 
p.  Breslau  Lougindorff  , 

,p.  Tost. 

Es  ist  wahr,  daß  alle  im  vorstehenden  Familienbriefe  und 
in  den  Anmerkungen  dazu  erzählten  Einzelheiten  zunächst  nur 
als  ein  großer  Haufe  mehr  oder  minder  interessanter  Kleinig- 
keiten erscheinen.  In  ihrer  Gesamtheit  aber  bilden  sie  einen 
schlagenden  Beweis  für  die  gewaltigen  in  unserer  durch  Glauben 
und  Abstammung  geeinten  Gemeinschaft  ruhenden  geistigen  und 
sittlichen  Kräfte,  die  nur  entbunden  zu  werden  brauchen,  um 
sofort  in  ihrer  ganzen  Eigenart  wirksam  zu   werden. 

Die  Gebrüder  Gratz,  die  das  Land  verlassen  müssen,  weil 
ihnen  das  natürlichste,  jedem  Menschen  durch  seine  Geburt  zu- 
stehende Recht,  das  Heimatsrecht,  in  ihrem  Geburtslande  versagt 
ist,  müssen  über  das  Weltmeer  wandern,  erwerben  nach  kurzer 
Frist  dort  das  Staatsbürgerrecht,  kommen  zu  Vermögen,  Ein- 
fluß und  Ansehen  und  entfalten  eine  erstaunlich  umfangreiche 
gemeinnützige  Tätigkeit  zum  Wohle  ihrer  Glaubensgemeinschaft 
und  ihres  Vaterlandes,  das  gerade  damals  vor  ihren  Augen  und 
unter  ihrer  lebhaften  Anteilnahme  sich  die  endgültige  Unab- 
hängigkeit erkämpft  1.  In  noch  höherem  Maße  gilt  das  vom 
nächsten  Geschlecht.  Schriftsteller  von  der  überragenden  Be- 
deutung eines  Walter  Scott  und  eines  Washington  Irving  preisen 
es  als  einen  Vorzug,  sich  des  Umganges  mit  Rebekka^,  der  Tochter 
Michael  Gratz\  erfreuen  zu  dürfen,  und  Walter  Scott  liefert 
ein,  wie  man  versichert,  wohlgelungenes  Abbild  seiner  Freundin 
in  der  „Rebekka"  seines  Romans  Ivanhoe.  Und  ihr  Bruder 
Hyman3  rief  mit  seinen  reichen  Mitteln  das  Gratz-College  in 
Philadelphia  ins  Leben,  das  eifrig  mit  der  Aufgabe  beschäftigt 
ist,  die  Wissenschaft  des  Judentums  zu  fördern  und  zu  pflegen. 

'  Vgl.  Morais  11  ff.,  22..  25.,  201.,  269  f.,  444,  459. 

2  Geboren  14.  März  1781,  gestorben  24.  August  1869.  Vgl.  Morais 
a.  a.  0.  bes.  147  ff.  271  f.  und  den  Artikel:  The  Original  of  Rebecca  in 
Ivanhoe"  im  Century  Magazine,  Jahrgang  1882,  S.  679  ff.,  zitiert  in  der  Jew, 

Encycl.  VI,  83  b. 

*  Geboren  23.  September  1776,  gestorben  18.  Dezember  1856.  Vgl. 
Morais  a.  a.  0.  u.  bes.  269  ff.  und  die  Einleitung  zu  Nr.  1  der  Publications 
of  the  Gratz  College  (Philadelphia  1897). 


—     254     — 

Hinter  den  amerikanischen  Vettern  stehen  jedoch  in  keiner 
Weise  die  daheim  gebliebenen  Sprößlinge  der  Familien  Grätzer 
und  Bloch  zurück.  Der  Geh.  Sanitätsrat  Jonas  Grätzer  z.  B.  hat 
sich  als  medizinischer  Schriftsteller  einen  Namen  gemacht ',. 
war  in  Breslau  dirigierender  Arzt  des  jüdischen  Krankenhauses 
und  hat  eine  Zeitlang  die  Stadtverordneten- Versammlung  und  viele 
Jahre  die  Repräsentanten -Versammlung  der  Synagogen-Gemeinde 
geleitet.  Ein  anderer  Abkömmling  desselben  Geschlechts, 
Alfred  Grätzer  aus  Groß-Strehlitz^,  hat  sich  als  talentvoller 
Maler  hervorgetan  und  ist  in  jungen  Jahren  in  Berlin  ge- 
storben. 

Von  den  Blochs  aber  gehört  der  eine^  dem  Vorstand 
der  „Gesellschaft  zur  Förderung  der  Wissenschaft  des  Juden- 
tums" an.  Sein  Vetter  sitzt  im  Ausschuß  des  Deutsch- 
Israelitischen  Gemeindebundes,  und  dessen  gleichnamiger  Bruder- 
sohn ist  soeben  im  Felde  als  Sanitätsoffizier  durch  Verleihung 
des  Eisernen  Kreuzes  ausgezeichnet  worden. 

Dasselbe  Schauspiel  wie  bei  diesen  einzelnen  der  heimat- 
lichen Enge  entflohenen  Sprößlingen  der  beiden  genannten  Ge- 
schlechter zeigt  sich  prompt  und  rechtzeitig  bei  der  gesamten 
daheimgebliebenen  Landjudeuschaft.  Was  ist  doch  aus  diesen 
Krämern,  Trödlern,  Hausierern,  Koberjuden  und  Dorfläufern 
geworden  30  Jahre,  nachdem  sie  durch  das  Edikt  vom 
11.  März  1812  von  den  Fesseln  befreit  und  zu  königlich 
preußischen  Staatsbürgern  geworden  waren!  Eine  zuverlässige 
Statistik  aus  dem  Jahre  1842,  die  sich  über  1853  oberschlesische 
Familien  mit  etwa  10000  Seelen  erstreckt,  gibt  uns  eine  er- 
schöpfende Antwort  darauf'*.  An  Kauf-  und  Handelsleuten  gab 
es  damals  nur  noch  752  unter  ihnen.      Von  den  übrigen  waren 


'  Verl.  Pagrel,  Biogr.  Lex.  hervorr.  Ärzte  des  19.  Jahrhunderts  s.  v.    Er 

O  0         7  O 

war  geboren  inTost  am  19. Oktober  1806,  u.  starb  in  Breslau  am  25.Novbr.  1889. 

2  Geb.  28  Dezbr.  1875  in  Gr.  Strehlitz,  gest.  11.  August  1911  in  Berlin. 
Er  war  wohl  ein  Nachkomme  des  S.  248,  Anm.  2  erwähnten  Jesaia.  Vgl.  Simon 
Grätzer,  Grätzerscher  Familienkalender  (Breslau  1879),  S.  20  und  Nachtrag 
S.  64;  Karl  Schwarz,  Alfred  Grätzer.     Ein  Gedenkblatt  (Berlin  1911)  S.  8,ll£F. 

3  Vgl.  oben  S.  248  f.,  Anm    4  und  sogleich  weiter  unten. 

*  Sie  ist  aufgenommen  von  Abraham  Muhr  in  Pleß  und  veröffentlicht 
in  Wilh.  Freunds  Zeitschrift  „Zur  Judenfrage  in  Deutschland",  Band  II, 
S.  53  ff. 


» 


—     255     — 

45  Gelehrte  und  Künstler  und  477  Handwerker,  die  mit  254 
jüdischen  Gesellen  und  Lehrlingen  arbeiteten.  482  Familienväter 
ernährten  sich  als  Gast-  und  Schankwirte,  Fuhrleute  und  Dienst- 
boten, und  97  standen  in  Gemeindediensten.  121  junge  Leute 
dienten  im  stehenden  Heere,  obgleich  damals  die  Juden  der 
allgemeinen  Dienstpflicht  noch  nicht  unterlagen.  61  standen  in 
städtischen  Ehrenämtern,  und  zwar  48  als  Stadtverordnete  und 
13  als  Mitglieder  des  Magistrats.  Unter  den  Stadtverordneten 
waren  fünf  als  Vorsteher  oder  als  Protokollführer  tätig.  Auf 
dem  Lande  lebten  etwa  200  Familien,  von  denen  10  Rittergüter 
besaßen,  deren  Ökonomie  teilweise  als  Musterwirtschaften  an- 
erkannt waren.  Von  den  1772  schulpflichtigen  Kindern  besuchten 
32  höhere  Lehranstalten,  993  jüdische  und  738  christliche 
Volksschulen;  die  restlichen  9  waren  vermutlich  außerhalb  des 
Bezirkes  eingeschult. 

Über  die  außerordentlichen  Leistungen  schlesischer  Juden 
im  Bereiche  der  exakten  Wissenschaften  habe  ich  erst  jüngst 
gelegentlich  gesprochen ^  Im  jetzigen  Zusammenhange  sei  nur 
noch  einmal  für  das  Gebiet  der  Wissenschaft  des  Judentums 
auf  die  drei  Oberschlesier  David  Rosin,  Philipp  Bloch  und 
den  Jubilar,  dem  diese  Festschrift  gewidmet  ist,  hingewiesen. 
Es  bedarf  da  des  Lobens  und  des  Rühmens  nicht.  Die  Zeit- 
genossen wissen  allesamt,  welche  hervorragenden  bleibenden 
Verdienste  sie  sich  alle  drei  um  die  jüdische  religionsphiloso- 
phische Literatur  erworben  haben. 


^  Frech  und    Kampers,  Schles.   Landeskunde   (Leipzig  1913)    S.   139. 


Zur  Geschichte  der  Juden  in  Deutschland  im 
18.  Jahrhundert  nach   Hildesheimer  Zeitungs- 
stimmen. 

Von  A.  Lewinsky. 

Hildesheim,  die  „hübsche,  fromme  Kehilla"  ^  (Gemeinde) 
kann  sich  rühmen,  den  Gelehrten,  dem  diese  Sammlung  als 
Festgabe  gewidmet  ist,  als  religiösen  Führer  18  Jahre  hindurch 
besessen  zu  haben.  Am  31,  März  1874  machte  Herr  Dr.  Jakob 
Guttmann  in  einem  gedruckten  Rundschreiben  den  „Vorstehern 
und  Lehrern  der  Synagogen-Gemeinden  der  Landdrostei  Hildes- 
heim" die  Anzeige,  daß  er  „am  12.  März  d,  J.  in  sein  Amt  als 
Landrabbiner  für  den  Hildesheimer  Landdrosteibezirk  eingetreten 
sei  und  die  Führung  der  Geschäfte  übernommen  habe".  Und 
als  er  infolge  der  Berufung  zum  Rabbiner  der  Synagogen- 
Gemeinde  in  Breslau  am  1.  März  1892  die  Verwaltung  des 
Landrabbinats  niederzulegen  im  Begriflfe  war,  rief  er  seinen 
Bezirksgemeinden  in  einem  ebenfalls  gedruckten  Zirkular  vom 
Februar  jenes  Jahres  eineo  Abschiedsgruß  zu,  der  den  Passus 
enthält:  „Mit  tiefer  Wehmut  scheide  ich  aus  dem  Kreise  meiner 
Gemeinden,  in  deren  Mitte  ich  achtzehn  Jahre  lang  gewirkt 
habe  ....  Mögen  sie  dem  Scheidenden  ein  freundliches 
Andenken  bewahren,  wie  ich  ihrer  stets  in  herzlicher  Liebe  und 
Teilnahme  gedenken  werde." 

Wahrlich!  Noch  heute,  nach  mehr  als  zwei  Jahrzehnten,, 
ist  dem  ehemaligen  Hildesheimer  Landrabbiner  in  gar  vielen 
Kreisen  des  einst  von  ihm  verwalteten  Bezirks  eine  dankbare 
Erinnerung  erhalten  geblieben. 

Als    ein  Zeichen  verehrungsvollen  Gedenkens  mögen  dem 


^  Memoiren  der  Glückel  Hameln,  ed.  Kaufmann  (1896),  S.  142. 


—     207     — 

Jubilare  diese  „Hildesheimer  Zeitungsstimmen"  gelten,  die  ihm 
sein  Amtsnachfolger  hiermit  als  Festgruß  bietet.  Diese  Stimmen, 
die  aus  den  Blättern  des  in  der  hiesigen  Stadtbibliothek  auf- 
bewahrten „Hildesheimer  Relations-Couriers"  ^  aus  längst  ver- 
klungenen  Tagen  zu  uns  dringen,  mögen  aus  Hildesias  Mauern 
hinweg  zum  Oderstrande  weiterklingen,  kündend  von  dem  An- 
denken, das  dem  hochverehrten  Amtsgenossen  in  seinem  einstigen 
Wirkungskreise  bewahrt  geblieben  ist! 

Diese  Zeitungsstimmen  melden  uns  von  mehr  oder  minder 
wichtigen  Begebenheiten  aus  alter  Zeit,  die  sich  in  der  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  innerhalb  der  verschiedensten  Gebiete 
Deutschlands  ereigneten. 

Auf  den  folgenden  Blättern  können,  da  eine  zeitliche 
Begrenzung  wegen  des  zur  Verfügung  stehenden  Raumes  inner- 
halb dieser  Festschrift  erfolgen  muß,  nur  geschichtliche  Nach- 
richten aus  wenigen  Jahrgängen,  und  zwar  solche,  die  den 
Zeitraum   1748  — 1754^  umfassen,  geliefert  werden. 

Der  Jahrgang  1748  enthält  in  No.  2  (Donnerstagischer, 
den  4,  Januarius)  die  Meldung  aus  Wien  (vom  20.  Dez.):  „Der 
in  voriger  Woche  durchgegangene  Jude  Süßkind,  welcher 
über  300000  fl.  filoudiret  hat,  ist  bey  Bresslau  attrapiret  worden". 

In  No.  8  (Donnerstagischer,  den  18.  Januarius)  finden  wir 
folgende  berichtigende  Nachricht  aus  Wien  (vom  31.  Dez.): 
„Seit  dem  9.  dieses  hat  man  in  den  hiesigen  und  verschiedenen 
Reichs-Zeitungen  gelesen,  daß  der  Jude  Siskind  Oppen- 
heimer^  von  hier  entwichen  sey,    und  viele  Kostbarkeiten  von 


'  E.  Feldhaus,  Bücherverzeichnis  der  Städtischen  Bibliothek  in  Hildes- 
heim (1900),  Sonder-Abteilung  (S.-A.).     Hildesheimisches,  S.  57  (S.-A.  XIII.). 

-  Die  auf  Juden  in  Italien  bezüglichen  Stellen  aus  der  oben- 
genannten Zeitung  sind  von  mir  in  „Rivista  Israelitica",  IV,  1907  (Firenze), 
S.  64  ff.  unter  dem  Titel  „Sulla  storia  degli  Ebrei  in  Italia  durante  il 
secolo  XVIII"  veröffentlicht  worden,  während  die,  Juden  in  Polen  und 
Rußland  betreffenden,  geschichtlichen  Berichte  in  der  Vierteljahrschrift 
„Hakedem",  I,  1907  (St.  Petersburg),  S.  195  flP.  ihren  Platz  gefunden  haben. 

^  Über  die  Familie  Oppeuheimer  in  Wien  s.  M.  Grrunwald,  Samuel 
Oppenheimer  und  sein  Kreis  (^=  Quellen  und  Forschungen  zur  Geschichte 
der  Juden  in  Deutsch-Österreich.  V.  Bd.),  Wien  und  Leipzig  1913.  Im 
„Verzeichnis  der  Personen"  wird  daselbst  S.  352  unter  „Oppenheimer"  ein 
-Siskind  0."  nicht  erwähnt. 


—     258     — 


I 


großem  Werthe,  nebst  andern  Geldern,  mit  sich  genommen 
habe,  damit  selbiger  möchte  angehalten  werden;  Jetzo  aber  hat 
man  in  Erfahrung  gebracht,  dass  sich  der  entwichene  Siskind 
des  Nahmens  Oppenheimer  fälschlich  bediene,  um  den  Credit 
dieser  in  guten  Ansehen  stehenden  uralten  Familie  zu 
missbrauchen.  Sein  eigentlicher  Name  ist  Siskind  Hess^, 
und  man  hat  solches  dem  Publico  hierdurch  zur  Nachricht 
bekannt  machen  wollen,  damit  dieser  Siskind  Hess,  nicht  Oppen- 
heimer, aller  Orten,  wo  er  sich  dürfte  betreten  lassen,  in 
gerichtliche  Haft  möge  gezogen  werden".  |! 

Aus  No.  31  (Dienstagischer,  den  12.  Martins)  erhalten  wir 
die  Kunde  aus  „Bresslau"  (vom  28.  Febr.),  daß  daselbst  am 
24.  Febr.  der  aus  Hamburg  gebürtige  Samuel  Aaron  „den 
Lohn  seiner  .  .  .  Mordthaten  und  Räubereyen"  (durch  Hinrichtung) 
gefunden.  Der  Delinquent  hatte  sich  bereits  1738  in  Breslau 
taufen  lassen,  wobei  er  den  Namen  Johann  Bardol  angenommen, 
er  starb  jedoch  trotz  der  Bemühungen  der  PP.  Capuziner,  „ihn 
in  der  Beständigkeit  der  einmal  bekannten  Christlichen  Religion 
zu  erhalten",  im  „Jüdischen  Unglauben".  Im  Berichte  wird 
seine  „sittsame  Standhaftigkeit"  beim  Anhören  des  Todesurteils 
auf  dem  Exekutions-Platze  hervorgehoben  und  bemerkt:  „Er 
begehrte  weiter  nichts,  als  daß  die  weiße  Cannefassene^  Mütze 
und  Camisolgen,  welche  er  sich  ausdrücklich  dazu  verfertigen 
lassen,  ihm  .  .   ,  gelassen  werden  möchten  .  .  ." 

No.  54  (Dienstagischer,  den  7.  May)  meldet  aus  Prag 
(vom  18.  April):  „Es  ist  alhier  die  Nachricht  eingelauffen,  daß 
in  dem  Städtlein  T  ach  au,  1  Meile  von  Plan,  am  9.  dieses  des 
Nachts  um  1  Uhr,  eine  unvermutete  Feuersbrunst ^  bey  einem 
Juden^  entstanden,  wodurch  in  kurzer  Zeit  130  Häuser,  .  .  . 
in  die  Asche  geleget  worden". 

^  Näheres  über  ihn  ist  mir  nicht  bekannt. 

^  Im  „Hildesheimer  Relations-Courier ",  Anno  1755,  No.  75,  wird  im 
„Avertissement"  (unter  „Einbeck")  in  der  Reihe  von  „Ellen  Waaren"  neben 
„Pärchen"  und  „Nesseltuch"   auch  „Kanefaß"  genannt. 

*  Über  dieses  Brandunglück  in  Tachau  vgl.  Bondy-Dworsky,  Zur 
Geschichte  der  Juden  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien,  II.  Teil,  S.  680, 
in  der  Anmerkung  (S.  676  beginnend),  nach  Angabe  aus  „Geschichte  der 
Stadt  Tachau"  von  Jos.  Stocklöw  (1878). 

*  Er  hieß  Isak  Samuel  Bloch,  s.  Bondy-Dworsky  a.  a.  0. 


—     259     - 

In  No.  83  (Dienstagischer,  den  16.  Julius)  begegnen  wir 
der  Mitteilung  aus  Wien  (vom  4.  JuL):  „Der  hiesige  Kaiserl. 
Hof  ist  zeithero  mit  sehr  wichtigen  Geschäften,  ....  sehr 
beschäfftiget;  unter  diesen  ist  eine  der  merckwürdigsten,  dass  Ihre 
Kaiserl.  Majest  ....  die  Emigration  deren  Böhmischen  und 
Prager  Juden ^  allermildest  nicht  allein  widerruffen,  soodern 
allergnädigst  resolviret,  Höchstderoselben  Jüdische  Unterthanen  in 
Dero  Erb-Ländern  Böhmen  und  Mähren,  sicher  und  ohngehindert 
zu  verbleiben,  besonders  in  Dero  Haupt- Stadt  Praag,  sich  wieder 
wie  vorhin  in  der  so  genannten  Judenstadt  zu  etabliren,  und 
alle  Privilegia  und  Freyheiten,  so  dieser  Nation  .  .  ,  genossen, 
ins  zukünftige  geniessen  sollen,  folglich,  dass  in  wenigen  Tagen 
diese  Emigranten  unter  ein  beständiges  Ruffen,  vivat  Theresia 
.  .  .  ihren  Einzug  in  der  Judenstadt  zu  Praag  halten  werden, 
man  zu  gewarten  hat". 

Obige  Nachricht  wird  ergänzt  durch  die  Notiz  in  No.  85 
(Sonnabendischer,  den  20.  Julius)  aus  Prag  (vom  8.  Jul.): 
„Durch  eine  heute  aus  Wien  angekommene  Staffette  vernimmt 
man,  dass  Ihro  Majestät  die  Kaiserin-Königin  die  hiesigen 
Juden  wieder  in  ihre  vorige  Freyheit  und  Privilegium  gesetzet 
haben",  und  durch  die  Meldung  in  No.  89  (Dienstagischer,  den 
30.  Julius)  aus  Breslau  (vom  11.  Jul.):  „In  Prag  ist  jüngsthin 
ein  Expresser  aus  Wien  mit  der  Verfügung  an  das  dasige 
Gouvernement  angelanget,  die  vor  einigen  Jahren  aus  selbigem 
Königreich  verwiesene  Juden  wieder  aufzunehmen,  und  ihnen 
die  vormals  genossene  Rechte  und  Freyheiten  wieder  angedeyhen 
zu  lassen",  sowie  durch  den  Bericht  in  No.  102  (Donnerstagischer 
den  29.  Augustus)  aus  „Praag"  (vom  14.  Aug.):  „Nunmehro 
soll  es  seine  völlige  Richtigkeit  haben,  daß  der  Böhmischen 
Judenschafft,  vermittelst  eines  auf  10  Jahre  lang  errichteten 
Recesses,  die  Wiedereinnehmung  in  hiesige  Königliche  Haupt-Stadt 
allergnädigst  ist  bewilliget  worden,  und  ein  gleiches  soll  auch 
von    den    in    dem    Marggrafthum    Mähren^    angesessenen 

^  Vgl.  hierzu:  Grätz.  Gesch.  der  Juden  X^  S.  355  f.,  Kaufmann  in 
Graetz-Jubelschrift,  S.  293,  Jew.  Kncycl.  II  330  („Austria"),  X  157  („Prague") 
sowie  besonders  G.  Wolf,  Die  Vertreibuug  der  Juden  aus  Böhmen,  im  Jahr- 
buch für  die  Geschichte  der  Juden  und  des  Judentums,  IV,  S.  145  ff.  und 
Steinschneider,  Die  Geschichtsliteratur  der  Juden,  I.  S.  147,  §  244. 

2  Vgl.  Jew.  Encycl.  VIII  684  („Moravia"). 


-     260     — 

Juden  zu  verstehen  seyn;  dabey  aber  in  beiden  erwehnten 
Kaiserl.  Königl.  Erblanden  eine  gewisse  Anzahl  Familien,  so 
sich  in  den  beyden  Haupt- Städten  niederlassen  dürfen,  be- 
stimmt wird". 

Der  Jahrgang  1749  weist  folgende  Nachrichten  auf: 

In  No.  20  (Sonnabendischer,  den  15.  Februarius)  wird  aus 
Aachen  (vom  2.  Febr.)  von  „Roß-Händelers  und  Juden" 
berichtet,  welche  zwischen  Brüssel  und  Lüttich  einige  100  Pferde 
gekauffet  haben,  die  sie  durch  das  Jülische  und  Cölnische 
Land  in  das  Clevische,  und  ferner  in  andere  Preussische  Länder 
bringen  sollen,  weil  die  Preussen  ihre  Cavallerie,  .  .  .  wieder 
beritten  machen  wollen,  .  .   .". 

No.  23  (Sonnabendischer,  den  22.  Februarius)  meldet  aus 
Cöln  (vom  14.  Febr.):  „Briefen  von  Franakfurt  zu  Folge  hat 
dasiger  Magistrat,  nachdem  er  von  verschiedenen  Orten  erfahren, 
dass  man  in  auswärtigen  Landen  die  Stadt  Franckfurt  für  die 
Olficin  ansähe,  wo  Juden  und  andere  gewissenlose  Leute  die 
Ducaten  beschnitten  i,  ....  ohnlängst  die  Zugänge  zu  dem 
Juden-Quartier  mit  Wache  besetzen,  und  die  verdächtigsten 
Häuser  visitiren  lassen  .  .  .  ." 

No.  61  (Sonnabendischer,  den  24.  May)  bietet  hierzu  als 
Ergänzung  die  Mitteilung  aus  „Franckfurt"  (vom  26.  May): 
„Verschiedene  Bankiers,  .  .  .  sind  bisher  .  .  .  zur  Verantwortung 
geladen  worden,  und  von  denen  Juden  sind  schon  viele  arrestirt 
worden,  .  .    .  .". 

No.  51  (Donnerstagischer,  den  1.  May)  bringt  außer  einer 
Notiz  aus  „Freyberg"  (vom  31.  Mart.)  betreiFs  „der  vornehmsten 
Ursachen,  Avarum  dies  Land  (Sachsen)  mit  .  .  .  sehr  schlechten 
.  .  silbernen  Geld-Sorten  überschwemmt  gewesen  ist",  wobei 
„einer  gewissen  fremden  Person,  welche  sich  mit  den  Juden 
verstehet",  gedacht  wird,  aus  Berlin  (vom  24.  April)  Kunde 
von  der  in  Templin  erfolgten  Taufe  eines  „im  18ten  Jahr 
seines  Alters"   stehenden  Juden,  Moses  Herz^. 

*  Vgl.  J.  Kracauer,  Die  Kulp-Kannschen  Wirren.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  jüdischen  Gemeinde  in  Frankfurt  a.  M.  im  XVIII.  Jahr- 
hundert (SA.  a.  d.  Archiv  für  Frankfurts  Geschichte  und  Kunst.  Hsg.  v. 
Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  zu  Frankfurt  a.  M.  Dritte  Folge. 
X  Bd.  1910),  S.  18  und  21. 

^  Der  Täufling  erhielt  die  Namen  Christlieb  Leopoldus  Gotthold. 


—     26L     — 

In  No.  77  (Donnerstagischer,  den  3.  Julius)  ist  der  „Extract 
eines  Sehreibens  aus  Breslau"  über  die  am  21.  Juni  1749 
daselbst  erfolgte  Explosion  des  Pulverturms  '  aufbewahrt,  in  dem 
es  heißt:  „Die  Juden  haben  insonderheit  sehr  vieles  dabey 
gelitten.  Denn,  ohnweit  dem  Pulver-Thurme  stunden  2  große 
weitläuftige  Häuser,  die  Fecht-Schule  und  Packey-Hof2 
genannt,  welche  man  füglich  eine  besondere  kleine  Juden- 
Stadt  nennen  könnte;  Weil  sonst  niemand,  als  Juden  darinnen 
zu  herbergen  pflegten,  wie  sie  denn  auch  ihren  Gottesdienst 
daselbst  verrichteten.  Diese  beyde  Häuser  nun  sind  fast  völlig 
zertrümmert,  und  folglich  sehr  viele  Juden  unter  den  Ruinen 
begraben  worden.  Heute  Nachmittags  hatte  man  schon  30  Juden- 
Cörper  hervor  gezogen,  ohngeachtet  man  mit  den  Abräumen 
noch  nicht  sonderlich  weit  gekommen  war  .  .   .   ." 

Weitere  Mitteilungen  über  diese  „unglückliche  Begeben- 
heit", die  in  den  Nummern  78,  79  und  81  enthalten  sind,  wurden 
von  mir  im  „Hakedem"  I.  Jahrg.,  St.  Petersburg  1907,  S.  197  f. 
veröffentlicht. 

In  No.  96  (Sonnabendischer,  den  16.  Augustus)  vernehmen 
wir  aus  Hamburg  (vom  4.  Augustus):  „Den  22.  verwichenen 
Monats  entstund  in  Altona^  ein  grosser  Auflauf  des  Volcks, 
wozu  ein  Jude  Gelegenheit  gab,  welcher  vorwendete,  es  habe 
ihn  ein  Schneider-Bursche  beleidiget.  Der  Jude  versezte  des- 
wegen dem  Schneider-Burschen  mit  einem  Stocke  einen  so 
harten  Schlag,  daß  er  bald  hernach  davon  starb.  Das  Volck 
gerieth  hierdurch  in  die  äusserste  Wuth,  suchte  sich  an  den 
Häusern  der  Juden  zu  rächen,  plünderte  einige  rein  aus,  und 
warf  die  Fenster  in  der  Synagoge  ein.  Der  Stadt-Präsident 
drohete  dem  Volcke,  daß  er  ein  Detachement  Cürassier  in  die 
Stadt    wolte    rücken    lassen.      Weil    nun    Altena    die    Freyheit 


*  Vgl.  M,  Brann,  Ein  Breslauer  Gedenktag,  im  ..Jahr -Buch  zur 
Belehrung  und  Unterhaltung",  beigefügt  dem  „Jüdischen  Volks-  und  Haus- 
Kalender  für  das  Jahr  1899,  (46.  Jahrg.)  Breslau  1898,  S.  81  ff.  und  die 
von  mir  in  „Hakedem"  I,  S.   197,  A.  2.,  erwähnten  Werke. 

■'  Brann  a.  a.  0.  S.  84  f. 

'  Über  diesen  Tumult  kann  ich  nichts  Näheres  mitteilen.  Auch  Herr 
Rabbiner  E.  Duckesz  (Altona)  konnte  mir  (laut  Nachricht  vom  2'6.  10.  14) 
keine  Auskunft  hierüber  geben. 


—     262     — 

geniesset,  keine  Garnison  zu  haben,  so  machte  die  Furcht,  dieses 
Privilegium  zu  verlieren,  bey  dem  Volcke  einen  solchen  Eindruck, 
dass  der  Tumult  wieder  gestillet  ward". 

In  No.  123  (Sonuabendischer,  den  18.  Octob.)  erfahren 
wir  aus  Prag  (vom  1.  Oct.):  „Am  Sonntage  Vormittags  zwischen 
9  und  10  Uhr  fiel  in  der  Juden-Stadt  bey  der  Pinckes- 
Schule^  ein  Haus,  4  Stockwerke  hoch,  plötzlich  ein.  Ob  nun 
gleich  dadurch  5  Personen,  nemlich  2  erwachsene,  und  3  Kinder, 
verschüttet  wurden;  So  brachte  man  sie  doch  alle  lebendig 
wieder  heraus.  Von  den  3  Kindern  hatte  eines  3  Stunden  und 
eines  5  Stunden  lang  unter  dem  Schutte  gelegen.  Dieses  leztere 
starb  gestern". 

No.  150  (Sonnabendischer,  den  20.  December)  übermittelt 
aus  „Franckfurt"  (vom  12.  Dec.)  den  Bericht:  „Die  Juden, 
welche  sich  hier  gegen  einen  ihrer  Vorsteher  empöhret2  haben, 
sind  noch  gegen  denselben  sehr  verbittert.  Derohalben  hat 
unser  Magistrat  ein  Detachement  Soldaten  ^  in  die  Juden- 
Strassen  verleget,  um  fernem  Unheil  vorzubeugen.  Die  Com- 
missarien,  welche  diese,  der  Juden  Sache,  untersuchen  und 
beylegen  sollen,  sind  auch  schon  ernennet". 

Aus  dem  Jahrgange  1750  seien  folgende  Nachrichten  ver- 
zeichnet: 

No.  38  (Sonnabendischer,  den  28.  Martins)  gibt  aus  „Maynz" 
(vom  20.  Mart.)  Kenntnis  von  dem  wegen  Wein-Verfälschung 
gegen  den  dortigen  „Juden  Moyses  Scheu  Schwab*  und 
dessen  Sohn  Elias"  erflossenen  Strafurteil^. 


'■  Über  diese  Prager  Synagoge  vgl  Jew.  Encycl.  X  159  („Prague") 
und  Aladar  Deutsch,  Die  Zigeiner-,  Grossenhof-  und  Neusynagoge  in  Prag, 
1907,  S.  8,  A.  1.  und  S.  16,  A.  1. 

-  Über  den  Kulp-Kannschen  Streit  zu  Frankfurt  a.  M.,  über  den  auch 
weiterhin  gemeldet  wird,  vgl.  Steinschneider,  Geschichtsliteratur  I,  S.  148 
§  250  und  besonders  J.  Kracauer,  Die  Kulp-Kannschen  Wirren. 

ä  S.  Kracauer  a.  a.  0.  S.  21  ff. 

*  Mitglieder  der  Familie  Schwab  werden  von  Salfeld  in  „Bilder  aus 
der  Vergangenheit  der  jüdischen  Gemeinde  Mainz  (19Ü3)  oft  erwähnt,  z.  B. 
S.  51,  57,  61  f.,  75,  124  ff. 

5  Vgl.  auch  „Hildesheimer  Relations-Courier«,  1750,  No.  43  (Sonn- 
abendischer, den  11.  April),  woselbst  die  Verordnung  des  Kurfürsten  und 
Erzbischofs  Johann  Friedr.  Carl,  dd.  Mainz,  11.  Mart.  (1750)  wegen  Wein- 
Verfälschung  abgedruckt  ist.     S.  weiter  S.  262  (Jahrg.  1751,  No.  26). 


—     263     — 

No.  39  (Donnerstagischer,  den  2.  April)  meldet  aus  Ham- 
burg (vom  27.  Mart.):  ,,Was  von  der  Juden schaft  (bei  der 
Sammlung  zwecks  Wiederaufbau  der  verbrannten  St.  Michaelis- 
kirche ^   daselbst)    eingekommen,    hat  mau  noch  nicht  erfahren". 

Dieselbe  No.  (39)  zeigt  aus  Prag  (vom  14.  Mart.)  an: 
„Zwischen  gestern  und  heute  ist  abermals^  in  hiesiger  Juden- 
Stadt  ein  Haus  eingefallen,  wodurch  verschiedene  Personen, 
die  darin  gewohnet,  verschüttet  worden,  von  denen  man  bereits 
etliche  aus  dem  Schut  heraus  gezogen  hat;  andere  aber  haben 
bis  jetzo  nicht  gefunden  werden  können". 

No.  91  (Dienstagischer,  den  4.  Augustus)  enthält  aus 
„Friedberg,  in  Ober-Bayern"  (vom  20.  Julii)  die  Mitteilung 
einer  „wundersamen  Wirkung"  eines  Blitzes,  der  am  17,  Jul. 
„in  Pfersse^n^,  eine  halbe  Stunde  von  Augspurg  gelegenen 
Dorfe,  in  ein  Juden-Hauss  .   .   .  geschlagen,  .   .   .  ." 

No.  139  (Dienstagischer,  den  24.  November)  berichtet  aus 
Hanau  (vom  12.  Nov.)  von  gegen  Juden  —  darunter  „Nathan 
und  Aschel"  (lies:  Anschel)  —  wegen  Wein-Verfälschung  ver- 
hängten Strafen.  „Die  Juden  müssen  nunmehr,  heißt  es  zum 
Schluß,  ihren  Wein-Handel  ganz  einstellen". 

Im  Jahrg.   1751  begegnen  wir  folgenden  Meldungen: 

No.    26     (Dienstagischer,    den    2.    Mart.).      Hanau    (vom 

16.  Febr.):  „Von  Maynz  hat  man,  dass  die  wegen  Wein-Ver- 
fälschung auf  ein  Jahr  zum  Zuchthause  verurtheilte  Juden, 
Moyses  Schay  Schwab*,  und  dessen  Sohn,  nach  aus- 
gestandener sothaner  Strafe,  dem  weitern  Urtheil  gemäss,  der 
Churfürstl.  Lande  auf  ewig  verwiesen  worden,   .   .   .   ." 

No.  49  (Dienstagischer,  den  27.  April).     Frankfurt  (vom 

17.  April):    „Der   Jude^,    welcher   nahe   bey  Worms,    auf  Be- 

^  S.  M.  Grunwald,  Portugiesengräber  auf  deutscher  Erde  (Hamburg 
1902),  S.  125  und  meine  Rezension  dieser  Schrift  in  AZJ,  1902,  No.  45,  S.  540. 

■'  S.  diese  S.  262  (Jahrg.  1749,  No.  123). 

^  Über  Juden  in  Pfersee  s.  Jew.  Encycl.  IX  659. 

•*  S.  oben  S.  262  (Jahrg.  1750,  No.  H8). 

^  Der  arrestierte  Jude  war  David  Meyer  .Juda  Kulp,  über  den  Kracauer 
a.  a  0.  S.  13  ff.  zu  vergl.  ist.  Über  die  Verhaftung  s.  a.  a.  0.  S.  29.  Die 
obige  Notiz  und  die  folgenden  Berichte  aus  No.  65  und  No.  71  bilden  eine 
Ergänzung  zu  dem  ,Jntermezzo",  über  welches  „leider  eingehende  Mit- 
teilungen   fehlen"    (a.    a.  0.    S.   29,    A.  4.).     Grunwalds   Angabe    in    seinem 


—     264     — 

gehren  des  Churfürsten  von  Mayntz  ist  arrestiret  worden,  ist 
nach  dem  Schloss  Starkenburg  gebracht,  woselbst  er  von  Chur- 
Mayntzischen  Commissarien  examiniret  werden  soll.  Dieser 
Jude  ist  einer  von  den  principalsten  und  reichsten 
Juden,  die  hier  wohnen.  Man  glaubet  aber  nicht,  dass  man 
ihm  dasselbe  wird  beweisen  können,  wessen  er  beschuldiget  wird, 
absonderlich  weil  er  den  Grafen  de  Cobentzell,  Kaiserl.  Minister, 
und  den  hiesigen  Kaiserl.  Residenten  .   .  .  auf  seiner  Seite  hat". 

No.  65  (Sonnabendischer,  den  5.  Junius).  „Franckfurt" 
(vom  27.  May):  „Die  Uneinigkeit  unter  den  hierwohnenden 
Juden  dauret  noch  immer,  und  die  Erbitterung  zwischen  den 
beyden  Partheyen  ist  schon  so  heftig  geworden,  dass  sie  den 
15ten  dieses,  an  einen  Sonnabend,  da  doch  ihr  Sabbath  war, 
handgemein  ^  wurden,  und  sich  recht  tüchtig  herumprügelten. 
So  bald  der  Magistrat  solche  Unordnung  erfuhr,  schickte  selbiger 
unverzüglich  ein  Detachement  von  unserer  Garnison  ab,  um 
die  erhizten  Juden  auseinander  zu  bringen,  und  durch  derbe 
Rippen-Stösse  mit  den  Flinten  einen  Waffenstillstand  unter  ihnen 
zu  vermitteln,  welches  auch  glücklich  bewerckstelliget  wurde. 
Hierauf  verfugten  sich  die  Herren  Bürgermeister  persönlich  in 
die  Synagoge,  erkundigten  sich  nach  den  Umständen  dieses 
Lärmens,  und  Hessen  die  verwegensten  von  den  Juden  in 
Verhaft  nehmen". 

Bald  darauflesen  wir:  „Der  Jüdische  Banquier,  welcher 
eztens  auf  Befehl  des  Churfürsten  von  Maynz  in  der  Gegend 
von  Worms  angehalten  ward,  ist  vor  etlichen  Tagen  durch 
Vorbitte  des  Kaiserl.  Ministers,  Hrn.  Grafen  von  Cobenzel, 
wieder  in  Freyheit  gesetzet  worden,  zumal  da  sein  Ankläger 
die  Beschuldigungs  -  Puncte  wider  ihn  nicht  hinlänglich  be- 
weisen konte". 

No.  71  (Sonnabendischer,  den  19.  Junius).  Frankfurt  (vom 
10.  Jun.):  „Die  hier  wohnende  Juden  haben  vor  einigen 
Tagen  Deputirte,  nebst  einer  Suplique  nach  Maynz  gesandt, 
darin  sie  Ihro  Churfürstl.  Gnaden  demüthigst  bitten,  den  B an- 
Werke „Samuel  Oppenheimer  und  sein  Kreis",  S.  259,  daß  David  Maier 
Kalp  „Frankfurter  Rabbiner"  gewesen,  ist  zu  berichtigen. 

^  Über  dieses  Handgemenge  in  der  Frankfurter  Synagoge  am  15.  Mai 
1751  habe  ich  bei  Kracauer  nichts  gefunden. 


i 


-     265     - 

quier,  David  Jacob *,  losszulassen,  welcher  bey  Worms  in 
Arrest  ist  genommen  worden.  In  solcher  Suplique  erbieten  sie 
sich,  eine  Caution  zu  stellen,  als  nur  von  ihnen  könte  gefodert 
werden,  weil  ihre  ganze  Nation  grossen  Schaden  leiden  würde, 
wenn  solcher  Wechsler,  den  sie  als  ihren  Agenten  nach  Wien 
schicken  wolten,  länger  in  Arrest  bleiben  solte;  Man  hat  aber 
noch  nicht  vernommen,  daß  die  Juden  auf  ihr  Bitschreiben 
eine  gewünschte  Antwort  erhalten  hätten". 

No.  72  (Dienstagischer,  den  22.  Junius).  „Nieder-Elbe" 
(vom  12.  Jun.):  „Unter  der  Judenschaft  zu  Altona  ist  eine 
grosse  Uneinigkeit  und  Spaltung^  entstanden,  avozu  ihr  Rabbi, 
welcher  statuiret,  dass  der  Messias  bereits  gekommen  sey,  Aulaß 
gegeben;  Denn  da  die  Hälfte  dieser  seiner  Lehre  beygepflichtet, 
so  sind  die  anderen,  die  bey  ihrer  alten  Meynung  unveränderlich 
beharren,  mit  jenen  in  heftige  Misshelligkeiten  gerathen,  wovon 
die  Folgen  zu  erwarten  sind". 

No.  73  (Donnerstagischer,  den  24.  Junius)  bringt  aus 
„Schlawe  in  Pommern"  (den  6.  Jun.)  die  Nachi'icht  von  der 
Taufe  eines  „Menschen,  welcher  bey  der  hiesigen  Juden- 
schaft viertehalb  Jahr  als  Rabbi  gewesen  ist^". 

No.  75  (Dienstagischer,  den  29.  Junius).  „Franckfurt"  (vom 
21.  Jun.):  „Das  Detachement  unserer  Garnison,  welches  bisher 
in  den  Jüdischen  Quartieren  gelegen,  ist  da  heraus  gezogen 
worden^,  weil  der  Jude  Bar  Low  Isaac^,  welcher  der  Urheber 


*  Es  ist  dafür  David  Juda  (Meyer  Kulp)  zu  lesen,  s.  S.  263,  A.  3.  Im 
Jahrg.  1752  des  ,.Hildesheimer  Relations-Couriers",  No.  9,  wird  „David  Juda 
Meyer"  genannt,  s.  S.  267). 

^  Vgl.  hierzu  Graetz,  Geschichte  der  Juden  X^  S.  347  if.,  M.  Grunwald, 
Der  Hamburger  Amulettenstreit  über  die  Hinneigung  des  Oberrabbiners 
Jon.  Eybeschütz  zum  Sabbatianisraus,  in  seiner  Schrift  „Hamburgs  deutsche 
Juden  bis  zur  Auflösung  der  Dreigemeinden  I8ll  (1904),  S.  89ff.  und  Jew. 
Encycl.  V  308  ff.  („Eybeschütz"). 

^  Er  empfing  in  der  Taufe  den  Namen  Johann  Gotthelf. 

*  Nach  Kracauer  a.  a  0.  S.  2J,  A.  3,  ward  „die  Wache  im  Juni  1751 
a;uf  1  Unteroffizier  und  8  Gemeine  herabgesetzt". 

^  Über  Bär  Low  Isaac  (Kann)  vgl.  Dietz,  Stammbuch  der  Frankfurter 
Juden  (1907).  S.  162f.  und  S.  175  sowie  Kracauer  a.  a.  0.  S.  Uff.  Bar  Low 
Isaac  wird  auch  im  Jahrg.  1752  des  ..Hildesheimer  Relations-Couriers", 
No.  9,  erwähnt  (s.  S.  267).  Es  sei  auch  hier  auf  die  im  Lagerkatalog  625 
von    Joseph    Baer    &   Co.,    Frankfurt   a.   M.,    S.   46,    No.   862,    verzeichnete 


—     266     — 

der  Jüdischen  Uneinigkeit  gewesen,  sich  mit  der  Flucht  ^  davon 
gemacht  hat.  Wenn  unser  Magistrat  nicht  beyzeiten  das  Feuer 
der  Zwietracht  in  der  Asche  gedämpfet  hätte,  so  wäre  ihre 
Synagoge  gewiss  ein  Schlacht-Feld  geworden". 

No  92  (Sonnabendischer,  den  7.  August).  „Dressden" 
(vom  25.  Jul.):  „Die  hiesigen  Juden  besitzen  nun  den  ihnen 
vor  dem  schwarzen  Thore  eingeräumten  Gottesacker-  in  vöUiger 
Ruhe,  und  es  liegen  bereits  etliche  von  ihren  Leichen  darauf 
begraben.  Ihre  Ältesten,  insonderheit  der  Königl.  Hof-Factor, 
Aaron  S.  Israel^,  der  Hof- Juwelier,  Ephraim  Levi-^, 
und  der  Hof-Agent,  Joseph  J.  Meyer^,  können  ihre  Freude, 
welche  sie  über  diese  ihnen  unvermuthet  widerfahrene  Königl. 
Gnade  empfinden,  noch  nicht  bergen". 

In  No.  118  (Donnerstagischer,  den  7.  October)  wird  ge- 
legentlich eines  aus  Braun  schweig  (vom  30.  Sept.)  gemeldeten 
„gewaltsamen  Einbruchs  zu  Zorge,  in  der  Hüttenschreiber- 
Wohnung"  erwähnt:  „Indem  sie  (die  Diebe)  die  Flucht  ergriffen, 
verlohren  sie  einen  Juden-Calender^  vom  Jahre  1751,  wo- 
„Geschichts-ErzehluDg,  Gründlich-  u.  Actenmäßige,  ad  causam  Beer  Low 
Isaac  .  .  .  contra  .  .  .  David  Mayer  Juda  und  Consorten  .  .  .  Frankfurt  1751" 
hingewiesen.  Sollte  diese  Schrift  die  von  Kracauer  S.  36  genannte  Broschüre 
sein,  die  „verloren  gegangen  zu  sein  scheint"  (A.  1)?  Vgl.  noch  Stein- 
schneider, Geschichtsliteratur  I,  S.  148,  §  250  und  §  251. 

^  Kracauer  erwähnt  in  seiner  Darstellung  S.  29  £F.  nichts  von  der 
Flucht  Kanns. 

^  Über  die  Überweisung  des  Friedhofs  in  Dresden  an  die  5  Bevoll- 
mächtigten (10.  März  1751)  vgl.  Emil  Lehmann.  Gesammelte  Schriften 
(Berlin  1899)  in  seiner  „Festrede  zur  Feier  des  125jährigen  Bestehens  der 
Israelit.  Beerdigungsbrüderschaft  und  Krankenverpfleguugsgesellschaft  (in 
Dresden)  am  13.  Febr.  1875",  S.  42,  BrüUs  Populär-Wissensch.  Monatsblätter, 
14.  Jahrg.,  1894,  S.  94 f.  sowie  Jew  Encycl.  IV,  S.  658  („Dresden")  und 
A.  Levy,  Geschichte  der  Juden  in  Sachsen,  (Berlin,  19C0)  S.  69 

^  Über  Aaron  Samuel  Israel  s.  Lehmann  a.  a.  0.  S.  42  und  S,  48 
sowie  A.  Wolf,  Rückblick  auf  die  Geschichte  der  Isr.  Krankenverpflegungs- 
gesellschaft zu  Dresden,  in  der  „Jabres-Rechnung"  jener  Gesellschaft  auf 
das  Jahr  1899  (150.  Jahr  ihres  Bestehens),  S.  3  („Aron  Israel  [Halle])" 
und  S.  17. 

*  Lehmann  a.  a.  0.  S.  42f 

6  Lehmann  a.  a.  0.  S.  42  („Joseph  Jonas  Meyer")  und  S.  48  („Joseph 
Meyer")  sowie  Wolf  a    a.  0.  („Joseph  Meyer"). 

^  Über  den  „Berliner  Kalender"  vgl.  Steinschneiders  ;, Anhang"  zu 
,.Hebr.  Drucke  in  Deutschland"  in  Zeitschrift  für  die  Gesch.  d.  Juden  in 
Deutschland,  Bd.  III,  S.  271  S 


ll 


—     267     — 

runter  Aaron  Moses ^  gedrukt  war,  sammt  einem  darin  liegenden 
Raths-Passe  sub  dato  Schönfliess  den  8ten  Februarii  1751, 
welcher  auf  Hirsch  Abraham,  Schutz-Juden  in  Dessau, 
und  seinen  Consorten,  nach  Hamburg  und  zurück  nach  Dessau 
reisend,  gestellet  ist". 

In  No.  152  (Dienstagischer,  den  28.  December)  ist  ein 
„Münz-Edict  von  Friderich  IL,  gegeb.  Berlin  den  3.  December 
1751",  abgedruckt,  in  welchem  in  der  damals  üblichen  Weise 
sub  e)  der  Passus  sich  findet:  „Wie  denn  auch  alle  Kaufleute 
und  Crämer,  insbesondere  aber  die  Juden,  welche  auswärtige 
Messen  und  Marckte  besuchen,  ernstlich  hiemit  angewiesen 
werden,  ..." 

Aus  dem  Jahrg.  1752  ist  der  in  No.  9  (Donnerstagischer, 
den  20.  Januarius)  vorhandene  Bericht  aus  „Franckfurt"  (vom 
9.  Jan.)  zu  verzeichnen,  in  dem  gemeldet  wird:  „Man  vernimmt, 
dass  der  Jude,  David  Juda  Meyer^,  der  in  dieser  Stadt 
wohnhaft,  und  welcher  vor  einigen  Monaten  auf  seiner  Reise 
nach  Wien,  in  den  Maynzischen  Ländern,  auf  Befehl  dieses 
Churfürstens  arrestiret,  durch  Vorsprache  des  Grafens  von 
Cobeuzel,  Kaiserl.  Minister  am  Chur-Maynzischen  Hofe  wieder 
loss  gelassen  worden  sey,  und  nun  seinen  Weg  nach  Wien  wieder 
vornimmt.  Man  weiss  nicht,  ob  die  Streitigkeiten  zwischen 
denselben  und  den  Juden  Bar  Low  Isaac^,  der  das  Haupt 
seiner  Gegeuparthey  ist,  wegen  der  Einkünfte  der  hiesigen 
Synagoge  geendiget  seyn,  oder  nicht?  um  welcher  Streitigkeiten 
willen  der  lezte  den  ersten  auf  seiner  Reise  nach  Wien  hat 
arrestireu  lassen". 

In  No.  36  (Donuerstagischer,  den  23.  Martins)  wird  aus 
Prag  (den  6.  Mart.)  von  der  am  25.  Febr.  stattgehabten  Taufe 
eines  „Paars  Jüdische  Eheleute"  berichtet,  während  wir  in 
No.  47  (Donnerstagischer,  den  20.  April)  aus  Berlin  (vom 
15.  April)  erfahren:  „Es  haben  Se.  Majestät  .  .  ein  Edict  dd. 
Berlin  den  10.  Januarii  d.  J.  öffentlich  bekannt  machen  lassen, 
dass    alle   in  Höchstderoselben   sämmtlichen  Landen   befindliche 


•  Über  diesen  „Druckherrn  bezw.  Verleger"  s.  Steinschneider  a.  a.  0. 
S.  263  und  S.  273. 

■'  S.  oben  S.  263,  A.  3. 
»  S.  oben  S.  266,  A.  5. 

Guttmann,  Festschrift.  l" 


—     268     — 

Juden,  bey  Verlust  ihres  Schuz-Privilegii,  sich  des  Pachtens 
und  Haltens  der  Wollspinnereyen,  aucli  Aufkaufung  der  ein- 
ländischen  Wolle,  und  des  Garns,  in  den  Städten,  und  auf  dem 
platten  Lande,  gänzlich  enthalten  sollen"  '. 

Von  einem  anderen  Königl.  Edict  dd.  Berlin,  den  20sten 
Martii  1752,  nach  welchem  „die  Membra  derer  Krieges-  und 
Domainen-Cammern,  und  derer  Justiz-Collegiorum,  auch  alle 
diejenigen,  die  zu  Administration  der  Justiz  bestellt  sind,  von 
ihren  Subalternen,  desgleichen  von  Beammten,  ...  Kaufleuten, 
und  Juden,  kein  Geld,  weder  auf  Wechsel,  noch  Obligation, 
oder  Schein,  lehnen  sollen",  gibt  in  No.  53  {Donnerstagischer, 
den  4.  May)  eine  Correspondenz  aus  Berlin  (vom  29.  April) 
Kunde. 

Aus  No.  95  (Sonnabendischer,  den  12.  August)  erfahren 
wir,  daß  in  Oranienburg  bei  einem  am  1.  August  erfolgten 
sehr  starken  Gewitter  auch  „2  Juden-Jungen  von  dem  Blitze 
am  Leibe  heftig  verbrannt  wurden". 

No  133  (Donnerstagischer,  den  9.  November)  bringt  aus 
„Praag"  (vom  21.  Oct.)  die  Nachricht:  „In  dem  eine  halbe 
Meile  von  hier  liegenden  Dorfe  Mottol  sind  neulich  5  Jüdische 
Familien  ermordet  worden.  Da  nun  deswegen  ein  Commando 
von  der  hiesigen  Garnison,  ICO  Mann  stark,  ausgeschicket,  und 
eine  General- Visitation  gehalten  worden  ist;  so  hat  besagtes 
Commando  40  verdächtige  Personen  mit  anhero  gebracht.  Ob  die 
Thäter  sich  mit  darunter  befinden,  solches  wird  die  Zeit  lehren." 

Außerdem  lesen  wir  in  No.  136  (Donnerstagischer,  den 
16.  November)  laut  Correspondez  aus  „Freyburg"  (den  28.  Oct.) 
von  der  Taufe  des  „bisher  gewesenen  Schultheissen  der  gesamten 
Brissgauischen  Judenschaft,  David  Günzburger  von 
Alt-Brisach"-,   während  No.   141   (Dienstagischer,  den  28.  No- 

'  Vgl.  L.  Geiger,  Geschichte  der  Juden  in  Berlin  I.,  ö.  65  und 
H.  Jungfer,  Die  Juden  unter  Friedrich  dem  Großen  (Leipzig  183'1),  S.  20, 
woselbst  der  Grund  für  das  Verbot  mit  den  Worten  „damit  die  Manufacturiers 
und  Fabricanten  die  Wolle  aus  der  ersten  Hand  bekommen"  angegeben  ist. 
Schon  im  „revidirten  General-Juden-Privilegium  und  Reglement"  dd.  Berlin, 
den  17.  April  1750  war  laut  Artikel  14  den  Juden  der  Handel  mit  inländischer 
Wolle  und  Garn  verboten,  s.  Jungfer  a.  a.  0.  S.   17. 

*  S.  meine  Notiz:  Ein  Täufling  aus  der  Familie  Günzburg  vor 
150  Jahren  in  Löwensteins  „Blätter  für  Jüdische  Geschichte  und  Literatur", 
IIL  (1902),  S.  16. 


—     269     — 

vember)  durch  einen  Bericht  aus  „Prenzlow*'  (den  17.  Nov.) 
von  dem  Übertritt  „eines  Jüdischen  Schulhalters  Tochter  aus 
Schönenflies  in  der  Neumark  von  20  Jahren,  Euphrosina 
Wölfin"'   berichtet. 

Aus  dem  Jahrgange  1753  können  keine  Mitteilungen 
gegeben  werden,  da  ein  Exemplar  des  „Hildesheimer  Relations- 
Couriers"  aus  jenem  Jahre  in  der  Stadtbibliothek  nicht  vor- 
handen ist. 

Aus  dem  Jahre  1754  notieren  wir  folgendes: 

In  No.  4  (Dienstagischer,  den  8.  Januarius)  wird  aus 
Frankfurt  (den  30.  Dec.)  von  „Nachträubern"  im  Hessischen 
gemeldet,  zu  denen  Juden  gehören,  und  in  No.  29  (Donners- 
tagischer, den  7.  Martins)  wird  aus  Berlin  (den  28.  Februarii) 
von  Juden  berichtet,  die  in  Mecklenburg  -  Strelitz  und 
Lychem  wegen  Diebstahlsverdachts  verhaftet  wurden. 

No.  33  (Sonnabendischer,  den  16.  Martius).  Berlin  (vom 
12.  Martii):  „Se.  Königl.  Maj.  haben  allergnädigst  beschlossen, 
alhier  eine  Mineralien-  und  Fossilien-Societät  zu  errichten,  und 
darüber  den  associirten  Entrepreneurs,  dem  Bley-Fabricanten, 
Nicolaus  Zacharias  Schneider,  .  .  .  und  dem  Schutz-Juden, 
Moses  FränckeU,  nicht  allein  ein  Privilegium  privativum  auf 
20  Jahre  allergnädigst  ertheilt,  auch  denenselben,  .  .  .  die 
Accise-  und  Zoll-Freyheit  .   .  bewilliget,  ..." 

No.  60  (Dienstagischer,  den  21.  May)  enthält  aus  Wien 
(den  8.  May)  die  Nachricht,  dass  „der  Jude  Jacob  Oppen- 
heimer^,  sein  Weib  Judith,  und  ihre  3  Söhne  von  11,  5  und 
anderthalb  Jahren,  getaufet"  worden  sind. 

No.  66  (in  der  Vorlage  irrtümlich:  No.  56,  Donnerstagischer, 
den    6.    Junius)    bringt    einen    „Auszug    eines    Schreibens    aus 


^  Moses  Hirschel  Fränkel,  Buchhalter  und  Aufseher  des  Seiden- 
fabrikanten  Moses  Ries  in  Berlin,  wird  in  der  Kabinetsordre  vom  31.  Mai  1749 
genannt,  s.  A.  Cohn,  Der  Anteil  der  Juden  an  dem  Aufblühen  der  Seiden- 
industrie in  Berlin  im  18.  Jahrhundert,  (AZJ.,  1902,  No.  42,  S.  499).  Er  ist 
wohl  identisch  mit  dem  im  Hildesh.  Relations- Courier  1755,  No.  125 
(Donnerstagischer,  den  23.  Oct.)  unter  den  „Entrepreneurs"  der  Kgl.  Münzen 
erwähnten  „Franckel"? 

^  Näheres  über  ihn  ist  mir  unbekannt.  Bei  Grunwald,  Samuel  Oppen- 
heimer u.  8.  Kreis  wird  S.  352  im  „Verzeichnis  der  Personen"  unter 
„Oppenheimer"  ein  „Jacob  0."  nicht  genannt. 

18* 


—     270     — 

Prag"  (vom  24.  May),  aus  dem  wir  die  Kunde  erhalten:  „Die 
alhier  entstandene  grosse  Feuersbrunst*  ward  endlich,  .  .  .  vor- 
gestern gedämpft.  Wir  können  uns  von  dem  durch  6  Tage 
ausgestandenen  Schrecken  bis  jetzo  noch  nicht  erhohlen;  weil 
das  Feuer,  besonders  in  der  Juden-Stadt  beständig  fort- 
gedauret,  in  welcher  dann  auch  nicht  mehr  als  28  Häuser  übrig 
geblieben,  .  .  .  Sonst  wollen  einige  gar  die  Anzahl  der  ab- 
gebrannten Juden-Häuser  bis  auf  900  vergrössern." 

In  No.  71  (Dienstagischer,  den  18.  Junius)  finden  wir  in 
einer  Mitteilung  aus  Wien  (vom  5.  Jun.)  auf  Grund  der 
„ferneren  Nachrichten  aus  Prag"  (unterm  28.  May)  die  Anzahl 
der  „durch  das  am  17.  in  der  Juden-Stadt  entstandene  un- 
glückliche Feuer  in  die  Asche  gelegten  und  zur  Sicherheit 
abgedeckten  Juden-Häuser"  mit  227  angegeben. 

No.  90  (Donnerstagischer,  den  1.  Augustus)  übermittelt 
aus  Wien  (vom  18.  Jul.)  die  Kunde:  „Man  sagt,  dass  die 
Kaiserin-Königin  sich  resolviret,  denen  Christen  und  Juden  in 
Prag,  welche  durch  die  lezte  Feuersbrunst  Schaden  gelitten, 
eine  Summa  Geldes  aus  der  sogenanten  Sturm-  und  Feuer- 
Casse,  einige  Jahre  nacheinander,  austheilen  zu  lassen". 

No.  100  (Sonnabendischer,  den  24.  Augustus)  gibt  von 
Berlin  aus  (vom  15.  Aug.)  Kenntnis  von  der  Taufe  des 
„17jährigen  Sohnes  des  Juden  zu  Gross-Glogau,  Lipp- 
mann Bors  2. 

Aus  No.  114  (Donnerstagischer,  den  26.  September)  er- 
sehen wir  laut  Bericht  aus  Berlin  (den  21.  Sept.):  ,,Der  Jude, 
Isaac  Symons^,  aus  Amsterdam,  ein  Sohn  des  dasigen 
reichen  Banquiers  und  Handelsmanns,  Berend  Symons,  welcher 
sich  den  24.  des  abgewichenen  Monaths  zu  Charlottenburg  mit 
des    gewesenen   Juweliers    und    Schütz-Juden    alhier    in    Berlin, 

'  Über  diesen  Brand  in  Prag  s.  Zunz,  Literaturgeschichte  der  syna- 
gogalen  Poesie,  S.  452  und  Steinschneider,  Geschichtsliteratur  I,  S.  149  §  252. 

2  Berndt,  Geschichte  der  Jaden  in  Gross-Glogau,  enthält  nicht  den 
Namen  „Bors".  Ist  er  =  Beer?,  s.  Berndt  a.  a.  0.  S.  92,  wo  eine  Tochter 
des  R.  Beer  (a.  1768)  verzeichnet  wird.  Näheres  über  die  „nur  sehr  ver- 
einzelt vorgekommenen  Fälle  von  Übertritten  der  Juden  zum  Christentum" 
s.  daselbst  S.  93  f. 

^  Mitglieder  der  Familie  Simons  in  Holland  sind  bei  Kaufmann- 
Freudenthal,  Die  Familie  Gomperz,  S.  367,  A.  1,  genannt. 


—     271     — 

Hirschel  Abrahams'  Tochter,  Namens  Friderica  Hir- 
schelin  verlobte,  wil  sich  nunmehro  mit  einem  ansehnlichen 
Capital,  völlig  nach  Berlin  wenden,  auch  ein  vieles  von  seines 
Vaters  weitläuftigen  Handlung,  und  Correspondenz  hieher  ziehen." 

In  dem  in  No.  117  (Donnerstagischer,  den  3.  October) 
abgedruckten  „Münz-Edicte"  der  „Kgl.  Preuss.  Chur-Märckischen 
Krieges-  und  Domainen-Cammer"  findet  sich  natürlich  der 
damals  übliche  Passus:  ,,  .  .  wie  denn  auch  die  sämmtliche 
Judenschaft  hierdurch  ge warnet  wird,   .   .   .  ." 

No.  151  (Sonnabendischer,  den  21.  December)  meldet  aus 
Frankfurt  (den  9.  Dec.)"  ,,Die  vorige  Nacht  entstund  in  der 
hiesigen  Juden-Gasse  ein  Brandt,  mit  dem  es  sehr  gefährlich 
aussähe;  allein  durch  die  guten  Anstalten  wurde  doch  das 
wütende  Feuer  noch  vor  Tage  dergestalt  gedämpfet,  dass  nur 
einige  Gebäude  abgebrannt,  und  etliche  andere  ziemlich  be- 
schädiget sind.  Es  haben  auch  dabey  einige  Personen  das 
Leben  eingebüsset,  die  theils  erstickt,  theils  im  Herabspringen 
unglücklich  gewesen  sind.  Das  Jammern  und  Wehklagen  war 
allgemein;  denn  man  erinnerte  sich  mit  dem  grösten  Entsetzen 
der  grossen  Feuersbrünste,  als  von  1711^,  da  den  14ten  Januar 
Abends  nach  8  Uhr  die  Juden-Gasse  völlig;  von  1719^,  da 
den  26.  und  27.  Jun.  ein  sehr  grosser  Theil  der  Stadt,  und 
von  1721^,  da  die  Juden- Gasse  halb  abgebrannt". 

In  der  folgenden  No.  (152,  Dienstagischer,  den  24.  December) 
ist  in  einer  Correspondenz  aus  Frankfurt  (den  12.  Dec.)  eine 
nähere  Schilderung  jenes  Brandes  aufbewahrt.  Sie  lautet:  ,,Das 
Feuer,  das  in  der  Sonntags-Nacht  hiesige  ganze  Stadt  in  Schrecken 
gesetzet,   war    in    des  Rüben  Benedict   Beyfuss^  Hause    ent- 


*  Über  Hirschel  Abraham  vgl.  Geiger,  Geschichte  der  Juden  in  Berlin, 
II,  S.  95  (a.  1750)  und  M.  Stern  in  Israelit.  Monatsschrift,  1908,  No.  10,  S.  37 f. 

'  Kracauer  gedenkt  in  seiner  „Geschichte  der  Judengasse  in  Frank- 
furt a.  M.  (Festschrift  zur  Jahrhundertfeier  der  Realschule  der  isr.  Gemeinde 
[Philanthropin]  zu  Frankfurt  a.  M.),  1904,  S.  367  nicht  dieses  Brandes.  Er 
erwähnt  daselbst  A.  1,  nur  einen  kleinen  Brand  vom  6.  Nov.  1741. 

*  Vgl.  über  diese  Feuersbrunst  im  Frankfurter  Ghetto  die  bei  Stein- 
schneider, Geschichtslit.  I,  S.  138,  §  217  verzeichneten  Schriften. 

*  Über  den  sogenannten  „Christenbrand"  s.   Kracauer  a.  a.  0.  S.  362. 

*  Kracauer  a.  a.  0.  S.  361  f 

*  Über  die  Familie  „Bejfus"  s.  A.  Dietz,  Stammbuch  der  Frankfurter 


—     272      ~ 

standen,  und  man  weiss  noch  nicht,  wie  dasselbe  aufgegangen. 
Es  Avird  gar  gemuthmasset,  dass  Bosheit  daran  Schuld  gewesen; 
wenigstens  hat  sich  solches  unter  währendem  Brande  genugsam 
erwiesen,  indem  dabey  eine  Spritze  durch  Zerschneidung  des 
Schlauches  unbrauchbar  gemacht,  und,  anstatt  Hülfe  zu  leisten, 
geraubet  und  gestohlen  worden.  Der  obbenannte  Jude,  welcher 
sonst  als  ein  guter  Hausvater  bekannt  ist,  hat  wegen  IJbereilung 
von  der  Flamme  kaum  sein  Leben,  sonst  aber  nicht  das  mindeste 
retten  können;  wie  er  denn  auch  beyde  Beine  gebrochen  hat. 
Seine  Frau  ist  verbrannt  aus  dem  Schutt  gezogen  worden,  und 
seine  Tochter,  die  erst  am  Sonntag  Nachmittags  mit  einem 
jungen  Wittber  Verlöbniss  gehalten,  hat  sich  im  Herabspringen  zu 
Tode  gefallen.  Von  3  Jüdischen  Studenten,  denen  Beyfuss 
freye  Wohnung  gegeben,  ist  einer  ganz  verbrannt;  ein  anderer, 
aus  Hamburg  gebürtig,  ein  sehr  geschickter  und  fähiger  Kopf, 
hat  im  Springen  den  Tod  gefunden,  und  der  dritte  ist  sehr 
beschädigt.  Der  Sohn  vom  Hause  hat  Arm  und  Bein  gebrochen; 
die  Magd  aber  liegt  von  der  Flamme  übel  zugerichtet  noch 
lebend  im  Spital;  anderer  Personen  zu  geschweigen,  welche  bey 
dem  Brande  hart  verletzet  worden.  Man  räumet  noch  immer, 
und  rausste  noch  gestern  die  Spritzen  wieder  herbey  holen,  weil 
bey  Eröfnung  des  Kellers  Flammen  und  Rauch  entgegen  ge- 
schlagen. Die  stille  Luft  war  noch  bey  der  Feuersbrunst  ein 
Glück,  da  bey  dem  geringsten  alle  Hülfe  vergebens  gewesen 
seyn  würde.  Als  ein  besonders  Unglück  aber  siebet  man  den 
Tod  erwehnter  Personen  an,  indem  bey  dem  grossen  Juden- 
Brande  ^  nicht  so  viele  ihr  Leben  eingebüsset  haben". 


Juden,  S.  29  ff.  Rnben  Benedict  B.  wird  daselbst  S.  30  genannt.  Er  war 
der  Schwager  des  David  Meyer  Kulp,  s.  Kracauer,  Die  Kulp-Kannschen 
Wirren,  S.  12  ff. 

'  Im  Jahre  1711,  s.  oben  S.  271,  A.  5. 


i 


Hebräische  Inschriften  in  der  Synagoge 

von  Aleppo. 

Von  M.   Sobernheim  und  E.  Mittwoch. 

Die  hier  behaudelteu  InscLriften  stammen  aus  der  ehr- 
würdigen Hauptsynagoge  von  Aleppo  ^,  die  wohl  eine  der  ältesten 
noch  erhaltenen  Synagogen  der  Welt  ist.  Mit  meinem  Reise- 
gefährten, Herrn  Regierungsbauführer  Rauschenberger.  habe 
ich  sie  aufgenommen  und  habe  ihm  die  bau-  und  kunst- 
geschichtliche Untersuchung  zur  Veröffentlichung  überlassen. 
Doch  ist  es  mir  eine  Freude,  die  dort  befindlichen  hebräischen 
Inschriften  gemeinschaftlich  mit  meinem  Freunde,  Professor 
Dr.  Mittwoch,  als  Beitrag  zu  dieser  Festschrift  herauszugeben. 
Ich  habe  sie  in  Aleppo  abgeschrieben  sowie  photographiert  und 
Professor  Dr.  Mittwoch  gebeten,  den  Kommentar  dazu  zu 
übernehmen. 

Aleppo  wird  mit  dem  in  der  Bibel  genannten  mZII»*  CIN  (}^"~1N) 
gleichgestellt  und  hat  schon  früh  eine  große,  weit  bekannte 
jüdische  Gemeinde  gehabt.  Die  Synagoge  ist,  nach  ihrem 
ältesten  Teil  zu  urteilen,  gleich  der  ehemaligen  Synagoge  und 
jetztigen  Schlangenmoschee '^  in  Aleppo  und  der  Synagoge  in  Djobar 
bei  Damaskus,  die  wir  ebenfalls  beide  aufgenommen  haben,  eine  Ba- 
silika gewesen,  ihre  Gründung  wird  etwa  im  5.  oder  6.  Jahrhundert 


^  Siehe  darüber  E.  N.  Adler,,,  Aleppo",  im  „Gedenkbuch  zur  Erinnerung 
an  David  Kaufmann",  Breslau  1900,  p  128 ff. ;  ferner  „Jewish  Encyclopedia" 
unter  Aleppo  p.  338,  sowie  E.  N.  Adler,  „Von  Ghetto  zu  Ghetto", 
p.  111—117. 

■^  Von  dieser  Synagoge,  die  bereits  im  Mittelalter  in  eine  Moschee 
umgewandelt  wurde,  werde  ich  demnächst  die  dort  befindliche  arabisch- 
hebräische  Inschrift  sowie  das  „Almemor"  in  einer  anderen  Festschrift  ver- 
öffentlichen. 


—     275     — 


Abb    3.     Hof  der  Synagoge. 


—     276     — 

anzusetzen  sein^.  Ob  dortselbst  ein  älterer  Synagogenbau  ge- 
standen hat,  darüber  verlautet  nichts  in  der  Tradition.  Die 
Synagoge  ist  im  Viertel  ßahsita-  gelegen,  man  steigt  vom  Niveau 


Abb.  4.     Halle  an  der  Südseite  des  Hofes. 


^  E.  N.  Adler  1.  c.  führt  (ohne  näheres  mitzuteilen)  die  Ansicht  des 
Abbe  Chagnot  an,  daß  sie  aus  dem  4.  Jahrhundert  stamme;  doch  sind 
sowohl  Herr  Rauschenberger,  wie  Privatdozent  Dr.  Herzfeld,  der  uns  in 
der  Aufnahme  unterstützte,  aus  kunsthistorischen  Gründen  der  Meinung, 
daß  sie  nicht  vor  dem  5.  Jahrhundert  erbaut  sein  kann. 

^  S.  auf  dem  Plan  (Nr.  1)  in  meinem  Artikel  „Halab"  in  der  Encycl. 
des  Islam.  Die  oben  und  S.  273  Anm.  2  erwähnte  Synagoge  stand  in  einem 
anderen  jüdischen  Viertel,  nahe  der  Zitadelle  (Plan  Q). 


—     277     — 

der  Straße  einige  Stufen  herab  und  gelangt  in  einen  dreischiffigen 
Raum  B  C  D  (s.  den  Plan  in  unserer  Abb.  1),  dessen  Säulen- 
stellungen noch  heute,  obwohl  überall  Umbauten  stattgefunden 
haben,  eine  Basilika  erkennen  lassen.  Sie  reichte  an  die  Zugangs- 
straße, erst  später  grenzte  man  durch  eine  Wand  einen  Raum 
E  ab.  Das  Mittelschiff  ist  am  besten  erbalten.  An  die  Ostseite 
B  (Abb.  2)  schließt  sich  ein  Hof  F  (Abb.  3)  an,  dem  in 
neuerer  Zeit  (unter  Benutzung  alter  Baureste)  ein  Versammlungs- 
saal mit  einem  kleinen  Nebeuhof  angebaut  ist.  An  der  Südseite 
des  Haupthofes  F  befindet  sich  eine  Halle  (Abb.  4)  mit  drei 
Türöffnungen  zu  Nischen,  in  denen  Thorarollen  und  Kultgeräte 
aufgehoben  sind. 

I. 

Im   westlichen    Schiff,    in    der   Mitte    der   Westwand,    über 
einem  Fenster,  2  m  vom  Boden.     50x38  cm.     (Abb.  5). 


Abb.  5.     Inschrift. 

-12  ]n:  12  'hv    2 

LiNn  12  '^■Z'2r2     3 

'C'^'h  r\pik  i'^nn    & 


1.  Diese  Kuppel  baute  Herr 

2.  'All,   Sohn  des  Nathan,  Sohnes 

3.  des  Mubassir,   Sohnes  des  Hädim, 

4.  von  seinem  Erwerb  und  seinem  Vermögen,  im  Jahre 

5.  [1J145  Sei.  {=  833  n.  Chr.). 


—     278     - 

Bevor  wir  über  das  Datum  sprechen,  sollen  zunächst  ein 
paar  Bemerkungen  zu  den  einzelnen  Zeilen  der  Inschrift,  die 
bereits  einmal  von  E.  N.  Adler  ^  herausgegeben  worden  ist, 
besprochen  werden.  Der  Schriftcharakter  ist  ein  altertümlicher. 
Man  beachte  im  besonderen  das  PI,  dessen  linker  Schaft  noch 
völlig  oder  doch  fast  bis  zum  Oberbalken  hinanreicht.  Vom  n 
entscheidet  es  sich  derart,  daß  beim  n  der  Oberbalken  über 
den  linken  Schaft  hinwegragt,  während  beim  n  der  linke  Schaft 
und  der  Oberbalken  in  einem  Punkte  auslaufen. 

In  Zeile  1  zeigt  die  Photographie  deutlich  IT,  nicht  Hi^. 
Das  Wort  r]2p,  das  als  aTia^  }v£y6[j.svov  bereits  im  biblischen 
Hebräisch  vorkommt,  ist  in  unserer  Inschrift  ganz  wie  das 
arabische  kubba  als   „Kuppel,   Gewölbe"  gebraucht. 

''^V  in  Zeile  2  gibt  den  arabischen  Namen  'All  wieder 3. 
So  wird  auch  "T^'2D  in  Zeile  3  als  der  arabische  Namen 
Mubassir-*  zu  fassen  sein,  zumal  rechts  über  dem  t^'  ein  Punkt 
vorhanden  ist  ^.  Der  Namen  des  Vaters  dieses  Mubassir  ist 
nicht  ganz  sicher.  Den  ersten  Buchstaben  halte  ich  für  ein 
n,  nicht  für  ein  n,  der  zweite  ist  sicher  ein  X,  der  dritte  ein  1 
und  nicht  ein  ~l,  der  vierte  ein  C  oder  D^.  So  ist  die  Lesung 
DlNn  wahrscheinlicher  als  DIN".  Häufige  Namen  sind  beide 
nicht.      C"INm    wäre    das    arabische    (*jL=s..     Das     •     wird    zwar 

zumeist  durch  t  wiedergegeben,  aber  auch  die  Transkription 
mit  n  (n)  ist,  besonders  aus  älterer  Zeit,  belegt.  Als  Eigen- 
namen ist  mir  freilich  Hädim  „Diener"  bisher  nirgends  begegnet, 


'■  Im  Kaufmann-Gedenkbuch,  S.  130. 
-  So  E.  N.  Adler  a.  a.  0. 

*  Dieser  Name  ist  unter  den  Juden  der  arabischen  Länder  sehr  häufig. 

*  Über  diesen  Namen,  dementsprechend  dann  auch  der  hebräische 
^i!??"?  gebildet  wurde,  siehe  M.  Steinschneider:  Die  arabische  Literatur  der 
Juden,  Frankfurt  a.  M.  1912,  Seite  XV. 

^  In  unserer  Inschrift  werden  zwar  auch  sonst,  ähnlich  wie  das  bei 
arabischen  Inschriften  der  Fall  ist,  Punkte  —  wie  auch  Winkelhäkchen  — 
rein  dekorativ  gesetzt  (man  vergleiche  besonders  Zeile  2  und  3),  aber  das 
geschieht  dann  innerhalb  der  Buchstaben,  nicht  über  ihnen.  Etwas  anderes 
bedeutet  die  Überpunktung  von  Buchstaben  in  Zeile  5  zum  Zwecke  der 
Datierung. 

*  Adler  a.  a.  0.  on.sn. 


-     279     — 

ebenso\yenig  aber  auch  D"!^"  =  [j^\^  „Wächter".  In  dem  einen 
wie  in  dem  anderen  Falle  würden  wir  es  also  mit  einem  Familien- 
namen zu  tun  habend 

y^y  in  Zeile  4  für  „das  mühsam  Erworbene,  Vermögen", 
kommt  genau  so  schon  im  Biblisch -Hebräischen  vor  (z.  B. 
Psalm  109,11).    —    Das    ^   am   Ende    der   Zeile  ist   Abkürzung 

für  nJD'. 

Das  Datum  wird  in  Zeile  5  in  weit  verbreiteter  Weise  so 
angegeben,  daß  aus  den  Worten  np"ii  "'pnn^  die  drei  letzten 
Buchstaben  des  ersten  und  der  erste  des  zweiten  Wortes  durch 
darüber  gesetzte  Punkte  hervorgehoben  werden.  Der  Zahlenwert 
dieser  vier  Buchstaben  beträgt  5  +  30  +  20  +  90  =  145.  Diese 
Zahl  ist  dann  in  kleineren  Buchstaben  PiCp  noch  einmal  direkt 
angegeben.  Das  erfahren  wir  jetzt  zum  ersten  Male  aus 
Sobernheims  Photographie  und  Abschrift,  und  das  ist  für  die 
Bestimmung  des  Datums  von  Wichtigkeit.  Die  Jahreszahl  ist 
nach  der  Ära  Seleucidarum  {12Z''7  =  ri"m2]i/^)  angegeben,  wobei, 
wie  das  vielfach  geschieht,  der  Tausender  weggelassen  ist. 
Das  Jahr  1145  Sei.  entspricht  dem  Jahre  833  n.  Chr.  Dazu 
stimmt  auch  der  Schriftcharakter,  der  —  wie  bereits  hervor- 
gehoben —  ein  archaistischer  ist.  Einheimische  Juden  gaben 
der  Zeile  5  eine  andere  Deutung.  Sie  bezogen  die  beiden 
Worte  ripl'Ü  "priD  vollständig  in  das  Datum  hinein  und  gewannen 
so  die  Zahl  400+5  +  30+20+90  +  4  +  100+5  =  654  Sei.  =  342 
n.  Chr.  Das  ist  auch  wohl  die  Veranlassung,  daß  Abbe  Chagnot 
den  Bau  von  Teilen  unserer  Synagoge  ins  4.  nachchristliche 
Jahrhundert  versetzt  3.  Ganz  abgesehen  von  anderen  Gründen 
ist  aber  durch  das  daruntergesetzte  riT^p  die  Deutung  145=  1145  Sei. 
=  833  n.  Chr.  gesichert.  Auch  so  gehört  unsere  Inschrift  zu 
den  ältesten  ihrer  Art. 


*  Die   Namen  ^'X^^  oder    ^'X^   (Dahabi,  Mustabih   S.  135)   kommen 

nicht  in  Betracht ;  denn  der  dritte  Buchstaben  kann  kein  t  sein.  —  Ein 
häufiger  Name  ist  Harim.  Er  wird  aber  immer  mit  kurzem  a  (ohne  alif) 
geschrieben.  Der  erste  Buchstabe  ist  außerdem  in  unserem  Worte,  wie 
bereits  hervorgehoben,  ein  n. 

^  Vgl.  Psalm  85,14  ^J-n»  rJsS  jjix. 

'  Vgl.  E.  N.  Adler  a.  a.  0.   und  Jewish   Encyklopedia  s.  v.   Aleppo. 


—     280     — 


II. 


Am   ersten  Pfeiler   der  westlichen  Pfeilerreihe   des   Mittel- 
schiffs C.     (Abb.  6). 


Abb.  6.     Inschrift. 


r\wz'  it'\x  ]^:22  2-ijnniJ'  n?:   i 


-      9 


^itTi  1Ty'?N  "iC    22  in  C'^-^üV 

]^üür2  122  '^hn  ^^^''h^  ib  25  12   3 

1.  Gespendet  hat  zum  Bau  dieser  sechs 

2.  Säulen  Ele'äzär  \  der  Levite, 

3.  Sohn   des   Elijähü,    des   Leviten    —    sein   Ende    sei   gut!   — 
vom  Vermögen 

4.  seiner  Söhne  Josef  und  Jismä'el  und  der  Tochter,  der  Braut 
—  sie  mögen  im  Paradiese  ruhen!  —  1726  Sei.  (=  1414  n.  Chr.). 

Die    Wendung    ^HjPm'lJ'    Pi^    (Zeile   1),    mit    der    auch    die 
beiden  folgenden  Inschriften  beginnen,  ist  arabischen  Vorbildern 

nachgeahmt  und  erinnert  au  das  häufige  J^s.  Ul«  oder  ^.jüi.1  U^o 
in  Bauinschriften. 

in  =  im ;  -'o  if  =  Ij-iid  -nzr ;  icä  =  2'i:  idid ;  v: = ]-iy  (cmj)  nmj 

oder  pV  {cniZZ'j)  nncir'J.      Die    letzte   Abbreviatur   bezieht   sich 

wohl  uicht   nur   auf  die  Tochter,    sondern   auch   auf  die  beiden 

Söhne.     Die   drei  Kinder  Ele'äzärs    waren   zu  dessen  Lebzeiten 

gestorben,    und   aus   ihrem  Vermögen    hat   er   die    sechs    Säulen 

errichten  lassen.     Im  Datum  ist  hier  der  Tausender  angegeben, 

ebenso  in  den  beiden  folgenden  Inschriften. 

^  Die  Titulaturen  lasse  ich  in  der  Übersetzung  dieser  und  der  folgenden 
Inschriften  fort. 


—     281     — 

III. 
Im  abgetrennten  Nebenraume  E  der  alten  Basilika,  an  der 
Westwand,  3  m  über  dem  Boden  ^. 

1112  nn::-t:'':'  'c'zt^    ^ 

1.  Gespendet  hat  zum  Bau  dieser 

2.  Bauten  und  der  Lade  Abraham 

3.  der   Köhen,    Sohn   des   Jakob,    des   Köhens    —    er   ruhe   im 
Paradiese!  —   im  Jahre 

4.  1719  Seleucidarum  (=  1417  n.  Chr.).     Gepriesen  sei  [Gott], 

5.  der  das  verwitwete  Gebiet  wieder  herstellt. 

In  der  mir  vorliegenden  Abschrift  beginnt  Zeile  2  mit  1. 
Man  könnte  nun  annehmen,  daß  nach  1/''N  in  Zeile  1  ein  Wort 
versehentlich  fortgelassen  ist.  Wahrscheinlicher  aber  ist  mir, 
daß  das  1  in  rv^zm  Dittographie  und  zu  streichen  ist. 

"11  "iC  =  1J2~l'i  )j~]''<t2 ;  die  übrigen  Abkürzungen  wie  in 
Inschrift  II. 

Zu  der  Eulogie  in  Zeile  4  —  5  vergleiche  man  den  Satz 
B^räkhöth  58  b:  b)2:  2^-iC  "112  n?2\S  |2V^'^2  t^Xll^'i  ^12  M.siir,  "i"n 
P?2vXri  l^n  in2  ~1C'1N  p21in2  n:c'PN-  Sie  erklärt  sich  in  unserem- 
Falle  wohl  so,  daß  es  sich  um  die  Wiedererrichtung  von  zer- 
störten Teilen  der  Synagoge  handelt.  Das  geht  deutlicher  aus 
der  folgenden  Inschrift  hervor,  die  am  Schluß  die  gleiche 
Eulogie  enthält  und  in  der  von  einem  Bau  pin"  """N  „nach 
der  Zerstörung"   die  Rede  ist. 

IV. 

An  der  Südwand  des  Hofes  F,  oberhalb  des  Hallenbogens, 
auf  zwei  bei  einer  späteren  Restaurierung  eingesetzten  Steinen. 

a. 

n^2ri  1122    2 
l'inxn  nin    3 


^  Von   dieser   und   der    folgenden  Inschrift  ließen  sich  keine  brauch- 
baren Photos  herstellen. 


—     282     — 
b. 

■^n  pinn  nnx  n^prrn   4 

"1:  2D  ^2  nCIDH  bwS'yD     6 

"ij/'D  "12  2)V  ~iD  ycp"»    "< 
"^N  ^12:1  2^iic  in2  nn^cirb   9 

a. 

1.  Größer  wird  die 

2.  spätere  Herrlichkeit 
'6.  dieses  Hauses  sein 
4.  als  die  frühere. 

b. 

1.  In  Deinem  Namen,  Barmherziger  und  Gnädiger! 

2.  Gespendet  hat  zum  Bau  dieser 

3.  Säulen  und  Schwellen 

4.  und  des   Gebälks  nach  ihrer  Zerstörung 

5.  (Titulaturen) 

6.  Sa'd'el,  der  Schreiber,   Sohn  des 

7.  'Obadjäh,  Sohnes  des   Sa'd'el 

8.  —  seinEnde  möge  gut  sein!  —  im  Monat  Siwän  des  Jahres  1716 

9.  Seleucidarum   (=  1404  n.   Chr.).      Gepriesen    sei    [Gott],    der 
das  verwitwete  Gebiet  wieder  herstellt. 

In  der  Inschrift  a  hat  der  Vers  Haggai  2,9  eine  sinnige  Ver- 
wendung gefunden;  vgl.  unsere  Schlußbemerkung  zu  Inschrift  III. 
—  mCD  in  b,  Zeile  3,  gehört  zum  Singular  f]D  „Schwelle, 
Pfosten".  Der  Plural  lautet  im  Biblisch -Hebräischen  G'?2, 
während  nV3p  und  PlCp  Plurale  von  ^ü  in  der  Bedeutung 
„Becken,  Schale"  sind,  wovon  in  unserem  Zusammenhange 
nicht  die  Rede  sein  kann. 

Die  zweite  Inschrift  ist,  besonders  in  den  Titulaturen,  reich 

an  Abkürzungen,     cm  (Zeile  1)  =  NJCnT,  "IH  (Zeile  ,4)  =  21"  i; 
•  Ebenso  in  Xr.  II. 


—     283     — 

~p  ~j  ZZ  in  Zeile  5  =  TII'Tip  n'?i~:i  ~1ZZ,   eine  Titulatur,   die  uns 

in    Geuiza  -  Texten     häutig    begegnet  i;     >C    pi    =    n'7J/?2    n~'p''2; 

11    V:  =  IjZII    i:~1V2-':    in    Zeile    7    dafür    die    Abbreviatur    ic; 

Ziy  ^  """"zy;  "lyz  =  lN"l>D   (der  Name  des  Großvaters   und    des 

Enkels   ist   der   gleiche);    üZ    (Zeile  8)  =  Zi::   l^iD^;    in   Zeile   9 

ist  "7^  =  nJ?2'7N;   vergleiche  den   Schluß  von  Inschrift  III. 

In  der  Südhalle  des  Hauptschiffes  sind  außer  dieser  auch 
noch  andere  Inschriften  vorhanden,   die  aber  modern  sind. 

*  Siehe  den  Aufsatz  von  E.  J.  Worman :  Forms  of  Adress  in  Genizah 
Letters,  JQR.  XIX  S.  724 ff  Diese  Titulatur  begegnet  uns  dort  in  den 
verschiedensten  Abkürzungen,  z.  B.  tp  ^3  n:  oder  pj:.  Dahinter  folgt  dann 
gewöhnlich,  ähnlich  wie  in  unserer  Inschrift  ii  in. 

-  Vgl.  Worman  a.  a.  0.  Seite  733  ::-,i  j-.a  nnp  -h-i3  ni:;  msEn  mp'  nmn. 

■'  Ebenso  in  Nr.  11. 


(iuttraanu,   Festschrift  1" 


Druck  von  Max  Schmersow,  Kircbliain  N.-L. 


Synagoge  von  AI 


Abb.  1.     Plan. 

Bemerkungen  zum  J'lan:  Die  schwarz  an- 
gelegten Teile  des  Grundrisses  sind  Reste  der  alten 
Jiasilika.  Auch  im  Kern  der  Pfeiler,  die  das  Mittel- 
schiff vom  Westschiff  trennen,  sowie  in  der  Westwand, 
sind  Reste  alten  Mauerwerkes  enthalten. 

Aufgenommen  von 
Regierungsbauführer  E.  Rauschenberger. 


trasse 


Eingang 


294 


> 


0 


1 


BirUJUX^ ..    iVIAI\  Ö«I^I3! 


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BK 
F37 


Festschrift  zum  siebzigsten 
Geburtstage  Jakob  Guttmanns